i BINDING LIST if^ 3 1928
Sitzungsberichte
der
philosophisch -philologischen
und der
historischen Klasse
der
K. B. Akademie der Wissenschaften
zu JVtüncheii
Jahrgang 1917 y^
1
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz'schen Verlags (J. Roth)
As
IQ17
Akademische Buchdruckerei von F. Straub in München
Inhaltsübersicht
Seite
I. Sitzungsberichte . . . . . 5—20
Darin Titel und Inhaltsangaben folgender in diesem Bande
nicht gedruckter Abhandlungen:
G. Hager: Charakteristik der Gotik Oberbayerns . . . 9 — 10
P. Wolters: Bemerkungen über die architektonische Gestaltung
der mithraeischen, Höhlenform nachahmenden Heiligtümer 10 — 11
F. Muncker: Klopstocks Vater 11
Th. Bitterauf: Die Anfänge des Ministeriums Montgelas bis
zum Frieden von Luneville 17
H. Bulle: Archaisierende griechische Rundplastik ... 18
F. Hümmerich: Quellen und Untersuchungen zur Fahrt der
ersten Deutschen nach dem portugiesischen Indien 1505/6 18—20
M. Doeberl: Beiträge zur Geschichte der bayerischen Verfassung 20
II. Verzeichnis der im Jahre 1917 eingelaufenen Druckschriften 21—42
III. Abhandlungen
1. H. Prutz: Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von
Orleans 1—96
2. C. Sachs: Die Musikinstrumente Birmas und Assaras im
K. Ethnographischen Museum zu München (mit 19 Tafeln) 1 — 47
3. F. Vollmer: Zur Geschichte des lateinischen Hexameters.
Kurze Endsilben in arsi 1 — 59
4. G. Leidinger: Bernardus Noricus. Untersuchungen zu den
Geschichtsquellen von Kremsmünster und Tegernsee . 1 — 52
5. R. Da viel söhn: Die Vorstellungen vom alten Reich in ihrer
Einwirkung auf die neuere deutsche Geschichte . . 1 — 49
Inhaltsübersicht
Seite
6. K. v. Amira: Die .große Bilderhandschrift von Wolframs
Willehalm u (mit 2 Tafeln) 1-31
7. N. Wecklein: Textkritische Studien zur llias . . . 1 — 177
8. A. Hillebrandt: Der freiwillige Feuertod in Indien und
die Somaweihe 1 — 19
9. F. Vollmer: Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein 1 — 32
10. U. Wilcken: Beiträge zur Geschichte des korinthischen
Bundes . . . 1-40
5
Sitzungsberichte
der philosophisch-philologischen und der
historischen Klasse
der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
1917.
Vorsitzender Klassensekretär Herr Marcks.
Sitzung am 13. Januar.
Herr Prutz legte eine für die Sitzungsberichte bestimmte
Abhandlung vor:
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von
Orleans.
Darin wird zunächst der Nachweis geführt, daß von den
beiden durch eine Abschrift Ducanges erhaltenen Chroniken
nur die „Denkwürdigkeiten" von Perceval de Cagny herrühren,
die „Genealogie der Herzöge von Alencon" dagegen im Auf-
trag desselben von einem andern, literarisch gebildeten Autor
verfaßt ist. Die zwischen 1436 und 1441 aufgezeichneten
Erinnerungen des im Dienst der Alencons ergrauten Ritters
gehören zu den wertvollsten Quellen für die Geschichte der
Jungfrau von Orleans, der er mehrfach nahe gekommen war
und deren Taten, wie namentlich den Loirefeldzug und den
vergeblichen Angriff auf Paris, er als Mithandelnder beob-
achtet hatte, ohne den Glauben an überirdische Kräfte in ihr,
aber in richtiger Schätzung des Einflusses, den sie auf Volk
und Heer ausübte. Unberührt von der früh einsetzenden
Legendenbildung gibt Perceval de Cagny das getreuste histo-
rische Bild der Heldin. Weiterhin wird gezeigt, daß die so-
genannte „Prüfung" der Jungfrau zu Poitiers kein feierliches
Sitzgsb. d. pliilos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917. ((
6 Sitzung am 13. Januar.
rechtliches oder kirchliches Verfahren war, sondern nur ein
form- und zwangloser Versuch, die Wahrheit ihrer Angaben
über die ihr gewordenen himmlischen Eröffnungen zu ermitteln;
er blieb vergeblich, da Johanna das von ihr verlangte „Zeichen"
nur im Kampf gegen die Engländer geben zu können erklärte.
Schließlich wird dargetan, wie das Bild durchaus unzutreffend
ist, welches die spätere Überlieferung von der leitenden Rolle
entwirft, die Johanna bei dem Zuge nach Orleans und in den
zur Rettung der Stadt geführten Kämpfen gespielt haben soll.
Insbesondere kann von einer Leitung der militärischen Unter-
nehmungen durch sie nicht gesprochen werden, wohl aber sind
schon frühzeitig Züge hinzugedichtet worden, die im Wider-
spruch mit den geschichtlich erweisbaren Tatsachen Johanna
als die Leiterin des ganzen Unternehmens darstellen sollten.
Von der Legende rezipiert haben sie selbst die Erinnerung
manches der in dem Rehabilitationsprozeß vernommenen Zeugen
beeinflußt, um so mehr, als diese sich mit der zur Herrschaft
gelangten und aus politischen Gründen festgehaltenen Tradi-
tion nicht in Widerspruch setzen mochten.
Herr Scherman legte eine Abhandlung des Dr. Curt Sachs
in Berlin vor:
Die Musikinstrumente Birmas und Assams im
K. Ethnographischen Museum zu München.
Der Verfasser legt die Aufzeichnungen Prof. Schermän's zu
Grunde, die sich auf den hier in Betracht kommenden Teil
von dessen hinterindischen Sammlungen beziehen; diese wurden
1911 begonnen und dann noch mit Unterstützung von Regie-
rungsbeamten und Missionaren in Oberbirma und Assam wesent-
lich ergänzt, sodaß nunmehr in Deutschland nach dem Urteil
des Verfassers das Münchener Ethnographische Museum ge-
meinsam mit dem Berliner Museum für Völkerkunde im bir-
manisch-assamischen Besitzstand die Führerschaft hat. Die
Arbeit von Sachs bietet, mit dem nötigen Illustrationsmaterial
ausgestattet, ein Inventar des Münchener Bestandes, wobei jeder
Sitzung am 3. Februar. '
Gruppe eine ethnologische Gesamtwürdigung vorangestellt wird.
In der Einleitung erörtert der Verfasser insbesondere den An-
teil der Shan-Staaten an diesem Kapitel der hinterindischen
Kulturentwicklung; er hält es für wahrscheinlich, daß ent-
sprechend der Nordsüdrichtung in den Wanderstraßen der tibeto-
birmanischen, sino-siamesischen und Mon-Khmer-Völker auch die
Musikinstrumente des südöstlichen Asien zum großen Teile ihren
Ursprung etwa auf der indisch-chinesischen Grenzscheide haben
und von dort aus unter dem Nachdrängen vollkommenerer Typen
den Weg nach Südosten einschlugen. Während die neueren
hinterindischen Kulturvölker je nach ihrer Eigenart diese alten
Typen weitergebildet und durch vorderindische, chinesische und
malaiische Arten ergänzt haben, blieben die Völker der Shan-
Staaten fast unbeeinflußt und haben dem Forscher das Bild
einer im wesentlichen urwüchsigen, aber reichen und frucht-
baren instrumentalen Entwicklungsstufe erhalten.
Die Abhandlung wird in den Sitzungsberichten erscheinen.
Sitzung am 3. Februar.
Herr Vollmer berichtete über
Metrische Studien zur Geschichte des lateinischen
Hexameters.
Seine Untersuchungen behandeln die sogenannte Dehnung
kurzer Endsilben in arsi und verfolgen diese Erscheinung, die
wichtige Aufschlüsse über die Schaffung des lateinischen Hexa-
meters durch Ennius im Anschluß an Homer, über allerlei
Fragen lateinischer Prosodie, über Einfluß der Rhetorik auf
die Poesie zu geben vermag, von Ennius bis ins 6. Jahrhundert
nach Christus.
a*
8
Sitzung am 3. März.
Herr Leidinger hielt einen Vortrag:
Bernardus Noricus. Untersuchungen zu den
Geschichtsquellen von Kremsmünster und
Tegernsee.
In dem von dem letzten Agilolfin gerherzog Tassilo von
Bayern gegründeten oberösterreichischen Kloster Kremsmünster
entstanden gegen Ende des 13. und im Anfange des 14. Jahr-
hunderts Geschichtswerke, welche für die ältere bayerische und
österreichische Geschichte von ziemlichem Werte sind. Als
Verfasser wurde bald ein gewisser Bernardus Noricus, bald
ein Sigmar von Kremsmünster betrachtet. Der Vortragende
wies nach, daß Aventinus, in dessen Werken man bisher den
Namen des Bernardus Noricus zuerst gefunden hat, diesen
durchaus nicht als Verfasser jener Geschichtsquellen bezeich-
nete, sondern daß nur infolge irrtümlicher Auffassung von
Aventins Angaben die spätere Geschichtsliteratur den Bernar-
dus Noricus mit jenen Aufzeichnungen von Kremsmünster in
Beziehung gesetzt hat. Das Werk, welches bei Aventinus
unter dem Namen des Bernardus erscheint, ist ein in dieser
Form in drei Handschriften überliefertes Bruchstück der von
dem Mönch Heinrich von Tegernsee im 12. Jahrhundert ver-
faßten Legende des hl. Quirinus, deren interessantester Teil
dann in die Gründungsgeschichte und Chronik des Klosters
Tegernsee überging. Dieses Bruchstück war im 15. Jahr-
hundert irrtümlich einem Bernardus von Kremsmünster zu-
geschrieben und später von Aventinus benützt worden. Der
Vorwurf einer Fiktion, den man Aventinus gemacht hat, ist
ungerechtfertigt.
Sitzung am 5. Mai.
Herr Hager trug vor:
Charakteristik der Gotik Oberbayerns.
Die oberbayerische Gotik hat nichts Bestechendes, nichts
Einschmeichelndes. Die Schuld daran trägt das Baumaterial
des Landes. Sand- und Kalkstein fehlen in weiten Gegenden.
Der Backstein herrscht. Dagegen kommt Tun0 und Nagelfluh
vor, selbst Granit, Gneis und Glimmerschiefer von den Find-
lingen. Dekorative gotische Einzelheiten mußten vielfach ge-
gossen oder aus Kunststein herausgearbeitet werden. Trotzdem
ist die kunstgeschichtliche Stellung der gotischen Baukunst des
heutigen Oberbayerns keine untergeordnete. Die Bedeutung der
Gotik Oberbayerns liegt auf dem eigensten Gebiete der Archi-
tektur, auf dem Gebiete der Raumschöpfung. Das westliche
Drittel des Landes ist weniger mannigfaltig in den Grundriß-
und Aufbauproblemen als die beiden östlichen Drittel. Daß die
Entwicklung der Gotik in den östlichen Dritteln einen frucht-
bareren Boden gefunden hat, verrät schon der interessante
Umstand, daß an den einschiffigen Kirchen der gerade ge-
schlossene, quadratische Chor, der im Westen neben dem Polygon-
schluß noch häufig ist, sich hier so viel wie ganz verliert.
Der Osten geht also mehr mit dem Fortschritt als der Westen.
Im 14. Jahrhundert bekunden die Hallenanlage der 1330 bis
1338 entstandenen Stiftskirche in Laufen, der ältesten gotischen
Hallenkirche Süddeutschlands, und der Zentralbau von Ettal
die hochgemuten Raumgedanken, die sich nicht mit dem her-
kömmlichen Schema der dreischiffigen Basilika begnügten.
Die Spätgotik des 15. Jahrhunderts entwickelt in Oberbayern
vollends eine Fülle von Raumgestaltungen. Es findet sich die
zweischiffige Kirche mit einseitigem Seitenschiff, die einfache
symmetrisch zweischiffige Kirche, die symmetrisch zweischiffige
Kirche mit dem latent eingeschriebenen Sechseck, die symme-
trisch zweischiffige Kirche mit dem latenten Sechseck und dem
10 Sit zu n t; am 9. Juni.
Übergang zur dreischiffigen Anlage im westlichen Joch, die
dreischiffige Basilika und die dreischiffige Hallenkirche, letztere
wieder mit abgegliedertem Chor oder mit dreischiffigem, nicht
ausgeschiedenem Chor mit verschiedenen Lösungen im Chor-
schluß, ferner die Hallenkirche mit niederen und mit hohen
Seitenkapellen. Die hohen Seitenkapellenreihen werden dann
auch selbst von einschiffigen Kirchen übernommen, so daß hier
schon ein in der Renaissance beliebt gewordenes Schema vor-
gebildet erscheint. Was die Natur Oberbayerns der Gotik an
zergliederungsgerechtem Baustoff versagt hat, das hat sie er-
setzt durch Gestaltungskraft auf dem Gebiete der Raumschöpfung.
Sitzung am 9. Juni.
Herr Wolters legte das vom Verfasser der Akademie zu-
gewendete Werk R. Forrer's Das Mithra- Heiligtum von
Königshofen bei Straßburg vor und knüpfte daran einige
Bemerkungen über die architektonische Gestaltung der mithraei-
schen, Höhlenform nachahmenden Heiligtümer. Die meist an-
genommene Verwendung der seitlichen Podien neben einem
mittleren, vertieften Gang kann nicht richtig sein. Als Auf-
enthaltsort der dem Kultbild etwa kniend zugewendeten Mysten
sind diese Podien nicht geeignet. Ein Blick auf die gut er-
haltenen Beispiele, wie das Mithraeum unter S. demente und
das in Carnuntum (F. Cumont, Textes et monuments fig. rel.
aux mysteres de Mithra II S. 204, 493) zeigen, daß diese Er-
höhungen oben nicht horizontal sind, sondern sich beträcht-
lich nach der Außenwand hin senken. Da ihre Breite den in
Pompei erhaltenen gemauerten Triklinien ebenso entspricht wie
diese Senkung, da der Aufgang in S. demente bei der ange-
nommenen Verwendung als Empore sinnlos, nämlich als schmales
Treppchen am Fußende der Lagerstätte gebildet ist — die
Ergänzung einer breiten Treppe in Carnuntum ist willkürlich — ,
scheint die Verwendung dieser erhöhten Bänke als Lagerstätten
Sitzung am 9. Juni. 11
der Mysten bei dem überlieferten rituellen Mahle einleuchtend.
Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, werden sich manche
mit den Denkmälern des Mithraskults verknüpfte Fragen etwas
anders darstellen, als bisher. In unserem besonderen Fall wird
man die vermutete Erhaltung des vertieften Ganges der ersten
Bauperiode im späteren Umbau kaum annehmen dürfen, da die
„Podien" ja sicher ihre alte Oberfläche nicht behalten konnten.
Herr Muncker hielt einen für die Sitzungsberichte be-
stimmten Vortrag:
Klopstocks Vater.
Von Klopstocks Vater, einem eigenartigen Mann von sitt-
lich gediegenem, ernstem, tapferem Charakter und guter Geistes-
bildung, sind uns durch den ersten, überschwänglich begeisterten
Biographen seines Sohnes, Karl Friedrich Cramer, fast nur
anekdotenhafte, etwas abenteuerliche Züge überliefert, deren
geschichtliche Glaubwürdigkeit im einzelnen gewissen Zweifeln
begegnen dürfte. Treuer und reicher ausgemalt tritt uns sein
Bild in seinen Briefen entgegen, von denen bisher nicht allzu
viele veröffentlicht sind, namentlich in den meist ungedruckten
Briefen an Gleim aus seinen letzten sechs Jahren (1750 — 1756),
deren Gleims Nachlaß in Halberstadt über fünfzig aufbewahrt.
Sie zeigen besonders auch seine innige Teilnahme an den
Lebensschicksalen, dichterischen Arbeiten und Erfolgen seines
Sohnes in charakteristischen Urteilen über Bodmer, Gottsched,
Lessing, Wieland und sonstige Freunde oder Gegner Klopstocks.
Sie beleuchten aber ebenso seine Ansichten von Milton, Vol-
taire und anderen ausländischen Schriftstellern und gewähren
uns einen aufschlußreichen Einblick in die literarischen, ge-
legentlich auch in die übrigen Lebensverhältnisse jener Zeit.
So mag der Abdruck dieser Briefe (mit Ausnahme einzelner
geschichtlich unbedeutender Abschnitte) nicht ungerechtfertigt
erscheinen.
12 Sitzung am 7. Juli.
Herr Davidsohn hielt einen für die Sitzungsberichte be-
stimmten Vortrag:
Die Vorstellungen vom alten Reich in ihrer Ein-
wirkung auf die neuere deutsche Geschichte.
Das Ansehen des alten Reiches war während der letzten
Menschenalter seines Bestehens ein überaus geringes und sein
Verschwinden nach tausendjährigem Dasein im Jahre 1806 ließ
das deutsche Volk fast völlig teilnahmslos, in den spärlich er-
scheinenden Zeitungen wurde diesem Ereignis kaum ein Wort
der Betrachtung, viel weniger eines des Bedauerns gewidmet.
Erst die herben Erfahrungen der napoleonischen Zeit belebten
den Wunsch nach einem Zusammenschluß der deutschen Stämme
und in der Kalischer Proklamation des russischen Generalfeld-
marschalls Fürsten Kutusow-Smolenski wurde die , Wieder-
geburt des ehrwürdigen Reiches" versprochen. Es mochte vielen
als traurige Vorbedeutung gelten, daß die Verheißung von rus-
sischer Seite kam, und später enttäuschte die lebensunfähige
Mißbildung des Deutschen Bundes selbst die bescheidensten
Erwartungen. Die lebhaft einsetzenden Verfassungsbestrebungen
in den Einzelstaaten führten, wegen des Widerstrebens der
beiden Großmächte, von den Einheitsbestrebungen fort, nicht
zu ihnen hin, zumal die Ideale der „Konstitutionellen" durch-
aus der englischen und französischen Geisteswelt entlehnt waren.
Unklar waren die politischen Ideale Arndts, Jahns, wie der
Burschenschafter, auch entsprach der Schwärmerei für deutsche
Vergangenheit deren Kenntnis und Erforschung in sehr unge-
nügendem Maße. Raumers 1823 erschienene „ Geschichte der
Hohenstaufen" erweckte allerdings das größte Interesse und sie
wirkte, zumal vermöge der Dramatisierungen Raupachs, auf
das Publikum, aber ernste Grundlagen für die Durchdringung
der Vergangenheit schufen erst die durch den Freiherrn v. Stein
begründeten Monumenta Germaniae Historica und die Regesta
Imperii, zusammengestellt von Johann Friedrich Böhmer. Böhmer
setzte diesem, in seiner ersten Gestalt noch sehr dürftigen Werk
eine Art Totenklage am Grabe Deutschlands voran, die sein
Freund Rückert gedichtet hatte. Der Kreis der Romantiker,
Sitzung am 7. Juli. 1«
dem Böhmer zugehörte, wollte in tiefer Feindseligkeit gegen
Preußen nicht daran denken, daß die Erneuerung Deutschlands
von diesem ausgehen könne, und im Sturmjahr 1848 trat in
der Paulskirche zwar deutlich eine Klärung der zuvor höchst
verworrenen Ansichten, zugleich aber deren schärfste Gegen-
sätzlichkeit zutage. Es zeigte sich, daß von einem Sehnen
nach Wiederkehr des alten Reiches höchstens bei den wenigen
Angehörigen des Böhmer-Görres'schen Kreises die Rede war.
Nur der ehemalige Münchener Professor Georg Phillips und
der Münchener Philologe Lasaulx sprachen sich in solchem
Sinne aus, aber auch bei ihnen nahm diese Empfindung nur
die Form bitterer Gegnerschaft wider Preußen, der Begeiste-
rung für eine großdeutsche Einigung, sowie der Hinneigung
zu Österreich an. Aus den Enttäuschungen dieser Zeit wurde
das volkstümliche Werk geboren, das seit sechs Jahrzehnten
den größten Einfluß auf die Urteile über das deutsche Mittel-
alter geübt hat, die „Geschichte der deutschen Kaiserzeit "
Wilbelm Giesebrechts, deren Gesamtgesinnung man als eine
neu-ghibellinische bezeichnen könnte. Giesebrecht schwebte ein
romantisch angeschautes Machtideal vor, seine, auf die Dar-
stellung der Vergangenheit wirkende Sehnsucht galt der Eini-
gung Deutschlands unter Führung der Hohenzollern. Gegen
die romantische Darstellung der Kaiserzeit, gegen die Verherr-
lichung der Machtausdehnung auf Italien erhob Heinrich v. Sybel
1859 in einer Münchener Akademierede Einspruch; an diese
knüpfte sich eine erregte, weit ausgedehnte und Aufsehen er-
regende Polemik, deren innerster Kern nicht wissenschaftlicher,
sondern politischer Natur war, denn es handelte sich in Wirk-
lichkeit um die Frage, ob eine künftige Einigung Deutsch-
lands in den Formen des alten Imperiums unter österreichischer
Leitung, ob auf neuer völkischer Grundlage unter Führung der
norddeutschen Großmacht erfolgen solle. Wortführer im Namen
des österreichisch-großdeutschen Gedankens war in diesem Streit
der an der Innsbrucker Universität heimisch gewordene West-
fale Julius Ficker. Die Teilnahme der Öffentlichkeit war eine
außerordentlich rege, weil die Auseinandersetzung durch die
' ' Sitzung am 7. Juli.
Kämpfe Italiens gegen Österreich angeregt war, in denen die
deutsche Nationalpartei das Vorspiel der künftigen Einigung
unseres Vaterlandes erblickte, und weil sie in der Tat ein
wissenschaftlich-literarisches Vorspiel zu den Ereignissen von
1866 bildete. Als das deutsche Reich entstand, stützte es
sich in keinem Punkt auf die Rechtstitel des alten Imperiums,
und um so unbefangener läßt sich die Frage prüfen, wie es
mit dessen Macht in Wahrheit bestellt war. Darüber bestehe
keine Meinungsverschiedenheit. daf3 das alte Reich ohne die
Herrschaft über Italien nicht denkbar war. In Bezug auf die
in Italien geübte Reichsmacht wurde eingehend dargelegt, daß
sie tatsächlich seit dem Tode Heinrichs III. (1055) nur in sehr
langen Zwischenräumen und nur während recht kurzer Zeit-
abschnitte wirksam werden konnte, daß es die Städte waren,
deren Entwickelung, zumal infolge der zu immer größerer Be-
deutung gelangenden Geld Wirtschaft, den auf dem Feudalwesen,
auf der Investitur der Bischöfe mit den Regalien beruhenden
Reichsverband sprengte, weil das feudale System den politischen
Ausdruck der Naturalwirtschaft bildete. Die Städte hätten den
ohnehin losen Zusammenhang des italienischen Reichsverbandes
wahrscheinlich auch ohne die drei großen Zusammenstöße zwi-
schen kaiserlicher und päpstlicher Gewalt zur Zeit des Inve-
stiturstreites im 11., zu der Barbarossas im 12. und Fried-
richs II. im 13. Jahrhundert zum Zerfall gebracht.' Abgesehen
von kurzen Perioden am Ende des 12. und um die Mitte des
13. Jahrhunderts sei von einer regelrechten Reichsverwaltung
Italiens, von einer geordneten Ausübung der Steuerhoheit in
dem südlichen Lande nicht die Rede gewesen und ein passiver
Widerstand führte dahin, daß bürgerliche Rechtsstreitigkeiten
auch vor dem Entstehen der städtischen Konsulargerichtsbar-
keit fast nie an die in des Reiches Namen entscheidenden Richter
gebracht, sondern auf dem Schiedswege geschlichtet wurden.
Sei die Geschichtsschreibung ohne Zorn und Eifer zu betreiben,
so müsse das alte Wort wohl noch dahin ergänzt werden, daß
auch die Liebe das Bild der Vergangenheit weder wandeln
noch trüben dürfe.
Sitzung am 13. Oktober. 15
Herr Wilcken legte für die Sitzungsberichte vor:
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes.
Ausgehend von dem Nachweis, daß in Justins Exzerpt der
Kriegsbeschluß gegen Persien ausgefallen ist, trat er für die
Scheidung einer konstituierenden Versammlung und einer Kriegs-
sitzung ein und zog hieraus die historischen Konsequenzen.
Ferner begründete er die Annahme, daß König Philipp der
ersteren Versammlung sein Programm in Form eines könig-
lichen Erlasses vorgelegt hat, und charakterisierte im Anschluß
hieran die Politik des Königs.
Sitzung am 13. Oktober.
Herr v. Amiea trug vor über die
Große Bilde rhandschrift des Willehalm von
Wolfram v. Eschenbach.
Er beschäftigte sich zunächst mit dem Nachweis, daß die
im Jahre 1909 zum Vorschein gekommenen Bruchstücke mit
den schon früher bekannten zu einer und derselben zerstörten
Bilderhandschrift gehört haben. Dies ermöglicht jetzt ein voll-
ständigeres Urteil über den Gesamtcharakter dieses großartigen
lllustrationswerkes, das im 3. Viertel des 13. Jahrhunderts als
erstes in seiner Art unternommen wurde und das Muster für
die seit dem Ausgang desselben Jahrhunderts entstehenden
großen Bilderhandschriften des Sachsenspiegels abgab. Keine
anderen Illustrationswerke des Mittelalters haben so ausschließ-
lich und so folgerichtig wie diese den Zweck der Veranschau-
lichung des ganzen Textinhalts bis zur Interpretation einzelner
Worte angestrebt und erfüllt,
1^ Sitzung am 13. Oktober.
Herr AVecki.ein legte für die Sitzungsberichte vor eine
Abhandlung:
Textkritische Studien zur Ilias.
Diese bringt in Fortsetzung der in den Sitzungsberichten
von 1915 veröffentlichten Abhandlung „Textkritische Studien
zur Odyssee" weitere Nachweise, wie unsicher und schadhaft
sich die Überlieferung des Homerischen Textes darstellt, und
indem sie der Forderung Aristarchs "0^]oov i£ 'Oixiqoov oaqi]-
viCeiv die Forderung "0/ut]Qov ef 'O/xtjqov dioQdovv zur Seite
stellt, aber auch den Ergebnissen der Sprachwissenschaft und
dem allgemeinen griechischen Sprachgebrauch Rechnung trägt,
sucht sie über die Fehler hinweg, welche von den alten und
ältesten Abschriften, von der Umschrift ins neue Alphabet,
von den Einflüssen der Rhapsoden, endlich und vor allem von
der attischen Redaktion herrühren, kurz hinweg über die
Mängel, wie sie hier nicht bloß uralter schriftlicher, sondern
auch mündlicher Tradition und willkürlicher oder unwillkür-
licher Modernisierung zur Last fallen, dem ursprünglichen
Texte des Dichters näher zu kommen und abnorme Formen,
grammatische und etymologische Unebenheiten , sinnstörende
Partikeln, unlogische Wendungen zu beseitigen. Nebenbei
werden in den Textüberschriften des cod. Marcianus (A) Reste
einer älteren guten Handschrift (nicht des archet. von A) nach-
gewiesen und in den Schollen besonders des cod. Townl.
sowie in anderweitigen Notizen beachtenswerte Überbleibsel
echter Lesarten gefunden und wird in dem Zusammenfluß
zweier Lesarten eine eigentümliche Fehlerquelle aufgedeckt.
17
Sitzung am 3. November.
■s
Herr Kuhn legte vor eine für die Sitzungsberichte bestimmte
Abhandlung des korrespondierenden Mitgliedes Professor Dr.
A. Hillebrandt in Breslau:
Der freiwillige Feuertod in Indien und die
Soma weihe.
Ausgehend von den Berichten der Griechen über die Selbst-
verbrennung des Inders Kalanos bespricht der Verfasser die
indischen Zeugnisse für den freiwilligen Feuertod, der nach
der Volksanschauung den Menschen unmittelbar in das Jen-
seits und die Gemeinschaft der Götter hinüberführte. Daran
schließt er eine erneute Erörterung seiner bereits früher ent-
wickelten Ansicht über die dlksä oder Weihe für das Soma-
opfer, deren Bezeichnung er auf ein Desiderativum der Wurzel
dah „brennen" zurückführt und die er als verblaßtes Symbol
der Selbstverbrennung und des darauf folgenden Eingehens in
einen neuen Leib aus einem anderen Zusammenhang in das
Ritual des Somaopfers hinübergenommen betrachtet. Den Schluß
macht eine nochmalige Besprechung des dem Totenritual an-
gehörigen Verses Rgveda 10, 18, 8.
Herr Bitteeauf sprach über
Die Anfänge des Ministeriums Montgelas bis
zum Frieden von Luneville.
Nach den bayerischen Staatsakten schilderte er die ur-
sprünglichen Ziele des Ministers und ihre Abwandlungen in
den Beziehungen zu den Mächten während des zweiten Koali-
tionskrieges. Der zweite Teil war den inneren Verhältnissen
und ihrem Einfluß auf die auswärtige Politik gewidmet.
Der Vortrag erscheint in den Denkschriften der Akademie.
18 Sitzung am 1. Dezember.
Das korrespondierende Mitglied Herr Bulle trug vor über
Archaisierende griechische Kundplastik.
Die archaische griechische Kunst ist eine einzigartige Er-
scheinung auch insofern, als sie von der späteren Entwicklung
keineswegs als eine überwundene Kindheit aufgefaßt wurde,
sondern mit ihrer strengen Tektonik immer ein lebendiges
künstlerisches Besitztum blieb. Schon zur Zeit der Blüte der
phidiasischen Kunst finden sich archaisierende Werke, in denen
altertümliche Typen durch beseeltere Köpfe dem Zeitempfinden
angepaßt werden. Später erhalten archaische tektonische Grund-
gedanken eine Umkleidung mit freieren Formen oder es wer-
den umgekehrt Statuenmotive der entwickelten Kunst mit ar-
chaischen Einzelformen durchsetzt oder verbrämt. Erst in
römischer Zeit finden sich Werke archaistischer Art, bei denen
archaische Formen ohne innere schöpferische Rhythmik zu
neuen Schöpfungen zusammengefügt werden, was der klassi-
zistischen Arbeitsweise dieser Epoche parallel geht. Gegen-
ständlich ist das Archaisieren in der Rundplastik meist an
religiöse Stoffe gebunden, aber nicht durch sie veranlaßt. Sein
künstlerischer Hauptwert ist der tektonische. Es ist keines-
wegs eine Verfallserscheinung unfruchtbarer Zeiten, sondern
beweist vielmehr die lebendige Triebkraft der griechischen
Kunst, die auch altertümliche Formen immer aufs neue mit
eigenem Leben erfüllt.
Der Vortrag wird in den Denkschriften gedruckt werden.
Sitzung am 1. Dezember.
Herr Kuhn legte vor eine Abhandlung des Professors Dr.
Franz Hümmerich in München :
Quellen und Untersuchungen zur Fahrt der ersten
Deutschen nach dem portugiesischen Indien 1505/6.
Die Arbeit ist eine umfassende Untersuchung sowie kri-
tische und erklärende Ausgabe der Quellen, welche uns für
Sitzung am 1. Dezember. U
die während der Jahre 1505/6 mit Dom Francisco d'Almeida,
dem ersten portugiesischen Vizekönig von Indien, unternom-
mene Fahrt der ersten Deutschen nach dem portugiesischen
Osten zur Verfügung stehen. Sie sind zuerst von Friedrich
Kunstmann in einer akademischen Abhandlung vom Jahr 1861,
später z. T. von Henry Harrisse und Franz Schulze, in kom-
merzieller Beziehung von Konrad Haebler eingehender be-
handelt worden. Herr Hümmerich gibt zunächst eine um-
sichtige, alle Einzelheiten ins Auge fassende Erörterung der
zwei von Balthasar Sprenger herrührenden Berichte (nämlich
1. der 1509 gedruckten, nur in einem Münchner und 3 anderen
Exemplaren nachgewiesenen „Merfart" und 2. des von Sprenger
gelieferten und hier zum erstenmal publizierten Textes zu einer
wertvollen Holzschnittreihe Hans Burgkmairs d. Ä. von wesent-
lich ethnographischem Inhalt aus dem Jahr 1508), in deren
Verlauf besonders das Verhältnis beider zu einem vlämischen,
angeblich 1508 gedruckten Texte und zu einer in der Gießener
Universitätsbibliothek handschriftlich erhaltenen lateinischen
Relatio näher festgestellt wird. Ersterer, der den bekannten
Amerigo Vespucci zum Träger der Erlebnisse des deutschen
Reisenden macht und von Harrisse als dreiste Fälschung er-
wiesen worden ist, wird als mechanische, von groben Mißver-
ständnissen nicht freie Zusammenschiebung der beiden deut-
schen Berichte Sprengers dargetan und gezeigt, daß die Relatio
teilweise auf ihm beruht, unmöglich also, wie dies Harrisse
annahm, als von Sprenger verfaßter Vorläufer der „Merfart"
gelten kann. In einem größeren Abschnitt werden die Topo-
graphie der südafrikanischen Küste in den ersten Jahren nach
der Entdeckung auf Grund der ältesten Karten und der lite-
rarischen Quellen kritisch behandelt und Irrtümer der Erklärer
hinsichtlich der von Sprenger hier wie auch anderwärts be-
rührten Örtlichkeiten richtig gestellt, in einem weiteren Kapitel
erwiesen, daß die vielumstrittenen afrikanischen Aggriperlen
europäischer Seeimport nicht gewesen sein können. Dann folgen
einführende Bemerkungen zu zwei weiteren Quellen über die
Fahrt der Deutschen.
20 Sitzung am 1. Dezember.
Der zweite Teil gibt Abdrücke der 3 wichtigsten Quellen,
nämlich 1. der „Merfarf, die außer in den genannten 4 Original-
drucken nur in einem von Schulze herausgegebenen Faksimile
zugänglich ist, 2. des im Cod. Hisp. Monac. 27 erhaltenen
wertvollen Reiseberichtes von Hans Mayr im portugiesischen
Original mit Übersetzung, der bisher nur in einer moderni-
sierten und nicht ganz genauen Ausgabe in einer portugie-
sischen Zeitschrift vorliegt, und 3. eines in einer Augsburger
Handschrift erhaltenen, von B. Greiff ziemlich ungenau ver-
öffentlichten kurzen Berichtes von 1506, der anscheinend auf
ein italienisches Original zurückgeht. Zum allseitigen Ver-
ständnis der Texte hat Herr Hümmerich durch zahlreiche, teil-
weise sehr ausführliche Anmerkungen beigetragen, an einer
Anzahl verdorbener Stellen den ursprünglichen Text wieder-
hergestellt.
Die Abhandlung wird in den Denkschriften gedruckt werden.
Herr Doeberl sprach auf Grund der sogenannten baye-
rischen Staatsratsakten über die Entstehungsgeschichte der
bayerischen Verfassung vom Jahre 1818 sowie über den an-
geblichen Plan einer Aufhebung der Verfassung im Jahre 1819.
Der Vortrag wird unter dem Titel
Beiträge zur Geschichte der bayerischen Verfassung
mit zahlreichen Beilagen in den Denkschriften erscheinen.
Herr Vollmer sprach über Vokalkürzung im Latei-
nischen, die durch Zusammenschluß zweier Wörter unter einen
Akzent verursacht worden ist. Die sehr merkwürdige, bisher
noch nicht zur Genüge beobachtete und entwickelte Erscheinung
läßt sich zur Erklärung einer Reihe von noch unverständlichen
Vokalabtönungen oder -messungen von Pronomina wie hie ille
iste, von Komposita wie operio profecto ineptus verwerten.
21
Verzeichnis der im Jahre 1917 eingelaufenen Druckschriften.
Die Gesellschaften und Institute, mit welchen unsere Akademie in Tauschverkebr steht,
werden gebeten, nachstehendes Verzeichnis als Empfangsbestätigung zu betrachten.
Aachen. Geschichtsverein:
Zeitschrift, Bd. 38, 1916.
Aarau, Historische Gesellschaft des Kantons Aargau.
Taschenbuch für 1914 und 1916.
Agram. K. Kroat.-slavon. -dalmatinisches Landesarchiv:
Vjestnik, Bd. 18, Heft 2—4.
— Kroat. Naturwissenschaftliche Gesellschaft:
Glasnik. Bd. 29, No. 1 -4.
Amsterdam. K. N. aardrijkskundig Genootschap:
Tijdschrift, deel 34, No. 2-6; deel 35, No. 1.
— Wiskundig Genootschap (Societe de mathemat.):
— — Nieuw archief, 2. Reeks, deel 12, stuk 2.
— — Wiskundige opgaven, deel 12, stuk 4.
— — Revue des publications mathem., tom. 25, partie 1.
— — Index du Repertoire bibliographique, 3 ed., A. 1916.
Ansbach. Historischer Verein für Mittelfranken:
— — 61. Jahresbericht.
Aschaffenburg. K. Humanistisches Gymnasium:
Jahresbericht 1916/17.
Augsburg. Historischer Verein:
Zeitschrift, 43. Jahrg., 1917.
Bamberg. K. Altes Gymnasium:
Jahresbericht 1916/17.
— K. Neues Gymnasium:
Jahresbericht 1916/17.
— K. Lehrerbildungsanstalt:
43. Jahresbericht, 1916/17.
— Historischer Verein:
— — Jahresbericht 74, 1916/17.
Sitzgsb. d. philos.-philol. a. d. bist. Kl. Jahrg. 1917. &
2- Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Basel. Universität:
— — Schriften der Universität aus dem Jahre 1917 in 4° und 8°.
Bayreuth. K. Humanistisches Gymnasium:
Jahresbericht 1916/17 mit Programm.
— Historischer Verein:
Archiv für Geschichte und Altertumskunde von Oberfranken,
Bd. 26, Heft 3.
Bergen (Norwegen). Museum:
— — Aarsberetning for 1915/16.
Aarbog 1915/16, Heft 2, 3.
Sars G. 0., Crustacea, vol. VI, No. 11/12.
Bergzabern. K. Progymnasium:
Jahresbericht 1916/17.
Berlin. K. Preufi. Akademie der Wissenschaften:
.,, ,, / Philos.-histor. Klasse, 1916, 5, 6; 1917, 1—7.
— — Abhandlungen <„,.,, , „'
& ( Physikal.-math. Klasse, 1917, 1, 2.
Sitzungsberichte 1916, 41—55; 1917, 1—38.
— — Inscriptiones Graecae, Editio minor, Pars I, fasc. 2.
— — Corpus inscriptionum Latinarum, vol. VIII, Suppl. pars 4.
— Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft:
— — Geschäftsberichte 1916/17.
— Archiv der Mathematik und Physik:
Archiv, Bd. 25, Nr. 4; Bd. 26, Nr. 1.
— Bild- und Filmamt (Inlandsdienst):
— — Zerstörte Kunstdenkmäler an der Westfront.
— Deutsche Chemische Gesellschaft:
Berichte, 49. Jahrg., Nr. 18; 50. Jahrg., Nr. 2—7. 10-13, 15-17.
— — Mitgliederverzeichnis 1917.
— Deutsche Entomologische Gesellschaft:
Zeitschrift. Jahrg. 1916, Nr. 5/6; Jahrg. 1917, Nr. 1/2.
— Deutsche Geologische Gesellschaft:
Abhandlungen, Bd. 68, Heft 3, 4; Bd. 69, Heft 1, 2.
Monatsberichte 1916, Nr. 4— 12.
— Deutsche Physikalische Gesellschaft:
Die Fortschritte der Physik, 71. Jahrg., 1915, 1—3.
— — Verhandlungen, Jahrg. 19, Nr. 1—24.
— Kais. Deutsches Archäologisches Institut (röm. Abteilung
s. unter Rom):
Jahrbuch, Bd. 31, Heft 3/4.
— — Antike Denkmäler, Bd. 3, Heft 4.
— K. Meteorologisches Institut:
Veröffentlichungen, Nr. 292—296.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. ^o
Berlin. Preuß. Geologische Landesanstalt:
Jahrbuch, Bd. 35 (1914) I, 2 und 3; Bd. 36 (1915) I, 1 und 2.
— Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums:
— — 35. Bericht.
— Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten:
Mitteilungen, Bd. 29, Heft 4.
— K. Astronomisches Recheninstitut:
Berliner Astronomisches Jahrbuch für 1919.
Kleine Planeten 1918.
— Reichskolonialamt:
— — Dr. Rieh. Thurwald, Die Heimkehr von Neuguinea (S.-A. aus den
Mitteilungen aus den deutschen Schutzgebieten, 1917, Heft 3).
— K. Sternwarte:
Veröffentlichungen, Bd. 2, Heft 2.
— Verein zur Beförderung des Gartenbaues in den preuß.
Staaten:
Gartenflora, Jahrg. 1917, Nr. 1—24.
— — Mitgliederverzeichnis 1918, Nr. 1/2.
— Verein für Geschichte der Mark Brandenburg:
— — Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte,
Bd. 29, 2. Hälfte; Bd. 30, 1. Hälfte.
— Verein für die Geschichte Berlins:
Mitteilungen 1917, Nr. 1-12.
— Zeitschrift für Instrumentenkunde:
— — Zeitschrift 1917, 37. Jahrg., Nr. 1-12.
— Zentralstelle für Balneologie:
Veröffentlichungen, Bd. III, Heft 3.
Bern. Allg. Geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz:
Jahrbuch, Bd. 42.
— Universitätskanzlei:
— — " Schriften der Universität, 1917.
Beuron. Bibliothek der Erzabtei:
— — Wolter, Maurus, Geistliche Übungen der hl. Gertrud, Saarlouia
1914.
— — Gedächtnispredigt 1916.
Oer, Ohne Furcht und Tadel, 1916.
— — Oer, Ähi-enlese, 2. Reihe, 1916.
Feuling, Alfred Holder, S.-A. 1916.
— — Oer, Daheim, 1917.
— — Texte und Arbeiten I, 1 und 2.
Bonn. Verein von Altertumsfreunden im Rheinlande:
— — Bonner Jahrbücher, Heft 123, 1, 2.
Bericht der Kommission für Denkmalpflege 1912/13 und 1913/14.
b*
- I Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Brasso. Historische Kommission:
Quellen zur Geschichte der Stadt Brasso, Beiheft für 1916.
Braunschweig. Archiv der Stadt:
— — Leisewitzens Tagebücher 1.
Budapest. K. Ungarische Akademie der Wissenschaften:
Almanach 1914, 1915. 1916. 1917.
— — Commentarius ad Ovidium 1915.
— Statistisches Bureau:
Publikationen. Nr. 51.
— Ungarische Ethnographische Gesellschaft:
Ethnographia, Jahrg. 27, Heft 6; Jahrg. 2-. Heft 1-3.
— Ungarische volkswirtschaftliche Gesellschaft:
Közgazdasägi Szemle, Bd. 57, Heft 1 — 6; Bd. 58. Heft 1—5.
— Landesrabbinerschule:
Jahresbericht 37—39, 1914 — 1916.
— Ungarisches Nationalmuseum:
— — Ertesitöje. XVII. Jahrg.. 1—4.
— K. Ungarische Geologische Reichsanstalt:
Földtani Közlöny. Bd. 45, Heft 1—3; Bd. 46. Heft 1—12.
Jahrbuch, Bd. 24, Nr. 1 -4.
— — Mitteilungen aus dem Jahrbuch, Bd. 24. 1.
Jahresbericht 1915, Nr. 1; 1916. Anhang.
— K. Ungarische Ornithologische Zentrale:
— — Aquila 23, 1916.
Bukarest. Academia Romäna:
Bulletin de la section scientifique de l'Academie Rouruaine 1916/17.
No. 1.
Burghausen. K. Humanistisches Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916 17 mit Programm von Scharold.
Charlottenburg. Physikalisch-technische Reichsanstalt:
— — Die Tätigkeit der physikal.-techn. Reichsanstalt im Jahre 1916.
Christiania. Videnskabs Selskabet:
— — Forhandlinger, Aar 1915.
Skrifter. 1915. I, II.
— — Birkeland. Norwegian Aurora Polaris Expedition 1902—03, 1915.
— — Nyt Magazin for Naturvidenskaberne, Bd. 51 u. 52, je Heft 1 — 4.
— — Archiv for Mathematik og Naturvidenskab, Bd. 32. 1 — 4; Bd. 33,
1-4: Bd. 34, 1.
— — Norske Gaardnavne. Bd. 7 und 9.
Chur. Historisch-antiquarische Gesellschaft für Graubünden:
46. Jahresbericht, 1916.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Chor. >~j, tarforschende Gesellseha:':
56. Jahresbericht, 1914/15 a. 1915/16; 57. Jahresbericht 1916/17.
Colmar. Xaturhistorisehe Gesellschaft:
Mitteilungen, Jf. F., Bd. 14, 1916 J
Danzii. '-V^ . -.preußischer GeschiehtsTerein:
Mitteilungen. Jahrr IC Ni 1 — 4.
Zeitschrift, Heft "
— Technische Hochschule:
Personalrerzeichnis W.-5
— - reufiiseher Botanisch-zoologischer Verein:
Bericht 39.
nstadt. Historiseher Verein für das Großherzogtum Hessen:
Archir für hessische Geschichte, ET. ] ;1 11, Heft 2.
Quartalblätter. 5. Bd, Xr. 19/20: 6. Bi . > : 1—4
Meteorologische Station:
Wetterkarten 1917, >~r. 1—1.
Dessau. Verein für Anhaltische Geschieh:
V:::::". _
Dillingen. eum:
S: :.'. rzjil: l^l: 1~
Disko. Danske arktiske Station:
No. 10.
Dresden. K. Sächsischer Alt ertum «verein :
— — Neues Archiv für sächsische Geschichte, Bd. 38.
— — Jahresbericht 1916
— K. Sächsische Landes-Wetterwar: -
— — Dekaden-Monatsberichte 1915, Jahrg. 18.
— Redaktion des Journals für praktische Chemie:
Journal 191 L8— 24 17 Nr 1 - 18.
— Verein für die Geschichte Dresde: •
— — Rachel, Altdresdener Familienleben.
— — ";-:- .:-;r :':.'.' ■ :
Drontheim. Norake Videnskab-r: 3-Selskab:
Skrifter 1914, I. U; 1915, I, IL
Aarsberetning 1914 und lv
Dürkheim. Progymnasium:
— — Jahresbericht 1916 11
Esenberg S.-AJ. G esehichts- und altertnmsforschender Verein:
Mitteilungen, Heft 32/33.
Erfurt. IL Akademie gemeinnütr ig - -enschaften:
Jahrbücher. N. F.. Heft 42 und
26 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Erfurt. Verein für Geschichte und Altertumskunde von Erfurt:
Mitteilungen, Heft 38.
Erlangen. K. Humanistisches Gymnasium:
- Jahresbericht 1916/17.
— K. Universitätsbibliothek:
— — Schriften aus den Jahren 1915/16 in 4° und 8°.
Frankfurt a. M. Senckenbergische Naturforschende Gesell-
schaft:
46. Bericht.
— Physikalischer Verein:
Jahresbericht 1916/17.
— Römisch-germanische Kommission des Kais. Deutschen
Archäologischen Instituts:
_ — 8. und 9. Bericht über die Fortschritte der römisch-germanischen
Forschung.
— — Korrespondenzblatt, Nr. 1—6.
Frauenfeld (Schweiz). Thurgauische Naturforschende Gesell-
schaft:
— — Mitteilungen, Heft 22.
Freiburg i. Br. Breisgau-Verein „Schau ins Land":
— — „ Schau ins Land", 42. und 43. Jahrlauf.
— Universität:
Schriften aus dem Jahre 1917.
Friedrichshafen. Verein zur Geschichte des Bodensees:
Schriften, Heft 46, 1917.
Fürth. K. Humanistisches Gymnasium:
Jahresbericht 1916/17.
Geestemünde. Männer vom Morgenstern:
Jahresbericht 17, 1914—16.
Genf. Archives suisses d'anthropologie generale:
— — Archives, tome 1 — 4.
— Observatoire:
— — Resümee meteorologique de l'annee 1916.
— — Observations des fortifications de St. Maurice 1916.
— Redaktion des „Journal de chimie physique":
— — Journal, tome XIV, No. 4; tome XV, No. 1 — 4.
— Societe de physique et d'histoire naturelle:
— — Memoires, vol. 38, fasc. 6; vol. 39, fasc. 1.
— — Compte rendu des seances 33, 1916.
Giessen. Universität:
— — Schriften aus dem Jahre 1917 in 4° und 8°.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 27
Görlitz. Naturforschende Gesellschaft:
Abhandlungen, Bd. 28, 1917.
— Oberlausitzische Gesellschaft der Wissenschaften:
— — Codex diploniaticus Lusatiae superioris, Bd. 4, Heft 3.
— — Neues Lausitzisches Magazin, Bd. 92 und 93.
Göttingen. K. Gesellschaft der Wissenschaften:
— — Göttingische Gelehrte Anzeigen 1917, Nr. 1 — 8.
Abhandlungen, N. F.: Philol.-hist. Klasse, Bd. 16, Nr. 2—5.
— — Nachrichten: al Philol.-hist. Klasse, 1917, Heft 1 und 2;
b) Math.-phys. Klasse, 1916, Heft 2; 1917, Heft 1;
c) Geschäftliche Mitteilungen, 1916, Heft 2; 1917, Heft 1.
Gauß, Werke, Bd. 10, 1.
— Universitätsbibliothek:
— — Vorlesungsverzeichnis 1917 und 1918.
Verzeichnis der Studierenden, W.-S. 1917/18.
— — Dissertationen 1915/16.
Graz. Universität:
Verzeichnis der Vorlesungen im S.-S. 1917, W.-S. 1917/18.
— Naturwissenschaftlicher Verein für Steiermark:
Mitteilungen, Bd. 52 und 53.
Greifswald. Rügisch-Pommerscher Geschichtsverein:
— — Pommersche Jahrbücher, Bd. 17.
Groningen. Astronomisches Laboratorium:
Publications, No. 26.
— Niederländische botanische Gesellschaft:
Recueil des travaux, vol. XIII, 1-4; vol. XIV, 1, 2.
— — Neederlandsch kruidkundig archief, 1915 und 1916.
— — Prodromus florae Bataviae, vol. I, p. 4.
Guben. Gesellschaft für Anthropologie und Altertumskunde:
Niederlausitzer Mitteilungen, Bd. 13, Heft 5—8.
Haag. Gesellschaft zur Verteidigung der christlichen Re-
ligion:
— — Programm für das Jahr 1916 und 1917.
— K. Instituut voor de Taal-, Land- en Volkenkunde van
Nederlandsch-Indie:
— — Bijdragen, deel 73, afl. 1, 2.
Haarlem. Hollandsche Maatschappy der Wetenschappen:
■ Archives neerlandaises des sciences exactes et naturelles, ser. III B,
tom. 3, livr. 2/3.
— Musee Teyler:
— — Archives, ser. III, vol. 4, 1.
28 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Halle. K. Leopoldinisch-Karolinische Deutsche Akademie der
Naturforscher:
Nova Acta, Bd. 102.
Leopoldina, Heft 53, No. 1—12.
— Deutsche Morgenländische Gesellschaft:
Zeitschrift, Bd. 71, Heft 1—4.
— — Abhandlungen, Bd. 13, Heft 4.
— Universität:
Verzeichnis der Vorlesungen, S.-S. 1917; W.-S. 1917/18.
— Thüringisch-Sächsischer Verein für Erforschung des vater-
ländischen Altertums:
— — Jahresbericht 1915/16.
Zeitschrift für Geschichte und Kunst, Bd. 6, Heft 1, 2; Bd. 7,
Heft 1, 2.
— Naturwissenschaftlicher Verein für Sachsen u. Thüringen:
— — Zeitschrift für Naturwissenschaften, Bd. 86, Nr. 4.
Hamburg. Stadtbibliothek:
— — Jahrbuch der wissenschaftlichen Anstalten Hamburgs, Jahrg. 33
und Beiheft 1 — 5.
— — Staatshaushaltsberechnung 1915, 4°.
Entwurf des hamburgischen Staatsbudgets für 1917, 4°,
— — Verhandlungen zwischen Senat und Bürgerschaft 1916, 4°.
— Deutsche Dichter-Gedächtnis-Stiftung:
Kalender für 1918.
— Mathematische Gesellschaft:
Mitteilungen, Bd. V, Heft 6.
— Deutsche Seewarte:
— — Annalen der Hydrographie, Jahrg. 45, Nr. 1 — 4; 6—12.
— Verein für Hamburgische Geschichte:
Mitteilungen, 36. Jahrg., 1916.
Zeitschrift, Bd. XXI.
Hannover. Verein für Geschichte der Stadt Hannover:
— — Hannoverische Geschichtsblätter, 20. Jahrg., Heft 1—4.
— Historischer Verein für Niedersachsen:
: Zeitschrift, Jahrg. 1916, Heft 1—4.
Heidelberg. Akademie der Wissenschaften:
— — Abhandlungen der philologisch-philosophischen Klasse, Nr. 4.
Sitzungsberichte: a) philol.-histor. Klasse, 1914, Nr. 14, 15; 1916,
Nr. 12, 13, 16, 17; 1917 No. 1-11; b) mathem.-naturw. Klasse
1916, A, Nr. 12, 13; 1917, A, Nr. 1-13, B, Nr. 1—7.
Jahresheft 1916.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 29
*ö
Heidelberg. Universität:
Schriften der Universität aus dem Jahre 1917 in 4° und 8°.
— Historisch-philosophischer Verein:
— — Neue Heidelberger Jahrbücher, Jahrg. 20, Heft 1.
Iglo. Ungarischer Karpathen-Verein:
Jahrbuch, 44. Jahrg., 1917.
Ingolstadt. Historischer Verein:
— — Sammelblatt, Heft 36.
Innsbruck. Ferdinandeum:
Zeitschrift, Jahrg. 59, 1915.
— Naturwissenschaftlich-medizinischer Verein:
— — Berichte, 36. Jahrg.
Jena. Medizinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft:
— — Jenaische Zeitschrift für Naturwissenschaft, Bd. 54, Heft 3, 4;
Bd. 55, Heft 1.
— Verlag der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift:
Wochenschrift 1917, Nr. 1-18, 19-44, 46-52.
Karlsruhe. Technische Hochschule:
Schriften 1915/16.
— — Verzeichnis der Vorlesungen 1917/18.
Bericht 1913—16.
— Badische Historische Kommission:
Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins, N. F., Bd. 32,
Heft 1-4.
Neujahrsblätter, N. F., 1918, Heidelberg.
— — Badische Weistümer I, 1.
Kassel. Verein für hessische Geschichte und Landeskunde:
Zeitschrift, Bd. 50, 1917.
Mitteilungen 1915/16.
Kaufbeuren. K. Progymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17.
— Verein „ Heimat*:
Deutsche Gaue, Heft 321-360, Sonderheft 98, 101.
Kempten. K. Humanistisches Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm von Helmreich.
Kiel. Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte:
Zeitschrift, Bd. 46, 1916.
Quellen und Forschungen, Bd. 4.
30 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Klagenfurt. Landesmuseum:
Carinthia I, 107. Jahrg., Nr. 1 — 6.
Carinthia II, Nr. 105, 106, 107.
Jahresbericht des Historischen Museums 1915 und 1916.
Köln. Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde:
36. Jahresbericht, 1916.
Kopenhagen. K.Akademie der Wissenschaften:
Översigt 1916, No. 4—6; 1917, Januar-Juni.
Memoires, Section des sciences, ser. 8, tom. I, No. 4, 5, tom. II,
No. 4.
Section des lettres, ser. 7, tom. 3, No. 2; tom. 4, No. 1.
— — Biologiske Meddelelser I, 1, 2.
Hist.-filol. Meddelelser I, 1, 4.
Mathemat.-fysiske Meddelelser I, 1, 2.
— Botanis k Haves Bibliothek:
Arbejder, No. 79-81.
— Carlsberg-Laboratorium:
Comptes rendus des travaux, vol. 11, livr. 6; vol. 13, livr. 1 3;
vol. 14, livr. 1.
— — Festschrift für Jupetus Steenstrups Födsel, 2 voll.
— Conseil permanent international pour l'exploration de
la mer :
— — Rapports et proces verbaux, vol. 24.
— — Bulletin hydrographique, annee 1914/15.
— — Publications de circonstance, No. 12 (2e edition).
— Gesellschaft für nordische Altertumskunde:
— — Aarböger, III. Raekke, Bd. 5, 6.
— Observatorium:
— — Publikationer og mindre meddelelser frä, No. 26.
— Dänische biologische Station:
Report No. 24.
Krakau. Numismatische Gesellschaft:
Wiadomosci 1917, No. 1—12.
— Universität:
Kronika 1913/14, 1915/16.
Laibach. Musealverein für Krain:
Carniola, Bd. 7, No. 4; Bd. 8, No. 1—4.
Landau (Pfalz). K. Humanistisches Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm von Heinr. Heck.
Landsberg a. L. K.Realschule:
39. Jahresbericht 1916/17.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 31
'S
Landshut. Historischer Verein:
— — Verhandlungen, Bd. 53.
Lausanne. Societe Vaudoise des sciences naturelles:
Bulletin, No. 191, 192.
Leiden. s'Rijks Herbarium:
Mededeelingen, No. 28—30.
— Maatschappij der Nederlandsche Letterkunde:-
— — Handelingen en Mededeelingen 1915/16.
— — Levensberichten 1915/16.
Tijdschrift, deel 34, an. 2—4; deel 35, afl. 1—4.
— Redaktion des „ Museum":
— — Museum, maandblad voor philologie en geschiedenis, Jahrg. 24,
No. 5—9, 11/12; Jahrg. 25, No. 1—4.
— Redaktion der „Mnemosyne":
Mnemosyne, N. S., Bd. 45, No. 2-4; BJ. 46, No. 1.
Leipzig. Redaktion der Beiblätter zu den Annalen der Physik:
Beiblätter, 1916, Bd. 40, Nr. 21—24; 1917, Bd. 41, Nr. 1—21.
— K. Gesellschaft der Wissenschaften:
— — Abhandlungen der philol.-hist. Klasse, Bd. 33, Nr. 5; Bd. 34,
Nr. 3.
— — Abhandlungen der math.-phys. Klasse, Bd. 33, 34, 35, je Nr. 3.
— — Berichte über die Verhandlungen der philol.-hist. Klasse, Bd. 68,
Nr. 5, 6.
— — Berichte über die Verhandlungen der math.-phys. Klasse, Bd. 68,
Nr. 3, 4; Bd. 69, Nr. 1, 2.
— Gesellschaft für Erdkunde:
— — Mitteilungen für das Jahr 1915 und 1916.
— Fürstlich Jablonowskische Gesellschaft:
— — Jahresbericht 1917.
Lemberg. K. K. Franzens-Universität:
— — Hundertjahrfeier.
— — Programm der Vorlesungen 1917/18.
Sktad 1915/16, 1916/17.
Linz. Museum Francisco-Carolinum:
— — 75. Jahresbericht.
Lohr. K. Humanistisches Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm von Mayer.
Ludwigshafen a. Rh. K. Oberrealschule:
■ Jahresbericht 1916/17.
Lübeck. Naturhistorisches Museum:
Mitteilungen, 2. Reihe, Heft 27.
Lund. Redaktion von „Botaniska Notiser":
Notiser, 1917, No. 1—6.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Lund. Universität:
Acta, N. Ser., aft. I, No. 12, 1916; aft. II, No. 12, 1916.
Bibelforskaren 1916, 1—6.
Arskrift, Kyrkohistorisk, Jahrg. 17, 1916.
— — Noreen, Värtspräk III, 1—6.
Luxemburg. Institut Grand-ducal:
— — Archives trirnestr. (de la section des sciences naturelles), vol. 5,
fasc. 3/4.
— Societe des naturalistes Luxembourgeois:
Bulletins, N. F., Jahrg. 8— 10, 1914/16 und Festschrift 1890—1915.
Luzern. Historischer Verein der fünf Orte:
Geschichtsfreund, Bd. 71, 72.
Mannheim. Altertumsverein:
Mannheimer Geschichtsblätter, 18. Jahrg., 1917, Nr. 1—12.
Marbach. Schwäbischer Schillerverein:
Rechenschaftsbericht 21, 1916/17.
Marienburg. Verein für Herstellung der Marienburg:
Geschäftsbericht 1911—16.
— — Nachrichten 1912—16.
Marnheim (Pfalz). Realanstalt am Donnersberg:
Jahresbericht 1916/17.
Meiningen. Henneberg, altertumsforsch. Verein:
— — Neue Beiträge, Jahrg. 28.
Metten. K. Gymnasium:
■ Jahresbericht 1916/17.
Mitau. Kurländische Gesellschaft für Literatur und Kunst:
— — Sitzungsberichte 1914.
München. K. Landesanstalt für Gewässerkunde:
— — Veröffentlichungen, Wolkenbruch Nürnberg, 1914.
Jahrbuch 1914, Heft 2-4; 1915, Heft 1-3.
— K. Ludwigs-Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm von Hauck.
— K. Luitpold-Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm von Ruefi.
— K. Maximilians-Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm von Silverio und Hümmerich.
— K. Theresien-Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm von Geiger.
— K. Wilhelms-Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm von Huber.
— K. Witteisbacher Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm von Simbeck.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. od
München. K. Realgymnasium:
— — Jahresbericht, 1916/17 mit Programm von Zistl.
— K. Technische Hochschule:
— — Bericht über das Studienjahr 1914/15.
— — Programm für das Studienjahr 1917/18.
Personalstand im W.-S. 1916/17.
— Bayer. Landesausschuß für Naturpflege:
Jahresbericht 9/10, 1914/15.
— K. Landeswetterwarte:
— — Übersicht der Witterungsverhältnisse 1917, 1 — 10.
— Metropolitan-Kapitel München-Freising:
— — Schematismus der Geistlichkeit für das Jahr 1917.
— — Amtsblatt der Erzdiözese München-Freising 1917 mit Register.
— K. Luitpold-Kreisoberrealschule:
10. Jahresbericht 1916/17.
— K. Gisela-Kreisrealschule:
13. Jahresbericht 1916/17.
— K. Maria Theresia-Kreisrealschule:
— — 18. Jahresbericht 1916/17.
— K. Universität:
— — Personalstand, S.-S. 1917 und W.-S. 1917/18.
— — Schriften aus dem Jahre 1917 in 4° und 8°.
Verzeichnis der Vorlesungen, S.-S. 1917 und W.-S. 1917/18.
— K. Vasensammlung:
— — Katalog der K. Vasensammlung, Bd. I.
— Ärztlicher Verein:
Sitzungsberichte, Bd. 26, 1916.
— Historischer Verein von Oberbayern in München:
— — Altbayerische Monatschrift, Jahrg. 14, Heft 1 und 2.
Münster. Westfäl. Provinzialverein für Wissenschaft u. Kunst:
— — Jahresbericht 44.
— Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens:-
— — Zeitschrift für vaterländische Geschichte, Bd. 74, 1.
Neuburg a. D. Historischer Verein:
Neuburger Kollektaneen-Blatt, 77. /78. Jahrg.
Neuchätel. Societe Neuchäteloise de geographie:
— — Bulletin, tom. 26, 1917.
Nördlingen. Historischer Verein:
— — Jahrbuch 5, 1916.
Nürnberg. Naturhistorische Gesellschaft:
— — Abhandlungen, Bd. 21.
— — Jahresbericht 1916.
34 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Nürnberg. K. Altes Gymnasium:
Jahresbericht 1916/17.
— K. Neues Gymnasium:
Jahresbericht 1916/17.
— Germanisches Nationalmuseum:
— — Mitteilungen, 63. Jahresbericht.
— K. Kreisoberrealschule:
— — 10. Jahresbericht, 1916/17 mit Programm von Pöhlmann-Kuspert-
Richard.
Osnabrück. Verein für Geschichte und Landeskunde:
Mitteilungen, Bd. 40, 1917.
Paderborn. Verein für Geschichte und Altertumskunde West-
falens:
Zeitschrift, Bd. 74, 2.
Pasing. K. Progymnasium:
7. Jahresbericht 1916/17.
Passau. K. Lyzeum:
Jahresbericht 1916/17.
Plauen. Altertumsverein:
— — Mitteilungen, 27. Jahresschrift, 1917, Beilagen 1, 2.
Potsdam. Geodätisches Institut:
Veröffentlichungen, N. F., Nr. 70—74.
— Astrophysikalisches Observatorium:
Publikationen, Nr. 71, 72.
— Zentralbureau der internationalen Erdmessung:
— — Veröffentlichungen, Nr. 31.
Prag. Landesarchiv:
— — Landtagsverhandlungen, Bd. 15, Teil 1.
— K. Böhmische Gesellschaft der Wissenschaften:
— — Jahresbericht 1916.
— — Sitzungsberichte der philos.-hist. Klasse, 1916; der math.-naturwiss.
Klasse, 1916.
— Deutscher naturwissenschaftlich-medizinischer Verein
für Böhmen „Lotos":
— — Lotos, Naturwissenschaftliche Zeitschrift, Bd. 64, Nr. 1 — 10.
— Cechoslavisches Museum:
Narodpisny Vestnik Ceskoslovansky, Bd. 11, Nr. 4; Bd. 12, No. 1 — 4.
— Knopfmuseum:
— — Berichte, Jahrg. 2, Nr. 1.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. oö
Prag. K. K. Sternwarte:
Magnetische und meteorologische Beobachtungen, Jahrg. 77, 1916.
Pracka, Untersuchungen über den Lichtwechsel älterer Sterne,
Bd. II, 1916.
— Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen:
Mitteilungen, Jahrg. 55, Nr. 1—4.
— Deutsche Karl Ferdinands-Universität:
Ordnung der Vorlesungen, S.-S. 1917; W.-S. 1917/18.
Personalstand 1916/17 und 1917/18.
Inauguration des Rektors 1916/17.
Regensburg. Botanische Gesellschaft:
— Denkschriften, Bd. 13 = N. F., Bd. 7.
— K. Neues Gymnasium:
Jahresbericht für 1916/17 mit Programm von Weinmann.
— Naturwissenschaftlicher Verein:
Berichte, Bd. 15, 1913-16.
Rosenheim. Gymnasium:
Jahresberichte für 1916/17 mit Programm von Jäger.
Rostock. Naturforschende Gesellschaft:
Sitzungsberichte und Abhandlungen, N. F., Bd. 6, 1914.
Rotterdam. Bataafsch genootschap der proefondervuidelijke
Wijsbegeerte:
Nieuwe Verhandelingen, II. Reihe, VII. deel, stuk 2.
Salzburg. K. K. Staatsgymnasium:
— — Programm für das Jahr 1916/17.
— Gesellschaft für Salzburgische Landeskunde:
— — Mitteilungen 57, 1917.
St. Gallen. Historischer Verein:
Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte, Bd. 34.
Neujahrsblätter 1913-17.
Sarajevo. Institut für Balkanforschung:
Zur Kunde der Balkanhalbinsel II, Quellen und Forschungen,
Heft 5.
— Landesmuseum:
Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien, Nr. 13.
Schleusingen. Hennebergischer Geschichtsverein:
Schriften Nr. 10.
Schweinfurt. K. Realschule:
Jahresbericht 1916/17.
Stade. Verein für Geschichte und Altertümer etc.:
Stader Archiv, N. F., Heft 7.
3b Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Stavanger. Museum:
Aarshefte for 1916, vol. 27.
Stettin. Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Alter
tumskunde:
— — Baltische Studien, N. F., Bd. 20, 1917.
Monatsblätter 1916, Nr. 1—12.
Stockholm. K.Akademie der Wissenschaften:
— — Meteorologiska Jakttagelser i Sverige, vol. 57 und Bihang 1 u. 2.
— K. Vitterhets Historie och Antikvitets Akademie:
Antikvitets Tidskrift 22, 1.
— K. Landtbruks-Akademie:
— — Handlingar och tidskrift, Bd. 56, 1917, No. 1 — 7.
— Entomologiska föreningen:
Tidskrift, Jahrg. 38, 1917, No. 1-4.
— Geologiska Föreningens:
— — Förhandlingar, Bd. 39, No. 1—7.
— Nationalekonomiska föreningen:
— — Förhandlingar 1916.
— Schwedische Gesellschaft für Anthropologie und Geo-
graphie:
— — Ymer, Jahrg. 36, Heft 4; Jahrg. 37, Heft 1, 2.
— Svenska Literatursälskapet:
Skrifter 7, No. 8, 9; 17, No. 18; Samlaren 36 und 37.
— Nordiska Museet:
— — Fataburen 1916, Heft 1—4.
— Reichsarchiv:
Meddelanden, N. F., 6, 1 und 6, 3, 1.
— Sveriges geologiska Undersöckning:
Äarsbok 9, 1915; 10, 1916.
Strassburg. Wissenschaftliche Gesellschaft:
Schriften 30, 31.
— Internationale Kommission für wissenschaftliche Luft-
schiffahrt:
1913, Heft 1-4.
— Universitätsbibliothek:
Schriften 1916.
Straubing. Historischer Verein:
Jahresbericht 19, 1916.
Stuttgart. K. Landesbibliothek:
— — Fischer, Schwäbisches Wörterbuch, Lief. 54.
— Württemberg. Kommission für Landesgeschichte:
■ — — Vierteljahreshefte für Landesgeschichte, N. F., Jahrg. 25 und 26,
Heft 1/2.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. . ^7
Stuttgart. K. Württembergisches Statistisches Landesamt:
Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde,
Jahrg. 1916.
Thorn. Copernikus-Verein für Wissenschaft und Kunst:
Mitteilungen, Heft 24, 25.
Troppau. Kaiser Franz Joseph-Museum für Kunst und Gewerbe:
Zeitschrift für Geschichte und Kulturgeschichte Österreichisch-
Schlesiens, Jahrg. 10, 1915.
Upsala. K.Universität:
— — Arbeten, No. 17—19 und 20a, b.
Eranos, Acta philol. Suecana, vol. 15, fasc. 1—4.
— — Zoologiska Bidrag, Bd. 4, 5.
— Meteorologisches Observatorium der Universität:
Bulletin mensol., vol. 48, 1916 und Observation« seismographiques
1912—17.
— Human. Vetenskaps Samfundet:
Skrifter, Bd. 17—19.
Utrecht. Historisch Genootschap:
— — Bijdragen en mededeelingen, deel 24, 36 und 37.
— Provincial Utrechtsch Genootschap:
Kapport 1917.
— Institut Royal Meteorologique des Pays-Bas:
Mededeelingen en Verhandelingen, No. 21.
Ergebnisse aerologischer Beobachtungen, Nr. 4, 1915.
— Physiol. Laborat. d. Hoogeschool:
— Onderzoekingen V, No. 18.
Vaduz. Histor. Verein für das Fürstentum Lichtenstein:
— — Jahrbuch, Bd. 16.
Warschau. Prace matematijczno-fizyczne:
— — Prace, tom. 25—28, 1914/17.
Weihenstephan. A.Akademie für Landwirtschaft und Brauerei:
Bericht 1916/17.
Wien. Kaiserl. Akademie der Wissenschaften:
Sitzungsberichte: a) der philos. -histor. Klasse, Bd. 175, Abh. 4;
Bd. 177, Abh. 4; Bd. 179, Abh. 4 u. 5; Bd. 180, Abh. 5; Bd. 181,
Abh. 2 u. 4; Bd. 182, Abh. 2, 3, 5 u. 6; Bd. 183, Abh. 2 u. 5;
Bd. 184, Abh. 1, 2 u. 3; Bd. 185, Abh. 1; b) der math.-naturwiss.
Klasse, Abt. I, Bd. 125, Heft 5—10; Abt. IIa, Bd. 125, Heft 7—10;
Abt. IIb, Bd. 125, Heft 6 u. 8-10; Abt. III, Bd. 124 u. 125.
Sitxgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917. C
38 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Wien. Kais. Akademie der Wissenschaften:
— — Denkschriften der philos.-histor. Klasse, Bd. 59, 1. — 3. Abb.; Bd. 60,
2. Abh.
— — Anzeiger (math.-naturwiss. Klasse) 1917, Nr. 1 — 22.
— — Almanach 1916, 66. Bd.
Jagic, Suppl. psalterie Bononiensis, 1917.
— K. K. Gesellschaft der Ärzte:
Wiener Klinische Wochenschrift 1917, Nr. 1—45, 47—52.
— Zoologisch-botanische Gesellschaft:
Verhandlungen, Bd. 67, Nr. 1-6.
— — Abhandlungen, Bd. 9, Nr. 3.
— Österreichische Kommission für internationale Erdmes-
sung:
Verhandlungen 1912/13 und 1914.
— K. K. militärgeographisches Institut:
— — Astronomisch-geodätische Arbeiten, Bd. 23.
— K. K. Naturhistorisches Hofmuseum:
— — Annalen, Bd. 30, Nr. 3/4.
— Mechitaristen-Kongregation:
— — Handes Amsorya 1916, No. 1—12.
— K. K. Geologische Reichsanstalt:
Verhandlungen 1916, Nr. 13/14 und 15/16; 1917, Nr. 1-8.
Jahrbuch, Bd. 66, Heft 1.
— K. K. Universität:
— — Inauguration des Rektors 1916/17, 1917/18.
Übersicht der Behörden 1916/17, 1917/18.
Vorlesungen, S.-S. 1916 und 1917; W.-S. 1916/17 und 1917/18.
— — Bericht über die volkstümlichen Universitätsvorträge 1915/16.
— Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik:
— — Jahrbücher, Bd. 49, 50.
Wiesbaden. Verein für Naturkunde:
— — Jahrbücher, Jahrg. 69.
Winterthur. Naturwissenschaftliche Gesellschaft:
Mitteilungen, Heft 11.
Wlvrzburg. Physikalisch-medizinische Gesellschaft:
Sitzungsberichte, 1916, Nr. 1—7; 1917, Nr. 1—6.
Verhandlungen, N. F., Bd. 44, Heft 3-6; Bd. 45, Heft 1-3.
— K. Altes Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm von Stang.
— K. Neues Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17 mit Programm.
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. a9
Würzburg. K. Universität:
Personalstand 1917 und 1917/18.
— Historischer Verein:
— — Archiv, Bd. 58.
Jahresbericht für 1915.
Zürich. Antiquarische Gesellschaft:
Mitteilungen, Bd. 28, Heft 2 = Nr. 80.
— Naturforschende Gesellschaft:
Neujahrsblatt 118, 119.
Vierteljahresschrift, Jahrg. 61. Heft 3/4; Jahrg. 62, Heft 1/2.
— Schweizerische Geologische Kommission:
Geologische Spezialkarten 29a, 66a u. b, 73 b, 77, 80, 83.
Äppli, Geschichte der geologischen Kommission 1915.
— Schweizerisches Landesmuseum:
Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde, N. F., Bd. 18, Nr. 4;
Bd. 19, Nr. 1—3.
25. Jahresbericht, 1916.
— Bibliothek des Eidgenössischen Polytechnikums:
Dissertationen 1917/18.
Programm, S.-S. 1917.
— Sternwarte:
Astronomische Mitteilungen, Nr. 106.
— Schweizerische meteorologische Zentralanstalt:
Annalen, 52. Jahrg., 1915.
Zweibrücken. K. Humanistisches Gymnasium:
— — Jahresbericht 1916/17.
40 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Geschenke von Privatpersonen, Geschäftsfirmen nnd Redaktionen:
Best Chr. in Betwar:
— Nervetropfe, Dialektdichtung in Rothenburger Mundart.
Brandstetter Renward in Zürich:
— Die Reduplikation in den indianischen, indonesischen nnd indo-
germanischen Sprachen.
— Die Lauterscheinungen in den indonesischen Sprachen.
— Die Hirse im Kanton Luzern:
— Verzeichnis seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
Cohn Berthold in Strasburg:
— Almanach perpetuum celest. motuum. (S.-A.)
Familler Ignaz in Karthaus Brüll:
— Denkschriften der K. Bayer. Botanischen Gesellschaft Regensburg.
Bd. XIII.
Fick R. in Innsbruck:
— 4 Sonderabdrücke.
Flesch Karl in Reichenau:
— Die Ausrottung der Tuberkulose.
v. Groth Paul in München:
— Topographische Übersicht der Minerallagerstätten. (S.-A.)
Hasselberg K. B. in Stockholm:
— „Zur Erinnerung an Nils Christoffer Duner".
Heß Wilhelm in Bamberg:
— Das Horoskop des Astrologen Andreas Goldmayer auf die Stadt
Würzburg.
Hupp Otto in Schleifiheim:
— Zum Streit um das Missale speciale Constantiense. 1917.
Kay er E. in Marburg:
— Beiträge zur Geologie des Rimberggebietes bei Marburg von Hugo
Lieber. Bamberg 1917.
Keune in Metz:
— Kriegsarbeit des Museums zu Metz, 1917.
Kuli J. V. in München:
— Margarethe, 2. Gemahlin Kaiser Ludwigs IV. und ihre nächsten
Nachkommen als Grafen von Hennegau-Holland 1345 — 1433. (S.-A.)
— Schinderlinge. (S.-A.)
— Reformationsdenkmünzen aus dem Bereiche des heutigen Bayerns.
(S.-A.)
Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften. 41
Kuli J. V. in München:
— Die Witteisbacher als Könige von Dänemark, Schweden und Nor-
wegen.
— Die Pfalzgrafen von Scheyern - Witteisbach im 12. Jahrhundert.
(S.A.)
Kurz J. B. in Ansbach:
— Heimat und Geschlecht Wolframs von Eschenbach.
Lecat Maurice in Brüssel:
— Bibliographie du calcul des variations. Paris 1916.
Loeb James in München:
— Die Terrakotten der Sammlung Loeb, II. Bd., herausgegeben von
J. Sieveking.
Mehlis Chr. in Neustadt a. H.:
— Geologisches und Paläolithisches aus der Umgebung von Neu-
stadt a. H.
— Thrakisch-illyrisches Volkstum im vorgeschichtlichen Süddeutsch-
land. (S.-A.)
Mörikofer W. in Basel:
— Klimatische Normalweite für Basel. B. 1916. (S.-A.)
Ney Alfred in Pfullingen:
— Weihnachten bei den Kriegsgefangenen im Bereiche des X1I1. und
XIV. Armeekorps.
Noreen Adolf in Lund:
— Värt Spräk. Heft 6. 17. 19. 21. 23. 24.
La Paix par le droit:
— 1916, 19-22 und 1917, 1-20.
Prutz Hans in München:
— Die Friedensidee, 1917.
Ryd V. H. in Kopenhagen:
— Publikationer fra det Danske Meteorologiske Institut, Meddelelser
No. 3. 1917.
Schmied-Kowarzik Walther in Wien:
— Ein Weltbund des Deutschtums.
Schnyder Otto in Frauenfeld •'
— Grundzüge einer Philosophie der Musik.
Schröder Alfred in Dillingen:
— Archiv für die Geschichte des Hochstifts Augsburg, 5. Bd , Lief.
3 und 4.
Schuchardt Hugo in Graz:
— Verzeichnis seiner Druckschriften, 1915.
»
42 Verzeichnis der eingelaufenen Druckschriften.
Schuller Rod. R. in Rio:
— A nova gazeta da terra do Brasil. Rio 1914.
Schweidar W. in Kiel:
— Bewegung der Drehachse der elastischen Erde im Erdkörper und
im Räume. Kiel 1916. (S.-A.)
Sucro Theodor in München:
— Statistische Untersuchungen über Sterblichkeits- Verhältnisse der
bayer. mittleren Eisenbahnbeamten 1890 — 1914.
Trübner J., Verlagsbuchhandlung in Straßburg:
— Zeitschrift für Assyriologie, Bd. 31, Heft 1. 2.
Wahrmund Lud. in Innsbruck:
— Quellen zur Geschichte des römisch - kanonischen Prozesses im
Mittelalter, Bd. III, Heft II.
Wlassak Moriz in Wien:
— Anklage und Streitbefestigung im Kriminalrecht der Römer. (S.-A.)
Zell er Josef in Ringingen:
— Das Augsburger Burggrafenamt und seine Inhaber von ihrem ersten
Auftreten bis zum Untergang des alten Reichs. (S.-A.)
Sitzungsberichte fi
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 1. Abhandlung
I • i:
dlung
h/t. i-H
Neue Studien
zur
Geschichte der Jungfrau von Orleans
von
Hans Prutz
Vorgelegt am 13. Januar 1917 /O-
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz'scbon Verlags (J. Roth)
I
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 1. Abhandlung
Neue Studien
zur
Geschichte der Jungfrau von Orleans
von
Hans Prntz
Vorgelegt am 13. Januar 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz'schen Verlags (J. Roth)
i
I. Die Denkwürdigkeiten des Perceval de Cagny.
Der Verfasser der beiden unter seinem Namen auf uns
gekommenen angeblich zusammengehörigen Chroniken , von
denen die erste eine Genealogie der Herzöge von Alencon
enthält, die zweite Notizen bietet zur Geschichte Frankreichs
von 1239 bis 1438, unter besonderer Berücksichtigung des
Anteils des Hauses Alencon daran,1) Perceval de Cagny, war
nach seiner eigenen Angabe aus der Gegend von Beauvais
(Dep. Orne) gebürtig.2) Der Name der Örtlichkeit, nach der
sein Geschlecht sich nannte, lebt heute fort nur noch in einem
„bois de Cagny" in der Nähe von Crillon : so heißt heute' der
Herrensitz, nach dem schon früher der Name Cagny erst mit
Bouffiers und dann mit Saineval vertauscht war.3) Das darin
begründete besondere Interesse an jener Gegend betätigt
Perceval de Cagny auch, indem er bei Fortführung seiner Auf-
zeichnungen der am 10. November 1438 erfolgten Einnahme
des dort gelegenen Cerberoy durch die Engländer gedenkt und
den Schaden betont, der dadurch dem Lande und der Nachbar-
schaft bereitet wurde.*)
Literarische Interessen lagen Perceval de Cagny bei seiner
Arbeit fern : auch eigentlich historiographische Ziele hat er
1) Chroniques de Perceval de Cagny publiees pour la prerniere fois
par H. Moraville. Paris 1902 (Societe d'histoire de France).
2) Ebendas. S. 31: .... natif du pays de Beauvoisin.
3) S. II.
4) S. 254—55: .... qui fut moult grant domniage au pays et a
tous les voisins d'entour.
1*
4 1. Abhandlung: Sana Prutz
dabei nicht verfolgt. Ihm war nur darum zu tun, den Ruhm
des Hauses Alencon zu vermehren und demselben dadurch einen
neuen Beweis der Dankbarkeit und der Treue zu geben, womit
er ihm nahezu ein halbes Jahrhundert gedient hatte und auch
fernerhin zu dienen hoffte. Dann aber wollte er seine „Nach-
folger" wissen lassen, wie und welchen Herren er den größten
Teil seines Lebens gedient habe.1) Dabei muß freilich dahin-
gestellt bleiben, ob er unter „Nachfolgern" seine Nachkommen-
schaft verstanden wissen will oder die, welche dereinst nach
ihm die von ihm bekleideten Ämter am Hofe der Alencon
einnehmen werden.2) Nach seiner eigenen Angabe war Parce-
val de Cagny, als 1436 die Genealogie der Herzöge von Alencon
fertig vorlag und er im Anschluß daran seine Denkwürdig-
keiten aufzuzeichnen begann, schon 46 Jahre im Dienst des
Herzogshauses.3) Zuerst hatte er als „panetier", d.i. etwa Page,
dem Grafen Peter von Alencon gedient, der nach 57 Jahren
segensreichen Waltens in seiner Herrschaft am 20. September
1404 starb:4) er wird also, da junge Edelleute ihre Laufbahn
mit fünfzehn Jahren zu beginnen pflegten, 1436 etwa sechzig
Jahre alt gewesen sein, und seine eigenen Erinnerungen an
das im Hause Alencon Geschehene reichten daher bis zum
Jahre 1390 zurück. Dann diente er Graf Johann V. als
„ecuyer d'ecurie"; als dieser am 1. Januar 1415 zum Herzog
erhoben wurde, gewann natürlich auch seines Dieners Stellung
an Bedeutung. Aber der neue Herzog fiel bereits am 25. Ok-
tober 1415 bei Azincourt. In dieser Zeit begegnet uns Perce-
val de Cagny als Partei in einem im Februar und Mai 1413
vor dem Pariser Parlament verhandelten Prozeß über einen
Besitzstreit mit einem Anhänger des Herzogs von Burgund,
Jean de Hengest, Seigneur de Genlis.5) Unter dem zweiten
Herzog von Alencon, Johann IL, der 1424 an dem Unglücks-
tag von Verneuil in englische Gefangenschaft fiel und erst 1427
daraus heimkehrte,6) stieg Perceval de Cagny zu dem Amte
i) S. 31. 2) S. VII— VIII. 3) S. 31. 4) S. 13. 5) S. XV-XVII.
6) Die letzte Tatsache erwähnt Perceval de Cagny, dagegen nicht
die Gefangennahme bei Verneuil.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. ö
eines „maitre d'hötel" auf, zum Vorstand des gesamten herzog-
lichen Haus- und Hofhalts und wurde dadurch vollends eng
mit den Schicksalen des Herzogshauses und der wechselnden
Tätigkeit seines Herrn verknüpft, der ihn hoch in Ehren ge-
halten und reich belohnt zu haben scheint. Während die letzte
Eintragung in seine Chronik sich auf das Jahr 1438 bezieht,
begegnet uns Perceval de Cagny noch einmal am 14. April 1439
in einer von seinem Herrn ausgestellten Procuration.1) Weiter-
hin finden wir keine Spur mehr von ihm ; gestorben aber kann
er erst nach dem Frühjahr 1444 sein. Denn bei der Schil-
derung der prunkvollen Hochzeit des Dauphin mit Margarete
von Schottland, die im Juni 1436 zu Tours stattfand und von
der er als Augenzeuge berichtet, erwähnt er des die Trauung
vollziehenden Regnauld de Chartres, des Kanzlers von Frank-
reich, mit dem Zusatz: „qui alors estoit arcevesque de Raims",2)
was den Genannten als nicht mehr lebend voraussetzt, also erst
nach dessen am 14. April 1440 erfolgten Tod geschrieben
sein kann.
Man hat bereits früher wohl gezweifelt, ob die beiden
zusammen überlieferten Chroniken, die Genealogie der Herzöge
von Alencon und die Denkwürdigkeiten für die Jahre 1239
bis 1438, demselben Verfasser zuzuschreiben seien. Im Gegen-
satz dazu tritt ihr Herausgeber Henri Moraville dafür ein, daß
beide das Werk des Perceval de Cagny seien. Ob er aber
damit das Richtige getroffen hat, erscheint fraglich. Denn
wenn Perceval de Cagny in der Zwischenbemerkung, die vor;
dem Schluß der Genealogie zu den folgenden zeitgeschicht-
lichen Notizen hinüberleiten soll, von der ersteren mit der doch
wohl absichtlich und in einem ganz bestimmten Sinn gebrauch-
ten Wendung spricht, zu Ehren seiner Herren und um die
Erinnerung an das von ihm in ihrem Dienst Erlebte zu er-
halten, „il a faict faire cest present memoire",3) d. h. habe
er die vorliegende Denkschrift anfertigen lassen, so liegt
darin doch ausgesprochen, daß die Arbeit in seinem Auftrag
l) S. IV Note. 2) S. 212-22. 3) S. 31.
b 1. Abhandlung: Hans I'rutz
angefertigt ist, also nicht von ihm persönlich herrührt. An
diese in seinem Auftrag von einem andern fertig gestellte und
ihm nun vorliegende Arbeit hat er dann von sich aus allerlei
von dem anreihen lassen, was an Mißgeschick, Kriegen und
Pestilenzen über Frankreich gekommen ist, so weit er davon
bis zum Jahr 1436 Kunde erhalten hatte. Nur diese Deutung
wird dem von ihm in der Zwischenbemerkung gebrauchten
Ausdruck völlig gerecht. Eine Stütze findet sie in der Ver-
schiedenheit der beiden Arbeiten: die Genealogie ist unver-
kennbar das Werk eines literarisch wohlgeschulten Autors, der
stofflich aus dem Vollen schöpft und die Feder gewandt führt,
während die folgenden Denkwürdigkeiten in ihrem wunder-
lichen Durcheinander der verschiedenartigsten Dinge und mit
der Ungelenkheit des Ausdrucks als Verfasser den bisher viel-
beschäftigten Hof- und Kriegsmann erkennen lassen, der in
der beginnenden Muße seiner alten Tage seinem Kaplan ge-
legentlich diktierte,1) was ihm von seiner früheren Tätigkeit
bemerkenswert erschien. Im Gegensatz dazu rührt die Genea-
logie der Herzöge von Alencon augenscheinlich von einem auf
diesem Gebiete heimischen und in derartigen Arbeiten bewähr-
ten Verfasser her. Demselben unter den literarisch bekannten
Zeitgenossen nachzuspüren hat keinen Zweck und verspricht
keinen Erfolg: nur eine naheliegende Vermutung mag dazu
vorgebracht werden. Wenn der Herausgeber der beiden Chro-
niken, Henri Moraville, aus der Übereinstimmung gewisser
Angaben des Perceval de Cagny mit solchen des Cousinot de
Montreuil, dem wir die Chronique de la Pucelle in der uns
vorliegenden überarbeiteten Gestalt verdanken — es handelt
sich um Zahlen für die Verluste der Engländer — geschlossen
hat, ersterer habe die gleiche Quelle benutzt wie letzterer,
nämlich den von diesem als Gewährsmann angeführten „Herold
von Alencon",2) so läge doch die Annahme näher, eben dieser
Herold von Alencon sei es, den Perceval de Cagny zur Ab-
fassung der Genealogie veranlaßte. Denn nach dem Brauche
x) Ebendas. S. 31 a. E. : et avecque ce a voulu faire mettre per
escript aucun par des mechies usw. 2) S. VII.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans
oJ
der Zeit wäre eine solche Arbeit gerade recht die Sache eines
Alenconschen Herolds gewesen. Auch war die Genealogie, als
Perceval de Cagny sie als Einleitung seinen Denkwürdigkeiten
voranstellte, nicht mehr ganz neu: sie ist sicher vor 1434
vollendet, da sie die in dieses Jahr gehörige zweite Ehe des
Herzogs Johann IL von Alenyon nicht kennt.
Was nun die eigentliche Chronik angeht, die sicher das
Werk des Perceval de Cagny ist, so bezeugt dieser selbst in
der vorangesetzten Bemerkung, daß sie im Jahr 1436 begonnen
ist. Er wird demnach seine Denkwürdigkeiten bis zu diesem
Jahr im Zusammenhang diktiert haben, um sie später, wenn
wieder ihm Bemerkenswertes geschah, fortzuführen, so daß die
Chronik für die folgenden Jahre den Ereignissen auf dem Fuße
folgend wuchs. Das letzte, das sie erwähnt, ist der Verlust
des 1436 von den Franzosen eroberten Saint-Germain-en-Laye
an die Engländer am 18. Dezember 1438, für den er die Leute
des Connetable Richemont verantwortlich macht.1) Die Art
aber, wie er bei Erwähnung der Hochzeit des Dauphin 1436
des dabei fungierenden Kanzlers Regnauld von Chartres als
des „damaligen" Erzbischofs von Rheims gedenkt,2) beweist,
daß er noch nach dessen Tod (14. April 1440) an seinen Denk-
würdigkeiten beschäftigt wrar, indem er Nachträge einfügte
und im ersten Entwurf offen gelassene Lücken ausfüllte. Denn
augenscheinlich sind die Lücken, die sich in dem uns über-
lieferten Text der Chronik finden, nicht auf die Rechnung von
Duchesne zu setzen, welcher denselben aus einer inzwischen
verloren gegangenen Handschrift kopierte, sondern von diesem
seiner Vorlage entnommen und auf den Verfasser selbst zurück-
zuführen. Mag dieser die Denkwürdigkeiten bis 1436 auch in
einem Zuge diktiert haben : es fehlten ihm doch nicht selten
die genauen Daten, sowie die Vornamen zu erwähnender Per-
sonen und die Namen von Örtlichkeiten, welche er bei seinem
löblichen und erfolgreichen Bemühen um möglichste Genauig-
keit nachzutragen sich vorbehielt, indem er dafür gleich den
l) S. 256-57. 2) S. 221-22, vgl. oben S. 5.
8 1. Abhandlung: Hans Prutz
nötigen Raum offen ließ. Die meisten dieser Lücken sind
wohl schließlich unausgefüllt geblieben, sei es, daß der Autor
die nötigen Angaben sich nicht verschaffen konnte, sei es, daß
er durch das Alter und den Tod an der Vollendung der Arbeit
gehindert wurde. Daß er im Sommer 1438 mit dieser wieder
beschäftigt war, lehrt eine Bemerkung über die endliche Ent-
faltung kriegerischer Energie bei Karl VII., die besagt: „tout
1'ete" present le roy ne s'est entremis de faire la guerre".1)
Da er nun bereits zum Jahr 1437 in ähnlicher Weise seine
Befriedigung kund tut über den in der Haltung des Königs
eingetretenen Wandel, indem er wohl im Hinblick auf früher
von ihm gemachte bittere Bemerkungen notiert: „quelque
conseil qu' il ait au temps passe, ä present veult faire la
guerre la plupart ä son vouloir",2) so muß er sowohl 1437
wie 1438 an seinen Denkwürdigkeiten tätig gewesen sein. Die
gelegentliche Ausfüllung anfangs gelassener Lücken wird ihn
immer wieder veranlaßt haben die Aufzeichnungen vorzunehmen.
Daraus werden manche von den Unebenheiten und Wider-
sprüchen zu erklären sein, die uns darin aufstoßen, wenn er
z. B. zum Jahr 1414 den Herzog von Alencon durch den von
Bourbon zum Ritter geschlagen werden läßt, aber erst im fol-
genden Jahr 1415 die Erhebung seines Herrn zum Herzog
berichtet.3) Manche von diesen Nachträgen sind schon durch
den Ausdruck als solche kenntlich. Zum Jahr 1434 z. B. ge-
denkt Perceval de Cagny — offenbar als Augenzeuge — der
Verwüstungen, die ein Herbststurm in Angers anrichtete: seit
vierzig Jahren habe man dort ein solches Unwetter nicht er-
lebt. Wenn er dazu bemerkt: „celui an l'ete avoit este" le
plus long et le plus chault qui eust este de la cognoissance
des hommes vivants",4) so läßt das „avoit este" — der Som-
mer „war gewesen" — keinen Zweifel darüber, daß diese das
Interesse an der Nachricht steigernde Notiz erst nachträglich
hinzugefügt worden ist. In dieser Weise hat Perceval de Cagny
bis mindestens 1440/41 an seinen Denkwürdigkeiten weiter
!) S. 253. 2) S. 236. 3) S. 90 und 93. 4) S. 188.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 9
arbeiten können : trotzdem sind von den in dem ursprünglichen
Diktat gelassenen Lücken, wie es scheint, die meisten unaus-
gefüllt geblieben.
Aber nicht bloß als Aufzeichnungen eines den von ihm
berichteten Ereignissen nahestehenden Zeitgenossen sind diese
sich so anspruchslos gebenden Denkwürdigkeiten von Interesse:
in einzelnen Abschnitten dürfen sie hohen Wert beanspruchen
als Erinnerungen eines Augenzeugen und Mithandelnden. Seine
Stellung im Dienst der Alencons ließ ihn vielfach zu einem
solchen werden. Zwar hebt er das selbst niemals ausdrück-
lich hervor, doch läßt es sein dann besonders ausführlicher
und anschaulicher Bericht erkennen. Das ist z. B. der Fall,
wenn er zum Jahr 1413 die Teilnehmer der Versammlung er-
wähnt, welche die Anhänger des Herzogs von Orleans in Ver-
neuil hielten, mit den Worten: „touz nos seigneurs tenans
le parti de monseigneur d'Orleans",1) dann aber auch von dem
Inhalt und den Ergebnissen der geführten Verhandlungen
Kenntnis hat und weiß, daß die Kosten des glänzenden Kon-
gresses seinem Herrn zur Last fielen. Daß er der Erhebung
desselben zum Herzog am 1. Januar 1415 beigewohnt, läßt
die starke Betonung der dabei entfalteten Pracht vermuten.2)
Wenn er dann weiterhin bei dem Bericht über den Entsatz
von Orleans von den Waffen genossen der Jungfrau als „nos
gens",3) also als ebenfalls beteiligter spricht, so steht zwar
fest, daß sein Herr, Johann IL von Alen^on, den dortigen
Kämpfen nicht beigewohnt hat4): doch schließt das nicht aus,
daß sein tatenlustiger „ecuyer d'ecurie" den Zug mitgemacht
hat, zumal er in seinem Bericht, wie auch sonst zuweilen, mit
seinem sachkundigen militärischen Urteil nicht zurückhält, in-
dem er meint, nach der Ansicht mancher Kapitäne sei die
Bastion Les Tourelles selbst mit nur halb so viel Leuten noch
einen Monat zu halten gewesen.5) Sicher auf Augenzeugen-
!) S. 80-81. 2) S. 93.
3) S. 46, vgl. S. 154: „l'avantgarde de nos gens". 4) Proces III S. 94.
6) S. 145 a. E. Vgl. die ähnliche Bemerkung des Herzogs von Alencon
in seiner Aussage Proces III S. 94, nach der Besichtigung der genom-
10 1. Abhandlung: Hans Prutz
schaft beruht dagegen, was er von dem Loirefeldzug berichtet,
an dem sein Herzog teilnahm. Daher kann er da auch genaue
Auskunft geben über die geringen Verluste der siegreichen
Franzosen, wie: „Et n'y mourut de nostre part que 16 ou 20
personnes".1) Da macht er bei der Schlacht bei Patay am
17. Juni 1429 wieder den militärisch-technischen Standpunkt
geltend, indem er als charakteristisch hervorhebt, daß die Eng-
länder eigentlich widerstandslos zusammengehauen seien.2)
Obenein bezeugt seine Anwesenheit die Kenntnis der Vorgänge
nach der Schlacht, wo der Herzog von Alenyon doch nicht
wagte den an dem Siege beteiligten Connetable Richemont
bei dem ihm zürnenden König einzuführen.3) Als Augenzeuge
schildert Perceval de Cagny ferner die Hin- und Hermärsche
der eine Schlacht suchenden Franzosen und der ihnen aus-
weichenden Engländer unter dem Herzog von Bedford.4) Dann
folgte er dem Herzog, ohne den die Jungfrau bei der Unlust
des Königs zu ernstlicher Kriegführung und der feindlichen
Haltung der königlichen Räte überhaupt nichts hätte aus-
richten können, auf dem Zuge gegen Paris und wurde Zeuge
des mißlungenen Sturms vom 8. September. Das beweist der
anschauliche Bericht darüber, der wiederum den Militär von
Beruf erkennen läßt, der mit den getroffenen Dispositionen
und der danach vorgesehenen Verwendung der einzelnen Trup-
penteile bekannt war. Schon die staunende Bemerkung über
den furchtbaren Kanonendonner, der während des langen und
harten Kampfes die Luft erfüllte,5) kann füglich nur von einem
dabei Anwesenden herrühren. Daß er den leitenden Persön-
lichkeiten nahestand und um ihre Absichten wußte, lehren
seine Angaben über die Art, wie der König die von Alencon
und der Jungfrau geplante Erneuerung des Angriffs von einer
anderen Seite her vereitelte, indem er die über die Seine ge-
schlagene Brücke nachts heimlich abbrechen ließ.6) Danach
menen englischen Werke habe er es wohl unternehmen wollen, sie noch
6 oder 7 Tage gegen die Macht der Angreifer zu halten.
*) S. 151. 2) S. 154. 3) S. 155. 4) S. 163-64.
5) S. 167. 6) S. 168, 69.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 11
erst zog sich Johann von Aleneon grollend in sein Herzogtum
zurück : mit ihm ist auch Perceval de Cagnv davon gegangen.
Von den ferneren Schicksalen Johannas weite er aus eigener
Anschauung daher nichts mehr zu berichten, und von ihrem
Ausgang zu Rouen kann er nur wiederholen, was ihm von
dabei Anwesenden erzählt war.1)
Aber auch in den späteren Teilen seiner Aufzeichnungen
spricht Perceval de Cagny mehrfach als Augenzeuge, wie von
dem Unwetter, das im Oktober 1434 Angers heimsuchte und
an Kirchen und Häusern großen Schaden anrichtete,2) dann
von dem Zug des Connetable Richemont von Pontoise nach
Saint-Denis im August 1436 und den Gegenmaßregeln der
Engländer,3) wo er sich ganz besonders genau unterrichtet
zeigt, und dann von dem Einzug Richemonts in Paris und
der endlichen Rückkehr der Hauptstadt zum Gehorsam gegen
den rechtmäßigen König. Auf Augenzeugenschaft beruht
ferner sein Bericht über die Hochzeit des Dauphin mit Mar-
garete von Schottland zu Tours im Juni 1436, 4) in dem die
Mitteilungen über die den Begleiterinnen der Braut durch ihre
Zurücksendung nach Schottland bereitete Enttäuschung den
diesen Vorgängen nahestehenden Hofmann erkennen lassen.
Das gleiche gilt von den Angaben über das Hochwasser, das
1437 die Touraine, Anjon und Maine heimsuchte,5) und end-
lich von dem Einzug Karls VII. in Paris am 13. Dezember
1437. 6)
Nicht bloß ein über viele der von ihm notierten Vorgänge
wohlunterrichteter Zeitgenosse spricht also in den Aufzeich-
nungen des Perceval de Cagny, sondern gelegentlich ein Mann,
der an uns besonders interessierenden Vorgängen als Augen-
zeuge oder gar als Mithandelnder beteiligt war. Dank seiner
Verbindung mit dem Herzog von Alencon ist er vertraut mit
den unerquicklichen und politisch wie militärisch gleich nach-
teilig wirkenden Zuständen am Hof: er kennt La Tremonille
als den allmächtigen Günstling,7) der dort gebietet und in
*) S. 179/80. 2) S. 188. 3) S. 213/14. *) S. 221 c. 22.
5) S. 227. 6) S. 245. i) S. 171-185.
'- 1. Abhandlung: Bans Protz
Gemeinschaft mit dem Kanzler Regnauld von Chartres den für
kurze Zeit zur leitenden Stellung gelangten Connetable Riche-
mont wieder verdrängte ; *) er weiß, daß gewisse Leute Karl VII.
durch den Hinweis auf die damit verbundenen Gefahren von
dem Zuge nach Reims abzuhalten suchten,2) wie später die
Absicht Alencons durchkreuzt wurde, nach dem mißlungenen
Angriff auf Paris mit Jeanne d'Arc nach der Normandie zu
gehen und dort, wo die Entscheidung lag, die Engländer zu
bekämpfen.3) Von ihm erfahren wir, wie man in dem um
die Jungfrau gesammelten Kreis kriegslustiger Patrioten über
den König urteilte und wie dessen Meinung weithin geteilt
wurde.4) Seit der Gefangennahme der Jungfrau hatte der Hof
nach ihm nur noch den einen Gedanken, wie er, selbst um
den Preis neuer Landabtretungen, mit England Frieden schließen
könnte.5) Unser Autor teilt die Entrüstung der national und
kriegerisch Denkenden, als Karl VII., 1433, statt Isle de France
zurückzuerobern, wie namentlich wiederum der Herzog von
Alencon riet, vielmehr nach Langnedos zog und dort kostbare
Zeit nutzlos verbrachte.6) Um so freudiger begrüßt er den in
der Haltung Karls eintretenden Wandel und läßt der Energie
Gerechtigkeit wiederfahren, zu welcher derselbe sich seit 1437
aufraffte.7) Streng tadelt er aber auch den lange Jahre zum
Landesfeind stehenden Herzog von Burgund8) und den unzu-
verlässigen Herzog von Bretagne.9) Die Unbefangenheit seines
Urteils bezeugt ferner die Kritik, die er an dem Verhalten
des sonst von ihm so hoch geschätzten Connetable von Riche-
mont übt.10)
Nach alledem war Perceval de Cagny also jedenfalls in
der Lage viel zu sehen und zu hören und insbesondere von
den Ereignissen, die zur Rettung der nationalen Selbständig-
keit Frankreichs führten, genauere Kunde zu geben. Aber
daß er eigentlich historischen Sinn besessen und eine lebendige
Anschauung von dem Zusammenhang der Dinge gehabt hätte,
!) S. 153, 155 und 164. 2) S> 157- 3) S. 170 a. E.
4) S. 205 a. E. 5) S. 205. 6) S. 228; vgl. S. 233.
7j S. 235-30 u.240. 8) S. 20S u. 219. 9) S. 210 10) S. 256 -57.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 13
wird man nicht behaupten können. Er ist zunächst Soldat
und Hofmann und als solcher ein treuer Diener des herzog-
lichen Hauses: die Dinge, die uns in seinen Aufzeichnungen
am meisten interessieren und ihnen besondern Wert verleihen,
standen ihm in einer Linie mit den „Mißgeschicken, Kriegen
und Pestilenzen", die nach seiner Kenntnis bis 1436 über
Frankreich gekommen waren, wie er sich in der Vorrede aus-
drückt, durch die er den Übergang von der durch ihn veran-
lagten Genealogie der Alencons zu seinen Denkwürdigkeiten
vermittelt.1) Aber gerade dieser naive Standpunkt und die ihm
entspringende Anspruchlosigkeit seiner Mitteilungen verleihen
seinem Bericht über Jeanne d'Arc besonderen Wert. Durch
ihn allein erfahren wir, wie ein guter Franzose und tapferer
Soldat, der auch ein guter Christ war,2) aber frei von jeder
religiösen Schwärmerei und unberührt von mystischem Wunder-
glauben, die Heldin betrachtete, die er als Waffengefährtin
seines Herrn in nächster Nähe beobachtet hatte, und wie er
sich ihre Erfolge erklärte zu einer Zeit, wo ihre Gestalt noch
nicht durch den Nebel der Legende und den Glorienschein des
Märtyrertums bis zur Unkenntlichkeit entstellt war. Worin
man nachmals eine ununterbrochene Kette von Wundern er-
blickte, die ein immer erneutes unmittelbares göttliches Ein-
greifen zu Gunsten Frankreichs bewirkt haben sollte, das hatte
sich vor seinen Augen, ja unter seiner persönlichen Teilnahme
abgespielt als etwas zwar Erstaunliches, aber doch nicht Über-
natürliches, sondern Menschliches.3)
Es ist bemerkenswert, weil es einen Rückschluß zuläßt
auf den Eindruck, den Johanna auf Kreise machte, die ihr
unbefangen und ohne kirchliche oder politische Voreingenom-
menheit nahe kamen, daß Perceval de Cagny über die Offen-
barungen, Stimmen und Erscheinungen Johannas mit kurzen
Worten hinweggeht: bei dem Bericht über ihr Erscheinen zu
Chinon bemerkt er nur, sie habe wunderbare Dinge gesprochen
von Gott und den Heiligen und behauptet, Gott habe sie dem
l) S. 31. 2) S. 89. 3) S. 211 und 253.
14 1. Abhandlung: Hans Prutz
König für den Krieg zu Hülfe geschickt1) Wohl sieht auch
er in ihr eine Botin Gottes, die den König in seine Herrschaft
wieder einsetzen soll2): aber wie ihr dieser Auftrag zu Teil
geworden und wie ihr die nötigen Kräfte gekommen sind, sagt
er nicht, sondern konstatiert nur dankbar die günstige Wand-
lung, die eingetreten ist „par l'ayde de Dieu et Teure (d. i.
oeuvre) de la Pucelle".3) Mit dieser Formel kommt er über
das geschehene Außerordentliche hinweg, wie er die Jungfrau
ein anderes Mal als Vermittlerin der göttlichen Hilfe bezeich-
net.4) So läßt er denn auch die in Orleans für die Rettung
der Stadt gehaltenen Dankprozessionen stattfinden für „la grace
et Thonneur que Nostre Seigneur avoit faict au roy et ä eulx
tous, disant que c'estoit par le moyen de la Pucelle et que
sans eile ne peussent si grans merveilles avoir este faictes".5)
Sollten nicht mehr Leute sich den großen Ereignissen jener
Tage gegenüber ähnlich beschieden haben, sich der göttlichen
Schickung freuend, aber ohne nach dem ursächlichen Zusam-
menhang im einzelnen zu fragen? Sicher war das auch der
Standpunkt des Herzogs von Alencon : als Zeuge in dem Re-
habilitationsprozeß läßt er sich auf der Jungfrau Visionen und
Stimmen nicht ein, sondern bemerkt nur, ohne besondere gött-
liche Hülfe seien Dinge, wie sie Johanna gelungen, doch nicht
möglich gewesen.6) Danach gibt Perceval de Cagny in seinem
Bericht über Johannas Taten offenbar die Anschauung wieder,
die in dem Kreise der eifrigsten und überzeugtesten Anhänger
der Heldin herrschte: fromme Schwärmerei und erhitzter
Wunderglaube spielten da keine Rolle. Diese sind vielmehr
erst von anderer Seite hineingetragen worden und haben die
Vorgänge, die den als Augenzeugen und mithandelnd daran
Beteiligten zwar außerordentlich und als eine gnädige Fügung
Gottes, aber doch als sich durchaus natürlich vollziehend er-
schienen waren, in die Sphäre des Wunderbaren erhoben.
Nicht auf Eingebungen der Heiligen, auf Stimmen und Er-
*) S. 139 a. E. 2) S. 140 und 166. 3) S. 155—56, 164, 167.
4) S. 171: par l'entremise de la Pucelle.
5) S. 155 und 156. 6) Proces III, S. 94.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 15
scheinungen, die ihr himmlische Weisungen übermittelten, führt
Perceval de Cagny die Erfolge Johannas zurück, sondern —
und damit trifft er zweifellos das Richtige — • auf den Zauber
ihrer Persönlichkeit, die Hoch und Niedrig mit fortriß, an sie
fesselte und zu außerordentlichen Leistungen befähigte. Das
spricht er wiederholt bestimmt aus und stellt sich damit in
einen entschiedenen Gegensatz zu der späteren, von kirchlichen
und politischen Tendenzen beeinflußten Tradition. Dafür ist
schon das Eine bezeichnend, daß der Stab exaltierter Geist-
licher, der nach anderen Berichten in der Umgebung der
Jungfrau zeitweise eine Rolle spielte und deren gesunden, auf
die harte Wirklichkeit gerichteten Sinn gelegentlich seinen
Phantastereien dienstbar machte, bei ihm mit keinem Worte
vorkommt. Vielmehr erscheint ihm der Herzog von Alencon
nicht bloß als Johannas ständiger Genosse ihrer ersten großen
Zeit und Teilhaber an ihren Erfolgen vom Loirefeldzug bis
zum Abzug von dem vergeblich bestürmten Paris, sondern
auch als derjenige, der sie leitet, das heißt die Macht ihrer
Persönlichkeit da einzusetzen veranlaßt, wo es augenblicklich
am nützlichsten schien. Denn das bedeutet es doch, wenn
Perceval de Cagny meldet, nach dem mißglückten Angriff auf
Paris habe die Jungfrau, den Tag zuvor verwundet, den Herzog
früh morgens zu sich gebeten, „par qui eile se conduisoif.1)
Diese Aussage eines Mannes, der den von ihm unter diesem
Gesichtspunkt zusammengefaßten Vorgängen in der nächsten
Umgebung des Herzogs selbst beigewohnt hat, wirft auf die
Stellung Johannas ein eigentümliches Licht, stellt sie jeden-
falls nicht als die leitende Persönlichkeit dar. Das wäre danach
vielmehr der Herzog gewesen, der sich geschickt des Einflusses
bediente, den die Lothringerin auf seine Leute ausübte. Schon
in Orleans waren die Bürger bald des zuversichtlichen Glaubens
gewesen, unter Johannas Führung müsse alles nach Wunsch
gehen.2) Deshalb schlug der Herzog nachher dem König vor,
1) S. 168.
2) S. 143 a. E.: Les gens de la ville . . . avoient ferme esperance
que les Englais ne leur pourroient mal en sa compacgnie.
1'' 1. Abhandlung: Hans Trutz
er möge die Jungfrau mit ihm nach der Normandie ziehen
lassen.1) Daß dies nicht geschah, ist recht eigentlich das Ver-
hängnis Johannas geworden : denn so blieb gerade die stärkste
Seite ihres Wesens hinfort ungenutzt. Der Berührung mit
der für sie begeisterten Menge kampffroher Leute entrückt,
wurde sie je länger je mehr zu einer ein Phantasieleben füh-
renden Visionärin, was sie anfangs keineswegs gewesen war.
Und hier stehen wir wohl an dem Punkte, von dem aus
wie einst für unbefangen beobachtende Zeitgenossen, so auch
für die historische Forschung und damit für die Nachwelt
überhaupt das Rätsel der Erfolge der Jungfrau seine sehr ein-
fache und durchaus natürliche Lösung findet. Seinen Vor-
schlag, Johanna mit ihm nach der Normandie ziehen und in
den Marschen der Bretagne und Maines fechten zu lassen,
begründete nach Perceval de Cagny der Herzog von Alencon
damit, data man dann auf massenhaften Zuzug rechnen könnte :
ihrer Fähigkeit, den gemeinen Mann zu begeistern und mit
sich fortzureissen, entsprangen ihre scheinbar überirdischen
Kräfte. Perceval de Cagny spricht das wiederholt als seine
Überzeugung aus und hatte daher keinen Grund nach über-
irdischen Quellen derselben zu suchen und ihre glorreiche Be-
tätigung auf immer neue Wunder zurückzuführen. Nicht der
Glaube an den göttlichen Auftrag, in dem sie gekommen,
nicht die Kunde von den ihr durch ihre Heiligen vermittelten
himmlischen Weisungen und nicht die Überzeugung von ihrer
angeblichen überlegenen militärischen Einsicht, sondern der
Eindruck ihrer Persönlichkeit fesselte die sich ihr Nahenden
an sie, ließ sie von ihrer Führung den Sieg hoffen und in
dieser Zuversicht wirklich gewinnen. So erstaunlich Johannas
Erfolge auch ihm erschienen und so aufrichtig er sich ihrer
als einer gnädigen Fügung Gottes freute, davon, daß er ge-
glaubt hätte, dieselben seien auf übernatürlichem Wege zu
Stande gekommen und ständen außerhalb des menschliche
Unternehmungen beherrschenden Kausalnexus, findet sich bei
ihm keine Spur. Auch der gemeine Mann, der unter den
!) S. oben S. 12.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 17
Schrecken des englischen Krieges so lange gelitten hatte,
fragte, wenn er hörte, was in Orleans geschehen war, nicht,
woher denn der Bäuerin, die mit ihrem Banner den Kriegern
voranging, die Kräfte gekommen wären, denen sie den Sieg
verdankte, sondern war ohne Weiteres davon überzeugt, daß
es ihr auch weiterhin nicht fehlen würde, und leistete ihr des-
halb bereitwillig zum Angriff auf Jargeau Folge.1) Wenn das
namentlich auch die „Gemeinen", d. h. die städtischen Kontin-
gente taten, so war das zum Teil der auch von Perceval de
Cagny hervorgehobenen Fähigkeit der Jungfrau zu danken,
ihre Leute alsbald in eine damals sonst unbekannte Ordnung
zu bringen und darin zu erhalten, wie es ein Marschall oder
Connetable nicht besser gekonnt hätte.2) Während des Marsches
gegen Paris gab es nach unserm Gewährsmann „in allen Stän-
den" niemand, der nicht überzeugt gewesen wäre, sie werde
die Stadt erobern.3) Daher stellt derselbe bei Würdigung des
von der Jungfrau bis zu dem Mißerfolg vor Paris Geleisteten
in scharfen Worten dem Undank des Königs und seiner Räte
die begeisterte Anhänglichkeit der „Ritter, Knappen und ge-
meinen Leute" entgegen, die unter ihr den Krieg sogar ohne
Sold weiterzuführen bereit waren.4) Wunderbar, sagt er schließ-
lich bei dem Bericht über Johannas Ausgang, seien allen, die
sich in ihrem Gefolge befanden, ihre Taten erschienen, aber
daß sie Wunder gewesen, auf übernatürliche Weise vor sich
gegangen seien, sagt er nicht, weist vielmehr bezeichnender
Weise darauf hin, weil sie von Gott gesandt zu sein behauptet
habe, in männlicher Tracht einhergegangen und geritten sei'
und Dinge gekonnt habe, die sonst in Kriegszeiten Connetable
und Marschall zu tun hätten, sei von den Engländern alles
aufgeboten worden, um sie als Ketzerin zu erweisen, und des-
halb sei sie verbrannt worden;5) gegen sie seien, so deutet
er dabei an, auch manche von ihren Reden geltend gemacht
worden.
Von dem Glorienschein einer auf Schritt und Tritt Wunder
wirkenden und dauernd mit den Heiligen in Verkehr stehenden
*) S. 150. 2) S. 153 a. E. 3) g. 166 4) g. 172. 5) S. 179.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. (1. bist. Kl. Jahrg. 191 7, 1. Abh. 2
18 1. Abhandlung: Hans Prutz
Yisionärin, ohne den man ein paar Jahrzehnte später in Frank-
reich die Jungfrau sich nicht mehr denken konnte und den
als berechtigt zu erweisen in dem Rehabilitationsprozeß be-
rufene und unberufene Zeugen unter dem Bann der inzwischen
aus politischen Gründen planmäßig großgezogenen Legende
förmlich wetteiferten, findet sich nach alledem keine Spur in
dem Bilde, das dieser der Heldin im Leben so oft nahe ge-
wesene schlichte Soldat von ihr entwirft. Sie ist ihm von
Gott gesandt, wie alles Gute von Gott kommt, aber ihr Tun
und Handeln steht für ihn nirgends außerhalb der Gesetze,
die für Tun und Handeln der Menschen maßgebend sind. Die
Jungfrau ist bei ihm nicht eine gottgesandte Prophetin, die
sich ihrer himmlischen Verbindungen jeden Augenblick be-
wußt ist und in Zweifelfällen nicht ohne eine gewisse Selbst-
gefälligkeit zu denselben ihre Zuflucht nimmt, sondern eine
derbe Bäuerin, welche der erbitternde Anblick ihrer verwüsteten
Heimat und der Not der Ihrigen, sowie die patriotische Ent-
rüstung über das traurige Schicksal ihres angestammten Königs
die Waffen zu ergreifen gedrängt haben, die aber erst durch
die ihr Auftreten begleitenden Umstände zu einer allgemeinen
Bedeutung erhoben wurde. Erst hinterher hat diese die po-
litischen Tendenzen verfolgende Tradition zu einer Art von
überirdischer Erscheinung gemacht, sodaß von ihrem ursprüng-
lichen Wesen bis auf einige wenige Züge, die nun natürlich
höchst befremdlich erscheinen, fast nichts übriggeblieben ist.
Während die legendäre Jeanne d'Arc unausgesetzt den Namen
Gottes im Munde führt und fast jede der von ihr berichteten
Reden, Anordnungen und Befehle mit den sie immer von neuem
als Sendbotin des Himmelskönigs legitimierenden „Im Namen
Gottes" — ,En nom De" — beginnt, läßt Perceval de Caguy
die ihm vertraute geschichtliche sich vielmehr einer weniger
heiligen, aber naturwüchsigeren und zu ihrer neuen Tätigkeit
und Lebensweise besser passenden Formel bedienen, die zudem
auch ihrem Publikum angemessener war: „Par mon rnartin"
— „Bei meinem Stab". Bei ihm kommt die Beteuerungs-
formel so häufig und mit so stark betonter Absichtlichkeit
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 19
&*
vor,1) daß man nicht daran zweifeln kann, sie ist ihm einst
besonders aufgefallen, hat sein Ohr oft getroffen und ist von
ihm als besonders charakteristisch festgehalten worden. Auch
entspricht sie dem Brauch der Zeit, nach dem der Stab als
Sinnbild des Kommandos das Abzeichen der Kapitaine war.
La Hire, der sozusagen klassische Repräsentant der Soldateska
jener Zeit, so wird berichtet, pflegte nicht bei Gott zu schwören,
sondern bei seinem Stab,2) und von der Jungfrau heißt es in
dem ihr freilich feindlich gesinnten Journal d'un bourgeois de
Paris, sie habe, wenn einer ihrer Leute eine von ihr gegebene
Weisung nicht gleich verstand, alsbald mit ihrem Stabe drein-
geschlagen, was freilich zu dem Idealbild nicht recht passen
will, das man sich später von ihr zurechtgemacht hat. Es
findet aber ein Seitenstück in einem anderen, zwar unwesent-
lichen, aber augenscheinlich ebenfalls dem alltäglichen Leben
entnommenen und als besonders charakteristisch festgehaltenen
Zug, der den getreuen Diener des Herzogs von Alencon be-
greiflicherweise besonders interessierte und mit einem gewissen
Stolz erfüllte. Das ist die vertrauliche und sozusagen schmeichel-
hafte Anrede, mit der Johanna sich an den Herzog zu wenden
pflegte „mon beau duc".3) Für die Zuverlässigkeit der An-
gaben des Perceval de Cagny über diese Dinge spricht noch,
daß auch sein Bericht über den Besuch, den die Jungfrau der
Mutter und der Gattin des Herzogs in Saint-Flourens bei Sau-
mur machte, vollkommen stimmt mit den Angaben, die der
Herzog selbst darüber später machte: er bezeugt von neuem
das besondere Vertrauensverhältnis, das zwischen diesem und
der Heldin bestand. Wesentlich beigetragen wird dazu wohl
die Zuversicht haben, mit der Johanna die Befreiung des Her-
zogs Karl von Orleans, des Vaters der Herzogin, aus englischer
Gefangenschaft in Aussicht stellte.4)
Ohne den Anspruch zu erheben, eine Geschichte der denk-
a) S. 141. 145, 146, 149, 157, 168, 174.
2) Proces III, S. 206 und IV, S. 40 Note.
3) S. 149, 151, 165, 168, vgl. S. 148 und Proces III S. 96.
4) S. 148, vgl. Proces III S. 96.
2*
l!<I 1. Abhandlung: Hans Prutz
o •
würdigen Vorgänge zu schreiben, von denen er den einen in
dem Gefolge seines hervorragend daran beteiligten Herrn nicht
bloß als Augenzeuge sondern als Mithandelnder beigewohnt,
die anderen auf Grund authentischer Mitteilungen eben des-
selben Herrn genau kannte, verdient Perceval de Cagny auch
heute noch unter den zeitgenössischen Berichterstattern über
die Taten der Jungfrau von Orleans den ersten Platz und darf
in weit höherem Maße, als bisher geschehen ist, als eine Auto-
rität herangezogen werden, an deren streng sachlichen, von
aller Schwärmerei und Phantasterei freien Angaben die so
ganz anders gearteten zu prüfen und auf das richtige Maß
zurückzuführen sind, welche zwei Jahrzehnte später die unter
dem Bann der inzwischen mächtig erstarkten Legende stehen-
den Zeugen des Rehabilitationsprozesses den gerade solche
Dinge zu hören begierigen päpstlichen Kommissarien zum
Besten gegeben haben, um im Interesse der wieder auf dem
Thron befestigten Dynastie aus dem schlichten Bauernmädchen,
in dem der Drang des von seinem König und seinen Fürsten
im Stich gelassenen französischen Volkes zur Selbsthilfe sich
verkörpert hatte, eine ihres himmlischen Berufes allzeit be-
wußte Prophetin zu machen: das Bild der geschichtlichen
Jeanne d'Arc ist uns am besten und eigentlich allein bei Per-
ceval de Cagny erhalten.
II. Poitiers.
Wenn Jeanne d'Arcs Kaplan, der Augustiner-Eremiten-
mönch Jean Pasquerel aus Bayeux, auf Grund der ihm von
der Jungfrau selbst gemachten Mitteilungen deren Aufenthalt
und Prüfung zu Poitiers vor ihren Empfang durch Karl VII.
zu Chinon setzt,1) so liegt da offenbar eine Verwechselung vor
mit ihrem zweiten, ganz flüchtigen Besuch daselbst, der auf
dem Wege von Poitiers nach Tours und weiter nach Blois
stattfand, also nachdem der Hof beschlossen hatte, die ihm
l) Vgl. H. Prutz, Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans
in diesen Sitzungsberichten 1913, Abb. 2 S. 73.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 21
im Augenblick der höchsten Not so überraschend erschienene
Retterin trotz der noch immer obwaltenden Bedenken ihr Glück
vor Orleans versuchen zu lassen. Immerhin ist damit die Mög-
lichkeit gegeben, daß der eine oder der andere von den neben-
sächlichen Zügen, welche die Zeugen des Rehabilitationspro-
zesses aus den Tagen von Chinon zu berichten wissen, zu
diesem zweiten Aufenthalt gehört und nur versehentlich zu
dem ersten erzählt worden ist. Bei beiden kann es sich nur
um einige wenige Tage gehandelt haben, bei dem zweiten so-
gar wohl nur um eine flüchtige Durchreise. Denn das allein
würde der Situation entsprechen, da Johanna, die schon wäh-
rend des Aufenthalts in Poitiers in wachsender Ungeduld täg-
lich in den König gedrungen war sie nach Orleans zu schicken,1)
sicherlich nicht noch mehr kostbare Zeit wird ungenutzt haben
verstreichen lassen wollen, sondern sich beeilt haben wird nach
Blois zu kommen, wo die zum Zug nach Orleans bestimmten
Mannschaften und Vorräte gesammelt wurden, worüber ohne-
hin noch wieder längere Zeit vergehen mutete. Die Vorgänge
im einzelnen chronologisch genau festzulegen ist freilich nicht
möglich, doch kann über den Zeitraum, den sie insgesamt
füllten, kein Zweifel obwalten.
Durch die übereinstimmenden Zeugenaussagen in dem Re-
habilitationsprozeß und die damit im Einklang stehenden An-
gaben der sonstigen Quellen ist sicher, daß von dem Erscheinen
Johannas in Chinon bis zu dem Eingehen des lange schwan-
kenden Königs auf ihren Antrag im ganzen ein Monat ver-
flossen ist, wovon etwa drei Wochen auf den Aufenthalt und
die Prüfung zu Poitiers entfielen.2) Wenn Johanna demnach
1) Bericht des Greffier von La Rochelle in der Revue historique IV
S. 337: . . . . en poursuivant chacun jour le Roy, qu'il mandast les gens
pour aller lever le siege.
2) Proces III S. 4: ... . transacto triuru hebdomadarum aut unius
mensis spatio .... Ebd. S. 17: examinata spatio triurn septimanarum
aut amplius Pictavis quam Caynone. Vgl. I S. 75: quod per fcres heb-
domadas fuit interrogata apud villas de Chinon et Pictavis. Vgl. Moro-
sini III S. 99: par l'espace de mois.
-- 1. Abhandlung: Hans Prutz
.-i •
wie meistens angenommen wird, am 6. März in Chinon an-
kam, so würde ihr erster, längerer Aufenthalt daselbst unge-
fähr die Tage bis zum 13. März umfaßt haben, der dann fol-
gende längere in Poitiers, wo damals auch der Hof verweilte,1)
etwa am 5. April zu Ende gegangen sein.
I.
Was nun die Vorgänge betrifft, die sich während dieser
drei Wochen in Poitiers abspielten, so ist von vorneherein fest-
zustellen, daß die Tradition da ganz ebenso wie bei dem von
ihr entwickelten und festgehaltenen Bilde von dem Auftreten
Johannas zu Chinon Züge aufgenommen und weitergegeben
hat, die dem wirklich Geschehenen fremd sind und sich bei
näherer Prüfung als frei erfundene Schöpfungen der Phantasie
fernerstehender Zeitgenossen und nachlebender Berichterstatter
erweisen. Die dadurch erzeugten falschen Vorstellungen haben
dann, wie das in solchen Fällen so leicht geschieht, nach rück-
wärts die Wirkung gehabt, daß man auch dem Wortlaut der
zeitgenössischen Quellen befangen gegenüberstand und ihn un-
willkürlich möglichst so deutete, wie er gedeutet werden mußte,
um mit der nun einmal eingebürgerten Tradition scheinbar in
Einklang zu stehen. In dem Mistere du siege d'Orleans er-
scheint die Jungfrau, um dem Willen des Königs gemäß noch-
mals geprüft zu werden und den himmlischen Ursprung ihrer
Aufträge zu erweisen, vor dem versammelten Parlament und
wird von dessen Präsidenten und Räten befragt und hat mit
den hohen Herren eine längere Zwiesprache2): mit dieser einen
Zusammenkunft ist die Sache abgetan und der Ritt nach Blois
wird angetreten. In Wahrheit aber hat es sich bei der Prü-
fung in Poitiers um ein längere Zeit beanspruchendes, jedoch
zwangloses und sozusagen formloses Verfahren gehandelt, dem
erst nachträglich in der Tradition ein anderer Charakter ge-
geben worden ist, während es als staatliche Aktion höchstens
1) Proces III S. 74: stetit ipsa Johanna in villa Pictavensi totideni
sicut fecit rex.
2) Mistere du siege d'Orleans S. 366 Vers 10167 bis S. 405 Vers 10407.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 23
in seinem Schluß gelten konnte, der Abgabe eines Gutachtens
durch die Teilnehmer an der Prüfung vor dem königlichen ge-
heimen Rate und dessen Meinungsäußerung darüber dem König
gegenüber, auf Grund deren dann dieser seine weiteren Ent-
schlüsse faßte. Wenn statt dessen die Tradition Johannas Prü-
fung vor dem seit 1418 aus Paris nach Poitiers verlegten
Parlament vor sich gehen läßt, so verfährt sie willkürlich und
unlogisch, da es zweifelhaft sein konnte, ob die in Poitiers
versammelten dürftigen Bruchteile des höchsten Gerichtshofs,
die wegen ihrer königtreuen Gesinnung vor der Gewaltherr-
schaft der englischen und der burgundischen Partei aus der
Reichshauptstadt geflohen waren und in Poitiers in Not und
Entbehrungen aller Art ein mit ihrem hohen Amt übel kon-
trastierendes kümmerliches Leben führten,1) als vollberechtigte
Träger der dem Pariser Parlament beiwohnenden Autorität
gelten konnten, außerdem aber feststand, daß sie für die Frage,
die es hier zu entscheiden galt, durchaus inkompetent waren
und für ihren Spruch eine allgemein geltende Autorität nicht
beanspruchen konnten. Wenn ferner spätere Berichterstatter
die Sache sich so zurechtlegten, als hätte es sich um eine
Untersuchung von Johannas Angaben durch die gelehrten
Herren der Universität gehandelt, so ist demgegenüber fest-
zuhalten, daß zwar von den Pariser theologischen und juristi-
schen "Professoren manche sich ebenfalls nach Poitiers zurück-
gezogen hatten und dort vielleicht auch irgendwie lehrend
tätig waren,2) daß aber eine als solche anerkannte und mit
den entsprechenden Privilegien ausgestattete Universität da-
mals dort noch nicht bestand: sie ist erst 1432 durch Papst
Eugen IV. errichtet worden. Tatsächlich sind denn auch an
dieser neuen Prüfung der Jungfrau in erster Linie dieselben
x) France I S. 215 ff. und D. Neuville, Le Parlement royal ä Poi-
tiers 1418-36 in der Revue historique VI S. 128 ff. und S. 272 ff.
2) So erklärt sich auch wohl Pasquereis Angabe Proces III S. 102,
Johanna sei nach Poitiers geschickt „ad examinandum per clericos ibi-
dem in universitate existentes": zur Zeit seiner Aussage gab es in Poi-
tiers bereits wirklich eine Universität.
- I 1. Abhandlung: Hans Prutz
Männer beteiligt gewesen, welche sie bereits in Chinon ge-
prüft hatten, freilich unter Zuziehung auch noch anderer, die
man nach ihrer Stellung und nach ihren Beziehungen zum
Hof für berufen hielt in dieser Angelegenheit mitzureden. Die
Herren entledigten sich, wie die späteren Zeugenaussagen deut-
lich erkennen lassen, ihres Auftrags nun aber nicht so, daß
sie sich zu gemeinsamen Sitzungen vereinigt hätten, um die
Jungfrau zu vernehmen, sondern indem sie in größeren oder
kleineren Gruppen und wohl auch von neugierigen Höflingen
und Kriegern, gelegentlich auch von niedriger gestellten Leuten
begleitet, Johanna in ihrem Quartier aufsuchten und dort mit
ihr eine längere Unterhaltung führten. Von irgendwelchem
sozusagen amtlichen Apparat, der Mitwirkung von protokoll-
führenden Schreibern usw. ist nichts erkennbar. Dennoch
scheinen Aufzeichnungen über die mit Johanna geführten Ge-
spräche gemacht und wenigstens die wichtigsten von deren
Antworten schriftlich festgehalten worden zu sein. Wenigstens
nimmt die Jungfrau gegenüber ihren Richtern zu Rouen wie-
derholt auf solche Bezug und wünscht die Richtigkeit ihrer
Aussagen durch Vorlegung des über ihr Verhör zu Poitiers
geführten Protokolls erweisen zu können,1) knüpft daran je-
doch einmal Zweifel, ob das Gott genehm sein würde.2) Da
aber solcher Aufzeichnungen sonst nirgends Erwähnung ge-
schieht, liegt auch die Möglichkeit vor, Johanna sei ihrerseits
der Meinung gewesen, es seien, wie in ähnlichen Fällen sonst
üblich, zu Poitiers derartige Aufzeichnungen gemacht worden,
während es tatsächlich nicht der Fall war.
Fehlte demnach in Poitiers eine Universität, deren ge-
lehrte Theologen und Juristen in der Sache des lothringischen
*) Proces I S. 71: Si de hoc faciatis dubium, mittatis Pictavis, ubi
alias fui interrogata. S. 72: Si vero non credatis mihi, vadatis Pictavis.
S. 94: Est illud scriptum in villa Pictavensi. Nicht ganz deutlich ist
die Äußerung S. 71: Et una rnaior pars illius, quod angelus ipsam do-
cuit, est in libro.
2) Ebd. S. 73: quod bene vellet, quod interrogans haberet copiam
illius libelli, qui est apud Pictavis, dummodo Deus sit de hoc contentus.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 25
Bauernmädchens ein Gutachten hätten abgeben können, das
wenigstens innerhalb der königlichen Partei und bei dem zu
seinem angestammten Herrscherhaus stehenden Teil des fran-
zösischen Volks der Anerkennung sicher gewesen wäre, und
war der dort verweilende oberste Gerichtshof des Reichs sich
in dieser Sache autoritativ zu äußern überhaupt inkompetent
— tatsächlich erscheint denn auch von den in jener Zeit nach-
weisbaren Parlamentsräten keiner unter den mit der Prüfung
Johannas beauftragten Gutachtern — , so entsteht die Frage,
was Karl VII. denn eigentlich bestimmt haben mag, die so
dringend nötige Entscheidung gerade dorthin zu verlegen und
— was ja gar nicht nötig gewesen wäre — sich mit seinem
Hofe und der diesem folgenden höchsten Beamtenschaft dort-
hin zu begeben. Entfernte er sich damit doch noch weiter
von dem Punkte, wo das Schicksal seines Reiches auf des
Messers Schneide stand und die sich so überraschend anbie-
tende Retterin sich zunächst betätigen wollte. Denn als Haupt-
stadt Frankreichs, die ohne weiteres an die Stelle von Paris
zu treten gehabt hätte, konnte Poitiers damals doch auch nicht
gelten, nicht einmal in dem Sinn, in dem während der letzten
Jahre Karl VIL, zunächst zum Spott, König von Bourges ge-
nannt worden war. Die Reise des Hofes dorthin erscheint
unter den damaligen Umständen so absonderlich und der Lage
so unangemessen, daß man auf die Vermutung geführt wird,
ihr haben ganz besondere Motive zu Grunde gelegen und sie
habe nur äußerlich mit dem Auftreten der Jungfrau zusammen-
gehangen.
Die Lage Karls VII. war gerade damals wahrhaft ver-
zweifelt, und wenn im Anschluß an die legendäre Erzählung
von einem der Jungfrau durch ein Wunder bekannt gewor-
denen Gebet des Königs1) nachmals die Rede ging, Karl habe,
entschlossen sich in das von Gott über ihn verhängte Schick-
sal in Demut zu fügen, beabsichtigt Thron und Reich im Stich
zu lassen und sein Leben als Privatmann in dem Lande eines
l) Prutz, a. a. 0. S. 93 ff.
Ji-' 1. Abhandlung: Hans Prutz
seiner Verbündeten, also in Kastilien oder Schottland, zu be-
endigen, so wäre die Ausführung dieses Vorhabens allerdings
gerade damals besonders angezeigt gewesen. Erkennt doch
selbst das Gutachten, durch das die zur Prüfung dieser Sache
in Poitiers bestellten Herren dem König empfahlen auf die
Vorschläge der Lotbringerin einzugehen, ausdrücklich an, daß
alle anderen Mittel zur Abwendung des drohenden Unheils er-
schöpft seien und man schon deshalb diese letzte sich bietende
Möglichkeit nicht unversucht lassen dürfe. l) Unter diesen Um-
ständen gewinnt nun eine Notiz besondere Bedeutung, die sich
in einer bis auf wenige Bruchstücke verlorenen zeitgenössi-
schen Quelle findet und als Grund für die Reise des Hofes
nach Poitiers geradezu des Königs Absicht angibt nach La
Rochelle zu gehen und sich dort zur Flucht aus dem Lande
einzuschiffen.
Diese bisher nicht gebührend beachtete Angabe stammt
aus der Chronik des schottischen Benediktiner-Klosters Dun-
fermline2) und ist bereits von Quicherat3) veröffentlicht worden.
Diese am Firth of Forth gelegene Abtei hatte seit ihrer Grün-
dung im elften Jahrhundert dem schottischen Königshause
nahegestanden, von ihm vielerlei Gunst erfahren und ihm da-
her auch weiterhin manche nützliche Verbindung zu verdanken
gehabt. Ihre Mönche dürften infolgedessen Gelegenheit ge-
habt haben, Dinge von allgemeinem Interesse zu hören und
zu sehen, was der von ihnen gewissenhaft geführten Kloster-
chronik zu gute kam. So sind in diese auch Mitteilungen
eines Klosterbruders gekommen, der nicht bloß zur Zeit des
Auftretens der Jungfrau in Frankreich verweilt und sie mit
eigenen Augen gesehen, sondern sich selbst in ihrem Gefolge
befunden hatte, also als Augenzeuge berichten konnte.4)
!) Vgl. Proces III S. 83, 391/92; IV S. 487. Ayroles, La vraie Jeanne
d'Arc I S. 685 ff. Es wird später noch besonders zu behandeln sein.
2) So heißt es in der Encyclopaedia Britannica VIII S. 678 : Quiche-
rat schreibt Dunfermiling.
3) Proces IV S. 482/83 und V S. 339 ff.
*) In dem von Quicherat, Proces IV S. 483 ff. mitgeteilten, damals
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 27
Daß ein schottischer Mönch aus einem dem dortigen Kö-
nigshaus nahestehenden Kloster damals nach Frankreich kam
und dort in den Kreis gelangte, in dem Johanna zunächst auf-
trat, kann nicht wundernehmen, wenn man die enge Verbin-
dung erwägt, die damals aus politischen Gründen zwischen
beiden Reichen bestand, und sich erinnert, daß der künftige
Erbe des französischen Thrones nicht lange danach mit einer
schottischen Prinzessin vermählt wurde. Auch zeigt sich der
Berichterstatter in dem, was er über Frankreichs Zustände und
über die Persönlichkeit und die Lebensgewohnheiten Karls VII.
mitteilt, wohl unterrichtet: er betont desselben bigotte Fröm-
migkeit, erwähnt, daß er täglich beichtete und dreimal die
Messe hörte und häufig das Abendmahl nahm.1) Er scheint
am Hofe Bescheid gewußt zu haben, und daß er nicht zu dem
bald bedenklich anwachsenden Stab schwärmender Mönche ge-
hört hat, die sich um Johanna sammelten, und deren Einfluß
auf die Menge weniger im Dienst der nationalen Sache als
zur Förderung ihrer eigenen phantastischen Projekte benutzten,
möchte man aus der Art entnehmen, wie er von der Heldin
spricht: überzeugt von dem himmlischen Ursprung ihrer Mis-
sion, war er doch unbefangen genug, um sie ohne den Glorien-
schein, der sie selbst für die ihr im täglichen Leben Nahe-
kommenden umgab, in ihrer beschränkten Menschlichkeit zu
sehen. Nach ihm hätte ihr unscheinbares Äußere wenig zu
dem gestimmt, was sie zu vollführen berufen sein sollte, und
von ihren geistigen Gaben hat auch er nur eine sehr geringe
Vorstellung.2) Unter diesen Umständen ist es zu bedauern, daß
die einzige Handschrift, in der die Chronik von Dunfermlin auf
allein bekannten Stück der französischen Übersetzung der Chronik, die
im Anfang des 16. Jahrhunderts für John Stuart, Herzog von Albany
und Regenten Schottlands, angefertigt worden ist, heißt es: . . . . la-
quelle (d. i. Johanna) j'ay veu et cogneu et avec eile ay este en ses con-
questes et recuperation et ä sa vie suis toujours este present et ä sa fin.
!) Ebd. IV S. 340.
2) Proces V S. 340/41: Gott schickte dem König auf sein Gebet:
„ancillam, virginem, puellam, homnium creaturarum ante hoc pusillanimis-
simam et spiritu pauperrimam, corpore etiam exiguam et pusillam" usw.
28 1. Abhandlung: Hans Prutz
uns o-ekommen ist, gerade da abbricht, wo der Verfasser die
von ihm verheißene1) ausführliche Darstellung der Taten und
des Endes der Jungfrau beginnen will.2) Immerhin wird nach
dem, was aus den davon erhaltenen Bruchstücken über den
Autor und den Wert seiner Mitteilungen zu erschließen ist,
seiner Angabe über den Grund der Reise Karls VII. und seines
Hofes nach Poitiers, die in anderer Weise kaum genügend zu
erklären ist,3) Glauben beigemessen werden dürfen: angesichts
des drohenden Falls von Orleans, dem alsbald der Einbruch
der Engländer in die Landschaften südlich der Loire folgen
mußte, wollte der König nach La Rochelle gehen, um von dort
über See zu fliehen.4) Der Weg dorthin führt von Chinon
über Poitiers. Erst die Wendung, die dort in der Angelegen-
heit der Jungfrau eintrat, hatte den Verzicht auf diesen Plan
und die Rückkehr über die Loire zur Folge. Die Rettung der
Loirefestung und der folgende glänzende Feldzug wandten das
Schicksal Frankreichs und veranlaßten den König seinen Plan
aufzugeben. Ein absonderliches Licht endlich wirft auf die
Reise nach Poitiers die Tatsache, daß man Johanna offenbar
nicht einmal sagte, wohin man sie führte. Sie beweist seh la-
bend die Zweideutigkeit und Perfidie der leitenden Kreise des
Hofes. Denn wie könnte sonst in die Tradition, wie sie später
festgestellt wurde, der Zug gekommen sein, erst unterwegs,
durch göttliche Offenbarung habe die Jungfrau erfahren, wo-
!) Ebd. S. 341: de cujus adventu et de mirabilibus operibus eius
declarabitur ad longum in sequentibus.
2) Ebd. S. 342: Sequi tur de initiis Puellae mirabilis provisione di-
vina missae ad suecursum Franciae et de actibus eiusdem. Wenige Zeilen
danach bricht das Manuskript ab.
3) Denn auch wenn in dem Journal du siege, Proces IV S. 128 (Ed.
S. 48) als Grund angegeben wird „comnie aussy affin de trouver argent
pour luy bailler gens", handelt es sich doch nur um einen Rückschluß
des Berichterstatters, da tatsächlich in der nächsten Zeit diese Sorge
eine Hauptrolle spielte.
4) Ebd. S. 340: . . et sie appropinquando se ad Rupellam, ubi ipse
intendebat ascendere navem, civitatem fortissimam totius Franciae, trans-
mutando locum usw.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 29
hin man sie führte, und sei dadurch zu dem Ausruf veranlaßt
worden, sie wisse wohl, daß sie in Poitiers viel zu tun haben
werde, hoffe aber auf Gottes Hilfe.1) Um den Ort, wohin die
Reise ging, trotz dem darüber beobachteten Geheimnis zu er-
fahren, bedurfte es für Johanna allerdings keines Wunders und
keiner Offenbarung: den hat sie sicher von den gemeinen Leu-
ten, die ihrer Eskorte beigegeben waren, mit Leichtigkeit er-
fahren.
Daß auch über die Vorgänge in Poitiers von seiten der
Regierung alsbald ein offiziöser Bericht verbreitet oder genauer
gesagt das dort Geschehene in demjenigen kurz erwähnt wurde,
der unter Mitteilung des Ergebnisses der Prüfung und des
darauf gegründeten Gutachtens des königlichen geheimen Rates
zur Rechtfertigung des gefaßten Beschlusses zur Ausgabe ge-
langte, läßt schon die Bemerkung eines aufmerksamen und
wohlunterrichteten Korrespondenten des Venetianers Antonio
Morosini erkennen, von dieser Sache werde noch sehr viel
mehr erzählt, als geschrieben sei.2) Es bestätigt die Ähnlich-
keit des Wortlauts einzelner chronikalischer Quellen, deren
Verfassern offenbar Exemplare dieser auch über Frankreich
hinaus verbreiteten Blätter vorgelegen haben müssen, während
besonders wichtige Stücke daraus, wie Johannas Brief an die
Engländer und das Gutachten des geheimen Rates, von spä-
teren Berichterstattern wörtlich übernommen worden sind. Hier
liegt wohl auch der Grund dafür, daß man sich von der Art
des zu Poitiers eingeschlagenen Verfahrens meist ein falsches
Bild gemacht hat, indem man von der Gelehrsamkeit der dort
zu urteilen berufenen Herren auf den Inhalt der Prüfung
schließend und im Hinblick auf den augenfälligen Erfolg, den
die Jungfrau dabei davon getragen, sich dasselbe als eine theo-
logische Disputation dachte3) und in Johanna eine neue hei-
lige Katharina erstanden wähnte, die vermöge über sie ge-
1) Journal du siege, Proces IV S. 128.
2) Moro9ini III S. 100: erzählt werden „beaucoup d'autres choses
qui ne sont pas ecrites".
3) Ebd. S. 99: „a disputer avec eile et ä eprouver de raille nianieres"-
30 1. Abhandlung: Hans Prutz
kommener himmlischer Erleuchtung alle ihr gelegten Schlingen
vermied und die ihr mißtrauisch entgegentretenden Herren
nötigte sich bewundernd vor ihr zu beugen.1) Das macht es
begreiflich, daß selbst ein Mann wie Alain Chartier den Akt
als eine glänzend verlaufene theologische Disputation sich vor-
stellte und in beredten Worten schilderte,2) und weiterhin das
schwerfällige Mistere du siege d'Orleans, den Sachverhalt noch
weiter verkehrend, Johanna vor versammeltem Parlament be-
fragt und als Gesandte Gottes anerkannt werden läßt.3)
Im übrigen sind wir auch in Bezug auf den dreiwöchigen
Aufenthalt der Jungfrau in Poitiers über gleichgültige Äußer-
lichkeiten und geringfügige Nebendinge zum Teil genauer un-
terrichtet als über die Vorgänge, die für die fernere Entwicke-
lung ihrer Stellung entscheidend wurden, obgleich auch diese
sich wenigstens znm Teil vor einer gewissen beschränkten
Öffentlichkeit abgespielt zu haben scheinen. Einquartiert war
Johanna in einem einst einer Familie namens Rosier gehörigen
und deshalb angeblich „zur Rose"4) genannten Haus, in dem
der mit dem Parlament von Paris übersiedelte Generalproku-
rator Jean Rabateau mit den Seinen ein bescheidenes Unter-
kommen gefunden hatte.5) Seiner Frau wurde sie zu beson-
derer Obhut anempfohlen,6) und diese beobachtete, wie sie
täglich nach Tisch lange Zeit im Gebet auf den Knien lag
und auch häufig in der Stille der Nacht eine in dem Hause
befindliche Kapelle aufsuchte.7) Daß das Haus „zur Rose",
seit bekannt wurde, welchen Gast es beherbergte, von vielen
!) Ebd. S. 58: „mais rien ne se voit clairement conime sa victoire
sans conteste dans la discussion avec les maitres de tkeologie, si bien,
qu'il seinble, en eile soit une autre sainte Catherine venue sur la terre.
2) Vgl. Prutz, a. a. 0. S. 23.
3) S. 405 ff. Vers 10407 ff.; vgl. oben S. 22.
4) Vgl. die Aussage Proces IV S. 537.
5) Proces III S. 19, 74, 82 und 203; Rabateau (1375—1444) war Prä-
sident einer Kammer des Pariser Parlaments und fungierte zeitweilig als
Kanzler.
8) Ebd. IV S. 209.
7) Ebd. IV S. 82/83.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 31
Leuten, auch solchen, die mit der Sache gar nichts zu tun
hatten, sondern nur ihre Neugier befriedigen wollten, aufge-
sucht wurde, ist selbstverständlich und scheint von den mit
der Prüfung Beauftragten nicht nur nicht gehindert, sondern
gern gesehen worden zu sein. Denn um zu einem Urteil über
das wunderbare Mädchen zu kommen, galt es dessen gesamtes
Gebahren, seine Reden und Antworten und auch seine kör-
perlichen Zustände zu beobachten.1) Daher scheint man den
Verkehr mit Johanna ziemlich freigegeben zu haben.2)
II.
Um eine einigermaßen richtige Anschauung von dem zu
gewinnen, was bei der Prüfung Johannas in Poitiers eigentlich
vorging, und davon zu scheiden, was zeitgenössisches Mißver-
ständnis unrichtig gedeutet oder volkstümliche Übertreibung
entstellt oder die später emporschießende Legende wohl gar
frei hinzugedichtet hat, wird es sich empfehlen von dem aus-
zugehen, was an den damaligen Vorgängen als mithandelnde
oder als Augen- oder Ohrenzeugen beteiligte Personen später
darüber zu berichten wußten, und damit die nachmals allge-
mein rezipierte Darstellung zu vergleichen.
Glücklicherweise liegen in dem Rehabilitationsprozeß Aus-
sagen auch von solchen Leuten vor, allerdings nur eine ein-
zige von einem der Theologen, welche durch eingehende Ge-
spräche mit der Jungfrau dem königlichen geheimen Rat das
Material schaffen sollten, um über die Annahme oder Ableh-
nung des erstaunlichen Anerbietens des lothringischen Bauern-
mädchens zu entscheiden. Es ist das die des Predigermönchs
Seguin Seguini, Professors der Theologie und zur Zeit seines
!) Morosini III S. 299: .... ä l'eprouver de mille manieres, ä l'ob-
server meine dans les miseres du corps et dans les paroles qu'elle adres-
sait a ces gentils-hommes, et enfin par les grands maitres de theologie.
2) Vgl. die Angabe des Perceval de Cagny (ed. Moravillers) S. 140:
. . . . fut tres grandement examinee des clercs et theologiens et autres
et Chevaliers et escuiers. Chronique de la Pucelle, Proces IV S. 211:
. . . . le lendemain y allerent plusieurs notables personnes tant des pre-
sidents et conseillers du parlement que d'autres de divers estats.
32 1. Abhandlung: Hans Prutz
Verhörs Dekans der theologischen Fakultät der 1432 errichte-
ten Universität zu Poitiers, eines Limousiners: dem damals Sieb-
zigjährigen waren die Vorgänge, deren Teilnehmer er 1429
gewesen war, offenbar sehr lebendig im Gedächtnis geblieben
— begreiflich genug, da er dabei die gelegentlich fast kecke
Schlagfertigkeit Johannas auf seine Kosten sich hatte betätigen
sehen müssen. Nach Seguins Bericht1) versammelte sich in
dem einer Frau namens La Macee gehörigen Haus der könig-
liche Rat unter dem Vorsitz des Erzbischofs von Reims und
Kanzlers Regnauld von Chartres und beauftragte Seguin in
Gemeinschaft mit einigen anderen Theologieprofessoren, Jean
Lombart (oder Lombard), Guillaume Aimery, Kanonikus zu
Poitiers, dem Baccalaureus der Theologie Guillaume Le Maire
(oder Le Marie) und dem Dominikaner Pierre Turlure, der
damals Generalinquisitor von Toulouse, später (1445 — 64) Bi-
schof von Digne war, der in dem Rehabilitationsprozeß nicht
vernommen worden ist, und einem Magister Jacques Maledon,
im Namen des Königs, Johanna zu vernehmen und ihm über
das Ergebnis Bericht zu erstatten.2) Die Herren suchten die-
selbe im Hause „zur Rose" auf und legten ihr verschiedene
Fragen vor, wobei Jean Lombart das Wort geführt zu haben
scheint. In ihren Antworten wiederholte Johanna die be-
kannten Angaben über ihre Stimmen und Visionen und die
ihr durch sie gewordenen himmlischen Befehle. Des Guillaume
Aimery Einwand, wenn, wie sie behaupte, Gott Frankreich zu
retten beschlossen habe, so bedürfe es dazu doch nicht erst
der von ihr geforderten Mannschaften, parierte sie geschickt
mit den Worten, man möge ihr nur die verlangten Krieger
geben, den Sieg werde Gott dann schon geben. Daß auch
hier wiederum, und zwar von dem Zeugen selbst an sie ge-
stellte Verlangen, den himmlischen Ursprung ihrer Mission
durch ein Zeichen zu erweisen, wies Johanna scharf zurück
mit den Worten, sie sei nicht nach Poitiers gekommen, um
1) Proces III S. 203 ff.
2) Ebd.: .... ad referendum consilio regio, quid sibi de ea vi-
deretur.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 33
Wunder zu tun, werde vielmehr die Wahrheit ihrer Angaben
durch die Befreiung von Orleans erweisen.1) Noch übler kam
Seguin mit der vorwitzigen Frage an, in welcher Sprache denn
die Stimmen zu ihr geredet hätten: in einer besseren, als er
sie rede, lautete die Antwort unter spöttischer Bezugnahme
auf den üblen Limousiner Dialekt des geistlichen Herrn. Jeden-
falls hatte Johanna die Lacher auf ihrer Seite. Überhaupt
scheint das Unbehagen, das sie vor dem ihrer in Poitiers War-
tenden empfunden hatte,2) bald von ihr gewichen zu sein und
sie die ihr in guten Stunden eigene heitere Freiheit des Auf-
tretens wiedergefunden zu haben.3) Fast gewinnt man den
Eindruck, als sei sie den gelehrten Herren, die ihr Geheimnis
ergründen wollten, mit einer Art von siegesgewissem Übermut
entgegengetreten. Soll sie doch beim Erscheinen derselben in
dem zu deren Empfang bestimmten Raum sich unbefangen auf
das Ende einer Bank gesetzt haben wie neugierig der Dinge
harrend, die da kommen sollten.4) Im Besitz eines besonderen
göttlichen Auftrags fühlte sie sich den ihr mit allen möglichen
Fragen entgegentretenden königlichen Sendboten überlegen und
wußte zum Voraus, daß diese doch nicht alle die Geheimnisse
von ihr erfahren würden, die ihre Stimmen und Visionen ihr
anvertraut hatten, wie sie sich auch später ausdrücklich ge-
rühmt hat viel mehr gewußt zu haben, als sie den Herren
gesagt.5) So schlägt sie denn auch gelegentlich gegen die-
selben einen fast kecken Ton an, in ihrer Zuversicht bestärkt
durch die beflissen milde und freundliche Art, in der jene sie
x) Ebd. S. 204, vgl. Chronique de la Pucelle, ebd. S. 210 und Jour-
nal du siege p. 49.
2) Vgl. oben S. 24.
3) Das von France I S. 222 unter Bezugnahme auf Proces III S. 82
von Johannas Unruhe in Erwartung der Prüfenden Gesagte findet in der
angeführten Stelle keine Bestätigung.
4) Chronique de la Pucelle, Proces IV S. 209.
6) Proces III S. 92: Alencon sagte aus, sie habe ihm erklärt „quod
ipsa fuerat multum exarninata, sed plura sciebat et poterat quam dixisset
interrogantibus.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 1. Abb.. 3
•"'»I 1. Abhandlung: Hans Prutz
zum Reden zu bringen suchten1) — begreiflicherweise, denn
diese mußten sich sagen, daß, wer vor einer Kommission stand,
der der Großinquisitor von Toulouse angehörte,2) wohl Grund
hatte befangen zu sein, möglichst wenig zu antworten und die
Worte ängstlich zu wägen. Offenbar ging der Herren Ab-
sicht zunächst dahin, Johanna durch gütliches Zureden zu dem
Eingeständnis zu vermögen, ihre Stimmen und Erscheinungen
seien vielleicht doch nicht Wirklichkeit gewesen, sondern Er-
zeugnisse ihrer überreizten Phantasie. Denn daß. was sie er-
lebt haben wollte, unmöglich sei, durfte doch auch von ihnen
niemand zu behaupten wagen. Ja, als gläubige Söhne der
Kirche mußten sie die Möglichkeit solcher Vorgänge ohne
weiteres zugeben, und mehr noch, als gute königlich gesinnte
Männer, eifrige Franzosen und erbitterte Feinde der Engländer
mußten sie wünschen, daß von Johannas erstaunlichen Angaben
möglichst viel wahr sei. Unbefangen waren sie daher keines-
wegs. Dem scharfen Blick der lothringischen Bäuerin ist das
sicherlich nicht entgangen, sondern wird von ihr, wenn auch
nur sozusagen instinktiv, benutzt worden sein, um einen ihrer
Sache möglichst günstigen Eindruck hervorzubringen. So möchte
man es deuten, wenn sie später bei dem Erscheinen einer an-
deren Gruppe der sie zu prüfen Beauftragten einen in deren
Gefolge befindlichen Knappen mit einem kameradschaftlichen
Schlag auf die Schulter und dem Kompliment willkommen hieß,
Leute von so gutem Willen, wie er ihn habe, wünsche sie
noch mehr.3) Dergleichen Szenen, die den beabsichtigten Ef-
fekt nicht verfehlt haben werden, werden sich in der langen
Reihe von Unterhaltungen, die Johanna damals über sich er-
gehen lassen mußte, wohl öfters wiederholt haben. Denn jener
ersten Kommission, der Seguin angehörte, folgten noch zahl-
*) Chronique de la Pucelle, Proces III S. 209: .... par belles et
doaces raisons.
2) S. oben S. 32.
3) Aussage des Gobert Tbibault, Proces III S. 74: venit obviam et
percussit loquentern super spatulam eidern loquenti dicendo, quod bene
vellet habere plures bomines voluntatis loquentis.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. ^5
reiche andere, und manche mögen, wenn auch in wechselnder
Zusammensetzung, wiederholt in dem Hause „zur Rose" er-
schienen sein, um sich des ihnen gewordenen schwierigen und
verantwortungsreichen Auftrags zu entledigen. Auch Rechts-
gelehrte werden als daran beteiligt erwähnt.1)
Daneben wurde ganz im Einklang mit den Vorstellungen,
welche damals in dieser Hinsicht herrschten, auch die körper-
liche Untersuchung Johannas durch vornehme und angesehene
Frauen wiederholt. Denn nur einer reinen Jungfrau konnte
solche Gnade zu teil werden, wie sie erfahren zu haben be-
hauptete. Nach Lothringen aber waren Boten geschickt, die
in Domremy und Nachbarschaft über die Herkunft, die Fa-
milie, die Vergangenheit und den Ruf Johannas Erkundigungen
einziehen sollten.2) Schon dadurch wurde der Abschluß des
Verfahrens in Poitiers verzögert und den Beauftragten des
königlichen Rates reichlich Zeit zu gründlicher Erledigung
ihres Mandates geschafft.
Viel herausgekommen aber kann dabei trotz alledem doch
nicht sein. Denn naturgemäß nahmen all die Gespräche der
Theologen mit der Jungfrau den gleichen Verlauf, wie die
späteren Aussagen der Zeugen erkennen lassen, die wenigstens
mittelbar nach den Erzählungen tätig daran Beteiligter davon
Kunde haben konnten. Der königliche Parlamentsadvokat Jean
Barbin wollte gehört haben,3) Johanna habe auf die ihr vor-
gelegten Fragen so verständig geantwortet, als ob sie ein
guter Kleriker wäre, so daß man sich allgemein darüber ver-
wundert habe und überzeugt gewesen sei, das könne nur von
Gott kommen, da sie in ihren bisherigen Verhältnissen die
Fähigkeit dazu doch nicht erworben haben könne.4)
1) Proces III S. 19: Johannas Gastfreund Rabateau wird freilich
nicht ausdrücklich als daran beteiligt bezeichnet.
2) Proces III S. 83: et misit etiam in loco nativitatis ipsius Johan-
nae ad sciendum unde orta.
3) Proces III S. 82: .... audivit tunc ab eisdem doctoribus referri.
4) Ebd.: „. . . . sibi fecerunt plures questiones, quibus multum pru-
denter respondebat, ac si fuisset unus bonus clericus, ita quod mirabantur
3*
;>(i 1. Abhandlung: Hans Prutz
Unter den Männern des königlichen Vertrauens, die in
jenen Tagen allgemeiner Spannung in dem Hause „zur Rose"
fragend und hörend, beobachtend und sich berichten lassend,
ein- und ausgingen, aber auch kein Bedenken trugen Unbe-
rufenen daselbst Zutritt zu gestatten, scheint Peter von Ver-
sailles eine hervorragende Stellung eingenommen und als be-
sonders gewichtige Autorität gegolten zu haben. Auffallender-
weise nennt gerade ihn Seguin nicht: von anderen Zeugen wird
seiner achtungsvoll Erwähnung getan;1) doch ist er in dem
Rehabilitationsprozeß nicht vernommen worden. Es scheint
fast, als ob dieser Benediktiner von Saint-Denis damals die
höchste theologische Autorität gewesen sei, über die der Hof
verfügte. Hatte er sich doch bereits einen Namen gemacht
als tapferer Gegner der Tyrannenmord-Theorie, durch die der
Pariser Professor Jean Petit vor dem Konstanzer Konzil die
Ermordung des Herzogs Ludwig von Orleans durch den Herzog
Johann von Burgund (1407) als im Interesse des öffentlichen
Wohls geschehen hatte rechtfertigen wollen. Im Jahr 1413
wurde er Abt von Thalmont im Sprengel des Bistums Lucon,
später wurde er Abt von Saint-Martial in Limoges und 1432
Bischof von Digne (Dep. Basses- Alpes), nahm als Gesandter
an dem Baseler Konzil teil, wo er eifrig für Eugen IV. wirkte,
und wurde später mit einer Mission nach Konstantinopel be-
traut. Im Jahr 1441 gehörte er der glänzenden Gesandtschaft
an, welche Eugen IV. die Obedienzerklärung Karls VII. über-
brachte, und ist als Bischof von Meaux am 11. November 1466
gestorben. Er hatte bereits an der Prüfung Johannas in Chi-
non teilgenommen in Gemeinschaft mit des Königs Beichtvater
Gerard Machet. Daß Peter von Versailles in Sachen der Jung-
frau von besonderem Einfluß gewesen sein dürfte, und zwar
einem deren Wünschen günstigen, möchte man nach einem
Vorfall annehmen, den der wohlunterrichtete Jean Barbin er-
zählt. Als eines Tages in Loges die Menge sich begeistert um
ejus responcionibus et credebant, quod hoc erat divinitus, attenta ejus
vita et conversatione.
!) Proces III S. 19, 74, 92 u. 102.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 37
die Heldin drängte, jeder ihr Pferd berühren oder gar ihre
Füße küssen wollte, hielt Peter von Versailles Johanna gegen-
über mit der Bemerkung nicht zurück, dergleichen zu dulden
sei übel angebracht, da es die Menschen zum Götzendienst ver-
leiten heiße. Die Antwort Johannas soll gelautet haben: „Wahr-
lich, ich würde mich vor dergleichen nicht bewahren können,
wenn Gott mich nicht davor bewahrte."1) Die Szene gibt einen
Beleg mehr für die auch sonst bezeugte Tatsache, daß die
Jungfrau sich ihrer Verdienste zu Zeiten sehr wohl bewußt
war, sich im Glanz ihrer Erfolge sonnte und Gefallen fand an
einem hoch und niedrig imponierenden Prunk: ein Zug weib-
licher Eitelkeit tritt da bei ihr an den Tag, der erkennen
läßt, daß die lothringische Hirtin für die Herrlichkeiten dieser
Welt doch keineswegs ganz unempfänglich war. Das weiße
Gewand, die glänzende Rüstung, die feuerigen Rosse und die
stattliche militärische Umgebung waren ihr gerade recht,2)
vielleicht deshalb, weil dieser äußere Apparat nicht bloß die
Menge, sondern sie selbst über die bald eingetretene Bedeu-
tungslosigkeit ihrer Stellung hinwegtäuschte. Jedenfalls ist zu
bedauern, daß von den Unterhaltungen des gelehrten und ein-
flußreichen Peter von Versailles mit Johanna nähere Kunde
nicht auf uns gekommen ist. Zwar haben wir die Aussage
eines bei der ersten Anwesenden, des Gobert Thibault, eines
königlichen Schildträgers, der bei der Ankunft der Jungfrau
J) Ebd. III S. 84.
2) Anfangs in einfacher Tracht einhergehend (pauperibus vestibus
induta, Proces II S. 436), liebte sie später in prunkvoller Edelmannsklei-
dung zu erscheinen (France I S. 397), erhielt vom Herzog von Bretagne
zugleich mit seinem Glückwunsch zu ihren Erfolgen einen Dolch und
wertvolle Pferde geschenkt (Proces V S. 264); ihre Passion für letztere
erweist auch Vallet de Viriville, Histoire de Charles VII, III S. 146. Im
Gegensatz zu der Notlage der Familie d'Arc vor ihrem Auftreten ist
auch bemerkenswert, daß Johanna bald ein Haus in Orleans kaufen
konnte (Proces I S. 295 und France II S. 119): das mag freilich auch der
Betriebsamkeit ihrer Brüder zuzuschreiben sein, die auch anderweitig
bezeugt ist. Proces I S. 78 gibt sie den Wert ihres an ihre Brüder ge-
kommenen Besitzes auf die für jene Zeit sehr beträchtliche Summe von
12 000 Talern an.
:'>s 1. Abhandlung: Hans Prutz
in Chinon geweilt und den Hof nach Poitiers begleitet hatte
und dort auf Befehl des königlichen Beichtvaters Gerard Ma-
chet Peter von Versailles auf seinem ersten Gange in das Haus
„zur Rose" begleitete. x) Er war es, den Johanna wegen seines
gute Gesinnung verratenden Aussehens vertraulich auf die
Schulter schlug. Sich auf irgendwelche das theologische Ge-
biet streifenden Fragen einzulassen lehnte die zu Prüfende von
vorneherein fast grob ab: so sicher sie im übrigen ihrer Sache
war, wollte sie davon doch nichts wissen, wohl in dem Gefühl,
daß da auch für sie Gefahren verborgen lägen, wie überall,
wo der Großinquisitor mitzureden hatte. „Ich kenne weder
A noch B", erklärte sie nach Gobert Thibault und verschanzte
sich damit hinter ihrer Ungelehrtheit oder besser Unbildung.
Damit traf sie vollkommen die Wahrheit, denn ihre Einfalt
wird von allen Zeugen gleichmäßig bestätigt. Doch hinderte
sie diese nicht den Herren gleich danach im Bewußtsein ihrer
Mission eine Antwort zu geben, die eigentlich alle weiteren
Verhandlungen als zwecklos ablehnte. Als die Besucher ihr
mitteilten, sie seien vom König geschickt, um sie zu prüfen,
erwiderte sie ihnen, die eben gehörten Worte aufnehmend, und
sie sei von dem König des Himmels geschickt, und wiederholte
dann einfach die sattsam bekannten Angaben über die ihr ge-
wordenen Aufträge.2) Von derartigen Verhandlungen war für
sie eben nichts zu erwarten: sie brannte danach endlich han-
deln zu können und hätte am liebsten schon jetzt, obgleich
ihr die Mittel doch noch ganz fehlten, die ihren Worten hätten
Nachdruck geben können, an die englischen Fürsten und Feld-
herren die feierliche Aufforderung gerichtet, Frankreich, das
nicht für sie bestimmt sei, zu räumen und in ihr Land zurück-
zukehren. Dazu konnten die geistlichen Herren sich nicht
verstehen, und so endete die erste Unterredung ohne Ergebnis. 3)
*) Proces III S. 74 ff.
2) Ebd. S. 204: tunc ipse de Versailles eidem Johannae dixit, quod
ipsi erant missi ex parte regis .... respondit: Ego venio ex parte regis
celorum.
3) Ebd.: .... nee aliud fecerunt .... ista die, de quo recordatur.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 39
Aber auch die weiteren Gespräche, die Peter von Versailles
mit Johanna hatte, können einen positiven Inhalt nicht gehabt
haben, und seine Kollegen brachten nicht mehr zu Wege. Ob
zu diesen in Poitiers wie früher in Chinon auch der königliche
Beichtvater Gerard Machet gehört hat, ist zum mindesten
zweifelhaft. Wenn Enea Silvio ihn dies tun läßt, so ist zu
beachten, daß er nur im allgemeinen von Johannas Prüfungen
spricht, nicht von zweien, die nacheinander an verschiedenen
Orten stattfanden, und daß, wenn er von der zweiten Kunde
hatte, er doch offenbar nur die erste im Auge hatte, die nach
der Jungfrau Ankunft am Hofe stattfand.1) Von den Zeugen,
die, sei es aus eigener Kenntnis, sei es nach Mitteilungen an-
derer Personen, von der Prüfung zu Poitiers berichten, nennt
kein einziger Gerard Machet als daran beteiligt. Er ist dabei
also wohl nicht tätig gewesen: die Zeugen, die neben Peter
von Versailles und anderen namhafteren Mitgliedern der von
dem königlichen Rat bestellten Kommission auch noch den
einen und den andern sonst nicht bekannten Theologen an-
führen,2) würden eine so bedeutende Persönlichkeit doch kaum
übergangen haben, zumal sie auch weiterhin eine hervorragende
Rolle gespielt hat. Ein Zögling des College de Navarre zu
Paris und Schüler Gersons gehörte Machet früh zu den Zierden
der Pariser Universität, als deren Vizekanzler er bereits 1416
Kaiser Sigismund bei seinem Besuche in der Hauptstadt mit
feierlicher Ansprache begrüßte, wurde aber durch die Umwäl-
zung 1418 ebenso wie viele seiner Kollegen zur Flucht ge*
nötigt. Als Gewissensrat Karls VII. hat er jedenfalls auch in
politischen Dingen Einfluß geübt, im einzelnen nachweisbar
ist derselbe aber nicht, auch nicht in bezug auf die Pragma-
tische Sanktion von 1438, für deren Urheber er manchen galt.
Im Jahre 1448 ist er als Bischof von Castres gestorben. War
J) Proces IV S. 509: Delphinus .... Castrensi episcopo, confessori
suo, inter theologos apprime docto, Puellam examinandam committit.
2) Wie den Karmeliter Pierre Seguin, den Kanonikus von Poitiers
Guillaume Le Maire oder Le Marie, Jacques Madeion u. a.: France I
S. 217, Proces V S. 471 ff.
40 1. Abhandlung: Hans Prutz
er, wie es scheint, an dem Verfahren von Poitiers nicht be-
teiligt, so wird man daraus doch nichts in bezug auf seine
Stellung zur Jungfrau folgern dürfen, namentlich nicht, wie
versucht ist, eine geheime Begünstigung derselben oder gar
eine Art von geheimem Zusammenwirken beider.
III.
Abgesehen von einigen aus dem Zusammenhang gerissenen
Bruchstücken wissen wir demnach von dem Inhalt der von
den prüfenden Herren mit Johanna geführten Gespräche nichts.
Mannigfaltig und tief kann derselbe nicht gewesen sein. Denn
wenn man absieht von dem, was im Einklang mit den zu
Donremy angestellten Ermittelungen über ihre Herkunft, ihre
bisherige Tätigkeit und ihren Wandel etwa noch zu konsta-
tieren war, und von den an sie gerichteten Fragen, die ihre
Rechtgläubigkeit und Kirchlichkeit betrafen, waren eigentlich
kaum Gegenstände vorhanden, die zwischen Johanna und den
mit ihrer Prüfung beauftragten Theologen mit Gründen für
und wider hätten erörtert werden können. Vielmehr schlössen
gerade die Punkte, um die es sich in dieser Sache vornehm-
lich handelte, eine solche Diskussion geradezu aus: da stand
Behauptung gegen Behauptung und Meinung gegen Meinung,
und erst die weitere Entwicklung der Dinge konnte entscheiden,
wer recht hatte. Wie die Prüfenden völlig außer stände waren
irgend etwas an Johanna zu entdecken, was diese unglaub-
würdig gemacht hätte, so vermochte diese ihrerseits nicht, die
Wahrheit der Angaben über ihre Stimmen und Erscheinungen
zu beweisen. Das von ihr Behauptete aber als unmöglich zu
bezeichnen fiel doch niemandem ein, wäre auch gefährlich ge-
wesen, da man sich damit eines Verstoßes gegen den Glauben
der Kirche schuldig gemacht hätte. War anfangs, wie es
scheint, die Absicht der Prüfenden dahin gegangen, durch
freundliche Vorstellungen und gütliches Zureden Johanna, die
man eines Betruges füglich nicht für fähig halten konnte, zu
dem Eingeständnis zu bringen, daß sie sich getäuscht habe
und daß, was sie gesehen und gehört zu haben glaubte, von
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 41
ihr nicht wirklich gesehen und gehört worden, sondern Vor-
spiegelungen ihrer überreizten Phantasie gewesen sei, so er-
wies sich das bald als unmöglich. Denn die Aussagen Johan-
nas boten in dieser Richtung keinen Angriffspunkt, enthielten
keine Widersprüche und schwankten und variierten nicht. Also
mußte an ihren Behauptungen doch etwas Wahres sein — so
argumentierten die sie Prüfenden, auf deren Entscheidung frei-
lich sicher auch die Erwägung einwirkte, daß dem König in
seiner dermaligen verzweifelten Lage ein anderes Mittel zur
Rettung überhaupt nicht zur Verfügung stand, er vielmehr,
wenn er es nicht mit der lothringischen Bäuerin wagen wollte,
nichts anderes tun konnte als die Fluchtreise nach La Rochelle
fortsetzen und sich dort nach Schottland einschiffen. Es war
also schließlich eigentlich die Beharrlichkeit Johannas, die für
sie entschied, ihre bei aller Einfalt imponierende Überzeugungs-
treue, was die Bedenken zum Schweigen brachte, wie denn
auch von einigen Berichterstattern gerade dieses Moment als
ausschlaggebend hervorgehoben wird.1) Auf das Beharren bei
der einmal gemachten Aussage, das unentwegte Festhalten
einer einmal ausgesprochenen Ansicht legte ja das kirchliche
Gerichtsverfahren des Mittelalters im Guten wie im Bösen ent-
scheidendes Gewicht: dieses Beharren und nicht eigentlich die
von ihnen vertretene irrige Lehre wurde den Ketzern verderb-
lich. Johanna gereichte sie zum Heil, denn sie war in den
Augen der Prüfenden die einzige Bürgschaft für die Wahrheit
heit ihrer Angaben. Denn sich durch ein Zeichen als von
Gott gesandt zu erweisen, wie ihr auch hier mehrfach zuge-
mutet wurde, lehnte die Jungfrau nach wie vor ab: sie blieb
dabei, daß als solches die Befreiung von Orleans erfolgen werde.
Das legt die Frage nahe, ob denn in Poitiers nichts da-
von bekannt war, daß bereits in Chinon die angebliche Vor-
hersagung der „Häringsschlacht" noch in Vaucouleurs als Be-
glaubigung für sie geltend gemacht worden war. Ebensowenig
*) Proces III S. 20: .... quae interrogata ab eis perseverabat in
ista responsione, scilicet quod missa erat ex parte Dei usw. Vgl. den
Greffier von La Rochelle bei Ayroles III S. 202.
1- 1. Abhandlung: Hans Prutz
hat man in Poitiers Bezug genommen auf das nachmals so
ganz besonders nachdrücklich geltend gemachte Wunder, das
sie getan haben sollte, inderii sie dem König den Inhalt eines
geheimen Gebetes mitteilte. Daß von dem letzteren nur aus
Rücksicht auf Karl VII. geschwiegen sein sollte, ist doch nur
eine dürftige Ausflucht. Die Sache erklärt sich viel einfacher:
von beiden Wundern wußte man damals noch nichts, denn sie
sind erst mit der Entstehung der Jeanne d'Arc-Legende in
die Tradition eingeführt worden.
Da nun die mit der Prüfung Johannas betrauten Herren
nach Lage der Dinge nur den Wunsch haben konnten zu
einem günstigen Ergebnis zu kommen, so fanden sie mühelos
auch noch andere Argumente, die ihnen das erleichterten.
Liefen im Lande nicht allerlei angebliche Prophezeiungen um,
deren bisher vergeblich gesuchte Deutung sich nun gewisser-
maßen von selbst ergab? So erinnerte Magister Jean Erault
an jene Marie von Avignon, die zu Anfang des fünfzehnten
Jahrhunderts durch ihre Visionen Aufsehen erregt hatte: sie
wollte gewaltige Heeresmassen erblickt haben, die Frankreich
dereinst verwüsten würden, bis eine Jungfrau in Waffen er-
scheinen und das Land befreien Avürde.1) Diese konnte nun
in der Lothringerin gekommen sein. Für diese wurden auch
sonst noch ähnliche , bisher unbeachtet gebliebene Vorher-
sagungen geltend gemacht, die man durch sie in Erfüllung
gehen zu sehen erwartete. Sollte doch auch des Königs Beicht-
vater Gerard Machet dergleichen in alten Schriften gefunden
haben und daraufhin für Johanna eingetreten sein.2) Daß da-
durch nicht bloß der Ruf derselben weithin verbreitet, sondern
auch der Glaube an sie vielfach gestärkt wurde, ist selbstver-
ständlich.
Es werden immerhin vierzehn Tage vergangen sein, ehe
>) Proces III S. 83/84; vgl. France I S. 226.
2) Ebd. S. 75: Ein Zeuge „audivit dici dieto defuncto confessori
quod viderat in scriptis, quod debebat venire quedam puella, que de-
bebat juvare regnum Francie usw."; vgl. im allgemeinen über diese nun
plötzlich zu hoher Bedeutung gelangten Prophezeiungen France I S. 197 ff.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 4o
man mit diesen ziemlich formlosen und eigentlich auch ziem-
lich inhaltlosen Verhandlungen zum Schluß kam, während deren
das Haus „zur Rose" das Ziel zahlreicher Neugieriger hohen
und niedrigen Standes war. Die prüfenden Herren aber waren
nicht wesentlich klüger als zu Anfang, Avährend die Popula-
rität Johannas mächtig zugenommen und ihre Sache ungeahnte
Bedeutung gewonnen hatte: die öffentliche Meinung nahm ent-
schieden ihre Partei. Auch damit mußte man rechnen: mit
Argumenten aus der heiligen Schrift, Zitaten aus den Kirchen-
vätern und Distinktionen des kanonischen Rechts war da nichts
mehr zu machen. Vielmehr handelte es sich um eine Ver-
trauensfrage, die man zu bejahen wagen konnte, da kein An-
halt dafür gefunden war, daß die Lothringerin sich bewußt
einer Täuschung schuldig machte oder irgendwie mit den
Mächten der Finsternis in Verbindung stand. Das Eine war
so wenig wie das Andere erwiesen. Der gute Leumund, den
sie in ihrer Heimat genoß, ihre durch alle ihr entgegenge-
brachten Zweifel und durch das entmutigende Verschleppen
der ersehnten Entscheidung nicht gebeugte Zuversicht, die
eigentümliche Mischung von kindlicher Einfalt und ländlicher
Unschuld mit kriegerischem Heldentum und einem gewissen
prophetischen Anhauch, die ihrem halb geheimnisvollen, halb
naturwüchsigen Wesen einen unwiderstehlichen Reiz verlieh
und auch die ihr zunächst zweifelnd Nahenden bekehrte, die
an sie Glaubenden zu Tränen rührte und ihr immer mehr neue
Anhänger gewann, sprachen zu deutlich für sie1) und er-
weckten auch in den ihr prüfend gegenübergetretenen ge-
lehrten Herren angesichts der verzweifelten Lage des Reichs
zu freudige Hoffnungen, als daß sie es hätten verantworten
mögen ihr die Gelegenheit zur Bewährung ihrer so uner-
schütterlich zuversichtlichen Worte kurzerhand zu versagen.
l) Vgl. die beredte Schilderung von der unwiderstehlichen Einwir-
kung Johannas auf die ihr Nahenden in der Chronique de la Pucelle,
Proces IV S. 211. Dieser Massenbesuch fand danach freilich erst statt,
als die Entscheidung zu Gunsten Johannas ausgefallen war und ruchbar
wurde.
I I 1. Abhandlung: Hans Prutz
1-1 ■
Schlimmer als augenblicklich konnte es auch, wenn sie schei-
tern sollte, um den König und das Reich nicht stehen. Wa-
rum sollte man es also nicht mit ihr versuchen?
Schließlich traten denn die mit der Prüfung beauftragten
Theologen und Juristen zusammen, um auf Grund der im Ver-
kehr mit Johanna gemachten Beobachtungen und der dabei
empfangenen Eindrücke das vor dem königlichen Rat abzu-
gebende und von diesem mit seiner eigenen Meinungsäußerung
dem König vorzulegende Gutachten festzustellen. Wie es aus-
fallen würde, konnte kaum noch zweifelhaft sein. Hatte man
die Behauptungen des geheimnisvollen Mädchens über die ihr
gewordenen überirdischen Eröffnungen als wesenlose Hirn-
gespinste zu erweisen nicht vermocht und mußte sie daher
notgedrungen gelten lassen, während auf der anderen Seite
diese sich hartnäckig geweigert hatte, das zum Erweis ihrer
Angaben von ihr geforderte Zeichen zu geben, so war doch
zweifellos dargetan, daß an ihr kein Makel war,, und danach
ließ sich angesichts ihrer erwiesenen besonderen Frömmigkeit
nach den Anschauungen der Zeit doch nicht in Abrede stellen,
daß sie wohl geeignet sei von Gott als Werkzeug der von ihm
beschlossenen Rettung Frankreichs benutzt zu werden. Dem-
nach mußte auch, was sie zu leisten versprach, als möglich
zugegeben werden und es lag kein Grund vor, weshalb man
es unter Beobachtung gewisser Vorsichtsmaßregeln nicht mit
ihr wagen sollte.1) So scheinen die Herren sich denn schnell
geeinigt zu haben und mühelos zu dem einstimmigen Beschluß
gelangt zu sein,2) zumal, wie es scheint, gerade bei dieser Ge-
legenheit Magister Erault durch die Erinnerung an die Pro-
phezeiungen der Marie von Avignon ein Gewicht zu Gunsten
Johannas in die Wagschale legte. Dieses Gutachten wurde
dann durch einen der geistlichen Herren — welchen, wissen
wir nicht — d-em zu einer Sitzung versammelten königlichen
Rat vorgelegt und von ihm zum Gegenstand eingehender Er-
») Vgl. Proces III S. 83.
2) Chronique de la Pucelle, Proces IV S. 410: .conclurent sans au-
cune contradiction". Journal du siege S. 49: fut conclus de tous.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 45
örterungen gemacht, nachdem auch die Königin von Sizilien
der Versammlung über das Ergebnis der erneuten körperlichen
Untersuchung Johannas Bericht erstattet hatte.1)
Von dem Inhalt der auf Grund dieses Materials gepflo-
genen Erörterungen im Schoß des königlichen Rates haben
wir keine Kenntnis, obgleich die Aussagen von zwei ihnen bei-
wohnenden Männern, allerdings weltlichen Standes und ohne
gelehrte Bildung, vorliegen, des Herzogs von Alencon2) und
des Jean d'Aulon, der in der Folge vom König zum Vorsteher
des der Jungfrau beigegebenen kleinen militärischen Hofstaats
bestellt wurde.3) Wohl aber besitzen wir das dem König über-
reichte Gutachten, auf welches der Rat — wie es scheint, eben-
falls ohne besondere Schwierigkeit — sich einigte, wenn auch
vielleicht nicht in seiner originalen Form, sondern in einer ge-
kürzten, aber offiziösen Fassung, in die es alsbald für die
Kundgebung gebracht wurde, durch die Karl VII. die so un-
verhofft eingetretene Wendung den noch zu ihm stehenden
Franzosen mitzuteilen eilte. Da diese auch in den Nachbar-
ländern Verbreitung fand, begegnen wir ihren Spuren nicht
bloß in bestimmten, den Kern der Sache betreffenden Wen-
dungen vieler französischer Berichte über das Auftreten der
Jungfrau, sondern auch in den Angaben, die außerhalb Frank-
reichs entstandene Quellen darüber machen. Das Aktenstück,
das gewissermaßen die staatlich genehmigte Grundlage bildet
für die nun bald üppig emporwuchernde Legende der Jung-
frau von Orleans, ist in mehr als einer Hinsicht höchst cha-
rakteristisch und lehrreich, nicht bloß für das Denken der an
der Sache zunächst beteiligten Kreise, sondern auch für das
späterer Generationen durch das, was diese daraus gemacht,
d. h. heraus- oder eigentlich hineingelesen haben.
Wenn Quicherat das betreffende Aktenstück nach dem
Vorgang von Buchon als einen Auszug aus dem Gutachten
a) So nach der Aussage des bei der Beratung gegenwärtigen Jean
d'Aulon Proces III S. 209: .... quant iceulx maistres firent leur rapport
par lequel fut par Tun d'eux tout publiquement usw.
2) Proces III S. 93. 3) Ebd. S. 209.
46 1. Abhandlung: Hans Prutz
der zu Poitiers mit der Prüfung Johannas beauftragten Theo-
logen veröffentlichte,1) so ist diese Bezeichnung unzutreffend:
der Fassung nach uud nach den uns anderwärts begegnenden
Anführungen daraus,2) sowie nach seinem sachlichen Inhalt
kann es vielmehr nur eine verkürzte Wiedergabe des Gut-
achtens sein, das auf Grund jener theologischen Äußerung der
königliche Rat abgab und Karl VII. als Grundlage für den
von ihm zu fassenden Beschluß überreichte. Wird darin doch
ausdrücklich Bezug genommen auf die nun schon seit sechs
Wochen stattgehabte Prüfung, Beobachtung und Untersuchung
Johannas.3) Es ist also nach Mitte April entstanden. Dazu
stimmt auch die Art, wie dieser Teil des Verfahrens einge-
leitet worden war: denn nicht der König, sondern der könig-
liche Rat hatte die Theologen mit der Abgabe eines Gutach-
tens beauftragt, das diese daher auch, wie ausdrücklich be-
zeugt ist, an ihn richteten, dessen Sache es dann war, es an
den König gelangen zu lassen in Gestalt des von ihm darauf-
hin zu überreichenden Vorschlags für die zu treffende Ent-
scheidung. Ferner aber gibt das von Quicherat wiederabge-
druckte Stück nur einen Teil des von dem königlichen Rat
an Karl VII. erstatteten Berichtes wieder: andere Teile davon
sind uns an anderen Stellen erhalten. Also ist dasselbe auch
nicht identisch mit dem offiziösen Bericht, den die Regierung
zur Rechtfertigung des von ihr eingeschlagenen Verfahrens
damals verbreiten ließ, sondern stellt nur eine zu irgendwel-
chem besonderen Zweck vorgenommene Überarbeitung desselben
dar, in die bloß das Aufnahme gefunden hat, was ihrem Ur-
heber besonders bemerkenswert erschien. Die in andere Quellen
übergegangenen, hier weggelassenen Teile aber passen damit
nach Form und Inhalt vollkommen zusammen, sodaß eine Re-
konstruktion des Ganzen keine Schwierigkeit hat.
1) Proces III S. 391/92.
2) Wie in der Chronik von Tournai, Collection de chroniques de
Flandre III S. 406 und Eberhard Windecke, Proces IV S. 487 ff.
3) Proces III S. 392: Le roy .... l'a fait garder avec luy bien par
l'espace de six sepmaines.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 47
Während die Benutzer jener amtlichen Publikation das,
was den sachlichen Kern der Äußerung des königlichen Rates
ausmachte, fast wörtlich übernommen haben, haben sie die-
selbe redigiert, indem sie die darin gegebenen weiteren Aus-
führungen entweder kürzend zusammenfaßten oder ganz weg-
ließen, außerdem aber die Briefform fallen ließen und von dem
da als Adressat angeredeten König in der dritten Person spra-
chen. In seiner originalen Fassung jedoch ist der Eingang
der Denkschrift des königlichen Rates durch die Vermittelung
einer flanderischen Chronik, die in Tournai entstand, auf uns
gekommen samt den sonst ebenfalls nirgends reproduzierten
allgemeinen Erwägungen, von denen die hohe Körperschaft
bei Erledigung des ihr gewordenen Auftrags ausging. Da
heißt es1): „Tres eher Sire, ä matiere qu'il vous pleu nous
declarer et mettre en conseil, passent entendement humain et
ne est qui sceust jugier ne affermer, car les oevres du seul
souverain seigneur diversifient et sont inscrutables" — also ein
Hinweis auf die Schwierigkeit der vorliegenden Frage, die
über menschliches Verständnis hinausgeht, dann aber auch
gleich ein solcher auf die unendliche Mannigfaltigkeit der Gott
möglichen Wege zur Verwirklichung seiner Ratschlüsse, die
für Menschen unerforschlich sind. Dann heißt es, wohl in
wörtlicher Wiedergabe des vom Rat an den König gerichteten
Schreibens oder doch der der Öffentlichkeit übergebenen Fas-
sung desselben weiter: „Mais entendu la necessite de vostre
digne et excellente personne, veu aussi celle de vostre royaulme
et considere les continues prieres de vostre peuple esperant
en Dieu "et de touts autres amants paix et justice et mes-
mement ramene que on ne seet la volonte du dit seigneur, il
nous semble estre bon non rejetter et de refuser la Pucelle,
qui dit estre envoiee de Dieu pour vostre secours et ayde, non
obstant que ses promesses soient soupz (lies seules) oevres hu-
maines. Mais point ne disons ne entendons que legierement
creez en eile. Car le dyable est insatiable ... et able tendant
l) Collection de chroniques de Flandre III S. 406.
48 1. Abhandlung: Hans Prutz
tous tirer ä luy. Et pour ce est juste et raisonnable, que Se-
lon la sainte ecriture la fachiez prouver par deux manieres . ."
Dieser höchst charakteristische Passus aus der Denkschrift des
königlichen Rates findet sich sonst nirgends in gleicher Aus-
führlichkeit wiedergegeben. Die beiden dieselbe als selbstän-
diges Stück überliefernden Handschriften, die von Buchon und
Quicherat benutzte sowohl wie die des Registre Delphinal des
Matthieu Thomassin zu Grenoble,1) enthalten diesen einleiten-
den Teil nicht, sondern setzen erst mit dem folgenden, sach-
lich entscheidenden Abschnitt ein. Dieser ist denn auch noch
von mehreren anderen Quellen ziemlich wortgetreu übernommen,
während andere sich damit begnügen zur Begründung des
nachher dem König empfohlenen Beschlusses das Ergebnis der
Beratungen der prüfenden Theologen anzuführen, die Johanna
nichts übles nachzuweisen vermochten, sondern alles an ihr
Ehrbarkeit, Frömmigkeit und Rechtgläubigkeit fanden, daher
kein Hindernis sahen sie im Dienst des bedrängten Reichs zu
verwenden. Auf den Rat der Theologen geht aber wohl auch
zurück, was dem König weiterhin in Betreff des zwiefachen
Verfahrens empfohlen wird, das er, da Vorsicht unter allen
Umständen geboten sei, bei der Zulassung der Jungfrau zur
Leistung der von ihr angebotenen Hilfe beobachten soll. Karl
möge, so wird ihm geraten, die Jungfrau, die von Gott ge-
schickt zu sein behaupte, nicht unbedacht von sich stoßen, ob-
gleich ihre Versprechungen doch nur Menschenwerk verheißen.
Denn daß so: „non obstant que ses promesses soient seules
oeuvres humaines" zu lesen ist, beweist die Übersetzung der
betreffenden Stelle bei Eberhard Windecke2): „wenngleich ihre
Versprechen menschlich sind", und Abschreiber und Er-
klärer haben an dieser einen durchaus richtigen Sinn geben-
den Fassung mit Unrecht Anstoß genommen.3) Obgleich die
1) Vgl. Proces IV S. 306; ausführlich, aber in einer sehr willkür-
lich und fragwürdig zurechtgemachten Gestalt bietet die von Thomassin
überlieferte Form Ayroles, a. a. 0. S. 685—86; vgl. S. 14/15.
2) Proces IV S. 487.
3) Vgl. Proces III S. 391 die Anmerkung Quicherats. Ayroles I
3\
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 49
Jungfrau bloß menschliche Leistungen in Aussicht stellt, soll
sie nicht übereilt abgewiesen werden, denn auch durch Men-
schen — so ist der Gedankengang — kann Gott helfen. An-
dererseits aber, so wird weiter geraten, möge der König der
Jungfrau auch nicht überall Glauben schenken, sondern sie
nach dem Wort der heiligen Schrift prüfen, zunächst durch
Erkundung ihres Wandels, ihrer Sitten und ihrer Gesinnung
und dann, indem er in inbrünstigem Gebet von Gott ein Zei-
chen erflehe, das erkennen lasse, ob sie wirklich von Gott ge-
sandt ist. Der ersten Forderung ist nach der Meinung des
königlichen Rates und der hinter ihm stehenden theologischen
Autoritäten bereits durch das genügt worden, was auf Anord-
nung des Königs zum Zweck der Prüfung der Jungfrau bis-
her geschehen ist. Dabei sei nicht Übles an ihr gefunden
worden, sondern nur Güte, Demut, Jungfräulichkeit, Frömmig-
keit, und Ehrenhaftigkeit und Einfalt, wie man auch von ihrer
Geburt und ihrem Leben nur das Beste erfahren habe. Was
die zweite Art der für geboten erachteten Prüfung angehe,
fuhr das Gutachten des königlichen Rates fort, so habe der
König von der Jungfrau ein sie beglaubigendes Zeichen ge-
fordert, sie aber darauf erklärt, vor Orleans und sonst nir-
gends werde sie es geben, denn so habe ihr Gott befohlen.
So kommt der königliche Rat zum Schluß: nachdem der Kö-
nig die vom Standpunkt der weltlichen Klugheit aus gebotene
Prüfung mit bestem Erfolge vorgenommen und Johanna das
geforderte Zeichen für Orleans zugesagt habe, sei angesichts
von deren ausdauernder Standhaftigkeit in ihren Reden und
Forderungen nicht angezeigt, sie an dem Zuge nach Orleans
zu hindern, vielmehr möge der König sie mit den erbetenen
Gewaffneten gebührend dorthin geleiten lassen: denn an ihr
zweifeln und sie zurückweisen, ohne auch nur den Schein des
Bösen gegen sie zu haben, heiße dem heiligen Geist wider-
S. 14/15 macht in der von ihm auch sonst beliebten Manier („ apres
qu'on a supplee ce qui est necessaire pour en rendre la lecture cou-
rante") daraus gar: „pardessus oeuvres humaines", also gerade das Ge-
genteil von dem, was da steht.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 1 . Abb. 4
oO 1. Abhandlung: Hans Prutz
streben und sich der göttlichen Hilfe unwürdig machen, wie
Gamaliel sagte in einem Rat der Juden im Hinblick auf die
Apostel.
Man wird nicht sagen können, daß diese Denkschrift be-
sondere geistige oder moralische Qualitäten bei ihren Urhebern
erkennen ließe, vielmehr spiegelt sie deutlich die Verlegenheit
wTider, in der dieselben sich äußerlich und innerlich befanden
— äußerlich insofern als irgend ein anderer Ausweg aus der
heillosen Bedrängnis, die den Untergang des französischen
Staates und Volkes in drohende Nähe rückte, nicht zu finden
war und sie demgemäß wohl oder übel diesen einzigen, der
sich darbot, betreten mußten; innerlich insofern, als sie gegen-
über allen den Momenten, die für die Lothringerin sprachen,
doch die quälende Sorge nicht los werden konnten, es stecke
hinter derselben am Ende doch irgend ein böses Geheimnis,
das einen üblen Ausgang befürchten lasse. Der von seinen
Räten dem König empfohlene Weg stellt doch nur ein sehr
notdürftiges, mehr scheinbares als wirkliches Kompromiß dar
zwischen ihrer und ihrer Auftraggeber Hilflosigkeit auf der
einen Seite und auf der anderen beider Scheu vor den mög-
lichen Folgen des zu tuenden Schritts, gegen die sie sich von
vorneherein nach Möglichkeit zu sichern suchten. Das ist
auch weiterhin die Signatur geblieben für das Verhältnis des
offiziellen Frankreich zu der ihm von der Not aufgedrungenen,
aber von ihm niemals mit offenem und freudigem Vertrauen
aufgenommenen Retterin. Darin lagen bereits dem Keime nach
alle die Schwierigkeiten, welche der Jungfrau die Erfüllung
ihrer himmlischen Aufträge je länger je mehr unmöglich
machten, das Mißtrauen und die Entfremdung erzeugten, wel-
che zu der schließlichen Katastrophe der Heldin führten. Man
geht wohl nicht fehl mit der Annahme, der auf das Gutachten
der prüfenden Theologen gegründete Vorschlag des königlichen
Rates sei von der anderen Seite her bereits beeinflußt gewesen
durch den Druck der öffentlichen Meinung, die auf die sich
rasch weithin verbreitende Kunde von dem Auftreten des wun-
derbaren Mädchens immer entschiedener für dieses Partei nahm,
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. Ol
wie das zunächst in Poitiers selbst stark zum Ausdruck ge-
kommen war, wo man mit Johanna bereits eine Art von Kul-
tus zu treiben angefangen hatte1): man wallfahrtete förmlich
zu ihr nach dem Haus „zur Rose" und erwies ihr unter all-
gemeiner Rührung seine Verehrung als der Sendbotin Gottes.
Sollte man eine solche Stimmung ungenutzt lassen? Je mehr
sie gesteigert und je weiter sie verbreitet wurde, um so gün-
stiger gestalteten sich die Aussichten für das Unternehmen,
zu dem Johanna sich erbot, um so mehr ließ sich sein Ge-
lingen hoffen.
III. Der Zug nach Orleans.
Um das üppig wuchernde Gestrüpp der Legende, welches
in Frankreich, ursprünglich aus politischen, dann aber auch
aus kirchlichen Gründen geflissentlich großgezogen, neuerdings
aus verwandten Motiven von klerikaler und royalistischer Seite
planmäßig gefördert, die geschichtliche Gestalt Jeanne d'Arcs
immer mehr umzieht und allmählich zu völliger Unkenntlich-
keit zu entstellen droht, einigermaßen zu lichten und die Ge-
fahr völliger Verdunklung abzuwenden, welche auch die Er-
gebnisse der noch unbefangenen älteren Forschung vergessen
machen möchte,2) wird es auch heute noch vor allem darauf
ankommen, mit nüchterner Kritik, frei von jeder nationalen,
politischen oder kirchlichen Voreingenommenheit möglichst ge-
nau festzustellen, was wir denn eigentlich von den Taten der
Jungfrau durch einwandfreie Zeugen beglaubigt als wirklich
geschehen gelten zu lassen, als historisch anzuerkennen haben.
Bedenkt man nämlich, daß der Rehabilitationsprozeß,
welcher das Unrecht, das in dem zu Rouen geführten fanati-
J) Chronique de la Pucelle, Proces IV S. 211.
2) Vgl. die heftigen, his zu Schimpfworten gesteigerten Angriffe,
die von klerikaler Seite gegen Forscher wie Quicherat, H. Martin, Si-
meon Luce u. A. gerichtet worden sind, weil sie der Legende gegenüber
der geschichtlichen Wahrheit zu ihrem Recht verhelfen wollten, wie na-
mentlich von P. de Langogne, Jeanne d'Arc devant la Congregation des
Rites (Paris 1894) S. 9—10, 47 ff., 73-74 u, 107 ff.
4*
52 1. Abhandlung: Hans Prutz
;>_
scher nationaler Haß begangen hatte, gut machen sollte, nahe-
zu ein Menschenalter nach jenem in Szene gesetzt wurde, und
erwägt, daß er von Anfang an auf ein bestimmtes Ergebnis
und zwar auf ein dem zu Rouen erstrebten und erreichten dia-
metral entgegengesetztes angelegt war, also genau wie jener,
ja vielleicht in noch höherem Maße ein Tendenzprozeß war,
der eine gewisse, für die nächst interessierten Kreise längst
feststehende These als richtig erweisen und alle aus ihr ge-
zogenen praktischen Konsequenzen als berechtigt dartun sollte,
so wird man den Aussagen der darin produzierten Zeugen von
vorneherein ein gewisses Mißtrauen entgegenbringen. Denn
selbst wenn diese Leute sich der leitenden Absicht nicht be-
wußt und sie zu fördern nicht bestrebt waren, so standen sie
doch unter dem Bann der inzwischen ausgebildeten Legende
und konnten daher, was sie einst gesehn und gehört hatten,
nur mit der dadurch bedingten Voreingenommenheit sich in
das Gedächtnis zurückrufen. In den seit ihrem Tod zu Saint-
Ouen verflossenen Jahren war Jeanne d'Arc noch in einem
ganz andern Sinn zur Gesandtin Gottes geworden, als sie das
selbst wenigstens im Beginn ihrer Laufbahn zu sein behauptet
hatte, wo sie noch gewissermaßen das Naturkind und von dem
sie nachher immer höher schraubenden Einfluß des sich um
sie sammelnden Stabes schwärmerischer Priester und eifernder
Mönche unabhängiger war. Infolgedessen waren auch ganz
einfache Worte, welche, als sie sie aussprach, jeder bewußten
Beziehung auf ihren himmlischen Beruf entbehrt hatten, ent-
sprechend aus- und umgedeutet worden. Belege dafür finden
wir auf Schritt und Tritt. Aus der zu Vaucouleurs gegen
Robert de Baudricourt ausgesprochenen Befürchtung, die Ver-
zögerung des Zugs nach Orleans werde der Sache des Königs
noch neue schwere Verluste bereiten, war eine Vision gewor-
den, vermöge deren Jeanne d'Arc die für die Franzosen so
nachteilige „Häringsschlacht", während sie stattfand, verkün-
digt haben sollte.1) Daß in dem Brief, durch den sie von
*) Proces V S. 125, 128, 206, 208. Vgl. Prutz, Studien zur Geschiebte
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. oö
Sainte Catherine-de-Fierbois aus Karl VII. um die Erlaubnis
bat vor ihm in Chinon zu erscheinen, auf die 150 Meilen hin-
gewiesen war, welche sie, um zu ihm zu gelangen, durch-
messen hätte, hatte das Motiv abgegeben für die breitere Aus-
malung der Fährlichkeiten, denen sie sich mit ihren Begleitern
auf dem Ritt von Vaucouleurs her ausgesetzt gesehn hatte,
und die in demselben Schreiben ausgesprochene Zuversicht, sie
werde den König, obgleich sie ihn noch nie gesehn, doch als-
bald inmitten aller seiner Höflinge erkennen, hatte sich zu
der Angabe verdichtet, sie habe denselben mehrfachen Täu-
schungsversuchen zum Trotz wirklich sofort herausgefunden
und geziemend begrüßt.1) Und auch sonst noch läßt sich der
Ursprung später breit ausgemalter legendärer Züge in ähn-
licher Weise nachweisen.
Angesichts einer so stark mit Zu- und Umdichtungen
durchsetzten Überlieferung muß die Forschung versuchen, we-
nigstens einzelne Vorgänge auf Grund der leider nur in ge-
ringer Zahl vorliegenden Aussagen von Personen, die ihnen,
als sie sich zutrugen, unbefangen gegenüberstanden, so zu re-
konstruieren, wie sie sich dereinst abgespielt haben, indem sie
sie aus der Hülle späterer Zutaten in ihrem ursprünglichen,
im Rahmen der Alltäglichkeit gebliebenen und jedenfalls nicht
in die Sphäre des Wunders und des Überirdischen hinauf-
reichenden Verlauf gleichsam herausschält. An den Mitteln
dazu fehlt es nicht ganz. Es sind in erster Linie die Aus-
sagen derjenigen in dem Rehabilitationsprozeß vernommenen
Zeugen, die Jeanne d'Arc zu Anfang ihrer Laufbahn nahe-
kamen, ihr Auftreten nicht ohne Verwunderung beobachteten,
aber die ihnen dabei aufsteigenden Zweifel aus Rücksicht auf
die außerordentliche Lage unterdrückten, den überraschenden
Fortgang unparteiisch verfolgten oder wohl gar mit handelnd
daran teilnahmen und so erst durch die Erfolge der Heldin
der Jungfrau von Orleans in diesen Sitzungsberichten 1913 Abhandl. 2
S. 90—91.
x) Vgl. Prutz, Die Briefe Jeanne d'Arcs ebendas. 1914 Abhandl. 1
S. 9-10.
."> I 1. Abhandlung: Hans Prutz
recht Glauben zu schenken bestimmt wurden. Schon früher
habe ich darauf hingewiesen,1) wie gerade die Männer, die
Jeanne d'Arc während des ersten, aufsteigenden Teils ihrer
Laufbahn nahekamen und eigentlich militärisch das leisteten,
was nachmals vermöge der in ihr wirkenden überirdischen
Kräfte die Jungfrau geleistet haben sollte, in ihr zwar eine
außerordentliche Erscheinung sahen , aber doch nicht eine
Wundertäterin, deren Wirken außerhalb des sonst für das
menschliche Handeln geltenden natürlichen Kausalnexus ge-
standen hätte. Der Bastard von Orleans, Johannas Kampf-
genosse während der denkwürdigen Tage von Orleans, machte
kein Hehl daraus, daß er anfangs an ihre Worte doch nicht
recht habe glauben wollen und erst nach ihrem glücklichen
Einzug in die belagerte Stadt Vertrauen zu ihr gefaßt habe.2)
Ähnlich stellt sich dem greisen Raoul de Gaucourt, der bei
der Verteidigung von Orleans eine so hervorragende Rolle ge-
spielt, in der Erinnerung das Bild der ihm aufgedrungenen
und von ihm zunächst mit unverhohlenem Mißtrauen aufge-
nommenen Kampfgenossin dar.3) Auch Herzog Johann II. von
Alenc^n, der Stellvertreter des Königs bei dem Heer während
des kurzen, so überaus glänzenden Loirefeldzugs, der als sol-
cher eigentlich das leistete, was später auf Rechnung der Füh-
rung Johannas gesetzt wurde, dann in richtiger Würdigung
der militärischen und politischen Lage statt des unnützen, auf
eine Demonstration hinauslaufenden Zuges nach Reims viel-
mehr in Gemeinschaft mit der Jungfrau, deren Anwesenheit
die Truppen begeisterte,4) in die Normandie ziehen wollte, um
die Macht der fremden Eroberer an der entscheidenden Stelle
zu treffen, der bevorzugte und vertraute Waffengefährte Jeanne
d'Arcs bis zu dem vergeblichen Angriff auf Paris, läßt in
seiner Aussage ihren außerordentlichen Eigenschaften volle
Gerechtigkeit widerfahren, ist aber doch weit davon entfernt
*) Vgl. Studien usw. S. 77-78.
2) Proces III S. G: Exhinc dictus deponens habebat bonam spem
de ea et plus quam antea.
3) Ebd. S. 16-19. 4j Ebd. S. 18.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 55
in ihr ein sozusagen überirdisches Wesen zu sehen. Das lehrt
schlagend der Bericht, den einer seiner Dienstmannen, der den
Loirefeldzug und den Kampf vor Paris mitgemacht und Ge-
legenheit gehabt hatte von seinem Herrn viel über das wun-
derbare Mädchen zu hören, Perceval de Cagny, in seinen alten
Tagen in den von ihm aufgezeichneten anspruchslosen Denk-
würdigkeiten von Johannas Tun entworfen hat1): sie ist ihm
von Gott gesandt, wie alles Gute von Gott kommt, ihre Reden
aber und ihre Handlungen wachsen bei ihm nirgends in das
Übermenschliche hinaus. So scheint es eben allen denen ge-
gangen zu sein, die der Jungfrau im alltäglichen Verkehr
nahe kamen, die während der Märsche, im Feldlager, bei den
gemeinsamen Mahlzeiten und dann wieder im Gewoge des
Kampfes Zeugen davon waren, wie sie jetzt heftig drein-
stürmte und ihrer Wunden nicht achtete und dann wieder
weinte und klagte, ermüdete und hilfsbedürftig war, gelegent-
lich aber auch in der Derbheit des Redens und Handelns ihre
bäuerliche Herkunft erkennen ließ. Diese Leute nahmen ein
ganz anderes Bild von ihr mit hinweg als diejenigen, welche
sie hoch zu Roß, in prunkvoller Rüstung, mit dem wehenden
Banner als triumphierende Siegerin von der Menge umjubelt
und wie eine Heilige verehrt, unter den Lobgesängen ihres
geistlichen Stabes einherziehen sahen und in frommer Ver-
zückung in jedem Wort, das von ihren Lippen kam, eine
Offenbarung zu finden geneigt waren. Dahin gehören nächst
den genannten militärischen Größen einige Männer, die 1429-
in deren Diensten standen und ihrer persönlichen Umgebung
angehörig mit ihnen der Jungfrau nahe kamen, wie Louis de
Contes, Seigneur de Noyon und Rengles, der als Page oder
Knappe Goncourts an dem Zuge nach Orleans teilnahm und
mit der Jungfrau nach der Stadt übersetzte,2) dann Thibaud
d'Armignac de Ternes, der dem Gefolge des Bastard angehörte
und mit diesem der nahenden Retterin entgegenging und sie
in die Stadt geleitete,') und vor allen Jean d'Aulon, nachmals
l) Vgl. oben S. 13. 2) Proces III S. 67 ff. 3) Ebd. S. 19.
56 1. Abhandlung: Hans Prutz
königlicher Rat und Seneschal von Beaucaire, der schon in
Chinon vom König der Jungfrau beigegeben und gewisser-
maßen zum Vorsteher ihres militärischen Hauses bestellt war.1)
Nächst diesen in dem Rehabilitationsprozeß über das mit Jeanne
d'Arc Erlebte vernommenen Laien kriegerischen Berufs ist dann
namentlich von Bedeutung der Augustiner-Eremitenmönch Jean
Pasquerel,2) der Johanna von ihrem ersten Zusammentreffen in
Tours an bis zu dem Unglückstag von Compiegne als Kaplan
begleitete, aber eben deshalb in seinen Aussagen durch beson-
dere Rücksichten gebunden war. Obenein führen — was bis-
her, soweit ich sehe, nicht beachtet worden ist — gewisse
Spuren auf die Vermutung, der „gute Pater" sei Jeanne d'Arc
von bestimmten Persönlichkeiten und daher wohl auch in einer
bestimmten Absicht zugeführt worden. Um die Zeit, da diese
in Chinon erschien, so gibt er selbst an, sei er in einem diesem
benachbarten Ort mit deren Mutter, Isabeau d'Arc, „la Ro-
mee" d. i. der Romfahrerin, die religiös hochgradig erregt ge-
wesen zu sein scheint,3) und mit einigen ihm von früher her
bekannten von deren Begleitern zusammengetroffen, sei mit
diesen von Chinon nach Tours gegangen und dort der Jung-
frau, von deren Auftreten er schon gehört hatte, vorgestellt
mit der Bemerkung, wenn sie ihn erst recht kennen gelernt
habe, werde sie ihn nicht wieder von sich lassen wollen: diese
sei damit um so zufriedener gewesen, als sie von Pasquerel
schon früher habe sprechen hören.4) Man gewinnt bei diesem
]) Ebd. S. 209 ff. 2) Ebd. S. 100 ff.
3) Ebd. S. 101 die Anmerkung Quicherats, der als Ort der Anwesen-
heit von Johannas Mutter das Dorf Anche bei Chinon vermutet durch
Emendation des im Text stehenden augenscheinlich unrichtigen „in villa
Aniciensi". Es dürfte aber wohl der Wallfahrtsort Puy-en-Velay zu ver-
muten sein.
4) Ebd.: .... Et in eadem villa Turonensi . . . Johannam allo-
cuti fuerunt Uli, qui eundem loquentem adduxerant, dicendo: „Johanna,
nos adduximus vobis isturu bonum patrem, si eum bene cognosceretis,
vos eum multum diligeretis." Quibus ipsa Johanna respondit, quod bene
contentabatur de loquente et quod iam de eo audiverat loqui quodque
in crastino volebat eidem loquenti confiteri.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 57
Bericht doch den Eindruck, das Zusammentreffen sei kein ganz
zufälliges gewesen, sondern die intime Verbindung des Augu-
stiners mit der Jungfrau sei von einer bestimmten Seite und
demnach doch wohl auch in einer bestimmten Absicht vor-
bereitet und ins Werk gesetzt worden. Pasquerel war, so
scheint es, der Mittelsmann, dessen eine kirchlich-politische
Aktionspartei sich bediente, um nach glücklicher Überwindung
der am Hofe herrschenden trägen Indolenz den Einfluß der
Jungfrau auf Heer und Volk in einer bestimmten Richtung
geltend zu machen.
An die Berichte dieser Männer wird man sich in erster
Linie zu halten haben, will man wenigstens die Umrisse des
Bildes der geschichtlichen Jeanne d'Arc einigermaßen sicher
feststellen. Auszugehn ist dabei von den Johannas erstes Auf-
treten begleitenden Ereignissen, die noch wenig Außerordent-
liches boten, dennoch aber — oder vielleicht eben deshalb — ■
von der Legende besonders ausgeschmückt und umgedichtet
worden sind, während die als Augenzeugen darüber berichten-
den Persönlichkeiten ihr zunächst noch leidlich unbefangen
gegenübergestanden hatten und daher das Bild ihrer ersten
Begegnung mit der nachher zu so erstaunlicher Bedeutung
aufgestiegenen lothringischen Bäuerin besonders treu in ihrer
Erinnerung bewahren konnten. Dagegen fanden die sensatio-
nellen Vorgänge, die weiterhin folgten, auch diese Leute be-
reits disponiert dem Zuge der erregten öffentlichen Meinung
zu folgen und die Trägerin so außerordentlicher Begebnisse
ebenfalls mehr und mehr in dem Lichte einer über über-
menschliche Kräfte verfügenden Wundertäterin zu sehen. Da-
bei darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, daß die
Fragen, die den Zeugen im Rehabilitationsprozeß vorgelegt
wurden, von den das Verfahren leitenden kirchlichen Instanzen
wohlweislich schon so formuliert waren, daß es wenn nicht
unmöglich, so doch schwierig und vielleicht sogar gefährlich
war, eine andere Antwort zu geben, als gewünscht und er-
wartet wurde. Wer hätte wohl auf die Frage, ob er der Jung-
frau Taten mehr auf göttliches oder auf menschliches Wirken
58 1. Abhandlung: Hans Prutz
zurückführe, zu antworten wagen können, er halte sie für rein
menschlichen Ursprungs? Der herrschenden Strömung folgend
ließen daher auch diejenigen Zeugen, welche Johanna zu Be-
ginn ihrer Laufbahn in der ihr damals trotz aller Ekstase
noch gebliebenen Natürlichkeit gesehen und beobachtet hatten,
sie eigentlich im Widerspruch mit dem diesen Eindruck wie-
dergebenden Teil ihrer Aussagen als eine mit übermenschlichen
Kräften ausgestattete Gesandtin Gottes gelten, wenn auch wohl
in der Stille in einem etwas andern Sinn als die Kirche und
die legenden gläubige Menge.
Wenden wir diese Gesichtspunkte auf die Überlieferung
von den Ereignissen an, welche der Prüfung zu Poitiers zu-
nächst folgten, den Beginn der kriegerischen Laufbahn Jeanne
d'Arcs mit dem Zuge nach Orleans. Gerade da stellt dieselbe
das Erreichte dar als deren persönliches Werk, vollbracht ver-
möge der in ihr wirkenden himmlischen Kräfte. Eine genaue
Prüfung der Aussagen der handelnd daran beteiligten Zeugen
ergibt aber, daß der Anteil der Jungfrau recht unbedeutend
war und daß von einer leitenden Stellung derselben dabei nicht
die Rede sein kann.
Wenn Jeanne d'Arc von vorneherein erklärt hatte, sie sei
von dem himmlischen König gesandt, um Orleans zu entsetzen,
so scheint sie doch zunächst darauf gerechnet zu haben, daß
es dazu eines Kampfes nicht bedürfen, vielmehr die Verkün-
digung des ihr gewordenen Auftrages genügen werde, um die
Engländer zum Abzug zu bestimmen. Noch nach der Ankunft
in der bedrängten Stadt hat sie diese Erwartung ausgesprochen,
freilich unter drohendem Hinweis auf das göttliche Strafgericht,
das, wenn sie sich dem Gebote nicht fügten, über die Fremd-
linge hereinbrechen werde.1) Daher hat es sich denn auch
bei den Vorbereitungen des Zuges nach Orleans zunächst nicht
um die Aufbringung von Streitkräften gehandelt, welche die
Belagerer aus ihren in weitem Bogen um die Stadt erbauten
Bastillen vertreiben sollten, sondern nur um die Verprovian-
]) Proces III S. 107; vgl. Prutz, Die Briefe Jeanne d'Arcs, a. a. 0.
S. 16.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 59
tierung der Eingeschlossenen und ihre Ausrüstung mit dem
zur Fortsetzung des Widerstandes nötigen Kriegsgerät. l) Das
aber war nicht so besonders schwierig, da Orleans gar nicht
so eingeschlossen war, daß der Zugang nur durch einen Kampf
zu erschließen gewesen wäre: nicht bloß Boten gingen zwi-
schen den Verteidigern und den Nachbarstädten sowie dem
Hofe hin und her, sondern auch Proviant- und Munitions-
transporte sowie Verstärkungen an Mannschaften kamen un-
gehindert hinein.2) So war die Annahme berechtigt, die Ver-
längerung der Widerstandsfähigkeit der Stadt werde genügen,
um den Engländern die Fortsetzung des dann vollends aus-
sichtslosen Unternehmens zu verleiden. Daher hielt Johanna
denn auch ihre Aufgabe zunächst schon für gelöst, als der
Proviant- und Munitionstransport, den sie mitgeleitete, glück-
lich in die Stadt gebracht war, und wollte alsbald nach Blois
zurückkehren.3) Daß die Belagerer nicht abzogen, war für
sie eine Enttäuschung und nötigte sie die friedlichen Absichten
aufzugeben, mit denen sie sich bisher getragen hatte: das
mahnende Wort der Gesandtin Gottes hatte nicht den erwar-
teten Eindruck gemacht.
Hält man dies fest, so gewinnen die Vorgänge in und bei
Orleans in mancher Hinsicht ein anderes Ansehn und werden
auch zeitlich etwas anders zu ordnen sein, als gewöhnlich ge-
schieht. Daß, wie eine im ganzen wohlunterrichtete, uns aber
nur in einer späteren Überarbeitung vorliegende Quelle wissen
will, der Gedanke, die Rettung Orleans zunächst durch aus-'
reichende Verproviantierung zu versuchen, schon während des
Aufenthalts Johannas und des Hofes in Poitiers erwogen wor-
den sei,4) ist ja wohl möglich; der Beschluß dazu ist jedoch
wohl erst später gefaßt und dann seine Ausführung noch lange
*) Vgl. die Aussage Gaucourts Proces III S. 18: (Johanna) ivit apud
Blois, ubi primo se armavit pro conducendo victualia Aurelianis et suc-
currendo habitantibus in ea.
2) S. die Einzelangaben darüber in dem Journal du siege S. 69,
72, 73 u. 75.
3) Chronique de la Pucelle, Proces IV S. 219. 4) Ebd. S. 212.
60 1. Abhandlung: Hans Prutz
hingezögert worden, weil die Beschaffung der der Stadt zuzu-
führenden Vorräte, welche die Lieferanten angesichts des ge-
wagten Unternehmens nur gegen bare Zahlung hergeben
wollten, infolge des am Hofe herrschenden Geldmangels auf
Schwierigkeiten stieß, die zu beseitigen der Herzog von Alen-
con in Karls VII. Auftrag bei dessen Schwiegermutter Jolanthe
von Sizilien die Mittel aufzutreiben suchte. *) Das erklärt schon
zur Genüge die Verzögerung des Aufbruchs, durch welche die
Jungfrau sich noch länger zu quälender Untätigkeit verurteilt
sah. Wann die Erfüllung ihres Verlangens ihr endlich zu-
gesagt wurde, wissen wir nicht bestimmt. Nur der Ort, wo
es geschah, St. Benoit an der Loire, wird später von einem
der damals am Hofe verweilenden Zeugen genannt.2) Aber
von da bis zum Aufbruch des Transports verstrich sicher noch
längere Zeit, schon weil nach glücklicher Beseitigung der finan-
ziellen Schwierigkeiten die Vorräte erst zu Schiff die Loire
aufwärts nach Blois geführt werden mußten, um dort weiter
verladen zu werden. Erst als daselbst alles beisammen war,
begab Johanna sich ebenfalls dorthin, um nach kurzem Auf-
enthalt — ihr Kaplan Pasquerel bemißt ihn in der Erinne-
rung auf zwei bis drei Tage — 3) nach Orleans aufzubrechen.
Da dies am 27., nach anderen am 28. April geschah, kann
Johanna nicht wohl vor dem 24. oder 25. April in Blois er-
schienen sein. Dazu stimmt, daß die königliche Anweisung
auf 100 Livres für einen ihrer Begleiter auf dem Ritt von Vau-
couleurs nach Chinon als Entschädigung für den dabei ge-
machten Aufwand und zur Bestreitung der ihm aus der Teil-
nahme an dem Zug nach Orleans erwachsenden Kosten erst
vom 21. April datiert ist.*) Um diese Zeit dürfte auch die
!) Proces V S. 93. 2) Ebd. 111 S. 116.
3) Ebd. S. 104: Et fuerunt in villa Blesensi circiter per duos vel
tres dies. Louis de Contes ebd. S. 67: .... stetit in ... . villa Ble-
sensi per aliquot tempora, de quibus non recordatur.
4) Ebd. V S. 257: qu'il leur convient faire un voyage, qu'ilz ont
entencion de faire pour servir . . . . en l'armee par luv ordonnee pour
le secours d'Orleans.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. bl
bekannte Sommation Johannas an die Engländer ergangen
sein, die fälschlich mit dem Datum vom 22. März überliefert
ist. l) Aus ihr spricht noch die Zuversicht, das Wort der Ge-
sandtin Gottes werde genügen, um die Engländer zum Abzüge
zu vermögen und Orleans so ohne Kampf zu retten. Denn
zu den bisher gegen die herkömmliche Datierung dieses be-
rühmten Schreibens angeführten Gründen kommt noch die Er-
wägung, daß einem solchen Erlaß an die Engländer die für
den Fall des Ungehorsams darin angedrohte Ahndung doch
nicht erst nach langen Wochen, sondern möglichst sofort er-
folgen mußte, wenn nicht die Mission Johannas von Anfang
an diskreditiert werden sollte. Im Einklang damit wird denn
auch die Nichtbeachtung der Sommation als Grund dafür an-
gegeben, daß der Aufbruch von Blois beschlossen wurde.2)
Man eilte nun die bisher verlorene Zeit möglichst einzubringen.
Doch waren es offenbar weniger eigentlich kriegerische,
auf einen baldigen Entscheidungskampf mit den Engländern
berechnete Vorbereitungen und auch nicht die Sorge für den
Transport der für Orleans bestimmten Vorräte, die auf Pferden,
Wao-en und Karren verladen wurden, was Johanna während
des kurzen Aufenthaltes in Blois beschäftigte, als vielmehr die
Organisation der kleinen zu ihrer Bedeckung dienenden und
von dem übrigen Heere getrennten Mannschaft, die sie und
den ihr in Tours vom König zugeteilten Stab umgab.3) Doch
handelte es sich dabei nicht um militärische, sondern um kirch-
liche Gesichtspunkte, welche der Jungfrau damals ebenso fremd
gewesen sein dürften wie die ersteren. Denn die angeblich'
von ihr erlassenen Bestimmungen betrafen die Herstellung
streng kirchlicher Zucht und sittlichen Wandels unter den ihr
persönlich beigegebenen Leuten: sie sollten einander alles ver-
geben und auf jede Vergeltung für erlittenes Unrecht ver-
zichten, auf ihr Seelenheil denken und für ein reines Gewissen
sorgen, daher täglich beichten und kommunizieren, so wie
1) Prutz, Die Briefe Jeanne d'Arcs, a. a. 0. S. 11 — 13.
2) Journal du siege S. 74.
3) Proees III S. 67: .... et habuit ipsa Johanna tunc statum a rege.
62 1. Abhandlung: Hans Prutz
Johanna selbst es tat. Das alles aber stammt nicht von Jo-
hanna her, ja nicht einmal von ihren geistlichen Beratern,
sondern lief — was man bisher übersehen hat — hinaus auf
eine fast wörtliche Wiederholung des Friedensgebots, das von
den städtischen Autoritäten von Le Puy-en-Velay (dem Haupt-
ort des Departement Haute-Loire) erlassen und den benach-
barten Fürsten und Städten zur Nachachtung und Unterstüt-
zung mitgeteilt zu werden pflegte, wenn daselbst der große
Ablaß stattfand, zu dem viele tausende von Wallfahrern zu-
sammenströmten.1) Das aber war eben 1429 der Fall, und
wir wissen, daß der Jungfrau Mutter damals dorthin pilgerte,
und dürfen vermuten, daß es dort war, wo Jean Pascpuerel
mit derselben und anderen Begleitern Johannas von Vaucou-
leurs her zusammentraf und dieselbe aufzusuchen veranlaßt
wurde.2) Als ein Werk der unter himmlischer Eingebung
handelnden Jungfrau also kann man diese Ordnung nicht an-
sehn. Ebenso unzutreffend ist die Vorstellung, Johanna sei
vom König förmlich mit der Führung des Zuges nach Orleans
betraut worden. Für Fernerstehende konnte es vielleicht so
scheinen, auch hat natürlich die Legende den Erfolg der Lei-
tung Johannas zugeschrieben.3) In Wahrheit ist das damals
sowenig wie später der Fall gewesen. Vielmehr ließen die
kriegserfahrenen Männer wie Gaucourt, Poton, La Hire und
andere, denen die Verantwortung für den Ausgang des Unter-
nehmens oblag, Johanna eben nur gewähren, gestatteten ihr
unter dem Druck der Lage mitzugehn und sich mit ihren
Leuten den von ihnen gesammelten Mannschaften anzuschließen,
wollten im übrigen aber abwarten, was sie von ihren Ver-
heißungen, an die keiner von ihnen ohne weiteres glaubte, zu
erfüllen im Stande sein würde. Sie taten das notgedrungen
in Rücksicht auf die Volksstimmung, der Rechnung getragen
werden mußte. Man machte eben, da irgend ein andrer Aus-
!) Ayroles I S. 15—16. 2) Vgl. oben S. 5G.
3) So entstand die falsche Vorstellung, wie sie im Journal du siege
S. 58 zum Ausdruck kommt, der König habe alle Kapitäne angewiesen
„qu'ils obeissent ä eile comme k lui et aussy firent-ils".
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 60
weg sich nicht mehr darbot, ein Experiment,1) ohne von dessen
günstigem Ausgang zum voraus überzeugt zu sein, und hütete
sich für den Fall des Mißlingens die Verantwortung zu über-
nehmen. Daher wird es denn auch nicht bloß mit dem stän-
digen Geldmangel am Hofe zu erklären sein, wenn die Mittel
für die bereits in Tours beschaffte kriegerische Ausrüstung der
Jungfrau, die bisher zwar in männlicher Tracht, aber doch
nicht militärisch gewaffnet einhergegangen war, erst nach der
Kettung von Orleans, am 10. Mai, zur Zahlung angewiesen wur-
den.2) Ohne anerkannte, bestimmt umschriebene amtliche Stel-
lung, so muß man annehmen, wurde Johanna den nach Orleans
bestimmten Mannschaften mitgegeben, samt einer um sie ge-
sammelten kleineren auserwählten Gruppe. Pasquerel berichtet,
sie habe ihn beauftragt, ein Banner anfertigen zu lassen, auf
dem der Heiland am Kreuz dargestellt war, und um dieses
zweimal täglich, früh und abends, sämtliche Geistliche unter
Lobgesängen auf die Jungfrau Maria versammelt, von den
Kriegern dazu aber nur diejenigen zugelassen, die an dem be-
treffenden Tage gebeichtet hatten. Alle aber habe sie er-
mahnt zur Beichte zu gehen, damit sie an diesen Andachten
teilnehmen dürften.3) Das Gleiche berichtet Jean d'Aulon,
mit dem Bemerken, diese auserwählte Mannschaft habe der
Jungfrau zur persönlichen Bedeckung gedient und für ihre
Sicherheit zu sorgen gehabt,4) und ein dritter Zeuge Louis de
Contes hat wiederholt Johanna in dieser Priester- und Sol-
datengemeinde das Abendmahl nehmen sehen.5) Das wird
denn freilich den verwilderten Kriegern eines Marschall de
Rais, La Hire usw., die den Transport geleiten sollten, sehr
befremdlich vorgekommen und zunächst vielleicht nicht unbe-
spöttelt geblieben sein , verfehlte ■ doch aber schließlich nicht
seinen Eindruck, namentlich auf die bürgerlichen Kreise, denen
singende und betende, Disziplin haltende, sie nicht mißhan-
delnde oder ausraubende Soldaten eine ganz neue Erscheinung
1) Chronique de la Pucelle, ProcÖ9 IV S. 211 a. E.
2) Proces III S. 528. 3) Ebd. S. 104—5.
4) Ebd. S. 210. 5) Ebd. S. 67.
64 1. Abhandlung: Hans Prutz
waren, und zum Teil war das Ansehn, das Johanna rasch
weithin gewann, auf diese mehr sittlich reformierende als
kriegerische Seite ihres von ihrer geistlichen Umgebung be-
einflußten Wirkens zurückzuführen.
Daß der Zug nach Orleans ohne Fährlichkeit sein Ziel
erreichte, zeigt, daß die Lage der Stadt nicht so verzweifelt
war, wie die Tradition sie darstellt, um ihre Rettung umso
wunderbarer erscheinen zu lassen. Wenn Orleans bisher noch
nicht geholfen war, so lag das an der Energielosigkeit des
schwachen und schlecht beratenen Königs und seines in Ge-
nußsucht versunkenen Hofes. Einen entscheidenden Schlag
gegen die Stadt zu unternehmen waren die Belagerer nicht
stark genug. Sie zählten, nachdem die Burgunder am 17. April
abgezogen waren, etwa 5000 Mann, von denen für einen An-
griff höchstens 3000 in Betracht kamen, da 2000 als Besatzung
der Bastillen unabkömmlich waren.1) Auch dem von Blois
zu erwartenden Transport wäre der Eintritt nicht zu ver-
wehren gewesen, wenn er auf dem rechten, nördlichen Ufer
der Loire blieb, die Landschaft Beauce in einem nordwärts aus-
holenden Bogen durchzog, die englischen Bastillen umging,'
so die von Paris her kommende Straße erreichte und sich
dann unter dem Schutz der dortigen Waldungen der unge-
sperrt gebliebenen nordwestlichen Partie der Stadtmauer näherte.
Auch waren einige von den Kapitänen, die den Zug zu ge-
leiten hatten, für diesen durch die Lage empfohlenen Weg,
die Mehrzahl aber wollte wohl den kostbaren Transport nicht
der Gefahr eines dabei immerhin möglichen Zusammenstoßes
mit den Engländern aussetzen, und daher wurde im Kriegs-
rat, zu dem man Johanna nicht zog — ein neuer Beweis da-
für, daß sie an der Leitung des Unternehmens offiziell nicht
beteiligt war — , beschlossen, auf der Brücke von Blois über
die Loire zu gehen und südlich von ihr ostwärts zu ziehen,
um so erst oberhalb Orleans wieder an den Fluß zu kommen
und von dort aus die Vorräte auf Lastbooten zur Stadt hinab
*) Morosini III S. 28. Vgl. Ayroles III S. 156-57.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 60
und hinüber zu führen, also durch die Landschaft Sologne zu
gehen.1) Doch wurde das der Jungfrau verheimlicht: ein Ur-
teil hätte diese allerdings in dieser Frage bei ihrem Bildungs-
stand und bei ihrer Unbekanntschaft mit der Gegend auch gar
nicht gehabt. Diese beweist zur Genüge die von verschiedenen
Zeugen bekundete Tatsache, daß sie, obwohl man gleich in
Blois auf das linke Loireufer gegangen war, sich in der Beauce
zu befinden wähnte und den von ihr gewollten Weg zu ver-
folgen glaubte und erst allmählich oder gar erst bei der An-
kunft oberhalb Orleans des ihr gespielten Betruges inne wurde.2)
Von dem Verlauf des Zuges im einzelnen haben wir keine
Kunde. Nicht einmal der Tag des Aufbruchs steht fest. Der
deutsche Chronist Eberhard Windike nennt, wohl auf Grund
eines der offiziösen Berichte, die der französische Hof über
diese seine Lage so unverhofft bessernden Ereignisse verbreiten
ließ, den 28. April, während Pasquerel den 27. im Gedächtnis
behalten hatte, da er im ganzen drei Tage auf den Marsch
rechnet. Zu ersterem würde die Chronique de la Pucelle stim-
men, welche die Truppe nur eine Nacht im Freien lagern läßt,
während Pasquerel von zwei im Biwak verbrachten Nächten
spricht.3) Der verfolgte Weg ergibt sich aus den örtlichen
Verhältnissen: nach Überschreitung der Loire auf der Brücke
von Blois wandte der Zug sich alsbald ostwärts, ging in ge-
messener Entfernung von den Brückenköpfen von Baugency
und Meuny vorbei nach dem nur vier Kilometer südlich von
Orleans malerisch am Loiret gelegenen Olivet und dann in
nordwestlicher Richtung auf die Loire zu. Die Engländer
hielten sich ruhig und hatten sogar die südlichste vorgescho-
bene Bastille Saint-Jean-le-Blanc, von der aus der Marsch leicht
1) Perceval de Cagny S. 141.
2) Journal du siege S. 74; Chronique de la Pucelle, Proces IV
S. 217 u. 18. ßoucher de Molandon, a. a. 0. S. 45—46 leugnet die Täu-
schung Johannas über den Weg unter Hinweis auf „son intelligence
superieur et sa constante preoccupation de faire lever le siege" — er-
stere ist unerwiesen, letztere war auf einen Ei'folg ohne Kampf gerichtet.
3) Proces III S. 105. Vgl. France I S. 298.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 1. Abb. 5
66 l. Abhandlung: Hans Prutz
gestört werden konnte, geräumt und die Besatzung nach Les
Augustins zurückgenommen.1) Sollte Johanna wirklich, wie
es heißt, den Vorschlag gemacht haben gleich hier links ab-
zuschwenken und nordwärts marschierend das Hauptwerk der
Engländer hinter Les Augustins, die Bastille an der Loire-
brücke, anzugreifen und so in die Stadt einzudringen, so wäre
damit nur ein neuer Beweis geliefert für ihren Mangel an
militärischer Einsicht. Ungestört erreichte man nordöstlich
weiterziehend das Ufer der Loire bei dem „Hafen" Bouchet, 2)
gegenüber etwa dem Kloster Saint-Loup und der von den Be-
lagerern dort errichteten Bastille. Es war wohl deren drohende
Nähe, was die Leiter des Zuges bestimmte noch weiter strom-
aufwärts zu gehen, etwa vier Kilometer, bis man sich dem auf
dem rechten Ufer gelegenen Ort Checy gegenüberbefand. Dort
gewährte der in zwei Arme geteilte, ziemlich breite Fluß mit
seinen langgestreckten baumlosen Inseln Deckung und ermög-
lichte den sicheren Transport der Vorräte in die Stadt, zu dem
der getroffenen Verabredung gemäß von dort aus die nötigen
Vorbereitungen getroffen waren, wenn auch durch unerwartet
eingetretenes Hochwasser verzögert. Checy gegenüber wurde
Halt gemacht und die Nacht vom 28. zum 29. April biwa-
kiert. Wenn dagegen eine wohl schon früh entstandene Tra-
dition berichtet, die Jungfrau habe diese Nacht in Checy zu-
gebracht als Gast des Herrn des Ortes, des auf dem benach-
barten Schloß Rully sitzenden Guy de Cailiy, so ergibt sich
deren Unhaltbarkeit schon aus den örtlichen Verhältnissen.
Es geht nämlich aus des Bastards und seiner Begleiter spä-
teren Aussagen hervor, daß diese, um mit den Ankommenden
zusammenzutreffen, von Checy aus im Boot über die Loire
fuhren, also auf dem linken Ufer mit Johanna zusammentrafen,
und daß diese nach der Ankunft der unerwartet lange aus-
bleibenden Lastkähne zum Transport der Vorräte in die Stadt
a) So nach der Chronique de la Pucelle, Proces IV S. 217 a. E.
Nach dem Journal du siege S. 83 — 84 aber müssen die Engländer die
Stellung doch wieder besetzt und noch stärker befestigt haben.
2) Boucher, a. a. 0. Note XII S. 93-96 u. 106 Beilage 13.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. o7
erst nach längerem Widerstreben mit dem Bastard auf das
rechte Loireufer übersetzte, um nach Einbruch der Dunkelheit
in die Stadt einzureiten.1) Sollte sie, die sich anfangs ent-
schieden weigerte sich von ihren Genossen zu trennen und mit
diesen sogar nach Blois zurückkehren wollte, sollte sie, so muß
man da fragen, sich den Tag zuvor haben übersetzen lassen,
die Nacht in Rully zugebracht und dann am nächsten Tage
die jenseits des Flusses gebliebene Mannschaft wieder aufge-
sucht haben? Von den an den Ereignissen Beteiligten kennt
keiner einen Aufenthalt Jeanne d'Arcs in Rully. Von ihm er-
fahren wir erst durch eine angebliche Urkunde Karls VIL,
nach der dieser auf Befürworten Johannas Guy de Cailly zum
Lohn für seine Treue und die der Jungfrau bei ihrem Auf-
enthalt in seinem Schloß gewährte Förderung die Zugehörig-
keit zu dem alten Adel des Königreichs bestätigte.2) Schon
ihrem Inhalt nach verdächtig, wird diese Urkunde durch ihre
in mehr als einer Hinsicht befremdliche Fassung als Fälschung
gekennzeichnet, durch die, wie das auch sonst vorkam, einem
wirklichen oder angeblichen Genossen der Heldin nachträglich
Vorteile verschafft werden sollten.
Vollkommen paßt dagegen zu der Situation, die nach der
Ankunft des Transports Checy gegenüber gegeben war, die
Aussage eines Augenzeugen, nach der, als sich der von Jo-
hanna gewünschte Übergang der ganzen Schaar über die Loire
als unmöglich erwiesen hatte, beschlossen wurde, nach Blois zu-
rückzukehren, dort über den Fluß zu gehen und auf dem an-,
deren Ufer nach Orleans zurückzukehren: darüber sei Johanna
entrüstet gewesen, weil sie gefürchtet habe, man suche nur
einen Vorwand um heimzukehren, zumal anerkanntermaßen der
nächste Zweck des Zuges, die Verproviantierung der Stadt, tat-
sächlich erreicht war.3)
J) Journal du siege S. 75 a. E.
2) Die angebliche Urkunde bei Boucher S. 60—67 u. 107. Vgl. die
wesentlich anders gefaßte für Jean de Metz, Proces V S. 363 ff. und
Prutz, Die falsche Jungfrau von Orleans, a. a. 0. S. 12.
3) Aussage des Simon Beaucroix, Proces III S. 76.
5*
68 1. Abhandlung: Hans Prutz
Über die Ankunft Johannas in Orleans am Abend des
29. April haben wir die Berichte mehrerer Augenzeugen. Sie
stimmen in der Hauptsache überein, differieren doch aber auch
in einigen nicht unwesentlichen Punkten. Wieder sind es ge-
rade diese, wo die Legendenbildung eingesetzt hat.
Als die Ankunft der erwarteten Hülfe und der sie be-
gleitenden Lothringerin, deren Verheißungen ihr vorauseilend
alles mächtig erregt hatten, in der Frühe des 29. April in
Orleans bekannt wurde, eilte dort alles zu den Waffen. Schleu-
nigst wurden die am Ufer liegenden Boote und Lastfahrzeuge
bereitgemacht, um sie den Fluß hinauf nach Checy zu führen
und die Vorräte in die Stadt zu holen. Dem aber bereitete
der ungewöhnlich niedrige Wasserstand Schwierigkeiten und
das Unternehmen schien noch dicht am Ziel scheitern zu sollen,
zumal wenn die Engländer aus ihren Bastillen zum Angriff
ausrückten. Sie daran zu hindern machte die Besatzung der
Stadt einen Ausfall gegen die Loire aufwärts nach Checy zu
gelegene Bastille bei dem Kloster Saint -Loup. Der Kampf
scheint den ganzen Tag gedauert zu haben.1) Auffallend ist,
daß das den Ereignissen gleichzeitig geführte Tagebuch, das
uns allerdings nur in einer späteren Bearbeitung als Journal
du siege vorliegt, von alledem weniger zu berichten weiß als
alle anderen räumlich und zeitlich diesen Vorgängen ferneren
Quellen. Es erwähnt auch nicht ausdrücklich, daß der Ba-
stard von Orleans, wie er nachmals als Zeuge ausführlich be-
richtet, in Begleitung des gleichfalls in dem Rehabilitations-
prozeß vernommenen Knappen oder Pagen Thibauld Armignac
de Ternes von der Stadt herbeigeeilt und in einem Boote über
die Loire gesetzt war, um die Ankömmlinge zu begrüßen. Den
Inhalt des dabei mit Johanna geführten Gesprächs hat der
Bastard genau berichtet: darin entlud sich der bittere Unmut
der Jungfrau über den ihr gespielten Betrug, indem man sie
durch die Sologne geführt hatte, während sie durch die Beauce
zu ziehen glaubte. Des Bastard Berufung auf den Beschluß
') Journal du siege S. 74 u. 75.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 69
des Kriegsrats ließ sie nicht gelten, sondern berief sich da-
gegen auf den bessern und weiseren Rat, der hinter ihr stehe,
das heißt die Weisungen, die sie durch ihre Stimmen und Vi-
sionen bekommen habe. *) Später, als sie auch in den Augen
der damals noch an ihr Zweifelnden durch ihre Erfolge be-
glaubigt war, hat sie durch diese Wendung ihren Willen nicht
selten durchgesetzt. Auch dürfte der Bastard, der bei dieser
ersten Begegnung noch nicht zu den an die Mission Johannas
Glaubenden gehörte, dieser die späterhin oft gehörte Wendung
in den Mund gelegt haben, ohne daß sie sie gerade damals
gebraucht hatte: denn auch er stand, als er nach fünfund-
zwanzig Jahren jenes Zusammentreffen schilderte, unter dem
Bann der inzwischen zur Herrschaft gelangten Legende, wel-
che den an sich ganz einfachen und jeder Sensation entbeh-
renden Vorgang ebenfalls in die Sphäre des Wunderbaren er-
hoben hatte.
Einzelne Widersprüche und Unklarheiten in der Schilde-
rung von Johannas Einritt in die Stadt dürften daraus zu er-
klären sein , daß die Verfasser der uns vorliegenden Berichte
die von ihnen benutzten älteren Aufzeichnungen nicht richtig
verstanden, weil ihnen die Anschauung der Ortlichkeit fehlte,
es ihnen insbesondere nicht klar war, daß die von Blois ge-
kommenen Königlichen dem Lauf der Loire entgegen bereits
beträchtlich über Orleans hinausgekommen waren und daher,
um den Transport zur Stadt zu bringen, ihn den Fluß ab-
wärts führen mußten. Auch die Angabe über eine dabei er-
folgte Betätigung ihrer überirdischen Kräfte durch Johanna
hat offenbar darin ihren Ursprung: sie stellt wiederum ein
M Proces III S. 5 — 6. Diese Aussage ist wörtlich übergegangen in
die Chronique de la Pucelle, resp. die sie bearbeitenden Gestes des
nobles Francais des jüngeren Cousinot de Montreuil ebend. IV S. 209
bis 210. Gleiche Übereinstimmungen finden sich auch sonst zwischen
beiden, z. B. Chronique de la Pucelle, a. a. 0. S. 221 = Proces, a. a. 0.
S. 30 in.; S. 228-29 = S. 8-9; S. 233 = S. 11—12. Sollte Cousinot
de Montreuil direkt den Prozeß benutzt haben oder ein Auszug aus die-
sem in ähnlicher Weise offiziös verbreitet worden sein, wie früher die
Taten der Jungfrau vom Hofe bekanntgemacht wurden?
70 1. Abhandlung: Hans Prutz
glückliches Zusammentreffen von dem Einfluß Johannas völlig
unabhängiger Umstände dar, wenn nicht gerade als ihr Werk,
so doch als von ihr vorher verkündet. Der Fall ist lehrreich
und dürfte wohl als typisch anzusehn sein.
Zunächst stimmen hier die Angaben der Augenzeugen
nicht völlig überein. Als gewiß aber ergeben sie, daß die
Fahrt der Lastschiffe, welche die mitgeführten Vorräte auf-
nehmen sollten, zunächst auf Schwierigkeiten stieß: widriger
— also von Osten her wehender — Wind nach den einen,
niedriger Wasserstand nach den andern hinderte sie. Besorg-
nisse und Unruhe griffen um sich. Nur Johanna erklärte zu-
versichtlich, der Wind werde demnächst umspringen. Wirk-
lich geschah das auch noch rechtzeitig, und die Segelboote,
jedes mit zwei Lastschiffen im Schlepptau, kamen rasch vor-
wärts, legten Checy gegenüber am linken Ufer an und
konnten, beladen von der Strömung flußabwärts geführt, zur
Stadt gelangen.1) Auch die Bastille Saint-Loup passierten sie
ungehindert, da deren Besatzung durch den Ausfall der Städter
beschäftigt war. Johanna behielt also recht und das machte
Eindruck. Mächtiger aber noch wirkte die Kunde von dem
Geschehenen auf die der Retterin harrende städtische Menge.
Wie leicht war da Johannas Zuversicht, die Änderung des
Windes werde rechtzeitig eintreten, erst als eine Prophezeiung
gedeutet2) und dann weiterhin das Umschlagen des Windes
als von ihr bewirkt dargestellt!3) In dieser Richtung hat sich
die Legende ausgewachsen. Dagegen weiß das diesen Vor-
gängen zeitlich und räumlich am nächsten stehende Journal
du siege4) von der ganzen Geschichte nichts, und nach dem
Augenzeugen Pasquerel wären die anfänglichen Schwierigkeiten
1) Chronique de la Pucelle S. 218; Journal du siege S. 75. Die Un-
haltbarkeit von Jollois Ansicht, der Transport sei zu Lande in die Stadt
geschafft worden, hat Boucher, a. a. 0. nachgewiesen.
2) Das tut bereits Gaucourt in seiner Aussage Proces III S. 18.
3) Vgl. Chronique sur l'origine de la fete du huit mai, Proces V
S. 290: il falloit dire, que ce fust un miracle de Dieu.
4) Journal du siege S. 75—77.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 71
nicht konträrem Wind, sondern zu niedrigem Wasserstand1)
zuzuschreiben gewesen: nach diesem hätte erst das Steigen des
Wassers die Landung und das Umladen der Vorräte ermög-
licht. Daß aber dieses von Johanna zuversichtlich erwartet
oder gar vorausgesagt sei, sagt er nicht und vollends nichts
von einer durch die Jungfrau vermittelten göttlichen Einwir-
kung auf die Elemente. Den Bürgern von Orleans freilich,
welchen die schon ganz nahe Rettung im letzten Augenblick
wiederum zu entschwinden schien, galt Johanna nun alles und
man traute ihr alles zu, sah sich schon für gerettet an.2)
Um so mehr mußte es die Verteidiger der Stadt über-
raschen und kann auch heute noch den Betrachter der Ereig-
nisse mit Verwunderung erfüllen als kaum vereinbar mit Jo-
hannas sonstigem Verhalten, wenn diese, nachdem die Ver-
proviantierung der Stadt geglückt war, selbst nicht dort bleiben
wollte, sondern nach Blois zurückzukehren Miene machte. Sie
wolle sich, erklärte sie, nicht von ihren Leuten trennen, der
sie umgebenden frommen Elitetruppe durch die Beichte ge-
reinigter Krieger, mit denen sie sich der gesamten Macht der
Engländer gewachsen glaubte.3) Erst auf erneutes Andringen
des Bastards und La Hires, die von ihrem Abzug den ungün-
stigsten Eindruck auf die Besatzung von Orleans fürchteten,
erklärte sie sich schließlich bereit die Stadt zu betreten, nach-
dem die anderen Fürsten versprochen hatten mit den noch in
Blois gelassenen Vorräten und Verstärkungen zurückzukehren.
Der Abend sank bereits, als Johanna mit dem Bastard
auf das rechte Loireufer übersetzte. Denn um ein allzu stür-
misches Zusammenströmen der Bevölkerung zu verhindern,
wollte man es vollends dunkel werden lassen, ehe sie in Or-
leans einritt, umdrängt von der Menge mit theatralisch zurecht-
i) Proces III S. 105.
2) Journal du siege S. 77: „ . . . ilz se sentoyent ja tous recon-
fortez et comme desassiegez par la vertu divine qu'on leur avoit dit dans
ceste simple Pucelle. " Vgl. Perceval de Cagny S. 143.
3) Chronique de la Pucelle, Proces IV S. 219. Vgl. die Aussagen des
Bastard ebd. III S. 9—10 und des Jean d'Aulon ebd. S. 210.
72 1. Abhandlung: Hans Prutz
gemachtem militärischem Gepränge,1) das sich doch nicht aus
dem Stegreif beschaffen ließ, sondern rechtzeitig vorbereitet
sein wollte. Das Journal du siege entwirft ein anschauliches
Bild davon,2) das freilich wohl nicht auf den das ursprüngliche
Tagebuch als Augenzeuge führenden Verfasser zurückzuführen,
sondern von dem späteren Überarbeiter aus der inzwischen
farbenprächtig ausgestatteten Legende übernommen sein dürfte.
Auffallend ist gleich der Schimmel, der für Johanna bereit
gestanden haben soll: denn nach dem Brauch jener Zeit waren
solche den Herolden und den Erzengeln vorbehalten.3) Ritt
Johanna wirklich auf einem solchen in Orleans ein, so möchte
man vermuten, daß kundige Arrangeure die Hand im Spiele
hatten, oder der Schimmel ist ein Phantasiegebilde. Ebenso
wird es wohl mit dem Reiterkunststückchen stehen, durch das
nach demselben Bericht Johanna allgemeine Bewunderung er-
regt haben soll, indem sie, ihrem Schimmel die Sporen gebend,
geschickt das Feuer erstickte, welches eine der vor ihr her-
getragenen Standarten ergriffen hatte, die mit einer der von
der Menge angezündeten Fackeln in Berührung gekommen
war.4)
Ob Johanna selbst eine rechte Vorstellung von der Lage
hatte, in die sie gegen ihre Absicht durch den Einzug in Or-
leans gebracht war, und ob sie sich ein Bild von dem machen
konnte, was nun geschehen sollte, als sie sich müde und matt
und wundgescheuert von dem Druck der ungewohnten Rüstung,5)
die sie seit dem Aufbruch von Blois nicht abgelegt hatte, sich
in dem ihr bereiteten Quartier im Hause des Schatzmeisters
*) Vgl. die lebhafte Schilderung im Journal du siege S. 79.
2) Vgl. die Aussage des davon ebenfalls als Augenzeuge berichten-
den Bürgers von Orleans Jean Lullier Proces III S. 23.
3) France I S. 313.
4) Ayroles, a. a. 0. III S. 467 schreibt die Geschicklichkeit Johannas
im Reiten ebenso wie ihre plötzliche militärische Begabung einer ihr,
der darin nach ihrer eigenen Angabe völlig Unerfahrnen, durch ein Wun-
der unmittelbar von Gott verliehenen Fähigkeit zu!
6) Aussage des mit nach Orleans übergesetzten Louis de Contes,
Proces III S. 68.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 73
des Herzogs von Orleans Jacques Boucher1) zur Ruhe nieder-
legte, um erst um die Mittagsstunde des 30. April durch das
die Stadt erfüllende Waffengetöse aus dem Schlaf aufgeschreckt
und an ihren kriegerischen Beruf gemahnt zu werden, zugleich
aber von neuem die unangenehme Erfahrung zu machen, daß
die berufenen Leiter der Verteidigung sie bei Seite zu schieben
und ohne Rücksicht auf ihren Rat von ganz anderen Gesichts-
punkten aus zu handeln gewillt waren?
IV. Die Rettung von Orleans.
Betrachtet man die Lage von Orleans, wie sie sich nach dem
Einzug Jeanne d'Arcs am Abend des 29. April gestaltet hatte,
unbefangen und außerhalb der Beleuchtung, in welche die Le-
gende sie gerückt hat, so war dieselbe doch nur insofern ge-
bessert, als die Lebensmittel und Kriegsmaterialien, die hinein-
gebracht waren, der Bürgerschaft und der Besatzung noch
längeren Widerstand ermöglichten. Mehr hatte Johanna zu-
nächst auch nicht beabsichtigt, und demgemäß war sie der
naiven Meinung, das würde genügen, um die Engländer von
der Aussichtslosigkeit ihres Unternehmens zu überzeugen und
zum Abzug zu bestimmen. Deshalb hatte sie ihre Mission
auch eigentlich bereits als erfüllt angesehen und ebenfalls nach
Blois zurückkehren wollen, zumal sie dem Versprechen der Ka-
pitäne alsbald wiederzukehren mißtraute — mit gutem Grund:
hören wir doch, daß in dem zu Blois gehaltenen Kriegsrat,
wohl unter dem Einfluß des Erzbischofs von Reims , des
Hauptgegners der Jungfrau am Hofe, die Neigung vorherrschte,
man solle heimkehren und die Lothringerin ihrem Schicksal
überlassen.2) Nach Rücksprache mit Dunois schickte diese
einen schon in Blois von ihren schriftkundigen geistlichen
Beratern zu diesem Zweck aufgesetzten Brief in französischer
Sprache, der unter Hinweis auf den Willen Gottes und die
1) Boucher, a. a. 0. S. 69 u. 103—4.
2) Chronique de la Pucelle, Proces IV S. 221.
7 I 1. Abhandlung: Hans Prutz
den Ungehorsam gegen diesen bedrohende Strafe1) die Auf-
forderung zum Abzug enthielt, durch einen Herold in das
feindliche Lager.2) Er hatte natürlich nicht den erwarteten
Erfolg, wurde vielmehr mit Schmähreden und Drohungen be-
antwortet, der Überbringer aber gegen Kriegsgebrauch fest-
gehalten. Von einem Entsatz von Orleans war also jetzt so
wenig die Rede wie bei den Zuzügen, die früher schon mehr-
fach in die Stadt gelangt waren, vielmehr traten die Truppen,
die den Transport geleitet hatten, wirklich den Rückmarsch
nach Blois an, selbst die von Jean Pasquerel geführte Schar
Geistlicher, die voranmarschiert war, schloß sich ihnen an.3)
Man begreift, daß der Bastard Johanna um jeden Preis zu-
rückhalten wollte: hätte diese sich ebenfalls entfernt, so wäre
das Ergebnis des Unternehmens enttäuschend dürftig gewesen.
Denn Proviant- und Munitionszüge waren auch sonst schon
mehrfach in die Stadt gelangt, sodaß ihnen einen neuen folgen
zu lassen füglich nicht für eine außerordentliche Leistung
gelten konnte. Den davon zu fürchtenden Eindruck zu ver-
meiden hat Dunois Johanna zum Bleiben bestimmt. Daß diese
sich fügte, machte auf ihn einen günstigen Eindruck: er be-
kennt nun erst Zutrauen zu ihr gefaßt zu haben. Die Bürger
von Orleans aber begrüßten sie bereits als von Gott gesandte
Retterin und nahmen sie mit entsprechenden Ehren auf.4)
Überraschen könnte dabei die Anpassungsfähigkeit, mit der
Johanna sich in die neue Situation fand und sie als etwas
Selbstverständliches hinnahm. Auch bei angeborener unge-
wöhnlicher Gewandtheit muß sie von ihrer Umgebung gut be-
raten und geschickt geleitet worden sein, um sich so anstoßlos
in die neuen Verhältnisse zu finden. Doch scheint in dieser
*) Vgl. Prutz, Die Briefe der Jungfrau von Orleans, a. a. 0. S. 11 ff.
2) Aussage des damals in Orleans anwesenden Jean Lullier, Proces
III S. 23. Vgl. Journal du siege S. 79 und Chronique de la Pueelle
S. 220-1.
3) Ayroles IV S. 225.
4) Proces III S. 6. Vgl. die Aussagen von Simon Beaucroix, ebd.
S. 78 und Jean d'Aulon S. 211.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 75
auch mancher bestrebt gewesen zu sein, sein eignes Interesse
wahrzunehmen und den Glanz, der Johanna umgab, für sich
auszunutzen. Denn nach Ausweis der städtischen Rechnungen
von Orleans erhielten nicht bloß die Begleiter der Jungfrau,
„die nichts hatten, um ihren Hunger zu stillen", aus Mitteln
der Stadt eine Beihülfe, sondern wurde auch deren Bruder
Jean sowohl Unterhalt als auch eine standesgemäße Ausstat-
tung gewährt. Er und sein Bruder Pierre bekamen ferner
auf städtische Kosten Schuhe und Gamaschen und schließlich
ein Ehrengeschenk von je drei Goldstücken , die erst um
schweres Geld beschafft werden mußten. Man gewinnt doch
den Eindruck, als habe die angeblich ja nicht unbemittelte
Familie d'Arc das überraschende Glück ihrer Tochter und
Schwester skrupellos benutzt, um sich zu bereichern. Dem
alten d'Arc wurde im September 1429 die Heimkehr durch
das Geschenk eines Pferdes ermöglicht, und Johannas Brüder
haben nachmals die Freigebigkeit des Rates von Orleans mehr-
fach in Anspruch genommen.1) Hat doch nach einigen Jahren
Jean der Abenteurerin Vorschub geleistet, welche sich für
seine dem Feuer entgangene Schwester ausgab, und darauf-
hin wiederum Unterstützungen aus der städtischen Kasse von
Orleans bezogen.2) Von Johanna selbst wissen wir, daß sie
in Orleans ein Haus erwarb. Jetzt wurden die Brüder d'Arc
außerdem in dem Hause des Bürgers Theremin Villedart ein-
logiert, während Johanna mit ihrer nächsten Umgebung in
dem des Jacques Boucher blieb, von dessen Frau und Tochter
der Sitte der Zeit gemäß respektvoll als Lagergenossin ge-
halten.3) Die Kosten trug ebenfalls die Stadt, wie auch die
für die Wartung und Fütterung der anderwärts untergebrachten
Pferde der Jungfrau. Auch Wein und gelegentlich ein wohl-
schmeckender Fisch sind dieser von der Stadt geliefert, des-
1) Vgl. Proces V S. 141; S. 259-60 und auch Champollion-Figeac,
Louis et Charles Ducs d'Orleans S. 367—8 und France II S. 29 ff.
2) Vgl. Prutz, Die falsche Jungfrau von Orleans, a. a. 0. S. 8.
3) France I S. 316.
7G 1. Abhandlung: Hans Prutz
D '
gleichen Stoff, um sich Nesseln, das Abzeichen der Getreuen
des Herzogs von Orleans, auf ihre Kleidung nähen zu lassen.1)
Diesen Ehrenbezeugungen, welche die Bürgerschaft der
Abgesandten des Himmels erwies, entsprach freilich die Stel-
lung nicht, welche diese in militärischen Dingen einnahm.
Während sie nach der Legende alsbald die Leitung des Kampfes
gegen die Engländer in der Hand gehabt hätte, enthalten die
Aussagen der an den folgenden Ereignissen mithandelnd be-
teiligten Personen mehr als einen Zug, nach dem das tat-
sächlich nicht so gewesen sein kann. Vielmehr hat es an-
fangs offenbar an dem rechten Zusammenwirken zwischen Jo-
hanna und den bisher die Verteidigung leitenden Kapitänen
gefehlt. Der Verlauf scheint ungefähr der gewesen zu sein,
daß letztere in begreiflichem Mißtrauen die Lothringerin von
einem bestimmenden Anteil an den Operationen möglichst aus-
schlössen, während die Masse der städtischen Bevölkerung den
Kampf von ihr geleitet sehen wollte und damit unter dem
Eindruck von deren ersten Erfolgen auch durchdrang.
Als Augenzeuge berichtet Louis de Contes, ein Genosse
des greisen Marschalls de Gaucourt, am Morgen des 30. April
habe Johanna sich zu einer Besprechung mit Dunois begeben,
sei aber in hellem Zorn heimgekehrt, weil jener von einem
sofortigen Angriff auf die Engländer nichts wissen wollte.2)
Dafür wird ein so bewährter Krieger wohl seine guten Gründe
gehabt haben. Sie liegen zudem auf der Hand: noch wäh-
rend der Nacht hatte Marschall Broussart mit seinen Leuten
die Stadt verlassen, um den von Blois her erwarteten Verstär-
kungen entgegenzuziehen und sie sicher durch die englischen
Stellungen zu geleiten, und Dunois selbst war im Begriff das
Gleiche zu tun. So ging Johanna wenigstens bis zu der äußer-
sten Verteidigungslinie und richtete an die Engländer drüben
die Aufforderung zum Abzug mit den üblichen Drohungen für
den Fall des Bleibens. Jene blieben die Antwort nicht schul-
dig, sondern ergingen sich in gemeinen Schimpfreden gegen
') Proces V S. 259-60. 2) Ebd. III S. 68.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 77
sie. Im übrigen blieb zunächst alles ruhig, während Johanna
die Zuversicht geäußert haben soll, auch die den von Blois
her erwarteten Truppen entgegengezogenen Mannschaften wohl-
behalten zurückkehren zu sehen. Dann legte sie sich — so
•berichten die genannten Augenzeugen — zur Ruhe nieder, und
ihre Gefährten taten das Gleiche. Plötzlich sei sie aufgefahren,
habe ihr Lager jählings verlassen mit dem Rufe: „Im Namen
Gottes. Unsere Leute haben schwere Arbeit!" oder — so stellt
Louis de Contes die Sache dar — diesen angeherrscht: „Un-
glücksknabe, warum sagst du mir nicht, daß französisches Blut
vergossen wird?" Stürmisch habe sie ihre Waffen verlangt,
bei deren Anlegung Bouchers Frau und Tochter ihr dienst-
fertig halfen, ihr Pferd vorzuführen befohlen, und im Auf-
steigen ihr Banner, das im oberen Stockwerk verwahrt war,
sich durch das Fenster herabreichen lassen.1) So ist der ein-
fache, durchaus natürliche Verlauf dieser Szene, des ersten
Eintretens Jeanne d'Arcs in eine militärische Aktion. Der
Legende genügte er nicht: woher wußte Johanna von dem in-
zwischen entbrannten Kampf vor der Stadt? Sie machte aus
der Zuversicht auf die Ankunft der erwarteten Truppen eine
Voraussagung derselben und ließ Johanna auch von dem Kampf,
dessen in die Stadt dringender Lärm sie geweckt hatte, auf
übernatürlichem Wege Kenntnis erhalten. Entgegen der von
dem Bastard am Morgen der Jungfrau gegebenen Erklärung,
man wolle an diesem Tag Ruhe halten, war nämlich La Hire,
der Typus des verwegenen Berufssoldaten jener Zeit, mit et-
lichen anderen Kapitänen doch ausgezogen und hatte ein zwei
Pfeilschüsse weit nördlich vor der Stadt gelegenes englisches
Werk bei Saint Pouaire angegriffen und genommen. Die Kunde
davon erfüllte die Stadt mit freudiger Bewegung, zumal der
Ruf ertönte, man möge schnell Holz und Reisig herbeischaffen,
!) Ebd. S. 68—9 und S. 78—9. Louis de Contes wirft freilich die
Vorgänge vom 30. April irrigerweise zusammen mit denen vom 4. Mai,
indem er von einem Scharmützel bei St. Loup und von dessen Einnahme
spricht, während es sich am 30. April um ein Gefecht im Norden der
Stadt bei St. Pouaire handelte.
78 1. Abhandlung: Hans Prutz
um das Werk niederzubrennen, und lärmend strömte die Menge
dem Tore zu.1) Das die Stadt erfüllende Getümmel weckte
Johanna: was es bedeutete, konnte nicht zweifelhaft sein. Daß
sie dahin gehörte, wo französisches Blut floß, war zweifellos.
Bald sprengte sie, von den Ihren gefolgt, dem Schauplatz des-
Kampfes zu. Von irgend welchem Wunder findet sich bei
alledem keine Spur. Wohl aber lehrt der Vorfall, daß die
bisher in Orleans befehligenden Kapitäne keine Lust hatten
der Jungfrau Platz zu machen: offenbar hatten La Hire und
seine Genossen durch die Beschäftigung der Engländer dem
erwarteten Zuzug den Einmarsch in die Stadt erleichtern wollen.
Das wurde denn auch erreicht.
Ganz ungezwungen, einander ergänzend und erläuternd
fügen sich die Aussagen der damals bei Johanna befindlichen
und an den fraglichen Vorgängen beteiligten Persönlichkeiten
über den Verlauf des 30. April zu dem hier gegebenen Bilde
zusammen. Dennoch hat der jüngste französische Biograph
Johannas, Anatole France, an seine Stelle ein Phantasiegemälde
gesetzt, nach dem es sich bei dem Ausfall gegen Saint-Pouaire
um eine eigenmächtige Unternehmung der mit dem Zögern
der Kapitäne unzufriedenen tatenlustigen Menge gehandelt
haben soll, mit der diese sich dem Regiment des kriegerischen
Adels und seiner Soldateska entziehen wollte. Davon weiß
keiner jener Zeugen etwas, auch steht der weitere Verlauf -der
Dinge während der nächsten ereignisreichen Tage damit in
Widerspruch, wie gleich die Tatsache, daß noch am Abend
des 30. April Johanna gemeinsam mit Dunois bei dem eng-
lischen Feldherrn energische und erfolgreiche Schritte tat zur
Befreiung ihres widerrechtlich zurückgehaltenen Herolds.2)
Sonst sah diese sich auch die nächsten Tage noch zur Un-
tätigkeit verurteilt. Am 1. Mai zog Dunois den von Blois er-
warteten Mannschaften entgegen. Täuschte Jean d'Aulon sein
Gedächtnis nicht, so geleitete die Jungfrau ihn vor die Tore
zur Deckung gegen einen englischen Angriff.3) Dabei mag
i) Journal du siege S. 78. 2) Ebd. S. 79.
3) Ebd. und Proces III S. 211.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 79
es denn auch zu dem im Journal du siege erwähnten zweiten
Gespräch mit den englischen Feldherrn gekommen sein,1) das
wiederum in Schimpfen und Schmähreden bestanden haben
dürfte.
Mit wachsender Ungeduld wartete die Menge auf die ver-
heißenen Taten der Abgesandtin Gottes. Neugierig strömte
sie nach dem Hause des herzoglichen Schatzmeisters bei der
Porte Renard und umstand dasselbe dichtgedrängt, um das
Wundermädchen zu Gesicht zu bekommen, ja zuweilen schien
sie den Eintritt erzwingen zu wollen. Ihre Schaulust zu be-
friedigen und ihre Zuversicht rege zu erhalten, unternahm
Johanna schließlich in Begleitung einiger Kitter und Knappen
einen Umritt durch die Stadt. Wo sie sich zeigte, strömte
das Volk zusammen, sodaß sie kaum vorwärts kam. Man staunte,
wie gut sie im Sattel saß und wie elegant sie ihr Pferd lenkte,
wie der Berichterstatter bereits bei der Schilderung ihres Ein-
zugs in Orleans bemerkt hatte.2) Ähnliches wiederholte sich
am 2. Mai, als sie hinauszog, um die Angriffswerke der Eng-
länder zu besichtigen, namentlich als sie zurückkehrte und sich
in die Kirche Sainte-Croix begab, um die Vesper zu hören.3)
Bei solchen Gelegenheiten dürfte sie dann wohl auch die mah-
nenden Worte an die Menge gerichtet haben, die Jean Lullier
von ihr gehört haben will, man möge Gott vertrauen und nicht
an der Rettung aus der Hand der Feinde zweifeln.4) Auch
kamen am 3. Mai beträchtliche Verstärkungen aus Montargis,
Gien, Chateaurenard, Chateaudun und dem Gatinois, gut aus-
gerüstete Leute, und von der Beauce her der Marschall von
Saint-Severe, von den Engländern ungehindert. Noch an die-
sem Tage wurde bei Fackelschein eine Prozession gehalten,
um die Gnade des Himmels für den nun nahenden Entschei-
dungskampf zu erflehen.5) Am Morgen des 4. Mai hielt dann
1) Journal du siege S. 80: Le mesme jour parla de rechef la Pu-
celle aux Anglois.
2) Vgl. oben S. 72. 3) Journal du siege S. 81. 4) Proces III S. 24.
5) Vgl. die Stadtrechnungen Proces V S. 259 mit dem Aufwand für
die dabei gebrauchten Fackeln.
SO 1. Abhandlung: Hans Prutz
auch Dunois mit den von Blois her erwarteten Mannschaften,
denen er entgegengegangen war, mit fliegenden Fahnen seinen
Einzu^. Wie hoch die Zahl der Verteidiger von Orleans durch
diese Verstärkungen gestiegen sein mag, läßt sich nicht mit
Sicherheit sagen. Ganz phantastisch ist die spätere Angabe
Johannas, es seien ini ganzen 10 — 12 000 Mann in Orleans
eingezogen. *) Jedenfalls aber müssen die Verteidiger der Stadt
den Engländern jetzt beträchtlich überlegen gewesen sein, zu-
mal diese ihre Leute in die dreizehn die Stadt umgebenden
Bastillen verteilt lassen mußten und nicht ohne weiteres zu-
sammenwirken konnten. Freilich sollte ein neues englisches
Heer unter Lord Fastolf im Anmarsch sein, die Loire herab-
ziehend den Belagerern Proviant und Kriegsgerät zuzuführen.
Nach der Aussage Jean d'Aulons äußerte die Jungfrau ihre
Freude über den Anmarsch der Feinde und soll den Bastard
— doch wohl scherzend — mit Enthauptung bedroht haben,
falls er sie die Ankunft Fastolfs nicht rechtzeitig wissen ließe.
Derselbe Zeuge berichtet weiter, ermüdet habe er sich nach-
mittag niedergelegt und sei eingeschlafen; die Jungfrau habe
ein Gleiches getan, sei dann aber plötzlich beunruhigt aufge-
fahren und habe auf die Frage, was denn los sei, geantwortet:
.Im Namen Gottes! Mein Rat — d. h. ihre Stimmen — hat
mir befohlen gegen die Engländer zu ziehen: aber ich weiß
nicht, ob ich gegen die Bastillen oder gegen Fastolf ziehen
soll." Dann sei sie auf die Straße geeilt, wo die aufgeregte
Meno-e von harter Bedrängnis der Franzosen in einem mit den
Belagerern entbrannten Kampf gesprochen habe, habe einem
dort zu Pferde haltenden Knappen befohlen abzusteigen und
sich in den Sattel geschwungen; die Lanze im Arme sei sie
ostwärts nach der Porte de Bourgogne gesprengt. An diesem
Bericht, der durch die Aussage einer damals in Orleans an-
wesenden Frau im wesentlichen bestätigt wird,2) überrascht
die Ähnlichkeit mit der Szene, die sich am 30. April abge-
spielt haben sollte, als die Jungfrau aus der mittäglichen Ruhe
!) Boueher, a. a. O. S. 25— 2G. 2) Proces III S. 123—24.
Keue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 81
durch den Lärm aufgeschreckt wurde, den die Kunde von der
Wegnahme des englischen Werks bei Saint-Pouaire verursacht
haben sollte, und die Bürger zur Niederbrennung desselben
eilten. Sollte sich wirklich innerhalb weniger Tage fast ganz
der gleiche Vorgang zweimal abgespielt haben? Sollten wir
es hier nicht vielmehr mit einem der Fälle zu tun haben, wo
die Legende sozusagen parallele Blütenzweige getrieben hat,
indem sie einen sachlich gleichgültigen, aber den Eindruck
steigernden und die Phantasie anregenden Zug, der in ähn-
lichem Zusammenhang einmal vorgekommen sein mochte, ohne
solche tatsächliche Begründung bei einem ähnlichen wieder-
kehren läßt? Bemerkenswert ist diese Darstellung der Art,
wie Jeanne d'Arc zur Beteiligung an dem wichtigen Kampf
vom Nachmittag des 4. Mai kam, auch weil sie von der rich-
tigen Anschauung ausgeht, sie habe denselben weder veran-
laßt noch geleitet. Woher sollte die lothringische Bäuerin,
die von der Lage der durch sie zu rettenden Stadt doch nur
eine ganz schattenhafte Vorstellung haben konnte, Verständnis
haben für die örtlichen Verhältnisse der ihr fremden Gegend
und im Stande sein den militärischen Wert der einzelnen Werke
richtig einzuschätzen und einem Dunois, La Hire, Gaucourt
und anderen von sich aus den Punkt bezeichnen, wo dem eng-
lischen Angriff zunächst entgegengetreten und der Entsatz der
Stadt eingeleitet werden mußte? Es ist eine völlig unwissen-
schaftliche Liebedienerei gegen künstlich großgezogene natio-
nale Vorurteile, wenn man der Nachwelt einreden will, Jeanne
d'Arc sei durch die Anweisungen ihres „ Rates"1) zu einer
Meisterin der Taktik und Strategik geworden. Hat sie doch
gerade in bezug auf das hier in Rede stehende Unternehmen
nach Jean d'Aulons Aussage vielmehr bekannt, gegen die Eng-
länder zu ziehen habe ihr „Rat" ihr zwar befohlen, doch nicht
gesagt, ob sie sich gegen die Bastillen oder gegen das unter
Fastolf nahende Heer wenden solle. Schon damit ist der ihr
von der Legende angedichtete leitende Anteil an der am Nach-
!) Proces III S. 78-79.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. hist. Kl. Jahrg. 1917, 1. Abk.
82 1. Abhandlung: Hans Prutz
mittag des 5. Mai erfolgenden Erstürmung der Bastille Saint-
Loup unvereinbar. Vielmehr hat sich diese, was Johannas
Beteiligung betrifft, wohl ganz ähnlich abgespielt, wie einige
Tage vorher die Wegnahme des Werkes bei Saint- Pouaire.
Wieder haben die Leiter des Unternehmens die Jungfrau von
ihrem Vorhaben nicht in Kenntnis gesetzt und nicht zur Teil-
nahme aufgefordert, das heißt sie haben sie von jedem Anteil
an der Befehlführung ausgeschlossen. Daher wird auch der
Erfolg, der endlich eine günstige Wendung in dem Schicksal
der Stadt einleitete, nicht als Ruhmestitel für sie in Anspruch
genommen werden dürfen. Dieser Sachverhalt wird auch aus
den den Ereignissen am nächsten stehenden zeitgenössischen
Quellenangaben erkennbar, sobald man sie genau nimmt und
unabhängig von der später entwickelten Tradition auffaßt.
Etliche Kilometer östlich von Orleans, an der nach Bur-
gund führenden Straße lag das stattliche Cisterzienser-Nonnen-
kloster Saint-Loup, damals freilich noch nicht, wie heute, un-
mittelbar an der Loire, deren später veränderter Lauf in jener
Zeit noch weiter gegen Süden ausbog. l) Unter Benutzung
der zugehörigen Gebäude, auch der Kirche, hatten die Eng-
länder daraus eine ihrer wichtigsten Bastillen gemacht: sie
beherrschte den Zugang zur Stadt und sicherte ihnen die Ver-
bindung nach rückwärts. Der Angriff auf Saint-Loup war
demnach das Nötigste und Wichtigste, was zum Entsatz von
Orleans unternommen werden konnte. Wer ihn befohlen und
geleitet hat, ist nicht bestimmt überliefert: daß die Jungfrau
ihn nicht veranlaßt haben kann, geht aus der geschilderten
Szene hervor. Daß sie dabei den Befehl geführt, sich zuerst
kriegerisch betätigt habe, ist eine Fiktion späterer Zeit. Viel-
mehr gingen die verantwortlichen Kapitäne ohne sie zu Werk,
ließen sich aber ihre im weiteren Verlauf eintretende Mitwir-
kung gefallen, zumal sie dabei die Erfahrung machten, daß
sie auch ohne mit zu fechten, allein durch ihre Anwesenheit
Nutzen stiftete, indem sie ihre Leute zu ungewöhnlichem
x) Ayroles III S. 33.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 83
Kampfesmut begeisterte, die Gegner aber befing und ent-
mutigte. *)
Steht also fest, daß die Jungfrau den Angriff auf Saint-
Loup nicht von Anfang an mitgemacht hat2) und auch an
seiner Vorbereitung nicht beteiligt war, so ist damit zugleich
erwiesen, daß die bisherigen Leiter der Verteidigung Johanna,
von der man zudem wußte, daß auch am königlichen Hofe
allerlei Zweifel gegen sie laut geworden waren, trotz der zu
ihren Gunsten aufwogenden Volksstimmung beiseite schoben.
Daß man den Beginn dieses ersten, Johannas Ansehn begrün-
denden Kampfes nachmals so darstellte, als habe sie ihn nicht
bloß von Anfang an mitgemacht, sondern veranlaßt, ist be-
greiflich, zumal von dem Kreise, der sich Johanna alsbald
vertrauensvoll anschloß, wie der des Herzogs von Alencon.
So läßt auch Perceval de Cagny, dessen Denkwürdigkeiten, wo
sie auf Augenzeugenschaft beruhen, durch Unbefangenheit und
Sachlichkeit besondern Wert haben, in diesem Falle, wo er
nur von Hörensagen berichtet, die Jungfrau die Kapitäne ver-
sammeln und ihnen für den Angriff auf Saint-Loup die nötigen
Weisungen erteilen,3) und Jean Pasquerel schreibt die Unter-
nehmung ebenfalls einer Anregung Johannas zu, im Wider-
spruch mit der auch von ihm, freilich etwas modifiziert wieder-
gegebenen Szene ihres plötzlichen Rufes nach den Waffen.4)
Dagegen läßt ein angesehener Bürger von Orleans, der Notar
und Schöffe Guillaume Girault, in seiner kurzen Aufzeichnung
über die Ereignisse, die er in nächster Nähe mit erlebt hatte,
Saint-Loup einfach genommen werden „in Gegenwart und mit
Hilfe der Pucelle", schreibt dieser also eine hervorragende
Rolle dabei nicht zu.5) An ein tätiges Eingreifen derselben
1) Vgl. Gestes des nobles Francois bei Ayroles III S. 63 a. E.
2) So auch die Chronique de la Pucelle, Proces IV S. 223.
3J Perceval de Cagny S. 113: la Pucelle appelle les capi-
taines et leur ordonne
4) Proces III S. 106: .... ipsa Johanna instante iverunt ad in-
vadendum ....
5) Proces IV S. 282: .... present et aidant Jeanne la Pucelle ....
6*
B I 1. Abhandlung: Hans Prutz
in den Kampf wird auch nicht zu denken sein bei der An-
gabe des Perceval de Cagny, sie sei nur mit einigen Leuten
hinzugekommen und habe während des Sturms mit ihrem
Banner an dem Graben gestanden1): erschreckt hätten die
Engländer kapitulieren wollen, doch habe Johanna das abge-
lehnt, um sich des Werkes gewaltsam zu bemächtigen. Zu-
dem geben mehrere Quellen die Stärke der gegen die Bastille
ausgerückten Mannschaften auf 1500 „Gensdarmes", das ist Be-
rufssoldaten, und bewaffnete Bürger an, während die Besatzung
nach den einen 300, nach den andern 400 Mann betrug. Da-
zu stimmen auch die Angaben über die englischen Verluste.2)
Einen Versuch der Belagerer, durch einen Angriff an der Nord-
front von Saint- Pouaire aus ihren Kameraden in Saint-Loup
Luft zu machen, vereitelte ein Ausfall der Bürger.3) Schließ-
lich legten die Angreifer an die aus Holz hergerichteten eng-
lischen Werke Feuer, das auch den Glockenturm und die
Klostergebäude ergriff und den dorthin geflüchteten Verteidi-
gern den Untergang brachte. Nur Einzelne retteten sich in
die benachbarte Kirche und entkamen in schnell angelegten
geistlichen Gewändern, da Johanna aus Ehrfurcht vor der
geistlichen Tracht sie anzurühren verbot, wie sie auch streng
die Kirche und ihre Ausstattung schützte. Dazu würde es
auch stimmen, wenn Johanna nach der Angabe Jean Pasque-
rels den Tod so vieler Engländer vor allem deshalb beklagte,
weil sie ihr Leben hatten lassen müssen, ohne vorher ge-
beichtet zu haben.4) So befahl sie denn auch, vom nächsten
Tage an sollte keiner ihrer Leute zum Kampf ausziehen, ohne
sich vorher durch die Beichte auf den Tod vorbereitet zu
haben, und erklärte, wenn man dieser ihrer Weisung nicht
Folge leiste, werde sie das Heer verlassen.5)
a) A. a. O.: . . . . la Pucelle prit son estandart et vint se mettre
sur le bort des fossez.
2) Journal du siege S. 81 u. 82.
8) Vgl. die Zusammenstellung der in den verschiedenen Berichten
sich findenden Zahlen bei France I S. 338 Anm.
4) Proces III S. 106. 5) Ebd. S. 106-7.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 85
Eigentümliche Schwierigkeiten ergeben sich bei dem Ver-
suche festzustellen, was eigentlich an dem Tage geschehen ist,
welcher der Einnahme von Saint-Loup folgte, dem 5. Mai.
Zwischen den Angaben der im Mittelpunkt der Ereignisse
stehenden, zum Teil handelnd daran beteiligten Augenzeugen
bestehen Unklarheiten und Widersprüche, von denen auffallen-
derweise auch die neueren Geschichtsschreiber Jeanne d'Arcs
keine Notiz genommen haben.
Der 5. Mai war der Himmelfahrtstag. Deshalb hätte nach
Jean Pasquerel die Jungfrau am Abend des 4. Mai, wo der
Fall von Saint-Loup durch einen Dankgottesdienst und Pro-
zessionen gefeiert wurde,1) erklärt, wegen der Heiligkeit des
Tages wolle sie nicht kämpfen und auch die Waffen nicht an-
legen.2) Auch Perceval de Cagny haben seine Gewährsmänner
mitgeteilt, am 5. Mai sei nichts unternommen worden.3) Da-
gegen setzt der damals ebenfalls in Orleans anwesende Simon
Beaucroix den Angriff auf die links von der Loire gelegene
Bastille Saint-Jean-le-Blanc, die Einleitung zu dem Sturm auf
das englische Brückenfort Les Tourelles, augenscheinlich be-
reits auf den 5. Mai,*) und das Gleiche tut der selbst im Ge-
folge der Jungfrau befindliche Jean d'Aulon.5) Zudem steht
fest, daß die Franzosen, als sie vor Saint-Jean-le-Blanc er-
schienen, dieses bereits geräumt fanden: die Engländer hatten
sich ein Stück den Fluß abwärts in das Werk zurückgezogen,
das in dem Augustinerkloster dicht vor Les Tourelles errichtet
war. Zu einem Kampfe wäre es also nicht gekommen, auch
wenn der Marsch auf Saint-Jean-le-Blanc schon am 5. aus-
geführt wäre, und die Angaben Jean Pasquereis und Perce-
vals de Cagny würden insofern den Tatsachen entsprechen.
Nun berichtet aber das seinem Grundstock nach den Ereisf-
nissen gleichzeitige Journal du siege zum 5. Mai die Abhal-
tung eines Kriegsrats von Dunois, der Marschälle Saint-Severe,
x) Gestes des nobles Francois bei Ayroles III S. 613 a. E.
2) Proces III S. 107.
3) Chronique de Perceval de Cagny ed. Moravillie S. 144.
4) Proces III S. 79. 5) Ebd. S. 214.
86 1. Abhandlung: Hans Prutz
Gilles de Rays, Gaucourt, La Hire und anderer mit Jo-
hanna, um über die zu ergreifenden Maßregeln schlüssig zu
werden: man habe sich dahin geeinigt, am nächsten Tage, dem
6. Mai, einen Angriff auf Les Tourelles zu unternehmen. x) Auf
einen solchen Beschluß deutet auch Jean d'Aulon hin.2) Aber
beide Quellen räumen der Jungfrau dabei keinen besonderen
Einfluß ein, wissen auch nichts davon, daß die Vorbereitungen
zur Ausführung des Planes von ihr angeordnet seien, die Lei-
tung also in ihrer Hand gelegen habe. Vielmehr sagt das
Journal ausdrücklich, die Kapitäne hätten die nötigen Befehle
(reffeben.3) Nach der Stellung, die Jeanne d'Arc bisher in
Orleans eingenommen hatte, war dies auch nur das Natürliche.
Die Legende dagegen hat sie früh als die Leiterin der militä-
rischen Unternehmungen dargestellt, scheint dabei aber auf
Widerspruch gestoßen zu sein, namentlich bei dem kriegeri-
schen Adel, der die Verdienste, die sich seinesgleichen um die
Rettung von Orleans erworben hatte, nicht einfach auf Rech-
nung der Volksheldin gesetzt sehen wollte. Das lehrt nament-
lich der Bericht, den die Gestes des nobles Francois von den
Ereignissen des 5. Mai geben: er spricht der Jungfrau in sehr
wesentlichen Punkten das von der Tradition für sie in An-
spruch genommene Verdienst mit einer gewissen Absichtlich-
keit ab. Nach ihm hätte sie, um die Engländer zum Abzug
zu nötigen, am 5. Mai vorgeschlagen, deren Stellung bei Saint-
Laurent anzugreifen, den festesten Punkt der Angriffslinien,
sei damit aber nicht durchgedrungen, nicht bloß wegen der
Heiligkeit des Tages, sondern namentlich weil es doch darauf
ankäme, die Verbindung mit dem linken Loireufer und der So-
logne wiederzugewinnen, um die Heranziehung von Verstär-
kungen von Berry her zu ermöglichen. Darüber sei es an
diesem Tage überhaupt zu nichts gekommen, zum großen Miß-
vergnügen Johannas.4) Hier wird also, was sonst als Beweis
1) Journal du siege S. 82—3.
2) Proces III S. 213 a. E.: „fut conclus entre eulx".
3) Journal S. 83: „et pour ee fut par les capitaines commande . . ."
4) AyroleslII S. 613-14.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 87
für die Frömmigkeit der Jungfrau angeführt wird, der Ver-
zicht auf den Kampf an einem Feiertag, vielmehr den Kapi-
tänen als Verdienst angerechnet. Daß diese und die Ritter-
schaft an der Lothringerin, in der die Menge die zu ihrer
Rettung gesandte Himmelsbotin sah, mancherlei auszusetzen
hatte, geht übrigens auch aus einer höchst charakteristischen
kritischen Bemerkung hervor, die Jean Chartier einmal macht,
der erste zeitgenössische Geschichtsschreiber Karls VII., ein
wohlunterrichteter Mann, der seine Informationen vielfach aus
höfischen Kreisen erhielt. Er schildert mit einer Ausführlich-
keit,1) welche, in der Sache nicht begründet, auf eine beson-
dere Absicht schließen läßt, wie der Bastard von Orleans und
die andern Kapitäne Kriegsrat zu halten pflegten, ohne Jo-
hanna zuzuziehn, diese aber, nachträglich um ihre Meinung
gefragt, niemals den gefaßten Beschlüssen widersprochen, son-
dern denselben als den ihr gewordenen Offenbarungen ent-
sprechend zugestimmt habe. In diesem Fall aber habe sie den
Beschluß des Kriegsrats, der ihr nachträglich und nicht gleich
vollständig mitgeteilt sei, mit Unwillen aufgenommen, schließ-
lich jedoch sich gefügt, im übrigen aber nicht selten den Un-
mut der Kapitäne erregt, weil sie sich auf eigne Hand in
Scharmützel einließ, indem sie „in voller Rüstung wie ein zum
Hof gehöriger Ritter" auf die Feinde einsprengte. Ganz so,
wie es ihr hier zum Vorwurf gemacht wird, schildert Jean
d'Aulon2) das eigenmächtige Vorwärtseilen Johannas und La
Hires bei der Einleitung des Augriffs auf die Bastille bei dem
Augustinerkloster und Les Tourelles.
Der Verlauf der Ereignisse der beiden folgenden Tage, des
6. und 7. Mai, die zum Abzug der Belagerer am 8. Mai führten,
steht im wesentlichen fest : aber auch da finden sich in Bezug
auf Einzelheiten zwischen den Angaben der zeitgenössischen
Quellen Abweichungen und Widersprüche, welche für die Sache
zwar ohne entscheidende Bedeutung sind, doch beweisen, wie
1) Jean Chartier, Histoire de Charles VII, roi de France, ed. Vallet
de Viriville I S. 74—6.
2) Proces III S. 214.
88 1. Abhandlung: Hans Prutz
verschieden damals selbst in den Kreisen der Nächstbeteiligten
die Jungfrau aufgefaßt und ihr Wirken beurteilt wurde, und
daß da gewisse Strömungen miteinander stritten, von denen
jede die werdende Tradition in ihrem Sinne zu beeinflussen suchte.
Sie betreffen in erster Linie wiederum die Frage nach der
Leitung der von so glänzendem Erfolge gekrönten Operationen:
je nach der Vorstellung, die der Berichterstatter davon hat,
wird auch sonst noch der eine oder andere Punkt von ihm in
einem andern Lichte gesehen und demgemäß dargestellt. Man
erhält da vollends den Eindruck, als hätten bei Feststellung des
von der Tradition zu rezipierenden Bildes gewisse Tendenzen
einander gegenübergestanden, in denen sich die Gegensätze
wiederholten, die, während die Dinge geschahen, miteinander
gerungen und die günstige Entwicklung mehr als einmal, wenn
nicht gerade in Frage gestellt, so doch erschwert und verzögert
hatten.
Bemerkenswert ist da zunächst wiederum die Stellung des
Journal du siege. Daß ein Tagebuch, welches die Ereignisse
in Orleans vom 12. Oktober 1428 bis zum 8. Mai 1429, während
sie geschahen, verzeichnete, das Auftreten Johannas in Lothringen
und am Hofe erst nachträglich bei der Überarbeitung der ur-
sprunglichen Notizen behandeln konnte, die darauf bezüglichen
Angaben also als späteren Einschub kenntlich machen mußte,
war natürlich. Begreiflich ist es ferner, daß die tapferen Männer,
welche Orleans Monate hindurch verteidigt hatten, das Erscheinen
der lothringischen Bäuerin mit ihrem psalmodierenden Gefolge
von Buße predigenden Geistlichen und eifernden Mönchen trotz-
dem ihr voraufgegangenen Ruf zunächst mit Befremden und nicht
ohne ernste Zweifel an dem Ausgang beobachteten. Von Begeiste-
rung für dieselbe, wie sie infolge der seit Wochen hoch ge-
spannten Erwartung und unter dem Eindruck ihres theatralisch
zurecht gemachten Einzugs in der Menge sich regte, zeigte sich
in diesem Kreise keine Spur. Zwar ließ man ihren Einfluß
auf die Masse nicht unbenutzt, hütete sich aber wohlweislich
ihrem ungeduldigen Drängen auf einen sofortigen Entscheidungs-
kampf nachzugeben. Sie blieb von den Beratungen der Kapi-
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 89
täne ausgeschlossen ; die von diesen vereinbarten Unternehmungen
führte man aus, ohne sie davon zu benachrichtigen, so daß
sie erst durch das Getöse des Kampfes und die in der Stadt
entstandene Unruhe davon Kunde erhielt und hinzueilen konnte,
oder weihte sie in die entworfenen Pläne nur teilweise ein. Das
mußte zwischen Jeanne d'Arc und den bisherigen Leitern der
Verteidigung Gegensätze hervorbringen, wie sie bei den Ereig-
nissen des 6. und 7. Mai zutage getreten zu sein scheinen
und wie sie auch die Überlieferung widerspiegelt. Wie wäre
es sonst wohl zu erklären, daß das wohlunterrichtete und streng
sachlich gehaltene Journal du siege abweichend von allen andern
Quellen die Rettung der Stadt nicht Johanna zuschreibt, sondern
der Intervention von zwei Lokalheiligen ? In der nach heißem,
den ganzen Tag dauernden Ringen geglückten Erstürmung von
Les Tourelles sieht es, ganz in der Denkweise des waffenfrohen
Rittertums der Zeit, das den Tod jedes vornehmen Gegners
als einen finanziellen Verlust beklagte, weil das im Fall seiner
Gefangennahme zu hoffende Lösegeld wegfiel,1) „eine der schön-
sten Waffentaten, die seit langer Zeit geschehen",8) führt sie
zurück auf ein Wunder, das Gott auf Fürbitte der beiden
Schutzheiligen von Orleans, Saint-Aignan und Saint-Evurtre,
getan, und sieht den Beweis dafür darin, daß die Engländer
geglaubt hätten immer neue Massen heranstürmen zu sehen.
Daß weiterhin auch der Jungfrau ein Anteil an dem Erfolge
beigemessen wird, läßt den Bericht nicht weniger befremdlich er-
scheinen, zumal das Eingreifen der beiden Heiligen als allgemein
geglaubt bezeichnet wird.3) Auf eine ähnlich niedrige Einschät-
zung des von der Jungfrau Geleisteten weist es hin, wenn, wie
erwähnt, Guillaume Girault den Anteil derselben mit den Worten
abtut, sie sei bei der Rettung der Stadt durch des Königs
*) S. 87 a. E.: qui (was, d. i. der Tod der englischen Ritter in Les
Tourelles durch Ertrinken) fut grand dommaige des vaillants Francois,
qui pour leur rancon eussent pu avoir grant finance.
z) Ebd. S. 88: .... que c'est un des plus beaulx fais d'arme qui eust
este faict long temp par avant.
3) Ebd.: selon la commune opinion.
90 1. Abhandlung: Hans Prutz
Leute und die Bürger „zugegen gewesen und habe dabei ge-
holfen".1) Dazu genügte es freilich, daß sie, wie die Augen-
zeugen Dunois, Louis de Contes und Jean Lullier berichten, mit
ihrem wundertätigen Banner am Rand des Grabens stand und
den Stürmenden Mut einsprach.2) Soll sie doch den Augen-
blick, wo ihr Banner den Wall berühren würde, als den des
Sieges bezeichnet haben.3) Überhaupt scheint sie damals sich
des unmittelbaren Anteils am Kampf, des üreinschlagens ent-
halten zu haben, was freilich die Möglichkeit einer Verwundung
nicht ausschloß. Von einer solchen berichten die Quellen mehr-
fach. Ein Pfeilschuß soll sie während des Sturms auf die
Bastille bei dem Augustinerkloster am 6. Mai zwischen Schulter
und Nacken getroffen haben, während sie nach einer vereinzelten
Angabe schon vorher am Fuß verwundet worden wäre.*) Von
jener sagt Dunois, Johanna habe ihrer nicht geachtet, sondern
sei auf ihrem Posten geblieben, Pasquerel dagegen läßt sie gar
nicht heldenhaft weinen und klagen und sich erst allmählich
beruhigen, um die zudringliche Neugier der dem Verbinden
zusehenden Soldaten mit frommen Worten abzuwehren. Da-
gegen wollen Spätere wissen, sie sei nach Empfang der Wunde
erblaßt, habe sich aber nicht beiseite führen lassen.5) Aber
auch noch in anderer Richtung wurde das damit gegebene Motiv
ausgenutzt: in der Chronik von Tournay, welche die offiziösen
Berichte benutzte, die vom Hofe verbreitet wurden, findet sich
eine auffallende Ausmalung des Zwischenfalls. Die Jungfrau,
heißt es da, sei über die Wunde mehr erfreut als erschreckt
gewesen und habe, während sie sich den Pfeil auszog und
etwas Leinwand und Olivenöl auflegte, zu ihrer Umgebung ge-
sagt: Jetzt ist es um die Macht der Engländer vollends ge-
schehen, denn die Wunde ist das Zeichen ihrer Verwirrung
!) Proces IV S. 282.
2) Ebd. III S. 8 a. E., 25 u. 70 a. E. und Perceval de Cagny S. 146.
3) Vgl. auch die Aussage von Beaucroix über den gleichen Erfolg
bei Les Tourelles, Proces III S. 80. Jean Lullier, ebd. S. 25.
4) Chronique de la Pucelle, Proces IV S. 226 a. E.
5) Ebd S. 227.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 91
und ihres Elends, das mir von Gott enthüllt ist, das ich bisher
aber nicht offenbart habe.1) Wäre der Zug historisch, so
würde er nur von der Geistesgegenwart zeugen, mit der Johanna
einen unliebsamen Zwischenfall nutzbar zu machen wußte.
Danach habe sie, so heißt es in der Chronik von Tournay
weiter, sich alsbald waffnen lassen, ihre Lanze ergriffen und mit
ihr in der Hand das Antlitz zum Himmel gewandt sich den
Anschein gegeben, als ob sie zu Gott betete r dann sei sie zu
den Gewaffneten zurückgekehrt, um ihnen den Punkt zu be-
zeichnen, wo die Bastille angegriffen werden müßte.2) Und was
hat die Legende aus dieser Szene gemacht? Sie läßt die Jung-
frau mit ihrem Banner beiseite reiten — obgleich es doch
an sich schon sehr unwahrscheinlich ist, daß sie bei einem
Sturm zu Pferde gewesen sein sollte! — , absteigen und beten.
So erzählt der Redaktor des Journal du siege3) wohl auf Grund
eines damals bereits umlaufenden Berichtes, den wir in breiteren
Worten in der Chronique de la Pucelle wiederfinden.4) Der-
selbe befängt selbst die Erinnerung Dunois1, so daß der Held
von einem etwa viertelstündigen Gebet der Jungfrau in einem
weit ab von dem Getümmel gelegenen Weinberg wissen wollte.5)
Sollte vielleicht das Gebet Johannas im Weinberg ein wirk-
sames Seitenstück abgeben zu dem des Heilands in Gethsemane?
Weiter soll Johanna die Befreiung von Orleans als binnen fünf
Tagen bevorstehend verkündet und beim Aufbruch gegen Les
Tourelles erklärt haben, sie werde von dort über die Loire-
brücke in die Stadt zurückkehren, was nach alledem freilich
wenig bedeutet hätte.
Wie früh der im Grunde so einfache historische Tatbestand
mit legendären Elementen verschiedener Herkunft und verschie-
denen Charakters durchsetzt wurde, wird damit erwiesen sein.
Zwar betreffen alle diese Zudichtungen mehr das Bild der Jung-
l) Ayroles III S. 623.
2J Chronique de Tournay bei Ayroles III S. 623: „fist serablant
faire oraison ä Dieu, la face relevee vers le ciel. Et ce fait eile re-
tourna aux gensdarmes et leur remontra un Heu etc "
3) Ebd. S. 86. 4) Proces IV S. 428. 5) Ebd. III S. 8.
92 1. Abhandlung: Hans Prutz
ftau persönlich, als das der Kämpfe, denen sie beiwohnte.
Aber auch dieses ist früh so umgestaltet worden, daß es der
aus politischen Gründen schnell über das berechtigte Maß hinaus
gesteigerten Bedeutung der Jungfrau wirksam zur Folie diente.
Was da insbesondere von dieser als Leiterin der militärischen
Operationen berichtet wird und sie bei ihren modernen Ver-
herrlichern in den Ruf einer großen Taktikerin und Strategin
gebracht hat, steht mit den maßgebenden Quellen in Wider-
spruch. Insbesondere steht fest, daß über die entscheidenden
Operationen zwischen ihr und den Kapitänen die ernstesten
Differenzen bestanden haben. Wenn die Letzteren schließlich
nachgaben, so geschah es nicht, weil sie die militärische Ein-
sicht Johannas als überlegen anerkannten, sondern weil sie
mit der populären Bewegung rechnen mußten, die sich für
diese geltend machte.
Wenn die Angabe des Perceval de Cagny,1) die Jungfrau
habe am Abend des kampflos verlaufenen 5. Mai befohlen,
in der Frühe des nächsten Morgens sollte sich jedermann bereit-
halten, den Tatsachen entspräche und nicht bloß später ein-
getretene Verhältnisse auf diese frühere Zeit übertrüge, so
würde daraus zu schließen sein, daß das Verhältnis Johannas
zu den Kapitänen schon äußerst gespannt war und ein rechtes
Zusammenwirken der in der Stadt befindlichen Berufssoldaten
mit der um Johanna gescharten Bürgerschaft kaum zu erwarten
stand. Auch bezeugt Louis de Contes, der Aufbruch zum Über-
gang über die Loire zum Angriff auf Saint-Jean-le-Blanc sei
gegen den Willen mehrerer Kapitäne erfolgt2) und auch die
Chronique de la Pucelle berichtet, der Angriff sei gegen die
Absicht und gegen den Willen der königlichen Befehlshaber
ausgeführt.3) Einen weiteren Einblick in die Spaltung, die in
Orleans herrschte, eröffnet die Aussage eines Bürgers der
x) S. 148.
2) Proces III S. 70: ». . . . contradicentibus pluribus dominis."
3) Ebd. IV S. 227 und Ayroles III S. 641 : .... contre volonte et
opinion de tous les chefs et capitaines, qui estoient du parti du roy.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 93
Stadt,1) überzeugt von der Gefährlichkeit der von Johanna mit
der Bürgerschaft geplanten Unternehmung, habe der greise
Gaucourt dieselbe mit Gewalt zu hindern gedacht, indem er
die Porte de Bourgogne besetzte, um der Menge den Weg nach
dem Flußufer und den Inseln zu verlegen, über die sie das
andere Ufer zu erreichen suchen mußte.2) Das aber kann
füglich nicht ohne Zustimmung der anderen Befehlshaber ge-
schehen sein. Unter den Verteidigern drohte also ein offner
Konflikt über die Frage, wie die Stadt gerettet werden sollte.
Schon machte am Morgen des 6. Mai die von Kampfbegier
erhitzte Menge Miene, den ihr von Gaucourt verweigerten Aus-
gang zu erzwingen, als die Jungfrau herbeieilte, den Marschall
mit harten Worten zurechtwies und ihm erklärte, die Bürger-
schaft werde hinausziehen, er möge wollen oder nicht, und ihre
Sache so gut wie bisher machen. Lärmend und schreiend drang
die Menge an und wollte den Worten ihrer Führerin die Tat
folgen lassen. Auf dieses Äußerste aber mochte es Gaucourt
denn doch nicht ankommen lassen: um weiteres Unheil abzu-
wenden und der ihm abgedrungenen Unternehmung zu einem
erträglichen Ausgang zu verhelfen, erklärte er sich bereit, sich
selbst an die Spitze zu stellen. 3) Zu den militärischen Fähig-
keiten Jeanne de d'Arcs hatte er also kein Vertrauen. Auch
scheint der weitere Verlauf ihm Recht gegeben zu haben. Zu-
sammengefaßt ergeben die verschiedenen beglaubigten Züge ein
Bild, welches durch den Schleier der beschönigenden Tradition
doch noch erkennen läßt, daß das Zusammenwirken der beiden
an dem Schicksal der Stadt zunächst interessierten Gruppen auch
noch in diesem letzten Stadium des Kampfes viel zu wünschen
übrig ließ.
Nach Überschreitung der Loire und Niederbrennung der
geräumt gefundenen Bastille Saint-Jean-le-Blanc, also etwa um
die Mittagsstunde des 6. Mai, stürmte die bewaffnete Bürger-
») Simon Charles, Proces III S. 116—17.
2) Aussage des Louis de Contes ebd. S. 70. Chronique de la Pu-
celle, ebd. IV S. 227.
3) Proces III S. 116—17.
94 1. Abhandlung: Hans Prutz
6 '
schaft, der die Ritterschaft mit ihren Mannschaften nun not-
gedrungen folgen mußte, den Flute abwärts gegen das den Zu-
gang zu der Brücke und dem Brückenfort Les Tourelles sperrende
englische Hauptwerk bei dem Augustinerkloster. Johanna mit
den Ihren war allen voran, sah sich aber bald von den ihr
entgegeneilenden Feinden umdrängt und mußte sich auf die
vorsichtig weiter zurückgebliebene Hauptmacht unter den Kapi-
tänen zurückziehen. Daraus hat die Tradition den verstellten
Rückzug gemacht, durch den sie die Engländer aus ihrer festen
Stellung herausgelockt haben soll. Von der Hauptmacht auf-
genommen ging die Bürgerschaft dann mit dieser wieder vor.
Bald stand sie vor dem englischen Werk, dessen Besatzung
nun abzog. Damit aber war doch erst der kleinere und leichtere
Teil der Arbeit getan: die Bewältigung der stärksten englischen
Bastille Les Tourelles, welche die zur Stadt führende, nach
dieser hin obenein abgebrochene Brücke sperrte, stellte an die
Ausdauer der Angreifer die höchsten Anforderungen. Dort setzte
der Kampf am Morgen des 7. Mai wieder ein. Auch hier
bleibt im einzelnen manches unklar, wie z. B. nach den Einen
Johanna die Nacht vom 6. zum 7. Mai in der Stadt,1) nach
den Anderen draußen auf dem Kampfplatz zugebracht haben
soll.2) Nur das Eine ist aber auch hier wiederum klar, näm-
lich, daß zwischen ihr und den Führern der königlichen Truppen
ernstliche Meinungsverschiedenheiten bestanden. Als der Tag
sich neigte und Les Tourelles, das eine auserwählte englische
Mannschaft heldenmütig verteidigte, obgleich sie über die in-
zwischen notdürftig hergestellte Brücke auch von der Stadt her
bestürmt wurde, noch nicht bewältigt war, wollten die Kapi-
täne den Kampf abbrechen, in die Stadt zurückkehren3) und
sich auf deren nun wesentlich erleichterte Verteidigung he-
l) Louis de Contes, Proces III S. 69—70; Perceval de Cagny S. 144—5.
2J Chronik von Tournay bei Ayroles III S. 602.
3) Aussagen von Dunois, Proces III S. 8—9 und Simon Beaucroix,
ebd. S. 73-80. Vgl. Journal du siege S. 88 und Chronique de la Pu-
celle, Proces IV S. 228.
Neue Studien zur Geschichte der Jungfrau von Orleans. 9o
schränken, bis der zu hoffende Entsatz einträfe.1) Wieder aber
weigerte sich Johanna diesem Beschluß des ohne sie gehaltenen
Kriegsrats zu folgen und bestand auf der Fortsetzung des
Sturmangriffs, der denn auch schließlich Erfolg hatte.
Daß dadurch die bisher vielfach angefochtene Stellung
Johannas eine wesentliche Besserung erfuhr und sie auch gegen-
über den Berufssoldaten und ihren Führern größere Autorität
gewann, ist begreiflich und erklärt es, wenn Fernerstehende
der Meinung Avaren, sie habe eine solche von Anfang an be-
sessen und auf den Gang der Ereignisse einen Einfluß aus-
geübt, wie er dem Oberbefehlshaber zusteht. Die Stellung
eines solchen aber hat sie in jenen Tagen tatsächlich nicht
inne gehabt. Ihr Verdienst lag vielmehr nur darin, daß sie
den sie selbst erfüllenden unbeirrbaren Glauben an den Sieg
der königlichen Sache auf die Menge übertrug und auch die
anfangs zweifelnden Kapitäne und Berufssoldaten damit erfüllte
und dadurch beide trotz mancher Konflikte mit sich fortriß
und zu außerordentlichen Leistungen befähigte.
Anders ist, was Johanna geleistet, und das Verdienst, das
sie sich dadurch erworben hatte, denn auch an der Stelle nicht
eingeschätzt worden, für die der Ausgang der Kämpfe in
und bei Orleans vor allem entscheidend und von der aus er
daher auf Grund der einander rasch folgenden Meldungen mit
fieberhafter Spannung verfolgt worden war. Das geht klar
aus dem Briefe hervor, den Karl VII. am 10. Mai von Chinon
aus an die Stadt Narbonne richtete, um sie und die anderen
treuen Städte von der in seiner Lage so unerwartet eingetretenen
glücklichen Wendung zu unterrichten:2) er führt uns unmittelbar
in das amtliche Kriegsberichtswesen jener Zeit ein. Auch da-
nach handelte es sich bei dem Zuge nach Orleans zunächst
nur um dessen Verproviantierung, nicht um seinen Entsatz:
diese, so heißt es da, sei in einer Woche zweimal gelungen.
Dann aber wird Aveiter gemeldet, am 4. Mai sei sogar Saint-
J) Das bezeugt ausdrücklich Pasquerel Proces III S. 108—9.
2) Proces V S. 100 ff.
96 1. Abhandl.: H. Prutz, N. Stud. z. Gesch. d. Jungfr. v. Orltkng.
Loup nach vier- bis fünfstündigem Kampf genommen, und die
darin offenbarte Gnade des Himmels gepriesen. Angefügt wird
dann die noch vor Schluß des Briefes eingetroffene Meldung
der unverhofften Erfolge vom 5. und 6. Mai. Von der Jungfrau
aber ist dabei nur nebenher die Rede, indem bemerkt wird, alles
das sei nach Angaben eben eingetroffener Teilnehmer am Kampfe
geschehen „in ihrer Gegenwart" '), von einer Leitung des Unter-
nehmens durch sie oder auch nur einem hervorragenden Anteil
ihrerseits daran ist nicht die Rede. So also sah damals der
Hof und seine Umgebung die Sache an.
J) Ebd. S. 103: .... laquelle a toujours este en personne ä l'exe-
cution de toutes cea choses.
A
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 2. Abhandlung
't)ATJ?,i*t^
Die Musikinstrumente Birmas und Assams
im K. Ethnographischen Mnsenm zn München
vou
Curt Sachs
Mit 19 Tafeln
Vorgelegt am 13. Januar 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz 'sehen Verlags (J. Roth)
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 2. Abhandlung
Die Musikinstrumente Birmas und Assams
im K. Ethnographischen Museum zu München
von
Curt Sachs
Mit 19 Tafeln
Vorgelegt am 13. Januar 1917
München 1917
Verla» der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz'schen Verlags (J. Roth)
Der Verfasser hat der Anregung der Direktion des K.
Ethnographischen Museums zur Abfassung dieses Kataloges
um so lieber Folge geleistet, als die Sammlung heute ge-
meinsam mit dem Berliner Kgl. Museum für Völkerkunde in
birmanisch -assamischen Dingen die Führerschaft hat. Die
reiche Instrumentensammlung schließt sich mit der Berliner
in glücklichster Weise zusammen, sodaß meine musikologischen
Veröffentlichungen aus dem preußischen Institut durch die vor-
liegende eine wesentliche Ergänzung erfahren. Daß gerade
die Grenzscheide zwischen Indien und China, die Wiege der
Maultrommel, des Gongs, der Durchschlagenden Zunge und
vieler andrer Typen, in unsern Museen so glänzend vertreten
ist, darf nicht nur die Ethnologie, sondern auch die verglei-
chende Musikwissenschaft mit großer Freude begrüßen.
Herrn Prof. Dr. Scherman, dem Direktor des Museums,
dessen zielbewußtem Sammeln das Material zu danken ist, bin
ich für sein unermüdliches Entgegenkommen verpflichtet.
Über die musikalischen Geräte der Birmanen im eigent-
lichen Sinne und der assamischen Stämme haben wir bereits
an andrer Stelle sprechen können. Wir wollen uns hier da-
rauf beschränken, ein paar Worte über die der innerbirmani-
sehen Fremdvölker zu sagen; liegt doch gerade in ihnen die
Stärke der Münchener Sammlung.
Der Überblick, den wir gewinnen, zeigt vor allem eins
mit großer Deutlichkeit: zu den Instrumentarien der großen
Kulturstaaten des gegenwärtigen Hinterindien steht das der
San-Staaten fast in gar keiner Beziehung. Die beiden Gruppen,
Annam-Tonkin hier und Birma-Siam-Kambodja dort, haben,
von wenigen Ausnahmen — wie möglicherweise jene Ringflöte
der San (Ch 202, unten S. 35) — abgesehen, nichts gegeben,
1*
4 2. Abhandlung: Curt Sachs
obgleich außermusikalisch eine gewisse Birmanisierung statt-
gefunden hat. Mau sieht auch hier wieder die starke Be-
harrung des Musikinstruments. Dagegen scheint es, als müsse
das Bronzeinstrumentarium der birmanischen, siamesischen und
kambodjanischen Orchester wenn nicht unmittelbar so mittel-
bar den San gutgeschrieben werden. Wir können feststellen,
daß hier im wesentlichen Formengleichheit herrscht, die San
aber bei den Gongs eine Art der Verwendung beibehalten
haben, die nicht Rückbildung, sondern Vorstufe ist.
Nach Norden zu sind die Beziehungen noch schwächer.
Eine chinesische Laute bei den Lisa (Ns 203) ist aus der geo-
v
graphischen Lage dieses Volks zu erklären, für die San-Staaten
im ganzen aber nur peripherisch geblieben und für die Be-
antwortung der entwicklungsgeschichtlichen Frage belanglos.
Auf der andern Seite schlägt die Maultrommel des gleichen
Stamms die Brücke hinüber nach Tibet. Assam dagegen ist,
soweit es nicht selbständige Bildungen aufweist, vorwiegend
nach Vorderindien gerichtet.
Vielfach können wir an die halbzivilisierten Völkerschaften
des mittleren Hinterindien anknüpfen. Dinge wie die abge-
stimmten Gongserien, die hölzernen, kantigen Breitschellen mit
mehreren Klöppeln, die Zungenhörner, einfachen und doppelten
Pfeifen mit Durchschlagzungen und die urwüchsigen Mund-
orgeln zeigen sich im kambodjanischen Hinterland bei den
Penon und bei den Mo'i, im Westen bei den Mro und Kumi
und vor allem in Laos.
Die Beziehungen werden aber noch stärker, wenn wir
indonesischen Boden betreten, besonders Borneo. Es begegnen
die gleichen Gongs, es begegnen die Rotangverschnürungen
der Trommeln und ihre an geschnitzten Wülste, die bei den
Kacin auffallen, die Kurzlaute der Kacin und der San kehrt
wieder, vor allem aber die vielgestaltige Welt der Flöten, die
bei den Kacin, den San, Karen und Taunyo interessieren. Die
einfachen Längsflöten mit ihrem bezeichnenden Sattelzuschnitt,
die in Hinterindien sonst unbekannten Panpfeifen, die merk-
würdige Querflöte mit dem Mittelloch, die Ringflöten und die
Die Musikinstrumente Birrnas und Assams. 5
primitiven Schnabelflöten mit der vorgeklebten Kernspalten-
wand treten wieder auf, ja sogar die unten zugeschärften Bor-
dune der Palaunpfeifen und eine fast identische Anordnung
der Mundorgel können wir auf Borneo feststellen.
Bei der außerordentlichen Schwierigkeit des stammge-
schichtlichen Problems darf daraus kein voreiliger Schluß ge-
zogen werden. Doch drängt sich, der Eindruck auf, daß ent-
sprechend der Nordsüdrichtung in den Wanderstraßen der ti-
betobirmanischen, sinosiamesischen und Mon-Khmer-Völker auch
die Musikinstrumente des südöstlichen Asien zum großen Teil
ihren Ursprung etwa auf der indisch-chinesischen Grenzscheide
haben und von dort aus unter dem Nachdrängen vollkommnerer
Typen den Weg nach Südosten einschlugen. Während die
neueren hinterindischen Kulturvölker je nach ihrer Eigenart
diese alten Typen weitergebildet und durch vorderindische,
chinesische und malaiische Arten ergänzt haben, blieben die
Völker der San-Staaten fast unbeeinflußt und haben dem For-
scher das Bild einer im wesentlichen urwüchsigen, aber reichen
und fruchtbaren instrumentalen Entwicklungsstufe erhalten.
Hauptliteratur.
J. C. Brown, Shan and Palaung Jew's Harps from the Northern Shan
States, Journ. and Proc. of the Asiat. Soc. of Bengal, n. s. VII,
1911, p. 521 ff.
Cameron, A Note on the Palaungs of the Kodaung Hill Tracts of the
Momeik State, Census 1911 Burma, Pt. I, App. p. XXXI ff.
E. J. Colston, A Monograph on tanning and working in leather in the'
Province of Burma, Rangoon 1904. (Zitiert: , Colston'.)
P. R. T. Gurdon, The Khasis, London 1907.
F. Heger, Alte Metalltrommeln aus Südostasien, Leipzig 1902.
T. C. Hodson, The Meitheis, London 1908.
— — The Naga Tribes of Manipur, London 1911.
A. Playfair, The Garos, London 1909.
C. Sachs, Die Musikinstrumente Indiens und Indonesiens (Handbücher
der Königlichen Museen), Berlin 1915. (Zitiert: .Sachs'.)
A. W. Young, The Jew's Harp in Assam, Journ. and Proc. of the Asiat.
Soc. of Bengal, n. s. IV, 1908, p. 234 ff.
6 2. Abhandlung: Curt Sachs
Idiophone.
Rinnenklappern.
Das Klangwerkzeug, das unsern Überblick einleitet, ist
nach Stoff und Arbeit so einfach wie möglich: ein Bambus-
rohr im Umfang zweier Internodien wird so weit gespalten,
data nur der unterste, unversehrte Abschlußknoten das Ganze
zusammenhält; von dem Stück zwischen diesem und dem Mittel-
knoten sind nichts als zwei schlanke Handhaben stehengeblieben.
Hier ziehen die Hände oder die Füße des Spielers die Hälften
auseinander und lassen sie rhythmisch zurückschnellen; die
Ränder des oberen Internodiums geben dann beim Zusammen-
schlagen ein heftiges, knallartiges Geräusch her. Vier solche
, Bambus-Hand-Klappern' (vä-let-kyot) gehören zum großen Pwe-
Orchester. l) Aber auch Bettler begleiten mit ihnen ihre Gei-
genstücke.
Das Instrument ist heute, wie es scheint, auf Birma und
Laos beschränkt; doch darf man wohl eine ursprünglich größere
Verbreitung voraussetzen. Ein ganz ähnliches Gerät ist die
Webstuhlklapper der jungen Mädchen von Süla-Besi (Mo-
lukken). 2)
Md 4657a_d. Mandalay, Oberbirma (vä-let-kyot). Vier
Stück. Vom Pwe-Orchester. Gesamtlängen 92, 91, 79, 92;
Klapperlängen 45, 45, 37, 45 cm.
Md 511. Mandalay. Das Instrument ist ebenso wie die
Gabelbecken Md 512 von einem blinden Bettler zur Be-
gleitung der Geige Md 510 (s. unten S. 28) mit dem Fuß
gespielt worden. Gesamtlänge 51, Klapperlänge 25 cm
(Abb. 1).
Gabelbecken.
Md 512. Mandalay. Zwei kleine Bronzebecken, deren
Rand allmählich in den Buckel übergeht, sind mit Riemen
innen an die Zinken einer Bambusgabel lose angebunden.
1) Vgl. Colston p. 42 mit pl. H und hier Abb. 6a.
2) Vgl. Sachs p. 16.
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. 7
Weiter unten ist in die Gabel ein mehrfach durchlöchertes,
langes Holzbrett beweglich eingebunden, um die Verbin-
dung mit der Rinnenklapper Md 511 herzustellen (Abb. 2).
Die Vorstufe der Gabelbecken bildet offenbar die Rinnen-
klapper, von der eben die Rede war. Übereinstimmende Typen
haben sich an vielen Orten nachweisen lassen: mit der Rohr-
gabel im sassanidischen Persien, mit Holz- und Metallgabel
im koptischen Ägypten,1) im römischen Reich und im karo-
lingischen Franken, und mit drei Zinkenpaaren noch heute bei
den nordöstlichen Arabern.2)
Becken.
Hinterindien, das den Südostzipfel der Beckenzone bildet,
kennt verschiedene Arten. Platter Rand und großer Buckel
bei einem Gesamtdurchmesser von 9 — 29 cm, wie sie in Vor-
derindien überwiegen, kommen in Assam, Birma und Siam vor,
aufgebogener Rand und Buckel — in Annam-Tonkin und Bir-
ma sowie bei den Khasi — sind aus China eingeführt, stam-
men aber nach dortiger Überlieferung aus Indien. Siam kennt
ferner die konische Wölbung mit buckelartigem Profil; einem
vierten, randlos-halbkugeligen Typus begegnet man in Assam,
Birma und Kambodja.3) Das Museum besitzt nur Vertreter
der ersten beiden Modelle.4)
Md 465 3. Mandalay (ya-gvin, ra-gvin). Aus Bronze
mit plattem Rand und großem Buckel, Handhaben aus ge-
drehter Ochsenhaut, am einen auch ein Stofflappen. Vom
Pwe-Orchester. Dm. 29, Randbreite 7, Buckelhöhe 5 cm.
Md 465 4. Mandalay. Wie die vorigen. Statt des
Zeuglappens ein Gönnyinkem als Griff. Dm. 16,5, Rand-
breite 3,5, Buckelhöhe 2,5 cm.
v
Ss 479. Mandalay, erworben in Yawnghwe, Südl. San-
1) C. Sachs, Die altägyptischen Musikinstrumente (in Vorbereitung).
2) Hamburger Museum für Völkerkunde 13: 211—82.
3) Vgl. Sachs p. 19.
4) Vgl. Colston p. 42 mit pl. H.
8 2. Abhandlung: Curt Sachs
Staaten. Wie die vorigen, mit Halteriemen. Dm. 25, Rand-
breite 6, Buckelhöhe 5 cm (Abb. 3).
Ss 480. Gleiche Herkunft. Wie die vorigen, statt der
Riemen ein Verbindungsstreifen aus Leopardenfell. Dm.
93/4 cm.
Ss 485. Gleiche Herkunft. Wie Ss 479; durch die
Mittellöcher sind Wollquasten gezogen. Dm. 22, Rand-
breite 4,5 cm.
As 120. Khasi (ha könsäu, Jca sdkuriau). Von ungleicher
Größe, aus Messing, gleichmäßig gewölbt und am Rande
aufgestülpt, mit einem Verbindungsriemen. Das größere
Becken ist in vier Gruppen durchlöchert. Dm. 123/4 und
ll1/», Höhe 2 und l»/a cm.
Md 465 2. Mandalay (ihan-lvin). Aus Bronze, mit leicht
aufgebogenem, allmählich zum Buckel ansteigendem Rand
und mit Verbindungsriemen. Als Schmuck konzentrische
Kreislinien. Vom Pwe-Orchester. x) Dm. 91/* cm.
Schlagplatte.
R 119. Rangoon (kye-tsi). Ein ungefähr dreieckig hut-
förmiger, phantastisch zerrissener Kontur, Bronze. Dazu
ein Holzhammer.2) Höhe 15, Breite 24 cm (Abb. 4).
Platten dieser Art, deren Umriß die Eingeborenen mit
einem Berg oder Halbmond vergleichen, sind offenbar Ab-
kömmlinge der uralten chinesischen Schlagsteine. Sie begegnen
in Tibet wie in Birma und Annam als hochgeschätzte Kult-
instrumente; ihnen im besondern schreibt man jene ethischen
Eigenschaften zu, die die alten Kulturvölker der Musik bei-
legen: die Erheiterung betrübter Seelen, die Aufhellung blöder
Gehirne und ähnliche Tugenden.3)
1) Vgl. Colston p. 42 mit pl. H und hier Abb. 6 a.
2) Vgl. Colston p. 48 f. mit pl. J.
3) Sachs p. 30.
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. 9
Schlitztrommel.
Das Auftauchen der Schlitztrommel auf birmanischem
Boden ist eine Überraschung. Nun schließt sich die Kette,
die vom südlichen China zu den malaiischen Schutzstaaten, dem
Indischen Archipel, Südsee, Amerika und Afrika reicht. Das
Münchener Stück geht eng mit einer Trommel der Babisa
(Ostafrika), lokäiiJco,1) zusammen.
P 52. Hmawza, Unterbirma. Holz, mit angeschnitztem
Griff. Gesamtlänge 48, Schlitz 26,5 lang und 1,6 cm breit
(Abb. 5).
Gongs.
Innerhalb des Verbreitungsgebiets der Gongs — Indien,
Ostasien, Indonesien — lassen sich zwei große Zonen mit
eigenen Formen und Verwendungsarten unterscheiden. Die
eine umfaßt Vorderindien, Tibet und China-Japan: das Gong
ist flach und wird überwiegend als geistliches oder weltliches
Signalinstrument gebraucht; die andere begreift Hinterindien
mit dem Archipel: das Gong ist gebuckelt, dickwandig und
tiefrandig und dient Orchesterzwecken. Die birmanischen und
San-Stücke der Sammlung sind mit ihrer gekehlten Fläche,
ihrem kleinen Buckel und dem niedergebogenen Rand reine
Vertreter dieses Typus, ja, man darf vielleicht diese ganze
v
Südostgruppe den San oder wenigstens den von ihnen durch-
wanderten indisch-chinesischen Grenzstrichen gutschreiben.
Auf die Bedeutung des Gongs im Leben der hinterindi*-
schen Nordwestvölker bin ich schon an andrer Stelle einge-
gangen.2) Diese Bedeutung, namentlich als Symbol für Rang
und Wohlstand des Besitzers, steht in Beziehung zur musika-
lischen Serienbildung, die ja dem vorderindischen Gong fern-
geblieben ist und fernbleiben mußte, weil das dünnwandige
*) Stockholm, Sv. Riksm. etnogr. saml. 12.6.495; E. v. Rosen,
Träskofolket, Stockh. [1916], p. 345 Abb. 248. Vgl. auch Hagen bei
Thilenius, Meinhof und Heinitz, Die Trommelsprache in Afrika und in
der Südeee, Vox 1916, p. 196—9.
2j Sachs p. 35.
I" 2. Abhandlung: Curt Sachs
Flachgong nicht einen Ton von so ausgesprochener Höhe her-
gibt, daß die Skalenbildung durchgeführt werden konnte. Hier
dagegen, beim klartönigen Tiefgong, liegt die Herstellung von
Serien nach dem Vorbild der abgestimmten Schlagstäbe und
Pfeifen auf der Hand, und wenn wir hören, daß im Hause der
San — je nach dem Besitz des Hausherrn — Gongs in ver-
schiedener Zahl hängen, im Haus des Häuptlings aber min-
destens drei, deren Spiel Störungen fernhält, so oft er schlafen,
essen oder beten will,1) dann ergibt sich von selbst, daß sie
skalamäßig gestimmt sind. Zwei Serien dieser Art für Haus
oder Orchester sind im folgenden gebucht.
Das kranzförmige Gongspiel des birmanischen Pwe-Or-
chesters ist der Schlußstein der Serienbildung. Es kommt in
ganz gleicher Art in Laos und Siam und in Kambodja vor;
das Gegenstück ist das bankförmige Bonnan von Java.2)
Md 419. Indaing, Oberbirma. Gekehlte Fläche, kleiner
Buckel, niedergebogener Rand und Halteschnur. Dm. 63,
Buckelhöhe 7, Randbreite 9 cm (Abb. 6).
V
Ss 473 — 478. Kengtung, Südl. San-Staaten, gekauft in
Yawnghwe (moh). Sechs Stück gleicher Art. Außer dem
größten haben alle eine Holzhandhabe an Schnüren. Dazu
zwei Schlägel. Dm. 48, 32,5, 26, 18, 13,5, 11; Randbreite
8, 5, 3x/4, 31/*, 2, l3/4.cm.
Ss 481 — 484. Mandalay, gekauft in Yawnghwe. Vier
Stück gleicher Art, die mit Schnüren an geschnitzten höl-
zernen Handhaben hängen. Dazu zwei Schlägel. Dm. 25,
22, 17, 11; Randbreite 4, 31/*, 3, 2 cm.
Md 465 l. Mandalay (Jcye-vaih). Gongspiel an einer
niedrigen, rotlackierten Ringbalustrade, in deren Riemen-
werk ringsherum 18 Gongs gleicher Art von fortschreiten-
der Größe wagerecht eingehängt sind, sodaß der in der
Mitte kauernde Spieler sie bequem erreichen kann. Dazu
ein Paar hellblaulackierter Holzschlägel mit scheibenför-
1) L. Milne, Shans at honie, London 1910, p. 105.
2) Vgl. Sachs p. 37,
Die Musikinstrumente Birnias und Assams. 11
migen Büffelhautköpfen. Vom Pwe - Orchester.1) Balu-
straden-Dm. 135, Höhe 32, Dm. des größten Gongs IQ1^.
des kleinsten 10 cm. (Vgl. Schermans Photo MNs 185, hier
Abb. 6 a.)
Kesselgongs.
Auf der Veranda der Karen-Häuser hängt bisweilen noch
an Henkel und Schnur vom Balken herab eins von den großen
Kesselgongs, „die zum kostbarsten Besitz der Karen gehören
und eine hochbewertete Tauschsumme bei Brautkauf und ähn-
lichen Anlässen darstellen".2) Es sind etwa halbmeterhohe Kessel
mit welligem Profil und ebener Platte, aus Bronze in einem
Stück gegossen. Der Spieler kauert am Boden und schlägt den
zentralen Stern der vertikal gerichteten Platte mit einem um-
wickelten Schlägel und die Wand nahe der Platte mit einem
leichten Bambusstäbchen (vgl. Schermans Photo Ssh 96. hier
Abb. 6 b). Die Platte gibt einen dunklen Hauptton, die Wand
einen helleren, höheren Beiton.3) Diese Kesselgongs, die in ver-
schiedenen Typen durch fast zweitausend Jahre von den Pro-
vinzen Südchinas und den Ausläufern Tibets über ganz Hinter-
indien und Indonesien bis zur fernen Insel Letti nachgewiesen
werden konnten, haben wegen ihrer Schönheit, wegen ihrer
interessanten Technik und vor allem wegen ihrer sehr reichen
und merkwürdigen Reliefornamentierung seit Jahrzehnten die
Blicke der Ethnologen und der Altertumsforscher gefesselt und
das Thema für eine außergewöhnlich umfängliche monographi-
sche Literatur gestellt. Die größte zusammenfassende Arbeit
ist das zweibändige Folio werk Franz Hegers ,Alte Metall-
trommeln aus Südostasien'.4) In seiner Einteilung, die den
ganzen, bis zur Jahrhundertwende bekannten Stoff gliedert,
J) Vgl. Colston p. 41 mit pl. H.
2) L. Scherman, Wohnhaustypen in Birnia und Assam, Archiv f.
Anthropologie 1915, p. 216.
3) Der Beiton braucht nicht die Oktave des Haupttons zu sein, wie
M. und B. Ferrars (Burma, London 1900, p. 153) angeben; vgl. Prof.
Schermans Phonogramm aus Loikaw.
4) Leipzig 1902.
1 - 2. Abhandlung: Curt Sachs
B '
bilden die Kesselgongs der Karen für sich einen der vier Ty-
pen (H III). Wir folgen Hegers Kennzeichnung. „Die Form
dieser meist mittelgroßen, nicht selten aber kleinen Stücke ist
immer die gleiche; sie ist von allen Typen unstreitig die zier-
lichste. Die Platte springt stark vor; der Stern im Zentrum
hat zwei sehr verschiedene Formen und ist entweder zwölf-
oder auch achtstrahlig. Am Rande erscheinen immer an vier
Stellen Froschfiguren, selten einfach, meist zwei, drei, ja selbst
vier auf- und übereinandersitzend, die oberen immer kleiner
als die unteren. Der Mantel ist ein kurzes Stück nahezu zy-
lindrisch geformt, verjüngt sich aber nach unten plötzlich und
behält dann bis an den unteren Rand auch wieder die Zylinder-
form bei; die Mantelabschnitte sind kaum erkennbar und nur
in der Ornamentik ausgeprägt. Die zahlreichen schmalen Zonen
der Platte wie des Mantels sind mit zahlreichen, stark stili-
sierten Ornamenten , ferner fliegenden und stehenden Vögeln,
Fischen, Rosetten usw. bedeckt und meist durch, drei (seltener
durch 1 — 2) scharfe, nahe beisammenstehende Leisten von
einander getrennt. Die Gußnähte werden durch vier Zier-
leisten vertreten; am Mantel erscheinen häufig verschieden-
artige plastische Tierfiguren und mitunter auch Pflanzenorna-
mente in Relief. Die Henkel sind klein, zierlich, bandförmig,
nach oben und unten oft sehr stark verbreitert und dann an
beiden Enden mit dreieckigen Ausschnitten versehen; sie imi-
tieren häufig in ausgezeichneter Weise ein mehrfach gefloch-
tenes Band, welches sich als Ornament nicht selten am Trom-
melmantel fortsetzt." l) Die einheimischen Bezeichnungen sind
birm. hpa:zh ,Frosch- Zylinder' und san Jcauh-cet Zylinder-
Frosch'. Die Karen haben einen eigenen Namen nicht ge-
bildet, da sie zwar Gebraucher des Instruments sind, seine
v
Herstellung aber ausschließlich den südlichen San überlassen.2)
Ngwedaung scheint dafür der Hauptort zu sein. Zwei der
Münchener Exemplare kommen unmittelbar von dort, und das
*) p. 15.
2) Nur mit dieser Einschränkung sind die unten vermerkten Her-
kunftsbezeichnungen ,Karen' etc. zu verstehen.
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. 13
Inventar des römischen Museo preistorico weiß nach L. Feas
Angabe zu melden, daß „simili tamburi sono fatti dagli Scian
a Medaung o Nuetaung e sono molto stimati dai Carin spe-
cialmente se di fattura antica".1) Im Gegensatz zu allen an-
dern Zonen der Kesselgonggießerei hat die unsere bis in die
letzten Jahre herein die Erzeugung beibehalten, freilich nur
in ganz wenigen Hütten;2) Gußmodelle und Werkstattüber-
lieferungen gehen mit den alten Meistern zugrunde.
Die beiden letzten Stücke unserer Reihe, von den Abor
an der Grenze Tibets und von den Garo, sind deswegen be-
sonders interessant, weil sie von den Kesselgongmonographen
bisher nicht aufgenommen worden sind. Von den Abor hat
auch das Berliner Museum zwei Exemplare. 3)
Rg 1 — 3. Karen, Toungoo (birm. hpa:zi , Frosch-Zy-
linder'). Schlanke Form mit übergreifender Platte, ge-
wellter Wandung und zwei Henkelpaaren. Auf der Platte
vier Doppelfrösche in Vollplastik, ein oberer Frosch ist
abgebrochen; unter dem einen Henkelpaar zwei Elefanten
und zwei Schnecken in senkrechter Reihe. Konzentrische
Ornamentik; in der Plattenmitte ein zwölfzackiger Stern.
Dazu ein Klöppel (Nr. 2) und ein Bambusschlägel (Nr. 3);
jener schlägt die Platte, dieser die Wand. Höhe 43, Platten-
Dm. 56, Öffnungs-Dm. 45 cm (Abb. 7).
Ss 163. Karen-ni, Ngwedaung (san kauh-cet Zylinder-
Frosch'). Wie das vorige, auf der Wand nur Elefanten.
Dazu ein Schlägel mit stoff- und schnurumwickeltem Schei-
benkopf. Höhe 44^2, Platten-Dm. 60, Öffnungs-Dm. 48 cm.
Ss 164. Karen-ni, Ngwedaung. Wie Rg 1, aber mit
einfachen Fröschen und achtzackigem Stern. Höhe 45,
Platten-Dm. 57, Öffnungs-Dm. 47 cm.
Md 89. Karen-ni, gekauft in Mandalay. Wie Ss 164.
Höhe 32 % Platten-Dm. 43, Öffnungs-Dm. 34 cm (Abb. 8).
») Heger p. 68.
2) Abb. einer Giefähütte bei Sachs p. 39. 3) Ebenda p. 38.
14 2. Abhandlung: Curt Sachs
Md 198. Karen-ni, gekauft in Mandalay. Wie Ss 164.
Höhe 45, Platten-Dm. 56, Öffnungs-Dm. 45 cm.
Ss 147. Karen-ni, Loikaw. In untersetzter Form mit
kantig abgesetzter Platte und mit Einzelfröschen, sonst wie
Kg 1. Durch Brand stark beschädigt. Höbe 32, Platten-
Dm. 45 cm.
Ab 11. Abor (daii-ki). Gewölbter Boden und acht Ein-
zelhenkel, vier größere und zwischen ihnen nahe der Öff-
nung vier kleinere. „. . . undoubtedly the oldest he had
seen . . . the Abors say they dig up . . . it came from
Shimong" (Brief Dr. C. Beckers vom 11. XI. 1912). Höhe
23Va, Boden-Dm. 35, Öffnungs-Dm. 42 cm (Abb. 9).
Ga 61. Garo (ran). Gewölbter Boden. Höhe 13, Off-
nungs-Dm. 261/;* cm (Abb. 9 a).
Glocken und Schellen.
Glocken dienen bei den San als Packochseninstrumente.
Das erste und das letzte Tier in den Teekarawanen trägt, um
Begegnende und Einholende zu warnen, eine große Glocke auf
dem Rücken. Ihre Merkmale: Bienenkorbform, ovaler Quer-
schnitt und Holzklöppel in Knotenhängung, sind für die Glocken
Ostasiens kennzeichnend. Die ungewöhnlichen Kanten sprechen
für eine urwüchsige Stufe; sie begegnen auch an Stücken der
isländischen Vorzeit. *) Vielleicht darf man hieraus ebenso wie
v
bei den Gongs auf die Priorität der San oder ihrer Vorgänger
schließen. Neben den Glocken gibt es noch
Schellen aus Eisen und aus Holz, vor allem jene son-
derbaren Breitschellen aus Holz mit angeschnitzten Ohren und
mit mehreren Klöppeln an einer Innenstange. Genau der
gleiche Typus herrscht bei den Kacin (konroh),2) bei den Pe-
non in Kambodja (däniio),3) in Estland (krappY) und — mit
!) Vgl. Verh. d. Berl. Gesellsch. f. Anthrop. 1893, p. 594, 597.
2) Exemplar im Berliner Museum für Völkerkunde I C 29172.
3) Ebenda 23464.
4) Berliner Kgl. Sammlung für deutsche Volkskunde.
Die Musikinstrumente Birmas und Assams.
15
einem Klöppel — in den Malaiischen Schutzstaaten (JceretoJc-
hrebau). l)
Ss 135. Loikaw, Südl. San-Staaten; San-Arbeit (hin).
Glocke aus Bronze in flachgedrückter Bienenkorbform ; der
Holzklöppel eingeknotet. Mit ihrer Hängeöse ist sie an
einem Balken befestigt, der frei in einem doppelten, huf-
eisenförmig gebogenen Rohrjoch mit Holzuntersatz schwingt.
Jochhöhe 24, Breite unten 33, Glockenböhe ohne Ose 12,
mit Öse 15, Glockenbreite am Rand 12 cm (Abb. 10).
Br 76 ab. Thamakan, Südl. San-Staaten. Zwei Glocken
wie Ss 135. Jochhöhe 34, Glockenhöhe 22,5 (a) und 23,2 (b),
Glockenbreite 16,5 (a) und 17,5 cm (b). Ihren Gebrauch
zeigt Schermans Photo Ns 92 (Abb. 10 a).
Ss 165. Ngwedaung, Südl. £an-Staaten. Büffelglocke
aus Metall in untersetzter Flaschenform mit kreisrundem
Fig. 1. Ss 165.
Querschnitt, Hängeöse und Klöppel; dieser ist angedrahtet
(vgl. Fig. 1). Höhe mit Öse 10, ohne Öse 8, Rand-Dm.
7 cm (Abb. 11).
Ss 248. Gaunto- Karen; Dorf Tarudaw, nw. Loikaw
(diu doh ti). Büffelschelle aus Holz in vierkantiger Form
l) H. Balfour, Report on a Collection of Musical Instruments
from the Siamese Malay States and Perak (Fasciculi malayenses, Anthro-
pologe IIa), Liverpool 1904, p. 4, pl. XX f. 3.
16 2. Abhandlung: Curt Sachs
mit breittrapezförmigem Längsschnitt und hochtrapezförmi-
gem Querschnitt, gewölbtem Dach und angeschnitzten, senk-
recht durchbohrten Ohren. Im Innern drei Holzklöppel an
Fig. 2. Ss 248.
einem Querdraht; zu ihrer Trennung sind kleine Rohrtüllen
eingereiht (vgl. Fig. 2). Breite mit Ohren 24, Höhe 14,5,
Tiefe 8 cm.
Ch 7. Kaya, Upper Chindwin District, Oberbirma.
Schelle wie Ss 248. Statt des Drahtes ist ein Rohrstäbchen
eingesetzt. Zum Auseinanderhalten der Klöppel dienen
Fig. 3
Blöcke, die innen an das Dach geschnitzt sind und bis an
das Stäbchen reichen. An die Ohren ist ein Haltestrick
geknotet. Breite 45, Höhe 16, Tiefe 8 cm (Abb. 12).
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. 17
Ch 382. Okma am Chindwin, Oberbirraa. Büffelschelle
wie Ch 7. Breite 25, Höhe 11, Tiefe 6 cm (Fig. 3).
Ssl70. Ngwedaung, Südl.San-Staaten, San- Arbeit. Eisen-
schelle für Ochsen, etwa zylindrisch, mit flachem Dach,
angenietetem Bügel und eingeknotetem Klöppel aus Holz.
Höhe ohne Bügel 14, unterer Dm. 8V2 x 9x/a cm (Abb. 13).
Maultrommeln.
Für Wesen, Entwicklung und Verbreitung der Maultrommel
darf ich auf meine Sonderuntersuchung1) verweisen. Da das
nördliche Hinterindien mit ziemlicher Sicherheit als Heimat
der Familie angesetzt werden kann, findet man hier die älte-
sten Stufen nicht mehr, wohl aber eine reiche Auswahl der
jüngeren. Die stumpfzungige Maultrommel ist mit Stücken
der Trans -Dikhu Nagä, der Tahkhul Nagä und der Maräm
vertreten und mit einem Paar von den Gäro, das besonders
durch die altertümliche Spaltung der Oberenden auffällt. Die
Li^ä stellen einen höheren Typus in schlanker, biplaner Recht-
eckform mit Stufzunge her; ein haarfeiner Dorn an dem der
Zungenwurzel benachbarten Ende dient zum Zupfen. Die
Stücke werden nicht einzeln gespielt, je drei gehören zusam-
men und ruhen beim Transport in einem gemeinsamen Bam-
busköcher. Die Münchener Exemplare sind so abgestimmt,
daß die mittlere um eine Quinte von der tieferen und um eine
Großterz von der höheren entfernt ist, also ihre Teiltöne
einander zur Skala ergänzen. Ganz entsprechende Stücke aus
Osttibet (k'api) liegen im U. S. National Museum zu Washing-
ton;2) sie sind bei den Tibetern sehr beliebt, werden aber
nicht von ihnen, sondern von den „Lissus" und anderen Völ-
kern des Südostens hergestellt. Man hält sie gleichzeitig vor
den Mund, die tiefste, , männliche' oben, die höchste, weib-
liche' unten, und zupft sie je nach dem gewünschten Ton.
Die Lissus aber sind nichts anderes als die Lisa.
J) C. Sachs, Die Maultrommel, Ztschr. f. Ethnologie 1917.
2) No. 167168«, 168168c; W. W. Rockhill, Notes on the Ethno-
logy of Tibet, Smithsonian Report U. S Nat. Mus. 1893, p. 715, pl. 24.
Sitzgsb. d. philos.-pliilol. u. d. bist.. Kl. Jahrg. 1917, 2. Abli. 2
18 2. Abhandlung: Curt Sachs
Die Maultrommel der Kacin ist mit der der Lisa identisch.
Sie wird viel gespielt, aber als Liebeswerbeinstrument von den
Missionaren verboten. Je zwei gehören zusammen; die beiden
Münchener aus Bhamo stehen im Quartenintervall.
Doch kommen auch bei den Kacin Maultrommeln in der
hochentwickelten Art mit feiner Hohlspitzzunge vor, ebenso
bei den Palaun — Cameron erwähnt sie nicht — und bei den
nördlichen San.1) Dies Volk führt uns auch eine frühe Stufe
der Bügelmaultrommel vor; sie interessiert durch die ängst-
lich anliegende, noch ganz unmetallmäßige Führung des Eisen-
bügels.
TrD13ab. Trans-Dikhu Nagä, Naga Hills (ahgämi
yheliu). Aus Bambus in Rechteckform mit abgerundeten
Enden, stumpfer Zunge und Schnüren; stark gewölbt und
hinten hohl. Länge je 12, Breite je 0,9 cm (Abb. 14).
Ma 8. Manipur (uiiMh). Wie Tr D 13, aber mit scharfen
Ecken; an jedem Ende eine Schnur, Länge 15,3, Breite 1,1 cm.
Ptg 94. Tankhul Nagä {masin). Wie Ma 8, aber nur
schwach gewölbt; an jedem Ende eine Seidenschnur. Länge
10,3, Breite 0,9 cm.
Ga 72 ab. Gäro (goiiginä). Zwei Stück aus Bambus
mit stumpfer Zunge, dornartigem Ansatz, gespaltenem Ober-
ende(!) und hohlem Rücken. Längen 13^4 und 12, Breiten
1,0 und 0,8 cm (Abb. 15).
v
Ns 207 a — d. Lisa, Pangsapye, Tawngpeng, Nördl. San-
Staaten (mägo). Drei Stück aus Bambus, mit Stufzunge in
einem unterhöhlten, schlank-rechteckigen Rahmen und mit
feinem Dorn. Die drei Instrumente bilden ein zusammen-
gehöriges Spiel; sie stehen im Verhältnis von Grundton,
Quinte und großer Septime (Gehörschätzung); Reste von
Stimmwachs. Dazu ein Bambusköcher (d) mit spärlichen
Kerb- und Ritzornamenten und mit einem Zeugpfropfen
l) J. Coggin Brown, Shan and Palaung Jew's Harps froni the
Northern Shan States, Journ. and Proc. of the Asiat. Soc. of Bengal,
Vol. VII (Calcutta 1911), p. 521—4; 1 Taf. (hier auch weitere Literatur).
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. 19
an einer Durchzugschnur. Längen ll1^ 123/*, 12 und 14,
Breiten 0,5, 0,5, 0,5 und (Köcher) 1,5 cm (Abb. 16).
Ns215a — c. Kacin, Bhamo (pau). Der gleiche Typus;
Wachs auf der Zunge und jenseits der Zungenwurzel. Die
beiden Instrumente stehen in Gruudton und Quart. Dazu
ein eingeschlitzter Bambusköcher (c). Längen 15,8, 14,3
und (Köcher) 17,3, Breiten 0,9, 0,8 und (Köcher) 2,8 cm
(Abb. 17).
Ha 4. Kacin. Wie die vorigen. Länge 14,8, Breite
0,75 cm.
Ns 17. £an, Lashio Ywama, Nördl. äan-Staaten (pye).
Aus Bambus {med) in schlanker Plättbrettform mit hohl-
spitziger Zunge und unabgesetztem Handgriff; Reste von
Stimmwachs. Länge 13lj%, Breite 0,6 cm (Abb. 18).
C 63. San, Mönglong, Hsipaw State, Nördl. San-Staaten.
Aus Bambus, in biplaner, schlanker, stumpfwinklig ver-
spitzter Rechteckform mit Hohlspitzzunge und abgesetztem
Handgriff; Reste von Stimmwachs. Länge 18'/a, Breite
1,1 cm (Abb. 19).
C 62. Palauii, W. Tawngpeng. Aus Bambus, in bi-
planer, schlanker, verjüngter Rechteckform mit Hohlspitz-
zunge und abgesetztem Handgriff. Länge 16, Breite 0,5
<0,8 cm (Abb. 20).
v
Ns 293. Kacin, Pita, Nördl. San-Staaten. Aus Bam-
bus, in schlanker Lanzettform mit Hohlspitzzunge und un^-
abgesetztem Griff; auf der Zunge ein Klümpchen Stimm-
wachs. Länge 15,6, Breite 0,8 cm (Abb. 21).
Ns 18. San, Lashio Ywama, Nördl. San-Staaten (pye).
Bügel mault rommel aus Eisen in enger Haarnadelform
mit einer oben umgebogenen Messingzunge, die über den
Scheitel des Bügels nicht hinausgreift. Länge 3,7, Breite
0,9 cm (Abb. 22).
2*
20 2. Abhandlung: Curt Sachs
.-
Membranophone.
Kesseltroramel.
As 117. Khasi (Jca nakrä). Aus Holz, mit angeschnitzten
Fußklötzchen und V-Riemenschnürung über die ganze Höhe
bis zu einem Abschlußgürtel; ein Trageriemen ist ange-
knüpft. Höhe 55, Fell-Dm. 46 cm (Abb. 23).
Die Kesseltrommel, die in Hinterindien und Ostasien fehlt,
gehört zum islamischen Kulturkreis. Entsprechend stellt sich
ihr Khasi-Name zu arab., pers., hind. a^liu naqqära und skr.
nägarä.
Röhrentrommeln.
Ns 264. Kacin, Nördl. San -Staaten (cyihtät). Zy-
lindertrommel aus hellem Holz, mit zwei Fellen; jedes
ist mit einem Rohrzopf festgeklemmt und mit V-Riemen
und Rohrbändern an einen eigenen, angeschnitzten, zickzack-
förmisren Wulst geschnürt. Zwischen den beiden Wülsten
zwei angeschnitzte Ösen mit einem Tragband aus Rohr-
geflecht. Rohe Ritzornamente mit schwarzer und roter Fär-
bung. Länge 170, Fell-Dm. < 29 und 30 cm (Schermans
Photo Ns 128, hier Abb. 24).
As 119. Khasi (ka ksiii). Faßtrommel aus Holz mit
zwei Fellen und Y-Riemenschnürung; als Schleifen dienen
Eisenringe. Dazu ein Tragriemen. Der größte Körper-Dm.
liegt dem dickeren Ende näher. Holzkeule. Länge 46,
Fell-Dm. 18 und 20 cm (Abb. 25).
As 118. Khasi (ka ksih). Wie As 119; ebenfalls mit
Holzkeule. Länge 48, Fell-Dm. 18 und 21 cm.
Ga 62. Gäro dama, zu sanskr. dämämä. Faßtrommel
aus Gambil-Hoh (Careya arborica) mit zwei Kuhhautmem-
branen (nach Play fair p. 42), V-Riemenschnürung und
angeknüpfter Tragschnur. Zum Profangebrauch. Länge
101, Fell-Dm. 21 und 26 cm (Abb. 26).
Md 4659. Mandalay (pat-mdh). Faßtrommel aus Holz
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. 21
mit zwei Fellen, Stimmpasta1) und V-Riemenschnürung.
Als größte Trommel des Pwe-Orchesters hängt sie einzeln
mit einem geflochtenen Henkel an einem hier als Näga
(Schlange) gestalteten Gerüst; der Spieler kauert davor und
schlägt die Felle mit den Händen. Länge 60, Fell-Dm.
44 und 51 cm (vgl. Abb. 6 a).
Ss 471. Yawnghwe, Südl. San-Staaten. Faßtrommel
aus Holz mit zwei Fellen, ineinandergreifender doppelter
Y-Riemenschnürung und angeknüpfter Tragschnur. Länge
87, Fell-Dm. 40 und 35 cm (Abb. 27).
Ga 63. Gäro (khram). Kegeltrommel aus Gambll-
Holz (Careya arborica) — nach Play fair p. 42 — , bauchig,
mit zwei Kuhhautmembranen, V-Riemenschnürung und
Tragriemen. Bei Vermeidung einbrechenden Unheils darf
sie nur zu festlichen Gelegenheiten aus dem Hause ge-
nommen werden; den ersten Schlag auf ein neues Stück
soll nur der Besitzer oder einer seiner Anverwandten tun.
Länge 84, Fell-Dm. 8 und 18 cm (Abb. 28).
Md 46510-13. Mandalay (Gesamtname nauksvebon). Vier
Kegeltrommeln aus Holz mit zwei Fellen, Stimmpasta
und V-Riemenschnürung. Vom Pwe-Orchester. 2) Längen
34% 26% 33% 21% Fell-Dm. 12 (15), 9 (6), 15, 8 cm.
Md 4658. Mandalay (tshain-vain). Trommelspiel aus
einer rotlackierten, mit Goldlack- und Glasmosaik verzier-
ten Kranzbalustrade, an die innen ringsherum zwanzig —
normal 24! — Kep-eltrommeln in fortschreitender Größe
gehängt sind, sodaß der in der Mitte hockende Spieler sie
bequem erreichen kann. Die Trommeln haben V-Riemen-
schnürung und eine schwarze Stimmpasta auf dem (größe-
') Nach A. H. F. Strangways, The Music of Hindostan, Oxford
1914, p. 29, besteht die Pasta aus gekochtem Reis und Holzasche, Kern-
mehl und — wenn erhältlich — Eisenfeilicht. — Patsa, a paste of rice,
ash and water: Colston p. 44; hier p. 41 auch Beschreibung und Ab-
bildung von patma gyi.
2) Vgl. Colston p. 42 mit pl. H.
-i2 2. Abhandlung: Curt Sachs
» •
ren) Schlagfell. Vom Pwe-Orehester. l) Länge der größten
Trommel 39, der kleinsten 13 cm (vgl. Abb. 6 a).
Man beobachtet hier deutlich eine Zweiteilung. Das cyiii-
tät der Kacin, die einzige Röhrentrommel aus den San-Staaten,
fällt ganz aus dem Rahmen der übrigen; mit seinen Zöpfen,
Spannbändern und Tragen aus Rohr, mit seinem Wulst und
den Schnitzösen weist es durchaus nach der Malaienwelt hin.
Dagegen hängen die eigentlich birmanischen und die as-
samischen Trommeln von Vorderindien ab. Das Gleiche gilt
von der offenbar birmanisch beeinflußten Kegeltrommel der Pa-
laun,2) die im Museum nicht vertreten ist.
Bechertrommeln.
Über jene merkwürdige Trommel, die der Form eines
Trinkglases mit Stiel und Fuß nahekommt, habe ich an an-
derer Stelle3) ausführlich gesprochen. Ich möchte jene Dar-
legungen nicht wiederholen, sondern nur kurz ins Gedächtnis
zurückrufen, daß das Verbreitungsgebiet Afrika, Südasien und
den Archipel umfaßt, daß aber Vorderindien nur wenige Stücke
an der Ostküste bietet.
Die beiden Palaun-Typen, die im Museum durch je ein
Exemplar vertreten sind, stehen an der Nordspitze dieses Ge-
biets. Sie haben einen ungewölbten Konuskörper, wie die
obenerwähnte Kegeltrommel, und einen hohlen, quergeriefelten
Römerfuß. Übereinstimmend schließen auch hier die langen
V-Spannriemen nicht unmittelbar an das Fell, sondern an eine
flachere V-Randverschnürung; unten bahnen sie sich durch
Einkehlungen den Weg zu einem Abschlußgürtel, der an der
Bodenfläche des Trommelkörpers festgehalten wird. Im ganzen
können die Instrumente als birmanisch bezeichnet werden;4)
!) Vgl. C ölst on p. 41 mit pl. H.
2) A. A. Cameron, A Note on the Palaungs of the Kodaung Hill
Tracts of the Momeik State (Census of India 1911, Burma Parti, Ran-
goon 1912), Appendix p. XXXI.
3) Sachs p. 66 ff.
4) Vgl. auch Plate 14 bei I. M. Casanowicz, The S. S. Howland
Die Musikinstrumente Birrnas und Assams.- 23
ein ganz übereinstimmender Typus kommt in Neu-Kaledonien
vor.1)
Cam 23. Palauh , Kodaung Hill Tracts (cin-Jcäbai).
Schlanke Form; vom Fellzipfel bis zum Fuß ein breites
Tragband aus weißem Zeug. Gesamthöhe 122, Korpus-
höhe 49, Fell-Dm. 29 cm (Abb. 29).
Cam 24. Palauii desselben Gebiets (cu-öe). Ebenso,
aber in untersetzter Form. Höhe 91, Korpushöhe 40, Fell-
Dm. 38 cm (Abb. 30).
Ss 472. Yawnghwe, Südl. San-Staaten (ohsi, birm. o-tsi).
Wie Cam 23; der Fuß schwarz und rot lackiert.2) Höhe
114, Korpushöhe 31, Fell-Dm. 22 cm.
Chordophone.
Krokodilzither.
Md 332/3. Mandalay (mi gyaun). Eine gekantete Holz-
röhre, hinten mit einem Schlitz geöffnet, in stilisierter
Krokodilform, mit dem Schwanz als Wirbelstock und dem
Kopf am entgegengesetzten Ende. Von den seitenständigen,
elfenbeinköpfigen Wirbeln gehen die drei Saiten — eine
aus Messing, zwei aus Seide — um und durch zwei elfen-
beinerne, gedrechselte Schränkstifte über einen Elfenbein-
steg und acht bankförmige Holzbünde von abnehmender
Größe zu einer nahe dem Krokodilkopf als Halter ange-
schnitzten Ose. Stege und Bünde sind versetzbar mit Wachs
angeklebt; zwischen dem letzten Bund und dem Saiten-
halter ein kleines Schalloch. Alle Holzteile sind mit rotem
Lack und mit Gold überzogen. Dazu eine rotlackierte Bank
mit Silberbezug als Untersatz.3) Länge 110, Breite 13,
Mittelhöhe 8 cm (Schermans Photo My 67, hier Abb. 31).
Collection of Buddhist religious art in the National Museum, Report of
the U. S. Nat. Mus. for . . . 1904.
1) Expl. in der Crosby Brown Coli, des Metropolitan Museum of
Arts zu New-York (no. 755); Kat. III 2 p. 42.
2) Vgl. Colston p. 48; 51 f. mit pl. J.
3) Vgl. Colston p. 46; 50.
24 2. Abhandlung: Curt Sachs
Die alligatorförmige Röhrenzither Birmas ist heute sehr
selten geworden. Sie stellt die vorletzte Stufe dar in der
langen Reihe von der idiochorden Bambuszither der Malaien-
länder über die heterochorde, einseitig orientierte, mit Bünden
versehene Zither der Nikobaren zu den herrlich gearbeiteten
Typen Siams und Kambodjas. Mit dieser letzten Stufe geht
das birmanische Instrument fast ganz zusammen; aber seine
Kanten sind noch so weit abgerundet, daß die Erinnerung an
die Bambusröhre gewahrt bleibt, und es besitzt noch die aus-
gesprochene Tierform, die jene bereits verwischt haben.1)
Das Münchener Exemplar ist besonders fein gearbeitet.
Spießgeigen.
Spießgeigen sind gestrichene Langlauten, bei denen der
Stiel noch nicht halsmäßig an das Korpus gesetzt, sondern in
urwüchsiger Weise als Spieß hindurchgesteckt ist. Das In-
strument besteht aus einem Fruchtkorpus mit Bodenöffnung,
einer Hautdecke und einem Holz- oder Rohrspieß; eine einzige
Haar- oder Seidensaite läuft über einen kleinen Steg zum
Unterende.
Innerhalb der Spießgeigengruppe ohne Fuß und mit Haut-
decke, die noch außerdem an einigen Stellen Vorderindiens
und des Malaiischen Archipels vertreten ist, sind die assami-
schen schon wegen ihres Saitenmaterials und ihrer überwie-
genden Wirbellosigkeit die ältesten.
Ma 7. Manipur (pena, zu beng. blnä). Aus einem Ka-
lebassenkorpus — mit dem offenen Flaschenhals nach hinten
— und einem rohen Rohrspieß. Als Decke ist ein Palm-
blattstück lose aufgelegt. Eine einzige Haarbüschelsaite
ist über den Sattel des oberen Spießendes gezogen und
mit Schnur ebenso wie am unteren Spießende festgeknüpft.
Dazu ein kleiner Rohrbogen mit Haarbezug. Der Steg
fehlt. Gesamtlänge 38 '/ä, Öffnungs-Dm. 6, Korpus-Tiefe
22 cm (Abb. 32).
l) Vgl. Sachs p. 95-101.
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. -^
Sh II 5. Manipur (pena). Aus einem Kokosnußkorpus
mit Bodenloch, einer aufgeklebten und zugleich mit dem
Korpus schwarzlackierten Lederdecke, deren ausgezackter
Rand bemerkenswert ist, und einem runden Holzspieß.
Dieser ist zweiteilig; die untere Hälfte, aus Holz, verjüngt
und balausterartig geschnitzt, die obere, aus Rohr, orna-
mental geritzt, vielfarbig lackiert und in jene unter dem
Schutz einer Blechzwinge eingezapft. Eine einzige Haar-
büschelsaite ist oben mit einer starken roten Schnur fest-
gemacht, die ein langes, vorwiegend rotes Zeug- und Schnur-
gehänge mit Blech- und Glasplättchenschmuck trägt. Der
verhältnismäßig große Holzsteg ist ohrenartig ausgeschnitten,
rotlackiert und angebunden. Dazu ein hakenmäßig ge-
krümmter Eisenbogen mit Handgriff und reichlichem Rund-
schellenbehang; der Bezug fehlt. Die Wandersänger von
Manipur begleiten sich auf dem Instrument, wenn sie von
der unglücklichen Liebe des Khamba und der Thoibi singen.
Länge 37, Decken-Dm. 8, Korpus-Tiefe 8 cm (Abb. 33).
Ptg 91. Tahkhul Nagä (tin thaila). Aus einem runden
Kürbiskörper mit einem Boden- und einem kleineren Seiten-
loch, aufgeklebter Hautdecke und rundem Spieß. Dieser
ist wieder zweiteilig; die untere Hälfte, aus Holz, verjüngt
und balausterartig roh geschnitzt, die obere, aus Rohr, mit
einem Seitenloch am Ende, aufgezapft und mit einem Zeug-
lappen gedichtet. Die einzige Haarbüschelsaite ist mit
Schnur festgebunden; ebenso ein kleines Stegklötzchen.
Dazu ein kleiner Rohrbogen mit Roßhaarbezug. Prof. v.
Hornbostel erinnert mich an die Ähnlichkeit des ge-
lochten Spießes mit dem offenbar mißverstandenen der Ke-
mängeh, die Michael Praetorius auf Taf. XXXI seines
,Syntagma musicum', t. II, Wolffenbüttel 1618, abbildet:
,Monochordium , ist ein Pfeiff und hat eine Saite darneben'.
Länge 56, Decken-Dm. 8, Korpus-Tiefe 10 cm.
F 17. Ahorn, Assam (bin, zu sanskr., päli wnä, hindi,
hindust. , panj. bin). Aus einem Kokosnußkorpus, dessen
Bodenloch mit einem Holzpfropf verschlossen ist, einer mit
'-!•> 2. Abhandlung: Curt Sachs
M
Rohr angeschnürten, zweimal durchlöcherten Hautdecke und
einem Holzspieß mit plattem Griffbrett, Wirbelkasten und
blattartig gezahnter Bekrönung. Eine einzige Seidensaite
geht von dem seitenständigen Wirbel über einen brücken-
artigen, angebundenen Holzsteg zum unteren Spießende.
Dazu ein kleiner Rohrbogen (a) mit Haarbezug. Gesamt-
länge 73. Decken-Dm. 8% 9l/a, Korpus-Tiefe 8, Bogen-
länge 33 cm.
Spieß-Schalen laute.
Ns 203. Lisa, Pangsapye. Nördl. San-Staaten (tsebü).
Aus Holz mit kreisrundem, büchsenförmigem Korpus, kan-
tigem Griffbrett, Wirbelkasten und abgebogenem Bekrö-
nungsblatt; die Schlangenhautdecke ist angepflöckt. Drei
weiße Roßhaarsaiten gehen von rohgeschnitzten Seitenwirbeln
zu einem Querholz als Halter, das seinerseits mit Schnur
an einer angeschnitzten Ose hängt. Der Boden ist sieb-
artig durchlöchert. Eine geflochtene Tragschnur. Gesamt-
länge 69, Korpus-Dm. 11% Tiefe 7 cm (Abb. 34).
Das Instrument gehört dem chinesischen Kreis an; es ist
fast identisch mit dem bekannten Hsien tzü oder San hsien.
Man stimmt die drei Saiten in ho, san, liu, d. h. in Grundton,
Quart und Oktave, und reißt sie mit einem Piektrum an.1)
Immerhin sind alle chinesischen Geschwister, die ich kenne,
größer und haben ein Zargenkorpus mit Hautdecke und Haut-
boden. Das Lisa-Stück steht daher der annamitischen Abart
Cai tarn2) näher.
Kurzlauten.
Die Gattung der Kurzlauten ist im Museum durch zwei
Gruppen vertreten, denen die unterständige Saitenbefestigung
und die Seitenwirbel gemein sind. Die Khasi-Gruppe weist
1) A. C. Moule, Chinese musical Instruments, Journal North China
ßranch R. A. S. XXXIX (1908\ p. HG f.
2) G. Knosp, Rapp. sur une mission off. d'etude mus. en Indo-
chine, Leyde (1911), p. 45 ff.
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. ^7
mit ihrem würfelartigen Wirbelklotz und mit ihrem Namen
nach Vorderindien hinüber; duitara gehört zu sanskr. dvitära
,Zweisaiter'. Dagegen schließt sich die San-Kacin-Gruppe an
den Gambits von Borneo und seine Vettern1) und scheint mit
dem chinesischen P'ip'a urverwandt zu sein.
Ns 326. Kacin, Namhkam, Nördl. San-Staaten (ünse).
Aus einem Stück Holz dickwandig in Birnform geschnitzt,
mit einem runden Schalloch in der rechten Wand, einer
Öse zum Einhängen der Saiten, einem sichelförmigen Wir-
belkasten mit seitenständigen, vierkantigen Wirbeln und
mit dem Kopfskelett eines Nashornvogels (u gä) als Be-
krönung. Die Holzdecke ist mit Wachs eingeklebt; ihr
einziges Mittelloch hat man mit Wachs verschlossen. Auf
dem Griffbrett zwei kleine Rohrbünde und die Wachsspuren
von drei oder vier anderen. Ein kleines Holzpiektrum
hängt an einer Hanfschnur; von den drei Messingsaiten,
die durch enge Kanäle aus dem Wirbelkasten treten, sind
nur die Oberenden erhalten. Länge mit Bekrönung 63,
Breite 7, Tiefe 61/* cm (Abb. 35).
Ns 15. San, Lashio Ywama, Nördl. San -Staaten (tih).
Aus einem Stück Titha-Rolz dickwandig in Birnform ge-
schnitzt, mit einem runden Schalloch in der linken Wand,
einer Öse zum Einhängen der Saiten, einem sichelförmigen
Wirbelkasten mit seitenständigen, vierkantigen Wirbeln und
einer Stirnplatte aus Glas. Die Holzdecke ist mit Wachs
eingeklebt; sie hat ein Mittelloch. Keine Bünde! Ein
kleines Hornsplitterplektrum hängt an einer Hanfschnur.
Saiten wie bei der vorigen Laute. Ein kleines Querholz
ist als Saitenhalter mit Schnur an die Öse gehängt. Länge
37, Breite 41/», Tiefe 5 cm (Abb. 36).
As 105. Khasi {ha duitara). Mit spatenförmigem Holz-
korpus, würfelähnlichem Wirbelkasten, aufgenagelter, sie-
benmal durchlöcherter Pergamentdecke und vier Saiten aus
Mugä-Seide (Anthermopsis assama), die von seitenständigen
l) Vgl. Sachs p. 138.
28 2. Abhandlang: (Jurt Sachs
Rohrwirbeln über einen Holzsteg zu einem ans Unterende
genagelten Lederfleck gehen; ein kleines Schalloch ist in
den schmalen Teil des Bodens eingeschnitten. Am Band
ein Piektrum aus Holz. Länge 79, Breite 10, Tiefe 10 cm
(Abb. 37).
As 1. Khasi, Nongkrem (ka duitarä). Mit spatenför-
migem Holzkorpus, würfelähnlichem Wirbelkasten, aufge-
nagelter, 32 mal durchbohrter Pergamentdecke und vier
Saiten aus 3fngä-Seu\e, die von seitenständigen Holzwirbeln
über einen Holzsteg zu einem angeschnitzten Sattelknopf
gehen; ein Schalloch im breiten Teil des Bodens und eins
in der linken Flanke. Länge 77, Breite 12l/j, Tiefe lO1^ cm
(Abb. 38).
(Kurz-)Greige.
Md 510 ab. Mandalay (tayä). In Anlehnung an die
europäische Violinform. Boden und Decke, beide kräftig
gewölbt, sind überständig auf die Zargen genagelt; in der
Decke zwei sehr kleine, nach außen gewendete Sichellöcher,
in der Zarge sechs Rundlöcher. Auf dem Wirbelkasten
sitzt eine hohe, durchbrochen gearbeitete Holzschnitzerei
mit stilisierten Vogeldarstellungen. Drei Hanfsaiten gehen
von rohen, seitenständigen Wirbeln über einen hohen, tor-
förmigen Holzsteg zu einer samtüberzogenen Schnurschlinge
als Halter, die an einem — jetzt weggebrochenen — Sattel-
knopf hing. Die Zargen sind mit rotem, Decke, Boden
und Hals mit schwarzem Lack dick überzogen. Dazu ein
buntes Tragband, ein Säckchen Kolophonium und ein Bo-
gen (b) nach älterer europäischer Art mit Schieber, Roß-
haarbezug und Elfenbeingriff. Instrument eines blinden
Bettlers, begleitet von Rinnenklapper und Gabelbecken
(s. oben S. 6). Länge 79, Breite 20l/a, Korpuslänge 40,
Bogenlänge 55 cm (Abb. 39).
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. 29
Harfen.
Nur sehr selten trifft man heute noch in Birma die Harfe.
Sie gehört der Familie der Bogenharfen an, hat ein schmal-
bootförmiges Korpus aus Padauk-Bolz (Pterocarpus indicus oder
macrocarpus) mit aufgeklebter, viermal durchlöcherter Hirsch-
hautdecke und geschweiftem Stock. Unter der Austrittsstelle
des Stocks ist an den Körper ein Henkel geschnitzt. 13 Seiden-
saiten verbinden den freien Teil des Stocks mit seinem Unter-
teil, der als Grat auf der Decke aufliegt; zum Spannen dienen
rote Wollschnüre mit Quasten. Das Instrument ist fast ganz
mit Lack überzogen.1)
Man darf wohl für die Bogenharfe die Herkunft aus dem
einfachen Musikbogen annehmen. In den Grundzügen des Baus
finden wir den birmanischen Harfentypus schon auf früh-
hittitischen und auf ägyptischen Denkmälern der IV. Dynastie,
also zu Anfang des 3. Jahrtausends v. Chr. Doch darf dabei
zweierlei nicht übersehen werden. In Ägypten geht der Hals
in das Korpus über, und ein Saitenhalter wird besonders ein-
gesetzt; in Birma ist er, zugleich als Saitenhalter, in das
Korpus gebettet. Dort haben schon die ältesten Harfen Stütz-
pflöcke für die Saiten; hier herrscht ausschließlich die ur-
wüchsigste Spannung mit Schnüren. Eine Beeinflussung ist
dennoch mehr als wahrscheinlich: die ganz übereinstimmende
Harfe Altvorderindiens hieß sanskr. vlnä, hind. bin, und der
Name der pharaonischen Harfe ist im alten Ägyptisch bjn't,
bin, im Thebanisch-Koptischen vlnll2)
10. 14. Rangoon (tsaun). Die Innenöffnung des Henkels
ist mit einer Glasscheibe ausgefüllt. Lack, ornamentale
Vergoldung und grüne Glasmosaik nach Art der Pagan-
Lackarbeiten bedecken das Instrument fast ganz. Korpus-
länge 65, Breite 14% Gesamthöhe 56% cm (Abb. 40).
Md 123. Mandalay (tsauh). Korpus und Stock sind
mit schwärzlichem Lack überzogen; die Decke zeigt Spuren
M Vgl. Colston p. 46; 50 mit pl. J.
-) C.Sachs, Die altägyptischen Musikinstrumente (in Vorbereitung).
30 2. Allhandlung: Gurt Sachs
von Vergoldung und rotem Lack, ebenso der Saitenhalter,
dessen Enden mit Blattornamenten in vergoldeter Lack-
reliefarbeit und grüner Glasmosaik abgeschlossen sind; auch
der Henkel und das Oberende des Stocks haben Lackrelief-
arbeit und zum Teil Glasmosaik. Die von Ratten ausge-
fressenen Schallöcher sind von dem eingeborenen Verkäufer
ausgebessert. Korpuslänge 70, Breite 15, Gesamthöhe 58 cm.
Aerophone.
Längsflöten.
Im Instrumentarium der Karen sind die Entwicklungs-
stufen der Flöte fast vollständig vertreten. Zunächst die ein-
fachen Längsflöten aus gedackten, grifflochlosen Bambusinter-
nodien mit gesatteltem Oberende und mit Wandüberstand jen-
seits des Abschlußknotens. Die Sättel, auf deren höheren des
Bläsers Unterlippe gestützt wird, sodaß der Atem bequem über
die Schneide des gegenüberliegenden streichen kann, kommen
auch sonst vor, auf Timor 'mit Umgebung, in Polynesien,
Afrika und Litauen;1) sie sind wohl uraltes asiatisches Gut,
das den Übergang von der gerade abgeschnittenen zur Kerb-
flöte darstellt. Zum Blasen wird die Pfeife mit einer Hand
am Oberende gefaßt und gerade herunter gehalten. Die Ka-
renflöte veranschaulicht einen der niedrigsten Zustände: gleich-
artige, aber verschiedengestimmte Instrumente werden einzeln
auf mehrere Spieler verteilt, um stoßweise zwischen den Ge-
sangsabsätzen geblasen zu werden; Grifflöcher sind noch un-
bekannt; nicht einmal der Schritt zu einem festen, in sich
verbundenen polyorganischen Instrument ist getan. Auf der
nächsten Stufe erscheint die unverbundene
Bündelpanpfeife. Vier verschiedengroße Längspfeifen
der gleichen Art werden zu einem Bündel zusammengefaßt
l) C. Sachs, Die litauischen Musikinstrumente in der Kgl. Samm-
lung für deutsche Volkskunde zu Berlin, Int, Archiv für Ethnographie
XXIII (1915), p. 5.
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. 31
und von einem einzigen Bläser gespielt. Erst weiterhin ver-
einigen sie sich zur eigentlichen
Pan pfeife. Das vorhandene Material zeigt zwei scharf
geschiedene Typen, die kleine Panpfeife der Karenni und die
große der Padauii. Die Karenni stellen sie paarweise her mit
je vier und sieben oder sechs Pfeifen der bisher beschriebenen
Art; doch blasen sie diese auch einzeln. Die Padauii, deren
einziges selbstgefertigtes Instrument sie sein soll, binden zwan-
zig Pfeifen aneinander; die größte erreicht einige 60 cm.
Ss 278 ab.1) Brec-Karen, Loikaw (»wo). Zwei Längs-
pfeifen aus Bambus, gedackt, mit gesatteltem Oberende
und mit "Wand überstand jenseits des Abschlußnodiums. Sie
gehören zusammen. Gesamtlängen 50/45, wirksame Längen
38/33, Innen-Dm. 1,7/1,5 cm (Abb. 41).
Ss210ab. Karenni, Ngwedaung. Zwei Längspfeifen
gleicher Art. Gesamtlängen 42/38, wirksame Längen 35/32,
Innen-Dm. 21/» : 3/3 cm (Abb. 42).
Ss277a— d. Brec-Karen, Loikaw {ma). Bündelpan-
pfeife ohne Verband; vier Längspfeifen gleicher Art. Ge-
samtlängen 41!/2, 34l/a, 33, 29; wirksame Längen 29, 25,
22, 19; Innen-Dm. 1,4, 1,1, 1,0, 1,0 cm (Abb. 43).
Ss 151. Karenni, Loikaw {ma). Panpfeife aus vier ge-
dackten, oben gesattelten und an den Seiten abgeflachten
Bambus-Längspfeifen; Rohr und Bastverband in drei wage-
rechten Führungen. Außenlänge der größten Pfeife 23x/2,
der kleinsten 11 cm (Abb. 44).
Ss 152. Karenni, Loikaw. Panpfeife wie die vorige
und zu ihr gehörig; mit sieben Pfeifen und Rohr-Schnur-
verband in einer einzigen wagerechten Führung. Außen-
länge der größten Pfeife 27% der kleinsten 8^2 cm (Abb 45).
Ss 322a. Karenni, Kwanlong {ma). Panpfeife aus
vier gedackten, oben gesattelten und kantig zugerichteten
Bambuspfeifen; Rohr-Schnurverband in einer wagerechten
und einer schrägen Führung. Außenlänge der größten
Pfeife 19, der kleinsten 10 cm (Abb. 46).
l) Alle S. 31 f. genannten Pfeifen stammen aus den Südl. San-Staaten.
32 2. Abhandlung: Curt Sachs
Ss 322b. Karenni, Kwanlong (mä). P anpfeife wie
die vorige und zu ihr gehörig. Außenlänge der größten
Pfeife 21% der kleinsten 71/* cm (Abb. 47).
Ss 149. Karenni, Loikaw. Panpfeife wie Ss 152 mit
vier runden Pfeifen. Länge der größten Pfeife außen 22,
innen 201/«, der kleinsten außen 10, innen 9 cm (Abb. 48).
Ss 150. Karenni, Loikaw. Panpfeife wie die vorige
und zu ihr gehörig; sechs Pfeifen. Länge der größten
außen 16x/a, innen 151/*, der kleinsten außen 6l/a, innen
5'/a cm (Abb. 49).
Ss 132. Padaun (eigene Arbeit), Loikaw {man). Pan-
pfeife aus zwanzig gedackten, oben gesattelten Bambus-
pfeifen mit Rohr- und Schnurverband in drei wagerechten
und vier schrägen Führungen. Die vier längsten Pfeifen
sind etwa gleichlang, dann folgen zwölf in absteigender
Reihe und zum Schluß vier größere von etwa gleicher
Länge, die indeß im größten Teil ihrer Länge blind sind,
in ihrer wirksamen Innenlänge — bis zum Nodium — da-
o-eo-en die absteigende Reihe fortsetzen; bei der ersten
dieser Gruppe ist der Überstand jenseits des Knotens be-
sonders aufgesetzt. Die Pfeifen sind zum Teil mit Lack
(thitsi) bedeckt, mit dem sie anscheinend vor der Bindung
bestrichen wurden. Außenlänge der größten Pfeife 65, der
äußerlich kleinsten 151/», Gesamtbreite 26 cm (Abb. 50).
Ss 202. Padaun, Klobyaku (mäh). Panpfeife wie
Ss 132; die absteigende Reihe beginnt schon mit der dritten
Pfeife; alle Pfeifen sind aus einem Stück; das Ganze ist
dick mit schwarzem Lack überzogen. Außenlänge der
größten Pfeifen 61, der äußerlich kleinsten 14l/2, Gesamt-
breite 28 cm (Abb. 51).
Querflöten.
Zu den Querflöten ist im ganzen zunächst zu bemerken,
daß die gedackten Typen in Vorderindien und China-Japan
nicht vorkommen, dagegen in Malakka und Melanesien. Im
Die Musikinstrumente Birnias und Assams. oo
übrigen bedürfen eines Kommentars nur zwei Instrumente. Die
Doppelflöte der Trans-Dlkhu hat eine Parallele in der fünf-
fachen Querflöte der nordwestbrasilischen Siusi (kia).1) Vor
allen interessant ist die grifflochlose Zentralpfeife der Taunyo,
die nach Scher m ans Photo Ss 79 auch bei den Karenni vor-
kommt. Der gleiche seltsame Typus begegnet auf der Insel
Timor, bei den Batak auf Sumatra, sowie im Westen und
Norden von Neu-Guinea, aber wohl überall ohne Deckplatte;
v
das altchinesische C'ih ist vom gleichen Blut, jedoch durch
die Annahme von Grifflöchern zu beiden Seiten des Mundlochs
fortentwickelt. 2)
Ga 68. Gäro (öteJcra). Aus Bambus mit zwei Griff-
löchern nahe dem durchbohrten Nodium, das den unteren
Abschluß bildet. Länge 90 cm.
Ga 69. Gäro (ilonma). Aus Bambus mit drei Griff-
löchern nahe dem Unterende. Länge 691/2, unterer Innen-
Dm. 1,3 cm.
Ga70a. Gäro (bansi, zu beng. bämsi). Aus Bambus
mit drei Grifflöchern nahe dem Unterende. Länge 45 l\z,
unterer Innen-Dm. 1,0 cm.
Ga 70b. Gäro (bahsi). Wie 70 a. Länge 39% unterer
Innen-Dm. 0,8 cm.
As 127. Khasi (Jca bisli). Sechs gleichweit entfernte
Grifflöcher nahe dem Unterende. Länge 44, Innen-Dm.
1,2 cm (Abb. 52).
Ptg 96. Tankhul Nagä (sipa). Sieben vorderständige
Grifflöcher, von denen das oberste verstopft ist; Bambus.
Länge 52, unterer Innen-Dm. l1^ cm.
Ss 41. Taunyo, Kalaw, Südl. San-Staaten. Aus Bambus
ohne Grifflöcher mit zwei offenen Enden. Ungefähr in der
x) Koch-Grünberg, Zwei Jahre unter den Indianern I, p. 110.
2) Sachs p. 148. Zwei Exemplare von den „Sundainseln" hat
das Daskov-Museum in Moskau; vgl. A. Maslov, llljustrirovannoe opi-
sanie muzykal'nych instrumentov v Daskovskom etnograficeskom Muzee
v Moskve.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 2. Abh. 3
31 2. Abhandlung: Curt Sachs
Mitte (9 : 7) ist in einem rechteckigen Stück die äußere
Wand gelöst; aus der übriggebliebenen Wandschiclit hat
man in etwa 2/s ihrer Länge das Mundloch herausgeschnitten,
dann das Rechteck in seiner ganzen Länge mit zwei schmalen
Rohrstückchen flankiert und auf diese mit gewachsten Fäden
ein Deckblättchen aufgeschnürt. Auf die Weise ist es mög-
lich, je nach der gewünschten Stimmung das Mundloch durch
Verschiebung zu vergrößern. Beim Spielen können durch
Daumendeckung des einen oder anderen Endlochs, durch
ihr Öffnen oder Schließen im ganzen vier Tonstufen her-
gestellt werden. Aus Bildern geht hervor, daß das Blas-
instrument bald nach der einen, bald nach der anderen'
Seite gehalten wird. Länge 48, Innen-Dm. 0,8, Abstand
des Ausschnittmittelpunkts von den Enden 27 und 21 cm
(Abb. 53 und 53 a).
Ma 9. Maräm, Manipur (riabuh). Aus Bambus(V), an
beiden Enden geschlossen; ein Griffloch nahe dem einen
Ende. Länge 80, Innen-Dm. ca. 2 cm. Ein entsprechendes
Exemplar hat unter dem Namen cemtyi Bastian von den
Ao-Nagä mitgebracht (Berlin I C 8430).
Tr D 12. Trans-Dlkhu Nagä (angämi luoü). Doppel-
querflöte. In einem Bambusrohr ist ein Teilungsknoten
stehengeblieben, sodaß in Wirklichkeit zwei gedackte Quer-
pfeifen im Quintverhältnis entstanden sind; in jede ist nahe
ihrem Ende ein Mundloch eingebrannt; das eine Ende wird
durch das Nodium, das andere durch einen Lederpfropf ge-
schlossen. Keine Grifflöcher. Gesamtlänge 90 Va, Innen-
Dm. 1,4 < 2,0 cm (Abb. 54).
Ringflöten.
Ns 324. Kacin, Namhkam. Aus Rohr, im Nodium zer-
legt, mit rundem, seitlichem Aufschnitt in einer Abflachung.
Zwischen dieser Fläche und einem lose übergestreiften Rohr-
ring ist die Kernspalte entstanden. Fünf Grifflöcher: eins
hinten gegen das Ende des Oberteils, vier annähernd gleich-
Die Musikinstrumente Birnias und Assams. 35
weit entfernte vorn am Beginn des Unterstücks; nahe der
Mündung sieben Stimmlöcher, zwei mit Wachsspuren. Un-
verziert. Länge 64,7, Innen-Dm. < 0,8 cm (Abb. 55).
Ns 325. Kacin, Namhkam {pyi hhrap). Aus Rohr mit
rundem , vorständigem Aufschnitt. Mundstück wie bei
Ns 324. Sechs Grifflöcher: vorn 4 + 1 in rechteckigen
Vertiefungen, hinten ein hochständiges. Länge 301/» cm
(Abb. 56).
Ns 16. §an, Lashio Ywama (pi pyü)- Aus Bambus
wie Ns 325. Die für den King bestimmte Stelle ist rings-
herum ausgeschabt; sieben Grifflöcher: sechs vorn, ein hoch-
ständiges hinten. Länge 28% Innen-Dm. 1 cm (Abb. 57).
Ch 202. San, Heinsum am Chindwin. Birmanischer
Typus aus Bambus mit schräggeschnittenem Unterende und
acht schräggebrannten Grifflöchern, von denen eins gleich-
ständig hinten sitzt. In einiger Entfernung vom Oberende
ist ein 8 förmiges Loch eingeschnitten und gegen dessen
Mitte eine Teilungswand aus Wachs gestellt; zum Anblasen
muß der obere Lochteil bis über die Wand hinaus mit
einem Blattring bedeckt werden. Es entstehen dann a) ein
Windbehälter vom Oberende bis zur Querwand, b) ein ge-
deckter Windauslaß in der oberen Hälfte der 8, c) die
Kernspalte zwischen Wandkante und Ring, d) ein Aufschnitt
in der unteren Hälfte der 8. Länge 24 cm (Abb. 58).
Schnabelflöten.
Den Münchener Schnabelflöten ist vorauszuschicken, daß
ähnliche Versuche, eine Kernspalte durch Vorkleben von Rohr-
splittern herzustellen, von den Kayan auf Borneo1) und von
den Araukanern2) gemacht sind.
Ss 201. Padaun, Klobyaku, Südl. San-Staaten (Jclü).
1) Exemplare bulo tcolc im Museum zu Sarawak Nr. 1289, 1290; vgl.
R. Shelford, An Illustrated Catalogue of the Ethnogr. Coli, of the
Sarawak Museum, Journ. Straits Branch R. A. S. 1904, p. 30 pl. VIII fig. 9.
2) Expl. Hamburg B 2919.
3*
36 2. Abhandlung: Curt Sachs
Bambus, beiderseits offen, mit fünf Grifflöchern, vier vorn,
einem hochständigen hinten. Das Oberende ist derart abge-
schnitten, daß sich vorn ein schnabelartiger Überstand bil-
det ; durch, einen Schnitt wurde die Außenschicht dieses
Überstandes bis über den Aufschnitt hinaus gelöst und
durch seitliche feine Stäbcheneinlagen mit Dichtungspasta
so weit gehoben, daß zwischen ihr und der Innenschicht
eine Kernspalte entsteht; gewachste Fäden binden die bei-
den Schichten zusammen. Mit Ausnahme der Aufschnitt-
uragebung ist die ganze Flöte abgeschält. Länge 47 cm
(Abb. 59).
Ns 321. Kacin, Namhkai, Nördl. San-Staaten (pyisün).
Aus hellbraunem Bambus, beiderseits offen und im Nodium
zerlegt. Das Mundstück wie bei der vorigen; statt der
Stäbchen Wachsunterlagen. Fünf Grifflöcher: eins hinten
cresen das Ende des Oberteils, vier ungleich entfernt in
rechteckigen Betten am Beginn des Unterteils; nahe der
Mündung fünf schräggebohrte Stimmlöcher. Durchgehende
Brandverzierung (Münzenabdrücke). Länge 70, Innen-Dm.
1,1 < 1,4 cm (Abb. 60 und 60 a).
Ss 153. Karenni, Loikaw. Aus Bambus, beiderseits
offen, mit fünf Grifflöchern, vier vorn, einem hochständigen
hinten. Mundstück wie bei Ns 321. Länge 73x/2, Innen-
Dm. 1,5 cm (Abb. 61).
As 2. Khasi, Nongkrem {ha tanmuri). Aus Bambus,
in vorderindisch -europäischer Form, mit Halbdackung —
durchbohrtem Endnodium — , geringem Überstand und sie-
ben vorderständigen, gleich weit entfernten Grifflöchern.
Länge 241/» cm (Abb. 62).
Obo
en.
Md 4655. Mandalay (hne). Typus der vorderindischen
Sänäyl, mit sieben Grifflöchern vorn und einem hochstän-
digen hinten und mit großem, in einen Teller mündendem
Blechschallstück (hne-Jcyi), das nur lose aufsitzt, aber durch
Die Musikinstrumente Birmas und Assams. 37
eine rote Schnur am Korpus (Jme-si-yo) hängt; dieses ist
aus birmanischem Ebenholz (sha-tha) gedreht. Dazu ein
hölzerner Stiefel für das Anblasrohr (hne-gin). Vom Pwe-
Orchester.1) Korpuslänge 39, Schallstücklänge 23, Teller-
Dm. 211/* cm (Abb. 63; vgl.. 6a).
Md 4656. Wie die vorige. Statt des Holzstiefels ein
metallener; der Schallstückteller fehlt; ein Anblasrohr ist
angebunden. Vom Pwe-Orchester. Korpuslänge 28, Schall-
stücklänge 14 cm.
Ns 399. Kacin, Bhamo. Aus hellem Weichholz in star-
kem, am Ende nur wenig ausladendem Konus. Oben ein
vierkantiger Aufsatz, in dem ein Halm als Stiefel für das
Anblasrohr sitzt; dieses fehlt. Vorn nahe dem Mundstück
vier Grifflöcher, davon zwei mit Wachs verkleinert; hinten
ein hochständiges in schräger Bohrung. Die Seele ist aus-
gebrannt, am Schallstück ausgeschnitzt; reichliche Kerb-
und Ritzornamentik. Höhe mit Aufsatz 44, innerer Dm.
< 4 cm (Abb. 64).
Ns 398. Kacin, Bhamo. Wie Ns 399 , aber schwarz und rot
bemalt und mit einem geschnitzten Aufsatz versehen. Da-
zu eine mit bunter Wolle umwundene Schnur, die an den
Oberenden mit je einer Quaste aus Flannellstreifen und
Litzen befestigt ist. Höhe mit Aufsatz 42, Innen-Dm.
< 3,5 cm (Abb. 65).
Ns 320. Kacin, Namhkai (pahke dumba). Aus hellem
Weichholz in starkem, am Ende nur wenig ausladendem
Konus. Oben ein Aufsatzröhrchen. Vorn nahe dem Mund-
stück vier runde Grifflöcher in viereckigen Vertiefungen;
über dem geradegebohrten, hochständigen Rückwandloch
sitzen noch zwei Löcher, die aber mit Wachs verklebt sind.
Vor dem Schallende ist ein Schnurornament angeschnitzt;
am Oberende Umwicklung mit grüner und roter Schnur.
Die Seele ist ausgebrannt. Länge mit Aufsatz 321/a, Innen-
Dm. < 2,4 cm (Abb. 66).
») Vgl. Colston p. 43 mit pl. H.
38 2. Abhandlung: Gurt Sachs
Klarinetten.
Klarinetten, d. h. Pfeifen mit Aufschlagzunge, sind dem
hinterindischen Musikinstrumentarium fremd. Während die auf-
schlagende Zunge in Vorderindien und einigen Teilen des Ar-
chipels heimisch ist, nimmt ihre Stelle im hinteren Indien die
Durchschlagzunge ein. Die hier beschriebenen Klarinetten sind
eine Ausnahme, die bestätigt, daß die Kultur Assams nicht
eigentlich als hinterindisch bezeichnet werden darf. Ganz der
gleiche Typus wie bei den Gäro kommt übrigens in Litauen
vor.1)
Ga 71. Gäro (imbingi). Aus Bambus mit stammeigener
Aufschlagzunge und drei rechteckigen Grifflöchern nahe
dem "Unterende. Länge 35, Dm. 0,7 cm (Abb. 67).
ON 1. San-Staaten. Aus Bambus mit einem dünnen
Rohraufsatz, aus dem die Aufschlagzunge herausgelöst ist,
und neun vorderständigen Grifflöchern. Über das Mund-
stück ist ein schlanker Flaschenkürbis als Windbehälter
gestreift und mit Wachs gedichtet. Länge der herausge-
zogenen Pfeife mit dem Zungenrohr 26a/2, Länge des Zungen-
rohrs 6, Höhe des Kürbisses 1 7 cm (Abb. 68). Aus Vorder-
indien verschleppt?
Pfeifen mit Durchschlagzunge.
Die für Ostasien kennzeichnende freischwingende oder
durchschlagende Zunge wird von den Karen zunächst für das
Zungenhorn verwendet. Auch von den kambodjanischen Pe-
non her kennen wir dies Instrument, das im Prinzip unserer
Automobilhupe entspricht. Die Einstimmung der Rohrzunge
geschieht durch Wachsbeschwerung; der Ton kann durch Zu-
halten der Spitzenöffnung verändert werden. Bei den Schwarzen
Karen tritt die Durchschlagzunge in der bekannten Form der
l) Sachs, Die litauischen Musikinstrumente in der Kgl. Sammlung
für deutsche Volkskunde zu Berlin, Int. Arch. f. Ethnogr. XXIII (1915),
p. 6 f. Fig. 5.
Die Musikinstrumente Bhmas und Assams. oJ
Mundorgel auf, die in Hinterindien (Chittagong, Lao, Kam-
bodja), Borneo, China und Japan vorkommt, ihre urwüchsigsten
Vertreter bei den Mro und Kumi im Chittagong-Distrikt hat
und unser Harmonium mit Zieh- und Mundharmonika als Nach-
kommen ansprechen kann. Es ist hervorzuheben, daß zur Be-
einflussung der Klangfarbe über die Pfeifenenden der Karen-
Orgeln Bambusköcher gestülpt sind. Dieser Köcher begegnet
in gleicher Art oder in Gestalt eines Schneckengehäuses auf
den borneotischen Mundorgeln, deren kranzmäßige Anordnung
ebenfalls übereinstimmt, während der bemerkenswerte Austritt
der unteren Pfeifenenden an verwandte Typen des oberen Lao
erinnert.1) Der Name Jcyen muß mit laot. khen und chin. seh
zusammengehalten werden. Ein Phonogramm Prof. Scher-
mans gibt die kurze, milde Weise wieder, die auf der Karen-
Mundorgel gespielt wird ; über einer Unterstimme als ruhigem
Basso ostinato schwebt eine zarte, auch für das ungeübte euro-
päische Ohr reizvolle Melodie.
In Grifflochpfeifen mit Kürbisaufsatz, ihre auffallendsten
Instrumente, bauen die Palaun Durchschlagzungen ein. Ahn-
liche Instrumente kommen bei den indischen Schlangenbe-
schwörern vor; sie sind in wenig veränderter Gestalt — mit
Tierhorn statt Kalebasse — durch das Mittelmeer nach West-
europa bis hinauf nach Wales gewandert und dort als Pibcorn
oder Hornpipe Nationalinstrument geworden; diese westlichen
Verwandten haben aber Aufschlagzungen, sind also Klarinetten.
Die Palaun bauen ihre Zungenpfeife in drei Formen, als'
Einzel-, Doppel- und Tripelpfeifen. Die Einzelpfeife besitzen
noch die Taunyo und die Taunthu im Süden, die Doppelpfeife
die Kacin. Die nächste Parallele liegt auch hier erst auf
Borneo; die federkielartig zugeschärften Pfeifenenden, sogar
bei den Bordunen von Doppelpfeifen, sind dort eine häufige
Erscheinung. Die Tripelpfeife ist eine Besonderheit der Pa-
laun; immerhin soll auf Fidji eine Tripelklarinette mit Kokos-
nußaufsatz vorkommen. Die Zungenpfeife ist bei den Hoch-
*) Knosp, a. a. 0. p. 67, 133.
40 2. Abhandlung: Curt Sachs
o •
zeiten der Palaun als einziges Instrument („The flute") ge-
duldet; auch bei der Liebeswerbung wird sie gespielt.
V
Ss 203. Padaun, Klobyaku, Südl. San-Staaten, ca. 20 km
westl. von dem Erwerbungsorte Loikaw (kwäi). Zunge n-
horn vom Büffel, beiderseits offen, mit einer Rohrzunge
in der konkaven Wand, angeschnitzten Zierringen nahe
der Spitze und Tragschnur. Die Zunge ist aus einem
Rohrplättchen herausgelöst, das man mit Wachs auf einen
Wandausschnitt geklebt hat; Stimm wachs erhalten. Man
bläst die Zungenhörner chorweise in langausgehaltenen
feierlichen Akkorden. Sehnenlänge 25 cm (Abb. 69).
. . . V
Ss 323. Karenni, Kwanlong bei Pekon, Südl. San-
Staaten (gu). Zungenhorn wie Ss 203, ohne Schnur und
Stimmwachs. Tonhöhe nach v. Hornbostel (Reisetono-
meter IV) 662 Schwingungen — e1, bei geschlossenem
Spitzenloch 624 = es1. Sehnenlänge 25 cm (Abb. 70).
Ss 275. Brec-Karen, z, Z. Loikaw, Südl. San-Staaten
(gä). Zungenhorn wie Ss 323, aber ohne Ringverzierung.
Auf der konvexen Seite, nahe dem spitzen Ende, ist —
augenscheinlich um die Ausbohrung zu ermöglichen — ein
Wandstück herausgeschnitten; in die Öffnung hat man ein
hölzernes Verschlußstück mit Wachs eingeklebt. Bei offe-
nem Spitzenloch spricht die Zunge nicht an; bei geschlos-
sener Spitze Tonhöhe nach v. Hornbostel (Reisetonometer IV)
521 Schwing. = c1. Sehnenlänge 45 cm (Abb. 71).
S,s 276. Brec-Karen (gä). Zungenhorn wie Ss 275;
die Bohrstelle ist hier von der Hornspitze weiter entfernt
als die Zunge. Spuren von Stimmwachs. Sehnenlänge
27 cm (Abb. 72).
Ss 533. Schwarze Karen, Taunggyi (kycri). Mund-
orgel. Zehn ungleichlange Rohrpfeifen mit je einem Deck-
loch sind kranzweise durch einen langhalsigen Flaschen-
kürbis derart gesteckt, daß ihre Unterenden nur wenig
hervorkommen, und daß die in ihre Wände eingelassenen
metallenen Durchschlagzungen im Innern der Kalebasse
Die Musikinstrumente Birmas und Assams.
41
sitzen; diese dient also als Windbehälter und der Hals
mit seinem Bambusrohransatz als Mundrohr. Die Verbin-
dungsstellen sind mit Wachs gedichtet. Außer dem Deck-
loch haben alle Pfeifen nahe dem Oberende Löcher und
Ausschnitte in verschiedener Zahl, Größe, Form und Stel-
lung. Über die sechs längsten sind Bambusköcher gestülpt,
über die vier kürzeren offene Bambushülsen, die je ein
kurzes mit einem langen Nachbarrohr zusammenfassen, und
die in ihrer Lage als Verhüller der Stimmlöcher durch
eine Bastumwicklung gestützt werden; sie beeinflussen die
Klangfarbe. Länge des Kürbisses mit Ansatz 27, der
ganzen längsten Pfeife mit Köcher 122, der kürzesten
34 cm (Abb. 73).
Ss 509. Muhsö (Lahu), Südl. San-Staaten (füllt). Mund-
orgel. Fünf ungleichlange Rohrpfeifen mit je einem Deck-
loch, die längste auch mit einem Stimmschlitz, sind bün-
delweise durch einen langhalsigen Flaschenkürbis derart
gesteckt, daß ihre Unterenden nur wenig hervorkommen
und die in ihre Wände eingelassenen metallenen Durch-
schlagzungen im Innern der Kalebasse sitzen; diese dient
also als Windbehälter und der Hals als Mundrohr. Die
Verbindungsstellen sind mit Wachs gedichtet. Kürbislänge
29, Länge der längsten Pfeife oberhalb des Kürbisses 211/2;
der kürzesten 7 cm (Abb. 74).
Ns 169. Palauii, Namhsan (but seml ,Blas-Pfeife')-
Zungenpfeife aus Bambus. Das Metallplättchen , aus
dem die spitze Zunge gewonnen ist, sitzt wie üblich in
einem seitlichen Wandausschnitt und wird durch zwei vor-
gesetzte Rohrleisten gehalten. Sechs Grifflöcher vorn, ein
hochständiges hinten. Über das Oberende ist ein schlanker
Flaschenkürbis als Windbeb älter gestreift und mit Wachs
gedichtet. Auf das Unterende hat man als Dämpfer einen
Bambusköcher gebunden. Länge der herausgezogenen Pfeife
221/a, Höhe des Kürbisses 9, des Köchers lO1^ cm (Abb. 75).
Ss 42. Tauhyo, Kalaw, Südl. San-Staaten. Zun gen -
pfeife wie Ns 169. Statt des Köchers ein schallverstär-
I- 2. Abhandlung: Gurt Sachs
kender Kürbis mit großem Seitenloch frei aufgebunden; der
obere Kürbis ist mit Stoffstreifen gedichtet. Länge der
herausgezogenen Pfeife 351/:», Höhe des oberen Kürbisses
10, des unteren 9 cm (Abb. 76).
Cam 25. Palaun, Kodaung. Zungenpfeife aus Bam-
bus mit metallener Zunge, die in üblicher Weise seitlich
angebracht ist. Sieben Grifflöcher vorn, ein gleichständiges
hinten, sämtlich schräggebohrt. Über das Oberende ist als
Windbehälter ein schlanker Flaschenkürbis gestreift und
mit Wachs gedichtet. Als Mundstück steckt ein besonderes
Röhrchen in der Öffnung. Länge der herausgezogenen
Pfeife 37, Innen-Dm. 0,9, Kürbishöhe 17 cm (Abb. 77).
Ss 257. Taunthu, Kongtha bei Loikaw. Zun gen -
pfeife wie Cam 25 ohne besonderes Mundstück. Länge
der herausgezogenen Pfeife 40^2, Innen-Dm. 0,9, Kürbis-
höhe 13x/a cm (Abb. 78).
Ss 444. Taunyo, Yawnghwe. Zungenpfeife wie
Cam 25 mit einem ausgesprochen hochständigen Rückwand-
loch und mit Stofflappendichtung. Länge der herausgezo-
genen Pfeife 38, Innen-Dm. 1, Kürbishöhe 14 cm (Abb. 79).
Ss 530. Palaun, Panutaung, Südl. San-Staaten (iväo).
Zungenpfeife wie Cam 25. Die Grifflöcher sitzen auf
eingeritzten, umlaufenden Doppellinien; kein besonderes An-
blasrohr. Länge der herausgezogenen Pfeife 34, Innen-Dm.
0,8, Kürbishöhe 151/» cm (Abb. 80).
Cam 26. Palaun, Kodaung. Doppelpfeife im Typus
Cam 25; an die Pfeife ist rechts eine federkielartig aus-
geschnittene und durch einen Stoffbausch verschließbare
Bordunpfeife gleicher Art ohne Grifflöcher mit Stoffstreifen
gebunden. Länge der herausgezogenen Melodiepfeife 40,
Innen-Dm. 1,0, 1,2. Kürbishöhe 131/* cm (Abb. 81).
Ns 201. Kwanhai - Palaun , Kunhawt, erworben in
Namhsan (Jcaivö). Doppelpfeife wie Cam 26. Melodie-
pfeife rechts; jede der beiden Pfeifen ist durch ein be-
sonderes Loch in den Kürbis eingeführt; kein Anblasröhr-
Die Musikinstrumente Birmas und Assanis.
43
chen. Länge der herausgezogenen Melodiepfeife 30l/2, Dm.
1,0, Kürbishöhe 131/2 cm (Abb- 82)-
Ns 214. Kacin, Bhamo (roizä). Doppelpfeife aus
braunem Rohr(?) mit seitlichen Metallzungen üblicher Art.
Die Melodiepfeife (links) hat vorn acht und hinten zwei
hochständige Grifflöcher, von denen drei und eins mit
Wachs verstopft sind; ein eingeschobenes Holzstäbchen
dackt und verändert die Stimmung; spärliche Ritzornamente
oberhalb der Löcher. Die Bordunpfeife ist dünner und
lochlos. Beide werden oben durch einen Schnurverband
zusammengehalten. Länge 29,4, Innen-Dm. 0,8 und 0,5 cm
(Abb. 83).
Ns 323. Kacin, Namhkai (plbat). Doppelpfeife aus
hellem Rohr mit seitlichen Metallzungen üblicher Art. Die
Melodiepfeife (rechts) hat vorn vier Grifflöcher — davon
das zweithöchste besonders klein — und ein hochständiges
hinten; ein eingeschobenes Holzstäbchen dackt und ver-
ändert die Stimmung. Die Bordunpfeife ist dünner und
lochlos. ■ Beide werden oben und unten durch je einen
Schnurverband zusammengehalten. Länge 23,1, Innen-Dm.
0,8 und 0,6 cm (Abb. 84). .
Ns 322. Kacin, Namhkai (magrl siimpi). Doppel-
pfeife aus hellem Rohr mit seitlichen Metallzungen üblicher
Art. Die Melodiepfeife (rechts) hat vorn vier runde und
ein eckiges Griffloch, hinten ein hochständiges eckiges und
darüber ein verklebtes rundes; ein eingeschobenes Holz-
stäbchen dackt und verändert die Stimmung. Die Bordun-
pfeife ist dünner, lochlos und kielartig zugeschnitten. An
der Melodiepfeife spärliche Kerbornamente. Beide werden
oben durch einen gewachsten Schnurverband mit Troddel-
schmuck zusammengehalten; unten sind Wachsspuren eines
zweiten Verbandes. Länge der herausgezogenen Melodie-
pfeife 28,2, Innen-Dm. 0,9 und 0.6 cm (Abb. 85).
Cam 27. Palaun, Kodaung. Tripelpfeife vom Typus
Cam 26; die beiden Bordunpfeifen sind ungleichlang und
44 2. Abhandlung: Curt Sachs
nehmen die Melodiepfeife in die Mitte; kein besonderes
Röhrchen auf dem Kürbis. Länge der herausgezogenen
Melodiepfeife 39, Innen-Dm. 1,0 < 1,1, Kürbishöhe 19 cm
(Abb. 86).
Ns 350. Humai-Palaun, gekauft in Namhkam. Tri-
pelpfeife wie Cam 27. Länge der herausgezogenen Me-
lodiepfeife 38% Innen-Dm. 1,1, Kürbishöhe 14 cm (Abb. 87).
Ns 375. Palaun, Namhkam. Tripelpfeife wie Ns 350.
Länge der herausgezogenen Melodiepfeife 48, Innen-Dm.
1,5, Kürbishöhe 151/* cm (Abb. 88).
Trompeten.
TrD 14a. Trans-Dikhu Nagä, Naga Hills (angämi
piluli). Tuba aus einer konischen Holzröhre ohne Mund-
und Schallstück; die Oberöffnung ist abgeschrägt. Länge
135, Dm. 1 < 21/» cm (Abb. 89).
TrD 14b. Trans-Dikhu Nagä (angämi Jcetsü). Tuba
aus einer konischen Holzröhre mit geschlossenem Wurzel-
ende, neben dem ein halbkreisförmiger Auslaß' seitlich ein-
geschnitten ist; die Oberöffnung abgeschrägt. Länge 200,
Dm. 1,2 < 2 cm (Abb. 90).
Ptg 92. Tankhul Nagä {maitai talld). Tuba aus Bam-
bus mit einem besonderen, waldhornähnlichen Trichter-
mundstück aus Holz und einem (zerbrochenen) Kürbis als
Schallstück. Röhrenlänge 109L/2, Innen-Dm. 1,8 > 1,7 cm
(Abb. 91).
Ptg 93. Tankhul Nagä (hao talld). Tuba aus elf tele-
skopartig ineinandergesteckten Bambusabschnitten mit einem
Büffelhorn (Bison?) als Schallstück; kein besonderes Mund-
stück. Länge 199, oberer Innen-Dm. 1,8, unterer vor dem
Schallstück 11,2 cm.1) Fast die gleiche Tuba haben austra-
lische Küstenstämme; Exemplar in der Sammlung der Lady
Brassey zu London2) (Abb. 92).
') Vgl. Sachs p. 173. 2) Abb. J. Edge-Partington, An Al-
bum of the . . . Pacific Islands, 1890, I, p. 362.
Die Musikinstrumente Birmas und Assa.ms. 45
Ga 66. Gäro (adil). Trompete aus einem Bambus-
abschnitt, in den ein Büffelhorn gesteckt ist; kein beson-
deres Mundstück. Länge des Bambusabscbnitts 58^2, Sehnen-
länge des Horns 37 l\i cm. — Es ist das Prototyp der IA-
tnus-Gruppe1) (Abb. 93).
Ga 67. Gäro (sihga, zu sanskr. srhga, päli sihgam,
beng. Simhä usw.). Hörn vom Büffel; das Mundende durch
Schnitzen abgesetzt, aber ungetrennt. Sehnenlänge 42 cm
(Abb. 94).
TrD 8. Trans-Dikhu Nagä (angämi nyä won). Hörn
vom Büffel, mit rohen Ritzornamenten. Sehnenlänge 48 cm
(Abb. 95).
*) Vgl. C. Sachs, Lituus und Karnyx, Festschrift für R. v. Lilien-
cron, Lpz. 1910, p. 241 ff.
46
2. Abhandlung: Curt Sachs
Register.
adil 45.
At:rophone 30 ff.
Balfour 15.
bänisl 33.
banst 33.
Bechertrommeln 22 f
Becken 7 f.
Becker 14.
bin, bind 24, 29.
ZtfVf 29.
bonnah 10.
Brown 5, 18.
Bügelmaultrommel 18,
19.
bulo wok 35.
Bündelpanpfeife 30 f.
but seaii 41.
cai tarn 26.
Cameron 5, 18, 22.
Casanowioz 22.
cemtyi 34.
Chordophone 23 ff.
c'ih 33.
rih-kdbai 23.
Colston 5, 6, 7, 8, 11,
21, 22, 23, 29, 37.
cu-ce 23.
cyikiät 20, 22.
dama 20.
dah-ki 14.
dänno 14.
f?iw do» iz 15.
Doppelpfeifen 39, 42 f.
Durchschlagzunge 3, 4,
38 ff.
doitära 27.
Edge-Partington 44.
Faf3trommeln 20 f.
Fea 13.
Ferrars 11.
Flöten 4, 30 ff.
fühl 41.
fjä 40.
Gabelbecken 6 f.
gambus 27.
Gießhütte 13.
Glocke Uff.
Gong 3, 4, 9 ff.
gohgina 18.
Gongspiel 10 f.
gfi 40.
GURDON 5.
Hagen 9.
hao talla 44.
Harfen 29 f.
hsien tzü 26.
Heger 5, 11, 12, 13.
hin 15.
hne 36.
Hodson 5.
Hornbostel 25, 40.
Hörner 45.
hornpipe 39.
hpa:zi 12, 13.
Idiophone 6 ff.
ilohma 33.
imbingi 38.
twa 33.
fca ^/sZz 33.
ka duitara 27, 28.
#a TcÖnsdu 8.
fca /cs//j 20.
ka näkrä 20.
Fa|>j 17.
ka sdkuriau 8.
Ar« tanmuri 36.
kauh-cet 12, 13.
fcawö 42.
Kegel trommeln 21 f.
kemängeh 25.
keretok-krebau 15.
Kesselgong 1 1 ff.
Ke9seltrommel 20.
fre^sü 44.
khen 39.
khram 21.
Klappern 6.
Klarinetten 38.
frfö 35.
Knosp 26.
Koch-Grünberg 33.
konroh 14.
krapp 14.
Krokodilzither 23.
Kurzgeige 28.
Kurzlauten 4, 26 ff.
kwäi 40.
fcyew 39, 40.
kyc-tsi 8.
Die Musikinstrumente Birmas und Assams.
47
kye-vain 10.
Längsflöten 4, 30 ff.
Lauten 4, 24 ff.
Lituus 45.
lokänko 9.
Zwoit 34.
wiü 31.
roä 31, 32.
m%ö" 18.
magrl sumpi 43.
mat 29.
maitai talla 44.
wän 32.
Maslov 33.
Maultrommel 3, 4, 17 ff.
mazin 18.
Membranophone 20 ff.
mi gyaun 23.
MlLNE 10.
Moule 26.
moh 10.
Mundorgel 4, 39, 40 f.
nägarä 20.
naqqära 20.
nanksvebon 21.
»<t/ä wo« 45.
Oboen 36 ff.
o/tsi 23.
ötekra 33.
o-^si 23.
pahke dumbä 37.
Panpfeifen 4, 30 ff.
patma gyi 21.
pat-mah 20.
£>a£sa 21.
2>a« 19.
/Jen« 24, 25.
pibht 43.
Pibcorn 39.
pt7?tZi 44.
.p'i p'a 27.
pl pyü 35.
Playfäir 5, 20, 21.
Praetorius 25.
Pwe-Orchester 6, 8, 11,
21, 22, 37.
pye 19.
pyi hkrap 35.
pyisün 36.
Querflöten 4, 32 ff.
ra goin 7.
ran 14.
riabuh 34.
Ringflöten 3, 4, 34 f.
Rinnenklapper 6, 7.
Rockhill 17.
Röhrentrommeln 20 ff.
roizä 43.
Rosen 9.
Sachs 5, 6, 7, 8, 9, 10,
13, 17, 22, 24, 27,
29, 30, 33, 38, 44,
45.
san hsien 26.
Schalenlaute 26.
Schelle 4, 14 ff.
ScHERMAN 3, 11, 39.
Schlagplatte 8.
Schlitztrommel 9.
Schnabelflöten 5, 35 f.
sen 39.
Shelford 35.
simhä 45.
sihga 45.
sipa 33.
Spießgeigen 24 ff.
Spieß-Schalenlaute 26.
srhga 45.
Stimmpasta 21.
Strang ways 21.
tayä 28.
than-lvin 8.
tin 27.
tinse 27.
tin thailä 25.
Tripelpfeifen 39, 43 f.
Trommeln 4, 20 ff.
Trommelspiel 21 f.
Trompeten 44 f.
tsaun 29:
tsebü 26.
tshain-oain 21.
Tuba 44.
uhkih 18.
vä-let-kyot 6.
tlwä 25, 29.
Webstuhlklapper 6.
ya-gcin 7.
yheku 18.
Toung 5.
Zither 23.
Zungenhörner 4, 38, 40.
Zungenpfeifen 39, 41 ff.
Zylindertrommel 20.
fö
Tafel 1
Abb. 1 — 6.
Tafel 2.
Scherman phot.
Scherman phot
6a
Abb. 6a— 6b.
Tafel 3.
Abb. 7.
Tafel 4.
Abb. 8.
Tafel 5.
Abb. 9-9a.
Tafel 6.
Scherman phot.
10a
Abb. 10— 10a.
Tafel 7.
Abb. 11—15.
Tafel 8.
Abb. 16—22.
Tafel 9.
Scherman phot.
Abb. 23—25.
Tafel 10.
Tafel 1 1
30
Abb. 28-30.
Tafel 12.
Abb. 31— 33.
Tafel 13.
34
36
Abb. 34-39.
Tafel 14.
<
Tafel 15.
Abb. 41-51.
Tafel 16.
1
*
55
54
57
58
53a
61
I
52
59
56
60
Abb 52—61.
Tafel 17.
Abb. 62—68.
Tafel 18.
Abb. 69-82.
Tafel 19.
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 3. Abhandlung
v I
Zur Gesehiehte
des lateinischen Hexameters
Kurze Endsilben in arsi
von
Friedrich Vollmer
Vorgetragen am 3. Februar 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz'scfaen Verlags (J. Roth)
I
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 3. Abhandlung
Zur Geschichte
des lateinischen Hexameters
Kurze Endsilben in arsi
von
Friedrich Vollmer
Vorgetragen am 3. Februar 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz'schen Vorlags (J. Roth)
Das Kapitel römischer Metrik, das ich hier behandeln
möchte, ist nicht nur an sich bedeutsam und wichtig, indem
es von den Anfängen römischer Dichtung auf die griechischen
Vorbilder zurückzuschauen zwingt und nachahmende wie selbst-
ständige Ususbildung der römischen Künstler gegeneinander
abzuwägen, — es schneidet weiter eine Fülle von textkritischen
Fragen an und hat grundlegende Bedeutung für wichtige Stücke
der lateinischen Formenlehre.
Es versteht sich also, daß schon die alten Metriker und
Grammatiker sich mit diesem Stoffe befaßt haben, leider in
ganz unzulänglicher Weise. Wie wir im allgemeinen darauf
angewiesen sind, uns die metrischen Gesetze nicht nur eines
Plautus und Terenz sondern auch des Ennius und Vergil durch
eigene Observation zu erschließen, da keiner der Dichter sie
selbst zusammengefaßt und veröffentlicht hat1), so kommen
auch für die uns hier angehenden Fragen die spärlichen pro-
sodischen Kapitel der uns erhaltenen grammatischen Traktate
fast gar nicht in Betracht. Es ist immer dieselbe ärmliche
Weisheit, die uns fast mit den gleichen Worten aufgetischt
wird, dieselben Beispielverse werden immer von neuem wieder-
J) Einzig Lucilius scheint hier wirklich brauchbare Regeln ausge-
sprochen zu haben: s. frg. 1209 und 1190 M.; seine Beobachtungen sind
aber nicht in die spätere Tradition übergegangen. Auch Q. Valerius
frg. 3 (p. 78 Funai.) wird auf metrische, nicht nur auf Deklinationsfragen
gehen. Ob Vergil catal. 7, 3 mit praecepta ein bestimmtes Buch im
Auge gehabt hat, läßt sich nicht sagen. Die Traktate de metris von
S. Ennius (?), Epicadus, Q. Valerius Cato, Varro (de sermone lat.lib.VH)
ab legen den Nachdruck durchaus auf Überleitung und Anwendung
griechischer Theorien. Varro frg. 220 Funai. scheint nur eine vereinzelte
Beobachtung zu enthalten.
4 3. Abhandlung: F. Vollmer
holt1): schwerlich ist dieser Tradition nach Caesius Bassus
noch viel durch selbständige Beobachtung hinzugefügt worden.
Von historischem Verständnis einer Entwicklung, eines Fort-
schrittes im Anschlüsse au die Weiterbildung der Sprache
finden wir nur ganz schwache Ansätze2).
Aber auch in den neueren Arbeiten über diese Dinge
bricht sich eine wirklich wissenschaftliche Erkenntnis nur sehr
langsam Bahn. Noch Gerardus Joannes Vossius ist im ganzen
Aufbau seiner Lehre völlig von den Traktaten des Altertums
abhängig3). Mehr Selbständigkeit zeigt die Darstellung bei
Konr. Leop. Schneider, Elementarlehre der lat. Sprache I 2
(Berlin 1821) p. 744 ff., aber wie hier von Grund aus neu ob-
serviert werden, wie alles auf sichere textkritische Grundlage
gestellt werden muß, haben wir erst von Karl Lachmann
gelernt, durch seinen Kommentar zu Lucrez, in dem freilich
S. 75 ff. gerade unsere Fragen nicht recht glücklich behandelt
worden sind. Lachmanns Beobachtungen hat erweitert Lucian
Müller, de re metrica poetarum Latinorum praeter Plautum et
Terentium libri Septem, Leipzig 1861 (S. 326 ff.) und da geleistet,
was seine Zeit verlangen konnte; leider hat die zweite Auf-
lage des Werkes (Petersburg und Leipzig 1895, S. 400 ff.)
nicht Schritt gehalten mit dem Vordringen unserer metrischen
und grammatischen Erkenntnis, auch nicht mit den Fortschritten
der Textkritik. Was gelegentlich zu einzelnen Schriftstellern
über unsere Frage gesagt worden ist (ich nenne E. Norden,
P. Vergilius Maro Aeneis Buch VI2 S. 450 ff.) kann selbst-
verständlich eine zusammenhängende Darstellung nicht ersetzen.
Deren erste Aufgabe ist natürlich die Vorlage des voll-
ständigen Beobachtungsmaterials. Es kann heute nicht drin-
gend genug eingeschärft werden, daß für lateinische Metrik
wie Grammatik das kritisch gesicherte Material auf fast allen
x) Es wirkt fast erfrischend, wenn bei Beda gramrn. VII 230 ff.
einmal neue Beispiele aus Jüngern christlichen Dichtern auftauchen.
2) z. B. Charis. Gramm. I 16, 20 über die Entwicklung des End-o.
a) Für uns kommen hier in Betracht ars gramm. II cap. 12 ff. (1662;
ich benutze die Ausgabe von Förtsch, Halle 1833) p. 146 ff.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 5
Gebieten erst noch gesammelt werden muß: das ist freilich
nicht jedermanns Sache1). Ich zähle im folgenden alle2) irgend
in Betracht kommenden Stellen, zunächst einmal von Ennius
bis zu den Augusteern auf. Dazu gebe ich die runde Zahl
der in Betracht kommenden Verse, nicht um stumpfsinniger
Statistik den Weg zu eröffnen, sondern um ganz allgemeine
Vergleichung zu ermöglichen.
Ennius ann. 80 solus avem servät. at Romulus pulcer in dito
(etwa 158 inde sibi memorät unum superesse laborem
650 Verse) 33g quae nunc te coquit et versät in pectore fixa
418 tunc timido manät ex omni corpore sudor3)
131 at sese, sum quae dederät in luminis oras
99 nee pol homo quisquam faciet impune animatus
492 multa foro ponet et agea longa repletur*)
166 iniecit irritatus: tenet occasus, iovat res
432 ..... prandere iubet horiturque
345 quae denique causa
pugnandi fieret aut duri (pausa) laboris
561 non si lingua loqui saper et at(que) ora decem sint
252 alter nare cupit, alter pugnare paratust
342 sensit, voce sua nictit ululatque ibi acuta etb)
x) Hoffentlich versäumt von nun ab kein Herausgeber mehr, einer
kritischen Editio ein vollständiges und übersichtliches breviariuni rei
metricae et prosodiacae beizugeben.
2) Daß von den Neoterikern an auch andere Verse als nur Hexa-
meter und Pentameter aufgenommen sind, bedarf für den Kundigen
keiner Erklärung.
3) Lachmann zu Lucr. 5, 396 regt die Frage an, ob manat contra-
hiertes Perfektum sei, läßt sie aber offen : mit Recht.
4) Wir dürfen dies Futurum, das die beste Überlieferung des Isidor
bietet, nicht mit Jüngern Hss in ponit ändern, wie Vahlen das tut: daf3
die Synonyma foro und agea unmittelbar aufeinander folgen, zeigt, daß
wir es nicht mit glatt fließendem Satze zu tun haben : ich fasse die
Worte multa foro ponet als Schluß eines in direkter Rede gegebenen
Befehls. Die Fassung bei Osbernus ponens ägeaque hat zwei metrische
Freiheiten zu Gunsten eines Fehlers verdrängt.
5) Unsere Lexica setzen dies Verb fälschlich als meiere an : es heißt
3. Abhandlung: F. Vollmer
402 conßgunt parmam, tinnit hastilibus umbo
439 it cques et
120 mensas constituit idemque ancilia (bis sex)
(617 qua murum fieri voluit, urgemur in unitm)
197 vosne velit an me regnare era quidve ferat Fors
125 si quid me fuerit humanitus, ut teneatis
117 ... Quirine pater veneror Horamque Quirini1)
87 sie exspeetabat popiüüs atque ore timebat
170 cum nihil horridiüs unquam lex ulla iuberet
508 ... tergiis igitur sagus pinguis opertat
41 postilla, germana soror, errare videbar
113 o pater, o genitor, o sanguen dis oriundum
422 qui clamos oppugnantis vagore volanti
442 tollitur in caelum clamör exortus utrisque
444 Spiritus austri
imbricitor aquiloque suo cum flamme contra
147 et densis aquild pennis obnixa volabat
179 aio te, Aeacidä, Romanos vincere posse
275 ... at non sie dubius fuit hostis
Aeacidä Burrus
240 eloqueretur et(ei)cunctä malaque et bona dictu
232 denique vi magna quadrupes eques atque elephanti
282 iamque fere pulvis ad caelum vasta videtur
557 interea fugit albus iubär Hyperionis cursum
271 inimicitiäm agitantes2)
'winseln und gehört zu den Schallwörtern wie hinnio, gannio, grunnio,
hirrio, minurio u. a., geht also nach der i-Coniugation. Falsch schrieb
Baehrens nictens Varius frg. 4, 3. Richtig, wie ich nachträglich sehe,
schon Havet, Archiv 7, 64.
!) Ich halte mit Vahlen die Überlieferung des Verses für richtig:
Ovid hat (met. 14,851) die Messung Hör am eingeschwärzt, um seine
Gleichsetzung mit Hersüia zu stützen: vgl. Wissowa, Ges. Abh. S. 142.
2) Als kritisch nicht genügend gesichert betrachte ich folgende
Stellen: ann. 2 nosce hos; 134 caede richtig in caedi gebessert; 365 wird
dcJatä doch wohl abl. sing, sein; 440 tarn atea (coneava Non.) sub monte
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 7
Epigramina cPlauti' (Gell. 1, 24, 3)
scaena est desertd, dein Risus Ludiis Iocusque
Inscriptio terapli Ardeatis (Plin. nat. 35, 115) 3
Plaaäas Marcus cluct Asia lata ecce (esse Hss,)
oriundus
Lucilius 1049 — " « — quandoque pudorfej ex pectore cessit
(etwa 1094 praestringdt ocidorum aciem [in ade liostibus]
850 Verse) splendore micanti
1180 perditus Tiresid tussi grandaevos gemebat
1111 — archaeoterd, unde haec sunt omnia nata
1187 haerebat mucro: gladidm in pectore totum
1225 — v — " " nondum etiäm haec omnia habebit
56 qui {di)te, montane, malüm — ad cetera pergit
185 debueris. hoc lnolueris et 'debueris te
321 unde pareutactoe, clamides ac barbida prima
330 crissavit (cursavit trad.), ut si frumentum clunibus
vannat (agricola).
361 quae iacimils, addes V, cpeila ut plenius fiat
470 non male sit: ille ut dico, me exenterat unus
534 ibat forte aries, inquit, iam quod genus quantis
550 cetera contemnit et in usura omnia ponit
559 caurum vis? hominem hdbeas. 'hominem quid ad
aurum x)
Accius: kein Beispiel
M. Cicero : Arat. frg. 9, 1 Jude non una modo caput ornans Stella
(etwa relucet, dazu Aries (neben comes und Ales):
750 Verse) Arat 10> 329
Q. Cicero: nur Aries frg. 1, 2
Inte specus intus patebat, wo Festus und Priscian zwar monte geben, aber
Noniu3 montis, so daß also der von sub abhängige Ablativ im vorher-
gehenden Verse gestanden hätte; daß montis nach sub leicht zu monte
werden konnte, leuchtet ein; 549 rite virtute ganz sicher verderbt, 571
stare corpora ebenfalls. — Nicht hierher gehört ann. 577 populeä frons,
cf. 96 stabilitä scamna.
x) Als richtig emendiert betrachte ich operal(um) 992. — Ich nenne
noch die Stellen mit modo: 298. 448.
8 3. Abhandlung : F. Vollmer
Lucretius1): 2, 27 nee domus argento fulget auroque renidet
(rund 3, 21 semper innubilus aether
7400 Verse) ^ 1050 emicat in partem sanguis, unde ieimur ictu
(ebenso sanguis 6, 1203)
4, 1168 Ceres est (5, 742 Ceres et)
5, 440 omne genüs (~is 0) e prineipiis
6, 208 flammeus est plerumque cölös et splendidus ollis
6, 534 cum bene cognoris elemenüs reddita quae sint
Calvus frg. 6 et leges sanetas doeuit et cara iugavit
Catull. 2) 62, 4 dicetür hymenaeus
(rund 64, 20 despexit hymenaeos
2300 Verse) gg^ j auetüs hymenaeo
Varro —
Vergil buc. 1, 38 Tityrus hinc aberät. ipsae te, Tityre pinus,
(rund 12900 Verse) ipsi te fontes . . . vocabant
Aen. 5, 853 clavom . . . / nusquam amittebät oculosque sub
astra tenebat
7, 174 regibus omen erat, hoc Ulis curia templum
10, 381 hunc . . . intorto figit telo, discrimina costis
per medium qua spina dabät, hastamque
reeeptat
12,772 hie hasta Aeneae stabdt, huc impetus illaml
detulerat
Georg. 2,211 at rudis enituit impulso vomere campus
Aen. 8, 363 Aleides subiit, haec illum regia cepit
buc. 7, 22 carmen / quäle meo Codro concedite (proxima
Phoebi I versibus ille facit) aut
x) Sicher emendiert sind 3,203. 674. 4,486. 6,1259; wohl mit Recht
hat auch Lachmann 2,291 quasi (id) cogatur geschrieben, ebenso 5,1049
scire{n)t und videre(n)t, 5,833 (suc)crescit, 5,458 se statt et. — Den
oben aufgezählten Stellen zuzurechnen sind noch die mit modo: 2,941.
1135. 4,1181.
2) Nicht in die Reihe gehören die Fälle der Endsilbendehnung vor
doppelter Konsonanz 4,9 Propontidä trucemvc 4,18. 17,24 pote stolidum
22,12. 29,4. 44,18. 63,53. 64,186. 67,32 suppositä speculae, obwohl
Catull kein Beispiel von Längung solcher Silben in thesi hat. 66, 48
lese ich Chalybon, 67,44 sper(ar)et, 97,2 Vtrum(ne).
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 9
buc. 3, 97 ipse tibi tempus erit, omnis in fönte lavabo
Aen. 12, 882 aut quisquam mihi dulce meonim
te sine, frater, erit? o quae
10, 432 nee turba moveri
tela manusque sinit. hinc Pallas instat et urget
Aen. 1, 308 qui teneant (nam inculta videt) hominesne feraene
1, 651 Pergama cum peteret inconcessosque hymenaeos
Aen. 9, 609 versaque iuveneum
terga fatigamus hasta
11, 110 pacem me exanimis et Martis Sorte peremptis
oratis? equidem et vivis concedere vellem
Georg. 3, 76 altius ingreditür et mollia crura reponit
Aen. 1, 668 ut . . . omnia circum
litora iactetür [que] odiis Iunonis iniquae
4, 222 tum sie Mercurium adloquitur ac talia mandat
5, 284 olli serva datiir, operum haud ignara Minervae,
. . . Pholoe
2, 411 telis\nostrorum obruimür oriturque miserrima caedes
buc. 10, 69 omnia vincit Amor; et nos cedamus Amori
Aen. 11,323 considant, si tantus amor, et moenia condant
12, 668 et furiis agitatus amor et conscia virtus
Georg. 3, 118 aequos uterque labor, aeque iuvenemque magistri
exquirunt
4, 92 nam duo sunt genera : hie meliör insignis et orei
et rutilis clarus squamis; xlle horridus alter jdesidia
Aen. 2, 368 crudelis ubique
luctus, ubique pavör et plurima mortis imago
6, 778 et üapys et Numitor et qui te nomine reddatjSilvius
12, 421 subitoque omnis de corpore fugit
quippe dolor, omnis stetit imo volnere sanguis
550 et Messapus equom domitör et fortis Asilas
buc. 9, 66 desine plura, puer, et quod nunc instat agamus
Aen. 5, 521 ostentans artemque patrr arcumque sonantem
1 1 , 469 concilium ipse pater et magna ineepta Laünusjdcserit
12, 13 fer sacra, pater, et coneipe foedus
10 3. Abhandlung: F. Vollmer
buc. 7, 66 populus in fluviis, abiis in montibus altis
{cf. aries buc. 3, 95 georg. 3, 446)
Aen. 1,473 et versa pulvis inscribitur hasta
10, 487 sanguis animusque
Georg. 3, 189 invalides etiamque tremens, ctiam inscius aevi
Aen. 5, 337 cmicat Euryalüs, et munere victor amicijprima ienct
3, 111 hinc . . .jldaeumque nemüs; hinc fida silentia sacris
12, 67 violaverit . . . j siquis ebür, aut mixta rubent ubi Ulla
Georg. 3, 332 sicubi magna Iovis antiquo robore quercus
ingentis tendat ramos
4, 453 non te nullius exercent numinis irae
Aen. 4, 63 pecudumque reclusis
pectoribus inJüans spirantia consulit exta
Aen. 10, 394 nam tibi, Thymbre, capiit Euandrius abstulit ensis
8, 98 cum rnuros arcemque procül ac rara domorum
tecta vident
3, 464 dona dehinc auro gravid scctoque elephanto
12, 648 sancia ad vos animd atque istius inscia culpae
descendam
Georg. 1, 138 Pleiadäs Hyadas claramque Lycaonis arcton
Aen. 5, 842 Phorbanti similis
buc. 6, 53 molli fultäs hymenaeo
Aen. 7, 398 canit hymenaeos
10, 720 infectos linquens profug i'is hymenaeos
Georg. 4, 137 ille comam mollis iam tondebdt hyacinthi
Aen. 11, 69 languentis hyacinthi
Georg. 2, 5 gravidüs autumno / floret ager
Aen. 9, 9 sedemque petit Euandri
Culex1) 129 hospitium fluviüm, haud semita
(414 Verse) 395 congestum cumtdavit opus atque aggere midto
400 et violae omne genüs: hie est et Spartica myrtus
l) 198 tardüs omni -wird richtig zu somni emendiert. Ebenso
Dirae93 statt pater, et zu lesen pater, sit; Priapea 3,17 statt honoribi'is
hoc zu lesen h. nunc (Priapeus). Auch Lydia 53 eyö primus und Priapea
3,1 egö iuvenes sind meiner Ansicht nach verderbt, ebenso ist catal. 9,60
musa in musae zu ändern trotz Birt, Jugendverse... Virgils p. 111.
Zur Geschiebte des lateinischen Hexameters.
11
Ciris 180 niillus in ore rubdr (ubi enim rubur, obstat amori)
(541 Verse) 392 miratur pater Oceanüs et Candida Tethys
532 infesti apposuit[que] odium crudele parentis
Catalepton 14, 7 corniger hos aries humilis et maxima taurus
(220 Verse) victima . . . sparget . . . focos
Moretum 20 quam fixam parics illos servabat in usus
(124 Verse)
Aetna1) 100 ad vitam sanguts omnis qua commeat idem
(646 Verse) 316 eminus adspirat fortis et verberat umor
496 ac primum tenuis imas agit
serm. 1,4,82 amicumjqui non defendit alio eulpante
1,5,90 tdtrajcalUdus ut soleät umeris portare uiator
1,7,7 confidens tumidüs, adeo sermonis amari
1,9,21 cum gravius dorso subiit onus, ineipit Ute
2,1,82 si mala condiderit in quem quis carmina
-^ 2,2,47 Galloni praeconis erat aeipensere mensa \ infamis
•2 B 2.2.74 simul assislmiscueris elixa und ebenso 2. pers.
2 <o sinsf- fut. ex. 2, 5, 101 audieris, carm. 3, 23, 3
ffi S placaris, 4, 7, 20 dederis, 21 oeeideris
2, 3, 1 sie raro scribis (-es a DE), ut toto non quater anno
membranam poscas
2,3,187 ne quis humasse velit Aiacem, Atrida, vetas cur?
2,3,260 amator \ exclusus qui distat, agit ubi secum, eat
an non
carm. 1,3,36 perrupit Acheronta Herciäeus labor
2, 6, 14 ille terrarum mihi praeter omnesjangidus ridet,
ubi non Hymetto mella decedunt
2,13,16 neque idtra\caeca timet aliunde fata
3,16,26 quam si quidquid arät impiger Apidus
3,24,5 si figit adamantinos \ summis vertieibas dira
Necessitas
Tibull.2)l,4,27 at si tardus eris, errabis
(1384 Verse) 44 venturam amieidt imbrifer arcus aquam
a) Ich lasse beiseite 433 pmyue scatet und 471 domitd stand, weil
hier ohne Zweifel der schwere Anlaut wirkte; für verderbt halte ich 522
constdt eadem und 291 forte flexere.
2) 1,5,28 segele spicas und 1,6,34 servarc frustra gehören in das
12 3. Abhandlung: F.Vollmer
1,6,66 quidquid agit sanguis, est tarnen ille tuos
1,10,13 nunc ad bella trahor, et
2,3,17 lacteas et mixtüs obriguisse liquor
Paneg. Mcss. 8 nee munera parva
(211 Verse) respueris: etiam
Sulpicia 1,3 hoc Venus ignoscet: at tu, violente, caveto
(40 Verse)
Propertius1) 1,10,23 neu, si quid petiit, ingrata fronte negaris
(4010 Verse) 2,8,8 vinceris aut vincis: haec in amore rota est
2, 13, 25 sat mea sit magna, si tres sint pompa libelli
2,15,1 o nie felicem, o nox mihi Candida
2,15,50 omnia si dederis oscula, pauca dabis
2,24,4 aut pudor ingenuös aut reticendus amor
2,28,29 et tibi Maeonias inter heroidas omnis
2, 32, 61 quod si tu Graias tuque es imitata Latinas
3, 2, 1 1 nee mea Phaeacds aequant pomaria Silvas
4,1,17 nulli cura fuit externos quaercre divos
4,5,64 per tenues ossd sunt numerata cutes
Marsus frg. 1, 6 posuit alter amicitiam
Cons. ad Liv. 163 miscebor cinerique cinis atque ossibus ossa
(474 Verse) 235 istc meus periit, periit arma inter et enses
433 conügit hoc etiam Tethidi: popidator •Achilles
Eleg. in Maec. —
(178 Verse)
Ovid.2) epist. 6,31 ut rediit animus: die gleiche Wendung
(rund 13,29 ars 3,707 fast. 3,333. 5,515;
34000 Verse) [n gleicher Messung ferner:
Kapitel von schwerer Position. 1,5,33 virvm hunc ist verderbt, ebenso
2,1,58 pecoris hireüs, 2,4,38 infamis hie. 1,4,44 ist die treffliche Über-
lieferung noch in keiner Ausgabe gewahrt worden: die Messung awjiciat
ist für die Grammatik sehr wichtig.
!) 2.32,45 wird richtig iam eingeschoben, 3,11,46 richtig gelesen
(et) statuas; 4,1,101 ist Sudhaus' Conjectur tacite unbedingt richtig
(s. Archiv f. Religionswiss. IX 1906, 187, dazu O.v. met. 9, 300; nicht
überzeugend Reitzenstein, Hermes 50,474); 4,3,44 ist galea trotz Roth -
stein nicht Nominativ, sondern Ablativ: mit barbara wird Hippolyte
nicht getadelt, sondern glücklich gepriesen.
2) Falsch überliefert wird epist. 8, 63 semper habeo in P, 17, 228
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 13
rediit rem. 6 met. 13,958. 14, 519. 766 fast. 2, 341
abiit met. 4,712. 8,870. 11,14. 15,111 fast. 3,474.
4,721
adiit met. 4,317. 9,611. 10,15. 15,63 Pont. 1,3,74
periit epist. 19,128 am. 3,8,17 met. 14,618 trist.
3,14,36. 4,3,68. Ib.339. 367. 528 Pont.4,12,44
subiit met. 1,114. 7,170. Pont. 1,4,46
interiit met. 3, 546
praeteriit ars 3, 63. 64 met. 14, 101
epist. 9,141 semivir occubuit in loüfero Eueno
am. 3,5,30 et petiit herbae ferüüoris humum, ebenso petiit
met. 2,567. 9,612. 13,444
met. 6, 658 prosiluit Ityosque caput . . . misit
12,392 crura quoquc iynpediit et inani concidit alvo
epist. 8,22 nupta foret Paridi mater, ut ante fuit
ebenso lateinische Längung des -i in Thetidi
met. 11,221, Capyi fast. 4,45
parallel Hyadds 3, 105
epist. 10, 126 cum steteris urbis celsus in arce tuae; ebenso die
2. Pers. des fut. exact. gedehnt in 13,67 vitaris,
am. 1,4,31 reddideris, 32 biberis, 8,101 abstu-
leris, 105 praesüteris (rem. 635), ars 1,222
nescieris, 447 dederis (fast. 1,17. 6,215. trist.
5,5,40. 5,13,9), ars 2,280 attuleris, 3,661
fueris (fast. 2,674), rem. 247 afueris, met.
13,756 quaesieris, 15,94 perdideris, frg.' bei
Quint. inst. 12,10,75 contuleris
am. 3,7,55 sed puto non blandd, non optima perdidit in
me\oscula
ist fratris falsch, 17,256 ist operis Dativ, am. 2, 11,40 spectet liuc falsch
in S, ars 1,370 poteris in O, 3,52 vivis in B, rem. 365 impugnet in R
und E (vgl. epist. 15, 182), met. 5, 199 silet statt silex, 7, 224 ist die
Überlieferung ganz unsicher, ebenso 7,225, 14,250 ist vel gut über-
liefert, 15,217 ist niatris habitavimus schwerlich richtig, 15,634 ist
laurus Plural, Pont. 3,1,154 ist voce gut überliefert, 4,3,44 ist der
Vers unecht, fast. 3, 500 ist laedit corrupt.
14 3. Abhandlung: F. Vollmer
met. 1,660 de grege nunc tibi vir et de grege natus habendus
2,247 Mygdoniusque Melas et Taenariüs Eurotas
3,184 qui cölor . . .
nubibus esse sollt aut purpureae aurorae
14,491 audiat ipsa licet et, quod facit, oderit omnes
809 res Romano, valet et praeside pendet ab uno
7,61 et dis cara ferdr et vertice sidera tangam
365 Phoebeamque llhodon et Ialysios Teichinas
644 in superis opis esse nihil, at in aedibus ingens
trist. 5, 14,41 morte nihil opus est
Pont. 3, 1,1 13 morte nihil opus est, nihil Icariotide tela
met. 7,798 Aeacidd voc.
10,98 et bicolor myrtüs et . . . tinus
10,459 et color et sanguis animusque relinquit euntem
ebenso sanguis fast. 6,488
fast. 2,239 nam puer impubes et adhuc non utilis armis
trist. 5,7,23 atque utinam vivät et non moriatur in Ulis
hal. 111 auri I chrysophrys imitata decus
Grattius1)249 hoc ingens nieritirm, haec ultima palma tropaei
(540 Verse) 294 ubera tota tenet, a tergo über aperto
339 suis et tergore fidvo
Priap. 83,41 simul sonante senseris iter pede.
(560 Verse)
Ich breche hier einmal zunächst die Liste ab (ihre Fort-
setzung folgt weiter unten), denn wir dürfen a priori annehmen,
daß bis zum Ende der Augusteischen Zeit sich alles bemerkbar
gemacht haben wird, was für die Genesis und Verbreitung
dieser metrischen Lizenz von entscheidender Bedeutung ist.
Wer die lange Reihe dieser Verse gemustert hat, wird sich
vielleicht gewundert haben, was ich alles einbezogen habe ;
ich hätte aber eigentlich auch noch die Fülle der Beispiele für
langes End-o im nom. sing, und der ersten Person der Verba,
die zweizeitigen mihi, tibi, ubi etc. und anderes Vereinzelte
einreihen müssen : warum, wird sich später zeigen.
x) 259 volpind species stellt sich zu 142 cjenerosä stirjnbus d. h. zur
Dehnung vor schwerer Konsonanz.
Zur Geschiente des lateinischen Hexameters. 15
Noch eine Vorbemerkung. Die Untersuchung wird na-
türlich nicht unerheblich erschwert durch die Überlegung, daß
die eigentlich ausschlaggebenden Dichter Ennius, Lucilius,
Accius uns nur in Bruchstücken, Accius am allerspärlichsten,
erhalten sind. Wir werden diesem Mangel, so gut es geht,
durch Rückschlüsse vor allem von Vergil aus abzuhelfen haben.
Daß wir dazu, alle Vorsicht vorbehalten, im allgemeinen be-
rechtigt sind, ergibt sich aus dem Verhältnis von Vergil zu
Ennius, wie es nach andern vor allen E. Norden herausge-
arbeitet hat, von selbst: es mag aber noch an einem Beispiele
ganz deutlich gemacht werden. Ich habe in der vorstehenden
Liste die Stellen übergangen1), wo nach dem Vorbild Ho-
l) Sie seien hier im Zusammenhang nachgetragen:
Accius i'rg. 2 calones famulique metdllique caculaeque
Verg. buc. 4,51 terrasque tractusque maris (= georg. 4,222)
i
georg. 1, 153 lappaeque tribolique (3, 385)
i
164 tribulaque traheaeque
352 aestusque pluviasque
Aen. 3,91 liminaque laurusque
4, 146 Cretesque Dryopesque
i , . .
7, 186 spiculaque clipeique
i
8,425 Brontesque Steropesque
9,767 Älcandrumque Haliumque Nocmonaque Prytanimque
(= Ov. met. 13,258)
i
12,89 ensemque clipeumque
i
181 Fontesque Fluviosque
363 Chloreaque Sybarinque Daretaque Thersilochumque
443 1Antheusque Mneslheusque
Ov. met. 1,193 Faunique Satyrique
i
3,530 volgusque proceresque (8,527)
i
4, 10 telasque calathosque
i
5,484 sideraque ventique
i
7,265 seminaque ßoresque
10,262 lüiaque pietasque 2>Mas
i
308 cinnamaque costumqne
i
11,36 sarculaque rastrique
16 3. Abhandlung: F. Vollmer
merischer Wendungen wie eldög re /ueyedog te das erste que
in que . . . que in arsi steht. Bei Ennius findet sich kein Bei-
spiel, aber das ist der reine Zufall: wie so viele andere Kunst-
mittel hat sicher schon Ennius diese Spielerei seinem grie-
chischen Vorbilde entnommen.
Schauen wir uns nun nach dieser Vorbemerkung das
Material an, zunächst das aus den Fragmenten der Enni-
anischen Annalen. Ich habe die Verse hier so geordnet, daß
die Beispiele für Verbalendungen au erster Stelle stehen, weil
sie in der Überzahl, und weil sie, wie ich meine, für die Be-
urteilung unserer Fragen von ausschlaggebender Bedeutung sind.
Auf den ersten Anblick dieser Beispiele hin wird nämlich
dieser oder jener geneigt sein zu erklären: was sollen denn
die Stellen ? sie gehören ja gar nicht unter das Kapitel von
290 Peleusque comitesque
13,257 Coeranon Iphitiden et Alastoraque Chromiuwque
258 =Verg. Aen. 9,767
i
Gratt. 130 taxique pinusque
Germ. Arat. 262 Electra Alcyoneque Celaenoqttc Meropeque
Homer. 168 Areesilaus atrox Prothoenorque Cloniusque
i
Sil. 7, 618 Syllaeque Crassique
i
Coripp. laud. Iust. 3, 177 laevaque dextraque (so die Hs.)
Zu diesen Beispielen ist noch zu bemerken, daß Germanicus, um die
Lizenz einzuführen, sogar sein Vorbild (Arat. Phaen. 262 *A?.xvovt] Msqojzt]
ze Kü.aivöi r 'HkexzQrj ze), das er glatt übertragen konnte, abgeändert
hat, während Cicero (Arat. 35 f.) den spondiacus auf andere Weise ver-
mieden hatte (auch Avien Arat. 580 f. beseitigt die Lizenz des Germ.).
Der Vers des Baebius ist natürlich Wiedergabe von B 495. — Es kann
kein Zweifel sein (L. Müller1 S. 321 - S. 392 hat freilich den sichern
Schluß nicht gezogen), daß Accius in seinen Annalen und Vergil eine
Kühnheit nachgeahmt haben, die sich zuerst Ennius im Epos erlaubt
hatte, wenn auch der Zufall in unsern Fragmenten kein Beispiel erhalten
hat. Es ist ebenso bemerkenswert, daß Vergil sie schon in Bucolica
und Georgica (nach Hesiods KZcodco ze Adxsotv oder Ar)6i]v te Aifiov zs),
wie daß sie Ovid nur in den Metamorphosen gebraucht hat. Aus den
Versen des Accius, Vergil und Ovid läßt sich wohl der Umfang und die
Art der Verwendung bei Ennius erschließen.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 17
Dehnung kurzer Endsilben in arsi : Ennius hat eben wie Plautus
die Verbalendungen -at, -et, -it, -or entsprechend der Aus-
sprache seiner Zeit als Längen gebraucht.
Gemach — so einfach liegen die Dinge eben nicht; wir
bedürfen hier wie in so vielen Fällen der scharfen Gegen-
beobachtung1). Ennius weist nämlich neben den oben ver-
zeichneten Stellen andere auf, die lehren, daß er diese Endungen
schon kürzen konnte, und zwar nicht nur iambische oder
iambisch ausgehende Formen (decet erat dedtt facti oscität mul-
serat devovet consütif) sondern auch potesset splendet mandebat,
während andrerseits die Länge nicht nur unter dem Verston
sondern auch in thesi erhalten bleibt (ann. 83 esset, 371 pone-
bät, 394 inflt). Besonders wichtig ist, daß bei Ennius die
Endung -it außer den oben angeführten 7 oder 8 Beispielen
in arsi nur einmal in thesi die Länge wahrt, noch dazu in
dem Beispiel inflt, das wegen flo, flunt neben audio, facto an
sich eine Sondereinstellung einnimmt, daß dagegen die Fälle
der Kürzung recht zahlreich sind : dedit (5 mal), fuit ; constitit
obstitit, attidtt abstidit, perdidit reddidit credidtt, percuUt, con-
tudtt pertudit, concidit occidit (2 mal) reccidit (in Sotadeen
var. 29), obruit, impidit, aber auch recessit, voldvit, lävit, succi-
dtt, vicit, contcndtt, confectt, contorstt, detondit, abrüpit, effüdit
— die Menge dieser Perfecta erklärt sich natürlich durch den
Erzählungston der Annalen, aber Ennius hätte die Fülle dieser
Formen gewiß nicht verwendet, wären sie nicht durch die
Aussprache des Tages längst als kurzendig sanktioniert ge-
wesen. Aber nicht nur die Perfekta zeigen die Macht dieser
Entwicklung, auch die Präsentia der i-Stämme : facit (2 mal),
quatit (4 mal), fügit ; conspictt (2 mal) , conicit inicit confictt
concutit incutit percuttt, auch erügit. Es hieße diesem Tat-
bestand gegenüber den Kopf einfach in den Sand stecken,
l) Ansätze dazu bei Skutsch, Ennius (PW V) 2621, Lindsay lat. Spr.
248, darnach Sommer2 S. 126. 147. 493, aber nicht tief genug grabend.
Die Entwicklung und das Schwanken der altern Meinungen hat gut
geschildert W. Corssen, über Aussprache, Vokalismus usw. d. lat. Sprache
II2 438 ff.
Sitzgsb. d. philos.-ptailol. u. d. hist. Kl. Jahrg. 1917, 3. Abh. 2
18 3. Abhandlung: F.Vollmer
wollten wir leugnen, daß wir nicht wissen, wie Plautus in
einem Verse wie Mil. 112 conicit in navem miles dam matrem
suam die Endung -it gemessen hat: man nimmt heute wohl
allgemein an, daß wir hier ein Beispiel von durch Plautus
selbst angewendeter Jambenkürzung vor uns hätten: mir ist
viel wahrscheinlicher, daß Plautus einfach von der zu seiner
Zeit in der Volksprache schon durchgedrungenen Geltung von
-it als Kürze ausging. Denn es wäre doch gewiß ein Unsinn,
diesen Vorgang der Kürzung in den Verbalendungen durch die
Volksprache etwa durch die Jahre 184 (Ende des Plautus) — 172
(Buch XII der Annalen des Ennius) limitieren zu wollen. Ist
denn nun etwa für die nicht gerade sehr, aber doch immer-
hin zahlreichen Fälle, in denen diese Verbalendungen bei
Plautus in arsi sicher als Länge stehen (vorläufige Liste bei
C. F. W. Müller, Plaut. Prosodie S. 56—78) anzunehmen, daß
Plautus eine metrische Dehnung in arsi gekannt habe? Ich
meine, die Frage formulieren heißt sie verneinen. Wir müssen
vielmehr m. E. folgern, daß die Plautinische Sprache (wohl
auch beeinflußt durch die Verse des Livius und Naevius) diese Sil-
ben als doppelzeitig gebraucht hat. Das aber ist eine Folge der
Vermischung der sekundären Endungen auf -d mit den primären
auf -t(i) — man sehe nur einmal, welch große Zahl der bei
C. F. W. Müller gesammelten Beispiele auf die Formen des
Konjunktivs, Imperfekts und Perfekts entfällt — : stehen die
sekundären Formen als erkennbare Längen in arsi, so stehen
sie eben vor Vokal und wurden dort mit End-^ gesprochen,
was die Erhaltung der Länge begünstigte. Daß allmählich
die frühere Kürzung der primären Formen auch auf die sekun-
dären übergriff, begreift sich leicht: wir haben eine gute
Analogie in der unten noch zu erwähnenden Vermischung der
Endungen des Conj. Perfecti mit denen des Futurum exactum. *)
— Wenn nun endlich die Kürzung dieser Verbalendungen bei
x) Wie weit vor Vokal bei Plautus und Terenz -d in solchen Formen
wiederherzustellen sei, verdiente eine Untersuchung: Leo, plaut. Forsch.2
p. 249 denkt nicht einmal daran, wir haben aber z. B. im Bembinus
siid Ter. Ad. 104.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 19
Ennius so viel deutlicher hervortritt, so liegt das einfach an
seinem Versmaße, dem Hexameter, das die Fixierung der
prosodischen Werte viel gebieterischer forderte als der Dialog-
vers des Dramas: wir werden uns aber auch hüten jetzt noch
fecit Plaut. Bacch. 665 (Kretiker) und Rud. 212 monstret
(Kretikerklausel) oder Cist. 312 (ex)concinnavtt (iamb. Octonar)
beseitigen zu wollen.
Wir haben also, um es scharf festzulegen, aus dieser
reichsten Gruppe von Beispielen das höchst wichtige Resultat
gewannen, daß Ennius — und ebenso Plautus — mit der
Verwendung der Endsilben -at -et -it als Längen in arsi
keineswegs die zu ihrer Zeit übliche Aussprache wiedergibt,
sondern veraltete Formen wiederherstellt und festhält, weil
die Sprache so für seine Verse gefügiger wird. Diese bedeutsame
Erkenntnis wird uns auch weiterhin vor Augen stehen müssen.
Für die Verwendung der Verbalendung -or als Länge
haben wir in den Annalen nur ein Beispiel (veneror), dazu
tritt aber aus den Trochaeen der Tragoedien vereör (scaen. 59),
während ein Beispiel für Kürzung nicht erhalten ist. Aber
wir dürfen wohl gleich weiter gehen und neben die lang
gebrauchten Nominalforraen soror, genitor, imbricitör, clamör
(dazu 531 clamör) das gekürzte sudor (ann. 406) stellen. Für
-or hat Plautus kein Beispiel von Kürzung (C. F. W. Müller
S. 42 und 44), aber Lucilius zeigt uns deutlich, wohin auch
hier die Entwicklung führte: er hat neben dem nicht ganz
sichern pudor (1049) und langem länguör (391), sowie etwa
32 Stellen mit unerkennbarer Quantität, gekürzt folgende
Formen: ecferÜr, fruniscor, piimictir, agitdtor, pudor, quäestor,
Stridor, bldndior, löngior, mäior und öblindr. Ob wir berechtigt
sind, aus diesem spärlicheren Materiale den Schluß zu ziehen,
daß die Kürzung der Endung -or später erfolgt sei als die
der Verbalformen auf -t, ist mir höchst zweifelhaft, namentlich
wenn wir daneben halten, daß auch bei Plautus die Belege
nur für -ö~r zahlreicher sind, für -er ganz fehlen.1)
x) Man kann die Frage aufwerfen, ob nicht außer bei Enn. 422
und 531 clamos (vgl. Lachmann zu Lucr. 6, 1260) bei ähnlichen Wörtern
2*
20 3. Abhandlung: F. Vollmer
Für die weiteren vereinzelten Beispiele läßt unser spär-
liches Material kaum ein sicheres Urteil zu. pulvis finden wir
nach Ennius wieder bei Vergil Aen. 1, 478, aber gekürztes
pulvis zuerst (nicht Enn. ann. 315, wozu richtig Vahlen, sondern)
Prop. 1,19,6. 1,22,6, dann Verg. Aen. 11,877, Hör. carm.
4,7,16 u. ö.: da der Nominativ bei Lucilius wie Lucretius
fehlt, läßt sich die Kürzung nur vermutungsweise früher hinauf-
setzen. Bei iubär ist zu beachten, daß das Wort bei Ennius
(wie später Aetna 334 iubär aureus. Anth. 197, 4 vgl. noch
Gramm, de dub. nom. V 581, 7) als Masculinum gebraucht
ist, während die Neutralform (Enn. scaen. 19 prosodisch nicht
faßbar) seit Lucr. 4, 404 als Kürze in Übung ist. l) Beide
Wörter würden sich also der Annahme von alten Nominativ-
formen *pulviss und *iubars fügen, als deren Nachwirkung die
Geltung der Endsilbe als metrischer Länge verständlich wäre.
Höchstwahrscheinlich hat Ennius auch neben sanguen neutr.
wie Lucr. und Verg. die Maskulinform sanguis mit langer End-
silbe gebraucht (acc. sanguinem scaen. 132, sanguis in Iamben
scaen. 163 prosodisch nicht wertbar): die gekürzte Form ist
zwar Lucr. 1,853 überliefert sanguis an os(sa), aber wohl nach
837 und 860 durch sanguen zu ersetzen; sie findet sich dann
seit Verg. georg. 3, 508 neben der bis in die Kaiserzeit hinein
verwendeten Längung der Endsilbe. Ich habe in die Liste
oben auch den Beleg für quadrupes aufgenommen, namentlich
weil er direkt daneben eques bietet; denn ich meine, daß die
Composita von pes früh die Endsilbe gekürzt haben: belegen
bis auf Vergil durchweg die -s-Form herzustellen ist. Ich führe hier
die Untersuchung nicht, obwohl mir sicher ist, daß wir bei methodischer
Wertung der Überlieferung zu ganz andern Resultaten kommen würden,
als sie bei Neue I3 S. 262 ff. und in andern Handbüchern stehen. Jeden-
falls hat aber das Nebeneinander von -ös und -or sich in ähnlicher Weise
beeinflußt wie das von -äd und -at, -ed und -et. Vereinzelte Beispiele
der Längung finden sich (besonders oft honös) bis in die spätchristliche
Poesie hinein.
x) iubär masc. neben itibär neutr. böte also eine wichtige Parallele
für die anzunehmende Entwicklung von par, die nur zeitlich früher an-
zusetzen ist, da par neutr. schon bei Plaut, als lange Silbe gilt.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 21
kann ich die Kürze allerdings erst um die Wende des 4. zum
5. Jahrh.: quadrupes Prud. apoth. 212 Paul. Nol. carm. 20,387;
tripes Paul. Nol. carm. 23, 140 ; Auson 336, 39 (p. 202 P.) qui
bipes et quadrupes foret et tripes, omnia solus usw. (vgl. auch
Prise, gramm. II 241, 13 ff.).
Bislang also hat unsere Erklärung von 'Dehnung kurzer
Endsilben in arsi bei Ennius einheitlich sein können : es han-
delte sich um Silben, in denen der Epiker, um die Wörter
der getragenen, jede Silbe im Metrum klingen lassenden Sprache
seiner Verse gefügig zu machen, auf in der Volksprache schon
abgeschliffene Längen zurückgriff.
Nun aber finden sich in der oben gegebenen Liste un-
zweifelhafte Fälle, bei denen diese Erklärung nicht zureicht:
popxdüs und tergüs haben niemals lange Endsilben gehabt.
Und es liegt klar zu Tage, daß Ennius mit solchen Fällen
eine prosodische Lizenz aus griechischen Versen, vor allem
aus Homer eingeführt hat1), ähnlich wie wir das oben bei
que . . . que gesehen haben (S. 15). Es fragt sich nur, wie
weit er darin gegangen ist.
Dabei haben wir, worauf L. Müller3 S. 394 (nicht in der
ersten Auflage) mit Recht aufmerksam macht, wohl zu be-
*) Wir werden annehmen dürfen, daß schon die Alten sich dessen
bewußt gewesen sind : ob sich freilich auch auf solche Einzelheiten schon
des Lucilius Wort vom Homerus alter (frg. 1189) bezieht, ist mehr als
zweifelhaft: ich erinnere aber daran, daß Gellius 6,20,6 bei den ver-
wandten Hiatfragen von Hiatus illius Homerici suavitatem spricht (vgl.
Mar. Vict. gramm. VI 36,25); ausdrücklich rechnet Macrob. Sat. 5, 14, 3
den Vers Aen. 11,469 mit pater zu den Xayagot, in denen adeo . . . .
Vergilio Homeri dulcis imitatio est, ut et in versibus vitia . . . imitatus sit
Ganz hilflos sind in diesem Punkte unsere alten Kommentare und gram-
matischen Traktate de finalibus oder de idtimis syllabis: man sehe
Gramm. VI 240, 18 de ultimis, quibus poetae licet saepe vel licentia vel
necessitate metri indifferenter utantur, non tarnen ideirco qualiter se na-
turaliter habeant nesciendum est und vgl. Mar. Victorin. gramm. VI 31,13.
36,28. 37,20. 67,21. 219,9.25. 284.14; dasselbe meint Serv. Aen. 3, 464,
wenn er zu gravid anmerkt: e«' finalitatis ratione producitur, sed
satis asper e, nam in nullam desinit consonantem (ähnlich Aen. 1, 116.
3, 91. georg. 2, 70).
22 3. Abhandlung: F. Vollmer
achten, daß Ennius in der Beurteilung von Einzelheiten homeri-
schen Versgebrauches durchaus unter dem Einflüsse alexandrini-
scher Grammatik zu denken ist: wir werden bei dem, was er be-
obachtet und entlehnt, uns frei zu halten haben von Erwägung
neuerer Forschungen über alten Anlaut mit o und /, über ältere
Langgeltung von Vokalen u. ä. 1).
Für Fälle also wie populüs atque, horridiüs unquam2), ter-
gus igitur gibt Homer eine Fülle von Vorbildern. Hier ist
nun vor allem zu bemerken, daß die Beispiele bei Homer keines-
wegs auf die metrisch unbequemen Worttypen » « « , — « « <* ,
w — ^~w} v,^_^^o un(j ^ v, beschränkt sind3), son-
dern auch eine Menge von einsilbigen Kürzen {xig, yJv, av, ydq,
/utv etc.) und Wörtern der Formen » - , — u , um-
fassen4). Außerdem ist keineswegs irgend eine der mittleren
Arsen alleinige Trägerin der Erscheinung, sondern alle haben
an ihr Anteil. Beides ergibt sich ja von selbst aus der ur-
sprünglichen Entstehung dieser meist bei Homer nur schein-
baren Lizenz.
Demnach hat die Erscheinung, die uns hier beschäftigt,
bei Ennius zwei Wurzeln, 1. Ausnutzung alter Längen, 2. Nach-
bildung scheinbarer homerischer Freiheit.
x) Das hindert natürlich nicht für die Vergleichung der homerischen
Beispiele die Listen bei W. Hartel, Homerische Studien I— III (Sitzber.
d. Wien. Ak. 68. 75. 78, 1871—74 I2 Berlin 1873) und 0. V. Knös, de
digammo Homerico I— III (Upsala, Universitets °Arsskrift 1872. 1873.
1879, besonders p. 326 ss.) heranzuziehen (einiges auch bei J. Hilberg,
Das Prinzip der Silbenwägung, 1879 S. 39 ff.); es reichen aber auch die
Beispiele bei Fr. Spitzner, de versu Graec. heroico S. 14—82 aus.
2) Denn daß Ennius die uralte Länge des Neutrums der Kompara-
tive berücksichtigt habe, läßt auch der Gebrauch bei Plautus (C. F. W.
Müller S. 55 ff. Jacobsohn q. Plaut, p. 5) oder das bellum prior und an-
terior bei Claudius Quadrigarius u. a. nicht als glaubhaft erscheinen.
3j Beispiele aus der ganzen Masse seien 3 1 k'XaOsv la%r\t T 40 otps-
Xsg äyovog, W 420 /ji^eQiov aXev, K 461 svxöfievog enog, f 429 naQioxä-
fievog inieoot, e 403 igevyofierov el'Xvxo, E 871 6Xo<pvQÖf*evog enea, Ä 68
iXavvcooiv ävdgög, A 75 'AnöXXwvog efeaxrjßsXexao.
4) Ein paar Beispiele xig emsoHsv 26 mal, 5 39 yag IV' s'fisXXsv,
A 214 JzdXiv äysv, 440 "Egtg ä/xoxov, T 310 Siygov agvag , B 236 avxog
oljxo, A 474 ftsXnovxsg sxäeQyov, 543 xixXrjxag sinsiv.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 23
Zweifelhaft erscheint nun, auf welche von beiden wir die
Fälle mit aquild und Aeacidä1) zurückzuführen haben. Ich neige
trotz C.F.W. Müller (Pros. S. 3 — 10), Jacobsohn (quaest. Plaut,
p. 32 ss.) der Ansicht zu, daß Plautus das -a des Nom. sing,
der ersten Deklination künstlich gegen die Aussprache seiner
Zeit als Länge gebraucht hat, wo ihm das bequem war2), aber
wir müssen im Auge behalten, daß aquild auch auf Nach-
ahmung homerischer Lizenz zurückgehen kann: Stellen wie
cp 221 gdxea fxeydh]q, M 283 xal neÖia XcüTevvra, Q 7 ?)<3' ÖJiooa
Tolvnevoe, U IIA xeg/udöia jueyd?S nicht nur in Wörtern vom
Typ u « ^ oder — w " w , sondern auch <£ 352 xd tisqi xaXd
qse&qo., £ 269 Jieio/xaxa xal oTieiga, xai äjioijvovoiv igexjud, i 109
dXXd Tay"1 äojiaqxa xal dvrjQoxa ndvxa (pvovxai usw. Diese Homer-
steilen würden also an sich ann. 2 nosce und 440 monte glaublich
erscheinen lassen, wenn die Überlieferung sicherer wäre: ohne
Bedenken bringe ich den Vers 240 durch Einschiebung von ei
hinter et auf die Beine.
Es bleiben für Ennius noch zwei Beispiele zu erledigen,
125 fuerit und 271 inimiciüdm. Das erste wäre in Ordnung,
wenn wir annehmen dürften, fuerit sei coni. perfecti; aber auch
für den Fall, der mir wahrscheinlicher ist, daß es fut. exactum
sei, können wir die Längung der Endsilbe verstehen: tatsäch-
lich werden schon zu Plautus1 Zeit, wie auch unsere Hand-
bücher, freilich mit nicht immer einwandfreien Beispielen lehren3),
1) Ich stelle beide Fälle auf eine Stufe, denn ich glaube, daß
Ennius das Patronymikon latinisiert hat: Plautus gebraucht durchweg
die griechische Endung -ides in Antamo(e)nides, Apoecides, Charmides,
Megaronides, Misargyrides, Theopropides, nur den scherzhaft gebildeten
Namen Homeronida (Truc. 485 in Synaloephe) und den Sklavennamen
Leonida latinisiert er. Da aber der letztere Asin. 740 als -da im Voc.
gemessen wird, ist vielleicht auch der Voc. Aeacida bei Ennius hier
auszuscheiden. Für den Nom. vgl. noch Lucil. Tiresid.
2) Man vergleiche, was oben S. 19 über den Gebrauch der Endung
-it bei Plautus dargelegt worden ist.
3) Z. B. Neue, Formenlehre III3 428 ff. Die Vermischung geht mit
der Zeit so weit, daß Diomedes gramm. I 340,31 das alte Verhältnis
geradezu auf den Kopf stellt und vorschreibt: coni. perf. dixerimus,
fut. ex. dixerimus.
24 3. Abhandlung: F. Vollmer
coni. perf. und fut. exact. nach Syntax wie Formen durch-
einandergeworfen: so haben wir occeperis als fut. ex. Poen. 213,
wohl auch fleveris Pseud. 100, abierit Mil. 1176. — Bedenklicher
erscheint 271 inimiäüäm agitantes, wo es natürlich sehr wohl-
feil ist mit den Humanistenhss. zu lesen inimiciüas. Aber hier
müssen wir uns erinnern, daß wir bei Homer Fälle lesen wie
7^172 cpile exvqe deivog re, E 343 jueya läypvoa 576 IJv/,aijuevea
i?Jri]v, x 246 dvvaro k'jiog, © 556 äQijigejiea, öre, ü 285 öe7iai,
öcpga, x 322 enrji^a cbg u. a. neben Fällen, wo der Hiat die
Thesis zerteilt, wie z. B. B 777 xetro äväxrcDv, E791 vvv de exäg
noliog usw., daß wir also ebenso berechtigt sind, aus den an-
erkannten Thesis-Hiaten bei Ennius 332 militüm octo, 494 dum
quidem unus auf die Echtheit von inimicitidm agitantes zu
schließen. Ich kann darum auch nicht für richtigr halten, daß
Marx bei Lucilius die Hiate archaeoterä, unde — gladmm in —
etiäm haec malüm ad (diesen auch Leo, Gott. Gel. Anz. 1906,
843) — hominem habeas mit den üblichen Flickmittelchen be-
seitigt: sie stützen das inimicitidm und werden von ihm gestützt
(vgl. auch Aetna 129. Prop. 2, 15, 1. Gratt. 249 u. a.). Und
ebenso stelle ich mich zu Verg. Aen. 12, 648: hier ist inscia
nicht nur durch alle alten Hss Ribbecks (darunter MPR), son-
dern auch durch die Sonderüberlieferung der Hss des Servius
und Macrobius (freilich nicht durch ausdrückliches Zeugnis
dieser Schriftsteller selbst) bezeugt, nescia nichts als besten-
falls Karolingerkonjektur.
Denn was ich oben (S. 15) bereits gesagt, muß ich nun
hier wiederholen: wir haben das aus den Fragmenten der An-
nalen des Ennius unmittelbar gewonnene Bild seiner Verskunst
zu vervollständigen durch Rückschlüsse aus seinen Nachahmern,
besonders aus Vergil1).
Um ein paar Einzelheiten herauszugreifen : gewiß wird
auch schon Ennius von der Möglichkeit Gebrauch gemacht
haben, unbequeme griechische Formen durch lateinische Flexion
J) Es ist das ein Punkt, der in der sonst so meisterhaften Charak-
terisierung von Sprache und Versbau des Ennius bei Leo, Gesch. der
röm. Litt. I S. 182 ff. nicht genügend hervortritt.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 25
zu ersetzen: neben clamides bei Lucilius treten Pleiadds und
Phorbanti bei Vergil, bei Properz Phaeacäs, bei Ovid Paridi,
TJietidi, Capyi, Hyadäs u. a. Und die Zahl der in arsi ge-
brauchten Verbal- wie Nominalendungen wird man für Ennius
aus Vergil unbedenklich vermehren dürfen ; sicher hat schon
Ennius z. B. wie Vergil pater gebraucht, wozu zu vergleichen
Homerisches wie 6 408 yaTge jidreg a> geive (= o 122 v 199).
Natürlich sind bei solchen Schlüssen die Augen aufzubehalten :
die künstlichen Versenden mit hymenaeus und hyacinthus bei
Vergil stammen nicht aus Ennius (denn Homer hat sie nicht)
sondern aus Catull, der sie seinerseits aus alexandrinischer
Poesie entnommen hat1): aber gravidüs autumno und petit
Ea.andri dürfen wir ruhig auf Ähnliches bei Ennius zurück-
führen, hat doch auch Homer Schlüsse wie (Z> 23 hjuevog
evöo/.wv, 2 288 juegonsg äv&QCOJioi, ß 65 TieQtxriovag äv-
docoJiovg.
Es liegt nun in der Natur der Sache, namentlich bei den
Verbalendungen, daß die in arsi 'gedehnten' Silben vielfach
die letzten eines Satzstückes sind : so schon bei Homer (vgl.
Knös a. a. 0. S. 327) 2). Ebenso deutlich ist, daß solche Silben
durch die Caesur, in die sie natürlicherweise vielfach treten,
eine Stütze erhalten : das kommt ebenfalls schon bei Homer
zu Tage (s. Hartel, Homer. Stud. P S. 93 ff.). Derartige Fälle
haben wir bei Ennius nicht selten : besonders deutlich 252
alter nare cupit, alter pugnare paratust. In der spätem Ent-
wicklung aber häufen sie sich : wo bei Ovid wirklich eine
Kürze in arsi steht, ist sie letzte Silbe des Satzkolons. Das
hat seinen Grund klärlich in der immer stärker werdenden
Wirkung der Rhetorik auf die Poesie. Leo3) hat uns gelehrt,
daß die Einschränkung der Hexameterschlüsse auf 2- und
3 silbige Wörter eine Folge und Wirkung der gleichen Be-
l) Diese Mischung von Ennianischem und Alexandrinischem ist
für Vergils Stil charakteristisch.
'-) Hierher gehört auch die nach einem Imperativ oder Vokativ
von selbst sich einstellende Redepause.
9) jnd. lect. Gotting. 1893 p. 7.
26 3. Abhandlung: F. Vollmer
schränkung der prosaischen Redekola ist: wir werden als
parallele Erscheinung zu betrachten haben, daß am Ende des
Satzstückes im Verse die syllaba anceps des rhetorischen Kolons
ertragen wird. Wo syllaba anceps, da Hiat : wir werden die
Richtigkeit der eben gewonnenen Ansicht an seinem Vorkom-
men zu prüfen haben. Und wirklich ist aus der gleich zu
gebenden Liste der Hiate in arsi von Ennius bis auf Ovid un-
mittelbar abzulesen, daß etwa gleichzeitig mit der Beschränkung
kurzer Endsilben auf Kolenenden auch der Hiat (abgesehen
von dem bei griechischen Wörtern und Floskeln)1) auf diese
Stellen allein zurückgeht.
Enn.2) var. 39 Surrenti elopem fac emas
Accius frg. 3,6 ut cum dominis famuli epulentur ibidem
Lucr. 6,755 sed natura loci opus efficit ipsa suapte
Catull.3)27,4 ebriä acina ebriosioris (dazu Gell. 6,20,6)
66,11 qua rex tempestate novo auctiis hymenaco
68,158 a quo sunt primo omnia nata bono
Vergil. buc. 2, 24 Actaeö Aracyntho
3,6 et sucus pecori et lac subducitur agnis
3,63 lauri et suave rubens hyacinthus
6,44 ut litus lHyld Hyld omne sonaret
7,53 stant et iuniperi et castaneäe Jiirsutae
8,41 ut vidi, ut perii; ut me malus abstulit error
(= Ciris 430)
44 aut Tmaros aut Bhodope aut extremi Garamantes
10,12 Aonie Aganippe
13 illum etiam lauri, etiam flevere myricae
georg. 1,4 qui cultus habendo
sit pecori, apibus quanta experientia parcis
221 ante tibi Eoäe Atlantides abscondantur
*) Der Hiat nach Interjektionen bleibt hier ganz außer Betracht.
2) Ich möchte hier darauf aufmerksam machen, daß vielleicht auch
ann. 220 Poenos Sarrä oriundos mit Hiat zu lesen ist, also den gleichen
Fall hätte wie 290 Poenos Didone oriundos.
3) 107, 1 lese ich cupido(que); über andere in der Überlieferung
mit falschem Hiate stehenden Stellen s. o. S. 8 Anm. 1.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 27
281 ter sunt conati imponere Pelio Ossam
341 tum pingues agni et tum mollissima vina
2,86 orchades et radii et amara pausia baca
144 tenent oleäe armentaque laeta
3,60 iustosque pati hymenaeos
3,155 arcebis gravido pecori, armentaque pasces
4,343 atque Ephyre atque Opis et Asia Deiopea
463 atque Getäe atque Hebrus et Äctias Orithyia
Aen. 1,16 posthabita coluisse Samö: hie illius arma
617 Dardaniö Anchisae (= 9,647)
3, 74 Nereidum matri et Neptunö Aegaeo (= Ciris 473)
606 si pereo, hominum manibus periisse iovabit
4,235 quid struit? aut qua spe inimica in gente
moratur
667 lamentis gemituque et femineö ululatu (9,477)
5,735 concilia Elysiumque colö. huc casta Sibylla
\. . . te . . . ducet
7,178 veterum efßgies ex ordine avorum
antiqua c cedrö, Italusque paterque Sabinus
226 si quem tellus . . .
summovet oceanö et si quem . . . dirimit plaga
631 Ardea Crustumerique et turrigeräe Antemnae
9,291 hanc sine me spem ferre tut: audentior ibo
477 siehe 4,667
647 siehe 1,617
10, 136 inclasum buxö aut Oricia terebintho
(s. Prop. 3,7,49)
141 Maeonia generöse domo, ubi
156 gens . . . externo commissa daci. Aeneia puppis
prima tenet
11,31 Parrhasiö Euandro
480 Lavinia virgo
causa mali tanti, ociüos deieeta decoros
12,31 promissam eripui genero, arma impia sumpsi
535 ille ruenti Hyllö animisque inmane frementij
oecurrit
28
3. Abhandlung: F. Vollmer
Ciris1) 257 illa autem lquid me inquit, nutricula torques
430 = buc. 8,41 473 = Aen. 3,74
Catal.2) 14,9 marmoreusque tibi aut mille coloribus ales
Aetna 129 hospitium fluviüm, haut semita s. Liste 1
Hör. epod. 13,3 Threicio Aquilone sonant
carm. 1,28,24 ossibus et capiti inhumato
Prop.3) 2,15,1 o me felicem, o nox s. o. Liste 1
3,7,29 ite rates curvde et leti texite causas
49 sed Thyio thdlamö aut Oricia terebintho
(s. Aen. 10,136)
Ov. epist. 4,99 in Maenaliä Atalanta
9,87 cupressifero Erymantho
131 pulsä Aetolide Deianira
133 -i Alcidae
141 lotiferö Eueno
11,13 Sithoniö Aquiloni
ars 2,185 Nonacrinä Atalanta
3,13 Talaioniäe Eriphylae
met. 2,244 Phegiacö Erymantho
4,474 sie haec Iunone locuta
Tisiphone, ut erat canos turbata capillos,
movit
535 in Ioniö immenso
5,312 fönte Medusaeö et Hyanted Aganippe
409 Pisaede Arethusae
8,310 cumque Pheretiade et Hyanteö Iolao
315 cum Parrhasiö Ancaeo
11,17 JBacchei ulidatus
93 cum Cecropiö Eumolpo
14,832 o et de Latiö, o et de gente Sabina
15,450 penatigero Aeneae
J) Culex 124 ist der Hiat jetzt durch platanus (so der Corsin.)
beseitigt.
2) 13, 6 ist der überlieferte Hiat sicher zu beseitigen, Heilung noch
nicht gelungen.
3) 3, 12, 38 wird richtig Penelnpes statt des überlieferten -pae ediert.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 29
fast. 2,43 Naupactoo Acheloo
5,83 cum caelifero Atlante
Gratt. 249 s. oben Liste 1
Manil. 2,831 hie tenet arbitrium vitäe, hie regula morum est.
Fassen wir nun noch einmal zusammen, was wir bisher
erkannt haben. Die auf den ersten Blick verwirrende und
unübersichtliche Fülle der Beispiele von sogenannter Dehnung
kurzer Endsilben in arsi von Ennius bis auf Ovid läßt sich
auf drei Wurzeln zurückführen:
1. künstliche Langsetzung von in der Umgangssprache
schon gekürzten Endsilben ;
2. durch Versnot erzwungene, mit der Zeit aber auch
als Stilfärbungsmittel (z. B. que oder flatus hymenaeo) will-
kommene Einsetzung kurzer Silben an Stelle langer in Nach-
ahmung scheinbarer homerischer (auch alexandrinischer) Frei-
heiten ;
3. Gleichbehandlung von Versabschnitten und Satzab-
schnitten im Verse mit rhetorischen Kola, deren Ende Hiat
oder Syllaba aneeps zuläßt.
Indem ich einige andere Erwägungen au das Ende dieser
Abhandlung zurückschiebe, knüpfe ich zunächst an Punkt 1
noch kurze Betrachtungen.
Wir haben oben (S. 18) bei der Behandlung der Verbal-
endungen, besonders der auf -it erkannt, daß viel wichtiger
als die Beobachtung der Stellen, wo diese Endungen bei Ennius
und Plautus noch als Länge gelten, die entgegengesetzte ist,
nämlich zu sehen, wo sie zuerst gekürzt werden : da die Ent-
wicklung der Endsilben im Lateinischen (mit Ausnahme ganz
weniger Einzelfälle) wie in andern Sprachen durchaus die von
der Länge zur Kürze ist, bedeutet jeder sichere Beleg der
Kürzung für uns einen wichtigen Wegweiser. Wir müssen
uns dabei über einen Begriff klar werden, der in Prosodie und
Grammatik durch die übliche Art seiner Verwendung viel Ver-
wirrung gestiftet hat und noch stiftet, über den Begriff der
30 3. Abhandlung: P. Vollmer
vocalis oder syllaba anceps. Der nicht antike Ausdruck1) hat
sein Recht in einer Anleitung Verse zu machen : er bezeichnet
da die Silbe, die im Schema den Platz einer langen oder einer
kurzen Silbe ausfüllen darf. In sprachgeschichtlicher Betrach-
tung aber bedarf er vorsichtiger Anwendung und Auslegung.
Man pflegt z. B. auslautendes -o des nom. sing, in der dritten
Deklination oder in der 1. pers. der Verbalendungen als syl-
laba anceps zu bezeichnen, und gewiß finden sich -ö und -o
in diesen Formen bei den gleichen Dichtern bis ins Mittelalter
hinein2). Ob aber dies -o in der Sprache des Tages z. B. zu
Ovids Zeit noch jemals lang gesprochen wurde, ist eine Frage,
die mancher mit mir zu verneinen geneigt sein dürfte. Es
gehörten also streng genommen alle nachchristlichen Dichter-
stellen mit -ö in meine Liste von „Dehnung in arsi1" eben so
o-ut wie ich oben modo aus Cic. Arat. verzeichnet habe. Gerade
so steht es mit den Stellen (sagen wir seit Vergil), in denen
mihi tibi ubi u. ä. iambisch gebraucht werden. Sprachlich
betrachtet haben wir also hier Silben, die in der Umgangs-
sprache kurz gebraucht wurden, von den Dichtern aber aus
Versnot oder -bequemlichkeit, oder um den Stil und Vers-
brauch ihrer altern Vorgänger nachzuahmen auch lang ge-
halten werden3). Aber wir dürfen bei dieser Feststellung nicht
vergessen, daß es für jede Gruppe dieser Silben wirklich eine
Zeit gegeben hat, in der auch die lebendige Umgangssprache
sie sowohl kurz wie lang gebraucht hat : lang, wenn besondere
Betonung oder getragene Rede jedes einzelne Wort zur Geltung
kommen ließ4), kurz, wenn Affekt und Eile die einzelnen
Wörter zu kleineren oder größeren Gruppen zusammenschmolz,
1) In ganz anderm Sinne Prise, gramm. II 9, 30 vocales . . . sunt an-
cipibes vel liquidae.
2) Die Belege bis auf Iuvenal jetzt bei Rud. Hartenberger, de o
finali ap. poet. lat. diss. Bonn 1911.
3) [Ähnlich, aber nicht deutlich genug, jetzt Sommer Handbuch2
S. 118 f. Maurenbrecher, Parerga S. 220 f. K.-N.]
4) Dabei ist zu beachten, daß ohne Zweifel die Leseübungen der
Schule eine starke Stütze für richtige Tradition älterer Aussprache
bedeuteten.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 31
in denen besonders die Iambenkürzung ihre Kraft übte. Es
ist nun ebenso selbstverständlich, daß diese Zeit sehr viel früher
anzusetzen ist als die Zeit der anceps- Verwendung bei den
Dichtern, wie daß wir nur im seltensten Fall die Mittel haben,
hier überhaupt etwas chronologisch zu fixieren : daß z. B. die
Schreibungen der Inschriften shbei mihei ubei für die Geschichte
der langen End-i wenig zuverlässige Zeugen sind, ist ja be-
kannt. Es schien mir nötig, dies einmal deutlich auseinander-
zusetzen, um zugleich zu raten, aus solchen Überlegungen
Vorsicht zu lernen bei Beurteilung einzelner Stellen und immer
eingedenk zu sein, welch lange Zeit solche sprachlichen Ent-
wicklungen in Anspruch nehmen.
Da die Perfektendung eine wichtige Rolle in unsern Er-
wägungen gespielt hat, möchte ich im Anschluß an die aus
Ovid zitierten Beispiele nicht versäumen mit der falschen Lehre
aufzuräumen, die Lachmann zu Lucr. 4, 1042 (S. 207, darnach
L. Müller1 325, 2399, sogar Sommer Handb.2 S. 588) aufge-
stellt hat, als ob es ein Sondervorrecht der Perfecta von eo
und Composita sowie von peto gegenüber den Verben der
4. Conjugation gewesen wäre, bei den Dichtern die Endung
-ilt statt -iU zu behalten. Lachmann hat da einen doppelten
Fehler begangen : einmal ist sein Material unvollständig, zwei-
tens ist seine Differenzierung unmethodisch. Er geht zwar
richtig von den Zeugnissen der alten Inschriften für venieit,
redieit aus, springt aber dann gleich zu Ovid über, ohne zu
bedenken, daß zur Zeit des Augustus die Endung -iit ebenso-
gut wie -üit und einfaches -it längst allgemein in der Tages-
sprache gekürzt wurde. Er konnte ja freilich noch nicht
wissen (damals kannte man das Iambenkürzungsgesetz nur
ganz unvollkommen), daß für die Umgangsprache eine ver-
schiedene Behandlung der Endsilben in Wortformen wie abiit
und ambiit ausgeschlossen war; aber aus andern Analogien,
namentlich aus der Behandlung von End-o bei den Dichtern,
hätte sich auch damals schon der Schluß ziehen lassen, daß
es sich bei der Differenzierung von abiit und ambiit nicht um
verschiedene Entwicklung verschiedener grammatischer Kate-
:'>- 3. Abhandlung: F. Vollmer
gorien, sondern um rein prosodische Konvention der Dichter-
sprache handelt : in Wörtern vom Typus « « " und — w u w
wurde der Endung -it die alte Länge wiedergegeben um sie
im Hexameter zu gebrauchen, in solchen vom Typus — v *
behielt man die Kürzung der Umgangsprache bei. So viel
ich sehe können wir dies künstliche Nebeneinander zuerst bei
Vergil feststellen : er hat (zwar nicht petiit, wie Lach mann an-
gibt, aber) vor Vokalen subiit und enihiit, auch apposuit (Ciris),
daneben georg. 2, 81 exilt (auch Aen. 2, 497), transiit (Aen.
5,274. 10,785. 817), ambiit (Aen. 10,243), audiit (buc. 6,83
und noch 13 mal), emuniit (8,227), leniit (1,451. 8,87),
mugilt (8,218), immugilt (3,674), wohl auch iit (9,418), denn
es liegt nicht der geringste Grund vor mit Lachmann (S. 209)
gerade die Formen von eo und Composita durch die kontra-
hierten Perfecta U, exlt, translt zu ersetzen. Anders steht es
bei Ovid: neben den oben S. 13 aufgezählten häufigen Formen
rediit abiit adiit periit subiit interiit praeteriit petiit occubuit
prosiluit impediit1) finden sich bei ihm kein exilt transiit aber
auch kein audiit leniit o. ä.2) : er hat diese Formen einfach
gemieden. Andere Dichter aber haben Vergils Vorgang
ohne Bedenken befolgt: Properz hat neben petiit (1, 10, 23)
auch suffilt (4,8,84); bei Pers. und luv. haben wir subiit und
periit, bei Val. Fl. impediit hymenaeos (das freilich etwas ab-
seits steht), aber bei Gratt. 139 exilt, bei Stat. Theb. 12, 750
transiit, bei Val. Fl. 7, 509 audiit (6 mal bei Stat.), bei Stat.
Ach. 2, 74 quaesiit u. s. w.
Schon bei dieser Untersuchung hat sich von selbst eine
weitere Frage erhoben : wie haben wir nun nach Feststellung
der allgemeinen Prinzipien die einzelnen Fälle zu beurteilen ?
1) Daß; er daneben auch die kontrahierten Formen des Perfekts U
peilt verwendet, ist eine Sache für sich : Vergil hat sie nicht gebraucht:
Aen. 9, 9 petit Euanäri ist Praesens, 9,418 ist üb mit P zu lesen.
Außerdem haben die Dichter die Formen auf -ivit wie obivit Verg.,
subivit Stat., petivit Verg. oft, audioit Verg. Hör. u. s. w.
2) Schon dieser Befund spricht deutlich gegen Lachmanns Unter-
scheidung.
Zur Geschiebte des lateinischen Hexameters. 3o
Welcher der drei oben (S. 29) festgestellten Klassen haben
wir den einzelnen zuzurechnen? Über aquilä bei Ennius und
die verschiedenen Möglichkeiten es zu verstehen, ist oben (S. 23)
gesprochen worden : auch Lachmann unterscheidet hier und
will (S. 208) die Beispiele mit -it vor griechischen Wörtern
und vor et gesondert gestellt wissen. Seine Gruppe der Fälle
vor et hat sich unserer Klasse 3 als untergeordnet zu fügen :
aber im übrigen ist die Beurteilung des Einzelfalles in der
Tat oft nicht leicht. L. Müller kam infolge dessen zu der
Anschauung (2S. 403): 'quamquam, ut mos est poetis Latinis,
non una pleraque defenduntur venia'. Diese Auffassung hat
für die Beispiele bei Vergil, für die sie ausgesprochen wird,
eine gewisse Berechtigung, ist aber doch insofern schief, als
sie die historische Entwicklung der Erscheinung gänzlich außer
Acht läßt. Bei Ennius können wir, wie oben gesehen, bis auf
wenige Fälle noch reinlich zwischen unsern drei Gruppen
scheiden : bei seinen Nachfolgern wird die Beurteilung des
Einzelfalles immer schwieriger. Bei Lucilius z. B. erklärt sich
1094 praestringdt durch Nachahmung des Plautus, pudör ist
sicher als alte Länge anzusprechen, ebenso debueris, nolueris,
crisavit, sit, aries, während archaeoterä und gladiüm, eüdm,
hominem1), wohl auch Tiresiä durch homerisch -ennianische
Lizenz entschuldigt werden; für malüm (NB. Ausruf!) iaeimus
contemnit ist der Satzeinschnitt ausschlaggebend. Bei Lucrez
ist fulget gegen Lachmann zu halten ; seine Behauptung, ful-
gere gehe bei Lucr. stets nach der dritten, ist falsch (s. 6,21,3);
es ist als alte Länge anzusprechen wie sanguis cognoris colös
Ceres, während omne genüs e als epische Längung zu gelten
hat; eben dahin rechne ich 3,21 semper, wo semperque die
Syntax entschieden nicht verbessert. Bei Vergil endlich sind
der Stellen, die nicht durch alte Länge oder rhetorischen Ab-
l) v. 1187 ist mir das von Marx angenommene hendiadyoin mucro
gladiumque sachlich wie syntaktisch unannehmbar: mucro ist vielmehr
der Dolch des einen, (ßadium das Schwert des andern, v. 559 wird der
von Marx m. E. richtig erklärte Gedankengang durch Fragezeichen
hinter vis erst wirklich deutlich.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 3. Abb. 3
34 3. Abhandlung: F. Vollmer
schnitt zu begründen sind, doch recht wenige : terga fatigamus
liasta und pectoribüs inhians1) sind wohl Beispiele klang-
malender Ausnutzung der Lizenz durch den selben Dichter,
der mit Absicht am Ende des Verses exiguus mus gesagt hat,
während er in den georgica mit Iovis und nullius noch ein-
fach Ennianisches nachbildete. Zur letzteren Gruppe rechne
ich auch das vielberufene gravid sectoque elephanto: ich stelle
es auf eine Stufe mit gravidüs autumno: daß es dabei keinen
Unterschied macht, ob die kurze Endsilbe geschlossen oder
offen ist, haben wir oben (S. 23) gesehen. — Für Horaz ist
zu beachten, daß sich im 4. Buche der Carmina und in den
Episteln kein einziges Beispiel findet; die größere Freiheit in
den Satiren wird auf Lucilius zurückgehen ; in den Carmina
aber haben wir nur Fälle von einst langen Verbalendungen,
so daß ich kaum zweifle, daß auch 3, 24, 5 mit dem Lemma
der Scholien figet zu lesen sein wird. — Die späteren Beispiele
verstehen sich nach den bis jetzt behandelten Analogien leicht,
nur sei darauf hingewiesen, daß zu den bisher vorgekommenen
alten Längen bei Properz es, in der Cons. ad Liv. cinis, bei
Ovid nihil tritt; der Properzvers über die alte halbverhungerte
Kupplerin per tenues ossä sunt numerata cutes malt mit Absicht
das harte Heraustreten der Knochen gegen die Haut.
Noch eine kurze grammatische Bemerkung. Ich habe
oben mit verzeichnet die Fälle von aries (seit Lucil.), Ceres
(seit Lucr.), paries (seit Moret.), abies (seit Verg.), (im)pubes
(seit Ov.), obwohl die Grammatiken den Vokal der letzten Silbe
als lang anzusetzen pflegen und Sommer2 (S. 360, 363) in
diesen Fällen neben pes und par die Stützen seiner Theorie
erblickt, Dehnstufe des Nom. sei auch im Lat. erhalten. Ich
lege wenig Wert auf die Lehren des Priscian (gramm. II 158,9
und 241, 8 ff.), obwohl er sich zweimal auf die Autorität des
Probus beruft, der inter correpta haec ponit, da diese Gram-
matiker ihr Wissen doch nur aus den Dichterversen oder ihren
irrationalen Analogieschlüssen ableiten, vermag aber nicht ein-
*) Ebenso erkläre ich fortis et und tenuis imas im Aetnagedichte.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. ob
zusehen, weshalb wir abies aries partes uns anders entwickelt
denken sollten als miless und equess; denn in Hexametern
waren sie als « « « unbrauchbar und in Iamben hatte die
deutliche Messung ablas auch nur an wenigen Stellen Platz.
Wir haben also kein Mittel die Quantität des Vokals zu be-
stimmen, denn die Analogie von pes beweist für die mehr-
silbigen Wörter nichts, schon weil wir auch in pes der Länge
des Vokals keineswegs sicher sind. Und Ceres und pubes sind
doch sicher im Nom. durch die Feminina auf -es beeinflußt.
Ich setze nun die Liste der Beispiele für 'Dehnung von
Endsilben in arsi' fort1).
Manil.'2) 1,10 das animum viresque facis ad tanta canenda
(4258 Verse) 876 nunquam futtüibus excanduü ignibus aether
Phaedrus —
(1930 Verse)
Germanicus —
(950 Verse)
Seneca —
(über 10000 Verse)
Colum. 10,235 hispida ponatur cinard, quae dulcis Iaccho
(436 Verse)
Pers.3) 5,57 hie campo indulget, hunc alea decoquit, ille
(664 Verse)
Lucan.4) —
(8075 Verse)
ii
1) Wenn bei der gewaltigen Fülle des Stoffes, der nur zum kleinsten
Teile durch verläßliche Indices erschlossen ist, das eine oder andere
Beispiel übersehen sein sollte, so hoffe ich auf Verständnis.
2) Emendiert sind Manil. 1, 90. 2,372. 4,280. 920; Sen. Med. 663
mit E zu lesen impendens; Octavia 273 steht modo am Ende der ana-
paestischen Dipodie. Auch die Stellen bei Germ. Arat. 423. 437. 440.
702 und frg. 3, 16 sind durch Heranziehung besserer Hss oder richtige
Konjekturen von Grotius erledigt; zu notieren sind nur Aries Arat. 8. 532.
703 und honös Arat. 77 — Bei Phaedr. 4, 4, 5 steht red(i)it unsicher.
3) Pers. 2, 6 lese ich mit P murmurque, 6, 26 mit P metuas, außer-
dem erwähne ich 2, 55 subiit.
4) Durch richtige Lesung oder Erklärung entfallen die Stellen 1, 042,
3*
36 3. Abhandlung: F. Vollmer
Petron.1)
(rund 700 Verse)
Laus Pis.2) —
(261 Verse)
Calp. buc.3) 2,92 carmina poscit amor et flstula cedit amori
(658 Verse) 4, 40 ultima visuri, trucibüs obnoxia Mauris
pascua Geryonis
7,43 en ego iam tremuhis et vertice canns
Buc. Einsidl.4)
(87 Verse)
Val.Flacc.5)2,225 prohibetque capessere contra
(5591 Verse) arma metüs: adeo
5,163 aetherias ceu Iuppiter arduus arces
impulerit, imas manus aut Neptunia terra s
8,259 timor impediit hymenaeos
Hom. lat.6) 148 Euryalus Sihenelique decüs et
(1070 Verse) 257 confusum terrore videt: (o dedecus inquit
966 nee sufferre valet ultra
Mart.7) 3,3,4 aut aperi faciem aut tunicata lava
(rund 7,44,1 Maximus ille tuüs, Ovidi, Caesonius hie est
10000 10,89,1 Iuno, labor, Polyclite, tuüs et gloria felix
ersej i4?77? 2 si tibi talis erit, qualem dileeta Catullo
Lesbia plorabät, hie habitare potest
2,565. 4,669; Lucan bat aries 1,384. 6,36. 8,377. 10,480; sanguis 2,338.
7,635. 9,702. 10,128 aber sanguis 3,679. 9,811; sonipes 1,220. 4,225.
8, 295 ; scieris als coni. 8, 627, steteris als fut. ex. 9, 603 neben vielen
Fällen von -eris a. Hosius ed.3 p. 394.
x) Ich merke nur an quadrupes 123, 188 und lionus frg. 27, 5.
2) 105 honös.
3) 4,40 steht in den jungem Hss. interpoliert trueibusque. 2,100
ist cantus doch wohl als Plural zu fassen.
4) Besonders steht 2,23 als Verschluß eines Spondiacus rediit Astraea,
wo die Hs ganz unsinnig certos zufügt, so daß entstand redit Astrea certos.
5) Val. Fl. 2, 322 ist att haec hospita Interpolation Carrions, 6, 152
hat Sudhaus gut sonor geschrieben, 7,633 ist ein ganz von Carrio inter-
polierter Vers, 8,158 ist mit L. Müller zu lesen ego (o).
6) Verbessert sind 582 und 628, 841 ist Pelidis corrupt; 453 ossa-
que confossd spargit steht abseits.
7) 9.101,4 halte ich aurea in Familie C für Glosse zu raraque;
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters.
37
Stat.x)Theb.l, 402 Olenius Tydeus (fraterni sanguinis illum
(rund 14000 conscius horror agit) eadem sub nocte sopora
Verse) lustra terit
3,544 hie nimbo glomeratus öbit, hie praepete viva
pascitur immoriens
3,710 ei mihi, care pater (parensF), Herum fortasse
rogabo
6,351 metarum instar erat hinc . . . quercus, . . .
hinc . . . umbo
Silius2) 3,405 Palladio Baetis umbratus cornua ramo
(12200 Verse) 9, 345 contundet Tyrios iuvenis ac nomina gentis \ induet
Iuvenal.3) 6,340 intulerit, ubi
(3874 Verse)
Incertus (frg. poet. lat. p. 357) 6
mater me genuit, eadem mox gignitur ex me
Terent. Maurus —
Seren, med.4) 12 tunc poteris alacrem capitis reparare vigorem
(1107 Verse) 108 vipereae peius cinerem his addito rebus
448 cum saevit penitüs haerens iniuria lumbis
14,77,2 hat Familie B schwerlich richtig plorabas; spect. 28,10 Caesarea
praestitit wirkt der Anlaut. Den ersten oben zitierten Vers halte ich
für echt und gut : daß das Fragment (denn das ist das Gedicht) an ver-
kehrte Stelle geraten ist, beweist nichts gegen seine Echtheit.
») Theb. 1,384 hat P richtig habens, ebenso 2,474 tibi (ibi eo),
silv. 4, 7,2 ist hcrois statt heroos falsch überliefert, 5,1,258 ist subit
Perfektum, aber 4,2,27 wird wohl richtig nitet (Mc) ergänzt; Theb. 4,224
Maled versteht sich leicht als Malerj; ich verzeichne noch silv. 4,7,46
tuleris (-as trad.) als coni., 4,9,51 iuveris als fut. ex. (aber 4,2,59 miseris
coni.) und 1,1,46 sonipes. — Fälle wie Theb. 4,91 Argiän: haec oder
10,537 Maleän aut lasse ich ganz außer Betracht: die griech. Endung
-äv ist schon früher üblich und natürlich vielfach in den Hss zu -am
verderbt.
2) Dazu notiere ich 10,23 sanguis, 3,21 honös und als Belege für
schwere Position 9, 575 immawe. stridens, 17, 546 diversd spatio, vielleicht
auch 6,543 quoeunque flexum und 7,273 castrd scrutantem.
3) Man beachte dazu 10,11 periü und 8,107 occultä spolia; aber
3, 174 redit ist sicher Perfektum.
4) Verderbt ist v. 85 maris avidi.
38 3. Abhandlung : F. Vollmer
780 parva sabucus item [est add. A], hircino con-
lita scvo
Commodian mute wegen seiner eigenartigen Metrik ganz außer
Betracht bleiben.
Ps.Cato dist.1,38 quem superare potrs, interdum vince ferendo
(400 Verse) 2 pr. 4 si Romana cupis et Punica discere bella
2,26 rem tibi quam noris aptam, dimittere noli
app. 2 quod scieris opus esse tibi, dimittere noli
Tiberian l) —
(92 Verse)
Iul.Valerius 1,23 vers 2 nomen si pcrgis aevo celebrare perenni
(119 Verse) 3,56 „ 2 urbs colitur Nili propter umbrosa fluenta
Lact. Phoen. —
(170 Verse)
Nemes.2) —
(672 Verse)
Opt. Porf.3) 5,9 at tu suppliäbüs, olim dux clarus in armis
(imp. 23 vate deo dignd: aut siquod perferet audens
Constantino) g?27 sit voti compös, excisaque agmina cernens
(etwa j^g teque duce mage grata fides et iura renata
25 en suplices Persae iura sibi regia nolunt
17,10 vota sonans longum poteris implere volumen
18,5 torva Getas campo clarus ut lumina perdit
21,2 ludicra: sie nostrd panget lua iussa Camena
22,17 congruere cernant
24,21 infima dignare quod naturae ordine recto
28,8 concessit semper huic pater omnipotens
14 torpuit oppressüs Amphitryoniades
17 incaluit iubar hoc, externis ignibus ardens
22 vtdnere sed blandüs haec tenet Endymion
28 pondere suspirät hoc deus armipotens
x) Ich notiere nur 3, 1 madiäd vor gr-
2) Die Stellen buc. 2, 6 und 2, 20 sind richtig emendiert worden.
3) Daneben stehen noch folgende Fälle vor Doppelkonsonanz: 6,15
summe, strages, 7 ,31 meritd statues, 10,19 dare crecitque, 19,28 pede stans,
22, 13 prospicere plantare. Ein sicheres Beispiel für h als Konsonant
fehlt; 16,27 genügt nicht.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 39
fig. 24,2 filius atque pater et sanctus Spiritus unum
praef. 25 ergo age, sanctificüs adsit mihi carminis auctor
1,26 nomine Iohannem hunc tu vocitare memento
^f 2,261 unde igitur poteris undam mihi tradere vivam
"n £ 666 falsa loquär; aliusque itidem quia testis habetur
c o 4, 179 si sciret certum furis insistere tempus
558 maiestas prolis hominis
>
3
a
£ 722 concessit praeses et corpus . . . tegunt
755 surrexit Christus aeternaque lumina vitae . . .
recepit
Carm. de laud. dorn. (ed. Brandes, Progr. Braunschweig 1887)
(148 Verse) 97 te genitor, nostrd paterentur ut ora tueri
induit humana facie
Avien.2)Arat.407 Cretaei pecoris. haec lac memoratur alumno
(rund 4000 Verse) infudisse Iovi
orbis 4,4 porrigit insertoque sinus interiacet agro
451 Biphaei montis, tibi
970 usque Arabds et' longa Syrae conßnia terrae
Damasus epigr.
(etwa 37,5 quaesisset popidiis, ubinam procedere posset
350 Verse)
Ps.Damasus3) 21,5 Juiec fuit insontis vitd, laudata iuventus
64,1 in rebus tantis trinä coniunctio mundi
96,6 ut domini plebem operä maiora tenerent
106,1 antistes domini celsä sacraria Christi
Ausonius4) 19,1 uxor, vivamüs ut viximus
(etwa 345,12 Ibijcus ut periit, index fuit altivolans grus
5600 Verse) 470, 35 cuius ego comes et quaestör et, culmen honorum,
praefectus
!) Vor Doppelanlaut 1,112 consulere scriptoque und so noch 1,315.
3, 248. 4, 53. 225. 584 [vers. de euang. 4]. h steht als Konsonant 1, 301
inhahitare. Vgl. noch 4,667 duö; sed.
2) Dazu gebraucht Avien an 5 Stellen quasi als Iambus : Arat. 555.
567. 1467. 1569. 1656.
3) Vgl. noch 41,3 confessd Christum.
4) Verderbt ist 368,21 satüs auctor e. 19,1 geben MG statt ut das
interpolierte quod.
40 3. Abhandlung: F. Vollmer
24,6 tdlia magnanimiis edidit orsa paUr
8 et meus et talis et Lacedaemonius
80,4 falsum convicit illico haruspicium
159,6 annua ne tacitä (-us trad.) munera praetereas
165.10 quique aevi finis, ipse pudicitiae
179,2 consobrine meus, immemoratus eris
210.6 alter ut Ausonius, alter ut Arborius
239,2 quis pater Alcinoüs Oceanusque atavus
254,4 longior ut veniät ordine quisque suo
20,105 dictum molestum Croesus accepit. ego j relin-
quo regem
151.11 nee coruscantis oculos lacessunt / fidgura lucis
198.7 sed quid nostro docuere in aevo
91,1 hanc amo quae me odit, contra1) hanc quae
me amat odi
167, 17 2) caelcbs namqae gener haec nunc pia munera solvo
320, 28 cui non longa penus, huic quoque prompta fames
390,23 leniter haec flueret, haec non properata veniret
168,14 quoque magis soliis, hoc mage maestus ago
247,2 hoc pereunte fugis, hoc fugiente peris
198,9 tertiüs horum mihi non magister
320, 7 nunc labor et curä (curae vulgo) mea sunt
394,37 rescisso disee {en add. Heinsius) componere
nomine versum
Ps. Auson 433,2 Iuppiter admovit Troäs atque Hectora classi
Carmen de fig.
(Anth. 485: 21 te ciet armatus vietüs, huic otia cordi
186 Verse)
Carmen contra paganos (Anth. lat. 4, etwa vom J. 390 n. Chr.)
(122 Verse) 6 purpured quos sola facit praetexta sacratos
13 haec si monstra placent, nidlä sacrata pudica(est)
35 quem Numa Pompiliüs, e multis primus aruspex
44 colläribus subito membrä circumdare suetus
1) Vgl. 469, 16 contra.
2) Auson hat h außer in diesen Fällen nirgend als Konsonant: der
Hiat vor have 185,7 ist berechtigt.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 41
50 Säräpidis cultor, Etruscis semper amicus
73 cymbala quem imbnerat quatere Berecyntia mater
vgl. noch 82 facere prava
Claudian.1) 15,87 Carthago ter victa ruit? hoc eqs
(rund 21,157 hie crine decorus j Armenkis ; hie . . . Saces
9300 Verse) 238 quos dederis (fut., -it II). acie eqs
carm. min. 11,4 egregiumque decüs invidiam meruit
13,3 Claudicat hie versus, Jmec, inquit, syUaba nutat
? frg. bei Hier, in Is. 8,27 quo fugis Encelade? quaseunque eqs
Carm. de pond. Anth. 486 —
(208 Verse)
Augustinus Anth. lat. 489
(54 Verse) 8 totus ades: in te totus, totus et in ipsis
12 totus homo est animä (siquidem hie sibi totus
habetur)
15 dum stat corporeüs, homo semper et hie et ubique
20 cum non corporeüs erit atque ipsum neque tempus
25 semper habet et ubique, neque est et habet ubieunque
29 sensus et ingenium, ratio, mens, perspicuä quae
et diffusa manet, cum sit in corpore toto;
emigrdt, ubieunque aciem porrexerit extra
41 corporeis licet offieid gestis varientur
43 illa tarnen spirando calet animatque replendo
omnia nee quiddäm habet aut {de)sumit ab ipsa
50 haec aut lapsa chaös aut ad (caelum) alta volabit
52 si felix fuerit {-is R), hie tunc felicior extat
Avianus2) —
(654 Verse)
Carmen adv. Marcionem (ed. Fabricius poet. vet. eccl. op. Christ.
(1302 Verse) Basil. 1564 p. 258—286 Tertull. ed. Oehler II
P- 781)3)
1) Durch bessere Hss beseitigt sind die Fälle 22,441 und carm.
min. 9, 13.
2) Die Stellen 5,9 und 22,15 sind richtig gebessert. Avian hat
aber 8 mal kurze Silbe in der Dihärese des Pentameters (3,12. 11,6.
19,12. 27,10. 29,22. 34,10. 35,16. 38,6), in der er auch 2 mal (28,12.
41, 7) Hiat stehen läßt.
3) Ich gebe aus dem sehr korrupt überlieferten und noch nicht
42 3. Abhandlung: F. Vollmer
1,28 Ule dolo sitasit, homo übertäte peregit
62 mirandae virtutis opus invisaque facta
103 cognitus ipso operc populis sperantibus olim
137 gentes . . . \ florentes opibus alieno nomine laudent
150 quae sunt postque futura,priüs haec facta probatis
151 aut incredibile: quid differt credere vestrum
184 qui mandata dedit, hie et peccata remittit
192 sed non pars hominis animd, sua parte relicta,
pereipiet palmam verderbt?
196 quorum sit locuples umis atque alter egenus
214 illa dolens gemuit, haec vieta a vulnere caesa est,
215 illa petit requiem, haec ferro in pulvere fusa
227 haec captiva fuit mortis, haec vieta peribit
231 ergo dei aptavit ars et sapientia corpus
2,19 ante nee auditä contemptaque corde
59 ostendens opere, quantus sit conditor orbis
62 conscripsere merä, non extera verba locuti
88 credulus, heu, facile nudatur tegmine vitae
90 aut peccata necät aut sanguine funera delet
92 non pecoris sanguis humano sanguine pluris
95 auxilium immane, tantae tutela salutis
1 60 quave manum extendit, temere contingere lignum
166 exuit exuvias carnis et debita mortis
176 causa haec mortis erat, eadem via facta salutis
181 sumitur ex latere mulier quae costa mariti
191 huius de latere ligno pendentis in alto
193 femina sanguis erat, äquae [erantj nova dona
lavacri
204 haec ovis est und, quam se per sabbata vivam
242 ille quidem magna doeuit, sed inania corda . . .
putant
genügend edierten Gedichte als Beispiele für vulgäre Lizenz die Stellen
mit allem Vorbehalt und lasse Zweifelhaftes fort: hinzukommen noch
etwa 15 Stellen, wo kurze Endsilben vor anlautender üoppelkonsonanz
gelängt werden wie 1,11 auguriä stellarum oder 2,222 nolle praestare;
h gilt nicht als Konsonant.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters.
43
250 ergo quid popidis nondum suo fönte renatis
258 denique dixit: oporterc superindui vestem
3,24 testißcante deo iustüs in adulterä plebe
92 tercenteno equite (numerus tau littera graeca)
94 vellus erat populüs ovium de semine sancto
100 non prius angeücä mortis fern proelia vinci
217 ignibus et multd consumpta volumina vatum
220 cuius difficile poterlmus dicere laudes
234 Barnabä cum comite sociisque prioribus
4,12 nitimur experimere, quae gratia larga profudit
88 cuius de einer e mundabat corpora lapsa
98 corpus habet: haec est mortalibus hostia viva
116 hie tabidae legis, hie manna est urna repleta
144 luce sua fretüs: Abrdliae sinus iste vocatur
146 sub(ter) terra tarnen, haec ara vocatur ahena
162 aeriä pelJes caro, non ex semine nata
194 testificantis eä, quae posteä facta docemur
198 alarum numerus antiqua volumina signat
199 esse satis certä viginti quattuor ista
5,20 vincamus tarnen illiätd, polluta, nefanda
33 hunc quem nemo prius nordt, hie venit ab alto
62 post Mecposset et interiör homo sanguine iunetus
haerere infusus carni
179 profluit et sanguis nee aqua minus inde secuta
182 spiritus ergo potest gerere sine corpore vestem
201 cum patre semper erat, unitus gloria et aeiio
205 hinc genus, hinc et nomen habet, hinc denique
regnum
Prudentius1)
(10870 cath.4,33 hie pastüs animae est saporque verus
Verse) 5^3 mers0 Sole cMos ingruit horridum
J) Auch die Beispiele aus Prud. lassen sich heute noch nicht kri-
tisch sichern, da die von Bergman zu erwartende erste wissenschaft-
liche Ausgabe noch immer nicht erschienen ist. Prud. hat neben den
oben angeführten Stellen sehr viele, an denen vor anlautender Doppel-
konsonanz (auch vor muta cum liq.) offene Endsilbe gedehnt wird; dazu
44 3. Abhandlung: F. Vollmer
apoth. 842 Spiritus exisüt tenuis et sibilat aer
ham. 526 retundere pulsus
materiae fragilis et viscera victa domare
708 hac pietate vagüs et tanto munere abundans
901 speculatur acutis
omnia luminibiis et qua
908 impedit ignem
pervigilis animae
psych. 712 cum placet aeriüs et de phantasmate visus
c. Symm. 1,92 Cocytia leti
iura resignasse sursum revolantibus umbris
395 incassum arguere iam Taurica sacra dolemus
2,118 pauper et infirmüs et summo indignus Jionore
190 ipse incorporeüs ac spirituum sator unus
227 unus egö elementa rego
316 crescit vita hominis et longo proficit usu
464 cogunt ad facinüs et inevitabile mcrgunt
538 victus et ipse pri/'ts, inimica nee agmina iuvit
869 Isis enim et Serapis et grandi Simia cauda
871 hos tu, Nile, colis, illos tu, Thybris, adoras
986 hos fert sicca sitis, hunc ebrius edueat umor
perist. 10,628 non desüterunt pingere formam crucis
11,8 martyris auf nomen aut epigramma aliquod
89 vix haec ille: duö cogunt animalia freni
92 imperiumque equitis ante subaeta pati
11,240 orantem Christus audiat omnipotens
13,66 neu sc'mt invidiä mitescere, gloriam negare
ditt. 167 tunc duo discordant crueibüs hinc inde latrones
Paulin. epigr. (Poet, christ. min. p. 503) —
(110 Verse)
Paulin. Nol.1)
(8890 carm. 4,15 adsit laeta domüs: epidis adludat inempüs
Verse) 10,31 sibi reposcens ab homine munus suum
erwähne ich die lat. Längung des Dativs in apoth. 986 hebdomadi und
c. Symm. 2, 893 mathesi.
*) Unsicher bleibt isU 19,425, für verderbt halte ich die Stellen
Zur Geschiebte des lateinischen Hexameters. 45
19,90 nulla fides et nullus amar, ideoque
369 aedc . . . / quae reüquis eiüs aetate recentior
aidis . . . servat honores
25,171 inde manet mater aeternl semine verbi
26,338 mira manüs et virga potens et celsa potestas
Ps. Pauliu. app.
carm. l,85x) sed victum quod erat in me ut superaret in Mo
3,5 corporis ignote ocidis, vix cognite menti
84 ambitor, variüs, invidus, impatiens
117 criminibüs ignosce magis
144 sim mundo stultüs, ut tibi sim sapiens und noch
160. 214. 226. 240 4,6. 22.24 in der Mitte
des Pentameters
223 immortalis erat: est mortuus et modo vivit
224 ante deüs homo est: nunc deus ex homine
229 qui semper mediüs inter natumque patremque
4,7 captivus extris extunc germanus in oris
Rut. Nam.2) —
(712 Verse)
Licentius 21 captum aliquando tarnen in manera parva
(154 Verse) volucrum
Endelechius —
(132 Verse)
Prosper3) carm. de
(rund ino-r.4) 629 nee meritis istud potens aptare parentum
2000 ° • 5v
Verse) eFgr- ) ~
18,18. 20,73. 32,71. Außerdem sind zu beachten 2,12 modo, 3,2 duö,
28, 320 nisi und öfteres quasi (neben quasi), ferner noch 27, 61 hebdo-
madds und 3 Beispiele von Dehnung vor Doppelanlaut.
!) Hier ist mindestens gleichberechtigt die hiierende Lesung quod
erat victum, die schon Alcvin (cod. Bamb. B II 10 saec. X) vor sich
gehabt hat.
2) Zu notieren ist nur 1,633 hyades; richtig gebessert 1,58 ortus
zu ortos.
3) Kritische Ausgabe nicht vorhanden: ich benutze Migne 51, 91 ff.
4) Dazu 462 petere proprium.
5) Epigr. 90, 4 lies intemis statt interiüs.
46 3. Abhandlung: F. Vollmer
Ps. Prosper carm.
de provid.1) 188 quae nunquam ignarä, nunquam longinqua
(972 Verse) 340 illaesd mundo pereunte superfidt circa
376 quos deus ipse modo dilata sustinet ira
383 sed non ista deo patribüs illata remoto
403 quaque gradum illaesd tulerant tot milia plcbis
546 sie homo, sie deus es, ut non sis alter et alter
570 sunt semper in illo,
in quo sunt formata modo: non
625 absque labore tuo? credis hoc cedere posse
Orientius2) 1,149 ad iuga panda boves cogis, ad muletra capellas
(1036 Verse) 192 mutua constringet cura hominis hominem
2,308 et vox nidla nisi quam dederit gemitus
«^ prec. 32 tu non contentüs uno dotare creatum j muncre
1,281 aurea fulgentis inter ramenta metalli
j» -£ 479 tu maledictus eris et peior quam tegis intus
* « 2,305 sola deum preeibüs et pmra menie colendo
© 328 posse eiere piis preeibüs et nomine vero
O
O
• t— i
£*■ 2» 374 immemores socii iuris hominumque suique
.2 3,298 mansit tarnen oris
g Hebraei sonitüs et sermo antiquus in Ulis
431 Loth captum patruüs ut primum comperit Abram
670 arcanä pandente deo
789 qui primüs hominum meruit peccata lavare
^.^ 118 v. 9 qui caelum stellet fomes et quanta revolvat
£ £ 124 v. 2 hoc tibi sollers peperit ingenium laborque
o, ^ (choriarab.)
°# ° 423 v. 21 fies profecto deeipulä, si astruxeris (iamb.)
1s £ 584 v. 12 interrivatä marmore tellüs erat
^ 3 725 v. 16 in Vcneris agro Pallas sibi vindicat usum
!) Migne 51, 617 ff. — Dazu 266 ope praeforübus und 758 honös.
2) Dazu 3 Fälle von Dehnung vor Doppelanlaut. Aus den carmina
spuria notiere ich 2,8 piscis, 3,87 aqua, 119 sanetüs.
3) Dazu 8 Beispiele von Dehnung vor Doppelkonsonanz.
4) Dazu hat Martianus an 6 Stellen in arsi (in thesi nur 888 v. 23)
kurze Silben vor Doppelkonsonanz.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 47
907 v. 2 quoque suam mernit inmemor Eurydken
11 hoc nunc pertmdsit insonuitque meto
912 v. 20 alternisque regit et regitur polis (asclep.)
30 bis plenum omnisonä cui recinunt mela
Sedulius1) 1,120 humana pro gente plus occumberet agnus
(1971 Verse) 322 rursus: *ego atque pater unum sumus
4,46 frondea ficas erat, cuiüs in robore nulluni
107 procumbens oculis, cuiüs in limine Christus
expuit
209 quae sua sunt, fructus segetis et gaadia vitis
Cypr. Gall. setzt regellos kurze offene und geschlossene
(5566 Verse) Endsilben in die Arsen (Beispiele bei Peiper
im Index S. 345), hat aber auch in den Thesen
sehr viele vulgäre Messungen
Ps. Cypr. carm. 3 Fälle: v. 21. 29. 144 (v. 121 ist mit V zu
de Sodoma lesen adhuc etenim)
(167 Verse)
Ps. Cypr. carm. —
de Iona2)
(105 Verse)
Ps. Cypr. carm.3) 36 te dixisse: deä, erravi: ignosce, redivi
ad senatorem
(85 Verse)
Ps. Cypr. carm. —
de pasch a
(69 Verse)
Ps. Cypr. carm. wimmelt von vulgären Messungen in den Arsen
de resurrectione wie in den Thesen
mortuorum
(406 Verse)
a) Sedulius behandelt h mehrfach als Konsonant (z. B. per hominem)
auch nach End-»i: 1,35. 324. 2,77. 184. 3.288. 296. 5,162. 196 hy. 1,69;
dazu 5 Stellen mit Dehnung vor Doppelkonsonanz.
2) Nur 40 antemnd. stridens.
3) So möchte ich den Vers lieber lesen als mit Hiat hinter erravi;
außerdem zu beachten 63 sapere stultum.
48 3. Abhandlung: F. Vollmer
Ps.Hilarius,carm. bei nicht allzu zahlreichen Vulgarismen 38
degenesi, de Mac- Fälle von Dehnung in arsi (7 vor h), dazu
cabaeis, de euan- gen. 200 suboU splcndentia
gelio
(712 Verse)
Merobaudes1) —
(318 Verse)
Paulin. Pell. hat 15 Beispiele (darunter 12 von -a),
(616 Verse) außerdem 3 vor qu
(s. den Index von Brandes S. 319)
Sidon. Apoll.2)
(4238 carm. 1,21 ergo sacrum dives et pauprr lingua litabat
Verse) 7,444 heu facinüs! in bella Herum
23,272 sive Aeeüas et suils Iason
epist. 9,16 v. 43 unde pars maiör uünam taceri \ possit et abdi
Symphosius 190 sed sum versicolör, albus quandoque futurus
(Anth. 286) 258 mater erat Tellus, genitör est ipse Prometheus
(317 Verse) 262 ex tribus est unüs, et tres miscentur in uno
Paul Petric. 2,20 mens humilis crebris precibüs immota mancbat
(3727 Verse) 218 hie certe simplex animüs et sola precantis
436 augens praecipitis inmensa mole furoris
4,463 arentes stipulas saeva ut (aber ut saeva S)
incendia fugit
Carm.deaegr. 31 fonsque regit medio motd per gramina lapsum
Perdiccae3) 121 des requiem miserando, precör, et posse fateri
(290 Verse) 125 aut vox qualis erit? adgressus
229 hie erat Andromedä, hie altera Laodamia
252 et graciles cecidere modo per acumina nares
Dracontius4)
laud. dei 1,167 herba virens prodit, it surcidus omnis in auras
(5958 Verse) 293 distribuit loca certa deiis et tempora fixit
!) Ich notiere nur pan. poet. 94 ho>ius et.
2) Dazu mit lateinischer Längung carm. 10, 17 Pimpliadäs und
22,79 tripodds.
3) Unsicher bleiben 191 Perdicä und 201 vocis.
4) Corrupt sind überliefert Rom. 3,13 und Or. 359; ich notiere noch
egö Rom. 8,522. 10,251 und 4 mal kurze Silbe in der Pentametermitte
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 49
737 vel decrescente decrescant lege perenni
2,11 partita cum fratre vicefsj sua tempora lustrans
273 anguis agit ignarus opus
573 expensüs öbiit
657 nam cui terra datdr et caeli sancta parantur
Rom. 5,35 Sarmata Persa Gothas Älamannus Franeus
Älanus
6,60 ibat in obsequium Risüs, Amplexibus Jiaerens
9, 206 tangentem laudare cupit et bracchia collojnectere
10,139 dum precihüs elementa quatit
503 ipse pias animas mittis et claudis in aevum
519 uritur ingratüs usta cum virgine nauta
Or. 66 filia, noster amörfsj et noster, nata, reatus
197 quidquid agis, impune geris
405 iam sperare licet et
784 exümuit natura chaös, elementa tenebras
926 si idciscenda red genetrix
Alcimus Av.1) —
(3218 Verse)
Boethius 1,1,7 gloria felicis olim viridisque iuventae
cons.2) 1,2,22 rimari solit/is atque latentis
(882 Verse) 1,5,6 totis fratris obvia flammis
1,160 praestat ut abstineäm: abstinuisse nocet
209 hae sunt primiüae mortis, Us parübus aetas
I 83
•| > defluit
'S
CS
CD
219 fltquc tripes, prorsus quadrupes, ut parvulus
infans
2,55 sum grandaevus egö, nee tu minus alba capillis
(sat. 80. 140. 160. 262) dazu massenhaft Langsetzung vor Doppelkonsonanz
(s. meinen Index S. 442).
1) Die Dehnung von Monosyllaba wie nee (öfters) und in (1, 32)
rechne ich hier nicht.
2) Dazu 4 Fälle von Langsetzung vor Doppelkonsonanz (2, 6, 15.
4, 5, 19. 4, 7, 18. 5, 3, 14).
3) Dazu vor Doppelkonsonanz 1,71 egö, 1,95 mpercüid.
Sitzgsb. d. pbilos.-philol. u. d. bist. Kl. Jabrg. 1917, 3. Abb. 4
50 3. Abhandlung : F. Vollmer
Ennodius1)
carm. 2,146,3 o utinam Musis contingant munere nostro
(2084 Verse) de te quandoque gaudia certa puer
Priscian2)
perih. 661 hi Tanain habitant
(1421 Verse)
Arator3)act.2,334 officium cum tuta venu; en sancta quod, inquit
(2482 Verse) 885 additur in pelagüs oculis via
Corippus4)
(6340 Verse)
Venantius5)
carm. 2,1,13 nullum uret aestus sub frondibus arboris huius
(9900 Verse) 17 appensa est vitis inter tua bracchia
2,6,25 fundis aroma cortice (iamb. dim.)
2,8,5 una quod est hdbüefm] de magnis magna fateri
3,13d, 1 retia vestra, patir, oneroso pisce redundant
5,2,69 qui fuit antistes Arelas de sorte Lerini (ebenso
Mart. 4,218)
7,10,15 sollicitudo tua reliquis fert dona salutis
9,1,111 legibus arma regis et leges derigis armis
x) An 8 andern Stellen folgt immer anlautendes h: opusc. 6 p. 403, 18
Hartel, opusc. 6 p. 404,11 carm. 1,5,39. 1,13,16. 2,3,11. 2,8,3. 2,11,8
2,110,6; dazu vor sp und st im Anlaut 1,9,28 aquüd, 2,17,7 pande
2, 78, 3 ope.
2) 1003 Oritds Acibasque geht auch im Griechischen fest nach der
ersten Deklination.
3) Dazu an 6 Stellen vor anlautendem h : 1,35 petiit, homo, sonst
immer vor hie 1,291. 301. 595. 615 ne quis hie, 2,298, ferner vor schwerem
Anlaut 1,503 vid sp-. Eine verläßliche Ausgabe des Arator liegt noch
nicht vor.
4) An 7 Stellen vor anlautenden h: Joh. 1,132 edoeuit haec verba
movens. 1,178. 3,276 puppis, heu. 7.62. 385 Iust. 1. 268 quis hominum
4, 304, dazu 8 Stellen von Dehnung offener Silbe vor anlautender
Doppelkonsonanz.
5) carm. 7, 19, 3 visceribüs isdem genitos ist wohl mit Leo hisdem
zu lesen und das Beispiel den zahlreichen Fällen zuzurechnen, in denen
Venant. h als Konsonant gebraucht. Hinzukommen noch 8 Stellen, an
denen Venantius das erste Kolon des Pentameters mit kurzer Silbe
schließt, verzeichnet bei Leo ind. S. 426.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 51
Mart. 1,409 ut senis illa patris oculorum clauderet orbes
2,120 qui grave succubuit Aquileia proünus urbe
3,321 et sine voce favet animo iactata priore
4,120 tu requie frueris et sustinet ille labores
511 ac per opertum aperit et in invia nuntius intrat
635 si tarnen urgeris, ut adhuc temerariits intres
709 arva capax, pelagüs intrans, super astra coruscans
Eug. Tolet. setzt massenhaft in die Arsis kurze geschlos-
sene und offene Silben: Beispiele carm. 1,1
rex deus immense, quo. 1,12 invidid luxüs et,
1,15 nil turpe cupiam. 2,2 nil pecude distas
u. s. w.
Anth. lat.1) 3,4 praeteriit animus. 21,46 calamüs et. bßvariiis,
hinc. 89 iace (wirf!) 116. 132. 205 Furiä.
24,5. 25,3 formosä. 64,2 vimque vice linguae.
76,1. 102,6. 113,8. 126,2 pent. 126,6 pent.
128,11. 129,3 Cypridösut. 135,2 urbem his
pent. 148,9 Cressd. 154,2 mensdm. hie pent.
170,1 stat similis auro. 197,4 cursim aureus
pent. 199,5 opus et. 6 solüm: aliquid. 12.
15. 27 agricold. 42 egö. 204,10 in parte.
209,6 pidveris ut piluld brevis es, ut glömus
Mc erras. 234,28 adflictd pent. 34 primd
pent. 243,2. 244,10. 15. 253 Reposianus:
nichts außer 169 Chariti. 273,5 ait, hunc.
10 Byblis 'in fönte. 277,1. 282,2 morsum et
pent. 322, 6 fuerant forsdn ista ferenda ana-
paest. 323, 8 in luxum cupere, sed mage ven-
dere asclep. 325,2 dafür, huius. 328,2 com-
*) Von dieser großen Masse von Dichtern und Gedichten aus ganz
verschiedenen Jahrhunderten und Provinzen müßte natürlich eigentlich
alles einzeln gewürdigt werden: das aber führt mich hier zu weit. Ich
verzeichne darum nur kurz die Stellen, indem ich ausschreibe nur was
besonders beachtenswert ist. Einige größere Stücke sind schon oben
einzeln in die Reihe gestellt worden. Die Centonen lasse ich ganz
beiseite, ebenso viele zweifelhafte Stücke. Ich bitte also aus meinem
Schweigen keine übereilten Schlüsse zu ziehen.
52 3. Abhandlung: F. Vollmer
pdr, ars. 332,12 quo dulcis avium canor re-
sultat phalaec. 338,7 tandfm, haec. 341,6
pent. 345,12 vernd resonat. 349,1. 357,6
credo quod ille nolit habere anapaest. 363,4
pent. 366,5 sidüs, haec. 367,2 Fhrygius
Hector. 4 ficttis Hector. 370,4 pent. 376,6.
18 tribuit haec. 20. 22 regnanüs increvit
amor. 389, 1 1 simt'd et. 24. 30 hinc corpus,
hinc vita redit, hinc. 393,1. 394,5 ducis hexä-
guna. 403,1. 461,10 fidt, hac pent. 463,16
raputt, hac pent. 485b,2 pent. 487a,4 pent.
495 — 638 Carmina XII sapientum: nichts.
671 Phocas: nichts. 742 epithal. Laurentii:
nichts.
Carm. epigr.1) 249 — . 252: nichts. 253,5 tegit: hanc.
254: nichts. 279, 301, 409: nichts. 417,15
timidus, ut. 420,4 scieris. ergo. 422,6 saevd
lux. 8 magna fuerat. 12 sacrä via. 13 im-
mensd turbä. 16 omnigend. 437 : nichts.
787,12 scedd. 29 tractante. 995: nichts.
1109: nichts. 1111: nichts. 1141: nichts.
1142,14 mit pent. 1238,6. 9. 14. 17. 19.
20 nostrd vita. 26 u. s. w. Carmen auf Allia
Potestas (Philol. 73, 274) 3 sedida, seriold,
parva tarn magna teneris. 5 quid bona diri-
pitis exuperantque mala. 12 fuit, eadem.
15 nulld. 51 poterit.
Die lange Liste beweist, daß die Lizenz seit Vergil sich
nicht wesentlich geändert hat; sie hat nicht auf die erste2)
a) Ich habe, da der größere Teil dieser Inschriften äußerst unregel-
mäßig und kunstlos gefertigt ist, nur einige größere, einigermaßen regel-
rechte Stücke beispielsweise herangezogen, die ich ausdrücklich nenne.
2) Fälle qui Anth. 349, 1 Quis hunc, Sedul. 3, 296 Vir humilis,
Arator 2, 973 Bis habitum erledigen sich natürlich durch h consona ;
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters.
53
noch auf die letzte1) Arsis hinübergegriffen und findet sich,
wenn wir von ganz vulgären Versemachern absehen, nie
zweimal in ein und demselben Verse. Je tiefer wir in die
christlichen Jahrhunderte hinunterkommen, um so schwerer
sind die Grenzen der Erscheinung zu bestimmen: besonders
die Scheidung von der durch anlautendes h bewirkten Positions-
länge bedarf für jeden Dichter genauester Beobachtung. Ich
halte gar nicht unmöglich, daß die zahlreichen Beispiele von
kurzer Endsilbe vor in Anapher wiederholtem hie, hinc u. s. w.
stark zur Verbreitung der wirklichen Positionslänge vor h
beigetragen haben.
Die wichtigste Erkenntnis, die uns die Stellenliste bringt,
ist nun aber, daß eine ganze Reihe von Dichtern die ihnen
fehlerhaft erscheinende Freiheit ganz gemieden haben. Nicht
nur die auch sonst auf der Höhe der vollkommensten Technik
stehenden Dichter der Tiberianisch-Neronischen Zeit, voran
Lucan, — das ist ja eigentlich selbstverständlich — viel merk-
würdiger ist, daß wir auch vom 3. bis 6. Jahrh. sogar unter
den Dichtern, deren Prosodie schon zahlreiche Zugeständnisse
an die Sprachentwicklung ihrer Zeit und unbekümmertes Ver-
lassen der klassischen Kanones aufweist, immer einzelne finden,
die in diesem Punkte strenger sind als Vergil und sogar Ovid :
als solche treten in der Liste deutlich heraus Nemesian, Lac-
tantius de Phoenice, der Fabeldichter Avian, Rutilius Nama-
tianus, Prosper in den Epigrammen (rund 2000 Verse), Mero-
baudes, Alcimus Avitus (über 3000 Verse) und Corippus (über
6000 Verse). Ich möchte daraus schließen, nicht etwa daß
nun ein Christ wie Alcimus besonders die Verstechnik des
Lucan studiert habe (dann würden seine Verse in andern
Dingen ganz anders aussehen), sondern daß es neben den
grammatisch-metrischen Traktaten, wie solche auf uns ge-
kommen sind und die im wesentlichen Vergilische Technik
dazu ist zu beachten, daß in spätem Jahrhunderten die Tendenz besteht
viele Monosyllaba zu längen.
') In schlechtesten Versen des Augustin. Anth. 489, 29 perspieud
quae.
54 3. Abhandlung: F. Vollmer
lehrten, doch auch andere gegeben hat, welche gegen das
Eindringen kurzer Endsilben in die Arsis kräftig angekämpft
haben. Wie nötig das war, um einigermaßen die Stellung
der quantitierenden Metrik zu verteidigen, zeigen einzelne Ge-
dichte wie die Bücher gegen Marcion, deren zahlreiche Ver-
stöße ich darum oben vollzählig aufgeführt habe. Man sollte
aber doch endlich aufhören, auf diese christlichen Dichter
wegen ihrer Abweichungen von einer Verskunst, die längst
durch die natürliche Entwicklung der Sprache überholt war,
verächtlichen Auges hinabzuschauen : Experimente wie das
Commodians konnten natürlich nicht gelingen, aber die vor-
sichtige und geschickte Art wie ein Prudentius, ein Arator,
ein Alcimus die nationale Kunst des Epos lebendig erhielten,
indem sie sie vernünftig weiterentwickelten, verdient alle An-
erkennung.
Exkurs (zu S. 17 ff.).
Wegen der materiellen wie der methodischen Wichtigkeit
der Sache möchte ich noch einmal auf die oben gewonnene
neue Auffassung zurückkommen und noch deutlicher meine
Meinung begründen, daß die übliche Lehre, für Plautus hätten
die geschlossenen Verbalendungen mit -t und -r (~at, -et, -it
der i-Stämme, des ind. perf., des coni., -ar, -er, -or als l.pers.)
ausnahmslos als Längen gegolten, schwerlich richtig ist, daß
vielmehr schon Plautus diesen Silben nur künstlich, wo es ihm
bequem war, die schon veraltete Länge zurückgegeben hat.
Die oben schon erwähnte allgemeine Erwägung, wie un-
glaubhaft es wäre, eine solche langsam fortschreitende Ent-
wicklung, wie die Kürzung dieser Endsilben gewesen sein muß
(man denke nur an die lange Geschichte des End-o von Plautus
bis Seneca), genau auf die Zeit zwischen 184 und 172 zu fixieren,
diese Erwägung hat für mich dadurch nicht an Gewicht
verloren, daß ich unterdeß gesehen, wie Herr Maurenbrecher
in seinem an Fehlern, Verschrobenheiten und Ungehörigkeiten
reichen Buche cParerga zur lat. Sprachgesch. u. s. w. (Leipzig
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 55
1916, 198. 229) leichten Herzens auch die Kürzung von nisi
quasi mild ubi u. s. w. auf genau dasselbe Jahrzehnt datiert.
Die dort mit großen Worten als etwas neues angepriesene
'statistisch-historische' Methode, zu der Wölfflins Name her-
halten muß, erweckt wenig Vertrauen, wenn sie solche Resultate
zeitigt: bei allen Wegen, seien sie nun alt oder wirklich neu,
ist eben die Hauptsache, daß der Wanderer selbst die Augen
offen behält und sorgt, ans richtige Ziel zu kommen.
Der Befund der Tatsachen für die Länge der geschlossenen
Endungen (nach Ritschi Prolog, z. Trin. CLXXXII ff. = opusc.
V 422 ff. bei C. F. W. Müller, plaut. Pros. 37—79) ist keines-
wegs überwältigend: nur so ist es ja auch zu verstehen, daß
die Lehre, diese Silben seien lang, erst so spät auftreten konnte.
Die Eigentümlichkeit der skenischen Verse bringt es mit sich,
daß an der weit überwiegenden Mehrzahl der Stellen die
Quantität der in Frage stehenden Endsilben undeutlich bleibt.
So belaufen sich die Zahlen der die Länge wirklich sicher
aufweisenden Stellen auf folgende1):
für -at für -et für -it
ind. coni. imperf. ind. coni. fut. coni. ind. coni. coni. ind.
praes. praes. imperf. praes. praes. perf. perf.
10 2 1 11 4 2 2 6 10 — 10
~13~ "TS" ~26~
Was diese Zahlen bedeuten, kann aber erst ein Vergleich
lehren : um ihn zu ermöglichen, stelle ich aus Miles und Pseu-
dolus die Zahlen des Vorkommens dieser Formen zusammen2)
Miles: -at undeutlich 162
Pseud.
-at undeutlich 92
(1437 Verse) lang —
(1335 Verse)
lang 1
-et undeutlich 127
-et undeutlich 117
lang 1
lang 4
-it undeutlich 195
-it undeutlich 148
lang 3
lang 2
1) Ich habe dabei und in den folgenden Listen ausgeschieden auch
die Fälle, in denen die Endung im Senar die 4. Hebung, im troch. Sep-
tenar die 2. oder 6. Hebung einnehmen: warum, vgl. Jacobsohn, quaest.
Plautinae diss. Gotting. 1904.
2) Die für die Länge angenommenen Stellen sind: Mil.1244 desideret,
56 3. Abhandlung: P. Vollmer
Es wird nun wohl klar sein, wie gering die Zahl der die
Länge beweisenden Stellen im Verhältnis zum Vorkommen der
Endungen überhaupt ist.
Damit man mir nicht mit dem allgemeinen Einwurfe komme,
dies Verhältnis sei eben bei dem Charakter der skenischen
Verse naturnotwendig, habe ich die gleiche Zusammenstellung
für die unbezweifelbar langen Endungen -as -es -is gemacht :
die Zahlen sind1)
Miles -as undeutlich 75 Pseud. -as undeutlich 90
lang 5 lang 5
-es undeutlich 55 -es undeutlich 70
lang 2 lang 6
-is undeutlich 65 -is undeutlich 72
lang 2 lang 3
Ziehen wir nun den Vergleich:
-t Endungen: undeutlich 841, sicher lang 11
-s „ undeutlich 427, deutlich lang 28.
Die -s Endungen sind also in Wirklichkeit 5 mal so oft
deutlich lang als die ^-Endungen.
Aber wir müssen noch eine andere Gegenrechnung auf-
machen. Wie oft läßt sich denn bei den wirklich kurzen
Endungen auf -it z. B. agit erit amaverit (fut. ex.) die Kürze
sicher erkennen? Ich habe unter den 112 Stellen in Miles
und Pseudolus keine einzige gefunden, die Kürze sicher
erweist.
Ich meine, dieser Befund ist ausschlaggebend : wir werden
uns also für die Annahme, Plautus und seine Genossen hätten
die Endungen -dt -et -it in den in Frage kommenden Formen
ebenso gut wie Ennius im Epos als Kürzen gebrauchen können,
besonders in Versen wie Anapaeste Bakcheen Kretiker, mit
242. 1186. 1397 sit, Pseud. 702 resonät; 308 miseret, 739 habet, 1178
scilicet, 1278 amaret, 311 vixit, 596 dixit.
!) Die Stellen für Länge: Mil. 426 rogäs, hern. 625. 689. 1118. 1177;
435. 459; 1387. 1417; Pseud. 399. 486. 579. 913*; 157. 234, 922. 1015.
1198, 1323; 321. 695.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters. 57
ganz geringen Spuren begnügen dürfen und werden uns hüten
müssen sie zu verwischen.
Zunächst sind unter den von mir oben als undeutlich
gerechneten Stellen nicht nur die Menge derer, wo die Endung
die syllaba anceps des Verses oder Kolons bildet, derer, wo
der Endkonsonant t vor anlautendem Konsonant steht, derer,
die unter die IK fallen, sondern auch eine ganze Reihe solcher,
wo auf die Endung 2 Kürzen folgen, und dabei ist es gar
nicht selten, daß die Lesung mit kurzer Endung den Vers viel
glatter macht: z. B. Mil. 332 wird die zweite Hälfte des Sep-
tenars durch die Messung sit tadellos : quin ea sit in his aedibus
und so vieles: auch Bakcheen und Kretiker werden glatter
z. B. Pseud. 248 fuit:: mortaost qui fuit: qui sit tisust, 934
Iiippiter te mihi servet immö mihi: leider ist Leos Conjectur
1262 zu unsicher, sonst stände dort in Anapästen deutlichst
propinftt.
In andern Stücken aber haben wir Stellen, wo nun in
der Tat die Kürzen überliefert sind und nicht wegkorrigiert
werden dürfen : Truc. 553 (Anapaeste) quin nihili sit at-
que; Bacch. 665 fecit ex patre, Rud. 212 monstret ita nunc;
dazu drei Stellen, an denen durch Annahme der Kürze die
4. Senkung des iambischen Langverses nach Hermanns Regel
rein wird: Capt. 198 evenit, Cist. 312 exconcinnavit, Merc. 121
sit — und es werden sich wohl bei aufmerksamer Musterung
der Überlieferung mit der Zeit noch mehr finden lassen, auch
für die -r Endungen.
58 3. Abhandlung: F. Vollmer
Verbesserung.
Indem ich berichtige, daß auf S. 10 der Vers Aetna 129
hospiüum fluvium, haud semita sich fälschlich unter den Titel
* Culex verirrt hat, erkläre ich zugleich, weshalb ich in diesem
Verse jetzt die Überlieferung fluvium für richtig halte, während
ich in meiner Ausgabe PLM P S. 166 leider der Conjectur
Birts fluviis Raum gegeben habe. Erst bei der Redaktion des
Artikels fluvius für den Thesaurus wurde mir deutlich, wie
die Dichter sich um den unbequemen Genetiv fluviorum bemüht
haben : Vergil setzte ihn als fluvjorum in den ersten Fulä
(georg. 1,482), einmal auch (mit Elision) an dieselbe Stelle
wie im Aetnaverse (Aen. 12,142, an anderer Stelle Sil. 6,603
Stat. Theb.), aber Lucilius sagte 329 fluvium und ebenso
Val. Fl. 6,391. 443. So sehe ich kein Bedenken, das über-
lieferte fluvium auch in der Aetna zu belassen.
Zur Geschichte des lateinischen Hexameters.
59
Aus dem Inhalt.
Seite
Endsilben-Dehnung vor schwerer Konsonanz
8,2. 11,1.2. 14,1. 36,6. 7.
37,2.3. 38,1.3. 39,1.3. 41,3. 43,1. 45,4. 46,1.2.3.4. 47,1.2.3.
48,4. 49,2. 3. 50,1. 3. 4.
Griechische Endungen
13. 25. 37,1. 43,1. 44,1.
45,2. 48,2
Hiat
21. 24. 26 ff. 33. 41,2
Monosyllaba gedehnt ....
•
49,1
Rhetorik und Poesie ....
25
Syllaba anceps
•
30
in der Fentametermitte .
•
41,2. 48,4. 50,5
Metrische Traktate des Altertums
3 mit Anm. 21,1
Einzelnes: abies aries paries
•
7. 10. 11. 33. 34. 35,2
awjicio. ....
•
11,2
cinis ....
34
duö . . .
39,1. 44.1
egö .
10,1. 36,5. 48,4
es(s) .
•
34
h consona .
■
38,3. 39,1. 40,2. 41,3. 47,1.
50, 1. 3. 4. 5. 52, 2
iubär ....
.
20
modo .
.
8,1. 35. 44,1
nictio ....
.
5,5
nihil ....
.
14. 34
-pes ....
.
20. 35,2. 36,1. 37,1
pulvis ....
.
20
quasi ....
.
39,2. 44,1
que . . . que .
.
15
savgitis
8. 10. 11. 14. 20. 35,2. 37,2
Endungen: -ä nom. sing.
.
23
-es: -a ...
.
23
-at: -ät
17. 55 f.
-et: -et ...
17. 23. 33. 55 f.
-it : -it bei Plaut.
.
17 ff. 55 f.
„ Enn.
17
im f'ut. exact.
23
-tat, -üu
12 ff. 31. 35. 36,4
-iä im perf.
.
18,1
-is: is ...
. ,
11. 13. 35,2. 37,1
•br: ör ...
.
9. 19
-ÖS
•
19
A
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 4. Abhandlung
Bernardus Noricus
Untersuchungen zu den Geschichtsquellen
von Kremsmünster und Tegernsee
von
Georg Leidinger
Vorgetragen am 3. März 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des 6. Franzschen Verlags (J. Roth)
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 4. Abhandlung
Bernardus Noricus
Untersuchungen zu den Geschichtsquellen
von Kremsniünster und Tegernsee
von
Georg Leidinger
Vorgetragen am 3. März 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franzschen Verlags (,J. Roth)
Aus dem Benediktinerkloster Kremsmünster in Oberöster-
reich, einer der ältesten Kulturstätten dieses Landes, besitzen
wir mittelalterliche erzählende Geschichtsquellen, welche für
bayerische wie für österreichische Geschichtsforschung von ziem-
licher Bedeutung sind, weniger wegen ihres Inhaltes an ge-
schichtlichen Überlieferungen selbst, als vielmehr weil sie durch
ihre sagenhaften Teile die bayerische und österreichische Ge-
schichtschreibung nachhaltig beeinflußt haben. Im 13. und zu
Anfang; des 14. Jahrhunderts entstanden, sind diese Aufzeich-
nungen durch Abschriften hauptsächlich in Bayern und Oster-
reich verbreitet worden; noch mehr aber sind Teile ihres In-
haltes dadurch in die Weite gedrungen, daß bayerische und
österreichische Chronisten des 15. Jahrhunderts sie stark be-
nützten, worauf die Werke dieser Chronisten wieder den folgen-
den Geschichtschreibern als Quellen dienten.
Unter dem Namen „Geschichtsquellen von Kremsmünster"
zusammengefaßt, bilden jene Aufzeichnungen, wie schon diese
Bezeichnung erkennen läßt, nicht etwa ein einziges zusammen-
hängendes Werk, sondern zerfallen in verschiedenartige Teile.
Die Grundlage der Überlieferung ihrer Texte bilden zwei in
engem Verhältnisse zueinander stehende Handschriften. Die
eine befindet sich jetzt in der Wiener k. k. Hofbibliothek,
stammt iedoch aus Kremsmünster selbst, die andere wird heute
noch in diesem Stifte verwahrt. Beide Handschriften gehören
dem Ende des 13. und ersten Viertel des 14. Jahrhunderts an.
Die Wiener Handschrift1) enthält u. a. folgende Aufzeich-
nungen, die mit der Geschichte des Stiftes in teils engerer teils
l) Cod. pal. Vind. 610. Vgl. die Beschreibung von Wattenbach im
Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde X (1851),
1*
4 4. Abhandlung: Georg Leitlinger
weiterer Verbindung stehen: 1. einen „Catalogus episcoporum
Pataviensium", 2. einen „Catalogus ducum Bavariae", 3. die
sog. „Historia ecclesiae Laureacensis", 4. einen „Catalogus
archiepiscoporum Laureacensium et episcoporum Pataviensium",
5. einen „Catalogus abbatum Cremifanensium", 6. einen „Cata-
logus paparum". Zu diesen Stücken sind auf Rändern und
freien Stellen zahlreiche Bemerkungen und Zusätze beige-
schrieben, die gleichlauten mit Teilen der zweiten, in Krems-
münster befindlichen Handschrift.
In dieser1) sind zwei verschiedene Geschichtswerke ent-
halten: die sog. „Historiae ecclesiae Cremifanensis" und die
„Narratio de ecclesia Chremsmunster".2) Die „Historiae", das
für die Forschung wichtigste Werk der kremsmünsterschen
Quellen, zerfallen nach einem „Prologus" in vier große Ab-
schnitte, deren Inhalt die Überschriften erkennen lassen: „De
ordine episcoporum Laureacensium", „De ordine ducum Ba-
variae", „De origine et ordine ducum Austriae", „De catalogo
abbatum". Dem ersten, zweiten und vierten Abschnitte dieser
„Historiae" liegen die entsprechenden Teile der Wiener Hand-
schrift zugrunde. Die „Narratio" ist mehr eine eigentliche
Geschichte des Klosters: der auch in den „Historiae" ent-
haltene Stoff ist in der „Narratio" in gewandter Weise und
abgerundeter Form zu einem Werke verarbeitet, in welchem
die Schicksale des Klosters im Vordergrunde stehen.
Von den genannten Aufzeichnungen der beiden Hand-
schriften erregten sowohl die „Catalogi", welche hauptsächlich
482 (wo die älteren Erwähnungen bei Lambecius verzeichnet sind), dann
in den Tabulae codicum manu scriptorum in bibliotheca palatina Vindo-
bonensi asservatorum I (Vindobonae 1864), 106, ferner von Waitz in Mon.
Germ, hist., SS. XXV, 611ff., bei Loserth, Die Geschichtsquellen von Krems-
münster im XIII. und XIV. Jahrhundert (Wien 1872), S. lff., endlich
Einzelheiten über die Handschrift in der unten erwähnten kritischen
Literatur.
x) Cod. 401 der Stiftsbibliothek.
2) Letzteren Titel bietet die Handschrift, während das erstere Werk
in der Handschrift titellos ist. Waitz hat dafür das treffende Schlag-
wort „Historiae" gewählt; ich behalte es bei.
Bernardus Noricus. 5
für ältere Zeiten manche anderswo nicht zu findende Nach-
richt darboten, als auch insbesondere die beiden zuletzt er-
wähnten Chroniken, literarisch gut ausgearbeitete Erzeugnisse,
das Interesse der folgenden Geschlechter. Nicht leicht ist je-
mand, der sich mit mittelalterlichen bayerischen und öster-
reichischen Geschichtsquellen näher zu befassen hatte, achtlos
an ihnen vorbeigegangen, und es konnte nicht ausbleiben, daß
man wissen wollte, von wem sie denn verfaßt seien.
Zu der Zeit, als man ihnen auch außerhalb des Klosters
Aufmerksamkeit zu schenken begann, scheint man den Namen
des Urhebers oder die Namen der Urheber schon nicht mehr
gewußt oder dieser Frage jedenfalls keine Bedeutung beige-
messen zu haben. Es wurden im Laufe des 14. und 15. Jahr-
hunderts bald von diesem bald von jenem Teile der Auf-
zeichnungen Abschriften gemacht, ohne daß — in den uns
erhalten gebliebenen *) wenigstens — irgendwie bemerkt worden
wäre, wer der Verfasser der ursprünglichen Werke sei.
Verfolgt man dann den Gang der Benützung der krems-
münsterschen Quellen in der bayerischen und österreichischen
Chronistik des 15. Jahrhunderts, so stößt man nirgends auf
einen Verfassernamen für jene Quellen.
In zwei Chroniken, die der Chorherr Andreas von Regens-
burg im dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts verfaßt hat,
einer Weltchronik und einer Chronik Bayerns, der ältesten
bayerischen Landeschronik, finden sich Anklänge an die „ Nar-
ratio" von Kremsmünster. Ich habe nachgewiesen,2) daß sie
aus einer älteren Quelle der „Narratio" stammen müssen, die
„Narratio" selbst jedoch nicht benützt erscheint.
Dagegen war die letztere die Quelle einer Kompilation,
welche man sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts im Kloster
l) Vgl. die Zusammenstellung- von Waitz in den Mon. Germ, hist.,
SS. XXV, 610 ff. Hiezu wäre noch die Handschrift 748 des Stiftes Gött-
weig zu nennen, sowie Clin. 167.
'2) In meiner Ausgabe der Sämtlichen Werke des Andreas (Quellen
und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, Neue
Folge I, München 1903), S. XL VN.
6 4. Abhandlung: Georg Leidinger
Weltenburg angefertigt hat.1) Im Traditionskodex des Klosters
setzte man vor die Urkundenabschriften ein Leben des angeb-
lichen Stifters des Klosters, des letzten Agilolfingerherzogs
Tassilo. Zu dieser Lebensbeschreibung verwendete man einige
Kapitel der „Narratio" von Kremsmünster, welches wirklich
von dem letzten Agilolfinger gegründet worden ist, und rundete
diese Kapitel durch Zusätze aus der zweiten Form der bayeri-
schen Chronik des Andreas von Regensburg ab.
Der Wiener Universitätsprofessor Thomas Ebendorfer von
Haselbach machte in seiner Chronik der Bischöfe von Passau2)
ausgedehnten Gebrauch von den kremsmünsterschen Quellen.5)
Der Ritter Hans Ebran von Wildenberg hat für seine in
den 60er und 70er Jahren ausgearbeitete, treuherzige, deutsch
geschriebene „Chronik von den Fürsten aus Bayern" auch die
Aufzeichnungen von Kremsmünster herangezogen,4) die er in
seiner Einleitung ausdrücklich als seine Quelle nennt.5) Auch
der Münchener Maler, Dichter und Chronist Ulrich Füetrer
kennt sie und zitiert sie in seiner 1478 — 1481 in deutscher
Sprache verfaßten „bayerischen Chronik" einmal als „des selben
gotzhaws cronica".6)
Veit Arnpeck, der wichtigste bayerische Chronist des
15. Jahrhunderts, dessen Werke besonders für die zweite Hälfte
jenes Jahrhunderts von grundlegender Bedeutung sind, hat in
i) Vgl. a.a.O., S. XLIVff.
2j Vgl. meine Untersuchungen zur Passauer Geschichtschreibung des
Mittelalters (Sitzungsberichte der K. B. Akademie der Wissenschaften,
philos.-philol. und histor. Klasse 1915, Abb. 9), S. 10 ff.
3) Vgl. a. a. 0., S. 26 und 31. Ob Ebendorfer sie nicht auch, was
zu vermuten ist, in .seiner Kaiserchronik und seiner österreichischen
Chronik benützt hat, wird noch zu untersuchen sein. Pribram hat bei
Feststellung der Quellen der Kaiserchronik (Mitteilungen des Instituts
für österr. Geschichtsforschung, Erg.-Bd. III, 1890-1894, S. 62 ff.) die
Aufzeichnungen von Kremsmünster nicht aufgezählt.
4) Vgl. die Ausgabe von Fr. Roth in Quellen und Erörterungen usw.,
NF. II, I, LXVI1I. 5) A. a. 0., S. 2.
6) Ausgabe von Spiller in Quellen und Erörterungen usw., NF. II,
II, 48, 14. Vgl. daselbst, S. XXXV.
Bernardus Noricus. 7
seinen beiden bayerischen Chroniken, der lateinisch geschriebenen
und der deutschen, wie auch in seiner lateinischen österreichi-
schen Chronik die Quellen von Kremsmünster, ohne das be-
sonders anzugeben, in der umfassendsten Weise ausgeschrieben.1)
Insbesondere für die zeitlichen Angaben in den die älteren
Zeiten behandelnden Teilen dieser Chroniken bilden jene Quellen
die Grundlage. Arnpeck scheint, wenn er auch sich hie und
da Abweichungen gestattete, großes Vertrauen in ihre Zuver-
lässigkeit gesetzt zu haben. Einen Verfasser der Aufzeich-
nungen von Kremsmünster nennt keines der bisher angeführten
Werke.
Auf Arnpeck folgt in der bayerischen Geschichtschreibung
Aventinus. Angaben von ihm beeinflussen in der Folgezeit
grundlegend die Frage nach dem Verfasser der Geschichts-
quellen von Kremsmünster.
Als Aventinus im Jahre 1518 die von ihm 1515 in der
Klosterbibliothek zu St. Emmeram in Regensburg entdeckte
„Vita Henrici IV. imperatoris" im Drucke herausgab, fügte er
dem Werkchen u. a. einen an Leonhard von Eck gerichteten
Brief2) hinzu; darin zählte er eine Reihe von Werken auf,
die er alle aufgefunden habe und deren Veröffentlichung er
beabsichtige. Darunter ist angeführt „Veronardus Noricus de
rebus Boiorum".3) Drei Jahre später gab er an hervorstechen-
der Stelle seines großen Werkes der „Annales ducum Boiariae",
am Anfange von deren erstem Buche,4) die „Autores, ex quibus
istaec sumpta sunt", an und nannte dabei nach den bisher geheim-
nisvollen „Frethulphus et Schritovinus, antiquissimi Boiorum
a) Vgl. meine Ausgabe der Sämtlichen Chroniken des Veit Arnpeck
(Quellen und Erörterungen usw., NF. III, München 1915), S. XL f.
2) Abgedruckt in Johannes Turmairs genannt Aventinus Sämtliche
Werke (München 1881 ff.; in den folgenden Anmerkungen mit S.W. zi-
tiert) I, 638 ff.
3) Ausgabe der „Arita Henrici IV. imperatoris", Bl. f ij; S. W. I,
640, lOf. (Im Register S. W. VI, 196 ist bei „Bernhard von Krems-
münster" hinzuzufügen: I, 640.) Vgl. meine Untersuchungen zur Passauer
Geschichtschreibung, S. 115.
4) S.W. II, 1, 13 ff.
8 4. Abhandlung: Georg Leidinger
historiographi" , über welche meine letzte Akademieabhand-
lung „Untersuchungen zur Passauer Geschichtschreibung des
Mittelalters" l) Licht gebracht hat, an zweiter Stelle: „Vero-
nardus Noricus de rebus Boiorum." Und in der deutschen Be-
arbeitung seiner „Annales", der „ Bayerischen Chronik", führte
Aventinus an entsprechender Stelle des ersten Buches eben-
falls seine Quellen auf und bezeichnete den gleichen Schrift-
steller mit den Worten: „Bernhardt von Krembsmynster, ein
Benedicter, hat von den baierischen fürsten geschriben bei
kaiser Fridrichs des ersten zeiten."2)
Der Ingolstädter Universitätsprofessor Hieronymus Ziegler,
der im Jahre 1554 Aventins „ Annales " im Drucke heraus-
gab, veränderte, offenbar auf Grund des Textes der deutschen
Chronik, die Worte: „Veronardus Noricus de rebus Boiorum"
in die Angabe „Bernardus Noricus Monachus in Chrembs-
munster de rebus Boiorum",3) und in dieser Fornx wurde denn
die Stelle in der ganzen folgenden Literatur zitiert.
Für jenes von Aventinus als seine Quelle genannte
Werk aber hielt man ohne weiteres die vorhandenen
Aufzeichnungen von Kremsmünster. In der ganzen Folge-
zeit bis auf die Gegenwart bestand diese Ansicht, und es wurde
nie irgendein Zweifel an ihr laut. Ich bringe heute4) den
Nachweis, daß sie ein Irrtum gewesen ist, und muß zunächst
die lehrreiche Geschichte dieses Irrtums erzählen.
Soviel ich sehe, war der Erste, welcher die kremsmünster-
schen Geschichtsaufzeichnungen unter dem Namen des Bernar-
dus Noricus zitierte, der dortige Konventual P. Simon Retten-
pacher, der zum 900jährigen Gründungsfeste des Klosters im
Jahre 1677 seine „Annales monasterii Cremifanensis" im Druck
erscheinen ließ. Als eine seiner Quellen bezeichnete er5) die
„Narratio de Ecclesia Crembsmunstrensi P. Bernardi Norici
Monachi et Sacerdotis huius loci" und gab an einer Reihe von
!) S. 88 ff. 2) S. W. IV, 2. 3) A. a. 0., S. 1.
4) Nachdem ich schon in meinen Untersuchungen zur Passauer Ge-
schichtschreibung des Mittelalters, S. 105 f. Andeutungen darüber ge-
macht habe. 5) S. 21.
Bernardus Noricus. y
Stellen den Bernardus Noricus als Gewährsmann an. Dadurch
bewirkte er, daß der Name des Bernardus gewissermaßen selbst-
verständliche Aufnahme in der folgenden Literatur fand.
1721 und 1725 gab der Melker Benediktiner P. Hieronymus
Pez in seinen „Scriptores rerum Austriacarum" teils aus der krems-
münsterschen Handschrift, die er als Autograph bezeichnete,
teils aus einer Abschrift, die ihm in dem oberösterreichischen
Augustinerkloster Waldhausen zur Verfügung gestellt worden
war,1) die „Historiae" in vier getrennten Abschnitten heraus,2)
wobei der Verfasser als „Bernardus Noricus Coenobita Cremi-
fanensis" benannt wird. Pez nahm zur Begründung hiefür
Bezug3) auf die Stelle am Anfange des ersten Buches von
Aventins Annalen, wo dieser den Bernardus Noricus unter
den heimischen Schriftstellern aufführe, und auf das genannte
Werk von Rettenpacher. Im übrigen wies er darauf hin, daß
der Name des Verfassers in den Handschriften nirgends ge-
nannt werde, daß er aber „fama perpetua et constanti maiorum
traditione" überkommen sei.
Mit dieser angeblichen Überlieferung war in gutem kriti-
schen Gefühl der Jesuit P. Markus Hansiz nicht zufrieden.
Für seine „Germania sacra", deren erster Band 1727 erschien,
hatte er die Wiener Handschrift benützt und in ihr Zusammen-
hänge mit einer anderen Handschrift gefunden, welche in den
Jahren 1299 — 1302 zu Kremsmünster im Auftrage des Abtes
des Klosters, Friedrich von Aich, angelegt worden war, dem
heute noch vorhandenen sog. „Liber possessionum et privi-
legiorum", welchen der summus cellerarius des Klosters, Sigmar,
angefertigt hatte. Diesem Sigmar schrieb Hansiz4) den Abt-
katalog5) der Wiener Handschrift zu, während die „Historiae"
1) Jetzt Cod. pal. Vind. 3399 (nicht 3999, wie Mon. Germ, hist.,
SS. XXV, 616, 30 und 37 gedruckt ist).
2) SS. rer. Austr. I, 1296-1310; II, 63-72; I, 686-696; II, 51—64.
3) A. a. 0. I, 686 f.
4) Germania sacra I, Einleitung, Bl. c 2.
5) Nur diesen, nicht aber, wie mir (gegenüber Rauch, Rerum Austria-
carum Scriptores I, 158 und II, 336) scheint, auch den Passauer Bischofs-
I 0 4. Abhandlung: Georg Leidinger
der kremsmünsterschen Handschrift mit dem darin enthaltenen
Abtkatalog von Sigmars „collega", wie er sagte, dem Bernar-
dus, „seu alio monasterii Cremifanensis asceta" verfaßt seien.
Aus dem Pezschen Drucke wiederholte den Abschnitt von
den bayerischen Herzogen Peter Paul Finauer1) in dem 1772
erschienenen ersten Teile2) seiner „Bibliothek zum Gebrauch
der baierischen Staats-, Kirchen- und Gelehrten-Geschichte"
und verbesserte einzelne Lesarten nach einer angeblich dem
14. Jahrhundert angehörenden Handschrift, die er zu Würz-
burg gekauft hatte und die heute verschollen zu sein scheint.
Jedenfalls fehlte auch in ihr nach Finauers Mitteilung die An-
gabe eines Verfassernamens. Den Namen Bernardus Noricus
übernahm Finauer aus Pez und erklärte ihn als „Bernardus
aus dem Nordgau gebürtig" ! Zugleich versicherte er seine
Leser, Bernardus habe zu Anfang des 13. Jahrhunderts gelebt.
Im Jahre 1777 brachten die Herausgeber der „Monumenta
Boica", Mitglieder unserer Akademie, die schon oben3) erwähnte
Weltenburger Kompilation, welche sie im Weltenburger Tra-
ditionskodex gefunden hatten, im 13. Bande4) der „Monumenta
Boica" zum Abdruck.5) Auf die von Pez gegebene Beschreibung
der Handschrift von Kremsmünster und das Verzeichnis ihres
Inhaltes sich stützend, befanden sie sich in dem Wahne, in
dem Kodex von Weltenburg einen Teil der kremsmünsterschen
Aufzeichnungen unverändert vor sich zu haben und gaben in
der Freude, einen von Pez nicht veröffentlichten Teil der
Quellen von Kremsmünster bringen zu können, dem Stücke,
trotzdem es im Traditionskodex titellos erschien, im Vollge-
katalog, von dem Hansiz vorsichtig nur sagt, daß man ihn den krems-
münsterschen heiße, weil er in Kremsmünster verfaßt zu sein scheine.
1) Nicht Firnauer, wie Mon. Germ, bist., SS. XXV, 616, 32 ge-
druckt ist.
2) S. 169 ff. Böhmer, Fontes rer. Germ. I (Stuttgart 1843), X, N. 3
hielt jene Herzogsreihe irrtümlich für die von Aventin erwähnten, an-
geblichen Annalen des Volkmar von Fürstenfeld.
3) S. 5 f.
4) Nicht im 8., wie Mon. Germ, hist., SS. XXV, 616, 38 gedruckt ist,
5) S. 493 ff.
Bernardus Noricus. 11
fühle ihrer Gelehrsamkeit die Überschrift: „Bernardi Norici
Opusculum V. anecdotum de genealogia fundatoris coenobii
Cremifanensis." Aus der Pezschen Beschreibung der Hand-
schrift hatten sie irrtümlich entnommen, daß die Aufzeich-
nungen in dem kremsmünsterschen Kodex den Verfassernamen
des Bernardus Noricus trügen.
Als im gleichen Jahre 1777 zum 1000jährigen Jubiläum
des Klosters Kremsmünster der dortige Konventual P. Marianus
Pachmayr seine „Historico-chronologicaseries abbatum et religio-
sorum monasterii Cremifanensis 0. S. P. B., quotquot quidem
a retro actis mille annis ab eius fundatione in tabulis, manu-
scriptis, catalogis aliisque monimentis inveniri potuerunt" er-
scheinen ließ, ein ungemein fleißiges Werk, welches wegen
seines reichen im Titel nicht zum Ausdrucke gelangenden kultur-
und literargeschichtlichen Inhaltes von der Forschung heute
noch mit Nutzen zu Rate gezogen wird, behandelte er darin
in besonders liebevoller Weise den Bernardus Noricus als den
Verfasser der mittelalterlichen Geschichtsaufzeichnungen seines
Klosters. Aus den Einzelheiten, welche in diesen selbst einen
Schluß auf die Persönlichkeit des Verfassers zuließen, schuf
er ein Lebensbild des Schriftstellers. Da zum Jahre 1318 an-
geblich ein Bernardus als Prior von Kremsmünster erwähnt
wurde,1) lag es nahe, den Verfasser der Chroniken des Klosters
in der Person jenes Priors zu suchen und anzunehmen, daß
er den Beinamen Noricus geführt habe. Bernardus Noricus
hatte damit gewissermaßen Fleisch und Blut gewonnen. Er
war nunmehr eine feste Gestalt in der Klostergeschichte. In
bezug auf Sigmar folgte Pachmayr der Meinung von Hansiz.2)
Der angebliche Geschichtschreiber Bernardus Noricus ge-
wann noch mehr Boden in der Literatur, als Adrian Rauch in
dem zweiten Bande seiner 1793 zu Wien erschienenen „Rerum
Austriacarum Scriptores" 3) auch die Geschichtsquellen von
Kremsmünster abdruckte,4) wobei er ihnen den Titel „Ber-
M Vgl. Pachmayr a. a. 0., S. 172.
2) A. a. O., S. 170. 3) S. 335—428.
4) Aus der Wiener und Waldhausener Handschrift.
1*- 4. Abhandlung: Georg Leidinger
nardi Norici Monachi Cremifanensis varia opuscula" gab. Mit
Rauchs Veröffentlichung drang aber auch der Zwiespalt be-
treffs der Verfasserschaft, den Hansiz in die Welt gesetzt hätte,
der zunächst jedoch nur wenig bemerkt worden war, weiter
in die Literatur ein. Rauch widersprach nämlich der Ansicht
von Hansiz und erklärte den Bernardus Noricus auch für den
Verfasser der Abtschronik der Wiener Handschrift, während er
nur die Randbemerkungen und Zusätze als von Sigmar her-
rührend anerkennen wollte.
So war eine Streitfrage angeschnitten, die an sich unbe-
deutend gewesen wäre und heute kaum der Rede wert scheinen
könnte. Allein es fügten sich an sie mit der zunehmenden
Kritik der Geschichtsquellen von Kremsmünster noch andere
Fragen, und die ganze Sache verdichtete sich, besonders da
häufig die einzelnen Schriften nicht genau unterschieden wur-
den, bis in die Mitte der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
herein zu einem fast unentwirrbar scheinenden Knäuel.1)
Den Wirrwarr der Ansichten über die Geschichtsquellen
von Kremsmünster, insbesondere die Verfasserfrage zu lösen
unternahm der spätere Professor der Geschichte an der Uni-
versität Graz Johann Loserth. Er ließ 1872 eine Ausgabe
der sämtlichen Texte erscheinen,2) welcher Ottokar Lorenz ein
Geleitwort mitgab. Zugleich veröffentlichte Loserth eine Ab-
handlung, betitelt „Der angebliche Bernardus Noricus",3) die
eine Ergänzung zu der Ausgabe bot.
Loserth suchte nachzuweisen, daß nicht bloß die Aufzeich-
nungen in der Wiener Handschrift um das Ende des 13. Jahr-
*) Man vergleiche hierüber z. B. Düinmler, Piligrim von Passau und
das Erzbisthum Lorch (Leipzig 1854), S. 135 ff., sowie die erste Auflage
von Ottokar Lorenz, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter (Berlin
1870), S. 235 ff. Dort ist der jeweilige Stand der Frage auseinandergesetzt.
-) Die Geschichtsquellen von Krerasniünster im XIII. und XIV. Jahr-
hundert. Mit einem Vorwort von Ottokar Lorenz herausgegeben von
J. Loserth. Wien 1872.
3) Erster Teil von Loserths .Beiträgen zur Kunde österreichischer
Geschichtsquellen " in: Drittes Programm des k. k. Real-Obergymnasiums
auf der Landstraße in Wien 1871/2, S. l'ß.
Bernardus Noricus. 13
hunderts von Sigmar, dem summus cellerarius des Klosters,
verfaßt seien, sondern daß auch die „Historiae" und die „Nar-
ratio" der kremsmünsterschen Handschrift Sigmar zum Ver-
fasser hätten. Bernardus Noricus sei ein „Mann von zweifel-
hafter, unwahrscheinlicher Existenz". Der erst seit Aventin
bekannte Name lasse sich nicht belegen und sei eine Fik-
tion Aventins.
Irgendeinen Beweis für seine den Bernardus betreffenden
Behauptungen trat Loserth mit keinem Wort an. Die Tat-
sachen, die für seinen Sigmar sprachen, dünkten ihm offenbar
für so wuchtig, daß sie jede andere Anschauung ausschließen
mußten.
Loserths Ausführungen blieben nicht ohne schwerwieo-en-
den Widerspruch. Ottokar Lorenz erklärte bald darauf,1) sich
ihnen nicht mit der Entschiedenheit anschließen zu können,
die Loserth vertrat; die Frage der Verfasserschaft Sigmars
bleibe offen. Dann untersuchte Georg Waitz für eine neue
Ausgabe der kremsmünsterschen Geschichtsquellen, die in der
Scriptores- Reihe der „Monumenta Germaniae historica" er-
scheinen sollte, die beiden grundlegenden Handschriften aufs
neue. In einem in den „Forschungen zur deutschen Ge-
schichte"2) gedruckten Aufsatze, betitelt „Sigmar und Bern-
hard von Kremsmünster ", kam Waitz zu dem Schlüsse, daß
die Wiener Handschrift dem Verfasser der kremsmünsterschen
vorgelegen habe und ihm sowohl als Quelle als auch, was die
Randbemerkungen anlangt, als Konzept gedient habe. Sigmar
als Verfasser der beiden Chroniken der kremsmünsterschen
Handschrift lehnte er gänzlich ab ; die letzteren wie die Rand-
bemerkungen der Wiener Handschrift schrieb er dem aven-
tinischen Bernardus Noricus zu, dessen Vorhandensein er ge-
nugsam beglaubigt hielt dadurch, daß 1318 ein Prior Bernar-
dus erwähnt werde, der 1327 gestorben sei.
In der Ausgabe von Waitz, die in dem 1880 veröffent-
1) Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter I2 (Berlin 1876),
181, Anna. 1. Vgl. Riezler, Geschichte Baierns II (Gotha 1880), 217.
2) XX (Göttingen 1880), 605 ff.
14 4. Abhandlung: Georg Leidinger
lichten XXV. Bande der Scriptores der „Monumenta Germaniae
historica" unter dem Gesamttitel „Historiae Patavienses et Cremi-
fanenses" erschien, trägt denn auch keine der kremsmünster-
schen Aufzeichnungen den Namen Sigmars als Verfassernamen.
Dagegen führen die „Historiae" den bestimmten Titel „Ber-
nardi Cremifanensis Historiae", die „"Nctitia* ist — etwas zu-
rückhaltender — betitelt „Bernardi, ut videtur, über de origine
et ruina monasteiüi Cremifanensis". Einen neuen Punkt brachte
Waitz bei, indem er auf eine Handschrift der K. Hof- und
Staatsbibliothek München verwies, in welcher ein Bruchstück
enthalten sei mit dem Titel: „De origine Bavarorum Bernardus
monachus in Chrembsmunster sub Friderico". Da die Hand-
schrift im 16. Jahrhundert geschrieben sei, meinte Waitz, sie
könne auch jünger als Aventin sein. Ich werde später auf sie
zurückkommen.
Waitz hatte wenigstens das Verdienst, in seiner Ausgabe
festgestellt zu haben,1) daß ein Teil der Aufzeichnungen, ins-
besondere die „Historia ecclesiae Laureacensis" mit der sich
daran anschließenden Lorch- Passauer Bischofsreihe und der
bayerischen Herzogschronik keine ursprünglichen kremsmünster-
schen, sondern passauische Erzeugnisse sind.2) Über das Ver-
hältnis der anderen, wirklich in Kremsmünster entstandenen
Stücke zueinander aber kam Waitz zu keinem klaren Ergebnis,
und seine Ausgabe — von Ottokar Lorenz als „ein vollständiger
Mißgriff" bezeichnet3) — blieb unbefriedigend.
Insbesondere hatte Loserth, der 1894 die ganze Frage in
einer neuen Abhandlung4) noch einmal aufrollte, nicht ganz
*) Gute Vorarbeit zu dieser Feststellung hatte Dürnmler in seiner
obengenannten Abhandlung über Piligrim von Passau usw., S. 132 ff.,
geleistet.
2) Vgl. meine Untersuchungen zur Passauer Geschichtschreibung des
Mittelalters, S. 39.
3) Deutschlands Geschichtsquellen usw. II3 (Berlin 1887), 408.
4) Sigmar und Bernhard von Kremsmünster. Kritische Studien zu
den Geschichtsquellen von Kremsmünster im XIII. und XIV. Jahrhundert.
Im Archiv für österr. Geschichte LXXXI (Wien 1894), 347 ff.
Bernardus Noricus. 15
unrecht, wenn er sagte,1) daß man über die Persönlichkeit des
Verfassers der kremsmünsterschen Geschichten nach der Waitz-
schen Ausgabe in den Monumenta noch mehr im unklaren
sei als jemals früher. Loserth suchte in seiner neuen Unter-
suchung alle Fragen des Gegenstandes eindringend zu erfassen;
vorsichtiger und sorgfältiger als bei seiner ersten Abhandlung
und bei seiner Ausgabe, unterwarf er die Handschriften scharfer
paläographischer Prüfung und verwertete die Ergebnisse der
Textkritik wie der kremsmünsterschen Ortsforschung: wieder
wie das erstemal aber gelangte er zu dem Ergebnis, daß Sigmar
der Verfasser aller zu Kremsmünster entstandenen Aufzeich-
nungen sein müsse. Wie Aventinus zu dem Verfassernamen
Bernardus Noricus gekommen sei, wußte Loserth nicht aufzu-
klären.2)
Es konnte scheinen, daß mit Loserths Feststellungen nun
ein endgültiger Abschluß der Behandlung der Frage erzielt
gewesen wäre.3) Allein sie ruhte noch nicht. 1898 schrieb
der Gymnasialprofessor und Stiftsarchivar von Kremsmünster
Dr. P. Altmann Altinger einen Aufsatz mit dem fragenden
Titel „Bernhard oder Sigmar?"4) Bei der Bearbeitung der
zwei ältesten Nekrologien des Klosters glaubte er Gesichts-
punkte aufgefunden zu haben, die ihn zu der Folgerung ver-
anlaßten, daß nicht notwendig Sigmar der Verfasser aller der
Stücke sein müsse, die Loserth ihm zuschrieb. Sigmar sei
1302 Abt des Klosters Lambach geworden und könne also
nicht der Verfasser der darnach zu Kremsmünster gemachten
Aufzeichnungen sein. In letzterem Stift aber habe zu der in
Betracht kommenden Zeit ein Bernardus gelebt, der im Nekro-
logium als Kustos und 1318 urkundlich als Prior erscheine.
Da keine Gründe gegen die Verfasserschaft dieses Bernardus
!) A. a. 0., S. 353. 2) Vgl. a. a. 0., S. 351 und 418 ff.
3) Loserths Ergebnisse wurden u. a. völlig angenommen bei Alois
Lang, Passauer Annalen, im Histor. Jahrbuch XVII (München 1896), 293
und 310 ff.
4) In Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung XIX
(Innsbruck 1898), 233 ff.
16 4. Althandlung: Georg Leidinger
sprächen, könne man ihn als den aventinischen Bernardus
Noricus betrachten. Aventins Kenntnis beruhe wohl „auf ir-
gendeiner Information, die ihm von Kremsmünster selbst zuge-
kommen" sei. Wenn Aventinus den Bernardus in die Zeit
Kaiser Friedrichs I. gesetzt habe, so sei das wohl ein Ver-
sehen für Abt Friedrich. Altingers Ausführungen gegen Sigmar
hatten manchen bestechenden Zug an sich, sein Eintreten für
Bernardus aber entbehrte so ziemlich der Überzeugungskraft.
Jedenfalls aber ist seither die Frage wieder offen. Wie
schon früher, weiß jetzt wieder niemand, wie man eigentlich
die Geschichtsquellen von Kremsmünster zitieren soll.1)
Ich maße mir nicht an, die Frage zu entscheiden, Doch
habe ich Gesichtspunkte vorzubringen, welche sie der Entschei-
dung zuführen können und insbesondere geeignet sind, die
Nennung des Bernardus Noricus durch Aventinus in ein neues
Licht zu stellen.
Die Vertreter der Bernardus-Noricus-Hypothese hätten in
ihrer Ansicht längst stutzig werden müssen, wenn sie nicht bloß
die oben2) erwähnten Stellen am Anfange von Aventins „Annales"
und „Bayerischer Chronik",3) sondern noch eine andere beachtet
hätten, deren Bedeutung von der ganzen die kremsmünsterschen
Quellen behandelnden Literatur bisher übersehen worden ist.
In seiner „Deutschen Chronik", einem von der „Bayeri-
schen Chronik" verschiedenen Werke, das Aventinus nicht voll-
endet hat, dessen erstes Buch aber Kaspar Bruschius im Jahre
1541 zu Nürnberg im Druck hat ausgehen lassen, ist nämlich
folgender Text zu lesen:4)
„Zur zeit des keiser Friderichs I. hat ein Benedictiner-
münch zu Cremünster mit namen Beronardus von der Baiern
herkommen ein büchle geschriben; der selbig sagt, das noch
•) Vgl. den Abschnitt „ Bernardus Noricus oder Sigmar?" bei Vild-
haut, Quellenkunde zur allgemeinen Geschichte IV2 (Werl 1909), 290 ff.,
besonders S. 293. 2) S. 7 f.
3) Die Erwähnung im Drucke der „Vita Henrici IV. imperatoris"
(vgl. oben S. 7) wurde überhaupt nirgends besonders berücksichtigt.
4) S. W. I, 340.
Bernardus Noricus. 1«
zu seiner zeit Baiern in Asia seind gesessen, welche er für die
allereltisten Teutsclien achtet. Es haben auch zu der selben
zeit1) zwen Henrici, ein stiefvatter und stiefsun, umb das könig-
reich Baiern gehadert und kriegt; denen ist das Baierland, die-
weil doch der krieg nit änderst mocht geschiden werden, ge-
teilt in das Osterreich gegen aufgang der sonnen und in das
Osterreich gegen nidergang, welches noch mit dem alten namen
das Baierland genent wirt. Das seind aber des Beronardi
wort selbs:
„„Von aufgang"", spricht er, „„seind die Baiern heraus
an die Tonau komen, von welchen nachmals die andern teutsche
sprach gelernt und entpfangen haben, wie dann zu hindrist
gegen aufgang umb Armenia und India noch der selben Ur-
sprung ist, welches ich von glaubwirdigen gehört, die dorthin
gewandert und bairisch reden gehört haben. Disen soll auch
der heilig apostel Thomas gepredigt haben, sagen etliche wir-
dige lerer, welche allenthalben auch in der gemein die edlen
Baiern oder Troien genent werden. Ich geschweig jetzo, so
alle, die gegen aufgang sassen, sich dem großen Alexandro
ergaben und huldigten, allein die Baiern boten im den kämpf
und widerfachten, wie man dann noch in alten liedern singt.""
Das sein die wort Beronardi, die ich aufs treu-
lichest dartue. es nem im ein jeder daraus, was er wolle."
Jedenfalls haben sich diejenigen, welche im Laufe der
Zeit mit Bernardus Noricus sich beschäftigt haben, nichts dar-
aus genommen, trotzdem dieses Bruchstück der „Deutschen
Chronik" doch schon seit 1541 im Drucke vorlag.2) Auch bei
der Bearbeitung und nach dem Erscheinen der Chronik im
ersten Bande der von unserer Akademie herausgegebenen Sämt-
lichen Werke Aventins im Jahre 1881 wurde niemand auf die
Bedeutung des Abschnittes aufmerksam.3)
!) Nämlich Kaiser Friedrichs I.
2) Der Druck ist heute sehr selten geworden.
3) In gewisser Hinsicht mag dies damit zu entschuldigen sein, daß
jener Band bis 1908 des Registers entbehrte. Ich habe erst damals ein
solches am Ende des sechsten Bandes eingefügt.
Sitzgsb. d. philos.-pbilol. u. d. hist. Kl. Jahrg. 1917,4. Abb. 2
4. Abhandlung: Georg Leidinger
o • v-"""' f>
In ähnlicher Weise ist es bis jetzt niemandem aufgefallen,
daß in der von mir 1908 im Schlußbande der Aventin- Ausgabe
aus der einzigen erhaltenen Handschrift zum ersten Male ge-
druckten „Germania illustrata" Aventins, der ebenfalls unvoll-
endeten, lateinisch geschriebenen Grundlage jener „Deutschen
Chronik", ein jenem Abschnitte der „Deutschen Chronik" ent-
sprechender lateinischer Text enthalten ist, der noch bedeut-
samer ist als der erstere und in schlagender Weise die Folge-
rungen bekräftigt, die man aus dem deutschen Texte für die
Bernardus-Noricus-Forschung längst hätte ziehen können.
In der „Germania illustrata" schreibt Aventinus nämlich
folgendermaßen : l)
„Simillima prodit Beronardus quidain genere Noricus, re-
ligione Benedictinus Chremissae, quod /novaoxrjoiov cognominant
et vetustissimum Noricorum fanum a regibus Boiorum Thessa-
lone tercio, filio eius Theodone octavo extructum et dedicatum
extat. Is ut brevissime ita elegantissime de origine Boiorum
libellum, qui Reginoburgii in templo maximo servatur, sub
imperatore Friderico primo inscripsit, ubi adfirmat suo quoque
tempore in Asia aduc Boios consedisse, quos antiquissimos vult
esse omnium Germanorum. Decernebant tum ob Boiariae reg-
num non solum iure, sed eciam ferro duo Honorici, vitricus
et privignus. His tarnen Boiaria, cum aliter lis dirimi non
posset, discissa est in orientalem, quae vocabulo germanico
usitacius Austriacum cognominatur, et occidentalem, que vetus
Boiorum vocabulum servat; sed hec suo loco pro dignitate rei
narrabo. Atque adeo tute Beronardi verba audies, quae postea
Vitus Ariopagus sacerdos, qui diligentissime omnium de au-
striacis Boiorumque principibus patrum memoria perscripsit, in
suos annales quoque transtulit.
„„Ex Oriente"", inquit, „„Boii advenere in hanc partem
Germaniae circa Istrum, a quibus deinceps Teutonurn linguam
coeteros Alemanie populos accepisse non est vana opinio. Boio-
rum, ut dixi, in Oriente ultimo circa Armeniam vel Indiam us-
») S. W. VI, 12G.
Bernardus Noricus. 1"
que hodie man et origo. Quod pene omnibus notum a pi-oba-
tissimis eciam nuper accepimus, qui peregrinati usque illuc ba-
barizontes audierunt. His Thomam predicasse apostolum a
reverendissimis traditum est doctoribus. Qui ubique eciam
vulgo nobiles Babari vel fideles adpellantur. Taceo illud, quod
cunctis occidentalibus Alexandro Magno deditionem facientibus
Norici sive Boii eidem bellum indixisse in cantibus priscis
cantantur.""
Haec quidem Beronardus. Ego fidem meam non astrin-
xero; quisque pro ingenio suo demat aut babeat fidem; mu-
neri suscepto serviendum; quecunque legi et comperi, summa
fide refero."
In diesem Abschnitte liegen so ziemlich die gleichen Sätze,
die Aventinus in der „Deutschen Chronik" mit deutschen Worten
ausgesprochen hat, in lateinischer Form vor uns. Einzelheiten
treten im lateinischen Texte schärfer und deutlicher hervor.
Die Hauptsache an den beiden Abschnitten liegt darin, daß
Aventinus hier nach seiner nicht mifäzuverstehenden Angabe
ein wörtliches Zitat aus dem „Libellus de origine Boiorum"
des Bernhard von Kremsmünster bringt. Nach den bisherigen
Anschauungen über die Geschichtsquellen von Kremsmünster
hätten wir nun nichts zu tun, als die betreffende Stelle dort
nachzuweisen. Wer sie jedoch dort sucht, wird sie nicht
finden.1)
Sie entstammt nämlich einem ganz anderen Werke, der
jüngeren „Passio S. Quirini martyris",2) oder der zum Teil dar-
!) In den „Historiae" (Loserth, Geschichtsquellen usw., S. 47; Mon.
Germ, bist., SS. XXV, 659, 16) wie auch in der „Notitia" (Loserth, S. 86;
SS. XXV, 639, 54) wird allerdings auch Armenien als Ursprungsland der
Bayern genannt. Alle übrigen Angaben der aventinischen Stellen aber
fehlen den krenismünsterschen Texten.
2) Diese jüngere „Passio S. Quirini" ist herausgegeben von Theodor
Mayer im Archiv für Kunde österr. Geschichtsquellen III (Wien 1849),
325 ff. Doch ist dort (S. 333) gerade jener Teil, der in die „Fundatio
monasterii Tegernseensis" übergegangen ist, unter Hinweis auf deren
Druck bei Pez nicht abgedruckt. Veröffentlicht hat diesen Teil aus
2*
20 4. Abhandlung: Georg Leidinger
aus abgeschriebenen Tegernseer Gründungsgeschichte, der so-
genannten „Fundatio monasterii Tegernseensisa. l)
Als Bestandteil der Tegernseer Gründungsgeschichte ist
diese Erzählung von der sagenhaften Herkunft der Noriker,
d. h. der Bayern, weit bekannt geworden.2) Weniger beachtet
wurde, daß sie nicht ursprünglich zu jener im 13., vielleicht
auch erst im 14. Jahrhundert verfaßten,3) den Grundstock
einer bis ins 18. Jahrhundert fortgesetzten Chronik von Te-
gernsee bildenden Gründungsgeschichte gehörte, sondern einer
zwar fabelhaften, aber wegen darin steckender alter Überliefe-
rungen sehr reizvollen Quelle entstammt. Der Gründungs-
geschichte hinwiederum ist nämlich ein Kapitel aus der jün-
geren „Passio" des hl. Quirinus angefügt, welch letztere von
einem Mönch Heinrich von Tegernsee im 12. Jahrhundert
(nach 1164) verfaßt ist.4) Dieses Kapitel behandelt die sagen-
hafte Herkunft der Noriker und ihre Geschichte bis in den
Anfang des 10. Jahrhunderts.
Clin. 18571 Bernhard Sepp im Oberbayer. Archiv XXXXIX (München
1896), 426 ff.
a) Pez, Thesaurus anecdotorum III, III, 475 ff.
2) Vgl. z. B. Riezler, Geschichte Baierns I (Gotha 1878), 48; 801 f.
3) Vgl. L. v. Heinemann , Zur Kritik Tegernseer Geschichtsquellen ;
Neues Archiv XII (1886), 160; dazu meine Bemerkung Neues Archiv XXIV
(1896), 675, Anm. 2.
4) Über das Werk und seinen Verfasser vgl. Theodor Mayer a. a. 0.,
S. 304 ff.; Pangerl, Die Handschriftensammlung des Chorherrenstiftes
Vorau, in: Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen IV
(Graz 1867), 90; Bursian, Beiträge zur Geschichte der class. Studien im
Mittelalter, III: Die Quirinalia des Metellus von Tegernsee, in: Sitzungs-
berichte der philos.-philol. u. hist. Klasse der k. b. Akademie der Wissen-
schaften III (1873), 473 ff.; Wattenbach, Bericht über eine Reise durch
Steiermark, in: Neues Archiv II (1877), 397 ff.; Oefele, Geschichte der
Grafen von Andechs (Innsbruck 1877), S. 7; Riezler, Geschichte Baierns I,
793 f.; v. Heinemann a. a. 0., S. 143 ff.; Voretzsch, Über die Sage von
Ogier dem Dänen usw. (Halle a. S. 1891), S. 70 ff; Riezler, Naiines von
Bayern usw., in: Sitzungsberichte a. a. 0. 1892, S. 769 ff.; Bernh. Sepp
a. a. 0., S. 426 f.; Passio Quirini Tegernseensis ed. Krusch, Mon. Germ,
hist., SS. rer. merov. III (Hannoverae 1896), 8 ff.; Bibliotheca hagio-
graphica latina (Bruxellis 1900/01), S. 1023.
Bernardus Noricus. 21
Am Beginne dieses Kapitels findet sich die ganze Stelle,
von welcher Aventinus behauptet hat, er habe sie dem „li-
bellus de origine Boiorum" des Bernhard von Kremsmünster
entnommen. Sie lautet:1)
„Noricos autem , ubi haec acta cernuntur, a Norice filio
Herculis dictos legimus. Qui ex Oriente olim concedentesa) in
hanc partem Germaniae circa Histrum consistunt, a quibus
deinceps teutonicam linguam ceteros Alemanniae populos trans-
sumpsisse non vana opinio est . . . Noricorum, ut dixi, in 5
ultimo Oriente circa Armeniam vel Indiam usque hodie manet
origo. Quod pene omnibus notum a probatissimis etiam nuper
accepimus, qui peregrinati illuc bawarizantes audierant. Hiis
Thomam apostolum praedicasse a reverendissimisb) doctoribus
traditum est. Qui ubique et a vulgaribus nobiles Bawarii vel 10
fideles appellantur. Cuius nobilitatis in ista etiam Germanniac)
(ut taceam, quod cunctis occidentalibus Alexandro Magno de-
ditionem mandantibus Norici bellum ei mandasse in cantilenis
priscis cantantur) unum, quod in veteribusd) libris legitur, quam
verissime succingam." 15
An diesem Punkte meiner Untersuchung darf zunächst
der Schluß gezogen werden: Das Werk, welches Aventinus als
„Libellus de origine Boiorum" eines Bernhard von Krems-
münster bezeichnet hat, ist eigentlich die „Passio S. Quirini"
oder die „Fundatio Tegernseensis". Unbedenklich darf hier
auch schon behauptet werden, daß eines der letzteren Werke
an allen den anderen Stellen gemeint ist, an denen Aventinus
den Bernardus Noricus genannt hat.
a) proficiscentes 2. b) reverentissimis 1. Tcorr. reverendissimis 2.
c) Germania 2. Q) veteris 1.
J) Ich kann sie hier leider nur nach der Tegernseer Handschrift
der „Passio S. Quirini" und nach der besten Handschrift der Tegernseer
Gründungsgeschichte geben, da eine von mir an das Kloster Vorau in
Steiermark gerichtete Bitte um Yergleichung der Stelle in der dortigen
Handschrift der „Passio S. Quirini" wohl wegen der Kriegswirren ohne
Antwort blieb. 1 = Clm. 18571, „Passio S. Quirini", f. 135r — v; 2 =
Clm. 1072, „Chronica fundationis monasterii Tegernseensis", f. 10 v — 11 r
(stammt, wie gewisse Einzelheiten beweisen, von 1 ab).
22 4. Abhandlung': Georg Leidinger
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Es fragt sich nun: Wie kam Aventinus dazu, jenes Werk
so zu bezeichnen, wie er es getan hat? Sein Text selbst in dem
obigen Abschnitte der „Germania illustrata" 1) gibt uns zur
Beantwortung dieser Frage zunächst folgenden Anhaltspunkt:
Im Dome („in templo maximo") zu Regensburg wurde eine
Handschrift aufbewahrt, welche jenen „Libellus de origine
Boiorum" enthielt. Aus ihr hat Aventinus offenbar jene
wörtlich wiedergegebene Stelle entnommen. Daß sich zwei
weitere Stellen in seiner Chronik auf diese Handschrift „zu
Regensburg in des Domstifts Buchkammer" beziehen , habe
ich in meinen Untersuchungen zur Passauer Geschichtschrei-
bung dargelegt.2)
Aventins Angabe von jener Handschrift der Regensburger
Dombücherei brauchen wir nicht anzuzweifeln.
Daß sich bei dem Dome in Regensburg eine Bücherei
befand, dürfen wir auch aus ein paar anderen. Nachrichten
schließen, wenn auch über die Schicksale der einst dort be-
findlichen Bücher, die wie in ähnlichen Fällen in oder bei der
Domsakristei aufbewahrt gewesen sein werden, nichts weiter
bekannt ist. Eine Pergamenthandscbrift „ecclesiae cathedralis
Ratisponensis" benützte Heinrich Canisius für seine Ausgabe
der „Vita S. Walpurgis" des Wolfhard von Herrieden.3) Diese
Handschrift scheint verschwunden zu sein.4) Aus einer anderen
Handschrift der gleichen Herkunft gab Canisius den „Liber
contra Wibertum" (Papst Klemens III.) des Bischofs Anselm
von Lucca heraus.5) In der neuesten Ausgabe dieses Werkes
hat Bernheim diesen Kodex als „deperditus" bezeichnen müssen.'6)
Als Schuegraf seine Geschichte des Domes von Regensburg
schrieb, wußte er zur Frage über das Bestehen einer einstigen
Domliberei nichts von jenen zwei durch Canisius benützten
l) S. 18. 2) S. 106 ff.
3) Canisius, Antiquae lectiones IV (Ingolstadii 1603), 603.
4) Vgl. Mon. Germ, hist., SS. XV, I, 537, Anm. 3.
5) Antiquae lectiones VI (1604), 199.
6) Mon. Germ, hist., Libelli de lite imperatorum et pontifieum s. XI.
et XII. conscripti I (1891), 519.
Bernarclus Noricus. -;>
Handschriften, sondern wies nur auf die eine der beiden Stellen
in Aventins Chronik hin,1) in welcher die vorhin erwähnte
Handschrift „in des Domstifts Buchkammer" genannt war.2)
Drei Handschriften der früheren Dombücherei, die uns durch
diese Nachrichten bezeugt sind, scheinen also verschollen zu sein.
Ich komme hier auf die schon oben erwähnte Handschrift
zurück, auf welche einst Waitz aufmerksam gemacht hat, weil
in ihr ein Bruchstück enthalten sei, bei welchem der Verfasser-
name des Bernardus erscheine. In der Tat enthält der von
einer. Hand des ausgehenden 16. oder beginnenden 17. Jahr-
1) Verhandlungen des hist. Vereins von Oberpfalz XII (1848), 273 f.
2) Noch zu erforschen bleibt, worauf ich bei dieser Gelegenheit auf-
merksam machen möchte, die Frage, ob jene Dombibliothek in irgend-
einem Verhältnis stand zu der späteren „bischöflichen Kammerbiblio-
thek". Wer dem Zitate bei Vogel, Literatur öffentlicher und Corpora-
tionsbibliotheken (Leipzig 1840), S. 192 folgend bei Ziegelbauer, Historia
rei lit. ord. Bened. etwas über jene bischöfliche Bibliothek zu finden
hofft, wird erkennen, daß jenes Zitat auf Irrtum beruht und daß bei
Ziegelbauer von jener Bibliothek überhaupt nicht die Rede ist. Nach-
dem Regensburg 1810 an Bayern gefallen war, wurden durch den bayeri-
schen Generalkommissär Freiherrn von Weichs die Kataloge der dortigen
Bibliotheken an die Münchener Hofbibliothek eingeschickt. Darunter
befanden sich auch zwei der bischöflichen Bibliothek („Bibliotheca episco-
palis" oder „Bibliotheca camerae episcopalis"); diese Kataloge wurden
jedoch wieder an die Finanzdirektion des Regenkreises zurückgegeben ;
ob sie überhaupt noch vorhanden sind und wo sie sich jetzt befinden,
konnte nicht festgestellt werden. Der von der Münchener Akademie der
Wissenschaften mit der Auswahl der wichtigen Stücke der Regensburger
Bibliotheken für die Münchener Hofbibliothek betraute Hofbibliotheks-
kustos J. B. Bernhart musterte am 21. Januar 1812 die bischöfliche Bi-
bliothek durch und nahm seinen Weisungen entsprechend eine Auswahl
vor; darunter waren nur vier Handschriften. Zwei davon sind Cgm. 1158
und 1208; die beiden anderen sind heute, infolge der ungenügenden Be-
zeichnungen in dem betreffenden Verzeichnisse, nicht mit Sicherheit fest-
zustellen; das aber ist nach jenen Bezeichnungen immerhin gewiß, daß,
wie man etwa vermuten könnte, der angebliche „Bernardus Noricus"
nicht dabei war. Die besten zur bischöflichen Bibliothek gehörenden
Bücher waren damals schon überhaupt nicht mehr da, wie noch Schmeller
nach einem heute nicht mehr vorhandenen Berichte Bernharts aufschrieb,
z. B. fehlten von Handschriften: .Herkommen der Churfürsten . . . von
Ü I 4. Abhandlung: Georg Leidinger
hunderts stammende, nur aus 14 beschriebenen Folioblättern
bestehende Clm. 1273, der unbekannter Herkunft ist, nach
einer Abschrift der berühmten sogenannten „Conversio Bago-
ariorum et Carantanorum" Bl. 10v ff. ein zweites Stück, wel-
ches die Überschrift trägt „De origine Bavarorum Bernardus
monachus in Chrembsmunster sub Friderico x". Waitz hielt
dieses Stück für ein Bruchstück aus den kremsmünsterschen
Quellen. Es fiel ihm nicht auf, daß es kein solches ist, trotz-
dem er, wie er bemerkte,1) die Handschrift in München selbst
eingesehen hat und Anfangs- und Schlußworte des Bruchstückes
angibt.2) Merkwürdigerweise ist ihm dabei nicht aufgefallen,
daß die Schriftzüge sicher weit nach Aventins Zeit fallen. In
einer Randbemerkung in Clm. 1273 hat Riezler, dem diese
Texte geläufig sind, darauf hingewiesen, daß hier das 5. Ka-
pitel der von Pez herausgegebenen „Fundatio monasterii Te-
gernseensis" vorliege, und in der zweiten Auflage des von ihm
bearbeiteten betreffenden Bandes des gedruckten Handschriften-
katalogs der Staatsbibliothek wurde von ihm dann auch eine
Otto von Witteisbach bis Herzog Johann Casimir" ; „ein uralter bayeri-
scher Atlas auf Pergament"; „eine Chronik von Regensburg". Im De-
zember 1826 wurden für die Münchener Zentralbibliothek aus der bischöf-
lichen Bibliothek zu Regensburg noch einige (unbenannte, wohl gedruckte)
Bücher ausgewählt (Vermerk Schmellers aus einem nicht mehr vorhan-
denen Akt). Ein Teil der bischöflichen Bibliothek scheint in die Regens-
burger Stadtbibliothek gewandert zu sein; wenigstens kamen von dort
bei einer im Jahre 1876 an die K. Hof- und Staatsbibliothek München
erfolgten Auslieferung von Handschriften folgende im gedruckten Mün-
chener Handschriftenkataloge beschriebene Stücke, die noch das alte Ex-
libris mit der Inschrift „Ex Bibliotheca Camerae Episcopalis Ratisbo-
nensis" tragen, nach München: Clm. 26664; 26669; 26715; 26743; 26912.
Als ich diese fünf Handschriftenbände beieinanderstehen hatte, war zu
erkennen, dafis sie eine gleichmäfüige alte Signierung auf dem Rücken
trugen. Die nämliche Signierung stellte ich daraufhin in unseren Hand-
schriftensälen außer an den vorhin genannten Cgm. 1158 und 1208 noch
an Clm. 26681 und 26733 fest, denen jenes Exlibris fehlt, ersterem in-
folge Deckelbeschädigung, letzterem aus nicht feststellbarem Grunde.
Die Signierung beweist aber ihre Herkunft aus der bischöflichen Kammer-
bibliothek. ') Mon. Germ, bist., SS. XXV, 616, 25.
2J A. a. 0. XXV, 612, Anm. 3.
Bernardus Noricus. 2o
entsprechende Angabe eingesetzt.1) Weitere Folgerungen hat
er nicht gezogen. Sie werden nötig im Zusammenhange mit
meinen bisherigen Darlegungen. Denn nachdem Aventinus in
seiner „Germania illustrata" von einer Handschrift des Domes
zu Regensburg gesprochen hat. die einen „Libellus de origine
Bavarorum" des Bernhard von Kremsmünster darbot, und nach-
dem ich nachgewiesen habe, data eine daraus zitierte Stelle
notwendigerweise die Identität des angeblichen „Libellus" mit
der „Passio S. Quirini" oder der „Fundatio Tegernseensis" dar-
tue, ist es wohl naheliegend zu vermuten, das Stück in Clm.1273
sei eine von dem verschollenen Regensburger Kodex herstam-
mende Abschrift.
Als ich den Clm. 1273 daraufhin näher untersuchte, be-
merkte ich, daß die Handschrift nach dem Stücke des Bernar-
dus noch zwei weitere enthält, deren die beiden Auflagen des
gedruckten Handschriftenkataloges nicht gedenken: Bl. 12vf.
das sogenannte „Excerptum de Karentanis"2) und Bl. 13r ff.
eine Genealogie der Markgrafen von Österreich.
Von letzterer konnte ich nach einigem Suchen glücklich
feststellen, daß es sich um das kleine, aber beachtenswerte
Stück handelt, welches Wattenbach in Verbindung mit den
darin benutzten Klosterne uburger Annalen herausgegeben hat3)
und welches nach einer bestimmten Angabe des Textes selbst
zwischen 1181 und 1192 verfaßt worden ist. Ich gehe hier-
auf so genau ein, weil ich nun weiter fand, daß die Wiener
Handschrift, aus welcher Wattenbach dieses „Opusculum de
genealogia marchionum Austriae" herausgegeben hatte,4) die
*) Die erste Auflage des Catalogus codicum manu scriptorum bi-
bliothecae regiae Monacensis III, I (Monachii 1868), 187 zitierte: „Ber-
nardus (Noricus) de origine Bavarorum." Die zweite (1892), S. 247, gibt
die Überschrift mit der Bemerkung: „Est cap. 5 historiae fundationis
monast. Tegernsee, apud Pez, Thes. III c, 491."
2) Gedruckt Mou. Germ, bist., SS. XI, 14, 28 ff.
3) Mon. Germ, hist., SS. IX, 609, Anm. 33. Ob das Stück in Kärn-
ten verfaßt ist, wie Wattenbach meinte, ist doch nicht ganz sicher.
4) Cod. pal. Vind. 423. Vgl. Tabulae codicum manu scriptorum in
bibliotheca palatina Vindobonensi asservatorum I (Vindobonae 1864), 68.
26 I. Allhandlung: Georg Leidinge]
gleichen Stücke enthält wie unser Clm. 1273, und zwar in der
gleichen Reibenfolge. Voran geht in der Wiener Handschrift,
die nur eine Lage von acht Pergamentblättern in Folio umfaßt,
den Stücken noch eine Geschichte der Bischöfe von Gurk von
1088 — 1179. l) Unsere Schrift des Bernardus von Krems-
münster verzeichnete der gedruckte Wiener Handschriftenka-
talog längst mit: „Bernardus Cremifanensis, De origine Bava-
rorum", eine Angabe, die merkwürdigerweise den sämtlichen
Forschern über die kremsmünsterschen Geschichtsquelien ent-
gangen ist bzw. von keinem von ihnen gewürdigt wurde. Sie
hätte ihre vollste Aufmerksamkeit verdient, weil die Hand-
schrift, wie es scheint, noch gegen Ende des 12. Jahrhunderts
geschrieben ist. Das Stück, welches in unserer Münchener
Handschrift als das Norikerkapitel der „Passio S. Quirini*
festgestellt worden ist, trägt in der Wiener Handschrift von
einer etwas jüngeren Hand als der Text selbst, wahrscheinlich
einer des 13. Jahrhunderts, die Überschrift „De origine Ba-
varorum". Neben diesen Titel aber hat — und das ist für
unsere Abhandlung wichtig — eine Hand des vorgeschrittenen
15. Jahrhunderts hinzugeschrieben: „Bernardus monachus in
Chrembsmonster sub Friderico x."2)
Bevor ich hieraus weitere Schlüsse ziehe, habe ich von
einer dritten Handschrift zu berichten. Das ist der 5. Band
von Aventins eigenhändigen Adversarien,3) jener großen Stoff-
sammlung, die er sich hauptsächlich auf seinen Studienreisen
angelegt hatte. Dort findet sich4) auf Bl. 81r f. abermals un-
ser Stück aus der „Passio S. Quirini" auszugsweise mit der
Überschrift „Ex bibliotheca ratisbonensi veteri exemplari" und
x) Herausgegeben von Wattenbach aus dieser Handschrift in den
Mon. Germ, bist., SS. XXIII, 8ff. Vgl. Wattenbach, Deutschlands Ge-
schichtsquellen II6 (Berlin 1886), 277.
2) Das hat Wattenbach in seiner Beschreibung der Handschrift im
Neuen Archiv X (1851), 455 auffallenderweise nicht angegeben.
3) Clm. 1202.
4) Riezler (Aventinus, S. W. III, 566, Anm. 1) hat das Stück als
Auszüge aus der „Fundatio Tegernseensis* erkannt. Vgl. den gedruckten
Münchener Handschriftenkatalog III, I2, 236.
Bernard us Noncus. -'
dem Titel „De origine Bavarorum".1) Die Herkunftsbezeich-
nung läßt wohl keinen Zweifel übrig, daß Aventinus diese Ab-
schrift aus der in der Regensburger Dombücherei befindlichen
Handschrift gemacht hat, welche er auch in der „ Germania
illustrata" erwähnt hat. Und wenn wir nun hier in seinen
Adversarien unmittelbar nach diesem Stücke Bl. 82v das „Ex-
cerptum de Karentanis", Bl. 83 eine Abschrift der „Genea-
logia marchionum Austriae", Bl. 89 abermals mit der Her-
kunftsbezeichnung „Ex bibliotheca ratisbonensi" Auszüge aus
der Geschichte der Bischöfe von Gurk,2) Bl. 90 ff. Auszüge aus
der „Conversio Bagoariorum et Carantanorum" 3) finden, dann
2) Da Aventinus einen Auszug aus dem Norikerkapitel in seinen
Adversarien besaß, ist es ganz natürlich, wenn wir das Kapitel in seinen
Werken benützt finden. Die Herkunft der Bayern aus Armenien und
die Erzählung von Norix und Herkules, die Veit Arnpeck „et quidam
alii" bringen, weist Aventinus a,ls Halluzinationen zurück (Annales I, 6;
S. W. II, 64). Wir dürfen wohl annehmen, daß unter den „quidam alii"
auch das Norikerkapitel gemeint ist, besonders da er an der oben S. 18
abgedruckten Stelle in der „Germania illustrata" von dem Kapitel (des
angeblichen „Bernardus") sagt, daß Veit Arnpeck („Vitus Ariopagus")
es in seine Chronik (, Annales") übertragen habe. Man beachte des Zu-
sammenhanges wegen, daß er an der erwähnten Stelle S. W. II, 64 nahezu
den gleichen Satz wie in der „Germania illustrata" (oben S. 19) ge-
braucht: „quisque pro ingenio suo demat vel addat fidem".
2) Daß Aventinus diese Aufzeichnungen über die Bischöfe von Gurk
gekannt und benützt hat, war schon Hansiz aufgefallen, der in seiner
Germania sacra (II, 300 f.) ein Bruchstück aus ihnen mitgeteilt hatte.
(Vgl. Wattenbach in Mon. Germ, hist., SS. XXIII, 8, 4; Riezler in Aven-
tinus, S.W. III, 244.) Der gedruckte Münchener Handschriftenkatalog
verzeichnet (III, P, 236) Aventins Auszüge unrichtig als „notae de epig-
copis Salisb. saec. XI et XII."
3) Auszüge aus der „Conversio" (im Münchener gedruckten Hand-
schriftenkatalog sind sie nicht als solche erkannt) hatte sich Aventinus
auch schon im ersten Bande seiner Adversarien (jetzt Clin. 1201), Bl. 175ff.
gemacht. Diese Auszüge hat Oefele in seinen Rer. Boic. SS. I, 780 ff.
unter dem Titel „Excerpta Joannis Aventini ex Anonymi cuiusdam per-
vetusti De origine ecclesiae Salisburgensis historia" gedruckt. Vorlage
Aventins war eine Ranshovener Handschrift gewesen; später hatte er
die Auszüge noch nach einer Regensburger Handschrift ergänzt, zweifel-
los der nämlichen, die oben in Betracht kommt. Aventinus bemerkte
Os3
-6 4. Abhandlung: (irm- Lei« linder
komme ich zu dem zwingenden Schlüsse: Die Handschrift, aus
welcher Aventinus hier abschrieb,1) hat die nämlichen Stücke
enthalten wie die vorhin beschriebene Münchener und noch
mehr die Wiener Handschrift.
In welchem Verhältnis aber stehen alle diese Handschriften
zueinander?
Ich greife aus dem Texte des angeblichen Bernardus einen
von der Säkularisation des Herzogs Arnold „des Bösen" von
Bayern handelnden Satz heraus, aus dessen Vergleichung sich
deutlich ergibt, wie die Handschriften sich zueinander ver-
halten. Die Wiener Handschrift führe ich mit W, Aventins
Auszug in den Adversarien mit A, die Münchener Handschrift
mit M an. Der Satz ist am besten überliefert in der oben
als 1 bezeichneten Handschrift der „Passio S. Quirini", die ich
daher hier als Grundlage nehme. Es ergibt sich folgendes Bild:
In 1 ist zu lesen:
„Inter hec Tesrriensi coenobio de undecim milibus man-
o
suum, quibus fundatum praediximus, nichil extra c.xini. hvbas
reliquit."
In der Vorlage von W, einer von 1 abweichenden Hand-
schrift, scheint „ undecim " mit Zahlzeichen geschrieben gewesen
zu sein. Der Schreiber von W verschrieb sich bei beiden Zahlen
und lieferte folgenden verderbten Text:
„Inter hec Tegriense(!) cenobio dixi.(!) milibus mansuum,
V
quibus fundatum praediximus, nichil extra exim(!) hobas(!)
reliquid (!)."
am Anfange seiner Auszüge: „De archiepiscopio Juvavensi et Laureacensi.
Ex coenobio Ranshofen ex adrnodum veteri libro", später fügte er mit
anderer Tinte noch hinzu: „et bibliotheca Ratisbonensi". Am Schlüsse
(Bl. 180 r) gab er an: „Haec ex chronicis Juvavensium, quae in Rans-
hofen coenobio inferioris Bavariae extant, scripta sub Carolo tercio. si
computatio non fallit", und auch hier ist später mit anderer Tinte bei-
gesetzt: „quae postea Ratisbonae inveni".
*) Aus Aventins Adversarien hinwiederum von einer Hand des be-
ginnenden 18. Jahrhunderts abgeschrieben, sind alle diese Stücke auch in
dem aus Kloster Polling stammenden Clm. 1891, Bl. 11—19 enthalten.
Bernardus Noricus. 29
Aventinus schrieb in A:
„Tegerino coenobio mille mansus (ut dixi) (quibus funda-
tum praediximus) nil extra XIIII liubas reliquit."1)
Das eingeklammerte „ut dixi" ist wieder durchstrichen.
Es konnte nur entstehen auf Grund des verderbten
Textes von W.
In M lautet die Stelle:
„Inter haec Tegerense coenobio dixi milibus mansuum,
u
quibus fundatum praediximus, nihil extra cxim hobas reliquit."
Auch diese Textform kommt zweifellos aus W her; sie
bietet alle dortigen Fehler, nur das „exim", welches Aventinus
kurzerhand durch Weglassung des e sich zurechtmachte, hat
M auf die richtige Zahl zurückgeführt. Auch zu „dixi" machte
M ein Zeichen und schrieb an den Rand das richtige „de XI".
Diese Verbesserungen wären außerordentlich auffällig; sie er-
klären sich daraus, daß dem Schreiber noch ein zweites Ex-
emplar des Textes mit besseren Lesarten zur Verfügung ge-
standen sein muß, da er auch bei einer vorausgehenden Stelle
„nee wltum imperatoris" an den Rand schreiben konnte: „alias
inultum in alia historia". Im übrigen ist der ganze Text
von M aus W abgeschrieben; das bezeugt außer dem Wort-
laute des Textes (alle Fehler, die in W durch Vergleich mit
1 feststellbar sind, finden sich auch in M wieder) mit Sicher-
heit eine Äußerlichkeit: eine alte Bibliotheksignatur „4652",
welche in W am Anfang und am Schlüsse der Handschrift
angebracht ist, hat M am Anfange mitabgeschrieben.
Wenngleich bei Aventins Abschrift oder vielmehr freiem
Auszug ein solches äußeres Beweiszeichen nicht vorhanden ist,
so deuten doch alle Umstände darauf hin, daß der ganze in
den Adversarien enthaltene Text der oben genannten Stücke
unmittelbar aus W abgeschrieben, mit anderen Worten, daß
die alte, einst im Dome zu Regensburg befindliche, seitdem
verschollene Vorlage Aventins uns in W erhalten geblieben ist.
*) In seinen Werken hat Aventinus diese Stelle nicht verwertet.
•'" 4. Abhandlung: Georg Leidinger
Ein äußeres Kennzeichen, aus welchem W als die ver-
schollene Uegensburger Handschrift sich erweisen lassen würde,
ist leider nicht vorhanden. *) Andererseits aber steht dieser
Annahme durchaus nichts entgegen.
Ist dem so, dann erklärt sich auf die einfachste Weise
Aventins Bernhard von Kremsmünster: er hat ihn aus der von
einem Unbekannten irrtümlich in W beig-eschriebenen Bemer-
kung „Bernardus monachus in Chrembsmonster sub Friderico x"
geholt.
Aber auch wenn schließlich die verschollene Regensburo-er
Handschrift nicht mit W identisch gewesen wäre, so könnte
sie doch wohl nur eine Abschrift von W gewesen sein und
hätte in der Überschrift (entsprechend der späteren Abschrift
M) die Vereinigung des alten Titels „De origine Bavarorum"
mit der Bernardus-Notiz aufgewiesen, hätte in einem Zuge
den in W von zwei Händen auseinanderliegender Jahrhunderte
zusammengesetzten Titel getragen.
J) Wie sie in die Wiener Hofbibliothek kam, ist nicht festzustellen.
Eine Vermutung darüber äußere ich noch unten. Der Kodex trägt ver-
schiedene Signaturen, von welchen die älteste, dem 16. Jahrhundert an-
gehörend, am oberen Rande von Bl. 1 angebracht, mit Tinte geschrieben,
wie oben schon erwähnt wurde, lautet: I 4652 . Sie findet sich noch
einmal am Schlüsse der Lage, von der gleichen Hand geschrieben, in
folgender Form: P 4652 j. Diese Signatur erhielt die Handschrift ver-
mutlich vor ihrer Zugehörigkeit zur Wiener Hofbibliothek. Die verschie-
denen Signaturen der letzteren folgen sich so: Am Anfange des Textes
sieht man eine aus dem 17. Jahrhundert stammende Signatur: „No. 119.
Hist."; am unteren Rande der ersten Seite steht „8. LXXIII"; am Rücken
der damals noch ungebundenen Pergamentlage ist ein jetzt teilweise ab-
gerissener Zettel aufgeklebt mit dem Aufdrucke „ CODEX . . . HIST.
ECCLES. N. LXXIII Olim 119" (die Zahlen sind handschriftlich einge-
tragen). Später wurde die Pergamentlage unter Hinzugabe von nicht
weniger als neun Lagen leeren weißen Papieres in Schweinsleder ge-
bunden und erhielt weitere Signaturen, von denen die heute gültige
,423 olim Hist. eccles. 73" die Verbindung mit dem genannten Rücken-
schild herstellt. Der Vorderdeckel trägt in Goldpressung das österreichi-
sche Wappen sowie die Buchstaben E. A. B. C. V. und G. L. B. V. S. B.
(Ex Augustissima Bibliotheca Caesarea Vindobonensi. Gerardus Liber Baro
Van Swieten Bibliothecarius; gütige Mitteilung des Herrn Prof. Dr. Bick
in Wien) nebst der Jahrzahl 17 — 55.
Bernardus Noricus. 31
Diese Annahme scheint mir überflüssig zu sein und ich
komme wieder darauf zurück, daß W selbst Aventins Vorlage
gewesen ist, also aus dem Dome von Regensburg stammt.
Und zwar aus folgendem Grunde:
Der Text, welchen Aventinus in seiner „Germania illu-
strata" (von mir im folgenden mit G bezeichnet) aus dem an-
geblichen Bernhard von Kremsmünster, richtig: aus der „Passio
S. Quirini" zitiert, enthält Abweichungen von dem Text in
den Adversarien. Man hätte kaum nötig, diese Unterschiede,
da sie aus Aventins freier Art der Textgestaltung sich erklären
würden, zu beachten, wenn sie nicht — auch in W zu finden
wären, und zwar als über die betreffenden Worte bzw. Buch-
staben geschriebene Korrekturen von der Hand, welche die
Bernardus-Bemerkung eingetragen hat (ich nenne diese Hand
im folgenden X). Die Textvergleichung der ganzen Stelle er-
gibt nämlich (unter Nichtberücksichtigung selbständiger Text-
gestaltung Aventins) folgende Feststellungen:
Zu oben S. 21, Z. 1: autem — cernuntur fehlt W. A. —
.5: Hystrum W. A; Istrum G. — 5: non est vana opinio A. G.
— in Oriente ultimo A. Gr. — 8: usque illud W, korr. X: us-
que illuc; usque illud A; usque illuc G. — audierant W, Jcorr.
X: audierunt; audierant A; audierunt G. — His W.A.G. —
9: praedicasse apostolum A. G. — reverentissimum W, leorr.
X: reverentissimis; reverentissimis A; reverendissimis G. —
10: etiam (statt et) W. A. eciam G. — 11: Germania W. A.
— 13: mandantibus W, übergeschr. X: facientibus; mandan-
tibus A; facientibus 67. — ei bellum A. eidem bellum G.
cantibus W. A. G. — 14: veterum W; veteris1) A.
Wie erklärt es sich nun, daß in A die ursprünglichen
Textformen („illud", „audierant", „mandantibus") sich finden,
in G aber die Korrekturen? Sollte denn W aus G abgeändert
worden sein? Das ist nicht möglich, weil die Schriftform der
Korrekturen in W wie die Bernardus-Bemerkunj? der Über-
l) Vermutlich nur verschrieben, wie allerdings auch (vgl. S. 21,
Lesart d) in 1, ohne daß man hieraus schließen darf, daß zwischen A u. 1
andere Beziehungen bestehen.
32 4. Abhandlung: Georg Leidinger
schrift sicher voraventinisch ist. So muß man also annehmen,
dato Aventinus die Handschrift W zweimal benutzt hat. Das
eine Mal zog er — auf der Reise und bei vorübergehendem
Aufenthalt zu Regensburg — aus W den Text für A aus,
ohne sich um die Bei- und Überschriften zu kümmern, das
andere Mal berücksichtigte er bei der Niederschrift von G auch
die Abänderungen und hatte — damals ständig in Regensburg
wohnend — sowohl W als auch (worauf Einzelheiten hin-
deuten) seinen in A gemachten Auszug vor sich.
Daß in seinen Texten auf diese Weise beide Formen des
Textes von W, der ursprüngliche und der verbesserte, er-
scheinen, dürfte ein Beweis dafür sein, daß eben gerade W
ihm vorgelegen hat, daß diese Handschrift die nach seiner An-
gabe einst dem Regensburger Dom gehörige war.
Diese Handschrift scheint mir auch von dem Regensburger
Augustiner Hieronymus Streitel,1) einem Zeitgenossen Aven-
tins, benützt worden zu sein. Denn in Streiteis zwar der
Selbständigkeit entbehrender, aber wegen der Überlieferung
fremder Aufschreibungen nicht unwichtiger Sammlung ge-
schichtlicher Notizen2) findet sich,3) wie ich durch Zufall fand,
der Schluß des Norikerkapitels der „Passio S. Quirini" und
unmittelbar darauf der Anfang des „Excerptum de Karentanis",
gerade so, wie die beiden Stücke in W aufeinander folgen.4)
1) Vgl. über ihn Rügamer, Der Augustinereremit Hieronymus Streitel
und seine literarische Tätigkeit (Programm des K. human. Gymnasiums
Münnerstadt 1911); Vonschott, Geistiges Leben im Augustinerorden am
Ende des Mittelalters und zu Beginn der Neuzeit (Diss., Berlin 1915),
S. 141 ff.
2) Überliefert durch eine aus Gewolds Besitz stammende Abschrift,
den jetzigen Clin. 167. A. F. Oefele veröffentlichte Teile der Sammlung
unter dem Titel „ Anonymi Ratisbonensis Farrago historica rerum Ratis-
ponensium" in seinen Rer. Boic. SS. I, 498 ff. Rügamer gebührt das
Verdienst, nachgewiesen zu haben, daß Streitel der Sammler der Nach-
richten gewesen ist.
3) Clin. 167, Bl. 236—237.
4) Als Wattenbach das „ Excerptum de Karentanis" in den Mon.
Germ, hist., SS. XI, 14 f. herausgab, war ihm (vgl. daselbst S. 4, 18) nur
dessen Text in W bekannt.
Bernardus Noricus. 33
Zwischen Aventinus und dem oben1) erwähnten P. Retten-
pacher von Kremsmünster, der den aventinischen Bernardus
Noricus in die von den kremsmünsterschen Geschichtsquellen
handelnde Literatur einführte, liegt ein merkwürdiges Auftreten
des Bernhard von Kremsmünster, welches bisher von der ganzen
ihn betreffenden Forschung übersehen worden ist. Bernardus
erscheint allerdings an einer Stelle, an welcher man ihn nicht
vermuten würde.
Matthias Flacius, der streitbare Vorkämpfer der evangeli-
schen Lehre, hat in seinem berühmten „Catalogus testium ve-
ritatis"2) unter der Gesamtüberschrift „Conversio Bavarorum
et Carentanorum" vier Stücke abgedruckt, die wir nun schon
öfter miteinander verbunden angetroffen haben: 1. die eigent-
liche „Conversio Bagoariorum" 3) unter der Überschrift „Quo-
modo Bacoarii et Carenthani facti sunt Christiani. Ex antiquo
membrano", 2. das Norikerkapitel der „Passio S. Quirini" unter
der Überschrift „De origine Bavarorum Bernhardus Monachus
in Krembsmonster sub Friderico", daran anschließend ohne
Überschriften 3. das „Excerptum de Karentanis " und 4. die
„Genealogia marchionum Austriae". Während die unter 1.
und 3. genannten Stücke in den Rahmen von Flacius' „Cata-
logus" passen, haben die beiden anderen Abschnitte kaum et-
was mit den Absichten jenes Werkes zu tun und sind dort
wohl nur hineingeraten, weil sie eben im Zusammenhange mit
den beiden anderen überliefert waren. Überschriften und Les-
arten lassen erkennen (man beachte schon die Wortform „Krembs-
monster'' und vergleiche oben S. 26), daß hier wieder die Form
der Handschrift W vorgelegen hat.
Flacius weilte vom Februar 1562 bis zum Herbste 1566
l) S. 8.
2J Straßburg 1562, S. 122 — 130; Lyon 1597, II, 121-132; Frank-
furt a. M. 1G77, S. 164—177.
3) Weder in Wattenbachs Ausgabe der „Conversio" in den Mon.
Germ, bist., SS. XI, 1 ff . nocb bei Potthast, Bibliotheca historica medii
aevi I2, 728, der immerhin S. 610 auf Flacius aufmerksam machte, ist
diese Ausgabe erwähnt.
Sitzgab. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 4. Abb. 3
34 4. Abhandlung: Georg Leidinger
zu Regensburg.1) Nach allem, was wir bisher über W fest-
gestellt haben, ist es höcbst wahrscheinlich, daß er den da-
mals noch in Regensburg befindlichen Kodex für seine Zwecke
verwendet hat, daß dieser das in dem „Catalogus" genannte
„antiquum membranum" ist. In der ersten Ausgabe des „Cata-
logus", Basel 1556, ist das die vier genannten Teile umfassende
Stück noch nicht enthalten; erst die Straßburger Ausgabe von
1562 bringt es, so daß man auch hieraus schließen kann, daß
der eben 1562 nach Regensburg gekommene Flacius damals
dort auf die Handschrift aufmerksam wurde. Viele von und
für Flacius benützte Handschriften gelangten später nach Wien
in die Hofbibliothek;2) man darf vielleicht die Vermutung aus-
sprechen, daß so auch die einst dem Regensburger Domstifte
gehörige Handschrift dorthin kam.
Die Wiener Handschrift zeigt uns als die älteste und
wahrscheinlich als das Urexemplar der Zusammenstellung aller
jener oben genannten Stücke, daß gegen das Ende des 12. Jahr-
hunderts jemand sich außer von anderen geschichtlichen Stücken
auch eine Abschrift des die Urgeschichte der Bayern behan-
delnden Norikerkapitels der „Passio S. Quirini" gemacht hat,
wobei auch die Stellen, die in diesem Bruchstück auf den Ent-
stehungsort Tegernsee hinweisen, beibehalten worden sind. Von
der späteren „Fundatio Tegernseensis", die jenes Kapitel aus
der „Passio" übernommen hat, brauchen wir nun überhaupt
nicht mehr zu reden, nachdem wir sehen, daß das Bruchstück
schon vor ihr geschrieben worden ist. Irgend jemand Anderer
fügte dem letzteren im 13. Jahrhundert als Inhaltsangabe den
Titel bei „De origine Bavarorum". Gegen Ende des 15. Jahr-
hunderts kam ein Unbekannter, der hier offenbar in der Ab-
sicht, den Verfasser zu bezeichnen, jenes verhängnisvolle, irr-
tümliche „Bernardus monachus in Cbrembsmonster" hinzuschrieb.
Fassen wir zusammen:
J) Preger, Matthias Flacius Illyricus und seine Zeit II (Erlangen
1861), 228—284.
2) Vgl. Schottenloher, Handschriftenschätze zu Regensburg im Dienste
der Zenturiatoren, im: Zentralblatt f. Bibliothekswesen XXXTV (1917), 71.
I
Bernardus Noricus. ob
Aventinus hat in der Tat eine alte Handschrift („vetus
exemplar") als Quelle benützt, in welcher ein Stück, betitelt
„De origine Bavarorum", als Werk eines Bernhard von Krems-
münster, der unter Kaiser Friedrich1) schrieb, bezeichnet war.
Er selbst hat diese Angaben in gutem Glauben und Vertrauen
übernommen. Nur den Stammesnamen „Noricus", der Noriker,
der Bayer, hat er in seiner gelehrten Humanistenart hinzu-
getan. Wo er jenes Werk so anfuhrt, liegt bei ihm weder
ein durch ihn selbst entstandener Irrtum noch etwa gar, wie
Loserth2) ihm vorwarf, eine Fiktion vor. An allen Stellen,
an denen er von dem Werke spricht, meint er immer nur
der wirklichen Herkunft nicht bewußt — ■ das Norikerkapitel
der „Passio S. Quirini", auf welches denn auch sein Urteil,
daß es „ut brevissime ita elegantissime" geschrieben sei,3) nicht
übel paßt, wie auch sein Ausdruck „vetus exemplar" zu der
Handschrift W stimmt.
Jenes Werk aber hat mit den kremsmünsterschen Ge-
schichtsquellen vom Ende des 13. und Anfange des 14. Jahr-
hunderts gar nichts zu tun. Und in der Frage nach dem Ver-
fasser dieser Quellen darf man den nur auf Aventins vermeint-
liche Autorität gegründeten Bernardus jetzt wohl ausschalten.
Sigmar von Kremsmünster hat alle Aussicht, das Feld zu be-
halten. Zwar könnte das Spiel von neuem beginnen, und man
könnte jenen Unbekannten, der den Bernardus-Namen der Re-
gensburg-Wiener Handschrift einverleibt hat, als gut- unter-
1) Ob der Unbekannte Friedrich I. oder IL meinte, geht aus der
Überschrift in W und M nicht hervor. Wahrscheinlich ist der erstere
Fall, und der Unbekannte kam hiezu wohl auf die nämliche Weise wie
Aventinus selbst. Dieser hat in dem Auszug aus der „Genealogia mar-
chionum Austriae" in A zu der Stelle, die uns aus den Worten „Oulricum,
qui nunc dux est Oarinthie" (Mon. Germ, hist., SS. IX, 610, 54) auf die
Abfassungszeit zwischen 1181 und 1192 schließen läßt, an den Rand be-
merkt: „quaudo scripta est chronica sub Friderico primo".
2) Vgl. oben S. 13.
3) Vgl. oben S. 18. Der Ausdruck „brevissime" würde weder auf
die „Narratio" noch auf die „Historiae* passen. Welches von beiden
käme aber überhaupt in Betracht? Aventinus spricht doch nur von
einem Werke des angeblichen Bernardus.
36 4. Abhandlung: Georg Leidinger
richtet über den Geschichtschreiber von Kremsmünster erachten.
Allein man wird das hoffentlich bleiben lassen: seine Unkennt-
nis gegenüber dem Bruchstücke der „Passio S. Quirini" ist
nicht dazu angetan, ihm irgend welches Vertrauen zu erwerben;
sein Zusatz „Bernardus monachus in Chrembsmonster" beruht
kaum auf etwas anderem als auf einem Irrtum, den wir aller-
dings zunächst nicht erklären zu können scheinen.
Wollte ich nur zeigen, wie Aventinus zu seinem Bernardus
Noricus kam, so könnte ich meine Abhandlung hier schließen.
Für die methodische Durchführung der Untersuchung der ge-
nannten Frage könnte das Gesagte genügen. Allein ich möchte
hier weiter noch darlegen, in welchem wirklichen Verhältnis
Aventinus zu den Geschichtsquellen von Kremsmünster stand,
oder vielmehr, wie er zu einer Anzahl in jenen Quellen über-
lieferter Angaben gelangte. Ich hoffe durch das Eingehen auf
diese Dinge Aventins Stellung in der ganzen Sache noch klarer
zu machen.
Die vermeintliche besondere Kenntnis Aventins über den
angeblichen kremsmünsterschen Geschichtschreiber Bernardus
Noricus hat man sich unter anderem daraus erklären wollen,1)
daß Aventinus irgendwann persönlich in dem oberösterreichi-
schen Stifte geweilt habe.
Die Möglichkeit, daß er in Kremsmünster sich aufgehalten
habe, besteht allerdings. Er hat in Wien studiert und ist dort
Schüler des gefeierten Konrad Celtis gewesen. Auf der mehr-
maligen Hin- und Herreise zwischen seinem niederbayerischen
Heimatstädtchen Abensberg und der Donauhauptstadt könnte
er wohl das Kloster Kremsmünster besucht haben. Aber dies
ist wenig wahrscheinlich, da das Stift doch ein gutes Stück
seitwärts von dem gewöhnlichen Reisewege lag und Aventinus
zudem damals noch nicht jenes Interesse für geschichtliche
Aufzeichnungen hatte wie fast zwei Jahrzehnte darnach.
Als er in dieser späteren Zeit, während der Jahre 1517
und 1518, im Auftrage der Herzoge von Bayern seine große
!) Altinger a. a. 0., S. 242.
Bernardus Noricus. o7
Forschungsreise machte, um aus allen Ecken und Enden des
Landes den Stoff zu seinen Annalen zu sammeln, kam er auch
in Gegenden am Inn, die heute österreichisch sind. Die Ein-
träge in seinem Hauskalender lassen uns deutlich den Weg
verfolgen, den er gemacht hat.1) Durch Niederbayern hin-
durch war er nach Passau gekommen; von dort reiste er inn-
aufwärts und über Altötting wieder in das Innere Bayerns
herein. Die einzelnen Orte, die er besuchte, hat er im Haus-
kalender genannt. Wenn je, so hätte er damals nach Krems-
münster gelangen können. Allerdings wäre auch von den
Kremsmünster am nächsten gelegenen Orten, deren Namen er
schriftlich festgelegt hat, doch noch ein beträchtliches Stück
Weges bis dahin gewesen. Im Hauskalender ist das Stift nicht
verzeichnet. Hätte er sich dort aufgehalten, so würde er wohl
schwerlich versäumt haben, das einzutragen. So ist es un-
wahrscheinlich, daß Aventinus jemals zu Kremsmünster ge-
weilt hat.
Hat der bayerische Geschichtschreiber denn aber nicht die
Aufzeichnungen von Kremsmünster in seinen Werken benützt,
und könnte nicht diese Tatsache ein Beweis, wenn nicht eines
Aufenthaltes in jenem Stifte, so doch von Beziehungen zu dem
Kloster, welches einem bayerischen Herzoge seine Gründung
verdankte, sein?
Daß für diese Frage die Stellen, an denen der angebliche
kremsmünstersche Mönch Bernhard der Noriker als Gewährs-
mann genannt ist, überhaupt nicht in Betracht kommen, wurde
oben durch den Hauptteil dieser Abhandlung hinlänglich be-
wiesen.
Außer an jenen Stellen nennt Aventinus Kremsmünster
selbst auffallend selten; man würde erwarten, daß des Klosters
öfter gedacht wäre, wenn dessen Aufzeichnungen infolge jener
vermuteten persönlichen Beziehungen unmittelbar oder beson-
ders ausgiebig benützt worden wären. In seinem Hauptwerke,
den lateinischen Annalen, erwähnt Aventinus Kremsmünster
l) S. W. VI, 30 f.
38 4. Abhandlung : Georg Leidinger
O ■ ■J'^^ij,
nur an zwei Stellen;1) erstlich bei einem kurzen, die Gründung
des Klosters erzählenden Abschnitt,2) auf den ich unten3) noch
zu sprechen komme, und zweitens bei Mitteilung des ganzen
Textes einer Schenkungsurkunde für Kremsmünster.4) Daß er
in der Lage war, ein Schriftstück von so örtlicher Bedeutung
wie die letztere wiederzugeben, würde unter anderen Umständen
uns veranlassen können, unmittelbare Verbindungen zwischen
ihm und Kremsmünster anzunehmen. Allein gerade hier gibt
er ausdrücklich an, daß er die Urkunde im Dome zu Passau
gefunden habe („Bathavensis templi diploma"). In seinen üb-
rigen Werken erscheint der Name Kremsmünster nur vorüber-
gehend. 5)
Aber vielleicht hat Aventinus nur Kremsmünster selbst so
selten genannt, während er trotzdem die verschiedenen dortigen
Aufzeichnungen in der oben vermuteten Weise benützt hat?
In der Tat konnte Riezler in seiner Ausgabe der Annalen
Aventins bei der Feststellung der Quellen an 2l Stellen auf
die Geschichtswerke von Kremsmünster verweisen, sei es daß
Aventins Angaben mit dem Texte jener übereinstimmten oder
wenigstens Verwandtschaft damit aufwiesen. Die Quellennach-
weise Riezlers gehen auf die Passauer Bischofsreihe, die baye-
rische Herzogsreihe, die „Historiae" und die „Narratio"; in
letzterer wieder auf die darin verarbeitete Passauer Bischofs-
und bayerische Herzogsreihe. Die Quellennachweise sind inso-
ferne richtig, als jene aus Kremsmünster überlieferten Schriften
gleiche oder ähnliche Angaben enthalten, wie Aventinus sie
macht. Der Gang unserer Untersuchung verlangt zunächst,
die Frage aufzuwerfen, ob Aventinus denn zu jenen Angaben
durch unmittelbare Benützung der kremsmünsterschen Quellen
*) An zwei anderen Stellen, auf welche im Register unter „Chre-
missae monasterium" (= Krernsmünster) verwiesen ist, in S. W. II, 4.50
und 452, wird „Chremissa" genannt. Das ist jedoch nicht Kloster Krems-
münster, sondern die Stadt Krems.
2) S. W. II, 408. 3) S. 44.
4) S. W. II, 521. Über die Urkunde vgl. Böhmer-Mühlbacher, Re-
gesta imperii I2 (Innsbruck 1908), n. 850.
5) S. W. I, 120; 291; 607; V, 104; 143.
Bernardus Noricus. 39
gelangte, oder ob sie ihm nicht vielleicht auf anderem Wege
zukamen.
Hier muß zunächst festgestellt werden, daß nicht weniger
als 15 von jenen 21 Stellen sich im Texte der „Chronica Baio-
ariorum" des Veit Arnpeck nachweisen lassen, der Aventins
unmittelbarer Vorläufer auf dem Gebiete der bayerischen Ge-
schichtschreibung gewesen ist. Seine Werke sind, wie ich in
meiner Neuausgabe1) betont habe,2) von Aventinus weit mehr,
als man bis jetzt angenommen hat, unmittelbar benützt worden.
Arnpeck hat, wie ich schon oben3) erwähnte, die Aufzeich-
nungen von Kremsmünster, wohl nach irgend einer Abschrift,
in der ausgedehntesten Weise ausgeschrieben : Aventinus seiner-
seits hatte die Originalhandschrift der lateinischen bayerischen
und der österreichischen Chronik Arnpecks in eigenen Händen4)
und konnte sie also in der bequemsten Weise verwerten. Be-
vor man daher bei Aventinus die entferntere Quelle als be-
nützt erachtet, muß sicherlich eher die näherliegende als un-
mittelbare Vorlage gelten.
Unter diesem Gesichtspunkte vergleiche man folgende
Aventinus-Stellen, an denen Riezler als Quelle Aventins die
Aufzeichnungen von Kremsmünster genannt hat, mit dem ent-
sprechenden Arnpeck-Text:
S. W. II, 240, 22 ff. = Arnpeck S. 35, 6.5)
, 252, 19 ff. = „ „ 35, 5; 36, 17 ff.
344, 5
349, 10
361, 19 f.
365, 2 ff.
374, 2
43, 11.
43, 15.
43, 23 f.
43, 27 f.
48, 9.
l) Vgl. oben S. 7, Anm. 1. 2) S. LXXX. a) S. 6 f.
4) Vgl. meine Arnpeck-Ausgabe S. XVII.
5) Wie hinwiederum meine Quellen-Nachweise zu Arnpeck erkennen
lassen, hat letzterer an mehreren der oben angeführten Stellen nicht die
kremsmünsterschen Aufzeichnungen, sondern teils eine Quelle dieser, die
Vita S. Maximiliani, teils auch eine andere Quelle benutzt, Otlohs Vita
S. Bonifatii.
40 4. Abhandlung: Georg Leidinger
S.W. II, 384, 19 f. = Arnpeck S. 72, 26 f.
„ „ „ 389, 3 ff. = „ „ 83, 32 ff.
„ „ , 406, 1 = . „79, 18.
„ „ „ 408, 12 ff. = , , 85, 15 ff.
. , „ 410, 40 f. = „ „ 87. 15 f.
, 412, 33 f. = „ „ 87, 15 f.
, „ „ 417, 27 = „ „ 88, 41 f.
„ „ „ 418, 20 = „ „ 80, 20 ff.
An allen diesen Stellen kann man ebensogut die Benützung
von Arnpecks Text durch Aventinus annehmen, wie man bis-
her auf die Quellen von Kremsmünster verwiesen hat. Daß
Aventinus bei der Stelle S. W. II, 349, 10 Arnpecks „ Chronica
Baioariorum" vor sich gehabt hat, könnte man sogar mit einer
gewissen Sicherheit daraus schließen, weil er in dem ent-
sprechenden Abschnitte der deutschen Chronik,1) wie schon
Riezler bemerkt hat,2) wenn auch für andere Angaben, Arn-
peck mit Namen als Quelle nennt.
Von den sechs noch übrigbleibenden Stellen, die Arn-
pecks Text nicht enthält, gehören vier (S. W. II, 346, 14 ff.;
368, 8 ff; 375, 29 ff.; 379, 2 ff.) zu einer Lorcher bzw. Pas-
sauer Bischofsreihe. Diese Bischofsreihen können aber Aven-
tinus auch anderswoher zugänglich gewesen sein, ohne daß
gerade notwendigerweise ein unmittelbarer Zusammenhang mit
Kremsmünster vorliegen müßte.
Auch die beiden letzten hier noch zu besprechenden Stellen,
zwei Jahreszahlen zur Geschichte von Agilolfingerherzogen
(S.W. II, 357, 15 und 366, 23), wären nicht geeignet, ein
unmittelbares Verhältnis Aventins zu Kremsmünster zu be-
weisen. Denn im Hinblick auf die Wirrnis, welche in den
Angaben der bayerischen Chronistik über die Agilolfingerzeit
herrscht, könnten diese Jahreszahlen auf jede nur mögliche
Weise zu Aventinus gelangt sein.
Immerhin aber standen ihm wirklich Teile der kremsmün-
sterschen Aufzeichnungen auf folgende Weise zur Verfügung:
*) S. W. V, 24. 2) S. W. II, 349, Anm.
Bernardus Noricus. 41
Erstlich befand sich in der Bibliothek des Stiftes St. Era-
meram zu Regensburg, deren Handschriften Aventinus bekannt-
lich in vielfacher Weise benützt hat,1) ein Kodex, welcher den
größten Teil der kremsmünsterschen „Historiae" enthielt.2) Dem
im Anfange des 15. Jahrhunderts geschriebenen Texte fehlt der
rein örtliche vierte Teil des Werkes, der „Catalogus abba-
tum". Die Handschrift enthält eine Anzahl Randbemerkungen.
Unter solchen von anderen Händen finden sich zwei,3) von
denen ich mit Sicherheit behaupten darf, daß sie von Aventins
eigenartiger Hand stammen.*) Er hat also diesen Kodex und
damit eine Abschrift des Hauptteiles der Quellen von Krems-
münster in Händen gehabt.
Weiter: Eine eigenartige, titellose, am besten unter der
Bezeichnung „Fundationes monasteriorum Bavariae" zu zi-
tierende Sammlung von Gründungsgeschichten bayerischer
Klöster und von anderen geschichtlichen Stücken war, wie
ich an anderer Stelle5) nachgewiesen habe, um das Jahr 1388
in Regensburg entstanden. In dieser Sammlung,6) die in der
Folgezeit häufig abgeschrieben und viel benützt wurde, ist die
Gründungsgeschichte von Kremsmünster nicht ursprünglich
enthalten. Einer davon stammenden Abschrift,7) die um 1440
entstanden ist, wurde später, vielleicht unter dem Pontifikat
Sixtus des IV. (1471— 1484), 8) noch eine weitere Sammlung
J) Vgl. darüber Riezler in S. W. III, 548 ff.
2) Jetzt Clm. 14 233 (ehemalige Signatur von St. Emmeram: C 52).
Bl. 63r — 75^ = Loserth, S. 32-61; SS. XXV, 651—665.
3) Bl. 65v: „Theobaldus dux Boiorum" und Bl. 70r: „Viuilonis".
4) Über andere St. Emmeramer Handschriften mit Randbemerkungen
von ihm vgl. meine Angaben in S. W. VI, 69 ff.
5) Neues Archiv XXIV (1899), 671 ff.
6) Die Originalhandschrift ist Clm. 14594.
7) Dem früher in Tegernsee befindlichen Clm. 27164.
8) Ich schließe das daraus, weil der Papstkatalog in Clm. 14894,
wo der oben genannte zweite Teil des Clm. 27 164 schon mitabgeschrieben
ist, die Papstreihe mit Sixtus endet, während die in Clm. 27164 später
eingetragenen folgenden Päpste Innozenz VIII. und Alexander VI. hier
nicht mehr zu finden sind. So sind meine Angaben im Neuen Archiv
a. a. 0., S. 705 zu ergänzen.
1- 4. Abhandlung: Georg Leidinger
r> -"^luii.^v
von Gründungsgeschichten und anderen geschichtlichen Auf-
zeichnungen angefügt, hauptsächlich aus den Diözesen Salz-
burg, Regensburg, Passau, Chiemsee und Gurk. Von der so
ergänzten Sammlung wurde, offenbar bald darauf, abermals
eine Abschrift genommen.1) Diese wurde gegenüber der Vor-
lage durch die Aufnahme einer Anzahl von Stücken aus den
verschiedenen Quellen von Kremsmünster erweitert.2) Die Ab-
schrift jener Stücke scheint anregend auf den Sammler3) ge-
wirkt zu haben; denn die Passauer Bischofsreihe und in noch
höherem Grade die bayerische Herzogsreihe weisen dabei Fort-
setzungen auf, die von jenem Sammler herrühren dürften.
1) Der aus St. Emmeram in Regensburg stammende Clm. 14894,
geschrieben von einem Frater Sigismund Paurenfeint, Ende des 15. Jahr-
hunderts. Vgl. Loserth, Geschichtsquellen, S. XX; Mon. Germ, hist.,
SS. XXV, 611; Andreas von Regensburg, Sämtliche Werke, S. LVIII,
Anm. 1; Salzburger Urkundenbuch I (1910), 17; II (1916), A I (wo außer
oder statt Clm. 14894 dessen Vorlage Clm. 27164 zu berücksichtigen ge-
wesen wäre). Cod. pal. Vind. 3402 enthält nicht, wie man nach Brack-
mann, Germania pontificia I (1911), 285 annehmen könnte, die gleiche
Sammlung wie Clm. 27164 und 14894.
2) Zur Verbesserung des gedruckten Münchener Handschriftenkata-
loges stelle ich die einzelnen Teile hier fest:
1. Bl. 84r — 117v: „Igitur cum pretiosus . . ." bis „. . . in requie opu-
lenta" (erster Teil der „Narratio* ohne den Prolog) = Loserth
S. 84-98; SS. XXV, 639, 10 — 646, 7.
2. Bl. 129r-131«-: „Anno Domini 1250 . . ." bis „. . . de Nustorff"
(Passauer Bischofsreihe mit Fortsetzung) = Loserth S. 1 -5; SS. XXV,
619, 15—623, 29 (Handschrift D).
3. Bl. 134r-135v: „Bavaria, quae et Noricus . . ." bis „ . . tonsu-
ratur" (Auszug aus drei Kapiteln des ersten Teiles der „Narratio")
= Loserth S. 85-87; SS. XXV, 639, 43-640, 45.
4. Bl. 157v— 158v: „Nunc videndum est (im Original: „Sed primo bre-
viter est tangendum) de origine ..." bis „successit filius eius"
(aus den „Historiae") = Loserth S. 47-48; SS. XXV, 659, 15-42.
5. Bl. 159v-162>": „Anno Domini 508 . . ." bis „. . . Stephanus et
Adalbertus" (Auszug der bayerischen Herzogsreihe mit Fortsetzung)
= Loserth S. 6-11; SS. XXV, 624, 50-625, 18; 637, 61-638, 21.
3) Dieser ist möglicherweise nicht identisch mit dem Schreiber von
Clm. 14894. Vielleicht liegt nämlich zwischen Clm. 27164 und 14894
noch eine weitere Handschrift.
Bernardus Noricus. 43
Auch diese in der Bibliothek von St. Emmeram zu Regens-
burg befindliche Handschrift hat Aventinus in Händen gehabt.
Auf Bl. 154r ist eine Randbemerkung angebracht, die ich un-
bedenklich seiner Hand zuschreibe. Er hat die Handschrift also
benützt, und man darfauch sie als eine seiner Quellen betrachten.
So kann denn Aventinus aus den kremsmünsterschen Bruch-
stücken der beiden genannten St. Emmeramer Handschriften
sich einzelne der Angaben geholt haben, bei denen ein Zu-
sammenhang seines Textes mit den Aufzeichnungen jenes
Stiftes gegeben erscheint.1)
Überblickt man jene oben erwähnten 21 Stellen im ganzen,
so ist, da es sich überall, mit Ausnahme der noch zu be-
sprechenden Stelle,2) nur um Kleinigkeiten handelt, die Be-
nützung der kremsmünsterschen Schriften durch Aventinus im
Verhältnis zu ihrem Umfang und Inhalt eine recht gering-
fügige. Arnpeck hat weit mehr daraus entnommen. Auf-
fallend ist, daß jene Stellen sich nur auf das zweite und dritte
Buch von Aventins Annalen erstrecken. In diesen Büchern
behandelte Aventinus die Zeiten vor Karl dem Großen und
hätte also die kremsmünsterschen Aufzeichnungen nur für diese
benützt, für spätere Zeiten aber, in denen sie doch erst recht
Stoff hätten bieten können, hätte er sie bei Seite gelassen.
*) Der oben S. 32 genannte Regensburger Augustiner Hieronymus
Streitel hat seinen Stoffsammlungen (Clm. 167 und 14053) ebenfalls Teile
der Aufzeichnungen von Kremsmünster einverleibt. In Clm. 167, S/ 400
bis 417 befindet sich ein Bruchstück der „Historiae", die bayerische Her-
zogsreihe ohne den Anfang = Loserth S. 49—56; SS. XXV, 660, 14 bis
663, 12. In Clm. 14053 hat Streitel folgende Stücke der „ Historiae"
eingetragen: Bl. 192 — 193r die österreichische Herzogsreihe = Loserth
S. 56-61; SS. XXV, 663, 17—665, 38; Bl. 194^ Auszüge aus dem Anfang
der Lorcher Bischofsreihe = Loserth S. 33-34; SS. XXV, 652, 23-653,
54; Bl. 195r — 195v den in Clm. 167 fehlenden Anfang der bayerischen
Herzogsreihe = Loserth S. 47-49; SS. XXV, 659, 15—660, 13. Alle diese
Texte hat Streitel, wie die Lesarten bestätigen, aus dem vorhin (S. 41)
angeführten St. Emmeramer Clm. 14233 genommen; er hat auch die dort
befindliche Zugabe, von der unten S. 45, Anm. 4 noch die Rede sein
wird, Bl. 193v — 194r mit abgeschrieben.
2) Vgl. unten S. 44.
I I 4. Abhandlung: Georg Leidinger
Aus Clm. 14894 oder aus Arnpecks Text1) kann er die
oben2) erwähnte Stelle genommen haben, an welcher er des
Klosters Kremsmünster gedenkt und dessen Gründungsgeschichte
mitteilt.3) Hieran knüpft er selbständige kritische Bemerkungen.
Tassilos Sohn Günther, den die Gründungsgeschichte nennt, ist
ihm verdächtig, da in der Stiftungsurkunde Tassilo von seinem
Sohne Theodo (Diet) spricht. Dieser Umstand veranlaßt Aven-
tinus zu folgender Äußerung über die Gründungsgeschichte:
„Ita quidam (man beachte auch diesen unbestimmten Ausdruck)
prodidere, mihi vero non fit verisimile. Nam in oratione,
quam Thessalonus in eiusdem templi dedicatione habuit, Theo-
donis quidem filii sui mentionem facit; de Gunthero et huius-
modi fabula ne verbum quidem offendes: profecto tantam rem
ille non taciturus, si ita fuisset. Deprendi ego captos, ut ori-
ginem principiaque templorum suoruni augustiora vili plaebe-
culae faciant, animos vulgi imperiti huiuscemodi fabellis ad
quaestum confictis allicere et oblectare solere."
Diese „oratio", welche Tassilo nach der naiven Vorstel-
lung des Geschichtschreibers bei der Weihe der Kirche zu
Kremsmünster gehalten hätte, ist, wie hier zur Ergänzung der
hierüber schweigenden Ausgabe der Annalen bemerkt sei, nichts
anderes als die Stiftungsurkunde des Klosters. Wenn Aven-
tinus ihre Kenntnis aus Kremsmünster selbst bezogen hätte,
würden diejenigen recht haben, die nähere Verbindungen zwi-
schen ihm und dem Stifte vermuteten. Allein die Sache liegt
hier ähnlich wie bei der schon oben4) erwähnten Schenkungs-
urkunde für Kremsmünster, die Aventinus aus dem Dome zu
Passau erhalten hatte. Unser Geschichtschreiber kannte die
Stiftungsurkunde Tassilos aus Kloster Niederaltaich, dessen von
dem berühmten Abte Hermann angelegtes Diplomatariuni sie
in Abschrift enthielt.5) Aventinus hat sie daraus unter der
») S. 85, 15 ff. 2) S. 38 und 43.
3) S. W. II, 408, 12 ff. 4) S. 38.
5) Vgl. Pösinger, Die Stiftungsurkunde des Klosters Kremsmünster
(59. Programm des k. k. Obergymnasiums der Benediktiner zu Krems-
münster 1909}, S. 8.
Bernardus Noricus. 45
Angabe, daß Niederaltaich der Herkunftsort sei, im zehnten
Bande seiner Adversarien1) sich abgeschrieben. Also auch hier
wieder zeigt sich durchaus kein näheres Verhältnis zwischen
ihm und Kremsmünster.
Faßt man das Ergebnis dieser Quellenstudien zu Aven-
tins Text zusammen, so darf man wohl sagen, daß auch auf
diesem Wege die im ersten Teile der vorliegenden Untersuchung
gewonnene Ansicht bestärkt wird: wie unrecht nämlich jene
hatten, die Aventins Bernardus Noricus auf eine besondere,
durch unmittelbare Beziehungen zu Kremsmünster gewonnene
Kenntnis des bayerischen Humanisten zurückführen wollten.
Wiederum könnte ich die Abhandlung hier schließen und
mich mit dem bisherigen Ergebnisse begnügen; allein der Zu-
fall (oder vielmehr von allen möglichen Kombinationen aus-
gehendes Suchen) ließ mich eine Entdeckung machen, welche
geeignet ist, auch den oben2) als Rätsel verlassenen schwierigen
Punkt zu erklären, woher nämlich die Nennung eines „Bern-
hard von Kremsmünster" überhaupt ihren Ursprung genommen
hat. Meine bisherigen Darlegungen haben soviel ergeben: Zu
Regensburg hat ein Unbekannter, dem offenbar geschichtliche
Interessen zu eigen waren, einem Werke, welches ähnlichen
Inhalt hatte wie Teile der Aufzeichnungen von Kremsmünster,
den zweifellos in diesem Fall unrichtigen Verfassernamen eines
Mönches Bernhard von Kremsmünster beigelegt. Woher hat
er überhaupt diesen Namen genommen?
Aus der schon oben3) genannten Handschrift der
Regensburger Stiftsbibliothek zu St. Emmeram, dem
jetzigen Clin. 14233.
Loserth hat diese Handschrift, welche die ersten drei Teile4)
der kremsmünsterschen „Historiae" enthält, für seine Ausgabe
l) Jetzt Clm. 1204, Bl. 30v; daraus abgedruckt bei Oefele, Rer. Boic.
SS. I, 726. 2) S. 3G. 3) S. 41.
4) Für den vierten Teil war leerer Raum gelassen. Darnach folgen,
von der gleichen Hand, bisher unbeachtete, wenig bedeutende öster-
reichische Notizen, die ich aber doch bei dieser Gelegenheit als Ergän-
zung zu verschiedenen österreichischen Annalen ähnlichen Inhalts unten
I') 4. Abhandlung: Georg Leidinger
verglichen1) und ihre Lesarten angegeben. Waitz hat sie und
andere Handschriften als „nullius fere pretii" bezeichnet,2) an
einigen Stellen aber doch Änderungen, die in ihr gegenüber
dem ursprünglichen Text auftreten, mitgeteilt, allerdings, wie
es scheint, nach Loserths Ausgabe.3)
Loserth aber hat, trotzdem man es bei ihm mit Bestimmt-
heit erwarten würde, so daß die Unterlassung sehr sonderbar
erscheint, folgende Stelle nicht mitgeteilt,4) welche mitten in
der österreichischen Herzogsreihe steht:5)
„Nota XIII0 LXXVIII0 ad festum pasche6) frater Bernar-
dus monasterii Medlicensis professus, medio tempore Admunde
degens, hie in Gemniko causa edificacionis affuit et hec scripsit
et in hac cronica plura correxit."
Da Clm. 14233 erst im Anfange des 15. Jahrhunderts ge-
schrieben ist, haben wir hier nicht den ursprünglichen Eintrag
vor uns, sondern nur eine Abschrift. Diese teilt uns aber die
Tatsache mit, daß ein Mönch Bernhard von Melk in Nieder-
österreich, der zeitweise in dem steiermärkischen Kloster Ad-
mont sich aufgehalten hatte, an Ostern 1378 in der Kartause
Gaming (Gemnicum) in Niederösterreich weilte und dort ein
Exemplar der „Historiae" von Kremsmünster mit mehreren
Verbesserungen versah oder (der lateinische Ausdruck läßt auch
S. 50ff. als Beilage abdrucke. Eine Abschrift dieser „Notae Austriacae"
findet sich, wie oben S. 43, Anm. 1 erwähnt wurde, in Streiteis Sammel-
handschrift Clm. 14053, eine weitere in des fleißigen Benediktiners Kolo-
man Sanftl handschriftlichem Katalog der St. Emmeramer Handschriften
(Cbm. Cat. 14 der K. Hof- und Staatsbibliothek München) II (1809), 879 f.
1) Die Geschichtsquellen von Kremsmünster, S. V, XIX und 32 ff.
2) Mon. Germ, hist., SS. XXV, 616, 19.
3) Sonst hätte er wohl nicht S. 661, N. c, wie Loserth, angeführt:
„Arnoldus — Interim", sondern „Arnoldus — succedit".
4) Waitz hat wohl infolge seiner auf Grund der Loserthschen Aus-
gabe von vorneherein vorhandenen Geringschätzung der Handschrift ihren
Text nicht weiter verglichen und darum die Stelle überhaupt nicht bemerkt.
5) Clm. 14233, Bl. 74v. Sie hätte erwähnt werden müssen Loserth
S. 60, zwischen Abschnitt 6 und 7 (nach „ut dicitur in privilegio");
SS. XXV, 665, zwischen Zeile 41 und 42.
6) 18. April 1378.
Bernardus Noricus. • 47
diese Deutung zu) die „Historiae" abschrieb und ihnen Ver-
besserungen beifügte. Die Handschrift, in welcher man die
ursprüngliche Niederschrift jener Bemerkung von 1378 zu
suchen hätte, befand sich demnach wohl einst in Gaming,
scheint aber nicht erhalten geblieben zu sein.1)
Vergleicht man den Text der „Historiae" des Clm. 14233
mit den Ausgaben, so sieht man, daß Bernhard von Melk nur
wenige Änderungen vorgenommen hat. Seine Haupttätigkeit
scheint darin bestanden zu haben, daß er statt „ecclesia no-
stra" und ähnlicher Ausdrücke den Namen Kremsmünster ein-
setzte; das ist 32mal der Fall; dreimal versäumte er es zu
tun. Wesentliche Änderungen sind nur an folgenden Stellen
zu finden:
Loserth S. 44, N. a;
„ 44, „ h = SS. XXV, 657, 48;
„ 52, „ h = SS. XXV, 661, N. c;
w 54, „ 1;
„ 54, , o = nur teilweise SS. XXV, 662, N. *.
An letzterer Stelle tritt deutlich die Eigenschaft Bernhards als
eines in der Melker Geschichte erfahrenen Mannes hervor.
Am Rande von Bernhards Schreiberbemerkung in Clm. 14 233
steht von einer Hand des ausgehenden 16. Jahrhunderts: „Au-
tor huius Chronicae."
Sollte nicht der Irrtum, der hiemit einem Späteren unter-
laufen ist, auch schon bei einem Früheren in gleicher
Weise entstanden sein? Ein Irrtum gründet sich gewöhnlich
auf ein Stückchen Tatsache unter Verkennung oder Mißach-
tung anderer damit zusammenhängender Tatsachen. Kann man
den im Irrtum Befangenen befragen, so ist es leicht, die Ent-
stehung des Irrtums aufzuklären. Schwer wird die Aufhel-
lung bei Irrtümern der Vergangenheit, wo der zu Befragende
') Über die Bibliothek von Gaming und die daraus erhaltenen Hand-
schriften vgl. Mittelalterliche Bibliothekskataloge Österreichs I: Gottlieb,
Niederösterreich (Wien 1915), S. 1 ff. Vielleicht sind in Gaming die unten
S. 50 abgedruckten „Notae Austriacae" (vgl. oben S. 45, Anm. 4), da in
ihnen der Kartäuserorden erwähnt wird, entstanden.
4b 4. Abhandlung: Georg Leidinger
fehlt und man nur auf Vermutungen angewiesen ist. Auch
in dem vorliegenden Falle muß die Lösung sich auf eine Ver-
mutung gründen. Sollte man nicht folgendermaßen schließen
dürfen: Derjenige, welcher in der Handschrift des Regens-
burger Domes zu dem Norikerkapitel der „Passio S. Quirini"
den Verfassernamen eines Bernhard von Kremsmünster hinzu-
schrieb, hatte die oben angeführte Schreiberbemerkung aus
Clm. 14233 in Erinnerung? Er hatte dabei die Tatsache, daß
die Aufzeichnungen aus Kremsmünster stammten, und den
Namen Bernardus so sehr im Gedächtnis, daß ihm die Zu-
gehörigkeit des Bernardus nach Melk und dessen Eigenschaft
als bloßen Abschreibers außer acht kamen?
Vielleicht ist dieser Bernhard von Melk eine Person mit
einem Manne, von dem wir auch sonst Nachrichten haben und
der sich schriftstellerisch betätigt hat. Wir besitzen von diesem
Mönche Bernhard von Melk, der den Beinamen Dapifer führte,
eine kurze Legende des sei. Gothalm,1) eines Melker Orts-
heiligen, welche Bernhard im Jahre 1362 verfaßte,2) und
wissen, daß er im Jahre 1378 nach Rom reiste und unter-
wegs starb.3)
Das Interesse, welches der die kremsmünsterschen Auf-
zeichnungen abschreibende Bernardus Medlicensis an geschicht-
lichen Dingen zeigt, würde nicht übel passen zu Äußerungen,
die der Verfasser der „Vita B. Gothalmi" an mehreren Stellen
*) Die Literatur darüber verzeichnen Potthast, Bibliotheca historica
medii aevi II2, 1346 f.; Bibliotheca hagiographica latina I, 541; Chevalier,
Repertoire des sources historiques du moyen age I, 554.
2) Im Anfange dieser „Vita B. Gothalmi" (Pez, SS. rer. Austr. I, 110)
nennt er sich: „Ego frater Bernhardus professus Medlicensis coenobii
monachus, dictus Dapifer . . ."
3) Annales Mellicenses (Mon. Germ, hist., SS. IX, 513) zum Jahr 1378:
„Eodein anno obiit Fridericus abbas monasterii Mellicensis, qui dictus
fuerat Acznprukker. Et Syfridus prior, dictus Hagenawer, a duce Al-
berto coram conventu in refectorio eligitur in vigilia sanctorum aposto-
lorum Petri et Pauli; et quasi Omnibus non faventibus Bernhardus, dictus
Dapifer, unus ex fratribus, se recepit ob hoc ad curiam Romanam, et
in itinere moritur."
Bernardus Noricus. 49
macht. Daß der Letztere Vorliebe für Bücher hatte, geht
aus einer bedauernden Bemerkung hervor, die er über den
Brand des Klosters Melk vom 14. August 1297 und den da-
durch eingetretenen Verlust der Bücherei des Stiftes macht.1)
Unter den Zusätzen zu den „Historiae" befindet sich, wie
oben2) erwähnt wurde, insbesondere einer, der den Abschreiber
als mit der Melker Ortsgeschichte vertraut erkennen läßt, zu
der andererseits die .Vita B. Gothalmi" einen Beitrag liefert.
Nichts hindert, in dem Bernhard von Melk des Clm. 14233
den Verfasser der letzteren zu erblicken. Auch die zeitlichen
Angaben in beiden Stücken passen zusammen.
Aus Bernhard von Melk entstand Bernhard von Krems-
münster, aus diesem hinwiederum Bernhard der Noriker. Eine
Reihe von Irrtümern führte dazu, daß man diesen Bernhard
für den Verfasser der Geschichtswerke von Kremsmünster hielt.
Löst man die Irrtumskette auf, so verschwindet für Krems-
münster der vielgenannte „ Bernardus Noricus" vollständig.
Nun begreifen wir auch, warum in den Urkunden und Ver-
zeichnissen des Klosters, worüber man sich häufig gewundert
hat, kein Bernardus Noricus erwähnt wird.
x) Pez a. a. 0., Sp. 112. Vgl. hiezu Gottlieb a. a. 0., S. 137.
2) S. 47.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 4. Abb.
50 4. Abhandlung: Georg Leidinger
Beilage.
Notae Austriacae 1365— 1405.1)
Anno Domini M°CCC° etc. Albertus2) dux Austrie. Qui
fuit verax, diligens pacem et concordiam et fuit magne po-
tencie et famositatis apud alios principes.
Hie comitem de Schaunnberkch3) cum suo dominio sibi
servilem et subiectum fecit.
Hie castrum, quod vocabatur Lennstayn,4) funditus de-
struxit.
Hie Johannem de Lyechtennstayn 5) quendam dominum,
qui fuit magister curie et maxime potencie et potestatis in
terra et in toto ducatu Austrie, captivavit et de potencia sua
ipsum deposuit et quasi de omnibus rebus ac divieiis suis ip-
sum privavit.
Hie studium generale Wyennense, quod frater suus dux
Rudolffus ineepit, ipse maximis privilegiis roboravit et confir-
mavit ac consumavit.
Hie castrum mire pulchritudinis in Laxendorff 6) construxit.
Hie unicum filium habuit, qui eciam vocabatur Albertus.7)
Hie regnavit post patrem suum cum avuneulo suo duce Wil-
helmo, qui senior ipso fuit. Hie Albertus fuit prineeps curialis,
literature devotus, multum diligens clerum et viros religiosos
i) Vgl. oben S. 45, Anm. 4 und S. 47, Anm. 1.
2) Albrecbt III. trat nach dem am 27. Juli 1365 erfolgten Tode
seines Bruders, Herzog Rudolfs IV., die Regierung Österreichs an.
3) Graf Heinrich von Schaunberg.
4) Leonstein bei Steyr.
5) Johannes von Liechtenstein.
6) Lasenburg bei Mödling.
") Albrecht IV., 1395—1404.
Bernardus Noricus. 51
et precipue ordinem Cartusiensem,1) et si sibi licuisset et pos-
sibile fuisset, ipsum fortasse intrasset relicta uxore et pueris,
si longius vixisset ad aliquod tempus.
Hie dux Albertus volens se vindicare in quodam domino
e
Boemie nomine Hinko de Jeuspicz2) et cognomine rusticorurn
e e
Durrteuffell et suis complieibus, qui magnam instanciam du-
catui Austrie faciens furtivis spoliis ac civitates, opida quo-
que, villas debellando ipsasque spoliis ac incendiis devastando
populumque captivando, pro liberacione peceuniarum eura se-
cum Moraviam deducendo, multas molestaciones Austrie fa-
ciendo.a)
Anno Domini M°CCCC0IIII° hie Albertus intrans Moraviam
cum magno exercitu etb) obsedit civitatem Znoymam3) quasi
duobus mensibus, sed minime sibi successit et magna dampna
ab incolis civitatis in populo suo et in rebus pereepit. Et
ipse dux in egritudinem mortalem ibi cecidit, quod sine omni
profectu cum magna vereeundia quamvis ex infirmitate com-
e
pulsus recessit in Neunburgarn.4) Ibi quoque mortuus est. Qui
ad sanetum Stephanum Wyennam deducitur ibique iuxta pa-
trem cum magna lamentacione sepelitur.
Anno Domini M°CCCC°III° magnus cometa in Austria ap-
paruit post festum nativitatis Christi, vertens comam contra
aquilonem et, ut sepius videbatur, in meridie sole clare splen-
dente et duravit quasi per medium annum, antequam disparuit.
Illo anno fuit magna siccitas in terra, quod multa flumina et
ripe naturales exsiccabantur. Eo anno fuerunt eciam magna
tonitrua et grandin es, qui in multis locis pereuciebant vinum
ac bladum. Et mirabiliter pereuciebat in toto confinio civi-
o
tatis nomine Gmunden,5) ubi magnum dampnum faciens in edi-
a) Anakoluth. b) so Hs.
x) Sein Lieblingsaufenthalt war die Kartause Mauerbach.
2) Heinrich von Chunstatt auf Geispitz, im Volksmunde der Dürr-
teufel genannt. 3) Znaim.
4) Klosterneuburg. 5) Gmunden am Traunsee.
52 4. Abh.: Gg. Leidinger, Bernardus Noricus.
ficiis, in tectis ac in turribus civitatis. Eciam percussit ani-
raalia, silvestria in campis et silvis, ita quod magna multitudo
volucrum mortue portabantur ad eandem civitatem.
Annus inraediate sequens fuit multum pluviosus usque ad
autumpnum. Multe inundaciones aquarura sepe inprovise rnagne
venerunt, que magnum darapnum in villis, domibus, agris ac
pratis fecerunt. Bladum, fenum, vinum, olus, alii quoque
fructus omnes quasi pro maiori parte ex nimia pluvia perie-
runt, et que creverunt, ad maturitatem naturalem minime per-
venerunt. Et sequebatur eo anno et sequenti magna karistia
seu fames, qualis multis annis non recordabatur in ducatu
Austrie etc.
D
A
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 5. Abhandlung
#
Die Vorstellungen vom alten Reich
in ihrer Einwirkung auf die neuere
deutsche Geschichte
von
Robert Dayidsohn
Vorgetragen am 7. Juli 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franzsclien Verlags (J. Roth)
/
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 5. Abhandlung
Die Vorstellungen vom alten Reich
in ihrer Einwirkung' auf die neuere
deutsche Geschichte
von
Robert Davidsohn
Vorgetragen am 7. Juli 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franzsclien Verlags (J. Roth)
Das römische Reich deutscher Nation genoß in den letzten
anderthalb Jahrhunderten seines Bestehens beim eigenen Volke
'ov
kaum größeres Ansehen als draußen in der Welt. Voll über-
D
mutigen Hohnes läßt Goethe einen der trinkfesten Gesellen in
'ö
Auerbachs Keller davon singen, wie es kaum noch zusammen-
halte, und im zweiten Teile des Faust schildert der Dichter
rückschauend die Zustände in düstersten Farben. Im Thron-
saal der Kaiserpfalz läßt sich der Erzbischof-Kanzler vernehmen :
Wer schaut hinab von diesem hohen Raum
In weite Reich, ihm scheints ein schwerer Traum,
Wo Mißgestalt in Mißgestalten schaltet,
Das Ungesetz gesetzlich überwaltet
Und eine Welt des Irrtums sich gestaltet.
In „Dichtung und Wahrheit" berichtet Goethe von den Ein-
drücken, die er als Kind durch den Besuch des Römers emp-
fing. Märchenhaftes vernahm er von Karl dem Großen, aber
das historisch Interessante habe für ihn erst mit Rudolf von
Habsburg begonnen. Die eigentlich wichtigen Perioden der
Kaisergeschichte, die der Sachsen, Salier, Staufer erwähnt er
nicht einmal. Dem 18. Jahrhundert war das Reich das Reich
der Habsburger. Herder wies freilich in den „Fragmenten" l)
mit der ihm eigenen, dem Lebensvollen zugewandten Intuition
auf die Gestalt Friedrich II. hin, dessen Wesen er in helleres
i) Fragmente über die neuere deutsche Literatur, III. Von der
neueren römischen Literatur. Herders Werke, herausgeg. von Düntzer.
Berlin (ohne Jahreszahl) XIX, S. 190 f.
4 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
Licht gesetzt zu sehen wünschte.1) Aus Goethes Jugenderinne-
rungen wissen wir, wie in der Reichsstadt viel von den früheren
Kaiserkrönungen gesprochen wurde, aber doch vorwiegend unter
dem Gesichtspunkte des prunkvollen Schauspiels und der Fest-
lichkeiten, ja, man gewinnt den Eindruck, daß die im Mittel-
punkt jener Zeremonien Stehenden, zumal Franz I. und Maria
Theresia, das Ganze als eine Art ehrwürdiger Maskerade be-
handelt hatten.
Gibbon glaubte in seiner 1782 vollendeten „Historv of the
decline and fall of the Roman Empire" die gesamte Geschichte
des mittelalterlichen Imperiums bis ins 16. Jahrhundert in 2'/2
von den 7 Bänden als einen bloßen Anhang zu der der sinken-
den Herrschaft Westroms, als deren Nachklang, als einen Teil
von dessen Verfall darstellen zu können, was in Deutschland
der Bewunderung für sein Werk nicht den geringsten Ab-
bruch getan hat. Als vierundzwanzig Jahre später das Reich
Karls des Großen und Ottos I, in Trümmer ging, war die
Teilnahme an diesem Vorgange beim deutschen Volke eine
außerordentlich geringe. Die allgemeine Reichsversammlung
zu Regensburg mußte sich in einem am 1. August 1806 über-
reichten „üiktatum" von den zum „Rheinischen Bunde" ver-
einigten Regierungen einige traurige Wahrheiten sagen lassen:
die Kriege der letzten Zeit hätten bewiesen, wie das Band,
das die verschiedenen Glieder des deutschen Staatskörpers ver-
einigen sollte, für diesen Zweck nicht hinreiche, daß es tat-
sächlich bereits gelöst, daß Ausdrücke wie „Reichskrieg" oder
„Reichsfrieden" leere Wortschälle seien, weshalb es denn nicht
lohne, den bloßen Schein einer erloschenen Verfassung beizu-
behalten. Fünf Tage später legte Franz IL durch sein am
12. August zu Regensburg überreichtes „Mandatuni K die Krone
des Reiches nieder, da das reichsoberhauptliche Amt durch
*) Sein Interesse an Friedrich II. war indes mehr ein literarisches
und kulturelles; er feierte ihn (worin er irrte) als Wiederhersteller des
griechischen und morgenländischen Schrifttums, der Weltweisheit, der
Naturkunde, und beklagte ihn als Märtyrer seiner Zeit.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 5
die Vereinigung der konföderierten rheinischen Stünde als er-
loschen betrachtet werden müsse.
In der „Allgemeinen", oder wie sie damals hieß, der
„Kaiserlich österreichischen und königlich bairischen privile-
girten Allgemeinen Zeitung" wurde dieses Edikt als „wichtige
Erklärung" bezeichnet,1) aber in diesem Beiwort ist der ge-
samte eigene Meinungs- und Empfindungsausdruck des führen-
den süddeutschen publizistischen Organs jener Zeit gegenüber
einem der bedeutsamsten geschichtlichen Vorgänge enthalten.
Am 1. September2) druckte sie dann die höchst phrasenhaften
Betrachtungen eines ungenannten Schweizer Blattes nach, in
denen die Erhabenheit Franz' IL gepriesen wird, die er im
Herabsteigen vom Throne des Reiches erwiesen habe. Freilich
konnte man damals noch nicht wissen, daß Kaiser Franz bei
Napoleon für die Niederlegung des Kaisertitels, für die Auf-
lösung des Reichsverbandes möglichst lohnende Kompensationen
zu erlangen gesucht hatte.3) Die Mainzer Zeitung ließ sich
höhnend vernehmen: Deutschland sei nicht heute erst unter-
gegangen, nur wenige Menschen erhöben Klage an dem Grabe
eines Volkes.4) Vergebens sucht man in den Berliner Blättern
jener Tage nach einem Worte, sei es auch nur der Erinne-
rung an die Vergangenheit. Die „Berlinischen Nachrichten
von Staats- und gelehrten Sachen der Haude und Spenerschen
Buchhandlung", sowie die „Königlich privilegirte Berlinische
Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen im Verlage Vossi-
scher Erben" enthielten in ihren Nummern vom 19. August5)
die Mitteilung der kaiserlichen Kundgebungen ohne jede Hin-
zufügung, die „Spenersche" wenigstens auf der ersten Seite,
die „Vossische" dagegen hinter einem Lotterieplan und der
Liste angekommener Fremden. Zwar gab es in Berlin vier-
zehn Tage später im Theater vaterländische Kundgebungen
anläßlich einer Aufführung der Jungfrau von Orleans, bei der
*) Nummer 226 vom 14. August 1806.
2) Nummer 244.
3) Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert l3, 233.
4) Ebendort S. 235. 5) Nummer 99 beider Blätter.
6 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
die Worte „Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles
freudig setzt an ihre Ehre" jubelnd aufgenommen wurden, und
sie wiederholten sich am 19. September, an welchem Tage wie
der Zeitungsbericht sagt „auf lautes Begehren'' „Wallensteins
Lager " dargestellt wurde, zumal anläßlich einer nach dem
Gesänge des Reiterliedes eingelegten von Weber komponierten
Kriegskantate.1) Aber die allzu hoch auflodernde, allzu bald
verrauschende Begeisterung galt nicht Deutschland und konnte
ihm nicht gelten, da ein großer Teil der Deutschen im Lager
des Feindes stand, sie war vielmehr eine ausschließlich preußi-
sche. Sehr schnell sollte sich überdies zeigen, wie es mit dem
Vaterlandsgefühl weiter Kreise der großstädtischen Bevölkerung
in Wahrheit bestellt war. Kaum hatten die Franzosen nach
der Schlacht von Jena Berlin besetzt, als ein nicht geringer
Teil der privaten Anzeigen in jenen beiden Blättern in fran-
zösischer Sprache erschien. Da wurde die Jägerstraße zur
„Rue des chasseurs", die Brüderstraße zur „Rue des freres",
der Aveggelaufene Windhund zum „levrier au poil gris" und
Wusterhausen an der Dosse zu einem „Wusterhausen sur la
Dosse". Erst später fegten die zürnenden und mahnenden
Worte, die aus den Hörsälen der neuen Universität erklangen,
das unheilvolle Gedünste fort, das über den Niederungen
lagerte.
Kurz ehe das Reich dahinschwand, hatte sich aus Franken
die Klage über „Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung"
aus jenem anonym erschienenen Sedezbändchen erhoben, dessen
Erscheinen der Verleger Palm mit dem Märtyrertode büßte.
Der Verfasser der übrigens unerheblichen Schrift, wie sich
später ergab,, der Ansbacher Kammerassessor Johann Konrad
v. Yelin, hatte noch die Hoffnung ausgedrückt, es werde „dem
weitern Verfall des Reiches gesteuert werden" und diese Hoff-
') Die Tondichtung scheint verschollen zu sein. In den Textversen
kam die Stelle vor:
„Held Friedrich Wilhelms Helden glühn
Und brechen glühend auf und ziehn
Zum Kampf fürs Vaterland."
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 7
nung war vorwiegend auf Sachsen, auf Friedrich August,
, einen der seltensten Fürsten in Absicht auf Herrschertugenden"
gerichtet, während die Fehler und Schwächen der preußischen
Politik schonungslos aufgedeckt wurden.
Die Schwere der napoleonischen Fremdherrschaft, die
Schmach der Zerrissenheit drängten in verhältnismäßig kurzer
Zeit die Erinnerung daran in den Hintergrund, wie lose der
Reichsverband, wie unklar der Begriff „Deutschland" gewesen
sei. Die Sehnsucht nach einem Neuerstehen des alten Ver-
bandes war in den Gemütern derart mächtig, daß der Ober-
befehlshaber des russisch-preußischen Heeres, Generalfeldmar-
schall Fürst Kutusow-Smolenski, in der Kalischer Proklama-
tion vom 13./ 25. März 1813 als Ziel des Kampfes den „Fürsten
und Völkern Deutschlands" die „Rückkehr der Freiheit und
Unabhängigkeit" und die „Wiedergeburt eines ehrwürdigen
Reiches" verkündete.1) Feinfühligen Vaterlandsfreunden mochte
es als traurige Vorbedeutung erscheinen, daß sie eine der-
artige Verheißung von dem russischen Generalissimus entgegen-
nehmen mußten, doch darf man vermuten, sie sei unter dem
Einfluß des Freiherrn von Stein in die Proklamation aufge-
nommen worden, der kurz zuvor in Kaiisch eingetroffen war.2)
Dem dunklen Sehnen, daß ein Band die deutschen Stämme
in Zukunft wieder vereinen möge, entsprach indes kein im
Volke verbreiteter klarer Begriff einer künftigen, lebenskräftigen,
staatlichen Gestaltung. Ernst Moritz Arndt klagt in seinem
Werk „Geist der Zeit" in dessen 1813 mit der Druckangabe
London erschienenen dritten Teil über das Sinken des Reiches
von Jahrhundert zu Jahrhundert. Zuletzt habe nur im Wahne
des Namens noch eine Bedeutung der kaiserlichen Macht be-
standen, aber der Kaiser als Kaiser sei „der ärmste und ohn-
1) Die Proklamation ist u. a. gedruckt in Phil. Ant. Guido v. Meyer,
Corpus juris confoederationis Germanicae, ergänzt von H. Zöpfl, 3. Auf-
lage. Frankfurt a. M. 1858 I, S. 146 f.
2) Ein Entwurf war am 19. März in Breslau vereinbart worden.
Tags darauf reiste Stein nach Kaiisch. Pertz, Das Leben des Freiherrn
v. Stein. Berlin 1849—55 III, S. 314; 316.
8 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
mächtigste Fürst in Teutschland" gewesen.1) Er bekämpft
jene, die der Wiederkehr eines ähnlichen Zustandes, einer Eid-
genossenschaft unter einem schwach gebietenden Oberhaupte
das Wort reden.2) Deutschland solle einen Kaiser aus seinen
Fürsten erwählen, der zugleich Oberrichter und Oberfeldherr
sei, die Fürsten aber sollten im Besitze ihrer Lande bleiben,
so wie sie ihn 1792, beim Ausbruch der Revolutionskriege,
innehatten. Wurde damit die Wiederherstellung unhaltbarer,
buntscheckiger Verhältnisse der Vergangenheit empfohlen, so
geriet Arndt des weiteren völlig ins Schwärmen: die Söhne
des Adels seien vom lOten bis zum 18ten Jahr gemeinsam in
der Liebe fürs deutsche Vaterland zu erziehen. Der ,teutsche
Reichstag" solle, nur ernster und fester, wieder errichtet werden
und alle drei Jahre hätten sich ihm der Kaiser nebst allen
Fürsten zu zeigen. „Das bindet die Herzen, reizet die Seele,
wecket die Kräfte." Öffentliche Spiele sollten alle drei Jahre
unter dem Vorsitz des Kaisers und der Fürsten abgehalten
werden. Münze, Maß, Gewicht sollten einheitlich sein, die
inneren Land- und Stromzölle, Geleit- und Durchgangsabgaben
müßten fallen. Alljährlich hätten Missi regii das Reich zu
durchziehen, um zu untersuchen, was die Sicherheit, Gerechtig-
keit und Heeresmacht angehe.3) Von so nüchternen Dingen
aber, wie den Reichsfinanzen, von der Beschaffung der Geld-
mittel für Heer und Verwaltung ist mit keiner Andeutung die
Rede. Die Betrachtung bricht mit den nur allzu berechtigten
Worten ab: „0 Traum! wohin? wohin?"4)
Gewiß war, was der Wiener Kongreß zwei Jahre später
schuf, eine lebensunfähige Mißbildung, wenn auch die An-
hänger des deutschen Bundes ihn noch Jahrzehnte später mit
dem Namen einer „neutralen Friedensrepublik ** 5) verherrlichten.
Gewiß trug er lebenslang alle Makel seiner Geburt an sich,
denn er war ein Geschöpf wechselseitiger Eifersucht der Fürsten,
des Übelwollens fremder Mächte, der Verlegenheit deutscher
i) S. 320 f. 2) S. 335. 3) S. 358 f. 4) S. 366.
■') Meyer-Zöpfl a. a. 0. I, S. 146, Anm. 2.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 9
Staatsmänner, aber zugleich muß man rückschauend das Be-
kenntnis ablegen, daß die verschwommene Unklarheit der im
deutschen Volke herrschenden Gedanken, die politische Un-
reife, das Vorwalten gefühlsmäßiger Wünsche, ideologischer
Forderungen einen ebenso starken Anteil an dem Mißlingen
hatten, wie das egoistische Verhalten der Fürsten und der
geschäftsmännische Skeptizismus der Diplomaten. Von einem
Versuch, das zerfallene Reich wiederzubeleben, konnte um so
weniger die Rede sein, als Kaiser Franz die Wiederannahme
der Würde eines Reichsoberhauptes auf das Entschiedenste ab-
lehnte,1) was mindestens beweist, daß seine Erfahrungen ihn
von jeder diesbezüglichen phantastischen Vorstellung fern-
hielten.
Nicht allgemein war zunächst die Enttäuschung über das
Ergebnis der Kongreßverhandlungen für Deutschland, hier und
O O w
da hat es sogar zuerst Begeisterung erweckt. Graf Platen
feierte im November 1815 in seiner Epistel an Joseph von
Xylander die Neugestaltung mit glühenden Worten:
Die Eintracht, lang begraben
Von uns so lang verkannt,
Soll wieder Tempel haben
In Herrinanns Vaterland.
Spricht nicht verwandte Töne
Treuherzig jeder Mund?
Eint nicht des Landes Söhne
Der große deutsche Bund?
Aber als nach sehr langem Zögern Ende 1816 die Bundes-
versammlung zusammentrat, waren die Erwartungen bereits der-
art gedämpft, daß die Stimme des Göttinger Historikers Heeren
fast die einzige war, die sich zu hoffnungsvollem Gruße
erhob.2) Die wirkliche Entwicklung überbot alle pessimisti-
!) Treitschke, Deutsche Geschichte I. S. 681 f.
2) A. H. L. Heeren, Der deutsche Bund in seinen Verhältnissen zu
dem europäischen Staatensystem. Göttingen 1816. Heeren feiert (S. 14)
den Bund als den „Friedensstaat von Europa", hofft aber (S. 36), eine
10 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
sehen Voraussetzungen. Bald hallte liückerts „Barbarossalied"
von allen Lippen wieder,1) in dem neben dem Stolz auf die
Vergangenheit, neben der auf die Zukunft gerichteten Sehn-
sucht, die tiefe Enttäuschung über die Gegenwart ihren Aus-
druck fand, da, während die alten Raben den Berg umkreisen,
der Kaiser sich zu neuem hundertjährigen Schlafe niedersetzt.
Aus der feurigen Seele von Joseph Görres brach der Zornruf
hervor: Der Wiener Kongreß habe dafür gesorgt, daß das
18. Jahrhundert nicht vor dem 19. zu erröten brauche.2)
Die freieren geistigen Strömungen hatten nur den Wider-
willen gegen die politische Kleinlichkeit und gegen den herr-
schenden Druck gemeinsam, aber ihr positiver Gehalt barg die
tiefsten Gegensätze. Die Verfassungsbestrebungen führten mit
ihren hoch bewerteten, in Wahrheit recht bescheidenen Er-
folgen weit ab von den Einheitswünschen, da sich die leiten-
den Mächte des Bundes ihnen widersetzten, so daß der Libera-
lismus der kleineren Staaten eine Stärkung des Sonderbewußt-
seins herbeiführte. Die Ideale der Verfassungsparteien waren
durchaus der französischen, der englischen Geisteswelt entlehnt
und die Männer jener Zeit hatten in ihrer Jugend ganz unter
dem Einfluß des kosmopolitischen 18. Jahrhunderts gestanden.
Je stärker die Enge des deutschen öffentlichen Lebens die
Seelen bedrückte, um so mächtiger wuchs in der Phantasie
die Gestalt des auf St. Helena gefesselten Prometheus. In
den Zimmern der Bürgerhäuser und in den Wirtsstuben West-
deutschlands sah man überall die Bilder Napoleons und seiner
Schlachten. Heines Lied von den Grenadieren wurde ein Jahr-
zehnt nach jener Katastrophe veröffentlicht, die Deutschlands
Befreiungskampf eingeleitet hatte.3)
starke bewaffnete Macht werde rder Strebepfeiler des Gebäudes11 sein.
— Alfred Stern, Geschichte Europas seit den Verträgen von 1815 bis zum
Frankfurter Frieden 1871. Berlin 1894 I, S. 310.
2) Veröffentlicht 1817 in seinem „Kranz der Zeit".
2) Politische Schriften. München 1854—74 V, S. 144.
3) 1822. Goedeke, Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung
VIII2, S. 551.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 11
Ebenso wie die Bewunderung für den besiegten titanischen
Feind und die sentimentale Fremdtümelei war die Hingabe an
die Romantik der Vergangenheit vor allem eine Flucht aus
der beengenden Gegenwart. Neben den beiden Richtungen,
von der romantischen einigermaßen beeinflußt, entwickelte sich
die Begeisterung für deutsche Freiheit und Einheit, die der
burschenschaftlichen Bewegung ihr Gepräge gab und die sich
in den Seelen eines Teiles der akademischen Jugend zu einer
Religion des Vaterlandes steigerte. Doch deckte auch das
schwarz-rot-goldene Band höchst verschiedenartige Gesinnungen;
sie stuften sich von dem Haß gegen das Werkzeug des Zaren,
der den Dolch des unglücklichen Sand schärfte, von den radi-
kalen Umsturzbestrebungen Karl Follens bis zu der Sehnsucht
jener Jenenser Studenten ab, die den Traum hegten, die alte
Reichskrone solle auf dem Haupte Karl Augusts erglänzen,
oder jener Tübinger Musensöhne, die ihren Wilhelm I. von
Württemberg zum Nachfolger Karls des Großen zu machen
wünschten. Der Metternichschen wie der preußischen Reak-
tion galt jeder Gedanke an die Einheit Deutschlands für gleich
gefährlich und Kaiser Franz duldete in seinen Erlassen das
Wort „Vaterland" nicht.1) Friedrich Ludwig Jahn wurde ge-
fangen gesetzt, zeitweilig gar in Küstrin mit Ketten gefesselt,
weil er dahin gestrebt haben sollte, Deutschland zu einem
Staate zu verbinden. Die Antwort, die der in reifem Mannes-
alter Stehende in der wider ihn geführten Untersuchung gab,
erweist, welche Unklarheit bei allem edlen Streben in den
Köpfen der studierenden Jünglinge herrschen mochte. Er sei,
so erklärte Jahn, allerdings der Meinung, die Zusammenfassung
Deutschlands in einen Staat würde ersprießlicher sein als die
Zersplitterung, ein deutscher Kaiser wäre mehr zu bewirken
imstande, als ein bloßer Bundestagspräsident. „Ich habe mir
aber", fuhr er fort, „nie den Kopf darüber zerbrochen, welcher
unter den deutschen Staaten an die Spitze zu stellen wäre, ob
das etwa unter ihnen reihum gehen solle, wie in manchen
l) Treitschke a. a. 0. II2, 127 f.
'- 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
kleinen Städten die Befugnis des Bierbrauens unter den Bür-
gern. . ." Auch kenne er unter den 39 Staaten keinen, der
imstande wäre, sich selbst zu regieren, viel weniger einen,
der imstande sei, die anderen 38 mit zu regieren.')
Der etwas unklaren Schwärmerei für Deutschlands Ver-
gangenheit hatte bisher auch kein eigentlich tieferes Eindringen
in diese entsprochen. Seit 1823 erschien Raumers „Geschichte
der Hohenstaufen und ihrer Zeit". Der Verfasser hielt es für
erforderlich, sie mit einem 230 Seiten langen, vom Jahre 393
ausholenden Überblick zu beginnen. Mit dem Plane zu seinem
Werk hatte er sich schon zu jener Zeit getragen, in der das
alte Reich in Trümmer ging,2) und was ein fleißiger Kompi-
lator ohne Genie, ohne die Gabe plastischer Darstellung auf
Grund des damals zugänglichen Materials erreichen konnte,
bot er in seiner Darstellung wie in dem Anhang über die
Altertümer des 12. und 13. Jahrhunderts. Wenige deutsche
Geschichtswerke haben so lebhaften Anklang gefunden wie
dieses, und die dramatische wie auch die epische Dichtung
wandte sich sofort den Gestalten des an tragischen Schicksalen
überreichen Staufergeschlechtes zu.3) Besonders durch die
sechzehn Hohenstaufendramen Ernst Raupachs verbreitete sich
im größeren Publikum das Interesse an ihnen.4) Der Pedant
im Gewände des dramatischen Dichters vermeinte allen Ernstes,
er sei auf dem Wege, ein deutsches Nationaltheater zu schaffen;
er glaubte, dazu brauche man nur die Geschichte unseres
Volkes von Heinrich I. bis zum Westfälischen Frieden in etwa
*) Pröhle, Friedrich Ludwig Jahns Leben. Berlin 1855, S. 179.
2) Vorrede zur dritten Auflage (1856).
3) Einen Überblick gibt Eduard Wolff (Leipziger Dissertation), Rau-
pachs Hohenstaufendramen. Ein Beitrag zur Theatergeschichte des 19. Jahr-
hunderts. Berlin 1912.
4) Die Zahl der Aufführungen war indes geringer, als man anzu-
nehmen geneigt wäre. Von den 16 Dramen kamen in Berlin 13 an
70 Abenden zur Aufführung. In Weimar wurden einige der Stücke zu-
sammen zwölfmal gespielt. Aufführungen sind in 17 deutschen Städten
nachweisbar. A. a. 0., S. 78,
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. lo
70 bis 80 Stücken zu bearbeiten.1) Wie gründlich er die Zeit
der Staufer gleich der eigenen mißverstand, geht aus der Zu-
eignung an Friedrich Wilhelm III. hervor, die er der Druck-
ausgabe voransetzte. Diese Widmung gilt dem Schutzherrn
der Glaubensfreiheit, der an Deutschlands Neugestaltung ent-
scheidenden Anteil habe; der König wird zu den Stauferkaisern
in Beziehung gesetzt, denn auch sie hätten danach gestrebt,
dem Reiche eine festere Verfassung, der Christenheit größere
Glaubensfreiheit zu verschaffen. Den Jungdeutschen wurde
es leicht mit Raupach ihren Hohn zu treiben, aber dennoch
hörte man in dessen Dramen von der Bühne her den Namen
Deutschland erklingen, und es wäre ungerecht, zu verkennen,
wie vermittels dieser höchst unvollkommenen dramatischen Ge-
bilde die Erinnerung an das dahingesunkene Reich und da-
durch der Reichsgedanke belebt worden ist.
Inzwischen hatten sich in der Stille tiefere Wirkungen
vorbereitet, jenes große wissenschaftliche Unternehmen war be-
gründet worden, das wertvolle Saat in den Boden der Zukunft
streute. Seit 1819 betrieb Freiherr von Stein in seiner un-
freiwilligen Muße die Begründung der Monumenta Germaniae
Historica und im April 1820 hatte im Turmzimmer seines
Schlosses bei Nassau die folgenreiche Unterredung mit dem
jungen Dr. Heinrich Pertz stattgefunden.2) Freilich waren die
Anfänge mühselig und langsam; der erste Band der „Scriptores"
konnte erst sieben Jahre nach Begründung der Gesellschaft
für ältere deutsche Geschichtskunde, der zweite nach weiteren
drei, der dritte gar erst 1839 erscheinen und da der Inhalt
dieser Bände nicht über das 9. Jahrhundert hinausreichte, wo-
bei politische Hemmungen mitsprechen mochten, hielt sich die
Wirkung einstweilen innerhalb der Grenzen eines vorwiegend
antiquarischen Interesses. Immerhin hatte schon der erste Auf-
ruf so anregend gewirkt, daß selbst der 71jährige Goethe sich
mit einer Abhandlung über die in Weimar befindliche Chronik
J) Ernst Raupachs dramatische Werke (Vorrede). Hamburg 1837,
S. XVII f.
2) Pertz, Leben des Freiherrn von Stein V, S. 466 ff.
14 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
des Mönches Nikolaus von Siegen unter die Mitarbeiter des
Archivs der Gesellschaft einreihte.1)
Seit 1823 stand Johann Friedrich Böhmer2) in Beziehung
zum Freiherrn von Stein; er wurde Direktor des Unternehmens
neben Pertz, mit dem ihn vierzig Jahre lang eine achtungs-
volle Wertschätzung verband, die sich freilich von der anfäng-
lichen Freundschaft weit und weiter entfernte.3) Der kühle
Norddeutsche war ein Mann nüchterner Tätigkeit, der Südwest-
deutsche trat romantischer Neigungen voll an die Erforschung
der Vergangenheit heran. Rückert stand ihm nahe, für Cle-
mens Brentano hegte er die innigste Neigung, mit Görres,
mit dessen Familie, wie dem Münchener Kreise der Gleich-
gesinnten verband ihn eine lebenslange Freundschaft und in-
mitten der trockenen Regesten arbeiten pflegte er seinen Emp-
findungen dichterischen Ausdruck zu leihen. So dürftig und
lückenhaft uns die ersten tastenden Versuche heute anmuten,
in ihrer späteren Neubearbeitung sind seine Regesta Imperii,
die ja in manchen ihrer Teile freilich auch jetzt wieder eine
vervollständigende Umarbeitung erheischen, zu einer Grundlage
der Erforschung mittelalterlicher Reichsgeschichte geworden.
Man weiß, wie Böhmer über das eigene Dasein hinaus der
Fortführung seines Lebenswerkes reiche Mittel zur Verfügung
gestellt hat, und so ist es freilich gekommen, daß manchen
Abschnitten in der veränderten Gestalt nicht wenig von dem
widerspruchsvollen Wesen des ursprünglichen Schöpfers an-
haftet, ja, dieses ist durch die sachlich polemischen Zusätze
seiner Nachfolger Ficker und Winkelmann hinsichtlich der Zeit
Friedrichs IL und der staufischen Epigonen noch stärker be-
tont worden. Der glühend dem Katholizismus anhangende
!) Bd. V, S. 554 f. Die Abhandlung, 1820 geschrieben, wurde 1824
veröffentlicht.
2) Über ihn neben dem kurzen Abriß Wattenbachs in der Allge-
meinen Deutschen Bibliographie III, 36 ff. Joh. Janssen, Johann Fried-
rich Böhmers Leben, Briefe und kleinere Schriften. Freiburg i. B. 1868.
3) Siehe den Brief aus Böhmers Todesjahr 1863 bei Janssen 111,
S. 408 f.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 15
Protestant, der sich dennoch nie zum Übertritt entschließen
mochte, der dichterisch Veranlagte, der sich seufzend den ihm
von Brentano angehängten Namen eines Urkundius Regestus
zu eieren machte, der romantische Schwärmer für die Kaiser-
herrlichkeit, der sich bei wachsender Erkenntnis durch die
deutsche geschichtliche Vergangenheit tief enttäuscht fühlte,
suchte sich in eine hemmungslose Bewunderung der mittel-
alterlichen Kirche, in eine unbedingte Parteinahme für sie zu
retten, die seinem sonst bewährten kritischen Scharfblick
Schranken setzte, die seinen Urteilen die Färbung verlieh.
Bei alledem war er eine durch und durch lautere Natur und
mit Recht lehnte sein jüngerer Freund Julius Ficker die ver-
unglimpfende Meinung ab, Böhmer habe sich reaktionären,
„restaurierenden", Strömungen dienstbar erweisen wollen.1) Es
waren vielmehr die inneren Gegensätze des Mannes, von denen
sein Werk die Spur trägt.
Als Böhmer 1831 in einem dünnen Quartbande2) die „Ur-
kunden der römischen Könige und Kaiser Konrad I. bis Hein-
rich VII. 911 — 1313" zuerst veröffentlichte, gab ihnen Rückert
ein an das deutsche Volk gerichtetes Sonett als Geleitwort auf
den Weg, darin es hieß:
Was irgend noch an alter Geisteshabe,
Die Du gewannst durch mehr als ein Jahrhundert,
Sich finden mag, zusammen wirds gelesen
Und aufgespeichert, daß, wenn einst im Grabe
Du selber ruhst, die Folgezeit verwundert
Erkenne draus, wie reich Du bist gewesen.
Daß solche Totenklage unangebracht, daß Deutschland zu
neuer Machtentwicklung fähig sei, freilich auf durchaus an-
deren WTegen, als sie den klagenden Träumern vorschwebten,
dies entzog sich dem Verständnis Böhmers wie seiner Gesinnungs-
genossen. Selbst die Zerrissenheit und Ohnmacht schien ihnen
!) Regesta Imperii 1198-1272. Innsbruck 1881 p. XII.
2) 284 Seiten. Jetzt zählt der Band V (1198 — 1272) allein 2424
Seiten.
16 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
erträglicher, als ein etwaiges Vorwalten Preußens in einem
geeinten Deutschland. Zwar stand Böhmer der deutschen Klein-
staaterei mit tiefer Abneigung gegenüber, aber eine noch
tiefere hegte er gegen den emporstrebenden nordischen Groß-
staat, den er kaum als einen deutschen anerkannte. Daß ein
so nüchterner Vorgang wie das Entstehen der Zollvereini-
gungen Vorläufer einer Neugestaltung sein könne, dies lag
außerhalb des Gedankenkreises der romantisch gewandten Männer,
die tatunkräftig um Dahingesunkenes klagten. Böhmer dichtete
von einem künftigen Kaiser, dem Mehrer des Reiches, zu Rom
gekrönt, den wolle er als weltliches Haupt der Christenheit,
ihn wolle er als Herrn begrüßen.1) Seinem Widerwillen gegen
Preußen machte er in anderen Versen Luft, gegen das Land,
wo man noch zu Triglav betete, als schon der Kölner Dom
entstand, und die Zugehörigkeit der Rheinlande zu dem ver-
haßten Staat bekämpfte er als eine Fremdherrschaft.2) Ganz
mangelte es in dieser Geisteswelt an der Erkenntnis der harten
Wahrheit, daß ein Deutschland nur bestehen könne, wenn es
fähig sei, in Wehr und Waffen den von allen Seiten drohen-
den Feinden zu begegnen, daß man nicht mit Träumen, Wün-
schen, Liedern, sondern nur durch Entschlußfähigkeit und stete
Bereitschaft ein Reich in der Mitte des Erdteils wTiedererschaffen
und erhalten könne. Und gleichwohl waren es die von jenen
Kreisen ausgehenden Stimmungen, durch die während langer
Zeit die Sehnsucht nach Kaiser und Reich ihre besondere
Färbung empfangen hat, dennoch waren es jene Kreise, die
neben Forschern wie den Brüdern Grimm den Gedanken an
Deutschland wach erhielten.
Inmitten des brausenden Überschwanges und der Wirr-
nisse des Jahres 1848 trat der Gegensatz der vorwärts blicken-
den realpolitischen Auffassung zu der von der Vergangenheit
erfüllten Traumwelt mit großer Schärfe hervor, ja die Krisis
der Einheitsbestrebungen wurde zuletzt durch den Zusammen-
l) Das Gedicht gedruckt bei Janssen I, S. 205 f.
z) Ebendort S. 203.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 17
prall dieser Gegensätze herbeigeführt. Daß auf dem Thron
des völlig unromantischen Preußen ein Romantiker saß, war
für die Ablehnung der ihm von der konstituierenden National-
versammlung dargebotenen erblichen Kaiserwürde in stärkerem
Maße entscheidend, als der sachlich bedeutsame Umstand, daß
nur eine sehr knappe und sehr mühsam erreichte Mehrheit
Friedrich Wilhelm IV. zum Reichsoberhaupt gewählt hatte.1)
Während der klarer denkende, weniger kompliziert empfindende
Prinz Wilhelm nicht lange zuvor dem auf die Übernahme der
Krone durch den König von Preußen zugeschnittenen Dahl-
mannschen Verfassungsentwurf seinen Beifall zollte,2) wünschte
der König die Krone keinenfalls durch Beschluß des aus der
Revolution hervorgegangenen Frankfurter Parlaments, sondern
höchstens etwa aus der Hand der Fürsten zu empfangen. Zwar
hatte er von einer Wiederherstellung des alten Reiches schon
seit der Jugendzeit geschwärmt, aber auch ihm war dieses
nicht das der Sachsen, Salier und Staufer, sondern durchaus
das der späteren Habsburger, wobei die verjährten Formen
stärker zu seiner Phantasie sprachen, als sein Verstand die
politischen Möglichkeiten, die Wirklichkeit der Verhältnisse
durchdrang. Einem Kaiser aus dem Hause Habsburg hätte er
wohl selbst gern als brandenburgischer Kurfürst und Käm-
merer des heiligen römischen Reiches gedient3) oder er hätte
ehrfurchtsvoll aus dessen Händen die Würde eines Erzfeld-
herrn des Reiches empfangen,4) wobei er sich wahrscheinlich
einen gelegentlich von Joseph Görres geäußerten Gedanken zu
eigen machte. In seinen jüngeren Mannesjahren hatten die auch
in den Männern seines Vertrauens lebendigen Vorstellungen
Hallers, hatte dessen „Restauration der Staatswissenschaften "
auf ihn den stärksten Einfluß geübt5) und zuletzt gestaltete
a) 290 Stimmen bei 248 Stimmenthaltungen.
2) Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm 1.
Bd. I4, S. 162 f.
3) Treitschke, Deutsche Geschichte III, S. 122.
4) Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat. München 1908, S. 258.
5) Robert Prutz, Zehn Jahre Geschichte der neuesten Zeit 1840 bis
Sit/.gsb. (1. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 5. Abb. 2
5. Abhandlung: Robert Davidsohn
s
sicli aus seinen altertümelnden Ansichten die Meinung, zum
„römischen Kaiser", zum „Ehrenhaupt teutscher Nation" tauge
überhaupt nur der Herrscher Österreichs.1)
Blieben infolge dieser Ablehnung die Beratungen der
Paulskirche ergebnislos, so kann aus dem Studium der 13772
Spalten umfassenden Berichte nicht nur der Forscher, sondern
selbst der Politiker mannigfache Einsicht gewinnen. Wo neben
vergessenen, lärmend auftretenden Tagesgrößen die stärksten
Persönlichkeiten, die besten Köpfe Großdeutschlands versammelt
waren, mußte eine angestaute Fülle kluger Gedanken zutage
treten. Aus dem früheren nebelhaften Einheitssehnen hatten
sich vier einander bekämpfende Richtungen gestaltet.2) Die
eine Gruppe wünschte ein erbliches, unverantwortliches Kaiser-
tum, die andere ein unverantwortliches Wahlkaisertum, die
dritte ein aus mehreren Fürsten bestehendes Reichsdirektorium,
die vierte, republikanische, einen verantwortlichen, auf Zeit
gewählten Präsidenten. Die Sehnsucht nach einer Wieder-
belebung des alten Reiches scheint allein noch bei den Zuge-
hörigen des Görres-Böhmerschen Freundeskreises lebendig ge-
wesen zu sein und auch bei ihnen trat sie weniger in positivem
Sinne hervor, als in der scharfen, höhnenden Ablehnung der
erbkaiserlichen Würde für das Haus Hohenzollern. In an sich
durchaus klugen Worten äußerte sich der kurz vor den Stürmen
der Revolution seines Amtes entsetzte Münchener Kanonist,
Germanist und Rechtshistoriker englischer Abkunft George
Philips:3) die Grundlagen, auf denen das Kaisertum beruhte,
1850. Leipzig 1850 I, S. 179 f. — Petersdorff, König Friedrich Wilhelm IV.
Stuttgart 1900, S. 4; 18. — Alfred Stern, Geschichte Europas seit den
Verträgen von 1815 II, S. 385. — Vor allem das Kapitel „Haller und der
Kreis Friedrich Wilhelms IV." bei Meinecke a. a. 0., S. 210—264.
') Brief an den Prinzgemahl Albert, Sybel a. a. 0., S. 163 f.
2) Rede des Abgeordneten Hagen (Heidelberg) vom 17. Januar 1849,
Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der konstituierenden
Nationalversammlung zu Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. 1848—49: VI,
S. 4712.
3) Böhmer wollte Philips zu seinem Nachlaßverwalter ausersehen.
Siehe den Entwurf zu den Statuten der katholischen Gesellschaft für
geschichtliche Studien (1855). Janssen a. a. 0. I, 420.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 19
seien zerstört, neue müßten erst geschaffen werden, die aber,
die man jetzt zu legen vermöge, seien nicht stark genug es
zu tragen. Er verlangte ein Reichsdirektorium, trat gegen
den Ausschluß Österreichs wie gegen die preußische Spitze
ein und endete mit den Worten: das Kaisertum der Peters-
kirche habe 1006 Jahre bestanden, ein solches der Paulskirche
würde kaum sechs Monate dauern.1)
In ähnlichem Sinne sprach sich der eigenartige Mann aus,
dessen Bild hier auf uns niedersieht, Ernst v. Lasaulx, den
man den Romantiker der klassischen Philologie genannt hat.
Er feierte den Gedanken einer Wiederherstellung von Kaiser
und Reich als eine Erinnerung, wert die Phantasie zu erfüllen,
wert auch, daß einer in männlichen Jahren, in denen die Pfade
des Lebens schattiger werden, sich an ihm erwärme. Doch
werde nach den Gesetzen der Geschichte einmal Gestorbenes
nicht mehr lebendig. „Möglich", sagte er, „daß die Zukunft
ein neudeutsches Kaiserreich mit der Hauptstadt Berlin sehen
wird, wie das alte, echte Rom eine Fortsetzung in Konstanti-
nopel' gefunden hat." „Dort herrschte bekanntlich sehr viele
klassische Erudition, die feinste Hoftheologie, Hofphilosophie."
„Aber ich glaube, daß Bildung und Wissenschaft nichts Leben
Produzierendes, sondern Leben Konsumierendes, verbrauchtes,
ausgeisterndes Leben sei." In Preußen herrsche Avohl mehr
humanistische Bildung als in Osterreich, aber wenn es zu
handeln und ein kernhaftes Wort zu sprechen gelte, dann
stünden die Männer in Wien nicht zurück hinter denen in
Berlin. Solle einmal ein neudeutscher Kaiser sein, dann würde
er den von Osterreich dem König von Preußen vorziehen, nicht
nur der historischen Kontinuität wegen, sondern weil in Oster-
reich mehr entwicklungsfähige urwüchsige Manneskraft sei als
*) 18. Januar 1849. Bd. VI des Berichtes S. 4724. Später trat Phi-
lips mit der Meinung hervor, der Papst werde sich früher oder später
einen neuen Kaiser schaffen, wie Philips sich ausdrückte: „er werde sich
nach einem höchsten Schutzherrn umsehen." Vermischte Schriften (von
1853). Wien 1856 II, S. 470: „Was ist Kaiserthum?"
'_!<• 5. Abhandlung: Etoberl Davidsohn
in Preußen, das weiter vorgeschritten wäre auf der Bahn des
Lebens zum Tode.1)
Im ganzen tauchte in der Paulskirche die Erinnerung an
das Reich der Vergangenheit sehr selten auf, und zu der Hin-
neigung jener wenigen stand die radikale Gruppe in schneiden-
dem Gegensatz. Von Beginn an war diese bemüht, den von
Deutschland fortstrebenden Stämmen ihre Sympathie zu be-
zeugen, neben den Polen zumal den gegen Osterreich in Krieg
und Aufstand befindlichen Italienern, und auch dies war mittel-
bar ein Kampf gegen den Gedanken des alten Imperiums.
Schon in der vierten Sitzung des Parlaments2) verlangte der
auf Grund persönlicher Initiative Friedrich Wilhelms IV. ge-
maßregelte3) Berliner Privatdozent der Geschichte Nauwerck,
da Deutschland gegen Italien eine vielhundertjährige4) Schuld
zu sühnen habe, solle die Nationalversammlung von Osterreich
die Einstellung des ungerechten Krieges wider das lombardisch-
venetianische Land verlangen. Dagegen forderte Vischer von
Tübingen, zwar möge die Unabhängigkeit der italienischen
Nationalität nicht unterdrückt werden, aber es seien Bündes-
truppen an die Grenzen Tirols zu entsenden, da der Krieg
durch deren Überschreitung zu einer deutschen Angelegenheit
geworden sei.5) Einen Monat später6) trat Venedey von Köln
für „die heiligen und unveräußerlichen Rechte der italienischen
Nation" ein und er befand sich in Übereinstimmung mit den
Abgeordneten Trients und Roveretos, die eine Trennung dieser
Bezirke von Tirol und ihre nationale Unabhängigkeit bean-
spruchten.7) Berichterstatter des Ausschusses war Friedrich
v. Raumer, und nach leidenschaftlicher Debatte machte die
Versammlung den in der Vorberatung gefaßten Entscheid zu
») Stenographischer Bericht VI, S. 4774.
2) 23. Mai 1848.
3) Tieitschke a. a. 0. V, S. 233.
4) Im Druck des stenographischen Berichtes: vierhundertjährigen.
5j Sitzung vom 8. Juli 1848. Bd. II, S. 806.
6) 4. August 1848.
7) Sitzung vom 12. August 1848. Bd. II, S. 1546 ff.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 21
dem ihren, daß eine solche Loslösung vom Deutschen Reich
nicht stattfinden könne.1)
Vom Standpunkte des praktischen Staatsmannes aus sprach
General v. Radowitz, der Freund des preußischen Königs, über
die italienische Frage: ohne Venedig und die Küsten seien
Triest und das dalmatische Litoral nicht auf die Dauer zu
halten. Damit ginge das Adriatische Meer, also jede Verbin-
dung mit dem Mittelmeer verloren, die eine der beiden Puls-
adern von Deutschlands maritimer und kommerzieller Existenz
bilden. „Ist Oberitalien von Osterreich getrennt, dann be-
ginnt die Verteidigung unserer Südgrenze an der oberen Etsch
und am Tagliamento statt am Tessin. Die erste dieser Linien
führt nach Tirol und Bayern, die andere ins Herz von Öster-
reich." Oberitalien werde in dem Augenblick, in dem es sich
von Deutschland trenne, in die Hegemonie Frankreichs, Unter-
italien in die Hegemonie Englands verfallen. Er meinte, das
Gebiet bis zum Mincio solle bei Osterreich bleiben, doch als
Glied eines italienischen Bundes, und Österreich solle dies Land
durch bestimmte Verträge in nähere Beziehung zu Deutsch-
land setzen.2)
Inmitten der tiefen Ermüdung, die auf das Sturmjahr 1848
folgte, wurde die Aufmerksamkeit wieder von der unbefriedi-
genden Gegenwart zur reicheren Vergangenheit hingelenkt.
Seit mehr als einem halben Jahrhundert hat niemand auf die
Vorstellungen vom deutschen Mittelalter in höherem Maße
gewirkt als Wilhelm Giesebrecht vermittels seiner Geschichte
der deutschen Kaiserzeit, deren erster Band 1855 erschien.
Seine Verdienste als Forscher wie als Künstler der Darstellung
hat Herr Riezler 1891 in einer schönen Gedächtnisrede ge-
würdigt. Als Sekretär unserer historischen Klasse hat Giese-
') Nauwerck hatte Räumer den Vorwurf gemacht, er sei nicht auf
die geschichtliche Entwicklung eingegangen, wie sich dies für ihn ge-
ziemt hätte, worauf Raumer erwiderte, durch einen Auszug aus seinem
Werk über die Hohenstaufen würde er die Versammlung wohl nur ge-
langweilt haben.
2) Stenographischer Bericht II, S. 156G.
22 5. Abhandlung: Robort Davidsohn
brecht ein Vierteljahrhundert lang deren Verhandlungen ge-
leitet, als Mitglied der historischen Kommission wirkte er auf
die Jahrbücher des Deutschen Reiches,1) doch am stärksten
kommt der Einfluß in Betracht, den er auf die Geschichts-
auffassungen der breiteren Öffentlichkeit geübt hat, denn seine
„Kaiserzeit" vertritt auf den Bücherborden deutscher Häuser
oft genug als einziges Werk das auf die Geschichte des Mittel-
alters bezügliche Schrifttum.
Es läßt sich beobachten, daß in neueren Zeiten von den
großen Krisen der italienischen Verhältnisse stets eine wesent-
liehe Belebung des Interesses für die deutsche Reichsgeschichte
ausgegangen ist. In der Tat, die Fernwirkung der Reichsmacht
läßt sich nur von Italien aus mit Klarheit übersehen, wie
andererseits wichtige, auf Italien bezügliche Probleme, lebendige
Zusammenhänge mit der Vergangenheit, fortwirkende Gegen-
sätze nur durch tieferes Eindringen in die mittelalterlichen
Beziehungen Italiens zu Deutschland erfaßt werden können.
Giesebrecht hatte an der Wende seiner Zwanziger zu den
Dreißigern durch einen längeren Aufenthalt jenseits der Alpen
starke Eindrücke empfangen und das kirchliche Wesen hatte
auf die Phantasie des protestantischen, dichterisch beanlagten
Berliners tief gewirkt, obwohl er solches Empfinden keines-
wegs Herr über seine Urteile betreffs des Verhältnisses der
Schlüsselgewalt zum Kaisertum werden ließ. Die Gesamtgesin-
nung, die durch sein Werk weithin verbreitet wurde, könnte
man wohl als eine neughibellinische bezeichnen. Er war 1848
in der eben gegründeten Kreuzzeitung energisch für Behaup-
tung der habsburgischen Herrschaft in Oberitalien hervorge-
l) Die naheliegende Annahme, das Erscheinen des ersten Bandes
der „ Kaiserzeit " habe etwa König Max mitbestimmend beeinflufät, als
er 1858 die Aufgaben der Historischen Kommission dahin erweiterte,
daß diese fortan „zur Auffindung und Herausgabe wertvollen Quellen-
materials für die deutsche Geschichte in deren ganzem Umfang" be-
stimmt sein sollte, findet (nach freundlicher Mitteilung des Hrn. Studien-
rates Prof. Sebastian Röckl, der seit Jahren den Beziehungen des Königs
zur Wissenschaft eingehende Forschungen widmet) durch das vorhandene
Brief- und Aktenmaterial keine Bestätigung.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 23
treten, die Aufgabe selbst eines Fußbreit von dem, was Öster-
reich in Italien nach altem Recht besitze, erschien ihm als
ein untilgbarer Flecken auf Deutschlands Ehre.1) War Giese-
brecht hierin eines Sinnes mit den Romantikern, berührten
sich die in seiner „Kaiserzeit" vertretenen Auffassungen mannig-
fach mit den ihren, so war der norddeutsche Historiker doch
von ganz anderer Sehnsucht erfüllt als sie, und sein Werk
fand nur in sehr eingeschränktem Sinn die Zustimmung der
Männer jener Richtung. Er stand zu Böhmer in freundlichen
Beziehungen, aber der Frankfurter Gelehrte nahm den ersten
Band der „ Kaiserzeit " mit achtungsvoller Kühle auf, er fand
an ihr höchstens zu loben, ihr wohlwollender, ja weicher Ver-
fasser „sei gewiß nie mit Absicht gegen den katholischen
Standpunkt ungerecht."2)
Schwebte den Romantikern das Ideal eines von den Für-
sten gekürten, durch die Kirche geweihten Kaisers vor, eines
Schützers der Bedrängten, der zwar weltliches Haupt der
Christenheit, aber dem Stellvertreter Gottes auf Erden unter-
geordnet sein sollte, so waren die Wünsche des Preußen Giese-
brecht völlig anders geartet. Wie es oft geschieht, so erhielt
auch bei ihm die Darstellung der Vergangenheit ihre Färbung
durch Gegenwartswünsche und Zukunftshoffnungen. In einer
Zeit der Schwäche ersehnte er die Wiederbelebung einer starken,
kriegstüchtigen Reichsmacht; sein Blick war auf die Hohen-
zollern gerichtet, und er eignete sein Werk Friedrich Wil-
helm IV. zu. Ihn erfüllte ein romantisch" angeschautes Macht-
ideal; er wollte nach seinen eigenen Worten die christlich-
heroischen Tugenden der Vorfahren feiern und die Zeit schil-
dern, da das deutsche Volk, durch Einheit stark, zu seiner
höchsten Machtentfaltung gedieh, wo es nicht allein frei über
sein eigenes Schicksal verfügte, sondern auch anderen Völkern
1) Neue Preußische Zeitung vom 15. September 1848. Hier nach
Riezler, Gedächtnisrede S. 55, Anm. 35.
2) Brief an Hurter in Schaffhausen vom 24. März 1860, Janssen
a. a. 0. III, S. 325; an Aschbach in Wien (8. April 1856), S. 183; an
Köpke in Berlin (17. Februar 1860), S. 319. -- Vgl. ferner Janssen I, S. 256.
S
- I 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
!"> '
gebot, wo der deutsche Mann am meisten in der Welt galt
und der deutsche Name den vollsten Klang hatte.1) Nach
dem Entstehen des neuen Reiches (1873) sprach er es aus,
man verstehe in der gewandelten Zeit kaum mehr die heiße
Sehnsucht nach einem großen mächtigen Deutschland, aus der
sein Werk geboren sei.2) So stellte sich ihm das Wirken der
Kaiser in verklärendem Lichte dar, aber wie den Romantikern
sein Eintreten für die Herrscher des Reiches, auch da, wo
diese im Widerstreit mit der Kirche standen, so mißfiel den
Vertretern des nationalstaatlichen Gedankens seine Begeisterung
für die Universalität des alten Reiches, zumal für dessen Herr-
schaft über Italien, wobei wir uns daran erinnern müssen,
daß sie in dem Einigungskampf der Italiener das Vorspiel
dessen sahen, den sie für Deutschland erhofften.
Heinrich v. Sybel sagte den Auffassungen Giesebrechts,
der bald darauf sein Nachfolger werden sollte, in der am
28. November 1859 gehaltenen Festrede der Münchener Aka-
demie „Über die neueren Darstellungen der deutschen Kaiser-
zeit" Fehde an. Selten hat eine Akademierede ähnliches Auf-
sehen erregt und so nachhaltig gewirkt, wie diese. Die letzte
mir bekannt gewordene Erörterung der durch sie angeregten
tiefgreifenden Polemik ist von 1914,3) die letzte kürzere Er-
wähnung in der historischen Literatur von 1916.4) Jeder
Hörer, jeder Leser mußte damals fühlen, daß aus der wissen-
schaftlichen Erörterung der heiße Atem des Tageskampfes
wehte, daß es sich um Gegensätze nicht der gelehrten Auf-
fassung, sondern der politischen Gesinnung handelte, die letzter-
hand zum Austrage nicht mit Worten in den Hallen der
Wissenschaft, sondern mit Waffen auf den Schlachtfeldern
1) Vorrede zur ersten Auflage (4. August 1855).
2) Vorrede zur vierten Auflage.
3) G. v. Below, Der deutsche Staat des Mittelalters, Leipzig 1914»
gibt S. 353, Anm. 6, einen Überblick über die umfangreiche durch Sybels
Ausführungen unmittelbar und mittelbar hervorgerufene Literatur.
4) H. Finke, Weltinvperialismus und nationale Regungen im späteren
Mittelalter. Freiburg i. B. und Leipzig 1916, S. 46.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 25
drängten. Sybel meinte: wäre das Kaisertum das echte Organ
der nationalen Interessen gewesen, so hätte man die Verherr-
lichung durch Giesebrecht begreifen können, er aber bekenne
sich bei aller Bewunderung einzelner Herrscher zu entgegen-
gesetzter Ansicht. Ihm erschien Heinrich I. als Ideal, „der
Stern reinsten Lichtes an dem weiten Firmament unserer Ver-
gangenheit", der erste König der Deutschen, während seinem
Sohne Otto I. die Heimat zu enge wurde, so daß er nach der
Herrschaft Italiens strebte. Durch ihn, wie zuvor durch Karl
den Großen, habe das Kaisertum eine mystische Färbung und
einen theokratischen Charakter erhalten. Sybel versagte sich
nicht den Hinweis, daß auch für die Zukunft ein nationales
deutsches Kaisertum anzustreben sei, nicht eines, das ein sol-
datisches Papsttum darstelle und eine chimärische Weltunter-
jochung zum Ziele habe.
Es war kein Zufall, daß ein anderer als Giesebrecht den
Fehdehandschuh aufhob, denn die Schwäche des Angegriffenen
bestand in dem inneren Widerspruch, daß er durch Mittel
der Romantik für die Einigung Deutschlands unter Führung
Preußens zu wirken suchte. Statt seiner nahm Julius Ficker
in Innsbruck das Wort, um den Kampf aus seiner einheit-
licheren großdeutschen Auffassung heraus zu führen. Der an
die tirolische Landeshochschule berufene westfälische Katholik
hatte von den Anfängen seines wissenschaftlichen Lebens an
in naher Beziehung zu Böhmer und in politischer Gesinnungs-
gemeinschaft mit ihm gestanden. Eine erste Schrift „Das
deutsche Kaiserreich in seinen universalen und nationalen Be-
ziehungen", aus Vorträgen im Innsbrucker Ferdinandeum her-
vorgegangen,1) war in ihrem einleitenden Teile bereits abge-
schlossen, als Ficker von der Münchener Rede Kenntnis er-
hielt,2) aber sie wandte sich ihrem ganzen Inhalte nach gegen
die von Sybel verfochtenen Auffassungen. Ficker suchte nach-
zuweisen, die Ausdehnung der Reichsherrschaft über Italien,
*) Innsbruck 1861.
2) Dies teilt Ficker in der Vorrede mit.
"" 5- Abhandlung: Robert Davidsohn
Burgund, Lothringen habe das nationale Staatswesen nicht
beeinträchtigt, vielmehr habe erst die Einbuße an äußerer
Machtstellung dessen Zerrüttung herbeigeführt. Das eigentlich
störende Moment sei der Erwerb des sizilischen Königreiches
gewesen; dieser habe den Fall des Reiches, das ganze Elend
unserer Geschichte verschuldet.1) Auf die Verhältnisse der
eigenen Zeit übergehend ließ sich Ficker mit Entschiedenheit
gegen die „preußische Sonderpolitik" vernehmen, und wenn
man den Kern seiner Meinungen aus der Hülle vorsichtiger
Ausdrucksweise herausschält, so tritt er für ein neues Reich
unter österreichischer Führung ein, für ein Deutschland „unter
dem Schirm einer noch immer vorhandenen, nur genügender
zu sichernden, in der Weise des alten Kaiserreiches über die
nationalen Grenzen hinausgreifenden äußeren Machtstellung",
nicht für einen deutschen Nationalstaat, sondern für ein Im-
perium.
Sybel sprach sich in einer weiteren Schrift „Die deutsche
Nation und das Kaiserreich"2) von neuem dahin aus, die Ge-
schichtschreibung der Kaiserzeit lasse „betreffs der geistigen
Ergreifung und Verarbeitung des Stoffes nach politischen und
sittlichen Prinzipien" vieles zu wünschen übrig. So leiden-
schaftlich wurde der Streit geführt, daß keiner der daran Teil-
nehmenden sich und andere daran erinnerte, daß die Aufgabe
geschichtlicher Darstellung in einem reinen Sinne nur gelöst
werden kann, wenn nicht dieses oder jenes politische Prinzip,
sondern nur wenn das Streben nach Sachlichkeit und Wahr-
heit den Leitstern bildet.
Die Annahme der imperatorischen Würde durch Karl den
Großen erschien Sybel, wie er sich in starker Übertreibung
ausdrückte, als „die Verwandlung des nationalen fränkischen
Königtums in ein kirchlich kostümiertes Kaisertum". Im Gegen-
satz zu allgemein herrschenden Auffassungen bekannte er sich
zu der Meinung, Herzog Ludolf und Heinrich der Löwe hätten
») S. 103.
2) Die deutsche Nation und das Kaiserreich. Eine historisch-politi-
sche Abhandlung. Düsseldorf 1862.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 27
in viel höherem Maße den nationalen Bedürfnissen entsprochen
als die Mehrheit der Kaiser. Wer für Deutschlands Größe
und Einheit Begeisterung hege, der höre nicht gern einen
Tadel gegen die Imperatoren, mit denen Deutschlands Einheit
und Größe zugrunde ging, besser aber sei es, das Richtige zu
erkennen, als unklar für die Vergangenheit zu schwärmen.
Offen gestand er, ihm handle es sich weniger um das alte
Reich als darum, daß die ungünstigen Urteile über dieses zu-
gleich das Osterreich von 1862 träfen, da es im wesentlichen die-
selben Tendenzen verkörpere. Das Wirken der Kaiser stellt er
als ein für Deutschland verhängnisvolles dar, die Kaiserzeit habe
mit völligem Bankerott geendet, die leitenden Fürsten hätten
die Krone um bare Vorteile ausgeboten, und die Reformbestre-
bungen an der Wende des 15. zum 16. Jahrhundert seien an
den Kämpfen Maximilians gescheitert. Die Nationalpartei, zu
der er sich bekannte, stünde auf historischem Boden, wenn sie
behaupte, Osterreich sei nach Herkommen und Beschaffenheit
nicht geeignet, mit den übrigen deutschen Staaten zu einer
Reichsverfassung zusammenzutreten, doch könne ein Verhältnis,
das vier Jahrhunderte lang gedauert habe, auch nicht willkür-
lich zerrissen werden. Deutschland, kräftig organisiert, solle im
Bunde mit Osterreich zu gemeinsamer Verteidigung nach außen
stehen, die wechselseitigen Handels- und Kulturbeziehungen
müßten die größte Steigerung erfahren, als erster Grundsatz
der deutschen auswärtigen Politik habe die unauflösliche Al-
lianz mit Osterreich zu gelten. So weitblickend war das Pro-
gramm, das der Politiker Sybel vor 55 Jahren aufstellte.
Fickers Duplik1) erwies, daß der tiefgründige Kenner der
mittelalterlichen italienischen Reichs- und Rechtsgeschichte in
wissenschaftlicher Hinsicht, in der Beherrschung des Tatsäch-
lichen Sybel bei weitem überlegen war. Auch hatte er die
Druckbogen Böhmer zugesandt, um vor der Veröffentlichung
dessen Rat und Meinung einzuholen. Freilich fand der Frank-
furter Gelehrte einem Dritten gegenüber Worte der Kritik
!) Deutches Königthum und Kaiserthum. Innsbruck 1862.
28 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
gegen Fickers juristisch verklausulierten Stil,1) und dieses Ur-
teil war doppelt berechtigt, da es sich um eine für weitere
Kreise bestimmte Streitschrift handelte. Daneben aber war es
übel angebracht, daß Böhmer von Sybel in einem Tone der
Verachtung sprach,2) der zugleich beweist, wie geringes Ver-
ständnis er für die politischen Leidenschaften hegte, von denen
jene Diskussion beherrscht wurde, wie er in ihr mehr eine
gelehrte Auseinandersetzung zweier erbitterter Antiquare sah,
als den Kampf widerstrebender Auffassungen, bei dem nur
der Form nach um die Vergangenheit, in Wahrheit aber um
die Zukunft Deutschlands gestritten wurde.
Ficker vertrat die unhaltbare Ansicht, der Investiturstreit
habe die Reichsmacht nicht dauernd erschüttert, die durch ihn
verursachten Schäden seien rasch wieder geheilt. Zuvor sei
das Übergewicht durchaus auf Seiten des Kaisertums gewesen,
während Sybel ein Zerrbild der Wirklichkeit, zumal auch von
der Zeit der ersten Staufer entwerfe. Die Zerrüttung im
13. Jahrhundert gibt auch der Innsbrucker Gelehrte zu, aber
den Wendepunkt bezeichne eben das Jahr 1198, als der un-
mündige Erbe Heinrichs VI. sich, von der deutschen Krone
ferngehalten, auf sein sizilisches Erbreich beschränkt sah.3)
Nach Ficker wäre es erwünscht gewesen, daß Friedrich IL,
als er die kaiserliche Würde empfangen, auf Neapel- Sizilien
verzichtet hätte. Seine Worte enthalten unausgesprochen den
Gedanken, der Konflikt mit den Päpsten, das sich aus ihm
ergebende tragische Schicksal des schwäbischen Hauses wären
*) Brief an J. E. Kopp in Luzern, Janssen, a. a. 0. III, S. 361.
(Mitte März 1862.)
2) A. a. 0. und am 16. März 1862 in seinem Schreiben an Ficker.
Ebendort S. 383 f.
3) G. v. Below hat in dem erwähnten Werke S. 356 darauf hinge-
wiesen, wie die Grundauffassungen Fickers in Deutschland wohl vielfach
durch seinen Schüler (und Verwandten) Schefl'er-Boichorst Verbreitung
gefunden hätten, der seinerseits (in Straßburg und Berlin) der Lehrer
zahlreicher Historiker wurde. Ficker ist auf den Streit mit Sybel 1868
nochmals in der Vorrede seiner „ Forschungen zur Reichs- und Rechts-
geschichte Italiens* S. XV — XIX eingegangen.
l>i^ Vorstellungen vom alten Reich usw. -•'
vermieden worden, hätte man der Kirche den Willen getan,
hätte man ihr kampflos den Sieg eingeräumt.
Demgegenüber wäre vor allem die Frage aufzuwerfen, ob
die sizilische Ehe Heinrichs VI. lediglich aus Sucht nach
Machterweiterung geplant wurde, ob sie in der Tat nur als
ein Schachzug staufischer Hauspolitik aufzufassen sei. Gewiß
werden Antriebe dieser Art mitbestimmend gewirkt haben, aber
waren nicht bereits Otto L, Otto IL, auch Otto III., als der
Tod ihn überraschte, Heinrich IL, Lothar — worauf schon
Waitz in diesem Zusammenhang hinwies l) — von dem Streben
geleitet gewesen, Süditalien zu unterwerfen? Lag hier nicht
vielmehr eine aus den Verhältnissen sich ergebende innere
Notwendigkeit vor, die Herrschaft des Reiches im Boden des
südlichen Landes fester zu verankern? Allerdings sollte durch
die Ehe Heinrichs mit der alternden Konstanze zugleich ein
Mittel gewonnen werden, die Kaiserkrone dem im Königreich
Sizilien herrschenden schwäbischen Hause zu sichern, aber vor
allem war Barbarossa durch seine Erfahrungen im Norden des
Landes darüber belehrt worden, daß Reichsitalien früher oder
später der Herrschergewalt völlig zu entgleiten drohe, wenn
es nicht durch Angliederung des sizilischen Königreiches ge-
sichert werde. Als nachmals der Sproß aus jener Ehe um
Thron und Reich zu ringen hatte, bot ihm ja in der Tat der
Besitz Unteritaliens allein die Möglichkeit, bis an sein Ende
auszuharren. Wer Herr von Gaeta, Neapel, Amalfi, von Bari
und Brindisi, Palermo und Messina war, übte auf die mächtigen
Seestädte, auf Venedig, Genua, Pisa, deren Handelsbeziehungen
sich zu beträchtlichem Teile dorthin richteten oder die jener
Häfen als Stützpunkte und Stapelplätze bedurften, eine ent-
scheidende Einwirkung. Von freundlichen oder gegnerischen
Beziehungen zu Genua wurde die politische Haltung Piacenzas,
von denen zu Genua und Pisa die von Lucca, Florenz, Siena,
von denen zu Venedig wiederum die der Romagna und der
Mark Ancona in wechselnden Kombinationen beeinflußt. Sollte
*) Göttingische Gelehrte Anzeigen 1862, S. 129.
30 5. Abhandlung: Roberi Davidsohn
demgemäß bei der sizilischen Ehe nur blinde Machtbegier und
nicht vielmehr klarste Einsicht in politische Notwendigkeiten
maßgebend gewesen sein? Aus der Tatsache der Reichsherr-
schaft über Italien ergab sich das Bestreben, diese zu einer
vollständigen zu machen. Die Verhältnisse entwickelten ihre
logischen Folgen aus sich selbst und in dem einzigen Punkte,
in dem die Widersacher, wenn auch aus völlig entgegengesetzten
Gründen, übereinstimmten, muß man beiden unrecht geben.
Wider den „eigentümlichen Idealismus" der Fickerschen
Auffassungen vom alten Reich wie gegen die Betrachtungsart
Sybels, „die nicht realistischer gedacht werden kann," wandte
sich Georg Waitz in einer Abhandlung der Göttingischen Ge-
lehrten Anzeigen.1) Er unterzog vorwiegend die wissenschaft-
liche Seite des Streites seiner Kritik, die Vermengung der
geschichtlichen Auseinandersetzung mit der Politik des Tages
berührte ihn peinlich. Er bekannte sich als Gegner der groß-
deutschen Auffassungen Fickers, aber er hielt mit Recht daran
fest, daß diese Fragen mit der Würdigung des alten Reiches
nichts zu tun hätten. Sehr im Gegensatz hierzu standen zwei
andere Schriften, die den Streit ganz und gar auf das Gebiet
der Tagespolitik hinüberzogen, die des ebenso geistvollen wie
einseitigen Onno Klopp: „Die gothaische Auffassung der deut-
schen Geschichte und der Nationalverein"2) und die des wei-
marischen ehemaligen Ministers 0. v. Wydenbrugk, der Mit-
glied des Parlaments der Paulskirche gewesen war: „Die deutsche
Nation und das Kaiserreich".3) Dieser, dessen Schrift in den
Kreisen der Großdeutschen lebhafte Teilnahme erregte,4) trat,
von der Betrachtung der Verhältnisse im alten Reich aus-
*) A. a. 0., S. 121 ff.
2) Der Titel (Hannover 1862) führt den Zusatz: Mit Beziehung auf
die Schrift des Herrn v. Sybel „Die deutsche Nation und das Kaiser-
thum". Es ist immerhin beachtenswert, daß der letztere Titel hierbei
ungenau angegeben wird.
3J München 1862. Mit dem Zusatz: „Eine Entgegnung auf die unter
demselben Titel erschienene Schrift des Herrn v. Sybel."
4) J. Jung, Julius Ficker (1826-1902). Ein Beitrag zur deutschen
Gelehrteiweschichte. Innsbruck 1907, S. 350.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. ;>1
gehend, für eine Bundesreform und die Schaffung einer deut-
schen Flottenmacht ein, über die Preußen im Norden, Öster-
reich im Süden den Befehl haben sollte, während zu Lande
die einheitliche Führung im Kriege derjenigen Macht zu über-
tragen wäre, die die größte Truppenzahl stelle. Klopp war
seinerseits ausschließlich bemüht, die österreichische Vere-ansren-
' C5 CT
heit zu verherrlichen, die preußische Politik anzugreifen, zumal
Friedrich den Großen als einen eroberungssüchtigen Tyrannen
herabzusetzen. Er betonte lebhaft die Lobsprüche, die Leibniz
einstmals dem Hause Habsburg gezollt hat. Sybel wirft er
vor, daß er, was Deutschland geleistet, als Werk der Nation
betrachte, für ihn (Klopp) sei es vielmehr die Leistung des
Kaisertums. Er trat im wesentlichen als Apologet der spä-
teren Herrscher des Reiches seit Karl V. auf, um dann zu
dem Ergebnis zu gelangen, ein Schutz- und Trutzbündnis
zwischen Österreich, Preußen und den anderen deutschen
Staaten sei wünschenswert, Venetien müsse als Vormauer
Deutschlands gegen Süden in österreichischem Besitz bleiben.
Der Streit zwischen Sybel und Ficker wirkte deshalb so
stark auf die Gemüter, weil hier zwei entgegengesetzte Grund-
richtungen deutschen Wesens aufeinanderprallten. Von der
einen Seite wurde die Anlehnung an ehrwürdige religiöse und
politische Traditionen vertreten und der Wunsch möglichst
viel von ihnen aus der Vergangenheit in die Zukunft hinüber-
zuretten, auf der entgegengesetzten stand der Anspruch schärf-
ster, zur Skepsis gesteigerter Kritik und das Streben nach
staatlicher Neugestaltung, die von jeder Rücksicht auf Dahin-
geschwundenes frei bleiben sollte. Über die Gefühlsart und
Gedankenwelt Fickers sind wir durch eine liebevolle Darstel-
lung seines Lebensganges unterrichtet.1) Sein Gegner, dem er
diese Polemik lebenslang nicht vergaß, war schon als Dokto-
rand mit der These hervorgetreten, der Historiker solle cum
ira et studio schreiben,2) woran Sybel es in dieser Erörterung
denn auch durchaus nicht hat fehlen lassen.
a) Siehe die vorige Anmerkung.
2) Bailleu in der Allg. Deutschen Biographie L1V, S. 647.
:l>- 5. Abhandlung: Robert Davidsobn
- '
Aul' den böhmischen Schlachtfeldern errang der nüchterne
kleindeutsche Gedanke den Sieg und auf denen Frankreichs
wurde das neue Reich geschmiedet, das dem alten nicht nur
unähnlich, sondern ihm mannigfach entgegengesetzt war. Weder
auf Bismarck noch auf Wilhelm I. übten die Vorstellungen vom
alten Imperium irgendeinen Zauber aus, nur etwa insofern zog
der gestaltende Staatsmann sie in Betracht, als er sich im
Gegensatz zu den rein preußischen Gedankengängen seines
Monarchen der Wirkungen bewußt war, die von den Begriffen
„Kaiser" und „ Reich" ausströmten. Doch wäre es ein tiefer
Irrtum, wollte man glauben, daß mit der Schaffung der neuen
Verhältnisse die romantischen Vorstellungen von der deutschen
Vergangenheit unwirksam geworden seien. Sie lebten viel-
mehr fort, gewissermaßen als ideelle Ergänzung zu den Ver-
hältnissen der Wirklichkeit, bei denen die Phantasie in gar
keiner Art auf ihre Rechnung kam, und es wäre Selbsttäu-
schung, wollte man ihre verborgene Kraft gering einschätzen.
Wie die romantische Geschichtschreibung jener Zeit, in
der sich die Einigung Deutschlands vorbereitete und vollzog,
vor allem die Machtentfaltung des alten Reiches ins Auge
faßte, so erregte diese auch in starkem Maße die Aufmerksam-
keit des Auslandes. Vor mehr als einem halben Jahrhundert
schrieb Bryce sein weitverbreitetes Buch über „The Holy Roman
Empire,1) in dem er zumal die dem mittelalterlichen Imperium
innewohnenden, auf Weltherrschaft gerichteten Tendenzen her-
vorhob, die eine Ergänzung der päpstlichen Ansprüche auf
Weltgeltung gebildet hätten. Imperium und Kirche hätten
sich in durchaus unklarer Abgrenzung als gemeinsame Erben
der römischen Cäsarengewalt gefühlt,2) doch wird in einem
späteren Nachtrage kräftig hervorgehoben, daß das neue Reich
in nichts die Fortsetzung des alten bilde3) und nirgend ver-
1) Ei-ste Ausgabe London 1864, seitdem oft aufgelegt und in viele
Sprachen übersetzt. Nach der Gründung des neuen Reiches versah Tho-
mas Bryce das Werk mit einem längeren Schlufikapitel.
2) Vgl. hierüber auch Ludwig Hahn, Das Kaisertum, Leipzig 1914,
S. 88 ff. 3) S. 493 der Ausgabe von 1906.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. oo
läßt Bryce, der sich im Greisenalter unter den erbittertsten
Feinden Deutschlands hervorgetan hat, in diesem Werk die
Sphäre reiner Wissenschaftlichkeit.
Die nach Ausbruch des Weltkrieges von haßerfüllten
Gegnern erhobene Beschuldigung, Deutschland habe durch sein
Streben nach Weltherrschaft das Völkerringen entfesselt, hat
deutsche Gelehrte mehrfach zur Verteidigung auf den Plan
gerufen, und in diesem Zusammenhang ist das universelle
Wesen des mittelalterlichen Kaisertums von den Herren Grauert
in München und Finke in Freiburg erneuter Beleuchtung unter-
worfen worden.1) Stimmen, die für einzelne Nationen das
Recht der Herrschaft über die anderen oder doch, wenn es
damit nicht anging, wenigstens den moralischen, bürgerlichen,
Avissenschaftlichen , künstlerischen Vorrang unter ihnen bean-
spruchten, haben sich unter dem Beifall der Volksgenossen in
den verschiedenen Ländern zu den verschiedensten Zeiten gel-
tend gemacht, selbst in solchen Zeiten, in denen jede tat-
sächliche Voraussetzung für derartige Ansprüche fehlte.2) Dem
gährenden 14. Jahrhundert tut man gewiß nicht unrecht, wenn
man es reicher an weittragenden Gedanken, an überkühnen
Plänen nennt als an gestaltender Kraft, und seinem Beginn
gehören die Schriften des Pierre Dubois an, der die Forde-
rung der Vorherrschaft für Frankreich erhob, wie die „Mon-
archie" Dantes, in der das Recht der gottgewollten Kaiser-
herrschaft dargelegt wird. Dubois hat um 1S00 seinen Traktat
über die Abkürzung der Kriege Frankreichs,3) 1307 den über
die Wiedereroberung des Heiligen Landes geschrieben.4) Man
1) Hermann v. Grauert „ Deutsche Weltherrschaft" ? in dem von Pfeil-
schifter (Freiburg i. B. 1915) herausgegebenen Sammelbande „ Deutsche
Kultur, Katholizismus und Weltkrieg". — Finke, Weltimperialismus und
nationale Regungen im späteren Mittelalter. Siehe S. 24 Anm. 4.
2) Hierfür bildet Vincenzo Giobertis in der Verbannung (Brüssel
1841) geschriebenes Werk „Del Primato morale e civile degli Italiani"
das merkwürdigste Beispiel.
3) Kern, Die Anfänge der französischen Ausdehnungspolitik bis zum
Jahre 1308. Tübingen 19 10, S. 31.
4) De recuperatione Terre Sancte par Pierre Dubois; publie par
Ch. V. Langlois, Paris 1891. Über die Zeit der Abfassung Introduction p. X.
Sitzgsb. d. philos.-pbilol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 5. Abh. 3
34 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
hat ihn den ersten Dogmatiker des Chauvinismus genannt,1)
aber man hätte ihn ebensowohl als den ersten Apostel des
modernen Pazifismus bezeichnen können, denn er verkündet
die Notwendigkeit von Schiedsgerichten zur Entscheidung der
Zwistigkeiten,2) freilich unter der Voraussetzung, daß zuvor
Frankreich die Herrschaft über den größten Teil Europas er-
langt habe, und so bestätigt sich auch hier das Goethewort,
daß man nichts Dummes, nichts Kluges denken könne, das
nicht die Vorwelt schon gedacht. Es mag wenig angemessen
erscheinen, Dante im Zusammenhang mit dem Advokaten von
Coutances zu nennen, aber allerdings haftet der Schrift des
Alighieri über das christliche Weltkaisertum in noch höherem
Maße als der des Franzosen die Eigenschaft an, daß sie in
schärfstem Gegensatz zum Tatsächlichen, ja zum Erreichbaren
und Möglichen stand. Dennoch hat man Dantes wohl aus
einem bestimmten Anlaß geschaffenes Idealbild,3) das aus den
Träumen eines Dichters, der Sehnsucht eines von der Heimat
Ausgeschlossenen und den Spekulationen eines Dogmatikers
emporgewachsen ist, häufig genug zum Maßstabe der Wirklich-
keit nehmen wollen. Daß die Macht des Reiches zur Zeit
des Luxemburgers eine geringe und hart umstrittene war, daß
Heinrichs VII. von Dante jubelnd begrüßter Wiederherstellungs-
versuch ebenso mißlang wie der nach seinem Tode unternom-
mene des Witteisbacher Kaisers, liegt vor aller Augen, aber
um so mehr ist man geneigt, in der „Monarchie" mindestens
eine Spiegelung der Vergangenheit zu erblicken. Gerade weil
nun das neue Deutschland keinen seiner Rechtstitel von dem
alten Reich herleitet, ist die Forschung imstande, die Ver-
hältnisse der Vergangenheit mit vorurteilslosem Blick zu be-
leuchten, die Frage aufzuweisen, wie es mit der tatsächlichen
Macht des Imperiums in Wirklichkeit zu Zeiten bestellt war,
in denen nach vorwaltender Meinung die kaiserliche Gewalt
') Kern a. a. 0., S. '.0.
2) De recuperatione c. 12 p. 11.
3) Über den Zeitpunkt der Entstehung hat der Verfasser seine Auf-
fassung Gesch von Florenz III S. 538—542 dargelegt.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 35
wohl durch mancherlei Widerstände und Auflehnungen beein-
trächtigt, im ganzen aber weithin waltend, unerschüttert wirk-
sam gewesen sei.
Daß das Imperium die Herrschaft über einen großen Teil
Italiens zur Voraussetzung hatte, darüber besteht kein Zweifel.1)
In einer fast unübersehbaren Reihe von Werken und Schriften
ist zwar die Reichsgeschichte Italiens behandelt worden, aber
sehr unvollkommen sind die Vorstellungen von den tatsächlichen
Zuständen Italiens zur Zeit der Reichsherrschaft geblieben.
Von der Seite des Alltags italienischen Lebens, aus den Ver-
hältnissen des Volkes heraus betrachtet ergeben sich durchaus
andere Auffassungen, als wenn man vom Standpunkt der Reichs-
herrschaft ausgeht. Sowenig die Zeit Heinrichs VII. in ihren
Wirklichkeiten nach Dantes „Monarchie", ebensowenig dürfen
andere Perioden nach Reichstagsfestsetzungen oder sonstigen
kaiserlichen Verordnungen beurteilt werden, die vielmehr in
stärkerem Maße Zustände kennzeichnen, nach deren Beseiti-
gung man trachtete, als solche, die tatsächlich geschaffen oder
dauernd behauptet werden konnten. Nicht nach jenen kurzen
Zeiträumen darf man urteilen, in denen die Reichsmacht in
erheblichem Umfange geübt werden konnte, denn diese bildeten
in Wahrheit nur Zwischenspiele einer nach entgegengesetzter
Richtung hin drängenden Entwicklung. Die immer wieder-
kehrenden Krisen der italienischen Reichsherrschaft werden bei
einer Betrachtungsart, die von den inneren Zuständen Italiens
ausgeht, besser verständlich, man erkennt klarer, wie es zu-
sammenhing, daß Italien eigentlich immer von neuem der
l) Die Abgrenzung der Begriffe Regnum und Imperium gedenken
wir selbst nicht andeutend zu streifen. Mit großer Klarheit handelt dar-
über, zumnl hinsichtlich der im späteren Mittelalter herrschenden Auf-
fassung Hermann Meyer, Lupoid von Babenburg, Freiburg i. B. 1909 in
dem Abschnitt „Königtum und Kaisertum", S. 134 ff. Ferner ist dem
Gegenstande die Schrift von Mario Krammer, Der Reichsgedanke des
staufischen Kaiserhauses, Ein Beitrag zur Staats- und Geistesgeschichte
des Mittelalters, Breslau 1908, gewidmet (Heft 95 der Untersuchungen zur
deutschen Staats- und Rechtsgeschichte).
<5D 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
Kaisermacht unterworfen werden mußte. Stets übte diese nur
dort ihre Wirkung, wo sie sich unmittelbar geltend machen
konnte, was natürlich nur zu Zeiten, nur in langen Zwischen-
räumen, nur stoßweise möglich war. Die Vorstellung einer
regelrecht geübten Herrschaft über Reichsitalien während der
zwei Jahrhunderte vom Tode Heinrichs III. bis zum Ausgang
des Stauferhauses läßt sich in keiner Art aufrechterhalten.
Während dieses Zeitabschnittes waren die Herrscher insgesamt
313/* Jahre in Italien anwesend. Dies mochte immerhin zu viel
für Deutschland sein, aber es war sicherlich zu wenig, um
inmitten eines fremden Volkstums lebensfähige Einrichtungen,
die dem recht schnellen Wandel der Verhältnisse entsprachen,
zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Überdies verlief der weit-
aus größte Teil dieser Aufenthalte unter schweren Kämpfen,
die jedwede organisatorische Tätigkeit vereitelten. Wurden
Reichslegaten von Deutschland über die Alpen entsandt, so
waren sie in dem geringeren Umfange ihres Machtgebietes in
gleicher Lage wie die Kaiser selbst, nur etwa eine so tüchtige
Persönlichkeit wie der Kölner Erzbischof Rainald von Dassel
vermochte vorübergehend durch Klugheit und Tatkraft zu
wirken, im ganzen konnten die Legaten ohne Waffengewalt
nichts ausrichten. Um sich aber auf eine solche stützen zu
können, mußten sie, wie häufig auch die Kaiser selbst, eine
Gruppe von Städten und Herren gegen die andere in Bewe-
gung setzen , also den Krieg im Lande entfachen statt den
Frieden unter dem Schutze des Reiches zu sichern, und den
eigenen Parteigängern wurde als Lohn stets Recht nach Recht
auf Kosten der Reichshoheit preisgegeben.
Zwischen dem letzten Aufenthalt Heinrichs III. südlich
der Alpen und dem Zuge seines Sohnes 1081 (denn die Epi-
sode von Canossa kommt in diesem Zusammenhang nicht in
Betracht) verflossen 26 Jahre, zwischen Heinrichs IV. letztem
dortigen Verweilen und dem ersten Erscheinen Heinrichs V.
lagen 15, zwischen dessen letztem italienischen Zug und dem
Niederstiege Lothars von den Alpen 18, zwischen Lothars Ende
und dem ersten Auftreten Friedrichs I. im Süden 17 Jahre.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. "7
Dies ergibt zusammen für die Apenninenhalbinsel 76 kaiserlose
Jahre von 100. Wie nachmals Dante die kaiserlose Periode
der eigenen Zeit, so beklagte ein unbekannter Poet die vor
Barbarossas Erscheinen herrschenden Zustände:
Erant in Italia greges vispillonum
Semitas obsederat rabies predonum.1)
Vermittels der Belehnung weltlicher und geistlicher Großen
hatten die Ottonen die Reichsherrschaft zu üben versucht.
Einigen mächtigen Geschlechtern im oberen und mittleren
Italien war es gelungen, eine Reihe von Komitaten unter dem
Titel von Markgrafschaften unter ihrer Gewalt zu vereinigen.2)
Daneben wurde den Bischöfen, wie man weiß, vielfach das Gra-
fenrecht über die Städte und einen geringen Umkreis vor deren
Mauern nebst allen Regalien, machtvollen Erzbistümern wie
Ravenna wohl auch ein Grafschaftsbesitz bedeutenderen Um-
fanges verliehen. Daß den Dyn asten geschlechtern gegenüber
nur von einer Lehensoberhoheit des Reiches, daß aber von
einer Reichsverwaltung in ihren Gebieten nicht die Rede sein
konnte, ist unbestritten. Für ihr Verhältnis zu den Herr-
schern ist ein kleiner Vorgang bezeichnend. Als der mächtige
Markgraf Hugo von Tuszien starb, der als der getreueste An-
hänger des Kaisers galt, da äußerte Otto III. seine Freude
mit dem Worte des Psalmisten: Gerissen ist der Strick und
wir sind befreit.3) Das Verhalten des Hauses Canossa ist all-
bekannt. Markgraf Bonifaz erregte den Zorn Heinrichs ,111. ,
seine Witwe Beatrix wurde vom Kaiser als Gefangene nach
Deutschland geführt, und deren Tochter Mathilde stand im
Kampf gegen Heinrich IV. voran. Den Bischöfen, auf die
a) Jakob Grimm, Gedichte des Mittelalters auf König Friedrich I.,
den Staufer, und aus seiner wie der nächstfolgenden Zeit. Berlin 1844,
Seite 66.
2) Über die bedeutendsten hat Harry Breßlau, Jahrbücher des deut-
schen Reiches unter Konrad IL, I S. 361—451 einen ausgezeichneten Über-
blick gegeben.
3) Petri Damiani, De principis officio c. 5. Migne, Patrologia La-
tina 145 col. 830.
38 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
sich das Reich stützen wollte, wurde die Macht von den Mark-
grafen vielfach aus der Hand gewunden. Die mit der Zuver-
lässigkeit und der Widerstandskraft der Prälaten gemachten
Erfahrungen führten dazu, daß seit Heinrich IL, zumal aber
unter dessen drei Nachfolgern Deutsche in verhältnismäßig
großer Zahl auf italienische Bischofssitze sowie auch zur Abts-
würde der großen Reichsklöster erhoben wurden.1) Im ganzen
erwies es sich als höchst verhängnisvoll, daß man Geistliche
zu weltlichen Herren, zu Führern von Lehensaufgeboten be-
rufen hatte, denn selbst die düstersten Farben sind kaum aus-
reichend, um den Zustand des italienischen Episkopats wäh-
rend der ersten beiden Drittel des 11. Jahrhunderts zu schil-
dern. Die Bischöfe unterschieden sich im rückhaltslosesten
Daseinsgenuß in nichts von den weltlichen Großen und die
verheirateten unter ihnen bildeten keine Ausnahme, sondern
die Bischofsehe war die Regel. Zwar sprach die Kirche in
ihren offiziellen Schriftstücken vorn Konkubinat der Prälaten,
aber dies war keineswegs die allgemeine Auffassung, sondern
die Frauen der Geistlichen und die der Bischöfe galten als mit
ihren Männern in rechter Ehe verbunden. Durch ein Heiligen-
leben, das acht Jahrhunderte lang unbekannt blieb, erst wohl
absichtlich geheim gehalten, dann in Vergessenheit geraten,
sind wir darüber unterrichtet, wie Frau Alberga, die darin
ausdrücklich als „conjux" des Bischofs Hildebrand von Florenz
bezeichnet wird,2) neben dem Gatten saß, wenn dieser den
Abten seines Sprengeis in Anwesenheit des Klerus und der
Lehensleute seines Bistums Audienz gewährte und wie sie gar
an Stelle des Gemahls das Wort ergriff, um auf vorgebrachte
Ansuchen Bescheid zu erteilen. Aus Urkunden ließ sich für
fünf aufeinander folgende Geschlechter der Stammbaum einer
Familie verheirateter Geistlicher in hohen kirchlichen Würden
') Gerhard Schwartz, Die Besetzung der Bistümer Reichsitaliens
unter den sächsischen und salischen Kaisern 95L — 1132 S. 4f. und die
Tabellen S. 306 und 307.
2) Vita Johannis Gualberti adhuc inedita, Forschungen zur älteren
Geschichte von Florenz I, S. 56. Demnächst in Monumenta Germ. Ss.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 39
aufstellen, von denen einer Bischof von Fiesole wurde, während
sein Vater Primicerius dieser Kirche gewesen war. Die Gattin
dieses Bischofs Raimbald hieß Minuta1) und der heilige Kar-
dinal Petrus Damiani nennt diese Ehe „eine gewissermaßen
legitim geschlossene",2) doch weiß er daneben von Raimbalds
Konkubinen und seiner sonstigen widerwärtigen Daseinsführung
zu berichten. Der Presbyter Marinus, Vater des Eleuchadius,
der als Abt des Marienklosters von Faenza in hohem Ansehen
stand, lebte mit dessen Mutter in einer als durchaus legitim
betrachteten Ehe, und dies hinderte keineswegs, daß man ihm
wie übrigens auch dem Raimbald von Fiesole, die Fähigkeit
zuschrieb, fromme Wunder zu wirken.3) Den Bischofssöhnen,
den Sprößlingen sonstiger Prälaten wurden Besitzungen der
Kirchen gegen eine rein formelle jährliche Abgabe von wenigen
Denaren zu Livellar übergeben, so daß die vordem reichen
Gotteshäuser, wie Papst Benedikt VIII. sich 1022 vor dem
Konzil von Pavia ausdrückte, zu Bettlerinnen hinabsanken.4)
Die Urkunden erweisen, wie dies nicht eine rhetorische Wen-
dung, sondern daß es herbe Wirklichkeit war. Die Bischöfe
hatten ihre Würden am königlichen oder kaiserlichen Hof bis-
weilen auf Grund persönlicher oder politischer Gunst, meist
aber gegen hohe Zahlungen erlangt. Ein reicher Mann aus
Pavia, der am Hofe Heinrichs IV. einen Bischofssitz für seinen
Sohn eingehandelt hatte, erklärte mit einer Offenheit, die für
den Sohn zum Verhängnis wurde, „nicht einmal eine Mühle
bekomme man umsonst beim Herrn König verliehen, und für
das Bistum Florenz habe er dreitausend Pfund Denare aus-
geben müssen."5) Daß die simonistisch Erhobenen mit ihrem
Pfunde im übelsten Sinne wucherten, daß sie ihre Auslagen
überreichlich hereinzubringen suchten, daß sie ohne Geld keinen
1) Forschungen usw. I, S. 39.
2) Petri Damiani Liber gratissimus c. 18, Monum. Germ. Libelli de
lite I p. 41.
3) Ebendort p. 42.
4) Mansi, Conciliorum amplissima collectio XIX col. 344.
5) Vita Johannis Gualberti adhuc inedita, 1. c. p. 57.
40 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
Geistlichen ordinierten, kein Gotteshaus weihten, wird uns
durch Petrus Damiani bezeugt,1) und all diese tieffressenden
Schäden hatten ihre Wurzel in der unnatürlichen Verquickung
weltlicher Macht und geistlicher Würde, in der königlichen
Investitur. Das Vorgehen Benedikts VIII. im Jahre 1022 gegen
die beweibten Bischöfe war ein erster, doch infolge seines
baldigen Todes ergebnisloser Schritt auf der Bahn der Kirchen-
reform. Der spätere, machtvoll einsetzende Investiturstreit er-
wuchs aus innerster Not der Kirche und des eng mit ihr
verknüpften Kulturlebens. Die geistigen Interessen wurden
durch Mönche, die von heißer Leidenschaft beseelt waren, gegen
die äußerlichen Machtmittel der Reichsgewalt verfochten, und
indem diese im wesentlichen unterlag, sank auch der Rest der
ohnehin dürftigen Organisation der italienischen Reichsherr-
schaft in sich zusammen, so daß es trotz mancher Versuche
zu einer Wiederherstellung ein Jahrhundert lang bis zur Zeit
Friedrichs I. eine eigentliche Reichsverwaltung in dem süd-
lichen Lande nicht gab. Die Anordnungen Barbarossas in
Roncaglia, die unter Mitwirkung bolognesischer Juristen er-
lassen wurden, beweisen nichts für die tatsächlich geübten
Rechte, die man nicht erst unter Mithilfe von Gelehrten hätte
festzustellen brauchen, sondern sie bezeugen vielmehr, daß außer
Übung gekommene Befugnisse der Vergessenheit entrissen werden
sollten. Bei den drei gewaltigen Zusammenstößen zwischen
kaiserlicher und kirchlicher Macht in den Zeiten des Investi-
turstreites, in denen Friedrichs I. und in jenen seines Enkels
sind die Dritten, die den Gewinn davontrugen, die zu höchster
Blüte emporsteigenden Städte gewesen.2) Im 13. Jahrhundert
ging die Kirche nur dem Anschein nach aus dem Zusammen-
prall mit dem letzten staufischen Kaiser als Triumphatrix, in
Wahrheit aber innerlich geschwächt hervor, während jede der
drei Perioden den Munizipien zu neuer machtvoller Entwick-
*) Liber gratissimus 1. c. p. 41.
2) Von den Vorteilen, die auch das Haus der Kapetinger aus der
letzten Phase dieser Kämjife zog, soll in diesem Zusammenhange nicht
gesprochen werden.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 41
lung verhalf, bis ihnen zuletzt innerhalb ihrer Gebiete das Voll-
erbe der Reichsgewalt zufiel. Wie es mit dieser schon in
Zeiten Friedrichs I. im Verhältnis zur Machtentwicklung der
Kommunen bestellt war, dafür liegen einige unzweideutige
Zeugnisse vor. In dem schon erwähnten Gedicht an den Herr-
scher, das wohl einen Deutschen zum Verfasser hat, singt
dieser von den Städten, zumal von Mailand:1)
De tributo cesaris nemo cogitabat
Omnes erant cesares, nemo censum dabat.
Civitas Ambrosii velut Troja stabat
Deos parum, homines minus formidabat.
Ein sehr deutliches Bild gewährt für die Zeit vor 1158
Otto von Freising, der sich in folgender Art äußert:2) „Fast
ganz Italien ist in Städte (Stadtherrschaften) geteilt, die
ihre Diözesanen zum Wohnen in der Stadt gezwungen haben.
Kaum gibt es einen, der so mächtig ist, daß er den Befehlen
seiner Stadt nicht Gehorsam leistet. Die Italiener sind ge-
wohnt, ihre Gebiete Komitate zu nennen . . . (der Bischof leitet
mit einer der üblen etymologischen Spielereien das Wort „comi-
tatus" von der „potestas comminandi" her). Sie folgen, un-
eingedenk altadliger Gesinnung, während sie sich rühmen, nach
Gesetzen zu leben, in Wahrheit der Barbarei, da sie sich den
Gesetzen nicht fügen. Denn den Fürsten, dem sie freiwillig
die Ehrfurcht der Unterwerfung zollen sollten, nehmen sie
kaum je oder nehmen sie niemals ehrfürchtig auf, noch ge-
horchen sie den von ihm festgestellten Gesetzen, es sei denn,
sie bekommen seine Autorität durch den Zwang zu fühlen, die
er vermittels starker um ihn versammelter Ritterschaft aus-
übt. Deshalb geschieht es häufig, daß der Bürger, statt das
Gesetz zu beobachten, gemäß dem Gesetze durch Waffen als
Widersacher bezwungen werden muß, daß der, den die Bürger
als milden Fürsten aufnehmen sollten, feindlich als einer emp-
1) Jakob Grimm a. a. 0., S. 65.
2) Ottonis Frisingensis episcopi Gesta Fiiderici imperatoris Lib. II
c. 13. Mon. Germ. Ss. XX p. 396 s.
42 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
fangen wird, der nur eigene Rechte geltend macht, und so
entsteht für das öffentliche Wesen ein doppelter Schaden: der
Fürst wird durch Zusammen zieh, ung eines Heeres behufs Unter-
drückung des Bürgers abgelenkt, der Bürger wird unter großem
Nachteil zum Gehorsam gegen den Fürsten gezwungen. So
trifft das Volk der Vorwurf des Leichtsinns, den Fürsten aber
entschuldigt vor Gott und Menschen die Notwendigkeit."
Die Absichten Friedrichs I. auf Niederbeugung der Muni-
zipien waren ursprünglich wohl die weitestgehenden,1) aber
sie scheiterten an der inneren Widerstandskraft, die diese
während des letzten Jahrhunderts erlangt hatten. Die Ent-
wicklung der Kommunen hat allmählich durch Bezwingung
der unmittelbaren und mittelbaren Lehensträger des Reiches
wie durch kapitalistische Aufsaugung des feudalen Besitzes
den Boden unterhöhlt, auf welchem man versucht hatte, die
Herrschaft des Imperiums zu begründen. Stützte sich diese
im wesentlichen auf lehensrechtliche Verhältnisse, die ihrer-
seits der Naturalwirtschaft entsprangen und entsprachen, so
griff durch die vom 12. Jahrhundert an in Italien immer mehr
erstarkende Gold Wirtschaft ein Vorwalten der Städte Platz,
gegen das für die Dauer keine kaiserliche Verordnung und
selbst keine Gewalt der Waffen aufzukommen vermochte. Nur
indem der Blick zugleich auf die wirtschaftlichen Verhältnisse
gerichtet wird, läßt sich die Geschichte des Niederganges der
italienischen Reicbsgewalt klar erfassen.
Friedrich I. wurde von dem Bestreben geleitet, durch
Einsetzung kaiserlicher Beamten eine eigentliche, organische
Reichsverwaltung zu schaffen, an der es bisher durchaus ge-
fehlt hatte, aber es zeigte sich, daß es hierfür zu spät war,
daß die Notwendigkeit überall mit der erstarkten städtischen
Gewalt zu rechnen die Durchführung dieses Planes aufs Stärkste
beeinträchtigte. Als nach dem Ende des Schismas ein schär-
x) Ragewini Gesta Friderici Mon. Gerrn. XX, p. 447. — Die Consti-
tutio de regalibus M. G. Leges II p. 111 nennt die Konsulate der Städte
nicht, während nach Ragewin die Mailänder auf das Konsulat und auf
alle Regalien verzichtet hatten.
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 4d
feres Zugreifen möglich schien, beschränkten die Vereinbarungen
von Konstanz die früheren hochgespannten Ansprüche den Kom-
munen gegenüber. Dennoch waren die letzten Lebensjahre
Barbarossas und die Regierungszeit Heinrichs VI. die Periode
kraftvollster Ausgestaltung der Reichsherrschaft südlich der
Alpen,, aber sie umfaßte nur etwa dreizehn Jahre, und schon
bei Lebzeiten Kaiser Heinrichs, während dieser weitausschauen-
den imperialistischen Plänen nachtrachtete, begann der Boden
unter ihm zu wanken. Nie hätte der Umschwung bei seinem
plötzlichen Tode ein so jäher sein können, wäre er nicht be-
reits durch Verschwörungen wider den noch in voller Kraft
Stehenden vorbereitet gewesen. Wiederum vergingen, wenn
man von der kurzen Zwischenzeit des Weifen Otto absieht,
mehr als vier Dezennien, ehe Friedrich IL in den vierziger
Jahren des 13. Jahrhunderts die Einrichtung einer Reichs-
verwaltung, wenigstens in dem damals seiner Macht unter-
worfenen Toskana versuchte. Seine Absicht ging dahin, die
zentralistische Regierung des Königreichs Neapel auf Mittel-
italien zu übertragen und die Städte diesem System einzu-
gliedern,1) aber etwa neun Jahre, nachdem diese Pläne zu-
erst hervortraten, erlag der große Kaiser seinem Geschick
und die Reichsgewalt brach völlig zusammen.
Kann nur episodisch und meist auch dann nur für um-
grenzte Gebiete von einer eigentlichen Reichsverwaltung Italiens
gesprochen werden, so stand es, trotz gegenteiligen Anscheines,
mit der Gerichtshoheit des Reiches nicht besser. Bei den tief-
dringenden Untersuchungen, die den rechtsgeschichtlichen Ver-
hältnissen gewidmet wurden, ist ein sehr wesentlicher Punkt
kaum berücksichtigt worden, die Frage nämlich, wer denn
bei der kaiserlichen Gerichtsbarkeit Recht gesucht habe, und
ob es jemals die Regel gewesen sei, bürgerliche Streitigkeiten
vor ihr znr Entscheidung zu bringen. Eine Prüfung der Ur-
kunden ergibt, data dies nicht der Fall war. Um ein leicht
zugängliches Sammelmaterial anzuführen: von 69 durch Julius
a) Geschichte von Florenz II, 1 S. 279 f.
44 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
Ficker für die Zeit von Ottos I. Kaiserkrönung bis zum Tode
Friedrichs IL, also für drei Jahrhunderte wiedergegebenen Ur-
kunden,1) die sich auf Prozesse vor Königsboten, Legaten oder
Hofrichtern beziehen, sind bei 54 Kläger oder Beklagte Bi-
schöfe, Kapitel, Kirchen, Klöster, bei 11 Städte und Ort-
schaften, in je einem Falle handelt es sich um eine Herzogin-
Witwe von Venedig und einen Grafen und nur in zwei Fällen,
einem von 981, einem von 1210, kommt Rechtsstreit zwischen
bürgerlichen Persönlichkeiten in Betracht.2) Aus der letzteren
Periode, der der kurzen italienischen Kaisermacht Ottos IV.,
rührt auch die einzige dem Vortragenden aus dem Verlauf
dreier Jahrhunderte bekannt gewordene Urkunde her, aus der
sich ergibt, daß (abgesehen von den wenigen Jahren vor dem
Ende Friedrichs IL, in denen der Kaisersohn Friedrich von
Antiochien die Herrschaft der Stadt und ihrer Grafschaft führte)
Bürger von Florenz oder Angehörige seines Distriktes vor
einem Reichsrichter Recht suchten,3) aber es handelte sich in
jenem vereinzelten Falle zur Zeit Ottos IV. wahrscheinlich um
ein Urteil im Appellationsverfahren, während die Stadt kurz
darauf, als die Reichsgewalt von neuem der Ohnmacht anheim-
fiel, auch die Appellationsgerichtsbarkeit, deren sie sich vor-
übergehend schon zuvor bemächtigt hatte, wieder an sich riß.*)
Zu dieser Zeit wurden die Rechtsstreitigkeiten von Bürgern und
Distriktualen schon seit Menschenaltern in den städtischen Kurien,
erst durch die Konsulargerichte, dann durch die Judices der
Podestäs entschieden. Aber auch ehe die Kommune eine eigene
Gerichtsbarkeit geschaffen, war es niemals bürgerlicher Brauch
*) Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens Bd. IV.
Innsbruck 1873.
2) A. a. 0. Nr. 32 S. 44; Nr. 243 S. 290.
3) Geschichte von Florenz II, 1 S. 15. — Forschungen zur Geschichte
von Florenz III. Regest. 3.
4) Geschichte von Florenz II, 1 S. 41. — Friedrich II. entzog sie der
Stadt 1246, doch nach seinem Ende, vier Jahre später, bemächtigte sich
diese ihrer von neuem. Vergeblich war das Bemühen des Hofkanzlers
Rudolfs von Habsburg die Kommune nachmals zur Aufgabe zu veran-
lassen (II, 2 S. 193).
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 45
gewesen, vor Richtern, die in Kaisers oder Königs Namen ur-
teilten, Recht zu suchen. Vielmehr wurden die Rechtshändel
Privater, oft selbst nach vorhergegangenem Streit mit den
Waffen und sogar dann, wenn es sich etwa um die Klage
wegen Tötung eines Bruders handelte, vor der Zeit städtischer
Autonomie regelmäßig durch den Schiedsspruch von Ortsge-
nossen entschieden, was abgesehen von dem Vorteil größerer
Einfachheit und geringerer Kosten vor allem die Bürgschaft
in sich trug, daß die Entscheidung auf Kenntnis persönlicher
Verhältnisse und örtlicher Gebräuche beruhte, daß sie der in
den betreffenden Kreisen herrschenden Auffassung von Her-
kommen, Recht und Unrecht entsprach.1) Solche Urteile ge-
fällt durch Schiedsrichter, durch boni homines, liegen für das
ausgedehnte Florentiner Gebiet in sehr großer Zahl vor,
Urteile eines Reichsgerichtes in Sachen Privater aber, von
jenem einzigen abgesehen, überhaupt nicht. Gelegentlich wird
die schiedsrichterliche Tätigkeit der boni homines oder boni
viri als dem judiciarius rigor gleichstehend bezeichnet; sie wirke
dahin, daß die sich geschädigt Glaubenden nicht zur Vendetta
(„ulctio") greifen, daß sich die Popolanen nicht durch Wut
und Zorn zu Tumulten hinreißen ließen. *) Äußerungen dieser
Art erweisen, wie man in dem Wirken der von Fall zu Fall
eingesetzten Schiedsgerichte einen selbstgeschaffenen Ersatz für
die versagende öffentliche Gewalt erblickte.
Die einzige Reichssteuer, das Foderum, wurde derart er-
hoben, daß der Lehensträger, der „direkte Herr", sie von
seinen Hintersassen einzog mit der natürlichen Verpflichtung,
den Ertrag an das kaiserliche oder königliche Ärar abzuführen.
Aber diese Pflicht scheint, wenn das Reich in Italien keine
unmittelbare Macht zu üben imstande war, durchaus unerfüllt
geblieben zu sein. Friedrich I. suchte darauf hinzuwirken, daß
gleich den anderen Regalien auch das Foderum, das ursprüng-
lich nur eine für jede Feuerstelle zu leistende außerordentliche
J) Verl. die Abhandlung des Verfassers , Entstehung des Konsulats",
Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft VI, S. 27 f.
2) Ebendort.
46 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
Beisteuer zu den jeweiligen Zügen der Herrscher nach Italien
gewesen war,1) wieder an das Reich gelange. Die Herren
aber erhoben die Steuer von den Hintersassen nicht nur als
eine alljährliche, sondern mannigfach durch anderweite Auf-
lagen vermehrt. Die Städte eigneten sich, soweit sie die Macht
dazu besaßen, das Recht an, in ihren Grafschaftsbezirken das
Foderum einzufordern, das dadurch zu einer kommunalen Herd-
steuer wurde, und nur vorübergehend, nur eben in den letzten
Zeiten vor dem völligen Niedersinken der Reichsgewalt, gelang
es Friedrich IL innerhalb der Gebiete, die er seiner Macht
unterworfen hatte, diese Abgabe wieder an sich zu ziehen.
Es bleibt ein Wort von der Art zu sagen, in der die
Verpflichtung zum Lehensdienst dem Reich gegenüber erfüllt
wurde. Von den Städten, die im Bunde mit der kaiserlichen
Macht oder auf deren Geheiß gegen Nachbarkommunen oder
eichsfeindliche Feudalherren kämpften, kann in diesem Zu-
sammenhang nicht die Rede sein, denn Fehden gleicher oder
ähnlicher Art durchtobten das Land auch in Zeiten, in denen
das Reich nicht an ihnen beteiligt war, und wenn sich die
Kommunen freiwillig unter das Banner des Imperiums stellten,
handelten sie dabei meist im Interesse munizipaler Politik, aus
Feindseligkeit gegen eine benachbarte, dem Reich aufsässige
Bürgergemeinde. Nur die Fälle kommen in Betracht, in denen
Munizipien und Herren der Reichsmacht für deren, nicht für
die eigenen Zwecke zu gehorsamen hatten. Auch da entschied
für die Willfährigkeit, mit der die Heeresfolge geleistet wurde,
lediglich die tatsächliche Macht, die das Imperium an Ort
und Stelle zu üben imstande war, von einer Bereitschaft zu
selbstverständlicher Pflichterfüllungr ist nichts zu bemerken.
CT
Klaren, wenn auch keineswegs erfreulichen Einblick in die
inneren Vorgänge, belehrende Kenntnis über das Zögern und
die Widerstände, denen die Gebote* der Reichsregierung bei
den Kommunen begegneten, gewährt uns das überaus reiche,
') Ragewini Gesta 1. c. — Mon. Germ. Leges II p. 112, Constitutiones
pro regalibus „. . . prestationes et extraordinaria collatio ad felicissimatn
regalis numinis expeditionem. . ."
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 47
in gewisser Hinsicht einzigartige Material an Ratsprotokollen
und Rechnungsbüchern der kleinen toskanischen Bergstadt San
Gimignano. Vermochte sich diese durch jede Art von Ver-
handlungen, von List, Intrige, hinhaltendem Ausweichen und
Bestechung hoher und mittlerer Reichsbeamten bald 10 Monate,
bald gar P/4 Jahre den Befehlen des im Lande befindlichen
Kaisers Friedrich IL zu entziehen,1) so gibt dies einen Begriff
davon, was größere Kommunen zu wagen und auszurichten im-
stande waren. Aus späteren Zeiten erfahren wir durch ein
Notariatsprotokoll einiges über die Art, in der ein mächtiger
Feudalherr das Aufgebot, dem Reichsoberhaupt Heeresfolge zu
leisten, entgegennahm. Dem Mitgliede des bedeutenden toskani-
schen Grafengeschlechtes der Conti Guidi, dem Guido Alberti,
wurde Ende 1327 durch einen Beauftragten der Befehl Ludwigs
des Bayern überreicht, sich mit seiner Mannschaft in Viterbo
einzustellen. Er kniete ehrfurchtsvoll nieder, aber nur um zu
erklären, der Termin sei verstrichen und deshalb werde er
dem Aufgebot nicht Folge leisten.2)
Die Betrachtung aller Verhältnisse ergibt mit großer Deut-
lichkeit, wie das Reich nur auf den Höhepunkten seiner Macht-
entfaltung und nur für kurze Zeiträume Reichsitalien wirklich
beherrscht hat. Um das lebensvolle, durch Gegensätze der
verschiedensten Art leidenschaftlich bewegte Volk zügeln, um
es vor der inneren Zerrissenheit und den sich aus ihr ergeben-
den Kämpfen schützen zu können, dazu wäre eine wohlge-
*) Forschungen zur Geschichte von Florenz II, Aus den Stadtbüchern
und -Urkunden von San Gimignano (13. u. 14. Jahrhundert) Regest. 170;
71; 73; 70; 78; 92; 93; 99; 200; 1; 2; 7; 27-29; 31; 33; 38-40; 44-48;
50-61; 04-71; 73-80; 83-85; 91; 94; 95; 350-52; 57; 60; 61; 77
—82 (a. 1237-381; 1240-41).
2) Geschichte von Florenz III, S. 810 Anin. 3. Der überbringende
Geistliche gehörte dem Herrschaftsgebiete der Guidi an. Da der Befehl
aus Pisa vom 4. Dezember 13J7 datiert war, aber trotz der geringen
Entfernung erst 23 Tage später überreicht wurde, während der Termin
zur Stellung der 24. Dezember sein sollte, hat der mit der Überreichung
betraute Presbyter wahrscheinlich in unredlichem Einverständnis mit dem
Territorialherrn seines Kirchengebietes gehandelt.
48 5. Abhandlung: Robert Davidsohn
ordnete Verwaltung, geführt von tüchtigen, unbestechlichen
Beamten erforderlich gewesen, ein klug durchgebildetes, sorgsam
gehandhabtes Steuersystem, den landschaftlichen Verhältnissen
sich anpassende unparteiliche Rechtspflege, eine ständige, nicht
auf dem Lehenswesen beruhende Heeresmacht sowie eine Reichs-
flotte, die es den Herrschern ermöglicht hätte, eine von dem
Interessen wirrsal der Seestädte unabhängige Politik zu ver-
folgen. Es genügt, diese Voraussetzungen aufzuzählen, um
sofort die Einsicht zu erwecken, daß jede einzelne von ihnen
in Betracht mittelalterlicher Verhältnisse den vollständigsten
Anachronismus darstellt. Der wiederholte Zusammenstoß zwi-
schen Kirche und Kaisertum hat den Verfall der italienischen
Reichsmacht stark beschleunigt, aber vollzogen hätte er sich
auf Grund der inneren Verhältnisse zweifellos auch ohne die
Kämpfe zwischen Sacerdotium und Imperium, die emporstreben-
den Städte hätten den mehr als lockeren Reichsverband früher
oder später auch wohl ohne ihr Bündnis mit dem Stuhl Petri
zersprengt, weil sich die feudale Gewalt, auf der die Organi-
sation des Reiches beruhte, zum Bürgertum, das eine stärkere
Lebenskraft besaß als jene, in einem unvereinbaren Gegensatz
befand, und weil die mittelalterliche Reichsherrschaft über
Italien nur ein Gewirr von Rechten und Ansprüchen, in keiner
Art aber ein organisches Gebilde darstellte.
Auch hier verlieren bei klarerem Einblick die Zustände
der Vergangenheit durchaus den reizenden bläulichen Schimmer,
der sie, aus der Ferne betrachtet, zu umschweben scheint.
Erkenntnisse solcher Art sind denn freilich wenig geeignet,
romantische Begeisterung zu nähren. Ist das alte Reich nicht
sowohl durch das Tun oder Unterlassen einzelner Herrscher
als vielmehr, wie hier in bezug auf die mittelalterliche Herr-
schaft über Italien erörtert wurde, an sich selbst zugrunde
gegangen, so hat Deutschland es als höchstes Glück zu preisen,
daß in den Zeiten der Neugestaltung kein unklares, der Ver-
gangenheit zugewandtes Sehnen seine Schicksale beeinflußt hat,
daß aus völlig andersartigen Voraussetzungen ein neues Ge-
bilde auf völkischer Grundlage entstanden ist. Wir wollen
Die Vorstellungen vom alten Reich usw. 49
keineswegs verkennen, daß auch die aus der Phantasie ge-
schöpften oder durch sie beeinflußten Vorstellungen von der
Vergangenheit das Ihre dazu beigetragen haben, um die Sehn-
sucht nach Deutschlands Einigung wach zu erhalten, aber selbst
eine nützliche oder angenehme Täuschung vermag keinen Er-
satz für die Wahrheit zu bieten. Auch die geschichtliche
Auffassung der Vergangenheit, in der sich jene Sehnsucht
nach Einheit und Macht wiederspiegelte, ist in einem Zeit-
abstand von annähernd zwei Menschenaltern bereits ihrerseits
zum Gegenstand geschichtlicher Betrachtung geworden. Wenn
es denn doch wohl unabänderliche Richtschnur bleibt, daß Ge-
schichte ohne Zorn und Eifer zu schreiben und zu betreiben
sei, so wird man das alte Wort noch dahin zu ergänzen haben,
daß auch die Liebe das. Bild der Vergangenheit weder wan-
deln, noch auch verschleiern darf.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. KI. Jahrg. 1917, 5. Abb.
D
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 6. Abhandlung
Die „grosse Bilderhahdsehrift von
Wolframs Willehalm"
von
Karl v. Ainira
%\&
Mit 2 Tafeln
Vorgetragen am 13, Oktober 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz'schen Verlags (J. Roth)
/
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 6. Abhandlung
Die „grosse Bilderhandsehrift von
Wolframs Willehalm"
von
Karl v. Aniira
Mil 1 Tafeln
Vorgetragen am 13. Oktober 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz'sclien Verlags (J. Roth)
Vor 14 Jahren suchte ich in einer Abhandlung (Sitzgsber.
1903 S. 213—240) den Beweis zu führen, daß von Wolframs
v. Eschenbach Heldengedicht Willehalm im dritten Viertel des
13. Jahrhunderts eine Handschrift gefertigt wurde, die den
umfangreichen Text in derselben Weise mit kolorierten Feder-
Zeichnungen begleitete, wie seit dem ausgehenden 13. Jahr-
hundert die Sachsenspiegel-Illustration den Text des sächsi-
schen Land- und Lehenrechts. Ich nannte jene Handschrift
die „große" Bilderhs. von Wolframs WTillehalm, weil sie u. a.
durch ihre fortlaufende Folge von ungefähr 1380 Bildern sich
von allen andern illustrierten Handschriften des Gedichts un-
terschied, die nur zu verhältnismäßig wenigen Szenen Bilder
darbieten.
Da mit nicht abzuweisender Wahrscheinlichkeit die Hei-
mat jener großartigen Handschrift im östlichen Mitteldeutsch-
land zu suchen war, so stellte sie sich noch näher zur Illu-
stration des Sachsenspiegels, als deren unmittelbare kunst-
geschichtliche Vorläuferin sie sich erwies. Diese Bedeutung
aber muß ihr auch in unserer Zeit noch zuerkannt werden,
obgleich nur wenige Bruchstücke von ihr auf die Gegenwart
gekommen sind. Dabei bringe ich noch nicht einmal den
literar- und kulturgeschichtlichen Wert in Anschlag, den sie
als Zeugnis für die lebhafte Anteilnahme der höfischen Kreise
des Hochmittelalters am Stoff gerade dieses Gedichtes besitzt,
einem Stoff, der ja den heutigen Leser wohl immer kalt lassen
und ermüden wird.
Unter deD Bruchstücken, die mir im Jahre 1903 zur Re-
konstruktion des zerstörten Werkes dienten, befanden sich auch
1*
4 (1. Abhandlung: Carl v. Amira
2 Pergamentblätter, die im Jahre 1^40 von Karl Roth sum-
marisch beschrieben worden waren. Auch ihren Text hatte
dieser Gelehrte damals veröffentlicht. Bezüglich ihrer Her-
kunft war aus Roths Angaben nur zu entnehmen, daß sie ihm
„aus Sachsen" zugekommen seien. Von jener Zeit an waren
sie jedoch wieder aus dem Gesichtskreis der gelehrten Welt
verschwunden, und selbst öffentliche Nachfragen meinerseits
hatten sich als ungenügend erwiesen um auf ihre Spur zu
führen. Da erschien im Jahre 1909 ein neuer Band des In-
ventarisationswerkes über die thüringischen Kunstdenkmäler:
Bau- und Kunstdenkmäler Thüringens Heft XXXIV {Utk. Sachsen-
Meiningen I 1, Kreis Meiningen herausg. von Voß), worin auf
S. 257 — 259 in verkleinerten Umrissen Proben von Bildern aus
Handschriftfragmenten im Besitz des „hennebergischen alter-
tumsforschenden Vereins" (zu Meiningen) mitgeteilt waren. Auf
den ersten Blick war mir klar, daß diese Zeichnungen in aller-
nächster Verwandtschaft zu den Bildern der großen Willehalm-
Hs. standen. Die Direktion der hiesigen K. Hof- und Staats-
bibliothek vermittelte die leihweise Übersendung der Blätter
nach München, und es ergab sich, daß es sich um Bruchstücke
nicht einer Hs. von Ulrichs von Türheim , Willehalm', wie
eine Notiz in den angeführten Bau- und Kunstdenkmälern S. 256
gemeint hatte, sondern der „großen Bilderhs." von Wolframs
Willehalm und zwar vor allem um die schon verloren geglaubten
Rothschen Bruchstücke handelte. Bald nachher gelang es dem
Direktor unserer Staatsbibliothek, Herrn Dr. H. Schnorr v.
Carolsfeld die sämtlichen Meininger Blätter für die ihm unter-
stellte Anstalt zu erwerben. Da auch seine Bemühungen um
den seinerzeit von mir a. a. 0. 214 ff. beschriebenen Heidel-
berger Pergamentbogen (H) von Erfolg gekrönt wurden, so sind
jetzt mit Ausnahme der beiden im Germanischen Museum zu
Nürnberg befindlichen Pergamentstreifen (a. a. 0. S. 223 f.) alle
bekannten Bruchstücke der großen Willehalm-Hs. hier in Mün-
o
chen als Cgm. 193 III vereinigt. Denn andere waren selbst
dann nicht mehr zu ermitteln, als ich aus Anlaß des Plans zu
einer Ausgabe der Bruckstücke eine Umfrage an mehr als
Die „große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalui*. 5
DO
50 Bibliotheken und Archive ergehen ließ, worin man allen-
falls ein derartiges Stück vermuten konnte. Es waren dabei
hauptsächlich die in Mitteldeutschland und seinem Umkreis
gelegenen in Betracht gekommen, nicht nur weil die Heimat
der Hs. aller Wahrscheinlichkeit nach mitteldeutsch gewesen
war, sondern auch weil die nachweisbaren Wege aller vorhan-
denen Bruchstücke nach Mitteldeutschland zurück führten.
Was nun zunächst die Rothschen Fragmente betrifft, so
besteht das eine (ehemals Mein. Nr. 548) aus einem ganzen
Blatt von 30,2 cm Höhe und 22,7 cm Breite, das andere (ehe-
mals Mein. Nr. 550) aus der Längshälfte eines Blattes, von
jetzt noch 30 cm Höhe und 13,6 cm Breite mit vollständig er-
haltenem Text und innerer Hälfte der Bilderkolumne. Jede
Textkolumne umfaßt genau wie auf den älteren Münchener
Bruchstücken (M) und auf H 30 Zeilen. Damit dürfte wohl
die durchgehende Einteilung des Kodex festgestellt sein. Sie
wiederholte diejenige, die schon San Marte für die Urhs. des
Dichters angenommen hat und die auch im Parzival durch-
geführt ist, die rein graphische Einteilung, die Lachmann
dazu verleitet hat, „Strophen" von 15 Reimpaaren anzunehmen,
die aber allerdings einem Nachahmer Wolframs, Ulrich von
dem Türlin den Anstoß dazu gab, für sein Epos eine wirk-
liche Strophe von 31 Versen mit schließendem Dreireim zu
bilden. In unserer Bilderhs. freilich sind aus den dreißigzei-
ligen Kolumnen der Urhs. Textabschnitte von bald 30, bald
weniger als 30 Zeilen geworden, die sich zwar noch mit far-
bigen (rot und blau wechselnden und vom Schreiber dem Mi-
niator anbefohlenen) Initialen einführen, aber nicht mehr mit
den Kolumnen, sondern innerhalb dieser beginnen und schließen.
Die Ursache hievon lag darin, daß der Schreiber zuweilen
Verse ausgelassen, öfter aber mehr als einen Vers auf eine
Zeile gebracht hat.
Gelesen hat Roth den Text seiner Bruchstücke überall
richtig. Von ihrer Schreibweise jedoch gibt sein Abdruck kein
genaues Bild. Er hat sämtliche Abkürzungen aufgelöst und
eine moderne Interpunktion durchgeführt. Die Bruchstücke von
<> 0. Abhandlung: Karl v. Ainira.
B '
Meiningei) kennen keine anderen Unterscheidungszeichen als
einen Punkt nach jedem Reim. Sie stimmen in dieser Hin-
sicht wie auch in der sonstigen Schreibweise und in der Li-
neatur mit M und H vollkommen überein, wie denn auch dort
und hier die gleiche Hand die Feder geführt hat.
Die Rothschen Fragmente sind nicht die einzigen, die in
Meiningen von der „großen" Bilderhs. zum Vorschein kamen.
Außer einem kleinen Stück von der äußeren, nur mit Bildern
bedeckten Hälfte eines Blattes (Mein. 549), das uns ob seiner
Rätselhaftigkeit noch besonders beschäftigen muß, fand sich
ein ebenfalls textloser Streifen eines andern Blattes (Mein. 551),
wo von den Malereien immerhin noch so viel erhalten ist, daß
sich mit Sicherheit die .Textstellen angeben lassen, zu denen
sie gehören, ein Streifen also, der insoferne wie die Nürnberger
Bruchstücke (N) zu bewerten ist. Damit wenden wir uns der
Illustration zu.
Auch von ihr gilt im wesentlichen die Charakteristik, die
ich seinerzeit von den Malereien in M, H und N entworfen
habe (a. a. 0. 220). Auch hier die in der Luft stehenden
untersetzten Figuren mit den großen Köpfen und Händen, den
schematisch gezeichneten breiten und ausdruckslosen Gesichtern,
deren Farbe nur durch Mennigflecken an Wangen und Mund
und Mennigstriche über der Stirn angedeutet ist, die steilen
Nasen, die aufgerissenen Augen unter wagrechten Brauen, die
gelb angetuschten Haare, die bei Männern über der Stirn in
fünf Fransen liegen und nach den Seiten in S-förmigen Wellen
abfließen, das stereotype Gewandmotiv wie z. B. des über dem
Oberschenkel des Spielbeins glatt anliegenden und in Parallel-
falten über den Unterschenkel fallenden Rockes oder der über
den einen Arm drapierten Mantelhälfte, die reine Lokalfarbe
an allen Kleidern, die ausgesparten Glanzlichter der Ketten-
rüstungen, die derben schwarzen Linien, welche die Gestalten
umziehen, die weiß gelassenen Hintergründe. Keine sichern
Merkmale liegen vor, die nötigen würden, eine Mehrzahl von
Zeichnern an der Illustration anzunehmen, wiewohl in Mein. 550
und 551 ähnlich wie in N die Zeichnung stellenweise noch
Die „erofie Bilderhandschrift von Wolframs Willehalm".
»ft>
handwerksmäßiger ist als in Mein. 948. Immerhin werden wir
Merkmale kennen lernen, die Schlüsse auf Verschiedenheit von
Zeichner und Maler, ja sogar auf eine Mehrzahl von Zeichnern
und Malern nahelegen. Die Anordnung der Bilder ist auf den
neu gefundenen Blättern die nämliche wie auf den früher be-
kannten. Jede Seite enthält neben der inneren für den Text
bestimmten Kolumne eine äußere, wo übereinander 3 kolorierte
Federzeichnungen stehen. Diese nehmen, wo sie vollständig
erhalten sind (in Mein. 548), ebenso wie in H der Breite nach
einen doppelt oder doch beinahe doppelt so großen Kaum in
Anspruch wie die Schriftkolumne. Dieser Kaum war ihnen,
wie die senkrechte Grenzlinie der Schriftkolumne zeigt, schon
vom Schreiber vorbehalten. Wiederum treffen wir auch in ge-
wissen von Bildern eingenommenen Flächen jene rot und blau
wechselnden Buchstaben, die auf den zugehörigen Textabschnitt
verweisen, ganz so wie in M und H.
Die dargestellten Szenen sind folgende:
Das vollständig erhaltene Blatt Mein. 548 erzählt auf seiner
Vorderseite1) oben den Schluß des Gesprächs zwischen Wille-
halm und seiner Mutter Irmschart über die Hilfe, wozu sich
diese gegen die Heiden erbietet (161 v. 20 ff.). Beide stehen,
sie rechts, er links2) vor (= in) einem Palast, den ein mit
roten Ziegeln überdachter und mit kleinen schwarzen Drei-
pässen in den Zwickeln verzierter Bogen andeutet. Das Ge-
spräch wird in seinem Verlauf geschildert. Mit dem linken
Zeigefinger weist der Markis seitwärts auf einen frei schwe-
benden Helm, unter dem über Eck sein Schild mit dem Gold-
stern im blauen Feld steht. Denn das Angebot der alten Frau,
selber bewaffnet ausziehen zu wollen, lehnt er mit den Worten
ab: der heim ist iu benennet nicht noch ander wäpen noch der
schilt. Die von ihr verheißene Beisteuer in Silber und Gold
dagegen läßt er sich gefallen und von ihr geloben. Dies ge-
schieht durch Handreichung und zwar nach dem Ritus, wobei
1) Abgebildet in Bau- u. Kunstdenkm. Thür. a. a. 0. 257.
2) Die Worte rechts und links sind in dieser Abhandlung stets
im heraldischen Sinn gemeint.
8 6. Abhandlung : Karl v. Ainira
r>
die Innenseiten der Hände flach aneinander gelegt werden,
wie ich ihn in meiner Abhandlung über die Handgebärden in
den Bilderhss. des Sachsenspiegels (1905) S. 239 f. erörtert habe.
Gleichzeitig deutet Irmschart unter sehr gewaltsamer Verschrän-
kung beider Arme mit ihrem linken Zeigefinger rückwärts auf
8 gelbe Kreisflächen, d. h. die Goldmünzen, von denen sie
spricht.
Im nächsten Bild zeigt ein rotes W an, daß dieses und
die beiden folgenden Bilder zu dem Abschnitt 162 gehören,
der mit den Worten Wolt ir nv hören beginnt. Es sind sehr
eigenartige Kompositionen, dergleichen weder in M, noch in
H, noch in N zu finden waren. In allen dreien steht in der
Mitte ein Mann, der sich durch Beibehalten seiner Tracht —
schwarze Beinkleider, langen, gegürteten blauen Rock und
gelben Rittermantel — stets als eine und dieselbe Person kenn-
zeichnet. Mit beiden Zeigefingern deutet er gleichzeitig nach
rechts und nach links. Links steht jedesmal Willehalm, dem
sich jener auch zuwendet. Rechts wechseln die Personen. Kein
Zweifel, daß wir in dem Träger des blauen Rockes und des
gelben Mantels den Dichter vorgestellt bekommen. Sein Auf-
treten ist, wie sich später noch bestätigen wird, durch eine
subjektive Wendung des Gedichtes veranlaßt, wie gleich in
Nr. 1 dieser Bildergruppe, wo er die Hörer anredet und im
Fortgang seiner Rede auffordert nu prubet ouch usw. Mit dem
rechten Zeigefinger weist er nach links auf Willehalm, der hier
aufgerichtet und seine rechte Hand auf die Brust legend da-
steht; denn dem markise nachte vrowede vnt hoher mM. Mit
dem linken Zeigefinger deutet Wolfram unter dem rechten Arm
den linken durchsteckend nach rechts, wo man div romische
koninginne sieht, von der uns der Dichter erzählt, wie sie ir
Up vnt ir gut vnt ir gvnst mit hercen sinne . . . mit truwen gap
in sin gebot. Zu ihren Füßen aber liegen ausgestreckt die
Leichen von zwei Männern in Kettenrüstungen und Waffen-
röcken, eine sogar mit einer blutenden Wunde, weil die Hörer
erwägen sollen den grozen mort, der uf Alytscanz gescach. In
Nr. 2 dagegen erhebt sich rechts auf grünem Bergesrücken ein
Die „große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalin". 9
befestigtes Gebäude, das uns von N und H her wohl bekannt
ist. Es ist die Burg von Orange. Und wie in N und H so
erblickt man auch hier wieder unter dem Fensterbogen über
den Mauerzinnen eine gekrönte Frau in derselben Tracht wie
in H, Kyburc. Auf sie deutet der Dichter mit seiner rechten
Hand, weil er dem Hörer zu bedenken gibt, wie sie nach der
Unglücksschlacht auf Alischanz in dem vorchtlich vngemach ge-
blieben und wie sie Willehalms liebste pfant gewesen sei. Der
Markis, zur Rechten Wolframs, erhebt diesmal seine rechte Hand
zu dem traditionellen Trauergestus, :) weil nach ir im sin
vrowde swant. Auch das Aß (esse), das im nieman übergeben
Jcunte in also geivantem sil, hat der Illustrator nicht vergessen.
Er hat es zwischen die Burg und die Figur Wolframs in Ge-
stalt eines einäugigen Würfels hingezeichnet. Nr. 3 (das erste
Bild auf Mein. 548 v) wiederholt den Willehalm in der näm-
lichen Trauerhaltung wie Nr. 2, weil auch hier noch miten in
sinem hereen lac gruntveste der sorgen fvndamint. Rechts vom
Dichter sieht man einen am Spitzhut kenntlichen Juden und
einen hinter diesem stehenden Mann in konischer Mütze, der
den im Text erwähnten „Heiden und Publikan" repräsentiert.2)
Beide weisen mit der rechten Hand auf den ihnen gegenüber-
stehenden Willehalm als auf den Gegenstand ihres Mitleids,
das sie durch den Trauergestus ihrer linken Hand kundgeben.
Der Dichter deutet auf sie mit seiner rechten Hand, weil er
findet: iz mochte irbarmen alle de sint des waren gelouben ane,
Juden, heiden, publicane.
Zu einer neuen Bildergruppe hinüber, von der wir jedoch
nur die ersten Glieder besitzen, leitet ein blaues M, anzeigend,
daß sie den Textabschnitt 163 veranschaulichen will, der mit
dem Vers Mich mvte ouch sin Jcvmber anhebt. Die subjektive
Fassung der Eingangssätze veranlaßt das erneute Erscheinen
Wolframs in der Mitte von Nr. 1. Wie in den beiden voraus-
') Hierüber s. Handgebärden S. 234.
2j Wen der Dichter mit dem Wort publikäne meinte, mag hier
dahingestellt bleiben. Der Illustrator nahm es jedenfalls für synonym
mit heiden gemäß Matth. XVIII 17: ethnicus et publicanus.
I" 6. Abhandlung: Karl v. Arnim
gegangenen Szenen deutet er mit dem linken Zeigefinger auf
den links von ihm in der bisherigen Trauerhaltung stehenden
Markis, mit dem rechten auf eine rechts von ihm stehende
weibliche Gestalt in grünem Unter- und gelbem Obergewrind,
wehendem Schleier und mit Trauergebärde. Sie erscheint in
gleicher Tracht im nächsten Bilde, avo wir in ihr die Kaiserin
zu erkennen haben. Sie erscheint aber auch schon hier, um
anzuzeigen, weswegen der Dichter den Willehalm im neben-
stehenden Text entschuldigen will, nämlich wegen der Miß-
handlung, die dieser an der Kaiserin, seiner Schwester, be-
gangen. Als Entschuldigungsgründe führt er an minne vnt
andre not, mage vnt manne tot. Darum schwebt über Wille-
halm, ihm zugewandt, das gekrönte Haupt einer Frau, der
Kyburg, das Symbol seiner „Minne", und richtet er seine Blicke
auf das ihm gegenüberliegende und uns schon von der Vorder-
seite her bekannte Leichenpaar, seine Magen und Mannen. Die
nunmehr folgende Szene1) spielt sich ab zwischen der Königin
und ihrer Tochter Alize. Links sieht man die arg verzeichnete
Kemenate, worin die Königin steht. Sie hält mit der linken
Hand den vor die Tür geschobenen balkenartigen Riegel2) fest,
da sie die Tochter nicht einlassen wollte und aus Furcht vor
dem Übeln Nachbar Willehalm nine ivolte den reget abe stiegen.
Den rechten Zeigefinger erhebt sie gegen die von rechts heran-
tretende Tochter im sog. Befehlsgestus 3) zu den Worten tochtcr
hüte daz mir din vride icht verscherte mine lide. Alize, die mit
der linken Hand den Türring ergriffen hat, gestikuliert mit der
rechten in derselben Weise, indem sie die Mutter tröstet: mir
stet hie bi Scherirs und Buov von Komarzi usw. Die Worte
stehen nicht mehr auf dieser Seite. Aber die beiden Ritter
die auch nach 160 v. 18 f. die Königstochter begleiteten, er-
scheinen hinter ihr.
Auf dem zweiten der Rothschen Bruchstücke, Mein. 550,
1) Abgeb. in Bau- u. Kunstdenk))). Thür. a. a. 0. 259.
2) Über diesen vgl. M. Heyne, Fünf Bücher deutsch. Haus-Alter-
tümer I 231.
3) Hierüber s. Handgebärden ö. 212 216.
Die .große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalm". H
»o
sind nur die kleineren Hälften der Illustrationen erhalten und
zwar auf der Vorderseite die rechte, auf der Rückseite die
linke. Die drei Bilder der Vorderseite scheinen sämtlich zum
Abschnitt 210 des Textes zu gehören, dessen erste 8 Verse
noch auf dem vorausgehenden Blatt gestanden waren. Diesen
8 Versen ist Nr. 1 der Bildergruppe gewidmet. Erhalten ist
noch ein Stück des Kissenthrons, worauf Kaiser Ludwig saß.
Erhalten ist ferner seine linke Hand, womit er drei große Geld-
stücke nach rechts hin reicht. Dort stehen zwei Männer, denen
sie zugedacht sind, und die schon zwei solcher Geldstücke in
Empfang genommen haben. So wird der Inhalt der Verse 4
und 5 veranschaulicht: sins [des Kaisers] soldes wart da vil
genomen und wüleclich von im gegeben. Nr. 2 zeigte, wie er
sprach sunder zo den vurstcn. Diese sind ihrem Rang gemäß
im Gegensatz zu obigen Soldempfängern sitzend dargestellt,
drei in Röcken und unbedeckten Hauptes, einer an der Spitze
der Gruppe im Mantel und mit der Grafenmütze auf dem
Haupte. Sein Bart macht ihn als alten Mann kenntlich. Es
ist Willehalms Vater Heimerich. Nr. 3 endlich führt wieder
rechts eine Gruppe von stehenden Rittern vor, diesmal mit der
auch in N vorkommenden Gebärde der Ehrerbietung, den kreuz-
weis herabhängenden Händen mit einwärts gekehrten Innen-
flächen.1) Es sind wohl Hörer des letzten Teils der kaiser-
lichen Rede, die den Rest des cap. 210 füllt. Die Kehrseite
des Blattes bringt zwei Bilder zu 211 v. 18 ff. des Textes. Im
ersten sind noch ein paar Stücke von der linken Seite des
thronenden Kaisers erhalten, der sich mit Befehlsgebärde zu
einer Gruppe von drei zu seiner Linken stehenden Männern
wendet. Der vorderste von diesen schultert mit der linken
Hand einen schlichten weißen Stab. Wir erkennen in den
Dreien den marscalc vnt [die] amptlivte, zu denen der Kaiser
spricht : Ich beuelhe iv allen hivte den markis an mine stob, der
mich durc kvmher helfe bat. Dem Kaiser schließt sich in v. 23 ff.
l) Darüber a. Handgebärden S. 232 f. und vgl. Medebach Stat. (um
1350) § 13 (bei Gengier, Stadtrechte 287): manibus ante se compositis
soll man Urteil schelten.
1- 6. Abhandlung: Karl v. Amira
seine Gattin an: da sprach div kvninyinne: yan mir yot der sinne,
swer minem brttder Jiir yestet, sivaz den imber ane yet mit kvm-
berlicher tete, min herce yit de rete usw. Daher steht im näch-
sten Bild links neben dem sitzenden Kaiser die Kaiserin mit
einer entschieden nach rechts hin zeigenden Gebärde, deren
Ziel freilich dem das Blatt zerschneidenden Buchbinder zum
Opfer gefallen ist. Unmittelbar unter dem rechten Fuß des
Kaisers hat der Zeichner dem Maler mittels eines D den Buch-
staben angegeben, der größer in Mennig ausgeführt den Zu-
sammenhang der am Fuß der Kolumne beginnenden neuen
Bildergruppe mit dem Textabschnitt 212 (Daz zv mulleun was
geswom usw.) herstellen sollte. Der ausgeführte Buchstabe
selbst ist mit der größeren Hälfte des Bildes weggeschnitten.
Wir gewinnen hier den oben S. 7 angedeuteten Anhaltspunkt,
wo eine Verschiedenheit zwischen Zeichner und Maler wahr-
scheinlich wird. Die neue Bildergruppe begann mit einer Dar-
stellung, die sich über den Text mindestens bis zu Vers 13
erstreckte. Erhalten ist vom figuralen Teil nur noch die linke
Hälfte mit dem sitzenden Kaiserpaar. Jetzt aber ist es wieder
der Kaiser, der das Wort führt. Mit Befehlsgebärde wendet
er sich nach rechts hin, wo wir uns eine Gruppe von Rittern
zu denken haben. Von einer dieser Figuren ist noch ein Stück
sichtbar. Am Fuß der Textkolumne setzt sich jedoch die Zeich-
nung fort. Man sieht dort eine Korngarbe, weil der marseale
solte vfder yeben. Man sieht einen Holzkübel, weil de des trin-
Jces wolten leben, de solten zv den schenken gen, — ferner einen
Kessel, weil so solte der trukzeze sten bi dem kizzele, — end-
lich ein Schwert und vier Geldstücke darüber, weil der kenie-
rere solte machen quit de pfant den is ivere not.
Das zweite Glied der Bildergruppe zu Abschnitt 212, *)
womit diese zugleich abschließt, eröffnet die Vorderseite des
neugefundenen Pergamentstreifens Mein. 551, der keinen Text,
sondern nur Bilderkolumnen überliefert. Ein Versehen des
Schreibers scheint bei Vers 17 (der kiinec yap selbe sriches vanen
') Abgeb. in Bau- u, Kuustdenkm . Thür. a. a. 0. S. 258.
Die „ große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalm". 1»
dem markis und hies in manen usw.) die Annahme eines neuen
Abschnittes verursacht zu haben. Denn oben im Bilde hat der
Maler die blaue Initiale D angebracht, die der Textanfang zitiert.
Links thront das Kaiserpaar wie oben, der Kaiser mit der linken
Hand dem vor ihm knienden Willehalm die Reichsfahne über-
reichend, die rechte zum Befehlsgestus erhebend, wie es der
Text verlangt. Da er aber auch die nidern und die obern an-
redet : ir stntet berge oder tat, Sit gemeint um sruofes [des Kriegs-
rufes Monschoie] schal, so stehen hinter dem knienden Wille-
halm, dem König gegenüber 2 Gewappnete mit der Gebärde
der Ehrerbietung (s. oben S. 11). Die rote Initiale A über der
nächsten Komposition leitet eine Bildergruppe zum 213. Text-
abschnitt ein, sei es, daß der Schreiber diesen schon beim Vers
also gein Oransche erbot beginnen ließ, sei es, daß in dem ver-
lorenen Text der erste Vers nicht wie in der Vulgata mit dem
Wort die, sondern mit einem mit a anlautenden Wort (etwa
alle) begann. Es spielen sich aber in dem ersten Glied der
Bildergruppe 2 Szenen neben einander ab. Die erste, rechts,
ist unvollständig erhalten. Man sieht nur noch die sich nach
rechts wendenden Gestalten von 3 Herren. Ihr Gegenüber fehlt.
Doch steht außer Zweifel, daß geschildert war, wie die vürsten
und des hüneges man nämen urloup von dan ze varn üf die
hervart. Denn die Szene in der linken Bildhälfte gehört schon
zu den unmittelbar folgenden Textworten : nü Jcom der junge
Renneivart . . . mit urloube er dannen schief von dem Mnege.
Rennewart, mit seiner schweren Streitkeule im linken Arm und
mit dem rechten Zeigefinger Aufmerksamkeit heischend, steht
vor dem sitzenden Kaiser, der ihn mit derselben Gebärde auf
die Heerfahrt schickt. Die letzte Darstellung der Kolumne
bringt wieder die unmittelbar im Text folgende Begebenheit,
nämlich wie Rennewart sich auch von der Kaiserin verabschiedet.
Diese sitzt im Palast und deutet schon auf die neben ihr
sitzende junge hünegin, die im weitern Verlauf die besondere
Aufmerksamkeit des Lesers beansprucht und hier schon auf
den rechts vor den Frauen mit geneigtem Haupt und Ehr-
furchtsgebärde stehenden Rennewart zeigt. Hinter den Damen
I I i). AUiiindlung: Karl v. Amira
ist noch eine Begleiterin .sichtbar. Und nun folgen auf der
Kehrseite des Streifens 3 Bilder, die sämtlich den Abschied
Rennwarts von Alize schildern, also noch zum 213. Textabschnitt
gehören, sodaß gegen seine sonstige Gepflogenheit der Illustrator
diesem einen Abschnitt nicht weniger als 5 Kompositionen widmet.
In allen dreien auf der Kolumne b steht rechts Rennewart mit
der Gebärde der Ehrerbietung vor Alize. Diese sitzt in Nr. 1 l)
gemäß den Textworten under(2) boumen an einem gras. Gras
und Klee sieht man zu ihren Füßen. Die Haltung des jungen
Mannes ist hier noch ganz ruhig, während der Redegestus,
die erhobene rechte Handfläche,2) anzeigt, daß sie spricht.
Si Hagete sine manege not usw. In Nr. 2 ist Alize aufgestanden
und die beiden legen ihre Wangen aneinander, weil diu maget
stuont üf; der Jens geschach. Links ist noch die vordere Hälfte
einer männlichen Gestalt in langem blauem Rock erhalten, die
auf das angehende Liebespaar deutet. Wir gehen schwerlich
fehl, wenn wir in dieser Figur wieder den Dichter vermuten
(vgl. oben S. 8 f.). Denn im Text spricht er (v. 13 f.) von sich
selbst: wan das mirs diu ävenäure saget, des meeres weere ich
gar versaget. Er muß sich also wie im Text dem Leser, so im
Bild dem Beschauer persönlich vorstellen. Nr. 3 führt dann
die Abschiedsszene unter den Bäumen zu Ende. Vor Renne-
wart, der dem Text gemäß ir neic, steht Alize die rechte Hand
mit aufgestreckten 3 ersten Fingern zum Segensgestus3) er-
hebend, d. h. sie entläßt ihn mit dem Segenswunsch din edel-
Jceit mac dich bewarn und an die stat noch bringen, da dich
sorge nicht darf twingen. Links hinter der Kaisertochter ist
noch die vordere Hälfte einer weiblichen Figur in rotem Ge-
wand erhalten, die sich dem sich neigenden Rennewart zukehrt.
Damit begleitet die Illustration den Textabschnitt bis zu seinem
Schluß : den andern vrouwen wart ouch genigen, gein in sin ur-
loup niht versteigen.
1) Abgeb. in Bau- u. Kunstdenkm. Tliür. a. a. 0. 259.
2) S. hierüber Handgeliärden S. 170 ff.
3) Hierüber s. Handgebärden S. 202. Vgl. auch die Miniaturen in
der Weingartener Liederhs. S. 25, 40, 60 (Lit. Ver. V 20, 47, 72).
Die .große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalm*. 15
18 Kompositionen aus dem zerstörten großen Werk sind
es so, die wir durch die Meininger Funde neu kennen gelernt
haben und deren Verhältnis zu Wolframs Text wir mit aller
Sicherheit feststellen konnten. Damit finden wir uns nun aber
auch in der Lage, den Charakter der dort vertretenen Buch-
malerei viel vollständiger zu beurteilen, als dies nach den früher
bekannten Überbleibseln möglich war. Mit aller Deutlichkeit
ist jetzt die Aufgabe erkennbar, die sie sich setzt, und der
Plan, wonach sie rücksichtslos diese Aufgabe zu erfüllen sucht.
Die Absicht des Künstlers ist einzig und allein auf Ver-
anschaulichung des Textinhalts fürs Auge gerichtet.
Dekorative Zwecke sind ihm gänzlich fremd. Darum einerseits
die ununterbrochene Begleitung des Textes mit Bildern auf
neben ihm herlaufenden Kolumnen, anderseits das Fehlen jeder
künstlerischen Begrenzung des Bildes im Raum. Kein Rahmen
umschließt die einzelne Szene, und folglich haben die Gegen-
stände keinen eigenen Hintergrund, weder Gold noch Farbe.
Aus dem gleichen Grund kommt es niemals auf die sichtbare
Erscheinung eines Dinges um ihrer selbstwillen an. Äußere
Wahrscheinlichkeit wird geradezu abgelehnt ; nichts darf in die
Darstellung hereingezogen werden, was der Text nicht wenigstens
andeutet, wie z. B. die Ortlichkeit. Welchen schlagenderen
Beleg dafür gäbe es als die rückseitige Kolumne auf Mein. 551,
wo der Ort der Handlung für alle 3 Szenen der nämliche,
aber nur in der ersten der Rasen zu sehen ist, auf dem Renne-
wart die Kaisertochter antrifft, in den beiden folgenden dagegen
wie sonst immer die Personen keinen Boden unter den Füßen
haben. Nur die erste Szene gehört eben zu den Textworten
(213 v. 10), die von dem Rasen sprechen (vgl. oben S. 14).
Und wenn nur dort Alize sitzt, während sie in Nr. 2 und 3
steht, so dürfte zu vermuten sein, daß in Vers 9 die Hs. eine
von der gemeinen1) abweichende Lesart hatte: diu junge Minegin
sunder saz. Jedenfalls ist die Art der Blustration schlechter-
dings durch den Zweck strengster Wortinterpretation bestimmt.
l) diu junge künegin sunder /ins.
1" 6. Abhandlung: Karl v. Amini
Der Leser soll, wo nur immer möglich, die Dinge zu Gesicht
bekommen, die das Wort nennt, den Helm und den Schild,
die der alten Irmschart nicht ziemen, die Geldmünzen, die sie
ihrem Sohn verspricht, und den Sold, den der Kaiser seinen
Rittern auszahlen, und das Geld, womit er ihre Pfänder aus-
lösen läßt, aber auch das versetzte Schwert, das ausgelöst wird,
die gefallenen Mannen, deren Verlust Willehalms Zorn ent-
schuldigen soll, die abwesende zu Orange eingeschlossene Gat-
tin, an die er denkt, den Juden und den Heiden, die sich seiner
erbarmen würden, das Aß, das ihm niemand zu seinem Spiel
verschaffen kann, das Futter, dessen sich der Marschall, den
Kessel, dessen sich der Truchseß, und den Trunk, dessen sich
der Schenk anzunehmen hat. Ganz ebenso bekommt in N
und H der Leser nicht nur gezeigt, daß Kyburg, Teramer, Ty-
bald sprechen, sondern auch dasjenige, wovon sie sprechen:
den Stern, dem Gott seinen Lauf bestimmte, den Fluß, dessen
Ursprung er geschaffen, ja sogar den Schöpfer selbst; der aller
dieser Dinge gewaltig ist und dem Kyburg zu dienen erklärt,
die Heidengötter, denen sie entsagt hat, weiterhin die Stamm-
mutter Eva, wie sie Kyburgs Worten gemäß ihre Scham und
ihre Brust verdeckte, dann die von Eva verschuldete Höllen-
fahrt von Adams Geschlecht, aber auch die „Trinität", welche
die Höllenpforte erbrach, die Fesseln und Bande, von denen
Kyburg sich rühmt den Willehalm geledigt zu haben, das
Land Todjerne, das sie einst zur Heimsteuer erhielt, und die
Krone, die ihr Vater ihr dort aufsetzte, aber auch die Wide,
womit König Tybald sie bedroht. Eben dieser Wortinterpre-
tation verdankt es der Leser, daß er die persönliche Bekannt-
schaft des Dichters machen darf, der wenigstens in den Mei-
ninger Malereien, sobald er von sich selbst spricht, auch ab-
gebildet wird. Allerdings wurde diese naiv geistreichste aller
Erfindungen nicht an allen Stellen verwertet, wo Anlaß dazu
gegeben war, z. B. nicht in H bei Abschnitt 237 v. 4 — 14,
wo Wolfram seine Kenntnis des Französischen ironisiert, auch
nicht in M bei Abschnitt 389 v. 28 f., wo er sagt, er möchte
den Poidwiz nicht zum Förster eines Waldes bestellen. Viel-
Die , große Bilderhandschrift von Wolframs Willehahn". 17
leicht war doch eine Mehrzahl von Illustratoren an dem Werk
beteiligt.
Die Mittel, die dem Künstler zu seinen Zwecken dienen,
sind stets die einfachsten. Er kümmert sich nicht um gefällige
Ausführung. Darum der ärmliche Farbenvorrat, der Mangel
jeder Modellierung. Da es ihm noch viel weniger als irgend
einem andern Buchmaler seiner Zeit darauf ankommt, die Wirk-
lichkeit abzuspiegeln, arbeitet er noch viel mehr als jeder
andere mit der Repräsentation und der Abbreviatur.1) Ein
Bogen mit Dreipässen in den Zwickeln und einem Dach darüber
bedeutet einen Kaiserpalast. Erhebt sich ein noch bescheide-
nerer Bau über einer Zinnenmauer, die auf einer grünen Berg-
kuppe steht, so ist es die Burg Gloriete zu Orange. Kleine
Kreisflächen, gelblich angetuscht, stellen Geldstücke vor, eine
grüne Ovalfläche mit einem Turm über Mauerzinnen darin das
ganze Reich Todjerne.2) Ein paar Leichname von Bewaffneten
vertreten die Menge der Toten auf dem Schlachtfeld vor Orange
und wieder die Menge der Mannen, die Willehalm in der ersten
Schlacht von Alischanz verloren. Ein Antlitz kann eine ganze
Figur vertreten, ja der Schild eines Ritters diesen selbst. Nur
bei den Schlachtenschilderungen in M entsteht der Eindruck
größerer Ausführlichkeit, weil dort so viele Menschen und Rosse
zusammengedrängt sind, als der Raum gestattete. Der Vorrat
von Ausdrucksbewegungen, womit die Illustration auskommt,
beschränkt sich auf die eindringlichsten, die Gestikulation und
allenfalls noch die Körperhaltung. Aller Mimik wird aus dem
Weg gegangen. Die Handgebärden gehen nicht über die
traditionellen hinaus. Aber es wird von ihnen ausgiebigster
Gebrauch gemacht, so daß oft der Anschein entsteht, als ob
eine Person gleichzeitig nach verschiedenen Seiten hin gestiku-
liere. Dabei wird die Größe der Hände übertrieben und ge-
waltsame Verschränkung der Arme nicht gescheut (oben S. 8).
Die Personen werden in der Regel nur durch ihre Kleidung
') Zum folgenden vgl. auch Sitzungsber. 1903 8. 228— 2:)2.
-') Sitzungsber. 1903 Taf. 1 nebst 8. 231, 232.
.Sitzgsb. d. phüos.-pbilol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 6. Abb. 2
IS 6. Abhandlung: Karl \. Amira
von einander unterschieden, - höchstens, daß vielleicht Renne-
uart ein noch breiteres Gesicht und noch glotzigere Augen.
Alize eine etwas schlankere Gestalt bekommt als andere Menschen,
gemäß den Beschreibungen in cap. 270 v. 25 — 27, 154 v. 13,
oder daß den Juden sein Profil von den Christenleuten und
von den Heiden, den alten Mann vom jungen, wie üblich, sein
Bart1) unterscheidet. Sonst spricht sich in der Gesichtsbildung
nicht einmal der Geschlechtsunterschied aus. Eher unterschei-
den sich die Frauen von den Männern durch die Länge der
Haare. Mit den Kleidern dagegen wird es insofern genau ge-
nommen, als sie bestimmt sind, einerseits den Unterschied der
Lebensstellung, anderseits die Identität der Person zu bezeichnen.
Darum ist es Regel, daß jede Person stets in gleicher Gewan-
dung auftreten, und nur dann davon abweichen soll, wenn
besondere Umstände es rechtfertigen. Genügt die Tracht nicht
vollständig ihrem Zweck, so erhält ihr Träger ein Beizeichen,
das ihn wie ein Leitmotiv begleitet, ohne Rücksicht auf sinnen-
fällige Wirksamkeit. Wolframs Tracht wurde oben beschrieben.
Willehalm erscheint gemeiniglich in Kettenrüstung und licht-
o-rünem Waffenrock, das Schwert in schwarzer Scheide (und
allenfalls am weißen Gürtel) an der linken Seite. Aber von
andern Rittern in Rüstung unterscheidet er sich durch den
goldenen Stern, der über seinem Haupt schwebt und im blauen
Feld seines Schildes wiederkehrt. Hat er aus friedlichem Anlaß
die Rüstung abgelegt (wie in H), so trägt er (über schwarzen
Beinlingen) einen blauen Rock mit dem goldenen Stern auf
der Brust. Rennewart begegnet uns, so lang er nicht in den
Kampf gezogen, in schwarzen Schuhen, gelben Beinkleidern
und kurzem lichtgrünem Rock. Hält er die berühmte eisen-
beschlagene Keule nicht im Arm, so schwebt sie hinter ihm.
Auf der Heerfahrt dagegen trägt er, seitdem ihn Kyburg ge-
wappnet hat, über seinen gelben Beinkleidern oder über Ketten-
rüstung einen roten Waffenrock und einen Eisenhut, im Kampf
auch die Halsberge über den Kopf gezogen. Der Illustrator
') Bei Heimerich fordert, dies übrigens der Text 251 v. 10.
Die „große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalm ". 19
hat sich auch hier an seinen Text 295 v. 1 — 11 und 296 v. 3 — 7
gehalten. Der Kaiser Ludwig ist außer an seiner Krone an
der ärmellosen roten Sukkenie kenntlich, die er über einem
blauen, einmal auch gelben Unterkleid trägt; der alte Heimerich
außer an seinem Bart an der blauen Grafenmütze mit gelben
Spangen. Meist trägt er über einem gelben Untergewand eine
rote Sukkenie und gelben Mantel. Nur beim Gastmahl zu
Orange, wo er wie ein Truchseß in Vertretung des Wirtes
die Plätze anweist, besteht sein Anzug in einem langen blauen
Rock mit Ärmeln und einer etwas überhöhten roten Mütze.
„Fürsten" des französischen Reichs kennt man an einer gugel-
artigen Bundmütze mit Schapel. *) Die Repräsentanten der
niedern Ritterschaft erscheinen bei Hof in einfarbigen oder
auch in zweifarbigen Ärmelröcken, der Marschall in blau-weiß
quergeteiltem Rock. Sein und der anderen Hofbeamten eigent-
liches Abzeichen aber ist, wie es ja auch dem Brauch ent-
spricht, der Stab in seiner Hand. Die Sarazenen erscheinen
gerüstet im allgemeinen wie die christlichen Ritter auf der
Heerfahrt, unterscheiden sich aber von diesen, bei denen das
Gesicht unter dem Topfhelm verschwindet, durch das Hersenier
und den darauf gesetzten altertümlicheren Spitzhelm, den bei
ihren Königen eine Krone umgibt. In H und N führen sie
auch noch einen Schild von älterer Gestalt, den Dreieckschild
mit sphärischem Oberrand, während beim Schild der Franzosen
der Oberrand geradlinig läuft. Erst in den späteren Teilen
des Kodex (M) ist der Unterschied unter den Schilden auf-
gegeben, was vielleicht wieder einem Wechsel des Zeichners
zugeschrieben werden darf. So wird es auch von einem Wechsel
des Illuminators herrühren, wenn in M, nicht aber schon in
H und N der sarazenische Schild im Gegensatz zum fran-
zösischen heraldisch bemalt ist. Unter den Frauen unter-
scheiden sich die verheirateten von den unverheirateten in der
Regel durch das Gebende. Nur hinter der verriegelten Tür
ihrer Kemenate hat es die Kaiserin mit einem weißen Kopf-
l) S. Sitzunf/sber. 1903 S. 229.
20 6. Abhandlung: Karl v. Amira
tuch vertauscht, wie sie dort auch den blauen Mantel abgelegt
hat, der sie sonst ebenso wie die Krone zu kennzeichnen pflegt.
[rmschart dagegen trägt über blauem Armelkleid einen gelben
Mantel, Kyburg als Verteidigerin von Orange Kingpanzer und
gelben Waffenrock, wo der Text (215 v. 7, 226 v. 29, 229 v. 26)
sie in Waffenrüstung verlangt, dann aber, nachdem sie sich
„entwaffnet" hat' (232 v. 13), einen roten oder auch gelben
Mantel über den Schultern und später beim Gastmahl, wo sie
ohne Mantel erscheinen muß, einen gelben Rock. Bei diesem
Wechsel der Tracht ist für Kyburg um so wichtiger die Krone,
die sie als „Königin" immer trägt. Vgl. den Text in 228 v. 6,
10, 12 und in 232 v. 13. Alize tritt stets ohne Mantel auf
in gegürtetem grünem Ärmelkleid, das tief zur Erde wallt
und so ihren Wuchs noch schlanker macht. Das Ende des
Gürtels hängt tief herunter. Ihr Haupt umschließt ein schmaler
Reif mit 3 Kleeblättern (Lilien?). So entspricht ihre Erschei-
nung wenigstens in der Hauptsache der Beschreibung im Text
154, 155, die freilich so stark ins Einzelne geht, daß der Maler
nicht genau folgen konnte.
Bei allen bisherigen Erörterungen spielte noch keine
Rolle das kleinste Stück der ehemals Meininger Fragmente,
Mein. 549, das nur oben S. 6 kurz erwähnt wurde. Es ent-
hält nur Abschnitte von den mittleren und unteren Bildern
zweier Kolumnen und setzt seiner Einordnung besondere
Schwierigkeiten entgegen, weil sich beim Mangel des Textes
nicht mit einiger Verläßigkeit feststellen läßt, welche Szenen
dort dargestellt werden. Auf der Vorderseite (Taf. I) sind von
der oberen Komposition nur sehr kümmerliche Überbleibsel zu
sehen. Am sichersten erkennt man die Gestalt des Wolfram
von Eschenbach, die hier zwar des Kopfes entbehrt, aber im
übrigen die gleiche Tracht und Haltung zeigt wie auf den
oben S. 8 f. besprochenen Bildern von Mein. 548. Der Dichter
nahm die Mitte zwischen zwei Personen ein, auf die er mit
der rechten und linken Hand deutete. Links stand, wie die
noch erhaltenen Füße beweisen, ein Mann in Kettenrüstung,
wahrscheinlich Willehalm, rechts, dem Anschein nach, eine
Die „große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalin". 21
(vielleicht weibliche) Figur in langem Mantel. Aus der unteren
Komposition sind vier Figuren erhalten, die sämtlich sich nach
rechts kehren und in denen wir alte Bekannte begrüßen, näm-
lich von rechts nach links Willehalm, die Kaiserin, den Kaiser
und Willehalms Mutter, Irmschart. Die drei letztgenannten
verhalten sich schweigend, während Willehalm den linken Zeige-
finger aufstreckend redet. Auf der Kehrseite (Taf. II) stehen
in beiden Bildern rechts Alize und links der alte Heimerich
einander gegenüber, beidemal, soweit die Reste des oberen
Bildes ersehen lassen, in gleicher Haltung und mit gleichem
Redegestus.1) Aber im oberen Bilde kauert zwischen ihnen
eine knabenhafte Gestalt, rechts nach Alizen aufschauend und
nur in einen roten Kittel gekleidet, der die Beine bloß läßt,
und an den Knien anscheinend blutig verletzt. Es wäre nun
zwar vielleicht möglich mit mehr oder weniger Zwang zur
einen oder andern dieser Darstellungen einen Text in dem
uns vorliegenden Willehalm-Epos Wolframs ausfindig zu machen.
Aber außer Stand sehe ich mich schon, einen Text dort nach-
zuweisen, wozu jene Bilder in so naher Aufeinanderfolge ge-
hören könnten, und außer Stand insbesondere einen Text nach-
zuweisen, der ein Gespräch Heimerichs mit Alizen in Anwesen-
heit eines Knaben oder über einen Knaben erzählt. So scheint
mir nichts übrig zu bleiben als die Annahme, daß die große
Bilderhs. außer dem uns bekannten Gedicht des Wolfram noch
einen weiteren Text enthielt, der ebenso wie dieses illustriert
war und zu dem das vorliegende Bruchstück gehörte. Übfer
einen solchen Text kann man zurzeit eine Vermutung nur mit
äußerster Vorsicht wagen. Ich wenigstens kenne keinen, der
diese Bilder ausreichend erklären würde. Nahe läge jedoch
der Gedanke an eine Fortsetzung des Willehalm-Epos die etwa
noch die nächsten Ereignisse nach der siegreichen Schlacht
auf Alischanz behandelte. Eine solche Fortsetzung brauchte
ja nicht so weitschweifig gedacht zu werden wie die Renne-
l) Das untere Bild in Umrissen in Bau- u. Kimstdenkm. Thür.
a. a. 0. 259.
-- 6. Abhandln!)«1-: Karl v. Ainira
B
wart-Dichtung des Ulrich von Türheim. Mit einer Illustration
nach Art der zu Wolframs Gedicht wäre das Werk nicht mehr
zu bewältigen gewesen. Immerhin könnten gewisse Motive,
die der Türheimer ausführt, auch in einer viel kürzeren Fort-
setzung vorgekommen sein, so insbesondere die mit den Schick-
salen Rennewarts bis zu seiner Heirat mit Alize zusammen-
hängenden. Denn zu einer solchen Fortsetzung drängte das
Wolframsche Gedicht schon durch den Nachdruck, den es auf
die Taten Rennewarts und seinen Liebesbund mit Alize legt.
Es wäre sogar möglich, daß Wolfram selbst seiner Erzählung
noch einen Abschluß gegeben hätte, der nur in der Urhs. der
erhaltenen Willehalm-Hss. fehlte. Dafür würden auch die sog.
„ Übergangs verse" (467 v. 9 — 23) sprechen, womit die Wiener
Hs. 2670 von 1320 den Wolframschen Willehalm vor der Vor-
rede zu des Türheimers Fortsetzung beendigt und die in der
Tschudischen Hs. an der entsprechenden Stelle von einer be-
sondern Hand nachgetragen sind.1). Es besteht kein triftiger
Grund zu der Annahme, daß diese Verse nicht von Wolfram
selbst herrühren.2) Auch die hier unterstellte Fortsetzung
würde von Wolfram hergerührt oder doch wenigstens in den
Augen des Illustrators als von ihm herrührend gegolten haben,
da er ihn ja auf dem vorliegenden Blatt auftreten ließ, folg-
lich einen Text illustrierte, worin nach seiner Meinung Wolf-
ram von sich selbst redete oder den Hörer anredete. Mag es
sich nun aber auch mit dem Verfasser der Fortsetzung so oder
so verhalten, es würde der Rolle, die der alte Heimerich bei
Wolfram spielt, durchaus entsprochen haben, wenn er sich dort
bei Allzen als Werber für Rennewart eingefunden hätte, so
wie er es bei Ulrich v. Türheim wirklich tut. Dort treffen wir
ihn in dieser Eigenschaft im Gespräch mit der Kaisertochter3):
*) Lachmanns Ausgabe S. XXXV. Leitzmanns Ausgabe (Heft V)
S. 155.
2) S. auch H. Paul in Beitr. II 322.
3) Das Folgende auf Grundlage des Münohener Cg. 42 fol. 70 f. 83
unter Berücksichtigung der Wiener Hs. 2670 fol. 168, 172 und des Cgrn.
231 fol. 26, 31.
Die , große Büderhandschrift von Wolframs Willehalm'
Owe chünde nü min sin
Gesayen, wie Alyse ir an
emphie, den werden man.
Sie begunde gein im gahcn,
mit gruzc in suez emphahen;
alse sie von rehte scholde,
Alyse niht enlazzen wolde
durch sinen pari vil grisen;
des chunde sie ir art wol wisen.
Sie chust in suzze an den munt
23
,Wol mich, daz ie frow Irmenschart
diner muoter muoter ivart;
du pist min verch und min pluot.
Minem herzen daz vil sanfte tuot,
daz ich dich sihe also schone;
dine schon ich höher chrone,
dan waz ich schone han gesehen.
ein dinh ich fürbaz werben schol,
darnach ich here chomen pin,
froive und Alyse, nü gel ir hin,
da ir schulet ruowe phlegen;
Alyse, gib uns dinen segen,
swaz ich diner eren iverbe
daz icht der gewerf t verderbe.1
,Daz fueg mir got der wise1,
sus antivort im Alyse.
Nü chom Heymrich der grise
gegangen zue den frawen in.
Er sprach: ,wizzet, daz ich pin
ewer vater und dez riches man;
von recht ich ew wol eren han.
Barumbe ich her zue ew gie'
24 6. Abhandlung: Karl v. Amira
,Sieh, liebeiv froice, was dort stet,
. das ist benamen der minne chint.'
Er sprach: ,ir froiven, die hie sint,
schowet dort iene personc
und habt ew das se lene:
welcher muet slner minne gert
das in die minne des gewert1 usw.
Der hier vorgetragenen Hypothese gegenüber würde es
nichts verschlagen, wenn wir sie nicht noch weiter zu Ver-
mutungen über den Inhalt der einst auf der Vorderseite un-
seres Bruchstückes befindlichen Kompositionen ausbauen können.
Es muß uns gegenwärtig genügen, daß ihre Reste ebenso wie
die der Rückseite ihre Zugehörigkeit zu einer Willehalm-Dich-
tung sicherstellen. Damit erweist sich aber die „große" Bil-
derhs. als noch größer im Vergleich zu der von mir vor
14 Jahren rekonstruierten. Wie das erste Werk in ihrer Art,
so ist sie auch das umfangreichste geblieben.
Bei der hohen kunst- und kulturgeschichtlichen Bedeutung
eines solchen Werkes liegt sehr viel daran, seine Entstehungs-
zeit wenigstens annähernd festzustellen. In dieser Hinsicht
mag vorweg bemerkt werden, daß die Meininger Funde nichts
ergeben haben, was gegen die seinerzeit von mir angenommene
Zeitgrenze sprechen könnte. Wohl aber machen wir neue
Wahrnehmungen, die wir zu ihren Gunsten verwerten dürfen.
Ich denke da vor allem an die Zeichnung der Figuren, an
denen man die ersten schwachen Ansätze zu jener geschwun-
genen Körperhaltung bemerkt, die sonst auf Bildern und an
plastischen Werken aus der eisten Hälfte des 13. Jahrhunderts
noch zu fehlen pflegt, gegen Ende desselben Jahrhunderts mehr
und mehr bevorzugt wird. Dazu stimmt auch das Kostüm, das
sich jetzt sicherer beurteilen läßt. Am Frauenrock haben die
weiten und lang herabhängenden Ärmelausgänge, die noch in
der Berliner Eneidt-Hs. (1210—1220) und im Psalter des Land-
grafen Hermann (1211 — 1217) die vornehme Frau charakte-
Die , große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalm". 25
risieren., durchweg engen Schlüssen um das Handgelenk Platz
gemacht wie bei Konrad v. Scheyern um 1241 oder bei den
Frauenssatuen an der Goldenen Pforte zu Freiberg, an der
Adamspforte des Bamberger Doms und im Westchor des Doms
zu Naumburg.1) Der Damenrock ferner wird in der Regel
nicht mehr gegürtet, was ungefähr seit 1250 nachweisbar.2)
Wenn Alise gegürtet geht, so wissen wir, daß dies dem Text
zu Liebe geschieht (s. oben S. 20). In der Zeit um 1250 hat
auch die Mode überlanger Schleppen ihren Höhepunkt erreicht.3)
Daß anderseits die Malereien nicht in eine erheblich spätere
Zeit fallen, sieht man an der Art, wie die Farbenteilung an
den Gewändern verwertet wird. An Frauenkleidern fehlt sie
ganz, während in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts
farbige Horizontalstreifen in reicher Abwechselung gemeingil-
tige Mcde an der weiblichen Kleidung werden, wie die spät-
romanischen Glasgemälde in der Elisabeth kirche zu Marburg,4)
dann die Standbilder an der Paradiespforte des Doms zu Magde-
burg5) und die in der Münstervorhalle zu Freiburg i. Br. G)
zeigen. An Männern kennt der Maler der Willehalmhs. Zu-
sammensetzung aus breiten Bahnen von verschiedener Farbe
der Länge, der Quere und der Schräge nach, eine Art der
1) Vgl. auch die Frauensiegel bei Fürst zu Hohenlohe- Waiden-
burg, Sphragist. Aphorismen Abb. 113 (a. 1235), 193 (a. 1244), 255 (a. 1248),
61a (a. 1258), 64, 249 (a. 1265), G. A. Seyler. Gesch. der Siegel Fig. 274
(g. 1237), 273 (a. 1238), 279 (a. 1246). 281 (a. 1257), 282 (a. 1257), 0. Posse,
Die Siegel der Wettiner Taf. XV 3 (a. 1248).
2) A. Schultz, Höf. Leben* I 260.
3) A. Schultz a. a. 0. 269. Hotte nroth, Handb. der deutsch.
Tracht 218 f.
4) A. Haseloff, Die Ginsgemälde der Elisabethkirche zu Marburg
Taf. 1-5.
5) Ein Beispiel bei W. Bode, Gesch. der deut. Plastik 53.
6) Die Bemalung dieser Skulpturen ist allerdings 1889 und wahr-
scheinlich auch schon früher einmal, 1604. aufgefrischt worden. Doch
dürfte sich der gegenwärtige Zustand dem ursprünglichen der Haupt-
sache nach anschließen. Am deutlichsten zu ersehen ist er aus den
prächtigen Lichtdrucken des G. Röbckeschen Kunstverlags. Einige Bei-
spiele in der Zschr. Schauinsland 1898 S. 34, 35.
-() 6. Abhandlung: Karl v. Araira
Farbenteilung-, die nach Ausweis nicht nur anderer Bilderhss..1 )
sondern auch erhaltener Überbleibsel2) im 13. und mehr noch
im 14. Jahrhundert an Männerkleidern wirklich in Gebrauch
war. Aber in der Willehalmhs. kommt sie nur an der Hof-
tracht der niedern Ritterschaft, d. h. der Dienstmannen vor.
Einen blau und weife quergeteilten Reck trägt der Marschall,
einen rot und braun gespaltenen ein Soldempfänger, unter den
übrigen Rittern nur einer einen blau und weiß geschrägten.
So auf eine bestimmte Klasse der ritterlichen Gesellschaft be-
schränkt entspricht jene Farbenteilung einer älteren, ins 12. Jahr-
hundert zurückgehenden Sitte.3) Am Anfang des 14. dagegen
hat sie, wie die Sachsenspiegelhs. und die große Liederhs. zu
Heidelberg beweisen, in die weitesten Kreise außerhalb der
Dienstmannschaft , namentlich aber in die des eigentlichen
Herrenstandes übergegriffen. Selbst Fürsten und Könige sieht
man dort in Röcken, die zwiefarbig gespalten oder geschrägt
sind. Spätestens im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts be-
vorzugte der Herrenstand Stoffe mit eingewebten bald schmalen
bald breiten Horizontalstreifen von wechselnden Farben und
mit ornamentaler Musterung, wie sie zu jener Zeit aus der
Fremde eingeführt,4) wahrscheinlich aber auch schon in Deutsch-
x) So insbesondere des Cgm. 3900, 13. Jahrb.., des Cod. Pal. Germ.
164 (Sachsenspiegel) um 1315 und des Cod. 2670 der Wiener Hofbibl.
a. 1320.
2) Ausschnitt aus einem Rock, der aus breiten Seidenbahnen von
roter und grüner Farbe zusammengenäht war, wurden schon in alter
Zeit als Schutzdecken für Miniaturen im Clm. 15713 (11. Jahrh.) fol. 14a,
38 a, 49 b. 52 b verwendet.
3) Vgl. den Schwertträger aus dem Hortus deliciarum bei Hotten -
roth a. a. 0. Taf. 3 Nr. 3. Im wesentlichen den gleichen Standpunkt
nehmen ein die Malereien im Cgm. 3900 fol. 2 b. 3 b, 5 a, 6 a.
4) Beispiele von Seidenstoffen im Germanischen Museum zu Nürn-
berg, Katalog der Gewebesammlung I (1896) Nr. 406, 412, 434, 435, 461.
S. ferner P. Schulze, Alte Stoffe Abb. 76, 84. — Ein großgemusterter
Wollstoff in Violett mit schmalen gelben Querstreifen, zu Schutzdecken
zerschnitten in Clm. 15713 fol. 31b, 32b, 36a, 37a, 40b, 45a, 55b, 56b,
58 a, 61a.
Die .große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalni". 27
«o
land gefertigt1) wurden. Gegen 1300 zeigen die Freiburger
Münsterskulpturen den verführerischen Hofmann, die Fürsten,
die hl. drei Könige, die Patriarchen, die Apostel, die Engel
in solche Stoffe gekleidet.2) Dem Maler der Willehalmhs.
scheinen sie noch unbekannt. Einer früheren Zeit gehört auch
das Kronenschema an, dessen sich der Zeichner zu bedienen
pflegt. Auf Taf. I freilich ist es entstellt durch Schmierereien,
mit denen sich später ein Unberufener wichtig machte. In
reiner Gestalt, wie es oft genug auf unsern Bruchstücken vor-
kommt, besteht es aus einem gestreckten Fünfeck, auf dessen
drei obern Ecken je eine Perle sitzt und dessen Fläche mit
drei Perlen über einer längs dem untern Rand hinlaufenden
Parallellinie belebt ist. Das ist das nämliche Kronenschema,
das in eingeritzter Zeichnung (nach 1235) am östlichen Kreuz-
gangflügel des Magdeburger Doms das Haupt der Königin
Edit ziert3) und das noch etwas einfacher schon von der altern
thüringisch-sächsischen Malerschule verwendet wurde4) und et-
was vervollkommnet auf den Wandgemälden des Doms zu
Braunschweig wiederkehrt. 5) Es weicht wesentlich von der
stilisierten Blätter- oder Lilienkrone ab, die seit dem letzten
Viertel des 13. Jahrhunderts bei den Zeichnern und Bildhauern
in Aufnahme kommt. Und wie die Krone, so folgt auch die
Grafenmütze, die den alten Heimerich charakterisiert, stets
einem älteren Schema. Der Leser sieht sie auf Taf. IL Eben
diese halbkugelige Kopfbedeckung mit Stirnreif und Bügel ist
in den Randzeichnungen des Codex Falkensteinensis (a. 1165
1) Beispiele seidener Stoffe dieser Art bei 0. v. Falke, Kunst-
Gesch. der Seidenweberei II Abb. 292, 293, 317 nebst S. 36, 44. Der an-
geführte Clin. 15713 enthält auch solche Stücke auf fol. 23 b, 41b, 45 b
(über lichtrotem Grund blaue, gelbe, weiße und grüne Horizontalstreifen
in Gruppen angeordnet).
2) S. oben S. 25 N. 6 und Schauinsland XVII 60, 61.
3) v. Flottwell, Mittelalterl. Bau- u. Kunstdenkmäler in Jlagde-
burg Blatt 35.
4) Haseloff, Eine thüringisch-sächsische Malerschule Taf. X 19,
XII 23, 24, XIII 25, XIX 41, XXVIII 61.
5) Lichtdrucke von G. Behrens in Braunschweig.
28 G. Abhandlung: Karl v. Amira
bis 1174) wesentlicher Bestandteil der Tracht,1) die der Graf
damals noch mit dem Herzog teilte.2) Gegen 1300 entsteht
durch Einfurchung der Haube unter dem Bügel das aus den
Bildwerken des Spätmittelalters bekannte Grafenbarett mit
seinen zwei mehr und mehr seitwärts ausladenden Hälften.
Besonders für die Zeitbestimmung 1250—1275 spricht auch
der noch unbedeckte Helm, während in Cgm. 63 (etwa 1275
bis 1300) die Helmdecke als üblich erscheint3) und ihr Ge-
brauch viel früher mehrfach bezeugt ist.4) Die Art endlich,
wie der Zeichner die Gegensätze älterer und jüngerer Bewaff-
nung für das Kennzeichnen des christlichen und des heidni-
schen Kämpfers verwertet, hat zur selben Zeit ihr Seitenstück,
vielleicht ihr Muster in dem Wandgemälde des Braunschweiger
Doms, das den Kampf des Heraklius gegen Chosroes darstellt.5)
Hier wie dort die Heiden in Spitzhelmen und mit normanni-
schen Schilden, hier wie dort der christliche Streiter im un-
bedeckten Topfhelm und mit dem jüngeren Dreieckschild.
Zu dieser Zeit steht das Unternehmen der großen Wille-
halm-Illustration in seiner Art einzig da — nicht etwa nur
wegen seines Umfangs, sondern auch und mehr noch wegen
des Geistes, worin es gedacht und ausgeführt wurde. Gewiß
gibt es darin Züge, die es mit vielen andern Werken der bil-
denden Künste im Mittelalter gemeinsam hat. Das abbrevi-
ierend Repräsentative wird überhaupt der Malerei und gar
*) Petz, Graue rt und Mayerhofe r, Drei bayerische Traditions-
bücher aus dem XII. Jahrh. S 2, 18.
2) Miniatur im Cod. Fuld. D 11 fol. 14, abgeb. bei G. Heß, Monum.
Guelfica (1784) vor dem Titelblatt. Über die Hs. und die Miniatur s.
Weiland in Monum. Germ. SS. XXI 455. Genau die gleiche Haube
wie in der Willehalmhs. Heimerich trägt der angebliche Widukind auf
dem bemalten Hochrelief zu Engern (um 1200). S. Hefner v. Alten-
eck, Trachte» u. Geräte2 II Taf. 101. Die Tradition hielt eben den
Sachsenführer Widukind für einen „ Herzog" und erblickte ihn in dem
Dargestellten.
3) Ein Beispiel bei A. Schultz, Hbf. Leben3 II Fig. 68.
4) A. Schultz a. a. 0. II 77 f.
5) A. Schultz a. a. O. II Titelbild.
Die „ große ßilderhandsehrift von Wolframs Willehalm". 29
der Plastik niemals und nirgends ganz fehlen. Die Kunst des
Mittelalters lebt geradezu davon. Aber bis zur Mitte des
13. Jahrhunderts hat kein anderes Werk, das bis jetzt bekannt
geworden, unter so grundsätzlichem Ablehnen aller dekorativen
Zwecke sich so grundsätzlich nur auf die Interpretation des
Wortes geworfen und innerhalb des Kreises dieser Aufgabe so
unerbittlich nach Vollständigkeit gestrebt, — nicht nur keine
der in Deckfarben ausgeführten Buchillustrationen, auch kein
Werk des sogenannten Federzeich nungsstils, nicht der Cod.
Pal. 112 oder seine Vorlage mit den Zeichnungen zum Rolands-
lied des Pfaffen Konrad, l) nicht der Liber ad honorem Augusti
des Petrus de Ebulo im Cod. 120 zu Bern,2) nicht die Original-
zeichnungen zum ,Wälschen Gast', wie wir sie mittels der
spätem von ihnen abgeleiteten Bilder erschließen können.3)
Kein anderer Zeichner hat seine Erfindungskraft so stark von
der Wortinterpretation her anregen lassen, kein anderer aber
auch so zuversichtlich auf die Einbildungskraft des Beschauers
gerechnet, der sein Vergnügen daran finden soll, die Bildkom-
position unter Führung des Textes durchzudenken, dabei je-
doch sich mit den sparsamsten Fingerzeigen muß abfinden
lassen. Daß der Künstler sich hierin nicht verrechnete, dessen
durfte er sicher sein. Denn so war eben die Geistesverfassung
des höfischen Leserkreises, der solche Gedichte wie das Wille-
halm-Epos liebte. Er war nicht wie die theologisch Gebildeten
geschult im abstrakten Denken. Ihm genügt das Wort nicht,
sein Auge verlangt zu sehen; aber sobald er nur ein Stück
dessen sieht, was er sich vorstellen soll, arbeitet seine Phan-
') Atlas (Steindruckfaksimile) zu W. Grimm, Ruolandes Liet (1838).
4 Proben in Lichtdruck bei A. v. Oechelhäuser, Die Miniaturen der
Universit.-Bibl. zu Heidelberg I (1887) Taf. 10. Über die Zeichnungen
v. Oechelhäuser a. a. 0. 56—70.
2) Lichtdruckfaksimile: Liber ad h. A. di Pictro da Eboli, a cura
di G. ß. Siragusa, Tavoli (1905). Über die Zeichnungen Siragusa im
Balletino delV Istituto Storico Italiano Nr. 25 (1904).
3) A. v. Oechelhäuser, Der Bilderkreis zum Wälschen Gaste des
Thomasin von Z er ciaer e (1890).
30 (,. Abhandlung: Karl v. Aniini
tasie aufs lebhafteste mit, das Fehlende zu ergänzen. Nichts
lehrreicher in dieser Hinsicht als die Kitzinger Bruchstücke
im Cgm. 5249 Nr. 32 (g. 1300). Auch sie gehören, was be-
zeichnend genug ist, zu einem Gedicht über Willehalms und.
Rennewarts Taten. Nur waren dort nicht schon bei Anlage
der Handschrift Illustrationen geplant. Aber einer ihrer ersten
Besitzer empfand das Bedürfnis, auf den schmalen Rändern
neben dem Text mit überaus feinen Pinselzügen in winzigen
roten und schwarzen Silhouetten die Kämpfe abzuschildern,
die das Gedicht erzählt. Immer sind es nur ein paar Figür-
chen, die als Mittel zum Zweck vollkommen ausreichen müssen.
Die planmäßige Buchmalerei allerdings hat auch nach der
großen Willehalmhs., wenn wir von der gegen 1300 einsetzen-
den Sachsenspiegelillustration absehen, nicht wieder denselben
Weg betreten. Die Handschriften der höfischen Epen insbe-
sondere bedienen sich der zeichnenden Künste nur um sich zu
schmücken, und dies in einer so ausgesprochenen Weise, daß
man in so reich illustrierten Büchern wie dem Wiener Cod. 26J0
(von 1320) nur mit Mühe ein paar schwache Spuren entdecken
kann, die auf ein Nachwirken jenes älteren Werks schließen
lassen. Ich denke da an die Kußszene zwischen Alise und
Rennewart, die sich dort auf Bl. 100 im wesentlichen ganz so
unter zwei Bäumen abspielt wie auf unserm Meininger Bruch-
stück 551. Ich denke ferner an Willehalms Schild, den auch
der Maler der Wiener Hs. mit einem Stern in blauem Feld
heraldisiert, allerdings nur auf den vorderen Blättern (9, 10,
50) mit einem goldenen, später (66, 72, 83, 126, 136, 140)
mit einem silbernen und ebenso auch die Schilde von Wille-
halms Gefolge. Am meisten dürfte für eine Anleihe bei dem
älteren Bilderwerk sprechen, daß jenes Sternsymbol auch in der
Wiener Hs. nicht bloß im Schild, sondern auch über dem
Haupt des Markis vorkommt. Aber mit dem rein dekorativen
Zweck eines so prunkvollen als weitschichtigen Unternehmens
wie der Wiener Kompilation aller Willehalm-Epen hätte sich
ein entschiedeneres Zurückgreifen auf subjektiv symbolische
Absichten nicht vertragen. Sie mußten vielmehr mit Ent-
Die „große Bilderhandschrift von Wolframs Willehalm*.
31
schiedenheit abgelehnt werden. Die Folge war, daß die Wiener
Miniaturen in Bezug auf Erfindung himmelweit hinter den
schlichten kolorierten Federzeichnungen der großen Willehalmhs.
zurückstehen und der Hauptsache nach in Rezeptmalerei ver-
sinken.1)
x) Wenn ich den ungewöhnlich wertvollen Wiener Kodex hier, in
München, benützen konnte, so verdanke ich dies der verständnisvollen
Fürsprache des Yizedirektors der Kais. Hofbibliothek, des Herrn Regie-
rungsrats Dr. J. Donabaum, wodurch die Erlaubnis des Kais. Oberst-
kämmererstabes zur Hiebersendung — sogar unter den gegenwärtigen
erschwerenden Umständen — erwirkt wurde.
Anhang.
Übersicht über die Bruchstücke nach ihrer Reihenfolge.
1 1 egen-
wärtiger Auf-
bewahrungs-
ort
Gegen-
wärtige
Bezeichnung
Ehemaliger
Aufbewahrungs-
ort
Ehemalige
Bezeichnung
Gehörig zum Text
München
Cg. 193 III
Meiningen
548
161 v. 20-163 v. 28
München
Cg. 193 III
Meiningen
550
210 v. 4-212 v. 14
München
Cg. 193 III
Meiningen
551
212 v. 17—213 v. 30
Nürnberg
Hz. 1104
Mitteldeutschland
9
216 v. 5—218 v. 25
München
Cg. 193III
Heidelberg
362 a 26 2°
220 v. 24—222 v. 27
München
Cg. 193III
Heidelberg
362 a 26 2°
235 v. 15—237 t. 26
Nürnberg
Hz. 1105
Mitteldeutschland
311 v. 10-312 v. 30
München
Cg. 193 111
Mitteldeutschland
9
388 v. 20-390 v. 1
München
Cg. 193 III
Mitteldeutschland
404 v. 8 (403 v. 23?)
—404 v. 27
München
Cg. 193 III
Meiningen
549
0
(verlorne Fort-
setzung des Ge-
dichtes)
Y
?*>
Tafel I.
Tafel II.
T
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 7. Abhandlung
u=v>r
Textkritische Studien zur Ilias
von
X
N. Wecklein
Vorgetragen am 13. Oktober 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommisaion des 6. Franzschen Verlags (J. Roth)
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 7. Abhandlung
Textkritische Studien zur Ilias
von
N. Wecklein
Vorgetragen am 13. Oktober 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franzacben Verlags (J. Roth)
Dem Nachweise, daß die in den „Textkritischen Studien
zur Odyssee" (Sitzungsber. 1915, 7. Abh.) entwickelten Grund-
sätze sich auch für die Ilias bewähren, will ich zur Kennzeich-
nung meines Standpunktes die Behandlung einiger Stellen vor-
ausschicken, welche geeignet scheinen auf den Zustand der
Überlieferung ein helles Licht zu werfen.
Z 479 liest man in den meisten Handschriften (in A von
erster Hand) xai jiote tis euitjoi ,Tiajo6g y"1 öde noXXbv ä/ueivcov'.
So betet Hektor zu den Göttern seinen Sohn im Arme. In-
folge der Ausführungen A. Ludwichs Aristarchs Hom. Text-
kritik II S. 350 ff. ist dieser Vers gewissermaßen zum Schibbo-
leth geworden: hie (Aristarch), Lehrs, A. Ludwich. Ad. Römer
— hie (Zenodot), Bekker, Cobet, Nauck, Leeuwen. Ludwich
hält etkrjoi mit Entschiedenheit gegen Cobet fest; wenn text-
kritische Methode irgendeinen Wert hat, darf man ebenso ent-
schieden behaupten, daß etTijjot nicht richtig ist und es etnot
heißen muß. In A steht oi über em^ai: welche Bedeutung
diese Überschriften in A haben, wird sich unten zeigen; emoi
haben auch BM u. a. Jedenfalls hat der Urheber der Über-
schrift in A nicht emoiai gemeint; wenn eine Wiener Hand-
schrift (H) H 87 ebtoiai gibt, so ist dieses aus emijai und emoi
zusammengewachsen. Solchen Fehlern werden wir unten öfters
begegnen. Ferner gibt emoi Nikanor zu X352, emoi erfor-
dert auch das Versmaß, da die erste Silbe von jiargög bei
Homer nie verkürzt wird; emoi erfordert endlich, was die
Hauptsache ist, der Sinn ; denn Hektor kann in seinem Gebete
wie nachher mit q eqoi und %aQeir\ nur eine11 Wunsch aus-
sprechen: eairjat aber hat sich aus der Erinnerung an das
1*
Alihancllini^: N. \Vecklein
■e
öfter vorkommende xai jioxe xig el'm]oi (Z 459, H 87), jut) jioxe
xig EMfjot (x 106, 99 324) eingeschlichen. — W 604 liest man
in allen Handschriften und auch in allen Ausgaben vvr ams
vöor vixrjoe. veoltj: bei der Unform veoirj konnte sich Aristarch
beruhigen mit der Bemerkung ävrl xov vEÖxrjg. Aber die aus-
gezeichnete Emendati'on von Herwerden vvv avze v6ov vbayoev
ävoirj, auf welche die Notiz des Herodian 01 juevxoi /uex' avzöv
(bg im jxXeioxov xijv ävoiav Xeyovoi hinweist, sollte nicht un-
beachtet bleiben. Nicht einmal Leeuwen hat sie erwähnt. —
Ich will gleich hier eine Änderung vorlegen, welche gewagt
scheint, aber meines Erachtens nötig ist, um eine alte vielbe-
handelte crux der Interpretation aus der Welt zu schaffen,
Q 268 ff., wo für Priamos die Maultiere angespannt werden.
Die Söhne des Priamos nehmen das Maultierjoch vom Nagel;
das Joch ist von Buchsbaum und mit einem Knauf {dfi(paX6q)
sowie gut mit Haken versehen. Dann holen sie das neun Ellen
lange Jochseil nebst dem Joche heraus in den Hbf. Sie legen
das Joch auf die wohlgeglättete Deichsel vorn an der Spitze
(pisty im nganr)) und bringen den Ring (xgixog) an den Spann-
nagel (eoxcoq). Darauf heißt es weiter:
xotg <5' exolxeq&ev eörjoav eti o^KpaXov, avxäg etieito.
§^£it]g xaxedrjoav, vJib yXcoylva <5' Exajuyar.
Bei der Erklärung kommt in Betracht erstens, daß das £vyo-
öeojuov neun Ellen (etwa 7 m) lang ist — die Länge muß ihren
Zweck haben — , zweitens daß nach alten Abbildungen der
„Deichselfuß" (jisCa) nicht gerade, sondern in eine empor-
ragende Spitze verläuft (vgl. W. Heibig Hom. Ep. S. 1982f.),
drittens daß von dieser Spitze ein Seil nach dem vorderen
Wagenrand läuft, endlich daß dfupaXög nicht ein hoher Pflock,
der im Joch steckt, sondern ein Aufsatz, ein Knauf in der
Mitte sein kann. Im allgemeinen ist hiernach das Problem in
der Rekonstruktion von Heibig S. 154 richtig gelöst, da, wie
die Natur der Sache und der Name ergibt, das £vy6dEo/Liov
dazu dienen muß das Joch an der Deichsel zu befestigen. Die
einzige Schwierigkeit liegt noch in dem unverständlichen e^eirjg
Textkrifcische Studien zur Ilias.
xaxed)]oar. Mit Recht bemerkt Heibig S. 198, daß man statt
H-Evrjs vielmehr ein Substantiv erwarte, welches den Gegen-
stand oder die Stelle bezeichnet, an der das Jochseil nach
dem Festbinden des Joches angeknüpft wurde. Leaf The Iliad II
S. 625 hält es für möglich, daß egeirjg ein Substantiv sei,
Schulze Quaest. ep. S. 292 will expirjg schreiben nach Soph.
Frgm. 4 syna- änb xov Pneodar Sfidia. Nach der Natur der
Sache und nach den alten Abbildungen, wie es auch die Re-
konstruktion Helbigs annimmt, kann die Stelle nur die Jie£,a
sein, also ist e£e% aus ex ne^Q entstanden. So verbindet
das neun Ellen lange i,vy6deafxov das Joch mit der Deichsel,
wird dann um die hohe Deichselspitze geschlungen und an
den Wagenrand, wo man mit Recht die yXa>%ig angenommen
hat, zurückgezogen.
1. Qvitög, Deichsel. 2. nefa, Deichselspitze.
?,, £vyöv, Joch. 4. d(i(pak6g, Knauf. 5. xQixog, Ring.
6. sazcoQ, Spannagel. 7. tvyödsa/iov, Jochseil.
8. yXcoyJg, Haken.
.1 136 heißt es von zwei Brüdern, welche Agamemnon um
ihr Leben bitten:
cog zo) ys xla'iovxe JiQooavdijxt]v ßaodrja
fieiXixiotai eneoaiv äjueihxxov <5' 6Vr' äxovoav.
Das Gewählte des Ausdrucks liegt in dem Gegensatz fxedixioiat
— äjueihxxov und man kann sagen, daß äfteüuxxog eigens für
diesen Gegensatz geschaffen ist, welcher auch mit äfieüixxov
öV äxovoav das Digamma von öV herzustellen gestattet. Nun
heißt es <P 97 von Lykaon :
(i 7. Abhandlung: N. Wecklein
cbg äga fuv llnidjuoio jioooi]vda (patÖi/iog vlög
hoaöjuevog ejieeoolv, äfXEiXtxrov <5' öV äxovöev.
Öfters steht eneooiv z. B. bei äveiQÖjuevog d 461 überflüssig,
aber es folgen dann die betreffenden Worte. Die Hauptsache
aber ist, daß für ä/uEtXixxov das Korrelat fehlt und die eigent-
liche Pointe wegfällt. Da die beiden Stellen in allem anderen
gleich sind, kann auch fXEiXtyiotoi ejieooiv nicht fehlen. — Es
kommt auch sonst vor, daß eine Stelle nach einer anderen zu
verbessern ist. H 64 hat Leeuwen für [aeIuvei öe te novxog
vn1 avxijg, worin die Form jueMvei fehlerhaft, das vorgeschlagene
jueXüvei in einem Gleichnis unerhört ist, f$%Xvoe öe novxog wi1
avxijg aus ju 406 gewonnen. M 185 bieten die meisten und
besten Handschriften
ovo' äoa yalxEii] xoQvg eo'/e&ev, äXXd dianoö
aiyfxi] yalxfh] gfj^J ooxeov, hyxEcpaXog de xiL,
nur der cod. Townl., der cod. Paris. 2766, der auch sonst
manche gute Lesart erhalten hat, und einige andere geben
alxßi] lefievr). La Roche bemerkt: „Da man hier ein Partizip
nur ungern vermißt, so ist die Schreibweise von vier Hand-
schriften aly/ut] l£/u£rf] sehr ansprechend." Sie ist nicht bloß
ansprechend, sondern notwendig und es erscheint bedauerlich,
wenn eine solche Lesart nicht im Text steht. Offenbar ist
yalxEü] von der oberen Zeile in die untere gekommen, wie
M 333, wo Bekker xslyog Ayaicbv aus 352 hergestellt hat,1)
nvoyov aus dem vorhergehenden Verse stammt, oder Z 222,
wo Leeuwen yaXxsop' AytXyog vermutet, Aiaxidao ebenso von
dem vorhergehenden Verse herrührt. In Z 194 geben die
meisten Handschriften xal fxev ol Avxiot rejuevog rä/uor E^oyov
äXXa)v, xaXbv (pvxaXirjg xal äQovQfjg, bqpga vejuoixo. Statt des
selbstverständlichen und überflüssigen bcpqa vejuoixo hat A mit
einigen anderen jivoocpoooLo und so lautet der Vers M 314
xaXbv <pvxaXifjg xal äoovoyg Tivgocpogoio in allen Handschriften.
*) Die Bemerkung Leafs without authority verrät eine Verkennung
dieser Art von Verderbnissen.
Textkritische Studien zur Ilias. 7
So wird auch Y 185 nvgocpogoio für ö<pga ve/utjai zu setzen
sein. Am Platze ist öq>ga vifioao *P 177 iv de nvgög jusvog
f]xe oiÖi]qeov ö(pQa vejuoiro. — M 373 evxe MevEO&rjog /ueyafivfiov
nvgyov i'xovxo, xsiysog ivrög iovxeg, EJiEiyofiEvotoi (5' I'xovxo gibt
nur der Townl. eeXöo/jLevoioi <5' I'xovxo, wie es Hl cos äga xco
Tqcoeooiv eeXöojuevoioi cpav)']T}]v heißt. Daß EeXdopLEvoioi richtig
ist, zeigt die Lage des Menestheus. Denn die Lykier, durch
die er ins Gedränge kommt, sind erst im Anzüge. — M410
dgyaXsov Öe juoi ioxi, xal icp&l/iicp 7ieq eovxi, juovvco Qrjt-ajuevcp
de.odai Jiagä vyjvoi xeXev&ov soll man xslyog zu gt^ap.Evco er-
gänzen. Dies wäre möglich, wenn der Vers xEiyog Qrjl-äfjLEVoi
deodai Tiagd vrjvol xeXev&ov vorausginge, nicht erst 418 folgte.
Es muß also xsiyog für ixovvco gesetzt werden. Vgl. auch 440
gtjyvvo&E Öe XEiyog. — In X 798 dsXXr), fj ze vtto ßgovxrjg jiaxgög
Jibg ehi TiEdorÖE, fteoiisoUp <5' ofiddco dXl /.uoyexai,, ev öe xe
ttoXXo xv/uaxa nacpXdt,ovxa noXvcpXoioßoio $aXdoo}]g haben wir
die unschöne Wendung „darin (im Meere) entstehen viele Wogen
des lautbrausenden Meeres." Dio Chrysostomos zitiert in dem
74. Vortrag xv/uaxa xgocpoEvxa neXtbgia loa ögEOoiv xvgxd cpaX)]-
giöcovxa, indem er unsere Stelle mit y 290 xvjuaxa xe xgocposvxa
HEXcögia loa ögEooiv vermengt. Aber ebenso kann die Erinne-
rung an den wiederholt vorkommenden Ausdruck xvjua no-
XvcpXoioßoio daXdooijg auf unsere Stelle eingewirkt haben, so
daß mit xv/uaxa nacpXaQovxa nEXcogia loa ögsooiv ein tadel-
loser Vers hergestellt werden kann. — Achilleus steht auf dem
Hinterdeck seines Schilfes und betrachtet sich das Schlacht-
getümmel. Dann heißt es A 602:
alyja cV ixalgov iöv UaxgoxXiEa ngooEEiriEV
(p&£y^d/biEvog nagd vrjög. o dh, xXioitj&ev dxovoag
exjuoXe loog "Agrjt, xaxov cV äga ol jieXev dgyj].
xbv ngoxEgog ttvooeeitie Mevoixiov äXxijuog viög.
,xinxE jus xixXrjOXEig, 'AyiXEv; xi oe %gr}ch ejueio;''
Den nicht anwesenden Patroklos kann Achilleus nicht anreden
(ngooEEuiEv) ; erst nachdem er aus dem Zelt zum Schiff ge-
kommen ist, redet ihn Achilleus an {ngooEcpi}). Sonst folgen
8 7. AMiiinillunj': N. Wecklein
i~ •
nach ngooEEinev auch immer die Worte der Ansprache. Bekker
hat deshalb die V. 605 — 607 ausgeschieden und damit Beifall
gefunden. Die an sich tadellosen Verse der Interpolation zu
verdächtigen liegt kein Grund vor. Die Andeutung des Zu-
künftigen mit xaxov ö"1 äga oi tieXev äoyj) ist gerade dem Epos
eigentümlich. Das Wort, das an der Stelle von tioooeeijiev
stehen muß, ist in 606 gegeben: xixXqoxEv. Vielleicht hat
die lange Schlußsilbe von JJaxooxXEEa zu der Änderung Anlaß
gegeben. Auch B 813, 6 355, i 366 bildet xixXtfoxovoiv, P 532
y.ty.Xrjoy.ovxog den Schluß des Verses. — Sehr überrascht muß
man sein, wenn man .1 702
ftevoeodai' xovg <5' avfri ävag~ dvöoon> Avysiag
xdo/E&E, xov d"1 EkaxiJQ1 acpUi äxayj] juevov "nnaiv.
rojv 6 ysgcov EnEOiv XE%oX(OfiEvog f]Ö£ xai Eoycov xxi.
von Schmähworten des Augias liest, da doch vorher deren
keine Erwähnung geschieht. Aug. Mommsen, Philol. VIII S. 721
sieht darin ein Anzeichen, daß die Partie 668 — 762 (richtiger
665 — 762 von avxäg 'Ayiklehq bis avtäg \4ytX?.£vg) die ver-
kürzte Wiedergabe eines alten Nestorliedes sei. Eine solche
Annahme hat wenig Wahrscheinlichkeit; vielmehr ergibt sich,
daß in den vorhergehenden Worten xov ö"1 ElarfJQ? cupisi axayr\-
iih'ov mnmv das bedeutungslose dxayr\iih>ov Tjuiojv an die Stelle
eines anderen Ausdrucks getreten ist. Leider fehlt uns hier
der Anhaltspunkt für die Ergänzung. Sie könnte etwa y.axä
nöXX'1 EmxdXag gelautet haben (mit vielen Schmähungen für
seinen Herrn). Vgl. A 384 kW avx1 äyysXhjv im Tvöei xeTXolv
(so Brandreth und Menrad für oxeTXuv) Wyaiol. — ■ Ist es denk-
bar, daß ein Dichter, nachdem er vorher {M 461) erzählt hat,
wie Hektor das Tor sprengt, geschrieben hat M 469 :
avxixa $' oi juh> XEtyog VTiEgßaoav, oi dk y.ax avtäg
jioa]xäg eoe%vvto nvXag
„durch das wohlgebaute Tor" ? Muß es nicht heißen „durch
das nun offene Tor": x£7ixaju£vag? Vgl. 0 531 nEJixajUEvag
ev %eqoI nvXag e'xete. Ein Dichter, dem man hier noirjxdg oder
M 306 h TTotoToioi statt iv ngoßäxoioi zumutet, müßte als
Textkritische Studien zur Ilias. "
gedankenlos erscheinen. Man wird vielleicht auf den Gebrauch
ständiger Epitheta hinweisen, aber auch bei vvxxl &of] dxdXavxog
vntibma J/463, wo der finstere Blick des Hektor veranschau-
licht werden soll, kann ich diesen Gebrauch nicht gelten
lassen und verlange vvxx1 ölofi dxdlavxog nach 77 567 Zevg
<5' im vvxx 6Xo)]v xdvvoev y.gaxEgfj vafiivrj. Für die Elision
des i, die nicht gar selten ist, sei nur auf #o>' er cpvy.ioevxi
W 693 verwiesen. — In N 677
etiXexo' xoiog ydg yairjoyog ivooiyaiog
coxgvv'' 'Aoyeiovg, nobg de o&evei arrog äfivvev
hat Nauck, der feinsinnigste Kenner des Griechischen, nicht
ohne Grund an xoiog Anstoß genommen und xoiov vermutet.
Die Änderung wäre nicht schwer, aber xoiog weist auf einen
Begriff wie „Helfer" hin, der augenscheinlich durch das neben
hooiyaiog überflüssige yair)oyog verdrängt worden ist. Es gibt
für den Beistand von Göttern nur ein hieher passendes1) Ho-
merisches Wort: ijiixdooodog (vgl. A 366 et nov xig xal e/iol
y£ dewv Emxdggoftog loxiv, co 182 yvooxöv <5' tjev 6 xig ocpi &eo~)v
imxdggo&og fjev u. a.), und mit xoiog ydg ijxixdggo&og hooi-
yaiog erhalten wir die typische Wendung, welche sich E 808
xoh] ol Eyd) imxdggo&og f]a, E 828 findet und welche Ä 390
gtjiöiojg' xoh] ol imggo&og tjev 'Adtjvrj und W 770 y.lvdi, ded,
äya&rj iwi iniggoftog eI&e noöoliv verwischt ist. Es wird sich
nämlich später zeigen, daß nachträglich ergänzte persönliche
Fürwörter, die sich aus dem Zusammenhang von selbst ergeben,
den Text geschädigt haben. Die Etymologie von Emxdggoftog
ist rätselhaft, aber feststehen muß, daß sich nicht tmxdggodog
in ETiiggo&og verwandeln kann. Es ist also J 390 xoir] ejii-
xdggodog wie W 770 dyadtj ETiixdggodog zu schreiben.
Da nach meiner Überzeugung' diese Änderungen sich voller
Sicherheit erfreuen, so liegt darin das sprechendste Zeugnis
für den Zustand der Überlieferung des Homerischen Textes. —
Überraschen muß die Vertauschung von ftdvaxog und ßioxog.
Die Verwechslung dieser entgegengesetzten Begriffe kann nur
1) Vgl. O 254 loluv rot äoootjT^Qa Kqovicdv i£ Idtjg jiqoeijxe.
10 7. Allhandlung: N. Wecklein
von einer unwillkürlichen ungenauen Auffassung des Gedankens
herrühren. Am Schlüsse des Euripideischen Herakles glaubt
Herakles nach der Ermordung seiner Kinder nicht mehr leben
zu können und ist entschlossen zu sterben (1241, 1257). Sein
Freund Theseus redet ihm diesen Lebensüberdruß aus und
Herakles ringt sich den Entschluß ab zu leben : iyxagxEgijoo)
ßiorov muß es also 1351 für ftdvaxov heißen, wie ich in der
Ausgabe von 1877 etwas zaghaft vermutet habe. Der ge-
wöhnlichen Ausdrucksweise liegt ßiov xeXevxvj näher als davd-
xov xeXevxi). Wiewohl aber das häufige Oavdxov Ttkoq (Weihe,
vgl. ydfiov oder yafzrjXtov xsXog) etwas anderes ist1) als davd-
xov (gen. defin.) xeXevx)), erweist sich doch durch Stellen wie
Hesiod 'Aon. 357 und Eur. Med. 153 davdxov xeXsvtrj als nor-
malen Ausdruck. Vgl. davdxov xeofia Eur. Hipp. 139. Wenn
also zu üf 104 evd-a xe xoi, MeveXae, cpdvr) ßioxoio xeXevxtj die
Scholien AT bemerken: yg. xal &avdxoio, so haben Düntzer und
Nauck hier und II 787 mit Recht den minder gewöhnlichen
Ausdruck Oavdxoio xeXevxi) aufgenommen. N 560 will Adamas
den Antilochos töten und führt einen Stoß mit der Lanze nach
der Mitte seines Schildes : djUEvijvcooEv de oi ar/jiijv xvavoyaixa
IIooEiddojv ßioxoio jueyi'jgag. Aber Poseidon neidet ihm nicht
das Leben, sondern den Tod des Antilochos ; also muß es
Oavdxoio fi£y/]Qag heißen. Mit Recht heißt es auch im An-
hang von Ameis-Hentze: „Die Neueren verstehen mit Buttmann
ßioxoio vom Leben des Antilochos, beziehen aber den Dativ 61
(Adamas) 562 auch zu juEytjgag und dies scheint die natür-
lichste Erklärung, obwohl dann statt ßioxoio vielmehr cpdvoio
zu erwarten wäre." — Ein ähnlicher Fehler mutet uns in ü 575
(und o) 79) einen Nonsens zu. Von Automedon und Alkimos
heißt es : ovg Sa judXioxa xV (richtiger xC) "AxiXevg hdgmv tiExd
IJdxgoy.Xov ys davövxa. Nachdem Patroklos tot ist, kommt die
Vergleich ung mit ihm nicht mehr in Betracht. Die beliebte
Wendung itdXioxa jusxd, ägioxog /UExd schließt die zeitliche Auf-
fassung „nach dem Tode des Patroklos" (wie /*£#' "Exxoga .2" 96)
1) Das kann vor allem eine Wendung wie 77 502 xekog äavaToio
y.äkvyjev 6<p&a?./.iovg QTväg zs klar machen.
Textkritische Studien zur Ilias. 11
aus. Es muß natürlich heißen: juexd H6.toox.X6y y1 et* lövxa. —
0 526 geben der Syrische Palimpsest ABLXM u. a. Aatuiexldqg,
öv Aa/mios iyeivaxo (pegxaxov vlov, ST u. a. cpegxaxog dvdgtov,
nur GZ cpegxaxov dvdgajv: die Herausgeber schwanken zwischen
qiegxaxov vlov und cpegxaxog dvdgwv und doch ist cpegxaxov
dvdgcov als ursprünglich zu betrachten, denn dies wird durch
das folgende ei) eldoxa ftovgidog d?Mrjg erläutert. — In H 433
fjuog <5' ovx1 dq tcoj f]Ojg, exe <5' dptfpiXvxi] vv£
vermißt man ein Verbum, steht dg zwecklos und fehlt zu ovxe
das zweite Glied. Die Stelle ist besonders deshalb interessant,
weil Apoll. Rhod. II 669 den gleichen Text vor sich hatte und
abgesehen von dga die Mängel beseitigte: fj^og ö"1 ovx' dg nco
(pdog djußgoxov oiV exi Xirjv dgcpva'nq neXerai, XeJtrdv d, im-
öeögojiie vvxxl cpeyyog, 6V dtucpuvxi]v utv dveygojuevoi xaXeovoiv.
Hiernach soll auch bei Homer ovx'' exi dg<pvairj vvt; vorschweben.
Auf solche Weise läßt sich alles erklären. Die Auslassung
von f)vl), die auch in Prosa selten ist, findet sich bei Homer
gewöhnlich nur in Hauptsätzen, immer an Stellen, wo es sich
leicht ergänzt. Die Stellen sind von La Roche zu H 433 zu-
sammengestellt, z. B. B 707 6 <V ä/za Jigoxegog xal dgeicov.
A 253 kann aus limgijooorxo ein allgemeinerer Ausdruck wie
noveho entnommen werden ; /; 87 ist zu jxegl de figiyxog aus
dem Vorhergehenden eXr\Xaxo zu ergänzen. P214 eitel ov noXv-
uvDog xal d(pafxagxot'7ir]g, ei xal yevei voxegog fjev gehört rjev
auch zu TioXvfivßog x. d. und wie A 404 6 ydg avxe ßit] 'ov
Txaxgög djueivayv nicht rjv, sondern ioxi ergänzt werden kann,
so kann dies auch I 577 otitioOi moxaxov nediov Kalvöwvog
egavvrjg und ^ 107 xäv&ave xal IlaxgoxXog, 6 neg oeo noXXdv
d/ueivüjv geschehen. Jedenfalls findet sich keine Stelle, wo wie
hier nach iqfxog das Verbum fehlte. Mit ovx dga, wie Nauck
vermutet, wird nur dem einen Schaden abgeholfen. Nach f 502
cpde de %gvoodgovog 'Hcog ist der alte Fehler mit rjfiog $' ov
cpde na) fjcog zu verbessern. — Öfters begegnen Emendationen.
x) Etwas anders ist sau, das öfters auch in Nebensätzen fehlt; etat
fehlt X 52 ei <5' ijdrj ze&väoi y.al lv 'Aiöao döftotoiv.
12 7. Abhandlung: N. Wecklein
bei denen man nicht verstehen kann, warum sie nicht ohne
weiteres allgemeine Annahme gefunden haben. Z. B. hat Nitzsch
den Widerspruch von / 552 xet%£og kxxood-ev fiifiveiv nokeeg mg
eovtes mit 531 Ahcokol fihv äjuvvöjuevoi Ka?<.vdcovog £gavvi)g,
KovQrjxsg de dumgafteev jue/iiacTnsg ägyi beseitigt mit ret/eog
ixxög eövxa jueveiv. Solange Meleager vor den Toren von Ka-
lydon, der Stadt der Atoler, kämpfte und nicht untätig zuhause
lag (y.eixo jragu juvrjoxfj äko%cp), konnten die Kureten ihren
Zweck Kalydon zu erobern nicht erreichen. Wie gezwungen
ist die Erklärung: „zuerst wurden die Kureten in Pleuron be-
lagert; erst als sich Meleager zurückzog, wurden die Ätoler
in Kalydon eingeschlossen". Nach 531 handelt es sich doch
von allem Anfang an um Kalydon und die Unterscheidung
einer früheren und einer späteren Phase des Krieges, auf welche
man nicht den Notbehelf xaxä xb ouojicojiierov anwenden kann,
gehört zu jenen Mitteln der Interpretation, mit denen man jede
verdorbene Lesart zu rechtfertigen vermag. Auch die Annahme
von L. Friedländer (Philol. IV S. 583 ff.), daß zwei Stücke ver-
bunden seien, wird durch die ganze Art des Zusammenhangs
unwahrscheinlich gemacht. Die Vertauschung von jueveiv und
füfxveiv findet sich öfters. Z. B. ist ö 508 fiifive nur in W
und mit yg. in H von zweiter Hand erhalten, während die
meisten Handschriften jueTve bieten. — Eine Emendation, die
gleichfalls als evident erscheint, aber gewöhnlich unbeachtet
bleibt, hat Christ in / 514
älX1 , 'AyiAtv, Jioge xal ob Aibg xovgrjoiv eneodai
xi/urjv, ij r1 ällojv Tieg emyväjujrxet voov eodlcbv.
gefunden. Nur von den Altai, nicht von der xiju/], kann aus-
gesagt werden, daß sie den Sinn Edler herumgebracht haben;
also muß es a" t1 . . ejieyvajuyav heißen. — Die evidenten Emen-
dationen von Brandreth .Z362 xoxov für ßgoxog, von Menrad i\763
nrr' aiyüujiog TiExorjg negipyxeg aegdeig für Jiegijui]xeog ägt'hig1),
l) Ein zweites äodst'g s 393 ist am wahrscheinlichsten unter Be-
nützung der Lesart des Rhianos und des Aristophanes im Hv/iarog in
tisyälq) in! xv/xaz' dsg^Eig verbessert worden. Über aigovrag P724 s. unten.
Textkritisclie Studien zur Ilias. 13
von Christ N 57 eoov/uevog tisq igcorjoei1 für eoovfievöv neg
ega)))oaix\ welches nicht die Bedeutung von djzoorgeymixe haben
kann, und ¥ 578 yevefi für dgexf], von Nauck N 594 xfj für
t))v werden gewöhnlich nicht gebührend gewürdigt: 7regifi?]xeg
hat nicht einmal Leeuwen in den Text aufgenommen, obwohl
er bemerkt: adiectivum abundat neque aptum est rupi und tr\
fertigt Leaf mit without authority ab. Zu N 470 dXX"1 ovx
'IdofiEvrja cpößog Xdße xi]Xvyexov &g hat Bentley die feinsinnige
Verbesserung vt]nvxiov tag gefunden, die gewöhnlich nicht ein-
mal der Erwähnung wert erachtet wird. Vgl. F200 = 431. —
Daß in M 287 6k rcov dficpoxegrooe Xtöoi noxiovxo fidfieiai, ai
fih dg1 sig Tgcoag, ai d' ex Tgcocov ig "Ayaiovg, ßaXXo^ievwv der
Sinn ßaXXövxcov fordert, hat Brandreth, hat Köchly und wohl
noch mancher gesehen, aber der Aufnahme wird ßaXXuvxwv
nicht gewürdigt. — M 277 hat ngoßocdvxe, wofür Nauck ngo-
ßißdvxe gefunden hat, ebenso wenig Berechtigung wie ^iaxgd
ßtß&vxa r 22 oder fxaxgd ßtßcooa X 539. Vgl. O 686, wo die
maßgebenden Handschriften ßißdg, minderwertige ßißcov oder
ßißcov haben und A yg. ßißcov über ßißäg gibt. In iV/277
entspricht jrgoßißdvxe coxgvvov dem cpoixrjxqv öxgvvovxeg in 266.
— Vom Schneegestöber heißt es M 284 xai x ecp älbg noXirjg
xeyvxai Xijueoiv xe xal äxxmg (dxtfj Christ), xvtua de juiv ngoo-
Tild'Qov igvxexai. Hierin soll igvxexai nicht „hält bei sich
zurück % wie es bei seiner Verwandtschaft mit egvco (ziehe)
sein müßte, sondern „hält von sich fern" bedeuten. Ausge-
zeichnet ist die Verbesserung von Cauer egevyexm („spritzt den
Schnee weg"). — Schließlich handelt es sich um die Frage, ob
in der Homerkritik die ratio, eine unbefangene und dem
Dichter sein Recht wahrende Auffassung sich geltend machen
darf. Solche Gedanken weckt z. B. 0 548 nag de oi avrog
(Apollon) earrj, ojicog ftavdxoio ßagelag yßgag dXdXxoi. So geben
alle Handschriften, nur eine Pariser bietet das metrisch fehler-
hafte, aber einem richtigen Gedanken entsprungene jnoigag-
Eustathios hat xfjgag erhalten und xfjge &avdxoio (Q 70), xfj-
gag ftavdxoto % 202, xijg duvdxoio {X 171, 398), Mvaxov xal
xi~igag (e 387), ddvaxor xal xrjga (tt 169) ist der natürliche Aus-
14 -7. Abhandlung: N. Wecklein
druck für „Verhängnis des Todes". Daß auch das Epitheton
ßagelag zu xrjgag paßt, kann ?; 197 beweisen. Die überlieferte
Lesart ist augenscheinlich unter Einwirkung von ßagnag xelgag
inoioei (A 89) entstanden. Damit, daß man Qavdxoio schreibt,
ist nichts ausgerichtet. Mit dieser Änderung ist auch die Emen-
dation Marklands zu A 97 koi/uoto ßageiag xijgag (für yeigcig)
äcpefei gesichert. Wenn Leaf für die Personifikation von Xoifiog
auf Soph. Od. T. 27 6 Tivgrpögog fieög . . loifwg hyßioxog oder
Simonid. Amorg. 7, 101 ovo' alxpa Xoiiiov olxirjg äncboexai ey-
ßgbv ovvoixrjtrJQa, övo/usvea deov verweist, so müßte man nach
Herod. VIII 111 ovo /ueydkovg ileovg, nudw xe xal dvayxairjv
auch von den Händen oder Armen der itet&oj sprechen können.
Eher könnte man sich yelgag Qavdxoio in einem Zusammen-
hang wie X 202 Jicog de xev "Exxojg xrjgag vjie£e<pvy£V tlavd-
xolo gefallen lassen. — W 48 findet man noch in allen Aus-
gaben dkl' Jj xoi vvv juhv oxvyegf] Tteidoj^ießa datxi. An dem
Ausdruck wurde schon im Altertum Anstoß genommen, da in
einem Papyrus neißcbjue&a in xegjzwjueda korrigiert ist. Aber
orvyeQJj und xegntöfieda reimt sich nicht gut zusammen.
Auch Heyne hat das Abstruse des Ausdrucks net&cojLie&a öaixl
erkannt und nach Q 502 vvxxi vermutet. Allein für vvxxi
wäre oxvyegf] hier ein unpassendes Epitheton. Ausgezeichnet
aber ist die Emendation von Peppmüller oxvyegf] Tieißojueßa
yaoxgl, welche durch t] 216 ov ydg xi oxvyegf] im yaoxegi
xrvxegov äXXo enXero, o 344 evex öXofievrjg yaoxgbg xaxa xf)öei
eyovoiv, o 53 äXXd ae yaoxi/g öxgvvei xaxoegyög in vollends
überzeugender Weise unterstützt wird. — Nach dem geAvöhn-
lichen Texte in lF 598 xoTo de &vjubg idvdtj, d>g ei xe negl
axayveootv eegoi] Xrjiov äldrjoy.ovxog , oxe cpgiooovoiv ugovgai
freut sich immer noch der Tau über die Saat, nicht, wie es
ein Dichter wie Äschylos aufgefaßt hat (Ag. 1390 yaigovoav
ovöev rjooov >) öiooöoxco ydvei ojiogr]x6g xdXvxog er Aoyevfiaoiv),
die Saat über den Tau, die dem Tau ihr Gedeihen (aXdrjoxei)
verdankt. Man müßte sich einfach mit dem Geständnis, daß
der Text nicht heil sein kann, begnügen, wenn nicht Capelle
die treffliche und sichere Verbesserung Mqoyj Xtjiov äXdfjoxov,
Textkritische Studien zur Ilias. 15
oxe xe (pQiaocoaiv ägovgai gefunden hätte. — In den Worten
der Athena O 141 äqyakeov de jidvxcov äv&Qdöncov gvoftai ye-
verjv xe xoxov xe hat Leeuwen äv&Qcancov in d&avdxcov ver-
bessert. Die Emendation wird durch den Zusammenhang
unbedingt gefordert. Leaf bemerkt dazu: This gives the re-
quired sense, but there is nothing to account for the alteration.
Damit wird jede ratio ausgeschlossen. Dürfen wir einen un-
vernünftigen oder gedankenlosen Dichter annehmen ? Wie ent-
scheiden wir, wenn sich z. B. O 578 zwei Texte gegenüber-
stehen : doimrjoev de jieoojv, xbv de oxoxog öooe xdlvipE in
ABLM u. a. — dovjirjoev de Tieotbv aQaßi]0£ re xevxe1 etz1
ainol in ST u. a. ? Vom Dichter kann nur der eine Text
herrühren. Die größere oder geringere Autorität der Hand-
schriften kann auch keine Sicherheit gewähren, da solche Ab-
weichungen auf ältere Texte, auf Handschriften der Rhapsoden
zurückgehen. Es muß also die ratio entscheiden. In dem For-
melverse, der so oft wiederkehrt, dotmrjoev de jieocov, dgdßrjoe
de xev%e' Iti avxcö gehört der dumpfe Fall und das Rasseln der
Waffen zusammen. Der Dichter hat also so und nicht anders
geschrieben, auch 77 325, wo alle Handschriften den anderen
Text bieten. In O 578 aber hat sich die Wendung, wie sie
A 503 gegeben wird:
röv de oxoxog öooe xdkvipev
dovnrjoev de neodov, dgdßrjoe de xevxe'1 en"1 avrcp
zu einem Vers vereinigt.
Nur der Glaube an die Zuverlässigkeit der Textüberliefe-
rung scheint es verschuldet zu haben, daß offenkundige Ver-
derbnisse unbeachtet bleiben. Q 178 richtet Iris dem Priamos
den 145 ff. gegebenen Auftrag des Zeus aus :
xf]ov$ xig xot enono yeoatxEQog, dg x1 i&vvoi
y/uiövovg xal äjLiafav evxooyor ydk xal avxig
vexqov äyoi tiqoxl äoxv.
Nebenbei bemerkt, erfordert der Homerische Sprachgebrauch
ög x"1 tßvv)] (der die Aufgabe hat zu lenken). In 149 hat
eine Wiener Handschrift den Konjunktiv erhalten. Das Subjekt
16 7. Abhandlung: N. Wecklein
von uyoi ist nach diesem Text der Herold. Besser wäre die
Beziehung auf a/ua^ar, wenn man mit A2ST fj xe für f]de setzte
und gleichfalls uyoi in äyfl oder vielmehr dann in yEQrj (vgl.
Q 697) änderte. Da aber der Auftrag ausgerichtet werden muß,
wie er gegeben ist, und uyoi 151 Priamos zum Subjekte hat, mute
es hier äyoig heißen. Vgl. uvzög aycov 601, "IXiov eioayaycov 620.
Zum Schluß dieser Vorbemerkungen möchte ich den Kri-
tikern, welche sich für verpflichtet halten alle abnormen und
unbegreiflichen Formen und widerspruchsvollen Wendungen
geduldig hinzunehmen und vor den Ungereimtheiten der Über-
lieferung, die wir Abschreibern oder Rhapsoden oder auch
Interpolatoren zur Last legen, wie vor ehrwürdigen Resten des
Altertums eine heilige Scheu haben und daraus sprachliche
oder metrische Gesetze ableiten, eine einfache, aber lehrreiche
Stelle zur Beurteilung vorlegen. Der wehrlose Lykaon bittet
Achilleus um sein Leben: „Ich stehe zu Dir im Verhältnis
eines Schutzflehenden. Du hast auch an mir, als Du mich
nach Lemnos verkauftest, einen Preis von hundert Rindern
verdient" : vvv ö"1 eXvfirjv (de Xv/Ltfjv) rglg xoooa tioqojv & 80.
Man bezieht diese Angabe auf 42 xei&ev öe gelvog /uiv eXvouto,
noXXu (V edcoxev, "I/xßgiog 'Hetiojv, Jie.juipsv d"1 Eig diav 'ÄQtoßrjv.
Aber nicht Lykaon, sondern der Gastfreund hat das Lösegeld
gegeben. Ohnedies stehen diese beiden Verse, welche das
ötüJjiojjuEvov, wie Lykaon von Lemnos nach Asien entkam, er-
klären sollen, mit eX&ojv ex A^jlivoio 46 in Widerspruch, sind
also nachträglich eingeschaltet worden. Nach dem Zu-
sammenhang und nach den Worten des Achilleus juij juoi unoiva
mcpuvoxEo 99 muß Lykaon mit Tglg rooou jiogcov ein neues
Lösegeld angeboten haben, in vvv de Xvfxrjv muß also der
Wunsch um einen dreifachen Preis sich loskaufen zu dürfen
enthalten sein, was der Schob mit XviQcoßeh]v richtig angibt.
Also bleibt nichts übrig als vvv Xvijiiyv (= Xvoifxrjv) zu setzen,
wie man o 238 XeXvto oder XeXvvxo (sie!) in XeXvao, o 348 dvrj
in dvirj, i 377 ävadvf] oder uvuöoh] in dvaövct], o 248 öuivvur
in öaivviuT , IJ 99 exdvfxev in exdvlfisv emendiert hat und wie
oft ßvw (opfere) und ftv'uo (tobe) verwechselt werden (z. B.
.1 180 &vcev AGM, &vev BS u. a.).
Textkritische Studien zur Ilias. 17
I.
1. Nachdem ich in der Abhandlung „Über die Methode
der Textkritik und die handschriftliche Überlieferung
des Homer" (Sitzungsb. 1908) den Nachweis versucht habe,
daß auch dem überlieferten Texte des Homer gegenüber die ver-
schiedenen Methoden der Kritik ihre volle Berechtigung bean-
spruchen, habe ich in den Analecta Homerica von L. Fried-
länder S. 458 den Satz gefunden: quamquam verissimum est
quod dixit Lehrsius, Homerum in Universum tarn bene habitum
esse ut id numquam satis mirari possimus, tarnen non minus
verum est nullum fere corruptelae genus cogitari posse, quo
haec carmina non aliquatenus contaminata sint. Diese Theorie
ist richtig, enthält aber sozusagen nur die Hälfte der Wahr-
heit. Der Text des Homer hat sowohl durch die schriftliche
wie durch die mündliche Überlieferung gelitten. Der Zeit, aus
welcher wir die Texte der Tragiker haben, geht bei Homer
eine lange Zeit voraus, in welcher die schwerfällige Schrift
große Mühe verursachte und zu allerlei Irrtümern Anlaß gab.
Noch Zenodot las H 127 jueigojiierog statt /<' elgo/ievog, S 37
ötfatovreg für öipelovreg und Aristarch wußte nicht, ob das 'oxp1
diovreg oder 6yd lovreg bedeuten solle, und wies 6yd als äveXh)-
norov zurück. Aristarch fand N 315 die Lesart EAEOYHI
vor und brachte edoovoi in Zusammenhang mit ä/xevac: er hätte
EAZOYZI d. i. elpovai lesen sollen. Des öfteren werden
feiner Fehler auf das jueraxaQaxTtjQiCeiv zurückgeführt. Diese
Umschrift hat besonders auf die Endungen, auf die Modus-
formen verwirrend eingewirkt. Eine Hauptquelle der Varianten
müssen die Exemplare der Rhapsoden gewesen sein, die ähnliche
Stellen im Gedächtnis hatten, die auch Verse anderswoher an
mehr oder weniger passender Stelle wiederholten. Endlich hat
die Attikisierung und Modernisierung den Text in mehrfacher Be-
ziehung umgestaltet. Diesen ungünstigen Verhältnissen gegen-
über erwächst der Textkritik die Aufgabe "Ojmjqov eg~ 'O/uijqov
dioQ&ovv, wie Aristarch für die Exegese "OfxtjQov e| cOju/]qov
oacprjvi^eiv forderte. Man muß der Unsicherheit und Unzuver-
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. liist. Kl. Jahrg. 1917, 7. Abb. 0
18 7. Abhandlung: N. Wecklein
lässigkeifc der Überlieferung mit festen Regeln, die aus der
Mehrzahl der Fälle unter Berücksichtigung des allgemeinen
griechischen Sprachgebrauchs gewonnen werden, beikommen.
Um dies an einem Beispiel darzutun, heißt es von Penelope
TT 391 = cp 161 tj de x"1 etieitg (wenn die Freier das Haus ver-
lassen und eine andere Braut suchen)
yrjjuaid\ ög xe(v) nlEioxa jioooi xal juogoijuog eX&oi.
So lautet der Text bei Bekker, Düntzer, Fäsi (auch in der Be-
arbeitung von C. W. Kayser), La Roche, Lud wich, Leeuwen-
Mendes u. a. Dagegen schreibt Nauck:
yrjjuaii}\ ög he tiXeIotci nogr] xal juoooiiiog E'h%].
Ich wage zu behaupten, daß der eine wie der andere Text
nicht ursprünglich ist. Die Handschriften gestatten beide Les-
arten: an der ersten Stelle geben dg xe(v) . . tioqoi . . ekdoi
FH1 MP1, an der zweiten HMP; jioqt] haben an der zweiten
Stelle Fü2 (nÖQrjoiv U1), Ufty U2 (ety M, efy F). Die Form
ög xe . . tiöqxi . . elOt] bedeutet „wer darbieten und kommen
wird"; der Sprechende aber kann nicht wissen, ob ein solcher
kommen wird. Der epische Sprachgebrauch, der auch dem
attischen entspricht, wird z. B. durch xal */ eig nävxag eqvxoi
avrjQ, ög t' aXxinog eI't] ^138 oder %aXE7i6v ö£ xev eirj . . oxe
iiij ÖEÖg . . -&EÜ] y 186 angegeben. Es gilt die sog. Assimi-
lation der Modi (vgl. Über die Methode der Textkritik S. 68 f.).
d. h. wenn der Nebensatz in die Sphäre eines Potentialis oder
Irrealis fällt, so nimmt er an der Gedankennuance teil, steht
also auch im Optativ bzw. im Indikativ eines Präteritums,
aber ohne xev (äv), weil der Satz bereits unter der Einwir-
kung dieser Partikel steht. Und siehe da! Die beiden Hand-
schriften GU, deren Übereinstimmung uns in den Studien zur
Odyssee S. 40 von maßgebender Bedeutung erschien, haben an
beiden Stellen nicht ög ne(v), sondern ög ng. An der ersten
Stelle gesellt sich ihnen auch die zweite Hand in H und P
zu, an der zweiten auch F, welche nach G die älteste ist; die
gewohnte Unsicherheit zeigt sich bei F und U wieder darin,
Textkritische Studien zur Ilias. 19
daß sie Tiogt] bzw. tioq^olv neben e'X&oi {eXd}] U2, so] F) bieten.
Hiernach kann
yr)juai$\ ög ng nXeXoza txoqch xal noooi/uog eX&oi
als ursprünglicher Text festgestellt werden, ein Beispiel von
„Gleichmacherei", gegen welches, denke ich, kein Einwand er-
hoben werden kann. — Noch ein deutliches Beispiel! T 30
gebeu die meisten Handschriften (AB u. a.) mit Aristarch reo
jusv eyco 7ieiQ)]oco äXaXxsiv aygia cpvXa, SIT u. a. mit Aristo-
phanes dXaXxefiev: mute da nicht die Beobachtung, daß der
vierte Fuß den Daktylus liebt, gegen Aristarch den Ausschlag
geben? Muß nicht in dem gleichen Verse die Beobachtung,
daß das Aktiv tieiq/joco nur noch in einem unechten V. ß 316
vorkommt, die Konjektur von La Roche jieiq)]ooiii'1 rechtfertigen?
Man wendet gegen die „Gleichmacherei", wie man es zu nennen
beliebt, ein, daß die beiden Epen verschiedenen Perioden an-
gehören, die auf den Sprachgebrauch maßgebenden Einfluß
gehabt haben könnten. In der Tat verraten sich jüngere
Nachträge und Erweiterungen wie die beiden letzten Gesänge
der Ilias und der Schluß der Odyssee von t/' 300 an durch un-
beabsichtigte nichtepische Formen oder Ausdrücke wie "HXiog
§ 271, Aiovvoog X 325, öviag r] 94, fjoda Q 789, co 92, *) tioXei
x r\v Q 706, ovoi]g r 489, Xvyvog r 34, tieqloxeXXco co 293, ai
xev . . Tzecpidijoeicu O 215, /urj xEyoXcooExai F301, co 544, durch
die häufige Außerachtlassung des Üigamma, durch juerd mit Gen.
-Q400 (i\T700, 0 458), df^og für Xaqg Ü 776, xEcog Ü 706,
feststehende Kontraktionen, oig und ]]g vor konsonantischem
Anlaut, iTinoi (für ijttzcjo) dgaiih^v ¥ 392 f., 417, 500 u. a.
Trotzdem ist die Homerische Sprache eine einheitliche, gleich-
förmige, die in dem Gebrauch der Endungen, der Numeri, der
l) i)ada solum reperitur apud Atticos Lobeck Pathol. 2, 267. Hie-
her gekört auch eol N 495. Die Verse 494, 495 entsprechen nicht dem
Zusammenhang und sind von Payne Knight und Christ als unecht er-
klärt worden. Denn nicht ihm, dem Aneas, sondern dem Deiphobos,
Paris und Agenor folgen die Leute. Die gleiche Beanstandung muß d 38
mit äfia nitiodui soT avziö erfahren und richtig läßt die Handschrift U
von erster Hand den Vers aus.
2*
20 7. Abhandlung: N. Wecklein
Tempora und Modi den gleichen Charakter offenbart. Man
mag verschiedener Ansicht darüber sein, ob an der einen oder
anderen Stelle das Digamma herzustellen oder die Endung oig
vor einem Konsonanten zu beseitigen sei, aber abnorme oder
unglaubliche Formen wie dyysXirjg = äyyelog, d}iq>ovöig g 237,
dvdeövog, äoqag o 222, äjirjhyecog I 309, a 373, Ösvqcü r 240,
ZmTQaneovoi K 421 , Evrjyevifjg A 427, W 81, enevrjveov H 428,
431, TtaQEvrjveov a 147, n 51, dedonedov rj 123, rjoßag £"898
(zur Beseitigung des Hiatus vor evegiegog), l'xco/ui 7 414, na-
gaq/ßairjoi K 346, oldag a 337 oder olo&ag A 85, oaaxje/uev
I 230 in ev doifj de oacooe/uev ij dnoXEO&at, (aus oacooejuev er-
gibt sich nicht ooag, sondern odag k'fiev), o6r\ oder ooco 1 424,
ooi-jg oder oocßg 7 681,1) ravt]key^g, änogoaioj in der Bedeutung
„beraube" a 404, n 428, eine Verbindung wie etitjv naoa&eixo
ß 105, oj 140, ejiyjv JictQa&eijurjv r 150, ejirjv yoov e| eqov eirjv
Q 227 (vgl. d 222 em)v xgrjTfJQi juiysirj, aber G £7i£t), eine Kon-
struktion wie oi' (5' «oa /in- (für ot) a/toy ßilog Excpvye #«00s
J 376 (vgl. ^407)2) dürfen in unseren Texten nicht erhalten
bleiben, da man sich überzeugen muß, daß sie nur einer mangel-
haften Überlieferung zur Last fallen. Selbst eine Form wie
öioxovoa ¥ 523 oder veoh] W 604, die Aristarch ruhig hinge-
nommen hat, muß der Einsicht, daß solche Formen unmöglich
sind, weichen. Wenn ein Wort wie 6eT nur an einer einzigen
Stelle im ganzen Homer / 337 vorkommt und man weiß, daß
in den Handschriften der Tragiker häufig öei und XQ'I ver"
tauscht sind, so fordert eine gesunde Methode die Einsetzung
von xq}]. Die Form dyalofiai findet sich nur v 16 äyaio/xevov
xaxa EQya. Die Redensart lautet aber ß 67 äyaooajuevov xaxa
l'oya, vgl. ip 64 dyaoodjuErog . . xaxa EQya. Also ist die un-
gewöhnliche Form in dyaaoajuEvov zu verbessern. Es gibt
1) Für vfja; oaör) (aaöyg) xai laov 'Aiai&v, wie Nauck statt vfjag xs
ooä> geschrieben hat, kann auf die zahlreichen Fälle hingewiesen werden,
in denen das vor xai eingesetzte xs das Digamma aufhebt wie in tpiXovs
t' Idseiv xai ixso&at.
2) Eine andere Bewandtnis hat es mit A 128 sx ydg aqpsag xElC>(7)r
cfvyor tjvia.
Textkritische Studien zur llias. 21
überhaupt die Form äyaio/uai so wenig wie die Form äydofim,
sondern nur äya/iai (Stud. z. Od. S. 65). Eine ähnliche ver-
einzelte Form ist xegme 7 203, die für xegae nur gesetzt ist,
weil man die Wirkung der Arsis verkannte. Vgl. xEgwvxag
(jo 364. Zu den Mißformen rechne ich auch änocpcbXiog (aus
änacpctiXiog durch die Einwirkung von öcpelog entstanden), /isra-
jtiobviog oder juEta/ucbXiog1) für ävEjucbXiog, nxoXuiog&iog für nxo-
XiJWQ'd'og, imggodog für EJiizdggoftog (s. oben S. 9). A 231
kann dr]juoßogog ßaodevg nur ein König sein, der das Volk,
nicht der Volksgut verzehrt. G. Schneider, Beiträge zur hom.
Wortforschung und Textkritik, Görlitz 1893, hat ganz recht,
wenn er drjjuioßögog dafür verlangt. Vgl. drjfxia mvovoiv P 250.
Aber d?]/uioß6gog = dijjitjoßoQog ist ebenso unmöglich wie M 213
drjfiiov = dfjjujov (im Sinne von drjfirjyogov). Wir müssen drj-
/uioßgcög dafür setzen, welches ebenso gebildet ist wie (bjuoßgcog.
Vgl. w/ioßgwxeg Eur. Herk. 889, wofür die Handschriften
gleichfalls (hjuoßgoxog geben. Die Form drjjiioßogog hatte zur
Folge, daß ßaaiXev in ßaoiXevg überging. — Ganz vereinzelt
steht Z 321 jiegixaXXea xev^ ejzovxa. Mit Recht bemerkt
ßechtel im Lexil. S. 135, daß k'jico nur in Verbindung mit den
Präpositionen äjucpl, negi, did, im, juezd erscheine. In fx 209
ov juev öi] xoöe jueitov etil xaxöv ist das richtige em in M2U
überliefert, welches nur um der vermeintlich erforderlichen
Länge willen in ejiei {ejiei, ejiei) verändert worden ist. Die
evidente Emendation von Bekker JiEgl xdXXijiia xEvy/ ejiovxcl
(vgl. 0 555 nsgl xevie1 ejtovöiv) wird von manchen Heraus-
gebern nicht einmal der Erwähnung gewürdigt. Rätselhaft
ist das d in iygrjyög'&aoi K 419, während es in iygtjyog'&E
sich wohl erklärt. Aus v 6 lernen wir die Form Eygi]yog6cov
(nach Galen. V 304 K. iygt]yog£cov) kennen. Mit iygrjyogdovoi
oder EygqyogEovoi wird eine verständliche Form gewonnen.
Aber auch iygtjyog&ai K 67 ist für iygrjyeg^at unter dem
Einfluß von Eygrjyoga und Eygr}yog&E entstanden. In A 473
*) Warum findet sich /j.era/uü)viog für avs/JKoXios nur nach Vokalen
ebenso wie fiezä für äfxa oder ivi, und zwar häufig nach der Hauptzäsur,
wo doch der Hiatus ganz geläufig ist?
22 7. Abhandlung: N. Wecklein
äjuqpi (51 äg"1 avxov Tgcbeg S7iov&\ dig xxL behalten manche EJiovß''
bei, obwohl die Emendation von Payne K night enov durch
ejiov 483, wo auch S ejiovxo bietet, sichergestellt wird. —
Die Form dvooageojuat, welche man von (oga (cura) ableitet,
entspricht in 7il83 o)g öe xvvsg jzsgl jufjXa dvoo)g>)oovxai ev
avXf) (Apoll. Soph. 60, 26 dvo(ogr)oo)oiv) der Sache wenig. Es
handelt sich um Hut (dvoqpvXaxrrjocooi, wie die Erklärung lautet);
das Wort dafür aber ist ögo/uai, ovgog, sjztovgog. Daraus er-
gibt sich die Form dvaovgeo^tat. Aus dem Zitat ist der Kon-
junktiv övoovgrjocovzai aufzunehmen, auf welchen auch das
dort folgende sg%r]xai hinweist. — K 252 hat Aristarch die
Form nagoiiWKEv für Jiagq>%yxev erhalten. — Für ävx-ETÖgi]OEv
7? 337 hat Döderlein 77 672 äv-xExog^osv, für dvxixögrjoag K 267
ävTSTogrjoag hergestellt, was gewöhnlich unbeachtet bleibt. Mit
rExogrjoai kann man xExadrjooj vergleichen. — Das oft vor-
kommende ysy wvwg für yeycovcov verdankt seinen Ursprung
nur der vermeintlichen Reduplikation. — A 601 findet sich die
auffällige Form uoxa für icoxrjv: die Emendation von Bentley
jioXejuov re fi(joxr\v xe xgvösooav für növov aljivv koxd xe Sax-
gvösooav (yg. IG) xaxadaxgvösooav Aristonikos) würde man
gewiß eher gewürdigt haben, wenn jiovov alnvv in seinem
Recht geblieben und nicht ein Digamma bei lorxrjv angenommen
worden wäre. Mit Icoxrjv xe xgvösooav vgl. cpößov xgvösvxog
12. Neben ßsXog sisjiEvxsg A 51, A 129, welches man mit
£%m und nEvxrj oder nsvxog in Verbindung bringt, scheint
ßsXog nsginsvxsg A 845 unmöglich zu sein. — Die Form ör]-
givüijxijv II 756 ist abnorm, gibt aber, da auch die regelrecht
gebildete Form dy]givxi]xr]v überliefert ist und ädijgixog vor-
kommt, noch nicht das Recht mit Nauck und Leeuwen nach
P 158 öfjgiv e§eo&)]v dafür zu setzen. Mit d>]gi&}]v neben
di]giodfxt]v vgl. z. B. sgsio&sig neben igEiodjUEvog. Die Form
drjgiv&fjvcu bei Apollon. Rh. 77 16 beweist nur, daß dieser
drjgtvß)'jxt]v in seinem Text hatte. Zu der Bildung von örj-
giv&rjv hat wohl die Ähnlichkeit von ixgiv&ijv, sxXivß^v, ßa-
gvvftrjv, ögiv&rjv beigetragen. — Die gleiche Bewandtnis hat
es mit der Form Idgvvd^v T 78, 77 56. Obwohl H 56 A die
Textkritische Studien zur Ilias. 23
•
richtige Form lögvd^oav bietet, findet man in den Ausgaben
gewöhnlich das hergebrachte lögvvd-rjv. Dieser Vorgang er-
innert an Xoyaväco, welches sowohl „zurückhalten" wie „nach
etwas trachten" (cpdoxrjxog # 288, %Qobg Saxhiv P572, ÖQOfiov
!F300) bedeuten soll. Obgleich an der letzten Stelle die beste
Überlieferung (Syr. Palimps., AS) l%nv6<x)oav erhalten hat, wird
trotz der Belehrung G. Hermanns zu \'xaQ Asch. Hik. 863
„die Vulgata" loxavdco vielfach festgehalten. Mit dygtßijxrjv
und äd)]Qirog wird die Form d)]giojnai festgestellt. Da nun
P734 neben örjgioao&m (SBMT u. a.) auch drjgidaoüai (A von
jüngerer Hand, GHbY) überliefert ist, wird die Form ötjgid-
ojuai fraglich: M 421 wird im Versschluß drjgiEoftov für
drjoidao&ov, P734 örjgiEofiai für örjgidaodai, 0 467 örjgiE-
o & co v für dqgiadoftcov, #78 örjgiovxo (vorausgeht 76 örjgioavxo)
für di]Qiocovro zu setzen sein. Die überlieferten Formen haben
den gleichen Wert wie äydaoßcu, rjydaofie, iodaode, egeeofis u. a.
— Über ijiel %' ecojuev T 402 ist man noch zu keiner Eini-
gung gelangt. Daß der Sinn ist „nachdem wir uns gesättigt
haben werden" und daß die Form zu afxevai gehört, muß fest-
stehen. Bothe hat x" äojuev, Leo Meyer % äo/jsv vorgeschlagen
und darin einen Wurzelaorist zu d- erkannt. Man braucht f
eoj/uev oder vielmehr das in mehreren Handschriften (Hb u. a.)
überlieferte %' eojuev (xeo/uev G2, yj eojuev L1) nicht zu ändern,
wenn man an das von Joh. Schmidt, Die Pluralbildung usw.
Weimar 1889 S. 332 f. erkannte Gesetz denkt und xxeojuev
X 216, auch oreo/uev A 348 vergleicht. — Wie abnorme Formen
entstanden sind, kann P 637 oX nov devg' SgöcovxEg äxrjx^ax^
ovo"1 exl cpaolv xxi. zeigen. Die Form axrjx^axai erinnert an
die Form ib^lddax'' oder ikqtedar r\ 86, die auf E.h]ldax =
ibUavxo zurückgeführt werden muß. So kann unter äxrjxE.daxai
nur äxayjjaxai = äxdxrjvxai verborgen sein, wie sich M 179
dxax^oxo findet. Nun gab es nach Didymos öevq ': ovxcog
'Agioxaoxog' älloi de ,oX nov vvv1 die Lesart vvv für Öevo"1
und so haben ST und andere Handschriften; vvv ögöcovxEg
aber gibt keinen Sinn; vvv weist entschieden auf vvv jiagä
vrjvoiv hin, welche Lesart in den Anecd. Oxon. / 73, 33 (und
24 7. Abhandlung: N. Wecklein
•
im Et. M. 48, 6) erhalten ist. Hiermit läßt sich, wie schon
Leeuwen gesehen hat, ein richtiger Text herstellen: vT jiov vvv
jiagd vrjvo1 dxayi'jaxai ortf ext cpaoiv. — Das unglaubliche
Wort {lümi&Qa. xvv&v vom „Spielzeug" der Hunde, die Leichen
herumzerren, iV2:J3, wie P255, 2 179 xvolv fiüntj'&Qa yeveo&cu
hat Nauck nach Eur. Herk. 568 xvv&v iXxrjfm glücklich in
Üxrj&ga geändert und hat damit auch für die Euripidesstelle
die richtige Form gefunden. Man unterscheidet gewöhnlich
(5 Mfag (der Weher) und v\ ä))xi] (das Wehen, der Wind).
Diese Unterscheidung beruht auf O 626, wo A mit Aristarch
ävejuoio de deivog äijxt) gibt, während die meisten Handschriften
äijirjg haben. Die Bemerkung des Aristonikos (Aristarch) oxi
äqoevixcog deivog cujxr], all' ov deiviq, d>g ,xlvxog 'Innodäfieia'
(B 742). evioi de äyvoovvxeg noiovoi ,deivög ärjxt]g\ all'' ov
öeZ ygäyeiv ovxwg läßt den Ursprung von ä)]xijg erkennen,
nämlich das generis comm. gebrauchte deivog. Wie sich an-
derswo, bei Hesiod, bei Simonides m\xr\ findet, so ist auch bei
Homer kein dr\xt]g anzunehmen; es besteht also d 567 die
Aristarchische Lesart, die sich, auch in MH2 findet, all' aiel
CeyvQoto liyv nveiovxog ärjxag zu recht. Auch S 254 oqoao
ägyaleow ävefiwv enl jiövrov mjxag zeugt für dtjri], das wie
avQY) gebraucht wird. Hesych hat neben ärjrr} auch ätjxtjg,
aber der Zusatz dooenxwg zeigt augenfällig, daß die Glosse
auf die angeführte Stelle O 626 zurückgeht. — Unklar ist das
Verhältnis von d'u», diojuai zu die/nai. Zur Annahme eines Ver-
bums dio/uai läßt man sich durch die unrichtige Auffassung
von diov x 251 „floh", die £433, ^1 557, £566 „fürchtete"
jiegi ydo die vrjvoh' 'Ayaicov, negl ydg Öle Jioi/uevi lawv, P 666
negl ydg die jut] fxiv \4yaioi . . linoiev bestimmen. Zu diesem
starken Aor. diov (zu dpej-), mit welchem man xlov vergleichen
kann, gibt es kein Präsens die» und kein Passiv oder Medium
diofiai. Es gibt nur ein Aktiv dirj/u, welches man in evdie-
oav1) 2 584 „trieben, scheuchten, hetzten darauf" hat, ein
l) Mit Unrecht sieht hierin Thiersch Acta philol. Mon. I S. 191 ein
Plusquamperfekt = edsStsoav.
Textkritische Studien zur Ilias. -^5
Passiv diejuai „werde getrieben, werde gescheucht" M 304
oxaßfiolo dieoßai, W 475 Xnnoi äegomodeg omdeog nedioio dievxai
(„eilen scheu"), ein Medium die/iai „scheue mich" Äsch. Pers. 702
diejuai (so Hermann für deiojuai M, diofiai recc.) [xev laoioaößai,
„treibe vor mir her" drjiovg hqoxi äoxv dieoßai M 276, i'juiovg
JTQOxl äoTV dliJXai 0 681, ß QOOVV "ExTOQO. ÖlOQ 'A%i1XeVS . . 718-
diovde dh]xai % 456, tig ■ • ov §a xvveg . . and oxaß/uoio dicovxai
P110, and ocojuaxog ov xi leovx" aißmva dvvavxai . . dieoßai
2 162, enei x1 and vavcpi iidxtjv ■ ■ dirjxai 77 246, firj oe . .
äygovde diojfiai cp 370, xöv k~eTvov ävcoyag and jueydgoio dieoßai
q 398, aldeojuai d"1 dexovoav änö /ueydgoio dieoßai v 343. Ebenso
kommt deidiooojuai als Medium („erschrecke") und als Passiv
(„werde erschreckt") vor. Daraus ergibt sich, daß q 317 xvoj-
daAov oxxi dioixo unrichtig überliefert ist für dieTxo. Man wird
auch richtiger di&^iai, dirjxai, duovxai betonen. Ganz ver-
einzelt steht das Medium etjeoeeivexo K 81. Da im cod. Genav.
ifsoeeive steht, wird man efegeeive fe zu schreiben haben. —
Zu den ungewöhnlichen Formen gehört auch rnjinldvexai I 679,
wo Odysseus über den Erfolg der Gesandtschaft bei Achilleus
berichtet. Wenn man daran denkt, wie bei solchen Berichten
die vorher gebrauchten Ausdrücke wiederholt werden, muß
man die Änderung von Nauck olddvexai juevei für zutreffend
ansehen, weil die Aussage von Achilleus dXld fxoi olddvexai
xgaöh] %6Xco 646 wiedergegeben wird. Aber wie erklärt sich
die Änderung? n 176 kann man den Ausdruck yeveiddeg d/.icpl
yeveiov nicht für schön finden ; um so mehr muß man das Von
den Handschriften GU, welche, wie in den Studien zur Odyssee
ausgeführt ist, gewöhnlich im Richtigen zusammenstimmen, ge-
botene eßeigddeg würdigen (Eustathios yeveiddeg >} eßeigddeg);
nur kann man nicht an die Form eßeioddeg glauben. Offen-
bar ist eßeioddeg aus e'-ßeigai und yeveiddeg entstanden (ein
Hiatus wie in edeiQai äfxcpl yeveiov am Schlüsse des Verses
nach der bukolischen Zäsur ist nicht selten) und so ist ni/u-
nXdvexai aus olddvexai und nijunXaxai abzuleiten: dem
m/juiXävexai zuliebe mußte auch fieve'C in jueveog geändert wer-
den. — In dem Vers, welchen Zenodot nach r 338 bietet:
26 7. Abhandlung: N. Wecklein
ati'i } (Y r/o' w/JLOioiv ßdkez"1 domöa rfQoavoFooav ist das unver-
ständliche xeQoavoEOoav aus den beiden Epitheta des Schildes
TSQfiioeoaav und &voavoeooav entstanden. So hat sich
ö 826 die Lesart einiger Handschriften (GP) eanstai aus £QXe~
zai und eonexo gebildet. Wer kann die zu K 493 bei Hesych
überlieferte Lesart dijdeoxav verstehen, die freilich Musuros
ohne weiteres in d/jfteoxov geändert hat? Sie stammt von
diqfteoxov und u>'] &eooav (so M2HEbX). — Die seltsame
Lesart des Lips. £'230 ßoavzog Oeiavzog ist aus &ei(oio) äv-
(ax)zog und dem übergeschriebenen Qoavzog entstanden, ebenso
die von Gr E 283 ixdo&ip aus l'xavov und Ixeoftyv, ebenso
die Lesart des Aristarch 0 307 ßißcov (Zenodot ßocor) aus
ßißdg und ßocöv. — Der Ausdruck ozeoojz^yeoexa Zevg II 298
ist gewiß sinnlos, aber niemand wagt die Emendation von
Payne Knight Zevg doxeQOTixjxiqg (nach A 609) aufzunehmen,
offenbar aus dem Grunde, den Leaf angibt: why should this
familiär phrase have been corrupted? Die Erklärung liegt in
Zevg aoTeoonrjZTqg mit der Überschrift ve<peh]yeQexa: da vecpeXrj-
yeqeza unmittelbar nach vecpehjv nicht angängig war, entstand
aus der Verbindung beider Wörter ozeoomjyeoeza. — Diese
Quelle von Verderbnissen kann uns in II 405 o (5' eyyei vv£e
jzagaozdg yvaßtudv deg'izeQOv, did d"1 avzov nelqev ödovzcov über
das stilwidrige avzov, wofür man avzwv, avzov, al%ju)] ver-
mutet hat, aufklären. Leaf bemerkt noch, daß das Objekt
von Tielgeiv sonst das Durchstochene, nicht das Durchstechende
sei. Der eine wie der andere Anstoß wird mit dvzezögrjoev
beseitigt. Als das über xöqtjoev geschriebene neloev Aufnahme
fand, wurde das übriggebliebene ävze in avzov verwandelt.
Mit did (51 avxezoQYjoev ödovxaiv (er bohrte die Lanze durch
die Zähne hindurch) vgl. E 337 el&ag de dogv %oobg (Leeuwen
XQoa) dvzezoQtjoev ä/Lißgooiov did tietiXov . . tiqv^ivov imeo de-
vagog. — Auf diese Weise läßt sich auch eine Emendation
von Agar zu II 792 rechtfertigen, die bisher keine Beachtung
finden konnte. An %eiol xaxa7iQi]vei, oxoeqpedlvy&ev de ol öooe
ist sowohl die Kontraktion von xazangrjveT (vgl. Menrad De
contr. et syniz. usu Hom. p. 71 ff.) wie das „wunderliche" oxoecpe-
Textkritische Studien zur Ilias. 27
divrjdev zu beanstanden. Wie P 680 öooe cpaeivd) ndvTooe di-
veiodi]r (vielmehr öivrjßev) zeigen kann, werden mit yegol
xarano^veooiv' edirqßev de ol öooe beide Anstände be-
seitigt und die Lesart zweier Pariser Handschriften oTgefpe'
divrj&ev kann die Entstehung der Korruptel (edhnj&ev mit der
Überschrift orgele) andeuten. — .Z" 463, wo die Handschriften
zwischen ut) und /*>/ toi schwanken, ist die Lesart von MTL
iu'] ti toi nichts anderes als die Verbindung von ui] rt und
firj toi. — T 172 = f^ 159 hat man in delnvov avcoyjh on-
leodai mit önXelo&ai eine brauchbare Form gewinnen wollen;
aber öjiXeoj kommt nur £ 73 in der Bedeutung „schirre an"
vor. Nach 208 ist Tevyeo§ai herzustellen und ojiXea&ai von
Ttvyeoßai und onXiCeoüai herzuleiten. — Die abnorme Form
id. Y 68, für welche Bentley ßeXea gesetzt hat, wird durch die
Überschrift tovg über ßeXea entstanden sein, wie Y 159 (bg-
fiacoTs in G s. v. a. SgucövT? und Lieiiaöne bedeutet. — Ebenso
ist die abnorme Form ddrjTat 1^ 316 auf das von Bentley nach
Z 331, A 667 hergestellte &eqijtcu und die Überschrift daitjTai
zurückzuführen. — Y 24:3 geben ABM u. a. 6 ydg x"1 oy1 äg-
iotos für 6 ydg xdgTioTog d. i. o ydg x dgTioTog mit der Über-
schrift oy1 ägiorog. — <& 293 hat A o über toi, in S ist daraus
toi ool geworden. — Q 292 ahee <5' olojvöv tayvv äyyeXov steht
in A teov über Tayvv, T bietet eöv und als Variante auch A:
tsov ist aus Tayvv und eov, welches aus 296 stammt, zusammen-
geflossen. — Ebenso ist die Lesart von M cpiXovo' x¥ 548 aus
cpiXov und cpiXog, die von der Stuttgarter Handschrift Injiovovg
H 342 aus Xnnov und Xnnovg abzuleiten. — A 754 ist der
seltene Ausdruck öid omdeog nedioio erhalten. Mit omörjs
lassen sich Wörter wie qpgaöijg, yevdijg vergleichen. Ich habe
diesen Ausdruck auch für 1^475 und 521 statt jioXeog nedioio
in Anspruch genommen (Methode der Textkritik S. 20). Eine
andere Form dieses Wortes hat Aschylos im Fragment 378
oniöiov jufjxog ödov gebraucht, welches Aristarch zu der an-
geführten Homerstelle zitiert (Schol. A). Vgl. Hesych. omöeg'
jueya, tiXmtv, svgv. oniöiov rd avtd. Was Eustathios aus
Aschylos zu der Homerstelle erwähnt: ovviqyogel de tjj tov
28 7. Abhandlung: N. Wecklein
ojTiöeog yga<pfj ^ai To naQ Alayyhjj) ,ömdiov nediov ', ist wohl
mit dem obigen Fragment identisch. Ausgezeichnet aber paßt
der Begriff „weite Ebene" zu <T> 558 nootv d"1 änö xei%eog äXXrj
<pevyco ngog nediov 'Iki/jtov (Krates 'Idrjiov), ocpo* av l'xcojuai
"Iörjg xe xvrjjuovg xaxä xe qaynrjia dvco, worin 'IXrjiov eine un-
mögliche Bildung und ^Idrjiov schon wegen des folgenden "Idrjg
unbrauchbar ist. Bothe hat evhqiov vermutet, ein sonst un-
bekanntes Wort; Leeuwen schreibt nediov Xelov, öcpg1 äyxea
und bemerkt dazu: äyxea commemorari solent ubi fit perse-
cutio (2" 321, X190, ö 337), aber nur bei der Flucht von
Tieren des Waldes. Ich leite lörjiov öcpga aus (on)iöi(ov) fjog
ocpga her, so daß wir cpevyoo ngog Jteöiov onidtov fjög xev
i'xwjuat erhalten. — ü 436 geben die Handschriften ovXeveiv:
diese sonst nicht vorkommende Form (E 48 ist eovXeov eo&Xol
exaigoi das Ursprüngliche) hat Brandreth in ovXrjoai emen-
diert: die Entstehung von ovXeveiv erklärt die Lesart eines Pa-
pyrus jucnjuevetv d. i. ovX(fjoai und jua)ju)eveiv. — Für „sich an
Kraft mit jemand messen" bieten C^ 411 die einen Handschriften
(AL u. a.) juevog loo<pagit,eig, die anderen (SBMGHbX u.a.)
juevog ävxicpegi^eig, in A steht noch ev aXXcp ävxicpagi&ig. Dieses
führt auf den Gedanken, daß wie Äsch. Cho. 318 looxi/xoigov
für ävxijuoigov (d. i. ävxijuoigov mit der Überschrift loo) über-
liefert ist, looyagi&ig aus ävxicpagi^eig mit übergeschriebenem
loo herrührt, da dem juevog loocpagi&ig das Digamma hinder-
lich ist. 0 357 ist dvvax1 ävxicpegiteiv in den besten Hand-
schriften überliefert, einige haben loocpagi&iv, Z 101, $194
geben alle juevog ioorpagi^eiv bzw. 'A^eXonog loocpagiQoi (L ioo-
(pegi£oi) mit Außerachtlassung des Digamma. Das gleiche
Schwanken zeigt sich <P 482 zwischen juevog ävxicpegeoftai
(2"ASBM u. a.) und juevog ävxicpegiCetv (UbU, Lemma des Schol.
in T). Verständlich ist ävxecpegovxo juäx]] (stürmten entgegen),
nicht aber juevog ävxicpegeo&ai, es müßte wenigstens, wie auch
Leaf bemerkt, juevei heißen ; also wird auch hier juevog ävxicpa-
giteiv nahegelegt. In diesem Sinne „sich messen", „es gleich-
tun" ist ävxiyeoeoftai auch h 238 övvrjoö jueff ävrKpegeo&ai und
A 589 ägyaXeog yäg 'OXv/umog ävxicpegeodai gebraucht, ioocpa-
Textkritische Studien zur Ilias. 29
gi£eiv 1 390 egya (5' 'A-drjvairj ylavxomibi ioocpagi^oi. Daß an
allen Stellen dvxi<pagi£eiv ersetzt wurde, lag wohl an der
unbekannten Etymologie dieses Wortes. — ß 98 haben Hand-
schriften (FH'U2) /uexa/ucbha, während die meisten [xexa/xmvia
geben: juexajuwha ist äve/tcoÄia mit jueTa(jud>via). — N 383
geben die meisten Handschriften mit Aristarch ak eljiajv noöög
elxe xaxd xgaxegip' tio/jUvrjv: nur AM und einige andere haben
did für xaxd. Im cod. T steht xiveg ,xaxd xgaxegt~]g vo/uvrjg\
eine unverständliche Lesart, die sich erklärt aus dem Zusammen-
fluß von did xgaxegrjg vojutvrjg und xaxd xgaxegijr vofuvrjv.
Mit did vojuiv)]g wird dem Sinne besser gedient als mit xaxd
vo/ntvrjv: der Homerische Sprachgebrauch aber verlangt, wie
wir unten sehen werden, dvd vo/uivrjv. — Ein erfreuliches Er-
gebnis dieser Erkenntnis von Textfehlern scheint mir in der
Beo-laubisruncr einer trefflichen Emendation von Herwerden zu
liegen. Priamos redet ü 253 seine Söhne mit onevoaxe fxoi,
xaxd xexva, xaxrjcpöveg an. So geben alle Handschriften (außer S)
mit Aristarch. Trotz der Autorität Aristarchs und trotz des
Hinweises auf Maxeöoveg ist xaxrjcpöveg eine vox nihili. Dies
scheint schon Krates erkannt zu haben, der xaxrjcpeeg schrieb,
wie auch S bietet. Allein auch xaxrjcpeeg (to 432 niederge-
schlagen, beschämt) ist nicht der passendste Ausdruck. Das
einzig geeignete Wort ist das von Herwerden gefundene pedrj-
juoveg (nachlässig, schlaff, träge, vgl. B 241, £ 25). Die Be-
rechtigung aber jtießijjuoveg für xaxrjcpöveg einzusetzen ergibt
sich aus der Vermengung von jueftrjpioveg- und xaxrjcpieg.
2. Von hervorragender Tragweite für die Behandlung zahl-
reicher Stellen sind die Korrekturen über dem Text in A.
Von minderem Belang sind Überschriften, welche Schreibver-
sehen verbessern wie e über ei von diaxgivei B 387 (diaxgiveei),
y über e evyeydaoiv Z 493 (eyyeydaaiv) , a über ei x' 0 535
(ai x), i über x&v P 231 (ro3), £ über dcpirj P 631 (a<peirj),
a über egvooeoftai Z 174 (egvooao&ai), e über o von xögvöog
M 160 (xögv&eg), v über xdhprj M 281 (xaXvtpfj), r\ über ei
von xe§veicöx(a) durchgehends an zahlreichen Stellen (xe&vrjcöxa),
o über xeleoco W 559 (reXeooa)) u. a.
30 7. Abhandlung: N. Wecklein
Viele Überschriften erklären die Elision wie e über töV#'
(iövre), i über äortg"1 (aoregt), a über ExnegoavT (ixJtsQaavra),
01 über /i (/toi) Z 165, a über fjde (fldea), o über nave (naveo),
a über avx1 (ävra), i über "Exrog"1 M 88 (Exrogi), manchmal
unrichtig wie n über od"1 Z 524 (ön), i über 6V (9 251, £ über
$q£ I 535 (%£' wie GIVPT oder £«'£'?), e über ^dgyovo' Q 721
(t'lfi^ouot) x) u. a. Manche Überschriften stellen die Elision
her wie xT über dam A 258 (dahV), yß" über ävaxra 1480
(ärayiT) oder verbessern sie wie y über wx1 (wy'), x über
^o/^1 0 12G, was freilich nur für ennt^Ei gilt. Den mehr-
fachen Verbesserungen von iövoaro in iövoero A 496, 7 596,
0 120 stehen die umgekehrten Änderungen von ßrjoexo in /?>?-
öuto 2' 262, Z288, jV 17 gegenüber. Auch Aristarch gab
ßtjoaro, ngoxgivei de rijv did tov e ygacprjv. Es geht also dieses
Schwanken auf alte Überlieferung zurück.
Auch eiv über ögeg~ai O 602 (ogefeiv) könnte nach fttjae-
/uevai als nebensächlich erscheinen, wenn nicht Bekker und Fäsi
mit A1BM u. a. ögefai festhielten. Von größerer Bedeutung
ist es, daß A 124 in allen Handschriften ovde %i jico i'dfiev
$vr)jta xeljiieva jxoXkd und nur in A ov über nco steht, wie auch
die Ausgaben des Sosigenes, Aristophanes, Aristarch nov hatten.
B 4 juEgju/igiCe . . (bgAyüSja n/urjofj, blkor\ 61 noltag haben AT
ei über tijlujo}] d. i. uju,rjoei\ Da ökeoai, wie Voß und Thiersch
schreiben, bei Homer eine unbrauchbare Form ist, so bleibt nur
öle.xoi übrig. — E 99 steht a über o von tiejioo&e'. die Form
TiETiaade, welche hier und x 4 65 nur Aristarch erhalten hat,
ist die richtige (jisJia&Te, vgl. Jisjia&via). — A 301 geben die
meisten Handschriften rovg /uev ävwyei, in A steht ydg über
juev: juev ist unbrauchbar, ydg haben auch B und T, das
Schwanken aber verrät, daß sowohl fxev wie ydg dem Hiatus
von rovg de ävwyei (ävcoysv) verdankt wird. — E 264 ist
*) Die Stelle wird am einfachsten in Ordnung gebracht, wenn man
.-iaga (V Taav äotöovg dgijvwv iSag^ovs' o'i <)s (so Eustath. für oi' te) otovö-
siaav doidijv oi fisv ägy ?,dQr]VF.ov, ejii dt- axsva%ovxo yvratxcg schreibt. In
Rücksicht auf das nachzubringende yvvatxss wird das Subjekt oi' mit
fisv wiederholt.
Textkritische Studien zur Ilias. 31
in A itjeXdocu durch Überschrift von xd in ix (5' iXdoai,
wie die anderen Handschriften haben, verbessert. — E 797
steht in den meisten Handschriften idgcbg ydg (jllv exsigev vnb
nXaxeog reXa/ucbvog donldog evxvxXov reo xgißeio, worin sich xeo
auf xeXajucbvog bezieht. A gibt mit Aristarch xeigexo, so daß
reo xeigexo nur eine Wiederaufnahme von Idgcbg ydg juiv exeigev
ist, während die Überschrift giß sich dem xgißexo der anderen
Handschriften anschließt. Man kann in Zweifel sein, aber da
das folgende xdjuve de %eiga die Folge angibt, so muß wohl
xeigexo richtig sein. Nun aber kann man im folgenden Vers
uv <5' Xoyjcov reXa/xcova xeXmvecpeg al/x dnofxögyvv nicht verstehen,
woher auf einmal das Blut kommt. Daraus ergibt sich die
Notwendigkeit in 796 Xv&gog für idgcbg zu setzen. Man muß
also in xgißexo eine alte Variante erkennen, die durch unrich-
tige Beziehung entstand. — Z 226 lautet der Aristarchische
Text in AM'T u. a. ey%ea d' dllrjlcov dXecb/ne&a xal öt' öfiiXov.
Dieser, der allgemeine Annahme gefunden hat, gibt einen un-
richtigen Gedanken: „wir wollen den Lanzen voneinander aus-
weichen." Der Gedanke soll sein: „wir wollen nicht mit Lanzen
aufeinander losgehen." In A steht oi über a und zyi£.cu geben
mit Zenodot auch SBM2 u. a. Dazu erfordert der Sinn den
Akkusativ, den Zenodot mit dXh)Xovg bietet. Aber die Ent-
stehung der beiden Lesarten erklärt sich aus eyxeoi d"1 dXXrjXco.
— Z 479 steht in A oi über efoiytn. Die Richtigkeit von
eikoi ist schon oben S. 3 dargelegt worden. — H 428 (u. 431)
geben alle Handschriften mit Aristarch vexgovg jivgxaifjg ine-
vrjveov (von Bekker in ensvrjeov verbessert). In A steht i über
o und nvgxa'ifj hatte auch Zenodot. Der lokale Dativ scheint
geeigneter als der Genitiv und jivgxa'irjg erklärt sich aus dem
Streben den Hiatus zu vermeiden. Auch H 451 öoov t1 ini-
xidvaxai rjcbg, wo A allein mit Aristarch oorjv bietet, stimmt
die Überschrift o (öoov) mit Zenodot überein. — H 465 dvoexo
ö' ijiXiog verdankt man d1 der Überschrift, A gibt mit den
meisten t'. — 0 111 gibt die Überschrift el über rj das Richtige,
während K 342 et über rj nicht als richtig erachtet weiden kann.
— 0 245, wo die Handschriften zwischen öXocpvgexo und öXocpv-
32 7. Abhandlung: N. Wecklein
Quito schwanken, kann man sich schwer entscheiden. Doch stimmt
mit der Überschrift a der Ambrosianus überein. — Wichtig ist
wieder 7 112 (pQat,(hf.ieo&\ &g xev fiiv äoeoodjuevoi nem&oi^ev,
wie alle Handschriften geben. Die Überschrift w ergibt die
Aristarchische Lesart nentöcofxev: wir werden unten die Neigung
kennen lernen bei xev den Optativ zu setzen. — 7 318 Xor\
[ioZqol fXBVOVxi xal ei fxäXa zig noXe/uiCtj fehlt in der Überliefe-
rung keine der drei möglichen Endungen. Gewöhnlich wird
jioXejluCoi in den Text gesetzt, was BMT u, a. und auch die
Überschrift oi in A geben. SG u. a. haben noXeidZ,ei, A muß
mit 7iolejLut>] Recht behalten. Denn wie der folgende Vers ev
de ifi xifxfi fj/uev xaxög fjde xal eo&Xog zeigt, will Achilleus ob-
jektiv dem juevovrc den JioXejuitovza gegenüberstellen. Also ist
das allgemeine et (= rjv) noXe^r, an seiner Stelle. — 7457 gibt
die Überschrift von <p die in der Odyssee am besten bezeugte Form
(peQoecpoveia. — 7619 fj xe vE<b[AE& £>' fjfjLEreQ1 fj xe juevcüjliev geben
T und einige andere >}e juevcojuev, die maßgebenden haben ij xe wie
2" 308, ö 733, £ 783. In A steht x über der Rasur ijmk.
Damit ist also auch rj xe hergestellt. Vgl. edv xe . . edv re. —
7iT41 /udXa Tig ftQaovxdgdiog eozai steht eXr\ über Sarai: dies
weist auf die Lesart von Eustathios fiäXa xev hin. — K 105
ov drjv "Exxoqi ndvza vo)jfiaza jurjiiera Zeug exzeXeei, ooa jiou
vvv eeXnezai steht in A d über n von UXbezai. Dem Gedanken
könnte auch MXdezm (alle Wünsche) entsprechen; aber die
Lesart der meisten Handschriften gestattet mit Bekker nach
geringeren Handschriften vvv eXnezai herzustellen. Das einzige
vvv W 485 öevqo vvv fj xze. hat Brandreth dem Hiatus zum
Trotz in öevgo vv geändert; aber es fragt sich, ob vvv nicht
zu den Merkmalen jüngeren Ursprungs von ¥ gerechnet werden
darf. — Eine andere Bewandtnis hat es mit der gleichen Über-
schrift Ü7 407. Daß eeXöezo trotz Aristarch die ursprüngliche
Lesart ist, bezeugt der lnfin. Aor. ägeodai. Auch die Erklä-
rung des cod. Townl. eßovXezo stimmt damit überein. Wenn
man sich für den lnfin. Aor. bei eeXnezo auf eXjidjuevoi nav-
oao&ai r 107 beruft, so hat man von der Art unserer hand-
schriftlichen Überlieferung keine richtige Vorstellung: navoa-
Textkritische Studien zur Ihas. 33
o&ai und Jiavoeo&ai wechselt hundertmal. — K 221 dvdocbv
dvojuevecov dvvai oxgaxöv eyyvg eovzcov bietet wieder einen in-
teressanten Fall mit eovxa. Auch in MHbY u. a. wird eovxa
geboten ; ebenso hat T eyyvg eovxa dvvai oxgaxöv und dem
Sinne entspricht eovra besser als eövxcov. In gleicher Weise
mußte i 166 KvxXcojiojv d: eis yaiav eXevooo/uev eyyvg eovxa>v in
eovoav verbessert werden; selbst i 181 xbv %wqov dcpixo/ue^
eyyvg eovra findet sich in der ältesten Handschrift eovxoov. —
K 278 steht in den meisten Handschriften xXvft'i /not: in A ist
/uoi in /uev (fie') verbessert. Der Dativ der Person steht nur,
wenn noch ein Genitiv der Sache abhängt. — K 345 geben
die Handschriften eneixa de x1 avxöv ena'ig'avxeg e'Xoijuev, nur
in A steht eo über eXoijuev; das hängt mit der Erkenntnis von
Axt zusammen, daß der Sinn avxoi fordert: Odysseus setzt
seinen Vorschlag mit eneixa öe avxol enaiig'avxeg eXwjiiev fort
(„dann wollen wir selber auf ihn losstürmen um ihn zu fan-
gen"). — K 372 geben die Handschriften eyypg depfjxev: in A
steht e über d und ecpijxev wird richtig sein. — AT 418 schwan-
ken die Handschriften zwischen juev und ydo und auch in A
steht ydo über juev: dieses Schwanken weist wieder auf de
hin. — if 161 geben die meisten Handschriften mit Zenodot
xoQvfteg <5' aficp1 avov dvxevv ßaXdo/uevai juvXdxeooi: in A steht
cor über ai und ßaXXojuevüJv hatte auch Aristarch; es ist also
eine alte Lesart. — M 176 ist allgemein überliefert dgyaXeov
de fxe xavxa deöv ä)g Jidvx1 dyogevoai: mit eiv über oai (dyo-
geveiv) wird dem Korrektor ein gutes Zeugnis ausgestellt, ebenso
wie mit ögovcov 0 182, welches auch SLHb u.a. bieten; wir
werden unten die Neigung Infin. und Partiz. Aor. statt des
Präs. zu setzen an verschiedenen Fällen kennen lernen. Frei-
lich ist von derselben Hand auch djiaeigo/xevov <X> 563 in anaei-
gdjuevov und dXevdjuevog II 711 in dXevo/uevog (mit HIX u. a.)
verschlechtert. — M 404 hatte nach der Angabe des Didymos
die xoivr) ,y de' und so bieten A2" u. a., in A ist durch Über-
schrift das vom Sinn geforderte, von Aristarch gebotene und
in SBG u. a. vorhandene ovde hergestellt. — N 28 gibt die
Überschrift von a in A rjyvohjoav mit Aristarch: die Lesart
Sitzgsb.d. philos.-philol. u. d. hist.Kl. Jahrg. 1917, 7. Abb. 3
34 7. Abhandlung: N. Wecklein
der meisten Handschriften jjyvohyösv wird hier sowohl durch
das Digamma {fiyvoirjoe ävaxxa) wie durch das vorhergehende
axalle (de xr\xea) bestätigt. — N 58 verdient gleichfalls die
Korrektur et xev fiiv . . eyeigy für et xai juiv . . eyetgei keine
Beachtung, wenn auch M die gleiche Lesart bietet. — iV705
ist dvexijxlei in dvax^xiet verbessert (dvexrjxiev Z u. a.). — ^286
ist in A ifxve über ejueive geschrieben: nirgends sonst ist hier
ejuijLwe erhalten und doch, ist es die echt Homerische Lesart.
Vgl. <5 508 juljuve H2, /jLeive vulgo, O 656 etu/uvov NHHb u. a.,
e'jueivav ABM u. a. Über den Vorzug des Imperfekts wird
noch unten zu handeln sein. — 5 531 steht in A e über ogoi}:
daß ögoe oder cbgoev das ursprüngliche ist, wird sich unten
ergeben. — Ebenso wird uns die Richtigkeit der Überschrift
ad über d<pgoveovxeg O 104 anderswo beschäftigen. — Die Ver-
besserung von riaao&ai in riosodac 0 116 verdient nur inso-
ferne Beachtung, als sich daraus Tiveo&ai entnehmen läßt.
— O 126 onßaQfjg äno xsigög elovoa steht in A ex über änö
und ex geben auch SBM u. a. Hiernach muß ex bevorzugt
werden, da es auch dem Sinne noch besser entspricht. — 0 256
und ü 201 ist Jiägog jieg in ndgog ye verbessert, wie auch
SBM u. a. haben. — O 384 ist die Änderung von eßairov in
eßijoav kaum richtig. — Die Verbesserung von rgcojiäo&ai in
rgcojiäoße O 666 war durch das Versmaß geboten, wiewohl sich
Tgoj7iäodai, durch das vorhergehende eordfievai hervorgerufen,
auch in MT u. a. findet. — Wertlos ist die Änderung von
eneoovfievov in eJieoovjiievog U 411, von öevxegog in devregor
n 467, wenn auch SBM u. a. mit Aristarch devregor geben,
von ev in eri1 77 488. Dagegen ist 77 587, P 290 revovrag
richtig in revovze geändert. Vgl. A 521, 7? 307, 7^456, iT 466,
Y 478, X 396 (y 449 ist xevovxe ebenso herzustellen). — P 202
ist ehi über eoxi wieder eine sehr gute Korrektur, wird aber
auch von Aristarch LNHb u. a. geboten. — Ebenso ist 2 100
für das richtige ägf/g das Aristarchische'14o£eo gegeben. — Gut
dagegen ist äöivov (oTova%fjoai) Jf 124 in döivä, ferner e%e
(rgo/uog) I 247 in eke, endlich 6' 1 398 in & geändert.
2 476 firjxev er dxiioftexcp fieyav äxjuova ist ev in en"1 ver-
Textkritische Studien zur Ilias. 35
bessert, wie auch in BM u. a. steht. — Nach der Angabe
von La Roche steht 2 477 oaioifjoa xgonEgrjv, hEorjtpi o über
t]v: xgaxEgöv geben SMHX mit Zenodot, die Aristarchische
Lesart xgaiEgijv soll nur dem Versmaß dienen. — Dagegen
verdient -21 512 die Lesart von AXGTL u. a. eegyev den Vor-
zug; eegyst, wie A2SBM u. a. geben, ist X 121 an seiner
Stelle. — T 17, wo oig über vtio ßXEqpdgcov steht, fehlt ein
Anhaltspunkt über die Wahl von ßXecpdgoig. — Dagegen wird
T391 /UE?ut]v, ri]v jraxgi cplXco rd/ue Xeiga»' IIj]?uov ex xogvqprjg,
(povov diese Lesart der Handschriften der Überschrift ev
y.ogvcpfjs, der Lesart Aristarchs, gegenüber durch den konso-
nantischen Anlaut des folgenden Wortes sicher gestellt. —
Umgekehrt verdient T415 vcbi dk xai xev ä/ua nvoifj ZEcpvgoio
&£oijUEv die Überschrift co (&e<x>/liev gibt auch M) volle Be-
achtung, wie sich unten zeigen wird. — Y 54 ist in öjg rovg
äfxcpoTEgovg judxagsg fisol oigvvavxEg ovjußa?,ov durch Überschrift
von o das ursprüngliche özgvvovzEg, welches auch der Syrische
Palimpsest bietet, hergestellt. Diese häufige Korruptel ist uns
schon in den Stud. z. Od. S. 85 begegnet. — Y 178 geben
die meisten Handschriften xi ob zoooov ö/uttov noXXöv ejzeX&cov
EOTijg: in A steht a über I und ujzeX&cov, wie auch in Hb u. a.
steht, verlangt der Gen. öfiiXov. — Überraschend und nirgends
beachtet ist die Korrektur in Y 201 /xr) örj jue ejieoo'l ye vrj-
nvztov tag eX^jieo ÖEidig'Eodai, wo ÖEidlg'aoda.i um so glaubhafter
ist, als sie bei e'Xjieo nicht nahe liegt und die Beziehung auf
die vorausgehende Rede des Achilleus der Mahnung des Apbl-
lon 109 entspricht. Y 432, wo die Überschrift fehlt, wird
ÖEidig'a.odai durch den Syrischen Palimpsest bestätigt. — lr215
steht g über av und d'o, wie auch NLHb u. a. geben, ist für
den Zusammenhang brauchbar, av nicht. — Y 226 stammt
die Überschrift d)j über fiev aus 228 und ist wertlos. — 1^317
wird das in A aus öaioiiEv)] , daicooi durch Überschrift von
x hergestellte xaiojuEvt], xa'uooi durch die beste handschrift-
liche Überlieferung von 0 376 empfohlen. — 1" 363 ög zig
o/eÖöv hyyEog E.Xdr\ steht in A xev über xig (aus dieser Über-
schrift ist in M ng xev geworden) und oi über eX&i] : das
3*
36 7. Abhandlung: N. Wecklein
richtige ist dg xev . . kWt]. — F471 steht nach der Angabe
von La Roche — bei Ludwich fehlt sie — in A q über dem X
von henlrioev und evetiqy\oev, die Lesart Aristarchs, findet sich
auch in TH u. a. Gewöhnlich (selbst von Ludwich) wird
tvejiQYjOEv verschmäht und doch ist „das schwarze Blut blähte
den Bausch (des Chiton)" eine anschaulichere Redensart als
„füllte an". Vgl. ev <V ävs/uog nofjoEv jueoov loxiov A 481. —
$ 293 gibt die Überschrift o über rot das richtige ooi (ooi BM,
toi ool d. i. toi mit der Überschrift ool S) wegen der Betonung
der Person. — X 115 steht in A v über em und ivi geben
die meisten Handschriften. — X 265 ist ovte ti in ovöe ti ver-
bessert. — X 330 steht in A jeto über etiev^üto, X 374 #
über o von evetiqijgev, was wir unten, wo vom Gebrauch des
Imperfekts die Rede ist, willkommen heißen werden. — Treff-
lich ist die Verbesserung von äqrvoödfxevog W 220 in äcpvooo-
juevog, welches auch in SGX u. a. steht. — !F230 steht /<rrd
über xaxd: das entspricht dem Sinne besser und unten wird
sich zeigen, daß diese beiden Präpositionen häufig vertauscht
sind. — Die Änderung von ifp"1 in 099' !F374 kann nicht richtig
sein, wenn auch Didymos hinzufügt jurjjioTE loyov e%ei. —
Ebenso ist di(pgw für dicpqov W 379 wenigstens zweifelhaft. —
Dagegen ist ov 7ir\ !F463, wie auch Aristophanes bot, ebeuso
richtig wie oben ovöe ti nov A 124. A^BMG2 u. a. haben
ov Jioj. — W 701 steht XaoToi über AavaoToi: das sehr pas-
sende Xaoloi wird durch einen Papyrus bestätigt. — W 804 ist
in A, G, T von erster Hand, in S u. a. überhaupt ausgelassen,
in A, G, T am Rande von zweiter Hand nachgetragen und in
A älh)lovg von dritter Hand in älli)lwv verbessert. Den Vers
kannte Nikanor nicht, welcher meint, xeXevelv könne absolut
gebraucht werden. Mit Unrecht beruft er sich hiefür auf cp 175
und Q 90. Düntzer hat erkannt, daß der Vers ergänzt wurde,
als in 803 eXeo&gli in eXovte übergegangen war. Die Lesart
eXövtcov in S ist bereits ein Versuch, wenn auch ein unglück-
licher, die Konstruktion des Satzes zu ordnen. — W 844 ist
über juev das in den anderen Handschriften erhaltene di) ge-
setzt. — ü 78 jiiEoorjyv Öe Zdjuov te y.al "lußoov namaXoEooy]g
Textkritische Studien zur Ilias. 37
hat A oio über der Endung von Zd/nov, was auf Sdfxoio xal
"I/ußgov führt: das gewohnte re xal hat nicht selten den Text
alteriert, besonders vor digammierten Wörtern. — Q 300 ist
to(5' in ro y\ Q 359 ejii in ivl, ü 369 inatuvvao&ai in dna-
juvvao&ai, Q 398 öd' in o y\ Q 403 olöe in oi ye, ü 566 t'
in «', i2 688 yvoirj in yvcoi], Q 670 roooov tioXejuov igövov in
jioXe/xov töooov igövov verbessert. — Ausgezeichnet ist ü 383
die Änderung von xaraXMjiEXE in üarakei^ETe, denn das Fut.
wird durch nävxeg gefordert; ebenso Q 616 die Änderung von
A'/eXloiov in 'A%eÄrjiov. Vgl. Schol. AB i) <5tci toö y\ 'A%eXrfCov'
A%£Xr)g ydg Jiora/xdg äno ZinvXov geei Eig Tt]v Z/jLVQvaioov yfjv.
Also ist 'A%efojiog in Ayekrjg verkürzt worden. Auch das
Schol. T berichtet : Tivkg ,at' t1 d^cp1 A%eXyjoiov\ welche Form
Christ bevorzugt hat. Es ist begreiflich, daß aus dem unbe-
kannten 'A%eXrjtog der bekannte A%eXa>iog wurde. Die Angabe
über A%eXr]g sollte uns warnen den alten Irrtum festzuhalten,
welchen man mit der Noterklärung A%eXcoog xoivcog xaX,eTrai
Tiäv vöcoq sich zurechtlegte. — ü 581 ist öcorj in boir\ ver-
bessert. — Q 590 ovv <5' Eragoi ijsigav ev^eoTrjv eti äni]vrjv
steht über eji ein a und über dmjv7]v ein i : das soll natürlich
nicht an äm'jvfl, sondern dv' dntjvr] bedeuten, eine sehr pas-
sende Lesart. — Q 636 geben die Handschriften ATLHb u. a.
mit Aristarch vnvco vnö yXivxegco Jiavoco/ue&a : in A steht xagn
über Jiavo und ragnd)ju£&a, eine öfters vorkommende Ver-
schreibung für Tsgnaj/uE'&a (vgl. z. B. ip 255), haben auch
SM u. a. Nach dem Schol. Agloxag%og ,navoc6/ued'a.\ dvanavodi-
jueßa di]Xovv ov ydg evxaigov rö ,ragnd) [xeda' muß man in
jiavocßjLieda eine unglückliche Konjektur von Aristarch er-
kennen. In dem Zusatz i} insl juerd iß' fjjusgag dvnvovg (vgl.
Q 638) TEgxpw avrcp jueXXei ejiayayeTv rj vv£ liegt ein Einwand
gegen diese Konjektur: solche Einwände pflegt Römer zu be-
nützen um die Autorschaft Aristarchs zu bestreiten. — ü 802
ist ev ovvayEigöjLiEvoi öaivvvj Egixvdm öaixa in ovvayEigd/xEvoi,
wie auch LX u. a. sowie ein Papyrus haben, geändert. Dem
Sinne könnte ovvayEigdjuEvot in der Bedeutung „nachdem sie
sich versammelt hatten" entsprechen. Aber für diese Bedeu-
38 7. Abhandlung : N. Wecklein
8
tung ist die richtige Form ovvayQojUEvoi. Da nun ev auch in
Verbindung mit daivvvxo keinen passenden Sinn gibt, so ge-
winnen wir das rechte Wort aus ß 8 xol d' fjysiQovxo jadX1 coxa:
coxa ovvayQOjuevoi (Nauck alya ovvayQojiiEvoi). So zahl-
reiche, teilweise hervorragende Verbesserungen müssen wenig-
stens zum Teil, wo sie nicht Korrekturen offenkundiger Ver-
schreibungen sind, auf eine gute alte Quelle zurückgehen. Der
Vers ¥804: fehlt, wie wir oben gesehen haben, im Text von
A und ist am Rande von zweiter Hand nachgetragen. Um-
gekehrt ist zu ü 558, welcher in A wie in BMZ u. a. vor-
handen ist, in A bemerkt: ovxog 6 oxiyog ov% evge&rj ev xcö
nalauo (nämlich ävxiygdqjco). Daraus läßt sich schließen, daß
nicht der archetypus von A, sondern eine andere gute
Handschrift die Quelle wenigstens eines Teiles der
zahlreichen Überschriften in A ist. Wie hervorragende
Verbesserungen, so sind natürlich auch allerlei Fehler, wie sie
bei jeder Handschrift vorkommen, unter diesen Korrekturen,
z. B. et über rj B 300, xdlg über xcbv B 516 vor konsonanti-
schem Anlaut (auch Aristarch gab xdlg, welches auch in BM
steht, vgl. B 733, wo alle Handschriften mit Aristarch xdlg
haben), e%svov r 270 (mit Aristarch), xqxexxov A 319 (auch
BMG), noXemv £744, (psgrarog Z158, 'Argeidai #327. xo-
[ieizrjv 0 109 (für xojueixcov), cpvysv © 137 (für cpvyov), jieoooi
0 513 (für tieooii), oxrjnxQOv I 38 (für ox/jjixqco), ägeoadjuevoi
7112 (für äQEOoä[xevoi), hoodoxExo 7 451 (für foooeoxezo), iy-
dovjirjosv A 45 (für sydovjirjoav), jusxaxhv&h'XEg A 509 (für
jUETaxfov$£VTog), XEixsi X 144 (für xEiyog), rp'EjuoEooav X 145
(für fjVEjiioEvra) , xEgdoovvrjg X 247 (für xeQÖoovvf]), juvftoig
X281 (für pv&cov), nöde X 420 (für tq5 ye), yovvaxa X 500
(für yovvaoi), diwvxm W ilh (für diEvxai). Gerade diese Fehler
verraten auch eine selbständige handschriftliche Quelle.
3. Wie schon der vorausgehende Abschnitt gezeigt hat,
wird die Überlieferung des Homerischen Textes häufig zu eng
begrenzt. Für die Unsicherheit derselben habe ich in den
Studien zur Odyssee S. 3 ff. unter anderem die große Zahl
synonymer Wendungen und gleichbedeutender Ausdrücke zum
Textkritische Studien zur Ilias. 39
Beweise angeführt. Daß in den Varianten, welche die
Scholien angeben, die ursprüngliche Lesart erhalten
sein kann, läßt sich z. B. an ^521
ov ydg 01 zig öjuoTog emoneoftm noolv fjev
ävdocöv TQeoodvxcov, oxe ze Zeug ev cpoßov cbooev
dartun. Mit der Stelle wird der Grund angegeben, warum
Aias des Oileus Sohn bei der Verfolgung der Troer die meisten
erlegte. Die meisten Handschriften (BXSGMLT u. a.) haben
wgoev, andere (B2HbCZ u. a.) geben ögoy. Dies scheint zu
dem verallgemeinernden oze ze zu passen (s. v. a. ozav bgorf)
und wird gewöhnlich aufgenommen, da auch A ogotji bietet-
Die Bezugnahme auf den speziellen Fall kommt in Widerspruch
mit der Situation, nach welcher Zeus schläft und gerade für die
Niederlage der Troer schlafen muß. Da aber von der Vergan-
genheit die Rede ist, müßte es öooai heißen, wie Thiersch ver-
mutet hat, der das Bedenkliche dieser Form nicht kannte. Nach-
dem jedoch in A über rji ein e steht, kann ögoe oder togoe als
berichtigte Lesart in Anspruch genommen werden. Die einzig
mögliche Lesart ist in der Variante zivkg ,oze dt] #£öV des
cod. Townl. gegeben. Man hat dieselbe wohl deshalb nicht
weiter gewürdigt, weil man nicht beachtete, daß &eog sich auf
Poseidon bezieht und <5r/ fieög ev cpoßov cbgoev auf exhve judxrjv
xlvzbg evooiyaiog 510 zurückweist. — Die gleiche Handschrift
gibt zu 0 50 loov ijuol (pgoveovoa juex"1 ä&avdzoioi xadi^oig die
Variante ev: an der gleichen Stelle nach dem dritten Trochäus
werden wir unten die häufige Verwechslung von juezd und evi
finden, also ist auch hier ixez"1 an die Stelle von ev um des
Hiatus willen getreten, während die umgekehrte Verwechslung
keinen Grund hätte. — ■ Die Variante cpegovoa in O 88 Oe/uiozi
de xakfajiaQfjcp öexzo benag" Jigcbxr] (pdg evavztrj fjX&e fteovoa
findet sich in einigen Handschriften und in Rücksicht auf
jTgojzr] muß man dem Schol. B ygdyovoi /uev riveg ,$eovoa\
ä/ueivov de zb ^egovoa1 beipflichten; man beachte nur den
Unterschied von Z 394 ev& äXo%og Jiolvbcogog evavzirj fjXd^e
fteovoa. — Eine ausgezeichnete, auffälligerweise bisher nicht
40 7. Abhandlung: N. Wecklein
beachtete Lesart liefert uns wieder der cod. Townl. O 104, wo die
Handschriften vtfmoi, oi Ztjvi /ueveaivo/Aev ayoovEOvxEg bieten, in
T aber xivh ,$Qtdaivo/uev äcpQoveovri steht. Das törichte eigene
Tun ist bereits mit vrjmoi gekennzeichnet; man streitet aber
mit einem, dem man unrecht gibt; jueveatvojuev statt igidai-
vo/xev soll nur den Hiatus vermeiden. Übrigens ist dygoviovreg
in A in dygadsovreg korrigiert und so hat auch M mit einigen
anderen; es gibt also bei Homer äcpQaiva) und dygadeco, aber
nicht ä<pQov£a>. Hiernach ist Zrjvl egiöalvo/uev äcpQadiovzi
als ursprüngliche Lesart zu betrachten. — Eine sehr bemerkens-
werte Variante, die einen Beitrag liefert zu dem, was in der
Abh. „Methode der Textkritik" S. 77 f. über den Unterschied
von yvla und yovva Xveiv ausgeführt ist, bietet der cod. Townl,
zu 0 269 Xatyrjoä Jiööag xal yovvaz evojjua: nvhg ,yvia\ — Ganz
mit Unrecht ist auch die treffliche Variante zu 0342 unbeachtet
geblieben, welche die Scholien BTL geben: (pEvyovx' ev nv/xd-
xoiot1) für sv jiQOfidxoioi. Paris trifft einen, der unter den Letzten
flieht. Bei der Flucht gibt es keinen Vorkämpfer. — Höchst über-
raschend ist die Variante des Townl. zu 0 393 tov exeqtie Xoyoig:
wer hätte trotzdem, daß Xoyog sich außerdem in der ganzen Ilias
nicht findet und nur einmal noch in der Odyssee (a 56) vor-
kommt, die Vermutung Xocov für glaubhaft gehalten? Nun aber
bietet die Beischrift rivkg ,Xovcov' die evidente Emendation Xoojv.
Vgl. Xoe x 361. Da diese Emendation trotz A 846 noch keine
allgemeine Beachtung gefunden hat und Leaf sogar Gegen-
bemerkungen macht, so sei noch daran erinnert, daß es nicht
Sache eines Dieners ist den Eurypylos mit Erzählungen zu
unterhalten (401). — 77 134 &coQrjxa . . noixlXov aorsooEvia jio-
öojxEog Alaxidao wird die Variante, welche das Schol. T gibt,
xaxwv ßEXsaiv äXEOiQrjv für noödöxEog Alaxidao durch Aristoph.
Wesp. 615 xdös xExxtjjuai TigoßX^jua xaxwv oxsv)]v ßsXEOJV aXs-
oiqr]v bestätigt. Auch Christ bemerkt: quae nescio an genuina
lectio fuerit. — Dem gleichen Schol. zu 77 492 ujueivov yodcpsiv
!) Sehr gut hat nach 2 608 Grashof Y 275 ävzvf vjio nvnäxr\v für
jiQÖizrjv hergestellt.
Textkritische Studien zur Ilias. 41
ndgog d. i. D>avxE, jxdgog JioXEjuioxd /uex' dvögdoi statt rXavxE
7iE7zov, TioXs/uioxa xxi. müssen wir beipflichten; denn ninov
entspricht dem vorhergehenden jtieveaive keineswegs, ndgog da-
gegen bestens. Der Gedanke könnte von Aristarch herrühren.
— Schol. T kennt auch den Vers, welchen einige Handschriften
nach T 39 bieten uud welcher in der Erzähluner nicht fehlen
kann: i) juev dg"1 ä)g Eg^ao"1 anaßt] Qixig ägyvgoTieCa. — F486
geben die Handschriften .JABM u. a. xöv ßdXs jueooov äxovxi,
Tidyt] d' iv Jivevjuovt yaXxög, Schol. A gibt an: iv äXXco ,iv
vijdvi yaXxög1 und so haben SGHbX u. a. Daß hier iv vrjdvi
dem jueooov entspricht und iv jivsv/uovi wohl A 528, nicht
aber hier an seiner Stelle ist, hat La Roche dargetan. —
I" 265 cbg ov QYjidi ioxi ftecöv igixvdia dcoga dvdgdoi ye fiv)]-
xoToi dajuijjuevai ovo"1 vtxoe'lxei gibt das gleiche Schol. an: ev
xiolv ,EQya\ Nicht als dcoga {dcoga -&eoio folgt gleich 268),
sondern als Arbeit von Göttern haben Schilde die Eigenschaft
undurchdringlich zu sein; also ist k'gya aufzunehmen, r 65
ist igixvdia dcoga am Platze. — <P 33 gibt Schol. T mit der
Variante avxög <$' alt// ijxögovoEv die geeignetste Fortsetzung
avxbg <5' dxp inogovoEv für avxdg o äyj. — Die Lesarten des
Syrischen Palimpsestes Y 479 /uiorjg (für cpiXrjg) öid ysigög
EJXEigsv alyßfi yaXxEirj und Y 496 ivxgoydXco (für ivxxifXEvy) iv
äXcof] sind bedeutsamer als die der anderen Handschriften. Vgl.
A 252 vvg~E öe juiv xaxd ystga jueoijv. Es ist nicht wahrschein-
lich, daß ivrgoydX.co aus Hesiod E. x. H. 599 stammt; das Um-
gekehrte ist wahrscheinlicher. — X 129 ßiXxsgov euV i'gidi
^WEXavvEjUEv öxxi xdyioxa' eI'öojuev gibt ein Textscholion in A
iv äXXco ,öcpga'1 die treffliche Verbindung öcpga xdyioxa eiöojliev
an die Hand, wie sie sich N 326 h? agioxig"1 iys oxgaxov,
öcpga xdyioxa ei'Öojuev findet. Für die gewöhnliche Lesart darf
man nicht etwa auf X 450 öevxe, dvco /uoi ejzeoüe, l'dco ver-
weisen, wo dem l'dco ein Imperativ vorausgeht. — X 309 auxög
vipinExrjEig, ög t' eioiv tieÖiovoe öid vEcpiow igEßEvvcov kennt
Schol. T die Variante and für öid: da ano dem Sinne besser
entspricht, muß der Hiatus (wohlgemerkt nach dem dritten
Trochäus!) für die Änderung verantwortlich gemacht werden.
42 7. Abhandlung: N. Wecklein
Zu der schwierigen Stelle X 324 <paiv£xo $' f\ xXrfiÖEg an"1
cöjlküv av%ev' e%ovotv, Xavxavirjv, Xva xe rpv%fjg coxioxog öXsÜgog
bemerkt Schol. A: sv xioi xä>v vno/Livrj/uäxcov ,q>cuvEv (51 r\ xÄrj-
7deg\ iv f\ im xwv xev%£ü)v, xä x£vyr\ ovx ixdkvTixE xr\v Xav-
Xavirjv. Mit cpdivev (Schol. T <paivov, aber nach dem vorher-
gehenden e%£v ist nur rpaivEv am Platze) gewinnt man, was
Nauck mit der Änderung Xavxavir] erreichen will: „die Rüstung
zeigte die Kehle bloß." Auch Bekker hat in der zweiten Auf-
läge cpalvEv in den Text gesetzt. — *P 97 haben zu juivvvftä
jieq ä[xqjtßaX6vx£(g) aXXiqXovg BTEb die Glosse a[Aqji,%w&e,vxeq
unter Hinweis auf äjuq)ixv&eis rcareo' io&Xov jz 214: da solche
Hinweise gewöhnlich zur ursprünglichen Lesart, nicht zu dem
erklärenden Wort gegeben werden und vor allem sonst ä/u(pi-
ßäXXeiv im Sinne von „umarmen" nicht ohne %£~LQag oder %eTqe
steht, ist zur Glosse geworden, was ursprünglich im Text
stand. So haben <P 455 die meisten Handschriften das Glossem
änoxoy'EfiEv, während nur wenige mit Aristarch dnoXE^'E/UEv
gerettet haben. An äfxcpi^v&EvxE hat auch schon Barnes
gedacht. — A 493 Jioxajubg jieÖiovÖe xäxEioiv lEi/J-ägoog xax"1
ÖQEoyvv ÖTiaCo/uEvog Aibg o/ußgco ist öjia^öjUEvog ein schwer
verständlicher Ausdruck. Seiner Etymologie nach entspricht
öjiä£a) unserem vulgären „bin auf der Hucke". Die Variante,
welche ein cod. Cantabr. von zweiter Hand gibt, EJiEiydjuevog
ist der geeignete epische Ausdruck. Zu ¥ 623 gibt zu inäyu
ein Schol. in A die drei Varianten öjkxCei, ixdvei, k'neioi, im
cod. Townl. önä^Ei, wie O 103, A 321 die Redensart yaXsTiöv
öe oe yrjgag önä&i lautet, während & 103 Demetrios Ixion
ineiysi bietet. — K 484 und CP 21 eqv&ciivexo ö"1 ai/uan yaia
(vdcoq) ist bei dem Scholion zu Aristoph. Frie. 303 die aus-
gezeichnete Lesart cpoiviooExo erhalten. — Vielseitige Aner-
kennung hat die scharfsinnige Entdeckung 0. Müllers (Eum. 134)
gefunden, der aus dem Schol. A zu Q 482 ovbiva (ovöevi?) ydg
diaXsyExai k'cog ov xa'&aQ&fj, Schol. B cbg et q>vydg xig cpovEvg . .
äjiEQXeTCu jiQÖg xöv äyvloovxa und Schol. T d>g si cpvyäg xig
cpovEvg Jidvxag Xaftcbv eIo£Q%excu xa^agd-rjod/usrog . . xöv 6e xa-
ßaiQovxa xal äyvixrjv E'Xsyov die Lesart ävögög ig äyvixEOi (Bergk
Textkritische Studien zur Ilias. 43
äyvkov) für dvdoög eg äcpveiov entnommen hat. Diese Emen-
dation hat auch Widerspruch gefunden. Vgl. Peppmüller zu
d. St., Ludwich schließt sich mit „abusi schol. BT" dem Wider-
spruch an. Und doch gibt diese Lesart erst der Stelle volle
Klarheit und das Scholion tov xad^aigovra xal ayvixrjv eksyov
ist schwer verständlich, wenn nicht damit auf das Wort des
Textes hingewiesen wird. Die vorausgehenden Stellen werden
gezeigt haben, daß die Textüberlieferung des Homer
nicht auf die Texte der Handschriften beschränkt
werden darf. N 60 z. B. geben die Handschriften teils xexo-
jicbg teils xexoycog, Aristarch hatte beide Formen, das richtige,
wenn auch gewöhnlich nicht beachtete xexontbv war in der
Ausgabe des Antimachos und in der von Chios erhalten. Übri-
gens steht die Erwähnung von Sühngebräuchen, deren sonst
bei Homer nicht gedacht wird, mit dem Hinweis auf das Paris-
urteil I? 29 f. und der famosen Zeitberechnung i2 765f., deren
Text aus r 222 x) f. stammt, auf gleicher Stufe. Die letzte
Stelle setzt sogar kyklische Dichtung voraus.
IL
Bei der Behandlung der einzelnen Arten der Überlieferung
können die Fehler, die von der Schrift, dem Vortrag, der
Modernisierung und attischen Redaktion herrühren, nur im all-
gemeinen unterschieden werden. Manche Korruptel kann auf
die eine oder andere Weise entstanden sein, manche kann auf
mehrere Gründe zurückgehen. Für den Erfolg fällt diese Unter-
scheidung nicht sonderlich ins Gewicht.
1. Einen Fall paläographischer Art bietet 0 94
jifj cpsvyeig juerd vcöza ßaXcov, xaxbg &g iv ö/uttco,
jurj rig toi (pevyovzi /.leracpgevo) ev dögv nr\g~r\.
Mit jusrd vcöxa ßaktiov vergleicht man das lateinische terga
vertere, aber „sich umkehrend" heißt bei Homer jueraoTgerp^ecg,
z. B. A 595. Bentley hat vornehmlich aus dem Grunde, weil
l) Hier scheint sogar der ältere Text in ^£09?' oze für c£ o£ erhalten
zu sein.
44 7. Abhandlung: N. Wecklein
das nachgesetzte wg die vorausgehende Silbe in der Regel ver-
längert, ßaXwv odxog, wg iv ö/uXw jluj . . mj£t] vermutet; aber
auch dem Sinne dient diese vortreffliche Emendation, welche
für gewöhnlich unbeachtet bleibt, in ausgezeichneter Weise.
Bitter ruft Diomedes dem Odysseus zu: „du trägst den Schild
am Rücken (nicht um rasch zu gehen, wie man sonst tut,
sondern) aus Furcht, es möchte dir, während du im Gedränge
des großen Haufens fliehst, jemand den Speer in den Rücken
stoßen". — Trefflich hat Herwerden T 63 äxagxrjgog für dxdg-
ßrjxog verlangt: nicht von der Unerschrockenheit, sondern von
der Hartherzigkeit des Hektor spricht Paris. Solche Emen-
dationen werden gefunden, um auch beachtet, nicht bloß unter
dem Text bemerkt zu werden! — Hieher gehört auch die
Emendation von Nauck zu 0 538 fjeXiov dviovxog ig ovgavov
(für eg avgiov): ig avgiov bedeutet X 351 im/xelvai eg avgiov
„bis morgen", avgiov el'g rj 318 (nach elg rode) „auf morgen";
dagegen gibt hier ig avgiov keinen Sinn. Ebenso die von
Düntzer Y 202 und 433 al'oijua für aiovXa. — i? 139 xov (des
Löwen, der in das Gehöfte eingedrungen ist und vom Hirten
verwundet, aber nicht getötet wird) juev xe odevog ojgoev (der
Hirte), eneixa de t' ov Jigooa/xvvei,
dXXd xaxd oxavx/j,ovg övexai, xd ö"1 egtjjua <poßelxai'
ai juev x"1 dy%ioxivai in dXh')X}]Gi xeyyvxai.
Obwohl aT folgt und oieooiv vorhergeht, sollen mit xä die
Schafe (/j.rjXa) gemeint sein. Die Schafe im Stalle können
nicht fliehen. Man erwartet auch den Grund, warum der Hirte
sich zurückzieht, muß also (poßelxai auf diesen beziehen. Vgl.
ov oe (poßrjoof.ia.1 X 250, oi <5' icpeßovxo xaxa /ueyagov % 299.
Der Hirte „weicht diesem Ansturm des Löwen aus", d. i. xö
<5' ex"1 oi/iia qpoßelxai. Vgl. oijiia Xeovxog 77 752. — 7^334 äXX"1
öxe ör] g1 ixiyave gibt X dij ga xi%ave, aber g' ist nur einge-
setzt worden, als ixi%ave aus e xi^ave wie e 321 ißdgvve aus
i ßdgvve (H2 £>' ißdgvve) geworden war. So ist TT 81 i£ege-
eive i (o. S. 25) in G in i^egeeive, in den anderen in e^egeeivero
übergegangen. Das Medium kommt nur hier vor. Ebenso ist
Textkritische Studien zur Ilias. 45
<Z> 491 <5' äg1 e&eivE in de fe fielve, <Z> 591 xai q eßaXev in
xai fs ßdXev zu ändern. — In K 127 ev <pvXdxeoo\ iva ydg
ocpiv enecpgadov dyege&eoftai hat man das unmögliche ydg auf
verschiedene Weise zu beseitigen gesucht : offenbar ist iv vor
l'v(a) ausgefallen, so daß die Verbesserung von Barnes cpvXd-
xeooiv Iva sich als die einfachste ergibt. — TT 188 ist cpvXaooo-
juevoioiv äxrjv zu (pvXaooojLievotoi xaxrjv geworden. Vgl. 312. -
Die Lesart ßaodrjiov für ßa§vh)iov 2 550 scheint auch paläo-
graphischer Art zu sein, wenn nicht ßaodevg 556 eingewirkt
hat. — In Z 251 evda ol ymoöcugog evavrh] rjXvde ftrjrrjg
Aaoöixrjv iodyovoa bietet iodyovoa ein Rätsel. Der Dichter
hat vorher von den Schlafgemächern der Söhne und Schwieger-
söhne des Priamos im Hofe des Palastes gesprochen um zu
erklären, daß dort Hektor mit Hekabe zusammentrifft. Wohin
soll Hekabe ihre Tochter Laodike fuhren? Aristarch gibt die
Erklärung iigbg Aaodixyv Jiogevojuevr] : eine solche Erklärung
ist bei Aristarch nicht unmöglich; man braucht nicht zu denken,
daß er etwa ioiovoa gelesen habe. Mit der Vermutung eY
äyovoa oder xaXeovoa oder äpC äyovoa ist nichts gewonnen.
Der Gedanke von Jigbg Aaoöixrjv Tiogevo/uevt] ist richtig : He-
kabe will ihre Tochter, welche im Hofe ihren ddXafxog hat,
besuchen, also Aaoöixrjv dXeyovoa. Vgl. z. B. X 185 öaixag
dXeyvveiv = dXeyeiv. Aus dXeyovoa wurde äyovoa wie umge-
kehrt v 362 äyogrjv aus avyrjv, und wie z. B. re pepoixe in
t' eneoixe überging, so wurde hier mit ig nachgeholfen. —
Die prahlerischen Worte des Dolon K 324 ool $' iyoo oi>%
äXiog oxojibg eooojuai ovo"1 dnb öötjtjg geben immerhin einen
passenden Sinn „ich werde kein vergeblicher Späher sein";
aber einen weit besseren Sinn haben die Worte nach der mit
einigem Bedenken vorgebrachten Vermutung von Leaf ovx
dXabg oxonög („ich werde meine Augen ordentlich aufmachen").
Zur Gewißheit wird die Vermutung erhoben durch die ausren-
scheinliche Beziehung von dXabg oxonög auf die Redensart
oi' <5' dlabg oxomijv el%e, die der Verfasser von K selbst 515
benützt. Indirekt wird durch diese Emendation die Aristar-
chische Lesart dXabg oxomrjv bestätigt. — Dem Dichter ge-
46 7. Abhandlung: N. Wecklein
schiebt Unrecht, wenn man A 15 Nabers Konjektur evorjoev
für eßörjoev nicht in den Text setzt. Das Geschrei des Aga-
memnon nach dem Geschrei der Eris ohne irgendwelche weitere
Angabe ist ganz verwunderlich. — A 56 Tgcoeg d1 av>y ezegco-
dev enl &gcoojuc5 jieöioto lautet gleich Y 3. Friedländer will,
weil dort das Verbum fehlt, 56 — 60 aus dem Text entfernen.
Dafür aber liegt kein weiterer Grund vor und avd^ hegwftev
scheint an beiden Stellen aus av -&aj Qr)%dev infolge der Ähn-
lichkeit der Buchstaben entstanden zu sein. — xaxi]v egiöa
jigoßaXovreg A 529 hat Nauck nach r 7 xaxy]v egiba ngo-
(pegovoai, d 210 egiöa ngocpegrjxai in ngocpegovreg verbessert:
die Notwendigkeit dieser Emendation wird nicht überall an-
erkannt. Schreibfehler waren auch in alter Zeit möglich. Das
öfters besprochene und verschieden gedeutete &r]XvTegdo)v für
TijXedajidoov <P 454 scheint nichts anderes als ein Schreib- oder
Hörfehler zu sein. — Den Fehler in A 34
ev de ol 6/jKpnXol rjoav eixooi xaaairegoio
Xevxoi, ev de fieooioiv erjv fieXavog xvdvoio,
wo das Wort, von dem der Gen. iieXavog xvdvoio abhängig ist,
und auch die nach eixooi. erwünschte Zahl fehlt, hat Nauck
mit eeig für erjv zu heben gesucht. Aber die Form eeig ist
höchst zweifelhaft, man darf wohl sagen unrichtig, wenn sie
Nauck auch dazu dient um in E 603 reo <5' aiei Jidga eig ye
deebv den „anstößigen" Hiatus mit nag'' eeig zu beseitigen. Der
schwarze Buckel ist nicht in der Mitte der zwanzig weißen,
sondern auf der Mitte des Schildes. So gewinnen wir ei> de
fieot] eev eig jueXavog xvdvoio, auch ein Zeugnis für die Her-
stellung der Form eev. — Ungewöhnlich steht ergdiiero in A 237
ägyvgco dvroiievr] /.wXißog ä)g hgdnex) ai%jirj vom Umbiegen
der Spitze des Speers. Eher noch würde man eoxgecpex'' ver-
stehen. Aber das gebräuchliche Wort ist yvdiuixexo alyjirj.
Vielleicht hat der Hiatus auf die Änderung Einfluß gehabt
oder auch das unmittelbar vorhergehende (233) exgdnex' eyx°S-
— Daß in A 574 und O 317 dovga . . ev yair\ i'otavro, XaXaio-
jueva XQOog äoai nicht das an und für sich zweifelhafte toxavxo,
Textkritische Studien zur Ilias. 47
sondern iv yairj oxtqqixxo ursprünglich ist, zeigt der Parallel-
vers 0 168 yaifl kv£oxr\Qixxo XiXaio/uevrj %Qobg äoai, welchen
auch Tryphon in Rhet. VIII 730, 7 mit iv yairj ioxaxo zitiert.
Wie ich sehe, hat schon Nauck yah] iveoxrjQixxo vermutet.
Ebenso ist 1^280 iy%dr] de vjieq vojxov evl yairj oxrjQixx"1 (für
k'oxrj) le/uevt] zu setzen. Vgl. X 276 iv yairj indyrj. Hier wird
ox/jqixxo durch xeTxat 345 bestätigt. — Wenn desgleichen <Z> 70
iyX£fy de vjisq vcüxov evl yah] oxfJQixx'1 lejuevi] xxe. (für k'oxrj)
geschrieben wird, so ist damit das Schleudern des Speers, das
man vermißt hat, genügend bezeichnet. — In A 798 xai xot
xev%ea xaXd doxa) JioXejuovde qpeQeo&ai, aX xe oe reo l'oxovxeg
äjrooxojvxai TioXe/uoio fehlt der Grund dafür, daß die Troer den
Patroklos für Achilleus halten sollen. In xald ist das nicht
enthalten. Es muß xd o/d (xd ä) geheißen haben, wie es 77 40
dög de juoi oojuouv xd od xev%ea rJaygtjx&fjvai heißt und wie
Nicole hiernach im Genfer Papyrus den V. (xai doxa) co/uouv
xd ä rev%ea) ■&a)Qi]x&fjvai ergänzt. — N 363 geben die Hand-
schriften necpve ydg 'O&gvovrja Kaßijoo&ev k'vdov iovxa, worin
k'vdov „in Troia" bedeuten soll. Mit Recht bemerkt Leaf dazu:
a rather stränge expression. Die Wendung erinnert an O 438
ov veöl Ka&tjQÖ'&ev kvdov iovxa ha cpiXoioi xoxevoiv ixio/uev iv
jueydgoioi, wo aber alles wohl verständlich ist. Die Erinnerung
an diese Stelle mag zur Textverderbnis beigetragen haben. Die
eine Art derselben erscheint in der Lesart der Argolischen
Ausgabe 'O&gvovfj'1 cExdßrjg vodov vlbv iovxa, einem köstlichen
Beispiel geänderter Buchstabenverbindung, welche aus einer
Stadt eine Frau gemacht hat. Eine andere Verbindung kennt
das Schol. T : ivdoveovxa, welchem der Sinn xextvrjjuevov unter-
geschoben wird. Nach N 664 Kogiv&o&i olxia vaia)v verlangt
Leeuwen mit Recht Kaßrjoö&i olx'C (oder dojjuax'1) eyovxa. Wir
können den überlieferten Buchstaben näher kommen mit Kaßrj-
ooßi vaiex iovxa (statt vaiExdovxa), womit wir wieder ein Bei-
spiel für das Gesetz von Joh. Schmidt (s. Stud. z. Od. S. 67)
erhalten. — JV 523 erwartet man nach dXX' 6 f dg' (dg' ist
Füllsel) dxgco 'OXv/ATiq) vnb %qvoeoioi vecpeooiv rjoxo, Aibq
ßovlfjni ieX/ievog auch k'v&a neg äXXoi d&dvaxoi fJeol fjax' (für
48 7. Abhandlung: N. Wecklein
fjoav, saßen untätig) hgyo/ievoi tioXejlioio. — Ebenso ist Y 270
fjaav in ai ö"1 dg'' exi rosig l]oav nichtssagend für eo%ov (leiste-
ten Widerstand, vgl. 77 740, Y 398). - ■ N 837 lautet die all-
gemeine Überlieferung
*l%h &1 ä/A<poT£Q(ov i'xet aldiga xal Aiög avydg.
Verständlich ist avyal 'HeXioio, was aber soll man sich unter
Aidg avyal vorstellen? Einen natürlichen Ausdruck bietet
Schol. T mit yg. avXdg, wie auch ein Epigramm in Kaibels
Sammlung (288, 4) ig aldeoa xal Aibg avXdg hat. Nur hat
sich avXrjv mit avydg zu avXdg verbunden. Denn avXrjv wird
durch 6 74 Zrjvög nov roujde (/ ist Füllsel wegen des Hiatus)
'OXvjumov evÖo'&ev avXi) empfohlen. — 0 228, Q 376 geben
alle Handschriften eldog dyjjxög, E 787 bieten geringere Hand-
schriften (L Hb) sldog ägioxoi, Aristarch hatte sowohl dyrjroi
wie ägioroi: wie gerechtfertigt es ist, wenn Nauck auch sonst
Elöog dyrjxog, auch in Stellen wie ftvyaxgcbv Elöog dgioxt],> Z 252,
verlangt, kann am besten iV769 Avojiagt Eiöog ägioiE, yvvai-
fnavsg, yjiEgo7i£vrd zeigen, wo Elöog äyrjre dem Tone Hektors
weit besser entspricht. — Für iV 707 ßos . . hfiEvco xaxd d>Xxa
(xax1 äfoXxa Payne Knight) xe/uei (rejuysi S) Öe je xeXoov agov-
grjg hat man verschiedene Auskunft erdacht: rajuovxE öe (Jortin),
zafiEod'' oder xafxüv Inl (J. H. Voß), xajuEo&ai (Brandreth).
Nach der Erklärung Monros soll xejuei ein sonst nicht vor-
kommendes Präsens zu exexjue sein ; dann müßte es aber ägo-
xgov für dgovgtjg heißen. Tajusiv im hat auch Herweiden vor-
geschlagen und Nauck aufgenommen, aber was soll xaxaxajuEiv?
Das Richtige, welches durch 2 544 Ixoiaxo xeXoov dgovgrjg,
besonders aber durch 547 Iejuevoi veioTo ßa&eirjg xeXoov IxEO&ai
aufgezeigt wird, hat schon Bentley erkannt, hat aber mit
pwXx* iv"1 ixoiaxo fehlgegriffen besonders infolge seiner Hiatus-
scheu. Auch Koppen ist mit Iejuevo) öe xax"1 cbXxa IxEo&ai
nicht ganz ans Ziel gekommen. Nehmen wir an, daß nach
der letzten Silbe von ojXxa ein ixa ausgefallen ist, so wurde
das übrig gebliebene veiv mit Zuhilfenahme der ersten Silbe
von xeXaov zu dem Füllsel xejuei öe xe erweitert. Mit lefievai
Textkritisehe Studien zur Ilias. 49
xax1 äolxa (die Furche entlang) IxcIveiv ieXoov äoovQijg ist
der tadellose Ausdruck gewonnen. — E 472 ist in ai-iog; ov
jlisv juoi xaxbg el'dezcu ovde xaxcbv l'| das Digamma von elötrai
außer Acht gelassen. Bentley vermutet ov juev jlwi boxest xa-
xbg oder ov n xaxbg /xoi eiöerai: wenn öearai zu elöexat ge-
worden war, mußte xaxbg eidszai für el'dezai xaxbg gesetzt
werden. Mit ov juev juoi öiarai xaxbg vgl. £ 242 jtqoo&ev
juev yag ö)j /uoi aEixEXiog ÖEar"1 sivac. — ■ ov nco, ju/j nco heißt
bei Homer wie sonst „noch nicht". An einigen Stellen soll
es die Bedeutung von ov Jicog, /u)j jicog „auf keine Weise"
haben.1) Aber i 102 hat von den maßgebenden Handschriften
nur der Harl. //>/ jmo, y 226 ist ov ncog im Lex. des Phot.
erhalten, A 184 jwi]Öe ri nco öeiöiooeo hat Didymos die Vari-
ante iiov überliefert: es ist also gewiß auch hier ju^öe ri ncog
zu setzen, zumal in Rücksicht auf das häufige Schwanken der
Handschriften zwischen nov, jioT, Jifj, Jtcög (vgl. Beitr. z. Krit.
des Eur. I S. 540 f.). — In O 45 avrdg rot xal xeivco (andere
xäxEivcp) iycb naga/uvätjoai/u?]}' wird, da xal und xev in den
Handschriften öfters verwechselt sind, das für den Sinn nötige
xev am einfachsten mit avzdg rot xev xeivco, nicht mit xeivco
xev gewonnen. — In O 605
fjtaivsxo ö\ cbg 6V "AQVjg Ey%EonaXog y) bXobv nvg
ovoeol jiiaiv)]rai ßadh]g ev TuocpEOtv vXrjg
hat Paßow zunächst an ftaivt]TCu Anstoß genommen, da /uai-
vEoftat, sonst nur von lebenden Wesen oder übertragen auf
Hände solcher Wesen gebraucht wird, und hat juaijudy ver-
mutet nach Y 490 cbg d"1 äva/iaiftasi (vielmehr äva/uaijudjj)
ßa&E äyxEci {teombakg nvg. Diese Vermutung wird dadurch
bestätigt, daß mit juaijuärjai (vgl. fxevoivrjjjoi O 82, /xEvoivdijoi
Buttmann) die fehlerhafte Form ßadhjg2) beseitigt und nach
*) T 225 yaozegi (5' ov jioig iou rexvv jzEv&>~joai 'A%aiovi hat der sonst
entstehende Hiatus ov jico; durchweg gerettet.
2) ßijooijg (vor einem Konsonanten!) ßadstjv hat Nauck in ßi'joo/joi
ßaßvv verbessert. <? 213 hat Heyne als unecht erkannt. Es bleibt nur
ßa&hjg E 142, wo vielleicht avzao o ifi/na7iEcog (so Bentley) /irftacog
e^aXXexac avXfjg zu schreiben ist.
Sitzgsb. d. philos.-iihilol. u. d. bist. Kl. Jabrg. 1917, 7. Abb. 4
'>0 1. Abhandlung: N. Wecklein
E 555 ßadeiqg xdqcpeoiv vXrjg hergestellt werden kann. Dieses
it(iiu<h]m aber zieht /taijuae für fiairexo nach sich. Der
neue Text
jualjuae d\ (bg 6V "Agtjg eyieonaXog ?) öXobv tivq
ovgeoi jiiai/iiurjoi ßaDeii^g x6.Qcpe.oiv vXrjg
wirft ein helles Licht auf den Zustand der handschriftlichen
Überlieferung. — Eine Erkenntnis führt zur anderen, daß
nämlich auch in © 413 nf\ juejuaxov: xi ocponv svl (pqeol juai-
vezai fjxoQ\ juaijuäei (begehrt heftig) das entsprechende Wort
ist, was durch E 670 /uatjutjoe de ol cplXov fjxog bestätigt wird.
77 75 juaivezai eyyeh] Aavacöv änb Xoiybv ä/ivvai wird /.tai/idei
durch den Infin. äjuvvai empfohlen, hiedurch aber wieder (9 111
et xal e/iiöv öoqv juai/udei (für juaiverat) er TtaXdjuflOiv. Vgl.
£"661 alyjui] de dieoovxo juoujucbovoa. — A 453 rjjuev dr\ nox
ejiiev Jidoog exXveg evgajtievoio hat nach 77 236 ursprünglich
eiibv e'jiog exXveg geheißen; ndoog ist nach di] noxe unnötig.
— 77 227 ovxe xeco onevdeoxe tiewv oxi jui] Ad naxoi steht
oxi f.u'\ vereinzelt. Die Überlieferung schwankt zwischen öxi
und oxe, der Homerische Gebrauch verlangt ei ju>j. — FL 250
to <5' exeqov juev edcoxe 7101x1)0, exeqov d"1 dvevevoe ist xco de un-
mittelbar nach xov <5' exXve jurjxiexa Zevg stilwidrig. Der Sinn
verlangt xwv d' exeqov. Umgekehrt ist P231 reo in xojv ver-
dorben. — T 153 d>de (SGT u. a. &g de) xig vjueuov fie/uvrjjue-
vog dvdql jua%eo&(o erhält juejuvijjuevog seine richtige Beziehung
mit xcbv de. — In el de xi xwvd'1 enioqxov T 264 würde xcovde
sich auf folgendes beziehen: man erwartet xtov. — 77 594
rXavxog de nocöxog, Avxiwv dybg doJiioxdcov exqdnex\ exxeivev
de xxe. würde der Sinn „er. wandte sich (auf der Flucht) wieder
um gegen den Feind" ein ndXiv erfordern ; die richtige Be-
zeichnung ist eoxqecpex\ was durch 598 oxqeyfielg e^cvnivrjg
oxe (Menrad o#' o, weil die Person wechselt) bestätigt wird. —
Das der Form und der Bedeutung nach unverständliche tmeq-
dea P 330 ist von Brocks sehr glücklich in vjieq Ata emendiert
worden, welches dem vorhergehenden vneq $eov (327) ent-
spricht. — In P 722 vexqbv äno %ßovbg äyxd£ovxo mpi fidXa
Textkritische Studien zur Ilias. 51
fieydXcog' im <5' Yay? laog ömo&ev hat bereits Bentley eine
richtigere Beziehung mit vxpi judka' jueydXayg <5' emfiaye Xaog
hergestellt und damit zugleich das Digamma für \'a%e ge-
wonnen. Aber für „laut" findet sich häufig jusya, [xeydXa,
nirgends jusydXcog. Diese Form kommt überhaupt bei Homer
nur einmal vor, n 432 ejus re jiieydXcog äxayiCeig. Hier aber
bietet die gute Handschrift U dafür exjxdyXcog und mit vyu
/<d/' • exndyXcog ö' EJitfiaye ist auch unserer Stelle gedient.
— 2 357 ejigrjg'ag y.al ejxeixa . . dvoxrjoao' 'A^iXfja kann nicht
mit Q 550 ov ydo xi nq^eig äxayijjuevog vlog eoio ovde fxiv
dvoxi'joeig verglichen werden, da hier 7iQijg~eig das Objekt xi
hat; für sich allein bedeutet h'jiQi-j^ag nichts und verlangt der
Sinn ävoxijoai. — In 2 446 r] xoi o xfjg dysoor fpgevag e'(p-
$iev aoxaQ Ayaioög ist ecpftiev unmöglich; Blaß hat kodier
vermutet, was Leeuwen als egregia emendatio in den Text ge-
setzt hat; näher liegt ecpftivviV, zumal <p&ivvdeiv aueh sonst
in dieser übertragenen Bedeutung mit xfjg verbunden wird
(A 491, x 485). Der durch Wirklichkeitssinn, Sprach- und
Stilgefühl wie nur je ein hervorragender Kritiker ausge-
zeichnete Herwerden hat in Z 25 vexxaqecp Ök yixcövi /xeXaiv
dfupi^ave xeqpgi] glänzend vexxaqecp in vijyaxeq) verbessert nach
B 43 yixcbva xaXov vrjydxeov und hat damit den scharfen Kon-
trast zu ufXatva xkcpqi] gewonnen („schwarze Asche auf hell-
glänzendem Leibrock"). Es liegt nahe auch aus F 385 das
„nektarduftende Gewand" mit yeigl de vijyaxeov (für rexxa-
qeov) eavov exiva^e Xaßovoa zu beseitigen. Ein ambrosisches
d. i. göttliches Gewand kann man verstehen, was man unter
einem nektarischen sich denken soll, ist schwer erfindlich. —
F68 ist AnoXXcov <Polßog überliefert: diese Stellung findet
sich nur noch einmal 0 515, wo aber Ammonios zu 0 232
olog zitiert und olog dem Sinne bestens entspricht; es ist also
an beiden Stellen olog zu setzen. — Apollon mahnt den Aneas
1 109, er solle sich nicht XevyaXeoioi ejieooiv des Achilleus
vom Widerstände abschrecken lassen. Über XevyaXeog vgl.
meine Abhandlung „Mißverständnisse älterer Wendungen" usw.
S. 36; es bedeutet „kläglich, jämmerlich, elend" und ist infolge
4*
52 7. Abhandlung: N. Wecklein
falscher Auslegung von XevyaXecp ftavänp <P 281 von Sopho-
kles im Sinne von „feucht" gebraucht worden. Auf keinen
Fall paßt levyaleoioi ejieooiv für Y 109: nahe liegt ägya-
Xeoloi ejieooiv, „durch bedrückende, harte, drohende Worte".
Vgl. yalejibg txvfrog B 245, ya/.£JioToiv . . ejieeoolv ^489. —
Nach Athen. VII 277 C beantwortete Zoilos die Frage, ob
schon vor Sophokles Ai. 1297 jemand die Fische als iXXoi be-
zeichnet habe, mit dem Hinweis auf das Fragment der Titan o-
machie h d* avxfj nXooxol xQvoojmÖEg ly&VEg eXXol vr\yoviEg
jiai£ovoi xxL Wir können hinzufügen, daß schon Homer dieses
Epitheton gebraucht hat. Denn daß # 22 <bg d' vnb bzlcpivog
fxeyaxrjTeog lyßveg eXXol (für aXXoi auch Leeuwen) cpsvyovxeg
xri. heißen muß, bekundet Hesiod. 'Aon. 212 agyvQSOi öeX-
(piveg Ecpoixoov eXXonag iyßvg. — Mit eoxcu ravra, SxdfiavÖQe
diojQEcpeg, wg ob xeXeveig <& 223 verspricht Achilleus dem Fluß-
o-ott seine Bitte das Morden im Flusse nicht fortzusetzen zu
erfüllen. Er tut es aber doch. Dieser Widerspruch wird ge-
hoben, wenn Achilleus die Bitte mit Voxai sneixa (oder eooer
Sneixa) höflich oder ironisch ablehnt. In ^ 336 fj xe xaxä
Tqcocov xEcpaXag xal xEvym xrjrj betrachtet man Tgwuw xecpaXdg
als eine Umschreibung wie riüixe xdgrjva Tqojwv (pevyovxwv
A 158. Aber da auch revym zu Tqcocov gehört, könnte xecpaXdg
nur die Köpfe im Gegensatz zum Rumpf bezeichnen. Der
natürliche Ausdruck ist vexvag wie ebd. 348 vexgovg. — Für
xi [iot eoiöog xal aQCoyvjs; & 360, worin man einen partitiven
Genitiv sehen will, wird es schwer sein eine entsprechende
Parallelstelle beizubringen. Jedenfalls findet sich keine bei
Homer. Der Homerische Ausdruck ist xi XQV p' ?Q(dog. Vgl.
z. B. ovde xi oe xq>) xavxyg äcpQOOVvijg H 109. — <P 269 hat
Nauck xXv£ für nXäi? vermutet. Diese Änderung wird da-
durch bestätigt, daß auch M 285 tiqooxXv^ov für tiqoojxXü^ov
dem Sinne zustatten kommt. — In <P 261 ist ynjepldEg unaoai
öyXEvvxai in doppelter Beziehung zu beanstanden, einmal weil
die Kontraktion festsitzt,1) dann weil öyttco etwas anderes ist
!) Daß z. B. A'432 aev mit osT1 zu vertauschen ist, lehrt der Ge-
brauch von u.-TOTEOvijcozog, das in der Ilias nur an dieser einen Stelle vor-
Textkritische Studien zur Ilias. ob
als ö%Äeva> {öyXi'Qco). In dem Gleichnis paßt der Aor. coy-
Xev&ev. — <Z> 525 soll die Variante ecevgev wohl den fort-
gesetzten Reim avfjxev — e'&ijxe — exprjxev — ed"t]xsv beseitigen.
Dies geschieht auch, wenn man in 524 x^öe"1 eq>rJ7txev für
y.r\b£ iqpfjxEv schreibt, denn xrjds'1 Ecpr\nzai (iqpfjjixo) ist B 15,
32, 69, Z 241 die Homerische Redensart. — X 117 äfia 61
äjuqjig 'AyaioZg äXX1 änodäooeodai ist in zweifacher Weise an-
stößig: einmal heißt ducpig nicht, was es heißen soll: „in zwei
Teile" oder „noch besonders, außerdem" oder „noch im be-
sonderen", dann steht Wyaioig nicht für 'AyaioTo\ Wie avbiya
ndvxa bdoEodai 120 zeigt, sollen die Achäer nur die Hälfte
erhalten; also ist auch hier avbiya nötig, welches in afxcpioay
enthalten sein muß. Dazu fehlt noch das Subjekt, avbiya
Xaovg. — Öfters findet man in den Handschriften Icöv und eojv
verwechselt, z. B. X 85. Schreibt man X113 avxbg icov (für
icov) Aydijog äjuvf.wvog ävriog k'ldco (für mich allein seiend
ohne Waffen = yvjuvög icov), so fällt das lästige icov e'X&oj
weg. — Zu !F493 jutjXEXi vvv yakendioiv ä/netßeodov etxeeooiv,
Alav (Aldv t' Barnes) 'Idofisvev xe, xaxdig, ejiei ovbe eoixev gibt
Schol. T eine gute Bemerkung: äjueivov ävx avxov (d. i. für
xaxolg) ygoupeiv ,äva^' jxqoeTjie yäg yalenoioi. Nur ist ävaxx'1
zu setzen, da sich der ehrende Zusatz auf beide beziehen muß.
— Der Gedanke in ü 49 all'1 tj roi xXavoag xal ödvQäjuevog
juederjxev xX^xbv yäg juoioai dv/ubv deoav äv&gcojioioiv erinnert
an T 229 älla ygi] xbv uev xaxa&ajxxEjuEV og xe ädryoiv, vi]Xea
iJvjiidv k'yorxag, eii1 ij/nari baxgvoavxag und so ist auch dort
vt]XEa ydg /uoigai &v/uöv dioav zu schreiben, nicht mit Nauck
zX\)nova nach E 670, wo xXrjpova die Bedeutung „ausdauernd"
hat. — Q 56 eh] xev xal xovxo xeov inog will Axt den An-
stoß mit xevöv für xeov beseitigen: aber xevov entspricht dem
xal nicht und wäre sehr unhöflich; die Verbesserung liegt
näher: xovx' exeov („auch deine Forderung ist richtig, voraus-
gesetzt" usw.). — ü 68 ov xt (j iXov fjjudgxavE bwgcov soll yudg-
xavE nicht die gewöhnliche Bedeutung „verlustig gehen", son-
kommt. X 454 ul yag cU1 ovaxog ei't] ipsv eno? hat Menrad ifioi nach
2 272 ai yuQ 8t) fioi äii oüazog d>8e yevouo hergestellt.
54 7. Abhandlung: X. Wecklein
dem die unerhörte „es nicht fehlen lassen, verabsäumen" haben.
Mit Recht hat Christ ij/iEgde jue ömqcüv verlangt. Nur ist in
den Stud. zur Od. S. 22 äjuEodetv von äjungetv unterschieden
worden, wornach hier rjjueige jus (enthielt mir vor) zu setzen
ist. — Die Unform cp£e in Q 457 dij (>a xo& 'Eg/ueiag igiovviog
fp£e ysgovTi wird niemand in Schutz nehmen wollen. Die Ho-
merische Form ist öi£e oder oji^e (dtöfe gibt eine Breslauer
und eine Wiener Handschrift, a>ii-e der Laur. XXXII 15); also
muß der Fehler in igiovviog liegen. Dieses nahe liegende Epi-
theton des Hermes (vgl. ü 360, 440, 679, Y 72) konnte leicht
aus ähnlichen Buchstaben entnommen werden. Menrad will
für eqiovvios ein anderes Epitheton des Hermes dxdxtpa (77 185,
co 10) einsetzen und dxdxrjx' witjs schreiben. Das Epitheton
steht an dieser Stelle ohne besondere Bedeutung, wie aller-
dings auch sonst häufig, dagegen gewinnt Bedeutung der Ge-
gensatz zur vorhergehenden Angabe, daß von gewöhnlichen
Danaern drei Männer zur Öffnung des Tores nötig seien. Achil-
leus aber allein zu öffnen vermöge, wenn vom Gotte gesagt
wird, daß er leicht öffnete. Es wird also der Text ursprüng-
lich gelautet haben: 'Egjusiag Qtjä fxiv o«|fi yegovTi. An fQEld
f' aufe hat auch schon Brandreth gedacht. Vgl. Q 566 ovöe
x\ oyr\a Qtja [XExoyUooEtE &vq6lo)v ^/ueregdüDv. Der Trochäus
im vierten Fuße unterliegt bei /<«' keinem Bedenken. — Von
einem schönen Schwert heißt es # 405 xofaöv de vEongiorov
Elecpavxog äju<pidEÖivr]xat: die Scheide von neuem Elfenbein ist
nicht mit besonderem Schwung herumgedreht, sondern herum-
gedrechselt, also äf.iq?ideöiva)rai. Um so mehr steht es fest,
daß l?' 562, wo das gleiche von einem Guß aus Zinn {yevfia
(paEivov xaooiTEQoio) ausgesagt wird, die Stelle der Odyssee
zum Original hat, wie IT' 326 sicher aus l 126 stammt. —
A 192 bietet fje %6Xov jmxvgeiev eqyjxvoeie xe dvfwv eine ab-
strakte, nicht die anschauliche Redensart Homers, wie wir sie
A 513, 7 565 yolov tivficdym nioooov, A 81 yoXov . . xataiteipr)
finden. Entsprechend wird neyeiev zu setzen sein. — Wenn
man in 7 438 olog; ool ds ju' etisjutie yegmv \nnY\ldxa ITi]hvg
r\aaxi xcö, oxe ö1 ex <PiHrjg 'Ayajuifivovi jtejujiev önaooE, wie
Textkritische Studien zur Ilias. oo
der Sinn vor Jiifinev fordert, für eine zu starke Änderung er-
achtet, so verweise ich auf v 68, wo die maßgebenden Hand-
schriften GHU öjiaooe für enefJLne (so FMP) geben. Vgl. Q 461
ool ydg jus nar)]Q ä/ua jio/xjiov öjiaoosv, wornach schon Her-
werden Ö7ia£ev vorgeschlagen hat. Die Änderungen von Jacobs
ovv (51 £/*' k'jreftjie und von Düntzer ool ö"1 äfx ejie/xjie sind nur
Notbehelfe. — Q 227 kommt die Lesart yoov f| i'gov el?]v in
Konflikt mit der typischen Wendung nooiog xai id^xvog (Q 489
oixoLo) 0; eqov evxo. Man kann nicht einsehen, warum es
nicht Eijuqv heißt — Q 240 ov vv xai vjuiv oi'xoi eveoxi yöog
steht eveoxi ungeschickt bei dem Lokativ oi'xoi: man erwartet
oi'xofii eoxi yöog. Entweder ist, nachdem oi'xo&i zu oi'xoi
geworden war, dem Versmaß nachgeholfen worden oder hat
der Hiatus gestört ■ — - Wie die Überlieferung zwischen i'Xoag
und ildoag e 132, y\ 250 schwankt, so ist Q 557 Jigcbx'1 iXhjoag
in jxqüjxov i'aoag übergegangen und diese Korruptel hat noch
die Interpolation des folgenden Verses zur Folge gehabt; ent-
sprechend ist Q 569 xXioirjOiv idooo in xXioiyg eXe^oco, 684
eiaoev in eXerjoev zu verbessern. — Nebenbei soll auch die Er-
klärung Aristarchs zu Z 248 xiysoi ddXa/uoi: vjieqcooi yoav, öiö
zeyeoi, tva /u] öioÖEvcovxai berücksichtigt werden. Eine Be-
dachung schützt nicht vor dem Hindurchgehen, auch nicht vor
dem Auskundschaften (dionxEvwvxai Lehrs), wohl aber vor dem
Regen: diaöevmvxai, wenn auch öiaoEva) (durchnässe) in den
Lexika fehlt.
2. Der Einfluß der Umgebung, worauf die „psycho-
logische" Methode der Textkritik achtet, tritt z.B. zutage
i\T51 e^ovoiv ydg ndvxag ivxvijjuidEg "Ayaioi, wo AST ndvxEg
bieten oder iV421 xöv juev ejieii}'1 vjxoövvte övoj igitjgsg haigoi
(vielmehr igirjge Exalgco) . . vfjag im yX.aipvgdg qpEghrjv ßagia
oxEvdxovxa, wo die Haupthandschriften mit Aristarch oxEvd-
XOvxe, andere oxEvd'/ovxEg geben und Zenodot die richtige Be-
ziehung auf den allerdings Toten gerettet hat. — <& 251 Tlr]-
Xe'idrjg ft anogovoEV ooov t1 inl dovgög eqüoi) (vgl. O 358) geben
die maßgebenden Handschriften eqojijv infolge der Verbindung
mit äjTOQovoEv. — P 617 ist ix dk ööovxag obos Sögv jzgvjiivov
•r»<> 7. Abhandlung: N. Wecklein
überliefert: mit Recht hat man nQVfxvovg geschrieben; denn
nur als nähere Bestimmung von ddövtag hat das Epitheton
Sinn. — In iV 580 xbv dk xax' dcpftaX/Acbv EQeßevvr] vvg" Ixd-
Xvyjsv ist der Genitiv durch die falsche Beziehung von xaxn
entstanden. Ich habe früher o<p&aXfwvg vermutet; da aber der
Dual öcp&nXiia) ebenso wie öooe bei Homer vorkommt, liegt
die Leeuwensche Emendation öcpflaXjtioj näher. — Als W 344
xev zu x1 h geworden war, mußte vöoorjv, wie Jiage^ iXdorjO'&a
nach fi 55 fordert, in vvoofl geändert werden. — M 446 wird
ein gewaltiger Stein beschrieben: nqvfivbg nayyg, avxdg vjieq&ev
o!~vg SSV. Mit Recht verlangt Nauck Jigv/ivöv, da ngvLivov
dem Adverbium vtieqüev gegenübersteht. — Zu N 333 xcbv <5'
öjuöv l'oxaxo vEixog hat T die Variante öjnöoe: damit wird die
gleiche Wendung wie 337 6juoo'! fjX'&s juä/j] angezeigt und muß
als richtig erachtet werden; das ursprüngliche OMOZ (vgl.
xvxXog d. i. xvxXooe P 392) ist nur wegen velxog in öfxov ver-
ändert worden. — Y 265 cbg ov gtjidi'1 eoxI "Becov eqixvÖeo. egya
ävdgäoi ye ,&vt]xoioi dajuijjusvai ovo' vjioe'ixeiv hat Düntzer mit
Recht vjioeixei gefordert. Umgekehrt hat Bentley W 536 mit
Recht XoTodog ävrjg 6 ägioiog sXavveiv (für eXavvEt) juojwxag
l'jijiovg verlangt. Wenn man diese Art der Korruptel würdigte,
würde man sich nicht gegen den Zwang des Gedankens stemmen.
— P 755 wird xwv in xcov d\ &g xe yrjgwv v£<pog Eg/Exai . .
ovXov xExXijyöJTEg . . &g dg'1 vti Aiveiq je xal "Exxogi xovgoi
A%atcov . . Yoav aufgenommen mit xovgoi 'AyaiCov ; da aber
dieses nur eine Umschreibung für Aiyaioi ist, kann vorher
nur öl' stehen, wie es auch xExX^ywxEg heißt, und ist rwv
durch iprjgcov vEcpog veranlaßt worden. — <P 384 hat Döder-
lein mit xcoojuevco TiEg für yeoojuEvt] nsg die richtige Beziehung
hergestellt. — <P 592 geben die maßgebenden Handschriften
ä/jiq)l öe [xiv, während La Roche aus geringeren nach M 396,
N 181, 805, 5 420, 2 205 äficpl de oi hergestellt hat. —
H 272 gibt Aristarch domo'1 EvixQtLupfteig, die Handschriften
doniöi iyxgif-up&zfe- Es ist wahrscheinlicher, daß man die
seltenere Elision des i als daß Aristarch den Hiatus vermeiden
wollte. — & 181 iivt]iioovYY] xig ejieixo. nvgog da'ioio yeveo'&a)
Textkritische Studien zur Ilias. 57
erscheint zig ziemlich bedeutungslos, dagegen entspricht dem
Homerischen Sprachgebrauch, wie er z. B. in P 670 zig /j,vt]-
ado&co vorliegt, zivi {(xvi] juoovvr) t/V e'jrena). — A 258 geben
oT negl juev ßovXijv Aavacbr, negl d"1 eoze judyeodm
A^M1 u. a. mit Aristarch, A2B2M2 u. a. und mehrere Zi-
tate haben ßovAfj: gewöhnlich wird das scheinbar besser be-
glaubigte ßovltjv in den Text gesetzt und doch ist ersichtlich,
data der Akkusativ nur dem in der Bedeutung „inbezug auf
statt „voraus" aufgefaßten negl sein Dasein verdankt. A 404
ö yäg avze ßir\ oü jiaxgög d/uelvcov nimmt man (auch A. Lud-
wich) die Zenodotsche Lesart ßir\, die auch alle Handschriften
haben, auf und verschmäht die Aristarchische ßir\v\ hier sollte
ßlijv nur den vermeintlichen Hiatus vermeiden. Das gleiche
ist der Fall jT 193 /ueicov juev xecpalij 'Aya/uejuvorog 'AtQstdao,
wo wieder Aristarch xecpaXr\v gibt. ■ — In der Erzählung, in
welcher Agamemnon dem Achilleus in der Unterwelt berichtet,
wie in Gegenwart seiner Mutter Thetis und der Nereiden dessen
Bestattung stattfand, heißt es co 67
xaieo <5' ev eoßfjzi ftecbv xal äXei(pa.Ti tioXXcö.
Die Kleidung stammte von der Mutter; denn negl d"1 äjußgoza
eifiaxa eooav ist zunächst von Thetis gesagt. Also muß fieäg
an Stelle von ftecov stehen. So ist y 420 fted zu deov, v 276
fteov zu &£ü)v, allerdings vor elg davta, geworden. — Agezt)
(Tüchtigkeit) steht bei Homer gewöhnlich im Singular. Eine
Ausnahme macht O 642 vlög ä/uslvcov navzoiag dgezdg, fj/uev
nodag fjde /.idyeodai und <5 725 navzoirjg ägezfjot xexao/uevov.
Nach X 268 navzoirjg ägezfjg juijuvrjoxeo' vvv oe jLidXa %gi] al%-
fxi-jzriv t' e/uevai xal üagoaXeov noXe/Jiozijv und o 205 nooiog
no&eovoa cpiXoio navzoirjv ägezrjv, $ 44 fieol d"1 ägeztp> öndoeiav
Ttavxoirjv ist dort navzoitjv ägezijv und d 725 navzoh] äge-
zrjcpi zu schreiben. — 77 280 näoiv öglv&i] flv/jog, exivtjftev de
cpdXayyeg eXno/uevoi erklärt man mit der constructio xazä ovveaiv,
aber Zenodot bietet eXnojuevai und nach gewöhnlicher Homeri-
scher Weise (vgl. z. B. 77 775) erwartet man eXnojuevwv. —
•,v 7. Abhandlung: N. Wecklein
/' 242 oaoov ti<fj neqxzÄjj neoideiöia, /n] xi jidfryoiv entspricht
nicht der Homerischen Weise an die Stelle der Umschreibung
die Person treten zu lassen; Formen wie Tiäßco/ni sind an
und für sich gern geändert worden. So ist in P 681 &g rote
ooi, Mevekae dioxgeyeg, öaos (paetvtb jrdvxooe öiveiodrjv . . ei'
.top . . Xbovto die Aristarchische Lesart i'öoixo zwar richtig, aber
nicht auf öooe, sondern auf Menelaos zu beziehen. — Von
Helena sagten die greisen Troer F 158
alv&g d§avdx>]nt d-efjg elg cbjia eoixev.
In diesem Sinne steht gewöhnlich der Singular: &ecp evaUyxiog
T 250, ß 5, 5 310, wenn auch begreiflicherweise häufig der
Plural an die Stelle getreten ist, wie a 371 &eq> in W, in an-
deren drolg steht. Hier wird der Hiatus von dßavdx^cpi fteä
elg die Änderung mitveranlaßt haben. Mit der Form vgl. ev
Zeigt defiTegfjipti' Q 284, yoi (paivofisvfjcpiv 7 618. — Ebenso
wird d E(p huzixzV Ayilhv 7 485, X 279, (o 36 für deoig, yvri]
eixvia deijcpiv für ftejjoiv (dEolotv bei Athen. 492 F und in
einigen Handschriften) A 638 und T 286 (deoioiv in einem
Pariser Kodex) zu schreiben sein. Vgl. d-eqtpiy tujnxcog dxd-
mvTog 77 366, T318, 7J477, y 110, 409. — K 513 kann man
den Plural in xagTraUjucog ö' vjitkov ejreß/jaexo darauf beziehen,
daß Odysseus das andere Roß besteigt. Dagegen kann ejre-
ßrjoero ö' p.ifoi' ebd. 529 nicht richtig sein, da Diomedes von
seinem Pferde ab- und wieder aufspringt. Es muß also ititiov
heißen. Sonst überall freilich, wo die Helden ihr Gespann
besteigen, ist ijieß/joexo umwv am Platze und es ist begreif-
lich, daß iTXTioiv an die Stelle von Xtitiov kam. — Eine wunder-
liche Lesart ist iiooyomi /.vyoioi A 105, wo f.160%0101 adjekti-
visch stehen soll. Es kann doch nur jnooyoiot Ävyoio geheißen
haben. A 781 geben SGr jLivdoioi für iivdoio. — A 627 ist
ßovb~] ägtoxeveoxev ändvKor von einer Frau gesagt: djidvxxov
könnte moderner Anschauung entsprechen; der griechische
Dichter aber wird anaoemv geschrieben haben. — 0 340
schwanken die Handschriften zwischen e/uooojuevor und ehooo-
fievog re öoxevt], X 416 zwischen xrjdöfxevot und xr]do/ievor.
Textkritische Studien zur Ilias. o9
Diesen Einfluß der Umgebung hebt eine schöne Emendation
von Herwerden auf Z 255 rj judka d)) reigovoi övocovvjnoi vteg
3A%ai&v fiagräfiEroi Ttegl äoxv, wo mit juagvdjiisvoi nichts ge-
sagt ist und das Objekt zu reigovoi fehlt, welches Herwerden
mit fiaQvajuevovg gewonnen hat. Vgl. Z 327 Xaoi /liev (p&ivv-
ftovot Ttegl nxoXiv alnv xe relyog juagvdjuevoi. Ebenso hat
cp 100 Cauer fjjuevov für fjjuevog als notwendig erkannt, v 30
haben die meisten TioiXa ngbg fje/uov xeqxxXijv rgsjrs naiAcpa-
vocovra dvvai eneiyo/uevog, was allgemein aufgenommen wird.
Wenn der Dichter „wünschend, daß die Sonne untergehe" im
Sinne gehabt hätte, so würde er eyie/uevog gesetzt haben; errei-
ybjuevog bedeutet das nicht; es muß ejreiyojuevov (rasch, eilig)
heißen, wie man in einer Wiener Handschrift liest. — Statt
des Vokativ Aioyeveg, den M1!11 noch erhalten haben, geben
/ 106 die meisten Handschriften dioyevevg bezogen auf 'A%ikrjog.
— Für öanbg enrJQara egya ist / 228 ejttjQdzov überliefert;
yvvaixag äjuv/novag egya für djavjuova geben / 270 die meisten
Handschriften mit Aristarch. — £"13 reo juev dg)"1 tnnouv, o
<5' drrb yßovog djgvvro 7ze£6g gibt dnb y&ovog für Eni yßovog
keinen passenden Sinn und ist nur dem dy innouv zuliebe
gesetzt worden. Auch U 635 &g rcor ojovvto dovnog djrb
yßovog evgvedehjg ist dnö unverständlich: hier könnte man
freilich sogar enl yi)6va evgvebeiav erwarten („über die
weite Erde hin"). — Daß es E 263 Aiveiao (5' EJiaiifai ftejiivi]-
fievog iTtnovg für mneov heißen muß, zeigt 323 Aiveiao /Y
ejiaug~ag y.allii giyag Xnnovg und der natürliche Sinn (anfallen):
der Genitiv ist durch die Verbindung mit juejuv^iievog ent-
standen. N 687 ojiovdf] knauooovTa veorv eyov wird mit Recht
ve&v von eyor abhängig gemacht (anb zöov vecov dnexgyov
Schol.), sonst würde es veag heißen. — B 127 geben die
meisten Handschriften
Tgcbojv <5' ävdga exaorov eXoijUE&a olvoyoeveiv,
nur A hat die Aristarchische Lesart exaoioi, welche durch eloi-
fieda veranlaßt ist; aber wie der folgende Vers noXXai xev
öexdöeg devoiaro olvoyöoio aufs deutlichste zeigt, soll natürlich
,'>n 7. Abhandlung: N. Weeklein
gesagt sein, daß sich jede Dekade einen Troer als Mundschenk
wählt. Es muß also exaorai eXoiaxo geschrieben werden.
An exaozaij was freilich nicht genügt, hat schon Bentley ge-
dacht, aber in den Ausgaben findet man gewöhnlich exaorot.
— Daß Z 290 rag in rovg zu verwandeln ist, weil sich das
Relativ auf nenXoi, nicht auf yvvaixcov bezieht, hat Welcker
gesehen. Aber weder Nauck noch Leeuwen hat rovg in den
Text gesetzt. — In 7 489 byov t' aoaifu 7igorajucbv xal olvov
huo%(bv ist der Genitiv oxpov durch äoatiu veranlaßt, aber zur
Sättigung gehört in gleicherweise der Wein: ötpov muß von
TiQozajutov abhängig gemacht werden. — Wie r 183 die meisten
Handschriften övo/.ia yJwror für örojudxX.vrog bieten, so steht
in o 420 rbv ^elvov (5' eeojiiev evi jueydooig 'Odvofjog T^X^e/udyco
/uelJ/aer' tov ydg cp'dov i'xero dco/ua dieses cpilov ziemlich müßig
und ist mit cpiXog zu vertauschen, womit der Freier eine Bos-
heit sagen will, aber unbewußt eine für ihn bittere Wahrheit
sagt. — E 383
noXXol ydg di] rXfjjuev 'OXvjuma öco/uar1 eyovreg
e| dvdgcör yalen äXye' eti dXXijXoioi xv&evxeg
werden im Folgenden nur Fälle aufgezählt, wo Menschen den
Göttern übel mitgespielt, nicht aber, wo Götter sich gegen-
seitig Leid angetan haben. Der Sinn fordert also eW d&avd-
roiöi TifievTcor. — Die Nichtbeachtung der bei Homer be-
liebten ironischen Wendung hat in cog äXsyo), cbg et ,ue ywi\
ßdXoi )] ndig äcpgcov A 389 die Änderung von cbg dXeyco in
ovx dleyco zur Folge gehabt. — In K 180 oi d"1 öre örj cpvXd-
xeooiv er dygo/uevoioiv ef.ir/ßey hat Bentley an er . . efxtyßev
Anstoß genommen und ovvaygojuevotoiv vermutet. Aber der
Fall liegt hier anders als r 209. Nicht die Wachen sammeln
sich oder sind versammelt, sondern die Führer des Heeres
finden sich bei den Vorposten, welche Agamemnon in Vers 56
als Stelldichein bestimmt hat, zusammen. Also muß es <pv-
Xdxeooiv ev (nachgestellt wie 7 382) dygojuevoi ovre[.iiydev
heißen. Auch dygojuevoi eyhovxo wäre möglich, da mehrere
Handschriften (BML1) yevovro geben. 5 168 schwankt die
Textkri tische Studien zur Ilias. 61
Überlieferung zwischen xyv (bezogen auf xXyldi), xäg (dvgag)
und xbv (ddXajuov). — M 64 ist noxl ö"1 avxovg überliefert mit
Beziehung auf das zunächst stehende oxöXoJieg: Platt hat ge-
sehen, daß sich das Pronomen auf xätpgog beziehen muß, also
avx-qv zu setzen ist. — Obwohl schon Köchly darauf hinge-
wiesen hat, daß in M 288 cog %S>v ä/urpoxegwoe Xl&oi noxeovxo
fiajuelai, ai juev äg"1 eig Tgwag , m <5' ex Towcov ig 'A/aiovg,
ßakkofiEvcov dem ßalXouevcov eine fälsche Beziehung zugrunde
liegt und es ßaXXövxcor heißen muß, beruhigt man sich bei
der Rechtfertigung von La Roche, daß ßaXXojaevcov hier in un-
gewöhnlicher Weise als Medium mit reziproker Bedeutung zu
betrachten sei („die aufeinander warfen"). Auf waao/isvcov,
welches richtiges Passiv ist, in S 26 Xäxe de ocpi negl igo'i
yaX^xbg äxeigyg vvooofxevmv £i<peotv kann man sich nicht be-
rufen. — Mit xetgovx' ey%eXveg . . nvoifj xeigojuevoi <P 353 wird
nach xaiovxo, xaiexo de die Anaphora aufgehoben und anstößig
ist xeigovx* . . Tsigojuevoi. Nauck hat deshalb xaiexo d"1 vorge-
schlagen; es wird einfach naiovx1 zu setzen sein. — ■ Unver-
ständlich kommt mir der überlieferte Text in 0 511 vor:
ßeXxegov y äjioXeoBai eva %govov ye ßuovai
1) öy&ä oxgevyeodai er alvfj dyioxrjxi.
Man gibt die Erklärung: „Besser ist es entweder ein für alle-
mal zugrunde zu gehen oder das Leben zu gewinnen als lange
sich allmählich aufreiben zu lassen in furchtbarem Kampfe."
Sehr klar ist die Parallelstelle fi 350 ßovXojn'1 anag~ Tigbg xvjua
yavdiv äiib dvjubv bXeooai y öydä oxgevyeoßai etov er vi'joco
egijjuy. Diese Stelle bestätigt, was an und für sich offenbar
ist, daß ye ßtcovai ganz überflüssig ist und des rechten Sinnes
entbehrt. Diesen gewinnen wir mit ßeXaegov eg~anoXeoßai
(wie bereits Nauck vermutet hat) eva %govov >)e ßicövai xal
dyß-ä oxgevyeodai d. i. ßicövai oxgevyo/.ievov. Mit ßiwvat vgl.
Ä' 174 y /uciXux Xvygbg öXeßgog . . ye ßicövai. — Daß in xcov
ävögcuv yeveyg, o'i #' (so die Handschriften mit Aristarch, oi ohne
#' Aristophanes) at/naxog !£ ijiiev (yg. e/xod Apoll, synt. 164,
21 u. a.) eloiv T 105 etwas nicht in Ordnung ist, zeigt 111
62 7. Abhandlung: N. Wecklein
jv>v ävög&v oi ofjg «f al'juaxog eioi yeve&hjg, womit Hera die
vorhergehenden Worte des Zeus wiederholt, auch v 130 xoi
nsg rs titrjg t'| sloi yevefrAtjg. Hiernach erwartet man r&v äv-
ögaw, oi e/tfjg e£ al'juaxog eloi ysvE&Xyg. — T 291 ävdga
fiEV . . eldov ngb nxoXuog dsdaCy juevov dl-ei yaXxcö rosig je y.aoi-
yvijiovg, xovg juoi juia yeivaxo fitjxrjg tctjöeiovg, oi ndvxeg öXe-
dgiov y/nag etieotiov hat die Beziehung auf eldov das abnorme
Anakoluth zur Folge gehabt. Es ist deshalb nicht bloß y.a-
oiyvyxoi, wie schon Christ vermutet hat, sondern auch di zu
schreiben: xgsTg ök xaoiyvyxoi entspricht dem ävöga jiiev.
Die Vertauschung von üe und xe ist nicht selten. Vgl. z. B.
ebd. 242. — In 0 423 cog (fax"1, 3A&yvaiy 6e /iexeoovxo, yoiioE
Öe •Ö'V/j.qj, xai g"1 enieioafxevy jzgög oxfj&ea yeigl 7ia%eh] fjXaoe
ist EJztEioajLiEvi) (E(pogjU7]oaoa Schol.) nach fiexeoovxo („stürmte
hinterher") unbrauchbar. Auch was Demetrios Ixion dafür bietet
EMEgEioajuh'fj , paßt wegen etil nicht, vgl. ejisgEioE E 856 („drückte
nach"). Nauck vermutet EJiijuaooajUEvy : den richtigen Aus-
druck EJiogE^ajUEvi] gibt E 335 eviV ijzog£i;d{iEvog juEya&v/uov
Tvdeog vlög äxgrjv ovxaos ysTga an die Hand („sich auslegend").
So hat man um 0 567 et öe xe oi ngojidgoi&e noXiog xaxe-
vavxiov eX$ol> in Ordnung zu bringen an nöXsüig, noXvg, noXsvg
oder noXrjog (so LX) Ivavxiov gedacht: wenn man d 524 ver-
gleicht, wo auch die meisten Handschriften ngojidgoi&sfv) noXiog,
HP aber ngoo-d-e JiöXiSog geben, so kann man an der Emendation
von Menrad und Fick jigoc&sv noXiog nicht zweifeln. Ebenso
B 811. — 0 578 ovx änoXtfyei aXxfjg, nglv ijh £vjußXy{iEvai
tje da/nyrai sollte man meinen, der Panther werde unter Um-
ständen vom Kampfe ablassen, wenn er auch nicht erlegt sei.
Die unrichtige Auffassung von jxglv fje (wie nglv rj E 288 =
ngoxEgov fj) hat die Änderung von yde öajufjvai in ye dajuyvai
veranlaßt. Die Verwechslung von ys und yös kommt auch
sonst vor: y 348 hat Bekker yös für fj£ hergestellt. — X371
ol xal ftyyoavxo (pvrjv xal sidog äyyxbv "Exxogog" ovo"1 xxe. hat
Hermann "Exxoga verbessert, mag der Fehler infolge falscher
Beziehung oder unter Einwirkung des Hiatus entstanden sein.
— In X 315 y.aXal öe negiooeiovxo e&eioai hatten nach der An-
Textkritische Studien zur Ilias. öd
gäbe des Didymos ai nXeiovg (exdöoeig) detval statt xaXat: Leeu-
wen hat gesehen, daß eine unpassende Beziehung vorliegt, und
unter Vergleichung von r 337, Z 470 deivov als richtig er-
kannt. — co 254 ist nach ßaodiji ycio ävdgl eoixag durch falsche
Beziehung xoiomco de eoixag an die Stelle von eoixev getreten.
— co 108 ist, weil man in xgivö/uevog das Subjekt fand, Xe-
£aio zu XefaiTO geworden. — In iV287 ovde xev ev$a xeov
ye uevog xa\ %eioag övotro fehlt das Subjekt. Man ergänzt xlg
und verweist auf v 88, wo aber Odysseus Subjekt ist, oder
auf X 199, welche Stelle Aristarch mit Recht als unecht er-
klärt hat. Bentley will ovde ng, Leeuwen ov xe rig für ovde
xev setzen. Man könnte auch mit Axt an ovde ng evßa teov
xe, da einige Handschriften te für ye bieten, denken; denn xe
kann nicht fehlen. Aber Idomeneus will bestätigen, daß er
eine gute Meinung von seinem Knappen hat, wie es dieser 273
annimmt, also erfordert der Zusammenhang nach Xeyoi/Lieda
276 ovoijurjv. — 77 83 nei&eo d\ cog toi eyco /uvßov xeXog ev
cpgeol fteico (Curtius ft)']oj) hat die unrichtige Auffassung von cog
die Korrektur von üijoco in ftela) zur Folge gehabt. — ^187
avxdg eyco yevei]v jueydXov Aiog evyofiai elvai lag das gewohnte
evxojuai elvai zu nahe, als daß der aus o 225 yeverjv ye MeXdfi-
jioöog exyovog yev sich ergebende Ausdruck yeveijv fj.eycj.Xov
Aiog exyovog eljui hätte erhalten bleiben können. — $ 396
war 7] ov juejLivy aus 0 18, Fl 88 geläufig: Ares muß sagen
ev juejuv)]^ („ich habe es nicht vergessen") oxe Tvdeidt'jv Aip-
f.irjöe' dvrjxag ovxd/nevai. — Für yyßoovv}] de ddXaooa duoiaxo
A729, wie S2MG u. a. mit Aristarch haben, verleitete die Form
des Wortes zu yr\doovvr\. So geben AS!X u. a. mit Aristo-
phanes. Homer kennt sonst nur yrj&oovvog außer <P 390 eye-
Xaooe de ol cpiXov t]xog yrjßoovvi], o#' ogäxo xze., wo also auch
yrj&oovvcp zu schreiben ist. — In !P 736 vtxrj <5' di_icpoxegouV
äedXm cV W dveXövxeg egyeo&e hat Bentley das Digamma mit
äe&Xa de fw gewonnen, eine leichte Änderung; aber eine
Breslauer Handschrift läßt cV aus (ae&Xia fTo) und das Asynde-
ton nach vorhergehendem Grunde ist geläufig. Vgl. zu Eurip.
Iph. T. 64.
(> I 7. Abhandlung: N. Wecklein
Die liebe Gewohnheit verlangt Verbindung der Sätze,
besonders mit de oder auch ydg. £"116 hat Herodian oixeov
für (oxeov <3' erhalten. X 271 vvv ö"1 dfrooa navt* djxoxioeig
fehlt <Y in einigen (weniger maßgebenden) Handschriften. Es
ist schon bemerkt worden, daß der Schluß der Rede weit
kräftiger ist, wenn sowohl (V wie der folgende Vers wegbleibt.
— Ebenso verhält es sich mit 0 234 vvv ovo"1 evög äfioi eijuev,
wo &1 in A fehlt. X 295 gibt S fjxee de uiv für jjree fiiv
unter Verletzung des Versmaßes. — Weil <P 148 oi ö"1 oxe dt]
ayeddv fjoav in äXXyXoioiv iovxeg, xbv jigoxegog ngooeeuie . .
'A%dkevg der erste Vers, der mit 144 f. in Widerspruch steht,
von Aristarch als unecht erkannt ist, hat sich das Asyndeton
anstandslos erhalten. <1> 356 hat Heyne mit y.aiexo Tg für xaiexo
(5' Tg das Digamma hergestellt. — W 709 äv (5' 'Odvoehg noXv-
tu]ug ävioxaio ist äv vor dvioxaxo unbrauchbar und da de ent-
behrt werden kann, ergibt sich ävx"1 "Odvoevg. — <P 287 hat
xoToi de jiivßcov ygye Aristarch beanstandet: Sri dveiv övxcov
rT/.)]ßvvxixöjg ei'Qfjxe. Vor allem würde xoToi bedeuten: „zu
ihnen begann zu reden". Es muß also xoTiv (von den beiden
Göttern) jiivßcov ygye heißen. — In X 84 x&v fxvrjoai, cp'iXe
xey.vov, ujuvve de dyiov ävdga xeiyeog evxög ed>v ist äfivve un-
gewöhnlich gebraucht und für eoov gab es eine zweite Lesart
icov. Dieser entspricht das dem Sinne der Hekabe besonders
angemessene äXevai dyiov ävdga (weiche aus). — Das ge-
wohnte ög neg scheint auch in XF 79 ejue uev xr]Q dficpeyave
orvyegi), y neg Xdye yivo^ievov Tieg das doppelte neg veranlaßt
zu haben für fj ue Xdye. Freilich kann auch die Betonung
von jue mitgewirkt haben. — Bei W 539 (bg e<pa&\ oT (5' äga
ndvxeg enijveov d>g exeXevev sollte man meinen, Achilleus habe
vorher mit all"1 äye d>j dcbcojuev deßXi, (bg emeixeg, devxeg'1'
dxdg xd ngöna (pegeoßio Tvdeog vlög einen Auftrag gegeben,
während er doch nur trotz des Imperativs (pegeoßo) angibt,
wie er die Preise verteilen will. Merkwürdigerweise ist die
Lesart des Syrischen Palimpsests, die auch in A ein Text-
scholion mit yg. eingetragen hat, fjde xeXsvov („und sie sagten,
er solle es so halten"), unbeachtet geblieben. Den Schluß (hg
Textkritische Studien zur Ilias. 65
exeIevev war man von einer großen Zahl von Stellen her ge-
wohnt. Auch der Parallelvers •& 398 bietet ejiijveov fjds xe-
Xevov. — An öixrj in IIr)2.eidr}v A%drja öixt] fifieiipcri' dvaoxdg
W 542 hat man mit Recht Anstoß genommen: von bixi] kann
dort nur Antilochos, nicht der Dichter reden. Die Erklärung
„rechtend" ist erzwungen. Der Fehler braucht nicht in dixrj,
sondern kann auch in dem unwillkürlich sich darbietenden
rjfieiipaxo liegen. Das passende Wort hdeU-axo ergibt sich aus
T83: Ilijkeiö}] 'Axi^'ll bixt]v ErÖEtfax'1 dvaoxdg. — Infolge
des häufigen Gebrauchs lag %eqöl näher als %eiql W 761 hat
nur ein Teil der Handschriften (BM) und ein Papyrus %eiqi
bewahrt. W 624 nimmt Nestor die Schale nicht mit beiden
Händen entgegen; also ist %eiqi herzustellen. — W 772 hat
Aristarch als unvereinbar mit dem Zusammenhang mit Recht
ausgeschieden. Man erwartet aber den Erfolg der Bitte des
Odysseus; dieser kann nicht mit dkl' öxe, sondern nur mit
xai öxe nachgebracht werden: all"1 öxe lag nach 768 nahe. —
^818 ist xax"1 äojxiöa jidvxoo1 lior\v vv^e die gewöhnliche Re-
densart; das Folgende zeigt aber, daß die Lanze durch den
Schild durchdringt und nur nicht die Haut berührt. Mit
Recht hat also Barnes öl domda verlangt. — Diese Unsicher-
heit der Handschriften in den Präpositionen ist in den Stud.
z. Od. S. 57 f. dargetan worden. Z. B. schwanken <P 1 1 die
Handschriften zwischen tieql und xaxd, <P 87 zwischen im und
vno, N 546 gibt Zenodot richtig did, die Handschriften mit
Aristarch dno. Häufig ist die Vertauschung von xaxd und
jUExd: jenes bezeichnet die Bewegung von oben herab (xaxE-
ßaiv vnEQiüLO. 1^85, xaxd xeZ%oq k'ßrjoav N 737) oder die Be-
wegung, Ausdehnung und Tätigkeit innerhalb eines Raumes
(pt juev xd tievovxo xaxd oxqaxov A 318, xöv ßdXe veiatgav xaxd
yaoxEQa II 465 er traf ihn in der Magengegend), juexd be-
deutet „in die Mitte von" (l'xovxo jusxd Tocbag xai A%aiovg
r 264) und bezeichnet das Ziel einer Bewegung (ßevai jusxd
Nsoxoga K 73 um Nestor zu holen). Richtig geben die Hand-
schriften A 484 ixovxo jUExd oxgaxöv, unrichtig Aristarch xaxd
oxgaxov; ebenso richtig haben die Handschriften A 424 %dit,bg
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 7. Abb, 5
66 7. Abhandlung: N. Wecklein
eßi] juerd öaTxa, vgl. T 346 oYyovxai fiExd öfJjivov, wo Cobet
mit Unrecht nach A 424 xaxd verlangt, unrichtig die Aus-
gaben der Grammatiker xaxd dalxa. N 364 ög qa veov tioXe-
fioio juerd xXiog e\h]Xovdei gibt Aristophanes xaxd x?Jog. Wie
es Z hll heißt qi/upa e yovva (pegei /uExd ifdea xal vo/iöv ittjicov,
so muß | 261 önxiJQas ök fiexd. oxomdg cöxQvva vEEodai und
X 484 ndoag d"1 öxqvvov djuqydg fisxd diöjua veeoßat stehen für
xaxd. Dagegen singt der Sänger während des Mahles, nicht
erst nach demselben, also % 352 äeioojuevog xaxd daixag, nicht
jusxd daixag. Die abgenommene Rüstung trug der Held selber
11 147 nicht in das Getümmel des Ares, sondern im Getümmel,
also xal xd fiev avxbg eneixa (pogei xaxd fifbXov '"Aor\og, nicht
juexd. — 2 552 werden von den Schnittern die Getreidebüschel
durch die Furche hin gelegt, also ÖQay/uaxa ö"1 äXXa xax"1 öyjuov
ijii'jxoijaa TÜnxov EQa£e, nicht juex' öy/uov. — / 54 xal ßovkfj
juexd ndvxag 6/ntfXixag ejiXe"1 ägioxog und n 419 jueffi ofxijXixag
ejlijuev ägioxov kann nur heißen „nach allen deinen Alters-
genossen, so daß diese dir vorangehen", wie jusxd beim Super-
lativ häufig steht, z. B. 7 140 aX xe juex"1 'ÄQyetrjv cEX4vr]v xdX-
Xiaxai EtOGiv. Nach Tvöetör], jzeqI iiev tioXe/iü) evi xaqxEgog
eooi verlangt der Zusammenhang entschieden den Sinn „im
Vergleich mit allen Altersgenossen", also xaxd ndvxag öjurj-
Xixag, vgl. xaxd ndvxag aQioxfjag K 117. — So ist auch fXExd
in näoi jLiExd jiXqßvv, oooi ov ßovXrjg endxovoav B 143 un-
denkbar für xaxd nXij&vv. — K 136 hat Naber nagd vrjag
für xaxd vfjag hergestellt nach K 54, wo die meisten Eni geben
und Aristarch naqd erhalten hat, 7 657, 0 220, 4 617, 805
(wo T etil für naqd hat). Ebenso ist K 141 xaxd vrjag für
naqd überliefert. K 281 liest man in allen Handschriften
dög Öe JidXiv im vrjag evxkeeag (für EvxXExag gesetzt) dcpixEodai,
K 336 hat A mit einigen anderen ßij (51 ievcu ejiI vfjag dito
oxqaxov erhalten,1) die meisten vermeiden den Hiatus mit noxi
oder JiQoxi, sogar xaxd kommt zum Vorschein, welches A 806
dXX"1 öxe örj xaxd vrjag 'Odvoorjog $eioio i'^s d&aiv für ejii in
1) P 432 äyj im vfjag ejiI nlaivv 'EXhjojiovTov hat Barnes mit Recht
noxl vfjag vermutet.
Textkritische Studien zur Ilias. 67
allen Handschriften steht, K 347 hat Aristarch alei jutv im
vfjag änb oxgaxocpi ngoxieiXeTv erhalten, die meisten, auch A,
geben wieder noxi oder jxgoxi. Unsere Ausgaben haben ge-
wöhnlich noxi oder ngoxi, weil man den Hiatus scheut oder
die Verlängerung durch die Arsis verkennt. Wie o 97 fjX&ev
äva oxofia cpoiviov aljua die Handschriften zwischen äva und
xaxd schwanken, so ist 77 349 xö <3' (nämlich al/ua) äva oxojua
xal uro. (für xaxd) givag herzustellen und ebenso verlangt
,7/162 der Sinn äva für xaxd. — N 652 hat A diu xvoxiv,
die übrigen y.axä xvoxiv wie 7? 67. — S 173 xov (wohlriechende
Salbe) xa\ xivvjuevoio Atbg xaxä yaXxoßaxeg ööj geben geringere
Handschriften mit Aristarch xaxd, die maßgebenden haben
noxi. — 2 576 haben die Handschriften wie Aristophanes (und
Aristarch) nag noxajubv xeXdbovxa, nagä gaöivbv öovaxija, aber
die Rinder gehen den Fluß entlang durch das Schilf; richtig
gibt also Zenodot diä . . öovaxTja. — 2 564 äjbupi de xvaverjv
xdnexov , negl d"1 egxog e'Xaooe xaooixegov ist der natürliche
Ausdruck, daß um den Weingarten ein Graben und an dem
Graben hin ein Zaun gezogen ist, wie es H 331 heißt: xvjußov
(31 äfiqn nvgtjv eva yevojuev ügayayovxeg . . ngoxl d1 avxöv dei-
juojuev ajxa nvgyovg, also ngoxl ö"1 egxog. — T 230 ooooi <5'
äv noXetuoio negl oxvyegoTo Xinoovxat verlangt der Homerische
Sprachgebrauch vnb für negi, da vjioXeineodai, nicht negdei-
jieo&ai für „übrigbleiben" gesagt wird. — ¥ 714 verlangt der
Sinn xexgiyei «51 äga vcbxa &gaoeid(ov vnb (für änb) yeigwv. •—
Wenn man T 424 rj ga xal iv ngwxoig idywv eye fxojvvyag
innovg, worin entweder ngdbxoio'' oder fifdycov nicht gewahrt
ist, ig Jtgajxovg setzt, so erhält man auch die gebräuchliche
Verbindung mit eye (lenkte), vgl. z. B. r 263 nediovö"1 eyov
(hxeag l'nnovg. — Y"4 Zevg de ©ejaioxa xeXeve fteovg äyogijvöe
xaXeooai xgaxbg an"1 Ot'X.vjunoio noX^vnxvyog: die Verbindung
xeXevev änb xgaxbg ist nichtssagend; Bedeutung hat es nur
anzugeben, wo die Versammlung stattfinden soll, also xgaxbg
in1 OvXv[moio. — ü 568 xqj vvv fxr\ /uoi juäXdov iv äXyeoi dv-
jubv ogivrjg verlangt der Sinn in' äXyeoi (bei meinem Schmerze).
— Zu CP 336 // xev änb Tgo)0)v xecpaXäg xal xevyea xi'jtj be-
5*
GS
7. Abhandlung: N. Wecklein
■s
merkt La Roche, daß Homer nur xaraxaletv, nicht änoxaieiv
kennt. Auch Vers 348 xäd <5' äoa vExgovg xrjev lehrt, daß
xe xaxd zu schreiben ist. — Wie £ 310 F2G noxl für jieqi
geben, so verlangt der Sinn W QA'Exxoo'1 ejiauoocov jieqI (für
noxi oder tiqoxI) "IXiov. — Die leichte Veränderung der Präpo-
sitionen gestattet uns auch einen tiefsitzenden Fehler in 0 186
zu heben, wo Hektor seinen Rossen zuruft: vvv /xoi xrjv xofii-
öijv änoxivExov, ijv jiidXa jioXXtjv *AvdQouä%r) . . vjulv jiuq tiqo-
xeqoioi jueM<pQova jivqov e&tjxev ?) ejuoi. Friedländer Anal. Hom.
S. 459 f. will fjv tcöqev vfüv für f\v /udXa noXkrjv setzen. Aber
der Satzbau verlangt einen Ausdruck wie i)v dXJyovoa (welche
als ihre Aufgabe betrachtend) oder fjv oxEvdovoa oder fjv dtd
noXXrjv (die Pflege, der zuliebe reichlich sie bietend). — Wie
schon oben (S. 9) bemerkt, sind persönliche Fürwörter, die
sich ohne weiteres aus dem Zusammenhang ergänzen,1) nicht
selten nachträglich eingefügt worden und haben zur Änderung
des Textes beigetragen. M 449 ohi vvv ßgoxoi «V • o de
juiv qeo. TidXXe xal olog beseitigt Nauck mit slaiv o dk §Ea die
Synizese; ebenso läßt sich diese Af 381 mit ovÖe xe gfja für
ovöe xe juiv $£a wegbringen. — 2 460 hat Nauck mit yjev für
fjv ol (vgl. Q 53), o 3 mit ovöe eev ig für ovöe ol r/v l'g die
richtige Form r/ev, eev hergestellt. — E 365 ist für Tidg ös ol
'Igig nach Bechtels Beobachtung ndo de 'Efigig zu setzen. —
v 430 gibt der cod. Ven. 456 xagyisv juev, die meisten Hand-
schriften aber haben xdoyjs juev ol mit Außerachtlassung des
Digamma. P 709, Y 362, Ü 121 wird mit ovöe ölto für
ovöe juiv (bzw. xiv') ol'co das im Versausgang gebräuchliche
ölco gewonnen. — AT 344 ist durch juiv die ungebräuchliche
Synizese äXX"1 ecö juev juiv entstanden für dXX1 eecojuev (vgl.
Stud. z. Od. S. 67).2) Einen sprechenden Fall derart bietet
*) So ist es unnötig z. B. P478 vvv av dävaxog xal fioiga xi%dv£t
entweder vvv acp1 av oder vvv f av zu schreiben.
2) Auch andere kleine Wörter sind hie und da ohne Not einge-
schaltet worden. E 887 ist xe in // xe £d)g wiederholt und so die richtige
Form £coög verdrängt worden. Ebenso ist in f.i 130 xöaa 5' oicöv jtcosa
xa).ä, Tiern'jxovTa sxaora gegen den Sinn und mit Außerachtlassung des
Textkritische Studien zur Ilias. °9
N 77 oüzco vvv xai Ifiol neoi dovgaxi xeTgeg äanioi /uai/ncootv
xai /uoi jxevog cogoge: das nach xai ijuoi recht überflüssige fxoi
hat bewirkt, daß aus /uaijucocooiv (vgl. 76) uaiuwoiv wurde.
Die Lesart von X juaijucocooiv, ijuoi gibt ein unmögliches Asynde-
ton. Die Änderung von Fick juaijucbcooi , /xevog de [xoi ent-
behrt der Wahrscheinlichkeit, wiewohl der Rhythmus besser
ist als in [.laijucocooiv xai juevog cogoge. — N 777 fxeXXco,
enel ovde tue (ovo' ijue) ndpnav av&Xxida yeivaxo /jaqxi]g hat
man die ungewöhnliche Synizese mit enei fi1 ov nd/unav, wie
eine minderwertige Handschrift hat, beseitigen wollen; aber
der Fehler rührt von der Einschaltung von tue her: enel ov
ndjunav. — Q 1hl wird die Form iegorjeig (vgl. 419 ohv
eegotjeig xelxai) in vvv de juoi egotjetg xai ngoocpaxog ev fxeyd-
qoioiv xeTocu durch Weglassung des überflüssigen /uoi gewonnen:
vvv de eegorjeig. — In 5 322 rj xexe fioi Mivcov re xal dvxi-
$eov 'PadaijLavdvv kann die im Syrischen Palimpsest erhaltene
Form Mivcoa am einfachsten durch Weglassung von uoi in
den Vers gebracht werden: i) xexe Mivcoa wie vorher (320)
i] rexe Ileoofja. — Ein sehr sprechender Fall, in dem wieder
der Syrische Palimpsest Hilfe gewährt, findet sich iT 403, wo
in den meisten Handschriften xexganxo ngög luv oi, im Palimpsest
ngög l&vv ol steht und ngög l&vv (ohne oi) allein einen an-
nehmbaren Ausdruck an die Hand gibt. — Mit oi de beginnt
natürlich häufig das Neue; aber nach Xd&ovxo dk ftovqidog
dXxfjg 0 323 erwartet man nicht oi <5' cog t' rje ßocov äyebjv
)] ncöv }xey oicov (ncöv öicov Platt), sondern cbg de xiv" \e
xxL, wie es der Parallelstelle /u 299 cd xe xiv ife ßocov dyehjv
fj ncov fxey" oicov entspricht. — II 507 ist Xinov äg/iiax' ävdxxcov
aus 371 für das vom Sinn unbedingt geforderte Xinov ägfxa
avaxxeg oder besser ävaxxe gesetzt und dann, um dem Sinn
einigermaßen zu genügen, Xinov in das unbrauchbare Xinev ge-
ändert worden. Zenodot hat linov erhalten, Aristarch gab wie
Digamma b" vor snaoxa, in i 419 ovxw jiov fis siXnex' das überflüssige
y&Q {ovxoi yäg jiov /<' 'ü^sx ohne Digamma), in r411 &#» IlaQvrjOÖvds,
ö&i fioi xTtjfiar' eaaiv das unbrauchbare jiov (^aQvt]o6v^, od-i jiov) ein-
gefügt worden.
70 7. Abhandlung: N. Wec.klein
& ■
die meisten Handschriften Xinev. — II 543 xbv <5' vnb Ilaxoo-
y.Xco dduao'1 ey%e'C yalxeog "Aorjg hat Döderlein nach P 303
üargöxkov verbessert. — 77 454 jikfimiv juiv Odraxöv xe (pegetv
y.al fjdvjuov "Ynvov ist fuv, wie die Stellung verlangt, mit tle/jl-
neiv, nicht mit cpEOEiv zu verbinden und deshalb nach 671
und 681 TiefXJiE de fxiv JiofXTioToiv äixa xqciijivoToi (fEQEO'dai der
Dativ Oavdxqj . . y.al f]dv/icp "Ynvco zu setzen. — Y 186
yaXETicög Öe o1 EoXna to qe^eiv scheint mir jetzt de FEfoXna ro
qe^eiv zu genügen und es nicht nötig zu sein ök pepoXnd oe
oe£eiv (mit Brandreth, vgl. Stud. z. Od. S. 63) zu schreiben. —
Ebenso hat Leeuwen 1" 195 äXJJ1 ov vvv gvoEodat b'ioaai für vvv
oe QVEoßcu gesetzt. — !P392 ist mneiov öe ol rj^E für öe satjE
überliefert. — !F282 ist y.äö (5' äyog ol yyxo jlivqiov öcp&aXfxoiioi
nach 1^421 xdo qd ol öcpftaXuwv y.Eyyx* dyXvg von Bentley und
Leeuwen in glänzender Weise verbessert worden zu y.äö ö"1 a%Xvg
yyxo juvgit] 6(pdaXuo7iv. — In <Z> 576 eT txeq ydg <p&ijU£v6g juiv ))
ovxdov fjh. ßdXyoiv vermißt man das Subjekt, dagegen ergänzt sich
fxiv von selbst. Also ist die Lesart von LHb (pdijuEvog xtg in den
Text zu setzen, wie nach der Notiz des Didymos (Schol. T) die
Städteausgaben boten. — X 15 k'ß/.aydg ju\ ixaEoyE ist durch
fx das Digamma von ixaEoyE aufgehoben: fi kann wegbleiben,
ohne daß deshalb im folgenden Vers xohpag li geschrieben
wird. — W 537 dAA1 äyE öij ol d&fiev ist durch ol die epische
Form äXX"1 äys öij öwcojuev beseitigt worden. — Zu vejlieoo}]-
iJcouev ol fjixElg Q 53 (Aristarch v£U£oor]$£a>fi£r) bemerkt
Wackernagel in Bezzenbergers Beitr. IV S. 288, indem er ve-
HEooYj'drjo^iEv rjfwlg herstellt, daß, nachdem dieses zu veueoot]-
ficöuEv (v£f.i£ooi]ft£oj/ii£v) geworden, das Flickwort ol zur Er-
gänzung der Lücke eingeschoben worden sei.
3. Die Fehler, welche Tempora und Modi betreffen,
bilden in gewissem Sinne den Übergang von den unwillkür-
lichen Fehlern, welche jeder schriftlichen Überlieferung, z. B.
der der griechischen Tragiker (vgl. Methode der Textkritik
S. 17 ff. u. 34 ff.) anhaften, zu den mehr willkürlichen, welche
der Homerischen Überlieferung infolge mündlicher Tradition
und attischer Modernisierung eigen sind.
Textkritische Studien zur Ilias. 71
a) Für die Herstellung des Imperfekts statt des Aor-
istes (Stud. z. Od. S. 80) liegt ein bemerkenswertes Zeugnis
vor in 0 240, wo die meisten Handschriften
d//1 Im Jiäoi ßocov dyuöv xal (u?;o<" Exi]a
geben, während der cod. Ambros. exaiov und auch A von
erster Hand exi]ov bietet. Ebenso verhält es sich mit A 773,
wo Aristarch jurjoia xcue erhalten hat, während die meisten
Handschriften /.irjoV exrje geben, das Imperfekt aber durch die
Beziehung auf rcoi 5' ejieitü ottjuev (776) gefordert wird.
E 842 gibt A mit Aristarch e^evdoi^ev, die meisten aber haben
eievdgi^ev, obwohl die Handlung als unvollendet bezeichnet
werden soll („war damit beschäftigt die Rüstung abzunehmen").
— Das gleiche ist A 368 der Fall, aus welcher Stelle man er-
sieht, daß unter den tives, welche nach Aristonikos E 842
££evdgi£ev bieten, in erster Linie Zenodot zu verstehen ist. —
E 463 hat nur S xeXevev für xeIevoev erhalten. O 176 hat
oe xe/.eve T und als Variante A, 0 545 hat xeXeve der Syri-
sche Palimpsest gewahrt, ü 175 haben nur AT77 exeXevev er-
halten, Q 252 haben ASM exeXeve, cod. Ambros. TL u. a.
exeXevoe. Die Form gvoäjLUjv 0 29, die mit dieser Quantität
allein steht, hat Bentley in qv6(xtjv emendiert. — O 240 haben
für vsov 6' ioayeiQETo ftvfxov, wie die einen Handschriften mit
Aristarch geben, BMTX u. a. EoayEigaro. — O 366 ist ovy/sag
Aqye'uov, auToioi dk cpvt,av ircoooag überliefert und vonseiten
des Sinnes ist nichts zu erinnern, im Gegenteil scheint ivcögoag
den Aorist zu bestätigen. Deshalb haben auch alle Aus-
gaben den Aorist festgehalten. Aber die epische Form ist
nicht /Ja, e%ea, sondern %eva, e'/evo.. & 436 hat die älteste
Handschrift (G), wie wir jetzt wissen, e'/eov, nicht e/eolv; ebenso
bietet der Townl. Q 799 e%eov, wie die Beziehung zu fjaro
entschieden fordert, und 2 347 eine Breslauer. Mit Recht
also hat Payne Knight O 366 %vy%ees hergestellt. — E 119 gibt
A1 mit GHK und einem Papyrus exeXevev, A2SBM u. a. haben
exe/.evoev: für exeXevev spricht auch das nachfolgende 6 (5' d'o1
ovx ämd'rjos. Vor allem ist Y 39 xeXevov für xeXevociv zu
setzen, denn Achilleus tritt dem Befehl entgegen. In dem
72 7. Abhandlung: N. Wecklein
Parallelvers B 50 schwanken die Handschriften. Ebenso wird
in 7 658 die Lesart des Townl. HdxgoxXog <5' hdgoioiv tde
djuojfjoi xeXevev durch das nachfolgende ai d"1 ejimsiSd^evai
orÖQEoav Xe%og empfohlen. — Für cbg exeXevov, dbg iyJleveg, (bg
exeXeve sind die Zeugnisse in der Abh. z. Od. S. 80 zusammen-
gestellt. Die Änderung von Nauck zu E o20 ovrdEoidoov xdcov,
äg etiexeiXe (für ejiexeXXe) . . Aiojuijdrjg, welche Leeuwen in den
Text gesetzt hat, unterliegt schweren Bedenken. — Z 174
geben die Handschriften (außer G)
Evvfjjuag ijsiviooE xal evveü ßovg Ieoevoev,
Aristarch schwankt zwischen ^eiviooe und ^eivi^e, daraus er-
gibt sich für uns £eivi£e und entsprechend Ieqevev, wie v 24
Uqev'1 nur in P erhalten ist. So entspricht auch B 402 avxdg
o ßovv Ie q eve, wie es nachher xixXrjoxEv heißt, dem Homeri-
schen Sprachgebrauch mehr als Uqevoe, weil die Opferung im
Folgenden erst beschrieben wird. — 7^232 noXXdxi fiir Zeiviooev
(g~Eimo£v S) dgrjirpiXog JShvEXaog . . öndxE Kgi)xijdEV l'xoixo ent-
spricht das Imperfekt c\eivi£,ev dem iterativen Optativ l'xoixo,
wenn auch noXXdxi dabei steht. — K 299 geben die Hand-
schriften für eI'clev das metrisch fehlerhafte eToloev, welches nur
in einer Pariser Handschrift mit elaa> zur Not brauchbar ge-
macht wird. — Y 84 ist nicht vjieoxso dem vmo%£o vorzu-
ziehen. — Daß iV619 Eg'Evaoit.E für ig'Evdgig'E zu setzen ist,
ergibt sich aus 640, wo mit cog eindiv xd jliev evxe'1 änö XQ°°S
aljuaxoEvxa ovXiqoag hdgoioi didov erst der Abschluß der Hand-
lung angegeben wird. — 2 119 bietet der Townl. dXX"1 o jliev
avxd&i jlujuve, 7iax)]Q (3' ijubg "AgyE'i vdo&rj, die anderen haben
jueive: das Imperfekt ist ebenso an seiner Stelle wie d 508 xal
xb jliev avxd&i jut/uvE, xd ös xgvqpog e/ukeoe jiovxco, wo auch
jtii/ivE nur als Variante in H erhalten ist. — 2 286 eriP "Ynvog
jusv EfXEivE ist in A iuve über ejueive geschrieben und erweist
schon dadurch seine Gültigkeit, wenn auch sonst ejlieive überlie-
fert ist. Vgl. oben S. 34. — 2 68 gibt A eioav£ßr]oav für sloave-
ßatvov, das die anderen Handschriften gerettet haben. — ^4 3
noXXdg (5' Icpfti/jLOvg xpv%dg "Aldi ngotayjEV
fjgojov, amovg öh IXibgia xev%e xvveooiv
Textkritische Studien zur Ilias.
73
bedeutet es weniger, daß sich bei Philodemos ngo'idnxei findet;
aber durch die Gegenüberstellung x^wxag — avrovg steht der
erste Satz mit dem zweiten in engerer Beziehung als mit dem
vorhergehenden y fivgi' AyaioTg aXye' e^xev, man erwartet
also TiQotanxBv neben xevyt '■> wiß 5T H-4 GS mit Aristarch
xäXvipe für xaXvnxei bieten. Würde man die Bevorzugung des
Imperfekts bei Homer nicht anerkennen, müßte man z. B. K12
mitLHb änene/jixpev schreiben, während die maßgebenden Hand-
schriften dnenefinev bieten. — Ebenso geben 2 240 ABM nefx-
nev, während man gewöhnlich mit den meisten nejuxpev schreibt.
Das Imperfekt steht in dem Sinne „befahl zu gehen". Der
Befehl wird 241 mit 'HeXiog fiev eöv vollzogen. Vgl. ngotaXXe
A 3. — Desgleichen wird die Lesart von M xeXeve Y 4 mit
Unrecht verschmäht. Es verrät feines Sprachgefühl, daß es 4
xüeve, 6 xeXevoe heißt. — Umgekehrt geben maßgebende Hand-
schriften (AST) TT 503 fiegjuijgife, während /ÄegjurjgiCe durch
das nachfolgende cogjuaive bestätigt wird, und E 671 haben
fast alle Handschriften jueg/tajgiCe. Ebenso ist N 455 vor wöe
de ol rpQoveovTi dodooaxo xegdiov elrai wieder jiteg/ui]gi£e zu
setzen. Vgl. Stud. z. Od. S. 80 f. K 527 schwanken die Hand-
schriften zwischen egvxe und egvc'e1): das Imperfekt wird schon
durch das folgende xWei empfohlen. — Homerische Weise for-
dert in A 235 vvf\ enl 6' avxbg egeioe, ßageii] yeigl m&rjaagm
ovo' exogev ZcoorfJQa, da mit exogev erst das Ergebnis der Hand-
lung folgt, egeiöe. — A 86 i]/uog de dgvxöfiog neg dvi)g cbn-
Mooaxo dognov ovgeog ev ßrjooyoiv, enei r' exogeooaxo yelgag
entspricht dem Sinne cbnXi£exo, wie das Imperfekt durch das
parallelstehende ijitog d' ffeXlog juexeviooexo ßovXvxovde 77 779
bestätigt wird. Nebenbei bemerkt, wird man für neg schwer-
lich eine annehmbare Erklärung finden; mit Recht bemerkt
Nauck: neg suspectum. Es ist aber i(ponXi£a) und ecponXi^ofiai
delnvov {dognov) ebenso häufig wie onXi'Qo^iai. Es diente also
neg für dgvxo/xog en' ärrjg cbnXi^exo nur der Verlängerung
der Endsilbe zur Stütze. Die Vorstellung des Dauernden ver-
l) N 9 zwischen aQtjge/usv und dgr/ys/ist'.
74 7. Abhandlung: N. Wecklein
mißt man in ähnlicher Weise A 305 cbg öjiöxe vecpea ^ecpvqoq
oxvrpEXi^rj. Da M von zweiter Hand und Eustathios 845, 51
orvcpeli^Ei haben und überhaupt die Formen mit £ und £ häufig
vertauscht sind,1) muß man oxv<pEli'Qi] schreiben. — Wenn
man den häufigen Wechsel von Formen wie InavExo und Inav-
oaxo (Stud. z. Od. S. 84) 2) in Betracht zieht, wird man kein
Bedenken tragen A 848 xo jtdv eXxos exeqoexo, tiolvexo S1
aljiia. für E7xavoa.ro („das Bluten ließ allmählich nach" wie
exeqoexo , wurde allmählich trocken") zu schreiben. — M 333
bietet nur eine Wiener Handschrift (176) nänxaivEv, doch hat
auch der Lips. nänxaiEv , die meisten geben jidnrrjvEv oder
TxdnxrjVEv. Das veranschaulichende nänxaivEv paßt ebenso
^507 und P84, wo sich in jidnxaivEv <5' äq' etieixo xaxä oxiyag,
arxlxa <5' Eyvco das Imperfekt von dem Aorist gut abhebt. —
Bei 0 33 avxciQ b axp ejioqovoe öai'CEUEvai /UEVEaivow muß man
annehmen, daß Achilleus sich wieder in den Fluß gestürzt hat;
er wird aber unterwegs durch Lykaon aufgehalten; also muß
ejxooove stehen. — 77 774 entspricht Eoxvq)E?uCov, wie schon
Naber für EoxvvpEhfav verlangt hat, dem gegenüberstehenden
TXEJxrjyEi besser als der Aorist. Ebenso fordert II 735 txexqov
1) N 443 geben die meisten Handschriften ^sXsfxi^ev, nur A hat mit
Aristophanes und Aristarch jieXe/lu&v erhalten. iV 374 erwähnt Didymos
die Lesart alvigofi': das Futurum entspricht dem Sinne besser als aiviCop?,
wie die Handschriften geben, während bei Zenodot alviaaoii stand. N 644
haben die meisten jt(t)oXeui£o)v für xioXs/ugcov. Das gleiche Schwanken
findet sich 0 179, 0 491, F85 und zwischen eyyvaXl&i und syyvalttjei
B 436. II 830 hat Bekker y.eoai'^ifisv für xegai'Csfiev hergestellt: trotz
des nachfolgenden at-ew weiß Fäsi das Präsens zu rechtfertigen. Q 622
gibt der Lips. mit anderen o(pä£' für acpä^: bei solchen Handlungen ist
das Imperfekt gewöhnlich, wie nachher e'Ssgov, afirpenov, /niozvXXor folgt.
Entsprechend muß dort auch xslgov für nsTgav gesetzt werden, wie
;• 462 GH2 mit Aristarch ejieiqov für k'jieigav erhalten haben.
a) 0 72 bietet Aristarch und ebenso die Handschriften AM1 navm
für navoco sogar vor idoco. Solche Verwechslungen sind also sehr alt
und es besteht kein Anlaß mit Cobet ovz1 äv iyw navco zu schreiben, um
jtavco zu retten. Leeuwen hat zu B 436 eine lange Liste solcher Ver-
wechslungen von Präsens und Futurum zusammengestellt, welche diejenigen
beachten mögen, welche sich scheuen dem grammatischen Empfinden
Rechnung zu tragen.
Textkritische Studien zur Ilias. 75
jiidgiia.gov 6xgi6evd\ ov ol Jiegl yelg ixdXvipev Homerische Weise
ixdXvnzev. — Mit Recht hat Naber T 208 das fehlerhafte
xev^eo&ai nicht mit minder maßgebenden Handschriften in xev-
tjaodai, sondern in xEvyeodai geändert. Es ist eine Verken-
nung des handschriftlichen Brauches, wenn man glaubt,
daß xevtjaoßat näher liege. So ist X 330 inevg'axo in A in
ijzevyexo, X 374 irsTigqoev in evejzgrjfiev verbessert, X 314 ist
umgekehrt ejievevs in GM in enevevae, X 395 jinjöexo in S in
fxrjoaro verdorben. — Wie x 24 F Eiyov, wie der Sinn fordert,
die meisten Handschriften aber koyov bieten, so muß man
auch X 79 fJ-rjw]Q ■ ■ ödvgero . . xoXtzov ävie/uhnj , srsgrjcpi de
juaCöv dreoyev nicht an ein momentanes Emporheben, sondern
an ein fortdauerndes, dem ddvQsto gleichzeitiges Emporhalten
denken, also äve7%£v erwarten. — i? 79 schwanken die Hand-
schriften zwischen ETiEoxEvdyi^e (S/7) und £jreorevdy)]os (ABT),
ixeoTovdyjoe (LM), EJiEoxovdyiooE (G): man tut unrecht, wenn
man, wie es gewöhnlich geschieht, EJiEoxEvdy)]OE in eneaxovd-
yijoe ändert; vielmehr ist E7iEox£vdyiL,E als das Ursprüngliche
zu betrachten. — ü 616 vvfx<pdmv, ai t' aiAtp1 'Ayeh)iov iggto-
aavro muß, da die Nymphen nicht bloß einmal tanzten, ig-
qo')ovto gesetzt werden.
Dem Gebrauch des Imperfekts entspricht der Gebrauch des
Partiz. Präsens, wofür häufig das Partiz. Aor. überliefert ist.
So geben die Handschriften öfters tTioxgvvag sxeXevoev für eno-
xgvvaiv exsXevaev. Vgl. Stud. z. Od. S. 85 und oben S. 35.
Ebenso haben Z 584 SG7J u. a., Y 54 A*SM u. a. öxgvvavxeg
für öxgvvovxeg, P 553 gibt der Lips. ejioxgvvaoa zigoor\vbo. für
enoxgvvovoa. — M 468, wo die Handschriften mit Aristarch
öxgvvovxi mdovxo haben, weist das Scholion ovxojg dtd xov o
öxgvvovxi auf das Vorhandensein einer Lesart öxgvvavxi hin.
— A 423 haben ASBG u. a. xaß"1 Xnncov äifavza öovgl xaxd
ng6xfxi]oiv vti* aojiiöog . . vv£ev , MHT u. a. ätooovxa (yg. xal
ätooovxa Schol. A): gewöhnlich wird dt£avxa in den Text ge-
setzt, während xaxd jigöxju-tjoiv (in der Gegend des Nabels)
vti* domöog den Augenblick des Herabspringens voraussetzt.
So wurde ü 320 el'oaxo de ocpiv de^iög di£ag did äoxeog der
76 7. Abhandlung: N. Wecklein
Adler sichtbar, während er über die Stadt hinflog, also ver-
langt der Sinn allaocov. Anders ist der Fall Y 401 xaff Xn-
noiv digavza, jiqoo&e e&ev cpevyovra gelagert, wo T und S
diooovza geben, der Sinn aber dlgavza verlangt, wie AB hier
wie dort haben. Richtig hat M an der ersten Stelle diooovza,
an der zweiten dlfavza. Mit Unrecht wird gewöhnlich O 694
ätaocov von ABM verschmäht und difag aufgenommen. — O 744
ist drqvvovzog nur in einer Wiener Handschrift erhalten; doch
weist ein wieder getilgtes ozqvvovz in A auf özgvvovzog hin.
— -77 29 geben die meisten und besten Handschriften dxeid-
ßsvoi statt des einzig richtigen dxeiöjuevoi. — W 690 xötps de
nanxrjvavra Jiaorjiov verlangt der Sinn nanzaivovza. — Wie
v 149 FUZ xoQi]oaze nomvvovoai erbalten haben, während
andere noinvvoaoai geben, so ist auch Q 219 avzcp noinvv-
ovzt ■&oc7)g ÖTQÜvai 'A%aiovg für noinvvoavzi zu setzen. Vgl.
A 600 xcoiJivvovza, £"155 zöv juev noinvvovza, ü 475 noinvvov
jrageovze. Die Verwandlung in nomvvoavri erfolgte aus dem
nämlichen Grunde wie z. B. die von exC in eW r\ 67. — In
den Studien zur Odyssee S. 81 ist für si^djuevog zt e'jiog egeco
£ 463 dem Sinne entsprechend evxojusvog gefordert, wie r\ 330
H'P evxdjUEvog cT äga ehze erhalten haben. T 257 haben alle
Handschriften ev^dfievog <5' äga eine und nur die Scholien BT
kennen ev%6[ievoQ. Nach äxovoa Evxofievyg A 397 wurde in
den Studien zur Odyssee a. 0. für 99 211 ov zev (xe1) äxovoa
Evxojuevov für Evg'a/jLEvov verlangt. Man kann dagegen auf
evg'ajuEvov ijxovoEv A 381, xkveg evg'ajuEvoio A 453, 77 236,
77 531 verweisen, aber uns springt die Autorität Aristarchs
bei, welcher 7 509, wo die maßgebenden Handschriften t'xlvov
EvtjajUEvoio bieten, evxojuevoio bezeugt. — Entsprechend ist auch
K 276 xkdCovxog dxovoav für xldyk'avzog zu setzen. /< 398
schreibt man gewöhnlich i^ijjuaQ fiev ejteizo. ijuoi EQirjQEg haT-
qoi öaivvvx'1 'Helioio ßocbv eldoavzEg dgiozag mit FG2H1M,
während H2PU sXowvxeg, G1 eXovreg d. i. llöcovzEg oder elö-
ovzeg bieten. Das Präsens hebt die Wiederbolung hervor. —
F295 bevorzugt man gewöhnlich ebenso nach AGL2 und
einem Papyrus olvov <5' ix xQrjxfjoog d(pvoodjLi£voi ÖEndsooiv
Textkritische Studien zur Ilias. 77
ex%eov >}(5' ev%ovxo xxe., in A steht o über d: die Bedeutung
dieser Korrekturen haben wir oben S. 33 kennen gelernt; das
Präsens ä<pvooojuevoi geben außerdem BML1 und vor allem
Aristarch. Ebenso geben mit Aristarch K 579 djiö de xgq-
t)~]Qog 'A&rjvfi tzXeiov äyvooo/uevoi Xeißov /uefat]öea olvov das
Präsens AT2GEbY, während SBM u. a. ä<pvoodfievoi haben.
Vgl. A 598 avxdg o xo'ig äXXoioi ßeolg . . oIvo%6ei, yXvxv vExxag
änö xgtjxfjgog äcpvoooiv. Ähnlich i 9. Da 1F220 eXcov Mjiag
äp.(pixv7iEXXov olrov äqpvooö/uEvog -^a^iddig %ee, wie SGXY geben,
während ABM u. a. äyvood/uevog haben, wieder in A o über
d steht, wird das Präsens, welches ohnedies gut das während
der Nacht wiederholte Schöpfen hervorhebt, zu bevorzugen
sein. Den Homerischen Brauch haben W 120 tag fiev k'jiEixa
dicmXi)ooovi£g Ayaiol exdeov fj/uövcov Düntzer und Nauck nicht
beachtet, da sie dianX^avteg verlangten. — Für <P 182 haben
wir oben S. 33 gesehen, daß ögovwv den Vorzug vor ögovoag
verdient. — M 273 jui] xig ömooa) XExgdcp&a) Jigoxl vfjag 6/j.o-
xX^xi"]Qog dxovcov geben dxovcov der Syrische Palimpsest, BM
u. a., auch mit yg. xal A, gewöhnlich aber nimmt man aus
A äxovoag auf. — M 337 entspricht äXX"1 ov Jicog oi eev ßodovxi
yeycbvEtv, wie Payne Knight geschrieben hat, dem Sinne mehr
als das auch in der Kontraktion verdächtige ßtooavxi. Auch
der in den Handschriften der Tragiker häufige Wechsel von
Formen wie neidet) und neioco findet sich bei Homer. Es
ist begreiflich, daß W 609 xw xoi Xiooojuevco imjzEtoojuai ijde
xal ijznov öcooüi die meisten Handschriften neben dcöom auch
emjieioojuai bieten, während die Lesart des cod. Townl. em-
jieiftojuai dem Sinne weit mehr entspricht und sich auch als
minder gewöhnlich empfiehlt. — ^ 77 ov fiev ydg tcpoi ye
cpiXcov äjidvEV&ev exaigcov ßovXdg e£6juevoi ßovXEVOo/uEv, dXX'
ejue juev x>]Q äjucpExavE: Städteausgaben hatten ov ydg exi wie
vorher (75) ov ydg hV avxig. Damit ist der Sinn nicht richtig
erfaßt. Der Schatten des Patroklos sagt: „nicht freilich sitzen
wir bei gemütlichem Plaudern beisammen wie ehedem". Dieser
Sinn verlangt als traute Erinnerung ßovXevo/iEV. — A 296
/ni] ydg ejuol ye
78 T.Abhandlung: N. Wecklein
arifiaiv1' ob yäg eyco y"1 exi ooi TieioeoDai oioj
beruht das Futurum auf einer unrichtigen Auffassung von oioj,
welches hier die gleiche Bedeutung hat wie N 262 ov yäg
öico ärögcöv övo/ieveojv exäg loxdiievog noXefJii^eiv „ich bin ge-
sonnen", „ich bin gewillt", also nicht den Infinitiv im Futurum
bei sich haben kann.1) A 170 ovde o1 öla> ev&dd1 äxifwg eojv
äcpevog aal nXovxov ä(pv£eiv hat man das unerklärbare äcpvg'eiv
in äeg~eiv verbessert (V = ooi). So muß es auch hier nei-
ßeo&ai heißen. — Die gleiche Redensart in dem gleichen
Zusammenhang erwartet man E 252 /.aj xi cpößovö' äyogev\
snel ovde oe (oder ovde oe) neioejuev oico (andere geben ovde
jue): enel ov Tiei&eo&ai. 6ia>. — In .F 265 fj <prjg &g Tgweo-
oiv doi]^e/uev ebgvojiav Zijv entspricht das Futurum, welches
die meisten und besten Handschriften und gewöhnlich auch
unsere Ausgaben bieten, dem Gedankengang weit weniger als
das in X und in minderwertigen Handschriften überlieferte
aQrjyefxev. — Wie n 42 vnöeiy.ev (wollte Platz machen) für
{m6eig~ev zu setzen ist, so verlangt O 211 äXV r) toi vvv juev
ye ve/neoo^&eig vjioeiijcü, wie schon vvv juev ye erkennen läßt,
der Sinn vtioeixw (ich gebe nach mit Protest). — Y 370 geben
zwar die meisten und besten Handschriften dXXd xo tuev xeXeei,
xö de xal jueooqyv xoXovei, aber da der Satz die Ausführung
von ovd' 'A%iXevg ndvxeooi xeXog juv&oig emftrjoei ist, muß doch
das von GT gebotene Futurum y.oXovoei als das natürliche
Tempus erachtet werden.
b) Bei der handschriftlichen Unsicherheit in den Endungen
kommt es darauf an die Modus formen scharf aufzufassen.
/ 495 geben alle Handschriften aXXd oe Tialda
Jioievjiirjv, Xva jlioi nox1 deixea Xoiybv äjuvvrjg.
Eustathios hat an einer Stelle dp,vvr\g, an einer anderen äjuv-
voig. An und für sich ist der Konjunktiv auch nach einem
Präteritum nicht selten, wenn die Beziehung zur Gegenwart
v) Die von La Roche angeführten Beispiele wie Z 341 xix^ato^ca
de ö' oico sind anderer Art.
Textkritische Studien zur Ilias. '9
betont . werden soll.1) Damit steht aber hier uoxe nicht in
Einklang: also ist äfivvoig das Ursprüngliche. — X 281 äXXd
xig ägjiemjg xal ETiixXonog etcXeo juv&cov, ö<pga a1 vjiodeioag
jiievEog dXxfjg re Xdßojjiiai entspricht der Konjunktiv lddwf.iai,
den AS u. a. geben, dem Sinne des Hektor weit weniger als
der Optativ Xadoi^v, der im Syrischen Palimpsest, in BMG u. a.
steht. Der Konjunktiv schließt die Möglichkeit, daß es ge-
schehe, nicht aus. Der Optativ hebt die falsche Einbildung
des Achilleus hervor. — In 7 454
noXXa xaxijgäxo, oxvyEgdg <5' ejiexexXex'1 egtvvg,
firj jioxE yovraoi oloiv icpiooEo&ai qAXov viöv
schwanken die Handschriften zwischen E(p£ooEodcu (A), IcpE-
'Qea&ai (BGLM) und i<p£oao$ai (S). Gewöhnlich wird die Ari-
starchische Lesart i(p£oo£oßai in den Text gesetzt, aber der
Fluch ist eine Anrufung der Erinyen, daß etwas geschehen
möge, keine Prophezeiung, also entspricht EyE.'QEO'&ai dem
Sinne. — Über Tiefitpco <3' otitiyj fxiv xgadirj dv/xog je xeXevj]
& 204 s. Stud. z. Od. S. 87. So muß es auch N 784 vvv <5'
ägy? öjiTirj oe xgaött] üv/iiog je xeXevtj (für xeXevei) heißen:
Alexandros weiß nicht, wohin Hektor gehen will. — ■ Daß
5P 494, wo die meisten Handschriften xal (5' äXXw v£/u£oäxov,
o rig xotavxa ys gE'Qoi haben, nach einer Wiener Handschrift
gi^ll korrigiert werden muß, kann £ 286 xal £' aXXr\ vejueoco,
)} Tig xotavxa ys gE^ot zeigen, da hier der Konjunktiv durch
das folgende fiioyyxai gesichert wird. Dem Fehler scheint eine
Erinnerung an a 47 (bg djioXoixo xal äXXog 6 ng xoiavxd y£
giCoi zugrunde zu liegen.
Für das Schwanken der Handschriften zwischen -oi und
-rj, -oixo und -r\xai sind anderswo verschiedene Stellen ange-
führt worden. Vgl. z. B. E 407 /udxijxai — jud%oixo, O 598 Iva
. . EjußdXtj . . EmxgrjVEiE (ijußdXoi hat Hermann verbessert, e/u-
ßdXy „läßt sich verteidigen" La Roche, ebenso Leaf !), 77 650
l) Z. B. / 691 xars?J^azo . . ocpqa eTitjzai, nicht aber z. B. T 354
orotf, l'va . . ' l'xoizo (nicht i'xrjtai , wie die Handschriften geben). Solche
Fälle dürfen nicht als gleich behandelt werden.
oÖ 7. Abhandlung: N. Wecklein
öijcoorj und e'Xijzat trotz öcpeXXeiev d. i. wpeiXeiev, TJ 633 ögcoget
(auch Aristarch und deshalb von manchen in Schutz genommen!)
— ögcogy. Einen bemerkenswerten Fall bietet H 387 rjvcoyev
J/giajuog . .
eirre/i£v ai xe nsg vjujui cp'iXov xal fjöv yevoiro
firilov 'AXe^dvdQOio. Naber hat yevrjrai hergestellt. Man sieht
deutlich, was die Lesart yevoiro veranlaßt hat. Der Satz ai . .
yivijrm wurde als zum Auftrag des Priamos gehörig betrachtet,
während er eine höfliche Zwischenbemerkung des Herolds dar-
stellt, der auch nachher (390) den Fluch cog nglv cocpeiX'1 än-
oXeo&ai sich gestattet, um den Achäern nach dem Munde zu
reden. Ebenso wird von ai k i&ebjiE 394 an der Auftrag
direkt ausgerichtet.
Der Gebrauch des Konjunktivs bei ei' neg (selbst
wenn) ergibt sich aus Stellen, welche La Roche zu A 81 zu-
sammengestellt hat: X 86 ei' neq ydg oe xazaxzdvpi , ov o1 ex
iyoj ye xXavoo/aai ev Xe%eeooi, A 81 ei' tieq ydg je yoXov ye
xal avrfjjuag xazaneyr], aXXd ze xal /uezomo&ev e%ei xözov, A 261
ei neg ydg t' . . mvojoiv xze., A 116, M 223 ei neg je . . grj-
£o/,t£#a . . £t's~a)oi <3' . ., ov xoojuqy . . eXevoojue&\ 245 ei neg
ydg r' aXXoi ye Tzegl xzeivoj/.iE&a . . ool <3' ov ösog eoz"1 ouioXe-
odai, 77 263, <fr 576, X 191. Hiernach ist a 167 ei jieg zig . .
cpfjoiv und 0 153
si 7i£g ydg a' "Exzmg ys xaxbv xal ävdXxiöa cp/josi,
aXX"1 ov jtEioovzai Tgweg xal Aagöaviojvsg
cpijrj für cprjoiv oder (prjoei zu schreiben. Schon Cobet hat an
cpfjoi gedacht, vgl. X 128 und xp 275 ojmote xev . . (pr'pj. In
0 153 ist cpi)o£i infolge der Erinnerung an "Exzcog ydg tzoze
qpijoEi 148 entstanden. Ebenso ist X 389 eI de fiarovreg neg
xaraXrjfiojvz' (für xazaXfi&ovz'1) ev 'ALöao zu schreiben. — In
Übereinstimmung mit diesen Stellen ist für o 318
ijvneg ydg x"1 e&eXcooiv ivfigovov 3H6a juijtiveiv
eine andere Emendation anzusetzen, als früher angenommen
wurde. Der Konjunktiv wird hier unnötigerweise sowohl durch
Textkritische Studien zur Ilias. 81
rjv wie durch xe gestützt; nun aber bietet F ei und x1 fehlt
in P: in et ueq ydg e&eÄoooiv wurde die Stütze für die Länge
des zweiten Fußes vermißt, wie xe anderswo zur Ausmerzunsf
des Hiatus diente. Recht deutlich zeigt sich dieser Zweck der
Einfügung von xe W 526
El ÖE X* ETI TtQOTEQO) yeVETO dgOfXOg äjJLCpOTEQOlOlV,
TCO XEV fllV TMXQEÄaOo'1 OVO' djHqp/jQlOZOV E&rjXEV,
wo einfach et de ext herzustellen und von jeder Änderung {e\
tzeq Ext, ei <5' Exi x(xi , ei <5' äg"1 eti) abzusehen ist. Hiernach
sind die Stellen et neg ydg x i&üot/iev B 123, 0 205, et x'
e&eXcov ye fiEVOig rj 315, et «' E&sXoig t 589, ei tf vjLiEig ys <pä-
yoiTe ß 76 zu behandeln und ist x"1 als Füllsel zu tilgen.
Daß die Überlieferung von ei xe mit Optativ, für welche auch
ei statt au bezeichnend ist, sich als fehlerhaft erweist, bestätigt
ein Papyrus (mit Hb und anderen minderwertigen Handschriften)
zu N 288, wo in den maßgebenden Handschriften et Tieg ydg
xe ßXeio steht, der Papyrus aber et neg ydg xal gibt. Diese
Vertauschung von xai und xe, die auch anderwärts öfters auf-
tritt, hat ß 246 verdorben, wo die meisten Handschriften et
jisg x1 'OdvoEvg . . fxevoinjoEiE geben, in U aber ei Jieg ydg
xal 'Oövoevg erhalten ist und et neg xal 'Oövoevs dem Sinne
am besten entspricht. Die Vertauschung von xe und xai ver-
bessert T 322, ¥ 346, I 445, X 110. Vgl. die Abhandlung
über die Methode der Textkritik usw. S. 59. E 273 und 6 196
el tovtco xe Xdßoi/uev paßt tovtco ye, wie Thiersch verbessert
hat, ausgezeichnet. Ebenso ist Z 50 = ÜT381 ei xev e/ue Ccpöv
jiEJiv&oa um des Hiatus willen xev an die Stelle von y£ ge-
treten. X 220 ovo1 et xev . . nd&oi geben SL u. a. nddr\ und
in A ist Tidßoi in nä&si d.i. Jid&i] korrigiert. Ü387 at xe
neg . . yevono, wo für ysvrjTai auch at spricht, ist schon oben
S. 80 behandelt. Hiernach ist das ganz vereinzelt stehende
gtevto ydg ev/ojuevog vix^oejliev, et JiEg äv avzal Movoai äei-
öoiev B 597 in ei vv neg amal Movoai dsidoisv zu verbes-
sern. — Ein unbrauchbares äv hat man auch in X 66 avzov
<5' äv nv/nazov jlie xvvEg ngcÖTrjoi ftvgrioiv cbjLieozal egvovoiv,
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. List. Kl. Jahrg. 1^17, 7. Abb. G
S2
7. Abhandlung: N. Wecklein
worin av nur zur metrischen Stütze von de nv/narov dient.
Ebenso steht av unnütz in ool ö"1 av e.ydj nofinbg xai xev
xXvxdv 'Agyog ixoifitjv O 437: mit ool de oder vielmehr ool
fikv (wie ein Papyrus bietet) eyd) . . xai xev . . ixoi/irjv vgl.
X 375 xai xev ig rjoa dlav dvaoyoi[i)]v .
Was xe mit Futurum wert ist, kann die Überlieferung
in M 226 noXXovg ydg Tgcoojv xaxaXeiipofiEV , ovg xev Ayaiol
yaXxäi dt] a)oa)o iv zeigen, wo der cod. Ambr. und A öyi'cooovoiv
bieten. P 144 qjgdCso vvv, önnojg xe noXiv xal doxa oawoijg
ist oacbo)]g nur in MHbX und einigen anderen erhalten, wäh-
rend die maßgebenden Handschriften mit Aristarch oacooeig
haben. / 62 hat Bentley axifirjaeS {axi^idooeC) hergestellt,
A 523 steht (ieXr]qexai für [isXijorjxai, ebenso ist / 262 xaxa-
Xefa), ö 80 igioosxai, n 238 qpgdoooiiai Konjunktiv, O 211 gibt
Aristarch ys für xe, n 298 gibt eine Handschrift ftekif) für
fieXZ-ei, ebenso haben P241 doch einige Handschriften xogeoij
oder xoqsj], wenn auch die maßgebenden xoqsoei (A, nicht die
richtige Form!) oder xoghi bieten. W 675 xi]dejuoveg . . jue-
vovxojv, oi xe. [xiv ifoioovoiv will Nauck ol' xe schreiben, was
Leeuwen in den Text gesetzt hat; aber ol' xe hat hier keiuen
Sinn, da keine Verallgemeinerung in Betracht kommt; dagegen
ist ol' xe /luv i^oiooooiv sehr an seiner Stelle: „welche die
Aufgabe haben ihn fortzutragen" und die Verwechslung dieser
Aoristform und des Futurums findet sich öfters, z. B. B 229.
In P 515 tjoo) ydg xal eyd), xd 6e xev Ad ndvxa jueXi'joei gibt
M jueXijoi]. Da xev und xal öfters vertauscht sind (s. oben
S. 81) und xai dem Sinne trefflich entspricht, wird man in
Rücksicht auf E 430 xavra $' "Arji ftoco xal Ad-rjvr] ndvxa jlie-
X)]oei hier xd ök xal Ad ndvxa jueXijoei zu schreiben haben. —
^151 IlaxQoxXq) i']QO)i x6[ir]v dndoai/ui cpeQEodai ist der Op-
tativ unverständlich: Nauck hat xo/uyv x"1 vermutet; aber diese
unbestimmte Angabe ist wenig angemessen: man erwartet xö-
/Lirjv x"1 ondooo fxi. — Was soll man gar zu ei xe eXxi']oovoiv
P 558 sagen, welches in allen Handschriften steht und auch
in verschiedenen Ausgaben beibehalten wird? — X 42 geben
Textkritische Studien zur Ilias. 83
die meisten Handschriften xdya xev e xvveg xal yvneg eöovxai:
zum Glück hat Aristarch edoiev bewahrt, das auch durch das
vorausgehende yevoixo und das folgende e'Xßot geschützt wird.
— Nach W 345 ovx soff ög xe o' eXr\oi ist zu behandeln X 348
cbg ovx k'o&'' dg ofjg ye (Nauck xe) xvvag xeqxxkfjg änakdXxoi
(Leeuwen ajiaXäXxrj) ovo"1 ei' xev oti'jocoo'' (nachher aber natür-
lich dvajyoi, von Leaf, La Roche, A. Ludwich u. a. aufge-
nommen!), ebenso 0 103 vvv <5>' ovx ea#' ög xev (so Eustathios,
ög rig die meisten Handschriften, ög ye M) ßdvaxov (pvyt] (so
SML u. a., cpvyoi wieder kZ mit vielen anderen), lr363 ov-
de öia> (für ovde xiv"1 oi'co) Tqojojv %aiorjoeiv ög xev (die meisten
ög rig, in A steht xev über tig, xig xev gibt M ebenso) o%edöv
ey%eog eXd}}. Wie E 308 ävxrjv ox/joojiiai, ij xe cpeooixo jueya
xodxog rj xe cpegoiurp Naber (peoyoi . . (pegcüjui hergestellt hat,
so mute bei dem gleichen Gedankenverhältnis X 253 vvv avxe
jxe dvjLiög ävfjxev otrjfj.svai dvxia oelo, eXoijui xev tj xe äXolrjv
ebenso eXcofii . . äXcoco geschrieben werden.
Für die Neigung bei xe statt des Konjunktivs den
Optativ zu setzen (Stud. z. Od. S. 53 ff., vgl. z. B. x 403
öxxi xe #»]gu: ftelai GU, dehjg FH2M, delo ülP, Aristonikos
zu xev eX^oifxai A 137: xö gpj/ua TjXXaxxai, eXcojiiai ävxl xov eXoi-
juf]v) finden sich charakteristische Beispiele: H 342 xdtpgov, tj •£
i'jTJiovg xal Xaöv eovxdxoi, 0 _91 rje yvvar/ r\ xev xoi öjuöv XJ%og
eioavaßaivoi , o 518 uXXov cpcaxa m(pavoxojuai , öv xev l'xiyai (so
FG1MP, i'xoio G2HU), K 307 öoxig xev xXr\r\ (A xXaiy, die mei-
sten xXah]) oi t' avxq) xvdog agiyzai (die Handschriften äooixo : der
Optativ ist unbrauchbar), W 345 ovx eo& ög xe a' e'Xtjot fxexdX-
fxevog ovde naoeXSoi (jiageXv1}] nur in einer Pariser). Die Regel
für Relativsätze, welche eine beabsichtigte Folge ausdrücken,
ersieht man am besten aus / 165 xXyxovg öxQvvo/uev, oi' xe xd-
%ioxa ekd'oaq1 eig xXiohjv . . 'A%iXfjog. Daß in 1 423 q)od£a>vxai
fxrjxiv d/ueivco, f\ xev ocpiv vfjdg xe o6r\ xal Xaöv "AyaiCov nichts
anderes als vfjag oaor\ steckt, hat Nauck gesehen. / 112 geben
die Handschriften qioa£a)jueo&\ djg xev juiv ägeoadjuevoi nem-
ftotfiev, 7 397 r\v x"1 edeX^otjui: nem&oo^ev und edeXojjui hat Ari-
starch erhalten. 1 141 und 283 et de xev "Agyog Ixotjue^ und
G*
84 7. Abhandlung: N. Wecklein
O '
A 60 ai' xer ddvaxov ye cpvyoijuev ist die Verbesserung ixojjued'1
und qwycojuev Naber vorbehalten geblieben. <£ 336 eioo/uai . .
ögoovoa fiveXXav, i'j xev . . xevyea xi'/ai („welche verbrennen
soll") finde ich auffallenderweise xi]r\ nur bei Leeuwen im Text.
Doch hat es schon Nauck vorgeschlagen. Es ist nicht ohne Be-
deutung, daß M2 und T xfje bieten. — Am lehrreichsten dürfte
die Überlieferung in % 7 sein: ei'aojLiai, ai' xe tv%cü[ai, nogr\ de juoi
ev%os "AjioXXcov. rv%oifii bieten alle Handschriften, auch solche,
die Jiogy geben, und verschiedene Zitate; nur in M ist zv%(Ofxi er-
halten und in D steht eo über oi; jzögoi steht in GPXLW. Da-
gegen kann man an einer Stelle wie n 256 äXXd ob et övvaoai tiv1
djuvvxoga fteQiut]Qi^ai, cpgd£e\ ö xer xig vcoiv äfivvi] Tigorpgovi
■dv/xqj nicht erwarten, daß die Handschriften nicht äfivvoi geben.
1" 250 ÖTinoTov x1 eTmjoßa enog, xdiov x* enaxovoaig hat on-
noTov peinr\oda Bentley hergestellt und xoTöv x"1 enaxovoijg ist
bei Plutarch und Eustathios erhalten. — Die erwähnte Nei-
gung muß uns die Entscheidung geben für M 465, wo die
Handschriften ov xev xig luv egvxdxoi geben, Aristarch aber
egvxaxev bietet: beides gestattet der Homerische Sprachge-
brauch (egvxdxoi als Potentialis der Vergangenheit, vgl. z. B.
ovöe xe (pair\q T 392). Wir müssen die Aristarchische Lesart
vorziehen. Bestätigt wird eine solche Änderung tpegefv) für
<pegoi in P 70 evßa xe grja cpegev xXvxd xevyea IJav&otdao
'Axgeidyg durch das folgende el fir\ ol äydooaro. In H 38 "Ex-
xogog ögooojuev xgaxegdv juevog .., fjv xivd nov Aavacöv ngoxu-
Xeooexai . . oi de x"1 äyaoodjuevoi . . olov ejzogoeiav gibt erst der
zweite Teil den wesentlichen Inhalt von dem Vorschlag des
Apollon, so daß das Ganze von fjv abhängig gemacht werden
muß, also ot de dyaood/iievoi — enogocooi zu schreiben ist.
Hier ist also wegen des Hiatus xe eingefügt und diesem zu-
liebe der Optat. gesetzt worden. — A 792 xig olö"1 ei' xev oi
ovv dai/uovi dvfxov ogivaig (ögiveig H, ögivoig Y) hat Hermann
dgivrjg verlangt und auch Nauck merkt au: „an ögivrjg?" Ich
habe schon früher (Meth. d. Textkr. S. 53) bemerkt, daß man
bei der Unsicherheit in den Endungen die Regel aus den Fällen
entnehmen muß, bei denen die Endung weniger leicht einer
Textkritische Studien zur "Ilias. 85
Änderung unterliegt. Ein solcher Fall ist hier O 403 Tig oW
ei' xev oi ovv öai/uovi &vjlwv öqivco; diese Stelle gibt also kein
Zeugnis ab für die Berechtigung einer Optativform wie ogivaig1)
und beweist zugleich, daß Nauck mit Recht | 120 Zevg . .
olöe . . et (ai) xe fitv . . äyyeiXm^u2) für äyyeiXaijui geschrieben hat.
N 744 hat nur A tj xev e'jieira jiolq vrjcov el&cofiev, die anderen
geben el&oifiev , welches trotz des vorhergehenden r\ xev . .
jieoaifiev bei Herausgebern Gnade gefunden hat („el&oijuev is
so strongly supported that it must have the preference over
el&cojLiev" Leaf).
Der Gebrauch des bloßen Konjunktiv (Aorist) im
Sinne eines Futurums findet sich in Fällen, die von einander
verschieden sind. Zunächst gleichen sich folgende Beispiele :
A 262 ov ya.Q jioo roiovg i'dov äveoag ovde 1'dcofA.ai,
'C 201 = n 437 ovx eo&'1 ovxog ävrjo diegög ßgoxög ovde
yevrjxai
Hierin wird der Gebrauch des „Modus der Erwartung" unter-
stützt durch die vorausgehende Aussage. — In drei Fällen
Z 459, 479, H 87 soll xai Jioxe xig ei'mjoiv im Sinne von xai
jtore ztg egeei stehen; aber Z 479 erfordert der Sinn el'jioi
(s. oben S. 3); Z 459 steht eikijoi unter der Nachwirkung
eines vorhergehenden xe, H 87 ist es von öyga abhängig wie
£ 275 von /liij. — Einen anderen Fall findet man A 150
x) Wie y 231 oacooai für aad>osi auch öeog *' (M2) für öeog / nach
sich gezogen hat, so ist oawoai 8 753 (oacooij in G), avTißolrjaaig 8 547
(für dvTißoh'ja)]g auch v 229, richtig GH2), eiiaxovaaig Y 250, yrj&rjoai
A 255, xrjai $ 336, dlv'iai. q 547 (die meisten alv^st) unter dem Ein-
fluß von xev entstanden. Überall ist der Konjunktiv zu setzen.
Die Formen dxovaai H 129, T 81, äeigai H 130, df.wvat M 334 sind der
attischen Neigung den Aorist für das Präsens zu setzen ent-
sprungen. 3 165 ist für %ev\] nicht mit Naber %evai, aber auch nicht mit
Thiersch %sveC im ßlsyäQoioiv , was fehlerhaft wäre, sondern mit Leaf
yEviC ev zu setzen.
2) Die Form tvxcd/u ist % 7 allein in M, 2? 279 nur in A, xisivm/ni
z 490 allein in HU erhalten geblieben, die anderen geben rvx0lfu> XTE'-
vai/iii.
86 7. Abhandlung: N. Wecklein
ncbg rig rot ngöcpgcov eneaiv Jieißrjrat Ayawrr ;
Diese Art des Konjunktivs ein inem Fragesatze schließt sich
an den modus deliberativus an. Vgl. xi Tiäftco; ri öe jurjoojuai:
Soph. Track 973. Hieher gehört auch e 299 und 465
öj jlioi eyoj öeeX.og; ri vv juoi uyxiora yevrjrai;
co juoi eyco; ri nddoo; ri vv juoi /uirjxiora yevrjxai;
Bei dem unleidlichen Schwanken der Handschriften zwischen
-evco und -evoco kann man A 365 oloßa' ri rj rot ravra lövifl
TTCLvr1 äyogevoco; unsicher sein, da deren einer Teil äyogevco,
der andere äyogevoco bietet. Aber ri äyooevco; heißt: „wozu
erzähle ich dir das?", ri äyogevooj; „wozu soll ich dir das er-
zählen", dem Zusammenhang entspricht also äyogevoco. So
wird auch fx 450 ri rot rdde juvd oXoyevoco für iivßoXoyevco
durch den Sinn empfohlen. — Sehr häufig findet sich der im-
perativische Konjunktiv bei der ersten Person Plural einge-
leitet mit äX)<? äye (äyere) wie x 44 äX)> äye däooov iöojjueßa
orri räö' eoriv, mit öevre #133 öevre . . egwfießa, ebenso bei
der ersten Person Singular gewöhnlich eingeleitet mit aXK äye
(äyere), auch mit eV äye i 37 eV äye . . eviojroj, mit öevre und
einem Imperativ X 450 öevre, övco juoi eneoßov, löco, gleich-
falls nach einem Imperativ X 418 oyeoße, rpiXoi, y.ai ti1 olov
Maare . . Ixeoß'' im vijag 'Ayauor, XJooco/uai, Z 340 d/Ä' äye,
vvv enifieivov, ägr]ia revyea övco, W 71 'ßänre jue orri rdyiora,
nvXag 'Aiöao neQrjoco wie Eur. Hipp. 567 enioyer . . exiiä-ßoi
oder Herk. 1059 olya, nvoäg tiäßco u. a. Mit Unrecht wird
von Herausgebern oder auch in der Zusammenstellung, welche
W. Goecke, Der Gebrauch des Konjunktivs und Optativs bei
Homer, Malmedy 1881 gegeben hat, in Beispielen wie Y 351
äXiX"1 äye . . TieiQijoojuat, x 286 äX.X"1 äye örj oe xaxcov exX>vooLiai
fjök oacboco das Futurum statt des Konjunktivs Aorist an-
genommen. Vgl. v 215 äXX1 äye öi] rä XQVf-1^ ägißinjoco xal
i'öcojuai. Vereinzelt stehen folgende Fälle:
ii 383 övoofiai elg 'Aiöao xal ev vexveooi cpaeivco
I 121 vfiTv ö"1 er Jidrreoot TzeQixXvxä öcog"1 övotup'co
Textkritische Studien zur Ilias. 87
An der ersten Stelle erhält die Emendation von Hartman Aidao
<V iv durch die Gewohnheit den Hiatus nach dem dritten Tro-
chäus zu beseitigen vor der Verbesserung von Cobet xal xev
den Vorzug. An der zweiten Stelle könnte man an v/i/ui d'
äy"1 iv denken, aber die Verbesserung von Leeuwen vjui de x1
iv wird durch / 262, wo mit iyco de xe xot xaxaUfco jener
Satz in gewissem Sinne wiederholt wird, empfohlen. — Häufig
findet sich der Konjunktiv bei dem abwehrenden juij, zunächst
als Prohibitiv in der zweiten Person des Aorist wie ob de jur] xi
yioXcodfjg I 33, aber auch wie bei der ersten und dritten Person
im Sinne „daß nur nicht", „gib acht, daß nicht", „verhüte,
daß", „verhüte Gott, daß", „es ist Gefähr (zu befürchten, daß)",
so A 26 fxrj oe, yegov, xolh]oiv iyco Jiagä vtjvol xr/jjoo, n 255 jui]
jiolimixoa xai aivä ßiag änoxioeat ildcov, t 81 xco vvv fjnq Jioxe
xal ov, yvvai, cltio näoav öleooijg äyXattjv, B 195 *) firj xi yo-
Xcoodjuevog §£,£}] xaxbv vlag A%aicöv, A 37 ju)] xovxö ye veixog
bniooto . . ixey1 egio/.ia . . yevrjxai, P 93 fxrj xig juoi Aavacov
vejueoijoexat, ög xe tdrjrai, W 563 fxrj . . vorjoi], e 356 jli/] xig juoi
vcpaivrjoiv dolov, 415 /jltj . . ßdlrj. — X 122 f. lautet gewöhnlich:
firj juiv iyoj fxev ixcojuai lebv, b de // ovx iXetfoei
ovde xl /Li aldeoexai, xxeveei de jue yvjuvbv ibvxa.
Aber, wenn man genauer zusieht, liegt die Hauptsache, die
mit jui] abgewehrt wird, in ovx ikerjoei: „daß nur nicht, wenn
ich schutzflehend ihm nahe, er kein Erbarmen mit mir hat",
also fordert der Sinn, wie auch in einer Wiener Handschrift
steht, ike^arj] aldeoexai steht dann für aldeorjxai. Der weitere
Satz xxeveei xxe. macht sich selbständig. Diese Satzordnung
verlangt aber auch, daß man jlii) juev iyco juiv (so S für fiev)
l'xcouai lebv schreibt, womit außerdem juiv seine richtige Stel-
lung erhält. — Den Unterschied zwischen /ut] a7i6Xcojnai und
firj ujiokoifujv kann man etwa geben mit „verhüte Gott, daß
ich zugrunde gehe" — „möge ich nicht zugrunde gehen".
Deshalb erwartet man in folgenden Fällen:
l) A 28 schließt sich /o'j vv toi ov xQaia,u!) an das Vorhergehende
an („damit nicht nutzlos ist"). Ebenso E 233, 0 95, o 90.
88 7. Abhandlung: N. Wecklein
0 476 fit] fidv äojiovdi ye, da/iaood/uevoi jieq, UXoiev
X 304 /JLr] fidv äojiovdi ye xal äxXeecog dnoXoifirjv
0 512 fu) judv dcmovdi ye vecov smßaXev sxyjXoi
X 462 fir\ fiev(judv?) dl] xafiagcö ftavarq) and dvfibv eXoiurjv
den Konjunktiv: diesen herzustellen gestattet das vernach-
lässigte Digamma von fexrjXoi (mit emßwoi, wie bereits Bent-
ley vermutet hat, vgl. ßwoiv k~ 86) und die abweichende Lesart
in U eXrjofte in der letzten Stelle. 77 30 firj ejue / (1. etue
ohne y1 vor ye) ovv ovrög ye Xdßot %öXog hat der cod. Lips.
das richtige Xdßrj. Häufig ist der Konjunktiv mit xe(v) in
der Bedeutung des Futurs, z. B. A 137 et de xe jui] do'j-
cootv, eyco de xev aviög e'Xcofiai. Wie gleich dieses Beispiel er-
kennen läßt, tritt in dieser Redeweise die Bestimmtheit der Aus-
sage hervor, während der Potentialis nur die Möglichkeit an-
gibt. Dieser Unterschied gibt sich deutlich Q 653 zu erkennen :
T(bv et xig oe l'öoiro fioijv did vvxra fieXaivav,
amix1 äv e£eiJioi 'Ayafiefivovi noifievi Xawv
xai xev dvdßXrjoig Xvoiog vexgoTo yevrjxai.
Es ist begreiflich, daß hier mehrere Handschriften (S u. a.,
auch ein Papyrus) yevono haben, welches sogar A. Ludwich
in den Text aufgenommen hat. Der Gedanke ist „dann ist es
mit der Auslösung des Leichnams vorbei". A 433 rj xev e/xco
vnd öovqi jvnelg dnö dvfibv bXeoor\g haben SGCZ bXeooeig.
I 386 geben ebenso die meisten und besten Handschriften ovde
xev cbg en fivfibv ifibv jieloei 'Ayajuefivcov, Bekker u. a. schrei-
ben Tieloei, aber die Lesart neiorj in CZ entspricht dem Sinn
des Achilleus weit besser, weil, wie La Roche bemerkt, „der
Optativ mit xev eine viel zu gemilderte Ausdrucksweise ist, als
daß dieselbe im Munde des leidenschaftlichen Achill passend
sein könnte". In den häufigen Fällen wie efioi de xe ravza
fieXrjoercu A 523 wird der Konjunktiv Aorist irrtümlich als Ind.
Fut. betrachtet. S 239 %qvoeov "Hcpaioiog de x' e/uög Jidig
djuqpiywjeig rev^ei doxr\oag könnte zwar auch xe . . rev^t] für
das Versprechen der Hera sich eignen, aber nach dem dritten
Trochäus wird man richtiger xe mit Herwerdeu tilgen; denn
Textkritische Studien zur Iliaa. 89
auch xe gehört zu den < Wörtern , die zur Ausmerzung des
Hiatus herhalten müssen. E 268 älX i'0\ eyco de xe xoi . .
öcooco hat derselbe Gelehrte öcbco hergestellt. X 49 hat Brand-
reth fj xev für fj t' äv (ajioXvoofxeft'' = änoXvotöi.ied'1), 505 vvv
de xe für vvv $' äv gesetzt, da äv in dieser Redeweise unge-
bräuchlich ist; ovx äv B 488, T 54, (3 240, X 328, 517 ist
nichts anderes als oü xev. A 205 fjg vjieoojiXhjoi xdy£ äv noxe
dvjiidv bXeoor], wo natürlich die meisten Handschriften die an-
rüchige Form oXeooai bieten, hat Leeuwen f\ vneQonXhj xdycx
xev hergestellt. Mit xe wird auch Aushilfe für einige Fälle
eines ungewöhnlichen Konjunktivs gewonnen: H 197 ob yäg
xig jue ßirj ye (1. xe) excbv äexovxa dh]xai, 0 349 ovöe vv xov
ye (1. xe) . . XeXdymoi. — In den Stud. z. Od. S. 89 ist für
Prophezeiungen und für Vorhersagen des Zeus xe mit Kon-
junktiv statt der unbestimmten Aussage von xe mit Optativ in
Anspruch genommen, z. B. ju 387 xcov de x"1 eycb xdya vfja fiorjv
aQyfjxi xegavvcp xvxftä ßaXcbv xedocof.il (überliefert ist xed-
oatui, wie % 7 M allein xv%cojiu für xv%oijui gerettet hat oder
wie ü 717 M u. a. äydyotjui für äydycoiu geben). Eine Bestäti-
gung kann man in 0 21 ff. finden, wo Zeus spricht:
all"1 ovx äv egvocux"1 ei; ovQav6vxev Tteöiovöe
Zrjv* vnaxov ih]oxojq\ ovo' et judXa JioXXd xdtioixe.
aX)> oxe ö}] xal eycb ngocpgcov e&eXoifu egvooai,
avxfj xev yair\ eqvoaii^ avxfj xe •daXdoorj.
Im ersten Vers geben zwei Wiener, eine Breslauer und eine
Pariser Handschrift eguo^x1 und ov xev eQvorjx'1 ging in der
attischen Redaktion begreiflicherweise in ovx äv egvoau über.
Die Richtigkeit dieses Textes wird zufällisr im dritten Verse
dadurch bestätigt, daß das von Aristarch überlieferte efteXcofii
mit öxe xev, welches man bei Aristides II 506, Plut. Hom. 94,
Stob. Anth. I 21, 4 findet, zusammentrifft. Daraus ergibt sich
auch im Hauptsatz xev yah) egvoco/u'. — B 12, 29, 66 hat
Zeus hiernach nicht vvv ydq xev eXoi (e'Xoig), sondern eXij
(e'Xtjg) gesagt. — Auch Hektor, welcher seiner Gattin voraus-
sagt: Z 452
90 7. Abhandlung: N. Wecklein
ovze xaoiyvtfxcov, oX xev noXeeg xe xal eoftkol
iv xovir\oi neooiev,
drückt sich besser bestimmt mit jieocooiv aus, ebenso im Fol-
genden 456
xal xev iv "Aoyei iovoa Trgög äXXtfg loxov vcpaivr\g
xal xev vdcog qpooeflg.
Den Konjunktiv vcpalvr\g, cpoge?]g hat der cod. Vindob. 5, an-
dere geben vcpaiveig und cpogeeig, die meisten vqxzivoig und
cpogeoig. Hier wird zufällig der Konjunktiv geschützt durch
das folgende xal noxe ng ebifjai, wozu sich auch xe aus dem
Vorhergehenden ergänzt. — Eine Weissagung liegt in der Aus-
sage der Göttin Thetis I 416 ovde xe coxa xeXog ß-avdxoio
xiyjji], wo man gewöhnlich nach den meisten Handschriften
xr/eh] schreibt, A aber mit xiyeir\ den Konjunktiv bietet. —
Den Unterschied der beiden Redeweisen ersieht man am besten
aus i 325 reo ov xev ddvaxöv ye dvyX.eyea ngoqyvyijoßa: so
haben G1M2U2 und nur mit aller Entschiedenheit kann Odys-
seus dem Freier den Tod in Aussicht gestellt haben. Die
meisten Handschriften, denen man gewöhnlich folgt, geben
xQocpvyoioüa. Schon der Grundsatz, daß das Gewöhnlichere
weniger wahrscheinlich ist, spricht für ngocpvyr\oda. So haben
gleich nachher (392) alle Handschriften etxotjui für sTthojui. —
Die zahme Erklärung nglv <5' ov nojg av ijuol ye cp'ikov xard
Äatjuöv lelrj T 209 ist einem Achilleus zumal in der gegen-
wärtigen Stimmung wenig angemessen. Die abnorme Form
leh] (für Yoi) bürgt für die Emendation Brandreths ov nebg xev
. . T/joir. — Ebenso spricht T 415 das Roß des Achilleus besser
bestimmt vcöi de xal xev äjaa nvoifj Cecpvgoio vxecoluev als unbe-
stimmt fteoitiev: s. oben S. 35, ebenso Andromache Ü 733 ob
d' av, xexog, rj eiiol avxfj expeai, evda xe egya deixea igyd^yai
(für egyd£oio).
Die sog. Modusangleichung (Stud. z. Od. S. 90) fordert
in N 335 cbg <5' off vtio Xiyecav ävefxwv ojiegycüoiv äellai ijuaxi
rrö, oxe xe nXeioxiq xovig d/icpl xeXevffovg , wo je in einem Pa-
Textkritische Studien zur Ilias. 91
pyrus und verschiedenen Handschriften fehlt, 6V er].1) Die
Ausführung des Gleichnisses, wo dann der Indikativ steht, wird
mit de oder de je angeknüpft. Deshalb hat im folgenden Heyne
mit Recht oi d' für oT r geschrieben. Doch ist die Beziehung
richtiger auf äeXlai als auf äveucor. also at d\ — Die Modus-
angleichung beweist auch umgekehrt 0 410, daß man dXX1 a>g
re ord&jLirj dögv vqiov e£i&vv>j rexrovog ev naXdiirjoiv darjfio-
vog, ög gd re . . eldf) (iöerj) für efidvvei zu setzen hat, dient
also gleichfalls zum Beweise, daß in Gleichnissen der Kon-
junktiv herzustellen ist, wenn nicht der Indikativ Aorist steht.
— Zu dieser Regel auch in betreff des mit wg ore verbundenen
Relativsatzes (Stud. z. Od. S. 95) hat sich ein interessantes
Beispiel in 9 306
jiirjy.cov d"1 cog eregcooe xdgi] ßdkev, r\ r evi y.)']7ico
y.a.Q7up ßgiüofievr] vorirjoi re eagivfjoiv
erhalten. Man ergänzt gewöhnlich, da man natürlich der
Aristarchischen Erklärung ßgidotuen] dvri rov ßgiderai nicht
beistimmen kann, eari zu // x1 evl xrJ7iq), hat aber auch schon
bemerkt, daß dieses außerordentlich matt ist. Aber auch die
Ergänzung yAgi] ßdllet kann mit 77 406 nicht gerechtfertigt
werden, wo eXxei durch dvgat,e ersetzt wird. Der Fehler liegt
in ßgtßotiev)]. Es gibt kein ßgi&eodai, sondern nur ßgideir,
ßeßgi&ercu und ßgtdouevi] ist auf ßeßgißy zurückzuführen. —
Für die Herstellung des Konjunktivs, wenn auch die Hand-
schriften den Indikativ haben, liefert einen Beweis E 499 Sg
Ö' äveuog (pogeei . . öre re £av&r} Arjjutjrrjg y.givfl: so gut es
y.gh'7] heißt, muß auch cpogh] stehen. Freilich bieten, wie nicht
anders zu erwarten, einige Handschriften (SM) aush y.givec,
aber xQivr], wie A u. a. geben, hat von vornherein die Wahr-
scheinlichkeit für sich; außerdem ist tpogey bei Hesych. unter
ä%vr) erhalten. - — In P 434 aXX1 cog re trvrjXt] fxevei e/unedov,
)j t' hz' zvfißcp dvegog eorrjxet hat Hermann eorfjxi] emendiert;
*) So ist auch X 74 a).V öre 8i] nohöv ie y.äoi] . . aldöa t' aloyvvw-
aiv, wo K>/ fehlt, ot ei] und 77 157 kvxoi ojg d>(to<fäyoi, xoioiv re jieqi ygeolv
uojisTog alx>], wo jisqi ungewöhnlich ist, xoioiv r' iverj (pgsoiv herzustellen.
92 7. Abhandlung: N. Wecklein
aber dieser Konjunktiv hat juevr] zur Voraussetzung, wie 2" 208,
wo Hermann tv\v brjioi &[MpijU,äxa>vrai (für -ovrai) hergestellt
hat, im übergeordneten Satze mit cos (5' oxe der Konjunktiv
Xurjtai steht. — A 492 cos b"1 öjioxe nh'ftoiv jioxajLiös nebiovbe
xurnotv läßt die Lesart von Zenodot bl)]xai erkennen, daß xa-
tu] zur Herstellung der gewohnten Länge bald in xdxeiaiv bald
in dtrjtai verändert wurde. — Es ist bezeichnend, daß in den
vier Gleichnissen P 737 ff. zwar eXxcoo1 743 und ngoibcooiv 756
stehen geblieben, dagegen tpAeyefrei 738, Xoyei 750, cpeqei 757
überliefert ist, womit sich die Annahme bestätigt, daß beson-
ders die Endung -rj der unrichtigen Umsetzung ins jonische
Alphabet ausgesetzt war. So ist nach ei' xev X 350 oxijocoo' er-
halten geblieben, dagegen ävcbyrj 351 in ävcoyoi und avcbyei ver-
ändert worden. Nur die Endungen, welche Widerstand leisteten,
haben eben sich durchgesetzt. — M 41 cos <5' 6V av ev xe
xvveooi xai ävÖQaoi &i]Qi]xt~]Qoiv xäjzgios rje Xicov oxqecpexai gibt
ein noch zuverlässigeres Zeugnis dafür, daß auch in der Prä-
sensform thematischer Verba die Kürze statt der Länge mög-
lich ist. Vgl. Stud. z. Od. S. 96. Diese Wahrnehmung be-
schränkt die Fälle, wo bei cos ore oder im Relativsatz mit
re, der das Gleichnis enthält, der Indikativ des Präsens steht,
auf eine ganz geringe Zahl. N 572 habe ich in den Stud. z.
Od. S. 95 äycooiv verlangt; wie ich jetzt sehe, steht äycooiv
bereits in einem Papyrus und in einigen Handschriften (G).
Die Regel fordert also <& 22 cos <5' vnb beXcpivos fieyaxrjteos
lyftves äXXoi (pevyovxes nXijocooi (für jiijLwiXäöi) fiv%ovg. — Wie
/ 551 ovbe bvvavxo xeiyeos txxoo&ev jui/xvetv Aristophanes ovo*
e&eXeoxov erhalten hat, so ist auch 2 161 cos <5' cltto ocbfxaxos
ov xl Xeovx"1 cti'&cova bvvavxcu jioijueves • • dieoftat so recht eine
Stelle, wo bei Homer edelco geläufig ist, sodaß sich ai'ftcov''
edeXcooir empfiehlt. Daß 163 ovx eövvavxo folgt, hindert
nicht. — Einen Unterschied machen Gleichnisse, welche mit
oTos und öooog eingeleitet werden wie oXt) b"1 "Aqxsjuis ehi £ 102,
ohs (5' äoxrjQ ehe X 317, ohs . . juexeioiv N 228, ohv be xge-
cpei Eqvos • • %löqco ev olonoXco o äXis ävaßeßQo%ev , W 517
öooov bh xqo%ov itijios äcpioxaxai , weil hier nicht die allge-
Textkritische Studien zur Ilias. 93
meine Handlung, sondern die bestimmte Gestalt bzw. der be-
stimmte Raum verglichen wird. — Da sich in 2 221 cog <$'
6V ägi£r]fo] cpojvrj, öre Xa%E oälmyk' nicht yivtjrai oder eyevezo,
sondern eariv ergänzt, so ergibt sich das doppelte öte als un-
geeignet. Bei wg de aQit,r\h\ cpcovrj steht der Indikativ wie in
dem vorhergehenden Fall, da das Verhältnis des Prädikats zum
Subjekt nicht ein unbestimmtes oder von der Erfahrung ab-
hängiges ist. Zugleich erhält man mit diesem tag de eine
Stütze für die Tilgung von äv in cog <5' 6V äv. Denn der
Grund für die Einschwärzung von 6V und äv ist der gleiche.
In den oben erwähnten Beispielen fällt auf, daß gerade bei
elot sich der Indikativ findet. Damit stimmt überein, daß
<Z> 573 ?]vt£ näodahg eloi und in den zwei Gleichnissen X 23
und X 27 das eine Mal ög re §ija dh]ot, das andere Mal ög
je Ö7icoQt]g ehiv ' steht. Vgl. auch, r 61, X 309 cog t' alexög
vipmexrjeig, ög t' eIoiv xt§. Man müßte hiernach auch B 88
))vt£ £$v£a etat sich gefallen lassen, wenn nicht e&ve"1 Vy-oi
durch den Rhythmus empfohlen würde.
4. Das Vorkommen synonymer Ausdrücke und gleich-
bedeutender Wendungen ist wie im Texte der Odyssee1)
auch im Texte der Ilias häufig. Z 61 z. B. gibt A mit an-
deren Handschriften cog eiticov ticxqejieioev äÖEXcpEiov (für äÖEk-
(fEÖo) cpQEvag fjgcog al'otjLia naoEiTicov, andere und zwar gleich-
falls bedeutende Handschriften haben etqei£>sv für tiüqetieioev,
wohl wegen ticioeiticov. 1 118 hat A öäeooe für ödjuaooE, Z 195
gibt A mit anderen y.alöv (pvrahfjg y.al äoovoijg nvoocpogoio,
wie M 314 alle bieten, andere haben für nvoocpÖQoio das hier
unnütze, aus Will stammende öcpoa vejlioito. 7 601 geben die
einen (ASG u. a.) yaXEnbv öe xev eXyj vrjvolv xatoßEvyoiv äjuv-
vejuev, die anderen (BM u. a.) xdxiov: die Wahl ist schwer;
l) Oft schwanken die Handschriften zwischen äyogevoco und xaia-
U£oi und die Wahl ist nicht immer sicher. Vgl. z. B. m 287, 303, Ä'413.
X 417 wird man deshalb lieber evl /.leyägoig äyögevoov als mit Nauck
evi /ueyuQcp xardXs^ov schreiben, da ohnedies gleich wieder (420) xazaXs^co
folgt, wie u> 123 xaraXegco deshalb den Vorzug vor dyogevaco verdient,
weil ayooevsig vorausgeht.
'•»1 7. Abhandlung: N. Wecklein
doch scheint xäxiov gewählter zu sein. — N 624 hat Leeuwen
mit egißgejuhao (so M, die anderen egißgejuezew) xaxtyv für
igißgejuixEO) %aXenY\v die epische Form hergestellt. — 2. 247
geben die Handschriften mit Aristarch ndvzag ydg e%£ zgo/uog,
T 14 Mvgfjiidovag $' äga jiävzag eXe zgouog. Zenodot hatte
cpoßog. Mit Recht hat daher Düntzer A 402 zgouog e'XXaße
navxaq für (poßog hergestellt. — / 551 ist das von Aristo-
phanes gebotene ovo' e&eXeoxov bezeichnender als das hand-
schriftliche ovöe övvavzo. — Wenn v 139 // /tev de/xvC ävayyev
r.-Toozogeoai öfimfjaiv ungewöhnlich bei ävcoyev der Dativ steht,
so muß es gestattet sein das in solchem Zusammenhang ge-
bräuchliche xexXefr' an die Stelle zu setzen. — H 193 aXV
äyer\ öcpg"1 äv eyd) TioXefirjia tev%eo. ovo) steht ganz vereinzelt
noXejtujia, sonst immer ugi)ia. Freilich scheint in 09001 äv eyd)
ys dg/jia zevyea övco ebenso wie in T 339 ä>g <5' avzcog Mt-
veXaog agrjiog h>ie> eövvev, wo das Epitheton äg/jta bei evzea
zweckmäßiger ist (der Papyrus Hibeh hat ägijta, das Sub-
stantiv fehlt) einfach der Hiatus die Änderung veranlaßt zu
haben. — / 103 = 314 avzdg eycb igeco a>g juoi öoxei eivai
ägioza hat die festsitzende Kontraktion von doxel Menrad de
contr. et syniz. usu Hom. p. 139 mit cbg xai öoxeei /uoi ägi-
ozov aufgehoben; mir scheint die Glosse von Hesych. deazar
doxel, die doch offenbar aus Homer stammt, hieherzugehören.
Auch Leeuwen hat deaz*1 vermutet. — K 41
vvxza öl1 äjxßgoohjv judXa zig ■&gaovxdgdiog eaxai
erwartet man ogcpvairjv wie 83 (wo auch in einer Breslauer
Handschrift yg. öi di.ißgooirjv beigeschrieben ist), 276, 386,
weil der Zusammenhang ein unerfreuliches Epitheton der Nacht
fordert. Das gleiche ist K 142 der Fall, wo Schol. A yg. xai
ögcpvahjv bietet. — K 88 geben für yvcooeat Azgeiö?]v einige
Handschriften elbsai: da elbeai minder gewöhnlich ist, muß
man elbeai für das ursprüngliche, yvcoaeai für das erklärende
Wort halten. Dies wird bestätigt durch Hesych. ei'aeaf yvcooij.
Vgl. Eustath. elbeai, zovzeozi yrcooeai. — A 770 geben die
Haupthandschriften xaz"1 Amanda TiovXvßozeigav oder noXvßö-
Textkritische Studien zur Ilias. 9<J
teigav, der cod. Townl. und einige andere (auch A als Va-
riante) xaXXiyvvmxa : TioXvßorsiga ist das stündige Epitheton
von yßwv , dagegen xaXXiyvvaixa von "Ayadba. Darnach wird
also mit Bekker xaXXtyvratxa zu setzen sein. — - In A 713 xtjv
(nämlich Jtohv) . . biaggaioai jUEfiacöieg und 733 äoxv biaggai-
oai fxe;iaoneg überrascht der starke Ausdruck biaggaToai (zer-
schlagen, zerschmettern), der ganz in der Rede des Telemach
ß 49 olxov (ijiavxa ndyyv diaggatoei oder B 473 (oTiyag Tgcomr)
an seinem Platze ist. Nun geben zu 733 BM u. a. bianga-
■&eeiv, welches auch als Variante in A steht. Mit bianga-
fteev wird an beiden Stellen der natürliche Ausdruck ge-
wonnen. — Schwer ist Q 322 die Wahl zwischen yegcov £e-
arov, wie die meisten Handschriften geben, und yegatög eov,
wie in A steht, doch mit yg. yegcov geozov. Man könnte mei-
nen, daß mit eov der Gegensatz zum Maultiergespann hervor-
gehoben werde; aber dieser liegt schon in bicpgog und ämjvrj.
Für ^eotov sich zu entscheiden wird man sich durch die Wahr-
scheinlichkeit bestimmen lassen, daß bei eov eneß))oETO b'upgov
die Erinnerung an N 26 mitgewirkt hat. — ü 200 bietet für
äjLielßeTO jiiv&cp Aristarch (hnjgero, was auf dvelgero hinweist.
Ebenso geben b 631 F1C1 /.wdotoiv ä/tsißojuevog für jlw&oioiv
dveigojuevog. Die Aristarchische Lesart gibt eine zweite Be-
stätigung für das von mir b 706 hergestellte ejieooiv dvsigo-
jUEvi] (für djiiEiß.).
In solchen synonymen Wendungen sind, wie bereits in den
Stud. z. Od. S. 10 bemerkt ist, Reminiszenzen der Rhapsoden
zu erkennen, denen auch viele wiederholte Verse und Inter-
polationen zur Last fallen. I 222 „änderte Aristarch nichts,
obwohl er das in verschiedenen Ausgaben sich findende äip
EJtdoavjo für passender hielt." Diese Lesart rührte wohl
von den Rhapsoden her, welche sich erinnerten, daß die Ge-
sandten vorher im Zelte Agamemnons bewirtet worden waren.
Auf das Gedächtnis der Rhapsoden ist es auch zurückzuführen,
wenn A 141 = n 348 vor <5' (dkl') dys rf]a jiiEXaivav igiiooo-
jliev, worin das Digamma von EgvooofiEv unbeachtet ist, für
vfja #or/?' TigoEgvooojiiEv überliefert ist, wie die Wendung A 308
'.»f. 7. Abhandlung: N. Wecklein
lautet: vija dol/v äXade nooegvooev. — Zu o&evög paßt das Epi-
theton ovx äXanaövöv E 783, 0 463, o 373, zu (ihog das
Epitheton aoxexov, ovx imeixxov E 892, vgl. juevog e/xjiedov,
ovx imeixxov t493: wenn & 32 die Handschriften o&evog ovx
imeixxov für ovx alanahvöv bieten, so ist eine solche Vermen-
o-uno- auch nur der Erinnerung der Rhapsoden zuzuweisen. —
Zu N 330 oei (51 dbg 'Idop,evi)a i'dov cpXoyl el'xeXov äXx/jv, avxbv xal
-äegdjxovxa, ovv evxeoi öaidaXeoioiv bemerkt Schol. A: iv äXXto
,juaQjiiaiQOVTag' und so lautet der Vers 77 279 avxbv xal fte-
guTcovra, ovv evxeoi juagfiaiQovxag: öaidaXeoioiv ist eine Remi-
niszenz an Z 418 äW aga /luv xaxexiqe ovv evxeoi öaidaXeoioiv,
wo das Epitheton in zweckvollem Gegensatz zur Handlung
steht. — B 716 oi <5' aga (vielmehr av) Mrj&ojvrjv xal Gavjua-
xii}v ivejuovxo xal MeXißoiav e'xov gibt der Papyrus Hibeh für
das überflüssige und aus der Erinnerung an vorhergehende
Stellen hervorgegangene ivejuovxo das sehr passende Epitheton
igaxeivrjv, ebenso T 283 xovgoi 'A%aimv für novxonögoioiv . —
E 363 bietet der Syrische Palimpsest (wenigstens nach der An-
gabe von La Roche) avxixa ö' iv ngebxoioi jaeya jigoftogojv
ixüeve, die anderen Handschriften geben ixüevoev. Jeden-
falls würde ixüevs den Vorzug verdienen, aber die ungewöhn-
liche Verbindung ev ttqojxoioiv ixüevev sowie fxeya, welches
mit Unrecht zu ngodogtbv genommen wird, zeigt, daß für
exüevev das synonyme iyeyojvev zu setzen ist. — In ßij de
xax' 'Iöalcov ögetov elg "lhov igrtv A 196 = 0 169 ist xaxä an
seinem Platze; infolge der Erinnerung an solche Stellen ist
xaxä auch 0 410 = 0 79 ßrj de xax 'Iöalcov ögecov ig fiaxgbv
"OXvpinov eingedrungen. Nach dem Scholion zu A 196 xal öxi
vvv yganxeov ,xar' 'Iöalcov ögecov\ oxav de änb xrjg "Iöt]g im
xbv "OXvfxnov ßrj <5' e| 'Iöalcov ögecov im juaxgbv "OXv/d7iov'
hat Aristarch an den beiden Stellen, wie es die Natur der
Sache fordert, ßf] & e| 'Iöalcov ögecov im /xaxgbv "OXv/mov
geschrieben. — 0 227 ist ve[xeoor}delg vnoeitjev nach 211 vepeo-
oijdelg vjtoeiiw überliefert; hier aber folgt %eTgag ifidg. Bothe
wollte %egolv ifiaTg schreiben; wahrscheinlicher ist es, daß
vnoei^ev an die Stelle von äXeeivev getreten ist. Vgl. 180
Textkritische Studien zur Ilias. 97
vjie£aXeaodai %eToag. — Ebenso kann in O 258 äXV uye vvv
mjievoiv enoxgvvov noXeeooiv der Dativ bei ejiotqvvm, der sich
nur in einer interpolierten Stelle x 531 findet, nicht richtig
sein. Das entsprechende Verbum ist 6 /.ioxXyjoov. — Bei
solchen synonymen Wendungen bedeutet Ähnlichkeit der Buch-
staben nichts. In ö 557
judgvaodai, ng'iv y1 r\e xaxaxxdjuev i)e xaz äxgvjg
"IXiov aiTieivi])' eXeeiv xxdo&ai xe noXixag
erfordert an Stelle von eXeeiv der Sinn das Passiv, wie xxdoßai
eine solche Bedeutung hat.1) Wörter wie Jisaseiv oder auch
noch iguxeiv scheinen eine gewisse Ähnlichkeit mit eXeeiv zu
haben, aber sie werden bei Homer nicht von der Zerstörung
von Städten gebraucht. Der richtige Ausdruck ist, wie auch
xax"1 äxQqs zeigt, Tiegftai. Vgl. 77 708 nöXiv neg&ai Tgcöojv,
Q 729 nglv ydg jioXig fjde xax1 a.xgr\g negoexai. — O 736 o x1
drögdoi Xoiyöv djuvvai vermutet Nauck äjuvvoi oder äXdXixoi,
um die bedenkliche Form duvvai zu beseitigen. Da 0 539
ASGL u. a. ),oiybv äXdXxot, BMT u. a. Xoiyöv äuvvai (schol. A
h aXXco ,Xoiybv äjavvat), <£ 138 und 250 alle Handschriften
Xoiybv äXdXxoi bieten, so ist auch 0 736 aXdXxoi vorzuziehen.
— P151 geben die bedeutenderen Handschriften Sagjii-jdova
. . xdXXineg 'Agyeioioiv e2cog xax xvgixa yeveo&ai, andere, dar-
unter der Lips., haben oicovoloiv für' Agyeioioiv: es kann scheinen,
daß diese Lesart aus / 271 xdXXinev oicovoloiv eXoog xal xvo/ua
yeveo&ai stamme; aber umgekehrt muß die Stelle der Odyssee
aus unserer Stelle abgeleitet und deshalb oicovoloiv, welches
dem Pathos der Rede des Glaukos vortrefflich entspricht, be-
vorzugt werden. — Ebenso fällt P 176 mit 77 688 zusammen;
also hat auch die Lesart Aibg xgeioomv voog i]s Tieg ävögog
mehr Gewicht als die gewöhnliche Aibg . . voog alyiö%oio. —
Die mangelhafte Überlieferung in X 322 xov de xal äXXo tooov
fiev e%ev XQÖn ydXxea revp] hat zuerst Döderlein erkannt, der
1) Herwerden will ?}e aXmvai für ye xaz' uxgtjg schreiben und den
folgenden Vers tilgen, Leeuwen vermutet ?}« xazaxzdodat für >/e xaza-
xtÜiiev und xzäfisvai für xzdo&at.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 7. Abli. 7
98 7. Abhandlung: N. Wecklein
xal in xai' zu ändern vorschlug. Auch Nauck bemerkt zu xal
äXXo: verba vitiosa. Halbertsma vermutet nach XV 454 og rö [ilr
äXXo tooov <poivi£ esv bestechend tov t<> /iev äXXo tooov xareye,
Leeuwen tov ö"1 äXXov tooov juev U-^e xqöo. Bei der ersteren
Änderung gefällt xute^e statt des undeutlichen £'%?, bei der
zweiten die Verbindung von äXXov mit %q6a. Bei allen diesen
Änderungen ist eines übersehen, die Beziehung von tov auf
XQoa im vorhergehenden Vers eiooqoojv xqou xaXov, ömj el'gete
juäXioToi. Hiedurch wird der Ausdruck e%ev %Qoa unmöglich
und die Heilung der Stelle würde unsicher sein, wenn es nicht
für den deckenden Schutz von Waffen ein bestimmtes Verbum
gäbe, Qvojuai, z. B. K 259 qveioi {xvvhj) de xdov\ daXegöjv
aityöjv, II 799 xdoy %aoi£v te jlietojjiov qvsx> A%iXXfjog (tqv-
(päXeia), ^406 rw ol iovoäoßrjv teqevü %o6a. Hiernach muß
der ursprüngliche Text lauten: tov de xal äXXo tooov /uev
eqveto %äXxea t£v%y] {xal gehört mehr zu dem zweiten Teil
etwa in dem Sinne: „an dem Leibe ließ auch die Rüstung,
während sie das andere soweit deckte, eine Stelle an der Kehle
bloß"). — Sehr gut hat in 1F226 fj/uog <5' iwocpoQog elai ydog
eqecov Em yaiav Brandreth das unbrauchbare EWocpÖQog mit
äoT/]Q ersetzt. — i 267 ist mit U ijXfiojuEv zu schreiben, wäh-
rend die übrigen Handschriften Ixo^EfP bieten (Stud. z. Od.
S. 44). Damit gewinnen wir die Möglichkeit einen Anstoß in
A 227 ytjjuag <5' ex daXdjuoio jueto xXJog ixet ^AyaiCov ovv ovo
xal ÖExa vrjvoi zu heben. Man erwartet „er ging", nicht „er
kam dem Rufe nach", also ijX&ev, wie es auch N 364 heißt:
off Qa veov jioXe/uoio jueto. xXhog elXr]Xov-&£i. — zi 170 geben
die Handschriften al xe ^dv^g xal fiolgav ävajzXrjorjg ßiOTOto,
in den Aristarchischen Ausgaben stand tiot^ov für fiolgav:
dem anderweitigen Gebrauch von ävanXrjoai (xaxöv ohov, xi)Ö£a,
uXyEa) entspricht juoTqov, wenn man mit Nauck dav&Toto für
ßiÖTOio setzt (vgl. ß 100 jlwIq' oXorj . . davaToio). Über die
Vertauschung von ß'toTog und ddvaTog s. o. S. 9 f. Da /ioTga
auch für sich das Todeslos bezeichnet, z. B. w 29, gewinnen
wir ebenso für ^1263 mit /uoigav (für jiotjuov) ävajiXijoavTe.
eövv doiiov 'Aidog eI'ooj die richtige Redensart. - - Ein geläufiger
Textkritische Studien zur Ilias. 99
Ausdruck ist ygeol /ualvexai oder cpgeol juaivofievfloi (Q 114).
In Erinnerung daran ist (poeoi juaivexai ovx dya&f/oiv & 360
entstanden, worin fiaivexai neben dya&fjoi sich widerspruchs-
voll ausnimmt abgesehen davon, data juaiveo&ai als Aussage
der Athene von Vater Zeus das erlaubte Maß übersteigt, wäh-
rend es im Munde der Hera nicht ungewöhnlich wäre. Das
richtige Wort wird durch y 266 yoeol yäg xexQrjx'1 äya&fioiv
an die Hand gegeben: (pgeol xe^Qt^x"1 ovx dya&fjoiv ziemt der
Tochter eher. — In den Worten des Achilleus, mit denen er
der strafenden Rede des Aias erwidert / 645
ndvxa xd (für xi Bentley) /uoi xaxd fivjuöv eeioao juvütjoaodai '
dXXd juoi olödvexai xgaöifj %6Xqj xxe.,
liegt ein innerer Widerspruch: „Du hast meinem inneren Emp-
finden gemäß (vgl. äooavxeg xaxd fivjuov A 136) gesprochen;
aber die Galle kocht mir im Leibe". Er kann nur sagen: „Es
ist alles gut und schön, was du gesagt hast, aber mein Inneres
bäumt sich auf nachzugeben", also ndvxa xd juoi xaxd aloav
eeioao fivdt'joaodai, wie es P716 heißt: ndvxa xax"1 aloav eeineg
oder wie nach einer Strafpredigt des Hektor Paris kleinlaut
sagt: "Exxoq, inei jus xax1 aloav eveixeoag ovo'' vneg aloav Viel-
leicht ist hier nicht der Hiatus an der Änderung schuld, son-
dern ist zunächst aloav vor eeioao verloren gegangen. — Die
Emendation von Bentley xglvag jufjXa (für xgivdjuevog) in A 697
el'Xexo, xgivag jurjXa xoirjxooi (xoiaxooi) fjde vof.ifjag hat in den
Ausgaben keine Aufnahme gefunden, obwohl sie durch di6
Quantität von xqlrjxöoia sichergestellt ist. Vgl. cp 19 /.irjXa . .
vrjvol noXvxXfjioi xqiijxooC fjde vo/iyag. — Eine hochinteressante
Stelle ist für uns P489 ovx äv eq)OQjurjvxevxe ye vä>i
xXaTev evavxißiov oxdvxeg /na%eoaodai "Aqyji.
Nach der einen Erklärung soll der Akkusativ ecpogjtujdevxe voji
abhängig sein von xXalev. „sie dürften nicht den Ansturm von
uns beiden aushalten " (ög xe evavxißiov oxdvxeg jua%eoao&ai
"Aqvji (in Kampfwut). Diese Erklärung ist abstrus, man darf
sagen, unmöglich, ganz zu schweigen von dem bei jua%eoao&ai
überflüssigen Aorji. Nach einer anderen Erklärung schwebt
7*
100 7. Abhiindlunsr: N. Wecklein
B
bei eqx)Q[i)]&evze vcbi xXaXsv ein Wort wie juslvai vor, wofür
dann jua%eoao&ai eintritt, welches den Akkusativ nicht regieren
kann. Hierin liegt ein richtiger Gedanke, nur ist die Annahme
der Vertauschung des Verbums willkürlich. Nach einer dritten
Auffassung soll vcbi von Ecpogjurj^EvxE abhängig sein; aber nach
dem Zusammenhang kann eqpoQjuytievTe nur von den angreifen-
den Helden Hektor und Aneas gesagt sein. Was der Sinn und
Zusammenhang erfordert, ergibt sich aus A 534 oude xig Exlr\
juslvai E7iEQ%6{xevov, all"1 ävzioi eozav äjtavxeg oder 77 814 ovo'
vjiEfiF.ivev IldxgoxXov . . iv di]ioT}~]xi oder P 174 Aiavta tzeXlo-
giov ovy vjzojuEivai. Wir müssen schreiben:
rXaiEv Evavxißiov oxdvxEg vtzo/lieivcxi vAgrji.
Nun steht auch "Aqiji zweckmäßig: „im Kampfe standzuhalten".
Vielleicht hat die lang gebrauchte Endsilbe von oxdvxsg bei
deii»Änderung mitgewirkt. — Unverständlich ist die Redensart
juivvv&a ök yd^Exo dovgög in A 539 iv ds xvdoijuov ijxe xaxbv
AavaoZoL, juivvvfta dk yd^Ezo dovgög. Die Erklärung, welche das
Scholion gibt: exei&ev, ojiov y\v 6 Al'ag, sXaooov öogazog ßoXfjg
ävE%d>QEi scheitert schon daran, daß juivvv&a niemals eIoloöov
bedeutet; ^d^ea'&e judyijg O 426 läßt sich nicht mit yd&oftai
dovgög vergleichen. Auch Aristarch hat, scheint es, mit dov-
gög nichts anfangen können und deshalb dovgl geschrieben,
was aber auch in keiner Weise befriedigt. Eine passende
Redensart liefert 77 736 ovdk dijv ydCsxo cptoxög, worin ovöe
öi)v dem juivvvfta parallel steht. Nehmen wir jLuvvvfta dk yd-
t,Exo cpcoxög auf, lassen die aus 264 f. stammenden V. 540 f.
und den in den Handschriften fehlenden V. 543 weg, so er-
halten wir einen richtigen Zusammenhang: „Nur für kurze
Zeit hielt er sich fern von einem Helden, d. h. immer wieder
faßte er einen Feind. Nur dem Kampf mit Aias wich er aus.
Zeus aber erweckte dem Aias Gedanken an Flucht." — In
M 28, wo von der Zerstörung des Lagerwalles die Rede ist,
avxög <5' ivoöiyaiog Eytov yEigEooi xgimvav )))'eex\ ex <5' uoa ndvxa
fisfiEfaa xvjuaoi tiejujie cpixgun' xal Xacbv muß der Ausdruck
jzejutie, der „spülte heraus" u. dgl. bedeuten soll, in hohem
Textkritische Studien zur Ilias. 101
Maße befremden; das richtige Wort ist bei Cornutus 23 er-
halten: %eve &vQa£e, doch wird xvjuaoi zu erhalten sein: xv-
juaoi ibvev. — 77 414 = 77 580 xdnneoev, äfxcpl de /uiv ■&&-
vaxog %vxo dvfioQQaioj^g gehört fxiv zu den naheliegenden
Wörtern: N 544 äfiy) de oi ßdvaxog yvxo DvjiiooQaioxrjg zeigt,
daß äficpi de ol zu setzen ist. — In dem Formelvers (hg o'i
/.ikv fidgvavro dejuag Jivgög alßouevoio ist das Feuer das Bild
der Zerstörungswut, wie es Schiller nachgeahmt hat: „Die
Fürchterliche, die um sich her wie die Brunst des Feuers raset."
Eine gleiche Bedeutung hat cpXoyl ei'xekog, z. B. 5^423 ävxiog
rjXfP ' 3A%ikrji o£v öoqv xoaddcov, cpXoyl el'xelog, oder yXoyi looi
N 39. Eine andere Vorstellung weckt der Ausdruck ovl eI'xe-
Xog äXxty (einem Eber an Wehrkraft gleich) Ä 258, P281.
An zwei Stellen N 330 und 2 154 begegnet uns der aus beiden
vorhergenannten Ausdrücken gemischte Ausdruck cpXoyl eYxeXog
dXxrjv. Da dem Feuer keine äXxt] beigemessen werden kann,
so müssen wir die Lesart Zenodots zu 2 154, welche die Kata-
chrese beseitigt, ovi el'xeXog dXxr\v würdigen und auch auf
N 330 übertragen : eine verkehrte Reminiszenz hat den Fehler
hervorgerufen. — 71 56 'Axgetörj, 1) d'o xi to<5' äfxq>oxEQOioiv (viel-
mehr djucpozEQoiiv) ägsiov. die abweichende Lesart der Mas-
sirischen Ausgabe ä/uEivov spricht für die schöne Lesart der
Chia övEictQ, aus welcher, nachdem ovei nach ouv verloren war,
uqeiov entstanden sein kann. — Die Stelle E 663 oT [iev d'o'
ävri&Eov ZagTiifdova dToi exolqoi e^eq)EQov tzoXJjuoio' ßdgvve de
fiiv Öoqv juaxQÖv eXxoixevoV xb fxev ov xig Ejzsqpgdoax'1 ovök vo-
rjoEv jurjQov i^Eovoai öoqv jueXivov, 0990' imßair] leidet an einem
inneren Widerspruch: wenn der Verwundete getragen wird,
wird er nicht geschleift. Sie trugen ihn nicht, sondern schleiften
ihn; hätten sie die Lanze herausgezogen, so hätte er gehen
können (ßjitßaitj). Für e^ecpeqov muß es also e^eXxov geheißen
haben; e^e^eqov ttoXJjuoio ist gleich nachher (669) an seiner
Stelle. — Ebenso scheint der logische Zusammenhang der Ge-
danken mangelhaft in E 350, wo Diomedes der Aphrodite zu-
ruft: „Fort von Krieg und Kampf! Genügt es dir nicht
schwache Weiber zu beschwatzen?
102 7. Abhandlung: N. Wecklein
el de ov y1 eig uiolafxov ncoXrjoeai, x\ xe o' ötü)
Qiyijoeiv 7i6?ie/uov ye, xal el' %' exegoofti nv&rjai."
Der Gedanke „wenn du (ov f d. i. du wäre hierbei nicht
brauchbar, sondern nur ab) oft in den Krieg ziehen wirst,
o-laube ich fürwahr, du wirst dich entsetzen, wenn du nur von
einem Krieg anderswo hörst" ist unlogisch. Man hat ov ov
f ex' . . jzcohjoeai (Hartman) oder fje ov f . . JiojXrjoeat; (Leaf)
vermutet. Der Gedanke „fürwahr, ich denke, schon von Krieg
in der Ferne zu hören wird dir Gruseln verursachen" ist eine
Steigerung zu „du wirst dich hüten dich oft in den Krieg zu
begeben", also ovöe ov / eig noXeuov n(ßh]oeai- fj xe o' öico.
— T160 ist das von Nauck nach Konjektur gesetzte und für
den Sinn erforderliche Jifjjua yevoixo (für Xinoixo) schon bei
Eustathios vorhanden. — Der Grieche sagt xoaxioxov naxqbg
'EMrjvmv xqayeig (Soph. Phil. 3), nicht arögog. So heißt es
auch 5 113 xcaxQÖg <5' e| ayadov xal iycb yevog evxojuai ehm.
Deshalb muß man sich <p 335
naxQÖg <5' e£ ayadov yevog ev^exai e/Lijiievai vlog,
wo die Handschriften zwischen naxoög (GHP) und dvdgog
(FMU) schwanken, für naxgog entscheiden. Aber nach yevog
eufievai ist vlog nicht bloß überflüssig, sondern lästig, wäh-
rend Penelope schicklicherweise hervorhebt, daß sie es von ihm
selber weiß: ev%exai e/xfievai avxog. — #490 schließt Sarpedon
seine Strafpredigt gegen Hektor mit den Worten:
ool de %QV T<*0£ ^dvxa fieXeiv vvxxag xe xal y/vtQ,
dgxovg Xiooojnh'co xrjkexbjxojv emxovQOiv
vojXe/uecog e%eitev, xoaxeQtjv (5' anodeoftai evmrjv.
Man erklärt dno&eo&ai evtmfjv „Drohung unterlassen" (sich ab-
gewöhnen) ohne sagen zu können, wo Hektor sich eine Dro-
hung oder ein Schelten oder herrisches Wesen habe zuschulden
kommen lassen. Mit Recht wird im Anhang von Ameis-Hentze
bemerkt, daß nach Homerischer Anschaulichkeit der Begriff
„von sich ablegen" nur von Dingen gesagt sein kann, die je-
mand anhaften oder ihm angehängt sind. Dort wird auch
Textkritische Studien zur Ilias. 103
die Beobachtung von Funk erwähnt, nach der evmrj bei Homer
nicht Schelten, sondern Gescholtenwerden bedeutet. Aber eben
diese Bedeutung kann nur in abstruser Weise als ein Schand-
fleck, der anhaftet und den Hektor „von sich abtun" soll, be-
trachtet werden. Die Verbesserung von Funk vjioöeyfiai gibt
einen passenden Sinn („über dich ergehen lassen"), aber un-
gleich passender ist und näher liegt äXeao&ai („meiden", „aus-
weichen", „dich davor hüten"). Nebenbei bemerkt schwanken
die Handschriften auch X 582, 624 zwischen xgaxegög und ya-
lejiog: die Handschriften GPU, welche xgaxegög bieten, haben
mehr Ansehen als FHM; in der Stelle der Ilias fehlt die erste
Hand von A und so wird man sich gegen A2G {yaXemjv) mit
BMST gleichfalls für xgaxegy\v zu entscheiden haben. — Ein
unfrommer Gedanke, als ob Götter den Menschen verhaßt sein
dürften, liegt in 7158 'Aiörjg rot djLielXiyog i}(5' dddjuaoxog' xov-
vexa xat xe ßgoxöioi deibv ey&ioxog dndvxoiv. Nur der Hades
wird gehaßt (I 312 eyßgog ydg jlwi xeivog öjucog 'Aidao TivXrj-
oir xxe.). Daß die Überlieferung fehlerhaft ist, zeigt xal re,
womit sonst immer ein neuer Gedanke an das Vorhergehende
angeschlossen wird („und auch"). Vgl. Ameis-Hentze Anhang
zu S 484. Dies berechtigt uns für xe ein anderes Wort zu
setzen, durch welches zugleich deön> verdrängt wird. So er-
halten wir (nach A 250) xouvexa xal juegöjteooi ßgoxolg
eydioxog ändvxiov. — Den Worten II 736 f/xe <3' egeiodfievog ovde
ötjv yd^exo cpojrog' ovo"1 uXicooe ßeXog, ßdXe <3' "Exxogog (p'ioyija
(voraus geht: „Patroklos hatte in der linken Hand die Lanze,
mit der rechten faßte er einen spitzen Stein") ließe sich, wie
Fäsi bemerkt, ein passender Sinn abgewinnen, wenn man br\v
auf den Raum beziehen könnte „und nicht weit blieb er ent-
fernt von dem Manne". Da dies nicht möglich ist, muß der
Fehler in fjxe liegen. Wenn der Stein bereits geschleudert
ist, hat ovde ötjv ydt,exo keinen Sinn. Es muß also eine vor-
her gehende Handlung angegeben sein, d. h. es muß TifjXs
oder vielmehr ndXXe heißen. Vgl. E 302 o de yeg^iddiov Xdße
yeigi . . o de /luv gea ndXXe xal olog. xoJ ßdXev xxe. — Ein Rätsel
gibt die — freilich wohl unechte — Stelle M 340 xoooog ydg
104 7. Abhandlung: N. Wecklein
xti'jzoq t\ev . . ßaXXoßevcov oaxicov . . xal nvXemv' näocu ydq
Emoyaxo , toi. d? xax"1 avxdg iorn/ievoi jieiqwvxo ßirj Qrj^avxeg
eoeX&eTv auf. So bietet A mit Aristarch, der näoai mit oXcu
tov yäg yoav ixollal nvXai, äXXd uia) und Inoryaxo mit ent-
xexXiuevai fjoav erklärt. Zenodot hatte ndaag ydo inco/ero,
wozu fj ävx)) Subjekt sein soll. Mit diesem Sinn und dem Zu-
sammenhang konnte sich wohl nur Zenodot befreunden. Wir
müssen uns also an die Aristarchische Lesart halten. Wie aber
kjxcoyaxo oder Inöryaxo (so G2 und einige andere) zu lnh/(o
o-ehören und „war(en) geschlossen" bedeuten soll, wird kaum
jemand erklären können. Wackernagel leitet tnoryaxo von
ijioiyvvfu her, indem er diesem nicht die Bedeutung von „öffne",
sondern von „stoße zu" gibt. Diese Erklärung ist gekünstelt
und widerspricht dem sonstigen Gebrauch von ol'yvv/u (öfiyvv-
fu). Demnach bleibt nur der Weg der Textänderung übrig.
Nahe liegt Eftoyaxo Äwar(en) verrammelt".
5. Auf die Modernisierung des Homerischen Textes
wirft ein Licht J. Wackernagel „Die attische Redaktion des
Homertextes" Glotta VII S. 161 ff. mit der Beobachtung, daß
ß&v H 238, welches, wie schon Joh. Schmidt bemerkt hat, dem
altindischen Akkusativ gäm entspricht, nur deshalb unange-
tastet geblieben ist, weil es die Attiker in der Bedeutung
„Schild" nicht mehr kannten, oder daß ngodoxrj A 107 sich
im Text erhalten hat, weil im Attischen jzgodoyj] nicht vor-
kam. Was dort über ÖEyoftai (ösx-) gesagt ist, dessen Aspira-
tion auf attischen Einfluß zurückgeführt wird, läßt sich auch
auf xdtofjuu übertragen. Nicht ist xexdöovxo (wichen zurück
A 497) an die Stelle von xEydöovxo getreten, sondern umge-
kehrt hieß yd^ofiai von xad- ursprünglich xd&fiai (xdöjo^im)
und der Zuruf des Apollon E 440 lautete mit Assonanz und
Alliteration cpQa&o, Tvdetdr), xal xdt,to. Zu xad- gehört
Hsxtjda (Hesych Exextjdei' vnEywQEi) und der durch die Redu-
plikation faktitiv gewordene Aorist xexadov „machte von einer
Sache weichen", „beraubte" (rovg ßvjnov xal yvyfjz xexaöwv
A 334), dazu xExadtjoco „werde berauben" (jioXXovq ydg xöds
xo£ov ägioxrjac; xexadrjoei ftvuov xal yvyfjg cp 153). Das Prä-
Tpxtkritische Studien zur llias.
105
sens y.)]d(» = cedo, welches Lobeck zu Buttmann A. Gr. II2 322
neben ya'Qw annimmt und welches noch allenthalben in den
Lexika eine Rolle spielt, hat es nicht gegeben. Auch Kuhn
Zeitschr. I S. 95 läßt von xrjdco neben der Bedeutung „ver-
nichte, beschädige" die Bedeutung „beraube" bestehen. Ebenso
Curtius Etym. S. 2425 („xexadtov kränkend, beraubend"). Ein
solcher Übergang der Bedeutung ist für den denkbar, der die
Möglichkeit annimmt, daß änoogaim (öalco, diaggaioj zerschmet-
tere) a 404, n 428 die Bedeutung „beraube" erhalten kann-
Vgl. Stud. z. Od. S. 23. Das Mißverständnis liegt schon in
der Glosse des Hesych xexadfjaai' ßXdxpai, orsQfjoai vor. Die
Glosse y.ey.adrjoai bezieht sich augenscheinlich auf die ange-
führte Homerstelle und ist in xexadijoei- oreo)]oei zu ver-
bessern. Daneben ist ein xrjdfjaar ßXdymi denkbar, welches
zu yJ]öo) (vgl. y.rjdog) „setze in Sorge, betrübe, quäle, kränke,
schädige, verletze" gehört. Dieses y.rjöco (Fut. xi]d)']ooj Q 240,
xexrjda „bin in tiefer Trauer" Tyrt. 12, 28 ägyattco ts no$<p
näaa xexrjde jioXig), xrjdofiai „bin besorgt, bekümmert" hat
mit yd^ofiai, xexrjda, xexaöov, xsxado/A,r]v, xexadtfow nichts
gemein. Das jtocotov y>evdog aber liegt vor in & 353 oXXv-
ixevoiv Aava&v xsy.adt]o6jueda, wo es ebenso xi]öi]o6ue'&a
heißen muß, wie es Q 240 xt]d>joovT£g heißt. — M 372 zoTg <5'
äjLia Tlaröicov Tsvxqov <peoe xaunvXa zofa hat Aristarch als
interpoliert erklärt. Sehr gut hat Christ in seiner Ausgabe
Prol. 142 in ro7g einen Beweis für den attischen Ursprung des
Verses erkannt. — Über manche Formen, welche Wackernagel
auf attischen Einfluß zurückführt, wird sich vielleicht eine
andere Ansicht geltend machen lassen. Die Verlängerung der
Mittelsilbe in Xvei rj 74 dvögdoi vslxea Xvei, in Xvev ?F513 Xvev
vcp innovg, in &ue o 222 dve & 'Aftrjvr], in firjvisv ß 769 ocpg'
"Äxdeve firjviev entspricht dem allgemeinen Gesetz, daß die
Silbe durch die Hebung verlängert wird (Stud. z. Od. S. 71 ff.).
Es fragt sich nur, ob man Xvev, &vs zu akzentuieren hat oder
vielmehr Xvev, §ve, auch Xvxo <5' äytbv Ü 1, da die Länge
nicht in der Natur des Vokals, sondern rhythmisch begründet
ist. Die Rücksicht auf das angeführte Gesetz gestattet auch
106 7. Abhandlung: N. Wecklein
nicht edyi] A 559 als eine Wirkung der attischen Homerrezen-
sion anzusehen. — Die Änderung von cooi in eloi co 491, die
Kirchhoff vorgenommen hat. wird durch den Sinn durchaus
empfohlen. — Über die Form e/LiioyeoxovTo v 7 vgl. Stud. z. Od.
S. 30. — Von den fünf Stellen, in welchen die Endung flot im
Konjunktiv des ersten Aorist vorkommt, gehören drei: oxqv-
vt-joi, e/unvevoflot, äjioorgeynjoi O 59, 60, 62 einer von Aristo-
phanes und Aristarch angenommenen Interpolation an und sind
zu den Kennzeichen der Unechtheit zu rechnen. In A 191
(pdg[ia%\ ä xev navorjoi jueXaivacov ödvvdwr billigt Wacker-
nagel die Änderung von Madvig und Herwerden, die sich auch
in der Handschrift X findet jiuvoi] oe wegen „schlechter Stel-
lung der Enklitika" nicht. Das mag sich verhalten wie es
will; da das Pronomen überflüssig ist, kann bei dem ewigen
Schwanken der Handschriften zwischen Formen von naveiv
mit oder ohne o z. B. n 405, 433, jT434 jiavsoßcu — jiavoeodat
— jravoaoftai nicht das geringste Bedenken gegen jiavtjoi be-
stehen. Das gleiche gilt von Exne/bHpyoi o 336. Die Stud. z.
Od. S. 82 angeführten Stellen sind nicht die einzigen, in denen
das gleiche Schwanken beobachtet wird; also ist exnefMfjoi
zu schreiben. Es bleibt also nur änayyeihjoi 6 775 übrig.
Da die älteste Handschrift G vor der Korrektur änayyeXrjoi
hatte, so ergibt sich auch hier die Änderung änayyeXl\]oi.
— „Attischen Ursprungs verdächtig" sind reo und cxpio im
Nominativ und Akkusativ für vcbi und oytbi E 219, A 782,
JV 47. Wenn sich vcbi 51mal findet, so kann das nur E 219
tiqiv y1 em reo rxpö'' dvögl vorhandene reo nicht richtig über-
liefert sein. Eine Pariser Handschrift gibt auch vcbi und vor
allem bietet die gute Handschrift S reo für tcoS\ worin der
sehr begreifliche Grund des fehlerhaften Textes liegt: vcbi reo
dvSgi muß feststehen. A 782 oepcb de fiaX t)deXerov, toj d'
u/Atpco nöXV enereklov ist die Emendation von Leeuwen ocpcbi
(xaK dor von Brandreth ocpcbi jtiev yfieXerov vorzuziehen, weil
die Einschiebung von de sehr begreiflich ist. N 47 Alavre, oepcb
juev re oeuboexe Xabv 'A%aicbv geben einige Handschriften (z. B. X)
ofpwi und für re bietet S mit einem Papyrus u. a. xe: der
Textkritische Studien zur Ilias. 107
Fehler rührt also von der Verkennung der Hebung her: es
ist oq?a>i xe oacooers (= oacoor^s) zu schreiben. An einigen
Stellen ist v<b und ocpw durch va>' (o 475 v& F) und oycV (so
cod. Vindob. 49 A 574, eine Pariser 0 146) zu ersetzen. —
Wenn das handschriftliche xExonüg N 60 eine halbe, das Ari-
starchische xExocpwg eine ganze Attikisierung ist, so folgt dar-
aus, daß das in der Ausgabe von Chios und in der des An-
timachos erhaltene xexotküv ursprünglich und daß auch o 335
xexotküv für xExoixxhg (Aristarch wieder xexo<p<6g) zu setzen
ist: zu der Form xexojicog hat die Reduplikation verführt, wie
es bei yeycovcog A 275 u. a. für ysyojvcov der Fall ist. Nicht
ohne Grund legt Classen jenem xExoncbg die Bedeutung des
Aorist bei. Der gleiche Fall findet sich B 264, wo die Hand-
schriften mit Aristarch TtEjrlrjytbg äyogri'&ev geben, das Scho-
lion B aber nveg „nenlrjycov" überliefert, welches ebenso dem
Sinne wie dem Gebrauche von TtejtXrjyepiev entspricht. — Mit
Recht bezeichnet Wackernagel eveixejuev T 194 dwoa e/j-rjg
7ia.Qa vrjog eveixejuev 6W 'A%dfji als eine Unform. Ein Teil
der Handschriften gibt ivEyxE/uEv, Strabon 467 eveyxetv. Da
Homer sonst gewöhnlich die Formen des ersten Aorist braucht,
so ist am wahrscheinlichsten das 2 334, o 286 stehende e-
vEixai herzustellen und der Hiatus für die Verderbnis verant-
wortlich zu machen. Der Hiatus ist nach der bukolischen
Diärese bei einem Spondeus wie bei einem Daktylus nicht
selten. Vgl. z. B. E 484 olov x1 y\k (peqoiEv 'Axai.oi ij xev
äyoiEV. So ist auch in A 430 rijv Qa ßirj akxovxog (aexovra
richtig Nauck) ämjvocov avzaQ 'Odvoosvg die abnorme Form
änrjVQcov für äjiEvna (seil. A%dlEvg) entstanden und T 401
äXfaog dl] q>QaQEO'&E oacooEfiEv fp'ioxfja, wo das Futurum fehler-
haft ist und oawoEjLiEv keine Aoristform sein kann, ist aacooat
herzustellen. Doch darf die Form eveyxEfiev nicht als un-
homerisch betrachtet werden. Da die Optativform eveixai 2 147
fraglicher Natur ist und 99 178 ix dk OTEarog eveixe (als Im-
perativ, in dem gleichlautenden Vers 183 ist es Indikativ)
fxsyav tqo%6v svdov iovrog die Form eveixov dem Versmaß nicht
entspricht, so muß wohl 2 147 , wo ST2X eve'ixoi geben,
108 7. Abhandlung: N. Weoklein
iveyxoi und cp 178 e'veyxe gesetzt werden. Wie oben ein
doppeltes xextjda gefunden wurde, so ist /iväoiicu „freie" und
/zvaojuat „gedenke" zu unterscheiden. Wenn man Ö 106 iivao-
iterco für /ivcoo/ievco oder o 400 /zvao/ievco schreibt, wird et
durch die Hebung gelängt; dagegen steht in xov vvv olxov
axifiov edeig, /irda de yvvaixa n 431 oder in jmjxe iivdaodcu
äxoiuv et 39 die erste Silbe in der Senkung, muß also an und
für sich lang sein. Darum ist iivcoovxo oder iivcoö/ievog im
Sinne von „freien" ("> für langes et) denkbar, nicht aber im
Sinne von „gedenken, denken". Folglich liegt in fivdiovx
bloolo cpößoio A 71 oder in cpvyade juvcoovxo exaoxog II 697
eine Verwechslung vor und wie es anderwo [iviqoavxo de %dp-
jurjg heißt, so muß auch hier tivrjoavx'1 oXooXo cpößoio und
cpvyade (ivrjoavto geschrieben werden. In dem neuen Hesiod-
vers juväxo, nolld de deoga didov , judXa <3' ()jde?,e ftviicfi) ist
natürlich juvdexo zu setzen. Mit diesem Vers ist also kein
neues Beispiel für einen oxi%og Xayagog gewonnen. Was den
bei Athenäos gebotenen oxi%og Xayagog betrifft, s. Stud. z. Od.
S. 96. Ernster zu nehmen ist A 146 xoioi xoi, Mevüae, lu-
dvdrjv al'juaxi jbtrjQol evqpveeg xvfjfiai xe, da die Form fxidvßtjv
unmöglich ist und das in X gegebene [xiavftev gesetzt werden
müßte, wenn sich kein anderer Ausweg findet. Aber wahr-
scheinlich hat das Mißverständnis der Konstruktion von xoiovg
. . jLiidv&ys ai'ftaxi jurjgovg evcpveag xvrjLiag xe die Kor-
ruptel herbeigeführt.
Ein sprechendes Kennzeichen attischer Rezension ist Ijfur
(ijfiir) und vtuv (vßiv) mit kurzer Endung. Zwar sucht Ferd.
Sommer Glotta I S. 219 ff. nachzuweisen, daß die altepischen
Dative fjfiiv und viuv Kürze des i haben, aber K. Witte ebd. II
S. 8 ff. tut im Gegenteil dar, daß f\fuv und vfüv im Epos ur-
sprünglich als Spondeen zu gelten haben. Die Stellen, an denen
fj/iiv und vliiv als Trochäen stehen, sind folgende:
P 415 co cpiXoi, ov fidv f]iuv evxXeeg
P 417 Jtäot jdvoc xo xev fj/uiv äcpag
■& 569 gatneuevai, /uya <5' fjfuv ögog = v 177
x 563 eQxeoff' alh]v dy fjfiiv ödöv
Textkritische Studien zur Ilias. 10 J
X 344 d) cpikoi, ov juav i]/MV äno
q 376 rjyayeg; ov äXig yj/jhv äXaj/ioves
v 272 Tt]Xe/uä%ov juäXa <5' fjfJiv äneibjoag
An diesen acht Stellen steht fjfuv als dritter Trochäus. Witte
S. 17 Anm. meint, das einfachere Verfahren wäre uaaiv für
fjuiv einzusetzen, lehnt aber dieses Verfahren ab, weil rjaiv
in der Überlieferung festsitze. Wer aber sich erinnert, wie
viele Fehler H. L. Ahrens und Nauck durch Herstellung des
Hiatus nach dem dritten Trochäus beseitigt haben, wird den
Grund von fjuiv darin finden, daß äuuiv zur Aus-
merzung des Hiatus nicht zu Gebote stand, d. h. daß
es die Formen äuuiv und vuuiv nicht gibt. Es ist
also an den acht Stellen der Hiatus mit äuut herzu-
stellen. Berechtigt sind demnach nur die Formen auui, äjua'
und vuui, vuu\ wenn die Handschriften auch öfters äfXfxiv
und vfifxiv bieten, bezeichnenderweise S 85 äuuiv vor farao-
oeuev. Vgl. O 155 ocpco'iv lödbv für oqpcoE fiöojv, II 99 vonv
für vcbi. Als dritter Trochäus findet sich v/u/uiv A 249 vuuiv
vjieooxt) (v/x/ui nur im cod. Vratisl. 29), ß 320 vjujuiv eeioaxo
X 336 vuuiv ävi]Q, o 506 vuuiv ööomöoiov, als fünfter Trochäus
a/jLfJLiv bzw. vuuiv u 275 äju/uiv eyaoxov, N 95 vfxfxiv iya> ye.
An allen diesen Stellen sind also die Formen äuui,
v/nui herzustellen, die auch sonst häufig (etwa 14mal) als
dritter Trochäus vorkommen, hier also gewissermaßen ihren
legitimen Platz haben. Daß der Hiatus auch nach dem fünften
Trochäus nicht selten ist, kann man aus Stud. z. Od. S. 46 f.
ersehen. Mit äuui Ecpaoxov vgl. z. B. rjde eyaoxov (etpaoxev)
s 135, r) 256, xp 335. Im letzten Fuß, wo die Handschriften
öfters zwischen äuui und äufxiv schwanken (vgl. N 379, ß 334,
X 262, doch K 70 nur eine geringere Handschrift äp/uv , Eu-
stathios fjfuv), kann man nur im Zweifel sein, ob nicht fjuTv
bzw. v/üv vorzuziehen ist. So bieten d 95 FTUH2P2 v/uv,
andere vuuiv, vuuiv, vjluv. Im Anfang des Verses findet sich
X 41 in FPXU vfuv, in HMD v?uv, in LW vftfiiv, x 65 v/uv
in FU und bei Eustathios, vuiv in GPXD, vuuir nur wieder
in LW. Wenn also K 380 die Handschriften zwischen x&v
110 7. Abhandlung: N. Wecklein
x vfifuv laqioaao nax))q (ABM), % v/ufuv (STX u. a.), '/!
r/(7r (GHK u. a.) schwanken, so könnte zwar auch rwv x*
vfAfxi xagioaito dem Versmaß entsprechen; aber doch scheint
-£ ruh' ursprünglich zu sein, da in den angeführten Stellen
v/luv sich als die Lesart der maßgebenden Handschriften dar-
stellt. Eine Bestätigung für das an der Stelle des dritten
Trochäus hergestellte a>A" una" fy'/" ergibt sich aus n 372
Ti]h[xäicp, firjö"1 rj/uag vnexcpvyr\, wo für das vereinzelt stehende
fjfiag (y/bLag in P, fjfxäg in den anderen) Ahrens äftfie wie
E 567 otpe für otpag hergestellt hat.
Wie das Bestreben die eigentlichen epischen Formen zu
gewinnen zur Emendation führen kann, mag | 353
£•>-#' ävaßdg, öx% xe dglog rjv nolvavMog vXrjg
zeigen. An ÖQiog r\v wird man an und für sich keinen An-
stoß nehmen; wenn man aber mit <5ot" eev die epische Form
herstellt, so ist damit zugleich die poetische Form Sola ge-
wonnen: Hes. 'Egy. 528, Soph. Trach. 1012, Eur. Hei. 1326,
Apoll. Rhod. IV 970. — Da man in ä re tjeivoig &ejuig eox'iv
A 779 die Endung oig vor einem Konsonanten beanstanden
muß, wird das richtige ij xe feiveov fiejuig eoxlv durch i 268
geboten. — E 9 und K 314 hat Nauck (Kritische Bemer-
kungen VI S. 210 ff.) nach P 575 k'oxe ö' evl Tqcoeooi für r\v
de Jig ev Tqcoeooi, N 663, v 287 eoxe für fjv de, Z 140, a 177,
t 443 eox für r]v, 2 460 r\ev für rjv ol, o 3 ovde eev Tg für
ovöe ol fjv lg, l 393 oi eev lg für ol er' r}v lg, * 511 fjev öle-
odai für fjv anoXeo&ai, co 182 fjev 6 für r\v ö §a hergestellt.
Seine Emendation von x 225 eev xrjöioxog exaiotov ist durch
die Überlieferung xijdioxog häocov yv nahegelegt. Ü 706 ver-
mutet Nauck tueya iaqp.a nöh]i re (für nolei t' i]v) navxi xe
ö)j/up nach J1 50 jueya jirj/xa 7ioh]i xe navxi xe dij/Äcp, aber in
Ü ist eine solche Änderung unstatthaft. Über O 66, A 84,
i 56 öcpQa juev fjchg rjv xal aefexo Uqov y/uag, wo Nauck we-
niger glaubhaft yev äeg~exo ff vermutet, wird anderswo zu
sprechen sein {aa eev?). Für ev&äb" 'Odvaoevg rfrjv (efyv, ijeiv)
x 283, Aha cpih\v elg naxqib" ixeoßui fjfjv (eirjv, fjrjv, el'a) y> 316,
Textkritische Studien zur Ilias. Hl
Siaxgvyiog de exaoxog ijrjv (eirjv) co 343 ist nicht, wie Nauck
will, exXexo, sondern an der ersten Stelle rjiev, an der zweiten
ei'aev, an der letzten rjv&eev zu setzen. Für i)v ödbg eig
hwQY\v i 128 kann es ebenso f]ev ödög Xavgyg gebeißen haben,
wie man y> 68 vooxov "Ayaudog hat. A 211 ist für ßX/jjuevog
fjv jzegl cV avxöv äyt^egad^ öoooi ägioxoi, wo Nauck fjv viti-
osum anmerkt, ßeßXijxo zu schreiben, worin die Länge der
letzten Silbe den Fehler verursacht hat. — Überhaupt läßt
sich /]>-, wie es z. B. g 203, eigentlich auch A 739 in eev ver-
wandelt werden muß, überall mit eev vertauschen, wenn man
das Gesetz über den metrischen Wert der Hebung anerkennt,
also auch z. B. X 448 egyo/iievoi TioXejuovde' Tidig de eev (für
de oi fjv) em f.ia£co zu schreiben wagt. Es bleibt in der Odyssee
nur eine, in der Ilias nur zwei oder eigentlich auch nur eine
Stelle übrig, wo fjv festsitzt. Es ist bezeichnend, daß die
Stelle der Odyssee X 610 ygvoeog v)v "leXa/jojv der jüngeren,
sog. Orphischen Partie der rexvia, angehört. In der Ilias steht
tjv im Ausgang des Hexameters IT 60 = W 670 ovo'' äga jzcog
r/v. Wenn man weiß, wie oft Wörtchen eingeschaltet wurden
um den Hiatus auszumerzen, wird man kein Bedenken tragen
diese einzige Stelle mit ovo" äga rjev aus der Welt zu schaffen.
— Die Form für die 1. Pers. Sing, des Imperfekts eov für ea
ist A 762, WUS beseitigt. Vgl. A 321 el xoxe xovgog ea. —
Von der Form f\oi für %ot sind zwei Fälle # 580 Iva fjoi und
■& 147 xev fjoi wohl nur in der Ausgabe von A. Lud wich stehen
geblieben. Das alleinstehende xal juevog oi) xooov fjoiv erl ox't'j-
deooiv hioioiv T 202 hat Menrad mit ovx everjoi rooov ox>j-
deooiv verbessert. — Von den zwei Fällen von (bat fällt der
eine co 491 elgeXdcbv ng i'doi jui] dr/ oyeddv woi xiörxeg sofort
weg, nachdem Kirchhoff erkannt hat, daß der Sinn eioi ver-
langt. Der andere E 273
rjj ö' exegij äXa fiaQfxaqerjv, iva vojiv ä:iavxeg
/udgrvgoi c5o' oi evegOe $eol Kqovov äjucpl eovieg
erhält mit tV ecooiv . . fidgxvgoi öoooi die richtige Form. —
Es ist bemerkenswert, daß von den zwei Beispielen von övxeg
1 12 7. Abkandlung: N. Wecklein
das eine ?/ 94 in einer augenscheinlich interpolierten Stelle
steht. Das andere r 230 xqvoeoi övxEg ist mit %qvoov iovreg
emendiert worden. — Endlich hat Nauck das vereinzelte ovoijg
x 489 orde xoocpov ovoyg asv clcpi^o^ai mit oude xgocpov tieq
ono cupsg'ojLicu verbessern wollen, aber die Stelle ist wohl inter-
poliert. — ■ Der Imperfektform eov scheint der Optativ Eoig, eoi
zu entsprechen. Agamemnon verspricht dem Achilleus / 141
ei 6e xev 'Agyog lxoifA.E&^ Ayauxöv, oufrag ägovQrjg,
ya/ußgog xev jlwi eoi.
Das gibt Odysseus mit den gleichen Worten 283 f. dem Achil-
leus gegenüber wieder, also ya/ußgög xev juoi eoig. Wie ixoi-
/££#' fehlerhaft ist und auch der Sinn „für den Fall, daß wir
nach Argos kommen sollten" dem Gedanken des Agamemnon
in keiner Weise angemessen scheint, also Ixco/ue§'1 gesetzt wer-
den muß, so ist auch die bestimmtere Aussage von xev mit
Konjunktiv für ein Versprechen geeigneter und an der ersten
Stelle (142) bietet Eustathios nebst einigen Handschriften %,
an der anderen (284) findet sich k'rjg in dem Cantabr. (C), in
dem Stuttg. (Z) u. a. Ein zweites k'otg kommt nicht vor; ein
zweites und drittes eoi fällt weg, wenn man £ 421 = x 11
noXläxi Ööoxor äXrjtf) xoico önoTog eoi (srjv G, eoixe M), xal
(xev H) oxev (o rig M) x£%oi]jLiEvog eXüoi dem durch xoico an-
gezeigten Sinne entsprechend xoico ol'cp Efxol öxeo xEXQfjjUEvog
eX'&oi schreibt (der Hiatus nach dem ersten Spondeus ist nicht
selten). Bei dem Sinne „wie er auch aussehen und was er
auch nötig haben mochte" würde xoico ganz zwecklos stehen.
A 838, wo die Handschriften mit Aristarch ncog t' uq1 eoi,
Zitate ncog xev eoi haben, überliefert Zenodot exjv d. h., wie
Düntzer erkannt hat, ey\ (&] in einer Pariser Handschrift): ncog
xev Ef] xdSe EQya ; ebenso ist also auch 5 333 ncog xev ey] für
ncog xev eoi zu schreiben. — Den Formen der ersten Person
k'a oder f]a und dritten Person eev oder fjev entspricht als
Form der zweiten Person Erjo&a X 435, n 420, y> 175 (Nauck
EEoda, andere eaad-d). In v 314
xovxo <5' eych ev oiöa, ö /lioi ndgog ynit] fjoßa,
flog tri Tooif) noXetiiQoiiEv vteg Ayaicor
Textkritische Studien zur Ilias. 113
ist rjmr] tjo&a auch deshalb zu beanstanden, weil die gewöhn-
liche Redensart ijma eldSvai (77 73, v 405, o 557) lautet wie
x£%aQiöfih'a, al'oijua, ägxia, ä&ejuioxia eiötrai, drittens weil ndgog
gewöhnlich mit dem Präsens verbunden wird (A 553, A 264,
M346, 0 256, P587, 2 386, 425, £ 88, (448), „wo man das
Imperfekt erwarten könnte", wie Brugmann Ber. der Sachs.
Ges. d. W. zu Leipzig 35 (1888) S. 171 bemerkt, welcher auf
das indische purä verweist, mit dem das gleiche Tempus ver-
bunden wird. Alle drei Anstände werden mit fjnia olofta
beseitigt. Man darf nicht etwa iV228
äXXd, Qoav. xni ydg xb ndgog iiEvebiqiog tjoda,
bxgvveig de xai äXXov, ößi iiei^iEvxa i'dijai
zur Rechtfertigung des Überlieferten ins Feld führen; im Gegen-
teil dient diese Stelle zur Bestätigung, da /ueveörfta olo&a
(hast eine standhafte Gesinnung) auch durch öxgvvEig (und Id^ai)
gefordert wird. — Eine weitere Bestätigung liegt darin, daß
Ü 202 Jifi örj toi cpQsveg ol'%ovi)\ fjoi ndgog ye exXe' in"1 av-
dgcbnovg sich jetzt die fehlerhafte Form exXeo — es müßte
exXeeo heißen — mit der normalen xXeIe'1 ersetzen läßt (Fick
xXeve"1). — Hiernach ist H 557 oloi nsg ndgog tjxe juex"1 dv-
dgdoiv, wo man tjoxe schreiben will, eoxs herzustellen. —
N 101 Tgwag ecp1 fj/UEXEoag levai veag, oi xb ndoog tieq (pv£i-
xavrjg EXd(poioi Eoixsoav, aX xe xxe. hat ein Ambrosianus lolxaoi
mit av über oi\ der vorausgehenden Beobachtung entspricht
ioixao\ — W 604 ov n nagijogog ovo"1 daoicpgoov rjo&a ndoog
wird die nicht epische Form mit iool ndgog, X 233 r\ /hev
/lioi xb ndgog noXb cpiXxaxog tjoda mit cpiXxaxa olofta (hast
die freundlichste Gesinnung gegen mich) beseitigt. — X 303
oi' jue ndgog ys ngocpgovEg elgvaxo ist elgvaxai in LHbX u. a.
erhalten. — Ebenso ist Q 642 ndgog ye (xev ov xi nEnaofxai für
nendofn]v zu setzen. — An zwei Stellen steht ngiv an Stelle von
ndgog: xp 14 nglv ök cpgevag aloifxr} (al'oifia F) fjo&a, II 208 (pvXo-
nidog [XEya egyov, erjg (oo Payne Knight) xb ngiv / egdaad-e. Die
erste Stelle wird auch damit stigmatisiert, daß hier allein aioi-
juog Epitheton einer Person ist. Oben ist bemerkt, daß al'ojua
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 7. Abb.. g
114 7. Abhandlung: N. Wecklein
-
eldevai die Homerische Wendung ist. Der Fehler scheint von
dem ungewohnten Asyndeton von ndgog cpqeoiv ai'oi/ta oloßa
ausgegangen zu sein. So wenigstens verlangt der Homerische
Sprachgebrauch. — Hiernach wird auch 77 208 öo xb jxdocg
ye egaofte der ursprüngliche Text gelautet haben. — fjo&a
Q 749 und in der zweiten vexvia w 92 steht dem oben er-
wähnten ijv Q 706 zur Seite. — Zu den Folgen der Moderni-
sierung gehören auch zahlreiche Fälle der Kontraktion und
Synizese (z. B. <V avxz ■ ■- öi] olvxe). Vgl. Menrad, De contrac-
tionis et synizeseos usu Homerico, München 1886. Hier will
ich nur auf 2" 323, wo im 5. Fuß ABM u. a. jiexeqxbvEi, der
Syrische Palimpsest, ein Papyrus, S u. a. jUETEq?covEE geben, und
auf 2 242 hinweisen, wo fast alle Handschriften o.uouov tixo-
Xsfioto haben, die Auflösung der Endung ov in oo also durch
die Form 7ixo?Jjuoio angedeutet wird. — Gewöhnlich wird xXv-
eiv mit Akkusativ der Sache (doimov, avdqv) verbunden, d 831
geben die maßgebenden Handschriften GPU exlveg avöt'jv für
acdfjs. Der Genitiv steht nur, wenn noch der Dativ der Per-
son damit verbunden ist wie d 767, x 311, 481 ÜEa de tuoi
ekXvsv äofjg (avdrjs). — Mit fona für bnog 111 § AxgEideo)
ÖTiög exXvov läßt sich auch die epische Form AxQEidao her-
stellen: 'ÄTQEtöao bn exXvov. So ist auch X451 aldoirjg exv-
gfjg Sita (für öjiög) exXvov zu schreiben, wo der Hiatus ÖJiög
verschuldet hat. — In E 204 &g hnov, avxag 7iet.bg ig "IXiov
eiXrjXov&a befremdet die ungewöhnliche Außerachtlassung des
Digamma von "IXiov, aber nach A 230 avxdo o Jie£bg ewv eig
"IXiov eiXrjXov&ei (vgl. A 231 avxdo b Jie&g ewv, A 721 xal
7iet.bg jieq cojv), da z. B. auch n 337 die Handschriften zwi-
schen elXrjXovdev und ex IlvXov fjX&ev, <x> 328 zwischen eili)-
Xov&ag und Evddö'1 ixdvEig schwanken , kann die Emendation
von Brandreth Tistög ewv elg"IXiov fjX&ov keinem Zweifel unter-
liegen. Die Herstellung des Digamma ist an mehreren Stellen,
wo nur die attische Redaktion das v ecpeXx. oder das unnütze
q eingeschmuggelt hat, £648 aziäXeoev "IXiov , £251 enXeev
3IXto&ev, 2 58, 439, r 182 xoocovioiv "IXiov, & 495 ot q ''Ihov
sehr einfach. In Z 493 näoiv, euol de ^idXioxa, toi 'IXUp eyye-
Textkritische Studien zur Ilias. 115
ydaoir wird die Emendation Tiäoi, fidXjoxa d"1 i/uoi, xol 'IXacp
nicht nur durch Parallellstellen a 359, X 353, <p 353, sondern
auch durch einen Papyrus bestätigt. In P 145 X.aöioi xoVIXaw,
o 104 cp%£&' äfC AxoEidr)oiv ig "IXiov ist die Änderung XaoTg ot
'IXico, AxgEidyg elg "IXiov leicht und schreibt man ähnlich
f 238 v/jeoiv fjyeiödai eiglXiov für vi'/eoiv {yn)eoo') fjyrjoaoßai
ig'IXaov, so erhält man zugleich das dem geläufigen Imperfekt
fjyeTro entsprechende f/yelodai. <P 81, 156 ist mit oze "IXuov
dh)Xovßa für 6V ig Abhilfe gefunden worden. Ar349 hat Bent-
ley Xabv öleodai Ayaicov 'IXiößi tioo für Ayauxöv nach .4 71
xal vijeoo'1 fjytjoax'' (vielmehr fjyelro) Ayaicov 'IXiov slow, 1134:5
Tgcocov avi äyoQi] tieae 'IXiov ir tioXei cxxq)] für yivEx1 gesetzt.
t) 578 AoyEicov Aavacov fjö"1 'IXiov dlxov dxovcov hat die Hand-
schrift P i) für /)<5' und //' entspricht dem Sinne besser, be-
sonders wenn man das ungeschickte AoyEicov Aavacov nach
x 15 AoyEicov xe veag xal vöoxov Ayaicov mit AgyEicov vqcov
verbessert. <P 128 cp&£iQ£OÖx\ slg 6 xe äoxv xiy\]opiEv 'IXiov iQrjg
hat Leaf xiyrjEXE (Brandreth xi/eiexe) geschrieben. Das folgende
t^iiEig juev cpEvyovxsg, iyco <5' ömdev xEoa'i^cov hindert nicht, kann
vielmehr gerade den Fehler veranlaßt haben, ü 67 braucht
oi iv 'IXico nicht (mit Heyne) in 61 'IXico geändert zu werden,
da dieser Gesang durch zahlreiche Fälle vernachlässigten Di-
gammas gekennzeichnet ist. Ebenso gehört it" 270 yvcooExar
cwjraoicog ydg äcpigExai "IXiov lorjv ög xe cpvyr) einer interpo-
lierten Stelle an. Der Verfasser hat zwar H 118 cprj/ui juiv
äojraoicog yövv xajuipEfXEV,. a'i xe cpvyyoiv, T 92 äXXd xiv ol'co
äojiaoicog avxcov yövv xajuipE/usv , 6g xe cpvyr\oiv benützt, hat
aber die Pointe, die in äojiaoicog yövv xdjuifEi liegen würde,
nicht erkannt. Es bleibt nur eine Stelle übrig:, deren Ver-
besserung Schwierigkeit bereitet, Z 386
dXX'' inl nvqyov i'ßr] fxiyav 'IXiov, ouvex"1 äxovoEV.
Hierin ist (isyav 'IXiov merklich überflüssig. Außerdem kommt
in Betracht, daß die beiden folgenden Verse, in denen dcpi-
xdvEi unbrauchbar ist, von Payne Knight mit Recht als un-
echt erklärt sind. Das in diesen Versen vorkommende etiei-
8*
116 7. Abhandlung : N. Wecklein
youer)] wird aber durch ovvex"1 äxovoev begründet, sodaß wir
als ursprünglichen Text erhalten:
dXV enl nvgyov eneiyo/ievy eßrj, oüvex"1 äxovoev.
Der Rhythmus veranschaulicht den schnellen Gang. — (P 567
ei de xe oi ngondgoiße noXiog xaxevavriov eX&a) haben Men-
rad und Fick ngooßev noXiog nach X 464 eXxoiievov ngoodev
no)uog hergestellt. Vgl. M 145 nvXdayv ngooße fiayeoßtp'.
Hiernach läßt sich, wie schon Fick gesehen hat, Z 307
die epische Form JZxaidajv in neoeeiv 2xaiwv ngondgoiße nv-
Xdoov mit Zxaidoyv ngöoße nvXdcov gewinnen , wofür das
Schwanken der Handschriften in ß 524 zwischen ngöoße no-
Xiog (HP) und ngondgoiße(v) noXiog (so die meisten) die beste
Bestätigung gibt. — In F 3 fjvre neg xXayyr] yeodvmv neXet
(vielmehr jieXy) ovgavofii ngo soll ovgavoßi ngo nach der
alten Erklärung ev reo vnb rd vecpr\ rönqp bedeuten: ovgavbv
ydg xaXei tov vneg rd veept] ronov, aber wie 'IXioßi ngo „vor
Ilios" heißt, so könnte ovgavoßi ngo nur „vor dem Himmel"
ausdrücken. Unter Hinweis auf fjegiai äga in Vers 7 hat
H. L. Ahrens ngw (ngco) vermutet. Aber Homer hat nur die
Form ngcöi. Sehr richtig aber gibt ))egiai mit dem rückweisen-
den äga an, was vorher gesagt sein muß. Dafür ist der
stehende Ausdruck fjoößi ngo. Vgl. A 50, f469, £ 36. —
1 229 geben die Handschriften
nXrjodjuevog b"1 oi'voio benag beibexx1 AyiXfja
mit Verletzung des Digamma von oivoio. Auch X 61 findet
sich diese bei ä&eoqpaxog olvog, aber Stob. fl. I 49, 53 bietet
für diese Stelle das dem Zusammenhang durchaus entsprechende
ä&eoqpaxog vnvog. Man hat mit verschiedenen Änderungen
(.-rXi/oag be oivoio, nXr]odfxevog be benag ol'vov) das Digamma
gewinnen wollen, aber es trifft damit ein Gedanke von Christ
zusammen, der im vorhergehenden Vers veno* AYag 'ObvooTji
für fPoivixi verlangt. Wenn auch die Annahme von Christ,
daß Phönix erst nachträglich in die Gesandtschaft gebracht
worden sei, nicht als annehmbar erscheint, kann man doch
Textkritische Studien zur llias. 117
nicht verstellen, daß Aias nicht dem geborenen Redner, son-
dern dem Phönix, der nur als Einführer dient, gewinkt haben
soll. Der Text muß also dann etwa gelautet haben: vevo'1
Alag 'Odvorji' voijoe d"1 6 y"1' ahpa $' eneixa Jikrjoäjuevos
oi'voio denag xxe. Zu der Ergänzung vgl. tt 283 vevooo juev
xoi iyco xeqpaÄfj , ob ö"1 eneixa vorjoag. — In den Stud. z. Od.
S. 48 ist die Verkennung der Länge von noiv und der daraus
entstandene Brauch y oder auch ye nach noiv einzufügen be-
handelt worden. Vgl. ü 245 tiqIv äXo.na£ojiievi]v, ü 764 nqiv
ojqpeäov, wo y1 einmal fehlt. Die Beseitigung der unnützen
Partikel hat es o 289 möglich gemacht mit tiqIv oe xeco (für
jiqlv ye oe rqS) die epische Form reo) herzustellen. E 54 ist
xö tiqiv ixexaoxo in HbX u. a. erhalten, während die Haupt-
handschriften xo tiqiv y"1 ixexaoxo haben. In E 287 äräo ov
fisv o(pcbi y"1 ölco jiqiv y1 änonavoeo&ai tiqiv y"* ij eregöv ye ne-
oovxa ai/iaxog äoai "Aqijo. hat man vierfaches ye und gern wird
man die zwei Partikeln nach tiqiv entbehren, wie X 266 ovde
xi vühv OQXia eooovxat, noiv y1 i) exeoov ye neoovxa al'juaxog
äoai "Aoija nach tiqiv die Partikel y* in ~ erst von zweiter
Hand überschrieben ist. Vor allem lehrreich ist eine Stelle,
wo tiqiv in der Senkung steht, B 413
juij ttqIv in fjskiov dvvai xal im xverpag il&eiv.
Hier ist ganz sinnlos im aus dem zweiten Gliede in das erste
übertragen, weil man die Länge von ttqiv in jurj tiqIv fjeÄiov
dvvcu, wie Düntzer hergestellt hat, nicht anerkannte. Auch
TL 322 Eff&rj ÖQEtjäftevog tiqiv ovxdoai hat sich einmal tiqiv als
Länge in der Senkung erhalten und ist tiqiv y1 den modernen
Kritikern vorbehalten geblieben. 2 334 ov oe ttqiv xxeqioj,
tiqiv y"1 "Exxooog iv&dd'' ivelxai fehlt y"1 wenigstens im Townl.
und einigen anderen. Was / z. B. -2" 75 obg aQa dt] tiqiv y"1
ev%eo oder .2" 135 ttqiv y"1 iiie öevQ'' ilftovoav . . l'drjm bedeuten
soll, ist nicht ersichtlich. Bei dieser fast konsequenten Be-
handlung von ttqiv ist wohl an attische Redaktionstätigkeit zu
denken. Nauck hat (mit Heyne) diese Tätigkeit aufgenommen,
indem er hier und Z 81 ndvxri inoi%6juevoi , ttqiv avx' iv %eQöl
118 7. Abhandlung: N. Wecklein
yvvcuxöjv, I 403 = X 156 xö tiqIv eii1 Eiofjvrjg, jioiv tWefxev
vlag 'A%cuä>v, i\r 172, IT 322, d 668 das vergessene / nach-
tragen will. IJ 840 vrjag im yXacpvgdg, tiq\v "Exxogog ävdgo-
<p6roio steht es im Syrischen Palimpsest, in GTH''X u. a., da-
gegen fehlt es in ASM u. a. So muß auch P 504 tiqiv eV
für tiqiv y* in? hergestellt werden. Es ist bezeichnend, daß
A2 tiqiv x* bietet. — Der Genitiv Plural des Femininums
des Artikels lautet xdcov , nicht xä»\ Dieses xdan> ist in
den Stud. z. Od. S. 22 für /u 64 hergestellt worden. Herzu-
stellen ist es auch E 424 xcov xiva xaggeCovoa 'A%auddcov
evtcetiXcov nach 7] jiidla dij xiva KvnQig 3A'/a.udöwv äneloa, wo
sich nvd zu xdcov xaooe£ovoa aus dem Vorhergehenden er-
gibt, und E 270 rdcor (für xwv oi) e£ iyevovro evl fieydgoioi
yeve&Xr], wo ol überflüssig ist. — Sehr gelitten hat K 285
OTIEIO flOl, (bg OXE TTO.XQI äfl* EOTIEO TvÖeX SlCp
Eig 0/jßag, oxe je tiqo 'Ayaicbv äyyeXog jjei.
Die regelrechte Form des Aorist von eaofiai ist eojiöuyjv (oe-
0£7l6jLlf]V, OEOTTOfirjV, EOTlO/li])') , EOJlOO/Uat, EOTTOljU1]V , EOTZEO&CO,
EOTtEodai (E 423 im Ambros. erhalten und d 38 herzustellen
nach U2), iojiojuEvog (vgl. xEx?.6jU£vog, durch Reduplikation ent-
standen). Nur % 324 ool (5' aXoyöv je cpilyv onEodai xa\ xExva
xEXEodai scheint ojitoftat festzusitzen, aber es fehlt bei oniofiai
das Wort, das gewöhnlich damit verbunden ist, ä^ia, und in
ool <5' aloyöv xe ä/j,'1 EonEoftai scheint wieder der Hiatus An-
stoß erregt zu haben. In unserer Stelle hat sich oxe infolge
des bei Gleichnissen gebräuchlichen ojg oxe eingeschlichen;
auch wegen des folgenden oxe wird man das erste gerne missen.
Ebenso ist das folgende xe überflüssig; denn wir haben keinen
allgemeinen, sondern einen bestimmten einzelnen Fall; ferner ist
nicht fj£i, sondern fjiev oder I'ev die epische Form; endlich wird
nicht tiqo, sondern vtieq durch den Sinn gefordert; so ergibt sich:
EOTIEO jilOl, OJg JiaXQl ä/jC EOTIEO TvÖeX öico
Eig @fi ßag, oxe vtteq 'AyaiCov ayyElog I'ev.
Nicht ohne Grund also bemerkt Nauck: gravior est versus cor-
ruptela. — A 791 hat in xavt1 EYnotg 'A%iÄiji datcpQovi Her-
Textkritische Studien zur Ilias. 119
werden das Digamma mit JiaoEiJioig hergestellt; nur ist nicht
der bei naoEinoig im Sinne von „einreden" sehr passende Dativ
in den Akkusativ zu verwandeln. Freilich heißt es A 555 /«?
oe Jiagemev. Aber mit rjecht hat Naber durch Ausscheidung
des entbehrlichen oe das Digamma hergestellt: /.a) Jidgaeinev.
In Z 337 vvv de jue nagfeuiovo'' äXo%og . . wq/ujo1 dg jioXejuov
ist fj,s von &Qjui]oe abhängig. — Die gewöhnliche epische Form
ist nicht oiw, sondern ölw und beliebt ist das eingeschobene
oico. Das weist uns auf die Verbesserung von ¥ 310 dXXd
xoi I'jittoi ßdodioxoi deieiv (Nauck üeejuev)' x(5 t' oico XoiyC eoe-
o&ai hin, worin tgj wenig passend ist und t' zwecklos steht:
xöd"1 oder besser xo y\ oico, Xoiytov s'oxai.
6. Zu den Fällen, welche in den Stud. z. Od. S. 71 f.
die Wirkung des Hochtons betreffend zusammengestellt
sind, werden hier aus der Ilias besonders bemerkenswerte hinzu-
gefügt. Von den zahlreichen Fällen, in denen kurze Endungen
die Stelle einer Länge vertreten, werden nur auffälligere nam-
haft gemacht.
I. diu /xh r 357, A 435, cpiXs xaoiyvrjxe, xojluocii £"359,
lojuev 7 6-5, datCwv A 497, ovvexk M 26, xä neot 0 352,
äQrjixTajueva) X 72, snel X 379, W 2, Xvxo (gewöhnlich schreibt
man Xvxo, Tis, s. oben S. 105) $' dycov ü 1, dg äg~et Q 154.
II. co/uoiiv äcpeXeo&m E 622, juiv eqeeive Z 176, Jiöoiag' o
(5' EJtena Z 240, xev e/ie H 77, juev 6V H 389, o/uEgdaXia lä-
Xcov 0 321, äogi A 541, anzog E 484 {axixog iV414), 'AnoX-
Xcora 0 143, ök Tog~ov O 478, mcpavoxcov 2 500, dnoEincbv
T 35, äjzoEQoi) und anoegoeiE 0 329 (sonst dTrfcpös), vrjjivxie
0 474, Te oevcuro !F198, wowos &r2 & 295.
III. ftaog .4 583 (rAaoff 7 639, T 178), Jit^auaxwv Ä' 502,
xexXijuevog ävÖQOXjurjrcp A 371, Tocöag, ai M 288, äjioeoor]
0 283, eV <5eWt, oWa ü 285.
IV. die/uoigÜTo | 434, äfie AT 532, dnevi'Qovxo K 572, nöXig,
aiTisia A 711, dd/uag AXiEyrjvoQidao E 503, TioAti' evxeixeu II hl ,
vcoi (die meisten und maßgebenden Handschriften pomv) (5'
exöTi/ier IT 99 , elovaxai jx 463 (Eiovaxai A 239), 6're aevairo
120 7. Abhandlung: N. Wecklein
n '
.P463, äjiajMJoeie 2 34, /urexiaßov 2 532, Yjuevat Y 365, äjus-
vm <Z>70, Äoe« #208, ßiojuai X431 (/#B 77 852).
V. övvajuevoio X 414, firJTiv o.x6l)mvteH 47, ^Evyvv/xEv ävco-
jev 77145 {t,EvyvvpiEv O 120), jiiejuev 77 825 {tiie^ev 77 481),
fiEQoneg äv&Qconoi 2" 288, rj77roa)' d?'0£>ot> oev 71 396, t/oj' (ge-
wöhnlich nor geschrieben) ^Ayaio'i S* 703 (eo^a nov ebd. 705),
äjurjoaviEg Q 451.
VI. EÖjuEvai ädrjv E 203 (sonst udi]v), aioXov b'qpiv M 208.
Gewöhnlich sträubt man sich solchen Einfluß der He-
bung anzuerkennen und sucht ihm auszukommen. Z. B steht
r 240 in den besten Handschriften die unerhörte Form öevqo)
(j) öevqco fxev ejiovto) oder schreibt man A 474 £7ior&'1 für etiov,
77 145 t,EvyvvnfXEv , Y 365 XfXfievai im Etym. M., eijuevüi G.
Meyer, ai/> /"/<£?' Nauck, aVr' i'jlievcu für I'juevcxi avx1 Leeuwen,
37 208 ovtpiv, dxpiv, öorpiv, oqviv, vdgor, cy%iv. Am meisten
widerstrebt es allerdings eine Änderung anzuerkennen wie die
von W. Schulze zu 77 340
ocpqa bC avrdcov IjijirjXaoirj odog Er}.
oder zu !7r47 'i£et ä%og xoadirjv, ö(pga £,cooToi jueteco. Interessant
ist es, wie sich die Erklärer in 7 244 xo.vt'1 aivcbg ÖEtdoixa xard
qjQEra, f-ir) ol änEikäg exteXeoo)oi Beo'i, tj/juv dk drj ai'oijuov h]
xxe. mit dem Optativ eifj nach exteXeoojoi abfinden. Bei Ameis-
Hentze heißt es: „Der Optativ nach dem Konjunktiv exreXs-
oojoi wie i 77 (wo aber FM yEvrjrai geben und yh'oiro aus
133 stammt), indem dem zunächst Befürchteten die sich daran
schließende weitere Folge in Form einer Vorstellung ange-
fügt wird." Bei La Roche liest man: „der Optativ zur Be-
zeichnung einer subjektiven Annahme". Zu der vorigen Stelle
77 340 aber wird einfach auf diese Stelle verwiesen. Bei Leaf
heißt es: the opt. of the remoter consequence, as frequently.
La Roche führt als Parallelstellen für die Verbindung von
Konjunktiv und Optativ 2" 308, ü 586, 655, | 183, o 300,
£"165 an. 2 308 ävrrjv oTyoojiiai, ij xe cpEorjoi jueya xgdrog
i] xe (pEgoijLirjv ist eine solche Änderung des Modus geradezu
undenkbar. Man müßte also eher mit Nauck die Lesart des
Textkritische Studien zur Ilias. 121
Syrischen Palimpsests <peooixo für (peoijoi setzen, wenn nicht
der Konjunktiv notwendig wäre. Dem (pegrjoi aber entspricht
qpeQojjni, wie Naber hergestellt hat, eine Form, die gewöhnlich
der Änderung nicht entging und z. B. yl (xvycojui) nur in der
Handschrift M, 2 63 vvv ö"1 eljn\ öcpoa l'dco/ui nur in GS er-
halten ist. Q 586 ist ä?uxt]xai iqpexfiäg nach xaxaxxeiveie für
äXixoixo nur zur Ausmerzung des Hiatus gesetzt worden.
Mit ü 655 hat es eine andere Bewandtnis, worüber später
zu sprechen sein wird, £ 184 gibt das Schwanken der Hand-
schriften zwischen cpvyj] . . vnegoyj] und cpvyoi . . vjiegoyoi einer
rationellen Kritik sichere Weisung. Wie hier (pvyot für cpvyrj
fehlerhaft ist, so ist es auch o 300 og/uaivcov ?j y.ev ftävaxov
<pvyt] f]e äXw]). S 165 endlich hat Leaf yevei iv (od. yeveiev)
ßXecpdgoioiv hergestellt. Da man hier glaubt mit einer neu-
gebildeten Form ety oder juexeUo auskommen zu können, ist
es gut, daß uns ein Fall zu Gebote steht, in dem eine solche
Aushilfe nicht möglich ist. In g 196
oxi]ginxeod~\ inel i) cpäx"1 dgiocpaXe"1 e/n/nevai ovdov
scheint zwar die von Heraklides gebotene Lesart ägioq aXh
e/ijuevat ovdag annehmbar zu sein, da ovdov für ödöv undenk-
bar ist, aber es gibt eine ähnliche Stelle ü 527
öoioi ydg xe jiiOoi xaxaxeiaxnt iv Aibg ovdei,
die uns eines Besseren belehrt. Daß auf dem „Füßboden des
Zeus" die zwei Fässer des Guten und des Bösen stehen sollen,
ist ein zu geschmackloser Ausdruck, als daß er einem Dichter
zugemutet werden könnte. Ihr Gewand kann Athene auf den
Boden ihres Vaters (naxgbg in' ovdei) fallen lassen (E 734,
0 385). Diese Stelle ist übrigens unecht. Man hat Aibg ovöqp
vermutet; aber auf der Schwelle des Zeus ist der Ort für die
Fässer noch weniger zweckmäßig. Besser hat Nauck an avXfj
gedacht, nur entbehrt eine solche Änderung jeder Wahrschein-
lichkeit. Das passendste Wort ist iv Aibg edei, welches an
dieser Versstelle begreiflicherweise zu ovdei wie dort ödöv zu
ovdov wurde. — Auch v 186 gibt einen zwingenden Beweis
ab. Nach v 250 verspeisen die Freier jgroße Schafe, fette
122 7. Abhandlung: N. Wecklein
Ziegen, Eberschweine und eine Kuh von der Herde (öig jueyd-
Xovg y.al niovag alyag, avag oiäXovg y.al ßovv äyeXaifjv). Die
Eberschweine, und zwar drei für eine große Festmahlzeit, hat
natürlich Eumäos beschafft (v 163), die Ziegen der Ziegenhirt
Melanthios (v 173); die Kuh und die Schafe muß also der
Rinderhirte Philötios vom „Festland", wo die Rinder und Schafe
weiden (| 100), auf der Fähre herübergebracht haben. Dem-
nach hat die Stelle v 185 gelautet:
toToi (5' im loirog ?]?$£ <Piloixtog öoyajuog ävögäw,
ßovv oxeioav fivriaxfJQaiv äycov xal niovag öig.
Die Handschriften aber geben, wie man auch in den Ausgaben
gewöhnlich liest, niovag alyag, während dem Philötios Ziegen
gar nicht zu Gebote stehen. Nur die Münchener Handschrift
(U), deren Wert in den Stud. z. Od. S. 36 ff. dargetan worden
ist, hat ol'ag, wie auch M als Variante bietet. Der Akkusativ
lautet aber immer öig. Ebenso hat Leaf A 678 ncße öiojv für
nwea olcov und Platt A 696, O 323 ncov öiojv für n&v fxef
oidw verlangt. .1611 all'1 Wc vvv, näzQoxle ducpäs, NsoroQ1
eqeio macht die Form eqeio, wofür auch egoio überliefert ist,
Schwierigkeit. Es ist eben die normale Form eqeo herzu-
stellen. Ebenso ist Q 503 wie t 269 äXV aideio fteovg die
nicht epische Form mit ai'deo zu beseitigen. — A 559 övog
. . vofirjg,
co di) Jioklä jieqI QOTtar äjLupig Myt]
könnte die mit Beifall aufgenommene Änderung von Ahrens
ä^icpifEfdyr] gebilligt werden, wenn nicht jieqi vorherginge:
weder an äficpig (entzwei) noch am Aorist im Gleichnisse ist
irgend etwas zu beanstanden. — IF 826 avidg Tlr]Mdi]g ftrjxev
ooXov al'Toyocovov ist avxo%oavov die rationelle Form. Vgl.
Bechtel Lexil. 77. — Während die Formen fiefiäoreg, /liejuciöte
für [xefJLa&Teg, /uEiiacbrE durch Quantitätsumsetzung entstanden
sind, erklärt sich der Versausgang aXoo iiE/xacog IT 754 nur
aus der Wirkung des Iktus. E 708 nXovxoio /uE/ir]Xwg, N 297
und 469 nxoXe/xoio /LiEju^ktog ist, wie Nauck erkannt hat, fisfirj-
Xcog aus fufiacog entstanden. Ohne Grund denkt Nauck an
Textkritische Studien zur Ilias. l-^
jLiejurjcog. — In 9? 195 noloi x1 eh"1 'Oövo>~]i äfivvefiev, el' no&ev
el&oi wde ftdX1 eg'amvrjg xal xig fieög auxov evetxai ist die
Form eveixai, für welche GU2 eveixr}, F eveixev, M3 eveyxot
bieten, verdächtig. Abgesehen davon , führt", nicht „trägt
der Gott her", wie Aristonikos zu W 263 bemerkt, äxQtßrjg
6 jioir)T}]g jieqI xd äxrd xal (pogi]xd. Der Sinn verlangt also
äydyoi für eveixai, wie es (p 201 heißt dydyoi de e dai/ucov und
wie 7 411 dtxßaöiag xfjgag dyejuev (für (pegeuer) ftavdxoio xe-
Xooöe zu schreiben ist; denn wie La Roche anmerkt, wird sonst
in diesem Sinne äyeiv gesagt, vgl. N 602 xbv äye jiwTga xaxt)
ddvaxoto TÜoode, B 834. — In F 453 ov /.dv ydg (päoxrjxi y
exev&avov, el zig l'dono hat Heyne exevdov dv hergestellt. An
l'doiro ist zugleich der Mangel des Digamma wie der Optativ
zu beanstanden: beide Fehler werden mit et zig eidev besei-
tigt. Ebenso wird M 333 das Digamma hergestellt, wenn man
et' Jiva t'doi für ei xiv l'dono schreibt. — Q 425 ch xexog, r\
g' dya&öv xal evaioitua öcoga ötdovvai gibt didojuev eine nor-
male Form.
Ein lehrreiches Beispiel für die Kraft des Iktus bietet
ydg in folgenden Versen:
B 39 ihjoeiv ydg er' l'jueXXev en dlyed xe oxovaydg xe
T 49 eyyei egeidouhay ext ydg eyov eXxea Xvygd
X 580 Ayxoa ydg fjXxrjöe, Aibg xvdgrjv nagdxoixiv.
Es ist also an und für sich unnötig in der ersten Stelle mit Nauck
■&f]OE[xevai ydg e'jueXdev er' äXyea zu ändern. Ebenso könnte SU
noXXdv ydg p' djidvev&e ptäyrig sigvaxo vrjeg das unnütze g"1 ein-
fach wegfallen, sehr gut aber verlangt Menrad ydg o<p\ „da-
mit die Beziehung zu den vorhergenannten Personen klarer
wird". — A 243 und 246 fordert der Sinn unbedingt xirpff
ovxcog (dbg vjueig) eoxaxe xeßrjjtoxeg fjvte rsßgoi; (ovök jud^eoi^e),
nicht t'nxrjxe oder roxyxe. — Wie 0 316 ij/isvai er jueydgcp ?j
ei'gta neixexe, %egoiv für nexexe steht, so ist N 612 äfivrjv
evyaXxov, eXatvcp d/tcpt jieXexcp , wie BMSHbY u. a. geben, in
AGX u. a. zu JieXexxcp, !F851 tjjumeXexa zu ^utTieXexxa ge-
worden. Mit Recht geben die meisten Handschriften e 244
124 7. Abhandlung: N. Wecklein
eixooi (5' exßale öovga, nelexr\oev (3' äoa yßkxw und verdient
nicht das minder beglaubigte neXexxt]oev den Vorzug. — Diese
Erkenntnis beseitigt, wie mir Herr Menrad mitteilt, den Ein-
wand gegen die Emendation von P 724, die er in der Schrift
de contr. et syniz. usu Hom. S. 166 veröffentlicht hat:
Tocoixog, cbg e'fidov vexvv äeigovrag 'Ayjiiovg
für ei'dovTo vexvv aigovxag. Ebenso Brandreth.1) Die Vor-
stellung nämlich, daß die Endung in vexvg, vexvv ursprüng-
lich lang sei, ist gewonnen aus den Stellen H 84, P 394, 692,
2*180, X386, W110. In allen diesen Stellen steht die En-
dung in der Arsis, sie beweisen also nichts für die Ursprüng-
lichkeit der Länge, ebenso wie aus Stellen wie Tiolvg ävaxrjxiei
Idgcog N 705, dsiodvrcov (p&oyyov re ßaqvv abxov re jieXcooov
nicht die Länge der Endung in nolvg und ßaovg gefolgert
werden kann. Was den Hinweis auf das Zend anbelangt, wo
der Akkusativ nasüm = vexvv auch gelängt sei, was auf ein
hohes Alter dieser Endung schließen lasse, bemerkt Herr Menrad
weiter: „Es ist richtig, daß die U-Stämme im Zend einen Ak-
kusativ um aufweisen, z. B. pasu (= pecus, Vieh) pasüm, vgl.
W. Geiger, Handbuch der Avestasprache 1879 S. 23. Nun
kommt es zunächst darauf an, ob das nächstverwandte Sans-
krit das gleiche aufweist. Da zeigt aber jede indische Gram-
matik, daß das Gegenteil der Fall ist. Man unterscheidet im
Sanskrit bei U-Stämmen vorwiegend Maskulinstämme auf u,
z. B. täntu-s (Faden), tärus (Baum), Akkusativ tantüm, tarum,
und vorwiegend Femininstämme auf ü wie vädhü-s (Frau),
väsü (Mädchen), Akkusativ vädhüm, väsmn. Dem entsprechen
genau die bei Gustav Meyer Gr. Gr. 1886 S. 310 (nach Hero-
dian) zusammengestellten (vorwiegend) Maskulina yevvg, dgi)-
vvg, ßoxgvg, tfouovg, nelexvg einerseits und die Feminina nXr\-
9 t t 9
ftvg, ßqoyrvg, äxovxiorvg, xhvvg andererseits. Also scheint na-
') Daß die Verbesserung von Leeuwen elöovro vexvv iovovzag nicht
den Vorzug verdient, zeigt die Beziehung auf das vorhergehende vexqov
ojio zdorog ayxäCovio vxpi fiäXa, während eovovzag hier dem Zusammen-
hang nicht entspricht.
Textkritische Studien zur Ilias.
125
süm im Zend eine singulare Eigenheit dieses Sprachzweiges
zu sein, die für das Griechische nicht bindet." — S 357 geben
die meisten und besten Handschriften tiqocpqcov vvv Aavaoioi,
IJooelöaov, Itkxjlivve: außer M haben nur geringere Hand-
schriften ITooEiöäcov. — Q 79 fieiXavi erftoge tiovtco hat ein
Harl. [xekavi erhalten: die Änderung von Leeuwen olvom ist
unnötig. — II 442, 21 464, X 180 ist davdxoio övoaxeog her-
zustellen nach Apoll. Lex. övoaxeog- xaxa am momoiovvxog,
da bvor\%r\q bei däraxog unverständlich ist. — d 244 fordert
der Sinn für fäv das reflexive e (avrov e . . dajuäooag). Das
gleiche ist £845 der Fall: 'Ad>p>)] övv "Aiöog xvverjy, juij e
(für fitv) l'öoi oßoijuog 'Agrjg. Damit wird auch das Digamma
gewonnen. — Wenn die besten Handschriften <P 542 mit Ari-
starch cpevyov o ds otpsdavcbv (für oyedavbv) etpen^ schreiben,
so kann nur die Verkennung des Hochtons den Fehler veran-
laßt haben. — Will ovorjäg z djxQvve xal äreoag kennt Didy-
mos die Lesart „vieler Handschriften" ovgrjag wxqvvs (ohne z).
Diese ist um so glaublicher, je ungewöhnlicher sie erscheint.
— 0 535 hatte Aristarch ejiav&s/uevai, die Handschriften geben
In äy) dejuevai. Der Ausdruck für das Schließen der Türe ist
emzi&evm (fivgag emOeloa S 169) und avxig imfie/uerai ist bei
Porphyr. 176, 12 Schrad. erhalten. Sowohl ätp ^ijusvai wie
äv&^uevai soll mit der vermißten Länge dem Metrum auf-
helfen. — Der Ausdruck „atmete auf, kam wieder zu sich"
heißt gewöhnlich {Ä 359, Z475, £458, co 349) äfxnvxo und
bildet die xojuI] xaxä xgixov xQo%aTov. Nur an zwei Stellen
i? 697 avxig ö"1 ä/unvv&y] und E 436 xevav o <5' ä/xnvvdt} steht
dafür äfxnvvdrj, offenbar weil hier die Mittelsilbe in die Thesis
fällt. Daraus ergibt sich, daß die Mittelsilbe von ä^nvvxo
von Natur kurz ist, wie man erwarten mußte und wie X 222
Cobet äjujivvo für afxnvve hergestellt hat, und daß von nvv-
keine Rede sein darf. — W 533 ist ngö e&ev zu nooooodev
o-e worden. — Q 524 geben die Handschriften
ob yaQ xig JiQtj^ig Tiehxai xqvsqoio yooio.
So hat man auch x 202 = 568
126 7. Abhandlung: N. Wecklein
äXX"1 oi< yng xig 7ig)~]£ig hyivtxo /.wgo/uevoioir.
Sonst hat ngrjgig bei Homer die Bedeutung „Geschäft, Handel",
während wir für den vorliegenden Sinn in r} 544 tuiyJxi . .
y.hu ', enel ovx ävvo'iv xiva öijojuev das Wort ävvoig erhalten.
Nun bietet an unserer Stelle der cod. Townl. und von zweiter
Hand ein Harl. sowie mit ev äXXco das Scholion A xig r ävv-
oig. Nimmt man als ursprüngliche Lesart xig ävvoig und in
dem Odysseevers ävvoig xig an, so hat die Vertauschung von
Synonymen den Zweck den gewohnten Rhythmus herzustellen.
Ein ähnlicher Fall begegnet uns Q 9 xcov juijuvi]ox6jiievog
da?,egdv xaxä öuxgvov elßsv. Es wurde früher (Stud. z. Od.
S. 50 f.) beobachtet, daß z. B. d 531 cbg 'Odvoevg eXeeivä vn
öygvot ödxgva heißer in eXeeivbv . . ödxgvov elßer verwandelt
wurde, um den Hiatus zu vermeiden. Diese Beobachtung wird
durch die vorliegende Stelle in gewisser Hinsicht bestätigt,
nur ist es hier der Rhythmus, der die Änderung veranlaßt
hat. La Roche hat nämlich gefunden, daß wo zu ödxgvov
das Attribut OaXegog tritt, ieoi steht. Dieses kann mit da-
Xegd xaxä ddxgva xe?>£V hergestellt werden. Nur an einer
Stelle Ü 794 findet sich fivgo/jievoi- ftaXegbv de xaxeißexo öäxou
jiagijcov, aber die bessere Form ftaXegöv de eXeißexo ist auch
hier dem Hiatus zum Opfer gefallen. — o 413 xjjoiv V äptpo-
regrjoi Jiaryg i^udg eßaoiXeve ist eßaoiXeve nur in HUX er-
halten; die meisten geben e/ußaoiXeve, nach P behalf man sich
mit fjyejuoveve. Das gleiche Schwanken der Handschriften
kennzeichnet den dargelegten Sachverhalt B 572
xal 2ixv<x>v\ öd? äg"1 "Adgqoxog ngcbr' eßaoiXevev,
wo andere, darunter A, e/ußaoiXevev, andere (BM) eßaoiXevoev
geben. Nebenbei bemerkt, steht äga zwecklos und dient nur
der Beseitigung des Hiatus in öd i "Ädgi]oxog. Die Quantitie-
rung von eßaoilevev ist keine andere wie die von dvyaxegeg,
dvoavöeig u. a. Die Schreibung dvooavoeooa, welche sich in
Handschriften, an verschiedenen Stellen auch in A findet, unter-
scheidet sich dem Werte nach nicht von dem vorausgehenden efi-
ßaoiXevev. — A 624 xoloi de zev-^e xvxecö evnXöxa^iog cExajnrjÖ7]
Textkritische Studien zur Ilias. 1-7
•
haben SGI Athen. XI 492 E die Form xvxeco für xvxelöj er-
halten; xvxecöv heißt der Trank auch x 290, 316: wir werden
die Hebung der „epischen Dehnung" vorziehen. — In der Er-
zählung des Nestor heißt es A 723 eyyu&sv Ag/jvrjg, odi /ueiva-
juev fjoa diav Imifjeg IlvXicov, rd <5' etieqqee eüveu n£L,cov, womit
sich Nestor zu den Wagenkämpfern rechnet, obwohl ihm der
Vater den Wagen entzogen hat und er erst durch die Fügung
der Athene zu einem Gespanne kommt (738). Erst dann kann
er sich unter den Wagenkämpfern auszeichnen (720), aber
nicht kann er JiEt,6g ecbv (721) in ihrer Mitte ausrücken. Also
muß öt)i sjusrov f]6a diav Innfjes geschrieben werden. Nur
wenn nicht ausdrücklich die i7iHfJ£g und tte^ol gesondert würden,
könnte fuetva/usv passend erscheinen. Auch das Imperfekt ist
vor etieqqee erwünscht. — In Q 62 navxEg (51 dvxidaodE steht
das Medium vereinzelt und ist gewiß ebenso für dvxidaxE
wie oben eoxtjje für eoxolxe gesetzt. — In T 265 ejuoi dsol äXyea
dolev TiolXa [xür , oooa öiöovoiv 6 xig 09?' d)dxi]xai ujuoooag ist
099g zweifelhaft, denn es bezieht sich sonst immer auf zwei: zu
ö ti$ dlix^xai ergänzt sich das persönliche Fürwort leicht
wie häufig. — In M 379 und 392 Zagntjöävog ixaigov — Zaon)]-
dövi d' ä%og (so Paris, suppl. 1095 und Lips.) hat das Ver-
langen einer Länge die willkürliche Form ZaQjzijöovxog, Zag-
7i)]dovxi hervorgerufen. — W 468 heißt es von den zurück-
bleibenden Rossen des Eumelos: ai <5' Eg'rjQtüijoav, ind iiivog
Eklaßs {)vjh6v. Mit eqcoeco „ströme hervor" A 303, n 441 kann
E^rjQ(o?]oav nicht in Verbindung gebracht werden, welches man
nach dem Scholion T e£ft) cog/utjoav xov öqojuov xovcpiodEToai
xov i)vio%ov „rasten hinaus, gingen durch" erklärt. Dem Zu-
sammenhange entsprechend kann es nur ebenso wie vjiEQcöijoav
© 122, 314, 0 452 („wichen zurück") auf eqcoeco „ruhe, lasse
nach, bleibe zurück" zurückgehen. Dann wird freilich /uevos
sldaßs ftvfxov unverständlich, welches übrigens auch bei der
gewöhnlichen Auslegung von i£t]Qc6i]oav keinen klaren Sinn
abgibt. Man erwartet eXine für eXXaße: die Rosse blieben
zurück, weil ihnen der Mut ausging. — Man versteht, daß ein
äxEcpalog nicht leicht der Änderung entging, wenn sie nur
128 7. Abhandlung: N. Wecklein
möglich war. Offensichtlich tritt das an 0 272 avxdg o avxig
t(6v, ruiig tag vtio fXfjTega, övoxev Eig Alav&y ' o de xxi. hervor.
Wie soll hier eig verständlich sein? Die Erklärung „in den
Bereich von Aias" wird begreiflicherweise ohne Beleg ge-
geben. Der Sinn fordert unbedingt vti"1 Al'av§\ — E 652
liest man:
ool <3' eycu ev&dde cprjiu cpövov xal xfjoa juekatvav
«| eiie&ev rev^eodai, ejlko <5' vjio dovgl öatiEvxa
ev%og ifioi öcooeiv, \pv$\v ö"1 "Aldi xXvxojimXcp.
Den gleichen Text hat man A 444, nur mit dem Unterschied,
daß ijjiiart xcoö"1 eooeo&ui für et; ejuefiev xEvl-eofiai steht. Die
Vermutung, daß es ursprünglich an beiden Stellen l| ejue'&ev
Eooeo&ai geheißen hat, wird durch das alleinstehende xev^e-
odai bestätigt. In der zweiten Stelle ist rj/xazi twö"1 nach
ivddöe (hier auf der Stelle) überflüssig. Das eine Mal hat
man also den ungewohnten Rhythmus durch x'evt-eo&at, das
andere Mal durch yjuau read' beseitigt. — A 679 xoooa ovatv
ovßöoia, xoo1 aijioha jiXolxe alycöv billigen manche die fehler-
hafte Form des cod. Townl. ovßooeia. — Dem steht defieiha
für deixelia M 28, 1F255 zur Seite. — In H 1 mg elnwv nv-
Xeojv e£eoovxo qxxiöijuog "Exxcoq erregt die dreisilbige Form
nvXeoiv Anstoß. Die gewöhnliche Form des Genitiv Plural ist
doiv. Die Endung ecov findet sich an einer Reihe von Stellen
(vgl. v. Leeuwen Enchir. S. 196 f.), aber nur als eine einzige
Silbe wie cbv, z. B. ägecov, ßovXea>v, etpexjueoDv, &vqecov, xo>/-
VEiov, vvfiq)EC0v (vvju(pä)v), JiyyECOv, nh]yeoiv, noXXemv, xgvqxx-
Xeicöv, wxeiXeüov. Zweisilbig ist ecov nur an drei Stellen: nv-
Xecov H 1 und J/340, Ovqecov <p 191. iV/ 340 f. sind von Düntzer
als nachträglicher Zusatz erkannt worden, cp 191 gibt G exxo-
o&e für ixxog, so daß man exxoo&e &vqeü)v erhält. Es bleibt
also nur H 1 übrig. Mit Recht hat Bentley JioXiog geschrieben.
Man kann glauben, daß nvQycov, wie Fick vorgeschlagen hat,
der Überlieferung näher komme; aber man muß eben erkennen,
daß die Stellen, an denen die Hebung eine Kürze gestattete,
gerne geändert wurden, wenn die Änderung nahe lag. — Ein
Textkritische Studien zur Ilias. 129
recht sprechendes Beispiel bietet Q 404 ovde xev scg ÖExdxovg
jisQiTelXo/Lievovg ivtavxovg, wo der Sinn unbedingt eg öexaxov
jieqixeXX6[xevov eviavxöv fordert. — In gleicher Weise ist
der Plural &aXä/iovg in % 142 cbg eIticdv dveßatve MEXdv&iog . .
Eig ßaXdluovg 'Odvorjog dvd Qcbyag /ueydgoio entstanden. Der
Ziegenhirte geht in die Waffenkammer, welche immer mit dem
Singular ftdXajuog bezeichnet wird, also slg &dXafxov. — B 85
oi <5' E7iavEoxr\oav jieidovxö te jioijuevi Xadiv
kann von einem Gehorchen keine Rede sein, sondern nur von
einem Nachgehen, also muß oi <3' inavEorrjoav eiJiovxo xe ge-
schrieben werden. — B 823 övai 'Avxrjvogog vis, AgxeXoyog t'
'Axdfiag xe, fidyjjg ev eIöoxe Jidorjg steht xe nach Ag^eXo-yog
zwecklos. — Daß für elavov II 9 (am Anfang des Verses) ia-
vov gesetzt werden mute und die Form Eiavog keine etymo-
logische Berechtigung hat, ist von Leskien in G. Curtius Stu-
dien II S. 85 dargetan worden. — 77 208 ist für (pvXomdog
juEya sgyov, öo xo jiqIv das ungeheuerliche &]g xb jigiv über-
liefert. — II 353 cbg Öe Xvxol ägvEooiv EJisygaov /) igiqoioiv
olvxai, vtiex ju/jXojv aloEVjUEvoi, ai' t' ev öqeooiv . . diex/iiayev
geht aus dem Scholion ovxwg ,ai' xe"1 dt]Xvxmg, ai oieg hervor,
daß es eine andere Lesart gab, und wegen firjXvxcog nimmt
man oi xe an. Nicht ohne Grund ist juqxgcöv für /nrjXcov vor-
geschlagen worden, welche Form nur dem Epos nicht zu-
kommt. Die Grammatik fordert ä xe. — In P 65 dycöv d/u(pl
dk xov ye (mit dqiocov xov ö"1 ä/jupl hat Christ die epische Form
hergestellt) xvveg ävdgsg xe vofxvjeg hat nur X xvvsg x\ da-
gegen P 658 geben die besseren Handschriften xvvag t1 und
fehlt x1 nur in einigen geringeren. — d<paob] haben P 695
SBMG2T, d 704 F von erster Hand, das anomale d/upaoa]
geben dort AG*X u. a., an der anderen Stelle die meisten
Handschriften. — a 24 habe ich Stud. z. Od. S. 74 f. dvotusvov
für dvoofievov dem gegenüberstehenden dviovxog entsprechend
verlangt; eine gewisse Bestätigung bringt .Z 134; denn dem
fit] na) xaxaövEo (für xaxadvoso) dient die Negation zur
Stütze. — 2 198 dXX1 avxog (so Zenodot und Aristophanes) ml
Sjtzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 7. Abh 9
130 7. Abhandlung: N. Wecklein
xdcpgov Iojv Tgcoeooc cpdvrpJi (d. i. für dich allein ohne Waffen)
ist avxog zu avxajg oder avxayg bei Aristarch und in allen
Handschriften geworden. — Y 381 ftogev (pgeoiv eiiievog äXxtjv.
Der Homerische Ausdruck ist ovl (vi) elxeXog äXxrjv oder em-
eiiievog äXxrjv. Die dXxt) liegt in der Körperkraft, nicht ev
(pgeoiv. — In F 259 rj ga xal ev deivco odxe'i eXao' ößgiiiov
£y%og, o iiegdaXeco , /ueya <3' äiicpl odxog iivxe dovgög äxwxfj
befremdet nach deivco das hier wenig geeignete Epitheton des
Schildes ojiiegdaXecp. Geringere Handschriften geben ojuegdaXeov
und sehr ansprechend ist die Änderung von Heyne o/xegdaXeov
de uey"1 äficpl odxog. Aber der Fehler der Überlieferung er-
klärt sich, wenn es ursprünglich oiiegdaXea de fxey"1 äjucpl
odxog /.ivxe geheißen hat. Vgl. o/uegdaXea xxvneoov H 479,
oiiegdaXea Idxojv E 302, Y 382. O 609 bieten YbHb o/uegda-
Xea (für o/xegdaXeov) xgoxdcpoioi xivdooexo und so liegt die Ver-
mutung nahe, daß auch oiiegdaXeov xovdßyoav (xovdßi£e) B 334,
466, o/iegdaXeov d"1 eßorjoe 0 92, o/uegdaXeov <5' <p/nco£e .Z" 35,
ofiegdaXeov d"1 eßoyoe & 305 aus dem gleichen Grunde aus
ojuegdaXea entstanden ist. Bestätigt wird diese Vermutung
durch die treffliche Emendation, welche dem Verse i 395 ojueg-
daXeov de /uey"1 (pjaoog'ev, Jiegl d1 laxe neigt] die richtige Ge-
stalt gegeben hat: ojj.egda.Xe"1 cpficog'ev Jiegl de iieya ld%e neigt).
— 0 236 JioXXovg, oi ga xax avxov äXig eoav wird die Her-
stellung der epischen Form xaxd e äXig durch das Digamma
von äXig bestätigt. Auch darin liegt eine gewisse Bestätigung,
daß der Vers nur in dieser Form nach 343 wiederholt werden
konnte; denn während sich avxov, welches sich an der ersten
Stelle auf den Flußgott bezieht, an der zweiten nicht auf nediov
beziehen kann, ist dies bei e zwar selten, aber doch möglich
(vgl. A 236). — ü 259 ävdgog ye ftvrjiov jidig ejuLievat, dXXd
fteoTo gibt S ftvrjioZo: diese Form kann mit ävdgog ftvtjioTo
Jidig gehalten werden. — W384 ög gd oi ex %eigwv eßaXev judoxiya
cpaeivfjv entspricht xeigög dem Sinne besser. — ?F365 oi d"1
coxa diengijooov nedioio, vöocpi vecov, xaxecog' vjzö xxe. ist laxecog
nach coxa unbrauchbar; es ist mit xayeeg das bei ra^g ge-
bräuchliche Adjektiv herzustellen. — Dem Itjg ex vydvog Q 496
Textkritische Studien zur Ilias. lol
entsprechend hat Zenodot 0 95 loydorgiog für öjuoydoTQiog über-
liefert: so muß also auch Q 47 fje xaoiyvyrov loydoxQiov für
öfxoydoiQLOv hergestellt werden. — Der Plural von juevog findet
sich in der Redensart juevea nveiovxeg B 536, A 508, wo man
ihn dem Versmaß zugute halten muß. Daß Nauck für jueve'
dvÖQcbv A 447, O 61 mit Recht juevog ävdocöv fordert, zeigt
B 387 diaxgiveei juevog ävdocöv und ö 363, wo juevog dvögcov
von Aristarch und in P von zweiter Hand erhalten ist. An
jenen Stellen ist juevea unter dem Einfluß des vorhergehenden
ey%ea entstanden. Der Bedeutung des Wortes entspricht, wie
K. Witte Glotta II S. 19 ff. dargetan hat,1) der Singular, der
sich an zahlreichen Stellen findet. Deshalb wird man für ejucbv
juevewv äjiegwevg O 361 statt ejuov jueveog djiegcoevg die kurze
Endung von jueveog verantwortlich machen. — Aus gleichem
Grunde ist Z 136 övoe&> dXog xaxd xvjua für dvoeß"1 ä?,ög vjiö
xvjua gesetzt worden. Vgl. 2 145 ai <5' vno xvjua &aXdoorjg
avxix' edvoav. Ilicpavoxco hat die erste Silbe kurz, lang nur
infolge der Hebung, z. B. Qoi'Qyjoev ö"1 äga nitpavoxiov K 502,
ö/jjuco myavoxcov 2 500 so gut wie öcpiv M 208 Tgcöeg (5' eqqi-
yrjoav, onoog i'dov aloXov orpiv. Deshalb kann ovg vcöiv nirpavoxe
AoXwv K 478 nicht richtig sein. Weil man in vcöiv emcpavoxe,
wie Brandreth verbessert hat, für vcöiv Position vermißte, blieb
das Augment weg. — A 460 entspricht xexXöjuevoi xad"1 öjuiXov
ganz der Bedeutung von xard, nicht aber äXW l'ojuev xa\V
öjudov A 469 oder fjXdov xa&* öjudov P532: äv"1 ö/udov wurde
aus dem gleichen Grunde geändert. P 365 schwanken die Hand-
schriften zwischen dv' öjuiXov und xaff öjudov: obwohl xad
öjuiXov besser beglaubigt scheint, wird äv"1 öjudov durch die
vorhergehende Endung oio'' von äXXJjXoig gefordert. — Zu den
Bemerkungen über l'tjjui Stud. z. Od. S. 76 f. kann avxe jue^ie-
[aev"Exxoqi vixijv ^364 hinzugefügt werden, wo bezeichnender-
weise A u. a. jueßeiejuev geben. — Oben S. 23 ist die Unform
äxtjyjdaxai beseitigt worden; eine zweite haben wir in äxij-
*) Inbetreff des umgekehrten Verhältnisses von Sdvrr] kann auch
auf A 272 verwiesen werden, da 6l-eV = o^elai undenkbar, die Änderung
von Bentley 6^sV oövvrj dvvev also nötig ist.
132 7. Abhandlung: N. Wecklein
y/iihn] qnXov rjrog E 364, ßv/udv &xr)xefievcu 2 29. Es gibt
das Perfekt &xd%rjfiai und den Aorist äxa%6firjv: zu jenem heißt
das Partizip dxayy/iievog, zu diesem dxayojuevog, also muß E 364
dxayojuevrj, 2 29 dxayö /xevai hergestellt werden. — 2 525
folgt auf jui]/M . . xal eXixag ßovg: oX de rdya ngoyevovro.
Bekker will m für ol' setzen, da sonst ßovg im Plural von einer
Herde gen. fem. ist. Die gemeinsame Beziehung auf jufjXa
und ßovg erfordert rd. — Q 749 r\ /xev juoi £qwg Tieg ed)v cpiXog
yo&a deoloiv steht Jieg bedeutungslos für IV ; auch hat schon
Bentley juoi beanstandet: der Zusammenhang mit dem folgen-
den Vers verlangt ojuöjg (in gleicher Weise im Leben und im
Tode). — T91 und 129 Adxrj(v) r) ndvxag ddxai verlangt der
Sinn äaoev. Es ist nicht nötig mit Brandreth äaooe oder
mit Nauck fj t1 äaoe ndviag zu schreiben. — In A 109 "Avn-
cpov av jiaod ovg elaoe g~i<pei stört die nicht epische Form ovg.
Daß av ovag (Nauck avt"1 ovag) ursprünglich ist, ergibt sich
aus Y 473 Movfaov ovxa nagaordg dovgl nag"1 ovg' eldag de
cV ovarog ^Xd^ exegoio, wo die Handschriften zwischen nag''
und xar"1 schwanken und Brandreth <5ovo' ovag hergestellt hat.
— Wie co 113 fast in allen Handschriften die Unform juaye-
ovfxevoi für fiayedfievoi überliefert ist, so haben wir auch Formen
wie ndrjfAEvai für riftejuevat W 83, 247 aufzufassen. Eine
Unform ist auch ygeojjuevog W 834 ygecb/iievog' ov fiev ydg ol
dzejußo/xevog ye oidr/gov jioijuijv: sie wird beseitigt mit %Qeo-
fiEvog' ov fiev ol drEjußojuevog. — Den Formen äei, devreg (arj-
xov 1 5 ist dfjzov als Konjunktiv zu schreiben im Gleichnisse)
entspricht defievog, wie £ 131 für drjfievog zu setzen ist, und
äero <P 386 (für ät]io). ^214 alya de jiovtov l'xovzo dijfierai
ist so der Infinitiv entstanden, während der Sinn das Partizip
dejuevoi fordert. — !Z/126 hat man nagaxdßßaXov vlrjv in
dem richtigen Sinne „sie luden das Holz neben der Stelle,
wo die Leiche verbrannt werden sollte (nagd), ab (xard). Wie
aber soll in dem gleichen Gesänge 683 nagaxdßßaXev möglich
sein, wo es sich um das Umlegen des Lendenschurzes handelt?
Heyne hat mit negixdßßaX^e auch noch nicht das Richtige ge-
troffen; denn immer noch hat xaid keinen Sinn. Verständlich
Textkritische Studien zur Ilias. 133
ist nur Tieqießale. — "Avtixqv (ävnxgv) hat an zwei Stellen
E 130 und 819, wo die letzte Silbe in der Thesis steht, die
Endung kurz, an den zahlreichen übrigen Stellen, wo sie in
der Arsis steht, lang. Ohne Not und ohne irgendeine hand-
schriftliche Stütze setzt man dafür ävjixgvg oder ävjtxgvg. —
Die Analogie von fierakv, welches nur A 156 vorkommt und
von Bekker mit fxeorjyv vertauscht worden ist, gibt die Ge-
währ für die Form jueorjyv, welche sich nicht bloß A 573,
wo die Endung kurz ist, sondern auch A 253 und schließlich
auch ^ 521 erhalten hat, wenn man das Homerische ßeoorjyv
onedeog Tiedioio n. herstellt (fxeooi]yv haben auch eine Wiener
und eine Breslauer Handschrift). II 807 schwanken die Hand-
schriften zwischen f.ieoo)]yvg und jueootjyv, und zwar vor oyedö-
fiev, auch Eustathios kennt beide Lesarten. — Die Beobach-
tung, daß das Vermissen einer Länge zu Textänderungen ge-
führt hat, kann mitunter einen Anhaltspunkt für die Entschei-
dung zwischen verschiedenen Lesarten darbieten, so E 293
alyjir) d"1 e.g'eXvdr/ naoä veiaxov ävOegecova.
So geben die einen, AB u. a., mit Aristarch, die anderen,
SGM u. a., haben e^eovät] mit Zenodot, TL u. a. endlich
bieten e£eovzo. Da sich aus sg'elvd'i] kein brauchbarer Sinn
herausdeuten läßt, hat man darin e£elvde{v) oder ej-rjX'&ev ge-
funden, den besten Sinn liefert et-eovro, welches aus dem in
Rede stehenden Grunde bald in e£eov&}], bald in efelvdr} ver-
wandelt wurde. — In E 874 äXh)Xa>v cöxrjrt, yaqiv ävdgeooi
(pegovreg geben AB MS u. a. mit Aristarch yäoiv ö\ worin (5'
nur als Füllsel dient. — Die Form h]v für eev verdankt ihr
Dasein auch nur Versen wie t 530 nötig ö1 ejnög fjog eev eil
vrjjiiog i)öe yaXirpQCüv , wo man bp> für nötig hielt. — G. Cur-
tius (vgl. Pienner in G. Curtius' Studien I 2 S. 34 f.) hat er-
kannt, daß üaveeiv eine unrichtige Form für daveev ist (&a-
vifievai, iJavejuev, ftaveev, davexr). In einem Verse wie a 59
rjg yairjg fya.ve.ev l/ieigeraf ovde vv oot neg wurde das über-
lieferte EN in eiv umgeschrieben, um die erforderliche Länge
zu gewinnen. Die Bedenken von W. Christ (Ausg. der Ilias
134 7. Abhandlung: N. Wecklein
S. 146 f.) besonders wegen der ziemlich zahlreichen Fälle, in
denen die Endung -ev vor einem Vokal eine Länge vertritt,
scheinen durch das Vorausgehende gehoben zu sein. — Auf
gleiche Weise1) sind Formen wie nagal, vnal (auch anal
0 313 in Hb), nagai ßdzrjg, ueoainoXiog entstanden in Versen
wie B 711 oi de <Pegdg eve/xovzo nagd Boißrjlda Xluvrjv oder
?F132 äv <5' eßav ev dlcpgoioi nagaßdzai r/vloyol ze oder i\r 361
ev&a jueoondXiog (vgl. j.ieo6?ievxog) neg eatv Aavaoloi xeXevoag.
— Eurykleia ist außer sich über sich selbst, daß sie ihren Herrn
nicht sofort, sondern erst bei der Berührung des Fußes er-
kannt hat; sie kann also z 475 nur nglv nöda (betont, daher
dem Ganzen vorausgestellt) avav.x' ijnöv äficpacpdao'&ai , nicht
sonderbar ndvra gesagt haben. Da die vorletzte Silbe von
xsxXrjymsg überall {M 125, TT 430, P 756, 759, ^256, £30)
in der Hebung steht, läßt sich die richtige Form herstellen
und fallen die abnormen Formen xexXr\yovzeg und xexXajycözeg,
zwischen denen Aristarch schwankte {xexXip/cbzeg xal xexArj-
yovreg dr/cög al 'Agiozdgyov) und die Handschriften hin und
her pendeln, hinweg. — Der Name üegldoog (M 129) kann
nach seiner Etymologie (negl und fioög, vorzüglich schnell)
ebensowenig in die überlieferte, später gebräuchliche Form
üeigtöoog wie negl in neige übergehen. — iV127 ist ovze xev,
wie einige geringere Handschriften bieten, zu orV äv xev ge-
worden. - — N 745 nimmt man gewöhnlich aus AT Selöoa, fii] zo
yßi£6v änoozr/ocovzai 'Ayaiol ygrjog auf, während die andere Les-
art (in BM u. a., auch in S) dnozlocovzai ebenso zu ygfjog (sich
die Schuld zurückzahlen lassen, d. h. ihre Niederlage rächen,
vergelten) wie ip 312 änezloazo zu noivi^v i<p&l/ua)v erdgojv paßt:
dnoorrjocovrai ist ebenso an die Stelle von dnorlowvzai ge-
kommen wie G eniozeXXa) gibt in y 361 ool de, yvvai, zöö'
enizeXXco und wie Menrad E 384 evd* avx* äyyeXlrjv enl Tvöei
zeiXav (für axeiXav) hergestellt hat. — 0 31 geben die Hand-
schriften zwv o' avzig juvrjoa), tv"1 änoXXrj^jg änazdcov gegen
x) Vgl. z. B. 0 4 vjtai deiovg für vjio Sfseog in den meisten Hand-
schriften wie bei Aristarch, O 171 inai Qmfjg in allen Handschriften, nur
im Syrischen Palimpsest vjio yuiTjg.
Textkritische Studien zur Ilias. 135
den Sinn, welcher iwr o' avxig isfivqo' fordert. — So ist auch
O 472 d) TiEJiov, dXXd ßtöv juev e'a die Kontraktion ea ent-
standen aus ßiov edav und 2 493 rjyiveov dvd äoxv aus fjyivov
dvd äozv. — 77 531 ist ol in oxxi ol wx' ijxovoe fieyag &eög
evfafievoio vor ev^ajuevoio unmöglich : o eftev erklärt die Ände-
rung. — Die Überlieferung kennt für „unziemlich" folgende
Formen: deixijg, dixcög (X336), detxeXiog, dexi)Xiog (2 77). Daß
äexrjXiog von detxeXiog der Bedeutung nach nicht verschieden
ist, zeigt die Redensart jia&eiv dexrjXia egya (2 77) verglichen
mit deixea ju/jdexo egya X 395. Die alten Grammatiker, dar-
unter Aristarch, brachten dexi)Xiog mit ext]Xog oder mit ixcov
in Verbindung (ov% fjovya, xagaycoöt] — dxovoia). Da dfixwg
von fix- feststeht, so liegt die Annahme nahe, daß dixr\g,
dtxeXiog, dixi£co die richtigen Formen sind und daß die
Längung der zweiten bzw. dritten Silbe der Hebung verdankt
wird, daß es also mit äixeXiog und dtxeXiog die gleiche Bewandt-
nis hat wie mit dnegeoiog und dnegeoiog (Stud. z. Od. S. 76).
7. Zu den zahlreichen Fällen von Hiatus, die in den
Studien zur Odyssee S. 45 ff. aus der Odyssee zusammengestellt
sind, werden hier Fälle aus der Ilias hinzugefügt: im ersten
Fuß a) fj | fjdrj Ü 383. b) /m]de \ ea B 165, XeiQa | erjv 1420
und 687, ev de | ifj 7 319, ev de \ ta $ 569, dmga \ e/j.tjg T 194,
naxgl | epq) ^278, dvdgl exaigrjoai ü 335. c) eig d),a \ äXro
A 532, v&i de j evdov A 767, eonexo \ og N300, enXexo \ öxxt
O 227, xig de ov | iooi O 247, Ü 387, fp>ia \ jjixfojoav II 404;
dixcpl oe, | ijie F152, ögxia \ eooovxai X266, tidjixe jlie \ öxxi
Wl\, Sfiiv&ev- | ei A 39, xeio&ai, | dxdg £685, qv/liov \ ex-
fegvot TT 505, {fo/jup \ fjga £"132, xev^ei doxrjoag £240, T]juai,
| äXXoioiv | 41, dygqj, \ ovde X 188, oxaif] I eyXo<; II 734, &vr)-
rq), | v/ueig P 444, Tigöoow \ aitgag P 734, el jur) \ Ai'avxog 2*193,
innoi, | avxdg ö7 578, elxef \ ov Q 52.
Im zweiten Fuß: a) dt] \ eyXog Z 306. b) ovXe \ öveige
B 8, eXovoa, \ dxdg A 542, *) (iev oe \ e'Xemov T 288, äoxv \ eXwv
l) La Roche zählt im Anbang z. d. St. eine Reihe von Stellen auf,
in denen vor artig der Hiatus steht und ein langer Endvokal lang bleibt.
Aber das beruht nicht auf einer besonderen Eigentümlichkeit von äzÖQ,
136 7. Abhandlung: N. Wecklein
Q 696. c) alel Tidga \ elg E 603, Y 98, rot dexa | oljuoi A 24,
äju(pl de | öooe A 356, ngeoßvTaxog de ov \ iooi A 787, acpag
de re \ Ixjudg P 392, äW ö.oa \ i) T 93, vvv im \ äUqj ¥ 274.
oicojifj | Jjoo, | ejuco A 412, xi^oor juoi \ viöv A 505, aiiaacov
co | eyyei A 484, )>do /«) | ov/.og <P 536, öveigco \ ov X 199, <5/-
oxov | oroa !F431, dicpoov \ loav Q 578.
Im dritten Fuß a) und b) sehr zahlreich, c) el'dei o |
ov Y 466 = y 146, le/uevai im \ "Exroga Q 593. ahJouevov r)
| f£ X 152, nagelaoo' y \ äjurp/joiorov 'i7 382.
Im vierten Fuß a) ödco \ em Z 15, m) | avxbg i\r319.
b) Ide ngd | ödov. c) jusvog ueya \ , o<pg' (xocpg'' Aristarch)
0 232, ödvgexo \ öoxea ¥ 224. ojhoit] | evdeo A 410, cpaeivq} \
iv E 215, 'Ayaiol r/ £" 484, dVa£, £t | abxod? | 67, #£c5r r) | e&
O 161, avxov | affioTia 77 226, 7iaodjurp> xai | at&ojia Q 641.
Im fünften Fuß a) no/.vxhjxoi \ emxovooi K 420. b) o£<5£
£a0£r yl 437, 7ra<(5« ä/uvvei U 522, fudvdyoav de \ Weigat U 795,
Tratet ojzaooe P196, negiooeiovxo \ edeigai .X315, Jioxajuoio \
ec~)öiv !F73, "IXoio \ elaooav Q 349, exegog de \ edojv Q 528.
c) äcpdixa | at« iV 22, TiOTwa | "Hgrj N 826, oeiexo \ vh] E 285,
0990' sri | £t'(5£t £"358, nvxdoaoa e \ avxrjv P551, atjaaxi \ vdojg
<Z> 21, xexeleopLeva \ rjev 2 4.
Neben den zahlreichen Fällen nach der Penthemimeris,
nach dem dritten Trochäus, nach der bukolischen Zäsur müssen
die ziemlich häufigen Fälle nach dem ersten Spondeus, nach
dem fünften Trochäus und fünften Daktylus hervorgehoben
werden, die wahrscheinlich der Beseitigung größere Schwierig-
keit bereiteten.
Die Theorie, daß das Streben den Hiatus auszumerzen,
welches der attischen Redaktion zugeschrieben werden muß,
den ursprünglichen Text an vielen Stellen alteriert hat (vgl.
Stud. z. Od. S. 47), erhält ihre Bestätigung dadurch, daß durch
Herstellung des Hiatus fehlerhafte Formen berichtigt und un-
nütze oder sinnstörende Partikeln beseitigt werden können.
sondern das erstere auf der Stellung nach dem dritten Trochäus, das an-
dere auf der Hebung.
Textkritische Studien zur Ilias. 137
Die Fälle, in denen solche Partikeln vor digammierten Wör-
tern eingeschaltet sind, hat bereits Bentley erkannt; da dieser
aber infolgedessen gegen den Hiatus unduldsam wurde, hat er
in gewisser Beziehung das fehlerhafte Vorgehen der attischen
Redaktion fortgesetzt und unnötige Textänderungen vorge-
nommen.
Die Theorie muß also durch das Experiment erwiesen
werden und muß dann wieder ein Kriterium für die Beur-
teilung handschriftlicher Lesarten abgeben. Welche Schwierig-
keit macht es z. B. in K 466 deeXöv d' em orjud t' e&f]xev die
Partikel re zu rechtfertigen, weil man den Hiatus in oijua
e&rjxev für „unerträglich" hält. Bentley und Heyne schrieben
deeXov de re ov\v? ETie&^xev, Bothe afjfia tedeutE, Bekker dachte
an afjfxag. Für yelga h)v I 420 will Bentley yßgd iV irjv (und
Te&aQorjkaoi re), für ev de lf\ 7 319 er de f h~] oder iv de tot],
Heyne ev de t' ijj, Payne Knight iv de [Aijj schreiben. N 22
ist rerevyaro ucp&ira atei fast in allen Handschriften in rerev-
yarai (vgl. rexvy.ro iT215, rervxrai nur in L), äcpfrira von
Bentley in äy&trov, von Payne Knight in äcp&irä r geändert
worden. Zu A 459, wo AT öncog i'dov bieten, bemerkt Leeu-
wen, sonst wie Bentley ein Gegner des Hiatus, mit Recht: öncog
l'dov peperit odium hiatus, ebenso Leaf: the change may have
been made to avoid the apparent hiatus. Wenn 0 387 die
Handschriften zwischen fisydXfp öjuädcp und fisydXa nardyco
schwanken, so haben wir öfidöcp, nicht, wie es gewöhnlich ge-
schieht, nardycp vorzuziehen. E 301 = P 8 og rig rov y' äv-
riog eXftoi verlangt der Sinn, wie Menrad und Leaf gesehen
haben, og rig eo ävriog. — E 791 bieten die meisten Hand-
schriften de ey.dg (V exdg) d. i. de fey.dg, N 107 dagegen <3'
eyaüev mit Aristarch, während Zenodot und Aristophanes de
exäg erhalten haben. — £"898 geben AS6 u. a. rjofiag evegregog
für fjoda evegregog. — E 787 bietet Aristarch y.ay.eXeyyeeg für
xdx1 eXeyyea vor feldog. Hier hat Ludwich das von Herodian
bezeugte und in allen Handschriften stehende y.d>i eXeyyea in
den Text gesetzt; dagegen A 242 'Agyeioi lo/uwoot, eXeyyeeg,
ov vv oeßeoOe; und ü 239 egger e, Xcoßrjrfjgeg, eXeyyeeg, ov vv
138 7. Abhandlung: N. Wecklein
xal vfiiv trägt man der Erkenntnis von Ahrens keine Rech-
nung. — B 461 wird mit Kavoroia äficpl §se&Qa die abnorme
Form KavotQiov beseitigt. — W 138 gibt A mit einer Wiener
und einer Breslauer Handschrift
oi d"1 öre %coqov Txovro, o&i ocpiol necpQaö^ 'AftiXXeug,
die meisten, auch der Syrische Palimpsest, haben l'xavov, das
sehr viele Herausgeber in den Text setzen. Nur Nauck und
Leeuwen haben nach dem dritten Trochäus txovro beibehalten.
Hiernach ist auch 2*520 und !F214 txovro an der gleichen
Versstelle (vor einem Vokal) herzustellen. In y 388 ist Txovro
erhalten (t 458 steht es vor einem Konsonanten), w 13 aber
ijioav ahpa <5' Txovro juex'1 äocpodeXöv leijuwra ist zwar Txovro
erhalten, der Hiatus aber in der herkömmlichen Weise, die
wir unten näher kennen lernen werden, mit [.ist für £ji' beseitigt.
Es kommt nun darauf an die grundsätzliche Art solcher
Änderungen weiter auszuführen und durch den Erfolg zu le-
gitimieren. TT 522 geben alle Handschriften (o naidl äftvvei,
Aristarch ov naiöög äjuvvei mit der famosen Erklärung iXXeuzsi
fj tteqi, wozu Aristonikos bemerkt: oi de äyvorjoaweg — ein
solcher Vorwurf gilt häufig dem Zenodot — yqäcpovoiv ,d <3'
ovo' cp jiaiöl äfivveC. Kann es ein besseres Zeugnis für unsere
Theorie geben? Zu N 40 "Exxoqi Tlgia/uld)] äjuorov fxsjiiacTjTeg
enovxo teilt mir Menrad die treffliche .Emendation jUEjuacon
e'jiovro nach N 80 mit als „einen schlagenden Beweis, was die
Vermeidung des Hiatus angerichtet hat". N 100 deivöv, o ov
nox' eyco ys reXevrrjOEö&ai ecpaoxov hat Heyne o firj ttot' vor-
geschlagen. Dieser Vorschlag wird scheinbar durch den cod.
Townl. bestätigt. Aber damit wie mit der Konjektur von
Brandreth o x ov fällt nur das grammatisch durchaus richtige
ov tiot1 ecpaoxov der Hiatusscheu zum Opfer. — ■ iV113 gibt
X ovvexa f)zi/ut]OE (besser ovvexa fjrijuaooE): zur Vermeidung
des Hiatus wurde das sonst nirgends bei Homer vorkommende
und eigentlich abnorme änr]rijur]0£ in den Text gebracht und
stand im Exemplar des Äschylos, der das Wort Eum. 95 ge-
braucht. Den Spuren attischer Redaktoren folgend hat Cobet
Textkritische Studien zur Ilias. 139
ovvex* äq1 tjriuyoe vermutet. — X216 geben die Handschriften
mit Aristarch vcot y"1 eoXna, Zenodot hatte vCo'iv eoXna, richtig
ist vcöi pepoXna: von y1 stammt von der attischen Redaktion
her, Zenodot hatte in seiner Vorlage noch vcot: v&iv ist sein
eigenes Verdienst. — Die Wendung /o/t£ . . re findet sich nur
einmal N 230 reo vvv /^t' anoXrjye xekeve re cpmrl exdorco.
Der Syrische Palimpsest aber bietet xeXeve de. Es ist also [xrj
äjiöXrjye zu f.nqr'1 aTiöX^ye und diesem zuliebe de zu re ge-
worden. — An N 267 xal rot e/uol nana, re xXtoh] xal vrjl fie-
Xaivf] noXX'1 evaga Tgcbcov hat schon Döderlein Anstoß genom-
men und ndga t' ev xXiolij vermutet; denn die erbeuteten Waffen
sind nicht bei, sondern in dem Zelte. Aber in ndga (= nd-
geori) t' ev steht re an ungehöriger Stelle; deshalb verlangt
Leeuwen nag'' ivl xXioli]. Der überlieferte Text erklärt sich
aus ndga ev: als re des Hiatus wegen eingefügt war1), wurde
ndga zu Jiagd und ev fiel weg. Vgl. E 603 to5 (51 alel ndga
eis ye fiecov. — El geben die meisten Handschriften ßeg/a/jn] xal
Xovorj äno ßgörov altiaroevra, nur S hat Xovoi] <5' für xal Xovorj.
Diese Lesart verdient den Vorzug, weil sie die Auflösung Xoeojj
de (Brandreth Xoeoijoi ö\ Nauck Xoeojj re) gestattet, und der
Hiatus in Xoeorj de an 6 ßgörov erklärt die Änderung des
Textes. Die Verbesserung von H. L. Ahrens Y 229 äxgov enl
mjyjulva (für g^yfiivog) ä).6g ist jetzt ziemlich allgemein in den
Text aufgenommen. Daß trotz des vorhergehenden (227) äxgov
en"1 ävftegixoiv xagnov der Fehler entstand, kann nur durch
den Hiatus bewirkt sein. — Die Form ee für e kommt nur an
zwei Stellen I" 171, Q 134 vor, an der ersten in der Verbin-
dung ee <3' avrov, an der zweiten in dem Versschluß ee <5'
etjoya jidrrojv. An der ersten bietet der cod. Barocc. e de avrov
(vgl. S 162 evrvvaoa e avrrjv, P 551 nvxdoaoa e avrrjv), welches
auch an der zweiten trotz der Autorität Aristarchs herzustellen
ist. In &eovg, e de e^oya jidvrcov ist vor de der Trochäus des
vierten Fußes ohne Bedenken. Vgl. Leeuwen Enchir. S. 18 ff.
l) So haben 77 386 die meisten Handschriften dt] ävdgeooi, andere
(SgT u. a.) bieten örj x ävdoeooi. 77 96 ist Si r' iäv für <5' idav, Tl 94
xovg ye cpiXei für xovg cpikeei überliefert.
140 7. Abhandlung: N. Wecklein
1^259 hat Aristarch r\ ga xal ev öeivco odxe'i elaa"1 oßgifiov
ey%og gerettet; die Handschriften geben odxei rjkaoev. — Einen
wahren Triumph, möchte ich sagen, feiert die Duldung des
Hiatus 0 162 8 <5' ävEoyßxo ölog 'A%dXevs IIr\hdba fieUrjv, o
(51 öjuagxf] (so der Syr. Palimpsest mit anderen für äjiiagxfj)
öovgaotv äjuqpig rjgayg 'Aoreoojicuog, ejieI negide^iog fjev' xal g
exEoqy juev dovgl odxog ßäfov: unmöglich kann zu dovgaoiv
aus dem Folgenden ßdfo ergänzt werden; es muß dovgaxa oder
vielmehr dovgaxE geheißen haben. Für äpcpig (gesondert, ge-
trennt) müßte es ä^icpi heißen; aber jetzt gewinnt die von
Didymos überlieferte Lesart der Massilischen Ausgabe o <5'
ä/btagrf] dovgaoiv äjxya) Sinn und Verstand; denn dovgare
äjuqpco ist der naturgemäße Ausdruck, während äjuqxD bei dov-
gaotv unbrauchbar ist, um so mehr aber seine Ursprünglich-
keit zur Schau trägt. — Einen hervorragend lehrreichen Fall
bietet P458, in dem von den Rossen des Achilleus erzählt wird:
gifiqia cpsgov ftobv ägjiia fiExä Tgomg xal Ayaiovg.
toToi (5' eji Avrojuedcov judy£z\ äxvvjUEvög JiEg ixaigov,
l'njioig auooojv cog t' alyvniog juExä yjjvag.
Gewöhnlich nimmt man im xoloi im Sinne „gegen die Troer".
Aber dazwischen steht Ayaiovg. Mehr Sinn hätte es im toioi
von den Rossen zu verstehen; das wird aber durch Xnnoig allo-
ocov ausgeschlossen. In der Odyssee finden sich häufig Stellen
wie xoTg äga [iv&cov r)gy£, in denen einer nur zu einem spricht
(Stud. z. Od. S. 59 f.), wo man also reo äga erwartet. Ebenso
muß es hier x(ö öe eti heißen („auf dem Wagen"). — 2 312
"Exxogi juev ydg ijtrjvrjoav xaxä /urjxiöovxi, Tlolvdd^avxi ö äg
ov rtg, os EoftXijv (pgd&To ßovXrjv muß man die Lesart von
Epaphroditos bei dem Scholiasten T ov xi deshalb annehmen, weil
ov xig der Vermeidung des Hiatus verdankt wird. — Zu den
unglaublichsten Annahmen gehört die Erklärung von 6 230
EvywXai . . äg onöx" ev Arj/uvco xEveavxkg fjyoQäao&e, worin
man oteöY ev Atfiivqy im Sinne von ojtöY fjfiev (oder ^xe) auf-
fassen will. Diese Stelle kann als ein deutliches Kennzeichen
des Kampfes gegen den Hiatus erscheinen, wenn man äff jtWxe
Textkritische Studien zur IÜas. 141
iv Arj/xvco, nicht mit Heyne äg not"1 evl Ar/jura) schreibt. —
Welche Verwüstung im ursprünglichen Texte dieser Kampf an-
gerichtet hat, kann schon der eine Vers E 748 = & 392
"Hgt] de judoxiyi dotbg enejuaiex'1 äg"1 injiovg
lehren. Warum Hera die Geißel rasch, flink gebraucht, kann
man sich nicht denken. Ferner steht äga zwecklos. Qoog
(flink) ist das Epitheton der jadoxtg~ P 430 judoxiyi &ofj ene-
jiiaiero fieivojv: enejuaiexo Xnnovg bezeugt Eustathios, also lautet
der Vers mit zwei Hiaten:
"Hqyj de /udoxtyi ftof/ enejuaiexo Xnnovg.
In ähnlicher Weise ist O 535 avgiov i) dg ext] diaeioexai in
avgiov fjv ägexijv übergegangen; denn el'do/uai bedeutet „komme
zum Vorschein", diaeidojuai „komme deutlich zum Vorschein"
und ist nicht transitiv. Die beste Bestätigung gibt N 277 eig
löyov, evda p,dklax> dgexi] diaeidexai dvdgcöv. Data Q 549 äv-
o%eo juqö'1 dXiaoxov ödvgeo oöv xaxd fiv/uöv nicht dXiaoxov ödvgeo,
sondern aXaoxov der richtige Ausdruck ist, daß es also jutjde
äXaoxov ödvgeo heißen muß, zeigt £ 174 vvv av Tiaidbg aXa-
oxov öövgo/uai. Dem entspricht nevdog äXaoxov a 342, Q 105,
aypg äXaoxov 6 108, ein Jammer, der die Besinnung raubt;
denn äXaoxog hängt nicht mit X^&co (keift-), sondern mit dXaivm,
aXr] zusammen, wie dXAoxwg (von dXaiva) wie fiidoxwg von
juiaivoj) der Irrgeist ist. Vgl. enaXaoxeai a 252 bin blind-
wütend. "AXmoxov öövgeodai heißt also „so jammern, daß man
ganz verstört ist"; dagegen ist dXiaoxog (Xid£ojuai) einer, dem
man nicht ausweichen kann, überwältigend: noXepog, p-dyr},
öjuaöog, entsprechend auch yoog Q 760. Nur die Hiatusscheu
kann in Y 54 djg xovg äfxcpoxegovg jiidxageg &eol öxgvvovxeg
ovjußaXov, ev <3' avxoig egida grjyvvvxo ßagelav bewirkt haben,
daß man die durch den Sinn unbedingt geforderte Verbesse-
rung avxol übersah; iv steht wie häufig adverbial („darunter",
unter den Kämpfenden). - Die Hiatusscheu hat auch die ab-
norme Form jiegiöcuaedov W 485 hervorgebracht, welche die
meisten und besten Handschriften in devgo w , i) xgmodog
7iegtdw/ue&a f]h Xeßrjxog geben. — W 537 ist allgemein äefiXiov,
142 1. Abhandlung: N. Wecklein
(hg emeixeg, devxeQ*' äxäo xd noöbxa xxe. für de&Xiu trotz öev-
xega überliefert. Die Verbesserung von Bothe wird gewöhnlich
verschmäht. — ü 358 &g cpdxo, ovv de yegovxi voog yvxo, beibie
<5' alvcbg wird die Unform öelÖie, welche Öeiöiei lauten müßte,
gleichfalls dem Hiatus verdankt, wenn sie freilich Z 34 auch
am Anfang des Verses sich findet. Die richtige Form ist bei
Hesych. el'öeiev (d. i. el'diev)' ecpoßeXxo erhalten: sl'die = eÖfie.
Schon Brandreth hat eödie geschrieben. — A 100 ox/jdeoi nafx-
(paivovxe, ejxel negiövoe yacovag soll negidvco die Bedeutung
„ausziehen" haben. Weil man begreiflicherweise an dem Aus-
druck Anstoß nahm, wurde enel xXuxd xevyj? äm]vga dafür
gesetzt. Peppmüller hat txeqI Xvae nach U 804 vermutet, aber
der Leibrock wird nicht gelockert wie der Panzer, sondern
ausgezogen. Und das passende Wort dafür ist einzig dne-
Svoe. — Die öfters sich ergebende Notwendigkeit nach einem
tadelnden Vokativ noiov eemeg in olov eemeg zu verwandeln
(Stud. z. Od. S. 59) wird bestätigt durch N 824 Älav ä/uag-
xoeneg, ßovydie, olov eeuxeg. So nämlich geben cod. Paris 2766,
Vind. 5, Barocc. 203 und das Seltenere ist wahrscheinlicher
als das Näherliegende. Auch Leaf merkt an: note that noiov
of the vulg. is evidently meant to avoid the hiatus; olov is
the regulär word in this connexion. Auch 3 330, 77 440,
^361 aivoxaxe Koovidrj, noTov xbv /nv&ov eeuxeg ist olov zu
setzen; denn die Frage hat keinen Sinn. Wie nach Stud. z. Od.
S. 52 zur Vermeidung des Hiatus dcpixoio für Txoio gesetzt
wurde, so gibt A von erster Hand in 3 43 x'inxe Xiniov tioXe-
juov (p&ioi'p>OQa dsvo' Ixdveig für öevgo ixdveig, während die
meisten devo^ dcpixdveig haben. In der Ilias kommt d<ptxdvco
nur noch einmal, und zwar in einer interpolierten Stelle Z 388
vor. — Ebenso ist ü 338 IJt]Xetcova Ixeo&ai zu IJ^Xeicovdd''
ixeo&ai geworden; die Verbindung von de mit einem Eigen-
namen steht vereinzelt. — Oben S. 25 wurde die abnorme
Form mjunXdvo) , die sich nur 7 679 findet, beseitigt. Eine
solche Form ist auch xvödvoo, die zweimal vorkommt, 3 73 in
der Bedeutung von xvöaivo) (zeichne aus), Y 42 in der Be-
deutung von xvdidoj (bin stolz). An der ersten Stelle geben
Textkritische Studien zur llias. 143
mehrere Handschriften (G) xvöalrei und dieses kann beibe-
halten werden, wenn man xvöaivEi, äju/uov (für yjaeregov)
de juevog xal %£~ioag eöyjoev schreibt, so daß der Hiatus für die
Verderbnis verantwortlich wird. An der anderen Stelle F42
wird das richtige Wort mit xfjog "Ayaiol juev jueya xvöiaov,
o z1 (für xvöavov, oüvex"1) 3A%iXXevg i^e(pdv7] gewonnen. — iVT449
gibt Aristarch 0990a l'öy, olog, die meisten Handschriften geben
l'öyg: da diese Lesart nur dem Hiatus verdankt wird, ist die
Wahl nicht schwer. — Zu N 399 haben wir die ausdrückliche
Angabe, daß Aristarch avxdg o äodjualvcov: xcoQtg xov y
hatte, während die meisten Handschriften o y"1 geben. Also
muß die Partikel auch in E 585 den meisten und besten Hand-
schriften zum Trotz wegfallen. — Über den Unterschied von
yvla Xveiv (vgl. Z 27, 0 581, 77 341) und yovvaxa Xveiv siehe
Über die Methode der Textkritik S. 77 f. Wenn darnach öf-
ters im Ausgang des Verses yvTa eXvoev für yovvax"1 eXvoev zu
setzen ist, so kann auch auf O 269 (= X 24) verwiesen wer-
den, wo cog "Exxojq kaiipiiga noöag xal yovvax1 ivco/ua über-
liefert ist und nur in T nveg ,yv7a' steht. Hiernach hat
Düntzer W 444 cpdi)oovxai xovxoioi Jiödeg xal yvTa (für yovva)
xajuovra emendiert. Vgl. E 122 yvia ö"1 e&rjxev iXaqoQa, noöag
xal %EiQag vjieg&er. Die Unterscheidung von noöag und yov-
vaxa (auch $ 611) ist seltsam, als ob sich mit den Füßen nicht
auch die Kniee regten. Den sprechendsten Fall dieser Ver-
tauschung bietet T 354 Iva fxrj juiv Xijuög äiegnrjg yovra&'1 l'xoixo:
Hunger in die Kniee! In iT 139 'Axgeid)], vvv Ötj nov A%iX-
Xfjog öXobv xfjg y^i&eei iv oxiyd^Eocpi, (povov xal q)vt,av 'A%aia>v
öeqxojuevoj geben minderwertige Handschriften ösqxojlievov : wahr-
scheinlicher und dem epischen Stil angemessener ist AxiXXe'C})
Vgl. t] 269 yijdrjOE öe juoi qplXov yxoo, ü 321 näoiv evl (pgeol
ftv/xog lav&rj, ö 840 (piXov öe oi fjxog lav&rj. — Dem Hiatus
verdankt man auch die ungewöhnliche Form y/joaro 3 270
ojg <päxo' */j]oaxo o° "Ynvog: Nauck hat nach t 353 fjoaxo ver-
mutet; es ist einfach yalgs ök "Ynvog zu schreiben. — O 743
*) Die gleiche Emendation teilt mir Herr Menrad mit.
IM 7. Abhandlung: N. Wecklein
lmt Lachmann mit. Recht xothj tm vrjt gefordert, da es sich
um das Schiff des Protesilaos handelt: xö'ilr\g etil vr\vol ist um
des Hiatus willen dafür gesetzt worden. — Wie in den Stud.
z. Od. S. 31 ovök eqovxo für ovo" egeovxo A 332, ß 445, ex xe
eqovxo für ex t1 egeovxo 7 671 hergestellt worden ist1), so wird
B 398 ävoxdvxeg <5' ögeovxo und £'212 rot ö' ögeovxo die ab-
norme Form ögeovxo, die man als ein Frequentativum zu kgo/uai
(Hesych. eqeto' cbgju/i&t]) erklären will, mit ök ögovxo besei-
tigt. Leeuwen schreibt $' cogovxo, aber hieraus wäre öoeovxo
nicht entstanden. Vgl. fjök i'avov co 209, coxa ixEoftai co 430.
äfjupi &£ (<*' «V ABM, de t die meisten) Q 83. - Das Medium
xvgexai in Q 530 aXXoxe }xev je xaxco ö y£ xvgExai, äXXoxe (31
eo&Xco findet sich sonst nirgends: xvgsi wurde um des Hiatus
willen geändert. — Ebenso xegjua in xeguaz'1 !F333 xal vvv
TEQfxax'1 (nur M xeg^) edi]xe, wie der Singular 323, 462 steht
und xegfxafr oder xEgfiax' die Handschriften auch 309 vor eXio-
oej-iev (feXiooe/uev) haben. — £"516 gibt S das nichtepische
ovökv für ov xi, ^ 318 ist ovökv eogycog für ov xi fefogycog
überliefert: wie hier wegen des vermeintlichen Hiatus, so ist
in A 244 und 412 ovökv k'xioag, II 274 ovöev exloev , x 370
ovöev exiov, i 287 ovöev ä/xetßexo, o 130 ovöev äxiövöxegov,
v 366 ovöev äeix/jg, 2 500 fzrjöev tteoftai, X 332 ovökv omteo
ovöev, fjLtjöev für ov u, jui] xi um des wirklichen Hiatus willen
gesetzt (K 216, i 34, wahrscheinlich auch ö 248 steht ovöev in
unechten Stellen, ü 370 ist ov xev für ovöev zu schreiben,
sonst müßte es xaxöv heißen; ö 348 tcov ovöev xoi eyco xqvipco
fällt unter die Stellen, die wegen Nichtbeachtung des Iktus
in ov xi geändert worden sind; ö 195, t 264 ist ov xi ebenso
wie E 516 zu setzen. Vgl. Leeuwen Enchiridion § 100. —
II 457 xag%voovoi . . xv/ußco xe oxi)h] xe' xö ydg ykgag eoxl
davövxcov ist nach W 9, co 190, M 344 o ydg zu schreiben
(Hiatus nach dem dritten Trochäus!). — Auf der Tat wird der
Korrektor ertappt in II 251 vrjcov juev oi djicooao&ai noXe/növ
l) Mit diE^etgeofte in Ä'432 alla xi r\ i/ns ravxa dts^sgisoßE s'xaora;
wird auch der Rhythmus des sonst aus lauter Daktylen bestehenden
Verses gebessert.
Textkritische Studien zur Iliaa. 145
re jud%r]v xe; denn es wird auf 246 äjio vavcpi fidyr\v evojirjv xe
dirjjai zurückgewiesen, es hieß also ursprünglich änwoaodm
evoTirjv xe j.iö\yr\v xe, wie diese Verbindung auch sonst ge-
läufig ist, z. B. M 35 jud%i] hont) xe. — In dem Gebet des
Achilleus Zev äva, Aoodcovais, ÜEXaoyixE, xrjXofti vaicov, Aoj-
dcovrjg jueÖecov Övoxeijueqov, äjurpl dk ZeXXoI ool vaiovo* vnocprjxai
77 234 hat Pindar nach der Angabe des Scholion A d. h. des
Didymos 'EXXoi (ycoglg xov ö) gelesen. Daraus darf man nicht
ohne weiteres schließen, daß Pindar äju(pl di o' 'EXXoi im Text
gehabt habe; er kann ebensogut äjiMpl de 'EXXoi gelesen
haben, wenn auch ex, nXrjoovg in der Angabe des Aristonikos
auf a1 'EXXoi hinweist. Aristonikos verweist für ZeXXoi auf den
Namen des Flusses ZeXXyjeis, dagegen erinnert EXXoi an die
Landschaft 'EXXonia und Fick bemerkt: „Achill betet hier als
Mitglied der hellopisch- hellenischen Amphiktionie von Do-
dona." Vor ooi ist o1 EXXoi nicht brauchbar. Daß Sophokles
nach Trach. 1166 yaixaix.oixcbv 2eXXcov in seinem Text ZeXXo'i
gehabt hat, beweist nichts gegen 'EXXoi, sondern läßt nur er-
kennen, daß die Änderung auf die attische Redaktion zurück-
geht. — P 249 mag die Lesart der meisten Handschriften oi'
xe TiaQ* Axgeidyg Ayafie/uvovi xal 3IeveXdcp dtj/uia Jiivovoiv
mit dem Hiatus von ArgEiö?] 'AyafiEjuvovt, wie SEbC geben,
zusammenhängen. Damit wird die Lesart von EbCZ Aya-
jUEjuvovt jioifXEvi Xa&v verbürgt, da die Bewirtung der Geronten
Sache des Oberfeldherrn ist. Vgl. 5 404, J259f., A 344,
773. — In P112 7ia%vovxai, äexcov Öe x"1 sßr) djiö jueooüvXoio
fehlt x im Townl. und einem Harl., Nauck hat de (ohne t1)
vermutet und Leaf hat dies aufgenommen mit der Bemerkung:
the vulg. öe t1 is a mere stopgap to save the hiatus. — 2 375
Xqvoeo. öe oq? vtio xvxXa exdoxqp Tivd-juevc vxr)xev : aus E 240
vtio öe $Qfjvvv tiooIv ?joei, x 57 vtio vxQfjvvv noolv fjxev er-
gibt sich, wie Herwerden gesehen hat, daß es e'tjxev oder
fjxev heißen muß; es wird Jivfijuevt fjxev dem Tiv&juev' e'tjxev
vorzuziehen sein, weil sich damit der Grund der Korruptel
ergibt. — Ebenso entspricht in 2 322 /.lex"1 dvegog l'xvS eqev-
va>v, ei noftev e^evqoi nicht Jioftsv, sondern tzo&i dem Sinne.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 7. Abh. 10
146 7. Abhandlung: N. Wecklein
— Auch (Z* 221 verbürgt uns die gleiche Methode eine aus-
gezeichnete Lesart. Der Flußgott ruft dem Achilleus wütend
zu: ob de xxeiveig ätö/jXojg' all"1 äye di] xai eaoov. M gibt
eaooov, nach dem Scholion T schrieben manche eaoov mit dem
Sinne jiI^qujDyjxl. Aber die Form kann nur äoov lauten (äoai
sich sättigen). Das vorausgesetzte e soll nur den Hiatus be-
seitigen. Wie schal nimmt sich eaoov (Schol. acpeg, „laß es
auch gut sein") gegen äoov („werde des Mordens endlich satt")
aus! Mit dem Hiatus vgl. z. B. xexxa, oiouifj \ f,oo A 412. —
Mit xoiay ydo rot vwi &ecöv emiagoodio eijuev 0 289 stellen
sich Poseidon und Athene, welche in der Gestalt von Men-
schen zu Achilleus hintreten, als Götter vor; der Sinn ver-
langt also ded>. — <P 397 ovxdfievai, aim) de. jravoipiov ey%og
elovoa hatte die Ausgabe des Antimachos <5' vjzovootpiov, wozu
mit Recht bemerkt wird: y.al xi noxe bi avxov delei drjXoüo&ai
äjueivov; die im Scholion A vorkommende Erklärung omodiöiov
scheint sich auf vnovöocpiov zu beziehen, welches auch in einem
Papyrus über jtavoynov steht. Aber auch über die Bedeutung
von Tiavoipiov war man sich nicht klar. Aristarch deutete es
mit ?mju7iqov xal emcpaveg, dem Zusammenhang entspricht ein
Epitheton, mit dem Ares seinen Ärger zu erkennen gibt. Man
hat naviipiov, navojiXiov, Jiekojgiov, Tiavaiolov vermutet. An
der Korruptel scheint sich wieder der Hiatus beteiligt zu haben.
Zu -T 42 ist uns für vnoxpiov die Lesart des Aristophanes eno-
yjiov überliefert, die aber nicht mit dem Scholion T enl jzdvxojv
öqojvxcov zu erklären, sondern, wie Fick gesehen hat, mit eyjia
in Verbindung zu bringen ist, vgl. eyeyidojuai, also etwa „zum
Gespötte dienend", „lächerlich". — X 320 ndXXev defixegf] q?go-
veoov y.axbv "Exxogi öico hat Nauck nach H 70 und nach ß 45,
wo Aristophanes an der gleichen Versstelle vor einem Vokal
xaxd für xaxov erhalten hat, xaxd hergestellt. — Elmsley hat
beobachtet, daß im Dual des Verbums die zweite Person keine
andere Form gehabt hat als die dritte. In Konflikt mit dieser
Beobachtung kommt ß 455 ovx av eq)"1 vjuexegwv oyjmv, nXr\-
ysvxe xegavvqj, axp eg "OXvjjltiov Xxeoftov, tV1 d&avdxujv edog
eoxiv. Elmsley will sich mit ixqo&ov behelfen, welches mit
av das Futurum vertreten soll, wie es häufig bei Homer der
Textkritiscbe Studien zur Ilias. 147
Fall ist. Allein der Zusammenhang (xev xexeleofxevov yev geht
voraus) erfordert unbedingt den Irrealis. Es ist also l'xeo&e,
wie ein Cant. bietet, um des Hiatus willen in l'xeo&ov ebenso
wie unten S. 48 ecponli^eod e in ecponli^eoßov geändert wor-
den. — K 545 ist xaxadvvxe ojluXov nach laßerer nur in ge-
ringeren Handschriften erhalten; doch kennt auch der Scho-
liast diese Variante. — M 101 haben ZaQ7ii]dd)v (5' fjyeTxo (wie
VQX£ 93, 98) äyaxXeircov emxovQWv nur zwei Handschriften
(Paris. 2766 u. Vindob. 5) bewahrt, die meisten geben i)yt]oax\
— M 104 haben fast alle Handschriften dgtoxot xöjv aXXcov
tuexd / avxöv; nur einzelne geben juexd ö(e) oder juex'' (ohne
;-'): da in dieser ziemlich häufigen Wendung juerd immer ohne ye
steht, ist jueiä avxov herzusteilen. — Wenn .s 62, wo die
Handschriften mit Aristarch ei' xt voog gefet geben, von Didy-
mos die Varianten y* eofet und <5' egget mitgeteilt werden , so
ergibt sich, wie schon L. Meyer erinnert hat, die ursprüng-
liche Lesart et xt voog /egget. — O 41 schwört Hera: /xrj öS
etup' loxqxa IIooeiddo)v evoo'tyßmv nrjjbiaivet Tgcoag. Es ist be-
obachtet worden, daß sonst nur der Dativ toxrjxt vorkommt.
Deshalb hat B. Ansems, Bedeutung und Gebrauch von öid bei
Homer S. 39 jutj xt ififj I6xi]xt vermutet; aber die Ähnlichkeit
von dt1 und xt hat keinen Wert, da es sich um die Beseiti-
gung des Hiatus handelte. Dagegen erfordert der Schwur ein
anderes Wort, nämlich jitev. Vgl. firj /uev TT 330, T261, 1^585,
d 254, x 462. Also war der ursprüngliche Text jui] juev ejuf/
I6x7]xt. — T 47 reo de övco oxdCovxe ßdxijv 'Ageog ■&egdnovxe
erregt die Form'^losos oder "Agecog Anstoß. Diese Form kommt
nur A 441 und & 267 in einem interpolierten Verse bzw. in
einer jüngeren Partie vor. Die epische Form ist 'Agqog und
■ßegdjiovxeg "Agijog der geläufige Versschluß. Also ist ■&egd-
novxe "Agiyog des Hiatus wegen umgestellt worden. — 0 316
fordert der Zusammenhang cpi-jal de (für ydg) ovxe ßtrjv %gat-
o^oe^iev y.xe., da Skamandros dem Trachten des Achilleus
widersprechen will. — Q 390 netgä e/ueTo xat el'oeat "Exxoga
dTov verlangt der Sinn (vgl. Römer, Jahrb. 117 S. 234) den
Imperativ neige? . . el'geo (rjgeo M). — Öfters findet sich der
Vers (ff 234 V a.) 10*
148 7. Abhandlung: N. Wecklein
Alav dioyeveg TeXajucovie, xoiqoive Xadjv.
Mit Recht hat sich Nauck gewundert, daß nur hier xoiqavE
an die Stelle des gewöhnlichen ög^ajue getreten ist. Der Grund
liegt ebenso in der Hiatusscheu wie bei jueiä <po£oi für evl
(pQEOt, bei /Lieza. nvoif] für ujua nvoifj, bei jusxajaajviog (jxexo.-
fubltog) für dvEjucoXiog, bei xavrjXEyrjg für dvrjXsyrjg u. a. (Stud.
z. Od. S. 57 ff.). — Wenn / 698 die Handschriften zwischen
jLir] öqpEleg (ASG u. a.) und jurjö"1 öcpeXeg (BM u. a.) schwanken,
so ist es nur methodisch, wenn man die erstere Lesart bevor-
zugt, mag auch Aristarch auf der anderen Seite stehen. —
r\ 222 haben in v/neig <3' öxqvveo&e äju' fjoi (pmvofXEvrjcpiv FU
ÖTQvveod'E erhalten, andere geben öxqvveo&\ andere mit Ari-
starch ÖTQvvEG&ai, ju 297 geht .das Schwanken zwischen ßidt,EXE
(Aristarch mit den besten Handschriften), ßid&xai, ßid&od'
(Zenodot) und dlov iovxa (Zenodot wie M), novvov iovxa (Ari-
starch mit den meisten Handschriften) auf ßid&xs dlov iovxa
zurück. In 9 502
älX1 fj TOI VVV JUEV Jl£l$ÜJ/U£$a vvxxl fXElaivt]
doQjia t1 iqponXioo/ueod-a' dxdo xaXXixoiyag Xnnovg
Xvoad''1 vnEg" ö%eüjv xxe.
gibt Zenodot die befremdende Lesart £<pojiXi£eo&ov, die auf
£<pojiXi££o&£ zurückgeführt werden muß, das um des Hiatus
willen in EcponXi^Eo&ov verändert wurde, wie öxqvveo&e in oxqv-
v£o&ai, ßid^EXE in ßtd££o&\ xivvo&E r 279 in xivvo&ov, oxqvve
in öxqvvov ^49. — Für äjucpi (zu beiden Seiten, um herum)
findet man vor Vokalen an zahlreichen Stellen ä/ucpig (ge-
trennt, gesondert): wie soll diese Vermengung der Begriffe er-
klärt werden? Lehrreich ist E 722
"Hßtj <3' ä/jKp* b%EEOcpi fiocög ßdXs xajujivXa xvxXa,
idXxEa öxxojxvrjjua, oidijoEqj ätjovi djuq)lg.
Mit dficp1 öxeeooi, wie S gibt, wäre die fehlerhafte Form ö%e-
Eocpi vermieden. Die richtige Form o%EO(pi findet sich in einer
Breslauer Handschrift und könnte mit äjuylg biEocpi in den
Text gebracht werden. Da aber d/.Kp' biEEocpi nur ä/uqpl
Textkritische Studien zur Ilias. 149
dyeocpi sein kann, so ist damit auch die Änderung von äjuqpig
in äfxyi im folgenden Vers gegeben, welche bereits Leeuwen
vorgenommen hat. Entsprechend ist auch djuqplg edvreg Q 488,
S 274, O 225, djiuplg ey^ovre y 486, ä/xcplg e%oiev •& 340 zu än-
dern, welche Ausdrücke sämtlich den Schluß des Verses bilden.
A 559 hat Ahrens dfxcplg edyr\ in djucpijrefdyi] ändern wollen.
Der Aorist d[xcp\g (entzwei) edyrj ist im Gleichnis ganz an seiner
Stelle. A 634, 748 empfiehlt dfxcpl exaorov für ä/xcplg exaorov
schon das Digamma und haben an der ersten Stelle auch Hand-
schriften. Ebenso geben A 748, r 46 die Handschriften ä/ucplg
exaorov (exaora) für äficpl exaorov (exaora), welches Bekker
hergestellt hat. Daß man sich nicht scheute äju<pig um des
Hiatus willen für d/ncpi zu setzen, erfahren wir auf eigentüm-
liche Weise zu / 464
r) juev JioXXä erat xal äveynol ä/j,(plg edvreg
avrov faooofievoi xareqt)rvov ev fieyaooioiv.
So geben alle Handschriften. Nach Didymos aber (Schol. A)
berichtete Dionysios der Thrazier, Aristarch habe äpylg eovreg
für dvriöo)vreg gesetzt. Eine solche Willkür ist Aristarch durch-
aus nicht zuzutrauen und doch muß man sagen, daß dvrid-
covreg (entgegentretend) dem Sinne vortrefflich entspricht, so
daß diese Angabe allen Glauben verdient. Des Rätsels Lösung
erhalten wir, wenn wir annehmen, daß die Vorlage Aristarchs
dvn eovreg (dvri edvreg) gab. Da Aristarch mit dvrl edvreg
nichts anzufangen wußte, setzte er das naheliegende d/ucpig für
dvri. Mit dvneovreg für dvndovreg erhalten wir zugleich ein
neues Beispiel für das von Johannes Schmidt, Die Pluralbildung
der indogerm. Neutra, Weimar 1889 S. 332 f. gefundene Gesetz,
nach welchem die Verba auf da) vor dem O-Laut a in £ ver-
wandeln, wofür schon in den Stud. z. Od. S. 67 einige Fälle
nachgewiesen worden sind1). Hiernach ist auch Y 125 dvri-
x) Ein lehrreiches Beispiel bietet sich E 48, in dem die meisten
Handschriften lov).evov ftsgaTiovres,. einige aber (FCZ u. a.) eovlsov eoftlol
haiQoi bieten: die Form avkeveiv findet sich nur noch ß436, wo aber
in einem Papyrus fiwfisveiv steht (s. oben S. 28). — Nach dem erwähnten
Gesetz ist auch A 348 mit Christ atsofisv für orscofisv, nicht mit anderen
ordofisv zu setzen.
150 7. Abhandlung: N. Wecklein
eovxsg für avxiöaivxEg zu setzen. Was äfMplg elvm bedeutet,
kann am besten x 221 lehren:
d> yvvai, ägyaXeov xöooov ygövov äjucplg eövra
emsfiev' f]dr] yäg oi hxooxöv k'xog loxlv xxL,
„wenn man so lange Zeit von jemanden getrennt ist, so lange
Zeit jemanden nicht gesehen hat". Die gleiche Bewandtnis wie
mit a/xcpig für äjiupi hat es mit äygig und pexQis: es gibt nur
die Formen ä%gi und /uexQi auch vor Vokalen, z. B. A 522
äxQtQ dnr\Xoir\OEv} II 324 ä%gig äga^Ev, ü 128 xexvov e/uov, xeo
fie%Qig ödvQÖfievog. — Vielleicht hat nur der Hiatus die un-
gewöhnliche Form xölot <5' öig Xdoiog /ueyag ev xXioirj Ugevxo
Q 125 für oi de öiv Xdoiov /xeyav ev xXioirj isgsvov ver-
schuldet. — Z258
&XXd fXEv\ OCpQOL XE XOl JUeXu^ÖeO oh'OV EVEIXO),
cbg OTiEioyg Au naxgl xal aXXoig ä&avdxoioi
ngcozov, EJiEixa Öe xavxög ovrjecu, ai' xs mrjo&a.
Die Überlieferung xavxög findet sich öfters, aber so, daß xal
avxog dafür gesetzt und so die nichtepische Krasis beseitigt
werden kann, wie häufig die Handschriften zwischen xäxslvog
und xal xsJvog schwanken. Ebenso ist y 255 xo xal avxog für
xoöe xavxög (y' avxog Gr) hergestellt worden. — £ 282 ßüxEgov,
ei x1 avx-q 7i€Q E7ioixojii£vr) Tiöoiv evqev ist xal dem Sinne ab-
träglich und nur um des Hiatus willen eingeschaltet worden. —
Das gleiche gilt von N 734 xai xe noXtag iodayoE, judXioxa öe
xavxög (öe x1 avxog) ävEyva), wo Hermann nach C 185 öe t'
avxog verlangt, aber öe avxog genügt. Die ganz auffällige
Krasis mvxög E 396, die allein steht, ist der Unkenntnis, daß
avxog bei Homer im Sinne von 6 avxog stehen kann (vgl.
3/225 avxä xeXev&o, F480 Xnnoi <3' avxal k'aoi nagoixEgai, ai
xö jidgog tieq u. a.) entsprungen. & 360 hat man für 7iaxr\g
ovfxög nach Z 414 jxoxeq' äjuov (äixöv d. i. ä/nfiov) mit Recht
naxviQ abflog gesetzt. — Das öfters z. B. A 288 sich findende
wgioxog stammt gleichfalls von der Angst vor dem Hiatus in
in 6 ägioxog her. — Bei dem ungewöhnlichen a) dgiyva>x£ (chgi-
yrcoxE, co ' giyvcoxE, d> giyvcoxs) q 375 hat man die Bedeutung
Textkritische Studien zur Jlias. 151
der Hebung außer acht gelassen; das Richtige bietet F mit
dgiyvojxe. — Mit xdcpgov, fj #' Xnnovg xal Xaöv egvxdxt] ä/uq)lg-
eovoa, fxr] nox1 enißgio}] JioXefiog Tqcocov dyegfhymv H 342 wird
die Bestimmung des um das griechische Lager gezogenen Gra-
bens angegeben. In dem Sinne „rings herumlaufend" müßte
es dfxcpl eovoa heißen. La Roche bemerkt: „besser, dazwischen
liegend', zwischen den Troern und Achäern". Aber diese Be-
deutung wird mit O 444 Aiog äfxcplg fjoftqv „getrennt, fern
von Zeus", N 706 djuylg eegyei „hält getrennt", 0 709 dficplg
juevov „aus der Ferne", £ 352 dficplg ixeivojv „fern von jenen"
nicht erwiesen. Dagegen wird die entsprechende Bedeutung
mit der Variante, welche Scholion T erwähnt, dficplg eyovoa
„sie gesondert, fern haltend" gewonnen. Vgl. a 54 ai yalav
xe xal ovgavöv dficplg eypvoiv. — Für E 487 Xivov dlovxe na-
vdygov hat Bentley Xivov navdygoio alorrsg hergestellt: da die
erste Silbe von aXövxe kurz und der Dual unrichtig ist, kann
man nicht sagen, daß „der Grund der Änderung fehle". —
Am Platze ist fiexdXjuevog A 538 l'exo övvai öfiiXov dvdgofieov
gfjk'ai xe fj.erdXfj.evog (unter sie springend) oder W 345 o' eXyoi
fjexdXfievog (nachspringend), nicht aber E 336 äxgrjv ovxaoe
%eiga fiexdXfievog oder 5 443 Zdxvio}' ovxaoe öovgl fiexdXfievog,
wo man endXfievog erwartet: „auf sie, auf ihn losspringend".
Vgl. A 489 Tgdieooiv ijidXfievog, N 643 ev&a ol vlog enaXxo,
0 140 'Aoxegojiaicp enaXxo, ZV 362, wo ST 77 und mit ev aXXq> A
Tgojeooiv endXfievog, die anderen (AMG2" u. a.) Tgcbeooi fie%-
dXfxevog geben. — In 7 106 Bgiorjida xovgrjv yojofievov 'Ayj-
Xijog eßijg xXuoirjftev dnovgag macht man 'AyiXfjog von xXioirp&ev
abhängig, ohne ein entsprechendes Beispiel anzuführen. Das
regierende Verbum kann nur dnovgag sein (vgl. A 430); es
muß also ursprünglich AyiXfja geheißen haben. Außerdem
hat Brandreth mit Recht bemerkt, daß es dem Sinne des Ne-
stor mehr entspricht, wenn hier der leidenschaftliche Zorn mit
Xcoöfievog dem Agamemnon zum Vorwurf gemacht wird. — In
A 557 rjegit] ydg ooi ye nage^exo xal Xdße yovvcov hat Bekker
Hom. Bl. II S. 232 mit Recht an ooi ye Anstoß genommen und
o' r] ye vermutet. Wie xaxae^exo außerordentlich oft in xax"1
152 7. Abhandlung: N. Wecklein
ao1 e£exo überging, so ist auch hier am einfachsten mit ydg
*oot TiagaeCero dem Sinne gedient. — JP 368 ex de juoi eyyog
r\iyßr\ 7iaXdfit]q)iv hcuoiov ovd'' eßaXöv juiv gibt Ammonios die
Lesart ovo'1 edd^aooa. Darin liegt ein richtiger Gedanke; denn
getroffen hat er ihn, nur nicht getötet. Aber eddjuaooa ist
offenbar nur Konjektur; wenn wir aber ovde eXov für ovo"1
eßaXov setzen, so erhalten wir im Hiatus den Grund der Ände-
rung. — Die echt attische, aber nicht epische Ausdrucksweise
in E 17, n 479
eyyeog ovo'' eßaX1 avxov o d} voxeqog ojqvvxo yaXxro
will Nauck mit eßaXev jmv verbessern; aber man begreift die
Änderung, wenn man eßaXev pe' o schreibt. So ist auch
77 775 juagva/uevcov äfxcpi ol' o (5' für äfjMp'1 avxov zu setzen,
da der Dativ gewöhnlich ist. — In A 349 daxgvoag exagcov
äcpao e'Cexo vöocpi Xiaofielg steht äcpao ganz zwecklos: was der
Sinn erfordert, zeigt A 80 vöocpi Xiao&elg xcov äXXcov äjzdvevfie
xa&eCexo, also exagcov ano. — Nach ovde steht r' z. B. A 406
zwecklos und dient nur der Ausmerzung des Hiatus (ovöe edij-
oav oder ovöe e dfjoav). — A 86 ov juä ydg AjioXXcova ddqnXov,
w re ov, KdXyav ist die einzige Stelle, wo ddcpiXog das Epi-
theton eines Gottes ist: passend kommt das Epitheton dem
Seher zu, also diicpiXe (nach der bukolischen Zäsur). — An
der gleichen Stelle hat La Roche E 281 dojiida' rj de für
äoniöa- xrjg de hergestellt. Vgl. J57 66, H 260, Y 276. - Z 46
ist die epische Form dek~o in äfia deg~o äjioiva in X erhalten,
wo des"* steht: die übrigen geben defai. Nauck vermutet deijfl,
aber de^rj kann nicht im Sinne von Xrjipfl stehen. Die gleiche
Form ist ü 555 herzustellen. — H 298 liest man ai re jlioc
evyß/JiEvai fthov dvoovxai dywva: von einem künftigen Bittgang
ist nirgends die Rede; dagegen hat ein Bittgang der Troischen
Frauen zum Heiligtum der Athena in Z stattgefunden, an den
mit dvoovxo erinnert wird. Vgl. .X229, wo einige Hand-
schriften das dem Sinne gemäßere ßid^exo obxvg 'AyiXXevg haben,
während die meisten und besten ßidt,exai bieten. Unsere
Theorie fordert ßidt,exo. — Der gleiche Fehler findet sich
Textkritische Studien zur Ilias.
153
Q 586, wo Naber dlixoixo eyex/udg für dXix^xai hergestellt hat,
und K 99 öcpga idcofisv /xi] . . xoi/njoaivxai, dxdg cpvXaxrjg enl
jidyxv Xd&cüvxai. Hier ist xoi/arjoatvxai für xoiftijoavxo durch
Xd&covxai herbeigeführt. Den Indikativ fordert die eingetretene
Handlung. Vgl. e 300. — Ebenso hat man O 256 xqvodoqa
für xQvodogov vor og hergestellt. E 509 ist xqvooloqov für
XQvodogog vor ög juiv ävojye dadurch entstanden, daß die En-
dung og vor ög ausfiel. — In i" 650 ovx £#' öjiicog xijxfjg eoeat
ist xijurjg unverständlich. Die alten Grammatiker (Aristarch)
suchten mit der ungewöhnlichen Form ufifjg = xtfirjeig zu
helfen. Die richtige Ausdrucksweise zeigt / 319 ev de hj
xijufj (eoxtv); es ist also ovx ev SjLifj xijufj eoeat nur wegen
des Hiatus alteriert worden. — B 102 muß es nach xb jäh
"Hyaioxog xdjue xevycov für "Hrpmoxog juev eöcoxe heißen: "Hcpai-
oxog de eöojxe. — B 258 schwankt die Überlieferung zwischen
et x1 exi ö' dygaivovxa xi%rjoo/biai und el <5' ext . . xix^oo/xai,
ein Beweis, daß es ursprünglich et ext . . xixijooftai geheißen
hat. el <5' wird als Lesart Aristarchs angegeben, welche nach
dW ex xot egew gar nicht möglich ist. Auch el' (nicht ai)
spricht gegen et x\ — Wenn Priamos beim Anblick des Aga-
memnon -P 169 sagt:
xalbv ö"1 ovxco iyto ovnco töov öcpftaXjnol'oiv
ovo' ovxco yegagöv ßaoiXfji ydo dvdgl eoixev,
so erhält man eine schöne Steigerung, wenn man nach dem
Zitat bei Athen. XIII C ßaodtji de dvdgl schreibt. A 309
geben die meisten Handschriften cog äga jivxvd xag^a^ v<p
"Exxogi ddjuvaxo Xacov, nur zwei Pariser (darunter der cod. 2766)
und eine Wiener (Hb) haben xdgrjva wie A 500 dvdgcov nmxe
xdgypa. Mit Recht zieht Leaf xdoiqva. gemäß dem Homeri-
schen Sprachgebrauch vor. Mit Recht auch macht er den
Hiatus für die Änderung verantwortlich. — Wenn man die Hi-
atusscheu in Erinnerung hat, wird man auf Textverderbnisse
aufmerksam, an die man sonst nicht denken würde. So wird
man ^ 1 10 [xvgojuevoioi . . d/ucpl vexvv iXeeivov. dxdg xgeicov
'Aya/uejuvcov gemahnt, daß es sonst z. B. X 408, 5 314 eXe-
154 7. Abhandlung: N. Wecklein
stvd heißt, womit auch die Verbindung von vexvv eXeeivov
ausgeschlossen wird. — zl 189 aX ydg dr) ovxwg eh], cpiXog &
MeveXas kann es vor MeveXcle nur (piXs geheißen haben (vor
der bukolischen Zäsur!). Wenn also W 627 ov ydg IV EfinEÖa
yvXa, yLXog, nödeg ovo'1 exi %eIqeq das ungefüge nödeg von
Düntzer nach N bl2 ov yäg ct' Ejunsda yvla tioocöv mit yvla
jiodcov, (plXog in Ordnung gebracht ist, so muß jetzt auch yvTa
tzoööjv, <piXs, ovo' exi yEigsg verbessert werden. — i?455, 0 201,
v 140 a> TiOTioi, EvvooiyaC Evovo&EVEg, ovde: vv oo'i tieq hat
schon Nauck gesehen, daß die richtige Form igiodsvEg sich
mit ivooiyaiE igio&EVEg herstellen läßt. 0 117 /udoxig~£v (5' l'n-
Tiovg' xdya ö"1 "Exxogog ayyi yevovro würde man der Vermu-
tung von Leeuwen , der "Exxoql nach W 447 xdya ds ocpioiv
ayyi yhovxo vorschlägt, mißtrauen, wenn nicht der Hiatus für
die Änderung des ursprünglichen Textes verantwortlich ge-
macht werden könnte. Da nur noch b 370 f] öe /uev ayyi
oxäoa der Genitiv vor ayyi steht und juev und fioi öfters ver-
tauscht sind, wird jlioi ayyi zu setzen sein. Zenodot hat r\
öe fxoi dvxojuh'?]. — Nunmehr läßt sich auch £"448 ev ju£yd?.q>
ädvxq) dxEovxö xe xvöaivov xe das allein dem Sinn entsprechende
l'aivov xe herstellen. — H 425 bietet einen besonders be-
merkenswerten Fall:
äXX"1 vdaxi vi£ovx£g äno ßgoxov alfxaxoEvxa
ddxova &£Q/ud yiovxEg dfxag~dcov ETiaEigav
ovo" Eid xXaiEiv ITgiaiiog jusyag. oi ds oiooTifj xxe.
Bekannt ist, was Lessing im Laokoon über dieses Verbot des
Weinens ausführt. Seine Folgerungen wurden, wie im An-
hang von Ameis-Hentze zu der Stelle angegeben ist, von
Fr. Jacobs bestritten, der xXaiEiv von dem vorhergehenden dd-
xova $£Qjud ykovxEg verschieden sein läßt und von der lauten
zeremoniösen Totenklage der Verwandten versteht. In der
Tat muß man von dem Verbot des Weinens überrascht sein,
da vorher ödxgva dsgLiä yßovxEg ebenso von den Troern wie
von den Achäern gesagt ist. Auch Leaf bemerkt: Priam for-
bids them to cry aloud, which was the habit of a non-Greek
Textkritische Studien zur Ilias. 155
people, see Ü 721. Aber xXaieiv kann nicht ohne weiteres
vom lauten Klagen verstanden werden. Es muß eben ovöJ
ei'a xXaieiv Ilgiajuog fieya heißen. Der Ausdruck /ueya bei dv-
reiv, layeiv, ßoäv , oxe.v6.ytiv, evyeo&ai ist häufig. B 111 und
718 geben die Handschriften jueya, Aristarch fieyag. — E 111
ist HfteveXog de xa& inncov äXao yajuä£e für 099' ititicov ge-
setzt worden. La Roche hat beobachtet, daß es immer äcp>
ititicov, e£ ititicov, ££ öyecov heißt. — Unverständlich ist die
Konstruktion in E 329
alya de Tvdetdt]v fie&ejte xgaxegcbvvyag t'juiovg.
Die Verbesserung hat Christ mit jueff ene, Nauck mit Tvdetdy
eneyev versucht. Jene wäre die einfachste, aber wie Bechtel
Lexil. S. 135 beobachtet hat, erscheint das Verbum enco nur in
Verbindung mit Präpositionen. Die ursprüngliche Lesart hat sich
erhalten in 77 724 und 732 all"1 äye (avxdg o) FlaxgoxXcp ecpene
xgaxegcbvvyag l'nnovg, wo geringere Handschriften eneye bieten,
sowie in Q 326 itttioi, xovg 6 yegcov ecpencov (vor sich her-
treibend) /udoTiyi, wo sich keine Variante findet. Also ist Tv-
deidy ecpene zu schreiben. — Die in den Stud. z. Od. S. 61
dargelegte Beobachtung, daß die vier Formen äga, äg, ga, £'
immer als Füllsel herhalten müssen, nachgeahmt von modernen
Kritikern, z. B. E 223 jiieidijoaoa. d"1 eneixa eco (Bentley enea1
äg1 eco~, Heyne eneix'' äga co) eyxdxdexo xoXtico, wo ein Hiatus
Anstoß erregt oder eine Silbe zu fehlen scheint, erhält eine
vorzügliche Bestätigung durch K 268
Zxävdeiav d"1 äga öcoxe Kvfirjgico 'Ajucpiddjuavxi.
Das Scholion 6x1 ovxcog emev dvxl xov eig Zxdvdeiav djteoxeiXev,
d>g ,7xev&exo ydg Kimgovöe"1 (vi 21) xxe. läßt erkennen, daß Ari-
starch Zxdvdeidvde gelesen wissen wollte, wie es o 367 Zdfxtpde
dooav, 77 79 oi'xade dojuevai heißt. Diese Lesart läßt sich aber
nur, wie schon Tyrrell gesehen hat, herstellen mit Zxdvdei-
dvbe <3' e'dcoxe (oder de öcoxe). — Unverständlich ist es, warum
w 182 ev ö' äga egjuaxa rjxev die Lesart des Syrischen Palim-
psests ev de 01 keine Aufnahme gefunden hat. — Das gleiche
gilt von 77 820. — 0 133 geben die Handschriften V äga
156 7. Abhandlung: N. Wecklein
Öblvov für de dfeivov, 0 170 <5' ao1 djr' fehlt das unnütze äg1
wenigstens im Townleianus. — K 445 hatte Aristarch f)k xax1
aloav, die Handschriften geben rj (oder ^) ga holt aioav. —
£451 ist (5' äg' eldcohp für de feiöwZw überliefert, ebenso
M 389 q' I'öe für /«3e, 3 383 £' «yaavro für fsooavxo. - Q 676
gibt A mit einigen anderen reo (5' äga (für tw (5£) Bgioyig. —
A 467 vbxqov ydg fEgvovxo geben ydg ^' A u. a., ydg (ohne
p') haben BMS u. a. erhalten. — B 342 geben avxcog ydg g'
ejieeoo1 sQidaivojuev alle maßgebenden Handschriften, ydg ohne
<?' steht in Hb und anderen minderwertigen. "Wenn also gd
dazu diente den vermeintlichen Hiatus zu beseitigen, muß uns
das nach ydg überflüssige gd auch verdächtig erscheinen,
wenn es ohne Not den wirklichen Hiatus aufhebt oder Posi-
tion macht. A 690 steht eldcov ydg exüxwoe in den meisten
Handschriften, A mit einigen geringeren hat ydg g\ In £ 30
TtoXXov ydg djidvev&e jud%t]g Eigvaxo vrjeg haben fast alle maß-
gebenden Handschriften ydg g\ die Partikel fehlt in LHbX
u. a. Etwas günstiger für ydg ohne g' ist das Verhältnis in
P 403 Tiollov ydg djidvev&e päffis /udgvavio tiodwv. A 113
xal ydg ga KXvxai^'joxg^g ngoßzßovla hat Bentley xal ydg fe
emendiert. Ebenso ist N 554 jieglydg pe (für ga) IIooEiddaiv
evoocx&cov Neorogog vlöv (Apposition zu fe, vgl. 600 ol . .
noifjLevi Xacov) k'gvxo herzustellen. — Die Lesart des Aristo-
phanes in £ 474 avxco ydg ga cpvrjv (für ydg yeverjv) äyiioxa
eoixev (für ewxei) . wird schon durch das Füllsel gd verdächtig.
— P 554 o ydg gd ol eyyvfiev fjev ist durch gd der gebräuch-
liche Genitiv e&ev verändert worden. — W 535 hat Nauck
oxdg (3' äg' ev 'Agyeiotg vor psnea in ordg <5' ev ^Ayaidioiv ver-
bessert. — Passend heißt es X 60 öv ga jraxijg Kgoviörjg . .
(p&ioEi („den also — wie man sieht — vernichten wird"), da-
gegen steht gd unnütz ebd. 23 6g gd je gsia ^h]oi und 27 ög
gd t' Ö7id)gr]g eIoiv: an der ersten Stelle fehlt es in S und hat
Ahrens es getilgt; aber auch an der zweiten Stelle ist 6g xe
öoxcbgyg zu setzen. — !P 180 fällt der Unterschied der Les-
arten ndvxa ydg ijdi] xoi xExeXEO/HEva djOTisg VTtEOxrjv (Townl.
und Syr. Pal.) — xoi xeXeoj xd ndgoi&Ev (die meisten) sehr auf.
fextkritische Studien zur ilias. 157
Der Hiatus mag die zweite Lesart hervorgerufen haben. Dem
Sinne entspricht xexeXeo/xeva aufs beste; aber es ist kein Grund
für das ungewöhnliche xexeXeo/ueva statt xexeleoxai ersichtlich.
Der Hiatus nach dem vierten Spondeus findet sich, wie oben
S. 136 gezeigt ist, öfters. — Ganz zwecklos steht auch die Par-
tikel z. B. K266 xfjv ga nox e| (für rrjv noxe l£), 287 rovg
<5' do' in' (für xovg de in'), 357 dXX' oxs örj q' aneoav (für
di] aneoav), A 101 ßfj g' hov sogar Biqgioov oder Brjgrjoov
als Name für ßfj fioov, wo Zenodot ßfj hov erhalten hat, A 148
ö 6' o#t nXeioxat xXoveovxo cpdX.ayyeg, xfi cg evogovoe für x fj
ivÖQovoe, 1/299 ßfj V ifiev nach ttjv äg' o ys, M 304 et
neg ydg tf evgyoi nagavxößt ßcaxogag ävögag . . ov gd t' dnet-
gtjxog jue/uovev oxa&/uolo öieo&ai für ov xi dnelgijxog, U 300
ovgavo&ev ($' dg' (Nauck de nach dem dritten Trochäus), P 396
/aev cg' (für /nev) vor fegveiv, Y 205 (hpei ö' ovx' äga nm (viel-
mehr nojg) ov ejuovg i'deg ovx' äg' (für ovxe) eyd> oovg. In
einer mit dieser Partikel gesegneten Stelle M 380 — 385 ist es
an der zweiten Stelle, an der es zwecklos steht, oloc vvv ßgo-
xoi eio'' o b' dg' vxpoftev i'jußaX' äeigag, von Nauck mit eloiv
o d' vxpo&ev beseitigt worden. Ebenso haben La Roche und
Nauck ein zweckloses äga N 192 mit xexdXvnxo (so ST), ö
<5' domöog für xexdXvyft' • o d' äg' donldog, 0 246 eginovoa'
o d' ex für egtnovo'- o d' ätf ex beseitigt. Ebenso zwecklos
steht TL 308 avxix' äga oxgey&evxog für avxix' dvaoxgecp&ev-
zog. Daß avxix1 aga gewöhnlich an der Spitze eines Nach-
satzes nach enei, öxe steht, hat schon Nikanor verleitet dairiit
einen neuen Satz zu beginnen. Noch zweckloser steht äga an
der ersten Stelle /xag/udga) oxgiöevxi ßaXojv, ö ga xetyeog £vtö?
xeixo fxeyag M 380. Hier ö xe, welches vielleicht ursprüng-
lich nur vor xe(i%eog) ausgefallen ist, zu setzen berechtigt uns
die gleichartige Stelle 454 oavidcov . . ai ga nvXag eigvvxo, in
der der Syrische Palimpsest at qd xe bietet und deshalb Nauck
aX xe vermutet hat. — Mit dem gleichen Recht wird man in
N 796 deXXt], ij ga #' vnö ßgovxfjg naxgog Atbg elot nedovbe
das unnütze ga mit // xe vnö beseitigen. iV408, wo glück-
lich die Handschriften xfj vno bieten, hat ein Papyrus mit rfj
158 7. Abhandlung: N. Wecklein
V und dem vermeintlichen Mangel abgeholfen. — N 143 cbg
"Exxooq xijog /uev ütieUee juexQi &aÄdoo>]g gm öieXeuaeadai xli-
oiag xal vrjag 'A'/aiatv will Nauck die Synizese von gea mit
(jela dufeo&ai, Menrad mit gela dteioeo&ai beseitigen. Die Ver-
besserung ergibt sich aus Y 263, wo gsia ö"1 efovoeo&ai oder
gia ötehvoeoftai nach öiango fjd-ev 276 f. in grja diadtjEiv
zu ändern ist. — P 110 d>g xe tig rjvyeveiog, öv ga xvvsg xe
xal ävdgsg änö oxa&fidio diwvxai nimmt öv ga das bei Ver-
gleichen gewöhnliche öv xe ein. So bietet Hesych. unter
vvfi<piov zu !F223 ög ga für ög xe. — <P 489-491 steht ga
(äga) dreimal, zweimal ganz unnütz; an der zweiten Stelle
(nach dem dritten Trochäus) hat es Nauck mit ÖE^ixegfj Öe an"1
wjlkov beseitigt; an der dritten ist avxoToiv öe fE fteive für <5' ao'
e&eive (o. S. 45) zu setzen. Besondere Beachtung verdient X470
xgyÖEjuvov #', ö ga ol öcoxev igvoir] *Arpgob'ixr\ wegen der Notiz
des Didymos: ex nl-qgovg 6 ,!£' ovvÖEOjiiog ,xg)'jÖ£fiv6v xe\
ovxayg änaoai: diese Lesart ist nur möglich, wenn ga wegfällt,
so daß man xgijÖEjurov xe, ö ol erhält. Von xgi]öe/.ivdv xe, xo
oi ist nichts gesagt. — Die gleiche Rolle wie äga spielten,
wie wir wissen (Stud. z. Od. S. 47 ff.), die Partikeln xe, ye, xe,
dt']. So hat K 362 Aristarch den Hiatus in %ü>gov äv vXrj-
Evxa, o öe jigoßhjoi erhalten, während die Handschriften vbj-
ev&\ ö öe xe geben. Wenn v 247 in h ö"1 dgöjuoi das Di-
gamma von ägö/udg außer acht geblieben ist (Bechtel Lexil.
S. 58), so hindert nichts mit Thiersch es 2*521 mit ev noxa-
(iqy, ö&i (für ö&i t1) fagÖLiög eev herzustellen. — In K 83,
386 vvxxa 6i ögrpvahjv, oxe i¥ evÖovoiv ßgoxol alloi steht xe
zwecklos, weil von dem einzelnen Zeitpunkt, nicht allgemein
(„wann immer"), gesprochen wird. — In ÜT210 äy> ävaywgr}-
oovoiv, ejiei da/xdoavxo y"1 A%aiovg hat ys keinen Sinn.
Noch weniger Sinn hat das erste ys in K 235 xbv /äev
di] exagov y' algijoEai, öv y1 E&üyo&a. Sinn dagegen hat )>e
K 242 ei fiev di] sxagov y£ xeXevex'' ej.C avxbv ElEo&ai. — 0 279
wg Li uxpEl^ "Exxcog xxEivai, og ivfidös y1 Exgacp1 ägioxog geben
die Handschriften teils y' k'xgaip'' (A) teils xExgacp' d. i. t' hgaq}1
(t' hgdcp' T). Das Schwanken kennzeichnet die überflüssige
Textkritische Studien zur Ilias. 159
Partikel: ev&dde ezgaq?'. Auch Leaf hat, wie ich sehe, das
gleiche verlangt. — <P 456 hat für vcöi de x1 vor äyoggoi der
Lips. von de (und SHb u. a. vwi ö"*) bewahrt. — $421 findet
sich wie häufig in xal <5' avd' das Füllsel ö\ — Wie X 66 avxöv
<5' äv 7ivtuax6v fie xvveg . . igvovoiv (als Futurum) de Jivjuaxöv
jue geschrieben werden muß (S. 81), so wird auch ebd. 70 eher
oi (für oi' x') ejuöv aljua mövxeg . . y.eioovx1 als mit Herwerden
oi x1 ijnöv . . xeiojvx"1 herzustellen sein. — In A 733 dxdg jueyd-
fivjuoi "Eneiol djurpioxavxo di] äozv hat man das Digamma von
äorv auf verschiedene Weise zu gewinnen gesucht: Bentley
vermutet djucpioxavxo äozv, Heyne djucpioxavx'' äga äozv, Brand-
reth äozv dt] ä/.i(pioxavxo, Nauck äjucpeozav di] äozv: vielmehr
ist nach ä[i<piozavzo die Endung zo ausgefallen und dann die
Lücke mit <5>/ ausgefüllt worden. In äfxqpioxavxo zo äozv weist
der Artikel auf die vorhergenannte Stadt hin. — Ebenso ist
zi nach -i in S 364 'Agyeioi, xal <5' avxe fie&ie/.iev "Exxogi vi-
xr\v ausgefallen {zi xal avze) und dann das zwecklose <5' ein-
geschaltet worden. Als ebenso E 484 zco xai xe zig ev^exai
är/jg nach zig (das von Monro eingesetzte) ze ausgefallen war,
wurde das unbrauchbare xe (ze A2) eingefügt (zqp xai zig r'
ev%ezai). — Wie öij avze oder (V avze häufig für avze über-
liefert ist, z. B. B 225 'Axgetdr], xeo d'1 avx"1 emiiejuipeai ijde
yazit,eig\ so ist O 287 olov <3' avz'' eijavzig äveoxt] xfjgag alvg~ag
das vor efavzig unnütze ouV eingedrungen, um den Hiatus von
öi] etjavxig zu beseitigen. Auch 0 457 haben Handschriften
(HUd) alz'1 e^avzig für avzig. Vgl. olov dt] ävdgeooi %agi£eai
i\T 633, olov öij MeveXaov vjtezgeoag P587, olov di] xal od''
rjX&e 0 57, auch e 183, X 429. — A 483 al'yeigog a>g, fj gd t'
ev ela/uevfj k'Xeog jueydXoio necpvxtj (so Hermann für Tieyvxei)
und O 631 ßovolv eneXftojv, al' gd t' ev ela/uevfj eXeog jueydXoio
vejuovzai (vielmehr vejuoovxai) dient gd in auffälliger Weise
nur zur Beseitigung des Hiatus in i] ze ev und aX ze ev. —
Daß bei Vergleichungen obg özav für cbg öze nur der Hiatus-
scheu verdankt wird (Stud. z. Od. S. 92 f.), verrät das 0 209
überlieferte onnoz* äv loo^ogov für das von Bentley herge-
stellte ÖTiJioze fioojuogov. — TT 30 jxy] e/iie y"1 ovv ovzog ye XAßr]
160 *!. Abhandlung : N. Wecklein
XoXog ist ye vor dem zweiten ye unmöglich (E 258 steht es in
einer interpolierten Stelle). Wir erhalten also den Hiatus
if.ie ovv. — P 336 aiödtg juev vvv {jöe y\ äorjicpiXcov vti1 'A^aicbv
"IXtov eioavaßfjvcu ävaXxiyoi öa/uevxag fehlt das unnütze y% glück-
licherweise in Hb und einigen anderen. — In X 86 ei' neo ydo
oe xaxaxxdvt] , oü o' ex"1 iyoj ye xXavoojuai ist o' er' ebenso-
wenig brauchbar wie oe x\ was andere Handschriften geben:
„nicht mehr", als ob Hekabe bisher schon den Hektor auf der
Bahre beklagt hätte; es muß also ov oe iyoj ye heißen. — In
dem Versschluß judonyi xeXevev W 642 und ü 326 ist das in
diesem Sinne sonst nirgends vorkommende xelevev an die Stelle
von eXavvev gekommen. — Der sog. plur. maiest. entspricht
nicht dem Homerischen Sprachgebrauch. Deshalb ist in ¥ 659
ävöge dvco Jieol xwvde xeXevojuev, coneQ ägloroj (Achilleus spricht)
xeXevco (vor der bukolischen Zäsur) zu setzen. — Wenn auch
Q 304 %EQvißov aju<pijioXog nqoyoov vv ä/xa xeQ0LV i'xovoa neben
der fehlerhaften Form xegvißov bei Poll. 10, 90 %e.Qvißa <5'
überliefert ist, so berechtigt das nicht %eQvißd z1 zu setzen,
sondern fordert eine richtige Methode anzuerkennen, daß mit
beiden Lesarten nur der Hiatus leqvißa ajuq){jzoXog vermie-
den werden soll. Übrigens scheint nach dem Scholion T die
Massilische Ausgabe so gehabt zu haben. — £'257, ü 113
und 134 geben die Handschriften e£o%a ndvxcov, 7 641, P358,
e 118 Eg'oxov äXXcov, an der letzten Stelle hat auch die Kra-
kauer Handschrift e|o^« aXXoiv , d. h. der Hiatus von etjaxa
äXXcov ist entweder mit eg'oxov oder mit Jtdvxcov beseitigt
worden. — Wie um des Hiatus willen xaxai^Exo zu xax1 ao'
e%exo wurde in Versen wie log äga <pa)viqoa.g xax"1 ao' e'Cexo
(Stud. z. Od. S. 61) oder a>g xe fefoixsv zu ojg t1 ineoixev, so
ist xaxadXjiievog, wie van Gent gesehen hat, in xaxendXjLiEvog
A 94 übergegangen, worin im keinen Sinn hat. Vgl. imdX-
fievog Hlh (aufspringend). Ebenso ist 0 85, Y 424, 1F694
ävenaXxo in ävdaXxo, xaxenaXxo T351 in xaxdaXxo (vgl. eis
äXa äXxo ^4 532), avandXXexcu W 692 in dvadXXexai zu ver-
wandeln.
Zu den Wörtern, welche als Füllsel dienten, gehört auch
Textkritische Studien zur Ilias. 161
äv. In 2 192 äXXov <3' ov reu olöa xev av xXvxd xEvyta dvco,
ei jiti] AXavxog ye odxog verträgt der deliberative Konjunktiv
äv nicht. Beseitigt wird äv von Robert mit reo xXvxd, wel-
ches Leeuwen in den Text gesetzt hat. Aber in der indi-
rekten Frage steht xig nur o 423 eigcoxa dr] e'jieixa xig eitj und
o 368 el'oovxo xig el'rj in gleichartiger Anwendung. Also wird
man, obwohl die beliebte weibliche Zäsur verloren geht, old'
öxeo y.Xvxä zu setzen haben. Vor old"1 öxeo ist xev (xeo) lä-
stig („von wem anderen die Waffen, wenn nicht von Aias den
Schild"). Deshalb muß die Lesart geringerer Handschriften
(DbPxCXZ), die an und für sich das Aussehen des Ursprüng-
lichen hat, ov ftrjv Geltung gewinnen. — Die Fälle, in denen
um des Hiatus willen Präpositionen, die überhaupt der Ver-
wechslung sehr ausgesetzt waren, vertauscht wurden (Stud. z.
Od. S. 57 ff.), können durch weitere vermehrt werden. Ganz
sonderbar steht nagd in M 418 und 411
xetyog §)]id/nevoi ßeodai naoä vrjvol xeXevdov.
Unmöglich können Fälle wie l^eiv, lögveiv nagd xivi, nag jiooi
jisosiv, xvXlvÖEoßai damit verglichen werden. Der Sinn for-
dert fteo&ai inl vrjvoi. — Es ist bezeichnend, daß N 90 und
P 285 mit qeV (gi'f) EJiiEioduEvog für geia jUEXEiodjusvog das
Digamma hergestellt werden kann. — Nimmt man N 2 an,
daß der ursprüngliche Text xovg juev ea ejii xfjoi jiövov x1
e/Jjuev xal öi£vv gelautet hat, so begreift man, warum für im
bald naoä bald tieqi (Zenodot und Aristophanes) bald ngog
(Schol. T) überliefert ist. — .5" 66 x£r/og ö' ovx eyoaiojuE xexvy-
/aevov ovöe xl xdcpQog , olg ejii jioXXä nd&ov Aavaoi, wo Ari-
starch zwischen olg und f/ ejii schwankte, die Handschriften
fl ejii bieten und in unseren Ausgaben bald olg bald f\ ejii
steht, gibt der Hiatus das Kriterium ab für die Wahl von r\
E7U. ^P 14 JLWQOjilEVOl' jUEXCL 6e 0(f>l 0£Xig yOOV tJilEQOV d)QOEV
hat Nauck vjio für juexu vorgeschlagen und damit die typische
Wendung gewonnen. Vgl. Q 507 xqJ $' äga Jtaxoög ixp1 Tjue-
oov ojqoe yooio, V 108, 15S, ö 113, 183, n 215, x 249, ^ 231.
— Q 320 gibt der Townl. mit einem Papyrus diä äoxsog, die
Sitzgsb.d philos.-pbilol. u. d. hist.Kl. .Tahrg.1917, 7. Abh. 11
162 7. Abhandhing: N. Wecklein
meisten haben vtieq äoxsog. — Auffällig ist es, daß solche
Vertauschung der Präpositionen besonders nach dem dritten
Trochäus, wo sich doch der Hiatus am häufigsten findet, statt-
fand. A 470 deldco fiiq xi nddr\oiv ivl Tqojeooi juovojßelg gibt
ein Teil der Handschriften (BMT) ndfirjoi juexa Tqojeooi. —
Zu 77 864 avxlxa de £bv öovgl just' Avxo/ueöovzcl ßeßrjxei ist
bei Eustathios in T] /uex"1 überliefert: für die Ersetzung von
in' mit juex' lag eben der Grund in dem Hiatus. Also muß
auch F407 avxdo o ßfj ovv öovgl in' (für /uex') ävxid-Eov TIoXv-
öcoqov geschrieben werden. — Bezeichnend hiefür ist die Über-
lieferung in II 534 avxdg k'nEixa juEtd Toöjag x'ie juaxgd ßi-
ßdoftwv, IloXvödjuavx' inl IJav^otö^v xal 'AytjvoQa öTov, ßi\ öl
juex' AivEiav, wo ßfj öe in' Aiveiav nur um des Hiatus willen
geändert wurde. — Ebenso ist 0 221 eq%eo vvv, tpih &oTߣ,
fieff "Exxoqa %aXxoxoQvoxr]v nach dem dritten Trochäus [xeW
für £>' gesetzt worden. Denn juexd mit Akkusativ steht in
der Bedeutung „unter, in die Mitte von" bei einem Ausdruck,
der eine Menge bezeichnet; außerdem heißt UExd xiva oopäo&ai
P 605 „hinter jemand her stürmen", Uvat juexg Neoxoqo. K 73
„gehen, um Nestor zu holen". Deshalb paßt /u£xd E 22 r?
/ae& o/udov tot Aavacov xayvndbXwv f]h /uex' 'AxQstöyv bei öfii-
Xov, nicht aber bei 'AxQstdtjv: es muß in 'AxQeidqv ebenso wie
ebd. 24 heißen. Ebenso erwartet man £"152 ßij ös inl Edv-
&ov für fiExd Edv&ov. — I 317 = P 148 [idQvao&ai örjloioi
^iex' dvögdoi vcoXe/usg ahi hat an der ersten Stelle Aristarch
örjioioLv E7t erhalten. — Z 456
xai xev iv 'AgyEi iovoa ngög dXXyg loxöv vqpalvrjg
soll Jigög Am. Dienste" bedeuten wie sonst nirgends. Die Unter-
tänigkeit bezeichnet vno wie in vnoöuwg, vnoögr]ox^Q. Vgl.
T 133 EQyov aEixEg h'yovxa vn' Evgvodijog diöXon', wo mehrere
Handschriften (A von zweiter Hand) ngög für vno geben. —
Daß es $ 422 äyei . . örjiov ix noXJ/uoco xaxd xXovov dvd
xXovov geheißen hat, kann z. B. #167 erweisen. — Für das
gewöhnliche ivl cpQEoL steht juExd cpQEol an nicht weniger als
18 Stellen, welche La Roche zu A 245 aufzählt: A 245, 7 434,
Textkritische Studien zur Ilias. 163
£264, 2 419, 463, T 29, 213, 343, F310, ^600, Q 105,
ö 825, x 438, v 362, n 436, g 470, a> 357, 435 (wiederholt ist
es der Vers ftägoee, jurj rot ravra juerd <pgeol ofjoi jueXövrojv)
immer nach einem Vokal und immer nach dem dritten
Trochäus. Darin liegt ein deutliches Wahrzeichen, daß als
ursprünglich das regelrechte evl (pgeoi anzusehen ist. Sehr
bezeichnend ist es, daß K 538 Aristarch und T äW alvcbg
öeiöoixa juerd cpgeoi, die meisten Handschriften aber xard (pgeva
bieten : die eine wie die andere Lesart verrät den Versuch den
Hiatus von öeiöoixa evl (pgeoi, wie Nauck emendiert, zu heben.
An der gleichen Stelle und gleich unpassend steht juerd A 416
{Hjycov Xevxöv ödovra juerd yvajujifjot yevvooiv: weit natürlicher
erscheint ivl . . yevvooiv. — 2 419 rfjg iv juev vöog iorl juerd
(pgeoi, ev de xal avdrj hat Nauck rfjoiv juev vöog und mit einer
Breslauer Handschrift eorlv evl (pgeoi hergestellt. — Hiernach
ist auch X 49 dkl"1 et juev t,(bovoi juerd orgarw das passendere
Ccoovoiv evl orgarco herzustellen. — Wie gewöhnlich dieser
Fehler ist, kann auch das Zitat in Plat. Jon 538 D zeigen,
wo für eg%erai cbjurjorfjoiv eji1 lyßvoi'. (hjirjorfjoi juex1 steht. —
•ö 691 gijuqpa (51 ag"1 avrög e'Xavve xard orgaröv verlangt der
Sinn „durch das Heer hin", also eXavvev dvd orgaröv1). —
S 91 juvfiov, ov ov xev dvrjg ye did orojua ndjxTiav äyoiro hat
Nauck dvd orojua verlangt unter Hinweis auf B 250 dvd oröju1
e'xayv dyogevoig. — Stud. z. Od. S. 58 habe ich für # 378
(hgxeiod-rjv drj e'jieira norl ypovl noXvßoreigrj die Lesart einer
geringeren Handschrift inl %&ovl in Anspruch genommen, weil
norl %&ovl fast eine komische Vorstellung erweckt. Ich habe
auch auf <P 426 ra> juev äg1 äjucpoo xeiro inl x&ovl noXvßoreigrj
verwiesen, wo A im, die übrigen besseren Handschriften nori
geben. Ich hätte noch bemerken sollen, daß im die Her-
stellung der epischen Form xeiar ermöglicht. — Q 696 ist in
oX (3' elg äorv e'Xojv nach 709, 714, wo sie vor der Stadt halt-
*) X 442 hat Nauck hexXeto <5' auyinöloioiv ivnAoxdfiois dvä (für
xaxa) 8ü>na geschrieben und damit EvnXoxäfioio' gewonnen. Ebenso wird
öeoTo' hergestellt, wenn man Y 292 avzlxa d' ä&aväiotoi dsoig evt (für
fiszä) [ivftov escjiEv schreibt.
11*
164 7. Abhandlung: N. Wecklein
machen, bIq unrichtig: der vermeintliche Hiatus von Inl aoxv
hat den Fehler veranlaßt. — O 118, 0 503 steht nach dem
dritten Trochäus gleichfalls unnatürlich uerd für iv bei einem
Singular: daß man dort xEiodat öfiov vexveooiv ev (für ve-
xveaoi //£#') ai'juaxi xal xovirjoiv herstellen muß, dürfte die
zweite Stelle tisjzxecöx'' äXXvdig äXXa fxexä oxqocpdXiyyi xovhjg
beweisen, in der wenigstens Eustathios h d. i. evi darbietet. —
Nach dem dritten Trochäus, und zwar nach etieooi(v) ist Y 256
sogar äxoTQ£y>Eig in /uExaoxQEyEig geändert worden (in AM). —
An der gleichen Stelle steht in den meisten Handschriften
xaxd o 97 E&XaoEV avxixa <V rjlJh xaxd oxötia cpoiviov al/ua,
aber die ältesten (FG) geben tjXÜEv ärd oxojiia. Hiernach ist
5*518 öf]Woag' yjv%i) ök «v1 ovxa/UEvtjv (bxEiXrjv e'oovxo und P 86
xsi/uEvov eqqee ö"1 atjua dv' ovxafXEvi]v ätxeiXrjv für xax"1 dem
Sinne entsprechend zu setzen, dem zuliebe Leaf xax'1 ovxcifiEvrjg
d>xEÜS]g schreiben will. Vgl. avXbg dvd Qivag jtayvg ^X&ev
al'juaxog ^18, ddlaooa dk xyjxie JioXXi] av oxoua xe olvdg xe
(Stud. z/od. S. 59).
8. Der Dual ist vom Aolischen her der eigentliche Nu-
merus des Epos für Gepaartes, Geseiltes und ist häufig ver-
wischt worden teils durch die jonischen Rhapsoden teils zur
Tilgung des Hiatus in der attischen Redaktion teils durch die
Fehler der handschriftlichen Überlieferung. So heißt dja<po-
xeqouv „beiden" von zweien z. B. v 327 (FM dtii(poxEQoioiv),
d/ucpoxEQoioiv beiden Parteien, äXXrjXouv „einander" von zweien
z. B. X 128 (in A, äXXrjXoiot in SBMG), dXXr\),oiow „einander"
von mehreren. A 135 hat Aristophanes e\ vcoi £cocu uetiv&olx''
erhalten, alle Handschriften geben (mit Aristarch) ^coovg, M 127
haben Zenodot und Aristophanes öv'' dvEgs evqov ägioxco vis
vjzbq'&v/lko trotz des Hiatus gerettet. 2 525 geben die Hand-
schriften ausnahmslos övco <5' ä/x1 ejiovxo vo/urjeg, aber bei dem
sich anschließenden xeqjiojuevol ovgiyg'i hat Aristophanes und
auch eine Breslauer Handschrift xeojio/ievoj erhalten. Es kann
kein Zweifel sein, daß die Änderung von H. L. Ahrens vofirjz
den ursprünglichen Text für diese Stelle und damit auch für
q 214 und v 175 hergestellt hat. Denn ohne vorausgehendes
Textkritische Studien zur Ilias. 165
vojufje ist xegnofierco undenkbar. — 2 510 gibt ein Harl. von
erster Hand XafMiofievco: dies weist auf ovo orgarcb in 509
hin. Ebenso ist ebd. 523 ovo oxonco . . öeyfieveo zuschrei-
ben. — Q 282 ist e'yovre nach reo juev £evyvvo&rp> nur in A
und einem Papyrus erhalten. In A ist es aus eyovreg korri-
giert, wenn ich die Angabe von Ludwich richtig auffasse. —
T 392 l'jHiovg <5' Avrojueöcov re xai 'AXxijLiog dficpienovreg hat
M djucpiejxovxe gerettet. — 1^ 158 ovo <5' dvegeg e^oy1 ägtoxoi
. . ovvixrjv jue/uacbxe /xdyeo&ai hat Nauck dvege ägiozco herge-
stellt. — 5r211 ob ydg eprj/ul e'jxeool ye vrjjivxiotoiv ebbe öia-
xgiv&evxe /.idyrjg l'| dnoveeo&ai fehlt zu öiaxgiv§hxe das Sub-
jekt im Dual; offenbar stand es an Stelle des unnützen code;
außerdem hat Bentley nach 200 und 431 vrjnvrteo cbg gefor-
dert, so daß man vr\nvrico cbg vcoi diaxgiv&evre erhält. — ^371 f.
hat Bentley yeTge pepoixev für yeTgag eoixev hergestellt. —
lF 736 hat Bekker rixt] <5' dixcporegoioiv in vixr) ö"1 d/ueporegouv
verbessert, weil nach A 13 vixr\ juev dgrjtcpiXov MeveXdov, P689
rixt} de Tgebcov der Genitiv erforderlich ist. — Z 226 geht die
Aristarchische Lesart e'yyea <3' dXXJjXcov und die Zenodotsche
eyyeoi (5' dXXrjXovg auf e'yyeoi 6' dXXrjXeo zurück. S. oben S. 31.
— 1F276 öooov ejuol dgerfj jxegißdXXexov Xnnov d&dvaxoi ydg
eaoi muß ejueb . . Tnnco' d&avdrco wegen negißdXXerov gesetzt
werden, ebenso 279 jueovvye tnnco für jucbvvyeg Xnnoi, wie von
ihnen 281 ocpcoiv gesagt wird; 283 heißt es von ihnen reo y"1
eoxaoreg nevfteierov, ovöe'i de ocpiv yairai egijgedarai, rd) d"1 e-
oxaxov dyvvjueva) xfjg: eoxacbxe gibt der Lips., eoxaöre ein Am-
bro«. Nach 278 standen in einem Papyrus zwei Verse, welche
mit cbg reo y1 dddvaroi beginnen. — iV613 hat Aristophanes
iepixeod)jv gerettet; dem entsprechend ist 604, wo auch X iovre
für lovxeg gibt, xeo für oT zu setzen. Dazu gehört auch dXXrj-
Xouv für dXXyjXoioiv. — P 735 cbg oi y1 eujuepiacoxe (-xeg M) ist
der Dual durch das Versmaß gefordert; es muß aber dann
auch xoj stehen, welches nur der cod. Vat. bietet. — Für die Be-
obachtung, daß der Hiatus zur Änderung des Duals in den Plural
beigetragen hat, ergibt sich ein sicherer Beweis aus K 546
rj ng oepeoe nogev -&eög dvnßoXrjoag
alveog dxriveooi eoixöreg rjeXtoio;
166 7. Abhandlung: N. Wecklein
In eoixoxeg, wofür eoixöxag stehen müßte, ist noch das ur-
sprüngliche eoixoxe sozusagen gerettet. P 103 hat äfxcpoj x1
avxig lövre emjuvrjoai/iexla x<xQ/ir}S nur Zenodot für lovxeg. A 102
vis övoi IToiäjuoio, vo§ov xal yvrjoiov, äju,(pa> ev evl dicpgco eöv-
xag' o ftev vd'&og und 127 ev evl dicpoco eovxag' ojuov (5' eypv
hat Aristophanes wenigstens für die erste Stelle eovxe erhalten.
An der zweiten Stelle aber wird vlee 'Avxi{id%oio für vleag
durch die Wiederaufnahme mit xov jieq dr] ovo naiide gefor-
dert. In 127 wird eovxe trotz jiaiöe nur in Hb von zweiter
Hand geboten. In dem gleichen Verse wird wxee Xnn<x>
für (bxeag l'juiovg durch das folgende reo de xvxrj&rjrrjv (129)
nahegelegt. — O 452 f. vjzeocbrjoav de ol Xnnoi xeiv' o%ea xqo-
xeovxeg. äva^ xxe. wird ijijioj . . xooxeovxe, wie Bentley her-
gestellt hat, durch das Digamma von ävaf gefordert. — P 720
vwi /uaxeooojbie&a . . loov fivjuov l'%ovxeg o/xcovvfxoi, oT xb näoog
Tieq juljuvojuev . . jrao' äXXrjXoioi juevovxeg ist nach vCoi nur bei
Macrob. Sat. V 15, 13 e%ovxe (nach dem dritten Trochäus) er-
halten und hat nur Aristophanes fievovxe gegeben. Nicht ohne
Grund vermutet Nauck äXbjlouv eovxe, außerdem hat H. L.
Ahrens öjucovvjuü), oj hergestellt. Ebenso ist P 742 xeo . . fj-
juiövco . . äjucpißaXovxe geschrieben worden. — Mit ovo <5' äv-
öge (für ävdgeg) Z 498 erhält man wieder den Hiatus nach
dem dritten Trochäus. Vgl. 501 äjucpco ö' leo-diqv. — Umge-
kehrt hat T 205 vjueig <5' elg ßocoxvv öxovvexov. fj t1 av eycb
ye der Hiatus den Dual veranlaßt: öxovvexe hat Barnes ge-
fordert. Denn das zeigt sich überall, daß der Dual des
Prädikats den Dual des Subjekts erfordert, nicht um-
gekehrt. Allerdings kann 0 383 avxäo enel Eävftoio ddjur]
/uevog, ol' juev eiteixa navoäovxr)v der Dual xeo nicht gesetzt
werden; aber eben darin liegt ein Wahrzeichen, daß bei oT
/uev e'jteixa die Einschaltung des Götterkampfes be-
ginnt und daß ursprünglich die Fortsetzung etwa avxig
'A%iXXevg 0 520 lautete. Ebenso zeugt die Außerachtlas-
sung dieses Sprachgebrauches !P392f., 417 f., 500 (tnjioi dqa-
fiexrjv) für den jüngeren Ursprung der ä&Xa. — Für den Dual
bei ovo liefert wie in der oben erwähnten Stelle M 127 in
Textkritische Studien zur Ilias. 167
0 290 ein gerade wegen des Hiatus bedeutungsvolles Zeugnis
der codex Townleianus mit
rj roinoft1 fje övco I'jijico avroloiv ö%EO<piv,
da diese Lesart auch wieder von Zenodot und Aristophanes be-
stätigt wird. Die anderen Handschriften geben mit Aristarch
innovg. So wird also auch K 305 Öojooj ydg öicpgov re ovo)
t1 egiav%eve l'nno), & xev dgiorco eaioi für egiav%evag Xn-
novq, oi xev ägiorot ecooi, II 759 dvco jur/orojge ävzfjg für jui]-
oTcogsg zu setzen sein. Eine Bestätigung dessen bietet 0 79
ovxe dy"1 Al'avTsg /xeverrjv, ^eganovreg "Agijog.
So geben die maßgebenden Handschriften; nur geringere wie
cod. Vindob. 49 haben Aiavre. Dieses wird durch juevErrjv ge-
fordert. Entsprechend muß auch ftegänovre gesetzt werden.
M hat ovr Al'aviE dvco. Bei Aiavre hat die ungewöhnliche
Länge der Endsilbe, bei fiegänovre der Hiatus Anstoß erregt,
wie Q 586 das nach egvoairo, ögiv^eirj, xaraxreiveie absolut
nötige äXizoiro vor ecper/xag in äXirrjrai verwandelt wurde. Ebenso
ist K 228 Aiavre dvw, fiegdnovre "Agqog für ß'egänovreg und
^313 Aiavre re ovo) für Al'avreg zu setzen. — 0 70 hat sich
ovo xfjQE erhalten, weil ravrjXeyeog an die Stelle von ävrjXeyeog
getreten ist. Dagegen ging das (infolge Mißverständnisses) aus
70 wiederholte reo /uev 3A%aicöv xrjge trotz e£eo&r]v in a« . .
xrjgeg über, weil hier Eni folgt. — £"10 geben ebenso die Hand-
schriften ovo) de ol vieeg r\orr\v trotz ijorrjv und des folgenden
EiöörE'. vIee ist zufällig bei Plutarch Hom. 75 erhalten. Dieses
viee ist auch A 138 ei . . vleeg eorov und A 123 für vleag
Avrijuä%oio herzustellen. — Was für E 10 gilt, muß auch für
A 635 gelten, d. h. es ist Svoj d"1 vnö nv&jueve rjortjv für
nv&juh'Eg rjoav zu setzen. .E7 1 5 9 f. hat vis ügidjuoio Svoj . .
eovre für vlag . . eovrag H. L. Ahrens hergestellt: auch hier hat
der Hiatus e%ovre 'Exe/u/uova die Korrektur veranlaßt. — 0 108
ovg nor"1 an1 Aiveiav eko^irjv ixrjoraioe (poßoio
geben minderwertige Handschriften wie auch Plat. Lach. 191 B
und Eustathios jurjorcoga. Die gleiche Abweichung hat man
168 7. Abhandlung: N. Wecklein
E 272 tu) de dtf Alveiq dcöxev /urjoicoge (poßoio, wo übrigens
auch der cod. Townl. von erster Hand /uijoxwgi hat. Die maß-
gebenden Handschriften bieten mit Aristarch an beiden Stellen
[.irjOTCDQE. Allerdings liegt es näher dem Aneas als den Rossen
das Epitheton /urjoxcog <p6ßoio zu geben, aber an beiden Stellen
steht es bei Aneas zwecklos, während man ein lobendes Epi-
theton der Rosse erwartet, und was es hier bedeutet, erkennt
man aus B 767 cpoßov 'Agt]og (pogEovoag (von den Stuten des
Eumelos). Wenn aber 0 108 jurjoxojgs richtig ist, muß es
vorher auch ä> tiot' wie im Folgenden xojöe geheißen haben.
Auch 0 332 und iV421 imodvvre övco eghjgeg exalgot . . <pege-
xr\v ist lgir\g£ eraigeo wegen des Hiatus trotz vnoövvtE und
(psgerrjv der Änderung nicht entgangen, / 4 hat Aristophanes
ävejuco ovo jiuvrov ögivExov erbalten, die Handschriften haben
wie Aristarch äve/xoi. — A 749 ist ovo . . cpcöre ööa^ . . öa-
jlievxe gleichfalls dem Hiatus zum Opfer gefallen. — Ebenso
elftövxe A 623, weshalb auch zw 618, avxco 619 in den Plural
umgesetzt wurde und nur oxdvxE 622 vor noxl sich rettete. —
In den Stud. z. Od. S. 70 hat sich gezeigt, daß wie ovo auch
doio) in der Regel mit dem Dual verbunden wird. Daß M 460
ovo' äg- ö%rjeg loiE^ixr\v der Dual des Prädikats b%r\£ fordert,
hat schon Leeuwen gesehen. Ebenso aber ist ebd. 455 doico
ö1 evxoo&ev ö%r)£ Eiypv E7ir]fioiß(6 für öoiol . . op)e? . . ejiij-
(xoißoi zu setzen. Ebenda 464 wurde doia) dovge durch das
Versmaß unmöglich gemacht. — doico . . jii&co ist Q 527
herzustellen. — Aber auch sonst wurde, wie in den Stud. z. Od.
S. 68 ff. dargetan ist, der Dual häufig in den Plural verwan-
delt. Dort ist schon der sehr sprechende Fall A 452 erwähnt,
in dem Christ beobachtet hat, daß der Dual cbg <3' öxs %Ei{iag6oi
jioxajuco xaz' ögEOcpi geovxE . . ov/ußdX?<.£xov ößgi/j.ov vöayg für
%Eijuaggoi noxajiiol xax"1 ögEocpi geovxsg (giovxE M) durch den
Vergleichungspunkt gefordert wird. 0 116 und u> 398 ist %£ig£
nExdooag \ äfxq)oxegco in ä/ucpoxEgag übergegangen wegen des
folgenden Vokals. — x 384 fj^ieag äjiiq)ox£gco, judXa eIxeXco dXXv\-
Xoav ist trotz eixeXco und aXXrjXouv (in P aXXrjXoioiv) äjucpoxE-
govg überliefert. E 630 oi <5' öxe öi] o%eö6v fjoav £7t' aXXrjXoioiv
Textkritische Studien zur llias. 169
lövreg gab Aristarch in der zweiten Auflage seines Homer
Iövxe: dieses setzt reo und äXXrjXonv, welches häufig in ällrj-
Xoioiv verändert wurde (o 38 in M, r 384 in P, <p 15 in FM),
voraus. H 255 xd) d1 exonaooafxevo) . . ovv q"1 etceoov Xeiovoi
eoixoxe (bfj.oq?dyoioiv hat Eoixoxsg der Ausmerzung des Hiatus
gedient, wohlgemerkt nach der bukolischen Zäsur, wo der
Hiatus ebenso gewöhnlich ist wie nach dem dritten Trochäus,
wo jedoch H 18 öXsxovxag für öXexovxe und deshalb voraus
auch xovg für reo, E 245 e%ovxag für e'/ovxe (dieses nur in X)
nach uvög1 öooeo xaaxEQCb . . juEjuacÖTE gesetzt ist. — T 340,
342, 345 erfordert ar^trjv und oeiovxe, xoxeovxe auch zw d"1 für
oi <5' und äXXrjXouv für äXXijXoioiv. — E 778 geben die Hand-
schriften ai 6e ßdn]v . . 6f.ioiai . . /uEjuavTai: nach der oben
erwähnten Regel wird durch ßäxtjv auch reo erfordert, welches
hier zufällig bei dem Scholion zu Soph. El. 977, 0. K. 1676,
Eur. Alk. 902 und auch von zweiter Hand im cod. Flor. XXXII
47 erhalten ist und in den Scholien ausdrücklich dazu dient
dieses oyjiua: ävxl xcbv ftrjXvx&v xä äooEvixd zu belegen. Nach
toi muß aber auch ö/noico und jUEjuacörs hergestellt werden.
0 378 ist TioocpavEviE in noorpavEioa und sogar in das dem
Metrum widerstrebende JiooyavEioag übergegangen. Auf gleiche
Weise müssen die Lesarten äifaoai und äi^aoa Q 711 auf äi-
g~avTE zurückgeführt werden. — Bestätigt wird unser Verfahren
durch Z 120, wo es von Glaukos und Diomedes heißt:
Eig jueoov äf.i(pox£QO)v ovvixr\v juEfxaöjxs juä%£o&cu.
oi <5' ote dt] o%eö6v f]oav eji1 äXXfäoioiv lovxEg, xxL
wo aber der Scholiast mitteilt: Zrjrööoxog xal Aoicxocpävi^g öv'i-
xeog ,16vxe\ ev Öe xoig ejutzqoo&ev (d. i. zu E 630 nach dem
Schol. T) ElQTjxa/xEv (xal) Agioxägy^ov eIvoli ri]v dv'ixtjv yqacpiqv:
zu Iövxe gehört aber auch xeo <5' . . äXXijXonv. Die gleiche
Verbesserung ist also auch bei dem parallelen Vers A 232
anzubringen. — Nach A 536 ä>g xeo y1 ev xoviyoi nag* dXXr]-
Xoioi Tsxdo&rjv, fj xoi o /uev ©QEi'xaw, o Ö1 Etieicöv yaXxoxixojvcov
kann die Apposition nur ijyEjuovs lauten: die Endung -vs, die
in der Arsis steht, ließ man nicht als Länge gelten. — Um-
170 7. Abhandlung: N. Wecklein
gekehrt muß es vor vis AioxXhog £'541 eXev avdqe ägiorco
für ävdgag äglorovg heißen, wo der Hiatus Anstoß erregte. —
B 812 ist ö£co 'Agrjog für ö^og vor vis dvo nur in X erhalten
geblieben: das lobende Epitheton kann nicht bloß dem einen
beigelegt werden. — Ein eingebildeter Hiatus hat E 573 zur
Änderung Anlaß gegeben; denn daß es v ex geh feqvoav für
vsxgovg heißen muß, zeigt das folgende reo fdv äga öeeXco;
daß aber auch reo d' zu schreiben ist, geht aus ßattzqv . .
avreb de orqecp&evTE . . /uaxeo&7]v hervor. — B 832 (und A 330)
hat Nauck in ovg ndidag eaoxev, indem er, dem folgenden reo
de . . neideo&rjv entsprechend, eo TiaXö'' schrieb, auch die richtige
Form idaoxEv1) gewonnen. — Wie £"159 vlag . . iv evt öiepgeo
Eovzag, 'Exejufxova. ze Xgojuiov re für vis . . eovre überliefert
ist, so ist A 99 xal rovg jliev . . orrj&Eot Tict/Licpaivovrag, etcei
jieqiövoe yacovag augenscheinlich rovg für reo nur gesetzt, um
Tza/nepaivovrs vor ejiei in Tiajuepaivorrag ändern zu können. —
Die gleiche Änderung in A 262 evff Avrrjvogog vis (für vhg)
vn Argstdr] ßaoiXfji norfxov avajiXrjoavrE (für ävanXy)oavx£g)
eövv dojuov 'Aiöog elbco erhält eine gewisse Bestätigung an der
Lesart von S äva7ih)oavr\ — T 238 werden die Männer auf-
gezählt, welche Odysseus zum Zelte des Agamemnon mitnimmt.
Zuerst heißt es: f] xal Ntorogog vlag öndooaro xvdaXijuoio. Da
die anderen mit Namen genannt werden, muß auch bestimmt
auf die beiden Söhne des Nestor Antilochos und Thrasymedes
hingewiesen werden, also muß es vis heißen. — A 27 haben
xajuhrjv ös juoc Xnneo für Xnnoi nur geringere Handschriften,
obwohl i7i7ioi unmittelbar nach xa/uhfjv ganz unwahrscheinlich
ist. — So erwartet man auch E 257 coxee ititico nach a.7ioi-
OErov, E 768 judorig'Ev <5' ititico und A 280 xdXXirgiys ititico
vor reo #' ovx äexovrs TZErEoftrjv, A 643 ngog aXXrjXco eve-
TiovrE {evetiovxe schon Nauck) nach reo . . nivovr1 äepErrjv, A 621
to> für rol vor ordvrE und nachher (623) Eig xXiotrjv iXftovrE
für EXdovrsg (vor im nach dem dritten Trochäus). — Q 673 f.
1) A 568 ist ebenso zQOJiaäaxexo (= rgonasaxero) für zqcojiÄoxsio
(G TQOJidoxszo), 0 338 2(prjXov xaXseoxero für S(pt)Xoio xaXioxszo zu schrei-
ben, ü 17 hat Nauck gleichfalls zov <5' idaoxsv für zovde d' k'aaxsv emendiert.
Textkritische Studien zur Ilias. 171
hat M xco erhalten, also ist auch mit Ahrens e'xovre für eyovTeg
herzustellen. — Entsprechend ist Q 690 toTiv für xoioiv zu
setzen, wie ü 636 xoijurj&Evxs in S und einem Papyrus steht.
— Wie sich das Schwanken der Handschriften zwischen dv'1
doyvQsovg doajuiv&ovg und dv"1 dgyvQEag doajuiv&ovg 6 128 aus
öxP ägyrgeco doafiiv&o) ableiten läßt (Stud. z. Od. S. 70), so
wird das Schwanken zwischen NrjXrjioi und Nr}h)iai Xnnoi A 597
auf N^Xrjio) ijijico zurückzuführen sein, womit Leeuwen IdQcbovx'1
für Idgcöoai verbindet. Vgl. ob. S. 169 TiooyavEvxE. Die Mög-
lichkeit die Form iÖQcbovx' zu gewinnen ist auch ein Stütz-
punkt für das ganze Verfahren. — 77 370 tioXXöjv (so Leeuwen
richtig für noXXoX) <5' iv xdcpQco EQvodgjuaxEg (bxeeg Tjztcoi ä^avz
. . Xinov ägjua dvdxxajv fordert ä^avxE ebenso EQVodgjuaxE
ojxee Inno), wie 7£ 40 ät-arx"1 nach itctioj . . dxv£oju£vo) steht.
*F 334 wird Xtitkjo für Xnnoi durch das 336 nachfolgende xdiiv
empfohlen. — Hiernach ist auch !P 351 evxqi%e cbTiXioaty
Xnnoi für EvxQi%ag Xnnovg zu setzen. — Warum 77 428 — 431
trotz xXd^ovxE der Dual in den Plural verwandelt ist, ersieht
man aus cog ol xExXr\yoiXEg £tz' 430, da ak tu) xExXqycöxe hü
den verpönten Hiatus ergibt. Darum ist auch 462 oi <3' öxe
dt] oyEÖbv 7]oav etz dXXrjXoioiv lovxEg in xd> . . dXXrjXoav Iovxe
zu ändern, wie es 476 xco <3' avxig ovvixqv heißt. — Ebenso
erwartet man nach AldvxE P532f. xcb q"1 rjX'&ov und reo vno-
xagßrjoavxeg für ol und xovg. — Daß 2 341 vor jieq&ovxe (der
Syr. Palimpsest nEQ&ovxEg) avxco für avxoi nötig ist, hat schon
Herwerden gesehen. (Für xajuöjuso&a hat Leeuwen dgöjuEo'&a
nach A 625 hergestellt: y1 bleibt besser weg). — Daß Y 342
o <5' k'jiEixa ixiy1 ex/iöev öcpftaXfioTöiv unter Bezug auf ex in
ExfiÖEv der Genitiv öqj&aXjuoliv geschrieben werden muß, er-
gibt sich aus W 477 ovxe xoi dg~vxaxov xeqtaXrjg exÖeqxexoli öooe.
— X461 äjua <5' dfjupijioXoi xiov avxfj fehlt die gewöhnliche
Angabe der Zahl zwei. Deshalb hat Christ d/u(pm6Xo) ver-
mutet. Daß es zwei waren, ergibt sich aus 450 öevxe, övoj
/xoi EJiEofts (so Bentley für ejieoüov vor fiöco : etieo&ov soll den
eingebildeten Hiatus vermeiden!). — M 330 xco <5' . . ßrjxrjv . .
äyovxE haben AS u. a. mit Aristarch den Dual äyovxe be-
172 7. Abhandlung: N. Wecklein
wahrt, während andere Handschriften äyovreg geben: gleich
darauf aber steht rovg de und cpegovreg in allen Handschriften.
Barnes hat cpegorze hergestellt; dieses erfordert aber auch iw
de. Daß ebenda 336 eig (51 evoyo'1 Alane dvco, nolefxov dxo-
QrjTO), eoraorag, Tevxgov xxe. und 367 ocpon f.nh> . . earaoreg
für ioraore überliefert ist, liegt an der verkannten Hebung.
AT 342 f. geben nur einige Handschriften (ST2Hb u. a.) mit
Zenodot Ai'avre für Al'avra, die Lesart Aristarchs. Der Dual
wird durch 353 f. bestätigt. — M 373 f. mußte der Dual ixe-
oftip' und lovre in den Plural i'xovro . . iovxeg verwandelt
werden, nachdem durch die attische Interpolation von 372 aus
zwei drei geworden waren. — 77 148 wird d)xee innen für
cbxeag innovg durch das folgende reo ä/ua nvoifjoi nereo&i]v
und entsprechend rw (für rovg) e'rexe gefordert. — P 387 ist
juaovajuevouv für juagvctjuevoioiv, dagegen P 438 nach ocpi (den
beiden Rossen des Achill) in den meisten Handschriften juvqo-
/.ihoioiv, nur in HCYZA2 /nvQOjuevoav überliefert. So muß
P 511 vcoiv de £ co oi iv für C°)oTotv gesetzt werden.
Nachtrag.
Zu S. 11. Über die Auslassung der Formen von st fit vgl. Lehrs, De
Arist. stud. Hom. S. 3642ff.
Zu S. 29. Ein Mischling ist auch oaxeonalog E 126. Die Lanze
wird geschwungen, der Schild wird hin und her gewendet {ozQscpcov Soph.
Ai. 575): oaxeonaXog ist aus iy^sanaXog und oaxeacpoQog entstanden. —
A 292 ist das Epitheton des Ebers {avv ägyiöSovia 7 539) Hunden ge-
geben. Statt xvvag ägyiödovrag erwartet man xvva xagzagödovra.
Vgl. N 198 xvvcöv vjiÖ xaQxaoodörzoiv.
Zu S. 76. Die Änderung von ijzsv^dfisvog F 350 in ejzevxöixevog
wird durch den epischen Stil gefordert, da das Gebet nachfolgt.
Textkritische Studien zur Ilias.
173
Verzeichnis der behandelten Stellen.
A
158 58
336 151
479 3
234
64
3 73
160 102
337 22
493 114
272
128
71 115
169 153
350 101
307
91
86 152
232 72
364 132
H
332
168
141 95
339 94
383 60
1 128
353
105
192 54
345 169
424 118
17 169
360
99
231 21
350 172
440 104
18 169
361
131
258 57
368 152
448 154
42 84
392
141
296 78
385 51
492 102
56 22
404
129
349 152
453 123
499 91
104 10
410
96
406 152
541 170
129 85
413
50
430 107
A
573 170
130 85
456
146
453 50
146 108
585 143
147 66
503
148
557 151
184 49
630 163
193 94
512
88
589 28
189 154
653 128
197 89
535
141
B
191 106
664 101
234 147
538
44
4 30
12 89
29 89
211 111
708 122
255 169
243 123
301 30
722 148
748 141
272 56
298 152
/
54 66
66 89
390 9
768 1 70
342 151
103
94
85 129
483 150
778 f. 169
387 80
106
59
88 93
102 153
522 150
536 169
796 31
845 125
427 154
428 31
u.
112
151
32
123 81
E
z
433 11
141 f.
112
127 59
0
159
103
143 66
13 59
46 152
203
21
258 153
17 152
50 81
21 ff. 89
228 f. 116
264 107
48 149
120 169
66 110
314
94,
398 144
111 155
136 131
70 167
318
32
402 79
126 172
174 72
73 167
390
29
413 117
140 44
195 6
79 167
411
123
461 133
152 162
226 31
85 160
416
90
597 81
204 114
252 45
94 43
438
54
711 134
219 106
255 59
108 167 f.
455
79
811 62
252 78
260 15D
111 50
457
32
823 129
257 170
290 60
153 80
464
149
716 96
263 59
321 21
181 56
485
58
r
287 117
386 115
186 68
489
60
293 133
453 89
205 81
495
78
3 116
329 155
456 f. 90
219 76
514
12
63 44
334 44
u. 162
230 140 i
552
12
174
7. Abhandlung: N. Wecklein
601 93
478
131
697 171
337
172
408
157
641 160
484
42
601 22
340 103 u.
421 55
u. 168
,.}645 99
529
58
602 7
128
449
143
650 153
545
147
611 122
367
172
455
73
679 25
547
165
618f. 168
373 f.
172
469
122
698 148
621 170
374
7
525
47
A
628 168
379
127
554
156
K
624 126
380
157
563
10
15
46
627 58
381
68
580
56
41 32 u. 94
35
46
635 167
392
127
604
165
67 21
56
46
638 58
407
32
619
72
81 25
71
108
643 170
411 7
u. 161
677
9
83 158
84
110
697 99
418
161
707
48
88 94
86
73
702 8
421
23
734
150
99 153
99
170
713 95
455
168
744
85
141 66
100
142
723 127
463
9
769
48
142 94
105
58
733 95 u. 159
465
84
777
69
180 60
109
132
749 167
470
8
784
79
183 22
123
167
770 94
796
157
188 45
127
166
779 110
N
798
7
210 158
138
167
791 118
837
48
221 33
149
157
792 84
2
161
228 167
227
98
798 47
47
106
M
235 158
232
169
806 66
60
43
266 157
235
73
838 112
78
69
7
139
268 155
237
46
845 22
90
161
22
162
276 76
262
170
848 74
102
113
43
142
278 33
263
98
144
158
62
147
285 f. 118
280
170
M
228
113
67
161
287 157
292
172
230
139
73
142
305 f. 167
305
74
28 100 u. 128
267
139
139
143
324 45
389
60
64 61
287
63
182
155
344 68
416
163
101 147
288
81
257
160
345 33
444
128
104 147
297
122
265
78
347 67
469
131
129 134
313
167
270
143
357 157
474
22
161 33
330
101
273 f.
111 u.
372 33
492
92
176 33
331
96
149
381 81
493
42
185 6
333
56
286 34
u. 72
386 158
529
46
289 61
335 i
'. 90
322
69
418 33
539
100
304 157
361
134
330
142
419 21
559
122
331 172
363
47
333
112
432 144
568
170
333 123
383
29
363
96
466 137
574
46
334 85
399
143
364 131 u. 159
Textkritische Studien zur Ilias.
175
403 69
736 97
735 75
2
238
170
443 151
743 143
736 103
25
29
134
147
51
132
129
107
264
50
472 49
507 74
518 164
77
9 129
756 22
759 167
775 152
265
286
293
127
58
62
522 39
30 159
787 10
154
101
351
160
0
60 111
792 26
161
92
401
107
31 134
75 50
820 155
192
161
402
23
41 147
76 114
864 162
198
129
415 35 u. 90
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83 63
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■
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84 74
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51
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489 99
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504 118
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515 82
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430 171
532 f. 131 u.
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440 142
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366 71
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554 156
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35 ,
393 40
454 70
558 82
250
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457 144
617 55
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472 135
462 171
637 23
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511 f. 61
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7. Abhandlung: N. Wecklein
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Textkritische Studien zur Ilias.
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711 169
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318 80
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727 68
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30 59
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352 66
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749 132
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V
315 81
314 112
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391 18
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196 123
Sehol. A zu
725 57
448 111
421 112
335 102
248 55
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 7. Abh.
12
A
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 8. Abhandlung
-P*
Der freiwillige Feuertod in Indien
und die Somaweihe
von
Alfred Hillebrandt
Vorgelegt am 3. November 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz'schen Verlags (J. Roth)
i
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 8. Abhandlung
Der freiwillige Feuertod in Indien
und die Somaweihe
von
Alfred Hillebrandt
Vorgelegt am 3. November 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franz'schen Verlags (J. Roth)
I.
Die griechischen Schriftsteller hat der Feuertod des in-
dischen Büßers Kalanos, welcher Alexander folgte und vor den
Augen seines Heeres den Scheiterhaufen bestieg, lebhaft be-
schäftigt: „er war hochbetagt, so heißt es in der Darstellung
Droysens; im persischen Lande fühlte er sich zum ersten Male
krank. Er sagte zum Könige, er wolle nicht dahinsiechen,
es sei schöner, zu enden, bevor sein körperliches Leiden ihn
zwinge, seine bisherige Lebensregel zu verlassen. Vergebens
waren des Königs Einwendungen; bei ihm daheim gelte nichts
unwürdiger, als wenn die Ruhe des Geistes durch Krankheit
gestört werde, es fordere die Regel seines Glaubens, daß er den
Scheiterhaufen besteige. Der König sah wohl, daß er nach-
geben müsse; er befahl dem Leibwächter Ptolemaios, ihm den
Scheiterhaufen zu errichten und alles Weitere feierlichst zu
ordnen". Es folgt die Beschreibung der Vorkehrungen und
dann heißt es weiter: „dann begann der fromme Inder seine
Toten weihe; er besprengte sich wie ein Opfertier, er schnitt
eine Locke von seinem Haupte und weihte sie der Gottheit,
er kränzte sich nach heimatlicher Weise und stieg, indem e"r
indische Hymnen sang, den Scheiterhaufen hinan . . . ttl).
Wir finden die Erwähnung „der Regel seines Glaubens"
in den Fragmenten des Onesikritos2): AiaXexftrjvat <5' evl rovrcov
KaXävco, ov xal ovvaxoXov&fjocu reo ßaoilel jusxqi üegoidog,
xal äno&aveiv reo naroiep vo/xep redevra im nvQxeüäv; wozu
1) Geschichte Alexanders des Großen von Joh. Gust. Droysen; von
Arthur Rosenberg besorgte Auflage, Berlin 1917, S. 510 — 511. Siehe jetzt
die genaue Darstellung »Kalanos" von Kroll bei Paully-Wissowa s. v.
2) Scriptores rerum Alexandri Magni, ed. Carolus Müller, Paris 1877,
Onesicriti fragmenta 10, S. 51.
1*
4 8. Abhandlung: Alfred Hillebrandt
zu vergleichen ist Lucian, Fragm. 33 : exsTvoi ydg (oi Bgay-
judveg) ovx ejurnjöcöoiv elg xb nvg, <bg 'Ovijoixgtxog 6 'AXetjäv-
ögov xvßegvrjxrjg iÖojv KdXavov xaofievov (prjolv, äXX1 eneiöav
viqocooi, nh]oiov nagaoxdvxeg dxivtjxoi dveyovxai Tiagonxtbfievoi,
elx emßdvxeg xaxd oyfjjua xdorxat, ovo' öoov bXiyov exzgexpavzeg
T)~jg xaxaxXtoecog1), und die Bemerkung Strabos 716: ai'oycoxov
<5' avxolg vojui^eoftai vooov ocojuaxixrjV xbv <5' vnovorjoavxa xaty
avxov xovxo, e£dyeiv eavxbv öid nvgbg vrjoavra jzvgdv, vnaXei-
rpdjusvov de xal xa&ioavxa em xtjv nvgdv vcpdxpai xeleveiv, dxi-
vi]tor de xaieo&ai.
Hinzuzufügen ist noch aus Pomponius Mela, de situ orbis
III, 7, 4: „at ubi senectus aut morbus incessit, procul a cae-
teris abeunt mortemque in solitudine nihil anxie exspectant.
Prudentiores et quibus ars studiumque sapientiae contingit,
non expectant eam, sed ingerendo semet ignibus laeti et cum
gloria accessunt" 2). Die Selbstverbrennung des Kalanos, welche
den Griechen so auffiel3), war also kein vereinzelter Fall, son-
dern die Befolgung eines indischen Brauches, von dem das
klassische Altertum noch ein zweites Beispiel in Zarmanochegas
kennen lernte, der in Athen dem Leben zu entsagen beschloß,
weil sein bisheriges Leben ohne Unfall verlaufen sei und er
nicht wünschte, daß ihm in den letzten Tagen seines irdischen
Daseins ein Unheil widerfahre; er erhielt, wie Strabo 720 be-
richtet, die Grabinschrift: Zagjuavoyjjydg Ivöög dnb Bagyoo>]g
xazd zd ndxgia 'Ivdcov e&rj eavxbv UTza&avaxioag xeixai, also
wieder ist die heimische Sitte erwähnt.
Dennoch hat Megasthenes recht, wenn er (Strabo 718,
fragm. ed. Schwanbeck 44) sagt, es sei bei den indischen Philo-
!) A. a. 0. S. 57.
2) Ich entnehme das Zitat dem Buch Osmond de Beauvoir Priaulxs
The Indian travels of Apollonius of Tyana and the Indian embassies to
Rome, London 1873, S. 141, der auch auf Jos. Touss. Reinaud, Relation
des voyages faits par les Arabes et les Persans dans Finde, Paris, vol. I,
S. 121 verweist: On voit . . . dans Finde des hotnmes se brüler sur un
bücher. . . .
3) Ihre Beobachtung scheint recht genau zu sein. Wenn Kalanos
sein ihm von Alexander gegebenes nysäisches Roß dem Lysimachos,
Der freiwillige Feuertod in Indien und die Somaweihe. 5
sophen „kein Dogma gewesen, durch Selbstmord zu enden";
es war nur ein, allerdings viel verbreiteter Brauch, über den
die indischen Gesetzbücher selbst verschiedener Meinung sind.
Während Apastamba I, 28, 17; Gautama 14, 12; Manu 5, 89;
Vasistha 23, 14 ff. den ätrnatyägin verurteilen1), steht in dem
zuletzt genannten Dharmasästra an anderer Stelle für den, der
ins Feuer eingeht, die Verheißung von Brahmas Welt: agni-
pravesäd brahmalokäh [prupyate] 29, 4 in offenbarer Überein-
stimmung mit einer alten und weitverbreiteten Sitte. Hier wie
in anderen Fällen begegnen wir in ihnen dem Bestreben, manche
Bräuche zu bekämpfen oder auch zu verschweigen, welche im
Volksleben lange Anerkennung genossen haben mögen. Witw.en-
verbrennung, Menschenopfer werden trotz ihres hohen Alters
nicht erwähnt, die späteren Smrtis lehnen den Frauenkauf ab,
der höchstens dem Vaisya und Südra gestattet sein soll2) und
doch alte Sitte war.
Aus jener Vasisthastelle erkennen wir noch den Sinn des
Brauches: es ist die Hoffnung auf Brahmans Himmel, die
zum Feuertode führt. Wenn Keith meint, the custom of
self-immolation is not Vedic as recorded, but rather a sign
of the later pessimism of the belief in the eternal misery of
life3), so ist das Gegenteil davon richtig. Öarabhanga, dessen
Feuertod das Epos erzählt4), hat sich durch schwere Buße die
Welt Brahmans erobert. „Das ist der Weg, sagt er zu Räma,
siehe, mein Lieber, einen Augenblick zu, wie ich meine Glieder
Schalen und Gewänder den Umstehenden schenkt, so ist dazu die unten
aus dem Mudräräksasa angeführte Stelle zu vergleichen, wonach Jisnu-
däsa nach Verteilung seiner Habe an die Brahmanen in den Feuertod
zu gehen beschloß; das Abschneiden der Locke, bei Plutarch erwähnt
(Alexander Kap. 69, xai xQi%(t>v djiag^dfiEvog) erinnert an das unten (S. 11)
erwähnte Abschneiden der Öikhä durch die Teilhaber eines Sattra, die
sich zur Himmelswelt rüsten.
x) E. Washburn Hopkins, On the Hindu custom of dying to re-
dress a grievance JAOS 21 (1900), S. 146—159.
2) Otto Schrader, Reallexikon2, 1. Lieferung, S. 163a.
3) Taitt. Samhitä S. CX1V.
*) Rämäyana III, 5 a. E.
6 8. Abhandlung: Alfred Hillebrandt
verlasse, der Schlange gleich, die die alte Haut abstreift."
„Darauf legte Sarabhaiiga das Feuer an, opferte unter Her-
sagung von Sprüchen Butter und stieg in das Feuer. Das
Feuer verzehrte seine Haare, seine alte Haut, Knochen, Fleisch
und Blut. Ein Jüngling, dem Feuer ähnlich, erstand. Aus
dem Scheiterhaufen ging Öarabhanga glänzend empor; er schritt
über die Welten der Feuerverehrer, der großen Rsis und der
Götter hinweg und stieg zu Brahmans Welt empor1)." Aus
dem gleichen Grunde opfert die Büßerin Sabari sich mit Er-
laubnis Rämas im Feuer und geht, „dem flammenden Feuer
ähnlich, zum Himmel ein. Dorthin, wo die großen, heiligen
Rsis weilen, zu der frommen Stätte ging sie durch Versenkung
in den Atman ein"2). Der Feuertod verhilft also zur Him-
melswelt. Das alte Elternpaar, dessen Sohn Dasaratha ver-
sehentlich erschoß, übergibt seinen Leib dem Scheiterhaufen
und geht zum Himmel ein3). Der Tod ist kein Erlöschen,
sondern eine Hoffnung: änoftavwv de änaXMttano jfjg TETQv%ai-
fxevrjg vnb yrjQcog oagxög, juezaoxag eig ßekiiw xal xad^agcoregov
ßiov, Megasthenes fragm. 44 (bei Strabo 718).
1) v. 36: tato 'gnim sa samädhäya hutvü cäjyena mantravat,
sarabhango mahätejäh pravivcsa hutäsanam jj —
38: sa ca pävakasam'käsah, Jcumärah samapaäyata ''
ultliäyägnicayät tasmäc charabhango vyarocata \\
sa loliän ähitägninäm rslnäm ca mahätmanäm
devänäm ca vyatikramya brahmalokam vyarohata |]
2) III, 74, 32 ff.: anvjnätä tu rämena Imtvätviänam hutäsane \\
jvalatpäva'kasam'käsä svargam eva jagäma ha |
divyäbliaranasamyuktä divyamälyänulepanä \
divyämbaradharä tatra babhvva priyadarsanä \ —
yatra te suhrtätmäno viharanti maharsayah \
tat pimyam sabari sthänam j agämätmasamädhinä \
3) II, 64, 57: evam säpam mayi nyasya vilapya Tcarunam bahn j
citäm äropya dcham [Komm, dehaa] tan mithunam svar-
gam abhyayät |
Aus dem Kathäsaritsägara vergleiche man die Erzählung von den
Daityaprinzessinnen, die mit den Ihrigen in den Feuertod gehen wollen,
um einen gewissen Prinzen in einer zukünftigen Geburt zum Gatten zu
erhalten (Nr. 118), und den Feuertod des Generals, der seinem Könige in
den Tod folgt (Nr. 91).
Der freiwillige Feuertod in Indien und die Somaweihe.
*e
Der Wunsch, zum Himmel einzugehen, war allerdings nicht
immer der einzige und unmittelbare Beweggrund zum Selbst-
mord. In dem nüchternen und auf der Wirklichkeit des Lebens
fußenden Drama Mudräräksasa fragt der Minister Räksasa den
Fremdling, der mit der Schlinge in der Hand zum Selbstmord
bereit scheint, nach der Ursache seines Kummers, und dieser
erwidert: „In der Stadt wohnt der Vorsteher der Zunft der
Juweliere, Jisuudäsa mit Namen. Das ist mein Freund. [Wei-
nend:] Dieser hat jetzt, nach Verteilung seines Besitzes an die
Brahmanen, in der Absicht sich den Feuertod zu geben, die
Stadt verlassen. Ich vermag das Unerhörte nicht zu hören
und bin in diesen alten Garten gekommen, um mich zu töten."
Räksasa: „Was hat dein Freund für einen Grund zum Feuer-
tod? Ist es schwere Krankheit, die aller Arznei widersteht?
Des Königs Zorn, wie Gift und Feuer gefährlich? Liebe zu
einer Frau, die ihm unerreichbar bleibt? Steht ihm unab-
wendbar der Untergang bevor? [Bewegt für sich:] Candana-
däsa ist sein bester Freund. Gewiß, sein Untergang ist seines
Feuertodes Grund. . . .ttl)
Die Hetäre Kämamanjari will sich verbrennen, wenn sie
zu Maricis Füßen keine Zuflucht findet2). Ambä, die aus
Feindschaft gegen Bhisma lange schwerste Askese getrieben
hat3), stürzt sich zuletzt, um Rache an ihm zu nehmen, vor
den Augen der Rsis in den von ihr zusammengetragenen
Scheiterhaufen4). Nach Rämas Verbannung fragen die be-
1) Mudräräksasa, meine Ausgabe S. 171 (abgekürzt wiedergegeben).
Vgl. nach S. 175, 10: jalanam pavisimi tti setthi jinhudäso naarädo nik-
kanto; 176, 10: sighram idänlm jisnudäsam jvalanapravesän niväraya.
2) Dasakumäracarita, ed. Nirnaya Sägara Press, Bombay 1883, S.41 , Z. 14.
3) Mahäbhärata (ed. Nirnaya Sägara Press) V, 187 (S. 277), v. 3:
vadhärthaiu tasya dlksä me, na lokärtham, tapodhanäh!
4) A. a. 0. v. 17 ff.:
sä pasyatäm tesäm maharslnäm aninditä
samährtya vanät tasmät kästhuni varavarninl \
citäm krtvä sumahatim pradäya ca hutäsanam
pradipte 'gnau mahäräja rosadlptena cetasä \\
uktvä bhismavadhäyeti pravivesa hutäsanam —
Cf. Holtzmann, Mbh. I, 26. 147.
8 8. Abhandlung: Alfred Hiilebrandt
kümmerten Bürger1): sollen wir hier uns den Tod geben2)
oder „auf die große Reise" ausziehen3). „Welchen Zweck hat
noch unser Leben ohne Räma. Es gibt reichlich trockenes
und starkes Holz. Sollen wir damit den Scheiterhaufen an-
fachen und ins Feuer gehen?" Dasaratha heißt in seinem
Schmerz Kaikeyl in das Feuer, in den Dandakawald zu gehen
oder zum Strick zu greifen4), und üamayanti ist bereit um
Nalas willen durch Gift, Feuer, Wasser oder den Strick in
den Tod zu gehen 5). Der Feuertod ist, wie man an der Vor-
schrift Vasisthas, an dem mythischen Beispiel Sarabhangas,
an dem Vorgehen Jisnudäsas, des Kalanos und Zarmanochegas
sieht, nicht auf Frauen beschränkt; vielmehr ist anzunehmen,
daß der Gedanke, welcher in Indien die Witwe in den Tod
trieb, ein Überrest des allgemeineren Brauches war6), im
Feuertod Schmerz und Sorge hinter sich zu lassen und dem
Freunde oder Gatten nach elg ßehico xal xaüaoojrEgov ßiov
einzugehen. Es war keine trübe oder pessimistische Stimmung,
sondern ein in der Idee freudiger Akt. Wir hören daher, daß
sie „laeti et cum gloria" sich dem Feuer übergaben; es wäre
auch nichts Unnatürliches gewesen, wenn Kalanos, der gewiß
die Neigungen griechischer Soldaten kannte, sie — nach der
Angabe bei Plutarch — aufgefordert hätte, sich nach seinem
Tode zu betrinken und mit der großen Todesfeier durch Alex-
ander seinem Sinn gemäß gehandelt worden wäre.
Man wird gegen das Alter des immerhin doch bis ins
4. Jahrhundert a. Chr. nachweisbaren Brauches einwenden, daß
*) Rämäyana (ed. Nirnaya Sägara Press) II, 47, 7. 8.
2) nidhanam yäma; Komm, präyopavesena maranam, also durch
Hunger.
3) maliäprastliänam; Komm. maranadilsTipurxakam uttarabhimukhä-
gamanam: die Reise nach Norden unter Vorantragen der Feuer.
4) Rämäyana II, 74, 33.
5) Siehe Hopkins a. a. 0. S. 148. Andere Beispiele KSS. 90, 73, 179;
92, 5; 95, 31 (Vetäla pancavirisati). Siehe auch Winternitz, Die Frau
in den indischen Religionen (Archiv für Frauenkunde III, 63. 72).
6) So auch Winternitz a. a. 0. S. 83.
Der freiwillige Feuertod in Indien und die Somaweihe. 9
er im Veda noch nicht bezeugt sei. Schon VMyth. III, xi
habe ich bemerkt, daß der Rgveda kein Volksbuch ist, das
etwa beabsichtigte, uns eine Vorstellung von dem gesamten
Glauben seiner Zeit zu geben, sondern seine Zusammenstellung
einer bestimmten Tendenz verdankt1). Eine indische Sitte ist
darum noch nicht jung, weil sie sich in der vedischen Literatur
nicht findet. Wie Menschenopfer, Witwenverbrennung, Braut-
kauf u. a, geht die Selbstvernichtung des Körpers auf den Vor-
stellungskreis einer primitiven Zeit zurück — - abgesehen von
Selbstmordepidemien, die anders und mehr psychologisch zu
beurteilen sind — , die in dem freiwilligen Tode keinen un-
hefligen oder verdammenswerten Akt sah, sondern ihn be-
sonders denen nahelegte, die ihren Körper schwach und hin-
fällig werden sahen und an der Grenze des Lebens standen.
Frazer erwähnt die Selbstverbrennung buddhistischer Mönche
in China2), die den Tag ihrer Abreise mittels des Feuertodes
nach Nirväna feierlich verkündigen und dazu einen Festtag
wählen, der eine Menge von Pilgern und Frauen zu einem der
vielen Klöster ruft, obwohl das kein buddhistischer, sondern
ein im chinesischen Volksleben wurzelnder Brauch sein dürfte,
ferner die Selbstmorde in Rußland, vor allem aber sind wichtig die
Fidschiinsulaner3): Some of the reasons for preferring a violent
death to the slow death of old age or disease are obviously
as applicable to common men as to the man-god. Thus the
l) Auch kleine Ausgabe: vmyth. S. 20.
«) The golden bough III (dying god) S. 42 ff., 54 ff.
3) The golden bough I, 216. Legoyt erwähnt eine ähnliche Praxis
aus Afrika, die ich nicht weiter verfolgen kann (Le suicide, Paris 1881):
I/Afrique, dit Buonafede, eut corame l'Inde ses gymnosophistes, apötres
d'une vie auatere et de la mort volontaire. Laerce rapport qu'ils pre-
scrivaient d'exercer son courage et de ne faire aucun cas de la mort.
Westcotts Werk Suicide, its history, literature etc., London 1885, ist
mir unzugänglich.
In Hastings Dictionary VI, 853 s. v. religious suicide heißt es
über Indien: expressions occur in various religious books which coun-
tenance the practice of suicide, and rules are laid down for the rite.
It was quite common in the early part of the last Century (E. A. Gait).
10 8. Abhandlung: Alfred Hillebrandt
Mangaians think that "the spirits of those who die a natural
death are excessively feeble and weak, as their bodies were at
dissolution; w.hereas the spirits of those who are slain in
battle are strong and vigorous, their bodies not having been
reduced by disease" [Gill]. Hence men sometimes prefer to
kill themselves or to be killed before they grow feeble, in
order that in the future life their souls may start fresh and
vigorous as they left their bodies, instead of decrepit and worn
out with age and disease. Thus in Fiji "self-immolation is by
no means rare, and they believe that as they leave this life,
so they will remain ever after. This forrns a powerful motive
to escape from decrepitude, or from a crippled condition, by a
voluntary death" [Wilkes], Or, as another observer of the
Fijians puts it more fully, "the custom of voluntary suicide on
the part of the old men, which is among their most extra-
ordinary usages, is also connected with their superstitions re-
specting a future life. They believe that persons enter upon
the delights of their elysium with the same faculties, mental
and physical, that they possess at the hour of death, in short,
that the spiritual life commences where the corporeal existence
termioates. ... To this motive must be added the contempt
which attaches to physical weakness among a nation of war-
riors, and the wrongs, and insults which await those who are
no longer able to protect themselves1'. . . .
Die Gründe stimmen teilweise mit denen überein, die die
Griechen und Inder angeben, sie waren nur in Indien mannig-
facher als die, welche hier vorausgesetzt sind. Wir treffen in
dem freiwilligen Feuertode der Hindus also auf ethnogra-
phischen Grund und brauchen darin nicht mit den Griechen
etwas Außergewöhnliches oder rein Indisches zu sehen, sondern
einen sehr alten Brauch, den die Gesetzgeber verurteilen und
der Veda nur nicht erwähnt, wie er manches andere, was von
alters her Sitte war, unerwähnt läßt.
Gleichwohl ist es verlockend nachzuspüren, ob nicht doch
auch im Veda und seinem Ritual etwas von dieser primitiven
Sitte erhalten ist. Der Versuch ist nicht ganz ohne Erfolg,
Der freiwillige Feuertod in Indien und die Somaweihe. H
wenn auch die Ritualien mancherlei Volkstümliches zu unter-
drücken verstanden.
Man könnte versucht sein, verschiedene Opfer, die ein
svargakäma darbringen kann, um seinen Wunsch zu erreichen,
hierher zu ziehen, sie bieten aber, soviel ich sehe, kein Ma-
terial; etwas anders steht es schon mit dem sarvasvärdkratu,
den ein den Tod Wünschender, ein maranaJcäma darbringt, in
der Absicht „möchte ich bei vollem Wohlsein in den Himmel
gehen" x). Hier setzt (oder legt) sich der Opferer, während
das Arbhava-pavamäna-stotra gesungen wird, nördlich von der
Udumbarasäule nieder, sein Gesicht nach Süden gewendet, mit
einem ungewalkten Gewände angetan. Eine Verbrennung findet
nicht statt; aber Lätyäyana bemerkt, „wenn er (infolge der
Zeremonie) den Tod nicht findet, so soll er das Abschlußopfer
darbringen und dann durch Enthaltung von Nahrung den Tod
suchen"2), also freiwillig Hungers sterben. Wichtiger ist eine
Bemerkung der Taittirlya-Samhitä, an der man nicht vorüber-
gehen darf. Es geht nicht an, sie mit einer allgemeinen Be-
merkung über den Wert von Brähmanastellen abzulehnen und
ihre Bedeutung dadurch zu mindern. Es heißt dort: Zur Him-
melswelt gehen die, welche ein Sattra feiern. Mit den Opfer-
weihen zünden sie sich an, mit den Upasads rösten sie sich . . .,
bei einem Sattra ist die eigene Person das Opfergeschenk. Wenn
sie in der eigenen Person das Opfergeschenk empfangen haben,
gehen sie zur Himmelswelt. Sie scheren sich der Reihe nach
die Haarlocke ab zum Heil: „Dann wollen wir leichter zur
Himmelswelt gehen."
') Ap.22,7, 21: maranakamo yajeta yah Jcamayetanämayatayä svargam
lokam irjäm iti; Kät. 22, 6, 1 ff; Lät. 8, 8: yathä sautye 'hani preyäm iti.
2) 8, 8, 39: jivec ced yajetodavasänlyayä '■ 40: abhojanena tata
ürdhvam mumürset (Komm, tävan na bhttnjita yävan mrta iti). TS. VII,
4, 9, 1 : suvargam vä ete lokam yanti ye sattram upayanti abhlndhata
eva dlksäbhir ätmänam srapayanta upasadbhir . . . ätmadaksinam vai sat-
tram | ätmänam eva daksinäm nttvä suvargam lokam yanti | sikhäm anu
pra vapanta rddhyä atho raghiyämsah suvargam lokam ayämeti(cf. Tändya
Mahäbrähmana IV, 9, 19 ff.).
12 8. Abhandlung: Alfred Hillebrandt
Diese Stelle gewinnt an Bedeutung, wenn wir ihr eine
andere aus dem Kommentar zu Sänkhäyana Örauta Sütra 18,
24, 151) zur Seite stellen: „wenn sie ein anderes Sattra nicht
beginnen wollen, sollen sie unter diesen Umständen infolge des
Ausspruchs „sie gehen in das zu Entstammende ein" alle
Opferschuppen verbrennen. Unter diesen Umständen ist auch
das Schaukelbrett dorthinein zu werfen". Wir erkennen aus
ihr, daß unter den Zwecken, zu denen man sich zu einem
feierlichen Sattra, einer religiösen Genossenschaft zusammen-
fand2), sich auch der gemeinsame Tod befand. Der Auszug
aus dieser Welt war nicht selten mit großen Opfern verbunden,
wie der Purusamedha und der Sarvamedha zeigen3); diese gehen
aber nur den einzelnen Weltflüchtigen an.
Die erwähnte Stelle der Taitt. Samhitä dagegen zeigt die
Verbindung der Opferer zu einer dem Tode sich weihenden
Gemeinschaft und ist besonders wertvoll, weil sie an ähnliche
Erscheinungen bei anderen Völkern erinnert und am letzten
Ende mit dem ethnographisch bezeugten Brauch, sich der
Greise zu entledigen, sich verknüpft4). Wir haben hier ein
Seitenstück zu der im klassischen Altertum hervortretenden
Anschauung, welche die Menschen wie zu gemeinsamem Leben,
so auch zu gemeinsamem Tode verband: äneyQucpovTO ydg ol
cpiloi ovva.-To&avovjiievovg eavrovs5), zu dem Mahäprasthäna,
wie die Inder den Ausgang aus dieser Welt und den Aufstieg
zum Svarga nennen. Wie der Selbstmord der Greise von Keos
1) Sütra: yady u dhaksyanto 'traiva sytit. „Wenn sie verbrennen
wollen, soll es nur hier geschehen." Komm.: yadi satträntaram ärap-
syamänä na bhaveyus tathä saty ädipyatn pravisantlty nktatiät sarvän
yajnägärdn agnisät kurcate | tathä sati prehkhaphalakam api tatraiva
prakseptacyam ity arthah (die vv. lectiones sind von keiner Bedeutung
und durch den Zusammenhang widerlegt, C om. na, A ädistam für
ädipyam).
2) Ritualliteratur S. 155.
3) Ritualliteratur S. 154.
4) Otto Schrader, Reallexikon2 S. 43 ff.: „Alte Leute/
5) R. Hirzel, Der Selbstmord. Archiv für Religionswissenschaft,
Bd. 11 S. 459.
Der freiwillige Feuertod in Indien und die Somaweihe. 1«
mit einer gewissen Feierlichkeit verbunden war, sie sich wie
zu einem Gastmahl oder einem festlichen Opfer einzuladen und,
mit Kränzen geschmückt, gemeinsam den Schierlingsbecher zu
leeren1) pflegten, so war das Sattra die Form der religiösen
Gemeinschaft, in der fromme Inder sich zusammenfanden, um
Wünsche dieser Welt oder in gemeinsamem Feuertod den Auf-
stieg zur Himmelswelt zu erreichen.
IL
Wenn man ein Desiderativ zu dah „brennen" bildet, so
könnte es nur wie im klassischen Sanskrit didhaks oder (nach
Analogie von sah und siks, dabh und dhlps) dhlks oder auch,
da dah im Anlaut nach Ausweis von Formen wie daksi, daksat
seine Aspiration verlieren kann, dlJcs lauten2). Ich habe darauf-
hin die diksä als die ursprüngliche Weihe zum freiwilligen
Feuertode erklärt, die in verblaßter, abgeschwächter Bedeutung
dem Somaritual später angegliedert wurde und dort nur noch
den Zweck hat, den Opferer zu dem Somatrank und zur Ge-
meinschaft mit Göttern und Manen würdig vorzubereiten.
Oldenberg hat die Erklärung abgelehnt und zuletzt dazu
ausführlicher Stellung genommen3). Er stellt neben die Her-
leitung von der Wurzel dah die Möglichkeit der Herleitung
des Wortes diksä von das oder daks, kann aber nicht die
ständige Gemeinschaft von diksä und tapas beseitigen und
ebensowenig die Herleitung des letzteren Wortes von tap,
dessen Grundbedeutung sowie die seiner Ableitungen nicht
„zauberhaft durchglühen, erhitzen", sondern real „glühen,
brennen" ist, wie unbestreitbare Stellen zeigen4). Es handelt
1) B. Schmidt, Der Selbstmord der Greise von Keos. Neue Jahr-
bücher VI, 1903, S. 617 ff. — Ein Verzeichnis der ethnographischen Lite-
ratur über die Behandlung der Greise S. 623 Anm.
2) Vedische Mythologie I, 482, Anm.
3) Gott. Gel. Anz. 1917, Nr. 6, S. 331 ff. und früher ZDMG. 49, 176;
Rel. des Veda2, 397 ff.
4) Ich wüfäte nicht, wie man Verse wie ajö bhägds tdpasä tarn ta-
pasva tarn te socis tapatu tarn te arcih X, 16, 4; vet tvä stenäm ydthä
riptim tdpäti suro arcisä V, 79, 9 beseitigen köDnte; es stehen auch Ab-
14 8. Abhandlung: Alfred Hillebrandt
sich bei der Diksä nicht um „Verehrung" und „Anbetung", son-
dern um eine Vorbereitung zum Somatrank. Was bedeutet dem
Opferer das Somaopfer, an dessen Trank er teilnehmen darf?
Es bedeutet ihm die Nähe der Götter wie der Manen, die das
himmlische Ambrosia trinken, das ihnen auf dem Opferplatze
gespendet wird. Grund genug, sich für den Kreis, in dessen
Mitte er eintritt, vorzubereiten und Kasteiungen sowie andere
Bräuche zu vollziehen, die das Irdische, Körperhafte möglichst
abstreifen. Es heißt: „wenn der Geweihte mager wird, dann
ist er opferrein; wenn nichts mehr in ihm ist, dann ist er
opferrein; wenn seine Haut am Knochen klebt, ist er opfer-
rein; wenn das Schwarze in seinem Auge aufhört, ist er opfer-
rein" '). Die Gemeinschaft mit den Göttern bedingt dies, sie
bedingt das Reden der Wahrheit2) und andere Pflichten; „denn
der geht zu den Göttern, der sich weiht"3). Über dieses Ein-
treten des Geweihten in den Kreis der Götter, sein Empor-
steigen zur Himmelswelt vermittels dieser Zeremonie besteht
leitungen von tap in Verbindung mit dah: VII, 1, 7: yebhis tüpobhir
Maho jdrütham; VIII, 23, 14: ni mäyinas tdpusä raksäso daha usw. Be-
zeichnend ist noch aus späterer Zeit der Ausdruck tanum tlrthe tapasä
dähayämi KSS. 96, 22.
!) Äp. gr. S. X, 14, 9.
2) Kaus. Br. VII, 3: dlksitavädah satyam eva sa yah satyam va-
dati sa dlksita iti ha smäha; Ait. Brähm. I, 6, 7 ff. — Über den Gegen-
satz von Göttern und Menschen spricht u. a. Taitt. Samh. II, 5, 5, 6 bei
anderer Gelegenheit: nänrtam vaden na mämsam asnlyän na striyam
upeyän näsya palpülanena väsah palpülayeyur etad dhi deväh sarvam
na kurvanti. Baudh. Ör. S. VI, 6, 1: diksitavädam vada satyam eva
rada manrtam, mä smayisthä mä kandüyathä mäpäcrthäh usw.
s) Maitr. Samh. III, 6, 1 (S. 60, 2): devatäm esa upaiti yo dlksate |
devänäm eva disam upävartate pracinäm eva disam upäcartate — eti
vä eso 'smäl lokäd yo dlksate janam hy(?) eti \ devalokam abhyärohati;
Käth. 22, 13: präci vai devänäm dig devalokam evopävartate \ pura ädityo
'sä amam evädityam upotkrämati parisrite yäjayanti | devalokam eva
parigrhya tasminn enam diksayanty \ eti vä eso 'smäl lokäd yo 'mum
lokam gacchati. — Taitt. Samh. VI, 1, 1, 1. 2; 2, 1; Öat. Brähm. III,
1, 1, 10: sa vai na sarveneva samvadeta \ devän vä esa upävartate yo
dlksate sa devatänäm eko bhavati \ na vai deväh sarveneva samva-
(liinte — ; Kaus. Brähm. VII, 1 usw.
Der freiwillige Feuertod in Indien und die Somaweihe. 15
unter den Quellen kein Zweifel. Selbst der Rgveda, der die
Weihe weder dem Wort noch dem Sinn nach kennt, weiß von
der Kraft des Trankes zu sprechen, der in die Welt der Un-
sterblichen führt: VIII, 48, 3: „Wir tranken Soma, wurden
unsterblich, wir erlangten das Licht und fanden die Götter";
IX, 113, 7: „wo das unvergängliche Licht, die Welt, in der
die Sonne leuchtet, dorthin bringe mich, Pavamäna, in die un-
sterbliche, ewige Welt".
Die spätere Zeit hat den Gedanken fortgesetzt und ihm
durch Einfügung der weder in Iran noch im Rk bekannten
Dlksä eine besondere Ausgestaltung gegeben. Oldenberg sieht
in ihr ein Exemplar jener über die Erde verbreiteten Riten,
„welche Herbeiführung des Verkehrs mit Göttern oder Geistern
durch Erregung: ekstatischer Zustände bezwecken. Stehende
Mittel hierbei sind beschauliches Verweilen an einsamem Ort, Sich-
abschließen und Sich verstecken vor störenden Geistern usw.".
„Den vollen, überzeugenden Eindruck von der Zugehörigkeit
der Dlksä zu diesem rituellen Typus kann nur der haben —
wird aber auch, meine ich, der mit Sicherheit haben — , der
die ganze Masse der hier einschlagenden Materialien auf sich
wirken läßt." Keith1) stimmt ihm zu. Von Ekstase und
ekstatischen Zuständen ist aber hier nicht die Rede.
Mir scheint die Erklärung vielmehr ein Beispiel der Ver-
drängung einer speziell auf indischem Boden haftenden An-
schauung durch Einschaltung fremden Lichtes. Die Wichtig-
keit der Ethnographie für die indische und jede Philologie habe
in nie in Zweifel gezogen; aber ihre Herrschaft gilt nicht un-
bedingt2); denn abgesehen von allgemeiner ethnographischer
Analogie „verbleibt wie jedem anderen, so auch dem vedischen
Volke ein in seinen eigenen Geschicken und Verhältnissen be-
gründeter Schatz individueller Auffassungen, denen die Ethno-
graphie Parallelen nicht zur Seite stellen kann". Wie es Pflicht
der Einzelmythologie ist, sorgfältig über die Reinheit der
eigenen Quellen zu wachen, um nicht durch die ethnogra-
») Taitt. Samh. CXIII ff.
2) VMyth. II, 3 ff. vmyth. S. 8 ff.
16 8. Abhandlung: Alfred Hillebrandt
pilische Formenlehre der mythologischen Wissenschaft „der
Individualität der Sondererscheinungen ihr Recht zu verkürzen
und die lokalen Farben zu verwischen", so gilt es auch bei den
Sakralaltertümern zunächst, die besonderen Anschauungen
des einzelnen Volkes zu prüfen, um von hier aus eine Er-
klärung zu gewinnen. Die Diksä ist nun etwas anderes als
ein Zauberbrauch und ihr Zweck ein ganz anderer als der,
ekstatische Zustände zu erregen. Sie bedeutet nach der über-
einstimmenden Ansicht aller indischen Quellen eben nur die un-
mittelbare Versetzung des Opferers in die Himmelswelt. Das
geschieht durch Wiedergeburt. An der Auffassung der Diksä
als eines Wiedergeburtsritus kann — in diesem Punkt bin ich
mit Oldenberg einig — nach den uns vorliegenden Quellen gar
kein Zweifel sein1), aber nur um ekstatische Zustände zu er-
langen, braucht man sie nicht, sondern, um in die Welt der
Götter einzutreten und der Gemeinschaft mit ihnen teilhaftig
zu werden; darum muß alles vermieden werden, was an mensch-
liches Wesen erinnert. Die Zeremonie der Wiedergeburt ist
eine symbolische Handlung, die in den ältesten Texten, in
dem rgvedischen Ritual unbekannt ist und auf unbekannten
Wegen in das der Brähmana- und Sutratexte eingedrungen ist.
l) Kaus. Br. VII, 2: devagarbho vä esa yad dlksitah; Käthaka 23, 2:
garbho diksito, yonir diksitavimitam, ulbam d/iksitavasanam; Ait. Br. I, 3;
Öat. Brährn III, 2, 1, 16; 3, 3, 12 ff. usw. Sylvain Levi, La doctrine du
sacrifice S. 103 — 106. Oldenberg hat getadelt, daß ich die Vorschrift
von dem „ stammelnden Reden" auf die Angehörigen feindlicher Stämme
beziehe, die unfreiwillig den Scheiterhaufen bestiegen; er hat nicht
hinzugefügt, wie vorsichtig und zurückhaltend ich diese Erklärung vor-
gebracht habe: „Die Bedeutung dieses Brauches, schrieb ich, läßt sich
nur vermuten; ich würde glauben, daß den Scheiterhaufen nicht nur
indische Weise freiwillig bestiegen. ..." Weit hergeholt ist die Er-
klärung oder der Erklärungsversuch nicht; denn Menschenopfer sind nun
einmal für Altindien durch die rituellen Texte bezeugt (Ritualliteratur
S. 153) und können ihm nur abgesprochen werden, wenn die Vorstellung
von edlerem Ariertum fortbesteht oder die reichlichen ethnographischen
Parallelen abgewiesen werden. Obwohl das fragliche Wort parihvälam
auch jetzt noch nicht klar ist, gebe ich meine Erklärung im Zusammen-
hange mit dieser Untersuchung auf, da sie dadurch überholt wird.
Der freiwillige Feuertod in Indien und die Soinaweihe. 17
Es ist nicht die einzige Bereicherung, die der Somakult
durch Aufnahme einer ihm ursprünglich fremden Zeremonie
erfahren hat. Wenn man seine weitschichtigen Bräuche mit
ihren bis ins einzelne ausgeklügelten Handlungen durchsieht,
wird man sich leicht von der Tatsache überzeugen, daß der
umständliche Mechanismus nur durch allmähliches Wachstum
entstanden sein kann. Die Pravargyazeremonie, die noch nicht
ganz mit dem Somaopfer zu einer Einheit verwachsen ist, die
Tänunaptra-Zeremonie, der Somakauf und seine dramatische
Ausgestaltung, die Upasads, das und manches andere sind Zu-
sätze, die erst im Laufe der Zeit sich ankrystallisiert haben.
Woher nahm man die Diksä und den in ihr liegenden Ge-
danken, den Opferer unter die Götter zu versetzen? Aus dem
weitverbreiteten, wenn auch im offiziellen Brahmanentum nicht
durchweg anerkannten Glauben, den viele Beispiele belegen,
daß der Feuertod der Weg ins Jenseits zu den Göttern ist. Die
Selbstverbrennung ist das Eingehen zu einem neuen Leibe,
die Diksä beim Soma- und anderen großen Opfern symboli-
siert es1). Aus dem Kreise und den Anschauungen der Frommen,
welche sich selbst im Feuer darbrachten, um zum Himmel und
den Göttern einzugehen, ist sie in das Somaritual herüberge-
nommen und, in ihrer ursprünglichen Bedeutung verblaßt, zu
einer Weihe für die zeitweilige Gemeinschaft mit den Göttern
gemacht worden. Auf dem Boden des indischen Lebens, wo
die Entwicklung der Anschauung sich verständlich machen
läßt, ist die Erklärung für diesen Brauch zu gewinnen.
III.
In seinen feinsinnigen Abhandlungen über indische Frauen
ist Winternitz auf den oft besprochenen Vers RV X, 18, 8
zurückgekommen und hat ihn auf die Eingehung einer zweiten
Ehe von Seiten der Witwe, und zwar mit dem Schwager, auf
die Niyogaehe bezogen2). Ich bestreite natürlich nicht die
!) Über Agni- Visnu als Hüter der Somaweihe siehe VMyth. III, 354.
2) „Die Frau in den indischen Religionen" (Archiv für Frauen-
kunde III, 1917, S. 71 [57 ff.]) und: „Die AVitwe im Veda* (Wiener Zeit-
schrift für die Kunde des Morgenlandes 29, S. 172 ff.).
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1 91 7, 8. Abb. ^
18 8. Abhandlung: Alfred Hillebrandt
Einrichtung der Schwagerehe, die in Indien in älterer und
moderner Zeit üblich war; was zweifelhaft erscheint, ist die
Anwendung eines Verses auf die Gattin, die nach dessen Wort-
laut noch unmittelbar neben dem Toten liegt und schon in
dieser Zeit, also noch ehe der Leichnam verbrannt ist, zur
Wiedervermählung schreiten würde. Das widerspricht der
Unreinheit der Verwandten, die mit dem Tode eintritt und
mehrere Tage, je nach dem Grade der Verwandtschaft längere
oder kürzere Zeit, dauert, und scheint mir mit den indischen
Anschauungen unvereinbar1). Winternitz vermag auf keine
andere, als die etwas fern liegende Analogie hinzuweisen, wo-
nach der sterbende König Ring dem Fridthiof mit seinem Reich
seine Frau Ingeborg vermachte und mit dem Totenmahle um
den Verstorbenen der Brautlauf der beiden vereinigt wurde.
In Indien haben die Gesetzbücher selbst in den Fällen, wo sie
die Wiederverheiratung gestatten, z. B. wenn der Gatte verreist
und verschollen ist, eine längere Wartezeit vorgeschrieben2).
Ich ziehe es darum vor, bei der Erklärung zu bleiben, die
ich dem Kreise indischer Sitten entlehnt und ZDMG. 40, 708 ff.
aufgestellt habe. Der Brauch, daß die erste Frau des Königs
sich zu dem geopferten Jüngling legen soll, um von ihm Frucht-
barkeit zu empfangen, ist durch das Ritual bezeugt und erklärt
den Vers lückenlos. Von RV. X, 18, 8 läßt sich die Stelle
des Atharvaveda nicht trennen, die bei dem gleichen Zweck
verwendet wird und ausführlicher als die des RV. ist. Ich
glaube keine „Gewaltsamkeiten" (Winternitz, WZKM. 29, S. 198)
begangen zu haben, als ich paülöka im ersten Verse im Sinne
von jlvdloka nahm; denn die Welt des Gatten als die der
Lebenden steht im Gegensatz zu der des Toten, bei dem die
Frau ruht3); gopati hatte ich als „Gatte" übersetzt, dem Sinne
nach hier richtig, wenn auch nicht formell; denn gopati „der
») Caland, Toten- und Bestattungsgebräuche S. 81; Rituallite-
ratur S. 89.
2) J. J. Meyer, Das Weib S. 304 Anm.
3) AV XVIII, 3 steht v. 1 pätüohd, v. 2 jivcäokd, beide im Gegensatz
zum Toten.
Der freiwillige Feuertod in Indien und die Somaweihe. 19
Herr", was es schon im RV. bedeutet (jänasya göpatim IX,
35, 5), ist hier der König und als solcher der Gemahl, der
der Gattin harrt; aghnyä, die Anrede „o Kuh", habe ich un-
übersetzt gelassen. Wenn man sich erinnert, wie oft vrsabha
und andere Worte zur Bezeichnung hoher Personen dienen,
mahisl eine Bezeichnung der ersten Königin ist, so scheint es
nicht zu kühn, in dieser Anrede eine gleiche, etymologisch sie
in Gegensatz zum Toten stellende und glückbedeutende Benen-
nung zu sehen. Ebensowenig, in Visvävasu hier den Toten
zu sehen, von dem ja eine mystische, befruchtende Kraft er-
wartet wird, wie von dem Gandharva. Wer den von mir vor-
geschlagenen Ausgangspunkt für die Erklärung verläßt, er-
hält eine so matte und unsichere wie die Whitneys, die keine
der Schwierigkeiten löst. Die Verfasser einiger Grhyasütren
sowie die Redakteure der Samhitäs haben den ursprünglichen
Zweck des Verses, einem uralten und außer Übung gekom-
menen Brauche zu dienen, nicht mehr verstanden und ihn an
einer Stelle untergebracht, wo er seines mystischen Aus-
ganges entkleidet war. Wie wenig oft Vers und Anwendung
in dem uns vorliegenden Ritual übereinstimmen, hat Edwin
W. Fay in seiner sehr gründlichen Dissertation „The Rig-
Veda Mantras in the Grhya Sütras" (John Hopkins Univer-
sity) 1890 gezeigt, deren Fortsetzung und Erweiterung zu
wünschen wäre.
A
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 9. Abhandlung
1
tS1
Kürzung dureh Tonansehluss
im alten Latein
von
Friedrich Vollmer
Vorgetragen am 1. Dezember 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des 6. Franz'scben Verlags (J. Roth)
Auf nebenstehendem Bogen 1 oben ist 9. Abhandlung zu lesen.
Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 8. Abhandlung
Kürzung dureh Tonansehluss
im alten Latein
von
Friedrich Vollmer
Vorgetragen am 1. Dezember 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des 6. Franz'schen Verlags (J. Roth)
Während die sogenannte Iambenkürzung nach ihrer Gel-
tung in altlateinischen Versen und ihrer Wirkung auf die Ent-
wicklung lateinischer Wortformen seit den Arbeiten C. F. W.
Müllers und Fr. Skutschs eifrig erforscht worden ist, hat
eine in gewissem Sinne ihr gegensätzliche1) und doch auch
verwandte Erscheinung weniger Aufmerksamkeit und Beobach-
tung gefunden.
An einem schlagenden Beispiel (tüquidem bei Lucil. 475)
hat zuerst Bücheier (Arch. f. lat. Lex. 3, 1886, 144 ff.) diese
Kürzung in ihrem Wesen erkannt und sie als ^Verkürzung
durch Tonanschluß und Zusammenwachsen der Wörter in eins'
bezeichnet, während auf die merkwürdigen Erscheinungen vor
quidem schon C. F.W.Müller (plaut. Pros. 135) hingewiesen
hatte, dessen Verbindungen mit den Pronomina dann A. Luchs
in seinen Commentationes prosodiacae (Erlangen 1883. 1884)
nach ihrer Betonung und prosodischen Geltung untersuchte.
Weitere Zusammenhänge hat (nicht immer richtig) besprochen
H. Usener (Götternamen 310 f.). Zusammenfassend oder er-
l) Sie als 'Trochäenkürzung' zu bezeichnen empfiehlt sich nicht,
da sie nicht nur trochäische sondern auch spondeische Silbenfolgen af-
fiziert. — Schon 1896 hat Th. Birt Rhein. Mus. 61, 240—272 einen Auf-
satz 'über Kürzungen trochäischer Wörter' geschrieben und manches rich-
tig angedeutet; aber seine sprunghafte Art die Dinge nur zu berühren,
nicht zu erschöpfen und dazu ganz Verfehltes beizumengen, hat seine
wirklichen Erkenntnisse nicht zur Geltung kommen lassen; vgl. Skutschs
Entgegnung ebenda 478 und 52, 170. Mir war inzwischen Birts Aufsatz
ganz aus dem Gedächtnisse geschwunden; ich stieß erst bei Abschluß
dieser Arbeit durch den Hinweis Lindsays (Bursians Jahresber. 130, 198)
wieder auf ihn: man wird wohl ohnedies erkennen, daß meine Gedanken-
gänge und Beweisführungen selbsterarbeitet sind.
1*
4 8. Abhandlung: F. Vollmer
gänzend haben die Vorgänge berührt 0. Seyffert (Bursians
Jahresb. 63, 1890, 57), Fr. Skutsch, Plaut, und Rom. 9,
Lindsay, Captivi S. 25, H auler, Phormio2 S. 62 f.; vgl. noch
Sommer, Lat. Formenl.2 129 und Krit. Erl. § 42.
Ich lege zunächst das im allgemeinen bekannte Material
vor, nicht ohne es wesentlich zu berichtigen oder zu erweitern.
I. Mit quidem verbundene Wörter.
a) si quidem (bei Plaut. 67, bei Ter. 15 mal) steht als si
quidem betont am Versschlusse Mit. 28, Rud. 1061. Ter. Ad.
3 4
969, mitten im Verse Asin. 712 si quidem mihi; in gleicher
Betonung vor Vokal (sodaß man siquidem mit Hiat lesen kann)
13 mal, z. B. Amph. 814 siquidem haec Asin. 318. 588. 699 usw.;
deutlich gekürzt im ersten iambischen Fuße vor Konsonant
7 mal (Amph. 1006, Cas. 474, Mil. 520, Most. 671, Poen. 52.
696, Ter. Eun. 446), vor Vokal 13 mal (Bacch. 356, Cist. 269.
377, Cure. 268, Poen. 1045, Pseud. 531, Rud. 484, Ter. Eun.
1019, dazu 4 mal siquidem hercle Asin. 405. 414, Most. 229,
Ter. Eun. 50, einmal in ~ ~ — Pers. 787), dazu rechne ich auch
die Beispiele mit Hiat Mil. 419 siquidem east, Trin. 593 siqui-
i
dem ayer nobis (ebenso im 5. Fuße des iamb. Sept. Truc. 177
siquidem habes fündum atque aedis); in andern Füßen 7 mal
(Cas. 409, Merc. 378, Mil. 624, Stich. 616, Vid. 29, Ter. Haut.
i 5
331 und in « « — Pers. 784 exquire, siquidem); ferner gekürzt
in der 4. Hebung des troch. Sept. Pers. 579 siquidem hanc
6
vendidero pretio suo; also im ganzen deutlich gekürzt 31 mal.
Es bleibt ein Rest von etwa 35 Stellen, an denen si qui-
dem auf der ersten Silbe betont steht wie Capt. 920 si quidem
1 8
sese oder Cure. 211 si quidem hercle, und es fragt sich, wie
hier die erste Silbe zu messen sei.
Um das entscheiden zu können, müssen wir uns über das
Gesetz 'vom zerrissenen Anapäste' klar werden. Nach Her-
mann, Lachmann und Ritschi hat es zuerst scharf formuliert
C. F. W. Müller, Pros. Nachtr. 13, dann gründlich verteidigt
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein. o
Leo, Plaut. Forsch. 236 (= 2261), der in der zweiten Auf-
lage mit Recht die zum größten Teile wertlosen Einwände
Maurenbrechers (Hiat und Verschl. 26 ff.) unberücksichtigt ge-
lassen hat. Wer nicht auf falschen Grundlagen konstruiert,
sondern selbst einmal daraufhin ein paar Plautusstücke durch-
liest und auf die Hunderte von regelrecht gesetzten Anapästen
achtet, wird ohne weiteres zugeben, daß es sich in der Tat
da um ein durchgreifendes Gesetz handelt, dessen wenige Aus-
nahmen entweder eine verständige Erklärung zulassen oder zu
beseitigen sind. Ich sehe hier von diesen wenigen (etwa 30)
strittigen Stellen ab (ihrer Behandlung durch Leo stimme ich
nicht durchweg zu) und formuliere für unseren Zweck das Ge-
setz folgendermaßen:
In iambischen und trochäischen Langversen (Senar bis
Oktonar) darf eine aus zwei Kürzen gebildete Senkung durch
Wortende nicht so geteilt sein, daß eine oder beide Kürzen
den Schluß eines mehrsilbigen W'ortes bilden; also bildlich:
verboten sind -«j^- oder - « v | - oder —«]«'-
erlaubt -|««-i oder — \ « | w — oder — J « .« | — .
Das Gesetz gilt nicht für die 1. und wahrscheinlich auch nicht
für die 5. Senkung des trochäischen Langverses.
Für uns kommt das Gesetz hier stark in Betracht, weil
quidem mit den ihm vorhergehenden Wörtern unter einen Ak-
zent tritt, d. h. also mit ihnen ein Wort bildet, ganz unbe-
zweifelbar dann, wenn das vorhergehende Wort gekürzt wird,
also siquidem quandöquidem, aber auch, wenn zwar die Kürzung
nicht ohne weiteres erkennbar ist, quidem aber auch keinen Ak-
zent auf die vorletzte Silbe erhält; d. h. nur si quidem gilt als
zwei Wörter, si quidem und erst recht siquidem-'- als eines.
Wir dürfen nun aus dem Gesetz über den zerrissenen Anapäst
schließen, daß Wörter vom Typ siquidem, tequidem, isquidem, nös-
quidem die erste Silbe überall da kürzen, wo sie ohne Akzent auf
derSilbe -dem stehen, wenn nicht ihre erste Silbe die 1. oder 5.
Hebung des trochäischen Langverses bildet; natürlich aber ver-
bietet nichts anzunehmen, daß sie auch in dieser Stellung ge-
b 8. Abhandlung: F. Vollmer
kürzt worden sind, wenn sie an anderen Stellen gekürzt werden.
Ich werde also in den folgenden Listen diesem Schlüsse Rech-
nung tragen.
Zunächst bei siquidem: wir haben da 1 1 Stellen, wo qui-
dem die Senkung des ersten Trochäus bildet wie Merc. 872
siquidem mccum fabulari vis (so Cure. 703, Mi. 188, Mo. 1075,
Poen. 312, Stich. 757, Ter. Ad. 976) oder Poen. 1215 siquidem
amicitiast (so Cure. 211, Ter. Haut. 324, Hec. 560), weiter
8 Stellen, wo es die 5. Senkung desselben Verses füllt wie
Capt. 920 siquidem sese uti volet (so noch Cas. 327. 998, wo A
qui quidem, Epid. 79, Stich. 752, Truc. 628, Ter. Ad. 979, auch
Haut. 331 siquidem experiundo scies): an diesen 19 Stellen be-
weist also das Gesetz vom zerrissenen Anapäst an sich nicht
die Kürze siquidem. Dagegen halte ich für voll beweiskräftig
die 15 Stellen, an denen quidem andere Senkungen ausfüllt,
wie Men. 903 quem ego höminem siquidem vivo, viia evolväm
med (so noch Rud. 972. 986, Ter. Eun. 182. 717. 828, Phorm.
302, Turpil. com. 115) oder Aul. 688 et causa iusta est siqui-
dem itäst ut praedicas (ebenso Trin. 904, Truc. 875) oder Cist.
297 praestiyiator [es] siquidem hie nön es atque ades (so noch
Epid. 629, Rud. 765, Trin. 978, Ter. Andr. 465).
In Summa finden wir also von 82 Stellen bei Plaut, und
Ter. 4 mal sicheres si quidem, 31 mal sicheres siquidem, dazu
nach dem Anapästgesetz noch 15; an allen übrigen Stellen ist
siquidem zu messen möglich: nirgend ist (und das bleibt für
die folgenden Listen wichtig) si quidem zu betonen unumgänglich.
In der nichtskenischen Poesie (undeutlich Naev. com. 15,
Laber. mim. 15) ist bekanntlich siquidem fest: Lucil. 749 (— «),
Cic. carm. frg. 31, 3 («— ), im Hexameter u. ä. seit Ov. am.
3, 7, 17, met. 10, 104 usw.
b) nisi quidem oder ni quidem steht so betont vor Kon-
sonant Plaut. Aul. 762, Cist. 87, Men. 993, Caecil. com. 49,
aber vor Vokal so, daß also niquidem mit Hiat zu lesen mög-
lich ist Mil. 183. 216. 272, Pseud. 223, Trin. 1063 und Asin.
818 liest sich niquidem illa ante oecupässit te, effliyes scio be-
deutend glatter als nisi quidem lila ante oecupässit, ja nach Ana-
Kürzung durch Tonansohluß im alten Latein. 7
logie der unten zu besprechenden Pronoraina ist die Betonung
nish quidem überhaupt unglaubhaft.
C) Einsilbige auf langen Vokal ausgehende Pronomina:
nie (vgl. Luchs I 18) steht bei den Skenikern vor quidem
etwa 30 mal, davon viele Stellen sicher als nie quidem zu fassen
(Versschlüsse Asin. 920, Cure. 554. 564, Rud. 1165, Stich. 602,
Ter. Ad. 391, aber auch z. B. Cure. 402, Men. 857, Mil. 396,
Rud. 1416 u. a.), sicher mequidem liercle Aul. 283 und wohl
i a
ebenso (in « ^ — ) Pers. 171 mequidem iam satis; glatter wird
die Lesung durch Annahme von me öfters z. B. Pers. 169, Ter.
0
Hec. 278, Haut. 396 (undeutlich Amph. 749 ob häne rogä -me-
quidem praesente oder hdne rogä:: nie quidem), möglich ist sie
vor Vokal (mit Hiat nach quidem) ebenfalls öfters (Bacch. 825.
841, Cure. 540, Epid. 497, wo equidem A, Men. 551, wo equi-
dem Hss., Pers. 220, Rud. 244 - ~ -, Stich. 51. 329 ~ « _,
Ter. Ad. 614), besser mequidem als das überlieferte me equidem
Epid. 378, Ter. Ad. 899.
tu quidem (vgl. Luchs I 19) schwer gemessen und betont
am Vers- oder Kolonschlusse Plaut. Capt. 120, Cas. 319, Merc.
571, Mil. 1111, Capt. 574, Mil. 322, Most. 208. 261, Pseud.
1154, Rud. 1320, Truc. 176, im Versinnern vor Konsonant
Merc. 163. 617, Ter. Eun. 731; tüquidem steht sicher in •- « —
Bacch. 1169, Cas. 203. 208, in « - Ter. Haut. 707 satin sänus
es et söbriüs? tüquidem illum plane perdis (falsch wäre tu qui-
dem illum); vor betonten Vokalen (möglich also tüquidem mit
Hiat) Asin. 167, Capt. 182, Cas. 368. 917, Men. 312, Pers. 591,
Pseud. 109, Rud. 1369, Truc. 206 (Mil. 657 scheint korrupt),
durch die Messung tüquidem wird die Senkung erleichtert
1 3
Cure. 184 tüquidem vigilas, Epid. 667 tüquidem miserum, ähn-
lich 99, Merc. 176, Most. 176 (quidem tu CD), Pers. 231. Da-
zu in — ~ « Lucil. 475 quod viscus dederas tüquidem, hoc est:
viscera largi.
te quidem (vgl. Luchs I 20) am Versende Truc. 751, Ter.
Hec. 233, im Versinnern vor Konsonant Merc. 905, Stich. 246,
Truc. 667, vor Vokal (möglich tequidem mit Hiat) Asin. 543,
8 8. Abhandlung: F. Vollmer
Ter. Haut. 810, Phonn. 687, Turpil. com. 00; sicher % Poen.
i
280 de tequidem haec didici omnia, wohl auch Aul. 138 decet
tequidem (te equidem überl.) vera proloqui und Cas. 996 tequi-
dem oppresset.
qui quidem Sing. (vgl. Luchs 121) steht so betont Amph.
506, Asin. 862, Bacch. 991, ebenso der Plur. Truc. 832; aber
deutlich gekürzt Poen. 1213 qui quidem inimicus nön siet.
Trin. 552 aequom videtur qui quidem istius sit modi, Ter. Ad.
268 ego illam hercle vero omitto quiquidem te häbeam fratrem,
o mi Acschine, glatter lesen sich auch mit gekürztem qui
Trin. 336 quiquidem nusquam, 953; möglich auch qui (plur.)
mit Hiat nach quidem Bacch. 1132, Men. 204, undeutlich Ter.
Eun. 365 qui quidem in hänc detur domum.
quae quidem fem. so betont Stich. 260, aber gekürzt Asin. 2
quaequidem mihi atque vobis res vortat bene, Epid. 180 pulcra
edepol dos pecuniast :: quaequidem pol non maritast, und ebenso
wohl neutr. Bacch. 982 mdleque dictis quaequidem quivi; vor
Vokal (also möglich Kürzung mit Hiat nach quidem.) Most. 188
Ter. Phorm. 678.
quoi quidem periit pudor Bacch. 485.
quo quidem ägno sat scio Aul. 561 kann auch quo mit Hiat
nach quidem gemessen werden; deutlich quo quidem am Vers-
ende Laber. mim. 33.
deutlich quäquidem te fdciam Bach. 888.
(1) Einsilbige, auf Konsonant ausgehende Pronomina und
Partikeln mit kurzem Vokal:
is quidem als Versschlufe Ter. Hec. 699, ne is quidem vor
Konsonant Haut. 896, aber gekürzt in - w _. Pers. 179 miser
est qui amatr.certo Isquidem nihilist; vor Vokal (also Kürzung
und Hiat nach quidem möglich) Capt. 974, Pseud. 1199, un-
deutlich Capt. 335 (wo hie überliefert) und Ter. Ad. 293 (auch
Pompon. Atell. 169 (is)), gekürzt wohl zu lesen Truc. 693 is-
quidem hie äpud nos est Strabax (hie nach est überliefert).
id quidem als Vers- oder Kolonschiuli Aul. 421, Capt. 564,
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein. •'
Men. 893, Mil. 406. 1123, Most. 624, Poen. (281 Ulk über-
liefert) 423. 737, ebenso betont im Versinnern As. 478, Mil. 475,
wo P et hat, Ter. Andr. 399; sicher gekürzt Aul. 637 pöne::
id quidem pol te datare credo consuetum, senex {dl quidem über-
liefert), wohl auch Ter. Phorrn. 850 väpular.id quidem tibi
iam fiet und auch Ter. Eun. 322 zu lesen ne idquidem tibi vi-
disti? :: in via mit Hiat im Personenwechsel; vor Vokal (also
Kürzung mit Hiat möglich) Amph. 426, Cist. 234, Men. 665,
Pseud. 79, Ter. Phorm. 615, Ad. 578 und endlich Capt. 267
ne idquidem, Bacch. 1195 (- - -), Mil. 633, Poen. 291 pol id-
quidem (pol equidem A), Poen. 840 ndm idquidem, Poen. 783,
Ter. Haut. 632.
quöd quidem steht so betont vor Konsonant Epid. 638,
undeutlich Poen. 1181 (Metrum unklar), Ter. Ad. 590, verderbt
sind Capt. 102 (Anfang doch wohl quödqiddem ego), Cure. 193,
Ter. Phorm. 689, sicher gekürzt Ter. Phorm. 578 quödqiddem
me factum consili incertum facit, wohl auch Ad. 692 gnätum,
quodquidem in te fuit; auch Titin. 6 liest sich glatt als zweite
Hälfte iamb. Septenars quödqiddem pol mulier dicet.
quenquidem steht gekürzt Bacch. 1183a (- - — ) quenqui-
dem ego ut nön exeruciem, Cist. 370 quenquidem ego amem, alius
nemost, wohl auch Bacch. 241; vor Vokal (Kürzung mit Hiat
nach quidem besser) Epid. 121, Merc. 980, Ter. Andr. 164.
quam quidem so betont (als Pron.) Epid. 11, aber gekürzt
(als Adv.) Bacch. 1204 (-«__) filii vos exspeetänt intus :: quän-
quidem äctutum emoriämur und wohl auch Ter. Haut. 1010
immo scis potius quänquidem redeat ad integrum eadem oratio
(haec eadem falsch A).
dum quidem vollbetont im Versschlusse Pseud. 507, im
Versiunern Pe. 657, gekürzt (vgl. Ritschi, Proleg. S. CL1V =
opusc. V 399) Bacch. 226 dunquidem hoc, Trin. 58 dunquidem
hercle, doch wohl auch so Asm. 643 fore, dunquidem ipse, 870
1 8
ita fore Uli dünqiüdem cum Mo, Aul. 211 dunquidem ne, Merc.
387 dunquidem Ulk fui; Kürzung (mit Hiat) möglich auch in
dum quidem hercle Cure. 704, Merc. 424, Stich. 554 (equidem
10 8. Abhandhin-: F. Vollmer
Hss. falsch). 687; vgl. den Hiat bei Enn. ann. 494 dum qui-
dem unus homo.
cümquidcm salute [a] fämilia{i) maxuma Merc. 811, wo sua-
quidem und salute ac Camerarius.
iam quidem steht immer vor hercle außer Stich. 62 iam
quidem in süo quicque loco nisi erit, Kürzung (mit Hiat) ist
möglich Aul. 759, Truc. 313, beidemale im ersten Fuße, dann
auch in ^ Amph. 556, sicher nur Asin. 817 ianquidem
hercle ad illam hinc ibo.
nanquidem ist an zwei Stellen überliefert: Capt. 394 nam
quidem (equidem mit Lambinus die Ausgaben) nisi quod cüsto-
dem häbeo, liberum me esse drbitror; Rud. 1302 nanquidem hoc
venenatum est verum, ita in manibus consenescit, den letzten
Vers hat man fälschlich verdächtigt, geändert oder falsch be-
tont nam quidem hoc; auch .der erste wird ruhig mit nanqui-
dem zu lesen sein, da keinerlei Betonung der ersten Person
vorliegt wie an den anderen Stellen, wo nam equidem zu Recht
steht (Asin. 607, Bacch. 369, Men. 292. 959, Mil. 629, Pers. 172,
Pseud. 620 (idem A), Rud. 493, Truc. 199, Vid. 28).
nunc quidem (vgl. Luchs II 11 Anm.) steht so betont am
Versende Ter. Andr. 434, Eun. 46, im Versinnern Amph. 855,
Men. 932, Mil. 398, Poen. 1028, Stich. 472, Truc. 211, Ter.
Hec. 272, vor Vokalen Mil. 752, Pseud. 610; es besteht also
keine genügende Stütze für Annahme von engster Verbindung
und Kürzung; auch die in A Mil. 398 und in P Stich. 472
(deest A) überlieferte Schreibung num quidem wage ich daher
ebensowenig anzunehmen wie Luchs.
ne tarn quidem steht nur Ter. Ad. 278 am Versende.
dagegen scheint Licin. com. 2 (S. 39 Ribb.) der Senar
quom quidem Ma{vo)rti es in conubium data die Messung quön-
quidem zu empfehlen.
et quidem steht so betont Capt. 309, et quidem si Poen. 601,
Stich. 758 (Mil. 475 wohl richtiger id A als et P), deutlich
gekürzt am Verseingange Cure. 387 etquidem reliqui (et equidem
falsch die Hss.), Ter. Haut. 523 etquidem hercle, 775 etqui-
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein. 11
dem iubebit, möglich auch (Pers. 217 etquidem ego haüd longe),
3 4
Ad. 964 etquidem porro haec, Hec. 430 etquidem te expectö,
i
auch Phorm. 471 lese ich etquidem, ere, nos iam dudum hie
te absentem mit Hiat nach dem trochäischen Kolonschlusse des
iambischen Septenars; undeutlich (aber Kürzung glatt möglich,
sogar besser) Capt. 562 et quidem Älcumeus, Pers. 187 et qui-
4 6 S
dem si scis (so A), Ter. Ad. 974 et quidem tuo nepoti huius filio,
undeutlich (IK?) Phorm. 209. Aus dem Verse Ter. Hec. 195,
den ich lese etquidem ego: näm constitui (also mit prosodi-
schem Hiat), empfiehlt sich mir auch Andr. 967 etquidem ego
mit Hiat nach quidem, also auch wohl mit Kürzung der ersten
Silbe zu lesen; drei andere Stellen, an denen die Herausgeber
et quidem betonen oder zu betonen scheinen, erledigen sich
durch Herstellung von equidem ego (so andernorts noch equi-
dem ego Bacch. 437, Merc. 264, Rud. 1077, et equidem Cist. 526,
Cure. 387, Stich. 590), nämlich Asin. 645 ego vero et equidem
edepöl lubens, Merc. 1000 missas iam ego istas artes feci :: et
5
equidem ego dehinc iam : nihil (agis), Mil. 259 abeo :: equidem
ego ibo domum.
at quidem wird gekürzt sein Bacch. 677 erras : : ätquidem
tüte errästi, wohl auch Most. 1014 zu lesen egone? dt quidem
tu qui istoc te speras modo.
üt quidem steht mit Doppelton Cas. 300. 389, Titin. com.
156, undeutlich Capt. 991, Poen. 316, vor Vokal Capt. 649,
Cas. 390, Poen. 869, Trin. 429, deutlich gekürzt Men. 22 üt-
quidem ille dixit mihi qui pucros viderat, 336, Poen. 122. 664
und wohl auch Aul. 154.
polquidem kann gekürzt sein an beiden Stellen, wo es vor-
kommt, Bacch. 394 näm polquidem meo dnimo ingräto (wenn
hier nicht doch besser mit Bothe umzustellen ist, da es sonst
immer meo quidem animo heißt, s. u. S. 15), sicherer Ter.
Andr. 459 ita polquidem res est, ut dixisti, Lesbia.
e) Einsilbige, auf Konsonant ausgehende Pronomina und
Partikeln mit langem Vokal:
nos quidem so betont Pseud. 275 und am Versende Ter.
12 8. Abhandlung: F. Vollmer
Andr. 519; vor Vokalen steht es Merc. 1020, Poen. 649; ge-
kürzt Ter. Andr. 803 itan Chrysis? Mm :: nosquidem pol mi-
seros perdidit.
vös quidem betont Cist. 146 (Versende), vor Vokalen Ampli.
11, Poen. 588, gekürzt nirgends.
quosquidem steht einmal und zwar gekürzt Truc. 70 quos-
quidem quam ad rem dicam in argentariis.
autquidem findet sich dreimal, immer gekürzt, Most. 'J44
aedis Philolaches? autquidem iste nos defrustratur senex, Ter.
Hec. 306 aut (haud überl.) quidem hercle, Phorm. 425 autqui-
dem cum uxore.
f) Die Formen von hie stelle ich hier zusammen, weil im
einzelnen die Frage aufzuwerten ist, wie sie gelautet haben.
Luchs (II 7) hat bekanntlich bewiesen, daß dies Pronomen in
der Zusammensetzung mit quidem die Silbe -ce nicht annimmt;
sein Hauptargument, die durchgehende Messung des Sing. masc.
als /liquidem (nicht hiequidem) bleibt bestehen, wenn auch ein
paar Stellen im ersten Trochäus an sich die Messung — «- ^
zulassen (Amph. 417, Capt. 657; IK möglich Merc. 366 pater
hiquidem est, Most. 1063, Trin. 851). Besonders deutlich ist
Capt. 823 der Senarschlulä hiquidem habet; die anderen Stellen
genügt es hier aufzuzählen: Amph. 458. 660, Aul. 728, Bacch.
774, Cure. 397, Men. 309, Mil. 1283, Most. 447, Pers. 14. 201.
309, Poen. 672. 1123, Pseud. 445 est hie (hie est AP). 736. 1136,
ßud. 1403, Stich. 353. 458. 464. 544. 625. 655, Trin. 557.
868. 876. 1030. 1055, Enn. scaen. 166, Ter. Eun. 228. 681,
in Anapästen Bacch. 1105, Pers. 790; unsicheres Metrum und
Lücke Amph. 1075, statt hie zu lesen is Capt. 335; mit A
(gegen P) quidem hie Truc. 265; die einzige widersprechende
Stelle Poen. 1125 praestigiätor hie quidem Poen/is pröbust ist
leicht mit Luchs zu emendieren hiquidem Poenus est probus,
aber vielleicht überhaupt unecht. Die Betonung hie quidem
ist also trotz der großen Zahl der Fundstellen nicht zu er-
weisen, anders als bei si quidem, me quidem u. ä. aber auch
bei is quidem, et quidem u. ä. Ebenso aber wie bei diesen Ver-
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein. 13
binduugen liegt die Sache bei den anderen einsilbigen Formen
von hie, über die ich mich kürzer fassen kann:
Adv. hiquidem mit langer erster Silbe und voll betont
Capt. 88 et hiquidem hercle, 921 näm hiquidem üt adornä(vi)t,
aüt iam (an diesen beiden Stellen auch hiquidem mit Hiat
möglich), Most. 933, Pseud. 822, Rud. 989, Stich. 622, Ter.
Ad. 554, in Kretikern Rud. 214, gekürzt Cas. 143 hiquidem
pol certo nil ages sine nie ärbitro (Kürzung mit prosodischem
Hiat in IK möglich Rud. 989, Stich. 622), falsch überliefert
Pers. 788 (- « — ) pol hie quidem statt hiquidem pol.
Fem. Sing, haequidem mit Doppelton am Versende Mil. 988,
Pers. 723, Rud. 420, Ter. Andr. 149, sonst vor Konsonant
Amph. 696, Mil. 362, Stich. 238, Ter. Haut. 852 (falsch die
2. Rezension), vor Vokal (also * « ^ mit Hiat möglich) Amph.
777. 794, Capt. 750, Men. 383, Truc. 93 (verderbt die Hss.\
Ter. Ad. 983 und in w _ — Poen. 248, in lyrischen Iamben
i
Poen. 1199, möglich prosod. Hiat Amph. 789 nam haequidem
nos; deutlich gekürzt Naev. com. 129 haequidem hercle opinor
praeficast, Cist. 43 hae'quidem ecastor, Rud. 827 hae[ce]quidem
Palaestra, Titin. com. 181 haequidem quasi und Mil. 1259 hae-
quidem plus.
Neutr. Sing, hodquidem = hoequidem steht doppelt betont
im Verschlusse Epid. 409, Mil. 19, Most. 981, Ter. Ad. 803,
in Kretikern Pseud. 1288, sonst vor Konsonant Amph. 372,
Bacch. 1141, Epid. 338, Truc. 269, vor Vokal (also Kürzung
mit Hiat möglich) Amph. 397, Aul. 449, Capt. 357, Men. 927,
Pseud. 1078, Ter. Phorm. 412. 905, Andr. 201, prosodischer
Hiat möglich Capt. 336 tarn hoequidem tibi, Cure. 182 nam
hoequidem edepol, Merc. 285 di hoequidem faeiünt, undeutlich
Truc. 535 hoc quidem herclest, gekürzt Rud. 1300 nam höcqui-
i i
dem pol, Ter. Eun. 129 ne hoequidem tacebit, Ad. 469 vero
amplius : nam hoequidem ferundum, aber Epid. 393, wenn der
Vers echt ist, ist umzustellen hoc mea quidem sententia.
hädquidem = haequidem steht mit Doppelton vor Kon-
14 8. Abhandlung: F. Vollmer
3
sonant Asin. 741, Cas. 83, Most. 394, gekürzt Amph. 736 non
de häcquidem hercle, Mil. 353 sie obsistam. häcquidem pol certe,
Ter. Haut. 87 scire hoc vis? :: häcquidem causa, qua dixi tibi.
Dat. hoiquidem ist undeutlich am Ende des trochäischen
Septenars Trin. 971 unquam eris auro hoie quidem, wo doch
wohl mit Hermann umzustellen ist hoiee auro quidem.
Nom. Plur. nur Epid. 193 ipsi hi(s)quidem mihi dant viam.
Vielleicht steckt auch Lucil. 726 in hie quidem einfach hisqui-
dem, sodaß zu lesen wäre nam hisquidem reditum (tibi).
Bacch. 1125 (« ) attonsae haequidem ämbae.
hanquidem steht mit Doppelton Asin. 271, Cure. 112 (cant.
iamb.), am Versende Mil. 1006, gekürzt nirgend; nirgend hun-
quidem.
hasquidem mit Doppelton Capt. 668, wo freilich prosodi-
scher Hiat nicht unmöglich ist (tu hasquidem), gekürzt Pseud.
25 hasquidem pol und 30 nam hasquidem yallina scripsit.
Abi. hisquidem nur Mil. 368 atque hisquidem hercle.
hinquidem undeutlich Pseud. 504 quid nunc agetis? nam
hinquidem ä me non potest und Stich. 688 nam hinquidem ho-
die polluctura, gekürzt in ^ ^ _ Most. 901 homo nemo hinqui-
dem foras exit (anders P).
hüquidem immer so betont, aber auch immer vor Vokal
Pseud. 654, Rud. 340, Truc. 369, ebenso Merc. 382 adhuqui-
dem hercle.
g) Zweisilbige Formen.
quandö quidem liest man als Versschluß Stich. 559, ebenso
betont 483, wenn der Vers echt ist; aber während quandö
allein ohne quidem mit kurzem End-ö erst bei Germ. Arat.
sich findet, steht quandoquidem so betont Merc. 180. 618.
933, Ter. Eun. 374, Phorm. 405, Hec. 492, Ad. 640, Turpil.
com. 125. 158 (q. et q. überl.), quandoquidem Men. 1024,
Merc. 171, Trin. 352 (eq. A). 991, Truc. 559, Ter. Andr. 487.
608, Haut. 1064, Ad. 956, Lucil. 665 (- ~ ), ebenso im Hexa-
meter etc. seit Catull. 33, 6. 40, 7. 64, 218. 101, 5, Lucr. 1,
296. 587 usw. regelmäßig.
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein. 1«>
Ob mihi und tibi vor quidem ihre Endlänge wahren konnten,
ist zweifelhaft, da sowohl mihi quidem wie tibi quidem so be-
tont nur vor hercle stehen, also mit Hiat nach quidem und
kurzem i gelesen werden können (Merc. 762, Poen. 151, Trin.
761, tibi Poen. 412, Rud. 108, Truc. 814), im übrigen wird be-
tont vor Vokal wie Konsonant mihi quidem (Amph. 610. 986
usw., im ganzen 14 mal, auch Ter. Hec. 606, Haut. 423. 542
und Ad. 337, hier am Versschlusse, sowie in - - Lucil. 675)
und tibi quidem (Cas. 360. 383 u. ö., im ganzen 6 mal und bei
Ter. Phorm. 523. 1003, Ad. 571, am Versende Merc. 216); nur
Asin. 482 ist überliefert tibi quidem, aber der Vers ist schwer
beschädigt und mit drei anderen interpoliert, sodaß uns das
unerwünschte Wagnis, für Plaut, neben dem Genitiv tis einen
Dativ ti anzusetzen, erspart bleibt. Der Dativ der 1. Person
aber steht im Verse auch als miquidem: so Capt. 866 miqui-
dem esürio non tibi, Mil. 158 miquidem vom arbitri vicini (mi
equidem falsch A), sicherer noch in anderen Füßen Ter. Phorm.
686, Ad. 337. 379, und als miquidem Cure. 547 nee miquidem
libertus ullus est :: facis sapientius, Pers. 20 miquidem tu iäm
h-as mörtuos.
med vor quidem steht nur in der Formel meo quidem äni-
mo (am Versende Cure. 499. 514, sonst Aul. 478. 539, Bacch.
102, Cas. 570, Epid. 111, Men. 200, Merc. 314, Rud. 1138,
Versmaß unsicher Poen. 232, herzustellen wohl auch Bacch.
394), die ich mit Synhizese lese.
med öfters in der Formel mea quidem sententia Bacch. 563,
Cas. 563, Epid. 393 (quidem mea überl.), Men. 81, Poen. 1338,
Ter. Ad. 65. 959 [Phorm. 335 hat A das quidem richtig aus-
gelassen]; an den anderen Stellen steht mea quidem vor Vokal:
Asin. 275 mea quidem hercle opera, Men. 1029 mea quidem
hercle causa, Pers. 537 mea quidem istuc nil refert. Auf der
zweiten Silbe betont nur Men. 727 med quidem hercle causa
(Rud. 139) und Truc. 560 neque med quidem opera, alle drei-
mal also vor Vokal, sodaß die Messung meäquidgm mit Hiat
möglich ist.
16 8. Abhandlung: F. Vollmer
med als Fem. und Neutr. nur Pseud. 1187 meaquidem haec
(wo equidem CD) und Ter. Andr. 347 meaquidem hercle.
meum nur Asin. 190 nee meumquidem edepol und Truc. 963
meumquidem te lectum.
tuä Fem. Nom. Gas. 398 utinam tüaquidem . . . sors, wo
der Anfang des zerstörten Verses richtig zu sein scheint, und
Ter. Phorm. 164 nam tüaquidem hercle certo vita.
Neben Men. 792 tüaquidem ille causa stehen Poen. 573
nee tüömquidem est amicis, Rud. 737 ätque erds tüdsquidem
hercle und Most. 894 südniquidem.
Ich reihe der Vollständigkeit halber noch an Pseud. 60
cras eaquidem sunt (Dionysia), Truc. 262 cömprime sis iram::
eamquidem hercle und Men. 497 [pol] eämquidem edepol.
Höchst bemerkenswert ist nun, daß daneben sich im 1. Fuße
iambischer Verse folgende Verbindungen finden:
8
Poen. 1349 tneae quident profecto non sunt (vielleicht nach-
plautinischer Vers);
2
Rud. 322 euniquidem ad carnificem;
2
Rud. 783 meas quidem te(d) invito etVenere et summo Iove;
Trin. 559 weus quidem hercle nunquam fiet;
[Merc. 811 sua quidem salute zu unsicher, eunquidem Hss.];
und im 5. Fuße des iambischen Septenars:
Pers. 282 tüaquidem cueüle causa (Abi.).
Luchs (I 15) will alle diese Verse durch die Freiheit der
Anapäste und Iambeneingänge in Betonungen wie Omnibus mi-
litis u. ä. erklären, und scheinbar sprechen für diese Erklä-
rung zwei andere Stellen:
Bacch. 1177 (« ~ — ) egoquidem ab hoc certe exörabo;
Ter. Andr. 691 quibusquidem quam facile pötuerät;
wozu man noch den wohl nachplautinischen Versanfang stellen
mag:
i
Asin. 482 tibiquidem supplicium carnufex (s. o. S. 15).
Die Stellen sind nicht sehr beweiskräftig (mindestens 10 mal
findet sich die regelrechte Betonung ego quidem, die Stellen
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein. 17
bei Luchs I 16), aber bedenklicher macht, daß Luchs die glei-
che Betonung auch für mequidem, tuquidem, isquidem, quen-
quidem annahm, die sich, wie wir gesehen, als mequidem, tu-
quidem usw. erledigt haben.
So wird man auch hier aufs ernstlichste mit der Möglich-
keit zu rechnen haben, meaequidem, eünquidem, meäsquidem,
meüsquidem zu messen — das wäre ein Argument für Synhi-
zese (nicht IK!) in diesen Formen, das der Gesamtelision sol-
cher Monosyllaba an Bedeutung nichts nachgäbe.
illequidem (Luchs II 3) wird betont illiquidem (wohl rich-
tiger illiquidem, s. u. S. 26, 1) Bacch. 103. 634, Merc. 540, Most.
375, Pers. 174, Stich. 561, Ter. Phorm. 754, aber illequidem
(oder üquidem) Capt. 288 (illic BD, Uli VE), Epid. 257. 673,
Merc. 975, Most. 1081 illequidem (edepol), Truc. 509 (quidem
ille est überl.), 884. An einer Stelle ist die Überlieferung nur
durch liquidem meßbar: Trin. 717 äbiit hercle liquidem, ecquid
audis, die Ausgaben tilgen freilich alle mit Fleckeisen hercle;
die gleiche Messung erleichtert aber auch die Versanfänge
Bacch. 90 üquidem hanc dbducet tu nullus und Cas. 573 nam
üquidem quem tu hunc memoras esse und ist durchaus den oben
unter d) festgestellten Messungen konform.
istequidem (oder istquidem) betont Merc. 945, Poen. 513,
istequidem Enn. scaen. 359.
illaquidem Mil. [323 verstümmelt] 483 {quidem illa P),
istaquidem Merc. 730, aber illiquidem Stich. 252, Ter. Phorm.
134, istaquidem Most. 235, Caec. com. 85, Ter. Haut. 566
(istaec AG).
illüdquidem (illücquidem) Cas. 702 ^ , Most. 830, Rud.
422. 806, Stich. 589, die Messung illücquidem besser Poen.
1231 sed illüdquidem völui dicere, ebenso 684 illüdquidem quö-
(vo)rsum asinus caedit calcibus (illuc hier als Adv. zu nehmen
scheint unnötig), — istüdquidem am Versende Poen. 645, sonst
Cas. 8, Mil. 19. 1149, Pers. 736, Poen. 1172. Aber istücquidem
in den ~ ^ _ Most. 335a immo istücquidem :: iam memini und
doch wohl auch Mil. 1017 pol istücquidem multae.
Ritzgsb. «1. pliilos.-pbilo). u. d. bist. Kl. Jahrg. 191 7, 9. Abb. 2
L8 9. Abhandlung: F.Vollmer
Die übrigen Formen ergeben nichts Bemerkenswertes:
1 2
Merc. 541 nam Uli quidem haud, Cas. 864 ne illum quidem in
unbestimmbarem Metrum, Pseud. 109S qui{n) illam quidem iam
in Sicyonem ex urbe äbduxit modo ist nicht sicher, ob quidem
iam mit Leo oder ex urbe im überlangen Verse zu streichen
ist. Poen. 443 nam istiquidem hercle orätiöni; Cist. 8 pol
isjofcj quidem nos ist bakcheisches Mala möglich, aber nicht
sicher, Adv. Cist. 753 istiquidem edepol; nur Truc. 111 (- « — )
ist me illisquidem hacc verberat verbis Kürzung illiquidem möglich.
1 2
Möglich ferner Bacch. 270 postquänquidem praetor, 1205
(», « _) tamquänquidem addictos, aber Versschluß utindm qui-
dem Ter. Ad. 518, ferner potius quidem Aul. 51, Truc. 265 ni-
mis quidem hie (hie q. P), Merc. 841 ibi quidem; für modoqui-
dem hercle haec Cist. 296 steht nicht sicher, ob von modo oder
von modo auszugehen ist; IK wäre anzunehmen, wenn Capt. 249
i
scio quidem richtig wäre, es wird aber nach allen anderen
Stellen scio equidem zu schreiben sein. l)
2. Andere enklitische Verbindungen.
a) Auf ecquis hat in diesem Zusammenhange zuerst Skutsch
(Forsch. 9, 2) hingewiesen, nachdem schon Ritschi (zu Persa
107) gelehrt 'ccquid pro pyrrhichio est', aber C. F. W. Müller
(Pros. 424 f.) sein "mir ist das ganz unglaublich' gesprochen.
Da die enklitische Natur des indefiniten quis außer Zweifel
steht, so ist a priori ecquis ebenso gut möglich wie etquidem,
und in der Tat wird es durch unsere Überlieferung hinläng-
lich gestützt.
ecquis und seine Kasus stehen über 90 mal entweder so,
daß die erste Silbe deutlich als Länge gilt, oder (seltener) so,
l) Nachträglich muß ich anmerken, daß die Untersuchung von Ahl-
berg, De proceleusmaticis iamborum trochaeorumque, Lund 1900, S. 55
—84 (vgl. Lindsay, Burs. Jahresber. 130, 197) mir nicht zugänglich ge-
worden ist.
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein. U
daß sie in der Senkung unbestimmbar bleibt, wie ecquis hie
est (Versschluß Rud. 316 ecquem) oder ecquid quod mdndavi
tibi. Andere Stellen können unter die IK fallen, so Cas. 949
(_ v, _) sed ecquis est qui (Mil. 794, vielleicht auch Pers. 108),
Poen. 1044 sed ecquem adidescentem (oder sed ecquem und dann
nosti?); mit den Freiheiten der ersten oder fünften Hebung
wären zu entschuldigen Pseud. 1139 ecquis hoc äperit (Amph.
5
1020 ecquis hoc äperit ostium, ebenso Bacch. 582, Capt. 830,
Truc. 663), Stich. 352 ecquis hüc effert ndssiternam, Pers. 327
ecquid amdre, Truc. 542 ecquid amäs, Most. 354 ecquis homöst,
Aul. 636 ecquid agis (Cist. 643, Epid. 688), Pers. 225 ecquid
habes; weniger glaublich sind Men. 146 ecquid adsimulo, Rud.
1 5
413 heus ecquis in villast, noch weniger Truc. 897 ecquid Asta-
phi(um) litium est, Bacch. 980 ecquid egisti und Capt. 459 ec-
2 4
quis hunc, Most. 988 ecquis hasce operit, Trin. 870 ecquis his
foribus, hier wird Ecquis anzunehmen sein, wie sicher an fol-
genden Stellen: Bacch. 583 Scquis exit, Truc. 254 ecquis huic,
Pers. 107 Uequid hallecis, 225 ecquid habes? :: ecquid tu? :: ni-
hil equidem und in « * — Cas. 166 vös ecquis haec; auch Pseud.
s .
740 ecquid habet :: rogas scheint mir die Messung ecquid mit
verständlicher Verletzung des Gesetzes von den Enddoppel-
iamben leichter als ecquid mit Zerreissung des Anapästes; noch
6
leichter natürlich Bacch. 581 ecquis [his] inaedibust; auch Stich.
338 ziehe ich trotz C. F. W. Müller vor zu skandieren pro-
pere a pörtu tut honoris causa :: ecquid ad portäs boni. Ganz
unwahrscheinlich ist es (wo doch ecquid ebenso behandelt wird)
ecquis in ecqui zu ändern.
b) si quis und si quid stehen bei den Skenikern in den
meisten Fällen als Trochäus gemessen; so siquis{-d) bei Plaut,
etwa 100, bei Ter. 27 mal, siquis(-d) mit undeutlicher erster
Silbe bei Plaut. 45 mal, bei Ter. 7 mal, mit langem si- 8 resp.
3 mal (seltener die anderen Formen -quem, -quam, -quo, -qua,
-quoi), z. B. Amph. 389 siquid vis loqui oder 336 scio, si quis
20 9. Abhandlung: F. Vollmer
roget (häufig dge si quid agis). Aber wir finden daneben
(Skutsch, Forsch. 9, 2, Leo zu Aul. 340) eine Reihe von
Stellen, die die Kürzung von si als möglich und wirklich ver-
wendet erscheinen lassen. Nicht ausschlaggebend sind auch
hier wieder die Stellen mit siquis im 1. oder 5. Trochäus, dem
die Zerreissung des Anapästes zugestanden wird, wie Cist. 67
siquid est quod doleat (ähnlich mit Formen von esse Epid. 526.
647, Mil. 665, härter schon Stich. 67 siquis me quaeret und
5
Trin. 1128 siquid amiciim erga, auch Trin. 855 siquid ego ad-
didero amplius, aber Merc. 1023 zu lesen si quis pröbuerit, nicht
pröhib-) , aber großen Bedenken unterliegen die zerrissenen
4 3
Anapäste Aul. 340 siquid üti voles, Epid. 729 siquid imprudens,
1 8
Men. 756 ut siquis sequdtur, Pseud. 713 siquid opüst (quicquid
4 «
P), Stich. 182 siquis me essiim vocät, Ter. Andr. 258 siquis
nunc me roget, auch Haut. 631 nach A siquid peccävi; selbst
Truc. 839 reddat, siquis eum petat lese ich lieber siquis und
nehme eum petat als ein Wort (im Sinne des Luchsschen Ge-
setzes), als daß ich durch siquis einen zerrissenen Anapäst zu-
ließe. Am meisten kommen für siquis folgende Stellen in Be-
tracht: Poen. 80 siquid dmandare (amandare findet sich sonst
vor Cic. nicht, ist aber doch schwerlich Interpolation), Vidul. 19
i
inaxum(e si)quid est opiis, Ter. Haut. 551 siquid huius simile
(schwerlich si quid huius, vgl. Luchs, Studem. Stud. I 346),
Most. 773 siquid erit quod Uli placeat (besser als si quid erit
quöd Uli pl.), möglich auch Rud. 477 magisträtus siquis me(d)
hänc habere vi der it.
c) ne quis und ne quid stehen bei Plaut, und Ter. oft als
Trochäen (ncquis 48:16, niquis 15:3, nequis 1:1, selten ne
quem, quo, qua); für nequis kommen in Betracht kaum Capt.
795 ne quis in hänc plateam und Epid. 339 nequid tibi hinc in
spem referas (aber das Metrum ist gar zu unsicher), auch nicht
die von Skutsch (Forsch. S. 9, 2) so gelesene Stelle Capt. 791
nequis mi obstiterit obviam (hier ist quis zu streichen aus syn-
taktischem Grunde, vgl. Asin. 154, Rud. 476), eher Stich. 576
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein. 21
nequid adveniens, Liv. Andr. trag. 23 ne quid tuae adversus
fuas, vor allem aber Naev. trag. 4 tünc ijjsös adöriant, nequis
hinc Spdrtam referat nüntium, wo seit Hermann fälschlich qui
gelesen wird. Plaut. Cist. 531 ist persequar : amens nequid
ebenso unglaublich wie persequar amens ne quid, richtig sein
wird die von Leo im Apparate vorgeschlagene Umstellung.
d) quisquis und quidquid werden bei Plaut, und Ter. sicher
als Trochäen gemessen mit der Betonung quisquis 84: 19 mal,
betont quisquis mit unbestimmbarer erster Silbe 11:2, mit der
ersten als Länge 7 : Omal (selten quemquem, quoquo). Für
Kürzung der ersten Silbe müssen erwogen werden die Stellen:
Amph. 309 quisquis homo hüc, Mil. 311 quidquid est müssitabo,
i
Most. 1159 quidquid fecit una nobiscum (oder fecit nobiscum
una?), Rud. 1121 quidquid ibist (1136 vos tarnen istaec quidquid
4
istic inerit vobis habebitis schwer zu glauben), 1256 quidquid
in illo vidulost (oder in illo?), 1359 omnia üt quidquid (oder
ut quidquid), Stich. 686 quisquis praetereat, Trin. 218 und(e)
quidquid auditum, 253 itäst agrestis. sed fores, quidquid est fu-
turum feriam, Ter. Eun. 980 quidquid hüius (nicht quidquid
5
hüius), Haut. 332 quidquid est ädsimulabimus (so A, quid est
die anderen Hss.), 961 quidquid ego hüius (nicht ego hüius).
Daß Leo (Plaut. Forsch. 236 = 2261) inkonsequenterweise zu
Unrecht die Zerreissung des Anapästes in quisquis und quid-
quid durch Zerlegung des Pronomens in zwei Wörter erklären
will, hat richtig gesagt Maurenbrecher, Hiat u. Verschl. S. 31, 3.
— quoquo modo hat keine Stütze an dem verstümmelten Verse
Men. 827.
e) nunquis, nunquid und abgeleitetes, wie adverbielles nun-
qui gelten als Trochäen, betont nunquis (Plaut.]: etwa 50 mal,
Ter. 15 mal), betont nunquis (Plaut. 23 mal, Ter. 13 mal, dazu
deutlich mit Länge der Silbe nunq- Plaut. 3 mal, Ter. 2 mal);
für Kürzung beweisen wenig die Stellen Pers. 551 nunquid in
principio cessavi, Stich. 102 nunquid hie est, Ter. Phorm. 563
22 9. Abhandlung: P. Vollmer
nunquid est quod (gar nichts natürlich Merc. 282 dicere : : nun-
quid ämplius), Mil. 994 nanquidnam hie pröpc adest kommt
ernstlicher in Betracht, dann Men. 548 nümquid me vis (zu me
vgl. Aul. 263, Cist. 117. 119 usw. neben häufigerem numquidvis).
f) Einzelne andere Verbindungen: id quod scheint über-
liefert und richtig Amph. 793 idquod verüst (Leo z. d. St.),
Epid. 507 völo scire, si scis :: idquod audivi iam (iam om. P)
andies; ebenso Merc. 182 hoequod te interroyo responde, Trin.
i
413 quid quod ego defriidavi? (412 quid quod dedisti seortis?).
Unsicher bleibt Amph. 271 certo edepol scio, stquidquam est
aliud, man müßte dann schon (der Syntax wegen) scio {et) lesen.
Bei Zusammensetzungen mit que, ne, ve erscheint zweifel-
haft, ob Tonkürzung oder Endsynkope wie bei ac, an, seu an-
zunehmen ist (vgl. Skutsch, Forsch. 153). Hierher gehören
folgende Stellen: Mil. 508 quodque coneubinam, 1072 quomque
i
me oratricem (wo cumque CD, qm d. i. quoniam ganz falsch
B), Afran. com. 27 quodque nie; Capt. 246 perf£ue conservitium
1 2
(cf. Poen. 419). — Cure. 705 quodne promisti?, Mil. 614 quodne
vobis. Poen. 1238 nosne tibi. Pseud. 442 idne tu mirare. —
Amph. 84 quive quo placeret alter {älter quo pl. Guyet). Cist.
i
679 ("<-_) [si] quis eam abstulerit quisve sustiderit.
Ebenso Trin. 386 tüte concilies.
Diese letzten Beispiele führen uns zu der wichtigen Frage,
um derentwillen ich eigentlich diese ganze Untersuchung ge-
führt habe, nämlich der nach der Quantität des Stammes von
ille, illa, illud.
Skutsch hat seine glänzendste und weittragendste Forschung,
die Arbeit über die Endsynkope von -e in unde, inde, quippe
usw., auch auf ille und iste ausgedehnt und erwiesen, data wir
Kürzung durch Tonansehluß im ulten Latein. 2o
auch bei diesen Fürwörtern die antekonsonantischen Formen
il(l) und ist anzusetzen haben. Darüber hinaus hat er gleiche
oder verwandte Synkope aber auch bei den Formen illic, lila,
Mild, istic zu erweisen oder zu folgern versucht aus der von
ihm als Ausgangs- und Angelpunkt seiner ganzen Darlegung
festgehaltenen Notwendigkeit heraus, die Stämme ill- und ist-
als durchgehend prosodisch lang anzusetzen. In diesem Be-
streben alle Formen von ille und iste in ihrer Verwendung bei
den Skenikern nach ein und derselben Regel zu behandeln ist
nun Skutsch meines Erachtens über das Ziel weit hinaus-
geschossen.1) Denn während die Synkope von wortschließen-
dem -e für die Sprache sichersteht, ist das für End-a durch-
aus nicht der Fall, und vollends die Synkopen ill(i)c, ist(i)c,
ill(u)d haben keinerlei Wahrscheinlichkeit. Dazu kommen noch
die von Skutsch S. 123 ff. behandelten und sehr künstlich und
unglaubhaft erklärten, gar nicht seltenen Fälle, wo Formen
von ille (und iste, vgl. S. 146) gegen das Dipodiengesetz ver-
stoßen. Endlich sind in Betracht zu ziehen die Beobachtungen
von Fr. Marx, Ber. d. Sachs. Ges. d. Wiss. phil.-hist. Kl. 59,
1907, 129 ff. (vgl. noch R. S. Radford, American Journ. of
Philol. 28, 11 ff.). Ich komme also nicht um die Notwendig-
keit herum für ille und iste neben der trochäischen Messung
eine pyrrichische anzusetzen und glaube die Lösung der Aporie
durch folgende Erwägungen gefunden zu haben.
1. Wir haben oben zur Genüge gesehen, daß die Kürzung
durch Tonanschluß im alten Latein immer nur fakultativ ge-
wesen ist2): selbst neben den in der späteren Sprache fest-
gewordenen Kürzungen siquidem und qaandöquidem weist Plau-
tus unbezweifelbar, wenn auch seltener, sl quidem und quando
quidem auf, sodaß wir ohne Bedenken für eine etwas frühere
') Ebenso urteilt außer Birt, der seinerseits zu weit geht, Lind-
say, Bursians Jahresber. 130, 198 f.
2) Ich vermisse genügende Betonung dieses wichtigen Urnstandes
bei den Grammatikern , die sich mit dieser Kürzung befaßt haben,
Wackernagel, Beiträge zur Lehre vom grieeh. Accent (Rect.-Progr.
Basel 1893) 22 und Osthoff, IF 5, 290 Anm. 1.
24 9. Abhandlung: P. Vollmer
Sprachperiode si quidem und siquidem als gleichberechtigt
nebeneinander ansetzen dürfen. Nehmen wir also einmal an,
ille fiele unter dieselbe Art der Kürzung, so würde ein Neben-
einander von llle und llle durchaus begreiflich erscheinen.
2. Die Kürzung durch Tonanschluß beschränkt sich keines-
wegs auf die Zusammensetzung mit quidem und quis, sondern
ist in weitem Umfange wirksam gewesen, hödie aus hö(d)-
died, sine aus sel-ne (Lex Bant., CIL P 583, 54 seine sufrayiö)
hatte schon Bücheier herangezogen; die oben (S. 9) behan-
delten Kürzungen quenquidem, quänquidem, dünquidem gestatten
uns auch die oft verglichenen, von„Anderen wieder verworfenen
Erklärungen von quasi aus quam-sei und nüdius1) aus num-
dius (die Syntax empfiehlt Ansetzung von num-, nicht nu~)
festzuhalten. Ein weites Gebiet hat Usener (Götternamen 311)
erschlossen durch Hinweis auf die Verbalkomposita operio, aperio,
oportet u. a. Zwar sind seine ersten Beispiele unglücklich ge-
wählt, da aperio, operio wohl richtig als fap-, op-verio erklärt
werden, aber oportet wird durch Vokalassimilation aus "opertet
entstanden sein, das ich als ob partem est "es gehört zu (meinem,
deinem) Teile' verstehe. Sicher gehört hierher ömitto aus om-
mitto = obmitto: die Bedeutung erklärt sich leicht: wie ob-
tineo heißt etwas (im Kampfe gegen einen andern) festhalten,
so omitto etwas (im Widerstreit) fahren lassen, ganz deutlich
noch Plaut. Amph. 240 animam omittunt prhis quam loco de-
migrent. Daß die Kürzung sich in omitto gehalten hat, in
ämitto nicht durchgedrungen ist, kann nicht wundernehmen:
in amitto schützte der Zusammenhang mit der lebendigen Prä-
position a die Länge, in omitto schwand das Bewußtsein der
Zusammensetzung leicht. Noch unerklärt ist das merkwürdige
Nebeneinander von pro- und pro- in den zusammengesetzten
Verben: ich glaube es in einfachster Weise so zu begreifen:
pro ist in der Komposition ursprünglich durchweg infolge von
Tonanschluß zu pro- gekürzt worden ; wo aber der Zusammen-
l) Die Kürze des u sicher durch Plaut., Cure. 17. 206, Most. 956,
Truc. 91. 509, vgl. Cist. 230, Caecil. com. 74'.
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein. 25
hang mit der Präposition mächtig war, wurde überall prö-
hergestellt: Musterbeispiel ist pröficiscor neben pröficio. Daß
dabei Schwankungen eintraten (z. B. pröfecturus Plaut. Trin.
149) ist selbstverständlich; aber die ältesten und teilweise un-
deutlich gewordenen Komposita weisen meist pro- auf, z. B.
procella, proceres, procul, profanus, profatus (Enn. ann. 563),
profundus, pronepos, propago, properus, propiäus, propudium,
protinam. Die beiden Wörter profanus und pronepos sind noch
besonders wichtig, weil sie sicher aus pro fano und pro nepotc
abgeleitet sind; bei einer anderen solchen präpositionalen Ver-
bindung greifen wir die Kürzung noch mit Händen: pröfecto
ist gekürzt aus pröfacto(d); wir lesen bei Plautus neben über
100 mal vertretener Betonung pröfecto noch 3 mal die Tonge-
büng pröfecto (Mil. 185a. 290, Poen. 907), pröfecto ist also di-
rekt hödie an die Seite zu stellen. Auch pröprius ziehe ich
hierher, das ich (anders als W. Schulze, Rom. Eigennamen 111)
von prö-preivöd ableite. Recht glaublich ist auch noch die
Annahme der gleichen Kürzung in einem ähnlich gebildeten
Adverbium.
quomodo (auch bei Plaut, bisweilen durch andere Wörter
getrennt) wird gewöhnlich gemessen und betont quömodö (vor
Konsonant 13 mal Plaut., 1 mal Ter., dazu als Versschlulä 18:5;
beachte noch Rud. 1069 quömodö habeäs, wenn das richtig ist),
betont quomodo nur Mil. 1206, Most. 462 und in w « _ Pe.
795. 796; quomodo steht so betont vor Vokalen bei Plaut.
15 mal, bei Ter. 5 mal, sodaß es als quomodo gelten könnte
(nur schwerlich Ter. Phorm. 756, deutlich quömodö in - ~ —
Gas. 875); die gleiche Messung ist möglich an den Stellen
Epid. 706 quomodo me, Pseud. 675, Trin. 602. 855, Ter. Eun.
E
716 quomodo hinc äbeam nescio (so beide Rezensionen), und
sicher vorzuziehen Mil. 96 quomodo ad hünc und Pseud. 1245
3
quomodo vös (so AP).
Soweit zunächst über die mir sicheren Beispiele1) dieser
!) Das 4 mal sich findende ecasior Most 273, Truc. 107. 583, Ter.
-<"» 9. Abhandlung: F. Vollmer
Kürzung, andere (nempc, inde, unde) werden unten noch zu
besprechen sein. Die Kraft dieser Kürzung durch Enklisis ist
offenbar ebenso groß gewesen wie die der Iambenkürzung: wir
finden nicht nur sei zu si, tu zu tu u. ä. gekürzt, sondern so-
gar nösquidem, autquidem und vielleicht gar meüequidem, meäs-
quidem, daneben aber haben wir ein für uns ganz besonders
wichtiges Beispiel Mquidem aus *hÖ-quidem wie Idee aus hocc,
also Verflüchtigung eines kurzen Vokals auf den Stand der
unbetonten Silbe1): das bedeutet also: der Ton verteilt sich
Andr. 486 würde ich gerne hierherzieken, aber alle vier Stellen können
durch IK verstanden werden, vgl. Skutsch, Kl. Sehr. S. 95. Bei equidem
ist der erste Konipositionsteil unsicher: wäre er cd-, so hätten wir Kür-
zung durch Tonanschluß; ist er aber ego, so wäre die Entwicklung über
*egiquidem durch Haplologie einfach.
*) Die zuerst von Skutsch (Bezz. Beitr. 21, 1895, 84 = Kl. Sehr. 78)
mit aller Reserve vorgetragene, dann aber wie es scheint allgemein an-
genommene Ansicht, der Nom. Ine verdanke sein i dem. Vorkommen an
unbetonten Stellen im Satze, ist bei der Natur des Pronomens nicht eben
wahrscheinlich: die betonte Verwendung überwiegt doch allzu sehr. Die
Analogie von hzquidem befreit uns von dieser Verlegenheitsannahme: die
Komposition und Bildung des Wortes selbst hat von ho-ce zu hiee ge-
führt. Darnach ist vielleicht auch im Nom. illiquidem und istiquidem zu
schreiben, nicht illiquidem, istiquidem. — Ich stehe nicht an nunmehr
auch das i in msi, nihil, nimis ebenso durch Tonanschlußkürzung aus
ne- bei der Komposition zu erklären: es erscheint mir das einfacher und
natürlicher als auf unbetonte Stellung auch dieser Wörter (so Lindsay-
Nohl S. 701) oder nur auf Vokalassimilation (so Stolz, Lat. Gramm. I4 73
und Sommer. Handb.2 § 79, 2 A, S. 113) zurückzugreifen. Wir sollten dann
freilich ebenso n'ique statt neque erwarten (wie undique aus unde-que),
aber da ja auch nefas das e nicht in i geändert hat, so erhellt, daß das
tonlose i nur eintrat, wenn folgendes i diesen Klang empfahl. — Weiter
stelle ich hierher die Umformung von iv, en zu in: daß die Vorsetzung
von Präpositionen Tonanschlußkürzung hervorrief, haben wir oben (S. 24)
für pro- und omitto gesehen; höchstwahrscheinlich ist die gleiche Kürzung
bei der Privativpartikel d-, lat. *en; sie trug als erste Silbe von Natur
den Hauptton genau wie tu in tüquidem, ihr Vokal mußte also vor Vo-
kalen zu t sinken und z. B. *en-aptos zu ineptvs werden. So kommen wir
um die immerhin mißliche Ansicht Sommers herum (s. Handb.2 98 Anin.i,
das privative in- sei im allgemeinen nach der Präposition analogistisch
umvokalisiert worden.
Kürzung durch Toiianschluß im alten Latein. 27
so .sehr auf die ganze zusammengeschlossene Silbengruppe, daß
für die erste nur die Klangkraft der unbetonten Silbe übrio--
bleibt. Kürzung von o könnte nun aber auch in ille vorliegen.
Und diese Annahme würde zugleich zur Lösung des oft be-
sprochenen Problems führen: wie verhält sich ille zu ollits,
olhn? Die bei Walde s. v. ille gesammelten Versuche (ille
aus olhis nach iste und is mit Vanicek, oder ille aus *is-le
nach Brugmann) befriedigen aus verschiedenen naheliegenden
Gründen nicht. Alles versteht sich zum besten, wenn wir ille
entstanden sein lassen aus *ol-se mit demselben Suffix -se, das
in -pse steckt; *6lse mußte über *Ölle mit Kürzung durch Ton-
anschluß zu *ülle werden, und dies ist sicher in Anlehnung an
is zur Differenzierung von ullus zu ille umgefärbt worden. So
würden wir aufs einfachste begreifen, wie ille noch bei den
Skenikern eine doppelte Messung des Stammes aufweisen konnte;
erst mit der Fixierung der Prosodie durch Ennius hörte das
auf. Eine Stütze findet diese Erklärung von ille in der Pa-
rallele von is-te, dessen Komposition wohl kaum noch um-
stritten wird: lassen wir für iste dieselbe Kürzung zu wie für
isqaidem, so erklärt sich auch seine Doppelgeltung ohne Mühe.
Ohne jedes Bedenken rechne ich auch idem hierher: sicher ist
es (so Havet, Mem. de la soc. de ling. 4, 230, Osthoff IF 5,
290 Anm. 1) aus id-dem gekürzt; ich halte es, wo doch osk.
isi-dum in gleicher Bedeutung sichersteht, für ganz verfehlt,
ai. id-am und osk. pid-um mit anderem Suffix in anderer Be-
deutung heranzuziehen (die Literatur s. bei Stolz, Handb.4
219, 3); anders natürlich quid-em.
Ich möchte nun aber nicht so weit gehen und die von
Skutsch gelehrte Endsynkope von ille und iste leugnen, viel-
mehr meine ich, Livius Andronicus und seine Nachfolger haben
für die Bühnenverse beide von der Sprache gebotenen Mög-
lichkeiten ausgenutzt, Endsynkope für die auf -e ausgehenden
Formen, die Stammkürzung für die Formen mit schwereren
Endungen.
Die Frage wird besonders dringend für nempe, denn daß
diese Partikel aus nam-pe entstanden ist, ist mir ebenso sicher
2S 9. Abhandlung: V. Vollmer
wie ßirt, a. a. 0. 250. Das alte nemut, von Pestus S. 162 aus
Naevius (Zitat fast ganz zerstört) zitiert und zweifelnd als
cnisi etiam' vel 'nempe' erklärt, darf uns nicht irre machen,
denn es ist auch gleich nam-ut. Nun sieht es so aus, als ob
nempe die gleiche Vokalschwächung erlitten habe wie hie oder
hiqnidem, nur wurde ä vor Doppelkonsonanz zu e. Man könnte
daraus auf Tonanschlußkürzung schließen und nempe als Pyr-
richius ansetzen wollen, wie Birt das getan hat. Aber der
Schluß ist nicht sicher: Birt hat selbst (a. a. 0. S. 250) igitur
verglichen, und in der Tat ist die syntaktische Verwendung
von igitur und nempe so verwandt, daß die Vokalschwächung
bei nempe ebenfalls wie bei igitur durch Tonlosigkeit im Satze
erklärt werden darf. Anders z. B. namque.
Auch bei inde und wohl auch bei unde ließe sich Kürzung
der Stammsilbe ähnlich begründen wie bei hice; da aber hier
die Parallelen proinde : proin und deinde : dein vorliegen, ziehe
ich ebenso wie für nempe vor bei der Erklärung Skutschs zu
verbleiben.
Als letztes zweifelhaftes Wort sei immo behandelt. Was
C. F. W. Müller (Pros. S. 439 f., danach Leo zu Amph. 726)
darüber lehrt, genügt nicht, weil seine Stellensammlung nicht
vollständig ist; für Terenz vgl. Dziatzko zu Phorm. 936, H auler,
Einl.2 S. 57, 1. Zunächst wird es uns nicht irre machen, wenn
wir für immo, das sich bei Plaut. 206 mal, bei Ter. 65mal
findet — (betont etwas häufiger immo als immo; besonders deut-
lich, außer wo immo vor Konsonant steht, bei Plaut, etwa
50 mal, die Stellen mit immo in der vorletzten Senkung: Capt.
933, Merc. 708, Pers. 613, Ter. Haut. 350, Pompon. com. 21;
natürlich sehr viele Stellen mit undeutlicher Quantität) — nur
verhältnismäßig wenige Stellen mit notwendiger Kürzung der
ersten Silbe antreffen: das sind wir ja bei dieser Tonanschluß-
kürzung schon gewohnt. Sie ist überliefert in folgenden Versen:
Amph. 726 in somnis fortässe. :: immo vigilans vigilantem. :: ei
(uae Hss.) misero mihi, wozu gleich bemerkt sein mag, daß
die Verwendung von im- als brevis brevians durchaus dem
Gebrauche bei hodie und quasi entspricht, also die Kürzung
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein. 29
der Endsilbe des iambischen Wortes völlig in Ordnung ist.
Aul. 262 ist die Überlieferung hödie quin faciämus numquae
caüsast? :: immo edepöl öptuma, durch den Prokeleusmatiker wenig
glaubhaft und doch wohl mit Brix (weniger gut Lindsay) um-
zustellen numquae causast quin faciämus hödie? :: immo edepol
öptuma. Gas. 362 beseitigt die Lesung istum statt istunc die
Kürzung von immo, die an sich (immo istunc) ohne Bedenken
ist. Cist. 565 immo meretrix fuit, sed ut sit de ea re, eloquar
ist die Streichung von meretrix ja ohne Störung des Sinnes
möglich, aber keineswegs nötig. Cure. 59 steht neben der
Messung immo ut illam censes? die andere immo ut illam cen-
ses? zu Recht. Epid. 279 f. ist, da keine Parallelstelle für die
Phrase vorliegt, doch wohl das Einfachste zu lesen nisi qui-
d(em) tua \ secus sententidst : : immo döete. 421 ist die Emen-
dation des Versendes unsicher. Merc. 732 bestehen zwei Mögr-
lichkeiten der Messung: non tu scis quae sit illa? :: immo iam
scio oder quae sit illa :: immo; ebenso 738 immo sie : sequestro
oder immo sie sequestro. Mii. 245 ist das überlieferte ut sinn-
los und mit Bentley zu streichen wie v. 91; damit entfällt die
Messung immo. Most. 583 ist die Entscheidung zwischen den
Messungen immo äbi domum, verum hercle dico, äbi domum und
immo äbi domum, verum h. dico, abi domum schwer. Most.
1091 macht die Verderbnis der ersten Vershälfte sichere Le-
sung der zweiten unmöglich. Poen. 669 stehen wieder zwei
Messungen zur Wahl: immo ut ipse nöbis oder immo ut ipse
nobis. 1231 ist wohl zu lesen immo hercl(e) dixi quod volebam.
Stich. 550 zu messen rimmo düas dabo* inquit ille oder immo
düäs. 704 ist Messung wie Lesung höchst zweifelhaft. Von
den Plautusstellen geben also höchstens zwei oder drei eine
gewisse Sicherheit für immo. Besser steht es um die folgenden
Stellen: Caecil. com. 128 ist immo vero im Senareingang ein-
wandfrei überliefert; denn auch bei Ter. steht dieser Vers-
anfang sicher Phorm. 936, Hec. 877, auch Hec. 726 gibt so
AF, während BCEP das vero fälschlich auslassen; dazu Hec.
437 immo quod (daneben immo vero Phorm. 1047, unsicher ob
immo vero oder immo vero Andr. 854). Eun. 389 geben die
30 9. Abhandlung: P. Vollmer
Hss. außer A (und B?) iübeo immo cögo atque impero. Auch
in der nicht seltenen Formel immo cnim vero (Plaut. Capt. 608,
Ter. Phorm. 528, Pacuv. trag. 366, Acc. trag. 667, aber immo
enim vero Ter. Eun. 329) kann immo gekürzt sein.
Das Nebeneinander von (seltenerem) immo und Immo spricht
also dafür, daß auch dies Wort unter die Tonanschlußkürzung
gefallen, demnach mit en- komponiert ist. Wie der zweite Be-
standteil zu deuten ist, vermag ich freilich nicht zu sagen: die
bei Walde s. v. verzeichneten Erklärungen befriedigen wenig.
Kürzung durch Tonanschluß im alten Latein.
31
Verzeichnis der behandelten Wörter und Wortgruppen.
Seite
ecastor 25, 1
cquidem 25, 1
hie 26, 1
hiquidem 12. 26
hoc quod 22
horfie 24
idem 27
idne 22
id quod 22
llle und Kasus 22 ff.
Itnmo 28
in 26, 1
in- 26, 1
nefas 26, 1
nempe 27
neque 26, 1
nihil 26, 1
nimis 26, 1
rast 26, 1
nosne 22
nudiiis 24
omitto 24
oportet 24
perque 22
pro- 24
profecto 25
proprius 25
quasi 24
quidem muh
at 11
Seite
quidem nach
mit 12
cum 10
dum 9
ego 16
et 10
hie und Kasus . . . . 12 ff.
iam 10
ille und Kasus . . . 17. 26, 1
is, id 8
iste 17. 26, 1
me, mihi 7. 15
meus und Kasus . . . . 15. 16
modo 18
nam 10
nimis 18
nisi, ni 6
nos 11
nunc 10
pol 11
postquam 18
potius 18
quando 14
qui und Kasus . . 8. 9. 12. 16
quom 10
scio 18
si 4
tarn 10
tamqumn 18
tu und Kasus 7. 15
32 9. Abhandlung: F.Vollmer, Kürzung durch Tonanschluß usw.
Seite
quidem nach
tun 16
ros 12
Ut 11
utmam 18
quid quod 22
quis, quid nach
ec- 18
ne 20
nutn 21
quis- 21
Seite
quis, quid nach
si 19
quisve 22
quive . 22
quodne 22
quodque 22
tjuodve 22
quömodo 25
sine 24
si quidquam 22
tute 22
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Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 10. Abhandlung
Beiträge zur Geschichte
des korinthischen Bundes
von
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Ulrich Wilcken
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Vorgetragen am 7. Juli 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franzseben Verlags (J. Roth!
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Sitzungsberichte
der
Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
Philosophisch-philologische und historische Klasse
Jahrgang 1917, 10. Abhandlung
Beiträge zur Gesehiehte
des korinthischen Bundes
von
Ulrich Wilcken
Vorgetragen am 7. Juli 1917
München 1917
Verlag der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften
in Kommission des G. Franzschen Verlags (J. Roth)
Die Verhandlungen, die Köni>g Philipp im Jahre 338/7
auf dem Kongreß zu Korinth mit den Staaten Griechenlands
geführt hat, sind historisch von so hoher Bedeutung, daß es
im höchsten Maße zu bedauern ist, daß die darüber uns er-
haltene Tradition nur aus Fragmenten besteht. Von ver-
sprengten Notizen abgesehen haben wir größere Exzerpte aus
historischen Darstellungen nur bei Diodor XVI 89 und Justin
IX 5. Dazu kommen die wichtigen Zitate aus dem von Ale-
xander 336 geschlossenen Vertrage in Ps. Demosth. 17, die
deswegen von so großer Bedeutung für die Rekonstruktion des
philippischen Vertrages sind, weil die Inschrift Ditt. Syll. P
260a uns gelehrt hat, daß Alexander den Vertrag seines Vaters
soweit möglich wörtlich übernommen hat. Weiteres läßt sich
aus den Erzählungen über Erneuerungsversuche späterer Macht-
haber, wie namentlich aus dem Diagramma des Philippos Arrhi-
daios (resp. des Polyperchon) vom Jahre 319 bei Diod. XVIII
56, erschließen. Endlich haben wir einige gleichzeitige Zeug-
nisse in jenen Inschriftenfragmenten, die Adolf Wilhelm in
den Sitzungsberichten der Wiener Akademie 165, 6 (1911) grund-
legend behandelt hat (s. unten Abschnitt 4). Also Fragmente,
nichts als Fragmente, bei Schriftstellern wie auf Steinen!
Es ist bei dieser Lage nicht zu verwundern, daß noch
viele Punkte kontrovers sind, und manche Fragen, die sich dem
Historiker beim Durchdenken der wichtigen Vorgänge auf-
drängen , noch kaum gestellt , geschweige denn erledigt
sind. Wiewohl manche eingehendere Darstellungen der Ver-
handlungen zu Korinth vorliegen,1) glaube ich doch, daß über
x) Von älteren Arbeiten nenne ich: K. G. Böhnecke, Forschungen
auf dem Gebiet der attischen Redner (1843), S. 600 ff., auch 622 ff. und
1*
4* lü. Abhandlung: U. Wilcken
die Formen, in denen diese Verhandlungen geführt worden
sind, noch genauere Vorstellungen gewonnen werden können,
und da die Erkenntnis dieser Formen noch tiefer in das Ver-
ständnis der politischen Bedeutung dieser Vorgänge zu Ko-
rinth einführen, möchte ich im folgenden einige Untersuchungen
vorlegen, durch die ich nach dieser Richtung weiter vorzu-
dringen versucht habe.1)
1.
Diodor und Justin.
Ich beginne mit einer Analyse der beiden einzigen zu-
sammenhängenden Berichte, die uns über die korinthischen
Verhandlungen wenn auch nur in Exzerpten überliefert sind.
Da ich auch weiterhin immer wieder auf sie zurückgreife,
setze ich sie im Wortlaut hierher.
Diodor XVI 89.
§ 1. 'Em de tovtcov (337/6) QUinnog 6 ßaodevg Jte-
(pQOVfjjaanojuevog rfj negl Xaigcbveiav vixfl xal rag imcpave-
Arnold Schäfer, Demosthenes und seine Zeit III (1858), S. 45 ff., III2
S. 49 ff, von neueren: J. G. Droysen, Geschichte des Hellenismus I2
(1877), S. 42 ff, vgl. 103 ff., 162 f. U. Köhler, Sitzber. d. Berl. Akad.
1892, S. 510 ff., 1898 S. 120. B. Niese, Geschichte der griechisch-make-
donischen Staaten 1 (1893), S. 37 ff. L. von Ranke, Weltgeschichte I5
(1896), S. 151 ff., vgl. 157. J. Beloch, Griechische Geschichte II (1897),
S. 572 ff. 606. J. Kaerst, Syb. Bast. Z. 38 (1895), S. 13 ff. Rhein. Mus.
52 (1897), S. 519 ff. Geschichte des hellenistischen Zeitalters I1 (1901),
S. 210ff. 426f., vgl. jetzt I2 (1917), S.268ff. 526ff. A. Wilhelm, Sitzber.
d. Wien. Akad. 165, 6 (1911). R. v. Pöhlmann, Griechische Geschichte
und Quellenkunde, 5. Aufl. (1914), S. 283 f.
x) Die folgenden Ergebnisse habe ich im wesentlichen im Anschluß
an Seminar-Übungen im Winter 1916/17 gewonnen. Erst nachträglich
wurde mir die 2. Auflage von Kaersts „Geschichte des Hellenismus", wie
sie jetzt heißt, bekannt. Da ich gerade in den hier behandelten Pro-
blemen mehrfach von ihm abweiche, schien mir das Erscheinen seiner
zum Teil neuen Darstellung die Veröffentlichung meiner Ergebnisse nicht
überflüssig zu machen.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 5
oxdxag noXeig xaxouiETzX.rjy jievog iquXoxijUEixo yeveofiai Jidotjg
xfjg EXXddag fjye/iicov. § 2. Aiaöovg de Xoyov ort ßovXsxai
Jigög TJsQoag vjieq xcov 'EXXrjvcov jioXejuov ägaofiai xal Xa-
ßeiv Jicto' avxcöv dixag vjieq xfjg eig xä legd yevojuevrjg Jiaga-
vojuiag lölovg xovg "EXXijvag xaig evvoiaig enoirjoaxo. &1X0-
(pQovovfievog de Jigög anavxag xal löiq xal xoivfj xdig jioXe-
oiv änerpalvexo ßovXeo&ai diaXe%&fjvat jieqI xcöv oviJ-CpEQOvxwv.
§ 3. Aiotteq ev KoQivfiq) xov xoivov ovveÖqiov ovvax&h'xog
diaXE%&Eig jieoI xov Jigög TlEQoag jioXejuov xal fXEydXag iX-
jiidag vrcov^Etg jigoEXQEipaxo xovg ovvEÖoovg Eig jioX^e/uov.
TsXog dk xcöv 'EXXyjvcov eXo/uevüjv avxov oxgaxijybv avxoxgd-
xoga xfjg EXXAdog /usydXag JiagaoxEvdg ejioleTxo Jigbg xtjv
im xovg nsgoag oxgaxEiav. Aiaxdg'a.g <5' ixdoxt] jioXei xb
jrXfj&og xa>v slg ovjiif.ia](iav oxgaxicoxöjv EJiavfjXi&EV Eig xr\v
Maxsdoviav.
Der Sieger von Chaeronea hat sein Lebenswerk, die Auf-
richtung des großen raacedonischen Balkanstaates, damit ge-
krönt, daß er die besiegte Griechenwelt in feste Abhängigkeit
von Macedonien brachte. Ein Meister der Diplomatie und
Staatskunst hat er es verstanden, die für ihn allein maßgeben-
den macedonischen Interessen mit dem panhellenischen Pro-
gramm in Einklang zu bringen, das Isokrates ihm schon seit
Jahren vorgehalten hatte.1) Dies Programm gipfelte in der
Einigung der Griechen und der Führung eines Rachefeldzuges
gegen Persien. Den ersten Punkt erfüllte Philipp in der Art,
daß er in Korinth — abgesehen von den sich ausschließenden
Lacedämoniern — alle souveränen Griechenstaaten2) zu einem
M Zuerst im <PiXtn7iog von 346.
2) Daß der Hellenenbund nicht, wie früher meist angenommen
wurde, nur bis zu den Thermopylen hinaufreichte, sondern ganz Grie-
chenland einschließlich der Thessaler und Perrhäber umfaßte, also sich
bis an die Grenzen Macedoniens erstreckte, hat uns Wilhelm gelehrt
durch seine glänzende Entdeckung, daß IG II 184 zu IG II 160 gehört
(Wien. Sitzber. 1. c), vgl. jetzt auch Ditt., Syll. I8 260. Wenn Wilhelm
aber, gestützt auf seine Ergänzung 'E?.£t/.i]ia>Tcöv, annimmt, daß auch die
Macedonier dem Bunde angehört hätten und im Synhedrion durch Ab-
geordnete vertreten gewesen seien (S. 18), so .halte ich dies ebenso wie
6 10. Abhandlung: U. Wilcken
durch ein ovveÖqiov zu vertretenden Hellenenbund1) zusammen-
faßte, mit dem er den allgemeinen Frieden {fj xoivrj elQrjvt])
jetzt auch Kaerst (Hell. I2 528 f.) sachlich für ganz ausgeschlossen. Der
Gegensatz zwischen den Maxsdöveg und den "EXXrjveg — ich spreche hier
nicht von der ethnographischen Streitfrage — war damals und noch
lange ein so tiefer, daß die ersteren unmöglich einem Bunde angehören
konnten, dessen Mitglieder offiziell als ol "E).h]reg bezeichnet wurden
(s. unten). Man braucht nur die Geschichte Alexanders und der Dia-
dochen in den Quellen zu lesen, um dies zu sehen. Um nur ein Argu-
ment herauszugreifen: wie hätte man den gegen Macedonien geführten
lamischen Krieg den 'EXXijvtxoe nöXs/xog nennen können (vgl. Note 6 zu
Ditt., Syll. I3 317), wenn der Begriff "EX.Xrjv nicht in scharfem Gegensatz
zu Maxedwv gestanden hätte? Andrerseits können nur souveräne Staaten
auf dem Bundestag vertreten gewesen sein. Darum finden wir dort z. B.
den Teil Perrhäbiens vertreten, den Philipp in Macedonien nicht ein-
verleibt hatte (A. Rosenberg, Hermes 51, 503). Aus demselben Grunde
kann aber die Eleimiotis nicht zu den Bundesmitgliedern gehört haben,
da diese Landschaft damals einen festen Bezirk des Königreichs dar-
stellte (A. Rosenberg S. 500. 507 f.). Die Ergänzung 'EXeif.iJtojxcöv ist
daher aufzugeben. Sollte nicht trotz der Bedenken Wilhelms S. 24 mit
Köhler \4%auov <P&]ia>xojv zu lesen sein? Macedonien stand also neben
dem Synhedrion des Hellenenbundes genau so wie Athen im IL attischen
Seebund neben dem Synhedrion der ovfif.ia%oi. Zustimmung fand Wil-
helms entgegenstehende Auffassung bei R. v. Scala, Das Griechentum
in seiner geschichtlichen Entwicklung (Aus Natur und Geisteswelt)
1915, S. 65.
*) Der Hellenenbund wird von Arrian III 24, 4 als xo xoivov xwv
'EXXr\voiv bezeichnet: oxi SiveojesTg ovxe xov xoivov xwv 'EXX.tjvcov fiezeT%ov.
Auch in der Chronik von Oxyrhynchos (Pap. Oxy. I 12 III 9 ff.) begegnet
dieser Ausdruck: to xoivov xcöv 'EXJ.rjvcov ovvslüövzes — siXavxo, doch ist
hier offenbar das xoivov ovveSgtov gemeint. In gleichzeitigen Quellen
habe ich diesen Ausdruck nicht gefunden. Vielmehr scheint der offizielle
Name des Bundes ol "EXXrjveg gewesen zu sein. Vgl. Ditt., Or. Gr. I 8, 5
(Eresos): 7i6Xe(.iov i$E[vt]xd/ievog ngog 'AXs^avögov xal toig"EXXavag, wo der
Bund mit seinem fjysutov an der Spitze gemeint ist. Ebenso bei Arrian
II 2, 2: rag oxrjXag xag ngog 'AXifavdgov xal xovg "ElXrjvae yevo/uevag acpiai.
Danach ist auch die Weihinschrift an die Athena nach der Schlacht am
Granicus zu erklären : 'AXJfavSgog Q^dinnov xal oi "EXdrjvsg TiXrjv Aaxsöai-
(tovioiv anb xcöv ßagßdgoiv xcöv xrjv 'Aaiav xaxoixovvxojv (Arrian I 16, 7).
Ich sehe darin eine Weihung des Bundes, die auf dem Schlachtfeld ein-
seitig vom oxgaxrjyog avxoxgäxoug angeordnet ist (ixiX.evoev Arrian). —
Nebenbei bemerke ich, daß diese Formeln rein politisch aufzufassen sind
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 7
und ein Schutz- und Trutzbündnis (ovjujua^ia)1) schloß, kraft
dessen er als fjyejLi<bv xfjg 'EXladog an die Spitze des Bundes
trat und das Kommando über die griechischen Kontingente zu
Bundeszwecken erhielt, während er andrerseits den Griechen
ihre £Ä.ev&eQia und avrovojuia, sowie den Schutz des Landfrie-
dens, Freiheit der Meere etc. garantierte.2) Den zweiten Punkt
und daher nicht, wie von Kaerst, Hell. I2 157, für das ethnographische
Problem der Macedonier verwendet werden dürfen.
1) Nach dem Inhalt wird der Vertrag als elgrjvij und ovfi(j.ayia cha-
rakterisiert von Arrian III 24, 5: dcpfjxsv de y.ai zcöv ä).).cov'Elb)vcov, oaoi
jiqo zfjg stQTJvTje rs xai zfjg q~vfi{iayjag zfjg jzgog Maxsdövag yevo[iev?]g xagä
ffigaaig ijutodotpögow. Übrigens sprechen auch diese Worte gegen Wil-
helms Ansicht, daß die Macedonier dem korinthischen Bunde angehört
hätten. Denn wenn die Hellenen — oder wie Arrian wenige Zeilen vor-
her sagt rö xoivbv zcöv 'EV.^vmv (s. vorige Anmerkung) — eine Syrnma-
chie mit den Macedoniern schließen, so können eben die Macedonier
nicht zu den Hellenen gehört haben.
2) Die Garantie der skev&sgia und avzovo/,it'a stand sogleich im An-
fang der avvdfyxai. Vgl. Ps. Dem. 17, 8. Auch ich möchte wie Kaerst,
Rhein. Mus. 52, 537 ff. annehmen, daß die Griechen ebendort auch als
a<poovo7]zoi und d<pogo).6yrjzoi bezeichnet waren, ersteres wiewohl macedo-
nische Besatzungen in Korinth, Chalkis, Theben, Ambrakia lagen. Von
dem Bundesvertrag des Antigonos Doson und Philipp V., der eine Wieder-
belebung des alten philippischen darstellte, steht es fest, daß er diese
Formel enthielt (Pol. IV 25, 7), wiewohl Antigonos Korinth mit einer
Besatzung belegt hatte. Zu diesem Argument, das schon Kaerst anführt,
sei ein anderes hinzugefügt, das direkt für unseren Philipp zeugt, der
Scholiast zu Dem. Kranzrede 89, S. 255, 12: zfjg vvv stgrjvTjg] zfjg im'AXs-
g~avdgov. — lansiaazo ydg xai avzog ngog avzovg coozieg 6 Tiazrjg wate
avzovg avzovdfiovg slvai xai dcpogokoyrjzovg , 6'ficog jxivzoi. VJiaxovetv avzcö
y.ai y.aza yfjv xai y.azd -ddkazzav. Vgl. A.Schäfer, Demosthenes III2 52
A. 4. Ich sehe keinen Grund, weshalb wir dieser Tradition mißtrauen
sollten; auch das vnaxovsiv (wenn vielleicht auch nicht wörtlich) kann
zu Recht bestehen, wenn man es nur auf den militärischen Gehorsam
bezieht, den der tjy£tua>v in den Bundeskriegen verlangen mußte (xai
xaza yfjv xai xaza ddXazzav). Vgl. auch Diod. XVI 1, 4: zfjg /nev 'EUd-
8og djidatjg Jiagelaßs zfjv yye/iortav ixovaicog zcöv nökecov vnozazzofie-
vcov. Dann zeigt die Stelle, daß Ps. Dem. 1. c. den Passus auf alle Fälle
nicht genau ausgeschrieben hat, wenn er nur von ilev&sgi'a und avzo-
vofxia spricht. Für seine Zwecke genügte dies. Wahrscheinlich hatte
Antigonos Doson seine Formel dem philippischen Vertrag von 338/7 ent-
8 10. Abhandlung : U. Wilcken
erfüllte er dadurch, daß er unter Aufnahme jenes panhelle-
nischen Schlagwortes den Rachekrieg gegen Persien prokla-
mierte, natürlich nur, weil dieser Krieg auch im Interesse
Macedoniens lag.
Über die zeitliche Abfolge dieser Verhandlungen sind neuer-
dings Kontroversen entstanden, im besonderen über die Frage,
ob wir zwischen einer „konstituierenden Versammlung", in der
der erste Punkt des Programms erledigt wurde, und einer da-
rauf folgenden „Kriegssitzung" für den zweiten Punkt zu schei-
den haben (s. unten). Um so mehr ist der oben abgedruckte
Bericht des Diodor einer genauen Prüfung zu unterziehen.
Diodor schweigt hier über die Neuordnung Griechenlands, wie
sie in Korinth festgelegt wurde, und spricht nur vom Perser-
krieg. A priori ist nach dem, was wir von Diodors Arbeits-
weise kennen, anzunehmen, daß dieses Überspringen auf Diodors
Rechnung zu setzen ist, und daß wahrscheinlich in seiner Vor-
lage auch jene Neuordnung dargestellt gewesen ist, wodurch
für uns die Aufgabe entsteht festzustellen, wo bei ihm die
Lücke anzusetzen ist. Gegen diese Annahme könnte vielleicht
sprechen, daß auch Polyb. III 6, 13, mit dem sich Diodor so
nommen. Vergleicht man diese macedonische Formel bei Polyb. IV
25, 7 : ä<pQOVQrjTov?, a<pogokoy^zovg, SkevßeQovg ovzag, jioXizslaug xal vö/iioig
XQcofiivovg xoTg nargioig mit der Freiheitsformel in dem Dekret des Fla-
mininus von 196 bei Polyb. XVIII 46, 5: ü.EvdeQovg, arpgovgijzovg, ä<po-
QoXoyrjzovg, vojxoig ygo3[.ievovg zoTg jiazgloig , so liegt der Gedanke nahe,
daß Flamininus absichtlich die macedonische Formel übernommen hatte.
Dies wäre auch historisch begreiflich, führte er damit doch handgreif-
lich den Griechen vor Augen, daß Rom als Beschützerin der griechischen
Freiheit an die Stelle Macedoniens getreten war. Dagegen erheben sich
viele Bedenken gegen die Annahme, die Täub ler in seinem scharfsin-
nigen Werk Imperium Romanum I, S. 434 zu begründen versucht hat,
daß der Königsfriede von 386 und das Dekret des Polyperchon von 319
(vgl. zu beiden unten Abschnitt 3.) Grundlage und Vorbild für die römi-
schen Freiheitsbestimmungen von 197 (Vertrag mit Philipp V.) und 196
( Dekret des Flamininus) gewesen seien. Daß gar die Athener den Fla-
mininus auf den längst außer Kraft gesetzten Königsfrieden hingewiesen
haben sollen (S. 436), ist mehr als unwahrscheinlich. Doch eine Wider-
legung im einzelnen würde hier zu weit führen.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. "
eng berührt, daß sie wahrscheinlich auf dieselbe Quelle zurück-
gehen1), nur vom Kriegsbeschluß spricht, sodaß zu erwägen
wäre, ob nicht schon diese gemeinsame Quelle nur vom Kriege
gesprochen hätte. Aber einmal schließt das Thema des Po-
lybius, der hier die wahren Gründe der Kriege von den Vor-
wänden resp. Anlässen unterscheidet, eine Erwähnung der
Bundesbestimmungen von Korinth geradezu aus, andrerseits
sind bei Diodor, der aus anderen Gründen, sagen wir aus Be-
quemlichkeit oder um zu kürzen, gleichfalls nur über den
Kriegsbeschluß sprechen wollte, doch noch Spuren davon zu
erkennen, daß ihm ein breiterer Bericht vorgelegen hat, in
dem auch jene Bundesbestimmungen dargestellt gewesen sind,
was wir um so mehr annehmen werden, als er auch sonst über
Philipp offenbar einer ausführlicher erzählenden Quelle ge-
folgt ist.2)
Diodor knüpft in diesem Kapitel unter dem Jahre 337/6
nochmals an die Schlacht von Chaeronea an, nachdem er vor-
her bereits die Schlacht selbst sowie ihre Konsequenzen für
J) So Kaerst, Hell. I2 526. Polybius sagt (ich drucke die mit Dio-
dor sich berührenden Worte gesperrt): ($lXuatog) — äpa zcö nsgutoi-
rioaodai zijv ex zcov 'EJ.Xrjvcov svvoiav 6/nokoyovfisvtjv, svßscog jiqo-
cpaosi xQwiievos Sri aitevbei /.iszeÄfieTv zijv üsgacöv nag avo/uiav elg
zovg "Elh]vag , OQfirjv sa/¥e xal tioos&ezo jtoZepsiv xal nävza Jigog
zovzo zo fiegog rjzoij.ia^e. Kaerst 1. c. hebt nur die Ähnlichkeit der
beiden ersten unterstrichenen Stellen mit Diodor § 2 hervor. Die Ähn-
lichkeit erstreckt sich aber auch auf §3, vgl. Diodor: jiQoezgsrparo.zovg
ovvsögovg elg nöXtfiov und /aeyakag Jiagaaxsvag sjiouizo xzX. Sachlich ist
von Wichtigkeit, daß auch nach Polybius Philipp es ist, der den Perser-
krieg proponiert hat, nicht etwa das Synhedrion. Übrigens ist zu be-
achten, daß trotz der evidenten Übereinstimmung der Teile ihre logi-
sche Verknüpfung in § 2 doch eine andere ist als bei Polybius.
2) Nach Ed. Seh war tz, Pauly-Wissowa V 683 lag dem Diodor für
die Geschichte Philipps „das Machwerk irgend eines rhetorischen Schul-
meisters vor", Taus einer Zeit, in der die dem 3. Jahrhundert noch fremde,
politische und ästhetische Anbetung des Demosthenes sich ausbildete".
Für die Bestimmung und Wertung der Quelle werden die in der vorigen
Anmerkung behandelten Beziehungen zu Polybius nicht ohne Bedeu-
tung sein.
1,1 10. Abhandlung: U. Wilcken
Athen und Theben unter dem Jahre 338/7 erzählt hat (c. 86/7).
Durch den Hinweis auf die Niederwerfung der imcpavEorarai
Tiöleiq (§1) nimmt er die mit c. 87 abgebrochene Erzählung
Avieder auf, und er führt sie fort bis zur Heimkehr Philipps
nach Macedonien (§ 3). Wenn er am Ende von § 1 es als
das (damals noch unerreichte) Ziel Philipps bezeichnet, ye-
veoftai 7idoi]q xfjg 'EXXdöog jjye/ucbv, so stehen wir damit noch
vor dem Kongreß zu Korinth, und genauer noch vor den kon-
stituierenden Verhandlungen, denn aus der Inschrift Ditt., Syll.
I3 260, 21 wissen wir, daß Philipp den Titel rp/E/xcov bereits in
dem mit den Hellenen geschlossenen Bündnisvertrage geführt
hat. *) Andrerseits zeigen die Worte xov xoivov ovvedgiov ovvay-
■devTog in § 3, daß die Verhandlungen über den Hellenenbund
inzwischen ihren Abschluß gefunden haben, denn diese Be-
hörde konnte erst berufen werden, nachdem sie durch die neue
Verfassung geschaffen war (s. unten). Übrigens legen gerade
diese Worte — man beachte den bestimmten Artikel zov\ —
den Gedanken nahe, daß in der Vorlage, die Diodor hier ex-
zerpiert, von diesem Synhedrion, also von der verfassungs-
mäßigen Begründung dieses Synhedrion, vorher schon gespro-
chen worden war. So stehen wir also mit § 1 vor und mit
§ 3 hinter den konstituierenden Verhandlungen.
Hiernach erhebt sich die Frage, wie wir die Angaben des
§ 2 chronologisch anzusetzen haben. Der erste Satz besagt,
daß Philipp dadurch, daß er das Gerücht ausstreute (diadcvg
Xoyov), er habe den Rachefeldzug gegen Persien vor, sich die
Sympathien der Griechen erwarb. Nach dem eben über die
Chronologie des § 1 Bemerkten ist es möglich, daß Philipp dies
l) Im Hinblick auf c. 60, 5 sjis&vftsi yag rfjg eE?J.d8og ajioder/ßijvai
oroaxrjyog avzoxQarcoQ xal xov jtQog IHooag i£eveyxeTv jio?.euov (schon für
346!) wäre es möglich, daß Diodor an unserer Stelle den fjyefxeöv mit
dem oxgaxtjyog avroxgdzcoQ verwechselt hätte (s. unten). Da das ganze
Exzerpt unseres Kapitels auf den Kriegsbeschluß hinausläuft, ist es in
der Tat nicht unwahrscheinlich, daß Diodor den zweiten Titel gemeint
hat, wie in c. 60. Um so mehr möchte ich aus seinem Wortlaut folgern,
daß seine Vorlage hier vom qysficov gesprochen hat. — Korrekt ist die
?]y€f.iovia in XVI 1, 4.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. H
schon in der Zeit zwischen der Schlacht von Chaeronea und
dem Zusammentritt des Kongresses zu Korinth, ebenso aber
auch, daß er es erst während der konstituierenden Verhand-
lungen getan hat. Einen terminus ante quem finde ich in
den sogleich genauer zu besprechenden Worten des Justin IX
5, 5, wonach die Griechen bei der Feststellung der Bundes-
kontingente während der konstituierenden Verhandlungen keinen
Zweifel daran hatten, daß Philipp einen Perserkrieg vorhabe.
War diese Überzeugung damals schon so zweifellos feststehend,
so wäre es überflüssig gewesen, wenn Philipp erst hinterher
jenes Gerücht ausgesprengt hätte. Vielmehr ist klar, daß jene
Überzeugung die Wirkung dieses diplomatischen Schachzuges
des Philipp war. Spätestens wäre dieses diadovvai Uyov also
in die Bundesverhandlungen und zwar vor die Feststellung
der Kontingente zu verlegen.
Vielleicht dürfen wir einen noch früheren terminus ante
quem in dem Brief des Isokrates finden, den dieser zwischen
dem Separatfrieden mit Athen und dem Zusammentritt des
Kongresses an Philipp geschrieben hat (Nr. 3).1) Nach seinen
Worten wurde schon damals von den Griechen allgemein im
stillen angenommen, daß Philipp sie gegen die Perser führen
wolle (§ 2): did ydg tbv äycbva röv yeyevrj/uevov (Chaeronea)
fjvayxaofisvot Jidvreg elolv sv (pQOvsiv xal tovtojv em&vßeiv, wv
viiovoovai os ßovXeo'&ai noäxTetv xal Mysiv, obg dei navoa-
fievovs rrjg juaviag xal rrjg nXeoveg'iag, T]v moiovvxo nobg äXkr\-
Xovg, elg rrjv 'Aotav tov nolsjuov e^EveyxeXv. Nach' Iso-
krates' Darstellung war das so sehr nach dem Wunsche Vieler
(d. h. der panhellenisch Gesonnenen), daß sie ihn baten, Phi-
lipp zuzureden, den Plan ja zu verwirklichen (§ 3 Tiaoaxelev-
eo&ai ooi xal ngorgeneiv im x&v avrcTjv xovtojv jueveiv; vgl.
§ 4 fit} xarajus?S]oat zovxcov, jiqiv äv rsXog sni&fjg avrolg).
Woher kam diese so weit verbreitete Annahme? Auch wenn
Philipp, wie wahrscheinlich ist, schon seit längerer Zeit diese
J) Zur Echtheit des Briefes vgl. jetzt P. Wendland, Nachr. Ges.
Wiss. Gott. 1910, S. 177 ff.
12 10. Abhandlung: U. Wilcken
Lösung der macedonisch -griechischen Frage als wünschens-
wertes Ziel vorgeschwebt hatte, spricht die politische Entwick-
lung der letzten Jahre doch wohl kaum dafür, daß er von
diesen Plänen schon früher, schon vor Chaeronea, den Schleier
gehoben hätte.1) Man müßte dann doch auch wohl im Pan-
athenaicus eine Rückwirkung davon verspüren. Es liegt auch
auf der Hand, daß die Rücksicht auf Persien ihm dies ver-
bieten mußte (s. unten). Woher also jetzt dieser Glaube im
griechischen Volk? Die schwere Niederlage bei Chaeronea und
das strenge Strafgericht über Theben mußten die schlimmsten
Befürchtungen erwecken. Erst das unerwartet gnädige Ent-
gegenkommen gegenüber Athen konnte Hoffnungen für die Zu-
kunft auslösen. Nun wissen wir, daß Philipp bei diesen Frie-
densverhandlungen mit Athen den ersten Teil seines Programms,
die Einigung Griechenlands, der die Basis für den zweiten, den
Perserfeldzug, schaffen sollte, bereits offiziell enthüllt hat, in-
dem er über die Mitwirkung Athens an der künftigen xoivyj
eiQi'p'7] und dem ovveöqiov sondieren ließ.2) Hat es nicht einige
Wahrscheinlichkeit für sich, daß er eben damals, wenn auch
aus triftigen Gründen (s. unten) inoffiziell und nur in Form
von vorsichtig ausgesprengten Gerüchten, seine letzten Pläne
in der griechischen Welt durchsickern ließ? Was Diodor als
Zweck und Erfolg dieser Gerüchte hinstellt, die Gewinnung
der griechischen Sympathien, mußte in der Tat für ihn von
größter Bedeutung für die Erreichung seines Zieles und im
besonderen für die bevorstehenden Verhandlungen zu Korinth
sein. Auch der Unterschied in dem Maß des Vertrauens, das
die Griechen nach Isokrates und andrerseits nach Justin 1. c.
hatten, spricht für einen gewissen zeitlichen Abstand: Isokrates
spricht von einem v7iovoeh>, Justin sagt neque enim dubium erat.
1) Diodors Worte diadovs de Xoyov xzl. zeigen vielmehr, daß er
dies erst nach Chaeronea getan hat. Man braucht nur anzunehmen,
daß Philipp damals durchblicken ließ, daß er schon lange diese Absicht
gehabt habe, um auch die Fragestellung in § 3 des Briefes zu verstehen.
2) Vgl. Plutarch, Phokion c. 16. Bezüglich der Zeitbestimmung
schließe ich mich A. Schäfer, Demosthenes III2 29 an.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 13
Diese Wandlung ist verständlich, wenn jener sich auf die Zeit
bald nach den Sonderverhandlungen mit Athen bezieht, als die
Gerüchte eben erst angefangen hatten zu wirken, während
dieser die Stimmung auf dem Kongreß wiedergibt, auf dem
Philipp nicht versäumt haben wird, im persönlichen Umgang
mit den Gesandten jene Hoffnungen zu stärken. So möchte
ich glauben, daß das diaöovg Xöyov Diodors sich nicht erst auf
die Verhandlungen zu Korinth, sondern auf die Zeit zwischen
den athenischen Separatverhandlungen und dem Brief des Iso-
krates, vielleicht schon in die Zeit der ersteren selbst zu setzen
ist. Jedenfalls hatte Philipp, nachdem er den Brief des Iso-
krates gelesen hatte, kaum noch eine Veranlassung, jenes
„Gerücht" in Umlauf zu bringen. Er hätte damit offene Türen
eingerannt. Hiernach kam es nur noch darauf an, die Hoff-
nungen der Griechen auch zu verwirklichen. Somit möchte
ich diesen ersten Satz des § 2 als chronologisch sich unmittel-
bar an § 1 anschließend betrachten.
Wohin gehört nun der zweite Satz des § 2, wonach Phi-
lipp (pdoqpQovovjusvog Jigög änavzag y.ai löiq xal xoivf] raig nö-
Xeoiv äneqHiivtTO ßovkeo&ai öia)<.eyßtjvai neql xcbv oviKpegövrcov,
woran sich in § 3 die Kriegssitzung anschließt? Der Satz
enthält offenbar die Ankündigung einer Versammlung mit der
Tagesordnung: tieql tcöv oi\uq)EQ6vTcov. A priori kann man
schwanken, ob damit die korinthischen Verhandlungen über-
haupt, praktisch also zunächst die Bundesverhandlungen, oder
speziell die Kriegsdebatte gemeint ist. Im ersteren Falle würde
der Satz sich chronologisch an den vorhergehenden Satz an-
schließen, sodafi die Lücke dahinter anzunehmen wäre, im
zweiten Falle würde er mit § 3 zusammengehören, sodaß die
Lücke davor ihren Platz hätte. Der Ausdruck neql xcöv ov/u-
(pegovrcov scheint ein beliebter terminus technicus für die Be-
zeichnung von Tagesordnungen bei Ladungen zu sein. Vgl.
Diod. XX 46, 5, wo Antigonos (307/6) an die Wiedererweckung
des korinthischen Bundes denkt und seinem Sohne Demetrios
Poliorketes befiehlt ovvEÖgovg ovorrjoao&ai rovg ßovXevoo/uevovg
Ttoivfj 7ieq\ xwv tjj rEXXddi ovficpeoövTOJv. Ahnlich Polyb. IV
U 10. Abhandlung: U. Wilckeri
22, 2, wo Philipp V. nach Korinth beruft xovg ßovXevoo/usvovG
irnsg xcov xotvfj ov /jupEQovxüiv . Nach Zusammentritt des ovv-
tÖQiov stellt Philipp dann die spezielle Frage, was mit den
Aetolern geschehen solle, worauf der Krieg gegen sie be-
schlossen wird (c. 25). l) Namentlich das zweite Beispiel ist
lehrreich, da es uns zeigt, daß die Ladungen gern zunächst
mit der allgemeinen Formel tieqI xöjv ovjLMpsQÖvxcov erfolgten,
während das speziell zu behandelnde Thema erst bei Eröffnung
der Versammlung mitgeteilt wurde. Hiernach kann die obige
Alternative durch die Anwendung dieser Formel tieqI xcov ovju-
cpEQovxojv nicht entschieden werden, da sie sowohl für die La-
dung zur konstituierenden Versammlung wie für die zur Kriegs-
sitzung passend war. Wohl aber spricht für den späteren An-
satz (Kriegssitzung), daß das ßovlEo&ai dta?>E*/ßrjvcu von dem
unmittelbar folgenden öialE^dEig in § 3 nicht getrennt werden
kann. Es liegt also genau wie bei Polybius: nachdem die La-
dung tzeoI Tcöv ov /.ifpEQovxcov erfolgt war, sprach Philipp im
Synhedrion tieql xov noög ÜEooag 7ioMjuov. Daß auch die vor-
hergehenden Worte cpiXocpQovov fXEvog xxL für diese Deutung
sprechen, soll unten in anderem Zusammenhange gezeigt werden.
So komme ich zu dem Schlußergebnis, daß die Lücke,
in der Diodor die konstituierende Versammlung über-
sprungen hat, in § 2 zwischen dem ersten und zweiten
Satz anzusetzen ist.
Justin IX 5.
§ 1 Conpositis in Graecia rebus Philippus amnium ci-
vitatum legatos ad formandum rerum praesenüum statum
evocari Corinthum iubet. § 2 Ibi pacis legem universae Grae-
ciae pro meritis singularum civitatum statuit, consiliumque
l) Vgl. Kaerst, Rhein. Mus. 1. c. 553, der für den peloponnesischen
Bund auf Xen. Hell. V 2, 20 verweist: avjj,ßovleveiv ort yiyvwaxEi zig Sqi-
azov zfj IlEloxovvrjocö xal zoTg av/xfiäy^oig. Vgl. auch in der Urkunde über
den chremonideischen Krieg (Syll. I3 434/5, 49 ff.): ovviÖQovg ovo — ol'zivsg
fiezd ts Zigsaig [xal xöjv anö zcöv ovf.iuä%a>v ä]jiooz8?.kof.iEva>v ovridgcov ßov-
kevoovzfai jieqi zwv xocvfjc ov]/bi<p£QÖvrcov.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes.
15
omnium veliiti unum senatum ex omnibus legit. § 3 Soli
Lacedaemonii et regem et leges contempserunt, servitutem non
pacem rati, quae non ipsis civitatibus conveniret, sed a Victore
ferretur. § 4 Auxilia deinde singularum civitatum descri-
buntur, sive adiuvandus ea manu rex oppugnante aliquo foret
seu duce illo bellum inferendum. § 5 Neque enim dubium
erat Imperium Persarum Ms apparatibus peti. § 6 Summa
auxiliorum CG milia peditum fuere et equitum XV milia.
§ 7 Extra Jianc summam et Macedoniae exercitus erat et
confinis domitarum gentium barbaria.
§ 8 Initio veris tres duces in Asiam Persarum iuris
praemittit etc.
Dieser Bericht des Justin ist in seiner Vorzüglichkeit und
Zuverlässigkeit bisher noch kaum genügend gewürdigt worden.
Im besonderen ist der § 5 bisher mehrfach völlig mißverstanden
und zum Ausgangspunkt irriger Hypothesen gemacht worden.
Der Hauptfehler lag darin, daß man diesen Paragraphen ein-
zeln herausgegriffen und als Justins Mitteilung über die Kriegs-
frage in Parallele zu Diodors Bericht über den Kriegsbeschluß
gestellt hat. So haben bekanntlich L. von Ranke 1. c. und
U. Köhler l. c, indem sie sich einseitig auf diesen § 5 stützten,
die Ansicht vertreten, daß der Rachefeldzug gegen Persien
unter Philipp 338/7 noch gar nicht beschlossen worden sei,
sondern erst unter Alexander 336. Aber auch J. Kaerst, der
diese Ansicht mit Recht bekämpft hat, hat den § 5 — auch
noch in der soeben erschienenen zweiten Auflage seines „Hel-
lenismus" — mißverstanden und ist daher zu keiner vollen
Würdigung des Justinischen Berichtes gekommen.
Die Hauptsache ist, daß man die umstrittenen Worte im
Zusammenhang der Gesamtdarstellung Justins auffaßt. Nach-
dem Justin in § 1 die Vorladung der griechischen Gesandten
nach Korinth erzählt hat, gibt er in § 2 — 7 eine wenn auch
nur einige Hauptpunkte herausgreifende, so doch in sich ge-
schlossene Darstellung von der konstituierenden Versammlung
zu Korinth, also gerade von dem Teil der Verhandlungen, den
Diodor übersprungen hat. In § 2 berichtet er über die Be-
16 iO. Abhandlung: U. Wilckeii
gründung der xoivrj elg^vr] und des xocvöv ovveöqiov.1) Die
Hervorhebung, daß dies für alle Griechen geschaffen sei,2)
nötigt ihn dazu, in einer Parenthese (§ 3) den Ausschluß der
Lacedämonier zu begründen. Mit § 4 geht er zu der Fest-
stellung der griechischen Kontingente über. Hier hat man
den Eindruck, daß Trogus geradezu auf den Wortlaut des
Schutz- und Trutzbündnisses zurückgegriffen hat: die Alter-
native sive adiuvandus ea manu rex oppugnante aliquo foret seu
duce (= yyejucov) illo bellum inferendum erinnert direkt an die
Sprache der Verträge. Das Resultat der damals angestellten
Enquete über die Zahl der Waffenfähigen in den Einzelstaaten
wird in § 6 mit 200 000 Mann zu Fuß und 15 000 Reitern
angegeben.3) Damit ist das Thema aber noch nicht erschöpft,
sondern es wird in § 7 hinzugefügt, daß — nämlich für der-
artige Bundeskriege — außer den griechischen Kontingenten
auch noch das macedonische Heer und die Aufgebote der Ma-
x) Mit consüiumque — legit ist natürlich nicht gesagt, daß Philipp
damals die Personen der ovvsöqoi ausgewählt habe, denn das stand den
Staaten zu, sondern nur, daß er prinzipiell das ovveöqiov geschaffen hat.
2) Wie recht Justin hatte, wenn er von universa G-raecia und om-
nium civitatum legatos spricht, erkennen wir erst jetzt, wo wir durch
Wilhelms Entdeckung über den wahren Umfang des Bundes aufgeklärt
sind (s. oben S. 5 A. 2).
3J Zur Kritik dieser Zahlen vgl. Pöhlmann, Griech. Geschichte5
S. 284. Auch hierfür ist erst durch Wilhelms Aufschlüsse eine sichere
Basis geschaffen. Die Vorzüglichkeit der Quelle des Trogus legt a
priori die Richtigkeit der Zahlen nahe. Bei och (Bevölkerung S. 497)
meinte umgekehrt, aus dieser „ trüben Quelle" könne man keine stati-
stischen Folgerungen ziehen. Offenbar handelt es sich bei den angege-
benen Zahlen nur um die Feststellung der überhaupt zur Verfügung
stehenden Wehrfähigen (so schon Böhnecke 1. c. 602), aus denen dann
im Ernstfall die zu stellenden Kontingente bestimmt wurden. Aus dem
auxilia — describuntur Justins darf nicht mit Kaerst (Hell. I2 279) ge-
folgert werden, daß die Kontingente durch Bundesbeschluß festgesetzt
wurden und „nicht einseitig von der hegemonischen Macht". Das descri-
buntur (statt describit) weist nur darauf hin, daß jene allgemeine En-
quete natürlich mit Unterstützung der Einzelstaaten ausgeführt wurde.
Die im Einzelfall zu stellenden Kontingente bestimmte einseitig der
Hegemon (vgl. diaid^ag xzb bei Diod. 1. c. § 3).
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 17
cedonien gehorchenden Barbarenstämme hinzukommen. Die
Verbindung der beiderseitigen Verpflichtungen spricht dafür,
daß auch diese Angaben auf das Bündnis zurückgehen. Also
§ 4 und 6 — 7 behandeln die Bestimmungen des Schutz- und
Trutzbündnisses über den Umfang der gemeinsamen militäri-
schen Machtmittel, die eventuell dem Hegemon zur Ver-
fügung standen. In diese einheitliche Darstellung sind nun
eingefügt die Worte des § 5: negue enim dubium erat Imperium
Persarum his apparatibus peti, die sich deutlich als Parenthese
zu seu duce illo bellum inferendum ergeben. Also bei Bespre-
chung der Eventualität eines offensiven Bundeskrieges zweifelte
niemand unter den griechischen Vertretern, daß diese Bestim-
mung eine Offensive gegen Persien im Auge habe. Woher
diese Gewißheit kam, haben wir schon bei Diodor gelesen: es
war die Wirkung davon, daß Philipp das Gerücht ausgestreut
hatte, er plane einen Piachefeidzug gegen Persien. Der § 5
ist also nichts anderes als ein in Parenthese gegebener
Stimmungsbericht vom korinthischen Kongreß. Die
Worte zeigen zugleich, daß bei Besprechung dieses Bundes-
artikels offiziell noch nicht vom Perserkrieg gesprochen worden
ist (s. unten).
Nun steht aber andrerseits fest, daß die Vorlage des Jus-
tin, Trogus Pompeius, ebenso wie Diodor auch den Kriegs-
beschluß gekannt hat. Dafür spricht § 8, der von der Vor-
aussendung der Feldherrn im Frühling 336 redet (praemitüt,
vgl. Diod. XVI 91, 2 JtQoajieoredev), woraus sich die Absicht
Philipps, nachzufolgen, von selbst ergibt, ferner die sich an-
schließenden Worte in 6, 1 : Interea, dum auxilia a Graecia
coeunt, womit nur die Ankunft der für den Perserkrieg aus-
gehobenen Kontingente gemeint sein kann. Diese beiden Stellen
sind schon von Kaerst (Hell. I1 427 = P 527) mit Recht für
die Übereinstimmung des Trogus mit Diodor im Punkte des
Perserkrieges Philipps angeführt worden. Doch irrte er, wenn
er ein weiteres Argument in der Parallelität von Justin IX
5, 4: auxilia — describuntur und Diodor XVI 89, 3: diarägag
<5' exdori] nokei rö jiXfjüog töov eis ovjiijua%iav orgaTicorojv fand.
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. hist. Kl. Jahrg. 1917, 10. Abb. 2
18 10. Abhandlung: U. Wilcken
Diese beiden Stellen haben nach meiner obigen Analyse ab-
solut nichts miteinander zu schaffen: Justin spricht, wie wir
sahen, von der Feststellung der Waffenfähigen, die aus Anlaß
des Schutz- und Trutzbündnisses während der konstituierenden
Verhandlungen vorgenommen wurde, Diodor dagegen spricht
von dem Aufgebot der Kontingente, die Philipp nachher auf
Grund des Kriegsbeschlusses speziell für den Perserkrieg ver-
fügte. Die beiden Maßregeln sind sachlich und zeitlich scharf
zu trennen. Dagegen finde ich ein weiteres Argument für die
Übereinstimmung von Trogus und Diodor in dem bisher nicht
herangezogenen Prologus, der bekanntlich ein selbständiges,
von Justin unabhängiges Exzerpt aus Trogus darstellt. Hier
ist mit klaren Worten die Absicht Philipps einen Perserkrieg
zu führen ausgesprochen mit den Worten (9): cum betta Per-
sica möliretur praemissa classe cum duclbus, die wieder merk-
würdig übereinstimmen mit Diodor XVI 91, 2: rbv Tigog IIeq-
oag noXEfxov evoTrjodjuevog "Axrakov juev xal IlaQ/Ltevicova. tiqo-
aneoxeiXev.
Da nun nach obiger Analyse feststeht, daß Justin in
§ 2 — 7 ausschließlich über die konstituierende Versammlung
berichtet, und andrerseits sich ergeben hat, daß Trogus den
Kriegsbeschluß gegen Persien ebenso wie Diodor gekannt hat,
so scheint mir der Schluß unabweisbar, daß bei Justin zwi-
schen § 7 und 8 der Bericht des Trogus über den Kriegs-
beschluß ausgefallen ist. Somit ergänzen sich für uns die
beiden lückenhaften Exzerpte des Justin und Diodor aufs Beste.
Nach meiner obigen Analyse des Diodor können wil-
den ganzen Bericht des Justin von § 1 — 7 in die oben
bezeichnete Lücke des Diodor einschieben und erhalten
so einen, wenn auch nur die Hauptpunkte hervorheben-
den, so doch innerlich zusammenhängenden Bericht
über die gesamten Verhandlungen zu Korinth von 338/7.
Auf die Unrichtigkeit der Anschauungen von Ranke und
Köhler brauche ich hiernach wohl um so weniger einzugehen,
als die meisten neueren Darsteller sie bereits aufgegeben haben.
Einen leisen Nachklang daran darf man vielleicht bei Pohl-
Beiträge zur Geschichte des korinthiachen Bundes. 19
mann finden (Griech. Geschichte5 S. 284), der zwar Kaersts
Polemik gegen Köhler zustimmt, aber doch gar zu vorsichtig
sagt, daß „allem Anscheine nach" eben damals zu Korinth
der Perserkrieg beschlossen worden sei. Wir dürfen dies Fak-
tum vielmehr ohne jede Einschränkung als völlig sicher be-
zeugt hinstellen, und zwar ist es nicht nur, wie Köhler be-
tonte, durch junge Quellen tradiert (außer Diodor und nach
obigem Trogus auch Arrian, Anab. I 1, 2; VII 9, 5, dazu jetzt
die Chronik in P. Oxyrh. I 12, die im besonderen mit Diodor
übereinstimmt), sondern auch schon durch Polyb. III 6, 12 — 13
(s. oben S. 9). Dabei ist für die Bewertung von Diodor und
Trogus, die unter einander auffallende Übereinstimmungen
zeigen, von Bedeutung, daß, wie Kaerst mit Recht betont
hat, Diodor wieder mit dem älteren polybianischen Bericht so
enge Berührungen zeigt, daß man wohl nicht umhin kann,
eine gemeinsame Quelle anzunehmen (s. oben S. 9).
Das obige Ergebnis, daß in Justin eine Lücke zwischen
§ 7 und 8 für den Kriegsbeschluß anzunehmen ist, habe ich
in der mir bekannten neueren Literatur nirgends erwähnt ge-
funden. Nur Bei och hat wohl stillschweigend damit operiert,
jedenfalls hat er S. 574 den § 5 richtig eingeschätzt. Da-
gegen ist die Annahme einer solchen Lücke soeben von Kaerst
in Hell. P 527 in einer Polemik gegen Beloch, auf die ich
noch zurückkomme, ausdrücklich abgelehnt worden. Es ist
das um so auffallender, als er vorher richtig dargelegt hat,
daß auch Justins Bericht den Kriegsbeschluß voraussetzt. Seine
Ablehnung der Lücke erklärt sich daraus, daß er den § 5 des
Justin mißverstanden hat. Er hat verkannt, daß, wie oben
dargelegt wurde, diese Worte nur eine Parenthese in dem ge-
schlossenen Bericht über die Bundesverhandlungen darstellen,
und daß der Kriegsbeschluß erst nach Beendigung der kon-
stituierenden Verhandlungen gefaßt worden ist (s. unten). In
welchem Zeitpunkt Kaerst sich den letzteren denkt, ist nicht
leicht zu erkennen, denn trotz der breiten Behandlung des
korinthischen Bundes im III. Kapitel seines „Hellenismus" er-
fährt man kaum etwas Tatsächliches über die wirklichen Vor-
2*
20 10. Abhandlung: U. Wilcken
gänge, wie sie sich damals in Korinth abgespielt haben. Auch
der Anhang III gibt hierüber keine ganz klare Auskunft. In-
dem er die Trennung der konstituierenden Versammlung von
der Kriegssitzung ablehnt (s. unten), scheint er sich den Her-
gang so zu denken, daß der Kriegsbeschluß mitten in die
Bündnisverhandlungen hineingehört. So sagte er in Syb. Hist.
Z. 38, 14: „Ich kann mir auch nicht recht vorstellen, daß die
Festsetzung der Bundeskontingente ohne den Hinweis auf den
persischen Krieg erfolgt sein sollte. Die allgemeine Redewen-
dung eines Epitomators wie Justin neqae enim dubiiwi erat etc.
fällt m. E. dagegen nicht entscheidend in's Gewicht." Daß
jene Vorstellung irrig war, ist oben gezeigt. Tatsächlich ist
während der Verhandlungen über die Bundesakte, im beson-
deren auch bei der Festsetzung der Kontingente, offiziell nicht
vom Perserkrieg gesprochen worden. Jene Worte Justins aber,
die richtig gedeutet als Stimmungsbericht ganz vorzüglich sind,
werden für Kaerst zu einer „allgemeinen Redewendung eines
Epitomators". So auch noch in Hell. P 527, wo ihre Ver-
wendung zur Widerlegung Köhlers (S. 526/7) zeigt, daß er
sie auch jetzt noch nicht richtig auffaßt. Hier ist wenigstens
die geringschätzige Charakterisierung der ersten Auflage S. 427
(„die wir sehr wohl als eine nichtssagende Phrase ansehen
können") fortgelassen worden. Ebenso irrig ist es nach Obigem,
wenn er jene Worte Justins im Rhein. Mus. 52, 535 A. 4 mit
Diodors § 3: jLieyäkag naQaoxEväg moieho nqbg xr\v em rovg
Ilegoag orgareiav in Parallele stellt.
2.
Die konstituierende Versammlung und die Kriegssitzung.
Die vorstehende Analyse von Diodor und Justin hat neben-
bei bereits ergeben, daß bei beiden der Rachekrieg gegen Per-
sien nicht auf der konstituierenden Versammlung, sondern in
einer späteren Sitzung beschlossen worden ist. Da Kaerst
neuerdings erklärt hat, daß „eine sichere Bezeugung von zwei
verschiedenen Bundesversammlungen jedenfalls in unserer Über-
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. ^1
lieferung nicht erkennbar" sei (Hell. P 528), muß ich hierbei
noch einen Augenblick verweilen. Ich finde, wie schon oben
angedeutet wurde, die vermißte Bezeugung in den Worten,
mit denen Diodor (§ 3) den Kriegsbeschluß einleitet: öiojieq iv
Koqiv&oj xov xoivov owedgiov ovva%ßevTog. Wenn das ovve-
doiov „versammelt" wurde, müssen vorher die konstituierenden
Verhandlungen, durch die dieser Bundesrat erst geschaffen
wurde, ihren Abschluß gefunden haben.1) Die Urkunde dar-
über, die ovv&fjxai (vgl. Ps. Dem. 17), muß perfekt und von den
Bundesmitgliedern beschworen gewesen sein, ehe auf Grund
der Urkunde die Bundesratsmitglieder erwählt und zu der
Sitzung nach Korinth delegiert werden konnten, in der Philipp
dann den Kriegsantrag gestellt hat. So ergibt sich aus
Obigem mit Sicherheit, daß wir die Kriegssitzung, in
der der Perserkrieg beschlossen wurde, von der kon-
stituierenden Versammlung zu trennen haben.2) Wahr-
scheinlich war jene die erste Bundesratssitzung über-
haupt.
In diesem Grundgedanken stimme ich also mit Beloch
(Griech. Gesch. II 606) überein; bezüglich der absoluten Chrono-
logie der beiden Versammlungen kann ich ihm jedoch nicht
folgen. Nachdem er S. 573/4 im Anschluß an Chaeronea über
die konstituierende Versammlung berichtet hat, kommt er erst
S. 606 auf den Kriegsbeschluß zu sprechen, den er in den
Herbst 337 setzt mit der Begründung: „Diod. XVI 89, unter
dem Jahre 337/6. Daß der Perserkrieg nicht auf der kon-
stituierenden Versammlung des korinthischen Bundesrates be-
schlossen wurde, zeigen die Angaben bei Justin IX 5; auch
hätte Philipp den Krieg dann schon 337 eröffnen müssen."
*) Vgl. Diod. XIV 82, 2 (zum Jahre 395): xai xqwxov ftsv ovveöqiov
xoivov iv xfj Koolvftco ovortjoä/iiEvot xovg ßovkevoofxivovs k'jtsftjiov. Zuerst
wird das Synhedrion konstituiert, dann werden die Abgeordneten ent-
sendet.
2) Durch den bestimmten Artikel xov xoivov owedgiov zeigt Diodor
deutlich an, daß nicht ein Synhedrion sich bildet, sondern daß das Syn-
hedrion, das vorher geschaffen war, zusammentrat.
22 10. Abhandlung: U. Wilcken
Aus der letzteren Bemerkung ergibt sich, daß Beloch sich den
Schluß der konstituierenden Versammlung offenbar vor dem
Frühling 337 denkt, da nur dann die übliche Frühlingsoffen-
sive in Frage gekommen wäre. Also nimmt er eine etwa halb-
jährige Pause zwischen dieser und der Kriegssitzung an.
Diesem entspricht auch die Auseinanderreissung der beiden
Sitzungen in seiner Darstellung (s. oben).
Gegen diese Konstruktion habe ich schwere Bedenken,
trotz der Zustimmung, die sie bei Wilhelm 1. c. S. 43 ge-
funden hat.1) Beloch scheint nicht beachtet zu haben, daß
nach Diodor (vgl. auch Polybius oben S. 9) Philipp persön-
lich an der Kriegssitzung teilgenommen und selbst den An-
trag gestellt hat. Wenigstens erwähnt er dies in seiner Dar-
stellung mit keinem Wort, sondern läßt den Krieg auf der
Tagsatzung einfach beschlossen werden. Mit Philipps An-
wesenheit wird aber die Annahme einer halbjährigen Pause
von vornherein so unwahrscheinlich wie möglich. Nach Diodor
ist Philipp erst nach der Kriegssitzung nach Macedonien zu-
rückgekehrt. Zu welchem Zweck sollte sich Philipp zwischen
den beiden Versammlungen ein halbes Jahr lang außerhalb
seines Reiches aufgehalten haben? Oder sollte er schon nach
der ersten zurückgekehrt und zur zweiten nochmals nach
Griechenland gezogen sein? Eines ist so unwahrscheinlich
wie das andere. Alles spricht vielmehr dafür, daß es in Phi-
lipps Interesse lag, sobald er auf der konstituierenden Ver-
sammlung sein Ziel erreicht hatte, auch sofort zur Kriegs-
sitzung einzuladen. Wenn ich nicht irre, kann man aus Dio-
dor § 2 entnehmen, daß diese Ladung noch am Schluß der
konstituierenden Sitzung selbst erfolgte: cpdoygovovßEvos de
Tigög änavxag xal löia xal xotvfj ralg noXeoiv ämcpaivExo ßov-
Xeo&m dialexftrjvai neql xwv ovjug)sgövrcov. Wo hatte Philipp
eine solche Gelegenheit, „allen privatim und öffentlich sein
Wohlwollen zu zeigen", wie gegenüber den versammelten Ver-
>) Die Einwendungen, die Kaerst (Hell. I2 527/8) gegen Beloch er-
hebt, sind, soweit richtig, nicht entscheidend.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 23
tretern der griechischen Staaten auf dem Kongreß? Und was
lag näher, als daß er eben durch diese Vertreter ihren jioXeiq
ankündigen ließ, daß er auf einer Bundesratssitzung tzsqi xwv
ovfjKpeqovTcov (S. 13 f.) reden wolle?1) So wird die Kriegssitzung
den Bundesverhandlungen gefolgt sein, sobald die nötigen For-
malien erledigt waren, d. h. sobald die ovv&fjxai beschworen
und perfekt waren, sodaß die Wahl und Entsendung der ovv-
eögoi vorgenommen werden konnte.
Worauf beruht nun Belochs Annahme der halbjährigen
Pause? Seine Prämisse, daß die konstituierende Versammlung
vor dem Frühling beendet gewesen sei, ist an sich möglich,
beruht aber nur auf einer Schätzung. Für die Datierung
der Kriegssitzung in den Herbst stützt er sich nur auf Dio-
dors Datierung (337/6), denn Justin, den er richtig verstanden
hat (s. oben S. 19), gibt keine absoluten Daten. Die Unzu-
verlässigkeit der Diodorischen Chronologie ist bekannt genug.
Immerhin sei daran erinnert, daß wenige Kapitel später (XVII 2)
die Taten Alexanders vom Jahre 336 unter dem Archonten-
jahr 335/4 erzählt werden. Ferner hat sich uns oben ergeben,
daß Diodor in XVI 89 nicht nur die Kriegssitzung, sondern
auch die konstituierende Versammlung resp. ihre Vorbereitungen
nach Chaeronea unter das Jahr 337/6 versetzt, was auf alle
Fälle ein Fehler ist. Hiernach nützt es der Autorität des
Diodor wenig, daß auch die Chronik von Oxyrhynchos (Oxy.
I 12), der überdies mehrere Fehler nachgewiesen sind,2) die
Kriegssitzung in das Archontenjahr 337/6 versetzt. Selbst
wenn man die Kriegssitzung sogleich in den Anfang des atti-
schen Archontenjahres verlegt statt in den Herbst, wozu keine
Veranlassung ist, würde Philipp hiernach, da er, wie festge-
stellt, an der Sitzung teilgenommen hat, doch etwa ein volles
Jahr nach der Schlacht von Chaeronea sich in Griechenland
aufgehalten haben! Würde ferner eine so späte Rückkehr
1) So aufgefaßt zeigt der Satz, daß die Quelle Diodors recht ein-
gehend über die konstituierende Versammlung gehandelt hat.
2) Vgl. außer dem Kommentar der Editoren Soltau, Philologus 58
(N. F. 12) S. 558. Vgl. auch Kaerst 1. c. 528.
24 10. Abhandlung: ü. Wilcken
nach Macedonien mit den sonstigen Erlebnissen Philipps ver-
einbar sein? Zwar hat sich die frühere Annahme, daß noch
ein illyrischer Feldzug ins Jahr 337 zu setzen sei, als irrig
erwiesen.1) Aber würden die Vermählung mit Kleopatra, die
ihm noch vor seinem Tode ein Kind geboren hat, und die
sonstigen Verwicklungen im Hause chronologisch untergebracht
werden können? Und ist es wahrscheinlich, daß die konsti-
tuierende Versammlung, deren Schluß wir nach Obigem dicht
an die Kriegssitzung heranrücken müssen, bis in den Hoch-
sommer 337 gedauert hätte? Alle diese Bedenken sprechen
dafür, daß in der chronographischen Tradition eine irrtüm-
liche Verschiebung vorliegt , und daß beide Sitzungen ins
Jahr 338/7 zu verlegen sind. Da die erste Truppensendung
erst Frühling 336 erfolgte, wird die Kriegssitzung immerhin
— hierin folge ich Belochs Anregung — so spät im Jahre 337
getagt haben, daß damals eine sofortige Eröffnung der Feind-
seligkeiten nicht opportun erschien. Daß die konstituierende
Versammlung sich bis dicht an diesen Termin heran ausdehnte,
also vielleicht etwas länger war, als Beloch annahm, ist an
sich sehr möglich. Bedenkt man, wrie viel es nach dem Se-
paratfrieden mit Athen — den Wendland 1. c. 177 etwa 2 Mo-
nate hinter Chaeronea, also Ende Oktober ansetzt — für Phi-
lipp im Peloponnes zu ordnen gab, so werden wir den Anfang
des Kongresses frühestens in das letzte Ende des Jahres 338
setzen können. Bedenkt man weiter, wie zeitraubend manche
Maßregeln waren, wie die oben erwähnte Enquete über die
Waffenfähigen Griechenlands, und daß Philipp, ehe er die Ga-
rantie der noliTEiai übernahm, sie vorher in seinem Sinne ge-
ordnet hatte (Diod. XVIII 56, 2), so können sich die konsti-
tuierenden Verhandlungen sehr gut bis über den Frühling
hinaus hingezogen haben. Es liegt mir fern, diesen Termin
J) Ed. Meyer, Sitzber. d. Berl. Akad. 1909 S. 761. Meyers Schluß
(S. 759 A. 1) aus Didymos 13, 4 ff., daß Philipp 339 von den Triballern
geschlagen sei. kann ich nicht zustimmen. Das Richtige bei Walter
Florian, Studia Didymea historica ad saeculum IV. pertinentia. Diss.
Leipzig 1908 S. 38 f.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 25
genau fixieren zu wollen. Es kam mir nur darauf an zu
zeigen, daß die beiden Sitzungen ohne lange Pause aufeinander
gefolgt sind und sicherlich nicht bis in den Herbst gewährt
haben.
Die Trennung der konstituierenden Versammlung von der
Kriegssitzung, bezüglich deren ich prinzipiell mit Bei och ge-
gen Kaerst übereinstimme, ergibt nun manche Konsequenzen,
die von historischem Interesse sind.
Zunächst folgt aus dem oben S. 21 Gesagten, daß die
griechischen Staaten in der konstituierenden Versammlung nicht,
wie bisher wohl allgemein angenommen ist, x) von den ovveögoi
vertreten gewesen sind. Wer sie vertreten hat, sagt der auch
hierin wieder vorzügliche Bericht des Justin § 1 : es waren ihre
legati, ihre Gesandten, die Philipp nach Korinth befohlen hatte.
Also mit den Tioeoßeig der Einzelstaaten hat Philipp die Neu-
ordnung Griechenlands durchgeführt und die ovv&rjxai fest-
gelegt. Diese grundlegenden Beschlüsse sind nicht vom ovv-
edgiov, sondern durch übereinstimmenden Beschluß der Bundes-
mitglieder unter Vermittelung ihrer Gesandten gefaßt worden.
Daher werden sie auch in unserer Tradition, wenn ich recht
sehe, nicht auf das ovvedgiov, sondern auf die "EXJj]veg zurück-
geführt. So wird für das Verbot, daß die Griechen nicht auf
Seiten der Barbaren kämpfen dürfen, hingewiesen auf rä xoivfj
öo^avra rotg "Elh]oiv (Arrian I 16, 6) oder rd döy/naza ra>v
'EXhjvwv (Arrian III 23, 8). Vgl. auch Ditt., Syll. P 283 (Chios):
rd doy/na to twv EXXr/vow. Dagegen in Ditt., Syll. I3 261, wo
wirklich ein Beschluß des Synhedrion vorliegt, heißt es: y.axa
rö dox7]jua tov ovveöqcov TÖivEXXävwv.'*) Man vergleiche, wie
später im Jahre 319 Polyperchon (Diod. XVIII 86, 7) die Be-
schlußfassung über ein ganz ähnliches Verbot auch durch die
einzelnen Gemeinden anordnete: jioirjoaodai de doy/bia nävzag
a) Trotz seiner richtigen Grundauffassung auch von Beloch, Gr.
Gesch. II 606 A. 1 , wo er von der konstituierenden Versammlung
des korinthischen Bundesrates spricht.
2) Die Inschrift ist daher genauer inde ab a. 337, nicht inde ab a. 338
7,u setzen, da es 338 noch kein owsöqiov gab.
26 10. Abhandlung: U. Wilcken
Tovg "Klhjvag [tijdh'a orgazeveiv ju/]Te Jigdizetv vnevavxia fjfuv.
In ähnlicher Form wird auch Philipp die von ihm gewünschten
däyfiara angeordnet haben (s. unten Abschnitt 3).
Ferner ergibt sich für die Verhandlungsobjekte der beiden
Versammlungen, daß der Krieg gegen Persien ausschließlich
in der Kriegssitzung besprochen worden ist, während in der
konstituierenden Versammlung offiziell mit keinem Wort
darauf hingewiesen ist. Dies folgt deutlich aus Justin § 4
und 5: in dem Bündnisvertrag mit Philipp war ganz allge-
mein von der Möglickkeit einer Offensive unter Philipps Lei-
tung gesprochen (seu duce Mo bellum inferendum), ohne Hin-
weis auf die Perser, doch zweifelte niemand, daß er gegen
diese gerichtet war (oben S. 17). Gerade der letzte Satz läßt
keinen Zweifel daran, daß es Philipp damals noch vermieden
hat, offiziell vom Perserkrieg zu sprechen. Da, wo der Ver-
trag von dem Verbot, beim Perser Solddienst zu nehmen,
handelte, scheint man absichtlich nur von ßdgßaQot. gesprochen
zu haben, nicht von den Persern. Vgl. Arrian I 16, 6: ort
jiagd rd xotvf) dö^avra rolg "EXh]oiv "EXXi]veq övxeq ivavria xfj
'JEXkdSt rjihQ rcor ßagßdQCDV ejudyovro. Vgl. III 14, 6. Daher
auch Ditt., Syll. P 283, 10 f. Ich bin also der Ansicht, daß
der Vertrag überhaupt keine Bestimmungen über den Perser-
krieg und über Persien enthalten hat, während Kaerst z. B.
annimmt, daß er sehr wichtige Festsetzungen über das Ver-
hältnis des Bundes zum Perserreich enthalten habe (Rhein.
Mus. 52, 520 A. 1).
Warum vermied Philipp nun während der konstituierenden
Versammlung offen vom Perserkrieg zu sprechen? Es lassen
sich verschiedene Gründe dafür denken. Einmal wollte er wohl
den Vertrag mit Griechenland, der ihm das Kommando über
die griechischen Kontingente verlieh, erst in der Tasche haben,
ehe er dem Perser offen als Feind entgegentrat. Andrerseits
mochte er schon nach Chaeronea voraussehen, daß, auch wenn
alles nach Wunsch gehe, er zum nächsten Frühjahr noch nicht
die griechischen Kontingente nach Asien führen könne. Hätte
er schon damals den Perserkrieg proklamiert, ehe er mit Grie-
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. "«
chenland fertig war, so hätte er dem Perser Gelegenheit ge-
geben, seinerseits sich zu rüsten und eventuell Feindseligkeiten
zu eröönen, während Philipp noch in Korinth gebunden war.
Darum hielt er den Kriegsplan geheim und beschränkte sich
darauf, zur Stimmungsmache jenes Gerücht unter den Griechen
zu verbreiten.
Die Feststellung, daß die ovvßfjxat noch keinen Hinweis
auf den Perserkrieg enthielten, ist wichtig für die scharfe Auf-
fassung des Titels fjye^iwv, der Philipp nach Ditt., Syll. I3 260,
21 bereits in diesen ovv&fjy.ai beigelegt war. Dieser Titel ent-
hält also noch keine spezielle Beziehung zu seinem Oberkom-
mando im Perserkrieg, sondern er bezeichnet die leitende Stel-
lung, die Philipp für Lebenszeit an der Spitze des Hellenen-
bundes (fjyejuoov xT]g 'ElXddog) als Inhaber der Militärhoheit
zuerkannt wurde. Den militärischen Charakter betont mit
Recht Köhler, Sitzungsber. 1892, 511. Die neuerdings üb-
lich gewordene Bezeichnung als „Präsident" trifft nicht ganz
den Kern.
Von diesem Titel ist oft nicht scharf genug geschieden
worden der Titel oTQarrjydg avroy.gdrcoQ, den Philipp erst
nachträglich in der Kriegssitzung erhalten hat. Vgl. Diod.
XVI 89, 3 (vgl. 60, 5), XVII 4, 9 (von Alexander), Pap. Oxy.
I 12 1. c. Für die Richtigkeit dieser Tradition spricht das
Wortspiel in Ps. Demosth. 17, 12 (wg y.al rfjg imooxlag avro-
xgdroQog övTog ey.Eivov), das jedenfalls zeigt, daß eine aino-
y.Qazeia dem macedonischen König zugestanden haben muß.1)
Mit diesem Titel muß im Gegensatz zum perpetuierlichen yye-
/u(6v ein außerordentliches Spezialkommando mit unumschränkter
Vollmacht für den Perserkrieg gemeint gewesen sein. Natür-
lich blieb der König daneben immer der fjyefxdbv des Bundes,
und entsprechend der militärischen Bedeutung von fiye/ucbv ist
dieser Titel in den alten Quellen öfter auch mit dem Perser-
zug verbunden worden.2) Auch macht es nichts aus, daß
!) Dies meint offenbar auch Niese, Griech. Mak. Staat. I 39 A. 4.
2) Arrian VII 9, 5 (Rede Alexanders), wo es von Philipp heißt: y.al
fjyeficov aMoxQazioQ ovpjiäotjg rijg äV.rjg 'Jtt/.äöog a,7ioÖ£ix^^s t/J; fxl töv
28 10. Abhandlung: U.Wilcken
Aeschines III 132 — nicht titular — von rfjg im xöv IUqor\v
yyejuoviag redet. Dagegen halte ich es für inkorrekt, wenn
man umgekehrt den Titel orQairjyog avroxQdrcag auf die Stel-
lung des Königs an der Spitze des Bundes (abgesehen vom
Perserzug) bezieht. *)
3.
Philipps Auftreten in Korinth.
Die Frage, welche Formen der Sieger von Chaeronea ge-
wählt hat, um dem besiegten Griechenland auf dem Kongreß
zu Korinth seinen Willen aufzudrücken, ist von historischem
Interesse sowohl zur Beurteilung der politischen Situation wie
auch zur Würdigung des Diplomaten Philipp. In unserer
trümmerhaften Tradition sind nur geringe Anhaltspunkte zur
Beantwortung dieser Frage, aber sie führen doch etwas weiter,
als manche modernen Darstellungen vermuten lassen.
Um die Kriegssitzung, für die die Frage einfacher liegt,
vorwegzunehmen, so habe ich schon oben S. 9 A. 1 betont, daß
sowohl Polybius III 6, 13 wie Diodor XVI 89, 3 übereinstim-
mend berichten, daß Philipp es gewesen ist, der den Rache-
feldzug vor dem Synhedrion beantragt hat. Ein Zweifel an
der Richtigkeit dieser Tradition scheint mir nicht zulässig und
dürfte kaum zu begründen sein. Sie paßt aufs beste zu der
anderen aus Diodor und Justin gewonnenen Nachricht, daß
Philipp schon bald nach Chaeronea das Gerücht verbreitete,
daß er einen solchen Feldzug plane und zwar als panhelleni-
schen Rachezug im Sinne des Isokrates. Mag das nQOETqhpaxo
xovg ovvedgovg des Diodor eine Übertreibung sein gegenüber
dem Tigoeftsro des Polybius, jedenfalls ist es doch bedeutsam,
üsQarjv ozQaziäg. Vgl. auch Aman I 1, 2. An anderen Stellen ist zweifel-
haft, ob das eine oder andere gemeint ist.
l) Vgl. Ranke, Weltgeschichte I 151. Kaerst, Rhein. Mus. 52, 535,
556; Hell. I2 280. Niese I 39 A. 4 und Kaerst, Rhein. Mus. 1. c. sehen
in rjye[xdov den amtlichen, offiziellen Titel.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 29
daß Philipp selbst die Initiative in die Hand nahm und sie
nicht dem Synhedrion überließ. Gleichwohl tritt das in den
modernen Darstellungen meist nicht hervor. Droysen, Hell.
P 43: „Endlich der Schlußstein des Ganzen: es wurde der
Krieg gegen die Perser beschlossen." Ed. Meyer, Kl. Sehr.
293: „Zugleich proklamierte dieser Bund den Nationalkrieg
gegen Persien. . . . Wollte Philipp sich jetzt als Hellenen be-
währen . . ., so mußte er das nationale Programm annehmen"
etc. Kaerst, Hell. P 270: „Schon in der antiken Überlieferung
tritt uns die Auffassung entgegen, daß von der Versammlung
des durch Philipp zu Korinth begründeten Bundes hellenischer
Staaten ein allgemeiner Rachekrieg . . . beschlossen worden
sei." Auch S. 273 A. 3 läßt er sich dies Argument gegen
Meyer entgehen. Unklar auch Beloch, Griech. Gesch. II 606.
Richtiger, aber auch nicht scharf genug Niese I 39. .
Wenden wir uns zu der konstituierenden Versamm-
lung. Hierfür ist zunächst wichtig zu konstatieren, daiä Phi-
lipp mindestens schon zur Zeit der Separatverhandlungen mit
Athen sein Programm (xoivtj eiQijvr) und ovveöqiov) fix und
fertig hatte. S. oben S. 12 zu Plutarch, Phok. 16. In welcher
Form hat er dies Programm nun in Korinth vorgelegt? Der
Einzige, bei dem ich eine klare Aussprache darüber gefunden
habe, ist Droysen, Hell. P 43: „dort (in Korinth) wurde „der
gemeine Friede und Bundesvertrag " errichtet, vielleicht auf
Grund des von König Philipp vorgelegten Entwurfes, gewiß
nicht in der Form eines einseitigen makedonischen Befehls."
Der Grundgedanke ist gewiß richtig, daß Philipp nicht ein-
seitig befohlen, sondern auch der Beratung mit den griechi-
schen Gesandten Raum gegeben hat. Und doch läßt sich,
wenn ich nicht irre, zeigen, daß er die Grundlage für die
Verhandlungen gerade in der von Droysen ausdrücklich ab-
gelehnten Form, nämlich in einem königlichen Erlaß vor-
gelegt hat.
Ich entnehme dies dem didygajiijua. des Philippos Arrhi-
daios resp. des Polyperchon vom Jahre 319, das uns Diodor
XVIII 56 aus seinem vorzüglichen Gewährsmann Hieronymus
30 10. Abhandlung: ü. Wilcken
von Kardia im Wortlaut überliefert hat.1) Der Grundgedanke
dieses königlichen Erlasses, durch den Polyperchon im Kampf
gegen Kassander zu ovjujuaylai zu kommen hoffte (c. 55, 3, vgl.
69), ist der, daß die Ordnung Griechenlands wieder auf den
Stand zurückgebracht werden soll, den Philipp in Korinth ge-
schaffen und Alexander dann erneuert hatte. Der König sagt,
schon nach dem Tode Alexanders habe er den Wunsch gehabt
erzavayayeiv ndvzag em zrjv eiQijvrjv xal zag noXizelag äg <Pü.tJi7zog
6 {/jueregog Ttazrjo xazeozyoev (§ 2). Jetzt nach den Wirren des
lamischen Krieges und der nächsten Jahre will er dies nun aus-
führen und erklärt daher (§ 3): xazaoxevd£ojiiev vfiiv eig^vrjv,
TioXiTEiag de zag tnl (PiX'ltztiov xal 'AXe^dvögov xal zälla ngarzetv
xazd xä öiaygdfxfiaza zd tzqoxsqov vti* ixeivcov ygacpevza. Über
diese öiayQd/ujiiaza des Philipp und Alexander, die hier als Norm
hingestellt werden, habe ich nur bei Bö h necke und Schäfer
Ausführungen gefunden. Bohne cke 1. c. 603 meint offenbar un-
sere Stelle, wenn er von den Verträgen Philipps und Alexanders
mit den Hellenen sagt: de Ms pactis (er spricht vorher über
die fertigen Beschlüsse von Korinth) diagrammata in singulas
clvitates missa esse videntur. Es entspricht aber weder dem
Wesen der Verträge noch der dtaygd/ujuaza, daß über schon
abgeschlossene Verträge nachträglich noch öiayQdju/uaza ver-
fügt sein sollen. Schäfer 1. c. 50 A. 2 denkt bei den öia-
ygdjujuaza 1. c. an die in den Separatverträgen von Philipp an-
geordneten und in den allgemeinen Frieden aufgenommenen
Grenzbestimmungen. Zu dieser Deutung, zu der übrigens das
zalla Tzgdzzeiv nicht gut passen würde, und die überhaupt
einen fernliegenden Gedanken in den Kontext hineinträgt,2) ist
Schäfer offenbar gekommen, indem er didy^aju^a im Sinne von
Figur, Riß, Zeichnung nimmt und etwa an Flurkarten denkt.
Es scheint mir aber zweifellos, daß mit diesen von Königen
geschriebenen diayQajujuaza nur der aus der hellenistischen
*) Für die Echtheit Bei och, Griech. Gesch. III 102 A. 2. Jacoby,
Pauly-Wiss. VIII 1558.
2) Außerdem sind derartige Separatverträge mit Grenzregulierungen
nur von Philipp, nicht von Alexander geschlossen worden.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 31
Kanzlei uns bekannte terminus technicus für königliche Er-
lasse, Edikte gemeint sein kann. Das nächstliegende Beispiel
bietet uns der Erlaß des Philippos Arrhidaios selbst, der von
Diodor in c. 55, 3. 57, 1 und 64, 3 ausdrücklich als öidyga/ujua
bezeichnet wird (abwechselnd mit öidxayjiia, 64, 5). Ich er-
innere ferner an das öidygauua , durch das Alexander im
Jahre 324 die Rückkehr der Verbannten angeordnet hat (vgl.
Ditt., Syll.3 306 aus Tegea). Die diciygaya Alexanders in der
äolischen Inschrift von Eresos (Dittenberger, Or. Gr. I 8 II)
wird nur eine dialektische Nebenform sein. Im übrigen genügt
es hier auf die Zusammenstellungen der GraecaHalensis in
den Dikaiomata S. 42 f. zu verweisen. Es handelt sich also
um Erlasse des Philipp und Alexander. Ich glaube nun nicht,
daß hier ganz allgemein auf die sämtlichen Erlasse hingewiesen
sein soll, die die beiden jemals verfügt haben. Dazu würde
schon nicht passen, daß z. B. die Zuweisung von Samos an
Athen (§ 7) im Widerspruch steht zu jenem Edikt Alexanders
vom Jahre 324. Ich möchte vielmehr die diayQdfifxara für
Erlasse halten, aus deren Inhalt die eiQrjvrj und die no forsten
als Hauptsachen besonders herausgehoben sind, während das
Übrige mit rätta kurz zusammengefaßt ist. So komme ich zu
dem Schluß, daß Philipp (und ähnlich später Alexander) ein öid-
ygaiujua erlassen hat, durch das er die Grundbestimmungen
über die Eigijvi] und die jioforeiai usw. festgelegt hat. Mit
der Veröffentlichung dieses öidygafi/ua wird er die
konstituierende Versammlung zu Korinth eröffnet
haben.
Ich gebe zu, daß diese Deutung des schwierigen Passus
vielleicht nicht absolut zwingend ist. Wenn ich sie trotzdem
zur Diskussion zu stellen wage, so tue ich es, weil ich eine
sachliche Stütze dafür in Justins Worten in § 2 finde: ibi pa-
cis legem üniversae Graeäae — statuit und weiter in § 3:
pacem — qiiae non ipsis civitatibus conveniret, sed a Victore
ferretur. Also „das Gesetz des Friedens" wird vom Sieger
gegeben! Schärfer kann nicht ausgedrückt werden, daß die
xoivrj eIq/jvi] von Philipp oktroyiert worden ist. Mir scheint,
32 10. Abhandlung: U. Wilcken
daß diese scharfe Formulierung des, wie wir sahen, hier vor-
züglich unterrichteten Autors gar nicht besser begründet sein
könnte, als wenn Philipp in einem königlichen didygafi^ia die
Bestimmungen der eIqtjvi] und sein sonstiges Programm den
Griechen verkündet hätte.
Die Richtigheit meiner Deutung vorausgesetzt, würde ich
das historisch Wichtige darin sehen, daß Philipp den Griechen
gegenüber seinen Willen in derselben Form kund zu tun für
richtig gehalten hat, wie er es auch sonst als König von Ma-
cedonien zu tun gewohnt war, und dafä er in dieser Form ein-
seitig die Grundlagen für die Verhandlungen festgelegt hat,
was auch durchaus der militärischen Lage entsprach. Bei
seinem Bestreben, sich die Sympathien der Griechen zu ge-
winnen (vgl. Diodor, Polybius), werden wir annehmen dürfen,
daß er sein Diagramma in den verbindlichsten Formen ab-
gefaßt und mit Versicherungen seiner evvoia nicht gekargt
haben wird, wie es auch das Diagramma des Philippos Ar-
rhidaios tut, das uns vielleicht die beste Vorstellung von
Philipps Erlaß geben kann, denn vieles spricht dafür, daß
Polyperchon, der ja eine Wiederbelebung der korinthischen
Ordnung von 338/7 beabsichtigte, sich jenes zum Muster ge-
nommen hat.1) Wahrscheinlich hat Philipp in seinem Dia-
l) Vielleicht liegt sogar eine wörtliche Anlehnung vor in xazaoxsv-
üCo/itsv v/.iTv elQiqvrjv. Das ist ein nicht gewöhnlicher Ausdruck. Bruno
Keil, Eigrjvt] (Sitzber. d. Sachs. Ges. 68. 1916, 4. Heft) S. 71 A. 1 kann
ihn in den Inschriften nur ein einziges Mal nachweisen in Ditt., Or. Gr.
I 219, 14, und zwar auch im Gebrauch einer hellenistischen Königskanzlei
(Antiochos Soter). Nun gebraucht ihn auch Alexander in dem Brief an
Darius bei Arrian II 14, 6, den ich im wesentlichen für authentisch halte
(vgl. auch Ed. Meyer, Kl. Sehr. 301 A. 1. Kaerst, Hell. I2 374 A. 1):
xijv slQrjvrjv, i)v zoTg "Ellrjai xazEoxsvaaa. Damit kann nur die Erneuerung
der xotvT] siQip')] zu Korinth im Jahre 336 gemeint sein. Der Ausdruck
paßt eher in ein didyga/u/uu (wie bei Polyperchon) als in die avrdijxai.
Da es feststeht, daß er die letzteren (zum Teil) wörtlich vom Vater über-
nommen hat (S. 3), liegt es nahe, daß er auch in dem didygafi/na, so-
weit es hier möglich war, sich in den wiederkehrenden Hauptpunkten
an die Diktion seines Vaters angeschlossen hat, sodaß sowohl Philipp
wie Alexander den Ausdruck xazaoxevd£eiv etQrjvrjv im Diagramma ge-
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 33
gramma nur die allgemeinen Grundsätze festgelegt, um da-
mit eine Grundlage zu schaffen für die Verhandlungen mit den
griechischen Gesandten. Die Ausführung des Einzelnen, zu der
er zum Teil ihrer Mitarbeit bedurfte, wie z. B. zu der durch
eine umständliche Enquete festzustellenden Zählung der Waffen-
fähigen Griechenlands u. a. , sowie die endliche Ausarbeitung
des Wortlautes der ovvdfjxcu kann darum doch, wie wir oben
angenommen haben, längere Zeit in Anspruch genommen haben.
Jedenfalls wird der Wortlaut seines Diagramma durch die Ge-
sandten den beteiligten Staaten von vornherein als Grundlage
für die weiteren Verhandlungen mitgeteilt worden sein, wie ja
auch Polyperehon die von ihm beabsichtigte Parallelaktion da-
mit einleitet, daß er den bei ihm versammelten Gesandten sein
Diagramma zur Mitteilung an ihre Staaten übergibt (c. 55, 3).
Wenn Polyperehon die Kenntnis von Philipps didyga/n/ua bei
den Griechen voraussetzt, so wird dieses in den einzelnen
Bundesstaaten publiziert worden sein. Daß Polyperehon sich
nicht auf die ovv&^y.ai, sondern die vorherliegenden öia-
YQdufxaxa bezieht, mag daraus zu erklären sein, daß er
selbst zunächst nur ein vorbereitendes Diagramma gibt, dem
später, wie er hofft, eine ovjujuaxia folgen soll (c. 55, 3, vgl.
69, 3). Auch waren die ow&fjxai inzwischen von den Griechen
gebrochen worden, und die konnte Philippos Arrhidaios, da
sie einen zweiseitigen Vertrag darstellten, nicht allein wieder
ins Leben rufen. Dagegen dem einseitigen Edikt seiner Vor-
gänger konnte er wieder Geltung verschaffen.1)
braucht hätten, woran bei Arrian 1. c. eine Reminiszenz vorläge. Dann
hätte Polyperehon sich bewußt an jene didyga/ufiaxa angeschlossen. Daß
er sich zur Abfassung seines Erlasses jene Urkunden aus dem Staats-
archiv hervorholte, ist jedenfalls recht wahrscheinlich.
M Wenn hiernach auch Alexander seine Verhandlungen zu Korinth
(336) mit einem öidyga^a eröffnet hat, so tat er es in Nachahmung
seines Vaters. Wenn er sich hierbei auch in Einzelnem soweit mög-
lich an seinen Vater angeschlossen haben wird (s. vorige Anmerkung),
so war doch die Situation jetzt eine wesentlich andere, insofern er be-
reits den Hellenenbund und das Synhedrion vorfand (vgl. Diod. XVII
4, 9: zov d' 'AXegävögov jtagayyeü.avTog sk Köqivdov anavzäv zag re jiqeo-
Sitzgsb. d. philos.-philol. u. d. bist. Kl. Jahrg. 1917, 10. Abb.. 3
34 10. Abhandlung: U. Wilcken
Wenn Philipp in der hier vermuteten Weise die Ver-
handlungen zu Korinth geführt hat, so bietet dazu formell
eine auffallende Parallele das Vorgehen des Artaxerxes II. bei
der Begründung des Königsfriedens vom Jahre 386. Auch
dieser verkündete seinen Willen zunächst in einem königlichen
Erlaß, der dann die Grundlage für die Formulierung der ovv-
&rjxai gebildet hat. Vgl. R. v. Scala, Die Staatsverträge des
Altertums I S. 110 ff. Die geschäftliche Behandlung durch
den persischen und den macedonischen König stimmen mutatis
mutandis im wesentlichen überein.
Das Durchdenken dieser formellen Parallele führte mich
auch zu einer sachlichen Gegenüberstellung des Königsfriedens
und des philippischen Friedens. Hierbei kam ich zu einer
Auffassung der Politik Philipps, deren Gültigkeit unabhängig
ist von der Frage, ob ich ihm mit Recht ein didyQajujua zu-
geschrieben habe, ob also jene formelle Parallelität besteht
oder nicht. Die sachliche Parallele oder besser die sachliche
Antithese ist historisch viel wichtiger, und diese scheint mir
evident zu sein. Artaxerxes hatte durch seine eiQrjvr], nach der
die kleinasiatischen Griechen zum Perserreich gehörten, die
übrigen griechischen Staaten ihre Autonomie durch den Perser-
könig als den (pvAag ifjg elQrjvr)Q (Isokr., Paneg. 175) garantiert
erhielten, das Staatsgrundgesetz geschaffen, durch das er Hellas
in Abhängigkeit vom Perserreich hielt. Philipp dagegen brachte
durch seine Neuordnung, nach der er als yyEjucbv tfjg eEXXddo<;
die Garantie für die Freiheit und Autonomie der Hellenen über-
nahm, Griechenland in Abhängigkeit von Macedonien und dies
zu einer Zeit, in der rechtlich und faktisch jener Königsfriede
noch in Geltung war. Das bedeutete also eine bewußte ge-
waltsame Beseitigung des Königsfriedens. Macedonien trat
dadurch Hellas gegenüber an die Stelle, die seit fast 50 Jahren
Persien eingenommen hatte. Man könnte hiernach das Ziel von
Philipps Griechenpolitik auch geradezu dahin formulieren, daß
ßsiag xal xovg aweSgov? , eneidtj ovvrjX&ov ol ovveSqsvsiv elco&oiss
htL). Es bedurfte hier nur einer Erneuerung des alten Vertrages (s. hier-
zu oben S. 3).
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 35
er an die Stelle des Königsfriedens den philippischen
Frieden setzte. Daß seift Verbot, daß kein Grieche beim
„Barbaren" Solddienste nehmen dürfe, auf die Schwächung der
persischen Macht abzielte, ist auch bisher nicht verkannt wor-
den. Ich möchte aber nach Obigem noch allgemeiner in der
Neuordnung, die er zu Korinth schuf, einen Schlag gegen Per-
sien sehen mit dem Ziel, die macedonische Suprematie über Hellas
an die Stelle der persischen zu setzen. Da dies ohne die Ent-
scheidung der Waffen nicht durchführbar war, so ergibt es
sich von hier aus als etwas Selbstverständliches, daß die Kriegs-
proklamation gegen Persien dem Abschluß seines Friedens auf
dem Fuße folgen mußte,1) und wir begreifen aus seiner Ab-
sicht den Königsfrieden zu beseitigen, daß die Befreiung der
kleinasiatischen Griechen und ihr Anschluß an den korinthi-
schen Bund sein nächstes Kriegsziel sein mußte (Diod. XVI
91, 2). Auch von diesen Gedankengängen aus bestätigt sich,
daß eine Eroberung des gesamten Perserreiches, wie sie später
Alexander durchgeführt hat, außerhalb des Rahmens seiner
Politik gelegen hat.
4.
Zu Wilhelms Urkunden des korinthischen Bundes der Hellenen.
Die obigen Ergebnisse , im besonderen die Scheidung
zwischen der konstituierenden und der Kriegs-Sitzung, werfen
auch einige neue Lichter auf die drei Inschriften, die Wil-
helm in so scharfsinniger Weise zum korinthischen Bunde in
Beziehung gesetzt hat (s. oben S. 3).
A.
Die erste Inschrift (= IG IP 236 = Ditt., Syll. P 260)
ist, abgesehen von dem oben besprochenen Dissens über die
Zugehörigkeit der Eleimioten, in allem Wesentlichen von
'] Vgl. Kaerst, Hell. I2 271, dessen Ausführungen sich zum Teil mit
dem obigen Gedankengang berühren.
36 10. Abhandlung: U. Wilcken
Wilhelm überzeugend erklärt worden.1) Fraglich bleibt nur
noch, zu welchem Zweck die Liste der Bundesmitglieder mit
Angabe ihrer Stimmenzahl hinzugefügt worden ist. Daß sie
am Schluß der Gesamturkunde gestanden hat, zeigt die Photo-
graphie. Ich nahm zunächst an, daß die Liste als Appendix
zu dem Text der ovv&fjxai aufzufassen sei, etwa wie in der
Urkunde über den zweiten attischen Seebund (Syll. P 147)
zum Schluß die Liste der noXeig ovjtijuaxot folgt. Dies scheint
auch die Ansicht von Wilhelm zu sein (S. 21/22). Wie dort
Z. 69 f. würde auch hier in den ovvftrjxm ein Hinweis auf die
unten folgende Liste anzunehmen sein. Daß dort keine Stimmen
angegeben sind, erklärt sich aus der dort herrschenden Stimmen-
gleichheit. Eine andere Deutung schlug mir Hiller von
Gaertringen vor, dem ich für eine eingehende Aussprache
über die Wilhelmschen Urkunden zu lebhaftem Dank ver-
pflichtet bin. Nach ihm hat die Liste vielmehr den Zweck
anzugeben, mit wieviel Stimmen die Bundesmitglieder den in
Frage stehenden Beschluß gefaßt haben.2) Stellen wir uns
auf diesen Standpunkt, so kann nach den obigen Ausführungen
die Liste sich nicht auf die in der konstituierenden Sitzung
vereinbarten ovv&rjxai beziehen, da diese nicht von den ovv-
eÖQoi beschlossen worden sind (s. oben S. 25). Andrerseits muß
es ein Beschluß sein, der mit jenen ovv&fjuai so eng zusam-
menhängt, daß man beide auf demselben Stein publizierte.
Dies paßt für den Kriegsbeschluß, der in der Kriegssitzung
von den ovvedgoi gefaßt worden ist (s. oben S. 21). Der enge
zeitliche und politische Zusammenhang zwischen den beiden
Beschlüssen würde in der gleichzeitigen Publikation auf einem
Stein klar zum Ausdruck kommen. Also hätte hiernach auf
*) Statt oi dsl ösö/lisvoiJ in Z. 19 wäre vielleicht oi adixovfiEvoi] vor-
zuziehen. Vgl. Syll. I3 181, 33: xaüözi av Inayyilloiaiv oi äjöixovfisvoi.
Bedenken habe ich gegen die Ergänzung in 21: xadozi [av rji ovvzsiay-
(xevov ifiavjtcöi.
2) Er verwies dabei auf die delphischen Amphiktyonen-Beschlüsse
(Syll. II' 826). Vgl. z. B. E 32: sxqwclv AeX<pä>r yärpoi ovo . . . OsaaaXwv
ij'äcpoi ovo . . . usw.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 37
unserem Stein hinter den ovv&fjxai xal oqxoi auch noch der
Kriegsbeschluß gestanden. Da dieser zweifellos einstimmig ge-
faßt ist, könnten wir auch nach dieser Deutung dem Text ent-
nehmen, wie viele Stimmen den genannten Bundesmitgliedern
rechtlich zugestanden haben. Hiernach würde die 2. Kolumne
von Fragment a als zum Kriegsbeschluß gehörig ihre Erklä-
rung finden. Dies scheint mir ein Argument für Hillers Auf-
fassung zu sein.
B.
Die zweite Inschrift, die Fragmente aus Epidauros (= IG
IV 924), deutet Wilhelm zum Schluß folgendermaßen (S. 44):
„Bruchstücke der Abmachungen, die König Philipp im Jahre
337 v. Chr. zur Führung des Feldzuges gegen Persien mit den
Hellenen getroffen hat, scheinen in der Inschrift aus Epidauros
vorzuliegen." Hierzu habe ich zweierlei zu bemerken.
Erstens scheint mir durch keines der Fragmente sicher-
gestellt zu sein, daß der Text sich auf Philipp bezieht. So-
weit ich sehe, kann er ebensogut auf Alexander bezogen werden.
Es bleibt somit unentschieden, ob wir die Urkunde in 337 oder
336 zu setzen haben.
Zweitens habe ich Bedenken, diesen Text auf den Kriegs-
beschluß zu beziehen. Wenn ich recht sehe, ist Wilhelm zu
seiner Auffassung speziell durch ]cov ßaoi[X in G 3 bestimmt
worden. Er gibt zwar zu (S. 43), daß hier auch von dem je-
weiligen König von Macedonien (Maxedövjcov?) die Rede sein
könne oder auch von ßaoi[hxd o. ä. (S. 42), scheint aber, wie
die Ausführungen auf S. 43/4 nahelegen, die Deutung auf den
„ Perserkönig " zu bevorzugen.
Geht man von der Scheidung der ovvfifjxai und dem
Kriegsbeschluß aus, so sieht man, daß diese epidaurischen
Fragmente entschieden besser zu jenen als zu diesem passen.
An den verschiedensten Stellen wird hier von den ovvsöqoi
und ihren Pflichten gesprochen. In C ist von äjioygarpai die
Rede und von tiqoföqoi und ihrem jigoEÖgeveiv.1) Das alles
') Was sind das für jiQÖedgoi'? Leiteten sie die Verhandlungen des
88 10. Abhandlung: U. Wilcken
sind zivile Verordnungen, die wir uns sehr gut in den ovv-
Orjxai denken können, aber nicht im Kriegsbeschluß. Danach
wird man dann auch die 5 letzten Zeilen, die von militärischen
Dingen handeln, auf eine Bundesexekution und nicht auf den
Perserzug beziehen. Der Text besagt nach Wilhelms aus-
gezeichneter Restitution, data, wenn ein Bundesmitglied nicht
[rechtzeitig] die ihm auferlegten Truppen (rrjv dv[va/uiv xr\]v
Terayuevip') entsendet, es eine Konventionalstrafe zu zahlen hat,
die sich abstuft, je nachdem es sich um Innels, önXixai, xpiloi
oder vavxai handelt, und zwar pro Tag für die Dauer des be-
treffenden militärischen Unternehmens (ewg av [i£ttftt]i 6 yjqö-
vog rfjg oxga[x£iag roT]g äUoig "E[llr\oiv] oder ifmxovQoig]).
Das paßt alles vortrefflich auf eine Bundesexekution, denn so-
wohl aus den ovv&fjxai wie aus den öqxoi wissen wir, daß,
falls ein Bundesmitglied den Vertrag gebrochen hatte, die an-
deren eidlich verpflichtet waren gegen ihn zu Felde zu ziehen.
Vgl. Ps. Dem. 17 § 6: nooGyeyoanxai er xalg ovv&rjxate noU-
juiov elvcu xöv exeiva äneo 'AMfavdoog noiovvxa (inaoi xoig xrjg
sigjjvrjg xoivcovovoi xal xi]v %d>qav avrov, xal oxqaxEveodai
en avrov änavxag. Vgl. § 10. Dementsprechend heißt es
in dem Eid (Syll. P 260) im Falle des Bundesbruches eines
Mitgliedes: ßorjftrjow] . . . xal tioIe/jl^oo) tco[i xijv xoivtjv
EiQi]vr]v naojaßaivovxi xadoxi [av r\i ovvxExayjUEVov E/Ltav(?)lx&i
xal 6 fjyEfjucbv xeXevy]l. Die letzten Worte erklären das
trjv dvfva/uiv xi)]v xExay [xevyjv unserer Inschrift. Die Erwäh-
nung der vavxai spricht nicht gegen die Beziehung auf eine
Bundesexekution, denn da auch zahlreiche Inseln Mitglieder
des Bundes waren, mußte man eventuell auch maritime Ex-
peditionen unternehmen.
Hiernach ziehe ich vor, die epidaurischen Fragmente als
Bruchstücke aus den ovvdfjxai Philipps resp. Alexanders zu
deuten. Das ßaoiß kann hiernach nicht auf den Perserkönig
bezogen werden, da ja, wie ich oben zeigte, in den ovv&rjxai
owidgiov'? Sonst scheinen sie nicht bekannt zu sein. Zu vergleichen
wären etwa die nooaxäxai des avviboiov des aetolischen Bundes. Vgl.
meinen Aetolia- Artikel bei Pauly-Wissowa I 1120.
Beiträge zur Geschichte des korinthischen Bundes. 39
Philipps jede direkte Bezugnahme auf Persien absichtlich ver-
mieden wurde. Dasselbe wird aber auch von den ovv&fjxai
Alexanders gelten trotz der veränderten politischen Lage von
336, da er ja den Wortlaut seines Vaters mutatis mutandis
nur wiederholt hat. Es hindert uns aber auch nichts, in ßa-
ot[X eine Erwähnung der macedonischen Königsgewalt anzu-
nehmen, wie ja auch Wilhelm die Möglichkeit zugegeben hat.
Ebensogut wie in den oqkol dieser ovv&>~jy.ai von ßaaikeiav
[r]i]v <£>[äiJi7iov xal xcöv exyörjcov die Rede ist (Syll. P 260 a,
11), kann in den ovv&rjxai auch in anderem Zusammenhange
von tyjv <Pdijuiov resp. 'AXe^dvdoov xal xcöv ixyovjcov ßa-
otfXelav o. ä. gesprochen sein.
C.
Über die dritte Inschrift — ein athenisches Fragment,
das Wilhelm hier zum ersten Male bekannt gibt, — sagt er
S. 46: „Ist dem so, so enthält die Inschrift Reste der Ab-
machungen, die Alexander mit den Athenern oder den Mit-
gliedern des Hellenenbundes überhaupt bei dessen Erneuerung
in Bezug auf ihr Einschreiten gegen Friedensstörer oder ihre
Beteiligung an dem Kriege gegen Persien getroffen hat."
Von diesen beiden Alternativen scheidet meines Erachtens
die zweite (Perserkrieg) dadurch aus, daß in Z. 11 mit ]äv
yjgcojvxai riji oigariäi deutlich auf Bundesmitglieder hinge-
wiesen wird, die zu ihrem Schutz die in Frage stehenden
Truppen erbeten haben.1) Also handelt es sich um Bundes-
hilfe gegen Friedensstörer, nicht um den Perserkrieg. Da
Kaerst, Hell. P 529 in Bezug auf unsere Inschrift von grie-
chischen Bundeskontingenten spricht, mache ich darauf auf-
merksam, daß es sich in Z. 9/10 speziell um die Entsendung
macedonischer Hilfstruppen handelt, denn vnaomoxai sind
als Truppengattung2) doch nur für das macedonische Heer be-
1) So auch Wilhelm S. 47.
2) An „ Schildknappen", wie sie unter diesem Namen für Sparta be-
zeugt sind (vgl. Ad. Bauer, Die Kriegsaltertümer2 S. 318), kann hier
nicht gedacht werden. Dagegen spricht schon das Verpflegungsgeld von
• ^ 10. Abhandlung: U. Wilcken, Beiträge zur Geschichte usw.
zeugt. Es ist auch ganz in der Ordnung, daß im Falle des
Friedensbruches gerade auch die macedonischen Truppen mit
eingreifen, wobei zunächst an die Garnisonen von Korinth etc.
zu denken sein wird.
Hiernach scheint auch dies Fragment zu den ovv&rjxai
zu gehören, und zwar wegen der Nennung Alexanders zu
denen von 336. Die Schlußbemerkung über die Publikation
in Pydna1) zeigt, daß wir den Schluß der ovvdrjy.ai vor uns
haben. Dazu paßt, daß hier die Strafbestimmungen für die
Übertreter des Vertrages stehen.
einer Drachme. Auch Wilhelm denkt an die macedonischen Hypas-
pisten (S. 46/47), hebt aber die historische Bedeutung der Nachricht nicht
hervor; daher wohl der Irrtum Kaersts.
*) Gegen Wilhelms Ergänzung zorg tsxayfievovg ixi zfji y.otvfji vpv-
).a]ySji ozt~]oai xtk. und seine weiteren Konsequenzen vgl. die Bedenken
von Kaerst, Hell. I2 529 f. Darin hat Kaerst gewiß Recht, daß der ganze
Grundgedanke der Rede Ps. Dem. 17 verlangt, daß dort mit den zszay-
fievot xxX. eine macedonische Behörde gemeint ist, nicht ein Bundes-
ausschuß, wie Wilhelm und Niese annehmen. Ist Wilhelms Ergän-
zung richtig — und eine andere Deutung der <pv?.]ay.fji sehe ich we-
nigstens nicht — , so würde zu dieser Auffassung von jener Behörde ja
auch gut passen, daß sie die Aufstellung im macedonischen Pydna be-
sorgen soll. Im übrigen reicht unser Material zu einer klareren Vor-
stellung von dieser Behörde noch nicht aus.
AS
182
M823
1917
JLATE AS MONCGRAPH
Akademie der Wissenschaften,
Munich. Philosophisch-
Historische Abteilung
Sitzungsberichte
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