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Full text of "Sitzungsberichte - Bayerische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Abteilung"

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i     BINDING  LIST  if^  3     1928 


Sitzungsberichte 

der 

philosophisch -philologischen 

und  der 

historischen  Klasse 

der 

K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften 

zu  JVtüncheii 


Jahrgang  1917  y^ 


1 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franz'schen  Verlags  (J.  Roth) 


As 

IQ17 


Akademische  Buchdruckerei  von  F.  Straub  in  München 


Inhaltsübersicht 


Seite 

I.  Sitzungsberichte      .        .      .  .        .      5—20 

Darin  Titel  und  Inhaltsangaben  folgender  in  diesem  Bande 
nicht  gedruckter  Abhandlungen: 

G.  Hager:   Charakteristik  der  Gotik  Oberbayerns      .         .         .       9 — 10 

P.  Wolters:  Bemerkungen  über  die  architektonische  Gestaltung 

der  mithraeischen,  Höhlenform  nachahmenden  Heiligtümer     10  —  11 

F.  Muncker:   Klopstocks  Vater 11 

Th.  Bitterauf:   Die  Anfänge   des  Ministeriums  Montgelas  bis 

zum  Frieden  von  Luneville 17 

H.  Bulle:   Archaisierende  griechische  Rundplastik     ...         18 

F.  Hümmerich:    Quellen   und  Untersuchungen   zur  Fahrt  der 

ersten  Deutschen  nach  dem  portugiesischen  Indien  1505/6     18—20 

M.  Doeberl:  Beiträge  zur  Geschichte  der  bayerischen  Verfassung         20 
II.  Verzeichnis  der  im  Jahre  1917  eingelaufenen  Druckschriften    21—42 

III.  Abhandlungen 

1.  H.  Prutz:    Neue  Studien   zur  Geschichte   der  Jungfrau   von 

Orleans 1—96 

2.  C.  Sachs:    Die  Musikinstrumente   Birmas   und   Assaras    im 

K.  Ethnographischen  Museum  zu  München  (mit  19  Tafeln)       1 — 47 

3.  F.  Vollmer:    Zur  Geschichte  des   lateinischen  Hexameters. 

Kurze  Endsilben  in  arsi 1 — 59 

4.  G.  Leidinger:   Bernardus  Noricus.    Untersuchungen  zu  den 

Geschichtsquellen  von  Kremsmünster  und  Tegernsee         .       1 — 52 

5.  R.  Da  viel  söhn:   Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  in  ihrer 

Einwirkung  auf  die  neuere  deutsche  Geschichte        .         .       1 — 49 


Inhaltsübersicht 


Seite 


6.  K.  v.  Amira:    Die    .große  Bilderhandschrift   von  Wolframs 

Willehalm u   (mit  2  Tafeln) 1-31 

7.  N.  Wecklein:  Textkritische  Studien  zur  llias      .         .         .     1 — 177 

8.  A.  Hillebrandt:    Der   freiwillige  Feuertod   in  Indien   und 

die  Somaweihe 1  —  19 

9.  F.  Vollmer:   Kürzung  durch  Tonanschluß   im  alten  Latein     1 — 32 
10.  U.  Wilcken:    Beiträge    zur    Geschichte    des   korinthischen 

Bundes  .         .         . 1-40 


5 


Sitzungsberichte 

der  philosophisch-philologischen  und  der 

historischen  Klasse 

der  Königlich  Bayerischen  Akademie   der  Wissenschaften 

1917. 

Vorsitzender  Klassensekretär  Herr  Marcks. 


Sitzung  am  13.  Januar. 

Herr  Prutz  legte  eine  für  die  Sitzungsberichte  bestimmte 
Abhandlung  vor: 

Neue  Studien   zur  Geschichte  der  Jungfrau   von 
Orleans. 

Darin  wird  zunächst  der  Nachweis  geführt,  daß  von  den 
beiden  durch  eine  Abschrift  Ducanges  erhaltenen  Chroniken 
nur  die  „Denkwürdigkeiten"  von  Perceval  de  Cagny  herrühren, 
die  „Genealogie  der  Herzöge  von  Alencon"  dagegen  im  Auf- 
trag desselben  von  einem  andern,  literarisch  gebildeten  Autor 
verfaßt  ist.  Die  zwischen  1436  und  1441  aufgezeichneten 
Erinnerungen  des  im  Dienst  der  Alencons  ergrauten  Ritters 
gehören  zu  den  wertvollsten  Quellen  für  die  Geschichte  der 
Jungfrau  von  Orleans,  der  er  mehrfach  nahe  gekommen  war 
und  deren  Taten,  wie  namentlich  den  Loirefeldzug  und  den 
vergeblichen  Angriff  auf  Paris,  er  als  Mithandelnder  beob- 
achtet hatte,  ohne  den  Glauben  an  überirdische  Kräfte  in  ihr, 
aber  in  richtiger  Schätzung  des  Einflusses,  den  sie  auf  Volk 
und  Heer  ausübte.  Unberührt  von  der  früh  einsetzenden 
Legendenbildung  gibt  Perceval  de  Cagny  das  getreuste  histo- 
rische Bild  der  Heldin.  Weiterhin  wird  gezeigt,  daß  die  so- 
genannte  „Prüfung"   der  Jungfrau  zu   Poitiers  kein  feierliches 

Sitzgsb.  d.  pliilos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917.  (( 


6  Sitzung  am  13.  Januar. 

rechtliches   oder    kirchliches  Verfahren    war,    sondern    nur   ein 
form-   und   zwangloser  Versuch,    die  Wahrheit   ihrer  Angaben 
über  die  ihr  gewordenen  himmlischen  Eröffnungen  zu  ermitteln; 
er  blieb  vergeblich,  da  Johanna  das  von  ihr  verlangte  „Zeichen" 
nur  im  Kampf  gegen  die  Engländer  geben  zu  können  erklärte. 
Schließlich  wird  dargetan,  wie  das  Bild  durchaus  unzutreffend 
ist,  welches  die  spätere  Überlieferung  von  der  leitenden  Rolle 
entwirft,  die  Johanna  bei  dem  Zuge  nach  Orleans  und  in  den 
zur  Rettung  der  Stadt  geführten  Kämpfen  gespielt  haben  soll. 
Insbesondere  kann  von  einer  Leitung  der  militärischen  Unter- 
nehmungen durch  sie  nicht  gesprochen  werden,  wohl  aber  sind 
schon  frühzeitig  Züge    hinzugedichtet   worden,   die    im  Wider- 
spruch  mit   den   geschichtlich   erweisbaren  Tatsachen  Johanna 
als    die  Leiterin    des   ganzen  Unternehmens    darstellen    sollten. 
Von    der   Legende   rezipiert    haben   sie    selbst  die   Erinnerung 
manches  der  in  dem  Rehabilitationsprozeß  vernommenen  Zeugen 
beeinflußt,  um  so  mehr,  als  diese  sich  mit  der  zur  Herrschaft 
gelangten   und   aus  politischen  Gründen   festgehaltenen  Tradi- 
tion nicht  in  Widerspruch  setzen  mochten. 

Herr  Scherman  legte  eine  Abhandlung  des  Dr.  Curt  Sachs 
in  Berlin  vor: 

Die    Musikinstrumente    Birmas    und    Assams    im 
K.  Ethnographischen  Museum  zu  München. 

Der  Verfasser  legt  die  Aufzeichnungen  Prof.  Schermän's  zu 
Grunde,  die  sich  auf  den  hier  in  Betracht  kommenden  Teil 
von  dessen  hinterindischen  Sammlungen  beziehen;  diese  wurden 
1911  begonnen  und  dann  noch  mit  Unterstützung  von  Regie- 
rungsbeamten und  Missionaren  in  Oberbirma  und  Assam  wesent- 
lich ergänzt,  sodaß  nunmehr  in  Deutschland  nach  dem  Urteil 
des  Verfassers  das  Münchener  Ethnographische  Museum  ge- 
meinsam mit  dem  Berliner  Museum  für  Völkerkunde  im  bir- 
manisch-assamischen  Besitzstand  die  Führerschaft  hat.  Die 
Arbeit  von  Sachs  bietet,  mit  dem  nötigen  Illustrationsmaterial 
ausgestattet,  ein  Inventar  des  Münchener  Bestandes,  wobei  jeder 


Sitzung  am  3.  Februar.  ' 

Gruppe  eine  ethnologische  Gesamtwürdigung  vorangestellt  wird. 
In  der  Einleitung  erörtert  der  Verfasser  insbesondere  den  An- 
teil der  Shan-Staaten  an  diesem  Kapitel  der  hinterindischen 
Kulturentwicklung;  er  hält  es  für  wahrscheinlich,  daß  ent- 
sprechend der  Nordsüdrichtung  in  den  Wanderstraßen  der  tibeto- 
birmanischen,  sino-siamesischen  und  Mon-Khmer-Völker  auch  die 
Musikinstrumente  des  südöstlichen  Asien  zum  großen  Teile  ihren 
Ursprung  etwa  auf  der  indisch-chinesischen  Grenzscheide  haben 
und  von  dort  aus  unter  dem  Nachdrängen  vollkommenerer  Typen 
den  Weg  nach  Südosten  einschlugen.  Während  die  neueren 
hinterindischen  Kulturvölker  je  nach  ihrer  Eigenart  diese  alten 
Typen  weitergebildet  und  durch  vorderindische,  chinesische  und 
malaiische  Arten  ergänzt  haben,  blieben  die  Völker  der  Shan- 
Staaten  fast  unbeeinflußt  und  haben  dem  Forscher  das  Bild 
einer  im  wesentlichen  urwüchsigen,  aber  reichen  und  frucht- 
baren instrumentalen  Entwicklungsstufe  erhalten. 

Die  Abhandlung  wird  in  den  Sitzungsberichten  erscheinen. 


Sitzung  am  3.  Februar. 


Herr  Vollmer  berichtete  über 

Metrische  Studien  zur  Geschichte  des  lateinischen 
Hexameters. 

Seine  Untersuchungen  behandeln  die  sogenannte  Dehnung 
kurzer  Endsilben  in  arsi  und  verfolgen  diese  Erscheinung,  die 
wichtige  Aufschlüsse  über  die  Schaffung  des  lateinischen  Hexa- 
meters durch  Ennius  im  Anschluß  an  Homer,  über  allerlei 
Fragen  lateinischer  Prosodie,  über  Einfluß  der  Rhetorik  auf 
die  Poesie  zu  geben  vermag,  von  Ennius  bis  ins  6.  Jahrhundert 
nach  Christus. 


a* 


8 


Sitzung  am   3.  März. 

Herr  Leidinger  hielt  einen  Vortrag: 

Bernardus  Noricus.  Untersuchungen  zu  den 
Geschichtsquellen  von  Kremsmünster  und 
Tegernsee. 

In    dem    von    dem   letzten  Agilolfin  gerherzog  Tassilo   von 
Bayern  gegründeten  oberösterreichischen  Kloster  Kremsmünster 
entstanden  gegen  Ende  des  13.  und  im  Anfange  des  14.  Jahr- 
hunderts Geschichtswerke,  welche  für  die  ältere  bayerische  und 
österreichische    Geschichte    von    ziemlichem    Werte    sind.     Als 
Verfasser    wurde    bald   ein    gewisser  Bernardus  Noricus,    bald 
ein   Sigmar   von    Kremsmünster   betrachtet.     Der  Vortragende 
wies  nach,  daß  Aventinus,   in  dessen  Werken  man  bisher  den 
Namen    des   Bernardus   Noricus    zuerst    gefunden    hat,    diesen 
durchaus   nicht  als  Verfasser  jener  Geschichtsquellen   bezeich- 
nete,   sondern    daß    nur  infolge    irrtümlicher    Auffassung    von 
Aventins  Angaben  die  spätere  Geschichtsliteratur  den  Bernar- 
dus Noricus  mit  jenen  Aufzeichnungen   von  Kremsmünster  in 
Beziehung    gesetzt    hat.     Das   Werk,    welches    bei    Aventinus 
unter  dem  Namen  des  Bernardus    erscheint,   ist   ein    in    dieser 
Form  in   drei  Handschriften   überliefertes  Bruchstück    der  von 
dem  Mönch  Heinrich  von  Tegernsee  im  12.  Jahrhundert  ver- 
faßten   Legende    des   hl.  Quirinus,    deren    interessantester  Teil 
dann    in    die   Gründungsgeschichte    und   Chronik    des  Klosters 
Tegernsee    überging.      Dieses    Bruchstück    war    im    15.  Jahr- 
hundert  irrtümlich    einem    Bernardus    von    Kremsmünster    zu- 
geschrieben   und   später   von  Aventinus    benützt  worden.    Der 
Vorwurf  einer  Fiktion,    den    man  Aventinus   gemacht  hat,   ist 
ungerechtfertigt. 


Sitzung  am  5.  Mai. 

Herr  Hager  trug  vor: 

Charakteristik  der  Gotik  Oberbayerns. 

Die  oberbayerische  Gotik  hat  nichts  Bestechendes,  nichts 
Einschmeichelndes.  Die  Schuld  daran  trägt  das  Baumaterial 
des  Landes.  Sand-  und  Kalkstein  fehlen  in  weiten  Gegenden. 
Der  Backstein  herrscht.  Dagegen  kommt  Tun0  und  Nagelfluh 
vor,  selbst  Granit,  Gneis  und  Glimmerschiefer  von  den  Find- 
lingen. Dekorative  gotische  Einzelheiten  mußten  vielfach  ge- 
gossen oder  aus  Kunststein  herausgearbeitet  werden.  Trotzdem 
ist  die  kunstgeschichtliche  Stellung  der  gotischen  Baukunst  des 
heutigen  Oberbayerns  keine  untergeordnete.  Die  Bedeutung  der 
Gotik  Oberbayerns  liegt  auf  dem  eigensten  Gebiete  der  Archi- 
tektur, auf  dem  Gebiete  der  Raumschöpfung.  Das  westliche 
Drittel  des  Landes  ist  weniger  mannigfaltig  in  den  Grundriß- 
und  Aufbauproblemen  als  die  beiden  östlichen  Drittel.  Daß  die 
Entwicklung  der  Gotik  in  den  östlichen  Dritteln  einen  frucht- 
bareren Boden  gefunden  hat,  verrät  schon  der  interessante 
Umstand,  daß  an  den  einschiffigen  Kirchen  der  gerade  ge- 
schlossene, quadratische  Chor,  der  im  Westen  neben  dem  Polygon- 
schluß noch  häufig  ist,  sich  hier  so  viel  wie  ganz  verliert. 
Der  Osten  geht  also  mehr  mit  dem  Fortschritt  als  der  Westen. 
Im  14.  Jahrhundert  bekunden  die  Hallenanlage  der  1330  bis 
1338  entstandenen  Stiftskirche  in  Laufen,  der  ältesten  gotischen 
Hallenkirche  Süddeutschlands,  und  der  Zentralbau  von  Ettal 
die  hochgemuten  Raumgedanken,  die  sich  nicht  mit  dem  her- 
kömmlichen Schema  der  dreischiffigen  Basilika  begnügten. 
Die  Spätgotik  des  15.  Jahrhunderts  entwickelt  in  Oberbayern 
vollends  eine  Fülle  von  Raumgestaltungen.  Es  findet  sich  die 
zweischiffige  Kirche  mit  einseitigem  Seitenschiff,  die  einfache 
symmetrisch  zweischiffige  Kirche,  die  symmetrisch  zweischiffige 
Kirche  mit  dem  latent  eingeschriebenen  Sechseck,  die  symme- 
trisch zweischiffige  Kirche  mit  dem  latenten  Sechseck  und  dem 


10  Sit  zu  n  t;  am   9.  Juni. 

Übergang  zur  dreischiffigen  Anlage  im  westlichen  Joch,  die 
dreischiffige  Basilika  und  die  dreischiffige  Hallenkirche,  letztere 
wieder  mit  abgegliedertem  Chor  oder  mit  dreischiffigem,  nicht 
ausgeschiedenem  Chor  mit  verschiedenen  Lösungen  im  Chor- 
schluß, ferner  die  Hallenkirche  mit  niederen  und  mit  hohen 
Seitenkapellen.  Die  hohen  Seitenkapellenreihen  werden  dann 
auch  selbst  von  einschiffigen  Kirchen  übernommen,  so  daß  hier 
schon  ein  in  der  Renaissance  beliebt  gewordenes  Schema  vor- 
gebildet erscheint.  Was  die  Natur  Oberbayerns  der  Gotik  an 
zergliederungsgerechtem  Baustoff  versagt  hat,  das  hat  sie  er- 
setzt durch  Gestaltungskraft  auf  dem  Gebiete  der  Raumschöpfung. 


Sitzung  am  9.  Juni. 


Herr  Wolters  legte  das  vom  Verfasser  der  Akademie  zu- 
gewendete Werk  R.  Forrer's  Das  Mithra- Heiligtum  von 
Königshofen  bei  Straßburg  vor  und  knüpfte  daran  einige 
Bemerkungen  über  die  architektonische  Gestaltung  der  mithraei- 
schen,  Höhlenform  nachahmenden  Heiligtümer.  Die  meist  an- 
genommene Verwendung  der  seitlichen  Podien  neben  einem 
mittleren,  vertieften  Gang  kann  nicht  richtig  sein.  Als  Auf- 
enthaltsort der  dem  Kultbild  etwa  kniend  zugewendeten  Mysten 
sind  diese  Podien  nicht  geeignet.  Ein  Blick  auf  die  gut  er- 
haltenen Beispiele,  wie  das  Mithraeum  unter  S.  demente  und 
das  in  Carnuntum  (F.  Cumont,  Textes  et  monuments  fig.  rel. 
aux  mysteres  de  Mithra  II  S.  204,  493)  zeigen,  daß  diese  Er- 
höhungen oben  nicht  horizontal  sind,  sondern  sich  beträcht- 
lich nach  der  Außenwand  hin  senken.  Da  ihre  Breite  den  in 
Pompei  erhaltenen  gemauerten  Triklinien  ebenso  entspricht  wie 
diese  Senkung,  da  der  Aufgang  in  S.  demente  bei  der  ange- 
nommenen Verwendung  als  Empore  sinnlos,  nämlich  als  schmales 
Treppchen  am  Fußende  der  Lagerstätte  gebildet  ist  —  die 
Ergänzung  einer  breiten  Treppe  in  Carnuntum  ist  willkürlich  — , 
scheint  die  Verwendung  dieser  erhöhten  Bänke  als  Lagerstätten 


Sitzung  am  9.  Juni.  11 

der  Mysten  bei  dem  überlieferten  rituellen  Mahle  einleuchtend. 
Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  gesehen,  werden  sich  manche 
mit  den  Denkmälern  des  Mithraskults  verknüpfte  Fragen  etwas 
anders  darstellen,  als  bisher.  In  unserem  besonderen  Fall  wird 
man  die  vermutete  Erhaltung  des  vertieften  Ganges  der  ersten 
Bauperiode  im  späteren  Umbau  kaum  annehmen  dürfen,  da  die 
„Podien"  ja  sicher  ihre  alte  Oberfläche  nicht  behalten  konnten. 

Herr  Muncker  hielt  einen  für  die  Sitzungsberichte  be- 
stimmten Vortrag: 

Klopstocks  Vater. 

Von  Klopstocks  Vater,  einem  eigenartigen  Mann  von  sitt- 
lich gediegenem,  ernstem,  tapferem  Charakter  und  guter  Geistes- 
bildung, sind  uns  durch  den  ersten,  überschwänglich  begeisterten 
Biographen  seines  Sohnes,  Karl  Friedrich  Cramer,  fast  nur 
anekdotenhafte,  etwas  abenteuerliche  Züge  überliefert,  deren 
geschichtliche  Glaubwürdigkeit  im  einzelnen  gewissen  Zweifeln 
begegnen  dürfte.  Treuer  und  reicher  ausgemalt  tritt  uns  sein 
Bild  in  seinen  Briefen  entgegen,  von  denen  bisher  nicht  allzu 
viele  veröffentlicht  sind,  namentlich  in  den  meist  ungedruckten 
Briefen  an  Gleim  aus  seinen  letzten  sechs  Jahren  (1750 — 1756), 
deren  Gleims  Nachlaß  in  Halberstadt  über  fünfzig  aufbewahrt. 
Sie  zeigen  besonders  auch  seine  innige  Teilnahme  an  den 
Lebensschicksalen,  dichterischen  Arbeiten  und  Erfolgen  seines 
Sohnes  in  charakteristischen  Urteilen  über  Bodmer,  Gottsched, 
Lessing,  Wieland  und  sonstige  Freunde  oder  Gegner  Klopstocks. 
Sie  beleuchten  aber  ebenso  seine  Ansichten  von  Milton,  Vol- 
taire und  anderen  ausländischen  Schriftstellern  und  gewähren 
uns  einen  aufschlußreichen  Einblick  in  die  literarischen,  ge- 
legentlich auch  in  die  übrigen  Lebensverhältnisse  jener  Zeit. 
So  mag  der  Abdruck  dieser  Briefe  (mit  Ausnahme  einzelner 
geschichtlich  unbedeutender  Abschnitte)  nicht  ungerechtfertigt 
erscheinen. 


12  Sitzung  am  7.  Juli. 

Herr  Davidsohn  hielt  einen  für  die  Sitzungsberichte  be- 
stimmten Vortrag: 

Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  in  ihrer  Ein- 
wirkung  auf  die  neuere  deutsche  Geschichte. 

Das  Ansehen  des  alten  Reiches  war  während  der  letzten 
Menschenalter  seines  Bestehens  ein  überaus  geringes  und  sein 
Verschwinden  nach  tausendjährigem  Dasein  im  Jahre  1806  ließ 
das  deutsche  Volk  fast  völlig  teilnahmslos,  in  den  spärlich  er- 
scheinenden Zeitungen  wurde  diesem  Ereignis  kaum  ein  Wort 
der  Betrachtung,  viel  weniger  eines  des  Bedauerns  gewidmet. 
Erst  die  herben  Erfahrungen  der  napoleonischen  Zeit  belebten 
den  Wunsch  nach  einem  Zusammenschluß  der  deutschen  Stämme 
und  in  der  Kalischer  Proklamation  des  russischen  Generalfeld- 
marschalls Fürsten  Kutusow-Smolenski  wurde  die  , Wieder- 
geburt des  ehrwürdigen  Reiches"  versprochen.  Es  mochte  vielen 
als  traurige  Vorbedeutung  gelten,  daß  die  Verheißung  von  rus- 
sischer Seite  kam,  und  später  enttäuschte  die  lebensunfähige 
Mißbildung  des  Deutschen  Bundes  selbst  die  bescheidensten 
Erwartungen.  Die  lebhaft  einsetzenden  Verfassungsbestrebungen 
in  den  Einzelstaaten  führten,  wegen  des  Widerstrebens  der 
beiden  Großmächte,  von  den  Einheitsbestrebungen  fort,  nicht 
zu  ihnen  hin,  zumal  die  Ideale  der  „Konstitutionellen"  durch- 
aus der  englischen  und  französischen  Geisteswelt  entlehnt  waren. 
Unklar  waren  die  politischen  Ideale  Arndts,  Jahns,  wie  der 
Burschenschafter,  auch  entsprach  der  Schwärmerei  für  deutsche 
Vergangenheit  deren  Kenntnis  und  Erforschung  in  sehr  unge- 
nügendem Maße.  Raumers  1823  erschienene  „  Geschichte  der 
Hohenstaufen"  erweckte  allerdings  das  größte  Interesse  und  sie 
wirkte,  zumal  vermöge  der  Dramatisierungen  Raupachs,  auf 
das  Publikum,  aber  ernste  Grundlagen  für  die  Durchdringung 
der  Vergangenheit  schufen  erst  die  durch  den  Freiherrn  v.  Stein 
begründeten  Monumenta  Germaniae  Historica  und  die  Regesta 
Imperii,  zusammengestellt  von  Johann  Friedrich  Böhmer.  Böhmer 
setzte  diesem,  in  seiner  ersten  Gestalt  noch  sehr  dürftigen  Werk 
eine  Art  Totenklage  am  Grabe  Deutschlands  voran,  die  sein 
Freund  Rückert   gedichtet    hatte.     Der  Kreis  der  Romantiker, 


Sitzung  am  7.  Juli.  1« 

dem  Böhmer  zugehörte,  wollte  in  tiefer  Feindseligkeit  gegen 
Preußen  nicht  daran  denken,  daß  die  Erneuerung  Deutschlands 
von  diesem  ausgehen  könne,  und  im  Sturmjahr  1848  trat  in 
der  Paulskirche  zwar  deutlich  eine  Klärung  der  zuvor  höchst 
verworrenen  Ansichten,  zugleich  aber  deren  schärfste  Gegen- 
sätzlichkeit zutage.  Es  zeigte  sich,  daß  von  einem  Sehnen 
nach  Wiederkehr  des  alten  Reiches  höchstens  bei  den  wenigen 
Angehörigen  des  Böhmer-Görres'schen  Kreises  die  Rede  war. 
Nur  der  ehemalige  Münchener  Professor  Georg  Phillips  und 
der  Münchener  Philologe  Lasaulx  sprachen  sich  in  solchem 
Sinne  aus,  aber  auch  bei  ihnen  nahm  diese  Empfindung  nur 
die  Form  bitterer  Gegnerschaft  wider  Preußen,  der  Begeiste- 
rung für  eine  großdeutsche  Einigung,  sowie  der  Hinneigung 
zu  Österreich  an.  Aus  den  Enttäuschungen  dieser  Zeit  wurde 
das  volkstümliche  Werk  geboren,  das  seit  sechs  Jahrzehnten 
den  größten  Einfluß  auf  die  Urteile  über  das  deutsche  Mittel- 
alter geübt  hat,  die  „Geschichte  der  deutschen  Kaiserzeit " 
Wilbelm  Giesebrechts,  deren  Gesamtgesinnung  man  als  eine 
neu-ghibellinische  bezeichnen  könnte.  Giesebrecht  schwebte  ein 
romantisch  angeschautes  Machtideal  vor,  seine,  auf  die  Dar- 
stellung der  Vergangenheit  wirkende  Sehnsucht  galt  der  Eini- 
gung Deutschlands  unter  Führung  der  Hohenzollern.  Gegen 
die  romantische  Darstellung  der  Kaiserzeit,  gegen  die  Verherr- 
lichung der  Machtausdehnung  auf  Italien  erhob  Heinrich  v.  Sybel 
1859  in  einer  Münchener  Akademierede  Einspruch;  an  diese 
knüpfte  sich  eine  erregte,  weit  ausgedehnte  und  Aufsehen  er- 
regende Polemik,  deren  innerster  Kern  nicht  wissenschaftlicher, 
sondern  politischer  Natur  war,  denn  es  handelte  sich  in  Wirk- 
lichkeit um  die  Frage,  ob  eine  künftige  Einigung  Deutsch- 
lands in  den  Formen  des  alten  Imperiums  unter  österreichischer 
Leitung,  ob  auf  neuer  völkischer  Grundlage  unter  Führung  der 
norddeutschen  Großmacht  erfolgen  solle.  Wortführer  im  Namen 
des  österreichisch-großdeutschen  Gedankens  war  in  diesem  Streit 
der  an  der  Innsbrucker  Universität  heimisch  gewordene  West- 
fale  Julius  Ficker.  Die  Teilnahme  der  Öffentlichkeit  war  eine 
außerordentlich   rege,    weil   die  Auseinandersetzung  durch    die 


'  '  Sitzung  am  7.  Juli. 

Kämpfe  Italiens  gegen  Österreich  angeregt  war,  in  denen  die 
deutsche  Nationalpartei  das  Vorspiel  der  künftigen  Einigung 
unseres  Vaterlandes  erblickte,  und  weil  sie  in  der  Tat  ein 
wissenschaftlich-literarisches  Vorspiel  zu  den  Ereignissen  von 
1866  bildete.  Als  das  deutsche  Reich  entstand,  stützte  es 
sich  in  keinem  Punkt  auf  die  Rechtstitel  des  alten  Imperiums, 
und  um  so  unbefangener  läßt  sich  die  Frage  prüfen,  wie  es 
mit  dessen  Macht  in  Wahrheit  bestellt  war.  Darüber  bestehe 
keine  Meinungsverschiedenheit.  daf3  das  alte  Reich  ohne  die 
Herrschaft  über  Italien  nicht  denkbar  war.  In  Bezug  auf  die 
in  Italien  geübte  Reichsmacht  wurde  eingehend  dargelegt,  daß 
sie  tatsächlich  seit  dem  Tode  Heinrichs  III.  (1055)  nur  in  sehr 
langen  Zwischenräumen  und  nur  während  recht  kurzer  Zeit- 
abschnitte wirksam  werden  konnte,  daß  es  die  Städte  waren, 
deren  Entwickelung,  zumal  infolge  der  zu  immer  größerer  Be- 
deutung gelangenden  Geld  Wirtschaft,  den  auf  dem  Feudalwesen, 
auf  der  Investitur  der  Bischöfe  mit  den  Regalien  beruhenden 
Reichsverband  sprengte,  weil  das  feudale  System  den  politischen 
Ausdruck  der  Naturalwirtschaft  bildete.  Die  Städte  hätten  den 
ohnehin  losen  Zusammenhang  des  italienischen  Reichsverbandes 
wahrscheinlich  auch  ohne  die  drei  großen  Zusammenstöße  zwi- 
schen kaiserlicher  und  päpstlicher  Gewalt  zur  Zeit  des  Inve- 
stiturstreites im  11.,  zu  der  Barbarossas  im  12.  und  Fried- 
richs II.  im  13.  Jahrhundert  zum  Zerfall  gebracht.'  Abgesehen 
von  kurzen  Perioden  am  Ende  des  12.  und  um  die  Mitte  des 
13.  Jahrhunderts  sei  von  einer  regelrechten  Reichsverwaltung 
Italiens,  von  einer  geordneten  Ausübung  der  Steuerhoheit  in 
dem  südlichen  Lande  nicht  die  Rede  gewesen  und  ein  passiver 
Widerstand  führte  dahin,  daß  bürgerliche  Rechtsstreitigkeiten 
auch  vor  dem  Entstehen  der  städtischen  Konsulargerichtsbar- 
keit fast  nie  an  die  in  des  Reiches  Namen  entscheidenden  Richter 
gebracht,  sondern  auf  dem  Schiedswege  geschlichtet  wurden. 
Sei  die  Geschichtsschreibung  ohne  Zorn  und  Eifer  zu  betreiben, 
so  müsse  das  alte  Wort  wohl  noch  dahin  ergänzt  werden,  daß 
auch  die  Liebe  das  Bild  der  Vergangenheit  weder  wandeln 
noch  trüben  dürfe. 


Sitzung  am  13.  Oktober.  15 

Herr  Wilcken  legte  für  die  Sitzungsberichte  vor: 

Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes. 

Ausgehend  von  dem  Nachweis,  daß  in  Justins  Exzerpt  der 
Kriegsbeschluß  gegen  Persien  ausgefallen  ist,  trat  er  für  die 
Scheidung  einer  konstituierenden  Versammlung  und  einer  Kriegs- 
sitzung ein  und  zog  hieraus  die  historischen  Konsequenzen. 
Ferner  begründete  er  die  Annahme,  daß  König  Philipp  der 
ersteren  Versammlung  sein  Programm  in  Form  eines  könig- 
lichen Erlasses  vorgelegt  hat,  und  charakterisierte  im  Anschluß 
hieran  die  Politik  des  Königs. 


Sitzung  am  13.  Oktober. 

Herr  v.  Amiea  trug  vor  über  die 

Große  Bilde rhandschrift  des  Willehalm  von 
Wolfram  v.  Eschenbach. 

Er  beschäftigte  sich  zunächst  mit  dem  Nachweis,  daß  die 
im  Jahre  1909  zum  Vorschein  gekommenen  Bruchstücke  mit 
den  schon  früher  bekannten  zu  einer  und  derselben  zerstörten 
Bilderhandschrift  gehört  haben.  Dies  ermöglicht  jetzt  ein  voll- 
ständigeres Urteil  über  den  Gesamtcharakter  dieses  großartigen 
lllustrationswerkes,  das  im  3.  Viertel  des  13.  Jahrhunderts  als 
erstes  in  seiner  Art  unternommen  wurde  und  das  Muster  für 
die  seit  dem  Ausgang  desselben  Jahrhunderts  entstehenden 
großen  Bilderhandschriften  des  Sachsenspiegels  abgab.  Keine 
anderen  Illustrationswerke  des  Mittelalters  haben  so  ausschließ- 
lich und  so  folgerichtig  wie  diese  den  Zweck  der  Veranschau- 
lichung des  ganzen  Textinhalts  bis  zur  Interpretation  einzelner 
Worte  angestrebt  und  erfüllt, 


1^  Sitzung  am  13.  Oktober. 

Herr  AVecki.ein  legte  für  die  Sitzungsberichte  vor  eine 
Abhandlung: 

Textkritische  Studien  zur  Ilias. 

Diese  bringt  in  Fortsetzung  der  in  den  Sitzungsberichten 
von  1915  veröffentlichten  Abhandlung  „Textkritische  Studien 
zur  Odyssee"  weitere  Nachweise,  wie  unsicher  und  schadhaft 
sich  die  Überlieferung  des  Homerischen  Textes  darstellt,  und 
indem  sie  der  Forderung  Aristarchs  "0^]oov  i£  'Oixiqoov  oaqi]- 
viCeiv  die  Forderung  "0/ut]Qov  ef  'O/xtjqov  dioQdovv  zur  Seite 
stellt,  aber  auch  den  Ergebnissen  der  Sprachwissenschaft  und 
dem  allgemeinen  griechischen  Sprachgebrauch  Rechnung  trägt, 
sucht  sie  über  die  Fehler  hinweg,  welche  von  den  alten  und 
ältesten  Abschriften,  von  der  Umschrift  ins  neue  Alphabet, 
von  den  Einflüssen  der  Rhapsoden,  endlich  und  vor  allem  von 
der  attischen  Redaktion  herrühren,  kurz  hinweg  über  die 
Mängel,  wie  sie  hier  nicht  bloß  uralter  schriftlicher,  sondern 
auch  mündlicher  Tradition  und  willkürlicher  oder  unwillkür- 
licher Modernisierung  zur  Last  fallen,  dem  ursprünglichen 
Texte  des  Dichters  näher  zu  kommen  und  abnorme  Formen, 
grammatische  und  etymologische  Unebenheiten ,  sinnstörende 
Partikeln,  unlogische  Wendungen  zu  beseitigen.  Nebenbei 
werden  in  den  Textüberschriften  des  cod.  Marcianus  (A)  Reste 
einer  älteren  guten  Handschrift  (nicht  des  archet.  von  A)  nach- 
gewiesen und  in  den  Schollen  besonders  des  cod.  Townl. 
sowie  in  anderweitigen  Notizen  beachtenswerte  Überbleibsel 
echter  Lesarten  gefunden  und  wird  in  dem  Zusammenfluß 
zweier  Lesarten  eine  eigentümliche  Fehlerquelle  aufgedeckt. 


17 


Sitzung  am  3.  November. 


■s 


Herr  Kuhn  legte  vor  eine  für  die  Sitzungsberichte  bestimmte 
Abhandlung  des  korrespondierenden  Mitgliedes  Professor  Dr. 
A.  Hillebrandt  in  Breslau: 

Der  freiwillige  Feuertod    in  Indien   und    die 
Soma  weihe. 

Ausgehend  von  den  Berichten  der  Griechen  über  die  Selbst- 
verbrennung des  Inders  Kalanos  bespricht  der  Verfasser  die 
indischen  Zeugnisse  für  den  freiwilligen  Feuertod,  der  nach 
der  Volksanschauung  den  Menschen  unmittelbar  in  das  Jen- 
seits und  die  Gemeinschaft  der  Götter  hinüberführte.  Daran 
schließt  er  eine  erneute  Erörterung  seiner  bereits  früher  ent- 
wickelten Ansicht  über  die  dlksä  oder  Weihe  für  das  Soma- 
opfer,  deren  Bezeichnung  er  auf  ein  Desiderativum  der  Wurzel 
dah  „brennen"  zurückführt  und  die  er  als  verblaßtes  Symbol 
der  Selbstverbrennung  und  des  darauf  folgenden  Eingehens  in 
einen  neuen  Leib  aus  einem  anderen  Zusammenhang  in  das 
Ritual  des  Somaopfers  hinübergenommen  betrachtet.  Den  Schluß 
macht  eine  nochmalige  Besprechung  des  dem  Totenritual  an- 
gehörigen  Verses  Rgveda  10,  18,  8. 

Herr  Bitteeauf  sprach  über 

Die    Anfänge    des    Ministeriums    Montgelas    bis 
zum  Frieden  von  Luneville. 

Nach  den  bayerischen  Staatsakten  schilderte  er  die  ur- 
sprünglichen Ziele  des  Ministers  und  ihre  Abwandlungen  in 
den  Beziehungen  zu  den  Mächten  während  des  zweiten  Koali- 
tionskrieges. Der  zweite  Teil  war  den  inneren  Verhältnissen 
und  ihrem  Einfluß  auf  die  auswärtige  Politik  gewidmet. 

Der  Vortrag  erscheint  in  den  Denkschriften  der  Akademie. 


18  Sitzung  am  1.  Dezember. 

Das  korrespondierende  Mitglied  Herr  Bulle  trug  vor  über 
Archaisierende  griechische  Kundplastik. 

Die  archaische  griechische  Kunst  ist  eine  einzigartige  Er- 
scheinung auch  insofern,  als  sie  von  der  späteren  Entwicklung 
keineswegs  als  eine  überwundene  Kindheit  aufgefaßt  wurde, 
sondern  mit  ihrer  strengen  Tektonik  immer  ein  lebendiges 
künstlerisches  Besitztum  blieb.  Schon  zur  Zeit  der  Blüte  der 
phidiasischen  Kunst  finden  sich  archaisierende  Werke,  in  denen 
altertümliche  Typen  durch  beseeltere  Köpfe  dem  Zeitempfinden 
angepaßt  werden.  Später  erhalten  archaische  tektonische  Grund- 
gedanken eine  Umkleidung  mit  freieren  Formen  oder  es  wer- 
den umgekehrt  Statuenmotive  der  entwickelten  Kunst  mit  ar- 
chaischen Einzelformen  durchsetzt  oder  verbrämt.  Erst  in 
römischer  Zeit  finden  sich  Werke  archaistischer  Art,  bei  denen 
archaische  Formen  ohne  innere  schöpferische  Rhythmik  zu 
neuen  Schöpfungen  zusammengefügt  werden,  was  der  klassi- 
zistischen Arbeitsweise  dieser  Epoche  parallel  geht.  Gegen- 
ständlich ist  das  Archaisieren  in  der  Rundplastik  meist  an 
religiöse  Stoffe  gebunden,  aber  nicht  durch  sie  veranlaßt.  Sein 
künstlerischer  Hauptwert  ist  der  tektonische.  Es  ist  keines- 
wegs eine  Verfallserscheinung  unfruchtbarer  Zeiten,  sondern 
beweist  vielmehr  die  lebendige  Triebkraft  der  griechischen 
Kunst,  die  auch  altertümliche  Formen  immer  aufs  neue  mit 
eigenem  Leben  erfüllt. 

Der  Vortrag  wird  in  den  Denkschriften  gedruckt  werden. 


Sitzung  am  1.  Dezember. 

Herr  Kuhn  legte  vor  eine  Abhandlung  des  Professors  Dr. 
Franz  Hümmerich  in  München : 

Quellen   und  Untersuchungen    zur   Fahrt   der  ersten 
Deutschen  nach  dem  portugiesischen  Indien  1505/6. 

Die  Arbeit  ist  eine   umfassende  Untersuchung  sowie   kri- 
tische   und    erklärende   Ausgabe   der  Quellen,   welche   uns    für 


Sitzung  am  1.  Dezember.  U 

die  während  der  Jahre  1505/6  mit  Dom  Francisco  d'Almeida, 
dem    ersten   portugiesischen  Vizekönig    von  Indien,    unternom- 
mene Fahrt   der    ersten  Deutschen   nach   dem    portugiesischen 
Osten   zur  Verfügung   stehen.     Sie   sind   zuerst   von  Friedrich 
Kunstmann  in  einer  akademischen  Abhandlung  vom  Jahr  1861, 
später  z.  T.  von  Henry  Harrisse  und  Franz  Schulze,  in  kom- 
merzieller   Beziehung    von    Konrad    Haebler    eingehender    be- 
handelt   worden.      Herr    Hümmerich    gibt    zunächst    eine    um- 
sichtige,   alle  Einzelheiten    ins  Auge   fassende  Erörterung  der 
zwei  von  Balthasar  Sprenger  herrührenden  Berichte  (nämlich 
1.  der  1509  gedruckten,  nur  in  einem  Münchner  und  3  anderen 
Exemplaren  nachgewiesenen  „Merfart"  und  2.  des  von  Sprenger 
gelieferten  und  hier  zum  erstenmal  publizierten  Textes  zu  einer 
wertvollen  Holzschnittreihe  Hans  Burgkmairs  d.  Ä.  von  wesent- 
lich  ethnographischem  Inhalt   aus   dem  Jahr  1508),    in   deren 
Verlauf  besonders  das  Verhältnis  beider  zu  einem  vlämischen, 
angeblich  1508  gedruckten  Texte  und  zu  einer  in  der  Gießener 
Universitätsbibliothek    handschriftlich    erhaltenen    lateinischen 
Relatio   näher  festgestellt  wird.     Ersterer,   der  den   bekannten 
Amerigo  Vespucci   zum  Träger    der  Erlebnisse    des   deutschen 
Reisenden   macht   und   von  Harrisse  als  dreiste  Fälschung  er- 
wiesen worden  ist,  wird  als  mechanische,  von  groben  Mißver- 
ständnissen   nicht   freie  Zusammenschiebung   der  beiden   deut- 
schen Berichte  Sprengers  dargetan  und  gezeigt,  daß  die  Relatio 
teilweise  auf  ihm   beruht,    unmöglich    also,    wie   dies  Harrisse 
annahm,   als  von  Sprenger  verfaßter  Vorläufer  der  „Merfart" 
gelten  kann.     In  einem  größeren  Abschnitt  werden  die  Topo- 
graphie der  südafrikanischen  Küste  in  den  ersten  Jahren  nach 
der  Entdeckung  auf  Grund  der  ältesten  Karten   und  der  lite- 
rarischen Quellen  kritisch  behandelt  und  Irrtümer  der  Erklärer 
hinsichtlich    der  von  Sprenger   hier  wie   auch   anderwärts  be- 
rührten Örtlichkeiten  richtig  gestellt,  in  einem  weiteren  Kapitel 
erwiesen,    daß    die    vielumstrittenen   afrikanischen  Aggriperlen 
europäischer  Seeimport  nicht  gewesen  sein  können.    Dann  folgen 
einführende  Bemerkungen    zu   zwei  weiteren  Quellen   über   die 
Fahrt  der  Deutschen. 


20  Sitzung  am  1.  Dezember. 

Der  zweite  Teil  gibt  Abdrücke  der  3  wichtigsten  Quellen, 
nämlich  1.  der  „Merfarf,  die  außer  in  den  genannten  4  Original- 
drucken nur  in  einem  von  Schulze  herausgegebenen  Faksimile 
zugänglich  ist,  2.  des  im  Cod.  Hisp.  Monac.  27  erhaltenen 
wertvollen  Reiseberichtes  von  Hans  Mayr  im  portugiesischen 
Original  mit  Übersetzung,  der  bisher  nur  in  einer  moderni- 
sierten und  nicht  ganz  genauen  Ausgabe  in  einer  portugie- 
sischen Zeitschrift  vorliegt,  und  3.  eines  in  einer  Augsburger 
Handschrift  erhaltenen,  von  B.  Greiff  ziemlich  ungenau  ver- 
öffentlichten kurzen  Berichtes  von  1506,  der  anscheinend  auf 
ein  italienisches  Original  zurückgeht.  Zum  allseitigen  Ver- 
ständnis der  Texte  hat  Herr  Hümmerich  durch  zahlreiche,  teil- 
weise sehr  ausführliche  Anmerkungen  beigetragen,  an  einer 
Anzahl  verdorbener  Stellen  den  ursprünglichen  Text  wieder- 
hergestellt. 

Die  Abhandlung  wird  in  den  Denkschriften  gedruckt  werden. 

Herr  Doeberl  sprach  auf  Grund  der  sogenannten  baye- 
rischen Staatsratsakten  über  die  Entstehungsgeschichte  der 
bayerischen  Verfassung  vom  Jahre  1818  sowie  über  den  an- 
geblichen Plan  einer  Aufhebung  der  Verfassung  im  Jahre  1819. 
Der  Vortrag  wird  unter  dem  Titel 

Beiträge    zur  Geschichte   der  bayerischen  Verfassung 

mit  zahlreichen  Beilagen  in  den  Denkschriften  erscheinen. 

Herr  Vollmer  sprach  über  Vokalkürzung  im  Latei- 
nischen, die  durch  Zusammenschluß  zweier  Wörter  unter  einen 
Akzent  verursacht  worden  ist.  Die  sehr  merkwürdige,  bisher 
noch  nicht  zur  Genüge  beobachtete  und  entwickelte  Erscheinung 
läßt  sich  zur  Erklärung  einer  Reihe  von  noch  unverständlichen 
Vokalabtönungen  oder  -messungen  von  Pronomina  wie  hie  ille 
iste,  von  Komposita  wie  operio  profecto  ineptus  verwerten. 


21 


Verzeichnis  der  im  Jahre  1917  eingelaufenen  Druckschriften. 


Die  Gesellschaften  und  Institute,   mit  welchen  unsere  Akademie    in  Tauschverkebr  steht, 
werden  gebeten,  nachstehendes  Verzeichnis  als  Empfangsbestätigung  zu  betrachten. 


Aachen.  Geschichtsverein: 

Zeitschrift,  Bd.  38,  1916. 

Aarau,  Historische  Gesellschaft  des  Kantons  Aargau. 

Taschenbuch  für  1914  und  1916. 

Agram.  K.  Kroat.-slavon. -dalmatinisches  Landesarchiv: 

Vjestnik,  Bd.  18,  Heft  2—4. 

—  Kroat.  Naturwissenschaftliche  Gesellschaft: 
Glasnik.  Bd.  29,  No.  1  -4. 

Amsterdam.  K.  N.  aardrijkskundig  Genootschap: 
Tijdschrift,  deel  34,  No.  2-6;  deel  35,  No.  1. 

—  Wiskundig  Genootschap  (Societe  de  mathemat.): 

—  —  Nieuw  archief,  2.  Reeks,  deel  12,  stuk  2. 

—  —  Wiskundige  opgaven,  deel  12,  stuk  4. 

—  —  Revue  des  publications  mathem.,  tom.  25,  partie  1. 

—  —  Index  du  Repertoire  bibliographique,  3  ed.,  A.  1916. 
Ansbach.  Historischer  Verein  für  Mittelfranken: 

—  —  61.  Jahresbericht. 

Aschaffenburg.  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

Jahresbericht  1916/17. 

Augsburg.  Historischer  Verein: 

Zeitschrift,  43.  Jahrg.,  1917. 

Bamberg.  K.  Altes  Gymnasium: 
Jahresbericht  1916/17. 

—  K.  Neues  Gymnasium: 
Jahresbericht  1916/17. 

—  K.  Lehrerbildungsanstalt: 
43.  Jahresbericht,  1916/17. 

—  Historischer  Verein: 

—  —  Jahresbericht  74,  1916/17. 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  a.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917.  & 


2-  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Basel.  Universität: 

—  —  Schriften  der  Universität  aus  dem  Jahre  1917  in  4°  und  8°. 
Bayreuth.    K.  Humanistisches  Gymnasium: 

Jahresbericht  1916/17  mit  Programm. 

—  Historischer  Verein: 

Archiv    für    Geschichte    und    Altertumskunde    von    Oberfranken, 

Bd.  26,  Heft  3. 
Bergen  (Norwegen).  Museum: 

—  —  Aarsberetning  for  1915/16. 
Aarbog  1915/16,  Heft  2,  3. 

Sars  G.  0.,  Crustacea,  vol.  VI,  No.  11/12. 

Bergzabern.   K.  Progymnasium: 

Jahresbericht  1916/17. 

Berlin.   K.  Preufi.  Akademie  der  Wissenschaften: 

.,,       ,,  /  Philos.-histor.  Klasse,  1916,  5,  6;  1917,  1—7. 

—  —  Abhandlungen  <„,.,,  ,     „' 

&        (  Physikal.-math.  Klasse,  1917,  1,  2. 

Sitzungsberichte  1916,  41—55;  1917,   1—38. 

—  —  Inscriptiones  Graecae,  Editio  minor,  Pars  I,  fasc.  2. 

—  —  Corpus  inscriptionum  Latinarum,  vol.  VIII,  Suppl.  pars  4. 

—  Allgemeine  Elektrizitäts-Gesellschaft: 

—  —  Geschäftsberichte  1916/17. 

—  Archiv  der  Mathematik  und  Physik: 
Archiv,  Bd.  25,  Nr.  4;  Bd.  26,  Nr.  1. 

—  Bild-  und  Filmamt  (Inlandsdienst): 

—  —  Zerstörte  Kunstdenkmäler  an  der  Westfront. 

—  Deutsche  Chemische  Gesellschaft: 

Berichte,  49.  Jahrg.,  Nr.  18;  50.  Jahrg.,  Nr.  2—7.  10-13,  15-17. 

—  —  Mitgliederverzeichnis  1917. 

—  Deutsche  Entomologische  Gesellschaft: 

Zeitschrift.  Jahrg.  1916,  Nr.  5/6;  Jahrg.  1917,  Nr.  1/2. 

—  Deutsche  Geologische  Gesellschaft: 

Abhandlungen,  Bd.  68,  Heft  3,  4;  Bd.  69,  Heft  1,  2. 

Monatsberichte  1916,  Nr.  4— 12. 

—  Deutsche  Physikalische  Gesellschaft: 

Die  Fortschritte  der  Physik,  71.  Jahrg.,  1915,  1—3. 

—  —  Verhandlungen,   Jahrg.  19,  Nr.  1—24. 

—  Kais.    Deutsches   Archäologisches    Institut    (röm.    Abteilung 

s.  unter  Rom): 
Jahrbuch,  Bd.  31,  Heft  3/4. 

—  —  Antike  Denkmäler,  Bd.  3,  Heft  4. 

—  K.  Meteorologisches  Institut: 
Veröffentlichungen,  Nr.  292—296. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  ^o 

Berlin.  Preuß.  Geologische  Landesanstalt: 
Jahrbuch,  Bd.  35  (1914)  I,  2  und  3;  Bd.  36  (1915)  I,  1  und  2. 

—  Lehranstalt  für  die  Wissenschaft  des  Judentums: 

—  —  35.  Bericht. 

—  Mitteilungen  aus  den  deutschen  Schutzgebieten: 
Mitteilungen,  Bd.  29,  Heft  4. 

—  K.  Astronomisches  Recheninstitut: 

Berliner  Astronomisches  Jahrbuch  für  1919. 

Kleine  Planeten  1918. 

—  Reichskolonialamt: 

—  —  Dr.  Rieh.  Thurwald,  Die  Heimkehr  von  Neuguinea  (S.-A.  aus  den 

Mitteilungen  aus  den  deutschen  Schutzgebieten,  1917,  Heft  3). 

—  K.  Sternwarte: 

Veröffentlichungen,  Bd.  2,  Heft  2. 

—  Verein    zur   Beförderung   des   Gartenbaues    in   den   preuß. 

Staaten: 
Gartenflora,  Jahrg.  1917,  Nr.  1—24. 

—  —  Mitgliederverzeichnis  1918,  Nr.  1/2. 

—  Verein  für  Geschichte  der  Mark  Brandenburg: 

—  —  Forschungen  zur  brandenburgischen  und  preußischen  Geschichte, 

Bd.  29,  2.  Hälfte;  Bd.  30,  1.  Hälfte. 

—  Verein  für  die  Geschichte  Berlins: 
Mitteilungen  1917,  Nr.  1-12. 

—  Zeitschrift  für  Instrumentenkunde: 

—  —  Zeitschrift  1917,  37.  Jahrg.,  Nr.  1-12. 

—  Zentralstelle  für  Balneologie: 
Veröffentlichungen,  Bd.  III,  Heft  3. 

Bern.  Allg.  Geschichtsforschende  Gesellschaft  der  Schweiz: 
Jahrbuch,  Bd.  42. 

—  Universitätskanzlei: 

—  — "  Schriften  der  Universität,  1917. 
Beuron.  Bibliothek  der  Erzabtei: 

—  —  Wolter,  Maurus,    Geistliche  Übungen  der  hl.  Gertrud,    Saarlouia 

1914. 

—  —  Gedächtnispredigt  1916. 

Oer,  Ohne  Furcht  und  Tadel,  1916. 

—  —  Oer,  Ähi-enlese,  2.  Reihe,  1916. 
Feuling,  Alfred  Holder,  S.-A.  1916. 

—  —  Oer,  Daheim,  1917. 

—  —  Texte  und  Arbeiten  I,  1  und  2. 

Bonn.  Verein  von  Altertumsfreunden  im  Rheinlande: 

—  —  Bonner  Jahrbücher,  Heft  123,  1,  2. 

Bericht  der  Kommission  für  Denkmalpflege  1912/13  und  1913/14. 

b* 


-  I  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Brasso.  Historische  Kommission: 

Quellen  zur  Geschichte  der  Stadt  Brasso,   Beiheft  für  1916. 

Braunschweig.  Archiv  der  Stadt: 

—  —  Leisewitzens  Tagebücher  1. 

Budapest.  K.  Ungarische  Akademie  der  Wissenschaften: 
Almanach  1914,  1915.  1916.  1917. 

—  —  Commentarius  ad  Ovidium  1915. 

—  Statistisches  Bureau: 
Publikationen.  Nr.  51. 

—  Ungarische  Ethnographische  Gesellschaft: 

Ethnographia,  Jahrg.  27,  Heft  6;  Jahrg.  2-.  Heft  1-3. 

—  Ungarische  volkswirtschaftliche  Gesellschaft: 
Közgazdasägi  Szemle,   Bd.  57,  Heft  1  —  6;  Bd.  58.  Heft  1—5. 

—  Landesrabbinerschule: 

Jahresbericht  37—39,  1914  —  1916. 

—  Ungarisches  Nationalmuseum: 

—  —  Ertesitöje.  XVII.  Jahrg..  1—4. 

—  K.  Ungarische  Geologische  Reichsanstalt: 

Földtani  Közlöny.  Bd.  45,  Heft  1—3;  Bd.  46.  Heft  1—12. 

Jahrbuch,  Bd.  24,  Nr.  1  -4. 

—  —  Mitteilungen  aus  dem  Jahrbuch,  Bd.  24.  1. 
Jahresbericht  1915,  Nr.  1;  1916.  Anhang. 

—  K.  Ungarische  Ornithologische  Zentrale: 

—  —  Aquila  23,   1916. 

Bukarest.  Academia  Romäna: 

Bulletin  de  la  section  scientifique  de  l'Academie  Rouruaine  1916/17. 

No.  1. 

Burghausen.    K.  Humanistisches  Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916  17  mit  Programm  von  Scharold. 

Charlottenburg.  Physikalisch-technische  Reichsanstalt: 

—  —  Die  Tätigkeit   der  physikal.-techn.  Reichsanstalt   im  Jahre  1916. 

Christiania.  Videnskabs  Selskabet: 

—  —  Forhandlinger,  Aar  1915. 
Skrifter.   1915.  I,  II. 

—  —  Birkeland.  Norwegian  Aurora  Polaris  Expedition  1902—03,  1915. 

—  —   Nyt  Magazin  for  Naturvidenskaberne,  Bd.  51  u.  52,  je  Heft  1  —  4. 

—  —  Archiv  for  Mathematik  og  Naturvidenskab,  Bd.  32.   1  —  4;  Bd.  33, 

1-4:  Bd.  34,   1. 

—  —  Norske  Gaardnavne.  Bd.  7  und  9. 

Chur.  Historisch-antiquarische  Gesellschaft  für  Graubünden: 
46.  Jahresbericht,  1916. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Chor.  >~j, tarforschende  Gesellseha:': 

56.  Jahresbericht,  1914/15  a.  1915/16;  57.  Jahresbericht  1916/17. 

Colmar.  Xaturhistorisehe  Gesellschaft: 

Mitteilungen,  Jf.  F.,  Bd.  14,  1916    J 

Danzii.  '-V^ . -.preußischer  GeschiehtsTerein: 

Mitteilungen.  Jahrr   IC    Ni   1  —  4. 

Zeitschrift,  Heft     " 

—  Technische  Hochschule: 
Personalrerzeichnis  W.-5 

—  -    reufiiseher  Botanisch-zoologischer  Verein: 
Bericht  39. 

nstadt.  Historiseher  Verein  für  das  Großherzogtum  Hessen: 

Archir  für  hessische  Geschichte,  ET.  ]      ;1 11,  Heft  2. 

Quartalblätter.  5.  Bd,  Xr.  19/20:  6.  Bi  .  > :    1—4 

Meteorologische  Station: 

Wetterkarten  1917,  >~r.  1—1. 

Dessau.  Verein  für  Anhaltische  Geschieh: 

V:::::".      _ 

Dillingen.  eum: 

S:  :.'.  rzjil:  l^l:   1~ 

Disko.  Danske  arktiske  Station: 

No.  10. 

Dresden.   K.  Sächsischer  Alt ertum  «verein  : 

—  —  Neues  Archiv  für  sächsische  Geschichte,  Bd.  38. 

—  —  Jahresbericht  1916 

—  K.  Sächsische  Landes-Wetterwar:  - 

—  —  Dekaden-Monatsberichte  1915,  Jahrg.  18. 

—  Redaktion  des  Journals  für  praktische  Chemie: 
Journal  191  L8— 24         17    Nr    1  - 18. 

—  Verein  für  die  Geschichte  Dresde:  • 

—  —  Rachel,  Altdresdener  Familienleben. 

—  —   ";-:-  .:-;r    :':.'.'  ■  : 
Drontheim.  Norake  Videnskab-r:  3-Selskab: 

Skrifter  1914,  I.  U;  1915,  I,  IL 

Aarsberetning  1914  und  lv 

Dürkheim.  Progymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916  11 

Esenberg    S.-AJ.  G  esehichts-  und  altertnmsforschender  Verein: 

Mitteilungen,  Heft  32/33. 

Erfurt.  IL  Akademie  gemeinnütr  ig  - -enschaften: 

Jahrbücher.  N.  F..  Heft  42  und 


26  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Erfurt.  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde  von  Erfurt: 

Mitteilungen,  Heft  38. 

Erlangen.   K.  Humanistisches  Gymnasium: 
-  Jahresbericht  1916/17. 

—  K.  Universitätsbibliothek: 

—  —   Schriften  aus  den  Jahren  1915/16  in  4°  und  8°. 

Frankfurt  a.  M.   Senckenbergische   Naturforschende  Gesell- 
schaft: 
46.  Bericht. 

—  Physikalischer  Verein: 
Jahresbericht  1916/17. 

—  Römisch-germanische    Kommission    des    Kais.    Deutschen 

Archäologischen  Instituts: 
_    —  8.  und  9.  Bericht  über  die  Fortschritte  der  römisch-germanischen 
Forschung. 

—  —  Korrespondenzblatt,  Nr.  1—6. 

Frauenfeld    (Schweiz).     Thurgauische    Naturforschende    Gesell- 
schaft: 

—  —  Mitteilungen,  Heft  22. 

Freiburg  i.  Br.  Breisgau-Verein  „Schau  ins  Land": 

—  —  „ Schau  ins  Land",  42.  und  43.  Jahrlauf. 

—  Universität: 

Schriften  aus  dem  Jahre  1917. 

Friedrichshafen.  Verein  zur  Geschichte  des  Bodensees: 

Schriften,  Heft  46,  1917. 

Fürth.   K.  Humanistisches  Gymnasium: 

Jahresbericht  1916/17. 

Geestemünde.  Männer  vom  Morgenstern: 

Jahresbericht  17,   1914—16. 

Genf.  Archives  suisses  d'anthropologie  generale: 

—  —  Archives,  tome  1 — 4. 

—  Observatoire: 

—  —  Resümee  meteorologique  de  l'annee  1916. 

—  —  Observations  des  fortifications  de  St.  Maurice  1916. 

—  Redaktion  des  „Journal  de  chimie  physique": 

—  —  Journal,  tome  XIV,  No.  4;  tome  XV,  No.  1 — 4. 

—  Societe  de  physique  et  d'histoire  naturelle: 

—  —  Memoires,  vol.  38,  fasc.  6;  vol.  39,  fasc.  1. 

—  —  Compte  rendu  des  seances  33,  1916. 
Giessen.  Universität: 

—  —  Schriften  aus  dem  Jahre  1917  in  4°  und  8°. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  27 

Görlitz.  Naturforschende  Gesellschaft: 
Abhandlungen,  Bd.  28,  1917. 

—  Oberlausitzische  Gesellschaft  der  Wissenschaften: 

—  —  Codex  diploniaticus  Lusatiae  superioris,  Bd.  4,  Heft  3. 

—  —  Neues  Lausitzisches  Magazin,  Bd.  92  und  93. 

Göttingen.  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften: 

—  —  Göttingische  Gelehrte  Anzeigen  1917,  Nr.  1 — 8. 

Abhandlungen,  N.  F.:  Philol.-hist.  Klasse,  Bd.  16,  Nr.  2—5. 

—  —  Nachrichten:  al  Philol.-hist.  Klasse,  1917,  Heft  1  und  2; 

b)  Math.-phys.  Klasse,  1916,  Heft  2;  1917,  Heft  1; 

c)  Geschäftliche  Mitteilungen,  1916,  Heft  2;  1917,  Heft  1. 
Gauß,  Werke,  Bd.  10,  1. 

—  Universitätsbibliothek: 

—  —  Vorlesungsverzeichnis  1917  und   1918. 
Verzeichnis  der  Studierenden,  W.-S.  1917/18. 

—  —  Dissertationen  1915/16. 

Graz.  Universität: 
Verzeichnis  der  Vorlesungen  im  S.-S.  1917,  W.-S.  1917/18. 

—  Naturwissenschaftlicher  Verein  für  Steiermark: 
Mitteilungen,  Bd.  52  und  53. 

Greifswald.  Rügisch-Pommerscher  Geschichtsverein: 

—  —  Pommersche  Jahrbücher,  Bd.  17. 
Groningen.  Astronomisches  Laboratorium: 

Publications,  No.  26. 

—  Niederländische  botanische  Gesellschaft: 
Recueil  des  travaux,  vol.  XIII,  1-4;  vol.  XIV,  1,  2. 

—  —  Neederlandsch  kruidkundig  archief,  1915  und  1916. 

—  —  Prodromus  florae  Bataviae,  vol.  I,  p.  4. 

Guben.  Gesellschaft  für  Anthropologie  und  Altertumskunde: 
Niederlausitzer  Mitteilungen,  Bd.  13,  Heft  5—8. 

Haag.     Gesellschaft    zur    Verteidigung    der    christlichen    Re- 
ligion: 

—  —  Programm  für  das  Jahr  1916  und  1917. 

—  K.  Instituut    voor    de   Taal-,  Land-    en   Volkenkunde    van 

Nederlandsch-Indie: 

—  —  Bijdragen,  deel  73,  afl.  1,  2. 

Haarlem.  Hollandsche  Maatschappy  der  Wetenschappen: 

■  Archives  neerlandaises  des  sciences  exactes  et  naturelles,  ser.  III B, 

tom.  3,  livr.  2/3. 

—  Musee  Teyler: 

—  —  Archives,  ser.  III,  vol.  4,  1. 


28  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Halle.  K.  Leopoldinisch-Karolinische  Deutsche  Akademie  der 
Naturforscher: 

Nova  Acta,  Bd.  102. 

Leopoldina,  Heft  53,  No.  1—12. 

—  Deutsche  Morgenländische  Gesellschaft: 
Zeitschrift,  Bd.  71,  Heft  1—4. 

—  —  Abhandlungen,  Bd.  13,  Heft  4. 

—  Universität: 

Verzeichnis  der  Vorlesungen,  S.-S.  1917;  W.-S.  1917/18. 

—  Thüringisch-Sächsischer  Verein  für  Erforschung  des  vater- 

ländischen Altertums: 

—  —  Jahresbericht  1915/16. 

Zeitschrift  für  Geschichte  und  Kunst,   Bd.  6,  Heft  1,  2;   Bd.  7, 

Heft  1,  2. 

—  Naturwissenschaftlicher  Verein  für  Sachsen  u.  Thüringen: 

—  —  Zeitschrift  für  Naturwissenschaften,  Bd.  86,  Nr.  4. 

Hamburg.  Stadtbibliothek: 

—  —  Jahrbuch  der  wissenschaftlichen  Anstalten  Hamburgs,   Jahrg.  33 

und  Beiheft  1 — 5. 

—  —  Staatshaushaltsberechnung  1915,  4°. 

Entwurf  des  hamburgischen  Staatsbudgets  für  1917,  4°, 

—  —  Verhandlungen  zwischen  Senat  und  Bürgerschaft  1916,  4°. 

—  Deutsche  Dichter-Gedächtnis-Stiftung: 
Kalender  für  1918. 

—  Mathematische  Gesellschaft: 
Mitteilungen,  Bd.  V,  Heft  6. 

—  Deutsche  Seewarte: 

—  —  Annalen  der  Hydrographie,  Jahrg.  45,  Nr.  1 — 4;  6—12. 

—  Verein  für  Hamburgische  Geschichte: 
Mitteilungen,  36.  Jahrg.,  1916. 

Zeitschrift,  Bd.  XXI. 

Hannover.  Verein  für  Geschichte  der  Stadt  Hannover: 

—  —  Hannoverische  Geschichtsblätter,  20.  Jahrg.,   Heft  1—4. 

—  Historischer  Verein  für  Niedersachsen: 
: Zeitschrift,  Jahrg.  1916,  Heft  1—4. 

Heidelberg.  Akademie  der  Wissenschaften: 

—  —  Abhandlungen  der  philologisch-philosophischen  Klasse,  Nr.  4. 
Sitzungsberichte:  a)  philol.-histor.  Klasse,  1914,  Nr.  14,  15;  1916, 

Nr.  12,  13,  16,  17;   1917   No.  1-11;    b)  mathem.-naturw.  Klasse 
1916,  A,  Nr.  12,  13;  1917,  A,  Nr.  1-13,  B,  Nr.  1—7. 
Jahresheft  1916. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  29 


*ö 


Heidelberg.  Universität: 
Schriften  der  Universität  aus  dem  Jahre  1917  in  4°  und  8°. 

—  Historisch-philosophischer  Verein: 

—  —  Neue  Heidelberger  Jahrbücher,  Jahrg.  20,  Heft  1. 

Iglo.  Ungarischer  Karpathen-Verein: 
Jahrbuch,  44.  Jahrg.,  1917. 

Ingolstadt.  Historischer  Verein: 

—  —  Sammelblatt,  Heft  36. 
Innsbruck.  Ferdinandeum: 

Zeitschrift,  Jahrg.  59,  1915. 

—  Naturwissenschaftlich-medizinischer  Verein: 

—  —  Berichte,  36.  Jahrg. 

Jena.  Medizinisch-naturwissenschaftliche  Gesellschaft: 

—  —  Jenaische   Zeitschrift   für   Naturwissenschaft,   Bd.  54,    Heft  3,   4; 

Bd.  55,  Heft  1. 

—  Verlag  der  Naturwissenschaftlichen  Wochenschrift: 
Wochenschrift  1917,  Nr.  1-18,  19-44,  46-52. 

Karlsruhe.  Technische  Hochschule: 
Schriften  1915/16. 

—  —  Verzeichnis  der  Vorlesungen  1917/18. 
Bericht  1913—16. 

—  Badische  Historische  Kommission: 

Zeitschrift    für    die    Geschichte    des   Oberrheins,    N.   F.,    Bd.  32, 

Heft  1-4. 
Neujahrsblätter,  N.  F.,  1918,  Heidelberg. 

—  —  Badische  Weistümer  I,  1. 

Kassel.  Verein  für  hessische  Geschichte  und  Landeskunde: 

Zeitschrift,  Bd.  50,  1917. 

Mitteilungen  1915/16. 

Kaufbeuren.  K.  Progymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17. 

—  Verein  „ Heimat*: 

Deutsche  Gaue,  Heft  321-360,  Sonderheft  98,  101. 

Kempten.  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17  mit  Programm  von  Helmreich. 

Kiel.  Gesellschaft  für  schleswig-holsteinische  Geschichte: 

Zeitschrift,  Bd.  46,  1916. 

Quellen  und  Forschungen,  Bd.  4. 


30  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Klagenfurt.  Landesmuseum: 

Carinthia  I,  107.  Jahrg.,  Nr.  1  —  6. 

Carinthia  II,  Nr.  105,  106,  107. 

Jahresbericht  des  Historischen  Museums  1915  und  1916. 

Köln.  Gesellschaft  für  rheinische  Geschichtskunde: 

36.  Jahresbericht,  1916. 

Kopenhagen.  K.Akademie  der  Wissenschaften: 

Översigt  1916,  No.  4—6;  1917,  Januar-Juni. 

Memoires,   Section  des  sciences,   ser.  8,  tom.  I,  No.  4,  5,  tom.  II, 

No.  4. 
Section  des  lettres,  ser.  7,  tom.  3,  No.  2;  tom.  4,  No.  1. 

—  —  Biologiske  Meddelelser  I,  1,  2. 
Hist.-filol.  Meddelelser  I,  1,  4. 

Mathemat.-fysiske  Meddelelser  I,  1,  2. 

—  Botanis k  Haves  Bibliothek: 
Arbejder,  No.  79-81. 

—  Carlsberg-Laboratorium: 

Comptes  rendus  des  travaux,    vol.  11,  livr.  6;  vol.  13,  livr.  1     3; 

vol.  14,  livr.  1. 

—  —  Festschrift  für  Jupetus  Steenstrups  Födsel,  2  voll. 

—  Conseil    permanent    international    pour    l'exploration    de 

la  mer : 

—  —  Rapports  et  proces  verbaux,  vol.  24. 

—  —  Bulletin  hydrographique,  annee  1914/15. 

—  —  Publications  de  circonstance,  No.  12  (2e  edition). 

—  Gesellschaft  für  nordische  Altertumskunde: 

—  —  Aarböger,  III.  Raekke,  Bd.  5,  6. 

—  Observatorium: 

—  —  Publikationer  og  mindre  meddelelser  frä,  No.  26. 

—  Dänische  biologische  Station: 
Report  No.  24. 

Krakau.  Numismatische  Gesellschaft: 
Wiadomosci  1917,  No.  1—12. 

—  Universität: 

Kronika  1913/14,  1915/16. 

Laibach.  Musealverein  für  Krain: 
Carniola,  Bd.  7,  No.  4;  Bd.  8,  No.  1—4. 

Landau  (Pfalz).   K.  Humanistisches  Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17  mit  Programm  von  Heinr.  Heck. 
Landsberg  a.  L.   K.Realschule: 

39.  Jahresbericht  1916/17. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  31 


'S 


Landshut.  Historischer  Verein: 

—  —  Verhandlungen,  Bd.  53. 

Lausanne.  Societe  Vaudoise  des  sciences  naturelles: 

Bulletin,  No.  191,  192. 

Leiden.  s'Rijks  Herbarium: 

Mededeelingen,  No.  28—30. 

—  Maatschappij  der  Nederlandsche  Letterkunde:- 

—  —  Handelingen  en  Mededeelingen  1915/16. 

—  —  Levensberichten  1915/16. 

Tijdschrift,  deel  34,  an.  2—4;  deel  35,  afl.  1—4. 

—  Redaktion  des  „ Museum": 

—  —  Museum,   maandblad  voor  philologie  en  geschiedenis,  Jahrg.  24, 

No.  5—9,  11/12;  Jahrg.  25,  No.  1—4. 

—  Redaktion  der  „Mnemosyne": 

Mnemosyne,  N.  S.,  Bd.  45,  No.  2-4;  BJ.  46,  No.  1. 

Leipzig.  Redaktion  der  Beiblätter  zu  den  Annalen  der  Physik: 
Beiblätter,  1916,  Bd.  40,  Nr.  21—24;  1917,  Bd.  41,  Nr.  1—21. 

—  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften: 

—  —  Abhandlungen   der  philol.-hist.   Klasse,    Bd.  33,   Nr.  5;    Bd.  34, 

Nr.  3. 

—  —  Abhandlungen   der  math.-phys.  Klasse,   Bd.  33,  34,  35,  je  Nr.  3. 

—  —  Berichte  über  die  Verhandlungen  der  philol.-hist.  Klasse,  Bd.  68, 

Nr.  5,  6. 

—  —  Berichte  über  die  Verhandlungen  der  math.-phys.  Klasse,  Bd.  68, 

Nr.  3,  4;  Bd.  69,  Nr.  1,  2. 

—  Gesellschaft  für  Erdkunde: 

—  —  Mitteilungen  für  das  Jahr  1915  und  1916. 

—  Fürstlich  Jablonowskische  Gesellschaft: 

—  —  Jahresbericht  1917. 

Lemberg.  K.  K.  Franzens-Universität: 

—  —  Hundertjahrfeier. 

—  —  Programm  der  Vorlesungen  1917/18. 
Sktad  1915/16,  1916/17. 

Linz.  Museum  Francisco-Carolinum: 

—  —  75.  Jahresbericht. 

Lohr.  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17  mit  Programm  von  Mayer. 
Ludwigshafen  a.  Rh.  K.  Oberrealschule: 

■  Jahresbericht  1916/17. 

Lübeck.  Naturhistorisches  Museum: 

Mitteilungen,  2.  Reihe,  Heft  27. 

Lund.  Redaktion  von  „Botaniska  Notiser": 

Notiser,  1917,  No.  1—6. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Lund.  Universität: 

Acta,  N.  Ser.,  aft.  I,  No.  12,  1916;  aft.  II,  No.  12,  1916. 

Bibelforskaren  1916,  1—6. 

Arskrift,  Kyrkohistorisk,  Jahrg.  17,  1916. 

—  —  Noreen,  Värtspräk  III,  1—6. 
Luxemburg.  Institut  Grand-ducal: 

—  —  Archives  trirnestr.   (de  la  section  des  sciences  naturelles),   vol.  5, 

fasc.  3/4. 

—  Societe  des  naturalistes  Luxembourgeois: 

Bulletins,  N.  F.,  Jahrg.  8— 10,  1914/16  und  Festschrift  1890—1915. 

Luzern.  Historischer  Verein  der  fünf  Orte: 
Geschichtsfreund,  Bd.  71,  72. 

Mannheim.  Altertumsverein: 

Mannheimer  Geschichtsblätter,  18.  Jahrg.,  1917,  Nr.  1—12. 

Marbach.  Schwäbischer  Schillerverein: 

Rechenschaftsbericht  21,  1916/17. 

Marienburg.  Verein  für  Herstellung  der  Marienburg: 

Geschäftsbericht  1911—16. 

—  —  Nachrichten  1912—16. 

Marnheim  (Pfalz).   Realanstalt  am  Donnersberg: 

Jahresbericht   1916/17. 

Meiningen.  Henneberg,  altertumsforsch.  Verein: 

—  —  Neue  Beiträge,  Jahrg.  28. 
Metten.  K.  Gymnasium: 

■  Jahresbericht  1916/17. 

Mitau.  Kurländische  Gesellschaft  für  Literatur  und  Kunst: 

—  —  Sitzungsberichte  1914. 

München.  K.  Landesanstalt  für  Gewässerkunde: 

—  —  Veröffentlichungen,  Wolkenbruch  Nürnberg,  1914. 
Jahrbuch  1914,  Heft  2-4;  1915,  Heft  1-3. 

—  K.  Ludwigs-Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17  mit  Programm  von  Hauck. 

—  K.  Luitpold-Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17  mit  Programm  von  Ruefi. 

—  K.  Maximilians-Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17  mit  Programm  von  Silverio  und  Hümmerich. 

—  K.  Theresien-Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17  mit  Programm  von  Geiger. 

—  K.  Wilhelms-Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17  mit  Programm  von  Huber. 

—  K.  Witteisbacher  Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht   1916/17  mit  Programm  von  Simbeck. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  od 

München.   K.  Realgymnasium: 

—  —  Jahresbericht,  1916/17  mit  Programm  von  Zistl. 

—  K.  Technische  Hochschule: 

—  —  Bericht  über  das  Studienjahr  1914/15. 

—  —  Programm  für  das  Studienjahr  1917/18. 
Personalstand  im  W.-S.  1916/17. 

—  Bayer.  Landesausschuß  für  Naturpflege: 
Jahresbericht  9/10,  1914/15. 

—  K.  Landeswetterwarte: 

—  —  Übersicht  der  Witterungsverhältnisse  1917,  1  — 10. 

—  Metropolitan-Kapitel  München-Freising: 

—  —  Schematismus  der  Geistlichkeit  für  das  Jahr  1917. 

—  —  Amtsblatt  der  Erzdiözese  München-Freising  1917  mit  Register. 

—  K.  Luitpold-Kreisoberrealschule: 
10.  Jahresbericht  1916/17. 

—  K.  Gisela-Kreisrealschule: 
13.  Jahresbericht  1916/17. 

—  K.  Maria  Theresia-Kreisrealschule: 

—  —  18.  Jahresbericht  1916/17. 

—  K.  Universität: 

—  —  Personalstand,  S.-S.  1917  und  W.-S.  1917/18. 

—  —  Schriften  aus  dem  Jahre  1917  in  4°  und  8°. 

Verzeichnis  der  Vorlesungen,  S.-S.  1917  und  W.-S.  1917/18. 

—  K.  Vasensammlung: 

—  —  Katalog  der  K.  Vasensammlung,  Bd.  I. 

—  Ärztlicher  Verein: 

Sitzungsberichte,  Bd.  26,  1916. 

—  Historischer  Verein  von  Oberbayern  in  München: 

—  —  Altbayerische  Monatschrift,  Jahrg.  14,  Heft  1  und  2. 
Münster.  Westfäl.  Provinzialverein  für  Wissenschaft  u.  Kunst: 

—  —  Jahresbericht  44. 

—  Verein  für  Geschichte  und  Altertumskunde  Westfalens:- 

—  —  Zeitschrift  für  vaterländische  Geschichte,  Bd.  74,  1. 

Neuburg  a.  D.  Historischer  Verein: 

Neuburger  Kollektaneen-Blatt,  77. /78.  Jahrg. 

Neuchätel.  Societe  Neuchäteloise  de  geographie: 

—  —  Bulletin,  tom.  26,  1917. 
Nördlingen.  Historischer  Verein: 

—  —  Jahrbuch  5,  1916. 

Nürnberg.  Naturhistorische  Gesellschaft: 

—  —  Abhandlungen,  Bd.  21. 

—  —  Jahresbericht  1916. 


34  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Nürnberg.  K.  Altes  Gymnasium: 
Jahresbericht   1916/17. 

—  K.  Neues  Gymnasium: 
Jahresbericht   1916/17. 

—  Germanisches  Nationalmuseum: 

—  —  Mitteilungen,  63.  Jahresbericht. 

—  K.  Kreisoberrealschule: 

—  —  10.  Jahresbericht,  1916/17  mit  Programm  von  Pöhlmann-Kuspert- 

Richard. 

Osnabrück.  Verein  für  Geschichte  und  Landeskunde: 
Mitteilungen,  Bd.  40,  1917. 

Paderborn.  Verein   für  Geschichte   und   Altertumskunde  West- 
falens: 
Zeitschrift,  Bd.  74,  2. 

Pasing.   K.  Progymnasium: 
7.  Jahresbericht  1916/17. 

Passau.   K.  Lyzeum: 

Jahresbericht  1916/17. 

Plauen.  Altertumsverein: 

—  —  Mitteilungen,  27.  Jahresschrift,  1917,  Beilagen  1,  2. 
Potsdam.  Geodätisches  Institut: 

Veröffentlichungen,  N.  F.,  Nr.  70—74. 

—  Astrophysikalisches  Observatorium: 
Publikationen,  Nr.  71,  72. 

—  Zentralbureau  der  internationalen  Erdmessung: 

—  —  Veröffentlichungen,  Nr.  31. 

Prag.  Landesarchiv: 

—  —  Landtagsverhandlungen,  Bd.  15,  Teil  1. 

—  K.  Böhmische  Gesellschaft  der  Wissenschaften: 

—  —  Jahresbericht  1916. 

—  —  Sitzungsberichte  der  philos.-hist.  Klasse,  1916;  der  math.-naturwiss. 

Klasse,  1916. 

—  Deutscher    naturwissenschaftlich-medizinischer  Verein 

für  Böhmen  „Lotos": 

—  —  Lotos,  Naturwissenschaftliche  Zeitschrift,  Bd.  64,  Nr.  1 — 10. 

—  Cechoslavisches  Museum: 

Narodpisny  Vestnik  Ceskoslovansky,  Bd.  11,  Nr.  4;  Bd.  12,  No.  1 — 4. 

—  Knopfmuseum: 

—  —  Berichte,  Jahrg.  2,  Nr.  1. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  oö 

Prag.  K.  K.  Sternwarte: 

Magnetische  und  meteorologische  Beobachtungen,  Jahrg.  77,  1916. 

Pracka,   Untersuchungen   über   den  Lichtwechsel   älterer  Sterne, 

Bd.  II,  1916. 

—  Verein  für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen: 
Mitteilungen,  Jahrg.  55,  Nr.  1—4. 

—  Deutsche  Karl  Ferdinands-Universität: 

Ordnung  der  Vorlesungen,  S.-S.  1917;  W.-S.  1917/18. 

Personalstand  1916/17  und  1917/18. 

Inauguration  des  Rektors  1916/17. 

Regensburg.  Botanische  Gesellschaft: 

—  Denkschriften,  Bd.  13  =  N.  F.,  Bd.  7. 

—  K.  Neues  Gymnasium: 

Jahresbericht  für  1916/17  mit  Programm  von  Weinmann. 

—  Naturwissenschaftlicher  Verein: 
Berichte,  Bd.  15,  1913-16. 

Rosenheim.  Gymnasium: 

Jahresberichte  für  1916/17  mit  Programm  von  Jäger. 

Rostock.  Naturforschende  Gesellschaft: 

Sitzungsberichte  und  Abhandlungen,  N.  F.,  Bd.  6,  1914. 

Rotterdam.    Bataafsch    genootschap    der   proefondervuidelijke 
Wijsbegeerte: 

Nieuwe  Verhandelingen,  II.  Reihe,  VII.  deel,  stuk  2. 

Salzburg.  K.  K.  Staatsgymnasium: 

—  —  Programm  für  das  Jahr  1916/17. 

—  Gesellschaft  für  Salzburgische  Landeskunde: 

—  —  Mitteilungen  57,  1917. 

St.  Gallen.  Historischer  Verein: 

Mitteilungen  zur  vaterländischen  Geschichte,  Bd.  34. 

Neujahrsblätter  1913-17. 

Sarajevo.  Institut  für  Balkanforschung: 

Zur  Kunde  der  Balkanhalbinsel   II,    Quellen   und   Forschungen, 

Heft  5. 
—  Landesmuseum: 

Wissenschaftliche  Mitteilungen  aus  Bosnien,  Nr.  13. 

Schleusingen.  Hennebergischer  Geschichtsverein: 

Schriften  Nr.  10. 

Schweinfurt.  K.  Realschule: 

Jahresbericht  1916/17. 

Stade.  Verein  für  Geschichte  und  Altertümer  etc.: 
Stader  Archiv,  N.  F.,  Heft  7. 


3b  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Stavanger.  Museum: 

Aarshefte  for  1916,  vol.  27. 

Stettin.  Gesellschaft  für  Pommersche  Geschichte   und  Alter 
tumskunde: 

—  —  Baltische  Studien,  N.  F.,  Bd.  20,  1917. 
Monatsblätter  1916,  Nr.  1—12. 

Stockholm.   K.Akademie  der  Wissenschaften: 

—  —  Meteorologiska  Jakttagelser  i  Sverige,  vol.  57  und  Bihang  1  u.  2. 

—  K.  Vitterhets  Historie  och  Antikvitets  Akademie: 
Antikvitets  Tidskrift  22,  1. 

—  K.  Landtbruks-Akademie: 

—  —  Handlingar  och  tidskrift,  Bd.  56,  1917,  No.  1 — 7. 

—  Entomologiska  föreningen: 
Tidskrift,  Jahrg.  38,  1917,  No.  1-4. 

—  Geologiska  Föreningens: 

—  —  Förhandlingar,  Bd.  39,  No.  1—7. 

—  Nationalekonomiska  föreningen: 

—  —  Förhandlingar  1916. 

—  Schwedische   Gesellschaft    für  Anthropologie    und   Geo- 

graphie: 

—  —  Ymer,  Jahrg.  36,  Heft  4;  Jahrg.  37,  Heft  1,  2. 

—  Svenska  Literatursälskapet: 

Skrifter  7,  No.  8,  9;   17,  No.  18;  Samlaren  36  und  37. 

—  Nordiska  Museet: 

—  —  Fataburen  1916,  Heft  1—4. 

—  Reichsarchiv: 

Meddelanden,  N.  F.,  6,  1  und  6,  3,  1. 

—  Sveriges  geologiska  Undersöckning: 
Äarsbok  9,  1915;  10,  1916. 

Strassburg.  Wissenschaftliche  Gesellschaft: 
Schriften  30,  31. 

—  Internationale   Kommission    für    wissenschaftliche    Luft- 

schiffahrt: 
1913,  Heft  1-4. 

—  Universitätsbibliothek: 
Schriften  1916. 

Straubing.  Historischer  Verein: 

Jahresbericht  19,  1916. 

Stuttgart.  K.  Landesbibliothek: 

—  —  Fischer,  Schwäbisches  Wörterbuch,  Lief.  54. 

—  Württemberg.  Kommission  für  Landesgeschichte: 

■ —  —  Vierteljahreshefte  für  Landesgeschichte,  N.  F.,  Jahrg.  25  und  26, 
Heft  1/2. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  .      ^7 

Stuttgart.  K.  Württembergisches  Statistisches  Landesamt: 

Württembergische    Jahrbücher   für    Statistik    und    Landeskunde, 

Jahrg.  1916. 

Thorn.  Copernikus-Verein  für  Wissenschaft  und  Kunst: 

Mitteilungen,  Heft  24,  25. 

Troppau.  Kaiser  Franz  Joseph-Museum  für  Kunst  und  Gewerbe: 

Zeitschrift   für   Geschichte   und   Kulturgeschichte    Österreichisch- 

Schlesiens,  Jahrg.  10,  1915. 

Upsala.  K.Universität: 

—  —  Arbeten,  No.  17—19  und  20a,  b. 

Eranos,  Acta  philol.  Suecana,  vol.  15,  fasc.  1—4. 

—  —  Zoologiska  Bidrag,  Bd.  4,  5. 

—  Meteorologisches  Observatorium  der  Universität: 

Bulletin  mensol.,  vol.  48,  1916  und  Observation«  seismographiques 

1912—17. 

—  Human.  Vetenskaps  Samfundet: 
Skrifter,  Bd.  17—19. 

Utrecht.  Historisch  Genootschap: 

—  —  Bijdragen  en  mededeelingen,  deel  24,  36  und  37. 

—  Provincial  Utrechtsch  Genootschap: 
Kapport  1917. 

—  Institut  Royal  Meteorologique  des  Pays-Bas: 
Mededeelingen  en  Verhandelingen,  No.  21. 

Ergebnisse  aerologischer  Beobachtungen,  Nr.  4,  1915. 

—  Physiol.  Laborat.  d.  Hoogeschool: 
— Onderzoekingen  V,  No.  18. 

Vaduz.  Histor.  Verein  für  das  Fürstentum  Lichtenstein: 

—  —  Jahrbuch,  Bd.  16. 

Warschau.  Prace  matematijczno-fizyczne: 

—  —  Prace,  tom.  25—28,  1914/17. 

Weihenstephan.  A.Akademie  für  Landwirtschaft  und  Brauerei: 

Bericht  1916/17. 

Wien.  Kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften: 

Sitzungsberichte:    a)  der  philos. -histor.  Klasse,   Bd.  175,   Abh.  4; 

Bd.  177,  Abh.  4;  Bd.  179,  Abh.  4  u.  5;  Bd.  180,  Abh.  5;  Bd.  181, 
Abh.  2  u.  4;  Bd.  182,  Abh.  2,  3,  5  u.  6;  Bd.  183,  Abh.  2  u.  5; 
Bd.  184,  Abh.  1,  2  u.  3;  Bd.  185,  Abh.  1;  b)  der  math.-naturwiss. 
Klasse,  Abt.  I,  Bd.  125,  Heft  5—10;  Abt.  IIa,  Bd.  125,  Heft  7—10; 
Abt.  IIb,  Bd.  125,  Heft  6  u.  8-10;  Abt.  III,  Bd.  124  u.  125. 
Sitxgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917.  C 


38  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Wien.  Kais.  Akademie  der  Wissenschaften: 

—  —  Denkschriften  der  philos.-histor.  Klasse,  Bd.  59,  1. —  3.  Abb.;  Bd.  60, 

2.  Abh. 

—  —  Anzeiger  (math.-naturwiss.  Klasse)  1917,  Nr.  1 — 22. 

—  —  Almanach  1916,  66.  Bd. 

Jagic,  Suppl.  psalterie  Bononiensis,  1917. 

—  K.  K.  Gesellschaft  der  Ärzte: 

Wiener  Klinische  Wochenschrift  1917,  Nr.  1—45,  47—52. 

—  Zoologisch-botanische  Gesellschaft: 
Verhandlungen,  Bd.  67,  Nr.  1-6. 

—  —  Abhandlungen,  Bd.  9,  Nr.  3. 

—  Österreichische  Kommission   für  internationale  Erdmes- 

sung: 
Verhandlungen  1912/13  und  1914. 

—  K.  K.  militärgeographisches  Institut: 

—  —  Astronomisch-geodätische  Arbeiten,  Bd.  23. 

—  K.  K.  Naturhistorisches  Hofmuseum: 

—  —  Annalen,  Bd.  30,  Nr.  3/4. 

—  Mechitaristen-Kongregation: 

—  —  Handes  Amsorya  1916,  No.  1—12. 

—  K.  K.  Geologische  Reichsanstalt: 

Verhandlungen  1916,  Nr.  13/14  und  15/16;  1917,  Nr.  1-8. 

Jahrbuch,  Bd.  66,  Heft  1. 

—  K.  K.  Universität: 

—  —  Inauguration  des  Rektors  1916/17,   1917/18. 
Übersicht  der  Behörden  1916/17,  1917/18. 

Vorlesungen,  S.-S.  1916  und  1917;  W.-S.  1916/17  und  1917/18. 

—  —  Bericht  über  die  volkstümlichen  Universitätsvorträge  1915/16. 

—  Zentralanstalt  für  Meteorologie  und  Geodynamik: 

—  —  Jahrbücher,  Bd.  49,  50. 

Wiesbaden.  Verein  für  Naturkunde: 

—  —  Jahrbücher,  Jahrg.  69. 

Winterthur.  Naturwissenschaftliche  Gesellschaft: 
Mitteilungen,  Heft  11. 

Wlvrzburg.  Physikalisch-medizinische  Gesellschaft: 

Sitzungsberichte,  1916,  Nr.  1—7;  1917,  Nr.  1—6. 

Verhandlungen,  N.  F.,  Bd.  44,  Heft  3-6;  Bd.  45,  Heft  1-3. 

—  K.  Altes  Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17  mit  Programm  von  Stang. 

—  K.  Neues  Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17  mit  Programm. 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  a9 

Würzburg.  K.  Universität: 
Personalstand  1917  und  1917/18. 

—  Historischer  Verein: 

—  —  Archiv,  Bd.  58. 

Jahresbericht  für  1915. 

Zürich.  Antiquarische  Gesellschaft: 
Mitteilungen,  Bd.  28,  Heft  2  =  Nr.  80. 

—  Naturforschende  Gesellschaft: 
Neujahrsblatt  118,  119. 

Vierteljahresschrift,  Jahrg.  61.  Heft  3/4;  Jahrg.  62,  Heft  1/2. 

—  Schweizerische  Geologische  Kommission: 

Geologische  Spezialkarten  29a,  66a  u.  b,  73  b,  77,  80,  83. 

Äppli,  Geschichte  der  geologischen  Kommission  1915. 

—  Schweizerisches  Landesmuseum: 

Anzeiger  für  Schweizerische  Altertumskunde,  N.  F.,  Bd.  18,  Nr.  4; 

Bd.  19,  Nr.  1—3. 
25.  Jahresbericht,  1916. 

—  Bibliothek  des  Eidgenössischen  Polytechnikums: 
Dissertationen  1917/18. 

Programm,  S.-S.  1917. 

—  Sternwarte: 

Astronomische  Mitteilungen,  Nr.  106. 

—  Schweizerische  meteorologische  Zentralanstalt: 
Annalen,  52.  Jahrg.,  1915. 

Zweibrücken.  K.  Humanistisches  Gymnasium: 

—  —  Jahresbericht  1916/17. 


40  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 


Geschenke  von  Privatpersonen,  Geschäftsfirmen  nnd  Redaktionen: 

Best  Chr.  in  Betwar: 

—  Nervetropfe,  Dialektdichtung  in  Rothenburger  Mundart. 

Brandstetter  Renward  in  Zürich: 

—  Die  Reduplikation  in  den   indianischen,   indonesischen  nnd  indo- 
germanischen Sprachen. 

—  Die  Lauterscheinungen  in  den  indonesischen  Sprachen. 

—  Die  Hirse  im  Kanton  Luzern: 

—  Verzeichnis  seiner  wissenschaftlichen  Veröffentlichungen. 

Cohn  Berthold  in  Strasburg: 

—  Almanach  perpetuum  celest.  motuum.    (S.-A.) 

Familler  Ignaz  in  Karthaus  Brüll: 

—  Denkschriften  der  K.  Bayer.  Botanischen  Gesellschaft  Regensburg. 
Bd.  XIII. 

Fick  R.  in  Innsbruck: 

—  4  Sonderabdrücke. 

Flesch  Karl  in  Reichenau: 

—  Die  Ausrottung  der  Tuberkulose. 

v.  Groth  Paul  in  München: 

—  Topographische  Übersicht  der  Minerallagerstätten.    (S.-A.) 

Hasselberg  K.  B.  in  Stockholm: 

—  „Zur  Erinnerung  an  Nils  Christoffer  Duner". 

Heß  Wilhelm  in  Bamberg: 

—  Das  Horoskop   des  Astrologen   Andreas  Goldmayer  auf  die  Stadt 
Würzburg. 

Hupp  Otto  in  Schleifiheim: 

—  Zum  Streit  um  das  Missale  speciale  Constantiense.  1917. 

Kay  er  E.  in  Marburg: 

—  Beiträge  zur  Geologie  des  Rimberggebietes  bei  Marburg  von  Hugo 
Lieber.    Bamberg  1917. 

Keune  in  Metz: 

—  Kriegsarbeit  des  Museums  zu  Metz,  1917. 

Kuli  J.  V.  in  München: 

—  Margarethe,    2.  Gemahlin  Kaiser  Ludwigs  IV.   und  ihre  nächsten 
Nachkommen  als  Grafen  von  Hennegau-Holland  1345  —  1433.  (S.-A.) 

—  Schinderlinge.    (S.-A.) 

—  Reformationsdenkmünzen  aus  dem  Bereiche  des  heutigen  Bayerns. 
(S.-A.) 


Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften.  41 

Kuli  J.  V.  in  München: 

—  Die  Witteisbacher  als  Könige  von  Dänemark,  Schweden  und  Nor- 
wegen. 

—  Die   Pfalzgrafen    von   Scheyern  -  Witteisbach    im    12.   Jahrhundert. 

(S.A.) 

Kurz  J.  B.  in  Ansbach: 

—  Heimat  und  Geschlecht  Wolframs  von  Eschenbach. 
Lecat  Maurice  in  Brüssel: 

—  Bibliographie  du  calcul  des  variations.    Paris  1916. 
Loeb  James  in  München: 

—  Die  Terrakotten  der  Sammlung  Loeb,  II.  Bd.,  herausgegeben  von 
J.  Sieveking. 

Mehlis  Chr.  in  Neustadt  a.  H.: 

—  Geologisches   und   Paläolithisches    aus    der  Umgebung    von   Neu- 
stadt a.  H. 

—  Thrakisch-illyrisches  Volkstum  im  vorgeschichtlichen  Süddeutsch- 
land.   (S.-A.) 

Mörikofer  W.  in  Basel: 

—  Klimatische  Normalweite  für  Basel.    B.  1916.    (S.-A.) 

Ney  Alfred  in  Pfullingen: 

—  Weihnachten  bei  den  Kriegsgefangenen  im  Bereiche  des  X1I1.  und 
XIV.  Armeekorps. 

Noreen  Adolf  in  Lund: 

—  Värt  Spräk.  Heft  6.  17.  19.  21.  23.  24. 

La  Paix  par  le  droit: 

—  1916,  19-22  und  1917,  1-20. 

Prutz  Hans  in  München: 

—  Die  Friedensidee,  1917. 
Ryd  V.  H.  in  Kopenhagen: 

—  Publikationer  fra  det  Danske  Meteorologiske  Institut,  Meddelelser 
No.  3.  1917. 

Schmied-Kowarzik  Walther  in  Wien: 

—  Ein  Weltbund  des  Deutschtums. 

Schnyder  Otto  in  Frauenfeld •' 

—  Grundzüge  einer  Philosophie  der  Musik. 

Schröder  Alfred  in  Dillingen: 

—  Archiv  für  die  Geschichte  des  Hochstifts  Augsburg,   5.  Bd ,   Lief. 
3  und  4. 

Schuchardt  Hugo  in  Graz: 

—  Verzeichnis  seiner  Druckschriften,  1915. 

» 


42  Verzeichnis  der  eingelaufenen  Druckschriften. 

Schuller  Rod.  R.  in  Rio: 

—  A  nova  gazeta  da  terra  do  Brasil.    Rio  1914. 

Schweidar  W.  in  Kiel: 

—  Bewegung  der  Drehachse  der  elastischen  Erde  im  Erdkörper  und 
im  Räume.   Kiel  1916.    (S.-A.) 

Sucro  Theodor  in  München: 

—  Statistische  Untersuchungen  über  Sterblichkeits- Verhältnisse   der 
bayer.  mittleren  Eisenbahnbeamten  1890  —  1914. 

Trübner  J.,  Verlagsbuchhandlung  in  Straßburg: 

—  Zeitschrift  für  Assyriologie,  Bd.  31,  Heft  1.  2. 

Wahrmund  Lud.  in  Innsbruck: 

—  Quellen    zur    Geschichte    des    römisch  -  kanonischen    Prozesses    im 
Mittelalter,  Bd.  III,  Heft  II. 

Wlassak  Moriz  in  Wien: 

—  Anklage  und  Streitbefestigung  im  Kriminalrecht  der  Römer.   (S.-A.) 

Zell  er  Josef  in  Ringingen: 

—  Das  Augsburger  Burggrafenamt  und  seine  Inhaber  von  ihrem  ersten 
Auftreten  bis  zum  Untergang  des  alten  Reichs.    (S.-A.) 


Sitzungsberichte  fi 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 
Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,   1.  Abhandlung 

I  •  i: 




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h/t.  i-H 


Neue  Studien 


zur 


Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans 


von 


Hans  Prutz 


Vorgelegt  am   13.  Januar  1917    /O- 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franz'scbon  Verlags  (J.  Roth) 


I 

Sitzungsberichte 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,   1.  Abhandlung 


Neue  Studien 


zur 


Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans 


von 


Hans  Prntz 


Vorgelegt  am   13.  Januar  1917 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franz'schen  Verlags  (J.  Roth) 


i 


I.   Die  Denkwürdigkeiten  des  Perceval  de  Cagny. 

Der  Verfasser  der  beiden  unter  seinem  Namen  auf  uns 
gekommenen  angeblich  zusammengehörigen  Chroniken ,  von 
denen  die  erste  eine  Genealogie  der  Herzöge  von  Alencon 
enthält,  die  zweite  Notizen  bietet  zur  Geschichte  Frankreichs 
von  1239  bis  1438,  unter  besonderer  Berücksichtigung  des 
Anteils  des  Hauses  Alencon  daran,1)  Perceval  de  Cagny,  war 
nach  seiner  eigenen  Angabe  aus  der  Gegend  von  Beauvais 
(Dep.  Orne)  gebürtig.2)  Der  Name  der  Örtlichkeit,  nach  der 
sein  Geschlecht  sich  nannte,  lebt  heute  fort  nur  noch  in  einem 
„bois  de  Cagny"  in  der  Nähe  von  Crillon :  so  heißt  heute' der 
Herrensitz,  nach  dem  schon  früher  der  Name  Cagny  erst  mit 
Bouffiers  und  dann  mit  Saineval  vertauscht  war.3)  Das  darin 
begründete  besondere  Interesse  an  jener  Gegend  betätigt 
Perceval  de  Cagny  auch,  indem  er  bei  Fortführung  seiner  Auf- 
zeichnungen der  am  10.  November  1438  erfolgten  Einnahme 
des  dort  gelegenen  Cerberoy  durch  die  Engländer  gedenkt  und 
den  Schaden  betont,  der  dadurch  dem  Lande  und  der  Nachbar- 
schaft bereitet  wurde.*) 

Literarische  Interessen  lagen  Perceval  de  Cagny  bei  seiner 
Arbeit   fern :    auch  eigentlich   historiographische  Ziele    hat   er 

1)  Chroniques  de  Perceval  de  Cagny  publiees  pour  la  prerniere  fois 
par  H.  Moraville.    Paris  1902  (Societe  d'histoire  de  France). 

2)  Ebendas.  S.  31:    ....  natif  du  pays  de  Beauvoisin. 

3)  S.  II. 

4)  S.  254—55:  ....  qui  fut  moult  grant  domniage  au  pays  et  a 
tous  les  voisins  d'entour. 

1* 


4  1.  Abhandlung:  Sana  Prutz 

dabei  nicht  verfolgt.  Ihm  war  nur  darum  zu  tun,  den  Ruhm 
des  Hauses  Alencon  zu  vermehren  und  demselben  dadurch  einen 
neuen  Beweis  der  Dankbarkeit  und  der  Treue  zu  geben,  womit 
er  ihm  nahezu  ein  halbes  Jahrhundert  gedient  hatte  und  auch 
fernerhin  zu  dienen  hoffte.  Dann  aber  wollte  er  seine  „Nach- 
folger" wissen  lassen,  wie  und  welchen  Herren  er  den  größten 
Teil  seines  Lebens  gedient  habe.1)  Dabei  muß  freilich  dahin- 
gestellt bleiben,  ob  er  unter  „Nachfolgern"  seine  Nachkommen- 
schaft verstanden  wissen  will  oder  die,  welche  dereinst  nach 
ihm  die  von  ihm  bekleideten  Ämter  am  Hofe  der  Alencon 
einnehmen  werden.2)  Nach  seiner  eigenen  Angabe  war  Parce- 
val  de  Cagny,  als  1436  die  Genealogie  der  Herzöge  von  Alencon 
fertig  vorlag  und  er  im  Anschluß  daran  seine  Denkwürdig- 
keiten aufzuzeichnen  begann,  schon  46  Jahre  im  Dienst  des 
Herzogshauses.3)  Zuerst  hatte  er  als  „panetier",  d.i.  etwa  Page, 
dem  Grafen  Peter  von  Alencon  gedient,  der  nach  57  Jahren 
segensreichen  Waltens  in  seiner  Herrschaft  am  20.  September 
1404  starb:4)  er  wird  also,  da  junge  Edelleute  ihre  Laufbahn 
mit  fünfzehn  Jahren  zu  beginnen  pflegten,  1436  etwa  sechzig 
Jahre  alt  gewesen  sein,  und  seine  eigenen  Erinnerungen  an 
das  im  Hause  Alencon  Geschehene  reichten  daher  bis  zum 
Jahre  1390  zurück.  Dann  diente  er  Graf  Johann  V.  als 
„ecuyer  d'ecurie";  als  dieser  am  1.  Januar  1415  zum  Herzog 
erhoben  wurde,  gewann  natürlich  auch  seines  Dieners  Stellung 
an  Bedeutung.  Aber  der  neue  Herzog  fiel  bereits  am  25.  Ok- 
tober 1415  bei  Azincourt.  In  dieser  Zeit  begegnet  uns  Perce- 
val  de  Cagny  als  Partei  in  einem  im  Februar  und  Mai  1413 
vor  dem  Pariser  Parlament  verhandelten  Prozeß  über  einen 
Besitzstreit  mit  einem  Anhänger  des  Herzogs  von  Burgund, 
Jean  de  Hengest,  Seigneur  de  Genlis.5)  Unter  dem  zweiten 
Herzog  von  Alencon,  Johann  IL,  der  1424  an  dem  Unglücks- 
tag von  Verneuil  in  englische  Gefangenschaft  fiel  und  erst  1427 
daraus   heimkehrte,6)    stieg    Perceval  de  Cagny   zu    dem  Amte 


i)  S.  31.      2)  S.  VII— VIII.      3)  S.  31.      4)  S.  13.       5)  S.  XV-XVII. 
6)  Die  letzte  Tatsache  erwähnt  Perceval  de  Cagny,   dagegen  nicht 
die  Gefangennahme  bei  Verneuil. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  ö 

eines  „maitre  d'hötel"  auf,  zum  Vorstand  des  gesamten  herzog- 
lichen Haus-  und  Hofhalts  und  wurde  dadurch  vollends  eng 
mit  den  Schicksalen  des  Herzogshauses  und  der  wechselnden 
Tätigkeit  seines  Herrn  verknüpft,  der  ihn  hoch  in  Ehren  ge- 
halten und  reich  belohnt  zu  haben  scheint.  Während  die  letzte 
Eintragung  in  seine  Chronik  sich  auf  das  Jahr  1438  bezieht, 
begegnet  uns  Perceval  de  Cagny  noch  einmal  am  14.  April  1439 
in  einer  von  seinem  Herrn  ausgestellten  Procuration.1)  Weiter- 
hin finden  wir  keine  Spur  mehr  von  ihm ;  gestorben  aber  kann 
er  erst  nach  dem  Frühjahr  1444  sein.  Denn  bei  der  Schil- 
derung der  prunkvollen  Hochzeit  des  Dauphin  mit  Margarete 
von  Schottland,  die  im  Juni  1436  zu  Tours  stattfand  und  von 
der  er  als  Augenzeuge  berichtet,  erwähnt  er  des  die  Trauung 
vollziehenden  Regnauld  de  Chartres,  des  Kanzlers  von  Frank- 
reich, mit  dem  Zusatz:  „qui  alors  estoit  arcevesque  de  Raims",2) 
was  den  Genannten  als  nicht  mehr  lebend  voraussetzt,  also  erst 
nach  dessen  am  14.  April  1440  erfolgten  Tod  geschrieben 
sein  kann. 

Man  hat  bereits  früher  wohl  gezweifelt,  ob  die  beiden 
zusammen  überlieferten  Chroniken,  die  Genealogie  der  Herzöge 
von  Alencon  und  die  Denkwürdigkeiten  für  die  Jahre  1239 
bis  1438,  demselben  Verfasser  zuzuschreiben  seien.  Im  Gegen- 
satz dazu  tritt  ihr  Herausgeber  Henri  Moraville  dafür  ein,  daß 
beide  das  Werk  des  Perceval  de  Cagny  seien.  Ob  er  aber 
damit  das  Richtige  getroffen  hat,  erscheint  fraglich.  Denn 
wenn  Perceval  de  Cagny  in  der  Zwischenbemerkung,  die  vor; 
dem  Schluß  der  Genealogie  zu  den  folgenden  zeitgeschicht- 
lichen Notizen  hinüberleiten  soll,  von  der  ersteren  mit  der  doch 
wohl  absichtlich  und  in  einem  ganz  bestimmten  Sinn  gebrauch- 
ten Wendung  spricht,  zu  Ehren  seiner  Herren  und  um  die 
Erinnerung  an  das  von  ihm  in  ihrem  Dienst  Erlebte  zu  er- 
halten, „il  a  faict  faire  cest  present  memoire",3)  d.  h.  habe 
er  die  vorliegende  Denkschrift  anfertigen  lassen,  so  liegt 
darin  doch  ausgesprochen,    daß   die  Arbeit   in  seinem  Auftrag 


l)  S.  IV  Note.  2)  S.  212-22.  3)  S.  31. 


b  1.  Abhandlung:  Hans  I'rutz 

angefertigt  ist,  also  nicht  von  ihm  persönlich  herrührt.  An 
diese  in  seinem  Auftrag  von  einem  andern  fertig  gestellte  und 
ihm  nun  vorliegende  Arbeit  hat  er  dann  von  sich  aus  allerlei 
von  dem  anreihen  lassen,  was  an  Mißgeschick,  Kriegen  und 
Pestilenzen  über  Frankreich  gekommen  ist,  so  weit  er  davon 
bis  zum  Jahr  1436  Kunde  erhalten  hatte.  Nur  diese  Deutung 
wird  dem  von  ihm  in  der  Zwischenbemerkung  gebrauchten 
Ausdruck  völlig  gerecht.  Eine  Stütze  findet  sie  in  der  Ver- 
schiedenheit der  beiden  Arbeiten:  die  Genealogie  ist  unver- 
kennbar  das  Werk  eines  literarisch  wohlgeschulten  Autors,  der 
stofflich  aus  dem  Vollen  schöpft  und  die  Feder  gewandt  führt, 
während  die  folgenden  Denkwürdigkeiten  in  ihrem  wunder- 
lichen Durcheinander  der  verschiedenartigsten  Dinge  und  mit 
der  Ungelenkheit  des  Ausdrucks  als  Verfasser  den  bisher  viel- 
beschäftigten Hof-  und  Kriegsmann  erkennen  lassen,  der  in 
der  beginnenden  Muße  seiner  alten  Tage  seinem  Kaplan  ge- 
legentlich diktierte,1)  was  ihm  von  seiner  früheren  Tätigkeit 
bemerkenswert  erschien.  Im  Gegensatz  dazu  rührt  die  Genea- 
logie der  Herzöge  von  Alencon  augenscheinlich  von  einem  auf 
diesem  Gebiete  heimischen  und  in  derartigen  Arbeiten  bewähr- 
ten Verfasser  her.  Demselben  unter  den  literarisch  bekannten 
Zeitgenossen  nachzuspüren  hat  keinen  Zweck  und  verspricht 
keinen  Erfolg:  nur  eine  naheliegende  Vermutung  mag  dazu 
vorgebracht  werden.  Wenn  der  Herausgeber  der  beiden  Chro- 
niken, Henri  Moraville,  aus  der  Übereinstimmung  gewisser 
Angaben  des  Perceval  de  Cagny  mit  solchen  des  Cousinot  de 
Montreuil,  dem  wir  die  Chronique  de  la  Pucelle  in  der  uns 
vorliegenden  überarbeiteten  Gestalt  verdanken  —  es  handelt 
sich  um  Zahlen  für  die  Verluste  der  Engländer  —  geschlossen 
hat,  ersterer  habe  die  gleiche  Quelle  benutzt  wie  letzterer, 
nämlich  den  von  diesem  als  Gewährsmann  angeführten  „Herold 
von  Alencon",2)  so  läge  doch  die  Annahme  näher,  eben  dieser 
Herold  von  Alencon  sei  es,  den  Perceval  de  Cagny  zur  Ab- 
fassung der  Genealogie  veranlaßte.     Denn   nach   dem  Brauche 

x)   Ebendas.   S.  31   a.  E. :   et  avecque  ce  a  voulu   faire  mettre   per 
escript  aucun  par  des  mechies  usw.  2)  S.  VII. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans 


oJ 


der  Zeit  wäre  eine  solche  Arbeit  gerade  recht  die  Sache  eines 
Alenconschen  Herolds  gewesen.  Auch  war  die  Genealogie,  als 
Perceval  de  Cagny  sie  als  Einleitung  seinen  Denkwürdigkeiten 
voranstellte,  nicht  mehr  ganz  neu:  sie  ist  sicher  vor  1434 
vollendet,  da  sie  die  in  dieses  Jahr  gehörige  zweite  Ehe  des 
Herzogs  Johann  IL  von  Alenyon  nicht  kennt. 

Was  nun  die  eigentliche  Chronik  angeht,  die  sicher  das 
Werk  des  Perceval  de  Cagny  ist,  so  bezeugt  dieser  selbst  in 
der  vorangesetzten  Bemerkung,  daß  sie  im  Jahr  1436  begonnen 
ist.  Er  wird  demnach  seine  Denkwürdigkeiten  bis  zu  diesem 
Jahr  im  Zusammenhang  diktiert  haben,  um  sie  später,  wenn 
wieder  ihm  Bemerkenswertes  geschah,  fortzuführen,  so  daß  die 
Chronik  für  die  folgenden  Jahre  den  Ereignissen  auf  dem  Fuße 
folgend  wuchs.  Das  letzte,  das  sie  erwähnt,  ist  der  Verlust 
des  1436  von  den  Franzosen  eroberten  Saint-Germain-en-Laye 
an  die  Engländer  am  18.  Dezember  1438,  für  den  er  die  Leute 
des  Connetable  Richemont  verantwortlich  macht.1)  Die  Art 
aber,  wie  er  bei  Erwähnung  der  Hochzeit  des  Dauphin  1436 
des  dabei  fungierenden  Kanzlers  Regnauld  von  Chartres  als 
des  „damaligen"  Erzbischofs  von  Rheims  gedenkt,2)  beweist, 
daß  er  noch  nach  dessen  Tod  (14.  April  1440)  an  seinen  Denk- 
würdigkeiten beschäftigt  wrar,  indem  er  Nachträge  einfügte 
und  im  ersten  Entwurf  offen  gelassene  Lücken  ausfüllte.  Denn 
augenscheinlich  sind  die  Lücken,  die  sich  in  dem  uns  über- 
lieferten Text  der  Chronik  finden,  nicht  auf  die  Rechnung  von 
Duchesne  zu  setzen,  welcher  denselben  aus  einer  inzwischen 
verloren  gegangenen  Handschrift  kopierte,  sondern  von  diesem 
seiner  Vorlage  entnommen  und  auf  den  Verfasser  selbst  zurück- 
zuführen. Mag  dieser  die  Denkwürdigkeiten  bis  1436  auch  in 
einem  Zuge  diktiert  haben :  es  fehlten  ihm  doch  nicht  selten 
die  genauen  Daten,  sowie  die  Vornamen  zu  erwähnender  Per- 
sonen und  die  Namen  von  Örtlichkeiten,  welche  er  bei  seinem 
löblichen  und  erfolgreichen  Bemühen  um  möglichste  Genauig- 
keit nachzutragen  sich  vorbehielt,   indem  er   dafür  gleich  den 


l)  S.  256-57.  2)  S.  221-22,  vgl.  oben  S.  5. 


8  1.  Abhandlung:   Hans  Prutz 

nötigen  Raum  offen  ließ.  Die  meisten  dieser  Lücken  sind 
wohl  schließlich  unausgefüllt  geblieben,  sei  es,  daß  der  Autor 
die  nötigen  Angaben  sich  nicht  verschaffen  konnte,  sei  es,  daß 
er  durch  das  Alter  und  den  Tod  an  der  Vollendung  der  Arbeit 
gehindert  wurde.  Daß  er  im  Sommer  1438  mit  dieser  wieder 
beschäftigt  war,  lehrt  eine  Bemerkung  über  die  endliche  Ent- 
faltung kriegerischer  Energie  bei  Karl  VII.,  die  besagt:  „tout 
1'ete"  present  le  roy  ne  s'est  entremis  de  faire  la  guerre".1) 
Da  er  nun  bereits  zum  Jahr  1437  in  ähnlicher  Weise  seine 
Befriedigung  kund  tut  über  den  in  der  Haltung  des  Königs 
eingetretenen  Wandel,  indem  er  wohl  im  Hinblick  auf  früher 
von  ihm  gemachte  bittere  Bemerkungen  notiert:  „quelque 
conseil  qu' il  ait  au  temps  passe,  ä  present  veult  faire  la 
guerre  la  plupart  ä  son  vouloir",2)  so  muß  er  sowohl  1437 
wie  1438  an  seinen  Denkwürdigkeiten  tätig  gewesen  sein.  Die 
gelegentliche  Ausfüllung  anfangs  gelassener  Lücken  wird  ihn 
immer  wieder  veranlaßt  haben  die  Aufzeichnungen  vorzunehmen. 
Daraus  werden  manche  von  den  Unebenheiten  und  Wider- 
sprüchen zu  erklären  sein,  die  uns  darin  aufstoßen,  wenn  er 
z.  B.  zum  Jahr  1414  den  Herzog  von  Alencon  durch  den  von 
Bourbon  zum  Ritter  geschlagen  werden  läßt,  aber  erst  im  fol- 
genden Jahr  1415  die  Erhebung  seines  Herrn  zum  Herzog 
berichtet.3)  Manche  von  diesen  Nachträgen  sind  schon  durch 
den  Ausdruck  als  solche  kenntlich.  Zum  Jahr  1434  z.  B.  ge- 
denkt Perceval  de  Cagny  —  offenbar  als  Augenzeuge  —  der 
Verwüstungen,  die  ein  Herbststurm  in  Angers  anrichtete:  seit 
vierzig  Jahren  habe  man  dort  ein  solches  Unwetter  nicht  er- 
lebt. Wenn  er  dazu  bemerkt:  „celui  an  l'ete  avoit  este"  le 
plus  long  et  le  plus  chault  qui  eust  este  de  la  cognoissance 
des  hommes  vivants",4)  so  läßt  das  „avoit  este"  —  der  Som- 
mer „war  gewesen"  —  keinen  Zweifel  darüber,  daß  diese  das 
Interesse  an  der  Nachricht  steigernde  Notiz  erst  nachträglich 
hinzugefügt  worden  ist.  In  dieser  Weise  hat  Perceval  de  Cagny 
bis   mindestens    1440/41    an    seinen    Denkwürdigkeiten    weiter 


!)  S.  253.  2)  S.  236.  3)  S.  90  und  93.  4)  S.  188. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  9 

arbeiten  können :  trotzdem  sind  von  den  in  dem  ursprünglichen 
Diktat  gelassenen  Lücken,  wie  es  scheint,  die  meisten  unaus- 
gefüllt  geblieben. 

Aber  nicht  bloß  als  Aufzeichnungen  eines  den  von  ihm 
berichteten  Ereignissen  nahestehenden  Zeitgenossen  sind  diese 
sich  so  anspruchslos  gebenden  Denkwürdigkeiten  von  Interesse: 
in  einzelnen  Abschnitten  dürfen  sie  hohen  Wert  beanspruchen 
als  Erinnerungen  eines  Augenzeugen  und  Mithandelnden.  Seine 
Stellung  im  Dienst  der  Alencons  ließ  ihn  vielfach  zu  einem 
solchen  werden.  Zwar  hebt  er  das  selbst  niemals  ausdrück- 
lich hervor,  doch  läßt  es  sein  dann  besonders  ausführlicher 
und  anschaulicher  Bericht  erkennen.  Das  ist  z.  B.  der  Fall, 
wenn  er  zum  Jahr  1413  die  Teilnehmer  der  Versammlung  er- 
wähnt, welche  die  Anhänger  des  Herzogs  von  Orleans  in  Ver- 
neuil  hielten,  mit  den  Worten:  „touz  nos  seigneurs  tenans 
le  parti  de  monseigneur  d'Orleans",1)  dann  aber  auch  von  dem 
Inhalt  und  den  Ergebnissen  der  geführten  Verhandlungen 
Kenntnis  hat  und  weiß,  daß  die  Kosten  des  glänzenden  Kon- 
gresses seinem  Herrn  zur  Last  fielen.  Daß  er  der  Erhebung 
desselben  zum  Herzog  am  1.  Januar  1415  beigewohnt,  läßt 
die  starke  Betonung  der  dabei  entfalteten  Pracht  vermuten.2) 
Wenn  er  dann  weiterhin  bei  dem  Bericht  über  den  Entsatz 
von  Orleans  von  den  Waffen  genossen  der  Jungfrau  als  „nos 
gens",3)  also  als  ebenfalls  beteiligter  spricht,  so  steht  zwar 
fest,  daß  sein  Herr,  Johann  IL  von  Alen^on,  den  dortigen 
Kämpfen  nicht  beigewohnt  hat4):  doch  schließt  das  nicht  aus, 
daß  sein  tatenlustiger  „ecuyer  d'ecurie"  den  Zug  mitgemacht 
hat,  zumal  er  in  seinem  Bericht,  wie  auch  sonst  zuweilen,  mit 
seinem  sachkundigen  militärischen  Urteil  nicht  zurückhält,  in- 
dem er  meint,  nach  der  Ansicht  mancher  Kapitäne  sei  die 
Bastion  Les  Tourelles  selbst  mit  nur  halb  so  viel  Leuten  noch 
einen  Monat    zu    halten    gewesen.5)     Sicher  auf  Augenzeugen- 


!)  S.  80-81.  2)  S.  93. 

3)  S.  46,  vgl.  S.  154:  „l'avantgarde  de  nos  gens".      4)  Proces  III  S.  94. 

6)  S.  145  a.  E.  Vgl.  die  ähnliche  Bemerkung  des  Herzogs  von  Alencon 

in  seiner  Aussage  Proces  III  S.  94,   nach   der    Besichtigung   der  genom- 


10  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

schaft  beruht  dagegen,  was  er  von  dem  Loirefeldzug  berichtet, 
an  dem  sein  Herzog  teilnahm.  Daher  kann  er  da  auch  genaue 
Auskunft  geben  über  die  geringen  Verluste  der  siegreichen 
Franzosen,  wie:  „Et  n'y  mourut  de  nostre  part  que  16  ou  20 
personnes".1)  Da  macht  er  bei  der  Schlacht  bei  Patay  am 
17.  Juni  1429  wieder  den  militärisch-technischen  Standpunkt 
geltend,  indem  er  als  charakteristisch  hervorhebt,  daß  die  Eng- 
länder eigentlich  widerstandslos  zusammengehauen  seien.2) 
Obenein  bezeugt  seine  Anwesenheit  die  Kenntnis  der  Vorgänge 
nach  der  Schlacht,  wo  der  Herzog  von  Alenyon  doch  nicht 
wagte  den  an  dem  Siege  beteiligten  Connetable  Richemont 
bei  dem  ihm  zürnenden  König  einzuführen.3)  Als  Augenzeuge 
schildert  Perceval  de  Cagny  ferner  die  Hin-  und  Hermärsche 
der  eine  Schlacht  suchenden  Franzosen  und  der  ihnen  aus- 
weichenden Engländer  unter  dem  Herzog  von  Bedford.4)  Dann 
folgte  er  dem  Herzog,  ohne  den  die  Jungfrau  bei  der  Unlust 
des  Königs  zu  ernstlicher  Kriegführung  und  der  feindlichen 
Haltung  der  königlichen  Räte  überhaupt  nichts  hätte  aus- 
richten können,  auf  dem  Zuge  gegen  Paris  und  wurde  Zeuge 
des  mißlungenen  Sturms  vom  8.  September.  Das  beweist  der 
anschauliche  Bericht  darüber,  der  wiederum  den  Militär  von 
Beruf  erkennen  läßt,  der  mit  den  getroffenen  Dispositionen 
und  der  danach  vorgesehenen  Verwendung  der  einzelnen  Trup- 
penteile bekannt  war.  Schon  die  staunende  Bemerkung  über 
den  furchtbaren  Kanonendonner,  der  während  des  langen  und 
harten  Kampfes  die  Luft  erfüllte,5)  kann  füglich  nur  von  einem 
dabei  Anwesenden  herrühren.  Daß  er  den  leitenden  Persön- 
lichkeiten nahestand  und  um  ihre  Absichten  wußte,  lehren 
seine  Angaben  über  die  Art,  wie  der  König  die  von  Alencon 
und  der  Jungfrau  geplante  Erneuerung  des  Angriffs  von  einer 
anderen  Seite  her  vereitelte,  indem  er  die  über  die  Seine  ge- 
schlagene Brücke   nachts   heimlich    abbrechen    ließ.6)     Danach 

menen  englischen  Werke  habe  er  es  wohl  unternehmen  wollen,  sie  noch 
6  oder  7  Tage  gegen  die  Macht  der  Angreifer  zu  halten. 

*)  S.  151.  2)  S.  154.  3)  S.  155.  4)  S.  163-64. 

5)  S.  167.  6)  S.  168,  69. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  11 


erst  zog  sich  Johann  von  Aleneon  grollend  in  sein  Herzogtum 
zurück :  mit  ihm  ist  auch  Perceval  de  Cagnv  davon  gegangen. 
Von  den  ferneren  Schicksalen  Johannas  weite  er  aus  eigener 
Anschauung  daher  nichts  mehr  zu  berichten,  und  von  ihrem 
Ausgang  zu  Rouen  kann  er  nur  wiederholen,  was  ihm  von 
dabei  Anwesenden  erzählt  war.1) 

Aber  auch  in  den  späteren  Teilen  seiner  Aufzeichnungen 
spricht  Perceval  de  Cagny  mehrfach  als  Augenzeuge,  wie  von 
dem  Unwetter,  das  im  Oktober  1434  Angers  heimsuchte  und 
an  Kirchen  und  Häusern  großen  Schaden  anrichtete,2)  dann 
von  dem  Zug  des  Connetable  Richemont  von  Pontoise  nach 
Saint-Denis  im  August  1436  und  den  Gegenmaßregeln  der 
Engländer,3)  wo  er  sich  ganz  besonders  genau  unterrichtet 
zeigt,  und  dann  von  dem  Einzug  Richemonts  in  Paris  und 
der  endlichen  Rückkehr  der  Hauptstadt  zum  Gehorsam  gegen 
den  rechtmäßigen  König.  Auf  Augenzeugenschaft  beruht 
ferner  sein  Bericht  über  die  Hochzeit  des  Dauphin  mit  Mar- 
garete von  Schottland  zu  Tours  im  Juni  1436, 4)  in  dem  die 
Mitteilungen  über  die  den  Begleiterinnen  der  Braut  durch  ihre 
Zurücksendung  nach  Schottland  bereitete  Enttäuschung  den 
diesen  Vorgängen  nahestehenden  Hofmann  erkennen  lassen. 
Das  gleiche  gilt  von  den  Angaben  über  das  Hochwasser,  das 
1437  die  Touraine,  Anjon  und  Maine  heimsuchte,5)  und  end- 
lich von  dem  Einzug  Karls  VII.  in  Paris  am  13.  Dezember 
1437. 6) 

Nicht  bloß  ein  über  viele  der  von  ihm  notierten  Vorgänge 
wohlunterrichteter  Zeitgenosse  spricht  also  in  den  Aufzeich- 
nungen des  Perceval  de  Cagny,  sondern  gelegentlich  ein  Mann, 
der  an  uns  besonders  interessierenden  Vorgängen  als  Augen- 
zeuge  oder  gar  als  Mithandelnder  beteiligt  war.  Dank  seiner 
Verbindung  mit  dem  Herzog  von  Alencon  ist  er  vertraut  mit 
den  unerquicklichen  und  politisch  wie  militärisch  gleich  nach- 
teilig wirkenden  Zuständen  am  Hof:  er  kennt  La  Tremonille 
als    den    allmächtigen  Günstling,7)    der    dort    gebietet    und    in 

*)  S.  179/80.  2)  S.  188.  3)  S.  213/14.  *)  S.  221  c.  22. 

5)  S.  227.  6)  S.  245.  i)  S.  171-185. 


'-  1.  Abhandlung:  Bans  Protz 


Gemeinschaft  mit  dem  Kanzler  Regnauld  von  Chartres  den  für 
kurze  Zeit  zur  leitenden  Stellung  gelangten  Connetable  Riche- 
mont  wieder  verdrängte ; *)  er  weiß,  daß  gewisse  Leute  Karl  VII. 
durch  den  Hinweis  auf  die  damit  verbundenen  Gefahren  von 
dem  Zuge  nach  Reims  abzuhalten  suchten,2)  wie  später  die 
Absicht  Alencons  durchkreuzt  wurde,  nach  dem  mißlungenen 
Angriff  auf  Paris  mit  Jeanne  d'Arc  nach  der  Normandie  zu 
gehen  und  dort,  wo  die  Entscheidung  lag,  die  Engländer  zu 
bekämpfen.3)  Von  ihm  erfahren  wir,  wie  man  in  dem  um 
die  Jungfrau  gesammelten  Kreis  kriegslustiger  Patrioten  über 
den  König  urteilte  und  wie  dessen  Meinung  weithin  geteilt 
wurde.4)  Seit  der  Gefangennahme  der  Jungfrau  hatte  der  Hof 
nach  ihm  nur  noch  den  einen  Gedanken,  wie  er,  selbst  um 
den  Preis  neuer  Landabtretungen,  mit  England  Frieden  schließen 
könnte.5)  Unser  Autor  teilt  die  Entrüstung  der  national  und 
kriegerisch  Denkenden,  als  Karl  VII.,  1433,  statt  Isle  de  France 
zurückzuerobern,  wie  namentlich  wiederum  der  Herzog  von 
Alencon  riet,  vielmehr  nach  Langnedos  zog  und  dort  kostbare 
Zeit  nutzlos  verbrachte.6)  Um  so  freudiger  begrüßt  er  den  in 
der  Haltung  Karls  eintretenden  Wandel  und  läßt  der  Energie 
Gerechtigkeit  wiederfahren,  zu  welcher  derselbe  sich  seit  1437 
aufraffte.7)  Streng  tadelt  er  aber  auch  den  lange  Jahre  zum 
Landesfeind  stehenden  Herzog  von  Burgund8)  und  den  unzu- 
verlässigen Herzog  von  Bretagne.9)  Die  Unbefangenheit  seines 
Urteils  bezeugt  ferner  die  Kritik,  die  er  an  dem  Verhalten 
des  sonst  von  ihm  so  hoch  geschätzten  Connetable  von  Riche- 
mont  übt.10) 

Nach  alledem  war  Perceval  de  Cagny  also  jedenfalls  in 
der  Lage  viel  zu  sehen  und  zu  hören  und  insbesondere  von 
den  Ereignissen,  die  zur  Rettung  der  nationalen  Selbständig- 
keit Frankreichs  führten,  genauere  Kunde  zu  geben.  Aber 
daß  er  eigentlich  historischen  Sinn  besessen  und  eine  lebendige 
Anschauung  von  dem  Zusammenhang  der  Dinge  gehabt  hätte, 


!)  S.  153,  155  und  164.  2)  S>  157-  3)  S.  170  a.  E. 

4)  S.  205  a.  E.  5)  S.  205.  6)  S.  228;  vgl.  S.  233. 

7j  S.  235-30  u.240.       8)  S.  20S  u.  219.      9)  S.  210      10)  S.  256  -57. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  13 

wird  man  nicht  behaupten  können.  Er  ist  zunächst  Soldat 
und  Hofmann  und  als  solcher  ein  treuer  Diener  des  herzog- 
lichen Hauses:  die  Dinge,  die  uns  in  seinen  Aufzeichnungen 
am  meisten  interessieren  und  ihnen  besondern  Wert  verleihen, 
standen  ihm  in  einer  Linie  mit  den  „Mißgeschicken,  Kriegen 
und  Pestilenzen",  die  nach  seiner  Kenntnis  bis  1436  über 
Frankreich  gekommen  waren,  wie  er  sich  in  der  Vorrede  aus- 
drückt, durch  die  er  den  Übergang  von  der  durch  ihn  veran- 
lagten Genealogie  der  Alencons  zu  seinen  Denkwürdigkeiten 
vermittelt.1)  Aber  gerade  dieser  naive  Standpunkt  und  die  ihm 
entspringende  Anspruchlosigkeit  seiner  Mitteilungen  verleihen 
seinem  Bericht  über  Jeanne  d'Arc  besonderen  Wert.  Durch 
ihn  allein  erfahren  wir,  wie  ein  guter  Franzose  und  tapferer 
Soldat,  der  auch  ein  guter  Christ  war,2)  aber  frei  von  jeder 
religiösen  Schwärmerei  und  unberührt  von  mystischem  Wunder- 
glauben, die  Heldin  betrachtete,  die  er  als  Waffengefährtin 
seines  Herrn  in  nächster  Nähe  beobachtet  hatte,  und  wie  er 
sich  ihre  Erfolge  erklärte  zu  einer  Zeit,  wo  ihre  Gestalt  noch 
nicht  durch  den  Nebel  der  Legende  und  den  Glorienschein  des 
Märtyrertums  bis  zur  Unkenntlichkeit  entstellt  war.  Worin 
man  nachmals  eine  ununterbrochene  Kette  von  Wundern  er- 
blickte, die  ein  immer  erneutes  unmittelbares  göttliches  Ein- 
greifen zu  Gunsten  Frankreichs  bewirkt  haben  sollte,  das  hatte 
sich  vor  seinen  Augen,  ja  unter  seiner  persönlichen  Teilnahme 
abgespielt  als  etwas  zwar  Erstaunliches,  aber  doch  nicht  Über- 
natürliches, sondern  Menschliches.3) 

Es  ist  bemerkenswert,  weil  es  einen  Rückschluß  zuläßt 
auf  den  Eindruck,  den  Johanna  auf  Kreise  machte,  die  ihr 
unbefangen  und  ohne  kirchliche  oder  politische  Voreingenom- 
menheit nahe  kamen,  daß  Perceval  de  Cagny  über  die  Offen- 
barungen, Stimmen  und  Erscheinungen  Johannas  mit  kurzen 
Worten  hinweggeht:  bei  dem  Bericht  über  ihr  Erscheinen  zu 
Chinon  bemerkt  er  nur,  sie  habe  wunderbare  Dinge  gesprochen 
von  Gott  und  den  Heiligen  und  behauptet,  Gott  habe  sie  dem 


l)  S.  31.  2)  S.  89.  3)  S.  211  und  253. 


14  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

König  für  den  Krieg  zu  Hülfe  geschickt1)  Wohl  sieht  auch 
er  in  ihr  eine  Botin  Gottes,  die  den  König  in  seine  Herrschaft 
wieder  einsetzen  soll2):  aber  wie  ihr  dieser  Auftrag  zu  Teil 
geworden  und  wie  ihr  die  nötigen  Kräfte  gekommen  sind,  sagt 
er  nicht,  sondern  konstatiert  nur  dankbar  die  günstige  Wand- 
lung, die  eingetreten  ist  „par  l'ayde  de  Dieu  et  Teure  (d.  i. 
oeuvre)  de  la  Pucelle".3)  Mit  dieser  Formel  kommt  er  über 
das  geschehene  Außerordentliche  hinweg,  wie  er  die  Jungfrau 
ein  anderes  Mal  als  Vermittlerin  der  göttlichen  Hilfe  bezeich- 
net.4) So  läßt  er  denn  auch  die  in  Orleans  für  die  Rettung 
der  Stadt  gehaltenen  Dankprozessionen  stattfinden  für  „la  grace 
et  Thonneur  que  Nostre  Seigneur  avoit  faict  au  roy  et  ä  eulx 
tous,  disant  que  c'estoit  par  le  moyen  de  la  Pucelle  et  que 
sans  eile  ne  peussent  si  grans  merveilles  avoir  este  faictes".5) 
Sollten  nicht  mehr  Leute  sich  den  großen  Ereignissen  jener 
Tage  gegenüber  ähnlich  beschieden  haben,  sich  der  göttlichen 
Schickung  freuend,  aber  ohne  nach  dem  ursächlichen  Zusam- 
menhang im  einzelnen  zu  fragen?  Sicher  war  das  auch  der 
Standpunkt  des  Herzogs  von  Alencon :  als  Zeuge  in  dem  Re- 
habilitationsprozeß läßt  er  sich  auf  der  Jungfrau  Visionen  und 
Stimmen  nicht  ein,  sondern  bemerkt  nur,  ohne  besondere  gött- 
liche Hülfe  seien  Dinge,  wie  sie  Johanna  gelungen,  doch  nicht 
möglich  gewesen.6)  Danach  gibt  Perceval  de  Cagny  in  seinem 
Bericht  über  Johannas  Taten  offenbar  die  Anschauung  wieder, 
die  in  dem  Kreise  der  eifrigsten  und  überzeugtesten  Anhänger 
der  Heldin  herrschte:  fromme  Schwärmerei  und  erhitzter 
Wunderglaube  spielten  da  keine  Rolle.  Diese  sind  vielmehr 
erst  von  anderer  Seite  hineingetragen  worden  und  haben  die 
Vorgänge,  die  den  als  Augenzeugen  und  mithandelnd  daran 
Beteiligten  zwar  außerordentlich  und  als  eine  gnädige  Fügung 
Gottes,  aber  doch  als  sich  durchaus  natürlich  vollziehend  er- 
schienen waren,  in  die  Sphäre  des  Wunderbaren  erhoben. 
Nicht   auf  Eingebungen    der  Heiligen,    auf  Stimmen  und  Er- 


*)  S.  139  a.  E.  2)  S.  140  und  166.  3)  S.  155—56,  164,  167. 

4)  S.  171:  par  l'entremise  de  la  Pucelle. 

5)  S.  155  und  156.  6)  Proces  III,  S.  94. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  15 

scheinungen,  die  ihr  himmlische  Weisungen  übermittelten,  führt 
Perceval  de  Cagny  die  Erfolge  Johannas  zurück,  sondern  — 
und  damit  trifft  er  zweifellos  das  Richtige  — •  auf  den  Zauber 
ihrer  Persönlichkeit,  die  Hoch  und  Niedrig  mit  fortriß,  an  sie 
fesselte  und  zu  außerordentlichen  Leistungen  befähigte.  Das 
spricht  er  wiederholt  bestimmt  aus  und  stellt  sich  damit  in 
einen  entschiedenen  Gegensatz  zu  der  späteren,  von  kirchlichen 
und  politischen  Tendenzen  beeinflußten  Tradition.  Dafür  ist 
schon  das  Eine  bezeichnend,  daß  der  Stab  exaltierter  Geist- 
licher, der  nach  anderen  Berichten  in  der  Umgebung  der 
Jungfrau  zeitweise  eine  Rolle  spielte  und  deren  gesunden,  auf 
die  harte  Wirklichkeit  gerichteten  Sinn  gelegentlich  seinen 
Phantastereien  dienstbar  machte,  bei  ihm  mit  keinem  Worte 
vorkommt.  Vielmehr  erscheint  ihm  der  Herzog  von  Alencon 
nicht  bloß  als  Johannas  ständiger  Genosse  ihrer  ersten  großen 
Zeit  und  Teilhaber  an  ihren  Erfolgen  vom  Loirefeldzug  bis 
zum  Abzug  von  dem  vergeblich  bestürmten  Paris,  sondern 
auch  als  derjenige,  der  sie  leitet,  das  heißt  die  Macht  ihrer 
Persönlichkeit  da  einzusetzen  veranlaßt,  wo  es  augenblicklich 
am  nützlichsten  schien.  Denn  das  bedeutet  es  doch,  wenn 
Perceval  de  Cagny  meldet,  nach  dem  mißglückten  Angriff  auf 
Paris  habe  die  Jungfrau,  den  Tag  zuvor  verwundet,  den  Herzog 
früh  morgens  zu  sich  gebeten,  „par  qui  eile  se  conduisoif.1) 
Diese  Aussage  eines  Mannes,  der  den  von  ihm  unter  diesem 
Gesichtspunkt  zusammengefaßten  Vorgängen  in  der  nächsten 
Umgebung  des  Herzogs  selbst  beigewohnt  hat,  wirft  auf  die 
Stellung  Johannas  ein  eigentümliches  Licht,  stellt  sie  jeden- 
falls nicht  als  die  leitende  Persönlichkeit  dar.  Das  wäre  danach 
vielmehr  der  Herzog  gewesen,  der  sich  geschickt  des  Einflusses 
bediente,  den  die  Lothringerin  auf  seine  Leute  ausübte.  Schon 
in  Orleans  waren  die  Bürger  bald  des  zuversichtlichen  Glaubens 
gewesen,  unter  Johannas  Führung  müsse  alles  nach  Wunsch 
gehen.2)    Deshalb  schlug  der  Herzog  nachher  dem  König  vor, 

1)  S.  168. 

2)  S.  143  a.  E.:   Les  gens  de  la  ville  .  .  .   avoient  ferme  esperance 
que  les  Englais  ne  leur  pourroient  mal  en  sa  compacgnie. 


1''  1.  Abhandlung:  Hans  Trutz 

er  möge  die  Jungfrau  mit  ihm  nach  der  Normandie  ziehen 
lassen.1)  Daß  dies  nicht  geschah,  ist  recht  eigentlich  das  Ver- 
hängnis Johannas  geworden :  denn  so  blieb  gerade  die  stärkste 
Seite  ihres  Wesens  hinfort  ungenutzt.  Der  Berührung  mit 
der  für  sie  begeisterten  Menge  kampffroher  Leute  entrückt, 
wurde  sie  je  länger  je  mehr  zu  einer  ein  Phantasieleben  füh- 
renden Visionärin,  was  sie  anfangs  keineswegs  gewesen  war. 
Und  hier  stehen  wir  wohl  an  dem  Punkte,  von  dem  aus 
wie  einst  für  unbefangen  beobachtende  Zeitgenossen,  so  auch 
für  die  historische  Forschung  und  damit  für  die  Nachwelt 
überhaupt  das  Rätsel  der  Erfolge  der  Jungfrau  seine  sehr  ein- 
fache und  durchaus  natürliche  Lösung  findet.  Seinen  Vor- 
schlag, Johanna  mit  ihm  nach  der  Normandie  ziehen  und  in 
den  Marschen  der  Bretagne  und  Maines  fechten  zu  lassen, 
begründete  nach  Perceval  de  Cagny  der  Herzog  von  Alencon 
damit,  data  man  dann  auf  massenhaften  Zuzug  rechnen  könnte : 
ihrer  Fähigkeit,  den  gemeinen  Mann  zu  begeistern  und  mit 
sich  fortzureissen,  entsprangen  ihre  scheinbar  überirdischen 
Kräfte.  Perceval  de  Cagny  spricht  das  wiederholt  als  seine 
Überzeugung  aus  und  hatte  daher  keinen  Grund  nach  über- 
irdischen Quellen  derselben  zu  suchen  und  ihre  glorreiche  Be- 
tätigung auf  immer  neue  Wunder  zurückzuführen.  Nicht  der 
Glaube  an  den  göttlichen  Auftrag,  in  dem  sie  gekommen, 
nicht  die  Kunde  von  den  ihr  durch  ihre  Heiligen  vermittelten 
himmlischen  Weisungen  und  nicht  die  Überzeugung  von  ihrer 
angeblichen  überlegenen  militärischen  Einsicht,  sondern  der 
Eindruck  ihrer  Persönlichkeit  fesselte  die  sich  ihr  Nahenden 
an  sie,  ließ  sie  von  ihrer  Führung  den  Sieg  hoffen  und  in 
dieser  Zuversicht  wirklich  gewinnen.  So  erstaunlich  Johannas 
Erfolge  auch  ihm  erschienen  und  so  aufrichtig  er  sich  ihrer 
als  einer  gnädigen  Fügung  Gottes  freute,  davon,  daß  er  ge- 
glaubt hätte,  dieselben  seien  auf  übernatürlichem  Wege  zu 
Stande  gekommen  und  ständen  außerhalb  des  menschliche 
Unternehmungen  beherrschenden  Kausalnexus,  findet  sich  bei 
ihm    keine    Spur.     Auch    der    gemeine   Mann,    der    unter    den 

!)  S.  oben  S.  12. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  17 

Schrecken  des  englischen  Krieges  so  lange  gelitten  hatte, 
fragte,  wenn  er  hörte,  was  in  Orleans  geschehen  war,  nicht, 
woher  denn  der  Bäuerin,  die  mit  ihrem  Banner  den  Kriegern 
voranging,  die  Kräfte  gekommen  wären,  denen  sie  den  Sieg 
verdankte,  sondern  war  ohne  Weiteres  davon  überzeugt,  daß 
es  ihr  auch  weiterhin  nicht  fehlen  würde,  und  leistete  ihr  des- 
halb bereitwillig  zum  Angriff  auf  Jargeau  Folge.1)  Wenn  das 
namentlich  auch  die  „Gemeinen",  d.  h.  die  städtischen  Kontin- 
gente taten,  so  war  das  zum  Teil  der  auch  von  Perceval  de 
Cagny  hervorgehobenen  Fähigkeit  der  Jungfrau  zu  danken, 
ihre  Leute  alsbald  in  eine  damals  sonst  unbekannte  Ordnung 
zu  bringen  und  darin  zu  erhalten,  wie  es  ein  Marschall  oder 
Connetable  nicht  besser  gekonnt  hätte.2)  Während  des  Marsches 
gegen  Paris  gab  es  nach  unserm  Gewährsmann  „in  allen  Stän- 
den" niemand,  der  nicht  überzeugt  gewesen  wäre,  sie  werde 
die  Stadt  erobern.3)  Daher  stellt  derselbe  bei  Würdigung  des 
von  der  Jungfrau  bis  zu  dem  Mißerfolg  vor  Paris  Geleisteten 
in  scharfen  Worten  dem  Undank  des  Königs  und  seiner  Räte 
die  begeisterte  Anhänglichkeit  der  „Ritter,  Knappen  und  ge- 
meinen Leute"  entgegen,  die  unter  ihr  den  Krieg  sogar  ohne 
Sold  weiterzuführen  bereit  waren.4)  Wunderbar,  sagt  er  schließ- 
lich bei  dem  Bericht  über  Johannas  Ausgang,  seien  allen,  die 
sich  in  ihrem  Gefolge  befanden,  ihre  Taten  erschienen,  aber 
daß  sie  Wunder  gewesen,  auf  übernatürliche  Weise  vor  sich 
gegangen  seien,  sagt  er  nicht,  weist  vielmehr  bezeichnender 
Weise  darauf  hin,  weil  sie  von  Gott  gesandt  zu  sein  behauptet 
habe,  in  männlicher  Tracht  einhergegangen  und  geritten  sei' 
und  Dinge  gekonnt  habe,  die  sonst  in  Kriegszeiten  Connetable 
und  Marschall  zu  tun  hätten,  sei  von  den  Engländern  alles 
aufgeboten  worden,  um  sie  als  Ketzerin  zu  erweisen,  und  des- 
halb sei  sie  verbrannt  worden;5)  gegen  sie  seien,  so  deutet 
er  dabei  an,  auch  manche  von  ihren  Reden  geltend  gemacht 
worden. 

Von  dem  Glorienschein  einer  auf  Schritt  und  Tritt  Wunder 
wirkenden  und  dauernd  mit  den  Heiligen  in  Verkehr  stehenden 

*)  S.  150.         2)  S.  153  a.  E.         3)  g.  166         4)  g.  172.         5)  S.  179. 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  (1.  bist.  Kl.  Jahrg.  191 7,  1.  Abh.  2 


18  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

Yisionärin,  ohne  den  man  ein  paar  Jahrzehnte  später  in  Frank- 
reich   die  Jungfrau    sich    nicht    mehr   denken  konnte    und  den 
als   berechtigt   zu   erweisen    in    dem  Rehabilitationsprozeß  be- 
rufene und  unberufene  Zeugen  unter  dem  Bann  der  inzwischen 
aus    politischen    Gründen    planmäßig    großgezogenen    Legende 
förmlich  wetteiferten,    findet  sich  nach  alledem  keine  Spur  in 
dem  Bilde,    das    dieser    der  Heldin  im  Leben  so  oft  nahe  ge- 
wesene   schlichte    Soldat    von    ihr    entwirft.     Sie    ist    ihm   von 
Gott  gesandt,    wie  alles  Gute  von  Gott  kommt,  aber  ihr  Tun 
und  Handeln    steht   für   ihn   nirgends    außerhalb    der  Gesetze, 
die  für  Tun  und  Handeln  der  Menschen  maßgebend  sind.    Die 
Jungfrau   ist   bei  ihm    nicht  eine  gottgesandte  Prophetin,    die 
sich    ihrer    himmlischen    Verbindungen    jeden    Augenblick    be- 
wußt ist  und  in  Zweifelfällen  nicht  ohne  eine  gewisse  Selbst- 
gefälligkeit  zu    denselben    ihre  Zuflucht  nimmt,    sondern    eine 
derbe  Bäuerin,  welche  der  erbitternde  Anblick  ihrer  verwüsteten 
Heimat  und  der  Not  der  Ihrigen,  sowie  die  patriotische  Ent- 
rüstung über  das  traurige  Schicksal  ihres  angestammten  Königs 
die  Waffen  zu  ergreifen  gedrängt  haben,    die  aber  erst  durch 
die  ihr  Auftreten  begleitenden  Umstände  zu  einer  allgemeinen 
Bedeutung   erhoben    wurde.     Erst  hinterher  hat  diese  die  po- 
litischen   Tendenzen    verfolgende    Tradition    zu   einer  Art    von 
überirdischer  Erscheinung  gemacht,  sodaß  von  ihrem  ursprüng- 
lichen Wesen    bis   auf  einige  wenige  Züge,    die  nun  natürlich 
höchst  befremdlich   erscheinen,    fast  nichts  übriggeblieben  ist. 
Während  die  legendäre  Jeanne  d'Arc  unausgesetzt  den  Namen 
Gottes  im  Munde  führt  und  fast  jede  der  von  ihr  berichteten 
Reden,  Anordnungen  und  Befehle  mit  den  sie  immer  von  neuem 
als  Sendbotin    des  Himmelskönigs  legitimierenden   „Im  Namen 
Gottes"  —  ,En  nom  De"  —  beginnt,  läßt  Perceval  de  Caguy 
die    ihm    vertraute    geschichtliche   sich  vielmehr  einer  weniger 
heiligen,  aber  naturwüchsigeren  und  zu  ihrer  neuen  Tätigkeit 
und  Lebensweise  besser  passenden  Formel  bedienen,  die  zudem 
auch    ihrem  Publikum    angemessener   war:    „Par  mon  rnartin" 
—    „Bei    meinem    Stab".     Bei   ihm   kommt   die   Beteuerungs- 
formel  so   häufig   und    mit   so   stark   betonter   Absichtlichkeit 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  19 


&* 


vor,1)  daß  man  nicht  daran  zweifeln  kann,  sie  ist  ihm  einst 
besonders  aufgefallen,  hat  sein  Ohr  oft  getroffen  und  ist  von 
ihm  als  besonders  charakteristisch  festgehalten  worden.  Auch 
entspricht  sie  dem  Brauch  der  Zeit,  nach  dem  der  Stab  als 
Sinnbild  des  Kommandos  das  Abzeichen  der  Kapitaine  war. 
La  Hire,  der  sozusagen  klassische  Repräsentant  der  Soldateska 
jener  Zeit,  so  wird  berichtet,  pflegte  nicht  bei  Gott  zu  schwören, 
sondern  bei  seinem  Stab,2)  und  von  der  Jungfrau  heißt  es  in 
dem  ihr  freilich  feindlich  gesinnten  Journal  d'un  bourgeois  de 
Paris,  sie  habe,  wenn  einer  ihrer  Leute  eine  von  ihr  gegebene 
Weisung  nicht  gleich  verstand,  alsbald  mit  ihrem  Stabe  drein- 
geschlagen,  was  freilich  zu  dem  Idealbild  nicht  recht  passen 
will,  das  man  sich  später  von  ihr  zurechtgemacht  hat.  Es 
findet  aber  ein  Seitenstück  in  einem  anderen,  zwar  unwesent- 
lichen, aber  augenscheinlich  ebenfalls  dem  alltäglichen  Leben 
entnommenen  und  als  besonders  charakteristisch  festgehaltenen 
Zug,  der  den  getreuen  Diener  des  Herzogs  von  Alencon  be- 
greiflicherweise besonders  interessierte  und  mit  einem  gewissen 
Stolz  erfüllte.  Das  ist  die  vertrauliche  und  sozusagen  schmeichel- 
hafte Anrede,  mit  der  Johanna  sich  an  den  Herzog  zu  wenden 
pflegte  „mon  beau  duc".3)  Für  die  Zuverlässigkeit  der  An- 
gaben des  Perceval  de  Cagny  über  diese  Dinge  spricht  noch, 
daß  auch  sein  Bericht  über  den  Besuch,  den  die  Jungfrau  der 
Mutter  und  der  Gattin  des  Herzogs  in  Saint-Flourens  bei  Sau- 
mur  machte,  vollkommen  stimmt  mit  den  Angaben,  die  der 
Herzog  selbst  darüber  später  machte:  er  bezeugt  von  neuem 
das  besondere  Vertrauensverhältnis,  das  zwischen  diesem  und 
der  Heldin  bestand.  Wesentlich  beigetragen  wird  dazu  wohl 
die  Zuversicht  haben,  mit  der  Johanna  die  Befreiung  des  Her- 
zogs Karl  von  Orleans,  des  Vaters  der  Herzogin,  aus  englischer 
Gefangenschaft  in  Aussicht  stellte.4) 

Ohne  den  Anspruch  zu  erheben,  eine  Geschichte  der  denk- 


a)  S.  141.  145,  146,  149,  157,  168,  174. 

2)  Proces  III,  S.  206  und  IV,  S.  40  Note. 

3)  S.  149,  151,  165,  168,  vgl.  S.  148  und  Proces  III  S.  96. 

4)  S.  148,  vgl.  Proces  III  S.  96. 

2* 


l!<I  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 


o  • 


würdigen  Vorgänge  zu  schreiben,  von  denen  er  den  einen  in 
dem  Gefolge  seines  hervorragend  daran  beteiligten  Herrn  nicht 
bloß  als  Augenzeuge  sondern  als  Mithandelnder  beigewohnt, 
die  anderen  auf  Grund  authentischer  Mitteilungen  eben  des- 
selben Herrn  genau  kannte,  verdient  Perceval  de  Cagny  auch 
heute  noch  unter  den  zeitgenössischen  Berichterstattern  über 
die  Taten  der  Jungfrau  von  Orleans  den  ersten  Platz  und  darf 
in  weit  höherem  Maße,  als  bisher  geschehen  ist,  als  eine  Auto- 
rität herangezogen  werden,  an  deren  streng  sachlichen,  von 
aller  Schwärmerei  und  Phantasterei  freien  Angaben  die  so 
ganz  anders  gearteten  zu  prüfen  und  auf  das  richtige  Maß 
zurückzuführen  sind,  welche  zwei  Jahrzehnte  später  die  unter 
dem  Bann  der  inzwischen  mächtig  erstarkten  Legende  stehen- 
den Zeugen  des  Rehabilitationsprozesses  den  gerade  solche 
Dinge  zu  hören  begierigen  päpstlichen  Kommissarien  zum 
Besten  gegeben  haben,  um  im  Interesse  der  wieder  auf  dem 
Thron  befestigten  Dynastie  aus  dem  schlichten  Bauernmädchen, 
in  dem  der  Drang  des  von  seinem  König  und  seinen  Fürsten 
im  Stich  gelassenen  französischen  Volkes  zur  Selbsthilfe  sich 
verkörpert  hatte,  eine  ihres  himmlischen  Berufes  allzeit  be- 
wußte Prophetin  zu  machen:  das  Bild  der  geschichtlichen 
Jeanne  d'Arc  ist  uns  am  besten  und  eigentlich  allein  bei  Per- 
ceval de  Cagny  erhalten. 

II.  Poitiers. 

Wenn  Jeanne  d'Arcs  Kaplan,  der  Augustiner-Eremiten- 
mönch Jean  Pasquerel  aus  Bayeux,  auf  Grund  der  ihm  von 
der  Jungfrau  selbst  gemachten  Mitteilungen  deren  Aufenthalt 
und  Prüfung  zu  Poitiers  vor  ihren  Empfang  durch  Karl  VII. 
zu  Chinon  setzt,1)  so  liegt  da  offenbar  eine  Verwechselung  vor 
mit  ihrem  zweiten,  ganz  flüchtigen  Besuch  daselbst,  der  auf 
dem  Wege  von  Poitiers  nach  Tours  und  weiter  nach  Blois 
stattfand,    also   nachdem    der  Hof  beschlossen   hatte,    die    ihm 


l)  Vgl.  H.  Prutz,  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans 
in  diesen  Sitzungsberichten  1913,  Abb.  2  S.  73. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  21 

im  Augenblick  der  höchsten  Not  so  überraschend  erschienene 
Retterin  trotz  der  noch  immer  obwaltenden  Bedenken  ihr  Glück 
vor  Orleans  versuchen  zu  lassen.  Immerhin  ist  damit  die  Mög- 
lichkeit gegeben,  daß  der  eine  oder  der  andere  von  den  neben- 
sächlichen Zügen,  welche  die  Zeugen  des  Rehabilitationspro- 
zesses aus  den  Tagen  von  Chinon  zu  berichten  wissen,  zu 
diesem  zweiten  Aufenthalt  gehört  und  nur  versehentlich  zu 
dem  ersten  erzählt  worden  ist.  Bei  beiden  kann  es  sich  nur 
um  einige  wenige  Tage  gehandelt  haben,  bei  dem  zweiten  so- 
gar wohl  nur  um  eine  flüchtige  Durchreise.  Denn  das  allein 
würde  der  Situation  entsprechen,  da  Johanna,  die  schon  wäh- 
rend des  Aufenthalts  in  Poitiers  in  wachsender  Ungeduld  täg- 
lich in  den  König  gedrungen  war  sie  nach  Orleans  zu  schicken,1) 
sicherlich  nicht  noch  mehr  kostbare  Zeit  wird  ungenutzt  haben 
verstreichen  lassen  wollen,  sondern  sich  beeilt  haben  wird  nach 
Blois  zu  kommen,  wo  die  zum  Zug  nach  Orleans  bestimmten 
Mannschaften  und  Vorräte  gesammelt  wurden,  worüber  ohne- 
hin noch  wieder  längere  Zeit  vergehen  mutete.  Die  Vorgänge 
im  einzelnen  chronologisch  genau  festzulegen  ist  freilich  nicht 
möglich,  doch  kann  über  den  Zeitraum,  den  sie  insgesamt 
füllten,  kein  Zweifel  obwalten. 

Durch  die  übereinstimmenden  Zeugenaussagen  in  dem  Re- 
habilitationsprozeß und  die  damit  im  Einklang  stehenden  An- 
gaben der  sonstigen  Quellen  ist  sicher,  daß  von  dem  Erscheinen 
Johannas  in  Chinon  bis  zu  dem  Eingehen  des  lange  schwan- 
kenden Königs  auf  ihren  Antrag  im  ganzen  ein  Monat  ver- 
flossen ist,  wovon  etwa  drei  Wochen  auf  den  Aufenthalt  und 
die  Prüfung  zu  Poitiers  entfielen.2)    Wenn  Johanna  demnach 


1)  Bericht  des  Greffier  von  La  Rochelle  in  der  Revue  historique  IV 
S.  337:  .  .  .  .  en  poursuivant  chacun  jour  le  Roy,  qu'il  mandast  les  gens 
pour  aller  lever  le  siege. 

2)  Proces  III  S.  4:  ...  .  transacto  triuru  hebdomadarum  aut  unius 
mensis  spatio  ....  Ebd.  S.  17:  examinata  spatio  triurn  septimanarum 
aut  amplius  Pictavis  quam  Caynone.  Vgl.  I  S.  75:  quod  per  fcres  heb- 
domadas  fuit  interrogata  apud  villas  de  Chinon  et  Pictavis.  Vgl.  Moro- 
sini III  S.  99:  par  l'espace  de  mois. 


--  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 


.-i  • 


wie  meistens  angenommen  wird,  am  6.  März  in  Chinon  an- 
kam, so  würde  ihr  erster,  längerer  Aufenthalt  daselbst  unge- 
fähr die  Tage  bis  zum  13.  März  umfaßt  haben,  der  dann  fol- 
gende längere  in  Poitiers,  wo  damals  auch  der  Hof  verweilte,1) 
etwa  am  5.  April  zu  Ende  gegangen  sein. 

I. 

Was  nun  die  Vorgänge  betrifft,  die  sich  während  dieser 
drei  Wochen  in  Poitiers  abspielten,  so  ist  von  vorneherein  fest- 
zustellen, daß  die  Tradition  da  ganz  ebenso  wie  bei  dem  von 
ihr  entwickelten  und  festgehaltenen  Bilde  von  dem  Auftreten 
Johannas  zu  Chinon  Züge  aufgenommen  und  weitergegeben 
hat,  die  dem  wirklich  Geschehenen  fremd  sind  und  sich  bei 
näherer  Prüfung  als  frei  erfundene  Schöpfungen  der  Phantasie 
fernerstehender  Zeitgenossen  und  nachlebender  Berichterstatter 
erweisen.  Die  dadurch  erzeugten  falschen  Vorstellungen  haben 
dann,  wie  das  in  solchen  Fällen  so  leicht  geschieht,  nach  rück- 
wärts die  Wirkung  gehabt,  daß  man  auch  dem  Wortlaut  der 
zeitgenössischen  Quellen  befangen  gegenüberstand  und  ihn  un- 
willkürlich möglichst  so  deutete,  wie  er  gedeutet  werden  mußte, 
um  mit  der  nun  einmal  eingebürgerten  Tradition  scheinbar  in 
Einklang  zu  stehen.  In  dem  Mistere  du  siege  d'Orleans  er- 
scheint die  Jungfrau,  um  dem  Willen  des  Königs  gemäß  noch- 
mals geprüft  zu  werden  und  den  himmlischen  Ursprung  ihrer 
Aufträge  zu  erweisen,  vor  dem  versammelten  Parlament  und 
wird  von  dessen  Präsidenten  und  Räten  befragt  und  hat  mit 
den  hohen  Herren  eine  längere  Zwiesprache2):  mit  dieser  einen 
Zusammenkunft  ist  die  Sache  abgetan  und  der  Ritt  nach  Blois 
wird  angetreten.  In  Wahrheit  aber  hat  es  sich  bei  der  Prü- 
fung in  Poitiers  um  ein  längere  Zeit  beanspruchendes,  jedoch 
zwangloses  und  sozusagen  formloses  Verfahren  gehandelt,  dem 
erst  nachträglich  in  der  Tradition  ein  anderer  Charakter  ge- 
geben worden  ist,  während  es  als  staatliche  Aktion  höchstens 


1)  Proces  III  S.  74:  stetit  ipsa  Johanna  in  villa  Pictavensi  totideni 
sicut  fecit  rex. 

2)  Mistere  du  siege  d'Orleans  S.  366  Vers  10167  bis  S.  405  Vers  10407. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  23 

in  seinem  Schluß  gelten  konnte,  der  Abgabe  eines  Gutachtens 
durch  die  Teilnehmer  an  der  Prüfung  vor  dem  königlichen  ge- 
heimen Rate  und  dessen  Meinungsäußerung  darüber  dem  König 
gegenüber,  auf  Grund  deren  dann  dieser  seine  weiteren  Ent- 
schlüsse faßte.  Wenn  statt  dessen  die  Tradition  Johannas  Prü- 
fung vor  dem  seit  1418  aus  Paris  nach  Poitiers  verlegten 
Parlament  vor  sich  gehen  läßt,  so  verfährt  sie  willkürlich  und 
unlogisch,  da  es  zweifelhaft  sein  konnte,  ob  die  in  Poitiers 
versammelten  dürftigen  Bruchteile  des  höchsten  Gerichtshofs, 
die  wegen  ihrer  königtreuen  Gesinnung  vor  der  Gewaltherr- 
schaft der  englischen  und  der  burgundischen  Partei  aus  der 
Reichshauptstadt  geflohen  waren  und  in  Poitiers  in  Not  und 
Entbehrungen  aller  Art  ein  mit  ihrem  hohen  Amt  übel  kon- 
trastierendes kümmerliches  Leben  führten,1)  als  vollberechtigte 
Träger  der  dem  Pariser  Parlament  beiwohnenden  Autorität 
gelten  konnten,  außerdem  aber  feststand,  daß  sie  für  die  Frage, 
die  es  hier  zu  entscheiden  galt,  durchaus  inkompetent  waren 
und  für  ihren  Spruch  eine  allgemein  geltende  Autorität  nicht 
beanspruchen  konnten.  Wenn  ferner  spätere  Berichterstatter 
die  Sache  sich  so  zurechtlegten,  als  hätte  es  sich  um  eine 
Untersuchung  von  Johannas  Angaben  durch  die  gelehrten 
Herren  der  Universität  gehandelt,  so  ist  demgegenüber  fest- 
zuhalten, daß  zwar  von  den  Pariser  theologischen  und  juristi- 
schen "Professoren  manche  sich  ebenfalls  nach  Poitiers  zurück- 
gezogen hatten  und  dort  vielleicht  auch  irgendwie  lehrend 
tätig  waren,2)  daß  aber  eine  als  solche  anerkannte  und  mit 
den  entsprechenden  Privilegien  ausgestattete  Universität  da- 
mals dort  noch  nicht  bestand:  sie  ist  erst  1432  durch  Papst 
Eugen  IV.  errichtet  worden.  Tatsächlich  sind  denn  auch  an 
dieser   neuen  Prüfung   der  Jungfrau   in  erster  Linie  dieselben 


x)  France  I  S.  215  ff.  und  D.  Neuville,  Le  Parlement  royal  ä  Poi- 
tiers 1418-36  in  der  Revue  historique  VI  S.  128  ff.  und  S.  272  ff. 

2)  So  erklärt  sich  auch  wohl  Pasquereis  Angabe  Proces  III  S.  102, 
Johanna  sei  nach  Poitiers  geschickt  „ad  examinandum  per  clericos  ibi- 
dem in  universitate  existentes":  zur  Zeit  seiner  Aussage  gab  es  in  Poi- 
tiers bereits  wirklich  eine  Universität. 


-  I  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

Männer  beteiligt  gewesen,  welche  sie  bereits  in  Chinon  ge- 
prüft hatten,  freilich  unter  Zuziehung  auch  noch  anderer,  die 
man  nach  ihrer  Stellung  und  nach  ihren  Beziehungen  zum 
Hof  für  berufen  hielt  in  dieser  Angelegenheit  mitzureden.  Die 
Herren  entledigten  sich,  wie  die  späteren  Zeugenaussagen  deut- 
lich erkennen  lassen,  ihres  Auftrags  nun  aber  nicht  so,  daß 
sie  sich  zu  gemeinsamen  Sitzungen  vereinigt  hätten,  um  die 
Jungfrau  zu  vernehmen,  sondern  indem  sie  in  größeren  oder 
kleineren  Gruppen  und  wohl  auch  von  neugierigen  Höflingen 
und  Kriegern,  gelegentlich  auch  von  niedriger  gestellten  Leuten 
begleitet,  Johanna  in  ihrem  Quartier  aufsuchten  und  dort  mit 
ihr  eine  längere  Unterhaltung  führten.  Von  irgendwelchem 
sozusagen  amtlichen  Apparat,  der  Mitwirkung  von  protokoll- 
führenden Schreibern  usw.  ist  nichts  erkennbar.  Dennoch 
scheinen  Aufzeichnungen  über  die  mit  Johanna  geführten  Ge- 
spräche gemacht  und  wenigstens  die  wichtigsten  von  deren 
Antworten  schriftlich  festgehalten  worden  zu  sein.  Wenigstens 
nimmt  die  Jungfrau  gegenüber  ihren  Richtern  zu  Rouen  wie- 
derholt auf  solche  Bezug  und  wünscht  die  Richtigkeit  ihrer 
Aussagen  durch  Vorlegung  des  über  ihr  Verhör  zu  Poitiers 
geführten  Protokolls  erweisen  zu  können,1)  knüpft  daran  je- 
doch einmal  Zweifel,  ob  das  Gott  genehm  sein  würde.2)  Da 
aber  solcher  Aufzeichnungen  sonst  nirgends  Erwähnung  ge- 
schieht, liegt  auch  die  Möglichkeit  vor,  Johanna  sei  ihrerseits 
der  Meinung  gewesen,  es  seien,  wie  in  ähnlichen  Fällen  sonst 
üblich,  zu  Poitiers  derartige  Aufzeichnungen  gemacht  worden, 
während  es  tatsächlich  nicht  der  Fall  war. 

Fehlte    demnach    in   Poitiers    eine  Universität,    deren   ge- 
lehrte Theologen  und  Juristen  in  der  Sache  des  lothringischen 


*)  Proces  I  S.  71:  Si  de  hoc  faciatis  dubium,  mittatis  Pictavis,  ubi 
alias  fui  interrogata.  S.  72:  Si  vero  non  credatis  mihi,  vadatis  Pictavis. 
S.  94:  Est  illud  scriptum  in  villa  Pictavensi.  Nicht  ganz  deutlich  ist 
die  Äußerung  S.  71:  Et  una  rnaior  pars  illius,  quod  angelus  ipsam  do- 
cuit,  est  in  libro. 

2)  Ebd.  S.  73:  quod  bene  vellet,  quod  interrogans  haberet  copiam 
illius  libelli,  qui  est  apud  Pictavis,  dummodo  Deus  sit  de  hoc  contentus. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  25 

Bauernmädchens  ein  Gutachten  hätten  abgeben  können,  das 
wenigstens  innerhalb  der  königlichen  Partei  und  bei  dem  zu 
seinem  angestammten  Herrscherhaus  stehenden  Teil  des  fran- 
zösischen Volks  der  Anerkennung  sicher  gewesen  wäre,  und 
war  der  dort  verweilende  oberste  Gerichtshof  des  Reichs  sich 
in  dieser  Sache   autoritativ   zu  äußern    überhaupt  inkompetent 

—  tatsächlich  erscheint  denn  auch  von  den  in  jener  Zeit  nach- 
weisbaren Parlamentsräten  keiner  unter  den  mit  der  Prüfung 
Johannas  beauftragten  Gutachtern  — ,  so  entsteht  die  Frage, 
was  Karl  VII.  denn  eigentlich  bestimmt  haben  mag,  die  so 
dringend  nötige  Entscheidung  gerade  dorthin  zu  verlegen  und 

—  was  ja  gar  nicht  nötig  gewesen  wäre  —  sich  mit  seinem 
Hofe  und  der  diesem  folgenden  höchsten  Beamtenschaft  dort- 
hin zu  begeben.  Entfernte  er  sich  damit  doch  noch  weiter 
von  dem  Punkte,  wo  das  Schicksal  seines  Reiches  auf  des 
Messers  Schneide  stand  und  die  sich  so  überraschend  anbie- 
tende Retterin  sich  zunächst  betätigen  wollte.  Denn  als  Haupt- 
stadt Frankreichs,  die  ohne  weiteres  an  die  Stelle  von  Paris 
zu  treten  gehabt  hätte,  konnte  Poitiers  damals  doch  auch  nicht 
gelten,  nicht  einmal  in  dem  Sinn,  in  dem  während  der  letzten 
Jahre  Karl  VIL,  zunächst  zum  Spott,  König  von  Bourges  ge- 
nannt worden  war.  Die  Reise  des  Hofes  dorthin  erscheint 
unter  den  damaligen  Umständen  so  absonderlich  und  der  Lage 
so  unangemessen,  daß  man  auf  die  Vermutung  geführt  wird, 
ihr  haben  ganz  besondere  Motive  zu  Grunde  gelegen  und  sie 
habe  nur  äußerlich  mit  dem  Auftreten  der  Jungfrau  zusammen- 
gehangen. 

Die  Lage  Karls  VII.  war  gerade  damals  wahrhaft  ver- 
zweifelt, und  wenn  im  Anschluß  an  die  legendäre  Erzählung 
von  einem  der  Jungfrau  durch  ein  Wunder  bekannt  gewor- 
denen Gebet  des  Königs1)  nachmals  die  Rede  ging,  Karl  habe, 
entschlossen  sich  in  das  von  Gott  über  ihn  verhängte  Schick- 
sal in  Demut  zu  fügen,  beabsichtigt  Thron  und  Reich  im  Stich 
zu  lassen  und  sein  Leben  als  Privatmann  in  dem  Lande  eines 


l)  Prutz,  a.  a.  0.  S.  93  ff. 


Ji-'  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

seiner  Verbündeten,  also  in  Kastilien  oder  Schottland,    zu  be- 
endigen,  so  wäre  die  Ausführung  dieses  Vorhabens  allerdings 
gerade    damals    besonders    angezeigt    gewesen.     Erkennt    doch 
selbst  das  Gutachten,  durch  das  die  zur  Prüfung  dieser  Sache 
in    Poitiers   bestellten    Herren    dem  König   empfahlen    auf  die 
Vorschläge  der  Lotbringerin  einzugehen,  ausdrücklich  an,  daß 
alle  anderen  Mittel  zur  Abwendung  des  drohenden  Unheils  er- 
schöpft seien  und  man  schon  deshalb  diese  letzte  sich  bietende 
Möglichkeit  nicht  unversucht  lassen  dürfe. l)    Unter  diesen  Um- 
ständen  gewinnt  nun  eine  Notiz  besondere  Bedeutung,  die  sich 
in    einer   bis    auf  wenige  Bruchstücke   verlorenen    zeitgenössi- 
schen   Quelle    findet    und    als  Grund    für    die  Reise    des  Hofes 
nach    Poitiers    geradezu   des  Königs  Absicht   angibt   nach   La 
Rochelle  zu  gehen    und    sich   dort   zur  Flucht  aus  dem  Lande 
einzuschiffen. 

Diese  bisher  nicht  gebührend  beachtete  Angabe  stammt 
aus  der  Chronik  des  schottischen  Benediktiner-Klosters  Dun- 
fermline2)  und  ist  bereits  von  Quicherat3)  veröffentlicht  worden. 
Diese  am  Firth  of  Forth  gelegene  Abtei  hatte  seit  ihrer  Grün- 
dung im  elften  Jahrhundert  dem  schottischen  Königshause 
nahegestanden,  von  ihm  vielerlei  Gunst  erfahren  und  ihm  da- 
her auch  weiterhin  manche  nützliche  Verbindung  zu  verdanken 
gehabt.  Ihre  Mönche  dürften  infolgedessen  Gelegenheit  ge- 
habt haben,  Dinge  von  allgemeinem  Interesse  zu  hören  und 
zu  sehen,  was  der  von  ihnen  gewissenhaft  geführten  Kloster- 
chronik zu  gute  kam.  So  sind  in  diese  auch  Mitteilungen 
eines  Klosterbruders  gekommen,  der  nicht  bloß  zur  Zeit  des 
Auftretens  der  Jungfrau  in  Frankreich  verweilt  und  sie  mit 
eigenen  Augen  gesehen,  sondern  sich  selbst  in  ihrem  Gefolge 
befunden  hatte,  also  als  Augenzeuge  berichten  konnte.4) 


!)  Vgl.  Proces  III  S.  83,  391/92;  IV  S.  487.    Ayroles,  La  vraie  Jeanne 
d'Arc  I  S.  685  ff.     Es  wird  später  noch  besonders  zu  behandeln  sein. 

2)  So  heißt  es  in  der  Encyclopaedia  Britannica  VIII  S.  678 :  Quiche- 
rat schreibt  Dunfermiling. 

3)  Proces  IV  S.  482/83  und  V  S.  339  ff. 

*)  In  dem  von  Quicherat,  Proces  IV  S.  483  ff.  mitgeteilten,  damals 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  27 

Daß  ein  schottischer  Mönch  aus  einem  dem  dortigen  Kö- 
nigshaus nahestehenden  Kloster  damals  nach  Frankreich  kam 
und  dort  in  den  Kreis  gelangte,  in  dem  Johanna  zunächst  auf- 
trat, kann  nicht  wundernehmen,  wenn  man  die  enge  Verbin- 
dung erwägt,  die  damals  aus  politischen  Gründen  zwischen 
beiden  Reichen  bestand,  und  sich  erinnert,  daß  der  künftige 
Erbe  des  französischen  Thrones  nicht  lange  danach  mit  einer 
schottischen  Prinzessin  vermählt  wurde.  Auch  zeigt  sich  der 
Berichterstatter  in  dem,  was  er  über  Frankreichs  Zustände  und 
über  die  Persönlichkeit  und  die  Lebensgewohnheiten  Karls  VII. 
mitteilt,  wohl  unterrichtet:  er  betont  desselben  bigotte  Fröm- 
migkeit, erwähnt,  daß  er  täglich  beichtete  und  dreimal  die 
Messe  hörte  und  häufig  das  Abendmahl  nahm.1)  Er  scheint 
am  Hofe  Bescheid  gewußt  zu  haben,  und  daß  er  nicht  zu  dem 
bald  bedenklich  anwachsenden  Stab  schwärmender  Mönche  ge- 
hört hat,  die  sich  um  Johanna  sammelten,  und  deren  Einfluß 
auf  die  Menge  weniger  im  Dienst  der  nationalen  Sache  als 
zur  Förderung  ihrer  eigenen  phantastischen  Projekte  benutzten, 
möchte  man  aus  der  Art  entnehmen,  wie  er  von  der  Heldin 
spricht:  überzeugt  von  dem  himmlischen  Ursprung  ihrer  Mis- 
sion, war  er  doch  unbefangen  genug,  um  sie  ohne  den  Glorien- 
schein, der  sie  selbst  für  die  ihr  im  täglichen  Leben  Nahe- 
kommenden umgab,  in  ihrer  beschränkten  Menschlichkeit  zu 
sehen.  Nach  ihm  hätte  ihr  unscheinbares  Äußere  wenig  zu 
dem  gestimmt,  was  sie  zu  vollführen  berufen  sein  sollte,  und 
von  ihren  geistigen  Gaben  hat  auch  er  nur  eine  sehr  geringe 
Vorstellung.2)  Unter  diesen  Umständen  ist  es  zu  bedauern,  daß 
die  einzige  Handschrift,  in  der  die  Chronik  von  Dunfermlin  auf 


allein  bekannten  Stück  der  französischen  Übersetzung  der  Chronik,  die 
im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  für  John  Stuart,  Herzog  von  Albany 
und  Regenten  Schottlands,  angefertigt  worden  ist,  heißt  es:  .  .  .  .  la- 
quelle  (d.  i.  Johanna)  j'ay  veu  et  cogneu  et  avec  eile  ay  este  en  ses  con- 
questes  et  recuperation  et  ä  sa  vie  suis  toujours  este  present  et  ä  sa  fin. 

!)  Ebd.  IV  S.  340. 

2)  Proces  V  S.  340/41:  Gott  schickte  dem  König  auf  sein  Gebet: 
„ancillam,  virginem,  puellam,  homnium  creaturarum  ante  hoc  pusillanimis- 
simam  et  spiritu  pauperrimam,  corpore  etiam  exiguam  et  pusillam"  usw. 


28  1.  Abhandlung:   Hans  Prutz 

uns  o-ekommen  ist,    gerade  da  abbricht,  wo  der  Verfasser  die 
von  ihm  verheißene1)  ausführliche  Darstellung  der  Taten  und 
des  Endes  der  Jungfrau  beginnen  will.2)    Immerhin  wird  nach 
dem,    was   aus   den    davon   erhaltenen  Bruchstücken    über  den 
Autor   und    den  Wert   seiner  Mitteilungen    zu    erschließen  ist, 
seiner  Angabe  über  den  Grund  der  Reise  Karls  VII.  und  seines 
Hofes  nach  Poitiers,  die  in  anderer  Weise  kaum  genügend  zu 
erklären  ist,3)  Glauben  beigemessen  werden  dürfen:  angesichts 
des   drohenden  Falls   von  Orleans,    dem    alsbald  der  Einbruch 
der  Engländer   in    die  Landschaften   südlich    der  Loire   folgen 
mußte,  wollte  der  König  nach  La  Rochelle  gehen,  um  von  dort 
über   See    zu   fliehen.4)     Der  Weg    dorthin    führt   von  Chinon 
über  Poitiers.    Erst  die  Wendung,  die  dort  in  der  Angelegen- 
heit der  Jungfrau  eintrat,  hatte  den  Verzicht  auf  diesen  Plan 
und  die  Rückkehr  über  die  Loire  zur  Folge.    Die  Rettung  der 
Loirefestung  und  der  folgende  glänzende  Feldzug  wandten  das 
Schicksal  Frankreichs  und  veranlaßten  den  König  seinen  Plan 
aufzugeben.     Ein    absonderliches  Licht    endlich    wirft    auf   die 
Reise  nach  Poitiers  die  Tatsache,    daß  man  Johanna  offenbar 
nicht  einmal  sagte,  wohin  man  sie  führte.     Sie  beweist  seh la- 
bend die  Zweideutigkeit  und  Perfidie  der  leitenden  Kreise  des 
Hofes.    Denn  wie  könnte  sonst  in  die  Tradition,  wie  sie  später 
festgestellt   wurde,    der  Zug   gekommen   sein,    erst  unterwegs, 
durch  göttliche  Offenbarung  habe  die  Jungfrau  erfahren,    wo- 


!)  Ebd.  S.  341:  de  cujus  adventu  et  de  mirabilibus  operibus  eius 
declarabitur  ad  longum  in  sequentibus. 

2)  Ebd.  S.  342:  Sequi tur  de  initiis  Puellae  mirabilis  provisione  di- 
vina  missae  ad  suecursum  Franciae  et  de  actibus  eiusdem.  Wenige  Zeilen 
danach  bricht  das  Manuskript  ab. 

3)  Denn  auch  wenn  in  dem  Journal  du  siege,  Proces  IV  S.  128  (Ed. 
S.  48)  als  Grund  angegeben  wird  „comnie  aussy  affin  de  trouver  argent 
pour  luy  bailler  gens",  handelt  es  sich  doch  nur  um  einen  Rückschluß 
des  Berichterstatters,  da  tatsächlich  in  der  nächsten  Zeit  diese  Sorge 
eine  Hauptrolle  spielte. 

4)  Ebd.  S.  340:  .  .  et  sie  appropinquando  se  ad  Rupellam,  ubi  ipse 
intendebat  ascendere  navem,  civitatem  fortissimam  totius  Franciae,  trans- 
mutando  locum  usw. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  29 

hin  man  sie  führte,  und  sei  dadurch  zu  dem  Ausruf  veranlaßt 
worden,  sie  wisse  wohl,  daß  sie  in  Poitiers  viel  zu  tun  haben 
werde,  hoffe  aber  auf  Gottes  Hilfe.1)  Um  den  Ort,  wohin  die 
Reise  ging,  trotz  dem  darüber  beobachteten  Geheimnis  zu  er- 
fahren, bedurfte  es  für  Johanna  allerdings  keines  Wunders  und 
keiner  Offenbarung:  den  hat  sie  sicher  von  den  gemeinen  Leu- 
ten, die  ihrer  Eskorte  beigegeben  waren,  mit  Leichtigkeit  er- 
fahren. 

Daß  auch  über  die  Vorgänge  in  Poitiers  von  seiten  der 
Regierung  alsbald  ein  offiziöser  Bericht  verbreitet  oder  genauer 
gesagt  das  dort  Geschehene  in  demjenigen  kurz  erwähnt  wurde, 
der  unter  Mitteilung  des  Ergebnisses  der  Prüfung  und  des 
darauf  gegründeten  Gutachtens  des  königlichen  geheimen  Rates 
zur  Rechtfertigung  des  gefaßten  Beschlusses  zur  Ausgabe  ge- 
langte, läßt  schon  die  Bemerkung  eines  aufmerksamen  und 
wohlunterrichteten  Korrespondenten  des  Venetianers  Antonio 
Morosini  erkennen,  von  dieser  Sache  werde  noch  sehr  viel 
mehr  erzählt,  als  geschrieben  sei.2)  Es  bestätigt  die  Ähnlich- 
keit des  Wortlauts  einzelner  chronikalischer  Quellen,  deren 
Verfassern  offenbar  Exemplare  dieser  auch  über  Frankreich 
hinaus  verbreiteten  Blätter  vorgelegen  haben  müssen,  während 
besonders  wichtige  Stücke  daraus,  wie  Johannas  Brief  an  die 
Engländer  und  das  Gutachten  des  geheimen  Rates,  von  spä- 
teren Berichterstattern  wörtlich  übernommen  worden  sind.  Hier 
liegt  wohl  auch  der  Grund  dafür,  daß  man  sich  von  der  Art 
des  zu  Poitiers  eingeschlagenen  Verfahrens  meist  ein  falsches 
Bild  gemacht  hat,  indem  man  von  der  Gelehrsamkeit  der  dort 
zu  urteilen  berufenen  Herren  auf  den  Inhalt  der  Prüfung 
schließend  und  im  Hinblick  auf  den  augenfälligen  Erfolg,  den 
die  Jungfrau  dabei  davon  getragen,  sich  dasselbe  als  eine  theo- 
logische Disputation  dachte3)  und  in  Johanna  eine  neue  hei- 
lige  Katharina   erstanden   wähnte,    die   vermöge   über   sie  ge- 


1)  Journal  du  siege,  Proces  IV  S.  128. 

2)  Moro9ini  III   S.  100:    erzählt   werden    „beaucoup   d'autres   choses 
qui  ne  sont  pas  ecrites". 

3)  Ebd.  S.  99:   „a  disputer  avec  eile  et  ä  eprouver  de  raille  nianieres"- 


30  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

kommener  himmlischer  Erleuchtung  alle  ihr  gelegten  Schlingen 
vermied  und  die  ihr  mißtrauisch  entgegentretenden  Herren 
nötigte  sich  bewundernd  vor  ihr  zu  beugen.1)  Das  macht  es 
begreiflich,  daß  selbst  ein  Mann  wie  Alain  Chartier  den  Akt 
als  eine  glänzend  verlaufene  theologische  Disputation  sich  vor- 
stellte und  in  beredten  Worten  schilderte,2)  und  weiterhin  das 
schwerfällige  Mistere  du  siege  d'Orleans,  den  Sachverhalt  noch 
weiter  verkehrend,  Johanna  vor  versammeltem  Parlament  be- 
fragt und  als  Gesandte  Gottes  anerkannt  werden  läßt.3) 

Im  übrigen  sind  wir  auch  in  Bezug  auf  den  dreiwöchigen 
Aufenthalt  der  Jungfrau  in  Poitiers  über  gleichgültige  Äußer- 
lichkeiten und  geringfügige  Nebendinge  zum  Teil  genauer  un- 
terrichtet als  über  die  Vorgänge,  die  für  die  fernere  Entwicke- 
lung  ihrer  Stellung  entscheidend  wurden,  obgleich  auch  diese 
sich  wenigstens  znm  Teil  vor  einer  gewissen  beschränkten 
Öffentlichkeit  abgespielt  zu  haben  scheinen.  Einquartiert  war 
Johanna  in  einem  einst  einer  Familie  namens  Rosier  gehörigen 
und  deshalb  angeblich  „zur  Rose"4)  genannten  Haus,  in  dem 
der  mit  dem  Parlament  von  Paris  übersiedelte  Generalproku- 
rator Jean  Rabateau  mit  den  Seinen  ein  bescheidenes  Unter- 
kommen gefunden  hatte.5)  Seiner  Frau  wurde  sie  zu  beson- 
derer Obhut  anempfohlen,6)  und  diese  beobachtete,  wie  sie 
täglich  nach  Tisch  lange  Zeit  im  Gebet  auf  den  Knien  lag 
und  auch  häufig  in  der  Stille  der  Nacht  eine  in  dem  Hause 
befindliche  Kapelle  aufsuchte.7)  Daß  das  Haus  „zur  Rose", 
seit  bekannt  wurde,    welchen  Gast  es  beherbergte,    von  vielen 

!)  Ebd.  S.  58:  „mais  rien  ne  se  voit  clairement  conime  sa  victoire 
sans  conteste  dans  la  discussion  avec  les  maitres  de  tkeologie,  si  bien, 
qu'il  seinble,  en  eile  soit  une  autre  sainte  Catherine  venue  sur  la  terre. 

2)  Vgl.  Prutz,  a.  a.  0.  S.  23. 

3)  S.  405  ff.  Vers  10407  ff.;  vgl.  oben  S.  22. 

4)  Vgl.  die  Aussage  Proces  IV  S.  537. 

5)  Proces  III  S.  19,  74,  82  und  203;  Rabateau  (1375—1444)  war  Prä- 
sident einer  Kammer  des  Pariser  Parlaments  und  fungierte  zeitweilig  als 
Kanzler. 

8)  Ebd.  IV  S.  209. 
7)  Ebd.  IV  S.  82/83. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  31 

Leuten,  auch  solchen,  die  mit  der  Sache  gar  nichts  zu  tun 
hatten,  sondern  nur  ihre  Neugier  befriedigen  wollten,  aufge- 
sucht wurde,  ist  selbstverständlich  und  scheint  von  den  mit 
der  Prüfung  Beauftragten  nicht  nur  nicht  gehindert,  sondern 
gern  gesehen  worden  zu  sein.  Denn  um  zu  einem  Urteil  über 
das  wunderbare  Mädchen  zu  kommen,  galt  es  dessen  gesamtes 
Gebahren,  seine  Reden  und  Antworten  und  auch  seine  kör- 
perlichen Zustände  zu  beobachten.1)  Daher  scheint  man  den 
Verkehr  mit  Johanna  ziemlich  freigegeben  zu  haben.2) 

II. 

Um  eine  einigermaßen  richtige  Anschauung  von  dem  zu 
gewinnen,  was  bei  der  Prüfung  Johannas  in  Poitiers  eigentlich 
vorging,  und  davon  zu  scheiden,  was  zeitgenössisches  Mißver- 
ständnis  unrichtig  gedeutet  oder  volkstümliche  Übertreibung 
entstellt  oder  die  später  emporschießende  Legende  wohl  gar 
frei  hinzugedichtet  hat,  wird  es  sich  empfehlen  von  dem  aus- 
zugehen, was  an  den  damaligen  Vorgängen  als  mithandelnde 
oder  als  Augen-  oder  Ohrenzeugen  beteiligte  Personen  später 
darüber  zu  berichten  wußten,  und  damit  die  nachmals  allge- 
mein rezipierte  Darstellung  zu  vergleichen. 

Glücklicherweise  liegen  in  dem  Rehabilitationsprozeß  Aus- 
sagen auch  von  solchen  Leuten  vor,  allerdings  nur  eine  ein- 
zige von  einem  der  Theologen,  welche  durch  eingehende  Ge- 
spräche mit  der  Jungfrau  dem  königlichen  geheimen  Rat  das 
Material  schaffen  sollten,  um  über  die  Annahme  oder  Ableh- 
nung des  erstaunlichen  Anerbietens  des  lothringischen  Bauern- 
mädchens zu  entscheiden.  Es  ist  das  die  des  Predigermönchs 
Seguin  Seguini,    Professors  der  Theologie    und  zur  Zeit  seines 


!)  Morosini  III  S.  299:  ....  ä  l'eprouver  de  mille  manieres,  ä  l'ob- 
server  meine  dans  les  miseres  du  corps  et  dans  les  paroles  qu'elle  adres- 
sait  a  ces  gentils-hommes,  et  enfin  par  les  grands  maitres  de  theologie. 

2)  Vgl.  die  Angabe  des  Perceval  de  Cagny  (ed.  Moravillers)  S.  140: 
.  .  .  .  fut  tres  grandement  examinee  des  clercs  et  theologiens  et  autres 
et  Chevaliers  et  escuiers.  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV  S.  211: 
.  .  .  .  le  lendemain  y  allerent  plusieurs  notables  personnes  tant  des  pre- 
sidents  et  conseillers  du  parlement  que  d'autres  de  divers  estats. 


32  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

Verhörs  Dekans  der  theologischen  Fakultät  der  1432  errichte- 
ten Universität  zu  Poitiers,  eines  Limousiners:  dem  damals  Sieb- 
zigjährigen waren  die  Vorgänge,  deren  Teilnehmer  er  1429 
gewesen  war,  offenbar  sehr  lebendig  im  Gedächtnis  geblieben 
—  begreiflich  genug,  da  er  dabei  die  gelegentlich  fast  kecke 
Schlagfertigkeit  Johannas  auf  seine  Kosten  sich  hatte  betätigen 
sehen  müssen.  Nach  Seguins  Bericht1)  versammelte  sich  in 
dem  einer  Frau  namens  La  Macee  gehörigen  Haus  der  könig- 
liche Rat  unter  dem  Vorsitz  des  Erzbischofs  von  Reims  und 
Kanzlers  Regnauld  von  Chartres  und  beauftragte  Seguin  in 
Gemeinschaft  mit  einigen  anderen  Theologieprofessoren,  Jean 
Lombart  (oder  Lombard),  Guillaume  Aimery,  Kanonikus  zu 
Poitiers,  dem  Baccalaureus  der  Theologie  Guillaume  Le  Maire 
(oder  Le  Marie)  und  dem  Dominikaner  Pierre  Turlure,  der 
damals  Generalinquisitor  von  Toulouse,  später  (1445 — 64)  Bi- 
schof von  Digne  war,  der  in  dem  Rehabilitationsprozeß  nicht 
vernommen  worden  ist,  und  einem  Magister  Jacques  Maledon, 
im  Namen  des  Königs,  Johanna  zu  vernehmen  und  ihm  über 
das  Ergebnis  Bericht  zu  erstatten.2)  Die  Herren  suchten  die- 
selbe im  Hause  „zur  Rose"  auf  und  legten  ihr  verschiedene 
Fragen  vor,  wobei  Jean  Lombart  das  Wort  geführt  zu  haben 
scheint.  In  ihren  Antworten  wiederholte  Johanna  die  be- 
kannten Angaben  über  ihre  Stimmen  und  Visionen  und  die 
ihr  durch  sie  gewordenen  himmlischen  Befehle.  Des  Guillaume 
Aimery  Einwand,  wenn,  wie  sie  behaupte,  Gott  Frankreich  zu 
retten  beschlossen  habe,  so  bedürfe  es  dazu  doch  nicht  erst 
der  von  ihr  geforderten  Mannschaften,  parierte  sie  geschickt 
mit  den  Worten,  man  möge  ihr  nur  die  verlangten  Krieger 
geben,  den  Sieg  werde  Gott  dann  schon  geben.  Daß  auch 
hier  wiederum,  und  zwar  von  dem  Zeugen  selbst  an  sie  ge- 
stellte Verlangen,  den  himmlischen  Ursprung  ihrer  Mission 
durch  ein  Zeichen  zu  erweisen,  wies  Johanna  scharf  zurück 
mit  den  Worten,    sie   sei   nicht  nach  Poitiers  gekommen,    um 


1)  Proces  III  S.  203  ff. 

2)  Ebd.:   ....  ad  referendum  consilio  regio,   quid  sibi  de  ea   vi- 
deretur. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  33 

Wunder  zu  tun,  werde  vielmehr  die  Wahrheit  ihrer  Angaben 
durch  die  Befreiung  von  Orleans  erweisen.1)  Noch  übler  kam 
Seguin  mit  der  vorwitzigen  Frage  an,  in  welcher  Sprache  denn 
die  Stimmen  zu  ihr  geredet  hätten:  in  einer  besseren,  als  er 
sie  rede,  lautete  die  Antwort  unter  spöttischer  Bezugnahme 
auf  den  üblen  Limousiner  Dialekt  des  geistlichen  Herrn.  Jeden- 
falls hatte  Johanna  die  Lacher  auf  ihrer  Seite.  Überhaupt 
scheint  das  Unbehagen,  das  sie  vor  dem  ihrer  in  Poitiers  War- 
tenden empfunden  hatte,2)  bald  von  ihr  gewichen  zu  sein  und 
sie  die  ihr  in  guten  Stunden  eigene  heitere  Freiheit  des  Auf- 
tretens wiedergefunden  zu  haben.3)  Fast  gewinnt  man  den 
Eindruck,  als  sei  sie  den  gelehrten  Herren,  die  ihr  Geheimnis 
ergründen  wollten,  mit  einer  Art  von  siegesgewissem  Übermut 
entgegengetreten.  Soll  sie  doch  beim  Erscheinen  derselben  in 
dem  zu  deren  Empfang  bestimmten  Raum  sich  unbefangen  auf 
das  Ende  einer  Bank  gesetzt  haben  wie  neugierig  der  Dinge 
harrend,  die  da  kommen  sollten.4)  Im  Besitz  eines  besonderen 
göttlichen  Auftrags  fühlte  sie  sich  den  ihr  mit  allen  möglichen 
Fragen  entgegentretenden  königlichen  Sendboten  überlegen  und 
wußte  zum  Voraus,  daß  diese  doch  nicht  alle  die  Geheimnisse 
von  ihr  erfahren  würden,  die  ihre  Stimmen  und  Visionen  ihr 
anvertraut  hatten,  wie  sie  sich  auch  später  ausdrücklich  ge- 
rühmt hat  viel  mehr  gewußt  zu  haben,  als  sie  den  Herren 
gesagt.5)  So  schlägt  sie  denn  auch  gelegentlich  gegen  die- 
selben einen  fast  kecken  Ton  an,  in  ihrer  Zuversicht  bestärkt 
durch  die  beflissen  milde  und  freundliche  Art,  in  der  jene  sie 


x)  Ebd.  S.  204,  vgl.  Chronique  de  la  Pucelle,  ebd.  S.  210  und  Jour- 
nal du  siege  p.  49. 

2)  Vgl.  oben  S.  24. 

3)  Das  von  France  I  S.  222  unter  Bezugnahme  auf  Proces  III  S.  82 
von  Johannas  Unruhe  in  Erwartung  der  Prüfenden  Gesagte  findet  in  der 
angeführten  Stelle  keine  Bestätigung. 

4)  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV  S.  209. 

6)  Proces  III  S.  92:  Alencon  sagte  aus,  sie  habe  ihm  erklärt  „quod 
ipsa  fuerat  multum  exarninata,  sed  plura  sciebat  et  poterat  quam  dixisset 
interrogantibus. 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  1.  Abb..  3 


•"'»I  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

zum  Reden  zu  bringen  suchten1)  —  begreiflicherweise,  denn 
diese  mußten  sich  sagen,  daß,  wer  vor  einer  Kommission  stand, 
der  der  Großinquisitor  von  Toulouse  angehörte,2)  wohl  Grund 
hatte  befangen  zu  sein,  möglichst  wenig  zu  antworten  und  die 
Worte  ängstlich  zu  wägen.  Offenbar  ging  der  Herren  Ab- 
sicht zunächst  dahin,  Johanna  durch  gütliches  Zureden  zu  dem 
Eingeständnis  zu  vermögen,  ihre  Stimmen  und  Erscheinungen 
seien  vielleicht  doch  nicht  Wirklichkeit  gewesen,  sondern  Er- 
zeugnisse ihrer  überreizten  Phantasie.  Denn  daß.  was  sie  er- 
lebt haben  wollte,  unmöglich  sei,  durfte  doch  auch  von  ihnen 
niemand  zu  behaupten  wagen.  Ja,  als  gläubige  Söhne  der 
Kirche  mußten  sie  die  Möglichkeit  solcher  Vorgänge  ohne 
weiteres  zugeben,  und  mehr  noch,  als  gute  königlich  gesinnte 
Männer,  eifrige  Franzosen  und  erbitterte  Feinde  der  Engländer 
mußten  sie  wünschen,  daß  von  Johannas  erstaunlichen  Angaben 
möglichst  viel  wahr  sei.  Unbefangen  waren  sie  daher  keines- 
wegs.  Dem  scharfen  Blick  der  lothringischen  Bäuerin  ist  das 
sicherlich  nicht  entgangen,  sondern  wird  von  ihr,  wenn  auch 
nur  sozusagen  instinktiv,  benutzt  worden  sein,  um  einen  ihrer 
Sache  möglichst  günstigen  Eindruck  hervorzubringen.  So  möchte 
man  es  deuten,  wenn  sie  später  bei  dem  Erscheinen  einer  an- 
deren Gruppe  der  sie  zu  prüfen  Beauftragten  einen  in  deren 
Gefolge  befindlichen  Knappen  mit  einem  kameradschaftlichen 
Schlag  auf  die  Schulter  und  dem  Kompliment  willkommen  hieß, 
Leute  von  so  gutem  Willen,  wie  er  ihn  habe,  wünsche  sie 
noch  mehr.3)  Dergleichen  Szenen,  die  den  beabsichtigten  Ef- 
fekt nicht  verfehlt  haben  werden,  werden  sich  in  der  langen 
Reihe  von  Unterhaltungen,  die  Johanna  damals  über  sich  er- 
gehen lassen  mußte,  wohl  öfters  wiederholt  haben.  Denn  jener 
ersten  Kommission,  der  Seguin  angehörte,  folgten  noch  zahl- 


*)  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  III  S.  209:  ....  par  belles  et 
doaces  raisons. 

2)  S.  oben  S.  32. 

3)  Aussage  des  Gobert  Tbibault,  Proces  III  S.  74:  venit  obviam  et 
percussit  loquentern  super  spatulam  eidern  loquenti  dicendo,  quod  bene 
vellet  habere  plures  bomines  voluntatis  loquentis. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  ^5 

reiche  andere,  und  manche  mögen,  wenn  auch  in  wechselnder 
Zusammensetzung,  wiederholt  in  dem  Hause  „zur  Rose"  er- 
schienen sein,  um  sich  des  ihnen  gewordenen  schwierigen  und 
verantwortungsreichen  Auftrags  zu  entledigen.  Auch  Rechts- 
gelehrte  werden  als  daran  beteiligt  erwähnt.1) 

Daneben  wurde  ganz  im  Einklang  mit  den  Vorstellungen, 
welche  damals  in  dieser  Hinsicht  herrschten,  auch  die  körper- 
liche Untersuchung  Johannas  durch  vornehme  und  angesehene 
Frauen  wiederholt.  Denn  nur  einer  reinen  Jungfrau  konnte 
solche  Gnade  zu  teil  werden,  wie  sie  erfahren  zu  haben  be- 
hauptete. Nach  Lothringen  aber  waren  Boten  geschickt,  die 
in  Domremy  und  Nachbarschaft  über  die  Herkunft,  die  Fa- 
milie, die  Vergangenheit  und  den  Ruf  Johannas  Erkundigungen 
einziehen  sollten.2)  Schon  dadurch  wurde  der  Abschluß  des 
Verfahrens  in  Poitiers  verzögert  und  den  Beauftragten  des 
königlichen  Rates  reichlich  Zeit  zu  gründlicher  Erledigung 
ihres  Mandates  geschafft. 

Viel  herausgekommen  aber  kann  dabei  trotz  alledem  doch 
nicht  sein.  Denn  naturgemäß  nahmen  all  die  Gespräche  der 
Theologen  mit  der  Jungfrau  den  gleichen  Verlauf,  wie  die 
späteren  Aussagen  der  Zeugen  erkennen  lassen,  die  wenigstens 
mittelbar  nach  den  Erzählungen  tätig  daran  Beteiligter  davon 
Kunde  haben  konnten.  Der  königliche  Parlamentsadvokat  Jean 
Barbin  wollte  gehört  haben,3)  Johanna  habe  auf  die  ihr  vor- 
gelegten Fragen  so  verständig  geantwortet,  als  ob  sie  ein 
guter  Kleriker  wäre,  so  daß  man  sich  allgemein  darüber  ver- 
wundert habe  und  überzeugt  gewesen  sei,  das  könne  nur  von 
Gott  kommen,  da  sie  in  ihren  bisherigen  Verhältnissen  die 
Fähigkeit  dazu  doch  nicht  erworben  haben  könne.4) 


1)  Proces  III   S.  19:    Johannas   Gastfreund   Rabateau   wird   freilich 
nicht  ausdrücklich  als  daran  beteiligt  bezeichnet. 

2)  Proces  III  S.  83:  et  misit  etiam  in  loco  nativitatis  ipsius  Johan- 
nae  ad  sciendum  unde  orta. 

3)  Proces  III  S.  82:  ....  audivit  tunc  ab  eisdem  doctoribus  referri. 

4)  Ebd.:  „.  .  .  .  sibi  fecerunt  plures  questiones,  quibus  multum  pru- 
denter  respondebat,  ac  si  fuisset  unus  bonus  clericus,  ita  quod  mirabantur 

3* 


;>(i  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

Unter  den  Männern  des  königlichen  Vertrauens,  die  in 
jenen  Tagen  allgemeiner  Spannung  in  dem  Hause  „zur  Rose" 
fragend  und  hörend,  beobachtend  und  sich  berichten  lassend, 
ein-  und  ausgingen,  aber  auch  kein  Bedenken  trugen  Unbe- 
rufenen daselbst  Zutritt  zu  gestatten,  scheint  Peter  von  Ver- 
sailles eine  hervorragende  Stellung  eingenommen  und  als  be- 
sonders gewichtige  Autorität  gegolten  zu  haben.  Auffallender- 
weise nennt  gerade  ihn  Seguin  nicht:  von  anderen  Zeugen  wird 
seiner  achtungsvoll  Erwähnung  getan;1)  doch  ist  er  in  dem 
Rehabilitationsprozeß  nicht  vernommen  worden.  Es  scheint 
fast,  als  ob  dieser  Benediktiner  von  Saint-Denis  damals  die 
höchste  theologische  Autorität  gewesen  sei,  über  die  der  Hof 
verfügte.  Hatte  er  sich  doch  bereits  einen  Namen  gemacht 
als  tapferer  Gegner  der  Tyrannenmord-Theorie,  durch  die  der 
Pariser  Professor  Jean  Petit  vor  dem  Konstanzer  Konzil  die 
Ermordung  des  Herzogs  Ludwig  von  Orleans  durch  den  Herzog 
Johann  von  Burgund  (1407)  als  im  Interesse  des  öffentlichen 
Wohls  geschehen  hatte  rechtfertigen  wollen.  Im  Jahr  1413 
wurde  er  Abt  von  Thalmont  im  Sprengel  des  Bistums  Lucon, 
später  wurde  er  Abt  von  Saint-Martial  in  Limoges  und  1432 
Bischof  von  Digne  (Dep.  Basses- Alpes),  nahm  als  Gesandter 
an  dem  Baseler  Konzil  teil,  wo  er  eifrig  für  Eugen  IV.  wirkte, 
und  wurde  später  mit  einer  Mission  nach  Konstantinopel  be- 
traut. Im  Jahr  1441  gehörte  er  der  glänzenden  Gesandtschaft 
an,  welche  Eugen  IV.  die  Obedienzerklärung  Karls  VII.  über- 
brachte, und  ist  als  Bischof  von  Meaux  am  11.  November  1466 
gestorben.  Er  hatte  bereits  an  der  Prüfung  Johannas  in  Chi- 
non  teilgenommen  in  Gemeinschaft  mit  des  Königs  Beichtvater 
Gerard  Machet.  Daß  Peter  von  Versailles  in  Sachen  der  Jung- 
frau von  besonderem  Einfluß  gewesen  sein  dürfte,  und  zwar 
einem  deren  Wünschen  günstigen,  möchte  man  nach  einem 
Vorfall  annehmen,  den  der  wohlunterrichtete  Jean  Barbin  er- 
zählt.   Als  eines  Tages  in  Loges  die  Menge  sich  begeistert  um 


ejus  responcionibus  et  credebant,   quod  hoc  erat  divinitus,    attenta  ejus 
vita  et  conversatione. 

!)  Proces  III  S.  19,  74,  92  u.  102. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  37 

die  Heldin  drängte,  jeder  ihr  Pferd  berühren  oder  gar  ihre 
Füße  küssen  wollte,  hielt  Peter  von  Versailles  Johanna  gegen- 
über mit  der  Bemerkung  nicht  zurück,  dergleichen  zu  dulden 
sei  übel  angebracht,  da  es  die  Menschen  zum  Götzendienst  ver- 
leiten heiße.  Die  Antwort  Johannas  soll  gelautet  haben:  „Wahr- 
lich, ich  würde  mich  vor  dergleichen  nicht  bewahren  können, 
wenn  Gott  mich  nicht  davor  bewahrte."1)  Die  Szene  gibt  einen 
Beleg  mehr  für  die  auch  sonst  bezeugte  Tatsache,  daß  die 
Jungfrau  sich  ihrer  Verdienste  zu  Zeiten  sehr  wohl  bewußt 
war,  sich  im  Glanz  ihrer  Erfolge  sonnte  und  Gefallen  fand  an 
einem  hoch  und  niedrig  imponierenden  Prunk:  ein  Zug  weib- 
licher Eitelkeit  tritt  da  bei  ihr  an  den  Tag,  der  erkennen 
läßt,  daß  die  lothringische  Hirtin  für  die  Herrlichkeiten  dieser 
Welt  doch  keineswegs  ganz  unempfänglich  war.  Das  weiße 
Gewand,  die  glänzende  Rüstung,  die  feuerigen  Rosse  und  die 
stattliche  militärische  Umgebung  waren  ihr  gerade  recht,2) 
vielleicht  deshalb,  weil  dieser  äußere  Apparat  nicht  bloß  die 
Menge,  sondern  sie  selbst  über  die  bald  eingetretene  Bedeu- 
tungslosigkeit ihrer  Stellung  hinwegtäuschte.  Jedenfalls  ist  zu 
bedauern,  daß  von  den  Unterhaltungen  des  gelehrten  und  ein- 
flußreichen Peter  von  Versailles  mit  Johanna  nähere  Kunde 
nicht  auf  uns  gekommen  ist.  Zwar  haben  wir  die  Aussage 
eines  bei  der  ersten  Anwesenden,  des  Gobert  Thibault,  eines 
königlichen  Schildträgers,    der  bei   der  Ankunft  der  Jungfrau 

J)  Ebd.  III  S.  84. 

2)  Anfangs  in  einfacher  Tracht  einhergehend  (pauperibus  vestibus 
induta,  Proces  II  S.  436),  liebte  sie  später  in  prunkvoller  Edelmannsklei- 
dung zu  erscheinen  (France  I  S.  397),  erhielt  vom  Herzog  von  Bretagne 
zugleich  mit  seinem  Glückwunsch  zu  ihren  Erfolgen  einen  Dolch  und 
wertvolle  Pferde  geschenkt  (Proces  V  S.  264);  ihre  Passion  für  letztere 
erweist  auch  Vallet  de  Viriville,  Histoire  de  Charles  VII,  III  S.  146.  Im 
Gegensatz  zu  der  Notlage  der  Familie  d'Arc  vor  ihrem  Auftreten  ist 
auch  bemerkenswert,  daß  Johanna  bald  ein  Haus  in  Orleans  kaufen 
konnte  (Proces  I  S.  295  und  France  II  S.  119):  das  mag  freilich  auch  der 
Betriebsamkeit  ihrer  Brüder  zuzuschreiben  sein,  die  auch  anderweitig 
bezeugt  ist.  Proces  I  S.  78  gibt  sie  den  Wert  ihres  an  ihre  Brüder  ge- 
kommenen Besitzes  auf  die  für  jene  Zeit  sehr  beträchtliche  Summe  von 
12  000  Talern  an. 


:'>s  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

in  Chinon   geweilt   und   den  Hof  nach  Poitiers  begleitet  hatte 
und  dort  auf  Befehl  des  königlichen  Beichtvaters  Gerard  Ma- 
chet Peter  von  Versailles  auf  seinem  ersten  Gange  in  das  Haus 
„zur  Rose"  begleitete. x)    Er  war  es,  den  Johanna  wegen  seines 
gute    Gesinnung    verratenden    Aussehens    vertraulich    auf    die 
Schulter   schlug.     Sich  auf  irgendwelche  das  theologische  Ge- 
biet streifenden  Fragen  einzulassen  lehnte  die  zu  Prüfende  von 
vorneherein  fast  grob  ab:  so  sicher  sie  im  übrigen  ihrer  Sache 
war,  wollte  sie  davon  doch  nichts  wissen,  wohl  in  dem  Gefühl, 
daß    da    auch   für  sie  Gefahren   verborgen  lägen,    wie  überall, 
wo    der  Großinquisitor   mitzureden    hatte.     „Ich   kenne    weder 
A  noch  B",  erklärte  sie  nach  Gobert  Thibault  und  verschanzte 
sich   damit  hinter  ihrer  Ungelehrtheit  oder  besser  Unbildung. 
Damit   traf   sie   vollkommen   die  Wahrheit,    denn  ihre  Einfalt 
wird   von  allen  Zeugen  gleichmäßig  bestätigt.     Doch  hinderte 
sie  diese  nicht  den  Herren  gleich  danach  im  Bewußtsein  ihrer 
Mission    eine  Antwort    zu   geben,    die   eigentlich  alle  weiteren 
Verhandlungen    als   zwecklos    ablehnte.     Als  die  Besucher  ihr 
mitteilten,    sie  seien  vom  König  geschickt,   um  sie  zu  prüfen, 
erwiderte  sie  ihnen,  die  eben  gehörten  Worte  aufnehmend,  und 
sie  sei  von  dem  König  des  Himmels  geschickt,  und  wiederholte 
dann  einfach  die  sattsam  bekannten  Angaben  über  die  ihr  ge- 
wordenen Aufträge.2)    Von  derartigen  Verhandlungen  war  für 
sie  eben  nichts  zu  erwarten:  sie  brannte  danach  endlich  han- 
deln   zu   können    und   hätte  am  liebsten  schon  jetzt,    obgleich 
ihr  die  Mittel  doch  noch  ganz  fehlten,  die  ihren  Worten  hätten 
Nachdruck  geben  können,  an  die  englischen  Fürsten  und  Feld- 
herren die  feierliche  Aufforderung  gerichtet,    Frankreich,    das 
nicht  für  sie  bestimmt  sei,  zu  räumen  und  in  ihr  Land  zurück- 
zukehren.     Dazu   konnten    die    geistlichen    Herren    sich    nicht 
verstehen,  und  so  endete  die  erste  Unterredung  ohne  Ergebnis. 3) 

*)  Proces  III  S.  74  ff. 

2)  Ebd.  S.  204:  tunc  ipse  de  Versailles  eidem  Johannae  dixit,  quod 
ipsi  erant  missi  ex  parte  regis  ....  respondit:  Ego  venio  ex  parte  regis 
celorum. 

3)  Ebd.:    ....  nee  aliud  fecerunt  ....  ista  die,  de  quo  recordatur. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  39 

Aber  auch  die  weiteren  Gespräche,  die  Peter  von  Versailles 
mit  Johanna  hatte,  können  einen  positiven  Inhalt  nicht  gehabt 
haben,  und  seine  Kollegen  brachten  nicht  mehr  zu  Wege.  Ob 
zu  diesen  in  Poitiers  wie  früher  in  Chinon  auch  der  königliche 
Beichtvater  Gerard  Machet  gehört  hat,  ist  zum  mindesten 
zweifelhaft.  Wenn  Enea  Silvio  ihn  dies  tun  läßt,  so  ist  zu 
beachten,  daß  er  nur  im  allgemeinen  von  Johannas  Prüfungen 
spricht,  nicht  von  zweien,  die  nacheinander  an  verschiedenen 
Orten  stattfanden,  und  daß,  wenn  er  von  der  zweiten  Kunde 
hatte,  er  doch  offenbar  nur  die  erste  im  Auge  hatte,  die  nach 
der  Jungfrau  Ankunft  am  Hofe  stattfand.1)  Von  den  Zeugen, 
die,  sei  es  aus  eigener  Kenntnis,  sei  es  nach  Mitteilungen  an- 
derer Personen,  von  der  Prüfung  zu  Poitiers  berichten,  nennt 
kein  einziger  Gerard  Machet  als  daran  beteiligt.  Er  ist  dabei 
also  wohl  nicht  tätig  gewesen:  die  Zeugen,  die  neben  Peter 
von  Versailles  und  anderen  namhafteren  Mitgliedern  der  von 
dem  königlichen  Rat  bestellten  Kommission  auch  noch  den 
einen  und  den  andern  sonst  nicht  bekannten  Theologen  an- 
führen,2)  würden  eine  so  bedeutende  Persönlichkeit  doch  kaum 
übergangen  haben,  zumal  sie  auch  weiterhin  eine  hervorragende 
Rolle  gespielt  hat.  Ein  Zögling  des  College  de  Navarre  zu 
Paris  und  Schüler  Gersons  gehörte  Machet  früh  zu  den  Zierden 
der  Pariser  Universität,  als  deren  Vizekanzler  er  bereits  1416 
Kaiser  Sigismund  bei  seinem  Besuche  in  der  Hauptstadt  mit 
feierlicher  Ansprache  begrüßte,  wurde  aber  durch  die  Umwäl- 
zung 1418  ebenso  wie  viele  seiner  Kollegen  zur  Flucht  ge* 
nötigt.  Als  Gewissensrat  Karls  VII.  hat  er  jedenfalls  auch  in 
politischen  Dingen  Einfluß  geübt,  im  einzelnen  nachweisbar 
ist  derselbe  aber  nicht,  auch  nicht  in  bezug  auf  die  Pragma- 
tische Sanktion  von  1438,  für  deren  Urheber  er  manchen  galt. 
Im  Jahre  1448  ist  er  als  Bischof  von  Castres  gestorben.    War 


J)  Proces  IV  S.  509:  Delphinus  ....  Castrensi  episcopo,  confessori 
suo,  inter  theologos  apprime  docto,  Puellam  examinandam  committit. 

2)  Wie  den  Karmeliter  Pierre  Seguin,  den  Kanonikus  von  Poitiers 
Guillaume  Le  Maire  oder  Le  Marie,  Jacques  Madeion  u.  a.:  France  I 
S.  217,  Proces  V  S.  471  ff. 


40  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

er,  wie  es  scheint,  an  dem  Verfahren  von  Poitiers  nicht  be- 
teiligt, so  wird  man  daraus  doch  nichts  in  bezug  auf  seine 
Stellung  zur  Jungfrau  folgern  dürfen,  namentlich  nicht,  wie 
versucht  ist,  eine  geheime  Begünstigung  derselben  oder  gar 
eine  Art  von  geheimem  Zusammenwirken  beider. 

III. 

Abgesehen  von  einigen  aus  dem  Zusammenhang  gerissenen 
Bruchstücken    wissen    wir   demnach   von    dem  Inhalt   der   von 
den  prüfenden  Herren  mit  Johanna  geführten  Gespräche  nichts. 
Mannigfaltig  und  tief  kann  derselbe  nicht  gewesen  sein.    Denn 
wenn   man   absieht   von   dem,    was   im  Einklang   mit    den    zu 
Donremy  angestellten  Ermittelungen  über  ihre  Herkunft,  ihre 
bisherige  Tätigkeit    und   ihren  Wandel   etwa  noch  zu  konsta- 
tieren war,    und  von  den  an  sie  gerichteten  Fragen,    die  ihre 
Rechtgläubigkeit  und  Kirchlichkeit  betrafen,   waren  eigentlich 
kaum  Gegenstände  vorhanden,   die  zwischen  Johanna  und  den 
mit   ihrer    Prüfung    beauftragten  Theologen   mit  Gründen   für 
und  wider  hätten  erörtert  werden  können.    Vielmehr  schlössen 
gerade   die  Punkte,    um  die  es  sich  in  dieser  Sache  vornehm- 
lich   handelte,    eine  solche  Diskussion  geradezu  aus:    da  stand 
Behauptung  gegen  Behauptung  und  Meinung  gegen  Meinung, 
und  erst  die  weitere  Entwicklung  der  Dinge  konnte  entscheiden, 
wer  recht  hatte.    Wie  die  Prüfenden  völlig  außer  stände  waren 
irgend    etwas    an  Johanna   zu    entdecken,    was  diese  unglaub- 
würdig gemacht  hätte,  so  vermochte  diese  ihrerseits  nicht,  die 
Wahrheit  der  Angaben  über  ihre  Stimmen  und  Erscheinungen 
zu  beweisen.     Das  von  ihr  Behauptete  aber  als  unmöglich  zu 
bezeichnen  fiel  doch  niemandem  ein,  wäre  auch  gefährlich  ge- 
wesen, da  man  sich  damit  eines  Verstoßes  gegen  den  Glauben 
der    Kirche    schuldig    gemacht    hätte.      War    anfangs,    wie    es 
scheint,    die    Absicht    der   Prüfenden    dahin    gegangen,    durch 
freundliche  Vorstellungen  und  gütliches  Zureden  Johanna,  die 
man  eines  Betruges  füglich  nicht  für  fähig  halten  konnte,  zu 
dem  Eingeständnis    zu    bringen,    daß    sie    sich    getäuscht    habe 
und  daß,    was  sie  gesehen  und  gehört  zu  haben  glaubte,    von 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  41 

ihr  nicht  wirklich  gesehen  und  gehört  worden,    sondern  Vor- 
spiegelungen   ihrer   überreizten  Phantasie  gewesen  sei,    so  er- 
wies sich  das  bald  als  unmöglich.    Denn  die  Aussagen  Johan- 
nas boten  in   dieser  Richtung  keinen  Angriffspunkt,  enthielten 
keine  Widersprüche  und  schwankten  und  variierten  nicht.    Also 
mußte  an  ihren  Behauptungen  doch  etwas  Wahres  sein  —  so 
argumentierten  die  sie  Prüfenden,  auf  deren  Entscheidung  frei- 
lich sicher  auch  die  Erwägung  einwirkte,    daß  dem  König  in 
seiner   dermaligen    verzweifelten  Lage    ein   anderes  Mittel   zur 
Rettung   überhaupt    nicht  zur  Verfügung  stand,    er  vielmehr, 
wenn  er  es  nicht  mit  der  lothringischen  Bäuerin  wagen  wollte, 
nichts  anderes  tun  konnte  als  die  Fluchtreise  nach  La  Rochelle 
fortsetzen   und  sich  dort  nach  Schottland  einschiffen.     Es  war 
also  schließlich  eigentlich  die  Beharrlichkeit  Johannas,  die  für 
sie  entschied,  ihre  bei  aller  Einfalt  imponierende  Überzeugungs- 
treue,  was   die  Bedenken    zum  Schweigen  brachte,    wie   denn 
auch   von   einigen  Berichterstattern   gerade   dieses  Moment  als 
ausschlaggebend  hervorgehoben  wird.1)    Auf  das  Beharren  bei 
der    einmal    gemachten    Aussage,    das    unentwegte    Festhalten 
einer   einmal   ausgesprochenen  Ansicht   legte  ja  das  kirchliche 
Gerichtsverfahren  des  Mittelalters  im  Guten  wie  im  Bösen  ent- 
scheidendes Gewicht:  dieses  Beharren  und  nicht  eigentlich  die 
von  ihnen  vertretene  irrige  Lehre  wurde  den  Ketzern  verderb- 
lich.    Johanna    gereichte   sie   zum  Heil,    denn   sie  war  in  den 
Augen  der  Prüfenden  die  einzige  Bürgschaft  für  die  Wahrheit 
heit   ihrer   Angaben.     Denn    sich   durch    ein  Zeichen    als   von 
Gott  gesandt   zu  erweisen,    wie  ihr  auch  hier  mehrfach  zuge- 
mutet wurde,  lehnte  die  Jungfrau  nach  wie  vor  ab:   sie  blieb 
dabei,  daß  als  solches  die  Befreiung  von  Orleans  erfolgen  werde. 
Das  legt  die  Frage  nahe,    ob  denn  in  Poitiers  nichts  da- 
von bekannt  war,    daß   bereits  in  Chinon  die  angebliche  Vor- 
hersagung der  „Häringsschlacht"   noch  in  Vaucouleurs  als  Be- 
glaubigung für  sie  geltend  gemacht  worden  war.    Ebensowenig 

*)  Proces  III  S.  20:  ....  quae  interrogata  ab  eis  perseverabat  in 
ista  responsione,  scilicet  quod  missa  erat  ex  parte  Dei  usw.  Vgl.  den 
Greffier  von  La  Rochelle  bei  Ayroles  III  S.  202. 


1-  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

hat  man  in  Poitiers  Bezug  genommen  auf  das  nachmals  so 
ganz  besonders  nachdrücklich  geltend  gemachte  Wunder,  das 
sie  getan  haben  sollte,  inderii  sie  dem  König  den  Inhalt  eines 
geheimen  Gebetes  mitteilte.  Daß  von  dem  letzteren  nur  aus 
Rücksicht  auf  Karl  VII.  geschwiegen  sein  sollte,  ist  doch  nur 
eine  dürftige  Ausflucht.  Die  Sache  erklärt  sich  viel  einfacher: 
von  beiden  Wundern  wußte  man  damals  noch  nichts,  denn  sie 
sind  erst  mit  der  Entstehung  der  Jeanne  d'Arc-Legende  in 
die  Tradition  eingeführt  worden. 

Da  nun  die  mit  der  Prüfung  Johannas  betrauten  Herren 
nach  Lage  der  Dinge  nur  den  Wunsch  haben  konnten  zu 
einem  günstigen  Ergebnis  zu  kommen,  so  fanden  sie  mühelos 
auch  noch  andere  Argumente,  die  ihnen  das  erleichterten. 
Liefen  im  Lande  nicht  allerlei  angebliche  Prophezeiungen  um, 
deren  bisher  vergeblich  gesuchte  Deutung  sich  nun  gewisser- 
maßen von  selbst  ergab?  So  erinnerte  Magister  Jean  Erault 
an  jene  Marie  von  Avignon,  die  zu  Anfang  des  fünfzehnten 
Jahrhunderts  durch  ihre  Visionen  Aufsehen  erregt  hatte:  sie 
wollte  gewaltige  Heeresmassen  erblickt  haben,  die  Frankreich 
dereinst  verwüsten  würden,  bis  eine  Jungfrau  in  Waffen  er- 
scheinen und  das  Land  befreien  Avürde.1)  Diese  konnte  nun 
in  der  Lothringerin  gekommen  sein.  Für  diese  wurden  auch 
sonst  noch  ähnliche ,  bisher  unbeachtet  gebliebene  Vorher- 
sagungen geltend  gemacht,  die  man  durch  sie  in  Erfüllung 
gehen  zu  sehen  erwartete.  Sollte  doch  auch  des  Königs  Beicht- 
vater Gerard  Machet  dergleichen  in  alten  Schriften  gefunden 
haben  und  daraufhin  für  Johanna  eingetreten  sein.2)  Daß  da- 
durch nicht  bloß  der  Ruf  derselben  weithin  verbreitet,  sondern 
auch  der  Glaube  an  sie  vielfach  gestärkt  wurde,  ist  selbstver- 
ständlich. 

Es  werden   immerhin  vierzehn  Tage  vergangen  sein,    ehe 


>)  Proces  III  S.  83/84;  vgl.  France  I  S.  226. 

2)  Ebd.  S.  75:  Ein  Zeuge  „audivit  dici  dieto  defuncto  confessori 
quod  viderat  in  scriptis,  quod  debebat  venire  quedam  puella,  que  de- 
bebat  juvare  regnum  Francie  usw.";  vgl.  im  allgemeinen  über  diese  nun 
plötzlich  zu  hoher  Bedeutung  gelangten  Prophezeiungen  France  I  S.  197  ff. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  4o 

man  mit  diesen  ziemlich  formlosen  und  eigentlich  auch  ziem- 
lich inhaltlosen  Verhandlungen  zum  Schluß  kam,  während  deren 
das  Haus  „zur  Rose"  das  Ziel  zahlreicher  Neugieriger  hohen 
und  niedrigen  Standes  war.  Die  prüfenden  Herren  aber  waren 
nicht  wesentlich  klüger  als  zu  Anfang,  Avährend  die  Popula- 
rität Johannas  mächtig  zugenommen  und  ihre  Sache  ungeahnte 
Bedeutung  gewonnen  hatte:  die  öffentliche  Meinung  nahm  ent- 
schieden ihre  Partei.  Auch  damit  mußte  man  rechnen:  mit 
Argumenten  aus  der  heiligen  Schrift,  Zitaten  aus  den  Kirchen- 
vätern und  Distinktionen  des  kanonischen  Rechts  war  da  nichts 
mehr  zu  machen.  Vielmehr  handelte  es  sich  um  eine  Ver- 
trauensfrage, die  man  zu  bejahen  wagen  konnte,  da  kein  An- 
halt dafür  gefunden  war,  daß  die  Lothringerin  sich  bewußt 
einer  Täuschung  schuldig  machte  oder  irgendwie  mit  den 
Mächten  der  Finsternis  in  Verbindung  stand.  Das  Eine  war 
so  wenig  wie  das  Andere  erwiesen.  Der  gute  Leumund,  den 
sie  in  ihrer  Heimat  genoß,  ihre  durch  alle  ihr  entgegenge- 
brachten Zweifel  und  durch  das  entmutigende  Verschleppen 
der  ersehnten  Entscheidung  nicht  gebeugte  Zuversicht,  die 
eigentümliche  Mischung  von  kindlicher  Einfalt  und  ländlicher 
Unschuld  mit  kriegerischem  Heldentum  und  einem  gewissen 
prophetischen  Anhauch,  die  ihrem  halb  geheimnisvollen,  halb 
naturwüchsigen  Wesen  einen  unwiderstehlichen  Reiz  verlieh 
und  auch  die  ihr  zunächst  zweifelnd  Nahenden  bekehrte,  die 
an  sie  Glaubenden  zu  Tränen  rührte  und  ihr  immer  mehr  neue 
Anhänger  gewann,  sprachen  zu  deutlich  für  sie1)  und  er- 
weckten auch  in  den  ihr  prüfend  gegenübergetretenen  ge- 
lehrten Herren  angesichts  der  verzweifelten  Lage  des  Reichs 
zu  freudige  Hoffnungen,  als  daß  sie  es  hätten  verantworten 
mögen  ihr  die  Gelegenheit  zur  Bewährung  ihrer  so  uner- 
schütterlich   zuversichtlichen   Worte    kurzerhand    zu    versagen. 


l)  Vgl.  die  beredte  Schilderung  von  der  unwiderstehlichen  Einwir- 
kung Johannas  auf  die  ihr  Nahenden  in  der  Chronique  de  la  Pucelle, 
Proces  IV  S.  211.  Dieser  Massenbesuch  fand  danach  freilich  erst  statt, 
als  die  Entscheidung  zu  Gunsten  Johannas  ausgefallen  war  und  ruchbar 
wurde. 


I  I  1.  Abhandlung:   Hans  Prutz 


1-1  ■ 


Schlimmer  als  augenblicklich  konnte  es  auch,  wenn  sie  schei- 
tern sollte,  um  den  König  und  das  Reich  nicht  stehen.  Wa- 
rum sollte  man  es  also  nicht  mit  ihr  versuchen? 

Schließlich  traten  denn  die  mit  der  Prüfung  beauftragten 
Theologen  und  Juristen  zusammen,  um  auf  Grund  der  im  Ver- 
kehr mit  Johanna  gemachten  Beobachtungen  und  der  dabei 
empfangenen  Eindrücke  das  vor  dem  königlichen  Rat  abzu- 
gebende und  von  diesem  mit  seiner  eigenen  Meinungsäußerung 
dem  König  vorzulegende  Gutachten  festzustellen.  Wie  es  aus- 
fallen würde,  konnte  kaum  noch  zweifelhaft  sein.  Hatte  man 
die  Behauptungen  des  geheimnisvollen  Mädchens  über  die  ihr 
gewordenen  überirdischen  Eröffnungen  als  wesenlose  Hirn- 
gespinste zu  erweisen  nicht  vermocht  und  mußte  sie  daher 
notgedrungen  gelten  lassen,  während  auf  der  anderen  Seite 
diese  sich  hartnäckig  geweigert  hatte,  das  zum  Erweis  ihrer 
Angaben  von  ihr  geforderte  Zeichen  zu  geben,  so  war  doch 
zweifellos  dargetan,  daß  an  ihr  kein  Makel  war,,  und  danach 
ließ  sich  angesichts  ihrer  erwiesenen  besonderen  Frömmigkeit 
nach  den  Anschauungen  der  Zeit  doch  nicht  in  Abrede  stellen, 
daß  sie  wohl  geeignet  sei  von  Gott  als  Werkzeug  der  von  ihm 
beschlossenen  Rettung  Frankreichs  benutzt  zu  werden.  Dem- 
nach mußte  auch,  was  sie  zu  leisten  versprach,  als  möglich 
zugegeben  werden  und  es  lag  kein  Grund  vor,  weshalb  man 
es  unter  Beobachtung  gewisser  Vorsichtsmaßregeln  nicht  mit 
ihr  wagen  sollte.1)  So  scheinen  die  Herren  sich  denn  schnell 
geeinigt  zu  haben  und  mühelos  zu  dem  einstimmigen  Beschluß 
gelangt  zu  sein,2)  zumal,  wie  es  scheint,  gerade  bei  dieser  Ge- 
legenheit Magister  Erault  durch  die  Erinnerung  an  die  Pro- 
phezeiungen der  Marie  von  Avignon  ein  Gewicht  zu  Gunsten 
Johannas  in  die  Wagschale  legte.  Dieses  Gutachten  wurde 
dann  durch  einen  der  geistlichen  Herren  —  welchen,  wissen 
wir  nicht  —  d-em  zu  einer  Sitzung  versammelten  königlichen 
Rat  vorgelegt   und  von  ihm  zum  Gegenstand  eingehender  Er- 


»)  Vgl.  Proces  III  S.  83. 

2)  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV  S.  410:   .conclurent  sans  au- 
cune  contradiction".     Journal  du  siege  S.  49:  fut  conclus  de  tous. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  45 

örterungen  gemacht,  nachdem  auch  die  Königin  von  Sizilien 
der  Versammlung  über  das  Ergebnis  der  erneuten  körperlichen 
Untersuchung  Johannas  Bericht  erstattet  hatte.1) 

Von    dem  Inhalt    der   auf  Grund   dieses  Materials  gepflo- 
genen   Erörterungen   im   Schoß   des    königlichen   Rates   haben 
wir  keine  Kenntnis,  obgleich  die  Aussagen  von  zwei  ihnen  bei- 
wohnenden Männern,    allerdings    weltlichen  Standes   und  ohne 
gelehrte  Bildung,    vorliegen,    des  Herzogs    von  Alencon2)   und 
des  Jean  d'Aulon,  der  in  der  Folge  vom  König  zum  Vorsteher 
des  der  Jungfrau  beigegebenen  kleinen  militärischen  Hofstaats 
bestellt  wurde.3)    Wohl  aber  besitzen  wir  das  dem  König  über- 
reichte Gutachten,  auf  welches  der  Rat  —  wie  es  scheint,  eben- 
falls ohne  besondere  Schwierigkeit  —  sich  einigte,  wenn  auch 
vielleicht  nicht  in  seiner  originalen  Form,  sondern  in  einer  ge- 
kürzten,   aber   offiziösen   Fassung,    in    die    es    alsbald   für   die 
Kundgebung  gebracht  wurde,    durch  die  Karl  VII.  die  so  un- 
verhofft   eingetretene   Wendung   den    noch   zu   ihm    stehenden 
Franzosen   mitzuteilen   eilte.     Da   diese  auch  in  den  Nachbar- 
ländern Verbreitung    fand,    begegnen    wir    ihren  Spuren  nicht 
bloß    in    bestimmten,    den  Kern    der  Sache   betreffenden  Wen- 
dungen   vieler   französischer  Berichte    über   das  Auftreten    der 
Jungfrau,  sondern  auch  in  den  Angaben,  die  außerhalb  Frank- 
reichs entstandene  Quellen  darüber  machen.     Das  Aktenstück, 
das   gewissermaßen   die   staatlich  genehmigte  Grundlage  bildet 
für  die   nun   bald  üppig  emporwuchernde  Legende  der  Jung- 
frau von  Orleans,    ist  in  mehr  als  einer  Hinsicht  höchst  cha- 
rakteristisch und  lehrreich,  nicht  bloß  für  das  Denken  der  an 
der  Sache   zunächst  beteiligten  Kreise,    sondern   auch  für  das 
späterer  Generationen    durch    das,    was    diese    daraus  gemacht, 
d.  h.  heraus-  oder  eigentlich  hineingelesen  haben. 

Wenn  Quicherat  das  betreffende  Aktenstück  nach  dem 
Vorgang   von    Buchon    als   einen  Auszug   aus    dem  Gutachten 

a)  So  nach  der  Aussage  des  bei  der  Beratung  gegenwärtigen  Jean 
d'Aulon  Proces  III  S.  209:  ....  quant  iceulx  maistres  firent  leur  rapport 
par  lequel  fut  par  Tun  d'eux  tout  publiquement  usw. 

2)  Proces  III  S.  93.  3)  Ebd.  S.  209. 


46  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

der  zu  Poitiers  mit  der  Prüfung  Johannas  beauftragten  Theo- 
logen  veröffentlichte,1)  so  ist  diese  Bezeichnung  unzutreffend: 
der  Fassung  nach  uud  nach  den  uns  anderwärts  begegnenden 
Anführungen  daraus,2)  sowie  nach  seinem  sachlichen  Inhalt 
kann  es  vielmehr  nur  eine  verkürzte  Wiedergabe  des  Gut- 
achtens sein,  das  auf  Grund  jener  theologischen  Äußerung  der 
königliche  Rat  abgab  und  Karl  VII.  als  Grundlage  für  den 
von  ihm  zu  fassenden  Beschluß  überreichte.  Wird  darin  doch 
ausdrücklich  Bezug  genommen  auf  die  nun  schon  seit  sechs 
Wochen  stattgehabte  Prüfung,  Beobachtung  und  Untersuchung 
Johannas.3)  Es  ist  also  nach  Mitte  April  entstanden.  Dazu 
stimmt  auch  die  Art,  wie  dieser  Teil  des  Verfahrens  einge- 
leitet worden  war:  denn  nicht  der  König,  sondern  der  könig- 
liche Rat  hatte  die  Theologen  mit  der  Abgabe  eines  Gutach- 
tens beauftragt,  das  diese  daher  auch,  wie  ausdrücklich  be- 
zeugt ist,  an  ihn  richteten,  dessen  Sache  es  dann  war,  es  an 
den  König  gelangen  zu  lassen  in  Gestalt  des  von  ihm  darauf- 
hin zu  überreichenden  Vorschlags  für  die  zu  treffende  Ent- 
scheidung. Ferner  aber  gibt  das  von  Quicherat  wiederabge- 
druckte Stück  nur  einen  Teil  des  von  dem  königlichen  Rat 
an  Karl  VII.  erstatteten  Berichtes  wieder:  andere  Teile  davon 
sind  uns  an  anderen  Stellen  erhalten.  Also  ist  dasselbe  auch 
nicht  identisch  mit  dem  offiziösen  Bericht,  den  die  Regierung 
zur  Rechtfertigung  des  von  ihr  eingeschlagenen  Verfahrens 
damals  verbreiten  ließ,  sondern  stellt  nur  eine  zu  irgendwel- 
chem besonderen  Zweck  vorgenommene  Überarbeitung  desselben 
dar,  in  die  bloß  das  Aufnahme  gefunden  hat,  was  ihrem  Ur- 
heber besonders  bemerkenswert  erschien.  Die  in  andere  Quellen 
übergegangenen,  hier  weggelassenen  Teile  aber  passen  damit 
nach  Form  und  Inhalt  vollkommen  zusammen,  sodaß  eine  Re- 
konstruktion des  Ganzen  keine  Schwierigkeit  hat. 


1)  Proces  III  S.  391/92. 

2)  Wie   in   der   Chronik   von  Tournai,    Collection  de  chroniques  de 
Flandre  III  S.  406  und  Eberhard  Windecke,  Proces  IV  S.  487  ff. 

3)  Proces  III  S.  392:  Le  roy  ....  l'a  fait  garder  avec  luy  bien  par 
l'espace  de  six  sepmaines. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  47 

Während  die  Benutzer  jener  amtlichen  Publikation  das, 
was  den  sachlichen  Kern  der  Äußerung  des  königlichen  Rates 
ausmachte,  fast  wörtlich  übernommen  haben,  haben  sie  die- 
selbe redigiert,  indem  sie  die  darin  gegebenen  weiteren  Aus- 
führungen entweder  kürzend  zusammenfaßten  oder  ganz  weg- 
ließen,  außerdem  aber  die  Briefform  fallen  ließen  und  von  dem 
da  als  Adressat  angeredeten  König  in  der  dritten  Person  spra- 
chen. In  seiner  originalen  Fassung  jedoch  ist  der  Eingang 
der  Denkschrift  des  königlichen  Rates  durch  die  Vermittelung 
einer  flanderischen  Chronik,  die  in  Tournai  entstand,  auf  uns 
gekommen  samt  den  sonst  ebenfalls  nirgends  reproduzierten 
allgemeinen  Erwägungen,  von  denen  die  hohe  Körperschaft 
bei  Erledigung  des  ihr  gewordenen  Auftrags  ausging.  Da 
heißt  es1):  „Tres  eher  Sire,  ä  matiere  qu'il  vous  pleu  nous 
declarer  et  mettre  en  conseil,  passent  entendement  humain  et 
ne  est  qui  sceust  jugier  ne  affermer,  car  les  oevres  du  seul 
souverain  seigneur  diversifient  et  sont  inscrutables"  —  also  ein 
Hinweis  auf  die  Schwierigkeit  der  vorliegenden  Frage,  die 
über  menschliches  Verständnis  hinausgeht,  dann  aber  auch 
gleich  ein  solcher  auf  die  unendliche  Mannigfaltigkeit  der  Gott 
möglichen  Wege  zur  Verwirklichung  seiner  Ratschlüsse,  die 
für  Menschen  unerforschlich  sind.  Dann  heißt  es,  wohl  in 
wörtlicher  Wiedergabe  des  vom  Rat  an  den  König  gerichteten 
Schreibens  oder  doch  der  der  Öffentlichkeit  übergebenen  Fas- 
sung desselben  weiter:  „Mais  entendu  la  necessite  de  vostre 
digne  et  excellente  personne,  veu  aussi  celle  de  vostre  royaulme 
et  considere  les  continues  prieres  de  vostre  peuple  esperant 
en  Dieu  "et  de  touts  autres  amants  paix  et  justice  et  mes- 
mement  ramene  que  on  ne  seet  la  volonte  du  dit  seigneur,  il 
nous  semble  estre  bon  non  rejetter  et  de  refuser  la  Pucelle, 
qui  dit  estre  envoiee  de  Dieu  pour  vostre  secours  et  ayde,  non 
obstant  que  ses  promesses  soient  soupz  (lies  seules)  oevres  hu- 
maines.  Mais  point  ne  disons  ne  entendons  que  legierement 
creez  en  eile.    Car  le  dyable  est  insatiable  ...  et  able  tendant 


l)  Collection  de  chroniques  de  Flandre  III  S.  406. 


48  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

tous  tirer  ä  luy.  Et  pour  ce  est  juste  et  raisonnable,  que  Se- 
lon la  sainte  ecriture  la  fachiez  prouver  par  deux  manieres  .  ." 
Dieser  höchst  charakteristische  Passus  aus  der  Denkschrift  des 
königlichen  Rates  findet  sich  sonst  nirgends  in  gleicher  Aus- 
führlichkeit wiedergegeben.  Die  beiden  dieselbe  als  selbstän- 
diges Stück  überliefernden  Handschriften,  die  von  Buchon  und 
Quicherat  benutzte  sowohl  wie  die  des  Registre  Delphinal  des 
Matthieu  Thomassin  zu  Grenoble,1)  enthalten  diesen  einleiten- 
den Teil  nicht,  sondern  setzen  erst  mit  dem  folgenden,  sach- 
lich entscheidenden  Abschnitt  ein.  Dieser  ist  denn  auch  noch 
von  mehreren  anderen  Quellen  ziemlich  wortgetreu  übernommen, 
während  andere  sich  damit  begnügen  zur  Begründung  des 
nachher  dem  König  empfohlenen  Beschlusses  das  Ergebnis  der 
Beratungen  der  prüfenden  Theologen  anzuführen,  die  Johanna 
nichts  übles  nachzuweisen  vermochten,  sondern  alles  an  ihr 
Ehrbarkeit,  Frömmigkeit  und  Rechtgläubigkeit  fanden,  daher 
kein  Hindernis  sahen  sie  im  Dienst  des  bedrängten  Reichs  zu 
verwenden.  Auf  den  Rat  der  Theologen  geht  aber  wohl  auch 
zurück,  was  dem  König  weiterhin  in  Betreff  des  zwiefachen 
Verfahrens  empfohlen  wird,  das  er,  da  Vorsicht  unter  allen 
Umständen  geboten  sei,  bei  der  Zulassung  der  Jungfrau  zur 
Leistung  der  von  ihr  angebotenen  Hilfe  beobachten  soll.  Karl 
möge,  so  wird  ihm  geraten,  die  Jungfrau,  die  von  Gott  ge- 
schickt zu  sein  behaupte,  nicht  unbedacht  von  sich  stoßen,  ob- 
gleich ihre  Versprechungen  doch  nur  Menschenwerk  verheißen. 
Denn  daß  so:  „non  obstant  que  ses  promesses  soient  seules 
oeuvres  humaines"  zu  lesen  ist,  beweist  die  Übersetzung  der 
betreffenden  Stelle  bei  Eberhard  Windecke2):  „wenngleich  ihre 
Versprechen  menschlich  sind",  und  Abschreiber  und  Er- 
klärer haben  an  dieser  einen  durchaus  richtigen  Sinn  geben- 
den Fassung  mit  Unrecht  Anstoß  genommen.3)     Obgleich  die 


1)  Vgl.  Proces  IV  S.  306;  ausführlich,  aber  in  einer  sehr  willkür- 
lich und  fragwürdig  zurechtgemachten  Gestalt  bietet  die  von  Thomassin 
überlieferte  Form  Ayroles,  a.  a.  0.  S.  685—86;  vgl.  S.  14/15. 

2)  Proces  IV  S.  487. 

3)  Vgl.   Proces  III   S.  391   die  Anmerkung   Quicherats.     Ayroles  I 


3\ 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  49 

Jungfrau  bloß  menschliche  Leistungen  in  Aussicht  stellt,    soll 
sie   nicht  übereilt  abgewiesen  werden,   denn  auch  durch  Men- 
schen —  so  ist  der  Gedankengang  —  kann  Gott  helfen.    An- 
dererseits aber,    so  wird  weiter  geraten,    möge  der  König  der 
Jungfrau   auch   nicht   überall   Glauben    schenken,    sondern  sie 
nach    dem  Wort   der   heiligen  Schrift  prüfen,    zunächst  durch 
Erkundung   ihres  Wandels,    ihrer  Sitten   und  ihrer  Gesinnung 
und  dann,  indem  er  in  inbrünstigem  Gebet  von  Gott  ein  Zei- 
chen erflehe,  das  erkennen  lasse,  ob  sie  wirklich  von  Gott  ge- 
sandt  ist.     Der   ersten  Forderung   ist   nach   der  Meinung    des 
königlichen  Rates  und  der  hinter  ihm  stehenden  theologischen 
Autoritäten  bereits  durch  das  genügt  worden,  was  auf  Anord- 
nung   des  Königs   zum  Zweck   der  Prüfung  der  Jungfrau  bis- 
her  geschehen    ist.     Dabei   sei   nicht   Übles    an   ihr   gefunden 
worden,  sondern  nur  Güte,  Demut,  Jungfräulichkeit,  Frömmig- 
keit, und  Ehrenhaftigkeit  und  Einfalt,  wie  man  auch  von  ihrer 
Geburt   und  ihrem  Leben  nur  das  Beste  erfahren  habe.     Was 
die   zweite  Art   der   für    geboten    erachteten  Prüfung    angehe, 
fuhr   das  Gutachten    des   königlichen  Rates    fort,    so  habe  der 
König   von    der  Jungfrau    ein   sie  beglaubigendes  Zeichen  ge- 
fordert,   sie   aber   darauf  erklärt,    vor  Orleans   und   sonst   nir- 
gends  werde    sie   es    geben,    denn   so  habe  ihr  Gott  befohlen. 
So  kommt  der  königliche  Rat  zum  Schluß:    nachdem  der  Kö- 
nig die  vom  Standpunkt  der  weltlichen  Klugheit  aus  gebotene 
Prüfung   mit   bestem  Erfolge  vorgenommen    und  Johanna  das 
geforderte  Zeichen   für  Orleans   zugesagt  habe,    sei  angesichts 
von    deren    ausdauernder  Standhaftigkeit    in    ihren  Reden    und 
Forderungen   nicht   angezeigt,   sie  an  dem  Zuge  nach  Orleans 
zu  hindern,    vielmehr  möge  der  König  sie  mit  den  erbetenen 
Gewaffneten    gebührend    dorthin    geleiten   lassen:    denn  an  ihr 
zweifeln  und  sie  zurückweisen,  ohne  auch  nur  den  Schein  des 
Bösen    gegen   sie   zu   haben,    heiße  dem  heiligen  Geist  wider- 


S.  14/15  macht  in  der  von  ihm  auch  sonst  beliebten  Manier  („ apres 
qu'on  a  supplee  ce  qui  est  necessaire  pour  en  rendre  la  lecture  cou- 
rante")  daraus  gar:  „pardessus  oeuvres  humaines",  also  gerade  das  Ge- 
genteil von  dem,  was  da  steht. 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  1 .  Abb.  4 


oO  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

streben  und  sich  der  göttlichen  Hilfe  unwürdig  machen,  wie 
Gamaliel  sagte  in  einem  Rat  der  Juden  im  Hinblick  auf  die 
Apostel. 

Man  wird  nicht  sagen  können,  daß  diese  Denkschrift  be- 
sondere geistige  oder  moralische  Qualitäten  bei  ihren  Urhebern 
erkennen  ließe,  vielmehr  spiegelt  sie  deutlich  die  Verlegenheit 
wTider,  in  der  dieselben  sich  äußerlich  und  innerlich  befanden 
—  äußerlich  insofern  als  irgend  ein  anderer  Ausweg  aus  der 
heillosen  Bedrängnis,  die  den  Untergang  des  französischen 
Staates  und  Volkes  in  drohende  Nähe  rückte,  nicht  zu  finden 
war  und  sie  demgemäß  wohl  oder  übel  diesen  einzigen,  der 
sich  darbot,  betreten  mußten;  innerlich  insofern,  als  sie  gegen- 
über allen  den  Momenten,  die  für  die  Lothringerin  sprachen, 
doch  die  quälende  Sorge  nicht  los  werden  konnten,  es  stecke 
hinter  derselben  am  Ende  doch  irgend  ein  böses  Geheimnis, 
das  einen  üblen  Ausgang  befürchten  lasse.  Der  von  seinen 
Räten  dem  König  empfohlene  Weg  stellt  doch  nur  ein  sehr 
notdürftiges,  mehr  scheinbares  als  wirkliches  Kompromiß  dar 
zwischen  ihrer  und  ihrer  Auftraggeber  Hilflosigkeit  auf  der 
einen  Seite  und  auf  der  anderen  beider  Scheu  vor  den  mög- 
lichen Folgen  des  zu  tuenden  Schritts,  gegen  die  sie  sich  von 
vorneherein  nach  Möglichkeit  zu  sichern  suchten.  Das  ist 
auch  weiterhin  die  Signatur  geblieben  für  das  Verhältnis  des 
offiziellen  Frankreich  zu  der  ihm  von  der  Not  aufgedrungenen, 
aber  von  ihm  niemals  mit  offenem  und  freudigem  Vertrauen 
aufgenommenen  Retterin.  Darin  lagen  bereits  dem  Keime  nach 
alle  die  Schwierigkeiten,  welche  der  Jungfrau  die  Erfüllung 
ihrer  himmlischen  Aufträge  je  länger  je  mehr  unmöglich 
machten,  das  Mißtrauen  und  die  Entfremdung  erzeugten,  wel- 
che zu  der  schließlichen  Katastrophe  der  Heldin  führten.  Man 
geht  wohl  nicht  fehl  mit  der  Annahme,  der  auf  das  Gutachten 
der  prüfenden  Theologen  gegründete  Vorschlag  des  königlichen 
Rates  sei  von  der  anderen  Seite  her  bereits  beeinflußt  gewesen 
durch  den  Druck  der  öffentlichen  Meinung,  die  auf  die  sich 
rasch  weithin  verbreitende  Kunde  von  dem  Auftreten  des  wun- 
derbaren Mädchens  immer  entschiedener  für  dieses  Partei  nahm, 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  Ol 

wie  das  zunächst  in  Poitiers  selbst  stark  zum  Ausdruck  ge- 
kommen war,  wo  man  mit  Johanna  bereits  eine  Art  von  Kul- 
tus zu  treiben  angefangen  hatte1):  man  wallfahrtete  förmlich 
zu  ihr  nach  dem  Haus  „zur  Rose"  und  erwies  ihr  unter  all- 
gemeiner Rührung  seine  Verehrung  als  der  Sendbotin  Gottes. 
Sollte  man  eine  solche  Stimmung  ungenutzt  lassen?  Je  mehr 
sie  gesteigert  und  je  weiter  sie  verbreitet  wurde,  um  so  gün- 
stiger gestalteten  sich  die  Aussichten  für  das  Unternehmen, 
zu  dem  Johanna  sich  erbot,  um  so  mehr  ließ  sich  sein  Ge- 
lingen hoffen. 

III.  Der  Zug  nach  Orleans. 

Um  das  üppig  wuchernde  Gestrüpp  der  Legende,  welches 
in  Frankreich,  ursprünglich  aus  politischen,  dann  aber  auch 
aus  kirchlichen  Gründen  geflissentlich  großgezogen,  neuerdings 
aus  verwandten  Motiven  von  klerikaler  und  royalistischer  Seite 
planmäßig  gefördert,  die  geschichtliche  Gestalt  Jeanne  d'Arcs 
immer  mehr  umzieht  und  allmählich  zu  völliger  Unkenntlich- 
keit zu  entstellen  droht,  einigermaßen  zu  lichten  und  die  Ge- 
fahr völliger  Verdunklung  abzuwenden,  welche  auch  die  Er- 
gebnisse der  noch  unbefangenen  älteren  Forschung  vergessen 
machen  möchte,2)  wird  es  auch  heute  noch  vor  allem  darauf 
ankommen,  mit  nüchterner  Kritik,  frei  von  jeder  nationalen, 
politischen  oder  kirchlichen  Voreingenommenheit  möglichst  ge- 
nau festzustellen,  was  wir  denn  eigentlich  von  den  Taten  der 
Jungfrau  durch  einwandfreie  Zeugen  beglaubigt  als  wirklich 
geschehen  gelten  zu  lassen,  als  historisch  anzuerkennen  haben. 

Bedenkt    man    nämlich,    daß    der    Rehabilitationsprozeß, 
welcher  das  Unrecht,    das  in  dem  zu  Rouen  geführten  fanati- 


J)  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV  S.  211. 

2)  Vgl.  die  heftigen,  his  zu  Schimpfworten  gesteigerten  Angriffe, 
die  von  klerikaler  Seite  gegen  Forscher  wie  Quicherat,  H.  Martin,  Si- 
meon  Luce  u.  A.  gerichtet  worden  sind,  weil  sie  der  Legende  gegenüber 
der  geschichtlichen  Wahrheit  zu  ihrem  Recht  verhelfen  wollten,  wie  na- 
mentlich von  P.  de  Langogne,  Jeanne  d'Arc  devant  la  Congregation  des 
Rites  (Paris  1894)  S.  9—10,  47  ff.,  73-74  u,  107  ff. 

4* 


52  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 


;>_ 


scher  nationaler  Haß  begangen  hatte,  gut  machen  sollte,  nahe- 
zu ein  Menschenalter  nach  jenem  in  Szene  gesetzt  wurde,  und 
erwägt,    daß    er   von  Anfang  an    auf  ein  bestimmtes  Ergebnis 
und  zwar  auf  ein  dem  zu  Rouen  erstrebten  und  erreichten  dia- 
metral entgegengesetztes  angelegt  war,    also  genau  wie  jener, 
ja   vielleicht   in   noch  höherem  Maße   ein  Tendenzprozeß  war, 
der   eine    gewisse,    für   die   nächst  interessierten  Kreise  längst 
feststehende  These    als   richtig   erweisen    und  alle  aus  ihr  ge- 
zogenen praktischen  Konsequenzen  als  berechtigt  dartun  sollte, 
so  wird  man  den  Aussagen  der  darin  produzierten  Zeugen  von 
vorneherein    ein    gewisses   Mißtrauen    entgegenbringen.     Denn 
selbst   wenn   diese  Leute   sich  der  leitenden  Absicht  nicht  be- 
wußt und  sie  zu  fördern  nicht  bestrebt  waren,   so  standen  sie 
doch    unter  dem  Bann    der   inzwischen    ausgebildeten  Legende 
und  konnten  daher,    was  sie  einst  gesehn  und  gehört  hatten, 
nur   mit   der   dadurch   bedingten  Voreingenommenheit  sich  in 
das  Gedächtnis  zurückrufen.    In  den  seit  ihrem  Tod  zu  Saint- 
Ouen    verflossenen  Jahren    war   Jeanne   d'Arc   noch    in    einem 
ganz  andern  Sinn  zur  Gesandtin  Gottes  geworden,  als  sie  das 
selbst  wenigstens  im  Beginn  ihrer  Laufbahn  zu  sein  behauptet 
hatte,  wo  sie  noch  gewissermaßen  das  Naturkind  und  von  dem 
sie   nachher   immer   höher   schraubenden  Einfluß    des  sich  um 
sie  sammelnden  Stabes  schwärmerischer  Priester  und  eifernder 
Mönche    unabhängiger    war.     Infolgedessen    waren   auch    ganz 
einfache  Worte,  welche,  als  sie  sie  aussprach,  jeder  bewußten 
Beziehung  auf  ihren  himmlischen  Beruf  entbehrt  hatten,   ent- 
sprechend aus-  und  umgedeutet  worden.     Belege  dafür  finden 
wir   auf  Schritt   und   Tritt.     Aus    der   zu  Vaucouleurs   gegen 
Robert  de  Baudricourt  ausgesprochenen  Befürchtung,  die  Ver- 
zögerung des  Zugs  nach  Orleans  werde  der  Sache  des  Königs 
noch  neue  schwere  Verluste  bereiten,  war  eine  Vision  gewor- 
den,   vermöge    deren   Jeanne  d'Arc    die   für  die  Franzosen    so 
nachteilige  „Häringsschlacht",   während  sie  stattfand,  verkün- 
digt  haben   sollte.1)     Daß   in    dem  Brief,    durch   den    sie  von 


*)  Proces  V  S.  125,  128,  206,  208.  Vgl.  Prutz,  Studien  zur  Geschiebte 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  oö 

Sainte  Catherine-de-Fierbois  aus  Karl  VII.  um  die  Erlaubnis 
bat  vor  ihm  in  Chinon  zu  erscheinen,  auf  die  150  Meilen  hin- 
gewiesen war,  welche  sie,  um  zu  ihm  zu  gelangen,  durch- 
messen hätte,  hatte  das  Motiv  abgegeben  für  die  breitere  Aus- 
malung der  Fährlichkeiten,  denen  sie  sich  mit  ihren  Begleitern 
auf  dem  Ritt  von  Vaucouleurs  her  ausgesetzt  gesehn  hatte, 
und  die  in  demselben  Schreiben  ausgesprochene  Zuversicht,  sie 
werde  den  König,  obgleich  sie  ihn  noch  nie  gesehn,  doch  als- 
bald inmitten  aller  seiner  Höflinge  erkennen,  hatte  sich  zu 
der  Angabe  verdichtet,  sie  habe  denselben  mehrfachen  Täu- 
schungsversuchen zum  Trotz  wirklich  sofort  herausgefunden 
und  geziemend  begrüßt.1)  Und  auch  sonst  noch  läßt  sich  der 
Ursprung  später  breit  ausgemalter  legendärer  Züge  in  ähn- 
licher Weise  nachweisen. 

Angesichts  einer  so  stark  mit  Zu-  und  Umdichtungen 
durchsetzten  Überlieferung  muß  die  Forschung  versuchen,  we- 
nigstens einzelne  Vorgänge  auf  Grund  der  leider  nur  in  ge- 
ringer Zahl  vorliegenden  Aussagen  von  Personen,  die  ihnen, 
als  sie  sich  zutrugen,  unbefangen  gegenüberstanden,  so  zu  re- 
konstruieren, wie  sie  sich  dereinst  abgespielt  haben,  indem  sie 
sie  aus  der  Hülle  späterer  Zutaten  in  ihrem  ursprünglichen, 
im  Rahmen  der  Alltäglichkeit  gebliebenen  und  jedenfalls  nicht 
in  die  Sphäre  des  Wunders  und  des  Überirdischen  hinauf- 
reichenden Verlauf  gleichsam  herausschält.  An  den  Mitteln 
dazu  fehlt  es  nicht  ganz.  Es  sind  in  erster  Linie  die  Aus- 
sagen  derjenigen  in  dem  Rehabilitationsprozeß  vernommenen 
Zeugen,  die  Jeanne  d'Arc  zu  Anfang  ihrer  Laufbahn  nahe- 
kamen, ihr  Auftreten  nicht  ohne  Verwunderung  beobachteten, 
aber  die  ihnen  dabei  aufsteigenden  Zweifel  aus  Rücksicht  auf 
die  außerordentliche  Lage  unterdrückten,  den  überraschenden 
Fortgang  unparteiisch  verfolgten  oder  wohl  gar  mit  handelnd 
daran    teilnahmen    und   so    erst    durch  die  Erfolge  der  Heldin 


der  Jungfrau  von  Orleans  in  diesen  Sitzungsberichten  1913   Abhandl.  2 
S.  90—91. 

x)  Vgl.   Prutz,  Die  Briefe  Jeanne  d'Arcs  ebendas.  1914  Abhandl.  1 
S.  9-10. 


.">  I  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

recht  Glauben    zu   schenken    bestimmt   wurden.     Schon  früher 
habe    ich   darauf  hingewiesen,1)   wie   gerade  die  Männer,    die 
Jeanne    d'Arc    während    des    ersten,    aufsteigenden   Teils   ihrer 
Laufbahn  nahekamen   und   eigentlich  militärisch  das  leisteten, 
was    nachmals    vermöge    der    in    ihr    wirkenden    überirdischen 
Kräfte    die  Jungfrau   geleistet   haben  sollte,    in  ihr  zwar  eine 
außerordentliche    Erscheinung    sahen ,     aber    doch    nicht    eine 
Wundertäterin,    deren    Wirken    außerhalb    des    sonst    für    das 
menschliche    Handeln    geltenden    natürlichen  Kausalnexus   ge- 
standen   hätte.     Der   Bastard    von  Orleans,    Johannas  Kampf- 
genosse während  der  denkwürdigen  Tage  von  Orleans,  machte 
kein  Hehl  daraus,    daß    er  anfangs  an  ihre  Worte  doch  nicht 
recht   habe    glauben    wollen    und   erst  nach  ihrem  glücklichen 
Einzug  in  die  belagerte  Stadt  Vertrauen  zu  ihr  gefaßt  habe.2) 
Ähnlich    stellt   sich    dem    greisen  Raoul  de  Gaucourt,    der  bei 
der  Verteidigung  von  Orleans  eine  so  hervorragende  Rolle  ge- 
spielt,   in    der  Erinnerung   das  Bild    der   ihm   aufgedrungenen 
und   von    ihm    zunächst   mit  unverhohlenem  Mißtrauen  aufge- 
nommenen Kampfgenossin  dar.3)    Auch  Herzog  Johann  II.  von 
Alenc^n,  der  Stellvertreter  des  Königs  bei  dem  Heer  während 
des  kurzen,  so  überaus  glänzenden  Loirefeldzugs,    der  als  sol- 
cher eigentlich  das  leistete,  was  später  auf  Rechnung  der  Füh- 
rung Johannas    gesetzt    wurde,    dann    in   richtiger  Würdigung 
der  militärischen  und  politischen  Lage  statt  des  unnützen,  auf 
eine    Demonstration    hinauslaufenden    Zuges    nach  Reims    viel- 
mehr  in  Gemeinschaft   mit   der  Jungfrau,    deren  Anwesenheit 
die  Truppen  begeisterte,4)  in  die  Normandie  ziehen  wollte,  um 
die  Macht  der  fremden  Eroberer  an  der  entscheidenden  Stelle 
zu  treffen,  der  bevorzugte  und  vertraute  Waffengefährte  Jeanne 
d'Arcs    bis    zu    dem    vergeblichen    Angriff  auf  Paris,    läßt   in 
seiner    Aussage    ihren    außerordentlichen    Eigenschaften    volle 
Gerechtigkeit   widerfahren,    ist   aber  doch  weit  davon  entfernt 


*)  Vgl.  Studien  usw.  S.  77-78. 

2)  Proces  III   S.  G:    Exhinc    dictus   deponens   habebat  bonam  spem 
de  ea  et  plus  quam  antea. 

3)  Ebd.  S.  16-19.  4j  Ebd.  S.  18. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  55 

in  ihr  ein  sozusagen  überirdisches  Wesen  zu  sehen.  Das  lehrt 
schlagend  der  Bericht,  den  einer  seiner  Dienstmannen,  der  den 
Loirefeldzug  und  den  Kampf  vor  Paris  mitgemacht  und  Ge- 
legenheit gehabt  hatte  von  seinem  Herrn  viel  über  das  wun- 
derbare Mädchen  zu  hören,  Perceval  de  Cagny,  in  seinen  alten 
Tagen  in  den  von  ihm  aufgezeichneten  anspruchslosen  Denk- 
würdigkeiten von  Johannas  Tun  entworfen  hat1):  sie  ist  ihm 
von  Gott  gesandt,  wie  alles  Gute  von  Gott  kommt,  ihre  Reden 
aber  und  ihre  Handlungen  wachsen  bei  ihm  nirgends  in  das 
Übermenschliche  hinaus.  So  scheint  es  eben  allen  denen  ge- 
gangen zu  sein,  die  der  Jungfrau  im  alltäglichen  Verkehr 
nahe  kamen,  die  während  der  Märsche,  im  Feldlager,  bei  den 
gemeinsamen  Mahlzeiten  und  dann  wieder  im  Gewoge  des 
Kampfes  Zeugen  davon  waren,  wie  sie  jetzt  heftig  drein- 
stürmte  und  ihrer  Wunden  nicht  achtete  und  dann  wieder 
weinte  und  klagte,  ermüdete  und  hilfsbedürftig  war,  gelegent- 
lich aber  auch  in  der  Derbheit  des  Redens  und  Handelns  ihre 
bäuerliche  Herkunft  erkennen  ließ.  Diese  Leute  nahmen  ein 
ganz  anderes  Bild  von  ihr  mit  hinweg  als  diejenigen,  welche 
sie  hoch  zu  Roß,  in  prunkvoller  Rüstung,  mit  dem  wehenden 
Banner  als  triumphierende  Siegerin  von  der  Menge  umjubelt 
und  wie  eine  Heilige  verehrt,  unter  den  Lobgesängen  ihres 
geistlichen  Stabes  einherziehen  sahen  und  in  frommer  Ver- 
zückung in  jedem  Wort,  das  von  ihren  Lippen  kam,  eine 
Offenbarung  zu  finden  geneigt  waren.  Dahin  gehören  nächst 
den  genannten  militärischen  Größen  einige  Männer,  die  1429- 
in  deren  Diensten  standen  und  ihrer  persönlichen  Umgebung 
angehörig  mit  ihnen  der  Jungfrau  nahe  kamen,  wie  Louis  de 
Contes,  Seigneur  de  Noyon  und  Rengles,  der  als  Page  oder 
Knappe  Goncourts  an  dem  Zuge  nach  Orleans  teilnahm  und 
mit  der  Jungfrau  nach  der  Stadt  übersetzte,2)  dann  Thibaud 
d'Armignac  de  Ternes,  der  dem  Gefolge  des  Bastard  angehörte 
und  mit  diesem  der  nahenden  Retterin  entgegenging  und  sie 
in  die  Stadt  geleitete,')  und  vor  allen  Jean  d'Aulon,  nachmals 


l)  Vgl.  oben  S.  13.  2)  Proces  III  S.  67  ff.  3)  Ebd.  S.  19. 


56  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

königlicher  Rat  und  Seneschal  von  Beaucaire,  der  schon  in 
Chinon  vom  König  der  Jungfrau  beigegeben  und  gewisser- 
maßen zum  Vorsteher  ihres  militärischen  Hauses  bestellt  war.1) 
Nächst  diesen  in  dem  Rehabilitationsprozeß  über  das  mit  Jeanne 
d'Arc  Erlebte  vernommenen  Laien  kriegerischen  Berufs  ist  dann 
namentlich  von  Bedeutung  der  Augustiner-Eremitenmönch  Jean 
Pasquerel,2)  der  Johanna  von  ihrem  ersten  Zusammentreffen  in 
Tours  an  bis  zu  dem  Unglückstag  von  Compiegne  als  Kaplan 
begleitete,  aber  eben  deshalb  in  seinen  Aussagen  durch  beson- 
dere Rücksichten  gebunden  war.  Obenein  führen  —  was  bis- 
her, soweit  ich  sehe,  nicht  beachtet  worden  ist  —  gewisse 
Spuren  auf  die  Vermutung,  der  „gute  Pater"  sei  Jeanne  d'Arc 
von  bestimmten  Persönlichkeiten  und  daher  wohl  auch  in  einer 
bestimmten  Absicht  zugeführt  worden.  Um  die  Zeit,  da  diese 
in  Chinon  erschien,  so  gibt  er  selbst  an,  sei  er  in  einem  diesem 
benachbarten  Ort  mit  deren  Mutter,  Isabeau  d'Arc,  „la  Ro- 
mee"  d.  i.  der  Romfahrerin,  die  religiös  hochgradig  erregt  ge- 
wesen zu  sein  scheint,3)  und  mit  einigen  ihm  von  früher  her 
bekannten  von  deren  Begleitern  zusammengetroffen,  sei  mit 
diesen  von  Chinon  nach  Tours  gegangen  und  dort  der  Jung- 
frau, von  deren  Auftreten  er  schon  gehört  hatte,  vorgestellt 
mit  der  Bemerkung,  wenn  sie  ihn  erst  recht  kennen  gelernt 
habe,  werde  sie  ihn  nicht  wieder  von  sich  lassen  wollen:  diese 
sei  damit  um  so  zufriedener  gewesen,  als  sie  von  Pasquerel 
schon  früher  habe  sprechen  hören.4)    Man  gewinnt  bei  diesem 


])  Ebd.  S.  209  ff.  2)  Ebd.  S.  100  ff. 

3)  Ebd.  S.  101  die  Anmerkung  Quicherats,  der  als  Ort  der  Anwesen- 
heit von  Johannas  Mutter  das  Dorf  Anche  bei  Chinon  vermutet  durch 
Emendation  des  im  Text  stehenden  augenscheinlich  unrichtigen  „in  villa 
Aniciensi".  Es  dürfte  aber  wohl  der  Wallfahrtsort  Puy-en-Velay  zu  ver- 
muten sein. 

4)  Ebd.:  ....  Et  in  eadem  villa  Turonensi  .  .  .  Johannam  allo- 
cuti  fuerunt  Uli,  qui  eundem  loquentem  adduxerant,  dicendo:  „Johanna, 
nos  adduximus  vobis  isturu  bonum  patrem,  si  eum  bene  cognosceretis, 
vos  eum  multum  diligeretis."  Quibus  ipsa  Johanna  respondit,  quod  bene 
contentabatur  de  loquente  et  quod  iam  de  eo  audiverat  loqui  quodque 
in  crastino  volebat  eidem  loquenti  confiteri. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  57 

Bericht  doch  den  Eindruck,  das  Zusammentreffen  sei  kein  ganz 
zufälliges  gewesen,  sondern  die  intime  Verbindung  des  Augu- 
stiners mit  der  Jungfrau  sei  von  einer  bestimmten  Seite  und 
demnach  doch  wohl  auch  in  einer  bestimmten  Absicht  vor- 
bereitet und  ins  Werk  gesetzt  worden.  Pasquerel  war,  so 
scheint  es,  der  Mittelsmann,  dessen  eine  kirchlich-politische 
Aktionspartei  sich  bediente,  um  nach  glücklicher  Überwindung 
der  am  Hofe  herrschenden  trägen  Indolenz  den  Einfluß  der 
Jungfrau  auf  Heer  und  Volk  in  einer  bestimmten  Richtung 
geltend  zu  machen. 

An  die  Berichte  dieser  Männer  wird  man  sich  in  erster 
Linie  zu  halten  haben,  will  man  wenigstens  die  Umrisse  des 
Bildes  der  geschichtlichen  Jeanne  d'Arc  einigermaßen  sicher 
feststellen.  Auszugehn  ist  dabei  von  den  Johannas  erstes  Auf- 
treten begleitenden  Ereignissen,  die  noch  wenig  Außerordent- 
liches boten,  dennoch  aber  —  oder  vielleicht  eben  deshalb  — ■ 
von  der  Legende  besonders  ausgeschmückt  und  umgedichtet 
worden  sind,  während  die  als  Augenzeugen  darüber  berichten- 
den Persönlichkeiten  ihr  zunächst  noch  leidlich  unbefangen 
gegenübergestanden  hatten  und  daher  das  Bild  ihrer  ersten 
Begegnung  mit  der  nachher  zu  so  erstaunlicher  Bedeutung 
aufgestiegenen  lothringischen  Bäuerin  besonders  treu  in  ihrer 
Erinnerung  bewahren  konnten.  Dagegen  fanden  die  sensatio- 
nellen Vorgänge,  die  weiterhin  folgten,  auch  diese  Leute  be- 
reits disponiert  dem  Zuge  der  erregten  öffentlichen  Meinung 
zu  folgen  und  die  Trägerin  so  außerordentlicher  Begebnisse 
ebenfalls  mehr  und  mehr  in  dem  Lichte  einer  über  über- 
menschliche Kräfte  verfügenden  Wundertäterin  zu  sehen.  Da- 
bei darf  jedoch  nicht  außer  Acht  gelassen  werden,  daß  die 
Fragen,  die  den  Zeugen  im  Rehabilitationsprozeß  vorgelegt 
wurden,  von  den  das  Verfahren  leitenden  kirchlichen  Instanzen 
wohlweislich  schon  so  formuliert  waren,  daß  es  wenn  nicht 
unmöglich,  so  doch  schwierig  und  vielleicht  sogar  gefährlich 
war,  eine  andere  Antwort  zu  geben,  als  gewünscht  und  er- 
wartet wurde.  Wer  hätte  wohl  auf  die  Frage,  ob  er  der  Jung- 
frau Taten   mehr  auf  göttliches  oder  auf  menschliches  Wirken 


58  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

zurückführe,  zu  antworten  wagen  können,  er  halte  sie  für  rein 
menschlichen  Ursprungs?  Der  herrschenden  Strömung  folgend 
ließen  daher  auch  diejenigen  Zeugen,  welche  Johanna  zu  Be- 
ginn ihrer  Laufbahn  in  der  ihr  damals  trotz  aller  Ekstase 
noch  gebliebenen  Natürlichkeit  gesehen  und  beobachtet  hatten, 
sie  eigentlich  im  Widerspruch  mit  dem  diesen  Eindruck  wie- 
dergebenden Teil  ihrer  Aussagen  als  eine  mit  übermenschlichen 
Kräften  ausgestattete  Gesandtin  Gottes  gelten,  wenn  auch  wohl 
in  der  Stille  in  einem  etwas  andern  Sinn  als  die  Kirche  und 
die  legenden  gläubige  Menge. 

Wenden  wir  diese  Gesichtspunkte  auf  die  Überlieferung 
von  den  Ereignissen  an,  welche  der  Prüfung  zu  Poitiers  zu- 
nächst folgten,  den  Beginn  der  kriegerischen  Laufbahn  Jeanne 
d'Arcs  mit  dem  Zuge  nach  Orleans.  Gerade  da  stellt  dieselbe 
das  Erreichte  dar  als  deren  persönliches  Werk,  vollbracht  ver- 
möge der  in  ihr  wirkenden  himmlischen  Kräfte.  Eine  genaue 
Prüfung  der  Aussagen  der  handelnd  daran  beteiligten  Zeugen 
ergibt  aber,  daß  der  Anteil  der  Jungfrau  recht  unbedeutend 
war  und  daß  von  einer  leitenden  Stellung  derselben  dabei  nicht 
die  Rede  sein  kann. 

Wenn  Jeanne  d'Arc  von  vorneherein  erklärt  hatte,  sie  sei 
von  dem  himmlischen  König  gesandt,  um  Orleans  zu  entsetzen, 
so  scheint  sie  doch  zunächst  darauf  gerechnet  zu  haben,  daß 
es  dazu  eines  Kampfes  nicht  bedürfen,  vielmehr  die  Verkün- 
digung des  ihr  gewordenen  Auftrages  genügen  werde,  um  die 
Engländer  zum  Abzug  zu  bestimmen.  Noch  nach  der  Ankunft 
in  der  bedrängten  Stadt  hat  sie  diese  Erwartung  ausgesprochen, 
freilich  unter  drohendem  Hinweis  auf  das  göttliche  Strafgericht, 
das,  wenn  sie  sich  dem  Gebote  nicht  fügten,  über  die  Fremd- 
linge hereinbrechen  werde.1)  Daher  hat  es  sich  denn  auch 
bei  den  Vorbereitungen  des  Zuges  nach  Orleans  zunächst  nicht 
um  die  Aufbringung  von  Streitkräften  gehandelt,  welche  die 
Belagerer  aus  ihren  in  weitem  Bogen  um  die  Stadt  erbauten 
Bastillen   vertreiben   sollten,    sondern  nur  um  die  Verprovian- 

])  Proces  III  S.  107;    vgl.  Prutz,  Die  Briefe  Jeanne  d'Arcs,  a.  a.  0. 
S.  16. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  59 

tierung  der  Eingeschlossenen  und  ihre  Ausrüstung  mit  dem 
zur  Fortsetzung  des  Widerstandes  nötigen  Kriegsgerät. l)  Das 
aber  war  nicht  so  besonders  schwierig,  da  Orleans  gar  nicht 
so  eingeschlossen  war,  daß  der  Zugang  nur  durch  einen  Kampf 
zu  erschließen  gewesen  wäre:  nicht  bloß  Boten  gingen  zwi- 
schen den  Verteidigern  und  den  Nachbarstädten  sowie  dem 
Hofe  hin  und  her,  sondern  auch  Proviant-  und  Munitions- 
transporte sowie  Verstärkungen  an  Mannschaften  kamen  un- 
gehindert hinein.2)  So  war  die  Annahme  berechtigt,  die  Ver- 
längerung der  Widerstandsfähigkeit  der  Stadt  werde  genügen, 
um  den  Engländern  die  Fortsetzung  des  dann  vollends  aus- 
sichtslosen Unternehmens  zu  verleiden.  Daher  hielt  Johanna 
denn  auch  ihre  Aufgabe  zunächst  schon  für  gelöst,  als  der 
Proviant-  und  Munitionstransport,  den  sie  mitgeleitete,  glück- 
lich in  die  Stadt  gebracht  war,  und  wollte  alsbald  nach  Blois 
zurückkehren.3)  Daß  die  Belagerer  nicht  abzogen,  war  für 
sie  eine  Enttäuschung  und  nötigte  sie  die  friedlichen  Absichten 
aufzugeben,  mit  denen  sie  sich  bisher  getragen  hatte:  das 
mahnende  Wort  der  Gesandtin  Gottes  hatte  nicht  den  erwar- 
teten Eindruck  gemacht. 

Hält  man  dies  fest,  so  gewinnen  die  Vorgänge  in  und  bei 
Orleans  in  mancher  Hinsicht  ein  anderes  Ansehn  und  werden 
auch  zeitlich  etwas  anders  zu  ordnen  sein,  als  gewöhnlich  ge- 
schieht. Daß,  wie  eine  im  ganzen  wohlunterrichtete,  uns  aber 
nur  in  einer  späteren  Überarbeitung  vorliegende  Quelle  wissen 
will,  der  Gedanke,  die  Rettung  Orleans  zunächst  durch  aus-' 
reichende  Verproviantierung  zu  versuchen,  schon  während  des 
Aufenthalts  Johannas  und  des  Hofes  in  Poitiers  erwogen  wor- 
den sei,4)  ist  ja  wohl  möglich;  der  Beschluß  dazu  ist  jedoch 
wohl  erst  später  gefaßt  und  dann  seine  Ausführung  noch  lange 


*)  Vgl.  die  Aussage  Gaucourts  Proces  III  S.  18:  (Johanna)  ivit  apud 
Blois,  ubi  primo  se  armavit  pro  conducendo  victualia  Aurelianis  et  suc- 
currendo  habitantibus  in  ea. 

2)  S.  die  Einzelangaben  darüber  in  dem  Journal  du  siege  S.  69, 
72,  73  u.  75. 

3)  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV  S.  219.  4)  Ebd.  S.  212. 


60  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

hingezögert  worden,  weil  die  Beschaffung  der  der  Stadt  zuzu- 
führenden  Vorräte,    welche  die  Lieferanten  angesichts  des  ge- 
wagten   Unternehmens    nur    gegen    bare    Zahlung    hergeben 
wollten,    infolge   des   am   Hofe  herrschenden  Geldmangels   auf 
Schwierigkeiten  stieß,  die  zu  beseitigen  der  Herzog  von  Alen- 
con  in  Karls  VII.  Auftrag  bei  dessen  Schwiegermutter  Jolanthe 
von  Sizilien  die  Mittel  aufzutreiben  suchte. *)    Das  erklärt  schon 
zur  Genüge  die  Verzögerung  des  Aufbruchs,  durch  welche  die 
Jungfrau  sich  noch  länger  zu  quälender  Untätigkeit  verurteilt 
sah.     Wann    die  Erfüllung   ihres  Verlangens   ihr   endlich    zu- 
gesagt wurde,    wissen  wir  nicht  bestimmt.     Nur  der  Ort,    wo 
es   geschah,    St.  Benoit  an    der  Loire,    wird  später  von  einem 
der   damals    am   Hofe   verweilenden  Zeugen    genannt.2)     Aber 
von  da  bis  zum  Aufbruch  des  Transports  verstrich  sicher  noch 
längere  Zeit,  schon  weil  nach  glücklicher  Beseitigung  der  finan- 
ziellen   Schwierigkeiten    die  Vorräte    erst    zu    Schiff  die  Loire 
aufwärts   nach  Blois  geführt  werden  mußten,    um  dort  weiter 
verladen    zu    werden.     Erst  als  daselbst  alles  beisammen  war, 
begab  Johanna  sich  ebenfalls  dorthin,   um  nach  kurzem  Auf- 
enthalt   —   ihr  Kaplan  Pasquerel    bemißt  ihn  in   der  Erinne- 
rung auf  zwei  bis  drei  Tage  — 3)  nach  Orleans  aufzubrechen. 
Da   dies    am    27.,    nach  anderen   am  28.  April  geschah,    kann 
Johanna   nicht  wohl  vor  dem  24.  oder  25.  April  in  Blois  er- 
schienen   sein.     Dazu   stimmt,    daß    die  königliche  Anweisung 
auf  100  Livres  für  einen  ihrer  Begleiter  auf  dem  Ritt  von  Vau- 
couleurs    nach  Chinon    als  Entschädigung   für    den    dabei    ge- 
machten Aufwand  und  zur  Bestreitung  der  ihm  aus  der  Teil- 
nahme   an   dem   Zug    nach  Orleans   erwachsenden  Kosten   erst 
vom   21.  April    datiert   ist.*)     Um    diese  Zeit    dürfte  auch  die 


!)  Proces  V  S.  93.  2)  Ebd.  111  S.  116. 

3)  Ebd.  S.  104:  Et  fuerunt  in  villa  Blesensi  circiter  per  duos  vel 
tres  dies.  Louis  de  Contes  ebd.  S.  67:  ....  stetit  in  ...  .  villa  Ble- 
sensi per  aliquot  tempora,  de  quibus  non  recordatur. 

4)  Ebd.  V  S.  257:  qu'il  leur  convient  faire  un  voyage,  qu'ilz  ont 
entencion  de  faire  pour  servir  .  .  .  .  en  l'armee  par  luv  ordonnee  pour 
le  secours  d'Orleans. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  bl 

bekannte    Sommation    Johannas    an    die    Engländer    ergangen 
sein,    die  fälschlich  mit  dem  Datum  vom  22.  März  überliefert 
ist. l)     Aus  ihr  spricht  noch  die  Zuversicht,  das  Wort  der  Ge- 
sandtin Gottes  werde  genügen,  um  die  Engländer  zum  Abzüge 
zu    vermögen    und    Orleans    so    ohne  Kampf  zu  retten.     Denn 
zu    den    bisher   gegen    die  herkömmliche  Datierung  dieses  be- 
rühmten Schreibens  angeführten  Gründen  kommt  noch  die  Er- 
wägung,   daß    einem    solchen  Erlaß   an  die  Engländer  die  für 
den    Fall    des  Ungehorsams   darin    angedrohte  Ahndung   doch 
nicht  erst  nach  langen  Wochen,   sondern  möglichst  sofort  er- 
folgen   mußte,    wenn   nicht  die  Mission  Johannas  von  Anfang 
an  diskreditiert  werden  sollte.     Im  Einklang  damit  wird  denn 
auch  die  Nichtbeachtung  der  Sommation  als  Grund  dafür  an- 
gegeben,   daß    der   Aufbruch   von   Blois   beschlossen    wurde.2) 
Man  eilte  nun  die  bisher  verlorene  Zeit  möglichst  einzubringen. 
Doch    waren    es    offenbar  weniger  eigentlich  kriegerische, 
auf  einen    baldigen   Entscheidungskampf  mit    den  Engländern 
berechnete  Vorbereitungen   und   auch  nicht  die  Sorge  für  den 
Transport  der  für  Orleans  bestimmten  Vorräte,  die  auf  Pferden, 
Wao-en   und  Karren    verladen   wurden,    was  Johanna  während 
des  kurzen  Aufenthaltes  in  Blois  beschäftigte,  als  vielmehr  die 
Organisation    der   kleinen    zu  ihrer  Bedeckung  dienenden    und 
von    dem    übrigen  Heere    getrennten  Mannschaft,    die   sie  und 
den  ihr  in  Tours  vom  König  zugeteilten  Stab  umgab.3)    Doch 
handelte  es  sich  dabei  nicht  um  militärische,  sondern  um  kirch- 
liche Gesichtspunkte,  welche  der  Jungfrau  damals  ebenso  fremd 
gewesen   sein   dürften    wie    die    ersteren.     Denn  die  angeblich' 
von    ihr    erlassenen    Bestimmungen    betrafen    die    Herstellung 
streng  kirchlicher  Zucht  und  sittlichen  Wandels  unter  den  ihr 
persönlich  beigegebenen  Leuten:  sie  sollten  einander  alles  ver- 
geben   und    auf  jede  Vergeltung   für   erlittenes   Unrecht   ver- 
zichten, auf  ihr  Seelenheil  denken  und  für  ein  reines  Gewissen 
sorgen,    daher    täglich    beichten    und    kommunizieren,    so    wie 

1)  Prutz,  Die  Briefe  Jeanne  d'Arcs,  a.  a.  0.  S.  11  —  13. 

2)  Journal  du  siege  S.  74. 

3)  Proees  III  S.  67:  ....  et  habuit  ipsa  Johanna  tunc  statum  a  rege. 


62  1.  Abhandlung:   Hans  Prutz 

Johanna  selbst  es   tat.     Das  alles  aber  stammt  nicht  von  Jo- 
hanna  her,   ja    nicht   einmal   von    ihren    geistlichen  Beratern, 
sondern   lief  —  was  man  bisher  übersehen  hat  —  hinaus  auf 
eine  fast  wörtliche  Wiederholung  des  Friedensgebots,   das  von 
den  städtischen  Autoritäten  von  Le  Puy-en-Velay  (dem  Haupt- 
ort  des  Departement  Haute-Loire)    erlassen    und    den  benach- 
barten Fürsten   und  Städten   zur  Nachachtung  und  Unterstüt- 
zung  mitgeteilt  zu   werden   pflegte,    wenn   daselbst  der  große 
Ablaß  stattfand,    zu  dem   viele  tausende  von  Wallfahrern  zu- 
sammenströmten.1)    Das   aber   war   eben    1429    der  Fall,    und 
wir  wissen,  daß  der  Jungfrau  Mutter  damals  dorthin  pilgerte, 
und   dürfen    vermuten,    daß    es   dort  war,    wo  Jean  Pascpuerel 
mit  derselben   und   anderen  Begleitern  Johannas  von  Vaucou- 
leurs    her    zusammentraf   und    dieselbe    aufzusuchen    veranlaßt 
wurde.2)      Als    ein    Werk    der    unter    himmlischer    Eingebung 
handelnden  Jungfrau  also  kann  man  diese  Ordnung  nicht  an- 
sehn.    Ebenso    unzutreffend   ist   die  Vorstellung,    Johanna  sei 
vom  König  förmlich  mit  der  Führung  des  Zuges  nach  Orleans 
betraut    worden.     Für  Fernerstehende    konnte    es  vielleicht   so 
scheinen,  auch  hat  natürlich  die  Legende  den  Erfolg  der  Lei- 
tung Johannas  zugeschrieben.3)     In  Wahrheit  ist   das  damals 
sowenig   wie    später   der   Fall   gewesen.     Vielmehr   ließen   die 
kriegserfahrenen  Männer   wie   Gaucourt,    Poton,   La  Hire    und 
andere,  denen  die  Verantwortung  für  den  Ausgang  des  Unter- 
nehmens oblag,    Johanna  eben  nur  gewähren,    gestatteten  ihr 
unter    dem   Druck    der   Lage    mitzugehn    und   sich    mit   ihren 
Leuten  den  von  ihnen  gesammelten  Mannschaften  anzuschließen, 
wollten   im   übrigen    aber   abwarten,    was   sie  von  ihren  Ver- 
heißungen, an  die  keiner  von  ihnen  ohne  weiteres  glaubte,  zu 
erfüllen    im   Stande    sein    würde.     Sie  taten  das  notgedrungen 
in  Rücksicht  auf  die  Volksstimmung,   der  Rechnung  getragen 
werden  mußte.     Man  machte  eben,  da  irgend  ein  andrer  Aus- 


!)  Ayroles  I  S.  15—16.  2)  Vgl.  oben  S.  5G. 

3)  So  entstand  die  falsche  Vorstellung,  wie  sie  im  Journal  du  siege 
S.  58  zum  Ausdruck  kommt,  der  König  habe  alle  Kapitäne  angewiesen 
„qu'ils  obeissent  ä  eile  comme  k  lui  et  aussy  firent-ils". 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  60 

weg  sich  nicht  mehr  darbot,  ein  Experiment,1)  ohne  von  dessen 
günstigem  Ausgang  zum  voraus  überzeugt  zu  sein,  und  hütete 
sich  für  den  Fall  des  Mißlingens  die  Verantwortung  zu  über- 
nehmen.    Daher  wird  es  denn  auch  nicht  bloß  mit  dem  stän- 
digen Geldmangel  am  Hofe  zu  erklären  sein,   wenn  die  Mittel 
für  die  bereits  in  Tours  beschaffte  kriegerische  Ausrüstung  der 
Jungfrau,    die   bisher   zwar   in   männlicher  Tracht,    aber  doch 
nicht  militärisch  gewaffnet  einhergegangen  war,  erst  nach  der 
Kettung  von  Orleans,  am  10.  Mai,  zur  Zahlung  angewiesen  wur- 
den.2)   Ohne  anerkannte,  bestimmt  umschriebene  amtliche  Stel- 
lung, so  muß  man  annehmen,  wurde  Johanna  den  nach  Orleans 
bestimmten  Mannschaften   mitgegeben,    samt  einer  um  sie  ge- 
sammelten kleineren  auserwählten  Gruppe.    Pasquerel  berichtet, 
sie  habe  ihn  beauftragt,  ein  Banner  anfertigen  zu  lassen,  auf 
dem    der  Heiland   am  Kreuz    dargestellt   war,    und   um  dieses 
zweimal  täglich,    früh  und  abends,    sämtliche  Geistliche  unter 
Lobgesängen    auf  die   Jungfrau   Maria   versammelt,    von    den 
Kriegern  dazu  aber  nur  diejenigen  zugelassen,  die  an  dem  be- 
treffenden   Tage   gebeichtet   hatten.      Alle    aber   habe   sie   er- 
mahnt zur  Beichte  zu  gehen,    damit  sie  an  diesen  Andachten 
teilnehmen    dürften.3)      Das   Gleiche    berichtet    Jean    d'Aulon, 
mit    dem  Bemerken,    diese    auserwählte  Mannschaft   habe    der 
Jungfrau    zur   persönlichen    Bedeckung   gedient    und    für   ihre 
Sicherheit  zu  sorgen  gehabt,4)  und  ein  dritter  Zeuge  Louis  de 
Contes   hat   wiederholt   Johanna   in   dieser  Priester-   und  Sol- 
datengemeinde   das    Abendmahl    nehmen    sehen.5)      Das    wird 
denn    freilich    den    verwilderten    Kriegern    eines   Marschall    de 
Rais,   La  Hire  usw.,    die  den  Transport  geleiten  sollten,    sehr 
befremdlich  vorgekommen  und  zunächst  vielleicht  nicht  unbe- 
spöttelt   geblieben   sein ,    verfehlte  ■  doch  aber  schließlich  nicht 
seinen  Eindruck,  namentlich  auf  die  bürgerlichen  Kreise,  denen 
singende    und    betende,    Disziplin  haltende,    sie  nicht  mißhan- 
delnde oder  ausraubende  Soldaten  eine  ganz  neue  Erscheinung 


1)  Chronique  de  la  Pucelle,  ProcÖ9  IV  S.  211  a.  E. 

2)  Proces  III  S.  528.  3)  Ebd.  S.  104—5. 
4)  Ebd.  S.  210.            5)  Ebd.  S.  67. 


64  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

waren,  und  zum  Teil  war  das  Ansehn,  das  Johanna  rasch 
weithin  gewann,  auf  diese  mehr  sittlich  reformierende  als 
kriegerische  Seite  ihres  von  ihrer  geistlichen  Umgebung  be- 
einflußten Wirkens  zurückzuführen. 

Daß  der  Zug  nach  Orleans  ohne  Fährlichkeit  sein  Ziel 
erreichte,  zeigt,  daß  die  Lage  der  Stadt  nicht  so  verzweifelt 
war,  wie  die  Tradition  sie  darstellt,  um  ihre  Rettung  umso 
wunderbarer  erscheinen  zu  lassen.  Wenn  Orleans  bisher  noch 
nicht  geholfen  war,  so  lag  das  an  der  Energielosigkeit  des 
schwachen  und  schlecht  beratenen  Königs  und  seines  in  Ge- 
nußsucht versunkenen  Hofes.  Einen  entscheidenden  Schlag 
gegen  die  Stadt  zu  unternehmen  waren  die  Belagerer  nicht 
stark  genug.  Sie  zählten,  nachdem  die  Burgunder  am  17.  April 
abgezogen  waren,  etwa  5000  Mann,  von  denen  für  einen  An- 
griff höchstens  3000  in  Betracht  kamen,  da  2000  als  Besatzung 
der  Bastillen  unabkömmlich  waren.1)  Auch  dem  von  Blois 
zu  erwartenden  Transport  wäre  der  Eintritt  nicht  zu  ver- 
wehren gewesen,  wenn  er  auf  dem  rechten,  nördlichen  Ufer 
der  Loire  blieb,  die  Landschaft  Beauce  in  einem  nordwärts  aus- 
holenden Bogen  durchzog,  die  englischen  Bastillen  umging,' 
so  die  von  Paris  her  kommende  Straße  erreichte  und  sich 
dann  unter  dem  Schutz  der  dortigen  Waldungen  der  unge- 
sperrt gebliebenen  nordwestlichen  Partie  der  Stadtmauer  näherte. 
Auch  waren  einige  von  den  Kapitänen,  die  den  Zug  zu  ge- 
leiten hatten,  für  diesen  durch  die  Lage  empfohlenen  Weg, 
die  Mehrzahl  aber  wollte  wohl  den  kostbaren  Transport  nicht 
der  Gefahr  eines  dabei  immerhin  möglichen  Zusammenstoßes 
mit  den  Engländern  aussetzen,  und  daher  wurde  im  Kriegs- 
rat, zu  dem  man  Johanna  nicht  zog  —  ein  neuer  Beweis  da- 
für, daß  sie  an  der  Leitung  des  Unternehmens  offiziell  nicht 
beteiligt  war  — ,  beschlossen,  auf  der  Brücke  von  Blois  über 
die  Loire  zu  gehen  und  südlich  von  ihr  ostwärts  zu  ziehen, 
um  so  erst  oberhalb  Orleans  wieder  an  den  Fluß  zu  kommen 
und  von  dort  aus  die  Vorräte  auf  Lastbooten  zur  Stadt  hinab 


*)  Morosini  III  S.  28.    Vgl.  Ayroles  III  S.  156-57. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  60 

und  hinüber  zu  führen,  also  durch  die  Landschaft  Sologne  zu 
gehen.1)  Doch  wurde  das  der  Jungfrau  verheimlicht:  ein  Ur- 
teil hätte  diese  allerdings  in  dieser  Frage  bei  ihrem  Bildungs- 
stand und  bei  ihrer  Unbekanntschaft  mit  der  Gegend  auch  gar 
nicht  gehabt.  Diese  beweist  zur  Genüge  die  von  verschiedenen 
Zeugen  bekundete  Tatsache,  daß  sie,  obwohl  man  gleich  in 
Blois  auf  das  linke  Loireufer  gegangen  war,  sich  in  der  Beauce 
zu  befinden  wähnte  und  den  von  ihr  gewollten  Weg  zu  ver- 
folgen glaubte  und  erst  allmählich  oder  gar  erst  bei  der  An- 
kunft oberhalb  Orleans  des  ihr  gespielten  Betruges  inne  wurde.2) 
Von  dem  Verlauf  des  Zuges  im  einzelnen  haben  wir  keine 
Kunde.  Nicht  einmal  der  Tag  des  Aufbruchs  steht  fest.  Der 
deutsche  Chronist  Eberhard  Windike  nennt,  wohl  auf  Grund 
eines  der  offiziösen  Berichte,  die  der  französische  Hof  über 
diese  seine  Lage  so  unverhofft  bessernden  Ereignisse  verbreiten 
ließ,  den  28.  April,  während  Pasquerel  den  27.  im  Gedächtnis 
behalten  hatte,  da  er  im  ganzen  drei  Tage  auf  den  Marsch 
rechnet.  Zu  ersterem  würde  die  Chronique  de  la  Pucelle  stim- 
men, welche  die  Truppe  nur  eine  Nacht  im  Freien  lagern  läßt, 
während  Pasquerel  von  zwei  im  Biwak  verbrachten  Nächten 
spricht.3)  Der  verfolgte  Weg  ergibt  sich  aus  den  örtlichen 
Verhältnissen:  nach  Überschreitung  der  Loire  auf  der  Brücke 
von  Blois  wandte  der  Zug  sich  alsbald  ostwärts,  ging  in  ge- 
messener Entfernung  von  den  Brückenköpfen  von  Baugency 
und  Meuny  vorbei  nach  dem  nur  vier  Kilometer  südlich  von 
Orleans  malerisch  am  Loiret  gelegenen  Olivet  und  dann  in 
nordwestlicher  Richtung  auf  die  Loire  zu.  Die  Engländer 
hielten  sich  ruhig  und  hatten  sogar  die  südlichste  vorgescho- 
bene Bastille  Saint-Jean-le-Blanc,  von  der  aus  der  Marsch  leicht 


1)  Perceval  de  Cagny  S.  141. 

2)  Journal  du  siege  S.  74;  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV 
S.  217  u.  18.  ßoucher  de  Molandon,  a.  a.  0.  S.  45—46  leugnet  die  Täu- 
schung Johannas  über  den  Weg  unter  Hinweis  auf  „son  intelligence 
superieur  et  sa  constante  preoccupation  de  faire  lever  le  siege"  —  er- 
stere  ist  unerwiesen,  letztere  war  auf  einen  Ei'folg  ohne  Kampf  gerichtet. 

3)  Proces  III  S.  105.     Vgl.  France  I  S.  298. 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  1.  Abb.  5 


66  l.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

gestört  werden  konnte,  geräumt  und  die  Besatzung  nach  Les 
Augustins  zurückgenommen.1)  Sollte  Johanna  wirklich,  wie 
es  heißt,  den  Vorschlag  gemacht  haben  gleich  hier  links  ab- 
zuschwenken und  nordwärts  marschierend  das  Hauptwerk  der 
Engländer  hinter  Les  Augustins,  die  Bastille  an  der  Loire- 
brücke, anzugreifen  und  so  in  die  Stadt  einzudringen,  so  wäre 
damit  nur  ein  neuer  Beweis  geliefert  für  ihren  Mangel  an 
militärischer  Einsicht.  Ungestört  erreichte  man  nordöstlich 
weiterziehend  das  Ufer  der  Loire  bei  dem  „Hafen"  Bouchet, 2) 
gegenüber  etwa  dem  Kloster  Saint-Loup  und  der  von  den  Be- 
lagerern dort  errichteten  Bastille.  Es  war  wohl  deren  drohende 
Nähe,  was  die  Leiter  des  Zuges  bestimmte  noch  weiter  strom- 
aufwärts zu  gehen,  etwa  vier  Kilometer,  bis  man  sich  dem  auf 
dem  rechten  Ufer  gelegenen  Ort  Checy  gegenüberbefand.  Dort 
gewährte  der  in  zwei  Arme  geteilte,  ziemlich  breite  Fluß  mit 
seinen  langgestreckten  baumlosen  Inseln  Deckung  und  ermög- 
lichte den  sicheren  Transport  der  Vorräte  in  die  Stadt,  zu  dem 
der  getroffenen  Verabredung  gemäß  von  dort  aus  die  nötigen 
Vorbereitungen  getroffen  waren,  wenn  auch  durch  unerwartet 
eingetretenes  Hochwasser  verzögert.  Checy  gegenüber  wurde 
Halt  gemacht  und  die  Nacht  vom  28.  zum  29.  April  biwa- 
kiert. Wenn  dagegen  eine  wohl  schon  früh  entstandene  Tra- 
dition berichtet,  die  Jungfrau  habe  diese  Nacht  in  Checy  zu- 
gebracht als  Gast  des  Herrn  des  Ortes,  des  auf  dem  benach- 
barten Schloß  Rully  sitzenden  Guy  de  Cailiy,  so  ergibt  sich 
deren  Unhaltbarkeit  schon  aus  den  örtlichen  Verhältnissen. 
Es  geht  nämlich  aus  des  Bastards  und  seiner  Begleiter  spä- 
teren Aussagen  hervor,  daß  diese,  um  mit  den  Ankommenden 
zusammenzutreffen,  von  Checy  aus  im  Boot  über  die  Loire 
fuhren,  also  auf  dem  linken  Ufer  mit  Johanna  zusammentrafen, 
und  daß  diese  nach  der  Ankunft  der  unerwartet  lange  aus- 
bleibenden Lastkähne  zum  Transport  der  Vorräte  in  die  Stadt 


a)  So  nach  der  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV  S.  217  a.  E. 
Nach  dem  Journal  du  siege  S.  83 — 84  aber  müssen  die  Engländer  die 
Stellung  doch  wieder  besetzt  und  noch  stärker  befestigt  haben. 

2)  Boucher,  a.  a.  0.  Note  XII  S.  93-96  u.  106  Beilage  13. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  o7 

erst  nach  längerem  Widerstreben  mit  dem  Bastard  auf  das 
rechte  Loireufer  übersetzte,  um  nach  Einbruch  der  Dunkelheit 
in  die  Stadt  einzureiten.1)  Sollte  sie,  die  sich  anfangs  ent- 
schieden weigerte  sich  von  ihren  Genossen  zu  trennen  und  mit 
diesen  sogar  nach  Blois  zurückkehren  wollte,  sollte  sie,  so  muß 
man  da  fragen,  sich  den  Tag  zuvor  haben  übersetzen  lassen, 
die  Nacht  in  Rully  zugebracht  und  dann  am  nächsten  Tage 
die  jenseits  des  Flusses  gebliebene  Mannschaft  wieder  aufge- 
sucht haben?  Von  den  an  den  Ereignissen  Beteiligten  kennt 
keiner  einen  Aufenthalt  Jeanne  d'Arcs  in  Rully.  Von  ihm  er- 
fahren wir  erst  durch  eine  angebliche  Urkunde  Karls  VIL, 
nach  der  dieser  auf  Befürworten  Johannas  Guy  de  Cailly  zum 
Lohn  für  seine  Treue  und  die  der  Jungfrau  bei  ihrem  Auf- 
enthalt in  seinem  Schloß  gewährte  Förderung  die  Zugehörig- 
keit zu  dem  alten  Adel  des  Königreichs  bestätigte.2)  Schon 
ihrem  Inhalt  nach  verdächtig,  wird  diese  Urkunde  durch  ihre 
in  mehr  als  einer  Hinsicht  befremdliche  Fassung  als  Fälschung 
gekennzeichnet,  durch  die,  wie  das  auch  sonst  vorkam,  einem 
wirklichen  oder  angeblichen  Genossen  der  Heldin  nachträglich 
Vorteile  verschafft  werden  sollten. 

Vollkommen  paßt  dagegen  zu  der  Situation,  die  nach  der 
Ankunft  des  Transports  Checy  gegenüber  gegeben  war,  die 
Aussage  eines  Augenzeugen,  nach  der,  als  sich  der  von  Jo- 
hanna gewünschte  Übergang  der  ganzen  Schaar  über  die  Loire 
als  unmöglich  erwiesen  hatte,  beschlossen  wurde,  nach  Blois  zu- 
rückzukehren, dort  über  den  Fluß  zu  gehen  und  auf  dem  an-, 
deren  Ufer  nach  Orleans  zurückzukehren:  darüber  sei  Johanna 
entrüstet  gewesen,  weil  sie  gefürchtet  habe,  man  suche  nur 
einen  Vorwand  um  heimzukehren,  zumal  anerkanntermaßen  der 
nächste  Zweck  des  Zuges,  die  Verproviantierung  der  Stadt,  tat- 
sächlich erreicht  war.3) 


J)  Journal  du  siege  S.  75  a.  E. 

2)  Die  angebliche  Urkunde  bei  Boucher  S.  60—67  u.  107.  Vgl.  die 
wesentlich  anders  gefaßte  für  Jean  de  Metz,  Proces  V  S.  363  ff.  und 
Prutz,  Die  falsche  Jungfrau  von  Orleans,  a.  a.  0.  S.  12. 

3)  Aussage  des  Simon  Beaucroix,  Proces  III  S.  76. 

5* 


68  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

Über  die  Ankunft  Johannas  in  Orleans  am  Abend  des 
29.  April  haben  wir  die  Berichte  mehrerer  Augenzeugen.  Sie 
stimmen  in  der  Hauptsache  überein,  differieren  doch  aber  auch 
in  einigen  nicht  unwesentlichen  Punkten.  Wieder  sind  es  ge- 
rade diese,  wo  die  Legendenbildung  eingesetzt  hat. 

Als  die  Ankunft  der  erwarteten  Hülfe  und  der  sie  be- 
gleitenden Lothringerin,  deren  Verheißungen  ihr  vorauseilend 
alles  mächtig  erregt  hatten,  in  der  Frühe  des  29.  April  in 
Orleans  bekannt  wurde,  eilte  dort  alles  zu  den  Waffen.  Schleu- 
nigst wurden  die  am  Ufer  liegenden  Boote  und  Lastfahrzeuge 
bereitgemacht,  um  sie  den  Fluß  hinauf  nach  Checy  zu  führen 
und  die  Vorräte  in  die  Stadt  zu  holen.  Dem  aber  bereitete 
der  ungewöhnlich  niedrige  Wasserstand  Schwierigkeiten  und 
das  Unternehmen  schien  noch  dicht  am  Ziel  scheitern  zu  sollen, 
zumal  wenn  die  Engländer  aus  ihren  Bastillen  zum  Angriff 
ausrückten.  Sie  daran  zu  hindern  machte  die  Besatzung  der 
Stadt  einen  Ausfall  gegen  die  Loire  aufwärts  nach  Checy  zu 
gelegene  Bastille  bei  dem  Kloster  Saint -Loup.  Der  Kampf 
scheint  den  ganzen  Tag  gedauert  zu  haben.1)  Auffallend  ist, 
daß  das  den  Ereignissen  gleichzeitig  geführte  Tagebuch,  das 
uns  allerdings  nur  in  einer  späteren  Bearbeitung  als  Journal 
du  siege  vorliegt,  von  alledem  weniger  zu  berichten  weiß  als 
alle  anderen  räumlich  und  zeitlich  diesen  Vorgängen  ferneren 
Quellen.  Es  erwähnt  auch  nicht  ausdrücklich,  daß  der  Ba- 
stard von  Orleans,  wie  er  nachmals  als  Zeuge  ausführlich  be- 
richtet, in  Begleitung  des  gleichfalls  in  dem  Rehabilitations- 
prozeß vernommenen  Knappen  oder  Pagen  Thibauld  Armignac 
de  Ternes  von  der  Stadt  herbeigeeilt  und  in  einem  Boote  über 
die  Loire  gesetzt  war,  um  die  Ankömmlinge  zu  begrüßen.  Den 
Inhalt  des  dabei  mit  Johanna  geführten  Gesprächs  hat  der 
Bastard  genau  berichtet:  darin  entlud  sich  der  bittere  Unmut 
der  Jungfrau  über  den  ihr  gespielten  Betrug,  indem  man  sie 
durch  die  Sologne  geführt  hatte,  während  sie  durch  die  Beauce 
zu   ziehen    glaubte.     Des  Bastard  Berufung   auf  den  Beschluß 


')  Journal  du  siege  S.  74  u.  75. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  69 

des  Kriegsrats  ließ  sie  nicht  gelten,  sondern  berief  sich  da- 
gegen auf  den  bessern  und  weiseren  Rat,  der  hinter  ihr  stehe, 
das  heißt  die  Weisungen,  die  sie  durch  ihre  Stimmen  und  Vi- 
sionen bekommen  habe. *)  Später,  als  sie  auch  in  den  Augen 
der  damals  noch  an  ihr  Zweifelnden  durch  ihre  Erfolge  be- 
glaubigt war,  hat  sie  durch  diese  Wendung  ihren  Willen  nicht 
selten  durchgesetzt.  Auch  dürfte  der  Bastard,  der  bei  dieser 
ersten  Begegnung  noch  nicht  zu  den  an  die  Mission  Johannas 
Glaubenden  gehörte,  dieser  die  späterhin  oft  gehörte  Wendung 
in  den  Mund  gelegt  haben,  ohne  daß  sie  sie  gerade  damals 
gebraucht  hatte:  denn  auch  er  stand,  als  er  nach  fünfund- 
zwanzig Jahren  jenes  Zusammentreffen  schilderte,  unter  dem 
Bann  der  inzwischen  zur  Herrschaft  gelangten  Legende,  wel- 
che den  an  sich  ganz  einfachen  und  jeder  Sensation  entbeh- 
renden Vorgang  ebenfalls  in  die  Sphäre  des  Wunderbaren  er- 
hoben hatte. 

Einzelne  Widersprüche  und  Unklarheiten  in  der  Schilde- 
rung von  Johannas  Einritt  in  die  Stadt  dürften  daraus  zu  er- 
klären sein ,  daß  die  Verfasser  der  uns  vorliegenden  Berichte 
die  von  ihnen  benutzten  älteren  Aufzeichnungen  nicht  richtig 
verstanden,  weil  ihnen  die  Anschauung  der  Ortlichkeit  fehlte, 
es  ihnen  insbesondere  nicht  klar  war,  daß  die  von  Blois  ge- 
kommenen Königlichen  dem  Lauf  der  Loire  entgegen  bereits 
beträchtlich  über  Orleans  hinausgekommen  waren  und  daher, 
um  den  Transport  zur  Stadt  zu  bringen,  ihn  den  Fluß  ab- 
wärts führen  mußten.  Auch  die  Angabe  über  eine  dabei  er- 
folgte Betätigung  ihrer  überirdischen  Kräfte  durch  Johanna 
hat   offenbar    darin    ihren  Ursprung:    sie   stellt    wiederum    ein 

M  Proces  III  S.  5 — 6.  Diese  Aussage  ist  wörtlich  übergegangen  in 
die  Chronique  de  la  Pucelle,  resp.  die  sie  bearbeitenden  Gestes  des 
nobles  Francais  des  jüngeren  Cousinot  de  Montreuil  ebend.  IV  S.  209 
bis  210.  Gleiche  Übereinstimmungen  finden  sich  auch  sonst  zwischen 
beiden,  z.  B.  Chronique  de  la  Pucelle,  a.  a.  0.  S.  221  =  Proces,  a.  a.  0. 
S.  30  in.;  S.  228-29  =  S.  8-9;  S.  233  =  S.  11—12.  Sollte  Cousinot 
de  Montreuil  direkt  den  Prozeß  benutzt  haben  oder  ein  Auszug  aus  die- 
sem in  ähnlicher  Weise  offiziös  verbreitet  worden  sein,  wie  früher  die 
Taten  der  Jungfrau  vom  Hofe  bekanntgemacht  wurden? 


70  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

glückliches  Zusammentreffen  von  dem  Einfluß  Johannas  völlig 
unabhängiger  Umstände  dar,  wenn  nicht  gerade  als  ihr  Werk, 
so  doch  als  von  ihr  vorher  verkündet.  Der  Fall  ist  lehrreich 
und  dürfte  wohl  als  typisch  anzusehn  sein. 

Zunächst  stimmen  hier  die  Angaben  der  Augenzeugen 
nicht  völlig  überein.  Als  gewiß  aber  ergeben  sie,  daß  die 
Fahrt  der  Lastschiffe,  welche  die  mitgeführten  Vorräte  auf- 
nehmen sollten,  zunächst  auf  Schwierigkeiten  stieß:  widriger 
—  also  von  Osten  her  wehender  —  Wind  nach  den  einen, 
niedriger  Wasserstand  nach  den  andern  hinderte  sie.  Besorg- 
nisse und  Unruhe  griffen  um  sich.  Nur  Johanna  erklärte  zu- 
versichtlich, der  Wind  werde  demnächst  umspringen.  Wirk- 
lich geschah  das  auch  noch  rechtzeitig,  und  die  Segelboote, 
jedes  mit  zwei  Lastschiffen  im  Schlepptau,  kamen  rasch  vor- 
wärts, legten  Checy  gegenüber  am  linken  Ufer  an  und 
konnten,  beladen  von  der  Strömung  flußabwärts  geführt,  zur 
Stadt  gelangen.1)  Auch  die  Bastille  Saint-Loup  passierten  sie 
ungehindert,  da  deren  Besatzung  durch  den  Ausfall  der  Städter 
beschäftigt  war.  Johanna  behielt  also  recht  und  das  machte 
Eindruck.  Mächtiger  aber  noch  wirkte  die  Kunde  von  dem 
Geschehenen  auf  die  der  Retterin  harrende  städtische  Menge. 
Wie  leicht  war  da  Johannas  Zuversicht,  die  Änderung  des 
Windes  werde  rechtzeitig  eintreten,  erst  als  eine  Prophezeiung 
gedeutet2)  und  dann  weiterhin  das  Umschlagen  des  Windes 
als  von  ihr  bewirkt  dargestellt!3)  In  dieser  Richtung  hat  sich 
die  Legende  ausgewachsen.  Dagegen  weiß  das  diesen  Vor- 
gängen zeitlich  und  räumlich  am  nächsten  stehende  Journal 
du  siege4)  von  der  ganzen  Geschichte  nichts,  und  nach  dem 
Augenzeugen  Pasquerel  wären  die  anfänglichen  Schwierigkeiten 


1)  Chronique  de  la  Pucelle  S.  218;  Journal  du  siege  S.  75.  Die  Un- 
haltbarkeit  von  Jollois  Ansicht,  der  Transport  sei  zu  Lande  in  die  Stadt 
geschafft  worden,  hat  Boucher,  a.  a.  0.  nachgewiesen. 

2)  Das  tut  bereits  Gaucourt  in  seiner  Aussage  Proces  III  S.  18. 

3)  Vgl.  Chronique  sur  l'origine  de  la  fete  du  huit  mai,  Proces  V 
S.  290:  il  falloit  dire,  que  ce  fust  un  miracle  de  Dieu. 

4)  Journal  du  siege  S.  75—77. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  71 

nicht  konträrem  Wind,  sondern  zu  niedrigem  Wasserstand1) 
zuzuschreiben  gewesen:  nach  diesem  hätte  erst  das  Steigen  des 
Wassers  die  Landung  und  das  Umladen  der  Vorräte  ermög- 
licht. Daß  aber  dieses  von  Johanna  zuversichtlich  erwartet 
oder  gar  vorausgesagt  sei,  sagt  er  nicht  und  vollends  nichts 
von  einer  durch  die  Jungfrau  vermittelten  göttlichen  Einwir- 
kung auf  die  Elemente.  Den  Bürgern  von  Orleans  freilich, 
welchen  die  schon  ganz  nahe  Rettung  im  letzten  Augenblick 
wiederum  zu  entschwinden  schien,  galt  Johanna  nun  alles  und 
man  traute  ihr  alles  zu,  sah  sich  schon  für  gerettet  an.2) 

Um  so  mehr  mußte  es  die  Verteidiger  der  Stadt  über- 
raschen und  kann  auch  heute  noch  den  Betrachter  der  Ereig- 
nisse mit  Verwunderung  erfüllen  als  kaum  vereinbar  mit  Jo- 
hannas sonstigem  Verhalten,  wenn  diese,  nachdem  die  Ver- 
proviantierung der  Stadt  geglückt  war,  selbst  nicht  dort  bleiben 
wollte,  sondern  nach  Blois  zurückzukehren  Miene  machte.  Sie 
wolle  sich,  erklärte  sie,  nicht  von  ihren  Leuten  trennen,  der 
sie  umgebenden  frommen  Elitetruppe  durch  die  Beichte  ge- 
reinigter Krieger,  mit  denen  sie  sich  der  gesamten  Macht  der 
Engländer  gewachsen  glaubte.3)  Erst  auf  erneutes  Andringen 
des  Bastards  und  La  Hires,  die  von  ihrem  Abzug  den  ungün- 
stigsten Eindruck  auf  die  Besatzung  von  Orleans  fürchteten, 
erklärte  sie  sich  schließlich  bereit  die  Stadt  zu  betreten,  nach- 
dem die  anderen  Fürsten  versprochen  hatten  mit  den  noch  in 
Blois  gelassenen  Vorräten  und  Verstärkungen  zurückzukehren. 

Der  Abend  sank  bereits,  als  Johanna  mit  dem  Bastard 
auf  das  rechte  Loireufer  übersetzte.  Denn  um  ein  allzu  stür- 
misches Zusammenströmen  der  Bevölkerung  zu  verhindern, 
wollte  man  es  vollends  dunkel  werden  lassen,  ehe  sie  in  Or- 
leans einritt,  umdrängt  von  der  Menge  mit  theatralisch  zurecht- 


i)  Proces  III  S.  105. 

2)  Journal  du  siege  S.  77:  „  .  .  .  ilz  se  sentoyent  ja  tous  recon- 
fortez  et  comme  desassiegez  par  la  vertu  divine  qu'on  leur  avoit  dit  dans 
ceste  simple  Pucelle. "    Vgl.  Perceval  de  Cagny  S.  143. 

3)  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV  S.  219.  Vgl.  die  Aussagen  des 
Bastard  ebd.  III  S.  9—10  und  des  Jean  d'Aulon  ebd.  S.  210. 


72  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

gemachtem  militärischem  Gepränge,1)  das  sich  doch  nicht  aus 
dem  Stegreif  beschaffen  ließ,  sondern  rechtzeitig  vorbereitet 
sein  wollte.  Das  Journal  du  siege  entwirft  ein  anschauliches 
Bild  davon,2)  das  freilich  wohl  nicht  auf  den  das  ursprüngliche 
Tagebuch  als  Augenzeuge  führenden  Verfasser  zurückzuführen, 
sondern  von  dem  späteren  Überarbeiter  aus  der  inzwischen 
farbenprächtig  ausgestatteten  Legende  übernommen  sein  dürfte. 
Auffallend  ist  gleich  der  Schimmel,  der  für  Johanna  bereit 
gestanden  haben  soll:  denn  nach  dem  Brauch  jener  Zeit  waren 
solche  den  Herolden  und  den  Erzengeln  vorbehalten.3)  Ritt 
Johanna  wirklich  auf  einem  solchen  in  Orleans  ein,  so  möchte 
man  vermuten,  daß  kundige  Arrangeure  die  Hand  im  Spiele 
hatten,  oder  der  Schimmel  ist  ein  Phantasiegebilde.  Ebenso 
wird  es  wohl  mit  dem  Reiterkunststückchen  stehen,  durch  das 
nach  demselben  Bericht  Johanna  allgemeine  Bewunderung  er- 
regt haben  soll,  indem  sie,  ihrem  Schimmel  die  Sporen  gebend, 
geschickt  das  Feuer  erstickte,  welches  eine  der  vor  ihr  her- 
getragenen Standarten  ergriffen  hatte,  die  mit  einer  der  von 
der  Menge  angezündeten  Fackeln  in  Berührung  gekommen 
war.4) 

Ob  Johanna  selbst  eine  rechte  Vorstellung  von  der  Lage 
hatte,  in  die  sie  gegen  ihre  Absicht  durch  den  Einzug  in  Or- 
leans gebracht  war,  und  ob  sie  sich  ein  Bild  von  dem  machen 
konnte,  was  nun  geschehen  sollte,  als  sie  sich  müde  und  matt 
und  wundgescheuert  von  dem  Druck  der  ungewohnten  Rüstung,5) 
die  sie  seit  dem  Aufbruch  von  Blois  nicht  abgelegt  hatte,  sich 
in   dem    ihr   bereiteten  Quartier   im  Hause   des  Schatzmeisters 


*)  Vgl.  die  lebhafte  Schilderung  im  Journal  du  siege  S.  79. 

2)  Vgl.  die  Aussage  des  davon  ebenfalls  als  Augenzeuge  berichten- 
den Bürgers  von  Orleans  Jean  Lullier  Proces  III  S.  23. 

3)  France  I  S.  313. 

4)  Ayroles,  a.  a.  0.  III  S.  467  schreibt  die  Geschicklichkeit  Johannas 
im  Reiten  ebenso  wie  ihre  plötzliche  militärische  Begabung  einer  ihr, 
der  darin  nach  ihrer  eigenen  Angabe  völlig  Unerfahrnen,  durch  ein  Wun- 
der unmittelbar  von  Gott  verliehenen  Fähigkeit  zu! 

6)  Aussage  des  mit  nach  Orleans  übergesetzten  Louis  de  Contes, 
Proces  III  S.  68. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  73 

des  Herzogs  von  Orleans  Jacques  Boucher1)  zur  Ruhe  nieder- 
legte, um  erst  um  die  Mittagsstunde  des  30.  April  durch  das 
die  Stadt  erfüllende  Waffengetöse  aus  dem  Schlaf  aufgeschreckt 
und  an  ihren  kriegerischen  Beruf  gemahnt  zu  werden,  zugleich 
aber  von  neuem  die  unangenehme  Erfahrung  zu  machen,  daß 
die  berufenen  Leiter  der  Verteidigung  sie  bei  Seite  zu  schieben 
und  ohne  Rücksicht  auf  ihren  Rat  von  ganz  anderen  Gesichts- 
punkten aus  zu  handeln  gewillt  waren? 


IV.  Die  Rettung  von  Orleans. 

Betrachtet  man  die  Lage  von  Orleans,  wie  sie  sich  nach  dem 
Einzug  Jeanne  d'Arcs  am  Abend  des  29.  April  gestaltet  hatte, 
unbefangen  und  außerhalb  der  Beleuchtung,  in  welche  die  Le- 
gende sie  gerückt  hat,  so  war  dieselbe  doch  nur  insofern  ge- 
bessert, als  die  Lebensmittel  und  Kriegsmaterialien,  die  hinein- 
gebracht waren,  der  Bürgerschaft  und  der  Besatzung  noch 
längeren  Widerstand  ermöglichten.  Mehr  hatte  Johanna  zu- 
nächst  auch  nicht  beabsichtigt,  und  demgemäß  war  sie  der 
naiven  Meinung,  das  würde  genügen,  um  die  Engländer  von 
der  Aussichtslosigkeit  ihres  Unternehmens  zu  überzeugen  und 
zum  Abzug  zu  bestimmen.  Deshalb  hatte  sie  ihre  Mission 
auch  eigentlich  bereits  als  erfüllt  angesehen  und  ebenfalls  nach 
Blois  zurückkehren  wollen,  zumal  sie  dem  Versprechen  der  Ka- 
pitäne alsbald  wiederzukehren  mißtraute  —  mit  gutem  Grund: 
hören  wir  doch,  daß  in  dem  zu  Blois  gehaltenen  Kriegsrat, 
wohl  unter  dem  Einfluß  des  Erzbischofs  von  Reims ,  des 
Hauptgegners  der  Jungfrau  am  Hofe,  die  Neigung  vorherrschte, 
man  solle  heimkehren  und  die  Lothringerin  ihrem  Schicksal 
überlassen.2)  Nach  Rücksprache  mit  Dunois  schickte  diese 
einen  schon  in  Blois  von  ihren  schriftkundigen  geistlichen 
Beratern  zu  diesem  Zweck  aufgesetzten  Brief  in  französischer 
Sprache,    der    unter  Hinweis    auf   den  Willen  Gottes    und    die 


1)  Boucher,  a.  a.  0.  S.  69  u.  103—4. 

2)  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV  S.  221. 


7  I  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

den  Ungehorsam  gegen  diesen  bedrohende  Strafe1)  die  Auf- 
forderung zum  Abzug  enthielt,  durch  einen  Herold  in  das 
feindliche  Lager.2)  Er  hatte  natürlich  nicht  den  erwarteten 
Erfolg,  wurde  vielmehr  mit  Schmähreden  und  Drohungen  be- 
antwortet, der  Überbringer  aber  gegen  Kriegsgebrauch  fest- 
gehalten. Von  einem  Entsatz  von  Orleans  war  also  jetzt  so 
wenig  die  Rede  wie  bei  den  Zuzügen,  die  früher  schon  mehr- 
fach in  die  Stadt  gelangt  waren,  vielmehr  traten  die  Truppen, 
die  den  Transport  geleitet  hatten,  wirklich  den  Rückmarsch 
nach  Blois  an,  selbst  die  von  Jean  Pasquerel  geführte  Schar 
Geistlicher,  die  voranmarschiert  war,  schloß  sich  ihnen  an.3) 
Man  begreift,  daß  der  Bastard  Johanna  um  jeden  Preis  zu- 
rückhalten wollte:  hätte  diese  sich  ebenfalls  entfernt,  so  wäre 
das  Ergebnis  des  Unternehmens  enttäuschend  dürftig  gewesen. 
Denn  Proviant-  und  Munitionszüge  waren  auch  sonst  schon 
mehrfach  in  die  Stadt  gelangt,  sodaß  ihnen  einen  neuen  folgen 
zu  lassen  füglich  nicht  für  eine  außerordentliche  Leistung 
gelten  konnte.  Den  davon  zu  fürchtenden  Eindruck  zu  ver- 
meiden hat  Dunois  Johanna  zum  Bleiben  bestimmt.  Daß  diese 
sich  fügte,  machte  auf  ihn  einen  günstigen  Eindruck:  er  be- 
kennt nun  erst  Zutrauen  zu  ihr  gefaßt  zu  haben.  Die  Bürger 
von  Orleans  aber  begrüßten  sie  bereits  als  von  Gott  gesandte 
Retterin  und  nahmen  sie  mit  entsprechenden  Ehren  auf.4) 
Überraschen  könnte  dabei  die  Anpassungsfähigkeit,  mit  der 
Johanna  sich  in  die  neue  Situation  fand  und  sie  als  etwas 
Selbstverständliches  hinnahm.  Auch  bei  angeborener  unge- 
wöhnlicher Gewandtheit  muß  sie  von  ihrer  Umgebung  gut  be- 
raten und  geschickt  geleitet  worden  sein,  um  sich  so  anstoßlos 
in   die  neuen  Verhältnisse   zu   finden.     Doch   scheint  in  dieser 


*)  Vgl.  Prutz,  Die  Briefe  der  Jungfrau  von  Orleans,  a.  a.  0.  S.  11  ff. 

2)  Aussage  des  damals  in  Orleans  anwesenden  Jean  Lullier,  Proces 
III  S.  23.  Vgl.  Journal  du  siege  S.  79  und  Chronique  de  la  Pueelle 
S.  220-1. 

3)  Ayroles  IV  S.  225. 

4)  Proces  III  S.  6.  Vgl.  die  Aussagen  von  Simon  Beaucroix,  ebd. 
S.  78  und  Jean  d'Aulon  S.  211. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  75 

auch  mancher  bestrebt  gewesen  zu  sein,  sein  eignes  Interesse 
wahrzunehmen  und  den  Glanz,  der  Johanna  umgab,  für  sich 
auszunutzen.  Denn  nach  Ausweis  der  städtischen  Rechnungen 
von  Orleans  erhielten  nicht  bloß  die  Begleiter  der  Jungfrau, 
„die  nichts  hatten,  um  ihren  Hunger  zu  stillen",  aus  Mitteln 
der  Stadt  eine  Beihülfe,  sondern  wurde  auch  deren  Bruder 
Jean  sowohl  Unterhalt  als  auch  eine  standesgemäße  Ausstat- 
tung gewährt.  Er  und  sein  Bruder  Pierre  bekamen  ferner 
auf  städtische  Kosten  Schuhe  und  Gamaschen  und  schließlich 
ein  Ehrengeschenk  von  je  drei  Goldstücken ,  die  erst  um 
schweres  Geld  beschafft  werden  mußten.  Man  gewinnt  doch 
den  Eindruck,  als  habe  die  angeblich  ja  nicht  unbemittelte 
Familie  d'Arc  das  überraschende  Glück  ihrer  Tochter  und 
Schwester  skrupellos  benutzt,  um  sich  zu  bereichern.  Dem 
alten  d'Arc  wurde  im  September  1429  die  Heimkehr  durch 
das  Geschenk  eines  Pferdes  ermöglicht,  und  Johannas  Brüder 
haben  nachmals  die  Freigebigkeit  des  Rates  von  Orleans  mehr- 
fach in  Anspruch  genommen.1)  Hat  doch  nach  einigen  Jahren 
Jean  der  Abenteurerin  Vorschub  geleistet,  welche  sich  für 
seine  dem  Feuer  entgangene  Schwester  ausgab,  und  darauf- 
hin wiederum  Unterstützungen  aus  der  städtischen  Kasse  von 
Orleans  bezogen.2)  Von  Johanna  selbst  wissen  wir,  daß  sie 
in  Orleans  ein  Haus  erwarb.  Jetzt  wurden  die  Brüder  d'Arc 
außerdem  in  dem  Hause  des  Bürgers  Theremin  Villedart  ein- 
logiert, während  Johanna  mit  ihrer  nächsten  Umgebung  in 
dem  des  Jacques  Boucher  blieb,  von  dessen  Frau  und  Tochter 
der  Sitte  der  Zeit  gemäß  respektvoll  als  Lagergenossin  ge- 
halten.3) Die  Kosten  trug  ebenfalls  die  Stadt,  wie  auch  die 
für  die  Wartung  und  Fütterung  der  anderwärts  untergebrachten 
Pferde  der  Jungfrau.  Auch  Wein  und  gelegentlich  ein  wohl- 
schmeckender Fisch  sind   dieser  von  der  Stadt  geliefert,    des- 


1)  Vgl.  Proces  V  S.  141;    S.  259-60  und  auch  Champollion-Figeac, 
Louis  et  Charles  Ducs  d'Orleans  S.  367—8  und  France  II  S.  29  ff. 

2)  Vgl.  Prutz,  Die  falsche  Jungfrau  von  Orleans,  a.  a.  0.  S.  8. 

3)  France  I  S.  316. 


7G  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 


D  ' 


gleichen  Stoff,    um  sich  Nesseln,    das  Abzeichen  der  Getreuen 
des  Herzogs  von  Orleans,  auf  ihre  Kleidung  nähen  zu  lassen.1) 

Diesen  Ehrenbezeugungen,  welche  die  Bürgerschaft  der 
Abgesandten  des  Himmels  erwies,  entsprach  freilich  die  Stel- 
lung nicht,  welche  diese  in  militärischen  Dingen  einnahm. 
Während  sie  nach  der  Legende  alsbald  die  Leitung  des  Kampfes 
gegen  die  Engländer  in  der  Hand  gehabt  hätte,  enthalten  die 
Aussagen  der  an  den  folgenden  Ereignissen  mithandelnd  be- 
teiligten Personen  mehr  als  einen  Zug,  nach  dem  das  tat- 
sächlich nicht  so  gewesen  sein  kann.  Vielmehr  hat  es  an- 
fangs offenbar  an  dem  rechten  Zusammenwirken  zwischen  Jo- 
hanna und  den  bisher  die  Verteidigung  leitenden  Kapitänen 
gefehlt.  Der  Verlauf  scheint  ungefähr  der  gewesen  zu  sein, 
daß  letztere  in  begreiflichem  Mißtrauen  die  Lothringerin  von 
einem  bestimmenden  Anteil  an  den  Operationen  möglichst  aus- 
schlössen, während  die  Masse  der  städtischen  Bevölkerung  den 
Kampf  von  ihr  geleitet  sehen  wollte  und  damit  unter  dem 
Eindruck  von  deren  ersten  Erfolgen  auch  durchdrang. 

Als  Augenzeuge  berichtet  Louis  de  Contes,  ein  Genosse 
des  greisen  Marschalls  de  Gaucourt,  am  Morgen  des  30.  April 
habe  Johanna  sich  zu  einer  Besprechung  mit  Dunois  begeben, 
sei  aber  in  hellem  Zorn  heimgekehrt,  weil  jener  von  einem 
sofortigen  Angriff  auf  die  Engländer  nichts  wissen  wollte.2) 
Dafür  wird  ein  so  bewährter  Krieger  wohl  seine  guten  Gründe 
gehabt  haben.  Sie  liegen  zudem  auf  der  Hand:  noch  wäh- 
rend der  Nacht  hatte  Marschall  Broussart  mit  seinen  Leuten 
die  Stadt  verlassen,  um  den  von  Blois  her  erwarteten  Verstär- 
kungen entgegenzuziehen  und  sie  sicher  durch  die  englischen 
Stellungen  zu  geleiten,  und  Dunois  selbst  war  im  Begriff  das 
Gleiche  zu  tun.  So  ging  Johanna  wenigstens  bis  zu  der  äußer- 
sten Verteidigungslinie  und  richtete  an  die  Engländer  drüben 
die  Aufforderung  zum  Abzug  mit  den  üblichen  Drohungen  für 
den  Fall  des  Bleibens.  Jene  blieben  die  Antwort  nicht  schul- 
dig,   sondern   ergingen   sich  in  gemeinen  Schimpfreden   gegen 


')  Proces  V  S.  259-60.  2)  Ebd.  III  S.  68. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  77 

sie.     Im  übrigen  blieb  zunächst  alles  ruhig,  während  Johanna 
die  Zuversicht   geäußert   haben    soll,    auch   die   den   von  Blois 
her  erwarteten  Truppen  entgegengezogenen  Mannschaften  wohl- 
behalten   zurückkehren   zu   sehen.     Dann   legte  sie  sich  —  so 
•berichten  die  genannten  Augenzeugen  —  zur  Ruhe  nieder,  und 
ihre  Gefährten  taten  das  Gleiche.    Plötzlich  sei  sie  aufgefahren, 
habe  ihr  Lager  jählings  verlassen  mit  dem  Rufe:   „Im  Namen 
Gottes.    Unsere  Leute  haben  schwere  Arbeit!"  oder  —  so  stellt 
Louis  de  Contes  die  Sache  dar  —  diesen  angeherrscht:    „Un- 
glücksknabe, warum  sagst  du  mir  nicht,  daß  französisches  Blut 
vergossen    wird?"     Stürmisch   habe  sie  ihre  Waffen   verlangt, 
bei    deren    Anlegung   Bouchers  Frau  und  Tochter   ihr   dienst- 
fertig  halfen,    ihr  Pferd    vorzuführen    befohlen,  und   im  Auf- 
steigen  ihr  Banner,    das   im   oberen  Stockwerk  verwahrt  war, 
sich  durch  das  Fenster  herabreichen  lassen.1)     So  ist  der  ein- 
fache,   durchaus    natürliche   Verlauf  dieser    Szene,    des   ersten 
Eintretens    Jeanne    d'Arcs    in   eine   militärische   Aktion.      Der 
Legende  genügte  er  nicht:  woher  wußte  Johanna  von  dem  in- 
zwischen  entbrannten  Kampf  vor  der  Stadt?     Sie  machte  aus 
der  Zuversicht   auf  die  Ankunft  der  erwarteten  Truppen  eine 
Voraussagung  derselben  und  ließ  Johanna  auch  von  dem  Kampf, 
dessen    in   die  Stadt   dringender  Lärm   sie  geweckt  hatte,   auf 
übernatürlichem  Wege  Kenntnis  erhalten.     Entgegen  der  von 
dem  Bastard   am  Morgen   der  Jungfrau  gegebenen  Erklärung, 
man  wolle  an  diesem  Tag  Ruhe  halten,  war  nämlich  La  Hire, 
der  Typus    des  verwegenen  Berufssoldaten  jener  Zeit,    mit  et- 
lichen anderen  Kapitänen  doch  ausgezogen  und  hatte  ein  zwei 
Pfeilschüsse   weit  nördlich    vor  der  Stadt  gelegenes  englisches 
Werk  bei  Saint  Pouaire  angegriffen  und  genommen.    Die  Kunde 
davon    erfüllte   die  Stadt  mit  freudiger  Bewegung,    zumal  der 
Ruf  ertönte,  man  möge  schnell  Holz  und  Reisig  herbeischaffen, 


!)  Ebd.  S.  68—9  und  S.  78—9.  Louis  de  Contes  wirft  freilich  die 
Vorgänge  vom  30.  April  irrigerweise  zusammen  mit  denen  vom  4.  Mai, 
indem  er  von  einem  Scharmützel  bei  St.  Loup  und  von  dessen  Einnahme 
spricht,  während  es  sich  am  30.  April  um  ein  Gefecht  im  Norden  der 
Stadt  bei  St.  Pouaire  handelte. 


78  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

um  das  Werk  niederzubrennen,  und  lärmend  strömte  die  Menge 
dem  Tore  zu.1)  Das  die  Stadt  erfüllende  Getümmel  weckte 
Johanna:  was  es  bedeutete,  konnte  nicht  zweifelhaft  sein.  Daß 
sie  dahin  gehörte,  wo  französisches  Blut  floß,  war  zweifellos. 
Bald  sprengte  sie,  von  den  Ihren  gefolgt,  dem  Schauplatz  des- 
Kampfes zu.  Von  irgend  welchem  Wunder  findet  sich  bei 
alledem  keine  Spur.  Wohl  aber  lehrt  der  Vorfall,  daß  die 
bisher  in  Orleans  befehligenden  Kapitäne  keine  Lust  hatten 
der  Jungfrau  Platz  zu  machen:  offenbar  hatten  La  Hire  und 
seine  Genossen  durch  die  Beschäftigung  der  Engländer  dem 
erwarteten  Zuzug  den  Einmarsch  in  die  Stadt  erleichtern  wollen. 
Das  wurde  denn  auch  erreicht. 

Ganz  ungezwungen,  einander  ergänzend  und  erläuternd 
fügen  sich  die  Aussagen  der  damals  bei  Johanna  befindlichen 
und  an  den  fraglichen  Vorgängen  beteiligten  Persönlichkeiten 
über  den  Verlauf  des  30.  April  zu  dem  hier  gegebenen  Bilde 
zusammen.  Dennoch  hat  der  jüngste  französische  Biograph 
Johannas,  Anatole  France,  an  seine  Stelle  ein  Phantasiegemälde 
gesetzt,  nach  dem  es  sich  bei  dem  Ausfall  gegen  Saint-Pouaire 
um  eine  eigenmächtige  Unternehmung  der  mit  dem  Zögern 
der  Kapitäne  unzufriedenen  tatenlustigen  Menge  gehandelt 
haben  soll,  mit  der  diese  sich  dem  Regiment  des  kriegerischen 
Adels  und  seiner  Soldateska  entziehen  wollte.  Davon  weiß 
keiner  jener  Zeugen  etwas,  auch  steht  der  weitere  Verlauf -der 
Dinge  während  der  nächsten  ereignisreichen  Tage  damit  in 
Widerspruch,  wie  gleich  die  Tatsache,  daß  noch  am  Abend 
des  30.  April  Johanna  gemeinsam  mit  Dunois  bei  dem  eng- 
lischen Feldherrn  energische  und  erfolgreiche  Schritte  tat  zur 
Befreiung  ihres  widerrechtlich  zurückgehaltenen  Herolds.2) 
Sonst  sah  diese  sich  auch  die  nächsten  Tage  noch  zur  Un- 
tätigkeit verurteilt.  Am  1.  Mai  zog  Dunois  den  von  Blois  er- 
warteten Mannschaften  entgegen.  Täuschte  Jean  d'Aulon  sein 
Gedächtnis  nicht,  so  geleitete  die  Jungfrau  ihn  vor  die  Tore 
zur  Deckung   gegen    einen    englischen  Angriff.3)     Dabei    mag 

i)  Journal  du  siege  S.  78.  2)  Ebd.  S.  79. 

3)  Ebd.  und  Proces  III  S.  211. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  79 

es  denn  auch  zu  dem  im  Journal  du  siege  erwähnten  zweiten 
Gespräch  mit  den  englischen  Feldherrn  gekommen  sein,1)  das 
wiederum  in  Schimpfen  und  Schmähreden  bestanden  haben 
dürfte. 

Mit  wachsender  Ungeduld  wartete  die  Menge  auf  die  ver- 
heißenen Taten  der  Abgesandtin  Gottes.  Neugierig  strömte 
sie  nach  dem  Hause  des  herzoglichen  Schatzmeisters  bei  der 
Porte  Renard  und  umstand  dasselbe  dichtgedrängt,  um  das 
Wundermädchen  zu  Gesicht  zu  bekommen,  ja  zuweilen  schien 
sie  den  Eintritt  erzwingen  zu  wollen.  Ihre  Schaulust  zu  be- 
friedigen und  ihre  Zuversicht  rege  zu  erhalten,  unternahm 
Johanna  schließlich  in  Begleitung  einiger  Kitter  und  Knappen 
einen  Umritt  durch  die  Stadt.  Wo  sie  sich  zeigte,  strömte 
das  Volk  zusammen,  sodaß  sie  kaum  vorwärts  kam.  Man  staunte, 
wie  gut  sie  im  Sattel  saß  und  wie  elegant  sie  ihr  Pferd  lenkte, 
wie  der  Berichterstatter  bereits  bei  der  Schilderung  ihres  Ein- 
zugs in  Orleans  bemerkt  hatte.2)  Ähnliches  wiederholte  sich 
am  2.  Mai,  als  sie  hinauszog,  um  die  Angriffswerke  der  Eng- 
länder zu  besichtigen,  namentlich  als  sie  zurückkehrte  und  sich 
in  die  Kirche  Sainte-Croix  begab,  um  die  Vesper  zu  hören.3) 
Bei  solchen  Gelegenheiten  dürfte  sie  dann  wohl  auch  die  mah- 
nenden Worte  an  die  Menge  gerichtet  haben,  die  Jean  Lullier 
von  ihr  gehört  haben  will,  man  möge  Gott  vertrauen  und  nicht 
an  der  Rettung  aus  der  Hand  der  Feinde  zweifeln.4)  Auch 
kamen  am  3.  Mai  beträchtliche  Verstärkungen  aus  Montargis, 
Gien,  Chateaurenard,  Chateaudun  und  dem  Gatinois,  gut  aus- 
gerüstete Leute,  und  von  der  Beauce  her  der  Marschall  von 
Saint-Severe,  von  den  Engländern  ungehindert.  Noch  an  die- 
sem Tage  wurde  bei  Fackelschein  eine  Prozession  gehalten, 
um  die  Gnade  des  Himmels  für  den  nun  nahenden  Entschei- 
dungskampf zu  erflehen.5)    Am  Morgen  des  4.  Mai  hielt  dann 


1)  Journal  du  siege  S.  80:    Le   mesme  jour  parla  de  rechef  la  Pu- 
celle  aux  Anglois. 

2)  Vgl.  oben  S.  72.      3)  Journal  du  siege  S.  81.      4)  Proces  III  S.  24. 
5)  Vgl.  die  Stadtrechnungen  Proces  V  S.  259  mit  dem  Aufwand  für 

die  dabei  gebrauchten  Fackeln. 


SO  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

auch  Dunois  mit  den  von  Blois  her  erwarteten  Mannschaften, 
denen  er  entgegengegangen  war,  mit  fliegenden  Fahnen  seinen 
Einzu^.    Wie  hoch  die  Zahl  der  Verteidiger  von  Orleans  durch 
diese  Verstärkungen    gestiegen   sein   mag,    läßt  sich  nicht  mit 
Sicherheit   sagen.     Ganz    phantastisch   ist    die  spätere  Angabe 
Johannas,    es   seien    ini    ganzen    10 — 12  000  Mann    in   Orleans 
eingezogen. *)    Jedenfalls  aber  müssen  die  Verteidiger  der  Stadt 
den  Engländern  jetzt  beträchtlich  überlegen  gewesen  sein,  zu- 
mal  diese   ihre  Leute    in    die    dreizehn   die  Stadt  umgebenden 
Bastillen   verteilt  lassen   mußten    und  nicht  ohne  weiteres  zu- 
sammenwirken   konnten.     Freilich   sollte    ein    neues  englisches 
Heer  unter  Lord  Fastolf  im  Anmarsch  sein,    die  Loire  herab- 
ziehend den  Belagerern  Proviant  und  Kriegsgerät  zuzuführen. 
Nach    der  Aussage   Jean  d'Aulons    äußerte    die  Jungfrau   ihre 
Freude   über   den  Anmarsch  der  Feinde    und  soll  den  Bastard 
—  doch  wohl  scherzend  —  mit  Enthauptung  bedroht  haben, 
falls  er  sie  die  Ankunft  Fastolfs  nicht  rechtzeitig  wissen  ließe. 
Derselbe  Zeuge   berichtet  weiter,    ermüdet  habe  er  sich  nach- 
mittag niedergelegt  und  sei  eingeschlafen;    die  Jungfrau  habe 
ein  Gleiches  getan,  sei  dann  aber  plötzlich  beunruhigt  aufge- 
fahren und  habe  auf  die  Frage,  was  denn  los  sei,  geantwortet: 
.Im  Namen  Gottes!    Mein  Rat  —  d.  h.  ihre  Stimmen  —  hat 
mir  befohlen    gegen   die  Engländer   zu  ziehen:    aber  ich  weiß 
nicht,    ob    ich   gegen  die  Bastillen    oder   gegen  Fastolf  ziehen 
soll."     Dann   sei  sie  auf  die  Straße  geeilt,    wo  die  aufgeregte 
Meno-e  von  harter  Bedrängnis  der  Franzosen  in  einem  mit  den 
Belagerern   entbrannten  Kampf  gesprochen  habe,    habe  einem 
dort    zu  Pferde  haltenden  Knappen  befohlen    abzusteigen    und 
sich   in   den  Sattel   geschwungen;    die  Lanze  im  Arme  sei  sie 
ostwärts  nach  der  Porte  de  Bourgogne  gesprengt.    An  diesem 
Bericht,    der   durch   die  Aussage   einer   damals  in  Orleans  an- 
wesenden Frau    im    wesentlichen    bestätigt   wird,2)   überrascht 
die  Ähnlichkeit   mit    der  Szene,    die   sich   am  30.  April  abge- 
spielt haben  sollte,  als  die  Jungfrau  aus  der  mittäglichen  Ruhe 


!)  Boueher,  a.  a.  O.  S.  25— 2G.  2)  Proces  III  S.  123—24. 


Keue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  81 

durch  den  Lärm  aufgeschreckt  wurde,  den  die  Kunde  von  der 
Wegnahme  des  englischen  Werks  bei  Saint-Pouaire  verursacht 
haben  sollte,  und  die  Bürger  zur  Niederbrennung  desselben 
eilten.  Sollte  sich  wirklich  innerhalb  weniger  Tage  fast  ganz 
der  gleiche  Vorgang  zweimal  abgespielt  haben?  Sollten  wir 
es  hier  nicht  vielmehr  mit  einem  der  Fälle  zu  tun  haben,  wo 
die  Legende  sozusagen  parallele  Blütenzweige  getrieben  hat, 
indem  sie  einen  sachlich  gleichgültigen,  aber  den  Eindruck 
steigernden  und  die  Phantasie  anregenden  Zug,  der  in  ähn- 
lichem Zusammenhang  einmal  vorgekommen  sein  mochte,  ohne 
solche  tatsächliche  Begründung  bei  einem  ähnlichen  wieder- 
kehren läßt?  Bemerkenswert  ist  diese  Darstellung  der  Art, 
wie  Jeanne  d'Arc  zur  Beteiligung  an  dem  wichtigen  Kampf 
vom  Nachmittag  des  4.  Mai  kam,  auch  weil  sie  von  der  rich- 
tigen Anschauung  ausgeht,  sie  habe  denselben  weder  veran- 
laßt noch  geleitet.  Woher  sollte  die  lothringische  Bäuerin, 
die  von  der  Lage  der  durch  sie  zu  rettenden  Stadt  doch  nur 
eine  ganz  schattenhafte  Vorstellung  haben  konnte,  Verständnis 
haben  für  die  örtlichen  Verhältnisse  der  ihr  fremden  Gegend 
und  im  Stande  sein  den  militärischen  Wert  der  einzelnen  Werke 
richtig  einzuschätzen  und  einem  Dunois,  La  Hire,  Gaucourt 
und  anderen  von  sich  aus  den  Punkt  bezeichnen,  wo  dem  eng- 
lischen Angriff  zunächst  entgegengetreten  und  der  Entsatz  der 
Stadt  eingeleitet  werden  mußte?  Es  ist  eine  völlig  unwissen- 
schaftliche Liebedienerei  gegen  künstlich  großgezogene  natio- 
nale Vorurteile,  wenn  man  der  Nachwelt  einreden  will,  Jeanne 
d'Arc  sei  durch  die  Anweisungen  ihres  „ Rates"1)  zu  einer 
Meisterin  der  Taktik  und  Strategik  geworden.  Hat  sie  doch 
gerade  in  bezug  auf  das  hier  in  Rede  stehende  Unternehmen 
nach  Jean  d'Aulons  Aussage  vielmehr  bekannt,  gegen  die  Eng- 
länder zu  ziehen  habe  ihr  „Rat"  ihr  zwar  befohlen,  doch  nicht 
gesagt,  ob  sie  sich  gegen  die  Bastillen  oder  gegen  das  unter 
Fastolf  nahende  Heer  wenden  solle.  Schon  damit  ist  der  ihr 
von  der  Legende  angedichtete  leitende  Anteil  an  der  am  Nach- 


!)  Proces  III  S.  78-79. 
Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  hist.  Kl.  Jahrg.  1917, 1.  Abk. 


82  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

mittag  des  5.  Mai  erfolgenden  Erstürmung  der  Bastille  Saint- 
Loup  unvereinbar.  Vielmehr  hat  sich  diese,  was  Johannas 
Beteiligung  betrifft,  wohl  ganz  ähnlich  abgespielt,  wie  einige 
Tage  vorher  die  Wegnahme  des  Werkes  bei  Saint- Pouaire. 
Wieder  haben  die  Leiter  des  Unternehmens  die  Jungfrau  von 
ihrem  Vorhaben  nicht  in  Kenntnis  gesetzt  und  nicht  zur  Teil- 
nahme aufgefordert,  das  heißt  sie  haben  sie  von  jedem  Anteil 
an  der  Befehlführung  ausgeschlossen.  Daher  wird  auch  der 
Erfolg,  der  endlich  eine  günstige  Wendung  in  dem  Schicksal 
der  Stadt  einleitete,  nicht  als  Ruhmestitel  für  sie  in  Anspruch 
genommen  werden  dürfen.  Dieser  Sachverhalt  wird  auch  aus 
den  den  Ereignissen  am  nächsten  stehenden  zeitgenössischen 
Quellenangaben  erkennbar,  sobald  man  sie  genau  nimmt  und 
unabhängig  von  der  später  entwickelten  Tradition  auffaßt. 

Etliche  Kilometer  östlich  von  Orleans,  an  der  nach  Bur- 
gund  führenden  Straße  lag  das  stattliche  Cisterzienser-Nonnen- 
kloster  Saint-Loup,  damals  freilich  noch  nicht,  wie  heute,  un- 
mittelbar an  der  Loire,  deren  später  veränderter  Lauf  in  jener 
Zeit  noch  weiter  gegen  Süden  ausbog. l)  Unter  Benutzung 
der  zugehörigen  Gebäude,  auch  der  Kirche,  hatten  die  Eng- 
länder daraus  eine  ihrer  wichtigsten  Bastillen  gemacht:  sie 
beherrschte  den  Zugang  zur  Stadt  und  sicherte  ihnen  die  Ver- 
bindung  nach  rückwärts.  Der  Angriff  auf  Saint-Loup  war 
demnach  das  Nötigste  und  Wichtigste,  was  zum  Entsatz  von 
Orleans  unternommen  werden  konnte.  Wer  ihn  befohlen  und 
geleitet  hat,  ist  nicht  bestimmt  überliefert:  daß  die  Jungfrau 
ihn  nicht  veranlaßt  haben  kann,  geht  aus  der  geschilderten 
Szene  hervor.  Daß  sie  dabei  den  Befehl  geführt,  sich  zuerst 
kriegerisch  betätigt  habe,  ist  eine  Fiktion  späterer  Zeit.  Viel- 
mehr gingen  die  verantwortlichen  Kapitäne  ohne  sie  zu  Werk, 
ließen  sich  aber  ihre  im  weiteren  Verlauf  eintretende  Mitwir- 
kung gefallen,  zumal  sie  dabei  die  Erfahrung  machten,  daß 
sie  auch  ohne  mit  zu  fechten,  allein  durch  ihre  Anwesenheit 
Nutzen    stiftete,    indem    sie    ihre    Leute    zu    ungewöhnlichem 


x)  Ayroles  III  S.  33. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  83 

Kampfesmut    begeisterte,    die    Gegner    aber   befing    und    ent- 
mutigte. *) 

Steht  also  fest,   daß  die  Jungfrau  den  Angriff  auf  Saint- 
Loup    nicht    von  Anfang   an    mitgemacht    hat2)    und    auch    an 
seiner  Vorbereitung  nicht  beteiligt  war,  so  ist  damit  zugleich 
erwiesen,  daß  die  bisherigen  Leiter  der  Verteidigung  Johanna, 
von   der   man   zudem    wußte,    daß    auch  am  königlichen  Hofe 
allerlei  Zweifel   gegen  sie  laut  geworden  waren,    trotz  der  zu 
ihren  Gunsten    aufwogenden  Volksstimmung   beiseite    schoben. 
Daß  man  den  Beginn  dieses  ersten,  Johannas  Ansehn  begrün- 
denden Kampfes  nachmals  so  darstellte,  als  habe  sie  ihn  nicht 
bloß    von  Anfang  an   mitgemacht,    sondern  veranlaßt,    ist  be- 
greiflich,   zumal   von    dem  Kreise,    der    sich    Johanna   alsbald 
vertrauensvoll   anschloß,    wie    der   des    Herzogs   von    Alencon. 
So  läßt  auch  Perceval  de  Cagny,  dessen  Denkwürdigkeiten,  wo 
sie  auf  Augenzeugenschaft  beruhen,  durch  Unbefangenheit  und 
Sachlichkeit   besondern  Wert  haben,    in    diesem  Falle,    wo  er 
nur  von  Hörensagen  berichtet,  die  Jungfrau  die  Kapitäne  ver- 
sammeln und  ihnen  für  den  Angriff  auf  Saint-Loup  die  nötigen 
Weisungen  erteilen,3)  und  Jean  Pasquerel  schreibt  die  Unter- 
nehmung  ebenfalls   einer  Anregung  Johannas   zu,    im  Wider- 
spruch mit  der  auch  von  ihm,  freilich  etwas  modifiziert  wieder- 
gegebenen Szene    ihres    plötzlichen  Rufes    nach   den  Waffen.4) 
Dagegen  läßt  ein  angesehener  Bürger  von  Orleans,  der  Notar 
und  Schöffe  Guillaume  Girault,  in  seiner  kurzen  Aufzeichnung 
über  die  Ereignisse,  die  er  in  nächster  Nähe  mit  erlebt  hatte, 
Saint-Loup  einfach  genommen  werden   „in  Gegenwart  und  mit 
Hilfe    der    Pucelle",    schreibt    dieser    also    eine    hervorragende 
Rolle   dabei   nicht  zu.5)     An  ein   tätiges  Eingreifen   derselben 


1)  Vgl.  Gestes  des  nobles  Francois  bei  Ayroles  III  S.  63  a.  E. 

2)  So  auch  die  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV  S.  223. 

3J  Perceval   de   Cagny   S.  113: la  Pucelle  appelle  les  capi- 

taines  et  leur  ordonne 

4)  Proces  III  S.  106:    ....  ipsa  Johanna  instante  iverunt  ad  in- 
vadendum  .... 

5)  Proces  IV  S.  282:  ....  present  et  aidant  Jeanne  la  Pucelle  .... 

6* 


B  I  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

in  den  Kampf  wird  auch  nicht  zu  denken  sein  bei  der  An- 
gabe des  Perceval  de  Cagny,  sie  sei  nur  mit  einigen  Leuten 
hinzugekommen  und  habe  während  des  Sturms  mit  ihrem 
Banner  an  dem  Graben  gestanden1):  erschreckt  hätten  die 
Engländer  kapitulieren  wollen,  doch  habe  Johanna  das  abge- 
lehnt, um  sich  des  Werkes  gewaltsam  zu  bemächtigen.  Zu- 
dem geben  mehrere  Quellen  die  Stärke  der  gegen  die  Bastille 
ausgerückten  Mannschaften  auf  1500  „Gensdarmes",  das  ist  Be- 
rufssoldaten, und  bewaffnete  Bürger  an,  während  die  Besatzung 
nach  den  einen  300,  nach  den  andern  400  Mann  betrug.  Da- 
zu stimmen  auch  die  Angaben  über  die  englischen  Verluste.2) 
Einen  Versuch  der  Belagerer,  durch  einen  Angriff  an  der  Nord- 
front von  Saint- Pouaire  aus  ihren  Kameraden  in  Saint-Loup 
Luft  zu  machen,  vereitelte  ein  Ausfall  der  Bürger.3)  Schließ- 
lich legten  die  Angreifer  an  die  aus  Holz  hergerichteten  eng- 
lischen Werke  Feuer,  das  auch  den  Glockenturm  und  die 
Klostergebäude  ergriff  und  den  dorthin  geflüchteten  Verteidi- 
gern den  Untergang  brachte.  Nur  Einzelne  retteten  sich  in 
die  benachbarte  Kirche  und  entkamen  in  schnell  angelegten 
geistlichen  Gewändern,  da  Johanna  aus  Ehrfurcht  vor  der 
geistlichen  Tracht  sie  anzurühren  verbot,  wie  sie  auch  streng 
die  Kirche  und  ihre  Ausstattung  schützte.  Dazu  würde  es 
auch  stimmen,  wenn  Johanna  nach  der  Angabe  Jean  Pasque- 
rels  den  Tod  so  vieler  Engländer  vor  allem  deshalb  beklagte, 
weil  sie  ihr  Leben  hatten  lassen  müssen,  ohne  vorher  ge- 
beichtet zu  haben.4)  So  befahl  sie  denn  auch,  vom  nächsten 
Tage  an  sollte  keiner  ihrer  Leute  zum  Kampf  ausziehen,  ohne 
sich  vorher  durch  die  Beichte  auf  den  Tod  vorbereitet  zu 
haben,  und  erklärte,  wenn  man  dieser  ihrer  Weisung  nicht 
Folge  leiste,  werde  sie  das  Heer  verlassen.5) 


a)  A.  a.  O.:  .  .  .  .  la  Pucelle  prit  son  estandart  et  vint  se  mettre 
sur  le  bort  des  fossez. 

2)  Journal  du  siege  S.  81  u.  82. 

8)  Vgl.  die  Zusammenstellung  der  in  den  verschiedenen  Berichten 
sich  findenden  Zahlen  bei  France  I  S.  338  Anm. 

4)  Proces  III  S.  106.  5)  Ebd.  S.  106-7. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  85 

Eigentümliche  Schwierigkeiten  ergeben  sich  bei  dem  Ver- 
suche festzustellen,  was  eigentlich  an  dem  Tage  geschehen  ist, 
welcher  der  Einnahme  von  Saint-Loup  folgte,  dem  5.  Mai. 
Zwischen  den  Angaben  der  im  Mittelpunkt  der  Ereignisse 
stehenden,  zum  Teil  handelnd  daran  beteiligten  Augenzeugen 
bestehen  Unklarheiten  und  Widersprüche,  von  denen  auffallen- 
derweise auch  die  neueren  Geschichtsschreiber  Jeanne  d'Arcs 
keine  Notiz  genommen  haben. 

Der  5.  Mai  war  der  Himmelfahrtstag.  Deshalb  hätte  nach 
Jean  Pasquerel  die  Jungfrau  am  Abend  des  4.  Mai,  wo  der 
Fall  von  Saint-Loup  durch  einen  Dankgottesdienst  und  Pro- 
zessionen gefeiert  wurde,1)  erklärt,  wegen  der  Heiligkeit  des 
Tages  wolle  sie  nicht  kämpfen  und  auch  die  Waffen  nicht  an- 
legen.2)  Auch  Perceval  de  Cagny  haben  seine  Gewährsmänner 
mitgeteilt,  am  5.  Mai  sei  nichts  unternommen  worden.3)  Da- 
gegen setzt  der  damals  ebenfalls  in  Orleans  anwesende  Simon 
Beaucroix  den  Angriff  auf  die  links  von  der  Loire  gelegene 
Bastille  Saint-Jean-le-Blanc,  die  Einleitung  zu  dem  Sturm  auf 
das  englische  Brückenfort  Les  Tourelles,  augenscheinlich  be- 
reits auf  den  5.  Mai,*)  und  das  Gleiche  tut  der  selbst  im  Ge- 
folge der  Jungfrau  befindliche  Jean  d'Aulon.5)  Zudem  steht 
fest,  daß  die  Franzosen,  als  sie  vor  Saint-Jean-le-Blanc  er- 
schienen, dieses  bereits  geräumt  fanden:  die  Engländer  hatten 
sich  ein  Stück  den  Fluß  abwärts  in  das  Werk  zurückgezogen, 
das  in  dem  Augustinerkloster  dicht  vor  Les  Tourelles  errichtet 
war.  Zu  einem  Kampfe  wäre  es  also  nicht  gekommen,  auch 
wenn  der  Marsch  auf  Saint-Jean-le-Blanc  schon  am  5.  aus- 
geführt wäre,  und  die  Angaben  Jean  Pasquereis  und  Perce- 
vals  de  Cagny  würden  insofern  den  Tatsachen  entsprechen. 
Nun  berichtet  aber  das  seinem  Grundstock  nach  den  Ereisf- 
nissen  gleichzeitige  Journal  du  siege  zum  5.  Mai  die  Abhal- 
tung eines  Kriegsrats  von  Dunois,  der  Marschälle  Saint-Severe, 


x)  Gestes  des  nobles  Francois  bei  Ayroles  III  S.  613  a.  E. 

2)  Proces  III  S.  107. 

3)  Chronique  de  Perceval  de  Cagny  ed.  Moravillie  S.  144. 

4)  Proces  III  S.  79.  5)  Ebd.  S.  214. 


86  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

Gilles    de    Rays,    Gaucourt,    La    Hire    und    anderer    mit    Jo- 
hanna,   um   über   die  zu  ergreifenden  Maßregeln   schlüssig  zu 
werden:  man  habe  sich  dahin  geeinigt,  am  nächsten  Tage,  dem 
6.  Mai,  einen  Angriff  auf  Les  Tourelles  zu  unternehmen. x)    Auf 
einen  solchen  Beschluß  deutet  auch  Jean  d'Aulon  hin.2)    Aber 
beide  Quellen    räumen    der  Jungfrau    dabei  keinen  besonderen 
Einfluß  ein,  wissen  auch  nichts  davon,  daß  die  Vorbereitungen 
zur  Ausführung  des  Planes  von  ihr  angeordnet  seien,  die  Lei- 
tung  also    in   ihrer  Hand    gelegen   habe.     Vielmehr   sagt   das 
Journal  ausdrücklich,  die  Kapitäne  hätten  die  nötigen  Befehle 
(reffeben.3)     Nach    der   Stellung,    die   Jeanne   d'Arc   bisher    in 
Orleans  eingenommen  hatte,  war  dies  auch  nur  das  Natürliche. 
Die  Legende  dagegen  hat  sie  früh  als  die  Leiterin  der  militä- 
rischen  Unternehmungen    dargestellt,    scheint    dabei   aber   auf 
Widerspruch    gestoßen   zu   sein,    namentlich  bei  dem  kriegeri- 
schen Adel,  der  die  Verdienste,  die  sich  seinesgleichen  um  die 
Rettung  von  Orleans  erworben  hatte,  nicht  einfach  auf  Rech- 
nung der  Volksheldin  gesetzt  sehen  wollte.    Das  lehrt  nament- 
lich der  Bericht,   den   die  Gestes  des  nobles  Francois  von  den 
Ereignissen  des  5.  Mai  geben:  er  spricht  der  Jungfrau  in  sehr 
wesentlichen  Punkten    das    von   der  Tradition    für   sie    in  An- 
spruch   genommene  Verdienst   mit  einer  gewissen  Absichtlich- 
keit ab.     Nach  ihm  hätte  sie,    um  die  Engländer  zum  Abzug 
zu  nötigen,  am  5.  Mai  vorgeschlagen,  deren  Stellung  bei  Saint- 
Laurent    anzugreifen,    den    festesten  Punkt   der  Angriffslinien, 
sei    damit   aber    nicht  durchgedrungen,    nicht  bloß  wegen  der 
Heiligkeit  des  Tages,  sondern  namentlich  weil  es  doch  darauf 
ankäme,  die  Verbindung  mit  dem  linken  Loireufer  und  der  So- 
logne   wiederzugewinnen,    um   die  Heranziehung  von  Verstär- 
kungen   von  Berry   her   zu    ermöglichen.     Darüber   sei   es    an 
diesem  Tage  überhaupt  zu  nichts  gekommen,  zum  großen  Miß- 
vergnügen Johannas.4)     Hier  wird  also,  was  sonst  als  Beweis 

1)  Journal  du  siege  S.  82—3. 

2)  Proces  III  S.  213  a.  E.:   „fut  conclus  entre  eulx". 

3)  Journal  S.  83:  „et  pour  ee  fut  par  les  capitaines  commande  .  .  ." 

4)  AyroleslII  S.  613-14. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  87 

für  die  Frömmigkeit  der  Jungfrau  angeführt  wird,  der  Ver- 
zicht auf  den  Kampf  an  einem  Feiertag,  vielmehr  den  Kapi- 
tänen als  Verdienst  angerechnet.  Daß  diese  und  die  Ritter- 
schaft an  der  Lothringerin,  in  der  die  Menge  die  zu  ihrer 
Rettung  gesandte  Himmelsbotin  sah,  mancherlei  auszusetzen 
hatte,  geht  übrigens  auch  aus  einer  höchst  charakteristischen 
kritischen  Bemerkung  hervor,  die  Jean  Chartier  einmal  macht, 
der  erste  zeitgenössische  Geschichtsschreiber  Karls  VII.,  ein 
wohlunterrichteter  Mann,  der  seine  Informationen  vielfach  aus 
höfischen  Kreisen  erhielt.  Er  schildert  mit  einer  Ausführlich- 
keit,1) welche,  in  der  Sache  nicht  begründet,  auf  eine  beson- 
dere Absicht  schließen  läßt,  wie  der  Bastard  von  Orleans  und 
die  andern  Kapitäne  Kriegsrat  zu  halten  pflegten,  ohne  Jo- 
hanna zuzuziehn,  diese  aber,  nachträglich  um  ihre  Meinung 
gefragt,  niemals  den  gefaßten  Beschlüssen  widersprochen,  son- 
dern denselben  als  den  ihr  gewordenen  Offenbarungen  ent- 
sprechend zugestimmt  habe.  In  diesem  Fall  aber  habe  sie  den 
Beschluß  des  Kriegsrats,  der  ihr  nachträglich  und  nicht  gleich 
vollständig  mitgeteilt  sei,  mit  Unwillen  aufgenommen,  schließ- 
lich jedoch  sich  gefügt,  im  übrigen  aber  nicht  selten  den  Un- 
mut der  Kapitäne  erregt,  weil  sie  sich  auf  eigne  Hand  in 
Scharmützel  einließ,  indem  sie  „in  voller  Rüstung  wie  ein  zum 
Hof  gehöriger  Ritter"  auf  die  Feinde  einsprengte.  Ganz  so, 
wie  es  ihr  hier  zum  Vorwurf  gemacht  wird,  schildert  Jean 
d'Aulon2)  das  eigenmächtige  Vorwärtseilen  Johannas  und  La 
Hires  bei  der  Einleitung  des  Augriffs  auf  die  Bastille  bei  dem 
Augustinerkloster  und  Les  Tourelles. 

Der  Verlauf  der  Ereignisse  der  beiden  folgenden  Tage,  des 
6.  und  7.  Mai,  die  zum  Abzug  der  Belagerer  am  8.  Mai  führten, 
steht  im  wesentlichen  fest :  aber  auch  da  finden  sich  in  Bezug 
auf  Einzelheiten  zwischen  den  Angaben  der  zeitgenössischen 
Quellen  Abweichungen  und  Widersprüche,  welche  für  die  Sache 
zwar  ohne  entscheidende  Bedeutung  sind,    doch  beweisen,  wie 


1)  Jean  Chartier,  Histoire  de  Charles  VII,  roi  de  France,  ed.  Vallet 
de  Viriville  I  S.  74—6. 

2)  Proces  III  S.  214. 


88  1.  Abhandlung:   Hans  Prutz 

verschieden  damals  selbst  in  den  Kreisen  der  Nächstbeteiligten 
die  Jungfrau  aufgefaßt  und  ihr  Wirken  beurteilt  wurde,  und 
daß  da  gewisse  Strömungen  miteinander  stritten,  von  denen 
jede  die  werdende  Tradition  in  ihrem  Sinne  zu  beeinflussen  suchte. 
Sie  betreffen  in  erster  Linie  wiederum  die  Frage  nach  der 
Leitung  der  von  so  glänzendem  Erfolge  gekrönten  Operationen: 
je  nach  der  Vorstellung,  die  der  Berichterstatter  davon  hat, 
wird  auch  sonst  noch  der  eine  oder  andere  Punkt  von  ihm  in 
einem  andern  Lichte  gesehen  und  demgemäß  dargestellt.  Man 
erhält  da  vollends  den  Eindruck,  als  hätten  bei  Feststellung  des 
von  der  Tradition  zu  rezipierenden  Bildes  gewisse  Tendenzen 
einander  gegenübergestanden,  in  denen  sich  die  Gegensätze 
wiederholten,  die,  während  die  Dinge  geschahen,  miteinander 
gerungen  und  die  günstige  Entwicklung  mehr  als  einmal,  wenn 
nicht  gerade  in  Frage  gestellt,  so  doch  erschwert  und  verzögert 
hatten. 

Bemerkenswert  ist  da  zunächst  wiederum  die  Stellung  des 
Journal  du  siege.  Daß  ein  Tagebuch,  welches  die  Ereignisse 
in  Orleans  vom  12.  Oktober  1428  bis  zum  8.  Mai  1429,  während 
sie  geschahen,  verzeichnete,  das  Auftreten  Johannas  in  Lothringen 
und  am  Hofe  erst  nachträglich  bei  der  Überarbeitung  der  ur- 
sprunglichen Notizen  behandeln  konnte,  die  darauf  bezüglichen 
Angaben  also  als  späteren  Einschub  kenntlich  machen  mußte, 
war  natürlich.  Begreiflich  ist  es  ferner,  daß  die  tapferen  Männer, 
welche  Orleans  Monate  hindurch  verteidigt  hatten,  das  Erscheinen 
der  lothringischen  Bäuerin  mit  ihrem  psalmodierenden  Gefolge 
von  Buße  predigenden  Geistlichen  und  eifernden  Mönchen  trotz- 
dem ihr  voraufgegangenen  Ruf  zunächst  mit  Befremden  und  nicht 
ohne  ernste  Zweifel  an  dem  Ausgang  beobachteten.  Von  Begeiste- 
rung für  dieselbe,  wie  sie  infolge  der  seit  Wochen  hoch  ge- 
spannten Erwartung  und  unter  dem  Eindruck  ihres  theatralisch 
zurecht  gemachten  Einzugs  in  der  Menge  sich  regte,  zeigte  sich 
in  diesem  Kreise  keine  Spur.  Zwar  ließ  man  ihren  Einfluß 
auf  die  Masse  nicht  unbenutzt,  hütete  sich  aber  wohlweislich 
ihrem  ungeduldigen  Drängen  auf  einen  sofortigen  Entscheidungs- 
kampf nachzugeben.     Sie  blieb  von  den  Beratungen  der  Kapi- 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  89 

täne  ausgeschlossen ;  die  von  diesen  vereinbarten  Unternehmungen 
führte  man  aus,  ohne  sie  davon  zu  benachrichtigen,  so  daß 
sie  erst  durch  das  Getöse  des  Kampfes  und  die  in  der  Stadt 
entstandene  Unruhe  davon  Kunde  erhielt  und  hinzueilen  konnte, 
oder  weihte  sie  in  die  entworfenen  Pläne  nur  teilweise  ein.  Das 
mußte  zwischen  Jeanne  d'Arc  und  den  bisherigen  Leitern  der 
Verteidigung  Gegensätze  hervorbringen,  wie  sie  bei  den  Ereig- 
nissen des  6.  und  7.  Mai  zutage  getreten  zu  sein  scheinen 
und  wie  sie  auch  die  Überlieferung  widerspiegelt.  Wie  wäre 
es  sonst  wohl  zu  erklären,  daß  das  wohlunterrichtete  und  streng 
sachlich  gehaltene  Journal  du  siege  abweichend  von  allen  andern 
Quellen  die  Rettung  der  Stadt  nicht  Johanna  zuschreibt,  sondern 
der  Intervention  von  zwei  Lokalheiligen  ?  In  der  nach  heißem, 
den  ganzen  Tag  dauernden  Ringen  geglückten  Erstürmung  von 
Les  Tourelles  sieht  es,  ganz  in  der  Denkweise  des  waffenfrohen 
Rittertums  der  Zeit,  das  den  Tod  jedes  vornehmen  Gegners 
als  einen  finanziellen  Verlust  beklagte,  weil  das  im  Fall  seiner 
Gefangennahme  zu  hoffende  Lösegeld  wegfiel,1)  „eine  der  schön- 
sten Waffentaten,  die  seit  langer  Zeit  geschehen",8)  führt  sie 
zurück  auf  ein  Wunder,  das  Gott  auf  Fürbitte  der  beiden 
Schutzheiligen  von  Orleans,  Saint-Aignan  und  Saint-Evurtre, 
getan,  und  sieht  den  Beweis  dafür  darin,  daß  die  Engländer 
geglaubt  hätten  immer  neue  Massen  heranstürmen  zu  sehen. 
Daß  weiterhin  auch  der  Jungfrau  ein  Anteil  an  dem  Erfolge 
beigemessen  wird,  läßt  den  Bericht  nicht  weniger  befremdlich  er- 
scheinen, zumal  das  Eingreifen  der  beiden  Heiligen  als  allgemein 
geglaubt  bezeichnet  wird.3)  Auf  eine  ähnlich  niedrige  Einschät- 
zung des  von  der  Jungfrau  Geleisteten  weist  es  hin,  wenn,  wie 
erwähnt,  Guillaume  Girault  den  Anteil  derselben  mit  den  Worten 
abtut,    sie   sei   bei    der  Rettung   der   Stadt    durch    des  Königs 


*)  S.  87  a.  E.:  qui  (was,  d.  i.  der  Tod  der  englischen  Ritter  in  Les 
Tourelles  durch  Ertrinken)  fut  grand  dommaige  des  vaillants  Francois, 
qui  pour  leur  rancon  eussent  pu  avoir  grant  finance. 

z)  Ebd.  S.  88:  ....  que  c'est  un  des  plus  beaulx  fais  d'arme  qui  eust 
este  faict  long  temp  par  avant. 

3)  Ebd.:  selon  la  commune  opinion. 


90  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

Leute  und  die  Bürger  „zugegen  gewesen  und  habe  dabei  ge- 
holfen".1) Dazu  genügte  es  freilich,  daß  sie,  wie  die  Augen- 
zeugen Dunois,  Louis  de  Contes  und  Jean  Lullier  berichten,  mit 
ihrem  wundertätigen  Banner  am  Rand  des  Grabens  stand  und 
den  Stürmenden  Mut  einsprach.2)  Soll  sie  doch  den  Augen- 
blick, wo  ihr  Banner  den  Wall  berühren  würde,  als  den  des 
Sieges  bezeichnet  haben.3)  Überhaupt  scheint  sie  damals  sich 
des  unmittelbaren  Anteils  am  Kampf,  des  üreinschlagens  ent- 
halten zu  haben,  was  freilich  die  Möglichkeit  einer  Verwundung 
nicht  ausschloß.  Von  einer  solchen  berichten  die  Quellen  mehr- 
fach. Ein  Pfeilschuß  soll  sie  während  des  Sturms  auf  die 
Bastille  bei  dem  Augustinerkloster  am  6.  Mai  zwischen  Schulter 
und  Nacken  getroffen  haben,  während  sie  nach  einer  vereinzelten 
Angabe  schon  vorher  am  Fuß  verwundet  worden  wäre.*)  Von 
jener  sagt  Dunois,  Johanna  habe  ihrer  nicht  geachtet,  sondern 
sei  auf  ihrem  Posten  geblieben,  Pasquerel  dagegen  läßt  sie  gar 
nicht  heldenhaft  weinen  und  klagen  und  sich  erst  allmählich 
beruhigen,  um  die  zudringliche  Neugier  der  dem  Verbinden 
zusehenden  Soldaten  mit  frommen  Worten  abzuwehren.  Da- 
gegen wollen  Spätere  wissen,  sie  sei  nach  Empfang  der  Wunde 
erblaßt,  habe  sich  aber  nicht  beiseite  führen  lassen.5)  Aber 
auch  noch  in  anderer  Richtung  wurde  das  damit  gegebene  Motiv 
ausgenutzt:  in  der  Chronik  von  Tournay,  welche  die  offiziösen 
Berichte  benutzte,  die  vom  Hofe  verbreitet  wurden,  findet  sich 
eine  auffallende  Ausmalung  des  Zwischenfalls.  Die  Jungfrau, 
heißt  es  da,  sei  über  die  Wunde  mehr  erfreut  als  erschreckt 
gewesen  und  habe,  während  sie  sich  den  Pfeil  auszog  und 
etwas  Leinwand  und  Olivenöl  auflegte,  zu  ihrer  Umgebung  ge- 
sagt: Jetzt  ist  es  um  die  Macht  der  Engländer  vollends  ge- 
schehen,   denn    die  Wunde   ist   das    Zeichen   ihrer   Verwirrung 


!)  Proces  IV  S.  282. 

2)  Ebd.  III  S.  8  a.  E.,  25  u.  70  a.  E.  und  Perceval  de  Cagny  S.  146. 

3)  Vgl.   auch  die  Aussage  von  Beaucroix  über  den  gleichen  Erfolg 
bei  Les  Tourelles,  Proces  III  S.  80.     Jean  Lullier,  ebd.  S.  25. 

4)  Chronique  de  la  Pucelle,  Proces  IV  S.  226  a.  E. 

5)  Ebd    S.  227. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  91 

und  ihres  Elends,  das  mir  von  Gott  enthüllt  ist,  das  ich  bisher 
aber   nicht    offenbart    habe.1)     Wäre    der    Zug    historisch,    so 
würde  er  nur  von  der  Geistesgegenwart  zeugen,  mit  der  Johanna 
einen    unliebsamen    Zwischenfall    nutzbar    zu    machen    wußte. 
Danach    habe   sie,    so    heißt    es    in   der   Chronik   von    Tournay 
weiter,  sich  alsbald  waffnen  lassen,  ihre  Lanze  ergriffen  und  mit 
ihr   in    der  Hand  das  Antlitz    zum  Himmel  gewandt    sich    den 
Anschein  gegeben,  als  ob  sie  zu  Gott  betete  r  dann  sei  sie  zu 
den  Gewaffneten   zurückgekehrt,    um  ihnen   den  Punkt  zu  be- 
zeichnen, wo  die  Bastille  angegriffen  werden  müßte.2)     Und  was 
hat  die  Legende  aus  dieser  Szene  gemacht?    Sie  läßt  die  Jung- 
frau  mit    ihrem  Banner   beiseite    reiten    —    obgleich    es    doch 
an    sich    schon   sehr    unwahrscheinlich   ist,    daß    sie  bei  einem 
Sturm  zu  Pferde  gewesen  sein  sollte!  — ,  absteigen  und  beten. 
So  erzählt  der  Redaktor  des  Journal  du  siege3)  wohl  auf  Grund 
eines  damals  bereits  umlaufenden  Berichtes,  den  wir  in  breiteren 
Worten  in  der  Chronique  de  la  Pucelle  wiederfinden.4)     Der- 
selbe befängt  selbst  die  Erinnerung  Dunois1,  so  daß  der  Held 
von  einem  etwa  viertelstündigen  Gebet  der  Jungfrau  in  einem 
weit  ab  von  dem  Getümmel  gelegenen  Weinberg  wissen  wollte.5) 
Sollte    vielleicht   das  Gebet  Johannas    im   Weinberg    ein  wirk- 
sames Seitenstück  abgeben  zu  dem  des  Heilands  in  Gethsemane? 
Weiter  soll  Johanna  die  Befreiung  von  Orleans  als  binnen  fünf 
Tagen  bevorstehend  verkündet  und  beim  Aufbruch  gegen  Les 
Tourelles   erklärt  haben,    sie  werde   von  dort    über   die  Loire- 
brücke   in  die  Stadt  zurückkehren,    was    nach  alledem  freilich 
wenig  bedeutet  hätte. 

Wie  früh  der  im  Grunde  so  einfache  historische  Tatbestand 
mit  legendären  Elementen  verschiedener  Herkunft  und  verschie- 
denen  Charakters  durchsetzt  wurde,  wird  damit  erwiesen  sein. 
Zwar  betreffen  alle  diese  Zudichtungen  mehr  das  Bild  der  Jung- 


l)  Ayroles  III  S.  623. 

2J  Chronique  de  Tournay  bei  Ayroles  III  S.  623:  „fist  serablant 
faire  oraison  ä  Dieu,  la  face  relevee  vers  le  ciel.  Et  ce  fait  eile  re- 
tourna  aux  gensdarmes  et  leur  remontra  un  Heu  etc " 

3)  Ebd.  S.  86.  4)  Proces  IV  S.  428.  5)  Ebd.  III  S.  8. 


92  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 

ftau  persönlich,  als  das  der  Kämpfe,  denen  sie  beiwohnte. 
Aber  auch  dieses  ist  früh  so  umgestaltet  worden,  daß  es  der 
aus  politischen  Gründen  schnell  über  das  berechtigte  Maß  hinaus 
gesteigerten  Bedeutung  der  Jungfrau  wirksam  zur  Folie  diente. 
Was  da  insbesondere  von  dieser  als  Leiterin  der  militärischen 
Operationen  berichtet  wird  und  sie  bei  ihren  modernen  Ver- 
herrlichern in  den  Ruf  einer  großen  Taktikerin  und  Strategin 
gebracht  hat,  steht  mit  den  maßgebenden  Quellen  in  Wider- 
spruch. Insbesondere  steht  fest,  daß  über  die  entscheidenden 
Operationen  zwischen  ihr  und  den  Kapitänen  die  ernstesten 
Differenzen  bestanden  haben.  Wenn  die  Letzteren  schließlich 
nachgaben,  so  geschah  es  nicht,  weil  sie  die  militärische  Ein- 
sicht Johannas  als  überlegen  anerkannten,  sondern  weil  sie 
mit  der  populären  Bewegung  rechnen  mußten,  die  sich  für 
diese  geltend  machte. 

Wenn  die  Angabe  des  Perceval  de  Cagny,1)  die  Jungfrau 
habe  am  Abend  des  kampflos  verlaufenen  5.  Mai  befohlen, 
in  der  Frühe  des  nächsten  Morgens  sollte  sich  jedermann  bereit- 
halten, den  Tatsachen  entspräche  und  nicht  bloß  später  ein- 
getretene Verhältnisse  auf  diese  frühere  Zeit  übertrüge,  so 
würde  daraus  zu  schließen  sein,  daß  das  Verhältnis  Johannas 
zu  den  Kapitänen  schon  äußerst  gespannt  war  und  ein  rechtes 
Zusammenwirken  der  in  der  Stadt  befindlichen  Berufssoldaten 
mit  der  um  Johanna  gescharten  Bürgerschaft  kaum  zu  erwarten 
stand.  Auch  bezeugt  Louis  de  Contes,  der  Aufbruch  zum  Über- 
gang über  die  Loire  zum  Angriff  auf  Saint-Jean-le-Blanc  sei 
gegen  den  Willen  mehrerer  Kapitäne  erfolgt2)  und  auch  die 
Chronique  de  la  Pucelle  berichtet,  der  Angriff  sei  gegen  die 
Absicht  und  gegen  den  Willen  der  königlichen  Befehlshaber 
ausgeführt.3)  Einen  weiteren  Einblick  in  die  Spaltung,  die  in 
Orleans    herrschte,    eröffnet    die    Aussage    eines    Bürgers    der 


x)  S.  148. 

2)  Proces  III  S.  70:  ».  .  .  .  contradicentibus  pluribus  dominis." 

3)  Ebd.  IV  S.  227  und  Ayroles  III  S.  641 :    ....  contre  volonte  et 
opinion  de  tous  les  chefs  et  capitaines,  qui  estoient  du  parti  du  roy. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  93 

Stadt,1)  überzeugt  von  der  Gefährlichkeit  der  von  Johanna  mit 
der  Bürgerschaft  geplanten  Unternehmung,  habe  der  greise 
Gaucourt  dieselbe  mit  Gewalt  zu  hindern  gedacht,  indem  er 
die  Porte  de  Bourgogne  besetzte,  um  der  Menge  den  Weg  nach 
dem  Flußufer  und  den  Inseln  zu  verlegen,  über  die  sie  das 
andere  Ufer  zu  erreichen  suchen  mußte.2)  Das  aber  kann 
füglich  nicht  ohne  Zustimmung  der  anderen  Befehlshaber  ge- 
schehen sein.  Unter  den  Verteidigern  drohte  also  ein  offner 
Konflikt  über  die  Frage,  wie  die  Stadt  gerettet  werden  sollte. 
Schon  machte  am  Morgen  des  6.  Mai  die  von  Kampfbegier 
erhitzte  Menge  Miene,  den  ihr  von  Gaucourt  verweigerten  Aus- 
gang zu  erzwingen,  als  die  Jungfrau  herbeieilte,  den  Marschall 
mit  harten  Worten  zurechtwies  und  ihm  erklärte,  die  Bürger- 
schaft werde  hinausziehen,  er  möge  wollen  oder  nicht,  und  ihre 
Sache  so  gut  wie  bisher  machen.  Lärmend  und  schreiend  drang 
die  Menge  an  und  wollte  den  Worten  ihrer  Führerin  die  Tat 
folgen  lassen.  Auf  dieses  Äußerste  aber  mochte  es  Gaucourt 
denn  doch  nicht  ankommen  lassen:  um  weiteres  Unheil  abzu- 
wenden und  der  ihm  abgedrungenen  Unternehmung  zu  einem 
erträglichen  Ausgang  zu  verhelfen,  erklärte  er  sich  bereit,  sich 
selbst  an  die  Spitze  zu  stellen. 3)  Zu  den  militärischen  Fähig- 
keiten Jeanne  de  d'Arcs  hatte  er  also  kein  Vertrauen.  Auch 
scheint  der  weitere  Verlauf  ihm  Recht  gegeben  zu  haben.  Zu- 
sammengefaßt ergeben  die  verschiedenen  beglaubigten  Züge  ein 
Bild,  welches  durch  den  Schleier  der  beschönigenden  Tradition 
doch  noch  erkennen  läßt,  daß  das  Zusammenwirken  der  beiden 
an  dem  Schicksal  der  Stadt  zunächst  interessierten  Gruppen  auch 
noch  in  diesem  letzten  Stadium  des  Kampfes  viel  zu  wünschen 
übrig  ließ. 

Nach  Überschreitung  der  Loire  und  Niederbrennung  der 
geräumt  gefundenen  Bastille  Saint-Jean-le-Blanc,  also  etwa  um 
die  Mittagsstunde  des  6.  Mai,  stürmte    die  bewaffnete  Bürger- 

»)  Simon  Charles,  Proces  III  S.  116—17. 

2)  Aussage  des  Louis  de  Contes  ebd.  S.  70.  Chronique  de  la  Pu- 
celle,  ebd.  IV  S.  227. 

3)  Proces  III  S.  116—17. 


94  1.  Abhandlung:  Hans  Prutz 


6  ' 


schaft,    der  die  Ritterschaft  mit   ihren  Mannschaften  nun  not- 
gedrungen folgen  mußte,   den  Flute  abwärts  gegen  das  den  Zu- 
gang zu  der  Brücke  und  dem  Brückenfort  Les  Tourelles  sperrende 
englische  Hauptwerk  bei  dem  Augustinerkloster.     Johanna  mit 
den    Ihren    war    allen   voran,    sah   sich   aber  bald    von  den  ihr 
entgegeneilenden    Feinden    umdrängt    und    mußte  sich    auf  die 
vorsichtig  weiter  zurückgebliebene  Hauptmacht  unter  den  Kapi- 
tänen zurückziehen.     Daraus  hat  die  Tradition  den  verstellten 
Rückzug  gemacht,  durch  den  sie  die  Engländer  aus  ihrer  festen 
Stellung  herausgelockt  haben  soll.     Von  der  Hauptmacht  auf- 
genommen ging  die  Bürgerschaft  dann  mit  dieser  wieder  vor. 
Bald   stand   sie   vor   dem   englischen   Werk,   dessen   Besatzung 
nun  abzog.     Damit  aber  war  doch  erst  der  kleinere  und  leichtere 
Teil  der  Arbeit  getan:  die  Bewältigung  der  stärksten  englischen 
Bastille   Les  Tourelles,    welche    die    zur  Stadt   führende,    nach 
dieser  hin  obenein  abgebrochene  Brücke  sperrte,  stellte  an  die 
Ausdauer  der  Angreifer  die  höchsten  Anforderungen.    Dort  setzte 
der    Kampf    am    Morgen    des  7.  Mai    wieder   ein.     Auch    hier 
bleibt  im  einzelnen  manches  unklar,  wie  z.  B.  nach  den  Einen 
Johanna  die  Nacht   vom  6.  zum  7.  Mai    in  der  Stadt,1)    nach 
den  Anderen   draußen  auf  dem  Kampfplatz   zugebracht  haben 
soll.2)     Nur  das  Eine  ist  aber  auch  hier  wiederum  klar,  näm- 
lich, daß  zwischen  ihr  und  den  Führern  der  königlichen  Truppen 
ernstliche  Meinungsverschiedenheiten  bestanden.     Als  der  Tag 
sich  neigte  und  Les  Tourelles,    das  eine  auserwählte  englische 
Mannschaft  heldenmütig  verteidigte,    obgleich  sie  über  die  in- 
zwischen notdürftig  hergestellte  Brücke  auch  von  der  Stadt  her 
bestürmt  wurde,  noch  nicht  bewältigt  war,  wollten  die  Kapi- 
täne  den  Kampf  abbrechen,    in  die  Stadt  zurückkehren3)   und 
sich   auf  deren   nun   wesentlich    erleichterte   Verteidigung  he- 


l)  Louis  de  Contes,  Proces  III  S.  69—70;  Perceval  de  Cagny  S.  144—5. 

2J  Chronik  von  Tournay  bei  Ayroles  III  S.  602. 

3)  Aussagen  von  Dunois,  Proces  III  S.  8—9  und  Simon  Beaucroix, 
ebd.  S.  73-80.  Vgl.  Journal  du  siege  S.  88  und  Chronique  de  la  Pu- 
celle,  Proces  IV  S.  228. 


Neue  Studien  zur  Geschichte  der  Jungfrau  von  Orleans.  9o 

schränken,  bis  der  zu  hoffende  Entsatz  einträfe.1)  Wieder  aber 
weigerte  sich  Johanna  diesem  Beschluß  des  ohne  sie  gehaltenen 
Kriegsrats  zu  folgen  und  bestand  auf  der  Fortsetzung  des 
Sturmangriffs,  der  denn  auch  schließlich  Erfolg  hatte. 

Daß  dadurch  die  bisher  vielfach  angefochtene  Stellung 
Johannas  eine  wesentliche  Besserung  erfuhr  und  sie  auch  gegen- 
über den  Berufssoldaten  und  ihren  Führern  größere  Autorität 
gewann,  ist  begreiflich  und  erklärt  es,  wenn  Fernerstehende 
der  Meinung  Avaren,  sie  habe  eine  solche  von  Anfang  an  be- 
sessen und  auf  den  Gang  der  Ereignisse  einen  Einfluß  aus- 
geübt, wie  er  dem  Oberbefehlshaber  zusteht.  Die  Stellung 
eines  solchen  aber  hat  sie  in  jenen  Tagen  tatsächlich  nicht 
inne  gehabt.  Ihr  Verdienst  lag  vielmehr  nur  darin,  daß  sie 
den  sie  selbst  erfüllenden  unbeirrbaren  Glauben  an  den  Sieg 
der  königlichen  Sache  auf  die  Menge  übertrug  und  auch  die 
anfangs  zweifelnden  Kapitäne  und  Berufssoldaten  damit  erfüllte 
und  dadurch  beide  trotz  mancher  Konflikte  mit  sich  fortriß 
und  zu  außerordentlichen  Leistungen  befähigte. 

Anders  ist,  was  Johanna  geleistet,  und  das  Verdienst,  das 
sie  sich  dadurch  erworben  hatte,  denn  auch  an  der  Stelle  nicht 
eingeschätzt  worden,  für  die  der  Ausgang  der  Kämpfe  in 
und  bei  Orleans  vor  allem  entscheidend  und  von  der  aus  er 
daher  auf  Grund  der  einander  rasch  folgenden  Meldungen  mit 
fieberhafter  Spannung  verfolgt  worden  war.  Das  geht  klar 
aus  dem  Briefe  hervor,  den  Karl  VII.  am  10.  Mai  von  Chinon 
aus  an  die  Stadt  Narbonne  richtete,  um  sie  und  die  anderen 
treuen  Städte  von  der  in  seiner  Lage  so  unerwartet  eingetretenen 
glücklichen  Wendung  zu  unterrichten:2)  er  führt  uns  unmittelbar 
in  das  amtliche  Kriegsberichtswesen  jener  Zeit  ein.  Auch  da- 
nach handelte  es  sich  bei  dem  Zuge  nach  Orleans  zunächst 
nur  um  dessen  Verproviantierung,  nicht  um  seinen  Entsatz: 
diese,  so  heißt  es  da,  sei  in  einer  Woche  zweimal  gelungen. 
Dann   aber  wird  Aveiter  gemeldet,   am  4.  Mai  sei  sogar  Saint- 


J)  Das  bezeugt  ausdrücklich  Pasquerel  Proces  III  S.  108—9. 
2)  Proces  V  S.  100  ff. 


96        1.  Abhandl.:  H.  Prutz,  N.  Stud.  z.  Gesch.  d.  Jungfr.  v.  Orltkng. 

Loup  nach  vier-  bis  fünfstündigem  Kampf  genommen,  und  die 
darin  offenbarte  Gnade  des  Himmels  gepriesen.  Angefügt  wird 
dann  die  noch  vor  Schluß  des  Briefes  eingetroffene  Meldung 
der  unverhofften  Erfolge  vom  5.  und  6.  Mai.  Von  der  Jungfrau 
aber  ist  dabei  nur  nebenher  die  Rede,  indem  bemerkt  wird,  alles 
das  sei  nach  Angaben  eben  eingetroffener  Teilnehmer  am  Kampfe 
geschehen  „in  ihrer  Gegenwart" '),  von  einer  Leitung  des  Unter- 
nehmens durch  sie  oder  auch  nur  einem  hervorragenden  Anteil 
ihrerseits  daran  ist  nicht  die  Rede.  So  also  sah  damals  der 
Hof  und  seine  Umgebung  die  Sache  an. 


J)  Ebd.  S.  103:    ....  laquelle  a  toujours  este  en  personne  ä  l'exe- 
cution  de  toutes  cea  choses. 


A 

Sitzungsberichte 

der 

Königlich   Bayerischen   Akademie   der    Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  2.  Abhandlung 


't)ATJ?,i*t^ 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams 

im  K.  Ethnographischen  Mnsenm  zn  München 


vou 


Curt  Sachs 


Mit  19  Tafeln 


Vorgelegt   am   13.  Januar   1917 


München  1917 
Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.   Franz 'sehen  Verlags  (J.  Roth) 


Sitzungsberichte 

der 

Königlich    Bayerischen   Akademie   der    Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  2.  Abhandlung 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams 

im  K.  Ethnographischen  Museum  zu  München 

von 

Curt  Sachs 


Mit  19  Tafeln 


Vorgelegt   am   13.  Januar   1917 


München  1917 
Verla»  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.   Franz'schen  Verlags  (J.  Roth) 


Der  Verfasser  hat  der  Anregung  der  Direktion  des  K. 
Ethnographischen  Museums  zur  Abfassung  dieses  Kataloges 
um  so  lieber  Folge  geleistet,  als  die  Sammlung  heute  ge- 
meinsam mit  dem  Berliner  Kgl.  Museum  für  Völkerkunde  in 
birmanisch -assamischen  Dingen  die  Führerschaft  hat.  Die 
reiche  Instrumentensammlung  schließt  sich  mit  der  Berliner 
in  glücklichster  Weise  zusammen,  sodaß  meine  musikologischen 
Veröffentlichungen  aus  dem  preußischen  Institut  durch  die  vor- 
liegende eine  wesentliche  Ergänzung  erfahren.  Daß  gerade 
die  Grenzscheide  zwischen  Indien  und  China,  die  Wiege  der 
Maultrommel,  des  Gongs,  der  Durchschlagenden  Zunge  und 
vieler  andrer  Typen,  in  unsern  Museen  so  glänzend  vertreten 
ist,  darf  nicht  nur  die  Ethnologie,  sondern  auch  die  verglei- 
chende Musikwissenschaft  mit  großer  Freude  begrüßen. 

Herrn  Prof.  Dr.  Scherman,  dem  Direktor  des  Museums, 
dessen  zielbewußtem  Sammeln  das  Material  zu  danken  ist,  bin 
ich  für  sein  unermüdliches  Entgegenkommen  verpflichtet. 

Über  die  musikalischen  Geräte  der  Birmanen  im  eigent- 
lichen Sinne  und  der  assamischen  Stämme  haben  wir  bereits 
an  andrer  Stelle  sprechen  können.  Wir  wollen  uns  hier  da- 
rauf beschränken,  ein  paar  Worte  über  die  der  innerbirmani- 
sehen  Fremdvölker  zu  sagen;  liegt  doch  gerade  in  ihnen  die 
Stärke  der  Münchener  Sammlung. 

Der  Überblick,  den  wir  gewinnen,  zeigt  vor  allem  eins 
mit  großer  Deutlichkeit:  zu  den  Instrumentarien  der  großen 
Kulturstaaten  des  gegenwärtigen  Hinterindien  steht  das  der 
San-Staaten  fast  in  gar  keiner  Beziehung.  Die  beiden  Gruppen, 
Annam-Tonkin  hier  und  Birma-Siam-Kambodja  dort,  haben, 
von  wenigen  Ausnahmen  —  wie  möglicherweise  jene  Ringflöte 
der  San  (Ch  202,  unten  S.  35)  —  abgesehen,   nichts  gegeben, 

1* 


4  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

obgleich  außermusikalisch  eine  gewisse  Birmanisierung  statt- 
gefunden hat.  Mau  sieht  auch  hier  wieder  die  starke  Be- 
harrung des  Musikinstruments.  Dagegen  scheint  es,  als  müsse 
das  Bronzeinstrumentarium  der  birmanischen,  siamesischen  und 
kambodjanischen  Orchester  wenn  nicht  unmittelbar  so  mittel- 
bar den  San  gutgeschrieben  werden.  Wir  können  feststellen, 
daß  hier  im  wesentlichen  Formengleichheit  herrscht,  die  San 
aber  bei  den  Gongs  eine  Art  der  Verwendung  beibehalten 
haben,  die  nicht  Rückbildung,  sondern  Vorstufe  ist. 

Nach  Norden  zu  sind  die  Beziehungen  noch  schwächer. 
Eine  chinesische  Laute  bei  den  Lisa  (Ns  203)  ist  aus  der  geo- 

v 

graphischen  Lage  dieses  Volks  zu  erklären,  für  die  San-Staaten 
im  ganzen  aber  nur  peripherisch  geblieben  und  für  die  Be- 
antwortung der  entwicklungsgeschichtlichen  Frage  belanglos. 
Auf  der  andern  Seite  schlägt  die  Maultrommel  des  gleichen 
Stamms  die  Brücke  hinüber  nach  Tibet.  Assam  dagegen  ist, 
soweit  es  nicht  selbständige  Bildungen  aufweist,  vorwiegend 
nach  Vorderindien  gerichtet. 

Vielfach  können  wir  an  die  halbzivilisierten  Völkerschaften 
des  mittleren  Hinterindien  anknüpfen.  Dinge  wie  die  abge- 
stimmten Gongserien,  die  hölzernen,  kantigen  Breitschellen  mit 
mehreren  Klöppeln,  die  Zungenhörner,  einfachen  und  doppelten 
Pfeifen  mit  Durchschlagzungen  und  die  urwüchsigen  Mund- 
orgeln zeigen  sich  im  kambodjanischen  Hinterland  bei  den 
Penon  und  bei  den  Mo'i,  im  Westen  bei  den  Mro  und  Kumi 
und  vor  allem  in  Laos. 

Die  Beziehungen  werden  aber  noch  stärker,  wenn  wir 
indonesischen  Boden  betreten,  besonders  Borneo.  Es  begegnen 
die  gleichen  Gongs,  es  begegnen  die  Rotangverschnürungen 
der  Trommeln  und  ihre  an  geschnitzten  Wülste,  die  bei  den 
Kacin  auffallen,  die  Kurzlaute  der  Kacin  und  der  San  kehrt 
wieder,  vor  allem  aber  die  vielgestaltige  Welt  der  Flöten,  die 
bei  den  Kacin,  den  San,  Karen  und  Taunyo  interessieren.  Die 
einfachen  Längsflöten  mit  ihrem  bezeichnenden  Sattelzuschnitt, 
die  in  Hinterindien  sonst  unbekannten  Panpfeifen,  die  merk- 
würdige Querflöte  mit  dem  Mittelloch,   die  Ringflöten  und  die 


Die  Musikinstrumente  Birrnas  und  Assams.  5 

primitiven  Schnabelflöten  mit  der  vorgeklebten  Kernspalten- 
wand treten  wieder  auf,  ja  sogar  die  unten  zugeschärften  Bor- 
dune der  Palaunpfeifen  und  eine  fast  identische  Anordnung 
der  Mundorgel  können  wir  auf  Borneo  feststellen. 

Bei  der  außerordentlichen  Schwierigkeit  des  stammge- 
schichtlichen  Problems  darf  daraus  kein  voreiliger  Schluß  ge- 
zogen werden.  Doch  drängt  sich,  der  Eindruck  auf,  daß  ent- 
sprechend der  Nordsüdrichtung  in  den  Wanderstraßen  der  ti- 
betobirmanischen,  sinosiamesischen  und  Mon-Khmer-Völker  auch 
die  Musikinstrumente  des  südöstlichen  Asien  zum  großen  Teil 
ihren  Ursprung  etwa  auf  der  indisch-chinesischen  Grenzscheide 
haben  und  von  dort  aus  unter  dem  Nachdrängen  vollkommnerer 
Typen  den  Weg  nach  Südosten  einschlugen.  Während  die 
neueren  hinterindischen  Kulturvölker  je  nach  ihrer  Eigenart 
diese  alten  Typen  weitergebildet  und  durch  vorderindische, 
chinesische  und  malaiische  Arten  ergänzt  haben,  blieben  die 
Völker  der  San-Staaten  fast  unbeeinflußt  und  haben  dem  For- 
scher das  Bild  einer  im  wesentlichen  urwüchsigen,  aber  reichen 
und  fruchtbaren  instrumentalen  Entwicklungsstufe  erhalten. 

Hauptliteratur. 

J.  C.  Brown,  Shan  and  Palaung  Jew's  Harps  from  the  Northern  Shan 
States,  Journ.  and  Proc.  of  the  Asiat.  Soc.  of  Bengal,  n.  s.  VII, 
1911,  p.  521  ff. 

Cameron,  A  Note  on  the  Palaungs  of  the  Kodaung  Hill  Tracts  of  the 
Momeik  State,  Census  1911  Burma,  Pt.  I,  App.  p.  XXXI  ff. 

E.  J.  Colston,  A  Monograph  on  tanning  and  working  in  leather  in  the' 

Province  of  Burma,  Rangoon  1904.     (Zitiert:  , Colston'.) 
P.  R.  T.  Gurdon,  The  Khasis,  London  1907. 

F.  Heger,  Alte  Metalltrommeln  aus  Südostasien,  Leipzig  1902. 
T.  C.  Hodson,  The  Meitheis,  London  1908. 

—   —  The  Naga  Tribes  of  Manipur,  London  1911. 

A.  Playfair,  The  Garos,  London  1909. 

C.  Sachs,    Die  Musikinstrumente  Indiens  und  Indonesiens   (Handbücher 

der  Königlichen  Museen),  Berlin  1915.     (Zitiert:  .Sachs'.) 
A.  W.  Young,  The  Jew's  Harp  in  Assam,  Journ.  and  Proc.  of  the  Asiat. 

Soc.  of  Bengal,  n.  s.  IV,  1908,  p.  234  ff. 


6  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

Idiophone. 

Rinnenklappern. 

Das  Klangwerkzeug,  das  unsern  Überblick  einleitet,  ist 
nach  Stoff  und  Arbeit  so  einfach  wie  möglich:  ein  Bambus- 
rohr im  Umfang  zweier  Internodien  wird  so  weit  gespalten, 
data  nur  der  unterste,  unversehrte  Abschlußknoten  das  Ganze 
zusammenhält;  von  dem  Stück  zwischen  diesem  und  dem  Mittel- 
knoten sind  nichts  als  zwei  schlanke  Handhaben  stehengeblieben. 
Hier  ziehen  die  Hände  oder  die  Füße  des  Spielers  die  Hälften 
auseinander  und  lassen  sie  rhythmisch  zurückschnellen;  die 
Ränder  des  oberen  Internodiums  geben  dann  beim  Zusammen- 
schlagen ein  heftiges,  knallartiges  Geräusch  her.  Vier  solche 
, Bambus-Hand-Klappern'  (vä-let-kyot)  gehören  zum  großen  Pwe- 
Orchester. l)  Aber  auch  Bettler  begleiten  mit  ihnen  ihre  Gei- 
genstücke. 

Das  Instrument  ist  heute,  wie  es  scheint,  auf  Birma  und 
Laos  beschränkt;  doch  darf  man  wohl  eine  ursprünglich  größere 
Verbreitung  voraussetzen.  Ein  ganz  ähnliches  Gerät  ist  die 
Webstuhlklapper  der  jungen  Mädchen  von  Süla-Besi  (Mo- 
lukken). 2) 

Md  4657a_d.  Mandalay,  Oberbirma  (vä-let-kyot).  Vier 
Stück.  Vom  Pwe-Orchester.  Gesamtlängen  92,  91,  79,  92; 
Klapperlängen  45,  45,  37,  45  cm. 

Md  511.  Mandalay.  Das  Instrument  ist  ebenso  wie  die 
Gabelbecken  Md  512  von  einem  blinden  Bettler  zur  Be- 
gleitung der  Geige  Md  510  (s.  unten  S.  28)  mit  dem  Fuß 
gespielt  worden.  Gesamtlänge  51,  Klapperlänge  25  cm 
(Abb.  1). 

Gabelbecken. 

Md  512.  Mandalay.  Zwei  kleine  Bronzebecken,  deren 
Rand  allmählich  in  den  Buckel  übergeht,  sind  mit  Riemen 
innen   an  die  Zinken   einer  Bambusgabel  lose  angebunden. 


1)  Vgl.  Colston  p.  42  mit  pl.  H  und  hier  Abb.  6a. 

2)  Vgl.  Sachs  p.  16. 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams.  7 

Weiter  unten  ist  in  die  Gabel  ein  mehrfach  durchlöchertes, 
langes  Holzbrett   beweglich   eingebunden,    um   die  Verbin- 
dung mit  der  Rinnenklapper  Md  511  herzustellen  (Abb.  2). 
Die  Vorstufe  der  Gabelbecken  bildet  offenbar  die  Rinnen- 
klapper, von  der  eben  die  Rede  war.    Übereinstimmende  Typen 
haben  sich  an  vielen  Orten  nachweisen  lassen:   mit  der  Rohr- 
gabel   im    sassanidischen  Persien,    mit    Holz-    und  Metallgabel 
im   koptischen  Ägypten,1)    im  römischen  Reich    und   im  karo- 
lingischen  Franken,  und  mit  drei  Zinkenpaaren  noch  heute  bei 
den  nordöstlichen  Arabern.2) 

Becken. 

Hinterindien,  das  den  Südostzipfel  der  Beckenzone  bildet, 
kennt  verschiedene  Arten.  Platter  Rand  und  großer  Buckel 
bei  einem  Gesamtdurchmesser  von  9 — 29  cm,  wie  sie  in  Vor- 
derindien überwiegen,  kommen  in  Assam,  Birma  und  Siam  vor, 
aufgebogener  Rand  und  Buckel  —  in  Annam-Tonkin  und  Bir- 
ma sowie  bei  den  Khasi  —  sind  aus  China  eingeführt,  stam- 
men aber  nach  dortiger  Überlieferung  aus  Indien.  Siam  kennt 
ferner  die  konische  Wölbung  mit  buckelartigem  Profil;  einem 
vierten,  randlos-halbkugeligen  Typus  begegnet  man  in  Assam, 
Birma  und  Kambodja.3)  Das  Museum  besitzt  nur  Vertreter 
der  ersten  beiden  Modelle.4) 

Md  465 3.  Mandalay  (ya-gvin,  ra-gvin).  Aus  Bronze 
mit  plattem  Rand  und  großem  Buckel,  Handhaben  aus  ge- 
drehter Ochsenhaut,  am  einen  auch  ein  Stofflappen.  Vom 
Pwe-Orchester.     Dm.  29,   Randbreite  7,  Buckelhöhe  5  cm. 

Md  465 4.  Mandalay.  Wie  die  vorigen.  Statt  des 
Zeuglappens  ein  Gönnyinkem  als  Griff.  Dm.  16,5,  Rand- 
breite 3,5,  Buckelhöhe  2,5  cm. 

v 

Ss  479.    Mandalay,  erworben  in  Yawnghwe,  Südl.  San- 


1)  C.  Sachs,  Die  altägyptischen  Musikinstrumente  (in  Vorbereitung). 

2)  Hamburger  Museum  für  Völkerkunde  13:  211—82. 

3)  Vgl.  Sachs  p.  19. 

4)  Vgl.  Colston  p.  42  mit  pl.  H. 


8  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

Staaten.    Wie  die  vorigen,  mit  Halteriemen.    Dm.  25,  Rand- 
breite 6,  Buckelhöhe  5  cm  (Abb.  3). 

Ss  480.  Gleiche  Herkunft.  Wie  die  vorigen,  statt  der 
Riemen  ein  Verbindungsstreifen  aus  Leopardenfell.  Dm. 
93/4  cm. 

Ss  485.  Gleiche  Herkunft.  Wie  Ss  479;  durch  die 
Mittellöcher  sind  Wollquasten  gezogen.  Dm.  22,  Rand- 
breite 4,5  cm. 

As  120.  Khasi  (ha  könsäu,  Jca  sdkuriau).  Von  ungleicher 
Größe,  aus  Messing,  gleichmäßig  gewölbt  und  am  Rande 
aufgestülpt,  mit  einem  Verbindungsriemen.  Das  größere 
Becken  ist  in  vier  Gruppen  durchlöchert.  Dm.  123/4  und 
ll1/»,  Höhe  2  und  l»/a  cm. 

Md  465 2.  Mandalay  (ihan-lvin).  Aus  Bronze,  mit  leicht 
aufgebogenem,  allmählich  zum  Buckel  ansteigendem  Rand 
und  mit  Verbindungsriemen.  Als  Schmuck  konzentrische 
Kreislinien.    Vom  Pwe-Orchester. x)     Dm.  91/*  cm. 

Schlagplatte. 

R  119.    Rangoon  (kye-tsi).    Ein  ungefähr  dreieckig  hut- 
förmiger,    phantastisch   zerrissener  Kontur,    Bronze.     Dazu 
ein  Holzhammer.2)     Höhe  15,  Breite  24  cm  (Abb.  4). 
Platten    dieser    Art,    deren  Umriß    die    Eingeborenen    mit 
einem    Berg    oder   Halbmond    vergleichen,    sind    offenbar   Ab- 
kömmlinge der  uralten  chinesischen  Schlagsteine.    Sie  begegnen 
in  Tibet   wie  in  Birma    und  Annam    als  hochgeschätzte  Kult- 
instrumente;  ihnen  im  besondern  schreibt  man  jene  ethischen 
Eigenschaften   zu,    die   die    alten  Kulturvölker  der  Musik  bei- 
legen: die  Erheiterung  betrübter  Seelen,  die  Aufhellung  blöder 
Gehirne  und  ähnliche  Tugenden.3) 


1)  Vgl.  Colston  p.  42  mit  pl.  H  und  hier  Abb.  6  a. 

2)  Vgl.  Colston  p.  48  f.  mit  pl.  J. 

3)  Sachs  p.  30. 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams.  9 

Schlitztrommel. 

Das  Auftauchen  der  Schlitztrommel  auf  birmanischem 
Boden  ist  eine  Überraschung.  Nun  schließt  sich  die  Kette, 
die  vom  südlichen  China  zu  den  malaiischen  Schutzstaaten,  dem 
Indischen  Archipel,  Südsee,  Amerika  und  Afrika  reicht.  Das 
Münchener  Stück  geht  eng  mit  einer  Trommel  der  Babisa 
(Ostafrika),  lokäiiJco,1)  zusammen. 

P  52.  Hmawza,  Unterbirma.  Holz,  mit  angeschnitztem 
Griff.  Gesamtlänge  48,  Schlitz  26,5  lang  und  1,6  cm  breit 
(Abb.  5). 

Gongs. 

Innerhalb  des  Verbreitungsgebiets  der  Gongs  —  Indien, 
Ostasien,  Indonesien  —  lassen  sich  zwei  große  Zonen  mit 
eigenen  Formen  und  Verwendungsarten  unterscheiden.  Die 
eine  umfaßt  Vorderindien,  Tibet  und  China-Japan:  das  Gong 
ist  flach  und  wird  überwiegend  als  geistliches  oder  weltliches 
Signalinstrument  gebraucht;  die  andere  begreift  Hinterindien 
mit  dem  Archipel:  das  Gong  ist  gebuckelt,  dickwandig  und 
tiefrandig  und  dient  Orchesterzwecken.  Die  birmanischen  und 
San-Stücke  der  Sammlung  sind  mit  ihrer  gekehlten  Fläche, 
ihrem  kleinen  Buckel  und  dem  niedergebogenen  Rand  reine 
Vertreter   dieses  Typus,  ja,    man    darf  vielleicht    diese    ganze 

v 

Südostgruppe   den  San  oder  wenigstens  den  von  ihnen  durch- 
wanderten indisch-chinesischen  Grenzstrichen  gutschreiben. 

Auf  die  Bedeutung  des  Gongs  im  Leben  der  hinterindi*- 
schen  Nordwestvölker  bin  ich  schon  an  andrer  Stelle  einge- 
gangen.2) Diese  Bedeutung,  namentlich  als  Symbol  für  Rang 
und  Wohlstand  des  Besitzers,  steht  in  Beziehung  zur  musika- 
lischen Serienbildung,  die  ja  dem  vorderindischen  Gong  fern- 
geblieben   ist    und    fernbleiben    mußte,    weil  das  dünnwandige 


*)  Stockholm,  Sv.  Riksm.  etnogr.  saml.  12.6.495;  E.  v.  Rosen, 
Träskofolket,  Stockh.  [1916],  p.  345  Abb.  248.  Vgl.  auch  Hagen  bei 
Thilenius,  Meinhof  und  Heinitz,  Die  Trommelsprache  in  Afrika  und  in 
der  Südeee,  Vox  1916,  p.  196—9. 

2j  Sachs  p.  35. 


I"  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

Flachgong  nicht  einen  Ton  von  so  ausgesprochener  Höhe  her- 
gibt, daß  die  Skalenbildung  durchgeführt  werden  konnte.  Hier 
dagegen,  beim  klartönigen  Tiefgong,  liegt  die  Herstellung  von 
Serien  nach  dem  Vorbild  der  abgestimmten  Schlagstäbe  und 
Pfeifen  auf  der  Hand,  und  wenn  wir  hören,  daß  im  Hause  der 
San  —  je  nach  dem  Besitz  des  Hausherrn  —  Gongs  in  ver- 
schiedener Zahl  hängen,  im  Haus  des  Häuptlings  aber  min- 
destens drei,  deren  Spiel  Störungen  fernhält,  so  oft  er  schlafen, 
essen  oder  beten  will,1)  dann  ergibt  sich  von  selbst,  daß  sie 
skalamäßig  gestimmt  sind.  Zwei  Serien  dieser  Art  für  Haus 
oder  Orchester  sind  im  folgenden  gebucht. 

Das  kranzförmige  Gongspiel  des  birmanischen  Pwe-Or- 
chesters  ist  der  Schlußstein  der  Serienbildung.  Es  kommt  in 
ganz  gleicher  Art  in  Laos  und  Siam  und  in  Kambodja  vor; 
das  Gegenstück  ist  das  bankförmige  Bonnan  von  Java.2) 

Md  419.  Indaing,  Oberbirma.  Gekehlte  Fläche,  kleiner 
Buckel,  niedergebogener  Rand  und  Halteschnur.  Dm.  63, 
Buckelhöhe  7,  Randbreite  9  cm  (Abb.  6). 

V 

Ss  473 — 478.  Kengtung,  Südl.  San-Staaten,  gekauft  in 
Yawnghwe  (moh).  Sechs  Stück  gleicher  Art.  Außer  dem 
größten  haben  alle  eine  Holzhandhabe  an  Schnüren.  Dazu 
zwei  Schlägel.  Dm.  48,  32,5,  26,  18,  13,5,  11;  Randbreite 
8,  5,  3x/4,  31/*,  2,  l3/4.cm. 

Ss  481 — 484.  Mandalay,  gekauft  in  Yawnghwe.  Vier 
Stück  gleicher  Art,  die  mit  Schnüren  an  geschnitzten  höl- 
zernen Handhaben  hängen.  Dazu  zwei  Schlägel.  Dm.  25, 
22,   17,  11;  Randbreite  4,  31/*,  3,  2  cm. 

Md  465 l.  Mandalay  (Jcye-vaih).  Gongspiel  an  einer 
niedrigen,  rotlackierten  Ringbalustrade,  in  deren  Riemen- 
werk ringsherum  18  Gongs  gleicher  Art  von  fortschreiten- 
der Größe  wagerecht  eingehängt  sind,  sodaß  der  in  der 
Mitte  kauernde  Spieler  sie  bequem  erreichen  kann.  Dazu 
ein    Paar   hellblaulackierter  Holzschlägel    mit   scheibenför- 


1)  L.  Milne,  Shans  at  honie,  London  1910,  p.  105. 

2)  Vgl.  Sachs  p.  37, 


Die  Musikinstrumente  Birnias  und  Assams.  11 

migen  Büffelhautköpfen.  Vom  Pwe  -  Orchester.1)  Balu- 
straden-Dm.  135,  Höhe  32,  Dm.  des  größten  Gongs  IQ1^. 
des  kleinsten  10  cm.  (Vgl.  Schermans  Photo  MNs  185,  hier 
Abb.  6  a.) 

Kesselgongs. 

Auf  der  Veranda  der  Karen-Häuser  hängt  bisweilen  noch 
an  Henkel  und  Schnur  vom  Balken  herab  eins  von  den  großen 
Kesselgongs,  „die  zum  kostbarsten  Besitz  der  Karen  gehören 
und  eine  hochbewertete  Tauschsumme  bei  Brautkauf  und  ähn- 
lichen Anlässen  darstellen".2)  Es  sind  etwa  halbmeterhohe  Kessel 
mit  welligem  Profil  und  ebener  Platte,  aus  Bronze  in  einem 
Stück  gegossen.  Der  Spieler  kauert  am  Boden  und  schlägt  den 
zentralen  Stern  der  vertikal  gerichteten  Platte  mit  einem  um- 
wickelten Schlägel  und  die  Wand  nahe  der  Platte  mit  einem 
leichten  Bambusstäbchen  (vgl.  Schermans  Photo  Ssh  96.  hier 
Abb.  6  b).  Die  Platte  gibt  einen  dunklen  Hauptton,  die  Wand 
einen  helleren,  höheren  Beiton.3)  Diese  Kesselgongs,  die  in  ver- 
schiedenen Typen  durch  fast  zweitausend  Jahre  von  den  Pro- 
vinzen Südchinas  und  den  Ausläufern  Tibets  über  ganz  Hinter- 
indien und  Indonesien  bis  zur  fernen  Insel  Letti  nachgewiesen 
werden  konnten,  haben  wegen  ihrer  Schönheit,  wegen  ihrer 
interessanten  Technik  und  vor  allem  wegen  ihrer  sehr  reichen 
und  merkwürdigen  Reliefornamentierung  seit  Jahrzehnten  die 
Blicke  der  Ethnologen  und  der  Altertumsforscher  gefesselt  und 
das  Thema  für  eine  außergewöhnlich  umfängliche  monographi- 
sche Literatur  gestellt.  Die  größte  zusammenfassende  Arbeit 
ist  das  zweibändige  Folio  werk  Franz  Hegers  ,Alte  Metall- 
trommeln aus  Südostasien'.4)  In  seiner  Einteilung,  die  den 
ganzen,    bis    zur   Jahrhundertwende    bekannten    Stoff  gliedert, 


J)  Vgl.  Colston  p.  41  mit  pl.  H. 

2)  L.  Scherman,  Wohnhaustypen  in  Birnia  und  Assam,  Archiv  f. 
Anthropologie  1915,  p.  216. 

3)  Der  Beiton  braucht  nicht  die  Oktave  des  Haupttons  zu  sein,  wie 
M.  und  B.  Ferrars  (Burma,  London  1900,  p.  153)  angeben;  vgl.  Prof. 
Schermans  Phonogramm  aus  Loikaw. 

4)  Leipzig  1902. 


1  -  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 


B  ' 


bilden  die  Kesselgongs  der  Karen  für  sich  einen  der  vier  Ty- 
pen (H  III).  Wir  folgen  Hegers  Kennzeichnung.  „Die  Form 
dieser  meist  mittelgroßen,  nicht  selten  aber  kleinen  Stücke  ist 
immer  die  gleiche;  sie  ist  von  allen  Typen  unstreitig  die  zier- 
lichste. Die  Platte  springt  stark  vor;  der  Stern  im  Zentrum 
hat  zwei  sehr  verschiedene  Formen  und  ist  entweder  zwölf- 
oder  auch  achtstrahlig.  Am  Rande  erscheinen  immer  an  vier 
Stellen  Froschfiguren,  selten  einfach,  meist  zwei,  drei,  ja  selbst 
vier  auf-  und  übereinandersitzend,  die  oberen  immer  kleiner 
als  die  unteren.  Der  Mantel  ist  ein  kurzes  Stück  nahezu  zy- 
lindrisch geformt,  verjüngt  sich  aber  nach  unten  plötzlich  und 
behält  dann  bis  an  den  unteren  Rand  auch  wieder  die  Zylinder- 
form bei;  die  Mantelabschnitte  sind  kaum  erkennbar  und  nur 
in  der  Ornamentik  ausgeprägt.  Die  zahlreichen  schmalen  Zonen 
der  Platte  wie  des  Mantels  sind  mit  zahlreichen,  stark  stili- 
sierten Ornamenten ,  ferner  fliegenden  und  stehenden  Vögeln, 
Fischen,  Rosetten  usw.  bedeckt  und  meist  durch,  drei  (seltener 
durch  1 — 2)  scharfe,  nahe  beisammenstehende  Leisten  von 
einander  getrennt.  Die  Gußnähte  werden  durch  vier  Zier- 
leisten vertreten;  am  Mantel  erscheinen  häufig  verschieden- 
artige plastische  Tierfiguren  und  mitunter  auch  Pflanzenorna- 
mente in  Relief.  Die  Henkel  sind  klein,  zierlich,  bandförmig, 
nach  oben  und  unten  oft  sehr  stark  verbreitert  und  dann  an 
beiden  Enden  mit  dreieckigen  Ausschnitten  versehen;  sie  imi- 
tieren häufig  in  ausgezeichneter  Weise  ein  mehrfach  gefloch- 
tenes Band,  welches  sich  als  Ornament  nicht  selten  am  Trom- 
melmantel fortsetzt."  l)  Die  einheimischen  Bezeichnungen  sind 
birm.  hpa:zh  ,Frosch- Zylinder'  und  san  Jcauh-cet  Zylinder- 
Frosch'.  Die  Karen  haben  einen  eigenen  Namen  nicht  ge- 
bildet,   da   sie    zwar   Gebraucher    des   Instruments   sind,    seine 

v 

Herstellung  aber  ausschließlich  den  südlichen  San  überlassen.2) 
Ngwedaung  scheint  dafür  der  Hauptort  zu  sein.  Zwei  der 
Münchener  Exemplare  kommen  unmittelbar  von  dort,  und  das 


*)  p.  15. 

2)  Nur  mit  dieser  Einschränkung  sind   die  unten  vermerkten  Her- 
kunftsbezeichnungen ,Karen'  etc.  zu  verstehen. 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams.  13 

Inventar  des  römischen  Museo  preistorico  weiß  nach  L.  Feas 
Angabe  zu  melden,  daß  „simili  tamburi  sono  fatti  dagli  Scian 
a  Medaung  o  Nuetaung  e  sono  molto  stimati  dai  Carin  spe- 
cialmente  se  di  fattura  antica".1)  Im  Gegensatz  zu  allen  an- 
dern Zonen  der  Kesselgonggießerei  hat  die  unsere  bis  in  die 
letzten  Jahre  herein  die  Erzeugung  beibehalten,  freilich  nur 
in  ganz  wenigen  Hütten;2)  Gußmodelle  und  Werkstattüber- 
lieferungen gehen  mit  den  alten  Meistern  zugrunde. 

Die  beiden  letzten  Stücke  unserer  Reihe,  von  den  Abor 
an  der  Grenze  Tibets  und  von  den  Garo,  sind  deswegen  be- 
sonders interessant,  weil  sie  von  den  Kesselgongmonographen 
bisher  nicht  aufgenommen  worden  sind.  Von  den  Abor  hat 
auch  das  Berliner  Museum  zwei  Exemplare. 3) 

Rg  1  —  3.  Karen,  Toungoo  (birm.  hpa:zi  , Frosch-Zy- 
linder'). Schlanke  Form  mit  übergreifender  Platte,  ge- 
wellter Wandung  und  zwei  Henkelpaaren.  Auf  der  Platte 
vier  Doppelfrösche  in  Vollplastik,  ein  oberer  Frosch  ist 
abgebrochen;  unter  dem  einen  Henkelpaar  zwei  Elefanten 
und  zwei  Schnecken  in  senkrechter  Reihe.  Konzentrische 
Ornamentik;  in  der  Plattenmitte  ein  zwölfzackiger  Stern. 
Dazu  ein  Klöppel  (Nr.  2)  und  ein  Bambusschlägel  (Nr.  3); 
jener  schlägt  die  Platte,  dieser  die  Wand.  Höhe  43,  Platten- 
Dm.  56,  Öffnungs-Dm.  45  cm  (Abb.  7). 

Ss  163.  Karen-ni,  Ngwedaung  (san  kauh-cet  Zylinder- 
Frosch').  Wie  das  vorige,  auf  der  Wand  nur  Elefanten. 
Dazu  ein  Schlägel  mit  stoff-  und  schnurumwickeltem  Schei- 
benkopf.   Höhe  44^2,  Platten-Dm.  60,  Öffnungs-Dm.  48  cm. 

Ss  164.  Karen-ni,  Ngwedaung.  Wie  Rg  1,  aber  mit 
einfachen  Fröschen  und  achtzackigem  Stern.  Höhe  45, 
Platten-Dm.  57,  Öffnungs-Dm.  47  cm. 

Md  89.  Karen-ni,  gekauft  in  Mandalay.  Wie  Ss  164. 
Höhe  32 %  Platten-Dm.  43,  Öffnungs-Dm.  34  cm  (Abb.  8). 


»)  Heger  p.  68. 

2)  Abb.  einer  Giefähütte  bei  Sachs  p.  39.  3)  Ebenda  p.  38. 


14  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

Md  198.  Karen-ni,  gekauft  in  Mandalay.  Wie  Ss  164. 
Höhe  45,  Platten-Dm.  56,  Öffnungs-Dm.  45  cm. 

Ss  147.  Karen-ni,  Loikaw.  In  untersetzter  Form  mit 
kantig  abgesetzter  Platte  und  mit  Einzelfröschen,  sonst  wie 
Kg  1.  Durch  Brand  stark  beschädigt.  Höbe  32,  Platten- 
Dm.   45  cm. 

Ab  11.  Abor  (daii-ki).  Gewölbter  Boden  und  acht  Ein- 
zelhenkel, vier  größere  und  zwischen  ihnen  nahe  der  Öff- 
nung vier  kleinere.  „.  .  .  undoubtedly  the  oldest  he  had 
seen  .  .  .  the  Abors  say  they  dig  up  .  .  .  it  came  from 
Shimong"  (Brief  Dr.  C.  Beckers  vom  11.  XI.  1912).  Höhe 
23Va,  Boden-Dm.  35,  Öffnungs-Dm.  42  cm  (Abb.  9). 

Ga  61.  Garo  (ran).  Gewölbter  Boden.  Höhe  13,  Off- 
nungs-Dm. 261/;*  cm  (Abb.  9  a). 

Glocken  und  Schellen. 

Glocken  dienen  bei  den  San  als  Packochseninstrumente. 
Das  erste  und  das  letzte  Tier  in  den  Teekarawanen  trägt,  um 
Begegnende  und  Einholende  zu  warnen,  eine  große  Glocke  auf 
dem  Rücken.  Ihre  Merkmale:  Bienenkorbform,  ovaler  Quer- 
schnitt und  Holzklöppel  in  Knotenhängung,  sind  für  die  Glocken 
Ostasiens  kennzeichnend.  Die  ungewöhnlichen  Kanten  sprechen 
für  eine  urwüchsige  Stufe;  sie  begegnen  auch  an  Stücken  der 
isländischen  Vorzeit.  *)    Vielleicht  darf  man  hieraus  ebenso  wie 

v 

bei  den  Gongs  auf  die  Priorität  der  San  oder  ihrer  Vorgänger 
schließen.     Neben  den  Glocken  gibt  es  noch 

Schellen  aus  Eisen  und  aus  Holz,  vor  allem  jene  son- 
derbaren Breitschellen  aus  Holz  mit  angeschnitzten  Ohren  und 
mit  mehreren  Klöppeln  an  einer  Innenstange.  Genau  der 
gleiche  Typus  herrscht  bei  den  Kacin  (konroh),2)  bei  den  Pe- 
non   in  Kambodja  (däniio),3)  in  Estland  (krappY)   und  —  mit 


!)  Vgl.  Verh.  d.  Berl.  Gesellsch.  f.  Anthrop.  1893,  p.  594,  597. 

2)  Exemplar  im  Berliner  Museum  für  Völkerkunde  I  C  29172. 

3)  Ebenda  23464. 

4)  Berliner  Kgl.  Sammlung  für  deutsche  Volkskunde. 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams. 


15 


einem  Klöppel  —  in  den  Malaiischen  Schutzstaaten  (JceretoJc- 
hrebau). l) 

Ss  135.  Loikaw,  Südl.  San-Staaten;  San-Arbeit  (hin). 
Glocke  aus  Bronze  in  flachgedrückter  Bienenkorbform ;  der 
Holzklöppel  eingeknotet.  Mit  ihrer  Hängeöse  ist  sie  an 
einem  Balken  befestigt,  der  frei  in  einem  doppelten,  huf- 
eisenförmig gebogenen  Rohrjoch  mit  Holzuntersatz  schwingt. 
Jochhöhe  24,  Breite  unten  33,  Glockenböhe  ohne  Ose  12, 
mit  Öse  15,  Glockenbreite  am  Rand  12  cm  (Abb.  10). 

Br  76 ab.  Thamakan,  Südl.  San-Staaten.  Zwei  Glocken 
wie  Ss  135.  Jochhöhe  34,  Glockenhöhe  22,5  (a)  und  23,2  (b), 
Glockenbreite  16,5  (a)  und  17,5  cm  (b).  Ihren  Gebrauch 
zeigt  Schermans  Photo  Ns  92  (Abb.  10  a). 

Ss  165.  Ngwedaung,  Südl.  £an-Staaten.  Büffelglocke 
aus   Metall   in    untersetzter  Flaschenform    mit  kreisrundem 


Fig.  1.     Ss  165. 

Querschnitt,  Hängeöse  und  Klöppel;  dieser  ist  angedrahtet 
(vgl.  Fig.  1).  Höhe  mit  Öse  10,  ohne  Öse  8,  Rand-Dm. 
7  cm  (Abb.  11). 

Ss  248.     Gaunto- Karen;    Dorf   Tarudaw,    nw.    Loikaw 
(diu  doh  ti).     Büffelschelle  aus  Holz  in  vierkantiger  Form 


l)  H.  Balfour,  Report  on  a  Collection  of  Musical  Instruments 
from  the  Siamese  Malay  States  and  Perak  (Fasciculi  malayenses,  Anthro- 
pologe IIa),  Liverpool  1904,  p.  4,  pl.  XX  f.  3. 


16  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

mit  breittrapezförmigem  Längsschnitt  und  hochtrapezförmi- 
gem  Querschnitt,  gewölbtem  Dach  und  angeschnitzten,  senk- 
recht durchbohrten  Ohren.     Im  Innern  drei  Holzklöppel  an 


Fig.  2.     Ss  248. 

einem  Querdraht;  zu  ihrer  Trennung  sind  kleine  Rohrtüllen 
eingereiht  (vgl.  Fig.  2).  Breite  mit  Ohren  24,  Höhe  14,5, 
Tiefe  8  cm. 

Ch  7.  Kaya,  Upper  Chindwin  District,  Oberbirma. 
Schelle  wie  Ss  248.  Statt  des  Drahtes  ist  ein  Rohrstäbchen 
eingesetzt.      Zum    Auseinanderhalten    der    Klöppel    dienen 


Fig.  3 


Blöcke,  die  innen  an  das  Dach  geschnitzt  sind  und  bis  an 
das  Stäbchen  reichen.  An  die  Ohren  ist  ein  Haltestrick 
geknotet.     Breite  45,  Höhe  16,  Tiefe  8  cm  (Abb.  12). 


Die  Musikinstrumente   Birmas  und  Assams.  17 

Ch  382.  Okma  am  Chindwin,  Oberbirraa.  Büffelschelle 
wie  Ch  7.     Breite  25,  Höhe  11,  Tiefe  6  cm  (Fig.  3). 

Ssl70.  Ngwedaung,  Südl.San-Staaten, San- Arbeit.  Eisen- 
schelle für  Ochsen,  etwa  zylindrisch,  mit  flachem  Dach, 
angenietetem  Bügel  und  eingeknotetem  Klöppel  aus  Holz. 
Höhe  ohne  Bügel  14,  unterer  Dm.  8V2  x  9x/a  cm  (Abb.  13). 

Maultrommeln. 

Für  Wesen,  Entwicklung  und  Verbreitung  der  Maultrommel 
darf  ich  auf  meine  Sonderuntersuchung1)  verweisen.  Da  das 
nördliche  Hinterindien  mit  ziemlicher  Sicherheit  als  Heimat 
der  Familie  angesetzt  werden  kann,  findet  man  hier  die  älte- 
sten Stufen  nicht  mehr,  wohl  aber  eine  reiche  Auswahl  der 
jüngeren.  Die  stumpfzungige  Maultrommel  ist  mit  Stücken 
der  Trans -Dikhu  Nagä,  der  Tahkhul  Nagä  und  der  Maräm 
vertreten  und  mit  einem  Paar  von  den  Gäro,  das  besonders 
durch  die  altertümliche  Spaltung  der  Oberenden  auffällt.  Die 
Li^ä  stellen  einen  höheren  Typus  in  schlanker,  biplaner  Recht- 
eckform mit  Stufzunge  her;  ein  haarfeiner  Dorn  an  dem  der 
Zungenwurzel  benachbarten  Ende  dient  zum  Zupfen.  Die 
Stücke  werden  nicht  einzeln  gespielt,  je  drei  gehören  zusam- 
men und  ruhen  beim  Transport  in  einem  gemeinsamen  Bam- 
busköcher. Die  Münchener  Exemplare  sind  so  abgestimmt, 
daß  die  mittlere  um  eine  Quinte  von  der  tieferen  und  um  eine 
Großterz  von  der  höheren  entfernt  ist,  also  ihre  Teiltöne 
einander  zur  Skala  ergänzen.  Ganz  entsprechende  Stücke  aus 
Osttibet  (k'api)  liegen  im  U.  S.  National  Museum  zu  Washing- 
ton;2) sie  sind  bei  den  Tibetern  sehr  beliebt,  werden  aber 
nicht  von  ihnen,  sondern  von  den  „Lissus"  und  anderen  Völ- 
kern des  Südostens  hergestellt.  Man  hält  sie  gleichzeitig  vor 
den  Mund,  die  tiefste,  , männliche'  oben,  die  höchste,  weib- 
liche' unten,  und  zupft  sie  je  nach  dem  gewünschten  Ton. 
Die  Lissus  aber  sind  nichts  anderes  als  die  Lisa. 


J)  C.  Sachs,  Die  Maultrommel,  Ztschr.  f.  Ethnologie  1917. 
2)  No.  167168«,  168168c;    W.  W.  Rockhill,    Notes  on  the  Ethno- 
logy   of  Tibet,   Smithsonian  Report   U.  S   Nat.  Mus.  1893,  p.  715,  pl.  24. 

Sitzgsb.  d.  philos.-pliilol.  u.  d.  bist..  Kl.  Jahrg.  1917,  2.  Abli.  2 


18  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

Die  Maultrommel  der  Kacin  ist  mit  der  der  Lisa  identisch. 
Sie  wird  viel  gespielt,  aber  als  Liebeswerbeinstrument  von  den 
Missionaren  verboten.  Je  zwei  gehören  zusammen;  die  beiden 
Münchener   aus  Bhamo  stehen  im   Quartenintervall. 

Doch  kommen  auch  bei  den  Kacin  Maultrommeln  in  der 
hochentwickelten  Art  mit  feiner  Hohlspitzzunge  vor,  ebenso 
bei  den  Palaun  —  Cameron  erwähnt  sie  nicht  —  und  bei  den 
nördlichen  San.1)  Dies  Volk  führt  uns  auch  eine  frühe  Stufe 
der  Bügelmaultrommel  vor;  sie  interessiert  durch  die  ängst- 
lich anliegende,  noch  ganz  unmetallmäßige  Führung  des  Eisen- 
bügels. 

TrD13ab.  Trans-Dikhu  Nagä,  Naga  Hills  (ahgämi 
yheliu).  Aus  Bambus  in  Rechteckform  mit  abgerundeten 
Enden,  stumpfer  Zunge  und  Schnüren;  stark  gewölbt  und 
hinten  hohl.     Länge  je  12,  Breite  je  0,9  cm  (Abb.  14). 

Ma  8.    Manipur  (uiiMh).    Wie  Tr  D  13,  aber  mit  scharfen 

Ecken;  an  jedem  Ende  eine  Schnur,  Länge  15,3,  Breite  1,1  cm. 

Ptg  94.     Tankhul  Nagä  {masin).    Wie  Ma  8,  aber  nur 

schwach  gewölbt;  an  jedem  Ende  eine  Seidenschnur.    Länge 

10,3,  Breite  0,9  cm. 

Ga  72 ab.  Gäro  (goiiginä).  Zwei  Stück  aus  Bambus 
mit  stumpfer  Zunge,  dornartigem  Ansatz,  gespaltenem  Ober- 
ende(!)  und  hohlem  Rücken.  Längen  13^4  und  12,  Breiten 
1,0  und  0,8  cm  (Abb.  15). 

v 

Ns  207  a  — d.  Lisa,  Pangsapye,  Tawngpeng,  Nördl.  San- 
Staaten  (mägo).  Drei  Stück  aus  Bambus,  mit  Stufzunge  in 
einem  unterhöhlten,  schlank-rechteckigen  Rahmen  und  mit 
feinem  Dorn.  Die  drei  Instrumente  bilden  ein  zusammen- 
gehöriges Spiel;  sie  stehen  im  Verhältnis  von  Grundton, 
Quinte  und  großer  Septime  (Gehörschätzung);  Reste  von 
Stimmwachs.  Dazu  ein  Bambusköcher  (d)  mit  spärlichen 
Kerb-    und    Ritzornamenten    und    mit    einem    Zeugpfropfen 


l)  J.  Coggin  Brown,  Shan  and  Palaung  Jew's  Harps  froni  the 
Northern  Shan  States,  Journ.  and  Proc.  of  the  Asiat.  Soc.  of  Bengal, 
Vol.  VII  (Calcutta  1911),  p.  521—4;    1  Taf.  (hier  auch  weitere  Literatur). 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams.  19 

an  einer  Durchzugschnur.  Längen  ll1^  123/*,  12  und  14, 
Breiten  0,5,  0,5,  0,5  und  (Köcher)  1,5  cm  (Abb.  16). 

Ns215a — c.  Kacin,  Bhamo  (pau).  Der  gleiche  Typus; 
Wachs  auf  der  Zunge  und  jenseits  der  Zungenwurzel.  Die 
beiden  Instrumente  stehen  in  Gruudton  und  Quart.  Dazu 
ein  eingeschlitzter  Bambusköcher  (c).  Längen  15,8,  14,3 
und  (Köcher)  17,3,  Breiten  0,9,  0,8  und  (Köcher)  2,8  cm 
(Abb.  17). 

Ha  4.  Kacin.  Wie  die  vorigen.  Länge  14,8,  Breite 
0,75  cm. 

Ns  17.  £an,  Lashio  Ywama,  Nördl.  äan-Staaten  (pye). 
Aus  Bambus  {med)  in  schlanker  Plättbrettform  mit  hohl- 
spitziger Zunge  und  unabgesetztem  Handgriff;  Reste  von 
Stimmwachs.     Länge  13lj%,  Breite  0,6  cm  (Abb.  18). 

C  63.  San,  Mönglong,  Hsipaw  State,  Nördl.  San-Staaten. 
Aus  Bambus,  in  biplaner,  schlanker,  stumpfwinklig  ver- 
spitzter  Rechteckform  mit  Hohlspitzzunge  und  abgesetztem 
Handgriff;  Reste  von  Stimmwachs.  Länge  18'/a,  Breite 
1,1  cm  (Abb.  19). 

C  62.  Palauii,  W.  Tawngpeng.  Aus  Bambus,  in  bi- 
planer, schlanker,  verjüngter  Rechteckform  mit  Hohlspitz- 
zunge und  abgesetztem  Handgriff.  Länge  16,  Breite  0,5 
<0,8  cm  (Abb.  20). 

v 

Ns  293.  Kacin,  Pita,  Nördl.  San-Staaten.  Aus  Bam- 
bus, in  schlanker  Lanzettform  mit  Hohlspitzzunge  und  un^- 
abgesetztem  Griff;  auf  der  Zunge  ein  Klümpchen  Stimm- 
wachs.    Länge  15,6,  Breite  0,8  cm  (Abb.  21). 

Ns  18.  San,  Lashio  Ywama,  Nördl.  San-Staaten  (pye). 
Bügel  mault  rommel  aus  Eisen  in  enger  Haarnadelform 
mit  einer  oben  umgebogenen  Messingzunge,  die  über  den 
Scheitel  des  Bügels  nicht  hinausgreift.  Länge  3,7,  Breite 
0,9  cm  (Abb.  22). 


2* 


20  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 


.- 


Membranophone. 
Kesseltroramel. 

As  117.    Khasi  (Jca  nakrä).   Aus  Holz,  mit  angeschnitzten 
Fußklötzchen  und  V-Riemenschnürung  über  die  ganze  Höhe 
bis   zu    einem   Abschlußgürtel;    ein  Trageriemen    ist   ange- 
knüpft.    Höhe  55,  Fell-Dm.  46  cm  (Abb.  23). 
Die  Kesseltrommel,  die  in  Hinterindien  und  Ostasien  fehlt, 
gehört  zum  islamischen  Kulturkreis.     Entsprechend  stellt  sich 
ihr  Khasi-Name  zu  arab.,  pers.,  hind.  a^liu    naqqära   und   skr. 
nägarä. 

Röhrentrommeln. 

Ns  264.  Kacin,  Nördl.  San -Staaten  (cyihtät).  Zy- 
lindertrommel aus  hellem  Holz,  mit  zwei  Fellen;  jedes 
ist  mit  einem  Rohrzopf  festgeklemmt  und  mit  V-Riemen 
und  Rohrbändern  an  einen  eigenen,  angeschnitzten,  zickzack- 
förmisren  Wulst  geschnürt.  Zwischen  den  beiden  Wülsten 
zwei  angeschnitzte  Ösen  mit  einem  Tragband  aus  Rohr- 
geflecht. Rohe  Ritzornamente  mit  schwarzer  und  roter  Fär- 
bung. Länge  170,  Fell-Dm.  <  29  und  30  cm  (Schermans 
Photo  Ns  128,  hier  Abb.  24). 

As  119.  Khasi  (ka  ksiii).  Faßtrommel  aus  Holz  mit 
zwei  Fellen  und  Y-Riemenschnürung;  als  Schleifen  dienen 
Eisenringe.  Dazu  ein  Tragriemen.  Der  größte  Körper-Dm. 
liegt  dem  dickeren  Ende  näher.  Holzkeule.  Länge  46, 
Fell-Dm.  18  und  20  cm  (Abb.  25). 

As  118.  Khasi  (ka  ksih).  Wie  As  119;  ebenfalls  mit 
Holzkeule.     Länge  48,  Fell-Dm.  18  und  21  cm. 

Ga  62.  Gäro  dama,  zu  sanskr.  dämämä.  Faßtrommel 
aus  Gambil-Hoh  (Careya  arborica)  mit  zwei  Kuhhautmem- 
branen (nach  Play  fair  p.  42),  V-Riemenschnürung  und 
angeknüpfter  Tragschnur.  Zum  Profangebrauch.  Länge 
101,  Fell-Dm.  21  und  26  cm  (Abb.  26). 

Md  4659.    Mandalay  (pat-mdh).    Faßtrommel  aus  Holz 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams.  21 

mit  zwei  Fellen,  Stimmpasta1)  und  V-Riemenschnürung. 
Als  größte  Trommel  des  Pwe-Orchesters  hängt  sie  einzeln 
mit  einem  geflochtenen  Henkel  an  einem  hier  als  Näga 
(Schlange)  gestalteten  Gerüst;  der  Spieler  kauert  davor  und 
schlägt  die  Felle  mit  den  Händen.  Länge  60,  Fell-Dm. 
44  und  51  cm  (vgl.  Abb.  6  a). 

Ss  471.  Yawnghwe,  Südl.  San-Staaten.  Faßtrommel 
aus  Holz  mit  zwei  Fellen,  ineinandergreifender  doppelter 
Y-Riemenschnürung  und  angeknüpfter  Tragschnur.  Länge 
87,  Fell-Dm.  40  und  35  cm  (Abb.  27). 

Ga  63.  Gäro  (khram).  Kegeltrommel  aus  Gambll- 
Holz  (Careya  arborica)  —  nach  Play  fair  p.  42  — ,  bauchig, 
mit  zwei  Kuhhautmembranen,  V-Riemenschnürung  und 
Tragriemen.  Bei  Vermeidung  einbrechenden  Unheils  darf 
sie  nur  zu  festlichen  Gelegenheiten  aus  dem  Hause  ge- 
nommen werden;  den  ersten  Schlag  auf  ein  neues  Stück 
soll  nur  der  Besitzer  oder  einer  seiner  Anverwandten  tun. 
Länge  84,  Fell-Dm.  8  und  18  cm  (Abb.  28). 

Md  46510-13.  Mandalay  (Gesamtname  nauksvebon).  Vier 
Kegeltrommeln  aus  Holz  mit  zwei  Fellen,  Stimmpasta 
und  V-Riemenschnürung.  Vom  Pwe-Orchester. 2)  Längen 
34%  26%  33%  21%  Fell-Dm.  12  (15),  9  (6),  15,  8  cm. 

Md  4658.  Mandalay  (tshain-vain).  Trommelspiel  aus 
einer  rotlackierten,  mit  Goldlack-  und  Glasmosaik  verzier- 
ten Kranzbalustrade,  an  die  innen  ringsherum  zwanzig  — 
normal  24!  —  Kep-eltrommeln  in  fortschreitender  Größe 
gehängt  sind,  sodaß  der  in  der  Mitte  hockende  Spieler  sie 
bequem  erreichen  kann.  Die  Trommeln  haben  V-Riemen- 
schnürung und  eine  schwarze  Stimmpasta  auf  dem  (größe- 


')  Nach  A.  H.  F.  Strangways,  The  Music  of  Hindostan,  Oxford 
1914,  p.  29,  besteht  die  Pasta  aus  gekochtem  Reis  und  Holzasche,  Kern- 
mehl und  —  wenn  erhältlich  —  Eisenfeilicht.  —  Patsa,  a  paste  of  rice, 
ash  and  water:  Colston  p.  44;  hier  p.  41  auch  Beschreibung  und  Ab- 
bildung von  patma  gyi. 

2)  Vgl.  Colston  p.  42  mit  pl.  H. 


-i2  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 


» • 


ren)  Schlagfell.    Vom  Pwe-Orehester. l)    Länge  der  größten 

Trommel  39,  der  kleinsten  13  cm  (vgl.  Abb.  6  a). 

Man  beobachtet  hier  deutlich  eine  Zweiteilung.    Das  cyiii- 

tät  der  Kacin,  die  einzige  Röhrentrommel  aus  den  San-Staaten, 

fällt   ganz    aus   dem   Rahmen  der  übrigen;    mit  seinen  Zöpfen, 

Spannbändern    und  Tragen  aus  Rohr,    mit  seinem  Wulst    und 

den  Schnitzösen    weist  es  durchaus  nach  der  Malaienwelt  hin. 

Dagegen   hängen  die  eigentlich  birmanischen  und  die  as- 

samischen  Trommeln    von  Vorderindien   ab.     Das  Gleiche   gilt 

von  der  offenbar  birmanisch  beeinflußten  Kegeltrommel  der  Pa- 

laun,2)  die  im  Museum  nicht  vertreten  ist. 

Bechertrommeln. 

Über  jene  merkwürdige  Trommel,  die  der  Form  eines 
Trinkglases  mit  Stiel  und  Fuß  nahekommt,  habe  ich  an  an- 
derer Stelle3)  ausführlich  gesprochen.  Ich  möchte  jene  Dar- 
legungen nicht  wiederholen,  sondern  nur  kurz  ins  Gedächtnis 
zurückrufen,  daß  das  Verbreitungsgebiet  Afrika,  Südasien  und 
den  Archipel  umfaßt,  daß  aber  Vorderindien  nur  wenige  Stücke 
an  der  Ostküste  bietet. 

Die  beiden  Palaun-Typen,  die  im  Museum  durch  je  ein 
Exemplar  vertreten  sind,  stehen  an  der  Nordspitze  dieses  Ge- 
biets. Sie  haben  einen  ungewölbten  Konuskörper,  wie  die 
obenerwähnte  Kegeltrommel,  und  einen  hohlen,  quergeriefelten 
Römerfuß.  Übereinstimmend  schließen  auch  hier  die  langen 
V-Spannriemen  nicht  unmittelbar  an  das  Fell,  sondern  an  eine 
flachere  V-Randverschnürung;  unten  bahnen  sie  sich  durch 
Einkehlungen  den  Weg  zu  einem  Abschlußgürtel,  der  an  der 
Bodenfläche  des  Trommelkörpers  festgehalten  wird.  Im  ganzen 
können    die  Instrumente    als    birmanisch    bezeichnet   werden;4) 


!)  Vgl.  C ölst on  p.  41  mit  pl.  H. 

2)  A.  A.  Cameron,  A  Note  on  the  Palaungs  of  the  Kodaung  Hill 
Tracts  of  the  Momeik  State  (Census  of  India  1911,  Burma  Parti,  Ran- 
goon  1912),  Appendix  p.  XXXI. 

3)  Sachs  p.  66  ff. 

4)  Vgl.  auch  Plate  14  bei  I.  M.  Casanowicz,  The  S.  S.  Howland 


Die  Musikinstrumente  Birrnas  und  Assams.-  23 

ein  ganz  übereinstimmender  Typus  kommt  in  Neu-Kaledonien 
vor.1) 

Cam  23.  Palauh ,  Kodaung  Hill  Tracts  (cin-Jcäbai). 
Schlanke  Form;  vom  Fellzipfel  bis  zum  Fuß  ein  breites 
Tragband  aus  weißem  Zeug.  Gesamthöhe  122,  Korpus- 
höhe 49,  Fell-Dm.  29  cm  (Abb.  29). 

Cam  24.  Palauii  desselben  Gebiets  (cu-öe).  Ebenso, 
aber  in  untersetzter  Form.  Höhe  91,  Korpushöhe  40,  Fell- 
Dm.  38  cm  (Abb.  30). 

Ss  472.  Yawnghwe,  Südl.  San-Staaten  (ohsi,  birm.  o-tsi). 
Wie  Cam  23;  der  Fuß  schwarz  und  rot  lackiert.2)  Höhe 
114,  Korpushöhe  31,  Fell-Dm.  22  cm. 

Chordophone. 

Krokodilzither. 

Md  332/3.  Mandalay  (mi  gyaun).  Eine  gekantete  Holz- 
röhre, hinten  mit  einem  Schlitz  geöffnet,  in  stilisierter 
Krokodilform,  mit  dem  Schwanz  als  Wirbelstock  und  dem 
Kopf  am  entgegengesetzten  Ende.  Von  den  seitenständigen, 
elfenbeinköpfigen  Wirbeln  gehen  die  drei  Saiten  —  eine 
aus  Messing,  zwei  aus  Seide  —  um  und  durch  zwei  elfen- 
beinerne, gedrechselte  Schränkstifte  über  einen  Elfenbein- 
steg und  acht  bankförmige  Holzbünde  von  abnehmender 
Größe  zu  einer  nahe  dem  Krokodilkopf  als  Halter  ange- 
schnitzten Ose.  Stege  und  Bünde  sind  versetzbar  mit  Wachs 
angeklebt;  zwischen  dem  letzten  Bund  und  dem  Saiten- 
halter ein  kleines  Schalloch.  Alle  Holzteile  sind  mit  rotem 
Lack  und  mit  Gold  überzogen.  Dazu  eine  rotlackierte  Bank 
mit  Silberbezug  als  Untersatz.3)  Länge  110,  Breite  13, 
Mittelhöhe  8  cm   (Schermans  Photo  My  67,   hier  Abb.  31). 


Collection  of  Buddhist  religious  art  in  the  National  Museum,  Report  of 
the  U.  S.  Nat.  Mus.  for  .  .  .  1904. 

1)  Expl.   in    der    Crosby  Brown  Coli,   des   Metropolitan  Museum  of 
Arts  zu  New-York  (no.  755);  Kat.  III  2  p.  42. 

2)  Vgl.  Colston  p.  48;  51  f.  mit  pl.  J. 

3)  Vgl.  Colston  p.  46;  50. 


24  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

Die  alligatorförmige  Röhrenzither  Birmas  ist  heute  sehr 
selten  geworden.  Sie  stellt  die  vorletzte  Stufe  dar  in  der 
langen  Reihe  von  der  idiochorden  Bambuszither  der  Malaien- 
länder über  die  heterochorde,  einseitig  orientierte,  mit  Bünden 
versehene  Zither  der  Nikobaren  zu  den  herrlich  gearbeiteten 
Typen  Siams  und  Kambodjas.  Mit  dieser  letzten  Stufe  geht 
das  birmanische  Instrument  fast  ganz  zusammen;  aber  seine 
Kanten  sind  noch  so  weit  abgerundet,  daß  die  Erinnerung  an 
die  Bambusröhre  gewahrt  bleibt,  und  es  besitzt  noch  die  aus- 
gesprochene Tierform,  die  jene  bereits  verwischt  haben.1) 

Das    Münchener  Exemplar   ist   besonders   fein    gearbeitet. 

Spießgeigen. 

Spießgeigen  sind  gestrichene  Langlauten,  bei  denen  der 
Stiel  noch  nicht  halsmäßig  an  das  Korpus  gesetzt,  sondern  in 
urwüchsiger  Weise  als  Spieß  hindurchgesteckt  ist.  Das  In- 
strument besteht  aus  einem  Fruchtkorpus  mit  Bodenöffnung, 
einer  Hautdecke  und  einem  Holz-  oder  Rohrspieß;  eine  einzige 
Haar-  oder  Seidensaite  läuft  über  einen  kleinen  Steg  zum 
Unterende. 

Innerhalb  der  Spießgeigengruppe  ohne  Fuß  und  mit  Haut- 
decke, die  noch  außerdem  an  einigen  Stellen  Vorderindiens 
und  des  Malaiischen  Archipels  vertreten  ist,  sind  die  assami- 
schen  schon  wegen  ihres  Saitenmaterials  und  ihrer  überwie- 
genden Wirbellosigkeit  die  ältesten. 

Ma  7.  Manipur  (pena,  zu  beng.  blnä).  Aus  einem  Ka- 
lebassenkorpus —  mit  dem  offenen  Flaschenhals  nach  hinten 
—  und  einem  rohen  Rohrspieß.  Als  Decke  ist  ein  Palm- 
blattstück lose  aufgelegt.  Eine  einzige  Haarbüschelsaite 
ist  über  den  Sattel  des  oberen  Spießendes  gezogen  und 
mit  Schnur  ebenso  wie  am  unteren  Spießende  festgeknüpft. 
Dazu  ein  kleiner  Rohrbogen  mit  Haarbezug.  Der  Steg 
fehlt.  Gesamtlänge  38 '/ä,  Öffnungs-Dm.  6,  Korpus-Tiefe 
22  cm  (Abb.  32). 


l)  Vgl.  Sachs  p.  95-101. 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams.  -^ 

Sh  II  5.  Manipur  (pena).  Aus  einem  Kokosnußkorpus 
mit  Bodenloch,  einer  aufgeklebten  und  zugleich  mit  dem 
Korpus  schwarzlackierten  Lederdecke,  deren  ausgezackter 
Rand  bemerkenswert  ist,  und  einem  runden  Holzspieß. 
Dieser  ist  zweiteilig;  die  untere  Hälfte,  aus  Holz,  verjüngt 
und  balausterartig  geschnitzt,  die  obere,  aus  Rohr,  orna- 
mental geritzt,  vielfarbig  lackiert  und  in  jene  unter  dem 
Schutz  einer  Blechzwinge  eingezapft.  Eine  einzige  Haar- 
büschelsaite ist  oben  mit  einer  starken  roten  Schnur  fest- 
gemacht, die  ein  langes,  vorwiegend  rotes  Zeug-  und  Schnur- 
gehänge mit  Blech-  und  Glasplättchenschmuck  trägt.  Der 
verhältnismäßig  große  Holzsteg  ist  ohrenartig  ausgeschnitten, 
rotlackiert  und  angebunden.  Dazu  ein  hakenmäßig  ge- 
krümmter Eisenbogen  mit  Handgriff  und  reichlichem  Rund- 
schellenbehang; der  Bezug  fehlt.  Die  Wandersänger  von 
Manipur  begleiten  sich  auf  dem  Instrument,  wenn  sie  von 
der  unglücklichen  Liebe  des  Khamba  und  der  Thoibi  singen. 
Länge  37,    Decken-Dm.  8,    Korpus-Tiefe  8  cm    (Abb.  33). 

Ptg  91.  Tahkhul  Nagä  (tin  thaila).  Aus  einem  runden 
Kürbiskörper  mit  einem  Boden-  und  einem  kleineren  Seiten- 
loch, aufgeklebter  Hautdecke  und  rundem  Spieß.  Dieser 
ist  wieder  zweiteilig;  die  untere  Hälfte,  aus  Holz,  verjüngt 
und  balausterartig  roh  geschnitzt,  die  obere,  aus  Rohr,  mit 
einem  Seitenloch  am  Ende,  aufgezapft  und  mit  einem  Zeug- 
lappen gedichtet.  Die  einzige  Haarbüschelsaite  ist  mit 
Schnur  festgebunden;  ebenso  ein  kleines  Stegklötzchen. 
Dazu  ein  kleiner  Rohrbogen  mit  Roßhaarbezug.  Prof.  v. 
Hornbostel  erinnert  mich  an  die  Ähnlichkeit  des  ge- 
lochten Spießes  mit  dem  offenbar  mißverstandenen  der  Ke- 
mängeh,  die  Michael  Praetorius  auf  Taf.  XXXI  seines 
,Syntagma  musicum',  t.  II,  Wolffenbüttel  1618,  abbildet: 
,Monochordium ,  ist  ein  Pfeiff  und  hat  eine  Saite  darneben'. 
Länge  56,  Decken-Dm.  8,  Korpus-Tiefe  10  cm. 

F  17.  Ahorn,  Assam  (bin,  zu  sanskr.,  päli  wnä,  hindi, 
hindust. ,  panj.  bin).  Aus  einem  Kokosnußkorpus,  dessen 
Bodenloch  mit  einem  Holzpfropf  verschlossen  ist,  einer  mit 


'-!•>  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 


M 


Rohr  angeschnürten,  zweimal  durchlöcherten  Hautdecke  und 
einem  Holzspieß  mit  plattem  Griffbrett,  Wirbelkasten  und 
blattartig  gezahnter  Bekrönung.  Eine  einzige  Seidensaite 
geht  von  dem  seitenständigen  Wirbel  über  einen  brücken- 
artigen, angebundenen  Holzsteg  zum  unteren  Spießende. 
Dazu  ein  kleiner  Rohrbogen  (a)  mit  Haarbezug.  Gesamt- 
länge 73.  Decken-Dm.  8%  9l/a,  Korpus-Tiefe  8,  Bogen- 
länge 33  cm. 

Spieß-Schalen  laute. 

Ns  203.     Lisa,   Pangsapye.   Nördl.  San-Staaten  (tsebü). 
Aus  Holz  mit  kreisrundem,  büchsenförmigem  Korpus,  kan- 
tigem   Griffbrett,   Wirbelkasten    und    abgebogenem    Bekrö- 
nungsblatt;   die  Schlangenhautdecke   ist  angepflöckt.     Drei 
weiße  Roßhaarsaiten  gehen  von  rohgeschnitzten  Seitenwirbeln 
zu    einem  Querholz   als  Halter,    das  seinerseits  mit  Schnur 
an    einer   angeschnitzten  Ose   hängt.     Der  Boden    ist  sieb- 
artig durchlöchert.    Eine  geflochtene  Tragschnur.    Gesamt- 
länge 69,  Korpus-Dm.  11%  Tiefe  7  cm  (Abb.  34). 
Das  Instrument  gehört  dem  chinesischen  Kreis  an;  es  ist 
fast   identisch    mit    dem   bekannten  Hsien  tzü   oder  San  hsien. 
Man  stimmt  die  drei  Saiten  in  ho,  san,  liu,  d.  h.  in  Grundton, 
Quart    und  Oktave,    und    reißt   sie    mit    einem  Piektrum  an.1) 
Immerhin    sind   alle    chinesischen  Geschwister,    die   ich  kenne, 
größer  und  haben  ein  Zargenkorpus  mit  Hautdecke  und  Haut- 
boden.    Das  Lisa-Stück  steht  daher  der  annamitischen  Abart 
Cai  tarn2)  näher. 

Kurzlauten. 

Die  Gattung  der  Kurzlauten  ist  im  Museum  durch  zwei 
Gruppen  vertreten,  denen  die  unterständige  Saitenbefestigung 
und    die   Seitenwirbel    gemein    sind.     Die   Khasi-Gruppe    weist 


1)  A.  C.  Moule,  Chinese  musical  Instruments,  Journal  North  China 
ßranch  R.  A.  S.  XXXIX  (1908\  p.  HG  f. 

2)  G.  Knosp,    Rapp.   sur   une   mission    off.    d'etude   mus.  en  Indo- 
chine,  Leyde  (1911),  p.  45  ff. 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams.  ^7 

mit  ihrem  würfelartigen  Wirbelklotz  und  mit  ihrem  Namen 
nach  Vorderindien  hinüber;  duitara  gehört  zu  sanskr.  dvitära 
,Zweisaiter'.  Dagegen  schließt  sich  die  San-Kacin-Gruppe  an 
den  Gambits  von  Borneo  und  seine  Vettern1)  und  scheint  mit 
dem  chinesischen  P'ip'a  urverwandt  zu  sein. 

Ns  326.  Kacin,  Namhkam,  Nördl.  San-Staaten  (ünse). 
Aus  einem  Stück  Holz  dickwandig  in  Birnform  geschnitzt, 
mit  einem  runden  Schalloch  in  der  rechten  Wand,  einer 
Öse  zum  Einhängen  der  Saiten,  einem  sichelförmigen  Wir- 
belkasten mit  seitenständigen,  vierkantigen  Wirbeln  und 
mit  dem  Kopfskelett  eines  Nashornvogels  (u  gä)  als  Be- 
krönung.  Die  Holzdecke  ist  mit  Wachs  eingeklebt;  ihr 
einziges  Mittelloch  hat  man  mit  Wachs  verschlossen.  Auf 
dem  Griffbrett  zwei  kleine  Rohrbünde  und  die  Wachsspuren 
von  drei  oder  vier  anderen.  Ein  kleines  Holzpiektrum 
hängt  an  einer  Hanfschnur;  von  den  drei  Messingsaiten, 
die  durch  enge  Kanäle  aus  dem  Wirbelkasten  treten,  sind 
nur  die  Oberenden  erhalten.  Länge  mit  Bekrönung  63, 
Breite  7,  Tiefe  61/*  cm  (Abb.  35). 

Ns  15.  San,  Lashio  Ywama,  Nördl.  San -Staaten  (tih). 
Aus  einem  Stück  Titha-Rolz  dickwandig  in  Birnform  ge- 
schnitzt, mit  einem  runden  Schalloch  in  der  linken  Wand, 
einer  Öse  zum  Einhängen  der  Saiten,  einem  sichelförmigen 
Wirbelkasten  mit  seitenständigen,  vierkantigen  Wirbeln  und 
einer  Stirnplatte  aus  Glas.  Die  Holzdecke  ist  mit  Wachs 
eingeklebt;  sie  hat  ein  Mittelloch.  Keine  Bünde!  Ein 
kleines  Hornsplitterplektrum  hängt  an  einer  Hanfschnur. 
Saiten  wie  bei  der  vorigen  Laute.  Ein  kleines  Querholz 
ist  als  Saitenhalter  mit  Schnur  an  die  Öse  gehängt.  Länge 
37,  Breite  41/»,  Tiefe  5  cm  (Abb.  36). 

As  105.  Khasi  {ha  duitara).  Mit  spatenförmigem  Holz- 
korpus, würfelähnlichem  Wirbelkasten,  aufgenagelter,  sie- 
benmal durchlöcherter  Pergamentdecke  und  vier  Saiten  aus 
Mugä-Seide  (Anthermopsis  assama),  die  von  seitenständigen 

l)  Vgl.  Sachs  p.  138. 


28  2.  Abhandlang:  (Jurt  Sachs 

Rohrwirbeln  über  einen  Holzsteg  zu  einem  ans  Unterende 
genagelten  Lederfleck  gehen;  ein  kleines  Schalloch  ist  in 
den  schmalen  Teil  des  Bodens  eingeschnitten.  Am  Band 
ein  Piektrum  aus  Holz.  Länge  79,  Breite  10,  Tiefe  10  cm 
(Abb.  37). 

As  1.  Khasi,  Nongkrem  (ka  duitarä).  Mit  spatenför- 
migem  Holzkorpus,  würfelähnlichem  Wirbelkasten,  aufge- 
nagelter, 32  mal  durchbohrter  Pergamentdecke  und  vier 
Saiten  aus  3fngä-Seu\e,  die  von  seitenständigen  Holzwirbeln 
über  einen  Holzsteg  zu  einem  angeschnitzten  Sattelknopf 
gehen;  ein  Schalloch  im  breiten  Teil  des  Bodens  und  eins 
in  der  linken  Flanke.  Länge  77,  Breite  12l/j,  Tiefe  lO1^  cm 
(Abb.  38). 

(Kurz-)Greige. 

Md  510 ab.  Mandalay  (tayä).  In  Anlehnung  an  die 
europäische  Violinform.  Boden  und  Decke,  beide  kräftig 
gewölbt,  sind  überständig  auf  die  Zargen  genagelt;  in  der 
Decke  zwei  sehr  kleine,  nach  außen  gewendete  Sichellöcher, 
in  der  Zarge  sechs  Rundlöcher.  Auf  dem  Wirbelkasten 
sitzt  eine  hohe,  durchbrochen  gearbeitete  Holzschnitzerei 
mit  stilisierten  Vogeldarstellungen.  Drei  Hanfsaiten  gehen 
von  rohen,  seitenständigen  Wirbeln  über  einen  hohen,  tor- 
förmigen  Holzsteg  zu  einer  samtüberzogenen  Schnurschlinge 
als  Halter,  die  an  einem  —  jetzt  weggebrochenen  —  Sattel- 
knopf hing.  Die  Zargen  sind  mit  rotem,  Decke,  Boden 
und  Hals  mit  schwarzem  Lack  dick  überzogen.  Dazu  ein 
buntes  Tragband,  ein  Säckchen  Kolophonium  und  ein  Bo- 
gen (b)  nach  älterer  europäischer  Art  mit  Schieber,  Roß- 
haarbezug und  Elfenbeingriff.  Instrument  eines  blinden 
Bettlers,  begleitet  von  Rinnenklapper  und  Gabelbecken 
(s.  oben  S.  6).  Länge  79,  Breite  20l/a,  Korpuslänge  40, 
Bogenlänge  55  cm  (Abb.  39). 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams.  29 

Harfen. 

Nur  sehr  selten  trifft  man  heute  noch  in  Birma  die  Harfe. 
Sie  gehört  der  Familie  der  Bogenharfen  an,  hat  ein  schmal- 
bootförmiges  Korpus  aus  Padauk-Bolz  (Pterocarpus  indicus  oder 
macrocarpus)  mit  aufgeklebter,  viermal  durchlöcherter  Hirsch- 
hautdecke und  geschweiftem  Stock.  Unter  der  Austrittsstelle 
des  Stocks  ist  an  den  Körper  ein  Henkel  geschnitzt.  13  Seiden- 
saiten verbinden  den  freien  Teil  des  Stocks  mit  seinem  Unter- 
teil, der  als  Grat  auf  der  Decke  aufliegt;  zum  Spannen  dienen 
rote  Wollschnüre  mit  Quasten.  Das  Instrument  ist  fast  ganz 
mit  Lack  überzogen.1) 

Man  darf  wohl  für  die  Bogenharfe  die  Herkunft  aus  dem 
einfachen  Musikbogen  annehmen.  In  den  Grundzügen  des  Baus 
finden  wir  den  birmanischen  Harfentypus  schon  auf  früh- 
hittitischen  und  auf  ägyptischen  Denkmälern  der  IV.  Dynastie, 
also  zu  Anfang  des  3.  Jahrtausends  v.  Chr.  Doch  darf  dabei 
zweierlei  nicht  übersehen  werden.  In  Ägypten  geht  der  Hals 
in  das  Korpus  über,  und  ein  Saitenhalter  wird  besonders  ein- 
gesetzt; in  Birma  ist  er,  zugleich  als  Saitenhalter,  in  das 
Korpus  gebettet.  Dort  haben  schon  die  ältesten  Harfen  Stütz- 
pflöcke für  die  Saiten;  hier  herrscht  ausschließlich  die  ur- 
wüchsigste Spannung  mit  Schnüren.  Eine  Beeinflussung  ist 
dennoch  mehr  als  wahrscheinlich:  die  ganz  übereinstimmende 
Harfe  Altvorderindiens  hieß  sanskr.  vlnä,  hind.  bin,  und  der 
Name  der  pharaonischen  Harfe  ist  im  alten  Ägyptisch  bjn't, 
bin,  im  Thebanisch-Koptischen  vlnll2) 

10.  14.  Rangoon  (tsaun).  Die  Innenöffnung  des  Henkels 
ist  mit  einer  Glasscheibe  ausgefüllt.  Lack,  ornamentale 
Vergoldung  und  grüne  Glasmosaik  nach  Art  der  Pagan- 
Lackarbeiten  bedecken  das  Instrument  fast  ganz.  Korpus- 
länge 65,  Breite  14%  Gesamthöhe  56%  cm  (Abb.  40). 

Md  123.  Mandalay  (tsauh).  Korpus  und  Stock  sind 
mit  schwärzlichem  Lack  überzogen;  die  Decke  zeigt  Spuren 

M  Vgl.  Colston  p.  46;  50  mit  pl.  J. 

-)  C.Sachs,  Die  altägyptischen  Musikinstrumente  (in Vorbereitung). 


30  2.  Allhandlung:  Gurt  Sachs 

von  Vergoldung  und  rotem  Lack,  ebenso  der  Saitenhalter, 
dessen  Enden  mit  Blattornamenten  in  vergoldeter  Lack- 
reliefarbeit und  grüner  Glasmosaik  abgeschlossen  sind;  auch 
der  Henkel  und  das  Oberende  des  Stocks  haben  Lackrelief- 
arbeit und  zum  Teil  Glasmosaik.  Die  von  Ratten  ausge- 
fressenen Schallöcher  sind  von  dem  eingeborenen  Verkäufer 
ausgebessert.   Korpuslänge  70,  Breite  15,  Gesamthöhe  58  cm. 

Aerophone. 

Längsflöten. 

Im  Instrumentarium  der  Karen  sind  die  Entwicklungs- 
stufen der  Flöte  fast  vollständig  vertreten.  Zunächst  die  ein- 
fachen Längsflöten  aus  gedackten,  grifflochlosen  Bambusinter- 
nodien  mit  gesatteltem  Oberende  und  mit  Wandüberstand  jen- 
seits des  Abschlußknotens.  Die  Sättel,  auf  deren  höheren  des 
Bläsers  Unterlippe  gestützt  wird,  sodaß  der  Atem  bequem  über 
die  Schneide  des  gegenüberliegenden  streichen  kann,  kommen 
auch  sonst  vor,  auf  Timor  'mit  Umgebung,  in  Polynesien, 
Afrika  und  Litauen;1)  sie  sind  wohl  uraltes  asiatisches  Gut, 
das  den  Übergang  von  der  gerade  abgeschnittenen  zur  Kerb- 
flöte darstellt.  Zum  Blasen  wird  die  Pfeife  mit  einer  Hand 
am  Oberende  gefaßt  und  gerade  herunter  gehalten.  Die  Ka- 
renflöte veranschaulicht  einen  der  niedrigsten  Zustände:  gleich- 
artige, aber  verschiedengestimmte  Instrumente  werden  einzeln 
auf  mehrere  Spieler  verteilt,  um  stoßweise  zwischen  den  Ge- 
sangsabsätzen geblasen  zu  werden;  Grifflöcher  sind  noch  un- 
bekannt; nicht  einmal  der  Schritt  zu  einem  festen,  in  sich 
verbundenen  polyorganischen  Instrument  ist  getan.  Auf  der 
nächsten  Stufe  erscheint  die  unverbundene 

Bündelpanpfeife.     Vier  verschiedengroße   Längspfeifen 
der   gleichen    Art    werden    zu    einem   Bündel    zusammengefaßt 


l)  C.  Sachs,  Die  litauischen  Musikinstrumente  in  der  Kgl.  Samm- 
lung für  deutsche  Volkskunde  zu  Berlin,  Int,  Archiv  für  Ethnographie 
XXIII  (1915),  p.  5. 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams.  31 

und   von   einem  einzigen  Bläser  gespielt.     Erst  weiterhin  ver- 
einigen sie  sich  zur  eigentlichen 

Pan pfeife.  Das  vorhandene  Material  zeigt  zwei  scharf 
geschiedene  Typen,  die  kleine  Panpfeife  der  Karenni  und  die 
große  der  Padauii.  Die  Karenni  stellen  sie  paarweise  her  mit 
je  vier  und  sieben  oder  sechs  Pfeifen  der  bisher  beschriebenen 
Art;  doch  blasen  sie  diese  auch  einzeln.  Die  Padauii,  deren 
einziges  selbstgefertigtes  Instrument  sie  sein  soll,  binden  zwan- 
zig Pfeifen  aneinander;  die  größte  erreicht  einige  60  cm. 

Ss  278  ab.1)  Brec-Karen,  Loikaw  (»wo).  Zwei  Längs- 
pfeifen aus  Bambus,  gedackt,  mit  gesatteltem  Oberende 
und  mit  "Wand überstand  jenseits  des  Abschlußnodiums.  Sie 
gehören  zusammen.  Gesamtlängen  50/45,  wirksame  Längen 
38/33,  Innen-Dm.  1,7/1,5  cm  (Abb.  41). 

Ss210ab.  Karenni,  Ngwedaung.  Zwei  Längspfeifen 
gleicher  Art.  Gesamtlängen  42/38,  wirksame  Längen  35/32, 
Innen-Dm.  21/»  :  3/3  cm  (Abb.  42). 

Ss277a— d.  Brec-Karen,  Loikaw  {ma).  Bündelpan- 
pfeife ohne  Verband;  vier  Längspfeifen  gleicher  Art.  Ge- 
samtlängen 41!/2,  34l/a,  33,  29;  wirksame  Längen  29,  25, 
22,  19;  Innen-Dm.  1,4,   1,1,  1,0,   1,0  cm  (Abb.  43). 

Ss  151.  Karenni,  Loikaw  {ma).  Panpfeife  aus  vier  ge- 
dackten,  oben  gesattelten  und  an  den  Seiten  abgeflachten 
Bambus-Längspfeifen;  Rohr  und  Bastverband  in  drei  wage- 
rechten Führungen.  Außenlänge  der  größten  Pfeife  23x/2, 
der  kleinsten  11  cm  (Abb.  44). 

Ss  152.  Karenni,  Loikaw.  Panpfeife  wie  die  vorige 
und  zu  ihr  gehörig;  mit  sieben  Pfeifen  und  Rohr-Schnur- 
verband in  einer  einzigen  wagerechten  Führung.  Außen- 
länge der  größten  Pfeife  27%  der  kleinsten  8^2  cm  (Abb  45). 
Ss  322a.  Karenni,  Kwanlong  {ma).  Panpfeife  aus 
vier  gedackten,  oben  gesattelten  und  kantig  zugerichteten 
Bambuspfeifen;  Rohr-Schnurverband  in  einer  wagerechten 
und  einer  schrägen  Führung.  Außenlänge  der  größten 
Pfeife  19,  der  kleinsten  10  cm  (Abb.  46). 

l)  Alle  S.  31  f.  genannten  Pfeifen  stammen  aus  den  Südl.  San-Staaten. 


32  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

Ss  322b.  Karenni,  Kwanlong  (mä).  P anpfeife  wie 
die  vorige  und  zu  ihr  gehörig.  Außenlänge  der  größten 
Pfeife  21%  der  kleinsten  71/*  cm  (Abb.  47). 

Ss  149.  Karenni,  Loikaw.  Panpfeife  wie  Ss  152  mit 
vier  runden  Pfeifen.  Länge  der  größten  Pfeife  außen  22, 
innen  201/«,  der  kleinsten  außen  10,  innen  9  cm  (Abb.  48). 

Ss  150.  Karenni,  Loikaw.  Panpfeife  wie  die  vorige 
und  zu  ihr  gehörig;  sechs  Pfeifen.  Länge  der  größten 
außen  16x/a,  innen  151/*,  der  kleinsten  außen  6l/a,  innen 
5'/a  cm  (Abb.  49). 

Ss  132.  Padaun  (eigene  Arbeit),  Loikaw  {man).  Pan- 
pfeife aus  zwanzig  gedackten,  oben  gesattelten  Bambus- 
pfeifen mit  Rohr-  und  Schnurverband  in  drei  wagerechten 
und  vier  schrägen  Führungen.  Die  vier  längsten  Pfeifen 
sind  etwa  gleichlang,  dann  folgen  zwölf  in  absteigender 
Reihe  und  zum  Schluß  vier  größere  von  etwa  gleicher 
Länge,  die  indeß  im  größten  Teil  ihrer  Länge  blind  sind, 
in  ihrer  wirksamen  Innenlänge  —  bis  zum  Nodium  —  da- 
o-eo-en  die  absteigende  Reihe  fortsetzen;  bei  der  ersten 
dieser  Gruppe  ist  der  Überstand  jenseits  des  Knotens  be- 
sonders aufgesetzt.  Die  Pfeifen  sind  zum  Teil  mit  Lack 
(thitsi)  bedeckt,  mit  dem  sie  anscheinend  vor  der  Bindung 
bestrichen  wurden.  Außenlänge  der  größten  Pfeife  65,  der 
äußerlich  kleinsten  151/»,  Gesamtbreite  26  cm  (Abb.  50). 

Ss  202.  Padaun,  Klobyaku  (mäh).  Panpfeife  wie 
Ss  132;  die  absteigende  Reihe  beginnt  schon  mit  der  dritten 
Pfeife;  alle  Pfeifen  sind  aus  einem  Stück;  das  Ganze  ist 
dick  mit  schwarzem  Lack  überzogen.  Außenlänge  der 
größten  Pfeifen  61,  der  äußerlich  kleinsten  14l/2,  Gesamt- 
breite 28  cm  (Abb.  51). 

Querflöten. 

Zu  den  Querflöten  ist  im  ganzen  zunächst  zu  bemerken, 
daß  die  gedackten  Typen  in  Vorderindien  und  China-Japan 
nicht    vorkommen,    dagegen    in  Malakka  und  Melanesien.     Im 


Die  Musikinstrumente  Birnias  und  Assams.  oo 

übrigen  bedürfen  eines  Kommentars  nur  zwei  Instrumente.  Die 
Doppelflöte  der  Trans-Dlkhu  hat  eine  Parallele  in  der  fünf- 
fachen Querflöte  der  nordwestbrasilischen  Siusi  (kia).1)  Vor 
allen  interessant  ist  die  grifflochlose  Zentralpfeife  der  Taunyo, 
die  nach  Scher m ans  Photo  Ss  79  auch  bei  den  Karenni  vor- 
kommt. Der  gleiche  seltsame  Typus  begegnet  auf  der  Insel 
Timor,  bei  den  Batak  auf  Sumatra,  sowie  im  Westen  und 
Norden  von  Neu-Guinea,    aber  wohl  überall  ohne  Deckplatte; 

v 

das  altchinesische  C'ih  ist  vom  gleichen  Blut,  jedoch  durch 
die  Annahme  von  Grifflöchern  zu  beiden  Seiten  des  Mundlochs 
fortentwickelt. 2) 

Ga  68.  Gäro  (öteJcra).  Aus  Bambus  mit  zwei  Griff- 
löchern nahe  dem  durchbohrten  Nodium,  das  den  unteren 
Abschluß  bildet.     Länge  90  cm. 

Ga  69.  Gäro  (ilonma).  Aus  Bambus  mit  drei  Griff- 
löchern nahe  dem  Unterende.  Länge  691/2,  unterer  Innen- 
Dm.  1,3  cm. 

Ga70a.  Gäro  (bansi,  zu  beng.  bämsi).  Aus  Bambus 
mit  drei  Grifflöchern  nahe  dem  Unterende.  Länge  45  l\z, 
unterer  Innen-Dm.  1,0  cm. 

Ga  70b.  Gäro  (bahsi).  Wie  70  a.  Länge  39%  unterer 
Innen-Dm.  0,8  cm. 

As  127.  Khasi  (Jca  bisli).  Sechs  gleichweit  entfernte 
Grifflöcher  nahe  dem  Unterende.  Länge  44,  Innen-Dm. 
1,2  cm  (Abb.  52). 

Ptg  96.  Tankhul  Nagä  (sipa).  Sieben  vorderständige 
Grifflöcher,  von  denen  das  oberste  verstopft  ist;  Bambus. 
Länge  52,  unterer  Innen-Dm.   l1^  cm. 

Ss  41.  Taunyo,  Kalaw,  Südl.  San-Staaten.  Aus  Bambus 
ohne  Grifflöcher  mit  zwei  offenen  Enden.    Ungefähr  in  der 


x)  Koch-Grünberg,  Zwei  Jahre  unter  den  Indianern  I,  p.  110. 
2)  Sachs   p.  148.      Zwei    Exemplare    von    den    „Sundainseln"    hat 
das  Daskov-Museum  in  Moskau;   vgl.  A.  Maslov,  llljustrirovannoe  opi- 
sanie  muzykal'nych  instrumentov   v  Daskovskom  etnograficeskom  Muzee 
v  Moskve. 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  2.  Abh.  3 


31  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

Mitte  (9  :  7)  ist  in  einem  rechteckigen  Stück  die  äußere 
Wand  gelöst;  aus  der  übriggebliebenen  Wandschiclit  hat 
man  in  etwa  2/s  ihrer  Länge  das  Mundloch  herausgeschnitten, 
dann  das  Rechteck  in  seiner  ganzen  Länge  mit  zwei  schmalen 
Rohrstückchen  flankiert  und  auf  diese  mit  gewachsten  Fäden 
ein  Deckblättchen  aufgeschnürt.  Auf  die  Weise  ist  es  mög- 
lich, je  nach  der  gewünschten  Stimmung  das  Mundloch  durch 
Verschiebung  zu  vergrößern.  Beim  Spielen  können  durch 
Daumendeckung  des  einen  oder  anderen  Endlochs,  durch 
ihr  Öffnen  oder  Schließen  im  ganzen  vier  Tonstufen  her- 
gestellt werden.  Aus  Bildern  geht  hervor,  daß  das  Blas- 
instrument bald  nach  der  einen,  bald  nach  der  anderen' 
Seite  gehalten  wird.  Länge  48,  Innen-Dm.  0,8,  Abstand 
des  Ausschnittmittelpunkts  von  den  Enden  27  und  21  cm 
(Abb.  53  und  53  a). 

Ma  9.  Maräm,  Manipur  (riabuh).  Aus  Bambus(V),  an 
beiden  Enden  geschlossen;  ein  Griffloch  nahe  dem  einen 
Ende.  Länge  80,  Innen-Dm.  ca.  2  cm.  Ein  entsprechendes 
Exemplar  hat  unter  dem  Namen  cemtyi  Bastian  von  den 
Ao-Nagä  mitgebracht  (Berlin  I  C  8430). 

Tr  D  12.  Trans-Dlkhu  Nagä  (angämi  luoü).  Doppel- 
querflöte. In  einem  Bambusrohr  ist  ein  Teilungsknoten 
stehengeblieben,  sodaß  in  Wirklichkeit  zwei  gedackte  Quer- 
pfeifen im  Quintverhältnis  entstanden  sind;  in  jede  ist  nahe 
ihrem  Ende  ein  Mundloch  eingebrannt;  das  eine  Ende  wird 
durch  das  Nodium,  das  andere  durch  einen  Lederpfropf  ge- 
schlossen. Keine  Grifflöcher.  Gesamtlänge  90  Va,  Innen- 
Dm.  1,4  <  2,0  cm  (Abb.  54). 

Ringflöten. 

Ns  324.  Kacin,  Namhkam.  Aus  Rohr,  im  Nodium  zer- 
legt, mit  rundem,  seitlichem  Aufschnitt  in  einer  Abflachung. 
Zwischen  dieser  Fläche  und  einem  lose  übergestreiften  Rohr- 
ring ist  die  Kernspalte  entstanden.  Fünf  Grifflöcher:  eins 
hinten  gegen  das  Ende  des  Oberteils,  vier  annähernd  gleich- 


Die  Musikinstrumente  Birnias  und  Assams.  35 

weit  entfernte  vorn  am  Beginn  des  Unterstücks;  nahe  der 
Mündung  sieben  Stimmlöcher,  zwei  mit  Wachsspuren.  Un- 
verziert.     Länge  64,7,  Innen-Dm.  <  0,8  cm  (Abb.  55). 

Ns  325.  Kacin,  Namhkam  {pyi  hhrap).  Aus  Rohr  mit 
rundem ,  vorständigem  Aufschnitt.  Mundstück  wie  bei 
Ns  324.  Sechs  Grifflöcher:  vorn  4  +  1  in  rechteckigen 
Vertiefungen,  hinten  ein  hochständiges.  Länge  301/»  cm 
(Abb.  56). 

Ns  16.  §an,  Lashio  Ywama  (pi  pyü)-  Aus  Bambus 
wie  Ns  325.  Die  für  den  King  bestimmte  Stelle  ist  rings- 
herum ausgeschabt;  sieben  Grifflöcher:  sechs  vorn,  ein  hoch- 
ständiges hinten.    Länge  28%  Innen-Dm.  1  cm  (Abb.  57). 

Ch  202.  San,  Heinsum  am  Chindwin.  Birmanischer 
Typus  aus  Bambus  mit  schräggeschnittenem  Unterende  und 
acht  schräggebrannten  Grifflöchern,  von  denen  eins  gleich- 
ständig hinten  sitzt.  In  einiger  Entfernung  vom  Oberende 
ist  ein  8  förmiges  Loch  eingeschnitten  und  gegen  dessen 
Mitte  eine  Teilungswand  aus  Wachs  gestellt;  zum  Anblasen 
muß  der  obere  Lochteil  bis  über  die  Wand  hinaus  mit 
einem  Blattring  bedeckt  werden.  Es  entstehen  dann  a)  ein 
Windbehälter  vom  Oberende  bis  zur  Querwand,  b)  ein  ge- 
deckter Windauslaß  in  der  oberen  Hälfte  der  8,  c)  die 
Kernspalte  zwischen  Wandkante  und  Ring,  d)  ein  Aufschnitt 
in  der  unteren  Hälfte  der  8.     Länge  24  cm  (Abb.  58). 

Schnabelflöten. 

Den  Münchener  Schnabelflöten  ist  vorauszuschicken,  daß 
ähnliche  Versuche,  eine  Kernspalte  durch  Vorkleben  von  Rohr- 
splittern herzustellen,  von  den  Kayan  auf  Borneo1)  und  von 
den  Araukanern2)  gemacht  sind. 

Ss  201.     Padaun,    Klobyaku,    Südl.   San-Staaten    (Jclü). 

1)  Exemplare  bulo  tcolc  im  Museum  zu  Sarawak  Nr.  1289,  1290;  vgl. 
R.  Shelford,  An  Illustrated  Catalogue  of  the  Ethnogr.  Coli,  of  the 
Sarawak  Museum,  Journ.  Straits  Branch  R.  A.  S.  1904,  p.  30  pl.  VIII  fig.  9. 

2)  Expl.  Hamburg  B  2919. 

3* 


36  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

Bambus,  beiderseits  offen,  mit  fünf  Grifflöchern,  vier  vorn, 
einem  hochständigen  hinten.  Das  Oberende  ist  derart  abge- 
schnitten, daß  sich  vorn  ein  schnabelartiger  Überstand  bil- 
det ;  durch,  einen  Schnitt  wurde  die  Außenschicht  dieses 
Überstandes  bis  über  den  Aufschnitt  hinaus  gelöst  und 
durch  seitliche  feine  Stäbcheneinlagen  mit  Dichtungspasta 
so  weit  gehoben,  daß  zwischen  ihr  und  der  Innenschicht 
eine  Kernspalte  entsteht;  gewachste  Fäden  binden  die  bei- 
den Schichten  zusammen.  Mit  Ausnahme  der  Aufschnitt- 
uragebung  ist  die  ganze  Flöte  abgeschält.  Länge  47  cm 
(Abb.  59). 

Ns  321.  Kacin,  Namhkai,  Nördl.  San-Staaten  (pyisün). 
Aus  hellbraunem  Bambus,  beiderseits  offen  und  im  Nodium 
zerlegt.  Das  Mundstück  wie  bei  der  vorigen;  statt  der 
Stäbchen  Wachsunterlagen.  Fünf  Grifflöcher:  eins  hinten 
cresen  das  Ende  des  Oberteils,  vier  ungleich  entfernt  in 
rechteckigen  Betten  am  Beginn  des  Unterteils;  nahe  der 
Mündung  fünf  schräggebohrte  Stimmlöcher.  Durchgehende 
Brandverzierung  (Münzenabdrücke).  Länge  70,  Innen-Dm. 
1,1  <  1,4  cm  (Abb.  60  und  60  a). 

Ss  153.  Karenni,  Loikaw.  Aus  Bambus,  beiderseits 
offen,  mit  fünf  Grifflöchern,  vier  vorn,  einem  hochständigen 
hinten.  Mundstück  wie  bei  Ns  321.  Länge  73x/2,  Innen- 
Dm.  1,5  cm  (Abb.  61). 

As  2.  Khasi,  Nongkrem  {ha  tanmuri).  Aus  Bambus, 
in  vorderindisch -europäischer  Form,  mit  Halbdackung  — 
durchbohrtem  Endnodium  — ,  geringem  Überstand  und  sie- 
ben vorderständigen,  gleich  weit  entfernten  Grifflöchern. 
Länge  241/»  cm  (Abb.  62). 


Obo 


en. 


Md  4655.  Mandalay  (hne).  Typus  der  vorderindischen 
Sänäyl,  mit  sieben  Grifflöchern  vorn  und  einem  hochstän- 
digen hinten  und  mit  großem,  in  einen  Teller  mündendem 
Blechschallstück  (hne-Jcyi),  das  nur  lose  aufsitzt,  aber  durch 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams.  37 

eine  rote  Schnur  am  Korpus  (Jme-si-yo)  hängt;  dieses  ist 
aus  birmanischem  Ebenholz  (sha-tha)  gedreht.  Dazu  ein 
hölzerner  Stiefel  für  das  Anblasrohr  (hne-gin).  Vom  Pwe- 
Orchester.1)  Korpuslänge  39,  Schallstücklänge  23,  Teller- 
Dm.  211/*  cm  (Abb.  63;  vgl..  6a). 

Md  4656.  Wie  die  vorige.  Statt  des  Holzstiefels  ein 
metallener;  der  Schallstückteller  fehlt;  ein  Anblasrohr  ist 
angebunden.  Vom  Pwe-Orchester.  Korpuslänge  28,  Schall- 
stücklänge  14  cm. 

Ns  399.  Kacin,  Bhamo.  Aus  hellem  Weichholz  in  star- 
kem, am  Ende  nur  wenig  ausladendem  Konus.  Oben  ein 
vierkantiger  Aufsatz,  in  dem  ein  Halm  als  Stiefel  für  das 
Anblasrohr  sitzt;  dieses  fehlt.  Vorn  nahe  dem  Mundstück 
vier  Grifflöcher,  davon  zwei  mit  Wachs  verkleinert;  hinten 
ein  hochständiges  in  schräger  Bohrung.  Die  Seele  ist  aus- 
gebrannt, am  Schallstück  ausgeschnitzt;  reichliche  Kerb- 
und  Ritzornamentik.     Höhe   mit  Aufsatz  44,    innerer  Dm. 

<  4  cm  (Abb.  64). 

Ns  398.  Kacin,  Bhamo.  Wie  Ns  399 ,  aber  schwarz  und  rot 
bemalt  und  mit  einem  geschnitzten  Aufsatz  versehen.  Da- 
zu eine  mit  bunter  Wolle  umwundene  Schnur,  die  an  den 
Oberenden  mit  je  einer  Quaste  aus  Flannellstreifen  und 
Litzen    befestigt    ist.      Höhe    mit    Aufsatz   42,    Innen-Dm. 

<  3,5  cm  (Abb.  65). 

Ns  320.  Kacin,  Namhkai  (pahke  dumba).  Aus  hellem 
Weichholz  in  starkem,  am  Ende  nur  wenig  ausladendem 
Konus.  Oben  ein  Aufsatzröhrchen.  Vorn  nahe  dem  Mund- 
stück vier  runde  Grifflöcher  in  viereckigen  Vertiefungen; 
über  dem  geradegebohrten,  hochständigen  Rückwandloch 
sitzen  noch  zwei  Löcher,  die  aber  mit  Wachs  verklebt  sind. 
Vor  dem  Schallende  ist  ein  Schnurornament  angeschnitzt; 
am  Oberende  Umwicklung  mit  grüner  und  roter  Schnur. 
Die  Seele  ist  ausgebrannt.  Länge  mit  Aufsatz  321/a,  Innen- 
Dm.  <  2,4  cm  (Abb.  66). 


»)  Vgl.  Colston  p.  43  mit  pl.  H. 


38  2.  Abhandlung:  Gurt  Sachs 

Klarinetten. 

Klarinetten,  d.  h.  Pfeifen  mit  Aufschlagzunge,  sind  dem 
hinterindischen  Musikinstrumentarium  fremd.  Während  die  auf- 
schlagende Zunge  in  Vorderindien  und  einigen  Teilen  des  Ar- 
chipels heimisch  ist,  nimmt  ihre  Stelle  im  hinteren  Indien  die 
Durchschlagzunge  ein.  Die  hier  beschriebenen  Klarinetten  sind 
eine  Ausnahme,  die  bestätigt,  daß  die  Kultur  Assams  nicht 
eigentlich  als  hinterindisch  bezeichnet  werden  darf.  Ganz  der 
gleiche  Typus  wie  bei  den  Gäro  kommt  übrigens  in  Litauen 
vor.1) 

Ga  71.  Gäro  (imbingi).  Aus  Bambus  mit  stammeigener 
Aufschlagzunge  und  drei  rechteckigen  Grifflöchern  nahe 
dem  "Unterende.     Länge  35,  Dm.  0,7  cm  (Abb.  67). 

ON  1.  San-Staaten.  Aus  Bambus  mit  einem  dünnen 
Rohraufsatz,  aus  dem  die  Aufschlagzunge  herausgelöst  ist, 
und  neun  vorderständigen  Grifflöchern.  Über  das  Mund- 
stück ist  ein  schlanker  Flaschenkürbis  als  Windbehälter 
gestreift  und  mit  Wachs  gedichtet.  Länge  der  herausge- 
zogenen Pfeife  mit  dem  Zungenrohr  26a/2,  Länge  des  Zungen- 
rohrs 6,  Höhe  des  Kürbisses  1 7  cm  (Abb.  68).  Aus  Vorder- 
indien verschleppt? 

Pfeifen  mit  Durchschlagzunge. 

Die  für  Ostasien  kennzeichnende  freischwingende  oder 
durchschlagende  Zunge  wird  von  den  Karen  zunächst  für  das 
Zungenhorn  verwendet.  Auch  von  den  kambodjanischen  Pe- 
non  her  kennen  wir  dies  Instrument,  das  im  Prinzip  unserer 
Automobilhupe  entspricht.  Die  Einstimmung  der  Rohrzunge 
geschieht  durch  Wachsbeschwerung;  der  Ton  kann  durch  Zu- 
halten der  Spitzenöffnung  verändert  werden.  Bei  den  Schwarzen 
Karen  tritt  die  Durchschlagzunge  in  der  bekannten  Form  der 

l)  Sachs,  Die  litauischen  Musikinstrumente  in  der  Kgl.  Sammlung 
für  deutsche  Volkskunde  zu  Berlin,  Int.  Arch.  f.  Ethnogr.  XXIII  (1915), 
p.  6  f.  Fig.  5. 


Die  Musikinstrumente  Bhmas  und  Assams.  oJ 

Mundorgel  auf,  die  in  Hinterindien  (Chittagong,  Lao,  Kam- 
bodja),  Borneo,  China  und  Japan  vorkommt,  ihre  urwüchsigsten 
Vertreter  bei  den  Mro  und  Kumi  im  Chittagong-Distrikt  hat 
und  unser  Harmonium  mit  Zieh-  und  Mundharmonika  als  Nach- 
kommen ansprechen  kann.  Es  ist  hervorzuheben,  daß  zur  Be- 
einflussung der  Klangfarbe  über  die  Pfeifenenden  der  Karen- 
Orgeln  Bambusköcher  gestülpt  sind.  Dieser  Köcher  begegnet 
in  gleicher  Art  oder  in  Gestalt  eines  Schneckengehäuses  auf 
den  borneotischen  Mundorgeln,  deren  kranzmäßige  Anordnung 
ebenfalls  übereinstimmt,  während  der  bemerkenswerte  Austritt 
der  unteren  Pfeifenenden  an  verwandte  Typen  des  oberen  Lao 
erinnert.1)  Der  Name  Jcyen  muß  mit  laot.  khen  und  chin.  seh 
zusammengehalten  werden.  Ein  Phonogramm  Prof.  Scher- 
mans  gibt  die  kurze,  milde  Weise  wieder,  die  auf  der  Karen- 
Mundorgel  gespielt  wird ;  über  einer  Unterstimme  als  ruhigem 
Basso  ostinato  schwebt  eine  zarte,  auch  für  das  ungeübte  euro- 
päische Ohr  reizvolle  Melodie. 

In  Grifflochpfeifen  mit  Kürbisaufsatz,  ihre  auffallendsten 
Instrumente,  bauen  die  Palaun  Durchschlagzungen  ein.  Ahn- 
liche Instrumente  kommen  bei  den  indischen  Schlangenbe- 
schwörern vor;  sie  sind  in  wenig  veränderter  Gestalt  —  mit 
Tierhorn  statt  Kalebasse  —  durch  das  Mittelmeer  nach  West- 
europa bis  hinauf  nach  Wales  gewandert  und  dort  als  Pibcorn 
oder  Hornpipe  Nationalinstrument  geworden;  diese  westlichen 
Verwandten  haben  aber  Aufschlagzungen,  sind  also  Klarinetten. 
Die  Palaun  bauen  ihre  Zungenpfeife  in  drei  Formen,  als' 
Einzel-,  Doppel-  und  Tripelpfeifen.  Die  Einzelpfeife  besitzen 
noch  die  Taunyo  und  die  Taunthu  im  Süden,  die  Doppelpfeife 
die  Kacin.  Die  nächste  Parallele  liegt  auch  hier  erst  auf 
Borneo;  die  federkielartig  zugeschärften  Pfeifenenden,  sogar 
bei  den  Bordunen  von  Doppelpfeifen,  sind  dort  eine  häufige 
Erscheinung.  Die  Tripelpfeife  ist  eine  Besonderheit  der  Pa- 
laun; immerhin  soll  auf  Fidji  eine  Tripelklarinette  mit  Kokos- 
nußaufsatz   vorkommen.     Die  Zungenpfeife   ist    bei  den  Hoch- 


*)  Knosp,  a.  a.  0.  p.  67,   133. 


40  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 


o  • 


zeiten    der  Palaun    als    einziges  Instrument   („The  flute")    ge- 
duldet; auch  bei  der  Liebeswerbung  wird  sie  gespielt. 

V 

Ss  203.  Padaun,  Klobyaku,  Südl.  San-Staaten,  ca.  20  km 
westl.  von  dem  Erwerbungsorte  Loikaw  (kwäi).  Zunge n- 
horn  vom  Büffel,  beiderseits  offen,  mit  einer  Rohrzunge 
in  der  konkaven  Wand,  angeschnitzten  Zierringen  nahe 
der  Spitze  und  Tragschnur.  Die  Zunge  ist  aus  einem 
Rohrplättchen  herausgelöst,  das  man  mit  Wachs  auf  einen 
Wandausschnitt  geklebt  hat;  Stimm  wachs  erhalten.  Man 
bläst  die  Zungenhörner  chorweise  in  langausgehaltenen 
feierlichen  Akkorden.     Sehnenlänge  25  cm  (Abb.  69). 

.  .   .  V 

Ss  323.  Karenni,  Kwanlong  bei  Pekon,  Südl.  San- 
Staaten  (gu).  Zungenhorn  wie  Ss  203,  ohne  Schnur  und 
Stimmwachs.  Tonhöhe  nach  v.  Hornbostel  (Reisetono- 
meter  IV)  662  Schwingungen  —  e1,  bei  geschlossenem 
Spitzenloch  624  =  es1.     Sehnenlänge  25  cm  (Abb.  70). 

Ss  275.  Brec-Karen,  z,  Z.  Loikaw,  Südl.  San-Staaten 
(gä).  Zungenhorn  wie  Ss  323,  aber  ohne  Ringverzierung. 
Auf  der  konvexen  Seite,  nahe  dem  spitzen  Ende,  ist  — 
augenscheinlich  um  die  Ausbohrung  zu  ermöglichen  —  ein 
Wandstück  herausgeschnitten;  in  die  Öffnung  hat  man  ein 
hölzernes  Verschlußstück  mit  Wachs  eingeklebt.  Bei  offe- 
nem Spitzenloch  spricht  die  Zunge  nicht  an;  bei  geschlos- 
sener Spitze  Tonhöhe  nach  v.  Hornbostel  (Reisetonometer  IV) 
521  Schwing.  =  c1.     Sehnenlänge  45  cm  (Abb.  71). 

S,s  276.  Brec-Karen  (gä).  Zungenhorn  wie  Ss  275; 
die  Bohrstelle  ist  hier  von  der  Hornspitze  weiter  entfernt 
als  die  Zunge.  Spuren  von  Stimmwachs.  Sehnenlänge 
27  cm  (Abb.  72). 

Ss  533.  Schwarze  Karen,  Taunggyi  (kycri).  Mund- 
orgel. Zehn  ungleichlange  Rohrpfeifen  mit  je  einem  Deck- 
loch sind  kranzweise  durch  einen  langhalsigen  Flaschen- 
kürbis derart  gesteckt,  daß  ihre  Unterenden  nur  wenig 
hervorkommen,  und  daß  die  in  ihre  Wände  eingelassenen 
metallenen    Durchschlagzungen    im    Innern    der    Kalebasse 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams. 


41 


sitzen;  diese  dient  also  als  Windbehälter  und  der  Hals 
mit  seinem  Bambusrohransatz  als  Mundrohr.  Die  Verbin- 
dungsstellen sind  mit  Wachs  gedichtet.  Außer  dem  Deck- 
loch haben  alle  Pfeifen  nahe  dem  Oberende  Löcher  und 
Ausschnitte  in  verschiedener  Zahl,  Größe,  Form  und  Stel- 
lung. Über  die  sechs  längsten  sind  Bambusköcher  gestülpt, 
über  die  vier  kürzeren  offene  Bambushülsen,  die  je  ein 
kurzes  mit  einem  langen  Nachbarrohr  zusammenfassen,  und 
die  in  ihrer  Lage  als  Verhüller  der  Stimmlöcher  durch 
eine  Bastumwicklung  gestützt  werden;  sie  beeinflussen  die 
Klangfarbe.  Länge  des  Kürbisses  mit  Ansatz  27,  der 
ganzen  längsten  Pfeife  mit  Köcher  122,  der  kürzesten 
34  cm  (Abb.  73). 

Ss  509.  Muhsö  (Lahu),  Südl.  San-Staaten  (füllt).  Mund- 
orgel.  Fünf  ungleichlange  Rohrpfeifen  mit  je  einem  Deck- 
loch, die  längste  auch  mit  einem  Stimmschlitz,  sind  bün- 
delweise durch  einen  langhalsigen  Flaschenkürbis  derart 
gesteckt,  daß  ihre  Unterenden  nur  wenig  hervorkommen 
und  die  in  ihre  Wände  eingelassenen  metallenen  Durch- 
schlagzungen im  Innern  der  Kalebasse  sitzen;  diese  dient 
also  als  Windbehälter  und  der  Hals  als  Mundrohr.  Die 
Verbindungsstellen  sind  mit  Wachs  gedichtet.  Kürbislänge 
29,  Länge  der  längsten  Pfeife  oberhalb  des  Kürbisses  211/2; 
der  kürzesten  7  cm  (Abb.  74). 

Ns  169.  Palauii,  Namhsan  (but  seml  ,Blas-Pfeife')- 
Zungenpfeife  aus  Bambus.  Das  Metallplättchen ,  aus 
dem  die  spitze  Zunge  gewonnen  ist,  sitzt  wie  üblich  in 
einem  seitlichen  Wandausschnitt  und  wird  durch  zwei  vor- 
gesetzte Rohrleisten  gehalten.  Sechs  Grifflöcher  vorn,  ein 
hochständiges  hinten.  Über  das  Oberende  ist  ein  schlanker 
Flaschenkürbis  als  Windbeb  älter  gestreift  und  mit  Wachs 
gedichtet.  Auf  das  Unterende  hat  man  als  Dämpfer  einen 
Bambusköcher  gebunden.  Länge  der  herausgezogenen  Pfeife 
221/a,  Höhe  des  Kürbisses  9,  des  Köchers  lO1^  cm  (Abb.  75). 
Ss  42.  Tauhyo,  Kalaw,  Südl.  San-Staaten.  Zun gen - 
pfeife    wie  Ns  169.     Statt  des  Köchers   ein  schallverstär- 


I-  2.  Abhandlung:  Gurt  Sachs 

kender  Kürbis  mit  großem  Seitenloch  frei  aufgebunden;  der 
obere  Kürbis  ist  mit  Stoffstreifen  gedichtet.  Länge  der 
herausgezogenen  Pfeife  351/:»,  Höhe  des  oberen  Kürbisses 
10,  des  unteren  9  cm  (Abb.  76). 

Cam  25.  Palaun,  Kodaung.  Zungenpfeife  aus  Bam- 
bus mit  metallener  Zunge,  die  in  üblicher  Weise  seitlich 
angebracht  ist.  Sieben  Grifflöcher  vorn,  ein  gleichständiges 
hinten,  sämtlich  schräggebohrt.  Über  das  Oberende  ist  als 
Windbehälter  ein  schlanker  Flaschenkürbis  gestreift  und 
mit  Wachs  gedichtet.  Als  Mundstück  steckt  ein  besonderes 
Röhrchen  in  der  Öffnung.  Länge  der  herausgezogenen 
Pfeife  37,  Innen-Dm.  0,9,  Kürbishöhe  17  cm  (Abb.  77). 

Ss  257.  Taunthu,  Kongtha  bei  Loikaw.  Zun gen - 
pfeife  wie  Cam  25  ohne  besonderes  Mundstück.  Länge 
der  herausgezogenen  Pfeife  40^2,  Innen-Dm.  0,9,  Kürbis- 
höhe 13x/a  cm  (Abb.  78). 

Ss  444.  Taunyo,  Yawnghwe.  Zungenpfeife  wie 
Cam  25  mit  einem  ausgesprochen  hochständigen  Rückwand- 
loch und  mit  Stofflappendichtung.  Länge  der  herausgezo- 
genen Pfeife  38,  Innen-Dm.  1,  Kürbishöhe  14  cm  (Abb.  79). 

Ss  530.  Palaun,  Panutaung,  Südl.  San-Staaten  (iväo). 
Zungenpfeife  wie  Cam  25.  Die  Grifflöcher  sitzen  auf 
eingeritzten,  umlaufenden  Doppellinien;  kein  besonderes  An- 
blasrohr.  Länge  der  herausgezogenen  Pfeife  34,  Innen-Dm. 
0,8,  Kürbishöhe  151/»  cm  (Abb.  80). 

Cam  26.  Palaun,  Kodaung.  Doppelpfeife  im  Typus 
Cam  25;  an  die  Pfeife  ist  rechts  eine  federkielartig  aus- 
geschnittene und  durch  einen  Stoffbausch  verschließbare 
Bordunpfeife  gleicher  Art  ohne  Grifflöcher  mit  Stoffstreifen 
gebunden.  Länge  der  herausgezogenen  Melodiepfeife  40, 
Innen-Dm.  1,0,  1,2.  Kürbishöhe  131/*  cm  (Abb.  81). 

Ns  201.  Kwanhai  -  Palaun ,  Kunhawt,  erworben  in 
Namhsan  (Jcaivö).  Doppelpfeife  wie  Cam  26.  Melodie- 
pfeife rechts;  jede  der  beiden  Pfeifen  ist  durch  ein  be- 
sonderes Loch  in  den  Kürbis  eingeführt;  kein  Anblasröhr- 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assanis. 


43 


chen.    Länge  der  herausgezogenen  Melodiepfeife  30l/2,  Dm. 
1,0,  Kürbishöhe  131/2  cm  (Abb-  82)- 

Ns  214.  Kacin,  Bhamo  (roizä).  Doppelpfeife  aus 
braunem  Rohr(?)  mit  seitlichen  Metallzungen  üblicher  Art. 
Die  Melodiepfeife  (links)  hat  vorn  acht  und  hinten  zwei 
hochständige  Grifflöcher,  von  denen  drei  und  eins  mit 
Wachs  verstopft  sind;  ein  eingeschobenes  Holzstäbchen 
dackt  und  verändert  die  Stimmung;  spärliche  Ritzornamente 
oberhalb  der  Löcher.  Die  Bordunpfeife  ist  dünner  und 
lochlos.  Beide  werden  oben  durch  einen  Schnurverband 
zusammengehalten.  Länge  29,4,  Innen-Dm.  0,8  und  0,5  cm 
(Abb.  83). 

Ns  323.  Kacin,  Namhkai  (plbat).  Doppelpfeife  aus 
hellem  Rohr  mit  seitlichen  Metallzungen  üblicher  Art.  Die 
Melodiepfeife  (rechts)  hat  vorn  vier  Grifflöcher  —  davon 
das  zweithöchste  besonders  klein  —  und  ein  hochständiges 
hinten;  ein  eingeschobenes  Holzstäbchen  dackt  und  ver- 
ändert die  Stimmung.  Die  Bordunpfeife  ist  dünner  und 
lochlos.  ■  Beide  werden  oben  und  unten  durch  je  einen 
Schnurverband  zusammengehalten.  Länge  23,1,  Innen-Dm. 
0,8  und  0,6  cm  (Abb.  84).     . 

Ns  322.  Kacin,  Namhkai  (magrl  siimpi).  Doppel- 
pfeife  aus  hellem  Rohr  mit  seitlichen  Metallzungen  üblicher 
Art.  Die  Melodiepfeife  (rechts)  hat  vorn  vier  runde  und 
ein  eckiges  Griffloch,  hinten  ein  hochständiges  eckiges  und 
darüber  ein  verklebtes  rundes;  ein  eingeschobenes  Holz- 
stäbchen dackt  und  verändert  die  Stimmung.  Die  Bordun- 
pfeife ist  dünner,  lochlos  und  kielartig  zugeschnitten.  An 
der  Melodiepfeife  spärliche  Kerbornamente.  Beide  werden 
oben  durch  einen  gewachsten  Schnurverband  mit  Troddel- 
schmuck zusammengehalten;  unten  sind  Wachsspuren  eines 
zweiten  Verbandes.  Länge  der  herausgezogenen  Melodie- 
pfeife 28,2,  Innen-Dm.  0,9  und  0.6  cm  (Abb.  85). 

Cam  27.    Palaun,  Kodaung.     Tripelpfeife  vom  Typus 
Cam  26;    die   beiden  Bordunpfeifen   sind  ungleichlang   und 


44  2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 

nehmen  die  Melodiepfeife  in  die  Mitte;  kein  besonderes 
Röhrchen  auf  dem  Kürbis.  Länge  der  herausgezogenen 
Melodiepfeife  39,  Innen-Dm.  1,0  <  1,1,  Kürbishöhe  19  cm 
(Abb.  86). 

Ns  350.  Humai-Palaun,  gekauft  in  Namhkam.  Tri- 
pelpfeife  wie  Cam  27.  Länge  der  herausgezogenen  Me- 
lodiepfeife 38%  Innen-Dm.  1,1,  Kürbishöhe  14  cm  (Abb. 87). 

Ns  375.  Palaun,  Namhkam.  Tripelpfeife  wie  Ns  350. 
Länge  der  herausgezogenen  Melodiepfeife  48,  Innen-Dm. 
1,5,  Kürbishöhe  151/*  cm  (Abb.  88). 

Trompeten. 

TrD  14a.  Trans-Dikhu  Nagä,  Naga  Hills  (angämi 
piluli).  Tuba  aus  einer  konischen  Holzröhre  ohne  Mund- 
und  Schallstück;  die  Oberöffnung  ist  abgeschrägt.  Länge 
135,  Dm.  1  <  21/»  cm  (Abb.  89). 

TrD  14b.  Trans-Dikhu  Nagä  (angämi  Jcetsü).  Tuba 
aus  einer  konischen  Holzröhre  mit  geschlossenem  Wurzel- 
ende, neben  dem  ein  halbkreisförmiger  Auslaß' seitlich  ein- 
geschnitten ist;  die  Oberöffnung  abgeschrägt.  Länge  200, 
Dm.  1,2  <  2  cm  (Abb.  90). 

Ptg  92.  Tankhul  Nagä  {maitai  talld).  Tuba  aus  Bam- 
bus mit  einem  besonderen,  waldhornähnlichen  Trichter- 
mundstück aus  Holz  und  einem  (zerbrochenen)  Kürbis  als 
Schallstück.  Röhrenlänge  109L/2,  Innen-Dm.  1,8  >  1,7  cm 
(Abb.  91). 

Ptg  93.  Tankhul  Nagä  (hao  talld).  Tuba  aus  elf  tele- 
skopartig ineinandergesteckten  Bambusabschnitten  mit  einem 
Büffelhorn  (Bison?)  als  Schallstück;  kein  besonderes  Mund- 
stück. Länge  199,  oberer  Innen-Dm.  1,8,  unterer  vor  dem 
Schallstück  11,2  cm.1)  Fast  die  gleiche  Tuba  haben  austra- 
lische Küstenstämme;  Exemplar  in  der  Sammlung  der  Lady 
Brassey  zu  London2)  (Abb.  92). 


')  Vgl.  Sachs  p.  173.  2)  Abb.  J.  Edge-Partington,  An  Al- 

bum of  the  .  .  .  Pacific  Islands,  1890,  I,  p.  362. 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assa.ms.  45 

Ga  66.  Gäro  (adil).  Trompete  aus  einem  Bambus- 
abschnitt, in  den  ein  Büffelhorn  gesteckt  ist;  kein  beson- 
deres Mundstück.  Länge  des  Bambusabscbnitts  58^2,  Sehnen- 
länge  des  Horns  37  l\i  cm.  —  Es  ist  das  Prototyp  der  IA- 
tnus-Gruppe1)  (Abb.  93). 

Ga  67.  Gäro  (sihga,  zu  sanskr.  srhga,  päli  sihgam, 
beng.  Simhä  usw.).  Hörn  vom  Büffel;  das  Mundende  durch 
Schnitzen  abgesetzt,  aber  ungetrennt.  Sehnenlänge  42  cm 
(Abb.  94). 

TrD  8.  Trans-Dikhu  Nagä  (angämi  nyä  won).  Hörn 
vom  Büffel,  mit  rohen  Ritzornamenten.  Sehnenlänge  48  cm 
(Abb.  95). 


*)  Vgl.  C.  Sachs,  Lituus  und  Karnyx,  Festschrift  für  R.  v.  Lilien- 
cron,  Lpz.  1910,  p.  241  ff. 


46 


2.  Abhandlung:  Curt  Sachs 


Register. 


adil  45. 

At:rophone  30  ff. 

Balfour  15. 

bänisl  33. 

banst  33. 

Bechertrommeln  22  f 

Becken  7  f. 

Becker  14. 

bin,  bind  24,  29. 

ZtfVf  29. 

bonnah  10. 

Brown  5,   18. 

Bügelmaultrommel    18, 

19. 
bulo  wok  35. 
Bündelpanpfeife  30  f. 
but  seaii  41. 
cai  tarn  26. 
Cameron  5,  18,  22. 
Casanowioz  22. 
cemtyi  34. 
Chordophone  23  ff. 
c'ih  33. 
rih-kdbai  23. 
Colston  5,   6,  7,  8,  11, 

21,  22,  23,  29,  37. 
cu-ce  23. 
cyikiät  20,  22. 
dama  20. 
dah-ki  14. 
dänno  14. 
f?iw  do»  iz  15. 
Doppelpfeifen    39,  42  f. 


Durchschlagzunge  3,  4, 

38  ff. 
doitära  27. 
Edge-Partington  44. 
Faf3trommeln  20  f. 
Fea  13. 
Ferrars  11. 
Flöten  4,  30  ff. 
fühl  41. 
fjä  40. 

Gabelbecken  6  f. 
gambus  27. 
Gießhütte  13. 
Glocke  Uff. 
Gong  3,  4,  9  ff. 
gohgina  18. 
Gongspiel  10  f. 
gfi  40. 

GURDON    5. 

Hagen  9. 
hao  talla  44. 
Harfen  29  f. 
hsien  tzü  26. 
Heger  5,  11,   12,   13. 
hin  15. 
hne  36. 
Hodson  5. 
Hornbostel  25,  40. 
Hörner  45. 
hornpipe  39. 
hpa:zi  12,  13. 
Idiophone  6  ff. 
ilohma  33. 


imbingi  38. 

twa  33. 

fca  ^/sZz  33. 

ka  duitara  27,  28. 

#a  TcÖnsdu  8. 

fca  /cs//j  20. 

ka  näkrä  20. 

Fa|>j  17. 

ka  sdkuriau  8. 

Ar«  tanmuri  36. 

kauh-cet  12,  13. 

fcawö  42. 

Kegel  trommeln  21  f. 

kemängeh  25. 

keretok-krebau  15. 

Kesselgong  1 1  ff. 

Ke9seltrommel  20. 

fre^sü  44. 

khen  39. 

khram  21. 

Klappern  6. 

Klarinetten  38. 

frfö  35. 

Knosp  26. 

Koch-Grünberg  33. 

konroh  14. 

krapp  14. 

Krokodilzither  23. 

Kurzgeige  28. 

Kurzlauten  4,  26  ff. 

kwäi  40. 

fcyew  39,  40. 

kyc-tsi  8. 


Die  Musikinstrumente  Birmas  und  Assams. 


47 


kye-vain  10. 

Längsflöten  4,  30  ff. 

Lauten  4,  24  ff. 

Lituus  45. 

lokänko  9. 

Zwoit  34. 

wiü  31. 

roä  31,  32. 

m%ö"  18. 

magrl  sumpi  43. 

mat  29. 

maitai  talla  44. 

wän  32. 

Maslov  33. 

Maultrommel  3,  4,  17  ff. 

mazin  18. 

Membranophone  20  ff. 

mi  gyaun  23. 

MlLNE    10. 

Moule  26. 

moh  10. 

Mundorgel  4,  39,  40  f. 

nägarä  20. 

naqqära  20. 

nanksvebon  21. 

»<t/ä  wo«  45. 

Oboen  36  ff. 

o/tsi  23. 

ötekra  33. 

o-^si  23. 

pahke  dumbä  37. 

Panpfeifen  4,  30  ff. 

patma  gyi  21. 

pat-mah  20. 

£>a£sa  21. 


2>a«  19. 

/Jen«  24,  25. 

pibht  43. 

Pibcorn  39. 

pt7?tZi  44. 

.p'i  p'a  27. 

pl  pyü  35. 

Playfäir  5,  20,  21. 

Praetorius  25. 

Pwe-Orchester  6,  8,  11, 

21,  22,  37. 
pye  19. 
pyi  hkrap  35. 
pyisün  36. 
Querflöten  4,  32  ff. 
ra  goin  7. 
ran  14. 
riabuh  34. 

Ringflöten  3,  4,  34  f. 
Rinnenklapper  6,  7. 
Rockhill  17. 
Röhrentrommeln  20  ff. 
roizä  43. 
Rosen  9. 
Sachs  5,  6,  7,  8,  9,  10, 

13,    17,    22,    24,    27, 

29,    30,    33,    38,    44, 

45. 
san  hsien  26. 
Schalenlaute  26. 
Schelle  4,  14  ff. 

ScHERMAN    3,    11,    39. 

Schlagplatte  8. 
Schlitztrommel  9. 
Schnabelflöten  5,  35  f. 


sen  39. 
Shelford  35. 
simhä  45. 
sihga  45. 
sipa  33. 

Spießgeigen  24  ff. 
Spieß-Schalenlaute  26. 
srhga  45. 
Stimmpasta  21. 
Strang ways  21. 
tayä  28. 
than-lvin  8. 
tin  27. 
tinse  27. 
tin  thailä  25. 
Tripelpfeifen  39,  43  f. 
Trommeln  4,  20  ff. 
Trommelspiel  21  f. 
Trompeten  44  f. 
tsaun  29: 
tsebü  26. 
tshain-oain  21. 
Tuba  44. 
uhkih  18. 
vä-let-kyot  6. 
tlwä  25,  29. 
Webstuhlklapper  6. 
ya-gcin  7. 
yheku  18. 
Toung  5. 
Zither  23. 

Zungenhörner  4,  38,  40. 
Zungenpfeifen  39,  41  ff. 
Zylindertrommel  20. 


fö 


Tafel  1 


Abb.  1  —  6. 


Tafel  2. 


Scherman  phot. 


Scherman  phot 


6a 


Abb.  6a— 6b. 


Tafel  3. 


Abb.  7. 


Tafel  4. 


Abb.  8. 


Tafel  5. 


Abb.  9-9a. 


Tafel  6. 


Scherman  phot. 


10a 


Abb.  10— 10a. 


Tafel  7. 


Abb.  11—15. 


Tafel  8. 


Abb.  16—22. 


Tafel  9. 


Scherman  phot. 


Abb.  23—25. 


Tafel  10. 


Tafel  1 1 


30 


Abb.  28-30. 


Tafel  12. 


Abb.  31— 33. 


Tafel  13. 


34 


36 


Abb.  34-39. 


Tafel  14. 


< 


Tafel  15. 


Abb.  41-51. 


Tafel  16. 


1 

* 

55 


54 


57 


58 


53a 


61 


I 


52 


59 


56 


60 


Abb  52—61. 


Tafel  17. 


Abb.  62—68. 


Tafel  18. 


Abb.  69-82. 


Tafel  19. 


Sitzungsberichte 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  3.  Abhandlung 

v  I 


Zur  Gesehiehte 
des  lateinischen  Hexameters 


Kurze  Endsilben  in  arsi 


von 


Friedrich  Vollmer 


Vorgetragen  am  3.  Februar  1917 


München  1917 
Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franz'scfaen  Verlags  (J.  Roth) 


I 
Sitzungsberichte 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  3.  Abhandlung 


Zur  Geschichte 
des  lateinischen  Hexameters 

Kurze  Endsilben  in  arsi 


von 


Friedrich  Vollmer 


Vorgetragen  am  3.  Februar  1917 


München   1917 
Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franz'schen  Vorlags  (J.  Roth) 


Das  Kapitel  römischer  Metrik,  das  ich  hier  behandeln 
möchte,  ist  nicht  nur  an  sich  bedeutsam  und  wichtig,  indem 
es  von  den  Anfängen  römischer  Dichtung  auf  die  griechischen 
Vorbilder  zurückzuschauen  zwingt  und  nachahmende  wie  selbst- 
ständige Ususbildung  der  römischen  Künstler  gegeneinander 
abzuwägen,  —  es  schneidet  weiter  eine  Fülle  von  textkritischen 
Fragen  an  und  hat  grundlegende  Bedeutung  für  wichtige  Stücke 
der  lateinischen  Formenlehre. 

Es  versteht  sich  also,  daß  schon  die  alten  Metriker  und 
Grammatiker  sich  mit  diesem  Stoffe  befaßt  haben,  leider  in 
ganz  unzulänglicher  Weise.  Wie  wir  im  allgemeinen  darauf 
angewiesen  sind,  uns  die  metrischen  Gesetze  nicht  nur  eines 
Plautus  und  Terenz  sondern  auch  des  Ennius  und  Vergil  durch 
eigene  Observation  zu  erschließen,  da  keiner  der  Dichter  sie 
selbst  zusammengefaßt  und  veröffentlicht  hat1),  so  kommen 
auch  für  die  uns  hier  angehenden  Fragen  die  spärlichen  pro- 
sodischen  Kapitel  der  uns  erhaltenen  grammatischen  Traktate 
fast  gar  nicht  in  Betracht.  Es  ist  immer  dieselbe  ärmliche 
Weisheit,  die  uns  fast  mit  den  gleichen  Worten  aufgetischt 
wird,  dieselben  Beispielverse  werden  immer  von  neuem  wieder- 


J)  Einzig  Lucilius  scheint  hier  wirklich  brauchbare  Regeln  ausge- 
sprochen zu  haben:  s.  frg.  1209  und  1190  M.;  seine  Beobachtungen  sind 
aber  nicht  in  die  spätere  Tradition  übergegangen.  Auch  Q.  Valerius 
frg.  3  (p.  78  Funai.)  wird  auf  metrische,  nicht  nur  auf  Deklinationsfragen 
gehen.  Ob  Vergil  catal.  7,  3  mit  praecepta  ein  bestimmtes  Buch  im 
Auge  gehabt  hat,  läßt  sich  nicht  sagen.  Die  Traktate  de  metris  von 
S.  Ennius  (?),  Epicadus,  Q.  Valerius  Cato,  Varro  (de  sermone  lat.lib.VH) 
ab  legen  den  Nachdruck  durchaus  auf  Überleitung  und  Anwendung 
griechischer  Theorien.  Varro  frg.  220  Funai.  scheint  nur  eine  vereinzelte 
Beobachtung  zu  enthalten. 


4  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

holt1):  schwerlich  ist  dieser  Tradition  nach  Caesius  Bassus 
noch  viel  durch  selbständige  Beobachtung  hinzugefügt  worden. 
Von  historischem  Verständnis  einer  Entwicklung,  eines  Fort- 
schrittes im  Anschlüsse  au  die  Weiterbildung  der  Sprache 
finden  wir  nur  ganz  schwache  Ansätze2). 

Aber  auch  in  den  neueren  Arbeiten  über  diese  Dinge 
bricht  sich  eine  wirklich  wissenschaftliche  Erkenntnis  nur  sehr 
langsam  Bahn.  Noch  Gerardus  Joannes  Vossius  ist  im  ganzen 
Aufbau  seiner  Lehre  völlig  von  den  Traktaten  des  Altertums 
abhängig3).  Mehr  Selbständigkeit  zeigt  die  Darstellung  bei 
Konr.  Leop.  Schneider,  Elementarlehre  der  lat.  Sprache  I  2 
(Berlin  1821)  p.  744  ff.,  aber  wie  hier  von  Grund  aus  neu  ob- 
serviert werden,  wie  alles  auf  sichere  textkritische  Grundlage 
gestellt  werden  muß,  haben  wir  erst  von  Karl  Lachmann 
gelernt,  durch  seinen  Kommentar  zu  Lucrez,  in  dem  freilich 
S.  75  ff.  gerade  unsere  Fragen  nicht  recht  glücklich  behandelt 
worden  sind.  Lachmanns  Beobachtungen  hat  erweitert  Lucian 
Müller,  de  re  metrica  poetarum  Latinorum  praeter  Plautum  et 
Terentium  libri  Septem,  Leipzig  1861  (S.  326  ff.)  und  da  geleistet, 
was  seine  Zeit  verlangen  konnte;  leider  hat  die  zweite  Auf- 
lage des  Werkes  (Petersburg  und  Leipzig  1895,  S.  400  ff.) 
nicht  Schritt  gehalten  mit  dem  Vordringen  unserer  metrischen 
und  grammatischen  Erkenntnis,  auch  nicht  mit  den  Fortschritten 
der  Textkritik.  Was  gelegentlich  zu  einzelnen  Schriftstellern 
über  unsere  Frage  gesagt  worden  ist  (ich  nenne  E.  Norden, 
P.  Vergilius  Maro  Aeneis  Buch  VI2  S.  450  ff.)  kann  selbst- 
verständlich eine  zusammenhängende  Darstellung  nicht  ersetzen. 

Deren  erste  Aufgabe  ist  natürlich  die  Vorlage  des  voll- 
ständigen Beobachtungsmaterials.  Es  kann  heute  nicht  drin- 
gend genug  eingeschärft  werden,  daß  für  lateinische  Metrik 
wie  Grammatik  das  kritisch  gesicherte  Material  auf  fast  allen 


x)  Es  wirkt  fast  erfrischend,  wenn  bei  Beda  gramrn.  VII  230  ff. 
einmal  neue  Beispiele  aus  Jüngern  christlichen  Dichtern  auftauchen. 

2)   z.  B.  Charis.  Gramm.  I  16,  20   über  die  Entwicklung  des  End-o. 

a)  Für  uns  kommen  hier  in  Betracht  ars  gramm.  II  cap.  12  ff.  (1662; 
ich  benutze  die  Ausgabe  von  Förtsch,  Halle  1833)  p.  146  ff. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  5 

Gebieten  erst  noch  gesammelt  werden  muß:  das  ist  freilich 
nicht  jedermanns  Sache1).  Ich  zähle  im  folgenden  alle2)  irgend 
in  Betracht  kommenden  Stellen,  zunächst  einmal  von  Ennius 
bis  zu  den  Augusteern  auf.  Dazu  gebe  ich  die  runde  Zahl 
der  in  Betracht  kommenden  Verse,  nicht  um  stumpfsinniger 
Statistik  den  Weg  zu  eröffnen,  sondern  um  ganz  allgemeine 
Vergleichung  zu  ermöglichen. 

Ennius  ann.  80  solus  avem  servät.  at  Romulus  pulcer  in  dito 
(etwa  158  inde  sibi  memorät  unum  superesse  laborem 

650  Verse)      33g  quae  nunc  te  coquit  et  versät  in  pectore  fixa 
418  tunc  timido  manät  ex  omni  corpore  sudor3) 
131  at  sese,  sum  quae  dederät  in  luminis  oras 

99  nee  pol  homo  quisquam  faciet  impune  animatus 
492  multa  foro  ponet  et  agea  longa  repletur*) 
166  iniecit  irritatus:  tenet  occasus,  iovat  res 
432  .....  prandere  iubet  horiturque 
345  quae  denique  causa 

pugnandi  fieret  aut  duri  (pausa)  laboris 
561  non  si  lingua  loqui  saper  et  at(que)  ora  decem  sint 

252  alter  nare  cupit,  alter  pugnare  paratust 
342  sensit,  voce  sua  nictit  ululatque  ibi  acuta  etb) 


x)  Hoffentlich  versäumt  von  nun  ab  kein  Herausgeber  mehr,  einer 
kritischen  Editio  ein  vollständiges  und  übersichtliches  breviariuni  rei 
metricae  et  prosodiacae  beizugeben. 

2)  Daß  von  den  Neoterikern  an  auch  andere  Verse  als  nur  Hexa- 
meter und  Pentameter  aufgenommen  sind,  bedarf  für  den  Kundigen 
keiner  Erklärung. 

3)  Lachmann  zu  Lucr.  5,  396  regt  die  Frage  an,  ob  manat  contra- 
hiertes  Perfektum  sei,  läßt  sie  aber  offen :  mit  Recht. 

4)  Wir  dürfen  dies  Futurum,  das  die  beste  Überlieferung  des  Isidor 
bietet,  nicht  mit  Jüngern  Hss  in  ponit  ändern,  wie  Vahlen  das  tut:  daf3 
die  Synonyma  foro  und  agea  unmittelbar  aufeinander  folgen,  zeigt,  daß 
wir  es  nicht  mit  glatt  fließendem  Satze  zu  tun  haben :  ich  fasse  die 
Worte  multa  foro  ponet  als  Schluß  eines  in  direkter  Rede  gegebenen 
Befehls.  Die  Fassung  bei  Osbernus  ponens  ägeaque  hat  zwei  metrische 
Freiheiten  zu  Gunsten  eines  Fehlers  verdrängt. 

5)  Unsere  Lexica  setzen  dies  Verb  fälschlich  als  meiere  an :  es  heißt 


3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

402  conßgunt  parmam,  tinnit  hastilibus  umbo 
439  it  cques  et 

120  mensas  constituit  idemque  ancilia  (bis  sex) 
(617  qua  murum  fieri  voluit,  urgemur  in  unitm) 
197  vosne  velit  an  me  regnare  era  quidve  ferat  Fors 
125  si  quid  me  fuerit  humanitus,  ut  teneatis 

117  ...  Quirine  pater  veneror  Horamque  Quirini1) 

87  sie  exspeetabat  popiüüs  atque  ore  timebat 
170  cum  nihil  horridiüs  unquam  lex  ulla  iuberet 
508  ...  tergiis  igitur  sagus  pinguis  opertat 

41  postilla,  germana  soror,  errare  videbar 
113  o  pater,  o  genitor,  o  sanguen  dis  oriundum 
422  qui  clamos  oppugnantis  vagore  volanti 
442  tollitur  in  caelum  clamör  exortus  utrisque 
444  Spiritus  austri 

imbricitor  aquiloque  suo  cum  flamme  contra 

147  et  densis  aquild  pennis  obnixa  volabat 
179  aio  te,  Aeacidä,  Romanos  vincere  posse 
275  ...  at  non  sie  dubius  fuit  hostis 

Aeacidä  Burrus 
240  eloqueretur  et(ei)cunctä  malaque  et  bona  dictu 

232  denique  vi  magna  quadrupes  eques  atque  elephanti 
282  iamque  fere  pulvis  ad  caelum  vasta  videtur 
557  interea  fugit  albus  iubär  Hyperionis  cursum 
271  inimicitiäm  agitantes2) 


'winseln  und  gehört  zu  den  Schallwörtern  wie  hinnio,  gannio,  grunnio, 
hirrio,  minurio  u.  a.,  geht  also  nach  der  i-Coniugation.  Falsch  schrieb 
Baehrens  nictens  Varius  frg.  4, 3.  Richtig,  wie  ich  nachträglich  sehe, 
schon  Havet,  Archiv  7,  64. 

!)  Ich  halte  mit  Vahlen  die  Überlieferung  des  Verses  für  richtig: 
Ovid  hat  (met.  14,851)  die  Messung  Hör  am  eingeschwärzt,  um  seine 
Gleichsetzung  mit  Hersüia  zu  stützen:    vgl.  Wissowa,  Ges.  Abh.  S.  142. 

2)  Als  kritisch  nicht  genügend  gesichert  betrachte  ich  folgende 
Stellen:  ann.  2  nosce  hos;  134  caede  richtig  in  caedi  gebessert;  365  wird 
dcJatä  doch  wohl  abl.  sing,  sein;  440  tarn  atea  (coneava  Non.)  sub  monte 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  7 

Epigramina  cPlauti'  (Gell.  1,  24,  3) 

scaena  est  desertd,  dein  Risus  Ludiis  Iocusque 
Inscriptio  terapli  Ardeatis  (Plin.  nat.  35,  115)  3 

Plaaäas  Marcus  cluct  Asia  lata  ecce  (esse  Hss,) 

oriundus 
Lucilius  1049  —  "  «  —  quandoque  pudorfej  ex  pectore  cessit 

(etwa     1094  praestringdt  ocidorum  aciem  [in  ade  liostibus] 
850 Verse)  splendore  micanti 

1180  perditus  Tiresid  tussi  grandaevos  gemebat 
1111   —  archaeoterd,  unde  haec  sunt  omnia  nata 
1187  haerebat  mucro:  gladidm  in  pectore  totum 
1225  — v  — "  "  nondum  etiäm  haec  omnia  habebit 
56  qui  {di)te,  montane,  malüm  —  ad  cetera  pergit 
185  debueris.  hoc  lnolueris   et  'debueris   te 
321  unde  pareutactoe,  clamides  ac  barbida  prima 
330  crissavit  (cursavit  trad.),  ut  si  frumentum  clunibus 

vannat  (agricola). 
361  quae  iacimils,  addes  V,  cpeila   ut  plenius  fiat 
470  non  male  sit:  ille  ut  dico,  me  exenterat  unus 
534  ibat  forte  aries,  inquit,  iam  quod  genus  quantis 
550  cetera  contemnit  et  in  usura  omnia  ponit 
559  caurum  vis?  hominem  hdbeas.  'hominem  quid  ad 

aurum  x) 
Accius:  kein  Beispiel 

M.  Cicero :  Arat.  frg.  9, 1  Jude  non  una  modo  caput  ornans  Stella 
(etwa  relucet,     dazu    Aries    (neben   comes    und    Ales): 

750  Verse)  Arat  10>  329 

Q.  Cicero:    nur  Aries  frg.  1,  2 


Inte  specus  intus  patebat,  wo  Festus  und  Priscian  zwar  monte  geben,  aber 
Noniu3  montis,  so  daß  also  der  von  sub  abhängige  Ablativ  im  vorher- 
gehenden Verse  gestanden  hätte;  daß  montis  nach  sub  leicht  zu  monte 
werden  konnte,  leuchtet  ein;  549  rite  virtute  ganz  sicher  verderbt,  571 
stare  corpora  ebenfalls.  —  Nicht  hierher  gehört  ann.  577  populeä  frons, 
cf.  96  stabilitä  scamna. 

x)  Als  richtig  emendiert  betrachte  ich  operal(um)  992.  —  Ich  nenne 
noch  die  Stellen  mit  modo:  298.  448. 


8  3.  Abhandlung :  F.  Vollmer 

Lucretius1):  2,  27  nee  domus  argento  fulget  auroque  renidet 

(rund  3,  21  semper  innubilus  aether 

7400  Verse)  ^  1050  emicat  in  partem  sanguis,  unde  ieimur  ictu 

(ebenso  sanguis  6,  1203) 
4,  1168  Ceres  est  (5,  742  Ceres  et) 

5,  440  omne  genüs  (~is  0)  e  prineipiis 

6,  208  flammeus  est  plerumque  cölös  et  splendidus  ollis 
6,  534  cum  bene  cognoris  elemenüs  reddita  quae  sint 

Calvus  frg.  6  et  leges  sanetas  doeuit  et  cara  iugavit 
Catull. 2)     62,  4  dicetür  hymenaeus 

(rund        64, 20  despexit  hymenaeos 

2300  Verse)    gg^  j  auetüs  hymenaeo 

Varro  — 

Vergil  buc.  1,  38     Tityrus  hinc  aberät.  ipsae  te,  Tityre  pinus, 
(rund  12900  Verse)       ipsi  te  fontes  .  .  .  vocabant 
Aen.  5,  853  clavom  .  .  .  /  nusquam  amittebät  oculosque  sub 

astra  tenebat 
7,  174  regibus  omen  erat,  hoc  Ulis  curia  templum 

10,  381  hunc  .  .  .  intorto  figit  telo,  discrimina  costis 

per    medium    qua    spina    dabät,    hastamque 
reeeptat 
12,772  hie  hasta  Aeneae  stabdt,   huc  impetus  illaml 

detulerat 

Georg.  2,211  at  rudis  enituit  impulso  vomere  campus 

Aen.  8,  363  Aleides  subiit,  haec  illum  regia  cepit 

buc.  7,  22  carmen  /  quäle  meo  Codro  concedite  (proxima 

Phoebi  I  versibus  ille  facit)  aut 


x)  Sicher  emendiert  sind  3,203.  674.  4,486.  6,1259;  wohl  mit  Recht 
hat  auch  Lachmann  2,291  quasi  (id)  cogatur  geschrieben,  ebenso  5,1049 
scire{n)t  und  videre(n)t,  5,833  (suc)crescit,  5,458  se  statt  et.  —  Den 
oben  aufgezählten  Stellen  zuzurechnen  sind  noch  die  mit  modo:  2,941. 
1135.   4,1181. 

2)  Nicht  in  die  Reihe  gehören  die  Fälle  der  Endsilbendehnung  vor 
doppelter  Konsonanz  4,9  Propontidä  trucemvc  4,18.  17,24  pote  stolidum 
22,12.  29,4.  44,18.  63,53.  64,186.  67,32  suppositä  speculae,  obwohl 
Catull  kein  Beispiel  von  Längung  solcher  Silben  in  thesi  hat.  66, 48 
lese  ich  Chalybon,   67,44  sper(ar)et,    97,2    Vtrum(ne). 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  9 

buc.  3,  97  ipse  tibi  tempus  erit,  omnis  in  fönte  lavabo 
Aen.  12,  882  aut  quisquam  mihi  dulce  meonim 

te  sine,  frater,  erit?  o  quae 

10,  432  nee  turba  moveri 

tela  manusque  sinit.  hinc  Pallas  instat  et  urget 

Aen.  1,  308  qui  teneant  (nam  inculta  videt)  hominesne  feraene 

1,  651  Pergama  cum  peteret  inconcessosque  hymenaeos 

Aen.  9,  609  versaque  iuveneum 

terga  fatigamus  hasta 

11,  110  pacem  me  exanimis  et  Martis  Sorte  peremptis 

oratis?  equidem  et  vivis  concedere  vellem 

Georg.  3,  76  altius  ingreditür  et  mollia  crura  reponit 
Aen.  1,  668  ut  .  .  .  omnia  circum 

litora  iactetür [que]  odiis  Iunonis  iniquae 

4,  222  tum  sie  Mercurium  adloquitur  ac  talia  mandat 

5,  284  olli  serva  datiir,  operum  haud  ignara  Minervae, 

.  .  .  Pholoe 

2,  411  telis\nostrorum  obruimür  oriturque  miserrima  caedes 

buc.  10,  69  omnia  vincit  Amor;  et  nos  cedamus  Amori 
Aen.  11,323  considant,  si  tantus  amor,  et  moenia  condant 

12,  668  et  furiis  agitatus  amor  et  conscia  virtus 

Georg.  3,  118  aequos  uterque  labor,   aeque  iuvenemque  magistri 
exquirunt 
4,  92  nam  duo  sunt  genera :  hie  meliör  insignis  et  orei 
et  rutilis  clarus  squamis;  xlle  horridus  alter jdesidia 
Aen.  2,  368  crudelis  ubique 

luctus,  ubique  pavör  et  plurima  mortis  imago 

6,  778  et  üapys  et  Numitor  et  qui  te  nomine  reddatjSilvius 
12,  421  subitoque  omnis  de  corpore  fugit 

quippe  dolor,  omnis  stetit  imo  volnere  sanguis 
550  et  Messapus  equom  domitör  et  fortis  Asilas 

buc.  9,  66     desine  plura,  puer,  et  quod  nunc  instat  agamus 
Aen.  5,  521  ostentans  artemque  patrr  arcumque  sonantem 

1 1 ,  469  concilium  ipse  pater  et  magna  ineepta  Laünusjdcserit 

12,  13     fer  sacra,  pater,  et  coneipe  foedus 


10  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

buc.  7,  66     populus  in  fluviis,   abiis  in  montibus  altis 

{cf.  aries  buc.  3,  95    georg.  3,  446) 
Aen.  1,473  et  versa  pulvis  inscribitur  hasta 
10,  487  sanguis  animusque 

Georg.  3,  189  invalides  etiamque  tremens,  ctiam  inscius  aevi 

Aen.  5,  337  cmicat  Euryalüs,  et  munere  victor  amicijprima  ienct 

3,  111  hinc  .  .  .jldaeumque  nemüs;  hinc  fida  silentia  sacris 
12,  67  violaverit .  .  .  j  siquis  ebür,  aut  mixta  rubent  ubi  Ulla 

Georg.  3,  332  sicubi  magna  Iovis  antiquo  robore  quercus 
ingentis  tendat  ramos 

4,  453  non  te  nullius  exercent  numinis  irae 
Aen.  4,  63  pecudumque  reclusis 

pectoribus  inJüans  spirantia  consulit  exta 
Aen.  10,  394  nam  tibi,  Thymbre,  capiit  Euandrius  abstulit  ensis 
8,  98     cum  rnuros  arcemque  procül  ac  rara  domorum 
tecta  vident 

3,  464  dona  dehinc  auro  gravid  scctoque  elephanto 
12,  648  sancia  ad  vos  animd  atque  istius  inscia  culpae 
descendam 

Georg.  1,  138  Pleiadäs  Hyadas  claramque  Lycaonis  arcton 
Aen.  5,  842  Phorbanti  similis 

buc.  6,  53  molli  fultäs  hymenaeo 

Aen.  7,  398  canit  hymenaeos 

10,  720  infectos  linquens  profug i'is  hymenaeos 
Georg.  4,  137  ille  comam  mollis  iam  tondebdt  hyacinthi 
Aen.  11,  69  languentis  hyacinthi 

Georg.  2,  5  gravidüs  autumno /  floret  ager 

Aen.  9,  9  sedemque  petit  Euandri 

Culex1)  129  hospitium  fluviüm,  haud  semita 
(414 Verse)  395  congestum  cumtdavit  opus  atque  aggere  midto 

400  et  violae  omne  genüs:  hie  est  et  Spartica  myrtus 


l)  198  tardüs  omni  -wird  richtig  zu  somni  emendiert.  Ebenso 
Dirae93  statt  pater,  et  zu  lesen  pater,  sit;  Priapea  3,17  statt  honoribi'is 
hoc  zu  lesen  h.  nunc  (Priapeus).  Auch  Lydia  53  eyö  primus  und  Priapea 
3,1  egö  iuvenes  sind  meiner  Ansicht  nach  verderbt,  ebenso  ist  catal.  9,60 
musa  in  musae  zu  ändern  trotz  Birt,  Jugendverse...  Virgils  p.  111. 


Zur  Geschiebte  des  lateinischen  Hexameters. 


11 


Ciris  180  niillus  in  ore  rubdr  (ubi  enim  rubur,  obstat  amori) 

(541  Verse)       392  miratur  pater  Oceanüs  et  Candida  Tethys 

532  infesti  apposuit[que]  odium  crudele  parentis 
Catalepton  14,  7  corniger  hos  aries  humilis  et  maxima  taurus 
(220  Verse)  victima  .  .  .  sparget  .  .  .  focos 

Moretum     20     quam  fixam  parics  illos  servabat  in  usus 
(124  Verse) 

Aetna1)    100     ad  vitam  sanguts  omnis  qua  commeat  idem 
(646  Verse)  316     eminus  adspirat  fortis  et  verberat  umor 
496     ac  primum  tenuis  imas  agit 
serm.  1,4,82     amicumjqui  non  defendit  alio  eulpante 
1,5,90     tdtrajcalUdus  ut  soleät  umeris portare  uiator 
1,7,7     confidens  tumidüs,  adeo  sermonis  amari 
1,9,21     cum  gravius  dorso  subiit  onus,  ineipit  Ute 
2,1,82     si  mala  condiderit  in  quem  quis  carmina 
-^      2,2,47     Galloni  praeconis  erat  aeipensere  mensa  \  infamis 
•2   B       2.2.74     simul  assislmiscueris  elixa  und  ebenso  2.  pers. 
2  <o  sinsf-  fut.  ex.  2,  5,  101  audieris,  carm.  3,  23,  3 

ffi  S  placaris,    4,  7,  20  dederis,  21  oeeideris 

2, 3, 1       sie  raro  scribis  (-es  a  DE),  ut  toto  non  quater  anno 

membranam  poscas 
2,3,187  ne  quis  humasse  velit  Aiacem,  Atrida,  vetas  cur? 
2,3,260  amator \  exclusus  qui  distat,  agit  ubi  secum,  eat 
an  non 
carm.  1,3,36     perrupit  Acheronta  Herciäeus  labor 

2, 6, 14     ille  terrarum  mihi  praeter  omnesjangidus  ridet, 

ubi  non  Hymetto  mella  decedunt 
2,13,16  neque  idtra\caeca  timet  aliunde  fata 
3,16,26  quam  si  quidquid  arät  impiger  Apidus 
3,24,5     si  figit    adamantinos  \  summis  vertieibas    dira 
Necessitas 
Tibull.2)l,4,27     at  si  tardus  eris,  errabis 
(1384  Verse)     44     venturam  amieidt  imbrifer  arcus  aquam 

a)  Ich  lasse  beiseite  433  pmyue  scatet  und  471  domitd  stand,  weil 
hier  ohne  Zweifel  der  schwere  Anlaut  wirkte;  für  verderbt  halte  ich  522 
constdt  eadem  und  291  forte  flexere. 

2)  1,5,28  segele  spicas  und    1,6,34  servarc  frustra   gehören   in   das 


12  3.  Abhandlung:  F.Vollmer 

1,6,66  quidquid  agit  sanguis,  est  tarnen  ille  tuos 

1,10,13  nunc  ad  bella  trahor,  et 

2,3,17  lacteas  et  mixtüs  obriguisse  liquor 
Paneg.  Mcss.  8  nee  munera  parva 

(211  Verse)  respueris:  etiam 

Sulpicia         1,3  hoc  Venus  ignoscet:  at  tu,  violente,  caveto 
(40  Verse) 

Propertius1)     1,10,23  neu,  si  quid  petiit,  ingrata  fronte  negaris 

(4010  Verse)       2,8,8  vinceris  aut  vincis:  haec  in  amore  rota  est 

2, 13, 25  sat  mea  sit  magna,  si  tres  sint  pompa  libelli 

2,15,1  o  nie  felicem,  o  nox  mihi  Candida 

2,15,50  omnia  si  dederis  oscula,  pauca  dabis 

2,24,4  aut  pudor  ingenuös  aut  reticendus  amor 

2,28,29  et  tibi  Maeonias  inter  heroidas  omnis 

2, 32, 61  quod  si  tu  Graias  tuque  es  imitata  Latinas 

3, 2, 1 1  nee  mea  Phaeacds  aequant  pomaria  Silvas 

4,1,17  nulli  cura  fuit  externos  quaercre  divos 

4,5,64  per  tenues  ossd  sunt  numerata  cutes 

Marsus       frg.  1,  6  posuit  alter  amicitiam 

Cons.  ad  Liv.        163  miscebor  cinerique  cinis  atque  ossibus  ossa 

(474  Verse)  235  istc  meus  periit,  periit  arma  inter  et  enses 

433  conügit  hoc  etiam  Tethidi: popidator •Achilles 

Eleg.  in  Maec.  — 

(178  Verse) 

Ovid.2)  epist.  6,31     ut  rediit  animus:   die  gleiche  Wendung 
(rund  13,29  ars  3,707  fast.  3,333.   5,515; 

34000 Verse)  [n  gleicher  Messung  ferner: 

Kapitel  von  schwerer  Position.  1,5,33  virvm  hunc  ist  verderbt,  ebenso 
2,1,58  pecoris  hireüs,  2,4,38  infamis  hie.  1,4,44  ist  die  treffliche  Über- 
lieferung noch  in  keiner  Ausgabe  gewahrt  worden:  die  Messung  awjiciat 
ist  für  die  Grammatik  sehr  wichtig. 

!)  2.32,45  wird  richtig  iam  eingeschoben,  3,11,46  richtig  gelesen 
(et)  statuas;  4,1,101  ist  Sudhaus'  Conjectur  tacite  unbedingt  richtig 
(s.  Archiv  f.  Religionswiss.  IX  1906,  187,  dazu  O.v.  met.  9,  300;  nicht 
überzeugend  Reitzenstein,  Hermes  50,474);  4,3,44  ist  galea  trotz  Roth - 
stein  nicht  Nominativ,  sondern  Ablativ:  mit  barbara  wird  Hippolyte 
nicht  getadelt,  sondern  glücklich  gepriesen. 

2)  Falsch  überliefert  wird  epist.  8,  63  semper  habeo   in   P,    17,  228 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  13 

rediit  rem.  6  met.  13,958.  14,  519.  766  fast.  2, 341 
abiit  met.  4,712.  8,870.  11,14.  15,111  fast.  3,474. 

4,721 
adiit  met.  4,317.  9,611.  10,15. 15,63  Pont.  1,3,74 
periit  epist.  19,128  am.  3,8,17  met.  14,618  trist. 
3,14,36.  4,3,68.  Ib.339.  367.  528  Pont.4,12,44 
subiit  met.  1,114.  7,170.  Pont.  1,4,46 
interiit  met.  3,  546 
praeteriit  ars  3, 63.  64  met.  14, 101 
epist.  9,141  semivir  occubuit  in  loüfero  Eueno 
am.  3,5,30  et  petiit   herbae  ferüüoris   humum,    ebenso  petiit 

met.  2,567.  9,612.  13,444 
met.  6, 658  prosiluit  Ityosque  caput  . .  .  misit 

12,392  crura  quoquc  iynpediit  et  inani  concidit  alvo 
epist.  8,22  nupta  foret  Paridi  mater,  ut  ante  fuit 

ebenso    lateinische    Längung    des    -i    in    Thetidi 

met.  11,221,  Capyi  fast.  4,45 
parallel  Hyadds  3, 105 
epist.  10, 126  cum  steteris  urbis  celsus  in  arce  tuae;  ebenso  die 
2.  Pers.  des  fut.  exact.  gedehnt  in  13,67  vitaris, 
am.  1,4,31  reddideris,  32  biberis,  8,101  abstu- 
leris,    105  praesüteris  (rem.  635),    ars  1,222 
nescieris,  447  dederis  (fast.  1,17.  6,215.  trist. 
5,5,40.    5,13,9),    ars  2,280  attuleris,    3,661 
fueris   (fast.  2,674),    rem.  247    afueris,    met. 
13,756  quaesieris,    15,94  perdideris,    frg.'  bei 
Quint.  inst.  12,10,75  contuleris 
am.  3,7,55  sed   puto    non    blandd,    non    optima    perdidit   in 
me\oscula 


ist  fratris  falsch,  17,256  ist  operis  Dativ,  am.  2, 11,40  spectet  liuc  falsch 
in  S,  ars  1,370  poteris  in  O,  3,52  vivis  in  B,  rem.  365  impugnet  in  R 
und  E  (vgl.  epist.  15, 182),  met.  5,  199  silet  statt  silex,  7,  224  ist  die 
Überlieferung  ganz  unsicher,  ebenso  7,225,  14,250  ist  vel  gut  über- 
liefert, 15,217  ist  niatris  habitavimus  schwerlich  richtig,  15,634  ist 
laurus  Plural,  Pont.  3,1,154  ist  voce  gut  überliefert,  4,3,44  ist  der 
Vers  unecht,     fast.  3,  500  ist  laedit  corrupt. 


14  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

met.  1,660  de  grege  nunc  tibi  vir  et  de  grege  natus  habendus 
2,247  Mygdoniusque  Melas  et  Taenariüs  Eurotas 
3,184  qui  cölor  .  .  . 

nubibus  esse  sollt  aut  purpureae  aurorae 
14,491  audiat  ipsa  licet  et,  quod  facit,  oderit  omnes 
809  res  Romano,  valet  et  praeside  pendet  ab  uno 
7,61  et  dis  cara  ferdr  et  vertice  sidera  tangam 
365  Phoebeamque  llhodon  et  Ialysios  Teichinas 
644  in  superis  opis  esse  nihil,  at  in  aedibus  ingens 
trist.  5, 14,41  morte  nihil  opus  est 
Pont.  3, 1,1 13  morte  nihil  opus  est,  nihil  Icariotide  tela 
met.  7,798  Aeacidd  voc. 

10,98  et  bicolor  myrtüs  et  .  .  .  tinus 
10,459  et  color  et  sanguis  animusque  relinquit  euntem 
ebenso  sanguis  fast.  6,488 
fast.  2,239  nam  puer  impubes  et  adhuc  non  utilis  armis 
trist.  5,7,23  atque  utinam  vivät  et  non  moriatur  in  Ulis 
hal.  111  auri  I  chrysophrys  imitata  decus 
Grattius1)249  hoc  ingens  nieritirm,  haec  ultima  palma  tropaei 
(540  Verse)  294  ubera  tota  tenet,  a  tergo  über  aperto 

339 suis  et  tergore  fidvo 

Priap.  83,41  simul  sonante  senseris  iter  pede. 
(560  Verse) 

Ich  breche  hier  einmal  zunächst  die  Liste  ab  (ihre  Fort- 
setzung folgt  weiter  unten),  denn  wir  dürfen  a  priori  annehmen, 
daß  bis  zum  Ende  der  Augusteischen  Zeit  sich  alles  bemerkbar 
gemacht  haben  wird,  was  für  die  Genesis  und  Verbreitung 
dieser  metrischen  Lizenz  von  entscheidender  Bedeutung  ist. 
Wer  die  lange  Reihe  dieser  Verse  gemustert  hat,  wird  sich 
vielleicht  gewundert  haben,  was  ich  alles  einbezogen  habe ; 
ich  hätte  aber  eigentlich  auch  noch  die  Fülle  der  Beispiele  für 
langes  End-o  im  nom.  sing,  und  der  ersten  Person  der  Verba, 
die  zweizeitigen  mihi,  tibi,  ubi  etc.  und  anderes  Vereinzelte 
einreihen  müssen :  warum,  wird  sich  später  zeigen. 

x)  259  volpind  species  stellt  sich  zu  142  cjenerosä  stirjnbus  d.  h.  zur 
Dehnung  vor  schwerer  Konsonanz. 


Zur  Geschiente  des  lateinischen  Hexameters.  15 

Noch  eine  Vorbemerkung.  Die  Untersuchung  wird  na- 
türlich nicht  unerheblich  erschwert  durch  die  Überlegung,  daß 
die  eigentlich  ausschlaggebenden  Dichter  Ennius,  Lucilius, 
Accius  uns  nur  in  Bruchstücken,  Accius  am  allerspärlichsten, 
erhalten  sind.  Wir  werden  diesem  Mangel,  so  gut  es  geht, 
durch  Rückschlüsse  vor  allem  von  Vergil  aus  abzuhelfen  haben. 
Daß  wir  dazu,  alle  Vorsicht  vorbehalten,  im  allgemeinen  be- 
rechtigt sind,  ergibt  sich  aus  dem  Verhältnis  von  Vergil  zu 
Ennius,  wie  es  nach  andern  vor  allen  E.  Norden  herausge- 
arbeitet hat,  von  selbst:  es  mag  aber  noch  an  einem  Beispiele 
ganz  deutlich  gemacht  werden.  Ich  habe  in  der  vorstehenden 
Liste    die   Stellen    übergangen1),    wo   nach    dem   Vorbild   Ho- 


l)  Sie  seien  hier  im  Zusammenhang  nachgetragen: 

Accius  i'rg.  2  calones  famulique  metdllique  caculaeque 

Verg.  buc.  4,51  terrasque  tractusque  maris  (=  georg.  4,222) 
i 
georg.  1, 153  lappaeque  tribolique  (3,  385) 
i 
164  tribulaque  traheaeque 

352  aestusque  pluviasque 

Aen.  3,91     liminaque  laurusque 

4, 146  Cretesque  Dryopesque 
i  ,      .     . 

7, 186  spiculaque  clipeique 

i 
8,425  Brontesque  Steropesque 

9,767  Älcandrumque  Haliumque  Nocmonaque  Prytanimque 

(=  Ov.  met.  13,258) 
i 
12,89     ensemque  clipeumque 
i 

181  Fontesque  Fluviosque 

363  Chloreaque  Sybarinque  Daretaque  Thersilochumque 
443  1Antheusque  Mneslheusque 

Ov.  met.  1,193  Faunique  Satyrique 

i 
3,530  volgusque  proceresque  (8,527) 

i 
4, 10     telasque  calathosque 

i 
5,484  sideraque  ventique 

i 
7,265  seminaque  ßoresque 

10,262  lüiaque  pietasque  2>Mas 
i 
308  cinnamaque  costumqne 
i 
11,36     sarculaque  rastrique 


16  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

merischer  Wendungen  wie  eldög  re  /ueyedog  te  das  erste  que 
in  que  .  .  .  que  in  arsi  steht.  Bei  Ennius  findet  sich  kein  Bei- 
spiel, aber  das  ist  der  reine  Zufall:  wie  so  viele  andere  Kunst- 
mittel  hat  sicher  schon  Ennius  diese  Spielerei  seinem  grie- 
chischen Vorbilde  entnommen. 

Schauen  wir  uns  nun  nach  dieser  Vorbemerkung  das 
Material  an,  zunächst  das  aus  den  Fragmenten  der  Enni- 
anischen  Annalen.  Ich  habe  die  Verse  hier  so  geordnet,  daß 
die  Beispiele  für  Verbalendungen  au  erster  Stelle  stehen,  weil 
sie  in  der  Überzahl,  und  weil  sie,  wie  ich  meine,  für  die  Be- 
urteilung unserer  Fragen  von  ausschlaggebender  Bedeutung  sind. 

Auf  den  ersten  Anblick  dieser  Beispiele  hin  wird  nämlich 
dieser  oder  jener  geneigt  sein  zu  erklären:  was  sollen  denn 
die  Stellen  ?    sie    gehören  ja  gar  nicht  unter  das  Kapitel  von 


290  Peleusque  comitesque 

13,257  Coeranon  Iphitiden  et  Alastoraque  Chromiuwque 

258  =Verg.  Aen.  9,767 
i 
Gratt.  130  taxique  pinusque 

Germ.  Arat.  262  Electra  Alcyoneque  Celaenoqttc  Meropeque 

Homer.  168  Areesilaus  atrox  Prothoenorque  Cloniusque 
i 
Sil.  7, 618  Syllaeque  Crassique 
i 
Coripp.  laud.  Iust.  3, 177  laevaque  dextraque  (so  die  Hs.) 

Zu  diesen  Beispielen  ist  noch  zu  bemerken,  daß  Germanicus,  um  die 
Lizenz  einzuführen,  sogar  sein  Vorbild  (Arat.  Phaen.  262  *A?.xvovt]  Msqojzt] 
ze  Kü.aivöi  r  'HkexzQrj  ze),  das  er  glatt  übertragen  konnte,  abgeändert 
hat,  während  Cicero  (Arat.  35  f.)  den  spondiacus  auf  andere  Weise  ver- 
mieden hatte  (auch  Avien  Arat.  580  f.  beseitigt  die  Lizenz  des  Germ.). 
Der  Vers  des  Baebius  ist  natürlich  Wiedergabe  von  B  495.  —  Es  kann 
kein  Zweifel  sein  (L.  Müller1  S.  321  -  S.  392  hat  freilich  den  sichern 
Schluß  nicht  gezogen),  daß  Accius  in  seinen  Annalen  und  Vergil  eine 
Kühnheit  nachgeahmt  haben,  die  sich  zuerst  Ennius  im  Epos  erlaubt 
hatte,  wenn  auch  der  Zufall  in  unsern  Fragmenten  kein  Beispiel  erhalten 
hat.  Es  ist  ebenso  bemerkenswert,  daß  Vergil  sie  schon  in  Bucolica 
und  Georgica  (nach  Hesiods  KZcodco  ze  Adxsotv  oder  Ar)6i]v  te  Aifiov  zs), 
wie  daß  sie  Ovid  nur  in  den  Metamorphosen  gebraucht  hat.  Aus  den 
Versen  des  Accius,  Vergil  und  Ovid  läßt  sich  wohl  der  Umfang  und  die 
Art  der  Verwendung  bei  Ennius  erschließen. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  17 

Dehnung  kurzer  Endsilben  in  arsi :  Ennius  hat  eben  wie  Plautus 
die  Verbalendungen  -at,  -et,  -it,  -or  entsprechend  der  Aus- 
sprache seiner  Zeit  als  Längen  gebraucht. 

Gemach  —  so  einfach  liegen  die  Dinge  eben  nicht;  wir 
bedürfen  hier  wie  in  so  vielen  Fällen  der  scharfen  Gegen- 
beobachtung1). Ennius  weist  nämlich  neben  den  oben  ver- 
zeichneten Stellen  andere  auf,  die  lehren,  daß  er  diese  Endungen 
schon  kürzen  konnte,  und  zwar  nicht  nur  iambische  oder 
iambisch  ausgehende  Formen  (decet  erat  dedtt  facti  oscität  mul- 
serat  devovet  consütif)  sondern  auch  potesset  splendet  mandebat, 
während  andrerseits  die  Länge  nicht  nur  unter  dem  Verston 
sondern  auch  in  thesi  erhalten  bleibt  (ann.  83  esset,  371  pone- 
bät,  394  inflt).  Besonders  wichtig  ist,  daß  bei  Ennius  die 
Endung  -it  außer  den  oben  angeführten  7  oder  8  Beispielen 
in  arsi  nur  einmal  in  thesi  die  Länge  wahrt,  noch  dazu  in 
dem  Beispiel  inflt,  das  wegen  flo,  flunt  neben  audio,  facto  an 
sich  eine  Sondereinstellung  einnimmt,  daß  dagegen  die  Fälle 
der  Kürzung  recht  zahlreich  sind :  dedit  (5  mal),  fuit ;  constitit 
obstitit,  attidtt  abstidit,  perdidit  reddidit  credidtt,  percuUt,  con- 
tudtt  pertudit,  concidit  occidit  (2  mal)  reccidit  (in  Sotadeen 
var.  29),  obruit,  impidit,  aber  auch  recessit,  voldvit,  lävit,  succi- 
dtt,  vicit,  contcndtt,  confectt,  contorstt,  detondit,  abrüpit,  effüdit 
—  die  Menge  dieser  Perfecta  erklärt  sich  natürlich  durch  den 
Erzählungston  der  Annalen,  aber  Ennius  hätte  die  Fülle  dieser 
Formen  gewiß  nicht  verwendet,  wären  sie  nicht  durch  die 
Aussprache  des  Tages  längst  als  kurzendig  sanktioniert  ge- 
wesen. Aber  nicht  nur  die  Perfekta  zeigen  die  Macht  dieser 
Entwicklung,  auch  die  Präsentia  der  i-Stämme :  facit  (2  mal), 
quatit  (4  mal),  fügit ;  conspictt  (2  mal) ,  conicit  inicit  confictt 
concutit  incutit  percuttt,  auch  erügit.  Es  hieße  diesem  Tat- 
bestand   gegenüber    den   Kopf    einfach    in    den   Sand    stecken, 


l)  Ansätze  dazu  bei  Skutsch,  Ennius  (PW  V)  2621,  Lindsay  lat.  Spr. 
248,  darnach  Sommer2  S.  126.  147.  493,  aber  nicht  tief  genug  grabend. 
Die  Entwicklung  und  das  Schwanken  der  altern  Meinungen  hat  gut 
geschildert  W.  Corssen,  über  Aussprache,  Vokalismus  usw.  d.  lat.  Sprache 
II2  438  ff. 

Sitzgsb.  d.  philos.-ptailol.  u.  d.  hist.  Kl.  Jahrg.  1917, 3.  Abh.  2 


18  3.  Abhandlung:  F.Vollmer 

wollten  wir  leugnen,  daß  wir  nicht  wissen,  wie  Plautus  in 
einem  Verse  wie  Mil.  112  conicit  in  navem  miles  dam  matrem 
suam  die  Endung  -it  gemessen  hat:  man  nimmt  heute  wohl 
allgemein  an,  daß  wir  hier  ein  Beispiel  von  durch  Plautus 
selbst  angewendeter  Jambenkürzung  vor  uns  hätten:  mir  ist 
viel  wahrscheinlicher,  daß  Plautus  einfach  von  der  zu  seiner 
Zeit  in  der  Volksprache  schon  durchgedrungenen  Geltung  von 
-it  als  Kürze  ausging.  Denn  es  wäre  doch  gewiß  ein  Unsinn, 
diesen  Vorgang  der  Kürzung  in  den  Verbalendungen  durch  die 
Volksprache  etwa  durch  die  Jahre  184  (Ende  des  Plautus) — 172 
(Buch  XII  der  Annalen  des  Ennius)  limitieren  zu  wollen.  Ist 
denn  nun  etwa  für  die  nicht  gerade  sehr,  aber  doch  immer- 
hin zahlreichen  Fälle,  in  denen  diese  Verbalendungen  bei 
Plautus  in  arsi  sicher  als  Länge  stehen  (vorläufige  Liste  bei 
C.  F.  W.  Müller,  Plaut.  Prosodie  S.  56—78)  anzunehmen,  daß 
Plautus  eine  metrische  Dehnung  in  arsi  gekannt  habe?  Ich 
meine,  die  Frage  formulieren  heißt  sie  verneinen.  Wir  müssen 
vielmehr  m.  E.  folgern,  daß  die  Plautinische  Sprache  (wohl 
auch  beeinflußt  durch  die  Verse  des  Livius  und  Naevius)  diese  Sil- 
ben als  doppelzeitig  gebraucht  hat.  Das  aber  ist  eine  Folge  der 
Vermischung  der  sekundären  Endungen  auf  -d  mit  den  primären 
auf  -t(i)  —  man  sehe  nur  einmal,  welch  große  Zahl  der  bei 
C.  F.  W.  Müller  gesammelten  Beispiele  auf  die  Formen  des 
Konjunktivs,  Imperfekts  und  Perfekts  entfällt  — :  stehen  die 
sekundären  Formen  als  erkennbare  Längen  in  arsi,  so  stehen 
sie  eben  vor  Vokal  und  wurden  dort  mit  End-^  gesprochen, 
was  die  Erhaltung  der  Länge  begünstigte.  Daß  allmählich 
die  frühere  Kürzung  der  primären  Formen  auch  auf  die  sekun- 
dären übergriff,  begreift  sich  leicht:  wir  haben  eine  gute 
Analogie  in  der  unten  noch  zu  erwähnenden  Vermischung  der 
Endungen  des  Conj.  Perfecti  mit  denen  des  Futurum  exactum.  *) 
—  Wenn  nun  endlich  die  Kürzung  dieser  Verbalendungen  bei 


x)  Wie  weit  vor  Vokal  bei  Plautus  und  Terenz  -d  in  solchen  Formen 
wiederherzustellen  sei,  verdiente  eine  Untersuchung:  Leo,  plaut.  Forsch.2 
p.  249  denkt  nicht  einmal  daran,  wir  haben  aber  z.  B.  im  Bembinus 
siid  Ter.  Ad.  104. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  19 

Ennius  so  viel  deutlicher  hervortritt,  so  liegt  das  einfach  an 
seinem  Versmaße,  dem  Hexameter,  das  die  Fixierung  der 
prosodischen  Werte  viel  gebieterischer  forderte  als  der  Dialog- 
vers des  Dramas:  wir  werden  uns  aber  auch  hüten  jetzt  noch 
fecit  Plaut.  Bacch.  665  (Kretiker)  und  Rud.  212  monstret 
(Kretikerklausel)  oder  Cist.  312  (ex)concinnavtt  (iamb.  Octonar) 
beseitigen  zu  wollen. 

Wir  haben  also,  um  es  scharf  festzulegen,  aus  dieser 
reichsten  Gruppe  von  Beispielen  das  höchst  wichtige  Resultat 
gewannen,  daß  Ennius  —  und  ebenso  Plautus  —  mit  der 
Verwendung  der  Endsilben  -at  -et  -it  als  Längen  in  arsi 
keineswegs  die  zu  ihrer  Zeit  übliche  Aussprache  wiedergibt, 
sondern  veraltete  Formen  wiederherstellt  und  festhält,  weil 
die  Sprache  so  für  seine  Verse  gefügiger  wird.  Diese  bedeutsame 
Erkenntnis  wird  uns  auch  weiterhin  vor  Augen  stehen  müssen. 

Für  die  Verwendung  der  Verbalendung  -or  als  Länge 
haben  wir  in  den  Annalen  nur  ein  Beispiel  (veneror),  dazu 
tritt  aber  aus  den  Trochaeen  der  Tragoedien  vereör  (scaen.  59), 
während  ein  Beispiel  für  Kürzung  nicht  erhalten  ist.  Aber 
wir  dürfen  wohl  gleich  weiter  gehen  und  neben  die  lang 
gebrauchten  Nominalforraen  soror,  genitor,  imbricitör,  clamör 
(dazu  531  clamör)  das  gekürzte  sudor  (ann.  406)  stellen.  Für 
-or  hat  Plautus  kein  Beispiel  von  Kürzung  (C.  F.  W.  Müller 
S.  42  und  44),  aber  Lucilius  zeigt  uns  deutlich,  wohin  auch 
hier  die  Entwicklung  führte:  er  hat  neben  dem  nicht  ganz 
sichern  pudor  (1049)  und  langem  länguör  (391),  sowie  etwa 
32  Stellen  mit  unerkennbarer  Quantität,  gekürzt  folgende 
Formen:  ecferÜr,  fruniscor,  piimictir,  agitdtor,  pudor,  quäestor, 
Stridor,  bldndior,  löngior,  mäior  und  öblindr.  Ob  wir  berechtigt 
sind,  aus  diesem  spärlicheren  Materiale  den  Schluß  zu  ziehen, 
daß  die  Kürzung  der  Endung  -or  später  erfolgt  sei  als  die 
der  Verbalformen  auf  -t,  ist  mir  höchst  zweifelhaft,  namentlich 
wenn  wir  daneben  halten,  daß  auch  bei  Plautus  die  Belege 
nur  für  -ö~r  zahlreicher  sind,  für  -er  ganz  fehlen.1) 

x)  Man  kann  die  Frage  aufwerfen,  ob  nicht  außer  bei  Enn.  422 
und  531  clamos  (vgl.  Lachmann  zu  Lucr.  6, 1260)  bei  ähnlichen  Wörtern 

2* 


20  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

Für  die   weiteren   vereinzelten   Beispiele  läßt   unser  spär- 
liches Material  kaum  ein  sicheres  Urteil  zu.    pulvis  finden  wir 
nach  Ennius   wieder  bei    Vergil  Aen.   1,  478,    aber    gekürztes 
pulvis  zuerst  (nicht  Enn.  ann.  315,  wozu  richtig  Vahlen,  sondern) 
Prop.    1,19,6.  1,22,6,   dann   Verg.  Aen.  11,877,    Hör.    carm. 
4,7,16  u.  ö.:    da   der   Nominativ   bei    Lucilius    wie    Lucretius 
fehlt,  läßt  sich  die  Kürzung  nur  vermutungsweise  früher  hinauf- 
setzen.    Bei  iubär  ist  zu  beachten,   daß   das  Wort  bei  Ennius 
(wie  später   Aetna  334  iubär  aureus.    Anth.  197,  4   vgl.   noch 
Gramm,    de   dub.    nom.  V  581,  7)    als   Masculinum    gebraucht 
ist,  während  die  Neutralform  (Enn.  scaen.  19  prosodisch  nicht 
faßbar)   seit   Lucr.  4, 404    als   Kürze    in    Übung   ist. l)     Beide 
Wörter  würden  sich  also  der  Annahme  von   alten  Nominativ- 
formen *pulviss  und  *iubars  fügen,  als  deren  Nachwirkung  die 
Geltung  der  Endsilbe  als  metrischer  Länge  verständlich  wäre. 
Höchstwahrscheinlich    hat  Ennius   auch   neben  sanguen  neutr. 
wie  Lucr.  und  Verg.  die  Maskulinform  sanguis  mit  langer  End- 
silbe gebraucht  (acc.  sanguinem  scaen.  132,  sanguis  in  Iamben 
scaen.   163  prosodisch  nicht  wertbar):    die    gekürzte  Form    ist 
zwar  Lucr.  1,853  überliefert  sanguis  an  os(sa),  aber  wohl  nach 
837  und  860  durch  sanguen  zu  ersetzen;   sie  findet  sich  dann 
seit  Verg.  georg.  3,  508  neben  der  bis  in  die  Kaiserzeit  hinein 
verwendeten    Längung   der   Endsilbe.     Ich   habe    in    die   Liste 
oben  auch  den  Beleg  für  quadrupes  aufgenommen,  namentlich 
weil  er  direkt  daneben  eques  bietet;    denn  ich  meine,   daß  die 
Composita  von  pes  früh  die  Endsilbe  gekürzt  haben:    belegen 


bis  auf  Vergil  durchweg  die  -s-Form  herzustellen  ist.  Ich  führe  hier 
die  Untersuchung  nicht,  obwohl  mir  sicher  ist,  daß  wir  bei  methodischer 
Wertung  der  Überlieferung  zu  ganz  andern  Resultaten  kommen  würden, 
als  sie  bei  Neue  I3  S.  262  ff.  und  in  andern  Handbüchern  stehen.  Jeden- 
falls hat  aber  das  Nebeneinander  von  -ös  und  -or  sich  in  ähnlicher  Weise 
beeinflußt  wie  das  von  -äd  und  -at,  -ed  und  -et.  Vereinzelte  Beispiele 
der  Längung  finden  sich  (besonders  oft  honös)  bis  in  die  spätchristliche 
Poesie  hinein. 

x)  iubär  masc.  neben  itibär  neutr.  böte  also  eine  wichtige  Parallele 
für  die  anzunehmende  Entwicklung  von  par,  die  nur  zeitlich  früher  an- 
zusetzen ist,  da  par  neutr.  schon  bei  Plaut,  als  lange  Silbe  gilt. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  21 

kann  ich  die  Kürze  allerdings  erst  um  die  Wende  des  4.  zum 
5.  Jahrh.:  quadrupes  Prud.  apoth.  212  Paul.  Nol.  carm.  20,387; 
tripes  Paul.  Nol.  carm.  23, 140 ;  Auson  336,  39  (p.  202  P.)  qui 
bipes  et  quadrupes  foret  et  tripes,  omnia  solus  usw.  (vgl.  auch 
Prise,  gramm.  II  241, 13  ff.). 

Bislang  also  hat  unsere  Erklärung  von  'Dehnung  kurzer 
Endsilben  in  arsi  bei  Ennius  einheitlich  sein  können :  es  han- 
delte sich  um  Silben,  in  denen  der  Epiker,  um  die  Wörter 
der  getragenen,  jede  Silbe  im  Metrum  klingen  lassenden  Sprache 
seiner  Verse  gefügig  zu  machen,  auf  in  der  Volksprache  schon 
abgeschliffene  Längen  zurückgriff. 

Nun  aber  finden  sich  in  der  oben  gegebenen  Liste  un- 
zweifelhafte Fälle,  bei  denen  diese  Erklärung  nicht  zureicht: 
popxdüs  und  tergüs  haben  niemals  lange  Endsilben  gehabt. 
Und  es  liegt  klar  zu  Tage,  daß  Ennius  mit  solchen  Fällen 
eine  prosodische  Lizenz  aus  griechischen  Versen,  vor  allem 
aus  Homer  eingeführt  hat1),  ähnlich  wie  wir  das  oben  bei 
que  .  .  .  que  gesehen  haben  (S.  15).  Es  fragt  sich  nur,  wie 
weit  er  darin  gegangen  ist. 

Dabei  haben  wir,  worauf  L.  Müller3  S.  394  (nicht  in  der 
ersten   Auflage)  mit  Recht  aufmerksam   macht,    wohl  zu  be- 


*)  Wir  werden  annehmen  dürfen,  daß  schon  die  Alten  sich  dessen 
bewußt  gewesen  sind :  ob  sich  freilich  auch  auf  solche  Einzelheiten  schon 
des  Lucilius  Wort  vom  Homerus  alter  (frg.  1189)  bezieht,  ist  mehr  als 
zweifelhaft:  ich  erinnere  aber  daran,  daß  Gellius  6,20,6  bei  den  ver- 
wandten Hiatfragen  von  Hiatus  illius  Homerici  suavitatem  spricht  (vgl. 
Mar.  Vict.  gramm.  VI  36,25);  ausdrücklich  rechnet  Macrob.  Sat.  5, 14,  3 
den  Vers  Aen.  11,469  mit  pater  zu  den  Xayagot,  in  denen  adeo  .  .  .  . 
Vergilio  Homeri  dulcis  imitatio  est,  ut  et  in  versibus  vitia  .  .  .  imitatus  sit 
Ganz  hilflos  sind  in  diesem  Punkte  unsere  alten  Kommentare  und  gram- 
matischen Traktate  de  finalibus  oder  de  idtimis  syllabis:  man  sehe 
Gramm.  VI  240, 18  de  ultimis,  quibus  poetae  licet  saepe  vel  licentia  vel 
necessitate  metri  indifferenter  utantur,  non  tarnen  ideirco  qualiter  se  na- 
turaliter  habeant  nesciendum  est  und  vgl.  Mar.  Victorin.  gramm.  VI  31,13. 
36,28.  37,20.  67,21.  219,9.25.  284.14;  dasselbe  meint  Serv.  Aen.  3,  464, 
wenn  er  zu  gravid  anmerkt:  e«'  finalitatis  ratione  producitur,  sed 
satis  asper e,  nam  in  nullam  desinit  consonantem  (ähnlich  Aen.  1,  116. 
3,  91.  georg.  2,  70). 


22  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

achten,  daß  Ennius  in  der  Beurteilung  von  Einzelheiten  homeri- 
schen Versgebrauches  durchaus  unter  dem  Einflüsse  alexandrini- 
scher  Grammatik  zu  denken  ist:  wir  werden  bei  dem,  was  er  be- 
obachtet und  entlehnt,  uns  frei  zu  halten  haben  von  Erwägung 
neuerer  Forschungen  über  alten  Anlaut  mit  o  und  /,  über  ältere 
Langgeltung  von  Vokalen  u.  ä. 1). 

Für  Fälle  also  wie  populüs  atque,  horridiüs  unquam2),  ter- 
gus  igitur  gibt  Homer  eine  Fülle  von  Vorbildern.  Hier  ist 
nun  vor  allem  zu  bemerken,  daß  die  Beispiele  bei  Homer  keines- 
wegs auf  die  metrisch  unbequemen  Worttypen  »  «  « ,  —  «  «  <* , 
w  —  ^~w}  v,^_^^o  un(j  ^ v,  beschränkt  sind3),  son- 
dern auch  eine  Menge  von  einsilbigen  Kürzen  {xig,  yJv,  av,  ydq, 
/utv  etc.)  und  Wörtern  der  Formen  »  - ,  —  u , um- 
fassen4). Außerdem  ist  keineswegs  irgend  eine  der  mittleren 
Arsen  alleinige  Trägerin  der  Erscheinung,  sondern  alle  haben 
an  ihr  Anteil.  Beides  ergibt  sich  ja  von  selbst  aus  der  ur- 
sprünglichen Entstehung  dieser  meist  bei  Homer  nur  schein- 
baren Lizenz. 

Demnach  hat  die  Erscheinung,  die  uns  hier  beschäftigt, 
bei  Ennius  zwei  Wurzeln,  1.  Ausnutzung  alter  Längen,  2.  Nach- 
bildung scheinbarer  homerischer  Freiheit. 

x)  Das  hindert  natürlich  nicht  für  die  Vergleichung  der  homerischen 
Beispiele  die  Listen  bei  W.  Hartel,  Homerische  Studien  I— III  (Sitzber. 
d.  Wien.  Ak.  68.  75.  78,  1871—74  I2  Berlin  1873)  und  0.  V.  Knös,  de 
digammo  Homerico  I— III  (Upsala,  Universitets  °Arsskrift  1872.  1873. 
1879,  besonders  p.  326  ss.)  heranzuziehen  (einiges  auch  bei  J.  Hilberg, 
Das  Prinzip  der  Silbenwägung,  1879  S.  39  ff.);  es  reichen  aber  auch  die 
Beispiele  bei  Fr.  Spitzner,  de  versu  Graec.  heroico  S.  14—82  aus. 

2)  Denn  daß  Ennius  die  uralte  Länge  des  Neutrums  der  Kompara- 
tive berücksichtigt  habe,  läßt  auch  der  Gebrauch  bei  Plautus  (C.  F.  W. 
Müller  S.  55  ff.  Jacobsohn  q.  Plaut,  p.  5)  oder  das  bellum  prior  und  an- 
terior bei  Claudius  Quadrigarius  u.  a.  nicht  als  glaubhaft  erscheinen. 

3j  Beispiele  aus  der  ganzen  Masse  seien  3  1  k'XaOsv  la%r\t  T  40  otps- 
Xsg  äyovog,  W  420  /ji^eQiov  aXev,  K  461  svxöfievog  enog,  f  429  naQioxä- 
fievog  inieoot,  e  403  igevyofierov  el'Xvxo,  E  871  6Xo<pvQÖf*evog  enea,  Ä  68 
iXavvcooiv  ävdgög,    A  75  'AnöXXwvog  efeaxrjßsXexao. 

4)  Ein  paar  Beispiele  xig  emsoHsv  26  mal,  5  39  yag  IV'  s'fisXXsv, 
A  214  JzdXiv  äysv,  440  "Egtg  ä/xoxov,  T  310  Siygov  agvag ,  B  236  avxog 
oljxo,    A  474  ftsXnovxsg  sxäeQyov,    543  xixXrjxag  sinsiv. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  23 

Zweifelhaft  erscheint  nun,  auf  welche  von  beiden  wir  die 
Fälle  mit  aquild  und  Aeacidä1)  zurückzuführen  haben.  Ich  neige 
trotz  C.F.W.  Müller  (Pros.  S.  3 — 10),  Jacobsohn  (quaest.  Plaut, 
p.  32  ss.)  der  Ansicht  zu,  daß  Plautus  das  -a  des  Nom.  sing, 
der  ersten  Deklination  künstlich  gegen  die  Aussprache  seiner 
Zeit  als  Länge  gebraucht  hat,  wo  ihm  das  bequem  war2),  aber 
wir  müssen  im  Auge  behalten,  daß  aquild  auch  auf  Nach- 
ahmung homerischer  Lizenz  zurückgehen  kann:  Stellen  wie 
cp  221  gdxea  fxeydh]q,  M  283  xal  neÖia  XcüTevvra,  Q  7  ?)<3'  ÖJiooa 
Tolvnevoe,  U  IIA  xeg/udöia  jueyd?S  nicht  nur  in  Wörtern  vom 
Typ  u  «  ^  oder  —  w  "  w ,  sondern  auch  <£  352  xd  tisqi  xaXd 
qse&qo.,  £  269  Jieio/xaxa  xal  oTieiga,  xai  äjioijvovoiv  igexjud,  i  109 
dXXd  Tay"1  äojiaqxa  xal  dvrjQoxa  ndvxa  (pvovxai  usw.  Diese  Homer- 
steilen  würden  also  an  sich  ann.  2  nosce  und  440  monte  glaublich 
erscheinen  lassen,  wenn  die  Überlieferung  sicherer  wäre:  ohne 
Bedenken  bringe  ich  den  Vers  240  durch  Einschiebung  von  ei 
hinter  et  auf  die  Beine. 

Es  bleiben  für  Ennius  noch  zwei  Beispiele  zu  erledigen, 
125  fuerit  und  271  inimiciüdm.  Das  erste  wäre  in  Ordnung, 
wenn  wir  annehmen  dürften,  fuerit  sei  coni.  perfecti;  aber  auch 
für  den  Fall,  der  mir  wahrscheinlicher  ist,  daß  es  fut.  exactum 
sei,  können  wir  die  Längung  der  Endsilbe  verstehen:  tatsäch- 
lich werden  schon  zu  Plautus1  Zeit,  wie  auch  unsere  Hand- 
bücher, freilich  mit  nicht  immer  einwandfreien  Beispielen  lehren3), 

1)  Ich  stelle  beide  Fälle  auf  eine  Stufe,  denn  ich  glaube,  daß 
Ennius  das  Patronymikon  latinisiert  hat:  Plautus  gebraucht  durchweg 
die  griechische  Endung  -ides  in  Antamo(e)nides,  Apoecides,  Charmides, 
Megaronides,  Misargyrides,  Theopropides,  nur  den  scherzhaft  gebildeten 
Namen  Homeronida  (Truc.  485  in  Synaloephe)  und  den  Sklavennamen 
Leonida  latinisiert  er.  Da  aber  der  letztere  Asin.  740  als  -da  im  Voc. 
gemessen  wird,  ist  vielleicht  auch  der  Voc.  Aeacida  bei  Ennius  hier 
auszuscheiden.     Für  den  Nom.  vgl.  noch  Lucil.   Tiresid. 

2)  Man  vergleiche,  was  oben  S.  19  über  den  Gebrauch  der  Endung 
-it  bei  Plautus  dargelegt  worden  ist. 

3)  Z.  B.  Neue,  Formenlehre  III3  428 ff.  Die  Vermischung  geht  mit 
der  Zeit  so  weit,  daß  Diomedes  gramm.  I  340,31  das  alte  Verhältnis 
geradezu  auf  den  Kopf  stellt  und  vorschreibt:  coni.  perf.  dixerimus, 
fut.  ex.  dixerimus. 


24  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

coni.  perf.  und  fut.  exact.  nach  Syntax  wie  Formen  durch- 
einandergeworfen: so  haben  wir  occeperis  als  fut.  ex.  Poen.  213, 
wohl  auch  fleveris  Pseud.  100,  abierit  Mil.  1176.  —  Bedenklicher 
erscheint  271  inimiäüäm  agitantes,  wo  es  natürlich  sehr  wohl- 
feil ist  mit  den  Humanistenhss.  zu  lesen  inimiciüas.  Aber  hier 
müssen  wir  uns  erinnern,  daß  wir  bei  Homer  Fälle  lesen  wie 
7^172  cpile  exvqe  deivog  re,  E  343  jueya  läypvoa  576  IJv/,aijuevea 
i?Jri]v,  x  246  dvvaro  k'jiog,  ©  556  äQijigejiea,  öre,  ü  285  öe7iai, 
öcpga,  x  322  enrji^a  cbg  u.  a.  neben  Fällen,  wo  der  Hiat  die 
Thesis  zerteilt,  wie  z.  B.  B  777  xetro  äväxrcDv,  E791  vvv  de  exäg 
noliog  usw.,  daß  wir  also  ebenso  berechtigt  sind,  aus  den  an- 
erkannten Thesis-Hiaten  bei  Ennius  332  militüm  octo,  494  dum 
quidem  unus  auf  die  Echtheit  von  inimicitidm  agitantes  zu 
schließen.  Ich  kann  darum  auch  nicht  für  richtigr  halten,  daß 
Marx  bei  Lucilius  die  Hiate  archaeoterä,  unde  —  gladmm  in  — 
etiäm  haec  malüm  ad  (diesen  auch  Leo,  Gott.  Gel.  Anz.  1906, 
843)  —  hominem  habeas  mit  den  üblichen  Flickmittelchen  be- 
seitigt: sie  stützen  das  inimicitidm  und  werden  von  ihm  gestützt 
(vgl.  auch  Aetna  129.  Prop.  2,  15,  1.  Gratt.  249  u.  a.).  Und 
ebenso  stelle  ich  mich  zu  Verg.  Aen.  12,  648:  hier  ist  inscia 
nicht  nur  durch  alle  alten  Hss  Ribbecks  (darunter  MPR),  son- 
dern auch  durch  die  Sonderüberlieferung  der  Hss  des  Servius 
und  Macrobius  (freilich  nicht  durch  ausdrückliches  Zeugnis 
dieser  Schriftsteller  selbst)  bezeugt,  nescia  nichts  als  besten- 
falls Karolingerkonjektur. 

Denn  was  ich  oben  (S.  15)  bereits  gesagt,  muß  ich  nun 
hier  wiederholen:  wir  haben  das  aus  den  Fragmenten  der  An- 
nalen  des  Ennius  unmittelbar  gewonnene  Bild  seiner  Verskunst 
zu  vervollständigen  durch  Rückschlüsse  aus  seinen  Nachahmern, 
besonders  aus  Vergil1). 

Um  ein  paar  Einzelheiten  herauszugreifen :  gewiß  wird 
auch  schon  Ennius  von  der  Möglichkeit  Gebrauch  gemacht 
haben,  unbequeme  griechische  Formen  durch  lateinische  Flexion 


J)  Es  ist  das  ein  Punkt,  der  in  der  sonst  so  meisterhaften  Charak- 
terisierung von  Sprache  und  Versbau  des  Ennius  bei  Leo,  Gesch.  der 
röm.  Litt.  I  S.  182  ff.  nicht  genügend  hervortritt. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  25 

zu  ersetzen:  neben  clamides  bei  Lucilius  treten  Pleiadds  und 
Phorbanti  bei  Vergil,  bei  Properz  Phaeacäs,  bei  Ovid  Paridi, 
TJietidi,  Capyi,  Hyadäs  u.  a.  Und  die  Zahl  der  in  arsi  ge- 
brauchten Verbal-  wie  Nominalendungen  wird  man  für  Ennius 
aus  Vergil  unbedenklich  vermehren  dürfen ;  sicher  hat  schon 
Ennius  z.  B.  wie  Vergil  pater  gebraucht,  wozu  zu  vergleichen 
Homerisches  wie  6  408  yaTge  jidreg  a>  geive  (=  o  122  v  199). 
Natürlich  sind  bei  solchen  Schlüssen  die  Augen  aufzubehalten : 
die  künstlichen  Versenden  mit  hymenaeus  und  hyacinthus  bei 
Vergil  stammen  nicht  aus  Ennius  (denn  Homer  hat  sie  nicht) 
sondern  aus  Catull,  der  sie  seinerseits  aus  alexandrinischer 
Poesie  entnommen  hat1):  aber  gravidüs  autumno  und  petit 
Ea.andri  dürfen  wir  ruhig  auf  Ähnliches  bei  Ennius  zurück- 
führen, hat  doch  auch  Homer  Schlüsse  wie  (Z>  23  hjuevog 
evöo/.wv,  2  288  juegonsg  äv&QCOJioi,  ß  65  TieQtxriovag  äv- 
docoJiovg. 

Es  liegt  nun  in  der  Natur  der  Sache,  namentlich  bei  den 
Verbalendungen,  daß  die  in  arsi  'gedehnten'  Silben  vielfach 
die  letzten  eines  Satzstückes  sind :  so  schon  bei  Homer  (vgl. 
Knös  a.  a.  0.  S.  327) 2).  Ebenso  deutlich  ist,  daß  solche  Silben 
durch  die  Caesur,  in  die  sie  natürlicherweise  vielfach  treten, 
eine  Stütze  erhalten :  das  kommt  ebenfalls  schon  bei  Homer 
zu  Tage  (s.  Hartel,  Homer.  Stud.  P  S.  93  ff.).  Derartige  Fälle 
haben  wir  bei  Ennius  nicht  selten  :  besonders  deutlich  252 
alter  nare  cupit,  alter  pugnare  paratust.  In  der  spätem  Ent- 
wicklung aber  häufen  sie  sich :  wo  bei  Ovid  wirklich  eine 
Kürze  in  arsi  steht,  ist  sie  letzte  Silbe  des  Satzkolons.  Das 
hat  seinen  Grund  klärlich  in  der  immer  stärker  werdenden 
Wirkung  der  Rhetorik  auf  die  Poesie.  Leo3)  hat  uns  gelehrt, 
daß  die  Einschränkung  der  Hexameterschlüsse  auf  2-  und 
3  silbige  Wörter   eine   Folge    und  Wirkung   der   gleichen   Be- 


l)  Diese  Mischung  von  Ennianischem  und  Alexandrinischem  ist 
für  Vergils  Stil  charakteristisch. 

'-)  Hierher  gehört  auch  die  nach  einem  Imperativ  oder  Vokativ 
von  selbst  sich  einstellende  Redepause. 

9)  jnd.  lect.  Gotting.  1893  p.  7. 


26  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

schränkung  der  prosaischen  Redekola  ist:  wir  werden  als 
parallele  Erscheinung  zu  betrachten  haben,  daß  am  Ende  des 
Satzstückes  im  Verse  die  syllaba  anceps  des  rhetorischen  Kolons 
ertragen  wird.  Wo  syllaba  anceps,  da  Hiat :  wir  werden  die 
Richtigkeit  der  eben  gewonnenen  Ansicht  an  seinem  Vorkom- 
men zu  prüfen  haben.  Und  wirklich  ist  aus  der  gleich  zu 
gebenden  Liste  der  Hiate  in  arsi  von  Ennius  bis  auf  Ovid  un- 
mittelbar abzulesen,  daß  etwa  gleichzeitig  mit  der  Beschränkung 
kurzer  Endsilben  auf  Kolenenden  auch  der  Hiat  (abgesehen 
von  dem  bei  griechischen  Wörtern  und  Floskeln)1)  auf  diese 
Stellen  allein  zurückgeht. 

Enn.2)  var.  39  Surrenti  elopem  fac  emas 
Accius  frg.  3,6  ut  cum  dominis  famuli  epulentur  ibidem 

Lucr.  6,755  sed  natura  loci  opus  efficit  ipsa  suapte 
Catull.3)27,4       ebriä  acina  ebriosioris  (dazu  Gell.  6,20,6) 
66,11     qua  rex  tempestate  novo  auctiis  hymenaco 
68,158  a  quo  sunt  primo  omnia  nata  bono 
Vergil.  buc.  2, 24  Actaeö  Aracyntho 

3,6     et  sucus  pecori  et  lac  subducitur  agnis 
3,63  lauri  et  suave  rubens  hyacinthus 

6,44  ut  litus  lHyld  Hyld  omne  sonaret 
7,53  stant  et  iuniperi  et  castaneäe  Jiirsutae 
8,41  ut  vidi,  ut  perii;  ut  me  malus  abstulit  error 

(=  Ciris  430) 
44  aut  Tmaros  aut  Bhodope  aut  extremi  Garamantes 
10,12  Aonie  Aganippe 

13  illum  etiam  lauri,  etiam  flevere  myricae 
georg.  1,4  qui  cultus  habendo 

sit  pecori,  apibus  quanta  experientia  parcis 
221  ante  tibi  Eoäe  Atlantides  abscondantur 


*)   Der  Hiat  nach  Interjektionen   bleibt  hier  ganz  außer  Betracht. 

2)  Ich  möchte  hier  darauf  aufmerksam  machen,  daß  vielleicht  auch 
ann.  220  Poenos  Sarrä  oriundos  mit  Hiat  zu  lesen  ist,  also  den  gleichen 
Fall  hätte  wie  290  Poenos  Didone  oriundos. 

3)  107, 1  lese  ich  cupido(que);  über  andere  in  der  Überlieferung 
mit  falschem  Hiate  stehenden  Stellen  s.  o.  S.  8  Anm.  1. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  27 

281  ter  sunt  conati  imponere  Pelio  Ossam 
341  tum  pingues  agni  et  tum  mollissima  vina 
2,86  orchades  et  radii  et  amara  pausia  baca 
144  tenent  oleäe  armentaque  laeta 

3,60  iustosque  pati  hymenaeos 

3,155  arcebis  gravido  pecori,  armentaque  pasces 
4,343  atque  Ephyre  atque  Opis  et  Asia  Deiopea 
463  atque  Getäe  atque  Hebrus  et  Äctias  Orithyia 
Aen.  1,16  posthabita  coluisse  Samö:  hie  illius  arma 

617  Dardaniö  Anchisae  (=  9,647) 

3, 74  Nereidum  matri  et  Neptunö  Aegaeo  (=  Ciris  473) 
606  si  pereo,  hominum  manibus  periisse  iovabit 
4,235  quid  struit?    aut    qua    spe   inimica    in    gente 

moratur 
667  lamentis  gemituque  et  femineö  ululatu  (9,477) 
5,735  concilia  Elysiumque  colö.     huc   casta   Sibylla 

\.  .  .  te  .  .  .  ducet 
7,178  veterum  efßgies  ex  ordine  avorum 

antiqua   c   cedrö,    Italusque  paterque   Sabinus 
226  si  quem  tellus  .  .  . 

summovet  oceanö  et  si  quem  .  .  .  dirimit  plaga 
631  Ardea  Crustumerique  et  turrigeräe  Antemnae 
9,291  hanc  sine  me  spem  ferre  tut:  audentior  ibo 
477  siehe  4,667 
647  siehe  1,617 
10, 136  inclasum  buxö  aut  Oricia  terebintho 

(s.  Prop.  3,7,49) 
141  Maeonia  generöse  domo,  ubi 
156  gens  .  .  .  externo  commissa  daci.  Aeneia  puppis 
prima  tenet 
11,31  Parrhasiö  Euandro 

480  Lavinia  virgo 

causa  mali  tanti,  ociüos  deieeta  decoros 
12,31  promissam  eripui  genero,  arma  impia  sumpsi 
535  ille  ruenti  Hyllö  animisque  inmane  frementij 

oecurrit 


28 


3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 


Ciris1)  257  illa  autem  lquid  me    inquit,  nutricula  torques 

430  =  buc.  8,41  473  =  Aen.  3,74 

Catal.2)  14,9  marmoreusque  tibi  aut  mille  coloribus  ales 

Aetna  129  hospitium  fluviüm,  haut  semita  s.  Liste  1 

Hör.  epod.  13,3  Threicio  Aquilone  sonant 

carm.  1,28,24  ossibus  et  capiti  inhumato 

Prop.3)  2,15,1  o  me  felicem,  o  nox    s.  o.  Liste  1 

3,7,29  ite  rates  curvde  et  leti  texite  causas 

49  sed  Thyio  thdlamö  aut  Oricia  terebintho 

(s.  Aen.  10,136) 
Ov.  epist.  4,99  in  Maenaliä  Atalanta 

9,87  cupressifero  Erymantho 

131  pulsä  Aetolide  Deianira 

133  -i  Alcidae 

141  lotiferö  Eueno 

11,13  Sithoniö  Aquiloni 

ars  2,185  Nonacrinä  Atalanta 

3,13     Talaioniäe  Eriphylae 

met.  2,244  Phegiacö  Erymantho 

4,474  sie  haec  Iunone  locuta 

Tisiphone,  ut  erat  canos  turbata  capillos, 

movit 

535  in  Ioniö  immenso 

5,312  fönte  Medusaeö  et  Hyanted  Aganippe 

409  Pisaede  Arethusae 

8,310  cumque  Pheretiade  et  Hyanteö  Iolao 

315  cum  Parrhasiö  Ancaeo 

11,17  JBacchei  ulidatus 

93  cum  Cecropiö  Eumolpo 

14,832  o  et  de  Latiö,  o  et  de  gente  Sabina 

15,450  penatigero  Aeneae 


J)    Culex  124    ist   der   Hiat  jetzt   durch  platanus   (so   der   Corsin.) 
beseitigt. 

2)  13, 6  ist  der  überlieferte  Hiat  sicher  zu  beseitigen,  Heilung  noch 
nicht  gelungen. 

3)  3, 12,  38  wird  richtig  Penelnpes  statt  des  überlieferten  -pae  ediert. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  29 

fast.  2,43  Naupactoo  Acheloo 

5,83  cum  caelifero  Atlante 
Gratt.  249  s.  oben  Liste  1 
Manil.  2,831  hie  tenet  arbitrium  vitäe,  hie  regula  morum  est. 

Fassen  wir  nun  noch  einmal  zusammen,  was  wir  bisher 
erkannt  haben.  Die  auf  den  ersten  Blick  verwirrende  und 
unübersichtliche  Fülle  der  Beispiele  von  sogenannter  Dehnung 
kurzer  Endsilben  in  arsi  von  Ennius  bis  auf  Ovid  läßt  sich 
auf  drei  Wurzeln  zurückführen: 

1.  künstliche  Langsetzung  von  in  der  Umgangssprache 
schon  gekürzten  Endsilben ; 

2.  durch  Versnot  erzwungene,  mit  der  Zeit  aber  auch 
als  Stilfärbungsmittel  (z.  B.  que  oder  flatus  hymenaeo)  will- 
kommene Einsetzung  kurzer  Silben  an  Stelle  langer  in  Nach- 
ahmung scheinbarer  homerischer  (auch  alexandrinischer)  Frei- 
heiten ; 

3.  Gleichbehandlung  von  Versabschnitten  und  Satzab- 
schnitten im  Verse  mit  rhetorischen  Kola,  deren  Ende  Hiat 
oder  Syllaba  aneeps  zuläßt. 

Indem  ich  einige  andere  Erwägungen  au  das  Ende  dieser 
Abhandlung  zurückschiebe,  knüpfe  ich  zunächst  an  Punkt  1 
noch  kurze  Betrachtungen. 

Wir  haben  oben  (S.  18)  bei  der  Behandlung  der  Verbal- 
endungen, besonders  der  auf  -it  erkannt,  daß  viel  wichtiger 
als  die  Beobachtung  der  Stellen,  wo  diese  Endungen  bei  Ennius 
und  Plautus  noch  als  Länge  gelten,  die  entgegengesetzte  ist, 
nämlich  zu  sehen,  wo  sie  zuerst  gekürzt  werden :  da  die  Ent- 
wicklung der  Endsilben  im  Lateinischen  (mit  Ausnahme  ganz 
weniger  Einzelfälle)  wie  in  andern  Sprachen  durchaus  die  von 
der  Länge  zur  Kürze  ist,  bedeutet  jeder  sichere  Beleg  der 
Kürzung  für  uns  einen  wichtigen  Wegweiser.  Wir  müssen 
uns  dabei  über  einen  Begriff  klar  werden,  der  in  Prosodie  und 
Grammatik  durch  die  übliche  Art  seiner  Verwendung  viel  Ver- 
wirrung gestiftet  hat  und  noch  stiftet,    über    den    Begriff  der 


30  3.  Abhandlung:  P.  Vollmer 

vocalis  oder  syllaba  anceps.     Der  nicht  antike  Ausdruck1)  hat 
sein  Recht  in  einer  Anleitung  Verse  zu  machen :  er  bezeichnet 
da  die  Silbe,  die  im  Schema  den  Platz  einer  langen  oder  einer 
kurzen  Silbe  ausfüllen  darf.    In  sprachgeschichtlicher  Betrach- 
tung aber  bedarf  er  vorsichtiger  Anwendung  und  Auslegung. 
Man  pflegt  z.  B.  auslautendes  -o  des  nom.  sing,  in  der  dritten 
Deklination  oder  in   der  1.  pers.  der  Verbalendungen  als  syl- 
laba anceps   zu   bezeichnen,  und    gewiß   finden  sich  -ö  und  -o 
in  diesen  Formen  bei  den  gleichen  Dichtern  bis  ins  Mittelalter 
hinein2).     Ob  aber  dies  -o  in  der  Sprache  des  Tages  z.  B.  zu 
Ovids  Zeit  noch  jemals  lang  gesprochen  wurde,  ist  eine  Frage, 
die  mancher   mit   mir   zu  verneinen    geneigt   sein    dürfte.     Es 
gehörten  also  streng  genommen  alle  nachchristlichen  Dichter- 
stellen mit  -ö  in  meine  Liste  von   „Dehnung  in  arsi1"   eben  so 
o-ut  wie  ich  oben  modo  aus  Cic.  Arat.  verzeichnet  habe.    Gerade 
so  steht  es  mit  den  Stellen  (sagen  wir  seit  Vergil),    in  denen 
mihi   tibi   ubi   u.  ä.    iambisch    gebraucht    werden.      Sprachlich 
betrachtet  haben  wir  also   hier  Silben,    die    in    der  Umgangs- 
sprache   kurz    gebraucht   wurden,    von    den  Dichtern  aber  aus 
Versnot   oder   -bequemlichkeit,    oder    um    den    Stil    und   Vers- 
brauch  ihrer   altern  Vorgänger   nachzuahmen   auch    lang    ge- 
halten werden3).    Aber  wir  dürfen  bei  dieser  Feststellung  nicht 
vergessen,  daß  es  für  jede  Gruppe  dieser  Silben  wirklich  eine 
Zeit  gegeben  hat,  in  der  auch  die   lebendige  Umgangssprache 
sie  sowohl  kurz  wie  lang  gebraucht  hat :  lang,  wenn  besondere 
Betonung  oder  getragene  Rede  jedes  einzelne  Wort  zur  Geltung 
kommen    ließ4),    kurz,    wenn    Affekt    und   Eile    die    einzelnen 
Wörter  zu  kleineren  oder  größeren  Gruppen  zusammenschmolz, 


1)  In  ganz  anderm  Sinne  Prise,  gramm.  II  9,  30  vocales  . . .  sunt  an- 
cipibes  vel  liquidae. 

2)  Die  Belege  bis  auf  Iuvenal  jetzt  bei  Rud.  Hartenberger,  de  o 
finali  ap.  poet.  lat.  diss.  Bonn  1911. 

3)  [Ähnlich,  aber  nicht  deutlich  genug,  jetzt  Sommer  Handbuch2 
S.  118  f.    Maurenbrecher,  Parerga  S.  220  f.   K.-N.] 

4)  Dabei  ist  zu  beachten,  daß  ohne  Zweifel  die  Leseübungen  der 
Schule  eine  starke  Stütze  für  richtige  Tradition  älterer  Aussprache 
bedeuteten. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  31 

in  denen  besonders  die  Iambenkürzung  ihre  Kraft  übte.  Es 
ist  nun  ebenso  selbstverständlich,  daß  diese  Zeit  sehr  viel  früher 
anzusetzen  ist  als  die  Zeit  der  anceps- Verwendung  bei  den 
Dichtern,  wie  daß  wir  nur  im  seltensten  Fall  die  Mittel  haben, 
hier  überhaupt  etwas  chronologisch  zu  fixieren :  daß  z.  B.  die 
Schreibungen  der  Inschriften  shbei  mihei  ubei  für  die  Geschichte 
der  langen  End-i  wenig  zuverlässige  Zeugen  sind,  ist  ja  be- 
kannt. Es  schien  mir  nötig,  dies  einmal  deutlich  auseinander- 
zusetzen, um  zugleich  zu  raten,  aus  solchen  Überlegungen 
Vorsicht  zu  lernen  bei  Beurteilung  einzelner  Stellen  und  immer 
eingedenk  zu  sein,  welch  lange  Zeit  solche  sprachlichen  Ent- 
wicklungen in  Anspruch  nehmen. 

Da  die  Perfektendung  eine  wichtige  Rolle  in  unsern  Er- 
wägungen gespielt  hat,  möchte  ich  im  Anschluß  an  die  aus 
Ovid  zitierten  Beispiele  nicht  versäumen  mit  der  falschen  Lehre 
aufzuräumen,  die  Lachmann  zu  Lucr.  4,  1042  (S.  207,  darnach 
L.  Müller1  325,  2399,  sogar  Sommer  Handb.2  S.  588)  aufge- 
stellt hat,  als  ob  es  ein  Sondervorrecht  der  Perfecta  von  eo 
und  Composita  sowie  von  peto  gegenüber  den  Verben  der 
4.  Conjugation  gewesen  wäre,  bei  den  Dichtern  die  Endung 
-ilt  statt  -iU  zu  behalten.  Lachmann  hat  da  einen  doppelten 
Fehler  begangen :  einmal  ist  sein  Material  unvollständig,  zwei- 
tens ist  seine  Differenzierung  unmethodisch.  Er  geht  zwar 
richtig  von  den  Zeugnissen  der  alten  Inschriften  für  venieit, 
redieit  aus,  springt  aber  dann  gleich  zu  Ovid  über,  ohne  zu 
bedenken,  daß  zur  Zeit  des  Augustus  die  Endung  -iit  ebenso- 
gut wie  -üit  und  einfaches  -it  längst  allgemein  in  der  Tages- 
sprache gekürzt  wurde.  Er  konnte  ja  freilich  noch  nicht 
wissen  (damals  kannte  man  das  Iambenkürzungsgesetz  nur 
ganz  unvollkommen),  daß  für  die  Umgangsprache  eine  ver- 
schiedene Behandlung  der  Endsilben  in  Wortformen  wie  abiit 
und  ambiit  ausgeschlossen  war;  aber  aus  andern  Analogien, 
namentlich  aus  der  Behandlung  von  End-o  bei  den  Dichtern, 
hätte  sich  auch  damals  schon  der  Schluß  ziehen  lassen,  daß 
es  sich  bei  der  Differenzierung  von  abiit  und  ambiit  nicht  um 
verschiedene  Entwicklung   verschiedener   grammatischer  Kate- 


:'>-  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

gorien,  sondern  um  rein  prosodische  Konvention  der  Dichter- 
sprache handelt :  in  Wörtern  vom  Typus  «  «  "  und  —  w  u  w 
wurde  der  Endung  -it  die  alte  Länge  wiedergegeben  um  sie 
im  Hexameter  zu  gebrauchen,  in  solchen  vom  Typus  —  v  * 
behielt  man  die  Kürzung  der  Umgangsprache  bei.  So  viel 
ich  sehe  können  wir  dies  künstliche  Nebeneinander  zuerst  bei 
Vergil  feststellen  :  er  hat  (zwar  nicht  petiit,  wie  Lach  mann  an- 
gibt, aber)  vor  Vokalen  subiit  und  enihiit,  auch  apposuit  (Ciris), 
daneben  georg.  2,  81  exilt  (auch  Aen.  2,  497),  transiit  (Aen. 
5,274.  10,785.  817),  ambiit  (Aen.  10,243),  audiit  (buc.  6,83 
und  noch  13  mal),  emuniit  (8,227),  leniit  (1,451.  8,87), 
mugilt  (8,218),  immugilt  (3,674),  wohl  auch  iit  (9,418),  denn 
es  liegt  nicht  der  geringste  Grund  vor  mit  Lachmann  (S.  209) 
gerade  die  Formen  von  eo  und  Composita  durch  die  kontra- 
hierten Perfecta  U,  exlt,  translt  zu  ersetzen.  Anders  steht  es 
bei  Ovid:  neben  den  oben  S.  13  aufgezählten  häufigen  Formen 
rediit  abiit  adiit  periit  subiit  interiit  praeteriit  petiit  occubuit 
prosiluit  impediit1)  finden  sich  bei  ihm  kein  exilt  transiit  aber 
auch  kein  audiit  leniit  o.  ä.2) :  er  hat  diese  Formen  einfach 
gemieden.  Andere  Dichter  aber  haben  Vergils  Vorgang 
ohne  Bedenken  befolgt:  Properz  hat  neben  petiit  (1,  10,  23) 
auch  suffilt  (4,8,84);  bei  Pers.  und  luv.  haben  wir  subiit  und 
periit,  bei  Val.  Fl.  impediit  hymenaeos  (das  freilich  etwas  ab- 
seits steht),  aber  bei  Gratt.  139  exilt,  bei  Stat.  Theb.  12,  750 
transiit,  bei  Val.  Fl.  7,  509  audiit  (6  mal  bei  Stat.),  bei  Stat. 
Ach.  2,  74  quaesiit  u.  s.  w. 

Schon  bei  dieser  Untersuchung  hat  sich  von  selbst  eine 
weitere  Frage  erhoben  :  wie  haben  wir  nun  nach  Feststellung 
der  allgemeinen  Prinzipien   die  einzelnen  Fälle  zu   beurteilen  ? 


1)  Daß;  er  daneben  auch  die  kontrahierten  Formen  des  Perfekts  U 
peilt  verwendet,  ist  eine  Sache  für  sich :  Vergil  hat  sie  nicht  gebraucht: 
Aen.  9,  9  petit  Euanäri  ist  Praesens,  9,418  ist  üb  mit  P  zu  lesen. 
Außerdem  haben  die  Dichter  die  Formen  auf  -ivit  wie  obivit  Verg., 
subivit  Stat.,   petivit  Verg.  oft,   audioit  Verg.  Hör.  u.  s.  w. 

2)  Schon  dieser  Befund  spricht  deutlich  gegen  Lachmanns  Unter- 
scheidung. 


Zur  Geschiebte  des  lateinischen  Hexameters.  3o 

Welcher  der  drei  oben  (S.  29)  festgestellten  Klassen  haben 
wir  den  einzelnen  zuzurechnen?  Über  aquilä  bei  Ennius  und 
die  verschiedenen  Möglichkeiten  es  zu  verstehen,  ist  oben  (S.  23) 
gesprochen  worden :  auch  Lachmann  unterscheidet  hier  und 
will  (S.  208)  die  Beispiele  mit  -it  vor  griechischen  Wörtern 
und  vor  et  gesondert  gestellt  wissen.  Seine  Gruppe  der  Fälle 
vor  et  hat  sich  unserer  Klasse  3  als  untergeordnet  zu  fügen : 
aber  im  übrigen  ist  die  Beurteilung  des  Einzelfalles  in  der 
Tat  oft  nicht  leicht.  L.  Müller  kam  infolge  dessen  zu  der 
Anschauung  (2S.  403):  'quamquam,  ut  mos  est  poetis  Latinis, 
non  una  pleraque  defenduntur  venia'.  Diese  Auffassung  hat 
für  die  Beispiele  bei  Vergil,  für  die  sie  ausgesprochen  wird, 
eine  gewisse  Berechtigung,  ist  aber  doch  insofern  schief,  als 
sie  die  historische  Entwicklung  der  Erscheinung  gänzlich  außer 
Acht  läßt.  Bei  Ennius  können  wir,  wie  oben  gesehen,  bis  auf 
wenige  Fälle  noch  reinlich  zwischen  unsern  drei  Gruppen 
scheiden :  bei  seinen  Nachfolgern  wird  die  Beurteilung  des 
Einzelfalles  immer  schwieriger.  Bei  Lucilius  z.  B.  erklärt  sich 
1094  praestringdt  durch  Nachahmung  des  Plautus,  pudör  ist 
sicher  als  alte  Länge  anzusprechen,  ebenso  debueris,  nolueris, 
crisavit,  sit,  aries,  während  archaeoterä  und  gladiüm,  eüdm, 
hominem1),  wohl  auch  Tiresiä  durch  homerisch  -ennianische 
Lizenz  entschuldigt  werden;  für  malüm  (NB.  Ausruf!)  iaeimus 
contemnit  ist  der  Satzeinschnitt  ausschlaggebend.  Bei  Lucrez 
ist  fulget  gegen  Lachmann  zu  halten ;  seine  Behauptung,  ful- 
gere  gehe  bei  Lucr.  stets  nach  der  dritten,  ist  falsch  (s.  6,21,3); 
es  ist  als  alte  Länge  anzusprechen  wie  sanguis  cognoris  colös 
Ceres,  während  omne  genüs  e  als  epische  Längung  zu  gelten 
hat;  eben  dahin  rechne  ich  3,21  semper,  wo  semperque  die 
Syntax  entschieden  nicht  verbessert.  Bei  Vergil  endlich  sind 
der  Stellen,  die  nicht  durch  alte  Länge  oder  rhetorischen  Ab- 


l)  v.  1187  ist  mir  das  von  Marx  angenommene  hendiadyoin  mucro 
gladiumque  sachlich  wie  syntaktisch  unannehmbar:  mucro  ist  vielmehr 
der  Dolch  des  einen,  (ßadium  das  Schwert  des  andern,  v.  559  wird  der 
von  Marx  m.  E.  richtig  erklärte  Gedankengang  durch  Fragezeichen 
hinter  vis  erst  wirklich  deutlich. 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  3.  Abb.  3 


34  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

schnitt  zu  begründen  sind,  doch  recht  wenige :  terga  fatigamus 
liasta    und   pectoribüs  inhians1)     sind     wohl    Beispiele     klang- 
malender Ausnutzung    der   Lizenz    durch    den   selben   Dichter, 
der  mit  Absicht  am  Ende  des  Verses  exiguus  mus  gesagt  hat, 
während   er    in    den   georgica  mit  Iovis  und  nullius  noch  ein- 
fach Ennianisches  nachbildete.     Zur   letzteren   Gruppe    rechne 
ich  auch  das  vielberufene   gravid  sectoque  elephanto:   ich   stelle 
es  auf  eine  Stufe  mit  gravidüs  autumno:   daß  es  dabei  keinen 
Unterschied   macht,    ob    die    kurze   Endsilbe    geschlossen   oder 
offen  ist,  haben  wir  oben  (S.  23)  gesehen.    —    Für   Horaz    ist 
zu  beachten,  daß  sich  im  4.  Buche    der  Carmina   und   in    den 
Episteln  kein  einziges  Beispiel  findet;   die  größere  Freiheit  in 
den  Satiren  wird    auf  Lucilius   zurückgehen ;    in    den  Carmina 
aber   haben  wir  nur  Fälle  von   einst   langen  Verbalendungen, 
so  daß  ich  kaum  zweifle,    daß   auch  3,  24,  5    mit  dem  Lemma 
der  Scholien  figet  zu  lesen  sein  wird.  —  Die  späteren  Beispiele 
verstehen  sich  nach  den  bis  jetzt  behandelten  Analogien  leicht, 
nur  sei  darauf  hingewiesen,  daß  zu  den  bisher  vorgekommenen 
alten  Längen  bei   Properz  es,    in   der  Cons.  ad  Liv.  cinis,   bei 
Ovid  nihil  tritt;  der  Properzvers  über  die  alte  halbverhungerte 
Kupplerin  per  tenues  ossä  sunt  numerata  cutes  malt  mit  Absicht 
das  harte  Heraustreten  der  Knochen  gegen  die  Haut. 

Noch  eine  kurze  grammatische  Bemerkung.  Ich  habe 
oben  mit  verzeichnet  die  Fälle  von  aries  (seit  Lucil.),  Ceres 
(seit  Lucr.),  paries  (seit  Moret.),  abies  (seit  Verg.),  (im)pubes 
(seit  Ov.),  obwohl  die  Grammatiken  den  Vokal  der  letzten  Silbe 
als  lang  anzusetzen  pflegen  und  Sommer2  (S.  360,  363)  in 
diesen  Fällen  neben  pes  und  par  die  Stützen  seiner  Theorie 
erblickt,  Dehnstufe  des  Nom.  sei  auch  im  Lat.  erhalten.  Ich 
lege  wenig  Wert  auf  die  Lehren  des  Priscian  (gramm.  II  158,9 
und  241,  8  ff.),  obwohl  er  sich  zweimal  auf  die  Autorität  des 
Probus  beruft,  der  inter  correpta  haec  ponit,  da  diese  Gram- 
matiker ihr  Wissen  doch  nur  aus  den  Dichterversen  oder  ihren 
irrationalen  Analogieschlüssen  ableiten,  vermag  aber  nicht  ein- 

*)  Ebenso  erkläre  ich  fortis  et  und  tenuis  imas  im  Aetnagedichte. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  ob 

zusehen,  weshalb  wir  abies  aries  partes  uns  anders  entwickelt 
denken  sollten  als  miless  und  equess;  denn  in  Hexametern 
waren  sie  als  «  «  «  unbrauchbar  und  in  Iamben  hatte  die 
deutliche  Messung  ablas  auch  nur  an  wenigen  Stellen  Platz. 
Wir  haben  also  kein  Mittel  die  Quantität  des  Vokals  zu  be- 
stimmen, denn  die  Analogie  von  pes  beweist  für  die  mehr- 
silbigen Wörter  nichts,  schon  weil  wir  auch  in  pes  der  Länge 
des  Vokals  keineswegs  sicher  sind.  Und  Ceres  und  pubes  sind 
doch  sicher   im   Nom.  durch   die  Feminina  auf  -es   beeinflußt. 


Ich  setze  nun    die  Liste   der  Beispiele   für  'Dehnung  von 
Endsilben  in  arsi'  fort1). 

Manil.'2)  1,10  das  animum  viresque  facis  ad  tanta  canenda 
(4258  Verse)  876  nunquam  futtüibus  excanduü  ignibus  aether 

Phaedrus  — 

(1930  Verse) 
Germanicus  — 

(950  Verse) 
Seneca  — 

(über  10000  Verse) 
Colum.  10,235  hispida  ponatur  cinard,  quae  dulcis  Iaccho 
(436  Verse) 

Pers.3)  5,57  hie  campo  indulget,  hunc  alea  decoquit,  ille 

(664  Verse) 
Lucan.4)  — 

(8075  Verse) 


ii 


1)  Wenn  bei  der  gewaltigen  Fülle  des  Stoffes,  der  nur  zum  kleinsten 
Teile  durch  verläßliche  Indices  erschlossen  ist,  das  eine  oder  andere 
Beispiel  übersehen  sein  sollte,  so  hoffe  ich  auf  Verständnis. 

2)  Emendiert  sind  Manil.  1,  90.  2,372.  4,280.  920;  Sen.  Med.  663 
mit  E  zu  lesen  impendens;  Octavia  273  steht  modo  am  Ende  der  ana- 
paestischen  Dipodie.     Auch  die  Stellen    bei   Germ.  Arat.  423.    437.    440. 

702  und  frg.  3, 16  sind   durch  Heranziehung   besserer  Hss   oder   richtige 
Konjekturen  von  Grotius  erledigt;  zu  notieren  sind  nur  Aries  Arat.  8.  532. 

703  und  honös  Arat.  77  —  Bei  Phaedr.  4,  4,  5  steht  red(i)it  unsicher. 

3)  Pers.  2, 6  lese  ich  mit  P  murmurque,  6,  26  mit  P  metuas,  außer- 
dem erwähne  ich  2,  55  subiit. 

4)  Durch  richtige  Lesung  oder  Erklärung  entfallen  die  Stellen  1,  042, 

3* 


36  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

Petron.1) 
(rund  700  Verse) 
Laus  Pis.2)  — 

(261  Verse) 
Calp.  buc.3)  2,92  carmina  poscit  amor  et  flstula  cedit  amori 
(658  Verse)    4, 40  ultima  visuri,  trucibüs  obnoxia  Mauris 
pascua  Geryonis 
7,43  en  ego  iam  tremuhis  et  vertice  canns 
Buc.  Einsidl.4) 

(87  Verse) 
Val.Flacc.5)2,225  prohibetque  capessere  contra 

(5591  Verse)  arma  metüs:  adeo 

5,163  aetherias  ceu  Iuppiter  arduus  arces 

impulerit,  imas  manus  aut  Neptunia  terra s 
8,259  timor  impediit  hymenaeos 

Hom.  lat.6)  148  Euryalus  Sihenelique  decüs  et 
(1070  Verse)   257  confusum  terrore  videt:  (o  dedecus   inquit 

966  nee  sufferre  valet  ultra 
Mart.7)      3,3,4  aut  aperi  faciem  aut  tunicata  lava 
(rund       7,44,1  Maximus  ille  tuüs,  Ovidi,  Caesonius  hie  est 
10000     10,89,1  Iuno,  labor,  Polyclite,  tuüs  et  gloria  felix 
ersej    i4?77?  2  si  tibi  talis  erit,  qualem  dileeta  Catullo 
Lesbia  plorabät,  hie  habitare  potest 


2,565.  4,669;  Lucan  bat  aries  1,384.  6,36.  8,377.  10,480;  sanguis  2,338. 
7,635.  9,702.  10,128  aber  sanguis  3,679.  9,811;  sonipes  1,220.  4,225. 
8,  295 ;  scieris  als  coni.  8,  627,  steteris  als  fut.  ex.  9,  603  neben  vielen 
Fällen  von  -eris   a.  Hosius  ed.3  p.  394. 

x)  Ich  merke  nur  an  quadrupes  123,  188  und  lionus  frg.  27,  5. 

2)  105  honös. 

3)  4,40  steht  in  den  jungem  Hss.  interpoliert  trueibusque.  2,100 
ist  cantus  doch  wohl  als  Plural  zu  fassen. 

4)  Besonders  steht  2,23  als  Verschluß  eines  Spondiacus  rediit  Astraea, 
wo  die  Hs  ganz  unsinnig  certos  zufügt,  so  daß  entstand  redit  Astrea  certos. 

5)  Val.  Fl.  2,  322  ist  att  haec  hospita  Interpolation  Carrions,  6, 152 
hat  Sudhaus  gut  sonor  geschrieben,  7,633  ist  ein  ganz  von  Carrio  inter- 
polierter Vers,  8,158  ist  mit  L.  Müller  zu  lesen  ego  (o). 

6)  Verbessert  sind  582  und  628,  841  ist  Pelidis  corrupt;  453  ossa- 
que  confossd  spargit  steht  abseits. 

7)  9.101,4   halte   ich   aurea   in  Familie  C   für  Glosse   zu   raraque; 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters. 


37 


Stat.x)Theb.l, 402  Olenius  Tydeus  (fraterni  sanguinis  illum 
(rund  14000  conscius  horror  agit)  eadem  sub  nocte  sopora 

Verse)  lustra  terit 

3,544  hie  nimbo  glomeratus  öbit,  hie  praepete  viva 

pascitur  immoriens 
3,710  ei  mihi,  care  pater  (parensF),  Herum  fortasse 

rogabo 
6,351  metarum  instar  erat  hinc  .  .  .   quercus,  .  .  . 
hinc  .  .  .  umbo 
Silius2)  3,405  Palladio  Baetis  umbratus  cornua  ramo 
(12200 Verse)  9, 345  contundet  Tyrios  iuvenis  ac  nomina  gentis  \  induet 

Iuvenal.3)  6,340  intulerit,  ubi 

(3874  Verse) 

Incertus  (frg.  poet.  lat.  p.  357)  6 

mater  me  genuit,  eadem  mox  gignitur  ex  me 

Terent.  Maurus     — 

Seren,  med.4)    12  tunc  poteris  alacrem  capitis  reparare  vigorem 

(1107  Verse)     108  vipereae  peius  cinerem  his  addito  rebus 

448  cum  saevit  penitüs  haerens  iniuria  lumbis 


14,77,2  hat  Familie  B  schwerlich  richtig  plorabas;  spect.  28,10  Caesarea 
praestitit  wirkt  der  Anlaut.  Den  ersten  oben  zitierten  Vers  halte  ich 
für  echt  und  gut :  daß  das  Fragment  (denn  das  ist  das  Gedicht)  an  ver- 
kehrte Stelle  geraten  ist,  beweist  nichts  gegen  seine  Echtheit. 

»)  Theb.  1,384  hat  P  richtig  habens,  ebenso  2,474  tibi  (ibi  eo), 
silv.  4, 7,2  ist  hcrois  statt  heroos  falsch  überliefert,  5,1,258  ist  subit 
Perfektum,  aber  4,2,27  wird  wohl  richtig  nitet  (Mc)  ergänzt;  Theb.  4,224 
Maled  versteht  sich  leicht  als  Malerj;  ich  verzeichne  noch  silv.  4,7,46 
tuleris  (-as  trad.)  als  coni.,  4,9,51  iuveris  als  fut.  ex.  (aber  4,2,59  miseris 
coni.)  und  1,1,46  sonipes.  —  Fälle  wie  Theb.  4,91  Argiän:  haec  oder 
10,537  Maleän  aut  lasse  ich  ganz  außer  Betracht:  die  griech.  Endung 
-äv  ist  schon  früher  üblich  und  natürlich  vielfach  in  den  Hss  zu  -am 
verderbt. 

2)  Dazu  notiere  ich  10,23  sanguis,  3,21  honös  und  als  Belege  für 
schwere  Position  9, 575  immawe.  stridens,  17,  546  diversd  spatio,  vielleicht 
auch  6,543  quoeunque  flexum  und  7,273  castrd  scrutantem. 

3)  Man  beachte  dazu  10,11  periü  und  8,107  occultä  spolia;  aber 
3,  174  redit  ist  sicher  Perfektum. 

4)  Verderbt  ist  v.  85  maris  avidi. 


38  3.  Abhandlung  :  F.  Vollmer 

780  parva  sabucus  item  [est  add.  A],  hircino  con- 

lita  scvo 
Commodian  mute  wegen  seiner  eigenartigen  Metrik  ganz  außer 

Betracht  bleiben. 
Ps.Cato  dist.1,38  quem  superare  potrs,  interdum  vince  ferendo 
(400  Verse)  2  pr.  4  si  Romana  cupis  et  Punica  discere  bella 
2,26  rem  tibi  quam  noris  aptam,  dimittere  noli 
app.  2  quod  scieris  opus  esse  tibi,  dimittere  noli 
Tiberian l)  — 

(92  Verse) 

Iul.Valerius  1,23  vers  2  nomen  si  pcrgis  aevo  celebrare  perenni 
(119  Verse)      3,56     „     2  urbs  colitur  Nili  propter  umbrosa  fluenta 
Lact.  Phoen.         — 
(170  Verse) 
Nemes.2)  — 

(672  Verse) 
Opt.  Porf.3)  5,9  at  tu  suppliäbüs,  olim  dux  clarus  in  armis 
(imp.  23  vate  deo  dignd:  aut  siquod  perferet  audens 

Constantino)  g?27  sit  voti  compös,  excisaque  agmina  cernens 
(etwa        j^g  teque  duce  mage  grata  fides  et  iura  renata 
25  en  suplices  Persae  iura  sibi  regia  nolunt 
17,10  vota  sonans  longum  poteris  implere  volumen 
18,5     torva  Getas  campo  clarus  ut  lumina  perdit 
21,2     ludicra:  sie  nostrd  panget  lua  iussa  Camena 
22,17  congruere  cernant 

24,21  infima  dignare  quod  naturae  ordine  recto 
28,8     concessit  semper  huic  pater  omnipotens 
14  torpuit  oppressüs  Amphitryoniades 
17  incaluit  iubar  hoc,  externis  ignibus  ardens 
22  vtdnere  sed  blandüs  haec  tenet  Endymion 
28  pondere  suspirät  hoc  deus  armipotens 


x)  Ich  notiere  nur  3, 1  madiäd  vor  gr- 

2)  Die  Stellen  buc.  2,  6  und  2,  20  sind  richtig  emendiert  worden. 

3)  Daneben  stehen  noch  folgende  Fälle  vor  Doppelkonsonanz:  6,15 
summe,  strages,  7 ,31  meritd  statues,  10,19  dare  crecitque,  19,28  pede  stans, 
22, 13  prospicere  plantare.  Ein  sicheres  Beispiel  für  h  als  Konsonant 
fehlt;    16,27  genügt  nicht. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  39 

fig.  24,2  filius  atque  pater  et  sanctus  Spiritus  unum 
praef.  25  ergo  age,  sanctificüs  adsit  mihi  carminis  auctor 
1,26  nomine  Iohannem  hunc  tu  vocitare  memento 
^f  2,261  unde  igitur  poteris  undam  mihi  tradere  vivam 

"n  £  666  falsa  loquär;  aliusque  itidem  quia  testis  habetur 


c  o  4, 179  si  sciret  certum  furis  insistere  tempus 

558  maiestas  prolis  hominis 


> 

3 


a 


£  722  concessit  praeses  et  corpus  .  .  .  tegunt 

755  surrexit  Christus  aeternaque  lumina  vitae  .  .  . 

recepit 
Carm.  de  laud.  dorn.  (ed.  Brandes,  Progr.  Braunschweig  1887) 
(148  Verse)      97  te  genitor,  nostrd  paterentur  ut  ora  tueri 
induit  humana  facie 
Avien.2)Arat.407  Cretaei  pecoris.   haec  lac  memoratur  alumno 
(rund  4000  Verse)       infudisse  Iovi 

orbis  4,4  porrigit  insertoque  sinus  interiacet  agro 
451  Biphaei  montis,  tibi 

970  usque  Arabds  et' longa  Syrae  conßnia  terrae 
Damasus  epigr. 

(etwa         37,5  quaesisset  popidiis,  ubinam  procedere  posset 
350  Verse) 

Ps.Damasus3)  21,5  Juiec  fuit  insontis  vitd,  laudata  iuventus 
64,1  in  rebus  tantis  trinä  coniunctio  mundi 
96,6  ut  domini  plebem  operä  maiora  tenerent 
106,1  antistes  domini  celsä  sacraria  Christi 
Ausonius4)  19,1  uxor,  vivamüs  ut  viximus 

(etwa     345,12  Ibijcus  ut  periit,  index  fuit  altivolans  grus 
5600  Verse)  470, 35  cuius  ego  comes  et  quaestör  et,  culmen  honorum, 
praefectus 

!)  Vor  Doppelanlaut  1,112  consulere  scriptoque  und  so  noch  1,315. 
3,  248.  4,  53.  225.  584  [vers.  de  euang.  4].  h  steht  als  Konsonant  1, 301 
inhahitare.     Vgl.  noch  4,667  duö;  sed. 

2)  Dazu  gebraucht  Avien  an  5  Stellen  quasi  als  Iambus :  Arat.  555. 
567.  1467.  1569.  1656. 

3)  Vgl.  noch  41,3  confessd  Christum. 

4)  Verderbt  ist  368,21  satüs  auctor e.  19,1  geben  MG  statt  ut  das 
interpolierte  quod. 


40  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

24,6  tdlia  magnanimiis  edidit  orsa  paUr 

8  et  meus  et  talis  et  Lacedaemonius 

80,4  falsum  convicit  illico  haruspicium 

159,6  annua  ne  tacitä  (-us  trad.)  munera  praetereas 

165.10  quique  aevi  finis,  ipse  pudicitiae 
179,2  consobrine  meus,  immemoratus  eris 

210.6  alter  ut  Ausonius,  alter  ut  Arborius 
239,2  quis  pater  Alcinoüs  Oceanusque  atavus 
254,4  longior  ut  veniät  ordine  quisque  suo 

20,105  dictum  molestum  Croesus  accepit.    ego  j  relin- 

quo  regem 

151.11  nee  coruscantis  oculos  lacessunt  /  fidgura  lucis 

198.7  sed  quid  nostro  docuere  in  aevo 

91,1  hanc  amo  quae  me  odit,    contra1)  hanc  quae 
me  amat  odi 
167, 17 2)  caelcbs  namqae  gener  haec  nunc pia  munera  solvo 
320, 28  cui  non  longa  penus,  huic  quoque  prompta  fames 
390,23  leniter  haec  flueret,  haec  non  properata  veniret 
168,14  quoque  magis  soliis,  hoc  mage  maestus  ago 
247,2  hoc  pereunte  fugis,  hoc  fugiente  peris 
198,9  tertiüs  horum  mihi  non  magister 
320, 7  nunc  labor  et  curä  (curae  vulgo)  mea  sunt 
394,37  rescisso   disee   {en   add.  Heinsius)   componere 

nomine  versum 
Ps.  Auson  433,2  Iuppiter  admovit  Troäs  atque  Hectora  classi 
Carmen  de  fig. 

(Anth.  485:     21  te  ciet  armatus  vietüs,  huic  otia  cordi 
186  Verse) 
Carmen  contra  paganos  (Anth.  lat.  4,  etwa  vom  J.  390  n.  Chr.) 
(122  Verse)  6  purpured  quos  sola  facit  praetexta  sacratos 

13  haec  si  monstra  placent,  nidlä  sacrata  pudica(est) 
35  quem  Numa  Pompiliüs,  e  multis  primus  aruspex 
44  colläribus  subito  membrä  circumdare  suetus 


1)  Vgl.  469,  16  contra. 

2)  Auson  hat  h  außer  in  diesen  Fällen  nirgend  als  Konsonant:  der 
Hiat  vor  have  185,7  ist  berechtigt. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  41 

50  Säräpidis  cultor,  Etruscis  semper  amicus 
73  cymbala  quem  imbnerat  quatere Berecyntia  mater 
vgl.  noch  82  facere  prava 
Claudian.1)  15,87  Carthago  ter  victa  ruit?  hoc  eqs 

(rund     21,157  hie  crine  decorus  j  Armenkis ;  hie  .  .  .  Saces 
9300  Verse)       238  quos  dederis  (fut.,  -it  II).  acie  eqs 
carm.  min.  11,4  egregiumque  decüs  invidiam  meruit 

13,3  Claudicat  hie  versus,  Jmec,  inquit,  syUaba  nutat 
?  frg.  bei  Hier,  in  Is.  8,27  quo  fugis  Encelade?  quaseunque  eqs 
Carm.  de  pond.  Anth.  486     — 

(208  Verse) 
Augustinus  Anth.  lat.  489 
(54  Verse)  8  totus  ades:  in  te  totus,  totus  et  in  ipsis 

12  totus  homo  est  animä  (siquidem  hie  sibi  totus 

habetur) 
15  dum  stat  corporeüs,  homo  semper  et  hie  et  ubique 
20  cum  non  corporeüs  erit  atque  ipsum  neque  tempus 
25  semper  habet  et  ubique,  neque  est  et  habet  ubieunque 
29  sensus  et  ingenium,  ratio,  mens,  perspicuä  quae 
et  diffusa  manet,  cum  sit  in  corpore  toto; 
emigrdt,  ubieunque  aciem  porrexerit  extra 
41  corporeis  licet  offieid  gestis  varientur 
43  illa  tarnen  spirando  calet  animatque  replendo 
omnia  nee  quiddäm  habet  aut  {de)sumit  ab  ipsa 
50  haec  aut  lapsa  chaös  aut  ad  (caelum)  alta  volabit 
52  si  felix  fuerit  {-is  R),  hie  tunc  felicior  extat 
Avianus2)  — 

(654  Verse) 

Carmen  adv.  Marcionem  (ed.  Fabricius  poet.  vet.  eccl.  op.  Christ. 
(1302  Verse)  Basil.  1564  p.  258—286  Tertull.  ed.  Oehler  II 
P-  781)3) 

1)  Durch  bessere  Hss  beseitigt  sind  die  Fälle  22,441  und  carm. 
min.  9,  13. 

2)  Die  Stellen  5,9  und  22,15  sind  richtig  gebessert.  Avian  hat 
aber  8  mal  kurze  Silbe  in  der  Dihärese  des  Pentameters  (3,12.  11,6. 
19,12.  27,10.  29,22.  34,10.  35,16.  38,6),  in  der  er  auch  2  mal  (28,12. 
41,  7)  Hiat  stehen  läßt. 

3)  Ich    gebe  aus   dem   sehr  korrupt   überlieferten   und   noch   nicht 


42  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

1,28  Ule  dolo  sitasit,  homo  übertäte  peregit 
62  mirandae  virtutis  opus  invisaque  facta 
103  cognitus  ipso  operc  populis  sperantibus  olim 
137  gentes  .  .  .  \  florentes  opibus  alieno  nomine  laudent 

150  quae  sunt  postque  futura,priüs  haec  facta probatis 

151  aut  incredibile:  quid  differt  credere  vestrum 
184  qui  mandata  dedit,  hie  et  peccata  remittit 

192  sed  non  pars  hominis  animd,  sua  parte  relicta, 
pereipiet  palmam    verderbt? 

196  quorum  sit  locuples  umis  atque  alter  egenus 

214  illa  dolens  gemuit,  haec  vieta  a  vulnere  caesa  est, 

215  illa  petit  requiem,  haec  ferro  in  pulvere  fusa 
227  haec  captiva  fuit  mortis,  haec  vieta  peribit 
231  ergo  dei  aptavit  ars  et  sapientia  corpus 

2,19  ante  nee  auditä  contemptaque  corde 
59  ostendens  opere,  quantus  sit  conditor  orbis 
62  conscripsere  merä,  non  extera  verba  locuti 
88  credulus,  heu,  facile  nudatur  tegmine  vitae 
90  aut  peccata  necät  aut  sanguine  funera  delet 
92  non  pecoris  sanguis  humano  sanguine  pluris 
95  auxilium  immane,  tantae  tutela  salutis 
1 60  quave  manum  extendit,  temere  contingere  lignum 
166  exuit  exuvias  carnis  et  debita  mortis 
176  causa  haec  mortis  erat,  eadem  via  facta  salutis 
181  sumitur  ex  latere  mulier  quae  costa  mariti 
191  huius  de  latere  ligno  pendentis  in  alto 

193  femina  sanguis  erat,  äquae  [erantj  nova  dona 

lavacri 
204  haec  ovis  est  und,  quam  se  per  sabbata  vivam 
242  ille  quidem  magna  doeuit,  sed  inania  corda  .  .  . 

putant 


genügend  edierten  Gedichte  als  Beispiele  für  vulgäre  Lizenz  die  Stellen 
mit  allem  Vorbehalt  und  lasse  Zweifelhaftes  fort:  hinzukommen  noch 
etwa  15  Stellen,  wo  kurze  Endsilben  vor  anlautender  üoppelkonsonanz 
gelängt  werden  wie  1,11  auguriä  stellarum  oder  2,222  nolle  praestare; 
h  gilt  nicht  als  Konsonant. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters. 


43 


250  ergo  quid  popidis  nondum  suo  fönte  renatis 
258  denique  dixit:  oporterc  superindui  vestem 
3,24  testißcante  deo  iustüs  in  adulterä  plebe 
92  tercenteno  equite  (numerus  tau  littera  graeca) 
94  vellus  erat  populüs  ovium  de  semine  sancto 
100  non  prius  angeücä  mortis  fern  proelia  vinci 
217  ignibus  et  multd  consumpta  volumina  vatum 
220  cuius  difficile  poterlmus  dicere  laudes 
234  Barnabä  cum  comite  sociisque  prioribus 
4,12  nitimur  experimere,  quae  gratia  larga  profudit 
88  cuius  de  einer  e  mundabat  corpora  lapsa 
98  corpus  habet:  haec  est  mortalibus  hostia  viva 
116  hie  tabidae  legis,  hie  manna  est  urna  repleta 
144  luce  sua  fretüs:  Abrdliae  sinus  iste  vocatur 
146  sub(ter)  terra  tarnen,  haec  ara  vocatur  ahena 
162  aeriä  pelJes  caro,  non  ex  semine  nata 
194  testificantis  eä,  quae  posteä  facta  docemur 

198  alarum  numerus  antiqua  volumina  signat 

199  esse  satis  certä  viginti  quattuor  ista 
5,20  vincamus  tarnen  illiätd,  polluta,  nefanda 

33  hunc  quem  nemo  prius  nordt,  hie  venit  ab  alto 
62  post  Mecposset  et  interiör  homo  sanguine  iunetus 
haerere  infusus  carni 
179  profluit  et  sanguis  nee  aqua  minus  inde  secuta 
182  spiritus  ergo  potest  gerere  sine  corpore  vestem 
201  cum  patre  semper  erat,  unitus  gloria  et  aeiio 
205  hinc  genus,  hinc  et  nomen  habet,  hinc  denique 

regnum 

Prudentius1) 

(10870    cath.4,33  hie  pastüs  animae  est  saporque  verus 

Verse)  5^3  mers0  Sole  cMos  ingruit  horridum 

J)  Auch  die  Beispiele  aus  Prud.  lassen  sich  heute  noch  nicht  kri- 
tisch sichern,  da  die  von  Bergman  zu  erwartende  erste  wissenschaft- 
liche Ausgabe  noch  immer  nicht  erschienen  ist.  Prud.  hat  neben  den 
oben  angeführten  Stellen  sehr  viele,  an  denen  vor  anlautender  Doppel- 
konsonanz (auch  vor  muta  cum  liq.)  offene  Endsilbe  gedehnt  wird;  dazu 


44  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

apoth.  842  Spiritus  exisüt  tenuis  et  sibilat  aer 
ham.  526  retundere  pulsus 

materiae  fragilis  et  viscera  victa  domare 
708  hac  pietate  vagüs  et  tanto  munere  abundans 
901  speculatur  acutis 

omnia  luminibiis  et  qua 
908  impedit  ignem 

pervigilis  animae 
psych.  712  cum  placet  aeriüs  et  de  phantasmate  visus 
c.  Symm.  1,92  Cocytia  leti 

iura  resignasse  sursum  revolantibus  umbris 
395  incassum  arguere  iam  Taurica  sacra  dolemus 
2,118  pauper  et  infirmüs  et  summo  indignus  Jionore 
190  ipse  incorporeüs  ac  spirituum  sator  unus 
227  unus  egö  elementa  rego 
316  crescit  vita  hominis  et  longo  proficit  usu 
464  cogunt  ad  facinüs  et  inevitabile  mcrgunt 
538  victus  et  ipse  pri/'ts,   inimica  nee  agmina  iuvit 
869  Isis  enim  et  Serapis  et  grandi  Simia  cauda 
871  hos  tu,  Nile,  colis,  illos  tu,  Thybris,  adoras 
986  hos  fert  sicca  sitis,  hunc  ebrius  edueat  umor 
perist.  10,628  non  desüterunt  pingere  formam  crucis 

11,8  martyris  auf  nomen  aut  epigramma  aliquod 
89  vix  haec  ille:  duö  cogunt  animalia  freni 
92  imperiumque  equitis  ante  subaeta  pati 
11,240  orantem  Christus  audiat  omnipotens 
13,66  neu  sc'mt  invidiä  mitescere,  gloriam  negare 
ditt.  167  tunc  duo  discordant  crueibüs  hinc  inde  latrones 
Paulin.  epigr.  (Poet,  christ.  min.  p.  503)    — 

(110  Verse) 
Paulin.  Nol.1) 

(8890  carm.  4,15  adsit  laeta  domüs:  epidis  adludat  inempüs 
Verse)  10,31  sibi  reposcens  ab  homine  munus  suum 

erwähne  ich  die   lat.  Längung  des  Dativs  in  apoth.  986   hebdomadi  und 
c.  Symm.  2,  893  mathesi. 

*)  Unsicher  bleibt  isU  19,425,    für  verderbt  halte  ich   die  Stellen 


Zur  Geschiebte  des  lateinischen  Hexameters.  45 

19,90  nulla  fides  et  nullus  amar,  ideoque 
369  aedc  .  .  .  /  quae  reüquis  eiüs  aetate  recentior 

aidis  .  .  .  servat  honores 
25,171  inde  manet  mater  aeternl  semine  verbi 
26,338  mira  manüs  et  virga  potens  et  celsa  potestas 

Ps.  Pauliu.  app. 

carm.  l,85x)  sed  victum  quod  erat  in  me  ut  superaret  in  Mo 
3,5  corporis  ignote  ocidis,  vix  cognite  menti 
84  ambitor,  variüs,  invidus,  impatiens 
117  criminibüs  ignosce  magis 

144  sim  mundo  stultüs,  ut  tibi  sim  sapiens  und  noch 
160.  214.  226.  240  4,6.  22.24  in  der  Mitte 
des  Pentameters 

223  immortalis  erat:  est  mortuus  et  modo  vivit 

224  ante  deüs  homo  est:  nunc  deus  ex  homine 
229  qui  semper  mediüs  inter  natumque  patremque 

4,7  captivus  extris  extunc  germanus  in  oris 

Rut.  Nam.2)         — 

(712  Verse) 
Licentius  21  captum  aliquando  tarnen  in  manera  parva 

(154  Verse)  volucrum 

Endelechius  — 

(132  Verse) 

Prosper3)  carm.  de 

(rund    ino-r.4)  629  nee  meritis  istud  potens  aptare  parentum 
2000       °     •      5v 
Verse)         eFgr-  )   ~ 


18,18.  20,73.  32,71.  Außerdem  sind  zu  beachten  2,12  modo,  3,2  duö, 
28, 320  nisi  und  öfteres  quasi  (neben  quasi),  ferner  noch  27,  61  hebdo- 
madds  und  3  Beispiele  von  Dehnung  vor  Doppelanlaut. 

!)  Hier  ist  mindestens  gleichberechtigt  die  hiierende  Lesung  quod 
erat  victum,  die  schon  Alcvin  (cod.  Bamb.  B  II  10  saec.  X)  vor  sich 
gehabt  hat. 

2)  Zu  notieren  ist  nur  1,633  hyades;   richtig   gebessert  1,58  ortus 

zu  ortos. 

3)  Kritische  Ausgabe  nicht  vorhanden:  ich  benutze  Migne  51,  91  ff. 

4)  Dazu  462  petere  proprium. 

5)  Epigr.  90, 4  lies  intemis  statt  interiüs. 


46  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

Ps.  Prosper  carm. 

de  provid.1)    188  quae  nunquam  ignarä,  nunquam  longinqua 
(972  Verse)       340  illaesd  mundo  pereunte  superfidt  circa 
376  quos  deus  ipse  modo  dilata  sustinet  ira 
383  sed  non  ista  deo  patribüs  illata  remoto 
403  quaque  gradum  illaesd  tulerant  tot  milia  plcbis 
546  sie  homo,  sie  deus  es,  ut  non  sis  alter  et  alter 
570  sunt  semper  in  illo, 

in  quo  sunt  formata  modo:  non 
625  absque  labore  tuo?  credis  hoc  cedere  posse 
Orientius2)  1,149  ad  iuga  panda  boves  cogis,  ad  muletra  capellas 
(1036  Verse)      192  mutua  constringet  cura  hominis  hominem 

2,308  et  vox  nidla  nisi  quam  dederit  gemitus 
«^  prec.  32  tu  non  contentüs  uno  dotare  creatum  j  muncre 

1,281  aurea  fulgentis  inter  ramenta  metalli 
j»  -£  479  tu  maledictus  eris  et  peior  quam  tegis  intus 

*   «  2,305  sola  deum  preeibüs  et  pmra  menie  colendo 

©  328  posse  eiere  piis  preeibüs  et  nomine  vero 


O 


O 
•  t— i 

£*■  2»  374  immemores  socii  iuris  hominumque  suique 

.2  3,298  mansit  tarnen  oris 

g  Hebraei  sonitüs  et  sermo  antiquus  in  Ulis 

431  Loth  captum  patruüs  ut  primum  comperit  Abram 

670  arcanä  pandente  deo 

789  qui  primüs  hominum  meruit  peccata  lavare 
^.^     118  v.  9     qui  caelum  stellet  fomes  et  quanta  revolvat 
£   £     124  v.  2     hoc  tibi  sollers  peperit  ingenium  laborque 
o,  ^  (choriarab.) 

°#  °     423  v.  21  fies  profecto  deeipulä,  si  astruxeris  (iamb.) 
1s   £     584  v.  12  interrivatä  marmore  tellüs  erat 
^  3     725  v.  16  in  Vcneris  agro  Pallas  sibi  vindicat  usum 


!)  Migne  51, 617  ff.  —  Dazu  266  ope  praeforübus  und  758  honös. 

2)  Dazu  3  Fälle  von  Dehnung  vor  Doppelanlaut.    Aus  den  carmina 
spuria  notiere  ich  2,8  piscis,   3,87  aqua,  119  sanetüs. 

3)  Dazu  8  Beispiele  von  Dehnung  vor  Doppelkonsonanz. 

4)  Dazu  hat  Martianus  an  6  Stellen  in  arsi  (in  thesi  nur  888  v.  23) 
kurze  Silben  vor  Doppelkonsonanz. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  47 

907  v.  2     quoque  suam  mernit  inmemor  Eurydken 

11  hoc  nunc  pertmdsit  insonuitque  meto 
912  v.  20  alternisque  regit  et  regitur  polis  (asclep.) 
30  bis  plenum  omnisonä  cui  recinunt  mela 
Sedulius1)  1,120  humana  pro  gente  plus  occumberet  agnus 
(1971  Verse)      322  rursus:  *ego  atque  pater  unum  sumus 

4,46  frondea  ficas  erat,  cuiüs  in  robore  nulluni 
107  procumbens  oculis,  cuiüs  in  limine  Christus 

expuit 
209  quae  sua  sunt,  fructus  segetis  et  gaadia  vitis 
Cypr.  Gall.  setzt  regellos   kurze  offene   und   geschlossene 

(5566  Verse)  Endsilben  in  die  Arsen  (Beispiele  bei  Peiper 

im  Index  S.  345),  hat  aber  auch  in  den  Thesen 
sehr  viele  vulgäre  Messungen 
Ps.  Cypr.  carm.      3  Fälle:  v.  21.  29.  144  (v.  121  ist  mit  V  zu 
de  Sodoma         lesen  adhuc  etenim) 
(167  Verse) 
Ps.  Cypr.  carm.     — 
de  Iona2) 
(105  Verse) 

Ps.  Cypr.  carm.3)  36  te  dixisse:  deä,  erravi:  ignosce,  redivi 
ad  senatorem 
(85  Verse) 

Ps.  Cypr.  carm.      — 
de  pasch  a 
(69  Verse) 
Ps.  Cypr.  carm.     wimmelt  von  vulgären  Messungen  in  den  Arsen 
de  resurrectione         wie  in  den  Thesen 
mortuorum 
(406  Verse) 


a)  Sedulius  behandelt  h  mehrfach  als  Konsonant  (z.  B.  per  hominem) 
auch  nach  End-»i:  1,35.  324.  2,77.  184.  3.288.  296.  5,162.  196  hy.  1,69; 
dazu  5  Stellen  mit  Dehnung  vor  Doppelkonsonanz. 

2)  Nur  40  antemnd.  stridens. 

3)  So  möchte  ich  den  Vers  lieber  lesen  als  mit  Hiat  hinter  erravi; 
außerdem  zu  beachten  63  sapere  stultum. 


48  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

Ps.Hilarius,carm.  bei   nicht   allzu   zahlreichen   Vulgarismen    38 
degenesi,  de  Mac-      Fälle  von  Dehnung  in  arsi  (7  vor  h),  dazu 
cabaeis,  de  euan-      gen.  200  suboU  splcndentia 
gelio 
(712  Verse) 
Merobaudes1)         — 

(318  Verse) 
Paulin.  Pell.  hat  15  Beispiele  (darunter  12  von  -a), 

(616  Verse)  außerdem  3  vor  qu 

(s.  den  Index  von  Brandes  S.  319) 
Sidon.  Apoll.2) 

(4238    carm.  1,21  ergo  sacrum  dives  et  pauprr  lingua  litabat 
Verse)  7,444  heu  facinüs!  in  bella  Herum 

23,272  sive  Aeeüas  et  suils  Iason 
epist.  9,16  v.  43  unde  pars  maiör  uünam  taceri  \  possit  et  abdi 
Symphosius    190  sed  sum  versicolör,  albus  quandoque  futurus 
(Anth.  286)    258  mater  erat  Tellus,  genitör  est  ipse  Prometheus 
(317  Verse)     262  ex  tribus  est  unüs,  et  tres  miscentur  in  uno 
Paul  Petric.  2,20  mens  humilis  crebris  precibüs  immota  mancbat 
(3727  Verse)     218  hie  certe  simplex  animüs  et  sola  precantis 
436  augens  praecipitis  inmensa  mole  furoris 
4,463  arentes  stipulas  saeva  ut  (aber  ut  saeva  S) 

incendia  fugit 
Carm.deaegr.  31  fonsque  regit  medio  motd  per  gramina  lapsum 
Perdiccae3)  121  des  requiem  miserando,  precör,   et  posse  fateri 
(290  Verse)    125  aut  vox  qualis  erit?  adgressus 

229  hie  erat  Andromedä,  hie  altera  Laodamia 
252  et  graciles  cecidere  modo  per  acumina  nares 
Dracontius4) 

laud.  dei    1,167  herba  virens  prodit,  it  surcidus  omnis  in  auras 
(5958  Verse)     293  distribuit  loca  certa  deiis  et  tempora  fixit 


!)  Ich  notiere  nur  pan.  poet.  94  ho>ius  et. 

2)  Dazu    mit    lateinischer    Längung    carm.  10,  17    Pimpliadäs    und 
22,79  tripodds. 

3)  Unsicher  bleiben  191  Perdicä  und  201  vocis. 

4)  Corrupt  sind  überliefert  Rom.  3,13  und  Or.  359;  ich  notiere  noch 
egö  Rom.  8,522.  10,251  und   4  mal    kurze  Silbe  in   der  Pentametermitte 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  49 

737  vel  decrescente  decrescant  lege  perenni 
2,11  partita  cum  fratre  vicefsj  sua  tempora  lustrans 
273  anguis  agit  ignarus  opus 
573  expensüs  öbiit 

657  nam  cui  terra  datdr  et  caeli  sancta  parantur 
Rom.  5,35  Sarmata  Persa  Gothas  Älamannus  Franeus 

Älanus 
6,60  ibat  in  obsequium  Risüs,  Amplexibus  Jiaerens 
9, 206  tangentem  laudare  cupit  et  bracchia  collojnectere 
10,139  dum  precihüs  elementa  quatit 

503  ipse  pias  animas mittis  et  claudis  in  aevum 
519  uritur  ingratüs  usta  cum  virgine  nauta 
Or.  66  filia,  noster  amörfsj  et  noster,  nata,  reatus 
197  quidquid  agis,  impune  geris 
405  iam  sperare  licet  et 
784  exümuit  natura  chaös,  elementa  tenebras 
926  si  idciscenda  red  genetrix 

Alcimus  Av.1)  — 
(3218  Verse) 

Boethius    1,1,7  gloria  felicis  olim  viridisque  iuventae 

cons.2)    1,2,22  rimari  solit/is  atque  latentis 

(882  Verse)     1,5,6  totis  fratris  obvia  flammis 

1,160  praestat  ut  abstineäm:  abstinuisse  nocet 

209  hae  sunt  primiüae  mortis,  Us  parübus  aetas 


I    83 
•|  >  defluit 

'S 


CS 


CD 


219  fltquc   tripes,  prorsus   quadrupes,   ut  parvulus 

infans 
2,55  sum  grandaevus  egö,  nee  tu  minus  alba  capillis 


(sat.  80.  140.  160.  262)  dazu  massenhaft  Langsetzung  vor  Doppelkonsonanz 
(s.  meinen  Index  S.  442). 

1)  Die  Dehnung  von  Monosyllaba    wie   nee   (öfters)    und    in   (1,  32) 
rechne  ich  hier  nicht. 

2)  Dazu   4  Fälle   von   Langsetzung   vor   Doppelkonsonanz    (2, 6,  15. 
4,  5,  19.    4,  7,  18.    5,  3,  14). 

3)  Dazu  vor  Doppelkonsonanz  1,71  egö,  1,95  mpercüid. 
Sitzgsb.  d.  pbilos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jabrg.  1917, 3.  Abb.  4 


50  3.  Abhandlung :  F.  Vollmer 

Ennodius1) 

carm.  2,146,3  o  utinam  Musis  contingant  munere  nostro 
(2084  Verse)  de  te  quandoque  gaudia  certa  puer 

Priscian2) 

perih.  661  hi  Tanain  habitant 
(1421  Verse) 

Arator3)act.2,334  officium  cum  tuta  venu;  en  sancta  quod,  inquit 
(2482  Verse)      885  additur  in  pelagüs  oculis  via 

Corippus4) 
(6340  Verse) 
Venantius5) 

carm.  2,1,13  nullum  uret  aestus  sub  frondibus  arboris  huius 
(9900  Verse)        17  appensa  est  vitis  inter  tua  bracchia 
2,6,25  fundis  aroma  cortice  (iamb.  dim.) 
2,8,5     una  quod  est  hdbüefm]  de  magnis  magna  fateri 
3,13d,  1  retia  vestra,  patir,  oneroso  pisce  redundant 
5,2,69  qui  fuit  antistes  Arelas  de  sorte  Lerini  (ebenso 

Mart.  4,218) 
7,10,15  sollicitudo  tua  reliquis  fert  dona  salutis 
9,1,111  legibus  arma  regis  et  leges  derigis  armis 

x)  An  8  andern  Stellen  folgt  immer  anlautendes  h:  opusc.  6  p.  403, 18 
Hartel,  opusc.  6  p.  404,11  carm.  1,5,39.  1,13,16.  2,3,11.  2,8,3.  2,11,8 
2,110,6;  dazu  vor  sp  und  st  im  Anlaut  1,9,28  aquüd,  2,17,7  pande 
2,  78,  3  ope. 

2)  1003  Oritds  Acibasque  geht  auch  im  Griechischen  fest  nach  der 
ersten  Deklination. 

3)  Dazu  an  6  Stellen  vor  anlautendem  h :  1,35  petiit,  homo,  sonst 
immer  vor  hie  1,291.  301.  595.  615  ne  quis  hie,  2,298,  ferner  vor  schwerem 
Anlaut  1,503  vid  sp-.  Eine  verläßliche  Ausgabe  des  Arator  liegt  noch 
nicht  vor. 

4)  An  7  Stellen  vor  anlautenden  h:  Joh.  1,132  edoeuit  haec  verba 
movens.  1,178.  3,276  puppis,  heu.  7.62.  385  Iust.  1. 268  quis  hominum 
4,  304,  dazu  8  Stellen  von  Dehnung  offener  Silbe  vor  anlautender 
Doppelkonsonanz. 

5)  carm.  7, 19, 3  visceribüs  isdem  genitos  ist  wohl  mit  Leo  hisdem 
zu  lesen  und  das  Beispiel  den  zahlreichen  Fällen  zuzurechnen,  in  denen 
Venant.  h  als  Konsonant  gebraucht.  Hinzukommen  noch  8  Stellen,  an 
denen  Venantius  das  erste  Kolon  des  Pentameters  mit  kurzer  Silbe 
schließt,  verzeichnet  bei  Leo  ind.  S.  426. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  51 

Mart.  1,409  ut  senis  illa  patris  oculorum  clauderet  orbes 
2,120  qui  grave  succubuit  Aquileia  proünus  urbe 
3,321  et  sine  voce  favet  animo  iactata  priore 
4,120  tu  requie  frueris  et  sustinet  ille  labores 

511  ac  per  opertum  aperit  et  in  invia  nuntius  intrat 
635  si  tarnen  urgeris,  ut  adhuc  temerariits  intres 
709  arva  capax,  pelagüs  intrans,  super  astra  coruscans 
Eug.  Tolet.  setzt  massenhaft  in  die  Arsis  kurze  geschlos- 

sene und  offene  Silben:  Beispiele  carm.  1,1 
rex  deus  immense,  quo.  1,12  invidid  luxüs  et, 
1,15  nil  turpe  cupiam.  2,2  nil  pecude  distas 
u.  s.  w. 
Anth.  lat.1)  3,4  praeteriit  animus.  21,46  calamüs  et.  bßvariiis, 
hinc.  89  iace  (wirf!)  116.  132.  205  Furiä. 
24,5.  25,3  formosä.  64,2  vimque  vice  linguae. 
76,1.  102,6.  113,8.  126,2  pent.  126,6  pent. 
128,11.  129,3  Cypridösut.  135,2  urbem  his 
pent.  148,9  Cressd.  154,2  mensdm.  hie  pent. 
170,1  stat  similis  auro.  197,4  cursim  aureus 
pent.  199,5  opus  et.  6  solüm:  aliquid.  12. 
15.  27  agricold.  42  egö.  204,10  in  parte. 
209,6  pidveris  ut  piluld  brevis  es,  ut  glömus 
Mc  erras.  234,28  adflictd  pent.  34  primd 
pent.  243,2.  244,10.  15.  253  Reposianus: 
nichts  außer  169  Chariti.  273,5  ait,  hunc. 
10  Byblis  'in  fönte.  277,1.  282,2  morsum  et 
pent.  322, 6  fuerant  forsdn  ista  ferenda  ana- 
paest.  323, 8  in  luxum  cupere,  sed  mage  ven- 
dere  asclep.    325,2  dafür,  huius.    328,2  com- 

*)  Von  dieser  großen  Masse  von  Dichtern  und  Gedichten  aus  ganz 
verschiedenen  Jahrhunderten  und  Provinzen  müßte  natürlich  eigentlich 
alles  einzeln  gewürdigt  werden:  das  aber  führt  mich  hier  zu  weit.  Ich 
verzeichne  darum  nur  kurz  die  Stellen,  indem  ich  ausschreibe  nur  was 
besonders  beachtenswert  ist.  Einige  größere  Stücke  sind  schon  oben 
einzeln  in  die  Reihe  gestellt  worden.  Die  Centonen  lasse  ich  ganz 
beiseite,  ebenso  viele  zweifelhafte  Stücke.  Ich  bitte  also  aus  meinem 
Schweigen  keine  übereilten  Schlüsse  zu  ziehen. 


52  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

pdr,  ars.  332,12  quo  dulcis  avium  canor  re- 
sultat  phalaec.  338,7  tandfm,  haec.  341,6 
pent.  345,12  vernd  resonat.  349,1.  357,6 
credo  quod  ille  nolit  habere  anapaest.  363,4 
pent.  366,5  sidüs,  haec.  367,2  Fhrygius 
Hector.  4  ficttis  Hector.  370,4  pent.  376,6. 
18  tribuit  haec.  20.  22  regnanüs  increvit 
amor.  389, 1 1  simt'd  et.  24.  30  hinc  corpus, 
hinc  vita  redit,  hinc.  393,1.  394,5  ducis  hexä- 
guna.  403,1.  461,10  fidt,  hac  pent.  463,16 
raputt,  hac  pent.  485b,2  pent.  487a,4  pent. 
495 — 638  Carmina  XII  sapientum:  nichts. 
671  Phocas:  nichts.  742  epithal.  Laurentii: 
nichts. 
Carm.  epigr.1)  249  — .  252:  nichts.  253,5  tegit:  hanc. 
254:  nichts.  279,  301,  409:  nichts.  417,15 
timidus,  ut.  420,4  scieris.  ergo.  422,6  saevd 
lux.  8  magna  fuerat.  12  sacrä  via.  13  im- 
mensd  turbä.  16  omnigend.  437 :  nichts. 
787,12  scedd.  29  tractante.  995:  nichts. 
1109:  nichts.  1111:  nichts.  1141:  nichts. 
1142,14  mit  pent.  1238,6.  9.  14.  17.  19. 
20  nostrd  vita.  26  u.  s.  w.  Carmen  auf  Allia 
Potestas  (Philol.  73, 274)  3  sedida,  seriold, 
parva  tarn  magna  teneris.  5  quid  bona  diri- 
pitis  exuperantque  mala.  12  fuit,  eadem. 
15  nulld.     51  poterit. 


Die  lange  Liste   beweist,    daß  die  Lizenz  seit  Vergil  sich 
nicht  wesentlich   geändert   hat;    sie    hat   nicht  auf   die  erste2) 


a)  Ich  habe,  da  der  größere  Teil  dieser  Inschriften  äußerst  unregel- 
mäßig und  kunstlos  gefertigt  ist,  nur  einige  größere,  einigermaßen  regel- 
rechte Stücke   beispielsweise   herangezogen,    die  ich  ausdrücklich  nenne. 

2)  Fälle  qui  Anth.  349,  1  Quis  hunc,  Sedul.  3,  296  Vir  humilis, 
Arator  2,  973    Bis  habitum   erledigen   sich    natürlich    durch   h    consona ; 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters. 


53 


noch  auf  die  letzte1)  Arsis  hinübergegriffen  und  findet  sich, 
wenn  wir  von  ganz  vulgären  Versemachern  absehen,  nie 
zweimal  in  ein  und  demselben  Verse.  Je  tiefer  wir  in  die 
christlichen  Jahrhunderte  hinunterkommen,  um  so  schwerer 
sind  die  Grenzen  der  Erscheinung  zu  bestimmen:  besonders 
die  Scheidung  von  der  durch  anlautendes  h  bewirkten  Positions- 
länge bedarf  für  jeden  Dichter  genauester  Beobachtung.  Ich 
halte  gar  nicht  unmöglich,  daß  die  zahlreichen  Beispiele  von 
kurzer  Endsilbe  vor  in  Anapher  wiederholtem  hie,  hinc  u.  s.  w. 
stark  zur  Verbreitung  der  wirklichen  Positionslänge  vor  h 
beigetragen  haben. 

Die  wichtigste  Erkenntnis,  die  uns  die  Stellenliste  bringt, 
ist  nun  aber,  daß  eine  ganze  Reihe  von  Dichtern  die  ihnen 
fehlerhaft  erscheinende  Freiheit  ganz  gemieden  haben.  Nicht 
nur  die  auch  sonst  auf  der  Höhe  der  vollkommensten  Technik 
stehenden  Dichter  der  Tiberianisch-Neronischen  Zeit,  voran 
Lucan,  —  das  ist  ja  eigentlich  selbstverständlich  —  viel  merk- 
würdiger ist,  daß  wir  auch  vom  3.  bis  6.  Jahrh.  sogar  unter 
den  Dichtern,  deren  Prosodie  schon  zahlreiche  Zugeständnisse 
an  die  Sprachentwicklung  ihrer  Zeit  und  unbekümmertes  Ver- 
lassen der  klassischen  Kanones  aufweist,  immer  einzelne  finden, 
die  in  diesem  Punkte  strenger  sind  als  Vergil  und  sogar  Ovid : 
als  solche  treten  in  der  Liste  deutlich  heraus  Nemesian,  Lac- 
tantius  de  Phoenice,  der  Fabeldichter  Avian,  Rutilius  Nama- 
tianus,  Prosper  in  den  Epigrammen  (rund  2000  Verse),  Mero- 
baudes,  Alcimus  Avitus  (über  3000  Verse)  und  Corippus  (über 
6000  Verse).  Ich  möchte  daraus  schließen,  nicht  etwa  daß 
nun  ein  Christ  wie  Alcimus  besonders  die  Verstechnik  des 
Lucan  studiert  habe  (dann  würden  seine  Verse  in  andern 
Dingen  ganz  anders  aussehen),  sondern  daß  es  neben  den 
grammatisch-metrischen  Traktaten,  wie  solche  auf  uns  ge- 
kommen   sind    und    die    im    wesentlichen  Vergilische    Technik 

dazu  ist  zu  beachten,  daß  in  spätem  Jahrhunderten  die  Tendenz  besteht 
viele  Monosyllaba  zu  längen. 

')   In  schlechtesten  Versen   des  Augustin.   Anth.  489,  29  perspieud 
quae. 


54  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

lehrten,  doch  auch  andere  gegeben  hat,  welche  gegen  das 
Eindringen  kurzer  Endsilben  in  die  Arsis  kräftig  angekämpft 
haben.  Wie  nötig  das  war,  um  einigermaßen  die  Stellung 
der  quantitierenden  Metrik  zu  verteidigen,  zeigen  einzelne  Ge- 
dichte wie  die  Bücher  gegen  Marcion,  deren  zahlreiche  Ver- 
stöße ich  darum  oben  vollzählig  aufgeführt  habe.  Man  sollte 
aber  doch  endlich  aufhören,  auf  diese  christlichen  Dichter 
wegen  ihrer  Abweichungen  von  einer  Verskunst,  die  längst 
durch  die  natürliche  Entwicklung  der  Sprache  überholt  war, 
verächtlichen  Auges  hinabzuschauen  :  Experimente  wie  das 
Commodians  konnten  natürlich  nicht  gelingen,  aber  die  vor- 
sichtige und  geschickte  Art  wie  ein  Prudentius,  ein  Arator, 
ein  Alcimus  die  nationale  Kunst  des  Epos  lebendig  erhielten, 
indem  sie  sie  vernünftig  weiterentwickelten,  verdient  alle  An- 
erkennung. 


Exkurs  (zu  S.  17  ff.). 

Wegen  der  materiellen  wie  der  methodischen  Wichtigkeit 
der  Sache  möchte  ich  noch  einmal  auf  die  oben  gewonnene 
neue  Auffassung  zurückkommen  und  noch  deutlicher  meine 
Meinung  begründen,  daß  die  übliche  Lehre,  für  Plautus  hätten 
die  geschlossenen  Verbalendungen  mit  -t  und  -r  (~at,  -et,  -it 
der  i-Stämme,  des  ind.  perf.,  des  coni.,  -ar,  -er,  -or  als  l.pers.) 
ausnahmslos  als  Längen  gegolten,  schwerlich  richtig  ist,  daß 
vielmehr  schon  Plautus  diesen  Silben  nur  künstlich,  wo  es  ihm 
bequem  war,   die  schon  veraltete  Länge  zurückgegeben  hat. 

Die  oben  schon  erwähnte  allgemeine  Erwägung,  wie  un- 
glaubhaft es  wäre,  eine  solche  langsam  fortschreitende  Ent- 
wicklung, wie  die  Kürzung  dieser  Endsilben  gewesen  sein  muß 
(man  denke  nur  an  die  lange  Geschichte  des  End-o  von  Plautus 
bis  Seneca),  genau  auf  die  Zeit  zwischen  184  und  172  zu  fixieren, 
diese  Erwägung  hat  für  mich  dadurch  nicht  an  Gewicht 
verloren,  daß  ich  unterdeß  gesehen,  wie  Herr  Maurenbrecher 
in  seinem  an  Fehlern,  Verschrobenheiten  und  Ungehörigkeiten 
reichen  Buche  cParerga  zur  lat.  Sprachgesch.  u.  s.  w.    (Leipzig 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  55 

1916,  198.  229)  leichten  Herzens  auch  die  Kürzung  von  nisi 
quasi  mild  ubi  u.  s.  w.  auf  genau  dasselbe  Jahrzehnt  datiert. 
Die  dort  mit  großen  Worten  als  etwas  neues  angepriesene 
'statistisch-historische'  Methode,  zu  der  Wölfflins  Name  her- 
halten muß,  erweckt  wenig  Vertrauen,  wenn  sie  solche  Resultate 
zeitigt:  bei  allen  Wegen,  seien  sie  nun  alt  oder  wirklich  neu, 
ist  eben  die  Hauptsache,  daß  der  Wanderer  selbst  die  Augen 
offen  behält  und  sorgt,  ans  richtige  Ziel  zu  kommen. 

Der  Befund  der  Tatsachen  für  die  Länge  der  geschlossenen 
Endungen  (nach  Ritschi  Prolog,  z.  Trin.  CLXXXII  ff.  =  opusc. 
V  422  ff.  bei  C.  F.  W.  Müller,  plaut.  Pros.  37—79)  ist  keines- 
wegs überwältigend:  nur  so  ist  es  ja  auch  zu  verstehen,  daß 
die  Lehre,  diese  Silben  seien  lang,  erst  so  spät  auftreten  konnte. 
Die  Eigentümlichkeit  der  skenischen  Verse  bringt  es  mit  sich, 
daß  an  der  weit  überwiegenden  Mehrzahl  der  Stellen  die 
Quantität  der  in  Frage  stehenden  Endsilben  undeutlich  bleibt. 
So  belaufen  sich  die  Zahlen  der  die  Länge  wirklich  sicher 
aufweisenden  Stellen  auf  folgende1): 

für  -at  für  -et  für  -it 

ind.     coni.     imperf.       ind.     coni.     fut.     coni.       ind.     coni.     coni.    ind. 
praes.  praes.  imperf.  praes.  praes.   perf.   perf. 

10        2  1  11       4        2        2  6       10      —      10 

~13~  "TS"  ~26~ 

Was  diese  Zahlen  bedeuten,  kann  aber  erst  ein  Vergleich 
lehren :  um  ihn  zu  ermöglichen,  stelle  ich  aus  Miles  und  Pseu- 
dolus  die  Zahlen  des  Vorkommens  dieser  Formen  zusammen2) 


Miles:     -at  undeutlich  162 

Pseud. 

-at  undeutlich    92 

(1437  Verse)          lang               — 

(1335  Verse) 

lang                  1 

-et  undeutlich  127 

-et  undeutlich  117 

lang                 1 

lang                 4 

-it  undeutlich  195 

-it  undeutlich  148 

lang                 3 

lang                 2 

1)  Ich  habe  dabei  und  in  den  folgenden  Listen  ausgeschieden  auch 
die  Fälle,  in  denen  die  Endung  im  Senar  die  4.  Hebung,  im  troch.  Sep- 
tenar  die  2.  oder  6.  Hebung  einnehmen:  warum,  vgl.  Jacobsohn,  quaest. 
Plautinae  diss.  Gotting.  1904. 

2)  Die  für  die  Länge  angenommenen  Stellen  sind:  Mil.1244  desideret, 


56  3.  Abhandlung:  P.  Vollmer 

Es  wird  nun  wohl  klar  sein,  wie  gering  die  Zahl  der  die 
Länge  beweisenden  Stellen  im  Verhältnis  zum  Vorkommen  der 
Endungen  überhaupt  ist. 

Damit  man  mir  nicht  mit  dem  allgemeinen  Einwurfe  komme, 
dies  Verhältnis  sei  eben  bei  dem  Charakter  der  skenischen 
Verse  naturnotwendig,  habe  ich  die  gleiche  Zusammenstellung 
für  die  unbezweifelbar  langen  Endungen  -as  -es  -is  gemacht : 
die  Zahlen  sind1) 

Miles     -as  undeutlich  75  Pseud.    -as  undeutlich  90 

lang  5  lang  5 

-es    undeutlich  55  -es    undeutlich  70 

lang  2  lang  6 

-is    undeutlich  65  -is    undeutlich  72 

lang  2  lang  3 

Ziehen  wir  nun  den  Vergleich: 

-t  Endungen:  undeutlich  841,   sicher  lang      11 
-s  „  undeutlich  427,   deutlich  lang  28. 

Die  -s  Endungen  sind  also  in  Wirklichkeit  5  mal  so  oft 
deutlich  lang  als  die  ^-Endungen. 

Aber  wir  müssen  noch  eine  andere  Gegenrechnung  auf- 
machen. Wie  oft  läßt  sich  denn  bei  den  wirklich  kurzen 
Endungen  auf  -it  z.  B.  agit  erit  amaverit  (fut.  ex.)  die  Kürze 
sicher  erkennen?  Ich  habe  unter  den  112  Stellen  in  Miles 
und  Pseudolus  keine  einzige  gefunden,  die  Kürze  sicher 
erweist. 

Ich  meine,  dieser  Befund  ist  ausschlaggebend :  wir  werden 
uns  also  für  die  Annahme,  Plautus  und  seine  Genossen  hätten 
die  Endungen  -dt  -et  -it  in  den  in  Frage  kommenden  Formen 
ebenso  gut  wie  Ennius  im  Epos  als  Kürzen  gebrauchen  können, 
besonders    in   Versen    wie   Anapaeste  Bakcheen   Kretiker,    mit 


242.    1186.    1397  sit,    Pseud.  702  resonät;    308  miseret,    739  habet,    1178 
scilicet,    1278  amaret,    311  vixit,    596  dixit. 

!)  Die  Stellen  für  Länge:  Mil.  426  rogäs,  hern.  625.  689.  1118.  1177; 
435.  459;  1387.  1417;  Pseud.  399.  486.  579.  913*;  157.  234,  922.  1015. 
1198,  1323;   321.  695. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters.  57 

ganz  geringen  Spuren  begnügen  dürfen  und  werden  uns  hüten 
müssen  sie  zu  verwischen. 

Zunächst  sind  unter  den  von  mir  oben  als  undeutlich 
gerechneten  Stellen  nicht  nur  die  Menge  derer,  wo  die  Endung 
die  syllaba  anceps  des  Verses  oder  Kolons  bildet,  derer,  wo 
der  Endkonsonant  t  vor  anlautendem  Konsonant  steht,  derer, 
die  unter  die  IK  fallen,  sondern  auch  eine  ganze  Reihe  solcher, 
wo  auf  die  Endung  2  Kürzen  folgen,  und  dabei  ist  es  gar 
nicht  selten,  daß  die  Lesung  mit  kurzer  Endung  den  Vers  viel 
glatter  macht:  z.  B.  Mil.  332  wird  die  zweite  Hälfte  des  Sep- 
tenars  durch  die  Messung  sit  tadellos :  quin  ea  sit  in  his  aedibus 
und  so  vieles:  auch  Bakcheen  und  Kretiker  werden  glatter 
z.  B.  Pseud.  248  fuit::  mortaost  qui  fuit:  qui  sit  tisust,  934 
Iiippiter  te  mihi  servet  immö  mihi:  leider  ist  Leos  Conjectur 
1262  zu  unsicher,  sonst  stände  dort  in  Anapästen  deutlichst 
propinftt. 

In  andern  Stücken  aber  haben  wir  Stellen,  wo  nun  in 
der  Tat  die  Kürzen  überliefert  sind  und  nicht  wegkorrigiert 
werden  dürfen  :  Truc.  553  (Anapaeste)  quin  nihili  sit  at- 
que;  Bacch.  665  fecit  ex  patre,  Rud.  212  monstret  ita  nunc; 
dazu  drei  Stellen,  an  denen  durch  Annahme  der  Kürze  die 
4.  Senkung  des  iambischen  Langverses  nach  Hermanns  Regel 
rein  wird:  Capt.  198  evenit,  Cist.  312  exconcinnavit,  Merc.  121 
sit  —  und  es  werden  sich  wohl  bei  aufmerksamer  Musterung 
der  Überlieferung  mit  der  Zeit  noch  mehr  finden  lassen,  auch 
für  die  -r  Endungen. 


58  3.  Abhandlung:  F.  Vollmer 


Verbesserung. 

Indem  ich  berichtige,  daß  auf  S.  10  der  Vers  Aetna  129 
hospiüum  fluvium,  haud  semita  sich  fälschlich  unter  den  Titel 
*  Culex  verirrt  hat,  erkläre  ich  zugleich,  weshalb  ich  in  diesem 
Verse  jetzt  die  Überlieferung  fluvium  für  richtig  halte,  während 
ich  in  meiner  Ausgabe  PLM  P  S.  166  leider  der  Conjectur 
Birts  fluviis  Raum  gegeben  habe.  Erst  bei  der  Redaktion  des 
Artikels  fluvius  für  den  Thesaurus  wurde  mir  deutlich,  wie 
die  Dichter  sich  um  den  unbequemen  Genetiv  fluviorum  bemüht 
haben :  Vergil  setzte  ihn  als  fluvjorum  in  den  ersten  Fulä 
(georg.  1,482),  einmal  auch  (mit  Elision)  an  dieselbe  Stelle 
wie  im  Aetnaverse  (Aen.  12,142,  an  anderer  Stelle  Sil.  6,603 
Stat.  Theb.),  aber  Lucilius  sagte  329  fluvium  und  ebenso 
Val.  Fl.  6,391.  443.  So  sehe  ich  kein  Bedenken,  das  über- 
lieferte fluvium  auch  in  der  Aetna  zu  belassen. 


Zur  Geschichte  des  lateinischen  Hexameters. 


59 


Aus  dem  Inhalt. 


Seite 

Endsilben-Dehnung  vor  schwerer  Konsonanz 

8,2.    11,1.2.   14,1.    36,6.  7. 

37,2.3.    38,1.3.    39,1.3.    41,3.    43,1.    45,4.    46,1.2.3.4.    47,1.2.3. 

48,4.    49,2.  3.    50,1.  3.  4. 

Griechische  Endungen 

13.    25.    37,1.    43,1.    44,1. 

45,2.   48,2 

Hiat 

21.   24.   26  ff.   33.   41,2 

Monosyllaba  gedehnt      .... 

• 

49,1 

Rhetorik  und  Poesie        .... 

25 

Syllaba  anceps 

• 

30 

in  der  Fentametermitte     . 

• 

41,2.  48,4.  50,5 

Metrische  Traktate  des  Altertums 

3  mit  Anm.  21,1 

Einzelnes:     abies  aries  paries 

• 

7.  10.  11.  33.  34.  35,2 

awjicio.         .... 

• 

11,2 

cinis      .... 

34 

duö        .         .                  . 

39,1.  44.1 

egö       . 

10,1.  36,5.  48,4 

es(s)     . 

• 

34 

h  consona     . 

■ 

38,3.  39,1.  40,2.  41,3.  47,1. 
50, 1.  3.  4.  5.   52,  2 

iubär     .... 

. 

20 

modo     . 

. 

8,1.  35.  44,1 

nictio    .... 

. 

5,5 

nihil      .... 

. 

14.  34 

-pes       .... 

. 

20.  35,2.  36,1.  37,1 

pulvis    .... 

. 

20 

quasi     .... 

. 

39,2.  44,1 

que  .  .  .  que  . 

. 

15 

savgitis 

8.  10.  11.  14.  20.  35,2.  37,2 

Endungen:    -ä  nom.  sing. 

. 

23 

-es:  -a           ... 

. 

23 

-at:  -ät 

17.  55  f. 

-et:  -et          ... 

17.  23.  33.  55  f. 

-it :  -it  bei  Plaut. 

. 

17  ff.    55  f. 

„     Enn. 

17 

im  f'ut.  exact. 

23 

-tat,  -üu 

12  ff.    31.    35.   36,4 

-iä  im  perf. 

. 

18,1 

-is:  is            ... 

.  , 

11.  13.  35,2.  37,1 

•br:  ör           ... 

. 

9.  19 

-ÖS 

• 

19 

A 

Sitzungsberichte 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  4.  Abhandlung 


Bernardus  Noricus 

Untersuchungen  zu  den  Geschichtsquellen 
von  Kremsmünster  und  Tegernsee 


von 


Georg  Leidinger 


Vorgetragen  am  3.  März  1917 


München  1917 
Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  6.  Franzschen  Verlags  (J.  Roth) 


Sitzungsberichte 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  4.  Abhandlung 


Bernardus  Noricus 

Untersuchungen  zu  den  Geschichtsquellen 
von  Kremsniünster  und  Tegernsee 


von 


Georg  Leidinger 


Vorgetragen   am   3.  März   1917 


München  1917 
Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franzschen  Verlags  (,J.  Roth) 


Aus  dem  Benediktinerkloster  Kremsmünster  in  Oberöster- 
reich,   einer   der  ältesten  Kulturstätten  dieses  Landes,   besitzen 
wir    mittelalterliche    erzählende   Geschichtsquellen,    welche    für 
bayerische  wie  für  österreichische  Geschichtsforschung  von  ziem- 
licher  Bedeutung   sind,    weniger   wegen    ihres  Inhaltes   an    ge- 
schichtlichen Überlieferungen  selbst,  als  vielmehr  weil  sie  durch 
ihre  sagenhaften  Teile  die  bayerische   und   österreichische  Ge- 
schichtschreibung nachhaltig  beeinflußt  haben.    Im  13.  und  zu 
Anfang;  des  14.  Jahrhunderts  entstanden,   sind  diese  Aufzeich- 
nungen  durch  Abschriften  hauptsächlich  in  Bayern  und  Oster- 
reich  verbreitet  worden;  noch  mehr  aber  sind  Teile  ihres  In- 
haltes  dadurch  in   die  Weite   gedrungen,   daß  bayerische   und 
österreichische  Chronisten    des    15.  Jahrhunderts   sie   stark  be- 
nützten, worauf  die  Werke  dieser  Chronisten  wieder  den  folgen- 
den Geschichtschreibern  als  Quellen  dienten. 

Unter  dem  Namen  „Geschichtsquellen  von  Kremsmünster" 
zusammengefaßt,  bilden  jene  Aufzeichnungen,  wie  schon  diese 
Bezeichnung  erkennen  läßt,  nicht  etwa  ein  einziges  zusammen- 
hängendes Werk,  sondern  zerfallen  in  verschiedenartige  Teile. 
Die  Grundlage  der  Überlieferung  ihrer  Texte  bilden  zwei  in 
engem  Verhältnisse  zueinander  stehende  Handschriften.  Die 
eine  befindet  sich  jetzt  in  der  Wiener  k.  k.  Hofbibliothek, 
stammt  iedoch  aus  Kremsmünster  selbst,  die  andere  wird  heute 
noch  in  diesem  Stifte  verwahrt.  Beide  Handschriften  gehören 
dem  Ende  des  13.  und  ersten  Viertel  des  14.  Jahrhunderts  an. 
Die  Wiener  Handschrift1)  enthält  u.  a.  folgende  Aufzeich- 
nungen, die  mit  der  Geschichte  des  Stiftes  in  teils  engerer  teils 


l)  Cod.  pal.  Vind.  610.    Vgl.  die  Beschreibung  von  Wattenbach  im 
Archiv    der  Gesellschaft  für   ältere   deutsche   Geschichtskunde  X   (1851), 

1* 


4  4.  Abhandlung:  Georg  Leitlinger 

weiterer  Verbindung  stehen:  1.  einen  „Catalogus  episcoporum 
Pataviensium",  2.  einen  „Catalogus  ducum  Bavariae",  3.  die 
sog.  „Historia  ecclesiae  Laureacensis",  4.  einen  „Catalogus 
archiepiscoporum  Laureacensium  et  episcoporum  Pataviensium", 
5.  einen  „Catalogus  abbatum  Cremifanensium",  6.  einen  „Cata- 
logus paparum".  Zu  diesen  Stücken  sind  auf  Rändern  und 
freien  Stellen  zahlreiche  Bemerkungen  und  Zusätze  beige- 
schrieben, die  gleichlauten  mit  Teilen  der  zweiten,  in  Krems- 
münster befindlichen  Handschrift. 

In  dieser1)  sind  zwei  verschiedene  Geschichtswerke  ent- 
halten: die  sog.  „Historiae  ecclesiae  Cremifanensis"  und  die 
„Narratio  de  ecclesia  Chremsmunster".2)  Die  „Historiae",  das 
für  die  Forschung  wichtigste  Werk  der  kremsmünsterschen 
Quellen,  zerfallen  nach  einem  „Prologus"  in  vier  große  Ab- 
schnitte, deren  Inhalt  die  Überschriften  erkennen  lassen:  „De 
ordine  episcoporum  Laureacensium",  „De  ordine  ducum  Ba- 
variae", „De  origine  et  ordine  ducum  Austriae",  „De  catalogo 
abbatum".  Dem  ersten,  zweiten  und  vierten  Abschnitte  dieser 
„Historiae"  liegen  die  entsprechenden  Teile  der  Wiener  Hand- 
schrift zugrunde.  Die  „Narratio"  ist  mehr  eine  eigentliche 
Geschichte  des  Klosters:  der  auch  in  den  „Historiae"  ent- 
haltene Stoff  ist  in  der  „Narratio"  in  gewandter  Weise  und 
abgerundeter  Form  zu  einem  Werke  verarbeitet,  in  welchem 
die  Schicksale  des  Klosters  im  Vordergrunde  stehen. 

Von  den  genannten  Aufzeichnungen  der  beiden  Hand- 
schriften erregten  sowohl  die  „Catalogi",  welche  hauptsächlich 

482  (wo  die  älteren  Erwähnungen  bei  Lambecius  verzeichnet  sind),  dann 
in  den  Tabulae  codicum  manu  scriptorum  in  bibliotheca  palatina  Vindo- 
bonensi  asservatorum  I  (Vindobonae  1864),  106,  ferner  von  Waitz  in  Mon. 
Germ,  hist.,  SS.  XXV,  611ff.,  bei  Loserth,  Die  Geschichtsquellen  von  Krems- 
münster im  XIII.  und  XIV.  Jahrhundert  (Wien  1872),  S.  lff.,  endlich 
Einzelheiten  über  die  Handschrift  in  der  unten  erwähnten  kritischen 
Literatur. 

x)  Cod.  401  der  Stiftsbibliothek. 

2)  Letzteren  Titel  bietet  die  Handschrift,  während  das  erstere  Werk 
in  der  Handschrift  titellos  ist.  Waitz  hat  dafür  das  treffende  Schlag- 
wort „Historiae"  gewählt;  ich  behalte  es  bei. 


Bernardus  Noricus.  5 

für  ältere  Zeiten  manche  anderswo  nicht  zu  findende  Nach- 
richt darboten,  als  auch  insbesondere  die  beiden  zuletzt  er- 
wähnten Chroniken,  literarisch  gut  ausgearbeitete  Erzeugnisse, 
das  Interesse  der  folgenden  Geschlechter.  Nicht  leicht  ist  je- 
mand, der  sich  mit  mittelalterlichen  bayerischen  und  öster- 
reichischen Geschichtsquellen  näher  zu  befassen  hatte,  achtlos 
an  ihnen  vorbeigegangen,  und  es  konnte  nicht  ausbleiben,  daß 
man  wissen  wollte,  von  wem  sie  denn  verfaßt  seien. 

Zu  der  Zeit,  als  man  ihnen  auch  außerhalb  des  Klosters 
Aufmerksamkeit  zu  schenken  begann,  scheint  man  den  Namen 
des  Urhebers  oder  die  Namen  der  Urheber  schon  nicht  mehr 
gewußt  oder  dieser  Frage  jedenfalls  keine  Bedeutung  beige- 
messen zu  haben.  Es  wurden  im  Laufe  des  14.  und  15.  Jahr- 
hunderts bald  von  diesem  bald  von  jenem  Teile  der  Auf- 
zeichnungen Abschriften  gemacht,  ohne  daß  —  in  den  uns 
erhalten  gebliebenen *)  wenigstens  —  irgendwie  bemerkt  worden 
wäre,  wer  der  Verfasser  der  ursprünglichen  Werke  sei. 

Verfolgt  man  dann  den  Gang  der  Benützung  der  krems- 
münsterschen  Quellen  in  der  bayerischen  und  österreichischen 
Chronistik  des  15.  Jahrhunderts,  so  stößt  man  nirgends  auf 
einen  Verfassernamen  für  jene  Quellen. 

In  zwei  Chroniken,  die  der  Chorherr  Andreas  von  Regens- 
burg im  dritten  Jahrzehnt  des  15.  Jahrhunderts  verfaßt  hat, 
einer  Weltchronik  und  einer  Chronik  Bayerns,  der  ältesten 
bayerischen  Landeschronik,  finden  sich  Anklänge  an  die  „  Nar- 
ratio"  von  Kremsmünster.  Ich  habe  nachgewiesen,2)  daß  sie 
aus  einer  älteren  Quelle  der  „Narratio"  stammen  müssen,  die 
„Narratio"   selbst  jedoch  nicht  benützt  erscheint. 

Dagegen  war  die  letztere  die  Quelle  einer  Kompilation, 
welche  man  sich  um  die  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  im  Kloster 


l)  Vgl.  die  Zusammenstellung-  von  Waitz  in  den  Mon.  Germ,  hist., 
SS.  XXV,  610  ff.  Hiezu  wäre  noch  die  Handschrift  748  des  Stiftes  Gött- 
weig  zu  nennen,  sowie  Clin.  167. 

'2)  In  meiner  Ausgabe  der  Sämtlichen  Werke  des  Andreas  (Quellen 
und  Erörterungen  zur  bayerischen  und  deutschen  Geschichte,  Neue 
Folge  I,  München  1903),  S.  XL  VN. 


6  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

Weltenburg  angefertigt  hat.1)  Im  Traditionskodex  des  Klosters 
setzte  man  vor  die  Urkundenabschriften  ein  Leben  des  angeb- 
lichen Stifters  des  Klosters,  des  letzten  Agilolfingerherzogs 
Tassilo.  Zu  dieser  Lebensbeschreibung  verwendete  man  einige 
Kapitel  der  „Narratio"  von  Kremsmünster,  welches  wirklich 
von  dem  letzten  Agilolfinger  gegründet  worden  ist,  und  rundete 
diese  Kapitel  durch  Zusätze  aus  der  zweiten  Form  der  bayeri- 
schen Chronik  des  Andreas  von  Regensburg  ab. 

Der  Wiener  Universitätsprofessor  Thomas  Ebendorfer  von 
Haselbach  machte  in  seiner  Chronik  der  Bischöfe  von  Passau2) 
ausgedehnten  Gebrauch  von  den  kremsmünsterschen  Quellen.5) 

Der  Ritter  Hans  Ebran  von  Wildenberg  hat  für  seine  in 
den  60er  und  70er  Jahren  ausgearbeitete,  treuherzige,  deutsch 
geschriebene  „Chronik  von  den  Fürsten  aus  Bayern"  auch  die 
Aufzeichnungen  von  Kremsmünster  herangezogen,4)  die  er  in 
seiner  Einleitung  ausdrücklich  als  seine  Quelle  nennt.5)  Auch 
der  Münchener  Maler,  Dichter  und  Chronist  Ulrich  Füetrer 
kennt  sie  und  zitiert  sie  in  seiner  1478 — 1481  in  deutscher 
Sprache  verfaßten  „bayerischen  Chronik"  einmal  als  „des  selben 
gotzhaws  cronica".6) 

Veit  Arnpeck,  der  wichtigste  bayerische  Chronist  des 
15.  Jahrhunderts,  dessen  Werke  besonders  für  die  zweite  Hälfte 
jenes  Jahrhunderts  von  grundlegender  Bedeutung  sind,  hat  in 


i)  Vgl.  a.a.O.,  S.  XLIVff. 

2j  Vgl.  meine  Untersuchungen  zur  Passauer  Geschichtschreibung  des 
Mittelalters  (Sitzungsberichte  der  K.  B.  Akademie  der  Wissenschaften, 
philos.-philol.  und  histor.  Klasse  1915,  Abb.  9),  S.  10  ff. 

3)  Vgl.  a.  a.  0.,  S.  26  und  31.  Ob  Ebendorfer  sie  nicht  auch,  was 
zu  vermuten  ist,  in  .seiner  Kaiserchronik  und  seiner  österreichischen 
Chronik  benützt  hat,  wird  noch  zu  untersuchen  sein.  Pribram  hat  bei 
Feststellung  der  Quellen  der  Kaiserchronik  (Mitteilungen  des  Instituts 
für  österr.  Geschichtsforschung,  Erg.-Bd.  III,  1890-1894,  S.  62 ff.)  die 
Aufzeichnungen  von  Kremsmünster  nicht  aufgezählt. 

4)  Vgl.  die  Ausgabe  von  Fr.  Roth  in  Quellen  und  Erörterungen  usw., 
NF.  II,  I,  LXVI1I.  5)  A.  a.  0.,  S.  2. 

6)  Ausgabe  von  Spiller  in  Quellen  und  Erörterungen  usw.,  NF.  II, 
II,  48,   14.    Vgl.  daselbst,  S.  XXXV. 


Bernardus  Noricus.  7 

seinen  beiden  bayerischen  Chroniken,  der  lateinisch  geschriebenen 
und  der  deutschen,  wie  auch  in  seiner  lateinischen  österreichi- 
schen Chronik  die  Quellen  von  Kremsmünster,  ohne  das  be- 
sonders anzugeben,  in  der  umfassendsten  Weise  ausgeschrieben.1) 
Insbesondere  für  die  zeitlichen  Angaben  in  den  die  älteren 
Zeiten  behandelnden  Teilen  dieser  Chroniken  bilden  jene  Quellen 
die  Grundlage.  Arnpeck  scheint,  wenn  er  auch  sich  hie  und 
da  Abweichungen  gestattete,  großes  Vertrauen  in  ihre  Zuver- 
lässigkeit gesetzt  zu  haben.  Einen  Verfasser  der  Aufzeich- 
nungen von  Kremsmünster  nennt  keines  der  bisher  angeführten 
Werke. 

Auf  Arnpeck  folgt  in  der  bayerischen  Geschichtschreibung 
Aventinus.  Angaben  von  ihm  beeinflussen  in  der  Folgezeit 
grundlegend  die  Frage  nach  dem  Verfasser  der  Geschichts- 
quellen von  Kremsmünster. 

Als  Aventinus  im  Jahre  1518  die  von  ihm  1515  in  der 
Klosterbibliothek  zu  St.  Emmeram  in  Regensburg  entdeckte 
„Vita  Henrici  IV.  imperatoris"  im  Drucke  herausgab,  fügte  er 
dem  Werkchen  u.  a.  einen  an  Leonhard  von  Eck  gerichteten 
Brief2)  hinzu;  darin  zählte  er  eine  Reihe  von  Werken  auf, 
die  er  alle  aufgefunden  habe  und  deren  Veröffentlichung  er 
beabsichtige.  Darunter  ist  angeführt  „Veronardus  Noricus  de 
rebus  Boiorum".3)  Drei  Jahre  später  gab  er  an  hervorstechen- 
der Stelle  seines  großen  Werkes  der  „Annales  ducum  Boiariae", 
am  Anfange  von  deren  erstem  Buche,4)  die  „Autores,  ex  quibus 
istaec  sumpta  sunt",  an  und  nannte  dabei  nach  den  bisher  geheim- 
nisvollen   „Frethulphus   et   Schritovinus,    antiquissimi   Boiorum 


a)  Vgl.  meine  Ausgabe  der  Sämtlichen  Chroniken  des  Veit  Arnpeck 
(Quellen  und  Erörterungen  usw.,  NF.  III,  München  1915),  S.  XL  f. 

2)  Abgedruckt  in  Johannes  Turmairs  genannt  Aventinus  Sämtliche 
Werke  (München  1881  ff.;  in  den  folgenden  Anmerkungen  mit  S.W.  zi- 
tiert) I,  638  ff. 

3)  Ausgabe  der  „Arita  Henrici  IV.  imperatoris",  Bl.  f  ij;  S.  W.  I, 
640,  lOf.  (Im  Register  S.  W.  VI,  196  ist  bei  „Bernhard  von  Krems- 
münster"  hinzuzufügen:  I,  640.)  Vgl.  meine  Untersuchungen  zur  Passauer 
Geschichtschreibung,  S.  115. 

4)  S.W.  II,  1,  13  ff. 


8  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

historiographi" ,  über  welche  meine  letzte  Akademieabhand- 
lung „Untersuchungen  zur  Passauer  Geschichtschreibung  des 
Mittelalters"  l)  Licht  gebracht  hat,  an  zweiter  Stelle:  „Vero- 
nardus  Noricus  de  rebus  Boiorum."  Und  in  der  deutschen  Be- 
arbeitung seiner  „Annales",  der  „ Bayerischen  Chronik",  führte 
Aventinus  an  entsprechender  Stelle  des  ersten  Buches  eben- 
falls seine  Quellen  auf  und  bezeichnete  den  gleichen  Schrift- 
steller mit  den  Worten:  „Bernhardt  von  Krembsmynster,  ein 
Benedicter,  hat  von  den  baierischen  fürsten  geschriben  bei 
kaiser  Fridrichs  des  ersten  zeiten."2) 

Der  Ingolstädter  Universitätsprofessor  Hieronymus  Ziegler, 
der  im  Jahre  1554  Aventins  „ Annales "  im  Drucke  heraus- 
gab, veränderte,  offenbar  auf  Grund  des  Textes  der  deutschen 
Chronik,  die  Worte:  „Veronardus  Noricus  de  rebus  Boiorum" 
in  die  Angabe  „Bernardus  Noricus  Monachus  in  Chrembs- 
munster  de  rebus  Boiorum",3)  und  in  dieser  Fornx  wurde  denn 
die  Stelle  in  der  ganzen  folgenden  Literatur  zitiert. 

Für  jenes  von  Aventinus  als  seine  Quelle  genannte 
Werk  aber  hielt  man  ohne  weiteres  die  vorhandenen 
Aufzeichnungen  von  Kremsmünster.  In  der  ganzen  Folge- 
zeit bis  auf  die  Gegenwart  bestand  diese  Ansicht,  und  es  wurde 
nie  irgendein  Zweifel  an  ihr  laut.  Ich  bringe  heute4)  den 
Nachweis,  daß  sie  ein  Irrtum  gewesen  ist,  und  muß  zunächst 
die  lehrreiche  Geschichte  dieses  Irrtums  erzählen. 

Soviel  ich  sehe,  war  der  Erste,  welcher  die  kremsmünster- 
schen  Geschichtsaufzeichnungen  unter  dem  Namen  des  Bernar- 
dus Noricus  zitierte,  der  dortige  Konventual  P.  Simon  Retten- 
pacher,  der  zum  900jährigen  Gründungsfeste  des  Klosters  im 
Jahre  1677  seine  „Annales  monasterii  Cremifanensis"  im  Druck 
erscheinen  ließ.  Als  eine  seiner  Quellen  bezeichnete  er5)  die 
„Narratio  de  Ecclesia  Crembsmunstrensi  P.  Bernardi  Norici 
Monachi  et  Sacerdotis  huius  loci"   und  gab  an  einer  Reihe  von 


!)  S.  88  ff.  2)  S.  W.  IV,  2.  3)  A.  a.  0.,  S.  1. 

4)  Nachdem  ich  schon  in  meinen  Untersuchungen  zur  Passauer  Ge- 
schichtschreibung des  Mittelalters,  S.  105 f.  Andeutungen  darüber  ge- 
macht habe.  5)  S.  21. 


Bernardus  Noricus.  y 

Stellen  den  Bernardus  Noricus  als  Gewährsmann  an.  Dadurch 
bewirkte  er,  daß  der  Name  des  Bernardus  gewissermaßen  selbst- 
verständliche Aufnahme  in  der  folgenden  Literatur  fand. 

1721  und  1725  gab  der  Melker  Benediktiner  P.  Hieronymus 
Pez  in  seinen  „Scriptores  rerum  Austriacarum"  teils  aus  der  krems- 
münsterschen  Handschrift,  die  er  als  Autograph  bezeichnete, 
teils  aus  einer  Abschrift,  die  ihm  in  dem  oberösterreichischen 
Augustinerkloster  Waldhausen  zur  Verfügung  gestellt  worden 
war,1)  die  „Historiae"  in  vier  getrennten  Abschnitten  heraus,2) 
wobei  der  Verfasser  als  „Bernardus  Noricus  Coenobita  Cremi- 
fanensis"  benannt  wird.  Pez  nahm  zur  Begründung  hiefür 
Bezug3)  auf  die  Stelle  am  Anfange  des  ersten  Buches  von 
Aventins  Annalen,  wo  dieser  den  Bernardus  Noricus  unter 
den  heimischen  Schriftstellern  aufführe,  und  auf  das  genannte 
Werk  von  Rettenpacher.  Im  übrigen  wies  er  darauf  hin,  daß 
der  Name  des  Verfassers  in  den  Handschriften  nirgends  ge- 
nannt werde,  daß  er  aber  „fama  perpetua  et  constanti  maiorum 
traditione"   überkommen  sei. 

Mit  dieser  angeblichen  Überlieferung  war  in  gutem  kriti- 
schen Gefühl  der  Jesuit  P.  Markus  Hansiz  nicht  zufrieden. 
Für  seine  „Germania  sacra",  deren  erster  Band  1727  erschien, 
hatte  er  die  Wiener  Handschrift  benützt  und  in  ihr  Zusammen- 
hänge mit  einer  anderen  Handschrift  gefunden,  welche  in  den 
Jahren  1299 — 1302  zu  Kremsmünster  im  Auftrage  des  Abtes 
des  Klosters,  Friedrich  von  Aich,  angelegt  worden  war,  dem 
heute  noch  vorhandenen  sog.  „Liber  possessionum  et  privi- 
legiorum",  welchen  der  summus  cellerarius  des  Klosters,  Sigmar, 
angefertigt  hatte.  Diesem  Sigmar  schrieb  Hansiz4)  den  Abt- 
katalog5)  der  Wiener  Handschrift  zu,  während  die  „Historiae" 


1)  Jetzt  Cod.  pal.  Vind.   3399    (nicht  3999,    wie  Mon.    Germ,  hist., 
SS.  XXV,  616,  30  und  37  gedruckt  ist). 

2)  SS.  rer.  Austr.  I,  1296-1310;  II,  63-72;  I,  686-696;  II,  51—64. 

3)  A.  a.  0.  I,  686  f. 

4)  Germania  sacra  I,  Einleitung,  Bl.  c  2. 

5)  Nur  diesen,  nicht  aber,  wie  mir  (gegenüber  Rauch,  Rerum  Austria- 
carum Scriptores  I,  158  und  II,  336)  scheint,  auch  den  Passauer  Bischofs- 


I  0  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

der  kremsmünsterschen  Handschrift  mit  dem  darin  enthaltenen 
Abtkatalog  von  Sigmars  „collega",  wie  er  sagte,  dem  Bernar- 
dus,    „seu   alio  monasterii  Cremifanensis  asceta"   verfaßt  seien. 

Aus  dem  Pezschen  Drucke  wiederholte  den  Abschnitt  von 
den  bayerischen  Herzogen  Peter  Paul  Finauer1)  in  dem  1772 
erschienenen  ersten  Teile2)  seiner  „Bibliothek  zum  Gebrauch 
der  baierischen  Staats-,  Kirchen-  und  Gelehrten-Geschichte" 
und  verbesserte  einzelne  Lesarten  nach  einer  angeblich  dem 
14.  Jahrhundert  angehörenden  Handschrift,  die  er  zu  Würz- 
burg gekauft  hatte  und  die  heute  verschollen  zu  sein  scheint. 
Jedenfalls  fehlte  auch  in  ihr  nach  Finauers  Mitteilung  die  An- 
gabe eines  Verfassernamens.  Den  Namen  Bernardus  Noricus 
übernahm  Finauer  aus  Pez  und  erklärte  ihn  als  „Bernardus 
aus  dem  Nordgau  gebürtig" !  Zugleich  versicherte  er  seine 
Leser,  Bernardus  habe  zu  Anfang  des  13.  Jahrhunderts  gelebt. 

Im  Jahre  1777  brachten  die  Herausgeber  der  „Monumenta 
Boica",  Mitglieder  unserer  Akademie,  die  schon  oben3)  erwähnte 
Weltenburger  Kompilation,  welche  sie  im  Weltenburger  Tra- 
ditionskodex gefunden  hatten,  im  13.  Bande4)  der  „Monumenta 
Boica"  zum  Abdruck.5)  Auf  die  von  Pez  gegebene  Beschreibung 
der  Handschrift  von  Kremsmünster  und  das  Verzeichnis  ihres 
Inhaltes  sich  stützend,  befanden  sie  sich  in  dem  Wahne,  in 
dem  Kodex  von  Weltenburg  einen  Teil  der  kremsmünsterschen 
Aufzeichnungen  unverändert  vor  sich  zu  haben  und  gaben  in 
der  Freude,  einen  von  Pez  nicht  veröffentlichten  Teil  der 
Quellen  von  Kremsmünster  bringen  zu  können,  dem  Stücke, 
trotzdem    es    im  Traditionskodex   titellos   erschien,   im  Vollge- 

katalog,  von  dem  Hansiz  vorsichtig  nur  sagt,  daß  man  ihn  den  krems- 
münsterschen heiße,  weil  er  in  Kremsmünster  verfaßt  zu  sein  scheine. 

1)  Nicht  Firnauer,  wie  Mon.  Germ,  bist.,  SS.  XXV,  616,  32  ge- 
druckt ist. 

2)  S.  169 ff.  Böhmer,  Fontes  rer.  Germ.  I  (Stuttgart  1843),  X,  N.  3 
hielt  jene  Herzogsreihe  irrtümlich  für  die  von  Aventin  erwähnten,  an- 
geblichen Annalen  des  Volkmar  von  Fürstenfeld. 

3)  S.  5  f. 

4)  Nicht  im  8.,  wie  Mon.  Germ,  hist.,  SS.  XXV,  616,  38  gedruckt  ist, 

5)  S.  493  ff. 


Bernardus  Noricus.  11 

fühle  ihrer  Gelehrsamkeit  die  Überschrift:  „Bernardi  Norici 
Opusculum  V.  anecdotum  de  genealogia  fundatoris  coenobii 
Cremifanensis."  Aus  der  Pezschen  Beschreibung  der  Hand- 
schrift hatten  sie  irrtümlich  entnommen,  daß  die  Aufzeich- 
nungen in  dem  kremsmünsterschen  Kodex  den  Verfassernamen 
des  Bernardus  Noricus  trügen. 

Als    im  gleichen  Jahre  1777  zum   1000jährigen  Jubiläum 
des  Klosters  Kremsmünster  der  dortige  Konventual  P.  Marianus 
Pachmayr  seine  „Historico-chronologicaseries  abbatum  et  religio- 
sorum  monasterii  Cremifanensis   0.  S.  P.  B.,  quotquot   quidem 
a  retro  actis  mille  annis  ab  eius  fundatione  in  tabulis,  manu- 
scriptis,  catalogis   aliisque  monimentis   inveniri   potuerunt"   er- 
scheinen   ließ,    ein    ungemein    fleißiges  Werk,    welches   wegen 
seines  reichen  im  Titel  nicht  zum  Ausdrucke  gelangenden  kultur- 
und    literargeschichtlichen  Inhaltes    von    der   Forschung   heute 
noch  mit  Nutzen  zu  Rate  gezogen   wird,    behandelte    er    darin 
in  besonders  liebevoller  Weise  den  Bernardus  Noricus  als  den 
Verfasser  der  mittelalterlichen  Geschichtsaufzeichnungen  seines 
Klosters.     Aus  den  Einzelheiten,  welche  in  diesen  selbst  einen 
Schluß    auf   die   Persönlichkeit   des  Verfassers   zuließen,    schuf 
er  ein  Lebensbild  des  Schriftstellers.     Da  zum  Jahre  1318  an- 
geblich   ein    Bernardus    als    Prior   von   Kremsmünster   erwähnt 
wurde,1)  lag  es  nahe,  den  Verfasser  der  Chroniken  des  Klosters 
in   der  Person  jenes  Priors   zu   suchen    und   anzunehmen,    daß 
er  den    Beinamen   Noricus   geführt   habe.     Bernardus   Noricus 
hatte    damit   gewissermaßen  Fleisch   und  Blut   gewonnen.     Er 
war   nunmehr   eine  feste  Gestalt  in  der  Klostergeschichte.     In 
bezug  auf  Sigmar  folgte  Pachmayr  der  Meinung  von  Hansiz.2) 
Der   angebliche  Geschichtschreiber  Bernardus  Noricus  ge- 
wann noch  mehr  Boden  in  der  Literatur,  als  Adrian  Rauch  in 
dem  zweiten  Bande  seiner  1793  zu  Wien  erschienenen  „Rerum 
Austriacarum    Scriptores" 3)    auch    die    Geschichtsquellen    von 
Kremsmünster    abdruckte,4)    wobei    er    ihnen    den    Titel    „Ber- 

M  Vgl.  Pachmayr  a.  a.  0.,  S.  172. 

2)  A.  a.  O.,  S.  170.  3)  S.  335—428. 

4)  Aus  der  Wiener  und  Waldhausener  Handschrift. 


1*-  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

nardi  Norici  Monachi  Cremifanensis  varia  opuscula"  gab.  Mit 
Rauchs  Veröffentlichung  drang  aber  auch  der  Zwiespalt  be- 
treffs der  Verfasserschaft,  den  Hansiz  in  die  Welt  gesetzt  hätte, 
der  zunächst  jedoch  nur  wenig  bemerkt  worden  war,  weiter 
in  die  Literatur  ein.  Rauch  widersprach  nämlich  der  Ansicht 
von  Hansiz  und  erklärte  den  Bernardus  Noricus  auch  für  den 
Verfasser  der  Abtschronik  der  Wiener  Handschrift,  während  er 
nur  die  Randbemerkungen  und  Zusätze  als  von  Sigmar  her- 
rührend anerkennen  wollte. 

So  war  eine  Streitfrage  angeschnitten,  die  an  sich  unbe- 
deutend gewesen  wäre  und  heute  kaum  der  Rede  wert  scheinen 
könnte.  Allein  es  fügten  sich  an  sie  mit  der  zunehmenden 
Kritik  der  Geschichtsquellen  von  Kremsmünster  noch  andere 
Fragen,  und  die  ganze  Sache  verdichtete  sich,  besonders  da 
häufig  die  einzelnen  Schriften  nicht  genau  unterschieden  wur- 
den, bis  in  die  Mitte  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
herein  zu  einem  fast  unentwirrbar  scheinenden  Knäuel.1) 

Den  Wirrwarr  der  Ansichten  über  die  Geschichtsquellen 
von  Kremsmünster,  insbesondere  die  Verfasserfrage  zu  lösen 
unternahm  der  spätere  Professor  der  Geschichte  an  der  Uni- 
versität Graz  Johann  Loserth.  Er  ließ  1872  eine  Ausgabe 
der  sämtlichen  Texte  erscheinen,2)  welcher  Ottokar  Lorenz  ein 
Geleitwort  mitgab.  Zugleich  veröffentlichte  Loserth  eine  Ab- 
handlung, betitelt  „Der  angebliche  Bernardus  Noricus",3)  die 
eine  Ergänzung  zu  der  Ausgabe  bot. 

Loserth  suchte  nachzuweisen,  daß  nicht  bloß  die  Aufzeich- 
nungen in  der  Wiener  Handschrift  um  das  Ende  des  13.  Jahr- 


*)  Man  vergleiche  hierüber  z.  B.  Düinmler,  Piligrim  von  Passau  und 
das  Erzbisthum  Lorch  (Leipzig  1854),  S.  135 ff.,  sowie  die  erste  Auflage 
von  Ottokar  Lorenz,  Deutschlands  Geschichtsquellen  im  Mittelalter  (Berlin 
1870),  S.  235  ff.    Dort  ist  der  jeweilige  Stand  der  Frage  auseinandergesetzt. 

-)  Die  Geschichtsquellen  von  Krerasniünster  im  XIII.  und  XIV.  Jahr- 
hundert. Mit  einem  Vorwort  von  Ottokar  Lorenz  herausgegeben  von 
J.  Loserth.    Wien  1872. 

3)  Erster  Teil  von  Loserths  .Beiträgen  zur  Kunde  österreichischer 
Geschichtsquellen "  in:  Drittes  Programm  des  k.  k.  Real-Obergymnasiums 
auf  der  Landstraße  in  Wien  1871/2,  S.  l'ß. 


Bernardus  Noricus.  13 

hunderts  von  Sigmar,  dem  summus  cellerarius  des  Klosters, 
verfaßt  seien,  sondern  daß  auch  die  „Historiae"  und  die  „Nar- 
ratio"  der  kremsmünsterschen  Handschrift  Sigmar  zum  Ver- 
fasser hätten.  Bernardus  Noricus  sei  ein  „Mann  von  zweifel- 
hafter, unwahrscheinlicher  Existenz".  Der  erst  seit  Aventin 
bekannte  Name  lasse  sich  nicht  belegen  und  sei  eine  Fik- 
tion Aventins. 

Irgendeinen  Beweis  für  seine  den  Bernardus  betreffenden 
Behauptungen  trat  Loserth  mit  keinem  Wort  an.  Die  Tat- 
sachen, die  für  seinen  Sigmar  sprachen,  dünkten  ihm  offenbar 
für  so  wuchtig,  daß  sie  jede  andere  Anschauung  ausschließen 
mußten. 

Loserths  Ausführungen  blieben  nicht  ohne  schwerwieo-en- 
den  Widerspruch.  Ottokar  Lorenz  erklärte  bald  darauf,1)  sich 
ihnen  nicht  mit  der  Entschiedenheit  anschließen  zu  können, 
die  Loserth  vertrat;  die  Frage  der  Verfasserschaft  Sigmars 
bleibe  offen.  Dann  untersuchte  Georg  Waitz  für  eine  neue 
Ausgabe  der  kremsmünsterschen  Geschichtsquellen,  die  in  der 
Scriptores- Reihe  der  „Monumenta  Germaniae  historica"  er- 
scheinen sollte,  die  beiden  grundlegenden  Handschriften  aufs 
neue.  In  einem  in  den  „Forschungen  zur  deutschen  Ge- 
schichte"2) gedruckten  Aufsatze,  betitelt  „Sigmar  und  Bern- 
hard von  Kremsmünster ",  kam  Waitz  zu  dem  Schlüsse,  daß 
die  Wiener  Handschrift  dem  Verfasser  der  kremsmünsterschen 
vorgelegen  habe  und  ihm  sowohl  als  Quelle  als  auch,  was  die 
Randbemerkungen  anlangt,  als  Konzept  gedient  habe.  Sigmar 
als  Verfasser  der  beiden  Chroniken  der  kremsmünsterschen 
Handschrift  lehnte  er  gänzlich  ab ;  die  letzteren  wie  die  Rand- 
bemerkungen der  Wiener  Handschrift  schrieb  er  dem  aven- 
tinischen  Bernardus  Noricus  zu,  dessen  Vorhandensein  er  ge- 
nugsam beglaubigt  hielt  dadurch,  daß  1318  ein  Prior  Bernar- 
dus erwähnt  werde,  der  1327  gestorben  sei. 

In    der  Ausgabe    von  Waitz,   die   in    dem  1880   veröffent- 


1)  Deutschlands  Geschichtsquellen   im   Mittelalter  I2   (Berlin  1876), 
181,  Anna.  1.    Vgl.  Riezler,  Geschichte  Baierns  II  (Gotha  1880),  217. 

2)  XX  (Göttingen  1880),  605 ff. 


14  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

lichten  XXV.  Bande  der  Scriptores  der  „Monumenta  Germaniae 
historica"  unter  dem  Gesamttitel  „Historiae  Patavienses  et  Cremi- 
fanenses"  erschien,  trägt  denn  auch  keine  der  kremsmünster- 
schen  Aufzeichnungen  den  Namen  Sigmars  als  Verfassernamen. 
Dagegen  führen  die  „Historiae"  den  bestimmten  Titel  „Ber- 
nardi  Cremifanensis  Historiae",  die  „"Nctitia*  ist  —  etwas  zu- 
rückhaltender —  betitelt  „Bernardi,  ut  videtur,  über  de  origine 
et  ruina  monasteiüi  Cremifanensis".  Einen  neuen  Punkt  brachte 
Waitz  bei,  indem  er  auf  eine  Handschrift  der  K.  Hof-  und 
Staatsbibliothek  München  verwies,  in  welcher  ein  Bruchstück 
enthalten  sei  mit  dem  Titel:  „De  origine  Bavarorum  Bernardus 
monachus  in  Chrembsmunster  sub  Friderico".  Da  die  Hand- 
schrift im  16.  Jahrhundert  geschrieben  sei,  meinte  Waitz,  sie 
könne  auch  jünger  als  Aventin  sein.  Ich  werde  später  auf  sie 
zurückkommen. 

Waitz  hatte  wenigstens  das  Verdienst,  in  seiner  Ausgabe 
festgestellt  zu  haben,1)  daß  ein  Teil  der  Aufzeichnungen,  ins- 
besondere die  „Historia  ecclesiae  Laureacensis"  mit  der  sich 
daran  anschließenden  Lorch- Passauer  Bischofsreihe  und  der 
bayerischen  Herzogschronik  keine  ursprünglichen  kremsmünster- 
schen,  sondern  passauische  Erzeugnisse  sind.2)  Über  das  Ver- 
hältnis der  anderen,  wirklich  in  Kremsmünster  entstandenen 
Stücke  zueinander  aber  kam  Waitz  zu  keinem  klaren  Ergebnis, 
und  seine  Ausgabe  —  von  Ottokar  Lorenz  als  „ein  vollständiger 
Mißgriff"   bezeichnet3)  —  blieb  unbefriedigend. 

Insbesondere  hatte  Loserth,  der  1894  die  ganze  Frage  in 
einer  neuen  Abhandlung4)  noch   einmal   aufrollte,    nicht    ganz 


*)  Gute  Vorarbeit  zu  dieser  Feststellung  hatte  Dürnmler  in  seiner 
obengenannten  Abhandlung  über  Piligrim  von  Passau  usw.,  S.  132  ff., 
geleistet. 

2)  Vgl.  meine  Untersuchungen  zur  Passauer  Geschichtschreibung  des 
Mittelalters,  S.  39. 

3)  Deutschlands  Geschichtsquellen  usw.  II3  (Berlin  1887),  408. 

4)  Sigmar  und  Bernhard  von  Kremsmünster.  Kritische  Studien  zu 
den  Geschichtsquellen  von  Kremsmünster  im  XIII.  und  XIV.  Jahrhundert. 
Im  Archiv  für  österr.  Geschichte  LXXXI  (Wien  1894),  347 ff. 


Bernardus  Noricus.  15 

unrecht,  wenn  er  sagte,1)  daß  man  über  die  Persönlichkeit  des 
Verfassers  der  kremsmünsterschen  Geschichten  nach  der  Waitz- 
schen  Ausgabe  in  den  Monumenta  noch  mehr  im  unklaren 
sei  als  jemals  früher.  Loserth  suchte  in  seiner  neuen  Unter- 
suchung alle  Fragen  des  Gegenstandes  eindringend  zu  erfassen; 
vorsichtiger  und  sorgfältiger  als  bei  seiner  ersten  Abhandlung 
und  bei  seiner  Ausgabe,  unterwarf  er  die  Handschriften  scharfer 
paläographischer  Prüfung  und  verwertete  die  Ergebnisse  der 
Textkritik  wie  der  kremsmünsterschen  Ortsforschung:  wieder 
wie  das  erstemal  aber  gelangte  er  zu  dem  Ergebnis,  daß  Sigmar 
der  Verfasser  aller  zu  Kremsmünster  entstandenen  Aufzeich- 
nungen sein  müsse.  Wie  Aventinus  zu  dem  Verfassernamen 
Bernardus  Noricus  gekommen  sei,  wußte  Loserth  nicht  aufzu- 
klären.2) 

Es  konnte  scheinen,  daß  mit  Loserths  Feststellungen  nun 
ein  endgültiger  Abschluß  der  Behandlung  der  Frage  erzielt 
gewesen  wäre.3)  Allein  sie  ruhte  noch  nicht.  1898  schrieb 
der  Gymnasialprofessor  und  Stiftsarchivar  von  Kremsmünster 
Dr.  P.  Altmann  Altinger  einen  Aufsatz  mit  dem  fragenden 
Titel  „Bernhard  oder  Sigmar?"4)  Bei  der  Bearbeitung  der 
zwei  ältesten  Nekrologien  des  Klosters  glaubte  er  Gesichts- 
punkte aufgefunden  zu  haben,  die  ihn  zu  der  Folgerung  ver- 
anlaßten,  daß  nicht  notwendig  Sigmar  der  Verfasser  aller  der 
Stücke  sein  müsse,  die  Loserth  ihm  zuschrieb.  Sigmar  sei 
1302  Abt  des  Klosters  Lambach  geworden  und  könne  also 
nicht  der  Verfasser  der  darnach  zu  Kremsmünster  gemachten 
Aufzeichnungen  sein.  In  letzterem  Stift  aber  habe  zu  der  in 
Betracht  kommenden  Zeit  ein  Bernardus  gelebt,  der  im  Nekro- 
logium  als  Kustos  und  1318  urkundlich  als  Prior  erscheine. 
Da   keine  Gründe   gegen   die  Verfasserschaft  dieses  Bernardus 


!)  A.  a.  0.,  S.  353.  2)  Vgl.  a.  a.  0.,  S.  351  und  418 ff. 

3)  Loserths  Ergebnisse  wurden  u.  a.  völlig  angenommen  bei  Alois 
Lang,  Passauer  Annalen,  im  Histor.  Jahrbuch  XVII  (München  1896),  293 
und  310  ff. 

4)  In  Mitteilungen  des  Instituts  für  österr.  Geschichtsforschung  XIX 
(Innsbruck  1898),  233  ff. 


16  4.  Althandlung:  Georg  Leidinger 

sprächen,  könne  man  ihn  als  den  aventinischen  Bernardus 
Noricus  betrachten.  Aventins  Kenntnis  beruhe  wohl  „auf  ir- 
gendeiner Information,  die  ihm  von  Kremsmünster  selbst  zuge- 
kommen" sei.  Wenn  Aventinus  den  Bernardus  in  die  Zeit 
Kaiser  Friedrichs  I.  gesetzt  habe,  so  sei  das  wohl  ein  Ver- 
sehen für  Abt  Friedrich.  Altingers  Ausführungen  gegen  Sigmar 
hatten  manchen  bestechenden  Zug  an  sich,  sein  Eintreten  für 
Bernardus   aber   entbehrte  so  ziemlich  der  Überzeugungskraft. 

Jedenfalls  aber  ist  seither  die  Frage  wieder  offen.  Wie 
schon  früher,  weiß  jetzt  wieder  niemand,  wie  man  eigentlich 
die  Geschichtsquellen  von  Kremsmünster  zitieren  soll.1) 

Ich  maße  mir  nicht  an,  die  Frage  zu  entscheiden,  Doch 
habe  ich  Gesichtspunkte  vorzubringen,  welche  sie  der  Entschei- 
dung zuführen  können  und  insbesondere  geeignet  sind,  die 
Nennung  des  Bernardus  Noricus  durch  Aventinus  in  ein  neues 
Licht  zu  stellen. 

Die  Vertreter  der  Bernardus-Noricus-Hypothese  hätten  in 
ihrer  Ansicht  längst  stutzig  werden  müssen,  wenn  sie  nicht  bloß 
die  oben2)  erwähnten  Stellen  am  Anfange  von  Aventins  „Annales" 
und  „Bayerischer  Chronik",3)  sondern  noch  eine  andere  beachtet 
hätten,  deren  Bedeutung  von  der  ganzen  die  kremsmünsterschen 
Quellen   behandelnden  Literatur   bisher   übersehen   worden   ist. 

In  seiner  „Deutschen  Chronik",  einem  von  der  „Bayeri- 
schen Chronik"  verschiedenen  Werke,  das  Aventinus  nicht  voll- 
endet hat,  dessen  erstes  Buch  aber  Kaspar  Bruschius  im  Jahre 
1541  zu  Nürnberg  im  Druck  hat  ausgehen  lassen,  ist  nämlich 
folgender  Text  zu  lesen:4) 

„Zur  zeit  des  keiser  Friderichs  I.  hat  ein  Benedictiner- 
münch  zu  Cremünster  mit  namen  Beronardus  von  der  Baiern 
herkommen  ein  büchle  geschriben;  der  selbig   sagt,    das  noch 


•)  Vgl.  den  Abschnitt  „ Bernardus  Noricus  oder  Sigmar?"  bei  Vild- 
haut,  Quellenkunde  zur  allgemeinen  Geschichte  IV2  (Werl  1909),  290  ff., 
besonders  S.  293.  2)  S.  7  f. 

3)  Die  Erwähnung  im  Drucke  der  „Vita  Henrici  IV.  imperatoris" 
(vgl.  oben  S.  7)  wurde  überhaupt  nirgends  besonders  berücksichtigt. 

4)  S.  W.  I,  340. 


Bernardus  Noricus.  1« 

zu  seiner  zeit  Baiern  in  Asia  seind  gesessen,  welche  er  für  die 
allereltisten  Teutsclien  achtet.  Es  haben  auch  zu  der  selben 
zeit1)  zwen  Henrici,  ein  stiefvatter  und  stiefsun,  umb  das  könig- 
reich  Baiern  gehadert  und  kriegt;  denen  ist  das  Baierland,  die- 
weil  doch  der  krieg  nit  änderst  mocht  geschiden  werden,  ge- 
teilt in  das  Osterreich  gegen  aufgang  der  sonnen  und  in  das 
Osterreich  gegen  nidergang,  welches  noch  mit  dem  alten  namen 
das  Baierland  genent  wirt.  Das  seind  aber  des  Beronardi 
wort  selbs: 

„„Von  aufgang"",  spricht  er,  „„seind  die  Baiern  heraus 
an  die  Tonau  komen,  von  welchen  nachmals  die  andern  teutsche 
sprach  gelernt  und  entpfangen  haben,  wie  dann  zu  hindrist 
gegen  aufgang  umb  Armenia  und  India  noch  der  selben  Ur- 
sprung ist,  welches  ich  von  glaubwirdigen  gehört,  die  dorthin 
gewandert  und  bairisch  reden  gehört  haben.  Disen  soll  auch 
der  heilig  apostel  Thomas  gepredigt  haben,  sagen  etliche  wir- 
dige  lerer,  welche  allenthalben  auch  in  der  gemein  die  edlen 
Baiern  oder  Troien  genent  werden.  Ich  geschweig  jetzo,  so 
alle,  die  gegen  aufgang  sassen,  sich  dem  großen  Alexandro 
ergaben  und  huldigten,  allein  die  Baiern  boten  im  den  kämpf 
und  widerfachten,  wie  man  dann  noch  in  alten  liedern  singt."" 

Das  sein  die  wort  Beronardi,  die  ich  aufs  treu- 
lichest  dartue.    es  nem  im  ein  jeder  daraus,  was  er  wolle." 

Jedenfalls  haben  sich  diejenigen,  welche  im  Laufe  der 
Zeit  mit  Bernardus  Noricus  sich  beschäftigt  haben,  nichts  dar- 
aus genommen,  trotzdem  dieses  Bruchstück  der  „Deutschen 
Chronik"  doch  schon  seit  1541  im  Drucke  vorlag.2)  Auch  bei 
der  Bearbeitung  und  nach  dem  Erscheinen  der  Chronik  im 
ersten  Bande  der  von  unserer  Akademie  herausgegebenen  Sämt- 
lichen Werke  Aventins  im  Jahre  1881  wurde  niemand  auf  die 
Bedeutung  des  Abschnittes  aufmerksam.3) 


!)  Nämlich  Kaiser  Friedrichs  I. 

2)  Der  Druck  ist  heute  sehr  selten  geworden. 

3)  In  gewisser  Hinsicht  mag  dies  damit  zu  entschuldigen  sein,  daß 
jener  Band  bis  1908  des  Registers  entbehrte.  Ich  habe  erst  damals  ein 
solches  am  Ende  des  sechsten  Bandes  eingefügt. 

Sitzgsb.  d.  philos.-pbilol.  u.  d.  hist.  Kl.  Jahrg.  1917,4.  Abb.  2 


4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 


o  •      v-"""'  f> 


In  ähnlicher  Weise  ist  es  bis  jetzt  niemandem  aufgefallen, 
daß  in  der  von  mir  1908  im  Schlußbande  der  Aventin- Ausgabe 
aus  der  einzigen  erhaltenen  Handschrift  zum  ersten  Male  ge- 
druckten „Germania  illustrata"  Aventins,  der  ebenfalls  unvoll- 
endeten, lateinisch  geschriebenen  Grundlage  jener  „Deutschen 
Chronik",  ein  jenem  Abschnitte  der  „Deutschen  Chronik"  ent- 
sprechender lateinischer  Text  enthalten  ist,  der  noch  bedeut- 
samer ist  als  der  erstere  und  in  schlagender  Weise  die  Folge- 
rungen bekräftigt,  die  man  aus  dem  deutschen  Texte  für  die 
Bernardus-Noricus-Forschung  längst  hätte  ziehen  können. 

In  der  „Germania  illustrata"  schreibt  Aventinus  nämlich 
folgendermaßen : l) 

„Simillima  prodit  Beronardus  quidain  genere  Noricus,  re- 
ligione  Benedictinus  Chremissae,  quod  /novaoxrjoiov  cognominant 
et  vetustissimum  Noricorum  fanum  a  regibus  Boiorum  Thessa- 
lone  tercio,  filio  eius  Theodone  octavo  extructum  et  dedicatum 
extat.  Is  ut  brevissime  ita  elegantissime  de  origine  Boiorum 
libellum,  qui  Reginoburgii  in  templo  maximo  servatur,  sub 
imperatore  Friderico  primo  inscripsit,  ubi  adfirmat  suo  quoque 
tempore  in  Asia  aduc  Boios  consedisse,  quos  antiquissimos  vult 
esse  omnium  Germanorum.  Decernebant  tum  ob  Boiariae  reg- 
num  non  solum  iure,  sed  eciam  ferro  duo  Honorici,  vitricus 
et  privignus.  His  tarnen  Boiaria,  cum  aliter  lis  dirimi  non 
posset,  discissa  est  in  orientalem,  quae  vocabulo  germanico 
usitacius  Austriacum  cognominatur,  et  occidentalem,  que  vetus 
Boiorum  vocabulum  servat;  sed  hec  suo  loco  pro  dignitate  rei 
narrabo.  Atque  adeo  tute  Beronardi  verba  audies,  quae  postea 
Vitus  Ariopagus  sacerdos,  qui  diligentissime  omnium  de  au- 
striacis  Boiorumque  principibus  patrum  memoria  perscripsit,  in 
suos  annales  quoque  transtulit. 

„„Ex  Oriente"",  inquit,  „„Boii  advenere  in  hanc  partem 
Germaniae  circa  Istrum,  a  quibus  deinceps  Teutonurn  linguam 
coeteros  Alemanie  populos  accepisse  non  est  vana  opinio.  Boio- 
rum, ut  dixi,  in  Oriente  ultimo  circa  Armeniam  vel  Indiam  us- 


»)  S.  W.  VI,  12G. 


Bernardus  Noricus.  1" 

que  hodie  man  et  origo.  Quod  pene  omnibus  notum  a  pi-oba- 
tissimis  eciam  nuper  accepimus,  qui  peregrinati  usque  illuc  ba- 
barizontes  audierunt.  His  Thomam  predicasse  apostolum  a 
reverendissimis  traditum  est  doctoribus.  Qui  ubique  eciam 
vulgo  nobiles  Babari  vel  fideles  adpellantur.  Taceo  illud,  quod 
cunctis  occidentalibus  Alexandro  Magno  deditionem  facientibus 
Norici  sive  Boii  eidem  bellum  indixisse  in  cantibus  priscis 
cantantur."" 

Haec  quidem  Beronardus.  Ego  fidem  meam  non  astrin- 
xero;  quisque  pro  ingenio  suo  demat  aut  babeat  fidem;  mu- 
neri  suscepto  serviendum;  quecunque  legi  et  comperi,  summa 
fide  refero." 

In  diesem  Abschnitte  liegen  so  ziemlich  die  gleichen  Sätze, 
die  Aventinus  in  der  „Deutschen  Chronik"  mit  deutschen  Worten 
ausgesprochen  hat,  in  lateinischer  Form  vor  uns.  Einzelheiten 
treten  im  lateinischen  Texte  schärfer  und  deutlicher  hervor. 
Die  Hauptsache  an  den  beiden  Abschnitten  liegt  darin,  daß 
Aventinus  hier  nach  seiner  nicht  mifäzuverstehenden  Angabe 
ein  wörtliches  Zitat  aus  dem  „Libellus  de  origine  Boiorum" 
des  Bernhard  von  Kremsmünster  bringt.  Nach  den  bisherigen 
Anschauungen  über  die  Geschichtsquellen  von  Kremsmünster 
hätten  wir  nun  nichts  zu  tun,  als  die  betreffende  Stelle  dort 
nachzuweisen.  Wer  sie  jedoch  dort  sucht,  wird  sie  nicht 
finden.1) 

Sie  entstammt  nämlich  einem  ganz  anderen  Werke,  der 
jüngeren   „Passio  S.  Quirini  martyris",2)  oder  der  zum  Teil  dar- 


!)  In  den  „Historiae"  (Loserth,  Geschichtsquellen  usw.,  S.  47;  Mon. 
Germ,  bist.,  SS.  XXV,  659,  16)  wie  auch  in  der  „Notitia"  (Loserth,  S.  86; 
SS.  XXV,  639,  54)  wird  allerdings  auch  Armenien  als  Ursprungsland  der 
Bayern  genannt.  Alle  übrigen  Angaben  der  aventinischen  Stellen  aber 
fehlen  den  krenismünsterschen  Texten. 

2)  Diese  jüngere  „Passio  S.  Quirini"  ist  herausgegeben  von  Theodor 
Mayer  im  Archiv  für  Kunde  österr.  Geschichtsquellen  III  (Wien  1849), 
325  ff.  Doch  ist  dort  (S.  333)  gerade  jener  Teil,  der  in  die  „Fundatio 
monasterii  Tegernseensis"  übergegangen  ist,  unter  Hinweis  auf  deren 
Druck    bei    Pez    nicht    abgedruckt.     Veröffentlicht    hat   diesen  Teil    aus 

2* 


20  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

aus  abgeschriebenen  Tegernseer  Gründungsgeschichte,    der  so- 
genannten  „Fundatio  monasterii  Tegernseensisa. l) 

Als  Bestandteil  der  Tegernseer  Gründungsgeschichte  ist 
diese  Erzählung  von  der  sagenhaften  Herkunft  der  Noriker, 
d.  h.  der  Bayern,  weit  bekannt  geworden.2)  Weniger  beachtet 
wurde,  daß  sie  nicht  ursprünglich  zu  jener  im  13.,  vielleicht 
auch  erst  im  14.  Jahrhundert  verfaßten,3)  den  Grundstock 
einer  bis  ins  18.  Jahrhundert  fortgesetzten  Chronik  von  Te- 
gernsee  bildenden  Gründungsgeschichte  gehörte,  sondern  einer 
zwar  fabelhaften,  aber  wegen  darin  steckender  alter  Überliefe- 
rungen sehr  reizvollen  Quelle  entstammt.  Der  Gründungs- 
geschichte hinwiederum  ist  nämlich  ein  Kapitel  aus  der  jün- 
geren „Passio"  des  hl.  Quirinus  angefügt,  welch  letztere  von 
einem  Mönch  Heinrich  von  Tegernsee  im  12.  Jahrhundert 
(nach  1164)  verfaßt  ist.4)  Dieses  Kapitel  behandelt  die  sagen- 
hafte Herkunft  der  Noriker  und  ihre  Geschichte  bis  in  den 
Anfang  des  10.  Jahrhunderts. 


Clin.  18571    Bernhard   Sepp   im    Oberbayer.  Archiv   XXXXIX    (München 
1896),  426  ff. 

a)  Pez,  Thesaurus  anecdotorum  III,  III,  475  ff. 

2)  Vgl.  z.  B.  Riezler,  Geschichte  Baierns  I  (Gotha  1878),   48;   801  f. 

3)  Vgl.  L.  v.  Heinemann ,  Zur  Kritik  Tegernseer  Geschichtsquellen ; 
Neues  Archiv  XII  (1886),  160;  dazu  meine  Bemerkung  Neues  Archiv  XXIV 
(1896),  675,  Anm.  2. 

4)  Über  das  Werk  und  seinen  Verfasser  vgl.  Theodor  Mayer  a.  a.  0., 
S.  304 ff.;  Pangerl,  Die  Handschriftensammlung  des  Chorherrenstiftes 
Vorau,  in:  Beiträge  zur  Kunde  steiermärkischer  Geschichtsquellen  IV 
(Graz  1867),  90;  Bursian,  Beiträge  zur  Geschichte  der  class.  Studien  im 
Mittelalter,  III:  Die  Quirinalia  des  Metellus  von  Tegernsee,  in:  Sitzungs- 
berichte der  philos.-philol.  u.  hist.  Klasse  der  k.  b.  Akademie  der  Wissen- 
schaften III  (1873),  473 ff.;  Wattenbach,  Bericht  über  eine  Reise  durch 
Steiermark,  in:  Neues  Archiv  II  (1877),  397 ff.;  Oefele,  Geschichte  der 
Grafen  von  Andechs  (Innsbruck  1877),  S.  7;  Riezler,  Geschichte  Baierns  I, 
793 f.;  v.  Heinemann  a.  a.  0.,  S.  143 ff.;  Voretzsch,  Über  die  Sage  von 
Ogier  dem  Dänen  usw.  (Halle  a.  S.  1891),  S.  70 ff;  Riezler,  Naiines  von 
Bayern  usw.,  in:  Sitzungsberichte  a.  a.  0.  1892,  S.  769 ff.;  Bernh.  Sepp 
a.  a.  0.,  S.  426 f.;  Passio  Quirini  Tegernseensis  ed.  Krusch,  Mon.  Germ, 
hist.,  SS.  rer.  merov.  III  (Hannoverae  1896),  8 ff.;  Bibliotheca  hagio- 
graphica  latina  (Bruxellis  1900/01),  S.  1023. 


Bernardus  Noricus.  21 

Am  Beginne  dieses  Kapitels  findet  sich  die  ganze  Stelle, 
von  welcher  Aventinus  behauptet  hat,  er  habe  sie  dem  „li- 
bellus  de  origine  Boiorum"  des  Bernhard  von  Kremsmünster 
entnommen.     Sie  lautet:1) 

„Noricos  autem ,  ubi  haec  acta  cernuntur,  a  Norice  filio 
Herculis  dictos  legimus.  Qui  ex  Oriente  olim  concedentesa)  in 
hanc  partem  Germaniae  circa  Histrum  consistunt,  a  quibus 
deinceps  teutonicam  linguam  ceteros  Alemanniae  populos  trans- 
sumpsisse  non  vana  opinio  est  .  .  .  Noricorum,  ut  dixi,  in  5 
ultimo  Oriente  circa  Armeniam  vel  Indiam  usque  hodie  manet 
origo.  Quod  pene  omnibus  notum  a  probatissimis  etiam  nuper 
accepimus,  qui  peregrinati  illuc  bawarizantes  audierant.  Hiis 
Thomam  apostolum  praedicasse  a  reverendissimisb)  doctoribus 
traditum  est.  Qui  ubique  et  a  vulgaribus  nobiles  Bawarii  vel  10 
fideles  appellantur.  Cuius  nobilitatis  in  ista  etiam  Germanniac) 
(ut  taceam,  quod  cunctis  occidentalibus  Alexandro  Magno  de- 
ditionem  mandantibus  Norici  bellum  ei  mandasse  in  cantilenis 
priscis  cantantur)  unum,  quod  in  veteribusd)  libris  legitur,  quam 
verissime  succingam."  15 

An  diesem  Punkte  meiner  Untersuchung  darf  zunächst 
der  Schluß  gezogen  werden:  Das  Werk,  welches  Aventinus  als 
„Libellus  de  origine  Boiorum"  eines  Bernhard  von  Krems- 
münster bezeichnet  hat,  ist  eigentlich  die  „Passio  S.  Quirini" 
oder  die  „Fundatio  Tegernseensis".  Unbedenklich  darf  hier 
auch  schon  behauptet  werden,  daß  eines  der  letzteren  Werke 
an  allen  den  anderen  Stellen  gemeint  ist,  an  denen  Aventinus 
den  Bernardus  Noricus  genannt  hat. 


a)   proficiscentes  2.     b)   reverentissimis    1.   Tcorr.    reverendissimis    2. 
c)  Germania  2.    Q)  veteris  1. 


J)  Ich  kann  sie  hier  leider  nur  nach  der  Tegernseer  Handschrift 
der  „Passio  S.  Quirini"  und  nach  der  besten  Handschrift  der  Tegernseer 
Gründungsgeschichte  geben,  da  eine  von  mir  an  das  Kloster  Vorau  in 
Steiermark  gerichtete  Bitte  um  Yergleichung  der  Stelle  in  der  dortigen 
Handschrift  der  „Passio  S.  Quirini"  wohl  wegen  der  Kriegswirren  ohne 
Antwort  blieb.  1  =  Clm.  18571,  „Passio  S.  Quirini",  f.  135r  —  v;  2  = 
Clm.  1072,  „Chronica  fundationis  monasterii  Tegernseensis",  f.  10 v  — 11 r 
(stammt,  wie  gewisse  Einzelheiten  beweisen,  von  1  ab). 


22  4.  Abhandlung':  Georg  Leidinger 


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Es  fragt  sich  nun:  Wie  kam  Aventinus  dazu,  jenes  Werk 
so  zu  bezeichnen,  wie  er  es  getan  hat?  Sein  Text  selbst  in  dem 
obigen  Abschnitte  der  „Germania  illustrata" 1)  gibt  uns  zur 
Beantwortung  dieser  Frage  zunächst  folgenden  Anhaltspunkt: 
Im  Dome  („in  templo  maximo")  zu  Regensburg  wurde  eine 
Handschrift  aufbewahrt,  welche  jenen  „Libellus  de  origine 
Boiorum"  enthielt.  Aus  ihr  hat  Aventinus  offenbar  jene 
wörtlich  wiedergegebene  Stelle  entnommen.  Daß  sich  zwei 
weitere  Stellen  in  seiner  Chronik  auf  diese  Handschrift  „zu 
Regensburg  in  des  Domstifts  Buchkammer"  beziehen ,  habe 
ich  in  meinen  Untersuchungen  zur  Passauer  Geschichtschrei- 
bung dargelegt.2) 

Aventins  Angabe  von  jener  Handschrift  der  Regensburger 
Dombücherei  brauchen  wir  nicht  anzuzweifeln. 

Daß  sich  bei  dem  Dome  in  Regensburg  eine  Bücherei 
befand,  dürfen  wir  auch  aus  ein  paar  anderen.  Nachrichten 
schließen,  wenn  auch  über  die  Schicksale  der  einst  dort  be- 
findlichen Bücher,  die  wie  in  ähnlichen  Fällen  in  oder  bei  der 
Domsakristei  aufbewahrt  gewesen  sein  werden,  nichts  weiter 
bekannt  ist.  Eine  Pergamenthandscbrift  „ecclesiae  cathedralis 
Ratisponensis"  benützte  Heinrich  Canisius  für  seine  Ausgabe 
der  „Vita  S.  Walpurgis"  des  Wolfhard  von  Herrieden.3)  Diese 
Handschrift  scheint  verschwunden  zu  sein.4)  Aus  einer  anderen 
Handschrift  der  gleichen  Herkunft  gab  Canisius  den  „Liber 
contra  Wibertum"  (Papst  Klemens  III.)  des  Bischofs  Anselm 
von  Lucca  heraus.5)  In  der  neuesten  Ausgabe  dieses  Werkes 
hat  Bernheim  diesen  Kodex  als  „deperditus"  bezeichnen  müssen.'6) 
Als  Schuegraf  seine  Geschichte  des  Domes  von  Regensburg 
schrieb,  wußte  er  zur  Frage  über  das  Bestehen  einer  einstigen 
Domliberei    nichts    von   jenen    zwei    durch    Canisius    benützten 


l)  S.  18.  2)  S.  106  ff. 

3)  Canisius,  Antiquae  lectiones  IV  (Ingolstadii  1603),  603. 

4)  Vgl.  Mon.  Germ,  hist.,  SS.  XV,  I,  537,  Anm.  3. 

5)  Antiquae  lectiones  VI  (1604),  199. 

6)  Mon.  Germ,  hist.,  Libelli  de  lite  imperatorum  et  pontifieum  s.  XI. 
et  XII.  conscripti  I  (1891),  519. 


Bernarclus  Noricus.  -;> 

Handschriften,  sondern  wies  nur  auf  die  eine  der  beiden  Stellen 
in  Aventins  Chronik  hin,1)  in  welcher  die  vorhin  erwähnte 
Handschrift  „in  des  Domstifts  Buchkammer"  genannt  war.2) 
Drei  Handschriften  der  früheren  Dombücherei,  die  uns  durch 
diese  Nachrichten  bezeugt  sind,  scheinen  also  verschollen  zu  sein. 
Ich  komme  hier  auf  die  schon  oben  erwähnte  Handschrift 
zurück,  auf  welche  einst  Waitz  aufmerksam  gemacht  hat,  weil 
in  ihr  ein  Bruchstück  enthalten  sei,  bei  welchem  der  Verfasser- 
name des  Bernardus  erscheine.  In  der  Tat  enthält  der  von 
einer. Hand    des    ausgehenden   16.   oder  beginnenden  17.  Jahr- 


1)  Verhandlungen  des  hist.  Vereins  von  Oberpfalz  XII  (1848),  273  f. 

2)  Noch  zu  erforschen  bleibt,  worauf  ich  bei  dieser  Gelegenheit  auf- 
merksam machen  möchte,  die  Frage,  ob  jene  Dombibliothek  in  irgend- 
einem Verhältnis  stand  zu  der  späteren  „bischöflichen  Kammerbiblio- 
thek".  Wer  dem  Zitate  bei  Vogel,  Literatur  öffentlicher  und  Corpora- 
tionsbibliotheken  (Leipzig  1840),  S.  192  folgend  bei  Ziegelbauer,  Historia 
rei  lit.  ord.  Bened.  etwas  über  jene  bischöfliche  Bibliothek  zu  finden 
hofft,  wird  erkennen,  daß  jenes  Zitat  auf  Irrtum  beruht  und  daß  bei 
Ziegelbauer  von  jener  Bibliothek  überhaupt  nicht  die  Rede  ist.  Nach- 
dem Regensburg  1810  an  Bayern  gefallen  war,  wurden  durch  den  bayeri- 
schen Generalkommissär  Freiherrn  von  Weichs  die  Kataloge  der  dortigen 
Bibliotheken  an  die  Münchener  Hofbibliothek  eingeschickt.  Darunter 
befanden  sich  auch  zwei  der  bischöflichen  Bibliothek  („Bibliotheca  episco- 
palis"  oder  „Bibliotheca  camerae  episcopalis");  diese  Kataloge  wurden 
jedoch  wieder  an  die  Finanzdirektion  des  Regenkreises  zurückgegeben ; 
ob  sie  überhaupt  noch  vorhanden  sind  und  wo  sie  sich  jetzt  befinden, 
konnte  nicht  festgestellt  werden.  Der  von  der  Münchener  Akademie  der 
Wissenschaften  mit  der  Auswahl  der  wichtigen  Stücke  der  Regensburger 
Bibliotheken  für  die  Münchener  Hofbibliothek  betraute  Hofbibliotheks- 
kustos J.  B.  Bernhart  musterte  am  21.  Januar  1812  die  bischöfliche  Bi- 
bliothek durch  und  nahm  seinen  Weisungen  entsprechend  eine  Auswahl 
vor;  darunter  waren  nur  vier  Handschriften.  Zwei  davon  sind  Cgm.  1158 
und  1208;  die  beiden  anderen  sind  heute,  infolge  der  ungenügenden  Be- 
zeichnungen in  dem  betreffenden  Verzeichnisse,  nicht  mit  Sicherheit  fest- 
zustellen; das  aber  ist  nach  jenen  Bezeichnungen  immerhin  gewiß,  daß, 
wie  man  etwa  vermuten  könnte,  der  angebliche  „Bernardus  Noricus" 
nicht  dabei  war.  Die  besten  zur  bischöflichen  Bibliothek  gehörenden 
Bücher  waren  damals  schon  überhaupt  nicht  mehr  da,  wie  noch  Schmeller 
nach  einem  heute  nicht  mehr  vorhandenen  Berichte  Bernharts  aufschrieb, 
z.  B.  fehlten   von  Handschriften:  .Herkommen   der  Churfürsten  .  .  .  von 


Ü  I  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

hunderts  stammende,  nur  aus  14  beschriebenen  Folioblättern 
bestehende  Clm.  1273,  der  unbekannter  Herkunft  ist,  nach 
einer  Abschrift  der  berühmten  sogenannten  „Conversio  Bago- 
ariorum  et  Carantanorum"  Bl.  10v  ff.  ein  zweites  Stück,  wel- 
ches die  Überschrift  trägt  „De  origine  Bavarorum  Bernardus 
monachus  in  Chrembsmunster  sub  Friderico  x".  Waitz  hielt 
dieses  Stück  für  ein  Bruchstück  aus  den  kremsmünsterschen 
Quellen.  Es  fiel  ihm  nicht  auf,  daß  es  kein  solches  ist,  trotz- 
dem er,  wie  er  bemerkte,1)  die  Handschrift  in  München  selbst 
eingesehen  hat  und  Anfangs-  und  Schlußworte  des  Bruchstückes 
angibt.2)  Merkwürdigerweise  ist  ihm  dabei  nicht  aufgefallen, 
daß  die  Schriftzüge  sicher  weit  nach  Aventins  Zeit  fallen.  In 
einer  Randbemerkung  in  Clm.  1273  hat  Riezler,  dem  diese 
Texte  geläufig  sind,  darauf  hingewiesen,  daß  hier  das  5.  Ka- 
pitel der  von  Pez  herausgegebenen  „Fundatio  monasterii  Te- 
gernseensis"  vorliege,  und  in  der  zweiten  Auflage  des  von  ihm 
bearbeiteten  betreffenden  Bandes  des  gedruckten  Handschriften- 
katalogs  der  Staatsbibliothek   wurde   von  ihm  dann  auch  eine 

Otto  von  Witteisbach  bis  Herzog  Johann  Casimir" ;  „ein  uralter  bayeri- 
scher Atlas  auf  Pergament";  „eine  Chronik  von  Regensburg".  Im  De- 
zember 1826  wurden  für  die  Münchener  Zentralbibliothek  aus  der  bischöf- 
lichen Bibliothek  zu  Regensburg  noch  einige  (unbenannte,  wohl  gedruckte) 
Bücher  ausgewählt  (Vermerk  Schmellers  aus  einem  nicht  mehr  vorhan- 
denen Akt).  Ein  Teil  der  bischöflichen  Bibliothek  scheint  in  die  Regens- 
burger Stadtbibliothek  gewandert  zu  sein;  wenigstens  kamen  von  dort 
bei  einer  im  Jahre  1876  an  die  K.  Hof-  und  Staatsbibliothek  München 
erfolgten  Auslieferung  von  Handschriften  folgende  im  gedruckten  Mün- 
chener Handschriftenkataloge  beschriebene  Stücke,  die  noch  das  alte  Ex- 
libris mit  der  Inschrift  „Ex  Bibliotheca  Camerae  Episcopalis  Ratisbo- 
nensis"  tragen,  nach  München:  Clm.  26664;  26669;  26715;  26743;  26912. 
Als  ich  diese  fünf  Handschriftenbände  beieinanderstehen  hatte,  war  zu 
erkennen,  dafis  sie  eine  gleichmäfüige  alte  Signierung  auf  dem  Rücken 
trugen.  Die  nämliche  Signierung  stellte  ich  daraufhin  in  unseren  Hand- 
schriftensälen außer  an  den  vorhin  genannten  Cgm.  1158  und  1208  noch 
an  Clm.  26681  und  26733  fest,  denen  jenes  Exlibris  fehlt,  ersterem  in- 
folge Deckelbeschädigung,  letzterem  aus  nicht  feststellbarem  Grunde. 
Die  Signierung  beweist  aber  ihre  Herkunft  aus  der  bischöflichen  Kammer- 
bibliothek. ')  Mon.  Germ,  bist.,  SS.  XXV,  616,  25. 
2J  A.  a.  0.  XXV,  612,  Anm.  3. 


Bernardus  Noricus.  2o 

entsprechende  Angabe  eingesetzt.1)  Weitere  Folgerungen  hat 
er  nicht  gezogen.  Sie  werden  nötig  im  Zusammenhange  mit 
meinen  bisherigen  Darlegungen.  Denn  nachdem  Aventinus  in 
seiner  „Germania  illustrata"  von  einer  Handschrift  des  Domes 
zu  Regensburg  gesprochen  hat.  die  einen  „Libellus  de  origine 
Bavarorum"  des  Bernhard  von  Kremsmünster  darbot,  und  nach- 
dem ich  nachgewiesen  habe,  data  eine  daraus  zitierte  Stelle 
notwendigerweise  die  Identität  des  angeblichen  „Libellus"  mit 
der  „Passio  S.  Quirini"  oder  der  „Fundatio  Tegernseensis"  dar- 
tue, ist  es  wohl  naheliegend  zu  vermuten,  das  Stück  in  Clm.1273 
sei  eine  von  dem  verschollenen  Regensburger  Kodex  herstam- 
mende Abschrift. 

Als  ich  den  Clm.  1273  daraufhin  näher  untersuchte,  be- 
merkte ich,  daß  die  Handschrift  nach  dem  Stücke  des  Bernar- 
dus noch  zwei  weitere  enthält,  deren  die  beiden  Auflagen  des 
gedruckten  Handschriftenkataloges  nicht  gedenken:  Bl.  12vf. 
das  sogenannte  „Excerptum  de  Karentanis"2)  und  Bl.  13r  ff. 
eine  Genealogie  der  Markgrafen  von  Österreich. 

Von  letzterer  konnte  ich  nach  einigem  Suchen  glücklich 
feststellen,  daß  es  sich  um  das  kleine,  aber  beachtenswerte 
Stück  handelt,  welches  Wattenbach  in  Verbindung  mit  den 
darin  benutzten  Klosterne uburger  Annalen  herausgegeben  hat3) 
und  welches  nach  einer  bestimmten  Angabe  des  Textes  selbst 
zwischen  1181  und  1192  verfaßt  worden  ist.  Ich  gehe  hier- 
auf so  genau  ein,  weil  ich  nun  weiter  fand,  daß  die  Wiener 
Handschrift,  aus  welcher  Wattenbach  dieses  „Opusculum  de 
genealogia  marchionum  Austriae"   herausgegeben   hatte,4)   die 


*)  Die  erste  Auflage  des  Catalogus  codicum  manu  scriptorum  bi- 
bliothecae  regiae  Monacensis  III,  I  (Monachii  1868),  187  zitierte:  „Ber- 
nardus (Noricus)  de  origine  Bavarorum."  Die  zweite  (1892),  S.  247,  gibt 
die  Überschrift  mit  der  Bemerkung:  „Est  cap.  5  historiae  fundationis 
monast.  Tegernsee,  apud  Pez,  Thes.  III  c,  491." 

2)  Gedruckt  Mou.  Germ,  bist.,  SS.  XI,  14,  28  ff. 

3)  Mon.  Germ,  hist.,  SS.  IX,  609,  Anm.  33.  Ob  das  Stück  in  Kärn- 
ten verfaßt  ist,  wie  Wattenbach  meinte,  ist  doch  nicht  ganz  sicher. 

4)  Cod.  pal.  Vind.  423.  Vgl.  Tabulae  codicum  manu  scriptorum  in 
bibliotheca  palatina  Vindobonensi  asservatorum  I  (Vindobonae  1864),  68. 


26  I.  Allhandlung:  Georg  Leidinge] 

gleichen  Stücke  enthält  wie  unser  Clm.  1273,  und  zwar  in  der 
gleichen  Reibenfolge.  Voran  geht  in  der  Wiener  Handschrift, 
die  nur  eine  Lage  von  acht  Pergamentblättern  in  Folio  umfaßt, 
den  Stücken  noch  eine  Geschichte  der  Bischöfe  von  Gurk  von 
1088  — 1179. l)  Unsere  Schrift  des  Bernardus  von  Krems- 
münster verzeichnete  der  gedruckte  Wiener  Handschriftenka- 
talog längst  mit:  „Bernardus  Cremifanensis,  De  origine  Bava- 
rorum",  eine  Angabe,  die  merkwürdigerweise  den  sämtlichen 
Forschern  über  die  kremsmünsterschen  Geschichtsquelien  ent- 
gangen ist  bzw.  von  keinem  von  ihnen  gewürdigt  wurde.  Sie 
hätte  ihre  vollste  Aufmerksamkeit  verdient,  weil  die  Hand- 
schrift, wie  es  scheint,  noch  gegen  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
geschrieben  ist.  Das  Stück,  welches  in  unserer  Münchener 
Handschrift  als  das  Norikerkapitel  der  „Passio  S.  Quirini* 
festgestellt  worden  ist,  trägt  in  der  Wiener  Handschrift  von 
einer  etwas  jüngeren  Hand  als  der  Text  selbst,  wahrscheinlich 
einer  des  13.  Jahrhunderts,  die  Überschrift  „De  origine  Ba- 
varorum".  Neben  diesen  Titel  aber  hat  —  und  das  ist  für 
unsere  Abhandlung  wichtig  —  eine  Hand  des  vorgeschrittenen 
15.  Jahrhunderts  hinzugeschrieben:  „Bernardus  monachus  in 
Chrembsmonster  sub  Friderico  x."2) 

Bevor  ich  hieraus  weitere  Schlüsse  ziehe,  habe  ich  von 
einer  dritten  Handschrift  zu  berichten.  Das  ist  der  5.  Band 
von  Aventins  eigenhändigen  Adversarien,3)  jener  großen  Stoff- 
sammlung, die  er  sich  hauptsächlich  auf  seinen  Studienreisen 
angelegt  hatte.  Dort  findet  sich4)  auf  Bl.  81r  f.  abermals  un- 
ser Stück  aus  der  „Passio  S.  Quirini"  auszugsweise  mit  der 
Überschrift   „Ex  bibliotheca  ratisbonensi  veteri  exemplari"  und 


x)  Herausgegeben  von  Wattenbach  aus  dieser  Handschrift  in  den 
Mon.  Germ,  bist.,  SS.  XXIII,  8ff.  Vgl.  Wattenbach,  Deutschlands  Ge- 
schichtsquellen II6  (Berlin  1886),  277. 

2)  Das  hat  Wattenbach  in  seiner  Beschreibung  der  Handschrift  im 
Neuen  Archiv  X  (1851),  455  auffallenderweise  nicht  angegeben. 

3)  Clm.  1202. 

4)  Riezler  (Aventinus,  S.  W.  III,  566,  Anm.  1)  hat  das  Stück  als 
Auszüge  aus  der  „Fundatio  Tegernseensis*  erkannt.  Vgl.  den  gedruckten 
Münchener  Handschriftenkatalog  III,  I2,  236. 


Bernard us  Noncus.  -' 

dem  Titel  „De  origine  Bavarorum".1)  Die  Herkunftsbezeich- 
nung läßt  wohl  keinen  Zweifel  übrig,  daß  Aventinus  diese  Ab- 
schrift aus  der  in  der  Regensburger  Dombücherei  befindlichen 
Handschrift  gemacht  hat,  welche  er  auch  in  der  „ Germania 
illustrata"  erwähnt  hat.  Und  wenn  wir  nun  hier  in  seinen 
Adversarien  unmittelbar  nach  diesem  Stücke  Bl.  82v  das  „Ex- 
cerptum  de  Karentanis",  Bl.  83  eine  Abschrift  der  „Genea- 
logia  marchionum  Austriae",  Bl.  89  abermals  mit  der  Her- 
kunftsbezeichnung „Ex  bibliotheca  ratisbonensi"  Auszüge  aus 
der  Geschichte  der  Bischöfe  von  Gurk,2)  Bl.  90  ff.  Auszüge  aus 
der   „Conversio  Bagoariorum  et  Carantanorum" 3)   finden,  dann 


2)  Da  Aventinus  einen  Auszug  aus  dem  Norikerkapitel  in  seinen 
Adversarien  besaß,  ist  es  ganz  natürlich,  wenn  wir  das  Kapitel  in  seinen 
Werken  benützt  finden.  Die  Herkunft  der  Bayern  aus  Armenien  und 
die  Erzählung  von  Norix  und  Herkules,  die  Veit  Arnpeck  „et  quidam 
alii"  bringen,  weist  Aventinus  a,ls  Halluzinationen  zurück  (Annales  I,  6; 
S.  W.  II,  64).  Wir  dürfen  wohl  annehmen,  daß  unter  den  „quidam  alii" 
auch  das  Norikerkapitel  gemeint  ist,  besonders  da  er  an  der  oben  S.  18 
abgedruckten  Stelle  in  der  „Germania  illustrata"  von  dem  Kapitel  (des 
angeblichen  „Bernardus")  sagt,  daß  Veit  Arnpeck  („Vitus  Ariopagus") 
es  in  seine  Chronik  (, Annales")  übertragen  habe.  Man  beachte  des  Zu- 
sammenhanges wegen,  daß  er  an  der  erwähnten  Stelle  S.  W.  II,  64  nahezu 
den  gleichen  Satz  wie  in  der  „Germania  illustrata"  (oben  S.  19)  ge- 
braucht: „quisque  pro  ingenio  suo  demat  vel  addat  fidem". 

2)  Daß  Aventinus  diese  Aufzeichnungen  über  die  Bischöfe  von  Gurk 
gekannt  und  benützt  hat,  war  schon  Hansiz  aufgefallen,  der  in  seiner 
Germania  sacra  (II,  300  f.)  ein  Bruchstück  aus  ihnen  mitgeteilt  hatte. 
(Vgl.  Wattenbach  in  Mon.  Germ,  hist.,  SS.  XXIII,  8,  4;  Riezler  in  Aven- 
tinus, S.W.  III,  244.)  Der  gedruckte  Münchener  Handschriftenkatalog 
verzeichnet  (III,  P,  236)  Aventins  Auszüge  unrichtig  als  „notae  de  epig- 
copis  Salisb.  saec.  XI  et  XII." 

3)  Auszüge  aus  der  „Conversio"  (im  Münchener  gedruckten  Hand- 
schriftenkatalog sind  sie  nicht  als  solche  erkannt)  hatte  sich  Aventinus 
auch  schon  im  ersten  Bande  seiner  Adversarien  (jetzt  Clin.  1201),  Bl.  175ff. 
gemacht.  Diese  Auszüge  hat  Oefele  in  seinen  Rer.  Boic.  SS.  I,  780 ff. 
unter  dem  Titel  „Excerpta  Joannis  Aventini  ex  Anonymi  cuiusdam  per- 
vetusti  De  origine  ecclesiae  Salisburgensis  historia"  gedruckt.  Vorlage 
Aventins  war  eine  Ranshovener  Handschrift  gewesen;  später  hatte  er 
die  Auszüge  noch  nach  einer  Regensburger  Handschrift  ergänzt,  zweifel- 
los der  nämlichen,   die  oben  in  Betracht  kommt.     Aventinus   bemerkte 


Os3 


-6  4.  Abhandlung:  (irm-    Lei« linder 

komme  ich  zu  dem  zwingenden  Schlüsse:  Die  Handschrift,  aus 
welcher  Aventinus  hier  abschrieb,1)  hat  die  nämlichen  Stücke 
enthalten  wie  die  vorhin  beschriebene  Münchener  und  noch 
mehr  die  Wiener  Handschrift. 

In  welchem  Verhältnis  aber  stehen  alle  diese  Handschriften 
zueinander? 

Ich  greife  aus  dem  Texte  des  angeblichen  Bernardus  einen 
von  der  Säkularisation  des  Herzogs  Arnold  „des  Bösen"  von 
Bayern  handelnden  Satz  heraus,  aus  dessen  Vergleichung  sich 
deutlich  ergibt,  wie  die  Handschriften  sich  zueinander  ver- 
halten.  Die  Wiener  Handschrift  führe  ich  mit  W,  Aventins 
Auszug  in  den  Adversarien  mit  A,  die  Münchener  Handschrift 
mit  M  an.  Der  Satz  ist  am  besten  überliefert  in  der  oben 
als  1  bezeichneten  Handschrift  der  „Passio  S.  Quirini",  die  ich 
daher  hier  als  Grundlage  nehme.    Es  ergibt  sich  folgendes  Bild: 

In  1  ist  zu  lesen: 

„Inter  hec  Tesrriensi   coenobio   de   undecim   milibus  man- 

o 

suum,  quibus  fundatum  praediximus,  nichil  extra  c.xini.  hvbas 
reliquit." 

In  der  Vorlage  von  W,  einer  von  1  abweichenden  Hand- 
schrift, scheint  „  undecim "  mit  Zahlzeichen  geschrieben  gewesen 
zu  sein.  Der  Schreiber  von  W  verschrieb  sich  bei  beiden  Zahlen 
und  lieferte  folgenden  verderbten  Text: 

„Inter  hec  Tegriense(!)  cenobio  dixi.(!)  milibus  mansuum, 

V 

quibus  fundatum  praediximus,  nichil  extra  exim(!)  hobas(!) 
reliquid  (!)." 

am  Anfange  seiner  Auszüge:  „De  archiepiscopio  Juvavensi  et  Laureacensi. 
Ex  coenobio  Ranshofen  ex  adrnodum  veteri  libro",  später  fügte  er  mit 
anderer  Tinte  noch  hinzu:  „et  bibliotheca  Ratisbonensi".  Am  Schlüsse 
(Bl.  180 r)  gab  er  an:  „Haec  ex  chronicis  Juvavensium,  quae  in  Rans- 
hofen coenobio  inferioris  Bavariae  extant,  scripta  sub  Carolo  tercio.  si 
computatio  non  fallit",  und  auch  hier  ist  später  mit  anderer  Tinte  bei- 
gesetzt:  „quae  postea  Ratisbonae  inveni". 

*)  Aus  Aventins  Adversarien  hinwiederum  von  einer  Hand  des  be- 
ginnenden 18.  Jahrhunderts  abgeschrieben,  sind  alle  diese  Stücke  auch  in 
dem  aus  Kloster  Polling  stammenden  Clm.  1891,  Bl.  11—19  enthalten. 


Bernardus  Noricus.  29 

Aventinus  schrieb  in  A: 

„Tegerino  coenobio  mille  mansus  (ut  dixi)  (quibus  funda- 
tum  praediximus)  nil  extra  XIIII  liubas  reliquit."1) 

Das  eingeklammerte  „ut  dixi"  ist  wieder  durchstrichen. 
Es  konnte  nur  entstehen  auf  Grund  des  verderbten 
Textes  von  W. 

In  M  lautet  die  Stelle: 

„Inter   haec  Tegerense    coenobio    dixi    milibus    mansuum, 

u 

quibus  fundatum  praediximus,  nihil  extra  cxim  hobas  reliquit." 
Auch  diese  Textform  kommt  zweifellos  aus  W  her;  sie 
bietet  alle  dortigen  Fehler,  nur  das  „exim",  welches  Aventinus 
kurzerhand  durch  Weglassung  des  e  sich  zurechtmachte,  hat 
M  auf  die  richtige  Zahl  zurückgeführt.  Auch  zu  „dixi"  machte 
M  ein  Zeichen  und  schrieb  an  den  Rand  das  richtige  „de  XI". 
Diese  Verbesserungen  wären  außerordentlich  auffällig;  sie  er- 
klären sich  daraus,  daß  dem  Schreiber  noch  ein  zweites  Ex- 
emplar des  Textes  mit  besseren  Lesarten  zur  Verfügung  ge- 
standen sein  muß,  da  er  auch  bei  einer  vorausgehenden  Stelle 
„nee  wltum  imperatoris"  an  den  Rand  schreiben  konnte:  „alias 
inultum  in  alia  historia".  Im  übrigen  ist  der  ganze  Text 
von  M  aus  W  abgeschrieben;  das  bezeugt  außer  dem  Wort- 
laute des  Textes  (alle  Fehler,  die  in  W  durch  Vergleich  mit 
1  feststellbar  sind,  finden  sich  auch  in  M  wieder)  mit  Sicher- 
heit eine  Äußerlichkeit:  eine  alte  Bibliotheksignatur  „4652", 
welche  in  W  am  Anfang  und  am  Schlüsse  der  Handschrift 
angebracht  ist,  hat  M  am  Anfange  mitabgeschrieben. 

Wenngleich  bei  Aventins  Abschrift  oder  vielmehr  freiem 
Auszug  ein  solches  äußeres  Beweiszeichen  nicht  vorhanden  ist, 
so  deuten  doch  alle  Umstände  darauf  hin,  daß  der  ganze  in 
den  Adversarien  enthaltene  Text  der  oben  genannten  Stücke 
unmittelbar  aus  W  abgeschrieben,  mit  anderen  Worten,  daß 
die  alte,  einst  im  Dome  zu  Regensburg  befindliche,  seitdem 
verschollene  Vorlage  Aventins  uns  in  W  erhalten  geblieben  ist. 


*)  In  seinen  Werken  hat  Aventinus  diese  Stelle  nicht  verwertet. 


•'"  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

Ein  äußeres  Kennzeichen,  aus  welchem  W  als  die  ver- 
schollene Uegensburger  Handschrift  sich  erweisen  lassen  würde, 
ist  leider  nicht  vorhanden. *)  Andererseits  aber  steht  dieser 
Annahme  durchaus  nichts  entgegen. 

Ist  dem  so,  dann  erklärt  sich  auf  die  einfachste  Weise 
Aventins  Bernhard  von  Kremsmünster:  er  hat  ihn  aus  der  von 
einem  Unbekannten  irrtümlich  in  W  beig-eschriebenen  Bemer- 
kung  „Bernardus  monachus  in  Chrembsmonster  sub  Friderico  x" 
geholt. 

Aber  auch  wenn  schließlich  die  verschollene  Regensburo-er 
Handschrift  nicht  mit  W  identisch  gewesen  wäre,  so  könnte 
sie  doch  wohl  nur  eine  Abschrift  von  W  gewesen  sein  und 
hätte  in  der  Überschrift  (entsprechend  der  späteren  Abschrift 
M)  die  Vereinigung  des  alten  Titels  „De  origine  Bavarorum" 
mit  der  Bernardus-Notiz  aufgewiesen,  hätte  in  einem  Zuge 
den  in  W  von  zwei  Händen  auseinanderliegender  Jahrhunderte 
zusammengesetzten  Titel  getragen. 


J)  Wie  sie  in  die  Wiener  Hofbibliothek  kam,  ist  nicht  festzustellen. 
Eine  Vermutung  darüber  äußere  ich  noch  unten.  Der  Kodex  trägt  ver- 
schiedene Signaturen,  von  welchen  die  älteste,  dem  16.  Jahrhundert  an- 
gehörend, am  oberen  Rande  von  Bl.  1  angebracht,  mit  Tinte  geschrieben, 
wie  oben  schon  erwähnt  wurde,  lautet:  I  4652  .  Sie  findet  sich  noch 
einmal  am  Schlüsse  der  Lage,  von  der  gleichen  Hand  geschrieben,  in 
folgender  Form:  P  4652  j.  Diese  Signatur  erhielt  die  Handschrift  ver- 
mutlich vor  ihrer  Zugehörigkeit  zur  Wiener  Hofbibliothek.  Die  verschie- 
denen Signaturen  der  letzteren  folgen  sich  so:  Am  Anfange  des  Textes 
sieht  man  eine  aus  dem  17.  Jahrhundert  stammende  Signatur:  „No.  119. 
Hist.";  am  unteren  Rande  der  ersten  Seite  steht  „8.  LXXIII";  am  Rücken 
der  damals  noch  ungebundenen  Pergamentlage  ist  ein  jetzt  teilweise  ab- 
gerissener Zettel  aufgeklebt  mit  dem  Aufdrucke  „  CODEX  .  .  .  HIST. 
ECCLES.  N.  LXXIII  Olim  119"  (die  Zahlen  sind  handschriftlich  einge- 
tragen). Später  wurde  die  Pergamentlage  unter  Hinzugabe  von  nicht 
weniger  als  neun  Lagen  leeren  weißen  Papieres  in  Schweinsleder  ge- 
bunden und  erhielt  weitere  Signaturen,  von  denen  die  heute  gültige 
,423  olim  Hist.  eccles.  73"  die  Verbindung  mit  dem  genannten  Rücken- 
schild herstellt.  Der  Vorderdeckel  trägt  in  Goldpressung  das  österreichi- 
sche Wappen  sowie  die  Buchstaben  E.  A.  B.  C.  V.  und  G.  L.  B.  V.  S.  B. 
(Ex  Augustissima  Bibliotheca  Caesarea  Vindobonensi.  Gerardus  Liber  Baro 
Van  Swieten  Bibliothecarius;  gütige  Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Dr.  Bick 
in  Wien)  nebst  der  Jahrzahl  17  —  55. 


Bernardus  Noricus.  31 

Diese  Annahme  scheint  mir  überflüssig  zu  sein  und  ich 
komme  wieder  darauf  zurück,  daß  W  selbst  Aventins  Vorlage 
gewesen  ist,  also  aus  dem  Dome  von  Regensburg  stammt. 
Und   zwar  aus  folgendem  Grunde: 

Der  Text,  welchen  Aventinus  in  seiner  „Germania  illu- 
strata"  (von  mir  im  folgenden  mit  G  bezeichnet)  aus  dem  an- 
geblichen Bernhard  von  Kremsmünster,  richtig:  aus  der  „Passio 
S.  Quirini"  zitiert,  enthält  Abweichungen  von  dem  Text  in 
den  Adversarien.  Man  hätte  kaum  nötig,  diese  Unterschiede, 
da  sie  aus  Aventins  freier  Art  der  Textgestaltung  sich  erklären 
würden,  zu  beachten,  wenn  sie  nicht  —  auch  in  W  zu  finden 
wären,  und  zwar  als  über  die  betreffenden  Worte  bzw.  Buch- 
staben geschriebene  Korrekturen  von  der  Hand,  welche  die 
Bernardus-Bemerkung  eingetragen  hat  (ich  nenne  diese  Hand 
im  folgenden  X).  Die  Textvergleichung  der  ganzen  Stelle  er- 
gibt nämlich  (unter  Nichtberücksichtigung  selbständiger  Text- 
gestaltung Aventins)  folgende  Feststellungen: 

Zu  oben  S.  21,  Z.  1:  autem — cernuntur  fehlt  W.  A.  — 
.5:  Hystrum  W.  A;  Istrum  G.  —  5:  non  est  vana  opinio  A.  G. 

—  in  Oriente  ultimo  A.  Gr.  —  8:  usque  illud  W,  korr.  X:  us- 
que  illuc;  usque  illud  A;  usque  illuc  G.  —  audierant  W,  Jcorr. 
X:  audierunt;  audierant  A;  audierunt  G.  —  His  W.A.G.  — 
9:  praedicasse  apostolum  A.  G.  —  reverentissimum  W,  leorr. 
X:  reverentissimis;  reverentissimis  A;  reverendissimis  G.  — 
10:  etiam  (statt  et)  W.  A.  eciam  G.    —    11:   Germania  W.  A. 

—  13:    mandantibus  W,    übergeschr.   X:  facientibus;   mandan- 
tibus  A;  facientibus  67.  —  ei  bellum  A.  eidem  bellum  G. 
cantibus  W.  A.  G.  —  14:  veterum  W;  veteris1)  A. 

Wie  erklärt  es  sich  nun,  daß  in  A  die  ursprünglichen 
Textformen  („illud",  „audierant",  „mandantibus")  sich  finden, 
in  G  aber  die  Korrekturen?  Sollte  denn  W  aus  G  abgeändert 
worden  sein?  Das  ist  nicht  möglich,  weil  die  Schriftform  der 
Korrekturen    in  W    wie    die   Bernardus-Bemerkunj?    der  Über- 


l)  Vermutlich  nur  verschrieben,  wie  allerdings  auch  (vgl.  S.  21, 
Lesart  d)  in  1,  ohne  daß  man  hieraus  schließen  darf,  daß  zwischen  A  u.  1 
andere  Beziehungen  bestehen. 


32  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

schrift  sicher  voraventinisch  ist.  So  muß  man  also  annehmen, 
dato  Aventinus  die  Handschrift  W  zweimal  benutzt  hat.  Das 
eine  Mal  zog  er  —  auf  der  Reise  und  bei  vorübergehendem 
Aufenthalt  zu  Regensburg  —  aus  W  den  Text  für  A  aus, 
ohne  sich  um  die  Bei-  und  Überschriften  zu  kümmern,  das 
andere  Mal  berücksichtigte  er  bei  der  Niederschrift  von  G  auch 
die  Abänderungen  und  hatte  —  damals  ständig  in  Regensburg 
wohnend  —  sowohl  W  als  auch  (worauf  Einzelheiten  hin- 
deuten) seinen  in  A  gemachten  Auszug  vor  sich. 

Daß  in  seinen  Texten  auf  diese  Weise  beide  Formen  des 
Textes  von  W,  der  ursprüngliche  und  der  verbesserte,  er- 
scheinen, dürfte  ein  Beweis  dafür  sein,  daß  eben  gerade  W 
ihm  vorgelegen  hat,  daß  diese  Handschrift  die  nach  seiner  An- 
gabe einst  dem  Regensburger  Dom  gehörige  war. 

Diese  Handschrift  scheint  mir  auch  von  dem  Regensburger 
Augustiner  Hieronymus  Streitel,1)  einem  Zeitgenossen  Aven- 
tins,  benützt  worden  zu  sein.  Denn  in  Streiteis  zwar  der 
Selbständigkeit  entbehrender,  aber  wegen  der  Überlieferung 
fremder  Aufschreibungen  nicht  unwichtiger  Sammlung  ge- 
schichtlicher Notizen2)  findet  sich,3)  wie  ich  durch  Zufall  fand, 
der  Schluß  des  Norikerkapitels  der  „Passio  S.  Quirini"  und 
unmittelbar  darauf  der  Anfang  des  „Excerptum  de  Karentanis", 
gerade   so,   wie   die  beiden  Stücke  in  W  aufeinander  folgen.4) 


1)  Vgl.  über  ihn  Rügamer,  Der  Augustinereremit  Hieronymus  Streitel 
und  seine  literarische  Tätigkeit  (Programm  des  K.  human.  Gymnasiums 
Münnerstadt  1911);  Vonschott,  Geistiges  Leben  im  Augustinerorden  am 
Ende  des  Mittelalters  und  zu  Beginn  der  Neuzeit  (Diss.,  Berlin  1915), 
S.  141  ff. 

2)  Überliefert  durch  eine  aus  Gewolds  Besitz  stammende  Abschrift, 
den  jetzigen  Clin.  167.  A.  F.  Oefele  veröffentlichte  Teile  der  Sammlung 
unter  dem  Titel  „  Anonymi  Ratisbonensis  Farrago  historica  rerum  Ratis- 
ponensium"  in  seinen  Rer.  Boic.  SS.  I,  498 ff.  Rügamer  gebührt  das 
Verdienst,  nachgewiesen  zu  haben,  daß  Streitel  der  Sammler  der  Nach- 
richten gewesen  ist. 

3)  Clin.  167,  Bl.  236—237. 

4)  Als  Wattenbach  das  „ Excerptum  de  Karentanis"  in  den  Mon. 
Germ,  hist.,  SS.  XI,  14 f.  herausgab,  war  ihm  (vgl.  daselbst  S.  4,  18)  nur 
dessen  Text  in  W  bekannt. 


Bernardus  Noricus.  33 

Zwischen  Aventinus  und  dem  oben1)  erwähnten  P.  Retten- 
pacher  von  Kremsmünster,  der  den  aventinischen  Bernardus 
Noricus  in  die  von  den  kremsmünsterschen  Geschichtsquellen 
handelnde  Literatur  einführte,  liegt  ein  merkwürdiges  Auftreten 
des  Bernhard  von  Kremsmünster,  welches  bisher  von  der  ganzen 
ihn  betreffenden  Forschung  übersehen  worden  ist.  Bernardus 
erscheint  allerdings  an  einer  Stelle,  an  welcher  man  ihn  nicht 
vermuten  würde. 

Matthias  Flacius,  der  streitbare  Vorkämpfer  der  evangeli- 
schen Lehre,  hat  in  seinem  berühmten  „Catalogus  testium  ve- 
ritatis"2)  unter  der  Gesamtüberschrift  „Conversio  Bavarorum 
et  Carentanorum"  vier  Stücke  abgedruckt,  die  wir  nun  schon 
öfter  miteinander  verbunden  angetroffen  haben:  1.  die  eigent- 
liche „Conversio  Bagoariorum" 3)  unter  der  Überschrift  „Quo- 
modo  Bacoarii  et  Carenthani  facti  sunt  Christiani.  Ex  antiquo 
membrano",  2.  das  Norikerkapitel  der  „Passio  S.  Quirini"  unter 
der  Überschrift  „De  origine  Bavarorum  Bernhardus  Monachus 
in  Krembsmonster  sub  Friderico",  daran  anschließend  ohne 
Überschriften  3.  das  „Excerptum  de  Karentanis "  und  4.  die 
„Genealogia  marchionum  Austriae".  Während  die  unter  1. 
und  3.  genannten  Stücke  in  den  Rahmen  von  Flacius'  „Cata- 
logus" passen,  haben  die  beiden  anderen  Abschnitte  kaum  et- 
was mit  den  Absichten  jenes  Werkes  zu  tun  und  sind  dort 
wohl  nur  hineingeraten,  weil  sie  eben  im  Zusammenhange  mit 
den  beiden  anderen  überliefert  waren.  Überschriften  und  Les- 
arten lassen  erkennen  (man  beachte  schon  die  Wortform  „Krembs- 
monster'' und  vergleiche  oben  S.  26),  daß  hier  wieder  die  Form 
der  Handschrift  W  vorgelegen  hat. 

Flacius   weilte   vom  Februar  1562  bis  zum  Herbste  1566 


l)  S.  8. 

2J  Straßburg  1562,  S.  122  —  130;  Lyon  1597,  II,  121-132;  Frank- 
furt a.  M.  1G77,  S.  164—177. 

3)  Weder  in  Wattenbachs  Ausgabe  der  „Conversio"  in  den  Mon. 
Germ,  bist.,  SS.  XI,  1  ff .  nocb  bei  Potthast,  Bibliotheca  historica  medii 
aevi  I2,  728,  der  immerhin  S.  610  auf  Flacius  aufmerksam  machte,  ist 
diese  Ausgabe  erwähnt. 

Sitzgab.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  4.  Abb.  3 


34  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

zu  Regensburg.1)  Nach  allem,  was  wir  bisher  über  W  fest- 
gestellt haben,  ist  es  höcbst  wahrscheinlich,  daß  er  den  da- 
mals noch  in  Regensburg  befindlichen  Kodex  für  seine  Zwecke 
verwendet  hat,  daß  dieser  das  in  dem  „Catalogus"  genannte 
„antiquum  membranum"  ist.  In  der  ersten  Ausgabe  des  „Cata- 
logus",  Basel  1556,  ist  das  die  vier  genannten  Teile  umfassende 
Stück  noch  nicht  enthalten;  erst  die  Straßburger  Ausgabe  von 
1562  bringt  es,  so  daß  man  auch  hieraus  schließen  kann,  daß 
der  eben  1562  nach  Regensburg  gekommene  Flacius  damals 
dort  auf  die  Handschrift  aufmerksam  wurde.  Viele  von  und 
für  Flacius  benützte  Handschriften  gelangten  später  nach  Wien 
in  die  Hofbibliothek;2)  man  darf  vielleicht  die  Vermutung  aus- 
sprechen, daß  so  auch  die  einst  dem  Regensburger  Domstifte 
gehörige  Handschrift  dorthin  kam. 

Die  Wiener  Handschrift  zeigt  uns  als  die  älteste  und 
wahrscheinlich  als  das  Urexemplar  der  Zusammenstellung  aller 
jener  oben  genannten  Stücke,  daß  gegen  das  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts jemand  sich  außer  von  anderen  geschichtlichen  Stücken 
auch  eine  Abschrift  des  die  Urgeschichte  der  Bayern  behan- 
delnden Norikerkapitels  der  „Passio  S.  Quirini"  gemacht  hat, 
wobei  auch  die  Stellen,  die  in  diesem  Bruchstück  auf  den  Ent- 
stehungsort Tegernsee  hinweisen,  beibehalten  worden  sind.  Von 
der  späteren  „Fundatio  Tegernseensis",  die  jenes  Kapitel  aus 
der  „Passio"  übernommen  hat,  brauchen  wir  nun  überhaupt 
nicht  mehr  zu  reden,  nachdem  wir  sehen,  daß  das  Bruchstück 
schon  vor  ihr  geschrieben  worden  ist.  Irgend  jemand  Anderer 
fügte  dem  letzteren  im  13.  Jahrhundert  als  Inhaltsangabe  den 
Titel  bei  „De  origine  Bavarorum".  Gegen  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts kam  ein  Unbekannter,  der  hier  offenbar  in  der  Ab- 
sicht, den  Verfasser  zu  bezeichnen,  jenes  verhängnisvolle,  irr- 
tümliche „Bernardus  monachus  in  Cbrembsmonster"  hinzuschrieb. 

Fassen  wir  zusammen: 


J)  Preger,  Matthias  Flacius  Illyricus  und  seine  Zeit  II  (Erlangen 
1861),  228—284. 

2)  Vgl.  Schottenloher,  Handschriftenschätze  zu  Regensburg  im  Dienste 
der  Zenturiatoren,  im:  Zentralblatt  f.  Bibliothekswesen  XXXTV  (1917),  71. 


I 


Bernardus  Noricus.  ob 

Aventinus  hat  in  der  Tat  eine  alte  Handschrift  („vetus 
exemplar")  als  Quelle  benützt,  in  welcher  ein  Stück,  betitelt 
„De  origine  Bavarorum",  als  Werk  eines  Bernhard  von  Krems- 
münster,  der  unter  Kaiser  Friedrich1)  schrieb,  bezeichnet  war. 
Er  selbst  hat  diese  Angaben  in  gutem  Glauben  und  Vertrauen 
übernommen.  Nur  den  Stammesnamen  „Noricus",  der  Noriker, 
der  Bayer,  hat  er  in  seiner  gelehrten  Humanistenart  hinzu- 
getan. Wo  er  jenes  Werk  so  anfuhrt,  liegt  bei  ihm  weder 
ein  durch  ihn  selbst  entstandener  Irrtum  noch  etwa  gar,  wie 
Loserth2)  ihm  vorwarf,  eine  Fiktion  vor.  An  allen  Stellen, 
an  denen  er  von  dem  Werke  spricht,  meint  er  immer  nur 
der  wirklichen  Herkunft  nicht  bewußt  — ■  das  Norikerkapitel 
der  „Passio  S.  Quirini",  auf  welches  denn  auch  sein  Urteil, 
daß  es  „ut  brevissime  ita  elegantissime"  geschrieben  sei,3)  nicht 
übel  paßt,  wie  auch  sein  Ausdruck  „vetus  exemplar"  zu  der 
Handschrift  W  stimmt. 

Jenes  Werk  aber  hat  mit  den  kremsmünsterschen  Ge- 
schichtsquellen vom  Ende  des  13.  und  Anfange  des  14.  Jahr- 
hunderts gar  nichts  zu  tun.  Und  in  der  Frage  nach  dem  Ver- 
fasser dieser  Quellen  darf  man  den  nur  auf  Aventins  vermeint- 
liche Autorität  gegründeten  Bernardus  jetzt  wohl  ausschalten. 
Sigmar  von  Kremsmünster  hat  alle  Aussicht,  das  Feld  zu  be- 
halten. Zwar  könnte  das  Spiel  von  neuem  beginnen,  und  man 
könnte  jenen  Unbekannten,  der  den  Bernardus-Namen  der  Re- 
gensburg-Wiener Handschrift    einverleibt    hat,    als   gut-  unter- 

1)  Ob  der  Unbekannte  Friedrich  I.  oder  IL  meinte,  geht  aus  der 
Überschrift  in  W  und  M  nicht  hervor.  Wahrscheinlich  ist  der  erstere 
Fall,  und  der  Unbekannte  kam  hiezu  wohl  auf  die  nämliche  Weise  wie 
Aventinus  selbst.  Dieser  hat  in  dem  Auszug  aus  der  „Genealogia  mar- 
chionum  Austriae"  in  A  zu  der  Stelle,  die  uns  aus  den  Worten  „Oulricum, 
qui  nunc  dux  est  Oarinthie"  (Mon.  Germ,  hist.,  SS.  IX,  610,  54)  auf  die 
Abfassungszeit  zwischen  1181  und  1192  schließen  läßt,  an  den  Rand  be- 
merkt:  „quaudo  scripta  est  chronica  sub  Friderico  primo". 

2)  Vgl.  oben  S.  13. 

3)  Vgl.  oben  S.  18.  Der  Ausdruck  „brevissime"  würde  weder  auf 
die  „Narratio"  noch  auf  die  „Historiae*  passen.  Welches  von  beiden 
käme  aber  überhaupt  in  Betracht?  Aventinus  spricht  doch  nur  von 
einem  Werke  des  angeblichen  Bernardus. 


36  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

richtet  über  den  Geschichtschreiber  von  Kremsmünster  erachten. 
Allein  man  wird  das  hoffentlich  bleiben  lassen:  seine  Unkennt- 
nis gegenüber  dem  Bruchstücke  der  „Passio  S.  Quirini"  ist 
nicht  dazu  angetan,  ihm  irgend  welches  Vertrauen  zu  erwerben; 
sein  Zusatz  „Bernardus  monachus  in  Chrembsmonster"  beruht 
kaum  auf  etwas  anderem  als  auf  einem  Irrtum,  den  wir  aller- 
dings zunächst  nicht  erklären  zu  können  scheinen. 

Wollte  ich  nur  zeigen,  wie  Aventinus  zu  seinem  Bernardus 
Noricus  kam,  so  könnte  ich  meine  Abhandlung  hier  schließen. 
Für  die  methodische  Durchführung  der  Untersuchung  der  ge- 
nannten Frage  könnte  das  Gesagte  genügen.  Allein  ich  möchte 
hier  weiter  noch  darlegen,  in  welchem  wirklichen  Verhältnis 
Aventinus  zu  den  Geschichtsquellen  von  Kremsmünster  stand, 
oder  vielmehr,  wie  er  zu  einer  Anzahl  in  jenen  Quellen  über- 
lieferter Angaben  gelangte.  Ich  hoffe  durch  das  Eingehen  auf 
diese  Dinge  Aventins  Stellung  in  der  ganzen  Sache  noch  klarer 
zu  machen. 

Die  vermeintliche  besondere  Kenntnis  Aventins  über  den 
angeblichen  kremsmünsterschen  Geschichtschreiber  Bernardus 
Noricus  hat  man  sich  unter  anderem  daraus  erklären  wollen,1) 
daß  Aventinus  irgendwann  persönlich  in  dem  oberösterreichi- 
schen Stifte  geweilt  habe. 

Die  Möglichkeit,  daß  er  in  Kremsmünster  sich  aufgehalten 
habe,  besteht  allerdings.  Er  hat  in  Wien  studiert  und  ist  dort 
Schüler  des  gefeierten  Konrad  Celtis  gewesen.  Auf  der  mehr- 
maligen Hin-  und  Herreise  zwischen  seinem  niederbayerischen 
Heimatstädtchen  Abensberg  und  der  Donauhauptstadt  könnte 
er  wohl  das  Kloster  Kremsmünster  besucht  haben.  Aber  dies 
ist  wenig  wahrscheinlich,  da  das  Stift  doch  ein  gutes  Stück 
seitwärts  von  dem  gewöhnlichen  Reisewege  lag  und  Aventinus 
zudem  damals  noch  nicht  jenes  Interesse  für  geschichtliche 
Aufzeichnungen  hatte  wie  fast  zwei  Jahrzehnte  darnach. 

Als   er   in   dieser  späteren  Zeit,    während  der  Jahre   1517 
und   1518,   im  Auftrage  der  Herzoge  von  Bayern   seine  große 


!)  Altinger  a.  a.  0.,  S.  242. 


Bernardus  Noricus.  o7 

Forschungsreise  machte,  um  aus  allen  Ecken  und  Enden  des 
Landes  den  Stoff  zu  seinen  Annalen  zu  sammeln,  kam  er  auch 
in  Gegenden  am  Inn,  die  heute  österreichisch  sind.  Die  Ein- 
träge in  seinem  Hauskalender  lassen  uns  deutlich  den  Weg 
verfolgen,  den  er  gemacht  hat.1)  Durch  Niederbayern  hin- 
durch war  er  nach  Passau  gekommen;  von  dort  reiste  er  inn- 
aufwärts  und  über  Altötting  wieder  in  das  Innere  Bayerns 
herein.  Die  einzelnen  Orte,  die  er  besuchte,  hat  er  im  Haus- 
kalender genannt.  Wenn  je,  so  hätte  er  damals  nach  Krems- 
münster gelangen  können.  Allerdings  wäre  auch  von  den 
Kremsmünster  am  nächsten  gelegenen  Orten,  deren  Namen  er 
schriftlich  festgelegt  hat,  doch  noch  ein  beträchtliches  Stück 
Weges  bis  dahin  gewesen.  Im  Hauskalender  ist  das  Stift  nicht 
verzeichnet.  Hätte  er  sich  dort  aufgehalten,  so  würde  er  wohl 
schwerlich  versäumt  haben,  das  einzutragen.  So  ist  es  un- 
wahrscheinlich, daß  Aventinus  jemals  zu  Kremsmünster  ge- 
weilt hat. 

Hat  der  bayerische  Geschichtschreiber  denn  aber  nicht  die 
Aufzeichnungen  von  Kremsmünster  in  seinen  Werken  benützt, 
und  könnte  nicht  diese  Tatsache  ein  Beweis,  wenn  nicht  eines 
Aufenthaltes  in  jenem  Stifte,  so  doch  von  Beziehungen  zu  dem 
Kloster,  welches  einem  bayerischen  Herzoge  seine  Gründung 
verdankte,  sein? 

Daß  für  diese  Frage  die  Stellen,  an  denen  der  angebliche 
kremsmünstersche  Mönch  Bernhard  der  Noriker  als  Gewährs- 
mann genannt  ist,  überhaupt  nicht  in  Betracht  kommen,  wurde 
oben  durch  den  Hauptteil  dieser  Abhandlung  hinlänglich  be- 
wiesen. 

Außer  an  jenen  Stellen  nennt  Aventinus  Kremsmünster 
selbst  auffallend  selten;  man  würde  erwarten,  daß  des  Klosters 
öfter  gedacht  wäre,  wenn  dessen  Aufzeichnungen  infolge  jener 
vermuteten  persönlichen  Beziehungen  unmittelbar  oder  beson- 
ders ausgiebig  benützt  worden  wären.  In  seinem  Hauptwerke, 
den    lateinischen   Annalen,    erwähnt    Aventinus    Kremsmünster 


l)  S.  W.  VI,  30  f. 


38  4.  Abhandlung :  Georg  Leidinger 


O  ■      ■J'^^ij, 


nur  an  zwei  Stellen;1)  erstlich  bei  einem  kurzen,  die  Gründung 
des  Klosters  erzählenden  Abschnitt,2)  auf  den  ich  unten3)  noch 
zu  sprechen  komme,  und  zweitens  bei  Mitteilung  des  ganzen 
Textes  einer  Schenkungsurkunde  für  Kremsmünster.4)  Daß  er 
in  der  Lage  war,  ein  Schriftstück  von  so  örtlicher  Bedeutung 
wie  die  letztere  wiederzugeben,  würde  unter  anderen  Umständen 
uns  veranlassen  können,  unmittelbare  Verbindungen  zwischen 
ihm  und  Kremsmünster  anzunehmen.  Allein  gerade  hier  gibt 
er  ausdrücklich  an,  daß  er  die  Urkunde  im  Dome  zu  Passau 
gefunden  habe  („Bathavensis  templi  diploma").  In  seinen  üb- 
rigen Werken  erscheint  der  Name  Kremsmünster  nur  vorüber- 
gehend. 5) 

Aber  vielleicht  hat  Aventinus  nur  Kremsmünster  selbst  so 
selten  genannt,  während  er  trotzdem  die  verschiedenen  dortigen 
Aufzeichnungen  in  der  oben  vermuteten  Weise  benützt  hat? 
In  der  Tat  konnte  Riezler  in  seiner  Ausgabe  der  Annalen 
Aventins  bei  der  Feststellung  der  Quellen  an  2l  Stellen  auf 
die  Geschichtswerke  von  Kremsmünster  verweisen,  sei  es  daß 
Aventins  Angaben  mit  dem  Texte  jener  übereinstimmten  oder 
wenigstens  Verwandtschaft  damit  aufwiesen.  Die  Quellennach- 
weise Riezlers  gehen  auf  die  Passauer  Bischofsreihe,  die  baye- 
rische Herzogsreihe,  die  „Historiae"  und  die  „Narratio";  in 
letzterer  wieder  auf  die  darin  verarbeitete  Passauer  Bischofs- 
und bayerische  Herzogsreihe.  Die  Quellennachweise  sind  inso- 
ferne  richtig,  als  jene  aus  Kremsmünster  überlieferten  Schriften 
gleiche  oder  ähnliche  Angaben  enthalten,  wie  Aventinus  sie 
macht.  Der  Gang  unserer  Untersuchung  verlangt  zunächst, 
die  Frage  aufzuwerfen,  ob  Aventinus  denn  zu  jenen  Angaben 
durch  unmittelbare  Benützung  der  kremsmünsterschen  Quellen 


*)  An  zwei  anderen  Stellen,  auf  welche  im  Register  unter  „Chre- 
missae  monasterium"  (=  Krernsmünster)  verwiesen  ist,  in  S.  W.  II,  4.50 
und  452,  wird  „Chremissa"  genannt.  Das  ist  jedoch  nicht  Kloster  Krems- 
münster, sondern  die  Stadt  Krems. 

2)  S.  W.  II,  408.  3)  S.  44. 

4)  S.  W.  II,  521.  Über  die  Urkunde  vgl.  Böhmer-Mühlbacher,  Re- 
gesta  imperii  I2  (Innsbruck  1908),  n.  850. 

5)  S.  W.  I,  120;  291;  607;  V,  104;  143. 


Bernardus  Noricus.  39 

gelangte,   oder  ob  sie  ihm  nicht  vielleicht  auf  anderem  Wege 
zukamen. 

Hier  muß  zunächst  festgestellt  werden,  daß  nicht  weniger 
als  15  von  jenen  21  Stellen  sich  im  Texte  der  „Chronica  Baio- 
ariorum"  des  Veit  Arnpeck  nachweisen  lassen,  der  Aventins 
unmittelbarer  Vorläufer  auf  dem  Gebiete  der  bayerischen  Ge- 
schichtschreibung gewesen  ist.  Seine  Werke  sind,  wie  ich  in 
meiner  Neuausgabe1)  betont  habe,2)  von  Aventinus  weit  mehr, 
als  man  bis  jetzt  angenommen  hat,  unmittelbar  benützt  worden. 
Arnpeck  hat,  wie  ich  schon  oben3)  erwähnte,  die  Aufzeich- 
nungen von  Kremsmünster,  wohl  nach  irgend  einer  Abschrift, 
in  der  ausgedehntesten  Weise  ausgeschrieben :  Aventinus  seiner- 
seits hatte  die  Originalhandschrift  der  lateinischen  bayerischen 
und  der  österreichischen  Chronik  Arnpecks  in  eigenen  Händen4) 
und  konnte  sie  also  in  der  bequemsten  Weise  verwerten.  Be- 
vor man  daher  bei  Aventinus  die  entferntere  Quelle  als  be- 
nützt erachtet,  muß  sicherlich  eher  die  näherliegende  als  un- 
mittelbare Vorlage  gelten. 

Unter  diesem  Gesichtspunkte  vergleiche  man  folgende 
Aventinus-Stellen,  an  denen  Riezler  als  Quelle  Aventins  die 
Aufzeichnungen  von  Kremsmünster  genannt  hat,  mit  dem  ent- 
sprechenden Arnpeck-Text: 

S.  W.  II,  240,  22  ff.  =  Arnpeck  S.  35,  6.5) 
,    252,  19  ff.  =         „  „  35,  5;  36,  17  ff. 


344,  5 

349,  10 

361,  19  f. 

365,  2  ff. 

374,  2 


43,  11. 
43,  15. 
43,  23  f. 

43,  27  f. 
48,  9. 


l)  Vgl.  oben  S.  7,  Anm.  1.  2)  S.  LXXX.  a)  S.  6  f. 

4)  Vgl.  meine  Arnpeck-Ausgabe  S.  XVII. 

5)  Wie  hinwiederum  meine  Quellen-Nachweise  zu  Arnpeck  erkennen 
lassen,  hat  letzterer  an  mehreren  der  oben  angeführten  Stellen  nicht  die 
kremsmünsterschen  Aufzeichnungen,  sondern  teils  eine  Quelle  dieser,  die 
Vita  S.  Maximiliani,  teils  auch  eine  andere  Quelle  benutzt,  Otlohs  Vita 
S.  Bonifatii. 


40  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

S.W.  II,  384,  19  f.    =  Arnpeck  S.  72,  26  f. 

„    „      „    389,  3  ff.     =         „         „  83,  32  ff. 

„    „      ,    406,  1         =         .         „79,  18. 

„    „      „    408,  12  ff.  =         ,  ,  85,  15  ff. 

.    ,      „    410,  40  f.    =         „  „  87.  15  f. 

,    412,  33  f.    =         „  „   87,  15  f. 

,    „      „    417,  27        =         „  „  88,  41  f. 

„    „      „    418,  20       =         „  „  80,  20  ff. 

An  allen  diesen  Stellen  kann  man  ebensogut  die  Benützung 
von  Arnpecks  Text  durch  Aventinus  annehmen,  wie  man  bis- 
her auf  die  Quellen  von  Kremsmünster  verwiesen  hat.  Daß 
Aventinus  bei  der  Stelle  S.  W.  II,  349,  10  Arnpecks  „  Chronica 
Baioariorum"  vor  sich  gehabt  hat,  könnte  man  sogar  mit  einer 
gewissen  Sicherheit  daraus  schließen,  weil  er  in  dem  ent- 
sprechenden Abschnitte  der  deutschen  Chronik,1)  wie  schon 
Riezler  bemerkt  hat,2)  wenn  auch  für  andere  Angaben,  Arn- 
peck mit  Namen  als  Quelle  nennt. 

Von  den  sechs  noch  übrigbleibenden  Stellen,  die  Arn- 
pecks Text  nicht  enthält,  gehören  vier  (S.  W.  II,  346,  14 ff.; 
368,  8 ff;  375,  29 ff.;  379,  2 ff.)  zu  einer  Lorcher  bzw.  Pas- 
sauer Bischofsreihe.  Diese  Bischofsreihen  können  aber  Aven- 
tinus auch  anderswoher  zugänglich  gewesen  sein,  ohne  daß 
gerade  notwendigerweise  ein  unmittelbarer  Zusammenhang  mit 
Kremsmünster  vorliegen  müßte. 

Auch  die  beiden  letzten  hier  noch  zu  besprechenden  Stellen, 
zwei  Jahreszahlen  zur  Geschichte  von  Agilolfingerherzogen 
(S.W.  II,  357,  15  und  366,  23),  wären  nicht  geeignet,  ein 
unmittelbares  Verhältnis  Aventins  zu  Kremsmünster  zu  be- 
weisen. Denn  im  Hinblick  auf  die  Wirrnis,  welche  in  den 
Angaben  der  bayerischen  Chronistik  über  die  Agilolfingerzeit 
herrscht,  könnten  diese  Jahreszahlen  auf  jede  nur  mögliche 
Weise  zu  Aventinus  gelangt  sein. 

Immerhin  aber  standen  ihm  wirklich  Teile  der  kremsmün- 
sterschen  Aufzeichnungen  auf  folgende  Weise  zur  Verfügung: 


*)  S.  W.  V,  24.  2)  S.  W.  II,  349,  Anm. 


Bernardus  Noricus.  41 

Erstlich  befand  sich  in  der  Bibliothek  des  Stiftes  St.  Era- 
meram  zu  Regensburg,  deren  Handschriften  Aventinus  bekannt- 
lich in  vielfacher  Weise  benützt  hat,1)  ein  Kodex,  welcher  den 
größten  Teil  der  kremsmünsterschen  „Historiae"  enthielt.2)  Dem 
im  Anfange  des  15.  Jahrhunderts  geschriebenen  Texte  fehlt  der 
rein  örtliche  vierte  Teil  des  Werkes,  der  „Catalogus  abba- 
tum".  Die  Handschrift  enthält  eine  Anzahl  Randbemerkungen. 
Unter  solchen  von  anderen  Händen  finden  sich  zwei,3)  von 
denen  ich  mit  Sicherheit  behaupten  darf,  daß  sie  von  Aventins 
eigenartiger  Hand  stammen.*)  Er  hat  also  diesen  Kodex  und 
damit  eine  Abschrift  des  Hauptteiles  der  Quellen  von  Krems- 
münster in  Händen  gehabt. 

Weiter:  Eine  eigenartige,  titellose,  am  besten  unter  der 
Bezeichnung  „Fundationes  monasteriorum  Bavariae"  zu  zi- 
tierende Sammlung  von  Gründungsgeschichten  bayerischer 
Klöster  und  von  anderen  geschichtlichen  Stücken  war,  wie 
ich  an  anderer  Stelle5)  nachgewiesen  habe,  um  das  Jahr  1388 
in  Regensburg  entstanden.  In  dieser  Sammlung,6)  die  in  der 
Folgezeit  häufig  abgeschrieben  und  viel  benützt  wurde,  ist  die 
Gründungsgeschichte  von  Kremsmünster  nicht  ursprünglich 
enthalten.  Einer  davon  stammenden  Abschrift,7)  die  um  1440 
entstanden  ist,  wurde  später,  vielleicht  unter  dem  Pontifikat 
Sixtus  des  IV.  (1471— 1484), 8)  noch    eine    weitere   Sammlung 


J)  Vgl.  darüber  Riezler  in  S.  W.  III,  548  ff. 

2)  Jetzt  Clm.  14  233  (ehemalige  Signatur  von  St.  Emmeram:  C  52). 
Bl.  63r  —  75^  =  Loserth,  S.  32-61;  SS.  XXV,  651—665. 

3)  Bl.  65v:   „Theobaldus  dux  Boiorum"  und  Bl.  70r:  „Viuilonis". 

4)  Über  andere  St.  Emmeramer  Handschriften  mit  Randbemerkungen 
von  ihm  vgl.  meine  Angaben  in  S.  W.  VI,  69  ff. 

5)  Neues  Archiv  XXIV  (1899),  671  ff. 

6)  Die  Originalhandschrift  ist  Clm.  14594. 

7)  Dem  früher  in  Tegernsee  befindlichen  Clm.  27164. 

8)  Ich  schließe  das  daraus,  weil  der  Papstkatalog  in  Clm.  14894, 
wo  der  oben  genannte  zweite  Teil  des  Clm.  27 164  schon  mitabgeschrieben 
ist,  die  Papstreihe  mit  Sixtus  endet,  während  die  in  Clm.  27164  später 
eingetragenen  folgenden  Päpste  Innozenz  VIII.  und  Alexander  VI.  hier 
nicht  mehr  zu  finden  sind.  So  sind  meine  Angaben  im  Neuen  Archiv 
a.  a.  0.,  S.  705  zu  ergänzen. 


1-  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 


r>    -"^luii.^v 


von  Gründungsgeschichten  und  anderen  geschichtlichen  Auf- 
zeichnungen angefügt,  hauptsächlich  aus  den  Diözesen  Salz- 
burg, Regensburg,  Passau,  Chiemsee  und  Gurk.  Von  der  so 
ergänzten  Sammlung  wurde,  offenbar  bald  darauf,  abermals 
eine  Abschrift  genommen.1)  Diese  wurde  gegenüber  der  Vor- 
lage durch  die  Aufnahme  einer  Anzahl  von  Stücken  aus  den 
verschiedenen  Quellen  von  Kremsmünster  erweitert.2)  Die  Ab- 
schrift jener  Stücke  scheint  anregend  auf  den  Sammler3)  ge- 
wirkt zu  haben;  denn  die  Passauer  Bischofsreihe  und  in  noch 
höherem  Grade  die  bayerische  Herzogsreihe  weisen  dabei  Fort- 
setzungen auf,  die  von  jenem  Sammler  herrühren  dürften. 

1)  Der  aus  St.  Emmeram  in  Regensburg  stammende  Clm.  14894, 
geschrieben  von  einem  Frater  Sigismund  Paurenfeint,  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts. Vgl.  Loserth,  Geschichtsquellen,  S.  XX;  Mon.  Germ,  hist., 
SS.  XXV,  611;  Andreas  von  Regensburg,  Sämtliche  Werke,  S.  LVIII, 
Anm.  1;  Salzburger  Urkundenbuch  I  (1910),  17;  II  (1916),  A  I  (wo  außer 
oder  statt  Clm.  14894  dessen  Vorlage  Clm.  27164  zu  berücksichtigen  ge- 
wesen wäre).  Cod.  pal.  Vind.  3402  enthält  nicht,  wie  man  nach  Brack- 
mann, Germania  pontificia  I  (1911),  285  annehmen  könnte,  die  gleiche 
Sammlung  wie  Clm.  27164  und  14894. 

2)  Zur  Verbesserung  des  gedruckten  Münchener  Handschriftenkata- 
loges  stelle  ich  die  einzelnen  Teile  hier  fest: 

1.  Bl.  84r  —  117v:  „Igitur  cum  pretiosus  .  .  ."  bis  „.  .  .  in  requie  opu- 
lenta"  (erster  Teil  der  „Narratio*  ohne  den  Prolog)  =  Loserth 
S.  84-98;  SS.  XXV,  639,  10  —  646,  7. 

2.  Bl.  129r-131«-:  „Anno  Domini  1250  .  .  ."  bis  „.  .  .  de  Nustorff" 
(Passauer  Bischofsreihe  mit  Fortsetzung)  =  Loserth  S.  1  -5;  SS.  XXV, 
619,  15—623,  29  (Handschrift  D). 

3.  Bl.  134r-135v:  „Bavaria,  quae  et  Noricus  .  .  ."  bis  „  .  .  tonsu- 
ratur"  (Auszug  aus  drei  Kapiteln  des  ersten  Teiles  der  „Narratio") 
=  Loserth  S.  85-87;  SS.  XXV,  639,  43-640,  45. 

4.  Bl.  157v— 158v:  „Nunc  videndum  est  (im  Original:  „Sed  primo  bre- 
viter  est  tangendum)  de  origine  ..."  bis  „successit  filius  eius" 
(aus  den  „Historiae")  =  Loserth  S.  47-48;  SS.  XXV,  659,  15-42. 

5.  Bl.  159v-162>":  „Anno  Domini  508  .  .  ."  bis  „.  .  .  Stephanus  et 
Adalbertus"  (Auszug  der  bayerischen  Herzogsreihe  mit  Fortsetzung) 
=  Loserth  S.  6-11;  SS.  XXV,  624,  50-625,  18;  637,  61-638,  21. 

3)  Dieser  ist  möglicherweise  nicht  identisch  mit  dem  Schreiber  von 
Clm.  14894.  Vielleicht  liegt  nämlich  zwischen  Clm.  27164  und  14894 
noch  eine  weitere  Handschrift. 


Bernardus  Noricus.  43 

Auch  diese  in  der  Bibliothek  von  St.  Emmeram  zu  Regens- 
burg befindliche  Handschrift  hat  Aventinus  in  Händen  gehabt. 
Auf  Bl.  154r  ist  eine  Randbemerkung  angebracht,  die  ich  un- 
bedenklich seiner  Hand  zuschreibe.  Er  hat  die  Handschrift  also 
benützt,  und  man  darfauch  sie  als  eine  seiner  Quellen  betrachten. 

So  kann  denn  Aventinus  aus  den  kremsmünsterschen  Bruch- 
stücken der  beiden  genannten  St.  Emmeramer  Handschriften 
sich  einzelne  der  Angaben  geholt  haben,  bei  denen  ein  Zu- 
sammenhang seines  Textes  mit  den  Aufzeichnungen  jenes 
Stiftes  gegeben  erscheint.1) 

Überblickt  man  jene  oben  erwähnten  21  Stellen  im  ganzen, 
so  ist,  da  es  sich  überall,  mit  Ausnahme  der  noch  zu  be- 
sprechenden Stelle,2)  nur  um  Kleinigkeiten  handelt,  die  Be- 
nützung der  kremsmünsterschen  Schriften  durch  Aventinus  im 
Verhältnis  zu  ihrem  Umfang  und  Inhalt  eine  recht  gering- 
fügige. Arnpeck  hat  weit  mehr  daraus  entnommen.  Auf- 
fallend ist,  daß  jene  Stellen  sich  nur  auf  das  zweite  und  dritte 
Buch  von  Aventins  Annalen  erstrecken.  In  diesen  Büchern 
behandelte  Aventinus  die  Zeiten  vor  Karl  dem  Großen  und 
hätte  also  die  kremsmünsterschen  Aufzeichnungen  nur  für  diese 
benützt,  für  spätere  Zeiten  aber,  in  denen  sie  doch  erst  recht 
Stoff  hätten  bieten  können,  hätte  er  sie  bei  Seite  gelassen. 


*)  Der  oben  S.  32  genannte  Regensburger  Augustiner  Hieronymus 
Streitel  hat  seinen  Stoffsammlungen  (Clm.  167  und  14053)  ebenfalls  Teile 
der  Aufzeichnungen  von  Kremsmünster  einverleibt.  In  Clm.  167,  S/  400 
bis  417  befindet  sich  ein  Bruchstück  der  „Historiae",  die  bayerische  Her- 
zogsreihe ohne  den  Anfang  =  Loserth  S.  49—56;  SS.  XXV,  660,  14  bis 
663,  12.  In  Clm.  14053  hat  Streitel  folgende  Stücke  der  „ Historiae" 
eingetragen:  Bl.  192  —  193r  die  österreichische  Herzogsreihe  =  Loserth 
S.  56-61;  SS.  XXV,  663,  17—665,  38;  Bl.  194^  Auszüge  aus  dem  Anfang 
der  Lorcher  Bischofsreihe  =  Loserth  S.  33-34;  SS.  XXV,  652,  23-653, 
54;  Bl.  195r — 195v  den  in  Clm.  167  fehlenden  Anfang  der  bayerischen 
Herzogsreihe  =  Loserth  S.  47-49;  SS.  XXV,  659,  15—660,  13.  Alle  diese 
Texte  hat  Streitel,  wie  die  Lesarten  bestätigen,  aus  dem  vorhin  (S.  41) 
angeführten  St.  Emmeramer  Clm.  14233  genommen;  er  hat  auch  die  dort 
befindliche  Zugabe,  von  der  unten  S.  45,  Anm.  4  noch  die  Rede  sein 
wird,  Bl.  193v  —  194r  mit  abgeschrieben. 

2)  Vgl.  unten  S.  44. 


I  I  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

Aus  Clm.  14894  oder  aus  Arnpecks  Text1)  kann  er  die 
oben2)  erwähnte  Stelle  genommen  haben,  an  welcher  er  des 
Klosters  Kremsmünster  gedenkt  und  dessen  Gründungsgeschichte 
mitteilt.3)  Hieran  knüpft  er  selbständige  kritische  Bemerkungen. 
Tassilos  Sohn  Günther,  den  die  Gründungsgeschichte  nennt,  ist 
ihm  verdächtig,  da  in  der  Stiftungsurkunde  Tassilo  von  seinem 
Sohne  Theodo  (Diet)  spricht.  Dieser  Umstand  veranlaßt  Aven- 
tinus  zu  folgender  Äußerung  über  die  Gründungsgeschichte: 
„Ita  quidam  (man  beachte  auch  diesen  unbestimmten  Ausdruck) 
prodidere,  mihi  vero  non  fit  verisimile.  Nam  in  oratione, 
quam  Thessalonus  in  eiusdem  templi  dedicatione  habuit,  Theo- 
donis  quidem  filii  sui  mentionem  facit;  de  Gunthero  et  huius- 
modi  fabula  ne  verbum  quidem  offendes:  profecto  tantam  rem 
ille  non  taciturus,  si  ita  fuisset.  Deprendi  ego  captos,  ut  ori- 
ginem  principiaque  templorum  suoruni  augustiora  vili  plaebe- 
culae  faciant,  animos  vulgi  imperiti  huiuscemodi  fabellis  ad 
quaestum  confictis  allicere  et  oblectare  solere." 

Diese  „oratio",  welche  Tassilo  nach  der  naiven  Vorstel- 
lung des  Geschichtschreibers  bei  der  Weihe  der  Kirche  zu 
Kremsmünster  gehalten  hätte,  ist,  wie  hier  zur  Ergänzung  der 
hierüber  schweigenden  Ausgabe  der  Annalen  bemerkt  sei,  nichts 
anderes  als  die  Stiftungsurkunde  des  Klosters.  Wenn  Aven- 
tinus  ihre  Kenntnis  aus  Kremsmünster  selbst  bezogen  hätte, 
würden  diejenigen  recht  haben,  die  nähere  Verbindungen  zwi- 
schen ihm  und  dem  Stifte  vermuteten.  Allein  die  Sache  liegt 
hier  ähnlich  wie  bei  der  schon  oben4)  erwähnten  Schenkungs- 
urkunde für  Kremsmünster,  die  Aventinus  aus  dem  Dome  zu 
Passau  erhalten  hatte.  Unser  Geschichtschreiber  kannte  die 
Stiftungsurkunde  Tassilos  aus  Kloster  Niederaltaich,  dessen  von 
dem  berühmten  Abte  Hermann  angelegtes  Diplomatariuni  sie 
in  Abschrift  enthielt.5)     Aventinus    hat   sie    daraus    unter    der 


»)  S.  85,  15  ff.  2)  S.  38  und  43. 

3)  S.  W.  II,  408,  12  ff.  4)  S.  38. 

5)  Vgl.  Pösinger,  Die  Stiftungsurkunde  des  Klosters  Kremsmünster 
(59.  Programm  des  k.  k.  Obergymnasiums  der  Benediktiner  zu  Krems- 
münster 1909},  S.  8. 


Bernardus  Noricus.  45 

Angabe,  daß  Niederaltaich  der  Herkunftsort  sei,  im  zehnten 
Bande  seiner  Adversarien1)  sich  abgeschrieben.  Also  auch  hier 
wieder  zeigt  sich  durchaus  kein  näheres  Verhältnis  zwischen 
ihm  und  Kremsmünster. 

Faßt  man  das  Ergebnis  dieser  Quellenstudien  zu  Aven- 
tins  Text  zusammen,  so  darf  man  wohl  sagen,  daß  auch  auf 
diesem  Wege  die  im  ersten  Teile  der  vorliegenden  Untersuchung 
gewonnene  Ansicht  bestärkt  wird:  wie  unrecht  nämlich  jene 
hatten,  die  Aventins  Bernardus  Noricus  auf  eine  besondere, 
durch  unmittelbare  Beziehungen  zu  Kremsmünster  gewonnene 
Kenntnis    des    bayerischen   Humanisten    zurückführen    wollten. 

Wiederum  könnte  ich  die  Abhandlung  hier  schließen  und 
mich  mit  dem  bisherigen  Ergebnisse  begnügen;  allein  der  Zu- 
fall (oder  vielmehr  von  allen  möglichen  Kombinationen  aus- 
gehendes Suchen)  ließ  mich  eine  Entdeckung  machen,  welche 
geeignet  ist,  auch  den  oben2)  als  Rätsel  verlassenen  schwierigen 
Punkt  zu  erklären,  woher  nämlich  die  Nennung  eines  „Bern- 
hard von  Kremsmünster"  überhaupt  ihren  Ursprung  genommen 
hat.  Meine  bisherigen  Darlegungen  haben  soviel  ergeben:  Zu 
Regensburg  hat  ein  Unbekannter,  dem  offenbar  geschichtliche 
Interessen  zu  eigen  waren,  einem  Werke,  welches  ähnlichen 
Inhalt  hatte  wie  Teile  der  Aufzeichnungen  von  Kremsmünster, 
den  zweifellos  in  diesem  Fall  unrichtigen  Verfassernamen  eines 
Mönches  Bernhard  von  Kremsmünster  beigelegt.  Woher  hat 
er  überhaupt  diesen  Namen  genommen? 

Aus  der  schon  oben3)  genannten  Handschrift  der 
Regensburger  Stiftsbibliothek  zu  St.  Emmeram,  dem 
jetzigen  Clin.  14233. 

Loserth  hat  diese  Handschrift,  welche  die  ersten  drei  Teile4) 
der  kremsmünsterschen  „Historiae"  enthält,  für  seine  Ausgabe 


l)  Jetzt  Clm.  1204,  Bl.  30v;  daraus  abgedruckt  bei  Oefele,  Rer.  Boic. 
SS.  I,  726.  2)  S.  3G.  3)  S.  41. 

4)  Für  den  vierten  Teil  war  leerer  Raum  gelassen.  Darnach  folgen, 
von  der  gleichen  Hand,  bisher  unbeachtete,  wenig  bedeutende  öster- 
reichische Notizen,  die  ich  aber  doch  bei  dieser  Gelegenheit  als  Ergän- 
zung zu  verschiedenen  österreichischen  Annalen  ähnlichen  Inhalts  unten 


I')  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

verglichen1)  und  ihre  Lesarten  angegeben.  Waitz  hat  sie  und 
andere  Handschriften  als  „nullius  fere  pretii"  bezeichnet,2)  an 
einigen  Stellen  aber  doch  Änderungen,  die  in  ihr  gegenüber 
dem  ursprünglichen  Text  auftreten,  mitgeteilt,  allerdings,  wie 
es  scheint,  nach  Loserths  Ausgabe.3) 

Loserth  aber  hat,  trotzdem  man  es  bei  ihm  mit  Bestimmt- 
heit erwarten  würde,  so  daß  die  Unterlassung  sehr  sonderbar 
erscheint,  folgende  Stelle  nicht  mitgeteilt,4)  welche  mitten  in 
der  österreichischen  Herzogsreihe  steht:5) 

„Nota  XIII0  LXXVIII0  ad  festum  pasche6)  frater  Bernar- 
dus  monasterii  Medlicensis  professus,  medio  tempore  Admunde 
degens,  hie  in  Gemniko  causa  edificacionis  affuit  et  hec  scripsit 
et  in  hac  cronica  plura  correxit." 

Da  Clm.  14233  erst  im  Anfange  des  15.  Jahrhunderts  ge- 
schrieben ist,  haben  wir  hier  nicht  den  ursprünglichen  Eintrag 
vor  uns,  sondern  nur  eine  Abschrift.  Diese  teilt  uns  aber  die 
Tatsache  mit,  daß  ein  Mönch  Bernhard  von  Melk  in  Nieder- 
österreich, der  zeitweise  in  dem  steiermärkischen  Kloster  Ad- 
mont  sich  aufgehalten  hatte,  an  Ostern  1378  in  der  Kartause 
Gaming  (Gemnicum)  in  Niederösterreich  weilte  und  dort  ein 
Exemplar  der  „Historiae"  von  Kremsmünster  mit  mehreren 
Verbesserungen  versah  oder  (der  lateinische  Ausdruck  läßt  auch 

S.  50ff.  als  Beilage  abdrucke.  Eine  Abschrift  dieser  „Notae  Austriacae" 
findet  sich,  wie  oben  S.  43,  Anm.  1  erwähnt  wurde,  in  Streiteis  Sammel- 
handschrift Clm.  14053,  eine  weitere  in  des  fleißigen  Benediktiners  Kolo- 
man Sanftl  handschriftlichem  Katalog  der  St.  Emmeramer  Handschriften 
(Cbm.  Cat.  14  der  K.  Hof-  und  Staatsbibliothek  München)  II  (1809),  879  f. 

1)  Die  Geschichtsquellen  von  Kremsmünster,  S.  V,  XIX  und  32 ff. 

2)  Mon.  Germ,  hist.,  SS.  XXV,  616,  19. 

3)  Sonst  hätte  er  wohl  nicht  S.  661,  N.  c,  wie  Loserth,  angeführt: 
„Arnoldus  —  Interim",  sondern  „Arnoldus  — succedit". 

4)  Waitz  hat  wohl  infolge  seiner  auf  Grund  der  Loserthschen  Aus- 
gabe von  vorneherein  vorhandenen  Geringschätzung  der  Handschrift  ihren 
Text  nicht  weiter  verglichen  und  darum  die  Stelle  überhaupt  nicht  bemerkt. 

5)  Clm.  14233,  Bl.  74v.  Sie  hätte  erwähnt  werden  müssen  Loserth 
S.  60,  zwischen  Abschnitt  6  und  7  (nach  „ut  dicitur  in  privilegio"); 
SS.  XXV,  665,  zwischen  Zeile  41  und  42. 

6)  18.  April   1378. 


Bernardus  Noricus.  •   47 

diese  Deutung  zu)  die  „Historiae"  abschrieb  und  ihnen  Ver- 
besserungen beifügte.  Die  Handschrift,  in  welcher  man  die 
ursprüngliche  Niederschrift  jener  Bemerkung  von  1378  zu 
suchen  hätte,  befand  sich  demnach  wohl  einst  in  Gaming, 
scheint  aber  nicht  erhalten  geblieben  zu  sein.1) 

Vergleicht  man  den  Text  der  „Historiae"  des  Clm.  14233 
mit  den  Ausgaben,  so  sieht  man,  daß  Bernhard  von  Melk  nur 
wenige  Änderungen  vorgenommen  hat.  Seine  Haupttätigkeit 
scheint  darin  bestanden  zu  haben,  daß  er  statt  „ecclesia  no- 
stra"  und  ähnlicher  Ausdrücke  den  Namen  Kremsmünster  ein- 
setzte; das  ist  32mal  der  Fall;  dreimal  versäumte  er  es  zu 
tun.  Wesentliche  Änderungen  sind  nur  an  folgenden  Stellen 
zu  finden: 
Loserth  S.  44,  N.  a; 

„   44,    „    h  =  SS.  XXV,  657,  48; 

„    52,    „    h  =  SS.  XXV,  661,  N.  c; 

w    54,    „    1; 

„    54,    ,    o  =  nur  teilweise  SS.  XXV,  662,  N.  *. 
An  letzterer  Stelle  tritt  deutlich  die  Eigenschaft  Bernhards  als 
eines  in  der  Melker  Geschichte  erfahrenen  Mannes  hervor. 

Am  Rande  von  Bernhards  Schreiberbemerkung  in  Clm.  14  233 
steht  von  einer  Hand  des  ausgehenden  16.  Jahrhunderts:  „Au- 
tor huius  Chronicae." 

Sollte  nicht  der  Irrtum,  der  hiemit  einem  Späteren  unter- 
laufen ist,  auch  schon  bei  einem  Früheren  in  gleicher 
Weise  entstanden  sein?  Ein  Irrtum  gründet  sich  gewöhnlich 
auf  ein  Stückchen  Tatsache  unter  Verkennung  oder  Mißach- 
tung anderer  damit  zusammenhängender  Tatsachen.  Kann  man 
den  im  Irrtum  Befangenen  befragen,  so  ist  es  leicht,  die  Ent- 
stehung des  Irrtums  aufzuklären.  Schwer  wird  die  Aufhel- 
lung bei  Irrtümern  der  Vergangenheit,   wo  der  zu  Befragende 


')  Über  die  Bibliothek  von  Gaming  und  die  daraus  erhaltenen  Hand- 
schriften vgl.  Mittelalterliche  Bibliothekskataloge  Österreichs  I:  Gottlieb, 
Niederösterreich  (Wien  1915),  S.  1  ff.  Vielleicht  sind  in  Gaming  die  unten 
S.  50  abgedruckten  „Notae  Austriacae"  (vgl.  oben  S.  45,  Anm.  4),  da  in 
ihnen  der  Kartäuserorden  erwähnt  wird,  entstanden. 


4b  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 

fehlt  und  man  nur  auf  Vermutungen  angewiesen  ist.  Auch 
in  dem  vorliegenden  Falle  muß  die  Lösung  sich  auf  eine  Ver- 
mutung gründen.  Sollte  man  nicht  folgendermaßen  schließen 
dürfen:  Derjenige,  welcher  in  der  Handschrift  des  Regens- 
burger Domes  zu  dem  Norikerkapitel  der  „Passio  S.  Quirini" 
den  Verfassernamen  eines  Bernhard  von  Kremsmünster  hinzu- 
schrieb, hatte  die  oben  angeführte  Schreiberbemerkung  aus 
Clm.  14233  in  Erinnerung?  Er  hatte  dabei  die  Tatsache,  daß 
die  Aufzeichnungen  aus  Kremsmünster  stammten,  und  den 
Namen  Bernardus  so  sehr  im  Gedächtnis,  daß  ihm  die  Zu- 
gehörigkeit des  Bernardus  nach  Melk  und  dessen  Eigenschaft 
als  bloßen  Abschreibers  außer  acht  kamen? 

Vielleicht  ist  dieser  Bernhard  von  Melk  eine  Person  mit 
einem  Manne,  von  dem  wir  auch  sonst  Nachrichten  haben  und 
der  sich  schriftstellerisch  betätigt  hat.  Wir  besitzen  von  diesem 
Mönche  Bernhard  von  Melk,  der  den  Beinamen  Dapifer  führte, 
eine  kurze  Legende  des  sei.  Gothalm,1)  eines  Melker  Orts- 
heiligen, welche  Bernhard  im  Jahre  1362  verfaßte,2)  und 
wissen,  daß  er  im  Jahre  1378  nach  Rom  reiste  und  unter- 
wegs starb.3) 

Das  Interesse,  welches  der  die  kremsmünsterschen  Auf- 
zeichnungen abschreibende  Bernardus  Medlicensis  an  geschicht- 
lichen Dingen  zeigt,  würde  nicht  übel  passen  zu  Äußerungen, 
die  der  Verfasser  der  „Vita  B.  Gothalmi"  an  mehreren  Stellen 


*)  Die  Literatur  darüber  verzeichnen  Potthast,  Bibliotheca  historica 
medii  aevi  II2,  1346 f.;  Bibliotheca  hagiographica  latina  I,  541;  Chevalier, 
Repertoire  des  sources  historiques  du  moyen  age  I,  554. 

2)  Im  Anfange  dieser  „Vita  B.  Gothalmi"  (Pez,  SS.  rer.  Austr.  I,  110) 
nennt  er  sich:  „Ego  frater  Bernhardus  professus  Medlicensis  coenobii 
monachus,  dictus  Dapifer  .  .  ." 

3)  Annales  Mellicenses  (Mon.  Germ,  hist.,  SS.  IX,  513)  zum  Jahr  1378: 
„Eodein  anno  obiit  Fridericus  abbas  monasterii  Mellicensis,  qui  dictus 
fuerat  Acznprukker.  Et  Syfridus  prior,  dictus  Hagenawer,  a  duce  Al- 
berto coram  conventu  in  refectorio  eligitur  in  vigilia  sanctorum  aposto- 
lorum  Petri  et  Pauli;  et  quasi  Omnibus  non  faventibus  Bernhardus,  dictus 
Dapifer,  unus  ex  fratribus,  se  recepit  ob  hoc  ad  curiam  Romanam,  et 
in  itinere  moritur." 


Bernardus  Noricus.  49 

macht.  Daß  der  Letztere  Vorliebe  für  Bücher  hatte,  geht 
aus  einer  bedauernden  Bemerkung  hervor,  die  er  über  den 
Brand  des  Klosters  Melk  vom  14.  August  1297  und  den  da- 
durch eingetretenen  Verlust  der  Bücherei  des  Stiftes  macht.1) 
Unter  den  Zusätzen  zu  den  „Historiae"  befindet  sich,  wie 
oben2)  erwähnt  wurde,  insbesondere  einer,  der  den  Abschreiber 
als  mit  der  Melker  Ortsgeschichte  vertraut  erkennen  läßt,  zu 
der  andererseits  die  .Vita  B.  Gothalmi"  einen  Beitrag  liefert. 
Nichts  hindert,  in  dem  Bernhard  von  Melk  des  Clm.  14233 
den  Verfasser  der  letzteren  zu  erblicken.  Auch  die  zeitlichen 
Angaben  in  beiden  Stücken  passen  zusammen. 

Aus  Bernhard  von  Melk  entstand  Bernhard  von  Krems- 
münster, aus  diesem  hinwiederum  Bernhard  der  Noriker.  Eine 
Reihe  von  Irrtümern  führte  dazu,  daß  man  diesen  Bernhard 
für  den  Verfasser  der  Geschichtswerke  von  Kremsmünster  hielt. 
Löst  man  die  Irrtumskette  auf,  so  verschwindet  für  Krems- 
münster der  vielgenannte  „ Bernardus  Noricus"  vollständig. 
Nun  begreifen  wir  auch,  warum  in  den  Urkunden  und  Ver- 
zeichnissen des  Klosters,  worüber  man  sich  häufig  gewundert 
hat,  kein  Bernardus  Noricus  erwähnt  wird. 


x)  Pez  a.  a.  0.,  Sp.  112.    Vgl.  hiezu  Gottlieb  a.  a.  0.,  S.  137. 
2)  S.  47. 


Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917, 4.  Abb. 


50  4.  Abhandlung:  Georg  Leidinger 


Beilage. 

Notae  Austriacae  1365— 1405.1) 

Anno  Domini  M°CCC°  etc.  Albertus2)  dux  Austrie.  Qui 
fuit  verax,  diligens  pacem  et  concordiam  et  fuit  magne  po- 
tencie  et  famositatis  apud  alios  principes. 

Hie  comitem  de  Schaunnberkch3)  cum  suo  dominio  sibi 
servilem  et  subiectum  fecit. 

Hie  castrum,  quod  vocabatur  Lennstayn,4)  funditus  de- 
struxit. 

Hie  Johannem  de  Lyechtennstayn 5)  quendam  dominum, 
qui  fuit  magister  curie  et  maxime  potencie  et  potestatis  in 
terra  et  in  toto  ducatu  Austrie,  captivavit  et  de  potencia  sua 
ipsum  deposuit  et  quasi  de  omnibus  rebus  ac  divieiis  suis  ip- 
sum  privavit. 

Hie  studium  generale  Wyennense,  quod  frater  suus  dux 
Rudolffus  ineepit,  ipse  maximis  privilegiis  roboravit  et  confir- 
mavit  ac  consumavit. 

Hie  castrum  mire  pulchritudinis  in  Laxendorff 6)  construxit. 

Hie  unicum  filium  habuit,  qui  eciam  vocabatur  Albertus.7) 
Hie  regnavit  post  patrem  suum  cum  avuneulo  suo  duce  Wil- 
helmo,  qui  senior  ipso  fuit.  Hie  Albertus  fuit  prineeps  curialis, 
literature  devotus,  multum  diligens   clerum   et  viros  religiosos 


i)  Vgl.  oben  S.  45,  Anm.  4  und  S.  47,  Anm.  1. 

2)  Albrecbt  III.   trat   nach   dem   am   27.  Juli    1365  erfolgten   Tode 
seines  Bruders,  Herzog  Rudolfs  IV.,  die  Regierung  Österreichs  an. 

3)  Graf  Heinrich  von  Schaunberg. 

4)  Leonstein  bei  Steyr. 

5)  Johannes  von  Liechtenstein. 

6)  Lasenburg  bei  Mödling. 
")  Albrecht  IV.,  1395—1404. 


Bernardus  Noricus.  51 

et  precipue  ordinem  Cartusiensem,1)  et  si  sibi  licuisset  et  pos- 
sibile  fuisset,  ipsum  fortasse  intrasset  relicta  uxore  et  pueris, 
si  longius  vixisset  ad  aliquod  tempus. 

Hie  dux  Albertus  volens  se  vindicare  in   quodam   domino 

e 

Boemie  nomine  Hinko  de  Jeuspicz2)  et   cognomine  rusticorurn 

e  e 

Durrteuffell  et  suis  complieibus,  qui  magnam  instanciam  du- 
catui  Austrie  faciens  furtivis  spoliis  ac  civitates,  opida  quo- 
que,  villas  debellando  ipsasque  spoliis  ac  incendiis  devastando 
populumque  captivando,  pro  liberacione  peceuniarum  eura  se- 
cum  Moraviam  deducendo,  multas  molestaciones  Austrie  fa- 
ciendo.a) 

Anno  Domini  M°CCCC0IIII°  hie  Albertus  intrans  Moraviam 
cum  magno  exercitu  etb)  obsedit  civitatem  Znoymam3)  quasi 
duobus  mensibus,  sed  minime  sibi  successit  et  magna  dampna 
ab  incolis  civitatis  in  populo  suo  et  in  rebus  pereepit.  Et 
ipse  dux  in  egritudinem  mortalem  ibi  cecidit,  quod  sine  omni 
profectu   cum   magna   vereeundia   quamvis   ex  infirmitate  com- 

e 

pulsus  recessit  in  Neunburgarn.4)  Ibi  quoque  mortuus  est.  Qui 
ad  sanetum  Stephanum  Wyennam  deducitur  ibique  iuxta  pa- 
trem  cum  magna  lamentacione  sepelitur. 

Anno  Domini  M°CCCC°III°  magnus  cometa  in  Austria  ap- 
paruit  post  festum  nativitatis  Christi,  vertens  comam  contra 
aquilonem  et,  ut  sepius  videbatur,  in  meridie  sole  clare  splen- 
dente  et  duravit  quasi  per  medium  annum,  antequam  disparuit. 
Illo  anno  fuit  magna  siccitas  in  terra,  quod  multa  flumina  et 
ripe  naturales  exsiccabantur.  Eo  anno  fuerunt  eciam  magna 
tonitrua  et  grandin  es,  qui  in  multis  locis  pereuciebant  vinum 
ac    bladum.     Et   mirabiliter   pereuciebat   in   toto   confinio  civi- 

o 

tatis  nomine  Gmunden,5)  ubi  magnum  dampnum  faciens  in  edi- 
a)  Anakoluth.  b)  so  Hs. 


x)  Sein  Lieblingsaufenthalt  war  die  Kartause  Mauerbach. 
2)  Heinrich   von  Chunstatt  auf  Geispitz,  im  Volksmunde  der  Dürr- 
teufel genannt.  3)  Znaim. 

4)  Klosterneuburg.  5)  Gmunden  am  Traunsee. 


52  4.  Abh.:  Gg.  Leidinger,  Bernardus  Noricus. 

ficiis,  in  tectis  ac  in  turribus  civitatis.  Eciam  percussit  ani- 
raalia,  silvestria  in  campis  et  silvis,  ita  quod  magna  multitudo 
volucrum  mortue  portabantur  ad  eandem  civitatem. 

Annus  inraediate  sequens  fuit  multum  pluviosus  usque  ad 
autumpnum.  Multe  inundaciones  aquarura  sepe  inprovise  rnagne 
venerunt,  que  magnum  darapnum  in  villis,  domibus,  agris  ac 
pratis  fecerunt.  Bladum,  fenum,  vinum,  olus,  alii  quoque 
fructus  omnes  quasi  pro  maiori  parte  ex  nimia  pluvia  perie- 
runt,  et  que  creverunt,  ad  maturitatem  naturalem  minime  per- 
venerunt.  Et  sequebatur  eo  anno  et  sequenti  magna  karistia 
seu  fames,  qualis  multis  annis  non  recordabatur  in  ducatu 
Austrie  etc. 


D 


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Sitzungsberichte 


der 


Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  5.  Abhandlung 


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Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich 

in  ihrer  Einwirkung  auf  die  neuere 

deutsche  Geschichte 


von 


Robert  Dayidsohn 


Vorgetragen  am   7.  Juli    1917 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Kommission  des  G.  Franzsclien  Verlags  (J.  Roth) 


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Sitzungsberichte 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,   5.  Abhandlung 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich 

in  ihrer  Einwirkung'  auf  die  neuere 

deutsche  Geschichte 


von 


Robert  Davidsohn 


Vorgetragen   am   7.  Juli   1917 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franzsclien  Verlags  (J.  Roth) 


Das  römische  Reich  deutscher  Nation  genoß  in  den  letzten 
anderthalb  Jahrhunderten  seines  Bestehens  beim  eigenen  Volke 


'ov 


kaum  größeres  Ansehen  als  draußen  in  der  Welt.    Voll  über- 


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mutigen  Hohnes  läßt  Goethe  einen  der  trinkfesten  Gesellen  in 


'ö 


Auerbachs  Keller  davon  singen,  wie  es  kaum  noch  zusammen- 
halte, und  im  zweiten  Teile  des  Faust  schildert  der  Dichter 
rückschauend  die  Zustände  in  düstersten  Farben.  Im  Thron- 
saal der  Kaiserpfalz  läßt  sich  der  Erzbischof-Kanzler  vernehmen : 

Wer  schaut  hinab  von  diesem  hohen  Raum 

In  weite  Reich,  ihm  scheints  ein  schwerer  Traum, 

Wo  Mißgestalt  in  Mißgestalten  schaltet, 

Das  Ungesetz  gesetzlich  überwaltet 

Und  eine  Welt  des  Irrtums  sich  gestaltet. 

In  „Dichtung  und  Wahrheit"  berichtet  Goethe  von  den  Ein- 
drücken, die  er  als  Kind  durch  den  Besuch  des  Römers  emp- 
fing. Märchenhaftes  vernahm  er  von  Karl  dem  Großen,  aber 
das  historisch  Interessante  habe  für  ihn  erst  mit  Rudolf  von 
Habsburg  begonnen.  Die  eigentlich  wichtigen  Perioden  der 
Kaisergeschichte,  die  der  Sachsen,  Salier,  Staufer  erwähnt  er 
nicht  einmal.  Dem  18.  Jahrhundert  war  das  Reich  das  Reich 
der  Habsburger.  Herder  wies  freilich  in  den  „Fragmenten"  l) 
mit  der  ihm  eigenen,  dem  Lebensvollen  zugewandten  Intuition 
auf  die  Gestalt  Friedrich  II.  hin,  dessen  Wesen  er  in   helleres 


i)  Fragmente  über  die  neuere  deutsche  Literatur,  III.  Von  der 
neueren  römischen  Literatur.  Herders  Werke,  herausgeg.  von  Düntzer. 
Berlin  (ohne  Jahreszahl)  XIX,  S.  190  f. 


4  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

Licht  gesetzt  zu  sehen  wünschte.1)  Aus  Goethes  Jugenderinne- 
rungen  wissen  wir,  wie  in  der  Reichsstadt  viel  von  den  früheren 
Kaiserkrönungen  gesprochen  wurde,  aber  doch  vorwiegend  unter 
dem  Gesichtspunkte  des  prunkvollen  Schauspiels  und  der  Fest- 
lichkeiten, ja,  man  gewinnt  den  Eindruck,  daß  die  im  Mittel- 
punkt jener  Zeremonien  Stehenden,  zumal  Franz  I.  und  Maria 
Theresia,  das  Ganze  als  eine  Art  ehrwürdiger  Maskerade  be- 
handelt hatten. 

Gibbon  glaubte  in  seiner  1782  vollendeten  „Historv  of  the 
decline  and  fall  of  the  Roman  Empire"  die  gesamte  Geschichte 
des  mittelalterlichen  Imperiums  bis  ins  16.  Jahrhundert  in  2'/2 
von  den  7  Bänden  als  einen  bloßen  Anhang  zu  der  der  sinken- 
den Herrschaft  Westroms,  als  deren  Nachklang,  als  einen  Teil 
von  dessen  Verfall  darstellen  zu  können,  was  in  Deutschland 
der  Bewunderung  für  sein  Werk  nicht  den  geringsten  Ab- 
bruch getan  hat.  Als  vierundzwanzig  Jahre  später  das  Reich 
Karls  des  Großen  und  Ottos  I,  in  Trümmer  ging,  war  die 
Teilnahme  an  diesem  Vorgange  beim  deutschen  Volke  eine 
außerordentlich  geringe.  Die  allgemeine  Reichsversammlung 
zu  Regensburg  mußte  sich  in  einem  am  1.  August  1806  über- 
reichten „üiktatum"  von  den  zum  „Rheinischen  Bunde"  ver- 
einigten Regierungen  einige  traurige  Wahrheiten  sagen  lassen: 
die  Kriege  der  letzten  Zeit  hätten  bewiesen,  wie  das  Band, 
das  die  verschiedenen  Glieder  des  deutschen  Staatskörpers  ver- 
einigen sollte,  für  diesen  Zweck  nicht  hinreiche,  daß  es  tat- 
sächlich  bereits  gelöst,  daß  Ausdrücke  wie  „Reichskrieg"  oder 
„Reichsfrieden"  leere  Wortschälle  seien,  weshalb  es  denn  nicht 
lohne,  den  bloßen  Schein  einer  erloschenen  Verfassung  beizu- 
behalten. Fünf  Tage  später  legte  Franz  IL  durch  sein  am 
12.  August  zu  Regensburg  überreichtes  „Mandatuni K  die  Krone 
des   Reiches   nieder,    da   das    reichsoberhauptliche   Amt   durch 


*)  Sein  Interesse  an  Friedrich  II.  war  indes  mehr  ein  literarisches 
und  kulturelles;  er  feierte  ihn  (worin  er  irrte)  als  Wiederhersteller  des 
griechischen  und  morgenländischen  Schrifttums,  der  Weltweisheit,  der 
Naturkunde,  und  beklagte  ihn  als  Märtyrer  seiner  Zeit. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  5 

die  Vereinigung  der  konföderierten  rheinischen  Stünde  als  er- 
loschen betrachtet  werden  müsse. 

In  der  „Allgemeinen",  oder  wie  sie  damals  hieß,  der 
„Kaiserlich  österreichischen  und  königlich  bairischen  privile- 
girten  Allgemeinen  Zeitung"  wurde  dieses  Edikt  als  „wichtige 
Erklärung"  bezeichnet,1)  aber  in  diesem  Beiwort  ist  der  ge- 
samte eigene  Meinungs-  und  Empfindungsausdruck  des  führen- 
den süddeutschen  publizistischen  Organs  jener  Zeit  gegenüber 
einem  der  bedeutsamsten  geschichtlichen  Vorgänge  enthalten. 
Am  1.  September2)  druckte  sie  dann  die  höchst  phrasenhaften 
Betrachtungen  eines  ungenannten  Schweizer  Blattes  nach,  in 
denen  die  Erhabenheit  Franz'  IL  gepriesen  wird,  die  er  im 
Herabsteigen  vom  Throne  des  Reiches  erwiesen  habe.  Freilich 
konnte  man  damals  noch  nicht  wissen,  daß  Kaiser  Franz  bei 
Napoleon  für  die  Niederlegung  des  Kaisertitels,  für  die  Auf- 
lösung des  Reichsverbandes  möglichst  lohnende  Kompensationen 
zu  erlangen  gesucht  hatte.3)  Die  Mainzer  Zeitung  ließ  sich 
höhnend  vernehmen:  Deutschland  sei  nicht  heute  erst  unter- 
gegangen, nur  wenige  Menschen  erhöben  Klage  an  dem  Grabe 
eines  Volkes.4)  Vergebens  sucht  man  in  den  Berliner  Blättern 
jener  Tage  nach  einem  Worte,  sei  es  auch  nur  der  Erinne- 
rung an  die  Vergangenheit.  Die  „Berlinischen  Nachrichten 
von  Staats-  und  gelehrten  Sachen  der  Haude  und  Spenerschen 
Buchhandlung",  sowie  die  „Königlich  privilegirte  Berlinische 
Zeitung  von  Staats-  und  gelehrten  Sachen  im  Verlage  Vossi- 
scher Erben"  enthielten  in  ihren  Nummern  vom  19.  August5) 
die  Mitteilung  der  kaiserlichen  Kundgebungen  ohne  jede  Hin- 
zufügung, die  „Spenersche"  wenigstens  auf  der  ersten  Seite, 
die  „Vossische"  dagegen  hinter  einem  Lotterieplan  und  der 
Liste  angekommener  Fremden.  Zwar  gab  es  in  Berlin  vier- 
zehn Tage  später  im  Theater  vaterländische  Kundgebungen 
anläßlich  einer  Aufführung  der  Jungfrau  von  Orleans,  bei  der 

*)  Nummer  226  vom  14.  August  1806. 

2)  Nummer  244. 

3)  Treitschke,  Deutsche  Geschichte  im  19.  Jahrhundert  l3,  233. 

4)  Ebendort  S.  235.  5)  Nummer  99  beider  Blätter. 


6  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

die  Worte  „Nichtswürdig  ist  die  Nation,  die  nicht  ihr  Alles 
freudig  setzt  an  ihre  Ehre"  jubelnd  aufgenommen  wurden,  und 
sie  wiederholten  sich  am  19.  September,  an  welchem  Tage  wie 
der  Zeitungsbericht  sagt  „auf  lautes  Begehren''  „Wallensteins 
Lager "  dargestellt  wurde,  zumal  anläßlich  einer  nach  dem 
Gesänge  des  Reiterliedes  eingelegten  von  Weber  komponierten 
Kriegskantate.1)  Aber  die  allzu  hoch  auflodernde,  allzu  bald 
verrauschende  Begeisterung  galt  nicht  Deutschland  und  konnte 
ihm  nicht  gelten,  da  ein  großer  Teil  der  Deutschen  im  Lager 
des  Feindes  stand,  sie  war  vielmehr  eine  ausschließlich  preußi- 
sche. Sehr  schnell  sollte  sich  überdies  zeigen,  wie  es  mit  dem 
Vaterlandsgefühl  weiter  Kreise  der  großstädtischen  Bevölkerung 
in  Wahrheit  bestellt  war.  Kaum  hatten  die  Franzosen  nach 
der  Schlacht  von  Jena  Berlin  besetzt,  als  ein  nicht  geringer 
Teil  der  privaten  Anzeigen  in  jenen  beiden  Blättern  in  fran- 
zösischer Sprache  erschien.  Da  wurde  die  Jägerstraße  zur 
„Rue  des  chasseurs",  die  Brüderstraße  zur  „Rue  des  freres", 
der  Aveggelaufene  Windhund  zum  „levrier  au  poil  gris"  und 
Wusterhausen  an  der  Dosse  zu  einem  „Wusterhausen  sur  la 
Dosse".  Erst  später  fegten  die  zürnenden  und  mahnenden 
Worte,  die  aus  den  Hörsälen  der  neuen  Universität  erklangen, 
das  unheilvolle  Gedünste  fort,  das  über  den  Niederungen 
lagerte. 

Kurz  ehe  das  Reich  dahinschwand,  hatte  sich  aus  Franken 
die  Klage  über  „Deutschland  in  seiner  tiefsten  Erniedrigung" 
aus  jenem  anonym  erschienenen  Sedezbändchen  erhoben,  dessen 
Erscheinen  der  Verleger  Palm  mit  dem  Märtyrertode  büßte. 
Der  Verfasser  der  übrigens  unerheblichen  Schrift,  wie  sich 
später  ergab,,  der  Ansbacher  Kammerassessor  Johann  Konrad 
v.  Yelin,  hatte  noch  die  Hoffnung  ausgedrückt,  es  werde  „dem 
weitern  Verfall  des  Reiches  gesteuert  werden"   und  diese  Hoff- 


')  Die  Tondichtung  scheint  verschollen  zu  sein.    In  den  Textversen 
kam  die  Stelle  vor: 

„Held  Friedrich  Wilhelms  Helden  glühn 
Und  brechen  glühend  auf  und  ziehn 
Zum  Kampf  fürs  Vaterland." 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  7 

nung  war  vorwiegend  auf  Sachsen,  auf  Friedrich  August, 
,  einen  der  seltensten  Fürsten  in  Absicht  auf  Herrschertugenden" 
gerichtet,  während  die  Fehler  und  Schwächen  der  preußischen 
Politik  schonungslos  aufgedeckt  wurden. 

Die  Schwere  der  napoleonischen  Fremdherrschaft,  die 
Schmach  der  Zerrissenheit  drängten  in  verhältnismäßig  kurzer 
Zeit  die  Erinnerung  daran  in  den  Hintergrund,  wie  lose  der 
Reichsverband,  wie  unklar  der  Begriff  „Deutschland"  gewesen 
sei.  Die  Sehnsucht  nach  einem  Neuerstehen  des  alten  Ver- 
bandes war  in  den  Gemütern  derart  mächtig,  daß  der  Ober- 
befehlshaber des  russisch-preußischen  Heeres,  Generalfeldmar- 
schall Fürst  Kutusow-Smolenski,  in  der  Kalischer  Proklama- 
tion vom  13./ 25.  März  1813  als  Ziel  des  Kampfes  den  „Fürsten 
und  Völkern  Deutschlands"  die  „Rückkehr  der  Freiheit  und 
Unabhängigkeit"  und  die  „Wiedergeburt  eines  ehrwürdigen 
Reiches"  verkündete.1)  Feinfühligen  Vaterlandsfreunden  mochte 
es  als  traurige  Vorbedeutung  erscheinen,  daß  sie  eine  der- 
artige Verheißung  von  dem  russischen  Generalissimus  entgegen- 
nehmen mußten,  doch  darf  man  vermuten,  sie  sei  unter  dem 
Einfluß  des  Freiherrn  von  Stein  in  die  Proklamation  aufge- 
nommen worden,  der  kurz  zuvor  in  Kaiisch  eingetroffen  war.2) 

Dem  dunklen  Sehnen,  daß  ein  Band  die  deutschen  Stämme 
in  Zukunft  wieder  vereinen  möge,  entsprach  indes  kein  im 
Volke  verbreiteter  klarer  Begriff  einer  künftigen,  lebenskräftigen, 
staatlichen  Gestaltung.  Ernst  Moritz  Arndt  klagt  in  seinem 
Werk  „Geist  der  Zeit"  in  dessen  1813  mit  der  Druckangabe 
London  erschienenen  dritten  Teil  über  das  Sinken  des  Reiches 
von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert.  Zuletzt  habe  nur  im  Wahne 
des  Namens  noch  eine  Bedeutung  der  kaiserlichen  Macht  be- 
standen, aber  der  Kaiser  als  Kaiser  sei   „der  ärmste  und  ohn- 

1)  Die  Proklamation  ist  u.  a.  gedruckt  in  Phil.  Ant.  Guido  v.  Meyer, 
Corpus  juris  confoederationis  Germanicae,  ergänzt  von  H.  Zöpfl,  3.  Auf- 
lage.   Frankfurt  a.  M.  1858  I,  S.  146 f. 

2)  Ein  Entwurf  war  am  19.  März  in  Breslau  vereinbart  worden. 
Tags  darauf  reiste  Stein  nach  Kaiisch.  Pertz,  Das  Leben  des  Freiherrn 
v.  Stein.    Berlin  1849—55  III,  S.  314;  316. 


8  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 


mächtigste  Fürst  in  Teutschland"  gewesen.1)  Er  bekämpft 
jene,  die  der  Wiederkehr  eines  ähnlichen  Zustandes,  einer  Eid- 
genossenschaft unter  einem  schwach  gebietenden  Oberhaupte 
das  Wort  reden.2)  Deutschland  solle  einen  Kaiser  aus  seinen 
Fürsten  erwählen,  der  zugleich  Oberrichter  und  Oberfeldherr 
sei,  die  Fürsten  aber  sollten  im  Besitze  ihrer  Lande  bleiben, 
so  wie  sie  ihn  1792,  beim  Ausbruch  der  Revolutionskriege, 
innehatten.  Wurde  damit  die  Wiederherstellung  unhaltbarer, 
buntscheckiger  Verhältnisse  der  Vergangenheit  empfohlen,  so 
geriet  Arndt  des  weiteren  völlig  ins  Schwärmen:  die  Söhne 
des  Adels  seien  vom  lOten  bis  zum  18ten  Jahr  gemeinsam  in 
der  Liebe  fürs  deutsche  Vaterland  zu  erziehen.  Der  ,teutsche 
Reichstag"  solle,  nur  ernster  und  fester,  wieder  errichtet  werden 
und  alle  drei  Jahre  hätten  sich  ihm  der  Kaiser  nebst  allen 
Fürsten  zu  zeigen.  „Das  bindet  die  Herzen,  reizet  die  Seele, 
wecket  die  Kräfte."  Öffentliche  Spiele  sollten  alle  drei  Jahre 
unter  dem  Vorsitz  des  Kaisers  und  der  Fürsten  abgehalten 
werden.  Münze,  Maß,  Gewicht  sollten  einheitlich  sein,  die 
inneren  Land-  und  Stromzölle,  Geleit-  und  Durchgangsabgaben 
müßten  fallen.  Alljährlich  hätten  Missi  regii  das  Reich  zu 
durchziehen,  um  zu  untersuchen,  was  die  Sicherheit,  Gerechtig- 
keit und  Heeresmacht  angehe.3)  Von  so  nüchternen  Dingen 
aber,  wie  den  Reichsfinanzen,  von  der  Beschaffung  der  Geld- 
mittel für  Heer  und  Verwaltung  ist  mit  keiner  Andeutung  die 
Rede.  Die  Betrachtung  bricht  mit  den  nur  allzu  berechtigten 
Worten  ab:   „0  Traum!  wohin?  wohin?"4) 

Gewiß  war,  was  der  Wiener  Kongreß  zwei  Jahre  später 
schuf,  eine  lebensunfähige  Mißbildung,  wenn  auch  die  An- 
hänger des  deutschen  Bundes  ihn  noch  Jahrzehnte  später  mit 
dem  Namen  einer  „neutralen  Friedensrepublik ** 5)  verherrlichten. 
Gewiß  trug  er  lebenslang  alle  Makel  seiner  Geburt  an  sich, 
denn  er  war  ein  Geschöpf  wechselseitiger  Eifersucht  der  Fürsten, 
des  Übelwollens    fremder  Mächte,    der  Verlegenheit    deutscher 


i)  S.  320  f.  2)  S.  335.  3)  S.  358  f.  4)  S.  366. 

■')  Meyer-Zöpfl  a.  a.  0.  I,  S.  146,  Anm.  2. 


Die  Vorstellungen  vom  alten   Reich  usw.  9 

Staatsmänner,  aber  zugleich  muß  man  rückschauend  das  Be- 
kenntnis ablegen,  daß  die  verschwommene  Unklarheit  der  im 
deutschen  Volke  herrschenden  Gedanken,  die  politische  Un- 
reife, das  Vorwalten  gefühlsmäßiger  Wünsche,  ideologischer 
Forderungen  einen  ebenso  starken  Anteil  an  dem  Mißlingen 
hatten,  wie  das  egoistische  Verhalten  der  Fürsten  und  der 
geschäftsmännische  Skeptizismus  der  Diplomaten.  Von  einem 
Versuch,  das  zerfallene  Reich  wiederzubeleben,  konnte  um  so 
weniger  die  Rede  sein,  als  Kaiser  Franz  die  Wiederannahme 
der  Würde  eines  Reichsoberhauptes  auf  das  Entschiedenste  ab- 
lehnte,1) was  mindestens  beweist,  daß  seine  Erfahrungen  ihn 
von  jeder  diesbezüglichen  phantastischen  Vorstellung  fern- 
hielten. 

Nicht  allgemein  war  zunächst  die  Enttäuschung  über  das 
Ergebnis  der  Kongreßverhandlungen  für  Deutschland,  hier  und 

O  O  w 

da  hat  es  sogar  zuerst  Begeisterung  erweckt.  Graf  Platen 
feierte  im  November  1815  in  seiner  Epistel  an  Joseph  von 
Xylander  die  Neugestaltung  mit  glühenden  Worten: 

Die  Eintracht,  lang  begraben 
Von  uns  so  lang  verkannt, 
Soll  wieder  Tempel  haben 
In  Herrinanns  Vaterland. 

Spricht  nicht  verwandte  Töne 
Treuherzig  jeder  Mund? 
Eint  nicht  des  Landes  Söhne 
Der  große  deutsche  Bund? 

Aber  als  nach  sehr  langem  Zögern  Ende  1816  die  Bundes- 
versammlung zusammentrat,  waren  die  Erwartungen  bereits  der- 
art gedämpft,  daß  die  Stimme  des  Göttinger  Historikers  Heeren 
fast  die  einzige  war,  die  sich  zu  hoffnungsvollem  Gruße 
erhob.2)     Die   wirkliche  Entwicklung   überbot    alle    pessimisti- 


!)  Treitschke,  Deutsche  Geschichte  I.  S.  681  f. 

2)  A.  H.  L.  Heeren,  Der  deutsche  Bund  in  seinen  Verhältnissen  zu 
dem  europäischen  Staatensystem.  Göttingen  1816.  Heeren  feiert  (S.  14) 
den  Bund   als    den  „Friedensstaat  von  Europa",  hofft  aber  (S.  36),   eine 


10  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

sehen  Voraussetzungen.  Bald  hallte  liückerts  „Barbarossalied" 
von  allen  Lippen  wieder,1)  in  dem  neben  dem  Stolz  auf  die 
Vergangenheit,  neben  der  auf  die  Zukunft  gerichteten  Sehn- 
sucht, die  tiefe  Enttäuschung  über  die  Gegenwart  ihren  Aus- 
druck fand,  da,  während  die  alten  Raben  den  Berg  umkreisen, 
der  Kaiser  sich  zu  neuem  hundertjährigen  Schlafe  niedersetzt. 
Aus  der  feurigen  Seele  von  Joseph  Görres  brach  der  Zornruf 
hervor:  Der  Wiener  Kongreß  habe  dafür  gesorgt,  daß  das 
18.  Jahrhundert  nicht  vor  dem  19.  zu  erröten  brauche.2) 

Die  freieren  geistigen  Strömungen  hatten  nur  den  Wider- 
willen gegen  die  politische  Kleinlichkeit  und  gegen  den  herr- 
schenden Druck  gemeinsam,  aber  ihr  positiver  Gehalt  barg  die 
tiefsten  Gegensätze.  Die  Verfassungsbestrebungen  führten  mit 
ihren  hoch  bewerteten,  in  Wahrheit  recht  bescheidenen  Er- 
folgen weit  ab  von  den  Einheitswünschen,  da  sich  die  leiten- 
den Mächte  des  Bundes  ihnen  widersetzten,  so  daß  der  Libera- 
lismus der  kleineren  Staaten  eine  Stärkung  des  Sonderbewußt- 
seins herbeiführte.  Die  Ideale  der  Verfassungsparteien  waren 
durchaus  der  französischen,  der  englischen  Geisteswelt  entlehnt 
und  die  Männer  jener  Zeit  hatten  in  ihrer  Jugend  ganz  unter 
dem  Einfluß  des  kosmopolitischen  18.  Jahrhunderts  gestanden. 
Je  stärker  die  Enge  des  deutschen  öffentlichen  Lebens  die 
Seelen  bedrückte,  um  so  mächtiger  wuchs  in  der  Phantasie 
die  Gestalt  des  auf  St.  Helena  gefesselten  Prometheus.  In 
den  Zimmern  der  Bürgerhäuser  und  in  den  Wirtsstuben  West- 
deutschlands sah  man  überall  die  Bilder  Napoleons  und  seiner 
Schlachten.  Heines  Lied  von  den  Grenadieren  wurde  ein  Jahr- 
zehnt nach  jener  Katastrophe  veröffentlicht,  die  Deutschlands 
Befreiungskampf  eingeleitet  hatte.3) 


starke  bewaffnete  Macht  werde  rder  Strebepfeiler  des  Gebäudes11  sein. 
—  Alfred  Stern,  Geschichte  Europas  seit  den  Verträgen  von  1815  bis  zum 
Frankfurter  Frieden  1871.     Berlin  1894  I,  S.  310. 

2)  Veröffentlicht  1817  in  seinem  „Kranz  der  Zeit". 

2)  Politische  Schriften.    München  1854—74  V,  S.  144. 

3)  1822.    Goedeke,  Grundriß  zur  Geschichte  der  deutschen  Dichtung 
VIII2,  S.  551. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  11 

Ebenso  wie  die  Bewunderung  für  den  besiegten  titanischen 
Feind  und  die  sentimentale  Fremdtümelei  war  die  Hingabe  an 
die  Romantik    der  Vergangenheit   vor    allem    eine   Flucht    aus 
der   beengenden    Gegenwart.     Neben    den   beiden   Richtungen, 
von  der  romantischen  einigermaßen  beeinflußt,  entwickelte  sich 
die  Begeisterung   für  deutsche  Freiheit  und  Einheit,    die    der 
burschenschaftlichen  Bewegung  ihr  Gepräge  gab  und  die  sich 
in  den  Seelen  eines  Teiles  der  akademischen  Jugend  zu   einer 
Religion    des   Vaterlandes   steigerte.      Doch    deckte    auch    das 
schwarz-rot-goldene  Band  höchst  verschiedenartige  Gesinnungen; 
sie  stuften  sich  von  dem  Haß  gegen  das  Werkzeug  des  Zaren, 
der  den  Dolch  des  unglücklichen  Sand  schärfte,  von  den  radi- 
kalen Umsturzbestrebungen  Karl  Follens  bis  zu  der  Sehnsucht 
jener  Jenenser  Studenten  ab,  die  den  Traum  hegten,   die   alte 
Reichskrone    solle   auf   dem   Haupte  Karl   Augusts    erglänzen, 
oder  jener    Tübinger    Musensöhne,    die   ihren  Wilhelm  I.   von 
Württemberg    zum  Nachfolger   Karls   des   Großen    zu    machen 
wünschten.     Der  Metternichschen   wie  der  preußischen  Reak- 
tion galt  jeder  Gedanke  an  die  Einheit  Deutschlands  für  gleich 
gefährlich    und  Kaiser  Franz    duldete    in    seinen   Erlassen    das 
Wort  „Vaterland"   nicht.1)     Friedrich  Ludwig  Jahn  wurde  ge- 
fangen gesetzt,  zeitweilig  gar  in  Küstrin  mit  Ketten  gefesselt, 
weil    er    dahin    gestrebt   haben  sollte,  Deutschland   zu   einem 
Staate  zu  verbinden.     Die  Antwort,  die  der  in  reifem  Mannes- 
alter Stehende  in  der  wider  ihn  geführten  Untersuchung  gab, 
erweist,    welche    Unklarheit    bei    allem    edlen   Streben    in    den 
Köpfen  der  studierenden  Jünglinge  herrschen  mochte.     Er  sei, 
so  erklärte  Jahn,  allerdings  der  Meinung,  die  Zusammenfassung 
Deutschlands  in  einen  Staat  würde  ersprießlicher  sein   als  die 
Zersplitterung,    ein   deutscher  Kaiser   wäre   mehr  zu  bewirken 
imstande,  als  ein  bloßer  Bundestagspräsident.      „Ich  habe  mir 
aber",  fuhr  er  fort,   „nie  den  Kopf  darüber  zerbrochen,  welcher 
unter  den  deutschen  Staaten  an  die  Spitze  zu  stellen  wäre,  ob 
das    etwa    unter    ihnen    reihum    gehen    solle,    wie   in   manchen 


l)  Treitschke  a.  a.  0.  II2,  127  f. 


'-  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

kleinen  Städten  die  Befugnis  des  Bierbrauens  unter  den  Bür- 
gern. .  ."  Auch  kenne  er  unter  den  39  Staaten  keinen,  der 
imstande  wäre,  sich  selbst  zu  regieren,  viel  weniger  einen, 
der  imstande  sei,  die  anderen  38  mit  zu  regieren.') 

Der  etwas  unklaren  Schwärmerei  für  Deutschlands  Ver- 
gangenheit hatte  bisher  auch  kein  eigentlich  tieferes  Eindringen 
in  diese  entsprochen.  Seit  1823  erschien  Raumers  „Geschichte 
der  Hohenstaufen  und  ihrer  Zeit".  Der  Verfasser  hielt  es  für 
erforderlich,  sie  mit  einem  230  Seiten  langen,  vom  Jahre  393 
ausholenden  Überblick  zu  beginnen.  Mit  dem  Plane  zu  seinem 
Werk  hatte  er  sich  schon  zu  jener  Zeit  getragen,  in  der  das 
alte  Reich  in  Trümmer  ging,2)  und  was  ein  fleißiger  Kompi- 
lator  ohne  Genie,  ohne  die  Gabe  plastischer  Darstellung  auf 
Grund  des  damals  zugänglichen  Materials  erreichen  konnte, 
bot  er  in  seiner  Darstellung  wie  in  dem  Anhang  über  die 
Altertümer  des  12.  und  13.  Jahrhunderts.  Wenige  deutsche 
Geschichtswerke  haben  so  lebhaften  Anklang  gefunden  wie 
dieses,  und  die  dramatische  wie  auch  die  epische  Dichtung 
wandte  sich  sofort  den  Gestalten  des  an  tragischen  Schicksalen 
überreichen  Staufergeschlechtes  zu.3)  Besonders  durch  die 
sechzehn  Hohenstaufendramen  Ernst  Raupachs  verbreitete  sich 
im  größeren  Publikum  das  Interesse  an  ihnen.4)  Der  Pedant 
im  Gewände  des  dramatischen  Dichters  vermeinte  allen  Ernstes, 
er  sei  auf  dem  Wege,  ein  deutsches  Nationaltheater  zu  schaffen; 
er  glaubte,  dazu  brauche  man  nur  die  Geschichte  unseres 
Volkes  von  Heinrich  I.  bis  zum  Westfälischen  Frieden  in  etwa 


*)  Pröhle,  Friedrich  Ludwig  Jahns  Leben.     Berlin  1855,  S.  179. 

2)  Vorrede  zur  dritten  Auflage  (1856). 

3)  Einen  Überblick  gibt  Eduard  Wolff  (Leipziger  Dissertation),  Rau- 
pachs  Hohenstaufendramen.  Ein  Beitrag  zur  Theatergeschichte  des  19.  Jahr- 
hunderts.   Berlin  1912. 

4)  Die  Zahl  der  Aufführungen  war  indes  geringer,  als  man  anzu- 
nehmen geneigt  wäre.  Von  den  16  Dramen  kamen  in  Berlin  13  an 
70  Abenden  zur  Aufführung.  In  Weimar  wurden  einige  der  Stücke  zu- 
sammen zwölfmal  gespielt.  Aufführungen  sind  in  17  deutschen  Städten 
nachweisbar.    A.  a.  0.,  S.  78, 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  lo 

70  bis  80  Stücken  zu  bearbeiten.1)  Wie  gründlich  er  die  Zeit 
der  Staufer  gleich  der  eigenen  mißverstand,  geht  aus  der  Zu- 
eignung an  Friedrich  Wilhelm  III.  hervor,  die  er  der  Druck- 
ausgabe voransetzte.  Diese  Widmung  gilt  dem  Schutzherrn 
der  Glaubensfreiheit,  der  an  Deutschlands  Neugestaltung  ent- 
scheidenden Anteil  habe;  der  König  wird  zu  den  Stauferkaisern 
in  Beziehung  gesetzt,  denn  auch  sie  hätten  danach  gestrebt, 
dem  Reiche  eine  festere  Verfassung,  der  Christenheit  größere 
Glaubensfreiheit  zu  verschaffen.  Den  Jungdeutschen  wurde 
es  leicht  mit  Raupach  ihren  Hohn  zu  treiben,  aber  dennoch 
hörte  man  in  dessen  Dramen  von  der  Bühne  her  den  Namen 
Deutschland  erklingen,  und  es  wäre  ungerecht,  zu  verkennen, 
wie  vermittels  dieser  höchst  unvollkommenen  dramatischen  Ge- 
bilde die  Erinnerung  an  das  dahingesunkene  Reich  und  da- 
durch der  Reichsgedanke  belebt  worden  ist. 

Inzwischen  hatten  sich  in  der  Stille  tiefere  Wirkungen 
vorbereitet,  jenes  große  wissenschaftliche  Unternehmen  war  be- 
gründet worden,  das  wertvolle  Saat  in  den  Boden  der  Zukunft 
streute.  Seit  1819  betrieb  Freiherr  von  Stein  in  seiner  un- 
freiwilligen Muße  die  Begründung  der  Monumenta  Germaniae 
Historica  und  im  April  1820  hatte  im  Turmzimmer  seines 
Schlosses  bei  Nassau  die  folgenreiche  Unterredung  mit  dem 
jungen  Dr.  Heinrich  Pertz  stattgefunden.2)  Freilich  waren  die 
Anfänge  mühselig  und  langsam;  der  erste  Band  der  „Scriptores" 
konnte  erst  sieben  Jahre  nach  Begründung  der  Gesellschaft 
für  ältere  deutsche  Geschichtskunde,  der  zweite  nach  weiteren 
drei,  der  dritte  gar  erst  1839  erscheinen  und  da  der  Inhalt 
dieser  Bände  nicht  über  das  9.  Jahrhundert  hinausreichte,  wo- 
bei politische  Hemmungen  mitsprechen  mochten,  hielt  sich  die 
Wirkung  einstweilen  innerhalb  der  Grenzen  eines  vorwiegend 
antiquarischen  Interesses.  Immerhin  hatte  schon  der  erste  Auf- 
ruf so  anregend  gewirkt,  daß  selbst  der  71jährige  Goethe  sich 
mit  einer  Abhandlung  über  die  in  Weimar  befindliche  Chronik 


J)  Ernst  Raupachs   dramatische   Werke  (Vorrede).     Hamburg  1837, 
S.  XVII  f. 

2)  Pertz,  Leben  des  Freiherrn  von  Stein  V,  S.  466  ff. 


14  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

des  Mönches   Nikolaus   von   Siegen    unter   die  Mitarbeiter   des 
Archivs  der  Gesellschaft  einreihte.1) 

Seit  1823  stand  Johann  Friedrich  Böhmer2)  in  Beziehung 
zum  Freiherrn  von  Stein;  er  wurde  Direktor  des  Unternehmens 
neben  Pertz,  mit  dem  ihn  vierzig  Jahre  lang  eine  achtungs- 
volle Wertschätzung  verband,  die  sich  freilich  von  der  anfäng- 
lichen Freundschaft  weit  und  weiter  entfernte.3)  Der  kühle 
Norddeutsche  war  ein  Mann  nüchterner  Tätigkeit,  der  Südwest- 
deutsche trat  romantischer  Neigungen  voll  an  die  Erforschung 
der  Vergangenheit  heran.  Rückert  stand  ihm  nahe,  für  Cle- 
mens Brentano  hegte  er  die  innigste  Neigung,  mit  Görres, 
mit  dessen  Familie,  wie  dem  Münchener  Kreise  der  Gleich- 
gesinnten verband  ihn  eine  lebenslange  Freundschaft  und  in- 
mitten  der  trockenen  Regesten  arbeiten  pflegte  er  seinen  Emp- 
findungen dichterischen  Ausdruck  zu  leihen.  So  dürftig  und 
lückenhaft  uns  die  ersten  tastenden  Versuche  heute  anmuten, 
in  ihrer  späteren  Neubearbeitung  sind  seine  Regesta  Imperii, 
die  ja  in  manchen  ihrer  Teile  freilich  auch  jetzt  wieder  eine 
vervollständigende  Umarbeitung  erheischen,  zu  einer  Grundlage 
der  Erforschung  mittelalterlicher  Reichsgeschichte  geworden. 
Man  weiß,  wie  Böhmer  über  das  eigene  Dasein  hinaus  der 
Fortführung  seines  Lebenswerkes  reiche  Mittel  zur  Verfügung 
gestellt  hat,  und  so  ist  es  freilich  gekommen,  daß  manchen 
Abschnitten  in  der  veränderten  Gestalt  nicht  wenig  von  dem 
widerspruchsvollen  Wesen  des  ursprünglichen  Schöpfers  an- 
haftet, ja,  dieses  ist  durch  die  sachlich  polemischen  Zusätze 
seiner  Nachfolger  Ficker  und  Winkelmann  hinsichtlich  der  Zeit 
Friedrichs  IL  und  der  staufischen  Epigonen  noch  stärker  be- 
tont   worden.      Der    glühend    dem    Katholizismus    anhangende 


!)  Bd.  V,  S.  554  f.  Die  Abhandlung,  1820  geschrieben,  wurde  1824 
veröffentlicht. 

2)  Über  ihn  neben  dem  kurzen  Abriß  Wattenbachs  in  der  Allge- 
meinen Deutschen  Bibliographie  III,  36 ff.  Joh.  Janssen,  Johann  Fried- 
rich Böhmers  Leben,  Briefe  und  kleinere  Schriften.    Freiburg  i.  B.  1868. 

3)  Siehe  den  Brief  aus  Böhmers  Todesjahr  1863  bei  Janssen  111, 
S.  408  f. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  15 

Protestant,  der  sich  dennoch  nie  zum  Übertritt  entschließen 
mochte,  der  dichterisch  Veranlagte,  der  sich  seufzend  den  ihm 
von  Brentano  angehängten  Namen  eines  Urkundius  Regestus 
zu  eieren  machte,  der  romantische  Schwärmer  für  die  Kaiser- 
herrlichkeit,  der  sich  bei  wachsender  Erkenntnis  durch  die 
deutsche  geschichtliche  Vergangenheit  tief  enttäuscht  fühlte, 
suchte  sich  in  eine  hemmungslose  Bewunderung  der  mittel- 
alterlichen Kirche,  in  eine  unbedingte  Parteinahme  für  sie  zu 
retten,  die  seinem  sonst  bewährten  kritischen  Scharfblick 
Schranken  setzte,  die  seinen  Urteilen  die  Färbung  verlieh. 
Bei  alledem  war  er  eine  durch  und  durch  lautere  Natur  und 
mit  Recht  lehnte  sein  jüngerer  Freund  Julius  Ficker  die  ver- 
unglimpfende Meinung  ab,  Böhmer  habe  sich  reaktionären, 
„restaurierenden",  Strömungen  dienstbar  erweisen  wollen.1)  Es 
waren  vielmehr  die  inneren  Gegensätze  des  Mannes,  von  denen 
sein  Werk  die  Spur  trägt. 

Als  Böhmer  1831  in  einem  dünnen  Quartbande2)  die  „Ur- 
kunden der  römischen  Könige  und  Kaiser  Konrad  I.  bis  Hein- 
rich VII.  911 — 1313"  zuerst  veröffentlichte,  gab  ihnen  Rückert 
ein  an  das  deutsche  Volk  gerichtetes  Sonett  als  Geleitwort  auf 
den  Weg,  darin  es  hieß: 

Was  irgend  noch  an  alter  Geisteshabe, 

Die  Du  gewannst  durch  mehr  als  ein  Jahrhundert, 

Sich  finden  mag,  zusammen  wirds  gelesen 

Und  aufgespeichert,  daß,  wenn  einst  im  Grabe 
Du  selber  ruhst,  die  Folgezeit  verwundert 
Erkenne  draus,  wie  reich  Du  bist  gewesen. 

Daß  solche  Totenklage  unangebracht,  daß  Deutschland  zu 
neuer  Machtentwicklung  fähig  sei,  freilich  auf  durchaus  an- 
deren WTegen,  als  sie  den  klagenden  Träumern  vorschwebten, 
dies  entzog  sich  dem  Verständnis  Böhmers  wie  seiner  Gesinnungs- 
genossen.    Selbst  die  Zerrissenheit  und  Ohnmacht  schien  ihnen 


!)  Regesta  Imperii  1198-1272.    Innsbruck  1881  p.  XII. 
2)  284  Seiten.     Jetzt   zählt   der   Band  V  (1198  —  1272)   allein    2424 
Seiten. 


16  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

erträglicher,  als  ein  etwaiges  Vorwalten  Preußens  in  einem 
geeinten  Deutschland.  Zwar  stand  Böhmer  der  deutschen  Klein- 
staaterei mit  tiefer  Abneigung  gegenüber,  aber  eine  noch 
tiefere  hegte  er  gegen  den  emporstrebenden  nordischen  Groß- 
staat,  den  er  kaum  als  einen  deutschen  anerkannte.  Daß  ein 
so  nüchterner  Vorgang  wie  das  Entstehen  der  Zollvereini- 
gungen Vorläufer  einer  Neugestaltung  sein  könne,  dies  lag 
außerhalb  des  Gedankenkreises  der  romantisch  gewandten  Männer, 
die  tatunkräftig  um  Dahingesunkenes  klagten.  Böhmer  dichtete 
von  einem  künftigen  Kaiser,  dem  Mehrer  des  Reiches,  zu  Rom 
gekrönt,  den  wolle  er  als  weltliches  Haupt  der  Christenheit, 
ihn  wolle  er  als  Herrn  begrüßen.1)  Seinem  Widerwillen  gegen 
Preußen  machte  er  in  anderen  Versen  Luft,  gegen  das  Land, 
wo  man  noch  zu  Triglav  betete,  als  schon  der  Kölner  Dom 
entstand,  und  die  Zugehörigkeit  der  Rheinlande  zu  dem  ver- 
haßten Staat  bekämpfte  er  als  eine  Fremdherrschaft.2)  Ganz 
mangelte  es  in  dieser  Geisteswelt  an  der  Erkenntnis  der  harten 
Wahrheit,  daß  ein  Deutschland  nur  bestehen  könne,  wenn  es 
fähig  sei,  in  Wehr  und  Waffen  den  von  allen  Seiten  drohen- 
den Feinden  zu  begegnen,  daß  man  nicht  mit  Träumen,  Wün- 
schen, Liedern,  sondern  nur  durch  Entschlußfähigkeit  und  stete 
Bereitschaft  ein  Reich  in  der  Mitte  des  Erdteils  wTiedererschaffen 
und  erhalten  könne.  Und  gleichwohl  waren  es  die  von  jenen 
Kreisen  ausgehenden  Stimmungen,  durch  die  während  langer 
Zeit  die  Sehnsucht  nach  Kaiser  und  Reich  ihre  besondere 
Färbung  empfangen  hat,  dennoch  waren  es  jene  Kreise,  die 
neben  Forschern  wie  den  Brüdern  Grimm  den  Gedanken  an 
Deutschland  wach  erhielten. 

Inmitten  des  brausenden  Überschwanges  und  der  Wirr- 
nisse des  Jahres  1848  trat  der  Gegensatz  der  vorwärts  blicken- 
den realpolitischen  Auffassung  zu  der  von  der  Vergangenheit 
erfüllten  Traumwelt  mit  großer  Schärfe  hervor,  ja  die  Krisis 
der  Einheitsbestrebungen  wurde  zuletzt  durch  den  Zusammen- 


l)  Das  Gedicht  gedruckt  bei  Janssen  I,  S.  205  f. 
z)  Ebendort  S.  203. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  17 

prall  dieser  Gegensätze  herbeigeführt.  Daß  auf  dem  Thron 
des  völlig  unromantischen  Preußen  ein  Romantiker  saß,  war 
für  die  Ablehnung  der  ihm  von  der  konstituierenden  National- 
versammlung dargebotenen  erblichen  Kaiserwürde  in  stärkerem 
Maße  entscheidend,  als  der  sachlich  bedeutsame  Umstand,  daß 
nur  eine  sehr  knappe  und  sehr  mühsam  erreichte  Mehrheit 
Friedrich  Wilhelm  IV.  zum  Reichsoberhaupt  gewählt  hatte.1) 
Während  der  klarer  denkende,  weniger  kompliziert  empfindende 
Prinz  Wilhelm  nicht  lange  zuvor  dem  auf  die  Übernahme  der 
Krone  durch  den  König  von  Preußen  zugeschnittenen  Dahl- 
mannschen  Verfassungsentwurf  seinen  Beifall  zollte,2)  wünschte 
der  König  die  Krone  keinenfalls  durch  Beschluß  des  aus  der 
Revolution  hervorgegangenen  Frankfurter  Parlaments,  sondern 
höchstens  etwa  aus  der  Hand  der  Fürsten  zu  empfangen.  Zwar 
hatte  er  von  einer  Wiederherstellung  des  alten  Reiches  schon 
seit  der  Jugendzeit  geschwärmt,  aber  auch  ihm  war  dieses 
nicht  das  der  Sachsen,  Salier  und  Staufer,  sondern  durchaus 
das  der  späteren  Habsburger,  wobei  die  verjährten  Formen 
stärker  zu  seiner  Phantasie  sprachen,  als  sein  Verstand  die 
politischen  Möglichkeiten,  die  Wirklichkeit  der  Verhältnisse 
durchdrang.  Einem  Kaiser  aus  dem  Hause  Habsburg  hätte  er 
wohl  selbst  gern  als  brandenburgischer  Kurfürst  und  Käm- 
merer des  heiligen  römischen  Reiches  gedient3)  oder  er  hätte 
ehrfurchtsvoll  aus  dessen  Händen  die  Würde  eines  Erzfeld- 
herrn des  Reiches  empfangen,4)  wobei  er  sich  wahrscheinlich 
einen  gelegentlich  von  Joseph  Görres  geäußerten  Gedanken  zu 
eigen  machte.  In  seinen  jüngeren  Mannesjahren  hatten  die  auch 
in  den  Männern  seines  Vertrauens  lebendigen  Vorstellungen 
Hallers,  hatte  dessen  „Restauration  der  Staatswissenschaften " 
auf  ihn   den   stärksten  Einfluß   geübt5)   und   zuletzt  gestaltete 


a)  290  Stimmen  bei  248  Stimmenthaltungen. 

2)  Sybel,  Die  Begründung  des  Deutschen  Reiches  durch  Wilhelm  1. 
Bd.  I4,  S.  162  f. 

3)  Treitschke,  Deutsche  Geschichte  III,  S.  122. 

4)  Meinecke,  Weltbürgertum  und  Nationalstaat.  München  1908,  S.  258. 

5)  Robert  Prutz,  Zehn  Jahre  Geschichte  der  neuesten  Zeit  1840  bis 

Sit/.gsb.  (1.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917, 5.  Abb.  2 


5.  Abhandlung:   Robert   Davidsohn 


s 


sicli  aus  seinen  altertümelnden  Ansichten  die  Meinung,  zum 
„römischen  Kaiser",  zum  „Ehrenhaupt  teutscher  Nation"  tauge 
überhaupt  nur  der  Herrscher  Österreichs.1) 

Blieben  infolge  dieser  Ablehnung  die  Beratungen  der 
Paulskirche  ergebnislos,  so  kann  aus  dem  Studium  der  13772 
Spalten  umfassenden  Berichte  nicht  nur  der  Forscher,  sondern 
selbst  der  Politiker  mannigfache  Einsicht  gewinnen.  Wo  neben 
vergessenen,  lärmend  auftretenden  Tagesgrößen  die  stärksten 
Persönlichkeiten,  die  besten  Köpfe  Großdeutschlands  versammelt 
waren,  mußte  eine  angestaute  Fülle  kluger  Gedanken  zutage 
treten.  Aus  dem  früheren  nebelhaften  Einheitssehnen  hatten 
sich  vier  einander  bekämpfende  Richtungen  gestaltet.2)  Die 
eine  Gruppe  wünschte  ein  erbliches,  unverantwortliches  Kaiser- 
tum, die  andere  ein  unverantwortliches  Wahlkaisertum,  die 
dritte  ein  aus  mehreren  Fürsten  bestehendes  Reichsdirektorium, 
die  vierte,  republikanische,  einen  verantwortlichen,  auf  Zeit 
gewählten  Präsidenten.  Die  Sehnsucht  nach  einer  Wieder- 
belebung des  alten  Reiches  scheint  allein  noch  bei  den  Zuge- 
hörigen des  Görres-Böhmerschen  Freundeskreises  lebendig  ge- 
wesen zu  sein  und  auch  bei  ihnen  trat  sie  weniger  in  positivem 
Sinne  hervor,  als  in  der  scharfen,  höhnenden  Ablehnung  der 
erbkaiserlichen  Würde  für  das  Haus  Hohenzollern.  In  an  sich 
durchaus  klugen  Worten  äußerte  sich  der  kurz  vor  den  Stürmen 
der  Revolution  seines  Amtes  entsetzte  Münchener  Kanonist, 
Germanist  und  Rechtshistoriker  englischer  Abkunft  George 
Philips:3)  die  Grundlagen,  auf  denen    das  Kaisertum   beruhte, 

1850.    Leipzig  1850  I,  S.  179  f.  —  Petersdorff,  König  Friedrich  Wilhelm  IV. 
Stuttgart  1900,   S.  4;   18.  —  Alfred   Stern,  Geschichte  Europas   seit  den 
Verträgen  von  1815  II,  S.  385.  —  Vor  allem  das  Kapitel  „Haller  und  der 
Kreis  Friedrich  Wilhelms  IV."  bei  Meinecke  a.  a.  0.,  S.  210—264. 
')  Brief  an  den  Prinzgemahl  Albert,  Sybel  a.  a.  0.,  S.  163  f. 

2)  Rede  des  Abgeordneten  Hagen  (Heidelberg)  vom  17.  Januar  1849, 
Stenographischer  Bericht  über  die  Verhandlungen  der  konstituierenden 
Nationalversammlung  zu  Frankfurt  a.  M.  Frankfurt  a.  M.  1848—49:  VI, 
S.  4712. 

3)  Böhmer  wollte  Philips  zu  seinem  Nachlaßverwalter  ausersehen. 
Siehe  den  Entwurf  zu  den  Statuten  der  katholischen  Gesellschaft  für 
geschichtliche  Studien  (1855).    Janssen  a.  a.  0.  I,  420. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  19 

seien  zerstört,  neue  müßten  erst  geschaffen  werden,  die  aber, 
die  man  jetzt  zu  legen  vermöge,  seien  nicht  stark  genug  es 
zu  tragen.  Er  verlangte  ein  Reichsdirektorium,  trat  gegen 
den  Ausschluß  Österreichs  wie  gegen  die  preußische  Spitze 
ein  und  endete  mit  den  Worten:  das  Kaisertum  der  Peters- 
kirche habe  1006  Jahre  bestanden,  ein  solches  der  Paulskirche 
würde  kaum  sechs  Monate  dauern.1) 

In  ähnlichem  Sinne  sprach  sich  der  eigenartige  Mann  aus, 
dessen  Bild  hier  auf  uns  niedersieht,  Ernst  v.  Lasaulx,  den 
man  den  Romantiker  der  klassischen  Philologie  genannt  hat. 
Er  feierte  den  Gedanken  einer  Wiederherstellung  von  Kaiser 
und  Reich  als  eine  Erinnerung,  wert  die  Phantasie  zu  erfüllen, 
wert  auch,  daß  einer  in  männlichen  Jahren,  in  denen  die  Pfade 
des  Lebens  schattiger  werden,  sich  an  ihm  erwärme.  Doch 
werde  nach  den  Gesetzen  der  Geschichte  einmal  Gestorbenes 
nicht  mehr  lebendig.  „Möglich",  sagte  er,  „daß  die  Zukunft 
ein  neudeutsches  Kaiserreich  mit  der  Hauptstadt  Berlin  sehen 
wird,  wie  das  alte,  echte  Rom  eine  Fortsetzung  in  Konstanti- 
nopel' gefunden  hat."  „Dort  herrschte  bekanntlich  sehr  viele 
klassische  Erudition,  die  feinste  Hoftheologie,  Hofphilosophie." 
„Aber  ich  glaube,  daß  Bildung  und  Wissenschaft  nichts  Leben 
Produzierendes,  sondern  Leben  Konsumierendes,  verbrauchtes, 
ausgeisterndes  Leben  sei."  In  Preußen  herrsche  Avohl  mehr 
humanistische  Bildung  als  in  Osterreich,  aber  wenn  es  zu 
handeln  und  ein  kernhaftes  Wort  zu  sprechen  gelte,  dann 
stünden  die  Männer  in  Wien  nicht  zurück  hinter  denen  in 
Berlin.  Solle  einmal  ein  neudeutscher  Kaiser  sein,  dann  würde 
er  den  von  Osterreich  dem  König  von  Preußen  vorziehen,  nicht 
nur  der  historischen  Kontinuität  wegen,  sondern  weil  in  Oster- 
reich mehr  entwicklungsfähige  urwüchsige  Manneskraft  sei  als 


*)  18.  Januar  1849.  Bd.  VI  des  Berichtes  S.  4724.  Später  trat  Phi- 
lips mit  der  Meinung  hervor,  der  Papst  werde  sich  früher  oder  später 
einen  neuen  Kaiser  schaffen,  wie  Philips  sich  ausdrückte:  „er  werde  sich 
nach  einem  höchsten  Schutzherrn  umsehen."  Vermischte  Schriften  (von 
1853).    Wien  1856  II,  S.  470:   „Was  ist  Kaiserthum?" 


'_!<•  5.  Abhandlung:  Etoberl   Davidsohn 

in   Preußen,  das   weiter  vorgeschritten   wäre  auf  der  Bahn  des 
Lebens  zum  Tode.1) 

Im   ganzen  tauchte  in  der  Paulskirche  die  Erinnerung  an 
das  Reich  der  Vergangenheit  sehr  selten  auf,  und  zu  der  Hin- 
neigung jener  wenigen  stand  die  radikale  Gruppe  in  schneiden- 
dem Gegensatz.     Von  Beginn  an  war  diese  bemüht,    den    von 
Deutschland    fortstrebenden   Stämmen   ihre   Sympathie    zu    be- 
zeugen, neben  den  Polen  zumal  den  gegen  Osterreich  in  Krieg 
und  Aufstand  befindlichen  Italienern,  und  auch  dies  war  mittel- 
bar   ein    Kampf    gegen    den    Gedanken    des    alten    Imperiums. 
Schon  in  der   vierten  Sitzung   des  Parlaments2)    verlangte    der 
auf  Grund   persönlicher  Initiative   Friedrich  Wilhelms  IV.  ge- 
maßregelte3)  Berliner   Privatdozent   der  Geschichte  Nauwerck, 
da  Deutschland  gegen  Italien  eine  vielhundertjährige4)  Schuld 
zu  sühnen  habe,  solle  die  Nationalversammlung  von  Osterreich 
die  Einstellung  des  ungerechten  Krieges  wider  das  lombardisch- 
venetianische  Land  verlangen.     Dagegen  forderte  Vischer  von 
Tübingen,    zwar    möge    die  Unabhängigkeit    der    italienischen 
Nationalität  nicht   unterdrückt  werden,  aber   es   seien  Bündes- 
truppen    an    die   Grenzen    Tirols    zu    entsenden,    da    der    Krieg 
durch  deren  Überschreitung  zu  einer  deutschen  Angelegenheit 
geworden  sei.5)     Einen  Monat  später6)  trat  Venedey  von  Köln 
für   „die  heiligen  und  unveräußerlichen  Rechte  der  italienischen 
Nation"   ein  und  er  befand  sich   in  Übereinstimmung   mit   den 
Abgeordneten  Trients  und  Roveretos,  die  eine  Trennung  dieser 
Bezirke   von  Tirol   und    ihre    nationale    Unabhängigkeit    bean- 
spruchten.7)     Berichterstatter    des    Ausschusses    war    Friedrich 
v.  Raumer,  und     nach    leidenschaftlicher  Debatte    machte    die 
Versammlung   den    in   der  Vorberatung  gefaßten  Entscheid   zu 


»)  Stenographischer  Bericht  VI,  S.  4774. 

2)  23.  Mai  1848. 

3)  Tieitschke  a.  a.  0.  V,  S.  233. 

4)  Im  Druck  des  stenographischen  Berichtes:  vierhundertjährigen. 
5j  Sitzung  vom  8.  Juli  1848.    Bd.  II,  S.  806. 

6)  4.  August  1848. 

7)  Sitzung  vom   12.  August  1848.    Bd.  II,  S.  1546  ff. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  21 

dem  ihren,  daß  eine  solche  Loslösung  vom  Deutschen  Reich 
nicht  stattfinden  könne.1) 

Vom  Standpunkte  des  praktischen  Staatsmannes  aus  sprach 
General  v.  Radowitz,  der  Freund  des  preußischen  Königs,  über 
die  italienische  Frage:  ohne  Venedig  und  die  Küsten  seien 
Triest  und  das  dalmatische  Litoral  nicht  auf  die  Dauer  zu 
halten.  Damit  ginge  das  Adriatische  Meer,  also  jede  Verbin- 
dung mit  dem  Mittelmeer  verloren,  die  eine  der  beiden  Puls- 
adern von  Deutschlands  maritimer  und  kommerzieller  Existenz 
bilden.  „Ist  Oberitalien  von  Osterreich  getrennt,  dann  be- 
ginnt die  Verteidigung  unserer  Südgrenze  an  der  oberen  Etsch 
und  am  Tagliamento  statt  am  Tessin.  Die  erste  dieser  Linien 
führt  nach  Tirol  und  Bayern,  die  andere  ins  Herz  von  Öster- 
reich." Oberitalien  werde  in  dem  Augenblick,  in  dem  es  sich 
von  Deutschland  trenne,  in  die  Hegemonie  Frankreichs,  Unter- 
italien in  die  Hegemonie  Englands  verfallen.  Er  meinte,  das 
Gebiet  bis  zum  Mincio  solle  bei  Osterreich  bleiben,  doch  als 
Glied  eines  italienischen  Bundes,  und  Österreich  solle  dies  Land 
durch  bestimmte  Verträge  in  nähere  Beziehung  zu  Deutsch- 
land setzen.2) 

Inmitten  der  tiefen  Ermüdung,  die  auf  das  Sturmjahr  1848 
folgte,  wurde  die  Aufmerksamkeit  wieder  von  der  unbefriedi- 
genden Gegenwart  zur  reicheren  Vergangenheit  hingelenkt. 
Seit  mehr  als  einem  halben  Jahrhundert  hat  niemand  auf  die 
Vorstellungen  vom  deutschen  Mittelalter  in  höherem  Maße 
gewirkt  als  Wilhelm  Giesebrecht  vermittels  seiner  Geschichte 
der  deutschen  Kaiserzeit,  deren  erster  Band  1855  erschien. 
Seine  Verdienste  als  Forscher  wie  als  Künstler  der  Darstellung 
hat  Herr  Riezler  1891  in  einer  schönen  Gedächtnisrede  ge- 
würdigt.    Als  Sekretär   unserer  historischen  Klasse  hat  Giese- 


')  Nauwerck  hatte  Räumer  den  Vorwurf  gemacht,  er  sei  nicht  auf 
die  geschichtliche  Entwicklung  eingegangen,  wie  sich  dies  für  ihn  ge- 
ziemt hätte,  worauf  Raumer  erwiderte,  durch  einen  Auszug  aus  seinem 
Werk  über  die  Hohenstaufen  würde  er  die  Versammlung  wohl  nur  ge- 
langweilt haben. 

2)  Stenographischer  Bericht  II,  S.  156G. 


22  5.  Abhandlung:  Robort  Davidsohn 

brecht  ein  Vierteljahrhundert  lang  deren  Verhandlungen  ge- 
leitet, als  Mitglied  der  historischen  Kommission  wirkte  er  auf 
die  Jahrbücher  des  Deutschen  Reiches,1)  doch  am  stärksten 
kommt  der  Einfluß  in  Betracht,  den  er  auf  die  Geschichts- 
auffassungen der  breiteren  Öffentlichkeit  geübt  hat,  denn  seine 
„Kaiserzeit"  vertritt  auf  den  Bücherborden  deutscher  Häuser 
oft  genug  als  einziges  Werk  das  auf  die  Geschichte  des  Mittel- 
alters bezügliche  Schrifttum. 

Es  läßt  sich  beobachten,  daß  in  neueren  Zeiten  von  den 
großen  Krisen  der  italienischen  Verhältnisse  stets  eine  wesent- 
liehe  Belebung  des  Interesses  für  die  deutsche  Reichsgeschichte 
ausgegangen  ist.  In  der  Tat,  die  Fernwirkung  der  Reichsmacht 
läßt  sich  nur  von  Italien  aus  mit  Klarheit  übersehen,  wie 
andererseits  wichtige,  auf  Italien  bezügliche  Probleme,  lebendige 
Zusammenhänge  mit  der  Vergangenheit,  fortwirkende  Gegen- 
sätze nur  durch  tieferes  Eindringen  in  die  mittelalterlichen 
Beziehungen  Italiens  zu  Deutschland  erfaßt  werden  können. 
Giesebrecht  hatte  an  der  Wende  seiner  Zwanziger  zu  den 
Dreißigern  durch  einen  längeren  Aufenthalt  jenseits  der  Alpen 
starke  Eindrücke  empfangen  und  das  kirchliche  Wesen  hatte 
auf  die  Phantasie  des  protestantischen,  dichterisch  beanlagten 
Berliners  tief  gewirkt,  obwohl  er  solches  Empfinden  keines- 
wegs Herr  über  seine  Urteile  betreffs  des  Verhältnisses  der 
Schlüsselgewalt  zum  Kaisertum  werden  ließ.  Die  Gesamtgesin- 
nung, die  durch  sein  Werk  weithin  verbreitet  wurde,  könnte 
man  wohl  als  eine  neughibellinische  bezeichnen.  Er  war  1848 
in  der  eben  gegründeten  Kreuzzeitung  energisch  für  Behaup- 
tung  der   habsburgischen  Herrschaft   in  Oberitalien  hervorge- 


l)  Die  naheliegende  Annahme,  das  Erscheinen  des  ersten  Bandes 
der  „ Kaiserzeit "  habe  etwa  König  Max  mitbestimmend  beeinflufät,  als 
er  1858  die  Aufgaben  der  Historischen  Kommission  dahin  erweiterte, 
daß  diese  fortan  „zur  Auffindung  und  Herausgabe  wertvollen  Quellen- 
materials für  die  deutsche  Geschichte  in  deren  ganzem  Umfang"  be- 
stimmt sein  sollte,  findet  (nach  freundlicher  Mitteilung  des  Hrn.  Studien- 
rates Prof.  Sebastian  Röckl,  der  seit  Jahren  den  Beziehungen  des  Königs 
zur  Wissenschaft  eingehende  Forschungen  widmet)  durch  das  vorhandene 
Brief-  und  Aktenmaterial  keine  Bestätigung. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  23 

treten,  die  Aufgabe  selbst  eines  Fußbreit  von  dem,  was  Öster- 
reich in  Italien  nach  altem  Recht  besitze,  erschien  ihm  als 
ein  untilgbarer  Flecken  auf  Deutschlands  Ehre.1)  War  Giese- 
brecht  hierin  eines  Sinnes  mit  den  Romantikern,  berührten 
sich  die  in  seiner  „Kaiserzeit"  vertretenen  Auffassungen  mannig- 
fach mit  den  ihren,  so  war  der  norddeutsche  Historiker  doch 
von  ganz  anderer  Sehnsucht  erfüllt  als  sie,  und  sein  Werk 
fand  nur  in  sehr  eingeschränktem  Sinn  die  Zustimmung  der 
Männer  jener  Richtung.  Er  stand  zu  Böhmer  in  freundlichen 
Beziehungen,  aber  der  Frankfurter  Gelehrte  nahm  den  ersten 
Band  der  „ Kaiserzeit "  mit  achtungsvoller  Kühle  auf,  er  fand 
an  ihr  höchstens  zu  loben,  ihr  wohlwollender,  ja  weicher  Ver- 
fasser „sei  gewiß  nie  mit  Absicht  gegen  den  katholischen 
Standpunkt  ungerecht."2) 

Schwebte  den  Romantikern  das  Ideal  eines  von  den  Für- 
sten gekürten,  durch  die  Kirche  geweihten  Kaisers  vor,  eines 
Schützers  der  Bedrängten,  der  zwar  weltliches  Haupt  der 
Christenheit,  aber  dem  Stellvertreter  Gottes  auf  Erden  unter- 
geordnet sein  sollte,  so  waren  die  Wünsche  des  Preußen  Giese- 
brecht  völlig  anders  geartet.  Wie  es  oft  geschieht,  so  erhielt 
auch  bei  ihm  die  Darstellung  der  Vergangenheit  ihre  Färbung 
durch  Gegenwartswünsche  und  Zukunftshoffnungen.  In  einer 
Zeit  der  Schwäche  ersehnte  er  die  Wiederbelebung  einer  starken, 
kriegstüchtigen  Reichsmacht;  sein  Blick  war  auf  die  Hohen- 
zollern  gerichtet,  und  er  eignete  sein  Werk  Friedrich  Wil- 
helm IV.  zu.  Ihn  erfüllte  ein  romantisch"  angeschautes  Macht- 
ideal; er  wollte  nach  seinen  eigenen  Worten  die  christlich- 
heroischen Tugenden  der  Vorfahren  feiern  und  die  Zeit  schil- 
dern, da  das  deutsche  Volk,  durch  Einheit  stark,  zu  seiner 
höchsten  Machtentfaltung  gedieh,  wo  es  nicht  allein  frei  über 
sein  eigenes  Schicksal  verfügte,  sondern  auch  anderen  Völkern 

1)  Neue  Preußische  Zeitung  vom  15.  September  1848.  Hier  nach 
Riezler,  Gedächtnisrede  S.  55,  Anm.  35. 

2)  Brief  an  Hurter  in  Schaffhausen  vom  24.  März  1860,  Janssen 
a.  a.  0.  III,  S.  325;  an  Aschbach  in  Wien  (8.  April  1856),  S.  183;  an 
Köpke  in  Berlin  (17.  Februar  1860),  S.  319.  --  Vgl.  ferner  Janssen  I,  S.  256. 


S 


-  I  5.  Abhandlung:   Robert  Davidsohn 


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gebot,  wo  der  deutsche  Mann  am  meisten  in  der  Welt  galt 
und  der  deutsche  Name  den  vollsten  Klang  hatte.1)  Nach 
dem  Entstehen  des  neuen  Reiches  (1873)  sprach  er  es  aus, 
man  verstehe  in  der  gewandelten  Zeit  kaum  mehr  die  heiße 
Sehnsucht  nach  einem  großen  mächtigen  Deutschland,  aus  der 
sein  Werk  geboren  sei.2)  So  stellte  sich  ihm  das  Wirken  der 
Kaiser  in  verklärendem  Lichte  dar,  aber  wie  den  Romantikern 
sein  Eintreten  für  die  Herrscher  des  Reiches,  auch  da,  wo 
diese  im  Widerstreit  mit  der  Kirche  standen,  so  mißfiel  den 
Vertretern  des  nationalstaatlichen  Gedankens  seine  Begeisterung 
für  die  Universalität  des  alten  Reiches,  zumal  für  dessen  Herr- 
schaft über  Italien,  wobei  wir  uns  daran  erinnern  müssen, 
daß  sie  in  dem  Einigungskampf  der  Italiener  das  Vorspiel 
dessen  sahen,  den  sie  für  Deutschland  erhofften. 

Heinrich  v.  Sybel  sagte  den  Auffassungen  Giesebrechts, 
der  bald  darauf  sein  Nachfolger  werden  sollte,  in  der  am 
28.  November  1859  gehaltenen  Festrede  der  Münchener  Aka- 
demie „Über  die  neueren  Darstellungen  der  deutschen  Kaiser- 
zeit" Fehde  an.  Selten  hat  eine  Akademierede  ähnliches  Auf- 
sehen erregt  und  so  nachhaltig  gewirkt,  wie  diese.  Die  letzte 
mir  bekannt  gewordene  Erörterung  der  durch  sie  angeregten 
tiefgreifenden  Polemik  ist  von  1914,3)  die  letzte  kürzere  Er- 
wähnung in  der  historischen  Literatur  von  1916.4)  Jeder 
Hörer,  jeder  Leser  mußte  damals  fühlen,  daß  aus  der  wissen- 
schaftlichen Erörterung  der  heiße  Atem  des  Tageskampfes 
wehte,  daß  es  sich  um  Gegensätze  nicht  der  gelehrten  Auf- 
fassung, sondern  der  politischen  Gesinnung  handelte,  die  letzter- 
hand  zum  Austrage  nicht  mit  Worten  in  den  Hallen  der 
Wissenschaft,    sondern    mit   Waffen    auf    den    Schlachtfeldern 


1)  Vorrede  zur  ersten  Auflage  (4.  August  1855). 

2)  Vorrede  zur  vierten  Auflage. 

3)  G.  v.  Below,  Der  deutsche  Staat  des  Mittelalters,  Leipzig  1914» 
gibt  S.  353,  Anm.  6,  einen  Überblick  über  die  umfangreiche  durch  Sybels 
Ausführungen  unmittelbar  und  mittelbar  hervorgerufene  Literatur. 

4)  H.  Finke,  Weltinvperialismus  und  nationale  Regungen  im  späteren 
Mittelalter.    Freiburg  i.  B.  und  Leipzig  1916,  S.  46. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  25 

drängten.  Sybel  meinte:  wäre  das  Kaisertum  das  echte  Organ 
der  nationalen  Interessen  gewesen,  so  hätte  man  die  Verherr- 
lichung durch  Giesebrecht  begreifen  können,  er  aber  bekenne 
sich  bei  aller  Bewunderung  einzelner  Herrscher  zu  entgegen- 
gesetzter Ansicht.  Ihm  erschien  Heinrich  I.  als  Ideal,  „der 
Stern  reinsten  Lichtes  an  dem  weiten  Firmament  unserer  Ver- 
gangenheit", der  erste  König  der  Deutschen,  während  seinem 
Sohne  Otto  I.  die  Heimat  zu  enge  wurde,  so  daß  er  nach  der 
Herrschaft  Italiens  strebte.  Durch  ihn,  wie  zuvor  durch  Karl 
den  Großen,  habe  das  Kaisertum  eine  mystische  Färbung  und 
einen  theokratischen  Charakter  erhalten.  Sybel  versagte  sich 
nicht  den  Hinweis,  daß  auch  für  die  Zukunft  ein  nationales 
deutsches  Kaisertum  anzustreben  sei,  nicht  eines,  das  ein  sol- 
datisches Papsttum  darstelle  und  eine  chimärische  Weltunter- 
jochung zum  Ziele  habe. 

Es  war  kein  Zufall,  daß  ein  anderer  als  Giesebrecht  den 
Fehdehandschuh  aufhob,  denn  die  Schwäche  des  Angegriffenen 
bestand  in  dem  inneren  Widerspruch,  daß  er  durch  Mittel 
der  Romantik  für  die  Einigung  Deutschlands  unter  Führung 
Preußens  zu  wirken  suchte.  Statt  seiner  nahm  Julius  Ficker 
in  Innsbruck  das  Wort,  um  den  Kampf  aus  seiner  einheit- 
licheren großdeutschen  Auffassung  heraus  zu  führen.  Der  an 
die  tirolische  Landeshochschule  berufene  westfälische  Katholik 
hatte  von  den  Anfängen  seines  wissenschaftlichen  Lebens  an 
in  naher  Beziehung  zu  Böhmer  und  in  politischer  Gesinnungs- 
gemeinschaft mit  ihm  gestanden.  Eine  erste  Schrift  „Das 
deutsche  Kaiserreich  in  seinen  universalen  und  nationalen  Be- 
ziehungen", aus  Vorträgen  im  Innsbrucker  Ferdinandeum  her- 
vorgegangen,1) war  in  ihrem  einleitenden  Teile  bereits  abge- 
schlossen, als  Ficker  von  der  Münchener  Rede  Kenntnis  er- 
hielt,2) aber  sie  wandte  sich  ihrem  ganzen  Inhalte  nach  gegen 
die  von  Sybel  verfochtenen  Auffassungen.  Ficker  suchte  nach- 
zuweisen,   die   Ausdehnung   der  Reichsherrschaft   über  Italien, 


*)  Innsbruck  1861. 

2)  Dies  teilt  Ficker  in  der  Vorrede  mit. 


""  5-  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

Burgund,  Lothringen  habe  das  nationale  Staatswesen  nicht 
beeinträchtigt,  vielmehr  habe  erst  die  Einbuße  an  äußerer 
Machtstellung  dessen  Zerrüttung  herbeigeführt.  Das  eigentlich 
störende  Moment  sei  der  Erwerb  des  sizilischen  Königreiches 
gewesen;  dieser  habe  den  Fall  des  Reiches,  das  ganze  Elend 
unserer  Geschichte  verschuldet.1)  Auf  die  Verhältnisse  der 
eigenen  Zeit  übergehend  ließ  sich  Ficker  mit  Entschiedenheit 
gegen  die  „preußische  Sonderpolitik"  vernehmen,  und  wenn 
man  den  Kern  seiner  Meinungen  aus  der  Hülle  vorsichtiger 
Ausdrucksweise  herausschält,  so  tritt  er  für  ein  neues  Reich 
unter  österreichischer  Führung  ein,  für  ein  Deutschland  „unter 
dem  Schirm  einer  noch  immer  vorhandenen,  nur  genügender 
zu  sichernden,  in  der  Weise  des  alten  Kaiserreiches  über  die 
nationalen  Grenzen  hinausgreifenden  äußeren  Machtstellung", 
nicht  für  einen  deutschen  Nationalstaat,  sondern  für  ein  Im- 
perium. 

Sybel  sprach  sich  in  einer  weiteren  Schrift  „Die  deutsche 
Nation  und  das  Kaiserreich"2)  von  neuem  dahin  aus,  die  Ge- 
schichtschreibung der  Kaiserzeit  lasse  „betreffs  der  geistigen 
Ergreifung  und  Verarbeitung  des  Stoffes  nach  politischen  und 
sittlichen  Prinzipien"  vieles  zu  wünschen  übrig.  So  leiden- 
schaftlich wurde  der  Streit  geführt,  daß  keiner  der  daran  Teil- 
nehmenden sich  und  andere  daran  erinnerte,  daß  die  Aufgabe 
geschichtlicher  Darstellung  in  einem  reinen  Sinne  nur  gelöst 
werden  kann,  wenn  nicht  dieses  oder  jenes  politische  Prinzip, 
sondern  nur  wenn  das  Streben  nach  Sachlichkeit  und  Wahr- 
heit den  Leitstern  bildet. 

Die  Annahme  der  imperatorischen  Würde  durch  Karl  den 
Großen  erschien  Sybel,  wie  er  sich  in  starker  Übertreibung 
ausdrückte,  als  „die  Verwandlung  des  nationalen  fränkischen 
Königtums  in  ein  kirchlich  kostümiertes  Kaisertum".  Im  Gegen- 
satz zu  allgemein  herrschenden  Auffassungen  bekannte  er  sich 
zu  der  Meinung,  Herzog  Ludolf  und  Heinrich  der  Löwe  hätten 

»)  S.  103. 

2)  Die  deutsche  Nation  und  das  Kaiserreich.  Eine  historisch-politi- 
sche Abhandlung.    Düsseldorf  1862. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  27 

in  viel  höherem  Maße  den  nationalen  Bedürfnissen  entsprochen 
als  die  Mehrheit  der  Kaiser.  Wer  für  Deutschlands  Größe 
und  Einheit  Begeisterung  hege,  der  höre  nicht  gern  einen 
Tadel  gegen  die  Imperatoren,  mit  denen  Deutschlands  Einheit 
und  Größe  zugrunde  ging,  besser  aber  sei  es,  das  Richtige  zu 
erkennen,  als  unklar  für  die  Vergangenheit  zu  schwärmen. 
Offen  gestand  er,  ihm  handle  es  sich  weniger  um  das  alte 
Reich  als  darum,  daß  die  ungünstigen  Urteile  über  dieses  zu- 
gleich das  Osterreich  von  1862  träfen,  da  es  im  wesentlichen  die- 
selben Tendenzen  verkörpere.  Das  Wirken  der  Kaiser  stellt  er 
als  ein  für  Deutschland  verhängnisvolles  dar,  die  Kaiserzeit  habe 
mit  völligem  Bankerott  geendet,  die  leitenden  Fürsten  hätten 
die  Krone  um  bare  Vorteile  ausgeboten,  und  die  Reformbestre- 
bungen an  der  Wende  des  15.  zum  16.  Jahrhundert  seien  an 
den  Kämpfen  Maximilians  gescheitert.  Die  Nationalpartei,  zu 
der  er  sich  bekannte,  stünde  auf  historischem  Boden,  wenn  sie 
behaupte,  Osterreich  sei  nach  Herkommen  und  Beschaffenheit 
nicht  geeignet,  mit  den  übrigen  deutschen  Staaten  zu  einer 
Reichsverfassung  zusammenzutreten,  doch  könne  ein  Verhältnis, 
das  vier  Jahrhunderte  lang  gedauert  habe,  auch  nicht  willkür- 
lich zerrissen  werden.  Deutschland,  kräftig  organisiert,  solle  im 
Bunde  mit  Osterreich  zu  gemeinsamer  Verteidigung  nach  außen 
stehen,  die  wechselseitigen  Handels-  und  Kulturbeziehungen 
müßten  die  größte  Steigerung  erfahren,  als  erster  Grundsatz 
der  deutschen  auswärtigen  Politik  habe  die  unauflösliche  Al- 
lianz mit  Osterreich  zu  gelten.  So  weitblickend  war  das  Pro- 
gramm, das  der  Politiker  Sybel  vor  55  Jahren  aufstellte. 

Fickers  Duplik1)  erwies,  daß  der  tiefgründige  Kenner  der 
mittelalterlichen  italienischen  Reichs-  und  Rechtsgeschichte  in 
wissenschaftlicher  Hinsicht,  in  der  Beherrschung  des  Tatsäch- 
lichen Sybel  bei  weitem  überlegen  war.  Auch  hatte  er  die 
Druckbogen  Böhmer  zugesandt,  um  vor  der  Veröffentlichung 
dessen  Rat  und  Meinung  einzuholen.  Freilich  fand  der  Frank- 
furter  Gelehrte    einem    Dritten    gegenüber   Worte    der    Kritik 


!)  Deutches  Königthum  und  Kaiserthum.    Innsbruck  1862. 


28  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

gegen  Fickers  juristisch  verklausulierten  Stil,1)  und  dieses  Ur- 
teil war  doppelt  berechtigt,  da  es  sich  um  eine  für  weitere 
Kreise  bestimmte  Streitschrift  handelte.  Daneben  aber  war  es 
übel  angebracht,  daß  Böhmer  von  Sybel  in  einem  Tone  der 
Verachtung  sprach,2)  der  zugleich  beweist,  wie  geringes  Ver- 
ständnis er  für  die  politischen  Leidenschaften  hegte,  von  denen 
jene  Diskussion  beherrscht  wurde,  wie  er  in  ihr  mehr  eine 
gelehrte  Auseinandersetzung  zweier  erbitterter  Antiquare  sah, 
als  den  Kampf  widerstrebender  Auffassungen,  bei  dem  nur 
der  Form  nach  um  die  Vergangenheit,  in  Wahrheit  aber  um 
die  Zukunft  Deutschlands  gestritten  wurde. 

Ficker  vertrat  die  unhaltbare  Ansicht,  der  Investiturstreit 
habe  die  Reichsmacht  nicht  dauernd  erschüttert,  die  durch  ihn 
verursachten  Schäden  seien  rasch  wieder  geheilt.  Zuvor  sei 
das  Übergewicht  durchaus  auf  Seiten  des  Kaisertums  gewesen, 
während  Sybel  ein  Zerrbild  der  Wirklichkeit,  zumal  auch  von 
der  Zeit  der  ersten  Staufer  entwerfe.  Die  Zerrüttung  im 
13.  Jahrhundert  gibt  auch  der  Innsbrucker  Gelehrte  zu,  aber 
den  Wendepunkt  bezeichne  eben  das  Jahr  1198,  als  der  un- 
mündige Erbe  Heinrichs  VI.  sich,  von  der  deutschen  Krone 
ferngehalten,  auf  sein  sizilisches  Erbreich  beschränkt  sah.3) 
Nach  Ficker  wäre  es  erwünscht  gewesen,  daß  Friedrich  IL, 
als  er  die  kaiserliche  Würde  empfangen,  auf  Neapel- Sizilien 
verzichtet  hätte.  Seine  Worte  enthalten  unausgesprochen  den 
Gedanken,  der  Konflikt  mit  den  Päpsten,  das  sich  aus  ihm 
ergebende  tragische  Schicksal  des  schwäbischen  Hauses  wären 


*)  Brief  an  J.  E.  Kopp  in  Luzern,  Janssen,  a.  a.  0.  III,  S.  361. 
(Mitte  März  1862.) 

2)  A.  a.  0.  und  am  16.  März  1862  in  seinem  Schreiben  an  Ficker. 
Ebendort  S.  383  f. 

3)  G.  v.  Below  hat  in  dem  erwähnten  Werke  S.  356  darauf  hinge- 
wiesen, wie  die  Grundauffassungen  Fickers  in  Deutschland  wohl  vielfach 
durch  seinen  Schüler  (und  Verwandten)  Schefl'er-Boichorst  Verbreitung 
gefunden  hätten,  der  seinerseits  (in  Straßburg  und  Berlin)  der  Lehrer 
zahlreicher  Historiker  wurde.  Ficker  ist  auf  den  Streit  mit  Sybel  1868 
nochmals  in  der  Vorrede  seiner  „ Forschungen  zur  Reichs-  und  Rechts- 
geschichte  Italiens*  S.  XV — XIX  eingegangen. 


l>i^  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  -•' 

vermieden    worden,    hätte   man   der  Kirche    den  Willen  getan, 
hätte  man  ihr  kampflos  den  Sieg  eingeräumt. 

Demgegenüber  wäre  vor  allem  die  Frage  aufzuwerfen,  ob 
die    sizilische    Ehe    Heinrichs   VI.    lediglich    aus    Sucht    nach 
Machterweiterung    geplant   wurde,    ob   sie   in   der  Tat  nur  als 
ein  Schachzug  staufischer  Hauspolitik  aufzufassen   sei.     Gewiß 
werden  Antriebe  dieser  Art  mitbestimmend  gewirkt  haben,  aber 
waren    nicht    bereits   Otto  L,  Otto  IL,  auch  Otto  III.,    als   der 
Tod    ihn    überraschte,    Heinrich  IL,    Lothar   —   worauf  schon 
Waitz  in  diesem  Zusammenhang  hinwies l)  —  von  dem  Streben 
geleitet  gewesen,   Süditalien  zu  unterwerfen?     Lag   hier  nicht 
vielmehr    eine    aus    den    Verhältnissen    sich    ergebende    innere 
Notwendigkeit  vor,   die  Herrschaft  des  Reiches  im  Boden  des 
südlichen  Landes  fester  zu  verankern?    Allerdings  sollte  durch 
die  Ehe  Heinrichs   mit   der   alternden   Konstanze  zugleich   ein 
Mittel  gewonnen   werden,  die  Kaiserkrone  dem  im  Königreich 
Sizilien  herrschenden  schwäbischen  Hause  zu  sichern,  aber  vor 
allem  war  Barbarossa  durch  seine  Erfahrungen  im  Norden  des 
Landes  darüber  belehrt  worden,  daß  Reichsitalien  früher  oder 
später  der  Herrschergewalt  völlig   zu   entgleiten   drohe,    wenn 
es   nicht   durch  Angliederung   des  sizilischen  Königreiches  ge- 
sichert   werde.     Als    nachmals    der    Sproß    aus  jener   Ehe    um 
Thron  und  Reich  zu  ringen  hatte,  bot  ihm  ja  in  der  Tat  der 
Besitz  Unteritaliens  allein   die  Möglichkeit,    bis    an    sein  Ende 
auszuharren.     Wer  Herr  von  Gaeta,  Neapel,   Amalfi,  von  Bari 
und  Brindisi,  Palermo  und  Messina  war,  übte  auf  die  mächtigen 
Seestädte,  auf  Venedig,  Genua,  Pisa,  deren  Handelsbeziehungen 
sich   zu    beträchtlichem  Teile   dorthin   richteten   oder  die  jener 
Häfen    als  Stützpunkte   und  Stapelplätze   bedurften,    eine    ent- 
scheidende Einwirkung.     Von    freundlichen   oder   gegnerischen 
Beziehungen  zu  Genua  wurde  die  politische  Haltung  Piacenzas, 
von   denen  zu  Genua  und  Pisa  die  von  Lucca,  Florenz,  Siena, 
von    denen   zu  Venedig    wiederum    die    der  Romagna    und   der 
Mark  Ancona  in  wechselnden  Kombinationen  beeinflußt.     Sollte 


*)  Göttingische  Gelehrte  Anzeigen  1862,  S.  129. 


30  5.  Abhandlung:  Roberi   Davidsohn 

demgemäß  bei  der  sizilischen  Ehe  nur  blinde  Machtbegier  und 
nicht  vielmehr  klarste  Einsicht  in  politische  Notwendigkeiten 
maßgebend  gewesen  sein?  Aus  der  Tatsache  der  Reichsherr- 
schaft über  Italien  ergab  sich  das  Bestreben,  diese  zu  einer 
vollständigen  zu  machen.  Die  Verhältnisse  entwickelten  ihre 
logischen  Folgen  aus  sich  selbst  und  in  dem  einzigen  Punkte, 
in  dem  die  Widersacher,  wenn  auch  aus  völlig  entgegengesetzten 
Gründen,  übereinstimmten,  muß  man  beiden  unrecht  geben. 

Wider  den  „eigentümlichen  Idealismus"  der  Fickerschen 
Auffassungen  vom  alten  Reich  wie  gegen  die  Betrachtungsart 
Sybels,  „die  nicht  realistischer  gedacht  werden  kann,"  wandte 
sich  Georg  Waitz  in  einer  Abhandlung  der  Göttingischen  Ge- 
lehrten Anzeigen.1)  Er  unterzog  vorwiegend  die  wissenschaft- 
liche Seite  des  Streites  seiner  Kritik,  die  Vermengung  der 
geschichtlichen  Auseinandersetzung  mit  der  Politik  des  Tages 
berührte  ihn  peinlich.  Er  bekannte  sich  als  Gegner  der  groß- 
deutschen Auffassungen  Fickers,  aber  er  hielt  mit  Recht  daran 
fest,  daß  diese  Fragen  mit  der  Würdigung  des  alten  Reiches 
nichts  zu  tun  hätten.  Sehr  im  Gegensatz  hierzu  standen  zwei 
andere  Schriften,  die  den  Streit  ganz  und  gar  auf  das  Gebiet 
der  Tagespolitik  hinüberzogen,  die  des  ebenso  geistvollen  wie 
einseitigen  Onno  Klopp:  „Die  gothaische  Auffassung  der  deut- 
schen Geschichte  und  der  Nationalverein"2)  und  die  des  wei- 
marischen ehemaligen  Ministers  0.  v.  Wydenbrugk,  der  Mit- 
glied des  Parlaments  der  Paulskirche  gewesen  war:  „Die  deutsche 
Nation  und  das  Kaiserreich".3)  Dieser,  dessen  Schrift  in  den 
Kreisen  der  Großdeutschen  lebhafte  Teilnahme  erregte,4)  trat, 
von    der    Betrachtung    der    Verhältnisse    im    alten    Reich    aus- 


*)  A.  a.  0.,  S.  121  ff. 

2)  Der  Titel  (Hannover  1862)  führt  den  Zusatz:  Mit  Beziehung  auf 
die  Schrift  des  Herrn  v.  Sybel  „Die  deutsche  Nation  und  das  Kaiser- 
thum".  Es  ist  immerhin  beachtenswert,  daß  der  letztere  Titel  hierbei 
ungenau  angegeben  wird. 

3J  München  1862.  Mit  dem  Zusatz:  „Eine  Entgegnung  auf  die  unter 
demselben  Titel  erschienene  Schrift  des  Herrn  v.  Sybel." 

4)  J.  Jung,  Julius  Ficker  (1826-1902).  Ein  Beitrag  zur  deutschen 
Gelehrteiweschichte.     Innsbruck  1907,  S.  350. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  ;>1 

gehend,  für  eine  Bundesreform  und  die  Schaffung  einer  deut- 
schen Flottenmacht  ein,  über  die  Preußen  im  Norden,  Öster- 
reich im  Süden  den  Befehl  haben  sollte,  während  zu  Lande 
die  einheitliche  Führung  im  Kriege  derjenigen  Macht  zu  über- 
tragen wäre,  die  die  größte  Truppenzahl  stelle.  Klopp  war 
seinerseits  ausschließlich  bemüht,  die  österreichische  Vere-ansren- 

'  C5  CT 

heit  zu  verherrlichen,  die  preußische  Politik  anzugreifen,  zumal 
Friedrich  den  Großen  als  einen  eroberungssüchtigen  Tyrannen 
herabzusetzen.  Er  betonte  lebhaft  die  Lobsprüche,  die  Leibniz 
einstmals  dem  Hause  Habsburg  gezollt  hat.  Sybel  wirft  er 
vor,  daß  er,  was  Deutschland  geleistet,  als  Werk  der  Nation 
betrachte,  für  ihn  (Klopp)  sei  es  vielmehr  die  Leistung  des 
Kaisertums.  Er  trat  im  wesentlichen  als  Apologet  der  spä- 
teren Herrscher  des  Reiches  seit  Karl  V.  auf,  um  dann  zu 
dem  Ergebnis  zu  gelangen,  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis 
zwischen  Österreich,  Preußen  und  den  anderen  deutschen 
Staaten  sei  wünschenswert,  Venetien  müsse  als  Vormauer 
Deutschlands  gegen  Süden  in  österreichischem  Besitz  bleiben. 
Der  Streit  zwischen  Sybel  und  Ficker  wirkte  deshalb  so 
stark  auf  die  Gemüter,  weil  hier  zwei  entgegengesetzte  Grund- 
richtungen deutschen  Wesens  aufeinanderprallten.  Von  der 
einen  Seite  wurde  die  Anlehnung  an  ehrwürdige  religiöse  und 
politische  Traditionen  vertreten  und  der  Wunsch  möglichst 
viel  von  ihnen  aus  der  Vergangenheit  in  die  Zukunft  hinüber- 
zuretten,  auf  der  entgegengesetzten  stand  der  Anspruch  schärf- 
ster, zur  Skepsis  gesteigerter  Kritik  und  das  Streben  nach 
staatlicher  Neugestaltung,  die  von  jeder  Rücksicht  auf  Dahin- 
geschwundenes frei  bleiben  sollte.  Über  die  Gefühlsart  und 
Gedankenwelt  Fickers  sind  wir  durch  eine  liebevolle  Darstel- 
lung seines  Lebensganges  unterrichtet.1)  Sein  Gegner,  dem  er 
diese  Polemik  lebenslang  nicht  vergaß,  war  schon  als  Dokto- 
rand mit  der  These  hervorgetreten,  der  Historiker  solle  cum 
ira  et  studio  schreiben,2)  woran  Sybel  es  in  dieser  Erörterung 
denn  auch  durchaus  nicht  hat  fehlen  lassen. 

a)  Siehe  die  vorige  Anmerkung. 

2)  Bailleu  in  der  Allg.  Deutschen  Biographie    L1V,  S.  647. 


:l>-  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsobn 


- ' 


Aul'  den  böhmischen  Schlachtfeldern  errang  der  nüchterne 
kleindeutsche  Gedanke  den  Sieg  und  auf  denen  Frankreichs 
wurde  das  neue  Reich  geschmiedet,  das  dem  alten  nicht  nur 
unähnlich,  sondern  ihm  mannigfach  entgegengesetzt  war.  Weder 
auf  Bismarck  noch  auf  Wilhelm  I.  übten  die  Vorstellungen  vom 
alten  Imperium  irgendeinen  Zauber  aus,  nur  etwa  insofern  zog 
der  gestaltende  Staatsmann  sie  in  Betracht,  als  er  sich  im 
Gegensatz  zu  den  rein  preußischen  Gedankengängen  seines 
Monarchen  der  Wirkungen  bewußt  war,  die  von  den  Begriffen 
„Kaiser"  und  „ Reich"  ausströmten.  Doch  wäre  es  ein  tiefer 
Irrtum,  wollte  man  glauben,  daß  mit  der  Schaffung  der  neuen 
Verhältnisse  die  romantischen  Vorstellungen  von  der  deutschen 
Vergangenheit  unwirksam  geworden  seien.  Sie  lebten  viel- 
mehr fort,  gewissermaßen  als  ideelle  Ergänzung  zu  den  Ver- 
hältnissen der  Wirklichkeit,  bei  denen  die  Phantasie  in  gar 
keiner  Art  auf  ihre  Rechnung  kam,  und  es  wäre  Selbsttäu- 
schung, wollte  man  ihre  verborgene  Kraft  gering  einschätzen. 

Wie  die  romantische  Geschichtschreibung  jener  Zeit,  in 
der  sich  die  Einigung  Deutschlands  vorbereitete  und  vollzog, 
vor  allem  die  Machtentfaltung  des  alten  Reiches  ins  Auge 
faßte,  so  erregte  diese  auch  in  starkem  Maße  die  Aufmerksam- 
keit des  Auslandes.  Vor  mehr  als  einem  halben  Jahrhundert 
schrieb  Bryce  sein  weitverbreitetes  Buch  über  „The  Holy  Roman 
Empire,1)  in  dem  er  zumal  die  dem  mittelalterlichen  Imperium 
innewohnenden,  auf  Weltherrschaft  gerichteten  Tendenzen  her- 
vorhob, die  eine  Ergänzung  der  päpstlichen  Ansprüche  auf 
Weltgeltung  gebildet  hätten.  Imperium  und  Kirche  hätten 
sich  in  durchaus  unklarer  Abgrenzung  als  gemeinsame  Erben 
der  römischen  Cäsarengewalt  gefühlt,2)  doch  wird  in  einem 
späteren  Nachtrage  kräftig  hervorgehoben,  daß  das  neue  Reich 
in  nichts  die  Fortsetzung  des   alten    bilde3)   und   nirgend    ver- 


1)  Ei-ste  Ausgabe  London  1864,  seitdem  oft  aufgelegt  und  in  viele 
Sprachen  übersetzt.  Nach  der  Gründung  des  neuen  Reiches  versah  Tho- 
mas Bryce  das  Werk  mit  einem  längeren  Schlufikapitel. 

2)  Vgl.  hierüber  auch  Ludwig  Hahn,  Das  Kaisertum,  Leipzig  1914, 
S.  88  ff.  3)  S.  493  der  Ausgabe  von  1906. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  oo 

läßt  Bryce,  der  sich  im  Greisenalter  unter  den  erbittertsten 
Feinden  Deutschlands  hervorgetan  hat,  in  diesem  Werk  die 
Sphäre  reiner  Wissenschaftlichkeit. 

Die  nach  Ausbruch  des  Weltkrieges  von  haßerfüllten 
Gegnern  erhobene  Beschuldigung,  Deutschland  habe  durch  sein 
Streben  nach  Weltherrschaft  das  Völkerringen  entfesselt,  hat 
deutsche  Gelehrte  mehrfach  zur  Verteidigung  auf  den  Plan 
gerufen,  und  in  diesem  Zusammenhang  ist  das  universelle 
Wesen  des  mittelalterlichen  Kaisertums  von  den  Herren  Grauert 
in  München  und  Finke  in  Freiburg  erneuter  Beleuchtung  unter- 
worfen worden.1)  Stimmen,  die  für  einzelne  Nationen  das 
Recht  der  Herrschaft  über  die  anderen  oder  doch,  wenn  es 
damit  nicht  anging,  wenigstens  den  moralischen,  bürgerlichen, 
Avissenschaftlichen ,  künstlerischen  Vorrang  unter  ihnen  bean- 
spruchten, haben  sich  unter  dem  Beifall  der  Volksgenossen  in 
den  verschiedenen  Ländern  zu  den  verschiedensten  Zeiten  gel- 
tend gemacht,  selbst  in  solchen  Zeiten,  in  denen  jede  tat- 
sächliche Voraussetzung  für  derartige  Ansprüche  fehlte.2)  Dem 
gährenden  14.  Jahrhundert  tut  man  gewiß  nicht  unrecht,  wenn 
man  es  reicher  an  weittragenden  Gedanken,  an  überkühnen 
Plänen  nennt  als  an  gestaltender  Kraft,  und  seinem  Beginn 
gehören  die  Schriften  des  Pierre  Dubois  an,  der  die  Forde- 
rung der  Vorherrschaft  für  Frankreich  erhob,  wie  die  „Mon- 
archie" Dantes,  in  der  das  Recht  der  gottgewollten  Kaiser- 
herrschaft dargelegt  wird.  Dubois  hat  um  1S00  seinen  Traktat 
über  die  Abkürzung  der  Kriege  Frankreichs,3)  1307  den  über 
die  Wiedereroberung  des  Heiligen  Landes  geschrieben.4)     Man 

1)  Hermann  v.  Grauert  „ Deutsche  Weltherrschaft"  ?  in  dem  von  Pfeil- 
schifter  (Freiburg  i.  B.  1915)  herausgegebenen  Sammelbande  „ Deutsche 
Kultur,  Katholizismus  und  Weltkrieg".  —  Finke,  Weltimperialismus  und 
nationale  Regungen  im  späteren  Mittelalter.    Siehe  S.  24  Anm.  4. 

2)  Hierfür  bildet  Vincenzo  Giobertis  in  der  Verbannung  (Brüssel 
1841)  geschriebenes  Werk  „Del  Primato  morale  e  civile  degli  Italiani" 
das  merkwürdigste  Beispiel. 

3)  Kern,  Die  Anfänge  der  französischen  Ausdehnungspolitik  bis  zum 
Jahre  1308.    Tübingen  19 10,  S.  31. 

4)  De  recuperatione  Terre  Sancte  par  Pierre  Dubois;  publie  par 
Ch.  V.  Langlois,  Paris  1891.   Über  die  Zeit  der  Abfassung  Introduction  p.  X. 

Sitzgsb.  d.  philos.-pbilol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  5.  Abh.  3 


34  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

hat  ihn  den  ersten  Dogmatiker  des  Chauvinismus  genannt,1) 
aber  man  hätte  ihn  ebensowohl  als  den  ersten  Apostel  des 
modernen  Pazifismus  bezeichnen  können,  denn  er  verkündet 
die  Notwendigkeit  von  Schiedsgerichten  zur  Entscheidung  der 
Zwistigkeiten,2)  freilich  unter  der  Voraussetzung,  daß  zuvor 
Frankreich  die  Herrschaft  über  den  größten  Teil  Europas  er- 
langt habe,  und  so  bestätigt  sich  auch  hier  das  Goethewort, 
daß  man  nichts  Dummes,  nichts  Kluges  denken  könne,  das 
nicht  die  Vorwelt  schon  gedacht.  Es  mag  wenig  angemessen 
erscheinen,  Dante  im  Zusammenhang  mit  dem  Advokaten  von 
Coutances  zu  nennen,  aber  allerdings  haftet  der  Schrift  des 
Alighieri  über  das  christliche  Weltkaisertum  in  noch  höherem 
Maße  als  der  des  Franzosen  die  Eigenschaft  an,  daß  sie  in 
schärfstem  Gegensatz  zum  Tatsächlichen,  ja  zum  Erreichbaren 
und  Möglichen  stand.  Dennoch  hat  man  Dantes  wohl  aus 
einem  bestimmten  Anlaß  geschaffenes  Idealbild,3)  das  aus  den 
Träumen  eines  Dichters,  der  Sehnsucht  eines  von  der  Heimat 
Ausgeschlossenen  und  den  Spekulationen  eines  Dogmatikers 
emporgewachsen  ist,  häufig  genug  zum  Maßstabe  der  Wirklich- 
keit nehmen  wollen.  Daß  die  Macht  des  Reiches  zur  Zeit 
des  Luxemburgers  eine  geringe  und  hart  umstrittene  war,  daß 
Heinrichs  VII.  von  Dante  jubelnd  begrüßter  Wiederherstellungs- 
versuch ebenso  mißlang  wie  der  nach  seinem  Tode  unternom- 
mene des  Witteisbacher  Kaisers,  liegt  vor  aller  Augen,  aber 
um  so  mehr  ist  man  geneigt,  in  der  „Monarchie"  mindestens 
eine  Spiegelung  der  Vergangenheit  zu  erblicken.  Gerade  weil 
nun  das  neue  Deutschland  keinen  seiner  Rechtstitel  von  dem 
alten  Reich  herleitet,  ist  die  Forschung  imstande,  die  Ver- 
hältnisse der  Vergangenheit  mit  vorurteilslosem  Blick  zu  be- 
leuchten, die  Frage  aufzuweisen,  wie  es  mit  der  tatsächlichen 
Macht  des  Imperiums  in  Wirklichkeit  zu  Zeiten  bestellt  war, 
in    denen    nach    vorwaltender    Meinung   die   kaiserliche   Gewalt 


')  Kern  a.  a.  0.,  S.  '.0. 

2)  De  recuperatione  c.  12  p.  11. 

3)  Über  den  Zeitpunkt  der  Entstehung  hat  der  Verfasser  seine  Auf- 
fassung Gesch    von  Florenz  III  S.  538—542  dargelegt. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  35 

wohl  durch  mancherlei  Widerstände  und  Auflehnungen  beein- 
trächtigt, im  ganzen  aber  weithin  waltend,  unerschüttert  wirk- 
sam gewesen  sei. 

Daß  das  Imperium  die  Herrschaft  über  einen  großen  Teil 
Italiens  zur  Voraussetzung  hatte,  darüber  besteht  kein  Zweifel.1) 
In  einer  fast  unübersehbaren  Reihe  von  Werken  und  Schriften 
ist  zwar  die  Reichsgeschichte  Italiens  behandelt  worden,  aber 
sehr  unvollkommen  sind  die  Vorstellungen  von  den  tatsächlichen 
Zuständen  Italiens  zur  Zeit  der  Reichsherrschaft  geblieben. 
Von  der  Seite  des  Alltags  italienischen  Lebens,  aus  den  Ver- 
hältnissen des  Volkes  heraus  betrachtet  ergeben  sich  durchaus 
andere  Auffassungen,  als  wenn  man  vom  Standpunkt  der  Reichs- 
herrschaft ausgeht.  Sowenig  die  Zeit  Heinrichs  VII.  in  ihren 
Wirklichkeiten  nach  Dantes  „Monarchie",  ebensowenig  dürfen 
andere  Perioden  nach  Reichstagsfestsetzungen  oder  sonstigen 
kaiserlichen  Verordnungen  beurteilt  werden,  die  vielmehr  in 
stärkerem  Maße  Zustände  kennzeichnen,  nach  deren  Beseiti- 
gung man  trachtete,  als  solche,  die  tatsächlich  geschaffen  oder 
dauernd  behauptet  werden  konnten.  Nicht  nach  jenen  kurzen 
Zeiträumen  darf  man  urteilen,  in  denen  die  Reichsmacht  in 
erheblichem  Umfange  geübt  werden  konnte,  denn  diese  bildeten 
in  Wahrheit  nur  Zwischenspiele  einer  nach  entgegengesetzter 
Richtung  hin  drängenden  Entwicklung.  Die  immer  wieder- 
kehrenden Krisen  der  italienischen  Reichsherrschaft  werden  bei 
einer  Betrachtungsart,  die  von  den  inneren  Zuständen  Italiens 
ausgeht,  besser  verständlich,  man  erkennt  klarer,  wie  es  zu- 
sammenhing,   daß    Italien    eigentlich    immer    von    neuem    der 


l)  Die  Abgrenzung  der  Begriffe  Regnum  und  Imperium  gedenken 
wir  selbst  nicht  andeutend  zu  streifen.  Mit  großer  Klarheit  handelt  dar- 
über, zumnl  hinsichtlich  der  im  späteren  Mittelalter  herrschenden  Auf- 
fassung Hermann  Meyer,  Lupoid  von  Babenburg,  Freiburg  i.  B.  1909  in 
dem  Abschnitt  „Königtum  und  Kaisertum",  S.  134  ff.  Ferner  ist  dem 
Gegenstande  die  Schrift  von  Mario  Krammer,  Der  Reichsgedanke  des 
staufischen  Kaiserhauses,  Ein  Beitrag  zur  Staats-  und  Geistesgeschichte 
des  Mittelalters,  Breslau  1908,  gewidmet  (Heft  95  der  Untersuchungen  zur 
deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte). 


<5D  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

Kaisermacht  unterworfen  werden  mußte.  Stets  übte  diese  nur 
dort  ihre  Wirkung,  wo  sie  sich  unmittelbar  geltend  machen 
konnte,  was  natürlich  nur  zu  Zeiten,  nur  in  langen  Zwischen- 
räumen, nur  stoßweise  möglich  war.  Die  Vorstellung  einer 
regelrecht  geübten  Herrschaft  über  Reichsitalien  während  der 
zwei  Jahrhunderte  vom  Tode  Heinrichs  III.  bis  zum  Ausgang 
des  Stauferhauses  läßt  sich  in  keiner  Art  aufrechterhalten. 
Während  dieses  Zeitabschnittes  waren  die  Herrscher  insgesamt 
313/*  Jahre  in  Italien  anwesend.  Dies  mochte  immerhin  zu  viel 
für  Deutschland  sein,  aber  es  war  sicherlich  zu  wenig,  um 
inmitten  eines  fremden  Volkstums  lebensfähige  Einrichtungen, 
die  dem  recht  schnellen  Wandel  der  Verhältnisse  entsprachen, 
zu  schaffen  und  aufrechtzuerhalten.  Überdies  verlief  der  weit- 
aus größte  Teil  dieser  Aufenthalte  unter  schweren  Kämpfen, 
die  jedwede  organisatorische  Tätigkeit  vereitelten.  Wurden 
Reichslegaten  von  Deutschland  über  die  Alpen  entsandt,  so 
waren  sie  in  dem  geringeren  Umfange  ihres  Machtgebietes  in 
gleicher  Lage  wie  die  Kaiser  selbst,  nur  etwa  eine  so  tüchtige 
Persönlichkeit  wie  der  Kölner  Erzbischof  Rainald  von  Dassel 
vermochte  vorübergehend  durch  Klugheit  und  Tatkraft  zu 
wirken,  im  ganzen  konnten  die  Legaten  ohne  Waffengewalt 
nichts  ausrichten.  Um  sich  aber  auf  eine  solche  stützen  zu 
können,  mußten  sie,  wie  häufig  auch  die  Kaiser  selbst,  eine 
Gruppe  von  Städten  und  Herren  gegen  die  andere  in  Bewe- 
gung setzen ,  also  den  Krieg  im  Lande  entfachen  statt  den 
Frieden  unter  dem  Schutze  des  Reiches  zu  sichern,  und  den 
eigenen  Parteigängern  wurde  als  Lohn  stets  Recht  nach  Recht 
auf  Kosten  der  Reichshoheit  preisgegeben. 

Zwischen  dem  letzten  Aufenthalt  Heinrichs  III.  südlich 
der  Alpen  und  dem  Zuge  seines  Sohnes  1081  (denn  die  Epi- 
sode von  Canossa  kommt  in  diesem  Zusammenhang  nicht  in 
Betracht)  verflossen  26  Jahre,  zwischen  Heinrichs  IV.  letztem 
dortigen  Verweilen  und  dem  ersten  Erscheinen  Heinrichs  V. 
lagen  15,  zwischen  dessen  letztem  italienischen  Zug  und  dem 
Niederstiege  Lothars  von  den  Alpen  18,  zwischen  Lothars  Ende 
und    dem    ersten    Auftreten    Friedrichs  I.  im    Süden    17  Jahre. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  "7 

Dies  ergibt  zusammen  für  die  Apenninenhalbinsel  76  kaiserlose 
Jahre  von  100.  Wie  nachmals  Dante  die  kaiserlose  Periode 
der  eigenen  Zeit,  so  beklagte  ein  unbekannter  Poet  die  vor 
Barbarossas  Erscheinen  herrschenden  Zustände: 

Erant  in  Italia  greges  vispillonum 
Semitas  obsederat  rabies  predonum.1) 

Vermittels  der  Belehnung  weltlicher  und  geistlicher  Großen 
hatten  die  Ottonen  die  Reichsherrschaft  zu  üben  versucht. 
Einigen  mächtigen  Geschlechtern  im  oberen  und  mittleren 
Italien  war  es  gelungen,  eine  Reihe  von  Komitaten  unter  dem 
Titel  von  Markgrafschaften  unter  ihrer  Gewalt  zu  vereinigen.2) 
Daneben  wurde  den  Bischöfen,  wie  man  weiß,  vielfach  das  Gra- 
fenrecht über  die  Städte  und  einen  geringen  Umkreis  vor  deren 
Mauern  nebst  allen  Regalien,  machtvollen  Erzbistümern  wie 
Ravenna  wohl  auch  ein  Grafschaftsbesitz  bedeutenderen  Um- 
fanges  verliehen.  Daß  den  Dyn asten geschlechtern  gegenüber 
nur  von  einer  Lehensoberhoheit  des  Reiches,  daß  aber  von 
einer  Reichsverwaltung  in  ihren  Gebieten  nicht  die  Rede  sein 
konnte,  ist  unbestritten.  Für  ihr  Verhältnis  zu  den  Herr- 
schern ist  ein  kleiner  Vorgang  bezeichnend.  Als  der  mächtige 
Markgraf  Hugo  von  Tuszien  starb,  der  als  der  getreueste  An- 
hänger des  Kaisers  galt,  da  äußerte  Otto  III.  seine  Freude 
mit  dem  Worte  des  Psalmisten:  Gerissen  ist  der  Strick  und 
wir  sind  befreit.3)  Das  Verhalten  des  Hauses  Canossa  ist  all- 
bekannt. Markgraf  Bonifaz  erregte  den  Zorn  Heinrichs  ,111. , 
seine  Witwe  Beatrix  wurde  vom  Kaiser  als  Gefangene  nach 
Deutschland  geführt,  und  deren  Tochter  Mathilde  stand  im 
Kampf   gegen    Heinrich  IV.   voran.     Den    Bischöfen,    auf  die 

a)  Jakob  Grimm,  Gedichte  des  Mittelalters  auf  König  Friedrich  I., 
den  Staufer,  und  aus  seiner  wie  der  nächstfolgenden  Zeit.  Berlin  1844, 
Seite  66. 

2)  Über  die  bedeutendsten  hat  Harry  Breßlau,  Jahrbücher  des  deut- 
schen Reiches  unter  Konrad  IL,  I  S.  361—451  einen  ausgezeichneten  Über- 
blick gegeben. 

3)  Petri  Damiani,  De  principis  officio  c.  5.  Migne,  Patrologia  La- 
tina  145  col.  830. 


38  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

sich  das  Reich  stützen  wollte,  wurde  die  Macht  von  den  Mark- 
grafen vielfach  aus  der  Hand  gewunden.  Die  mit  der  Zuver- 
lässigkeit  und  der  Widerstandskraft  der  Prälaten  gemachten 
Erfahrungen  führten  dazu,  daß  seit  Heinrich  IL,  zumal  aber 
unter  dessen  drei  Nachfolgern  Deutsche  in  verhältnismäßig 
großer  Zahl  auf  italienische  Bischofssitze  sowie  auch  zur  Abts- 
würde der  großen  Reichsklöster  erhoben  wurden.1)  Im  ganzen 
erwies  es  sich  als  höchst  verhängnisvoll,  daß  man  Geistliche 
zu  weltlichen  Herren,  zu  Führern  von  Lehensaufgeboten  be- 
rufen hatte,  denn  selbst  die  düstersten  Farben  sind  kaum  aus- 
reichend, um  den  Zustand  des  italienischen  Episkopats  wäh- 
rend der  ersten  beiden  Drittel  des  11.  Jahrhunderts  zu  schil- 
dern. Die  Bischöfe  unterschieden  sich  im  rückhaltslosesten 
Daseinsgenuß  in  nichts  von  den  weltlichen  Großen  und  die 
verheirateten  unter  ihnen  bildeten  keine  Ausnahme,  sondern 
die  Bischofsehe  war  die  Regel.  Zwar  sprach  die  Kirche  in 
ihren  offiziellen  Schriftstücken  vorn  Konkubinat  der  Prälaten, 
aber  dies  war  keineswegs  die  allgemeine  Auffassung,  sondern 
die  Frauen  der  Geistlichen  und  die  der  Bischöfe  galten  als  mit 
ihren  Männern  in  rechter  Ehe  verbunden.  Durch  ein  Heiligen- 
leben, das  acht  Jahrhunderte  lang  unbekannt  blieb,  erst  wohl 
absichtlich  geheim  gehalten,  dann  in  Vergessenheit  geraten, 
sind  wir  darüber  unterrichtet,  wie  Frau  Alberga,  die  darin 
ausdrücklich  als  „conjux"  des  Bischofs  Hildebrand  von  Florenz 
bezeichnet  wird,2)  neben  dem  Gatten  saß,  wenn  dieser  den 
Abten  seines  Sprengeis  in  Anwesenheit  des  Klerus  und  der 
Lehensleute  seines  Bistums  Audienz  gewährte  und  wie  sie  gar 
an  Stelle  des  Gemahls  das  Wort  ergriff,  um  auf  vorgebrachte 
Ansuchen  Bescheid  zu  erteilen.  Aus  Urkunden  ließ  sich  für 
fünf  aufeinander  folgende  Geschlechter  der  Stammbaum  einer 
Familie  verheirateter  Geistlicher  in  hohen  kirchlichen  Würden 


')  Gerhard  Schwartz,  Die  Besetzung  der  Bistümer  Reichsitaliens 
unter  den  sächsischen  und  salischen  Kaisern  95L — 1132  S.  4f.  und  die 
Tabellen  S.  306  und  307. 

2)  Vita  Johannis  Gualberti  adhuc  inedita,  Forschungen  zur  älteren 
Geschichte  von  Florenz  I,  S.  56.     Demnächst  in  Monumenta  Germ.  Ss. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  39 

aufstellen,  von  denen  einer  Bischof  von  Fiesole  wurde,  während 
sein  Vater  Primicerius  dieser  Kirche  gewesen  war.  Die  Gattin 
dieses  Bischofs  Raimbald  hieß  Minuta1)  und  der  heilige  Kar- 
dinal Petrus  Damiani  nennt  diese  Ehe  „eine  gewissermaßen 
legitim  geschlossene",2)  doch  weiß  er  daneben  von  Raimbalds 
Konkubinen  und  seiner  sonstigen  widerwärtigen  Daseinsführung 
zu  berichten.  Der  Presbyter  Marinus,  Vater  des  Eleuchadius, 
der  als  Abt  des  Marienklosters  von  Faenza  in  hohem  Ansehen 
stand,  lebte  mit  dessen  Mutter  in  einer  als  durchaus  legitim 
betrachteten  Ehe,  und  dies  hinderte  keineswegs,  daß  man  ihm 
wie  übrigens  auch  dem  Raimbald  von  Fiesole,  die  Fähigkeit 
zuschrieb,  fromme  Wunder  zu  wirken.3)  Den  Bischofssöhnen, 
den  Sprößlingen  sonstiger  Prälaten  wurden  Besitzungen  der 
Kirchen  gegen  eine  rein  formelle  jährliche  Abgabe  von  wenigen 
Denaren  zu  Livellar  übergeben,  so  daß  die  vordem  reichen 
Gotteshäuser,  wie  Papst  Benedikt  VIII.  sich  1022  vor  dem 
Konzil  von  Pavia  ausdrückte,  zu  Bettlerinnen  hinabsanken.4) 
Die  Urkunden  erweisen,  wie  dies  nicht  eine  rhetorische  Wen- 
dung, sondern  daß  es  herbe  Wirklichkeit  war.  Die  Bischöfe 
hatten  ihre  Würden  am  königlichen  oder  kaiserlichen  Hof  bis- 
weilen auf  Grund  persönlicher  oder  politischer  Gunst,  meist 
aber  gegen  hohe  Zahlungen  erlangt.  Ein  reicher  Mann  aus 
Pavia,  der  am  Hofe  Heinrichs  IV.  einen  Bischofssitz  für  seinen 
Sohn  eingehandelt  hatte,  erklärte  mit  einer  Offenheit,  die  für 
den  Sohn  zum  Verhängnis  wurde,  „nicht  einmal  eine  Mühle 
bekomme  man  umsonst  beim  Herrn  König  verliehen,  und  für 
das  Bistum  Florenz  habe  er  dreitausend  Pfund  Denare  aus- 
geben müssen."5)  Daß  die  simonistisch  Erhobenen  mit  ihrem 
Pfunde  im  übelsten  Sinne  wucherten,  daß  sie  ihre  Auslagen 
überreichlich  hereinzubringen  suchten,  daß  sie  ohne  Geld  keinen 


1)  Forschungen  usw.  I,  S.  39. 

2)  Petri  Damiani  Liber  gratissimus  c.  18,  Monum.  Germ.  Libelli  de 
lite  I  p.  41. 

3)  Ebendort  p.  42. 

4)  Mansi,  Conciliorum  amplissima  collectio  XIX  col.  344. 

5)  Vita  Johannis  Gualberti  adhuc  inedita,  1.  c.  p.  57. 


40  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

Geistlichen  ordinierten,  kein  Gotteshaus  weihten,  wird  uns 
durch  Petrus  Damiani  bezeugt,1)  und  all  diese  tieffressenden 
Schäden  hatten  ihre  Wurzel  in  der  unnatürlichen  Verquickung 
weltlicher  Macht  und  geistlicher  Würde,  in  der  königlichen 
Investitur.  Das  Vorgehen  Benedikts  VIII.  im  Jahre  1022  gegen 
die  beweibten  Bischöfe  war  ein  erster,  doch  infolge  seines 
baldigen  Todes  ergebnisloser  Schritt  auf  der  Bahn  der  Kirchen- 
reform. Der  spätere,  machtvoll  einsetzende  Investiturstreit  er- 
wuchs aus  innerster  Not  der  Kirche  und  des  eng  mit  ihr 
verknüpften  Kulturlebens.  Die  geistigen  Interessen  wurden 
durch  Mönche,  die  von  heißer  Leidenschaft  beseelt  waren,  gegen 
die  äußerlichen  Machtmittel  der  Reichsgewalt  verfochten,  und 
indem  diese  im  wesentlichen  unterlag,  sank  auch  der  Rest  der 
ohnehin  dürftigen  Organisation  der  italienischen  Reichsherr- 
schaft in  sich  zusammen,  so  daß  es  trotz  mancher  Versuche 
zu  einer  Wiederherstellung  ein  Jahrhundert  lang  bis  zur  Zeit 
Friedrichs  I.  eine  eigentliche  Reichsverwaltung  in  dem  süd- 
lichen Lande  nicht  gab.  Die  Anordnungen  Barbarossas  in 
Roncaglia,  die  unter  Mitwirkung  bolognesischer  Juristen  er- 
lassen wurden,  beweisen  nichts  für  die  tatsächlich  geübten 
Rechte,  die  man  nicht  erst  unter  Mithilfe  von  Gelehrten  hätte 
festzustellen  brauchen,  sondern  sie  bezeugen  vielmehr,  daß  außer 
Übung  gekommene  Befugnisse  der  Vergessenheit  entrissen  werden 
sollten.  Bei  den  drei  gewaltigen  Zusammenstößen  zwischen 
kaiserlicher  und  kirchlicher  Macht  in  den  Zeiten  des  Investi- 
turstreites, in  denen  Friedrichs  I.  und  in  jenen  seines  Enkels 
sind  die  Dritten,  die  den  Gewinn  davontrugen,  die  zu  höchster 
Blüte  emporsteigenden  Städte  gewesen.2)  Im  13.  Jahrhundert 
ging  die  Kirche  nur  dem  Anschein  nach  aus  dem  Zusammen- 
prall mit  dem  letzten  staufischen  Kaiser  als  Triumphatrix,  in 
Wahrheit  aber  innerlich  geschwächt  hervor,  während  jede  der 
drei  Perioden   den  Munizipien   zu  neuer  machtvoller  Entwick- 

*)  Liber  gratissimus  1.  c.  p.  41. 

2)  Von  den  Vorteilen,  die  auch  das  Haus  der  Kapetinger  aus  der 
letzten  Phase  dieser  Kämjife  zog,  soll  in  diesem  Zusammenhange  nicht 
gesprochen  werden. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  41 

lung  verhalf,  bis  ihnen  zuletzt  innerhalb  ihrer  Gebiete  das  Voll- 
erbe der  Reichsgewalt  zufiel.  Wie  es  mit  dieser  schon  in 
Zeiten  Friedrichs  I.  im  Verhältnis  zur  Machtentwicklung  der 
Kommunen  bestellt  war,  dafür  liegen  einige  unzweideutige 
Zeugnisse  vor.  In  dem  schon  erwähnten  Gedicht  an  den  Herr- 
scher, das  wohl  einen  Deutschen  zum  Verfasser  hat,  singt 
dieser  von  den  Städten,  zumal  von  Mailand:1) 

De  tributo  cesaris  nemo  cogitabat 
Omnes  erant  cesares,  nemo  censum  dabat. 
Civitas  Ambrosii  velut  Troja  stabat 
Deos  parum,  homines  minus  formidabat. 

Ein  sehr  deutliches  Bild  gewährt  für  die  Zeit  vor  1158 
Otto  von  Freising,  der  sich  in  folgender  Art  äußert:2)  „Fast 
ganz  Italien  ist  in  Städte  (Stadtherrschaften)  geteilt,  die 
ihre  Diözesanen  zum  Wohnen  in  der  Stadt  gezwungen  haben. 
Kaum  gibt  es  einen,  der  so  mächtig  ist,  daß  er  den  Befehlen 
seiner  Stadt  nicht  Gehorsam  leistet.  Die  Italiener  sind  ge- 
wohnt, ihre  Gebiete  Komitate  zu  nennen  .  .  .  (der  Bischof  leitet 
mit  einer  der  üblen  etymologischen  Spielereien  das  Wort  „comi- 
tatus"  von  der  „potestas  comminandi"  her).  Sie  folgen,  un- 
eingedenk  altadliger  Gesinnung,  während  sie  sich  rühmen,  nach 
Gesetzen  zu  leben,  in  Wahrheit  der  Barbarei,  da  sie  sich  den 
Gesetzen  nicht  fügen.  Denn  den  Fürsten,  dem  sie  freiwillig 
die  Ehrfurcht  der  Unterwerfung  zollen  sollten,  nehmen  sie 
kaum  je  oder  nehmen  sie  niemals  ehrfürchtig  auf,  noch  ge- 
horchen sie  den  von  ihm  festgestellten  Gesetzen,  es  sei  denn, 
sie  bekommen  seine  Autorität  durch  den  Zwang  zu  fühlen,  die 
er  vermittels  starker  um  ihn  versammelter  Ritterschaft  aus- 
übt. Deshalb  geschieht  es  häufig,  daß  der  Bürger,  statt  das 
Gesetz  zu  beobachten,  gemäß  dem  Gesetze  durch  Waffen  als 
Widersacher  bezwungen  werden  muß,  daß  der,  den  die  Bürger 
als  milden  Fürsten  aufnehmen  sollten,  feindlich  als  einer  emp- 


1)  Jakob  Grimm  a.  a.  0.,  S.  65. 

2)  Ottonis  Frisingensis  episcopi  Gesta  Fiiderici   imperatoris  Lib.  II 
c.  13.    Mon.  Germ.  Ss.  XX  p.  396  s. 


42  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

fangen  wird,  der  nur  eigene  Rechte  geltend  macht,  und  so 
entsteht  für  das  öffentliche  Wesen  ein  doppelter  Schaden:  der 
Fürst  wird  durch  Zusammen  zieh,  ung  eines  Heeres  behufs  Unter- 
drückung des  Bürgers  abgelenkt,  der  Bürger  wird  unter  großem 
Nachteil  zum  Gehorsam  gegen  den  Fürsten  gezwungen.  So 
trifft  das  Volk  der  Vorwurf  des  Leichtsinns,  den  Fürsten  aber 
entschuldigt  vor  Gott  und  Menschen  die  Notwendigkeit." 

Die  Absichten  Friedrichs  I.  auf  Niederbeugung  der  Muni- 
zipien  waren  ursprünglich  wohl  die  weitestgehenden,1)  aber 
sie  scheiterten  an  der  inneren  Widerstandskraft,  die  diese 
während  des  letzten  Jahrhunderts  erlangt  hatten.  Die  Ent- 
wicklung der  Kommunen  hat  allmählich  durch  Bezwingung 
der  unmittelbaren  und  mittelbaren  Lehensträger  des  Reiches 
wie  durch  kapitalistische  Aufsaugung  des  feudalen  Besitzes 
den  Boden  unterhöhlt,  auf  welchem  man  versucht  hatte,  die 
Herrschaft  des  Imperiums  zu  begründen.  Stützte  sich  diese 
im  wesentlichen  auf  lehensrechtliche  Verhältnisse,  die  ihrer- 
seits der  Naturalwirtschaft  entsprangen  und  entsprachen,  so 
griff  durch  die  vom  12.  Jahrhundert  an  in  Italien  immer  mehr 
erstarkende  Gold  Wirtschaft  ein  Vorwalten  der  Städte  Platz, 
gegen  das  für  die  Dauer  keine  kaiserliche  Verordnung  und 
selbst  keine  Gewalt  der  Waffen  aufzukommen  vermochte.  Nur 
indem  der  Blick  zugleich  auf  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse 
gerichtet  wird,  läßt  sich  die  Geschichte  des  Niederganges  der 
italienischen  Reicbsgewalt  klar  erfassen. 

Friedrich  I.  wurde  von  dem  Bestreben  geleitet,  durch 
Einsetzung  kaiserlicher  Beamten  eine  eigentliche,  organische 
Reichsverwaltung  zu  schaffen,  an  der  es  bisher  durchaus  ge- 
fehlt hatte,  aber  es  zeigte  sich,  daß  es  hierfür  zu  spät  war, 
daß  die  Notwendigkeit  überall  mit  der  erstarkten  städtischen 
Gewalt  zu  rechnen  die  Durchführung  dieses  Planes  aufs  Stärkste 
beeinträchtigte.     Als   nach  dem  Ende  des  Schismas  ein  schär- 


x)  Ragewini  Gesta  Friderici  Mon.  Gerrn.  XX,  p.  447.  —  Die  Consti- 
tutio  de  regalibus  M.  G.  Leges  II  p.  111  nennt  die  Konsulate  der  Städte 
nicht,  während  nach  Ragewin  die  Mailänder  auf  das  Konsulat  und  auf 
alle  Regalien  verzichtet  hatten. 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  4d 

feres  Zugreifen  möglich  schien,  beschränkten  die  Vereinbarungen 
von  Konstanz  die  früheren  hochgespannten  Ansprüche  den  Kom- 
munen gegenüber.  Dennoch  waren  die  letzten  Lebensjahre 
Barbarossas  und  die  Regierungszeit  Heinrichs  VI.  die  Periode 
kraftvollster  Ausgestaltung  der  Reichsherrschaft  südlich  der 
Alpen,,  aber  sie  umfaßte  nur  etwa  dreizehn  Jahre,  und  schon 
bei  Lebzeiten  Kaiser  Heinrichs,  während  dieser  weitausschauen- 
den imperialistischen  Plänen  nachtrachtete,  begann  der  Boden 
unter  ihm  zu  wanken.  Nie  hätte  der  Umschwung  bei  seinem 
plötzlichen  Tode  ein  so  jäher  sein  können,  wäre  er  nicht  be- 
reits durch  Verschwörungen  wider  den  noch  in  voller  Kraft 
Stehenden  vorbereitet  gewesen.  Wiederum  vergingen,  wenn 
man  von  der  kurzen  Zwischenzeit  des  Weifen  Otto  absieht, 
mehr  als  vier  Dezennien,  ehe  Friedrich  IL  in  den  vierziger 
Jahren  des  13.  Jahrhunderts  die  Einrichtung  einer  Reichs- 
verwaltung, wenigstens  in  dem  damals  seiner  Macht  unter- 
worfenen Toskana  versuchte.  Seine  Absicht  ging  dahin,  die 
zentralistische  Regierung  des  Königreichs  Neapel  auf  Mittel- 
italien zu  übertragen  und  die  Städte  diesem  System  einzu- 
gliedern,1) aber  etwa  neun  Jahre,  nachdem  diese  Pläne  zu- 
erst hervortraten,  erlag  der  große  Kaiser  seinem  Geschick 
und  die  Reichsgewalt  brach  völlig  zusammen. 

Kann  nur  episodisch  und  meist  auch  dann  nur  für  um- 
grenzte Gebiete  von  einer  eigentlichen  Reichsverwaltung  Italiens 
gesprochen  werden,  so  stand  es,  trotz  gegenteiligen  Anscheines, 
mit  der  Gerichtshoheit  des  Reiches  nicht  besser.  Bei  den  tief- 
dringenden Untersuchungen,  die  den  rechtsgeschichtlichen  Ver- 
hältnissen gewidmet  wurden,  ist  ein  sehr  wesentlicher  Punkt 
kaum  berücksichtigt  worden,  die  Frage  nämlich,  wer  denn 
bei  der  kaiserlichen  Gerichtsbarkeit  Recht  gesucht  habe,  und 
ob  es  jemals  die  Regel  gewesen  sei,  bürgerliche  Streitigkeiten 
vor  ihr  znr  Entscheidung  zu  bringen.  Eine  Prüfung  der  Ur- 
kunden ergibt,  data  dies  nicht  der  Fall  war.  Um  ein  leicht 
zugängliches  Sammelmaterial  anzuführen:  von  69  durch  Julius 


a)  Geschichte  von  Florenz  II,  1  S.  279  f. 


44  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

Ficker  für  die  Zeit  von  Ottos  I.  Kaiserkrönung  bis  zum  Tode 
Friedrichs  IL,  also  für  drei  Jahrhunderte  wiedergegebenen  Ur- 
kunden,1) die  sich  auf  Prozesse  vor  Königsboten,  Legaten  oder 
Hofrichtern  beziehen,  sind  bei  54  Kläger  oder  Beklagte  Bi- 
schöfe, Kapitel,  Kirchen,  Klöster,  bei  11  Städte  und  Ort- 
schaften, in  je  einem  Falle  handelt  es  sich  um  eine  Herzogin- 
Witwe  von  Venedig  und  einen  Grafen  und  nur  in  zwei  Fällen, 
einem  von  981,  einem  von  1210,  kommt  Rechtsstreit  zwischen 
bürgerlichen  Persönlichkeiten  in  Betracht.2)  Aus  der  letzteren 
Periode,  der  der  kurzen  italienischen  Kaisermacht  Ottos  IV., 
rührt  auch  die  einzige  dem  Vortragenden  aus  dem  Verlauf 
dreier  Jahrhunderte  bekannt  gewordene  Urkunde  her,  aus  der 
sich  ergibt,  daß  (abgesehen  von  den  wenigen  Jahren  vor  dem 
Ende  Friedrichs  IL,  in  denen  der  Kaisersohn  Friedrich  von 
Antiochien  die  Herrschaft  der  Stadt  und  ihrer  Grafschaft  führte) 
Bürger  von  Florenz  oder  Angehörige  seines  Distriktes  vor 
einem  Reichsrichter  Recht  suchten,3)  aber  es  handelte  sich  in 
jenem  vereinzelten  Falle  zur  Zeit  Ottos  IV.  wahrscheinlich  um 
ein  Urteil  im  Appellationsverfahren,  während  die  Stadt  kurz 
darauf,  als  die  Reichsgewalt  von  neuem  der  Ohnmacht  anheim- 
fiel, auch  die  Appellationsgerichtsbarkeit,  deren  sie  sich  vor- 
übergehend schon  zuvor  bemächtigt  hatte,  wieder  an  sich  riß.*) 
Zu  dieser  Zeit  wurden  die  Rechtsstreitigkeiten  von  Bürgern  und 
Distriktualen  schon  seit  Menschenaltern  in  den  städtischen  Kurien, 
erst  durch  die  Konsulargerichte,  dann  durch  die  Judices  der 
Podestäs  entschieden.  Aber  auch  ehe  die  Kommune  eine  eigene 
Gerichtsbarkeit  geschaffen,  war  es  niemals  bürgerlicher  Brauch 

*)  Forschungen  zur  Reichs-  und  Rechtsgeschichte  Italiens  Bd.  IV. 
Innsbruck  1873. 

2)  A.  a.  0.   Nr.  32  S.  44;  Nr.  243  S.  290. 

3)  Geschichte  von  Florenz  II,  1  S.  15.  —  Forschungen  zur  Geschichte 
von  Florenz  III.  Regest.  3. 

4)  Geschichte  von  Florenz  II,  1  S.  41.  —  Friedrich  II.  entzog  sie  der 
Stadt  1246,  doch  nach  seinem  Ende,  vier  Jahre  später,  bemächtigte  sich 
diese  ihrer  von  neuem.  Vergeblich  war  das  Bemühen  des  Hofkanzlers 
Rudolfs  von  Habsburg  die  Kommune  nachmals  zur  Aufgabe  zu  veran- 
lassen (II,  2  S.  193). 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  45 

gewesen,  vor  Richtern,  die  in  Kaisers  oder  Königs  Namen  ur- 
teilten, Recht  zu  suchen.  Vielmehr  wurden  die  Rechtshändel 
Privater,  oft  selbst  nach  vorhergegangenem  Streit  mit  den 
Waffen  und  sogar  dann,  wenn  es  sich  etwa  um  die  Klage 
wegen  Tötung  eines  Bruders  handelte,  vor  der  Zeit  städtischer 
Autonomie  regelmäßig  durch  den  Schiedsspruch  von  Ortsge- 
nossen entschieden,  was  abgesehen  von  dem  Vorteil  größerer 
Einfachheit  und  geringerer  Kosten  vor  allem  die  Bürgschaft 
in  sich  trug,  daß  die  Entscheidung  auf  Kenntnis  persönlicher 
Verhältnisse  und  örtlicher  Gebräuche  beruhte,  daß  sie  der  in 
den  betreffenden  Kreisen  herrschenden  Auffassung  von  Her- 
kommen, Recht  und  Unrecht  entsprach.1)  Solche  Urteile  ge- 
fällt durch  Schiedsrichter,  durch  boni  homines,  liegen  für  das 
ausgedehnte  Florentiner  Gebiet  in  sehr  großer  Zahl  vor, 
Urteile  eines  Reichsgerichtes  in  Sachen  Privater  aber,  von 
jenem  einzigen  abgesehen,  überhaupt  nicht.  Gelegentlich  wird 
die  schiedsrichterliche  Tätigkeit  der  boni  homines  oder  boni 
viri  als  dem  judiciarius  rigor  gleichstehend  bezeichnet;  sie  wirke 
dahin,  daß  die  sich  geschädigt  Glaubenden  nicht  zur  Vendetta 
(„ulctio")  greifen,  daß  sich  die  Popolanen  nicht  durch  Wut 
und  Zorn  zu  Tumulten  hinreißen  ließen. *)  Äußerungen  dieser 
Art  erweisen,  wie  man  in  dem  Wirken  der  von  Fall  zu  Fall 
eingesetzten  Schiedsgerichte  einen  selbstgeschaffenen  Ersatz  für 
die  versagende  öffentliche  Gewalt  erblickte. 

Die  einzige  Reichssteuer,  das  Foderum,  wurde  derart  er- 
hoben, daß  der  Lehensträger,  der  „direkte  Herr",  sie  von 
seinen  Hintersassen  einzog  mit  der  natürlichen  Verpflichtung, 
den  Ertrag  an  das  kaiserliche  oder  königliche  Ärar  abzuführen. 
Aber  diese  Pflicht  scheint,  wenn  das  Reich  in  Italien  keine 
unmittelbare  Macht  zu  üben  imstande  war,  durchaus  unerfüllt 
geblieben  zu  sein.  Friedrich  I.  suchte  darauf  hinzuwirken,  daß 
gleich  den  anderen  Regalien  auch  das  Foderum,  das  ursprüng- 
lich  nur  eine  für  jede  Feuerstelle  zu  leistende  außerordentliche 


J)  Verl.  die  Abhandlung  des  Verfassers   , Entstehung  des  Konsulats", 
Deutsche  Zeitschrift  für  Geschichtswissenschaft  VI,  S.  27  f. 
2)  Ebendort. 


46  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

Beisteuer  zu  den  jeweiligen  Zügen  der  Herrscher  nach  Italien 
gewesen  war,1)  wieder  an  das  Reich  gelange.  Die  Herren 
aber  erhoben  die  Steuer  von  den  Hintersassen  nicht  nur  als 
eine  alljährliche,  sondern  mannigfach  durch  anderweite  Auf- 
lagen vermehrt.  Die  Städte  eigneten  sich,  soweit  sie  die  Macht 
dazu  besaßen,  das  Recht  an,  in  ihren  Grafschaftsbezirken  das 
Foderum  einzufordern,  das  dadurch  zu  einer  kommunalen  Herd- 
steuer wurde,  und  nur  vorübergehend,  nur  eben  in  den  letzten 
Zeiten  vor  dem  völligen  Niedersinken  der  Reichsgewalt,  gelang 
es  Friedrich  IL  innerhalb  der  Gebiete,  die  er  seiner  Macht 
unterworfen   hatte,  diese  Abgabe  wieder  an  sich  zu  ziehen. 

Es  bleibt  ein  Wort  von  der  Art  zu  sagen,  in  der  die 
Verpflichtung  zum  Lehensdienst  dem  Reich  gegenüber  erfüllt 
wurde.  Von  den  Städten,  die  im  Bunde  mit  der  kaiserlichen 
Macht  oder  auf  deren  Geheiß  gegen  Nachbarkommunen  oder 
eichsfeindliche  Feudalherren  kämpften,  kann  in  diesem  Zu- 
sammenhang nicht  die  Rede  sein,  denn  Fehden  gleicher  oder 
ähnlicher  Art  durchtobten  das  Land  auch  in  Zeiten,  in  denen 
das  Reich  nicht  an  ihnen  beteiligt  war,  und  wenn  sich  die 
Kommunen  freiwillig  unter  das  Banner  des  Imperiums  stellten, 
handelten  sie  dabei  meist  im  Interesse  munizipaler  Politik,  aus 
Feindseligkeit  gegen  eine  benachbarte,  dem  Reich  aufsässige 
Bürgergemeinde.  Nur  die  Fälle  kommen  in  Betracht,  in  denen 
Munizipien  und  Herren  der  Reichsmacht  für  deren,  nicht  für 
die  eigenen  Zwecke  zu  gehorsamen  hatten.  Auch  da  entschied 
für  die  Willfährigkeit,  mit  der  die  Heeresfolge  geleistet  wurde, 
lediglich  die  tatsächliche  Macht,  die  das  Imperium  an  Ort 
und  Stelle  zu  üben  imstande  war,  von  einer  Bereitschaft  zu 
selbstverständlicher    Pflichterfüllungr    ist    nichts    zu    bemerken. 

CT 

Klaren,  wenn  auch  keineswegs  erfreulichen  Einblick  in  die 
inneren  Vorgänge,  belehrende  Kenntnis  über  das  Zögern  und 
die  Widerstände,  denen  die  Gebote*  der  Reichsregierung  bei 
den   Kommunen    begegneten,  gewährt  uns  das  überaus  reiche, 


')  Ragewini  Gesta  1.  c.  —  Mon.  Germ.  Leges  II  p.  112,  Constitutiones 
pro  regalibus  „.  .  .  prestationes  et  extraordinaria  collatio  ad  felicissimatn 
regalis  numinis  expeditionem.  .  ." 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  47 

in  gewisser  Hinsicht  einzigartige  Material  an  Ratsprotokollen 
und  Rechnungsbüchern  der  kleinen  toskanischen  Bergstadt  San 
Gimignano.  Vermochte  sich  diese  durch  jede  Art  von  Ver- 
handlungen, von  List,  Intrige,  hinhaltendem  Ausweichen  und 
Bestechung  hoher  und  mittlerer  Reichsbeamten  bald  10  Monate, 
bald  gar  P/4  Jahre  den  Befehlen  des  im  Lande  befindlichen 
Kaisers  Friedrich  IL  zu  entziehen,1)  so  gibt  dies  einen  Begriff 
davon,  was  größere  Kommunen  zu  wagen  und  auszurichten  im- 
stande waren.  Aus  späteren  Zeiten  erfahren  wir  durch  ein 
Notariatsprotokoll  einiges  über  die  Art,  in  der  ein  mächtiger 
Feudalherr  das  Aufgebot,  dem  Reichsoberhaupt  Heeresfolge  zu 
leisten,  entgegennahm.  Dem  Mitgliede  des  bedeutenden  toskani- 
schen Grafengeschlechtes  der  Conti  Guidi,  dem  Guido  Alberti, 
wurde  Ende  1327  durch  einen  Beauftragten  der  Befehl  Ludwigs 
des  Bayern  überreicht,  sich  mit  seiner  Mannschaft  in  Viterbo 
einzustellen.  Er  kniete  ehrfurchtsvoll  nieder,  aber  nur  um  zu 
erklären,  der  Termin  sei  verstrichen  und  deshalb  werde  er 
dem  Aufgebot  nicht  Folge  leisten.2) 

Die  Betrachtung  aller  Verhältnisse  ergibt  mit  großer  Deut- 
lichkeit, wie  das  Reich  nur  auf  den  Höhepunkten  seiner  Macht- 
entfaltung und  nur  für  kurze  Zeiträume  Reichsitalien  wirklich 
beherrscht  hat.  Um  das  lebensvolle,  durch  Gegensätze  der 
verschiedensten  Art  leidenschaftlich  bewegte  Volk  zügeln,  um 
es  vor  der  inneren  Zerrissenheit  und  den  sich  aus  ihr  ergeben- 
den Kämpfen    schützen    zu    können,    dazu    wäre    eine  wohlge- 


*)  Forschungen  zur  Geschichte  von  Florenz  II,  Aus  den  Stadtbüchern 
und  -Urkunden  von  San  Gimignano  (13.  u.  14.  Jahrhundert)  Regest.  170; 
71;  73;  70;  78;  92;  93;  99;  200;  1;  2;  7;  27-29;  31;  33;  38-40;  44-48; 
50-61;  04-71;  73-80;  83-85;  91;  94;  95;  350-52;  57;  60;  61;  77 
—82  (a.  1237-381;   1240-41). 

2)  Geschichte  von  Florenz  III,  S.  810  Anin.  3.  Der  überbringende 
Geistliche  gehörte  dem  Herrschaftsgebiete  der  Guidi  an.  Da  der  Befehl 
aus  Pisa  vom  4.  Dezember  13J7  datiert  war,  aber  trotz  der  geringen 
Entfernung  erst  23  Tage  später  überreicht  wurde,  während  der  Termin 
zur  Stellung  der  24.  Dezember  sein  sollte,  hat  der  mit  der  Überreichung 
betraute  Presbyter  wahrscheinlich  in  unredlichem  Einverständnis  mit  dem 
Territorialherrn  seines   Kirchengebietes  gehandelt. 


48  5.  Abhandlung:  Robert  Davidsohn 

ordnete  Verwaltung,  geführt  von  tüchtigen,  unbestechlichen 
Beamten  erforderlich  gewesen,  ein  klug  durchgebildetes,  sorgsam 
gehandhabtes  Steuersystem,  den  landschaftlichen  Verhältnissen 
sich  anpassende  unparteiliche  Rechtspflege,  eine  ständige,  nicht 
auf  dem  Lehenswesen  beruhende  Heeresmacht  sowie  eine  Reichs- 
flotte, die  es  den  Herrschern  ermöglicht  hätte,  eine  von  dem 
Interessen wirrsal  der  Seestädte  unabhängige  Politik  zu  ver- 
folgen. Es  genügt,  diese  Voraussetzungen  aufzuzählen,  um 
sofort  die  Einsicht  zu  erwecken,  daß  jede  einzelne  von  ihnen 
in  Betracht  mittelalterlicher  Verhältnisse  den  vollständigsten 
Anachronismus  darstellt.  Der  wiederholte  Zusammenstoß  zwi- 
schen Kirche  und  Kaisertum  hat  den  Verfall  der  italienischen 
Reichsmacht  stark  beschleunigt,  aber  vollzogen  hätte  er  sich 
auf  Grund  der  inneren  Verhältnisse  zweifellos  auch  ohne  die 
Kämpfe  zwischen  Sacerdotium  und  Imperium,  die  emporstreben- 
den Städte  hätten  den  mehr  als  lockeren  Reichsverband  früher 
oder  später  auch  wohl  ohne  ihr  Bündnis  mit  dem  Stuhl  Petri 
zersprengt,  weil  sich  die  feudale  Gewalt,  auf  der  die  Organi- 
sation des  Reiches  beruhte,  zum  Bürgertum,  das  eine  stärkere 
Lebenskraft  besaß  als  jene,  in  einem  unvereinbaren  Gegensatz 
befand,  und  weil  die  mittelalterliche  Reichsherrschaft  über 
Italien  nur  ein  Gewirr  von  Rechten  und  Ansprüchen,  in  keiner 
Art  aber  ein  organisches  Gebilde  darstellte. 

Auch  hier  verlieren  bei  klarerem  Einblick  die  Zustände 
der  Vergangenheit  durchaus  den  reizenden  bläulichen  Schimmer, 
der  sie,  aus  der  Ferne  betrachtet,  zu  umschweben  scheint. 
Erkenntnisse  solcher  Art  sind  denn  freilich  wenig  geeignet, 
romantische  Begeisterung  zu  nähren.  Ist  das  alte  Reich  nicht 
sowohl  durch  das  Tun  oder  Unterlassen  einzelner  Herrscher 
als  vielmehr,  wie  hier  in  bezug  auf  die  mittelalterliche  Herr- 
schaft über  Italien  erörtert  wurde,  an  sich  selbst  zugrunde 
gegangen,  so  hat  Deutschland  es  als  höchstes  Glück  zu  preisen, 
daß  in  den  Zeiten  der  Neugestaltung  kein  unklares,  der  Ver- 
gangenheit zugewandtes  Sehnen  seine  Schicksale  beeinflußt  hat, 
daß  aus  völlig  andersartigen  Voraussetzungen  ein  neues  Ge- 
bilde   auf    völkischer   Grundlage    entstanden    ist.     Wir    wollen 


Die  Vorstellungen  vom  alten  Reich  usw.  49 

keineswegs  verkennen,  daß  auch  die  aus  der  Phantasie  ge- 
schöpften oder  durch  sie  beeinflußten  Vorstellungen  von  der 
Vergangenheit  das  Ihre  dazu  beigetragen  haben,  um  die  Sehn- 
sucht nach  Deutschlands  Einigung  wach  zu  erhalten,  aber  selbst 
eine  nützliche  oder  angenehme  Täuschung  vermag  keinen  Er- 
satz für  die  Wahrheit  zu  bieten.  Auch  die  geschichtliche 
Auffassung  der  Vergangenheit,  in  der  sich  jene  Sehnsucht 
nach  Einheit  und  Macht  wiederspiegelte,  ist  in  einem  Zeit- 
abstand von  annähernd  zwei  Menschenaltern  bereits  ihrerseits 
zum  Gegenstand  geschichtlicher  Betrachtung  geworden.  Wenn 
es  denn  doch  wohl  unabänderliche  Richtschnur  bleibt,  daß  Ge- 
schichte ohne  Zorn  und  Eifer  zu  schreiben  und  zu  betreiben 
sei,  so  wird  man  das  alte  Wort  noch  dahin  zu  ergänzen  haben, 
daß  auch  die  Liebe  das.  Bild  der  Vergangenheit  weder  wan- 
deln, noch  auch  verschleiern  darf. 


Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  KI.  Jahrg.  1917,  5.  Abb. 

D 


Sitzungsberichte 

der 

Königlich   Bayerischen  Akademie   der    Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  6.  Abhandlung 

Die  „grosse  Bilderhahdsehrift  von 
Wolframs  Willehalm" 


von 


Karl  v.  Ainira 


%\& 


Mit  2  Tafeln 


Vorgetragen  am  13,  Oktober  1917 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franz'schen  Verlags  (J.  Roth) 


/ 

Sitzungsberichte 

der 

Königlich   Bayerischen   Akademie   der    Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  6.  Abhandlung 


Die  „grosse  Bilderhandsehrift  von 
Wolframs  Willehalm" 


von 


Karl  v.  Aniira 


Mil   1  Tafeln 


Vorgetragen  am    13.  Oktober    1917 


München  1917 
Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in   Kommission  des  G.   Franz'sclien  Verlags  (J.  Roth) 


Vor  14  Jahren  suchte  ich  in  einer  Abhandlung  (Sitzgsber. 
1903  S.  213—240)  den  Beweis  zu  führen,  daß  von  Wolframs 
v.  Eschenbach  Heldengedicht  Willehalm  im  dritten  Viertel  des 
13.  Jahrhunderts  eine  Handschrift  gefertigt  wurde,  die  den 
umfangreichen  Text  in  derselben  Weise  mit  kolorierten  Feder- 
Zeichnungen  begleitete,  wie  seit  dem  ausgehenden  13.  Jahr- 
hundert die  Sachsenspiegel-Illustration  den  Text  des  sächsi- 
schen Land-  und  Lehenrechts.  Ich  nannte  jene  Handschrift 
die  „große"  Bilderhs.  von  Wolframs  WTillehalm,  weil  sie  u.  a. 
durch  ihre  fortlaufende  Folge  von  ungefähr  1380  Bildern  sich 
von  allen  andern  illustrierten  Handschriften  des  Gedichts  un- 
terschied, die  nur  zu  verhältnismäßig  wenigen  Szenen  Bilder 
darbieten. 

Da  mit  nicht  abzuweisender  Wahrscheinlichkeit  die  Hei- 
mat jener  großartigen  Handschrift  im  östlichen  Mitteldeutsch- 
land zu  suchen  war,  so  stellte  sie  sich  noch  näher  zur  Illu- 
stration des  Sachsenspiegels,  als  deren  unmittelbare  kunst- 
geschichtliche Vorläuferin  sie  sich  erwies.  Diese  Bedeutung 
aber  muß  ihr  auch  in  unserer  Zeit  noch  zuerkannt  werden, 
obgleich  nur  wenige  Bruchstücke  von  ihr  auf  die  Gegenwart 
gekommen  sind.  Dabei  bringe  ich  noch  nicht  einmal  den 
literar-  und  kulturgeschichtlichen  Wert  in  Anschlag,  den  sie 
als  Zeugnis  für  die  lebhafte  Anteilnahme  der  höfischen  Kreise 
des  Hochmittelalters  am  Stoff  gerade  dieses  Gedichtes  besitzt, 
einem  Stoff,  der  ja  den  heutigen  Leser  wohl  immer  kalt  lassen 
und  ermüden  wird. 

Unter  deD  Bruchstücken,  die  mir  im  Jahre  1903  zur  Re- 
konstruktion des  zerstörten  Werkes  dienten,  befanden  sich  auch 

1* 


4  (1.  Abhandlung:  Carl  v.  Amira 

2  Pergamentblätter,  die  im  Jahre  1^40  von  Karl  Roth  sum- 
marisch beschrieben  worden  waren.  Auch  ihren  Text  hatte 
dieser  Gelehrte  damals  veröffentlicht.  Bezüglich  ihrer  Her- 
kunft war  aus  Roths  Angaben  nur  zu  entnehmen,  daß  sie  ihm 
„aus  Sachsen"  zugekommen  seien.  Von  jener  Zeit  an  waren 
sie  jedoch  wieder  aus  dem  Gesichtskreis  der  gelehrten  Welt 
verschwunden,  und  selbst  öffentliche  Nachfragen  meinerseits 
hatten  sich  als  ungenügend  erwiesen  um  auf  ihre  Spur  zu 
führen.  Da  erschien  im  Jahre  1909  ein  neuer  Band  des  In- 
ventarisationswerkes  über  die  thüringischen  Kunstdenkmäler: 
Bau-  und  Kunstdenkmäler  Thüringens  Heft  XXXIV  {Utk.  Sachsen- 
Meiningen  I  1,  Kreis  Meiningen  herausg.  von  Voß),  worin  auf 
S.  257 — 259  in  verkleinerten  Umrissen  Proben  von  Bildern  aus 
Handschriftfragmenten  im  Besitz  des  „hennebergischen  alter- 
tumsforschenden Vereins"  (zu  Meiningen)  mitgeteilt  waren.  Auf 
den  ersten  Blick  war  mir  klar,  daß  diese  Zeichnungen  in  aller- 
nächster Verwandtschaft  zu  den  Bildern  der  großen  Willehalm- 
Hs.  standen.  Die  Direktion  der  hiesigen  K.  Hof-  und  Staats- 
bibliothek vermittelte  die  leihweise  Übersendung  der  Blätter 
nach  München,  und  es  ergab  sich,  daß  es  sich  um  Bruchstücke 
nicht  einer  Hs.  von  Ulrichs  von  Türheim  , Willehalm',  wie 
eine  Notiz  in  den  angeführten  Bau-  und  Kunstdenkmälern  S.  256 
gemeint  hatte,  sondern  der  „großen  Bilderhs."  von  Wolframs 
Willehalm  und  zwar  vor  allem  um  die  schon  verloren  geglaubten 
Rothschen  Bruchstücke  handelte.  Bald  nachher  gelang  es  dem 
Direktor  unserer  Staatsbibliothek,  Herrn  Dr.  H.  Schnorr  v. 
Carolsfeld  die  sämtlichen  Meininger  Blätter  für  die  ihm  unter- 
stellte Anstalt  zu  erwerben.  Da  auch  seine  Bemühungen  um 
den  seinerzeit  von  mir  a.  a.  0.  214  ff.  beschriebenen  Heidel- 
berger Pergamentbogen  (H)  von  Erfolg  gekrönt  wurden,  so  sind 
jetzt  mit  Ausnahme  der  beiden  im  Germanischen  Museum  zu 
Nürnberg  befindlichen  Pergamentstreifen  (a.  a.  0.  S.  223  f.)  alle 
bekannten  Bruchstücke  der  großen  Willehalm-Hs.  hier  in  Mün- 


o 


chen  als  Cgm.  193  III  vereinigt.  Denn  andere  waren  selbst 
dann  nicht  mehr  zu  ermitteln,  als  ich  aus  Anlaß  des  Plans  zu 
einer    Ausgabe    der    Bruckstücke    eine    Umfrage    an    mehr    als 


Die  „große  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalui*.  5 


DO 


50  Bibliotheken  und  Archive  ergehen  ließ,  worin  man  allen- 
falls ein  derartiges  Stück  vermuten  konnte.  Es  waren  dabei 
hauptsächlich  die  in  Mitteldeutschland  und  seinem  Umkreis 
gelegenen  in  Betracht  gekommen,  nicht  nur  weil  die  Heimat 
der  Hs.  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  mitteldeutsch  gewesen 
war,  sondern  auch  weil  die  nachweisbaren  Wege  aller  vorhan- 
denen Bruchstücke  nach  Mitteldeutschland  zurück  führten. 

Was  nun  zunächst  die  Rothschen  Fragmente  betrifft,  so 
besteht  das  eine  (ehemals  Mein.  Nr.  548)  aus  einem  ganzen 
Blatt  von  30,2  cm  Höhe  und  22,7  cm  Breite,  das  andere  (ehe- 
mals Mein.  Nr.  550)  aus  der  Längshälfte  eines  Blattes,  von 
jetzt  noch  30  cm  Höhe  und  13,6  cm  Breite  mit  vollständig  er- 
haltenem Text  und  innerer  Hälfte  der  Bilderkolumne.  Jede 
Textkolumne  umfaßt  genau  wie  auf  den  älteren  Münchener 
Bruchstücken  (M)  und  auf  H  30  Zeilen.  Damit  dürfte  wohl 
die  durchgehende  Einteilung  des  Kodex  festgestellt  sein.  Sie 
wiederholte  diejenige,  die  schon  San  Marte  für  die  Urhs.  des 
Dichters  angenommen  hat  und  die  auch  im  Parzival  durch- 
geführt ist,  die  rein  graphische  Einteilung,  die  Lachmann 
dazu  verleitet  hat,  „Strophen"  von  15  Reimpaaren  anzunehmen, 
die  aber  allerdings  einem  Nachahmer  Wolframs,  Ulrich  von 
dem  Türlin  den  Anstoß  dazu  gab,  für  sein  Epos  eine  wirk- 
liche Strophe  von  31  Versen  mit  schließendem  Dreireim  zu 
bilden.  In  unserer  Bilderhs.  freilich  sind  aus  den  dreißigzei- 
ligen  Kolumnen  der  Urhs.  Textabschnitte  von  bald  30,  bald 
weniger  als  30  Zeilen  geworden,  die  sich  zwar  noch  mit  far- 
bigen (rot  und  blau  wechselnden  und  vom  Schreiber  dem  Mi- 
niator  anbefohlenen)  Initialen  einführen,  aber  nicht  mehr  mit 
den  Kolumnen,  sondern  innerhalb  dieser  beginnen  und  schließen. 
Die  Ursache  hievon  lag  darin,  daß  der  Schreiber  zuweilen 
Verse  ausgelassen,  öfter  aber  mehr  als  einen  Vers  auf  eine 
Zeile  gebracht  hat. 

Gelesen  hat  Roth  den  Text  seiner  Bruchstücke  überall 
richtig.  Von  ihrer  Schreibweise  jedoch  gibt  sein  Abdruck  kein 
genaues  Bild.  Er  hat  sämtliche  Abkürzungen  aufgelöst  und 
eine  moderne  Interpunktion  durchgeführt.    Die  Bruchstücke  von 


<>  0.  Abhandlung:  Karl  v.   Ainira. 


B  ' 


Meiningei)  kennen  keine  anderen  Unterscheidungszeichen  als 
einen  Punkt  nach  jedem  Reim.  Sie  stimmen  in  dieser  Hin- 
sicht wie  auch  in  der  sonstigen  Schreibweise  und  in  der  Li- 
neatur mit  M  und  H  vollkommen  überein,  wie  denn  auch  dort 
und  hier  die  gleiche  Hand  die  Feder  geführt  hat. 

Die  Rothschen  Fragmente  sind  nicht  die  einzigen,  die  in 
Meiningen  von  der  „großen"  Bilderhs.  zum  Vorschein  kamen. 
Außer  einem  kleinen  Stück  von  der  äußeren,  nur  mit  Bildern 
bedeckten  Hälfte  eines  Blattes  (Mein.  549),  das  uns  ob  seiner 
Rätselhaftigkeit  noch  besonders  beschäftigen  muß,  fand  sich 
ein  ebenfalls  textloser  Streifen  eines  andern  Blattes  (Mein.  551), 
wo  von  den  Malereien  immerhin  noch  so  viel  erhalten  ist,  daß 
sich  mit  Sicherheit  die  .Textstellen  angeben  lassen,  zu  denen 
sie  gehören,  ein  Streifen  also,  der  insoferne  wie  die  Nürnberger 
Bruchstücke  (N)  zu  bewerten  ist.  Damit  wenden  wir  uns  der 
Illustration  zu. 

Auch  von  ihr  gilt  im  wesentlichen  die  Charakteristik,  die 
ich  seinerzeit  von  den  Malereien  in  M,  H  und  N  entworfen 
habe  (a.  a.  0.  220).  Auch  hier  die  in  der  Luft  stehenden 
untersetzten  Figuren  mit  den  großen  Köpfen  und  Händen,  den 
schematisch  gezeichneten  breiten  und  ausdruckslosen  Gesichtern, 
deren  Farbe  nur  durch  Mennigflecken  an  Wangen  und  Mund 
und  Mennigstriche  über  der  Stirn  angedeutet  ist,  die  steilen 
Nasen,  die  aufgerissenen  Augen  unter  wagrechten  Brauen,  die 
gelb  angetuschten  Haare,  die  bei  Männern  über  der  Stirn  in 
fünf  Fransen  liegen  und  nach  den  Seiten  in  S-förmigen  Wellen 
abfließen,  das  stereotype  Gewandmotiv  wie  z.  B.  des  über  dem 
Oberschenkel  des  Spielbeins  glatt  anliegenden  und  in  Parallel- 
falten über  den  Unterschenkel  fallenden  Rockes  oder  der  über 
den  einen  Arm  drapierten  Mantelhälfte,  die  reine  Lokalfarbe 
an  allen  Kleidern,  die  ausgesparten  Glanzlichter  der  Ketten- 
rüstungen, die  derben  schwarzen  Linien,  welche  die  Gestalten 
umziehen,  die  weiß  gelassenen  Hintergründe.  Keine  sichern 
Merkmale  liegen  vor,  die  nötigen  würden,  eine  Mehrzahl  von 
Zeichnern  an  der  Illustration  anzunehmen,  wiewohl  in  Mein.  550 
und  551    ähnlich    wie    in  N    die  Zeichnung   stellenweise    noch 


Die  „erofie  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm". 


»ft> 


handwerksmäßiger  ist  als  in  Mein.  948.  Immerhin  werden  wir 
Merkmale  kennen  lernen,  die  Schlüsse  auf  Verschiedenheit  von 
Zeichner  und  Maler,  ja  sogar  auf  eine  Mehrzahl  von  Zeichnern 
und  Malern  nahelegen.  Die  Anordnung  der  Bilder  ist  auf  den 
neu  gefundenen  Blättern  die  nämliche  wie  auf  den  früher  be- 
kannten. Jede  Seite  enthält  neben  der  inneren  für  den  Text 
bestimmten  Kolumne  eine  äußere,  wo  übereinander  3  kolorierte 
Federzeichnungen  stehen.  Diese  nehmen,  wo  sie  vollständig 
erhalten  sind  (in  Mein.  548),  ebenso  wie  in  H  der  Breite  nach 
einen  doppelt  oder  doch  beinahe  doppelt  so  großen  Kaum  in 
Anspruch  wie  die  Schriftkolumne.  Dieser  Kaum  war  ihnen, 
wie  die  senkrechte  Grenzlinie  der  Schriftkolumne  zeigt,  schon 
vom  Schreiber  vorbehalten.  Wiederum  treffen  wir  auch  in  ge- 
wissen von  Bildern  eingenommenen  Flächen  jene  rot  und  blau 
wechselnden  Buchstaben,  die  auf  den  zugehörigen  Textabschnitt 
verweisen,  ganz  so  wie  in  M  und  H. 

Die  dargestellten  Szenen  sind  folgende: 

Das  vollständig  erhaltene  Blatt  Mein.  548  erzählt  auf  seiner 
Vorderseite1)  oben  den  Schluß  des  Gesprächs  zwischen  Wille- 
halm und  seiner  Mutter  Irmschart  über  die  Hilfe,  wozu  sich 
diese  gegen  die  Heiden  erbietet  (161  v.  20  ff.).  Beide  stehen, 
sie  rechts,  er  links2)  vor  (=  in)  einem  Palast,  den  ein  mit 
roten  Ziegeln  überdachter  und  mit  kleinen  schwarzen  Drei- 
pässen in  den  Zwickeln  verzierter  Bogen  andeutet.  Das  Ge- 
spräch wird  in  seinem  Verlauf  geschildert.  Mit  dem  linken 
Zeigefinger  weist  der  Markis  seitwärts  auf  einen  frei  schwe- 
benden  Helm,  unter  dem  über  Eck  sein  Schild  mit  dem  Gold- 
stern im  blauen  Feld  steht.  Denn  das  Angebot  der  alten  Frau, 
selber  bewaffnet  ausziehen  zu  wollen,  lehnt  er  mit  den  Worten 
ab:  der  heim  ist  iu  benennet  nicht  noch  ander  wäpen  noch  der 
schilt.  Die  von  ihr  verheißene  Beisteuer  in  Silber  und  Gold 
dagegen  läßt  er  sich  gefallen  und  von  ihr  geloben.  Dies  ge- 
schieht durch  Handreichung  und  zwar  nach  dem  Ritus,   wobei 

1)  Abgebildet  in  Bau-  u.  Kunstdenkm.   Thür.  a.  a.  0.  257. 

2)  Die  Worte  rechts  und  links  sind  in  dieser  Abhandlung  stets 
im  heraldischen  Sinn  gemeint. 


8  6.  Abhandlung :  Karl   v.   Ainira 


r> 


die  Innenseiten  der  Hände  flach  aneinander  gelegt  werden, 
wie  ich  ihn  in  meiner  Abhandlung  über  die  Handgebärden  in 
den  Bilderhss.  des  Sachsenspiegels  (1905)  S.  239  f.  erörtert  habe. 
Gleichzeitig  deutet  Irmschart  unter  sehr  gewaltsamer  Verschrän- 
kung beider  Arme  mit  ihrem  linken  Zeigefinger  rückwärts  auf 
8  gelbe  Kreisflächen,  d.  h.  die  Goldmünzen,  von  denen  sie 
spricht. 

Im  nächsten  Bild  zeigt  ein  rotes  W  an,  daß  dieses  und 
die  beiden  folgenden  Bilder  zu  dem  Abschnitt  162  gehören, 
der  mit  den  Worten  Wolt  ir  nv  hören  beginnt.  Es  sind  sehr 
eigenartige  Kompositionen,  dergleichen  weder  in  M,  noch  in 
H,  noch  in  N  zu  finden  waren.  In  allen  dreien  steht  in  der 
Mitte  ein  Mann,  der  sich  durch  Beibehalten  seiner  Tracht  — 
schwarze  Beinkleider,  langen,  gegürteten  blauen  Rock  und 
gelben  Rittermantel  —  stets  als  eine  und  dieselbe  Person  kenn- 
zeichnet. Mit  beiden  Zeigefingern  deutet  er  gleichzeitig  nach 
rechts  und  nach  links.  Links  steht  jedesmal  Willehalm,  dem 
sich  jener  auch  zuwendet.  Rechts  wechseln  die  Personen.  Kein 
Zweifel,  daß  wir  in  dem  Träger  des  blauen  Rockes  und  des 
gelben  Mantels  den  Dichter  vorgestellt  bekommen.  Sein  Auf- 
treten ist,  wie  sich  später  noch  bestätigen  wird,  durch  eine 
subjektive  Wendung  des  Gedichtes  veranlaßt,  wie  gleich  in 
Nr.  1  dieser  Bildergruppe,  wo  er  die  Hörer  anredet  und  im 
Fortgang  seiner  Rede  auffordert  nu  prubet  ouch  usw.  Mit  dem 
rechten  Zeigefinger  weist  er  nach  links  auf  Willehalm,  der  hier 
aufgerichtet  und  seine  rechte  Hand  auf  die  Brust  legend  da- 
steht; denn  dem  markise  nachte  vrowede  vnt  hoher  mM.  Mit 
dem  linken  Zeigefinger  deutet  Wolfram  unter  dem  rechten  Arm 
den  linken  durchsteckend  nach  rechts,  wo  man  div  romische 
koninginne  sieht,  von  der  uns  der  Dichter  erzählt,  wie  sie  ir 
Up  vnt  ir  gut  vnt  ir  gvnst  mit  hercen  sinne  .  .  .  mit  truwen  gap 
in  sin  gebot.  Zu  ihren  Füßen  aber  liegen  ausgestreckt  die 
Leichen  von  zwei  Männern  in  Kettenrüstungen  und  Waffen- 
röcken, eine  sogar  mit  einer  blutenden  Wunde,  weil  die  Hörer 
erwägen  sollen  den  grozen  mort,  der  uf  Alytscanz  gescach.  In 
Nr.  2  dagegen  erhebt  sich  rechts  auf  grünem  Bergesrücken  ein 


Die  „große  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalin".  9 

befestigtes  Gebäude,  das  uns  von  N  und  H  her  wohl  bekannt 
ist.  Es  ist  die  Burg  von  Orange.  Und  wie  in  N  und  H  so 
erblickt  man  auch  hier  wieder  unter  dem  Fensterbogen  über 
den  Mauerzinnen  eine  gekrönte  Frau  in  derselben  Tracht  wie 
in  H,  Kyburc.  Auf  sie  deutet  der  Dichter  mit  seiner  rechten 
Hand,  weil  er  dem  Hörer  zu  bedenken  gibt,  wie  sie  nach  der 
Unglücksschlacht  auf  Alischanz  in  dem  vorchtlich  vngemach  ge- 
blieben und  wie  sie  Willehalms  liebste  pfant  gewesen  sei.  Der 
Markis,  zur  Rechten  Wolframs,  erhebt  diesmal  seine  rechte  Hand 
zu  dem  traditionellen  Trauergestus, :)  weil  nach  ir  im  sin 
vrowde  swant.  Auch  das  Aß  (esse),  das  im  nieman  übergeben 
Jcunte  in  also  geivantem  sil,  hat  der  Illustrator  nicht  vergessen. 
Er  hat  es  zwischen  die  Burg  und  die  Figur  Wolframs  in  Ge- 
stalt eines  einäugigen  Würfels  hingezeichnet.  Nr.  3  (das  erste 
Bild  auf  Mein.  548  v)  wiederholt  den  Willehalm  in  der  näm- 
lichen Trauerhaltung  wie  Nr.  2,  weil  auch  hier  noch  miten  in 
sinem  hereen  lac  gruntveste  der  sorgen  fvndamint.  Rechts  vom 
Dichter  sieht  man  einen  am  Spitzhut  kenntlichen  Juden  und 
einen  hinter  diesem  stehenden  Mann  in  konischer  Mütze,  der 
den  im  Text  erwähnten  „Heiden  und  Publikan"  repräsentiert.2) 
Beide  weisen  mit  der  rechten  Hand  auf  den  ihnen  gegenüber- 
stehenden Willehalm  als  auf  den  Gegenstand  ihres  Mitleids, 
das  sie  durch  den  Trauergestus  ihrer  linken  Hand  kundgeben. 
Der  Dichter  deutet  auf  sie  mit  seiner  rechten  Hand,  weil  er 
findet:  iz  mochte  irbarmen  alle  de  sint  des  waren  gelouben  ane, 
Juden,  heiden,  publicane. 

Zu  einer  neuen  Bildergruppe  hinüber,  von  der  wir  jedoch 
nur  die  ersten  Glieder  besitzen,  leitet  ein  blaues  M,  anzeigend, 
daß  sie  den  Textabschnitt  163  veranschaulichen  will,  der  mit 
dem  Vers  Mich  mvte  ouch  sin  Jcvmber  anhebt.  Die  subjektive 
Fassung  der  Eingangssätze  veranlaßt  das  erneute  Erscheinen 
Wolframs  in  der  Mitte  von  Nr.  1.    Wie  in  den  beiden  voraus- 


')  Hierüber  s.  Handgebärden  S.  234. 

2j  Wen  der  Dichter  mit  dem  Wort  publikäne  meinte,  mag  hier 
dahingestellt  bleiben.  Der  Illustrator  nahm  es  jedenfalls  für  synonym 
mit  heiden  gemäß  Matth.  XVIII  17:  ethnicus  et  publicanus. 


I"  6.  Abhandlung:   Karl  v.  Arnim 

gegangenen  Szenen   deutet  er  mit  dem  linken  Zeigefinger  auf 

den  links  von  ihm  in  der  bisherigen  Trauerhaltung  stehenden 
Markis,  mit  dem  rechten  auf  eine  rechts  von  ihm  stehende 
weibliche  Gestalt  in  grünem  Unter-  und  gelbem  Obergewrind, 
wehendem  Schleier  und  mit  Trauergebärde.  Sie  erscheint  in 
gleicher  Tracht  im  nächsten  Bilde,  avo  wir  in  ihr  die  Kaiserin 
zu  erkennen  haben.  Sie  erscheint  aber  auch  schon  hier,  um 
anzuzeigen,  weswegen  der  Dichter  den  Willehalm  im  neben- 
stehenden Text  entschuldigen  will,  nämlich  wegen  der  Miß- 
handlung, die  dieser  an  der  Kaiserin,  seiner  Schwester,  be- 
gangen. Als  Entschuldigungsgründe  führt  er  an  minne  vnt 
andre  not,  mage  vnt  manne  tot.  Darum  schwebt  über  Wille- 
halm, ihm  zugewandt,  das  gekrönte  Haupt  einer  Frau,  der 
Kyburg,  das  Symbol  seiner  „Minne",  und  richtet  er  seine  Blicke 
auf  das  ihm  gegenüberliegende  und  uns  schon  von  der  Vorder- 
seite her  bekannte  Leichenpaar,  seine  Magen  und  Mannen.  Die 
nunmehr  folgende  Szene1)  spielt  sich  ab  zwischen  der  Königin 
und  ihrer  Tochter  Alize.  Links  sieht  man  die  arg  verzeichnete 
Kemenate,  worin  die  Königin  steht.  Sie  hält  mit  der  linken 
Hand  den  vor  die  Tür  geschobenen  balkenartigen  Riegel2)  fest, 
da  sie  die  Tochter  nicht  einlassen  wollte  und  aus  Furcht  vor 
dem  Übeln  Nachbar  Willehalm  nine  ivolte  den  reget  abe  stiegen. 
Den  rechten  Zeigefinger  erhebt  sie  gegen  die  von  rechts  heran- 
tretende Tochter  im  sog.  Befehlsgestus 3)  zu  den  Worten  tochtcr 
hüte  daz  mir  din  vride  icht  verscherte  mine  lide.  Alize,  die  mit 
der  linken  Hand  den  Türring  ergriffen  hat,  gestikuliert  mit  der 
rechten  in  derselben  Weise,  indem  sie  die  Mutter  tröstet:  mir 
stet  hie  bi  Scherirs  und  Buov  von  Komarzi  usw.  Die  Worte 
stehen  nicht  mehr  auf  dieser  Seite.  Aber  die  beiden  Ritter 
die  auch  nach  160  v.  18  f.  die  Königstochter  begleiteten,  er- 
scheinen hinter  ihr. 

Auf  dem  zweiten  der  Rothschen  Bruchstücke,  Mein.  550, 


1)  Abgeb.  in  Bau-  u.  Kunstdenk))).  Thür.  a.  a.  0.  259. 

2)  Über  diesen   vgl.  M.  Heyne,  Fünf  Bücher  deutsch.  Haus-Alter- 
tümer I  231. 

3)  Hierüber  s.  Handgebärden  ö.  212    216. 


Die   .große  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm".  H 


»o 


sind  nur  die  kleineren  Hälften  der  Illustrationen  erhalten  und 
zwar  auf  der  Vorderseite  die  rechte,  auf  der  Rückseite  die 
linke.  Die  drei  Bilder  der  Vorderseite  scheinen  sämtlich  zum 
Abschnitt  210  des  Textes  zu  gehören,  dessen  erste  8  Verse 
noch  auf  dem  vorausgehenden  Blatt  gestanden  waren.  Diesen 
8  Versen  ist  Nr.  1  der  Bildergruppe  gewidmet.  Erhalten  ist 
noch  ein  Stück  des  Kissenthrons,  worauf  Kaiser  Ludwig  saß. 
Erhalten  ist  ferner  seine  linke  Hand,  womit  er  drei  große  Geld- 
stücke nach  rechts  hin  reicht.  Dort  stehen  zwei  Männer,  denen 
sie  zugedacht  sind,  und  die  schon  zwei  solcher  Geldstücke  in 
Empfang  genommen  haben.  So  wird  der  Inhalt  der  Verse  4 
und  5  veranschaulicht:  sins  [des  Kaisers]  soldes  wart  da  vil 
genomen  und  wüleclich  von  im  gegeben.  Nr.  2  zeigte,  wie  er 
sprach  sunder  zo  den  vurstcn.  Diese  sind  ihrem  Rang  gemäß 
im  Gegensatz  zu  obigen  Soldempfängern  sitzend  dargestellt, 
drei  in  Röcken  und  unbedeckten  Hauptes,  einer  an  der  Spitze 
der  Gruppe  im  Mantel  und  mit  der  Grafenmütze  auf  dem 
Haupte.  Sein  Bart  macht  ihn  als  alten  Mann  kenntlich.  Es 
ist  Willehalms  Vater  Heimerich.  Nr.  3  endlich  führt  wieder 
rechts  eine  Gruppe  von  stehenden  Rittern  vor,  diesmal  mit  der 
auch  in  N  vorkommenden  Gebärde  der  Ehrerbietung,  den  kreuz- 
weis herabhängenden  Händen  mit  einwärts  gekehrten  Innen- 
flächen.1) Es  sind  wohl  Hörer  des  letzten  Teils  der  kaiser- 
lichen Rede,  die  den  Rest  des  cap.  210  füllt.  Die  Kehrseite 
des  Blattes  bringt  zwei  Bilder  zu  211  v.  18  ff.  des  Textes.  Im 
ersten  sind  noch  ein  paar  Stücke  von  der  linken  Seite  des 
thronenden  Kaisers  erhalten,  der  sich  mit  Befehlsgebärde  zu 
einer  Gruppe  von  drei  zu  seiner  Linken  stehenden  Männern 
wendet.  Der  vorderste  von  diesen  schultert  mit  der  linken 
Hand  einen  schlichten  weißen  Stab.  Wir  erkennen  in  den 
Dreien  den  marscalc  vnt  [die]  amptlivte,  zu  denen  der  Kaiser 
spricht :  Ich  beuelhe  iv  allen  hivte  den  markis  an  mine  stob,  der 
mich  durc  kvmher  helfe  bat.    Dem  Kaiser  schließt  sich  in  v.  23  ff. 


l)  Darüber  a.  Handgebärden  S.  232  f.  und  vgl.  Medebach  Stat.  (um 
1350)  §  13  (bei  Gengier,  Stadtrechte  287):  manibus  ante  se  compositis 
soll  man  Urteil  schelten. 


1-  6.  Abhandlung:   Karl   v.  Amira 

seine  Gattin  an:  da  sprach  div  kvninyinne:  yan  mir  yot  der  sinne, 
swer  minem  brttder  Jiir  yestet,  sivaz  den  imber  ane  yet  mit  kvm- 
berlicher  tete,  min  herce  yit  de  rete  usw.  Daher  steht  im  näch- 
sten Bild  links  neben  dem  sitzenden  Kaiser  die  Kaiserin  mit 
einer  entschieden  nach  rechts  hin  zeigenden  Gebärde,  deren 
Ziel  freilich  dem  das  Blatt  zerschneidenden  Buchbinder  zum 
Opfer  gefallen  ist.  Unmittelbar  unter  dem  rechten  Fuß  des 
Kaisers  hat  der  Zeichner  dem  Maler  mittels  eines  D  den  Buch- 
staben angegeben,  der  größer  in  Mennig  ausgeführt  den  Zu- 
sammenhang der  am  Fuß  der  Kolumne  beginnenden  neuen 
Bildergruppe  mit  dem  Textabschnitt  212  (Daz  zv  mulleun  was 
geswom  usw.)  herstellen  sollte.  Der  ausgeführte  Buchstabe 
selbst  ist  mit  der  größeren  Hälfte  des  Bildes  weggeschnitten. 
Wir  gewinnen  hier  den  oben  S.  7  angedeuteten  Anhaltspunkt, 
wo  eine  Verschiedenheit  zwischen  Zeichner  und  Maler  wahr- 
scheinlich wird.  Die  neue  Bildergruppe  begann  mit  einer  Dar- 
stellung, die  sich  über  den  Text  mindestens  bis  zu  Vers  13 
erstreckte.  Erhalten  ist  vom  figuralen  Teil  nur  noch  die  linke 
Hälfte  mit  dem  sitzenden  Kaiserpaar.  Jetzt  aber  ist  es  wieder 
der  Kaiser,  der  das  Wort  führt.  Mit  Befehlsgebärde  wendet 
er  sich  nach  rechts  hin,  wo  wir  uns  eine  Gruppe  von  Rittern 
zu  denken  haben.  Von  einer  dieser  Figuren  ist  noch  ein  Stück 
sichtbar.  Am  Fuß  der  Textkolumne  setzt  sich  jedoch  die  Zeich- 
nung fort.  Man  sieht  dort  eine  Korngarbe,  weil  der  marseale 
solte  vfder  yeben.  Man  sieht  einen  Holzkübel,  weil  de  des  trin- 
Jces  wolten  leben,  de  solten  zv  den  schenken  gen,  —  ferner  einen 
Kessel,  weil  so  solte  der  trukzeze  sten  bi  dem  kizzele,  —  end- 
lich ein  Schwert  und  vier  Geldstücke  darüber,  weil  der  kenie- 
rere  solte  machen  quit  de  pfant  den  is  ivere  not. 

Das  zweite  Glied  der  Bildergruppe  zu  Abschnitt  212, *) 
womit  diese  zugleich  abschließt,  eröffnet  die  Vorderseite  des 
neugefundenen  Pergamentstreifens  Mein.  551,  der  keinen  Text, 
sondern  nur  Bilderkolumnen  überliefert.  Ein  Versehen  des 
Schreibers  scheint  bei  Vers  17  (der  kiinec  yap  selbe  sriches  vanen 


')  Abgeb.  in  Bau-  u,  Kuustdenkm .  Thür.  a.  a.  0.  S.  258. 


Die  „ große  Bilderhandschrift  von    Wolframs  Willehalm".  1» 

dem  markis  und  hies  in  manen  usw.)  die  Annahme  eines  neuen 
Abschnittes  verursacht  zu  haben.    Denn  oben  im  Bilde  hat  der 
Maler  die  blaue  Initiale  D  angebracht,  die  der  Textanfang  zitiert. 
Links  thront  das  Kaiserpaar  wie  oben,  der  Kaiser  mit  der  linken 
Hand  dem  vor  ihm  knienden  Willehalm  die  Reichsfahne  über- 
reichend,   die  rechte  zum  Befehlsgestus  erhebend,    wie   es   der 
Text  verlangt.    Da  er  aber  auch  die  nidern  und  die  obern  an- 
redet :  ir  stntet  berge  oder  tat,  Sit  gemeint  um  sruofes  [des  Kriegs- 
rufes Monschoie]  schal,  so  stehen  hinter  dem  knienden  Wille- 
halm,   dem  König   gegenüber    2  Gewappnete  mit  der  Gebärde 
der  Ehrerbietung  (s.  oben  S.  11).     Die  rote  Initiale  A  über  der 
nächsten  Komposition  leitet  eine  Bildergruppe  zum  213.  Text- 
abschnitt ein,  sei  es,  daß  der  Schreiber  diesen  schon  beim  Vers 
also  gein  Oransche  erbot  beginnen  ließ,  sei  es,  daß  in  dem  ver- 
lorenen Text  der  erste  Vers  nicht  wie  in  der  Vulgata  mit  dem 
Wort   die,   sondern  mit  einem  mit  a   anlautenden  Wort  (etwa 
alle)  begann.     Es  spielen  sich   aber   in    dem    ersten  Glied    der 
Bildergruppe  2  Szenen  neben  einander  ab.     Die  erste,  rechts, 
ist  unvollständig  erhalten.    Man  sieht  nur  noch  die  sich  nach 
rechts  wendenden  Gestalten  von  3  Herren.    Ihr  Gegenüber  fehlt. 
Doch  steht  außer  Zweifel,  daß  geschildert  war,  wie  die  vürsten 
und  des  hüneges  man  nämen  urloup  von  dan  ze  varn  üf  die 
hervart.    Denn  die  Szene  in  der  linken  Bildhälfte  gehört  schon 
zu    den  unmittelbar   folgenden  Textworten :   nü  Jcom  der  junge 
Renneivart  .  .  .    mit  urloube  er  dannen  schief  von  dem  Mnege. 
Rennewart,  mit  seiner  schweren  Streitkeule  im  linken  Arm  und 
mit  dem  rechten  Zeigefinger  Aufmerksamkeit  heischend,   steht 
vor  dem  sitzenden  Kaiser,    der   ihn  mit  derselben  Gebärde  auf 
die  Heerfahrt   schickt.     Die    letzte    Darstellung    der    Kolumne 
bringt  wieder  die  unmittelbar   im  Text   folgende  Begebenheit, 
nämlich  wie  Rennewart  sich  auch  von  der  Kaiserin  verabschiedet. 
Diese    sitzt    im  Palast    und    deutet    schon    auf   die    neben    ihr 
sitzende  junge   hünegin,    die  im  weitern  Verlauf  die  besondere 
Aufmerksamkeit   des   Lesers   beansprucht   und    hier    schon    auf 
den  rechts  vor    den  Frauen    mit    geneigtem    Haupt    und    Ehr- 
furchtsgebärde stehenden  Rennewart  zeigt.     Hinter  den  Damen 


I  I  i).  AUiiindlung:   Karl  v.  Amira 

ist  noch  eine  Begleiterin  .sichtbar.  Und  nun  folgen  auf  der 
Kehrseite  des  Streifens  3  Bilder,  die  sämtlich  den  Abschied 
Rennwarts  von  Alize  schildern,  also  noch  zum  213.  Textabschnitt 
gehören,  sodaß  gegen  seine  sonstige  Gepflogenheit  der  Illustrator 
diesem  einen  Abschnitt  nicht  weniger  als  5  Kompositionen  widmet. 
In  allen  dreien  auf  der  Kolumne  b  steht  rechts  Rennewart  mit 
der  Gebärde  der  Ehrerbietung  vor  Alize.  Diese  sitzt  in  Nr.  1 l) 
gemäß  den  Textworten  under(2)  boumen  an  einem  gras.  Gras 
und  Klee  sieht  man  zu  ihren  Füßen.  Die  Haltung  des  jungen 
Mannes  ist  hier  noch  ganz  ruhig,  während  der  Redegestus, 
die  erhobene  rechte  Handfläche,2)  anzeigt,  daß  sie  spricht. 
Si  Hagete  sine  manege  not  usw.  In  Nr.  2  ist  Alize  aufgestanden 
und  die  beiden  legen  ihre  Wangen  aneinander,  weil  diu  maget 
stuont  üf;  der  Jens  geschach.  Links  ist  noch  die  vordere  Hälfte 
einer  männlichen  Gestalt  in  langem  blauem  Rock  erhalten,  die 
auf  das  angehende  Liebespaar  deutet.  Wir  gehen  schwerlich 
fehl,  wenn  wir  in  dieser  Figur  wieder  den  Dichter  vermuten 
(vgl.  oben  S.  8  f.).  Denn  im  Text  spricht  er  (v.  13  f.)  von  sich 
selbst:  wan  das  mirs  diu  ävenäure  saget,  des  meeres  weere  ich 
gar  versaget.  Er  muß  sich  also  wie  im  Text  dem  Leser,  so  im 
Bild  dem  Beschauer  persönlich  vorstellen.  Nr.  3  führt  dann 
die  Abschiedsszene  unter  den  Bäumen  zu  Ende.  Vor  Renne- 
wart, der  dem  Text  gemäß  ir  neic,  steht  Alize  die  rechte  Hand 
mit  aufgestreckten  3  ersten  Fingern  zum  Segensgestus3)  er- 
hebend, d.  h.  sie  entläßt  ihn  mit  dem  Segenswunsch  din  edel- 
Jceit  mac  dich  bewarn  und  an  die  stat  noch  bringen,  da  dich 
sorge  nicht  darf  twingen.  Links  hinter  der  Kaisertochter  ist 
noch  die  vordere  Hälfte  einer  weiblichen  Figur  in  rotem  Ge- 
wand erhalten,  die  sich  dem  sich  neigenden  Rennewart  zukehrt. 
Damit  begleitet  die  Illustration  den  Textabschnitt  bis  zu  seinem 
Schluß :  den  andern  vrouwen  wart  ouch  genigen,  gein  in  sin  ur- 
loup  niht  versteigen. 


1)  Abgeb.  in  Bau-  u.  Kunstdenkm.  Tliür.  a.  a.  0.  259. 

2)  S.  hierüber  Handgeliärden  S.  170  ff. 

3)  Hierüber  s.  Handgebärden  S.  202.     Vgl.  auch  die  Miniaturen  in 
der  Weingartener  Liederhs.  S.  25,  40,  60  (Lit.  Ver.  V  20,  47,  72). 


Die   .große  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm*.  15 

18  Kompositionen  aus  dem  zerstörten  großen  Werk  sind 
es  so,  die  wir  durch  die  Meininger  Funde  neu  kennen  gelernt 
haben  und  deren  Verhältnis  zu  Wolframs  Text  wir  mit  aller 
Sicherheit  feststellen  konnten.  Damit  finden  wir  uns  nun  aber 
auch  in  der  Lage,  den  Charakter  der  dort  vertretenen  Buch- 
malerei viel  vollständiger  zu  beurteilen,  als  dies  nach  den  früher 
bekannten  Überbleibseln  möglich  war.  Mit  aller  Deutlichkeit 
ist  jetzt  die  Aufgabe  erkennbar,  die  sie  sich  setzt,  und  der 
Plan,  wonach  sie  rücksichtslos  diese  Aufgabe  zu  erfüllen  sucht. 

Die  Absicht  des  Künstlers  ist  einzig  und  allein  auf  Ver- 
anschaulichung des  Textinhalts  fürs  Auge  gerichtet. 
Dekorative  Zwecke  sind  ihm  gänzlich  fremd.  Darum  einerseits 
die  ununterbrochene  Begleitung  des  Textes  mit  Bildern  auf 
neben  ihm  herlaufenden  Kolumnen,  anderseits  das  Fehlen  jeder 
künstlerischen  Begrenzung  des  Bildes  im  Raum.  Kein  Rahmen 
umschließt  die  einzelne  Szene,  und  folglich  haben  die  Gegen- 
stände keinen  eigenen  Hintergrund,  weder  Gold  noch  Farbe. 
Aus  dem  gleichen  Grund  kommt  es  niemals  auf  die  sichtbare 
Erscheinung  eines  Dinges  um  ihrer  selbstwillen  an.  Äußere 
Wahrscheinlichkeit  wird  geradezu  abgelehnt ;  nichts  darf  in  die 
Darstellung  hereingezogen  werden,  was  der  Text  nicht  wenigstens 
andeutet,  wie  z.  B.  die  Ortlichkeit.  Welchen  schlagenderen 
Beleg  dafür  gäbe  es  als  die  rückseitige  Kolumne  auf  Mein.  551, 
wo  der  Ort  der  Handlung  für  alle  3  Szenen  der  nämliche, 
aber  nur  in  der  ersten  der  Rasen  zu  sehen  ist,  auf  dem  Renne- 
wart die  Kaisertochter  antrifft,  in  den  beiden  folgenden  dagegen 
wie  sonst  immer  die  Personen  keinen  Boden  unter  den  Füßen 
haben.  Nur  die  erste  Szene  gehört  eben  zu  den  Textworten 
(213  v.  10),  die  von  dem  Rasen  sprechen  (vgl.  oben  S.  14). 
Und  wenn  nur  dort  Alize  sitzt,  während  sie  in  Nr.  2  und  3 
steht,  so  dürfte  zu  vermuten  sein,  daß  in  Vers  9  die  Hs.  eine 
von  der  gemeinen1)  abweichende  Lesart  hatte:  diu  junge  Minegin 
sunder  saz.  Jedenfalls  ist  die  Art  der  Blustration  schlechter- 
dings durch  den  Zweck  strengster  Wortinterpretation  bestimmt. 


l)  diu  junge  künegin  sunder  /ins. 


1"  6.  Abhandlung:  Karl  v.  Amini 

Der  Leser  soll,  wo  nur  immer  möglich,  die  Dinge  zu  Gesicht 
bekommen,  die  das  Wort  nennt,  den  Helm  und  den  Schild, 
die  der  alten  Irmschart  nicht  ziemen,  die  Geldmünzen,  die  sie 
ihrem  Sohn  verspricht,  und  den  Sold,  den  der  Kaiser  seinen 
Rittern  auszahlen,  und  das  Geld,  womit  er  ihre  Pfänder  aus- 
lösen läßt,  aber  auch  das  versetzte  Schwert,  das  ausgelöst  wird, 
die  gefallenen  Mannen,  deren  Verlust  Willehalms  Zorn  ent- 
schuldigen soll,  die  abwesende  zu  Orange  eingeschlossene  Gat- 
tin, an  die  er  denkt,  den  Juden  und  den  Heiden,  die  sich  seiner 
erbarmen  würden,  das  Aß,  das  ihm  niemand  zu  seinem  Spiel 
verschaffen  kann,  das  Futter,  dessen  sich  der  Marschall,  den 
Kessel,  dessen  sich  der  Truchseß,  und  den  Trunk,  dessen  sich 
der  Schenk  anzunehmen  hat.  Ganz  ebenso  bekommt  in  N 
und  H  der  Leser  nicht  nur  gezeigt,  daß  Kyburg,  Teramer,  Ty- 
bald  sprechen,  sondern  auch  dasjenige,  wovon  sie  sprechen: 
den  Stern,  dem  Gott  seinen  Lauf  bestimmte,  den  Fluß,  dessen 
Ursprung  er  geschaffen,  ja  sogar  den  Schöpfer  selbst;  der  aller 
dieser  Dinge  gewaltig  ist  und  dem  Kyburg  zu  dienen  erklärt, 
die  Heidengötter,  denen  sie  entsagt  hat,  weiterhin  die  Stamm- 
mutter Eva,  wie  sie  Kyburgs  Worten  gemäß  ihre  Scham  und 
ihre  Brust  verdeckte,  dann  die  von  Eva  verschuldete  Höllen- 
fahrt von  Adams  Geschlecht,  aber  auch  die  „Trinität",  welche 
die  Höllenpforte  erbrach,  die  Fesseln  und  Bande,  von  denen 
Kyburg  sich  rühmt  den  Willehalm  geledigt  zu  haben,  das 
Land  Todjerne,  das  sie  einst  zur  Heimsteuer  erhielt,  und  die 
Krone,  die  ihr  Vater  ihr  dort  aufsetzte,  aber  auch  die  Wide, 
womit  König  Tybald  sie  bedroht.  Eben  dieser  Wortinterpre- 
tation verdankt  es  der  Leser,  daß  er  die  persönliche  Bekannt- 
schaft des  Dichters  machen  darf,  der  wenigstens  in  den  Mei- 
ninger  Malereien,  sobald  er  von  sich  selbst  spricht,  auch  ab- 
gebildet wird.  Allerdings  wurde  diese  naiv  geistreichste  aller 
Erfindungen  nicht  an  allen  Stellen  verwertet,  wo  Anlaß  dazu 
gegeben  war,  z.  B.  nicht  in  H  bei  Abschnitt  237  v.  4 — 14, 
wo  Wolfram  seine  Kenntnis  des  Französischen  ironisiert,  auch 
nicht  in  M  bei  Abschnitt  389  v.  28  f.,  wo  er  sagt,  er  möchte 
den   Poidwiz  nicht  zum   Förster  eines  Waldes  bestellen.     Viel- 


Die  , große  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehahn".  17 

leicht  war  doch  eine  Mehrzahl  von  Illustratoren  an  dem  Werk 
beteiligt. 

Die  Mittel,  die  dem  Künstler  zu  seinen  Zwecken  dienen, 
sind  stets  die  einfachsten.    Er  kümmert  sich  nicht  um  gefällige 
Ausführung.     Darum    der  ärmliche  Farbenvorrat,    der  Mangel 
jeder  Modellierung.     Da  es  ihm  noch  viel  weniger  als   irgend 
einem  andern  Buchmaler  seiner  Zeit  darauf  ankommt,  die  Wirk- 
lichkeit   abzuspiegeln,    arbeitet    er    noch    viel    mehr    als   jeder 
andere   mit   der    Repräsentation    und    der   Abbreviatur.1)     Ein 
Bogen  mit  Dreipässen  in  den  Zwickeln  und  einem  Dach  darüber 
bedeutet  einen  Kaiserpalast.     Erhebt  sich  ein  noch  bescheide- 
nerer Bau  über  einer  Zinnenmauer,  die  auf  einer  grünen  Berg- 
kuppe steht,    so    ist  es    die  Burg  Gloriete  zu  Orange.     Kleine 
Kreisflächen,  gelblich  angetuscht,  stellen  Geldstücke  vor,    eine 
grüne  Ovalfläche  mit  einem  Turm  über  Mauerzinnen  darin  das 
ganze  Reich  Todjerne.2)     Ein  paar  Leichname  von  Bewaffneten 
vertreten  die  Menge  der  Toten  auf  dem  Schlachtfeld  vor  Orange 
und  wieder  die  Menge  der  Mannen,  die  Willehalm  in  der  ersten 
Schlacht  von  Alischanz  verloren.     Ein  Antlitz  kann  eine  ganze 
Figur  vertreten,  ja  der  Schild  eines  Ritters  diesen  selbst.    Nur 
bei  den  Schlachtenschilderungen    in   M   entsteht   der  Eindruck 
größerer  Ausführlichkeit,  weil  dort  so  viele  Menschen  und  Rosse 
zusammengedrängt  sind,  als  der  Raum  gestattete.    Der  Vorrat 
von  Ausdrucksbewegungen,    womit    die  Illustration    auskommt, 
beschränkt  sich  auf  die  eindringlichsten,  die  Gestikulation  und 
allenfalls  noch  die  Körperhaltung.    Aller  Mimik  wird  aus  dem 
Weg    gegangen.      Die    Handgebärden    gehen    nicht    über    die 
traditionellen    hinaus.     Aber   es  wird  von   ihnen    ausgiebigster 
Gebrauch   gemacht,    so  daß  oft  der  Anschein   entsteht,   als  ob 
eine  Person  gleichzeitig  nach  verschiedenen  Seiten  hin  gestiku- 
liere.    Dabei  wird  die  Größe  der  Hände   übertrieben  und   ge- 
waltsame Verschränkung  der  Arme  nicht  gescheut  (oben  S.  8). 
Die  Personen  werden    in    der  Regel  nur   durch    ihre  Kleidung 


')  Zum  folgenden   vgl.  auch  Sitzungsber.  1903  8.  228— 2:)2. 
-')  Sitzungsber.  1903  Taf.  1  nebst  8.  231,  232. 

.Sitzgsb.  d.  phüos.-pbilol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  6.  Abb.  2 


IS  6.  Abhandlung:   Karl  \.  Amira 

von  einander  unterschieden,  -  höchstens,  daß  vielleicht  Renne- 
uart ein  noch  breiteres  Gesicht  und  noch  glotzigere  Augen. 
Alize  eine  etwas  schlankere  Gestalt  bekommt  als  andere  Menschen, 
gemäß  den  Beschreibungen  in  cap.  270  v.  25 — 27,  154  v.  13, 
oder  daß  den  Juden  sein  Profil  von  den  Christenleuten  und 
von  den  Heiden,  den  alten  Mann  vom  jungen,  wie  üblich,  sein 
Bart1)  unterscheidet.  Sonst  spricht  sich  in  der  Gesichtsbildung 
nicht  einmal  der  Geschlechtsunterschied  aus.  Eher  unterschei- 
den sich  die  Frauen  von  den  Männern  durch  die  Länge  der 
Haare.  Mit  den  Kleidern  dagegen  wird  es  insofern  genau  ge- 
nommen, als  sie  bestimmt  sind,  einerseits  den  Unterschied  der 
Lebensstellung,  anderseits  die  Identität  der  Person  zu  bezeichnen. 
Darum  ist  es  Regel,  daß  jede  Person  stets  in  gleicher  Gewan- 
dung auftreten,  und  nur  dann  davon  abweichen  soll,  wenn 
besondere  Umstände  es  rechtfertigen.  Genügt  die  Tracht  nicht 
vollständig  ihrem  Zweck,  so  erhält  ihr  Träger  ein  Beizeichen, 
das  ihn  wie  ein  Leitmotiv  begleitet,  ohne  Rücksicht  auf  sinnen- 
fällige Wirksamkeit.  Wolframs  Tracht  wurde  oben  beschrieben. 
Willehalm  erscheint  gemeiniglich  in  Kettenrüstung  und  licht- 
o-rünem  Waffenrock,  das  Schwert  in  schwarzer  Scheide  (und 
allenfalls  am  weißen  Gürtel)  an  der  linken  Seite.  Aber  von 
andern  Rittern  in  Rüstung  unterscheidet  er  sich  durch  den 
goldenen  Stern,  der  über  seinem  Haupt  schwebt  und  im  blauen 
Feld  seines  Schildes  wiederkehrt.  Hat  er  aus  friedlichem  Anlaß 
die  Rüstung  abgelegt  (wie  in  H),  so  trägt  er  (über  schwarzen 
Beinlingen)  einen  blauen  Rock  mit  dem  goldenen  Stern  auf 
der  Brust.  Rennewart  begegnet  uns,  so  lang  er  nicht  in  den 
Kampf  gezogen,  in  schwarzen  Schuhen,  gelben  Beinkleidern 
und  kurzem  lichtgrünem  Rock.  Hält  er  die  berühmte  eisen- 
beschlagene Keule  nicht  im  Arm,  so  schwebt  sie  hinter  ihm. 
Auf  der  Heerfahrt  dagegen  trägt  er,  seitdem  ihn  Kyburg  ge- 
wappnet hat,  über  seinen  gelben  Beinkleidern  oder  über  Ketten- 
rüstung einen  roten  Waffenrock  und  einen  Eisenhut,  im  Kampf 
auch  die  Halsberge  über    den  Kopf  gezogen.     Der  Illustrator 


')  Bei  Heimerich  fordert,  dies  übrigens  der  Text  251   v.  10. 


Die  „große  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm ".  19 

hat  sich  auch  hier  an  seinen  Text  295  v.  1 — 11  und  296  v.  3 — 7 
gehalten.  Der  Kaiser  Ludwig  ist  außer  an  seiner  Krone  an 
der  ärmellosen  roten  Sukkenie  kenntlich,  die  er  über  einem 
blauen,  einmal  auch  gelben  Unterkleid  trägt;  der  alte  Heimerich 
außer  an  seinem  Bart  an  der  blauen  Grafenmütze  mit  gelben 
Spangen.  Meist  trägt  er  über  einem  gelben  Untergewand  eine 
rote  Sukkenie  und  gelben  Mantel.  Nur  beim  Gastmahl  zu 
Orange,  wo  er  wie  ein  Truchseß  in  Vertretung  des  Wirtes 
die  Plätze  anweist,  besteht  sein  Anzug  in  einem  langen  blauen 
Rock  mit  Ärmeln  und  einer  etwas  überhöhten  roten  Mütze. 
„Fürsten"  des  französischen  Reichs  kennt  man  an  einer  gugel- 
artigen  Bundmütze  mit  Schapel. *)  Die  Repräsentanten  der 
niedern  Ritterschaft  erscheinen  bei  Hof  in  einfarbigen  oder 
auch  in  zweifarbigen  Ärmelröcken,  der  Marschall  in  blau-weiß 
quergeteiltem  Rock.  Sein  und  der  anderen  Hofbeamten  eigent- 
liches Abzeichen  aber  ist,  wie  es  ja  auch  dem  Brauch  ent- 
spricht, der  Stab  in  seiner  Hand.  Die  Sarazenen  erscheinen 
gerüstet  im  allgemeinen  wie  die  christlichen  Ritter  auf  der 
Heerfahrt,  unterscheiden  sich  aber  von  diesen,  bei  denen  das 
Gesicht  unter  dem  Topfhelm  verschwindet,  durch  das  Hersenier 
und  den  darauf  gesetzten  altertümlicheren  Spitzhelm,  den  bei 
ihren  Königen  eine  Krone  umgibt.  In  H  und  N  führen  sie 
auch  noch  einen  Schild  von  älterer  Gestalt,  den  Dreieckschild 
mit  sphärischem  Oberrand,  während  beim  Schild  der  Franzosen 
der  Oberrand  geradlinig  läuft.  Erst  in  den  späteren  Teilen 
des  Kodex  (M)  ist  der  Unterschied  unter  den  Schilden  auf- 
gegeben, was  vielleicht  wieder  einem  Wechsel  des  Zeichners 
zugeschrieben  werden  darf.  So  wird  es  auch  von  einem  Wechsel 
des  Illuminators  herrühren,  wenn  in  M,  nicht  aber  schon  in 
H  und  N  der  sarazenische  Schild  im  Gegensatz  zum  fran- 
zösischen heraldisch  bemalt  ist.  Unter  den  Frauen  unter- 
scheiden sich  die  verheirateten  von  den  unverheirateten  in  der 
Regel  durch  das  Gebende.  Nur  hinter  der  verriegelten  Tür 
ihrer  Kemenate    hat    es    die  Kaiserin   mit  einem  weißen  Kopf- 


l)  S.  Sitzunf/sber.  1903  S.  229. 


20  6.  Abhandlung:  Karl  v.  Amira 

tuch  vertauscht,  wie  sie  dort  auch  den  blauen  Mantel  abgelegt 
hat,  der  sie  sonst  ebenso  wie  die  Krone  zu  kennzeichnen  pflegt. 
[rmschart  dagegen  trägt  über  blauem  Armelkleid  einen  gelben 
Mantel,  Kyburg  als  Verteidigerin  von  Orange  Kingpanzer  und 
gelben  Waffenrock,  wo  der  Text  (215  v.  7,  226  v.  29,  229  v.  26) 
sie  in  Waffenrüstung  verlangt,  dann  aber,  nachdem  sie  sich 
„entwaffnet"  hat'  (232  v.  13),  einen  roten  oder  auch  gelben 
Mantel  über  den  Schultern  und  später  beim  Gastmahl,  wo  sie 
ohne  Mantel  erscheinen  muß,  einen  gelben  Rock.  Bei  diesem 
Wechsel  der  Tracht  ist  für  Kyburg  um  so  wichtiger  die  Krone, 
die  sie  als  „Königin"  immer  trägt.  Vgl.  den  Text  in  228  v.  6, 
10,  12  und  in  232  v.  13.  Alize  tritt  stets  ohne  Mantel  auf 
in  gegürtetem  grünem  Ärmelkleid,  das  tief  zur  Erde  wallt 
und  so  ihren  Wuchs  noch  schlanker  macht.  Das  Ende  des 
Gürtels  hängt  tief  herunter.  Ihr  Haupt  umschließt  ein  schmaler 
Reif  mit  3  Kleeblättern  (Lilien?).  So  entspricht  ihre  Erschei- 
nung wenigstens  in  der  Hauptsache  der  Beschreibung  im  Text 
154,  155,  die  freilich  so  stark  ins  Einzelne  geht,  daß  der  Maler 
nicht  genau  folgen  konnte. 

Bei  allen  bisherigen  Erörterungen  spielte  noch  keine 
Rolle  das  kleinste  Stück  der  ehemals  Meininger  Fragmente, 
Mein.  549,  das  nur  oben  S.  6  kurz  erwähnt  wurde.  Es  ent- 
hält nur  Abschnitte  von  den  mittleren  und  unteren  Bildern 
zweier  Kolumnen  und  setzt  seiner  Einordnung  besondere 
Schwierigkeiten  entgegen,  weil  sich  beim  Mangel  des  Textes 
nicht  mit  einiger  Verläßigkeit  feststellen  läßt,  welche  Szenen 
dort  dargestellt  werden.  Auf  der  Vorderseite  (Taf.  I)  sind  von 
der  oberen  Komposition  nur  sehr  kümmerliche  Überbleibsel  zu 
sehen.  Am  sichersten  erkennt  man  die  Gestalt  des  Wolfram 
von  Eschenbach,  die  hier  zwar  des  Kopfes  entbehrt,  aber  im 
übrigen  die  gleiche  Tracht  und  Haltung  zeigt  wie  auf  den 
oben  S.  8  f.  besprochenen  Bildern  von  Mein.  548.  Der  Dichter 
nahm  die  Mitte  zwischen  zwei  Personen  ein,  auf  die  er  mit 
der  rechten  und  linken  Hand  deutete.  Links  stand,  wie  die 
noch  erhaltenen  Füße  beweisen,  ein  Mann  in  Kettenrüstung, 
wahrscheinlich  Willehalm,    rechts,    dem    Anschein    nach,    eine 


Die  „große  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalin".  21 

(vielleicht  weibliche)  Figur  in  langem  Mantel.   Aus  der  unteren 
Komposition  sind  vier  Figuren  erhalten,  die  sämtlich  sich  nach 
rechts  kehren  und  in  denen  wir  alte  Bekannte  begrüßen,  näm- 
lich von  rechts  nach  links  Willehalm,  die  Kaiserin,  den  Kaiser 
und  Willehalms    Mutter,   Irmschart.     Die    drei   letztgenannten 
verhalten  sich  schweigend,  während  Willehalm  den  linken  Zeige- 
finger aufstreckend   redet.     Auf  der  Kehrseite  (Taf.  II)  stehen 
in   beiden  Bildern  rechts   Alize   und   links   der  alte  Heimerich 
einander    gegenüber,    beidemal,    soweit   die    Reste   des   oberen 
Bildes  ersehen    lassen,    in   gleicher  Haltung  und  mit  gleichem 
Redegestus.1)     Aber   im    oberen  Bilde   kauert  zwischen    ihnen 
eine  knabenhafte  Gestalt,  rechts  nach  Alizen  aufschauend  und 
nur  in  einen  roten  Kittel  gekleidet,    der   die  Beine   bloß   läßt, 
und  an  den  Knien  anscheinend  blutig  verletzt.     Es  wäre  nun 
zwar    vielleicht  möglich    mit  mehr    oder    weniger    Zwang    zur 
einen    oder   andern    dieser   Darstellungen    einen   Text   in    dem 
uns  vorliegenden  Willehalm-Epos  Wolframs  ausfindig  zu  machen. 
Aber  außer  Stand  sehe  ich  mich  schon,  einen  Text  dort  nach- 
zuweisen,   wozu  jene  Bilder   in  so  naher  Aufeinanderfolge  ge- 
hören könnten,  und  außer  Stand  insbesondere  einen  Text  nach- 
zuweisen, der  ein  Gespräch  Heimerichs  mit  Alizen  in  Anwesen- 
heit eines  Knaben  oder  über  einen  Knaben  erzählt.    So  scheint 
mir  nichts  übrig  zu  bleiben  als  die  Annahme,   daß   die  große 
Bilderhs.  außer  dem  uns  bekannten  Gedicht  des  Wolfram  noch 
einen  weiteren  Text  enthielt,    der  ebenso  wie  dieses  illustriert 
war  und   zu    dem    das  vorliegende  Bruchstück   gehörte.     Übfer 
einen  solchen  Text  kann  man  zurzeit  eine  Vermutung  nur  mit 
äußerster  Vorsicht  wagen.     Ich  wenigstens  kenne  keinen,   der 
diese  Bilder   ausreichend    erklären    würde.     Nahe    läge  jedoch 
der  Gedanke  an  eine  Fortsetzung  des  Willehalm-Epos  die  etwa 
noch   die    nächsten    Ereignisse    nach   der   siegreichen   Schlacht 
auf  Alischanz   behandelte.     Eine   solche  Fortsetzung   brauchte 
ja  nicht  so  weitschweifig   gedacht  zu  werden    wie   die  Renne- 


l)  Das   untere    Bild   in    Umrissen    in    Bau-    u.   Kimstdenkm.    Thür. 
a.  a.  0.  259. 


--  6.  Abhandln!)«1-:   Karl  v.  Ainira 


B 


wart-Dichtung  des  Ulrich  von  Türheim.  Mit  einer  Illustration 
nach  Art  der  zu  Wolframs  Gedicht  wäre  das  Werk  nicht  mehr 
zu  bewältigen  gewesen.  Immerhin  könnten  gewisse  Motive, 
die  der  Türheimer  ausführt,  auch  in  einer  viel  kürzeren  Fort- 
setzung vorgekommen  sein,  so  insbesondere  die  mit  den  Schick- 
salen Rennewarts  bis  zu  seiner  Heirat  mit  Alize  zusammen- 
hängenden. Denn  zu  einer  solchen  Fortsetzung  drängte  das 
Wolframsche  Gedicht  schon  durch  den  Nachdruck,  den  es  auf 
die  Taten  Rennewarts  und  seinen  Liebesbund  mit  Alize  legt. 
Es  wäre  sogar  möglich,  daß  Wolfram  selbst  seiner  Erzählung 
noch  einen  Abschluß  gegeben  hätte,  der  nur  in  der  Urhs.  der 
erhaltenen  Willehalm-Hss.  fehlte.  Dafür  würden  auch  die  sog. 
„ Übergangs verse"  (467  v.  9 — 23)  sprechen,  womit  die  Wiener 
Hs.  2670  von  1320  den  Wolframschen  Willehalm  vor  der  Vor- 
rede zu  des  Türheimers  Fortsetzung  beendigt  und  die  in  der 
Tschudischen  Hs.  an  der  entsprechenden  Stelle  von  einer  be- 
sondern Hand  nachgetragen  sind.1).  Es  besteht  kein  triftiger 
Grund  zu  der  Annahme,  daß  diese  Verse  nicht  von  Wolfram 
selbst  herrühren.2)  Auch  die  hier  unterstellte  Fortsetzung 
würde  von  Wolfram  hergerührt  oder  doch  wenigstens  in  den 
Augen  des  Illustrators  als  von  ihm  herrührend  gegolten  haben, 
da  er  ihn  ja  auf  dem  vorliegenden  Blatt  auftreten  ließ,  folg- 
lich einen  Text  illustrierte,  worin  nach  seiner  Meinung  Wolf- 
ram von  sich  selbst  redete  oder  den  Hörer  anredete.  Mag  es 
sich  nun  aber  auch  mit  dem  Verfasser  der  Fortsetzung  so  oder 
so  verhalten,  es  würde  der  Rolle,  die  der  alte  Heimerich  bei 
Wolfram  spielt,  durchaus  entsprochen  haben,  wenn  er  sich  dort 
bei  Allzen  als  Werber  für  Rennewart  eingefunden  hätte,  so 
wie  er  es  bei  Ulrich  v.  Türheim  wirklich  tut.  Dort  treffen  wir 
ihn  in  dieser  Eigenschaft  im  Gespräch  mit  der  Kaisertochter3): 


*)  Lachmanns  Ausgabe  S.  XXXV.  Leitzmanns  Ausgabe  (Heft  V) 
S.  155. 

2)  S.  auch  H.  Paul  in  Beitr.  II  322. 

3)  Das  Folgende  auf  Grundlage  des  Münohener  Cg.  42  fol.  70  f.  83 
unter  Berücksichtigung  der  Wiener  Hs.  2670  fol.  168,  172  und  des  Cgrn. 
231  fol.  26,  31. 


Die  ,  große  Büderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm' 

Owe  chünde  nü  min  sin 
Gesayen,  wie  Alyse  ir  an 
emphie,  den  werden  man. 
Sie  begunde  gein  im  gahcn, 
mit  gruzc  in  suez  emphahen; 
alse  sie  von  rehte  scholde, 
Alyse  niht  enlazzen  wolde 
durch  sinen  pari  vil  grisen; 
des  chunde  sie  ir  art  wol  wisen. 
Sie  chust  in  suzze  an  den  munt 


23 


,Wol  mich,  daz  ie  frow  Irmenschart 

diner  muoter  muoter  ivart; 

du  pist  min  verch  und  min  pluot. 

Minem  herzen  daz  vil  sanfte  tuot, 

daz  ich  dich  sihe  also  schone; 

dine  schon  ich  höher  chrone, 

dan  waz  ich  schone  han  gesehen. 

ein  dinh  ich  fürbaz  werben  schol, 
darnach  ich  here  chomen  pin, 
froive  und  Alyse,  nü  gel  ir  hin, 
da  ir  schulet  ruowe  phlegen; 
Alyse,  gib  uns  dinen  segen, 
swaz  ich  diner  eren  iverbe 
daz  icht  der  gewerf t  verderbe.1 
,Daz  fueg  mir  got  der  wise1, 
sus  antivort  im  Alyse. 


Nü  chom  Heymrich  der  grise 
gegangen  zue  den  frawen  in. 
Er  sprach:  ,wizzet,  daz  ich  pin 
ewer  vater  und  dez  riches  man; 
von  recht  ich  ew  wol  eren  han. 
Barumbe  ich  her  zue  ew  gie' 


24  6.  Abhandlung:  Karl  v.  Amira 


,Sieh,  liebeiv  froice,  was  dort  stet, 
.  das  ist  benamen  der  minne  chint.' 
Er  sprach:  ,ir  froiven,  die  hie  sint, 
schowet  dort  iene  personc 
und  habt  ew  das  se  lene: 
welcher  muet  slner  minne  gert 
das  in  die  minne  des  gewert1  usw. 

Der  hier  vorgetragenen  Hypothese  gegenüber  würde  es 
nichts  verschlagen,  wenn  wir  sie  nicht  noch  weiter  zu  Ver- 
mutungen über  den  Inhalt  der  einst  auf  der  Vorderseite  un- 
seres Bruchstückes  befindlichen  Kompositionen  ausbauen  können. 
Es  muß  uns  gegenwärtig  genügen,  daß  ihre  Reste  ebenso  wie 
die  der  Rückseite  ihre  Zugehörigkeit  zu  einer  Willehalm-Dich- 
tung sicherstellen.  Damit  erweist  sich  aber  die  „große"  Bil- 
derhs.  als  noch  größer  im  Vergleich  zu  der  von  mir  vor 
14  Jahren  rekonstruierten.  Wie  das  erste  Werk  in  ihrer  Art, 
so  ist  sie  auch  das  umfangreichste  geblieben. 

Bei  der  hohen  kunst-  und  kulturgeschichtlichen  Bedeutung 
eines  solchen  Werkes  liegt  sehr  viel  daran,  seine  Entstehungs- 
zeit wenigstens  annähernd  festzustellen.  In  dieser  Hinsicht 
mag  vorweg  bemerkt  werden,  daß  die  Meininger  Funde  nichts 
ergeben  haben,  was  gegen  die  seinerzeit  von  mir  angenommene 
Zeitgrenze  sprechen  könnte.  Wohl  aber  machen  wir  neue 
Wahrnehmungen,  die  wir  zu  ihren  Gunsten  verwerten  dürfen. 
Ich  denke  da  vor  allem  an  die  Zeichnung  der  Figuren,  an 
denen  man  die  ersten  schwachen  Ansätze  zu  jener  geschwun- 
genen Körperhaltung  bemerkt,  die  sonst  auf  Bildern  und  an 
plastischen  Werken  aus  der  eisten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
noch  zu  fehlen  pflegt,  gegen  Ende  desselben  Jahrhunderts  mehr 
und  mehr  bevorzugt  wird.  Dazu  stimmt  auch  das  Kostüm,  das 
sich  jetzt  sicherer  beurteilen  läßt.  Am  Frauenrock  haben  die 
weiten  und  lang  herabhängenden  Ärmelausgänge,  die  noch  in 
der  Berliner  Eneidt-Hs.  (1210—1220)  und  im  Psalter  des  Land- 
grafen  Hermann  (1211  — 1217)    die   vornehme  Frau   charakte- 


Die  , große  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm".  25 

risieren.,  durchweg  engen  Schlüssen  um  das  Handgelenk  Platz 
gemacht  wie  bei  Konrad  v.  Scheyern  um  1241  oder  bei  den 
Frauenssatuen  an  der  Goldenen  Pforte  zu  Freiberg,  an  der 
Adamspforte  des  Bamberger  Doms  und  im  Westchor  des  Doms 
zu  Naumburg.1)  Der  Damenrock  ferner  wird  in  der  Regel 
nicht  mehr  gegürtet,  was  ungefähr  seit  1250  nachweisbar.2) 
Wenn  Alise  gegürtet  geht,  so  wissen  wir,  daß  dies  dem  Text 
zu  Liebe  geschieht  (s.  oben  S.  20).  In  der  Zeit  um  1250  hat 
auch  die  Mode  überlanger  Schleppen  ihren  Höhepunkt  erreicht.3) 
Daß  anderseits  die  Malereien  nicht  in  eine  erheblich  spätere 
Zeit  fallen,  sieht  man  an  der  Art,  wie  die  Farbenteilung  an 
den  Gewändern  verwertet  wird.  An  Frauenkleidern  fehlt  sie 
ganz,  während  in  der  zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts 
farbige  Horizontalstreifen  in  reicher  Abwechselung  gemeingil- 
tige  Mcde  an  der  weiblichen  Kleidung  werden,  wie  die  spät- 
romanischen Glasgemälde  in  der  Elisabeth kirche  zu  Marburg,4) 
dann  die  Standbilder  an  der  Paradiespforte  des  Doms  zu  Magde- 
burg5) und  die  in  der  Münstervorhalle  zu  Freiburg  i.  Br. G) 
zeigen.  An  Männern  kennt  der  Maler  der  Willehalmhs.  Zu- 
sammensetzung aus  breiten  Bahnen  von  verschiedener  Farbe 
der  Länge,    der  Quere    und    der  Schräge  nach,    eine  Art   der 


1)  Vgl.  auch  die  Frauensiegel  bei  Fürst  zu  Hohenlohe- Waiden- 
burg, Sphragist.  Aphorismen  Abb.  113  (a.  1235),  193  (a.  1244),  255  (a.  1248), 
61a  (a.  1258),  64,  249  (a.  1265),  G.  A.  Seyler.  Gesch.  der  Siegel  Fig.  274 
(g.  1237),  273  (a.  1238),  279  (a.  1246).  281  (a.  1257),  282  (a.  1257),  0.  Posse, 
Die  Siegel  der  Wettiner  Taf.  XV  3  (a.  1248). 

2)  A.  Schultz,  Höf.  Leben*  I  260. 

3)  A.  Schultz  a.  a.  0.  269.  Hotte nroth,  Handb.  der  deutsch. 
Tracht  218  f. 

4)  A.  Haseloff,  Die  Ginsgemälde  der  Elisabethkirche  zu  Marburg 
Taf.  1-5. 

5)  Ein  Beispiel  bei  W.  Bode,  Gesch.  der  deut.  Plastik  53. 

6)  Die  Bemalung  dieser  Skulpturen  ist  allerdings  1889  und  wahr- 
scheinlich auch  schon  früher  einmal,  1604.  aufgefrischt  worden.  Doch 
dürfte  sich  der  gegenwärtige  Zustand  dem  ursprünglichen  der  Haupt- 
sache nach  anschließen.  Am  deutlichsten  zu  ersehen  ist  er  aus  den 
prächtigen  Lichtdrucken  des  G.  Röbckeschen  Kunstverlags.  Einige  Bei- 
spiele in  der  Zschr.  Schauinsland  1898  S.  34,  35. 


-()  6.  Abhandlung:  Karl  v.  Araira 

Farbenteilung-,  die  nach  Ausweis  nicht  nur  anderer  Bilderhss..1 ) 
sondern  auch  erhaltener  Überbleibsel2)  im  13.  und  mehr  noch 
im  14.  Jahrhundert  an  Männerkleidern  wirklich  in  Gebrauch 
war.  Aber  in  der  Willehalmhs.  kommt  sie  nur  an  der  Hof- 
tracht der  niedern  Ritterschaft,  d.  h.  der  Dienstmannen  vor. 
Einen  blau  und  weife  quergeteilten  Reck  trägt  der  Marschall, 
einen  rot  und  braun  gespaltenen  ein  Soldempfänger,  unter  den 
übrigen  Rittern  nur  einer  einen  blau  und  weiß  geschrägten. 
So  auf  eine  bestimmte  Klasse  der  ritterlichen  Gesellschaft  be- 
schränkt entspricht  jene  Farbenteilung  einer  älteren,  ins  12.  Jahr- 
hundert zurückgehenden  Sitte.3)  Am  Anfang  des  14.  dagegen 
hat  sie,  wie  die  Sachsenspiegelhs.  und  die  große  Liederhs.  zu 
Heidelberg  beweisen,  in  die  weitesten  Kreise  außerhalb  der 
Dienstmannschaft ,  namentlich  aber  in  die  des  eigentlichen 
Herrenstandes  übergegriffen.  Selbst  Fürsten  und  Könige  sieht 
man  dort  in  Röcken,  die  zwiefarbig  gespalten  oder  geschrägt 
sind.  Spätestens  im  letzten  Viertel  des  13.  Jahrhunderts  be- 
vorzugte der  Herrenstand  Stoffe  mit  eingewebten  bald  schmalen 
bald  breiten  Horizontalstreifen  von  wechselnden  Farben  und 
mit  ornamentaler  Musterung,  wie  sie  zu  jener  Zeit  aus  der 
Fremde  eingeführt,4)  wahrscheinlich  aber  auch  schon  in  Deutsch- 


x)  So  insbesondere  des  Cgm.  3900,  13.  Jahrb..,  des  Cod.  Pal.  Germ. 
164  (Sachsenspiegel)  um  1315  und  des  Cod.  2670  der  Wiener  Hofbibl. 
a.  1320. 

2)  Ausschnitt  aus  einem  Rock,  der  aus  breiten  Seidenbahnen  von 
roter  und  grüner  Farbe  zusammengenäht  war,  wurden  schon  in  alter 
Zeit  als  Schutzdecken  für  Miniaturen  im  Clm.  15713  (11.  Jahrh.)  fol.  14a, 
38  a,  49  b.  52  b  verwendet. 

3)  Vgl.  den  Schwertträger  aus  dem  Hortus  deliciarum  bei  Hotten - 
roth  a.  a.  0.  Taf.  3  Nr.  3.  Im  wesentlichen  den  gleichen  Standpunkt 
nehmen  ein  die  Malereien  im  Cgm.  3900  fol.  2  b.  3  b,  5  a,  6  a. 

4)  Beispiele  von  Seidenstoffen  im  Germanischen  Museum  zu  Nürn- 
berg, Katalog  der  Gewebesammlung  I  (1896)  Nr.  406,  412,  434,  435,  461. 
S.  ferner  P.  Schulze,  Alte  Stoffe  Abb.  76,  84.  —  Ein  großgemusterter 
Wollstoff  in  Violett  mit  schmalen  gelben  Querstreifen,  zu  Schutzdecken 
zerschnitten  in  Clm.  15713  fol.  31b,  32b,  36a,  37a,  40b,  45a,  55b,  56b, 
58  a,  61a. 


Die  .große  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalni".  27 


«o 


land  gefertigt1)  wurden.  Gegen  1300  zeigen  die  Freiburger 
Münsterskulpturen  den  verführerischen  Hofmann,  die  Fürsten, 
die  hl.  drei  Könige,  die  Patriarchen,  die  Apostel,  die  Engel 
in  solche  Stoffe  gekleidet.2)  Dem  Maler  der  Willehalmhs. 
scheinen  sie  noch  unbekannt.  Einer  früheren  Zeit  gehört  auch 
das  Kronenschema  an,  dessen  sich  der  Zeichner  zu  bedienen 
pflegt.  Auf  Taf.  I  freilich  ist  es  entstellt  durch  Schmierereien, 
mit  denen  sich  später  ein  Unberufener  wichtig  machte.  In 
reiner  Gestalt,  wie  es  oft  genug  auf  unsern  Bruchstücken  vor- 
kommt, besteht  es  aus  einem  gestreckten  Fünfeck,  auf  dessen 
drei  obern  Ecken  je  eine  Perle  sitzt  und  dessen  Fläche  mit 
drei  Perlen  über  einer  längs  dem  untern  Rand  hinlaufenden 
Parallellinie  belebt  ist.  Das  ist  das  nämliche  Kronenschema, 
das  in  eingeritzter  Zeichnung  (nach  1235)  am  östlichen  Kreuz- 
gangflügel des  Magdeburger  Doms  das  Haupt  der  Königin 
Edit  ziert3)  und  das  noch  etwas  einfacher  schon  von  der  altern 
thüringisch-sächsischen  Malerschule  verwendet  wurde4)  und  et- 
was vervollkommnet  auf  den  Wandgemälden  des  Doms  zu 
Braunschweig  wiederkehrt. 5)  Es  weicht  wesentlich  von  der 
stilisierten  Blätter-  oder  Lilienkrone  ab,  die  seit  dem  letzten 
Viertel  des  13.  Jahrhunderts  bei  den  Zeichnern  und  Bildhauern 
in  Aufnahme  kommt.  Und  wie  die  Krone,  so  folgt  auch  die 
Grafenmütze,  die  den  alten  Heimerich  charakterisiert,  stets 
einem  älteren  Schema.  Der  Leser  sieht  sie  auf  Taf.  IL  Eben 
diese  halbkugelige  Kopfbedeckung  mit  Stirnreif  und  Bügel  ist 
in   den  Randzeichnungen   des  Codex  Falkensteinensis  (a.  1165 


1)  Beispiele  seidener  Stoffe  dieser  Art  bei  0.  v.  Falke,  Kunst- 
Gesch.  der  Seidenweberei  II  Abb.  292,  293,  317  nebst  S.  36,  44.  Der  an- 
geführte Clin.  15713  enthält  auch  solche  Stücke  auf  fol.  23  b,  41b,  45  b 
(über  lichtrotem  Grund  blaue,  gelbe,  weiße  und  grüne  Horizontalstreifen 
in  Gruppen  angeordnet). 

2)  S.  oben  S.  25  N.  6  und  Schauinsland  XVII  60,  61. 

3)  v.  Flottwell,  Mittelalterl.  Bau-  u.  Kunstdenkmäler  in  Jlagde- 
burg  Blatt  35. 

4)  Haseloff,  Eine  thüringisch-sächsische  Malerschule  Taf.  X  19, 
XII  23,  24,  XIII  25,  XIX  41,  XXVIII  61. 

5)  Lichtdrucke  von  G.  Behrens  in  Braunschweig. 


28  G.  Abhandlung:  Karl  v.  Amira 

bis  1174)  wesentlicher  Bestandteil  der  Tracht,1)  die  der  Graf 
damals  noch  mit  dem  Herzog  teilte.2)  Gegen  1300  entsteht 
durch  Einfurchung  der  Haube  unter  dem  Bügel  das  aus  den 
Bildwerken  des  Spätmittelalters  bekannte  Grafenbarett  mit 
seinen  zwei  mehr  und  mehr  seitwärts  ausladenden  Hälften. 
Besonders  für  die  Zeitbestimmung  1250—1275  spricht  auch 
der  noch  unbedeckte  Helm,  während  in  Cgm.  63  (etwa  1275 
bis  1300)  die  Helmdecke  als  üblich  erscheint3)  und  ihr  Ge- 
brauch viel  früher  mehrfach  bezeugt  ist.4)  Die  Art  endlich, 
wie  der  Zeichner  die  Gegensätze  älterer  und  jüngerer  Bewaff- 
nung für  das  Kennzeichnen  des  christlichen  und  des  heidni- 
schen Kämpfers  verwertet,  hat  zur  selben  Zeit  ihr  Seitenstück, 
vielleicht  ihr  Muster  in  dem  Wandgemälde  des  Braunschweiger 
Doms,  das  den  Kampf  des  Heraklius  gegen  Chosroes  darstellt.5) 
Hier  wie  dort  die  Heiden  in  Spitzhelmen  und  mit  normanni- 
schen Schilden,  hier  wie  dort  der  christliche  Streiter  im  un- 
bedeckten Topfhelm  und  mit  dem  jüngeren  Dreieckschild. 

Zu  dieser  Zeit  steht  das  Unternehmen  der  großen  Wille- 
halm-Illustration  in  seiner  Art  einzig  da  —  nicht  etwa  nur 
wegen  seines  Umfangs,  sondern  auch  und  mehr  noch  wegen 
des  Geistes,  worin  es  gedacht  und  ausgeführt  wurde.  Gewiß 
gibt  es  darin  Züge,  die  es  mit  vielen  andern  Werken  der  bil- 
denden Künste  im  Mittelalter  gemeinsam  hat.  Das  abbrevi- 
ierend    Repräsentative    wird    überhaupt    der    Malerei    und    gar 


*)  Petz,  Graue rt  und  Mayerhofe r,  Drei  bayerische  Traditions- 
bücher aus  dem  XII.  Jahrh.  S   2,  18. 

2)  Miniatur  im  Cod.  Fuld.  D  11  fol.  14,  abgeb.  bei  G.  Heß,  Monum. 
Guelfica  (1784)  vor  dem  Titelblatt.  Über  die  Hs.  und  die  Miniatur  s. 
Weiland  in  Monum.  Germ.  SS.  XXI  455.  Genau  die  gleiche  Haube 
wie  in  der  Willehalmhs.  Heimerich  trägt  der  angebliche  Widukind  auf 
dem  bemalten  Hochrelief  zu  Engern  (um  1200).  S.  Hefner  v.  Alten- 
eck, Trachte»  u.  Geräte2  II  Taf.  101.  Die  Tradition  hielt  eben  den 
Sachsenführer  Widukind  für  einen  „ Herzog"  und  erblickte  ihn  in  dem 
Dargestellten. 

3)  Ein  Beispiel  bei  A.  Schultz,  Hbf.  Leben3  II  Fig.  68. 

4)  A.  Schultz  a.  a.  0.  II  77  f. 

5)  A.  Schultz  a.  a.  O.  II  Titelbild. 


Die  „ große  ßilderhandsehrift  von  Wolframs  Willehalm".  29 

der  Plastik  niemals  und  nirgends  ganz  fehlen.  Die  Kunst  des 
Mittelalters  lebt  geradezu  davon.  Aber  bis  zur  Mitte  des 
13.  Jahrhunderts  hat  kein  anderes  Werk,  das  bis  jetzt  bekannt 
geworden,  unter  so  grundsätzlichem  Ablehnen  aller  dekorativen 
Zwecke  sich  so  grundsätzlich  nur  auf  die  Interpretation  des 
Wortes  geworfen  und  innerhalb  des  Kreises  dieser  Aufgabe  so 
unerbittlich  nach  Vollständigkeit  gestrebt,  —  nicht  nur  keine 
der  in  Deckfarben  ausgeführten  Buchillustrationen,  auch  kein 
Werk  des  sogenannten  Federzeich nungsstils,  nicht  der  Cod. 
Pal.  112  oder  seine  Vorlage  mit  den  Zeichnungen  zum  Rolands- 
lied des  Pfaffen  Konrad, l)  nicht  der  Liber  ad  honorem  Augusti 
des  Petrus  de  Ebulo  im  Cod.  120  zu  Bern,2)  nicht  die  Original- 
zeichnungen zum  ,Wälschen  Gast',  wie  wir  sie  mittels  der 
spätem  von  ihnen  abgeleiteten  Bilder  erschließen  können.3) 
Kein  anderer  Zeichner  hat  seine  Erfindungskraft  so  stark  von 
der  Wortinterpretation  her  anregen  lassen,  kein  anderer  aber 
auch  so  zuversichtlich  auf  die  Einbildungskraft  des  Beschauers 
gerechnet,  der  sein  Vergnügen  daran  finden  soll,  die  Bildkom- 
position unter  Führung  des  Textes  durchzudenken,  dabei  je- 
doch sich  mit  den  sparsamsten  Fingerzeigen  muß  abfinden 
lassen.  Daß  der  Künstler  sich  hierin  nicht  verrechnete,  dessen 
durfte  er  sicher  sein.  Denn  so  war  eben  die  Geistesverfassung 
des  höfischen  Leserkreises,  der  solche  Gedichte  wie  das  Wille- 
halm-Epos liebte.  Er  war  nicht  wie  die  theologisch  Gebildeten 
geschult  im  abstrakten  Denken.  Ihm  genügt  das  Wort  nicht, 
sein  Auge  verlangt  zu  sehen;  aber  sobald  er  nur  ein  Stück 
dessen  sieht,   was  er  sich  vorstellen  soll,  arbeitet  seine  Phan- 


')  Atlas  (Steindruckfaksimile)  zu  W.  Grimm,  Ruolandes  Liet  (1838). 
4  Proben  in  Lichtdruck  bei  A.  v.  Oechelhäuser,  Die  Miniaturen  der 
Universit.-Bibl.  zu  Heidelberg  I  (1887)  Taf.  10.  Über  die  Zeichnungen 
v.  Oechelhäuser  a.  a.  0.  56—70. 

2)  Lichtdruckfaksimile:  Liber  ad  h.  A.  di  Pictro  da  Eboli,  a  cura 
di  G.  ß.  Siragusa,  Tavoli  (1905).  Über  die  Zeichnungen  Siragusa  im 
Balletino  delV  Istituto  Storico  Italiano  Nr.  25  (1904). 

3)  A.  v.  Oechelhäuser,  Der  Bilderkreis  zum  Wälschen  Gaste  des 
Thomasin  von  Z  er  ciaer  e  (1890). 


30  (,.  Abhandlung:   Karl  v.  Aniini 

tasie  aufs  lebhafteste  mit,  das  Fehlende  zu  ergänzen.  Nichts 
lehrreicher  in  dieser  Hinsicht  als  die  Kitzinger  Bruchstücke 
im  Cgm.  5249  Nr.  32  (g.  1300).  Auch  sie  gehören,  was  be- 
zeichnend genug  ist,  zu  einem  Gedicht  über  Willehalms  und. 
Rennewarts  Taten.  Nur  waren  dort  nicht  schon  bei  Anlage 
der  Handschrift  Illustrationen  geplant.  Aber  einer  ihrer  ersten 
Besitzer  empfand  das  Bedürfnis,  auf  den  schmalen  Rändern 
neben  dem  Text  mit  überaus  feinen  Pinselzügen  in  winzigen 
roten  und  schwarzen  Silhouetten  die  Kämpfe  abzuschildern, 
die  das  Gedicht  erzählt.  Immer  sind  es  nur  ein  paar  Figür- 
chen,  die  als  Mittel  zum  Zweck  vollkommen  ausreichen  müssen. 
Die  planmäßige  Buchmalerei  allerdings  hat  auch  nach  der 
großen  Willehalmhs.,  wenn  wir  von  der  gegen  1300  einsetzen- 
den Sachsenspiegelillustration  absehen,  nicht  wieder  denselben 
Weg  betreten.  Die  Handschriften  der  höfischen  Epen  insbe- 
sondere bedienen  sich  der  zeichnenden  Künste  nur  um  sich  zu 
schmücken,  und  dies  in  einer  so  ausgesprochenen  Weise,  daß 
man  in  so  reich  illustrierten  Büchern  wie  dem  Wiener  Cod.  26J0 
(von  1320)  nur  mit  Mühe  ein  paar  schwache  Spuren  entdecken 
kann,  die  auf  ein  Nachwirken  jenes  älteren  Werks  schließen 
lassen.  Ich  denke  da  an  die  Kußszene  zwischen  Alise  und 
Rennewart,  die  sich  dort  auf  Bl.  100  im  wesentlichen  ganz  so 
unter  zwei  Bäumen  abspielt  wie  auf  unserm  Meininger  Bruch- 
stück 551.  Ich  denke  ferner  an  Willehalms  Schild,  den  auch 
der  Maler  der  Wiener  Hs.  mit  einem  Stern  in  blauem  Feld 
heraldisiert,  allerdings  nur  auf  den  vorderen  Blättern  (9,  10, 
50)  mit  einem  goldenen,  später  (66,  72,  83,  126,  136,  140) 
mit  einem  silbernen  und  ebenso  auch  die  Schilde  von  Wille- 
halms Gefolge.  Am  meisten  dürfte  für  eine  Anleihe  bei  dem 
älteren  Bilderwerk  sprechen,  daß  jenes  Sternsymbol  auch  in  der 
Wiener  Hs.  nicht  bloß  im  Schild,  sondern  auch  über  dem 
Haupt  des  Markis  vorkommt.  Aber  mit  dem  rein  dekorativen 
Zweck  eines  so  prunkvollen  als  weitschichtigen  Unternehmens 
wie  der  Wiener  Kompilation  aller  Willehalm-Epen  hätte  sich 
ein  entschiedeneres  Zurückgreifen  auf  subjektiv  symbolische 
Absichten    nicht    vertragen.      Sie    mußten    vielmehr    mit    Ent- 


Die  „große  Bilderhandschrift  von  Wolframs  Willehalm*. 


31 


schiedenheit  abgelehnt  werden.  Die  Folge  war,  daß  die  Wiener 
Miniaturen  in  Bezug  auf  Erfindung  himmelweit  hinter  den 
schlichten  kolorierten  Federzeichnungen  der  großen  Willehalmhs. 
zurückstehen  und  der  Hauptsache  nach  in  Rezeptmalerei  ver- 
sinken.1) 


x)  Wenn  ich  den  ungewöhnlich  wertvollen  Wiener  Kodex  hier,  in 
München,  benützen  konnte,  so  verdanke  ich  dies  der  verständnisvollen 
Fürsprache  des  Yizedirektors  der  Kais.  Hofbibliothek,  des  Herrn  Regie- 
rungsrats  Dr.  J.  Donabaum,  wodurch  die  Erlaubnis  des  Kais.  Oberst- 
kämmererstabes zur  Hiebersendung  —  sogar  unter  den  gegenwärtigen 
erschwerenden  Umständen   —  erwirkt  wurde. 


Anhang. 
Übersicht  über  die  Bruchstücke  nach  ihrer  Reihenfolge. 


1 1  egen- 

wärtiger  Auf- 
bewahrungs- 
ort 

Gegen- 
wärtige 
Bezeichnung 

Ehemaliger 
Aufbewahrungs- 
ort 

Ehemalige 
Bezeichnung 

Gehörig  zum  Text 

München 

Cg.  193 III 

Meiningen 

548 

161  v.  20-163  v.  28 

München 

Cg.  193 III 

Meiningen 

550 

210  v.  4-212  v.  14 

München 

Cg.  193 III 

Meiningen 

551 

212  v.  17—213  v.  30 

Nürnberg 

Hz.  1104 

Mitteldeutschland 

9 

216  v.  5—218  v.  25 

München 

Cg.  193III 

Heidelberg 

362  a  26  2° 

220  v.  24—222  v.  27 

München 

Cg.  193III 

Heidelberg 

362  a  26  2° 

235  v.  15—237  t.  26 

Nürnberg 

Hz.  1105 

Mitteldeutschland 

311  v.  10-312  v.  30 

München 

Cg.  193 111 

Mitteldeutschland 

9 

388  v.  20-390  v.  1 

München 

Cg.  193 III 

Mitteldeutschland 

404  v.  8  (403  v.  23?) 
—404  v.  27 

München 

Cg.  193 III 

Meiningen 

549 

0 

(verlorne  Fort- 
setzung des  Ge- 
dichtes) 

Y 


?*> 


Tafel  I. 


Tafel  II. 


T 


Sitzungsberichte 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  7.  Abhandlung 

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Textkritische  Studien  zur  Ilias 


von 


X 


N.  Wecklein 


Vorgetragen  am   13.  Oktober  1917 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommisaion  des  6.  Franzschen  Verlags  (J.  Roth) 


Sitzungsberichte 

der 

Königlich   Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  7.  Abhandlung 


Textkritische  Studien  zur  Ilias 


von 


N.  Wecklein 


Vorgetragen  am   13.  Oktober   1917 


München  1917 
Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franzacben  Verlags  (J.  Roth) 


Dem  Nachweise,  daß  die  in  den  „Textkritischen  Studien 
zur  Odyssee"  (Sitzungsber.  1915,  7.  Abh.)  entwickelten  Grund- 
sätze sich  auch  für  die  Ilias  bewähren,  will  ich  zur  Kennzeich- 
nung meines  Standpunktes  die  Behandlung  einiger  Stellen  vor- 
ausschicken, welche  geeignet  scheinen  auf  den  Zustand  der 
Überlieferung  ein  helles  Licht  zu  werfen. 

Z  479  liest  man  in  den  meisten  Handschriften  (in  A  von 
erster  Hand)  xai  jiote  tis  euitjoi  ,Tiajo6g  y"1  öde  noXXbv  ä/ueivcov'. 
So  betet  Hektor  zu  den  Göttern  seinen  Sohn  im  Arme.  In- 
folge der  Ausführungen  A.  Ludwichs  Aristarchs  Hom.  Text- 
kritik II  S.  350  ff.  ist  dieser  Vers  gewissermaßen  zum  Schibbo- 
leth  geworden:  hie  (Aristarch),  Lehrs,  A.  Ludwich.  Ad.  Römer 
—  hie  (Zenodot),  Bekker,  Cobet,  Nauck,  Leeuwen.  Ludwich 
hält  etkrjoi  mit  Entschiedenheit  gegen  Cobet  fest;  wenn  text- 
kritische Methode  irgendeinen  Wert  hat,  darf  man  ebenso  ent- 
schieden behaupten,  daß  etTijjot  nicht  richtig  ist  und  es  etnot 
heißen  muß.  In  A  steht  oi  über  em^ai:  welche  Bedeutung 
diese  Überschriften  in  A  haben,  wird  sich  unten  zeigen;  emoi 
haben  auch  BM  u.  a.  Jedenfalls  hat  der  Urheber  der  Über- 
schrift in  A  nicht  emoiai  gemeint;  wenn  eine  Wiener  Hand- 
schrift (H)  H  87  ebtoiai  gibt,  so  ist  dieses  aus  emijai  und  emoi 
zusammengewachsen.  Solchen  Fehlern  werden  wir  unten  öfters 
begegnen.  Ferner  gibt  emoi  Nikanor  zu  X352,  emoi  erfor- 
dert auch  das  Versmaß,  da  die  erste  Silbe  von  jiargög  bei 
Homer  nie  verkürzt  wird;  emoi  erfordert  endlich,  was  die 
Hauptsache  ist,  der  Sinn ;  denn  Hektor  kann  in  seinem  Gebete 
wie  nachher  mit  q  eqoi  und  %aQeir\  nur  eine11  Wunsch  aus- 
sprechen:   eairjat    aber    hat    sich    aus    der    Erinnerung    an    das 


1* 


Alihancllini^:  N.  \Vecklein 


■e 


öfter  vorkommende  xai  jioxe  xig  el'm]oi  (Z  459,  H  87),  jut)  jioxe 
xig  EMfjot  (x  106,  99  324)  eingeschlichen.  —  W  604  liest  man 
in  allen  Handschriften  und  auch  in  allen  Ausgaben  vvr  ams 
vöor  vixrjoe.  veoltj:  bei  der  Unform  veoirj  konnte  sich  Aristarch 
beruhigen  mit  der  Bemerkung  ävrl  xov  vEÖxrjg.  Aber  die  aus- 
gezeichnete Emendati'on  von  Herwerden  vvv  avze  v6ov  vbayoev 
ävoirj,  auf  welche  die  Notiz  des  Herodian  01  juevxoi  /uex'  avzöv 
(bg  im  jxXeioxov  xijv  ävoiav  Xeyovoi  hinweist,  sollte  nicht  un- 
beachtet bleiben.  Nicht  einmal  Leeuwen  hat  sie  erwähnt.  — 
Ich  will  gleich  hier  eine  Änderung  vorlegen,  welche  gewagt 
scheint,  aber  meines  Erachtens  nötig  ist,  um  eine  alte  vielbe- 
handelte crux  der  Interpretation  aus  der  Welt  zu  schaffen, 
Q  268  ff.,  wo  für  Priamos  die  Maultiere  angespannt  werden. 
Die  Söhne  des  Priamos  nehmen  das  Maultierjoch  vom  Nagel; 
das  Joch  ist  von  Buchsbaum  und  mit  einem  Knauf  {dfi(paX6q) 
sowie  gut  mit  Haken  versehen.  Dann  holen  sie  das  neun  Ellen 
lange  Jochseil  nebst  dem  Joche  heraus  in  den  Hbf.  Sie  legen 
das  Joch  auf  die  wohlgeglättete  Deichsel  vorn  an  der  Spitze 
(pisty  im  nganr))  und  bringen  den  Ring  (xgixog)  an  den  Spann- 
nagel (eoxcoq).     Darauf  heißt  es  weiter: 

xotg  <5'  exolxeq&ev  eörjoav  eti   o^KpaXov,  avxäg  etieito. 
§^£it]g  xaxedrjoav,  vJib  yXcoylva  <5'  Exajuyar. 

Bei  der  Erklärung  kommt  in  Betracht  erstens,  daß  das  £vyo- 
öeojuov  neun  Ellen  (etwa  7  m)  lang  ist  —  die  Länge  muß  ihren 
Zweck  haben  — ,  zweitens  daß  nach  alten  Abbildungen  der 
„Deichselfuß"  (jisCa)  nicht  gerade,  sondern  in  eine  empor- 
ragende Spitze  verläuft  (vgl.  W.  Heibig  Hom.  Ep.  S.  1982f.), 
drittens  daß  von  dieser  Spitze  ein  Seil  nach  dem  vorderen 
Wagenrand  läuft,  endlich  daß  dfupaXög  nicht  ein  hoher  Pflock, 
der  im  Joch  steckt,  sondern  ein  Aufsatz,  ein  Knauf  in  der 
Mitte  sein  kann.  Im  allgemeinen  ist  hiernach  das  Problem  in 
der  Rekonstruktion  von  Heibig  S.  154  richtig  gelöst,  da,  wie 
die  Natur  der  Sache  und  der  Name  ergibt,  das  £vy6dEo/Liov 
dazu  dienen  muß  das  Joch  an  der  Deichsel  zu  befestigen.  Die 
einzige  Schwierigkeit  liegt  noch  in  dem  unverständlichen  e^eirjg 


Textkrifcische  Studien  zur  Ilias. 


xaxed)]oar.  Mit  Recht  bemerkt  Heibig  S.  198,  daß  man  statt 
H-Evrjs  vielmehr  ein  Substantiv  erwarte,  welches  den  Gegen- 
stand oder  die  Stelle  bezeichnet,  an  der  das  Jochseil  nach 
dem  Festbinden  des  Joches  angeknüpft  wurde.  Leaf  The  Iliad  II 
S.  625  hält  es  für  möglich,  daß  egeirjg  ein  Substantiv  sei, 
Schulze  Quaest.  ep.  S.  292  will  expirjg  schreiben  nach  Soph. 
Frgm.  4  syna-  änb  xov  Pneodar  Sfidia.  Nach  der  Natur  der 
Sache  und  nach  den  alten  Abbildungen,  wie  es  auch  die  Re- 
konstruktion Helbigs  annimmt,  kann  die  Stelle  nur  die  Jie£,a 
sein,  also  ist  e£e%  aus  ex  ne^Q  entstanden.  So  verbindet 
das  neun  Ellen  lange  i,vy6deafxov  das  Joch  mit  der  Deichsel, 
wird  dann  um  die  hohe  Deichselspitze  geschlungen  und  an 
den  Wagenrand,  wo  man  mit  Recht  die  yXa>%ig  angenommen 
hat,  zurückgezogen. 


1.  Qvitög,  Deichsel.     2.  nefa,  Deichselspitze. 

?,,  £vyöv,  Joch.  4.  d(i(pak6g,  Knauf.   5.  xQixog,  Ring. 

6.  sazcoQ,  Spannagel.     7.  tvyödsa/iov,  Jochseil. 

8.  yXcoyJg,  Haken. 

.1  136   heißt   es    von    zwei  Brüdern,    welche  Agamemnon    um 

ihr  Leben  bitten: 

cog  zo)   ys  xla'iovxe  JiQooavdijxt]v  ßaodrja 
fieiXixiotai  eneoaiv  äjueihxxov  <5'  6Vr'  äxovoav. 

Das  Gewählte  des  Ausdrucks  liegt  in  dem  Gegensatz  fxedixioiat 
—  äjueihxxov  und  man  kann  sagen,  daß  äfteüuxxog  eigens  für 
diesen  Gegensatz  geschaffen  ist,  welcher  auch  mit  äfieüixxov 
öV  äxovoav  das  Digamma  von  öV  herzustellen  gestattet.  Nun 
heißt  es   <P  97   von  Lykaon : 


(i  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

cbg  äga  fuv   llnidjuoio  jioooi]vda  (patÖi/iog  vlög 
hoaöjuevog  ejieeoolv,  äfXEiXtxrov  <5'  öV   äxovöev. 

Öfters  steht  eneooiv  z.  B.  bei  äveiQÖjuevog  d  461  überflüssig, 
aber  es  folgen  dann  die  betreffenden  Worte.  Die  Hauptsache 
aber  ist,  daß  für  ä/uEtXixxov  das  Korrelat  fehlt  und  die  eigent- 
liche Pointe  wegfällt.  Da  die  beiden  Stellen  in  allem  anderen 
gleich  sind,  kann  auch  fXEiXtyiotoi  ejieooiv  nicht  fehlen.  —  Es 
kommt  auch  sonst  vor,  daß  eine  Stelle  nach  einer  anderen  zu 
verbessern  ist.  H  64  hat  Leeuwen  für  [aeIuvei  öe  te  novxog 
vn1  avxijg,  worin  die  Form  jueMvei  fehlerhaft,  das  vorgeschlagene 
jueXüvei  in  einem  Gleichnis  unerhört  ist,  f$%Xvoe  öe  novxog  wi1 
avxijg  aus  ju  406  gewonnen.  M  185  bieten  die  meisten  und 
besten  Handschriften 

ovo'   äoa  yalxEii]  xoQvg  eo'/e&ev,  äXXd  dianoö 
aiyfxi]   yalxfh]   gfj^J   ooxeov,  hyxEcpaXog  de  xiL, 

nur  der  cod.  Townl.,  der  cod.  Paris.  2766,  der  auch  sonst 
manche  gute  Lesart  erhalten  hat,  und  einige  andere  geben 
alxßi]  lefievr).  La  Roche  bemerkt:  „Da  man  hier  ein  Partizip 
nur  ungern  vermißt,  so  ist  die  Schreibweise  von  vier  Hand- 
schriften aly/ut]  l£/u£rf]  sehr  ansprechend."  Sie  ist  nicht  bloß 
ansprechend,  sondern  notwendig  und  es  erscheint  bedauerlich, 
wenn  eine  solche  Lesart  nicht  im  Text  steht.  Offenbar  ist 
yalxEü]  von  der  oberen  Zeile  in  die  untere  gekommen,  wie 
M  333,  wo  Bekker  xslyog  Ayaicbv  aus  352  hergestellt  hat,1) 
nvoyov  aus  dem  vorhergehenden  Verse  stammt,  oder  Z  222, 
wo  Leeuwen  yaXxsop'  AytXyog  vermutet,  Aiaxidao  ebenso  von 
dem  vorhergehenden  Verse  herrührt.  In  Z  194  geben  die 
meisten  Handschriften  xal  fxev  ol  Avxiot  rejuevog  rä/uor  E^oyov 
äXXa)v,  xaXbv  (pvxaXirjg  xal  äQovQfjg,  bqpga  vejuoixo.  Statt  des 
selbstverständlichen  und  überflüssigen  bcpqa  vejuoixo  hat  A  mit 
einigen  anderen  jivoocpoooLo  und  so  lautet  der  Vers  M  314 
xaXbv  <pvxaXifjg  xal  äoovoyg  Tivgocpogoio  in  allen  Handschriften. 


*)  Die  Bemerkung  Leafs  without  authority  verrät  eine  Verkennung 
dieser  Art  von  Verderbnissen. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  7 

So  wird  auch  Y  185  nvgocpogoio  für  ö<pga  ve/utjai  zu  setzen 
sein.  Am  Platze  ist  öq>ga  vifioao  *P  177  iv  de  nvgög  jusvog 
f]xe  oiÖi]qeov  ö(pQa  vejuoiro.  —  M  373  evxe  MevEO&rjog  /ueyafivfiov 
nvgyov  i'xovxo,  xsiysog  ivrög  iovxeg,  EJiEiyofiEvotoi  (5'  I'xovxo  gibt 
nur  der  Townl.  eeXöo/jLevoioi  <5'  I'xovxo,  wie  es  Hl  cos  äga  xco 
Tqcoeooiv  eeXöojuevoioi  cpav)']T}]v  heißt.  Daß  EeXdopLEvoioi  richtig 
ist,  zeigt  die  Lage  des  Menestheus.  Denn  die  Lykier,  durch 
die  er  ins  Gedränge  kommt,  sind  erst  im  Anzüge.  —  M410 
dgyaXsov  Öe  juoi  ioxi,  xal  icp&l/iicp  7ieq  eovxi,  juovvco  Qrjt-ajuevcp 
de.odai  Jiagä  vyjvoi  xeXev&ov  soll  man  xslyog  zu  gt^ap.Evco  er- 
gänzen. Dies  wäre  möglich,  wenn  der  Vers  xEiyog  Qrjl-äfjLEVoi 
deodai  Tiagd  vrjvol  xeXev&ov  vorausginge,  nicht  erst  418  folgte. 
Es  muß  also  xsiyog  für  ixovvco  gesetzt  werden.  Vgl.  auch  440 
gtjyvvo&E  Öe  XEiyog.  —  In  X  798  dsXXr),  fj  ze  vtto  ßgovxrjg  jiaxgög 
Jibg  ehi  TiEdorÖE,  fteoiisoUp  <5'  ofiddco  dXl  /.uoyexai,,  ev  öe  xe 
ttoXXo  xv/uaxa  nacpXdt,ovxa  noXvcpXoioßoio  $aXdoo}]g  haben  wir 
die  unschöne  Wendung  „darin  (im  Meere)  entstehen  viele  Wogen 
des  lautbrausenden  Meeres."  Dio  Chrysostomos  zitiert  in  dem 
74.  Vortrag  xv/uaxa  xgocpoEvxa  neXtbgia  loa  ögEOoiv  xvgxd  cpaX)]- 
giöcovxa,  indem  er  unsere  Stelle  mit  y  290  xvjuaxa  xe  xgocposvxa 
HEXcögia  loa  ögEooiv  vermengt.  Aber  ebenso  kann  die  Erinne- 
rung an  den  wiederholt  vorkommenden  Ausdruck  xvjua  no- 
XvcpXoioßoio daXdooijg  auf  unsere  Stelle  eingewirkt  haben,  so 
daß  mit  xv/uaxa  nacpXaQovxa  nEXcogia  loa  ögsooiv  ein  tadel- 
loser Vers  hergestellt  werden  kann.  —  Achilleus  steht  auf  dem 
Hinterdeck  seines  Schilfes  und  betrachtet  sich  das  Schlacht- 
getümmel.    Dann  heißt  es  A  602: 

alyja  cV  ixalgov  iöv  UaxgoxXiEa  ngooEEiriEV 
(p&£y^d/biEvog  nagd  vrjög.  o  dh,   xXioitj&ev  dxovoag 
exjuoXe  loog  "Agrjt,  xaxov  cV  äga  ol  jieXev  dgyj]. 
xbv  ngoxEgog  ttvooeeitie  Mevoixiov  äXxijuog  viög. 
,xinxE  jus  xixXrjOXEig,  'AyiXEv;  xi  oe  %gr}ch  ejueio;'' 

Den  nicht  anwesenden  Patroklos  kann  Achilleus  nicht  anreden 
(ngooEEuiEv) ;  erst  nachdem  er  aus  dem  Zelt  zum  Schiff  ge- 
kommen ist,    redet   ihn  Achilleus  an  {ngooEcpi}).     Sonst   folgen 


8  7.  AMiiinillunj':   N.  Wecklein 


i~  • 


nach  ngooEEinev  auch  immer  die  Worte  der  Ansprache.  Bekker 
hat  deshalb  die  V.  605 — 607  ausgeschieden  und  damit  Beifall 
gefunden.  Die  an  sich  tadellosen  Verse  der  Interpolation  zu 
verdächtigen  liegt  kein  Grund  vor.  Die  Andeutung  des  Zu- 
künftigen mit  xaxov  ö"1  äga  oi  tieXev  äoyj)  ist  gerade  dem  Epos 
eigentümlich.  Das  Wort,  das  an  der  Stelle  von  tioooeeijiev 
stehen  muß,  ist  in  606  gegeben:  xixXqoxEv.  Vielleicht  hat 
die  lange  Schlußsilbe  von  JJaxooxXEEa  zu  der  Änderung  Anlaß 
gegeben.  Auch  B  813,  6  355,  i  366  bildet  xixXtfoxovoiv,  P  532 
y.ty.Xrjoy.ovxog  den  Schluß  des  Verses.  —  Sehr  überrascht  muß 
man  sein,  wenn  man  .1  702 

ftevoeodai'  xovg  <5'  avfri  ävag~  dvöoon>  Avysiag 
xdo/E&E,  xov  d"1  EkaxiJQ1   acpUi  äxayj] juevov  "nnaiv. 
rojv  6  ysgcov  EnEOiv  XE%oX(OfiEvog  f]Ö£  xai  Eoycov  xxi. 

von  Schmähworten  des  Augias  liest,  da  doch  vorher  deren 
keine  Erwähnung  geschieht.  Aug.  Mommsen,  Philol.  VIII  S.  721 
sieht  darin  ein  Anzeichen,  daß  die  Partie  668 — 762  (richtiger 
665 — 762  von  avxäg  'Ayiklehq  bis  avtäg  \4ytX?.£vg)  die  ver- 
kürzte Wiedergabe  eines  alten  Nestorliedes  sei.  Eine  solche 
Annahme  hat  wenig  Wahrscheinlichkeit;  vielmehr  ergibt  sich, 
daß  in  den  vorhergehenden  Worten  xov  ö"1  ElarfJQ?  cupisi  axayr\- 
iih'ov  mnmv  das  bedeutungslose  dxayr\iih>ov  Tjuiojv  an  die  Stelle 
eines  anderen  Ausdrucks  getreten  ist.  Leider  fehlt  uns  hier 
der  Anhaltspunkt  für  die  Ergänzung.  Sie  könnte  etwa  y.axä 
nöXX'1  EmxdXag  gelautet  haben  (mit  vielen  Schmähungen  für 
seinen  Herrn).  Vgl.  A  384  kW  avx1  äyysXhjv  im  Tvöei  xeTXolv 
(so  Brandreth  und  Menrad  für  oxeTXuv)  Wyaiol.  — ■  Ist  es  denk- 
bar, daß  ein  Dichter,  nachdem  er  vorher  {M  461)  erzählt  hat, 
wie  Hektor  das  Tor  sprengt,  geschrieben  hat  M  469 : 

avxixa   $'  oi  juh>  XEtyog  VTiEgßaoav,   oi  dk  y.ax   avtäg 
jioa]xäg  eoe%vvto  nvXag 

„durch  das  wohlgebaute  Tor"  ?  Muß  es  nicht  heißen  „durch 
das  nun  offene  Tor":  x£7ixaju£vag?  Vgl.  0  531  nEJixajUEvag 
ev  %eqoI  nvXag  e'xete.  Ein  Dichter,  dem  man  hier  noirjxdg  oder 
M  306    h  TTotoToioi    statt    iv  ngoßäxoioi    zumutet,    müßte    als 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  " 

gedankenlos  erscheinen.  Man  wird  vielleicht  auf  den  Gebrauch 
ständiger  Epitheta  hinweisen,  aber  auch  bei  vvxxl  &of]  dxdXavxog 
vntibma  J/463,  wo  der  finstere  Blick  des  Hektor  veranschau- 
licht werden  soll,  kann  ich  diesen  Gebrauch  nicht  gelten 
lassen  und  verlange  vvxx1  ölofi  dxdlavxog  nach  77  567  Zevg 
<5'  im  vvxx  6Xo)]v  xdvvoev  y.gaxEgfj  vafiivrj.  Für  die  Elision 
des  i,  die  nicht  gar  selten  ist,  sei  nur  auf  #o>'  er  cpvy.ioevxi 
W  693  verwiesen.  —  In  N  677 

etiXexo'  xoiog  ydg  yairjoyog  ivooiyaiog 

coxgvv''  'Aoyeiovg,  nobg  de  o&evei  arrog  äfivvev 

hat  Nauck,  der  feinsinnigste  Kenner  des  Griechischen,  nicht 
ohne  Grund  an  xoiog  Anstoß  genommen  und  xoiov  vermutet. 
Die  Änderung  wäre  nicht  schwer,  aber  xoiog  weist  auf  einen 
Begriff  wie  „Helfer"  hin,  der  augenscheinlich  durch  das  neben 
hooiyaiog  überflüssige  yair)oyog  verdrängt  worden  ist.  Es  gibt 
für  den  Beistand  von  Göttern  nur  ein  hieher  passendes1)  Ho- 
merisches Wort:  ijiixdooodog  (vgl.  A  366  et  nov  xig  xal  e/iol 
y£  dewv  Emxdggoftog  loxiv,  co  182  yvooxöv  <5'  tjev  6  xig  ocpi  &eo~)v 
imxdggo&og  fjev  u.  a.),  und  mit  xoiog  ydg  ijxixdggo&og  hooi- 
yaiog erhalten  wir  die  typische  Wendung,  welche  sich  E  808 
xoh]  ol  Eyd)  imxdggo&og  f]a,  E  828  findet  und  welche  Ä  390 
gtjiöiojg'  xoh]  ol  imggo&og  tjev  'Adtjvrj  und  W  770  y.lvdi,  ded, 
äya&rj  iwi  iniggoftog  eI&e  noöoliv  verwischt  ist.  Es  wird  sich 
nämlich  später  zeigen,  daß  nachträglich  ergänzte  persönliche 
Fürwörter,  die  sich  aus  dem  Zusammenhang  von  selbst  ergeben, 
den  Text  geschädigt  haben.  Die  Etymologie  von  Emxdggoftog 
ist  rätselhaft,  aber  feststehen  muß,  daß  sich  nicht  tmxdggodog 
in  ETiiggo&og  verwandeln  kann.  Es  ist  also  J  390  xoir]  ejii- 
xdggodog  wie  W  770  dyadtj  ETiixdggodog  zu  schreiben. 
Da  nach  meiner  Überzeugung'  diese  Änderungen  sich  voller 
Sicherheit  erfreuen,  so  liegt  darin  das  sprechendste  Zeugnis 
für  den  Zustand  der  Überlieferung  des  Homerischen  Textes.  — 
Überraschen  muß  die  Vertauschung  von  ftdvaxog  und  ßioxog. 
Die  Verwechslung  dieser  entgegengesetzten  Begriffe  kann  nur 

1)   Vgl.    O  254  loluv  rot  äoootjT^Qa  Kqovicdv  i£  Idtjg  jiqoeijxe. 


10  7.  Allhandlung:  N.  Wecklein 

von  einer  unwillkürlichen  ungenauen  Auffassung  des  Gedankens 
herrühren.  Am  Schlüsse  des  Euripideischen  Herakles  glaubt 
Herakles  nach  der  Ermordung  seiner  Kinder  nicht  mehr  leben 
zu  können  und  ist  entschlossen  zu  sterben  (1241,  1257).  Sein 
Freund  Theseus  redet  ihm  diesen  Lebensüberdruß  aus  und 
Herakles  ringt  sich  den  Entschluß  ab  zu  leben :  iyxagxEgijoo) 
ßiorov  muß  es  also  1351  für  ftdvaxov  heißen,  wie  ich  in  der 
Ausgabe  von  1877  etwas  zaghaft  vermutet  habe.  Der  ge- 
wöhnlichen Ausdrucksweise  liegt  ßiov  xeXevxvj  näher  als  davd- 
xov xeXevxi).  Wiewohl  aber  das  häufige  Oavdxov  Ttkoq  (Weihe, 
vgl.  ydfiov  oder  yafzrjXtov  xsXog)  etwas  anderes  ist1)  als  davd- 
xov (gen.  defin.)  xeXevx)),  erweist  sich  doch  durch  Stellen  wie 
Hesiod  'Aon.  357  und  Eur.  Med.  153  davdxov  xeXsvtrj  als  nor- 
malen Ausdruck.  Vgl.  davdxov  xeofia  Eur.  Hipp.  139.  Wenn 
also  zu  üf  104  evd-a  xe  xoi,  MeveXae,  cpdvr)  ßioxoio  xeXevxtj  die 
Scholien  AT  bemerken:  yg.  xal  &avdxoio,  so  haben  Düntzer  und 
Nauck  hier  und  II 787  mit  Recht  den  minder  gewöhnlichen 
Ausdruck  Oavdxoio  xeXevxi)  aufgenommen.  N  560  will  Adamas 
den  Antilochos  töten  und  führt  einen  Stoß  mit  der  Lanze  nach 
der  Mitte  seines  Schildes :  djUEvijvcooEv  de  oi  ar/jiijv  xvavoyaixa 
IIooEiddojv  ßioxoio  jueyi'jgag.  Aber  Poseidon  neidet  ihm  nicht 
das  Leben,  sondern  den  Tod  des  Antilochos ;  also  muß  es 
Oavdxoio  fi£y/]Qag  heißen.  Mit  Recht  heißt  es  auch  im  An- 
hang von  Ameis-Hentze:  „Die  Neueren  verstehen  mit  Buttmann 
ßioxoio  vom  Leben  des  Antilochos,  beziehen  aber  den  Dativ  61 
(Adamas)  562  auch  zu  juEytjgag  und  dies  scheint  die  natür- 
lichste Erklärung,  obwohl  dann  statt  ßioxoio  vielmehr  cpdvoio 
zu  erwarten  wäre."  —  Ein  ähnlicher  Fehler  mutet  uns  in  ü  575 
(und  o)  79)  einen  Nonsens  zu.  Von  Automedon  und  Alkimos 
heißt  es :  ovg  Sa  judXioxa  xV  (richtiger  xC)  "AxiXevg  hdgmv  tiExd 
IJdxgoy.Xov  ys  davövxa.  Nachdem  Patroklos  tot  ist,  kommt  die 
Vergleich ung  mit  ihm  nicht  mehr  in  Betracht.  Die  beliebte 
Wendung  itdXioxa  jusxd,  ägioxog  /UExd  schließt  die  zeitliche  Auf- 
fassung „nach  dem  Tode  des  Patroklos"  (wie  /*£#' "Exxoga  .2"  96) 


1)   Das  kann    vor  allem  eine  Wendung   wie  77  502   xekog   äavaToio 
y.äkvyjev  6<p&a?./.iovg  QTväg  zs  klar  machen. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  11 

aus.  Es  muß  natürlich  heißen:  juexd  H6.toox.X6y  y1  et*  lövxa.  — 
0  526  geben  der  Syrische  Palimpsest  ABLXM  u.  a.  Aatuiexldqg, 
öv  Aa/mios  iyeivaxo  (pegxaxov  vlov,  ST  u.  a.  cpegxaxog  dvdgtov, 
nur  GZ  cpegxaxov  dvdgajv:  die  Herausgeber  schwanken  zwischen 
qiegxaxov  vlov  und  cpegxaxog  dvdgwv  und  doch  ist  cpegxaxov 
dvdgcov  als  ursprünglich  zu  betrachten,  denn  dies  wird  durch 
das  folgende  ei)  eldoxa  ftovgidog  d?Mrjg  erläutert.  —  In  H  433 

fjuog  <5'  ovx1  dq  tcoj  f]Ojg,  exe  <5'  dptfpiXvxi]  vv£ 

vermißt  man  ein  Verbum,  steht  dg  zwecklos  und  fehlt  zu  ovxe 
das  zweite  Glied.  Die  Stelle  ist  besonders  deshalb  interessant, 
weil  Apoll.  Rhod.  II  669  den  gleichen  Text  vor  sich  hatte  und 
abgesehen  von  dga  die  Mängel  beseitigte:  fj^og  ö"1  ovx'  dg  nco 
(pdog  djußgoxov  oiV  exi  Xirjv  dgcpva'nq  neXerai,  XeJtrdv  d,  im- 
öeögojiie  vvxxl  cpeyyog,  6V  dtucpuvxi]v  utv  dveygojuevoi  xaXeovoiv. 
Hiernach  soll  auch  bei  Homer  ovx''  exi  dg<pvairj  vvt;  vorschweben. 
Auf  solche  Weise  läßt  sich  alles  erklären.  Die  Auslassung 
von  f)vl),  die  auch  in  Prosa  selten  ist,  findet  sich  bei  Homer 
gewöhnlich  nur  in  Hauptsätzen,  immer  an  Stellen,  wo  es  sich 
leicht  ergänzt.  Die  Stellen  sind  von  La  Roche  zu  H  433  zu- 
sammengestellt, z.  B.  B  707  6  <V  ä/za  Jigoxegog  xal  dgeicov. 
A  253  kann  aus  limgijooorxo  ein  allgemeinerer  Ausdruck  wie 
noveho  entnommen  werden ;  /;  87  ist  zu  jxegl  de  figiyxog  aus 
dem  Vorhergehenden  eXr\Xaxo  zu  ergänzen.  P214  eitel  ov  noXv- 
uvDog  xal  d(pafxagxot'7ir]g,  ei  xal  yevei  voxegog  fjev  gehört  rjev 
auch  zu  TioXvfivßog  x.  d.  und  wie  A  404  6  ydg  avxe  ßit]  'ov 
Txaxgög  djueivayv  nicht  rjv,  sondern  ioxi  ergänzt  werden  kann, 
so  kann  dies  auch  I  577  otitioOi  moxaxov  nediov  Kalvöwvog 
egavvrjg  und  ^  107  xäv&ave  xal  IlaxgoxXog,  6  neg  oeo  noXXdv 
d/ueivüjv  geschehen.  Jedenfalls  findet  sich  keine  Stelle,  wo  wie 
hier  nach  iqfxog  das  Verbum  fehlte.  Mit  ovx  dga,  wie  Nauck 
vermutet,  wird  nur  dem  einen  Schaden  abgeholfen.  Nach  f  502 
cpde  de  %gvoodgovog  'Hcog  ist  der  alte  Fehler  mit  rjfiog  $'  ov 
cpde  na)  fjcog  zu  verbessern.  —  Öfters  begegnen  Emendationen. 


x)  Etwas  anders  ist  sau,  das  öfters  auch  in  Nebensätzen  fehlt;  etat 
fehlt  X  52  ei  <5'  ijdrj   ze&väoi  y.al  lv  'Aiöao  döftotoiv. 


12  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

bei  denen  man  nicht  verstehen  kann,  warum  sie  nicht  ohne 
weiteres  allgemeine  Annahme  gefunden  haben.  Z.  B.  hat  Nitzsch 
den  Widerspruch  von  /  552  xet%£og  kxxood-ev  fiifiveiv  nokeeg  mg 
eovtes  mit  531  Ahcokol  fihv  äjuvvöjuevoi  Ka?<.vdcovog  £gavvi)g, 
KovQrjxsg  de  dumgafteev  jue/iiacTnsg  ägyi  beseitigt  mit  ret/eog 
ixxög  eövxa  jueveiv.  Solange  Meleager  vor  den  Toren  von  Ka- 
lydon,  der  Stadt  der  Atoler,  kämpfte  und  nicht  untätig  zuhause 
lag  (y.eixo  jragu  juvrjoxfj  äko%cp),  konnten  die  Kureten  ihren 
Zweck  Kalydon  zu  erobern  nicht  erreichen.  Wie  gezwungen 
ist  die  Erklärung:  „zuerst  wurden  die  Kureten  in  Pleuron  be- 
lagert; erst  als  sich  Meleager  zurückzog,  wurden  die  Ätoler 
in  Kalydon  eingeschlossen".  Nach  531  handelt  es  sich  doch 
von  allem  Anfang  an  um  Kalydon  und  die  Unterscheidung 
einer  früheren  und  einer  späteren  Phase  des  Krieges,  auf  welche 
man  nicht  den  Notbehelf  xaxä  xb  ouojicojiierov  anwenden  kann, 
gehört  zu  jenen  Mitteln  der  Interpretation,  mit  denen  man  jede 
verdorbene  Lesart  zu  rechtfertigen  vermag.  Auch  die  Annahme 
von  L.  Friedländer  (Philol.  IV  S.  583  ff.),  daß  zwei  Stücke  ver- 
bunden seien,  wird  durch  die  ganze  Art  des  Zusammenhangs 
unwahrscheinlich  gemacht.  Die  Vertauschung  von  jueveiv  und 
füfxveiv  findet  sich  öfters.  Z.  B.  ist  ö  508  fiifive  nur  in  W 
und  mit  yg.  in  H  von  zweiter  Hand  erhalten,  während  die 
meisten  Handschriften  jueTve  bieten.  —  Eine  Emendation,  die 
gleichfalls  als  evident  erscheint,  aber  gewöhnlich  unbeachtet 
bleibt,  hat  Christ  in  /  514 

älX1 ,  'AyiAtv,  Jioge  xal  ob   Aibg  xovgrjoiv  eneodai 
xi/urjv,  ij  r1  ällojv  Tieg  emyväjujrxet  voov  eodlcbv. 

gefunden.  Nur  von  den  Altai,  nicht  von  der  xiju/],  kann  aus- 
gesagt werden,  daß  sie  den  Sinn  Edler  herumgebracht  haben; 
also  muß  es  a"  t1  . .  ejieyvajuyav  heißen.  —  Die  evidenten  Emen- 
dationen  von  Brandreth  .Z362  xoxov  für  ßgoxog,  von  Menrad  i\763 
nrr'  aiyüujiog  TiExorjg  negipyxeg  aegdeig  für  Jiegijui]xeog  ägt'hig1), 


l)  Ein  zweites  äodst'g  s  393  ist  am  wahrscheinlichsten  unter  Be- 
nützung der  Lesart  des  Rhianos  und  des  Aristophanes  im  Hv/iarog  in 
tisyälq)  in!  xv/xaz'  dsg^Eig  verbessert  worden.   Über  aigovrag  P724  s.  unten. 


Textkritisclie  Studien  zur  Ilias.  13 

von  Christ  N  57  eoov/uevog  tisq  igcorjoei1  für  eoovfievöv  neg 
ega)))oaix\  welches  nicht  die  Bedeutung  von  djzoorgeymixe  haben 
kann,  und  ¥  578  yevefi  für  dgexf],  von  Nauck  N  594  xfj  für 
t))v  werden  gewöhnlich  nicht  gebührend  gewürdigt:  7regifi?]xeg 
hat  nicht  einmal  Leeuwen  in  den  Text  aufgenommen,  obwohl 
er  bemerkt:  adiectivum  abundat  neque  aptum  est  rupi  und  tr\ 
fertigt  Leaf  mit  without  authority  ab.  Zu  N  470  dXX"1  ovx 
'IdofiEvrja  cpößog  Xdße  xi]Xvyexov  &g  hat  Bentley  die  feinsinnige 
Verbesserung  vt]nvxiov  tag  gefunden,  die  gewöhnlich  nicht  ein- 
mal der  Erwähnung  wert  erachtet  wird.  Vgl.  F200  =  431.  — 
Daß  in  M  287  6k  rcov  dficpoxegrooe  Xtöoi  noxiovxo  fidfieiai,  ai 
fih  dg1  sig  Tgcoag,  ai  d'  ex  Tgcocov  ig  "Ayaiovg,  ßaXXo^ievwv  der 
Sinn  ßaXXövxcov  fordert,  hat  Brandreth,  hat  Köchly  und  wohl 
noch  mancher  gesehen,  aber  der  Aufnahme  wird  ßaXXuvxwv 
nicht  gewürdigt.  —  M  277  hat  ngoßocdvxe,  wofür  Nauck  ngo- 
ßißdvxe  gefunden  hat,  ebenso  wenig  Berechtigung  wie  ^iaxgd 
ßtß&vxa  r  22  oder  fxaxgd  ßtßcooa  X  539.  Vgl.  O  686,  wo  die 
maßgebenden  Handschriften  ßißdg,  minderwertige  ßißcov  oder 
ßißcov  haben  und  A  yg.  ßißcov  über  ßißäg  gibt.  In  iV/277 
entspricht  jrgoßißdvxe  coxgvvov  dem  cpoixrjxqv  öxgvvovxeg  in  266. 
—  Vom  Schneegestöber  heißt  es  M  284  xai  x  ecp  älbg  noXirjg 
xeyvxai  Xijueoiv  xe  xal  äxxmg  (dxtfj  Christ),  xvtua  de  juiv  ngoo- 
Tild'Qov  igvxexai.  Hierin  soll  igvxexai  nicht  „hält  bei  sich 
zurück  %  wie  es  bei  seiner  Verwandtschaft  mit  egvco  (ziehe) 
sein  müßte,  sondern  „hält  von  sich  fern"  bedeuten.  Ausge- 
zeichnet ist  die  Verbesserung  von  Cauer  egevyexm  („spritzt  den 
Schnee  weg").  —  Schließlich  handelt  es  sich  um  die  Frage,  ob 
in  der  Homerkritik  die  ratio,  eine  unbefangene  und  dem 
Dichter  sein  Recht  wahrende  Auffassung  sich  geltend  machen 
darf.  Solche  Gedanken  weckt  z.  B.  0  548  nag  de  oi  avrog 
(Apollon)  earrj,  ojicog  ftavdxoio  ßagelag  yßgag  dXdXxoi.  So  geben 
alle  Handschriften,  nur  eine  Pariser  bietet  das  metrisch  fehler- 
hafte, aber  einem  richtigen  Gedanken  entsprungene  jnoigag- 
Eustathios  hat  xfjgag  erhalten  und  xfjge  &avdxoio  (Q  70),  xfj- 
gag  ftavdxoto  %  202,  xijg  duvdxoio  {X  171,  398),  Mvaxov  xal 
xi~igag  (e  387),   ddvaxor  xal  xrjga  (tt  169)  ist  der  natürliche  Aus- 


14  -7.  Abhandlung:   N.  Wecklein 

druck  für  „Verhängnis  des  Todes".  Daß  auch  das  Epitheton 
ßagelag  zu  xrjgag  paßt,  kann  ?;  197  beweisen.  Die  überlieferte 
Lesart  ist  augenscheinlich  unter  Einwirkung  von  ßagnag  xelgag 
inoioei  (A  89)  entstanden.  Damit,  daß  man  Qavdxoio  schreibt, 
ist  nichts  ausgerichtet.  Mit  dieser  Änderung  ist  auch  die  Emen- 
dation  Marklands  zu  A  97  koi/uoto  ßageiag  xijgag  (für  yeigcig) 
äcpefei  gesichert.  Wenn  Leaf  für  die  Personifikation  von  Xoifiog 
auf  Soph.  Od.  T.  27  6  Tivgrpögog  fieög  .  .  loifwg  hyßioxog  oder 
Simonid.  Amorg.  7,  101  ovo'  alxpa  Xoiiiov  olxirjg  äncboexai  ey- 
ßgbv  ovvoixrjtrJQa,  övo/usvea  deov  verweist,  so  müßte  man  nach 
Herod.  VIII  111  ovo  /ueydkovg  ileovg,  nudw  xe  xal  dvayxairjv 
auch  von  den  Händen  oder  Armen  der  itet&oj  sprechen  können. 
Eher  könnte  man  sich  yelgag  Qavdxoio  in  einem  Zusammen- 
hang wie  X  202  Jicog  de  xev  "Exxojg  xrjgag  vjie£e<pvy£V  tlavd- 
xolo  gefallen  lassen.  —  W  48  findet  man  noch  in  allen  Aus- 
gaben dkl'  Jj  xoi  vvv  juhv  oxvyegf]  Tteidoj^ießa  datxi.  An  dem 
Ausdruck  wurde  schon  im  Altertum  Anstoß  genommen,  da  in 
einem  Papyrus  neißcbjue&a  in  xegjzwjueda  korrigiert  ist.  Aber 
orvyeQJj  und  xegntöfieda  reimt  sich  nicht  gut  zusammen. 
Auch  Heyne  hat  das  Abstruse  des  Ausdrucks  net&cojLie&a  öaixl 
erkannt  und  nach  Q  502  vvxxi  vermutet.  Allein  für  vvxxi 
wäre  oxvyegf]  hier  ein  unpassendes  Epitheton.  Ausgezeichnet 
aber  ist  die  Emendation  von  Peppmüller  oxvyegf]  Tieißojueßa 
yaoxgl,  welche  durch  t]  216  ov  ydg  xi  oxvyegf]  im  yaoxegi 
xrvxegov  äXXo  enXero,  o  344  evex  öXofievrjg  yaoxgbg  xaxa  xf)öei 
eyovoiv,  o  53  äXXd  ae  yaoxi/g  öxgvvei  xaxoegyög  in  vollends 
überzeugender  Weise  unterstützt  wird.  —  Nach  dem  geAvöhn- 
lichen  Texte  in  lF  598  xoTo  de  &vjubg  idvdtj,  d>g  ei  xe  negl 
axayveootv  eegoi]  Xrjiov  äldrjoy.ovxog ,  oxe  cpgiooovoiv  ugovgai 
freut  sich  immer  noch  der  Tau  über  die  Saat,  nicht,  wie  es 
ein  Dichter  wie  Äschylos  aufgefaßt  hat  (Ag.  1390  yaigovoav 
ovöev  rjooov  >)  öiooöoxco  ydvei  ojiogr]x6g  xdXvxog  er  Aoyevfiaoiv), 
die  Saat  über  den  Tau,  die  dem  Tau  ihr  Gedeihen  (aXdrjoxei) 
verdankt.  Man  müßte  sich  einfach  mit  dem  Geständnis,  daß 
der  Text  nicht  heil  sein  kann,  begnügen,  wenn  nicht  Capelle 
die  treffliche  und  sichere  Verbesserung   Mqoyj   Xtjiov  äXdfjoxov, 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  15 

oxe  xe  (pQiaocoaiv  ägovgai  gefunden  hätte.  —  In  den  Worten 
der  Athena  O  141  äqyakeov  de  jidvxcov  äv&Qdöncov  gvoftai  ye- 
verjv  xe  xoxov  xe  hat  Leeuwen  äv&Qcancov  in  d&avdxcov  ver- 
bessert. Die  Emendation  wird  durch  den  Zusammenhang 
unbedingt  gefordert.  Leaf  bemerkt  dazu:  This  gives  the  re- 
quired  sense,  but  there  is  nothing  to  account  for  the  alteration. 
Damit  wird  jede  ratio  ausgeschlossen.  Dürfen  wir  einen  un- 
vernünftigen oder  gedankenlosen  Dichter  annehmen  ?  Wie  ent- 
scheiden wir,  wenn  sich  z.  B.  O  578  zwei  Texte  gegenüber- 
stehen :  doimrjoev  de  jieoojv,  xbv  de  oxoxog  öooe  xdlvipE  in 
ABLM  u.  a.  —  dovjirjoev  de  Tieotbv  aQaßi]0£  re  xevxe1  etz1 
ainol  in  ST  u.  a.  ?  Vom  Dichter  kann  nur  der  eine  Text 
herrühren.  Die  größere  oder  geringere  Autorität  der  Hand- 
schriften kann  auch  keine  Sicherheit  gewähren,  da  solche  Ab- 
weichungen auf  ältere  Texte,  auf  Handschriften  der  Rhapsoden 
zurückgehen.  Es  muß  also  die  ratio  entscheiden.  In  dem  For- 
melverse, der  so  oft  wiederkehrt,  dotmrjoev  de  jieocov,  dgdßrjoe 
de  xev%e'  Iti  avxcö  gehört  der  dumpfe  Fall  und  das  Rasseln  der 
Waffen  zusammen.  Der  Dichter  hat  also  so  und  nicht  anders 
geschrieben,  auch  77  325,  wo  alle  Handschriften  den  anderen 
Text  bieten.  In  O  578  aber  hat  sich  die  Wendung,  wie  sie 
A  503  gegeben  wird: 

röv  de  oxoxog  öooe  xdkvipev 
dovnrjoev  de  neodov,  dgdßrjoe  de  xevxe'1  en"1  avrcp 

zu  einem  Vers  vereinigt. 

Nur  der  Glaube  an  die  Zuverlässigkeit  der  Textüberliefe- 
rung scheint  es  verschuldet  zu  haben,  daß  offenkundige  Ver- 
derbnisse unbeachtet  bleiben.  Q  178  richtet  Iris  dem  Priamos 
den  145  ff.  gegebenen  Auftrag  des  Zeus  aus : 

xf]ov$  xig  xot  enono  yeoatxEQog,  dg  x1  i&vvoi 
y/uiövovg  xal  äjLiafav  evxooyor  ydk  xal  avxig 
vexqov  äyoi  tiqoxl  äoxv. 
Nebenbei    bemerkt,   erfordert    der  Homerische  Sprachgebrauch 
ög  x"1  tßvv)]    (der    die    Aufgabe    hat    zu    lenken).     In   149   hat 
eine  Wiener  Handschrift  den  Konjunktiv  erhalten.    Das  Subjekt 


16  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

von  uyoi  ist  nach  diesem  Text  der  Herold.  Besser  wäre  die 
Beziehung  auf  a/ua^ar,  wenn  man  mit  A2ST  fj  xe  für  f]de  setzte 
und  gleichfalls  uyoi  in  äyfl  oder  vielmehr  dann  in  yEQrj  (vgl. 
Q  697)  änderte.  Da  aber  der  Auftrag  ausgerichtet  werden  muß, 
wie  er  gegeben  ist,  und  uyoi  151  Priamos  zum  Subjekte  hat,  mute 
es  hier  äyoig  heißen.  Vgl.  uvzög  aycov  601,  "IXiov  eioayaycov  620. 
Zum  Schluß  dieser  Vorbemerkungen  möchte  ich  den  Kri- 
tikern, welche  sich  für  verpflichtet  halten  alle  abnormen  und 
unbegreiflichen  Formen  und  widerspruchsvollen  Wendungen 
geduldig  hinzunehmen  und  vor  den  Ungereimtheiten  der  Über- 
lieferung, die  wir  Abschreibern  oder  Rhapsoden  oder  auch 
Interpolatoren  zur  Last  legen,  wie  vor  ehrwürdigen  Resten  des 
Altertums  eine  heilige  Scheu  haben  und  daraus  sprachliche 
oder  metrische  Gesetze  ableiten,  eine  einfache,  aber  lehrreiche 
Stelle  zur  Beurteilung  vorlegen.  Der  wehrlose  Lykaon  bittet 
Achilleus  um  sein  Leben:  „Ich  stehe  zu  Dir  im  Verhältnis 
eines  Schutzflehenden.  Du  hast  auch  an  mir,  als  Du  mich 
nach  Lemnos  verkauftest,  einen  Preis  von  hundert  Rindern 
verdient" :  vvv  ö"1  eXvfirjv  (de  Xv/Ltfjv)  rglg  xoooa  tioqojv  &  80. 
Man  bezieht  diese  Angabe  auf  42  xei&ev  öe  gelvog  /uiv  eXvouto, 
noXXu  (V  edcoxev,  "I/xßgiog  'Hetiojv,  Jie.juipsv  d"1  Eig  diav  'ÄQtoßrjv. 
Aber  nicht  Lykaon,  sondern  der  Gastfreund  hat  das  Lösegeld 
gegeben.  Ohnedies  stehen  diese  beiden  Verse,  welche  das 
ötüJjiojjuEvov,  wie  Lykaon  von  Lemnos  nach  Asien  entkam,  er- 
klären sollen,  mit  eX&ojv  ex  A^jlivoio  46  in  Widerspruch,  sind 
also  nachträglich  eingeschaltet  worden.  Nach  dem  Zu- 
sammenhang und  nach  den  Worten  des  Achilleus  juij  juoi  unoiva 
mcpuvoxEo  99  muß  Lykaon  mit  Tglg  rooou  jiogcov  ein  neues 
Lösegeld  angeboten  haben,  in  vvv  de  Xvfxrjv  muß  also  der 
Wunsch  um  einen  dreifachen  Preis  sich  loskaufen  zu  dürfen 
enthalten  sein,  was  der  Schob  mit  XviQcoßeh]v  richtig  angibt. 
Also  bleibt  nichts  übrig  als  vvv  Xvijiiyv  (=  Xvoifxrjv)  zu  setzen, 
wie  man  o  238  XeXvto  oder  XeXvvxo  (sie!)  in  XeXvao,  o  348  dvrj 
in  dvirj,  i  377  ävadvf]  oder  uvuöoh]  in  dvaövct],  o  248  öuivvur 
in  öaivviuT  ,  IJ  99  exdvfxev  in  exdvlfisv  emendiert  hat  und  wie 
oft  ßvw  (opfere)  und  ftv'uo  (tobe)  verwechselt  werden  (z.  B. 
.1  180  &vcev  AGM,   &vev  BS  u.  a.). 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  17 

I. 

1.  Nachdem  ich  in  der  Abhandlung  „Über  die  Methode 
der  Textkritik  und  die  handschriftliche  Überlieferung 
des  Homer"  (Sitzungsb.  1908)  den  Nachweis  versucht  habe, 
daß  auch  dem  überlieferten  Texte  des  Homer  gegenüber  die  ver- 
schiedenen Methoden  der  Kritik  ihre  volle  Berechtigung  bean- 
spruchen, habe  ich  in  den  Analecta  Homerica  von  L.  Fried- 
länder S.  458  den  Satz  gefunden:  quamquam  verissimum  est 
quod  dixit  Lehrsius,  Homerum  in  Universum  tarn  bene  habitum 
esse  ut  id  numquam  satis  mirari  possimus,  tarnen  non  minus 
verum  est  nullum  fere  corruptelae  genus  cogitari  posse,  quo 
haec  carmina  non  aliquatenus  contaminata  sint.  Diese  Theorie 
ist  richtig,  enthält  aber  sozusagen  nur  die  Hälfte  der  Wahr- 
heit. Der  Text  des  Homer  hat  sowohl  durch  die  schriftliche 
wie  durch  die  mündliche  Überlieferung  gelitten.  Der  Zeit,  aus 
welcher  wir  die  Texte  der  Tragiker  haben,  geht  bei  Homer 
eine  lange  Zeit  voraus,  in  welcher  die  schwerfällige  Schrift 
große  Mühe  verursachte  und  zu  allerlei  Irrtümern  Anlaß  gab. 
Noch  Zenodot  las  H  127  jueigojiierog  statt  /<'  elgo/ievog,  S  37 
ötfatovreg  für  öipelovreg  und  Aristarch  wußte  nicht,  ob  das 'oxp1 
diovreg  oder  6yd  lovreg  bedeuten  solle,  und  wies  6yd  als  äveXh)- 
norov  zurück.  Aristarch  fand  N  315  die  Lesart  EAEOYHI 
vor  und  brachte  edoovoi  in  Zusammenhang  mit  ä/xevac:  er  hätte 
EAZOYZI  d.  i.  elpovai  lesen  sollen.  Des  öfteren  werden 
feiner  Fehler  auf  das  jueraxaQaxTtjQiCeiv  zurückgeführt.  Diese 
Umschrift  hat  besonders  auf  die  Endungen,  auf  die  Modus- 
formen verwirrend  eingewirkt.  Eine  Hauptquelle  der  Varianten 
müssen  die  Exemplare  der  Rhapsoden  gewesen  sein,  die  ähnliche 
Stellen  im  Gedächtnis  hatten,  die  auch  Verse  anderswoher  an 
mehr  oder  weniger  passender  Stelle  wiederholten.  Endlich  hat 
die  Attikisierung  und  Modernisierung  den  Text  in  mehrfacher  Be- 
ziehung umgestaltet.  Diesen  ungünstigen  Verhältnissen  gegen- 
über erwächst  der  Textkritik  die  Aufgabe  "Ojmjqov  eg~  'O/uijqov 
dioQ&ovv,  wie  Aristarch  für  die  Exegese  "OfxtjQov  e|  cOju/]qov 
oacprjvi^eiv  forderte.     Man  muß  der  Unsicherheit  und  Unzuver- 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  liist.  Kl.  Jahrg.  1917,  7.  Abb.  0 


18  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

lässigkeifc  der  Überlieferung  mit  festen  Regeln,  die  aus  der 
Mehrzahl  der  Fälle  unter  Berücksichtigung  des  allgemeinen 
griechischen  Sprachgebrauchs  gewonnen  werden,  beikommen. 
Um  dies  an  einem  Beispiel  darzutun,  heißt  es  von  Penelope 
TT  391  =  cp  161  tj  de  x"1  etieitg  (wenn  die  Freier  das  Haus  ver- 
lassen und  eine  andere  Braut  suchen) 

yrjjuaid\  ög  xe(v)  nlEioxa  jioooi  xal  juogoijuog  eX&oi. 

So  lautet  der  Text  bei  Bekker,  Düntzer,  Fäsi  (auch  in  der  Be- 
arbeitung von  C.  W.  Kayser),  La  Roche,  Lud  wich,  Leeuwen- 
Mendes  u.  a.     Dagegen  schreibt  Nauck: 

yrjjuaii}\  ög  he  tiXeIotci  nogr]  xal  juoooiiiog  E'h%]. 

Ich  wage  zu  behaupten,  daß  der  eine  wie  der  andere  Text 
nicht  ursprünglich  ist.  Die  Handschriften  gestatten  beide  Les- 
arten: an  der  ersten  Stelle  geben  dg  xe(v)  .  .  tioqoi  .  .  ekdoi 
FH1  MP1,  an  der  zweiten  HMP;  jioqt]  haben  an  der  zweiten 
Stelle  Fü2  (nÖQrjoiv  U1),  Ufty  U2  (ety  M,  efy  F).  Die  Form 
ög  xe  .  .  tiöqxi  .  .  elOt]  bedeutet  „wer  darbieten  und  kommen 
wird";  der  Sprechende  aber  kann  nicht  wissen,  ob  ein  solcher 
kommen  wird.  Der  epische  Sprachgebrauch,  der  auch  dem 
attischen  entspricht,  wird  z.  B.  durch  xal  */  eig  nävxag  eqvxoi 
avrjQ,  ög  t'  aXxinog  eI't]  ^138  oder  %aXE7i6v  ö£  xev  eirj  .  .  oxe 
iiij  ÖEÖg  .  .  -&EÜ]  y  186  angegeben.  Es  gilt  die  sog.  Assimi- 
lation der  Modi  (vgl.  Über  die  Methode  der  Textkritik  S.  68  f.). 
d.  h.  wenn  der  Nebensatz  in  die  Sphäre  eines  Potentialis  oder 
Irrealis  fällt,  so  nimmt  er  an  der  Gedankennuance  teil,  steht 
also  auch  im  Optativ  bzw.  im  Indikativ  eines  Präteritums, 
aber  ohne  xev  (äv),  weil  der  Satz  bereits  unter  der  Einwir- 
kung dieser  Partikel  steht.  Und  siehe  da!  Die  beiden  Hand- 
schriften GU,  deren  Übereinstimmung  uns  in  den  Studien  zur 
Odyssee  S.  40  von  maßgebender  Bedeutung  erschien,  haben  an 
beiden  Stellen  nicht  ög  ne(v),  sondern  ög  ng.  An  der  ersten 
Stelle  gesellt  sich  ihnen  auch  die  zweite  Hand  in  H  und  P 
zu,  an  der  zweiten  auch  F,  welche  nach  G  die  älteste  ist;  die 
gewohnte  Unsicherheit   zeigt   sich   bei  F  und  U  wieder  darin, 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  19 

daß  sie  Tiogt]  bzw.  tioq^olv  neben  e'X&oi  {eXd}]  U2,  so]  F)  bieten. 
Hiernach  kann 

yr)juai$\  ög  ng  nXeXoza  txoqch  xal  noooi/uog  eX&oi 

als  ursprünglicher  Text  festgestellt  werden,  ein  Beispiel  von 
„Gleichmacherei",  gegen  welches,  denke  ich,  kein  Einwand  er- 
hoben werden  kann.  —  Noch  ein  deutliches  Beispiel!  T  30 
gebeu  die  meisten  Handschriften  (AB  u.  a.)  mit  Aristarch  reo 
jusv  eyco  7ieiQ)]oco  äXaXxsiv  aygia  cpvXa,  SIT  u.  a.  mit  Aristo- 
phanes  dXaXxefiev:  mute  da  nicht  die  Beobachtung,  daß  der 
vierte  Fuß  den  Daktylus  liebt,  gegen  Aristarch  den  Ausschlag 
geben?  Muß  nicht  in  dem  gleichen  Verse  die  Beobachtung, 
daß  das  Aktiv  tieiq/joco  nur  noch  in  einem  unechten  V.  ß  316 
vorkommt,  die  Konjektur  von  La  Roche  jieiq)]ooiii'1  rechtfertigen? 
Man  wendet  gegen  die  „Gleichmacherei",  wie  man  es  zu  nennen 
beliebt,  ein,  daß  die  beiden  Epen  verschiedenen  Perioden  an- 
gehören, die  auf  den  Sprachgebrauch  maßgebenden  Einfluß 
gehabt  haben  könnten.  In  der  Tat  verraten  sich  jüngere 
Nachträge  und  Erweiterungen  wie  die  beiden  letzten  Gesänge 
der  Ilias  und  der  Schluß  der  Odyssee  von  t/'  300  an  durch  un- 
beabsichtigte nichtepische  Formen  oder  Ausdrücke  wie  "HXiog 
§  271,  Aiovvoog  X  325,  öviag  r]  94,  fjoda  Q  789,  co  92, *)  tioXei 
x  r\v  Q  706,  ovoi]g  r  489,  Xvyvog  r  34,  tieqloxeXXco  co  293,  ai 
xev  .  .  Tzecpidijoeicu  O  215,  /urj  xEyoXcooExai  F301,  co  544,  durch 
die  häufige  Außerachtlassung  des  Üigamma,  durch  juerd  mit  Gen. 
-Q400  (i\T700,  0  458),  df^og  für  Xaqg  Ü  776,  xEcog  Ü  706, 
feststehende  Kontraktionen,  oig  und  ]]g  vor  konsonantischem 
Anlaut,  iTinoi  (für  ijttzcjo)  dgaiih^v  ¥  392  f.,  417,  500  u.  a. 
Trotzdem  ist  die  Homerische  Sprache  eine  einheitliche,  gleich- 
förmige, die  in  dem  Gebrauch  der  Endungen,  der  Numeri,  der 


l)  i)ada  solum  reperitur  apud  Atticos  Lobeck  Pathol.  2,  267.  Hie- 
her  gekört  auch  eol  N  495.  Die  Verse  494,  495  entsprechen  nicht  dem 
Zusammenhang  und  sind  von  Payne  Knight  und  Christ  als  unecht  er- 
klärt worden.  Denn  nicht  ihm,  dem  Aneas,  sondern  dem  Deiphobos, 
Paris  und  Agenor  folgen  die  Leute.  Die  gleiche  Beanstandung  muß  d  38 
mit  äfia  nitiodui  soT  avziö  erfahren  und  richtig  läßt  die  Handschrift  U 
von  erster  Hand  den  Vers  aus. 

2* 


20  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Tempora  und  Modi  den  gleichen  Charakter  offenbart.  Man 
mag  verschiedener  Ansicht  darüber  sein,  ob  an  der  einen  oder 
anderen  Stelle  das  Digamma  herzustellen  oder  die  Endung  oig 
vor  einem  Konsonanten  zu  beseitigen  sei,  aber  abnorme  oder 
unglaubliche  Formen  wie  dyysXirjg  =  äyyelog,  d}iq>ovöig  g  237, 
dvdeövog,  äoqag  o  222,  äjirjhyecog  I  309,  a  373,  Ösvqcü  r  240, 
ZmTQaneovoi  K  421 ,  Evrjyevifjg  A  427,  W  81,  enevrjveov  H  428, 
431,  TtaQEvrjveov  a  147,  n  51,  dedonedov  rj  123,  rjoßag  £"898 
(zur  Beseitigung  des  Hiatus  vor  evegiegog),  l'xco/ui  7  414,  na- 
gaq/ßairjoi  K  346,  oldag  a  337  oder  olo&ag  A  85,  oaaxje/uev 
I  230  in  ev  doifj  de  oacooe/uev  ij  dnoXEO&at,  (aus  oacooejuev  er- 
gibt sich  nicht  ooag,  sondern  odag  k'fiev),  o6r\  oder  ooco  1 424, 
ooi-jg  oder  oocßg  7  681,1)  ravt]key^g,  änogoaioj  in  der  Bedeutung 
„beraube"  a  404,  n  428,  eine  Verbindung  wie  etitjv  naoa&eixo 
ß  105,  oj  140,  ejiyjv  JictQa&eijurjv  r  150,  ejirjv  yoov  e|  eqov  eirjv 
Q  227  (vgl.  d  222  em)v  xgrjTfJQi  juiysirj,  aber  G  £7i£t),  eine  Kon- 
struktion wie  oi' (5'  «oa  /in-  (für  ot)  a/toy  ßilog  Excpvye  #«00s 
J  376  (vgl.  ^407)2)  dürfen  in  unseren  Texten  nicht  erhalten 
bleiben,  da  man  sich  überzeugen  muß,  daß  sie  nur  einer  mangel- 
haften Überlieferung  zur  Last  fallen.  Selbst  eine  Form  wie 
öioxovoa  ¥  523  oder  veoh]  W  604,  die  Aristarch  ruhig  hinge- 
nommen hat,  muß  der  Einsicht,  daß  solche  Formen  unmöglich 
sind,  weichen.  Wenn  ein  Wort  wie  6eT  nur  an  einer  einzigen 
Stelle  im  ganzen  Homer  /  337  vorkommt  und  man  weiß,  daß 
in  den  Handschriften  der  Tragiker  häufig  öei  und  XQ'I  ver" 
tauscht  sind,  so  fordert  eine  gesunde  Methode  die  Einsetzung 
von  xq}].  Die  Form  dyalofiai  findet  sich  nur  v  16  äyaio/xevov 
xaxa  EQya.  Die  Redensart  lautet  aber  ß  67  äyaooajuevov  xaxa 
l'oya,  vgl.  ip  64  dyaoodjuErog  .  .  xaxa  EQya.  Also  ist  die  un- 
gewöhnliche   Form    in    dyaaoajuEvov    zu    verbessern.      Es    gibt 


1)  Für  vfja;  oaör)  (aaöyg)  xai  laov  'Aiai&v,  wie  Nauck  statt  vfjag  xs 
ooä>  geschrieben  hat,  kann  auf  die  zahlreichen  Fälle  hingewiesen  werden, 
in  denen  das  vor  xai  eingesetzte  xs  das  Digamma  aufhebt  wie  in  tpiXovs 
t'   Idseiv  xai  ixso&at. 

2)  Eine  andere  Bewandtnis  hat  es  mit  A  128  sx  ydg  aqpsag  xElC>(7)r 
cfvyor  tjvia. 


Textkritische  Studien  zur  llias.  21 

überhaupt  die  Form  äyaio/uai  so  wenig  wie  die  Form  äydofim, 
sondern  nur  äya/iai  (Stud.  z.  Od.  S.  65).  Eine  ähnliche  ver- 
einzelte Form  ist  xegme  7  203,  die  für  xegae  nur  gesetzt  ist, 
weil  man  die  Wirkung  der  Arsis  verkannte.  Vgl.  xEgwvxag 
(jo  364.  Zu  den  Mißformen  rechne  ich  auch  änocpcbXiog  (aus 
änacpctiXiog  durch  die  Einwirkung  von  öcpelog  entstanden),  /isra- 
jtiobviog  oder  juEta/ucbXiog1)  für  ävEjucbXiog,  nxoXuiog&iog  für  nxo- 
XiJWQ'd'og,  imggodog  für  EJiizdggoftog  (s.  oben  S.  9).  A  231 
kann  dr]juoßogog  ßaodevg  nur  ein  König  sein,  der  das  Volk, 
nicht  der  Volksgut  verzehrt.  G.  Schneider,  Beiträge  zur  hom. 
Wortforschung  und  Textkritik,  Görlitz  1893,  hat  ganz  recht, 
wenn  er  drjjuioßögog  dafür  verlangt.  Vgl.  drjfxia  mvovoiv  P  250. 
Aber  d?]/uioß6gog  =  dijjitjoßoQog  ist  ebenso  unmöglich  wie  M 213 
drjfiiov  =  dfjjujov  (im  Sinne  von  drjfirjyogov).  Wir  müssen  drj- 
/uioßgcög  dafür  setzen,  welches  ebenso  gebildet  ist  wie  (bjuoßgcog. 
Vgl.  w/ioßgwxeg  Eur.  Herk.  889,  wofür  die  Handschriften 
gleichfalls  (hjuoßgoxog  geben.  Die  Form  drjjiioßogog  hatte  zur 
Folge,  daß  ßaaiXev  in  ßaoiXevg  überging.  —  Ganz  vereinzelt 
steht  Z  321  jiegixaXXea  xev^  ejzovxa.  Mit  Recht  bemerkt 
ßechtel  im  Lexil.  S.  135,  daß  k'jico  nur  in  Verbindung  mit  den 
Präpositionen  äjucpl,  negi,  did,  im,  juezd  erscheine.  In  fx  209 
ov  juev  öi]  xoöe  jueitov  etil  xaxöv  ist  das  richtige  em  in  M2U 
überliefert,  welches  nur  um  der  vermeintlich  erforderlichen 
Länge  willen  in  ejiei  {ejiei,  ejiei)  verändert  worden  ist.  Die 
evidente  Emendation  von  Bekker  JiEgl  xdXXijiia  xEvy/  ejiovxcl 
(vgl.  0  555  nsgl  xevie1  ejtovöiv)  wird  von  manchen  Heraus- 
gebern nicht  einmal  der  Erwähnung  gewürdigt.  Rätselhaft 
ist  das  d  in  iygrjyög'&aoi  K  419,  während  es  in  iygtjyog'&E 
sich  wohl  erklärt.  Aus  v  6  lernen  wir  die  Form  Eygi]yog6cov 
(nach  Galen.  V  304  K.  iygt]yog£cov)  kennen.  Mit  iygrjyogdovoi 
oder  EygqyogEovoi  wird  eine  verständliche  Form  gewonnen. 
Aber  auch  iygtjyog&ai  K  67  ist  für  iygrjyeg^at  unter  dem 
Einfluß   von   Eygrjyoga   und   Eygr}yog&E    entstanden.     In    A  473 

*)  Warum  findet  sich  /j.era/uü)viog  für  avs/JKoXios  nur  nach  Vokalen 
ebenso  wie  fiezä  für  äfxa  oder  ivi,  und  zwar  häufig  nach  der  Hauptzäsur, 
wo  doch  der  Hiatus  ganz  geläufig  ist? 


22  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

äjuqpi  (51  äg"1  avxov  Tgcbeg  S7iov&\  dig  xxL  behalten  manche  EJiovß'' 
bei,  obwohl  die  Emendation  von  Payne  K night  enov  durch 
ejiov  483,  wo  auch  S  ejiovxo  bietet,  sichergestellt  wird.  — 
Die  Form  dvooageojuat,  welche  man  von  (oga  (cura)  ableitet, 
entspricht  in  7il83  o)g  öe  xvvsg  jzsgl  jufjXa  dvoo)g>)oovxai  ev 
avXf)  (Apoll.  Soph.  60,  26  dvo(ogr)oo)oiv)  der  Sache  wenig.  Es 
handelt  sich  um  Hut  (dvoqpvXaxrrjocooi,  wie  die  Erklärung  lautet); 
das  Wort  dafür  aber  ist  ögo/uai,  ovgog,  sjztovgog.  Daraus  er- 
gibt sich  die  Form  dvaovgeo^tat.  Aus  dem  Zitat  ist  der  Kon- 
junktiv övoovgrjocovzai  aufzunehmen,  auf  welchen  auch  das 
dort  folgende  sg%r]xai  hinweist.  —  K  252  hat  Aristarch  die 
Form  nagoiiWKEv  für  Jiagq>%yxev  erhalten.  —  Für  ävx-ETÖgi]OEv 
7?  337  hat  Döderlein  77  672  äv-xExog^osv,  für  dvxixögrjoag  K  267 
ävTSTogrjoag  hergestellt,  was  gewöhnlich  unbeachtet  bleibt.  Mit 
rExogrjoai  kann  man  xExadrjooj  vergleichen.  —  Das  oft  vor- 
kommende ysy  wvwg  für  yeycovcov  verdankt  seinen  Ursprung 
nur  der  vermeintlichen  Reduplikation.  —  A  601  findet  sich  die 
auffällige  Form  uoxa  für  icoxrjv:  die  Emendation  von  Bentley 
jioXejuov  re  fi(joxr\v  xe  xgvösooav  für  növov  aljivv  koxd  xe  Sax- 
gvösooav  (yg.  IG)  xaxadaxgvösooav  Aristonikos)  würde  man 
gewiß  eher  gewürdigt  haben,  wenn  jiovov  alnvv  in  seinem 
Recht  geblieben  und  nicht  ein  Digamma  bei  lorxrjv  angenommen 
worden  wäre.  Mit  Icoxrjv  xe  xgvösooav  vgl.  cpößov  xgvösvxog 
12.  Neben  ßsXog  sisjiEvxsg  A  51,  A  129,  welches  man  mit 
£%m  und  nEvxrj  oder  nsvxog  in  Verbindung  bringt,  scheint 
ßsXog  nsginsvxsg  A  845  unmöglich  zu  sein.  —  Die  Form  ör]- 
givüijxijv  II  756  ist  abnorm,  gibt  aber,  da  auch  die  regelrecht 
gebildete  Form  dy]givxi]xr]v  überliefert  ist  und  ädijgixog  vor- 
kommt, noch  nicht  das  Recht  mit  Nauck  und  Leeuwen  nach 
P  158  öfjgiv  e§eo&)]v  dafür  zu  setzen.  Mit  d>]gi&}]v  neben 
di]giodfxt]v  vgl.  z.  B.  sgsio&sig  neben  igEiodjUEvog.  Die  Form 
drjgiv&fjvcu  bei  Apollon.  Rh.  77  16  beweist  nur,  daß  dieser 
drjgtvß)'jxt]v  in  seinem  Text  hatte.  Zu  der  Bildung  von  örj- 
giv&rjv  hat  wohl  die  Ähnlichkeit  von  ixgiv&ijv,  sxXivß^v,  ßa- 
gvvftrjv,  ögiv&rjv  beigetragen.  —  Die  gleiche  Bewandtnis  hat 
es  mit  der  Form  Idgvvd^v  T  78,  77  56.     Obwohl  H  56  A  die 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  23 

• 

richtige  Form  lögvd^oav  bietet,  findet  man  in  den  Ausgaben 
gewöhnlich  das  hergebrachte  lögvvd-rjv.  Dieser  Vorgang  er- 
innert an  Xoyaväco,  welches  sowohl  „zurückhalten"  wie  „nach 
etwas  trachten"  (cpdoxrjxog  #  288,  %Qobg  Saxhiv  P572,  ÖQOfiov 
!F300)  bedeuten  soll.  Obgleich  an  der  letzten  Stelle  die  beste 
Überlieferung  (Syr.  Palimps.,  AS)  l%nv6<x)oav  erhalten  hat,  wird 
trotz  der  Belehrung  G.  Hermanns  zu  \'xaQ  Asch.  Hik.  863 
„die  Vulgata"  loxavdco  vielfach  festgehalten.  Mit  dygtßijxrjv 
und  äd)]Qirog  wird  die  Form  d)]giojnai  festgestellt.  Da  nun 
P734  neben  örjgioao&m  (SBMT  u.  a.)  auch  drjgidaoüai  (A  von 
jüngerer  Hand,  GHbY)  überliefert  ist,  wird  die  Form  ötjgid- 
ojuai  fraglich:  M  421  wird  im  Versschluß  drjgiEoftov  für 
drjoidao&ov,  P734  örjgiEofiai  für  örjgidaodai,  0  467  örjgiE- 
o & co v  für  dqgiadoftcov,  #78  örjgiovxo  (vorausgeht  76  örjgioavxo) 
für  di]Qiocovro  zu  setzen  sein.  Die  überlieferten  Formen  haben 
den  gleichen  Wert  wie  äydaoßcu,  rjydaofie,  iodaode,  egeeofis  u.  a. 
—  Über  ijiel  %'  ecojuev  T  402  ist  man  noch  zu  keiner  Eini- 
gung gelangt.  Daß  der  Sinn  ist  „nachdem  wir  uns  gesättigt 
haben  werden"  und  daß  die  Form  zu  afxevai  gehört,  muß  fest- 
stehen. Bothe  hat  x"  äojuev,  Leo  Meyer  %  äo/jsv  vorgeschlagen 
und  darin  einen  Wurzelaorist  zu  d-  erkannt.  Man  braucht  f 
eoj/uev  oder  vielmehr  das  in  mehreren  Handschriften  (Hb  u.  a.) 
überlieferte  %'  eojuev  (xeo/uev  G2,  yj  eojuev  L1)  nicht  zu  ändern, 
wenn  man  an  das  von  Joh.  Schmidt,  Die  Pluralbildung  usw. 
Weimar  1889  S.  332  f.  erkannte  Gesetz  denkt  und  xxeojuev 
X  216,  auch  oreo/uev  A  348  vergleicht.  —  Wie  abnorme  Formen 
entstanden  sind,  kann  P  637  oX  nov  devg'  SgöcovxEg  äxrjx^ax^ 
ovo"1  exl  cpaolv  xxi.  zeigen.  Die  Form  axrjx^axai  erinnert  an 
die  Form  ib^lddax''  oder  ikqtedar  r\  86,  die  auf  E.h]ldax  = 
ibUavxo  zurückgeführt  werden  muß.  So  kann  unter  äxrjxE.daxai 
nur  äxayjjaxai  =  äxdxrjvxai  verborgen  sein,  wie  sich  M 179 
dxax^oxo  findet.  Nun  gab  es  nach  Didymos  öevq ':  ovxcog 
'Agioxaoxog'  älloi  de  ,oX  nov  vvv1  die  Lesart  vvv  für  Öevo"1 
und  so  haben  ST  und  andere  Handschriften;  vvv  ögöcovxEg 
aber  gibt  keinen  Sinn;  vvv  weist  entschieden  auf  vvv  jiagä 
vrjvoiv  hin,  welche  Lesart  in  den  Anecd.  Oxon.  /  73,  33  (und 


24  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

• 
im  Et.  M.  48,  6)    erhalten    ist.      Hiermit   läßt  sich,  wie  schon 
Leeuwen  gesehen  hat,  ein  richtiger  Text  herstellen:  vT  jiov  vvv 
jiagd    vrjvo1    dxayi'jaxai    ortf    ext    cpaoiv.    —    Das    unglaubliche 
Wort  {lümi&Qa.  xvv&v  vom  „Spielzeug"  der  Hunde,  die  Leichen 
herumzerren,  iV2:J3,  wie  P255,  2  179  xvolv  fiüntj'&Qa  yeveo&cu 
hat  Nauck    nach  Eur.  Herk.  568   xvv&v   iXxrjfm    glücklich    in 
Üxrj&ga   geändert    und   hat  damit  auch  für  die  Euripidesstelle 
die  richtige  Form  gefunden.        Man  unterscheidet  gewöhnlich 
(5   Mfag   (der   Weher)    und    v\    ä))xi]    (das   Wehen,    der   Wind). 
Diese  Unterscheidung  beruht   auf  O  626,  wo  A  mit  Aristarch 
ävejuoio  de  deivog  äijxt)  gibt,  während  die  meisten  Handschriften 
äijirjg  haben.     Die  Bemerkung  des  Aristonikos  (Aristarch)   oxi 
äqoevixcog    deivog   cujxr],  all'   ov    deiviq,  d>g  ,xlvxog  'Innodäfieia' 
(B  742).     evioi    de    äyvoovvxeg    noiovoi    ,deivög    ärjxt]g\    all''    ov 
öeZ  ygäyeiv    ovxwg    läßt    den  Ursprung    von    ä)]xijg    erkennen, 
nämlich  das  generis  comm.   gebrauchte  deivog.     Wie    sich    an- 
derswo, bei  Hesiod,  bei  Simonides  m\xr\  findet,  so  ist  auch  bei 
Homer  kein  dr\xt]g  anzunehmen;  es  besteht  also  d  567  die 
Aristarchische  Lesart,    die  sich,   auch  in  MH2  findet,    all'   aiel 
CeyvQoto  liyv  nveiovxog   ärjxag   zu   recht.     Auch    S  254  oqoao 
ägyaleow  ävefiwv  enl   jiövrov    mjxag    zeugt    für    dtjri],    das    wie 
avQY)    gebraucht    wird.     Hesych    hat    neben    ärjrr}    auch  ätjxtjg, 
aber   der  Zusatz    dooenxwg   zeigt   augenfällig,    daß   die  Glosse 
auf  die  angeführte  Stelle  O  626  zurückgeht.  —  Unklar  ist  das 
Verhältnis  von  d'u»,  diojuai  zu  die/nai.    Zur  Annahme  eines  Ver- 
bums   dio/uai   läßt    man   sich   durch   die  unrichtige  Auffassung 
von    diov    x  251   „floh",   die  £433,  ^1  557,  £566    „fürchtete" 
jiegi  ydo  die  vrjvoh'  'Ayaicov,  negl  ydg  Öle  Jioi/uevi  lawv,  P  666 
negl  ydg  die  jut]  fxiv  \4yaioi  .  .  linoiev   bestimmen.     Zu   diesem 
starken  Aor.  diov  (zu  dpej-),  mit  welchem  man  xlov  vergleichen 
kann,  gibt  es  kein  Präsens  die»  und  kein  Passiv  oder  Medium 
diofiai.     Es    gibt   nur    ein  Aktiv    dirj/u,  welches  man  in  evdie- 
oav1)   2  584    „trieben,    scheuchten,    hetzten    darauf"    hat,    ein 


l)  Mit  Unrecht  sieht  hierin  Thiersch  Acta  philol.  Mon.  I  S.  191  ein 
Plusquamperfekt  =  edsStsoav. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  -^5 

Passiv  diejuai  „werde  getrieben,  werde  gescheucht"  M  304 
oxaßfiolo  dieoßai,  W  475  Xnnoi  äegomodeg  omdeog  nedioio  dievxai 
(„eilen  scheu"),  ein  Medium  die/iai  „scheue  mich"  Äsch.  Pers.  702 
diejuai  (so  Hermann  für  deiojuai  M,  diofiai  recc.)  [xev  laoioaößai, 
„treibe  vor  mir  her"   drjiovg  hqoxi  äoxv  dieoßai  M  276,  i'juiovg 

JTQOxl    äoTV    dliJXai    0  681,     ß QOOVV  "ExTOQO.    ÖlOQ  'A%i1XeVS    .    .    718- 

diovde  dh]xai  %  456,  tig  ■  •  ov  §a  xvveg  .  .  and  oxaß/uoio  dicovxai 
P110,  and  ocojuaxog  ov  xi  leovx"  aißmva  dvvavxai  .  .  dieoßai 
2  162,  enei  x1  and  vavcpi  iidxtjv  ■  ■  dirjxai  77  246,  firj  oe  .  . 
äygovde  diojfiai  cp  370,  xöv  k~eTvov  ävcoyag  and  jueydgoio  dieoßai 
q  398,  aldeojuai  d"1  dexovoav  änö  /ueydgoio  dieoßai  v  343.  Ebenso 
kommt  deidiooojuai  als  Medium  („erschrecke")  und  als  Passiv 
(„werde  erschreckt")  vor.  Daraus  ergibt  sich,  daß  q  317  xvoj- 
daAov  oxxi  dioixo  unrichtig  überliefert  ist  für  dieTxo.  Man  wird 
auch  richtiger  di&^iai,  dirjxai,  duovxai  betonen.  Ganz  ver- 
einzelt steht  das  Medium  etjeoeeivexo  K  81.  Da  im  cod.  Genav. 
ifsoeeive  steht,  wird  man  efegeeive  fe  zu  schreiben  haben.  — 
Zu  den  ungewöhnlichen  Formen  gehört  auch  rnjinldvexai  I  679, 
wo  Odysseus  über  den  Erfolg  der  Gesandtschaft  bei  Achilleus 
berichtet.  Wenn  man  daran  denkt,  wie  bei  solchen  Berichten 
die  vorher  gebrauchten  Ausdrücke  wiederholt  werden,  muß 
man  die  Änderung  von  Nauck  olddvexai  juevei  für  zutreffend 
ansehen,  weil  die  Aussage  von  Achilleus  dXld  fxoi  olddvexai 
xgaöh]  %6Xco  646  wiedergegeben  wird.  Aber  wie  erklärt  sich 
die  Änderung?  n  176  kann  man  den  Ausdruck  yeveiddeg  d/.icpl 
yeveiov  nicht  für  schön  finden ;  um  so  mehr  muß  man  das  Von 
den  Handschriften  GU,  welche,  wie  in  den  Studien  zur  Odyssee 
ausgeführt  ist,  gewöhnlich  im  Richtigen  zusammenstimmen,  ge- 
botene eßeigddeg  würdigen  (Eustathios  yeveiddeg  >}  eßeigddeg); 
nur  kann  man  nicht  an  die  Form  eßeioddeg  glauben.  Offen- 
bar ist  eßeioddeg  aus  e'-ßeigai  und  yeveiddeg  entstanden  (ein 
Hiatus  wie  in  edeiQai  äfxcpl  yeveiov  am  Schlüsse  des  Verses 
nach  der  bukolischen  Zäsur  ist  nicht  selten)  und  so  ist  ni/u- 
nXdvexai  aus  olddvexai  und  nijunXaxai  abzuleiten:  dem 
m/juiXävexai  zuliebe  mußte  auch  fieve'C  in  jueveog  geändert  wer- 
den. —  In   dem  Vers,    welchen    Zenodot   nach   r  338   bietet: 


26  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

ati'i }  (Y  r/o'  w/JLOioiv  ßdkez"1  domöa  rfQoavoFooav  ist  das  unver- 
ständliche xeQoavoEOoav  aus  den  beiden  Epitheta  des  Schildes 
TSQfiioeoaav  und  &voavoeooav  entstanden.  So  hat  sich 
ö  826  die  Lesart  einiger  Handschriften  (GP)  eanstai  aus  £QXe~ 
zai  und  eonexo  gebildet.  Wer  kann  die  zu  K  493  bei  Hesych 
überlieferte  Lesart  dijdeoxav  verstehen,  die  freilich  Musuros 
ohne  weiteres  in  d/jfteoxov  geändert  hat?  Sie  stammt  von 
diqfteoxov  und  u>']  &eooav  (so  M2HEbX).  —  Die  seltsame 
Lesart  des  Lips.  £'230  ßoavzog  Oeiavzog  ist  aus  &ei(oio)  äv- 
(ax)zog  und  dem  übergeschriebenen  Qoavzog  entstanden,  ebenso 
die  von  Gr  E  283  ixdo&ip  aus  l'xavov  und  Ixeoftyv,  ebenso 
die  Lesart  des  Aristarch  0  307  ßißcov  (Zenodot  ßocor)  aus 
ßißdg  und  ßocöv.  —  Der  Ausdruck  ozeoojz^yeoexa  Zevg  II  298 
ist  gewiß  sinnlos,  aber  niemand  wagt  die  Emendation  von 
Payne  Knight  Zevg  doxeQOTixjxiqg  (nach  A  609)  aufzunehmen, 
offenbar  aus  dem  Grunde,  den  Leaf  angibt:  why  should  this 
familiär  phrase  have  been  corrupted?  Die  Erklärung  liegt  in 
Zevg  aoTeoonrjZTqg  mit  der  Überschrift  ve<peh]yeQexa:  da  vecpeXrj- 
yeqeza  unmittelbar  nach  vecpehjv  nicht  angängig  war,  entstand 
aus  der  Verbindung  beider  Wörter  ozeoomjyeoeza.  —  Diese 
Quelle  von  Verderbnissen  kann  uns  in  II 405  o  (5'  eyyei  vv£e 
jzagaozdg  yvaßtudv  deg'izeQOv,  did  d"1  avzov  nelqev  ödovzcov  über 
das  stilwidrige  avzov,  wofür  man  avzwv,  avzov,  al%ju)]  ver- 
mutet hat,  aufklären.  Leaf  bemerkt  noch,  daß  das  Objekt 
von  Tielgeiv  sonst  das  Durchstochene,  nicht  das  Durchstechende 
sei.  Der  eine  wie  der  andere  Anstoß  wird  mit  dvzezögrjoev 
beseitigt.  Als  das  über  xöqtjoev  geschriebene  neloev  Aufnahme 
fand,  wurde  das  übriggebliebene  ävze  in  avzov  verwandelt. 
Mit  did  (51  avxezoQYjoev  ödovxaiv  (er  bohrte  die  Lanze  durch 
die  Zähne  hindurch)  vgl.  E  337  el&ag  de  dogv  %oobg  (Leeuwen 
XQoa)  dvzezoQtjoev  ä/Lißgooiov  did  tietiXov  .  .  tiqv^ivov  imeo  de- 
vagog.  —  Auf  diese  Weise  läßt  sich  auch  eine  Emendation 
von  Agar  zu  II  792  rechtfertigen,  die  bisher  keine  Beachtung 
finden  konnte.  An  %eiol  xaxa7iQi]vei,  oxoeqpedlvy&ev  de  ol  öooe 
ist  sowohl  die  Kontraktion  von  xazangrjveT  (vgl.  Menrad  De 
contr.  et  syniz.  usu  Hom.  p.  71  ff.)  wie  das  „wunderliche"  oxoecpe- 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  27 

divrjdev  zu  beanstanden.  Wie  P  680  öooe  cpaeivd)  ndvTooe  di- 
veiodi]r  (vielmehr  öivrjßev)  zeigen  kann,  werden  mit  yegol 
xarano^veooiv'  edirqßev  de  ol  öooe  beide  Anstände  be- 
seitigt und  die  Lesart  zweier  Pariser  Handschriften  oTgefpe' 
divrj&ev  kann  die  Entstehung  der  Korruptel  (edhnj&ev  mit  der 
Überschrift  orgele)  andeuten.  —  .Z"  463,  wo  die  Handschriften 
zwischen  ut)  und  /*>/  toi  schwanken,  ist  die  Lesart  von  MTL 
iu']  ti  toi  nichts  anderes  als  die  Verbindung  von  ui]  rt  und 
firj  toi.  —  T  172  =  f^  159  hat  man  in  delnvov  avcoyjh  on- 
leodai  mit  önXelo&ai  eine  brauchbare  Form  gewinnen  wollen; 
aber  öjiXeoj  kommt  nur  £  73  in  der  Bedeutung  „schirre  an" 
vor.  Nach  208  ist  Tevyeo§ai  herzustellen  und  ojiXea&ai  von 
Ttvyeoßai  und  onXiCeoüai  herzuleiten.  —  Die  abnorme  Form 
id.  Y  68,  für  welche  Bentley  ßeXea  gesetzt  hat,  wird  durch  die 
Überschrift  tovg  über  ßeXea  entstanden  sein,  wie  Y 159  (bg- 
fiacoTs  in  G  s.  v.  a.  SgucövT?  und  Lieiiaöne  bedeutet.  —  Ebenso 
ist  die  abnorme  Form  ddrjTat  1^  316  auf  das  von  Bentley  nach 
Z  331,  A  667  hergestellte  &eqijtcu  und  die  Überschrift  daitjTai 
zurückzuführen.  —  Y  24:3  geben  ABM  u.  a.  6  ydg  x"1  oy1  äg- 
iotos  für  6  ydg  xdgTioTog  d.  i.  o  ydg  x  dgTioTog  mit  der  Über- 
schrift oy1  ägiorog.  —  <&  293  hat  A  o  über  toi,  in  S  ist  daraus 
toi  ool  geworden.  —  Q  292  ahee  <5'  olojvöv  tayvv  äyyeXov  steht 
in  A  teov  über  Tayvv,  T  bietet  eöv  und  als  Variante  auch  A: 
tsov  ist  aus  Tayvv  und  eov,  welches  aus  296  stammt,  zusammen- 
geflossen. —  Ebenso  ist  die  Lesart  von  M  cpiXovo'  x¥  548  aus 
cpiXov  und  cpiXog,  die  von  der  Stuttgarter  Handschrift  Injiovovg 
H  342  aus  Xnnov  und  Xnnovg  abzuleiten.  —  A  754  ist  der 
seltene  Ausdruck  öid  omdeog  nedioio  erhalten.  Mit  omörjs 
lassen  sich  Wörter  wie  qpgaöijg,  yevdijg  vergleichen.  Ich  habe 
diesen  Ausdruck  auch  für  1^475  und  521  statt  jioXeog  nedioio 
in  Anspruch  genommen  (Methode  der  Textkritik  S.  20).  Eine 
andere  Form  dieses  Wortes  hat  Aschylos  im  Fragment  378 
oniöiov  jufjxog  ödov  gebraucht,  welches  Aristarch  zu  der  an- 
geführten Homerstelle  zitiert  (Schol.  A).  Vgl.  Hesych.  omöeg' 
jueya,  tiXmtv,  svgv.  oniöiov  rd  avtd.  Was  Eustathios  aus 
Aschylos    zu    der    Homerstelle    erwähnt:    ovviqyogel   de   tjj   tov 


28  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

ojTiöeog  yga<pfj  ^ai  To  naQ  Alayyhjj)  ,ömdiov  nediov ',  ist  wohl 
mit  dem  obigen  Fragment  identisch.  Ausgezeichnet  aber  paßt 
der  Begriff  „weite  Ebene"  zu  <T>  558  nootv  d"1  änö  xei%eog  äXXrj 
<pevyco  ngog  nediov  'Iki/jtov  (Krates  'Idrjiov),  ocpo*  av  l'xcojuai 
"Iörjg  xe  xvrjjuovg  xaxä  xe  qaynrjia  dvco,  worin  'IXrjiov  eine  un- 
mögliche Bildung  und  ^Idrjiov  schon  wegen  des  folgenden  "Idrjg 
unbrauchbar  ist.  Bothe  hat  evhqiov  vermutet,  ein  sonst  un- 
bekanntes Wort;  Leeuwen  schreibt  nediov  Xelov,  öcpg1  äyxea 
und  bemerkt  dazu:  äyxea  commemorari  solent  ubi  fit  perse- 
cutio  (2"  321,  X190,  ö  337),  aber  nur  bei  der  Flucht  von 
Tieren  des  Waldes.  Ich  leite  lörjiov  öcpga  aus  (on)iöi(ov)  fjog 
ocpga  her,  so  daß  wir  cpevyoo  ngog  Jteöiov  onidtov  fjög  xev 
i'xwjuat  erhalten.  —  ü  436  geben  die  Handschriften  ovXeveiv: 
diese  sonst  nicht  vorkommende  Form  (E  48  ist  eovXeov  eo&Xol 
exaigoi  das  Ursprüngliche)  hat  Brandreth  in  ovXrjoai  emen- 
diert:  die  Entstehung  von  ovXeveiv  erklärt  die  Lesart  eines  Pa- 
pyrus jucnjuevetv  d.  i.  ovX(fjoai  und  jua)ju)eveiv.  —  Für  „sich  an 
Kraft  mit  jemand  messen"  bieten  C^  411  die  einen  Handschriften 
(AL  u.  a.)  juevog  loo<pagit,eig,  die  anderen  (SBMGHbX  u.a.) 
juevog  ävxicpegi^eig,  in  A  steht  noch  ev  aXXcp  ävxicpagi&ig.  Dieses 
führt  auf  den  Gedanken,  daß  wie  Äsch.  Cho.  318  looxi/xoigov 
für  ävxijuoigov  (d.  i.  ävxijuoigov  mit  der  Überschrift  loo)  über- 
liefert ist,  looyagi&ig  aus  ävxicpagi^eig  mit  übergeschriebenem 
loo  herrührt,  da  dem  juevog  loocpagi&ig  das  Digamma  hinder- 
lich ist.  0  357  ist  dvvax1  ävxicpegiteiv  in  den  besten  Hand- 
schriften überliefert,  einige  haben  loocpagi&iv,  Z  101,  $194 
geben  alle  juevog  ioorpagi^eiv  bzw.  'A^eXonog  loocpagiQoi  (L  ioo- 
(pegi£oi)  mit  Außerachtlassung  des  Digamma.  Das  gleiche 
Schwanken  zeigt  sich  <P  482  zwischen  juevog  ävxicpegeoftai 
(2"ASBM  u.  a.)  und  juevog  ävxicpegiCetv  (UbU,  Lemma  des  Schol. 
in  T).  Verständlich  ist  ävxecpegovxo  juäx]]  (stürmten  entgegen), 
nicht  aber  juevog  ävxicpegeo&ai,  es  müßte  wenigstens,  wie  auch 
Leaf  bemerkt,  juevei  heißen ;  also  wird  auch  hier  juevog  ävxicpa- 
giteiv  nahegelegt.  In  diesem  Sinne  „sich  messen",  „es  gleich- 
tun" ist  ävxiyeoeoftai  auch  h  238  övvrjoö  jueff  ävrKpegeo&ai  und 
A  589  ägyaXeog  yäg  'OXv/umog  ävxicpegeodai  gebraucht,  ioocpa- 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  29 

gi£eiv  1 390  egya  (5'  'A-drjvairj  ylavxomibi   ioocpagi^oi.     Daß   an 
allen  Stellen    dvxi<pagi£eiv    ersetzt   wurde,    lag   wohl    an    der 
unbekannten  Etymologie  dieses  Wortes.  —  ß  98  haben  Hand- 
schriften (FH'U2)  /uexa/ucbha,  während  die  meisten  [xexa/xmvia 
geben:    juexajuwha    ist    äve/tcoÄia   mit    jueTa(jud>via).   —    N  383 
geben  die  meisten  Handschriften  mit  Aristarch  ak  eljiajv  noöög 
elxe  xaxd  xgaxegip'  tio/jUvrjv:  nur  AM  und  einige  andere  haben 
did    für  xaxd.     Im  cod.   T  steht  xiveg  ,xaxd  xgaxegt~]g  vo/uvrjg\ 
eine  unverständliche  Lesart,  die  sich  erklärt  aus  dem  Zusammen- 
fluß   von    did    xgaxegrjg    vojutvrjg    und    xaxd    xgaxegijr    vofuvrjv. 
Mit  did  vojuiv)]g  wird  dem  Sinne   besser   gedient   als   mit  xaxd 
vo/ntvrjv:   der  Homerische  Sprachgebrauch    aber    verlangt,    wie 
wir  unten  sehen  werden,  dvd  vo/uivrjv.  —  Ein  erfreuliches  Er- 
gebnis dieser  Erkenntnis  von  Textfehlern   scheint   mir    in    der 
Beo-laubisruncr  einer  trefflichen  Emendation  von  Herwerden  zu 
liegen.     Priamos   redet  ü  253   seine   Söhne   mit   onevoaxe  fxoi, 
xaxd  xexva,  xaxrjcpöveg  an.    So  geben  alle  Handschriften  (außer  S) 
mit  Aristarch.     Trotz  der  Autorität  Aristarchs   und   trotz   des 
Hinweises   auf  Maxeöoveg  ist  xaxrjcpöveg  eine  vox  nihili.     Dies 
scheint  schon  Krates  erkannt  zu  haben,  der  xaxrjcpeeg  schrieb, 
wie  auch  S  bietet.      Allein    auch    xaxrjcpeeg   (to  432    niederge- 
schlagen,   beschämt)   ist   nicht   der  passendste  Ausdruck.     Das 
einzig  geeignete  Wort  ist  das  von  Herwerden  gefundene  pedrj- 
juoveg   (nachlässig,  schlaff,  träge,  vgl.  B  241,  £  25).     Die  Be- 
rechtigung   aber    jtießijjuoveg    für   xaxrjcpöveg   einzusetzen   ergibt 
sich  aus  der  Vermengung  von  jueftrjpioveg-  und  xaxrjcpieg. 
2.  Von  hervorragender  Tragweite  für  die  Behandlung  zahl- 
reicher Stellen  sind  die  Korrekturen  über  dem  Text  in  A. 
Von  minderem  Belang  sind  Überschriften,  welche  Schreibver- 
sehen verbessern  wie  e  über  ei  von  diaxgivei  B  387  (diaxgiveei), 
y  über  e   evyeydaoiv   Z  493    (eyyeydaaiv) ,    a  über   ei   x'    0  535 
(ai  x),   i  über   x&v   P  231    (ro3),   £  über   dcpirj    P  631    (a<peirj), 
a  über  egvooeoftai  Z  174  (egvooao&ai),  e  über  o  von   xögvöog 
M  160    (xögv&eg),   v  über   xdhprj    M  281    (xaXvtpfj),    r\  über  ei 
von  xe§veicöx(a)  durchgehends  an  zahlreichen  Stellen  (xe&vrjcöxa), 
o  über  xeleoco    W  559  (reXeooa))  u.  a. 


30  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Viele  Überschriften  erklären  die  Elision  wie  e  über  töV#' 
(iövre),  i  über  äortg"1  (aoregt),  a  über  ExnegoavT  (ixJtsQaavra), 
01  über  /i  (/toi)  Z  165,  a  über  fjde  (fldea),  o  über  nave  (naveo), 
a  über  avx1  (ävra),  i  über  "Exrog"1  M  88  (Exrogi),  manchmal 
unrichtig  wie  n  über  od"1  Z  524  (ön),  i  über  6V  (9  251,  £  über 
$q£  I  535  (%£'  wie  GIVPT  oder  £«'£'?),  e  über  ^dgyovo'  Q  721 
(t'lfi^ouot) x)  u.  a.  Manche  Überschriften  stellen  die  Elision 
her  wie  xT  über  dam  A  258  (dahV),  yß"  über  ävaxra  1480 
(ärayiT)  oder  verbessern  sie  wie  y  über  wx1  (wy'),  x  über 
^o/^1  0  12G,  was  freilich  nur  für  ennt^Ei  gilt.  Den  mehr- 
fachen Verbesserungen  von  iövoaro  in  iövoero  A  496,  7  596, 
0  120  stehen  die  umgekehrten  Änderungen  von  ßrjoexo  in  /?>?- 
öuto  2' 262,  Z288,  jV  17  gegenüber.  Auch  Aristarch  gab 
ßtjoaro,  ngoxgivei  de  rijv  did  tov  e  ygacprjv.  Es  geht  also  dieses 
Schwanken  auf  alte  Überlieferung  zurück. 

Auch  eiv  über  ögeg~ai  O  602  (ogefeiv)  könnte  nach  fttjae- 
/uevai  als  nebensächlich  erscheinen,  wenn  nicht  Bekker  und  Fäsi 
mit  A1BM  u.  a.  ögefai  festhielten.  Von  größerer  Bedeutung 
ist  es,  daß  A  124  in  allen  Handschriften  ovde  %i  jico  i'dfiev 
$vr)jta  xeljiieva  jxoXkd  und  nur  in  A  ov  über  nco  steht,  wie  auch 
die  Ausgaben  des  Sosigenes,  Aristophanes,  Aristarch  nov  hatten. 
B  4  juEgju/igiCe  .  .  (bgAyüSja  n/urjofj,  blkor\  61  noltag  haben  AT 
ei  über  tijlujo}]  d.  i.  uju,rjoei\  Da  ökeoai,  wie  Voß  und  Thiersch 
schreiben,  bei  Homer  eine  unbrauchbare  Form  ist,  so  bleibt  nur 
öle.xoi  übrig.  —  E  99  steht  a  über  o  von  tiejioo&e'.  die  Form 
TiETiaade,  welche  hier  und  x  4  65  nur  Aristarch  erhalten  hat, 
ist  die  richtige  (jisJia&Te,  vgl.  Jisjia&via).  —  A  301  geben  die 
meisten  Handschriften  rovg  /uev  ävwyei,  in  A  steht  ydg  über 
juev:  juev  ist  unbrauchbar,  ydg  haben  auch  B  und  T,  das 
Schwanken  aber  verrät,  daß  sowohl  fxev  wie  ydg  dem  Hiatus 
von    rovg    de    ävwyei    (ävcoysv)    verdankt    wird.  —  E  264    ist 


*)  Die  Stelle  wird  am  einfachsten  in  Ordnung  gebracht,  wenn  man 
.-iaga  (V  Taav  äotöovg  dgijvwv  iSag^ovs'  o'i  <)s  (so  Eustath.  für  oi'  te)  otovö- 
siaav  doidijv  oi  fisv  ägy  ?,dQr]VF.ov,  ejii  dt-  axsva%ovxo  yvratxcg  schreibt.  In 
Rücksicht  auf  das  nachzubringende  yvvatxss  wird  das  Subjekt  oi'  mit 
fisv  wiederholt. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  31 

in  A  itjeXdocu  durch  Überschrift  von  xd  in  ix  (5'  iXdoai, 
wie  die  anderen  Handschriften  haben,  verbessert.  —  E  797 
steht  in  den  meisten  Handschriften  idgcbg  ydg  (jllv  exsigev  vnb 
nXaxeog  reXa/ucbvog  donldog  evxvxXov  reo  xgißeio,  worin  sich  xeo 
auf  xeXajucbvog  bezieht.  A  gibt  mit  Aristarch  xeigexo,  so  daß 
reo  xeigexo  nur  eine  Wiederaufnahme  von  Idgcbg  ydg  juiv  exeigev 
ist,  während  die  Überschrift  giß  sich  dem  xgißexo  der  anderen 
Handschriften  anschließt.  Man  kann  in  Zweifel  sein,  aber  da 
das  folgende  xdjuve  de  %eiga  die  Folge  angibt,  so  muß  wohl 
xeigexo  richtig  sein.  Nun  aber  kann  man  im  folgenden  Vers 
uv  <5'  Xoyjcov  reXa/xcova  xeXmvecpeg  al/x  dnofxögyvv  nicht  verstehen, 
woher  auf  einmal  das  Blut  kommt.  Daraus  ergibt  sich  die 
Notwendigkeit  in  796  Xv&gog  für  idgcbg  zu  setzen.  Man  muß 
also  in  xgißexo  eine  alte  Variante  erkennen,  die  durch  unrich- 
tige Beziehung  entstand.  —  Z  226  lautet  der  Aristarchische 
Text  in  AM'T  u.  a.  ey%ea  d'  dllrjlcov  dXecb/ne&a  xal  öt'  öfiiXov. 
Dieser,  der  allgemeine  Annahme  gefunden  hat,  gibt  einen  un- 
richtigen Gedanken:  „wir  wollen  den  Lanzen  voneinander  aus- 
weichen."  Der  Gedanke  soll  sein:  „wir  wollen  nicht  mit  Lanzen 
aufeinander  losgehen."  In  A  steht  oi  über  a  und  zyi£.cu  geben 
mit  Zenodot  auch  SBM2  u.  a.  Dazu  erfordert  der  Sinn  den 
Akkusativ,  den  Zenodot  mit  dXh)Xovg  bietet.  Aber  die  Ent- 
stehung der  beiden  Lesarten  erklärt  sich  aus  eyxeoi  d"1  dXXrjXco. 

—  Z  479  steht  in  A  oi  über  efoiytn.  Die  Richtigkeit  von 
eikoi  ist  schon  oben  S.  3  dargelegt  worden.  —  H  428  (u.  431) 
geben  alle  Handschriften  mit  Aristarch  vexgovg  jivgxaifjg  ine- 
vrjveov  (von  Bekker  in  ensvrjeov  verbessert).  In  A  steht  i  über 
o  und  nvgxa'ifj  hatte  auch  Zenodot.  Der  lokale  Dativ  scheint 
geeigneter  als  der  Genitiv  und  jivgxa'irjg  erklärt  sich  aus  dem 
Streben  den  Hiatus  zu  vermeiden.  Auch  H  451  öoov  t1  ini- 
xidvaxai  rjcbg,  wo  A  allein  mit  Aristarch  oorjv  bietet,  stimmt 
die  Überschrift  o  (öoov)  mit  Zenodot  überein.  —  H  465  dvoexo 
ö'  ijiXiog  verdankt  man  d1  der  Überschrift,  A  gibt  mit  den 
meisten  t'.  —  0  111  gibt  die  Überschrift  el  über  rj  das  Richtige, 
während  K  342  et  über  rj  nicht  als  richtig  erachtet  weiden  kann. 

—  0  245,  wo  die  Handschriften  zwischen  öXocpvgexo  und  öXocpv- 


32  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Quito  schwanken,  kann  man  sich  schwer  entscheiden.   Doch  stimmt 
mit  der  Überschrift  a  der  Ambrosianus  überein.  —  Wichtig  ist 
wieder  7  112  (pQat,(hf.ieo&\  &g  xev  fiiv  äoeoodjuevoi  nem&oi^ev, 
wie    alle  Handschriften    geben.     Die  Überschrift  w    ergibt  die 
Aristarchische  Lesart  nentöcofxev:  wir  werden  unten  die  Neigung 
kennen   lernen    bei   xev   den  Optativ   zu    setzen.    —    7  318  Xor\ 
[ioZqol  fXBVOVxi  xal  ei  fxäXa  zig  noXe/uiCtj  fehlt  in  der  Überliefe- 
rung  keine   der   drei   möglichen  Endungen.     Gewöhnlich   wird 
jioXejluCoi   in  den  Text  gesetzt,   was  BMT  u,  a.    und  auch  die 
Überschrift  oi  in  A  geben.     SG  u.  a.  haben  noXeidZ,ei,   A  muß 
mit  7iolejLut>]  Recht  behalten.     Denn  wie  der  folgende  Vers  ev 
de  ifi  xifxfi  fj/uev  xaxög  fjde  xal  eo&Xog  zeigt,   will  Achilleus  ob- 
jektiv dem  juevovrc  den  JioXejuitovza  gegenüberstellen.    Also  ist 
das  allgemeine  et  (=  rjv)  noXe^r,  an  seiner  Stelle.  —  7457  gibt 
die  Überschrift  von  <p  die  in  der  Odyssee  am  besten  bezeugte  Form 
(peQoecpoveia.  —  7619  fj  xe  vE<b[AE&  £>'  fjfjLEreQ1  fj  xe  juevcüjliev  geben 
T  und  einige  andere  >}e  juevcojuev,  die  maßgebenden  haben  ij  xe  wie 
2"  308,    ö  733,    £  783.     In   A   steht  x  über  der  Rasur  ijmk. 
Damit  ist  also  auch  rj  xe  hergestellt.     Vgl.  edv  xe  .  .  edv  re.  — 
7iT41   /udXa  Tig  ftQaovxdgdiog  eozai    steht    eXr\    über    Sarai:    dies 
weist   auf   die  Lesart   von  Eustathios  fiäXa  xev  hin.   —  K  105 
ov  drjv  "Exxoqi  ndvza  vo)jfiaza  jurjiiera  Zeug   exzeXeei,    ooa   jiou 
vvv  eeXnezai  steht  in  A  d  über  n  von  UXbezai.    Dem  Gedanken 
könnte    auch    MXdezm    (alle   Wünsche)    entsprechen;    aber    die 
Lesart    der    meisten  Handschriften    gestattet   mit  Bekker  nach 
geringeren  Handschriften  vvv  eXnezai  herzustellen.     Das  einzige 
vvv  W  485  öevqo  vvv  fj  xze.  hat    Brandreth    dem    Hiatus    zum 
Trotz    in    öevgo  vv  geändert;  aber  es  fragt  sich,  ob  vvv  nicht 
zu  den  Merkmalen  jüngeren  Ursprungs  von  ¥  gerechnet  werden 
darf.  —  Eine  andere  Bewandtnis  hat  es  mit  der  gleichen  Über- 
schrift Ü7  407.     Daß  eeXöezo  trotz  Aristarch  die  ursprüngliche 
Lesart   ist,   bezeugt  der  lnfin.  Aor.  ägeodai.     Auch  die  Erklä- 
rung des  cod.  Townl.  eßovXezo   stimmt   damit   überein.     Wenn 
man   sich    für  den   lnfin.  Aor.  bei    eeXnezo   auf  eXjidjuevoi   nav- 
oao&ai  r  107  beruft,  so  hat  man   von   der  Art    unserer   hand- 
schriftlichen  Überlieferung  keine  richtige  Vorstellung:  navoa- 


Textkritische  Studien  zur  Ihas.  33 

o&ai  und  Jiavoeo&ai  wechselt  hundertmal.  —  K  221  dvdocbv 
dvojuevecov  dvvai  oxgaxöv  eyyvg  eovzcov  bietet  wieder  einen  in- 
teressanten Fall  mit  eovxa.  Auch  in  MHbY  u.  a.  wird  eovxa 
geboten ;  ebenso  hat  T  eyyvg  eovxa  dvvai  oxgaxöv  und  dem 
Sinne  entspricht  eovra  besser  als  eövxcov.  In  gleicher  Weise 
mußte  i  166  KvxXcojiojv  d:  eis  yaiav  eXevooo/uev  eyyvg  eovxa>v  in 
eovoav  verbessert  werden;  selbst  i  181  xbv  %wqov  dcpixo/ue^ 
eyyvg  eovra  findet  sich  in  der  ältesten  Handschrift  eovxoov.  — 
K  278  steht  in  den  meisten  Handschriften  xXvft'i  /not:  in  A  ist 
/uoi  in  /uev  (fie')  verbessert.  Der  Dativ  der  Person  steht  nur, 
wenn  noch  ein  Genitiv  der  Sache  abhängt.  —  K  345  geben 
die  Handschriften  eneixa  de  x1  avxöv  ena'ig'avxeg  e'Xoijuev,  nur 
in  A  steht  eo  über  eXoijuev;  das  hängt  mit  der  Erkenntnis  von 
Axt  zusammen,  daß  der  Sinn  avxoi  fordert:  Odysseus  setzt 
seinen  Vorschlag  mit  eneixa  öe  avxol  enaiig'avxeg  eXwjiiev  fort 
(„dann  wollen  wir  selber  auf  ihn  losstürmen  um  ihn  zu  fan- 
gen"). —  K  372  geben  die  Handschriften  eyypg  depfjxev:  in  A 
steht  e  über  d  und  ecpijxev  wird  richtig  sein.  —  AT  418  schwan- 
ken die  Handschriften  zwischen  juev  und  ydo  und  auch  in  A 
steht  ydo  über  juev:  dieses  Schwanken  weist  wieder  auf  de 
hin.  —  if  161  geben  die  meisten  Handschriften  mit  Zenodot 
xoQvfteg  <5'  aficp1  avov  dvxevv  ßaXdo/uevai  juvXdxeooi:  in  A  steht 
cor  über  ai  und  ßaXXojuevüJv  hatte  auch  Aristarch;  es  ist  also 
eine  alte  Lesart.  —  M  176  ist  allgemein  überliefert  dgyaXeov 
de  fxe  xavxa  deöv  ä)g  Jidvx1  dyogevoai:  mit  eiv  über  oai  (dyo- 
geveiv)  wird  dem  Korrektor  ein  gutes  Zeugnis  ausgestellt,  ebenso 
wie  mit  ögovcov  0  182,  welches  auch  SLHb  u.a.  bieten;  wir 
werden  unten  die  Neigung  Infin.  und  Partiz.  Aor.  statt  des 
Präs.  zu  setzen  an  verschiedenen  Fällen  kennen  lernen.  Frei- 
lich ist  von  derselben  Hand  auch  djiaeigo/xevov  <X>  563  in  anaei- 
gdjuevov  und  dXevdjuevog  II  711  in  dXevo/uevog  (mit  HIX  u.  a.) 
verschlechtert.  —  M  404  hatte  nach  der  Angabe  des  Didymos 
die  xoivr)  ,y  de'  und  so  bieten  A2"  u.  a.,  in  A  ist  durch  Über- 
schrift das  vom  Sinn  geforderte,  von  Aristarch  gebotene  und 
in  SBG  u.  a.  vorhandene  ovde  hergestellt.  —  N  28  gibt  die 
Überschrift   von   a  in  A   rjyvohjoav   mit   Aristarch:    die   Lesart 

Sitzgsb.d.  philos.-philol.  u.  d.  hist.Kl.  Jahrg.  1917,  7.  Abb.  3 


34  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

der  meisten  Handschriften  jjyvohyösv  wird  hier  sowohl  durch 
das  Digamma  {fiyvoirjoe  ävaxxa)  wie  durch  das  vorhergehende 
axalle  (de  xr\xea)  bestätigt.  —  N  58  verdient  gleichfalls  die 
Korrektur  et  xev  fiiv  .  .  eyeigy  für  et  xai  juiv  .  .  eyetgei  keine 
Beachtung,  wenn  auch  M  die  gleiche  Lesart  bietet.  —  iV705 
ist  dvexijxlei  in  dvax^xiet  verbessert  (dvexrjxiev  Z  u.  a.).  —  ^286 
ist  in  A  ifxve  über  ejueive  geschrieben:  nirgends  sonst  ist  hier 
ejuijLwe  erhalten  und  doch,  ist  es  die  echt  Homerische  Lesart. 
Vgl.  <5  508  juljuve  H2,  /jLeive  vulgo,  O  656  etu/uvov  NHHb  u.  a., 
e'jueivav  ABM  u.  a.  Über  den  Vorzug  des  Imperfekts  wird 
noch  unten  zu  handeln  sein.  —  5  531  steht  in  A  e  über  ogoi}: 
daß  ögoe  oder  cbgoev  das  ursprüngliche  ist,  wird  sich  unten 
ergeben.  —  Ebenso  wird  uns  die  Richtigkeit  der  Überschrift 
ad  über  d<pgoveovxeg  O  104  anderswo  beschäftigen.  —  Die  Ver- 
besserung von  riaao&ai  in  riosodac  0  116  verdient  nur  inso- 
ferne  Beachtung,  als  sich  daraus  Tiveo&ai  entnehmen  läßt. 
—  O  126  onßaQfjg  äno  xsigög  elovoa  steht  in  A  ex  über  änö 
und  ex  geben  auch  SBM  u.  a.  Hiernach  muß  ex  bevorzugt 
werden,  da  es  auch  dem  Sinne  noch  besser  entspricht.  —  0  256 
und  ü  201  ist  Jiägog  jieg  in  ndgog  ye  verbessert,  wie  auch 
SBM  u.  a.  haben.  —  O  384  ist  die  Änderung  von  eßairov  in 
eßijoav  kaum  richtig.  —  Die  Verbesserung  von  rgcojiäo&ai  in 
rgcojiäoße  O  666  war  durch  das  Versmaß  geboten,  wiewohl  sich 
Tgoj7iäodai,  durch  das  vorhergehende  eordfievai  hervorgerufen, 
auch  in  MT  u.  a.  findet.  —  Wertlos  ist  die  Änderung  von 
eneoovfievov  in  eJieoovjiievog  U  411,  von  öevxegog  in  devregor 
n  467,  wenn  auch  SBM  u.  a.  mit  Aristarch  devregor  geben, 
von  ev  in  eri1  77  488.  Dagegen  ist  77  587,  P  290  revovrag 
richtig  in  revovze  geändert.  Vgl.  A  521,  7?  307,  7^456,  iT  466, 
Y  478,  X  396  (y  449  ist  xevovxe  ebenso  herzustellen).  —  P  202 
ist  ehi  über  eoxi  wieder  eine  sehr  gute  Korrektur,  wird  aber 
auch  von  Aristarch  LNHb  u.  a.  geboten.  —  Ebenso  ist  2  100 
für  das  richtige  ägf/g  das  Aristarchische'14o£eo  gegeben.  —  Gut 
dagegen  ist  äöivov  (oTova%fjoai)  Jf  124  in  döivä,  ferner  e%e 
(rgo/uog)  I  247  in  eke,  endlich  6'  1 398  in  &  geändert. 
2  476    firjxev  er  dxiioftexcp  fieyav  äxjuova    ist    ev    in    en"1    ver- 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  35 

bessert,  wie  auch  in  BM  u.  a.  steht.  —  Nach  der  Angabe 
von  La  Roche  steht  2  477  oaioifjoa  xgonEgrjv,  hEorjtpi  o  über 
t]v:  xgaxEgöv  geben  SMHX  mit  Zenodot,  die  Aristarchische 
Lesart  xgaiEgijv  soll  nur  dem  Versmaß  dienen.  —  Dagegen 
verdient  -21  512  die  Lesart  von  AXGTL  u.  a.  eegyev  den  Vor- 
zug; eegyst,  wie  A2SBM  u.  a.  geben,  ist  X  121  an  seiner 
Stelle.  —  T  17,  wo  oig  über  vtio  ßXEqpdgcov  steht,  fehlt  ein 
Anhaltspunkt  über  die  Wahl  von  ßXecpdgoig.  —  Dagegen  wird 
T391  /UE?ut]v,  ri]v  jraxgi  cplXco  rd/ue  Xeiga»'  IIj]?uov  ex  xogvqprjg, 
(povov  diese  Lesart  der  Handschriften  der  Überschrift  ev 
y.ogvcpfjs,  der  Lesart  Aristarchs,  gegenüber  durch  den  konso- 
nantischen Anlaut  des  folgenden  Wortes  sicher  gestellt.  — 
Umgekehrt  verdient  T415  vcbi  dk  xai  xev  ä/ua  nvoifj  ZEcpvgoio 
&£oijUEv  die  Überschrift  co  (&e<x>/liev  gibt  auch  M)  volle  Be- 
achtung, wie  sich  unten  zeigen  wird.  —  Y  54  ist  in  öjg  rovg 
äfxcpoTEgovg  judxagsg  fisol  oigvvavxEg  ovjußa?,ov  durch  Überschrift 
von  o  das  ursprüngliche  özgvvovzEg,  welches  auch  der  Syrische 
Palimpsest  bietet,  hergestellt.  Diese  häufige  Korruptel  ist  uns 
schon  in  den  Stud.  z.  Od.  S.  85  begegnet.  —  Y  178  geben 
die  meisten  Handschriften  xi  ob  zoooov  ö/uttov  noXXöv  ejzeX&cov 
EOTijg:  in  A  steht  a  über  I  und  ujzeX&cov,  wie  auch  in  Hb  u.  a. 
steht,  verlangt  der  Gen.  öfiiXov.  —  Überraschend  und  nirgends 
beachtet  ist  die  Korrektur  in  Y  201  /xr)  örj  jue  ejieoo'l  ye  vrj- 
nvztov  tag  eX^jieo  ÖEidig'Eodai,  wo  ÖEidlg'aoda.i  um  so  glaubhafter 
ist,  als  sie  bei  e'Xjieo  nicht  nahe  liegt  und  die  Beziehung  auf 
die  vorausgehende  Rede  des  Achilleus  der  Mahnung  des  Apbl- 
lon  109  entspricht.  Y  432,  wo  die  Überschrift  fehlt,  wird 
ÖEidig'a.odai  durch  den  Syrischen  Palimpsest  bestätigt. —  lr215 
steht  g  über  av  und  d'o,  wie  auch  NLHb  u.  a.  geben,  ist  für 
den  Zusammenhang  brauchbar,  av  nicht.  —  Y  226  stammt 
die  Überschrift  d)j  über  fiev  aus  228  und  ist  wertlos.  —  1^317 
wird  das  in  A  aus  öaioiiEv)] ,  daicooi  durch  Überschrift  von 
x  hergestellte  xaiojuEvt],  xa'uooi  durch  die  beste  handschrift- 
liche Überlieferung  von  0  376  empfohlen.  —  1"  363  ög  zig 
o/eÖöv  hyyEog  E.Xdr\  steht  in  A  xev  über  xig  (aus  dieser  Über- 
schrift   ist    in  M  ng  xev    geworden)    und    oi    über    eX&i]  :    das 

3* 


36  7.  Abhandlung:   N.  Wecklein 

richtige  ist  dg  xev  .  .  kWt].    —    F471  steht  nach  der  Angabe 
von  La  Roche  —  bei  Ludwich  fehlt  sie  —  in  A  q  über  dem  X 
von  henlrioev  und  evetiqy\oev,  die  Lesart  Aristarchs,  findet  sich 
auch    in    TH    u.   a.     Gewöhnlich    (selbst    von    Ludwich)    wird 
tvejiQYjOEv  verschmäht  und  doch  ist  „das  schwarze  Blut  blähte 
den   Bausch    (des  Chiton)"    eine    anschaulichere    Redensart   als 
„füllte  an".     Vgl.  ev  <V  ävs/uog  nofjoEv  jueoov  loxiov  A  481.  — 
$  293  gibt  die  Überschrift  o  über  rot  das  richtige  ooi  (ooi  BM, 
toi  ool  d.  i.  toi  mit  der  Überschrift  ool  S)  wegen  der  Betonung 
der  Person.    —    X  115  steht  in   A   v  über  em  und  ivi   geben 
die  meisten  Handschriften.  —  X  265  ist  ovte  ti  in  ovöe  ti  ver- 
bessert.   —    X  330  steht  in  A  jeto   über  etiev^üto,    X  374  # 
über  o  von  evetiqijgev,    was  wir  unten,    wo  vom  Gebrauch  des 
Imperfekts  die  Rede  ist,  willkommen  heißen  werden.  —  Treff- 
lich ist  die  Verbesserung  von  äqrvoödfxevog   W  220   in  äcpvooo- 
juevog,  welches  auch  in  SGX  u.  a.  steht.  —  !F230  steht  /<rrd 
über  xaxd:    das  entspricht    dem  Sinne  besser    und    unten   wird 
sich  zeigen,    daß  diese    beiden  Präpositionen  häufig  vertauscht 
sind.  —  Die  Änderung  von  ifp"1  in  099'  !F374  kann  nicht  richtig 
sein,    wenn    auch    Didymos    hinzufügt    jurjjioTE    loyov    e%ei.   — 
Ebenso  ist  di(pgw  für  dicpqov    W  379  wenigstens  zweifelhaft.  — 
Dagegen  ist  ov  7ir\   !F463,  wie  auch  Aristophanes  bot,  ebeuso 
richtig  wie  oben  ovöe  ti  nov  A  124.     A^BMG2  u.  a.  haben 
ov  Jioj.   —   W  701  steht  XaoToi    über  AavaoToi:    das  sehr  pas- 
sende Xaoloi  wird  durch  einen  Papyrus  bestätigt.  —  W  804  ist 
in  A,  G,  T  von  erster  Hand,  in  S  u.  a.  überhaupt  ausgelassen, 
in  A,  G,  T  am  Rande  von  zweiter  Hand  nachgetragen  und    in 
A  älh)lovg  von  dritter  Hand  in  älli)lwv  verbessert.    Den  Vers 
kannte  Nikanor   nicht,  welcher   meint,   xeXevelv   könne   absolut 
gebraucht  werden.    Mit  Unrecht  beruft  er  sich  hiefür  auf  cp  175 
und  Q  90.    Düntzer  hat  erkannt,  daß  der  Vers  ergänzt  wurde, 
als  in  803    eXeo&gli    in    eXovte    übergegangen  war.     Die  Lesart 
eXövtcov  in  S  ist  bereits  ein  Versuch,   wenn  auch  ein  unglück- 
licher,   die  Konstruktion    des  Satzes  zu  ordnen.  —   W  844    ist 
über  juev   das  in  den  anderen  Handschriften   erhaltene  di)    ge- 
setzt. —  ü  78  jiiEoorjyv  Öe  Zdjuov  te  y.al  "lußoov  namaXoEooy]g 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  37 

hat  A  oio  über  der  Endung  von  Zd/nov,  was  auf  Sdfxoio  xal 
"I/ußgov  führt:  das  gewohnte  re  xal  hat  nicht  selten  den  Text 
alteriert,  besonders  vor  digammierten  Wörtern.  —  Q  300  ist 
to(5'  in  ro  y\  Q  359  ejii  in  ivl,  ü  369  inatuvvao&ai  in  dna- 
juvvao&ai,  Q  398  öd'  in  o  y\  Q  403  olöe  in  oi  ye,  ü  566  t' 
in  «',  i2  688  yvoirj  in  yvcoi],  Q  670  roooov  tioXejuov  igövov  in 
jioXe/xov  töooov  igövov  verbessert.  —  Ausgezeichnet  ist  ü  383 
die  Änderung  von  xaraXMjiEXE  in  üarakei^ETe,  denn  das  Fut. 
wird  durch  nävxeg  gefordert;  ebenso  Q  616  die  Änderung  von 
A'/eXloiov  in  'A%eÄrjiov.  Vgl.  Schol.  AB  i)  <5tci  toö  y\  'A%eXrfCov' 
A%£Xr)g  ydg  Jiora/xdg  äno  ZinvXov  geei  Eig  Tt]v  Z/jLVQvaioov  yfjv. 
Also  ist  'A%efojiog  in  Ayekrjg  verkürzt  worden.  Auch  das 
Schol.  T  berichtet :  Tivkg  ,at'  t1  d^cp1  A%eXyjoiov\  welche  Form 
Christ  bevorzugt  hat.  Es  ist  begreiflich,  daß  aus  dem  unbe- 
kannten 'A%eXrjtog  der  bekannte  A%eXa>iog  wurde.  Die  Angabe 
über  A%eXr]g  sollte  uns  warnen  den  alten  Irrtum  festzuhalten, 
welchen  man  mit  der  Noterklärung  A%eXcoog  xoivcog  xaX,eTrai 
Tiäv  vöcoq  sich  zurechtlegte.  —  ü  581  ist  öcorj  in  boir\  ver- 
bessert. —  Q  590  ovv  <5'  Eragoi  ijsigav  ev^eoTrjv  eti  äni]vrjv 
steht  über  eji  ein  a  und  über  dmjv7]v  ein  i :  das  soll  natürlich 
nicht  an  äm'jvfl,  sondern  dv'  dntjvr]  bedeuten,  eine  sehr  pas- 
sende Lesart.  —  Q  636  geben  die  Handschriften  ATLHb  u.  a. 
mit  Aristarch  vnvco  vnö  yXivxegco  Jiavoco/ue&a :  in  A  steht  xagn 
über  Jiavo  und  ragnd)ju£&a,  eine  öfters  vorkommende  Ver- 
schreibung  für  Tsgnaj/uE'&a  (vgl.  z.  B.  ip  255),  haben  auch 
SM  u.  a.  Nach  dem  Schol.  Agloxag%og  ,navoc6/ued'a.\  dvanavodi- 
jueßa  di]Xovv  ov  ydg  evxaigov  rö  ,ragnd) [xeda'  muß  man  in 
jiavocßjLieda  eine  unglückliche  Konjektur  von  Aristarch  er- 
kennen. In  dem  Zusatz  i}  insl  juerd  iß'  fjjusgag  dvnvovg  (vgl. 
Q  638)  TEgxpw  avrcp  jueXXei  ejiayayeTv  rj  vv£  liegt  ein  Einwand 
gegen  diese  Konjektur:  solche  Einwände  pflegt  Römer  zu  be- 
nützen um  die  Autorschaft  Aristarchs  zu  bestreiten.  —  ü  802 
ist  ev  ovvayEigöjLiEvoi  öaivvvj  Egixvdm  öaixa  in  ovvayEigd/xEvoi, 
wie  auch  LX  u.  a.  sowie  ein  Papyrus  haben,  geändert.  Dem 
Sinne  könnte  ovvayEigdjuEvot  in  der  Bedeutung  „nachdem  sie 
sich  versammelt  hatten"  entsprechen.     Aber  für  diese  Bedeu- 


38  7.  Abhandlung :  N.  Wecklein 


8 


tung  ist  die  richtige  Form  ovvayQojUEvoi.  Da  nun  ev  auch  in 
Verbindung  mit  daivvvxo  keinen  passenden  Sinn  gibt,  so  ge- 
winnen wir  das  rechte  Wort  aus  ß  8  xol  d'  fjysiQovxo  jadX1  coxa: 
coxa  ovvayQOjuevoi  (Nauck  alya  ovvayQojiiEvoi).  So  zahl- 
reiche, teilweise  hervorragende  Verbesserungen  müssen  wenig- 
stens zum  Teil,  wo  sie  nicht  Korrekturen  offenkundiger  Ver- 
schreibungen  sind,  auf  eine  gute  alte  Quelle  zurückgehen.  Der 
Vers  ¥804:  fehlt,  wie  wir  oben  gesehen  haben,  im  Text  von 
A  und  ist  am  Rande  von  zweiter  Hand  nachgetragen.  Um- 
gekehrt ist  zu  ü  558,  welcher  in  A  wie  in  BMZ  u.  a.  vor- 
handen ist,  in  A  bemerkt:  ovxog  6  oxiyog  ov%  evge&rj  ev  xcö 
nalauo  (nämlich  ävxiygdqjco).  Daraus  läßt  sich  schließen,  daß 
nicht  der  archetypus  von  A,  sondern  eine  andere  gute 
Handschrift  die  Quelle  wenigstens  eines  Teiles  der 
zahlreichen  Überschriften  in  A  ist.  Wie  hervorragende 
Verbesserungen,  so  sind  natürlich  auch  allerlei  Fehler,  wie  sie 
bei  jeder  Handschrift  vorkommen,  unter  diesen  Korrekturen, 
z.  B.  et  über  rj  B  300,  xdlg  über  xcbv  B  516  vor  konsonanti- 
schem Anlaut  (auch  Aristarch  gab  xdlg,  welches  auch  in  BM 
steht,  vgl.  B  733,  wo  alle  Handschriften  mit  Aristarch  xdlg 
haben),  e%svov  r  270  (mit  Aristarch),  xqxexxov  A  319  (auch 
BMG),  noXemv  £744,  (psgrarog  Z158,  'Argeidai  #327.  xo- 
[ieizrjv  0  109  (für  xojueixcov),  cpvysv  ©  137  (für  cpvyov),  jieoooi 
0  513  (für  tieooii),  oxrjnxQOv  I  38  (für  ox/jjixqco),  ägeoadjuevoi 
7112  (für  äQEOoä[xevoi),  hoodoxExo  7  451  (für  foooeoxezo),  iy- 
dovjirjosv  A  45  (für  sydovjirjoav),  jusxaxhv&h'XEg  A  509  (für 
jUETaxfov$£VTog),  XEixsi  X  144  (für  xEiyog),  rp'EjuoEooav  X  145 
(für  fjVEjiioEvra) ,  xEgdoovvrjg  X  247  (für  xeQÖoovvf]),  juvftoig 
X281  (für  pv&cov),  nöde  X  420  (für  tq5  ye),  yovvaxa  X  500 
(für  yovvaoi),  diwvxm  W  ilh  (für  diEvxai).  Gerade  diese  Fehler 
verraten  auch  eine  selbständige  handschriftliche  Quelle. 

3.  Wie  schon  der  vorausgehende  Abschnitt  gezeigt  hat, 
wird  die  Überlieferung  des  Homerischen  Textes  häufig  zu  eng 
begrenzt.  Für  die  Unsicherheit  derselben  habe  ich  in  den 
Studien  zur  Odyssee  S.  3  ff.  unter  anderem  die  große  Zahl 
synonymer  Wendungen  und  gleichbedeutender  Ausdrücke  zum 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  39 

Beweise  angeführt.  Daß  in  den  Varianten,  welche  die 
Scholien  angeben,  die  ursprüngliche  Lesart  erhalten 
sein  kann,  läßt  sich  z.  B.  an  ^521 

ov  ydg  01  zig  öjuoTog  emoneoftm  noolv  fjev 
ävdocöv  TQeoodvxcov,  oxe  ze  Zeug  ev  cpoßov  cbooev 

dartun.  Mit  der  Stelle  wird  der  Grund  angegeben,  warum 
Aias  des  Oileus  Sohn  bei  der  Verfolgung  der  Troer  die  meisten 
erlegte.  Die  meisten  Handschriften  (BXSGMLT  u.  a.)  haben 
wgoev,  andere  (B2HbCZ  u.  a.)  geben  ögoy.  Dies  scheint  zu 
dem  verallgemeinernden  oze  ze  zu  passen  (s.  v.  a.  ozav  bgorf) 
und  wird  gewöhnlich  aufgenommen,  da  auch  A  ogotji  bietet- 
Die  Bezugnahme  auf  den  speziellen  Fall  kommt  in  Widerspruch 
mit  der  Situation,  nach  welcher  Zeus  schläft  und  gerade  für  die 
Niederlage  der  Troer  schlafen  muß.  Da  aber  von  der  Vergan- 
genheit die  Rede  ist,  müßte  es  öooai  heißen,  wie  Thiersch  ver- 
mutet hat,  der  das  Bedenkliche  dieser  Form  nicht  kannte.  Nach- 
dem jedoch  in  A  über  rji  ein  e  steht,  kann  ögoe  oder  togoe  als 
berichtigte  Lesart  in  Anspruch  genommen  werden.  Die  einzig 
mögliche  Lesart  ist  in  der  Variante  zivkg  ,oze  dt]  #£öV  des 
cod.  Townl.  gegeben.  Man  hat  dieselbe  wohl  deshalb  nicht 
weiter  gewürdigt,  weil  man  nicht  beachtete,  daß  &eog  sich  auf 
Poseidon  bezieht  und  <5r/  fieög  ev  cpoßov  cbgoev  auf  exhve  judxrjv 
xlvzbg  evooiyaiog  510  zurückweist.  —  Die  gleiche  Handschrift 
gibt  zu  0  50  loov  ijuol  (pgoveovoa  juex"1  ä&avdzoioi  xadi^oig  die 
Variante  ev:  an  der  gleichen  Stelle  nach  dem  dritten  Trochäus 
werden  wir  unten  die  häufige  Verwechslung  von  juezd  und  evi 
finden,  also  ist  auch  hier  ixez"1  an  die  Stelle  von  ev  um  des 
Hiatus  willen  getreten,  während  die  umgekehrte  Verwechslung 
keinen  Grund  hätte.  — ■  Die  Variante  cpegovoa  in  O  88  Oe/uiozi 
de  xakfajiaQfjcp  öexzo  benag"  Jigcbxr]  (pdg  evavztrj  fjX&e  fteovoa 
findet  sich  in  einigen  Handschriften  und  in  Rücksicht  auf 
jTgojzr]  muß  man  dem  Schol.  B  ygdyovoi  /uev  riveg  ,$eovoa\ 
ä/ueivov  de  zb  ^egovoa1  beipflichten;  man  beachte  nur  den 
Unterschied  von  Z  394  ev&  äXo%og  Jiolvbcogog  evavzirj  fjXd^e 
fteovoa.  —  Eine   ausgezeichnete,    auffälligerweise    bisher    nicht 


40  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

beachtete  Lesart  liefert  uns  wieder  der  cod.  Townl.  O  104,  wo  die 
Handschriften  vtfmoi,  oi  Ztjvi  /ueveaivo/Aev  ayoovEOvxEg  bieten,  in 
T  aber  xivh  ,$Qtdaivo/uev  äcpQoveovri  steht.     Das  törichte  eigene 
Tun  ist  bereits   mit  vrjmoi  gekennzeichnet;    man    streitet   aber 
mit   einem,    dem    man    unrecht   gibt;   jueveatvojuev   statt    igidai- 
vo/xev  soll  nur  den  Hiatus  vermeiden.    Übrigens  ist  dygoviovreg 
in  A  in  dygadsovreg  korrigiert  und  so  hat  auch  M  mit  einigen 
anderen;  es  gibt  also  bei  Homer  äcpQaiva)  und  dygadeco,  aber 
nicht  ä<pQov£a>.   Hiernach  ist  Zrjvl  egiöalvo/uev  äcpQadiovzi 
als  ursprüngliche  Lesart  zu  betrachten.  —  Eine  sehr  bemerkens- 
werte Variante,   die   einen  Beitrag  liefert  zu  dem,  was  in  der 
Abh.   „Methode  der  Textkritik"  S.  77  f.  über  den  Unterschied 
von  yvla  und  yovva  Xveiv  ausgeführt  ist,  bietet  der  cod.  Townl, 
zu  0  269  Xatyrjoä  Jiööag  xal  yovvaz   evojjua:  nvhg  ,yvia\  —  Ganz 
mit  Unrecht  ist  auch  die  treffliche  Variante  zu  0342  unbeachtet 
geblieben,  welche  die  Scholien  BTL  geben:  (pEvyovx'  ev  nv/xd- 
xoiot1)  für  sv  jiQOfidxoioi.    Paris  trifft  einen,  der  unter  den  Letzten 
flieht.  Bei  der  Flucht  gibt  es  keinen  Vorkämpfer.  —  Höchst  über- 
raschend ist  die  Variante  des  Townl.  zu  0  393  tov  exeqtie  Xoyoig: 
wer  hätte  trotzdem,  daß  Xoyog  sich  außerdem  in  der  ganzen  Ilias 
nicht   findet  und  nur  einmal  noch  in  der  Odyssee  (a  56)  vor- 
kommt, die  Vermutung  Xocov  für  glaubhaft  gehalten?  Nun  aber 
bietet  die  Beischrift  rivkg  ,Xovcov'  die  evidente  Emendation  Xoojv. 
Vgl.  Xoe  x  361.    Da  diese  Emendation  trotz  A  846  noch  keine 
allgemeine  Beachtung    gefunden    hat   und   Leaf   sogar   Gegen- 
bemerkungen macht,  so  sei  noch  daran  erinnert,  daß  es  nicht 
Sache  eines  Dieners  ist  den  Eurypylos  mit  Erzählungen    zu 
unterhalten  (401).  —  77  134  &coQrjxa  .  .  noixlXov  aorsooEvia  jio- 
öojxEog  Alaxidao  wird  die  Variante,  welche  das  Schol.  T  gibt, 
xaxwv  ßEXsaiv  äXEOiQrjv  für  noödöxEog  Alaxidao  durch  Aristoph. 
Wesp.  615  xdös  xExxtjjuai  TigoßX^jua  xaxwv  oxsv)]v  ßsXEOJV  aXs- 
oiqr]v  bestätigt.     Auch  Christ  bemerkt:  quae  nescio  an  genuina 
lectio  fuerit.  —  Dem  gleichen  Schol.  zu  77  492  ujueivov  yodcpsiv 


!)  Sehr  gut  hat  nach  2  608  Grashof  Y  275  ävzvf  vjio  nvnäxr\v  für 
jiQÖizrjv  hergestellt. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  41 

ndgog  d.  i.  D>avxE,  jxdgog  JioXEjuioxd  /uex'  dvögdoi  statt  rXavxE 
7iE7zov,  TioXs/uioxa  xxi.  müssen  wir  beipflichten;  denn  ninov 
entspricht  dem  vorhergehenden  jtieveaive  keineswegs,  ndgog  da- 
gegen bestens.  Der  Gedanke  könnte  von  Aristarch  herrühren. 
—  Schol.  T  kennt  auch  den  Vers,  welchen  einige  Handschriften 
nach  T  39  bieten  uud  welcher  in  der  Erzähluner  nicht  fehlen 
kann:  i)  juev  dg"1  ä)g  Eg^ao"1  anaßt]  Qixig  ägyvgoTieCa.  —  F486 
geben  die  Handschriften  .JABM  u.  a.  xöv  ßdXs  jueooov  äxovxi, 
Tidyt]  d'  iv  Jivevjuovt  yaXxög,  Schol.  A  gibt  an:  iv  äXXco  ,iv 
vijdvi  yaXxög1  und  so  haben  SGHbX  u.  a.  Daß  hier  iv  vrjdvi 
dem  jueooov  entspricht  und  iv  jivsv/uovi  wohl  A  528,  nicht 
aber  hier  an  seiner  Stelle  ist,  hat  La  Roche  dargetan.  — 
I"  265  cbg  ov  QYjidi  ioxi  ftecöv  igixvdia  dcoga  dvdgdoi  ye  fiv)]- 
xoToi  dajuijjuevai  ovo"1  vtxoe'lxei  gibt  das  gleiche  Schol.  an:  ev 
xiolv  ,EQya\  Nicht  als  dcoga  {dcoga  -&eoio  folgt  gleich  268), 
sondern  als  Arbeit  von  Göttern  haben  Schilde  die  Eigenschaft 
undurchdringlich  zu  sein;  also  ist  k'gya  aufzunehmen,  r  65 
ist  igixvdia  dcoga  am  Platze.  —  <P  33  gibt  Schol.  T  mit  der 
Variante  avxög  <$'  alt//  ijxögovoEv  die  geeignetste  Fortsetzung 
avxbg  <5'  dxp  inogovoEv  für  avxdg  o  äyj.  —  Die  Lesarten  des 
Syrischen  Palimpsestes  Y  479  /uiorjg  (für  cpiXrjg)  öid  ysigög 
EJXEigsv  alyßfi  yaXxEirj  und  Y  496  ivxgoydXco  (für  ivxxifXEvy)  iv 
äXcof]  sind  bedeutsamer  als  die  der  anderen  Handschriften.  Vgl. 
A  252  vvg~E  öe  juiv  xaxd  ystga  jueoijv.  Es  ist  nicht  wahrschein- 
lich, daß  ivrgoydX.co  aus  Hesiod  E.  x.  H.  599  stammt;  das  Um- 
gekehrte ist  wahrscheinlicher.  —  X  129  ßiXxsgov  euV  i'gidi 
^WEXavvEjUEv  öxxi  xdyioxa'  eI'öojuev  gibt  ein  Textscholion  in  A 
iv  äXXco  ,öcpga'1  die  treffliche  Verbindung  öcpga  xdyioxa  eiöojliev 
an  die  Hand,  wie  sie  sich  N  326  h?  agioxig"1  iys  oxgaxov, 
öcpga  xdyioxa  ei'Öojuev  findet.  Für  die  gewöhnliche  Lesart  darf 
man  nicht  etwa  auf  X  450  öevxe,  dvco  /uoi  ejzeoüe,  l'dco  ver- 
weisen, wo  dem  l'dco  ein  Imperativ  vorausgeht.  —  X  309  auxög 
vipinExrjEig,  ög  t'  eioiv  tieÖiovoe  öid  vEcpiow  igEßEvvcov  kennt 
Schol.  T  die  Variante  and  für  öid:  da  ano  dem  Sinne  besser 
entspricht,  muß  der  Hiatus  (wohlgemerkt  nach  dem  dritten 
Trochäus!)  für  die  Änderung  verantwortlich  gemacht  werden. 


42  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Zu  der  schwierigen  Stelle  X  324  <paiv£xo  $'  f\  xXrfiÖEg  an"1 
cöjlküv  av%ev'  e%ovotv,  Xavxavirjv,  Xva  xe  rpv%fjg  coxioxog  öXsÜgog 
bemerkt  Schol.  A:  sv  xioi  xä>v  vno/Livrj/uäxcov  ,q>cuvEv  (51  r\  xÄrj- 
7deg\  iv  f\  im  xwv  xev%£ü)v,  xä  x£vyr\  ovx  ixdkvTixE  xr\v  Xav- 
Xavirjv.  Mit  cpdivev  (Schol.  T  <paivov,  aber  nach  dem  vorher- 
gehenden e%£v  ist  nur  rpaivEv  am  Platze)  gewinnt  man,  was 
Nauck  mit  der  Änderung  Xavxavir]  erreichen  will:  „die  Rüstung 
zeigte  die  Kehle  bloß."  Auch  Bekker  hat  in  der  zweiten  Auf- 
läge  cpalvEv  in  den  Text  gesetzt.  —  *P  97  haben  zu  juivvvftä 
jieq  ä[xqjtßaX6vx£(g)  aXXiqXovg  BTEb  die  Glosse  a[Aqji,%w&e,vxeq 
unter  Hinweis  auf  äjuq)ixv&eis  rcareo'  io&Xov  jz  214:  da  solche 
Hinweise  gewöhnlich  zur  ursprünglichen  Lesart,  nicht  zu  dem 
erklärenden  Wort  gegeben  werden  und  vor  allem  sonst  ä/u(pi- 
ßäXXeiv  im  Sinne  von  „umarmen"  nicht  ohne  %£~LQag  oder  %eTqe 
steht,  ist  zur  Glosse  geworden,  was  ursprünglich  im  Text 
stand.  So  haben  <P  455  die  meisten  Handschriften  das  Glossem 
änoxoy'EfiEv,  während  nur  wenige  mit  Aristarch  dnoXE^'E/UEv 
gerettet  haben.  An  äfxcpi^v&EvxE  hat  auch  schon  Barnes 
gedacht.  —  A  493  Jioxajubg  jieÖiovÖe  xäxEioiv  lEi/J-ägoog  xax"1 
ÖQEoyvv  ÖTiaCo/uEvog  Aibg  o/ußgco  ist  öjia^öjUEvog  ein  schwer 
verständlicher  Ausdruck.  Seiner  Etymologie  nach  entspricht 
öjiä£a)  unserem  vulgären  „bin  auf  der  Hucke".  Die  Variante, 
welche  ein  cod.  Cantabr.  von  zweiter  Hand  gibt,  EJiEiydjuevog 
ist  der  geeignete  epische  Ausdruck.  Zu  ¥  623  gibt  zu  inäyu 
ein  Schol.  in  A  die  drei  Varianten  öjkxCei,  ixdvei,  k'neioi,  im 
cod.  Townl.  önä^Ei,  wie  O  103,  A  321  die  Redensart  yaXsTiöv 
öe  oe  yrjgag  önä&i  lautet,  während  &  103  Demetrios  Ixion 
ineiysi  bietet.  —  K  484  und  CP  21  eqv&ciivexo  ö"1  ai/uan  yaia 
(vdcoq)  ist  bei  dem  Scholion  zu  Aristoph.  Frie.  303  die  aus- 
gezeichnete Lesart  cpoiviooExo  erhalten.  —  Vielseitige  Aner- 
kennung hat  die  scharfsinnige  Entdeckung  0.  Müllers  (Eum.  134) 
gefunden,  der  aus  dem  Schol.  A  zu  Q  482  ovbiva  (ovöevi?)  ydg 
diaXsyExai  k'cog  ov  xa'&aQ&fj,  Schol.  B  cbg  et  q>vydg  xig  cpovEvg  .  . 
äjiEQXeTCu  jiQÖg  xöv  äyvloovxa  und  Schol.  T  d>g  si  cpvyäg  xig 
cpovEvg  Jidvxag  Xaftcbv  eIo£Q%excu  xa^agd-rjod/usrog  .  .  xöv  6e  xa- 
ßaiQovxa  xal  äyvixrjv  E'Xsyov  die  Lesart  ävögög  ig  äyvixEOi  (Bergk 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  43 

äyvkov)  für  dvdoög  eg  äcpveiov  entnommen  hat.  Diese  Emen- 
dation  hat  auch  Widerspruch  gefunden.  Vgl.  Peppmüller  zu 
d.  St.,  Ludwich  schließt  sich  mit  „abusi  schol.  BT"  dem  Wider- 
spruch an.  Und  doch  gibt  diese  Lesart  erst  der  Stelle  volle 
Klarheit  und  das  Scholion  tov  xad^aigovra  xal  ayvixrjv  eksyov 
ist  schwer  verständlich,  wenn  nicht  damit  auf  das  Wort  des 
Textes  hingewiesen  wird.  Die  vorausgehenden  Stellen  werden 
gezeigt  haben,  daß  die  Textüberlieferung  des  Homer 
nicht  auf  die  Texte  der  Handschriften  beschränkt 
werden  darf.  N  60  z.  B.  geben  die  Handschriften  teils  xexo- 
jicbg  teils  xexoycog,  Aristarch  hatte  beide  Formen,  das  richtige, 
wenn  auch  gewöhnlich  nicht  beachtete  xexontbv  war  in  der 
Ausgabe  des  Antimachos  und  in  der  von  Chios  erhalten.  Übri- 
gens steht  die  Erwähnung  von  Sühngebräuchen,  deren  sonst 
bei  Homer  nicht  gedacht  wird,  mit  dem  Hinweis  auf  das  Paris- 
urteil I?  29  f.  und  der  famosen  Zeitberechnung  i2  765f.,  deren 
Text  aus  r  222 x) f.  stammt,  auf  gleicher  Stufe.  Die  letzte 
Stelle  setzt  sogar  kyklische  Dichtung  voraus. 

IL 

Bei  der  Behandlung  der  einzelnen  Arten  der  Überlieferung 
können  die  Fehler,  die  von  der  Schrift,  dem  Vortrag,  der 
Modernisierung  und  attischen  Redaktion  herrühren,  nur  im  all- 
gemeinen unterschieden  werden.  Manche  Korruptel  kann  auf 
die  eine  oder  andere  Weise  entstanden  sein,  manche  kann  auf 
mehrere  Gründe  zurückgehen.  Für  den  Erfolg  fällt  diese  Unter- 
scheidung nicht  sonderlich  ins  Gewicht. 

1.  Einen  Fall  paläographischer  Art  bietet  0  94 

jifj  cpsvyeig  juerd  vcöza  ßaXcov,  xaxbg  &g  iv  ö/uttco, 
jurj  rig  toi  (pevyovzi  /.leracpgevo)  ev  dögv  nr\g~r\. 

Mit  jusrd  vcöxa  ßaktiov  vergleicht  man  das  lateinische  terga 
vertere,  aber  „sich  umkehrend"  heißt  bei  Homer  jueraoTgerp^ecg, 
z.  B.  A  595.     Bentley  hat  vornehmlich  aus  dem  Grunde,  weil 


l)  Hier  scheint  sogar  der  ältere  Text  in  ^£09?'  oze  für  c£  o£  erhalten 
zu  sein. 


44  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

das  nachgesetzte  wg  die  vorausgehende  Silbe  in  der  Regel  ver- 
längert, ßaXwv  odxog,  wg  iv  ö/uXw  jluj  .  .  mj£t]  vermutet;  aber 
auch  dem  Sinne  dient  diese  vortreffliche  Emendation,  welche 
für  gewöhnlich  unbeachtet  bleibt,  in  ausgezeichneter  Weise. 
Bitter  ruft  Diomedes  dem  Odysseus  zu:  „du  trägst  den  Schild 
am  Rücken  (nicht  um  rasch  zu  gehen,  wie  man  sonst  tut, 
sondern)  aus  Furcht,  es  möchte  dir,  während  du  im  Gedränge 
des  großen  Haufens  fliehst,  jemand  den  Speer  in  den  Rücken 
stoßen".  —  Trefflich  hat  Herwerden  T  63  äxagxrjgog  für  dxdg- 
ßrjxog  verlangt:  nicht  von  der  Unerschrockenheit,  sondern  von 
der  Hartherzigkeit  des  Hektor  spricht  Paris.  Solche  Emen- 
dationen  werden  gefunden,  um  auch  beachtet,  nicht  bloß  unter 
dem  Text  bemerkt  zu  werden!  —  Hieher  gehört  auch  die 
Emendation  von  Nauck  zu  0  538  fjeXiov  dviovxog  ig  ovgavov 
(für  eg  avgiov):  ig  avgiov  bedeutet  X  351  im/xelvai  eg  avgiov 
„bis  morgen",  avgiov  el'g  rj  318  (nach  elg  rode)  „auf  morgen"; 
dagegen  gibt  hier  ig  avgiov  keinen  Sinn.  Ebenso  die  von 
Düntzer  Y  202  und  433  al'oijua  für  aiovXa.  —  i?  139  xov  (des 
Löwen,  der  in  das  Gehöfte  eingedrungen  ist  und  vom  Hirten 
verwundet,  aber  nicht  getötet  wird)  juev  xe  odevog  ojgoev  (der 
Hirte),  eneixa  de  t'  ov  Jigooa/xvvei, 

dXXd  xaxd  oxavx/j,ovg  övexai,  xd   ö"1  egtjjua  <poßelxai' 


ai  juev  x"1  dy%ioxivai  in   dXh')X}]Gi  xeyyvxai. 

Obwohl  aT  folgt  und  oieooiv  vorhergeht,  sollen  mit  xä  die 
Schafe  (/j.rjXa)  gemeint  sein.  Die  Schafe  im  Stalle  können 
nicht  fliehen.  Man  erwartet  auch  den  Grund,  warum  der  Hirte 
sich  zurückzieht,  muß  also  (poßelxai  auf  diesen  beziehen.  Vgl. 
ov  oe  (poßrjoof.ia.1  X  250,  oi  <5'  icpeßovxo  xaxa  /ueyagov  %  299. 
Der  Hirte  „weicht  diesem  Ansturm  des  Löwen  aus",  d.  i.  xö 
<5'  ex"1  oi/iia  qpoßelxai.  Vgl.  oijiia  Xeovxog  77  752.  —  7^334  äXX"1 
öxe  ör]  g1  ixiyave  gibt  X  dij  ga  xi%ave,  aber  g'  ist  nur  einge- 
setzt worden,  als  ixi%ave  aus  e  xi^ave  wie  e  321  ißdgvve  aus 
i  ßdgvve  (H2  £>'  ißdgvve)  geworden  war.  So  ist  TT  81  i£ege- 
eive  i  (o.  S.  25)  in  G  in  i^egeeive,  in  den  anderen  in  e^egeeivero 
übergegangen.     Das  Medium  kommt  nur  hier  vor.    Ebenso  ist 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  45 

<Z>  491  <5'  äg1  e&eivE  in  de  fe  fielve,  <Z>  591  xai  q  eßaXev  in 
xai  fs  ßdXev  zu  ändern.  —  In  K  127  ev  <pvXdxeoo\  iva  ydg 
ocpiv  enecpgadov  dyege&eoftai  hat  man  das  unmögliche  ydg  auf 
verschiedene  Weise  zu  beseitigen  gesucht :  offenbar  ist  iv  vor 
l'v(a)  ausgefallen,  so  daß  die  Verbesserung  von  Barnes  cpvXd- 
xeooiv  Iva  sich  als  die  einfachste  ergibt.  —  TT  188  ist  cpvXaooo- 
juevoioiv  äxrjv  zu  (pvXaooojLievotoi  xaxrjv  geworden.  Vgl.  312.  - 
Die  Lesart  ßaodrjiov  für  ßa§vh)iov  2  550  scheint  auch  paläo- 
graphischer  Art  zu  sein,  wenn  nicht  ßaodevg  556  eingewirkt 
hat.  —  In  Z  251  evda  ol  ymoöcugog  evavrh]  rjXvde  ftrjrrjg 
Aaoöixrjv  iodyovoa  bietet  iodyovoa  ein  Rätsel.  Der  Dichter 
hat  vorher  von  den  Schlafgemächern  der  Söhne  und  Schwieger- 
söhne des  Priamos  im  Hofe  des  Palastes  gesprochen  um  zu 
erklären,  daß  dort  Hektor  mit  Hekabe  zusammentrifft.  Wohin 
soll  Hekabe  ihre  Tochter  Laodike  fuhren?  Aristarch  gibt  die 
Erklärung  iigbg  Aaodixyv  Jiogevojuevr] :  eine  solche  Erklärung 
ist  bei  Aristarch  nicht  unmöglich;  man  braucht  nicht  zu  denken, 
daß  er  etwa  ioiovoa  gelesen  habe.  Mit  der  Vermutung  eY 
äyovoa  oder  xaXeovoa  oder  äpC  äyovoa  ist  nichts  gewonnen. 
Der  Gedanke  von  Jigbg  Aaoöixrjv  Tiogevo/uevt]  ist  richtig :  He- 
kabe will  ihre  Tochter,  welche  im  Hofe  ihren  ddXafxog  hat, 
besuchen,  also  Aaoöixrjv  dXeyovoa.  Vgl.  z.  B.  X  185  öaixag 
dXeyvveiv  =  dXeyeiv.  Aus  dXeyovoa  wurde  äyovoa  wie  umge- 
kehrt v  362  äyogrjv  aus  avyrjv,  und  wie  z.  B.  re  pepoixe  in 
t'  eneoixe  überging,  so  wurde  hier  mit  ig  nachgeholfen.  — 
Die  prahlerischen  Worte  des  Dolon  K  324  ool  $'  iyoo  oi>% 
äXiog  oxojibg  eooojuai  ovo"1  dnb  öötjtjg  geben  immerhin  einen 
passenden  Sinn  „ich  werde  kein  vergeblicher  Späher  sein"; 
aber  einen  weit  besseren  Sinn  haben  die  Worte  nach  der  mit 
einigem  Bedenken  vorgebrachten  Vermutung  von  Leaf  ovx 
dXabg  oxonög  („ich  werde  meine  Augen  ordentlich  aufmachen"). 
Zur  Gewißheit  wird  die  Vermutung  erhoben  durch  die  ausren- 
scheinliche  Beziehung  von  dXabg  oxonög  auf  die  Redensart 
oi' <5'  dlabg  oxomijv  el%e,  die  der  Verfasser  von  K  selbst  515 
benützt.  Indirekt  wird  durch  diese  Emendation  die  Aristar- 
chische  Lesart  dXabg  oxomrjv  bestätigt.    —    Dem  Dichter   ge- 


46  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

schiebt  Unrecht,  wenn  man  A  15  Nabers  Konjektur  evorjoev 
für  eßörjoev  nicht  in  den  Text  setzt.  Das  Geschrei  des  Aga- 
memnon nach  dem  Geschrei  der  Eris  ohne  irgendwelche  weitere 
Angabe  ist  ganz  verwunderlich.  —  A  56  Tgcoeg  d1  av>y  ezegco- 
dev  enl  &gcoojuc5  jieöioto  lautet  gleich  Y  3.  Friedländer  will, 
weil  dort  das  Verbum  fehlt,  56 — 60  aus  dem  Text  entfernen. 
Dafür  aber  liegt  kein  weiterer  Grund  vor  und  avd^  hegwftev 
scheint  an  beiden  Stellen  aus  av  -&aj Qr)%dev  infolge  der  Ähn- 
lichkeit der  Buchstaben  entstanden  zu  sein.  —  xaxi]v  egiöa 
jigoßaXovreg  A  529  hat  Nauck  nach  r  7  xaxy]v  egiba  ngo- 
(pegovoai,  d  210  egiöa  ngocpegrjxai  in  ngocpegovreg  verbessert: 
die  Notwendigkeit  dieser  Emendation  wird  nicht  überall  an- 
erkannt. Schreibfehler  waren  auch  in  alter  Zeit  möglich.  Das 
öfters  besprochene  und  verschieden  gedeutete  &r]XvTegdo)v  für 
TijXedajidoov  <P  454  scheint  nichts  anderes  als  ein  Schreib-  oder 
Hörfehler  zu  sein.    —    Den  Fehler  in  A  34 

ev  de  ol  6/jKpnXol  rjoav  eixooi  xaaairegoio 
Xevxoi,  ev  de  fieooioiv  erjv  fieXavog  xvdvoio, 

wo  das  Wort,  von  dem  der  Gen.  iieXavog  xvdvoio  abhängig  ist, 
und  auch  die  nach  eixooi.  erwünschte  Zahl  fehlt,  hat  Nauck 
mit  eeig  für  erjv  zu  heben  gesucht.  Aber  die  Form  eeig  ist 
höchst  zweifelhaft,  man  darf  wohl  sagen  unrichtig,  wenn  sie 
Nauck  auch  dazu  dient  um  in  E  603  reo  <5'  aiei  Jidga  eig  ye 
deebv  den  „anstößigen"  Hiatus  mit  nag''  eeig  zu  beseitigen.  Der 
schwarze  Buckel  ist  nicht  in  der  Mitte  der  zwanzig  weißen, 
sondern  auf  der  Mitte  des  Schildes.  So  gewinnen  wir  ei>  de 
fieot]  eev  eig  jueXavog  xvdvoio,  auch  ein  Zeugnis  für  die  Her- 
stellung der  Form  eev.  —  Ungewöhnlich  steht  ergdiiero  in  A  237 
ägyvgco  dvroiievr]  /.wXißog  ä)g  hgdnex)  ai%jirj  vom  Umbiegen 
der  Spitze  des  Speers.  Eher  noch  würde  man  eoxgecpex''  ver- 
stehen. Aber  das  gebräuchliche  Wort  ist  yvdiuixexo  alyjirj. 
Vielleicht  hat  der  Hiatus  auf  die  Änderung  Einfluß  gehabt 
oder  auch  das  unmittelbar  vorhergehende  (233)  exgdnex'  eyx°S- 
—  Daß  in  A  574  und  O  317  dovga  .  .  ev  yair\  i'otavro,  XaXaio- 
jueva  XQOog  äoai  nicht  das  an  und  für  sich  zweifelhafte  toxavxo, 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  47 

sondern  iv  yairj  oxtqqixxo  ursprünglich  ist,  zeigt  der  Parallel- 
vers 0  168  yaifl  kv£oxr\Qixxo  XiXaio/uevrj  %Qobg  äoai,  welchen 
auch  Tryphon  in  Rhet.  VIII  730,  7  mit  iv  yairj  ioxaxo  zitiert. 
Wie  ich  sehe,  hat  schon  Nauck  yah]  iveoxrjQixxo  vermutet. 
Ebenso  ist  1^280  iy%dr]  de  vjieq  vojxov  evl  yairj  oxrjQixx"1  (für 
k'oxrj)  le/uevt]  zu  setzen.  Vgl.  X  276  iv  yairj  indyrj.  Hier  wird 
ox/jqixxo  durch  xeTxat  345  bestätigt.  —  Wenn  desgleichen  <Z>  70 
iyX£fy  de  vjisq  vcüxov  evl  yah]  oxfJQixx'1  lejuevi]  xxe.  (für  k'oxrj) 
geschrieben  wird,  so  ist  damit  das  Schleudern  des  Speers,  das 
man  vermißt  hat,  genügend  bezeichnet.  —  In  A  798  xai  xot 
xev%ea  xaXd  doxa)  JioXejuovde  qpeQeo&ai,  aX  xe  oe  reo  l'oxovxeg 
äjrooxojvxai  TioXe/uoio  fehlt  der  Grund  dafür,  daß  die  Troer  den 
Patroklos  für  Achilleus  halten  sollen.  In  xald  ist  das  nicht 
enthalten.  Es  muß  xd  o/d  (xd  ä)  geheißen  haben,  wie  es  77 40 
dög  de  juoi  oojuouv  xd  od  xev%ea  rJaygtjx&fjvai  heißt  und  wie 
Nicole  hiernach  im  Genfer  Papyrus  den  V.  (xai  doxa)  co/uouv 
xd  ä  rev%ea)  ■&a)Qi]x&fjvai  ergänzt.  —  N  363  geben  die  Hand- 
schriften necpve  ydg  'O&gvovrja  Kaßijoo&ev  k'vdov  iovxa,  worin 
k'vdov  „in  Troia"  bedeuten  soll.  Mit  Recht  bemerkt  Leaf  dazu: 
a  rather  stränge  expression.  Die  Wendung  erinnert  an  O  438 
ov  veöl  Ka&tjQÖ'&ev  kvdov  iovxa  ha  cpiXoioi  xoxevoiv  ixio/uev  iv 
jueydgoioi,  wo  aber  alles  wohl  verständlich  ist.  Die  Erinnerung 
an  diese  Stelle  mag  zur  Textverderbnis  beigetragen  haben.  Die 
eine  Art  derselben  erscheint  in  der  Lesart  der  Argolischen 
Ausgabe  'O&gvovfj'1  cExdßrjg  vodov  vlbv  iovxa,  einem  köstlichen 
Beispiel  geänderter  Buchstabenverbindung,  welche  aus  einer 
Stadt  eine  Frau  gemacht  hat.  Eine  andere  Verbindung  kennt 
das  Schol.  T :  ivdoveovxa,  welchem  der  Sinn  xextvrjjuevov  unter- 
geschoben wird.  Nach  N  664  Kogiv&o&i  olxia  vaia)v  verlangt 
Leeuwen  mit  Recht  Kaßrjoö&i  olx'C  (oder  dojjuax'1)  eyovxa.  Wir 
können  den  überlieferten  Buchstaben  näher  kommen  mit  Kaßrj- 
ooßi  vaiex iovxa  (statt  vaiExdovxa),  womit  wir  wieder  ein  Bei- 
spiel für  das  Gesetz  von  Joh.  Schmidt  (s.  Stud.  z.  Od.  S.  67) 
erhalten.  —  JV  523  erwartet  man  nach  dXX'  6  f  dg'  (dg'  ist 
Füllsel)  dxgco  'OXv/ATiq)  vnb  %qvoeoioi  vecpeooiv  rjoxo,  Aibq 
ßovlfjni  ieX/ievog  auch   k'v&a  neg  äXXoi  d&dvaxoi  fJeol  fjax'   (für 


48  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

fjoav,  saßen  untätig)  hgyo/ievoi  tioXejlioio.  —  Ebenso  ist  Y  270 
fjaav  in  ai  ö"1  dg''  exi  rosig  l]oav  nichtssagend  für  eo%ov  (leiste- 
ten Widerstand,  vgl.  77  740,  Y  398).  -  ■  N  837  lautet  die  all- 
gemeine Überlieferung 

*l%h   &1  ä/A<poT£Q(ov  i'xet   aldiga  xal  Aiög  avydg. 

Verständlich  ist  avyal  'HeXioio,  was  aber  soll  man  sich  unter 
Aidg  avyal  vorstellen?  Einen  natürlichen  Ausdruck  bietet 
Schol.  T  mit  yg.  avXdg,  wie  auch  ein  Epigramm  in  Kaibels 
Sammlung  (288, 4)  ig  aldeoa  xal  Aibg  avXdg  hat.  Nur  hat 
sich  avXrjv  mit  avydg  zu  avXdg  verbunden.  Denn  avXrjv  wird 
durch  6  74  Zrjvög  nov  roujde  (/  ist  Füllsel  wegen  des  Hiatus) 
'OXvjumov  evÖo'&ev  avXi)  empfohlen.  —  0  228,  Q  376  geben 
alle  Handschriften  eldog  dyjjxög,  E  787  bieten  geringere  Hand- 
schriften (L  Hb)  sldog  ägioxoi,  Aristarch  hatte  sowohl  dyrjroi 
wie  ägioroi:  wie  gerechtfertigt  es  ist,  wenn  Nauck  auch  sonst 
Elöog  dyrjxog,  auch  in  Stellen  wie  ftvyaxgcbv  Elöog  dgioxt],>  Z  252, 
verlangt,  kann  am  besten  iV769  Avojiagt  Eiöog  ägioiE,  yvvai- 
fnavsg,  yjiEgo7i£vrd  zeigen,  wo  Elöog  äyrjre  dem  Tone  Hektors 
weit  besser  entspricht.  —  Für  iV  707  ßos  .  .  hfiEvco  xaxd  d>Xxa 
(xax1  äfoXxa  Payne  Knight)  xe/uei  (rejuysi  S)  Öe  je  xeXoov  agov- 
grjg  hat  man  verschiedene  Auskunft  erdacht:  rajuovxE  öe  (Jortin), 
zafiEod''  oder  xafxüv  Inl  (J.  H.  Voß),  xajuEo&ai  (Brandreth). 
Nach  der  Erklärung  Monros  soll  xejuei  ein  sonst  nicht  vor- 
kommendes Präsens  zu  exexjue  sein  ;  dann  müßte  es  aber  ägo- 
xgov  für  dgovgtjg  heißen.  Tajusiv  im  hat  auch  Herweiden  vor- 
geschlagen und  Nauck  aufgenommen,  aber  was  soll  xaxaxajuEiv? 
Das  Richtige,  welches  durch  2  544  Ixoiaxo  xeXoov  dgovgrjg, 
besonders  aber  durch  547  Iejuevoi  veioTo  ßa&eirjg  xeXoov  IxEO&ai 
aufgezeigt  wird,  hat  schon  Bentley  erkannt,  hat  aber  mit 
pwXx*  iv"1  ixoiaxo  fehlgegriffen  besonders  infolge  seiner  Hiatus- 
scheu. Auch  Koppen  ist  mit  Iejuevo)  öe  xax"1  cbXxa  IxEo&ai 
nicht  ganz  ans  Ziel  gekommen.  Nehmen  wir  an,  daß  nach 
der  letzten  Silbe  von  ojXxa  ein  ixa  ausgefallen  ist,  so  wurde 
das  übrig  gebliebene  veiv  mit  Zuhilfenahme  der  ersten  Silbe 
von  xeXaov   zu    dem  Füllsel  xejuei  öe  xe  erweitert.     Mit  lefievai 


Textkritisehe  Studien  zur  Ilias.  49 

xax1  äolxa  (die  Furche  entlang)  IxcIveiv  ieXoov  äoovQijg  ist 
der  tadellose  Ausdruck  gewonnen.  —  E  472  ist  in  ai-iog;  ov 
jlisv  juoi  xaxbg  el'dezcu  ovde  xaxcbv  l'|  das  Digamma  von  elötrai 
außer  Acht  gelassen.  Bentley  vermutet  ov  juev  jlwi  boxest  xa- 
xbg oder  ov  n  xaxbg  /xoi  eiöerai:  wenn  öearai  zu  elöexat  ge- 
worden war,  mußte  xaxbg  eidszai  für  el'dezai  xaxbg  gesetzt 
werden.  Mit  ov  juev  juoi  öiarai  xaxbg  vgl.  £  242  jtqoo&ev 
juev  yag  ö)j  /uoi  aEixEXiog  ÖEar"1  sivac.  — ■  ov  nco,  ju/j  nco  heißt 
bei  Homer  wie  sonst  „noch  nicht".  An  einigen  Stellen  soll 
es  die  Bedeutung  von  ov  Jicog,  /u)j  jicog  „auf  keine  Weise" 
haben.1)  Aber  i  102  hat  von  den  maßgebenden  Handschriften 
nur  der  Harl.  //>/  jmo,  y  226  ist  ov  ncog  im  Lex.  des  Phot. 
erhalten,  A  184  jwi]Öe  ri  nco  öeiöiooeo  hat  Didymos  die  Vari- 
ante iiov  überliefert:  es  ist  also  gewiß  auch  hier  ju^öe  ri  ncog 
zu  setzen,  zumal  in  Rücksicht  auf  das  häufige  Schwanken  der 
Handschriften  zwischen  nov,  jioT,  Jifj,  Jtcög  (vgl.  Beitr.  z.  Krit. 
des  Eur.  I  S.  540  f.).  —  In  O  45  avrdg  rot  xal  xeivco  (andere 
xäxEivcp)  iycb  naga/uvätjoai/u?]}'  wird,  da  xal  und  xev  in  den 
Handschriften  öfters  verwechselt  sind,  das  für  den  Sinn  nötige 
xev  am  einfachsten  mit  avzdg  rot  xev  xeivco,  nicht  mit  xeivco 
xev  gewonnen.  —  In   O  605 

fjtaivsxo  ö\  cbg  6V  "AQVjg  Ey%EonaXog  y)  bXobv  nvg 
ovoeol  jiiaiv)]rai  ßadh]g  ev  TuocpEOtv  vXrjg 

hat  Paßow  zunächst  an  ftaivt]TCu  Anstoß  genommen,  da  /uai- 
vEoftat,  sonst  nur  von  lebenden  Wesen  oder  übertragen  auf 
Hände  solcher  Wesen  gebraucht  wird,  und  hat  juaijudy  ver- 
mutet nach  Y  490  cbg  d"1  äva/iaiftasi  (vielmehr  äva/uaijudjj) 
ßa&E  äyxEci  {teombakg  nvg.  Diese  Vermutung  wird  dadurch 
bestätigt,  daß  mit  juaijuärjai  (vgl.  fxevoivrjjjoi  O  82,  /xEvoivdijoi 
Buttmann)    die   fehlerhafte  Form   ßadhjg2)    beseitigt  und  nach 


*)  T  225  yaozegi  (5'  ov  jioig  iou  rexvv  jzEv&>~joai  'A%aiovi  hat  der  sonst 
entstehende  Hiatus  ov  jico;  durchweg  gerettet. 

2)  ßijooijg  (vor  einem  Konsonanten!)  ßadstjv  hat  Nauck  in  ßi'joo/joi 
ßaßvv  verbessert.  <?  213  hat  Heyne  als  unecht  erkannt.  Es  bleibt  nur 
ßa&hjg  E  142,  wo  vielleicht  avzao  o  ifi/na7iEcog  (so  Bentley)  /irftacog 
e^aXXexac  avXfjg  zu  schreiben  ist. 

Sitzgsb.  d.  philos.-iihilol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jabrg.  1917,  7.  Abb.  4 


'>0  1.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

E  555  ßadeiqg  xdqcpeoiv  vXrjg  hergestellt  werden  kann.  Dieses 
it(iiu<h]m  aber  zieht  /taijuae  für  fiairexo  nach  sich.  Der 
neue  Text 

jualjuae  d\  (bg  6V  "Agtjg  eyieonaXog  ?)  öXobv  tivq 
ovgeoi  jiiai/iiurjoi  ßaDeii^g  x6.Qcpe.oiv  vXrjg 

wirft  ein  helles  Licht  auf  den  Zustand  der  handschriftlichen 
Überlieferung.  —  Eine  Erkenntnis  führt  zur  anderen,  daß 
nämlich  auch  in  ©  413  nf\  juejuaxov:  xi  ocponv  svl  (pqeol  juai- 
vezai  fjxoQ\  juaijuäei  (begehrt  heftig)  das  entsprechende  Wort 
ist,  was  durch  E  670  /uatjutjoe  de  ol  cplXov  fjxog  bestätigt  wird. 
77  75  juaivezai  eyyeh]  Aavacöv  änb  Xoiybv  ä/ivvai  wird  /.tai/idei 
durch  den  Infin.  äjuvvai  empfohlen,  hiedurch  aber  wieder  (9  111 
et  xal  e/iiöv  öoqv  juai/udei  (für  juaiverat)  er  TtaXdjuflOiv.  Vgl. 
£"661  alyjui]  de  dieoovxo  juoujucbovoa.  —  A  453  rjjuev  dr\  nox 
ejiiev  Jidoog  exXveg  evgajtievoio  hat  nach  77  236  ursprünglich 
eiibv  e'jiog  exXveg  geheißen;  ndoog  ist  nach  di]  noxe  unnötig. 
—  77  227  ovxe  xeco  onevdeoxe  tiewv  oxi  jui]  Ad  naxoi  steht 
oxi  f.u'\  vereinzelt.  Die  Überlieferung  schwankt  zwischen  öxi 
und  oxe,  der  Homerische  Gebrauch  verlangt  ei  ju>j.  —  FL  250 
to  <5'  exeqov  juev  edcoxe  7101x1)0,  exeqov  d"1  dvevevoe  ist  xco  de  un- 
mittelbar nach  xov  <5'  exXve  jurjxiexa  Zevg  stilwidrig.  Der  Sinn 
verlangt  xwv  d'  exeqov.  Umgekehrt  ist  P231  reo  in  xojv  ver- 
dorben. —  T  153  d>de  (SGT  u.  a.  &g  de)  xig  vjueuov  fie/uvrjjue- 
vog  dvdql  jua%eo&(o  erhält  juejuvijjuevog  seine  richtige  Beziehung 
mit  xcbv  de.  —  In  el  de  xi  xwvd'1  enioqxov  T  264  würde  xcovde 
sich  auf  folgendes  beziehen:  man  erwartet  xtov.  —  77  594 
rXavxog  de  nocöxog,  Avxiwv  dybg  doJiioxdcov  exqdnex\  exxeivev 
de  xxe.  würde  der  Sinn  „er.  wandte  sich  (auf  der  Flucht)  wieder 
um  gegen  den  Feind"  ein  ndXiv  erfordern ;  die  richtige  Be- 
zeichnung ist  eoxqecpex\  was  durch  598  oxqeyfielg  e^cvnivrjg 
oxe  (Menrad  o#'  o,  weil  die  Person  wechselt)  bestätigt  wird.  — 
Das  der  Form  und  der  Bedeutung  nach  unverständliche  tmeq- 
dea  P  330  ist  von  Brocks  sehr  glücklich  in  vjieq  Ata  emendiert 
worden,  welches  dem  vorhergehenden  vneq  $eov  (327)  ent- 
spricht. —    In  P  722   vexqbv  äno  %ßovbg  äyxd£ovxo  mpi  fidXa 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  51 

fieydXcog'  im  <5'  Yay?  laog  ömo&ev  hat  bereits  Bentley  eine 
richtigere  Beziehung  mit  vxpi  judka'  jueydXayg  <5'  emfiaye  Xaog 
hergestellt  und  damit  zugleich  das  Digamma  für  \'a%e  ge- 
wonnen. Aber  für  „laut"  findet  sich  häufig  jusya,  [xeydXa, 
nirgends  jusydXcog.  Diese  Form  kommt  überhaupt  bei  Homer 
nur  einmal  vor,  n  432  ejus  re  jiieydXcog  äxayiCeig.  Hier  aber 
bietet  die  gute  Handschrift  U  dafür  exjxdyXcog  und  mit  vyu 
/<d/' •  exndyXcog  ö'  EJitfiaye  ist  auch  unserer  Stelle  gedient. 
—  2  357  ejigrjg'ag  y.al  ejxeixa  .  .  dvoxrjoao'  'A^iXfja  kann  nicht 
mit  Q  550  ov  ydo  xi  nq^eig  äxayijjuevog  vlog  eoio  ovde  fxiv 
dvoxi'joeig  verglichen  werden,  da  hier  7iQijg~eig  das  Objekt  xi 
hat;  für  sich  allein  bedeutet  h'jiQi-j^ag  nichts  und  verlangt  der 
Sinn  ävoxijoai.  —  In  2  446  r]  xoi  o  xfjg  dysoor  fpgevag  e'(p- 
$iev  aoxaQ  Ayaioög  ist  ecpftiev  unmöglich;  Blaß  hat  kodier 
vermutet,  was  Leeuwen  als  egregia  emendatio  in  den  Text  ge- 
setzt hat;  näher  liegt  ecpftivviV,  zumal  <p&ivvdeiv  aueh  sonst 
in  dieser  übertragenen  Bedeutung  mit  xfjg  verbunden  wird 
(A  491,  x  485).  Der  durch  Wirklichkeitssinn,  Sprach-  und 
Stilgefühl  wie  nur  je  ein  hervorragender  Kritiker  ausge- 
zeichnete Herwerden  hat  in  Z  25  vexxaqecp  Ök  yixcövi  /xeXaiv 
dfupi^ave  xeqpgi]  glänzend  vexxaqecp  in  vijyaxeq)  verbessert  nach 
B  43  yixcbva  xaXov  vrjydxeov  und  hat  damit  den  scharfen  Kon- 
trast zu  ufXatva  xkcpqi]  gewonnen  („schwarze  Asche  auf  hell- 
glänzendem Leibrock").  Es  liegt  nahe  auch  aus  F  385  das 
„nektarduftende  Gewand"  mit  yeigl  de  vijyaxeov  (für  rexxa- 
qeov)  eavov  exiva^e  Xaßovoa  zu  beseitigen.  Ein  ambrosisches 
d.  i.  göttliches  Gewand  kann  man  verstehen,  was  man  unter 
einem  nektarischen  sich  denken  soll,  ist  schwer  erfindlich.  — 
F68  ist  AnoXXcov  <Polßog  überliefert:  diese  Stellung  findet 
sich  nur  noch  einmal  0  515,  wo  aber  Ammonios  zu  0  232 
olog  zitiert  und  olog  dem  Sinne  bestens  entspricht;  es  ist  also 
an  beiden  Stellen  olog  zu  setzen.  —  Apollon  mahnt  den  Aneas 
1  109,  er  solle  sich  nicht  XevyaXeoioi  ejieooiv  des  Achilleus 
vom  Widerstände  abschrecken  lassen.  Über  XevyaXeog  vgl. 
meine  Abhandlung  „Mißverständnisse  älterer  Wendungen"  usw. 
S.  36;  es  bedeutet  „kläglich,  jämmerlich,  elend"  und  ist  infolge 

4* 


52  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

falscher  Auslegung   von   XevyaXecp   ftavänp  <P  281   von  Sopho- 
kles im  Sinne    von    „feucht"    gebraucht    worden.     Auf  keinen 
Fall    paßt    levyaleoioi    ejieooiv    für   Y  109:    nahe    liegt    ägya- 
Xeoloi   ejieooiv,   „durch   bedrückende,  harte,  drohende  Worte". 
Vgl.  yalejibg    txvfrog  B  245,    ya/.£JioToiv  .  .  ejieeoolv   ^489.  — 
Nach   Athen.  VII  277  C    beantwortete    Zoilos    die    Frage,    ob 
schon  vor  Sophokles  Ai.  1297  jemand  die  Fische  als  iXXoi  be- 
zeichnet habe,  mit  dem  Hinweis  auf  das  Fragment  der  Titan o- 
machie    h    d*   avxfj    nXooxol    xQvoojmÖEg    ly&VEg    eXXol    vr\yoviEg 
jiai£ovoi  xxL    Wir  können  hinzufügen,  daß  schon  Homer  dieses 
Epitheton  gebraucht  hat.     Denn  daß  #  22  <bg  d'  vnb  bzlcpivog 
fxeyaxrjTeog  lyßveg   eXXol   (für   aXXoi    auch  Leeuwen)   cpsvyovxeg 
xri.    heißen    muß,    bekundet   Hesiod.   'Aon.  212    agyvQSOi    öeX- 
(piveg    Ecpoixoov   eXXonag   iyßvg.    —   Mit   eoxcu    ravra,  SxdfiavÖQe 
diojQEcpeg,  wg  ob  xeXeveig  <&  223  verspricht  Achilleus  dem  Fluß- 
o-ott  seine  Bitte  das  Morden   im  Flusse   nicht  fortzusetzen   zu 
erfüllen.     Er  tut  es  aber  doch.    Dieser  Widerspruch  wird  ge- 
hoben, wenn  Achilleus  die  Bitte  mit  Voxai  sneixa  (oder  eooer 
Sneixa)   höflich  oder  ironisch  ablehnt.         In  ^  336  fj  xe  xaxä 
Tqcocov  xEcpaXag  xal  xEvym  xrjrj  betrachtet  man  Tgwuw  xecpaXdg 
als    eine  Umschreibung    wie    riüixe    xdgrjva    Tqojwv   (pevyovxwv 
A  158.    Aber  da  auch  revym  zu  Tqcocov  gehört,  könnte  xecpaXdg 
nur    die    Köpfe    im    Gegensatz    zum   Rumpf   bezeichnen.      Der 
natürliche  Ausdruck  ist  vexvag  wie  ebd.  348  vexgovg.  —  Für 
xi  [iot  eoiöog  xal  aQCoyvjs;   &  360,  worin  man  einen  partitiven 
Genitiv   sehen    will,   wird    es    schwer   sein    eine  entsprechende 
Parallelstelle    beizubringen.     Jedenfalls    findet    sich    keine    bei 
Homer.    Der  Homerische  Ausdruck  ist  xi  XQV  p'  ?Q(dog.    Vgl. 
z.  B.  ovde   xi  oe   xq>)    xavxyg  äcpQOOVvijg  H  109.  —  <P  269  hat 
Nauck  xXv£  für  nXäi?  vermutet.     Diese   Änderung   wird    da- 
durch bestätigt,  daß  auch  M  285  tiqooxXv^ov  für  tiqoojxXü^ov 
dem  Sinne   zustatten    kommt.  —  In  <P  261  ist  ynjepldEg  unaoai 
öyXEvvxai  in  doppelter  Beziehung  zu  beanstanden,  einmal  weil 
die  Kontraktion  festsitzt,1)  dann  weil  öyttco  etwas  anderes  ist 

!)  Daß  z.  B.  A'432  aev  mit  osT1   zu  vertauschen  ist,  lehrt  der  Ge- 
brauch von  u.-TOTEOvijcozog,  das  in  der  Ilias  nur  an  dieser  einen  Stelle  vor- 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  ob 

als  ö%Äeva>  {öyXi'Qco).  In  dem  Gleichnis  paßt  der  Aor.  coy- 
Xev&ev.  —  <Z>  525  soll  die  Variante  ecevgev  wohl  den  fort- 
gesetzten Reim  avfjxev  —  e'&ijxe —  exprjxev —  ed"t]xsv  beseitigen. 
Dies  geschieht  auch,  wenn  man  in  524  x^öe"1  eq>rJ7txev  für 
y.r\b£  iqpfjxEv  schreibt,  denn  xrjds'1  Ecpr\nzai  (iqpfjjixo)  ist  B  15, 
32,  69,  Z  241  die  Homerische  Redensart.  —  X 117  äfia  61 
äjuqjig  'AyaioZg  äXX1  änodäooeodai  ist  in  zweifacher  Weise  an- 
stößig: einmal  heißt  ducpig  nicht,  was  es  heißen  soll:  „in  zwei 
Teile"  oder  „noch  besonders,  außerdem"  oder  „noch  im  be- 
sonderen", dann  steht  Wyaioig  nicht  für  'AyaioTo\  Wie  avbiya 
ndvxa  bdoEodai  120  zeigt,  sollen  die  Achäer  nur  die  Hälfte 
erhalten;  also  ist  auch  hier  avbiya  nötig,  welches  in  afxcpioay 
enthalten  sein  muß.  Dazu  fehlt  noch  das  Subjekt,  avbiya 
Xaovg.  —  Öfters  findet  man  in  den  Handschriften  Icöv  und  eojv 
verwechselt,  z.  B.  X  85.  Schreibt  man  X113  avxbg  icov  (für 
icov)  Aydijog  äjuvf.wvog  ävriog  k'ldco  (für  mich  allein  seiend 
ohne  Waffen  =  yvjuvög  icov),  so  fällt  das  lästige  icov  e'X&oj 
weg.  —  Zu  !F493  jutjXEXi  vvv  yakendioiv  ä/netßeodov  etxeeooiv, 
Alav  (Aldv  t'  Barnes)  'Idofisvev  xe,  xaxdig,  ejiei  ovbe  eoixev  gibt 
Schol.  T  eine  gute  Bemerkung:  äjueivov  ävx  avxov  (d.  i.  für 
xaxolg)  ygoupeiv  ,äva^'  jxqoeTjie  yäg  yalenoioi.  Nur  ist  ävaxx'1 
zu  setzen,  da  sich  der  ehrende  Zusatz  auf  beide  beziehen  muß. 
—  Der  Gedanke  in  ü  49  all'1  tj  roi  xXavoag  xal  ödvQäjuevog 
juederjxev  xX^xbv  yäg  juoioai  dv/ubv  deoav  äv&gcojioioiv  erinnert 
an  T  229  älla  ygi]  xbv  uev  xaxa&ajxxEjuEV  og  xe  ädryoiv,  vi]Xea 
iJvjiidv  k'yorxag,  eii1  ij/nari  baxgvoavxag  und  so  ist  auch  dort 
vt]XEa  ydg  /uoigai  &v/uöv  dioav  zu  schreiben,  nicht  mit  Nauck 
zX\)nova  nach  E  670,  wo  xXrjpova  die  Bedeutung  „ausdauernd" 
hat.  —  Q  56  eh]  xev  xal  xovxo  xeov  inog  will  Axt  den  An- 
stoß mit  xevöv  für  xeov  beseitigen:  aber  xevov  entspricht  dem 
xal  nicht  und  wäre  sehr  unhöflich;  die  Verbesserung  liegt 
näher:  xovx'  exeov  („auch  deine  Forderung  ist  richtig,  voraus- 
gesetzt" usw.).  —  ü  68  ov  xt  (j  iXov  fjjudgxavE  bwgcov  soll  yudg- 
xavE  nicht  die  gewöhnliche  Bedeutung   „verlustig  gehen",  son- 

kommt.     X  454  ul  yag   cU1  ovaxog   ei't]   ipsv   eno?   hat  Menrad   ifioi    nach 
2  272  ai  yuQ  8t)  fioi  äii    oüazog  d>8e  yevouo  hergestellt. 


54  7.  Abhandlung:  X.  Wecklein 

dem  die  unerhörte  „es  nicht  fehlen  lassen,  verabsäumen"  haben. 
Mit  Recht  hat  Christ  ij/iEgde  jue  ömqcüv  verlangt.     Nur  ist  in 
den  Stud.  zur  Od.  S.  22    äjuEodetv   von    äjungetv    unterschieden 
worden,  wornach  hier  rjjueige  jus  (enthielt  mir  vor)  zu  setzen 
ist.  —  Die  Unform  cp£e  in  Q  457  dij  (>a  xo&  'Eg/ueiag  igiovviog 
fp£e  ysgovTi  wird  niemand  in  Schutz  nehmen  wollen.     Die  Ho- 
merische Form  ist  öi£e   oder   oji^e   (dtöfe   gibt   eine   Breslauer 
und  eine  Wiener  Handschrift,  a>ii-e  der  Laur.  XXXII  15);  also 
muß  der  Fehler  in  igiovviog  liegen.    Dieses  nahe  liegende  Epi- 
theton des  Hermes  (vgl.  ü  360,  440,  679,  Y  72)  konnte  leicht 
aus  ähnlichen  Buchstaben    entnommen    werden.     Menrad    will 
für  eqiovvios  ein  anderes  Epitheton  des  Hermes  dxdxtpa  (77  185, 
co  10)   einsetzen   und    dxdxrjx'    witjs   schreiben.     Das  Epitheton 
steht  an   dieser  Stelle  ohne  besondere   Bedeutung,    wie    aller- 
dings auch  sonst  häufig,  dagegen  gewinnt  Bedeutung  der  Ge- 
gensatz   zur    vorhergehenden   Angabe,   daß   von    gewöhnlichen 
Danaern  drei  Männer  zur  Öffnung  des  Tores  nötig  seien.  Achil- 
leus  aber  allein  zu    öffnen   vermöge,    wenn    vom  Gotte    gesagt 
wird,  daß  er  leicht  öffnete.     Es  wird  also  der  Text  ursprüng- 
lich gelautet  haben:  'Egjusiag  Qtjä  fxiv  o«|fi  yegovTi.    An  fQEld 
f'  aufe  hat   auch  schon  Brandreth  gedacht.    Vgl.  Q  566  ovöe 
x\  oyr\a    Qtja    [XExoyUooEtE    &vq6lo)v    ^/ueregdüDv.      Der   Trochäus 
im  vierten  Fuße  unterliegt  bei  /<«'  keinem  Bedenken.  —  Von 
einem    schönen   Schwert   heißt   es  #  405   xofaöv   de   vEongiorov 
Elecpavxog  äju<pidEÖivr]xat:  die  Scheide  von  neuem  Elfenbein   ist 
nicht  mit  besonderem  Schwung  herumgedreht,  sondern  herum- 
gedrechselt, also  äf.iq?ideöiva)rai.    Um  so  mehr  steht  es  fest, 
daß  l?' 562,    wo   das   gleiche   von   einem  Guß   aus  Zinn   {yevfia 
(paEivov   xaooiTEQoio)    ausgesagt    wird,    die    Stelle    der   Odyssee 
zum    Original    hat,    wie  IT' 326    sicher    aus    l  126    stammt.  — 
A  192  bietet  fje  %6Xov   jmxvgeiev   eqyjxvoeie    xe   dvfwv    eine    ab- 
strakte, nicht  die  anschauliche  Redensart  Homers,  wie  wir  sie 
A  513,  7  565  yolov  tivficdym  nioooov,  A  81  yoXov  .  .  xataiteipr) 
finden.     Entsprechend  wird  neyeiev  zu  setzen  sein.  —  Wenn 
man    in  7  438    olog;    ool  ds  ju'  etisjutie  yegmv  \nnY\ldxa  ITi]hvg 
r\aaxi    xcö,    oxe   ö1  ex   <PiHrjg  'Ayajuifivovi   jtejujiev   önaooE,  wie 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  oo 

der  Sinn  vor  Jiifinev  fordert,  für  eine  zu  starke  Änderung  er- 
achtet, so  verweise  ich  auf  v  68,  wo  die  maßgebenden  Hand- 
schriften GHU  öjiaooe  für  enefJLne  (so  FMP)  geben.  Vgl.  Q  461 
ool  ydg  jus  nar)]Q  ä/ua  jio/xjiov  öjiaoosv,  wornach  schon  Her- 
werden Ö7ia£ev  vorgeschlagen  hat.  Die  Änderungen  von  Jacobs 
ovv  (51  £/*'  k'jreftjie  und  von  Düntzer  ool  ö"1  äfx  ejie/xjie  sind  nur 
Notbehelfe.  —  Q  227  kommt  die  Lesart  yoov  f|  i'gov  el?]v  in 
Konflikt  mit  der  typischen  Wendung  nooiog  xai  id^xvog  (Q  489 
oixoLo)  0;  eqov  evxo.  Man  kann  nicht  einsehen,  warum  es 
nicht  Eijuqv  heißt  —  Q  240  ov  vv  xai  vjuiv  oi'xoi  eveoxi  yöog 
steht  eveoxi  ungeschickt  bei  dem  Lokativ  oi'xoi:  man  erwartet 
oi'xofii  eoxi  yöog.  Entweder  ist,  nachdem  oi'xo&i  zu  oi'xoi 
geworden  war,  dem  Versmaß  nachgeholfen  worden  oder  hat 
der  Hiatus  gestört  ■ — -  Wie  die  Überlieferung  zwischen  i'Xoag 
und  ildoag  e  132,  y\  250  schwankt,  so  ist  Q  557  Jigcbx'1  iXhjoag 
in  jxqüjxov  i'aoag  übergegangen  und  diese  Korruptel  hat  noch 
die  Interpolation  des  folgenden  Verses  zur  Folge  gehabt;  ent- 
sprechend ist  Q  569  xXioirjOiv  idooo  in  xXioiyg  eXe^oco,  684 
eiaoev  in  eXerjoev  zu  verbessern.  —  Nebenbei  soll  auch  die  Er- 
klärung Aristarchs  zu  Z  248  xiysoi  ddXa/uoi:  vjieqcooi  yoav,  öiö 
zeyeoi,  tva  /u]  öioÖEvcovxai  berücksichtigt  werden.  Eine  Be- 
dachung schützt  nicht  vor  dem  Hindurchgehen,  auch  nicht  vor 
dem  Auskundschaften  (dionxEvwvxai  Lehrs),  wohl  aber  vor  dem 
Regen:  diaöevmvxai,  wenn  auch  öiaoEva)  (durchnässe)  in  den 
Lexika  fehlt. 

2.  Der  Einfluß  der  Umgebung,  worauf  die  „psycho- 
logische" Methode  der  Textkritik  achtet,  tritt  z.B.  zutage 
i\T51  e^ovoiv  ydg  ndvxag  ivxvijjuidEg  "Ayaioi,  wo  AST  ndvxEg 
bieten  oder  iV421  xöv  juev  ejieii}'1  vjxoövvte  övoj  igitjgsg  haigoi 
(vielmehr  igirjge  Exalgco)  .  .  vfjag  im  yX.aipvgdg  qpEghrjv  ßagia 
oxEvdxovxa,  wo  die  Haupthandschriften  mit  Aristarch  oxEvd- 
XOvxe,  andere  oxEvd'/ovxEg  geben  und  Zenodot  die  richtige  Be- 
ziehung auf  den  allerdings  Toten  gerettet  hat.  —  <&  251  Tlr]- 
Xe'idrjg  ft  anogovoEV  ooov  t1  inl  dovgög  eqüoi)  (vgl.  O  358)  geben 
die  maßgebenden  Handschriften  eqojijv  infolge  der  Verbindung 
mit  äjTOQovoEv.  —  P  617  ist  ix  dk  ööovxag  obos  Sögv  jzgvjiivov 


•r»<>  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

überliefert:  mit  Recht  hat  man  nQVfxvovg  geschrieben;  denn 
nur  als  nähere  Bestimmung  von  ddövtag  hat  das  Epitheton 
Sinn.  —  In  iV  580  xbv  dk  xax'  dcpftaX/Acbv  EQeßevvr]  vvg"  Ixd- 
Xvyjsv  ist  der  Genitiv  durch  die  falsche  Beziehung  von  xaxn 
entstanden.  Ich  habe  früher  o<p&aXfwvg  vermutet;  da  aber  der 
Dual  öcp&nXiia)  ebenso  wie  öooe  bei  Homer  vorkommt,  liegt 
die  Leeuwensche  Emendation  öcpflaXjtioj  näher.  —  Als  W  344 
xev  zu  x1  h  geworden  war,  mußte  vöoorjv,  wie  Jiage^  iXdorjO'&a 
nach  fi  55  fordert,  in  vvoofl  geändert  werden.  —  M  446  wird 
ein  gewaltiger  Stein  beschrieben:  nqvfivbg  nayyg,  avxdg  vjieq&ev 
o!~vg  SSV.  Mit  Recht  verlangt  Nauck  Jigv/ivöv,  da  ngvLivov 
dem  Adverbium  vtieqüev  gegenübersteht.  —  Zu  N  333  xcbv  <5' 
öjuöv  l'oxaxo  vEixog  hat  T  die  Variante  öjnöoe:  damit  wird  die 
gleiche  Wendung  wie  337  6juoo'!  fjX'&s  juä/j]  angezeigt  und  muß 
als  richtig  erachtet  werden;  das  ursprüngliche  OMOZ  (vgl. 
xvxXog  d.  i.  xvxXooe  P  392)  ist  nur  wegen  velxog  in  öfxov  ver- 
ändert worden.  —  Y  265  cbg  ov  gtjidi'1  eoxI  "Becov  eqixvÖeo.  egya 
ävdgäoi  ye  ,&vt]xoioi  dajuijjusvai  ovo'  vjioe'ixeiv  hat  Düntzer  mit 
Recht  vjioeixei  gefordert.  Umgekehrt  hat  Bentley  W  536  mit 
Recht  XoTodog  ävrjg  6  ägioiog  sXavveiv  (für  eXavvEt)  juojwxag 
l'jijiovg  verlangt.  Wenn  man  diese  Art  der  Korruptel  würdigte, 
würde  man  sich  nicht  gegen  den  Zwang  des  Gedankens  stemmen. 
—  P  755  wird  xwv  in  xcov  d\  &g  xe  yrjgwv  v£<pog  Eg/Exai  .  . 
ovXov  xExXijyöJTEg  .  .  &g  dg'1  vti  Aiveiq  je  xal  "Exxogi  xovgoi 
A%atcov  .  .  Yoav  aufgenommen  mit  xovgoi  'AyaiCov ;  da  aber 
dieses  nur  eine  Umschreibung  für  Aiyaioi  ist,  kann  vorher 
nur  öl'  stehen,  wie  es  auch  xExX^ywxEg  heißt,  und  ist  rwv 
durch  iprjgcov  vEcpog  veranlaßt  worden.  —  <P  384  hat  Döder- 
lein  mit  xcoojuevco  TiEg  für  yeoojuEvt]  nsg  die  richtige  Beziehung 
hergestellt.  —  <P  592  geben  die  maßgebenden  Handschriften 
ä/jiq)l  öe  [xiv,  während  La  Roche  aus  geringeren  nach  M  396, 
N  181,  805,  5  420,  2  205  äficpl  de  oi  hergestellt  hat.  — 
H  272  gibt  Aristarch  domo'1  EvixQtLupfteig,  die  Handschriften 
doniöi  iyxgif-up&zfe-  Es  ist  wahrscheinlicher,  daß  man  die 
seltenere  Elision  des  i  als  daß  Aristarch  den  Hiatus  vermeiden 
wollte.  —  &  181   iivt]iioovYY]    xig    ejieixo.    nvgog    da'ioio    yeveo'&a) 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  57 

erscheint  zig  ziemlich  bedeutungslos,  dagegen  entspricht  dem 
Homerischen  Sprachgebrauch,  wie  er  z.  B.  in  P  670  zig  /j,vt]- 
ado&co  vorliegt,    zivi  {(xvi] juoovvr)  t/V  e'jrena).  —  A  258  geben 

oT  negl  juev  ßovXijv  Aavacbr,  negl  d"1  eoze  judyeodm 

A^M1  u.  a.  mit  Aristarch,  A2B2M2  u.  a.  und  mehrere  Zi- 
tate haben  ßovAfj:  gewöhnlich  wird  das  scheinbar  besser  be- 
glaubigte ßovltjv  in  den  Text  gesetzt  und  doch  ist  ersichtlich, 
data  der  Akkusativ  nur  dem  in  der  Bedeutung  „inbezug  auf 
statt  „voraus"  aufgefaßten  negl  sein  Dasein  verdankt.  A  404 
ö  yäg  avze  ßir\  oü  jiaxgög  d/uelvcov  nimmt  man  (auch  A.  Lud- 
wich) die  Zenodotsche  Lesart  ßir\,  die  auch  alle  Handschriften 
haben,  auf  und  verschmäht  die  Aristarchische  ßir\v\  hier  sollte 
ßlijv  nur  den  vermeintlichen  Hiatus  vermeiden.  Das  gleiche 
ist  der  Fall  jT  193  /ueicov  juev  xecpalij  'Aya/uejuvorog  'AtQstdao, 
wo  wieder  Aristarch  xecpaXr\v  gibt.  ■ —  In  der  Erzählung,  in 
welcher  Agamemnon  dem  Achilleus  in  der  Unterwelt  berichtet, 
wie  in  Gegenwart  seiner  Mutter  Thetis  und  der  Nereiden  dessen 
Bestattung  stattfand,  heißt  es  co  67 

xaieo  <5'  ev  eoßfjzi  ftecbv  xal  äXei(pa.Ti  tioXXcö. 

Die  Kleidung  stammte  von  der  Mutter;  denn  negl  d"1  äjußgoza 
eifiaxa  eooav  ist  zunächst  von  Thetis  gesagt.  Also  muß  fieäg 
an  Stelle  von  ftecov  stehen.  So  ist  y  420  fted  zu  deov,  v  276 
fteov  zu  &£ü)v,  allerdings  vor  elg  davta,  geworden.  —  Agezt) 
(Tüchtigkeit)  steht  bei  Homer  gewöhnlich  im  Singular.  Eine 
Ausnahme  macht  O  642  vlög  ä/uslvcov  navzoiag  dgezdg,  fj/uev 
nodag  fjde  /.idyeodai  und  <5  725  navzoirjg  ägezfjot  xexao/uevov. 
Nach  X  268  navzoirjg  ägezfjg  juijuvrjoxeo'  vvv  oe  jLidXa  %gi]  al%- 
fxi-jzriv  t'  e/uevai  xal  üagoaXeov  noXe/Jiozijv  und  o  205  nooiog 
no&eovoa  cpiXoio  navzoirjv  ägezrjv,  $  44  fieol  d"1  ägeztp>  öndoeiav 
Ttavxoirjv  ist  dort  navzoitjv  ägezijv  und  d  725  navzoh]  äge- 
zrjcpi  zu  schreiben.  —  77  280  näoiv  öglv&i]  flv/jog,  exivtjftev  de 
cpdXayyeg  eXno/uevoi  erklärt  man  mit  der  constructio  xazä  ovveaiv, 
aber  Zenodot  bietet  eXnojuevai  und  nach  gewöhnlicher  Homeri- 
scher Weise  (vgl.  z.  B.  77  775)  erwartet  man  eXnojuevwv.  — 


•,v  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

/'  242  oaoov  ti<fj  neqxzÄjj  neoideiöia,  /n]  xi  jidfryoiv  entspricht 
nicht  der  Homerischen  Weise  an  die  Stelle  der  Umschreibung 
die  Person  treten  zu  lassen;  Formen  wie  Tiäßco/ni  sind  an 
und  für  sich  gern  geändert  worden.  So  ist  in  P  681  &g  rote 
ooi,  Mevekae  dioxgeyeg,  öaos  (paetvtb  jrdvxooe  öiveiodrjv  .  .  ei' 
.top  .  .  Xbovto  die  Aristarchische  Lesart  i'öoixo  zwar  richtig,  aber 
nicht  auf  öooe,  sondern  auf  Menelaos  zu  beziehen.  —  Von 
Helena  sagten  die  greisen  Troer  F  158 

alv&g  d§avdx>]nt   d-efjg  elg  cbjia  eoixev. 

In  diesem  Sinne  steht  gewöhnlich  der  Singular:  &ecp  evaUyxiog 
T  250,  ß  5,  5  310,  wenn  auch  begreiflicherweise  häufig  der 
Plural  an  die  Stelle  getreten  ist,  wie  a  371  &eq>  in  W,  in  an- 
deren drolg  steht.  Hier  wird  der  Hiatus  von  dßavdx^cpi  fteä 
elg  die  Änderung  mitveranlaßt  haben.  Mit  der  Form  vgl.  ev 
Zeigt  defiTegfjipti'  Q  284,  yoi  (paivofisvfjcpiv  7  618.  —  Ebenso 
wird  d E(p  huzixzV  Ayilhv  7  485,  X  279,  (o  36  für  deoig,  yvri] 
eixvia  deijcpiv  für  ftejjoiv  (dEolotv  bei  Athen.  492  F  und  in 
einigen  Handschriften)  A  638  und  T  286  (deoioiv  in  einem 
Pariser  Kodex)  zu  schreiben  sein.  Vgl.  d-eqtpiy  tujnxcog  dxd- 
mvTog  77  366,  T318,  7J477,  y  110,  409.  —  K  513  kann  man 
den  Plural  in  xagTraUjucog  ö'  vjitkov  ejreß/jaexo  darauf  beziehen, 
daß  Odysseus  das  andere  Roß  besteigt.  Dagegen  kann  ejre- 
ßrjoero  ö'  p.ifoi'  ebd.  529  nicht  richtig  sein,  da  Diomedes  von 
seinem  Pferde  ab-  und  wieder  aufspringt.  Es  muß  also  ititiov 
heißen.  Sonst  überall  freilich,  wo  die  Helden  ihr  Gespann 
besteigen,  ist  ijieß/joexo  umwv  am  Platze  und  es  ist  begreif- 
lich, daß  iTXTioiv  an  die  Stelle  von  Xtitiov  kam.  —  Eine  wunder- 
liche Lesart  ist  iiooyomi  /.vyoioi  A  105,  wo  f.160%0101  adjekti- 
visch stehen  soll.  Es  kann  doch  nur  jnooyoiot  Ävyoio  geheißen 
haben.  A  781  geben  SGr  jLivdoioi  für  iivdoio.  —  A  627  ist 
ßovb~]  ägtoxeveoxev  ändvKor  von  einer  Frau  gesagt:  djidvxxov 
könnte  moderner  Anschauung  entsprechen;  der  griechische 
Dichter  aber  wird  anaoemv  geschrieben  haben.  —  0  340 
schwanken  die  Handschriften  zwischen  e/uooojuevor  und  ehooo- 
fievog   re    öoxevt],  X  416    zwischen    xrjdöfxevot    und    xr]do/ievor. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  o9 

Diesen  Einfluß  der  Umgebung  hebt  eine  schöne  Emendation 
von  Herwerden  auf  Z  255  rj  judka  d))  reigovoi  övocovvjnoi  vteg 
3A%ai&v  fiagräfiEroi  Ttegl  äoxv,  wo  mit  juagvdjiisvoi  nichts  ge- 
sagt ist  und  das  Objekt  zu  reigovoi  fehlt,  welches  Herwerden 
mit  fiaQvajuevovg  gewonnen  hat.  Vgl.  Z  327  Xaoi  /liev  (p&ivv- 
ftovot  Ttegl  nxoXiv  alnv  xe  relyog  juagvdjuevoi.  Ebenso  hat 
cp  100  Cauer  fjjuevov  für  fjjuevog  als  notwendig  erkannt,  v  30 
haben  die  meisten  TioiXa  ngbg  fje/uov  xeqxxXijv  rgsjrs  naiAcpa- 
vocovra  dvvai  eneiyo/uevog,  was  allgemein  aufgenommen  wird. 
Wenn  der  Dichter  „wünschend,  daß  die  Sonne  untergehe"  im 
Sinne  gehabt  hätte,  so  würde  er  eyie/uevog  gesetzt  haben;  errei- 
ybjuevog  bedeutet  das  nicht;  es  muß  ejreiyojuevov  (rasch,  eilig) 
heißen,  wie  man  in  einer  Wiener  Handschrift  liest.  —  Statt 
des  Vokativ  Aioyeveg,  den  M1!11  noch  erhalten  haben,  geben 
/  106  die  meisten  Handschriften  dioyevevg  bezogen  auf  'A%ikrjog. 
—  Für  öanbg  enrJQara  egya  ist  /  228  ejttjQdzov  überliefert; 
yvvaixag  äjuv/novag  egya  für  djavjuova  geben  /  270  die  meisten 
Handschriften  mit  Aristarch.  — £"13  reo  juev  dg)"1  tnnouv,  o 
<5'  drrb  yßovog  djgvvro  7ze£6g  gibt  dnb  y&ovog  für  Eni  yßovog 
keinen  passenden  Sinn  und  ist  nur  dem  dy  innouv  zuliebe 
gesetzt  worden.  Auch  U  635  &g  rcor  ojovvto  dovnog  djrb 
yßovog  evgvedehjg  ist  dnö  unverständlich:  hier  könnte  man 
freilich  sogar  enl  yi)6va  evgvebeiav  erwarten  („über  die 
weite  Erde  hin").  —  Daß  es  E  263  Aiveiao  (5'  EJiaiifai  ftejiivi]- 
fievog  iTtnovg  für  mneov  heißen  muß,  zeigt  323  Aiveiao  /Y 
ejiaug~ag  y.allii giyag  Xnnovg  und  der  natürliche  Sinn  (anfallen): 
der  Genitiv  ist  durch  die  Verbindung  mit  juejuv^iievog  ent- 
standen. N  687  ojiovdf]  knauooovTa  veorv  eyov  wird  mit  Recht 
ve&v  von  eyor  abhängig  gemacht  (anb  zöov  vecov  dnexgyov 
Schol.),  sonst  würde  es  veag  heißen.  —  B  127  geben  die 
meisten  Handschriften 

Tgcbojv  <5'  ävdga  exaorov  eXoijUE&a  olvoyoeveiv, 

nur  A  hat  die  Aristarchische  Lesart  exaoioi,  welche  durch  eloi- 
fieda  veranlaßt  ist;  aber  wie  der  folgende  Vers  noXXai  xev 
öexdöeg  devoiaro  olvoyöoio  aufs  deutlichste  zeigt,  soll  natürlich 


,'>n  7.  Abhandlung:  N.  Weeklein 

gesagt  sein,  daß  sich  jede  Dekade  einen  Troer  als  Mundschenk 
wählt.  Es  muß  also  exaorai  eXoiaxo  geschrieben  werden. 
An  exaozaij  was  freilich  nicht  genügt,  hat  schon  Bentley  ge- 
dacht, aber  in  den  Ausgaben  findet  man  gewöhnlich  exaorot. 
—  Daß  Z  290  rag  in  rovg  zu  verwandeln  ist,  weil  sich  das 
Relativ  auf  nenXoi,  nicht  auf  yvvaixcov  bezieht,  hat  Welcker 
gesehen.  Aber  weder  Nauck  noch  Leeuwen  hat  rovg  in  den 
Text  gesetzt.  —  In  7  489  byov  t'  aoaifu  7igorajucbv  xal  olvov 
huo%(bv  ist  der  Genitiv  oxpov  durch  äoatiu  veranlaßt,  aber  zur 
Sättigung  gehört  in  gleicherweise  der  Wein:  ötpov  muß  von 
TiQozajutov  abhängig  gemacht  werden.  —  Wie  r  183  die  meisten 
Handschriften  övo/.ia  yJwror  für  örojudxX.vrog  bieten,  so  steht 
in  o  420  rbv  ^elvov  (5'  eeojiiev  evi  jueydooig  'Odvofjog  T^X^e/udyco 
/uelJ/aer'  tov  ydg  cp'dov  i'xero  dco/ua  dieses  cpilov  ziemlich  müßig 
und  ist  mit  cpiXog  zu  vertauschen,  womit  der  Freier  eine  Bos- 
heit sagen  will,  aber  unbewußt  eine  für  ihn  bittere  Wahrheit 
sagt.  —  E  383 

noXXol  ydg  di]  rXfjjuev  'OXvjuma  öco/uar1  eyovreg 
e|  dvdgcör  yalen    äXye'   eti    dXXijXoioi  xv&evxeg 

werden  im  Folgenden  nur  Fälle  aufgezählt,  wo  Menschen  den 
Göttern  übel  mitgespielt,  nicht  aber,  wo  Götter  sich  gegen- 
seitig Leid  angetan  haben.  Der  Sinn  fordert  also  eW  d&avd- 
roiöi  TifievTcor.  —  Die  Nichtbeachtung  der  bei  Homer  be- 
liebten ironischen  Wendung  hat  in  cog  äXsyo),  cbg  et  ,ue  ywi\ 
ßdXoi  )]  ndig  äcpgcov  A  389  die  Änderung  von  cbg  dXeyco  in 
ovx  dleyco  zur  Folge  gehabt.  —  In  K  180  oi  d"1  öre  örj  cpvXd- 
xeooiv  er  dygo/uevoioiv  ef.ir/ßey  hat  Bentley  an  er  .  .  efxtyßev 
Anstoß  genommen  und  ovvaygojuevotoiv  vermutet.  Aber  der 
Fall  liegt  hier  anders  als  r  209.  Nicht  die  Wachen  sammeln 
sich  oder  sind  versammelt,  sondern  die  Führer  des  Heeres 
finden  sich  bei  den  Vorposten,  welche  Agamemnon  in  Vers  56 
als  Stelldichein  bestimmt  hat,  zusammen.  Also  muß  es  <pv- 
Xdxeooiv  ev  (nachgestellt  wie  7  382)  dygojuevoi  ovre[.iiydev 
heißen.  Auch  dygojuevoi  eyhovxo  wäre  möglich,  da  mehrere 
Handschriften   (BML1)   yevovro   geben.        5  168  schwankt  die 


Textkri tische  Studien  zur  Ilias.  61 

Überlieferung  zwischen  xyv  (bezogen  auf  xXyldi),  xäg  (dvgag) 
und  xbv  (ddXajuov).  —  M  64  ist  noxl  ö"1  avxovg  überliefert  mit 
Beziehung  auf  das  zunächst  stehende  oxöXoJieg:  Platt  hat  ge- 
sehen, daß  sich  das  Pronomen  auf  xätpgog  beziehen  muß,  also 
avx-qv  zu  setzen  ist.  —  Obwohl  schon  Köchly  darauf  hinge- 
wiesen hat,  daß  in  M  288  cog  %S>v  ä/urpoxegwoe  Xl&oi  noxeovxo 
fiajuelai,  ai  juev  äg"1  eig  Tgwag ,  m  <5'  ex  Towcov  ig  'A/aiovg, 
ßakkofiEvcov  dem  ßalXouevcov  eine  fälsche  Beziehung  zugrunde 
liegt  und  es  ßaXXövxcor  heißen  muß,  beruhigt  man  sich  bei 
der  Rechtfertigung  von  La  Roche,  daß  ßaXXojaevcov  hier  in  un- 
gewöhnlicher Weise  als  Medium  mit  reziproker  Bedeutung  zu 
betrachten  sei  („die  aufeinander  warfen").  Auf  waao/isvcov, 
welches  richtiges  Passiv  ist,  in  S  26  Xäxe  de  ocpi  negl  igo'i 
yaX^xbg  äxeigyg  vvooofxevmv  £i<peotv  kann  man  sich  nicht  be- 
rufen. —  Mit  xetgovx'  ey%eXveg  .  .  nvoifj  xeigojuevoi  <P  353  wird 
nach  xaiovxo,  xaiexo  de  die  Anaphora  aufgehoben  und  anstößig 
ist  xeigovx*  .  .  Tsigojuevoi.  Nauck  hat  deshalb  xaiexo  d"1  vorge- 
schlagen; es  wird  einfach  naiovx1  zu  setzen  sein.  — ■  Unver- 
ständlich kommt  mir  der  überlieferte  Text  in  0  511   vor: 

ßeXxegov  y   äjioXeoBai  eva  %govov  ye  ßuovai 
1)   öy&ä  oxgevyeodai  er  alvfj  dyioxrjxi. 

Man  gibt  die  Erklärung:  „Besser  ist  es  entweder  ein  für  alle- 
mal zugrunde  zu  gehen  oder  das  Leben  zu  gewinnen  als  lange 
sich  allmählich  aufreiben  zu  lassen  in  furchtbarem  Kampfe." 
Sehr  klar  ist  die  Parallelstelle  fi  350  ßovXojn'1  anag~  Tigbg  xvjua 
yavdiv  äiib  dvjubv  bXeooai  y  öydä  oxgevyeoßai  etov  er  vi'joco 
egijjuy.  Diese  Stelle  bestätigt,  was  an  und  für  sich  offenbar 
ist,  daß  ye  ßtcovai  ganz  überflüssig  ist  und  des  rechten  Sinnes 
entbehrt.  Diesen  gewinnen  wir  mit  ßeXaegov  eg~anoXeoßai 
(wie  bereits  Nauck  vermutet  hat)  eva  %govov  >)e  ßicövai  xal 
dyß-ä  oxgevyeodai  d.  i.  ßicövai  oxgevyo/.ievov.  Mit  ßiwvat  vgl. 
Ä'  174  y  /uciXux  Xvygbg  öXeßgog  .  .  ye  ßicövai.  —  Daß  in  xcov 
ävögcuv  yeveyg,  o'i  #'  (so  die  Handschriften  mit  Aristarch,  oi  ohne 
#'  Aristophanes)  at/naxog  !£  ijiiev  (yg.  e/xod  Apoll,  synt.  164, 
21  u.  a.)    eloiv  T  105  etwas  nicht  in  Ordnung    ist,    zeigt   111 


62  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

jv>v  ävög&v  oi  ofjg  «f  al'juaxog  eioi  yeve&hjg,  womit  Hera  die 
vorhergehenden  Worte  des  Zeus  wiederholt,  auch  v  130  xoi 
nsg  rs  titrjg  t'|  sloi  yevefrAtjg.  Hiernach  erwartet  man  r&v  äv- 
ögaw,  oi  e/tfjg  e£  al'juaxog  eloi  ysvE&Xyg.  —  T  291  ävdga 
fiEV  .  .  eldov  ngb  nxoXuog  dsdaCy  juevov  dl-ei  yaXxcö  rosig  je  y.aoi- 
yvijiovg,  xovg  juoi  juia  yeivaxo  fitjxrjg  tctjöeiovg,  oi  ndvxeg  öXe- 
dgiov  y/nag  etieotiov  hat  die  Beziehung  auf  eldov  das  abnorme 
Anakoluth  zur  Folge  gehabt.  Es  ist  deshalb  nicht  bloß  y.a- 
oiyvyxoi,  wie  schon  Christ  vermutet  hat,  sondern  auch  di  zu 
schreiben:  xgsTg  ök  xaoiyvyxoi  entspricht  dem  ävöga  jiiev. 
Die  Vertauschung  von  üe  und  xe  ist  nicht  selten.  Vgl.  z.  B. 
ebd.  242.  —  In  0  423  cog  (fax"1,  3A&yvaiy  6e  /iexeoovxo,  yoiioE 
Öe  •Ö'V/j.qj,  xai  g"1  enieioafxevy  jzgög  oxfj&ea  yeigl  7ia%eh]  fjXaoe 
ist  EJztEioajLiEvi)  (E(pogjU7]oaoa  Schol.)  nach  fiexeoovxo  („stürmte 
hinterher")  unbrauchbar.  Auch  was  Demetrios  Ixion  dafür  bietet 
EMEgEioajuh'fj ,  paßt  wegen  etil  nicht,  vgl.  ejisgEioE  E  856  („drückte 
nach").  Nauck  vermutet  EJiijuaooajUEvy :  den  richtigen  Aus- 
druck EJiogE^ajUEvi]  gibt  E  335  eviV  ijzog£i;d{iEvog  juEya&v/uov 
Tvdeog  vlög  äxgrjv  ovxaos  ysTga  an  die  Hand  („sich  auslegend"). 
So  hat  man  um  0  567  et  öe  xe  oi  ngojidgoi&e  noXiog  xaxe- 
vavxiov  eX$ol>  in  Ordnung  zu  bringen  an  nöXsüig,  noXvg,  noXsvg 
oder  noXrjog  (so  LX)  Ivavxiov  gedacht:  wenn  man  d  524  ver- 
gleicht, wo  auch  die  meisten  Handschriften  ngojidgoi&sfv)  noXiog, 
HP  aber  ngoo-d-e  JiöXiSog  geben,  so  kann  man  an  der  Emendation 
von  Menrad  und  Fick  jigoc&sv  noXiog  nicht  zweifeln.  Ebenso 
B  811.  —  0  578  ovx  änoXtfyei  aXxfjg,  nglv  ijh  £vjußXy{iEvai 
tje  da/nyrai  sollte  man  meinen,  der  Panther  werde  unter  Um- 
ständen vom  Kampfe  ablassen,  wenn  er  auch  nicht  erlegt  sei. 
Die  unrichtige  Auffassung  von  jxglv  fje  (wie  nglv  rj  E  288  = 
ngoxEgov  fj)  hat  die  Änderung  von  yde  öajufjvai  in  ye  dajuyvai 
veranlaßt.  Die  Verwechslung  von  ys  und  yös  kommt  auch 
sonst  vor:  y  348  hat  Bekker  yös  für  fj£  hergestellt.  —  X371 
ol  xal  ftyyoavxo  (pvrjv  xal  sidog  äyyxbv  "Exxogog"  ovo"1  xxe.  hat 
Hermann  "Exxoga  verbessert,  mag  der  Fehler  infolge  falscher 
Beziehung  oder  unter  Einwirkung  des  Hiatus  entstanden  sein. 
—  In  X  315  y.aXal  öe  negiooeiovxo  e&eioai  hatten  nach  der  An- 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  öd 

gäbe  des  Didymos  ai  nXeiovg  (exdöoeig)  detval  statt  xaXat:  Leeu- 
wen  hat  gesehen,  daß  eine  unpassende  Beziehung  vorliegt,  und 
unter  Vergleichung   von  r  337,  Z  470   deivov    als    richtig    er- 
kannt. —  co  254  ist  nach  ßaodiji  ycio  ävdgl  eoixag  durch  falsche 
Beziehung  xoiomco  de  eoixag  an  die  Stelle  von  eoixev  getreten. 
—  co  108  ist,   weil  man   in   xgivö/uevog   das  Subjekt   fand,  Xe- 
£aio  zu    XefaiTO    geworden.  —  In  iV287    ovde   xev    ev$a    xeov 
ye   uevog  xa\  %eioag  övotro  fehlt  das  Subjekt.     Man  ergänzt  xlg 
und   verweist   auf  v  88,    wo    aber    Odysseus   Subjekt    ist,    oder 
auf  X  199,  welche  Stelle  Aristarch  mit  Recht  als   unecht   er- 
klärt hat.     Bentley  will  ovde  ng,  Leeuwen  ov  xe  rig  für  ovde 
xev  setzen.     Man  könnte  auch  mit  Axt  an   ovde  ng  evßa  teov 
xe,  da  einige  Handschriften  te  für  ye  bieten,  denken;  denn  xe 
kann  nicht   fehlen.     Aber  Idomeneus   will    bestätigen,    daß    er 
eine  gute  Meinung  von  seinem  Knappen  hat,  wie  es  dieser  273 
annimmt,    also    erfordert    der   Zusammenhang   nach    Xeyoi/Lieda 
276  ovoijurjv.  —  77  83  nei&eo   d\  cog   toi  eyco  /uvßov  xeXog  ev 
cpgeol  fteico  (Curtius  ft)']oj)  hat  die  unrichtige  Auffassung  von  cog 
die  Korrektur  von  üijoco  in  ftela)  zur  Folge  gehabt.  —  ^187 
avxdg  eyco  yevei]v  jueydXov  Aiog  evyofiai  elvai  lag  das  gewohnte 
evxojuai  elvai  zu  nahe,  als  daß  der  aus  o  225  yeverjv  ye  MeXdfi- 
jioöog   exyovog  yev  sich    ergebende    Ausdruck    yeveijv    fj.eycj.Xov 
Aiog    exyovog    eljui   hätte  erhalten  bleiben  können.  —  $  396 
war   7]   ov  juejLivy  aus  0  18,   Fl 88    geläufig:  Ares   muß   sagen 
ev  juejuv)]^  („ich  habe  es  nicht  vergessen")  oxe  Tvdeidt'jv  Aip- 
f.irjöe'  dvrjxag  ovxd/nevai.  —  Für  yyßoovv}]   de  ddXaooa  duoiaxo 
A729,  wie  S2MG  u.  a.  mit  Aristarch  haben,  verleitete  die  Form 
des  Wortes    zu    yr\doovvr\.     So    geben  AS!X  u.  a.  mit  Aristo- 
phanes.     Homer  kennt  sonst  nur  yrj&oovvog  außer   <P  390  eye- 
Xaooe  de  ol  cpiXov  t]xog  yrjßoovvi],  o#'  ogäxo  xze.,  wo  also  auch 
yrj&oovvcp  zu  schreiben  ist.   —  In   !P  736  vtxrj   <5'  di_icpoxegouV 
äedXm  cV  W  dveXövxeg  egyeo&e  hat  Bentley   das  Digamma   mit 
äe&Xa    de   fw    gewonnen,    eine    leichte    Änderung;    aber    eine 
Breslauer  Handschrift  läßt  cV  aus  (ae&Xia  fTo)  und  das  Asynde- 
ton nach  vorhergehendem  Grunde  ist  geläufig.    Vgl.  zu  Eurip. 
Iph.  T.  64. 


(>  I  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Die  liebe  Gewohnheit  verlangt  Verbindung  der  Sätze, 
besonders  mit  de  oder  auch  ydg.  £"116  hat  Herodian  oixeov 
für  (oxeov  <3'  erhalten.  X  271  vvv  ö"1  dfrooa  navt*  djxoxioeig 
fehlt  <Y  in  einigen  (weniger  maßgebenden)  Handschriften.  Es 
ist  schon  bemerkt  worden,  daß  der  Schluß  der  Rede  weit 
kräftiger  ist,  wenn  sowohl  (V  wie  der  folgende  Vers  wegbleibt. 
—  Ebenso  verhält  es  sich  mit  0  234  vvv  ovo"1  evög  äfioi  eijuev, 
wo  &1  in  A  fehlt.  X  295  gibt  S  fjxee  de  uiv  für  jjree  fiiv 
unter  Verletzung  des  Versmaßes.  —  Weil  <P  148  oi  ö"1  oxe  dt] 
ayeddv  fjoav  in  äXXyXoioiv  iovxeg,  xbv  jigoxegog  ngooeeuie  .  . 
'A%dkevg  der  erste  Vers,  der  mit  144  f.  in  Widerspruch  steht, 
von  Aristarch  als  unecht  erkannt  ist,  hat  sich  das  Asyndeton 
anstandslos  erhalten.  <1>  356  hat  Heyne  mit  y.aiexo  Tg  für  xaiexo 
(5'  Tg  das  Digamma  hergestellt.  —  W  709  äv  (5'  'Odvoehg  noXv- 
tu]ug  ävioxaio  ist  äv  vor  dvioxaxo  unbrauchbar  und  da  de  ent- 
behrt werden  kann,  ergibt  sich  ävx"1  "Odvoevg.  —  <P  287  hat 
xoToi  de  jiivßcov  ygye  Aristarch  beanstandet:  Sri  dveiv  övxcov 
rT/.)]ßvvxixöjg  ei'Qfjxe.  Vor  allem  würde  xoToi  bedeuten:  „zu 
ihnen  begann  zu  reden".  Es  muß  also  xoTiv  (von  den  beiden 
Göttern)  jiivßcov  ygye  heißen.  —  In  X  84  x&v  fxvrjoai,  cp'iXe 
xey.vov,  ujuvve  de  dyiov  ävdga  xeiyeog  evxög  ed>v  ist  äfivve  un- 
gewöhnlich gebraucht  und  für  eoov  gab  es  eine  zweite  Lesart 
icov.  Dieser  entspricht  das  dem  Sinne  der  Hekabe  besonders 
angemessene  äXevai  dyiov  ävdga  (weiche  aus).  —  Das  ge- 
wohnte ög  neg  scheint  auch  in  XF  79  ejue  uev  xr]Q  dficpeyave 
orvyegi),  y  neg  Xdye  yivo^ievov  Tieg  das  doppelte  neg  veranlaßt 
zu  haben  für  fj  ue  Xdye.  Freilich  kann  auch  die  Betonung 
von  jue  mitgewirkt  haben.  —  Bei  W  539  (bg  e<pa&\  oT  (5'  äga 
ndvxeg  enijveov  d>g  exeXevev  sollte  man  meinen,  Achilleus  habe 
vorher  mit  all"1  äye  d>j  dcbcojuev  deßXi,  (bg  emeixeg,  devxeg'1' 
dxdg  xd  ngöna  (pegeoßio  Tvdeog  vlög  einen  Auftrag  gegeben, 
während  er  doch  nur  trotz  des  Imperativs  (pegeoßo)  angibt, 
wie  er  die  Preise  verteilen  will.  Merkwürdigerweise  ist  die 
Lesart  des  Syrischen  Palimpsests,  die  auch  in  A  ein  Text- 
scholion  mit  yg.  eingetragen  hat,  fjde  xeXsvov  („und  sie  sagten, 
er  solle  es  so  halten"),   unbeachtet  geblieben.     Den  Schluß  (hg 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  65 

exeIevev  war  man  von  einer  großen  Zahl  von  Stellen  her  ge- 
wohnt. Auch  der  Parallelvers  •&  398  bietet  ejiijveov  fjds  xe- 
Xevov.  —  An  öixrj  in  IIr)2.eidr}v  A%drja  öixt]  fifieiipcri'  dvaoxdg 
W  542  hat  man  mit  Recht  Anstoß  genommen:  von  bixi]  kann 
dort  nur  Antilochos,  nicht  der  Dichter  reden.  Die  Erklärung 
„rechtend"  ist  erzwungen.  Der  Fehler  braucht  nicht  in  dixrj, 
sondern  kann  auch  in  dem  unwillkürlich  sich  darbietenden 
rjfieiipaxo  liegen.  Das  passende  Wort  hdeU-axo  ergibt  sich  aus 
T83:  Ilijkeiö}]  'Axi^'ll  bixt]v  ErÖEtfax'1  dvaoxdg.  —  Infolge 
des  häufigen  Gebrauchs  lag  %eqöl  näher  als  %eiql  W  761  hat 
nur  ein  Teil  der  Handschriften  (BM)  und  ein  Papyrus  %eiqi 
bewahrt.  W  624  nimmt  Nestor  die  Schale  nicht  mit  beiden 
Händen  entgegen;  also  ist  %eiqi  herzustellen.  —  W  772  hat 
Aristarch  als  unvereinbar  mit  dem  Zusammenhang  mit  Recht 
ausgeschieden.  Man  erwartet  aber  den  Erfolg  der  Bitte  des 
Odysseus;  dieser  kann  nicht  mit  dkl'  öxe,  sondern  nur  mit 
xai  öxe  nachgebracht  werden:  all"1  öxe  lag  nach  768  nahe.  — 
^818  ist  xax"1  äojxiöa  jidvxoo1  lior\v  vv^e  die  gewöhnliche  Re- 
densart; das  Folgende  zeigt  aber,  daß  die  Lanze  durch  den 
Schild  durchdringt  und  nur  nicht  die  Haut  berührt.  Mit 
Recht  hat  also  Barnes  öl  domda  verlangt.  —  Diese  Unsicher- 
heit der  Handschriften  in  den  Präpositionen  ist  in  den  Stud. 
z.  Od.  S.  57  f.  dargetan  worden.  Z.  B.  schwanken  <P  1 1  die 
Handschriften  zwischen  tieql  und  xaxd,  <P  87  zwischen  im  und 
vno,  N  546  gibt  Zenodot  richtig  did,  die  Handschriften  mit 
Aristarch  dno.  Häufig  ist  die  Vertauschung  von  xaxd  und 
jUExd:  jenes  bezeichnet  die  Bewegung  von  oben  herab  (xaxE- 
ßaiv  vnEQiüLO.  1^85,  xaxd  xeZ%oq  k'ßrjoav  N  737)  oder  die  Be- 
wegung, Ausdehnung  und  Tätigkeit  innerhalb  eines  Raumes 
(pt  juev  xd  tievovxo  xaxd  oxqaxov  A  318,  xöv  ßdXe  veiatgav  xaxd 
yaoxEQa  II  465  er  traf  ihn  in  der  Magengegend),  juexd  be- 
deutet „in  die  Mitte  von"  (l'xovxo  jusxd  Tocbag  xai  A%aiovg 
r  264)  und  bezeichnet  das  Ziel  einer  Bewegung  (ßevai  jusxd 
Nsoxoga  K  73  um  Nestor  zu  holen).  Richtig  geben  die  Hand- 
schriften A  484  ixovxo  jUExd  oxgaxöv,  unrichtig  Aristarch  xaxd 
oxgaxov;  ebenso  richtig  haben  die  Handschriften  A  424  %dit,bg 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  7.  Abb,  5 


66  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

eßi]  juerd  öaTxa,  vgl.  T  346  oYyovxai  fiExd  öfJjivov,  wo  Cobet 
mit  Unrecht  nach  A  424  xaxd  verlangt,  unrichtig  die  Aus- 
gaben der  Grammatiker  xaxd  dalxa.  N  364  ög  qa  veov  tioXe- 
fioio  juerd  xXiog  e\h]Xovdei  gibt  Aristophanes  xaxd  x?Jog.  Wie 
es  Z  hll  heißt  qi/upa  e  yovva  (pegei  /uExd  ifdea  xal  vo/iöv  ittjicov, 
so  muß  |  261  önxiJQas  ök  fiexd.  oxomdg  cöxQvva  vEEodai  und 
X  484  ndoag  d"1  öxqvvov  djuqydg  fisxd  diöjua  veeoßat  stehen  für 
xaxd.  Dagegen  singt  der  Sänger  während  des  Mahles,  nicht 
erst  nach  demselben,  also  %  352  äeioojuevog  xaxd  daixag,  nicht 
jusxd  daixag.  Die  abgenommene  Rüstung  trug  der  Held  selber 
11 147  nicht  in  das  Getümmel  des  Ares,  sondern  im  Getümmel, 
also  xal  xd  fiev  avxbg  eneixa  (pogei  xaxd  fifbXov  '"Aor\og,  nicht 
juexd.  —  2  552  werden  von  den  Schnittern  die  Getreidebüschel 
durch  die  Furche  hin  gelegt,  also  ÖQay/uaxa  ö"1  äXXa  xax"1  öyjuov 
ijii'jxoijaa  TÜnxov  EQa£e,  nicht  juex'  öy/uov.  —  /  54  xal  ßovkfj 
juexd  ndvxag  6/ntfXixag  ejiXe"1  ägioxog  und  n  419  jueffi  ofxijXixag 
ejlijuev  ägioxov  kann  nur  heißen  „nach  allen  deinen  Alters- 
genossen, so  daß  diese  dir  vorangehen",  wie  jusxd  beim  Super- 
lativ häufig  steht,  z.  B.  7  140  aX  xe  juex"1  'ÄQyetrjv  cEX4vr]v  xdX- 
Xiaxai  EtOGiv.  Nach  Tvöetör],  jzeqI  iiev  tioXe/iü)  evi  xaqxEgog 
eooi  verlangt  der  Zusammenhang  entschieden  den  Sinn  „im 
Vergleich  mit  allen  Altersgenossen",  also  xaxd  ndvxag  öjurj- 
Xixag,  vgl.  xaxd  ndvxag  aQioxfjag  K  117.  —  So  ist  auch  fXExd 
in  näoi  jLiExd  jiXqßvv,  oooi  ov  ßovXrjg  endxovoav  B  143  un- 
denkbar für  xaxd  nXij&vv.  —  K  136  hat  Naber  nagd  vrjag 
für  xaxd  vfjag  hergestellt  nach  K  54,  wo  die  meisten  Eni  geben 
und  Aristarch  naqd  erhalten  hat,  7  657,  0  220,  4  617,  805 
(wo  T  etil  für  naqd  hat).  Ebenso  ist  K  141  xaxd  vrjag  für 
naqd  überliefert.  K  281  liest  man  in  allen  Handschriften 
dög  Öe  JidXiv  im  vrjag  evxkeeag  (für  EvxXExag  gesetzt)  dcpixEodai, 
K  336  hat  A  mit  einigen  anderen  ßij  (51  ievcu  ejiI  vfjag  dito 
oxqaxov  erhalten,1)  die  meisten  vermeiden  den  Hiatus  mit  noxi 
oder  JiQoxi,  sogar  xaxd  kommt  zum  Vorschein,  welches  A  806 
dXX"1  öxe  örj  xaxd   vrjag  'Odvoorjog   $eioio   i'^s   d&aiv   für   ejii   in 


1)  P  432  äyj  im  vfjag  ejiI  nlaivv  'EXhjojiovTov  hat  Barnes  mit  Recht 
noxl  vfjag  vermutet. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  67 

allen  Handschriften  steht,  K  347  hat  Aristarch  alei  jutv  im 
vfjag  änb  oxgaxocpi  ngoxieiXeTv  erhalten,  die  meisten,  auch  A, 
geben  wieder  noxi  oder  jxgoxi.  Unsere  Ausgaben  haben  ge- 
wöhnlich noxi  oder  ngoxi,  weil  man  den  Hiatus  scheut  oder 
die  Verlängerung  durch  die  Arsis  verkennt.  Wie  o  97  fjX&ev 
äva  oxofia  cpoiviov  aljua  die  Handschriften  zwischen  äva  und 
xaxd  schwanken,  so  ist  77  349  xö  <3'  (nämlich  al/ua)  äva  oxojua 
xal  uro.  (für  xaxd)  givag  herzustellen  und  ebenso  verlangt 
,7/162  der  Sinn  äva  für  xaxd.  —  N  652  hat  A  diu  xvoxiv, 
die  übrigen  y.axä  xvoxiv  wie  7?  67.  —  S  173  xov  (wohlriechende 
Salbe)  xa\  xivvjuevoio  Atbg  xaxä  yaXxoßaxeg  ööj  geben  geringere 
Handschriften  mit  Aristarch  xaxd,  die  maßgebenden  haben 
noxi.  —  2  576  haben  die  Handschriften  wie  Aristophanes  (und 
Aristarch)  nag  noxajubv  xeXdbovxa,  nagä  gaöivbv  öovaxija,  aber 
die  Rinder  gehen  den  Fluß  entlang  durch  das  Schilf;  richtig 
gibt  also  Zenodot  diä  .  .  öovaxTja.  —  2  564  äjbupi  de  xvaverjv 
xdnexov ,  negl  d"1  egxog  e'Xaooe  xaooixegov  ist  der  natürliche 
Ausdruck,  daß  um  den  Weingarten  ein  Graben  und  an  dem 
Graben  hin  ein  Zaun  gezogen  ist,  wie  es  H  331  heißt:  xvjußov 
(31  äfiqn  nvgtjv  eva  yevojuev  ügayayovxeg  .  .  ngoxl  d1  avxöv  dei- 
juojuev  ajxa  nvgyovg,  also  ngoxl  ö"1  egxog.  —  T  230  ooooi  <5' 
äv  noXetuoio  negl  oxvyegoTo  Xinoovxat  verlangt  der  Homerische 
Sprachgebrauch  vnb  für  negi,  da  vjioXeineodai,  nicht  negdei- 
jieo&ai  für  „übrigbleiben"  gesagt  wird.  —  ¥  714  verlangt  der 
Sinn  xexgiyei  «51  äga  vcbxa  &gaoeid(ov  vnb  (für  änb)  yeigwv.  •— 
Wenn  man  T  424  rj  ga  xal  iv  ngwxoig  idywv  eye  fxojvvyag 
innovg,  worin  entweder  ngdbxoio''  oder  fifdycov  nicht  gewahrt 
ist,  ig  Jtgajxovg  setzt,  so  erhält  man  auch  die  gebräuchliche 
Verbindung  mit  eye  (lenkte),  vgl.  z.  B.  r  263  nediovö"1  eyov 
(hxeag  l'nnovg.  —  Y"4  Zevg  de  ©ejaioxa  xeXeve  fteovg  äyogijvöe 
xaXeooai  xgaxbg  an"1  Ot'X.vjunoio  noX^vnxvyog:  die  Verbindung 
xeXevev  änb  xgaxbg  ist  nichtssagend;  Bedeutung  hat  es  nur 
anzugeben,  wo  die  Versammlung  stattfinden  soll,  also  xgaxbg 
in1  OvXv[moio.  —  ü  568  xqj  vvv  fxr\  /uoi  juäXdov  iv  äXyeoi  dv- 
jubv  ogivrjg  verlangt  der  Sinn  in'  äXyeoi  (bei  meinem  Schmerze). 
—   Zu   CP  336  //  xev  änb   Tgo)0)v  xecpaXäg   xal   xevyea   xi'jtj    be- 

5* 


GS 


7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 


■s 


merkt  La  Roche,  daß  Homer  nur  xaraxaletv,  nicht  änoxaieiv 
kennt.  Auch  Vers  348  xäd  <5'  äoa  vExgovg  xrjev  lehrt,  daß 
xe  xaxd  zu  schreiben  ist.  —  Wie  £  310  F2G  noxl  für  jieqi 
geben,  so  verlangt  der  Sinn  W  QA'Exxoo'1  ejiauoocov  jieqI  (für 
noxi  oder  tiqoxI)  "IXiov.  —  Die  leichte  Veränderung  der  Präpo- 
sitionen gestattet  uns  auch  einen  tiefsitzenden  Fehler  in  0  186 
zu  heben,  wo  Hektor  seinen  Rossen  zuruft:  vvv  /xoi  xrjv  xofii- 
öijv  änoxivExov,  ijv  jiidXa  jioXXtjv  *AvdQouä%r)  .  .  vjulv  jiuq  tiqo- 
xeqoioi  jueM<pQova  jivqov  e&tjxev  ?)  ejuoi.  Friedländer  Anal.  Hom. 
S.  459  f.  will  fjv  tcöqev  vfüv  für  f\v  /udXa  noXkrjv  setzen.  Aber 
der  Satzbau  verlangt  einen  Ausdruck  wie  i)v  dXJyovoa  (welche 
als  ihre  Aufgabe  betrachtend)  oder  fjv  oxEvdovoa  oder  fjv  dtd 
noXXrjv  (die  Pflege,  der  zuliebe  reichlich  sie  bietend).  —  Wie 
schon  oben  (S.  9)  bemerkt,  sind  persönliche  Fürwörter,  die 
sich  ohne  weiteres  aus  dem  Zusammenhang  ergänzen,1)  nicht 
selten  nachträglich  eingefügt  worden  und  haben  zur  Änderung 
des  Textes  beigetragen.  M  449  ohi  vvv  ßgoxoi  «V  •  o  de 
juiv  qeo.  TidXXe  xal  olog  beseitigt  Nauck  mit  slaiv  o  dk  §Ea  die 
Synizese;  ebenso  läßt  sich  diese  Af  381  mit  ovÖe  xe  gfja  für 
ovöe  xe  juiv  $£a  wegbringen.  —  2  460  hat  Nauck  mit  yjev  für 
fjv  ol  (vgl.  Q  53),  o  3  mit  ovöe  eev  ig  für  ovöe  ol  r/v  l'g  die 
richtige  Form  r/ev,  eev  hergestellt.  —  E  365  ist  für  Tidg  ös  ol 
'Igig  nach  Bechtels  Beobachtung  ndo  de  'Efigig  zu  setzen.  — 
v  430  gibt  der  cod.  Ven.  456  xagyisv  juev,  die  meisten  Hand- 
schriften aber  haben  xdoyjs  juev  ol  mit  Außerachtlassung  des 
Digamma.  P  709,  Y  362,  Ü  121  wird  mit  ovöe  ölto  für 
ovöe  juiv  (bzw.  xiv')  ol'co  das  im  Versausgang  gebräuchliche 
ölco  gewonnen.  —  AT  344  ist  durch  juiv  die  ungebräuchliche 
Synizese  äXX"1  ecö  juev  juiv  entstanden  für  dXX1  eecojuev  (vgl. 
Stud.   z.  Od.   S.  67).2)     Einen    sprechenden    Fall    derart   bietet 


*)  So  ist  es  unnötig  z.  B.  P478  vvv  av  dävaxog  xal  fioiga  xi%dv£t 
entweder  vvv  acp1  av  oder  vvv  f  av  zu  schreiben. 

2)  Auch  andere  kleine  Wörter  sind  hie  und  da  ohne  Not  einge- 
schaltet worden.  E  887  ist  xe  in  //  xe  £d)g  wiederholt  und  so  die  richtige 
Form  £coög  verdrängt  worden.  Ebenso  ist  in  f.i  130  xöaa  5'  oicöv  jtcosa 
xa).ä,  Tiern'jxovTa  sxaora  gegen  den  Sinn  und   mit  Außerachtlassung  des 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  °9 

N  77  oüzco  vvv  xai  Ifiol  neoi  dovgaxi  xeTgeg  äanioi  /uai/ncootv 
xai  /uoi  jxevog  cogoge:  das  nach  xai  ijuoi  recht  überflüssige  fxoi 
hat  bewirkt,  daß  aus  /uaijucocooiv  (vgl.  76)  uaiuwoiv  wurde. 
Die  Lesart  von  X  juaijucocooiv,  ijuoi  gibt  ein  unmögliches  Asynde- 
ton. Die  Änderung  von  Fick  juaijucbcooi ,  /xevog  de  [xoi  ent- 
behrt der  Wahrscheinlichkeit,  wiewohl  der  Rhythmus  besser 
ist  als  in  [.laijucocooiv  xai  juevog  cogoge.  —  N  777  fxeXXco, 
enel  ovde  tue  (ovo'  ijue)  ndpnav  av&Xxida  yeivaxo  /jaqxi]g  hat 
man  die  ungewöhnliche  Synizese  mit  enei  fi1  ov  nd/unav,  wie 
eine  minderwertige  Handschrift  hat,  beseitigen  wollen;  aber 
der  Fehler  rührt  von  der  Einschaltung  von  tue  her:  enel  ov 
ndjunav.  —  Q  1hl  wird  die  Form  iegorjeig  (vgl.  419  ohv 
eegotjeig  xelxai)  in  vvv  de  juoi  egotjetg  xai  ngoocpaxog  ev  fxeyd- 
qoioiv  xeTocu  durch  Weglassung  des  überflüssigen  /uoi  gewonnen: 
vvv  de  eegorjeig.  —  In  5  322  rj  xexe  fioi  Mivcov  re  xal  dvxi- 
$eov  'PadaijLavdvv  kann  die  im  Syrischen  Palimpsest  erhaltene 
Form  Mivcoa  am  einfachsten  durch  Weglassung  von  uoi  in 
den  Vers  gebracht  werden:  i)  xexe  Mivcoa  wie  vorher  (320) 
i]  rexe  Ileoofja.  —  Ein  sehr  sprechender  Fall,  in  dem  wieder 
der  Syrische  Palimpsest  Hilfe  gewährt,  findet  sich  iT  403,  wo 
in  den  meisten  Handschriften  xexganxo  ngög  luv  oi,  im  Palimpsest 
ngög  l&vv  ol  steht  und  ngög  l&vv  (ohne  oi)  allein  einen  an- 
nehmbaren Ausdruck  an  die  Hand  gibt.  —  Mit  oi  de  beginnt 
natürlich  häufig  das  Neue;  aber  nach  Xd&ovxo  dk  ftovqidog 
dXxfjg  0  323  erwartet  man  nicht  oi  <5'  cog  t'  rje  ßocov  äyebjv 
)]  ncöv  }xey  oicov  (ncöv  öicov  Platt),  sondern  cbg  de  xiv"  \e 
xxL,  wie  es  der  Parallelstelle  /u  299  cd  xe  xiv  ife  ßocov  dyehjv 
fj  ncov  fxey"  oicov  entspricht.  —  II  507  ist  Xinov  äg/iiax'  ävdxxcov 
aus  371  für  das  vom  Sinn  unbedingt  geforderte  Xinov  ägfxa 
avaxxeg  oder  besser  ävaxxe  gesetzt  und  dann,  um  dem  Sinn 
einigermaßen  zu  genügen,  Xinov  in  das  unbrauchbare  Xinev  ge- 
ändert worden.    Zenodot  hat  linov  erhalten,  Aristarch  gab  wie 


Digamma  b"  vor  snaoxa,  in  i  419  ovxw  jiov  fis  siXnex'  das  überflüssige 
y&Q  {ovxoi  yäg  jiov  /<'  'ü^sx  ohne  Digamma),  in  r411  &#»  IlaQvrjOÖvds, 
ö&i  fioi  xTtjfiar'  eaaiv  das  unbrauchbare  jiov  (^aQvt]o6v^,  od-i  jiov)  ein- 
gefügt worden. 


70  7.  Abhandlung:   N.  Wec.klein 


&  ■ 


die  meisten  Handschriften  Xinev.  —  II  543  xbv  <5'  vnb  Ilaxoo- 
y.Xco  dduao'1  ey%e'C  yalxeog  "Aorjg  hat  Döderlein  nach  P  303 
üargöxkov  verbessert.  —  77  454  jikfimiv  juiv  Odraxöv  xe  (pegetv 
y.al  fjdvjuov  "Ynvov  ist  fuv,  wie  die  Stellung  verlangt,  mit  tle/jl- 
neiv,  nicht  mit  cpEOEiv  zu  verbinden  und  deshalb  nach  671 
und  681  TiefXJiE  de  fxiv  JiofXTioToiv  äixa  xqciijivoToi  (fEQEO'dai  der 
Dativ  Oavdxqj  .  .  y.al  f]dv/icp  "Ynvco  zu  setzen.  —  Y  186 
yaXETicög  Öe  o1  EoXna  to  qe^eiv  scheint  mir  jetzt  de  FEfoXna  ro 
qe^eiv  zu  genügen  und  es  nicht  nötig  zu  sein  ök  pepoXnd  oe 
oe£eiv  (mit  Brandreth,  vgl.  Stud.  z.  Od.  S.  63)  zu  schreiben.  — 
Ebenso  hat  Leeuwen  1"  195  äXJJ1  ov  vvv  gvoEodat  b'ioaai  für  vvv 
oe  QVEoßcu  gesetzt.  —  !P392  ist  mneiov  öe  ol  rj^E  für  öe  satjE 
überliefert.  —  !F282  ist  y.äö  (5'  äyog  ol  yyxo  jlivqiov  öcp&aXfxoiioi 
nach  1^421  xdo  qd  ol  öcpftaXuwv  y.Eyyx*  dyXvg  von  Bentley  und 
Leeuwen  in  glänzender  Weise  verbessert  worden  zu  y.äö  ö"1  a%Xvg 
yyxo  juvgit]  6(pdaXuo7iv.  —  In  <Z>  576  eT  txeq  ydg  <p&ijU£v6g  juiv  )) 
ovxdov  fjh.  ßdXyoiv  vermißt  man  das  Subjekt,  dagegen  ergänzt  sich 
fxiv  von  selbst.  Also  ist  die  Lesart  von  LHb  (pdijuEvog  xtg  in  den 
Text  zu  setzen,  wie  nach  der  Notiz  des  Didymos  (Schol.  T)  die 
Städteausgaben  boten.  —  X  15  k'ß/.aydg  ju\  ixaEoyE  ist  durch 
fx  das  Digamma  von  ixaEoyE  aufgehoben:  fi  kann  wegbleiben, 
ohne  daß  deshalb  im  folgenden  Vers  xohpag  li  geschrieben 
wird.  —  W  537  dAA1  äyE  öij  ol  d&fiev  ist  durch  ol  die  epische 
Form  äXX"1  äys  öij  öwcojuev  beseitigt  worden.  —  Zu  vejlieoo}]- 
iJcouev  ol  fjixElg  Q  53  (Aristarch  v£U£oor]$£a>fi£r)  bemerkt 
Wackernagel  in  Bezzenbergers  Beitr.  IV  S.  288,  indem  er  ve- 
HEooYj'drjo^iEv  rjfwlg  herstellt,  daß,  nachdem  dieses  zu  veueoot]- 
ficöuEv  (v£f.i£ooi]ft£oj/ii£v)  geworden,  das  Flickwort  ol  zur  Er- 
gänzung der  Lücke  eingeschoben  worden  sei. 

3.  Die  Fehler,  welche  Tempora  und  Modi  betreffen, 
bilden  in  gewissem  Sinne  den  Übergang  von  den  unwillkür- 
lichen Fehlern,  welche  jeder  schriftlichen  Überlieferung,  z.  B. 
der  der  griechischen  Tragiker  (vgl.  Methode  der  Textkritik 
S.  17  ff.  u.  34  ff.)  anhaften,  zu  den  mehr  willkürlichen,  welche 
der  Homerischen  Überlieferung  infolge  mündlicher  Tradition 
und  attischer  Modernisierung  eigen  sind. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  71 

a)  Für  die  Herstellung  des  Imperfekts  statt  des  Aor- 
istes (Stud.  z.  Od.  S.  80)  liegt  ein  bemerkenswertes  Zeugnis 
vor  in  0  240,  wo  die  meisten  Handschriften 

d//1  Im  Jiäoi  ßocov  dyuöv  xal  (u?;o<"  Exi]a 
geben,  während  der  cod.  Ambros.  exaiov  und  auch  A  von 
erster  Hand  exi]ov  bietet.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  A  773, 
wo  Aristarch  jurjoia  xcue  erhalten  hat,  während  die  meisten 
Handschriften  /.irjoV  exrje  geben,  das  Imperfekt  aber  durch  die 
Beziehung  auf  rcoi  5'  ejieitü  ottjuev  (776)  gefordert  wird. 
E  842  gibt  A  mit  Aristarch  e^evdoi^ev,  die  meisten  aber  haben 
eievdgi^ev,  obwohl  die  Handlung  als  unvollendet  bezeichnet 
werden  soll  („war  damit  beschäftigt  die  Rüstung  abzunehmen"). 
—  Das  gleiche  ist  A  368  der  Fall,  aus  welcher  Stelle  man  er- 
sieht, daß  unter  den  tives,  welche  nach  Aristonikos  E  842 
££evdgi£ev  bieten,  in  erster  Linie  Zenodot  zu  verstehen  ist.  — 
E  463  hat  nur  S  xeXevev  für  xeIevoev  erhalten.  O  176  hat 
oe  xe/.eve  T  und  als  Variante  A,  0  545  hat  xeXeve  der  Syri- 
sche Palimpsest  gewahrt,  ü  175  haben  nur  AT77  exeXevev  er- 
halten, Q  252  haben  ASM  exeXeve,  cod.  Ambros.  TL  u.  a. 
exeXevoe.  Die  Form  gvoäjLUjv  0  29,  die  mit  dieser  Quantität 
allein  steht,  hat  Bentley  in  qv6(xtjv  emendiert.  —  O  240  haben 
für  vsov  6'  ioayeiQETo  ftvfxov,  wie  die  einen  Handschriften  mit 
Aristarch  geben,  BMTX  u.  a.  EoayEigaro.  —  O  366  ist  ovy/sag 
Aqye'uov,  auToioi  dk  cpvt,av  ircoooag  überliefert  und  vonseiten 
des  Sinnes  ist  nichts  zu  erinnern,  im  Gegenteil  scheint  ivcögoag 
den  Aorist  zu  bestätigen.  Deshalb  haben  auch  alle  Aus- 
gaben den  Aorist  festgehalten.  Aber  die  epische  Form  ist 
nicht  /Ja,  e%ea,  sondern  %eva,  e'/evo..  &  436  hat  die  älteste 
Handschrift  (G),  wie  wir  jetzt  wissen,  e'/eov,  nicht  e/eolv;  ebenso 
bietet  der  Townl.  Q  799  e%eov,  wie  die  Beziehung  zu  fjaro 
entschieden  fordert,  und  2  347  eine  Breslauer.  Mit  Recht 
also  hat  Payne  Knight  O  366  %vy%ees  hergestellt.  —  E  119  gibt 
A1  mit  GHK  und  einem  Papyrus  exeXevev,  A2SBM  u.  a.  haben 
exe/.evoev:  für  exeXevev  spricht  auch  das  nachfolgende  6  (5'  d'o1 
ovx  ämd'rjos.  Vor  allem  ist  Y  39  xeXevov  für  xeXevociv  zu 
setzen,    denn    Achilleus    tritt   dem   Befehl    entgegen.     In    dem 


72  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Parallelvers  B  50  schwanken  die  Handschriften.  Ebenso  wird 
in  7  658  die  Lesart  des  Townl.  HdxgoxXog  <5'  hdgoioiv  tde 
djuojfjoi  xeXevev  durch  das  nachfolgende  ai  d"1  ejimsiSd^evai 
orÖQEoav  Xe%og  empfohlen.  —  Für  cbg  exeXevov,  dbg  iyJleveg,  (bg 
exeXeve  sind  die  Zeugnisse  in  der  Abh.  z.  Od.  S.  80  zusammen- 
gestellt. Die  Änderung  von  Nauck  zu  E  o20  ovrdEoidoov  xdcov, 
äg  etiexeiXe  (für  ejiexeXXe)  .  .  Aiojuijdrjg,  welche  Leeuwen  in  den 
Text  gesetzt  hat,  unterliegt  schweren  Bedenken.  —  Z  174 
geben  die  Handschriften  (außer  G) 

Evvfjjuag  ijsiviooE  xal  evveü  ßovg  Ieoevoev, 
Aristarch  schwankt  zwischen  ^eiviooe  und  ^eivi^e,  daraus  er- 
gibt sich  für  uns  £eivi£e  und  entsprechend  Ieqevev,  wie  v  24 
Uqev'1  nur  in  P  erhalten  ist.  So  entspricht  auch  B  402  avxdg 
o  ßovv  Ie q eve,  wie  es  nachher  xixXrjoxEv  heißt,  dem  Homeri- 
schen Sprachgebrauch  mehr  als  Uqevoe,  weil  die  Opferung  im 
Folgenden  erst  beschrieben  wird.  —  7^232  noXXdxi  fiir  Zeiviooev 
(g~Eimo£v  S)  dgrjirpiXog  JShvEXaog  .  .  öndxE  Kgi)xijdEV  l'xoixo  ent- 
spricht das  Imperfekt  c\eivi£,ev  dem  iterativen  Optativ  l'xoixo, 
wenn  auch  noXXdxi  dabei  steht.  —  K  299  geben  die  Hand- 
schriften für  eI'clev  das  metrisch  fehlerhafte  eToloev,  welches  nur 
in  einer  Pariser  Handschrift  mit  elaa>  zur  Not  brauchbar  ge- 
macht wird.  —  Y  84  ist  nicht  vjieoxso  dem  vmo%£o  vorzu- 
ziehen. —  Daß  iV619  Eg'Evaoit.E  für  ig'Evdgig'E  zu  setzen  ist, 
ergibt  sich  aus  640,  wo  mit  cog  eindiv  xd  jliev  evxe'1  änö  XQ°°S 
aljuaxoEvxa  ovXiqoag  hdgoioi  didov  erst  der  Abschluß  der  Hand- 
lung angegeben  wird.  —  2  119  bietet  der  Townl.  dXX"1  o  jliev 
avxd&i  jlujuve,  7iax)]Q  (3'  ijubg  "AgyE'i  vdo&rj,  die  anderen  haben 
jueive:  das  Imperfekt  ist  ebenso  an  seiner  Stelle  wie  d  508  xal 
xb  jliev  avxd&i  jut/uvE,  xd  ös  xgvqpog  e/ukeoe  jiovxco,  wo  auch 
jtii/ivE  nur  als  Variante  in  H  erhalten  ist.  —  2  286  eriP  "Ynvog 
jusv  EfXEivE  ist  in  A  iuve  über  ejueive  geschrieben  und  erweist 
schon  dadurch  seine  Gültigkeit,  wenn  auch  sonst  ejlieive  überlie- 
fert ist.  Vgl.  oben  S.  34.  —  2  68  gibt  A  eioav£ßr]oav  für  sloave- 
ßatvov,  das  die  anderen  Handschriften  gerettet  haben.  —  ^4  3 

noXXdg  (5'  Icpfti/jLOvg  xpv%dg  "Aldi  ngotayjEV 
fjgojov,  amovg  öh  IXibgia  xev%e  xvveooiv 


Textkritische  Studien  zur  Ilias. 


73 


bedeutet  es  weniger,  daß  sich  bei  Philodemos  ngo'idnxei  findet; 
aber    durch    die    Gegenüberstellung    x^wxag  —  avrovg   steht    der 
erste  Satz  mit  dem  zweiten  in  engerer  Beziehung  als  mit  dem 
vorhergehenden    y    fivgi'  AyaioTg   aXye'  e^xev,    man    erwartet 
also   TiQotanxBv    neben    xevyt '■>    wiß    5T  H-4    GS   mit   Aristarch 
xäXvipe  für  xaXvnxei  bieten.     Würde  man  die  Bevorzugung  des 
Imperfekts  bei  Homer  nicht  anerkennen,  müßte  man  z.  B.  K12 
mitLHb  änene/jixpev  schreiben,  während  die  maßgebenden  Hand- 
schriften dnenefinev  bieten.  —  Ebenso  geben  2  240  ABM  nefx- 
nev,  während  man  gewöhnlich  mit  den  meisten  nejuxpev  schreibt. 
Das  Imperfekt   steht   in    dem  Sinne    „befahl   zu   gehen".     Der 
Befehl  wird  241  mit  'HeXiog  fiev  eöv  vollzogen.    Vgl.  ngotaXXe 
A  3.  —  Desgleichen    wird    die   Lesart    von   M  xeXeve  Y  4  mit 
Unrecht  verschmäht.     Es  verrät  feines  Sprachgefühl,  daß  es  4 
xüeve,  6  xeXevoe  heißt.  —  Umgekehrt  geben  maßgebende  Hand- 
schriften (AST)  TT  503   fiegjuijgife,    während    /ÄegjurjgiCe    durch 
das   nachfolgende    cogjuaive   bestätigt    wird,   und  E  671   haben 
fast  alle  Handschriften  jueg/tajgiCe.     Ebenso  ist  N  455  vor  wöe 
de  ol  rpQoveovTi  dodooaxo  xegdiov  elrai    wieder   jiteg/ui]gi£e    zu 
setzen.    Vgl.  Stud.  z.  Od.  S.  80  f.    K  527  schwanken  die  Hand- 
schriften zwischen  egvxe  und  egvc'e1):  das  Imperfekt  wird  schon 
durch  das  folgende  xWei  empfohlen.  —  Homerische  Weise  for- 
dert  in  A  235  vvf\  enl  6'  avxbg  egeioe,    ßageii]    yeigl   m&rjaagm 
ovo'  exogev  ZcoorfJQa,  da  mit  exogev  erst  das  Ergebnis  der  Hand- 
lung  folgt,  egeiöe.  —  A  86  i]/uog  de  dgvxöfiog  neg  dvi)g  cbn- 
Mooaxo  dognov   ovgeog   ev   ßrjooyoiv,    enei   r'  exogeooaxo   yelgag 
entspricht  dem  Sinne  cbnXi£exo,  wie  das  Imperfekt  durch  das 
parallelstehende   ijitog   d'  ffeXlog  juexeviooexo   ßovXvxovde  77  779 
bestätigt  wird.    Nebenbei  bemerkt,  wird  man  für  neg  schwer- 
lich   eine    annehmbare   Erklärung    finden;    mit   Recht   bemerkt 
Nauck:  neg  suspectum.    Es  ist  aber  i(ponXi£a)  und  ecponXi^ofiai 
delnvov  {dognov)  ebenso  häufig  wie  onXi'Qo^iai.     Es  diente  also 
neg  für  dgvxo/xog   en'  ärrjg    cbnXi^exo   nur    der  Verlängerung 
der  Endsilbe  zur  Stütze.     Die  Vorstellung  des  Dauernden  ver- 


l)  N  9  zwischen  aQtjge/usv  und  dgr/ys/ist'. 


74  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

mißt  man  in  ähnlicher  Weise  A  305  cbg  öjiöxe  vecpea  ^ecpvqoq 
oxvrpEXi^rj.  Da  M  von  zweiter  Hand  und  Eustathios  845,  51 
orvcpeli^Ei  haben  und  überhaupt  die  Formen  mit  £  und  £  häufig 
vertauscht  sind,1)  muß  man  oxv<pEli'Qi]  schreiben.  —  Wenn 
man  den  häufigen  Wechsel  von  Formen  wie  InavExo  und  Inav- 
oaxo  (Stud.  z.  Od.  S.  84) 2)  in  Betracht  zieht,  wird  man  kein 
Bedenken  tragen  A  848  xo  jtdv  eXxos  exeqoexo,  tiolvexo  S1 
aljiia.  für  E7xavoa.ro  („das  Bluten  ließ  allmählich  nach"  wie 
exeqoexo  ,  wurde  allmählich  trocken")  zu  schreiben.  —  M  333 
bietet  nur  eine  Wiener  Handschrift  (176)  nänxaivEv,  doch  hat 
auch  der  Lips.  nänxaiEv ,  die  meisten  geben  jidnrrjvEv  oder 
TxdnxrjVEv.  Das  veranschaulichende  nänxaivEv  paßt  ebenso 
^507  und  P84,  wo  sich  in  jidnxaivEv  <5'  äq'  etieixo  xaxä  oxiyag, 
arxlxa  <5'  Eyvco  das  Imperfekt  von  dem  Aorist  gut  abhebt.  — 
Bei  0  33  avxciQ  b  axp  ejioqovoe  öai'CEUEvai  /UEVEaivow  muß  man 
annehmen,  daß  Achilleus  sich  wieder  in  den  Fluß  gestürzt  hat; 
er  wird  aber  unterwegs  durch  Lykaon  aufgehalten;  also  muß 
ejxooove  stehen.  —  77  774  entspricht  Eoxvq)E?uCov,  wie  schon 
Naber  für  EoxvvpEhfav  verlangt  hat,  dem  gegenüberstehenden 
TXEJxrjyEi  besser   als   der  Aorist.     Ebenso   fordert  II 735   txexqov 


1)  N  443  geben  die  meisten  Handschriften  ^sXsfxi^ev,  nur  A  hat  mit 
Aristophanes  und  Aristarch  jieXe/lu&v  erhalten.  iV  374  erwähnt  Didymos 
die  Lesart  alvigofi':  das  Futurum  entspricht  dem  Sinne  besser  als  aiviCop?, 
wie  die  Handschriften  geben,  während  bei  Zenodot  alviaaoii  stand.  N  644 
haben  die  meisten  jt(t)oXeui£o)v  für  xioXs/ugcov.  Das  gleiche  Schwanken 
findet  sich  0  179,  0  491,  F85  und  zwischen  eyyvaXl&i  und  syyvalttjei 
B  436.  II  830  hat  Bekker  y.eoai'^ifisv  für  xegai'Csfiev  hergestellt:  trotz 
des  nachfolgenden  at-ew  weiß  Fäsi  das  Präsens  zu  rechtfertigen.  Q  622 
gibt  der  Lips.  mit  anderen  o(pä£'  für  acpä^:  bei  solchen  Handlungen  ist 
das  Imperfekt  gewöhnlich,  wie  nachher  e'Ssgov,  afirpenov,  /niozvXXor  folgt. 
Entsprechend  muß  dort  auch  xslgov  für  nsTgav  gesetzt  werden,  wie 
;•  462  GH2  mit  Aristarch  ejieiqov  für  k'jieigav  erhalten  haben. 

a)  0  72  bietet  Aristarch  und  ebenso  die  Handschriften  AM1  navm 
für  navoco  sogar  vor  idoco.  Solche  Verwechslungen  sind  also  sehr  alt 
und  es  besteht  kein  Anlaß  mit  Cobet  ovz1  äv  iyw  navco  zu  schreiben,  um 
jtavco  zu  retten.  Leeuwen  hat  zu  B  436  eine  lange  Liste  solcher  Ver- 
wechslungen von  Präsens  und  Futurum  zusammengestellt,  welche  diejenigen 
beachten  mögen,  welche  sich  scheuen  dem  grammatischen  Empfinden 
Rechnung  zu  tragen. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  75 

jiidgiia.gov  6xgi6evd\  ov  ol  Jiegl  yelg  ixdXvipev  Homerische  Weise 
ixdXvnzev.  —  Mit  Recht  hat  Naber  T  208  das  fehlerhafte 
xev^eo&ai  nicht  mit  minder  maßgebenden  Handschriften  in  xev- 
tjaodai,  sondern  in  xEvyeodai  geändert.  Es  ist  eine  Verken- 
nung des  handschriftlichen  Brauches,  wenn  man  glaubt, 
daß  xevtjaoßat  näher  liege.  So  ist  X  330  inevg'axo  in  A  in 
ijzevyexo,  X  374  irsTigqoev  in  evejzgrjfiev  verbessert,  X  314  ist 
umgekehrt  ejievevs  in  GM  in  enevevae,  X  395  jinjöexo  in  S  in 
fxrjoaro  verdorben.  —  Wie  x  24  F  Eiyov,  wie  der  Sinn  fordert, 
die  meisten  Handschriften  aber  koyov  bieten,  so  muß  man 
auch  X  79  fJ-rjw]Q  ■  ■  ödvgero  .  .  xoXtzov  ävie/uhnj ,  srsgrjcpi  de 
juaCöv  dreoyev  nicht  an  ein  momentanes  Emporheben,  sondern 
an  ein  fortdauerndes,  dem  ddvQsto  gleichzeitiges  Emporhalten 
denken,  also  äve7%£v  erwarten.  —  i?  79  schwanken  die  Hand- 
schriften zwischen  ETiEoxEvdyi^e  (S/7)  und  £jreorevdy)]os  (ABT), 
ixeoTovdyjoe  (LM),  EJiEoxovdyiooE  (G):  man  tut  unrecht,  wenn 
man,  wie  es  gewöhnlich  geschieht,  EJiEoxEvdy)]OE  in  eneaxovd- 
yijoe  ändert;  vielmehr  ist  E7iEox£vdyiL,E  als  das  Ursprüngliche 
zu  betrachten.  —  ü  616  vvfx<pdmv,  ai  t'  aiAtp1  'Ayeh)iov  iggto- 
aavro  muß,  da  die  Nymphen  nicht  bloß  einmal  tanzten,  ig- 
qo')ovto  gesetzt  werden. 

Dem  Gebrauch  des  Imperfekts  entspricht  der  Gebrauch  des 
Partiz.  Präsens,  wofür  häufig  das  Partiz.  Aor.  überliefert  ist. 
So  geben  die  Handschriften  öfters  tTioxgvvag  sxeXevoev  für  eno- 
xgvvaiv  exsXevaev.  Vgl.  Stud.  z.  Od.  S.  85  und  oben  S.  35. 
Ebenso  haben  Z  584  SG7J  u.  a.,  Y  54  A*SM  u.  a.  öxgvvavxeg 
für  öxgvvovxeg,  P  553  gibt  der  Lips.  ejioxgvvaoa  zigoor\vbo.  für 
enoxgvvovoa.  —  M  468,  wo  die  Handschriften  mit  Aristarch 
öxgvvovxi  mdovxo  haben,  weist  das  Scholion  ovxojg  dtd  xov  o 
öxgvvovxi  auf  das  Vorhandensein  einer  Lesart  öxgvvavxi  hin. 
—  A  423  haben  ASBG  u.  a.  xaß"1  Xnncov  äifavza  öovgl  xaxd 
ng6xfxi]oiv  vti*  aojiiöog  .  .  vv£ev  ,  MHT  u.  a.  ätooovxa  (yg.  xal 
ätooovxa  Schol.  A):  gewöhnlich  wird  dt£avxa  in  den  Text  ge- 
setzt, während  xaxd  jigöxju-tjoiv  (in  der  Gegend  des  Nabels) 
vti*  domöog  den  Augenblick  des  Herabspringens  voraussetzt. 
So    wurde    ü  320   el'oaxo    de   ocpiv    de^iög   di£ag   did  äoxeog  der 


76  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Adler  sichtbar,  während  er  über   die  Stadt  hinflog,   also    ver- 
langt der  Sinn  allaocov.     Anders  ist  der  Fall  Y  401  xaff  Xn- 
noiv    digavza,   jiqoo&e    e&ev    cpevyovra    gelagert,    wo   T   und    S 
diooovza   geben,  der  Sinn  aber  dlgavza  verlangt,  wie  AB  hier 
wie  dort  haben.     Richtig  hat  M  an  der  ersten  Stelle  diooovza, 
an  der  zweiten  dlfavza.     Mit  Unrecht  wird  gewöhnlich  O  694 
ätaocov  von  ABM  verschmäht  und  difag  aufgenommen.  —  O  744 
ist  drqvvovzog  nur  in  einer  Wiener  Handschrift  erhalten;  doch 
weist   ein  wieder  getilgtes    ozqvvovz  in  A  auf   özgvvovzog   hin. 
—  -77  29   geben   die   meisten  und   besten  Handschriften   dxeid- 
ßsvoi  statt  des  einzig  richtigen   dxeiöjuevoi.  —  W  690  xötps   de 
nanxrjvavra  Jiaorjiov  verlangt  der  Sinn   nanzaivovza.  —  Wie 
v  149    FUZ    xoQi]oaze   nomvvovoai    erbalten    haben,    während 
andere   noinvvoaoai   geben,   so   ist  auch  Q  219  avzcp  noinvv- 
ovzt  ■&oc7)g  ÖTQÜvai  'A%aiovg   für    noinvvoavzi    zu    setzen.     Vgl. 
A  600  xcoiJivvovza,   £"155  zöv  juev  noinvvovza,  ü  475  noinvvov 
jrageovze.     Die  Verwandlung  in  nomvvoavri   erfolgte    aus   dem 
nämlichen  Grunde   wie   z.  B.  die  von   exC  in  eW  r\  67.  —  In 
den  Studien  zur  Odyssee  S.  81  ist  für  si^djuevog  zt  e'jiog  egeco 
£  463  dem  Sinne  entsprechend  evxojusvog  gefordert,  wie  r\  330 
H'P  evxdjUEvog  cT  äga  ehze  erhalten  haben.     T  257  haben  alle 
Handschriften  ev^dfievog  <5'  äga  eine  und  nur  die  Scholien  BT 
kennen    ev%6[ievoQ.     Nach    äxovoa    Evxofievyg  A  397  wurde   in 
den  Studien  zur  Odyssee  a.  0.  für  99  211    ov  zev  (xe1)  äxovoa 
Evxojuevov    für    Evg'a/jLEvov    verlangt.      Man    kann    dagegen    auf 
evg'ajuEvov   ijxovoEv   A  381,    xkveg   evg'ajuEvoio    A  453,   77  236, 
77  531    verweisen,    aber   uns   springt  die   Autorität   Aristarchs 
bei,  welcher  7  509,  wo  die  maßgebenden  Handschriften  t'xlvov 
EvtjajUEvoio  bieten,  evxojuevoio  bezeugt.  —  Entsprechend  ist  auch 
K  276  xkdCovxog  dxovoav  für  xldyk'avzog  zu  setzen.      /<  398 
schreibt  man  gewöhnlich    i^ijjuaQ  fiev  ejteizo.  ijuoi  EQirjQEg  haT- 
qoi    öaivvvx'1   'Helioio    ßocbv   eldoavzEg    dgiozag    mit    FG2H1M, 
während   H2PU   sXowvxeg,   G1  eXovreg  d.  i.  llöcovzEg   oder   elö- 
ovzeg  bieten.     Das  Präsens  hebt  die  Wiederbolung  hervor.  — 
F295    bevorzugt    man    gewöhnlich    ebenso    nach    AGL2    und 
einem    Papyrus    olvov    <5'  ix    xQrjxfjoog    d(pvoodjLi£voi    ÖEndsooiv 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  77 

ex%eov    >}(5'  ev%ovxo   xxe.,   in  A  steht  o  über  d:  die  Bedeutung 
dieser  Korrekturen  haben  wir  oben  S.  33  kennen  gelernt;  das 
Präsens    ä<pvooojuevoi   geben    außerdem    BML1    und   vor   allem 
Aristarch.     Ebenso   geben   mit  Aristarch  K  579   djiö   de  xgq- 
t)~]Qog   'A&rjvfi    tzXeiov    äyvooo/uevoi    Xeißov    /uefat]öea    olvov    das 
Präsens   AT2GEbY,   während   SBM   u.  a.  ä<pvoodfievoi  haben. 
Vgl.  A  598  avxdg  o  xo'ig  äXXoioi  ßeolg  .  .  oIvo%6ei,  yXvxv  vExxag 
änö  xgtjxfjgog  äcpvoooiv.     Ähnlich  i  9.     Da  1F220  eXcov  Mjiag 
äp.(pixv7iEXXov  olrov  äqpvooö/uEvog  -^a^iddig  %ee,  wie  SGXY  geben, 
während  ABM  u.  a.  äyvood/uevog  haben,  wieder  in  A  o  über 
d  steht,  wird  das  Präsens,   welches  ohnedies  gut  das  während 
der  Nacht    wiederholte  Schöpfen    hervorhebt,    zu    bevorzugen 
sein.     Den  Homerischen  Brauch  haben  W  120   tag  fiev   k'jiEixa 
dicmXi)ooovi£g  Ayaiol  exdeov  fj/uövcov  Düntzer  und  Nauck  nicht 
beachtet,  da  sie  dianX^avteg  verlangten.  —  Für  <P  182  haben 
wir  oben  S.  33  gesehen,  daß  ögovwv  den  Vorzug  vor  ögovoag 
verdient.   —  M  273  jui]  xig  ömooa)  XExgdcp&a)  Jigoxl   vfjag   6/j.o- 
xX^xi"]Qog  dxovcov  geben  dxovcov  der  Syrische  Palimpsest,  BM 
u.  a.,    auch    mit   yg.  xal  A,    gewöhnlich   aber   nimmt  man  aus 
A  äxovoag  auf.  —  M  337  entspricht  äXX"1  ov  Jicog  oi  eev  ßodovxi 
yeycbvEtv,  wie  Payne  Knight  geschrieben  hat,  dem  Sinne  mehr 
als    das    auch   in   der  Kontraktion  verdächtige  ßtooavxi.     Auch 
der  in  den  Handschriften  der  Tragiker  häufige  Wechsel  von 
Formen  wie  neidet)  und  neioco  findet  sich  bei  Homer.     Es 
ist  begreiflich,    daß   W  609   xw   xoi   Xiooojuevco   imjzEtoojuai   ijde 
xal  ijznov  öcooüi  die  meisten  Handschriften  neben   dcöom   auch 
emjieioojuai    bieten,    während   die   Lesart  des   cod.  Townl.    em- 
jieiftojuai  dem  Sinne  weit  mehr   entspricht    und    sich    auch    als 
minder    gewöhnlich    empfiehlt.  —    ^  77    ov    fiev    ydg    tcpoi   ye 
cpiXcov    äjidvEV&ev    exaigcov    ßovXdg    e£6juevoi    ßovXEVOo/uEv,    dXX' 
ejue  juev  x>]Q  äjucpExavE:  Städteausgaben  hatten  ov  ydg   exi   wie 
vorher  (75)  ov  ydg  hV  avxig.    Damit  ist  der  Sinn  nicht  richtig 
erfaßt.    Der  Schatten  des  Patroklos  sagt:   „nicht  freilich  sitzen 
wir  bei  gemütlichem  Plaudern  beisammen  wie  ehedem".    Dieser 
Sinn   verlangt   als   traute  Erinnerung   ßovXevo/iEV.  —  A  296 
/ni]   ydg  ejuol  ye 


78  T.Abhandlung:  N.  Wecklein 

arifiaiv1'  ob  yäg  eyco  y"1  exi  ooi  TieioeoDai  oioj 

beruht  das  Futurum  auf  einer  unrichtigen  Auffassung  von  oioj, 
welches  hier  die  gleiche  Bedeutung  hat  wie  N  262  ov  yäg 
öico  ärögcöv  övo/ieveojv  exäg  loxdiievog  noXefJii^eiv  „ich  bin  ge- 
sonnen", „ich  bin  gewillt",  also  nicht  den  Infinitiv  im  Futurum 
bei  sich  haben  kann.1)  A  170  ovde  o1  öla>  ev&dd1  äxifwg  eojv 
äcpevog  aal  nXovxov  ä(pv£eiv  hat  man  das  unerklärbare  äcpvg'eiv 
in  äeg~eiv  verbessert  (V  =  ooi).  So  muß  es  auch  hier  nei- 
ßeo&ai  heißen.  —  Die  gleiche  Redensart  in  dem  gleichen 
Zusammenhang  erwartet  man  E  252  /.aj  xi  cpößovö'  äyogev\ 
snel  ovde  oe  (oder  ovde  oe)  neioejuev  oico  (andere  geben  ovde 
jue):  enel  ov  Tiei&eo&ai.  6ia>.  —  In  .F  265  fj  <prjg  &g  Tgweo- 
oiv  doi]^e/uev  ebgvojiav  Zijv  entspricht  das  Futurum,  welches 
die  meisten  und  besten  Handschriften  und  gewöhnlich  auch 
unsere  Ausgaben  bieten,  dem  Gedankengang  weit  weniger  als 
das  in  X  und  in  minderwertigen  Handschriften  überlieferte 
aQrjyefxev.  —  Wie  n  42  vnöeiy.ev  (wollte  Platz  machen)  für 
{m6eig~ev  zu  setzen  ist,  so  verlangt  O  211  äXV  r)  toi  vvv  juev 
ye  ve/neoo^&eig  vjioeiijcü,  wie  schon  vvv  juev  ye  erkennen  läßt, 
der  Sinn  vtioeixw  (ich  gebe  nach  mit  Protest).  —  Y  370  geben 
zwar  die  meisten  und  besten  Handschriften  dXXd  xo  tuev  xeXeei, 
xö  de  xal  jueooqyv  xoXovei,  aber  da  der  Satz  die  Ausführung 
von  ovd'  'A%iXevg  ndvxeooi  xeXog  juv&oig  emftrjoei  ist,  muß  doch 
das  von  GT  gebotene  Futurum  y.oXovoei  als  das  natürliche 
Tempus  erachtet  werden. 

b)  Bei  der  handschriftlichen  Unsicherheit  in  den  Endungen 
kommt  es  darauf  an  die  Modus  formen  scharf  aufzufassen. 
/  495  geben  alle  Handschriften  aXXd  oe  Tialda 

Jioievjiirjv,  Xva  jlioi  nox1  deixea  Xoiybv  äjuvvrjg. 

Eustathios  hat  an  einer  Stelle  dp,vvr\g,  an  einer  anderen  äjuv- 
voig.  An  und  für  sich  ist  der  Konjunktiv  auch  nach  einem 
Präteritum   nicht   selten,   wenn   die  Beziehung  zur  Gegenwart 


v)  Die  von  La  Roche  angeführten  Beispiele  wie  Z  341  xix^ato^ca 
de  ö'  oico  sind  anderer  Art. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  '9 

betont .  werden  soll.1)  Damit  steht  aber  hier  uoxe  nicht  in 
Einklang:  also  ist  äfivvoig  das  Ursprüngliche.  —  X  281  äXXd 
xig  ägjiemjg  xal  ETiixXonog  etcXeo  juv&cov,  ö<pga  a1  vjiodeioag 
jiievEog  dXxfjg  re  Xdßojjiiai  entspricht  der  Konjunktiv  lddwf.iai, 
den  AS  u.  a.  geben,  dem  Sinne  des  Hektor  weit  weniger  als 
der  Optativ  Xadoi^v,  der  im  Syrischen  Palimpsest,  in  BMG  u.  a. 
steht.  Der  Konjunktiv  schließt  die  Möglichkeit,  daß  es  ge- 
schehe, nicht  aus.  Der  Optativ  hebt  die  falsche  Einbildung 
des  Achilleus  hervor.  —  In  7  454 

noXXa  xaxijgäxo,  oxvyEgdg  <5'  ejiexexXex'1  egtvvg, 
firj  jioxE  yovraoi  oloiv  icpiooEo&ai  qAXov  viöv 

schwanken  die  Handschriften  zwischen  E(p£ooEodcu  (A),  IcpE- 
'Qea&ai  (BGLM)  und  i<p£oao$ai  (S).  Gewöhnlich  wird  die  Ari- 
starchische  Lesart  i(p£oo£oßai  in  den  Text  gesetzt,  aber  der 
Fluch  ist  eine  Anrufung  der  Erinyen,  daß  etwas  geschehen 
möge,  keine  Prophezeiung,  also  entspricht  EyE.'QEO'&ai  dem 
Sinne.  —  Über  Tiefitpco  <3'  otitiyj  fxiv  xgadirj  dv/xog  je  xeXevj] 
&  204  s.  Stud.  z.  Od.  S.  87.  So  muß  es  auch  N  784  vvv  <5' 
ägy?  öjiTirj  oe  xgaött]  üv/iiog  je  xeXevtj  (für  xeXevei)  heißen: 
Alexandros  weiß  nicht,  wohin  Hektor  gehen  will.  — ■  Daß 
5P  494,  wo  die  meisten  Handschriften  xal  (5'  äXXw  v£/u£oäxov, 
o  rig  xotavxa  ys  gE'Qoi  haben,  nach  einer  Wiener  Handschrift 
gi^ll  korrigiert  werden  muß,  kann  £  286  xal  £'  aXXr\  vejueoco, 
)}  Tig  xotavxa  ys  gE^ot  zeigen,  da  hier  der  Konjunktiv  durch 
das  folgende  fiioyyxai  gesichert  wird.  Dem  Fehler  scheint  eine 
Erinnerung  an  a  47  (bg  djioXoixo  xal  äXXog  6  ng  xoiavxd  y£ 
giCoi  zugrunde  zu  liegen. 

Für  das  Schwanken  der  Handschriften  zwischen  -oi  und 
-rj,  -oixo  und  -r\xai  sind  anderswo  verschiedene  Stellen  ange- 
führt worden.  Vgl.  z.  B.  E  407  /udxijxai — jud%oixo,  O  598  Iva 
.  .  EjußdXtj  .  .  EmxgrjVEiE  (ijußdXoi  hat  Hermann  verbessert,  e/u- 
ßdXy   „läßt  sich  verteidigen"  La  Roche,  ebenso  Leaf !),  77  650 


l)  Z.  B.  /  691  xars?J^azo  .  .  ocpqa  eTitjzai,  nicht  aber  z.  B.  T  354 
orotf,  l'va  .  . '  l'xoizo  (nicht  i'xrjtai ,  wie  die  Handschriften  geben).  Solche 
Fälle  dürfen  nicht  als  gleich  behandelt  werden. 


oÖ  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

öijcoorj  und  e'Xijzat  trotz  öcpeXXeiev  d.  i.  wpeiXeiev,  TJ  633  ögcoget 
(auch  Aristarch  und  deshalb  von  manchen  in  Schutz  genommen!) 
—  ögcogy.  Einen  bemerkenswerten  Fall  bietet  H  387  rjvcoyev 
J/giajuog  .  . 

eirre/i£v  ai  xe  nsg  vjujui  cp'iXov  xal  fjöv  yevoiro 

firilov  'AXe^dvdQOio.  Naber  hat  yevrjrai  hergestellt.  Man  sieht 
deutlich,  was  die  Lesart  yevoiro  veranlaßt  hat.  Der  Satz  ai  .  . 
yivijrm  wurde  als  zum  Auftrag  des  Priamos  gehörig  betrachtet, 
während  er  eine  höfliche  Zwischenbemerkung  des  Herolds  dar- 
stellt, der  auch  nachher  (390)  den  Fluch  cog  nglv  cocpeiX'1  än- 
oXeo&ai  sich  gestattet,  um  den  Achäern  nach  dem  Munde  zu 
reden.  Ebenso  wird  von  ai  k  i&ebjiE  394  an  der  Auftrag 
direkt  ausgerichtet. 

Der  Gebrauch  des  Konjunktivs  bei  ei'  neg  (selbst 
wenn)  ergibt  sich  aus  Stellen,  welche  La  Roche  zu  A  81  zu- 
sammengestellt hat:  X  86  ei'  neq  ydg  oe  xazaxzdvpi ,  ov  o1  ex 
iyoj  ye  xXavoo/aai  ev  Xe%eeooi,  A  81  ei'  tieq  ydg  je  yoXov  ye 
xal  avrfjjuag  xazaneyr],  aXXd  ze  xal  /uezomo&ev  e%ei  xözov,  A  261 
ei  neg  ydg  t'  .  .  mvojoiv  xze.,  A  116,  M  223  ei  neg  je  .  .  grj- 
£o/,t£#a  .  .  £t's~a)oi  <3'  .  .,  ov  xoojuqy  .  .  eXevoojue&\  245  ei  neg 
ydg  r'  aXXoi  ye  Tzegl  xzeivoj/.iE&a  .  .  ool  <3'  ov  ösog  eoz"1  ouioXe- 
odai,  77  263,  <fr  576,  X  191.  Hiernach  ist  a  167  ei  jieg  zig  .  . 
cpfjoiv  und  0  153 

si  7i£g  ydg  a'  "Exzmg  ys  xaxbv  xal  ävdXxiöa  cp/josi, 
aXX"1  ov  jtEioovzai  Tgweg  xal  Aagöaviojvsg 

cpijrj  für  cprjoiv  oder  (prjoei  zu  schreiben.  Schon  Cobet  hat  an 
cpfjoi  gedacht,  vgl.  X  128  und  xp  275  ojmote  xev  .  .  (pr'pj.  In 
0  153  ist  cpi)o£i  infolge  der  Erinnerung  an  "Exzcog  ydg  tzoze 
qpijoEi  148  entstanden.  Ebenso  ist  X  389  eI  de  fiarovreg  neg 
xaraXrjfiojvz'  (für  xazaXfi&ovz'1)  ev  'ALöao  zu  schreiben.  —  In 
Übereinstimmung  mit  diesen  Stellen  ist  für  o  318 

ijvneg  ydg  x"1  e&eXcooiv  ivfigovov  3H6a  juijtiveiv 

eine  andere  Emendation  anzusetzen,  als  früher  angenommen 
wurde.    Der  Konjunktiv  wird  hier  unnötigerweise  sowohl  durch 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  81 

rjv  wie  durch  xe  gestützt;  nun  aber  bietet  F  ei  und  x1  fehlt 
in  P:  in  et  ueq  ydg  e&eÄoooiv  wurde  die  Stütze  für  die  Länge 
des  zweiten  Fußes  vermißt,  wie  xe  anderswo  zur  Ausmerzunsf 
des  Hiatus  diente.  Recht  deutlich  zeigt  sich  dieser  Zweck  der 
Einfügung  von  xe   W  526 

El    ÖE    X*  ETI    TtQOTEQO)    yeVETO    dgOfXOg    äjJLCpOTEQOlOlV, 
TCO    XEV    fllV    TMXQEÄaOo'1   OVO'   djHqp/jQlOZOV    E&rjXEV, 

wo  einfach  et  de  ext  herzustellen  und  von  jeder  Änderung  {e\ 
tzeq  Ext,  ei  <5'  Exi  x(xi ,  ei  <5'  äg"1  eti)  abzusehen  ist.  Hiernach 
sind  die  Stellen  et  neg  ydg  x  i&üot/iev  B  123,  0  205,  et  x' 
e&eXcov  ye  fiEVOig  rj  315,  et  «'  E&sXoig  t  589,  ei  tf  vjLiEig  ys  <pä- 
yoiTe  ß  76  zu  behandeln  und  ist  x"1  als  Füllsel  zu  tilgen. 
Daß  die  Überlieferung  von  ei  xe  mit  Optativ,  für  welche  auch 
ei  statt  au  bezeichnend  ist,  sich  als  fehlerhaft  erweist,  bestätigt 
ein  Papyrus  (mit  Hb  und  anderen  minderwertigen  Handschriften) 
zu  N  288,  wo  in  den  maßgebenden  Handschriften  et  Tieg  ydg 
xe  ßXeio  steht,  der  Papyrus  aber  et  neg  ydg  xal  gibt.  Diese 
Vertauschung  von  xai  und  xe,  die  auch  anderwärts  öfters  auf- 
tritt, hat  ß  246  verdorben,  wo  die  meisten  Handschriften  et 
jisg  x1  'OdvoEvg  .  .  fxevoinjoEiE  geben,  in  U  aber  ei  Jieg  ydg 
xal  'Oövoevg  erhalten  ist  und  et  neg  xal  'Oövoevs  dem  Sinne 
am  besten  entspricht.  Die  Vertauschung  von  xe  und  xai  ver- 
bessert T  322,  ¥  346,  I  445,  X  110.  Vgl.  die  Abhandlung 
über  die  Methode  der  Textkritik  usw.  S.  59.  E  273  und  6  196 
el  tovtco  xe  Xdßoi/uev  paßt  tovtco  ye,  wie  Thiersch  verbessert 
hat,  ausgezeichnet.  Ebenso  ist  Z  50  =  ÜT381  ei  xev  e/ue  Ccpöv 
jiEJiv&oa  um  des  Hiatus  willen  xev  an  die  Stelle  von  y£  ge- 
treten. X  220  ovo1  et  xev  .  .  nd&oi  geben  SL  u.  a.  nddr\  und 
in  A  ist  Tidßoi  in  nä&si  d.i.  Jid&i]  korrigiert.  Ü387  at  xe 
neg  .  .  yevono,  wo  für  ysvrjTai  auch  at  spricht,  ist  schon  oben 
S.  80  behandelt.  Hiernach  ist  das  ganz  vereinzelt  stehende 
gtevto  ydg  ev/ojuevog  vix^oejliev,  et  JiEg  äv  avzal  Movoai  äei- 
öoiev  B  597  in  ei  vv  neg  amal  Movoai  dsidoisv  zu  verbes- 
sern. —  Ein  unbrauchbares  äv  hat  man  auch  in  X  66  avzov 
<5'  äv   nv/nazov   jlie    xvvEg    ngcÖTrjoi    ftvgrioiv    cbjLieozal    egvovoiv, 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  List.  Kl.  Jahrg.  1^17,  7.  Abb.  G 


S2 


7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 


worin  av  nur  zur  metrischen  Stütze  von  de  nv/narov  dient. 
Ebenso  steht  av  unnütz  in  ool  ö"1  av  e.ydj  nofinbg  xai  xev 
xXvxdv  'Agyog  ixoifitjv  O  437:  mit  ool  de  oder  vielmehr  ool 
fikv  (wie  ein  Papyrus  bietet)  eyd)  .  .  xai  xev  .  .  ixoi/irjv  vgl. 
X  375  xai  xev  ig  rjoa  dlav  dvaoyoi[i)]v . 

Was  xe  mit  Futurum  wert  ist,  kann  die  Überlieferung 
in  M  226  noXXovg  ydg  Tgcoojv  xaxaXeiipofiEV ,  ovg  xev  Ayaiol 
yaXxäi  dt] a)oa)o iv  zeigen,  wo  der  cod.  Ambr.  und  A  öyi'cooovoiv 
bieten.  P  144  qjgdCso  vvv,  önnojg  xe  noXiv  xal  doxa  oawoijg 
ist  oacbo)]g  nur  in  MHbX  und  einigen  anderen  erhalten,  wäh- 
rend die  maßgebenden  Handschriften  mit  Aristarch  oacooeig 
haben.  /  62  hat  Bentley  axifirjaeS  {axi^idooeC)  hergestellt, 
A  523  steht  (ieXr]qexai  für  [isXijorjxai,  ebenso  ist  /  262  xaxa- 
Xefa),  ö  80  igioosxai,  n  238  qpgdoooiiai  Konjunktiv,  O  211  gibt 
Aristarch  ys  für  xe,  n  298  gibt  eine  Handschrift  ftekif)  für 
fieXZ-ei,  ebenso  haben  P241  doch  einige  Handschriften  xogeoij 
oder  xoqsj],  wenn  auch  die  maßgebenden  xoqsoei  (A,  nicht  die 
richtige  Form!)  oder  xoghi  bieten.  W  675  xi]dejuoveg  .  .  jue- 
vovxojv,  oi  xe.  [xiv  ifoioovoiv  will  Nauck  ol'  xe  schreiben,  was 
Leeuwen  in  den  Text  gesetzt  hat;  aber  ol'  xe  hat  hier  keiuen 
Sinn,  da  keine  Verallgemeinerung  in  Betracht  kommt;  dagegen 
ist  ol'  xe  /luv  i^oiooooiv  sehr  an  seiner  Stelle:  „welche  die 
Aufgabe  haben  ihn  fortzutragen"  und  die  Verwechslung  dieser 
Aoristform  und  des  Futurums  findet  sich  öfters,  z.  B.  B  229. 
In  P  515  tjoo)  ydg  xal  eyd),  xd  6e  xev  Ad  ndvxa  jueXi'joei  gibt 
M  jueXijoi].  Da  xev  und  xal  öfters  vertauscht  sind  (s.  oben 
S.  81)  und  xai  dem  Sinne  trefflich  entspricht,  wird  man  in 
Rücksicht  auf  E  430  xavra  $'  "Arji  ftoco  xal  Ad-rjvr]  ndvxa  jlie- 
X)]oei  hier  xd  ök  xal  Ad  ndvxa  jueXijoei  zu  schreiben  haben.  — 
^151  IlaxQoxXq)  i']QO)i  x6[ir]v  dndoai/ui  cpeQEodai  ist  der  Op- 
tativ unverständlich:  Nauck  hat  xo/uyv  x"1  vermutet;  aber  diese 
unbestimmte  Angabe  ist  wenig  angemessen:  man  erwartet  xö- 
/Lirjv  x"1  ondooo fxi.  —  Was  soll  man  gar  zu  ei  xe  eXxi']oovoiv 
P  558  sagen,  welches  in  allen  Handschriften  steht  und  auch 
in  verschiedenen  Ausgaben   beibehalten  wird?  —   X  42  geben 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  83 

die  meisten  Handschriften  xdya  xev  e  xvveg  xal  yvneg  eöovxai: 
zum  Glück  hat  Aristarch  edoiev  bewahrt,  das  auch  durch  das 
vorausgehende  yevoixo  und  das  folgende  e'Xßot  geschützt  wird. 
—  Nach  W 345  ovx  soff  ög  xe  o'  eXr\oi  ist  zu  behandeln  X  348 
cbg  ovx  k'o&''  dg  ofjg  ye  (Nauck  xe)  xvvag  xeqxxkfjg  änakdXxoi 
(Leeuwen  ajiaXäXxrj)  ovo"1  ei'  xev  oti'jocoo''  (nachher  aber  natür- 
lich dvajyoi,  von  Leaf,  La  Roche,  A.  Ludwich  u.  a.  aufge- 
nommen!), ebenso  0  103  vvv  <5>'  ovx  ea#'  ög  xev  (so  Eustathios, 
ög  rig  die  meisten  Handschriften,  ög  ye  M)  ßdvaxov  (pvyt]  (so 
SML  u.  a.,  cpvyoi  wieder  kZ  mit  vielen  anderen),  lr363  ov- 
de öia>  (für  ovde  xiv"1  oi'co)  Tqojojv  %aiorjoeiv  ög  xev  (die  meisten 
ög  rig,  in  A  steht  xev  über  tig,  xig  xev  gibt  M  ebenso)  o%edöv 
ey%eog  eXd}}.  Wie  E  308  ävxrjv  ox/joojiiai,  ij  xe  cpeooixo  jueya 
xodxog  rj  xe  cpegoiurp  Naber  (peoyoi  .  .  (pegcüjui  hergestellt  hat, 
so  mute  bei  dem  gleichen  Gedankenverhältnis  X  253  vvv  avxe 
jxe  dvjLiög  ävfjxev  otrjfj.svai  dvxia  oelo,  eXoijui  xev  tj  xe  äXolrjv 
ebenso  eXcofii  .  .  äXcoco  geschrieben   werden. 

Für  die  Neigung  bei  xe  statt  des  Konjunktivs  den 
Optativ  zu  setzen  (Stud.  z.  Od.  S.  53 ff.,  vgl.  z.  B.  x  403 
öxxi  xe  #»]gu:  ftelai  GU,  dehjg  FH2M,  delo  ülP,  Aristonikos 
zu  xev  eX^oifxai  A  137:  xö  gpj/ua  TjXXaxxai,  eXcojiiai  ävxl  xov  eXoi- 
juf]v)  finden  sich  charakteristische  Beispiele:  H  342  xdtpgov,  tj  •£ 
i'jTJiovg  xal  Xaöv  eovxdxoi,  0  _91  rje  yvvar/  r\  xev  xoi  öjuöv  XJ%og 
eioavaßaivoi ,  o  518  uXXov  cpcaxa  m(pavoxojuai ,  öv  xev  l'xiyai  (so 
FG1MP,  i'xoio  G2HU),  K  307  öoxig  xev  xXr\r\  (A  xXaiy,  die  mei- 
sten xXah])  oi  t'  avxq)  xvdog  agiyzai  (die  Handschriften  äooixo :  der 
Optativ  ist  unbrauchbar),  W  345  ovx  eo&  ög  xe  a'  e'Xtjot  fxexdX- 
fxevog  ovde  naoeXSoi  (jiageXv1}]  nur  in  einer  Pariser).  Die  Regel 
für  Relativsätze,  welche  eine  beabsichtigte  Folge  ausdrücken, 
ersieht  man  am  besten  aus  /  165  xXyxovg  öxQvvo/uev,  oi'  xe  xd- 
%ioxa  ekd'oaq1  eig  xXiohjv  .  .  'A%iXfjog.  Daß  in  1  423  q)od£a>vxai 
fxrjxiv  d/ueivco,  f\  xev  ocpiv  vfjdg  xe  o6r\  xal  Xaöv  "AyaiCov  nichts 
anderes  als  vfjag  oaor\  steckt,  hat  Nauck  gesehen.  /  112  geben 
die  Handschriften  qioa£a)jueo&\  djg  xev  juiv  ägeoadjuevoi  nem- 
ftotfiev,  7  397  r\v  x"1  edeX^otjui:  nem&oo^ev  und  edeXojjui  hat  Ari- 
starch erhalten.    1 141    und  283  et  de  xev  "Agyog  Ixotjue^  und 

G* 


84  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 


O  ' 


A  60  ai'  xer  ddvaxov  ye  cpvyoijuev  ist  die  Verbesserung  ixojjued'1 
und  qwycojuev  Naber  vorbehalten  geblieben.  <£  336  eioo/uai  .  . 
ögoovoa  fiveXXav,  i'j  xev  .  .  xevyea  xi'/ai  („welche  verbrennen 
soll")  finde  ich  auffallenderweise  xi]r\  nur  bei  Leeuwen  im  Text. 
Doch  hat  es  schon  Nauck  vorgeschlagen.  Es  ist  nicht  ohne  Be- 
deutung, daß  M2  und  T  xfje  bieten.  —  Am  lehrreichsten  dürfte 
die  Überlieferung  in  %  7  sein:  ei'aojLiai,  ai' xe  tv%cü[ai,  nogr\  de  juoi 
ev%os  "AjioXXcov.  rv%oifii  bieten  alle  Handschriften,  auch  solche, 
die  Jiogy  geben,  und  verschiedene  Zitate;  nur  in  M  ist  zv%(Ofxi  er- 
halten und  in  D  steht  eo  über  oi;  jzögoi  steht  in  GPXLW.  Da- 
gegen kann  man  an  einer  Stelle  wie  n  256  äXXd  ob  et  övvaoai  tiv1 
djuvvxoga  fteQiut]Qi^ai,  cpgd£e\  ö  xer  xig  vcoiv  äfivvi]  Tigorpgovi 
■dv/xqj  nicht  erwarten,  daß  die  Handschriften  nicht  äfivvoi  geben. 
1"  250  ÖTinoTov  x1  eTmjoßa  enog,  xdiov  x*  enaxovoaig  hat  on- 
noTov  peinr\oda  Bentley  hergestellt  und  xoTöv  x"1  enaxovoijg  ist 
bei  Plutarch  und  Eustathios  erhalten.  —  Die  erwähnte  Nei- 
gung muß  uns  die  Entscheidung  geben  für  M  465,  wo  die 
Handschriften  ov  xev  xig  luv  egvxdxoi  geben,  Aristarch  aber 
egvxaxev  bietet:  beides  gestattet  der  Homerische  Sprachge- 
brauch (egvxdxoi  als  Potentialis  der  Vergangenheit,  vgl.  z.  B. 
ovöe  xe  (pair\q  T  392).  Wir  müssen  die  Aristarchische  Lesart 
vorziehen.  Bestätigt  wird  eine  solche  Änderung  tpegefv)  für 
<pegoi  in  P  70  evßa  xe  grja  cpegev  xXvxd  xevyea  IJav&otdao 
'Axgeidyg  durch  das  folgende  el  fir\  ol  äydooaro.  In  H  38  "Ex- 
xogog  ögooojuev  xgaxegdv  juevog  ..,  fjv  xivd  nov  Aavacöv  ngoxu- 
Xeooexai  .  .  oi  de  x"1  äyaoodjuevoi  .  .  olov  ejzogoeiav  gibt  erst  der 
zweite  Teil  den  wesentlichen  Inhalt  von  dem  Vorschlag  des 
Apollon,  so  daß  das  Ganze  von  fjv  abhängig  gemacht  werden 
muß,  also  ot  de  dyaood/iievoi  —  enogocooi  zu  schreiben  ist. 
Hier  ist  also  wegen  des  Hiatus  xe  eingefügt  und  diesem  zu- 
liebe der  Optat.  gesetzt  worden.  —  A  792  xig  olö"1  ei'  xev  oi 
ovv  dai/uovi  dvfxov  ogivaig  (ögiveig  H,  ögivoig  Y)  hat  Hermann 
dgivrjg  verlangt  und  auch  Nauck  merkt  au:  „an  ögivrjg?"  Ich 
habe  schon  früher  (Meth.  d.  Textkr.  S.  53)  bemerkt,  daß  man 
bei  der  Unsicherheit  in  den  Endungen  die  Regel  aus  den  Fällen 
entnehmen    muß,    bei    denen    die  Endung  weniger  leicht  einer 


Textkritische  Studien  zur  "Ilias.  85 

Änderung  unterliegt.  Ein  solcher  Fall  ist  hier  O  403  Tig  oW 
ei'  xev  oi  ovv  öai/uovi  &vjlwv  öqivco;  diese  Stelle  gibt  also  kein 
Zeugnis  ab  für  die  Berechtigung  einer  Optativform  wie  ogivaig1) 
und  beweist  zugleich,  daß  Nauck  mit  Recht  |  120  Zevg  .  . 
olöe  .  .  et (ai)  xe  fitv  .  .  äyyeiXm^u2)  für  äyyeiXaijui  geschrieben  hat. 
N  744  hat  nur  A  tj  xev  e'jieira  jiolq  vrjcov  el&cofiev,  die  anderen 
geben  el&oifiev ,  welches  trotz  des  vorhergehenden  r\  xev  .  . 
jieoaifiev  bei  Herausgebern  Gnade  gefunden  hat  („el&oijuev  is 
so  strongly  supported  that  it  must  have  the  preference  over 
el&cojLiev"   Leaf). 

Der  Gebrauch  des  bloßen  Konjunktiv  (Aorist)  im 
Sinne  eines  Futurums  findet  sich  in  Fällen,  die  von  einander 
verschieden   sind.     Zunächst   gleichen  sich    folgende  Beispiele : 

A  262  ov  ya.Q  jioo  roiovg  i'dov  äveoag  ovde  1'dcofA.ai, 
'C  201   =  n  437   ovx  eo&'1  ovxog  ävrjo  diegög  ßgoxög  ovde 

yevrjxai 

Hierin  wird  der  Gebrauch  des  „Modus  der  Erwartung"  unter- 
stützt durch  die  vorausgehende  Aussage.  —  In  drei  Fällen 
Z  459,  479,  H  87  soll  xai  Jioxe  xig  ei'mjoiv  im  Sinne  von  xai 
jtore  ztg  egeei  stehen;  aber  Z  479  erfordert  der  Sinn  el'jioi 
(s.  oben  S.  3);  Z  459  steht  eikijoi  unter  der  Nachwirkung 
eines  vorhergehenden  xe,  H  87  ist  es  von  öyga  abhängig  wie 
£  275  von  /liij.  —  Einen  anderen  Fall  findet  man  A  150 


x)  Wie  y  231  oacooai  für  aad>osi  auch  öeog  *'  (M2)  für  öeog  /  nach 
sich  gezogen  hat,  so  ist  oawoai  8  753  (oacooij  in  G),  avTißolrjaaig  8  547 
(für  dvTißoh'ja)]g  auch  v  229,  richtig  GH2),  eiiaxovaaig  Y  250,  yrj&rjoai 
A  255,  xrjai  $  336,  dlv'iai.  q  547  (die  meisten  alv^st)  unter  dem  Ein- 
fluß von  xev  entstanden.  Überall  ist  der  Konjunktiv  zu  setzen. 
Die  Formen  dxovaai  H  129,  T  81,  äeigai  H  130,  df.wvat  M  334  sind  der 
attischen  Neigung  den  Aorist  für  das  Präsens  zu  setzen  ent- 
sprungen. 3  165  ist  für  %ev\]  nicht  mit  Naber  %evai,  aber  auch  nicht  mit 
Thiersch  %sveC  im  ßlsyäQoioiv ,  was  fehlerhaft  wäre,  sondern  mit  Leaf 
yEviC  ev  zu  setzen. 

2)  Die  Form  tvxcd/u  ist  %  7  allein  in  M,  2?  279  nur  in  A,  xisivm/ni 
z  490  allein  in  HU  erhalten  geblieben,  die  anderen  geben  rvx0lfu>  XTE'- 
vai/iii. 


86  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

ncbg  rig  rot  ngöcpgcov  eneaiv  Jieißrjrat  Ayawrr ; 

Diese  Art  des  Konjunktivs  ein  inem  Fragesatze  schließt  sich 
an  den  modus  deliberativus  an.  Vgl.  xi  Tiäftco;  ri  öe  jurjoojuai: 
Soph.  Track  973.     Hieher  gehört  auch  e  299  und  465 

öj  jlioi  eyoj  öeeX.og;  ri  vv  juoi   uyxiora  yevrjrai; 
co  juoi  eyco;  ri  nddoo;  ri  vv  juoi  /uirjxiora  yevrjxai; 

Bei  dem  unleidlichen  Schwanken  der  Handschriften  zwischen 
-evco  und  -evoco  kann  man  A  365  oloßa'  ri  rj  rot  ravra  lövifl 
TTCLvr1  äyogevoco;  unsicher  sein,  da  deren  einer  Teil  äyogevco, 
der  andere  äyogevoco  bietet.  Aber  ri  äyooevco;  heißt:  „wozu 
erzähle  ich  dir  das?",  ri  äyogevooj;  „wozu  soll  ich  dir  das  er- 
zählen", dem  Zusammenhang  entspricht  also  äyogevoco.  So 
wird  auch  fx  450  ri  rot  rdde  juvd  oXoyevoco  für  iivßoXoyevco 
durch  den  Sinn  empfohlen.  —  Sehr  häufig  findet  sich  der  im- 
perativische  Konjunktiv  bei  der  ersten  Person  Plural  einge- 
leitet mit  äX)<?  äye  (äyere)  wie  x  44  äX)>  äye  däooov  iöojjueßa 
orri  räö'  eoriv,  mit  öevre  #133  öevre  .  .  egwfießa,  ebenso  bei 
der  ersten  Person  Singular  gewöhnlich  eingeleitet  mit  aXK  äye 
(äyere),  auch  mit  eV  äye  i  37  eV  äye  .  .  eviojroj,  mit  öevre  und 
einem  Imperativ  X  450  öevre,  övco  juoi  eneoßov,  löco,  gleich- 
falls nach  einem  Imperativ  X  418  oyeoße,  rpiXoi,  y.ai  ti1  olov 
Maare  .  .  Ixeoß''  im  vijag  'Ayauor,  XJooco/uai,  Z  340  d/Ä'  äye, 
vvv  enifieivov,  ägr]ia  revyea  övco,  W  71  'ßänre  jue  orri  rdyiora, 
nvXag  'Aiöao  neQrjoco  wie  Eur.  Hipp.  567  enioyer  .  .  exiiä-ßoi 
oder  Herk.  1059  olya,  nvoäg  tiäßco  u.  a.  Mit  Unrecht  wird 
von  Herausgebern  oder  auch  in  der  Zusammenstellung,  welche 
W.  Goecke,  Der  Gebrauch  des  Konjunktivs  und  Optativs  bei 
Homer,  Malmedy  1881  gegeben  hat,  in  Beispielen  wie  Y  351 
äXiX"1  äye  .  .  TieiQijoojuat,  x  286  äX.X"1  äye  örj  oe  xaxcov  exX>vooLiai 
fjök  oacboco  das  Futurum  statt  des  Konjunktivs  Aorist  an- 
genommen. Vgl.  v  215  äXX1  äye  öi]  rä  XQVf-1^  ägißinjoco  xal 
i'öcojuai.     Vereinzelt  stehen  folgende  Fälle: 

ii  383  övoofiai  elg  'Aiöao  xal  ev  vexveooi  cpaeivco 
I  121   vfiTv  ö"1  er  Jidrreoot  TzeQixXvxä  öcog"1  övotup'co 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  87 

An  der  ersten  Stelle  erhält  die  Emendation  von  Hartman  Aidao 
<V  iv  durch  die  Gewohnheit  den  Hiatus  nach  dem  dritten  Tro- 
chäus zu  beseitigen  vor  der  Verbesserung  von  Cobet  xal  xev 
den  Vorzug.  An  der  zweiten  Stelle  könnte  man  an  v/i/ui  d' 
äy"1  iv  denken,  aber  die  Verbesserung  von  Leeuwen  vjui  de  x1 
iv  wird  durch  /  262,  wo  mit  iyco  de  xe  xot  xaxaUfco  jener 
Satz  in  gewissem  Sinne  wiederholt  wird,  empfohlen.  —  Häufig 
findet  sich  der  Konjunktiv  bei  dem  abwehrenden  juij,  zunächst 
als  Prohibitiv  in  der  zweiten  Person  des  Aorist  wie  ob  de  jur]  xi 
yioXcodfjg  I  33,  aber  auch  wie  bei  der  ersten  und  dritten  Person 
im  Sinne  „daß  nur  nicht",  „gib  acht,  daß  nicht",  „verhüte, 
daß",  „verhüte  Gott,  daß",  „es  ist  Gefähr  (zu  befürchten,  daß)", 
so  A  26  fxrj  oe,  yegov,  xolh]oiv  iyco  Jiagä  vtjvol  xr/jjoo,  n  255  jui] 
jiolimixoa  xai  aivä  ßiag  änoxioeat  ildcov,  t  81  xco  vvv  fjnq  Jioxe 
xal  ov,  yvvai,  cltio  näoav  öleooijg  äyXattjv,  B  195  *)  firj  xi  yo- 
Xcoodjuevog  §£,£}]  xaxbv  vlag  A%aicöv,  A  37  ju)]  xovxö  ye  veixog 
bniooto  .  .  ixey1  egio/.ia  .  .  yevrjxai,  P  93  fxrj  xig  juoi  Aavacov 
vejueoijoexat,  ög  xe  tdrjrai,  W  563  fxrj  .  .  vorjoi],  e  356  jli/]  xig  juoi 
vcpaivrjoiv  dolov,  415  /jltj  .  .  ßdlrj.  —  X  122 f.  lautet  gewöhnlich: 

firj  juiv  iyoj  fxev  ixcojuai  lebv,  b  de  //  ovx  iXetfoei 
ovde  xl  /Li   aldeoexai,  xxeveei  de  jue  yvjuvbv  ibvxa. 

Aber,  wenn  man  genauer  zusieht,  liegt  die  Hauptsache,  die 
mit  jui]  abgewehrt  wird,  in  ovx  ikerjoei:  „daß  nur  nicht,  wenn 
ich  schutzflehend  ihm  nahe,  er  kein  Erbarmen  mit  mir  hat", 
also  fordert  der  Sinn,  wie  auch  in  einer  Wiener  Handschrift 
steht,  ike^arj]  aldeoexai  steht  dann  für  aldeorjxai.  Der  weitere 
Satz  xxeveei  xxe.  macht  sich  selbständig.  Diese  Satzordnung 
verlangt  aber  auch,  daß  man  jlii)  juev  iyco  juiv  (so  S  für  fiev) 
l'xcouai  lebv  schreibt,  womit  außerdem  juiv  seine  richtige  Stel- 
lung erhält.  —  Den  Unterschied  zwischen  /ut]  a7i6Xcojnai  und 
firj  ujiokoifujv  kann  man  etwa  geben  mit  „verhüte  Gott,  daß 
ich  zugrunde  gehe"  —  „möge  ich  nicht  zugrunde  gehen". 
Deshalb  erwartet  man  in  folgenden  Fällen: 


l)  A  28  schließt  sich  /o'j  vv  toi   ov  xQaia,u!)   an  das  Vorhergehende 
an  („damit  nicht  nutzlos  ist").     Ebenso  E  233,  0  95,  o  90. 


88  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

0  476  fit]  fidv  äojiovdi  ye,   da/iaood/uevoi  jieq,  UXoiev 

X  304  /JLr]  fidv  äojiovdi  ye  xal  äxXeecog  dnoXoifirjv 

0  512  fu)  judv  dcmovdi  ye  vecov  smßaXev  sxyjXoi 

X  462  fir\  fiev(judv?)  dl]  xafiagcö  ftavarq)  and  dvfibv  eXoiurjv 

den  Konjunktiv:  diesen  herzustellen  gestattet  das  vernach- 
lässigte Digamma  von  fexrjXoi  (mit  emßwoi,  wie  bereits  Bent- 
ley  vermutet  hat,  vgl.  ßwoiv  k~  86)  und  die  abweichende  Lesart 
in  U  eXrjofte  in  der  letzten  Stelle.  77  30  firj  ejue  /  (1.  etue 
ohne  y1  vor  ye)  ovv  ovrög  ye  Xdßot  %öXog  hat  der  cod.  Lips. 
das  richtige  Xdßrj.  Häufig  ist  der  Konjunktiv  mit  xe(v)  in 
der  Bedeutung  des  Futurs,  z.  B.  A  137  et  de  xe  jui]  do'j- 
cootv,  eyco  de  xev  aviög  e'Xcofiai.  Wie  gleich  dieses  Beispiel  er- 
kennen läßt,  tritt  in  dieser  Redeweise  die  Bestimmtheit  der  Aus- 
sage hervor,  während  der  Potentialis  nur  die  Möglichkeit  an- 
gibt.   Dieser  Unterschied  gibt  sich  deutlich  Q  653  zu  erkennen : 

T(bv  et  xig  oe  l'öoiro  fioijv  did  vvxra  fieXaivav, 
amix1  äv  e£eiJioi  'Ayafiefivovi  noifievi  Xawv 
xai  xev  dvdßXrjoig  Xvoiog  vexgoTo  yevrjxai. 

Es  ist  begreiflich,  daß  hier  mehrere  Handschriften  (S  u.  a., 
auch  ein  Papyrus)  yevono  haben,  welches  sogar  A.  Ludwich 
in  den  Text  aufgenommen  hat.  Der  Gedanke  ist  „dann  ist  es 
mit  der  Auslösung  des  Leichnams  vorbei".  A  433  rj  xev  e/xco 
vnd  öovqi  jvnelg  dnö  dvfibv  bXeoor\g  haben  SGCZ  bXeooeig. 
I  386  geben  ebenso  die  meisten  und  besten  Handschriften  ovde 
xev  cbg  en  fivfibv  ifibv  jieloei  'Ayajuefivcov,  Bekker  u.  a.  schrei- 
ben Tieloei,  aber  die  Lesart  neiorj  in  CZ  entspricht  dem  Sinn 
des  Achilleus  weit  besser,  weil,  wie  La  Roche  bemerkt,  „der 
Optativ  mit  xev  eine  viel  zu  gemilderte  Ausdrucksweise  ist,  als 
daß  dieselbe  im  Munde  des  leidenschaftlichen  Achill  passend 
sein  könnte".  In  den  häufigen  Fällen  wie  efioi  de  xe  ravza 
fieXrjoercu  A  523  wird  der  Konjunktiv  Aorist  irrtümlich  als  Ind. 
Fut.  betrachtet.  S  239  %qvoeov  "Hcpaioiog  de  x'  e/uög  Jidig 
djuqpiywjeig  rev^ei  doxr\oag  könnte  zwar  auch  xe  .  .  rev^t]  für 
das  Versprechen  der  Hera  sich  eignen,  aber  nach  dem  dritten 
Trochäus   wird   man   richtiger  xe  mit  Herwerdeu  tilgen;    denn 


Textkritische  Studien  zur  Iliaa.  89 

auch  xe  gehört  zu  den  <  Wörtern ,  die  zur  Ausmerzung  des 
Hiatus  herhalten  müssen.  E  268  älX  i'0\  eyco  de  xe  xoi  .  . 
öcooco  hat  derselbe  Gelehrte  öcbco  hergestellt.  X  49  hat  Brand- 
reth  fj  xev  für  fj  t'  äv  (ajioXvoofxeft''  =  änoXvotöi.ied'1),  505  vvv 
de  xe  für  vvv  $'  äv  gesetzt,  da  äv  in  dieser  Redeweise  unge- 
bräuchlich ist;  ovx  äv  B  488,  T  54,  (3  240,  X  328,  517  ist 
nichts  anderes  als  oü  xev.  A  205  fjg  vjieoojiXhjoi  xdy£  äv  noxe 
dvjiidv  bXeoor],  wo  natürlich  die  meisten  Handschriften  die  an- 
rüchige Form  oXeooai  bieten,  hat  Leeuwen  f\  vneQonXhj  xdycx 
xev  hergestellt.  Mit  xe  wird  auch  Aushilfe  für  einige  Fälle 
eines  ungewöhnlichen  Konjunktivs  gewonnen:  H  197  ob  yäg 
xig  jue  ßirj  ye  (1.  xe)  excbv  äexovxa  dh]xai,  0  349  ovöe  vv  xov 
ye  (1.  xe)  .  .  XeXdymoi.  —  In  den  Stud.  z.  Od.  S.  89  ist  für 
Prophezeiungen  und  für  Vorhersagen  des  Zeus  xe  mit  Kon- 
junktiv statt  der  unbestimmten  Aussage  von  xe  mit  Optativ  in 
Anspruch  genommen,  z.  B.  ju  387  xcov  de  x"1  eycb  xdya  vfja  fiorjv 
aQyfjxi  xegavvcp  xvxftä  ßaXcbv  xedocof.il  (überliefert  ist  xed- 
oatui,  wie  %  7  M  allein  xv%cojiu  für  xv%oijui  gerettet  hat  oder 
wie  ü  717  M  u.  a.  äydyotjui  für  äydycoiu  geben).  Eine  Bestäti- 
gung kann  man  in  0  21  ff.  finden,  wo  Zeus  spricht: 

all"1  ovx  äv  egvocux"1  ei;  ovQav6vxev  Tteöiovöe 
Zrjv*  vnaxov   ih]oxojq\   ovo'  et  judXa  JioXXd  xdtioixe. 
aX)>    oxe  ö}]  xal  eycb  ngocpgcov  e&eXoifu  egvooai, 
avxfj  xev  yair\  eqvoaii^  avxfj  xe  •daXdoorj. 

Im  ersten  Vers  geben  zwei  Wiener,  eine  Breslauer  und  eine 
Pariser  Handschrift  eguo^x1  und  ov  xev  eQvorjx'1  ging  in  der 
attischen  Redaktion  begreiflicherweise  in  ovx  äv  egvoau  über. 
Die  Richtigkeit  dieses  Textes  wird  zufällisr  im  dritten  Verse 
dadurch  bestätigt,  daß  das  von  Aristarch  überlieferte  efteXcofii 
mit  öxe  xev,  welches  man  bei  Aristides  II  506,  Plut.  Hom.  94, 
Stob.  Anth.  I  21,  4  findet,  zusammentrifft.  Daraus  ergibt  sich 
auch  im  Hauptsatz  xev  yah)  egvoco/u'.  —  B  12,  29,  66  hat 
Zeus  hiernach  nicht  vvv  ydq  xev  eXoi  (e'Xoig),  sondern  eXij 
(e'Xtjg)  gesagt.  —  Auch  Hektor,  welcher  seiner  Gattin  voraus- 
sagt: Z  452 


90  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

ovze  xaoiyvtfxcov,  oX  xev  noXeeg  xe  xal  eoftkol 
iv  xovir\oi  neooiev, 

drückt  sich  besser  bestimmt  mit  jieocooiv  aus,  ebenso  im  Fol- 
genden 456 

xal  xev  iv  "Aoyei  iovoa  Trgög  äXXtfg  loxov  vcpaivr\g 
xal  xev  vdcog  qpooeflg. 

Den  Konjunktiv  vcpalvr\g,  cpoge?]g  hat  der  cod.  Vindob.  5,  an- 
dere geben  vcpaiveig  und  cpogeeig,  die  meisten  vqxzivoig  und 
cpogeoig.  Hier  wird  zufällig  der  Konjunktiv  geschützt  durch 
das  folgende  xal  noxe  ng  ebifjai,  wozu  sich  auch  xe  aus  dem 
Vorhergehenden  ergänzt.  —  Eine  Weissagung  liegt  in  der  Aus- 
sage der  Göttin  Thetis  I  416  ovde  xe  coxa  xeXog  ß-avdxoio 
xiyjji],  wo  man  gewöhnlich  nach  den  meisten  Handschriften 
xr/eh]  schreibt,  A  aber  mit  xiyeir\  den  Konjunktiv  bietet.  — 
Den  Unterschied  der  beiden  Redeweisen  ersieht  man  am  besten 
aus  i  325  reo  ov  xev  ddvaxöv  ye  dvyX.eyea  ngoqyvyijoßa:  so 
haben  G1M2U2  und  nur  mit  aller  Entschiedenheit  kann  Odys- 
seus  dem  Freier  den  Tod  in  Aussicht  gestellt  haben.  Die 
meisten  Handschriften,  denen  man  gewöhnlich  folgt,  geben 
xQocpvyoioüa.  Schon  der  Grundsatz,  daß  das  Gewöhnlichere 
weniger  wahrscheinlich  ist,  spricht  für  ngocpvyr\oda.  So  haben 
gleich  nachher  (392)  alle  Handschriften  etxotjui  für  sTthojui.  — 
Die  zahme  Erklärung  nglv  <5'  ov  nojg  av  ijuol  ye  cp'ikov  xard 
Äatjuöv  lelrj  T  209  ist  einem  Achilleus  zumal  in  der  gegen- 
wärtigen Stimmung  wenig  angemessen.  Die  abnorme  Form 
leh]  (für  Yoi)  bürgt  für  die  Emendation  Brandreths  ov  nebg  xev 
.  .  T/joir.  —  Ebenso  spricht  T  415  das  Roß  des  Achilleus  besser 
bestimmt  vcöi  de  xal  xev  äjaa  nvoifj  Cecpvgoio  vxecoluev  als  unbe- 
stimmt fteoitiev:  s.  oben  S.  35,  ebenso  Andromache  Ü  733  ob 
d'  av,  xexog,  rj  eiiol  avxfj  expeai,  evda  xe  egya  deixea  igyd^yai 
(für  egyd£oio). 

Die  sog.  Modusangleichung  (Stud.  z.  Od.  S.  90)  fordert 
in  N  335  cbg  <5'  off  vtio  Xiyecav  ävefxwv  ojiegycüoiv  äellai  ijuaxi 
rrö,  oxe  xe  nXeioxiq   xovig  d/icpl  xeXevffovg ,    wo  je  in  einem   Pa- 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  91 

pyrus  und  verschiedenen  Handschriften  fehlt,  6V  er].1)  Die 
Ausführung  des  Gleichnisses,  wo  dann  der  Indikativ  steht,  wird 
mit  de  oder  de  je  angeknüpft.  Deshalb  hat  im  folgenden  Heyne 
mit  Recht  oi  d'  für  oT  r  geschrieben.  Doch  ist  die  Beziehung 
richtiger  auf  äeXlai  als  auf  äveucor.  also  at  d\  —  Die  Modus- 
angleichung  beweist  auch  umgekehrt  0  410,  daß  man  dXX1  a>g 
re  ord&jLirj  dögv  vqiov  e£i&vv>j  rexrovog  ev  naXdiirjoiv  darjfio- 
vog,  ög  gd  re  .  .  eldf)  (iöerj)  für  efidvvei  zu  setzen  hat,  dient 
also  gleichfalls  zum  Beweise,  daß  in  Gleichnissen  der  Kon- 
junktiv  herzustellen  ist,  wenn  nicht  der  Indikativ  Aorist  steht. 
—  Zu  dieser  Regel  auch  in  betreff  des  mit  wg  ore  verbundenen 
Relativsatzes  (Stud.  z.  Od.  S.  95)  hat  sich  ein  interessantes 
Beispiel  in  9  306 

jiirjy.cov  d"1  cog  eregcooe  xdgi]  ßdkev,  r\  r   evi  y.)']7ico 
y.a.Q7up  ßgiüofievr]  vorirjoi  re  eagivfjoiv 

erhalten.  Man  ergänzt  gewöhnlich,  da  man  natürlich  der 
Aristarchischen  Erklärung  ßgidotuen]  dvri  rov  ßgiderai  nicht 
beistimmen  kann,  eari  zu  //  x1  evl  xrJ7iq),  hat  aber  auch  schon 
bemerkt,  daß  dieses  außerordentlich  matt  ist.  Aber  auch  die 
Ergänzung  yAgi]  ßdllet  kann  mit  77  406  nicht  gerechtfertigt 
werden,  wo  eXxei  durch  dvgat,e  ersetzt  wird.  Der  Fehler  liegt 
in  ßgtßotiev)].  Es  gibt  kein  ßgi&eodai,  sondern  nur  ßgideir, 
ßeßgi&ercu  und  ßgtdouevi]  ist  auf  ßeßgißy  zurückzuführen. — 
Für  die  Herstellung  des  Konjunktivs,  wenn  auch  die  Hand- 
schriften den  Indikativ  haben,  liefert  einen  Beweis  E  499  Sg 
Ö'  äveuog  (pogeei  .  .  öre  re  £av&r}  Arjjutjrrjg  y.givfl:  so  gut  es 
y.gh'7]  heißt,  muß  auch  cpogh]  stehen.  Freilich  bieten,  wie  nicht 
anders  zu  erwarten,  einige  Handschriften  (SM)  aush  y.givec, 
aber  xQivr],  wie  A  u.  a.  geben,  hat  von  vornherein  die  Wahr- 
scheinlichkeit für  sich;  außerdem  ist  tpogey  bei  Hesych.  unter 
ä%vr)  erhalten.  - —  In  P  434  aXX1  cog  re  trvrjXt]  fxevei  e/unedov, 
)j  t'  hz'  zvfißcp  dvegog  eorrjxet  hat  Hermann  eorfjxi]  emendiert; 


*)  So  ist  auch  X  74  a).V  öre  8i]  nohöv  ie  y.äoi]  .  .  aldöa  t'  aloyvvw- 
aiv,  wo  K>/  fehlt,  ot  ei]  und  77  157  kvxoi  ojg  d>(to<fäyoi,  xoioiv  re  jieqi  ygeolv 
uojisTog  alx>],  wo  jisqi  ungewöhnlich  ist,  xoioiv  r'  iverj  (pgsoiv  herzustellen. 


92  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

aber  dieser  Konjunktiv  hat  juevr]  zur  Voraussetzung,  wie  2"  208, 
wo  Hermann    tv\v    brjioi    &[MpijU,äxa>vrai    (für  -ovrai)  hergestellt 
hat,    im    übergeordneten  Satze    mit    cos   (5'  oxe   der  Konjunktiv 
Xurjtai  steht.    —    A  492  cos  b"1  öjioxe  nh'ftoiv  jioxajLiös  nebiovbe 
xurnotv  läßt  die  Lesart  von  Zenodot  bl)]xai  erkennen,  daß  xa- 
tu]  zur  Herstellung  der  gewohnten  Länge  bald  in  xdxeiaiv  bald 
in  dtrjtai  verändert  wurde.  —  Es  ist  bezeichnend,  daß  in  den 
vier  Gleichnissen  P  737  ff.  zwar  eXxcoo1  743  und  ngoibcooiv  756 
stehen  geblieben,    dagegen  tpAeyefrei  738,  Xoyei  750,  cpeqei  757 
überliefert  ist,   womit  sich  die  Annahme  bestätigt,  daß  beson- 
ders  die  Endung  -rj    der   unrichtigen  Umsetzung   ins  jonische 
Alphabet  ausgesetzt  war.    So  ist  nach  ei'  xev  X  350  oxijocoo'  er- 
halten geblieben,  dagegen  ävcbyrj  351  in  ävcoyoi  und  avcbyei  ver- 
ändert worden.    Nur  die  Endungen,  welche  Widerstand  leisteten, 
haben    eben   sich    durchgesetzt.  —  M  41    cos   <5'   6V  av   ev  xe 
xvveooi  xai  ävÖQaoi  &i]Qi]xt~]Qoiv  xäjzgios  rje  Xicov  oxqecpexai  gibt 
ein  noch  zuverlässigeres  Zeugnis  dafür,   daß  auch  in  der  Prä- 
sensform thematischer  Verba  die  Kürze  statt  der  Länge  mög- 
lich   ist.     Vgl.   Stud.  z.  Od.  S.  96.     Diese  Wahrnehmung    be- 
schränkt die  Fälle,  wo  bei  cos  ore  oder  im  Relativsatz  mit 
re,  der  das  Gleichnis  enthält,  der  Indikativ  des  Präsens  steht, 
auf  eine  ganz  geringe  Zahl.     N  572  habe  ich  in  den  Stud.  z. 
Od.  S.  95  äycooiv   verlangt;    wie    ich   jetzt  sehe,    steht  äycooiv 
bereits    in    einem  Papyrus    und    in    einigen  Handschriften  (G). 
Die  Regel    fordert   also   <&  22    cos  <5'  vnb    beXcpivos   fieyaxrjteos 
lyftves  äXXoi  (pevyovxes  nXijocooi  (für  jiijLwiXäöi)  fiv%ovg.  —  Wie 
/  551  ovbe  bvvavxo  xeiyeos  txxoo&ev  jui/xvetv  Aristophanes  ovo* 
e&eXeoxov  erhalten  hat,  so  ist  auch  2  161   cos  <5'  cltto  ocbfxaxos 
ov  xl  Xeovx"1  cti'&cova  bvvavxcu  jioijueves  •  •  dieoftat  so  recht  eine 
Stelle,    wo  bei  Homer  edelco  geläufig  ist,   sodaß  sich  ai'ftcov'' 
edeXcooir   empfiehlt.     Daß    163    ovx    eövvavxo    folgt,    hindert 
nicht.   —    Einen  Unterschied   machen  Gleichnisse,    welche  mit 
oTos  und  öooog  eingeleitet  werden  wie  oXt)  b"1  "Aqxsjuis  ehi  £  102, 
ohs  (5'  äoxrjQ  ehe  X  317,   ohs  .  .  juexeioiv  N  228,  ohv  be  xge- 
cpei    Eqvos    •  •  %löqco    ev    olonoXco   o   äXis   ävaßeßQo%ev ,    W  517 
öooov    bh   xqo%ov   itijios   äcpioxaxai ,    weil    hier   nicht  die  allge- 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  93 

meine  Handlung,  sondern  die  bestimmte  Gestalt  bzw.  der  be- 
stimmte Raum  verglichen  wird.  —  Da  sich  in  2  221  cog  <$' 
6V  ägi£r]fo]  cpojvrj,  öre  Xa%E  oälmyk'  nicht  yivtjrai  oder  eyevezo, 
sondern  eariv  ergänzt,  so  ergibt  sich  das  doppelte  öte  als  un- 
geeignet. Bei  wg  de  aQit,r\h\  cpcovrj  steht  der  Indikativ  wie  in 
dem  vorhergehenden  Fall,  da  das  Verhältnis  des  Prädikats  zum 
Subjekt  nicht  ein  unbestimmtes  oder  von  der  Erfahrung  ab- 
hängiges ist.  Zugleich  erhält  man  mit  diesem  tag  de  eine 
Stütze  für  die  Tilgung  von  äv  in  cog  <5'  6V  äv.  Denn  der 
Grund  für  die  Einschwärzung  von  6V  und  äv  ist  der  gleiche. 
In  den  oben  erwähnten  Beispielen  fällt  auf,  daß  gerade  bei 
elot  sich  der  Indikativ  findet.  Damit  stimmt  überein,  daß 
<Z>  573  ?]vt£  näodahg  eloi  und  in  den  zwei  Gleichnissen  X  23 
und  X  27  das  eine  Mal  ög  re  §ija  dh]ot,  das  andere  Mal  ög 
je  Ö7icoQt]g  ehiv '  steht.  Vgl.  auch,  r  61,  X  309  cog  t'  alexög 
vipmexrjeig,  ög  t'  eIoiv  xt§.  Man  müßte  hiernach  auch  B  88 
))vt£  £$v£a  etat  sich  gefallen  lassen,  wenn  nicht  e&ve"1  Vy-oi 
durch  den  Rhythmus  empfohlen  würde. 

4.  Das  Vorkommen  synonymer  Ausdrücke  und  gleich- 
bedeutender Wendungen  ist  wie  im  Texte  der  Odyssee1) 
auch  im  Texte  der  Ilias  häufig.  Z  61  z.  B.  gibt  A  mit  an- 
deren Handschriften  cog  eiticov  ticxqejieioev  äÖEXcpEiov  (für  äÖEk- 
(fEÖo)  cpQEvag  fjgcog  al'otjLia  naoEiTicov,  andere  und  zwar  gleich- 
falls bedeutende  Handschriften  haben  etqei£>sv  für  tiüqetieioev, 
wohl  wegen  ticioeiticov.  1 118  hat  A  öäeooe  für  ödjuaooE,  Z  195 
gibt  A  mit  anderen  y.alöv  (pvrahfjg  y.al  äoovoijg  nvoocpogoio, 
wie  M  314  alle  bieten,  andere  haben  für  nvoocpÖQoio  das  hier 
unnütze,  aus  Will  stammende  öcpoa  vejlioito.  7  601  geben  die 
einen  (ASG  u.  a.)  yaXEnbv  öe  xev  eXyj  vrjvolv  xatoßEvyoiv  äjuv- 
vejuev,    die   anderen  (BM  u.  a.)    xdxiov:    die  Wahl  ist  schwer; 


l)  Oft  schwanken  die  Handschriften  zwischen  äyogevoco  und  xaia- 
U£oi  und  die  Wahl  ist  nicht  immer  sicher.  Vgl.  z.  B.  m  287,  303,  Ä'413. 
X  417  wird  man  deshalb  lieber  evl  /.leyägoig  äyögevoov  als  mit  Nauck 
evi  /ueyuQcp  xardXs^ov  schreiben,  da  ohnedies  gleich  wieder  (420)  xazaXs^co 
folgt,  wie  u>  123  xaraXegco  deshalb  den  Vorzug  vor  dyogevaco  verdient, 
weil  ayooevsig  vorausgeht. 


'•»1  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

doch  scheint  xäxiov  gewählter  zu  sein.  —  N  624  hat  Leeuwen 
mit  egißgejuhao  (so  M,  die  anderen  egißgejuezew)  xaxtyv  für 
igißgejuixEO)  %aXenY\v  die  epische  Form  hergestellt.  —  2.  247 
geben  die  Handschriften  mit  Aristarch  ndvzag  ydg  e%£  zgo/uog, 
T  14  Mvgfjiidovag  $'  äga  jiävzag  eXe  zgouog.  Zenodot  hatte 
cpoßog.  Mit  Recht  hat  daher  Düntzer  A  402  zgouog  e'XXaße 
navxaq  für  (poßog  hergestellt.  —  /  551  ist  das  von  Aristo- 
phanes  gebotene  ovo'  e&eXeoxov  bezeichnender  als  das  hand- 
schriftliche ovöe  övvavzo.  —  Wenn  v  139  //  /tev  de/xvC  ävayyev 
r.-Toozogeoai  öfimfjaiv  ungewöhnlich  bei  ävcoyev  der  Dativ  steht, 
so  muß  es  gestattet  sein  das  in  solchem  Zusammenhang  ge- 
bräuchliche xexXefr'  an  die  Stelle  zu  setzen.  —  H  193  aXV 
äyer\  öcpg"1  äv  eyd)  TioXefirjia  tev%eo.  ovo)  steht  ganz  vereinzelt 
noXejtujia,  sonst  immer  ugi)ia.  Freilich  scheint  in  09001  äv  eyd) 
ys  dg/jia  zevyea  övco  ebenso  wie  in  T  339  ä>g  <5'  avzcog  Mt- 
veXaog  agrjiog  h>ie>  eövvev,  wo  das  Epitheton  äg/jta  bei  evzea 
zweckmäßiger  ist  (der  Papyrus  Hibeh  hat  ägijta,  das  Sub- 
stantiv fehlt)  einfach  der  Hiatus  die  Änderung  veranlaßt  zu 
haben.  —  /  103  =  314  avzdg  eycb  igeco  a>g  juoi  öoxei  eivai 
ägioza  hat  die  festsitzende  Kontraktion  von  doxel  Menrad  de 
contr.  et  syniz.  usu  Hom.  p.  139  mit  cbg  xai  öoxeei  /uoi  ägi- 
ozov  aufgehoben;  mir  scheint  die  Glosse  von  Hesych.  deazar 
doxel,  die  doch  offenbar  aus  Homer  stammt,  hieherzugehören. 
Auch  Leeuwen  hat  deaz*1  vermutet.  —  K  41 

vvxza  öl1  äjxßgoohjv  judXa  zig  ■&gaovxdgdiog  eaxai 

erwartet  man  ogcpvairjv  wie  83  (wo  auch  in  einer  Breslauer 
Handschrift  yg.  öi  di.ißgooirjv  beigeschrieben  ist),  276,  386, 
weil  der  Zusammenhang  ein  unerfreuliches  Epitheton  der  Nacht 
fordert.  Das  gleiche  ist  K  142  der  Fall,  wo  Schol.  A  yg.  xai 
ögcpvahjv  bietet.  —  K  88  geben  für  yvcooeat  Azgeiö?]v  einige 
Handschriften  elbsai:  da  elbeai  minder  gewöhnlich  ist,  muß 
man  elbeai  für  das  ursprüngliche,  yvcoaeai  für  das  erklärende 
Wort  halten.  Dies  wird  bestätigt  durch  Hesych.  ei'aeaf  yvcooij. 
Vgl.  Eustath.  elbeai,  zovzeozi  yrcooeai.  —  A  770  geben  die 
Haupthandschriften    xaz"1  Amanda  TiovXvßozeigav    oder    noXvßö- 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  9<J 

teigav,  der  cod.  Townl.  und  einige  andere  (auch  A  als  Va- 
riante) xaXXiyvvmxa :  TioXvßorsiga  ist  das  stündige  Epitheton 
von  yßwv ,  dagegen  xaXXiyvvaixa  von  "Ayadba.  Darnach  wird 
also  mit  Bekker  xaXXtyvratxa  zu  setzen  sein.  — -  In  A  713  xtjv 
(nämlich  Jtohv)  .  .  biaggaioai  jUEfiacöieg  und  733  äoxv  biaggai- 
oai fxe;iaoneg  überrascht  der  starke  Ausdruck  biaggaToai  (zer- 
schlagen, zerschmettern),  der  ganz  in  der  Rede  des  Telemach 
ß  49  olxov  (ijiavxa  ndyyv  diaggatoei  oder  B  473  (oTiyag  Tgcomr) 
an  seinem  Platze  ist.  Nun  geben  zu  733  BM  u.  a.  bianga- 
■&eeiv,  welches  auch  als  Variante  in  A  steht.  Mit  bianga- 
fteev  wird  an  beiden  Stellen  der  natürliche  Ausdruck  ge- 
wonnen. —  Schwer  ist  Q  322  die  Wahl  zwischen  yegcov  £e- 
arov,  wie  die  meisten  Handschriften  geben,  und  yegatög  eov, 
wie  in  A  steht,  doch  mit  yg.  yegcov  geozov.  Man  könnte  mei- 
nen, daß  mit  eov  der  Gegensatz  zum  Maultiergespann  hervor- 
gehoben werde;  aber  dieser  liegt  schon  in  bicpgog  und  ämjvrj. 
Für  ^eotov  sich  zu  entscheiden  wird  man  sich  durch  die  Wahr- 
scheinlichkeit bestimmen  lassen,  daß  bei  eov  eneß))oETO  b'upgov 
die  Erinnerung  an  N  26  mitgewirkt  hat.  —  ü  200  bietet  für 
äjLielßeTO  jiiv&cp  Aristarch  (hnjgero,  was  auf  dvelgero  hinweist. 
Ebenso  geben  b  631  F1C1  /.wdotoiv  ä/tsißojuevog  für  jlw&oioiv 
dveigojuevog.  Die  Aristarchische  Lesart  gibt  eine  zweite  Be- 
stätigung für  das  von  mir  b  706  hergestellte  ejieooiv  dvsigo- 
jUEvi]  (für  djiiEiß.). 

In  solchen  synonymen  Wendungen  sind,  wie  bereits  in  den 
Stud.  z.  Od.  S.  10  bemerkt  ist,  Reminiszenzen  der  Rhapsoden 
zu  erkennen,  denen  auch  viele  wiederholte  Verse  und  Inter- 
polationen zur  Last  fallen.  I  222  „änderte  Aristarch  nichts, 
obwohl  er  das  in  verschiedenen  Ausgaben  sich  findende  äip 
EJtdoavjo  für  passender  hielt."  Diese  Lesart  rührte  wohl 
von  den  Rhapsoden  her,  welche  sich  erinnerten,  daß  die  Ge- 
sandten vorher  im  Zelte  Agamemnons  bewirtet  worden  waren. 
Auf  das  Gedächtnis  der  Rhapsoden  ist  es  auch  zurückzuführen, 
wenn  A  141  =  n  348  vor  <5'  (dkl')  dys  rf]a  jiiEXaivav  igiiooo- 
jliev,  worin  das  Digamma  von  EgvooofiEv  unbeachtet  ist,  für 
vfja  #or/?'  TigoEgvooojiiEv  überliefert  ist,  wie  die  Wendung  A  308 


'.»f.  7.  Abhandlung:   N.  Wecklein 

lautet:  vija  dol/v  äXade  nooegvooev.  —  Zu  o&evög  paßt  das  Epi- 
theton   ovx    äXanaövöv   E  783,    0  463,    o  373,    zu   (ihog    das 
Epitheton  aoxexov,    ovx   imeixxov   E  892,   vgl.    juevog  e/xjiedov, 
ovx  imeixxov   t493:    wenn  &  32  die  Handschriften  o&evog  ovx 
imeixxov  für  ovx  alanahvöv  bieten,  so  ist  eine  solche  Vermen- 
o-uno-  auch  nur  der  Erinnerung  der  Rhapsoden  zuzuweisen.  — 
Zu  N  330  oei  (51  dbg  'Idop,evi)a  i'dov  cpXoyl  el'xeXov  äXx/jv,  avxbv  xal 
-äegdjxovxa,    ovv  evxeoi  öaidaXeoioiv  bemerkt  Schol.  A:  iv  äXXto 
,juaQjiiaiQOVTag'   und    so    lautet    der  Vers  77  279   avxbv  xal   fte- 
guTcovra,  ovv  evxeoi  juagfiaiQovxag:    öaidaXeoioiv   ist   eine  Remi- 
niszenz an  Z  418  äW  aga  /luv  xaxexiqe  ovv  evxeoi  öaidaXeoioiv, 
wo    das   Epitheton    in    zweckvollem    Gegensatz    zur    Handlung 
steht.  —  B  716  oi  <5'  aga  (vielmehr  av)  Mrj&ojvrjv  xal  Gavjua- 
xii}v  ivejuovxo  xal  MeXißoiav  e'xov  gibt  der  Papyrus  Hibeh  für 
das    überflüssige    und    aus    der  Erinnerung    an    vorhergehende 
Stellen  hervorgegangene  ivejuovxo  das  sehr  passende  Epitheton 
igaxeivrjv,   ebenso  T  283  xovgoi  'A%aimv  für  novxonögoioiv .  — 
E  363  bietet  der  Syrische  Palimpsest  (wenigstens  nach  der  An- 
gabe   von   La   Roche)    avxixa    ö'  iv   ngebxoioi   jaeya    jigoftogojv 
ixüeve,   die    anderen   Handschriften   geben    ixüevoev.     Jeden- 
falls würde  ixüevs  den  Vorzug  verdienen,  aber  die  ungewöhn- 
liche Verbindung    ev   ttqojxoioiv   ixüevev    sowie    fxeya,    welches 
mit  Unrecht   zu   ngodogtbv    genommen    wird,    zeigt,    daß    für 
exüevev  das  synonyme   iyeyojvev   zu   setzen   ist.   —  In   ßij  de 
xax'  'Iöalcov   ögetov  elg  "lhov  igrtv  A  196  =  0  169  ist  xaxä  an 
seinem  Platze;    infolge    der  Erinnerung   an   solche  Stellen   ist 
xaxä  auch  0  410  =  0  79  ßrj  de  xax    'Iöalcov  ögecov  ig  fiaxgbv 
"OXvpinov  eingedrungen.    Nach  dem  Scholion  zu  A  196  xal  öxi 
vvv  yganxeov  ,xar'  'Iöalcov  ögecov\    oxav    de    änb   xrjg  "Iöt]g   im 
xbv  "OXvfxnov    ßrj    <5'   e|  'Iöalcov    ögecov    im    juaxgbv  "OXv/d7iov' 
hat  Aristarch    an    den    beiden  Stellen,    wie   es    die  Natur    der 
Sache    fordert,    ßf]    &  e|  'Iöalcov   ögecov  im  /xaxgbv  "OXv/mov 
geschrieben.  —  0  227  ist  ve[xeoor}delg  vnoeitjev  nach  211  vepeo- 
oijdelg  vjtoeiiw  überliefert;  hier  aber  folgt  %eTgag  ifidg.    Bothe 
wollte    %egolv    ifiaTg    schreiben;    wahrscheinlicher    ist    es,    daß 
vnoei^ev   an    die    Stelle   von    äXeeivev   getreten   ist.    Vgl.  180 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  97 

vjie£aXeaodai  %eToag.  —  Ebenso  kann  in  O  258  äXV  uye  vvv 
mjievoiv  enoxgvvov  noXeeooiv  der  Dativ  bei  ejiotqvvm,  der  sich 
nur  in  einer  interpolierten  Stelle  x  531  findet,  nicht  richtig 
sein.  Das  entsprechende  Verbum  ist  6 /.ioxXyjoov.  —  Bei 
solchen  synonymen  Wendungen  bedeutet  Ähnlichkeit  der  Buch- 
staben nichts.     In  ö  557 

judgvaodai,  ng'iv  y1  r\e  xaxaxxdjuev  i)e  xaz    äxgvjg 
"IXiov  aiTieivi])'  eXeeiv  xxdo&ai  xe  noXixag 

erfordert  an  Stelle  von  eXeeiv  der  Sinn  das  Passiv,  wie  xxdoßai 
eine  solche  Bedeutung  hat.1)  Wörter  wie  Jisaseiv  oder  auch 
noch  iguxeiv  scheinen  eine  gewisse  Ähnlichkeit  mit  eXeeiv  zu 
haben,  aber  sie  werden  bei  Homer  nicht  von  der  Zerstörung 
von  Städten  gebraucht.  Der  richtige  Ausdruck  ist,  wie  auch 
xax"1  äxQqs  zeigt,  Tiegftai.  Vgl.  77  708  nöXiv  neg&ai  Tgcöojv, 
Q  729  nglv  ydg  jioXig  fjde  xax1  a.xgr\g  negoexai.  —  O  736  o  x1 
drögdoi  Xoiyöv  djuvvai  vermutet  Nauck  äjuvvoi  oder  äXdXixoi, 
um  die  bedenkliche  Form  duvvai  zu  beseitigen.  Da  0  539 
ASGL  u.  a.  ),oiybv  äXdXxot,  BMT  u.  a.  Xoiyöv  äuvvai  (schol.  A 
h  aXXco  ,Xoiybv  äjavvat),  <£  138  und  250  alle  Handschriften 
Xoiybv  äXdXxoi  bieten,  so  ist  auch  0  736  aXdXxoi  vorzuziehen. 
—  P151  geben  die  bedeutenderen  Handschriften  Sagjii-jdova 
.  .  xdXXineg  'Agyeioioiv  e2cog  xax  xvgixa  yeveo&ai,  andere,  dar- 
unter der  Lips.,  haben  oicovoloiv  für' Agyeioioiv:  es  kann  scheinen, 
daß  diese  Lesart  aus  /  271  xdXXinev  oicovoloiv  eXoog  xal  xvo/ua 
yeveo&ai  stamme;  aber  umgekehrt  muß  die  Stelle  der  Odyssee 
aus  unserer  Stelle  abgeleitet  und  deshalb  oicovoloiv,  welches 
dem  Pathos  der  Rede  des  Glaukos  vortrefflich  entspricht,  be- 
vorzugt werden.  —  Ebenso  fällt  P  176  mit  77  688  zusammen; 
also  hat  auch  die  Lesart  Aibg  xgeioomv  voog  i]s  Tieg  ävögog 
mehr  Gewicht  als  die  gewöhnliche  Aibg  .  .  voog  alyiö%oio.  — 
Die  mangelhafte  Überlieferung  in  X  322  xov  de  xal  äXXo  tooov 
fiev  e%ev  XQÖn  ydXxea  revp]  hat  zuerst  Döderlein  erkannt,   der 


1)  Herwerden  will  ?}e  aXmvai  für  ye  xaz'  uxgtjg  schreiben  und  den 
folgenden  Vers  tilgen,  Leeuwen  vermutet  ?}«  xazaxzdodat  für  >/e  xaza- 
xtÜiiev  und  xzäfisvai  für  xzdo&at. 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  7.  Abli.  7 


98  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

xal  in  xai'  zu  ändern  vorschlug.     Auch  Nauck  bemerkt  zu  xal 
äXXo:  verba  vitiosa.    Halbertsma  vermutet  nach  XV  454  og  rö  [ilr 
äXXo  tooov  <poivi£  esv  bestechend  tov  t<>  /iev  äXXo  tooov  xareye, 
Leeuwen  tov  ö"1  äXXov  tooov  juev  U-^e  xqöo.     Bei    der   ersteren 
Änderung  gefällt  xute^e   statt   des    undeutlichen    £'%?,    bei    der 
zweiten  die  Verbindung  von  äXXov  mit  %q6a.     Bei  allen  diesen 
Änderungen   ist   eines  übersehen,    die  Beziehung   von   tov   auf 
XQoa  im  vorhergehenden  Vers  eiooqoojv  xqou  xaXov,  ömj  el'gete 
juäXioToi.     Hiedurch   wird    der  Ausdruck   e%ev   %Qoa    unmöglich 
und  die  Heilung  der  Stelle  würde  unsicher  sein,  wenn  es  nicht 
für  den  deckenden  Schutz  von  Waffen  ein  bestimmtes  Verbum 
gäbe,    Qvojuai,    z.  B.  K  259    qveioi   {xvvhj)   de   xdov\    daXegöjv 
aityöjv,   II  799  xdoy  %aoi£v  te   jlietojjiov   qvsx>  A%iXXfjog   (tqv- 
(päXeia),  ^406  rw  ol  iovoäoßrjv  teqevü   %o6a.     Hiernach  muß 
der   ursprüngliche    Text    lauten:   tov    de   xal    äXXo    tooov   /uev 
eqveto   %äXxea   t£v%y]   {xal  gehört   mehr  zu  dem  zweiten  Teil 
etwa  in   dem   Sinne:    „an    dem   Leibe  ließ   auch    die   Rüstung, 
während  sie  das  andere  soweit  deckte,  eine  Stelle  an  der  Kehle 
bloß").  —  Sehr  gut  hat  in   1F226  fj/uog  <5'  iwocpoQog  elai  ydog 
eqecov    Em    yaiav   Brandreth    das    unbrauchbare    EWocpÖQog    mit 
äoT/]Q   ersetzt.  —  i  267  ist  mit  U  ijXfiojuEv  zu  schreiben,  wäh- 
rend  die    übrigen   Handschriften    Ixo^EfP   bieten    (Stud.  z.  Od. 
S.  44).     Damit  gewinnen  wir  die  Möglichkeit  einen  Anstoß  in 
A  227   ytjjuag  <5'  ex  daXdjuoio  jueto  xXJog  ixet   ^AyaiCov  ovv  ovo 
xal  ÖExa  vrjvoi  zu  heben.     Man  erwartet   „er  ging",  nicht   „er 
kam  dem  Rufe  nach",  also  ijX&ev,  wie  es  auch  N  364  heißt: 
off   Qa   veov  jioXe/uoio   jueto.   xXhog   elXr]Xov-&£i.   —   zi  170   geben 
die  Handschriften  al  xe   ^dv^g   xal   fiolgav   ävajzXrjorjg  ßiOTOto, 
in    den    Aristarchischen    Ausgaben    stand    tiot^ov   für    fiolgav: 
dem  anderweitigen  Gebrauch  von  ävanXrjoai  (xaxöv  ohov,  xi)Ö£a, 
uXyEa)    entspricht   juoTqov,   wenn   man  mit  Nauck  dav&Toto  für 
ßiÖTOio    setzt    (vgl.  ß  100  jlwIq'   oXorj    .  .    davaToio).    Über    die 
Vertauschung   von    ß'toTog  und  ddvaTog  s.  o.  S.  9  f.     Da   /ioTga 
auch   für   sich   das  Todeslos   bezeichnet,  z.  B.  w  29,  gewinnen 
wir  ebenso  für  ^1263   mit   /uoigav   (für  jiotjuov)   ävajiXijoavTe. 
eövv  doiiov  'Aidog  eI'ooj  die  richtige  Redensart.  -  -  Ein  geläufiger 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  99 

Ausdruck  ist  ygeol  /ualvexai  oder  cpgeol  juaivofievfloi  (Q  114). 
In  Erinnerung  daran  ist  (poeoi  juaivexai  ovx  dya&f/oiv  &  360 
entstanden,  worin  fiaivexai  neben  dya&fjoi  sich  widerspruchs- 
voll ausnimmt  abgesehen  davon,  data  juaiveo&ai  als  Aussage 
der  Athene  von  Vater  Zeus  das  erlaubte  Maß  übersteigt,  wäh- 
rend es  im  Munde  der  Hera  nicht  ungewöhnlich  wäre.  Das 
richtige  Wort  wird  durch  y  266  yoeol  yäg  xexQrjx'1  äya&fioiv 
an  die  Hand  gegeben:  (pgeol  xe^Qt^x"1  ovx  dya&fjoiv  ziemt  der 
Tochter  eher.  —  In  den  Worten  des  Achilleus,  mit  denen  er 
der  strafenden  Rede  des  Aias  erwidert  /  645 

ndvxa  xd  (für  xi  Bentley)  /uoi  xaxd  fivjuöv  eeioao  juvütjoaodai ' 
dXXd  juoi  olödvexai  xgaöifj  %6Xqj  xxe., 

liegt  ein  innerer  Widerspruch:  „Du  hast  meinem  inneren  Emp- 
finden gemäß  (vgl.  äooavxeg  xaxd  fivjuov  A  136)  gesprochen; 
aber  die  Galle  kocht  mir  im  Leibe".  Er  kann  nur  sagen:  „Es 
ist  alles  gut  und  schön,  was  du  gesagt  hast,  aber  mein  Inneres 
bäumt  sich  auf  nachzugeben",  also  ndvxa  xd  juoi  xaxd  aloav 
eeioao  fivdt'joaodai,  wie  es  P716  heißt:  ndvxa  xax"1  aloav  eeineg 
oder  wie  nach  einer  Strafpredigt  des  Hektor  Paris  kleinlaut 
sagt:  "Exxoq,  inei  jus  xax1  aloav  eveixeoag  ovo''  vneg  aloav  Viel- 
leicht ist  hier  nicht  der  Hiatus  an  der  Änderung  schuld,  son- 
dern ist  zunächst  aloav  vor  eeioao  verloren  gegangen.  —  Die 
Emendation  von  Bentley  xglvag  jufjXa  (für  xgivdjuevog)  in  A  697 
el'Xexo,  xgivag  jurjXa  xoirjxooi  (xoiaxooi)  fjde  vof.ifjag  hat  in  den 
Ausgaben  keine  Aufnahme  gefunden,  obwohl  sie  durch  di6 
Quantität  von  xqlrjxöoia  sichergestellt  ist.  Vgl.  cp  19  /.irjXa  .  . 
vrjvol  noXvxXfjioi  xqiijxooC  fjde  vo/iyag.  —  Eine  hochinteressante 
Stelle  ist  für  uns  P489  ovx  äv  eq)OQjurjvxevxe  ye  vä>i 

xXaTev  evavxißiov  oxdvxeg  /na%eoaodai  "Aqyji. 

Nach  der  einen  Erklärung  soll  der  Akkusativ  ecpogjtujdevxe  voji 
abhängig  sein  von  xXalev.  „sie  dürften  nicht  den  Ansturm  von 
uns  beiden  aushalten "  (ög  xe  evavxißiov  oxdvxeg  jua%eoao&ai 
"Aqvji  (in  Kampfwut).  Diese  Erklärung  ist  abstrus,  man  darf 
sagen,  unmöglich,  ganz  zu  schweigen  von  dem  bei  jua%eoao&ai 
überflüssigen  Aorji.     Nach    einer   anderen   Erklärung    schwebt 

7* 


100  7.  Abhiindlunsr:  N.  Wecklein 


B 


bei  eqx)Q[i)]&evze  vcbi  xXaXsv  ein  Wort  wie  juslvai  vor,  wofür 
dann  jua%eoao&ai  eintritt,  welches  den  Akkusativ  nicht  regieren 
kann.  Hierin  liegt  ein  richtiger  Gedanke,  nur  ist  die  Annahme 
der  Vertauschung  des  Verbums  willkürlich.  Nach  einer  dritten 
Auffassung  soll  vcbi  von  Ecpogjurj^EvxE  abhängig  sein;  aber  nach 
dem  Zusammenhang  kann  eqpoQjuytievTe  nur  von  den  angreifen- 
den Helden  Hektor  und  Aneas  gesagt  sein.  Was  der  Sinn  und 
Zusammenhang  erfordert,  ergibt  sich  aus  A  534  oude  xig  Exlr\ 
juslvai  E7iEQ%6{xevov,  all"1  ävzioi  eozav  äjtavxeg  oder  77  814  ovo' 
vjiEfiF.ivev  IldxgoxXov  .  .  iv  di]ioT}~]xi  oder  P  174  Aiavta  tzeXlo- 
giov  ovy  vjzojuEivai.     Wir  müssen  schreiben: 

rXaiEv  Evavxißiov  oxdvxEg  vtzo/lieivcxi  vAgrji. 

Nun  steht  auch "Aqiji  zweckmäßig:  „im  Kampfe  standzuhalten". 
Vielleicht  hat  die  lang  gebrauchte  Endsilbe  von  oxdvxsg  bei 
deii»Änderung  mitgewirkt.  —  Unverständlich  ist  die  Redensart 
juivvv&a  ök  yd^Exo  dovgög  in  A  539  iv  ds  xvdoijuov  ijxe  xaxbv 
AavaoZoL,  juivvvfta  dk  yd^Ezo  dovgög.  Die  Erklärung,  welche  das 
Scholion  gibt:  exei&ev,  ojiov  y\v  6  Al'ag,  sXaooov  öogazog  ßoXfjg 
ävE%d>QEi  scheitert  schon  daran,  daß  juivvv&a  niemals  eIoloöov 
bedeutet;  ^d^ea'&e  judyijg  O  426  läßt  sich  nicht  mit  yd&oftai 
dovgög  vergleichen.  Auch  Aristarch  hat,  scheint  es,  mit  dov- 
gög nichts  anfangen  können  und  deshalb  dovgl  geschrieben, 
was  aber  auch  in  keiner  Weise  befriedigt.  Eine  passende 
Redensart  liefert  77  736  ovdk  dijv  ydCsxo  cptoxög,  worin  ovöe 
öi)v  dem  juivvvfta  parallel  steht.  Nehmen  wir  jLuvvvfta  dk  yd- 
t,Exo  cpcoxög  auf,  lassen  die  aus  264  f.  stammenden  V.  540  f. 
und  den  in  den  Handschriften  fehlenden  V.  543  weg,  so  er- 
halten wir  einen  richtigen  Zusammenhang:  „Nur  für  kurze 
Zeit  hielt  er  sich  fern  von  einem  Helden,  d.  h.  immer  wieder 
faßte  er  einen  Feind.  Nur  dem  Kampf  mit  Aias  wich  er  aus. 
Zeus  aber  erweckte  dem  Aias  Gedanken  an  Flucht."  —  In 
M  28,  wo  von  der  Zerstörung  des  Lagerwalles  die  Rede  ist, 
avxög  <5'  ivoöiyaiog  Eytov  yEigEooi  xgimvav  )))'eex\  ex  <5'  uoa  ndvxa 
fisfiEfaa  xvjuaoi  tiejujie  cpixgun'  xal  Xacbv  muß  der  Ausdruck 
jzejutie,    der    „spülte   heraus"    u.  dgl.    bedeuten  soll,   in  hohem 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  101 

Maße  befremden;  das  richtige  Wort  ist  bei  Cornutus  23  er- 
halten: %eve  &vQa£e,  doch  wird  xvjuaoi  zu  erhalten  sein:  xv- 
juaoi ibvev.  —  77  414  =  77  580  xdnneoev,  äfxcpl  de  /uiv  ■&&- 
vaxog  %vxo  dvfioQQaioj^g  gehört  fxiv  zu  den  naheliegenden 
Wörtern:  N  544  äfiy)  de  oi  ßdvaxog  yvxo  DvjiiooQaioxrjg  zeigt, 
daß  äficpi  de  ol  zu  setzen  ist.  —  In  dem  Formelvers  (hg  o'i 
/.ikv  fidgvavro  dejuag  Jivgög  alßouevoio  ist  das  Feuer  das  Bild 
der  Zerstörungswut,  wie  es  Schiller  nachgeahmt  hat:  „Die 
Fürchterliche,  die  um  sich  her  wie  die  Brunst  des  Feuers  raset." 
Eine  gleiche  Bedeutung  hat  cpXoyl  ei'xekog,  z.  B.  5^423  ävxiog 
rjXfP '  3A%ikrji  o£v  öoqv  xoaddcov,  cpXoyl  el'xelog,  oder  yXoyi  looi 
N  39.  Eine  andere  Vorstellung  weckt  der  Ausdruck  ovl  eI'xe- 
Xog  äXxty  (einem  Eber  an  Wehrkraft  gleich)  Ä  258,  P281. 
An  zwei  Stellen  N  330  und  2  154  begegnet  uns  der  aus  beiden 
vorhergenannten  Ausdrücken  gemischte  Ausdruck  cpXoyl  eYxeXog 
dXxrjv.  Da  dem  Feuer  keine  äXxt]  beigemessen  werden  kann, 
so  müssen  wir  die  Lesart  Zenodots  zu  2  154,  welche  die  Kata- 
chrese  beseitigt,  ovi  el'xeXog  dXxr\v  würdigen  und  auch  auf 
N  330  übertragen :  eine  verkehrte  Reminiszenz  hat  den  Fehler 
hervorgerufen.  —  71  56  'Axgetörj,  1)  d'o  xi  to<5'  äfxq>oxEQOioiv  (viel- 
mehr djucpozEQoiiv)  ägsiov.  die  abweichende  Lesart  der  Mas- 
sirischen Ausgabe  ä/uEivov  spricht  für  die  schöne  Lesart  der 
Chia  övEictQ,  aus  welcher,  nachdem  ovei  nach  ouv  verloren  war, 
uqeiov  entstanden  sein  kann.  —  Die  Stelle  E  663  oT  [iev  d'o' 
ävri&Eov  ZagTiifdova  dToi  exolqoi  e^eq)EQov  tzoXJjuoio'  ßdgvve  de 
fiiv  Öoqv  juaxQÖv  eXxoixevoV  xb  fxev  ov  xig  Ejzsqpgdoax'1  ovök  vo- 
rjoEv  jurjQov  i^Eovoai  öoqv  jueXivov,  0990'  imßair]  leidet  an  einem 
inneren  Widerspruch:  wenn  der  Verwundete  getragen  wird, 
wird  er  nicht  geschleift.  Sie  trugen  ihn  nicht,  sondern  schleiften 
ihn;  hätten  sie  die  Lanze  herausgezogen,  so  hätte  er  gehen 
können  (ßjitßaitj).  Für  e^ecpeqov  muß  es  also  e^eXxov  geheißen 
haben;  e^e^eqov  ttoXJjuoio  ist  gleich  nachher  (669)  an  seiner 
Stelle.  —  Ebenso  scheint  der  logische  Zusammenhang  der  Ge- 
danken mangelhaft  in  E  350,  wo  Diomedes  der  Aphrodite  zu- 
ruft: „Fort  von  Krieg  und  Kampf!  Genügt  es  dir  nicht 
schwache  Weiber  zu  beschwatzen? 


102  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

el  de  ov  y1  eig  uiolafxov  ncoXrjoeai,  x\  xe  o'  ötü) 
Qiyijoeiv  7i6?ie/uov  ye,  xal  el'  %'  exegoofti  nv&rjai." 

Der  Gedanke  „wenn  du  (ov  f  d.  i.  du  wäre  hierbei  nicht 
brauchbar,  sondern  nur  ab)  oft  in  den  Krieg  ziehen  wirst, 
o-laube  ich  fürwahr,  du  wirst  dich  entsetzen,  wenn  du  nur  von 
einem  Krieg  anderswo  hörst"  ist  unlogisch.  Man  hat  ov  ov 
f  ex'  .  .  jzcohjoeai  (Hartman)  oder  fje  ov  f  .  .  JiojXrjoeat;  (Leaf) 
vermutet.  Der  Gedanke  „fürwahr,  ich  denke,  schon  von  Krieg 
in  der  Ferne  zu  hören  wird  dir  Gruseln  verursachen"  ist  eine 
Steigerung  zu  „du  wirst  dich  hüten  dich  oft  in  den  Krieg  zu 
begeben",  also  ovöe  ov  /  eig  noXeuov  n(ßh]oeai-  fj  xe  o'  öico. 
—  T160  ist  das  von  Nauck  nach  Konjektur  gesetzte  und  für 
den  Sinn  erforderliche  Jifjjua  yevoixo  (für  Xinoixo)  schon  bei 
Eustathios  vorhanden.  —  Der  Grieche  sagt  xoaxioxov  naxqbg 
'EMrjvmv  xqayeig  (Soph.  Phil.  3),  nicht  arögog.  So  heißt  es 
auch  5  113  xcaxQÖg  <5'  e|  ayadov  xal  iycb  yevog  evxojuai  ehm. 
Deshalb  muß  man  sich  <p  335 

naxQÖg  <5'  e£  ayadov  yevog  ev^exai  e/Lijiievai   vlog, 

wo  die  Handschriften  zwischen  naxoög  (GHP)  und  dvdgog 
(FMU)  schwanken,  für  naxgog  entscheiden.  Aber  nach  yevog 
eufievai  ist  vlog  nicht  bloß  überflüssig,  sondern  lästig,  wäh- 
rend Penelope  schicklicherweise  hervorhebt,  daß  sie  es  von  ihm 
selber  weiß:  ev%exai  e/xfievai  avxog.  —  #490  schließt  Sarpedon 
seine  Strafpredigt  gegen  Hektor  mit  den  Worten: 

ool  de  %QV  T<*0£  ^dvxa  fieXeiv  vvxxag  xe  xal  y/vtQ, 
dgxovg  Xiooojnh'co  xrjkexbjxojv  emxovQOiv 
vojXe/uecog  e%eitev,  xoaxeQtjv  (5'  anodeoftai  evmrjv. 

Man  erklärt  dno&eo&ai  evtmfjv  „Drohung  unterlassen"  (sich  ab- 
gewöhnen) ohne  sagen  zu  können,  wo  Hektor  sich  eine  Dro- 
hung oder  ein  Schelten  oder  herrisches  Wesen  habe  zuschulden 
kommen  lassen.  Mit  Recht  wird  im  Anhang  von  Ameis-Hentze 
bemerkt,  daß  nach  Homerischer  Anschaulichkeit  der  Begriff 
„von  sich  ablegen"  nur  von  Dingen  gesagt  sein  kann,  die  je- 
mand   anhaften    oder   ihm    angehängt   sind.      Dort    wird    auch 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  103 

die  Beobachtung  von  Funk  erwähnt,  nach  der  evmrj  bei  Homer 
nicht  Schelten,  sondern  Gescholtenwerden  bedeutet.  Aber  eben 
diese  Bedeutung  kann  nur  in  abstruser  Weise  als  ein  Schand- 
fleck, der  anhaftet  und  den  Hektor  „von  sich  abtun"  soll,  be- 
trachtet werden.  Die  Verbesserung  von  Funk  vjioöeyfiai  gibt 
einen  passenden  Sinn  („über  dich  ergehen  lassen"),  aber  un- 
gleich passender  ist  und  näher  liegt  äXeao&ai  („meiden",  „aus- 
weichen", „dich  davor  hüten").  Nebenbei  bemerkt  schwanken 
die  Handschriften  auch  X  582,  624  zwischen  xgaxegög  und  ya- 
lejiog:  die  Handschriften  GPU,  welche  xgaxegög  bieten,  haben 
mehr  Ansehen  als  FHM;  in  der  Stelle  der  Ilias  fehlt  die  erste 
Hand  von  A  und  so  wird  man  sich  gegen  A2G  {yaXemjv)  mit 
BMST  gleichfalls  für  xgaxegy\v  zu  entscheiden  haben.  —  Ein 
unfrommer  Gedanke,  als  ob  Götter  den  Menschen  verhaßt  sein 
dürften,  liegt  in  7158  'Aiörjg  rot  djLielXiyog  i}(5'  dddjuaoxog'  xov- 
vexa  xat  xe  ßgoxöioi  deibv  ey&ioxog  dndvxoiv.  Nur  der  Hades 
wird  gehaßt  (I  312  eyßgog  ydg  jlwi  xeivog  öjucog  'Aidao  TivXrj- 
oir  xxe.).  Daß  die  Überlieferung  fehlerhaft  ist,  zeigt  xal  re, 
womit  sonst  immer  ein  neuer  Gedanke  an  das  Vorhergehende 
angeschlossen  wird  („und  auch").  Vgl.  Ameis-Hentze  Anhang 
zu  S  484.  Dies  berechtigt  uns  für  xe  ein  anderes  Wort  zu 
setzen,  durch  welches  zugleich  deön>  verdrängt  wird.  So  er- 
halten wir  (nach  A  250)  xouvexa  xal  juegöjteooi  ßgoxolg 
eydioxog  ändvxiov.  —  Den  Worten  II  736  f/xe  <3'  egeiodfievog  ovde 
ötjv  yd^exo  cpojrog'  ovo"1  uXicooe  ßeXog,  ßdXe  <3'  "Exxogog  (p'ioyija 
(voraus  geht:  „Patroklos  hatte  in  der  linken  Hand  die  Lanze, 
mit  der  rechten  faßte  er  einen  spitzen  Stein")  ließe  sich,  wie 
Fäsi  bemerkt,  ein  passender  Sinn  abgewinnen,  wenn  man  br\v 
auf  den  Raum  beziehen  könnte  „und  nicht  weit  blieb  er  ent- 
fernt von  dem  Manne".  Da  dies  nicht  möglich  ist,  muß  der 
Fehler  in  fjxe  liegen.  Wenn  der  Stein  bereits  geschleudert 
ist,  hat  ovde  ötjv  ydt,exo  keinen  Sinn.  Es  muß  also  eine  vor- 
her gehende  Handlung  angegeben  sein,  d.  h.  es  muß  TifjXs 
oder  vielmehr  ndXXe  heißen.  Vgl.  E  302  o  de  yeg^iddiov  Xdße 
yeigi  .  .  o  de  /luv  gea  ndXXe  xal  olog.  xoJ  ßdXev  xxe.  —  Ein  Rätsel 
gibt  die  —  freilich  wohl  unechte  —  Stelle  M  340  xoooog  ydg 


104  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

xti'jzoq  t\ev  .  .  ßaXXoßevcov  oaxicov  .  .  xal  nvXemv'  näocu  ydq 
Emoyaxo ,  toi.  d?  xax"1  avxdg  iorn/ievoi  jieiqwvxo  ßirj  Qrj^avxeg 
eoeX&eTv  auf.  So  bietet  A  mit  Aristarch,  der  näoai  mit  oXcu 
tov  yäg  yoav  ixollal  nvXai,  äXXd  uia)  und  Inoryaxo  mit  ent- 
xexXiuevai  fjoav  erklärt.  Zenodot  hatte  ndaag  ydo  inco/ero, 
wozu  fj  ävx))  Subjekt  sein  soll.  Mit  diesem  Sinn  und  dem  Zu- 
sammenhang konnte  sich  wohl  nur  Zenodot  befreunden.  Wir 
müssen  uns  also  an  die  Aristarchische  Lesart  halten.  Wie  aber 
kjxcoyaxo  oder  Inöryaxo  (so  G2  und  einige  andere)  zu  lnh/(o 
o-ehören  und  „war(en)  geschlossen"  bedeuten  soll,  wird  kaum 
jemand  erklären  können.  Wackernagel  leitet  tnoryaxo  von 
ijioiyvvfu  her,  indem  er  diesem  nicht  die  Bedeutung  von  „öffne", 
sondern  von  „stoße  zu"  gibt.  Diese  Erklärung  ist  gekünstelt 
und  widerspricht  dem  sonstigen  Gebrauch  von  ol'yvv/u  (öfiyvv- 
fu).  Demnach  bleibt  nur  der  Weg  der  Textänderung  übrig. 
Nahe  liegt  Eftoyaxo   Äwar(en)  verrammelt". 

5.  Auf  die  Modernisierung  des  Homerischen  Textes 
wirft  ein  Licht  J.  Wackernagel  „Die  attische  Redaktion  des 
Homertextes"  Glotta  VII  S.  161  ff.  mit  der  Beobachtung,  daß 
ß&v  H  238,  welches,  wie  schon  Joh.  Schmidt  bemerkt  hat,  dem 
altindischen  Akkusativ  gäm  entspricht,  nur  deshalb  unange- 
tastet geblieben  ist,  weil  es  die  Attiker  in  der  Bedeutung 
„Schild"  nicht  mehr  kannten,  oder  daß  ngodoxrj  A  107  sich 
im  Text  erhalten  hat,  weil  im  Attischen  jzgodoyj]  nicht  vor- 
kam. Was  dort  über  ÖEyoftai  (ösx-)  gesagt  ist,  dessen  Aspira- 
tion auf  attischen  Einfluß  zurückgeführt  wird,  läßt  sich  auch 
auf  xdtofjuu  übertragen.  Nicht  ist  xexdöovxo  (wichen  zurück 
A  497)  an  die  Stelle  von  xEydöovxo  getreten,  sondern  umge- 
kehrt hieß  yd^ofiai  von  xad-  ursprünglich  xd&fiai  (xdöjo^im) 
und  der  Zuruf  des  Apollon  E  440  lautete  mit  Assonanz  und 
Alliteration  cpQa&o,  Tvdetdr),  xal  xdt,to.  Zu  xad-  gehört 
Hsxtjda  (Hesych  Exextjdei'  vnEywQEi)  und  der  durch  die  Redu- 
plikation faktitiv  gewordene  Aorist  xexadov  „machte  von  einer 
Sache  weichen",  „beraubte"  (rovg  ßvjnov  xal  yvyfjz  xexaöwv 
A  334),  dazu  xExadtjoco  „werde  berauben"  (jioXXovq  ydg  xöds 
xo£ov  ägioxrjac;  xexadrjoei   ftvuov  xal  yvyfjg  cp  153).     Das  Prä- 


Tpxtkritische  Studien  zur  llias. 


105 


sens  y.)]d(»  =  cedo,  welches  Lobeck  zu  Buttmann  A.  Gr.  II2  322 
neben  ya'Qw  annimmt  und    welches   noch    allenthalben    in    den 
Lexika   eine  Rolle  spielt,   hat  es  nicht  gegeben.     Auch  Kuhn 
Zeitschr.  I  S.  95  läßt   von   xrjdco    neben    der  Bedeutung   „ver- 
nichte, beschädige"  die  Bedeutung  „beraube"  bestehen.    Ebenso 
Curtius  Etym.  S.  2425  („xexadtov  kränkend,  beraubend").    Ein 
solcher  Übergang  der  Bedeutung  ist  für  den  denkbar,  der  die 
Möglichkeit  annimmt,  daß  änoogaim  (öalco,  diaggaioj  zerschmet- 
tere)   a  404,   n  428   die  Bedeutung    „beraube"    erhalten  kann- 
Vgl.  Stud.  z.  Od.  S.  23.     Das  Mißverständnis    liegt   schon    in 
der  Glosse    des  Hesych  xexadfjaai'   ßXdxpai,  orsQfjoai   vor.     Die 
Glosse    y.ey.adrjoai   bezieht   sich   augenscheinlich    auf   die    ange- 
führte Homerstelle    und   ist   in   xexadijoei-  oreo)]oei  zu  ver- 
bessern.   Daneben  ist  ein  xrjdfjaar  ßXdymi  denkbar,  welches 
zu  yJ]öo)  (vgl.  y.rjdog)   „setze  in  Sorge,  betrübe,  quäle,  kränke, 
schädige,  verletze"  gehört.     Dieses  y.rjöco  (Fut.  xi]d)']ooj  Q  240, 
xexrjda  „bin  in  tiefer  Trauer"  Tyrt.   12,  28  ägyattco  ts  no$<p 
näaa   xexrjde   jioXig),    xrjdofiai    „bin   besorgt,   bekümmert"    hat 
mit    yd^ofiai,    xexrjda,    xexaöov,    xsxado/A,r]v,    xexadtfow    nichts 
gemein.     Das    jtocotov   y>evdog   aber   liegt   vor   in  &  353   oXXv- 
ixevoiv    Aava&v    xsy.adt]o6jueda,    wo    es    ebenso    xi]öi]o6ue'&a 
heißen  muß,  wie  es  Q  240  xt]d>joovT£g  heißt.  —  M  372  zoTg  <5' 
äjLia  Tlaröicov    Tsvxqov    <peoe   xaunvXa   zofa   hat  Aristarch    als 
interpoliert    erklärt.     Sehr    gut   hat   Christ   in    seiner  Ausgabe 
Prol.  142   in  ro7g  einen  Beweis  für  den  attischen  Ursprung  des 
Verses  erkannt.  —  Über  manche  Formen,  welche  Wackernagel 
auf  attischen  Einfluß   zurückführt,    wird   sich    vielleicht    eine 
andere  Ansicht  geltend  machen  lassen.     Die  Verlängerung  der 
Mittelsilbe  in  Xvei  rj  74  dvögdoi  vslxea  Xvei,  in  Xvev   ?F513  Xvev 
vcp    innovg,  in  &ue  o  222  dve  &  'Aftrjvr],  in  firjvisv  ß  769  ocpg' 
"Äxdeve   firjviev    entspricht    dem    allgemeinen    Gesetz,    daß    die 
Silbe  durch  die  Hebung  verlängert  wird  (Stud.  z.  Od.  S.  71  ff.). 
Es  fragt  sich  nur,  ob  man  Xvev,  &vs  zu  akzentuieren  hat  oder 
vielmehr    Xvev,    §ve,    auch    Xvxo    <5'  äytbv   Ü  1,    da    die    Länge 
nicht  in  der  Natur  des  Vokals,  sondern  rhythmisch  begründet 
ist.     Die  Rücksicht  auf  das   angeführte  Gesetz   gestattet   auch 


106  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

nicht  edyi]  A  559  als  eine  Wirkung  der  attischen  Homerrezen- 
sion anzusehen.  —  Die  Änderung  von  cooi  in  eloi  co  491,  die 
Kirchhoff  vorgenommen  hat.  wird  durch  den  Sinn  durchaus 
empfohlen.  —  Über  die  Form  e/LiioyeoxovTo  v  7  vgl.  Stud.  z.  Od. 
S.  30.  —  Von  den  fünf  Stellen,  in  welchen  die  Endung  flot  im 
Konjunktiv  des  ersten  Aorist  vorkommt,  gehören  drei:  oxqv- 
vt-joi,  e/unvevoflot,  äjioorgeynjoi  O  59,  60,  62  einer  von  Aristo- 
phanes  und  Aristarch  angenommenen  Interpolation  an  und  sind 
zu  den  Kennzeichen  der  Unechtheit  zu  rechnen.  In  A  191 
(pdg[ia%\  ä  xev  navorjoi  jueXaivacov  ödvvdwr  billigt  Wacker- 
nagel die  Änderung  von  Madvig  und  Herwerden,  die  sich  auch 
in  der  Handschrift  X  findet  jiuvoi]  oe  wegen  „schlechter  Stel- 
lung der  Enklitika"  nicht.  Das  mag  sich  verhalten  wie  es 
will;  da  das  Pronomen  überflüssig  ist,  kann  bei  dem  ewigen 
Schwanken  der  Handschriften  zwischen  Formen  von  naveiv 
mit  oder  ohne  o  z.  B.  n  405,  433,  jT434  jiavsoßcu —  jiavoeodat 

—  jravoaoftai  nicht  das  geringste  Bedenken  gegen  jiavtjoi  be- 
stehen. Das  gleiche  gilt  von  Exne/bHpyoi  o  336.  Die  Stud.  z. 
Od.  S.  82  angeführten  Stellen  sind  nicht  die  einzigen,  in  denen 
das  gleiche  Schwanken  beobachtet  wird;  also  ist  exnefMfjoi 
zu  schreiben.  Es  bleibt  also  nur  änayyeihjoi  6  775  übrig. 
Da  die  älteste  Handschrift  G  vor  der  Korrektur  änayyeXrjoi 
hatte,  so  ergibt  sich  auch    hier    die  Änderung    änayyeXl\]oi. 

—  „Attischen  Ursprungs  verdächtig"  sind  reo  und  cxpio  im 
Nominativ  und  Akkusativ  für  vcbi  und  oytbi  E  219,  A  782, 
JV  47.  Wenn  sich  vcbi  51mal  findet,  so  kann  das  nur  E  219 
tiqiv  y1  em  reo  rxpö''  dvögl  vorhandene  reo  nicht  richtig  über- 
liefert sein.  Eine  Pariser  Handschrift  gibt  auch  vcbi  und  vor 
allem  bietet  die  gute  Handschrift  S  reo  für  tcoS\  worin  der 
sehr  begreifliche  Grund  des  fehlerhaften  Textes  liegt:  vcbi  reo 
dvSgi  muß  feststehen.  A  782  oepcb  de  fiaX  t)deXerov,  toj  d' 
u/Atpco  nöXV  enereklov  ist  die  Emendation  von  Leeuwen  ocpcbi 
(xaK  dor  von  Brandreth  ocpcbi  jtiev  yfieXerov  vorzuziehen,  weil 
die  Einschiebung  von  de  sehr  begreiflich  ist.  N  47  Alavre,  oepcb 
juev  re  oeuboexe  Xabv  'A%aicbv  geben  einige  Handschriften  (z.  B.  X) 
ofpwi   und   für    re   bietet  S  mit   einem  Papyrus   u.  a.   xe:    der 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  107 

Fehler   rührt   also    von    der  Verkennung  der  Hebung  her:    es 
ist  oq?a>i  xe  oacooers  (=  oacoor^s)  zu  schreiben.     An    einigen 
Stellen  ist  v<b  und  ocpw  durch  va>'  (o  475  v&  F)  und  oycV  (so 
cod.  Vindob.  49  A  574,    eine  Pariser  0  146)   zu   ersetzen.  — 
Wenn  das  handschriftliche  xExonüg  N  60  eine  halbe,  das  Ari- 
starchische  xExocpwg  eine  ganze  Attikisierung  ist,  so  folgt  dar- 
aus,  daß    das    in   der  Ausgabe  von  Chios  und  in  der  des  An- 
timachos  erhaltene  xexotküv  ursprünglich  und  daß  auch  o  335 
xexotküv  für  xExoixxhg   (Aristarch  wieder  xexo<p<6g)   zu   setzen 
ist:  zu  der  Form  xexojicog  hat  die  Reduplikation  verführt,  wie 
es  bei  yeycovcog  A  275  u.  a.  für  ysyojvcov  der  Fall  ist.     Nicht 
ohne   Grund   legt    Classen   jenem   xExoncbg  die   Bedeutung   des 
Aorist  bei.     Der  gleiche  Fall  findet  sich  B  264,  wo  die  Hand- 
schriften mit  Aristarch   TtEjrlrjytbg   äyogri'&ev   geben,    das  Scho- 
lion  B  aber  nveg  „nenlrjycov"  überliefert,   welches  ebenso  dem 
Sinne  wie  dem  Gebrauche   von   TtejtXrjyepiev  entspricht.  —  Mit 
Recht    bezeichnet    Wackernagel    eveixejuev    T  194    dwoa    e/j-rjg 
7ia.Qa    vrjog   eveixejuev   6W  'A%dfji   als  eine  Unform.     Ein  Teil 
der   Handschriften    gibt    ivEyxE/uEv,   Strabon  467    eveyxetv.     Da 
Homer  sonst  gewöhnlich  die  Formen  des  ersten  Aorist  braucht, 
so    ist    am    wahrscheinlichsten    das   2  334,  o  286   stehende   e- 
vEixai  herzustellen  und  der  Hiatus  für  die  Verderbnis  verant- 
wortlich   zu    machen.     Der   Hiatus    ist    nach    der    bukolischen 
Diärese    bei    einem    Spondeus   wie   bei   einem    Daktylus    nicht 
selten.     Vgl.  z.  B.   E  484    olov    x1   y\k    (peqoiEv   'Axai.oi   ij    xev 
äyoiEV.     So   ist   auch   in  A  430  rijv   Qa   ßirj    akxovxog    (aexovra 
richtig  Nauck)    ämjvocov  avzaQ  'Odvoosvg   die   abnorme  Form 
änrjVQcov    für    äjiEvna    (seil.  A%dlEvg)    entstanden   und   T  401 
äXfaog  dl]  q>QaQEO'&E  oacooEfiEv  fp'ioxfja,  wo  das  Futurum  fehler- 
haft ist  und  oawoEjLiEv  keine  Aoristform  sein  kann,  ist  aacooat 
herzustellen.      Doch    darf   die    Form    eveyxEfiev    nicht    als    un- 
homerisch betrachtet  werden.    Da  die  Optativform  eveixai  2  147 
fraglicher  Natur  ist  und  99  178  ix  dk   OTEarog  eveixe   (als   Im- 
perativ,   in    dem    gleichlautenden   Vers    183    ist    es    Indikativ) 
fxsyav  tqo%6v  svdov  iovrog  die  Form  eveixov  dem  Versmaß  nicht 
entspricht,    so    muß    wohl    2  147 ,    wo    ST2X    eve'ixoi    geben, 


108  7.  Abhandlung:  N.  Weoklein 

iveyxoi   und  cp  178   e'veyxe   gesetzt    werden.     Wie    oben    ein 
doppeltes  xextjda  gefunden  wurde,  so  ist  /iväoiicu   „freie"   und 
/zvaojuat  „gedenke"  zu  unterscheiden.     Wenn  man  Ö  106  iivao- 
iterco    für  /ivcoo/ievco    oder    o  400    /zvao/ievco   schreibt,    wird   et 
durch  die  Hebung    gelängt;    dagegen   steht    in    xov    vvv    olxov 
axifiov   edeig,   /irda   de  yvvaixa  n  431    oder    in    jmjxe    iivdaodcu 
äxoiuv  et  39  die  erste  Silbe  in  der  Senkung,  muß  also  an  und 
für  sich  lang   sein.     Darum    ist    iivcoovxo    oder    iivcoö/ievog   im 
Sinne   von    „freien"    (">  für  langes  et)   denkbar,    nicht  aber  im 
Sinne    von    „gedenken,    denken".     Folglich    liegt    in    fivdiovx 
bloolo    cpößoio  A  71   oder   in    cpvyade   juvcoovxo    exaoxog  II  697 
eine  Verwechslung  vor  und  wie  es  anderwo  [iviqoavxo  de  %dp- 
jurjg  heißt,    so    muß    auch    hier    tivrjoavx'1  oXooXo   cpößoio   und 
cpvyade  (ivrjoavto  geschrieben  werden.    In  dem  neuen  Hesiod- 
vers   juväxo,   nolld   de  deoga  didov ,   judXa    <3'  ()jde?,e   ftviicfi)    ist 
natürlich    juvdexo    zu    setzen.     Mit    diesem  Vers   ist  also  kein 
neues  Beispiel  für  einen  oxi%og  Xayagog   gewonnen.     Was   den 
bei  Athenäos  gebotenen  oxi%og  Xayagog  betrifft,  s.  Stud.  z.  Od. 
S.  96.     Ernster    zu    nehmen   ist  A  146  xoioi   xoi,  Mevüae,    lu- 
dvdrjv    al'juaxi    jbtrjQol    evqpveeg   xvfjfiai  xe,  da  die  Form  fxidvßtjv 
unmöglich  ist  und  das  in  X  gegebene  [xiavftev  gesetzt  werden 
müßte,  wenn  sich   kein    anderer  Ausweg   findet.     Aber    wahr- 
scheinlich hat  das  Mißverständnis  der  Konstruktion  von  xoiovg 
.  .   jLiidv&ys   ai'ftaxi   jurjgovg   evcpveag   xvrjLiag    xe    die    Kor- 
ruptel  herbeigeführt. 

Ein  sprechendes  Kennzeichen  attischer  Rezension  ist  Ijfur 
(ijfiir)  und  vtuv  (vßiv)  mit  kurzer  Endung.  Zwar  sucht  Ferd. 
Sommer  Glotta  I  S.  219 ff.  nachzuweisen,  daß  die  altepischen 
Dative  fjfiiv  und  viuv  Kürze  des  i  haben,  aber  K.  Witte  ebd.  II 
S.  8  ff.  tut  im  Gegenteil  dar,  daß  f\fuv  und  vfüv  im  Epos  ur- 
sprünglich als  Spondeen  zu  gelten  haben.  Die  Stellen,  an  denen 
fj/iiv  und  vliiv  als  Trochäen  stehen,  sind  folgende: 

P  415  co  cpiXoi,  ov  fidv  f]iuv  evxXeeg 

P  417  Jtäot  jdvoc  xo  xev  fj/uiv  äcpag 

■&  569  gatneuevai,  /uya  <5'  fjfuv  ögog  =  v  177 

x  563  eQxeoff'  alh]v  dy  fjfiiv  ödöv 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  10  J 

X  344  d)  cpikoi,  ov  juav  i]/MV  äno 

q  376  rjyayeg;  ov  äXig  yj/jhv   äXaj/ioves 

v  272   Tt]Xe/uä%ov  juäXa  <5'   fjfJiv  äneibjoag 

An  diesen  acht  Stellen  steht  fjfuv  als  dritter  Trochäus.    Witte 
S.  17  Anm.  meint,  das   einfachere  Verfahren    wäre    uaaiv    für 
fjuiv    einzusetzen,    lehnt    aber    dieses  Verfahren   ab,   weil  rjaiv 
in  der  Überlieferung  festsitze.     Wer    aber   sich    erinnert,    wie 
viele  Fehler  H.  L.  Ahrens  und  Nauck   durch   Herstellung    des 
Hiatus  nach  dem  dritten  Trochäus  beseitigt  haben,   wird  den 
Grund    von    fjuiv    darin    finden,    daß    äuuiv    zur    Aus- 
merzung  des  Hiatus  nicht   zu  Gebote  stand,  d.  h.  daß 
es    die   Formen    äuuiv    und    vuuiv   nicht    gibt.     Es    ist 
also  an  den  acht  Stellen   der  Hiatus  mit  äuut  herzu- 
stellen.    Berechtigt  sind  demnach  nur  die  Formen  auui,  äjua' 
und    vuui,    vuu\    wenn    die   Handschriften    auch    öfters    äfXfxiv 
und   vfifxiv  bieten,  bezeichnenderweise  S  85  äuuiv  vor  farao- 
oeuev.     Vgl.  O  155    ocpco'iv   lödbv    für   oqpcoE   fiöojv,  II  99  vonv 
für  vcbi.     Als  dritter  Trochäus  findet  sich  v/u/uiv  A  249  vuuiv 
vjieooxt)   (v/x/ui  nur  im  cod.  Vratisl.  29),  ß  320  vjujuiv  eeioaxo 
X  336  vuuiv  ävi]Q,  o  506  vuuiv  ööomöoiov,  als  fünfter  Trochäus 
a/jLfJLiv  bzw.  vuuiv  u  275  äju/uiv  eyaoxov,   N  95  vfxfxiv   iya>   ye. 
An  allen   diesen  Stellen   sind    also   die   Formen    äuui, 
v/nui  herzustellen,  die  auch  sonst  häufig  (etwa  14mal)   als 
dritter  Trochäus   vorkommen,    hier    also    gewissermaßen    ihren 
legitimen  Platz  haben.     Daß  der  Hiatus  auch  nach  dem  fünften 
Trochäus    nicht  selten  ist,  kann  man  aus  Stud.  z.  Od.  S.  46  f. 
ersehen.     Mit   äuui   Ecpaoxov  vgl.  z.  B.  rjde  eyaoxov  (etpaoxev) 
s  135,  r)  256,  xp  335.     Im  letzten  Fuß,    wo   die  Handschriften 
öfters  zwischen  äuui  und  äufxiv  schwanken  (vgl.  N  379,  ß  334, 
X  262,  doch  K  70  nur  eine  geringere  Handschrift  äp/uv ,  Eu- 
stathios  fjfuv),  kann  man  nur  im  Zweifel  sein,  ob   nicht  fjuTv 
bzw.  v/üv   vorzuziehen    ist.     So    bieten   d  95   FTUH2P2  v/uv, 
andere  vuuiv,  vuuiv,  vjluv.     Im  Anfang  des  Verses  findet  sich 
X  41  in  FPXU  vfuv,  in  HMD  v?uv,  in  LW  vftfiiv,  x  65  v/uv 
in  FU  und  bei  Eustathios,  vuiv  in  GPXD,  vuuir  nur  wieder 
in  LW.     Wenn   also  K  380   die  Handschriften    zwischen    x&v 


110  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

x  vfifuv  laqioaao  nax))q  (ABM),  %  v/ufuv  (STX  u.  a.),  '/! 
r/(7r  (GHK  u.  a.)  schwanken,  so  könnte  zwar  auch  rwv  x* 
vfAfxi  xagioaito  dem  Versmaß  entsprechen;  aber  doch  scheint 
-£  ruh'  ursprünglich  zu  sein,  da  in  den  angeführten  Stellen 
v/luv  sich  als  die  Lesart  der  maßgebenden  Handschriften  dar- 
stellt. Eine  Bestätigung  für  das  an  der  Stelle  des  dritten 
Trochäus  hergestellte  a>A"  una"  fy'/"  ergibt  sich  aus  n  372 
Ti]h[xäicp,  firjö"1  rj/uag  vnexcpvyr\,  wo  für  das  vereinzelt  stehende 
fjfiag  (y/bLag  in  P,  fjfxäg  in  den  anderen)  Ahrens  äftfie  wie 
E  567  otpe  für  otpag  hergestellt  hat. 

Wie   das  Bestreben   die   eigentlichen   epischen  Formen  zu 
gewinnen  zur  Emendation  führen  kann,  mag  |  353 

£•>-#'  ävaßdg,  öx%  xe  dglog  rjv  nolvavMog  vXrjg 

zeigen.  An  ÖQiog  r\v  wird  man  an  und  für  sich  keinen  An- 
stoß nehmen;  wenn  man  aber  mit  <5ot"  eev  die  epische  Form 
herstellt,  so  ist  damit  zugleich  die  poetische  Form  Sola  ge- 
wonnen: Hes.  'Egy.  528,  Soph.  Trach.  1012,  Eur.  Hei.  1326, 
Apoll.  Rhod.  IV  970.  —  Da  man  in  ä  re  tjeivoig  &ejuig  eox'iv 
A  779  die  Endung  oig  vor  einem  Konsonanten  beanstanden 
muß,  wird  das  richtige  ij  xe  feiveov  fiejuig  eoxlv  durch  i  268 
geboten.  —  E  9  und  K  314  hat  Nauck  (Kritische  Bemer- 
kungen VI  S.  210  ff.)  nach  P  575  k'oxe  ö'  evl  Tqcoeooi  für  r\v 
de  Jig  ev  Tqcoeooi,  N  663,  v  287  eoxe  für  fjv  de,  Z  140,  a  177, 
t  443  eox  für  r]v,  2  460  r\ev  für  rjv  ol,  o  3  ovde  eev  Tg  für 
ovöe  ol  fjv  lg,  l  393  oi  eev  lg  für  ol  er'  r}v  lg,  *  511  fjev  öle- 
odai  für  fjv  anoXeo&ai,  co  182  fjev  6  für  r\v  ö  §a  hergestellt. 
Seine  Emendation  von  x  225  eev  xrjöioxog  exaiotov  ist  durch 
die  Überlieferung  xijdioxog  häocov  yv  nahegelegt.  Ü  706  ver- 
mutet Nauck  tueya  iaqp.a  nöh]i  re  (für  nolei  t'  i]v)  navxi  xe 
ö)j/up  nach  J1  50  jueya  jirj/xa  7ioh]i  xe  navxi  xe  dij/Äcp,  aber  in 
Ü  ist  eine  solche  Änderung  unstatthaft.  Über  O  66,  A  84, 
i  56  öcpQa  juev  fjchg  rjv  xal  aefexo  Uqov  y/uag,  wo  Nauck  we- 
niger glaubhaft  yev  äeg~exo  ff  vermutet,  wird  anderswo  zu 
sprechen  sein  {aa  eev?).  Für  ev&äb"  'Odvaoevg  rfrjv  (efyv,  ijeiv) 
x  283,  Aha  cpih\v  elg  naxqib"  ixeoßui  fjfjv  (eirjv,  fjrjv,  el'a)  y>  316, 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  Hl 

Siaxgvyiog  de  exaoxog  ijrjv  (eirjv)  co  343  ist  nicht,  wie  Nauck 
will,  exXexo,  sondern  an  der  ersten  Stelle  rjiev,  an  der  zweiten 
ei'aev,  an  der  letzten  rjv&eev  zu  setzen.  Für  i)v  ödbg  eig 
hwQY\v  i  128  kann  es  ebenso  f]ev  ödög  Xavgyg  gebeißen  haben, 
wie  man  y>  68  vooxov  "Ayaudog  hat.  A  211  ist  für  ßX/jjuevog 
fjv  jzegl  cV  avxöv  äyt^egad^  öoooi  ägioxoi,  wo  Nauck  fjv  viti- 
osum  anmerkt,  ßeßXijxo  zu  schreiben,  worin  die  Länge  der 
letzten  Silbe  den  Fehler  verursacht  hat.  —  Überhaupt  läßt 
sich  /]>-,  wie  es  z.  B.  g  203,  eigentlich  auch  A  739  in  eev  ver- 
wandelt werden  muß,  überall  mit  eev  vertauschen,  wenn  man 
das  Gesetz  über  den  metrischen  Wert  der  Hebung  anerkennt, 
also  auch  z.  B.  X  448  egyo/iievoi  TioXejuovde'  Tidig  de  eev  (für 
de  oi  fjv)  em  f.ia£co  zu  schreiben  wagt.  Es  bleibt  in  der  Odyssee 
nur  eine,  in  der  Ilias  nur  zwei  oder  eigentlich  auch  nur  eine 
Stelle  übrig,  wo  fjv  festsitzt.  Es  ist  bezeichnend,  daß  die 
Stelle  der  Odyssee  X  610  ygvoeog  v)v  "leXa/jojv  der  jüngeren, 
sog.  Orphischen  Partie  der  rexvia,  angehört.  In  der  Ilias  steht 
tjv  im  Ausgang  des  Hexameters  IT  60  =  W  670  ovo''  äga  jzcog 
r/v.  Wenn  man  weiß,  wie  oft  Wörtchen  eingeschaltet  wurden 
um  den  Hiatus  auszumerzen,  wird  man  kein  Bedenken  tragen 
diese  einzige  Stelle  mit  ovo"  äga  rjev  aus  der  Welt  zu  schaffen. 
—  Die  Form  für  die  1.  Pers.  Sing,  des  Imperfekts  eov  für  ea 
ist  A  762,  WUS  beseitigt.  Vgl.  A  321  el  xoxe  xovgog  ea.  — 
Von  der  Form  f\oi  für  %ot  sind  zwei  Fälle  #  580  Iva  fjoi  und 
■&  147  xev  fjoi  wohl  nur  in  der  Ausgabe  von  A.  Lud  wich  stehen 
geblieben.  Das  alleinstehende  xal  juevog  oi)  xooov  fjoiv  erl  ox't'j- 
deooiv  hioioiv  T  202  hat  Menrad  mit  ovx  everjoi  rooov  ox>j- 
deooiv  verbessert.  —  Von  den  zwei  Fällen  von  (bat  fällt  der 
eine  co  491  elgeXdcbv  ng  i'doi  jui]  dr/  oyeddv  woi  xiörxeg  sofort 
weg,  nachdem  Kirchhoff  erkannt  hat,  daß  der  Sinn  eioi  ver- 
langt.    Der  andere  E  273 

rjj  ö'  exegij  äXa  fiaQfxaqerjv,  iva  vojiv  ä:iavxeg 
/udgrvgoi  c5o'  oi  evegOe  $eol  Kqovov  äjucpl  eovieg 

erhält  mit  tV  ecooiv  .  .  fidgxvgoi  öoooi  die  richtige  Form.  — 
Es  ist  bemerkenswert,   daß  von  den  zwei  Beispielen  von  övxeg 


1  12  7.  Abkandlung:  N.  Wecklein 

das  eine  ?/  94  in  einer  augenscheinlich  interpolierten  Stelle 
steht.  Das  andere  r  230  xqvoeoi  övxEg  ist  mit  %qvoov  iovreg 
emendiert  worden.  —  Endlich  hat  Nauck  das  vereinzelte  ovoijg 
x  489  orde  xoocpov  ovoyg  asv  clcpi^o^ai  mit  oude  xgocpov  tieq 
ono  cupsg'ojLicu  verbessern  wollen,  aber  die  Stelle  ist  wohl  inter- 
poliert. — ■  Der  Imperfektform  eov  scheint  der  Optativ  Eoig,  eoi 
zu    entsprechen.     Agamemnon   verspricht  dem  Achilleus  /  141 

ei  6e  xev  'Agyog  lxoifA.E&^  Ayauxöv,  oufrag  ägovQrjg, 
ya/ußgog  xev  jlwi  eoi. 

Das  gibt  Odysseus  mit  den  gleichen  Worten  283  f.  dem  Achil- 
leus gegenüber  wieder,  also  ya/ußgög  xev  juoi  eoig.  Wie  ixoi- 
/££#'  fehlerhaft  ist  und  auch  der  Sinn  „für  den  Fall,  daß  wir 
nach  Argos  kommen  sollten"  dem  Gedanken  des  Agamemnon 
in  keiner  Weise  angemessen  scheint,  also  Ixco/ue§'1  gesetzt  wer- 
den muß,  so  ist  auch  die  bestimmtere  Aussage  von  xev  mit 
Konjunktiv  für  ein  Versprechen  geeigneter  und  an  der  ersten 
Stelle  (142)  bietet  Eustathios  nebst  einigen  Handschriften  %, 
an  der  anderen  (284)  findet  sich  k'rjg  in  dem  Cantabr.  (C),  in 
dem  Stuttg.  (Z)  u.  a.  Ein  zweites  k'otg  kommt  nicht  vor;  ein 
zweites  und  drittes  eoi  fällt  weg,  wenn  man  £  421  =  x  11 
noXläxi  Ööoxor  äXrjtf)  xoico  önoTog  eoi  (srjv  G,  eoixe  M),  xal 
(xev  H)  oxev  (o  rig  M)  x£%oi]jLiEvog  eXüoi  dem  durch  xoico  an- 
gezeigten Sinne  entsprechend  xoico  ol'cp  Efxol  öxeo  xEXQfjjUEvog 
eX'&oi  schreibt  (der  Hiatus  nach  dem  ersten  Spondeus  ist  nicht 
selten).  Bei  dem  Sinne  „wie  er  auch  aussehen  und  was  er 
auch  nötig  haben  mochte"  würde  xoico  ganz  zwecklos  stehen. 
A  838,  wo  die  Handschriften  mit  Aristarch  ncog  t'  uq1  eoi, 
Zitate  ncog  xev  eoi  haben,  überliefert  Zenodot  exjv  d.  h.,  wie 
Düntzer  erkannt  hat,  ey\  (&]  in  einer  Pariser  Handschrift):  ncog 
xev  Ef]  xdSe  EQya ;  ebenso  ist  also  auch  5  333  ncog  xev  ey]  für 
ncog  xev  eoi  zu  schreiben.  —  Den  Formen  der  ersten  Person 
k'a  oder  f]a  und  dritten  Person  eev  oder  fjev  entspricht  als 
Form  der  zweiten  Person  Erjo&a  X  435,  n  420,  y>  175  (Nauck 
EEoda,  andere  eaad-d).     In  v  314 

xovxo  <5'  eych  ev  oiöa,  ö  /lioi  ndgog  ynit]   fjoßa, 
flog  tri   Tooif)  noXetiiQoiiEv   vteg  Ayaicor 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  113 

ist  rjmr]  tjo&a  auch  deshalb  zu  beanstanden,  weil  die  gewöhn- 
liche Redensart  ijma  eldSvai  (77  73,  v  405,  o  557)  lautet  wie 
x£%aQiöfih'a,  al'oijua,  ägxia,  ä&ejuioxia  eiötrai,  drittens  weil  ndgog 
gewöhnlich  mit  dem  Präsens  verbunden  wird  (A  553,  A  264, 
M346,  0  256,  P587,  2  386,  425,  £  88,  (448),  „wo  man  das 
Imperfekt  erwarten  könnte",  wie  Brugmann  Ber.  der  Sachs. 
Ges.  d.  W.  zu  Leipzig  35  (1888)  S.  171  bemerkt,  welcher  auf 
das  indische  purä  verweist,  mit  dem  das  gleiche  Tempus  ver- 
bunden wird.  Alle  drei  Anstände  werden  mit  fjnia  olofta 
beseitigt.     Man  darf  nicht  etwa  iV228 

äXXd,  Qoav.  xni  ydg  xb  ndgog  iiEvebiqiog  tjoda, 
bxgvveig  de  xai  äXXov,  ößi  iiei^iEvxa  i'dijai 

zur  Rechtfertigung  des  Überlieferten  ins  Feld  führen;  im  Gegen- 
teil dient  diese  Stelle  zur  Bestätigung,  da  /ueveörfta  olo&a 
(hast  eine  standhafte  Gesinnung)  auch  durch  öxgvvEig  (und  Id^ai) 
gefordert  wird.  —  Eine  weitere  Bestätigung  liegt  darin,  daß 
Ü  202  Jifi  örj  toi  cpQsveg  ol'%ovi)\  fjoi  ndgog  ye  exXe'  in"1  av- 
dgcbnovg  sich  jetzt  die  fehlerhafte  Form  exXeo  —  es  müßte 
exXeeo  heißen  —  mit  der  normalen  xXeIe'1  ersetzen  läßt  (Fick 
xXeve"1).  —  Hiernach  ist  H  557  oloi  nsg  ndgog  tjxe  juex"1  dv- 
dgdoiv,  wo  man  tjoxe  schreiben  will,  eoxs  herzustellen.  — 
N  101  Tgwag  ecp1  fj/UEXEoag  levai  veag,  oi  xb  ndoog  tieq  (pv£i- 
xavrjg  EXd(poioi  Eoixsoav,  aX  xe  xxe.  hat  ein  Ambrosianus  lolxaoi 
mit  av  über  oi\  der  vorausgehenden  Beobachtung  entspricht 
ioixao\  —  W  604  ov  n  nagijogog  ovo"1  daoicpgoov  rjo&a  ndoog 
wird  die  nicht  epische  Form  mit  iool  ndgog,  X  233  r\  /hev 
/lioi  xb  ndgog  noXb  cpiXxaxog  tjoda  mit  cpiXxaxa  olofta  (hast 
die  freundlichste  Gesinnung  gegen  mich)  beseitigt.  —  X  303 
oi'  jue  ndgog  ys  ngocpgovEg  elgvaxo  ist  elgvaxai  in  LHbX  u.  a. 
erhalten.  —  Ebenso  ist  Q  642  ndgog  ye  (xev  ov  xi  nEnaofxai  für 
nendofn]v  zu  setzen.  —  An  zwei  Stellen  steht  ngiv  an  Stelle  von 
ndgog:  xp  14  nglv  ök  cpgevag  aloifxr}  (al'oifia  F)  fjo&a,  II  208  (pvXo- 
nidog  [XEya  egyov,  erjg  (oo  Payne  Knight)  xb  ngiv  /  egdaad-e.  Die 
erste  Stelle  wird  auch  damit  stigmatisiert,  daß  hier  allein  aioi- 
juog  Epitheton  einer  Person  ist.     Oben  ist  bemerkt,  daß  al'ojua 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  7.  Abb..  g 


114  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 


- 


eldevai  die  Homerische  Wendung  ist.     Der  Fehler  scheint  von 
dem  ungewohnten  Asyndeton  von  ndgog  cpqeoiv  ai'oi/ta  oloßa 
ausgegangen  zu  sein.    So  wenigstens  verlangt  der  Homerische 
Sprachgebrauch.  —    Hiernach   wird  auch   77  208  öo  xb  jxdocg 
ye   egaofte   der  ursprüngliche  Text  gelautet  haben.    —    fjo&a 
Q  749    und    in    der   zweiten  vexvia  w  92   steht  dem  oben  er- 
wähnten ijv  Q  706  zur  Seite.   —   Zu  den  Folgen  der  Moderni- 
sierung   gehören    auch    zahlreiche   Fälle    der    Kontraktion    und 
Synizese  (z.  B.   <V  avxz  ■  ■-  öi]  olvxe).    Vgl.  Menrad,  De  contrac- 
tionis  et  synizeseos   usu  Homerico,  München   1886.     Hier  will 
ich  nur  auf  2"  323,   wo  im  5.  Fuß  ABM  u.  a.  jiexeqxbvEi,  der 
Syrische  Palimpsest,  ein  Papyrus,  S  u.  a.  jUETEq?covEE  geben,  und 
auf  2  242  hinweisen,  wo  fast  alle  Handschriften  o.uouov  tixo- 
Xsfioto  haben,  die  Auflösung  der  Endung  ov  in   oo  also  durch 
die  Form  7ixo?Jjuoio  angedeutet  wird.  —  Gewöhnlich  wird  xXv- 
eiv  mit  Akkusativ  der  Sache  (doimov,  avdqv)  verbunden,     d  831 
geben  die  maßgebenden  Handschriften  GPU  exlveg  avöt'jv  für 
acdfjs.     Der  Genitiv  steht  nur,  wenn  noch  der  Dativ  der  Per- 
son   damit   verbunden    ist    wie   d  767,   x  311,  481  ÜEa  de  tuoi 
ekXvsv    äofjg    (avdrjs).    —    Mit   fona    für  bnog  111  §  AxgEideo) 
ÖTiög  exXvov    läßt    sich    auch    die    epische  Form  AxQEidao   her- 
stellen: 'ÄTQEtöao  bn    exXvov.     So  ist  auch  X451  aldoirjg  exv- 
gfjg  Sita  (für  öjiög)  exXvov  zu  schreiben,    wo  der  Hiatus  ÖJiög 
verschuldet  hat.    —   In  E  204  &g  hnov,   avxag  7iet.bg  ig  "IXiov 
eiXrjXov&a   befremdet   die  ungewöhnliche  Außerachtlassung  des 
Digamma  von  "IXiov,    aber  nach  A  230  avxdo  o  Jie£bg  ewv  eig 
"IXiov    eiXrjXov&ei    (vgl.   A  231    avxdo   b   Jie&g  ewv,    A  721   xal 
7iet.bg  jieq   cojv),    da   z.  B.  auch  n  337  die  Handschriften  zwi- 
schen  elXrjXovdev   und   ex  IlvXov  fjX&ev,    <x>  328  zwischen  eili)- 
Xov&ag    und    Evddö'1  ixdvEig   schwanken ,    kann    die  Emendation 
von  Brandreth  Tistög  ewv  elg"IXiov  fjX&ov  keinem  Zweifel  unter- 
liegen.   Die  Herstellung  des  Digamma  ist  an  mehreren  Stellen, 
wo    nur  die  attische  Redaktion   das  v  ecpeXx.  oder  das  unnütze 
q    eingeschmuggelt  hat,    £648  aziäXeoev  "IXiov ,    £251  enXeev 
3IXto&ev,    2  58,  439,   r  182  xoocovioiv  "IXiov,    &  495  ot  q  ''Ihov 
sehr  einfach.    In  Z  493  näoiv,  euol  de  ^idXioxa,  toi  'IXUp  eyye- 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  115 

ydaoir  wird  die  Emendation  Tiäoi,  fidXjoxa  d"1  i/uoi,  xol  'IXacp 
nicht  nur  durch  Parallellstellen  a  359,  X  353,  <p  353,  sondern 
auch  durch  einen  Papyrus  bestätigt.  In  P  145  X.aöioi  xoVIXaw, 
o  104  cp%£&'  äfC  AxoEidr)oiv  ig  "IXiov  ist  die  Änderung  XaoTg  ot 
'IXico,  AxgEidyg  elg  "IXiov  leicht  und  schreibt  man  ähnlich 
f  238  v/jeoiv  fjyeiödai  eiglXiov  für  vi'/eoiv  {yn)eoo')  fjyrjoaoßai 
ig'IXaov,  so  erhält  man  zugleich  das  dem  geläufigen  Imperfekt 
fjyeTro  entsprechende  f/yelodai.  <P  81,  156  ist  mit  oze  "IXuov 
dh)Xovßa  für  6V  ig  Abhilfe  gefunden  worden.  Ar349  hat  Bent- 
ley  Xabv  öleodai  Ayaicov  'IXiößi  tioo  für  Ayauxöv  nach  .4  71 
xal  vijeoo'1  fjytjoax''  (vielmehr  fjyelro)  Ayaicov 'IXiov  slow,  1134:5 
Tgcocov  avi  äyoQi]  tieae  'IXiov  ir  tioXei  cxxq)]  für  yivEx1  gesetzt. 
t)  578  AoyEicov  Aavacov  fjö"1  'IXiov  dlxov  dxovcov  hat  die  Hand- 
schrift P  i)  für  /)<5'  und  //'  entspricht  dem  Sinne  besser,  be- 
sonders wenn  man  das  ungeschickte  AoyEicov  Aavacov  nach 
x  15  AoyEicov  xe  veag  xal  vöoxov  Ayaicov  mit  AgyEicov  vqcov 
verbessert.  <P  128  cp&£iQ£OÖx\  slg  6  xe  äoxv  xiy\]opiEv  'IXiov  iQrjg 
hat  Leaf  xiyrjEXE  (Brandreth  xi/eiexe)  geschrieben.  Das  folgende 
t^iiEig  juev  cpEvyovxsg,  iyco  <5'  ömdev  xEoa'i^cov  hindert  nicht,  kann 
vielmehr  gerade  den  Fehler  veranlaßt  haben,  ü  67  braucht 
oi  iv  'IXico  nicht  (mit  Heyne)  in  61  'IXico  geändert  zu  werden, 
da  dieser  Gesang  durch  zahlreiche  Fälle  vernachlässigten  Di- 
gammas  gekennzeichnet  ist.  Ebenso  gehört  it"  270  yvcooExar 
cwjraoicog  ydg  äcpigExai  "IXiov  lorjv  ög  xe  cpvyr)  einer  interpo- 
lierten Stelle  an.  Der  Verfasser  hat  zwar  H  118  cprj/ui  juiv 
äojraoicog  yövv  xajuipEfXEV,.  a'i  xe  cpvyyoiv,  T  92  äXXd  xiv  ol'co 
äojiaoicog  avxcov  yövv  xajuipE/usv ,  6g  xe  cpvyr\oiv  benützt,  hat 
aber  die  Pointe,  die  in  äojiaoicog  yövv  xdjuifEi  liegen  würde, 
nicht  erkannt.  Es  bleibt  nur  eine  Stelle  übrig:,  deren  Ver- 
besserung  Schwierigkeit  bereitet,  Z  386 

dXX''  inl  nvqyov  i'ßr]  fxiyav  'IXiov,  ouvex"1  äxovoEV. 

Hierin  ist  (isyav  'IXiov  merklich  überflüssig.  Außerdem  kommt 
in  Betracht,  daß  die  beiden  folgenden  Verse,  in  denen  dcpi- 
xdvEi  unbrauchbar  ist,  von  Payne  Knight  mit  Recht  als  un- 
echt   erklärt    sind.     Das    in   diesen  Versen  vorkommende  etiei- 

8* 


116  7.  Abhandlung :  N.  Wecklein 

youer)]  wird  aber  durch  ovvex"1  äxovoev  begründet,  sodaß  wir 
als  ursprünglichen  Text  erhalten: 

dXV  enl  nvgyov  eneiyo/ievy  eßrj,  oüvex"1  äxovoev. 

Der  Rhythmus  veranschaulicht  den  schnellen  Gang.  —  (P  567 
ei  de  xe  oi  ngondgoiße  noXiog  xaxevavriov  eX&a)  haben  Men- 
rad  und  Fick  ngooßev  noXiog  nach  X  464  eXxoiievov  ngoodev 
no)uog  hergestellt.  Vgl.  M  145  nvXdayv  ngooße  fiayeoßtp'. 
Hiernach  läßt  sich,  wie  schon  Fick  gesehen  hat,  Z  307 
die  epische  Form  JZxaidajv  in  neoeeiv  2xaiwv  ngondgoiße  nv- 
Xdoov  mit  Zxaidoyv  ngöoße  nvXdcov  gewinnen ,  wofür  das 
Schwanken  der  Handschriften  in  ß  524  zwischen  ngöoße  no- 
Xiog (HP)  und  ngondgoiße(v)  noXiog  (so  die  meisten)  die  beste 
Bestätigung  gibt.  —  In  F  3  fjvre  neg  xXayyr]  yeodvmv  neXet 
(vielmehr  jieXy)  ovgavofii  ngo  soll  ovgavoßi  ngo  nach  der 
alten  Erklärung  ev  reo  vnb  rd  vecpr\  rönqp  bedeuten:  ovgavbv 
ydg  xaXei  tov  vneg  rd  veept]  ronov,  aber  wie  'IXioßi  ngo  „vor 
Ilios"  heißt,  so  könnte  ovgavoßi  ngo  nur  „vor  dem  Himmel" 
ausdrücken.  Unter  Hinweis  auf  fjegiai  äga  in  Vers  7  hat 
H.  L.  Ahrens  ngw  (ngco)  vermutet.  Aber  Homer  hat  nur  die 
Form  ngcöi.  Sehr  richtig  aber  gibt  ))egiai  mit  dem  rückweisen- 
den äga  an,  was  vorher  gesagt  sein  muß.  Dafür  ist  der 
stehende  Ausdruck  fjoößi  ngo.  Vgl.  A  50,  f469,  £  36.  — 
1 229  geben  die  Handschriften 

nXrjodjuevog  b"1  oi'voio  benag  beibexx1  AyiXfja 

mit  Verletzung  des  Digamma  von  oivoio.  Auch  X  61  findet 
sich  diese  bei  ä&eoqpaxog  olvog,  aber  Stob.  fl.  I  49,  53  bietet 
für  diese  Stelle  das  dem  Zusammenhang  durchaus  entsprechende 
ä&eoqpaxog  vnvog.  Man  hat  mit  verschiedenen  Änderungen 
(.-rXi/oag  be  oivoio,  nXr]odfxevog  be  benag  ol'vov)  das  Digamma 
gewinnen  wollen,  aber  es  trifft  damit  ein  Gedanke  von  Christ 
zusammen,  der  im  vorhergehenden  Vers  veno*  AYag  'ObvooTji 
für  fPoivixi  verlangt.  Wenn  auch  die  Annahme  von  Christ, 
daß  Phönix  erst  nachträglich  in  die  Gesandtschaft  gebracht 
worden   sei,    nicht    als   annehmbar  erscheint,    kann  man  doch 


Textkritische  Studien  zur  llias.  117 

nicht  verstellen,  daß  Aias  nicht  dem  geborenen  Redner,  son- 
dern dem  Phönix,  der  nur  als  Einführer  dient,  gewinkt  haben 
soll.  Der  Text  muß  also  dann  etwa  gelautet  haben:  vevo'1 
Alag  'Odvorji'  voijoe  d"1  6  y"1'  ahpa  $'  eneixa  Jikrjoäjuevos 
oi'voio  denag  xxe.  Zu  der  Ergänzung  vgl.  tt  283  vevooo  juev 
xoi  iyco  xeqpaÄfj ,  ob  ö"1  eneixa  vorjoag.  —  In  den  Stud.  z.  Od. 
S.  48  ist  die  Verkennung  der  Länge  von  noiv  und  der  daraus 
entstandene  Brauch  y  oder  auch  ye  nach  noiv  einzufügen  be- 
handelt worden.  Vgl.  ü  245  tiqIv  äXo.na£ojiievi]v,  ü  764  nqiv 
ojqpeäov,  wo  y1  einmal  fehlt.  Die  Beseitigung  der  unnützen 
Partikel  hat  es  o  289  möglich  gemacht  mit  tiqIv  oe  xeco  (für 
jiqlv  ye  oe  rqS)  die  epische  Form  reo)  herzustellen.  E  54  ist 
xö  tiqiv  ixexaoxo  in  HbX  u.  a.  erhalten,  während  die  Haupt- 
handschriften  xo  tiqiv  y"1  ixexaoxo  haben.  In  E  287  äräo  ov 
fisv  o(pcbi  y"1  ölco  jiqiv  y1  änonavoeo&ai  tiqiv  y"*  ij  eregöv  ye  ne- 
oovxa  ai/iaxog  äoai  "Aqijo.  hat  man  vierfaches  ye  und  gern  wird 
man  die  zwei  Partikeln  nach  tiqiv  entbehren,  wie  X  266  ovde 
xi  vühv  OQXia  eooovxat,  noiv  y1  i)  exeoov  ye  neoovxa  al'juaxog 
äoai  "Aoija  nach  tiqiv  die  Partikel  y*  in  ~  erst  von  zweiter 
Hand  überschrieben  ist.  Vor  allem  lehrreich  ist  eine  Stelle, 
wo  tiqiv  in  der  Senkung  steht,  B  413 

juij  ttqIv  in   fjskiov  dvvai  xal  im  xverpag  il&eiv. 

Hier  ist  ganz  sinnlos  im  aus  dem  zweiten  Gliede  in  das  erste 
übertragen,  weil  man  die  Länge  von  ttqiv  in  jurj  tiqIv  fjeÄiov 
dvvcu,  wie  Düntzer  hergestellt  hat,  nicht  anerkannte.  Auch 
TL  322  Eff&rj  ÖQEtjäftevog  tiqiv  ovxdoai  hat  sich  einmal  tiqiv  als 
Länge  in  der  Senkung  erhalten  und  ist  tiqiv  y1  den  modernen 
Kritikern  vorbehalten  geblieben.  2  334  ov  oe  ttqiv  xxeqioj, 
tiqiv  y"1  "Exxooog  iv&dd''  ivelxai  fehlt  y"1  wenigstens  im  Townl. 
und  einigen  anderen.  Was  /  z.  B.  -2"  75  obg  aQa  dt]  tiqiv  y"1 
ev%eo  oder  .2"  135  ttqiv  y"1  iiie  öevQ''  ilftovoav  .  .  l'drjm  bedeuten 
soll,  ist  nicht  ersichtlich.  Bei  dieser  fast  konsequenten  Be- 
handlung von  ttqiv  ist  wohl  an  attische  Redaktionstätigkeit  zu 
denken.  Nauck  hat  (mit  Heyne)  diese  Tätigkeit  aufgenommen, 
indem  er  hier  und  Z  81  ndvxri  inoi%6juevoi ,  ttqiv  avx'  iv  %eQöl 


118  7.  Abhandlung:   N.  Wecklein 

yvvcuxöjv,  I  403  =  X  156  xö  tiqIv  eii1  Eiofjvrjg,  jioiv  tWefxev 
vlag  'A%cuä>v,  i\r  172,  IT  322,  d  668  das  vergessene  /  nach- 
tragen will.  IJ  840  vrjag  im  yXacpvgdg,  tiq\v  "Exxogog  ävdgo- 
<p6roio  steht  es  im  Syrischen  Palimpsest,  in  GTH''X  u.  a.,  da- 
gegen fehlt  es  in  ASM  u.  a.  So  muß  auch  P  504  tiqiv  eV 
für  tiqiv  y*  in?  hergestellt  werden.  Es  ist  bezeichnend,  daß 
A2  tiqiv  x*  bietet.  —  Der  Genitiv  Plural  des  Femininums 
des  Artikels  lautet  xdcov ,  nicht  xä»\  Dieses  xdan>  ist  in 
den  Stud.  z.  Od.  S.  22  für  /u  64  hergestellt  worden.  Herzu- 
stellen ist  es  auch  E  424  xcov  xiva  xaggeCovoa  'A%auddcov 
evtcetiXcov  nach  7]  jiidla  dij  xiva  KvnQig  3A'/a.udöwv  äneloa,  wo 
sich  nvd  zu  xdcov  xaooe£ovoa  aus  dem  Vorhergehenden  er- 
gibt, und  E  270  rdcor  (für  xwv  oi)  e£  iyevovro  evl  fieydgoioi 
yeve&Xr],  wo  ol  überflüssig  ist.  —  Sehr  gelitten  hat  K  285 

OTIEIO    flOl,    (bg    OXE    TTO.XQI    äfl*  EOTIEO    TvÖeX    SlCp 

Eig   0/jßag,  oxe  je  tiqo  'Ayaicbv  äyyeXog  jjei. 
Die   regelrechte  Form   des  Aorist  von  eaofiai  ist  eojiöuyjv  (oe- 

0£7l6jLlf]V,      OEOTTOfirjV,     EOTlO/li])') ,      EOJlOO/Uat,      EOTTOljU1]V ,      EOTZEO&CO, 

EOTtEodai  (E  423  im  Ambros.  erhalten  und  d  38  herzustellen 
nach  U2),  iojiojuEvog  (vgl.  xEx?.6jU£vog,  durch  Reduplikation  ent- 
standen). Nur  %  324  ool  (5'  aXoyöv  je  cpilyv  onEodai  xa\  xExva 
xEXEodai  scheint  ojitoftat  festzusitzen,  aber  es  fehlt  bei  oniofiai 
das  Wort,  das  gewöhnlich  damit  verbunden  ist,  ä^ia,  und  in 
ool  <5'  aloyöv  xe  ä/j,'1  EonEoftai  scheint  wieder  der  Hiatus  An- 
stoß erregt  zu  haben.  In  unserer  Stelle  hat  sich  oxe  infolge 
des  bei  Gleichnissen  gebräuchlichen  ojg  oxe  eingeschlichen; 
auch  wegen  des  folgenden  oxe  wird  man  das  erste  gerne  missen. 
Ebenso  ist  das  folgende  xe  überflüssig;  denn  wir  haben  keinen 
allgemeinen,  sondern  einen  bestimmten  einzelnen  Fall;  ferner  ist 
nicht  fj£i,  sondern  fjiev  oder  I'ev  die  epische  Form;  endlich  wird 
nicht  tiqo,  sondern  vtieq  durch  den  Sinn  gefordert;  so  ergibt  sich: 

EOTIEO    jilOl,    OJg   JiaXQl    ä/jC    EOTIEO    TvÖeX   öico 

Eig  @fi ßag,  oxe   vtteq  'AyaiCov  ayyElog  I'ev. 

Nicht  ohne  Grund  also  bemerkt  Nauck:  gravior  est  versus  cor- 
ruptela.   —  A  791    hat    in    xavt1  EYnotg  'A%iÄiji    datcpQovi    Her- 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  119 

werden  das  Digamma  mit  JiaoEiJioig  hergestellt;  nur  ist  nicht 
der  bei  naoEinoig  im  Sinne  von  „einreden"  sehr  passende  Dativ 
in  den  Akkusativ  zu  verwandeln.  Freilich  heißt  es  A  555  /«? 
oe  Jiagemev.  Aber  mit  rjecht  hat  Naber  durch  Ausscheidung 
des  entbehrlichen  oe  das  Digamma  hergestellt:  /.a)  Jidgaeinev. 
In  Z  337  vvv  de  jue  nagfeuiovo''  äXo%og  .  .  wq/ujo1  dg  jioXejuov 
ist  fj,s  von  &Qjui]oe  abhängig.  —  Die  gewöhnliche  epische  Form 
ist  nicht  oiw,  sondern  ölw  und  beliebt  ist  das  eingeschobene 
oico.  Das  weist  uns  auf  die  Verbesserung  von  ¥  310  dXXd 
xoi  I'jittoi  ßdodioxoi  deieiv  (Nauck  üeejuev)'  x(5  t'  oico  XoiyC  eoe- 
o&ai  hin,  worin  tgj  wenig  passend  ist  und  t'  zwecklos  steht: 
xöd"1  oder  besser  xo  y\  oico,  Xoiytov  s'oxai. 

6.  Zu  den  Fällen,  welche  in  den  Stud.  z.  Od.  S.  71  f. 
die  Wirkung  des  Hochtons  betreffend  zusammengestellt 
sind,  werden  hier  aus  der  Ilias  besonders  bemerkenswerte  hinzu- 
gefügt. Von  den  zahlreichen  Fällen,  in  denen  kurze  Endungen 
die  Stelle  einer  Länge  vertreten,  werden  nur  auffälligere  nam- 
haft gemacht. 

I.  diu  /xh  r  357,  A  435,  cpiXs  xaoiyvrjxe,  xojluocii  £"359, 
lojuev  7  6-5,  datCwv  A  497,  ovvexk  M  26,  xä  neot  0  352, 
äQrjixTajueva)  X  72,  snel  X  379,  W  2,  Xvxo  (gewöhnlich  schreibt 
man  Xvxo,  Tis,  s.  oben  S.  105)  $'  dycov  ü  1,  dg  äg~et  Q  154. 

II.  co/uoiiv  äcpeXeo&m  E  622,  juiv  eqeeive  Z  176,  Jiöoiag'  o 
(5'  EJtena  Z  240,  xev  e/ie  H  77,  juev  6V  H  389,  o/uEgdaXia  lä- 
Xcov  0  321,  äogi  A  541,  anzog  E  484  {axixog  iV414),  'AnoX- 
Xcora  0  143,  ök  Tog~ov  O  478,  mcpavoxcov  2  500,  dnoEincbv 
T  35,  äjzoEQoi)  und  anoegoeiE  0  329  (sonst  dTrfcpös),  vrjjivxie 
0  474,  Te  oevcuro  !F198,  wowos  &r2  &  295. 

III.  ftaog  .4  583  (rAaoff  7  639,  T  178),  Jit^auaxwv  Ä'  502, 
xexXijuevog  ävÖQOXjurjrcp  A  371,  Tocöag,  ai  M  288,  äjioeoor] 
0  283,  eV  <5eWt,  oWa  ü  285. 

IV.  die/uoigÜTo  |  434,  äfie  AT  532,  dnevi'Qovxo  K  572,  nöXig, 
aiTisia  A  711,  dd/uag  AXiEyrjvoQidao  E  503,  TioAti'  evxeixeu  II  hl , 
vcoi  (die  meisten  und  maßgebenden  Handschriften  pomv)  (5' 
exöTi/ier  IT  99 ,    elovaxai   jx  463    (Eiovaxai    A  239),  6're   aevairo 


120  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 


n  ' 


.P463,  äjiajMJoeie  2  34,  /urexiaßov  2  532,  Yjuevat  Y  365,  äjus- 
vm  <Z>70,  Äoe«  #208,  ßiojuai  X431  (/#B  77  852). 

V.  övvajuevoio  X  414,  firJTiv  o.x6l)mvteH  47,  ^Evyvv/xEv  ävco- 

jev  77145  {t,EvyvvpiEv  O  120),  jiiejuev  77  825  {tiie^ev  77  481), 
fiEQoneg  äv&Qconoi  2"  288,  rj77roa)'  d?'0£>ot> oev  71 396,  t/oj'  (ge- 
wöhnlich nor  geschrieben)  ^Ayaio'i  S*  703  (eo^a  nov  ebd.  705), 
äjurjoaviEg  Q  451. 

VI.  EÖjuEvai  ädrjv  E  203  (sonst  udi]v),  aioXov  b'qpiv  M  208. 

Gewöhnlich  sträubt  man  sich  solchen  Einfluß  der  He- 
bung anzuerkennen  und  sucht  ihm  auszukommen.  Z.  B  steht 
r  240  in  den  besten  Handschriften  die  unerhörte  Form  öevqo) 
(j)  öevqco  fxev  ejiovto)  oder  schreibt  man  A  474  £7ior&'1  für  etiov, 
77  145  t,EvyvvnfXEv ,  Y  365  XfXfievai  im  Etym.  M.,  eijuevüi  G. 
Meyer,  ai/>  /"/<£?'  Nauck,  aVr'  i'jlievcu  für  I'juevcxi  avx1  Leeuwen, 
37  208  ovtpiv,  dxpiv,  öorpiv,  oqviv,  vdgor,  cy%iv.  Am  meisten 
widerstrebt  es  allerdings  eine  Änderung  anzuerkennen  wie  die 
von  W.  Schulze  zu  77  340 

ocpqa  bC  avrdcov  IjijirjXaoirj  odog  Er}. 

oder  zu  !7r47  'i£et  ä%og  xoadirjv,  ö(pga  £,cooToi  jueteco.  Interessant 
ist  es,  wie  sich  die  Erklärer  in  7  244  xo.vt'1  aivcbg  ÖEtdoixa  xard 
qjQEra,  f-ir)  ol  änEikäg  exteXeoo)oi  Beo'i,  tj/juv  dk  drj  ai'oijuov  h] 
xxe.  mit  dem  Optativ  eifj  nach  exteXeoojoi  abfinden.  Bei  Ameis- 
Hentze  heißt  es:  „Der  Optativ  nach  dem  Konjunktiv  exreXs- 
oojoi  wie  i  77  (wo  aber  FM  yEvrjrai  geben  und  yh'oiro  aus 
133  stammt),  indem  dem  zunächst  Befürchteten  die  sich  daran 
schließende  weitere  Folge  in  Form  einer  Vorstellung  ange- 
fügt wird."  Bei  La  Roche  liest  man:  „der  Optativ  zur  Be- 
zeichnung einer  subjektiven  Annahme".  Zu  der  vorigen  Stelle 
77  340  aber  wird  einfach  auf  diese  Stelle  verwiesen.  Bei  Leaf 
heißt  es:  the  opt.  of  the  remoter  consequence,  as  frequently. 
La  Roche  führt  als  Parallelstellen  für  die  Verbindung  von 
Konjunktiv  und  Optativ  2"  308,  ü  586,  655,  |  183,  o  300, 
£"165  an.  2  308  ävrrjv  oTyoojiiai,  ij  xe  cpEorjoi  jueya  xgdrog 
i]  xe  (pEgoijLirjv  ist  eine  solche  Änderung  des  Modus  geradezu 
undenkbar.     Man  müßte  also  eher   mit  Nauck   die  Lesart   des 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  121 

Syrischen  Palimpsests  <peooixo  für  (peoijoi  setzen,  wenn  nicht 
der  Konjunktiv  notwendig  wäre.  Dem  (pegrjoi  aber  entspricht 
qpeQojjni,  wie  Naber  hergestellt  hat,  eine  Form,  die  gewöhnlich 
der  Änderung  nicht  entging  und  z.  B.  yl  (xvycojui)  nur  in  der 
Handschrift  M,  2  63  vvv  ö"1  eljn\  öcpoa  l'dco/ui  nur  in  GS  er- 
halten ist.  Q  586  ist  ä?uxt]xai  iqpexfiäg  nach  xaxaxxeiveie  für 
äXixoixo  nur  zur  Ausmerzung  des  Hiatus  gesetzt  worden. 
Mit  ü  655  hat  es  eine  andere  Bewandtnis,  worüber  später 
zu  sprechen  sein  wird,  £  184  gibt  das  Schwanken  der  Hand- 
schriften zwischen  cpvyj]  .  .  vnegoyj]  und  cpvyoi  .  .  vjiegoyoi  einer 
rationellen  Kritik  sichere  Weisung.  Wie  hier  (pvyot  für  cpvyrj 
fehlerhaft  ist,  so  ist  es  auch  o  300  og/uaivcov  ?j  y.ev  ftävaxov 
<pvyt]  f]e  äXw]).  S  165  endlich  hat  Leaf  yevei  iv  (od.  yeveiev) 
ßXecpdgoioiv  hergestellt.  Da  man  hier  glaubt  mit  einer  neu- 
gebildeten Form  ety  oder  juexeUo  auskommen  zu  können,  ist 
es  gut,  daß  uns  ein  Fall  zu  Gebote  steht,  in  dem  eine  solche 
Aushilfe  nicht  möglich  ist.     In  g  196 

oxi]ginxeod~\  inel  i)  cpäx"1   dgiocpaXe"1  e/n/nevai  ovdov 

scheint  zwar  die  von  Heraklides  gebotene  Lesart  ägioq  aXh 
e/ijuevat  ovdag  annehmbar  zu  sein,  da  ovdov  für  ödöv  undenk- 
bar ist,  aber  es  gibt  eine  ähnliche  Stelle  ü  527 

öoioi  ydg  xe  jiiOoi  xaxaxeiaxnt  iv  Aibg  ovdei, 

die  uns  eines  Besseren  belehrt.  Daß  auf  dem  „Füßboden  des 
Zeus"  die  zwei  Fässer  des  Guten  und  des  Bösen  stehen  sollen, 
ist  ein  zu  geschmackloser  Ausdruck,  als  daß  er  einem  Dichter 
zugemutet  werden  könnte.  Ihr  Gewand  kann  Athene  auf  den 
Boden  ihres  Vaters  (naxgbg  in'  ovdei)  fallen  lassen  (E  734, 
0  385).  Diese  Stelle  ist  übrigens  unecht.  Man  hat  Aibg  ovöqp 
vermutet;  aber  auf  der  Schwelle  des  Zeus  ist  der  Ort  für  die 
Fässer  noch  weniger  zweckmäßig.  Besser  hat  Nauck  an  avXfj 
gedacht,  nur  entbehrt  eine  solche  Änderung  jeder  Wahrschein- 
lichkeit. Das  passendste  Wort  ist  iv  Aibg  edei,  welches  an 
dieser  Versstelle  begreiflicherweise  zu  ovdei  wie  dort  ödöv  zu 
ovdov  wurde.  —  Auch  v  186  gibt  einen  zwingenden  Beweis 
ab.      Nach    v  250    verspeisen    die    Freier  jgroße    Schafe,    fette 


122  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Ziegen,  Eberschweine  und  eine  Kuh  von  der  Herde  (öig  jueyd- 
Xovg  y.al  niovag  alyag,  avag  oiäXovg  y.al  ßovv  äyeXaifjv).  Die 
Eberschweine,  und  zwar  drei  für  eine  große  Festmahlzeit,  hat 
natürlich  Eumäos  beschafft  (v  163),  die  Ziegen  der  Ziegenhirt 
Melanthios  (v  173);  die  Kuh  und  die  Schafe  muß  also  der 
Rinderhirte  Philötios  vom  „Festland",  wo  die  Rinder  und  Schafe 
weiden  (|  100),  auf  der  Fähre  herübergebracht  haben.  Dem- 
nach hat  die  Stelle  v  185  gelautet: 

toToi  (5'  im  loirog  ?]?$£  <Piloixtog  öoyajuog  ävögäw, 
ßovv  oxeioav  fivriaxfJQaiv  äycov  xal  niovag  öig. 

Die  Handschriften  aber  geben,  wie  man  auch  in  den  Ausgaben 
gewöhnlich  liest,  niovag  alyag,  während  dem  Philötios  Ziegen 
gar  nicht  zu  Gebote  stehen.  Nur  die  Münchener  Handschrift 
(U),  deren  Wert  in  den  Stud.  z.  Od.  S.  36  ff.  dargetan  worden 
ist,  hat  ol'ag,  wie  auch  M  als  Variante  bietet.  Der  Akkusativ 
lautet  aber  immer  öig.  Ebenso  hat  Leaf  A  678  ncße  öiojv  für 
nwea  olcov  und  Platt  A  696,  O  323  ncov  öiojv  für  n&v  fxef 
oidw  verlangt.  .1611  all'1  Wc  vvv,  näzQoxle  ducpäs,  NsoroQ1 
eqeio  macht  die  Form  eqeio,  wofür  auch  egoio  überliefert  ist, 
Schwierigkeit.  Es  ist  eben  die  normale  Form  eqeo  herzu- 
stellen. Ebenso  ist  Q  503  wie  t  269  äXV  aideio  fteovg  die 
nicht  epische  Form  mit  ai'deo  zu  beseitigen.  —  A  559  övog 
.  .  vofirjg, 

co  di)  Jioklä  jieqI  QOTtar  äjLupig  Myt] 

könnte  die  mit  Beifall  aufgenommene  Änderung  von  Ahrens 
ä^icpifEfdyr]  gebilligt  werden,  wenn  nicht  jieqi  vorherginge: 
weder  an  äficpig  (entzwei)  noch  am  Aorist  im  Gleichnisse  ist 
irgend  etwas  zu  beanstanden.  —  IF  826  avidg  Tlr]Mdi]g  ftrjxev 
ooXov  al'Toyocovov  ist  avxo%oavov  die  rationelle  Form.  Vgl. 
Bechtel  Lexil.  77.  —  Während  die  Formen  fiefiäoreg,  /liejuciöte 
für  [xefJLa&Teg,  /uEiiacbrE  durch  Quantitätsumsetzung  entstanden 
sind,  erklärt  sich  der  Versausgang  aXoo  iiE/xacog  IT  754  nur 
aus  der  Wirkung  des  Iktus.  E  708  nXovxoio  /uE/ir]Xwg,  N  297 
und  469  nxoXe/xoio  /LiEju^ktog  ist,  wie  Nauck  erkannt  hat,  fisfirj- 
Xcog    aus    fufiacog    entstanden.     Ohne  Grund    denkt   Nauck    an 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  l-^ 

jLiejurjcog.  —  In  9?  195  noloi  x1  eh"1  'Oövo>~]i  äfivvefiev,  el'  no&ev 
el&oi  wde  ftdX1  eg'amvrjg  xal  xig  fieög  auxov  evetxai  ist  die 
Form  eveixai,  für  welche  GU2  eveixr},  F  eveixev,  M3  eveyxot 
bieten,  verdächtig.  Abgesehen  davon  , führt",  nicht  „trägt 
der  Gott  her",  wie  Aristonikos  zu  W  263  bemerkt,  äxQtßrjg 
6  jioir)T}]g  jieqI  xd  äxrd  xal  (pogi]xd.  Der  Sinn  verlangt  also 
äydyoi  für  eveixai,  wie  es  (p  201  heißt  dydyoi  de  e  dai/ucov  und 
wie  7  411  dtxßaöiag  xfjgag  dyejuev  (für  (pegeuer)  ftavdxoio  xe- 
Xooöe  zu  schreiben  ist;  denn  wie  La  Roche  anmerkt,  wird  sonst 
in  diesem  Sinne  äyeiv  gesagt,  vgl.  N  602  xbv  äye  jiwTga  xaxt) 
ddvaxoto  TÜoode,  B  834.  —  In  F  453  ov  /.dv  ydg  (päoxrjxi  y 
exev&avov,  el  zig  l'dono  hat  Heyne  exevdov  dv  hergestellt.  An 
l'doiro  ist  zugleich  der  Mangel  des  Digamma  wie  der  Optativ 
zu  beanstanden:  beide  Fehler  werden  mit  et  zig  eidev  besei- 
tigt. Ebenso  wird  M  333  das  Digamma  hergestellt,  wenn  man 
et'  Jiva  t'doi  für  ei  xiv  l'dono  schreibt.  —  Q  425  ch  xexog,  r\ 
g'  dya&öv  xal  evaioitua  öcoga  ötdovvai  gibt  didojuev  eine  nor- 
male Form. 

Ein    lehrreiches   Beispiel    für    die   Kraft    des  Iktus   bietet 
ydg  in   folgenden  Versen: 

B  39   ihjoeiv  ydg  er'   l'jueXXev  en    dlyed  xe  oxovaydg  xe 
T  49  eyyei  egeidouhay  ext  ydg  eyov  eXxea  Xvygd 
X  580  Ayxoa  ydg  fjXxrjöe,  Aibg  xvdgrjv  nagdxoixiv. 

Es  ist  also  an  und  für  sich  unnötig  in  der  ersten  Stelle  mit  Nauck 
■&f]OE[xevai  ydg  e'jueXdev  er'  äXyea  zu  ändern.  Ebenso  könnte  SU 
noXXdv  ydg  p'  djidvev&e  ptäyrig  sigvaxo  vrjeg  das  unnütze  g"1  ein- 
fach wegfallen,  sehr  gut  aber  verlangt  Menrad  ydg  o<p\  „da- 
mit die  Beziehung  zu  den  vorhergenannten  Personen  klarer 
wird".  —  A  243  und  246  fordert  der  Sinn  unbedingt  xirpff 
ovxcog  (dbg  vjueig)  eoxaxe  xeßrjjtoxeg  fjvte  rsßgoi;  (ovök  jud^eoi^e), 
nicht  t'nxrjxe  oder  roxyxe.  —  Wie  0  316  ij/isvai  er  jueydgcp  ?j 
ei'gta  neixexe,  %egoiv  für  nexexe  steht,  so  ist  N  612  äfivrjv 
evyaXxov,  eXatvcp  d/tcpt  jieXexcp ,  wie  BMSHbY  u.  a.  geben,  in 
AGX  u.  a.  zu  JieXexxcp,  !F851  tjjumeXexa  zu  ^utTieXexxa  ge- 
worden.    Mit    Recht    geben    die    meisten    Handschriften    e  244 


124  7.  Abhandlung:   N.  Wecklein 

eixooi  (5'  exßale  öovga,  nelexr\oev  (3'  äoa  yßkxw  und  verdient 
nicht  das  minder  beglaubigte  neXexxt]oev  den  Vorzug.  —  Diese 
Erkenntnis  beseitigt,  wie  mir  Herr  Menrad  mitteilt,  den  Ein- 
wand gegen  die  Emendation  von  P  724,  die  er  in  der  Schrift 
de  contr.  et  syniz.  usu  Hom.  S.  166  veröffentlicht  hat: 

Tocoixog,  cbg  e'fidov  vexvv  äeigovrag  'Ayjiiovg 

für  ei'dovTo  vexvv  aigovxag.  Ebenso  Brandreth.1)  Die  Vor- 
stellung nämlich,  daß  die  Endung  in  vexvg,  vexvv  ursprüng- 
lich lang  sei,  ist  gewonnen  aus  den  Stellen  H  84,  P  394,  692, 
2*180,  X386,  W110.  In  allen  diesen  Stellen  steht  die  En- 
dung in  der  Arsis,  sie  beweisen  also  nichts  für  die  Ursprüng- 
lichkeit der  Länge,  ebenso  wie  aus  Stellen  wie  Tiolvg  ävaxrjxiei 
Idgcog  N  705,  dsiodvrcov  (p&oyyov  re  ßaqvv  abxov  re  jieXcooov 
nicht  die  Länge  der  Endung  in  nolvg  und  ßaovg  gefolgert 
werden  kann.  Was  den  Hinweis  auf  das  Zend  anbelangt,  wo 
der  Akkusativ  nasüm  =  vexvv  auch  gelängt  sei,  was  auf  ein 
hohes  Alter  dieser  Endung  schließen  lasse,  bemerkt  Herr  Menrad 
weiter:  „Es  ist  richtig,  daß  die  U-Stämme  im  Zend  einen  Ak- 
kusativ um  aufweisen,  z.  B.  pasu  (=  pecus,  Vieh)  pasüm,  vgl. 
W.  Geiger,  Handbuch  der  Avestasprache  1879  S.  23.  Nun 
kommt  es  zunächst  darauf  an,  ob  das  nächstverwandte  Sans- 
krit das  gleiche  aufweist.  Da  zeigt  aber  jede  indische  Gram- 
matik, daß  das  Gegenteil  der  Fall  ist.  Man  unterscheidet  im 
Sanskrit  bei  U-Stämmen  vorwiegend  Maskulinstämme  auf  u, 
z.  B.  täntu-s  (Faden),  tärus  (Baum),  Akkusativ  tantüm,  tarum, 
und  vorwiegend  Femininstämme  auf  ü  wie  vädhü-s  (Frau), 
väsü  (Mädchen),  Akkusativ  vädhüm,  väsmn.  Dem  entsprechen 
genau  die  bei  Gustav  Meyer  Gr.  Gr.  1886  S.  310  (nach  Hero- 
dian)  zusammengestellten  (vorwiegend)  Maskulina  yevvg,  dgi)- 
vvg,  ßoxgvg,  tfouovg,  nelexvg  einerseits  und  die  Feminina  nXr\- 

9  t  t  9 

ftvg,  ßqoyrvg,  äxovxiorvg,  xhvvg  andererseits.     Also  scheint  na- 

')  Daß  die  Verbesserung  von  Leeuwen  elöovro  vexvv  iovovzag  nicht 
den  Vorzug  verdient,  zeigt  die  Beziehung  auf  das  vorhergehende  vexqov 
ojio  zdorog  ayxäCovio  vxpi  fiäXa,  während  eovovzag  hier  dem  Zusammen- 
hang nicht  entspricht. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias. 


125 


süm    im   Zend    eine   singulare  Eigenheit  dieses  Sprachzweiges 
zu  sein,  die  für  das  Griechische  nicht  bindet."  —  S  357  geben 
die   meisten   und   besten  Handschriften  tiqocpqcov  vvv  Aavaoioi, 
IJooelöaov,    Itkxjlivve:    außer    M    haben    nur    geringere    Hand- 
schriften  ITooEiöäcov.  —  Q  79  fieiXavi    erftoge   tiovtco   hat    ein 
Harl.  [xekavi  erhalten:   die  Änderung  von  Leeuwen   olvom   ist 
unnötig.  —  II  442,  21  464,  X  180  ist  davdxoio  övoaxeog  her- 
zustellen nach   Apoll.  Lex.   övoaxeog-  xaxa   am    momoiovvxog, 
da   bvor\%r\q   bei   däraxog   unverständlich   ist.   —  d  244   fordert 
der  Sinn   für  fäv  das  reflexive  e  (avrov  e  .  .  dajuäooag).     Das 
gleiche   ist  £845   der  Fall:  'Ad>p>)]    övv    "Aiöog  xvverjy,  juij   e 
(für  fitv)  l'öoi  oßoijuog  'Agrjg.     Damit  wird  auch  das  Digamma 
gewonnen.  —  Wenn  die  besten  Handschriften  <P  542  mit  Ari- 
starch   cpevyov  o  ds  otpsdavcbv  (für  oyedavbv)  etpen^  schreiben, 
so  kann  nur  die  Verkennung  des  Hochtons  den  Fehler  veran- 
laßt haben.  —  Will  ovorjäg  z  djxQvve  xal  äreoag  kennt  Didy- 
mos  die  Lesart  „vieler  Handschriften"  ovgrjag  wxqvvs  (ohne  z). 
Diese  ist  um  so  glaublicher,  je   ungewöhnlicher   sie   erscheint. 
—  0  535  hatte  Aristarch  ejiav&s/uevai,  die  Handschriften  geben 
In    äy)  dejuevai.     Der  Ausdruck  für  das  Schließen  der  Türe  ist 
emzi&evm  (fivgag  emOeloa   S  169)  und  avxig  imfie/uerai  ist  bei 
Porphyr.   176,   12  Schrad.  erhalten.      Sowohl   ätp   ^ijusvai    wie 
äv&^uevai    soll   mit   der   vermißten    Länge    dem    Metrum    auf- 
helfen. —  Der  Ausdruck    „atmete   auf,   kam    wieder   zu  sich" 
heißt  gewöhnlich   {Ä  359,  Z475,  £458,  co  349)    äfxnvxo   und 
bildet   die   xojuI]    xaxä    xgixov   xQo%aTov.     Nur    an    zwei   Stellen 
i?  697  avxig  ö"1  ä/unvv&y]  und  E  436  xevav  o  <5'  ä/xnvvdt}  steht 
dafür  äfxnvvdrj,  offenbar  weil  hier  die  Mittelsilbe  in  die  Thesis 
fällt.      Daraus    ergibt    sich,    daß    die   Mittelsilbe    von    ä^nvvxo 
von  Natur  kurz  ist,  wie  man  erwarten  mußte  und  wie  X  222 
Cobet  äjujivvo  für  afxnvve  hergestellt  hat,  und   daß    von    nvv- 
keine  Rede    sein    darf.  —   W  533    ist    ngö    e&ev   zu    nooooodev 
o-e worden.  —  Q  524  geben  die  Handschriften 

ob  yaQ  xig  JiQtj^ig  Tiehxai  xqvsqoio  yooio. 

So  hat  man  auch  x  202  =  568 


126  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

äXX"1  oi<  yng  xig  7ig)~]£ig  hyivtxo  /.wgo/uevoioir. 

Sonst  hat  ngrjgig  bei  Homer  die  Bedeutung  „Geschäft,  Handel", 
während    wir    für    den    vorliegenden    Sinn    in   r}  544   tuiyJxi   .   . 
y.hu ',  enel  ovx  ävvo'iv  xiva  öijojuev   das  Wort    ävvoig    erhalten. 
Nun  bietet  an  unserer  Stelle  der  cod.  Townl.  und  von  zweiter 
Hand   ein  Harl.  sowie  mit  ev  äXXco  das  Scholion  A  xig  r    ävv- 
oig.    Nimmt  man  als  ursprüngliche  Lesart  xig  ävvoig  und  in 
dem  Odysseevers  ävvoig  xig  an,  so  hat  die  Vertauschung  von 
Synonymen  den  Zweck  den  gewohnten  Rhythmus  herzustellen. 
Ein    ähnlicher   Fall    begegnet    uns    Q  9  xcov  juijuvi]ox6jiievog 
da?,egdv  xaxä  öuxgvov   elßsv.     Es    wurde    früher    (Stud.  z.  Od. 
S.  50 f.)  beobachtet,  daß  z.  B.  d  531  cbg  'Odvoevg   eXeeivä   vn 
öygvot    ödxgva   heißer  in  eXeeivbv  .  .   ödxgvov  elßer  verwandelt 
wurde,  um  den  Hiatus  zu  vermeiden.    Diese  Beobachtung  wird 
durch    die    vorliegende    Stelle    in    gewisser    Hinsicht    bestätigt, 
nur    ist    es    hier    der   Rhythmus,    der    die   Änderung    veranlaßt 
hat.     La  Roche    hat   nämlich    gefunden,    daß    wo    zu    ödxgvov 
das  Attribut   OaXegog   tritt,  ieoi   steht.     Dieses   kann  mit  da- 
Xegd  xaxä    ddxgva  xe?>£V  hergestellt  werden.     Nur  an  einer 
Stelle  Ü  794  findet  sich  fivgo/jievoi-  ftaXegbv  de  xaxeißexo  öäxou 
jiagijcov,  aber  die  bessere  Form  ftaXegöv  de   eXeißexo  ist  auch 
hier  dem  Hiatus  zum  Opfer  gefallen.  —  o  413  xjjoiv  V  äptpo- 
regrjoi    Jiaryg    i^udg    eßaoiXeve    ist    eßaoiXeve    nur    in   HUX    er- 
halten; die  meisten  geben  e/ußaoiXeve,  nach  P  behalf  man  sich 
mit    fjyejuoveve.      Das    gleiche    Schwanken    der    Handschriften 
kennzeichnet  den  dargelegten  Sachverhalt  B  572 

xal  2ixv<x>v\  öd?  äg"1  "Adgqoxog  ngcbr'   eßaoiXevev, 

wo  andere,  darunter  A,  e/ußaoiXevev,  andere  (BM)  eßaoiXevoev 
geben.  Nebenbei  bemerkt,  steht  äga  zwecklos  und  dient  nur 
der  Beseitigung  des  Hiatus  in  öd  i  "Ädgi]oxog.  Die  Quantitie- 
rung  von  eßaoilevev  ist  keine  andere  wie  die  von  dvyaxegeg, 
dvoavöeig  u.  a.  Die  Schreibung  dvooavoeooa,  welche  sich  in 
Handschriften,  an  verschiedenen  Stellen  auch  in  A  findet,  unter- 
scheidet sich  dem  Werte  nach  nicht  von  dem  vorausgehenden  efi- 
ßaoiXevev.  —  A  624  xoloi  de  zev-^e  xvxecö  evnXöxa^iog  cExajnrjÖ7] 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  1-7 

• 

haben  SGI  Athen.  XI  492  E  die  Form  xvxeco  für  xvxelöj  er- 
halten; xvxecöv  heißt  der  Trank  auch  x  290,  316:  wir  werden 
die  Hebung  der  „epischen  Dehnung"  vorziehen.  —  In  der  Er- 
zählung des  Nestor  heißt  es  A  723  eyyu&sv  Ag/jvrjg,  odi  /ueiva- 
juev  fjoa  diav  Imifjeg  IlvXicov,  rd  <5'  etieqqee  eüveu  n£L,cov,  womit 
sich  Nestor  zu  den  Wagenkämpfern  rechnet,  obwohl  ihm  der 
Vater  den  Wagen  entzogen  hat  und  er  erst  durch  die  Fügung 
der  Athene  zu  einem  Gespanne  kommt  (738).  Erst  dann  kann 
er  sich  unter  den  Wagenkämpfern  auszeichnen  (720),  aber 
nicht  kann  er  JiEt,6g  ecbv  (721)  in  ihrer  Mitte  ausrücken.  Also 
muß  öt)i  sjusrov  f]6a  diav  Innfjes  geschrieben  werden.  Nur 
wenn  nicht  ausdrücklich  die  i7iHfJ£g  und  tte^ol  gesondert  würden, 
könnte  fuetva/usv  passend  erscheinen.  Auch  das  Imperfekt  ist 
vor  etieqqee  erwünscht.  —  In  Q  62  navxEg  (51  dvxidaodE  steht 
das  Medium  vereinzelt  und  ist  gewiß  ebenso  für  dvxidaxE 
wie  oben  eoxtjje  für  eoxolxe  gesetzt.  —  In  T  265  ejuoi  dsol  äXyea 
dolev  TiolXa  [xür ,  oooa  öiöovoiv  6  xig  09?'  d)dxi]xai  ujuoooag  ist 
099g  zweifelhaft,  denn  es  bezieht  sich  sonst  immer  auf  zwei:  zu 
ö  ti$  dlix^xai  ergänzt  sich  das  persönliche  Fürwort  leicht 
wie  häufig.  —  In  M  379  und  392  Zagntjöävog  ixaigov — Zaon)]- 
dövi  d'  ä%og  (so  Paris,  suppl.  1095  und  Lips.)  hat  das  Ver- 
langen einer  Länge  die  willkürliche  Form  ZaQjzijöovxog,  Zag- 
7i)]dovxi  hervorgerufen.  —  W  468  heißt  es  von  den  zurück- 
bleibenden Rossen  des  Eumelos:  ai  <5'  Eg'rjQtüijoav,  ind  iiivog 
Eklaßs  {)vjh6v.  Mit  eqcoeco  „ströme  hervor"  A  303,  n  441  kann 
E^rjQ(o?]oav  nicht  in  Verbindung  gebracht  werden,  welches  man 
nach  dem  Scholion  T  e£ft)  cog/utjoav  xov  öqojuov  xovcpiodEToai 
xov  i)vio%ov  „rasten  hinaus,  gingen  durch"  erklärt.  Dem  Zu- 
sammenhange entsprechend  kann  es  nur  ebenso  wie  vjiEQcöijoav 
©  122,  314,  0  452  („wichen  zurück")  auf  eqcoeco  „ruhe,  lasse 
nach,  bleibe  zurück"  zurückgehen.  Dann  wird  freilich  /uevos 
sldaßs  ftvfxov  unverständlich,  welches  übrigens  auch  bei  der 
gewöhnlichen  Auslegung  von  i£t]Qc6i]oav  keinen  klaren  Sinn 
abgibt.  Man  erwartet  eXine  für  eXXaße:  die  Rosse  blieben 
zurück,  weil  ihnen  der  Mut  ausging.  —  Man  versteht,  daß  ein 
äxEcpalog   nicht   leicht    der   Änderung    entging,    wenn    sie    nur 


128  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

möglich  war.  Offensichtlich  tritt  das  an  0  272  avxdg  o  avxig 
t(6v,  ruiig  tag  vtio  fXfjTega,  övoxev  Eig  Alav&y '  o  de  xxi.  hervor. 
Wie  soll  hier  eig  verständlich  sein?  Die  Erklärung  „in  den 
Bereich  von  Aias"  wird  begreiflicherweise  ohne  Beleg  ge- 
geben. Der  Sinn  fordert  unbedingt  vti"1  Al'av§\  —  E  652 
liest  man: 

ool  <3'  eycu  ev&dde  cprjiu  cpövov  xal  xfjoa  juekatvav 
«|  eiie&ev  rev^eodai,  ejlko  <5'   vjio  dovgl   öatiEvxa 
ev%og  ifioi  öcooeiv,  \pv$\v  ö"1  "Aldi  xXvxojimXcp. 

Den  gleichen  Text  hat  man  A  444,  nur  mit  dem  Unterschied, 
daß  ijjiiart  xcoö"1  eooeo&ui  für  et;  ejuefiev  xEvl-eofiai  steht.  Die 
Vermutung,  daß  es  ursprünglich  an  beiden  Stellen  l|  ejue'&ev 
Eooeo&ai  geheißen  hat,  wird  durch  das  alleinstehende  xev^e- 
odai  bestätigt.  In  der  zweiten  Stelle  ist  rj/xazi  twö"1  nach 
ivddöe  (hier  auf  der  Stelle)  überflüssig.  Das  eine  Mal  hat 
man  also  den  ungewohnten  Rhythmus  durch  x'evt-eo&at,  das 
andere  Mal  durch  yjuau  read'  beseitigt.  —  A  679  xoooa  ovatv 
ovßöoia,  xoo1  aijioha  jiXolxe  alycöv  billigen  manche  die  fehler- 
hafte Form  des  cod.  Townl.  ovßooeia.  —  Dem  steht  defieiha 
für  deixelia  M  28,  1F255  zur  Seite.  —  In  H  1  mg  elnwv  nv- 
Xeojv  e£eoovxo  qxxiöijuog  "Exxcoq  erregt  die  dreisilbige  Form 
nvXeoiv  Anstoß.  Die  gewöhnliche  Form  des  Genitiv  Plural  ist 
doiv.  Die  Endung  ecov  findet  sich  an  einer  Reihe  von  Stellen 
(vgl.  v.  Leeuwen  Enchir.  S.  196 f.),  aber  nur  als  eine  einzige 
Silbe  wie  cbv,  z.  B.  ägecov,  ßovXea>v,  etpexjueoDv,  &vqecov,  xo>/- 
VEiov,  vvfiq)EC0v  (vvju(pä)v),  JiyyECOv,  nh]yeoiv,  noXXemv,  xgvqxx- 
Xeicöv,  wxeiXeüov.  Zweisilbig  ist  ecov  nur  an  drei  Stellen:  nv- 
Xecov  H  1  und  J/340,  Ovqecov  <p  191.  iV/  340  f.  sind  von  Düntzer 
als  nachträglicher  Zusatz  erkannt  worden,  cp  191  gibt  G  exxo- 
o&e  für  ixxog,  so  daß  man  exxoo&e  &vqeü)v  erhält.  Es  bleibt 
also  nur  H  1  übrig.  Mit  Recht  hat  Bentley  JioXiog  geschrieben. 
Man  kann  glauben,  daß  nvQycov,  wie  Fick  vorgeschlagen  hat, 
der  Überlieferung  näher  komme;  aber  man  muß  eben  erkennen, 
daß  die  Stellen,  an  denen  die  Hebung  eine  Kürze  gestattete, 
gerne  geändert  wurden,  wenn  die  Änderung  nahe  lag.  —  Ein 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  129 

recht  sprechendes  Beispiel  bietet  Q  404  ovde  xev  scg  ÖExdxovg 
jisQiTelXo/Lievovg  ivtavxovg,  wo  der  Sinn  unbedingt  eg  öexaxov 
jieqixeXX6[xevov  eviavxöv  fordert.  —  In  gleicher  Weise  ist 
der  Plural  &aXä/iovg  in  %  142  cbg  eIticdv  dveßatve  MEXdv&iog  .  . 
Eig  ßaXdluovg  'Odvorjog  dvd  Qcbyag  /ueydgoio  entstanden.  Der 
Ziegenhirte  geht  in  die  Waffenkammer,  welche  immer  mit  dem 
Singular  ftdXajuog  bezeichnet  wird,  also  slg  &dXafxov.  —  B  85 

oi  <5'  E7iavEoxr\oav  jieidovxö  te  jioijuevi  Xadiv 

kann  von  einem  Gehorchen  keine  Rede  sein,  sondern  nur  von 
einem  Nachgehen,  also  muß  oi  <3'  inavEorrjoav  eiJiovxo  xe  ge- 
schrieben werden.  —  B  823  övai  'Avxrjvogog  vis,  AgxeXoyog  t' 
'Axdfiag  xe,  fidyjjg  ev  eIöoxe  Jidorjg  steht  xe  nach  Ag^eXo-yog 
zwecklos.  —  Daß  für  elavov  II  9  (am  Anfang  des  Verses)  ia- 
vov  gesetzt  werden  mute  und  die  Form  Eiavog  keine  etymo- 
logische Berechtigung  hat,  ist  von  Leskien  in  G.  Curtius  Stu- 
dien II  S.  85  dargetan  worden.  —  77  208  ist  für  (pvXomdog 
juEya  sgyov,  öo  xo  jiqIv  das  ungeheuerliche  &]g  xb  jigiv  über- 
liefert. —  II  353  cbg  Öe  Xvxol  ägvEooiv  EJisygaov  /)  igiqoioiv 
olvxai,  vtiex  ju/jXojv  aloEVjUEvoi,  ai'  t'  ev  öqeooiv  .  .  diex/iiayev 
geht  aus  dem  Scholion  ovxwg  ,ai'  xe"1  dt]Xvxmg,  ai  oieg  hervor, 
daß  es  eine  andere  Lesart  gab,  und  wegen  firjXvxcog  nimmt 
man  oi  xe  an.  Nicht  ohne  Grund  ist  juqxgcöv  für  /nrjXcov  vor- 
geschlagen worden,  welche  Form  nur  dem  Epos  nicht  zu- 
kommt. Die  Grammatik  fordert  ä  xe.  —  In  P  65  dycöv  d/u(pl 
dk  xov  ye  (mit  dqiocov  xov  ö"1  ä/jupl  hat  Christ  die  epische  Form 
hergestellt)  xvveg  ävdgsg  xe  vofxvjeg  hat  nur  X  xvvsg  x\  da- 
gegen P  658  geben  die  besseren  Handschriften  xvvag  t1  und 
fehlt  x1  nur  in  einigen  geringeren.  —  d<paob]  haben  P  695 
SBMG2T,  d  704  F  von  erster  Hand,  das  anomale  d/upaoa] 
geben  dort  AG*X  u.  a.,  an  der  anderen  Stelle  die  meisten 
Handschriften.  —  a  24  habe  ich  Stud.  z.  Od.  S.  74  f.  dvotusvov 
für  dvoofievov  dem  gegenüberstehenden  dviovxog  entsprechend 
verlangt;  eine  gewisse  Bestätigung  bringt  .Z  134;  denn  dem 
fit]  na)  xaxaövEo  (für  xaxadvoso)  dient  die  Negation  zur 
Stütze.  —  2  198  dXX1  avxog  (so  Zenodot  und  Aristophanes)  ml 

Sjtzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  7.  Abh  9 


130  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

xdcpgov  Iojv  Tgcoeooc  cpdvrpJi  (d.  i.  für  dich  allein  ohne  Waffen) 
ist  avxog  zu  avxajg  oder  avxayg  bei  Aristarch  und  in  allen 
Handschriften  geworden.  —  Y  381  ftogev  (pgeoiv  eiiievog  äXxtjv. 
Der  Homerische  Ausdruck  ist  ovl  (vi)  elxeXog  äXxrjv  oder  em- 
eiiievog  äXxrjv.  Die  dXxt)  liegt  in  der  Körperkraft,  nicht  ev 
(pgeoiv.  —  In  F  259  rj  ga  xal  ev  deivco  odxe'i  eXao'  ößgiiiov 
£y%og,  o iiegdaXeco ,  /ueya  <3'  äiicpl  odxog  iivxe  dovgög  äxwxfj 
befremdet  nach  deivco  das  hier  wenig  geeignete  Epitheton  des 
Schildes  ojiiegdaXecp.  Geringere  Handschriften  geben  ojuegdaXeov 
und  sehr  ansprechend  ist  die  Änderung  von  Heyne  o/xegdaXeov 
de  uey"1  äficpl  odxog.  Aber  der  Fehler  der  Überlieferung  er- 
klärt sich,  wenn  es  ursprünglich  oiiegdaXea  de  fxey"1  äjucpl 
odxog  /.ivxe  geheißen  hat.  Vgl.  o/uegdaXea  xxvneoov  H  479, 
oiiegdaXea  Idxojv  E  302,  Y  382.  O  609  bieten  YbHb  o/uegda- 
Xea  (für  o/xegdaXeov)  xgoxdcpoioi  xivdooexo  und  so  liegt  die  Ver- 
mutung nahe,  daß  auch  oiiegdaXeov  xovdßyoav  (xovdßi£e)  B  334, 
466,  o/iegdaXeov  d"1  eßorjoe  0  92,  o/uegdaXeov  <5'  <p/nco£e  .Z"  35, 
ofiegdaXeov  d"1  eßoyoe  &  305  aus  dem  gleichen  Grunde  aus 
ojuegdaXea  entstanden  ist.  Bestätigt  wird  diese  Vermutung 
durch  die  treffliche  Emendation,  welche  dem  Verse  i  395  ojueg- 
daXeov de  /uey"1  (pjaoog'ev,  Jiegl  d1  laxe  neigt]  die  richtige  Ge- 
stalt gegeben  hat:  ojj.egda.Xe"1  cpficog'ev  Jiegl  de  iieya  ld%e  neigt). 
—  0  236  JioXXovg,  oi  ga  xax  avxov  äXig  eoav  wird  die  Her- 
stellung der  epischen  Form  xaxd  e  äXig  durch  das  Digamma 
von  äXig  bestätigt.  Auch  darin  liegt  eine  gewisse  Bestätigung, 
daß  der  Vers  nur  in  dieser  Form  nach  343  wiederholt  werden 
konnte;  denn  während  sich  avxov,  welches  sich  an  der  ersten 
Stelle  auf  den  Flußgott  bezieht,  an  der  zweiten  nicht  auf  nediov 
beziehen  kann,  ist  dies  bei  e  zwar  selten,  aber  doch  möglich 
(vgl.  A  236).  —  ü  259  ävdgog  ye  ftvrjiov  jidig  ejuLievat,  dXXd 
fteoTo  gibt  S  ftvrjioZo:  diese  Form  kann  mit  ävdgog  ftvtjioTo 
Jidig  gehalten  werden.  —  W384  ög  gd  oi  ex  %eigwv  eßaXev  judoxiya 
cpaeivfjv  entspricht  xeigög  dem  Sinne  besser.  —  ?F365  oi  d"1 
coxa  diengijooov  nedioio,  vöocpi  vecov,  xaxecog'  vjzö  xxe.  ist  laxecog 
nach  coxa  unbrauchbar;  es  ist  mit  xayeeg  das  bei  ra^g  ge- 
bräuchliche Adjektiv  herzustellen.  —  Dem  Itjg  ex  vydvog  Q  496 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  lol 

entsprechend  hat  Zenodot  0  95  loydorgiog  für  öjuoydoTQiog  über- 
liefert: so  muß  also  auch  Q  47  fje  xaoiyvyrov  loydoxQiov  für 
öfxoydoiQLOv  hergestellt  werden.  —  Der  Plural  von  juevog  findet 
sich  in  der  Redensart  juevea  nveiovxeg  B  536,  A  508,  wo  man 
ihn  dem  Versmaß  zugute  halten  muß.  Daß  Nauck  für  jueve' 
dvÖQcbv  A  447,  O  61  mit  Recht  juevog  ävdocöv  fordert,  zeigt 
B  387  diaxgiveei  juevog  ävdocöv  und  ö  363,  wo  juevog  dvögcov 
von  Aristarch  und  in  P  von  zweiter  Hand  erhalten  ist.  An 
jenen  Stellen  ist  juevea  unter  dem  Einfluß  des  vorhergehenden 
ey%ea  entstanden.  Der  Bedeutung  des  Wortes  entspricht,  wie 
K.  Witte  Glotta  II  S.  19 ff.  dargetan  hat,1)  der  Singular,  der 
sich  an  zahlreichen  Stellen  findet.  Deshalb  wird  man  für  ejucbv 
juevewv  äjiegwevg  O  361  statt  ejuov  jueveog  djiegcoevg  die  kurze 
Endung  von  jueveog  verantwortlich  machen.  —  Aus  gleichem 
Grunde  ist  Z  136  övoe&>  dXog  xaxd  xvjua  für  dvoeß"1  ä?,ög  vjiö 
xvjua  gesetzt  worden.  Vgl.  2  145  ai  <5'  vno  xvjua  &aXdoorjg 
avxix'  edvoav.  Ilicpavoxco  hat  die  erste  Silbe  kurz,  lang  nur 
infolge  der  Hebung,  z.  B.  Qoi'Qyjoev  ö"1  äga  nitpavoxiov  K  502, 
ö/jjuco  myavoxcov  2  500  so  gut  wie  öcpiv  M  208  Tgcöeg  (5'  eqqi- 
yrjoav,  onoog  i'dov  aloXov  orpiv.  Deshalb  kann  ovg  vcöiv  nirpavoxe 
AoXwv  K  478  nicht  richtig  sein.  Weil  man  in  vcöiv  emcpavoxe, 
wie  Brandreth  verbessert  hat,  für  vcöiv  Position  vermißte,  blieb 
das  Augment  weg.  —  A  460  entspricht  xexXöjuevoi  xad"1  öjuiXov 
ganz  der  Bedeutung  von  xard,  nicht  aber  äXW  l'ojuev  xa\V 
öjudov  A  469  oder  fjXdov  xa&*  öjudov  P532:  äv"1  ö/udov  wurde 
aus  dem  gleichen  Grunde  geändert.  P  365  schwanken  die  Hand- 
schriften zwischen  dv'  öjuiXov  und  xaff  öjudov:  obwohl  xad 
öjuiXov  besser  beglaubigt  scheint,  wird  äv"1  öjudov  durch  die 
vorhergehende  Endung  oio''  von  äXXJjXoig  gefordert.  —  Zu  den 
Bemerkungen  über  l'tjjui  Stud.  z.  Od.  S.  76  f.  kann  avxe  jue^ie- 
[aev"Exxoqi  vixijv  ^364  hinzugefügt  werden,  wo  bezeichnender- 
weise A  u.  a.  jueßeiejuev  geben.  —  Oben  S.  23  ist  die  Unform 
äxtjyjdaxai    beseitigt    worden;    eine    zweite    haben    wir  in  äxij- 


*)  Inbetreff  des  umgekehrten  Verhältnisses  von  Sdvrr]  kann  auch 
auf  A  272  verwiesen  werden,  da  6l-eV  =  o^elai  undenkbar,  die  Änderung 
von  Bentley  6^sV  oövvrj  dvvev  also  nötig  ist. 


132  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

y/iihn]    qnXov   rjrog  E  364,   ßv/udv   &xr)xefievcu  2  29.      Es   gibt 
das  Perfekt  &xd%rjfiai  und  den  Aorist  äxa%6firjv:  zu  jenem  heißt 
das  Partizip  dxayy/iievog,  zu  diesem  dxayojuevog,  also  muß  E  364 
dxayojuevrj,  2  29  dxayö /xevai  hergestellt  werden.  —  2  525 
folgt    auf   jui]/M    .   .   xal    eXixag    ßovg:    oX   de    rdya    ngoyevovro. 
Bekker  will  m  für  ol'  setzen,  da  sonst  ßovg  im  Plural  von  einer 
Herde    gen.   fem.    ist.      Die   gemeinsame    Beziehung   auf  jufjXa 
und  ßovg  erfordert  rd.  —  Q  749  r\  /xev  juoi  £qwg  Tieg  ed)v  cpiXog 
yo&a  deoloiv  steht  Jieg  bedeutungslos  für  IV ;    auch  hat  schon 
Bentley  juoi  beanstandet:  der  Zusammenhang  mit  dem  folgen- 
den Vers  verlangt  ojuöjg  (in  gleicher  Weise  im  Leben  und  im 
Tode).  —   T91   und   129  Adxrj(v)  r)  ndvxag  ddxai  verlangt  der 
Sinn    äaoev.     Es    ist   nicht    nötig    mit    Brandreth    äaooe    oder 
mit  Nauck  fj  t1  äaoe  ndviag  zu   schreiben.  —   In  A  109  "Avn- 
cpov  av  jiaod  ovg  elaoe  g~i<pei  stört  die  nicht  epische  Form  ovg. 
Daß  av  ovag  (Nauck  avt"1  ovag)  ursprünglich  ist,  ergibt  sich 
aus  Y  473  Movfaov   ovxa    nagaordg    dovgl    nag"1    ovg'  eldag    de 
cV  ovarog   ^Xd^  exegoio,    wo    die  Handschriften    zwischen    nag'' 
und  xar"1  schwanken  und  Brandreth  <5ovo'  ovag  hergestellt  hat. 
—  Wie  co  113  fast  in   allen  Handschriften   die  Unform   juaye- 
ovfxevoi  für  fiayedfievoi  überliefert  ist,  so  haben  wir  auch  Formen 
wie    ndrjfAEvai    für    riftejuevat  W  83,  247    aufzufassen.      Eine 
Unform  ist  auch  ygeojjuevog  W  834  ygecb/iievog'  ov  fiev    ydg    ol 
dzejußo/xevog  ye  oidr/gov  jioijuijv:  sie  wird    beseitigt   mit   %Qeo- 
fiEvog'  ov  fiev  ol  drEjußojuevog.  —  Den  Formen  äei,  devreg  (arj- 
xov  1 5  ist  dfjzov  als  Konjunktiv  zu  schreiben  im  Gleichnisse) 
entspricht  defievog,  wie  £  131   für  drjfievog  zu  setzen  ist,  und 
äero  <P  386  (für  ät]io).     ^214  alya  de  jiovtov  l'xovzo  dijfierai 
ist  so  der  Infinitiv  entstanden,  während  der  Sinn  das  Partizip 
dejuevoi    fordert.   —   !Z/126    hat    man    nagaxdßßaXov    vlrjv   in 
dem    richtigen  Sinne    „sie   luden    das   Holz    neben    der   Stelle, 
wo  die  Leiche  verbrannt  werden  sollte  (nagd),  ab  (xard).    Wie 
aber  soll  in  dem  gleichen  Gesänge  683  nagaxdßßaXev  möglich 
sein,  wo  es  sich  um  das  Umlegen  des  Lendenschurzes  handelt? 
Heyne  hat  mit  negixdßßaX^e  auch  noch  nicht  das  Richtige  ge- 
troffen; denn  immer  noch  hat  xaid  keinen  Sinn.    Verständlich 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  133 

ist  nur  Tieqießale.  —  "Avtixqv  (ävnxgv)  hat  an  zwei  Stellen 
E  130  und  819,  wo  die  letzte  Silbe  in  der  Thesis  steht,  die 
Endung  kurz,  an  den  zahlreichen  übrigen  Stellen,  wo  sie  in 
der  Arsis  steht,  lang.  Ohne  Not  und  ohne  irgendeine  hand- 
schriftliche Stütze  setzt  man  dafür  ävjixgvg  oder  ävjtxgvg.  — 
Die  Analogie  von  fierakv,  welches  nur  A  156  vorkommt  und 
von  Bekker  mit  fxeorjyv  vertauscht  worden  ist,  gibt  die  Ge- 
währ für  die  Form  jueorjyv,  welche  sich  nicht  bloß  A  573, 
wo  die  Endung  kurz  ist,  sondern  auch  A  253  und  schließlich 
auch  ^  521  erhalten  hat,  wenn  man  das  Homerische  ßeoorjyv 
onedeog  Tiedioio  n.  herstellt  (fxeooi]yv  haben  auch  eine  Wiener 
und  eine  Breslauer  Handschrift).  II  807  schwanken  die  Hand- 
schriften zwischen  f.ieoo)]yvg  und  jueootjyv,  und  zwar  vor  oyedö- 
fiev,  auch  Eustathios  kennt  beide  Lesarten.  —  Die  Beobach- 
tung, daß  das  Vermissen  einer  Länge  zu  Textänderungen  ge- 
führt hat,  kann  mitunter  einen  Anhaltspunkt  für  die  Entschei- 
dung zwischen  verschiedenen  Lesarten  darbieten,  so  E  293 

alyjir)   d"1  e.g'eXvdr/  naoä  veiaxov  ävOegecova. 

So  geben  die  einen,  AB  u.  a.,  mit  Aristarch,  die  anderen, 
SGM  u.  a.,  haben  e^eovät]  mit  Zenodot,  TL  u.  a.  endlich 
bieten  e£eovzo.  Da  sich  aus  sg'elvd'i]  kein  brauchbarer  Sinn 
herausdeuten  läßt,  hat  man  darin  e£elvde{v)  oder  ej-rjX'&ev  ge- 
funden, den  besten  Sinn  liefert  et-eovro,  welches  aus  dem  in 
Rede  stehenden  Grunde  bald  in  e£eov&}],  bald  in  efelvdr}  ver- 
wandelt wurde.  —  In  E  874  äXh)Xa>v  cöxrjrt,  yaqiv  ävdgeooi 
(pegovreg  geben  AB  MS  u.  a.  mit  Aristarch  yäoiv  ö\  worin  (5' 
nur  als  Füllsel  dient.  —  Die  Form  h]v  für  eev  verdankt  ihr 
Dasein  auch  nur  Versen  wie  t  530  nötig  ö1  ejnög  fjog  eev  eil 
vrjjiiog  i)öe  yaXirpQCüv ,  wo  man  bp>  für  nötig  hielt.  —  G.  Cur- 
tius  (vgl.  Pienner  in  G.  Curtius'  Studien  I  2  S.  34  f.)  hat  er- 
kannt, daß  üaveeiv  eine  unrichtige  Form  für  daveev  ist  (&a- 
vifievai,  iJavejuev,  ftaveev,  davexr).  In  einem  Verse  wie  a  59 
rjg  yairjg  fya.ve.ev  l/ieigeraf  ovde  vv  oot  neg  wurde  das  über- 
lieferte EN  in  eiv  umgeschrieben,  um  die  erforderliche  Länge 
zu   gewinnen.     Die  Bedenken    von  W.  Christ   (Ausg.  der   Ilias 


134  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

S.  146  f.)  besonders  wegen  der  ziemlich  zahlreichen  Fälle,  in 
denen  die  Endung  -ev  vor  einem  Vokal  eine  Länge  vertritt, 
scheinen  durch  das  Vorausgehende  gehoben  zu  sein.  —  Auf 
gleiche  Weise1)  sind  Formen  wie  nagal,  vnal  (auch  anal 
0  313  in  Hb),  nagai  ßdzrjg,  ueoainoXiog  entstanden  in  Versen 
wie  B  711  oi  de  <Pegdg  eve/xovzo  nagd  Boißrjlda  Xluvrjv  oder 
?F132  äv  <5'  eßav  ev  dlcpgoioi  nagaßdzai  r/vloyol  ze  oder  i\r  361 
ev&a  jueoondXiog  (vgl.  j.ieo6?ievxog)  neg  eatv  Aavaoloi  xeXevoag. 
—  Eurykleia  ist  außer  sich  über  sich  selbst,  daß  sie  ihren  Herrn 
nicht  sofort,  sondern  erst  bei  der  Berührung  des  Fußes  er- 
kannt hat;  sie  kann  also  z  475  nur  nglv  nöda  (betont,  daher 
dem  Ganzen  vorausgestellt)  avav.x'  ijnöv  äficpacpdao'&ai ,  nicht 
sonderbar  ndvra  gesagt  haben.  Da  die  vorletzte  Silbe  von 
xsxXrjymsg  überall  {M  125,  TT  430,  P  756,  759,  ^256,  £30) 
in  der  Hebung  steht,  läßt  sich  die  richtige  Form  herstellen 
und  fallen  die  abnormen  Formen  xexXr\yovzeg  und  xexXajycözeg, 
zwischen  denen  Aristarch  schwankte  {xexXip/cbzeg  xal  xexArj- 
yovreg  dr/cög  al  'Agiozdgyov)  und  die  Handschriften  hin  und 
her  pendeln,  hinweg.  —  Der  Name  üegldoog  (M  129)  kann 
nach  seiner  Etymologie  (negl  und  fioög,  vorzüglich  schnell) 
ebensowenig  in  die  überlieferte,  später  gebräuchliche  Form 
üeigtöoog  wie  negl  in  neige  übergehen.  —  iV127  ist  ovze  xev, 
wie  einige  geringere  Handschriften  bieten,  zu  orV  äv  xev  ge- 
worden. - —  N  745  nimmt  man  gewöhnlich  aus  AT  Selöoa,  fii]  zo 
yßi£6v  änoozr/ocovzai  'Ayaiol  ygrjog  auf,  während  die  andere  Les- 
art (in  BM  u.  a.,  auch  in  S)  dnozlocovzai  ebenso  zu  ygfjog  (sich 
die  Schuld  zurückzahlen  lassen,  d.  h.  ihre  Niederlage  rächen, 
vergelten)  wie  ip  312  änezloazo  zu  noivi^v  i<p&l/ua)v  erdgojv  paßt: 
dnoorrjocovrai  ist  ebenso  an  die  Stelle  von  dnorlowvzai  ge- 
kommen wie  G  eniozeXXa)  gibt  in  y  361  ool  de,  yvvai,  zöö' 
enizeXXco  und  wie  Menrad  E  384  evd*  avx*  äyyeXlrjv  enl  Tvöei 
zeiXav  (für  axeiXav)  hergestellt  hat.  —  0  31  geben  die  Hand- 
schriften   zwv    o'   avzig    juvrjoa),    tv"1   änoXXrj^jg    änazdcov    gegen 


x)  Vgl.  z.  B.  0  4  vjtai  deiovg  für  vjio  Sfseog  in  den  meisten  Hand- 
schriften wie  bei  Aristarch,  O  171  inai  Qmfjg  in  allen  Handschriften,  nur 
im  Syrischen  Palimpsest  vjio  yuiTjg. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  135 

den  Sinn,  welcher  iwr  o'  avxig  isfivqo'  fordert.  —  So  ist  auch 
O  472  d)  TiEJiov,  dXXd  ßtöv  juev  e'a  die  Kontraktion  ea  ent- 
standen aus  ßiov  edav  und  2  493  rjyiveov  dvd  äoxv  aus  fjyivov 
dvd  äozv.  —  77  531  ist  ol  in  oxxi  ol  wx'  ijxovoe  fieyag  &eög 
evfafievoio  vor  ev^ajuevoio  unmöglich :  o  eftev  erklärt  die  Ände- 
rung. —  Die  Überlieferung  kennt  für  „unziemlich"  folgende 
Formen:  deixijg,  dixcög  (X336),  detxeXiog,  dexi)Xiog  (2 77).  Daß 
äexrjXiog  von  detxeXiog  der  Bedeutung  nach  nicht  verschieden 
ist,  zeigt  die  Redensart  jia&eiv  dexrjXia  egya  (2  77)  verglichen 
mit  deixea  ju/jdexo  egya  X  395.  Die  alten  Grammatiker,  dar- 
unter Aristarch,  brachten  dexi)Xiog  mit  ext]Xog  oder  mit  ixcov 
in  Verbindung  (ov%  fjovya,  xagaycoöt] —  dxovoia).  Da  dfixwg 
von  fix-  feststeht,  so  liegt  die  Annahme  nahe,  daß  dixr\g, 
dtxeXiog,  dixi£co  die  richtigen  Formen  sind  und  daß  die 
Längung  der  zweiten  bzw.  dritten  Silbe  der  Hebung  verdankt 
wird,  daß  es  also  mit  äixeXiog  und  dtxeXiog  die  gleiche  Bewandt- 
nis hat  wie  mit   dnegeoiog  und  dnegeoiog  (Stud.  z.  Od.   S.  76). 

7.  Zu  den  zahlreichen  Fällen  von  Hiatus,  die  in  den 
Studien  zur  Odyssee  S.  45  ff.  aus  der  Odyssee  zusammengestellt 
sind,  werden  hier  Fälle  aus  der  Ilias  hinzugefügt:  im  ersten 
Fuß  a)  fj  |  fjdrj  Ü  383.  b)  /m]de  \  ea  B  165,  XeiQa  |  erjv  1420 
und  687,  ev  de  |  ifj  7  319,  ev  de  \  ta  $  569,  dmga  \  e/j.tjg  T  194, 
naxgl  |  epq)  ^278,  dvdgl  exaigrjoai  ü  335.  c)  eig  d),a  \  äXro 
A  532,  v&i  de  j  evdov  A  767,  eonexo  \  og  N300,  enXexo  \  öxxt 
O  227,  xig  de  ov  |  iooi  O  247,  Ü  387,  fp>ia  \  jjixfojoav  II  404; 
dixcpl  oe,  |  ijie  F152,  ögxia  \  eooovxai  X266,  tidjixe  jlie  \  öxxi 
Wl\,  Sfiiv&ev-  |  ei  A  39,  xeio&ai,  |  dxdg  £685,  qv/liov  \  ex- 
fegvot  TT  505,  {fo/jup  \  fjga  £"132,  xev^ei  doxrjoag  £240,  T]juai, 
|  äXXoioiv  |  41,  dygqj,  \  ovde  X  188,  oxaif]  I  eyXo<;  II  734,  &vr)- 
rq),  |  v/ueig  P  444,  Tigöoow  \  aitgag  P  734,  el  jur)  \  Ai'avxog  2*193, 
innoi,  |  avxdg   ö7  578,   elxef  \  ov  Q  52. 

Im  zweiten  Fuß:  a)  dt]  \  eyXog  Z  306.  b)  ovXe  \  öveige 
B  8,  eXovoa,  \  dxdg  A  542, *)  (iev  oe  \  e'Xemov  T  288,  äoxv  \  eXwv 

l)  La  Roche  zählt  im  Anbang  z.  d.  St.  eine  Reihe  von  Stellen  auf, 
in  denen  vor  artig  der  Hiatus  steht  und  ein  langer  Endvokal  lang  bleibt. 
Aber  das  beruht  nicht  auf  einer  besonderen  Eigentümlichkeit  von  äzÖQ, 


136  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Q  696.  c)  alel  Tidga  \  elg  E  603,  Y  98,  rot  dexa  |  oljuoi  A  24, 
äju(pl  de  |  öooe  A  356,  ngeoßvTaxog  de  ov  \  iooi  A  787,  acpag 
de  re  \  Ixjudg  P  392,  äW  ö.oa  \  i)  T  93,  vvv  im  \  äUqj  ¥  274. 
oicojifj  |  Jjoo,  |  ejuco  A  412,  xi^oor  juoi  \  viöv  A  505,  aiiaacov 
co  |  eyyei  A  484,  )>do  /«)  |  ov/.og  <P  536,  öveigco  \  ov  X  199,  <5/- 
oxov  |  oroa   !F431,  dicpoov  \  loav  Q  578. 

Im   dritten  Fuß  a)  und  b)  sehr   zahlreich,     c)  el'dei   o  | 
ov  Y  466  =  y  146,   le/uevai  im  \  "Exroga  Q  593.     ahJouevov  r) 
|  f£  X  152,  nagelaoo'  y  \  äjurp/joiorov  'i7  382. 

Im    vierten    Fuß    a)   ödco  \  em    Z  15,    m)  |  avxbg  i\r319. 

b)  Ide    ngd  |  ödov.      c)   jusvog    ueya  \  ,    o<pg'    (xocpg''  Aristarch) 
0  232,   ödvgexo  \  öoxea   ¥  224.     ojhoit]  |  evdeo  A  410,  cpaeivq}  \ 
iv  E  215,  'Ayaiol  r/  £"  484,  dVa£,  £t  |  abxod?  |  67,  #£c5r  r)  |  e& 
O  161,  avxov  |  affioTia  77  226,  7iaodjurp>  xai  |  at&ojia  Q  641. 

Im  fünften  Fuß  a)  no/.vxhjxoi  \  emxovooi  K 420.    b)  o£<5£ 
£a0£r  yl  437,  7ra<(5«  ä/uvvei  U  522,  fudvdyoav  de  \  Weigat  U  795, 
Tratet  ojzaooe  P196,    negiooeiovxo  \  edeigai  .X315,    Jioxajuoio  \ 
ec~)öiv   !F73,  "IXoio  \  elaooav   Q  349,    exegog   de  \  edojv   Q  528. 

c)  äcpdixa  |  at«  iV  22,  TiOTwa  |  "Hgrj  N  826,  oeiexo  \  vh]  E  285, 
0990'  sri  |  £t'(5£t  £"358,  nvxdoaoa  e  \  avxrjv  P551,  atjaaxi  \  vdojg 
<Z>  21,  xexeleopLeva  \  rjev  2  4. 

Neben  den  zahlreichen  Fällen  nach  der  Penthemimeris, 
nach  dem  dritten  Trochäus,  nach  der  bukolischen  Zäsur  müssen 
die  ziemlich  häufigen  Fälle  nach  dem  ersten  Spondeus,  nach 
dem  fünften  Trochäus  und  fünften  Daktylus  hervorgehoben 
werden,  die  wahrscheinlich  der  Beseitigung  größere  Schwierig- 
keit bereiteten. 

Die  Theorie,  daß  das  Streben  den  Hiatus  auszumerzen, 
welches  der  attischen  Redaktion  zugeschrieben  werden  muß, 
den  ursprünglichen  Text  an  vielen  Stellen  alteriert  hat  (vgl. 
Stud.  z.  Od.  S.  47),  erhält  ihre  Bestätigung  dadurch,  daß  durch 
Herstellung  des  Hiatus  fehlerhafte  Formen  berichtigt  und  un- 
nütze   oder    sinnstörende  Partikeln    beseitigt    werden    können. 


sondern  das  erstere  auf  der  Stellung  nach  dem  dritten  Trochäus,  das  an- 
dere auf  der  Hebung. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  137 

Die  Fälle,  in  denen  solche  Partikeln  vor  digammierten  Wör- 
tern eingeschaltet  sind,  hat  bereits  Bentley  erkannt;  da  dieser 
aber  infolgedessen  gegen  den  Hiatus  unduldsam  wurde,  hat  er 
in  gewisser  Beziehung  das  fehlerhafte  Vorgehen  der  attischen 
Redaktion  fortgesetzt  und  unnötige  Textänderungen  vorge- 
nommen. 

Die  Theorie  muß  also  durch  das  Experiment  erwiesen 
werden  und  muß  dann  wieder  ein  Kriterium  für  die  Beur- 
teilung handschriftlicher  Lesarten  abgeben.  Welche  Schwierig- 
keit macht  es  z.  B.  in  K  466  deeXöv  d'  em  orjud  t'  e&f]xev  die 
Partikel  re  zu  rechtfertigen,  weil  man  den  Hiatus  in  oijua 
e&rjxev  für  „unerträglich"  hält.  Bentley  und  Heyne  schrieben 
deeXov  de  re  ov\v?  ETie&^xev,  Bothe  afjfia  tedeutE,  Bekker  dachte 
an  afjfxag.  Für  yelga  h)v  I  420  will  Bentley  yßgd  iV  irjv  (und 
Te&aQorjkaoi  re),  für  ev  de  lf\  7  319  er  de  f  h~]  oder  iv  de  tot], 
Heyne  ev  de  t'  ijj,  Payne  Knight  iv  de  [Aijj  schreiben.  N  22 
ist  rerevyaro  ucp&ira  atei  fast  in  allen  Handschriften  in  rerev- 
yarai  (vgl.  rexvy.ro  iT215,  rervxrai  nur  in  L),  äcpfrira  von 
Bentley  in  äy&trov,  von  Payne  Knight  in  äcp&irä  r  geändert 
worden.  Zu  A  459,  wo  AT  öncog  i'dov  bieten,  bemerkt  Leeu- 
wen,  sonst  wie  Bentley  ein  Gegner  des  Hiatus,  mit  Recht:  öncog 
l'dov  peperit  odium  hiatus,  ebenso  Leaf:  the  change  may  have 
been  made  to  avoid  the  apparent  hiatus.  Wenn  0  387  die 
Handschriften  zwischen  fisydXfp  öjuädcp  und  fisydXa  nardyco 
schwanken,  so  haben  wir  öfidöcp,  nicht,  wie  es  gewöhnlich  ge- 
schieht, nardycp  vorzuziehen.  E  301  =  P  8  og  rig  rov  y'  äv- 
riog  eXftoi  verlangt  der  Sinn,  wie  Menrad  und  Leaf  gesehen 
haben,  og  rig  eo  ävriog.  —  E  791  bieten  die  meisten  Hand- 
schriften de  ey.dg  (V  exdg)  d.  i.  de  fey.dg,  N 107  dagegen  <3' 
eyaüev  mit  Aristarch,  während  Zenodot  und  Aristophanes  de 
exäg  erhalten  haben.  —  £"898  geben  AS6  u.  a.  rjofiag  evegregog 
für  fjoda  evegregog.  —  E  787  bietet  Aristarch  y.ay.eXeyyeeg  für 
xdx1  eXeyyea  vor  feldog.  Hier  hat  Ludwich  das  von  Herodian 
bezeugte  und  in  allen  Handschriften  stehende  y.d>i  eXeyyea  in 
den  Text  gesetzt;  dagegen  A  242  'Agyeioi  lo/uwoot,  eXeyyeeg, 
ov  vv  oeßeoOe;  und  ü  239  egger  e,  Xcoßrjrfjgeg,    eXeyyeeg,    ov    vv 


138  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

xal  vfiiv  trägt  man  der  Erkenntnis  von  Ahrens  keine  Rech- 
nung. —  B  461  wird  mit  Kavoroia  äficpl  §se&Qa  die  abnorme 
Form  KavotQiov  beseitigt.  —  W  138  gibt  A  mit  einer  Wiener 
und  einer  Breslauer  Handschrift 

oi  d"1  öre  %coqov  Txovro,  o&i  ocpiol  necpQaö^  'AftiXXeug, 

die  meisten,  auch  der  Syrische  Palimpsest,  haben  l'xavov,  das 
sehr  viele  Herausgeber  in  den  Text  setzen.  Nur  Nauck  und 
Leeuwen  haben  nach  dem  dritten  Trochäus  txovro  beibehalten. 
Hiernach  ist  auch  2*520  und  !F214  txovro  an  der  gleichen 
Versstelle  (vor  einem  Vokal)  herzustellen.  In  y  388  ist  Txovro 
erhalten  (t  458  steht  es  vor  einem  Konsonanten),  w  13  aber 
ijioav  ahpa  <5'  Txovro  juex'1  äocpodeXöv  leijuwra  ist  zwar  Txovro 
erhalten,  der  Hiatus  aber  in  der  herkömmlichen  Weise,  die 
wir  unten  näher  kennen  lernen  werden,  mit  [.ist  für  £ji'  beseitigt. 
Es  kommt  nun  darauf  an  die  grundsätzliche  Art  solcher 
Änderungen  weiter  auszuführen  und  durch  den  Erfolg  zu  le- 
gitimieren. TT  522  geben  alle  Handschriften  (o  naidl  äftvvei, 
Aristarch  ov  naiöög  äjuvvei  mit  der  famosen  Erklärung  iXXeuzsi 
fj  tteqi,  wozu  Aristonikos  bemerkt:  oi  de  äyvorjoaweg  —  ein 
solcher  Vorwurf  gilt  häufig  dem  Zenodot  —  yqäcpovoiv  ,d  <3' 
ovo'  cp  jiaiöl  äfivveC.  Kann  es  ein  besseres  Zeugnis  für  unsere 
Theorie  geben?  Zu  N  40  "Exxoqi  Tlgia/uld)]  äjuorov  fxsjiiacTjTeg 
enovxo  teilt  mir  Menrad  die  treffliche  .Emendation  jUEjuacon 
e'jiovro  nach  N  80  mit  als  „einen  schlagenden  Beweis,  was  die 
Vermeidung  des  Hiatus  angerichtet  hat".  N  100  deivöv,  o  ov 
nox'  eyco  ys  reXevrrjOEö&ai  ecpaoxov  hat  Heyne  o  firj  ttot'  vor- 
geschlagen. Dieser  Vorschlag  wird  scheinbar  durch  den  cod. 
Townl.  bestätigt.  Aber  damit  wie  mit  der  Konjektur  von 
Brandreth  o  x  ov  fällt  nur  das  grammatisch  durchaus  richtige 
ov  tiot1  ecpaoxov  der  Hiatusscheu  zum  Opfer.  — ■  iV113  gibt 
X  ovvexa  f)zi/ut]OE  (besser  ovvexa  fjrijuaooE):  zur  Vermeidung 
des  Hiatus  wurde  das  sonst  nirgends  bei  Homer  vorkommende 
und  eigentlich  abnorme  änr]rijur]0£  in  den  Text  gebracht  und 
stand  im  Exemplar  des  Äschylos,  der  das  Wort  Eum.  95  ge- 
braucht.   Den  Spuren  attischer  Redaktoren  folgend  hat  Cobet 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  139 

ovvex*  äq1  tjriuyoe  vermutet.  —  X216  geben  die  Handschriften 
mit  Aristarch  vcot  y"1  eoXna,  Zenodot  hatte  vCo'iv  eoXna,  richtig 
ist  vcöi  pepoXna:  von  y1  stammt  von  der  attischen  Redaktion 
her,  Zenodot  hatte  in  seiner  Vorlage  noch  vcot:  v&iv  ist  sein 
eigenes  Verdienst.  —  Die  Wendung  /o/t£  .  .  re  findet  sich  nur 
einmal  N  230  reo  vvv  /^t'  anoXrjye  xekeve  re  cpmrl  exdorco. 
Der  Syrische  Palimpsest  aber  bietet  xeXeve  de.  Es  ist  also  [xrj 
äjiöXrjye  zu  f.nqr'1  aTiöX^ye  und  diesem  zuliebe  de  zu  re  ge- 
worden. —  An  N  267  xal  rot  e/uol  nana,  re  xXtoh]  xal  vrjl  fie- 
Xaivf]  noXX'1  evaga  Tgcbcov  hat  schon  Döderlein  Anstoß  genom- 
men und  ndga  t'  ev  xXiolij  vermutet;  denn  die  erbeuteten  Waffen 
sind  nicht  bei,  sondern  in  dem  Zelte.  Aber  in  ndga  (=  nd- 
geori)  t'  ev  steht  re  an  ungehöriger  Stelle;  deshalb  verlangt 
Leeuwen  nag''  ivl  xXioli].  Der  überlieferte  Text  erklärt  sich 
aus  ndga  ev:  als  re  des  Hiatus  wegen  eingefügt  war1),  wurde 
ndga  zu  Jiagd  und  ev  fiel  weg.  Vgl.  E  603  to5  (51  alel  ndga 
eis  ye  fiecov.  —  El  geben  die  meisten  Handschriften  ßeg/a/jn]  xal 
Xovorj  äno  ßgörov  altiaroevra,  nur  S  hat  Xovoi]  <5'  für  xal  Xovorj. 
Diese  Lesart  verdient  den  Vorzug,  weil  sie  die  Auflösung  Xoeojj 
de  (Brandreth  Xoeoijoi  ö\  Nauck  Xoeojj  re)  gestattet,  und  der 
Hiatus  in  Xoeorj  de  an  6  ßgörov  erklärt  die  Änderung  des 
Textes.  Die  Verbesserung  von  H.  L.  Ahrens  Y  229  äxgov  enl 
mjyjulva  (für  g^yfiivog)  ä).6g  ist  jetzt  ziemlich  allgemein  in  den 
Text  aufgenommen.  Daß  trotz  des  vorhergehenden  (227)  äxgov 
en"1  ävftegixoiv  xagnov  der  Fehler  entstand,  kann  nur  durch 
den  Hiatus  bewirkt  sein.  —  Die  Form  ee  für  e  kommt  nur  an 
zwei  Stellen  I"  171,  Q  134  vor,  an  der  ersten  in  der  Verbin- 
dung ee  <3'  avrov,  an  der  zweiten  in  dem  Versschluß  ee  <5' 
etjoya  jidrrojv.  An  der  ersten  bietet  der  cod.  Barocc.  e  de  avrov 
(vgl.  S  162  evrvvaoa  e  avrrjv,  P  551  nvxdoaoa  e  avrrjv),  welches 
auch  an  der  zweiten  trotz  der  Autorität  Aristarchs  herzustellen 
ist.  In  &eovg,  e  de  e^oya  jidvrcov  ist  vor  de  der  Trochäus  des 
vierten  Fußes  ohne  Bedenken.     Vgl.  Leeuwen   Enchir.  S.  18  ff. 


l)  So  haben  77  386  die  meisten  Handschriften  dt]  ävdgeooi,  andere 
(SgT  u.  a.)  bieten  örj  x  ävdoeooi.  77  96  ist  Si  r'  iäv  für  <5'  idav,  Tl  94 
xovg  ye  cpiXei  für  xovg  cpikeei   überliefert. 


140  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

1^259  hat  Aristarch  r\  ga  xal  ev  öeivco  odxe'i  elaa"1  oßgifiov 
ey%og  gerettet;  die  Handschriften  geben  odxei  rjkaoev.  —  Einen 
wahren  Triumph,  möchte  ich  sagen,  feiert  die  Duldung  des 
Hiatus  0  162  8  <5'  ävEoyßxo  ölog  'A%dXevs  IIr\hdba  fieUrjv,  o 
(51  öjuagxf]  (so  der  Syr.  Palimpsest  mit  anderen  für  äjiiagxfj) 
öovgaotv  äjuqpig  rjgayg  'Aoreoojicuog,  ejieI  negide^iog  fjev'  xal  g 
exEoqy  juev  dovgl  odxog  ßäfov:  unmöglich  kann  zu  dovgaoiv 
aus  dem  Folgenden  ßdfo  ergänzt  werden;  es  muß  dovgaxa  oder 
vielmehr  dovgaxE  geheißen  haben.  Für  äpcpig  (gesondert,  ge- 
trennt) müßte  es  ä^icpi  heißen;  aber  jetzt  gewinnt  die  von 
Didymos  überlieferte  Lesart  der  Massilischen  Ausgabe  o  <5' 
ä/btagrf]  dovgaoiv  äjxya)  Sinn  und  Verstand;  denn  dovgare 
äjuqpco  ist  der  naturgemäße  Ausdruck,  während  äjuqxD  bei  dov- 
gaotv unbrauchbar  ist,  um  so  mehr  aber  seine  Ursprünglich- 
keit zur  Schau  trägt.  —  Einen  hervorragend  lehrreichen  Fall 
bietet  P458,  in  dem  von  den  Rossen  des  Achilleus  erzählt  wird: 

gifiqia  cpsgov  ftobv  ägjiia  fiExä   Tgomg  xal  Ayaiovg. 
toToi  (5'  eji    Avrojuedcov  judy£z\  äxvvjUEvög  JiEg  ixaigov, 
l'njioig  auooojv  cog  t'  alyvniog  juExä  yjjvag. 

Gewöhnlich  nimmt  man  im  xoloi  im  Sinne  „gegen  die  Troer". 
Aber  dazwischen  steht  Ayaiovg.  Mehr  Sinn  hätte  es  im  toioi 
von  den  Rossen  zu  verstehen;  das  wird  aber  durch  Xnnoig  allo- 
ocov  ausgeschlossen.  In  der  Odyssee  finden  sich  häufig  Stellen 
wie  xoTg  äga  [iv&cov  r)gy£,  in  denen  einer  nur  zu  einem  spricht 
(Stud.  z.  Od.  S.  59  f.),  wo  man  also  reo  äga  erwartet.  Ebenso 
muß  es  hier  x(ö  öe  eti  heißen  („auf  dem  Wagen").  —  2  312 
"Exxogi  juev  ydg  ijtrjvrjoav  xaxä  /urjxiöovxi,  Tlolvdd^avxi  ö  äg 
ov  rtg,  os  EoftXijv  (pgd&To  ßovXrjv  muß  man  die  Lesart  von 
Epaphroditos  bei  dem  Scholiasten  T  ov  xi  deshalb  annehmen,  weil 
ov  xig  der  Vermeidung  des  Hiatus  verdankt  wird.  —  Zu  den 
unglaublichsten  Annahmen  gehört  die  Erklärung  von  6  230 
EvywXai  .  .  äg  onöx"  ev  Arj/uvco  xEveavxkg  fjyoQäao&e,  worin 
man  oteöY  ev  Atfiivqy  im  Sinne  von  ojtöY  fjfiev  (oder  ^xe)  auf- 
fassen will.  Diese  Stelle  kann  als  ein  deutliches  Kennzeichen 
des  Kampfes  gegen  den  Hiatus  erscheinen,  wenn  man  äff  jtWxe 


Textkritische  Studien  zur  IÜas.  141 

iv  Arj/xvco,  nicht  mit  Heyne  äg  not"1  evl  Ar/jura)  schreibt.  — 
Welche  Verwüstung  im  ursprünglichen  Texte  dieser  Kampf  an- 
gerichtet hat,  kann  schon  der  eine  Vers  E  748  =  &  392 

"Hgt]   de  judoxiyi  dotbg  enejuaiex'1  äg"1  injiovg 

lehren.  Warum  Hera  die  Geißel  rasch,  flink  gebraucht,  kann 
man  sich  nicht  denken.  Ferner  steht  äga  zwecklos.  Qoog 
(flink)  ist  das  Epitheton  der  jadoxtg~  P  430  judoxiyi  &ofj  ene- 
jiiaiero  fieivojv:  enejuaiexo  Xnnovg  bezeugt  Eustathios,  also  lautet 
der  Vers  mit  zwei  Hiaten: 

"Hqyj   de  /udoxtyi  ftof/  enejuaiexo  Xnnovg. 

In  ähnlicher  Weise  ist  O  535  avgiov  i)  dg  ext]  diaeioexai  in 
avgiov  fjv  ägexijv  übergegangen;  denn  el'do/uai  bedeutet  „komme 
zum  Vorschein",  diaeidojuai  „komme  deutlich  zum  Vorschein" 
und  ist  nicht  transitiv.  Die  beste  Bestätigung  gibt  N  277  eig 
löyov,  evda  p,dklax>  dgexi]  diaeidexai  dvdgcöv.  Data  Q  549  äv- 
o%eo  juqö'1  dXiaoxov  ödvgeo  oöv  xaxd  fiv/uöv  nicht  dXiaoxov  ödvgeo, 
sondern  aXaoxov  der  richtige  Ausdruck  ist,  daß  es  also  jutjde 
äXaoxov  ödvgeo  heißen  muß,  zeigt  £  174  vvv  av  Tiaidbg  aXa- 
oxov öövgo/uai.  Dem  entspricht  nevdog  äXaoxov  a  342,  Q  105, 
aypg  äXaoxov  6  108,  ein  Jammer,  der  die  Besinnung  raubt; 
denn  äXaoxog  hängt  nicht  mit  X^&co  (keift-),  sondern  mit  dXaivm, 
aXr]  zusammen,  wie  dXAoxwg  (von  dXaiva)  wie  fiidoxwg  von 
juiaivoj)  der  Irrgeist  ist.  Vgl.  enaXaoxeai  a  252  bin  blind- 
wütend. "AXmoxov  öövgeodai  heißt  also  „so  jammern,  daß  man 
ganz  verstört  ist";  dagegen  ist  dXiaoxog  (Xid£ojuai)  einer,  dem 
man  nicht  ausweichen  kann,  überwältigend:  noXepog,  p-dyr}, 
öjuaöog,  entsprechend  auch  yoog  Q  760.  Nur  die  Hiatusscheu 
kann  in  Y  54  djg  xovg  äfxcpoxegovg  jiidxageg  &eol  öxgvvovxeg 
ovjußaXov,  ev  <3'  avxoig  egida  grjyvvvxo  ßagelav  bewirkt  haben, 
daß  man  die  durch  den  Sinn  unbedingt  geforderte  Verbesse- 
rung avxol  übersah;  iv  steht  wie  häufig  adverbial  („darunter", 
unter  den  Kämpfenden).  -  Die  Hiatusscheu  hat  auch  die  ab- 
norme Form  jiegiöcuaedov  W  485  hervorgebracht,  welche  die 
meisten  und  besten  Handschriften  in  devgo  w ,  i)  xgmodog 
7iegtdw/ue&a  f]h  Xeßrjxog  geben.   —  W  537   ist  allgemein  äefiXiov, 


142  1.  Abhandlung:   N.  Wecklein 

(hg  emeixeg,  devxeQ*'  äxäo  xd  noöbxa  xxe.  für  de&Xiu  trotz  öev- 
xega  überliefert.  Die  Verbesserung  von  Bothe  wird  gewöhnlich 
verschmäht.  —  ü  358  &g  cpdxo,  ovv  de  yegovxi  voog  yvxo,  beibie 
<5'  alvcbg  wird  die  Unform  öelÖie,  welche  Öeiöiei  lauten  müßte, 
gleichfalls  dem  Hiatus  verdankt,  wenn  sie  freilich  Z  34  auch 
am  Anfang  des  Verses  sich  findet.  Die  richtige  Form  ist  bei 
Hesych.  el'öeiev  (d.  i.  el'diev)'  ecpoßeXxo  erhalten:  sl'die  =  eÖfie. 
Schon  Brandreth  hat  eödie  geschrieben.  —  A  100  ox/jdeoi  nafx- 
(paivovxe,  ejxel  negiövoe  yacovag  soll  negidvco  die  Bedeutung 
„ausziehen"  haben.  Weil  man  begreiflicherweise  an  dem  Aus- 
druck Anstoß  nahm,  wurde  enel  xXuxd  xevyj?  äm]vga  dafür 
gesetzt.  Peppmüller  hat  txeqI  Xvae  nach  U  804  vermutet,  aber 
der  Leibrock  wird  nicht  gelockert  wie  der  Panzer,  sondern 
ausgezogen.  Und  das  passende  Wort  dafür  ist  einzig  dne- 
Svoe.  —  Die  öfters  sich  ergebende  Notwendigkeit  nach  einem 
tadelnden  Vokativ  noiov  eemeg  in  olov  eemeg  zu  verwandeln 
(Stud.  z.  Od.  S.  59)  wird  bestätigt  durch  N  824  Älav  ä/uag- 
xoeneg,  ßovydie,  olov  eeuxeg.  So  nämlich  geben  cod.  Paris  2766, 
Vind.  5,  Barocc.  203  und  das  Seltenere  ist  wahrscheinlicher 
als  das  Näherliegende.  Auch  Leaf  merkt  an:  note  that  noiov 
of  the  vulg.  is  evidently  meant  to  avoid  the  hiatus;  olov  is 
the  regulär  word  in  this  connexion.  Auch  3  330,  77  440, 
^361  aivoxaxe  Koovidrj,  noTov  xbv  /nv&ov  eeuxeg  ist  olov  zu 
setzen;  denn  die  Frage  hat  keinen  Sinn.  Wie  nach  Stud.  z.  Od. 
S.  52  zur  Vermeidung  des  Hiatus  dcpixoio  für  Txoio  gesetzt 
wurde,  so  gibt  A  von  erster  Hand  in  3  43  x'inxe  Xiniov  tioXe- 
juov  (p&ioi'p>OQa  dsvo'  Ixdveig  für  öevgo  ixdveig,  während  die 
meisten  devo^  dcpixdveig  haben.  In  der  Ilias  kommt  d<ptxdvco 
nur  noch  einmal,  und  zwar  in  einer  interpolierten  Stelle  Z  388 
vor.  —  Ebenso  ist  ü  338  IJt]Xetcova  Ixeo&ai  zu  IJ^Xeicovdd'' 
ixeo&ai  geworden;  die  Verbindung  von  de  mit  einem  Eigen- 
namen steht  vereinzelt.  —  Oben  S.  25  wurde  die  abnorme 
Form  mjunXdvo) ,  die  sich  nur  7  679  findet,  beseitigt.  Eine 
solche  Form  ist  auch  xvödvoo,  die  zweimal  vorkommt,  3  73  in 
der  Bedeutung  von  xvöaivo)  (zeichne  aus),  Y  42  in  der  Be- 
deutung  von   xvdidoj  (bin  stolz).     An  der  ersten  Stelle  geben 


Textkritische  Studien  zur  llias.  143 

mehrere  Handschriften  (G)  xvöalrei  und  dieses  kann  beibe- 
halten werden,  wenn  man  xvöaivEi,  äju/uov  (für  yjaeregov) 
de  juevog  xal  %£~ioag  eöyjoev  schreibt,  so  daß  der  Hiatus  für  die 
Verderbnis  verantwortlich  wird.  An  der  anderen  Stelle  F42 
wird  das  richtige  Wort  mit  xfjog  "Ayaiol  juev  jueya  xvöiaov, 
o  z1  (für  xvöavov,  oüvex"1)  3A%iXXevg  i^e(pdv7]  gewonnen.  —  iVT449 
gibt  Aristarch  0990a  l'öy,  olog,  die  meisten  Handschriften  geben 
l'öyg:  da  diese  Lesart  nur  dem  Hiatus  verdankt  wird,  ist  die 
Wahl  nicht  schwer.  —  Zu  N  399  haben  wir  die  ausdrückliche 
Angabe,  daß  Aristarch  avxdg  o  äodjualvcov:  xcoQtg  xov  y 
hatte,  während  die  meisten  Handschriften  o  y"1  geben.  Also 
muß  die  Partikel  auch  in  E  585  den  meisten  und  besten  Hand- 
schriften zum  Trotz  wegfallen.  —  Über  den  Unterschied  von 
yvla  Xveiv  (vgl.  Z  27,  0  581,  77  341)  und  yovvaxa  Xveiv  siehe 
Über  die  Methode  der  Textkritik  S.  77  f.  Wenn  darnach  öf- 
ters im  Ausgang  des  Verses  yvTa  eXvoev  für  yovvax"1  eXvoev  zu 
setzen  ist,  so  kann  auch  auf  O  269  (=  X  24)  verwiesen  wer- 
den, wo  cog  "Exxojq  kaiipiiga  noöag  xal  yovvax1  ivco/ua  über- 
liefert ist  und  nur  in  T  nveg  ,yv7a'  steht.  Hiernach  hat 
Düntzer  W  444  cpdi)oovxai  xovxoioi  Jiödeg  xal  yvTa  (für  yovva) 
xajuovra  emendiert.  Vgl.  E  122  yvia  ö"1  e&rjxev  iXaqoQa,  noöag 
xal  %EiQag  vjieg&er.  Die  Unterscheidung  von  noöag  und  yov- 
vaxa  (auch  $  611)  ist  seltsam,  als  ob  sich  mit  den  Füßen  nicht 
auch  die  Kniee  regten.  Den  sprechendsten  Fall  dieser  Ver- 
tauschung bietet  T  354  Iva  fxrj  juiv  Xijuög  äiegnrjg  yovra&'1  l'xoixo: 
Hunger  in  die  Kniee!  In  iT  139  'Axgeid)],  vvv  Ötj  nov  A%iX- 
Xfjog  öXobv  xfjg  y^i&eei  iv  oxiyd^Eocpi,  (povov  xal  q)vt,av  'A%aia>v 
öeqxojuevoj  geben  minderwertige  Handschriften  ösqxojlievov  :  wahr- 
scheinlicher und  dem  epischen  Stil  angemessener  ist  AxiXXe'C}) 
Vgl.  t]  269  yijdrjOE  öe  juoi  qplXov  yxoo,  ü  321  näoiv  evl  (pgeol 
ftv/xog  lav&rj,  ö  840  (piXov  öe  oi  fjxog  lav&rj.  —  Dem  Hiatus 
verdankt  man  auch  die  ungewöhnliche  Form  y/joaro  3  270 
ojg  <päxo'  */j]oaxo  o°  "Ynvog:  Nauck  hat  nach  t  353  fjoaxo  ver- 
mutet; es  ist  einfach  yalgs  ök  "Ynvog  zu  schreiben.  —  O  743 


*)  Die  gleiche  Emendation  teilt  mir  Herr  Menrad  mit. 


IM  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

lmt  Lachmann  mit.  Recht  xothj  tm  vrjt  gefordert,  da  es  sich 
um  das  Schiff  des  Protesilaos  handelt:  xö'ilr\g  etil  vr\vol  ist  um 
des  Hiatus  willen  dafür  gesetzt  worden.  —  Wie  in  den  Stud. 
z.  Od.  S.  31  ovök  eqovxo  für  ovo"  egeovxo  A  332,  ß  445,  ex  xe 
eqovxo  für  ex  t1  egeovxo  7  671  hergestellt  worden  ist1),  so  wird 
B  398  ävoxdvxeg  <5'  ögeovxo  und  £'212  rot  ö'  ögeovxo  die  ab- 
norme Form  ögeovxo,  die  man  als  ein  Frequentativum  zu  kgo/uai 
(Hesych.  eqeto'  cbgju/i&t])  erklären  will,  mit  ök  ögovxo  besei- 
tigt. Leeuwen  schreibt  $'  cogovxo,  aber  hieraus  wäre  öoeovxo 
nicht  entstanden.  Vgl.  fjök  i'avov  co  209,  coxa  ixEoftai  co  430. 
äfjupi  &£  (<*'  «V  ABM,  de  t  die  meisten)  Q  83.  -  Das  Medium 
xvgexai  in  Q  530  aXXoxe  }xev  je  xaxco  ö  y£  xvgExai,  äXXoxe  (31 
eo&Xco  findet  sich  sonst  nirgends:  xvgsi  wurde  um  des  Hiatus 
willen  geändert.  —  Ebenso  xegjua  in  xeguaz'1  !F333  xal  vvv 
TEQfxax'1  (nur  M  xeg^)  edi]xe,  wie  der  Singular  323,  462  steht 
und  xegfxafr  oder  xEgfiax'  die  Handschriften  auch  309  vor  eXio- 
oej-iev  (feXiooe/uev)  haben.  —  £"516  gibt  S  das  nichtepische 
ovökv  für  ov  xi,  ^  318  ist  ovökv  eogycog  für  ov  xi  fefogycog 
überliefert:  wie  hier  wegen  des  vermeintlichen  Hiatus,  so  ist 
in  A  244  und  412  ovökv  k'xioag,  II  274  ovöev  exloev  ,  x  370 
ovöev  exiov,  i  287  ovöev  ä/xetßexo,  o  130  ovöev  äxiövöxegov, 
v  366  ovöev  äeix/jg,  2  500  fzrjöev  tteoftai,  X  332  ovökv  omteo 
ovöev,  fjLtjöev  für  ov  u,  jui]  xi  um  des  wirklichen  Hiatus  willen 
gesetzt  (K  216,  i  34,  wahrscheinlich  auch  ö  248  steht  ovöev  in 
unechten  Stellen,  ü  370  ist  ov  xev  für  ovöev  zu  schreiben, 
sonst  müßte  es  xaxöv  heißen;  ö  348  tcov  ovöev  xoi  eyco  xqvipco 
fällt  unter  die  Stellen,  die  wegen  Nichtbeachtung  des  Iktus 
in  ov  xi  geändert  worden  sind;  ö  195,  t  264  ist  ov  xi  ebenso 
wie  E  516  zu  setzen.  Vgl.  Leeuwen  Enchiridion  §  100.  — 
II  457  xag%voovoi  .  .  xv/ußco  xe  oxi)h]  xe'  xö  ydg  ykgag  eoxl 
davövxcov  ist  nach  W  9,  co  190,  M  344  o  ydg  zu  schreiben 
(Hiatus  nach  dem  dritten  Trochäus!).  —  Auf  der  Tat  wird  der 
Korrektor  ertappt  in  II  251  vrjcov  juev  oi   djicooao&ai    noXe/növ 


l)  Mit  diE^etgeofte  in  Ä'432  alla  xi r\  i/ns  ravxa  dts^sgisoßE  s'xaora; 
wird   auch   der  Rhythmus  des   sonst   aus   lauter  Daktylen    bestehenden 


Verses  gebessert. 


Textkritische  Studien  zur  Iliaa.  145 

re  jud%r]v  xe;  denn  es  wird  auf  246  äjio  vavcpi  fidyr\v  evojirjv  xe 
dirjjai  zurückgewiesen,  es  hieß  also  ursprünglich  änwoaodm 
evoTirjv  xe  j.iö\yr\v  xe,  wie  diese  Verbindung  auch  sonst  ge- 
läufig ist,  z.  B.  M  35  jud%i]  hont)  xe.  —  In  dem  Gebet  des 
Achilleus  Zev  äva,  Aoodcovais,  ÜEXaoyixE,  xrjXofti  vaicov,  Aoj- 
dcovrjg  jueÖecov  Övoxeijueqov,  äjurpl  dk  ZeXXoI  ool  vaiovo*  vnocprjxai 
77  234  hat  Pindar  nach  der  Angabe  des  Scholion  A  d.  h.  des 
Didymos  'EXXoi  (ycoglg  xov  ö)  gelesen.  Daraus  darf  man  nicht 
ohne  weiteres  schließen,  daß  Pindar  äju(pl  di  o'  'EXXoi  im  Text 
gehabt  habe;  er  kann  ebensogut  äjiMpl  de  'EXXoi  gelesen 
haben,  wenn  auch  ex,  nXrjoovg  in  der  Angabe  des  Aristonikos 
auf  a1  'EXXoi  hinweist.  Aristonikos  verweist  für  ZeXXoi  auf  den 
Namen  des  Flusses  ZeXXyjeis,  dagegen  erinnert  EXXoi  an  die 
Landschaft  'EXXonia  und  Fick  bemerkt:  „Achill  betet  hier  als 
Mitglied  der  hellopisch- hellenischen  Amphiktionie  von  Do- 
dona."  Vor  ooi  ist  o1  EXXoi  nicht  brauchbar.  Daß  Sophokles 
nach  Trach.  1166  yaixaix.oixcbv  2eXXcov  in  seinem  Text  ZeXXo'i 
gehabt  hat,  beweist  nichts  gegen  'EXXoi,  sondern  läßt  nur  er- 
kennen, daß  die  Änderung  auf  die  attische  Redaktion  zurück- 
geht. —  P  249  mag  die  Lesart  der  meisten  Handschriften  oi' 
xe  TiaQ*  Axgeidyg  Ayafie/uvovi  xal  3IeveXdcp  dtj/uia  Jiivovoiv 
mit  dem  Hiatus  von  ArgEiö?]  'AyafiEjuvovt,  wie  SEbC  geben, 
zusammenhängen.  Damit  wird  die  Lesart  von  EbCZ  Aya- 
jUEjuvovt  jioifXEvi  Xa&v  verbürgt,  da  die  Bewirtung  der  Geronten 
Sache  des  Oberfeldherrn  ist.  Vgl.  5  404,  J259f.,  A  344, 
773.  —  In  P112  7ia%vovxai,  äexcov  Öe  x"1  sßr)  djiö  jueooüvXoio 
fehlt  x  im  Townl.  und  einem  Harl.,  Nauck  hat  de  (ohne  t1) 
vermutet  und  Leaf  hat  dies  aufgenommen  mit  der  Bemerkung: 
the  vulg.  öe  t1  is  a  mere  stopgap  to  save  the  hiatus.  —  2  375 
Xqvoeo.  öe  oq?  vtio  xvxXa  exdoxqp  Tivd-juevc  vxr)xev :  aus  E  240 
vtio  öe  $Qfjvvv  tiooIv  ?joei,  x  57  vtio  vxQfjvvv  noolv  fjxev  er- 
gibt sich,  wie  Herwerden  gesehen  hat,  daß  es  e'tjxev  oder 
fjxev  heißen  muß;  es  wird  Jivfijuevt  fjxev  dem  Tiv&juev'  e'tjxev 
vorzuziehen  sein,  weil  sich  damit  der  Grund  der  Korruptel 
ergibt.  —  Ebenso  entspricht  in  2  322  /.lex"1  dvegog  l'xvS  eqev- 
va>v,  ei  noftev  e^evqoi  nicht  Jioftsv,   sondern    tzo&i   dem  Sinne. 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  7.  Abh.  10 


146  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

—  Auch  (Z*  221  verbürgt  uns  die  gleiche  Methode  eine  aus- 
gezeichnete Lesart.  Der  Flußgott  ruft  dem  Achilleus  wütend 
zu:  ob  de  xxeiveig  ätö/jXojg'  all"1  äye  di]  xai  eaoov.  M  gibt 
eaooov,  nach  dem  Scholion  T  schrieben  manche  eaoov  mit  dem 
Sinne  jiI^qujDyjxl.  Aber  die  Form  kann  nur  äoov  lauten  (äoai 
sich  sättigen).  Das  vorausgesetzte  e  soll  nur  den  Hiatus  be- 
seitigen. Wie  schal  nimmt  sich  eaoov  (Schol.  acpeg,  „laß  es 
auch  gut  sein")  gegen  äoov  („werde  des  Mordens  endlich  satt") 
aus!  Mit  dem  Hiatus  vgl.  z.  B.  xexxa,  oiouifj  \  f,oo  A  412.  — 
Mit  xoiay  ydo  rot  vwi  &ecöv  emiagoodio  eijuev  0  289  stellen 
sich  Poseidon  und  Athene,  welche  in  der  Gestalt  von  Men- 
schen zu  Achilleus  hintreten,  als  Götter  vor;  der  Sinn  ver- 
langt also  ded>.  —  <P  397  ovxdfievai,  aim)  de.  jravoipiov  ey%og 
elovoa  hatte  die  Ausgabe  des  Antimachos  <5'  vjzovootpiov,  wozu 
mit  Recht  bemerkt  wird:  y.al  xi  noxe  bi  avxov  delei  drjXoüo&ai 
äjueivov;  die  im  Scholion  A  vorkommende  Erklärung  omodiöiov 
scheint  sich  auf  vnovöocpiov  zu  beziehen,  welches  auch  in  einem 
Papyrus  über  jtavoynov  steht.  Aber  auch  über  die  Bedeutung 
von  Tiavoipiov  war  man  sich  nicht  klar.  Aristarch  deutete  es 
mit  ?mju7iqov  xal  emcpaveg,  dem  Zusammenhang  entspricht  ein 
Epitheton,  mit  dem  Ares  seinen  Ärger  zu  erkennen  gibt.  Man 
hat  naviipiov,  navojiXiov,  Jiekojgiov,  Tiavaiolov  vermutet.  An 
der  Korruptel  scheint  sich  wieder  der  Hiatus  beteiligt  zu  haben. 
Zu  -T  42  ist  uns  für  vnoxpiov  die  Lesart  des  Aristophanes  eno- 
yjiov  überliefert,  die  aber  nicht  mit  dem  Scholion  T  enl  jzdvxojv 
öqojvxcov  zu  erklären,  sondern,  wie  Fick  gesehen  hat,  mit  eyjia 
in  Verbindung  zu  bringen  ist,  vgl.  eyeyidojuai,  also  etwa  „zum 
Gespötte  dienend",  „lächerlich".  —  X  320  ndXXev  defixegf]  q?go- 
veoov  y.axbv  "Exxogi  öico  hat  Nauck  nach  H  70  und  nach  ß  45, 
wo  Aristophanes  an  der  gleichen  Versstelle  vor  einem  Vokal 
xaxd  für  xaxov  erhalten  hat,  xaxd  hergestellt.  —  Elmsley  hat 
beobachtet,  daß  im  Dual  des  Verbums  die  zweite  Person  keine 
andere  Form  gehabt  hat  als  die  dritte.  In  Konflikt  mit  dieser 
Beobachtung  kommt  ß  455  ovx  av  eq)"1  vjuexegwv  oyjmv,  nXr\- 
ysvxe  xegavvqj,  axp  eg  "OXvjjltiov  Xxeoftov,  tV1  d&avdxujv  edog 
eoxiv.  Elmsley  will  sich  mit  ixqo&ov  behelfen,  welches  mit 
av  das  Futurum   vertreten  soll,   wie  es  häufig  bei  Homer  der 


Textkritiscbe  Studien  zur  Ilias.  147 

Fall  ist.  Allein  der  Zusammenhang  (xev  xexeleofxevov  yev  geht 
voraus)  erfordert  unbedingt  den  Irrealis.  Es  ist  also  l'xeo&e, 
wie  ein  Cant.  bietet,  um  des  Hiatus  willen  in  l'xeo&ov  ebenso 
wie  unten  S.  48  ecponli^eod  e  in  ecponli^eoßov  geändert  wor- 
den. —  K  545  ist  xaxadvvxe  ojluXov  nach  laßerer  nur  in  ge- 
ringeren Handschriften  erhalten;  doch  kennt  auch  der  Scho- 
liast  diese  Variante.  —  M  101  haben  ZaQ7ii]dd)v  (5'  fjyeTxo  (wie 
VQX£  93,  98)  äyaxXeircov  emxovQWv  nur  zwei  Handschriften 
(Paris.  2766  u.  Vindob.  5)  bewahrt,  die  meisten  geben  i)yt]oax\ 
—  M  104  haben  fast  alle  Handschriften  dgtoxot  xöjv  aXXcov 
tuexd  /  avxöv;  nur  einzelne  geben  juexd  ö(e)  oder  juex''  (ohne 
;-'):  da  in  dieser  ziemlich  häufigen  Wendung  juerd  immer  ohne  ye 
steht,  ist  jueiä  avxov  herzusteilen.  —  Wenn  .s  62,  wo  die 
Handschriften  mit  Aristarch  ei'  xt  voog  gefet  geben,  von  Didy- 
mos  die  Varianten  y*  eofet  und  <5'  egget  mitgeteilt  werden ,  so 
ergibt  sich,  wie  schon  L.  Meyer  erinnert  hat,  die  ursprüng- 
liche Lesart  et  xt  voog  /egget.  —  O  41  schwört  Hera:  /xrj  öS 
etup'  loxqxa  IIooeiddo)v  evoo'tyßmv  nrjjbiaivet  Tgcoag.  Es  ist  be- 
obachtet worden,  daß  sonst  nur  der  Dativ  toxrjxt  vorkommt. 
Deshalb  hat  B.  Ansems,  Bedeutung  und  Gebrauch  von  öid  bei 
Homer  S.  39  jutj  xt  ififj  I6xi]xt  vermutet;  aber  die  Ähnlichkeit 
von  dt1  und  xt  hat  keinen  Wert,  da  es  sich  um  die  Beseiti- 
gung des  Hiatus  handelte.  Dagegen  erfordert  der  Schwur  ein 
anderes  Wort,  nämlich  jitev.  Vgl.  firj  /uev  TT  330,  T261,  1^585, 
d  254,  x  462.  Also  war  der  ursprüngliche  Text  jui]  juev  ejuf/ 
I6x7]xt.  —  T  47  reo  de  övco  oxdCovxe  ßdxijv  'Ageog  ■&egdnovxe 
erregt  die  Form'^losos  oder  "Agecog  Anstoß.  Diese  Form  kommt 
nur  A  441  und  &  267  in  einem  interpolierten  Verse  bzw.  in 
einer  jüngeren  Partie  vor.  Die  epische  Form  ist  'Agqog  und 
■ßegdjiovxeg  "Agijog  der  geläufige  Versschluß.  Also  ist  ■&egd- 
novxe  "Agiyog  des  Hiatus  wegen  umgestellt  worden.  —  0  316 
fordert  der  Zusammenhang  cpi-jal  de  (für  ydg)  ovxe  ßtrjv  %gat- 
o^oe^iev  y.xe.,  da  Skamandros  dem  Trachten  des  Achilleus 
widersprechen  will.  —  Q  390  netgä  e/ueTo  xat  el'oeat  "Exxoga 
dTov  verlangt  der  Sinn  (vgl.  Römer,  Jahrb.  117  S.  234)  den 
Imperativ  neige?  .  .  el'geo  (rjgeo  M).  —  Öfters  findet  sich  der 
Vers  (ff  234  V  a.)  10* 


148  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Alav  dioyeveg   TeXajucovie,  xoiqoive  Xadjv. 

Mit  Recht  hat  sich  Nauck  gewundert,  daß  nur  hier  xoiqavE 
an  die  Stelle  des  gewöhnlichen  ög^ajue  getreten  ist.  Der  Grund 
liegt  ebenso  in  der  Hiatusscheu  wie  bei  jueiä  <po£oi  für  evl 
(pQEOt,  bei  /Lieza.  nvoif]  für  ujua  nvoifj,  bei  jusxajaajviog  (jxexo.- 
fubltog)  für  dvEjucoXiog,  bei  xavrjXEyrjg  für  dvrjXsyrjg  u.  a.  (Stud. 
z.  Od.  S.  57  ff.).  —  Wenn  /  698  die  Handschriften  zwischen 
jLir]  öqpEleg  (ASG  u.  a.)  und  jurjö"1  öcpeXeg  (BM  u.  a.)  schwanken, 
so  ist  es  nur  methodisch,  wenn  man  die  erstere  Lesart  bevor- 
zugt, mag  auch  Aristarch  auf  der  anderen  Seite  stehen.  — 
r\  222  haben  in  v/neig  <3'  öxqvveo&e  äju'  fjoi  (pmvofXEvrjcpiv  FU 
ÖTQvveod'E  erhalten,  andere  geben  öxqvveo&\  andere  mit  Ari- 
starch ÖTQvvEG&ai,  ju  297  geht  .das  Schwanken  zwischen  ßidt,EXE 
(Aristarch  mit  den  besten  Handschriften),  ßid&xai,  ßid&od' 
(Zenodot)  und  dlov  iovxa  (Zenodot  wie  M),  novvov  iovxa  (Ari- 
starch mit  den  meisten  Handschriften)  auf  ßid&xs  dlov  iovxa 
zurück.     In  9  502 

älX1    fj    TOI    VVV    JUEV    Jl£l$ÜJ/U£$a    vvxxl   fXElaivt] 

doQjia  t1  iqponXioo/ueod-a'  dxdo  xaXXixoiyag  Xnnovg 
Xvoad''1  vnEg"  ö%eüjv  xxe. 

gibt  Zenodot  die  befremdende  Lesart  £<pojiXi£eo&ov,  die  auf 
£<pojiXi££o&£  zurückgeführt  werden  muß,  das  um  des  Hiatus 
willen  in  EcponXi^Eo&ov  verändert  wurde,  wie  öxqvveo&e  in  oxqv- 
v£o&ai,  ßid^EXE  in  ßtd££o&\  xivvo&E  r  279  in  xivvo&ov,  oxqvve 
in  öxqvvov  ^49.  —  Für  äjucpi  (zu  beiden  Seiten,  um  herum) 
findet  man  vor  Vokalen  an  zahlreichen  Stellen  ä/ucpig  (ge- 
trennt, gesondert):  wie  soll  diese  Vermengung  der  Begriffe  er- 
klärt werden?     Lehrreich  ist  E  722 

"Hßtj  <3'  ä/jKp*  b%EEOcpi  fiocög  ßdXs  xajujivXa  xvxXa, 
idXxEa  öxxojxvrjjua,  oidijoEqj  ätjovi  djuq)lg. 

Mit  dficp1  öxeeooi,  wie  S  gibt,  wäre  die  fehlerhafte  Form  ö%e- 
Eocpi  vermieden.  Die  richtige  Form  o%EO(pi  findet  sich  in  einer 
Breslauer  Handschrift  und  könnte  mit  äjuylg  biEocpi  in  den 
Text    gebracht    werden.      Da    aber    d/.Kp'    biEEocpi    nur    ä/uqpl 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  149 

dyeocpi  sein  kann,  so  ist  damit  auch  die  Änderung  von  äjuqpig 
in  äfxyi  im  folgenden  Vers  gegeben,  welche  bereits  Leeuwen 
vorgenommen  hat.  Entsprechend  ist  auch  djuqplg  edvreg  Q  488, 
S  274,  O  225,  djiuplg  ey^ovre  y  486,  ä/xcplg  e%oiev  •&  340  zu  än- 
dern, welche  Ausdrücke  sämtlich  den  Schluß  des  Verses  bilden. 
A  559  hat  Ahrens  dfxcplg  edyr\  in  djucpijrefdyi]  ändern  wollen. 
Der  Aorist  d[xcp\g  (entzwei)  edyrj  ist  im  Gleichnis  ganz  an  seiner 
Stelle.  A  634,  748  empfiehlt  dfxcpl  exaorov  für  ä/xcplg  exaorov 
schon  das  Digamma  und  haben  an  der  ersten  Stelle  auch  Hand- 
schriften. Ebenso  geben  A  748,  r  46  die  Handschriften  ä/ucplg 
exaorov  (exaora)  für  äficpl  exaorov  (exaora),  welches  Bekker 
hergestellt  hat.  Daß  man  sich  nicht  scheute  äju<pig  um  des 
Hiatus  willen  für  d/ncpi  zu  setzen,  erfahren  wir  auf  eigentüm- 
liche Weise  zu  /  464 

r)  juev  JioXXä  erat  xal  äveynol  ä/j,(plg  edvreg 
avrov  faooofievoi  xareqt)rvov  ev  fieyaooioiv. 

So  geben  alle  Handschriften.  Nach  Didymos  aber  (Schol.  A) 
berichtete  Dionysios  der  Thrazier,  Aristarch  habe  äpylg  eovreg 
für  dvriöo)vreg  gesetzt.  Eine  solche  Willkür  ist  Aristarch  durch- 
aus nicht  zuzutrauen  und  doch  muß  man  sagen,  daß  dvrid- 
covreg  (entgegentretend)  dem  Sinne  vortrefflich  entspricht,  so 
daß  diese  Angabe  allen  Glauben  verdient.  Des  Rätsels  Lösung 
erhalten  wir,  wenn  wir  annehmen,  daß  die  Vorlage  Aristarchs 
dvn  eovreg  (dvri  edvreg)  gab.  Da  Aristarch  mit  dvrl  edvreg 
nichts  anzufangen  wußte,  setzte  er  das  naheliegende  d/ucpig  für 
dvri.  Mit  dvneovreg  für  dvndovreg  erhalten  wir  zugleich  ein 
neues  Beispiel  für  das  von  Johannes  Schmidt,  Die  Pluralbildung 
der  indogerm.  Neutra,  Weimar  1889  S.  332  f.  gefundene  Gesetz, 
nach  welchem  die  Verba  auf  da)  vor  dem  O-Laut  a  in  £  ver- 
wandeln, wofür  schon  in  den  Stud.  z.  Od.  S.  67  einige  Fälle 
nachgewiesen  worden  sind1).     Hiernach  ist  auch  Y  125  dvri- 

x)  Ein  lehrreiches  Beispiel  bietet  sich  E  48,  in  dem  die  meisten 
Handschriften  lov).evov  ftsgaTiovres,.  einige  aber  (FCZ  u.  a.)  eovlsov  eoftlol 
haiQoi  bieten:  die  Form  avkeveiv  findet  sich  nur  noch  ß436,  wo  aber 
in  einem  Papyrus  fiwfisveiv  steht  (s.  oben  S.  28).  —  Nach  dem  erwähnten 
Gesetz  ist  auch  A  348  mit  Christ  atsofisv  für  orscofisv,  nicht  mit  anderen 
ordofisv  zu  setzen. 


150  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

eovxsg  für  avxiöaivxEg  zu  setzen.  Was  äfMplg  elvm  bedeutet, 
kann  am  besten  x  221  lehren: 

d>  yvvai,  ägyaXeov  xöooov  ygövov  äjucplg   eövra 
emsfiev'  f]dr]  yäg  oi  hxooxöv  k'xog  loxlv  xxL, 

„wenn  man  so  lange  Zeit  von  jemanden  getrennt  ist,  so  lange 
Zeit  jemanden  nicht  gesehen  hat".  Die  gleiche  Bewandtnis  wie 
mit  a/xcpig  für  äjiupi  hat  es  mit  äygig  und  pexQis:  es  gibt  nur 
die  Formen  ä%gi  und  /uexQi  auch  vor  Vokalen,  z.  B.  A  522 
äxQtQ  dnr\Xoir\OEv}  II  324  ä%gig  äga^Ev,  ü  128  xexvov  e/uov,  xeo 
fie%Qig  ödvQÖfievog.  —  Vielleicht  hat  nur  der  Hiatus  die  un- 
gewöhnliche Form  xölot  <5'  öig  Xdoiog  /ueyag  ev  xXioirj  Ugevxo 
Q  125  für  oi  de  öiv  Xdoiov  /xeyav  ev  xXioirj  isgsvov  ver- 
schuldet. —  Z258 

&XXd    fXEv\    OCpQOL    XE    XOl    JUeXu^ÖeO    oh'OV    EVEIXO), 

cbg  OTiEioyg  Au  naxgl  xal  aXXoig  ä&avdxoioi 
ngcozov,  EJiEixa  Öe  xavxög  ovrjecu,  ai'  xs  mrjo&a. 

Die  Überlieferung  xavxög  findet  sich  öfters,  aber   so,    daß  xal 
avxog   dafür    gesetzt    und  so   die    nichtepische  Krasis  beseitigt 
werden  kann,  wie  häufig  die  Handschriften  zwischen   xäxslvog 
und  xal  xsJvog  schwanken.     Ebenso  ist  y  255  xo  xal  avxog  für 
xoöe  xavxög  (y'  avxog  Gr)  hergestellt  worden.  —  £  282  ßüxEgov, 
ei  x1  avx-q  7i€Q  E7ioixojii£vr)  Tiöoiv  evqev   ist  xal  dem  Sinne  ab- 
träglich und  nur  um  des  Hiatus  willen  eingeschaltet  worden.  — 
Das  gleiche  gilt  von  N  734  xai  xe  noXtag  iodayoE,   judXioxa  öe 
xavxög   (öe   x1  avxog)    ävEyva),    wo  Hermann   nach   C  185    öe  t' 
avxog  verlangt,  aber   öe  avxog   genügt.     Die    ganz    auffällige 
Krasis  mvxög  E  396,  die  allein  steht,  ist  der  Unkenntnis,   daß 
avxog    bei    Homer   im   Sinne    von    6   avxog   stehen    kann    (vgl. 
3/225  avxä  xeXev&o,   F480  Xnnoi  <3'  avxal  k'aoi  nagoixEgai,  ai 
xö  jidgog  tieq  u.  a.)  entsprungen.     &  360   hat  man   für   7iaxr\g 
ovfxög  nach  Z  414  jxoxeq'  äjuov   (äixöv  d.  i.  ä/nfiov)   mit  Recht 
naxviQ  abflog  gesetzt.  —  Das  öfters  z.  B.  A  288  sich  findende 
wgioxog  stammt  gleichfalls  von  der  Angst  vor   dem  Hiatus  in 
in  6  ägioxog  her.  —  Bei  dem  ungewöhnlichen  a)  dgiyva>x£  (chgi- 
yrcoxE,  co  ' giyvcoxE,   d>   giyvcoxs)   q  375    hat  man  die  Bedeutung 


Textkritische  Studien  zur  Jlias.  151 

der  Hebung  außer  acht  gelassen;  das  Richtige  bietet  F  mit 
dgiyvojxe.  —  Mit  xdcpgov,  fj  #'  Xnnovg  xal  Xaöv  egvxdxt]  ä/uq)lg- 
eovoa,  fxr]  nox1  enißgio}]  JioXefiog  Tqcocov  dyegfhymv  H  342  wird 
die  Bestimmung  des  um  das  griechische  Lager  gezogenen  Gra- 
bens angegeben.  In  dem  Sinne  „rings  herumlaufend"  müßte 
es  dfxcpl  eovoa  heißen.  La  Roche  bemerkt:  „besser,  dazwischen 
liegend',  zwischen  den  Troern  und  Achäern".  Aber  diese  Be- 
deutung wird  mit  O  444  Aiog  äfxcplg  fjoftqv  „getrennt,  fern 
von  Zeus",  N  706  djuylg  eegyei  „hält  getrennt",  0  709  dficplg 
juevov  „aus  der  Ferne",  £  352  dficplg  ixeivojv  „fern  von  jenen" 
nicht  erwiesen.  Dagegen  wird  die  entsprechende  Bedeutung 
mit  der  Variante,  welche  Scholion  T  erwähnt,  dficplg  eyovoa 
„sie  gesondert,  fern  haltend"  gewonnen.  Vgl.  a  54  ai  yalav 
xe  xal  ovgavöv  dficplg  eypvoiv.  —  Für  E  487  Xivov  dlovxe  na- 
vdygov  hat  Bentley  Xivov  navdygoio  alorrsg  hergestellt:  da  die 
erste  Silbe  von  aXövxe  kurz  und  der  Dual  unrichtig  ist,  kann 
man  nicht  sagen,  daß  „der  Grund  der  Änderung  fehle".  — 
Am  Platze  ist  fiexdXjuevog  A  538  l'exo  övvai  öfiiXov  dvdgofieov 
gfjk'ai  xe  fj.erdXfj.evog  (unter  sie  springend)  oder  W  345  o'  eXyoi 
fjexdXfievog  (nachspringend),  nicht  aber  E  336  äxgrjv  ovxaoe 
%eiga  fiexdXfievog  oder  5  443  Zdxvio}'  ovxaoe  öovgl  fiexdXfievog, 
wo  man  endXfievog  erwartet:  „auf  sie,  auf  ihn  losspringend". 
Vgl.  A  489  Tgdieooiv  ijidXfievog,  N  643  ev&a  ol  vlog  enaXxo, 
0  140  'Aoxegojiaicp  enaXxo,  ZV  362,  wo  ST 77  und  mit  ev  aXXq>  A 
Tgojeooiv  endXfievog,  die  anderen  (AMG2"  u.  a.)  Tgcbeooi  fie%- 
dXfxevog  geben.  —  In  7  106  Bgiorjida  xovgrjv  yojofievov  'Ayj- 
Xijog  eßijg  xXuoirjftev  dnovgag  macht  man  'AyiXfjog  von  xXioirp&ev 
abhängig,  ohne  ein  entsprechendes  Beispiel  anzuführen.  Das 
regierende  Verbum  kann  nur  dnovgag  sein  (vgl.  A  430);  es 
muß  also  ursprünglich  AyiXfja  geheißen  haben.  Außerdem 
hat  Brandreth  mit  Recht  bemerkt,  daß  es  dem  Sinne  des  Ne- 
stor mehr  entspricht,  wenn  hier  der  leidenschaftliche  Zorn  mit 
Xcoöfievog  dem  Agamemnon  zum  Vorwurf  gemacht  wird.  —  In 
A  557  rjegit]  ydg  ooi  ye  nage^exo  xal  Xdße  yovvcov  hat  Bekker 
Hom.  Bl.  II  S.  232  mit  Recht  an  ooi  ye  Anstoß  genommen  und 
o'  r]  ye  vermutet.     Wie  xaxae^exo  außerordentlich   oft   in    xax"1 


152  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

ao1  e£exo  überging,  so  ist  auch  hier  am  einfachsten  mit  ydg 
*oot  TiagaeCero  dem  Sinne  gedient.  —  JP  368  ex  de  juoi  eyyog 
r\iyßr\  7iaXdfit]q)iv  hcuoiov  ovd''  eßaXöv  juiv  gibt  Ammonios  die 
Lesart  ovo'1  edd^aooa.  Darin  liegt  ein  richtiger  Gedanke;  denn 
getroffen  hat  er  ihn,  nur  nicht  getötet.  Aber  eddjuaooa  ist 
offenbar  nur  Konjektur;  wenn  wir  aber  ovde  eXov  für  ovo"1 
eßaXov  setzen,  so  erhalten  wir  im  Hiatus  den  Grund  der  Ände- 
rung. —  Die  echt  attische,  aber  nicht  epische  Ausdrucksweise 
in  E  17,  n  479 

eyyeog  ovo''  eßaX1  avxov  o  d}  voxeqog  ojqvvxo  yaXxro 

will  Nauck  mit  eßaXev  jmv  verbessern;  aber  man  begreift  die 
Änderung,  wenn  man  eßaXev  pe'  o  schreibt.  So  ist  auch 
77  775  juagva/uevcov  äfxcpi  ol'  o  (5'  für  äfjMp'1  avxov  zu  setzen, 
da  der  Dativ  gewöhnlich  ist.  —  In  A  349  daxgvoag  exagcov 
äcpao  e'Cexo  vöocpi  Xiaofielg  steht  äcpao  ganz  zwecklos:  was  der 
Sinn  erfordert,  zeigt  A  80  vöocpi  Xiao&elg  xcov  äXXcov  äjzdvevfie 
xa&eCexo,  also  exagcov  ano.  —  Nach  ovde  steht  r'  z.  B.  A  406 
zwecklos  und  dient  nur  der  Ausmerzung  des  Hiatus  (ovöe  edij- 
oav  oder  ovöe  e  dfjoav).  —  A  86  ov  juä  ydg  AjioXXcova  ddqnXov, 
w  re  ov,  KdXyav  ist  die  einzige  Stelle,  wo  ddcpiXog  das  Epi- 
theton eines  Gottes  ist:  passend  kommt  das  Epitheton  dem 
Seher  zu,  also  diicpiXe  (nach  der  bukolischen  Zäsur).  —  An 
der  gleichen  Stelle  hat  La  Roche  E  281  dojiida'  rj  de  für 
äoniöa-  xrjg  de  hergestellt.  Vgl.  J57  66,  H  260,  Y  276.  -  Z  46 
ist  die  epische  Form  dek~o  in  äfia  deg~o  äjioiva  in  X  erhalten, 
wo  des"*  steht:  die  übrigen  geben  defai.  Nauck  vermutet  deijfl, 
aber  de^rj  kann  nicht  im  Sinne  von  Xrjipfl  stehen.  Die  gleiche 
Form  ist  ü  555  herzustellen.  —  H  298  liest  man  ai  re  jlioc 
evyß/JiEvai  fthov  dvoovxai  dywva:  von  einem  künftigen  Bittgang 
ist  nirgends  die  Rede;  dagegen  hat  ein  Bittgang  der  Troischen 
Frauen  zum  Heiligtum  der  Athena  in  Z  stattgefunden,  an  den 
mit  dvoovxo  erinnert  wird.  Vgl.  .X229,  wo  einige  Hand- 
schriften das  dem  Sinne  gemäßere  ßid^exo  obxvg  'AyiXXevg  haben, 
während  die  meisten  und  besten  ßidt,exai  bieten.  Unsere 
Theorie    fordert   ßidt,exo.    —   Der    gleiche    Fehler    findet    sich 


Textkritische  Studien  zur  Ilias. 


153 


Q  586,  wo  Naber  dlixoixo  eyex/udg  für  dXix^xai  hergestellt  hat, 
und  K  99  öcpga  idcofisv  /xi]  .  .  xoi/njoaivxai,  dxdg  cpvXaxrjg  enl 
jidyxv  Xd&cüvxai.  Hier  ist  xoi/arjoatvxai  für  xoiftijoavxo  durch 
Xd&covxai  herbeigeführt.  Den  Indikativ  fordert  die  eingetretene 
Handlung.  Vgl.  e  300.  —  Ebenso  hat  man  O  256  xqvodoqa 
für  xQvodogov  vor  og  hergestellt.  E  509  ist  xqvooloqov  für 
XQvodogog  vor  ög  juiv  ävojye  dadurch  entstanden,  daß  die  En- 
dung og  vor  ög  ausfiel.  —  In  i"  650  ovx  £#'  öjiicog  xijxfjg  eoeat 
ist  xijurjg  unverständlich.  Die  alten  Grammatiker  (Aristarch) 
suchten  mit  der  ungewöhnlichen  Form  ufifjg  =  xtfirjeig  zu 
helfen.  Die  richtige  Ausdrucksweise  zeigt  /  319  ev  de  hj 
xijufj  (eoxtv);  es  ist  also  ovx  ev  SjLifj  xijufj  eoeat  nur  wegen 
des  Hiatus  alteriert  worden.  —  B  102  muß  es  nach  xb  jäh 
"Hyaioxog  xdjue  xevycov  für  "Hrpmoxog  juev  eöcoxe  heißen:  "Hcpai- 
oxog  de  eöojxe.  —  B  258  schwankt  die  Überlieferung  zwischen 
et  x1  exi  ö'  dygaivovxa  xi%rjoo/biai  und  el  <5'  ext  .  .  xix^oo/xai, 
ein  Beweis,  daß  es  ursprünglich  et  ext  .  .  xixijooftai  geheißen 
hat.  el  <5'  wird  als  Lesart  Aristarchs  angegeben,  welche  nach 
dW  ex  xot  egew  gar  nicht  möglich  ist.  Auch  el'  (nicht  ai) 
spricht  gegen  et  x\  —  Wenn  Priamos  beim  Anblick  des  Aga- 
memnon -P  169  sagt: 

xalbv  ö"1  ovxco  iyto  ovnco  töov  öcpftaXjnol'oiv 
ovo'  ovxco  yegagöv  ßaoiXfji  ydo  dvdgl  eoixev, 

so  erhält  man   eine   schöne  Steigerung,   wenn    man    nach    dem 
Zitat  bei  Athen.  XIII  C  ßaodtji   de   dvdgl  schreibt.  A  309 

geben  die  meisten  Handschriften  cog  äga  jivxvd  xag^a^  v<p 
"Exxogi  ddjuvaxo  Xacov,  nur  zwei  Pariser  (darunter  der  cod.  2766) 
und  eine  Wiener  (Hb)  haben  xdgrjva  wie  A  500  dvdgcov  nmxe 
xdgypa.  Mit  Recht  zieht  Leaf  xdoiqva.  gemäß  dem  Homeri- 
schen Sprachgebrauch  vor.  Mit  Recht  auch  macht  er  den 
Hiatus  für  die  Änderung  verantwortlich.  —  Wenn  man  die  Hi- 
atusscheu in  Erinnerung  hat,  wird  man  auf  Textverderbnisse 
aufmerksam,  an  die  man  sonst  nicht  denken  würde.  So  wird 
man  ^  1 10  [xvgojuevoioi  .  .  d/ucpl  vexvv  iXeeivov.  dxdg  xgeicov 
'Aya/uejuvcov   gemahnt,   daß  es  sonst  z.  B.  X  408,   5  314  eXe- 


154  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

stvd  heißt,  womit  auch  die  Verbindung  von  vexvv  eXeeivov 
ausgeschlossen  wird.  —  zl  189  aX  ydg  dr)  ovxwg  eh],  cpiXog  & 
MeveXas  kann  es  vor  MeveXcle  nur  (piXs  geheißen  haben  (vor 
der  bukolischen  Zäsur!).  Wenn  also  W  627  ov  ydg  IV  EfinEÖa 
yvXa,  yLXog,  nödeg  ovo'1  exi  %eIqeq  das  ungefüge  nödeg  von 
Düntzer  nach  N  bl2  ov  yäg  ct'  Ejunsda  yvla  tioocöv  mit  yvla 
jiodcov,  (plXog  in  Ordnung  gebracht  ist,  so  muß  jetzt  auch  yvTa 
tzoööjv,  <piXs,  ovo'  exi  yEigsg  verbessert  werden.  —  i?455,  0  201, 
v  140  a>  TiOTioi,  EvvooiyaC  Evovo&EVEg,  ovde:  vv  oo'i  tieq  hat 
schon  Nauck  gesehen,  daß  die  richtige  Form  igiodsvEg  sich 
mit  ivooiyaiE  igio&EVEg  herstellen  läßt.  0  117  /udoxig~£v  (5'  l'n- 
Tiovg'  xdya  ö"1  "Exxogog  ayyi  yevovro  würde  man  der  Vermu- 
tung von  Leeuwen ,  der  "Exxoql  nach  W  447  xdya  ds  ocpioiv 
ayyi  yhovxo  vorschlägt,  mißtrauen,  wenn  nicht  der  Hiatus  für 
die  Änderung  des  ursprünglichen  Textes  verantwortlich  ge- 
macht werden  könnte.  Da  nur  noch  b  370  f]  öe  /uev  ayyi 
oxäoa  der  Genitiv  vor  ayyi  steht  und  juev  und  fioi  öfters  ver- 
tauscht sind,  wird  jlioi  ayyi  zu  setzen  sein.  Zenodot  hat  r\ 
öe  fxoi  dvxojuh'?].  —  Nunmehr  läßt  sich  auch  £"448  ev  ju£yd?.q> 
ädvxq)  dxEovxö  xe  xvöaivov  xe  das  allein  dem  Sinn  entsprechende 
l'aivov  xe  herstellen.  —  H  425  bietet  einen  besonders  be- 
merkenswerten Fall: 

äXX"1  vdaxi  vi£ovx£g  äno  ßgoxov  alfxaxoEvxa 
ddxova  &£Q/ud  yiovxEg  dfxag~dcov  ETiaEigav 
ovo"  Eid  xXaiEiv  ITgiaiiog  jusyag.    oi  ds  oiooTifj  xxe. 

Bekannt  ist,  was  Lessing  im  Laokoon  über  dieses  Verbot  des 
Weinens  ausführt.  Seine  Folgerungen  wurden,  wie  im  An- 
hang von  Ameis-Hentze  zu  der  Stelle  angegeben  ist,  von 
Fr.  Jacobs  bestritten,  der  xXaiEiv  von  dem  vorhergehenden  dd- 
xova $£Qjud  ykovxEg  verschieden  sein  läßt  und  von  der  lauten 
zeremoniösen  Totenklage  der  Verwandten  versteht.  In  der 
Tat  muß  man  von  dem  Verbot  des  Weinens  überrascht  sein, 
da  vorher  ödxgva  dsgLiä  yßovxEg  ebenso  von  den  Troern  wie 
von  den  Achäern  gesagt  ist.  Auch  Leaf  bemerkt:  Priam  for- 
bids  them  to  cry  aloud,   which  was  the  habit  of  a  non-Greek 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  155 

people,  see  Ü  721.  Aber  xXaieiv  kann  nicht  ohne  weiteres 
vom  lauten  Klagen  verstanden  werden.  Es  muß  eben  ovöJ 
ei'a  xXaieiv  Ilgiajuog  fieya  heißen.  Der  Ausdruck  /ueya  bei  dv- 
reiv,  layeiv,  ßoäv ,  oxe.v6.ytiv,  evyeo&ai  ist  häufig.  B  111  und 
718  geben  die  Handschriften  jueya,  Aristarch  fieyag.  —  E  111 
ist  HfteveXog  de  xa&  inncov  äXao  yajuä£e  für  099'  ititicov  ge- 
setzt worden.  La  Roche  hat  beobachtet,  daß  es  immer  äcp> 
ititicov,  e£  ititicov,  ££  öyecov  heißt.  —  Unverständlich  ist  die 
Konstruktion  in  E  329 

alya  de   Tvdetdt]v  fie&ejte  xgaxegcbvvyag  t'juiovg. 

Die  Verbesserung  hat  Christ  mit  jueff  ene,  Nauck  mit  Tvdetdy 
eneyev  versucht.  Jene  wäre  die  einfachste,  aber  wie  Bechtel 
Lexil.  S.  135  beobachtet  hat,  erscheint  das  Verbum  enco  nur  in 
Verbindung  mit  Präpositionen.  Die  ursprüngliche  Lesart  hat  sich 
erhalten  in  77  724  und  732  all"1  äye  (avxdg  o)  FlaxgoxXcp  ecpene 
xgaxegcbvvyag  l'nnovg,  wo  geringere  Handschriften  eneye  bieten, 
sowie  in  Q  326  itttioi,  xovg  6  yegcov  ecpencov  (vor  sich  her- 
treibend) /udoTiyi,  wo  sich  keine  Variante  findet.  Also  ist  Tv- 
deidy  ecpene  zu  schreiben.  —  Die  in  den  Stud.  z.  Od.  S.  61 
dargelegte  Beobachtung,  daß  die  vier  Formen  äga,  äg,  ga,  £' 
immer  als  Füllsel  herhalten  müssen,  nachgeahmt  von  modernen 
Kritikern,  z.  B.  E  223  jiieidijoaoa.  d"1  eneixa  eco  (Bentley  enea1 
äg1  eco~,  Heyne  eneix''  äga  co)  eyxdxdexo  xoXtico,  wo  ein  Hiatus 
Anstoß  erregt  oder  eine  Silbe  zu  fehlen  scheint,  erhält  eine 
vorzügliche  Bestätigung  durch  K  268 

Zxävdeiav  d"1  äga  öcoxe  Kvfirjgico  'Ajucpiddjuavxi. 

Das  Scholion  6x1  ovxcog  emev  dvxl  xov  eig  Zxdvdeiav  djteoxeiXev, 
d>g  ,7xev&exo  ydg  Kimgovöe"1  (vi  21)  xxe.  läßt  erkennen,  daß  Ari- 
starch Zxdvdeidvde  gelesen  wissen  wollte,  wie  es  o  367  Zdfxtpde 
dooav,  77  79  oi'xade  dojuevai  heißt.  Diese  Lesart  läßt  sich  aber 
nur,  wie  schon  Tyrrell  gesehen  hat,  herstellen  mit  Zxdvdei- 
dvbe  <3'  e'dcoxe  (oder  de  öcoxe).  —  Unverständlich  ist  es,  warum 
w  182  ev  ö'  äga  egjuaxa  rjxev  die  Lesart  des  Syrischen  Palim- 
psests  ev  de  01  keine  Aufnahme  gefunden  hat.  —  Das  gleiche 
gilt   von   77  820.  —  0  133   geben    die    Handschriften    V  äga 


156  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

Öblvov  für  de  dfeivov,  0  170  <5'  ao1  djr'  fehlt  das  unnütze   äg1 
wenigstens  im  Townleianus.  —  K  445  hatte  Aristarch  f)k  xax1 
aloav,    die  Handschriften   geben   rj   (oder  ^)   ga  holt    aioav.  — 
£451   ist   (5'  äg'  eldcohp   für   de  feiöwZw    überliefert,    ebenso 
M  389  q'  I'öe  für  /«3e,  3  383  £'  «yaavro  für  fsooavxo.  -  Q  676 
gibt  A  mit  einigen  anderen  reo  (5'  äga  (für  tw  (5£)  Bgioyig.  — 
A  467  vbxqov   ydg   fEgvovxo  geben  ydg  ^'  A  u.  a.,  ydg   (ohne 
p')  haben  BMS  u.  a.  erhalten.  —  B  342  geben  avxcog  ydg  g' 
ejieeoo1  sQidaivojuev  alle  maßgebenden  Handschriften,  ydg  ohne 
<?'  steht  in  Hb  und  anderen   minderwertigen.     "Wenn    also   gd 
dazu  diente  den  vermeintlichen  Hiatus  zu  beseitigen,  muß  uns 
das  nach  ydg  überflüssige  gd  auch  verdächtig  erscheinen, 
wenn  es  ohne  Not  den  wirklichen  Hiatus   aufhebt   oder  Posi- 
tion macht.     A  690  steht  eldcov  ydg  exüxwoe  in   den  meisten 
Handschriften,  A  mit  einigen  geringeren  hat  ydg  g\    In  £  30 
TtoXXov  ydg  djidvev&e  jud%t]g  Eigvaxo  vrjeg  haben  fast  alle  maß- 
gebenden Handschriften    ydg    g\    die  Partikel   fehlt   in  LHbX 
u.  a.     Etwas  günstiger  für  ydg  ohne  g'  ist   das  Verhältnis  in 
P  403  Tiollov   ydg   djidvev&e  päffis  /udgvavio   tiodwv.     A  113 
xal  ydg  ga  KXvxai^'joxg^g  ngoßzßovla  hat  Bentley  xal  ydg  fe 
emendiert.     Ebenso  ist  N  554  jieglydg  pe  (für  ga)  IIooEiddaiv 
evoocx&cov   Neorogog   vlöv   (Apposition    zu    fe,   vgl.  600   ol  .    . 
noifjLevi   Xacov)   k'gvxo   herzustellen.   —  Die   Lesart   des   Aristo- 
phanes  in  £  474  avxco  ydg  ga  cpvrjv  (für   ydg  yeverjv)   äyiioxa 
eoixev  (für  ewxei) .  wird  schon  durch  das  Füllsel  gd  verdächtig. 
—  P  554  o  ydg  gd  ol  eyyvfiev  fjev  ist  durch  gd  der  gebräuch- 
liche Genitiv    e&ev   verändert    worden.  —  W  535   hat   Nauck 
oxdg  (3'  äg'  ev  'Agyeiotg  vor   psnea  in  ordg  <5'  ev  ^Ayaidioiv  ver- 
bessert. —  Passend   heißt   es  X  60   öv  ga  jraxijg  Kgoviörjg  .  . 
(p&ioEi  („den  also  —  wie  man  sieht  —  vernichten  wird"),  da- 
gegen steht  gd  unnütz  ebd.  23  6g  gd  je  gsia  ^h]oi  und  27  ög 
gd  t'  Ö7id)gr]g  eIoiv:  an  der  ersten  Stelle  fehlt  es  in  S  und  hat 
Ahrens  es  getilgt;  aber  auch  an  der   zweiten  Stelle  ist  6g  xe 
öoxcbgyg  zu  setzen.  —   !P  180  fällt   der  Unterschied    der  Les- 
arten ndvxa   ydg   ijdi]    xoi   xExeXEO/HEva   djOTisg   VTtEOxrjv    (Townl. 
und  Syr.  Pal.)  —  xoi  xeXeoj  xd  ndgoi&Ev  (die  meisten)  sehr  auf. 


fextkritische  Studien  zur  ilias.  157 

Der  Hiatus  mag  die  zweite  Lesart  hervorgerufen  haben.  Dem 
Sinne  entspricht  xexeXeo/xeva  aufs  beste;  aber  es  ist  kein  Grund 
für  das  ungewöhnliche  xexeXeo/ueva  statt  xexeleoxai  ersichtlich. 
Der  Hiatus  nach  dem  vierten  Spondeus  findet  sich,  wie  oben 
S.  136  gezeigt  ist,  öfters.  —  Ganz  zwecklos  steht  auch  die  Par- 
tikel z.  B.  K266  xfjv  ga  nox  e|  (für  rrjv  noxe  l£),  287  rovg 
<5'  do'  in'  (für  xovg  de  in'),  357  dXX'  oxs  örj  q'  aneoav  (für 
di]  aneoav),  A  101  ßfj  g'  hov  sogar  Biqgioov  oder  Brjgrjoov 
als  Name  für  ßfj  fioov,  wo  Zenodot  ßfj  hov  erhalten  hat,  A  148 
ö  6'  o#t  nXeioxat  xXoveovxo  cpdX.ayyeg,  xfi  cg  evogovoe  für  x  fj 
ivÖQovoe,  1/299  ßfj  V  ifiev  nach  ttjv  äg'  o  ys,  M  304  et 
neg  ydg  tf  evgyoi  nagavxößt  ßcaxogag  ävögag  .  .  ov  gd  t'  dnet- 
gtjxog  jue/uovev  oxa&/uolo  öieo&ai  für  ov  xi  dnelgijxog,  U  300 
ovgavo&ev  ($'  dg'  (Nauck  de  nach  dem  dritten  Trochäus),  P  396 
/aev  cg'  (für  /nev)  vor  fegveiv,  Y  205  (hpei  ö'  ovx'  äga  nm  (viel- 
mehr nojg)  ov  ejuovg  i'deg  ovx'  äg'  (für  ovxe)  eyd>  oovg.  In 
einer  mit  dieser  Partikel  gesegneten  Stelle  M  380  —  385  ist  es 
an  der  zweiten  Stelle,  an  der  es  zwecklos  steht,  oloc  vvv  ßgo- 
xoi  eio''  o  b'  dg'  vxpoftev  i'jußaX'  äeigag,  von  Nauck  mit  eloiv 
o  d'  vxpo&ev  beseitigt  worden.  Ebenso  haben  La  Roche  und 
Nauck  ein  zweckloses  äga  N 192  mit  xexdXvnxo  (so  ST),  ö 
<5'  domöog  für  xexdXvyft' •  o  d'  äg'  donldog,  0  246  eginovoa' 
o  d'  ex  für  egtnovo'-  o  d'  ätf  ex  beseitigt.  Ebenso  zwecklos 
steht  TL  308  avxix'  äga  oxgey&evxog  für  avxix'  dvaoxgecp&ev- 
zog.  Daß  avxix1  aga  gewöhnlich  an  der  Spitze  eines  Nach- 
satzes nach  enei,  öxe  steht,  hat  schon  Nikanor  verleitet  dairiit 
einen  neuen  Satz  zu  beginnen.  Noch  zweckloser  steht  äga  an 
der  ersten  Stelle  /xag/udga)  oxgiöevxi  ßaXojv,  ö  ga  xetyeog  £vtö? 
xeixo  fxeyag  M  380.  Hier  ö  xe,  welches  vielleicht  ursprüng- 
lich nur  vor  xe(i%eog)  ausgefallen  ist,  zu  setzen  berechtigt  uns 
die  gleichartige  Stelle  454  oavidcov  .  .  ai  ga  nvXag  eigvvxo,  in 
der  der  Syrische  Palimpsest  at  qd  xe  bietet  und  deshalb  Nauck 
aX  xe  vermutet  hat.  —  Mit  dem  gleichen  Recht  wird  man  in 
N  796  deXXt],  ij  ga  #'  vnö  ßgovxfjg  naxgog  Atbg  elot  nedovbe 
das  unnütze  ga  mit  //  xe  vnö  beseitigen.  iV408,  wo  glück- 
lich die  Handschriften  xfj  vno  bieten,  hat  ein  Papyrus  mit  rfj 


158  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

V  und  dem  vermeintlichen  Mangel  abgeholfen.  —  N  143  cbg 
"Exxooq  xijog  /uev  ütieUee  juexQi  &aÄdoo>]g  gm  öieXeuaeadai  xli- 
oiag  xal  vrjag  'A'/aiatv  will  Nauck  die  Synizese  von  gea  mit 
(jela  dufeo&ai,  Menrad  mit  gela  dteioeo&ai  beseitigen.  Die  Ver- 
besserung ergibt  sich  aus  Y  263,  wo  gsia  ö"1  efovoeo&ai  oder 
gia  ötehvoeoftai  nach  öiango  fjd-ev  276  f.  in  grja  diadtjEiv 
zu  ändern  ist.  —  P  110  d>g  xe  tig  rjvyeveiog,  öv  ga  xvvsg  xe 
xal  ävdgsg  änö  oxa&fidio  diwvxai  nimmt  öv  ga  das  bei  Ver- 
gleichen gewöhnliche  öv  xe  ein.  So  bietet  Hesych.  unter 
vvfi<piov  zu  !F223  ög  ga  für  ög  xe.  —  <P  489-491  steht  ga 
(äga)  dreimal,  zweimal  ganz  unnütz;  an  der  zweiten  Stelle 
(nach  dem  dritten  Trochäus)  hat  es  Nauck  mit  ÖE^ixegfj  Öe  an"1 
wjlkov  beseitigt;  an  der  dritten  ist  avxoToiv  öe  fE  fteive  für  <5'  ao' 
e&eive  (o.  S.  45)  zu  setzen.  Besondere  Beachtung  verdient  X470 
xgyÖEjuvov  #',  ö  ga  ol  öcoxev  igvoir]  *Arpgob'ixr\  wegen  der  Notiz 
des  Didymos:  ex  nl-qgovg  6  ,!£'  ovvÖEOjiiog  ,xg)'jÖ£fiv6v  xe\ 
ovxayg  änaoai:  diese  Lesart  ist  nur  möglich,  wenn  ga  wegfällt, 
so  daß  man  xgijÖEjurov  xe,  ö  ol  erhält.  Von  xgi]öe/.ivdv  xe,  xo 
oi  ist  nichts  gesagt.  —  Die  gleiche  Rolle  wie  äga  spielten, 
wie  wir  wissen  (Stud.  z.  Od.  S.  47 ff.),  die  Partikeln  xe,  ye,  xe, 
dt'].  So  hat  K  362  Aristarch  den  Hiatus  in  %ü>gov  äv  vXrj- 
Evxa,  o  öe  jigoßhjoi  erhalten,  während  die  Handschriften  vbj- 
ev&\  ö  öe  xe  geben.  Wenn  v  247  in  h  ö"1  dgöjuoi  das  Di- 
gamma  von  ägö/udg  außer  acht  geblieben  ist  (Bechtel  Lexil. 
S.  58),  so  hindert  nichts  mit  Thiersch  es  2*521  mit  ev  noxa- 
(iqy,  ö&i  (für  ö&i  t1)  fagÖLiög  eev  herzustellen.  —  In  K  83, 
386  vvxxa  6i  ögrpvahjv,  oxe  i¥  evÖovoiv  ßgoxol  alloi  steht  xe 
zwecklos,  weil  von  dem  einzelnen  Zeitpunkt,  nicht  allgemein 
(„wann  immer"),  gesprochen  wird.  —  In  ÜT210  äy>  ävaywgr}- 
oovoiv,  ejiei  da/xdoavxo  y"1  A%aiovg  hat  ys  keinen  Sinn. 
Noch  weniger  Sinn  hat  das  erste  ys  in  K  235  xbv  /äev 
di]  exagov  y'  algijoEai,  öv  y1  E&üyo&a.  Sinn  dagegen  hat  )>e 
K  242  ei  fiev  di]  sxagov  y£  xeXevex''  ej.C  avxbv  ElEo&ai.  —  0  279 
wg  Li  uxpEl^  "Exxcog  xxEivai,  og  ivfidös  y1  Exgacp1  ägioxog  geben 
die  Handschriften  teils  y'  k'xgaip''  (A)  teils  xExgacp'  d.  i.  t'  hgaq}1 
(t'   hgdcp'  T).     Das   Schwanken    kennzeichnet    die    überflüssige 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  159 

Partikel:  ev&dde  ezgaq?'.  Auch  Leaf  hat,  wie  ich  sehe,  das 
gleiche  verlangt.  —  <P  456  hat  für  vcöi  de  x1  vor  äyoggoi  der 
Lips.  von  de  (und  SHb  u.  a.  vwi  ö"*)  bewahrt.  —  $421  findet 
sich  wie  häufig  in  xal  <5'  avd'  das  Füllsel  ö\  —  Wie  X  66  avxöv 
<5'  äv  7ivtuax6v  fie  xvveg  .  .  igvovoiv  (als  Futurum)  de  Jivjuaxöv 
jue  geschrieben  werden  muß  (S.  81),  so  wird  auch  ebd.  70  eher 
oi  (für  oi'  x')  ejuöv  aljua  mövxeg  .  .  y.eioovx1  als  mit  Herwerden 
oi  x1  ijnöv  .  .  xeiojvx"1  herzustellen  sein.  —  In  A  733  dxdg  jueyd- 
fivjuoi  "Eneiol  djurpioxavxo  di]  äozv  hat  man  das  Digamma  von 
äorv  auf  verschiedene  Weise  zu  gewinnen  gesucht:  Bentley 
vermutet  djucpioxavxo  äozv,  Heyne  djucpioxavx''  äga  äozv,  Brand- 
reth  äozv  dt]  ä/.i(pioxavxo,  Nauck  äjucpeozav  di]  äozv:  vielmehr 
ist  nach  ä[i<piozavzo  die  Endung  zo  ausgefallen  und  dann  die 
Lücke  mit  <5>/  ausgefüllt  worden.  In  äfxqpioxavxo  zo  äozv  weist 
der  Artikel  auf  die  vorhergenannte  Stadt  hin.  —  Ebenso  ist 
zi  nach  -i  in  S  364  'Agyeioi,  xal  <5'  avxe  fie&ie/.iev  "Exxogi  vi- 
xr\v  ausgefallen  {zi  xal  avze)  und  dann  das  zwecklose  <5'  ein- 
geschaltet worden.  Als  ebenso  E  484  zco  xai  xe  zig  ev^exai 
är/jg  nach  zig  (das  von  Monro  eingesetzte)  ze  ausgefallen  war, 
wurde  das  unbrauchbare  xe  (ze  A2)  eingefügt  (zqp  xai  zig  r' 
ev%ezai).  —  Wie  öij  avze  oder  (V  avze  häufig  für  avze  über- 
liefert ist,  z.  B.  B  225  'Axgetdr],  xeo  d'1  avx"1  emiiejuipeai  ijde 
yazit,eig\  so  ist  O  287  olov  <3'  avz''  eijavzig  äveoxt]  xfjgag  alvg~ag 
das  vor  efavzig  unnütze  ouV  eingedrungen,  um  den  Hiatus  von 
öi]  etjavxig  zu  beseitigen.  Auch  0  457  haben  Handschriften 
(HUd)  alz'1  e^avzig  für  avzig.  Vgl.  olov  dt]  ävdgeooi  %agi£eai 
i\T  633,  olov  öij  MeveXaov  vjtezgeoag  P587,  olov  di]  xal  od'' 
rjX&e  0  57,  auch  e  183,  X  429.  —  A  483  al'yeigog  a>g,  fj  gd  t' 
ev  ela/uevfj  k'Xeog  jueydXoio  necpvxtj  (so  Hermann  für  Tieyvxei) 
und  O  631  ßovolv  eneXftojv,  al'  gd  t'  ev  ela/uevfj  eXeog  jueydXoio 
vejuovzai  (vielmehr  vejuoovxai)  dient  gd  in  auffälliger  Weise 
nur  zur  Beseitigung  des  Hiatus  in  i]  ze  ev  und  aX  ze  ev.  — 
Daß  bei  Vergleichungen  obg  özav  für  cbg  öze  nur  der  Hiatus- 
scheu verdankt  wird  (Stud.  z.  Od.  S.  92  f.),  verrät  das  0  209 
überlieferte  onnoz*  äv  loo^ogov  für  das  von  Bentley  herge- 
stellte ÖTiJioze  fioojuogov.  —  TT  30  jxy]  e/iie  y"1  ovv  ovzog  ye  XAßr] 


160  *!.  Abhandlung :  N.  Wecklein 

XoXog  ist  ye  vor  dem  zweiten  ye  unmöglich  (E  258  steht  es  in 
einer  interpolierten  Stelle).  Wir  erhalten  also  den  Hiatus 
if.ie  ovv.  —  P  336  aiödtg  juev  vvv  {jöe  y\  äorjicpiXcov  vti1  'A^aicbv 
"IXtov  eioavaßfjvcu  ävaXxiyoi  öa/uevxag  fehlt  das  unnütze  y%  glück- 
licherweise in  Hb  und  einigen  anderen.  —  In  X  86  ei'  neo  ydo 
oe  xaxaxxdvt] ,  oü  o'  ex"1  iyoj  ye  xXavoojuai  ist  o'  er'  ebenso- 
wenig brauchbar  wie  oe  x\  was  andere  Handschriften  geben: 
„nicht  mehr",  als  ob  Hekabe  bisher  schon  den  Hektor  auf  der 
Bahre  beklagt  hätte;  es  muß  also  ov  oe  iyoj  ye  heißen.  —  In 
dem  Versschluß  judonyi  xeXevev  W  642  und  ü  326  ist  das  in 
diesem  Sinne  sonst  nirgends  vorkommende  xelevev  an  die  Stelle 
von  eXavvev  gekommen.  —  Der  sog.  plur.  maiest.  entspricht 
nicht  dem  Homerischen  Sprachgebrauch.  Deshalb  ist  in  ¥  659 
ävöge  dvco  Jieol  xwvde  xeXevojuev,  coneQ  ägloroj  (Achilleus  spricht) 
xeXevco  (vor  der  bukolischen  Zäsur)  zu  setzen.  —  Wenn  auch 
Q  304  %EQvißov  aju<pijioXog  nqoyoov  vv  ä/xa  xeQ0LV  i'xovoa  neben 
der  fehlerhaften  Form  xegvißov  bei  Poll.  10,  90  %e.Qvißa  <5' 
überliefert  ist,  so  berechtigt  das  nicht  %eQvißd  z1  zu  setzen, 
sondern  fordert  eine  richtige  Methode  anzuerkennen,  daß  mit 
beiden  Lesarten  nur  der  Hiatus  leqvißa  ajuq){jzoXog  vermie- 
den werden  soll.  Übrigens  scheint  nach  dem  Scholion  T  die 
Massilische  Ausgabe  so  gehabt  zu  haben.  —  £'257,  ü  113 
und  134  geben  die  Handschriften  e£o%a  ndvxcov,  7  641,  P358, 
e  118  Eg'oxov  äXXcov,  an  der  letzten  Stelle  hat  auch  die  Kra- 
kauer Handschrift  e|o^«  aXXoiv ,  d.  h.  der  Hiatus  von  etjaxa 
äXXcov  ist  entweder  mit  eg'oxov  oder  mit  Jtdvxcov  beseitigt 
worden.  —  Wie  um  des  Hiatus  willen  xaxai^Exo  zu  xax1  ao' 
e%exo  wurde  in  Versen  wie  log  äga  <pa)viqoa.g  xax"1  ao'  e'Cexo 
(Stud.  z.  Od.  S.  61)  oder  a>g  xe  fefoixsv  zu  ojg  t1  ineoixev,  so 
ist  xaxadXjiievog,  wie  van  Gent  gesehen  hat,  in  xaxendXjLiEvog 
A  94  übergegangen,  worin  im  keinen  Sinn  hat.  Vgl.  imdX- 
fievog  Hlh  (aufspringend).  Ebenso  ist  0  85,  Y  424,  1F694 
ävenaXxo  in  ävdaXxo,  xaxenaXxo  T351  in  xaxdaXxo  (vgl.  eis 
äXa  äXxo  ^4  532),  avandXXexcu  W  692  in  dvadXXexai  zu  ver- 
wandeln. 

Zu  den  Wörtern,  welche  als  Füllsel  dienten,  gehört  auch 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  161 

äv.  In  2  192  äXXov  <3'  ov  reu  olöa  xev  av  xXvxd  xEvyta  dvco, 
ei  jiti]  AXavxog  ye  odxog  verträgt  der  deliberative  Konjunktiv 
äv  nicht.  Beseitigt  wird  äv  von  Robert  mit  reo  xXvxd,  wel- 
ches Leeuwen  in  den  Text  gesetzt  hat.  Aber  in  der  indi- 
rekten Frage  steht  xig  nur  o  423  eigcoxa  dr]  e'jieixa  xig  eitj  und 
o  368  el'oovxo  xig  el'rj  in  gleichartiger  Anwendung.  Also  wird 
man,  obwohl  die  beliebte  weibliche  Zäsur  verloren  geht,  old' 
öxeo  y.Xvxä  zu  setzen  haben.  Vor  old"1  öxeo  ist  xev  (xeo)  lä- 
stig („von  wem  anderen  die  Waffen,  wenn  nicht  von  Aias  den 
Schild").  Deshalb  muß  die  Lesart  geringerer  Handschriften 
(DbPxCXZ),  die  an  und  für  sich  das  Aussehen  des  Ursprüng- 
lichen hat,  ov  ftrjv  Geltung  gewinnen.  —  Die  Fälle,  in  denen 
um  des  Hiatus  willen  Präpositionen,  die  überhaupt  der  Ver- 
wechslung sehr  ausgesetzt  waren,  vertauscht  wurden  (Stud.  z. 
Od.  S.  57  ff.),  können  durch  weitere  vermehrt  werden.  Ganz 
sonderbar  steht  nagd  in  M  418  und  411 

xetyog  §)]id/nevoi  ßeodai  naoä  vrjvol  xeXevdov. 

Unmöglich  können  Fälle  wie  l^eiv,  lögveiv  nagd  xivi,  nag  jiooi 
jisosiv,  xvXlvÖEoßai  damit  verglichen  werden.  Der  Sinn  for- 
dert fteo&ai  inl  vrjvoi.  —  Es  ist  bezeichnend,  daß  N  90  und 
P  285  mit  qeV  (gi'f)  EJiiEioduEvog  für  geia  jUEXEiodjusvog  das 
Digamma  hergestellt  werden  kann.  —  Nimmt  man  N  2  an, 
daß  der  ursprüngliche  Text  xovg  juev  ea  ejii  xfjoi  jiövov  x1 
e/Jjuev  xal  öi£vv  gelautet  hat,  so  begreift  man,  warum  für  im 
bald  naoä  bald  tieqi  (Zenodot  und  Aristophanes)  bald  ngog 
(Schol.  T)  überliefert  ist.  —  .5"  66  x£r/og  ö'  ovx  eyoaiojuE  xexvy- 
/aevov  ovöe  xl  xdcpQog ,  olg  ejii  jioXXä  nd&ov  Aavaoi,  wo  Ari- 
starch  zwischen  olg  und  f/  ejii  schwankte,  die  Handschriften 
fl  ejii  bieten  und  in  unseren  Ausgaben  bald  olg  bald  f\  ejii 
steht,  gibt  der  Hiatus  das  Kriterium  ab  für   die  Wahl   von   r\ 

E7U.    ^P  14    JLWQOjilEVOl'    jUEXCL    6e    0(f>l    0£Xig    yOOV    tJilEQOV    d)QOEV 

hat  Nauck  vjio  für  juexu  vorgeschlagen  und  damit  die  typische 
Wendung  gewonnen.  Vgl.  Q  507  xqJ  $'  äga  Jtaxoög  ixp1  Tjue- 
oov  ojqoe  yooio,  V  108,  15S,  ö  113,  183,  n  215,  x  249,  ^  231. 
—   Q  320  gibt  der  Townl.  mit  einem  Papyrus  diä  äoxsog,  die 

Sitzgsb.d  philos.-pbilol.  u.  d.  hist.Kl.  .Tahrg.1917,  7.  Abh.  11 


162  7.  Abhandhing:  N.  Wecklein 

meisten  haben  vtieq  äoxsog.  —  Auffällig  ist  es,  daß  solche 
Vertauschung  der  Präpositionen  besonders  nach  dem  dritten 
Trochäus,  wo  sich  doch  der  Hiatus  am  häufigsten  findet,  statt- 
fand. A  470  deldco  fiiq  xi  nddr\oiv  ivl  Tqojeooi  juovojßelg  gibt 
ein  Teil  der  Handschriften  (BMT)  ndfirjoi  juexa  Tqojeooi.  — 
Zu  77  864  avxlxa  de  £bv  öovgl  just'  Avxo/ueöovzcl  ßeßrjxei  ist 
bei  Eustathios  in  T]  /uex"1  überliefert:  für  die  Ersetzung  von 
in'  mit  juex'  lag  eben  der  Grund  in  dem  Hiatus.  Also  muß 
auch  F407  avxdo  o  ßfj  ovv  öovgl  in'  (für  /uex')  ävxid-Eov  TIoXv- 
öcoqov  geschrieben  werden.  —  Bezeichnend  hiefür  ist  die  Über- 
lieferung in  II  534  avxdg  k'nEixa  juEtd  Toöjag  x'ie  juaxgd  ßi- 
ßdoftwv,  IloXvödjuavx'  inl  IJav^otö^v  xal  'AytjvoQa  öTov,  ßi\  öl 
juex'  AivEiav,  wo  ßfj  öe  in'  Aiveiav  nur  um  des  Hiatus  willen 
geändert  wurde.  —  Ebenso  ist  0  221  eq%eo  vvv,  tpih  &oTߣ, 
fieff  "Exxoqa  %aXxoxoQvoxr]v  nach  dem  dritten  Trochäus  [xeW 
für  £>'  gesetzt  worden.  Denn  juexd  mit  Akkusativ  steht  in 
der  Bedeutung  „unter,  in  die  Mitte  von"  bei  einem  Ausdruck, 
der  eine  Menge  bezeichnet;  außerdem  heißt  UExd  xiva  oopäo&ai 
P  605  „hinter  jemand  her  stürmen",  Uvat  juexg  Neoxoqo.  K  73 
„gehen,  um  Nestor  zu  holen".  Deshalb  paßt  /u£xd  E  22  r? 
/ae&  o/udov  tot  Aavacov  xayvndbXwv  f]h  /uex'  'AxQstöyv  bei  öfii- 
Xov,  nicht  aber  bei  'AxQstdtjv:  es  muß  in  'AxQeidqv  ebenso  wie 
ebd.  24  heißen.  Ebenso  erwartet  man  £"152  ßij  ös  inl  Edv- 
&ov  für  fiExd  Edv&ov.  —  I  317  =  P  148  [idQvao&ai  örjloioi 
^iex'  dvögdoi  vcoXe/usg  ahi  hat  an  der  ersten  Stelle  Aristarch 
örjioioLv  E7t    erhalten.   —  Z  456 

xai  xev  iv  'AgyEi  iovoa  ngög  dXXyg  loxöv  vqpalvrjg 

soll  Jigög  Am.  Dienste"  bedeuten  wie  sonst  nirgends.  Die  Unter- 
tänigkeit bezeichnet  vno  wie  in  vnoöuwg,  vnoögr]ox^Q.  Vgl. 
T  133  EQyov  aEixEg  h'yovxa  vn'  Evgvodijog  diöXon',  wo  mehrere 
Handschriften  (A  von  zweiter  Hand)  ngög  für  vno  geben.  — 
Daß  es  $  422  äyei  .  .  örjiov  ix  noXJ/uoco  xaxd  xXovov  dvd 
xXovov  geheißen  hat,  kann  z.  B.  #167  erweisen.  —  Für  das 
gewöhnliche  ivl  cpQEoL  steht  juExd  cpQEol  an  nicht  weniger  als 
18  Stellen,  welche  La  Roche  zu  A  245  aufzählt:  A  245,  7  434, 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  163 

£264,   2  419,   463,    T  29,  213,  343,  F310,  ^600,  Q  105, 
ö  825,  x  438,  v  362,  n  436,  g  470,  a>  357,  435  (wiederholt  ist 
es  der  Vers  ftägoee,  jurj  rot  ravra   juerd    <pgeol   ofjoi    jueXövrojv) 
immer  nach  einem  Vokal  und  immer  nach  dem  dritten 
Trochäus.     Darin  liegt  ein   deutliches  Wahrzeichen,   daß  als 
ursprünglich  das  regelrechte   evl  (pgeoi  anzusehen   ist.     Sehr 
bezeichnend    ist   es,    daß  K  538   Aristarch    und   T    äW   alvcbg 
öeiöoixa  juerd  cpgeoi,  die  meisten  Handschriften  aber  xard  (pgeva 
bieten :  die  eine  wie  die  andere  Lesart  verrät  den  Versuch  den 
Hiatus  von  öeiöoixa  evl  (pgeoi,  wie  Nauck  emendiert,  zu  heben. 
An  der  gleichen  Stelle  und  gleich  unpassend  steht  juerd  A  416 
{Hjycov  Xevxöv  ödovra  juerd  yvajujifjot  yevvooiv:  weit  natürlicher 
erscheint  ivl  .  .  yevvooiv.  —  2  419   rfjg  iv  juev  vöog  iorl  juerd 
(pgeoi,  ev  de  xal  avdrj  hat  Nauck  rfjoiv  juev  vöog  und  mit  einer 
Breslauer  Handschrift  eorlv  evl  (pgeoi  hergestellt.   —  Hiernach 
ist  auch  X  49  dkl"1  et  juev  t,(bovoi  juerd  orgarw  das  passendere 
Ccoovoiv   evl   orgarco  herzustellen.  —   Wie   gewöhnlich   dieser 
Fehler   ist,    kann    auch    das  Zitat   in  Plat.  Jon  538  D  zeigen, 
wo  für  eg%erai  cbjurjorfjoiv   eji1  lyßvoi'.  (hjirjorfjoi   juex1  steht.    — 
•ö  691   gijuqpa   (51  ag"1  avrög   e'Xavve    xard    orgaröv   verlangt    der 
Sinn   „durch  das  Heer  hin",  also   eXavvev   dvd   orgaröv1).  — 
S  91  juvfiov,    ov  ov  xev  dvrjg  ye  did  orojua  ndjxTiav  äyoiro  hat 
Nauck  dvd  orojua  verlangt  unter  Hinweis  auf  B  250  dvd  oröju1 
e'xayv   dyogevoig.   —  Stud.  z.   Od.    S.  58    habe    ich    für    #  378 
(hgxeiod-rjv  drj  e'jieira   norl   ypovl   noXvßoreigrj    die  Lesart    einer 
geringeren  Handschrift  inl  %&ovl  in  Anspruch  genommen,  weil 
norl  %&ovl  fast  eine  komische  Vorstellung  erweckt.     Ich  habe 
auch  auf  <P  426  ra>  juev  äg1  äjucpoo  xeiro  inl  x&ovl  noXvßoreigrj 
verwiesen,  wo  A  im,  die  übrigen   besseren  Handschriften   nori 
geben.     Ich    hätte    noch   bemerken    sollen,    daß    im   die   Her- 
stellung der  epischen  Form  xeiar    ermöglicht.  —  Q  696  ist  in 
oX  (3'  elg  äorv  e'Xojv  nach  709,  714,  wo  sie  vor  der  Stadt  halt- 

*)  X  442  hat  Nauck  hexXeto  <5'  auyinöloioiv  ivnAoxdfiois  dvä  (für 
xaxa)  8ü>na  geschrieben  und  damit  EvnXoxäfioio'  gewonnen.  Ebenso  wird 
öeoTo'  hergestellt,  wenn  man  Y  292  avzlxa  d'  ä&aväiotoi  dsoig  evt  (für 
fiszä)  [ivftov  escjiEv  schreibt. 

11* 


164  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

machen,  bIq  unrichtig:  der  vermeintliche  Hiatus  von  Inl  aoxv 
hat  den  Fehler  veranlaßt.  —  O  118,  0  503  steht  nach  dem 
dritten  Trochäus  gleichfalls  unnatürlich  uerd  für  iv  bei  einem 
Singular:  daß  man  dort  xEiodat  öfiov  vexveooiv  ev  (für  ve- 
xveaoi  //£#')  ai'juaxi  xal  xovirjoiv  herstellen  muß,  dürfte  die 
zweite  Stelle  tisjzxecöx''  äXXvdig  äXXa  fxexä  oxqocpdXiyyi  xovhjg 
beweisen,  in  der  wenigstens  Eustathios  h  d.  i.  evi  darbietet.  — 
Nach  dem  dritten  Trochäus,  und  zwar  nach  etieooi(v)  ist  Y  256 
sogar  äxoTQ£y>Eig  in  /uExaoxQEyEig  geändert  worden  (in  AM).  — 
An  der  gleichen  Stelle  steht  in  den  meisten  Handschriften 
xaxd  o  97  E&XaoEV  avxixa  <V  rjlJh  xaxd  oxötia  cpoiviov  al/ua, 
aber  die  ältesten  (FG)  geben  tjXÜEv  ärd  oxojiia.  Hiernach  ist 
5*518  öf]Woag'  yjv%i)  ök  «v1  ovxa/UEvtjv  (bxEiXrjv  e'oovxo  und  P  86 
xsi/uEvov  eqqee  ö"1  atjua  dv'  ovxafXEvi]v  ätxeiXrjv  für  xax"1  dem 
Sinne  entsprechend  zu  setzen,  dem  zuliebe  Leaf  xax'1  ovxcifiEvrjg 
d>xEÜS]g  schreiben  will.  Vgl.  avXbg  dvd  Qivag  jtayvg  ^X&ev 
al'juaxog  ^18,  ddlaooa  dk  xyjxie  JioXXi]  av  oxoua  xe  olvdg  xe 
(Stud.  z/od.  S.  59). 

8.  Der  Dual  ist  vom  Aolischen  her  der  eigentliche  Nu- 
merus des  Epos  für  Gepaartes,  Geseiltes  und  ist  häufig  ver- 
wischt worden  teils  durch  die  jonischen  Rhapsoden  teils  zur 
Tilgung  des  Hiatus  in  der  attischen  Redaktion  teils  durch  die 
Fehler  der  handschriftlichen  Überlieferung.  So  heißt  dja<po- 
xeqouv  „beiden"  von  zweien  z.  B.  v  327  (FM  dtii(poxEQoioiv), 
d/ucpoxEQoioiv  beiden  Parteien,  äXXrjXouv  „einander"  von  zweien 
z.  B.  X  128  (in  A,  äXXrjXoiot  in  SBMG),  dXXr\),oiow  „einander" 
von  mehreren.  A  135  hat  Aristophanes  e\  vcoi  £cocu  uetiv&olx'' 
erhalten,  alle  Handschriften  geben  (mit  Aristarch)  ^coovg,  M  127 
haben  Zenodot  und  Aristophanes  öv''  dvEgs  evqov  ägioxco  vis 
vjzbq'&v/lko  trotz  des  Hiatus  gerettet.  2  525  geben  die  Hand- 
schriften ausnahmslos  övco  <5'  ä/x1  ejiovxo  vo/urjeg,  aber  bei  dem 
sich  anschließenden  xeqjiojuevol  ovgiyg'i  hat  Aristophanes  und 
auch  eine  Breslauer  Handschrift  xeojio/ievoj  erhalten.  Es  kann 
kein  Zweifel  sein,  daß  die  Änderung  von  H.  L.  Ahrens  vofirjz 
den  ursprünglichen  Text  für  diese  Stelle  und  damit  auch  für 
q  214  und   v  175  hergestellt  hat.     Denn   ohne    vorausgehendes 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  165 

vojufje  ist  xegnofierco  undenkbar.  —  2  510  gibt  ein  Harl.  von 
erster  Hand  XafMiofievco:  dies  weist  auf  ovo  orgarcb  in  509 
hin.  Ebenso  ist  ebd.  523  ovo  oxonco  .  .  öeyfieveo  zuschrei- 
ben. —  Q  282  ist  e'yovre  nach  reo  juev  £evyvvo&rp>  nur  in  A 
und  einem  Papyrus  erhalten.  In  A  ist  es  aus  eyovreg  korri- 
giert, wenn  ich  die  Angabe  von  Ludwich  richtig  auffasse.  — 
T  392  l'jHiovg  <5'  Avrojueöcov  re  xai  'AXxijLiog  dficpienovreg  hat 
M  djucpiejxovxe  gerettet.  —  1^  158  ovo  <5'  dvegeg  e^oy1  ägtoxoi 
.  .  ovvixrjv  jue/uacbxe  /xdyeo&ai  hat  Nauck  dvege  ägiozco  herge- 
stellt. —  5r211  ob  ydg  eprj/ul  e'jxeool  ye  vrjjivxiotoiv  ebbe  öia- 
xgiv&evxe  /.idyrjg  l'|  dnoveeo&ai  fehlt  zu  öiaxgiv§hxe  das  Sub- 
jekt im  Dual;  offenbar  stand  es  an  Stelle  des  unnützen  code; 
außerdem  hat  Bentley  nach  200  und  431  vrjnvrteo  cbg  gefor- 
dert, so  daß  man  vr\nvrico  cbg  vcoi  diaxgiv&evre  erhält.  —  ^371  f. 
hat  Bentley  yeTge  pepoixev  für  yeTgag  eoixev  hergestellt.  — 
lF  736  hat  Bekker  rixt]  <5'  dixcporegoioiv  in  vixr)  ö"1  d/ueporegouv 
verbessert,  weil  nach  A  13  vixr\  juev  dgrjtcpiXov  MeveXdov,  P689 
rixt}  de  Tgebcov  der  Genitiv  erforderlich  ist.  —  Z  226  geht  die 
Aristarchische  Lesart  e'yyea  <3'  dXXJjXcov  und  die  Zenodotsche 
eyyeoi  (5'  dXXrjXovg  auf  e'yyeoi  6'  dXXrjXeo  zurück.  S.  oben  S.  31. 
—  1F276  öooov  ejuol  dgerfj  jxegißdXXexov  Xnnov  d&dvaxoi  ydg 
eaoi  muß  ejueb  .  .  Tnnco'  d&avdrco  wegen  negißdXXerov  gesetzt 
werden,  ebenso  279  jueovvye  tnnco  für  jucbvvyeg  Xnnoi,  wie  von 
ihnen  281  ocpcoiv  gesagt  wird;  283  heißt  es  von  ihnen  reo  y"1 
eoxaoreg  nevfteierov,  ovöe'i  de  ocpiv  yairai  egijgedarai,  rd)  d"1  e- 
oxaxov  dyvvjueva)  xfjg:  eoxacbxe  gibt  der  Lips.,  eoxaöre  ein  Am- 
bro«. Nach  278  standen  in  einem  Papyrus  zwei  Verse,  welche 
mit  cbg  reo  y1  dddvaroi  beginnen.  —  iV613  hat  Aristophanes 
iepixeod)jv  gerettet;  dem  entsprechend  ist  604,  wo  auch  X  iovre 
für  lovxeg  gibt,  xeo  für  oT  zu  setzen.  Dazu  gehört  auch  dXXrj- 
Xouv  für  dXXyjXoioiv.  —  P  735  cbg  oi  y1  eujuepiacoxe  (-xeg  M)  ist 
der  Dual  durch  das  Versmaß  gefordert;  es  muß  aber  dann 
auch  xoj  stehen,  welches  nur  der  cod.  Vat.  bietet.  —  Für  die  Be- 
obachtung, daß  der  Hiatus  zur  Änderung  des  Duals  in  den  Plural 
beigetragen  hat,  ergibt  sich  ein  sicherer  Beweis  aus  K  546 

rj  ng  oepeoe  nogev  -&eög  dvnßoXrjoag 

alveog  dxriveooi  eoixöreg  rjeXtoio; 


166  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

In  eoixoxeg,  wofür  eoixöxag  stehen  müßte,  ist  noch  das  ur- 
sprüngliche eoixoxe  sozusagen  gerettet.  P  103  hat  äfxcpoj  x1 
avxig  lövre  emjuvrjoai/iexla  x<xQ/ir}S  nur  Zenodot  für  lovxeg.  A  102 
vis  övoi  IToiäjuoio,  vo§ov  xal  yvrjoiov,  äju,(pa>  ev  evl  dicpgco  eöv- 
xag'  o  ftev  vd'&og  und  127  ev  evl  dicpoco  eovxag'  ojuov  (5'  eypv 
hat  Aristophanes  wenigstens  für  die  erste  Stelle  eovxe  erhalten. 
An  der  zweiten  Stelle  aber  wird  vlee  'Avxi{id%oio  für  vleag 
durch  die  Wiederaufnahme  mit  xov  jieq  dr]  ovo  naiide  gefor- 
dert. In  127  wird  eovxe  trotz  jiaiöe  nur  in  Hb  von  zweiter 
Hand  geboten.  In  dem  gleichen  Verse  wird  wxee  Xnn<x> 
für  (bxeag  l'juiovg  durch  das  folgende  reo  de  xvxrj&rjrrjv  (129) 
nahegelegt.  —  O  452  f.  vjzeocbrjoav  de  ol  Xnnoi  xeiv'  o%ea  xqo- 
xeovxeg.  äva^  xxe.  wird  ijijioj  .  .  xooxeovxe,  wie  Bentley  her- 
gestellt hat,  durch  das  Digamma  von  ävaf  gefordert.  —  P  720 
vwi  /uaxeooojbie&a  .  .  loov  fivjuov  l'%ovxeg  o/xcovvfxoi,  oT  xb  näoog 
Tieq  juljuvojuev  .  .  jrao'  äXXrjXoioi  juevovxeg  ist  nach  vCoi  nur  bei 
Macrob.  Sat.  V  15,  13  e%ovxe  (nach  dem  dritten  Trochäus)  er- 
halten und  hat  nur  Aristophanes  fievovxe  gegeben.  Nicht  ohne 
Grund  vermutet  Nauck  äXbjlouv  eovxe,  außerdem  hat  H.  L. 
Ahrens  öjucovvjuü),  oj  hergestellt.  Ebenso  ist  P  742  xeo  .  .  fj- 
juiövco  .  .  äjucpißaXovxe  geschrieben  worden.  —  Mit  ovo  <5'  äv- 
öge  (für  ävdgeg)  Z  498  erhält  man  wieder  den  Hiatus  nach 
dem  dritten  Trochäus.  Vgl.  501  äjucpco  ö'  leo-diqv.  —  Umge- 
kehrt hat  T  205  vjueig  <5'  elg  ßocoxvv  öxovvexov.  fj  t1  av  eycb 
ye  der  Hiatus  den  Dual  veranlaßt:  öxovvexe  hat  Barnes  ge- 
fordert. Denn  das  zeigt  sich  überall,  daß  der  Dual  des 
Prädikats  den  Dual  des  Subjekts  erfordert,  nicht  um- 
gekehrt. Allerdings  kann  0  383  avxäo  enel  Eävftoio  ddjur] 
/uevog,  ol'  juev  eiteixa  navoäovxr)v  der  Dual  xeo  nicht  gesetzt 
werden;  aber  eben  darin  liegt  ein  Wahrzeichen,  daß  bei  oT 
/uev  e'jteixa  die  Einschaltung  des  Götterkampfes  be- 
ginnt und  daß  ursprünglich  die  Fortsetzung  etwa  avxig 
'A%iXXevg  0  520  lautete.  Ebenso  zeugt  die  Außerachtlas- 
sung dieses  Sprachgebrauches  !P392f.,  417  f.,  500  (tnjioi  dqa- 
fiexrjv)  für  den  jüngeren  Ursprung  der  ä&Xa.  —  Für  den  Dual 
bei    ovo    liefert    wie   in    der   oben   erwähnten   Stelle  M 127  in 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  167 

0  290  ein  gerade  wegen  des  Hiatus  bedeutungsvolles  Zeugnis 
der  codex  Townleianus  mit 

rj  roinoft1  fje  övco  I'jijico  avroloiv  ö%EO<piv, 

da  diese  Lesart  auch  wieder  von  Zenodot  und  Aristophanes  be- 
stätigt wird.  Die  anderen  Handschriften  geben  mit  Aristarch 
innovg.  So  wird  also  auch  K  305  Öojooj  ydg  öicpgov  re  ovo) 
t1  egiav%eve  l'nno),  &  xev  dgiorco  eaioi  für  egiav%evag  Xn- 
novq, oi  xev  ägiorot  ecooi,  II  759  dvco  jur/orojge  ävzfjg  für  jui]- 
oTcogsg   zu    setzen    sein.     Eine  Bestätigung  dessen  bietet  0  79 

ovxe  dy"1   Al'avTsg  /xeverrjv,  ^eganovreg  "Agijog. 

So  geben  die  maßgebenden  Handschriften;  nur  geringere  wie 
cod.  Vindob.  49  haben  Aiavre.  Dieses  wird  durch  juevErrjv  ge- 
fordert. Entsprechend  muß  auch  ftegänovre  gesetzt  werden. 
M  hat  ovr  Al'aviE  dvco.  Bei  Aiavre  hat  die  ungewöhnliche 
Länge  der  Endsilbe,  bei  fiegänovre  der  Hiatus  Anstoß  erregt, 
wie  Q  586  das  nach  egvoairo,  ögiv^eirj,  xaraxreiveie  absolut 
nötige  äXizoiro  vor  ecper/xag  in  äXirrjrai  verwandelt  wurde.  Ebenso 
ist  K  228  Aiavre  dvw,  fiegdnovre  "Agqog  für  ß'egänovreg  und 
^313  Aiavre  re  ovo)  für  Al'avreg  zu  setzen.  —  0  70  hat  sich 
ovo  xfjQE  erhalten,  weil  ravrjXeyeog  an  die  Stelle  von  ävrjXeyeog 
getreten  ist.  Dagegen  ging  das  (infolge  Mißverständnisses)  aus 
70  wiederholte  reo  /uev  3A%aicöv  xrjge  trotz  e£eo&r]v  in  a«  .  . 
xrjgeg  über,  weil  hier  Eni  folgt.  —  £"10  geben  ebenso  die  Hand- 
schriften ovo)  de  ol  vieeg  r\orr\v  trotz  ijorrjv  und  des  folgenden 
EiöörE'.  vIee  ist  zufällig  bei  Plutarch  Hom.  75  erhalten.  Dieses 
viee  ist  auch  A  138  ei  .  .  vleeg  eorov  und  A  123  für  vleag 
Avrijuä%oio  herzustellen.  —  Was  für  E  10  gilt,  muß  auch  für 
A  635  gelten,  d.  h.  es  ist  Svoj  d"1  vnö  nv&jueve  rjortjv  für 
nv&juh'Eg  rjoav  zu  setzen.  .E7 1 5 9  f.  hat  vis  ügidjuoio  Svoj  .  . 
eovre  für  vlag  .  .  eovrag  H.  L.  Ahrens  hergestellt:  auch  hier  hat 
der  Hiatus   e%ovre  'Exe/u/uova  die  Korrektur  veranlaßt.  —  0  108 

ovg  nor"1  an1  Aiveiav  eko^irjv  ixrjoraioe  (poßoio 

geben  minderwertige  Handschriften  wie  auch  Plat.  Lach.  191  B 
und  Eustathios  jurjorcoga.     Die   gleiche   Abweichung   hat   man 


168  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

E  272  tu)  de  dtf  Alveiq  dcöxev  /urjoicoge  (poßoio,  wo  übrigens 
auch  der  cod.  Townl.  von  erster  Hand  /uijoxwgi  hat.  Die  maß- 
gebenden Handschriften  bieten  mit  Aristarch  an  beiden  Stellen 
[.irjOTCDQE.  Allerdings  liegt  es  näher  dem  Aneas  als  den  Rossen 
das  Epitheton  /urjoxcog  <p6ßoio  zu  geben,  aber  an  beiden  Stellen 
steht  es  bei  Aneas  zwecklos,  während  man  ein  lobendes  Epi- 
theton der  Rosse  erwartet,  und  was  es  hier  bedeutet,  erkennt 
man  aus  B  767  cpoßov  'Agt]og  (pogEovoag  (von  den  Stuten  des 
Eumelos).  Wenn  aber  0  108  jurjoxojgs  richtig  ist,  muß  es 
vorher  auch  ä>  tiot'  wie  im  Folgenden  xojöe  geheißen  haben. 
Auch  0  332  und  iV421  imodvvre  övco  eghjgeg  exalgot  .  .  <pege- 
xr\v  ist  lgir\g£  eraigeo  wegen  des  Hiatus  trotz  vnoövvtE  und 
(psgerrjv  der  Änderung  nicht  entgangen,  /  4  hat  Aristophanes 
ävejuco  ovo  jiuvrov  ögivExov  erbalten,  die  Handschriften  haben 
wie  Aristarch  äve/xoi.  —  A  749  ist  ovo  .  .  cpcöre  ööa^  .  .  öa- 
jlievxe  gleichfalls  dem  Hiatus  zum  Opfer  gefallen.  —  Ebenso 
elftövxe  A  623,  weshalb  auch  zw  618,  avxco  619  in  den  Plural 
umgesetzt  wurde  und  nur  oxdvxE  622  vor  noxl  sich  rettete.  — 
In  den  Stud.  z.  Od.  S.  70  hat  sich  gezeigt,  daß  wie  ovo  auch 
doio)  in  der  Regel  mit  dem  Dual  verbunden  wird.  Daß  M  460 
ovo'  äg-  ö%rjeg  loiE^ixr\v  der  Dual  des  Prädikats  b%r\£  fordert, 
hat  schon  Leeuwen  gesehen.  Ebenso  aber  ist  ebd.  455  doico 
ö1  evxoo&ev  ö%r)£  Eiypv  E7ir]fioiß(6  für  öoiol  .  .  op)e?  .  .  ejiij- 
(xoißoi  zu  setzen.  Ebenda  464  wurde  doia)  dovge  durch  das 
Versmaß  unmöglich  gemacht.  —  doico  .  .  jii&co  ist  Q  527 
herzustellen.  —  Aber  auch  sonst  wurde,  wie  in  den  Stud.  z.  Od. 
S.  68  ff.  dargetan  ist,  der  Dual  häufig  in  den  Plural  verwan- 
delt. Dort  ist  schon  der  sehr  sprechende  Fall  A  452  erwähnt, 
in  dem  Christ  beobachtet  hat,  daß  der  Dual  cbg  <3'  öxs  %Ei{iag6oi 
jioxajuco  xaz'  ögEOcpi  geovxE  .  .  ov/ußdX?<.£xov  ößgi/j.ov  vöayg  für 
%Eijuaggoi  noxajiiol  xax"1  ögEocpi  geovxsg  (giovxE  M)  durch  den 
Vergleichungspunkt  gefordert  wird.  0  116  und  u>  398  ist  %£ig£ 
nExdooag  \  äfxq)oxegco  in  ä/ucpoxEgag  übergegangen  wegen  des 
folgenden  Vokals.  —  x  384  fj^ieag  äjiiq)ox£gco,  judXa  eIxeXco  dXXv\- 
Xoav  ist  trotz  eixeXco  und  aXXrjXouv  (in  P  aXXrjXoioiv)  äjucpoxE- 
govg  überliefert.    E  630  oi  <5'  öxe  öi]  o%eö6v  fjoav  £7t'  aXXrjXoioiv 


Textkritische  Studien  zur  llias.  169 

lövreg  gab  Aristarch  in  der  zweiten  Auflage  seines  Homer 
Iövxe:  dieses  setzt  reo  und  äXXrjXonv,  welches  häufig  in  ällrj- 
Xoioiv  verändert  wurde  (o  38  in  M,  r  384  in  P,  <p  15  in  FM), 
voraus.  H  255  xd)  d1  exonaooafxevo)  .  .  ovv  q"1  etceoov  Xeiovoi 
eoixoxe  (bfj.oq?dyoioiv  hat  Eoixoxsg  der  Ausmerzung  des  Hiatus 
gedient,  wohlgemerkt  nach  der  bukolischen  Zäsur,  wo  der 
Hiatus  ebenso  gewöhnlich  ist  wie  nach  dem  dritten  Trochäus, 
wo  jedoch  H  18  öXsxovxag  für  öXexovxe  und  deshalb  voraus 
auch  xovg  für  reo,  E  245  e%ovxag  für  e'/ovxe  (dieses  nur  in  X) 
nach  uvög1  öooeo  xaaxEQCb  .  .  juEjuacÖTE  gesetzt  ist.  —  T  340, 
342,  345  erfordert  ar^trjv  und  oeiovxe,  xoxeovxe  auch  zw  d"1  für 
oi  <5'  und  äXXrjXouv  für  äXXijXoioiv.  —  E  778  geben  die  Hand- 
schriften ai  6e  ßdn]v  .  .  6f.ioiai  .  .  /uEjuavTai:  nach  der  oben 
erwähnten  Regel  wird  durch  ßäxtjv  auch  reo  erfordert,  welches 
hier  zufällig  bei  dem  Scholion  zu  Soph.  El.  977,  0.  K.  1676, 
Eur.  Alk.  902  und  auch  von  zweiter  Hand  im  cod.  Flor.  XXXII 
47  erhalten  ist  und  in  den  Scholien  ausdrücklich  dazu  dient 
dieses  oyjiua:  ävxl  xcbv  ftrjXvx&v  xä  äooEvixd  zu  belegen.  Nach 
toi  muß  aber  auch  ö/noico  und  jUEjuacörs  hergestellt  werden. 
0  378  ist  TioocpavEviE  in  noorpavEioa  und  sogar  in  das  dem 
Metrum  widerstrebende  JiooyavEioag  übergegangen.  Auf  gleiche 
Weise  müssen  die  Lesarten  äifaoai  und  äi^aoa  Q  711  auf  äi- 
g~avTE  zurückgeführt  werden.  —  Bestätigt  wird  unser  Verfahren 
durch  Z  120,  wo  es  von  Glaukos  und  Diomedes  heißt: 

Eig  jueoov  äf.i(pox£QO)v  ovvixr\v  juEfxaöjxs  juä%£o&cu. 
oi  <5'  ote  dt]  o%eö6v  f]oav  eji1  äXXfäoioiv  lovxEg,  xxL 

wo  aber  der  Scholiast  mitteilt:  Zrjrööoxog  xal  Aoicxocpävi^g  öv'i- 
xeog  ,16vxe\  ev  Öe  xoig  ejutzqoo&ev  (d.  i.  zu  E  630  nach  dem 
Schol.  T)  ElQTjxa/xEv  (xal)  Agioxägy^ov  eIvoli  ri]v  dv'ixtjv  yqacpiqv: 
zu  Iövxe  gehört  aber  auch  xeo  <5'  .  .  äXXijXonv.  Die  gleiche 
Verbesserung  ist  also  auch  bei  dem  parallelen  Vers  A  232 
anzubringen.  —  Nach  A  536  ä>g  xeo  y1  ev  xoviyoi  nag*  dXXr]- 
Xoioi  Tsxdo&rjv,  fj  xoi  o  /uev  ©QEi'xaw,  o  Ö1  Etieicöv  yaXxoxixojvcov 
kann  die  Apposition  nur  ijyEjuovs  lauten:  die  Endung  -vs,  die 
in  der  Arsis  steht,  ließ  man  nicht  als  Länge    gelten.   —  Um- 


170  7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 

gekehrt  muß  es  vor  vis  AioxXhog  £'541  eXev  avdqe  ägiorco 
für  ävdgag  äglorovg  heißen,  wo  der  Hiatus  Anstoß  erregte.  — 
B  812  ist  ö£co  'Agrjog  für  ö^og  vor  vis  dvo  nur  in  X  erhalten 
geblieben:  das  lobende  Epitheton  kann  nicht  bloß  dem  einen 
beigelegt  werden.  —  Ein  eingebildeter  Hiatus  hat  E  573  zur 
Änderung  Anlaß  gegeben;  denn  daß  es  v  ex  geh  feqvoav  für 
vsxgovg  heißen  muß,  zeigt  das  folgende  reo  fdv  äga  öeeXco; 
daß  aber  auch  reo  d'  zu  schreiben  ist,  geht  aus  ßattzqv  .  . 
avreb  de  orqecp&evTE  .  .  /uaxeo&7]v  hervor.  —  B  832  (und  A  330) 
hat  Nauck  in  ovg  ndidag  eaoxev,  indem  er,  dem  folgenden  reo 
de  .  .  neideo&rjv  entsprechend,  eo  TiaXö''  schrieb,  auch  die  richtige 
Form  idaoxEv1)  gewonnen.  —  Wie  £"159  vlag  .  .  iv  evt  öiepgeo 
Eovzag,  'Exejufxova.  ze  Xgojuiov  re  für  vis  .  .  eovre  überliefert 
ist,  so  ist  A  99  xal  rovg  jliev  .  .  orrj&Eot  Tict/Licpaivovrag,  etcei 
jieqiövoe  yacovag  augenscheinlich  rovg  für  reo  nur  gesetzt,  um 
Tza/nepaivovrs  vor  ejiei  in  Tiajuepaivorrag  ändern  zu  können.  — 
Die  gleiche  Änderung  in  A  262  evff  Avrrjvogog  vis  (für  vhg) 
vn  Argstdr]  ßaoiXfji  norfxov  avajiXrjoavrE  (für  ävanXy)oavx£g) 
eövv  dojuov  'Aiöog  elbco  erhält  eine  gewisse  Bestätigung  an  der 
Lesart  von  S  äva7ih)oavr\  —  T  238  werden  die  Männer  auf- 
gezählt, welche  Odysseus  zum  Zelte  des  Agamemnon  mitnimmt. 
Zuerst  heißt  es:  f]  xal  Ntorogog  vlag  öndooaro  xvdaXijuoio.  Da 
die  anderen  mit  Namen  genannt  werden,  muß  auch  bestimmt 
auf  die  beiden  Söhne  des  Nestor  Antilochos  und  Thrasymedes 
hingewiesen  werden,  also  muß  es  vis  heißen.  —  A  27  haben 
xajuhrjv  ös  juoc  Xnneo  für  Xnnoi  nur  geringere  Handschriften, 
obwohl  i7i7ioi  unmittelbar  nach  xa/uhfjv  ganz  unwahrscheinlich 
ist.  —  So  erwartet  man  auch  E  257  coxee  ititico  nach  a.7ioi- 
OErov,  E  768  judorig'Ev  <5'  ititico  und  A  280  xdXXirgiys  ititico 
vor  reo  #'  ovx  äexovrs  TZErEoftrjv,  A  643  ngog  aXXrjXco  eve- 
TiovrE  {evetiovxe  schon  Nauck)  nach  reo  .  .  nivovr1  äepErrjv,  A  621 
to>  für  rol  vor  ordvrE  und  nachher  (623)  Eig  xXiotrjv  iXftovrE 
für  EXdovrsg  (vor  im  nach  dem  dritten  Trochäus).  —  Q  673  f. 


1)  A  568  ist  ebenso  zQOJiaäaxexo  (=  rgonasaxero)  für  zqcojiÄoxsio 
(G  TQOJidoxszo),  0  338  2(prjXov  xaXseoxero  für  S(pt)Xoio  xaXioxszo zu  schrei- 
ben,   ü  17  hat  Nauck  gleichfalls  zov  <5'  idaoxsv  für  zovde  d'  k'aaxsv  emendiert. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias.  171 

hat  M  xco  erhalten,  also  ist  auch  mit  Ahrens  e'xovre  für  eyovTeg 
herzustellen.  —  Entsprechend  ist  Q  690  toTiv  für  xoioiv  zu 
setzen,  wie  ü  636  xoijurj&Evxs  in  S  und  einem  Papyrus  steht. 

—  Wie  sich  das  Schwanken  der  Handschriften  zwischen  dv'1 
doyvQsovg  doajuiv&ovg  und  dv"1  dgyvQEag  doajuiv&ovg  6  128  aus 
öxP  ägyrgeco  doafiiv&o)  ableiten  läßt  (Stud.  z.  Od.  S.  70),  so 
wird  das  Schwanken  zwischen  NrjXrjioi  und  Nr}h)iai  Xnnoi  A  597 
auf  N^Xrjio)  ijijico  zurückzuführen  sein,  womit  Leeuwen  IdQcbovx'1 
für  Idgcöoai  verbindet.  Vgl.  ob.  S.  169  TiooyavEvxE.  Die  Mög- 
lichkeit die  Form  iÖQcbovx'  zu  gewinnen  ist  auch  ein  Stütz- 
punkt für  das  ganze  Verfahren.  —  77  370  tioXXöjv  (so  Leeuwen 
richtig  für  noXXoX)  <5'  iv  xdcpQco  EQvodgjuaxEg  (bxeeg  Tjztcoi  ä^avz 

.  .  Xinov  ägjua  dvdxxajv  fordert  ä^avxE  ebenso  EQVodgjuaxE 
ojxee  Inno),  wie  7£  40  ät-arx"1  nach  itctioj  .  .  dxv£oju£vo)  steht. 
*F  334  wird  Xtitkjo  für  Xnnoi  durch  das  336  nachfolgende  xdiiv 
empfohlen.  —  Hiernach  ist  auch  !P  351  evxqi%e  cbTiXioaty 
Xnnoi  für  EvxQi%ag  Xnnovg  zu  setzen.  —  Warum  77  428 — 431 
trotz  xXd^ovxE  der  Dual  in  den  Plural  verwandelt  ist,  ersieht 
man  aus  cog  ol  xExXr\yoiXEg  £tz'  430,  da  ak  tu)  xExXqycöxe  hü 
den  verpönten  Hiatus  ergibt.  Darum  ist  auch  462  oi  <3'  öxe 
dt]  oyEÖbv  7]oav  etz  dXXrjXoioiv  lovxEg  in  xd>  .  .  dXXrjXoav  Iovxe 
zu  ändern,  wie  es  476  xco  <3'  avxig  ovvixqv  heißt.  —  Ebenso 
erwartet  man  nach  AldvxE  P532f.  xcb  q"1  rjX'&ov  und  reo  vno- 
xagßrjoavxeg  für  ol  und  xovg.  —  Daß  2  341  vor  jieq&ovxe  (der 
Syr.  Palimpsest  nEQ&ovxEg)  avxco  für  avxoi  nötig  ist,  hat  schon 
Herwerden  gesehen.  (Für  xajuöjuso&a  hat  Leeuwen  dgöjuEo'&a 
nach  A  625  hergestellt:  y1  bleibt  besser  weg).  —  Daß  Y  342 
o  <5'  k'jiEixa  ixiy1  ex/iöev  öcpftaXfioTöiv  unter  Bezug  auf  ex  in 
ExfiÖEv  der  Genitiv  öqj&aXjuoliv  geschrieben  werden  muß,  er- 
gibt sich  aus   W  477  ovxe  xoi  dg~vxaxov  xeqtaXrjg  exÖeqxexoli  öooe. 

—  X461  äjua  <5'  dfjupijioXoi  xiov  avxfj  fehlt  die  gewöhnliche 
Angabe  der  Zahl  zwei.  Deshalb  hat  Christ  d/u(pm6Xo)  ver- 
mutet. Daß  es  zwei  waren,  ergibt  sich  aus  450  öevxe,  övoj 
/xoi  EJiEofts  (so  Bentley  für  ejieoüov  vor  fiöco :  etieo&ov  soll  den 
eingebildeten  Hiatus  vermeiden!).  —  M  330  xco  <5'  .  .  ßrjxrjv  .  . 
äyovxE   haben    AS   u.  a.   mit    Aristarch    den   Dual    äyovxe   be- 


172  7.  Abhandlung:   N.  Wecklein 

wahrt,  während  andere  Handschriften  äyovreg  geben:  gleich 
darauf  aber  steht  rovg  de  und  cpegovreg  in  allen  Handschriften. 
Barnes  hat  cpegorze  hergestellt;  dieses  erfordert  aber  auch  iw 
de.  Daß  ebenda  336  eig  (51  evoyo'1  Alane  dvco,  nolefxov  dxo- 
QrjTO),  eoraorag,  Tevxgov  xxe.  und  367  ocpon  f.nh>  .  .  earaoreg 
für  ioraore  überliefert  ist,  liegt  an  der  verkannten  Hebung. 
AT  342  f.  geben  nur  einige  Handschriften  (ST2Hb  u.  a.)  mit 
Zenodot  Ai'avre  für  Al'avra,  die  Lesart  Aristarchs.  Der  Dual 
wird  durch  353  f.  bestätigt.  —  M  373  f.  mußte  der  Dual  ixe- 
oftip'  und  lovre  in  den  Plural  i'xovro  .  .  iovxeg  verwandelt 
werden,  nachdem  durch  die  attische  Interpolation  von  372  aus 
zwei  drei  geworden  waren.  —  77  148  wird  d)xee  innen  für 
cbxeag  innovg  durch  das  folgende  reo  ä/ua  nvoifjoi  nereo&i]v 
und  entsprechend  rw  (für  rovg)  e'rexe  gefordert.  —  P  387  ist 
juaovajuevouv  für  juagvctjuevoioiv,  dagegen  P  438  nach  ocpi  (den 
beiden  Rossen  des  Achill)  in  den  meisten  Handschriften  juvqo- 
/.ihoioiv,  nur  in  HCYZA2  /nvQOjuevoav  überliefert.  So  muß 
P  511   vcoiv  de  £ co oi iv  für  C°)oTotv  gesetzt  werden. 


Nachtrag. 

Zu  S.  11.  Über  die  Auslassung  der  Formen  von  st  fit  vgl.  Lehrs,  De 
Arist.  stud.  Hom.  S.  3642ff. 

Zu  S.  29.  Ein  Mischling  ist  auch  oaxeonalog  E  126.  Die  Lanze 
wird  geschwungen,  der  Schild  wird  hin  und  her  gewendet  {ozQscpcov  Soph. 
Ai.  575):  oaxeonaXog  ist  aus  iy^sanaXog  und  oaxeacpoQog  entstanden.  — 
A  292  ist  das  Epitheton  des  Ebers  {avv  ägyiöSovia  7  539)  Hunden  ge- 
geben. Statt  xvvag  ägyiödovrag  erwartet  man  xvva  xagzagödovra. 
Vgl.  N  198  xvvcöv  vjiÖ  xaQxaoodörzoiv. 

Zu  S.  76.  Die  Änderung  von  ijzsv^dfisvog  F  350  in  ejzevxöixevog 
wird  durch  den  epischen  Stil  gefordert,  da  das  Gebet  nachfolgt. 


Textkritische  Studien  zur  Ilias. 


173 


Verzeichnis  der  behandelten  Stellen. 


A 

158   58 

336  151 

479   3 

234 

64 

3   73 

160  102 

337   22 

493  114 

272 

128 

71  115 

169  153 

350  101 

307 

91 

86  152 

232   72 

364  132 

H 

332 

168 

141   95 

339   94 

383   60 

1  128 

353 

105 

192   54 

345  169 

424  118 

17  169 

360 

99 

231   21 

350  172 

440  104 

18  169 

361 

131 

258   57 

368  152 

448  154 

42   84 

392 

141 

296   78 

385   51 

492  102 

56  22 

404 

129 

349  152 

453  123 

499   91 

104   10 

410 

96 

406  152 

541  170 

129   85 

413 

50 

430  107 

A 

573  170 

130  85 

456 

146 

453   50 

146  108 

585  143 

147   66 

503 

148 

557  151 

184   49 

630  163 

193   94 

512 

88 

589   28 

189  154 

653  128 

197   89 

535 

141 

B 

191  106 

664  101 

234  147 

538 

44 

4  30 
12  89 
29  89 

211  111 

708  122 

255  169 

243  123 
301   30 

722  148 
748  141 

272   56 
298  152 

/ 
54  66 

66   89 

390   9 

768  1 70 

342  151 

103 

94 

85  129 

483  150 

778  f.  169 

387   80 

106 

59 

88   93 
102  153 

522  150 
536  169 

796   31 
845  125 

427  154 

428  31 

u. 
112 

151 
32 

123   81 

E 

z 

433   11 

141  f. 

112 

127   59 

0 

159 

103 

143   66 

13   59 

46  152 

203 

21 

258  153 

17  152 

50   81 

21  ff.  89 

228  f.  116 

264  107 

48  149 

120  169 

66  110 

314 

94, 

398  144 

111  155 

136  131 

70  167 

318 

32 

402   79 

126  172 

174   72 

73  167 

390 

29 

413  117 

140   44 

195   6 

79  167 

411 

123 

461  133 

152  162 

226   31 

85  160 

416 

90 

597   81 

204  114 

252   45 

94   43 

438 

54 

711  134 

219  106 

255   59 

108  167  f. 

455 

79 

811   62 

252   78 

260  15D 

111   50 

457 

32 

823  129 

257  170 

290   60 

153   80 

464 

149 

716   96 

263   59 

321   21 

181   56 

485 

58 

r 

287  117 

386  115 

186   68 

489 

60 

293  133 

453   89 

205   81 

495 

78 

3  116 

329  155 

456  f.  90 

219   76 

514 

12 

63  44 

334   44 

u.  162 

230  140   i 

552 

12 

174 


7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 


601   93 

478 

131 

697  171 

337 

172 

408 

157 

641  160 

484 

42 

601   22 

340  103  u. 

421  55 

u.  168 

,.}645  99 

529 

58 

602   7 

128 

449 

143 

650  153 

545 

147 

611  122 

367 

172 

455 

73 

679   25 

547 

165 

618f.  168 

373  f. 

172 

469 

122 

698  148 

621  170 

374 

7 

525 

47 

A 

628  168 

379 

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554 

156 

K 

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157 

563 

10 

15 

46 

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46 

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56 

46 

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u.  161 

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9 

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161 

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99 

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123 

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166 

779  110 

N 

798 

7 

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138 

167 

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48 

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2 

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98 

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47 

106 

M 

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232 

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43 

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235 

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78 

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7 

139 

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237 

46 

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22 

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170 

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43 

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62 

147 

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280 

170 

M 

228 

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172 

230 

139 

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305 

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139 

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313 

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96 

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42 

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333 

56 

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u.  72 

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46 

289  61 

335  i 

'.  90 

322 

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363 

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574 

46 

334  85 

399 

143 

364  131  u.  159 

Textkritische  Studien  zur  Ilias. 


175 


403  69 

736   97 

735   75 

2 

238 

170 

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29 

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161 

402 

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198 

129 

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P 

221 

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313 

140 

Y 

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322 

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■ 

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3 

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142 

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u.  51 

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178 

35 

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138 

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521 

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523 

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35 

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525 

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202 

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576 

67 

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35  , 

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T 

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280 

47 

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132 

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27 

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230 

67   1 

370 

78 

176 


7.  Abhandlung:  N.  Wecklein 


381 

130 

422 

162 

324 

42 

494 

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15 

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200 

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36 

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¥ 

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259 

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<P 

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4 

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X 

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15 

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132 

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151 

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123 

128 

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163 

162 

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64 

436 

28 

162 

140 

66 

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180 

156 

714 

67 

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82 

182 

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63 

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9 

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223 

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64 

220 

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36 

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113 

53 

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53 

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279 

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41 

310 

119 

1J 

557 

55 

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146 

180 

125 

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9 

126 

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316 

147 

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334 

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47 

131 

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55 

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56 

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53 

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10 

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64 

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171 

56 

53 

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37 

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56 

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384 

130 

68 

53 

616  3" 

'  u.  75 

386 

132 

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113 

392 

70 

78 

36 

622  f 

.  74 

390 

63 

304 

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75 

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37 

396 

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320 

146 

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u.  141 

113 

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170 

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159 

322 

97 

493 

53 

125 

150 

684 

55 

Textkritische  Studien  zur  Ilias. 


177 


690  171 

775  106 

f* 

G 

X 

691  163 

696  163 

C 

450  86 

289  117 
316  123 

128  111 
143  129 

711  169 

131  132 

V 

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325  118 

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352   66 

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749  132 
757   69 

V 
315   81 

314  112 

336  106 
420   60 

417  93 
484  k66 

794  126 

120  85 

T 

v> 

802   37 

# 

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261   66 

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316  110 

et 

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283  110 
475  134 

CO 

59  133 

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71 

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13  138 

167   80 

176   25 

36   58 

ß 

t 

238   28 

V 

67   57 

56  110 

257   84 

16   20 

79   10 

76   81 

269  122 

391   18 

139   94 

108   63 

246   81 

186  121 

123   93 

y. 

Q 

254   63 

d 

202  126 

196  121 

V 

343  111 

348  144 

317   25 

178  108 

370  154 

X 

375  150 

196  123 

Sehol.  A  zu 

725   57 

448  111 

421  112 

335  102 

248   55 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  7.  Abh. 


12 


A 


Sitzungsberichte 


der 


Königlich   Bayerischen   Akademie   der    Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  8.  Abhandlung 


-P* 


Der  freiwillige  Feuertod  in  Indien 
und  die  Somaweihe 


von 


Alfred  Hillebrandt 


Vorgelegt  am  3.  November  1917 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Kommission  des  G.  Franz'schen  Verlags  (J.  Roth) 


i 


Sitzungsberichte 

der 

Königlich   Bayerischen   Akademie   der    Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  8.  Abhandlung 


Der  freiwillige  Feuertod  in  Indien 
und  die  Somaweihe 


von 


Alfred  Hillebrandt 


Vorgelegt  am  3.  November   1917 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franz'schen  Verlags  (J.  Roth) 


I. 

Die  griechischen  Schriftsteller  hat  der  Feuertod  des  in- 
dischen Büßers  Kalanos,  welcher  Alexander  folgte  und  vor  den 
Augen  seines  Heeres  den  Scheiterhaufen  bestieg,  lebhaft  be- 
schäftigt: „er  war  hochbetagt,  so  heißt  es  in  der  Darstellung 
Droysens;  im  persischen  Lande  fühlte  er  sich  zum  ersten  Male 
krank.  Er  sagte  zum  Könige,  er  wolle  nicht  dahinsiechen, 
es  sei  schöner,  zu  enden,  bevor  sein  körperliches  Leiden  ihn 
zwinge,  seine  bisherige  Lebensregel  zu  verlassen.  Vergebens 
waren  des  Königs  Einwendungen;  bei  ihm  daheim  gelte  nichts 
unwürdiger,  als  wenn  die  Ruhe  des  Geistes  durch  Krankheit 
gestört  werde,  es  fordere  die  Regel  seines  Glaubens,  daß  er  den 
Scheiterhaufen  besteige.  Der  König  sah  wohl,  daß  er  nach- 
geben müsse;  er  befahl  dem  Leibwächter  Ptolemaios,  ihm  den 
Scheiterhaufen  zu  errichten  und  alles  Weitere  feierlichst  zu 
ordnen".  Es  folgt  die  Beschreibung  der  Vorkehrungen  und 
dann  heißt  es  weiter:  „dann  begann  der  fromme  Inder  seine 
Toten  weihe;  er  besprengte  sich  wie  ein  Opfertier,  er  schnitt 
eine  Locke  von  seinem  Haupte  und  weihte  sie  der  Gottheit, 
er  kränzte  sich  nach  heimatlicher  Weise  und  stieg,  indem  e"r 
indische  Hymnen  sang,  den  Scheiterhaufen  hinan  .  .  . ttl). 

Wir  finden  die  Erwähnung  „der  Regel  seines  Glaubens" 
in  den  Fragmenten  des  Onesikritos2):  AiaXexftrjvat  <5'  evl  rovrcov 
KaXävco,  ov  xal  ovvaxoXov&fjocu  reo  ßaoilel  jusxqi  üegoidog, 
xal  äno&aveiv  reo  naroiep  vo/xep  redevra  im  nvQxeüäv;   wozu 


1)  Geschichte  Alexanders  des  Großen  von  Joh.  Gust.  Droysen;  von 
Arthur  Rosenberg  besorgte  Auflage,  Berlin  1917,  S.  510 — 511.  Siehe  jetzt 
die  genaue  Darstellung  »Kalanos"    von    Kroll   bei  Paully-Wissowa   s.  v. 

2)  Scriptores  rerum  Alexandri  Magni,  ed.  Carolus  Müller,  Paris  1877, 


Onesicriti  fragmenta  10,  S.  51. 


1* 


4  8.  Abhandlung:  Alfred  Hillebrandt 

zu  vergleichen  ist  Lucian,  Fragm.  33 :  exsTvoi  ydg  (oi  Bgay- 
judveg)  ovx  ejurnjöcöoiv  elg  xb  nvg,  <bg  'Ovijoixgtxog  6  'AXetjäv- 
ögov  xvßegvrjxrjg  iÖojv  KdXavov  xaofievov  (prjolv,  äXX1  eneiöav 
viqocooi,  nh]oiov  nagaoxdvxeg  dxivtjxoi  dveyovxai  Tiagonxtbfievoi, 
elx  emßdvxeg  xaxd  oyfjjua  xdorxat,  ovo'  öoov  bXiyov  exzgexpavzeg 
T)~jg  xaxaxXtoecog1),  und  die  Bemerkung  Strabos  716:  ai'oycoxov 
<5'  avxolg  vojui^eoftai  vooov  ocojuaxixrjV  xbv  <5'  vnovorjoavxa  xaty 
avxov  xovxo,  e£dyeiv  eavxbv  öid  nvgbg  vrjoavra  jzvgdv,  vnaXei- 
rpdjusvov  de  xal  xa&ioavxa  em  xtjv  nvgdv  vcpdxpai  xeleveiv,  dxi- 
vi]tor  de  xaieo&ai. 

Hinzuzufügen  ist  noch  aus  Pomponius  Mela,  de  situ  orbis 
III,  7,  4:  „at  ubi  senectus  aut  morbus  incessit,  procul  a  cae- 
teris  abeunt  mortemque  in  solitudine  nihil  anxie  exspectant. 
Prudentiores  et  quibus  ars  studiumque  sapientiae  contingit, 
non  expectant  eam,  sed  ingerendo  semet  ignibus  laeti  et  cum 
gloria  accessunt" 2).  Die  Selbstverbrennung  des  Kalanos,  welche 
den  Griechen  so  auffiel3),  war  also  kein  vereinzelter  Fall,  son- 
dern die  Befolgung  eines  indischen  Brauches,  von  dem  das 
klassische  Altertum  noch  ein  zweites  Beispiel  in  Zarmanochegas 
kennen  lernte,  der  in  Athen  dem  Leben  zu  entsagen  beschloß, 
weil  sein  bisheriges  Leben  ohne  Unfall  verlaufen  sei  und  er 
nicht  wünschte,  daß  ihm  in  den  letzten  Tagen  seines  irdischen 
Daseins  ein  Unheil  widerfahre;  er  erhielt,  wie  Strabo  720  be- 
richtet, die  Grabinschrift:  Zagjuavoyjjydg  Ivöög  dnb  Bagyoo>]g 
xazd  zd  ndxgia  'Ivdcov  e&rj  eavxbv  UTza&avaxioag  xeixai,  also 
wieder  ist  die  heimische  Sitte  erwähnt. 

Dennoch  hat  Megasthenes  recht,  wenn  er  (Strabo  718, 
fragm.  ed.  Schwanbeck  44)  sagt,  es  sei  bei  den  indischen  Philo- 

!)  A.  a.  0.  S.  57. 

2)  Ich  entnehme  das  Zitat  dem  Buch  Osmond  de  Beauvoir  Priaulxs 
The  Indian  travels  of  Apollonius  of  Tyana  and  the  Indian  embassies  to 
Rome,  London  1873,  S.  141,  der  auch  auf  Jos.  Touss.  Reinaud,  Relation 
des  voyages  faits  par  les  Arabes  et  les  Persans  dans  Finde,  Paris,  vol.  I, 
S.  121  verweist:  On  voit  .  .  .  dans  Finde  des  hotnmes  se  brüler  sur  un 
bücher.  .  .  . 

3)  Ihre  Beobachtung  scheint  recht  genau  zu  sein.  Wenn  Kalanos 
sein   ihm    von   Alexander    gegebenes    nysäisches   Roß    dem    Lysimachos, 


Der  freiwillige  Feuertod  in  Indien  und  die  Somaweihe.  5 

sophen  „kein  Dogma  gewesen,  durch  Selbstmord  zu  enden"; 
es  war  nur  ein,  allerdings  viel  verbreiteter  Brauch,  über  den 
die  indischen  Gesetzbücher  selbst  verschiedener  Meinung  sind. 
Während  Apastamba  I,  28,  17;  Gautama  14,  12;  Manu  5,  89; 
Vasistha  23,  14  ff.  den  ätrnatyägin  verurteilen1),  steht  in  dem 
zuletzt  genannten  Dharmasästra  an  anderer  Stelle  für  den,  der 
ins  Feuer  eingeht,  die  Verheißung  von  Brahmas  Welt:  agni- 
pravesäd  brahmalokäh  [prupyate]  29,  4  in  offenbarer  Überein- 
stimmung mit  einer  alten  und  weitverbreiteten  Sitte.  Hier  wie 
in  anderen  Fällen  begegnen  wir  in  ihnen  dem  Bestreben,  manche 
Bräuche  zu  bekämpfen  oder  auch  zu  verschweigen,  welche  im 
Volksleben  lange  Anerkennung  genossen  haben  mögen.  Witw.en- 
verbrennung,  Menschenopfer  werden  trotz  ihres  hohen  Alters 
nicht  erwähnt,  die  späteren  Smrtis  lehnen  den  Frauenkauf  ab, 
der  höchstens  dem  Vaisya  und  Südra  gestattet  sein  soll2)  und 
doch  alte  Sitte  war. 

Aus  jener  Vasisthastelle  erkennen  wir  noch  den  Sinn  des 
Brauches:  es  ist  die  Hoffnung  auf  Brahmans  Himmel,  die 
zum  Feuertode  führt.  Wenn  Keith  meint,  the  custom  of 
self-immolation  is  not  Vedic  as  recorded,  but  rather  a  sign 
of  the  later  pessimism  of  the  belief  in  the  eternal  misery  of 
life3),  so  ist  das  Gegenteil  davon  richtig.  Öarabhanga,  dessen 
Feuertod  das  Epos  erzählt4),  hat  sich  durch  schwere  Buße  die 
Welt  Brahmans  erobert.  „Das  ist  der  Weg,  sagt  er  zu  Räma, 
siehe,  mein  Lieber,  einen  Augenblick  zu,  wie  ich  meine  Glieder 


Schalen  und  Gewänder  den  Umstehenden  schenkt,  so  ist  dazu  die  unten 
aus  dem  Mudräräksasa  angeführte  Stelle  zu  vergleichen,  wonach  Jisnu- 
däsa  nach  Verteilung  seiner  Habe  an  die  Brahmanen  in  den  Feuertod 
zu  gehen  beschloß;  das  Abschneiden  der  Locke,  bei  Plutarch  erwähnt 
(Alexander  Kap.  69,  xai  xQi%(t>v  djiag^dfiEvog)  erinnert  an  das  unten  (S.  11) 
erwähnte  Abschneiden  der  Öikhä  durch  die  Teilhaber  eines  Sattra,  die 
sich  zur  Himmelswelt  rüsten. 

x)  E.  Washburn  Hopkins,    On  the  Hindu  custom  of  dying   to   re- 
dress  a  grievance  JAOS  21  (1900),  S.  146—159. 

2)  Otto  Schrader,  Reallexikon2,  1.  Lieferung,  S.  163a. 

3)  Taitt.  Samhitä  S.  CX1V. 
*)  Rämäyana  III,  5  a.  E. 


6  8.  Abhandlung:  Alfred  Hillebrandt 

verlasse,  der  Schlange  gleich,  die  die  alte  Haut  abstreift." 
„Darauf  legte  Sarabhaiiga  das  Feuer  an,  opferte  unter  Her- 
sagung von  Sprüchen  Butter  und  stieg  in  das  Feuer.  Das 
Feuer  verzehrte  seine  Haare,  seine  alte  Haut,  Knochen,  Fleisch 
und  Blut.  Ein  Jüngling,  dem  Feuer  ähnlich,  erstand.  Aus 
dem  Scheiterhaufen  ging  Öarabhanga  glänzend  empor;  er  schritt 
über  die  Welten  der  Feuerverehrer,  der  großen  Rsis  und  der 
Götter  hinweg  und  stieg  zu  Brahmans  Welt  empor1)."  Aus 
dem  gleichen  Grunde  opfert  die  Büßerin  Sabari  sich  mit  Er- 
laubnis Rämas  im  Feuer  und  geht,  „dem  flammenden  Feuer 
ähnlich,  zum  Himmel  ein.  Dorthin,  wo  die  großen,  heiligen 
Rsis  weilen,  zu  der  frommen  Stätte  ging  sie  durch  Versenkung 
in  den  Atman  ein"2).  Der  Feuertod  verhilft  also  zur  Him- 
melswelt. Das  alte  Elternpaar,  dessen  Sohn  Dasaratha  ver- 
sehentlich erschoß,  übergibt  seinen  Leib  dem  Scheiterhaufen 
und  geht  zum  Himmel  ein3).  Der  Tod  ist  kein  Erlöschen, 
sondern  eine  Hoffnung:  änoftavwv  de  änaXMttano  jfjg  TETQv%ai- 
fxevrjg  vnb  yrjQcog  oagxög,  juezaoxag  eig  ßekiiw  xal  xad^agcoregov 
ßiov,  Megasthenes  fragm.  44  (bei  Strabo  718). 

1)  v.  36:  tato  'gnim  sa  samädhäya  hutvü  cäjyena  mantravat, 

sarabhango  mahätejäh  pravivcsa  hutäsanam  jj  — 
38:  sa  ca  pävakasam'käsah,  Jcumärah  samapaäyata  '' 
ultliäyägnicayät  tasmäc  charabhango  vyarocata  \\ 
sa  loliän  ähitägninäm  rslnäm  ca  mahätmanäm 
devänäm  ca  vyatikramya  brahmalokam  vyarohata  |] 

2)  III,  74,  32  ff.:  anvjnätä  tu  rämena  Imtvätviänam  hutäsane  \\ 

jvalatpäva'kasam'käsä  svargam  eva  jagäma  ha  | 
divyäbliaranasamyuktä  divyamälyänulepanä  \ 
divyämbaradharä  tatra  babhvva  priyadarsanä  \  — 
yatra  te  suhrtätmäno  viharanti  maharsayah  \ 
tat  pimyam  sabari  sthänam  j agämätmasamädhinä  \ 

3)  II,  64,  57:  evam  säpam  mayi  nyasya  vilapya  Tcarunam  bahn  j 

citäm  äropya  dcham  [Komm,  dehaa]  tan  mithunam  svar- 
gam abhyayät  | 
Aus  dem  Kathäsaritsägara  vergleiche  man  die  Erzählung  von  den 
Daityaprinzessinnen,  die  mit  den  Ihrigen  in  den  Feuertod  gehen  wollen, 
um  einen  gewissen  Prinzen  in  einer  zukünftigen  Geburt  zum  Gatten  zu 
erhalten  (Nr.  118),  und  den  Feuertod  des  Generals,  der  seinem  Könige  in 
den  Tod  folgt  (Nr.  91). 


Der  freiwillige  Feuertod  in  Indien  und  die  Somaweihe. 


*e 


Der  Wunsch,  zum  Himmel  einzugehen,  war  allerdings  nicht 
immer  der  einzige  und  unmittelbare  Beweggrund  zum  Selbst- 
mord. In  dem  nüchternen  und  auf  der  Wirklichkeit  des  Lebens 
fußenden  Drama  Mudräräksasa  fragt  der  Minister  Räksasa  den 
Fremdling,  der  mit  der  Schlinge  in  der  Hand  zum  Selbstmord 
bereit  scheint,  nach  der  Ursache  seines  Kummers,  und  dieser 
erwidert:  „In  der  Stadt  wohnt  der  Vorsteher  der  Zunft  der 
Juweliere,  Jisuudäsa  mit  Namen.  Das  ist  mein  Freund.  [Wei- 
nend:] Dieser  hat  jetzt,  nach  Verteilung  seines  Besitzes  an  die 
Brahmanen,  in  der  Absicht  sich  den  Feuertod  zu  geben,  die 
Stadt  verlassen.  Ich  vermag  das  Unerhörte  nicht  zu  hören 
und  bin  in  diesen  alten  Garten  gekommen,  um  mich  zu  töten." 
Räksasa:  „Was  hat  dein  Freund  für  einen  Grund  zum  Feuer- 
tod? Ist  es  schwere  Krankheit,  die  aller  Arznei  widersteht? 
Des  Königs  Zorn,  wie  Gift  und  Feuer  gefährlich?  Liebe  zu 
einer  Frau,  die  ihm  unerreichbar  bleibt?  Steht  ihm  unab- 
wendbar der  Untergang  bevor?  [Bewegt  für  sich:]  Candana- 
däsa  ist  sein  bester  Freund.  Gewiß,  sein  Untergang  ist  seines 
Feuertodes  Grund.  .  .  .ttl) 

Die  Hetäre  Kämamanjari  will  sich  verbrennen,  wenn  sie 
zu  Maricis  Füßen  keine  Zuflucht  findet2).  Ambä,  die  aus 
Feindschaft  gegen  Bhisma  lange  schwerste  Askese  getrieben 
hat3),  stürzt  sich  zuletzt,  um  Rache  an  ihm  zu  nehmen,  vor 
den  Augen  der  Rsis  in  den  von  ihr  zusammengetragenen 
Scheiterhaufen4).     Nach    Rämas   Verbannung    fragen    die    be- 


1)  Mudräräksasa,  meine  Ausgabe  S.  171  (abgekürzt  wiedergegeben). 
Vgl.  nach  S.  175,  10:  jalanam  pavisimi  tti  setthi  jinhudäso  naarädo  nik- 
kanto;    176,  10:   sighram  idänlm  jisnudäsam  jvalanapravesän  niväraya. 

2)  Dasakumäracarita,  ed.  Nirnaya  Sägara  Press,  Bombay  1883,  S.41 ,  Z.  14. 

3)  Mahäbhärata  (ed.  Nirnaya  Sägara  Press)  V,  187  (S.  277),  v.  3: 
vadhärthaiu  tasya  dlksä  me,  na  lokärtham,  tapodhanäh! 

4)  A.  a.  0.  v.  17  ff.: 

sä  pasyatäm  tesäm  maharslnäm  aninditä 
samährtya  vanät  tasmät  kästhuni  varavarninl  \ 
citäm  krtvä  sumahatim  pradäya  ca  hutäsanam 
pradipte  'gnau  mahäräja  rosadlptena  cetasä  \\ 
uktvä  bhismavadhäyeti  pravivesa  hutäsanam  — 
Cf.  Holtzmann,  Mbh.  I,  26.   147. 


8  8.  Abhandlung:  Alfred  Hiilebrandt 

kümmerten  Bürger1):  sollen  wir  hier  uns  den  Tod  geben2) 
oder  „auf  die  große  Reise"  ausziehen3).  „Welchen  Zweck  hat 
noch  unser  Leben  ohne  Räma.  Es  gibt  reichlich  trockenes 
und  starkes  Holz.  Sollen  wir  damit  den  Scheiterhaufen  an- 
fachen und  ins  Feuer  gehen?"  Dasaratha  heißt  in  seinem 
Schmerz  Kaikeyl  in  das  Feuer,  in  den  Dandakawald  zu  gehen 
oder  zum  Strick  zu  greifen4),  und  üamayanti  ist  bereit  um 
Nalas  willen  durch  Gift,  Feuer,  Wasser  oder  den  Strick  in 
den  Tod  zu  gehen 5).  Der  Feuertod  ist,  wie  man  an  der  Vor- 
schrift Vasisthas,  an  dem  mythischen  Beispiel  Sarabhangas, 
an  dem  Vorgehen  Jisnudäsas,  des  Kalanos  und  Zarmanochegas 
sieht,  nicht  auf  Frauen  beschränkt;  vielmehr  ist  anzunehmen, 
daß  der  Gedanke,  welcher  in  Indien  die  Witwe  in  den  Tod 
trieb,  ein  Überrest  des  allgemeineren  Brauches  war6),  im 
Feuertod  Schmerz  und  Sorge  hinter  sich  zu  lassen  und  dem 
Freunde  oder  Gatten  nach  elg  ßehico  xal  xaüaoojrEgov  ßiov 
einzugehen.  Es  war  keine  trübe  oder  pessimistische  Stimmung, 
sondern  ein  in  der  Idee  freudiger  Akt.  Wir  hören  daher,  daß 
sie  „laeti  et  cum  gloria"  sich  dem  Feuer  übergaben;  es  wäre 
auch  nichts  Unnatürliches  gewesen,  wenn  Kalanos,  der  gewiß 
die  Neigungen  griechischer  Soldaten  kannte,  sie  —  nach  der 
Angabe  bei  Plutarch  —  aufgefordert  hätte,  sich  nach  seinem 
Tode  zu  betrinken  und  mit  der  großen  Todesfeier  durch  Alex- 
ander seinem  Sinn  gemäß  gehandelt  worden  wäre. 

Man    wird   gegen    das    Alter   des   immerhin    doch   bis  ins 
4.  Jahrhundert  a.  Chr.  nachweisbaren  Brauches  einwenden,  daß 


*)  Rämäyana  (ed.  Nirnaya  Sägara  Press)  II,  47,  7.  8. 

2)  nidhanam  yäma;  Komm,  präyopavesena  maranam,  also  durch 
Hunger. 

3)  maliäprastliänam;  Komm.  maranadilsTipurxakam  uttarabhimukhä- 
gamanam:  die  Reise  nach  Norden  unter  Vorantragen  der  Feuer. 

4)  Rämäyana  II,  74,  33. 

5)  Siehe  Hopkins  a.  a.  0.  S.  148.  Andere  Beispiele  KSS.  90,  73,  179; 
92,  5;  95,  31  (Vetäla  pancavirisati).  Siehe  auch  Winternitz,  Die  Frau 
in  den  indischen  Religionen  (Archiv  für  Frauenkunde  III,  63.  72). 

6)  So  auch  Winternitz  a.  a.  0.  S.  83. 


Der  freiwillige  Feuertod  in  Indien  und  die  Somaweihe.  9 

er  im  Veda  noch  nicht  bezeugt  sei.  Schon  VMyth.  III,  xi 
habe  ich  bemerkt,  daß  der  Rgveda  kein  Volksbuch  ist,  das 
etwa  beabsichtigte,  uns  eine  Vorstellung  von  dem  gesamten 
Glauben  seiner  Zeit  zu  geben,  sondern  seine  Zusammenstellung 
einer  bestimmten  Tendenz  verdankt1).  Eine  indische  Sitte  ist 
darum  noch  nicht  jung,  weil  sie  sich  in  der  vedischen  Literatur 
nicht  findet.  Wie  Menschenopfer,  Witwenverbrennung,  Braut- 
kauf u.  a,  geht  die  Selbstvernichtung  des  Körpers  auf  den  Vor- 
stellungskreis einer  primitiven  Zeit  zurück  — -  abgesehen  von 
Selbstmordepidemien,  die  anders  und  mehr  psychologisch  zu 
beurteilen  sind  — ,  die  in  dem  freiwilligen  Tode  keinen  un- 
hefligen  oder  verdammenswerten  Akt  sah,  sondern  ihn  be- 
sonders denen  nahelegte,  die  ihren  Körper  schwach  und  hin- 
fällig werden  sahen  und  an  der  Grenze  des  Lebens  standen. 
Frazer  erwähnt  die  Selbstverbrennung  buddhistischer  Mönche 
in  China2),  die  den  Tag  ihrer  Abreise  mittels  des  Feuertodes 
nach  Nirväna  feierlich  verkündigen  und  dazu  einen  Festtag 
wählen,  der  eine  Menge  von  Pilgern  und  Frauen  zu  einem  der 
vielen  Klöster  ruft,  obwohl  das  kein  buddhistischer,  sondern 
ein  im  chinesischen  Volksleben  wurzelnder  Brauch  sein  dürfte, 
ferner  die  Selbstmorde  in  Rußland,  vor  allem  aber  sind  wichtig  die 
Fidschiinsulaner3):  Some  of  the  reasons  for  preferring  a  violent 
death  to  the  slow  death  of  old  age  or  disease  are  obviously 
as  applicable  to  common  men  as  to  the   man-god.     Thus   the 


l)  Auch  kleine  Ausgabe:  vmyth.  S.  20. 

«)  The  golden  bough  III  (dying  god)  S.  42  ff.,  54  ff. 

3)  The  golden  bough  I,  216.  Legoyt  erwähnt  eine  ähnliche  Praxis 
aus  Afrika,  die  ich  nicht  weiter  verfolgen  kann  (Le  suicide,  Paris  1881): 
I/Afrique,  dit  Buonafede,  eut  corame  l'Inde  ses  gymnosophistes,  apötres 
d'une  vie  auatere  et  de  la  mort  volontaire.  Laerce  rapport  qu'ils  pre- 
scrivaient  d'exercer  son  courage  et  de  ne  faire  aucun  cas  de  la  mort. 
Westcotts  Werk  Suicide,  its  history,  literature  etc.,  London  1885,  ist 
mir  unzugänglich. 

In  Hastings  Dictionary  VI,  853  s.  v.  religious  suicide  heißt  es 
über  Indien:  expressions  occur  in  various  religious  books  which  coun- 
tenance  the  practice  of  suicide,  and  rules  are  laid  down  for  the  rite. 
It  was  quite  common  in  the  early  part  of  the  last  Century  (E.  A.  Gait). 


10  8.  Abhandlung:  Alfred  Hillebrandt 

Mangaians  think  that  "the  spirits  of  those  who  die  a  natural 
death  are  excessively  feeble  and  weak,  as  their  bodies  were  at 
dissolution;  w.hereas  the  spirits  of  those  who  are  slain  in 
battle  are  strong  and  vigorous,  their  bodies  not  having  been 
reduced  by  disease"  [Gill].  Hence  men  sometimes  prefer  to 
kill  themselves  or  to  be  killed  before  they  grow  feeble,  in 
order  that  in  the  future  life  their  souls  may  start  fresh  and 
vigorous  as  they  left  their  bodies,  instead  of  decrepit  and  worn 
out  with  age  and  disease.  Thus  in  Fiji  "self-immolation  is  by 
no  means  rare,  and  they  believe  that  as  they  leave  this  life, 
so  they  will  remain  ever  after.  This  forrns  a  powerful  motive 
to  escape  from  decrepitude,  or  from  a  crippled  condition,  by  a 
voluntary  death"  [Wilkes],  Or,  as  another  observer  of  the 
Fijians  puts  it  more  fully,  "the  custom  of  voluntary  suicide  on 
the  part  of  the  old  men,  which  is  among  their  most  extra- 
ordinary  usages,  is  also  connected  with  their  superstitions  re- 
specting  a  future  life.  They  believe  that  persons  enter  upon 
the  delights  of  their  elysium  with  the  same  faculties,  mental 
and  physical,  that  they  possess  at  the  hour  of  death,  in  short, 
that  the  spiritual  life  commences  where  the  corporeal  existence 
termioates.  ...  To  this  motive  must  be  added  the  contempt 
which  attaches  to  physical  weakness  among  a  nation  of  war- 
riors,  and  the  wrongs,  and  insults  which  await  those  who  are 
no  longer  able  to  protect  themselves1'.  .  .  . 

Die  Gründe  stimmen  teilweise  mit  denen  überein,  die  die 
Griechen  und  Inder  angeben,  sie  waren  nur  in  Indien  mannig- 
facher als  die,  welche  hier  vorausgesetzt  sind.  Wir  treffen  in 
dem  freiwilligen  Feuertode  der  Hindus  also  auf  ethnogra- 
phischen Grund  und  brauchen  darin  nicht  mit  den  Griechen 
etwas  Außergewöhnliches  oder  rein  Indisches  zu  sehen,  sondern 
einen  sehr  alten  Brauch,  den  die  Gesetzgeber  verurteilen  und 
der  Veda  nur  nicht  erwähnt,  wie  er  manches  andere,  was  von 
alters  her  Sitte  war,  unerwähnt  läßt. 

Gleichwohl  ist  es  verlockend  nachzuspüren,  ob  nicht  doch 
auch  im  Veda  und  seinem  Ritual  etwas  von  dieser  primitiven 
Sitte   erhalten  ist.     Der  Versuch  ist  nicht    ganz    ohne  Erfolg, 


Der  freiwillige  Feuertod  in  Indien  und  die  Somaweihe.  H 

wenn  auch  die  Ritualien  mancherlei  Volkstümliches  zu  unter- 
drücken verstanden. 

Man    könnte    versucht   sein,    verschiedene   Opfer,    die   ein 
svargakäma  darbringen  kann,  um  seinen  Wunsch  zu  erreichen, 
hierher  zu  ziehen,    sie  bieten  aber,    soviel  ich  sehe,    kein  Ma- 
terial;   etwas   anders   steht  es  schon  mit  dem  sarvasvärdkratu, 
den  ein  den  Tod  Wünschender,  ein  maranaJcäma  darbringt,  in 
der  Absicht  „möchte  ich  bei  vollem  Wohlsein  in  den  Himmel 
gehen" x).     Hier  setzt   (oder  legt)    sich    der  Opferer,    während 
das  Arbhava-pavamäna-stotra  gesungen  wird,  nördlich  von  der 
Udumbarasäule  nieder,  sein  Gesicht  nach  Süden  gewendet,  mit 
einem  ungewalkten  Gewände  angetan.    Eine  Verbrennung  findet 
nicht   statt;    aber  Lätyäyana  bemerkt,    „wenn   er  (infolge  der 
Zeremonie)  den  Tod  nicht  findet,  so  soll  er  das  Abschlußopfer 
darbringen  und  dann  durch  Enthaltung  von  Nahrung  den  Tod 
suchen"2),  also  freiwillig  Hungers  sterben.    Wichtiger  ist  eine 
Bemerkung  der  Taittirlya-Samhitä,  an  der  man  nicht  vorüber- 
gehen darf.     Es  geht  nicht  an,  sie  mit  einer  allgemeinen  Be- 
merkung über  den  Wert  von  Brähmanastellen  abzulehnen  und 
ihre  Bedeutung  dadurch  zu  mindern.    Es  heißt  dort:  Zur  Him- 
melswelt gehen  die,  welche  ein  Sattra  feiern.     Mit  den  Opfer- 
weihen zünden  sie  sich  an,  mit  den  Upasads  rösten  sie  sich  .  .  ., 
bei  einem  Sattra  ist  die  eigene  Person  das  Opfergeschenk.    Wenn 
sie  in  der  eigenen  Person  das  Opfergeschenk  empfangen  haben, 
gehen  sie  zur  Himmelswelt.    Sie  scheren  sich  der  Reihe  nach 
die  Haarlocke   ab    zum  Heil:    „Dann  wollen    wir   leichter   zur 
Himmelswelt  gehen." 


')  Ap.22,7, 21:  maranakamo  yajeta  yah  Jcamayetanämayatayä  svargam 
lokam  irjäm  iti;  Kät.  22,  6,  1  ff;  Lät.  8,  8:  yathä  sautye  'hani  preyäm  iti. 

2)  8,  8,  39:  jivec  ced  yajetodavasänlyayä  '■  40:  abhojanena  tata 
ürdhvam  mumürset  (Komm,  tävan  na  bhttnjita  yävan  mrta  iti).  TS.  VII, 
4,  9,  1 :  suvargam  vä  ete  lokam  yanti  ye  sattram  upayanti  abhlndhata 
eva  dlksäbhir  ätmänam  srapayanta  upasadbhir  .  .  .  ätmadaksinam  vai  sat- 
tram |  ätmänam  eva  daksinäm  nttvä  suvargam  lokam  yanti  |  sikhäm  anu 
pra  vapanta  rddhyä  atho  raghiyämsah  suvargam  lokam  ayämeti(cf.  Tändya 
Mahäbrähmana  IV,  9,  19  ff.). 


12  8.  Abhandlung:  Alfred  Hillebrandt 

Diese  Stelle  gewinnt  an  Bedeutung,  wenn  wir  ihr  eine 
andere  aus  dem  Kommentar  zu  Sänkhäyana  Örauta  Sütra  18, 
24,  151)  zur  Seite  stellen:  „wenn  sie  ein  anderes  Sattra  nicht 
beginnen  wollen,  sollen  sie  unter  diesen  Umständen  infolge  des 
Ausspruchs  „sie  gehen  in  das  zu  Entstammende  ein"  alle 
Opferschuppen  verbrennen.  Unter  diesen  Umständen  ist  auch 
das  Schaukelbrett  dorthinein  zu  werfen".  Wir  erkennen  aus 
ihr,  daß  unter  den  Zwecken,  zu  denen  man  sich  zu  einem 
feierlichen  Sattra,  einer  religiösen  Genossenschaft  zusammen- 
fand2), sich  auch  der  gemeinsame  Tod  befand.  Der  Auszug 
aus  dieser  Welt  war  nicht  selten  mit  großen  Opfern  verbunden, 
wie  der  Purusamedha  und  der  Sarvamedha  zeigen3);  diese  gehen 
aber  nur  den  einzelnen  Weltflüchtigen  an. 

Die  erwähnte  Stelle  der  Taitt.  Samhitä  dagegen  zeigt  die 
Verbindung  der  Opferer  zu  einer  dem  Tode  sich  weihenden 
Gemeinschaft  und  ist  besonders  wertvoll,  weil  sie  an  ähnliche 
Erscheinungen  bei  anderen  Völkern  erinnert  und  am  letzten 
Ende  mit  dem  ethnographisch  bezeugten  Brauch,  sich  der 
Greise  zu  entledigen,  sich  verknüpft4).  Wir  haben  hier  ein 
Seitenstück  zu  der  im  klassischen  Altertum  hervortretenden 
Anschauung,  welche  die  Menschen  wie  zu  gemeinsamem  Leben, 
so  auch  zu  gemeinsamem  Tode  verband:  äneyQucpovTO  ydg  ol 
cpiloi  ovva.-To&avovjiievovg  eavrovs5),  zu  dem  Mahäprasthäna, 
wie  die  Inder  den  Ausgang  aus  dieser  Welt  und  den  Aufstieg 
zum  Svarga  nennen.    Wie  der  Selbstmord  der  Greise  von  Keos 


1)  Sütra:  yady  u  dhaksyanto  'traiva  sytit.  „Wenn  sie  verbrennen 
wollen,  soll  es  nur  hier  geschehen."  Komm.:  yadi  satträntaram  ärap- 
syamänä  na  bhaveyus  tathä  saty  ädipyatn  pravisantlty  nktatiät  sarvän 
yajnägärdn  agnisät  kurcate  |  tathä  sati  prehkhaphalakam  api  tatraiva 
prakseptacyam  ity  arthah  (die  vv.  lectiones  sind  von  keiner  Bedeutung 
und  durch  den  Zusammenhang  widerlegt,  C  om.  na,  A  ädistam  für 
ädipyam). 

2)  Ritualliteratur  S.  155. 

3)  Ritualliteratur  S.  154. 

4)  Otto  Schrader,  Reallexikon2  S.  43  ff.:  „Alte  Leute/ 

5)  R.  Hirzel,  Der  Selbstmord.  Archiv  für  Religionswissenschaft, 
Bd.  11  S.  459. 


Der  freiwillige  Feuertod  in  Indien  und  die  Somaweihe.  1« 

mit  einer  gewissen  Feierlichkeit  verbunden  war,  sie  sich  wie 
zu  einem  Gastmahl  oder  einem  festlichen  Opfer  einzuladen  und, 
mit  Kränzen  geschmückt,  gemeinsam  den  Schierlingsbecher  zu 
leeren1)  pflegten,  so  war  das  Sattra  die  Form  der  religiösen 
Gemeinschaft,  in  der  fromme  Inder  sich  zusammenfanden,  um 
Wünsche  dieser  Welt  oder  in  gemeinsamem  Feuertod  den  Auf- 
stieg zur  Himmelswelt  zu  erreichen. 

IL 

Wenn  man  ein  Desiderativ  zu  dah  „brennen"  bildet,  so 
könnte  es  nur  wie  im  klassischen  Sanskrit  didhaks  oder  (nach 
Analogie  von  sah  und  siks,  dabh  und  dhlps)  dhlks  oder  auch, 
da  dah  im  Anlaut  nach  Ausweis  von  Formen  wie  daksi,  daksat 
seine  Aspiration  verlieren  kann,  dlJcs  lauten2).  Ich  habe  darauf- 
hin die  diksä  als  die  ursprüngliche  Weihe  zum  freiwilligen 
Feuertode  erklärt,  die  in  verblaßter,  abgeschwächter  Bedeutung 
dem  Somaritual  später  angegliedert  wurde  und  dort  nur  noch 
den  Zweck  hat,  den  Opferer  zu  dem  Somatrank  und  zur  Ge- 
meinschaft mit  Göttern  und  Manen  würdig  vorzubereiten. 
Oldenberg  hat  die  Erklärung  abgelehnt  und  zuletzt  dazu 
ausführlicher  Stellung  genommen3).  Er  stellt  neben  die  Her- 
leitung von  der  Wurzel  dah  die  Möglichkeit  der  Herleitung 
des  Wortes  diksä  von  das  oder  daks,  kann  aber  nicht  die 
ständige  Gemeinschaft  von  diksä  und  tapas  beseitigen  und 
ebensowenig  die  Herleitung  des  letzteren  Wortes  von  tap, 
dessen  Grundbedeutung  sowie  die  seiner  Ableitungen  nicht 
„zauberhaft  durchglühen,  erhitzen",  sondern  real  „glühen, 
brennen"  ist,  wie  unbestreitbare  Stellen  zeigen4).     Es  handelt 


1)  B.  Schmidt,  Der  Selbstmord  der  Greise  von  Keos.  Neue  Jahr- 
bücher VI,  1903,  S.  617  ff.  —  Ein  Verzeichnis  der  ethnographischen  Lite- 
ratur über  die  Behandlung  der  Greise  S.  623  Anm. 

2)  Vedische  Mythologie  I,  482,  Anm. 

3)  Gott.  Gel.  Anz.  1917,  Nr.  6,  S.  331  ff.  und  früher  ZDMG.  49,  176; 
Rel.  des  Veda2,  397  ff. 

4)  Ich  wüfäte  nicht,  wie  man  Verse  wie  ajö  bhägds  tdpasä  tarn  ta- 
pasva  tarn  te  socis  tapatu  tarn  te  arcih  X,  16,  4;  vet  tvä  stenäm  ydthä 
riptim  tdpäti  suro  arcisä  V,  79,  9  beseitigen  köDnte;  es  stehen  auch  Ab- 


14  8.  Abhandlung:  Alfred  Hillebrandt 

sich  bei  der  Diksä  nicht  um  „Verehrung"  und  „Anbetung",  son- 
dern um  eine  Vorbereitung  zum  Somatrank.  Was  bedeutet  dem 
Opferer  das  Somaopfer,  an  dessen  Trank  er  teilnehmen  darf? 
Es  bedeutet  ihm  die  Nähe  der  Götter  wie  der  Manen,  die  das 
himmlische  Ambrosia  trinken,  das  ihnen  auf  dem  Opferplatze 
gespendet  wird.  Grund  genug,  sich  für  den  Kreis,  in  dessen 
Mitte  er  eintritt,  vorzubereiten  und  Kasteiungen  sowie  andere 
Bräuche  zu  vollziehen,  die  das  Irdische,  Körperhafte  möglichst 
abstreifen.  Es  heißt:  „wenn  der  Geweihte  mager  wird,  dann 
ist  er  opferrein;  wenn  nichts  mehr  in  ihm  ist,  dann  ist  er 
opferrein;  wenn  seine  Haut  am  Knochen  klebt,  ist  er  opfer- 
rein; wenn  das  Schwarze  in  seinem  Auge  aufhört,  ist  er  opfer- 
rein" ').  Die  Gemeinschaft  mit  den  Göttern  bedingt  dies,  sie 
bedingt  das  Reden  der  Wahrheit2)  und  andere  Pflichten;  „denn 
der  geht  zu  den  Göttern,  der  sich  weiht"3).  Über  dieses  Ein- 
treten des  Geweihten  in  den  Kreis  der  Götter,  sein  Empor- 
steigen  zur  Himmelswelt   vermittels   dieser  Zeremonie    besteht 


leitungen  von  tap  in  Verbindung  mit  dah:  VII,  1,  7:  yebhis  tüpobhir 
Maho  jdrütham;  VIII,  23,  14:  ni  mäyinas  tdpusä  raksäso  daha  usw.  Be- 
zeichnend ist  noch  aus  späterer  Zeit  der  Ausdruck  tanum  tlrthe  tapasä 
dähayämi  KSS.  96,  22. 

!)  Äp.  gr.  S.  X,  14,  9. 

2)  Kaus.  Br.  VII,  3:  dlksitavädah  satyam  eva  sa  yah  satyam  va- 
dati  sa  dlksita  iti  ha  smäha;  Ait.  Brähm.  I,  6,  7  ff.  —  Über  den  Gegen- 
satz von  Göttern  und  Menschen  spricht  u.  a.  Taitt.  Samh.  II,  5,  5,  6  bei 
anderer  Gelegenheit:  nänrtam  vaden  na  mämsam  asnlyän  na  striyam 
upeyän  näsya  palpülanena  väsah  palpülayeyur  etad  dhi  deväh  sarvam 
na  kurvanti.  Baudh.  Ör.  S.  VI,  6,  1:  diksitavädam  vada  satyam  eva 
rada  manrtam,  mä  smayisthä  mä  kandüyathä  mäpäcrthäh  usw. 

s)  Maitr.  Samh.  III,  6,  1  (S.  60,  2):  devatäm  esa  upaiti  yo  dlksate  | 
devänäm  eva  disam  upävartate  pracinäm  eva  disam  upäcartate  —  eti 
vä  eso  'smäl  lokäd  yo  dlksate  janam  hy(?)  eti  \  devalokam  abhyärohati; 
Käth.  22,  13:  präci  vai  devänäm  dig  devalokam  evopävartate  \  pura  ädityo 
'sä  amam  evädityam  upotkrämati  parisrite  yäjayanti  |  devalokam  eva 
parigrhya  tasminn  enam  diksayanty  \  eti  vä  eso  'smäl  lokäd  yo  'mum 
lokam  gacchati.  —  Taitt.  Samh.  VI,  1,  1,  1.  2;  2,  1;  Öat.  Brähm.  III, 
1,  1,  10:  sa  vai  na  sarveneva  samvadeta  \  devän  vä  esa  upävartate  yo 
dlksate  sa  devatänäm  eko  bhavati  \  na  vai  deväh  sarveneva  samva- 
(liinte  — ;  Kaus.  Brähm.  VII,  1  usw. 


Der  freiwillige  Feuertod  in  Indien  und  die  Somaweihe.  15 

unter  den  Quellen  kein  Zweifel.  Selbst  der  Rgveda,  der  die 
Weihe  weder  dem  Wort  noch  dem  Sinn  nach  kennt,  weiß  von 
der  Kraft  des  Trankes  zu  sprechen,  der  in  die  Welt  der  Un- 
sterblichen führt:  VIII,  48,  3:  „Wir  tranken  Soma,  wurden 
unsterblich,  wir  erlangten  das  Licht  und  fanden  die  Götter"; 
IX,  113,  7:  „wo  das  unvergängliche  Licht,  die  Welt,  in  der 
die  Sonne  leuchtet,  dorthin  bringe  mich,  Pavamäna,  in  die  un- 
sterbliche, ewige  Welt". 

Die  spätere  Zeit  hat  den  Gedanken  fortgesetzt  und  ihm 
durch  Einfügung  der  weder  in  Iran  noch  im  Rk  bekannten 
Dlksä  eine  besondere  Ausgestaltung  gegeben.  Oldenberg  sieht 
in  ihr  ein  Exemplar  jener  über  die  Erde  verbreiteten  Riten, 
„welche  Herbeiführung  des  Verkehrs  mit  Göttern  oder  Geistern 
durch  Erregung:  ekstatischer  Zustände  bezwecken.  Stehende 
Mittel  hierbei  sind  beschauliches  Verweilen  an  einsamem  Ort,  Sich- 
abschließen und  Sich  verstecken  vor  störenden  Geistern  usw.". 
„Den  vollen,  überzeugenden  Eindruck  von  der  Zugehörigkeit 
der  Dlksä  zu  diesem  rituellen  Typus  kann  nur  der  haben  — 
wird  aber  auch,  meine  ich,  der  mit  Sicherheit  haben  — ,  der 
die  ganze  Masse  der  hier  einschlagenden  Materialien  auf  sich 
wirken  läßt."  Keith1)  stimmt  ihm  zu.  Von  Ekstase  und 
ekstatischen  Zuständen  ist  aber  hier  nicht  die  Rede. 

Mir  scheint  die  Erklärung  vielmehr  ein  Beispiel  der  Ver- 
drängung einer  speziell  auf  indischem  Boden  haftenden  An- 
schauung durch  Einschaltung  fremden  Lichtes.  Die  Wichtig- 
keit der  Ethnographie  für  die  indische  und  jede  Philologie  habe 
in  nie  in  Zweifel  gezogen;  aber  ihre  Herrschaft  gilt  nicht  un- 
bedingt2); denn  abgesehen  von  allgemeiner  ethnographischer 
Analogie  „verbleibt  wie  jedem  anderen,  so  auch  dem  vedischen 
Volke  ein  in  seinen  eigenen  Geschicken  und  Verhältnissen  be- 
gründeter Schatz  individueller  Auffassungen,  denen  die  Ethno- 
graphie Parallelen  nicht  zur  Seite  stellen  kann".  Wie  es  Pflicht 
der  Einzelmythologie  ist,  sorgfältig  über  die  Reinheit  der 
eigenen    Quellen    zu    wachen,    um    nicht    durch    die    ethnogra- 

»)  Taitt.  Samh.  CXIII  ff. 

2)  VMyth.  II,  3  ff.  vmyth.  S.  8  ff. 


16  8.  Abhandlung:  Alfred  Hillebrandt 

pilische  Formenlehre  der  mythologischen  Wissenschaft  „der 
Individualität  der  Sondererscheinungen  ihr  Recht  zu  verkürzen 
und  die  lokalen  Farben  zu  verwischen",  so  gilt  es  auch  bei  den 
Sakralaltertümern  zunächst,  die  besonderen  Anschauungen 
des  einzelnen  Volkes  zu  prüfen,  um  von  hier  aus  eine  Er- 
klärung zu  gewinnen.  Die  Diksä  ist  nun  etwas  anderes  als 
ein  Zauberbrauch  und  ihr  Zweck  ein  ganz  anderer  als  der, 
ekstatische  Zustände  zu  erregen.  Sie  bedeutet  nach  der  über- 
einstimmenden Ansicht  aller  indischen  Quellen  eben  nur  die  un- 
mittelbare Versetzung  des  Opferers  in  die  Himmelswelt.  Das 
geschieht  durch  Wiedergeburt.  An  der  Auffassung  der  Diksä 
als  eines  Wiedergeburtsritus  kann  —  in  diesem  Punkt  bin  ich 
mit  Oldenberg  einig  —  nach  den  uns  vorliegenden  Quellen  gar 
kein  Zweifel  sein1),  aber  nur  um  ekstatische  Zustände  zu  er- 
langen, braucht  man  sie  nicht,  sondern,  um  in  die  Welt  der 
Götter  einzutreten  und  der  Gemeinschaft  mit  ihnen  teilhaftig 
zu  werden;  darum  muß  alles  vermieden  werden,  was  an  mensch- 
liches Wesen  erinnert.  Die  Zeremonie  der  Wiedergeburt  ist 
eine  symbolische  Handlung,  die  in  den  ältesten  Texten,  in 
dem  rgvedischen  Ritual  unbekannt  ist  und  auf  unbekannten 
Wegen  in  das  der  Brähmana-  und  Sutratexte  eingedrungen  ist. 


l)  Kaus.  Br.  VII,  2:  devagarbho  vä  esa  yad  dlksitah;  Käthaka  23,  2: 
garbho  diksito,  yonir  diksitavimitam,  ulbam  d/iksitavasanam;  Ait.  Br.  I,  3; 
Öat.  Brährn  III,  2,  1,  16;  3,  3,  12  ff.  usw.  Sylvain  Levi,  La  doctrine  du 
sacrifice  S.  103 — 106.  Oldenberg  hat  getadelt,  daß  ich  die  Vorschrift 
von  dem  „ stammelnden  Reden"  auf  die  Angehörigen  feindlicher  Stämme 
beziehe,  die  unfreiwillig  den  Scheiterhaufen  bestiegen;  er  hat  nicht 
hinzugefügt,  wie  vorsichtig  und  zurückhaltend  ich  diese  Erklärung  vor- 
gebracht habe:  „Die  Bedeutung  dieses  Brauches,  schrieb  ich,  läßt  sich 
nur  vermuten;  ich  würde  glauben,  daß  den  Scheiterhaufen  nicht  nur 
indische  Weise  freiwillig  bestiegen.  ..."  Weit  hergeholt  ist  die  Er- 
klärung oder  der  Erklärungsversuch  nicht;  denn  Menschenopfer  sind  nun 
einmal  für  Altindien  durch  die  rituellen  Texte  bezeugt  (Ritualliteratur 
S.  153)  und  können  ihm  nur  abgesprochen  werden,  wenn  die  Vorstellung 
von  edlerem  Ariertum  fortbesteht  oder  die  reichlichen  ethnographischen 
Parallelen  abgewiesen  werden.  Obwohl  das  fragliche  Wort  parihvälam 
auch  jetzt  noch  nicht  klar  ist,  gebe  ich  meine  Erklärung  im  Zusammen- 
hange mit  dieser  Untersuchung  auf,  da  sie  dadurch  überholt  wird. 


Der  freiwillige  Feuertod  in  Indien  und  die  Soinaweihe.  17 

Es  ist  nicht  die  einzige  Bereicherung,  die  der  Somakult 
durch  Aufnahme  einer  ihm  ursprünglich  fremden  Zeremonie 
erfahren  hat.  Wenn  man  seine  weitschichtigen  Bräuche  mit 
ihren  bis  ins  einzelne  ausgeklügelten  Handlungen  durchsieht, 
wird  man  sich  leicht  von  der  Tatsache  überzeugen,  daß  der 
umständliche  Mechanismus  nur  durch  allmähliches  Wachstum 
entstanden  sein  kann.  Die  Pravargyazeremonie,  die  noch  nicht 
ganz  mit  dem  Somaopfer  zu  einer  Einheit  verwachsen  ist,  die 
Tänunaptra-Zeremonie,  der  Somakauf  und  seine  dramatische 
Ausgestaltung,  die  Upasads,  das  und  manches  andere  sind  Zu- 
sätze, die  erst  im  Laufe  der  Zeit  sich  ankrystallisiert  haben. 
Woher  nahm  man  die  Diksä  und  den  in  ihr  liegenden  Ge- 
danken, den  Opferer  unter  die  Götter  zu  versetzen?  Aus  dem 
weitverbreiteten,  wenn  auch  im  offiziellen  Brahmanentum  nicht 
durchweg  anerkannten  Glauben,  den  viele  Beispiele  belegen, 
daß  der  Feuertod  der  Weg  ins  Jenseits  zu  den  Göttern  ist.  Die 
Selbstverbrennung  ist  das  Eingehen  zu  einem  neuen  Leibe, 
die  Diksä  beim  Soma-  und  anderen  großen  Opfern  symboli- 
siert es1).  Aus  dem  Kreise  und  den  Anschauungen  der  Frommen, 
welche  sich  selbst  im  Feuer  darbrachten,  um  zum  Himmel  und 
den  Göttern  einzugehen,  ist  sie  in  das  Somaritual  herüberge- 
nommen und,  in  ihrer  ursprünglichen  Bedeutung  verblaßt,  zu 
einer  Weihe  für  die  zeitweilige  Gemeinschaft  mit  den  Göttern 
gemacht  worden.  Auf  dem  Boden  des  indischen  Lebens,  wo 
die  Entwicklung  der  Anschauung  sich  verständlich  machen 
läßt,  ist  die  Erklärung  für  diesen  Brauch  zu  gewinnen. 

III. 

In  seinen  feinsinnigen  Abhandlungen  über  indische  Frauen 
ist  Winternitz  auf  den  oft  besprochenen  Vers  RV  X,  18,  8 
zurückgekommen  und  hat  ihn  auf  die  Eingehung  einer  zweiten 
Ehe  von  Seiten  der  Witwe,  und  zwar  mit  dem  Schwager,  auf 
die   Niyogaehe    bezogen2).     Ich    bestreite    natürlich    nicht   die 

!)  Über  Agni- Visnu  als  Hüter  der  Somaweihe  siehe  VMyth.  III,  354. 
2)  „Die  Frau   in   den    indischen    Religionen"    (Archiv   für  Frauen- 
kunde III,  1917,  S.  71  [57  ff.])  und:  „Die  AVitwe  im  Veda*  (Wiener  Zeit- 
schrift für  die  Kunde  des  Morgenlandes  29,  S.  172  ff.). 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1 91 7,  8.  Abb.  ^ 


18  8.  Abhandlung:  Alfred  Hillebrandt 

Einrichtung  der  Schwagerehe,  die  in  Indien  in  älterer  und 
moderner  Zeit  üblich  war;  was  zweifelhaft  erscheint,  ist  die 
Anwendung  eines  Verses  auf  die  Gattin,  die  nach  dessen  Wort- 
laut noch  unmittelbar  neben  dem  Toten  liegt  und  schon  in 
dieser  Zeit,  also  noch  ehe  der  Leichnam  verbrannt  ist,  zur 
Wiedervermählung  schreiten  würde.  Das  widerspricht  der 
Unreinheit  der  Verwandten,  die  mit  dem  Tode  eintritt  und 
mehrere  Tage,  je  nach  dem  Grade  der  Verwandtschaft  längere 
oder  kürzere  Zeit,  dauert,  und  scheint  mir  mit  den  indischen 
Anschauungen  unvereinbar1).  Winternitz  vermag  auf  keine 
andere,  als  die  etwas  fern  liegende  Analogie  hinzuweisen,  wo- 
nach der  sterbende  König  Ring  dem  Fridthiof  mit  seinem  Reich 
seine  Frau  Ingeborg  vermachte  und  mit  dem  Totenmahle  um 
den  Verstorbenen  der  Brautlauf  der  beiden  vereinigt  wurde. 
In  Indien  haben  die  Gesetzbücher  selbst  in  den  Fällen,  wo  sie 
die  Wiederverheiratung  gestatten,  z.  B.  wenn  der  Gatte  verreist 
und  verschollen  ist,  eine  längere  Wartezeit  vorgeschrieben2). 
Ich  ziehe  es  darum  vor,  bei  der  Erklärung  zu  bleiben,  die 
ich  dem  Kreise  indischer  Sitten  entlehnt  und  ZDMG.  40,  708  ff. 
aufgestellt  habe.  Der  Brauch,  daß  die  erste  Frau  des  Königs 
sich  zu  dem  geopferten  Jüngling  legen  soll,  um  von  ihm  Frucht- 
barkeit zu  empfangen,  ist  durch  das  Ritual  bezeugt  und  erklärt 
den  Vers  lückenlos.  Von  RV.  X,  18,  8  läßt  sich  die  Stelle 
des  Atharvaveda  nicht  trennen,  die  bei  dem  gleichen  Zweck 
verwendet  wird  und  ausführlicher  als  die  des  RV.  ist.  Ich 
glaube  keine  „Gewaltsamkeiten"  (Winternitz,  WZKM.  29,  S.  198) 
begangen  zu  haben,  als  ich  paülöka  im  ersten  Verse  im  Sinne 
von  jlvdloka  nahm;  denn  die  Welt  des  Gatten  als  die  der 
Lebenden  steht  im  Gegensatz  zu  der  des  Toten,  bei  dem  die 
Frau  ruht3);  gopati  hatte  ich  als  „Gatte"  übersetzt,  dem  Sinne 
nach  hier  richtig,  wenn  auch  nicht  formell;    denn  gopati  „der 


»)  Caland,    Toten-   und    Bestattungsgebräuche   S.  81;    Rituallite- 
ratur S.  89. 

2)  J.  J.  Meyer,  Das  Weib  S.  304  Anm. 

3)  AV  XVIII,  3  steht  v.  1  pätüohd,  v.  2  jivcäokd,  beide  im  Gegensatz 
zum  Toten. 


Der  freiwillige  Feuertod  in  Indien  und  die  Somaweihe.  19 

Herr",  was  es  schon  im  RV.  bedeutet  (jänasya  göpatim  IX, 
35,  5),  ist  hier  der  König  und  als  solcher  der  Gemahl,  der 
der  Gattin  harrt;  aghnyä,  die  Anrede  „o  Kuh",  habe  ich  un- 
übersetzt  gelassen.  Wenn  man  sich  erinnert,  wie  oft  vrsabha 
und  andere  Worte  zur  Bezeichnung  hoher  Personen  dienen, 
mahisl  eine  Bezeichnung  der  ersten  Königin  ist,  so  scheint  es 
nicht  zu  kühn,  in  dieser  Anrede  eine  gleiche,  etymologisch  sie 
in  Gegensatz  zum  Toten  stellende  und  glückbedeutende  Benen- 
nung zu  sehen.  Ebensowenig,  in  Visvävasu  hier  den  Toten 
zu  sehen,  von  dem  ja  eine  mystische,  befruchtende  Kraft  er- 
wartet wird,  wie  von  dem  Gandharva.  Wer  den  von  mir  vor- 
geschlagenen Ausgangspunkt  für  die  Erklärung  verläßt,  er- 
hält eine  so  matte  und  unsichere  wie  die  Whitneys,  die  keine 
der  Schwierigkeiten  löst.  Die  Verfasser  einiger  Grhyasütren 
sowie  die  Redakteure  der  Samhitäs  haben  den  ursprünglichen 
Zweck  des  Verses,  einem  uralten  und  außer  Übung  gekom- 
menen Brauche  zu  dienen,  nicht  mehr  verstanden  und  ihn  an 
einer  Stelle  untergebracht,  wo  er  seines  mystischen  Aus- 
ganges entkleidet  war.  Wie  wenig  oft  Vers  und  Anwendung 
in  dem  uns  vorliegenden  Ritual  übereinstimmen,  hat  Edwin 
W.  Fay  in  seiner  sehr  gründlichen  Dissertation  „The  Rig- 
Veda  Mantras  in  the  Grhya  Sütras"  (John  Hopkins  Univer- 
sity)  1890  gezeigt,  deren  Fortsetzung  und  Erweiterung  zu 
wünschen  wäre. 


A 


Sitzungsberichte 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  9.  Abhandlung 

1 


tS1 


Kürzung  dureh  Tonansehluss 
im  alten  Latein 


von 


Friedrich  Vollmer 


Vorgetragen  am   1.  Dezember  1917 


München  1917 
Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  6.  Franz'scben  Verlags  (J.  Roth) 


Auf  nebenstehendem  Bogen  1  oben  ist  9.  Abhandlung  zu  lesen. 


Sitzungsberichte 

der 

Königlich   Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  8.  Abhandlung 


Kürzung  dureh  Tonansehluss 
im  alten  Latein 


von 


Friedrich  Vollmer 


Vorgetragen   am    1.  Dezember  1917 


München  1917 
Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  6.  Franz'schen   Verlags  (J.  Roth) 


Während  die  sogenannte  Iambenkürzung  nach  ihrer  Gel- 
tung in  altlateinischen  Versen  und  ihrer  Wirkung  auf  die  Ent- 
wicklung lateinischer  Wortformen  seit  den  Arbeiten  C.  F.  W. 
Müllers  und  Fr.  Skutschs  eifrig  erforscht  worden  ist,  hat 
eine  in  gewissem  Sinne  ihr  gegensätzliche1)  und  doch  auch 
verwandte  Erscheinung  weniger  Aufmerksamkeit  und  Beobach- 
tung gefunden. 

An  einem  schlagenden  Beispiel  (tüquidem  bei  Lucil.  475) 
hat  zuerst  Bücheier  (Arch.  f.  lat.  Lex.  3,  1886,  144  ff.)  diese 
Kürzung  in  ihrem  Wesen  erkannt  und  sie  als  ^Verkürzung 
durch  Tonanschluß  und  Zusammenwachsen  der  Wörter  in  eins' 
bezeichnet,  während  auf  die  merkwürdigen  Erscheinungen  vor 
quidem  schon  C.  F.W.Müller  (plaut.  Pros.  135)  hingewiesen 
hatte,  dessen  Verbindungen  mit  den  Pronomina  dann  A.  Luchs 
in  seinen  Commentationes  prosodiacae  (Erlangen  1883.  1884) 
nach  ihrer  Betonung  und  prosodischen  Geltung  untersuchte. 
Weitere  Zusammenhänge  hat  (nicht  immer  richtig)  besprochen 
H.  Usener  (Götternamen  310  f.).     Zusammenfassend  oder  er- 


l)  Sie  als  'Trochäenkürzung'  zu  bezeichnen  empfiehlt  sich  nicht, 
da  sie  nicht  nur  trochäische  sondern  auch  spondeische  Silbenfolgen  af- 
fiziert.  —  Schon  1896  hat  Th.  Birt  Rhein.  Mus.  61,  240—272  einen  Auf- 
satz 'über  Kürzungen  trochäischer  Wörter'  geschrieben  und  manches  rich- 
tig angedeutet;  aber  seine  sprunghafte  Art  die  Dinge  nur  zu  berühren, 
nicht  zu  erschöpfen  und  dazu  ganz  Verfehltes  beizumengen,  hat  seine 
wirklichen  Erkenntnisse  nicht  zur  Geltung  kommen  lassen;  vgl.  Skutschs 
Entgegnung  ebenda  478  und  52,  170.  Mir  war  inzwischen  Birts  Aufsatz 
ganz  aus  dem  Gedächtnisse  geschwunden;  ich  stieß  erst  bei  Abschluß 
dieser  Arbeit  durch  den  Hinweis  Lindsays  (Bursians  Jahresber.  130,  198) 
wieder  auf  ihn:  man  wird  wohl  ohnedies  erkennen,  daß  meine  Gedanken- 
gänge und  Beweisführungen  selbsterarbeitet  sind. 

1* 


4  8.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

gänzend  haben  die  Vorgänge  berührt  0.  Seyffert  (Bursians 
Jahresb.  63,  1890,  57),  Fr.  Skutsch,  Plaut,  und  Rom.  9, 
Lindsay,  Captivi  S.  25,  H auler,  Phormio2  S.  62  f.;  vgl.  noch 
Sommer,  Lat.  Formenl.2  129  und   Krit.  Erl.  §  42. 

Ich  lege  zunächst  das  im  allgemeinen  bekannte  Material 
vor,  nicht  ohne  es  wesentlich  zu  berichtigen  oder  zu  erweitern. 

I.  Mit  quidem  verbundene  Wörter. 

a)  si  quidem  (bei  Plaut.  67,  bei  Ter.  15  mal)  steht  als  si 
quidem  betont  am  Versschlusse   Mit.  28,   Rud.  1061.   Ter.  Ad. 

3  4 

969,  mitten  im  Verse  Asin.  712  si  quidem  mihi;  in  gleicher 
Betonung  vor  Vokal  (sodaß  man  siquidem  mit  Hiat  lesen  kann) 
13 mal,  z.  B.  Amph.  814  siquidem  haec  Asin.  318.  588.  699  usw.; 
deutlich  gekürzt  im  ersten  iambischen  Fuße  vor  Konsonant 
7  mal  (Amph.  1006,  Cas.  474,  Mil.  520,  Most.  671,  Poen.  52. 
696,  Ter.  Eun.  446),  vor  Vokal  13  mal  (Bacch.  356,  Cist.  269. 
377,  Cure.  268,   Poen.  1045,  Pseud.  531,  Rud.  484,  Ter.  Eun. 

1019,  dazu  4 mal  siquidem  hercle  Asin.  405.  414,  Most.  229, 
Ter.  Eun.  50,  einmal  in  ~  ~  —  Pers.  787),  dazu  rechne  ich  auch 

die  Beispiele  mit  Hiat  Mil.  419  siquidem  east,  Trin.  593  siqui- 
i 

dem  ayer  nobis  (ebenso  im  5.  Fuße  des  iamb.  Sept.  Truc.  177 
siquidem  habes  fündum  atque  aedis);  in  andern  Füßen  7  mal 
(Cas.  409,  Merc.  378,  Mil.  624,  Stich.  616,  Vid.  29,  Ter.  Haut. 

i  5 

331  und  in  «  «  —  Pers.  784  exquire,  siquidem);  ferner  gekürzt 
in    der   4.  Hebung    des    troch.  Sept.    Pers.  579   siquidem  hanc 

6 

vendidero  pretio  suo;    also   im  ganzen  deutlich  gekürzt  31  mal. 

Es  bleibt  ein  Rest  von  etwa  35  Stellen,  an  denen  si  qui- 
dem auf  der  ersten  Silbe  betont  steht  wie  Capt.  920  si  quidem 

1  8 

sese  oder  Cure.  211  si  quidem  hercle,  und  es  fragt  sich,  wie 
hier  die  erste  Silbe  zu  messen  sei. 

Um  das  entscheiden  zu  können,  müssen  wir  uns  über  das 
Gesetz  'vom  zerrissenen  Anapäste'  klar  werden.  Nach  Her- 
mann, Lachmann  und  Ritschi  hat  es  zuerst  scharf  formuliert 
C.  F.  W.  Müller,  Pros.  Nachtr.  13,  dann  gründlich  verteidigt 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein.  o 

Leo,  Plaut.  Forsch.  236  (=  2261),  der  in  der  zweiten  Auf- 
lage mit  Recht  die  zum  größten  Teile  wertlosen  Einwände 
Maurenbrechers  (Hiat  und  Verschl.  26  ff.)  unberücksichtigt  ge- 
lassen hat.  Wer  nicht  auf  falschen  Grundlagen  konstruiert, 
sondern  selbst  einmal  daraufhin  ein  paar  Plautusstücke  durch- 
liest und  auf  die  Hunderte  von  regelrecht  gesetzten  Anapästen 
achtet,  wird  ohne  weiteres  zugeben,  daß  es  sich  in  der  Tat 
da  um  ein  durchgreifendes  Gesetz  handelt,  dessen  wenige  Aus- 
nahmen entweder  eine  verständige  Erklärung  zulassen  oder  zu 
beseitigen  sind.  Ich  sehe  hier  von  diesen  wenigen  (etwa  30) 
strittigen  Stellen  ab  (ihrer  Behandlung  durch  Leo  stimme  ich 
nicht  durchweg  zu)  und  formuliere  für  unseren  Zweck  das  Ge- 
setz folgendermaßen: 

In  iambischen  und  trochäischen  Langversen  (Senar  bis 
Oktonar)  darf  eine  aus  zwei  Kürzen  gebildete  Senkung  durch 
Wortende  nicht  so  geteilt  sein,  daß  eine  oder  beide  Kürzen 
den  Schluß  eines  mehrsilbigen  W'ortes  bilden;  also  bildlich: 

verboten  sind  -«j^-  oder  -  «  v  |  -  oder  —«]«'- 
erlaubt  -|««-i  oder  — \  «  |  w  —  oder  —  J  « .«  |  — . 

Das  Gesetz  gilt  nicht  für  die  1.  und  wahrscheinlich  auch  nicht 
für  die  5.  Senkung  des  trochäischen  Langverses. 

Für  uns  kommt  das  Gesetz  hier  stark  in  Betracht,  weil 
quidem  mit  den  ihm  vorhergehenden  Wörtern  unter  einen  Ak- 
zent tritt,  d.  h.  also  mit  ihnen  ein  Wort  bildet,  ganz  unbe- 
zweifelbar  dann,  wenn  das  vorhergehende  Wort  gekürzt  wird, 
also  siquidem  quandöquidem,  aber  auch,  wenn  zwar  die  Kürzung 
nicht  ohne  weiteres  erkennbar  ist,  quidem  aber  auch  keinen  Ak- 
zent auf  die  vorletzte  Silbe  erhält;  d.  h.  nur  si  quidem  gilt  als 
zwei  Wörter,  si  quidem  und  erst  recht  siquidem-'-  als  eines. 
Wir  dürfen  nun  aus  dem  Gesetz  über  den  zerrissenen  Anapäst 
schließen,  daß  Wörter  vom  Typ  siquidem,  tequidem,  isquidem,  nös- 
quidem  die  erste  Silbe  überall  da  kürzen,  wo  sie  ohne  Akzent  auf 
derSilbe  -dem  stehen,  wenn  nicht  ihre  erste  Silbe  die  1.  oder  5. 
Hebung  des  trochäischen  Langverses  bildet;  natürlich  aber  ver- 
bietet nichts  anzunehmen,  daß  sie  auch  in  dieser  Stellung  ge- 


b  8.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

kürzt  worden  sind,  wenn  sie  an  anderen  Stellen  gekürzt  werden. 
Ich  werde  also  in  den  folgenden  Listen  diesem  Schlüsse  Rech- 
nung tragen. 

Zunächst  bei  siquidem:  wir  haben  da  1 1  Stellen,  wo  qui- 
dem die  Senkung  des  ersten  Trochäus  bildet  wie  Merc.  872 
siquidem  mccum  fabulari  vis  (so  Cure.  703,  Mi.  188,  Mo.  1075, 
Poen.  312,  Stich.  757,  Ter.  Ad.  976)  oder  Poen.  1215  siquidem 
amicitiast  (so  Cure.  211,  Ter.  Haut.  324,  Hec.  560),  weiter 
8  Stellen,  wo  es  die  5.  Senkung  desselben  Verses  füllt  wie 
Capt.  920  siquidem  sese  uti  volet  (so  noch  Cas.  327.  998,  wo  A 
qui  quidem,  Epid.  79,  Stich.  752,  Truc.  628,  Ter.  Ad.  979,  auch 
Haut.  331  siquidem  experiundo  scies):  an  diesen  19  Stellen  be- 
weist also  das  Gesetz  vom  zerrissenen  Anapäst  an  sich  nicht 
die  Kürze  siquidem.  Dagegen  halte  ich  für  voll  beweiskräftig 
die  15  Stellen,  an  denen  quidem  andere  Senkungen  ausfüllt, 
wie  Men.  903  quem  ego  höminem  siquidem  vivo,  viia  evolväm 
med  (so  noch  Rud.  972.  986,  Ter.  Eun.  182.  717.  828,  Phorm. 
302,  Turpil.  com.  115)  oder  Aul.  688  et  causa  iusta  est  siqui- 
dem itäst  ut  praedicas  (ebenso  Trin.  904,  Truc.  875)  oder  Cist. 
297  praestiyiator  [es]  siquidem  hie  nön  es  atque  ades  (so  noch 
Epid.  629,  Rud.  765,  Trin.  978,  Ter.  Andr.  465). 

In  Summa  finden  wir  also  von  82  Stellen  bei  Plaut,  und 
Ter.  4 mal  sicheres  si  quidem,  31  mal  sicheres  siquidem,  dazu 
nach  dem  Anapästgesetz  noch  15;  an  allen  übrigen  Stellen  ist 
siquidem  zu  messen  möglich:  nirgend  ist  (und  das  bleibt  für 
die  folgenden  Listen  wichtig)  si  quidem  zu  betonen  unumgänglich. 

In  der  nichtskenischen  Poesie  (undeutlich  Naev.  com.  15, 
Laber.  mim.  15)  ist  bekanntlich  siquidem  fest:  Lucil.  749  (—  «), 
Cic.  carm.  frg.  31,  3  («— ),  im  Hexameter  u.  ä.  seit  Ov.  am. 
3,  7,  17,  met.  10,  104  usw. 

b)  nisi  quidem  oder  ni  quidem  steht  so  betont  vor  Kon- 
sonant Plaut.  Aul.  762,  Cist.  87,  Men.  993,  Caecil.  com.  49, 
aber  vor  Vokal  so,  daß  also  niquidem  mit  Hiat  zu  lesen  mög- 
lich ist  Mil.  183.  216.  272,  Pseud.  223,  Trin.  1063  und  Asin. 
818  liest  sich  niquidem  illa  ante  oecupässit  te,  effliyes  scio  be- 
deutend glatter  als  nisi  quidem  lila  ante  oecupässit,  ja  nach  Ana- 


Kürzung  durch  Tonansohluß  im  alten  Latein.  7 

logie  der  unten  zu  besprechenden  Pronoraina  ist  die  Betonung 
nish  quidem  überhaupt  unglaubhaft. 

C)  Einsilbige  auf  langen  Vokal  ausgehende  Pronomina: 

nie  (vgl.  Luchs  I  18)  steht  bei  den  Skenikern  vor  quidem 

etwa  30  mal,  davon  viele  Stellen  sicher  als  nie  quidem  zu  fassen 

(Versschlüsse  Asin.  920,  Cure.  554.  564,  Rud.  1165,  Stich.  602, 

Ter.  Ad.  391,    aber  auch  z.  B.  Cure.  402,  Men.  857,  Mil.  396, 

Rud.  1416  u.  a.),    sicher   mequidem  liercle  Aul.  283    und   wohl 

i  a 

ebenso  (in  «  ^  — )  Pers.  171  mequidem  iam  satis;  glatter  wird 
die  Lesung  durch  Annahme  von  me  öfters  z.  B.  Pers.  169,  Ter. 

0 

Hec.  278,  Haut.  396  (undeutlich  Amph.  749  ob  häne  rogä  -me- 
quidem praesente  oder  hdne  rogä::  nie  quidem),  möglich  ist  sie 
vor  Vokal  (mit  Hiat  nach  quidem)  ebenfalls  öfters  (Bacch.  825. 
841,  Cure.  540,  Epid.  497,  wo  equidem  A,  Men.  551,  wo  equi- 
dem  Hss.,  Pers.  220,  Rud.  244  -  ~  -,  Stich.  51.  329  ~  «  _, 
Ter.  Ad.  614),  besser  mequidem  als  das  überlieferte  me  equidem 
Epid.  378,  Ter.  Ad.  899. 

tu  quidem  (vgl.  Luchs  I  19)  schwer  gemessen  und  betont 
am  Vers-  oder  Kolonschlusse  Plaut.  Capt.  120,  Cas.  319,  Merc. 
571,  Mil.  1111,  Capt.  574,  Mil.  322,  Most.  208.  261,  Pseud. 
1154,  Rud.  1320,  Truc.  176,  im  Versinnern  vor  Konsonant 
Merc.  163.  617,  Ter.  Eun.  731;  tüquidem  steht  sicher  in  •-  «  — 
Bacch.  1169,  Cas.  203.  208,  in  «  -  Ter.  Haut.  707  satin  sänus 
es  et  söbriüs?  tüquidem  illum  plane  perdis  (falsch  wäre  tu  qui- 
dem illum);  vor  betonten  Vokalen  (möglich  also  tüquidem  mit 
Hiat)  Asin.  167,  Capt.  182,  Cas.  368.  917,  Men.  312,  Pers.  591, 
Pseud.  109,  Rud.  1369,  Truc.  206  (Mil.  657  scheint  korrupt), 
durch    die    Messung    tüquidem    wird    die    Senkung    erleichtert 

1  3 

Cure.  184  tüquidem  vigilas,  Epid.  667  tüquidem  miserum,  ähn- 
lich 99,  Merc.  176,  Most.  176  (quidem  tu  CD),  Pers.  231.  Da- 
zu in  —  ~  «  Lucil.  475  quod  viscus  dederas  tüquidem,  hoc  est: 
viscera  largi. 

te  quidem  (vgl.  Luchs  I  20)  am  Versende  Truc.  751,  Ter. 
Hec.  233,  im  Versinnern  vor  Konsonant  Merc.  905,  Stich.  246, 
Truc.  667,   vor  Vokal   (möglich  tequidem  mit  Hiat)  Asin.  543, 


8  8.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

Ter.  Haut.  810,  Phonn.  687,  Turpil.  com.  00;    sicher  %  Poen. 

i 
280  de  tequidem  haec  didici  omnia,    wohl  auch  Aul.  138  decet 

tequidem  (te  equidem  überl.)  vera  proloqui  und  Cas.  996  tequi- 
dem oppresset. 

qui  quidem  Sing.  (vgl.  Luchs  121)  steht  so  betont  Amph. 
506,  Asin.  862,  Bacch.  991,  ebenso  der  Plur.  Truc.  832;  aber 
deutlich  gekürzt  Poen.  1213  qui  quidem  inimicus  nön  siet. 
Trin.  552  aequom  videtur  qui  quidem  istius  sit  modi,  Ter.  Ad. 
268  ego  illam  hercle  vero  omitto  quiquidem  te  häbeam  fratrem, 
o   mi   Acschine,    glatter    lesen    sich    auch    mit    gekürztem    qui 

Trin.  336  quiquidem  nusquam,  953;  möglich  auch  qui  (plur.) 
mit  Hiat  nach  quidem  Bacch.  1132,  Men.  204,  undeutlich  Ter. 
Eun.  365  qui  quidem  in  hänc  detur  domum. 

quae  quidem  fem.  so  betont  Stich.  260,  aber  gekürzt  Asin.  2 
quaequidem  mihi  atque  vobis  res  vortat  bene,  Epid.  180  pulcra 
edepol  dos  pecuniast ::  quaequidem  pol  non  maritast,  und  ebenso 
wohl  neutr.  Bacch.  982  mdleque  dictis  quaequidem  quivi;  vor 
Vokal  (also  möglich  Kürzung  mit  Hiat  nach  quidem.)  Most.  188 
Ter.  Phorm.  678. 

quoi  quidem  periit  pudor  Bacch.  485. 

quo  quidem  ägno  sat  scio  Aul.  561  kann  auch  quo  mit  Hiat 
nach  quidem  gemessen  werden;  deutlich  quo  quidem  am  Vers- 
ende Laber.  mim.  33. 

deutlich  quäquidem  te  fdciam  Bach.  888. 

(1)  Einsilbige,  auf  Konsonant  ausgehende  Pronomina  und 
Partikeln  mit  kurzem  Vokal: 

is  quidem  als  Versschlufe  Ter.  Hec.  699,  ne  is  quidem  vor 
Konsonant  Haut.  896,  aber  gekürzt  in  -  w  _.  Pers.  179  miser 
est  qui  amatr.certo  Isquidem  nihilist;  vor  Vokal  (also  Kürzung 
und  Hiat  nach  quidem  möglich)  Capt.  974,  Pseud.  1199,  un- 
deutlich Capt.  335  (wo  hie  überliefert)  und  Ter.  Ad.  293  (auch 
Pompon.  Atell.  169  (is)),  gekürzt  wohl  zu  lesen  Truc.  693  is- 
quidem hie  äpud  nos  est  Strabax  (hie  nach  est  überliefert). 

id  quidem  als  Vers-  oder  Kolonschiuli  Aul.  421,  Capt.  564, 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein.  •' 

Men.  893,  Mil.  406.  1123,  Most.  624,  Poen.  (281  Ulk  über- 
liefert) 423.  737,  ebenso  betont  im  Versinnern  As.  478,  Mil.  475, 
wo  P  et  hat,  Ter.  Andr.  399;  sicher  gekürzt  Aul.  637  pöne:: 
id  quidem  pol  te  datare  credo  consuetum,  senex  {dl  quidem  über- 
liefert), wohl  auch  Ter.  Phorrn.  850  väpular.id  quidem  tibi 
iam  fiet  und  auch  Ter.  Eun.  322  zu  lesen  ne  idquidem  tibi  vi- 
disti?  ::  in  via  mit  Hiat  im  Personenwechsel;  vor  Vokal  (also 
Kürzung  mit  Hiat  möglich)  Amph.  426,  Cist.  234,  Men.  665, 
Pseud.  79,  Ter.  Phorm.  615,  Ad.  578  und  endlich  Capt.  267 
ne  idquidem,  Bacch.  1195  (-  -  -),  Mil.  633,  Poen.  291  pol  id- 
quidem (pol  equidem  A),  Poen.  840  ndm  idquidem,  Poen.  783, 
Ter.  Haut.  632. 

quöd  quidem  steht  so  betont  vor  Konsonant  Epid.  638, 
undeutlich  Poen.  1181  (Metrum  unklar),  Ter.  Ad.  590,  verderbt 
sind  Capt.  102  (Anfang  doch  wohl  quödqiddem  ego),  Cure.  193, 
Ter.  Phorm.  689,  sicher  gekürzt  Ter.  Phorm.  578  quödqiddem 
me  factum  consili  incertum  facit,  wohl  auch  Ad.  692  gnätum, 
quodquidem  in  te  fuit;  auch  Titin.  6  liest  sich  glatt  als  zweite 
Hälfte  iamb.  Septenars  quödqiddem  pol  mulier  dicet. 

quenquidem  steht  gekürzt  Bacch.  1183a  (-  -  — )  quenqui- 
dem ego  ut  nön  exeruciem,  Cist.  370  quenquidem  ego  amem,  alius 
nemost,  wohl  auch  Bacch.  241;  vor  Vokal  (Kürzung  mit  Hiat 
nach  quidem  besser)  Epid.  121,  Merc.  980,  Ter.  Andr.  164. 

quam  quidem  so  betont  (als  Pron.)  Epid.  11,  aber  gekürzt 
(als  Adv.)  Bacch.  1204  (-«__)  filii  vos  exspeetänt  intus ::  quän- 
quidem  äctutum  emoriämur  und  wohl  auch  Ter.  Haut.  1010 
immo  scis  potius  quänquidem  redeat  ad  integrum  eadem  oratio 
(haec  eadem  falsch  A). 

dum  quidem  vollbetont  im  Versschlusse  Pseud.  507,  im 
Versiunern  Pe.  657,  gekürzt  (vgl.  Ritschi,  Proleg.  S.  CL1V  = 
opusc.  V  399)  Bacch.  226  dunquidem  hoc,  Trin.  58  dunquidem 
hercle,  doch  wohl  auch  so  Asm.  643  fore,  dunquidem  ipse,  870 

1  8 

ita  fore  Uli  dünqiüdem  cum  Mo,  Aul.  211  dunquidem  ne,  Merc. 
387  dunquidem  Ulk  fui;  Kürzung  (mit  Hiat)  möglich  auch  in 
dum  quidem  hercle  Cure.  704,    Merc.  424,    Stich.  554  (equidem 


10  8.  Abhandhin-:  F.  Vollmer 

Hss.  falsch).  687;   vgl.  den  Hiat  bei  Enn.  ann.  494  dum  qui- 
dem unus  homo. 

cümquidcm  salute  [a]  fämilia{i)  maxuma  Merc.  811,  wo  sua- 
quidem  und  salute  ac  Camerarius. 

iam  quidem  steht  immer  vor  hercle  außer  Stich.  62  iam 
quidem  in  süo  quicque  loco  nisi  erit,  Kürzung  (mit  Hiat)  ist 
möglich  Aul.  759,  Truc.  313,  beidemale  im  ersten  Fuße,  dann 

auch    in   ^ Amph.  556,    sicher   nur  Asin.  817   ianquidem 

hercle  ad  illam  hinc  ibo. 

nanquidem  ist  an  zwei  Stellen  überliefert:  Capt.  394  nam 
quidem  (equidem  mit  Lambinus  die  Ausgaben)  nisi  quod  cüsto- 
dem  häbeo,  liberum  me  esse  drbitror;  Rud.  1302  nanquidem  hoc 
venenatum  est  verum,  ita  in  manibus  consenescit,  den  letzten 
Vers  hat  man  fälschlich  verdächtigt,  geändert  oder  falsch  be- 
tont nam  quidem  hoc;  auch  .der  erste  wird  ruhig  mit  nanqui- 
dem zu  lesen  sein,  da  keinerlei  Betonung  der  ersten  Person 
vorliegt  wie  an  den  anderen  Stellen,  wo  nam  equidem  zu  Recht 
steht  (Asin.  607,  Bacch.  369,  Men.  292.  959,  Mil.  629,  Pers.  172, 
Pseud.  620  (idem  A),  Rud.  493,  Truc.  199,  Vid.  28). 

nunc  quidem  (vgl.  Luchs  II  11  Anm.)  steht  so  betont  am 
Versende  Ter.  Andr.  434,  Eun.  46,  im  Versinnern  Amph.  855, 
Men.  932,  Mil.  398,  Poen.  1028,  Stich.  472,  Truc.  211,  Ter. 
Hec.  272,  vor  Vokalen  Mil.  752,  Pseud.  610;  es  besteht  also 
keine  genügende  Stütze  für  Annahme  von  engster  Verbindung 
und  Kürzung;  auch  die  in  A  Mil.  398  und  in  P  Stich.  472 
(deest  A)  überlieferte  Schreibung  num  quidem  wage  ich  daher 
ebensowenig  anzunehmen  wie  Luchs. 

ne  tarn  quidem  steht  nur  Ter.  Ad.  278  am  Versende. 

dagegen  scheint  Licin.  com.  2  (S.  39  Ribb.)  der  Senar 
quom  quidem  Ma{vo)rti  es  in  conubium  data  die  Messung  quön- 
quidem  zu  empfehlen. 

et  quidem  steht  so  betont  Capt.  309,  et  quidem  si  Poen.  601, 
Stich.  758   (Mil.  475   wohl   richtiger  id  A   als  et  P),    deutlich 

gekürzt  am  Verseingange  Cure.  387  etquidem  reliqui  (et  equidem 

falsch   die   Hss.),   Ter.    Haut.  523   etquidem  hercle,    775    etqui- 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein.  11 

dem  iubebit,  möglich  auch  (Pers.  217  etquidem  ego  haüd  longe), 

3  4 

Ad.  964    etquidem  porro  haec,    Hec.  430    etquidem  te  expectö, 

i 
auch   Phorm.  471    lese   ich    etquidem,    ere,  nos  iam  dudum  hie 

te  absentem  mit  Hiat  nach  dem  trochäischen  Kolonschlusse  des 
iambischen  Septenars;  undeutlich  (aber  Kürzung  glatt  möglich, 
sogar  besser)  Capt.  562  et  quidem  Älcumeus,    Pers.  187  et  qui- 

4  6  S 

dem  si  scis  (so  A),  Ter.  Ad.  974  et  quidem  tuo  nepoti  huius  filio, 
undeutlich  (IK?)  Phorm.  209.  Aus  dem  Verse  Ter.  Hec.  195, 
den  ich  lese  etquidem  ego:  näm  constitui  (also  mit  prosodi- 
schem  Hiat),  empfiehlt  sich  mir  auch  Andr.  967  etquidem  ego 
mit  Hiat  nach  quidem,  also  auch  wohl  mit  Kürzung  der  ersten 
Silbe  zu  lesen;  drei  andere  Stellen,  an  denen  die  Herausgeber 
et  quidem  betonen  oder  zu  betonen  scheinen,  erledigen  sich 
durch  Herstellung  von  equidem  ego  (so  andernorts  noch  equi- 
dem  ego  Bacch.  437,  Merc.  264,  Rud.  1077,  et  equidem  Cist.  526, 
Cure.  387,  Stich.  590),  nämlich  Asin.  645  ego  vero  et  equidem 
edepöl  lubens,   Merc.  1000  missas  iam  ego  istas  artes  feci  ::  et 

5 

equidem  ego  dehinc  iam  :  nihil  (agis),  Mil.  259  abeo  ::  equidem 
ego  ibo  domum. 

at  quidem  wird  gekürzt  sein  Bacch.  677  erras : :  ätquidem 
tüte  errästi,  wohl  auch  Most.  1014  zu  lesen  egone?  dt  quidem 
tu  qui  istoc  te  speras  modo. 

üt  quidem  steht  mit  Doppelton  Cas.  300.  389,  Titin.  com. 
156,  undeutlich  Capt.  991,  Poen.  316,  vor  Vokal  Capt.  649, 
Cas.  390,  Poen.  869,  Trin.  429,  deutlich  gekürzt  Men.  22  üt- 
quidem  ille  dixit  mihi  qui  pucros  viderat,  336,  Poen.  122.  664 
und  wohl  auch  Aul.  154. 

polquidem  kann  gekürzt  sein  an  beiden  Stellen,  wo  es  vor- 
kommt, Bacch.  394  näm  polquidem  meo  dnimo  ingräto  (wenn 
hier  nicht  doch  besser  mit  Bothe  umzustellen  ist,  da  es  sonst 
immer  meo  quidem  animo  heißt,  s.  u.  S.  15),  sicherer  Ter. 
Andr.  459  ita  polquidem  res  est,  ut  dixisti,  Lesbia. 

e)  Einsilbige,  auf  Konsonant  ausgehende  Pronomina  und 
Partikeln  mit  langem  Vokal: 

nos  quidem   so    betont  Pseud.  275    und  am  Versende  Ter. 


12  8.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

Andr.  519;  vor  Vokalen  steht  es  Merc.  1020,  Poen.  649;  ge- 
kürzt Ter.  Andr.  803  itan  Chrysis?  Mm  ::  nosquidem  pol  mi- 
seros  perdidit. 

vös  quidem  betont  Cist.  146  (Versende),  vor  Vokalen  Ampli. 
11,  Poen.  588,  gekürzt  nirgends. 

quosquidem  steht  einmal  und  zwar  gekürzt  Truc.  70  quos- 
quidem  quam  ad  rem  dicam  in  argentariis. 

autquidem  findet  sich  dreimal,  immer  gekürzt,  Most.  'J44 
aedis  Philolaches?  autquidem  iste  nos  defrustratur  senex,  Ter. 
Hec.  306  aut  (haud  überl.)  quidem  hercle,  Phorm.  425  autqui- 
dem  cum  uxore. 

f)  Die  Formen  von  hie  stelle  ich  hier  zusammen,  weil  im 
einzelnen  die  Frage  aufzuwerten  ist,  wie  sie  gelautet  haben. 
Luchs  (II  7)  hat  bekanntlich  bewiesen,  daß  dies  Pronomen  in 
der  Zusammensetzung  mit  quidem  die  Silbe  -ce  nicht  annimmt; 
sein  Hauptargument,  die  durchgehende  Messung  des  Sing.  masc. 
als  /liquidem  (nicht  hiequidem)  bleibt  bestehen,  wenn  auch  ein 
paar  Stellen  im  ersten  Trochäus  an  sich  die  Messung  —  «-  ^ 
zulassen  (Amph.  417,  Capt.  657;  IK  möglich  Merc.  366  pater 
hiquidem  est,  Most.  1063,  Trin.  851).  Besonders  deutlich  ist 
Capt.  823  der  Senarschlulä  hiquidem  habet;  die  anderen  Stellen 
genügt  es  hier  aufzuzählen:  Amph.  458.  660,  Aul.  728,  Bacch. 
774,  Cure.  397,  Men.  309,  Mil.  1283,  Most.  447,  Pers.  14.  201. 
309,  Poen.  672.  1123,  Pseud.  445  est  hie  (hie  est  AP).  736.  1136, 
ßud.  1403,  Stich.  353.  458.  464.  544.  625.  655,  Trin.  557. 
868.  876.  1030.  1055,  Enn.  scaen.  166,  Ter.  Eun.  228.  681, 
in  Anapästen  Bacch.  1105,  Pers.  790;  unsicheres  Metrum  und 
Lücke  Amph.  1075,  statt  hie  zu  lesen  is  Capt.  335;  mit  A 
(gegen  P)  quidem  hie  Truc.  265;  die  einzige  widersprechende 
Stelle  Poen.  1125  praestigiätor  hie  quidem  Poen/is  pröbust  ist 
leicht  mit  Luchs  zu  emendieren  hiquidem  Poenus  est  probus, 
aber  vielleicht  überhaupt  unecht.  Die  Betonung  hie  quidem 
ist  also  trotz  der  großen  Zahl  der  Fundstellen  nicht  zu  er- 
weisen, anders  als  bei  si  quidem,  me  quidem  u.  ä.  aber  auch 
bei  is  quidem,  et  quidem  u.  ä.     Ebenso  aber  wie  bei  diesen  Ver- 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein.  13 

binduugen  liegt  die  Sache  bei  den  anderen  einsilbigen  Formen 
von  hie,  über  die  ich  mich  kürzer  fassen  kann: 

Adv.  hiquidem  mit  langer  erster  Silbe  und  voll  betont 
Capt.  88  et  hiquidem  hercle,  921  näm  hiquidem  üt  adornä(vi)t, 
aüt  iam  (an  diesen  beiden  Stellen  auch  hiquidem  mit  Hiat 
möglich),  Most.  933,  Pseud.  822,  Rud.  989,  Stich.  622,  Ter. 
Ad.  554,  in  Kretikern  Rud.  214,  gekürzt  Cas.  143  hiquidem 
pol  certo  nil  ages  sine  nie  ärbitro  (Kürzung  mit  prosodischem 
Hiat  in  IK  möglich  Rud.  989,  Stich.  622),  falsch  überliefert 
Pers.  788  (-  «  — )  pol  hie  quidem  statt  hiquidem  pol. 

Fem.  Sing,  haequidem  mit  Doppelton  am  Versende  Mil.  988, 
Pers.  723,  Rud.  420,  Ter.  Andr.  149,  sonst  vor  Konsonant 
Amph.  696,  Mil.  362,  Stich.  238,  Ter.  Haut.  852  (falsch  die 
2.  Rezension),  vor  Vokal  (also  *  «  ^  mit  Hiat  möglich)  Amph. 
777.  794,    Capt.  750,    Men.  383,  Truc.  93  (verderbt  die  Hss.\ 

Ter.  Ad.  983   und   in  w  _  —  Poen.  248,    in  lyrischen  Iamben 

i 
Poen.  1199,   möglich  prosod.  Hiat  Amph.  789  nam  haequidem 

nos;  deutlich  gekürzt  Naev.  com.  129  haequidem  hercle  opinor 
praeficast,  Cist.  43  hae'quidem  ecastor,  Rud.  827  hae[ce]quidem 
Palaestra,  Titin.  com.  181  haequidem  quasi  und  Mil.  1259  hae- 
quidem plus. 

Neutr.  Sing,  hodquidem  =  hoequidem  steht  doppelt  betont 
im  Verschlusse  Epid.  409,  Mil.  19,  Most.  981,  Ter.  Ad.  803, 
in  Kretikern  Pseud.  1288,  sonst  vor  Konsonant  Amph.  372, 
Bacch.  1141,  Epid.  338,  Truc.  269,  vor  Vokal  (also  Kürzung 
mit  Hiat  möglich)  Amph.  397,  Aul.  449,  Capt.  357,  Men.  927, 
Pseud.  1078,  Ter.  Phorm.  412.  905,  Andr.  201,  prosodischer 
Hiat  möglich  Capt.  336  tarn  hoequidem  tibi,  Cure.  182  nam 
hoequidem  edepol,    Merc.  285  di  hoequidem  faeiünt,    undeutlich 

Truc.  535  hoc  quidem  herclest,  gekürzt  Rud.  1300  nam  höcqui- 

i  i 

dem  pol,    Ter.   Eun.   129    ne  hoequidem   tacebit,    Ad.  469    vero 

amplius :  nam  hoequidem  ferundum,    aber  Epid.  393,   wenn  der 
Vers  echt  ist,  ist  umzustellen  hoc  mea  quidem  sententia. 

hädquidem  =  haequidem   steht   mit   Doppelton    vor  Kon- 


14  8.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

3 

sonant  Asin.  741,  Cas.  83,  Most.  394,  gekürzt  Amph.  736  non 
de  häcquidem  hercle,  Mil.  353  sie  obsistam.  häcquidem  pol  certe, 
Ter.  Haut.  87    scire  hoc  vis?  ::  häcquidem  causa,  qua  dixi  tibi. 

Dat.  hoiquidem  ist  undeutlich  am  Ende  des  trochäischen 
Septenars  Trin.  971  unquam  eris  auro  hoie  quidem,  wo  doch 
wohl  mit  Hermann  umzustellen  ist  hoiee  auro  quidem. 

Nom.  Plur.  nur  Epid.  193  ipsi  hi(s)quidem  mihi  dant  viam. 
Vielleicht  steckt  auch  Lucil.  726  in  hie  quidem  einfach  hisqui- 
dem, sodaß  zu  lesen  wäre  nam  hisquidem  reditum  (tibi). 

Bacch.  1125  (« )  attonsae  haequidem  ämbae. 

hanquidem  steht  mit  Doppelton  Asin.  271,  Cure.  112  (cant. 
iamb.),  am  Versende  Mil.  1006,  gekürzt  nirgend;  nirgend  hun- 
quidem. 

hasquidem  mit  Doppelton  Capt.  668,  wo  freilich  prosodi- 
scher  Hiat  nicht  unmöglich  ist  (tu  hasquidem),  gekürzt  Pseud. 
25  hasquidem  pol  und  30  nam  hasquidem  yallina  scripsit. 

Abi.  hisquidem  nur  Mil.  368  atque  hisquidem  hercle. 

hinquidem  undeutlich  Pseud.  504  quid  nunc  agetis?  nam 
hinquidem  ä  me  non  potest  und  Stich.  688  nam  hinquidem  ho- 
die  polluctura,  gekürzt  in  ^  ^  _  Most.  901  homo  nemo  hinqui- 
dem foras  exit  (anders  P). 

hüquidem  immer  so  betont,  aber  auch  immer  vor  Vokal 
Pseud.  654,  Rud.  340,  Truc.  369,  ebenso  Merc.  382  adhuqui- 
dem  hercle. 

g)  Zweisilbige  Formen. 

quandö  quidem  liest  man  als  Versschluß  Stich.  559,  ebenso 
betont  483,  wenn  der  Vers  echt  ist;  aber  während  quandö 
allein  ohne  quidem  mit  kurzem  End-ö  erst  bei  Germ.  Arat. 
sich  findet,  steht  quandoquidem  so  betont  Merc.  180.  618. 
933,  Ter.  Eun.  374,  Phorm.  405,  Hec.  492,  Ad.  640,  Turpil. 
com.  125.  158  (q.  et  q.  überl.),  quandoquidem  Men.  1024, 
Merc.  171,  Trin.  352  (eq.  A).  991,  Truc.  559,  Ter.  Andr.  487. 
608,  Haut.  1064,  Ad.  956,  Lucil.  665  (-  ~ ),  ebenso  im  Hexa- 
meter etc.  seit  Catull.  33,  6.  40,  7.  64,  218.  101,  5,  Lucr.  1, 
296.  587  usw.  regelmäßig. 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein.  1«> 

Ob  mihi  und  tibi  vor  quidem  ihre  Endlänge  wahren  konnten, 
ist  zweifelhaft,  da  sowohl  mihi  quidem  wie  tibi  quidem  so  be- 
tont nur  vor  hercle  stehen,  also  mit  Hiat  nach  quidem  und 
kurzem  i  gelesen  werden  können  (Merc.  762,  Poen.  151,  Trin. 
761,  tibi  Poen.  412,  Rud.  108,  Truc.  814),  im  übrigen  wird  be- 
tont vor  Vokal  wie  Konsonant  mihi  quidem  (Amph.  610.  986 
usw.,  im  ganzen  14  mal,  auch  Ter.  Hec.  606,  Haut.  423.  542 
und  Ad.  337,  hier  am  Versschlusse,  sowie  in  -  -  Lucil.  675) 
und  tibi  quidem  (Cas.  360.  383  u.  ö.,  im  ganzen  6  mal  und  bei 
Ter.  Phorm.  523.  1003,  Ad.  571,  am  Versende  Merc.  216);  nur 
Asin.  482  ist  überliefert  tibi  quidem,  aber  der  Vers  ist  schwer 
beschädigt  und  mit  drei  anderen  interpoliert,  sodaß  uns  das 
unerwünschte  Wagnis,  für  Plaut,  neben  dem  Genitiv  tis  einen 
Dativ  ti  anzusetzen,  erspart  bleibt.  Der  Dativ  der  1.  Person 
aber  steht  im  Verse  auch  als  miquidem:  so  Capt.  866  miqui- 
dem  esürio  non  tibi,  Mil.  158  miquidem  vom  arbitri  vicini  (mi 
equidem  falsch  A),  sicherer  noch  in  anderen  Füßen  Ter.  Phorm. 
686,  Ad.  337.  379,  und  als  miquidem  Cure.  547  nee  miquidem 
libertus  ullus  est  ::  facis  sapientius,  Pers.  20  miquidem  tu  iäm 
h-as  mörtuos. 

med  vor  quidem  steht  nur  in  der  Formel  meo  quidem  äni- 
mo  (am  Versende  Cure.  499.  514,  sonst  Aul.  478.  539,  Bacch. 
102,  Cas.  570,  Epid.  111,  Men.  200,  Merc.  314,  Rud.  1138, 
Versmaß  unsicher  Poen.  232,  herzustellen  wohl  auch  Bacch. 
394),  die  ich  mit  Synhizese  lese. 

med  öfters  in  der  Formel  mea  quidem  sententia  Bacch.  563, 
Cas.  563,  Epid.  393  (quidem  mea  überl.),  Men.  81,  Poen.  1338, 
Ter.  Ad.  65.  959  [Phorm.  335  hat  A  das  quidem  richtig  aus- 
gelassen]; an  den  anderen  Stellen  steht  mea  quidem  vor  Vokal: 
Asin.  275  mea  quidem  hercle  opera,  Men.  1029  mea  quidem 
hercle  causa,  Pers.  537  mea  quidem  istuc  nil  refert.  Auf  der 
zweiten  Silbe  betont  nur  Men.  727  med  quidem  hercle  causa 
(Rud.  139)  und  Truc.  560  neque  med  quidem  opera,  alle  drei- 
mal also  vor  Vokal,  sodaß  die  Messung  meäquidgm  mit  Hiat 
möglich  ist. 


16  8.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

med  als  Fem.  und  Neutr.  nur  Pseud.  1187  meaquidem  haec 
(wo  equidem  CD)  und  Ter.  Andr.  347  meaquidem  hercle. 

meum  nur  Asin.  190  nee  meumquidem  edepol  und  Truc.  963 
meumquidem  te  lectum. 

tuä  Fem.  Nom.  Gas.  398  utinam  tüaquidem  .  .  .  sors,  wo 
der  Anfang  des  zerstörten  Verses  richtig  zu  sein  scheint,  und 
Ter.  Phorm.  164  nam  tüaquidem  hercle  certo  vita. 

Neben  Men.  792  tüaquidem  ille  causa  stehen  Poen.  573 
nee  tüömquidem  est  amicis,  Rud.  737  ätque  erds  tüdsquidem 
hercle  und  Most.  894  südniquidem. 

Ich  reihe  der  Vollständigkeit  halber  noch  an  Pseud.  60 
cras  eaquidem  sunt  (Dionysia),  Truc.  262  cömprime  sis  iram:: 
eamquidem  hercle  und  Men.  497  [pol]  eämquidem  edepol. 

Höchst  bemerkenswert  ist  nun,  daß  daneben  sich  im  1.  Fuße 
iambischer  Verse  folgende  Verbindungen  finden: 

8 

Poen.  1349  tneae  quident  profecto  non  sunt  (vielleicht  nach- 
plautinischer  Vers); 

2 

Rud.  322  euniquidem  ad  carnificem; 

2 

Rud.  783  meas  quidem  te(d)  invito  etVenere  et  summo  Iove; 

Trin.  559  weus  quidem  hercle  nunquam  fiet; 

[Merc.  811  sua  quidem  salute  zu  unsicher,  eunquidem  Hss.]; 

und  im  5.  Fuße  des  iambischen  Septenars: 
Pers.  282  tüaquidem  cueüle  causa  (Abi.). 

Luchs  (I  15)  will  alle  diese  Verse  durch  die  Freiheit  der 
Anapäste  und  Iambeneingänge  in  Betonungen  wie  Omnibus  mi- 
litis  u.  ä.  erklären,  und  scheinbar  sprechen  für  diese  Erklä- 
rung zwei  andere  Stellen: 

Bacch.  1177  («  ~  — )  egoquidem  ab  hoc  certe  exörabo; 

Ter.  Andr.  691  quibusquidem  quam  facile  pötuerät; 

wozu  man  noch  den  wohl  nachplautinischen  Versanfang  stellen 

mag: 

i 
Asin.  482  tibiquidem  supplicium  carnufex  (s.  o.  S.  15). 

Die  Stellen  sind  nicht  sehr  beweiskräftig  (mindestens  10  mal 
findet   sich    die    regelrechte  Betonung   ego  quidem,    die  Stellen 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein.  17 

bei  Luchs  I  16),  aber  bedenklicher  macht,  daß  Luchs  die  glei- 
che Betonung  auch  für  mequidem,  tuquidem,  isquidem,  quen- 
quidem  annahm,  die  sich,  wie  wir  gesehen,  als  mequidem,  tu- 
quidem usw.  erledigt  haben. 

So  wird  man  auch  hier  aufs  ernstlichste  mit  der  Möglich- 
keit  zu  rechnen  haben,  meaequidem,  eünquidem,  meäsquidem, 
meüsquidem  zu  messen  —  das  wäre  ein  Argument  für  Synhi- 
zese  (nicht  IK!)  in  diesen  Formen,  das  der  Gesamtelision  sol- 
cher Monosyllaba  an  Bedeutung  nichts  nachgäbe. 

illequidem  (Luchs  II  3)  wird  betont  illiquidem  (wohl  rich- 
tiger illiquidem,  s.  u.  S.  26, 1)  Bacch.  103.  634,  Merc.  540,  Most. 
375,  Pers.  174,  Stich.  561,  Ter.  Phorm.  754,  aber  illequidem 
(oder  üquidem)  Capt.  288  (illic  BD,  Uli  VE),  Epid.  257.  673, 
Merc.  975,  Most.  1081  illequidem  (edepol),  Truc.  509  (quidem 
ille  est  überl.),  884.  An  einer  Stelle  ist  die  Überlieferung  nur 
durch  liquidem  meßbar:  Trin.  717  äbiit  hercle  liquidem,  ecquid 
audis,  die  Ausgaben  tilgen  freilich  alle  mit  Fleckeisen  hercle; 
die  gleiche  Messung  erleichtert  aber  auch  die  Versanfänge 
Bacch.  90  üquidem  hanc  dbducet  tu  nullus  und  Cas.  573  nam 
üquidem  quem  tu  hunc  memoras  esse  und  ist  durchaus  den  oben 
unter  d)  festgestellten  Messungen  konform. 

istequidem  (oder  istquidem)  betont  Merc.  945,  Poen.  513, 
istequidem  Enn.  scaen.  359. 

illaquidem  Mil.  [323  verstümmelt]  483  {quidem  illa  P), 
istaquidem  Merc.  730,  aber  illiquidem  Stich.  252,  Ter.  Phorm. 
134,  istaquidem  Most.  235,  Caec.  com.  85,  Ter.  Haut.  566 
(istaec  AG). 

illüdquidem  (illücquidem)  Cas.  702  ^ ,  Most.  830,  Rud. 

422.  806,    Stich.  589,    die    Messung   illücquidem    besser   Poen. 

1231  sed  illüdquidem  völui  dicere,  ebenso  684  illüdquidem  quö- 
(vo)rsum  asinus  caedit  calcibus  (illuc  hier  als  Adv.  zu  nehmen 
scheint  unnötig),  —  istüdquidem  am  Versende  Poen.  645,  sonst 
Cas.  8,  Mil.  19.  1149,  Pers.  736,  Poen.  1172.  Aber  istücquidem 
in   den  ~  ^  _  Most.  335a  immo  istücquidem ::  iam  memini  und 

doch  wohl  auch  Mil.  1017  pol  istücquidem  multae. 

Ritzgsb.  «1.  pliilos.-pbilo).  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  191 7,  9.  Abb.  2 


L8  9.  Abhandlung:  F.Vollmer 

Die    übrigen    Formen     ergeben    nichts    Bemerkenswertes: 

1  2 

Merc.  541  nam  Uli  quidem  haud,  Cas.  864  ne  illum  quidem  in 
unbestimmbarem  Metrum,  Pseud.  109S  qui{n)  illam  quidem  iam 
in  Sicyonem  ex  urbe  äbduxit  modo  ist  nicht  sicher,  ob  quidem 
iam  mit  Leo  oder  ex  urbe  im  überlangen  Verse  zu  streichen 
ist.  Poen.  443  nam  istiquidem  hercle  orätiöni;  Cist.  8  pol 
isjofcj  quidem  nos  ist  bakcheisches  Mala  möglich,  aber  nicht 
sicher,  Adv.  Cist.  753  istiquidem  edepol;  nur  Truc.  111  (-  «  — ) 
ist  me  illisquidem  hacc  verberat  verbis  Kürzung  illiquidem  möglich. 

1  2 

Möglich  ferner  Bacch.  270  postquänquidem  praetor,  1205 
(»,  «  _)  tamquänquidem  addictos,  aber  Versschluß  utindm  qui- 
dem Ter.  Ad.  518,  ferner  potius  quidem  Aul.  51,  Truc.  265  ni- 
mis  quidem  hie  (hie  q.  P),  Merc.  841  ibi  quidem;  für  modoqui- 

dem  hercle  haec  Cist.  296  steht  nicht  sicher,  ob  von  modo  oder 

von  modo  auszugehen  ist;  IK  wäre  anzunehmen,  wenn  Capt.  249 

i 
scio  quidem   richtig   wäre,    es   wird    aber    nach    allen    anderen 

Stellen  scio  equidem  zu  schreiben  sein. l) 

2.  Andere  enklitische  Verbindungen. 

a)  Auf  ecquis  hat  in  diesem  Zusammenhange  zuerst  Skutsch 
(Forsch.  9,  2)  hingewiesen,  nachdem  schon  Ritschi  (zu  Persa 
107)  gelehrt  'ccquid  pro  pyrrhichio  est',  aber  C.  F.  W.  Müller 
(Pros.  424  f.)  sein  "mir  ist  das  ganz  unglaublich'  gesprochen. 
Da  die  enklitische  Natur  des  indefiniten  quis  außer  Zweifel 
steht,  so  ist  a  priori  ecquis  ebenso  gut  möglich  wie  etquidem, 
und  in  der  Tat  wird  es  durch  unsere  Überlieferung  hinläng- 
lich gestützt. 

ecquis  und  seine  Kasus  stehen  über  90  mal  entweder  so, 
daß  die  erste  Silbe  deutlich  als  Länge  gilt,  oder  (seltener)  so, 


l)  Nachträglich  muß  ich  anmerken,  daß  die  Untersuchung  von  Ahl- 
berg,  De  proceleusmaticis  iamborum  trochaeorumque,  Lund  1900,  S.  55 
—84  (vgl.  Lindsay,  Burs.  Jahresber.  130,  197)  mir  nicht  zugänglich  ge- 
worden ist. 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein.  U 

daß  sie  in  der  Senkung  unbestimmbar  bleibt,  wie  ecquis  hie 
est  (Versschluß  Rud.  316  ecquem)  oder  ecquid  quod  mdndavi 
tibi.  Andere  Stellen  können  unter  die  IK  fallen,  so  Cas.  949 
(_  v,  _)  sed  ecquis  est  qui  (Mil.  794,  vielleicht  auch  Pers.  108), 

Poen.  1044  sed  ecquem  adidescentem  (oder  sed  ecquem  und  dann 

nosti?);    mit   den  Freiheiten    der    ersten   oder  fünften  Hebung 

wären   zu   entschuldigen  Pseud.  1139  ecquis  hoc  äperit  (Amph. 

5 

1020  ecquis  hoc  äperit  ostium,  ebenso  Bacch.  582,  Capt.  830, 
Truc.  663),  Stich.  352  ecquis  hüc  effert  ndssiternam,  Pers.  327 
ecquid  amdre,  Truc.  542  ecquid  amäs,  Most.  354  ecquis  homöst, 
Aul.  636  ecquid  agis  (Cist.  643,  Epid.  688),  Pers.  225  ecquid 
habes;  weniger  glaublich  sind  Men.  146  ecquid  adsimulo,  Rud. 

1  5 

413  heus  ecquis  in  villast,  noch  weniger  Truc.  897  ecquid  Asta- 
phi(um)  litium  est,   Bacch.  980  ecquid  egisti   und  Capt.  459  ec- 

2  4 

quis  hunc,  Most.  988  ecquis  hasce  operit,  Trin.  870  ecquis  his 
foribus,  hier  wird  Ecquis  anzunehmen  sein,  wie  sicher  an  fol- 
genden  Stellen:  Bacch.  583  Scquis  exit,  Truc.  254  ecquis  huic, 
Pers.  107  Uequid  hallecis,  225  ecquid  habes? ::  ecquid  tu? ::  ni- 
hil equidem  und  in  «  *  —  Cas.  166  vös  ecquis  haec;  auch  Pseud. 

s  . 

740  ecquid  habet  ::  rogas  scheint  mir  die  Messung  ecquid  mit 
verständlicher  Verletzung  des  Gesetzes  von  den  Enddoppel- 
iamben  leichter  als  ecquid  mit  Zerreissung  des  Anapästes;  noch 

6 

leichter  natürlich  Bacch.  581  ecquis  [his]  inaedibust;  auch  Stich. 
338  ziehe  ich  trotz  C.  F.  W.  Müller  vor  zu  skandieren  pro- 
pere a  pörtu  tut  honoris  causa  ::  ecquid  ad  portäs  boni.  Ganz 
unwahrscheinlich  ist  es  (wo  doch  ecquid  ebenso  behandelt  wird) 
ecquis  in  ecqui  zu  ändern. 

b)  si  quis  und  si  quid  stehen  bei  den  Skenikern  in  den 
meisten  Fällen  als  Trochäus  gemessen;  so  siquis{-d)  bei  Plaut, 
etwa  100,  bei  Ter.  27 mal,  siquis(-d)  mit  undeutlicher  erster 
Silbe  bei  Plaut.  45  mal,  bei  Ter.  7  mal,  mit  langem  si-  8  resp. 
3  mal  (seltener  die  anderen  Formen  -quem,  -quam,  -quo,  -qua, 
-quoi),  z.  B.  Amph.  389  siquid  vis  loqui  oder  336  scio,  si  quis 


20  9.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

roget  (häufig  dge  si  quid  agis).  Aber  wir  finden  daneben 
(Skutsch,  Forsch.  9,  2,  Leo  zu  Aul.  340)  eine  Reihe  von 
Stellen,  die  die  Kürzung  von  si  als  möglich  und  wirklich  ver- 
wendet erscheinen  lassen.  Nicht  ausschlaggebend  sind  auch 
hier  wieder  die  Stellen  mit  siquis  im  1.  oder  5.  Trochäus,  dem 
die  Zerreissung  des  Anapästes  zugestanden  wird,  wie  Cist.  67 
siquid  est  quod  doleat  (ähnlich  mit  Formen  von  esse  Epid.  526. 
647,  Mil.  665,    härter   schon   Stich.  67   siquis  me  quaeret   und 

5 

Trin.  1128  siquid  amiciim  erga,  auch  Trin.  855  siquid  ego  ad- 
didero  amplius,  aber  Merc.  1023  zu  lesen  si  quis  pröbuerit,  nicht 
pröhib-) ,    aber    großen    Bedenken    unterliegen    die    zerrissenen 

4  3 

Anapäste  Aul.  340  siquid  üti  voles,  Epid.  729  siquid  imprudens, 

1  8 

Men.  756  ut  siquis  sequdtur,  Pseud.  713  siquid  opüst  (quicquid 

4  « 

P),  Stich.  182  siquis  me  essiim  vocät,  Ter.  Andr.  258  siquis 
nunc  me  roget,  auch  Haut.  631  nach  A  siquid  peccävi;  selbst 
Truc.  839  reddat,  siquis  eum  petat  lese  ich  lieber  siquis  und 
nehme  eum  petat  als  ein  Wort  (im  Sinne  des  Luchsschen  Ge- 
setzes), als  daß  ich  durch  siquis  einen  zerrissenen  Anapäst  zu- 
ließe. Am  meisten  kommen  für  siquis  folgende  Stellen  in  Be- 
tracht:   Poen.  80  siquid  dmandare  (amandare  findet  sich  sonst 

vor  Cic.  nicht,  ist  aber  doch  schwerlich  Interpolation),  Vidul.  19 

i 
inaxum(e  si)quid  est  opiis,    Ter.  Haut.  551  siquid  huius  simile 

(schwerlich  si  quid  huius,  vgl.  Luchs,  Studem.  Stud.  I  346), 
Most.  773  siquid  erit  quod  Uli  placeat  (besser  als  si  quid  erit 
quöd  Uli  pl.),  möglich  auch  Rud.  477  magisträtus  siquis  me(d) 
hänc  habere  vi  der  it. 

c)  ne  quis  und  ne  quid  stehen  bei  Plaut,  und  Ter.  oft  als 
Trochäen  (ncquis  48:16,  niquis  15:3,  nequis  1:1,  selten  ne 
quem,  quo,  qua);  für  nequis  kommen  in  Betracht  kaum  Capt. 
795  ne  quis  in  hänc  plateam  und  Epid.  339  nequid  tibi  hinc  in 
spem  referas  (aber  das  Metrum  ist  gar  zu  unsicher),  auch  nicht 
die  von  Skutsch  (Forsch.  S.  9,  2)  so  gelesene  Stelle  Capt.  791 
nequis  mi  obstiterit  obviam  (hier  ist  quis  zu  streichen  aus  syn- 
taktischem Grunde,  vgl.  Asin.  154,  Rud.  476),  eher  Stich.  576 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein.  21 

nequid  adveniens,  Liv.  Andr.  trag.  23  ne  quid  tuae  adversus 
fuas,  vor  allem  aber  Naev.  trag.  4  tünc  ijjsös  adöriant,  nequis 
hinc  Spdrtam  referat  nüntium,  wo  seit  Hermann  fälschlich  qui 
gelesen  wird.  Plaut.  Cist.  531  ist  persequar :  amens  nequid 
ebenso  unglaublich  wie  persequar  amens  ne  quid,  richtig  sein 
wird  die  von  Leo  im  Apparate  vorgeschlagene  Umstellung. 

d)  quisquis  und  quidquid  werden  bei  Plaut,  und  Ter.  sicher 
als  Trochäen  gemessen  mit  der  Betonung  quisquis  84:  19  mal, 
betont  quisquis  mit  unbestimmbarer  erster  Silbe  11:2,  mit  der 
ersten  als  Länge  7  :  Omal  (selten  quemquem,  quoquo).  Für 
Kürzung  der  ersten  Silbe  müssen  erwogen  werden  die  Stellen: 

Amph.  309  quisquis  homo  hüc,  Mil.  311  quidquid  est  müssitabo, 

i 
Most.  1159   quidquid  fecit  una   nobiscum   (oder  fecit  nobiscum 

una?),  Rud.  1121  quidquid  ibist  (1136  vos  tarnen  istaec  quidquid 

4 

istic  inerit  vobis  habebitis  schwer  zu  glauben),  1256  quidquid 
in  illo  vidulost  (oder  in  illo?),  1359  omnia  üt  quidquid  (oder 
ut  quidquid),  Stich.  686  quisquis  praetereat,  Trin.  218  und(e) 
quidquid  auditum,  253  itäst  agrestis.  sed  fores,  quidquid  est  fu- 
turum feriam,   Ter.  Eun.  980  quidquid  hüius   (nicht  quidquid 

5 

hüius),   Haut.  332  quidquid  est  ädsimulabimus  (so  A,   quid  est 

die  anderen  Hss.),  961  quidquid  ego  hüius  (nicht  ego  hüius). 
Daß  Leo  (Plaut.  Forsch.  236  =  2261)  inkonsequenterweise  zu 
Unrecht  die  Zerreissung  des  Anapästes  in  quisquis  und  quid- 
quid durch  Zerlegung  des  Pronomens  in  zwei  Wörter  erklären 
will,  hat  richtig  gesagt  Maurenbrecher,  Hiat  u.  Verschl.  S.  31,  3. 
—  quoquo  modo  hat  keine  Stütze  an  dem  verstümmelten  Verse 
Men.  827. 

e)  nunquis,  nunquid  und  abgeleitetes,  wie  adverbielles  nun- 
qui  gelten  als  Trochäen,  betont  nunquis  (Plaut.]: etwa  50 mal, 
Ter.  15  mal),  betont  nunquis  (Plaut.  23  mal,  Ter.  13  mal,  dazu 
deutlich  mit  Länge  der  Silbe  nunq-  Plaut.  3  mal,  Ter.  2  mal); 
für  Kürzung  beweisen  wenig  die  Stellen  Pers.  551  nunquid  in 
principio  cessavi,   Stich.  102  nunquid  hie  est,  Ter.  Phorm.  563 


22  9.  Abhandlung:  P.  Vollmer 

nunquid  est  quod  (gar  nichts  natürlich  Merc.  282  dicere : :  nun- 

quid  ämplius),  Mil.  994  nanquidnam  hie  pröpc  adest  kommt 
ernstlicher  in  Betracht,  dann  Men.  548  nümquid  me  vis  (zu  me 
vgl.  Aul.  263,  Cist.  117.  119  usw.  neben  häufigerem  numquidvis). 

f)  Einzelne   andere  Verbindungen:    id  quod  scheint  über- 

liefert    und    richtig   Amph.  793   idquod  verüst   (Leo  z.  d.  St.), 

Epid.  507   völo  scire,   si  scis  ::  idquod  audivi  iam  (iam  om.   P) 

andies;    ebenso  Merc.  182   hoequod  te  interroyo  responde,    Trin. 

i 
413  quid  quod  ego  defriidavi?  (412  quid  quod  dedisti  seortis?). 

Unsicher  bleibt  Amph.  271    certo   edepol  scio,   stquidquam  est 

aliud,  man  müßte  dann  schon  (der  Syntax  wegen)  scio  {et)  lesen. 

Bei  Zusammensetzungen  mit  que,  ne,  ve  erscheint  zweifel- 
haft, ob  Tonkürzung  oder  Endsynkope  wie  bei  ac,  an,  seu  an- 
zunehmen  ist   (vgl.   Skutsch,   Forsch.   153).     Hierher   gehören 

folgende  Stellen:   Mil.  508  quodque  coneubinam,  1072  quomque 

i 
me   oratricem   (wo   cumque  CD,    qm   d.  i.  quoniam   ganz  falsch 

B),  Afran.  com.  27  quodque  nie;   Capt.  246  perf£ue  conservitium 

1  2 

(cf.  Poen.  419).  —  Cure.  705  quodne  promisti?,  Mil.  614  quodne 

vobis.     Poen.  1238   nosne  tibi.     Pseud.  442  idne  tu  mirare.  — 

Amph.  84   quive  quo  placeret  alter  {älter  quo  pl.  Guyet).     Cist. 

i 
679  ("<-_)  [si]  quis  eam  abstulerit  quisve  sustiderit. 

Ebenso  Trin.  386  tüte  concilies. 


Diese  letzten  Beispiele  führen  uns  zu  der  wichtigen  Frage, 
um  derentwillen  ich  eigentlich  diese  ganze  Untersuchung  ge- 
führt habe,  nämlich  der  nach  der  Quantität  des  Stammes  von 
ille,  illa,  illud. 

Skutsch  hat  seine  glänzendste  und  weittragendste  Forschung, 
die  Arbeit  über  die  Endsynkope  von  -e  in  unde,  inde,  quippe 
usw.,  auch  auf  ille  und  iste  ausgedehnt  und  erwiesen,  data  wir 


Kürzung  durch  Tonansehluß  im  ulten  Latein.  2o 

auch  bei  diesen  Fürwörtern  die  antekonsonantischen  Formen 
il(l)  und  ist  anzusetzen  haben.  Darüber  hinaus  hat  er  gleiche 
oder  verwandte  Synkope  aber  auch  bei  den  Formen  illic,  lila, 
Mild,  istic  zu  erweisen  oder  zu  folgern  versucht  aus  der  von 
ihm  als  Ausgangs-  und  Angelpunkt  seiner  ganzen  Darlegung 
festgehaltenen  Notwendigkeit  heraus,  die  Stämme  ill-  und  ist- 
als  durchgehend  prosodisch  lang  anzusetzen.  In  diesem  Be- 
streben alle  Formen  von  ille  und  iste  in  ihrer  Verwendung  bei 
den  Skenikern  nach  ein  und  derselben  Regel  zu  behandeln  ist 
nun  Skutsch  meines  Erachtens  über  das  Ziel  weit  hinaus- 
geschossen.1) Denn  während  die  Synkope  von  wortschließen- 
dem -e  für  die  Sprache  sichersteht,  ist  das  für  End-a  durch- 
aus nicht  der  Fall,  und  vollends  die  Synkopen  ill(i)c,  ist(i)c, 
ill(u)d  haben  keinerlei  Wahrscheinlichkeit.  Dazu  kommen  noch 
die  von  Skutsch  S.  123  ff.  behandelten  und  sehr  künstlich  und 
unglaubhaft  erklärten,  gar  nicht  seltenen  Fälle,  wo  Formen 
von  ille  (und  iste,  vgl.  S.  146)  gegen  das  Dipodiengesetz  ver- 
stoßen. Endlich  sind  in  Betracht  zu  ziehen  die  Beobachtungen 
von  Fr.  Marx,  Ber.  d.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  phil.-hist.  Kl.  59, 
1907,  129  ff.  (vgl.  noch  R.  S.  Radford,  American  Journ.  of 
Philol.  28,  11  ff.).  Ich  komme  also  nicht  um  die  Notwendig- 
keit herum  für  ille  und  iste  neben  der  trochäischen  Messung 
eine  pyrrichische  anzusetzen  und  glaube  die  Lösung  der  Aporie 
durch  folgende  Erwägungen  gefunden  zu  haben. 

1.  Wir  haben  oben  zur  Genüge  gesehen,  daß  die  Kürzung 
durch  Tonanschluß  im  alten  Latein  immer  nur  fakultativ  ge- 
wesen ist2):  selbst  neben  den  in  der  späteren  Sprache  fest- 
gewordenen Kürzungen  siquidem  und  qaandöquidem  weist  Plau- 
tus  unbezweifelbar,  wenn  auch  seltener,  sl  quidem  und  quando 
quidem  auf,   sodaß  wir  ohne  Bedenken  für  eine  etwas  frühere 


')  Ebenso  urteilt  außer  Birt,  der  seinerseits  zu  weit  geht,  Lind- 
say,  Bursians  Jahresber.  130,  198  f. 

2)  Ich  vermisse  genügende  Betonung  dieses  wichtigen  Urnstandes 
bei  den  Grammatikern ,  die  sich  mit  dieser  Kürzung  befaßt  haben, 
Wackernagel,  Beiträge  zur  Lehre  vom  grieeh.  Accent  (Rect.-Progr. 
Basel  1893)  22  und  Osthoff,  IF  5,  290  Anm.  1. 


24  9.  Abhandlung:  P.  Vollmer 

Sprachperiode  si  quidem  und  siquidem  als  gleichberechtigt 
nebeneinander  ansetzen  dürfen.  Nehmen  wir  also  einmal  an, 
ille  fiele  unter  dieselbe  Art  der  Kürzung,  so  würde  ein  Neben- 
einander von  llle  und  llle  durchaus  begreiflich  erscheinen. 

2.  Die  Kürzung  durch  Tonanschluß  beschränkt  sich  keines- 
wegs auf  die  Zusammensetzung  mit  quidem  und  quis,  sondern 
ist  in  weitem  Umfange  wirksam  gewesen,  hödie  aus  hö(d)- 
died,  sine  aus  sel-ne  (Lex  Bant.,  CIL  P  583,  54  seine  sufrayiö) 
hatte  schon  Bücheier  herangezogen;  die  oben  (S.  9)  behan- 
delten Kürzungen  quenquidem,  quänquidem,  dünquidem  gestatten 
uns  auch  die  oft  verglichenen,  von„Anderen  wieder  verworfenen 
Erklärungen  von  quasi  aus  quam-sei  und  nüdius1)  aus  num- 
dius  (die  Syntax  empfiehlt  Ansetzung  von  num-,  nicht  nu~) 
festzuhalten.  Ein  weites  Gebiet  hat  Usener  (Götternamen  311) 
erschlossen  durch  Hinweis  auf  die  Verbalkomposita  operio,  aperio, 
oportet  u.  a.  Zwar  sind  seine  ersten  Beispiele  unglücklich  ge- 
wählt, da  aperio,  operio  wohl  richtig  als  fap-,  op-verio  erklärt 
werden,  aber  oportet  wird  durch  Vokalassimilation  aus  "opertet 
entstanden  sein,  das  ich  als  ob  partem  est  "es  gehört  zu  (meinem, 
deinem)  Teile'  verstehe.  Sicher  gehört  hierher  ömitto  aus  om- 
mitto  =  obmitto:  die  Bedeutung  erklärt  sich  leicht:  wie  ob- 
tineo  heißt  etwas  (im  Kampfe  gegen  einen  andern)  festhalten, 
so  omitto  etwas  (im  Widerstreit)  fahren  lassen,  ganz  deutlich 
noch  Plaut.  Amph.  240  animam  omittunt  prhis  quam  loco  de- 
migrent.  Daß  die  Kürzung  sich  in  omitto  gehalten  hat,  in 
ämitto  nicht  durchgedrungen  ist,  kann  nicht  wundernehmen: 
in  amitto  schützte  der  Zusammenhang  mit  der  lebendigen  Prä- 
position  a  die  Länge,  in  omitto  schwand  das  Bewußtsein  der 
Zusammensetzung  leicht.  Noch  unerklärt  ist  das  merkwürdige 
Nebeneinander  von  pro-  und  pro-  in  den  zusammengesetzten 
Verben:  ich  glaube  es  in  einfachster  Weise  so  zu  begreifen: 
pro  ist  in  der  Komposition  ursprünglich  durchweg  infolge  von 
Tonanschluß  zu  pro-  gekürzt  worden ;  wo  aber  der  Zusammen- 


l)  Die  Kürze   des   u  sicher  durch  Plaut.,  Cure.  17.  206,   Most.  956, 
Truc.  91.  509,  vgl.  Cist.  230,  Caecil.  com.  74'. 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein.  25 

hang  mit  der  Präposition  mächtig  war,  wurde  überall  prö- 
hergestellt:  Musterbeispiel  ist  pröficiscor  neben  pröficio.  Daß 
dabei  Schwankungen  eintraten  (z.  B.  pröfecturus  Plaut.  Trin. 
149)  ist  selbstverständlich;  aber  die  ältesten  und  teilweise  un- 
deutlich gewordenen  Komposita  weisen  meist  pro-  auf,  z.  B. 
procella,  proceres,  procul,  profanus,  profatus  (Enn.  ann.  563), 
profundus,  pronepos,  propago,  properus,  propiäus,  propudium, 
protinam.  Die  beiden  Wörter  profanus  und  pronepos  sind  noch 
besonders  wichtig,  weil  sie  sicher  aus  pro  fano  und  pro  nepotc 
abgeleitet  sind;  bei  einer  anderen  solchen  präpositionalen  Ver- 
bindung greifen  wir  die  Kürzung  noch  mit  Händen:  pröfecto 
ist  gekürzt  aus  pröfacto(d);  wir  lesen  bei  Plautus  neben  über 
100  mal  vertretener  Betonung  pröfecto  noch  3  mal  die  Tonge- 
büng  pröfecto  (Mil.  185a.  290,  Poen.  907),  pröfecto  ist  also  di- 
rekt hödie  an  die  Seite  zu  stellen.  Auch  pröprius  ziehe  ich 
hierher,  das  ich  (anders  als  W.  Schulze,  Rom.  Eigennamen  111) 
von  prö-preivöd  ableite.  Recht  glaublich  ist  auch  noch  die 
Annahme  der  gleichen  Kürzung  in  einem  ähnlich  gebildeten 
Adverbium. 

quomodo  (auch  bei  Plaut,  bisweilen  durch  andere  Wörter 
getrennt)  wird  gewöhnlich  gemessen  und  betont  quömodö  (vor 
Konsonant  13 mal  Plaut.,  1  mal  Ter.,  dazu  als  Versschlulä  18:5; 
beachte  noch  Rud.  1069  quömodö  habeäs,  wenn  das  richtig  ist), 
betont  quomodo  nur  Mil.  1206,  Most.  462  und  in  w  «  _  Pe. 
795.  796;  quomodo  steht  so  betont  vor  Vokalen  bei  Plaut. 
15 mal,  bei  Ter.  5 mal,  sodaß  es  als  quomodo  gelten  könnte 
(nur  schwerlich  Ter.  Phorm.  756,  deutlich  quömodö  in  -  ~  — 
Gas.  875);  die  gleiche  Messung  ist  möglich  an  den  Stellen 
Epid.  706  quomodo  me,   Pseud.  675,  Trin.  602.  855,  Ter.  Eun. 

E 

716  quomodo  hinc  äbeam  nescio  (so  beide  Rezensionen),  und 
sicher  vorzuziehen  Mil.  96   quomodo  ad  hünc  und  Pseud.  1245 

3 

quomodo  vös  (so  AP). 

Soweit   zunächst   über    die   mir  sicheren  Beispiele1)  dieser 


!)  Das  4 mal  sich  findende  ecasior  Most  273,   Truc.  107.  583,   Ter. 


-<"»  9.  Abhandlung:  F.  Vollmer 

Kürzung,  andere  (nempc,  inde,  unde)  werden  unten  noch  zu 
besprechen  sein.  Die  Kraft  dieser  Kürzung  durch  Enklisis  ist 
offenbar  ebenso  groß  gewesen  wie  die  der  Iambenkürzung:  wir 
finden  nicht  nur  sei  zu  si,  tu  zu  tu  u.  ä.  gekürzt,  sondern  so- 
gar nösquidem,  autquidem  und  vielleicht  gar  meüequidem,  meäs- 
quidem,  daneben  aber  haben  wir  ein  für  uns  ganz  besonders 
wichtiges  Beispiel  Mquidem  aus  *hÖ-quidem  wie  Idee  aus  hocc, 
also  Verflüchtigung  eines  kurzen  Vokals  auf  den  Stand  der 
unbetonten   Silbe1):    das   bedeutet  also:    der  Ton   verteilt  sich 


Andr.  486  würde  ich  gerne  hierherzieken,  aber  alle  vier  Stellen  können 
durch  IK  verstanden  werden,  vgl.  Skutsch,  Kl.  Sehr.  S.  95.  Bei  equidem 
ist  der  erste  Konipositionsteil  unsicher:  wäre  er  cd-,  so  hätten  wir  Kür- 
zung durch  Tonanschluß;  ist  er  aber  ego,  so  wäre  die  Entwicklung  über 
*egiquidem  durch  Haplologie  einfach. 

*)  Die  zuerst  von  Skutsch  (Bezz.  Beitr.  21,  1895,  84  =  Kl.  Sehr.  78) 
mit  aller  Reserve  vorgetragene,  dann  aber  wie  es  scheint  allgemein  an- 
genommene Ansicht,  der  Nom.  Ine  verdanke  sein  i  dem. Vorkommen  an 
unbetonten  Stellen  im  Satze,  ist  bei  der  Natur  des  Pronomens  nicht  eben 
wahrscheinlich:  die  betonte  Verwendung  überwiegt  doch  allzu  sehr.  Die 
Analogie  von  hzquidem  befreit  uns  von  dieser  Verlegenheitsannahme:  die 
Komposition  und  Bildung  des  Wortes  selbst  hat  von  ho-ce  zu  hiee  ge- 
führt. Darnach  ist  vielleicht  auch  im  Nom.  illiquidem  und  istiquidem  zu 
schreiben,  nicht  illiquidem,  istiquidem.  —  Ich  stehe  nicht  an  nunmehr 
auch  das  i  in  msi,  nihil,  nimis  ebenso  durch  Tonanschlußkürzung  aus 
ne-  bei  der  Komposition  zu  erklären:  es  erscheint  mir  das  einfacher  und 
natürlicher  als  auf  unbetonte  Stellung  auch  dieser  Wörter  (so  Lindsay- 
Nohl  S.  701)  oder  nur  auf  Vokalassimilation  (so  Stolz,  Lat.  Gramm.  I4  73 
und  Sommer.  Handb.2  §  79,  2  A,  S.  113)  zurückzugreifen.  Wir  sollten  dann 
freilich  ebenso  n'ique  statt  neque  erwarten  (wie  undique  aus  unde-que), 
aber  da  ja  auch  nefas  das  e  nicht  in  i  geändert  hat,  so  erhellt,  daß  das 
tonlose  i  nur  eintrat,  wenn  folgendes  i  diesen  Klang  empfahl.  —  Weiter 
stelle  ich  hierher  die  Umformung  von  iv,  en  zu  in:  daß  die  Vorsetzung 
von  Präpositionen  Tonanschlußkürzung  hervorrief,  haben  wir  oben  (S.  24) 
für  pro-  und  omitto  gesehen;  höchstwahrscheinlich  ist  die  gleiche  Kürzung 
bei  der  Privativpartikel  d-,  lat.  *en;  sie  trug  als  erste  Silbe  von  Natur 
den  Hauptton  genau  wie  tu  in  tüquidem,  ihr  Vokal  mußte  also  vor  Vo- 
kalen zu  t  sinken  und  z.  B.  *en-aptos  zu  ineptvs  werden.  So  kommen  wir 
um  die  immerhin  mißliche  Ansicht  Sommers  herum  (s.  Handb.2  98  Anin.i, 
das  privative  in-  sei  im  allgemeinen  nach  der  Präposition  analogistisch 
umvokalisiert  worden. 


Kürzung  durch  Toiianschluß  im  alten  Latein.  27 

so  .sehr  auf  die  ganze  zusammengeschlossene  Silbengruppe,  daß 
für  die  erste  nur  die  Klangkraft  der  unbetonten  Silbe  übrio-- 
bleibt.  Kürzung  von  o  könnte  nun  aber  auch  in  ille  vorliegen. 
Und  diese  Annahme  würde  zugleich  zur  Lösung  des  oft  be- 
sprochenen Problems  führen:  wie  verhält  sich  ille  zu  ollits, 
olhn?  Die  bei  Walde  s.  v.  ille  gesammelten  Versuche  (ille 
aus  olhis  nach  iste  und  is  mit  Vanicek,  oder  ille  aus  *is-le 
nach  Brugmann)  befriedigen  aus  verschiedenen  naheliegenden 
Gründen  nicht.  Alles  versteht  sich  zum  besten,  wenn  wir  ille 
entstanden  sein  lassen  aus  *ol-se  mit  demselben  Suffix  -se,  das 
in  -pse  steckt;  *6lse  mußte  über  *Ölle  mit  Kürzung  durch  Ton- 
anschluß  zu  *ülle  werden,  und  dies  ist  sicher  in  Anlehnung  an 
is  zur  Differenzierung  von  ullus  zu  ille  umgefärbt  worden.  So 
würden  wir  aufs  einfachste  begreifen,  wie  ille  noch  bei  den 
Skenikern  eine  doppelte  Messung  des  Stammes  aufweisen  konnte; 
erst  mit  der  Fixierung  der  Prosodie  durch  Ennius  hörte  das 
auf.  Eine  Stütze  findet  diese  Erklärung  von  ille  in  der  Pa- 
rallele von  is-te,  dessen  Komposition  wohl  kaum  noch  um- 
stritten wird:  lassen  wir  für  iste  dieselbe  Kürzung  zu  wie  für 
isqaidem,  so  erklärt  sich  auch  seine  Doppelgeltung  ohne  Mühe. 
Ohne  jedes  Bedenken  rechne  ich  auch  idem  hierher:  sicher  ist 
es  (so  Havet,  Mem.  de  la  soc.  de  ling.  4,  230,  Osthoff  IF  5, 
290  Anm.  1)  aus  id-dem  gekürzt;  ich  halte  es,  wo  doch  osk. 
isi-dum  in  gleicher  Bedeutung  sichersteht,  für  ganz  verfehlt, 
ai.  id-am  und  osk.  pid-um  mit  anderem  Suffix  in  anderer  Be- 
deutung heranzuziehen  (die  Literatur  s.  bei  Stolz,  Handb.4 
219,  3);  anders  natürlich  quid-em. 

Ich  möchte  nun  aber  nicht  so  weit  gehen  und  die  von 
Skutsch  gelehrte  Endsynkope  von  ille  und  iste  leugnen,  viel- 
mehr meine  ich,  Livius  Andronicus  und  seine  Nachfolger  haben 
für  die  Bühnenverse  beide  von  der  Sprache  gebotenen  Mög- 
lichkeiten ausgenutzt,  Endsynkope  für  die  auf  -e  ausgehenden 
Formen,  die  Stammkürzung  für  die  Formen  mit  schwereren 
Endungen. 

Die  Frage  wird  besonders  dringend  für  nempe,  denn  daß 
diese  Partikel  aus  nam-pe  entstanden  ist,  ist  mir  ebenso  sicher 


2S  9.  Abhandlung:  V.  Vollmer 

wie  ßirt,  a.  a.  0.  250.  Das  alte  nemut,  von  Pestus  S.  162  aus 
Naevius  (Zitat  fast  ganz  zerstört)  zitiert  und  zweifelnd  als 
cnisi  etiam'  vel  'nempe'  erklärt,  darf  uns  nicht  irre  machen, 
denn  es  ist  auch  gleich  nam-ut.  Nun  sieht  es  so  aus,  als  ob 
nempe  die  gleiche  Vokalschwächung  erlitten  habe  wie  hie  oder 
hiqnidem,  nur  wurde  ä  vor  Doppelkonsonanz  zu  e.  Man  könnte 
daraus  auf  Tonanschlußkürzung  schließen  und  nempe  als  Pyr- 
richius  ansetzen  wollen,  wie  Birt  das  getan  hat.  Aber  der 
Schluß  ist  nicht  sicher:  Birt  hat  selbst  (a.  a.  0.  S.  250)  igitur 
verglichen,  und  in  der  Tat  ist  die  syntaktische  Verwendung 
von  igitur  und  nempe  so  verwandt,  daß  die  Vokalschwächung 
bei  nempe  ebenfalls  wie  bei  igitur  durch  Tonlosigkeit  im  Satze 
erklärt  werden  darf.     Anders  z.  B.  namque. 

Auch  bei  inde  und  wohl  auch  bei  unde  ließe  sich  Kürzung 
der  Stammsilbe  ähnlich  begründen  wie  bei  hice;  da  aber  hier 
die  Parallelen  proinde  : proin  und  deinde  :  dein  vorliegen,  ziehe 
ich  ebenso  wie  für  nempe  vor  bei  der  Erklärung  Skutschs  zu 
verbleiben. 

Als  letztes  zweifelhaftes  Wort  sei  immo  behandelt.  Was 
C.  F.  W.  Müller  (Pros.  S.  439  f.,  danach  Leo  zu  Amph.  726) 
darüber  lehrt,  genügt  nicht,  weil  seine  Stellensammlung  nicht 
vollständig  ist;  für  Terenz  vgl.  Dziatzko  zu  Phorm.  936,  H auler, 
Einl.2  S.  57,  1.  Zunächst  wird  es  uns  nicht  irre  machen,  wenn 
wir  für  immo,  das  sich  bei  Plaut.  206 mal,  bei  Ter.  65mal 
findet  —  (betont  etwas  häufiger  immo  als  immo;  besonders  deut- 
lich, außer  wo  immo  vor  Konsonant  steht,  bei  Plaut,  etwa 
50  mal,  die  Stellen  mit  immo  in  der  vorletzten  Senkung:  Capt. 
933,  Merc.  708,  Pers.  613,  Ter.  Haut.  350,  Pompon.  com.  21; 
natürlich  sehr  viele  Stellen  mit  undeutlicher  Quantität)  —  nur 
verhältnismäßig  wenige  Stellen  mit  notwendiger  Kürzung  der 
ersten  Silbe  antreffen:  das  sind  wir  ja  bei  dieser  Tonanschluß- 
kürzung schon  gewohnt.  Sie  ist  überliefert  in  folgenden  Versen: 
Amph.  726  in  somnis  fortässe.  ::  immo  vigilans  vigilantem.  ::  ei 
(uae  Hss.)  misero  mihi,  wozu  gleich  bemerkt  sein  mag,  daß 
die  Verwendung  von  im-  als  brevis  brevians  durchaus  dem 
Gebrauche    bei    hodie    und    quasi  entspricht,    also  die  Kürzung 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein.  29 

der  Endsilbe  des  iambischen  Wortes  völlig  in  Ordnung  ist. 
Aul.  262  ist  die  Überlieferung  hödie  quin  faciämus  numquae 
caüsast?  ::  immo  edepöl  öptuma,  durch  den  Prokeleusmatiker  wenig 
glaubhaft  und  doch  wohl  mit  Brix  (weniger  gut  Lindsay)  um- 
zustellen numquae  causast  quin  faciämus  hödie?  ::  immo  edepol 
öptuma.  Gas.  362  beseitigt  die  Lesung  istum  statt  istunc  die 
Kürzung  von  immo,  die  an  sich  (immo  istunc)  ohne  Bedenken 
ist.  Cist.  565  immo  meretrix  fuit,  sed  ut  sit  de  ea  re,  eloquar 
ist  die  Streichung  von  meretrix  ja  ohne  Störung  des  Sinnes 
möglich,  aber  keineswegs  nötig.  Cure.  59  steht  neben  der 
Messung  immo  ut  illam  censes?  die  andere  immo  ut  illam  cen- 
ses?  zu  Recht.  Epid.  279  f.  ist,  da  keine  Parallelstelle  für  die 
Phrase  vorliegt,  doch  wohl  das  Einfachste  zu  lesen  nisi  qui- 
d(em)  tua  \  secus  sententidst : :  immo  döete.  421  ist  die  Emen- 
dation  des  Versendes  unsicher.  Merc.  732  bestehen  zwei  Mögr- 
lichkeiten  der  Messung:  non  tu  scis  quae  sit  illa? ::  immo  iam 
scio  oder  quae  sit  illa  ::  immo;  ebenso  738  immo  sie :  sequestro 
oder  immo  sie  sequestro.  Mii.  245  ist  das  überlieferte  ut  sinn- 
los und  mit  Bentley  zu  streichen  wie  v.  91;  damit  entfällt  die 
Messung  immo.  Most.  583  ist  die  Entscheidung  zwischen  den 
Messungen  immo  äbi  domum,  verum  hercle  dico,  äbi  domum  und 
immo  äbi  domum,  verum  h.  dico,  abi  domum  schwer.  Most. 
1091  macht  die  Verderbnis  der  ersten  Vershälfte  sichere  Le- 
sung der  zweiten  unmöglich.  Poen.  669  stehen  wieder  zwei 
Messungen  zur  Wahl:  immo  ut  ipse  nöbis  oder  immo  ut  ipse 
nobis.  1231  ist  wohl  zu  lesen  immo  hercl(e)  dixi  quod  volebam. 
Stich.  550  zu  messen  rimmo  düas  dabo*  inquit  ille  oder  immo 
düäs.  704  ist  Messung  wie  Lesung  höchst  zweifelhaft.  Von 
den  Plautusstellen  geben  also  höchstens  zwei  oder  drei  eine 
gewisse  Sicherheit  für  immo.  Besser  steht  es  um  die  folgenden 
Stellen:  Caecil.  com.  128  ist  immo  vero  im  Senareingang  ein- 
wandfrei überliefert;  denn  auch  bei  Ter.  steht  dieser  Vers- 
anfang sicher  Phorm.  936,  Hec.  877,  auch  Hec.  726  gibt  so 
AF,  während  BCEP  das  vero  fälschlich  auslassen;  dazu  Hec. 
437  immo  quod  (daneben  immo  vero  Phorm.  1047,  unsicher  ob 
immo  vero   oder   immo  vero   Andr.  854).     Eun.  389   geben   die 


30  9.  Abhandlung:  P.  Vollmer 

Hss.  außer  A  (und  B?)  iübeo  immo  cögo  atque  impero.  Auch 
in  der  nicht  seltenen  Formel  immo  cnim  vero  (Plaut.  Capt.  608, 
Ter.  Phorm.  528,  Pacuv.  trag.  366,  Acc.  trag.  667,  aber  immo 
enim  vero  Ter.  Eun.  329)  kann  immo  gekürzt  sein. 

Das  Nebeneinander  von  (seltenerem)  immo  und  Immo  spricht 
also  dafür,  daß  auch  dies  Wort  unter  die  Tonanschlußkürzung 
gefallen,  demnach  mit  en-  komponiert  ist.  Wie  der  zweite  Be- 
standteil zu  deuten  ist,  vermag  ich  freilich  nicht  zu  sagen:  die 
bei  Walde  s.  v.  verzeichneten  Erklärungen   befriedigen  wenig. 


Kürzung  durch  Tonanschluß  im  alten  Latein. 


31 


Verzeichnis  der  behandelten  Wörter  und  Wortgruppen. 


Seite 
ecastor 25,  1 

cquidem 25, 1 

hie 26, 1 

hiquidem 12.  26 

hoc  quod 22 

horfie 24 

idem 27 

idne 22 

id  quod 22 

llle  und  Kasus 22  ff. 

Itnmo 28 

in 26, 1 

in- 26, 1 

nefas 26,  1 

nempe 27 

neque 26,  1 

nihil 26,  1 

nimis 26, 1 

rast 26,  1 

nosne 22 

nudiiis 24 

omitto 24 

oportet 24 

perque 22 

pro- 24 

profecto 25 

proprius 25 

quasi 24 

quidem   muh 

at 11 


Seite 
quidem  nach 

mit 12 

cum 10 

dum 9 

ego 16 

et 10 

hie  und  Kasus      .     .     .     .      12  ff. 

iam 10 

ille  und  Kasus      .     .     .    17.  26,  1 

is,  id 8 

iste 17.  26,  1 

me,  mihi 7.  15 

meus  und  Kasus  .     .     .     .  15.  16 

modo 18 

nam 10 

nimis 18 

nisi,  ni 6 

nos 11 

nunc 10 

pol 11 

postquam 18 

potius 18 

quando 14 

qui  und  Kasus      .     .  8.  9.  12.  16 

quom 10 

scio 18 

si 4 

tarn 10 

tamqumn 18 

tu  und  Kasus 7.   15 


32        9.  Abhandlung:  F.Vollmer,  Kürzung  durch  Tonanschluß  usw. 


Seite 
quidem  nach 

tun 16 

ros 12 

Ut 11 

utmam 18 

quid  quod 22 

quis,  quid  nach 

ec- 18 

ne 20 

nutn 21 

quis- 21 


Seite 
quis,  quid  nach 

si 19 

quisve 22 

quive .  22 

quodne 22 

quodque 22 

tjuodve 22 

quömodo 25 

sine 24 

si  quidquam 22 

tute 22 


t> 


Sitzungsberichte 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,  10.  Abhandlung 


Beiträge  zur  Geschichte 
des  korinthischen  Bundes 


von 


V 

Ulrich  Wilcken 


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Vorgetragen  am  7.  Juli   1917 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

in  Kommission  des  G.  Franzseben  Verlags  (J.  Roth! 


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Sitzungsberichte 

der 

Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 

Philosophisch-philologische  und  historische  Klasse 

Jahrgang  1917,   10.  Abhandlung 


Beiträge  zur  Gesehiehte 
des  korinthischen  Bundes 


von 


Ulrich  Wilcken 


Vorgetragen  am   7.  Juli   1917 


München  1917 

Verlag  der  Königlich  Bayerischen  Akademie  der  Wissenschaften 
in  Kommission  des  G.  Franzschen  Verlags  (J.  Roth) 


Die  Verhandlungen,  die  Köni>g  Philipp  im  Jahre  338/7 
auf  dem  Kongreß  zu  Korinth  mit  den  Staaten  Griechenlands 
geführt  hat,  sind  historisch  von  so  hoher  Bedeutung,  daß  es 
im  höchsten  Maße  zu  bedauern  ist,  daß  die  darüber  uns  er- 
haltene Tradition  nur  aus  Fragmenten  besteht.  Von  ver- 
sprengten Notizen  abgesehen  haben  wir  größere  Exzerpte  aus 
historischen  Darstellungen  nur  bei  Diodor  XVI  89  und  Justin 
IX  5.  Dazu  kommen  die  wichtigen  Zitate  aus  dem  von  Ale- 
xander 336  geschlossenen  Vertrage  in  Ps.  Demosth.  17,  die 
deswegen  von  so  großer  Bedeutung  für  die  Rekonstruktion  des 
philippischen  Vertrages  sind,  weil  die  Inschrift  Ditt.  Syll.  P 
260a  uns  gelehrt  hat,  daß  Alexander  den  Vertrag  seines  Vaters 
soweit  möglich  wörtlich  übernommen  hat.  Weiteres  läßt  sich 
aus  den  Erzählungen  über  Erneuerungsversuche  späterer  Macht- 
haber, wie  namentlich  aus  dem  Diagramma  des  Philippos  Arrhi- 
daios  (resp.  des  Polyperchon)  vom  Jahre  319  bei  Diod.  XVIII 
56,  erschließen.  Endlich  haben  wir  einige  gleichzeitige  Zeug- 
nisse in  jenen  Inschriftenfragmenten,  die  Adolf  Wilhelm  in 
den  Sitzungsberichten  der  Wiener  Akademie  165,  6  (1911)  grund- 
legend behandelt  hat  (s.  unten  Abschnitt  4).  Also  Fragmente, 
nichts  als  Fragmente,  bei  Schriftstellern  wie  auf  Steinen! 

Es  ist  bei  dieser  Lage  nicht  zu  verwundern,  daß  noch 
viele  Punkte  kontrovers  sind,  und  manche  Fragen,  die  sich  dem 
Historiker  beim  Durchdenken  der  wichtigen  Vorgänge  auf- 
drängen ,  noch  kaum  gestellt ,  geschweige  denn  erledigt 
sind.  Wiewohl  manche  eingehendere  Darstellungen  der  Ver- 
handlungen zu  Korinth  vorliegen,1)  glaube  ich  doch,  daß  über 


x)  Von  älteren  Arbeiten  nenne  ich:  K.  G.  Böhnecke,  Forschungen 
auf  dem  Gebiet  der  attischen  Redner  (1843),  S.  600  ff.,  auch  622  ff.   und 

1* 


4*  lü.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

die  Formen,  in  denen  diese  Verhandlungen  geführt  worden 
sind,  noch  genauere  Vorstellungen  gewonnen  werden  können, 
und  da  die  Erkenntnis  dieser  Formen  noch  tiefer  in  das  Ver- 
ständnis der  politischen  Bedeutung  dieser  Vorgänge  zu  Ko- 
rinth  einführen,  möchte  ich  im  folgenden  einige  Untersuchungen 
vorlegen,  durch  die  ich  nach  dieser  Richtung  weiter  vorzu- 
dringen versucht  habe.1) 

1. 
Diodor  und  Justin. 

Ich  beginne  mit  einer  Analyse  der  beiden  einzigen  zu- 
sammenhängenden Berichte,  die  uns  über  die  korinthischen 
Verhandlungen  wenn  auch  nur  in  Exzerpten  überliefert  sind. 
Da  ich  auch  weiterhin  immer  wieder  auf  sie  zurückgreife, 
setze  ich  sie  im  Wortlaut  hierher. 

Diodor  XVI  89. 

§  1.    'Em    de   tovtcov  (337/6)  QUinnog   6  ßaodevg  Jte- 
(pQOVfjjaanojuevog  rfj  negl  Xaigcbveiav  vixfl  xal  rag  imcpave- 


Arnold  Schäfer,  Demosthenes  und  seine  Zeit  III  (1858),  S.  45  ff.,  III2 
S.  49  ff,  von  neueren:  J.  G.  Droysen,  Geschichte  des  Hellenismus  I2 
(1877),  S.  42  ff,  vgl.  103  ff.,  162  f.  U.  Köhler,  Sitzber.  d.  Berl.  Akad. 
1892,  S.  510  ff.,  1898  S.  120.  B.  Niese,  Geschichte  der  griechisch-make- 
donischen Staaten  1  (1893),  S.  37  ff.  L.  von  Ranke,  Weltgeschichte  I5 
(1896),  S.  151  ff.,  vgl.  157.  J.  Beloch,  Griechische  Geschichte  II  (1897), 
S.  572  ff.  606.  J.  Kaerst,  Syb.  Bast.  Z.  38  (1895),  S.  13  ff.  Rhein.  Mus. 
52  (1897),  S.  519  ff.  Geschichte  des  hellenistischen  Zeitalters  I1  (1901), 
S.  210ff.  426f.,  vgl.  jetzt  I2  (1917),  S.268ff.  526ff.  A.  Wilhelm,  Sitzber. 
d.  Wien.  Akad.  165,  6  (1911).  R.  v.  Pöhlmann,  Griechische  Geschichte 
und  Quellenkunde,  5.  Aufl.  (1914),  S.  283  f. 

x)  Die  folgenden  Ergebnisse  habe  ich  im  wesentlichen  im  Anschluß 
an  Seminar-Übungen  im  Winter  1916/17  gewonnen.  Erst  nachträglich 
wurde  mir  die  2.  Auflage  von  Kaersts  „Geschichte  des  Hellenismus",  wie 
sie  jetzt  heißt,  bekannt.  Da  ich  gerade  in  den  hier  behandelten  Pro- 
blemen mehrfach  von  ihm  abweiche,  schien  mir  das  Erscheinen  seiner 
zum  Teil  neuen  Darstellung  die  Veröffentlichung  meiner  Ergebnisse  nicht 
überflüssig  zu  machen. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  5 

oxdxag  noXeig  xaxouiETzX.rjy jievog  iquXoxijUEixo  yeveofiai  Jidotjg 
xfjg  EXXddag  fjye/iicov.  §  2.  Aiaöovg  de  Xoyov  ort  ßovXsxai 
Jigög  TJsQoag  vjieq  xcov  'EXXrjvcov  jioXejuov  ägaofiai  xal  Xa- 
ßeiv  Jicto'  avxcöv  dixag  vjieq  xfjg  eig  xä  legd  yevojuevrjg  Jiaga- 
vojuiag  lölovg  xovg  "EXXijvag  xaig  evvoiaig  enoirjoaxo.  &1X0- 
(pQovovfievog  de  Jigög  anavxag  xal  löiq  xal  xoivfj  xdig  jioXe- 
oiv  änerpalvexo  ßovXeo&ai  diaXe%&fjvat  jieqI  xcöv  oviJ-CpEQOvxwv. 
§  3.  Aiotteq  ev  KoQivfiq)  xov  xoivov  ovveÖqiov  ovvax&h'xog 
diaXE%&Eig  jieoI  xov  Jigög  TlEQoag  jioXejuov  xal  fXEydXag  iX- 
jiidag  vrcov^Etg  jigoEXQEipaxo  xovg  ovvEÖoovg  Eig  jioX^e/uov. 
TsXog  dk  xcöv  'EXXyjvcov  eXo/uevüjv  avxov  oxgaxijybv  avxoxgd- 
xoga  xfjg  EXXAdog  /usydXag  JiagaoxEvdg  ejioleTxo  Jigbg  xtjv 
im  xovg  nsgoag  oxgaxEiav.  Aiaxdg'a.g  <5'  ixdoxt]  jioXei  xb 
jrXfj&og  xa>v  slg  ovjiif.ia](iav  oxgaxicoxöjv  EJiavfjXi&EV  Eig  xr\v 
Maxsdoviav. 

Der  Sieger  von  Chaeronea  hat  sein  Lebenswerk,  die  Auf- 
richtung des  großen  raacedonischen  Balkanstaates,  damit  ge- 
krönt, daß  er  die  besiegte  Griechenwelt  in  feste  Abhängigkeit 
von  Macedonien  brachte.  Ein  Meister  der  Diplomatie  und 
Staatskunst  hat  er  es  verstanden,  die  für  ihn  allein  maßgeben- 
den macedonischen  Interessen  mit  dem  panhellenischen  Pro- 
gramm in  Einklang  zu  bringen,  das  Isokrates  ihm  schon  seit 
Jahren  vorgehalten  hatte.1)  Dies  Programm  gipfelte  in  der 
Einigung  der  Griechen  und  der  Führung  eines  Rachefeldzuges 
gegen  Persien.  Den  ersten  Punkt  erfüllte  Philipp  in  der  Art, 
daß  er  in  Korinth  —  abgesehen  von  den  sich  ausschließenden 
Lacedämoniern  —  alle  souveränen  Griechenstaaten2)  zu  einem 


M  Zuerst  im  <PiXtn7iog  von  346. 

2)  Daß  der  Hellenenbund  nicht,  wie  früher  meist  angenommen 
wurde,  nur  bis  zu  den  Thermopylen  hinaufreichte,  sondern  ganz  Grie- 
chenland einschließlich  der  Thessaler  und  Perrhäber  umfaßte,  also  sich 
bis  an  die  Grenzen  Macedoniens  erstreckte,  hat  uns  Wilhelm  gelehrt 
durch  seine  glänzende  Entdeckung,  daß  IG  II  184  zu  IG  II  160  gehört 
(Wien.  Sitzber.  1.  c),  vgl.  jetzt  auch  Ditt.,  Syll.  I8  260.  Wenn  Wilhelm 
aber,  gestützt  auf  seine  Ergänzung  'E?.£t/.i]ia>Tcöv,  annimmt,  daß  auch  die 
Macedonier  dem  Bunde  angehört  hätten  und  im  Synhedrion  durch  Ab- 
geordnete vertreten  gewesen  seien  (S.  18),   so  .halte  ich  dies  ebenso  wie 


6  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

durch  ein  ovveÖqiov  zu  vertretenden  Hellenenbund1)  zusammen- 
faßte,   mit  dem   er  den   allgemeinen  Frieden  {fj  xoivrj  elQrjvt]) 


jetzt  auch  Kaerst  (Hell.  I2  528 f.)  sachlich  für  ganz  ausgeschlossen.  Der 
Gegensatz  zwischen  den  Maxsdöveg  und  den  "EXXrjveg  —  ich  spreche  hier 
nicht  von  der  ethnographischen  Streitfrage  —  war  damals  und  noch 
lange  ein  so  tiefer,  daß  die  ersteren  unmöglich  einem  Bunde  angehören 
konnten,  dessen  Mitglieder  offiziell  als  ol  "E).h]reg  bezeichnet  wurden 
(s.  unten).  Man  braucht  nur  die  Geschichte  Alexanders  und  der  Dia- 
dochen  in  den  Quellen  zu  lesen,  um  dies  zu  sehen.  Um  nur  ein  Argu- 
ment herauszugreifen:  wie  hätte  man  den  gegen  Macedonien  geführten 
lamischen  Krieg  den  'EXXijvtxoe  nöXs/xog  nennen  können  (vgl.  Note  6  zu 
Ditt.,  Syll.  I3  317),  wenn  der  Begriff  "EX.Xrjv  nicht  in  scharfem  Gegensatz 
zu  Maxedwv  gestanden  hätte?  Andrerseits  können  nur  souveräne  Staaten 
auf  dem  Bundestag  vertreten  gewesen  sein.  Darum  finden  wir  dort  z.  B. 
den  Teil  Perrhäbiens  vertreten,  den  Philipp  in  Macedonien  nicht  ein- 
verleibt hatte  (A.  Rosenberg,  Hermes  51,  503).  Aus  demselben  Grunde 
kann  aber  die  Eleimiotis  nicht  zu  den  Bundesmitgliedern  gehört  haben, 
da  diese  Landschaft  damals  einen  festen  Bezirk  des  Königreichs  dar- 
stellte (A.  Rosenberg  S.  500.  507  f.).  Die  Ergänzung  'EXeif.iJtojxcöv  ist 
daher  aufzugeben.  Sollte  nicht  trotz  der  Bedenken  Wilhelms  S.  24  mit 
Köhler  \4%auov  <P&]ia>xojv  zu  lesen  sein?  Macedonien  stand  also  neben 
dem  Synhedrion  des  Hellenenbundes  genau  so  wie  Athen  im  IL  attischen 
Seebund  neben  dem  Synhedrion  der  ovfif.ia%oi.  Zustimmung  fand  Wil- 
helms entgegenstehende  Auffassung  bei  R.  v.  Scala,  Das  Griechentum 
in  seiner  geschichtlichen  Entwicklung  (Aus  Natur  und  Geisteswelt) 
1915,  S.  65. 

*)  Der  Hellenenbund  wird  von  Arrian  III  24,  4  als  xo  xoivov  xwv 
'EXXr\voiv  bezeichnet:  oxi  SiveojesTg  ovxe  xov  xoivov  xwv  'EXX.tjvcov  fiezeT%ov. 
Auch  in  der  Chronik  von  Oxyrhynchos  (Pap.  Oxy.  I  12  III  9  ff.)  begegnet 
dieser  Ausdruck:  to  xoivov  xcöv  'EXJ.rjvcov  ovvslüövzes  —  siXavxo,  doch  ist 
hier  offenbar  das  xoivov  ovveSgtov  gemeint.  In  gleichzeitigen  Quellen 
habe  ich  diesen  Ausdruck  nicht  gefunden.  Vielmehr  scheint  der  offizielle 
Name  des  Bundes  ol  "EXXrjveg  gewesen  zu  sein.  Vgl.  Ditt.,  Or.  Gr.  I  8,  5 
(Eresos):  7i6Xe(.iov  i$E[vt]xd/ievog  ngog 'AXs^avögov  xal  toig"EXXavag,  wo  der 
Bund  mit  seinem  fjysutov  an  der  Spitze  gemeint  ist.  Ebenso  bei  Arrian 
II  2,  2:  rag  oxrjXag  xag  ngog  'AXifavdgov  xal  xovg  "ElXrjvae  yevo/uevag  acpiai. 
Danach  ist  auch  die  Weihinschrift  an  die  Athena  nach  der  Schlacht  am 
Granicus  zu  erklären :  'AXJfavSgog  Q^dinnov  xal  oi  "EXdrjvsg  TiXrjv  Aaxsöai- 
(tovioiv  anb  xcöv  ßagßdgoiv  xcöv  xrjv  'Aaiav  xaxoixovvxojv  (Arrian  I  16,  7). 
Ich  sehe  darin  eine  Weihung  des  Bundes,  die  auf  dem  Schlachtfeld  ein- 
seitig vom  oxgaxrjyog  avxoxgäxoug  angeordnet  ist  (ixiX.evoev  Arrian).  — 
Nebenbei  bemerke  ich,  daß  diese  Formeln  rein  politisch  aufzufassen  sind 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  7 

und  ein  Schutz-  und  Trutzbündnis  (ovjujua^ia)1)  schloß,  kraft 
dessen  er  als  fjyejLi<bv  xfjg  'EXladog  an  die  Spitze  des  Bundes 
trat  und  das  Kommando  über  die  griechischen  Kontingente  zu 
Bundeszwecken  erhielt,  während  er  andrerseits  den  Griechen 
ihre  £Ä.ev&eQia  und  avrovojuia,  sowie  den  Schutz  des  Landfrie- 
dens, Freiheit  der  Meere  etc.  garantierte.2)    Den  zweiten  Punkt 

und  daher  nicht,  wie  von  Kaerst,  Hell.  I2  157,  für  das  ethnographische 
Problem  der  Macedonier  verwendet  werden  dürfen. 

1)  Nach  dem  Inhalt  wird  der  Vertrag  als  elgrjvij  und  ovfi(j.ayia  cha- 
rakterisiert von  Arrian  III  24,  5:  dcpfjxsv  de  y.ai  zcöv  ä).).cov'Elb)vcov,  oaoi 
jiqo  zfjg  stQTJvTje  rs  xai  zfjg  q~vfi{iayjag  zfjg  jzgog  Maxsdövag  yevo[iev?]g  xagä 
ffigaaig  ijutodotpögow.  Übrigens  sprechen  auch  diese  Worte  gegen  Wil- 
helms Ansicht,  daß  die  Macedonier  dem  korinthischen  Bunde  angehört 
hätten.  Denn  wenn  die  Hellenen  —  oder  wie  Arrian  wenige  Zeilen  vor- 
her sagt  rö  xoivbv  zcöv  'EV.^vmv  (s.  vorige  Anmerkung)  —  eine  Syrnma- 
chie  mit  den  Macedoniern  schließen,  so  können  eben  die  Macedonier 
nicht  zu  den  Hellenen  gehört  haben. 

2)  Die  Garantie  der  skev&sgia  und  avzovo/,it'a  stand  sogleich  im  An- 
fang der  avvdfyxai.  Vgl.  Ps.  Dem.  17,  8.  Auch  ich  möchte  wie  Kaerst, 
Rhein.  Mus.  52,  537  ff.  annehmen,  daß  die  Griechen  ebendort  auch  als 
a<poovo7]zoi  und  d<pogo).6yrjzoi  bezeichnet  waren,  ersteres  wiewohl  macedo- 
nische  Besatzungen  in  Korinth,  Chalkis,  Theben,  Ambrakia  lagen.  Von 
dem  Bundesvertrag  des  Antigonos  Doson  und  Philipp  V.,  der  eine  Wieder- 
belebung des  alten  philippischen  darstellte,  steht  es  fest,  daß  er  diese 
Formel  enthielt  (Pol.  IV  25,  7),  wiewohl  Antigonos  Korinth  mit  einer 
Besatzung  belegt  hatte.  Zu  diesem  Argument,  das  schon  Kaerst  anführt, 
sei  ein  anderes  hinzugefügt,  das  direkt  für  unseren  Philipp  zeugt,  der 
Scholiast  zu  Dem.  Kranzrede  89,  S.  255,  12:  zfjg  vvv  stgrjvTjg]  zfjg  im'AXs- 
g~avdgov.  —  lansiaazo  ydg  xai  avzog  ngog  avzovg  coozieg  6  Tiazrjg  wate 
avzovg  avzovdfiovg  slvai  xai  dcpogokoyrjzovg ,  6'ficog  jxivzoi.  VJiaxovetv  avzcö 
y.ai  y.aza  yfjv  xai  y.azd  -ddkazzav.  Vgl.  A.Schäfer,  Demosthenes  III2  52 
A.  4.  Ich  sehe  keinen  Grund,  weshalb  wir  dieser  Tradition  mißtrauen 
sollten;  auch  das  vnaxovsiv  (wenn  vielleicht  auch  nicht  wörtlich)  kann 
zu  Recht  bestehen,  wenn  man  es  nur  auf  den  militärischen  Gehorsam 
bezieht,  den  der  tjy£tua>v  in  den  Bundeskriegen  verlangen  mußte  (xai 
xaza  yfjv  xai  xaza  ddXazzav).  Vgl.  auch  Diod.  XVI  1,  4:  zfjg  /nev  'EUd- 
8og  djidatjg  Jiagelaßs  zfjv  yye/iortav  ixovaicog  zcöv  nökecov  vnozazzofie- 
vcov.  Dann  zeigt  die  Stelle,  daß  Ps.  Dem.  1.  c.  den  Passus  auf  alle  Fälle 
nicht  genau  ausgeschrieben  hat,  wenn  er  nur  von  ilev&sgi'a  und  avzo- 
vofxia  spricht.  Für  seine  Zwecke  genügte  dies.  Wahrscheinlich  hatte 
Antigonos  Doson  seine  Formel  dem  philippischen  Vertrag  von  338/7  ent- 


8  10.  Abhandlung :  U.  Wilcken 

erfüllte  er  dadurch,  daß  er  unter  Aufnahme  jenes  panhelle- 
nischen Schlagwortes  den  Rachekrieg  gegen  Persien  prokla- 
mierte, natürlich  nur,  weil  dieser  Krieg  auch  im  Interesse 
Macedoniens  lag. 

Über  die  zeitliche  Abfolge  dieser  Verhandlungen  sind  neuer- 
dings Kontroversen  entstanden,  im  besonderen  über  die  Frage, 
ob  wir  zwischen  einer  „konstituierenden  Versammlung",  in  der 
der  erste  Punkt  des  Programms  erledigt  wurde,  und  einer  da- 
rauf folgenden  „Kriegssitzung"  für  den  zweiten  Punkt  zu  schei- 
den haben  (s.  unten).  Um  so  mehr  ist  der  oben  abgedruckte 
Bericht  des  Diodor  einer  genauen  Prüfung  zu  unterziehen. 
Diodor  schweigt  hier  über  die  Neuordnung  Griechenlands,  wie 
sie  in  Korinth  festgelegt  wurde,  und  spricht  nur  vom  Perser- 
krieg. A  priori  ist  nach  dem,  was  wir  von  Diodors  Arbeits- 
weise kennen,  anzunehmen,  daß  dieses  Überspringen  auf  Diodors 
Rechnung  zu  setzen  ist,  und  daß  wahrscheinlich  in  seiner  Vor- 
lage auch  jene  Neuordnung  dargestellt  gewesen  ist,  wodurch 
für  uns  die  Aufgabe  entsteht  festzustellen,  wo  bei  ihm  die 
Lücke  anzusetzen  ist.  Gegen  diese  Annahme  könnte  vielleicht 
sprechen,  daß  auch  Polyb.  III  6,  13,  mit  dem  sich  Diodor  so 


nommen.  Vergleicht  man  diese  macedonische  Formel  bei  Polyb.  IV 
25,  7 :  ä<pQOVQrjTov?,  a<pogokoy^zovg,  SkevßeQovg  ovzag,  jioXizslaug  xal  vö/iioig 
XQcofiivovg  xoTg  nargioig  mit  der  Freiheitsformel  in  dem  Dekret  des  Fla- 
mininus  von  196  bei  Polyb.  XVIII  46,  5:  ü.EvdeQovg,  arpgovgijzovg,  ä<po- 
QoXoyrjzovg,  vojxoig  ygo3[.ievovg  zoTg  jiazgloig ,  so  liegt  der  Gedanke  nahe, 
daß  Flamininus  absichtlich  die  macedonische  Formel  übernommen  hatte. 
Dies  wäre  auch  historisch  begreiflich,  führte  er  damit  doch  handgreif- 
lich den  Griechen  vor  Augen,  daß  Rom  als  Beschützerin  der  griechischen 
Freiheit  an  die  Stelle  Macedoniens  getreten  war.  Dagegen  erheben  sich 
viele  Bedenken  gegen  die  Annahme,  die  Täub ler  in  seinem  scharfsin- 
nigen Werk  Imperium  Romanum  I,  S.  434  zu  begründen  versucht  hat, 
daß  der  Königsfriede  von  386  und  das  Dekret  des  Polyperchon  von  319 
(vgl.  zu  beiden  unten  Abschnitt  3.)  Grundlage  und  Vorbild  für  die  römi- 
schen Freiheitsbestimmungen  von  197  (Vertrag  mit  Philipp  V.)  und  196 
( Dekret  des  Flamininus)  gewesen  seien.  Daß  gar  die  Athener  den  Fla- 
mininus auf  den  längst  außer  Kraft  gesetzten  Königsfrieden  hingewiesen 
haben  sollen  (S.  436),  ist  mehr  als  unwahrscheinlich.  Doch  eine  Wider- 
legung im  einzelnen  würde  hier  zu  weit  führen. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  " 

eng  berührt,  daß  sie  wahrscheinlich  auf  dieselbe  Quelle  zurück- 
gehen1), nur  vom  Kriegsbeschluß  spricht,  sodaß  zu  erwägen 
wäre,  ob  nicht  schon  diese  gemeinsame  Quelle  nur  vom  Kriege 
gesprochen  hätte.  Aber  einmal  schließt  das  Thema  des  Po- 
lybius,  der  hier  die  wahren  Gründe  der  Kriege  von  den  Vor- 
wänden resp.  Anlässen  unterscheidet,  eine  Erwähnung  der 
Bundesbestimmungen  von  Korinth  geradezu  aus,  andrerseits 
sind  bei  Diodor,  der  aus  anderen  Gründen,  sagen  wir  aus  Be- 
quemlichkeit oder  um  zu  kürzen,  gleichfalls  nur  über  den 
Kriegsbeschluß  sprechen  wollte,  doch  noch  Spuren  davon  zu 
erkennen,  daß  ihm  ein  breiterer  Bericht  vorgelegen  hat,  in 
dem  auch  jene  Bundesbestimmungen  dargestellt  gewesen  sind, 
was  wir  um  so  mehr  annehmen  werden,  als  er  auch  sonst  über 
Philipp  offenbar  einer  ausführlicher  erzählenden  Quelle  ge- 
folgt ist.2) 

Diodor  knüpft  in  diesem  Kapitel  unter  dem  Jahre  337/6 
nochmals  an  die  Schlacht  von  Chaeronea  an,  nachdem  er  vor- 
her  bereits    die  Schlacht   selbst   sowie   ihre  Konsequenzen  für 


J)  So  Kaerst,  Hell.  I2  526.  Polybius  sagt  (ich  drucke  die  mit  Dio- 
dor sich  berührenden  Worte  gesperrt):  ($lXuatog)  —  äpa  zcö  nsgutoi- 
rioaodai  zijv  ex  zcov  'EJ.Xrjvcov  svvoiav  6/nokoyovfisvtjv,  svßscog  jiqo- 
cpaosi  xQwiievos  Sri  aitevbei  /.iszeÄfieTv  zijv  üsgacöv  nag avo/uiav  elg 
zovg  "Elh]vag ,  OQfirjv  sa/¥e  xal  tioos&ezo  jtoZepsiv  xal  nävza  Jigog 
zovzo  zo  fiegog  rjzoij.ia^e.  Kaerst  1.  c.  hebt  nur  die  Ähnlichkeit  der 
beiden  ersten  unterstrichenen  Stellen  mit  Diodor  §  2  hervor.  Die  Ähn- 
lichkeit erstreckt  sich  aber  auch  auf  §3,  vgl.  Diodor:  jiQoezgsrparo.zovg 
ovvsögovg  elg  nöXtfiov  und  /aeyakag  Jiagaaxsvag  sjiouizo  xzX.  Sachlich  ist 
von  Wichtigkeit,  daß  auch  nach  Polybius  Philipp  es  ist,  der  den  Perser- 
krieg proponiert  hat,  nicht  etwa  das  Synhedrion.  Übrigens  ist  zu  be- 
achten, daß  trotz  der  evidenten  Übereinstimmung  der  Teile  ihre  logi- 
sche Verknüpfung  in  §  2  doch  eine  andere  ist  als  bei  Polybius. 

2)  Nach  Ed.  Seh  war  tz,  Pauly-Wissowa  V  683  lag  dem  Diodor  für 
die  Geschichte  Philipps  „das  Machwerk  irgend  eines  rhetorischen  Schul- 
meisters vor",  Taus  einer  Zeit,  in  der  die  dem  3.  Jahrhundert  noch  fremde, 
politische  und  ästhetische  Anbetung  des  Demosthenes  sich  ausbildete". 
Für  die  Bestimmung  und  Wertung  der  Quelle  werden  die  in  der  vorigen 
Anmerkung    behandelten   Beziehungen    zu    Polybius   nicht    ohne   Bedeu- 


tung sein. 


1,1  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

Athen  und  Theben  unter  dem  Jahre  338/7  erzählt  hat  (c.  86/7). 
Durch  den  Hinweis  auf  die  Niederwerfung  der  imcpavEorarai 
Tiöleiq  (§1)  nimmt  er  die  mit  c.  87  abgebrochene  Erzählung 
Avieder  auf,  und  er  führt  sie  fort  bis  zur  Heimkehr  Philipps 
nach  Macedonien  (§  3).  Wenn  er  am  Ende  von  §  1  es  als 
das  (damals  noch  unerreichte)  Ziel  Philipps  bezeichnet,  ye- 
veoftai  7idoi]q  xfjg  'EXXdöog  jjye/ucbv,  so  stehen  wir  damit  noch 
vor  dem  Kongreß  zu  Korinth,  und  genauer  noch  vor  den  kon- 
stituierenden Verhandlungen,  denn  aus  der  Inschrift  Ditt.,  Syll. 
I3  260,  21  wissen  wir,  daß  Philipp  den  Titel  rp/E/xcov  bereits  in 
dem  mit  den  Hellenen  geschlossenen  Bündnisvertrage  geführt 
hat. *)  Andrerseits  zeigen  die  Worte  xov  xoivov  ovvedgiov  ovvay- 
■devTog  in  §  3,  daß  die  Verhandlungen  über  den  Hellenenbund 
inzwischen  ihren  Abschluß  gefunden  haben,  denn  diese  Be- 
hörde konnte  erst  berufen  werden,  nachdem  sie  durch  die  neue 
Verfassung  geschaffen  war  (s.  unten).  Übrigens  legen  gerade 
diese  Worte  —  man  beachte  den  bestimmten  Artikel  zov\  — 
den  Gedanken  nahe,  daß  in  der  Vorlage,  die  Diodor  hier  ex- 
zerpiert, von  diesem  Synhedrion,  also  von  der  verfassungs- 
mäßigen Begründung  dieses  Synhedrion,  vorher  schon  gespro- 
chen worden  war.  So  stehen  wir  also  mit  §  1  vor  und  mit 
§  3  hinter  den  konstituierenden  Verhandlungen. 

Hiernach  erhebt  sich  die  Frage,  wie  wir  die  Angaben  des 
§  2  chronologisch  anzusetzen  haben.  Der  erste  Satz  besagt, 
daß  Philipp  dadurch,  daß  er  das  Gerücht  ausstreute  (diadcvg 
Xoyov),  er  habe  den  Rachefeldzug  gegen  Persien  vor,  sich  die 
Sympathien  der  Griechen  erwarb.  Nach  dem  eben  über  die 
Chronologie  des  §  1  Bemerkten  ist  es  möglich,  daß  Philipp  dies 

l)  Im  Hinblick  auf  c.  60,  5  sjis&vftsi  yag  rfjg  eE?J.d8og  ajioder/ßijvai 
oroaxrjyog  avzoxQarcoQ  xal  xov  jtQog  IHooag  i£eveyxeTv  jio?.euov  (schon  für 
346!)  wäre  es  möglich,  daß  Diodor  an  unserer  Stelle  den  fjyefxeöv  mit 
dem  oxgaxtjyog  avroxgdzcoQ  verwechselt  hätte  (s.  unten).  Da  das  ganze 
Exzerpt  unseres  Kapitels  auf  den  Kriegsbeschluß  hinausläuft,  ist  es  in 
der  Tat  nicht  unwahrscheinlich,  daß  Diodor  den  zweiten  Titel  gemeint 
hat,  wie  in  c.  60.  Um  so  mehr  möchte  ich  aus  seinem  Wortlaut  folgern, 
daß  seine  Vorlage  hier  vom  qysficov  gesprochen  hat.  —  Korrekt  ist  die 
?]y€f.iovia  in  XVI  1,  4. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  H 

schon  in  der  Zeit  zwischen  der  Schlacht  von  Chaeronea  und 
dem  Zusammentritt  des  Kongresses  zu  Korinth,  ebenso  aber 
auch,  daß  er  es  erst  während  der  konstituierenden  Verhand- 
lungen getan  hat.  Einen  terminus  ante  quem  finde  ich  in 
den  sogleich  genauer  zu  besprechenden  Worten  des  Justin  IX 
5,  5,  wonach  die  Griechen  bei  der  Feststellung  der  Bundes- 
kontingente während  der  konstituierenden  Verhandlungen  keinen 
Zweifel  daran  hatten,  daß  Philipp  einen  Perserkrieg  vorhabe. 
War  diese  Überzeugung  damals  schon  so  zweifellos  feststehend, 
so  wäre  es  überflüssig  gewesen,  wenn  Philipp  erst  hinterher 
jenes  Gerücht  ausgesprengt  hätte.  Vielmehr  ist  klar,  daß  jene 
Überzeugung  die  Wirkung  dieses  diplomatischen  Schachzuges 
des  Philipp  war.  Spätestens  wäre  dieses  diadovvai  Uyov  also 
in  die  Bundesverhandlungen  und  zwar  vor  die  Feststellung 
der  Kontingente  zu  verlegen. 

Vielleicht  dürfen  wir  einen  noch  früheren  terminus  ante 
quem  in  dem  Brief  des  Isokrates  finden,  den  dieser  zwischen 
dem  Separatfrieden  mit  Athen  und  dem  Zusammentritt  des 
Kongresses  an  Philipp  geschrieben  hat  (Nr.  3).1)  Nach  seinen 
Worten  wurde  schon  damals  von  den  Griechen  allgemein  im 
stillen  angenommen,  daß  Philipp  sie  gegen  die  Perser  führen 
wolle  (§  2):  did  ydg  tbv  äycbva  röv  yeyevrj/uevov  (Chaeronea) 
fjvayxaofisvot  Jidvreg  elolv  sv  (pQOvsiv  xal  tovtojv  em&vßeiv,  wv 
viiovoovai  os  ßovXeo'&ai  noäxTetv  xal  Mysiv,  obg  dei  navoa- 
fievovs  rrjg  juaviag  xal  rrjg  nXeoveg'iag,  T]v  moiovvxo  nobg  äXkr\- 
Xovg,  elg  rrjv  'Aotav  tov  nolsjuov  e^EveyxeXv.  Nach'  Iso- 
krates' Darstellung  war  das  so  sehr  nach  dem  Wunsche  Vieler 
(d.  h.  der  panhellenisch  Gesonnenen),  daß  sie  ihn  baten,  Phi- 
lipp zuzureden,  den  Plan  ja  zu  verwirklichen  (§  3  Tiaoaxelev- 
eo&ai  ooi  xal  ngorgeneiv  im  x&v  avrcTjv  xovtojv  jueveiv;  vgl. 
§  4  fit}  xarajus?S]oat  zovxcov,  jiqiv  äv  rsXog  sni&fjg  avrolg). 
Woher  kam  diese  so  weit  verbreitete  Annahme?  Auch  wenn 
Philipp,  wie  wahrscheinlich  ist,  schon  seit  längerer  Zeit  diese 


J)  Zur  Echtheit  des  Briefes   vgl.  jetzt  P.  Wendland,  Nachr.  Ges. 
Wiss.  Gott.  1910,  S.  177  ff. 


12  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

Lösung  der  macedonisch -griechischen  Frage  als  wünschens- 
wertes Ziel  vorgeschwebt  hatte,  spricht  die  politische  Entwick- 
lung der  letzten  Jahre  doch  wohl  kaum  dafür,  daß  er  von 
diesen  Plänen  schon  früher,  schon  vor  Chaeronea,  den  Schleier 
gehoben  hätte.1)  Man  müßte  dann  doch  auch  wohl  im  Pan- 
athenaicus  eine  Rückwirkung  davon  verspüren.  Es  liegt  auch 
auf  der  Hand,  daß  die  Rücksicht  auf  Persien  ihm  dies  ver- 
bieten mußte  (s.  unten).  Woher  also  jetzt  dieser  Glaube  im 
griechischen  Volk?  Die  schwere  Niederlage  bei  Chaeronea  und 
das  strenge  Strafgericht  über  Theben  mußten  die  schlimmsten 
Befürchtungen  erwecken.  Erst  das  unerwartet  gnädige  Ent- 
gegenkommen gegenüber  Athen  konnte  Hoffnungen  für  die  Zu- 
kunft auslösen.  Nun  wissen  wir,  daß  Philipp  bei  diesen  Frie- 
densverhandlungen mit  Athen  den  ersten  Teil  seines  Programms, 
die  Einigung  Griechenlands,  der  die  Basis  für  den  zweiten,  den 
Perserfeldzug,  schaffen  sollte,  bereits  offiziell  enthüllt  hat,  in- 
dem er  über  die  Mitwirkung  Athens  an  der  künftigen  xoivyj 
eiQi'p'7]  und  dem  ovveöqiov  sondieren  ließ.2)  Hat  es  nicht  einige 
Wahrscheinlichkeit  für  sich,  daß  er  eben  damals,  wenn  auch 
aus  triftigen  Gründen  (s.  unten)  inoffiziell  und  nur  in  Form 
von  vorsichtig  ausgesprengten  Gerüchten,  seine  letzten  Pläne 
in  der  griechischen  Welt  durchsickern  ließ?  Was  Diodor  als 
Zweck  und  Erfolg  dieser  Gerüchte  hinstellt,  die  Gewinnung 
der  griechischen  Sympathien,  mußte  in  der  Tat  für  ihn  von 
größter  Bedeutung  für  die  Erreichung  seines  Zieles  und  im 
besonderen  für  die  bevorstehenden  Verhandlungen  zu  Korinth 
sein.  Auch  der  Unterschied  in  dem  Maß  des  Vertrauens,  das 
die  Griechen  nach  Isokrates  und  andrerseits  nach  Justin  1.  c. 
hatten,  spricht  für  einen  gewissen  zeitlichen  Abstand:  Isokrates 
spricht  von  einem  v7iovoeh>,  Justin  sagt  neque  enim  dubium  erat. 


1)  Diodors  Worte  diadovs  de  Xoyov  xzl.  zeigen  vielmehr,  daß  er 
dies  erst  nach  Chaeronea  getan  hat.  Man  braucht  nur  anzunehmen, 
daß  Philipp  damals  durchblicken  ließ,  daß  er  schon  lange  diese  Absicht 
gehabt  habe,  um  auch  die  Fragestellung  in  §  3  des  Briefes  zu  verstehen. 

2)  Vgl.  Plutarch,  Phokion  c.  16.  Bezüglich  der  Zeitbestimmung 
schließe  ich  mich  A.  Schäfer,  Demosthenes  III2  29  an. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  13 

Diese  Wandlung  ist  verständlich,  wenn  jener  sich  auf  die  Zeit 
bald  nach  den  Sonderverhandlungen  mit  Athen  bezieht,  als  die 
Gerüchte  eben  erst  angefangen  hatten  zu  wirken,  während 
dieser  die  Stimmung  auf  dem  Kongreß  wiedergibt,  auf  dem 
Philipp  nicht  versäumt  haben  wird,  im  persönlichen  Umgang 
mit  den  Gesandten  jene  Hoffnungen  zu  stärken.  So  möchte 
ich  glauben,  daß  das  diaöovg  Xöyov  Diodors  sich  nicht  erst  auf 
die  Verhandlungen  zu  Korinth,  sondern  auf  die  Zeit  zwischen 
den  athenischen  Separatverhandlungen  und  dem  Brief  des  Iso- 
krates,  vielleicht  schon  in  die  Zeit  der  ersteren  selbst  zu  setzen 
ist.  Jedenfalls  hatte  Philipp,  nachdem  er  den  Brief  des  Iso- 
krates  gelesen  hatte,  kaum  noch  eine  Veranlassung,  jenes 
„Gerücht"  in  Umlauf  zu  bringen.  Er  hätte  damit  offene  Türen 
eingerannt.  Hiernach  kam  es  nur  noch  darauf  an,  die  Hoff- 
nungen der  Griechen  auch  zu  verwirklichen.  Somit  möchte 
ich  diesen  ersten  Satz  des  §  2  als  chronologisch  sich  unmittel- 
bar an  §  1  anschließend  betrachten. 

Wohin  gehört  nun  der  zweite  Satz  des  §  2,  wonach  Phi- 
lipp (pdoqpQovovjusvog  Jigög  änavzag  y.ai  löiq  xal  xoivf]  raig  nö- 
Xeoiv  äneqHiivtTO  ßovkeo&ai  öia)<.eyßtjvai  neql  xcbv  oviKpegövrcov, 
woran  sich  in  §  3  die  Kriegssitzung  anschließt?  Der  Satz 
enthält  offenbar  die  Ankündigung  einer  Versammlung  mit  der 
Tagesordnung:  tieql  tcöv  oi\uq)EQ6vTcov.  A  priori  kann  man 
schwanken,  ob  damit  die  korinthischen  Verhandlungen  über- 
haupt, praktisch  also  zunächst  die  Bundesverhandlungen,  oder 
speziell  die  Kriegsdebatte  gemeint  ist.  Im  ersteren  Falle  würde 
der  Satz  sich  chronologisch  an  den  vorhergehenden  Satz  an- 
schließen, sodafi  die  Lücke  dahinter  anzunehmen  wäre,  im 
zweiten  Falle  würde  er  mit  §  3  zusammengehören,  sodaß  die 
Lücke  davor  ihren  Platz  hätte.  Der  Ausdruck  neql  xcöv  ov/u- 
(pegovrcov  scheint  ein  beliebter  terminus  technicus  für  die  Be- 
zeichnung von  Tagesordnungen  bei  Ladungen  zu  sein.  Vgl. 
Diod.  XX  46,  5,  wo  Antigonos  (307/6)  an  die  Wiedererweckung 
des  korinthischen  Bundes  denkt  und  seinem  Sohne  Demetrios 
Poliorketes  befiehlt  ovvEÖgovg  ovorrjoao&ai  rovg  ßovXevoo/uevovg 
Ttoivfj    7ieq\    xwv    tjj  rEXXddi    ovficpeoövTOJv.     Ahnlich  Polyb.  IV 


U  10.  Abhandlung:  U.  Wilckeri 

22,  2,  wo  Philipp  V.  nach  Korinth  beruft  xovg  ßovXevoo/usvovG 
irnsg  xcov  xotvfj  ov /jupEQovxüiv .  Nach  Zusammentritt  des  ovv- 
tÖQiov  stellt  Philipp  dann  die  spezielle  Frage,  was  mit  den 
Aetolern  geschehen  solle,  worauf  der  Krieg  gegen  sie  be- 
schlossen wird  (c.  25). l)  Namentlich  das  zweite  Beispiel  ist 
lehrreich,  da  es  uns  zeigt,  daß  die  Ladungen  gern  zunächst 
mit  der  allgemeinen  Formel  tieqI  xöjv  ovjLMpsQÖvxcov  erfolgten, 
während  das  speziell  zu  behandelnde  Thema  erst  bei  Eröffnung 
der  Versammlung  mitgeteilt  wurde.  Hiernach  kann  die  obige 
Alternative  durch  die  Anwendung  dieser  Formel  tieqI  xcov  ovju- 
cpEQovxojv  nicht  entschieden  werden,  da  sie  sowohl  für  die  La- 
dung zur  konstituierenden  Versammlung  wie  für  die  zur  Kriegs- 
sitzung passend  war.  Wohl  aber  spricht  für  den  späteren  An- 
satz (Kriegssitzung),  daß  das  ßovlEo&ai  dta?>E*/ßrjvcu  von  dem 
unmittelbar  folgenden  öialE^dEig  in  §  3  nicht  getrennt  werden 
kann.  Es  liegt  also  genau  wie  bei  Polybius:  nachdem  die  La- 
dung tzeoI  Tcöv  ov /.ifpEQovxcov  erfolgt  war,  sprach  Philipp  im 
Synhedrion  tieql  xov  noög  ÜEooag  7ioMjuov.  Daß  auch  die  vor- 
hergehenden Worte  cpiXocpQovov fXEvog  xxL  für  diese  Deutung 
sprechen,  soll  unten  in  anderem  Zusammenhange  gezeigt  werden. 
So  komme  ich  zu  dem  Schlußergebnis,  daß  die  Lücke, 
in  der  Diodor  die  konstituierende  Versammlung  über- 
sprungen hat,  in  §  2  zwischen  dem  ersten  und  zweiten 
Satz  anzusetzen  ist. 

Justin  IX  5. 

§  1  Conpositis  in  Graecia  rebus  Philippus  amnium  ci- 
vitatum  legatos  ad  formandum  rerum  praesenüum  statum 
evocari  Corinthum  iubet.  §  2  Ibi  pacis  legem  universae  Grae- 
ciae  pro  meritis  singularum   civitatum  statuit,   consiliumque 


l)  Vgl.  Kaerst,  Rhein.  Mus.  1.  c.  553,  der  für  den  peloponnesischen 
Bund  auf  Xen.  Hell.  V  2,  20  verweist:  avjj,ßovleveiv  ort  yiyvwaxEi  zig  Sqi- 
azov  zfj  IlEloxovvrjocö  xal  zoTg  av/xfiäy^oig.  Vgl.  auch  in  der  Urkunde  über 
den  chremonideischen  Krieg  (Syll.  I3  434/5,  49  ff.):  ovviÖQovg  ovo  —  ol'zivsg 
fiezd  ts  Zigsaig  [xal  xöjv  anö  zcöv  ovf.iuä%a>v  ä]jiooz8?.kof.iEva>v  ovridgcov  ßov- 
kevoovzfai  jieqi  zwv  xocvfjc  ov]/bi<p£QÖvrcov. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes. 


15 


omnium  veliiti  unum  senatum  ex  omnibus  legit.  §  3  Soli 
Lacedaemonii  et  regem  et  leges  contempserunt,  servitutem  non 
pacem  rati,  quae  non  ipsis  civitatibus  conveniret,  sed  a  Victore 
ferretur.  §  4  Auxilia  deinde  singularum  civitatum  descri- 
buntur,  sive  adiuvandus  ea  manu  rex  oppugnante  aliquo  foret 
seu  duce  illo  bellum  inferendum.  §  5  Neque  enim  dubium 
erat  Imperium  Persarum  Ms  apparatibus  peti.  §  6  Summa 
auxiliorum  CG  milia  peditum  fuere  et  equitum  XV  milia. 
§  7  Extra  Jianc  summam  et  Macedoniae  exercitus  erat  et 
confinis  domitarum  gentium  barbaria. 

§  8   Initio  veris  tres   duces  in  Asiam  Persarum  iuris 
praemittit  etc. 

Dieser  Bericht  des  Justin  ist  in  seiner  Vorzüglichkeit  und 
Zuverlässigkeit  bisher  noch  kaum  genügend  gewürdigt  worden. 
Im  besonderen  ist  der  §  5  bisher  mehrfach  völlig  mißverstanden 
und  zum  Ausgangspunkt  irriger  Hypothesen  gemacht  worden. 
Der  Hauptfehler  lag  darin,  daß  man  diesen  Paragraphen  ein- 
zeln herausgegriffen  und  als  Justins  Mitteilung  über  die  Kriegs- 
frage in  Parallele  zu  Diodors  Bericht  über  den  Kriegsbeschluß 
gestellt  hat.  So  haben  bekanntlich  L.  von  Ranke  1.  c.  und 
U.  Köhler  l.  c,  indem  sie  sich  einseitig  auf  diesen  §  5  stützten, 
die  Ansicht  vertreten,  daß  der  Rachefeldzug  gegen  Persien 
unter  Philipp  338/7  noch  gar  nicht  beschlossen  worden  sei, 
sondern  erst  unter  Alexander  336.  Aber  auch  J.  Kaerst,  der 
diese  Ansicht  mit  Recht  bekämpft  hat,  hat  den  §  5  —  auch 
noch  in  der  soeben  erschienenen  zweiten  Auflage  seines  „Hel- 
lenismus" —  mißverstanden  und  ist  daher  zu  keiner  vollen 
Würdigung  des  Justinischen  Berichtes  gekommen. 

Die  Hauptsache  ist,  daß  man  die  umstrittenen  Worte  im 
Zusammenhang  der  Gesamtdarstellung  Justins  auffaßt.  Nach- 
dem Justin  in  §  1  die  Vorladung  der  griechischen  Gesandten 
nach  Korinth  erzählt  hat,  gibt  er  in  §  2 — 7  eine  wenn  auch 
nur  einige  Hauptpunkte  herausgreifende,  so  doch  in  sich  ge- 
schlossene Darstellung  von  der  konstituierenden  Versammlung 
zu  Korinth,  also  gerade  von  dem  Teil  der  Verhandlungen,  den 
Diodor    übersprungen    hat.     In  §  2   berichtet  er  über  die  Be- 


16  iO.  Abhandlung:  U.  Wilckeii 

gründung  der  xoivrj  elg^vr]  und  des  xocvöv  ovveöqiov.1)  Die 
Hervorhebung,  daß  dies  für  alle  Griechen  geschaffen  sei,2) 
nötigt  ihn  dazu,  in  einer  Parenthese  (§  3)  den  Ausschluß  der 
Lacedämonier  zu  begründen.  Mit  §  4  geht  er  zu  der  Fest- 
stellung der  griechischen  Kontingente  über.  Hier  hat  man 
den  Eindruck,  daß  Trogus  geradezu  auf  den  Wortlaut  des 
Schutz-  und  Trutzbündnisses  zurückgegriffen  hat:  die  Alter- 
native sive  adiuvandus  ea  manu  rex  oppugnante  aliquo  foret  seu 
duce  (=  yyejucov)  illo  bellum  inferendum  erinnert  direkt  an  die 
Sprache  der  Verträge.  Das  Resultat  der  damals  angestellten 
Enquete  über  die  Zahl  der  Waffenfähigen  in  den  Einzelstaaten 
wird  in  §  6  mit  200  000  Mann  zu  Fuß  und  15  000  Reitern 
angegeben.3)  Damit  ist  das  Thema  aber  noch  nicht  erschöpft, 
sondern  es  wird  in  §  7  hinzugefügt,  daß  —  nämlich  für  der- 
artige Bundeskriege  —  außer  den  griechischen  Kontingenten 
auch  noch  das  macedonische  Heer  und  die  Aufgebote  der  Ma- 


x)  Mit  consüiumque  —  legit  ist  natürlich  nicht  gesagt,  daß  Philipp 
damals  die  Personen  der  ovvsöqoi  ausgewählt  habe,  denn  das  stand  den 
Staaten  zu,  sondern  nur,  daß  er  prinzipiell  das  ovveöqiov  geschaffen  hat. 

2)  Wie  recht  Justin  hatte,  wenn  er  von  universa  G-raecia  und  om- 
nium  civitatum  legatos  spricht,  erkennen  wir  erst  jetzt,  wo  wir  durch 
Wilhelms  Entdeckung  über  den  wahren  Umfang  des  Bundes  aufgeklärt 
sind  (s.  oben  S.  5  A.  2). 

3J  Zur  Kritik  dieser  Zahlen  vgl.  Pöhlmann,  Griech.  Geschichte5 
S.  284.  Auch  hierfür  ist  erst  durch  Wilhelms  Aufschlüsse  eine  sichere 
Basis  geschaffen.  Die  Vorzüglichkeit  der  Quelle  des  Trogus  legt  a 
priori  die  Richtigkeit  der  Zahlen  nahe.  Bei  och  (Bevölkerung  S.  497) 
meinte  umgekehrt,  aus  dieser  „ trüben  Quelle"  könne  man  keine  stati- 
stischen Folgerungen  ziehen.  Offenbar  handelt  es  sich  bei  den  angege- 
benen Zahlen  nur  um  die  Feststellung  der  überhaupt  zur  Verfügung 
stehenden  Wehrfähigen  (so  schon  Böhnecke  1.  c.  602),  aus  denen  dann 
im  Ernstfall  die  zu  stellenden  Kontingente  bestimmt  wurden.  Aus  dem 
auxilia  —  describuntur  Justins  darf  nicht  mit  Kaerst  (Hell.  I2  279)  ge- 
folgert werden,  daß  die  Kontingente  durch  Bundesbeschluß  festgesetzt 
wurden  und  „nicht  einseitig  von  der  hegemonischen  Macht".  Das  descri- 
buntur (statt  describit)  weist  nur  darauf  hin,  daß  jene  allgemeine  En- 
quete natürlich  mit  Unterstützung  der  Einzelstaaten  ausgeführt  wurde. 
Die  im  Einzelfall  zu  stellenden  Kontingente  bestimmte  einseitig  der 
Hegemon  (vgl.  diaid^ag  xzb  bei  Diod.  1.  c.  §  3). 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  17 

cedonien  gehorchenden  Barbarenstämme  hinzukommen.  Die 
Verbindung  der  beiderseitigen  Verpflichtungen  spricht  dafür, 
daß  auch  diese  Angaben  auf  das  Bündnis  zurückgehen.  Also 
§  4  und  6 — 7  behandeln  die  Bestimmungen  des  Schutz-  und 
Trutzbündnisses  über  den  Umfang  der  gemeinsamen  militäri- 
schen Machtmittel,  die  eventuell  dem  Hegemon  zur  Ver- 
fügung standen.  In  diese  einheitliche  Darstellung  sind  nun 
eingefügt  die  Worte  des  §  5:  negue  enim  dubium  erat  Imperium 
Persarum  his  apparatibus  peti,  die  sich  deutlich  als  Parenthese 
zu  seu  duce  illo  bellum  inferendum  ergeben.  Also  bei  Bespre- 
chung der  Eventualität  eines  offensiven  Bundeskrieges  zweifelte 
niemand  unter  den  griechischen  Vertretern,  daß  diese  Bestim- 
mung eine  Offensive  gegen  Persien  im  Auge  habe.  Woher 
diese  Gewißheit  kam,  haben  wir  schon  bei  Diodor  gelesen:  es 
war  die  Wirkung  davon,  daß  Philipp  das  Gerücht  ausgestreut 
hatte,  er  plane  einen  Piachefeidzug  gegen  Persien.  Der  §  5 
ist  also  nichts  anderes  als  ein  in  Parenthese  gegebener 
Stimmungsbericht  vom  korinthischen  Kongreß.  Die 
Worte  zeigen  zugleich,  daß  bei  Besprechung  dieses  Bundes- 
artikels offiziell  noch  nicht  vom  Perserkrieg  gesprochen  worden 
ist  (s.  unten). 

Nun  steht  aber  andrerseits  fest,  daß  die  Vorlage  des  Jus- 
tin, Trogus  Pompeius,  ebenso  wie  Diodor  auch  den  Kriegs- 
beschluß gekannt  hat.  Dafür  spricht  §  8,  der  von  der  Vor- 
aussendung der  Feldherrn  im  Frühling  336  redet  (praemitüt, 
vgl.  Diod.  XVI  91,  2  JtQoajieoredev),  woraus  sich  die  Absicht 
Philipps,  nachzufolgen,  von  selbst  ergibt,  ferner  die  sich  an- 
schließenden Worte  in  6,  1 :  Interea,  dum  auxilia  a  Graecia 
coeunt,  womit  nur  die  Ankunft  der  für  den  Perserkrieg  aus- 
gehobenen Kontingente  gemeint  sein  kann.  Diese  beiden  Stellen 
sind  schon  von  Kaerst  (Hell.  I1  427  =  P  527)  mit  Recht  für 
die  Übereinstimmung  des  Trogus  mit  Diodor  im  Punkte  des 
Perserkrieges  Philipps  angeführt  worden.  Doch  irrte  er,  wenn 
er  ein  weiteres  Argument  in  der  Parallelität  von  Justin  IX 
5,  4:  auxilia  —  describuntur  und  Diodor  XVI  89,  3:  diarägag 
<5'  exdori]  nokei  rö  jiXfjüog  töov  eis  ovjiijua%iav  orgaTicorojv  fand. 

Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  hist.  Kl.  Jahrg.  1917,  10.  Abb.  2 


18  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

Diese  beiden  Stellen  haben  nach  meiner  obigen  Analyse  ab- 
solut nichts  miteinander  zu  schaffen:  Justin  spricht,  wie  wir 
sahen,  von  der  Feststellung  der  Waffenfähigen,  die  aus  Anlaß 
des  Schutz-  und  Trutzbündnisses  während  der  konstituierenden 
Verhandlungen  vorgenommen  wurde,  Diodor  dagegen  spricht 
von  dem  Aufgebot  der  Kontingente,  die  Philipp  nachher  auf 
Grund  des  Kriegsbeschlusses  speziell  für  den  Perserkrieg  ver- 
fügte. Die  beiden  Maßregeln  sind  sachlich  und  zeitlich  scharf 
zu  trennen.  Dagegen  finde  ich  ein  weiteres  Argument  für  die 
Übereinstimmung  von  Trogus  und  Diodor  in  dem  bisher  nicht 
herangezogenen  Prologus,  der  bekanntlich  ein  selbständiges, 
von  Justin  unabhängiges  Exzerpt  aus  Trogus  darstellt.  Hier 
ist  mit  klaren  Worten  die  Absicht  Philipps  einen  Perserkrieg 
zu  führen  ausgesprochen  mit  den  Worten  (9):  cum  betta  Per- 
sica  möliretur  praemissa  classe  cum  duclbus,  die  wieder  merk- 
würdig übereinstimmen  mit  Diodor  XVI  91,  2:  rbv  Tigog  IIeq- 
oag  noXEfxov  evoTrjodjuevog  "Axrakov  juev  xal  IlaQ/Ltevicova.  tiqo- 
aneoxeiXev. 

Da  nun  nach  obiger  Analyse  feststeht,  daß  Justin  in 
§  2 — 7  ausschließlich  über  die  konstituierende  Versammlung 
berichtet,  und  andrerseits  sich  ergeben  hat,  daß  Trogus  den 
Kriegsbeschluß  gegen  Persien  ebenso  wie  Diodor  gekannt  hat, 
so  scheint  mir  der  Schluß  unabweisbar,  daß  bei  Justin  zwi- 
schen §  7  und  8  der  Bericht  des  Trogus  über  den  Kriegs- 
beschluß ausgefallen  ist.  Somit  ergänzen  sich  für  uns  die 
beiden  lückenhaften  Exzerpte  des  Justin  und  Diodor  aufs  Beste. 
Nach  meiner  obigen  Analyse  des  Diodor  können  wil- 
den ganzen  Bericht  des  Justin  von  §  1  —  7  in  die  oben 
bezeichnete  Lücke  des  Diodor  einschieben  und  erhalten 
so  einen,  wenn  auch  nur  die  Hauptpunkte  hervorheben- 
den, so  doch  innerlich  zusammenhängenden  Bericht 
über  die  gesamten  Verhandlungen  zu  Korinth  von  338/7. 

Auf  die  Unrichtigkeit  der  Anschauungen  von  Ranke  und 
Köhler  brauche  ich  hiernach  wohl  um  so  weniger  einzugehen, 
als  die  meisten  neueren  Darsteller  sie  bereits  aufgegeben  haben. 
Einen  leisen  Nachklang  daran   darf  man  vielleicht  bei  Pohl- 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthiachen  Bundes.  19 

mann  finden  (Griech.  Geschichte5  S.  284),  der  zwar  Kaersts 
Polemik  gegen  Köhler  zustimmt,  aber  doch  gar  zu  vorsichtig 
sagt,  daß  „allem  Anscheine  nach"  eben  damals  zu  Korinth 
der  Perserkrieg  beschlossen  worden  sei.  Wir  dürfen  dies  Fak- 
tum vielmehr  ohne  jede  Einschränkung  als  völlig  sicher  be- 
zeugt hinstellen,  und  zwar  ist  es  nicht  nur,  wie  Köhler  be- 
tonte, durch  junge  Quellen  tradiert  (außer  Diodor  und  nach 
obigem  Trogus  auch  Arrian,  Anab.  I  1,  2;  VII  9,  5,  dazu  jetzt 
die  Chronik  in  P.  Oxyrh.  I  12,  die  im  besonderen  mit  Diodor 
übereinstimmt),  sondern  auch  schon  durch  Polyb.  III  6,  12 — 13 
(s.  oben  S.  9).  Dabei  ist  für  die  Bewertung  von  Diodor  und 
Trogus,  die  unter  einander  auffallende  Übereinstimmungen 
zeigen,  von  Bedeutung,  daß,  wie  Kaerst  mit  Recht  betont 
hat,  Diodor  wieder  mit  dem  älteren  polybianischen  Bericht  so 
enge  Berührungen  zeigt,  daß  man  wohl  nicht  umhin  kann, 
eine  gemeinsame  Quelle  anzunehmen  (s.  oben  S.  9). 

Das  obige  Ergebnis,  daß  in  Justin  eine  Lücke  zwischen 
§  7  und  8  für  den  Kriegsbeschluß  anzunehmen  ist,  habe  ich 
in  der  mir  bekannten  neueren  Literatur  nirgends  erwähnt  ge- 
funden. Nur  Bei  och  hat  wohl  stillschweigend  damit  operiert, 
jedenfalls  hat  er  S.  574  den  §  5  richtig  eingeschätzt.  Da- 
gegen ist  die  Annahme  einer  solchen  Lücke  soeben  von  Kaerst 
in  Hell.  P  527  in  einer  Polemik  gegen  Beloch,  auf  die  ich 
noch  zurückkomme,  ausdrücklich  abgelehnt  worden.  Es  ist 
das  um  so  auffallender,  als  er  vorher  richtig  dargelegt  hat, 
daß  auch  Justins  Bericht  den  Kriegsbeschluß  voraussetzt.  Seine 
Ablehnung  der  Lücke  erklärt  sich  daraus,  daß  er  den  §  5  des 
Justin  mißverstanden  hat.  Er  hat  verkannt,  daß,  wie  oben 
dargelegt  wurde,  diese  Worte  nur  eine  Parenthese  in  dem  ge- 
schlossenen Bericht  über  die  Bundesverhandlungen  darstellen, 
und  daß  der  Kriegsbeschluß  erst  nach  Beendigung  der  kon- 
stituierenden Verhandlungen  gefaßt  worden  ist  (s.  unten).  In 
welchem  Zeitpunkt  Kaerst  sich  den  letzteren  denkt,  ist  nicht 
leicht  zu  erkennen,  denn  trotz  der  breiten  Behandlung  des 
korinthischen  Bundes  im  III.  Kapitel  seines  „Hellenismus"  er- 
fährt man  kaum  etwas  Tatsächliches  über  die  wirklichen  Vor- 

2* 


20  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

gänge,  wie  sie  sich  damals  in  Korinth  abgespielt  haben.  Auch 
der  Anhang  III  gibt  hierüber  keine  ganz  klare  Auskunft.  In- 
dem er  die  Trennung  der  konstituierenden  Versammlung  von 
der  Kriegssitzung  ablehnt  (s.  unten),  scheint  er  sich  den  Her- 
gang so  zu  denken,  daß  der  Kriegsbeschluß  mitten  in  die 
Bündnisverhandlungen  hineingehört.  So  sagte  er  in  Syb.  Hist. 
Z.  38,  14:  „Ich  kann  mir  auch  nicht  recht  vorstellen,  daß  die 
Festsetzung  der  Bundeskontingente  ohne  den  Hinweis  auf  den 
persischen  Krieg  erfolgt  sein  sollte.  Die  allgemeine  Redewen- 
dung eines  Epitomators  wie  Justin  neqae  enim  dubiiwi  erat  etc. 
fällt  m.  E.  dagegen  nicht  entscheidend  in's  Gewicht."  Daß 
jene  Vorstellung  irrig  war,  ist  oben  gezeigt.  Tatsächlich  ist 
während  der  Verhandlungen  über  die  Bundesakte,  im  beson- 
deren auch  bei  der  Festsetzung  der  Kontingente,  offiziell  nicht 
vom  Perserkrieg  gesprochen  worden.  Jene  Worte  Justins  aber, 
die  richtig  gedeutet  als  Stimmungsbericht  ganz  vorzüglich  sind, 
werden  für  Kaerst  zu  einer  „allgemeinen  Redewendung  eines 
Epitomators".  So  auch  noch  in  Hell.  P  527,  wo  ihre  Ver- 
wendung zur  Widerlegung  Köhlers  (S.  526/7)  zeigt,  daß  er 
sie  auch  jetzt  noch  nicht  richtig  auffaßt.  Hier  ist  wenigstens 
die  geringschätzige  Charakterisierung  der  ersten  Auflage  S.  427 
(„die  wir  sehr  wohl  als  eine  nichtssagende  Phrase  ansehen 
können")  fortgelassen  worden.  Ebenso  irrig  ist  es  nach  Obigem, 
wenn  er  jene  Worte  Justins  im  Rhein.  Mus.  52,  535  A.  4  mit 
Diodors  §  3:  jLieyäkag  naQaoxEväg  moieho  nqbg  xr\v  em  rovg 
Ilegoag  orgareiav  in  Parallele  stellt. 

2. 
Die  konstituierende  Versammlung  und  die  Kriegssitzung. 

Die  vorstehende  Analyse  von  Diodor  und  Justin  hat  neben- 
bei bereits  ergeben,  daß  bei  beiden  der  Rachekrieg  gegen  Per- 
sien nicht  auf  der  konstituierenden  Versammlung,  sondern  in 
einer  späteren  Sitzung  beschlossen  worden  ist.  Da  Kaerst 
neuerdings  erklärt  hat,  daß  „eine  sichere  Bezeugung  von  zwei 
verschiedenen  Bundesversammlungen  jedenfalls  in  unserer  Über- 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  ^1 

lieferung  nicht  erkennbar"  sei  (Hell.  P  528),  muß  ich  hierbei 
noch  einen  Augenblick  verweilen.  Ich  finde,  wie  schon  oben 
angedeutet  wurde,  die  vermißte  Bezeugung  in  den  Worten, 
mit  denen  Diodor  (§  3)  den  Kriegsbeschluß  einleitet:  öiojieq  iv 
Koqiv&oj  xov  xoivov  owedgiov  ovva%ßevTog.  Wenn  das  ovve- 
doiov  „versammelt"  wurde,  müssen  vorher  die  konstituierenden 
Verhandlungen,  durch  die  dieser  Bundesrat  erst  geschaffen 
wurde,  ihren  Abschluß  gefunden  haben.1)  Die  Urkunde  dar- 
über, die  ovv&fjxai  (vgl.  Ps.  Dem.  17),  muß  perfekt  und  von  den 
Bundesmitgliedern  beschworen  gewesen  sein,  ehe  auf  Grund 
der  Urkunde  die  Bundesratsmitglieder  erwählt  und  zu  der 
Sitzung  nach  Korinth  delegiert  werden  konnten,  in  der  Philipp 
dann  den  Kriegsantrag  gestellt  hat.  So  ergibt  sich  aus 
Obigem  mit  Sicherheit,  daß  wir  die  Kriegssitzung,  in 
der  der  Perserkrieg  beschlossen  wurde,  von  der  kon- 
stituierenden Versammlung  zu  trennen  haben.2)  Wahr- 
scheinlich war  jene  die  erste  Bundesratssitzung  über- 
haupt. 

In  diesem  Grundgedanken  stimme  ich  also  mit  Beloch 
(Griech.  Gesch.  II  606)  überein;  bezüglich  der  absoluten  Chrono- 
logie der  beiden  Versammlungen  kann  ich  ihm  jedoch  nicht 
folgen.  Nachdem  er  S.  573/4  im  Anschluß  an  Chaeronea  über 
die  konstituierende  Versammlung  berichtet  hat,  kommt  er  erst 
S.  606  auf  den  Kriegsbeschluß  zu  sprechen,  den  er  in  den 
Herbst  337  setzt  mit  der  Begründung:  „Diod.  XVI  89,  unter 
dem  Jahre  337/6.  Daß  der  Perserkrieg  nicht  auf  der  kon- 
stituierenden Versammlung  des  korinthischen  Bundesrates  be- 
schlossen wurde,  zeigen  die  Angaben  bei  Justin  IX  5;  auch 
hätte  Philipp    den  Krieg   dann    schon   337    eröffnen    müssen." 


*)  Vgl.  Diod.  XIV  82,  2  (zum  Jahre  395):  xai  xqwxov  ftsv  ovveöqiov 
xoivov  iv  xfj  Koolvftco  ovortjoä/iiEvot  xovg  ßovkevoofxivovs  k'jtsftjiov.  Zuerst 
wird  das  Synhedrion  konstituiert,  dann  werden  die  Abgeordneten  ent- 
sendet. 

2)  Durch  den  bestimmten  Artikel  xov  xoivov  owedgiov  zeigt  Diodor 
deutlich  an,  daß  nicht  ein  Synhedrion  sich  bildet,  sondern  daß  das  Syn- 
hedrion, das  vorher  geschaffen  war,  zusammentrat. 


22  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

Aus  der  letzteren  Bemerkung  ergibt  sich,  daß  Beloch  sich  den 
Schluß  der  konstituierenden  Versammlung  offenbar  vor  dem 
Frühling  337  denkt,  da  nur  dann  die  übliche  Frühlingsoffen- 
sive in  Frage  gekommen  wäre.  Also  nimmt  er  eine  etwa  halb- 
jährige Pause  zwischen  dieser  und  der  Kriegssitzung  an. 
Diesem  entspricht  auch  die  Auseinanderreissung  der  beiden 
Sitzungen  in  seiner  Darstellung  (s.  oben). 

Gegen    diese    Konstruktion    habe    ich    schwere   Bedenken, 
trotz    der  Zustimmung,    die   sie   bei  Wilhelm  1.  c.  S.  43   ge- 
funden  hat.1)     Beloch   scheint  nicht   beachtet  zu  haben,    daß 
nach  Diodor   (vgl.  auch  Polybius  oben  S.  9)  Philipp  persön- 
lich  an   der  Kriegssitzung  teilgenommen    und  selbst  den  An- 
trag gestellt  hat.    Wenigstens  erwähnt  er  dies  in  seiner  Dar- 
stellung  mit   keinem  Wort,    sondern    läßt    den  Krieg    auf  der 
Tagsatzung    einfach    beschlossen    werden.      Mit   Philipps    An- 
wesenheit   wird    aber   die   Annahme    einer   halbjährigen  Pause 
von  vornherein  so  unwahrscheinlich  wie  möglich.    Nach  Diodor 
ist  Philipp   erst   nach   der  Kriegssitzung  nach  Macedonien  zu- 
rückgekehrt.    Zu  welchem  Zweck  sollte  sich  Philipp  zwischen 
den   beiden  Versammlungen    ein    halbes   Jahr   lang    außerhalb 
seines  Reiches  aufgehalten  haben?     Oder  sollte  er  schon  nach 
der    ersten    zurückgekehrt    und    zur    zweiten    nochmals    nach 
Griechenland    gezogen    sein?      Eines    ist    so    unwahrscheinlich 
wie  das  andere.     Alles  spricht  vielmehr  dafür,  daß  es  in  Phi- 
lipps Interesse   lag,    sobald   er   auf  der   konstituierenden  Ver- 
sammlung  sein  Ziel   erreicht   hatte,    auch    sofort   zur  Kriegs- 
sitzung einzuladen.    Wenn  ich  nicht  irre,  kann  man  aus  Dio- 
dor §  2    entnehmen,    daß   diese  Ladung  noch   am  Schluß   der 
konstituierenden   Sitzung   selbst    erfolgte:    cpdoygovovßEvos   de 
Tigög   änavxag   xal  löia   xal  xotvfj  ralg  noXeoiv  ämcpaivExo  ßov- 
Xeo&m  dialexftrjvai  neql  xwv  ovjug)sgövrcov.     Wo  hatte  Philipp 
eine    solche  Gelegenheit,    „allen    privatim    und    öffentlich    sein 
Wohlwollen  zu  zeigen",  wie  gegenüber  den  versammelten  Ver- 


>)  Die  Einwendungen,  die  Kaerst  (Hell.  I2  527/8)  gegen  Beloch  er- 
hebt, sind,  soweit  richtig,  nicht  entscheidend. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  23 

tretern  der  griechischen  Staaten  auf  dem  Kongreß?  Und  was 
lag  näher,  als  daß  er  eben  durch  diese  Vertreter  ihren  jioXeiq 
ankündigen  ließ,  daß  er  auf  einer  Bundesratssitzung  tzsqi  xwv 
ovfjKpeqovTcov  (S.  13  f.)  reden  wolle?1)  So  wird  die  Kriegssitzung 
den  Bundesverhandlungen  gefolgt  sein,  sobald  die  nötigen  For- 
malien erledigt  waren,  d.  h.  sobald  die  ovv&fjxai  beschworen 
und  perfekt  waren,  sodaß  die  Wahl  und  Entsendung  der  ovv- 
eögoi  vorgenommen  werden  konnte. 

Worauf  beruht  nun  Belochs  Annahme  der  halbjährigen 
Pause?  Seine  Prämisse,  daß  die  konstituierende  Versammlung 
vor  dem  Frühling  beendet  gewesen  sei,  ist  an  sich  möglich, 
beruht  aber  nur  auf  einer  Schätzung.  Für  die  Datierung 
der  Kriegssitzung  in  den  Herbst  stützt  er  sich  nur  auf  Dio- 
dors  Datierung  (337/6),  denn  Justin,  den  er  richtig  verstanden 
hat  (s.  oben  S.  19),  gibt  keine  absoluten  Daten.  Die  Unzu- 
verlässigkeit  der  Diodorischen  Chronologie  ist  bekannt  genug. 
Immerhin  sei  daran  erinnert,  daß  wenige  Kapitel  später  (XVII  2) 
die  Taten  Alexanders  vom  Jahre  336  unter  dem  Archonten- 
jahr  335/4  erzählt  werden.  Ferner  hat  sich  uns  oben  ergeben, 
daß  Diodor  in  XVI  89  nicht  nur  die  Kriegssitzung,  sondern 
auch  die  konstituierende  Versammlung  resp.  ihre  Vorbereitungen 
nach  Chaeronea  unter  das  Jahr  337/6  versetzt,  was  auf  alle 
Fälle  ein  Fehler  ist.  Hiernach  nützt  es  der  Autorität  des 
Diodor  wenig,  daß  auch  die  Chronik  von  Oxyrhynchos  (Oxy. 
I  12),  der  überdies  mehrere  Fehler  nachgewiesen  sind,2)  die 
Kriegssitzung  in  das  Archontenjahr  337/6  versetzt.  Selbst 
wenn  man  die  Kriegssitzung  sogleich  in  den  Anfang  des  atti- 
schen Archontenjahres  verlegt  statt  in  den  Herbst,  wozu  keine 
Veranlassung  ist,  würde  Philipp  hiernach,  da  er,  wie  festge- 
stellt, an  der  Sitzung  teilgenommen  hat,  doch  etwa  ein  volles 
Jahr  nach  der  Schlacht  von  Chaeronea  sich  in  Griechenland 
aufgehalten    haben!     Würde    ferner    eine    so    späte   Rückkehr 


1)  So  aufgefaßt   zeigt  der  Satz,   daß  die  Quelle  Diodors  recht  ein- 
gehend über  die  konstituierende  Versammlung  gehandelt  hat. 

2)  Vgl.  außer  dem  Kommentar  der  Editoren  Soltau,  Philologus  58 
(N.  F.  12)  S.  558.    Vgl.  auch  Kaerst  1.  c.  528. 


24  10.  Abhandlung:  ü.  Wilcken 

nach  Macedonien  mit  den  sonstigen  Erlebnissen  Philipps  ver- 
einbar sein?  Zwar  hat  sich  die  frühere  Annahme,  daß  noch 
ein  illyrischer  Feldzug  ins  Jahr  337  zu  setzen  sei,  als  irrig 
erwiesen.1)  Aber  würden  die  Vermählung  mit  Kleopatra,  die 
ihm  noch  vor  seinem  Tode  ein  Kind  geboren  hat,  und  die 
sonstigen  Verwicklungen  im  Hause  chronologisch  untergebracht 
werden  können?  Und  ist  es  wahrscheinlich,  daß  die  konsti- 
tuierende Versammlung,  deren  Schluß  wir  nach  Obigem  dicht 
an  die  Kriegssitzung  heranrücken  müssen,  bis  in  den  Hoch- 
sommer 337  gedauert  hätte?  Alle  diese  Bedenken  sprechen 
dafür,  daß  in  der  chronographischen  Tradition  eine  irrtüm- 
liche Verschiebung  vorliegt ,  und  daß  beide  Sitzungen  ins 
Jahr  338/7  zu  verlegen  sind.  Da  die  erste  Truppensendung 
erst  Frühling  336  erfolgte,  wird  die  Kriegssitzung  immerhin 
—  hierin  folge  ich  Belochs  Anregung  —  so  spät  im  Jahre  337 
getagt  haben,  daß  damals  eine  sofortige  Eröffnung  der  Feind- 
seligkeiten nicht  opportun  erschien.  Daß  die  konstituierende 
Versammlung  sich  bis  dicht  an  diesen  Termin  heran  ausdehnte, 
also  vielleicht  etwas  länger  war,  als  Beloch  annahm,  ist  an 
sich  sehr  möglich.  Bedenkt  man,  wrie  viel  es  nach  dem  Se- 
paratfrieden mit  Athen  —  den  Wendland  1.  c.  177  etwa  2  Mo- 
nate hinter  Chaeronea,  also  Ende  Oktober  ansetzt  —  für  Phi- 
lipp im  Peloponnes  zu  ordnen  gab,  so  werden  wir  den  Anfang 
des  Kongresses  frühestens  in  das  letzte  Ende  des  Jahres  338 
setzen  können.  Bedenkt  man  weiter,  wie  zeitraubend  manche 
Maßregeln  waren,  wie  die  oben  erwähnte  Enquete  über  die 
Waffenfähigen  Griechenlands,  und  daß  Philipp,  ehe  er  die  Ga- 
rantie der  noliTEiai  übernahm,  sie  vorher  in  seinem  Sinne  ge- 
ordnet hatte  (Diod.  XVIII  56,  2),  so  können  sich  die  konsti- 
tuierenden Verhandlungen  sehr  gut  bis  über  den  Frühling 
hinaus  hingezogen   haben.     Es  liegt  mir  fern,    diesen  Termin 


J)  Ed.  Meyer,  Sitzber.  d.  Berl.  Akad.  1909  S.  761.  Meyers  Schluß 
(S.  759  A.  1)  aus  Didymos  13,  4  ff.,  daß  Philipp  339  von  den  Triballern 
geschlagen  sei.  kann  ich  nicht  zustimmen.  Das  Richtige  bei  Walter 
Florian,  Studia  Didymea  historica  ad  saeculum  IV.  pertinentia.  Diss. 
Leipzig  1908  S.  38  f. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  25 

genau  fixieren  zu  wollen.  Es  kam  mir  nur  darauf  an  zu 
zeigen,  daß  die  beiden  Sitzungen  ohne  lange  Pause  aufeinander 
gefolgt  sind  und  sicherlich  nicht  bis  in  den  Herbst  gewährt 
haben. 

Die  Trennung  der  konstituierenden  Versammlung  von  der 
Kriegssitzung,  bezüglich  deren  ich  prinzipiell  mit  Bei  och  ge- 
gen Kaerst  übereinstimme,  ergibt  nun  manche  Konsequenzen, 
die  von  historischem  Interesse  sind. 

Zunächst  folgt  aus  dem  oben  S.  21  Gesagten,  daß  die 
griechischen  Staaten  in  der  konstituierenden  Versammlung  nicht, 
wie  bisher  wohl  allgemein  angenommen  ist, x)  von  den  ovveögoi 
vertreten  gewesen  sind.  Wer  sie  vertreten  hat,  sagt  der  auch 
hierin  wieder  vorzügliche  Bericht  des  Justin  §  1 :  es  waren  ihre 
legati,  ihre  Gesandten,  die  Philipp  nach  Korinth  befohlen  hatte. 
Also  mit  den  Tioeoßeig  der  Einzelstaaten  hat  Philipp  die  Neu- 
ordnung Griechenlands  durchgeführt  und  die  ovv&rjxai  fest- 
gelegt. Diese  grundlegenden  Beschlüsse  sind  nicht  vom  ovv- 
edgiov,  sondern  durch  übereinstimmenden  Beschluß  der  Bundes- 
mitglieder unter  Vermittelung  ihrer  Gesandten  gefaßt  worden. 
Daher  werden  sie  auch  in  unserer  Tradition,  wenn  ich  recht 
sehe,  nicht  auf  das  ovvedgiov,  sondern  auf  die  "EXJj]veg  zurück- 
geführt. So  wird  für  das  Verbot,  daß  die  Griechen  nicht  auf 
Seiten  der  Barbaren  kämpfen  dürfen,  hingewiesen  auf  rä  xoivfj 
öo^avra  rotg  "Elh]oiv  (Arrian  I  16,  6)  oder  rd  döy/naza  ra>v 
'EXhjvwv  (Arrian  III  23,  8).  Vgl.  auch  Ditt.,  Syll.  P  283  (Chios): 
rd  doy/na  to  twv  EXXr/vow.  Dagegen  in  Ditt.,  Syll.  I3  261,  wo 
wirklich  ein  Beschluß  des  Synhedrion  vorliegt,  heißt  es:  y.axa 
rö  dox7]jua  tov  ovveöqcov  TÖivEXXävwv.'*)  Man  vergleiche,  wie 
später  im  Jahre  319  Polyperchon  (Diod.  XVIII  86,  7)  die  Be- 
schlußfassung über  ein  ganz  ähnliches  Verbot  auch  durch  die 
einzelnen  Gemeinden  anordnete:    jioirjoaodai   de   doy/bia  nävzag 


a)  Trotz  seiner  richtigen  Grundauffassung  auch  von  Beloch,  Gr. 
Gesch.  II  606  A.  1 ,  wo  er  von  der  konstituierenden  Versammlung 
des  korinthischen  Bundesrates  spricht. 

2)  Die  Inschrift  ist  daher  genauer  inde  ab  a.  337,  nicht  inde  ab  a.  338 
7,u  setzen,  da  es  338  noch  kein  owsöqiov  gab. 


26  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

Tovg  "Klhjvag  [tijdh'a  orgazeveiv  ju/]Te  Jigdizetv  vnevavxia  fjfuv. 
In  ähnlicher  Form  wird  auch  Philipp  die  von  ihm  gewünschten 
däyfiara  angeordnet  haben  (s.   unten  Abschnitt  3). 

Ferner  ergibt  sich  für  die  Verhandlungsobjekte  der  beiden 
Versammlungen,  daß  der  Krieg  gegen  Persien  ausschließlich 
in  der  Kriegssitzung  besprochen  worden  ist,  während  in  der 
konstituierenden  Versammlung  offiziell  mit  keinem  Wort 
darauf  hingewiesen  ist.  Dies  folgt  deutlich  aus  Justin  §  4 
und  5:  in  dem  Bündnisvertrag  mit  Philipp  war  ganz  allge- 
mein von  der  Möglickkeit  einer  Offensive  unter  Philipps  Lei- 
tung gesprochen  (seu  duce  Mo  bellum  inferendum),  ohne  Hin- 
weis auf  die  Perser,  doch  zweifelte  niemand,  daß  er  gegen 
diese  gerichtet  war  (oben  S.  17).  Gerade  der  letzte  Satz  läßt 
keinen  Zweifel  daran,  daß  es  Philipp  damals  noch  vermieden 
hat,  offiziell  vom  Perserkrieg  zu  sprechen.  Da,  wo  der  Ver- 
trag von  dem  Verbot,  beim  Perser  Solddienst  zu  nehmen, 
handelte,  scheint  man  absichtlich  nur  von  ßdgßaQot.  gesprochen 
zu  haben,  nicht  von  den  Persern.  Vgl.  Arrian  I  16,  6:  ort 
jiagd  rd  xotvf)  dö^avra  rolg  "EXh]oiv  "EXXi]veq  övxeq  ivavria  xfj 
'JEXkdSt  rjihQ  rcor  ßagßdQCDV  ejudyovro.  Vgl.  III  14,  6.  Daher 
auch  Ditt.,  Syll.  P  283,  10  f.  Ich  bin  also  der  Ansicht,  daß 
der  Vertrag  überhaupt  keine  Bestimmungen  über  den  Perser- 
krieg und  über  Persien  enthalten  hat,  während  Kaerst  z.  B. 
annimmt,  daß  er  sehr  wichtige  Festsetzungen  über  das  Ver- 
hältnis des  Bundes  zum  Perserreich  enthalten  habe  (Rhein. 
Mus.  52,  520  A.  1). 

Warum  vermied  Philipp  nun  während  der  konstituierenden 
Versammlung  offen  vom  Perserkrieg  zu  sprechen?  Es  lassen 
sich  verschiedene  Gründe  dafür  denken.  Einmal  wollte  er  wohl 
den  Vertrag  mit  Griechenland,  der  ihm  das  Kommando  über 
die  griechischen  Kontingente  verlieh,  erst  in  der  Tasche  haben, 
ehe  er  dem  Perser  offen  als  Feind  entgegentrat.  Andrerseits 
mochte  er  schon  nach  Chaeronea  voraussehen,  daß,  auch  wenn 
alles  nach  Wunsch  gehe,  er  zum  nächsten  Frühjahr  noch  nicht 
die  griechischen  Kontingente  nach  Asien  führen  könne.  Hätte 
er  schon  damals  den  Perserkrieg  proklamiert,  ehe  er  mit  Grie- 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  "« 

chenland  fertig  war,  so  hätte  er  dem  Perser  Gelegenheit  ge- 
geben, seinerseits  sich  zu  rüsten  und  eventuell  Feindseligkeiten 
zu  eröönen,  während  Philipp  noch  in  Korinth  gebunden  war. 
Darum  hielt  er  den  Kriegsplan  geheim  und  beschränkte  sich 
darauf,  zur  Stimmungsmache  jenes  Gerücht  unter  den  Griechen 
zu  verbreiten. 

Die  Feststellung,  daß  die  ovvßfjxat  noch  keinen  Hinweis 
auf  den  Perserkrieg  enthielten,  ist  wichtig  für  die  scharfe  Auf- 
fassung des  Titels  fjye^iwv,  der  Philipp  nach  Ditt.,  Syll.  I3  260, 
21  bereits  in  diesen  ovv&fjy.ai  beigelegt  war.  Dieser  Titel  ent- 
hält also  noch  keine  spezielle  Beziehung  zu  seinem  Oberkom- 
mando im  Perserkrieg,  sondern  er  bezeichnet  die  leitende  Stel- 
lung, die  Philipp  für  Lebenszeit  an  der  Spitze  des  Hellenen- 
bundes (fjyejuoov  xT]g  'ElXddog)  als  Inhaber  der  Militärhoheit 
zuerkannt  wurde.  Den  militärischen  Charakter  betont  mit 
Recht  Köhler,  Sitzungsber.  1892,  511.  Die  neuerdings  üb- 
lich gewordene  Bezeichnung  als  „Präsident"  trifft  nicht  ganz 
den  Kern. 

Von  diesem  Titel  ist  oft  nicht  scharf  genug  geschieden 
worden  der  Titel  oTQarrjydg  avroy.gdrcoQ,  den  Philipp  erst 
nachträglich  in  der  Kriegssitzung  erhalten  hat.  Vgl.  Diod. 
XVI  89,  3  (vgl.  60,  5),  XVII  4,  9  (von  Alexander),  Pap.  Oxy. 
I  12  1.  c.  Für  die  Richtigkeit  dieser  Tradition  spricht  das 
Wortspiel  in  Ps.  Demosth.  17,  12  (wg  y.al  rfjg  imooxlag  avro- 
xgdroQog  övTog  ey.Eivov),  das  jedenfalls  zeigt,  daß  eine  aino- 
y.Qazeia  dem  macedonischen  König  zugestanden  haben  muß.1) 
Mit  diesem  Titel  muß  im  Gegensatz  zum  perpetuierlichen  yye- 
/u(6v  ein  außerordentliches  Spezialkommando  mit  unumschränkter 
Vollmacht  für  den  Perserkrieg  gemeint  gewesen  sein.  Natür- 
lich blieb  der  König  daneben  immer  der  fjyefxdbv  des  Bundes, 
und  entsprechend  der  militärischen  Bedeutung  von  fiye/ucbv  ist 
dieser  Titel  in  den  alten  Quellen  öfter  auch  mit  dem  Perser- 
zug  verbunden    worden.2)      Auch    macht   es    nichts    aus,    daß 

!)  Dies  meint  offenbar  auch  Niese,  Griech.  Mak.  Staat.  I  39  A.  4. 

2)  Arrian  VII  9,  5  (Rede  Alexanders),  wo  es  von  Philipp  heißt:  y.al 

fjyeficov   aMoxQazioQ    ovpjiäotjg   rijg   äV.rjg  'Jtt/.äöog   a,7ioÖ£ix^^s   t/J;  fxl  töv 


28  10.  Abhandlung:  U.Wilcken 

Aeschines  III  132  —  nicht  titular  —  von  rfjg  im  xöv  IUqor\v 
yyejuoviag  redet.  Dagegen  halte  ich  es  für  inkorrekt,  wenn 
man  umgekehrt  den  Titel  orQairjyog  avroxQdrcag  auf  die  Stel- 
lung des  Königs  an  der  Spitze  des  Bundes  (abgesehen  vom 
Perserzug)  bezieht.  *) 

3. 
Philipps  Auftreten  in  Korinth. 


Die  Frage,  welche  Formen  der  Sieger  von  Chaeronea  ge- 
wählt hat,  um  dem  besiegten  Griechenland  auf  dem  Kongreß 
zu  Korinth  seinen  Willen  aufzudrücken,  ist  von  historischem 
Interesse  sowohl  zur  Beurteilung  der  politischen  Situation  wie 
auch  zur  Würdigung  des  Diplomaten  Philipp.  In  unserer 
trümmerhaften  Tradition  sind  nur  geringe  Anhaltspunkte  zur 
Beantwortung  dieser  Frage,  aber  sie  führen  doch  etwas  weiter, 
als  manche  modernen  Darstellungen  vermuten  lassen. 

Um  die  Kriegssitzung,  für  die  die  Frage  einfacher  liegt, 
vorwegzunehmen,  so  habe  ich  schon  oben  S.  9  A.  1  betont,  daß 
sowohl  Polybius  III  6,  13  wie  Diodor  XVI  89,  3  übereinstim- 
mend berichten,  daß  Philipp  es  gewesen  ist,  der  den  Rache- 
feldzug  vor  dem  Synhedrion  beantragt  hat.  Ein  Zweifel  an 
der  Richtigkeit  dieser  Tradition  scheint  mir  nicht  zulässig  und 
dürfte  kaum  zu  begründen  sein.  Sie  paßt  aufs  beste  zu  der 
anderen  aus  Diodor  und  Justin  gewonnenen  Nachricht,  daß 
Philipp  schon  bald  nach  Chaeronea  das  Gerücht  verbreitete, 
daß  er  einen  solchen  Feldzug  plane  und  zwar  als  panhelleni- 
schen Rachezug  im  Sinne  des  Isokrates.  Mag  das  nQOETqhpaxo 
xovg  ovvedgovg  des  Diodor  eine  Übertreibung  sein  gegenüber 
dem  Tigoeftsro   des  Polybius,   jedenfalls  ist  es  doch  bedeutsam, 


üsQarjv  ozQaziäg.   Vgl.  auch  Aman  I  1,  2.    An  anderen  Stellen  ist  zweifel- 
haft, ob  das  eine  oder  andere  gemeint  ist. 

l)  Vgl.  Ranke,  Weltgeschichte  I  151.  Kaerst,  Rhein.  Mus.  52,  535, 
556;  Hell.  I2  280.  Niese  I  39  A.  4  und  Kaerst,  Rhein.  Mus.  1.  c.  sehen 
in  rjye[xdov  den  amtlichen,  offiziellen  Titel. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  29 

daß  Philipp  selbst  die  Initiative  in  die  Hand  nahm  und  sie 
nicht  dem  Synhedrion  überließ.  Gleichwohl  tritt  das  in  den 
modernen  Darstellungen  meist  nicht  hervor.  Droysen,  Hell. 
P  43:  „Endlich  der  Schlußstein  des  Ganzen:  es  wurde  der 
Krieg  gegen  die  Perser  beschlossen."  Ed.  Meyer,  Kl.  Sehr. 
293:  „Zugleich  proklamierte  dieser  Bund  den  Nationalkrieg 
gegen  Persien.  .  .  .  Wollte  Philipp  sich  jetzt  als  Hellenen  be- 
währen .  .  .,  so  mußte  er  das  nationale  Programm  annehmen" 
etc.  Kaerst,  Hell.  P  270:  „Schon  in  der  antiken  Überlieferung 
tritt  uns  die  Auffassung  entgegen,  daß  von  der  Versammlung 
des  durch  Philipp  zu  Korinth  begründeten  Bundes  hellenischer 
Staaten  ein  allgemeiner  Rachekrieg  .  .  .  beschlossen  worden 
sei."  Auch  S.  273  A.  3  läßt  er  sich  dies  Argument  gegen 
Meyer  entgehen.  Unklar  auch  Beloch,  Griech.  Gesch.  II  606. 
Richtiger,  aber  auch  nicht  scharf  genug  Niese  I  39.    . 

Wenden  wir  uns  zu  der  konstituierenden  Versamm- 
lung. Hierfür  ist  zunächst  wichtig  zu  konstatieren,  daiä  Phi- 
lipp mindestens  schon  zur  Zeit  der  Separatverhandlungen  mit 
Athen  sein  Programm  (xoivtj  eiQijvr)  und  ovveöqiov)  fix  und 
fertig  hatte.  S.  oben  S.  12  zu  Plutarch,  Phok.  16.  In  welcher 
Form  hat  er  dies  Programm  nun  in  Korinth  vorgelegt?  Der 
Einzige,  bei  dem  ich  eine  klare  Aussprache  darüber  gefunden 
habe,  ist  Droysen,  Hell.  P  43:  „dort  (in  Korinth)  wurde  „der 
gemeine  Friede  und  Bundesvertrag "  errichtet,  vielleicht  auf 
Grund  des  von  König  Philipp  vorgelegten  Entwurfes,  gewiß 
nicht  in  der  Form  eines  einseitigen  makedonischen  Befehls." 
Der  Grundgedanke  ist  gewiß  richtig,  daß  Philipp  nicht  ein- 
seitig befohlen,  sondern  auch  der  Beratung  mit  den  griechi- 
schen Gesandten  Raum  gegeben  hat.  Und  doch  läßt  sich, 
wenn  ich  nicht  irre,  zeigen,  daß  er  die  Grundlage  für  die 
Verhandlungen  gerade  in  der  von  Droysen  ausdrücklich  ab- 
gelehnten Form,  nämlich  in  einem  königlichen  Erlaß  vor- 
gelegt hat. 

Ich  entnehme  dies  dem  didygajiijua.  des  Philippos  Arrhi- 
daios  resp.  des  Polyperchon  vom  Jahre  319,  das  uns  Diodor 
XVIII  56   aus  seinem  vorzüglichen  Gewährsmann  Hieronymus 


30  10.  Abhandlung:  ü.  Wilcken 

von  Kardia  im  Wortlaut  überliefert  hat.1)  Der  Grundgedanke 
dieses  königlichen  Erlasses,  durch  den  Polyperchon  im  Kampf 
gegen  Kassander  zu  ovjujuaylai  zu  kommen  hoffte  (c.  55,  3,  vgl. 
69),  ist  der,  daß  die  Ordnung  Griechenlands  wieder  auf  den 
Stand  zurückgebracht  werden  soll,  den  Philipp  in  Korinth  ge- 
schaffen und  Alexander  dann  erneuert  hatte.  Der  König  sagt, 
schon  nach  dem  Tode  Alexanders  habe  er  den  Wunsch  gehabt 
erzavayayeiv  ndvzag  em  zrjv  eiQijvrjv  xal  zag  noXizelag  äg  <Pü.tJi7zog 
6  {/jueregog  Ttazrjo  xazeozyoev  (§  2).  Jetzt  nach  den  Wirren  des 
lamischen  Krieges  und  der  nächsten  Jahre  will  er  dies  nun  aus- 
führen und  erklärt  daher  (§  3):  xazaoxevd£ojiiev  vfiiv  eig^vrjv, 
TioXiTEiag  de  zag  tnl  (PiX'ltztiov  xal  'AXe^dvögov  xal  zälla  ngarzetv 
xazd  xä  öiaygdfxfiaza  zd  tzqoxsqov  vti*  ixeivcov  ygacpevza.  Über 
diese  öiayQd/ujiiaza  des  Philipp  und  Alexander,  die  hier  als  Norm 
hingestellt  werden,  habe  ich  nur  bei  Bö h necke  und  Schäfer 
Ausführungen  gefunden.  Bohne cke  1.  c.  603  meint  offenbar  un- 
sere Stelle,  wenn  er  von  den  Verträgen  Philipps  und  Alexanders 
mit  den  Hellenen  sagt:  de  Ms  pactis  (er  spricht  vorher  über 
die  fertigen  Beschlüsse  von  Korinth)  diagrammata  in  singulas 
clvitates  missa  esse  videntur.  Es  entspricht  aber  weder  dem 
Wesen  der  Verträge  noch  der  dtaygd/ujuaza,  daß  über  schon 
abgeschlossene  Verträge  nachträglich  noch  öiayQdju/uaza  ver- 
fügt sein  sollen.  Schäfer  1.  c.  50  A.  2  denkt  bei  den  öia- 
ygdjujuaza  1.  c.  an  die  in  den  Separatverträgen  von  Philipp  an- 
geordneten und  in  den  allgemeinen  Frieden  aufgenommenen 
Grenzbestimmungen.  Zu  dieser  Deutung,  zu  der  übrigens  das 
zalla  Tzgdzzeiv  nicht  gut  passen  würde,  und  die  überhaupt 
einen  fernliegenden  Gedanken  in  den  Kontext  hineinträgt,2)  ist 
Schäfer  offenbar  gekommen,  indem  er  didy^aju^a  im  Sinne  von 
Figur,  Riß,  Zeichnung  nimmt  und  etwa  an  Flurkarten  denkt. 
Es  scheint  mir  aber  zweifellos,  daß  mit  diesen  von  Königen 
geschriebenen    diayQajujuaza    nur    der    aus    der    hellenistischen 

*)  Für  die  Echtheit  Bei  och,  Griech.  Gesch.  III  102  A.  2.  Jacoby, 
Pauly-Wiss.  VIII  1558. 

2)  Außerdem  sind  derartige  Separatverträge  mit  Grenzregulierungen 
nur  von  Philipp,  nicht  von  Alexander  geschlossen  worden. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  31 

Kanzlei   uns   bekannte   terminus  technicus   für   königliche  Er- 
lasse, Edikte  gemeint  sein  kann.     Das  nächstliegende  Beispiel 
bietet  uns  der  Erlaß  des  Philippos  Arrhidaios  selbst,   der  von 
Diodor  in  c.  55,  3.   57,  1  und  64,  3  ausdrücklich  als  öidyga/ujua 
bezeichnet  wird   (abwechselnd   mit   öidxayjiia,    64,  5).     Ich   er- 
innere   ferner    an    das    öidygauua ,    durch    das    Alexander    im 
Jahre  324  die  Rückkehr  der  Verbannten  angeordnet  hat  (vgl. 
Ditt.,  Syll.3  306  aus  Tegea).     Die  diciygaya  Alexanders  in  der 
äolischen  Inschrift  von   Eresos   (Dittenberger,   Or.  Gr.  I  8  II) 
wird  nur  eine  dialektische  Nebenform  sein.    Im  übrigen  genügt 
es  hier  auf  die  Zusammenstellungen  der  GraecaHalensis  in 
den  Dikaiomata  S.  42  f.    zu    verweisen.     Es  handelt  sich   also 
um  Erlasse  des  Philipp  und  Alexander.    Ich  glaube  nun  nicht, 
daß  hier  ganz  allgemein  auf  die  sämtlichen  Erlasse  hingewiesen 
sein   soll,    die  die   beiden  jemals  verfügt  haben.     Dazu  würde 
schon    nicht   passen,    daß   z.  B.    die  Zuweisung  von  Samos  an 
Athen  (§  7)  im  Widerspruch  steht  zu  jenem  Edikt  Alexanders 
vom    Jahre   324.     Ich   möchte   vielmehr   die    diayQdfifxara   für 
Erlasse   halten,    aus   deren  Inhalt   die  eiQrjvrj  und  die  no forsten 
als  Hauptsachen   besonders  herausgehoben  sind,   während  das 
Übrige  mit  rätta  kurz  zusammengefaßt  ist.     So  komme  ich  zu 
dem  Schluß,  daß  Philipp  (und  ähnlich  später  Alexander)  ein  öid- 
ygaiujua    erlassen    hat,    durch    das   er    die    Grundbestimmungen 
über    die    Eigijvi]    und    die  jioforeiai  usw.    festgelegt   hat.     Mit 
der    Veröffentlichung    dieses    öidygafi/ua    wird    er    die 
konstituierende    Versammlung    zu    Korinth    eröffnet 
haben. 

Ich  gebe  zu,  daß  diese  Deutung  des  schwierigen  Passus 
vielleicht  nicht  absolut  zwingend  ist.  Wenn  ich  sie  trotzdem 
zur  Diskussion  zu  stellen  wage,  so  tue  ich  es,  weil  ich  eine 
sachliche  Stütze  dafür  in  Justins  Worten  in  §  2  finde:  ibi  pa- 
cis  legem  üniversae  Graeäae  —  statuit  und  weiter  in  §  3: 
pacem  —  qiiae  non  ipsis  civitatibus  conveniret,  sed  a  Victore 
ferretur.  Also  „das  Gesetz  des  Friedens"  wird  vom  Sieger 
gegeben!  Schärfer  kann  nicht  ausgedrückt  werden,  daß  die 
xoivrj  eIq/jvi]   von  Philipp   oktroyiert  worden  ist.     Mir  scheint, 


32  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

daß  diese  scharfe  Formulierung  des,  wie  wir  sahen,  hier  vor- 
züglich unterrichteten  Autors  gar  nicht  besser  begründet  sein 
könnte,  als  wenn  Philipp  in  einem  königlichen  didygafi^ia  die 
Bestimmungen  der  eIqtjvi]  und  sein  sonstiges  Programm  den 
Griechen  verkündet  hätte. 

Die  Richtigheit  meiner  Deutung  vorausgesetzt,  würde  ich 
das  historisch  Wichtige  darin  sehen,  daß  Philipp  den  Griechen 
gegenüber  seinen  Willen  in  derselben  Form  kund  zu  tun  für 
richtig  gehalten  hat,  wie  er  es  auch  sonst  als  König  von  Ma- 
cedonien  zu  tun  gewohnt  war,  und  dafä  er  in  dieser  Form  ein- 
seitig die  Grundlagen  für  die  Verhandlungen  festgelegt  hat, 
was  auch  durchaus  der  militärischen  Lage  entsprach.  Bei 
seinem  Bestreben,  sich  die  Sympathien  der  Griechen  zu  ge- 
winnen (vgl.  Diodor,  Polybius),  werden  wir  annehmen  dürfen, 
daß  er  sein  Diagramma  in  den  verbindlichsten  Formen  ab- 
gefaßt und  mit  Versicherungen  seiner  evvoia  nicht  gekargt 
haben  wird,  wie  es  auch  das  Diagramma  des  Philippos  Ar- 
rhidaios  tut,  das  uns  vielleicht  die  beste  Vorstellung  von 
Philipps  Erlaß  geben  kann,  denn  vieles  spricht  dafür,  daß 
Polyperchon,  der  ja  eine  Wiederbelebung  der  korinthischen 
Ordnung  von  338/7  beabsichtigte,  sich  jenes  zum  Muster  ge- 
nommen   hat.1)     Wahrscheinlich   hat  Philipp    in   seinem  Dia- 


l)  Vielleicht  liegt  sogar  eine  wörtliche  Anlehnung  vor  in  xazaoxsv- 
üCo/itsv  v/.iTv  elQiqvrjv.  Das  ist  ein  nicht  gewöhnlicher  Ausdruck.  Bruno 
Keil,  Eigrjvt]  (Sitzber.  d.  Sachs.  Ges.  68.  1916,  4.  Heft)  S.  71  A.  1  kann 
ihn  in  den  Inschriften  nur  ein  einziges  Mal  nachweisen  in  Ditt.,  Or.  Gr. 
I  219,  14,  und  zwar  auch  im  Gebrauch  einer  hellenistischen  Königskanzlei 
(Antiochos  Soter).  Nun  gebraucht  ihn  auch  Alexander  in  dem  Brief  an 
Darius  bei  Arrian  II  14,  6,  den  ich  im  wesentlichen  für  authentisch  halte 
(vgl.  auch  Ed.  Meyer,  Kl.  Sehr.  301  A.  1.  Kaerst,  Hell.  I2  374  A.  1): 
xijv  slQrjvrjv,  i)v  zoTg  "Ellrjai  xazEoxsvaaa.  Damit  kann  nur  die  Erneuerung 
der  xotvT]  siQip')]  zu  Korinth  im  Jahre  336  gemeint  sein.  Der  Ausdruck 
paßt  eher  in  ein  didyga/u/uu  (wie  bei  Polyperchon)  als  in  die  avrdijxai. 
Da  es  feststeht,  daß  er  die  letzteren  (zum  Teil)  wörtlich  vom  Vater  über- 
nommen hat  (S.  3),  liegt  es  nahe,  daß  er  auch  in  dem  didygafi/na,  so- 
weit es  hier  möglich  war,  sich  in  den  wiederkehrenden  Hauptpunkten 
an  die  Diktion  seines  Vaters  angeschlossen  hat,  sodaß  sowohl  Philipp 
wie  Alexander   den  Ausdruck  xazaoxevd£eiv  etQrjvrjv  im  Diagramma   ge- 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  33 

gramma  nur  die  allgemeinen  Grundsätze  festgelegt,  um  da- 
mit eine  Grundlage  zu  schaffen  für  die  Verhandlungen  mit  den 
griechischen  Gesandten.  Die  Ausführung  des  Einzelnen,  zu  der 
er  zum  Teil  ihrer  Mitarbeit  bedurfte,  wie  z.  B.  zu  der  durch 
eine  umständliche  Enquete  festzustellenden  Zählung  der  Waffen- 
fähigen Griechenlands  u.  a. ,  sowie  die  endliche  Ausarbeitung 
des  Wortlautes  der  ovvdfjxcu  kann  darum  doch,  wie  wir  oben 
angenommen  haben,  längere  Zeit  in  Anspruch  genommen  haben. 
Jedenfalls  wird  der  Wortlaut  seines  Diagramma  durch  die  Ge- 
sandten den  beteiligten  Staaten  von  vornherein  als  Grundlage 
für  die  weiteren  Verhandlungen  mitgeteilt  worden  sein,  wie  ja 
auch  Polyperehon  die  von  ihm  beabsichtigte  Parallelaktion  da- 
mit einleitet,  daß  er  den  bei  ihm  versammelten  Gesandten  sein 
Diagramma  zur  Mitteilung  an  ihre  Staaten  übergibt  (c.  55,  3). 
Wenn  Polyperehon  die  Kenntnis  von  Philipps  didyga/n/ua  bei 
den  Griechen  voraussetzt,  so  wird  dieses  in  den  einzelnen 
Bundesstaaten  publiziert  worden  sein.  Daß  Polyperehon  sich 
nicht  auf  die  ovv&^y.ai,  sondern  die  vorherliegenden  öia- 
YQdufxaxa  bezieht,  mag  daraus  zu  erklären  sein,  daß  er 
selbst  zunächst  nur  ein  vorbereitendes  Diagramma  gibt,  dem 
später,  wie  er  hofft,  eine  ovjujuaxia  folgen  soll  (c.  55,  3,  vgl. 
69,  3).  Auch  waren  die  ow&fjxai  inzwischen  von  den  Griechen 
gebrochen  worden,  und  die  konnte  Philippos  Arrhidaios,  da 
sie  einen  zweiseitigen  Vertrag  darstellten,  nicht  allein  wieder 
ins  Leben  rufen.  Dagegen  dem  einseitigen  Edikt  seiner  Vor- 
gänger konnte  er  wieder  Geltung  verschaffen.1) 


braucht  hätten,  woran  bei  Arrian  1.  c.  eine  Reminiszenz  vorläge.  Dann 
hätte  Polyperehon  sich  bewußt  an  jene  didyga/ufiaxa  angeschlossen.  Daß 
er  sich  zur  Abfassung  seines  Erlasses  jene  Urkunden  aus  dem  Staats- 
archiv hervorholte,  ist  jedenfalls  recht  wahrscheinlich. 

M  Wenn  hiernach  auch  Alexander  seine  Verhandlungen  zu  Korinth 
(336)  mit  einem  öidyga^a  eröffnet  hat,  so  tat  er  es  in  Nachahmung 
seines  Vaters.  Wenn  er  sich  hierbei  auch  in  Einzelnem  soweit  mög- 
lich an  seinen  Vater  angeschlossen  haben  wird  (s.  vorige  Anmerkung), 
so  war  doch  die  Situation  jetzt  eine  wesentlich  andere,  insofern  er  be- 
reits den  Hellenenbund  und  das  Synhedrion  vorfand  (vgl.  Diod.  XVII 
4,  9:  zov  d' 'AXegävögov  jtagayyeü.avTog  sk  Köqivdov  anavzäv  zag  re  jiqeo- 
Sitzgsb.  d.  philos.-philol.  u.  d.  bist.  Kl.  Jahrg.  1917,  10.  Abb..  3 


34  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

Wenn  Philipp  in  der  hier  vermuteten  Weise  die  Ver- 
handlungen zu  Korinth  geführt  hat,  so  bietet  dazu  formell 
eine  auffallende  Parallele  das  Vorgehen  des  Artaxerxes  II.  bei 
der  Begründung  des  Königsfriedens  vom  Jahre  386.  Auch 
dieser  verkündete  seinen  Willen  zunächst  in  einem  königlichen 
Erlaß,  der  dann  die  Grundlage  für  die  Formulierung  der  ovv- 
&rjxai  gebildet  hat.  Vgl.  R.  v.  Scala,  Die  Staatsverträge  des 
Altertums  I  S.  110  ff.  Die  geschäftliche  Behandlung  durch 
den  persischen  und  den  macedonischen  König  stimmen  mutatis 
mutandis  im   wesentlichen  überein. 

Das  Durchdenken  dieser  formellen  Parallele  führte  mich 
auch  zu  einer  sachlichen  Gegenüberstellung  des  Königsfriedens 
und  des  philippischen  Friedens.  Hierbei  kam  ich  zu  einer 
Auffassung  der  Politik  Philipps,  deren  Gültigkeit  unabhängig 
ist  von  der  Frage,  ob  ich  ihm  mit  Recht  ein  didyQajujua  zu- 
geschrieben habe,  ob  also  jene  formelle  Parallelität  besteht 
oder  nicht.  Die  sachliche  Parallele  oder  besser  die  sachliche 
Antithese  ist  historisch  viel  wichtiger,  und  diese  scheint  mir 
evident  zu  sein.  Artaxerxes  hatte  durch  seine  eiQrjvr],  nach  der 
die  kleinasiatischen  Griechen  zum  Perserreich  gehörten,  die 
übrigen  griechischen  Staaten  ihre  Autonomie  durch  den  Perser- 
könig  als  den  (pvAag  ifjg  elQrjvr)Q  (Isokr.,  Paneg.  175)  garantiert 
erhielten,  das  Staatsgrundgesetz  geschaffen,  durch  das  er  Hellas 
in  Abhängigkeit  vom  Perserreich  hielt.  Philipp  dagegen  brachte 
durch  seine  Neuordnung,  nach  der  er  als  yyEjucbv  tfjg  eEXXddo<; 
die  Garantie  für  die  Freiheit  und  Autonomie  der  Hellenen  über- 
nahm, Griechenland  in  Abhängigkeit  von  Macedonien  und  dies 
zu  einer  Zeit,  in  der  rechtlich  und  faktisch  jener  Königsfriede 
noch  in  Geltung  war.  Das  bedeutete  also  eine  bewußte  ge- 
waltsame Beseitigung  des  Königsfriedens.  Macedonien  trat 
dadurch  Hellas  gegenüber  an  die  Stelle,  die  seit  fast  50  Jahren 
Persien  eingenommen  hatte.  Man  könnte  hiernach  das  Ziel  von 
Philipps  Griechenpolitik  auch  geradezu  dahin  formulieren,  daß 


ßsiag  xal  xovg  aweSgov? ,  eneidtj  ovvrjX&ov  ol  ovveSqsvsiv  elco&oiss 
htL).  Es  bedurfte  hier  nur  einer  Erneuerung  des  alten  Vertrages  (s.  hier- 
zu oben  S.  3). 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  35 

er  an  die  Stelle  des  Königsfriedens  den  philippischen 
Frieden  setzte.  Daß  seift  Verbot,  daß  kein  Grieche  beim 
„Barbaren"  Solddienste  nehmen  dürfe,  auf  die  Schwächung  der 
persischen  Macht  abzielte,  ist  auch  bisher  nicht  verkannt  wor- 
den. Ich  möchte  aber  nach  Obigem  noch  allgemeiner  in  der 
Neuordnung,  die  er  zu  Korinth  schuf,  einen  Schlag  gegen  Per- 
sien sehen  mit  dem  Ziel,  die  macedonische  Suprematie  über  Hellas 
an  die  Stelle  der  persischen  zu  setzen.  Da  dies  ohne  die  Ent- 
scheidung der  Waffen  nicht  durchführbar  war,  so  ergibt  es 
sich  von  hier  aus  als  etwas  Selbstverständliches,  daß  die  Kriegs- 
proklamation gegen  Persien  dem  Abschluß  seines  Friedens  auf 
dem  Fuße  folgen  mußte,1)  und  wir  begreifen  aus  seiner  Ab- 
sicht den  Königsfrieden  zu  beseitigen,  daß  die  Befreiung  der 
kleinasiatischen  Griechen  und  ihr  Anschluß  an  den  korinthi- 
schen Bund  sein  nächstes  Kriegsziel  sein  mußte  (Diod.  XVI 
91,  2).  Auch  von  diesen  Gedankengängen  aus  bestätigt  sich, 
daß  eine  Eroberung  des  gesamten  Perserreiches,  wie  sie  später 
Alexander  durchgeführt  hat,  außerhalb  des  Rahmens  seiner 
Politik  gelegen  hat. 

4. 
Zu  Wilhelms  Urkunden  des  korinthischen  Bundes  der  Hellenen. 

Die  obigen  Ergebnisse ,  im  besonderen  die  Scheidung 
zwischen  der  konstituierenden  und  der  Kriegs-Sitzung,  werfen 
auch  einige  neue  Lichter  auf  die  drei  Inschriften,  die  Wil- 
helm in  so  scharfsinniger  Weise  zum  korinthischen  Bunde  in 
Beziehung  gesetzt  hat  (s.  oben  S.  3). 

A. 

Die  erste  Inschrift  (=  IG  IP  236  =  Ditt.,  Syll.  P  260) 
ist,  abgesehen  von  dem  oben  besprochenen  Dissens  über  die 
Zugehörigkeit    der    Eleimioten,     in    allem    Wesentlichen    von 


']  Vgl.  Kaerst,  Hell.  I2  271,  dessen  Ausführungen  sich  zum  Teil  mit 
dem  obigen  Gedankengang  berühren. 


36  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

Wilhelm  überzeugend  erklärt  worden.1)  Fraglich  bleibt  nur 
noch,  zu  welchem  Zweck  die  Liste  der  Bundesmitglieder  mit 
Angabe  ihrer  Stimmenzahl  hinzugefügt  worden  ist.  Daß  sie 
am  Schluß  der  Gesamturkunde  gestanden  hat,  zeigt  die  Photo- 
graphie. Ich  nahm  zunächst  an,  daß  die  Liste  als  Appendix 
zu  dem  Text  der  ovv&fjxai  aufzufassen  sei,  etwa  wie  in  der 
Urkunde  über  den  zweiten  attischen  Seebund  (Syll.  P  147) 
zum  Schluß  die  Liste  der  noXeig  ovjtijuaxot  folgt.  Dies  scheint 
auch  die  Ansicht  von  Wilhelm  zu  sein  (S.  21/22).  Wie  dort 
Z.  69  f.  würde  auch  hier  in  den  ovvftrjxm  ein  Hinweis  auf  die 
unten  folgende  Liste  anzunehmen  sein.  Daß  dort  keine  Stimmen 
angegeben  sind,  erklärt  sich  aus  der  dort  herrschenden  Stimmen- 
gleichheit. Eine  andere  Deutung  schlug  mir  Hiller  von 
Gaertringen  vor,  dem  ich  für  eine  eingehende  Aussprache 
über  die  Wilhelmschen  Urkunden  zu  lebhaftem  Dank  ver- 
pflichtet bin.  Nach  ihm  hat  die  Liste  vielmehr  den  Zweck 
anzugeben,  mit  wieviel  Stimmen  die  Bundesmitglieder  den  in 
Frage  stehenden  Beschluß  gefaßt  haben.2)  Stellen  wir  uns 
auf  diesen  Standpunkt,  so  kann  nach  den  obigen  Ausführungen 
die  Liste  sich  nicht  auf  die  in  der  konstituierenden  Sitzung 
vereinbarten  ovv&rjxai  beziehen,  da  diese  nicht  von  den  ovv- 
eÖQoi  beschlossen  worden  sind  (s.  oben  S.  25).  Andrerseits  muß 
es  ein  Beschluß  sein,  der  mit  jenen  ovv&fjuai  so  eng  zusam- 
menhängt, daß  man  beide  auf  demselben  Stein  publizierte. 
Dies  paßt  für  den  Kriegsbeschluß,  der  in  der  Kriegssitzung 
von  den  ovvedgoi  gefaßt  worden  ist  (s.  oben  S.  21).  Der  enge 
zeitliche  und  politische  Zusammenhang  zwischen  den  beiden 
Beschlüssen  würde  in  der  gleichzeitigen  Publikation  auf  einem 
Stein   klar  zum  Ausdruck  kommen.     Also   hätte   hiernach   auf 


*)  Statt  oi  dsl  ösö/lisvoiJ  in  Z.  19  wäre  vielleicht  oi  adixovfiEvoi]  vor- 
zuziehen. Vgl.  Syll.  I3  181,  33:  xaüözi  av  Inayyilloiaiv  oi  äjöixovfisvoi. 
Bedenken  habe  ich  gegen  die  Ergänzung  in  21:  xadozi  [av  rji  ovvzsiay- 
(xevov  ifiavjtcöi. 

2)  Er  verwies  dabei  auf  die  delphischen  Amphiktyonen-Beschlüsse 
(Syll.  II'  826).  Vgl.  z.  B.  E  32:  sxqwclv  AeX<pä>r  yärpoi  ovo  .  .  .  OsaaaXwv 
ij'äcpoi  ovo   .   .    .   usw. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  37 

unserem  Stein  hinter  den  ovv&fjxai  xal  oqxoi  auch  noch  der 
Kriegsbeschluß  gestanden.  Da  dieser  zweifellos  einstimmig  ge- 
faßt ist,  könnten  wir  auch  nach  dieser  Deutung  dem  Text  ent- 
nehmen, wie  viele  Stimmen  den  genannten  Bundesmitgliedern 
rechtlich  zugestanden  haben.  Hiernach  würde  die  2.  Kolumne 
von  Fragment  a  als  zum  Kriegsbeschluß  gehörig  ihre  Erklä- 
rung finden.  Dies  scheint  mir  ein  Argument  für  Hillers  Auf- 
fassung zu  sein. 

B. 

Die  zweite  Inschrift,  die  Fragmente  aus  Epidauros  (=  IG 
IV  924),  deutet  Wilhelm  zum  Schluß  folgendermaßen  (S.  44): 
„Bruchstücke  der  Abmachungen,  die  König  Philipp  im  Jahre 
337  v.  Chr.  zur  Führung  des  Feldzuges  gegen  Persien  mit  den 
Hellenen  getroffen  hat,  scheinen  in  der  Inschrift  aus  Epidauros 
vorzuliegen."     Hierzu  habe  ich  zweierlei  zu  bemerken. 

Erstens  scheint  mir  durch  keines  der  Fragmente  sicher- 
gestellt zu  sein,  daß  der  Text  sich  auf  Philipp  bezieht.  So- 
weit ich  sehe,  kann  er  ebensogut  auf  Alexander  bezogen  werden. 
Es  bleibt  somit  unentschieden,  ob  wir  die  Urkunde  in  337  oder 
336  zu  setzen  haben. 

Zweitens  habe  ich  Bedenken,  diesen  Text  auf  den  Kriegs- 
beschluß zu  beziehen.  Wenn  ich  recht  sehe,  ist  Wilhelm  zu 
seiner  Auffassung  speziell  durch  ]cov  ßaoi[X  in  G  3  bestimmt 
worden.  Er  gibt  zwar  zu  (S.  43),  daß  hier  auch  von  dem  je- 
weiligen König  von  Macedonien  (Maxedövjcov?)  die  Rede  sein 
könne  oder  auch  von  ßaoi[hxd  o.  ä.  (S.  42),  scheint  aber,  wie 
die  Ausführungen  auf  S.  43/4  nahelegen,  die  Deutung  auf  den 
„ Perserkönig "   zu  bevorzugen. 

Geht  man  von  der  Scheidung  der  ovvfifjxai  und  dem 
Kriegsbeschluß  aus,  so  sieht  man,  daß  diese  epidaurischen 
Fragmente  entschieden  besser  zu  jenen  als  zu  diesem  passen. 
An  den  verschiedensten  Stellen  wird  hier  von  den  ovvsöqoi 
und  ihren  Pflichten  gesprochen.  In  C  ist  von  äjioygarpai  die 
Rede    und    von   tiqoföqoi    und    ihrem  jigoEÖgeveiv.1)     Das  alles 


')  Was  sind  das  für  jiQÖedgoi'?    Leiteten  sie  die  Verhandlungen  des 


88  10.  Abhandlung:  U.  Wilcken 

sind  zivile  Verordnungen,  die  wir  uns  sehr  gut  in  den  ovv- 
Orjxai  denken  können,  aber  nicht  im  Kriegsbeschluß.  Danach 
wird  man  dann  auch  die  5  letzten  Zeilen,  die  von  militärischen 
Dingen  handeln,  auf  eine  Bundesexekution  und  nicht  auf  den 
Perserzug  beziehen.  Der  Text  besagt  nach  Wilhelms  aus- 
gezeichneter Restitution,  data,  wenn  ein  Bundesmitglied  nicht 
[rechtzeitig]  die  ihm  auferlegten  Truppen  (rrjv  dv[va/uiv  xr\]v 
Terayuevip')  entsendet,  es  eine  Konventionalstrafe  zu  zahlen  hat, 
die  sich  abstuft,  je  nachdem  es  sich  um  Innels,  önXixai,  xpiloi 
oder  vavxai  handelt,  und  zwar  pro  Tag  für  die  Dauer  des  be- 
treffenden militärischen  Unternehmens  (ewg  av  [i£ttftt]i  6  yjqö- 
vog  rfjg  oxga[x£iag  roT]g  äUoig  "E[llr\oiv]  oder  ifmxovQoig]). 
Das  paßt  alles  vortrefflich  auf  eine  Bundesexekution,  denn  so- 
wohl aus  den  ovv&fjxai  wie  aus  den  öqxoi  wissen  wir,  daß, 
falls  ein  Bundesmitglied  den  Vertrag  gebrochen  hatte,  die  an- 
deren eidlich  verpflichtet  waren  gegen  ihn  zu  Felde  zu  ziehen. 
Vgl.  Ps.  Dem.  17  §  6:  nooGyeyoanxai  er  xalg  ovv&rjxate  noU- 
juiov  elvcu  xöv  exeiva  äneo  'AMfavdoog  noiovvxa  (inaoi  xoig  xrjg 
sigjjvrjg  xoivcovovoi  xal  xi]v  %d>qav  avrov,  xal  oxqaxEveodai 
en  avrov  änavxag.  Vgl.  §  10.  Dementsprechend  heißt  es 
in  dem  Eid  (Syll.  P  260)  im  Falle  des  Bundesbruches  eines 
Mitgliedes:  ßorjftrjow]  .  .  .  xal  tioIe/jl^oo)  tco[i  xijv  xoivtjv 
EiQi]vr]v  naojaßaivovxi  xadoxi  [av  r\i  ovvxExayjUEVov  E/Ltav(?)lx&i 
xal  6  fjyEfjucbv  xeXevy]l.  Die  letzten  Worte  erklären  das 
trjv  dvfva/uiv  xi)]v  xExay  [xevyjv  unserer  Inschrift.  Die  Erwäh- 
nung der  vavxai  spricht  nicht  gegen  die  Beziehung  auf  eine 
Bundesexekution,  denn  da  auch  zahlreiche  Inseln  Mitglieder 
des  Bundes  waren,  mußte  man  eventuell  auch  maritime  Ex- 
peditionen unternehmen. 

Hiernach  ziehe  ich  vor,  die  epidaurischen  Fragmente  als 
Bruchstücke  aus  den  ovvdfjxai  Philipps  resp.  Alexanders  zu 
deuten.  Das  ßaoiß  kann  hiernach  nicht  auf  den  Perserkönig 
bezogen  werden,   da  ja,  wie  ich  oben  zeigte,   in  den  ovv&rjxai 

owidgiov'?  Sonst  scheinen  sie  nicht  bekannt  zu  sein.  Zu  vergleichen 
wären  etwa  die  nooaxäxai  des  avviboiov  des  aetolischen  Bundes.  Vgl. 
meinen  Aetolia- Artikel  bei  Pauly-Wissowa  I  1120. 


Beiträge  zur  Geschichte  des  korinthischen  Bundes.  39 

Philipps  jede  direkte  Bezugnahme  auf  Persien  absichtlich  ver- 
mieden wurde.  Dasselbe  wird  aber  auch  von  den  ovv&fjxai 
Alexanders  gelten  trotz  der  veränderten  politischen  Lage  von 
336,  da  er  ja  den  Wortlaut  seines  Vaters  mutatis  mutandis 
nur  wiederholt  hat.  Es  hindert  uns  aber  auch  nichts,  in  ßa- 
ot[X  eine  Erwähnung  der  macedonischen  Königsgewalt  anzu- 
nehmen, wie  ja  auch  Wilhelm  die  Möglichkeit  zugegeben  hat. 
Ebensogut  wie  in  den  oqkol  dieser  ovv&>~jy.ai  von  ßaaikeiav 
[r]i]v  <£>[äiJi7iov  xal  xcöv  exyörjcov  die  Rede  ist  (Syll.  P  260  a, 
11),  kann  in  den  ovv&rjxai  auch  in  anderem  Zusammenhange 
von  tyjv  <Pdijuiov  resp.  'AXe^dvdoov  xal  xcöv  ixyovjcov  ßa- 
otfXelav  o.  ä.  gesprochen  sein. 

C. 

Über  die  dritte  Inschrift  —  ein  athenisches  Fragment, 
das  Wilhelm  hier  zum  ersten  Male  bekannt  gibt,  —  sagt  er 
S.  46:  „Ist  dem  so,  so  enthält  die  Inschrift  Reste  der  Ab- 
machungen, die  Alexander  mit  den  Athenern  oder  den  Mit- 
gliedern des  Hellenenbundes  überhaupt  bei  dessen  Erneuerung 
in  Bezug  auf  ihr  Einschreiten  gegen  Friedensstörer  oder  ihre 
Beteiligung  an  dem  Kriege  gegen  Persien  getroffen  hat." 

Von  diesen  beiden  Alternativen  scheidet  meines  Erachtens 
die  zweite  (Perserkrieg)  dadurch  aus,  daß  in  Z.  11  mit  ]äv 
yjgcojvxai  riji  oigariäi  deutlich  auf  Bundesmitglieder  hinge- 
wiesen wird,  die  zu  ihrem  Schutz  die  in  Frage  stehenden 
Truppen  erbeten  haben.1)  Also  handelt  es  sich  um  Bundes- 
hilfe gegen  Friedensstörer,  nicht  um  den  Perserkrieg.  Da 
Kaerst,  Hell.  P  529  in  Bezug  auf  unsere  Inschrift  von  grie- 
chischen Bundeskontingenten  spricht,  mache  ich  darauf  auf- 
merksam, daß  es  sich  in  Z.  9/10  speziell  um  die  Entsendung 
macedonischer  Hilfstruppen  handelt,  denn  vnaomoxai  sind 
als  Truppengattung2)  doch  nur  für  das  macedonische  Heer  be- 


1)  So  auch  Wilhelm  S.  47. 

2)  An  „ Schildknappen",  wie  sie  unter  diesem  Namen  für  Sparta  be- 
zeugt sind  (vgl.  Ad.  Bauer,  Die  Kriegsaltertümer2  S.  318),  kann  hier 
nicht  gedacht  werden.    Dagegen  spricht  schon  das  Verpflegungsgeld  von 


•  ^        10.  Abhandlung:  U.  Wilcken,  Beiträge  zur  Geschichte  usw. 

zeugt.  Es  ist  auch  ganz  in  der  Ordnung,  daß  im  Falle  des 
Friedensbruches  gerade  auch  die  macedonischen  Truppen  mit 
eingreifen,  wobei  zunächst  an  die  Garnisonen  von  Korinth  etc. 
zu   denken  sein  wird. 

Hiernach  scheint  auch  dies  Fragment  zu  den  ovv&rjxai 
zu  gehören,  und  zwar  wegen  der  Nennung  Alexanders  zu 
denen  von  336.  Die  Schlußbemerkung  über  die  Publikation 
in  Pydna1)  zeigt,  daß  wir  den  Schluß  der  ovvdrjy.ai  vor  uns 
haben.  Dazu  paßt,  daß  hier  die  Strafbestimmungen  für  die 
Übertreter  des  Vertrages  stehen. 


einer  Drachme.  Auch  Wilhelm  denkt  an  die  macedonischen  Hypas- 
pisten  (S.  46/47),  hebt  aber  die  historische  Bedeutung  der  Nachricht  nicht 
hervor;  daher  wohl  der  Irrtum  Kaersts. 

*)  Gegen  Wilhelms  Ergänzung  zorg  tsxayfievovg  ixi  zfji  y.otvfji  vpv- 
).a]ySji  ozt~]oai  xtk.  und  seine  weiteren  Konsequenzen  vgl.  die  Bedenken 
von  Kaerst,  Hell.  I2  529 f.  Darin  hat  Kaerst  gewiß  Recht,  daß  der  ganze 
Grundgedanke  der  Rede  Ps.  Dem.  17  verlangt,  daß  dort  mit  den  zszay- 
fievot  xxX.  eine  macedonische  Behörde  gemeint  ist,  nicht  ein  Bundes- 
ausschuß, wie  Wilhelm  und  Niese  annehmen.  Ist  Wilhelms  Ergän- 
zung richtig  —  und  eine  andere  Deutung  der  <pv?.]ay.fji  sehe  ich  we- 
nigstens nicht  — ,  so  würde  zu  dieser  Auffassung  von  jener  Behörde  ja 
auch  gut  passen,  daß  sie  die  Aufstellung  im  macedonischen  Pydna  be- 
sorgen soll.  Im  übrigen  reicht  unser  Material  zu  einer  klareren  Vor- 
stellung von  dieser  Behörde  noch  nicht  aus. 


AS 

182 

M823 

1917 


JLATE  AS  MONCGRAPH 

Akademie  der  Wissenschaften, 
Munich.     Philosophisch- 
Historische  Abteilung 
Sitzungsberichte 


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