ITALIENISCHE FORSCHUNGEN
ZUR KUNSTGESCHICHTE
HERAUSGEGEBEN VON
AUGUST SCHMARSOW
ERSTER BAND
S. MARTIN VON LUCCA UND DIE ANFÄNGE DER
TOSKANISCHEN SKULPTUR IM MITTELALTER
VON
AUGUST SCHMARSOW
BRESLAU
DRUCK UND VERLAG VON S. SCHOTTLAENDER
i8go
S. MARTIN
VON
LUCCA
UND DIE ANFÄNGE DER TOSKANISCHEN SKULPTUR
IM MITTELALTER
VON
AUGUST SCHMARSOW
BRESLAU
DRUCK UND VERLAG VON S. SCHOTTLAENDER
1890
INHALT
Seite
I. Sanct Martin von Lucca I — 1 1
*
II. Die Sclimuckfassade des Domes 12 — 28
III. Die Bildnerschale Luccas im XII. Jahrhundert und ihre Verwandten 29 — 52
IV. Guido da Como 53 — 87
V. Unter Beinato und Aldibrando 88 — 110
VI. Niccolö Pisano III — 137
Vn. S. Martin im Trtcento 138— 167
VIII. Die Enstehungszeit der Martinsgruppe 168 — 193
*
IX. S. Martin von Lucca und die Anfänge der SUulptur in Toskana. . 194 — 248
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VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
(7 Lichtdrucktafeln * und 21 Zinkätzungen)
Seite
1)* Arczz), Pieve, Anbetung der Könige,
Marmorrelief (nach Photographie von Alinari) . . 202
2) „ „ Monat August,
Relief im Bogen des Hauptportals (Alinari) . . . 243
3) Calci bei Pisa: Taufbecken (Alinari) 1. 208
4) Ferrara, Dom, Vorhalle: Monat September, Relief (Alinari) .... 240
5) Florenz, SS. Annunziaia, Klosterhof: Grabmal des Guill. Amerighi
de Nerbona 189
6) Forli, S. Mercuriale, Anbetung der Könige,
Relief in der Portallünette (Alinaii) 241
7)* GroppoU, Villa Dalpina, S. Michael, Statue (Phot. v. Brogi) .... 43
8)* Lucca, Dom, Fassade . (Alinari) 16
9)* „ ,, S. Martin und der Bettler,
Marmorgruppe (Alinari) . I
10)* „ „ Martinslegende, Reliefs an den Seiten des Hauptportals (Alinari) 98
11) „ „ Monatscyklus, Reliefs an den Seiten des Hauptportals
(Alinari) 88 95
12)* „ ,, Architrav und Tympanon des Hauptportals, von Guido da Como
(Alinari) 76
13) „ ,, Architrav und T3Tmpanon des Seitenportals rechts, Geschichten
des hl. Regulus (Alinari) 105 109 168
14) ,, - ,, Architrav und Tympanon des Seitenportals links, von Nicc.
Pisano (Alinari) III 121
15) ,, S. Frediano, Taufbecken (Alinari) 29
16) ,, S. Salvatore (Misericor dia), Tiirsturz mit der Taufe des
hl. Nikolaus, von Biduinus (Parkers Collection) .... 53
17) Pisa, Bap tlsterium, Architravskulpturen des Hauptportals (Alinari) 194
18) „ S. Martino, Barmherzigkeit S. Martins.
Relief der Türlünette (Alinari) 163
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
19) Pistoja, 5. Andrea, Türsturz mit Anbetung der Könige von Gruamons
und Adeodatus (Brogi) 36 "4°
201 ., .. Kapitelle von Enrigus 3^
2,-j „ S. Bartolomco in Pantano, Türsturz mit Christus und
Thomas inmitten der Apostel (Brogi) 39
22) ti n Verkündigung und Anbetung, Reliefs von der Kanzel
des Guido da Como (Brogi)
2,) „ s. Giovanni Evang. Fuorcivitas, Türsturz mit dem Abendmal
von Gruamons (Brogi) I2
24) S. Giuseppe: Statue S Michaels von Guido da Como (Brogi) 73
25) Spoleto. Stadthaus: Relief mit dem Martyrium eines hl. Bischofs
(Alinari)
66
20
3
BERICHTIGUNGEN
Seite 21 Zeile 20 Knie lies Kinn
49 „ 17 Tympanon „ Architrav
., 54 Anm. nomiglianza ,. somiglianza
sello ,, nello
,, 57 Zeile 7 caiseun ., eiaseun
,115 ,. 4 lies Emendation
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,, 176 , 36 riecht ., reicht
S. MARTIN VON LUCCA
Taufstein der Pieve zu Calci.
I
Sanct Martin von Lucca
Am Dom zu Lucca überrascht den näher kommenden Be-
schauer ein marmornes Reiterbild von eigener Art. Die
reiche Fassade im entwickelten romanischen Stil mit ihrer ge-
räumigen Eingangshalle, die sich in drei etwas ungleichen
Bögen vor uns öffnet, mit ihren luftigen Galerien darüber,
deren zweite sich nach den Seiten hin abschrägt, während die
dritte, nur den Lichtgaden des Hauptschiffes verkleidend, als
Attika die Mitte des Baues krönt, — der ganze mannichfaltige
Zierrat mit Säulen und Säulchen, bunt gemeisselten Simsen
und eingelegten Marmorplatten, schwindet wie ein heiteres
Formenspiel ohne tiefere Bedeutung vor unseren Augen zu-
sammen, sobald der Anblick dieser menschlichen Gestalt, hoch
zu Ross neben ihrem Begleiter, in unserer Phantasie gezündet
hat. Denn in voller Lebensgröfse steht hier an der Stirnwand
der Vorhalle, zwischen zwei Bögen auf kräftigem Konsolen-
paar, frei und voll ausgerundet diese Gruppe von drei Wesen
und zieht an ungewohnter Stelle die Aufmerksamkeit um so
mehr auf sich allein, als ein zweiter ähnlicher Platz vor dem
anderen Zwickelfeld der Arkade links, entweder niemals aus-
gefüllt worden, oder doch jetzt seines einstigen Schmuckes
beraubt erscheint. Dort springen nur die leeren Tragsteine
aus der Wandfläche vor und mit ihnen in unserem Sinne die
Italienische Forschungen I. I
2 SANCT MARTIN VON LUCCA
Erwartung auch hier ein ebenso umfängliches Bildwerk zu
sehen, das wirksam wie das Gegenstück die Mauermasse beleben
und die wuchtige Halle drunten mit der bewegteren Bogen-
reihe der Galerien vermitteln würde. Die Erscheinung von
Ross und Reiter mit einem Fufsgänger daneben, aus dem
Alenschendasein, dem wir selber angehören, in leibhaftiger
Gegenwart dorthin gestellt, tritt uns sofort persönlich nahe, wie
weit auch in Ort und Zeit der Abstand zwischen uns und
jenem Kunstgebilde bleiben mag.
Der Reitersmann in schlichtem Soldatenkleide ist im Begriff
dem frierenden Bettler, der halb nackt des Weges kommt, ein
Stück vom eigenen Manteltuch herunterzuschneiden, damit auch
jener sich wärme. Das tat, als er noch einfacher Krieger war,
der Heilige, dem die Kathedrale von Lucca geweiht ist, S. Martin,
der Schutzpatron der Stadt. Ihn verehrten die Lucchesen
Jahrhunderte lang in diesem Bilde und bekleideten an Festtagen
die Marmorfigur am Dome mit Hut und Mantel aus reichen
Stoffen.1)
So mag dem Historiker, der sich aus zahlreichen Ueber-
resten jener Zeit, aus Kirchen und Palästen den Eindruck der
alten Stadt wieder herzustellen sucht, auch dieses Werk schon
als Denkmal bürgerlichen Gemeinsinns willkommen sein; sowol
in seiner eigenen Tracht und Weise, die der Bildner selbst
ihm gegeben, als in dem festlichen Aufputz aus kostbarem
Gewebe nach dem Wechsel der Mode , den die Lebenden
drunten ihm aufgehängt. Jetzt ist das Wahrzeichen lange ver-
gessen, und die jubelnde Volksmenge schaut nicht mehr zu
ihm auf, wie zu einem geliebten Beschützer, den sie durch die
bunten Kleider sich näher gebracht, ja verbindlichst in ihre Mitte
herunter genötigt. Und vergessen scheint auch das Kunstwerk
als solches bei den berufensten Forschern in der Geschichte
der italienischen Skulptur 2 ), obgleich eine nähere Untersuchung
und bestimmte Beurteilung gerade dieses Denkmales in mehr
als einem Sinne dringend geboten war.
') Enrico Ridolfi, L'Arte in Lucca studiata nella sua cattedrale. Lucca 1882
S. 93 erwähnt eine Zahlung für diesen Schmuck im Jahre 1 4 1 4.
2) Burckhardt und Bode, Cicerone, erwähnen es ebenso wenig wie Lübke,
Perkins, Schnaase, Semper. u. A.
SANCT MARTIN VON LUCCA 3
Nur Crowe und Cavalcaselle erwähnen es in der Geschichte
der italienischen Malerei, indem sie es dem Erbauer der Fassade
zuschreiben und völlig unter seinem Werte abschätzen. „Wenn
auch z. B, in Lucca Guidectus, der i 204 die Fassade von S. Martin
vollendete, den Benedictus (Antelami zu Parma) in Bezug auf
Figurenproportion, Beweglichkeit der Draperien und Behandlung
des Nackten hinter sich liefs, so ist doch gerade die Hauptfigur
daselbst, der heilige Martin zu Pferde, wie er seinen Mantel
zerschneidet, von grosser Rohheit." ') — Sollte ein so weg-
werfendes Abtun wirklich unsere Historiker abgeschreckt haben?
— Angesichts des Werkes selber kann, denke ich, ein solcher
Ausspruch das Urteil nicht im mindesten beirren; denn hier
redet zu jedem empfänglichen Auge die künstlerische Schöpfung
für sich selber, machtvoll und eindringlich genug.
Um so mehr Anerkennung verdient es, dass ein Italiener
dessen Landsleute sich sonst Rumohr citierten, um auf die
Monumente Luccas aufmerksam zu machen, den Mut gefunden
hat ganz anders zu sprechen. „Bello molto e di larga maniera"
nennt Enrico Ridolfi die Gruppe in seinem ausgezeichneten
kleinen Führer durch die Stadt 2), — und dies kurze und zurück-
haltende Lob, das von jedem Verdacht eines allzu eifrigen
Lokalpatriotismus frei bleibt, mag vorerst in der Wagschale
genügen, jenes Tadelsvotum Crowes wieder aufzuwiegen.
Fassen wir das Marmorbild einmal als Gegenstand unserer
geschichtlichen Forschung in's Auge, so verdient schon die
Tatsache Beachtung, dass wir es mit der lebensgrossen Dar-
stellung eines Reiters auf seinem Rosse zu tun haben, d. h. mit
einem umfänglichen Werke, welches die Freiskulptur der christ-
lichen Zeit auch in den besten Perioden regsamer Tätigkeit nur
selten versucht hat. Insofern gehört S. Martin zu Lucca in
die Reihe der Reitermonumente Italiens ■>), so gut wie die
steinernen Darstellungen der Scaliger und Visconti auf ihren
Grabmälern in Verona und in Mailand, so gut wie der bronzene
1) Deutsche Ausgabe I. S. 102.
=) Guida di Lucca. Settembre 1877 (tipi Giusti).
3) Deshalb ist er auf meine Veranlassung in diesem Zusammenhange auch 1886
in einer Göttinger Doktordissertation erwähnt worden, auf die ich weiterhin zurück-
komme.
4 SAXCT MARTIN VON LUCCA
Marc Aurel in Rom, oder der sagenumwobene Regisol einst
in Pavia, oder der Theodorich vollends, der nach Walafried
Strabos poetischer Schilderung von Nebenfiguren zu Fufs be-
gleitet war. Für den Forscher aber , der die Entwicklung
italienischer Skulptur von den Anfängen durch das Mittelalter
hindurch bis auf die höchsten Meister der Renaissance verfolgt,
für ihn gerade gewinnt dieses Werk der Steinskulptur um so
gröfsere Bedeutung, je mehr sich sein Blick auf Donatellos.
Verrocchios und Lionardos Bemühungen um das Reiterstand-
bild wie auf leitende Sterne gerichtet.
Natürlich soll damit nur auf die notwendige und lehrreiche
Beziehung zu jener Reihe von Monumenten hingewiesen, nicht
etwa volle Gleichartigkeit des Vorwurfs behauptet werden. Die
Aufgabe hat hier am Dom zu Lucca vielmehr durch zwei
Umstände sehr wesentliche Abwandlung erfahren. Einmal ist
S. Martin zu Pferde auf Konsolen vor eine Mauerwand, nicht
frei auf einem Postament aufgestellt: das heisst, er ist nicht als
Rundfigur für die Ansicht von allen Seiten berechnet, sondern
mehr oder weniger für die Vorderansicht, wenn auch nicht so
ausschliesslich wie die Giebelskulpturen antiker Tempel etwa,
die vom vorspringenden Marmorgebälk eingerahmt und gegen
seitliche Blicke verschlossen werden. Nähert sich schon da-
durch der Charakter des Werkes mehr dem Hochrelief, so
wird dies noch entschiedener durch den zweiten Umstand be-
wirkt: die Hinzufügung des Fufsgängers, zu dem der Reiter
in lebendige Beziehung tritt und handelnd sich herum wendet,
so dass alle bedeutsamen Teile seiner Person auf der einen
Seite tätig sind, die dem Beschauer gezeigt wird.
Eben dadurch erhält aber die Gruppe einen neuen Wert,
der das Interesse steigert und die Bedeutung für unser Urteil
vermehrt; sie gewinnt den fühlbarsten Zusammenhang mit dem
Hauptkörper der mittelalterlich-christlichen Kunstübung, der
Darstellung von Historien. Es ist nicht ein marmornes Reiter-
bild allein, sondern wir haben einen Auftritt aus dem Leben
des heiligen Mannes, der auf dem Ausritt zum Kriegshandwerk
sich des Bettlers am Wege schnell erbarmt. Es ist eine Scene,
die mit einer Vielheit von andern erst ein Ganzes bildet, wie
wir es zu sehen gewohnt sind: wie irgend ein beliebtes Haupt-
stück aus der biblischen Geschichte oder Legende der Heiligen
SANCT MARTIN VON LUCCA 5
das für sich herausgegriffen, doch einen Verlauf von Ereignissen
in die Erinnerung ruft, und mit seinen Voraussetzungen wie mit
seinen Folgen gedacht wird. Obgleich „S. Martin mit dem
Bettler" als möglichst selbständige und abgerundete Gruppe
dort oben hingestellt wird, so bleibt diese doch ein Ausschnitt
aus einer epischen Erzählung, und ihr Zusammenhang mit dem
weiteren Schicksal des Helden motiviert erst, weshalb der mit-
leidige Kriegsmann am Eingang eines Gotteshauses solch Denk-
mal erhalten.
Damit sind unter den gegebenen Voraussetzungen zugleich
entscheidende Vorzüge bezeichnet, welche dies Marmorbild als
echtes Kunstwerk erweisen und weit über die vielen handwerk-
lichen Erzeugnisse damaliger Steinmetzen hinausheben. Es er-
zählt klar und verständlich den Vorgang, den es darstellen
soll, <und schliesst die drei Wesen, die daran beteiligt sind,
zugleich zu einer durchaus einheitlichen Erscheinung zusammen,
die auch in lebensgrofsem Mafsstab und voller Körperlichkeit
ausgeführt, ihre monumentale Wirkung nicht verfehlt. Es ist
als Erfindung wie als Komposition das Resultat gereifter
Meisterschaft, ganz abgesehen von der technischen Sicherheit,
welche dazu gehört die drei Körper, deren einer noch dazu
ein Schlachtross, frei und rund aus dem Stein zu hauen.
Bei der praktischen Herstellung kam dem Meister freilich
der Umstand zugute, dass der Gaul mit der einen Breitseite
in ganzer Ausdehnung unmittelbar vor die Mauer zu stellen
war, so dass der schwere Rumpf in jeder Weise haltbar befestigt
werden konnte. Ausserdem wurden die Hinterbeine des Pferdes
durch den davorstehenden Fufsgänger so weit versteckt, dass
möglichst ruhige Haltung und starke Bildung bewahrt werden
durfte. Trotzdem hat die Aufstellung auf zwei Konsolen den
Künstler veranlasst, auch sonst das Ross das schon der Unter-
sicht wegen nicht allzu kurzbeinig gewählt werden konnte,
in lammfrommem Stillstehen zu zeigen; so erscheinen auch die
Vorderbeine in ihrer Gleichläufigkeit nicht allein etwas ein-
förmig und unbeweglich, sondern sie sind als Stützen des
wuchtigen Körpers mitsamt dem Reiter auf dem Rücken ab-
sichtlich stärker geformt; vielleicht wurden auch deshalb die
Gliederungen nicht so durchgeführt, die Gelenke und Sehnen
nicht so herausgearbeitet, wie wir es der Naturwahrheit und
6 SANCT MARTIN VON LUCCA
Lebendigkeit zuliebe wol wünschten. Jedenfalls ist schwer zu
sagen, wo die weise und berechtigte Vorsicht aufhört und die
Unfähigkeit anfängt. Der ganze, immerhin etwas hochbeinige
Gaul ist in seiner Nebenrolle allerdings ziemlich allgemein be-
handelt, und wirkt in dem heutigen Zustand, wo die Auf-
zäumung und die Farbe fehlen, natürlich etwas leer; aber der
Kopf auf hohem kräftigem Halse ist in seiner leichten Wen-
dung nach vorn wieder lebendig, und das horchend aufge-
richtete Ohr, die geöffneten Nüstern und vollends das Auge,
das seitlich herumblickt, versinnlichen sprechend die halb un-
ruhige, halb neugierige Aufmerksamkeit des Tieres bei der
ungewohnten Annäherung des Fremden. „An dem Pferde ist
neben dem auffallenden Ungeschick des Künstlers, dem Bau
der Hinterhand Verständnis abzugewinnen, doch schon stellen-
weise eine Detailbildung anzuerkennen, welche sich mit sicht-
lichem Erfolge der Natur zu nähern sucht, ganz besonders in
der Bildung des Kopfes, der mit richtigem Blick als ein Haupt-
sitz interessanter Details am Pferdekörper erkannt ist" ' ).
Der Reitersmann sitzt fest und grade im Sattel, indem
der Oberkörper mit allerdings befremdlicher Drehbarkeit sich
fast in ganzer Breite dem Beschauer zu nach vorn kehrt und
der hochaufgerichtete Kopf im ganzen Aufbau den Höhepunkt
der Dominante bildet. Der linke Arm ist vom Mantel bedeckt,
nur die vorgreifende Hand sieht heraus, indem die Finger
über den Rand des Tuches fassen, das zerschnitten werden
soll. Die Rechte, über deren Achsel der Mantel befestigt ist,
schiebt sich hervor, den Ellenbogen nach vorn, um an der
linken Seite nach rückwärts den Schnitt zu führen, während
der Bettler behülflich das andere Ende des Stoffes emporhält.
Leider ist das Schwert in der Hand S. Martins völlig abge-
brochen, so dass uns nur möglich bleibt, aus der Scheide, die
vom Gürtel herabhängt, auf Form und Grösse zurückzu-
schliessen2). Schlicht und einfach, ohne unnötigen Kraftaufwand
ist die Handlung gegeben. Ja, was vielleicht notwendige
Beschränkung war, erweckt den Eindruck einer gewissen
') H. Weizsäcker. Das Pferd in der Kunst des Quattrocento. Göttinger Disser-
tation S. 14; — auch im Jahrbuch der K. Pr. Kunstsammlungen 1886.
2 ) Es ist neuerdings ergänzt worden, wie auch der Heiligenschein.
SANCT MARTIN VON LUCCA 7
Feierlichkeit, die dem Heiligen wol ansteht. Aber auch da
scheint bewusste Ueberlegung des Meisters mitzuspielen; denn
dem Bettler fehlt der Ausdruck keineswegs, und hier liegt
doch der Schlüssel des Ganzen. Der Arme, in einem ärmel-
losen Kittel, der bis an die Kniee reicht, sonst völlig nackt
und wie Martin selbst ohne Kopfbedeckung, „drückt", wie
Ridolfi sagt, „in der Bewegung des Leibes sehr gut den Frost
aus, der ihn quält". Die kräftigen Beine schieben sich nämlich
mühsam und mit krummen Knieen vorwärts, während die
Sohlen flach am Boden haften, als würden ihm die Füfse
schwer. Schon diese nackten Beine allein lassen uns einen
Alten erkennen, dem die einstige Geschmeidigkeit seiner
Muskeln abhanden gekommen; und sehen wir ihn dann mit
eifriger Hast nach dem Mantel greifen und beim Abtrennen
seines Anteils helfen, so verstehen wir, dass er eben vor
Kälte zittert, und entschuldigen eine gewisse Zudringlich-
keit, die übrigens bei italienischen Strassenbettlern als selbst-
verständliches Vorrecht, an der Kirchentüre vollends als Amts-
pflicht gilt.
So lässt auch die Durchbildung des Einzelnen, soweit sie
hier bereits in Frage kommen soll, kaum irgendwo zu wünschen
übrig, und Crowe und Cavalcaselles einziges Prädikat „von
grosser Roheit" bleibt, wenn man einen gewissen Grad von
Schwerfälligkeit, der durchaus in die architektonische Umge-
bung passt, bei der Kunstperiode, mit der wir es nach ihnen
zu tun haben, doch voraussetzt, schier unbegreiflich. Ja, die
Ueberlegenheit dieser künstlerischen Leistung erscheint einem
um Luccas Kunstgeschichte hochverdienten Forscher wie Enrico
Ridolfi so ausnehmend und unverkennbar, dass er daraufhin
allein die Entscheidung fällt, das Marmorbild gehöre in die
zweite Hälfte des Trecento ') „Le forme corrette di tale scultura
fanno tosto vedere che non e giä da assegnarsi al tempo della
facciata, bensi alla seconda metä del secolo XIV."
Da haben wir einen neuen Widerspruch gegen Crowe
und Cavalcaselle, die das Werk um 1204 datieren und dem
Guidetto zuschreiben, der übrigens nicht nur mit ihnen ver-
mutungsweise als Bildhauer angesehen werden darf, sondern in
1) L'arte in Lucca p. 92 Guida di Lucca p. 10.
ö SANCT MARTIN VON LUCCA
Urkunden geradezu als „magister Guido marmolarius sancti
Martini de Luca," d. h. als Marmorbildner bei der Domkirche
S. Martin bezeichnet wird.
Diese Streitfrage aber ist schwieriger zu entscheiden, zu-
mal wenn das Votum sachverständiger Kenner so weit aus-
einandergeht. Hundertundfünfzig bis hundertundsiebzig Jahre
bedeuten gerade damals in Italien . einen langen inhaltreichen
und wechselvollen Zeitraum, — zwischen 1204 und 1375 etwa
liegt für Toskana noch ein gut Stück romanischer Kunstblüte
und beinahe die ganze Gotik! Aber nehmen wir selbst die
geringste Ausdehnung des von Ridolfi gegebenen Termins um
1 354 an, — obgleich er wol, wie sich unten zeigen wird, eher
an die Zeit nach 1372 denkt, wo der innere Umbau des Domes
im Sinne toskanischer Gotik begann, — so würde die Gruppe
ein Hauptwerk des reinen gotischen Stiles in dieser Gegend
darstellen. Nach Crowe und Cavalcaselle dagegen wäre sie eine
verhältnismäfsig sehr frühe Skulptur romanischen Stiles, fünfund-
fünfzig Jahre vor Niccolö Pisano entstanden, dessen erstes fest-
beglaubigtes Werk von 1260 datiert, — hundert Jahre vor dem
eigentlichen Durchbruch gotischen Stiles in der Bildnerei
Italiens bei Giovanni Pisano!
Lassen wir beiden Datierungen einen gewissen Spielraum,
wie es bei einiger Billigkeit geschehen mag, — so bleibt noch
immer die vollwichtige Frage stehen: „vor oder nach Niccolö
Pisano?"
Bei Crowe und Cavalcaselle ist die Entscheidung für das
Erstere kaum von Belang, da sie das Werk, um das es sich
handelt, so gering schätzen, und ohne Rücksicht auf dieses
Zeugnis kühner Freiskulptur Niccolö Pisano nach wie vor
als den Begründer toskanischer Bildhauerei verherrlichen, sei
er für sie auch kein Wunder, sondern schulgemäfs auf südita-
lischem Boden erwachsen. Für Jeden aber, der auch nur
einigermafsen mit unserer soeben angedeuteten Würdigung der
Marmorgruppe am Dom zu Lucca übereinstimmt, gewinnt die
Frage nach dem Zeitpunkte ihrer Entstehung überraschende
Tragweite. — Sollte es auch nur möglich sein, dass solch eine
Leistung in Toskana geschaffen ward, ehe noch Niccolö Pisano
den Weg gewiesen? Ist nicht dieser Gedanke gerade die nega-
tive Instanz, die Enrico Ridolfi bestimmt hat, jede Verbindung
SANCT MARTIN VON LUCCA 9
zwischen diesem Marmorbild und der Erbauung der Dom-
fassade in Abrede zu stellen, und die künstlerische Schöpf-
ung der lebensgrossen Gruppe erst mitten im Trecento, nach
Andrea Pisano und nach Andrea Orcagna für denkbar zu
halten? —
Solch eine Entscheidung kann wol diesem subjektiven
Kennerurfeil ebenso wenig überlassen bleiben, wie jener ver-
mutungsweise gewagten Zuweisung an einen überlieferten
Künstlernamen, mit dem man bis jetzt keine festgezeichnete
Vorstellung, sondern nur ein fest beglaubigtes Datum verbindet.
Es bedarf vielmehr einer eingehenden Untersuchung nach allen
Seiten hin, die hier in Frage kommen. Zunächst gilt es, die
genaueren Anhaltspunkte festzustellen, welche die Baugeschichte
des Domes zu Lucca selbst ergiebt, das heisst die Nachrichten
zu verwerten, welche Enrico Ridolfi in seinem gewissenhaften
Buche „L'arte in Lucca studiata nella sua cattedrale" (1882)
beigebracht hat. Vielleicht findet sich schon hier Ge-
legenheit, durch dies oder jenes auch bei ihm nicht voll
erwogene Moment den Gang der künstlerischen Arbeiten
bestimmter zu überblicken, so dass eine chronologische
Reihenfolge wenigstens in längeren oder kürzeren Terminen
hervortritt. Sodann aber sagt schon der Umstand, dass
Ridolfi selbst seine Ansicht über die Entstehungszeit der
Martinsgruppe nicht ausführlicher begründet, wie notwendig
hier eine Ergänzung und Erweiterung mit Hülfe unserer
eigentlich kunsthistorischen Methode eintreten muss. Wo
die Archivalien nichts mehr ergeben, versuchen wir durch
sorgfältige Vergleichung der Denkmäler selbst weiter zu ge-
langen. Sind doch die Kunstwerke überall die wichtigsten
Urkunden, mit denen wir zutun haben; sie sollten über dem
Notizensammeln und Aktenlesen, das man um ihretwillen betreibt,
nicht mit ihrem eigenen Inhalt zu kurz kommen. Die Skulpturen
der Vorhalle hier am Dom zu Lucca vermögen noch sehr viel
zu erzählen, wenn man sie nur für sich selber reden lässt.
Und wir dürfen endlich sicher sein, dass sich die mannich-
faltigsten Beziehung-en offenbaren werden , wenn wir in näherem
und fernerem Umkreis nach verwandten Erscheinungen suchen,
wenn wir die früheren, gleichzeitigen, späteren Monumente der
Nachbarstädte Toskanas, dann der übrigen Provinzen Italiens
lO SAXCT MARTIN VON LUCCA
oder gelgentlich gar der angränzenden Länder in vergleichende
Betrachtung ziehen.
So erst empfienge unser Urteil die allseitige Begründung,
deren es bedarf, aber auch die Tragweite, die wir ihm beige-
messen. So dehnt sich die anscheinend enge Kontroverse über
das Alter eines Bildwerks in der Provinzialstadt, um das
Lokalforscher sich kümmern mögen, zu einer umfassenderen
Umschau über die Anfänge der Skulptur Toskanas aus. Die
alte Frage nach dem Ursprung dieser Kunst gewinnt durch
eine kleine Verschiebung vielleicht einen neuen Gesichtspunkt,
unter dem sich die ganze Aussicht, wenn nicht in andern Massen,
doch in anderm Licht, und sei es auch nur in minder grellen
Kontrasten und mit ein paar durchgehenden Linienzügen
darstellt.
Mir scheint, wir sind mit der Forschung nach der Herkunft
Niccolö Pisanos glücklicherweise über das Krankheitsstadium
der „brennenden Streitfrage'1 hinausgediehen. Und dies ist
nächst der sorgfältig abwägenden Erörterung Dobberts wol zum
grofsen Teil der stillen Wirkung der neuen Auflagen von Jacob
Burckhardts Cicerone beizumessen, d. h. ein Verdienst Bodes
und seiner ungenannten Mitarbeiter, von denen ich beim vor-
liegenden Falle nur Karl Eduard von Liphart hervorheben will,
dem so mancher der gediegensten Forscher auf diesem Gebiet
mehr Anregung verdankt als er wissen mag. Gerade jetzt
aber, wo der dialektische Kampf der Meinungen verstummt, und
gesunde Beobachtung der Tatsachen nach allen Seiten vollauf
zu schaffen findet, erscheint es gewiss willkommen, wenn in
der Fülle hier und da verstreuter LTeberreste sich irgendwo ein
näherer Zusammenhang herausstellt, wenn scheinbar weit Ge-
trenntes lebendige Beziehungen erkennen lässt, und wenn die
vereinzelten immer nur abgebrochen constatierten Symptome
sich allmählich für unser Auge immer mehr zu einheitlichem
Zuge aneinanderreihen. Nichts ist so sehr geeignet, für die
versuchte Erklärungsweise Vertrauen zu erwecken als solche
Bestätigungen, die sich auf dem eingeschlagenen Wege gleich-
sam von selbst ergeben. Im ersten Moment mag der Ausblick,
den man bisher nicht wahrgenommen, überraschen, wie wenn
der Pfad um einen vorgelagerten Felsblock herumführt oder
eine Anhöhe überschreitet; — hernach ist es gut, wenn er so
SANCT MARTIN VON LUCCA I I
selbstverständlich und allgemein erwartet wie möglich erscheint,
als hätte es damit garnicht anders sein können. So schreitet
die Wissenschaft über die Arbeit des Einzelnen hin und kommt
im Ganzen vorwärts1).
1 ) Einzelne Fachgenossen scheinen leider dies höhere Interesse zeitweilig aus
den Augen zu verlieren. Nur der Zurückbleibende beklagt sich, dass man ihn nicht
mehr beachte, und wer überholt worden, ohne dass er es gemerkt hat, meint wol
gar, die Anderen müssten ihn im- Schlepptau überallhin bei sich führen, weil auch er
hier ein leidliches Stück vorgedrungen, ja vielleicht zu einer Zeit schon, wo der Strom
noch nicht so schiffbar gewesen wie heute, sich tapfer bemüht hat. — Wer sich den
Blick offen hält für das gemeinsame Ziel, vermag es leicht über sich, auch was
Andere leisten stets gern anzuerkennen ; er verschmerzt selbst den Mangel an freund-
lichem Zuruf, da er nicht fürchten braucht, vom Beifall betört zu werden. Vor allen
Dingen aber, wol Dem, der im gemeinsamen Streben redlich bleibt gegen seine Mit-
genossen, und nicht, im Eifer sich selber vorwärts zu bringen, zu unerlaubten Mitteln
greift, die Anderen hintanzuhalten. Wenn doch die „Grosser/' wenigstens wüssten,
ein wie erbärmliches Schauspiel es ist, sie so kleinlichen Schwächen nachgeben zu
sehen! Da muss man wirklich bitten: „Gentlemen, let us have a fair play!"
Abendmal an S. Giovanni Fuorcivitas, Pistoja.
II
Die Schmuckfassade des Domes
Es ist eine naheliegende Voraussetzung, dass die Bildwerke
einer Schmuckfassade auch zu gleicher Zeit ausgeführt
seien, wie dieses Bauwerk selber. Deshalb übertrugen Crowe
und Cavalcaselle das Datum 1 204, das sich an einer Säule der
ersten Zwerggalerie von S. Martin findet, einfach auf das
Marmorbildwerk; an der darunter liegenden Vorhalle. Und so
muss es auch unsere erste Aufgabe sein, die sicher beglaubigte
Baugeschichte des Domes von Lucca zu prüfen, soweit sie für
unsere Frage nach der Entstehung der Martinsgruppe irgend in
Betracht kommen kann, um darnach zu entscheiden, ob die
genannten Forscher Recht behalten könnten oder nicht.
Die Martinskirche zu Lucca geht zurück auf eine Gründung
San Fredianos, der von 560 bis 588 Bischof dieser Stadt war.
Sie wird 725 zuerst als Kathedrale genannt, während die ältere
Kirche S— Reparata mit dem Baptisterium daneben noch lange
fast gleichen Rang behauptete. Im Jahre 780 brachte der
Bischof Johannes die Gebeine des heiligen Regulus aus Walde
bei Populonia nach Lucca und baute für sie eine Krypta in
S. Martino, die er reich mit Marmor und Bronze ausstattete,
nach dem Vorbild derjenigen in S. Peter am Vatikan. Bei
dieser Gelegenheit ward sogar der Hauptaltar des heil. Martin
ebenfalls in die Krypta verlegt, während er bis dahin die Mitte
DIE SCHMUCKFASSADE DES DOMES I 3
des Chores eingenommen hatte. Die ursprünglich sehr be-
scheidene Basilika hatte also damals jene wichtige, mit der
Reliquienverehrung zusammenhängende Umgestaltung der Chor-
partie durchzumachen. Schon diese älteste Kirche besafs eine
Vorhalle, wo Wechsler und Spezeristen ihre Geschäfte trieben,
und einen Glockenturm, rechts (vom Eintretenden) daneben,
dessen unterste Teile noch den Grundstock des jetzigen bilden.
Auf dem freien Platze davor errichtete derselbe Bischof Johannes
am Ende des achten Jahrhunderts ein kleines Kirchlein S. Sal-
vatore1) für das Bildniss Christi, das er nach Lucca gebracht,
und das noch heute als „Volto Santo" in besonderem, von
Matteo Civitali erbautem Tempelchen in der Domkirche verehrt
wird. Ebenso hiengen mit der ältesten Martinsbasilika noch
andere Kirchlein oder Kapellen zusammen , wie S. Paolo,
S. Maria, S. Regolo und besonders St. Apollinare, welche
beim folgenden Umbau sämtlich in der neuen Kathedrale auf-
giengen 2 ).
Diese Umgestaltung des Ganzen wurde unter Bischof Anselm
von Bedagio aus Mailand begonnen, der als Alexander IL 1063
den päpstlichen Stul bestieg, und 1070 vom Konzil zu Mantua
heimkehrend , in Gegenwart von dreiundzwanzig Bischöfen,
sowie der Gräfinnen Mathilde und Beatrix die Weihe des
Neubaues vollzog. Die wesentlichste Abweichung bestand,
ausser erheblicher Zunahme der Breitendimension in der Hinaus-
schiebung der Chorpartie und Einlegung eines schlichten Quer-
hauses, so dass die Grundform des lateinischen Kreuzes ent-
stand, mit drei Tribunen am Kopfende. Auch diese Teile der
flachgedeckten romanischen Basilika aus dem XL Jahrhundert
sind später abermals erweitert, so dass über die Umbildung
der Confessio zu einer geräumigen Unterkirche, welche aus
der Weiterführung bis unter die neue Hauptapsis geschlossen
werden muss, nichts festgestellt werden kann. Wieder besass
die Kirche an der Eingangsseite ihre Loggia, wo nach wie vor
gewuchert und gefeilscht ward, so dass bald ein eigenes Schieds-
gericht hinter dem Glockenturm eingesetzt und die Händler
1 ) Erinnert uns der obige Vorgang an die Erzählung Einhards über sein
Kirchlein zu Michelstadt, so darf bei dem wahrscheinlich runden Bau von S. Salvatore
auf Fulda verwiesen werden.
2 ) Vgl. E. Ridolfi, L'arte . . nella cattedrale — , und Guida di Lucca.
14 SANCT MARTIN VON LUCCA
seit 1 1 1 1 eidlich verpflichtet werden mussten, die Gläubigen
nicht zu beschwindeln. Und diese Kaufhalle vor dem Tempel,
die den unteren Teil der Eingangswand verdeckte, war eben
dadurch wol die Ursache, dass die architektonische Ausge-
staltung der Fassade lange Zeit unterblieb.
Erst ein volles Jahrhundert später scheint der Gedanke an
monumentalen Aufbau der Stirnseite rege geworden zu sein.
Im Jahre 1 1 96 stofsen wir auf das Vorhandensein einer eigenen
Behörde, die zur Verwirklichung dieser Absicht gebildet war.
Es besteht die „Opera Frontespitii Ecclesie S. Martini" mit
zwei Konsuln an der Spitze und besonderen Einkünften für den
Baufonds.
Das nächste Datum giebt dann die erwähnte Inschrift an
der äussersten Säule rechts dicht neben dem Campanile, in der
ersten Bogengalerie über der eigentlichen Vorhalle. Hier
erscheint am Säulenschaft das Bildniss eines Mannes mit einem
Schriftblatt in der Hand, worauf noch deutlich lesbar:
MILL. CC. IUI.
CONDIDIT ELECTI TAM PULCRAS DEXTRA GUIDECTI
In diesem Verse fehlt allerdings das Substantivum zu PULCRAS:
da jedoch schwerlich ein voranzulesender vollständiger Vers
in der Xähe gestanden haben kann, indem Jahreszahl und
Hexameter das Schriftblatt ganz ausfüllen, und nicht etwa
drüben eine ähnliche Säulenfigur entspricht, so hat der Poet
sicher geglaubt, man werde das selbstverständliche AVort leicht
ergänzen. Die Mehrzahl der Erklärer denkt aber AEDES
hinzu und bezieht es wenigstens auf die ganze Vorhalle, wenn
nicht gar auf die Kirche selbst, was, wie wir gesehen haben,
ganz irrig wäre. Aber auch „Aedes" wäre allzu umfassend.
um blos den Vorbau vor der Schlusswand zu bezeichnen. Der
Meister und sein Versmacher hatten indessen wol garnichts
andres als COLUMNAS, die reich verzierten bunten Säulen
der Zwerggalerie, mit TAM PULCRAS im Sinne, und damit
schränckt sich die Tragweite der Inschrift von selber ein. Also
war im Jahr 1204 der Bau der Schmuckfassade bis zur Höhe
der ersten Säulengalerie gediehen, und zwar ist der leitende
Künstler damals Guidectus. Er wird noch im Jahre 1 2 1 1 in
SAN MARTINO. DOM ZU LUCCA
DIE SCHMUCKFASSADE DES DOMES 15
einem Kontrakt mit der Dombehörde zu Prato als „Guido
marmolarius sancti Martini de Luca" bezeichnet und bedingt
sich darin aus, dass er viermal im Jahre auf Kosten der Pratesen
nach Lucca und zurück reisen dürfe, ist also noch immer an
S. Martin beschäftigt und führt wenigstens die Oberaufsicht
über die Marmorarbeiten weiter. Ueber das Ende des übrigens
unvollendeten Fassadenbaues ist ein bestimmtes Datum ebenso
wenig vorhanden, wie über den Beginn der Vorhalle drunten.
Um die Wende des XII. in's XIII. Jahrhundert hätten wir
darnach die Ausführung dieses Vorbaues anzusetzen , durch
welchen die Opera del Frontespizio zunächst die Wechsler- und
Spezeristenlaube monumentaler erneuern und zugleich die Stirn-
seite der Kirche würdevoller ausgestalten wollte, vorausgesetzt,
dass dieser Bau in einheitlichem Zuge entstanden sei. Der
neue Portikus springt mit einer Tiefe von vier und einem halben
Meter vor die alte Schlusswand der Basilika vor und ward mit
dieser durch zwei massige Gurtbögen verbunden, welche sich
so den Arkaden des Mittelschiffes anschliessen. Erst später
wurde die Decke der Halle gewölbt und an den Seiten links
und rechts die Verbindung der Eckpfeiler mit den Langwänden
der Kirche hergestellt, so dass etliche Zeit der Vorbau isoliert
erschien und vom Atrium aus die ganze Schlusswand der Kirche
in ihrem Rohzustand mit den horizontalen Vorsprüngen für eine
beabsichtigte Marmorinkrustation übersehen werden konnte.
Für die Gliederung des Portikus erwuchs aber ein störendes
Hinderniss aus der Absicht, den alten Glockenturm zu er-
halten, der in geringer Entfernung rechts vor der Kirche auf-
stieg und seit der Verbreiterung des Langhauses im XL Jahr-
hundert ein Stück der Eingangswand von ungefähr vier Metern
Breite verdeckte. Deshalb sehen wir die dreiteilige Arkade
des Vorbaues, der nun unmittelbar an den Glockenturm an-
stöfst, unsymmetrisch angelegt, d. h. zwei weite Oeffnungen
links und eine halb so grosse rechts in einer Reihe. Eine an-
nehmbare Erklärung wäre vielleicht so zu denken, dass der
Architekt anfangs nur einen breiten Mittelbogen, daneben
links und rechts, den Kirchentüren korrespondierend, je einen
kleineren beabsichtigte und das übrigbleibende Stück compakter
Mauermasse links durch ein Tabernakel belebt hätte, das an
der Ecke dem Glockenturm gegenüber vortrefflich gestanden
16 SAXCT MARTIN VON LUCCA
wäre. Offenbar entsprach die jetzige Lösung der Schwierigkeit,
wenn auch minder den Gesetzen architektonischer Komposition,
doch besser den praktischen Bedürfnissen nach lichter Ge-
räumigkeit der Halle. Zunächst wol aus demselben Grunde ist
der engere Bogen rechts soweit gestellt, dass seine Scheitelhöhe
nicht allzu viel unter der seines Nachbarn zurückbleibt, mag
auch dieser Umstand ausserdem dazu beitragen, den Abfall der
Linien dem Auge minder empfindlich zu machen ' ).
Ist es erlaubt, mein subjektives Gefühl an dieser Stelle
dreinreden zu lassen, wo historische Nachrichten nicht weiter
helfen, so muss ich gestehen, dass mir diese Vorhalle in ihrem
ursprünglichen Aufbau und die Bogengalerien darüber immer
wie zwei heterogene Stücke erscheinen, die fremdartig und un-
vermittelt aufeinander stofsen, so dass nur äusserliche Ver-
kleidung, wie der Statuenschmuck auf Konsolen, die Massig-
keit des unteren und die Luftigkeit des oberen Teiles für das
Auge leidlich auszugleichen vermochte. Ich setze voraus, dass
Guidetto die untere Halle wenigstens im Rohbau vorfand,
— wie weit auch in der dekorativen Ausstattung der Bauglieder,
muss die fernere Betrachtung lehren. Und dieser LTnterbau
selbst erscheint mir nicht aus einem Guss, sondern als Er-
gebnis verschiedener Unterbrechungen und Kompromisse-).
Doch, wie gesagt, ist das nur ein Zeugnis meiner Augen.
Daneben kommt allerdings für den Forscher, der nach
historischem Zusammenhang sucht, ein wichtiges Moment in
Betracht. Dieser ganze Vorbau mit seinen wuchtigen Pfeilern
und gewaltigen Bogen hat in Lucca nirgends seines Gleichen.
Die Richtung der Architektur in dieser Stadt geht wesentlich
mit der pisanischen zusammen, ja sie hat hier in Lucca das
ursprünglichere und einfachere Gepräge, das in Pisa durch
strengeres Klassicieren, aber auch Byzantinisieren verfeinert
wird. Der tonangebende Baumeister war um die Mitte des
XII. Jahrhunderts derselbe Mann, der dann das Baptisterium
in Pisa gebaut hat, d. h. um 1 1 53 von Lucca in die grofse
■l Dies sieht Ridolli |a. a. O. p. 17). der von links ausgeht, als einzige l'r-
sache der Stelzung an.
- 1 Vollständig irrig ist die Angabe bei Mothes, die Baukunst des Mittelalters
in Italien. Jena 1884 p. 402: „1204 wurde Guidetto mit der Erbauung der West-
fassade beauftragt, 1233 der Portikus vorgebaut'-.
DIE SCHMUCKFASSADE DES DOMES 17
Nachbarstadt berufen ward: Diotisalvi. Er hat die Kirche
S. Cristoforo gebaut, in welcher die Konsuln der „Cause
lucchesi" ihren Sitz hatten und schon 1 1 50 ihre Sprüche
fällten1). An der Innenseite rechter Hand liest man seine
Namensinschrift :
f GAUDEAT DÖTISALVI MAGISTER
NEC COMPAREAT EI LOCUS SINISTER
NA IPE ME PERFECIT.
und mit Ausnahme des Hauptportals, dessen Schmuck erst aus
der Mitte des XIII. Jahrhunderts herrühren kann2), beweist
auch die Fassade die genaueste Uebereinstimmung mit seinem
pisanischen Stile. Hier ist der Unterbau mit schlank auf-
steigenden Blendarkaden gegliedert; auf Dreiviertelsäulen
ruhen die etwas gestelzten Bögen mit Scheitelverstärkung
und vertiefter Rautenfüllung in den Lünettenfeldern. — Zahl-
reiche Anzeichen und Vergleichungspunkte mit diesem Bau
von S. Cristoforo in Lucca einerseits und mit dem Unterbau
des Baptisteriums in Pisa andererseits» ja die Wiederkehr der-
selben construktiven und ornamentalen Teile nötigen ferner
zu der Annahme, dass auch die äussere Umgestaltung von
S. Michele in foro zu Lucca von Niemand anders als Diotisalvi
herrührt, was das Untergeschoss der Langseiten und der Fassade
betrifft. S. Cristoforo und S. Michele haben eine recht er-
hebliche Besonderheit gemein, die sich sonst in keinem andern
Bau findet. Die Mauer des zweiten Geschosses von S. Cristoforo
oberhalb der skulpierten Corniche lastet mit seiner Ecke nicht
unmittelbar auf dem untern Widerlager, sondern ist vielmehr
ein Stück einwärts gerückt; die nämliche Rücksicht ist auch an
S. Michele an dem Kreuzarm beobachtet, auf dem sich der
Glockenturm erhebt 3 ). — Und nun sollte man erst nach der Mitte
des XII. Jahrhunderts, wo Diotisalvi so schlanke Proportionen
J) Ridolfi, Guida di Lucca p. 151. u. p. 70.
2) Nicht freilich erst um 1296 wie Ridolfi S. 152 aus einer Inschrift der
Handelskammer an der Fassadenwand schliesst.
3) Auch Mothes, a. a. O. S. 735 kommt zu der zeitlichen Bestimmung um
1150 — 1160.
Italienische Forschungen I. 2
18 SANCT MARTIN VON LUCCA
hingestellt hatte, noch diese schwerfällige und weitbogige Vor-
halle des Domes entworfen haben? ')
An einer Stelle wenigstens kann wol die Sprache des Denk-
mals selbst nicht unbeachtet bleiben, wenn man für die frühere
Entstehung dieser Anlage nach wirklichen Beweisen verlangt.
Dem Charakter der Einzelformen zufolge ist die Arkade neben
dem Glockenturm die früheste; von hier aus wurde der Bau
begonnen. Von hier also hat auch jeder historische Erklärungs-
versuch auszugehen. Ja, es scheint nicht nur die Erweiterung
des dritten Bogens links, sondern schon hier im ersten Drittel
der Halle ein Zwiespalt in der Detailbildung von einer früh-
zeitigen Krisis im Verlauf des Baues zu erzählen. An dem
ersten der beiden freistehenden Mittelpfeiler rechts ist an der
Innenseite noch ein Kapitell vorhanden, das von allen übrigen
abweicht. Während die anderen alle die korinthische Grund-
form nachahmen, ist dieses mit figürlichen Darstellungen über-
zogen. Sollte es mit solchem Schmuck ursprünglich für so
wenig sichtbare Stelle bestimmt gewesen sein? An den Ecken
sind zwei fliegende Engel dargestellt, deren Einer zur Rechten
ein Banner trägt, während der zur Linken eine Krone darreicht.
Dazwischen sitzen vier Personen, deren Sinn kaum verständ-
lich ist: ein langbärtiger König tront, mit der Krone auf dem
Haupt, während eine jugendliche Gestalt in langer Tunika mit
Heiligenschein um den Kopf sich ihnen naht. Es ist offenbar
der König David. Eine ähnliche Figur mit Nimbus, ein Schrift-
blatt in der linken, und die Rechte auf die Schulter der folgenden
Nachbarin legend, ist wol der Engel Gabriel, und die weibliche
Gestalt in byzantinisch prachtvoller Gewandung, ebenfalls mit
Aureola, Maria; und ihr eben bringt der schwebende Engel
an der Ecke die Krone dar2). — Die Arbeit dieses auf Ge-
1 ) Man braucht nur die Gliederung der Marmorinkrustation an der Kirchenwand
im Innern der Vorhalle in Vergleich zu ziehen, um das gediegene Weiterwirken der
Proportionen Diotisalvis an Ort und Stelle zu fühlen. Auf diese Bekleidung, nicht
auf die Erbauung der Vorhallenfront bezieht sich das Datum 1233 einer Inschrift,
auf die wir hernach ausführlich zurückkommen.
2) Ridolfi spricht in ganz richtigem Gefühl aus, dies Kapitell scheine ein Jahr-
hundert älter, macht aber nicht Ernst und zieht nicht den Schluss für die Bau.
geschichte ! Die Gewandung Marias erinnert sehr an eine Frauengestalt am Tympanon
des Domes zu BercetO, worüber unten Näheres.
DIE SCHMUCKFASSADE DES DOMES IQ
staltenbildung erpichten Steinmetzen ist aber so plump, dass er
zweifellos einer älteren Generation angehört als die übrigen
die hier tätig gewesen. Ausserdem scheinen mir andere, im
Innern der Halle stehen gebliebene Ansätze zu beweisen, dass
der Beginn ihres Baues weiter zurückreicht, z. B. die Pilaster-
vorsätze über den Pfeilern und Kragsteine an verschiedenen
Stellen, sowie die alten Seitenausgänge mit altertümlichen
Skulpturen, Köpfen und Zierleisten an den Simsen.
Auch an der Vorderseite des nämlichen Pfeilers aber zeigt
der Skulpturenschmuck der vortretenden Dreiviertelsäule noch
eine, wenn man sie mit den übrigen entsprechenden Teilen
vergleicht, altertümliche Technik. Das Relief ist durchweg
flacher, die Schattenwirkung nicht durch Herausheben rundlich
vorspringender Formen erreicht, sondern durch zahlreiche
Bohrlöcher herzustellen versucht, und die Umrisse sind trocken
gezeichnet in starrer Härte. Einzelne Partieen, wie der untere
Schaft der vorderen Hauptsäule, wie die ganze Nebensäule
gegen die Mittelarkade zu, zeigen eine ganz eigentümliche auf
byzantinisch -romanische Vorbilder zurückgreifende Behandlung
des Laubwerks und eine durch die Ranken hinlaufende Orna-
mentik mit Tieren, Menschen und allerlei Fabelwesen, die
sich necken und verfolgen, wie wir sie in dieser Flachheit und
Schärfe nur im Süden erwarten würden, wenn nicht ihre
Wiederkehr in Steinmosaik unzweifelhaft lombardischen Ur-
sprungs, oben an dieser Fassade selbst, den Zusammenhang
der Schultradition ausser Zweifel stellte, — und gerade die
Menschengestalt, wie ein Bogenschütze und ein in voller Be-
waffnung, in Ringhemd und Kettenkapuze, mit Helm, Schild und
Schwert dargestellter Ritter, den romanisch abendländischen
Charakter bewährten. Ganz eigentümliche altfränkische Be-
fangenheit der zurückgebliebenen Technik verrät auch der
Löwe, der über dem Säulenkapitell aus der Bogenverbindung
hervorragt. Er steht über einem zu Boden geworfenen Manne,
der auf dem Bauche liegend sein bärtiges Antlitz mit angstvoll
aufgerissenen Augen und Mund hervorstreckt, aber hülfios auf
beiden Seiten von den Pranken der Bestie umklammert wird.
Die Mähne des Tieres besteht hier aus übereinandergereihten
Querwulsten, deren Randhöhe durch Bohrlochreihen ge-
lockert ist.
20 SAXCT MARTIN VON LUCCA
Das hiesse, wenn wir Ridolfis Annahme folgen: der erste
Bogen neben dem Glockenturm gehört mit seinen beiden
Pfeilern einem älteren Meister, dessen strengere scharfkantige
Weise sich auch darin bekundet, dass er die inneren Viertels-
säulchen und den entsprechenden Rundstab zwischen der
inneren und äusseren Archivolte im Zickzack mustert. In-
dessen muss doch hervorgehoben werden, dass auch an dem
grofsen Bogen links noch altertümliche Reste erhalten sind,
obgleich hier besonders links am Pfeiler moderne Restauration
den Sachverhalt verändert hat. Bemerkenswert ist besonders
die mit Flechtwerk von Bandstreifen in geduldigstem Muster
übersponnene Ecksäule, deren oberes Ende in eine schräg-
kannellierte Form übergeht, welche als Aequivalent dem Zick-
zackmuster der correspondierenden Arkade rechts mehr ent-
sprechen würde, — während der Bogenwulst bereits die grofs-
blätterigen Ranken der entwickelteren Dekoration aufweist.
Aber dürfen diese Verschiedenheiten bei einem Bauwerk Ver-
wunderung erregen, an dem notwendig verschiedene Hände
mitgearbeitet? Warum sollen wir mehr in ihnen erkennen als
die Beiträge einer Reihe von Steinmetzen?
Ein Paar von Bildwerken allerdings, die an entscheidender
Stelle erhalten sind, bestätigt wol in kaum miszuverstehender
Weise die Aufeinanderfolge zweier Künstler beim Fassadenbau,
indem es uns beide persönlich vorführt. Das eine ist in unge-
wöhnlicher Weise der gestelzten Bogenwölbung einverleibt.
Ueber dem Eckpfeiler am Campanile reicht die äussere Um-
rahmung der Archivolte nicht bis auf das Kämpfersims her-
nieder, sondern bricht ein Stück vorher ab, und hier ist statt
des krausen Blattkranzes eine gerade Marmorplatte eingelassen
mit der Figur eines älteren Mannes darin, in ziemlich flacher
Reliefarbeit. Auf einer schmalen Bank mit hoher Lehne sitzt
er, beide Hände auf die Kniee legend da, und blickt vor sich
hin, so dass sein Scheitel mit dem oberen Plattenrand gleich-
sam zum Ausgangspunkt der aufsteigenden Bogenfassung wird.
So haftet noch ein Ueberrest karyatidenhaften Wesens an dieser
Figur, wie die romanische Bildhauerei sie wol zur Verzierung
einer Ecke oder geradezu als Konsolenträger verwertet. Ein
Blick auf das benachbarte Portal von Sta Reparata bietet schon
Beispiele dieser Art; indessen gerade dieser Vergleich lehrt, wie
DIE SCHMUCKFASSADE DES DOMES 21
weit hier am Dome über das unpersönliche "Wesen dort hinaus-
gegangen wird. Der Mann trägt die gewöhnliche Kleidung
der Werkleute von damals, einen einfachen Kittel mit starkem
Gurt um den Leib und Strumpfhosen wie Stiefel. Seine Haare
sind an der Stirn rund geschnitten, sein Bart voll, aber an
Wangen und Kinn ausgeschoren. Seine Haltung entspricht
der eines beobachtenden Obmannes, der dem Gang des Werkes
zuschaut, an dem er selber Teil hat. Es ist ohne Frage ein
Bildniss, das hier mit freilich schwachen Kräften versucht wird.
Seine Bedeutung in diesem Sinne steigert sich durch das
Vorhandensein des zweiten Bildwerks, das in anderer Form
auftretend doch in dieselbe Kategorie gehört, und sich, genau
senkrecht über der soeben bezeichneten Stelle des sitzenden
Meisters, an der äussersten Säule der ersten Bogengalerie
befindet. Es ist jene Relieffigur eines stehenden Mannes
mit der Inschrift von 1 204 und dem Namen Guidectus auf dem
Schriftblatt in seiner Hand. Da ist ein Zweifel an beabsich-
tigter Porträtdarstellung ganz ausgeschlossen. Schon die Tracht
zeigt individuelle Eigentümlichkeit. Die kurze Tunika, mit
engen Aermeln und einem Besatzstreifen am Hals und vorn
herunter ist um den Leib gegürtet und reicht nur bis auf die
Knie; darunter .Strumpfhosen und niedrige Stiefel. Ein hohes
kegelförmiges Barrett, das ebenfalls unten mit einem Band-
streifen verziert ist, trägt oben ein grofses Dreiblatt nach Art
einer französischen Lilie. Dazu volles glattes Haar das vier-
eckig geschnitten bis an's Knie herunterhängt. Es ist ein ganz
jugendlicher Bursch mit rundem bartlosem Antlitz, bei dem wir
wol begreifen, dass er statt Guido noch Guidetto genannt wird.
Wenn der Marmorarbeiter dieser heiteren Säulenarchitektur
im Jahre 1204, als die erste der Galerien entstand, noch so
jung war, so gewinnt die Vermutung Raum, dass ihm der Bau
der Vorhalle von Grund auf nicht anvertraut gewesen sein
dürfte. Enrico Ridolfi entwickelt daraus einen ansprechenden
Erklärungsversuch. Guido, der Marmolarius S^L Martini de Luca,
wie ihn 12 11 die Pratesen bezeichnen, habe sich 1204 wol zur
Unterscheidung von einem älteren MeisterdiesesNamens Guidetto
genannt: denn in der Tat komme damals in den Urkunden
von Lucca ein Architekt Guido vor, der schon vor 1 1 70 nach-
weisbar, auf einer Inschrifttafel des Kirchleins S^ Maria in Corte
2 2 SANCT MARTIN VON LUCCA
Orlandini als Erbauer genannt wird, und zwar (wie ich rechnen
zu müssen glaube * ) im Jahre i 1 88. Die "Worte lauten :
t ANNO DNI M° C OCTUAGO SEPTIMO
SEPULCRÜ- TETLU- ET CRÜCE- XPI- SARA
CENI- CEPERUNT PERFIDI- SUB- SALADINO-
MILITE • • • ANNO- PROXIMO- SEQUENTI- DIE-
■ ■ KL- AGOSTO HEG HECCLA DENOVO- REFV
DARI- CEPIT -j • SOLO QUAE- LAUDAT- DM- X-
BEATA MARIAJVITV- BLASIIP CONCOR-
DIU- CERBONRT ET ALEXIUM-
GUIDUS MAISER EDIFICAVIT- O ■ • • •
In diesem Magister Guido möchte Ridolfi nun nicht allein
den älteren Künstler sehen der an der ersten Arkade der Dom-
fassade neben dem Glockenturm tätig gewesen (obwol wir gar
nicht ahnen können, ob auch dieser Guido hiefs), sondern
auch den Vater des Guidetto, der ihm laut Inschrift von 1204
in diesem Werke nachfolgte. So wäre die Bezeichnung als
Guido der Jüngere erst recht natürlich, wenigstens bis zum Tode
des Vaters oder bis zum reiferen Alter des selbständig- ge-
wordenen Meisters. Dann bliebe der Fassadenbau allerdings in
der Familie, und Alles mochte friedlich abgehen, — selbst
eine Veränderung des ursprünglichen Planes, die der zweite
grofse Bogen links neben der Mitte doch zu verraten schien,
und die am Ende gar Veranlassung wurde , dass sich der
strengere Altmeister zurückzog.
Nun stimmt diese familiäre Baugeschichte allerdings nicht
zu unserer Meinung von der früheren, nicht ununterbrochenen
Entstehung der Vorhalle, die dem Oberteil ganz fremd gegenüber-
steht. Zweitens genügte die nachgewiesene Existenz eines andern
Meisters Guido, der 1188 Sl5 Maria in Corte Orlandini neu
zu bauen begann, um die Unterscheidung des jüngeren Guido,
<) Bei Ridolfi, L'arte in Lucca S. 90 steht II 78, offenbar ein Druckfehler
für II 87 wie der Guida S. 133 angiebt, wo auch die oben citierte Inschrift, aus deren
Text sich 11 88 als Beginn des Baues ergiebt, da die Wiedereroberung Jerusalems
durch Saladin 1187 fällt.
DIE SCHMUCKFASSADE DES DOMES 23
dessen Alter nach dem Bildniss von 1204 die Identität der
Person mit jenem ausschliesst, vollständig zu motivieren. Drittens
aber ist der Name Guidetto nur in dem gereimten Hexameter
überliefert, wo diese Form in Rücksicht auf „electi" gewählt
sein könnte, für die sonst übliche Benamsung also nichts be-
wiese.
Vor Allem habe ich jedoch einen Einwand gegen Ridolfis
Annahme, der den Kern des ganzen Verhältnisses zwischen
beiden Künstlern trifft, — den Punkt nämlich, den ich zum
Ausgangspunkt meiner Darstellung des Sachverhaltes gemacht
habe. Die technischen Unterschiede der Detailbehandlung, die
Flachheit des Reliefs, die Bohrlöcherreihen statt der Model-
lierung, die Roheit des Figürlichen, genug die völlige Zurück-
gebliebenheit des Bildhauers am ersten Pfeilerpaar beim Glocken-
turm, — bestimmten ja gerade Ridolfi noch einen zweiten durch-
weg anders geschulten Meister anzusetzen. Wie sollte nun
der Sohn dieses nämlichen Meisters zu der weit vorgeschrittenen
Technik, die wir sofort näher kennen lernen, gelangt sein,
wenn zugleich feststeht, dass dieser Sohn noch 1204 überaus
jugendlichen Alters war, d. h. zu einer Zeit, wo er die ent-
scheidenden Proben seines anderweitigen Könnens drunten an
der Vorhalle, z. B. am zweiten Pfeiler des Mittelbogens, den
Ridolfi ihm zuweist, bereits abgelegt hatte. Uebernahm Gui-
detto, wie Ridolfi will, gleichsam als Fortsetzer und unter der
Auktorität seines Vaters die Marmorarbeit da, wo der Alte
abbricht, — dann hätten wir diesen Sohn auch in Lucca, in der
Werkstatt des Vaters zu suchen, sobald nach seiner Schulung
gefragt wird. Grosse Auswahl an verschiedenen Schulen der
Marmorarbeit gab es damals in Lucca kaum, und gerade diese
Künstler waren samt und sonders zugewanderte Fremde aus
einer gleichen engen Heimat, und schlössen sich um so mehr
aneinander. Sowol Guido, der Erbauer von SI5 Maria in Corte
Orlandini, als Guidetto, der Marmolarius SÜ Martini, waren
Lombarden, Maestri Comacini. Also müsste sich bei so naher
persönlicher Verbindung und bei dem im Bildniss darge-
stellten Alter Guidetto's gröfsere Uebereinstimmung auch in
der Technik offenbaren, wenngleich nicht so notwendig in der
plastischen Auffassung, welche auf besonderen Gaben des Ein-
zelnen beruhen mag.
24 SANCT MARTIN VON LUCCA
Lassen wir auch hier die Hypothesen aus Inschriften
und Urkunden dahingestellt, und halten uns lieber an die Er-
scheinungen selber, welche das Denkmal, das wir besprechen,
dem aufmerksamen Betracher darbietet. Da kann es nicht ent-
gehen, dass sich schon in der linken Hälfte der Vorhalle ein
eifriges Streben nach Mannichfaltigkeit der Ornamentik und
Reichtum gemeisselter Bauteile hervordrängt. Besonders an
den Ecksäulen, die mit zwei Dritteln der Rundung aus den
Pfeilern hervorragen, nebst den zugehörigen Rundstäben der
Archivolten, offenbart sich entschiedenes Hinneigen nach vege-
tabiler und figürlicher Plastik in rein dekorativer Zierlust.
Das wichtigste Hauptstück ist jedoch die Säule vorn am linken
Pfeiler des Mittelbogens, die völlig anders behandelte Gefährtin
der früher erwähnten Arbeit des älteren Meisters zur Rechten.
Während dort nur üppiges Rankenwerk mit Rosetten und Blatt-
fächern in den Windungen nach dem Vorbild der späten Antike
in verhältnissmäfsig flachem Relief den Schaft überzieht, belebt
ihn hier ein viel verschlungenes doch einheitliches Gewächs,
in dessen Verzweigungen menschliche Gestalten stehend, tronend,
aufsteigend sich einordnen, von der Basis bis zum Kapitell in
sinnvollem Zusammenhang. Diese Säule giebt den Stammbaum
Jesse, wird man sagen. Unten aber ist es zugleich der Baum
der Erkenntniss, um dessen Stamm sich die Schlange ringelt.
Adam und Eva stehen einander gegenüber, mit breiten Blättern
ihre Blöfse deckend; ja, Eva braucht ausserdem beide Hände
zu schamhafter Gebärde, wie Frau Venus selber, wenn sie aus
dem Bade steigt, und verrät, wie sehr der Künstler den Reiz
dieser Bewegung bei irgend einem antiken Abbild der Liebes-
göttin empfunden. Auch das aufgelöste Haar des Weibes ist
wie im Winde flatternd ausgebreitet. Aber daneben erscheint
auch pflichtfchuldigst ein kleines Teufelchen, gehörnt und zottig
in Satyrngestalt, vielleicht um persönlich den verhängnissvollen
Apfel in die Hand der Schönen zu spielen. — Leider hat gerade
Eva von Unbill jeder Art am meisten zu leiden gehabt, sodass
man über den Körper kaum etwas sagen mag, als dass er schlank
und lang, doch eher germanisch anmutet, und ausser den Motiven
wenig mit der römischen Antike gemein hat, die wir etwa als
Vorbild voraussetzen könnten. Es scheint indess, er war noch
besser gelungen, als der Adams, der sonst ebenfalls richtige
DIE SCHMUCKFASSADE DES DOMES 25
Verhältnisse und überraschende Kenntnisse des nackten Leibes,
ohne die romanischen Schulgewohnheiten aufzuweisen hat. Un-
geschickt ist nur noch der Versuch, die Ansicht der Figur,
besonders der Beine, mehr reliefmäfsig in Profil zu stellen.
Der Baumstamm zwischen ihnen bezeugt nicht minder den aus-
gesprochenen Sinn des Künstlers für das organische Gebilde der
Pflanze, wenn auch die Darstellung einer vollen Baumkrone
schon aus dekorativer Rücksicht vermieden und durch Windungen
des Gezweiges mit wenigen Blättern und Früchten ersetzt
wird. Dies ist offenbar derselbe Bildhauer, der das Ranken-
werk der Viertelsäule gleich rechts daneben am selben Pfeiler,
wie am Bogenwulst der Arkade links gearbeitet hat. Sein
Anteil an dieser Hauptsäule könnte sich auf den Untersatz
beschränken, der ebenso wie an der korrespondierenden rechts
durch einen Rand abgesetzt ist (gegenwärtig sogar durch einen
eisernen Ring gehalten werden muss).
Darüber beginnt symmetrische Verteilung der ver-
schlungenen Aeste aus dem Leibe des alten Jesse, der mit einem
Schriftband in der Rechten, sinnend die Linke, in der sein
bärtiges Haupt ruht, auf das Knie stützt, — und damit eine
Fülle königlich gekleideter Figuren, die sich, wieder symmetrisch
zu Dritt gruppiert, von David bis Maria emporgipfelt. David
Rex, dann Salomo und noch ein dritter König tronen mit
der Krone auf dem Haupt, während andere Voreltern Christi
sich durch die Nebenzweige bewegen. Zu Häupten Marias aber
erscheint in mandelförmiger Glorie von zwei Engeln getragen,
die Halbfigur des Erlösers mit segnender Gebärde. Hier bewahrt
sich natürlich viel mehr von dem hieratischen Charakter in
Antlitz und Gewandung, und damit von dem romanischen Schul-
wesen der Technik, wie die koncentrischen Falten um hervor-
stehende Körperteile, in paralleler Schraffierung der Haare,
die perückenhaft abstehen, im breiten Oval der Gesichter und
ausgebohrten Augen. Dagegen ist das Relief überall kräftig
herausgearbeitet, überall versucht durch Abhebung des Körper-
haften aus der Grundfläche die nötige Licht- und Schattenwirkung
zu erreichen. Selbst die Kapitelle dieser Säulen sind anders
wenn auch nicht reiner doch üppiger, fleischiger gearbeitet als
die Gefährten rechts. Endlich steigert sich der Gegensatz
vollauf in dem vorkragenden Löwen, der einen Drachen zwischen
2b SANCT MARTIN VON LUCCA
den Pranken hält, ■ — ein lebensvolles Bildwerk, wo bereits die
gewundenen Formen und die Flügelfedern des Fabeltiers, wie
die gesträubte Mähne und das Auge des brüllenden Wüsten-
königs mit einer Präcision der Arbeit gegeben sind, die an
derartige Meisterstücke auf gotischen Kathedralen erinnert.
Damit stehen wir, das ist unläugbar, mitten im besten
Zuge der Entwicklung romanischer Steinskulptur, welche sich
gerade an diesen Bauten von Lucca, Pisa und angränzenden
Orten Toskanas vollzog. Was aber giebt uns das Recht, diese
besten Skulpturteile der Säulen mit den Löwen darüber, gleich
wie die Säulchen der oberen Ordnungen, wo eine ähnliche
Gestaltenfülle, plastisch durchgebildet den Schaft umwuchert,
nun gerade dem Guidetto selber zuzuschreiben, wie Ridolfi tut?
Der einzige entscheidende Beweisgrund könnte doch nur
in der unverkennbarsten Uebereinstimmung zwischen solchen
Skulpturteilen der Vorhalle und den Säulen der Zwerggalerien
droben gesucht werden, da die letzteren inschriftlich von Guidetto
,,so schön errichtet" sein sollen. Dieser Gedanke ist auch
Ridolfi gekommen. Er möchte wol zwischen dem unteren
Säulenschaft mit dem Baum der Erkenntniss oder der AVurzel
Jesse und dem oberen mit der Bildnissfigur des Meisters selbst
die Verbindung herstellen. Die Gestalt des jugendlichen Guidetto
soll nach ihm die nämliche Schwäche wie der Adam verraten:
das eigentümliche Ungeschick in der Anordnung der Beine und
ihrem Verhältniss zur Ansicht des Oberkörpers. Während sonst
nämlich die Vorderansicht vorherrscht, gehen die Beine mit
unglücklicher Einwärtsdrehung- mehr in Profil über, und die
Verkürzung der Füfse mislingt vollends. Indess, dieses gleich-
mäfsige Vorkommen eines und desselben Fehlers unten und
oben würde doch wol kaum schon erhärten, was es beweisen
soll, die Identität des Urhebers. Gerade dieser Fehler ist etwas
im ganzen Mittelalter so Verbreitetes, dass Vasari, der so viele
Leistungen vor sich hatte, z. B. bei Gelegenheit Masaccios
sich garnicht genug tun kann, den grossen Fortschritt her-
vorzuheben, dass die Gestalten dieses Malers endlich nicht
mehr auf so schwachen Füfsen stehen wie bisher, nicht mehr
auf den Zehen balancieren, sondern ihre Sohlen fest auf den
Boden pflanzen. Ich kann auch die Uebereinstimmung nicht
soweit zugeben, zumal da Guidetto das Schriftblatt gerade vor
DIE SCHMUCKFASSADE DES DOMES 27
sich niederhängen lässt, so dass die Beine sich nicht frei ent-
falten wie bei Adam, also ein Vergleich schon misslich wird.
Die Aehnlichkeit des Ungeschicks in der Gestaltung könnte
nur Zugkraft gewinnen, wenn die technische Uebereinstimmung
beider Arbeiten zwingend hinzuträte, und diese ist zwischen
dem Sündenfall und dem Guidetto sicher nicht vorhanden,
sondern beide Werke trennt geradezu ein Wesensunterschied,
der nur aus der besonderen Geschichte der Plastik in dieser
Gegend begriffen werden kann, und dessen Bestimmung erst
ein richtiges Urteil über Guidetto droben und diesen Bildner-
kreis drunten ermöglicht1).
Der Versuch Ridolfis, die Baugeschichte der Domfassade
im Anschluss an die festgewonnenen Daten möglichst zusammen-
zuziehen, auf Vater und Sohn zu teilen, führt zu dem irrigen
Bestreben die Einzelarbeit ebenso auf die Rechnung zweier
Künstler zu schreiben, die wenigstens der Ausführung nach
ihrem Geschmack und Muster vorgestanden. Aber vergessen
wir einmal nicht, dass das Datum 1196, wo zuerst die Opera
del Frontispizio in den Akten auftritt, uns garnicht etwa als
Ausgangspunkt einschränkt; denn die Behörde konnte schon
länger bestehen, auch ohne dass sie gerade in erhaltenen
Schriftstücken genannt wird, oder konnte erst zusammentreten,
als man einen, nach langsam fortschreitenden Anfängen, erneuten
Anlauf nahm, die Aufführung der Fassade schneller zu fördern,
nachdem eben reichere Mittel sich gesammelt. Hätte es sich
1196 noch um die Vorhalle, eine so wichtige Verkaufsstelle,
gehandelt, würde man auch den Namen der Opera vielleicht
„della Loggia, — dell' Atrio" d. h. nach dem praktischen Haupt-
stück, nicht nach der Zierwand gewählt haben. Sodann aber
erzählen die Einzelheiten des Bauwerkes selbst, vor Allem die
Skulpturen daran, dass hier mannichfaltige Kräfte zusammen-
wirken, die ihre eigene Geschichte haben. Die einzelnen Werk-
stücke, aus denen sich die Architektur zusammensetzt, weichen
unter sich im Werte und in der Natur der bildnerischen Arbeit
sehr ab. Der Obermeister liess offenbar, wie doch Ridolfi selbst
gelegentlich hervorhebt, seinen Hülfsieuten volle Freiheit bei
1 ) Ausserdem ist gerade die Figur Guidettos durch Abputzen und Ueber-
arbeiten neuerdings so charakterlos geworden, dass überhaupt ihr Wert als Dokument
für den Stilcharakter sehr fraglich wird.
28 SANCT MARTIN VON LUCCA
der Herstellung der Ornamentstreifen, der Säulenschäfte oder
sonstigen Schmuckgebilde, wenn nur die allgemeine Gleichförmig-
keit der Gliederungen gewahrt ward, und der Architekt gab wol
den Bildnern nicht einmal die Zeichnung selbst, sondern billigte
nur ihre Vorlage oder vertraute ihrer erprobten Tätigkeit ohne
Weiteres. So bevorzugt dieser Steinmetz das einfache Geriemsel
oder flache Reliefmuster, jener lebendigere Vegetation , ein
Dritter greift zu Bestiarien, und der Kühnste nur zur Menschen-
darstellung selbst. So erwächst aus der echt romanischen
Mannichfaltigkeit des Einzelnen auch dem Forscher vielmehr die
Aufgabe Umschau zu halten, wo sich etwa die Beziehung zu
anderen bildnerischen Leistungen in diesem Umkreis herausstellt,
und davon abhängen zu lassen, was sich für die Chronologie
dieser Gesamtheit ergeben mag.
Taufbecken in S. Frediano. Lucca.
III
Die Bildnerschule Lucca's im XII. Jahrhundert
und ihre Verwandten
Lucca ist nicht arm an bildnerischen Resten des Mittelalters
vielmehr gewinnen wir immer klarere Einsicht, dass hier
einer der Hauptpunkte der Entwickelung zu suchen ist, wo der
Steinskulptur wie an wenigen Orten Italiens die Bedingungen zu
kräftigerem Gedeihen gegeben waren. Es fehlt hier sogar nicht
an Beispielen einer streng kirchlichen Kunstweise, welche noch
die Herkunft aus kleinen byzantinischen Elfenbeinschnitzwerken
deutlich erkennen lassen, ja nichts weiter sind als eine Ueber-
tragung solchen Vorbildes in die monumentale Steinbildnerei.
So ist über dem rechten Nebenportal der Fassade von Sl^
Maria Bianca oder Forisportam der Ueberrest einer tronenden
Madonna eingelassen, deren Füfse nur mit dem Schemel des
Trones verloren sind1). Sie ist in Hochrelief aus Marmor ge-
hauen, und der Künstler hat sich nicht versagt, über ihrem
Haupte auch das scharfgeschnittene, emsig ausgebohrte Laub-
werk an der Arkade wie einen Baldachin durchzubilden, während
x) Die Kirche stammt aus dem VIII. Jahrhundert, hat aber später im XI.
und XII. Veränderungen erfahren; die Fassade gehört (mit Benutzung antiker Bauteile)
in ihrem unteren Teil dem Stil des Diotisalvi nach II 50 an; die Zwerggalerien
vielleicht, wie die Seitenfronten, der Zeit um 1260. Der Oberteil wurde um 15 16
erhöht in Ziegelbau, unbekleidet. Darnach ist Mothes p. 752 zu verbessern, der
gegen Förster ungerecht auftritt.
30 SANCT MARTIN VON IAXCA
seine Vorlage, sicher ein Diptychon, diese Randverzierung nur
als Einrahmung der Platte bot. Der Tron selbst ist ebenso
getreu mit seinen schmalen Säulchen und engen Bögen an Sitz
und Lehne nachgeahmt und den zugespitzten Knöpfen links und
rechts, die sicher von Golde blitzten. Maria sitzt auf kostbar
gesticktem, byzantinischem Polster, und trägt eine hohe zierlich
gearbeitete Krone auf dem Haupt vor dem grofsen runden
Nimbus, der sie allein auszeichnet. Ganz von vorn gesehen
hält sie mit beiden Armen das Kind auf ihrem Schofse, das
segnend die Rechte erhebt. Die Köpfe der beiden Himmlischen
zeigen das grosse Oval mit kleiner Stirn, aber starken Backen-
knochen, tiefen Augenhöhlen und breitem Munde, dessen Ver-
ziehung mit den scharfen Falten zur Seite dem sonst so strengen
Ausdruck einen Zug von Freundlichkeit mitteilen soll. Die
vollste Bestätigung für das Uebertragen einer geschnitzten
Elfenbeinarbeit in Stein geben endlich die fein gerillten Falten,
die regelmäfsig geordneten Säume und die symmetrisch ge-
gliederten Massen, deren Durchfurchung fast zu eng und kleinlich
wirkt, wie die ebenso pretiöse Behandlung der Blätter und
Architekturteile droben.
In den Bergen von Lucca haben sich an allen Strafsen,
die nordwärts nach Oberitalien führen, Denkmäler früherer
Skulpturtätigkeit erhalten, welche uns, so unvollkommen und
verschiedenwertig sie sein mögen, doch wol die Herkunft noch
deutlich beurkunden. Zu den ältesten Ueberresten, die ich
nachzuweisen vermag, gehört das Weihbecken in der Pieve
zu Brancoli (oberhalb Ponte a Moriano). Auf einer starken
Säule von 1,10 Meter erhebt sich ein Becken aus grauem
granitähnlichem Stein von grofser Härte (0,34 m hoch, 0,46 m
im Durchmesser). Es ist mit zwei Widderköpfen und zwei
Menschenköpfen, dem eines bärtigen Priesters, mit Tonsur, und
dem eines Königs mit Zackenkrone besetzt. Am Reifen dieser
Krone steht der Name des Künstlers RAITVS ME FECIT.
Zwischen den Köpfen bedeckt primitives Blattwerk die Ober-
fläche, und an der einen Seite enthält ein Stengel eine platten-
artige Vertiefung mit einer zweizeiligen Bezeichnung MI|C,
die wol als MILLESIMO CENTESIMO gedeutet, also mit
Abzug der I als 1099 gelesen werden dürfte. Dazu besitzt
die selbe, auch als Bauwerk interessante Kirche ein achtseitiges
DIE BILDNER SCHULE LUCCA'S 31
Immersionsbecken aus demselben Stein. Jede Seite hat rechts
eine Randleiste mit Rankenwerk, die als Pilasterteilung wirkt,
eben solche Ornamentik am umlaufenden Gesims, das sich an
den Ecken vorkröpft und hier mit Tier- oder Menschenköpfen
besetzt ist. Auf dem Rande oben waren ursprünglich acht
Eckverzierungen angebracht, runde Körper wie ein Apfel oder
Kürbis und an einer Ecke ein kleiner Löwe, der offenbar als
Kerzenhalter diente. Im Mittelschiff der Basilika ist am Pfeiler-
paar, das die Säulenreihe unterbricht zur Linken vom Altar
aus die Kanzel angebracht, die neuerdings sorgfältig restauriert,
doch nicht ihre ursprüngliche Aufstellung bewahrt hat. Sie
kehrt die längere Hauptseite jetzt gegen den Mittelraum, eine
Schmalseite nach vorn. Diese letztere wird von zwei Säulen
getragen, die auf Löwen ruhen, deren einer einen Drachen,
deren anderer einen behelmten Mann unter sich hat, dem er
den Vorderarm abbeisst, während der Krieger ihm sein Dolch-
messer in die Brust stöfst. Das einzige alte Kapitell hat vier
Adler (oder Tauben) über einem Blattkranz mit viel Bohr-
arbeit dazwischen. Das Gebälk ist mit reichem Rankenwerk,
Rosetten an den Ecken, und an einer Seite wol mit ehe-
maliger Intarsia geschmückt. Die Brüstung selbst wird nur
durch gedrungene Säulchen in Arkaden geteilt, deren Bögen
wieder wie das Kranzgesims mit Laubwerk besetzt sind. In
der Mitte der Langseite springt jetzt eine starke Konsole vor,
die sichtlich als Kapitell für eine Säule darunter gearbeitet
war. Darauf sitzt eine bartlose (weibliche?) Figur in langem
Gewände mit Zackenkrone und hält ein offenes Buch vor sich
mit der Inschrift: „Evangelica Lectione fiat peccatorum nostro-
rum remissio." Darüber das Evangelienpult vom Adler ge-
tragen. An der selben Vorderseite ist jetzt auch das kleinere
Lesepult angebracht, das von einem zusammengekauerten Mann
getragen wird. Diese Kanzel sowol wie das Taufbecken ge-
hören in eine spätere Periode als das Weihbecken, wenn
auch immer noch zu den frühen Beispielen solcher Ausstattung.
Der Meister des Weihwasserbeckens, Raitus, hat noch
völlig longobardischen Charakter, und dasselbe muss von dem
Tympanonrelief gesagt werden, welches das Hauptportal des
alten Domes von Berceto (an der Strafse von Spezia nach
Parma) schmückt. Es zeigt eine sehr altertümliche Kreuzigung
32 SANCT MARTIN VON LUCCA
Chritsi in allerdings noch höchst kindlicher Ausführung. In der
Mitte der Gekreuzigte mit gleichgestellten Füfsen und langem
Schurz, links Maria und Johannes nebst einer grofsen in Pracht-
gewänder gekleideten Frauengestalt (Ecclesia?) , rechts der
Soldat, der mit der Lanze die Seite Christi öffnet, und eine
zweite Person mit grofsem Topf (Synagoge?) nebst anderen
Zuschauern. Am Architrav darunter ist, wie ein Satyrspiel
zur Tragödie, allerlei lustiges Fabelgetier angebracht. Am
Seitenportal sind nur noch zwei Träger an den Pfosten, ebenso
roh und befangen, kenntlich geblieben, das Bogenfeld zerstört ' ),
Gewisse Eigentümlichkeiten der Arbeit verbinden aber dies
Beispiel im Gebirge noch unverkennbar mit den ältesten
Skulpturen in Lucca, wie z. B. mit dem obenerwähnten Kapitell
in der Vorhalle des Domes.
Das wichtigste Denkmal, das zu Lucca selbst für unsere
Untersuchung in Betracht kommt, ist das vielumstrittene Tauf-
becken in S. Frediano. Es wurde erst 1803 aus dem Baptisterium
bei S^1. Reparata, also aus unmittelbarer Nähe des Domes,
weggenommen und an seinen jetzigen Platz übertragen, als
diese Taufkirche, wo man seitdem die noch ältere Piscina wieder
freigelegt hat, zum Archivraum umgewandelt werden sollte. Auch
dieses über dem Fufsboden errichtete runde Wasserbehältnis ist
ein Immersionsbecken, und so gewönne die angebliche Jahres-
zahl seiner Vollendung, 1151, zugleich Bedeutung für die christ-
liche Archäologie; aber dieses Datum beruht trotz Försters
Facsimile und allen Wiederholungen auf einem Irrtum, und
Rumohrs Lesung ist zum Teil wieder in ihr Recht einzusetzen2).
1 ) Verwandt sind die Reste am Dome zu Bari;a, besonders zwei Krieger mit
Schild an den Plosten des Seitenportales, deren einer noch lesbar als „Bonatachius"
bezeichnet. Die Skulpturen, welche Rauch (nach einer Notiz bei Förster) in Pont-
remoli gesehen haben will, vermochte ich nicht aufzufinden. Da Erkundigungen
im Orte selbst nur negative Antwort ergaben, muss die Nachricht wol auf einem
Irrtum beruhen, oder die Kirche, wo Rauch Skulpturen dieser Zeit sah, abseits
an der alten Strasse liegen. In S. Gennaro, unweit Lucca (gegen Pescia zu), ist
eine Kanzel von ,, Meister Filippus", die ich ebenfalls noch nicht selber kennen
lernen konnte. lieber die Kanzel in Barga siehe Kap. IV.
») Ridolfi, Guida di Lucca, S. 122, liest: f M . . . LI ROBERTUS MAGIST.
IME PINS • . . und verfällt darauf, die Inschrift könne von einem Maler einge-
kritzelt sein, der in der Nähe ein Wandbild gemalt!
DIE BILDNERSCHULE LUCCA'S 33
Auf dem oberen Rande steht die gegenwärtig sehr abge-
schliffene und verwaschene, aber doch noch sicher entzifferbare
Inschrift, deren am Ende (wegen Platzmangel vor der Fuge)
sehr starke Abbreviaturen wir auflösen. Es ist, wie gewöhnlich
in dieser Zeit, ein panegyrischer Reim, ein Ruhmestitulus des
Meisters, der ihm gewiss auch sonst bei Bezeichnung seiner
Arbeiten gedient hat:
f ME FECIT ROBERTVS MAGIST I A(R)T(E) P(ER)ITVS
Das Becken ist also nicht datiert, und nur die Stilkritik
kann es in die Reihe der Denkmäler einordnen, wohin es
gehört. Es erhebt sich auf mehreren Stufen und seine Brüstung
besteht aus sechs Stücken, die wol kaum, wie man vermutet
falsch zusammengesetzt worden sind. Nur an der einen, zwei
solcher Stücke umfassenden Seite, versucht der Bildner noch
architektonische Gliederung, indem er sieben Einzelgestalten
in einer Arkadenreihe vorführt. Diese Arkaden aber sind
bereits spitzbogig, während sonst über den romanischen Charakter
der Arbeit kein Zweifel sein kann! Es sind verschiedenartig,
hier apostolisch dort nur mit Manteltuch um den nackten Leib
bekleidete Gestalten, bärtige und bartlose, in mehr oder weniger
nichtssagender Haltung; in ihrer Mitte aber steht der gute Hirt
mit dem Lamm auf den Schultern, und die äusserte Figur rechts
trägt einen Hasen in der Hand, während im Hintergrunde
noch ein nacktes Menschenkind auftaucht. Auf dem folgenden
Stücke J) rechts sehen wir einWeib, das mit beiden Händen in
die aufgelösten Haare greift, eine Erscheinung wie die büssende
Magdalena, dann zwei bärtige Juden, deren einer auf die Krücke
gestützt die Hand gegen die Wange des geneigten Hauptes
legt, deren andrer dieHandbedeutsam erhebt, einander zugekehrt;
rechtshin schreitet ein altes Weib mit einem Kind auf dem Rücken,
einen Topf in der Hand, worauf ein Vogel sitzt, und vor dieser
Zigeunerin hockt noch ein nacktes Bübchen auf dem Boden.
Eine Matrone aber empfängt die Wandernde und enthüllt ihr
das Antlitz einer königlichen Frau, die rechts auf hohem Stule
tront. Auf dem nächtsen Stück steht ein nackter Mann noch
wie ein Zuschauer zu dieser Scene hergewendet. Dann aber
folgen zwei Gruppen, die wol als Parallele gedacht sind:
!) Siehe die Kopfleiste dieses Kapitels nach Alinaris Photographie.
Italienische Forschungen I. 3
34 SANCT MARTIN VON LUCCA
Moses Stab verwandelt sich, wie er mit Jehovah redet, in
einen Drachen, — und Christus heilt (hinter einer Staude oder
einem Feigenbaum stehend) einen Aussätzigen, der demütig zu
ihm herankriecht und ihm den schwärenbedeckten Arm entgegen-
streckt. Dann folgt der Durchzug durch's Rote Meer, wo der
Künstler jedoch statt der Errettung der Juden vielmehr den
Ritt Pharaos mit seinen Kriegern schildert. In einer Schaar
wolgerüsteter Reiter in der Bewaffnung des XII. Jahrhunderts
sehen wir den König in Tunika und Mantel mit der Krone auf
dem Haupt; ihm folgt ein Reiter, zu dem sich ein andrer
rittlings auf's Pferd gesetzt, sich rückwärts festhaltend, — als
einziges Zeichen eiliger Flucht. Auf dem letzten Stück wieder
ein Parallelismus, Gesetz und Evangelium: Moses empfängt
mit verhüllten Händen knieend die Gesetztafeln von Gottvater,
der in Gegenwart eines Engels, als Halbfigur aus runder Glorie
hervorschaut. Hinter Moses ein Drache, dessen Haupt seine
Fufssohle berührt, sich aufwärts ringelnd. — Christus, als Ver-
treter des neuen Bundes, tront auf dem Hochsitz und hält das
Evangelium in der Hand, während wiederum ein Engel Wache
steht. Als Empfänger gehört hierzu wol der stehende Mann,
der in zuwartender Haltung (aber mit abgebrochenem Kopf)
noch auf dem anschliessenden Stück Platz gefunden hat.
Darstellungsweise wie Gestaltenbildung und Typen verraten
den Anschluss an etruskische und altchristliche Sarkophage. So
erscheint hier Gottvater in rundem Medaillon nach Analogie
von Porträtköpfen der Verstorbenen und Christus als Kriophoros.
Das Relief giebt nur eine Reihe von Figuren, häuft nirgends eine
zweite halb ausgebildete darauf, füllt aber geflissentlich die
ganze gegebene Fläche ohne Lücken aus. Die Behandlung
der menschlichen Gestalt bekundet einen ausgesprochenen Sinn
für echt plastische Entfaltung; überall ist auch unter den
meist antiken Gewändern die Form der Gliedmafsen klar
hervorgehoben, nur im Durchgang durch's rote Meer erscheinen
Krieger in zeitgemäfser Rüstung. Die Bewegungen sind
romanisch hastig und etwas übertrieben, doch aber verständlich
und im bildnerischen Zuge gegeben, selbst die Muskulatur im
Nackten schon verhältnismäfsig wolgelungen. Ebenso echt
romanisch sind die Pflanzengebilde, die als Bäume gemeint,
doch nur wie junge Schöslinsge erscheinen, und nicht minder
DIE BILDNERSCHULE LUCCA'S 35
der Tron, auf dem das gekrönte Weib sitzt, das von einem
anderen entschleiert wird1).
Obgleich nun hier die Typen durchaus „etruskisch" sind,
mit ihrem breiten Oval, ihren grofsen tiefliegenden Augen und
mächtigen Unterkiefern, so leuchtet doch bei einem Hinblick
auf die reiche figürliche Säule am Atrium des Domes die nahe
Verwandtschaft ein, besonders mit dem unteren Teil, wo der
Sündenfall dargestellt ist. Trotz der ganz verschiedenen Auf-
fassung der Menschengestalt, in schlankem leichtem Bau, be-
weist doch die Arbeit, zumal an dem Baum und Blattwerk die
nämliche Schulung. So gewinnen wir einerseits einen Anhalt zur
Datierung des Taufbeckens von S. Frediano, andererseits einen
Nachweis der Herkunft der bildnerischen Kraft, die hier am
Dome sich betätigt.
Mehr Uebereinstimmung mit den Typen dieses Taufbeckens
könnte man noch in den biblischen Figuren am Stammbaum
Jesse herausfinden. Indess erfährt die Darstellung des Körpers
gerade hier empfindliche Abwandlung, im Sinne eines Stein-
metzen, dem es nicht mehr auf volles Erfassen und Durch-
bilden der Leibesform ankommt. In der Gewandung vollends
tritt eine völlig andere Manier auf, die vielmehr feinfaltigen
weichen Stoffen nachzugehen beginnt, hier und da an die ge-
rillten Terracottabildwerke deutlicher erinnert, als an byzan-
tinische Goldschmiede- und Elfenbeinarbeit. Solche Erscheinungen
finden sich langer Hand in dem benachbarten Pistoja vorbe-
reitet, das in dieser Periode einen ausgedehnten Baueifer ent-
faltet und so manches Denkmal lombardisch-toskanischer Archi-
tektur und zugehöriger Zierweise darbeut. Es sind Steinmetz-
arbeiten, die wir zu betrachten haben, durchaus nicht auf der
Höhe des Taufbeckens von Lucca stehend, aber wichtig als
Belege comaskischer Bauskulptur.
*) Die Arbeit scheint nicht ganz vollendet, wie sie beabsichtigt war. Ueber
dem Tron sieht man am Blätterkranz oben den Beginn feiner Ausarbeitung, der nach-
her verschwindet, und die rohe Grundform so stehen lässt.
36
SANCT MARTIN VON LUCCA
J\m mattesten sind noch die Lebensgeister, die den harten
Stein durchdringend organische Form ihm mitzuteilen versuchen,
in dem Abendmal von 1162 am Architrav des Nordportals von
S. Giovanni Fuorcivitas, an dessen Archivolte die Inschrift :
GRUAMONS MAGISTER BONUS FEC. HOC OPUS
den Baumeister nennt, der wol zugleich Bildner war. Christus
sitzt inmitten der Apostel an einem langen Tisch, der die ganze
Breite des Frieses einnimmt, und vor ihm, an der Vorderseite,
kniet in Profil nach rechts Judas Ischarioth, erhebt die Hände
mit einem Tuch darüber unter das Kinn und empfängt so den
Bissen, den ihm Christus in den Mund steckt, wie die Hostie
bei der Kommunion. Alle Anderen sitzen ganz steif von vorn
gesehen, nur Johannes legt sich seitwärts auf den Tisch mit
dem Kopf gegen die Schulter des Meisters. „Cenans discipulis
Christus dat verba salutis. Cenam novam tribuit, legem veterem
quoque finit" ■ ) sagen die Aufschriften am Rande. An der
Schrägung des Gesimses ist Rankenwerk nach antikem Vorbild
in flachem Relief gearbeitet, unter der Archivolte links und
rechts ein Löwe über einem zu Boden geworfenen nackten
Menschen und über einem Widder, oder sonstigem, nicht mehr
erkennbaren Tiere aufgestellt.
S. Andrea. Pistoja.
Entschieden lebendiger wird die figürliche Darstellung von
Steinmetzenhand am Hauptportal von S. Andrea, mit der
Unterschrift:
FECIT HOC OP. GRVAMONS MAGIST. BON: ET ADODAT'.
FRATER EIVS
') Vgl. Tolomei, Guida di Pistoja 1821 p. 98. Siehe Abbildung n.ich Btogi's
^.12.
DIE BILDNERSCHULE LUCCA'S 37
An der Unterseite des Sturzes ist auch das Datum gegeben:
„Tunc erant Operarii Villanus et Pathus filius Tignosi A. D
MCLXVI.'' Auch hier stehen wieder Löwen, der eine auf einem
nackten Menschen, der andere auf einem Drachen, grimmig
herausschauend, vor dem Ansatz der Archivolte. Am Friese
reiten links die heiligen drei Könige aus Morgenland herbei
„Veniunt Ecce Magi Sidus Regale Secuti", dann kniet ein
Mann vor einem tronenden Fürsten, als leiste er ihm das
Vasallerigelöbniss in seine Hände: „Falleris Herodes Quod
XPM Perdere Voles". Und unbekümmert um den Vierfürsten,
wallfahrten die Könige zum Jesusknaben und bringen ihre Ge-
schenke dar: „Melchior. Caspar. Baltasar f Magos Stel (*) la
Monet. Puero Tria Munera Donant". Rechts steht Joseph
auf seinen Stab gestützt, wie eingewickelt in die feingerillte
Gewandung, deren Mantelsaum sich in regelmäfsige Zickzack-
falten herumlegt. Sein Kopf zeigt noch denselben Typus, un-
gefähr wie die alten Propheten in Lucca, mit tiefliegenden
Augen und breitem Mundwerk, aber alle Proportionen sind
etwas länglicher. Ganz seltsam erscheint der langhaarige und
spitzbärtige Herodes. Der ganze Oberkörper ist mit horizontalen
Querfurchen umzog-en, während von oben bis unten die Zickzack-
falte sich herab- und bis zum Sitz wieder aufwärts schlängelt.
Der Fürst trägt wie die anderen Könige eine aus mehreren
Zickzack- oder Bogenreihen gebildete Krone, so dass man an
die Weihgeschenke westgotischer Herrscher wie Reccesvinthus
oder aus dem Funde von Guerrazar erinnert wird. Minder
barbarisch sind die Magier, doch die älteren auch mit langem
weichem Haar, das hinters Ohr gelegt ist, sorgsam abgebildet.
Bei der breitwangigen hässlichen Maria jedoch, wie bei dem
bartlosen Vertrauten des Herodes tritt ganz deutlich in den
festgeschlossenen vorgeschobenen Lippen die eigentümliche Be-
handlung des Mundes hervor, die dieser ganzen Schule ge-
meinsam bleibt. Interessant besonders wegen ihres Aufzuges
sind die ankommenden Reiter, mit ihren Schnabelschuhen im
Steigbügel, ihrem Schellengeläute am Zaumwerk, ihren breiten,
ausgezaddelten Pferdedecken, — und zugleich durch die über-
raschende Beobachtung der Kopfhaltung bei den Tieren, die
trotz aller Schwächen des technischen Vermögens noch wirk-
sam hindurchleuchtet. Immer spielt in den wehenden Gewand-
.S8
SANCT MARTIN VON LUCCA
zipfeln und den weiten Bogenfalten der Mäntel noch eine ferne
Reminiscenz an conventioneile Schulgewohnheiten der antiken
Kunst herein, und mischt sich mit dem sichtlichen Bestreben
heimische Typen, Könige und Herren longobardischer Herkunft
in ihrer charakteristischen Erscheinung zu schildern. Diese
Ueberreste antiker Kultur drängen sich selbst in den Gerät-
schaften hervor: an dem Stul Marias wird die Armlehne durch
eine lagernde Frauengestalt gebildet, während am Steinsitz des
Herodes sich sogar allegorisches Bildwerk, ein nacktes Menschen-
kind in Gefahr von einer Schlange umringelt zu werden, erkennen
lässt, in deutlicher Anspielung auf den Mordplan, der da ge-
schmiedet wird. — Jedenfalls geht dieses Relief über das Aber.d-
mal des Gruamons so weit hinaus, dass wir seinen an zweiter
Stelle genannten Bruder Adeodatus für den begabteren Bildner
ansehen dürfen» der hier den Hauptanteil genommen. An
Kapitell vcm Portal an S. Andrea. Fistoja.
Kapitell vom Portal an S. Andrea. Pistoja.
dem Kapitell des Türpfostens rechts nennt sich noch ein dritter
Genosse: MAGISTER ENRIGUS ME . . FECIT, — von
dem auch das gegenüberstehende herrühren wird ' ). Links
sehen wir die Erscheinung des Engels vor Zacharias „Ne
timeas Zacharias q(uonia)m exaudita est . . . ." und den Besuch
Marias bei Elisabeth; rechts vorn als Gegenstück die Ver-
kündigung an Maria in Gegenwart Josephs ,,Ave gratia plena,
Dominus tecum", wobei nun allerdings nicht, wie die Mehr-
1 ) Mothes, Baukunst d. MAs in Italien S. 292 Anm. möchte einen ..Erich"
aus ihm machen und tadelt uns Deutsche, dass wir Enrico nachschreiben; aber die
Inschrift hat sogar das N ausgeführt, also darf auch Mothes nur „Heinrich"
übersetzen.
DIE BILDNERSCHULE LUCCA'S
39
zahl der Berichterstatter meinen,
die matronenhafte Jungfrau das
Kind als Embryo auf dem Leibe
trägt J), sondern nur die unschul-
dige Spindel hält, — wie es üblich
war. An der Seite des Kapitells
steht S. Anna, mit dem Namen
darüber.
Das dritte Stück dieser Archi-
travskulpturen zu Pistoja, an S. Bar-
tolommeo in Pantano, nennt in der
Inschrift unter dem Sturz
RODOLFINJ. O ANNI DOMNI
MCLXVII
wol nur den Operarius, der nicht
zugleich der ausführende Künstler
war, da der gebräuchliche Zusatz
„Magister" fehlt. Es hat durch
Witterungseinflüsse mehr gelitten,
scheint aber schon ursprünglich
eine seltsame Mattherzigkeit und
Verschwommenheit mit gewissen
Vorzügen, wie geschmackvollerer
Einheit in der Gestaltenbii'dung,
einzelnen glücklichen Bewegungen
und freundlicheren Typen zu ver-
einigen. Jedenfalls ist es eine an-
dere, im Ganzen schwächere, aber
!) So Ciampi, Cicognara, Tolomei and auch
Förster, der von Mothes S. 735 Anm. ver-
bessert wird, man solle doch lieber „als Seel-
chen'' sagen! Weshalb sich der Bildner durch
solche Darstellung gerade als Deutscher documen-
tieren soll, ist unerfindlich; Ciampi führt schon
ein anderes Beispiel in Pistoja an, das freilich
nachzuprüfen wäre. In umbrischen Malereien des
XV. Jahrhunderts kcmmt dergleichen häufig vor.
mmwM i
4© SANCT MARTIN VON LUCCA
eben deshalb vielleicht besser disciplinierte Kraft als an S.Andrea,
wenn auch durch die Köpfe sowol wie durch die Gewänder
sich naher Zusammenhang bis nach Lucca hin gerade hier er-
weist ' ). Es stellt die Erscheinung Christi im Kreise der Jünger
dar, wie Thomas die Seitenwunde des Auferstandenen betastet,
wobei zuäusserst links und rechts noch ein Engel zugegen ist.
Unten stehen dieNamen der Dargestellten in dieser Folge: [Simon]
Matheus. Philippus. Mathias. Ba[rtholomeus] [Thomas] [XPR
Joh(anne)s Petrus. Andreas. Tatdeus. Jac(obu)s; — oben die
Verse
Pax ego sum vobis quo sit firmissima Domni,
Cernite discrete, quia sum Deus ecce videte:
Me quoque palpate, sicut debetis amate.
Expulsis morbis per climata quatuor orbis
Fönte sacro lotum mundum convertite totum. 2 )
auch hier, oben unter der Archivolte, die beiden Löwen mit
nacktem Menschen und einem Drachen, dessen Oberkörper
allerdings einer friedlichen Ente mehr gleicht als einem gift-
fauchenden Scheusal.
Alle diese Reliefs in PistojaJ) haben zwei wichtige Eigen-
schaften gemein, die hervorgehoben werden müssen. Die ziem-
lich flach herausgearbeiteten Figuren wurden dadurch stärker
in Wirkung gesetzt, dass man den Hintergrund mit einge-
grabenen Ornamenten bedeckte, deren vertiefte Linien und
Formen offenbar mit schwarzer oder sonst farbiger Pasta aus-
gestrichen waren, so dass sich die Körper deutlicher davon ab-
hoben. An S. Andrea ist sogar ein reichskulpierter Wulst als
Mittelglied zwischen der Fläche des Hintergrundes und dem
stehengebliebenen Rand des Steines eingelegt. Damit hängt
auf's Engste die andere technische Eigentümlichkeit zusammen,
dass überall nur eine Reihe von Figuren auf schmalem Vorder-
grund gegeben wird und der eigentliche Reliefgrund neutral
1 ) Ich denke dabei geradezu an Biduinus, nur lässt solche handwerkliche
Arbeit noch zu wenig Individuelles erkennen, um die Persönlichkeit fassen zu können.
2) Vgl. Tolomei, Guida S. 73.
3 ) Der Architrav von S. Piero Maggiore darf noch nicht hierher gerechnet
werden, da er erst bei einer Restauration um 1263 — 1270 entstand. Vgl. unten
Kap IV.
DIE BILDNERSCHULE LUCCA'S 41
bleibt, d. h. einen weiter nicht bezeichneten unbestimmten Raum
darstellt. So ist jeder Anlauf, perspektivisch in die Tiefe zu
gehen vermieden, und die Figuren stofsen wie mit den Füfsen
unten, so mit den Köpfen oben an den Rand des ursprünglich
gegebenen Steinblocks an, von dessen Oberfläche ausgehend
man die eingrabende Arbeit begann. Und zwar stellen diese
Reliefs schon drei bemerkenswerte Schritte auf diesem Wege
dar, welche uns das allmähliche Freiwerden der gestaltenbilden-
den Steinmetzen unter den rein tektonischen Steinhauern veran-
schaulichen. Im Abendmal stofsen sich die Sitzenden wirklich
noch die Scheitel an den Oberbalken; im Zug der Könige
an S. Andrea ist der neutralisierende Zierwulst gleichsam als
Soffite eingeschoben; an S. Bartolommeo ist bereits freie Luft
über den Köpfen, wenn auch die absetzende Linie hinter den
Heiligenscheinen noch dafür zeugt, dass diese Einsicht erst
während der Arbeit gewonnen worden.
Dies wird auch wichtig für die Beurteilung der Kanzel in
S. Michele zu Groppoli, bei der Villa Dalpina unweit Pistojas.
Ihre vorderen Säulen ruhen auf einem Paar genau solcher
Löwen, wie wir sie überall an den Archivolten der Kirchtüren
gefunden, und deren stilistische Uebereinstimmung mit jenen
städtischen ist so vollständig, dass der engste Zusammenhang
nicht bezweifelt werden kann, obgleich uns die Inschrift, erst die
Jahreszahl 1193 giebt
ML3LCL O XXXXIII •)
Wir haben es eben mit einer minder sorgfältigen Arbeit für
eine Dorfkirche zu tun. Die Tatsache aber, dass man auch
hier wie in Brancoli, Barga, S. Gennaro unweit Lucca, eine
solche Kanzel zu haben begehrte, legt auch für die weite
Verbreitung dieser Werke in den Stadtkirchen entschiedenes
Zeugnis ab, d. h. für eine Tatsache, die wir bei der Beur-
teilung der wenigen noch erhaltenen Beispiele aus dieser Zeit
so leicht ausser Acht setzen. Nur dem traurigen Umstände
sicherlich, dass die Kanzeln der Nachbarstädte, bis auf ver-
') So giebt Tolomei, Guida S. 73 Anm. (1821) das Facsimile. Die obere Reihe
lautet: ,, Hoc opus fecit fieri hoc opus (S. . V, . Plebanus) Anno. Domni. . . .'"; nennt
also nur den Pfarrer (Pievano), dessen Namen uns nichts angehen.
42 SANCT MARTIN VON LUCCA
einzelte Ausnahmen, weggeräumt und verschollen sind, ver-
dankt dies äusserst rohe Exemplar in Groppoli seine relative
Berühmtheit.
Hier wird von einem geringen Handwerker sichtlich nach
hergebrachten Kompositionen gearbeitet, welche auf altüber-
lieferte byzantinische Vorlagen zurückgehen, unter sich aber
verschiedenen Grundsätzen folgen. Verkündigung (nur noch
Maria allein erhalten) und Heimsuchung zeigen die Gestalten
in ganzer Höhe der Steinplatte und ohne weitere Gegenstände
der Umgebung. Die Geburt Christi dagegen und die Flucht
nach Aegypten geben compliciertere Zusammenschiebung von
Figuren, die in verschiedener Entfernung gedacht sind, und
zwar beide wiederum in verschiedener Abstufung. Bei der Geburt
sehen wir vorn rechts auf einem Stul den abseits brütenden
Joseph, welcher den Uebrigen den Rücken dreht, und den Kopf
in die Hand stützt; links daneben die dienenden Frauen be-
schäftigt das Kind zu baden, die eine knieend, die andere
Wasser hinzugiessende stehend, aber gleich gross. Darüber
auf dem Lager liegt die schlafende Mutter eingewickelt, das
Kind in Windeln mit Ochs und Esel an der Krippe. Der
grofse tellerförmige Stern zu Häupten und rechts über Joseph
ein herb einlegender Engel, der in einem Gefäss Erfrischungen
zu bringen scheint, geben diesem Bilde der freudlosen Er-
schöpfung und hoffnungslosen Dumpfheit des wirklichen Her-
gangs, wo eben ein neues Menschenkind unter Angst und Not
in dies Jammertal hineingefahren ist, die einzige Beimischung
biblischen Charakters. In der Flucht nach Aegypten führt
Joseph, die ganze Höhe der Bildfläche einnehmend, den Esel,
auf dem Maria mit dem Wickelkinde sitzt, linkshin, während
rechts hinter dem Tiere — wie zurückliegend in der Ferne —
die Verkündigung an die Hirten stattfindet, die offenbar nur der
Raumfüllung halber hierhergezogen wird, obgleich sie sonst
mit der Nachbarscene der Geburt zusammengehört. — Auch
diese Reliefs aber sind genau so aus den Steinplatten heraus-
gearbeitet, wie jene Türstürze, immer mit der Rücksicht die
Haltbarkeit nicht zu untergraben und die Werkform festzuhalten.
Sie waren übrigens sicher bemalt, wie die schwarz eingesetzten
Augen und andere Kennzeichen der Arbeit erweisen. Leider
ist die Brüstung versetzt und ihres Lesepultes mit seinem Träger
S. MICHAEL. GROPPOU
DIE BILDNERSCHULE LUCCA'S 43
beraubt, als dessen Untersatz — zugleich als Kopfstück des
Querbalkens, den die dritte Säule trug, — die Riesenfratze des
Satanas übriggeblieben, zu dem wir uns also wol den Matthäus-
engel mit den drei anderen Evangelistensymbolen hinzuzudenken
haben, ungefähr wie in S. Bartolomeo zu Pistoja.
Dagegen besitzt dasselbe Kirchlein S. Michele, aus dem
man mit Unrecht eine Madonna dei Grappoli machen wollen1),
die sorglich ausgeführte Freifigur dieses Erzengels als Drachen-
töter. Sie ist, so abschreckend sie auch erscheinen mag, sehr
wichtig zur Erfassung des Idealtypus, der dieser ganzen Kunst-
schule vorschwebt. In ihr erkennt man sofort ganz klar die
Verwertung einer byzantinischen Vorlage und zwar, nicht einer
vollausgerundeten selbständigen Statue oder Statuette, sondern
einer halberhabenen, in der Fläche haftenden Darstellung, die
selber wiederum mit der Malerei verwandt war. Denn S.
Michael steht nicht fest auf dem Rücken des niedergeworfenen
Drachens, dem er seinen Heroldsstab, wie eine Lanze in den
Rachen treibt, dass der Schweif der Bestie sich angstvoll em-
porringelt, — sondern er berührt den Gegner nur mit den
Zehenspitzen wie drüber hinschwebend, ohne doch die Flügel
zum Fluge auszubreiten. Die Rechte fasst das Scepter in
lahmer Haltung ohne zuzustofsen, die Linke hält den Saum
des Manteltuches, der steif und massig quer über den Leib
gelegt ist, so dass die dünnen Beine mit aufgezogenen Knieen
hülflos genug darunter vorstehen. Auf schmalen Schultern
und flacher Brust, aber mächtigem Hals hebt sich das lange
Oval des Kopfes, dessen Schädel sich seltsam zuspitzt wie
das Kinn. Das Antlitz zeigt genau den Typus, den wir im
Kleinen bei den Engeln und bartlosen Gesichtern der Architrav-
reliefs in Pistoja beobachtet haben. 2 ) Die selbe niedrige zurück
fliehende Stirn, die eingedrückten Schläfen.breiten Backenknochen
und Kinnladen, und die nämlichen schmal zusammengeschlossenen
und spitz vorgeschobenen Lippen des grossen Mundes, welche
in Verbindung mit dem weiten Abstand von der Nase und der
Kinnhöhe überaus charakteristisch sind und mit dem bohrenden
Blick der schwarzen Augensterne gorgonisch wirken. Hier ist
mit Beibehaltung der gestreckten byzantinischen Proportionen
!) Jlothes, a. a. O. p. 739.
2) Man vergleiche auch besonders Christus an S. Bartolommeo.
44 SANCT MARTIN VON LUCCA
ein Gebilde entstanden, das mehr als ein andres Beispiel in Italien
an die französischen Portalskulpturen romanischer Kirchen er-
innert, und doch bewahrt es noch immer Verwandtschaft genug mit
den Zügen, die man als etruskisches Erbteil betrachten möchte.
IVlehr dieser Gruppe von Steinmetzen in Pistoja ver-
wandt, als den wenigen wirklichen Bildhauern ebenbürtig, welche
wie Robertus, der Meister des Taufbeckens von S. Frediano
in genauer Nacheiferung der Antike doch zur freien Skulptur
sich durchzuringen streben, erscheint mir auch der Figuren-
bildner, der den Stammbaum Christi an der Prunksäule von
S. Martino dargestellt, — und zwar kommt er mit seinen
königlichen Vorfahren und seiner Maria wol den Aposteln um
den Auferstandenen an S. Bartolommeo in Pantanp am nächsten.
In die nämliche Reihe gehört vollends durch die Mehr-
zahl seiner Leistungen der schon durch seinen Namen wol
als Longobarde oder Comaske gekennzeichnete Biduinus, der
um ii 80 in dieser Gegend wirkt. Ganz übereinstimmend in
Anordnung und Charakter ist wenigstens ein Architrav, der
sich in unmittelbarer Nähe von Lucca an dem Kirchlein S.
Angelo in Campo befunden zu haben scheint, im Laufe unseres
Jahrhunderts dann nach Segromigno in den Park des Marchese
Antonio Mazzarosa gewandert1), neuerdings in dessen Stadt-
palast aufgestellt ist2). Es enthält den Einzug in Jerusalem.
Christus geht dem Zug der Apostel voran auf einem Eselchen
reitend, unter dessen Füfse einige Knaben Teppiche breiten,
') Ridolfi, L'arte in Lucca p 85. f.
2) Daselbst sind auch zwei Stücke eines älteren Reliefs, den Ritt der Könige
darstellend, erhalten, die wie eine Vorstufe zu dem des Gruamons und Adeodatus
an S. Andrea zu Pistoja (1166) erscheinen, und zwar, wie die Madonna an
S. M Forisportam, mit architektonischer Umgebung. (Eine obere Halbfigur und ein
Pferd mit den Beinen des Reiters im Sattel.) Femer sieht man im Palasthof die
untere Hälfte eines andern Reliefs dieser Periode, wo in der Mitte ein langbärtiger
König tront, rechts eine Frau mit Kind auf dem Arm, ein anderes flehendes neben
sich; links ein Mann mit Schwert (oder Scepter), der ebenfalls ein Kind neben sich
hat (Kindermord vor Herodes?) Ein anderer Ueberrest zeigt die beiden Frauen, die
das neugeborene Kind in einem Becken baden, das wie ein Weihwassergefäss auf
einer Säule steht.
DIE BILDXERSCHULE LUCCA'S 45
während andere auf Bäume geklettert sind, um Zweige zu
brechen und besser zu sehen. Die Figuren sind gut bewegt
die Gewänder leicht behandelt und wol drapiert, der Charakter
der Köpfe entspricht durchaus denen an S. Bartolomeo zu
Pistoja. Auf der linken Seite ist noch der Erzengel Michael
dargestellt, der eine Hostie erhebt, während er einen Drachen
niedertritt, — und daraus lässt sich wol die Herkunft aus jener
Kirche sicher bestimmen. Auf dem unteren Randstreifen steht
„HOC OPUS PEREGIT MAGISTER BIDUINUS," also mit
Auslassung eines DOCTE beinahe ebenso wie auf der nämlichen
Darstellung in S. Casciano am Arno bei Pisa, die Förster allzu
humoristisch schildert. I ) Ueber dem Hauptportal be-
findet sich das Relief, das ausser dem Einzug noch
andere Scenen enthält. Links sieht man Christus knieende
Kranke heilen, dann ein torartiges Gebäude mit Säulen-
halle unten, in der ein Mann, und mit drei Türmen auf
dem zinnenbekrönten Dach , zwischen denen andere Zu-
schauer stehen. Darnach die Auferweckung des Lazarus,
den ein Engel aus dem Sarkophag aufrichtet, da er selbst
noch ganz mit Querbinden umwickelt ist. Auf dem Sarg
steht die Namensinfchrift: „HOC OPUS QUOD CERNIS
BIDUINUS DOCTE PEREGIT". — Der Einzug Christi ist
besser gegliedert, als auf dem Relief bei Mazzarosa; zwei Gruppen
von Aposteln zu je dreien werden durch eine aufsteigende Wein-
ranke getrennt; Einer führt den Esel, auf dem Christus reitet,
am Zügel. Hinter dem Baum, in den die Buben geklettert,
steht wieder ein zweistöckiges Gebäude. Am oberen Rand
der Reliefplatte giebt uns ein Vers : „Undecies centum et octo-
ginta post anni Tempore quod deus est fluxerant de virgine
natus" die Jahreszahl der Entstehung 1180, und damit ein festes
Datum für die Tätigkeit dieses späten Abkömmlings der Stein-
J) Förster, Gesch. d. ital. Kst. I. 296. „Im sogenannten Gänsemarsch folgen
die Apostel ihrem Herrn einer das getreue Abbild des anderen ; wie Säcke liegen die
Gewänder um den Leib und die Falten wurmartig und parallel über die eingenähte
Gestalt, deren Teile und Bewegung sie notdürftig bezeichnen."
2) Am ÜMebenportal links zeigt der Architrav eine Schweine- und Schafherde
von einem Löwen und einem Drachen überfallen, in Gegenwart zweier Hirten, die
heftig dazwischen tuten. Am andern Portal rechts ist ein unbedeutenderer Kampf
zweier Gieifen gegen ein Schaf gegeben.
46 SANCT MARTIN VON LUCCA
metzenschule, der deutlicher als irgend Einer die nahe Ver-
wandtschaft der Genossen in Pistoja bezeugt T).
In Lucca selbst ist dann noch ein Beispiel seines Könnens
erhalten, und hier weichen die beiden Bestandteile unter sich
etwas ab, — offenbar weil bei dem Einen ein anderes fremd-
artiges Vorbild zu Grunde liegt, das er nur in Stein überträgt.
Es sind die beiden Reliefs an der Kirche S. Salvatore, jetzt
Misericordia. Das Eine am Nebenportal der Fassade stellt,
wie Förster richtig erkannt hat, die Parabel von der Hochzeit
des Königssohnes dar. Er beschreibt es nur ungenau (Gesch.
d. ital. Kunst I p. 297). Das Relief zerfällt in zwei gleich-
wertige Scenen: links das Mal des Brautpaares, das im könig-
lichen Schmuck mit andern Gästen an der Tafel sitzt, zu welcher
der König einlädt: rechts das Mal der Bettler und Armen, zu
dem mit den Glöckchen eines Turmes geläutet wird. In der
Mitte nimmt eine Frau (Ecclesia?) eine Suppenterrine aus den
Händen des Dieners, der dafür von seinem Herrn am Haarschopf
gezupft wird. Die Gäste dieser zweiten Tafel drängen sich
gierig hinzu. — Ridolfi meint, dies Relief könne nicht von
Biduinus sein, der sich am Portal der Langseite bezeichnet hat,
und bringt es mit der gleichen Darstellung in einem Seitengang
des Domes zu Barga in Verbindung, indem er beide für einen
älteren Künstler in Anspruch nimmt. Indess läfst sich Ridolfi
wol allzusehr durch die Identität der Darstellung beeinflussen.
Das Relief in Barga ist durchaus abhängig von dem in Lucca,
aber sichtlich schwächer. Der Königssohn ist älter, mit Spitz-
bart dargestellt; der Gastgeber nicht durch den Nimbus gekenn-
zeichnet und packt sehr energisch den speisetragenden Diener,
der einmal die Schüssel auf den Tisch stellt, das andere Mal
sie der Matrone überreicht. Die Glocken hängen hier nicht
im Turm, sondern einfach an einer Stange. Ich glaube mit
Förster, dass das Relief an S. Salvatore in Lucca sehr wol von
1 ) Im Campo santo zu Pisa befindet sich ausserdem von ihm ein cannellierter
Sarkophag von ovaler Wannenform mit zwei Löwen, die Zicklein zerreissen, also
die Nachahmung eines antiken Exemplares, die seine geringe Fähigkeit dem Vorbild
nachzukommen beweist Die Inschrift lautet nach R. Grassi. Descrizione . . di Pisa:
f Biduinus maister fecit hanc tumbam . . . giratium. f höre vai per via pregando
dell anima mia. Sicome tu se, ego fui; sicut ego sum, tu dei essere."
DIE BILDNERSCHULE LUCCA'S 47
Biduinus sein kann, wenn auch ein frühes, noch befangeneres
Werk, sicher von einem gleichzeitigen Genossen.
Der Vergleich mit dem bezeichneten Architrav an der Lang-
seite ist aus besondern Gründen nicht ohneWeiteres entscheidend.
Die hier dargestellte Scene ist für die kirchliche Archäologie
wichtiger als für die Geschichte der Kunst, und hat, weil sie
befremdete, zu einer falschen Auslegung veranlasst. Nach Förster
enthält der Türsturz von S. Salvatore das Martyrium des
hl. Nicolaus: „wenigstens wird ein solcher durch den Heiligen-
schein und die Beischrift des Namens bezeichneter Mann ganz
entkleidet von zwei Männern in einen Kessel mit einer Flüssig-
keit (mit siedendem Oel?) gelassen." — ,,Auf dem Kessel
steht BIDUVINO ME FECIT HOC und daneben OP'. Neben
der Figur des Heiligen, geteilt durch sie, der Name des Darge-
stellten S. NICH — OLAVS, nun aber nicht, wie Förster an-
giebt, darunter ebenso geteilt PR — BTR, sondern neben
der Figur des Eintauchenden links vom Kessel PbRI, das
heisst also „Presbyteri," — und bezieht sich auf die beiden
gleichgekleideten Männer, welche sich nun aus Henkersknechten,
für die man sie genommen, in Priester der christlichen Kirche
verwandeln. Aus dem Martyrium des hl. Nicolaus wird also
seine Taufe, und damit stimmt auch überein, dass er uns nicht
als Mann, sondern als Knabe gezeigt wird.1) Das Becken, das
allerdings mehr einem Oelbehälter gleicht, ist wol aus Bronze
gedacht, und kommt so wiederholt auf der Geburt Christi als
Badegefäfs vor, in dem nun hier die Immersion vollzogen wird.
Zu beiden Seiten der Ceremonie, die durch die Stärke des Buben
mit kreuzweise ausgebreiteten Armen etwas burleskes Aussehen
erhält, stehen zwei gleichgebildete Säulenhallen, die von einer
Kuppel, mit zwei zinnenbekrönten Türmen zur Seite, bedacht
werden. Die eine links soll offenbar ein Tempel sein; denn man
sieht darin eine Lampe und einen Priester; aus den Turm-
fenstern aber schauen Leute mit lebhaften Gesten heraus, wie
bei einem Schauspiel. Auch rechts sind die Türme von
ruhigeren Insassen erfüllt, deren einer den Befehl zu erteilen
') Schon Rumohr, Italienische Forschungen I, p. 261 hob hervor: „ein
Heiliger mit Nimbus, nackt, sogar die Geschlechtsteile entblösst, in einem Gefässe . ."
fügt dann freilich ebenso hinzu: „worin er wahrscheinlich gesotten werden soll."
48 SANCT MARTIN VON LUCCA
scheint, wie es wol bei Martyrien geschieht, und unten im
Kuppelraum stehen sogar ein Löwe und ein Stier aufrecht
zwischen den Säulen, als wäre es ein Käfig, so dass die bärtigen
Männer, die auf Krücken gestützt, aus den Seitenarkaden
hervortreten, wie die Wärter der Bestien erscheinen, die man
zum Kampf in der Arena hungern lässt. — Wichtiger für uns
als die Deutung dieser Einzelheiten ist der eigentümliche ge-
mischte Stil dieses Reliefs. ' ). Während nämlich die Männchen
mit Krücken den Arbeiten der lombardischen Steinmetzen in
Pistoja, z. B. dem hl. Joseph des Meister Enricus ganz nahe
stehen, weichen die übrigen, besonders die Priester und der
Täufling völlig ab, jene durch ihre längeren Proportionen und
die einfach um die Glieder fliessenden Gewänder, dieser durch
Wiedergabe eines dicken Jungen in voller Nacktheit. Es sind
klare Bewegungen, wenn auch die Beugung des linken Beines
nicht eben anmutig ausfällt. Die bartlosen Köpfe mit antik ge-
schnittenen Gesichtern und langem in den Nacken fallenden
Haar erinnern mehr als billig an die Mägde, die den neu-
geborenen Jesusknaben in der Wochenstube baden. Hier spielt
deutlich ein andersartiges, wenn auch ebenso byzantinisches Vor-
bild herein. Ebenso auffallend sind die beiden viel zu klein ge-
ratenen Architekturstücke, Kuppelbauten, die man auf byzantini-
schen Diptychen mit Einladung zu den Spielen oder auf Ge-
mälden wol erwartet, aber auch ganz ähnlich schon auf dem
Relief in S. Casciano bei Pisa sehen kann. Woher hat sie
Biduinus? Beide Eigentümlichkeiten finden wir an den Bronze-
türen des Domes zu Pisa wieder, die Meister Bonannus um
dieselbe Zeit gegossen, als Biduinus daselbst für S. Casciano
beschäftigt war. So erklärt sich auch das Bronze-Taufbecken
und vor Allem der entscheidendste Umstand, dass das ganze
Relief nicht wie aus dem Stein herausgearbeitet erscheint, wie
jene anderen Architrave mit stehengelassenem Rande sämtlich
sondern vielmehr die körperhaften Gebilde aufgesetzt zeigt, als
wären sie nachträglich an dem Türsturz befestigt; erst bei ge-
nauerer Prüfung stellt sich heraus, dass die technische Ausfühung
doch dem alten Verfahren treu bleibt. Der Zusammenhang mit
dem Erzbildner Bonannus steht indess ausser Zweifel.
') S. unsere Abbildung Seite 53.
DIE BILDNERSCHULE LUCCA'S 49
Ein letzter Ausläufer dieser früheren Steinmetzengeneration
ist dann wol der Urheber des Portalschmuckes an Sta. Reparata
(S. Giovanni) neben dem Dome. Sieht man von den Säulenkapi-
tellen und was sonst restauriert worden ab, so bleibt der Archi-
trav mit den Kapitellen der Türpfosten darunter, dem reich
dekorierten Gesimsstück und die Verzierung des weiten Bogens
um das Tympanon übrig, nebst den beiden auf vorspringenden
Konsolen stehenden Löwen, deren einer eine Schlange, deren
anderer wol einen Bären bezwingt. Nach diesen prachtvollen
Tiergruppen und dem Laubwerk an der Corniche müsste man
allerdings das Werk erst in's dreizehnte Jahrhundert verlegen.
Aber Ridolfi glaubt sich berechtigt, nach der Namenreihe, welche
die Inschrift auf dem Randstreifen des Reliefs darbietet, etwa
1 187 als Entstehungszeit dieser Skulptur anzusetzen. Die sitzenden
Männchen am Tympanon und unter den Konsolen erinnern lebhaft
an den sitzenden Bauführer am Atrium des Domes; die Figuren-
reihe am Tympanon aber auch eben so sehr an die des Haupt-
•portales von S. Martin, mit der die Schleierhaube der Madonna
allerdings auffallend übereinstimmt. Die Konsolen ferner mit
rauchfasstragenden Engeln sind ganz nach dem Vorbild von
S. Andrea in Pistoja behandelt, nur weit vorgeschritten zu freiem
Wesen. Die Gestaltenbildung dagegen und die Typen dieser
bevorzugten Teile hängen, trotz deutlichem Streben nach Verein-
fachung und Veredlung, noch fühlbar genug mit der „Wurzel
Jesse" zusammen. Neben Maria als Orantin in der Mitte erscheinen
zunächst zwei Engel, dann rechts sechs Apostel mit Petrus an
der Spitze, und links ebensoviel mit Paulus, immer paarweis
wie im Gespräch einander zugekehrt. Die Gewandmotive wie
die Gesichter sind denen der Vorfahren Christi noch sehr ähn-
lich, aber unverkennbar geläutert. Und so bildet das Ganze
ein willkommenes Uebergangsstück zu dem Skulpturenschmuck
der Eingangswand unter der Vorhalle von S. Martino, auf den
wir weiter unten ausführlich eingehen müssen.
Nachdem nun aber der Zusammenhang des sichtlichen
Fortschritts an den reichskulpierten Säulen des Atriums mit der
bildnerischen Arbeit einer nach Pistoja und Pisa sich ver-
zweigenden Lokalschule hervorgetreten, und an einzelnen Teilen
besonders, im Vergleich mit den übrigen Leistungen, eine ent-
schiedene Begabung für wirkliche Plastik und die persönlichen
Italienische Forschungen I. 4
50 SAXCT MARTIN VON LUCCA
Vorzüge einzelner Kräfte nicht mehr verkannt werden können,
drängt sich aufs Neue die kritische Frage auf, die wir Ridolfis
Versuch, dies Alles auf den Meister der Bogengalerien Guidetto
zu vereinigen, entgegengestellt. Der Bildner des Sündenfalles
z. B. ist ein echter Künstler, den Gestaltenbildung erfüllt.
Kann das der Erbauer dieser oberen Geschosse sein?
Hier ist die Zahl der anders gearbeiteten Stücke an Säulen-
schäften, Gesimsen und Flächendekoration mit eingelegter Arbeit
doch weit überwiegend. Die nicht blos ornamental, sondern
wirklich bildnerisch behandelten Säulen erscheinen in aus-
erwählter Minderzahl als besondere Prunkstücke. Das könnte
also der bevorzugte Anteil des leitenden Meisters selber sein:
denn über dem Scheitel des Mittelbogens prangt eine kostbar
gearbeitete Säule, deren Schaft auf ein sitzendes Männchen ge-
stellt ist, so dass der weit vornüber geneigte Greis sie auf dem
Rücken trägt. Eine andere Säule, der Bildnissfigur Guidettos an
der äussersten Ecke entsprechend, ist so überwuchert mit Ge-
staltengewächs, dass die architektonische Form fast darunter
verschwimmt; wieder andere sind mit Wundertieren, geflügelten
Drachen, Sirenen und andern Bestien von oben bis unten be-
völkert. Und doch, vergleicht man sie mit den besten Skulptur-
teilen drunten, so nehmen sie sich so spielerisch aus, und
organisch durchgefühlt ist nur eine, verhältnissmäfsig einfache,
über der Martinsgruppe. Die Hauptrichtung des Baumei-
sters stimmt sicher nicht mit dem Einfachen und Organischen
überein.
Nun vermag man, unter Abzug einiger Ergänzungen, wohin
z. B. alle ganz glatten Säulen aus weissem Marmor gehören,
sogar das System der ursprünglichen Anordnung in den Galerien
bestimmt zu erkennen. In der ersten Reihe wechseln die
bildnerisch oder doch stärker ausgemeisselten Schäfte regel-
mäfsig mit denen ab, die glatte Oberfläche bewahren, aber mit
Zickzacklinien, Spiralen, Arkaden oder Schachbrettmustern in
eingelegter Arbeit verziert sind. Und zwar steht an den beiden
Ecken sowie in der Mitte über dem Scheitel des Mittelbogens
je eins der erwähnten Prachtexemplare. In der zweiten Reihe
wechseln ebenso regelmäfsig skulpierte und glattere Schäfte
doch in umgekehrter Folge, sodass über einer Intaglio-Arbeit im
ersten Gang hier im zweiten ein reich gemeisselter Stamm
DIE BILDNERSCHULE LUCCA'S 51
über den figürlichen drunten hier eine einfache Säule aus rotem
Marmor zu stehen kommt. In der dritten Reihe ist der Wechsel
mit dunkelgrünem Marmor, verde di Prato, hergestellt, doch
so, dass dieser mit den roten Schäften drunten zusammentrifft,
während dazwischen weisse Säulen mit schwarz eingelegter
Arbeit stehen, und zuäusserst links und rechts sogar je vier
schlanke Stäbe durch einen herumgeschlungenen Knoten ver-
bunden mit viereckiger Basis und viereckigem Kapitell die Stelle
von Eckpfeilern der Attika vertreten. Am Abacus der Kapitelle
springen überall Rosetten heraus und darüber in der Mitte,
wo die kleinen Bögen an einander stofsen, je ein Männerkopf
in voller Rundung. Die Bogenwölbungen selbst sind aus weissen
und dunkelgrünen Keilsteinen gebildet, während die Wandfläche
darüber zwischen Arkaden und Gesims wieder in eingelegter
Arbeit mit mannichfaltiger Dekoration übersponnen ist: Sterne,
Kreuze, Rosetten, Pflanzen und Tiere ja Menschen zu Ross
oder im Kampf mit den Bestien, die sich friedlich oder feind-
lich gesellen, erfüllen auch den kleinsten Raum noch in über-
sprudelnder Zierlust mit schwarz und weissen Bildchen, wie ein
Teppichmuster oder Fufsbodenmosaik. So scheint die Flach-
ornamentik, die mit Farbenwechsel und eingelegten Mustern
wirtschaftet, die Oberhand zu behaupten. Nicht minder be-
achtenswert ist die Verschiedenheit in der Ausführung der
Cornichen, welche die Stockwerke teilen. Nicht nur ist die
Behandlung je nach der Höhe in anderer Technik gehalten,
sondern auch die skulpierten Teile unter sich sind sehr
abweichend im Werte und in der Natur der bildnerischen
Arbeit.
Die Entscheidung wird somit davon abhängen, welcher von
diesen beiden ziemlich verschiedenartigen Kunstweisen Guidetto
angehört, der bildnerischen oder der ornamentalen. Denn
schliesslich wäre ja durchaus nicht notwendig, was Ridolfi immer
als selbstverständlich voraussetzt, dass der leitende Architekt
und Marmolarius Sancti Martini auch sein eigenes Bildniss, das
die Lobesinschrift vom Jahre 1204 in der Hand hält, selber auf
den Säulenstamm gemeisselt. Konnte ihn doch ein Genosse sehr
viel bequemer konterfeien, wenn der Meister sich abgebildet
sehen wollte, wie er aussah. Eine vollgültige Lösung dieser
Frage wäre also nur möglich, wenn wir Guido sonst näher
52
SANCT MARTIN VON LTJCCA
kennen lernen konnten und seine künstlerische Begabung nach
andern unzweifelhaften Werken zu beurteilen vermöchten Xun,
ein paar Notizen — ein Dokument, eine Inschrift, ein über-
lieferter Name — sind vorhanden. Mit Hülfe dieser ist die
vergleichende Methode, wenn sie Ernst macht, wol im Stande
die nötige Ergänzung zu liefern.
-.- ',-.'- : ... a^. ■-.,
Taufe des h. Nikolaus. Lucca. S. Salvatore.
IV
Guido da Como
Welch ein Gefühl von Staunen und Bewunderung, sagt
Ridolfi, musste nicht diese Fassade bei einem Volke
erwecken, das bis dahin an einfache, fast jeder Zier entbehrende
Bauten von gröfster Strenge gewöhnt war, und nun zum
ersten Mal diese schmuckreiche Architektur erblickte, sie in
aller Frische der Arbeit, im neuen Glänze des Marmors be-
trachten konnte." In der Tat scheint dem Erbauer der Vorhalle
bereits die Absicht vorzuschweben, der Skulptur ein weiteres
Arbeitsfeld zu eröffnen, gerade ihr die Gelegenheit zu freierer
Bewegung und kühnerem Wagen zu verschaffen, deren sie be-
durfte. Und die Leistungen dieser Schwesterkunst am Dom zu
Lucca dürfen immer als die ersten Vorboten eines neuen Auf-
schwunges begrüsst werden. An der oberen Hälfte dieser Fassade
gewinnt jedoch der dekorative Stil schon die Oberhand, und die
Zierlust des Marmorarius scheint der Architektur den Rang streitig
zu machen, sodass wir fühlen, damit sei wol verhängnissvolle
Auflösung in die romanische Baukunst hereingebrochen.
Nach den sorgfältigen Untersuchungen Ridolfis x) wäre
Guidetto auch als Erbauer der steilen Prunkfassade vonS. Michele
J) L'arte in Lucca p. 17. sagt er etwas im pragmatischen Stil Vasaris: „Che
a Guidetto recasse grande onore quest' opera (la facciata di S. Martino) puö dedursi
54 SANCT MARTIN VON" LUCCA
in Foro zu betrachten; doch auch hier ist er nur Fortsetzer
eines bereits früher begonnenen Werkes. Die Bekleidung des
unteren Geschosses muss, wie wir gesehen haben, dem Diotisalvi
zugeschrieben werden, der diese Arbeit vielleicht unvollendet
stehen Hess, als er zum Bau des Baptisteriums nach Pisa be-
rufen ward. Da sind sogar die deutlichen Spuren stehen geblieben,
wie weit er gediehen war. und wir vermögen noch heute genau
abzugränzen, wo der schmuckreiche Stil Guidettos eingesetzt
hat. Der Kämpfer eines Gurtbogens, der in die Eckpfeiler ein-
gelassen worden, ist nicht entfernt, und die Reihe von Trag-
steinen, welche an der ganzen Stirnseite entlang laufen, um die
Balken eines Daches zu tragen, beweist noch, dass damals die
Absicht bestand, der Kirche einen Portikus vorzulegen, wie es
bisher üblich war. Aus welchem Grunde man hernach auf diese
Vorhalle verzichtete, ist unbekannt. Die jetzige Fassade ent-
wickelt sich aus der vorhandenen Gliederung der Eingangswand
als selbständiges Schmuckwerk, indem es die unten angelegte
Bogenreihe, so gut es gieng, verwertet. Als Guidettos Anteil
wären somit auch hier nur die verschiedenen Bogengänge an-
zusehen, mit kleinen mannichfaltig verzierten Säulen, mit der
seitlichen Verjüngung, wo die Dachlinie der Xebenschiffe sich
senkt, und dem hochragenden Mittelstück dazwischen. Dieser
Aufbau steigt jedoch weit über den wirklichen Baukörper und
das Dach der Basilika hinaus und verrät sich auch so als äusserlich
vorgeschobene Coulisse. Auch hier bedeckt die selbe orientalische
Ornamentik mit Fufsbodenmosaik und abenteuerlichen Tierscenen
in eingelegter Arbeit die Vorderflächen der vier Galerien, ja
die Attika ist diesen Flächenmustern zuliebe steiler gebildet,
ihr gerades Untergeschoss, wie ihr dreieckiger Giebelaufsatz
mit einem breiten Schmuckstreifen, der sich als Fries über den
Arkaden hinzieht, überhöht. Die vier zusammengeknoteten Säulen
mit viereckigem Untersatz und Kapitell, welche an S. Martin nur
an der Attika vorkommen, sind hier bereits in der ersten Galerie
dal vederlo chiamato ad architettar la facciata dell' altra maggior chiesa lucchese di
S. Michele in Foro," — muss jedoch in der Anmerkung sogleich klein beigeben: „Che
la facciata di S. Michele dal primo ordine delle arcate alla sommita sia architettata da
Guidetto non se ne ha invero nessun documento, ma lo persuade la grandissima
nomiglianza che essa ha con la parte superiore della facciata della cattedrale cosi
sello Stile come nei particolari."
GUIDO DA COMO 55
unten verwendet. Oben aber auf der Höhe bekrönt die riesen-
grofse Figur des Erzengels Michael auf dem Drachen stehend
das ganze phantastische Dekorationsstück, die beiden Fialen
links und rechts mit Engel darauf sind in gotischem Stil hinzuge-
fügt, wie denn überhaupt an diesem Marmorbau viel moderne
Ergänzung nötig geworden ' ). Alle feineren Merkmale sprechen
wol dafür, dass die Annahme richtig ist, Guidetto habe diese
Arbeit nach dem glücklich gelungenen und beifällig aufge-
nommenen Anfang am Dome ausgeführt 2) und dabei sicherer
und selbständiger nach seinem Sinn geschaltet.
Je schlagender die Uebereinstimmung mit den entsprechenden
Teilen der Domfassade, desto mehr muss es auffallen, dass die
letztere ohne diesen Abschluss über der Attika geblieben, den
S. Michele zeigt, und weder einen Giebelaufsatz noch eine
Statuenbekrönung erhalten hat. Die nackte Spitze der Kirchen-
wand schaut noch heute, mit dem Kreuz darauf, über den Rand
hervor, und die Schwäche des letzten Gesimses bezeugt unbe-
streitbar, dass es nicht als abschliessendes Kranzgesimse ge-
meint war. Kein Zweifel, dass die Arbeit plötzlich unter-
brochen ward. Und, — sehen wir die Front von S. Michele in
Foro so haltlos emporsteigen, so scheint uns die Dombehörde
Recht zu behalten, wenn sie solchem Dekorationsschwindel des
Meister Guidetto an entscheidender Stelle Halt gebot. Je steiler
sich seine Prachtfassade auftürmt, die auf engem Forum nicht
nur wie eine Schirmwand, sondern geradezu wie ein Wind-
schirm aussieht, desto zweifelmütiger sinkt unsere Achtung vor
Guidetto als wirklichem Architekten. Und wenn er selbst der
Urheber der rohen Marmorpuppe des Erzengels Michael ge-
wesen, in der sein Giebelbau gipfelt, so war es mit seinen
bildnerischen Gaben nicht besser bestellt. Wir könnten uns
nicht blos vorstellen, dass er nach diesen Leistungen bald aus
Lucca verschwinden mochte, sondern bedauern auch kaum, an
der Kathedrale von Prato, wo er nach Ausweis des erhaltenen
:) Man erkennt unter den Köpfen z. B. Pius IX. mit der dreifachen Krone
und Napoleon III. als mittelalterlichen König daneben.
2) Mothes, a. a. O, p. 734 meint: die über den sieben Blendbögen stehende
erste Galerie von vierzehn Kleinbögen müsse zwischen II 70 — II 90, die zweite kurz
darauf, der hohe Aufbau vor dem Mittelschiff, wo auch er die Aehnlichkeit mit dem
Dom erkennt, in der Zeit nach 1200 entstanden sein.
56 SANCT MARTIN VON LUCCA
Kontraktes seit 1211 für die gröfste Zeit des Jahres, ohne seine
Stellung an S. Martin in Lucca aufzugeben, beschäftigt war,
"kein Zeugnis einer ähnlichen Tätigkeit übrig geblieben ist,
das sich auf Grund der nämlichen Eigenschaften als sein Eigen-
tum erweisen Hesse. *) Das Einzige, was zeitlich in Betracht
kommen könnte, wäre auch hier wol die Westfassade, welche
allerdings in lombardischer Weise gegliedert ist: d. h. durch
vier Lisenen, die mit steigenden Rundbogenfriesen verbunden
sind, werden drei den Schiffen entsprechende Felder eingerahmt,
— während der Lichtgaden in weissen und grünen Wechsel-
schichten aufgeführt, an der Südfront nebst dem Unterbau des
Campanile die gewöhnlichen lucchesisch-pisanischen Blendbogen
aufweist. 2)
Hat die Tätigkeit des jungen Marmorarius an S. Martin zu
Lucca um 1 204 nicht geendet, wie Crowe und Cavalcaselle an-
nehmen, sondern vielmehr begonnen, dann im Jahre 121 1 die
auswärtige Beschäftigung an der Pieve zu Prato, von der wir
nicht wissen, wie weit sie wirklich durchgeführt ward, da ein
Kontrakt noch nicht den Vollzug beweist; und ist endlich in dieser
nämlichen Periode, die sich über das zweite Jahrzehnt des XIII. Jahr-
hunderts erstrecken mag, auch die Ausführung der Prunkfassade
von S. Michele in Foro anzusetzen: — so wird es kaum mehr
überraschen, wenn das nächste Datum, das wir bis jetzt be-
sitzen, und das, vorbehaltlich späterer Einschieb ung, jetzt zu
verwerten wäre, als Vollendungsjahr eines sicher langwierigen
Dekorationsstückes erst 1246 lautet. 3)
Es ist das prachtvolle Taufbecken im Baptisterium zu
Pisa, wo 1260 die Kanzel des Niccolö Pisano entstand. Es
hat an vier seiner acht Seiten nach Innen zu noch besondere,
ziemlich kreisförmige Behälter zum Hineinstellen für die Geist-
lichen, enge Oeffnungen, die sogenannten „pozzi", die Dante
1) Nach dem bei Ridolfi p. 17. abgedruckten Kontrakte sollte er: ,, Stare in
opere Sancti Stephani, et suis manibus operare et facere, quos voluerit, laborare,
donec dictum opus, auxiliante Deo completum fuerit" . . . das könnte heissen, es
ward die Vollendung der (um II 95 begonnenen?) Pieve zu Prato in absehbarer
Frist von ihm erwartet, — könnte sich aber auch auf ein blos dekoratives "Werk der
Innenausstattung beziehen.
-) Näheres über die Kirche bei Mothes, a. a. O. p. 739.
3) Diese Identifizierung ist Ridolfi nicht beigefallen.
GUIDO DA COMO 57
im Auge hat, wenn er mit Bezug auf das ähnliche früher im
Baptisterium zu Florenz befindliche, und erst 1577 auf Antrieb
des Architekten Bernardo Buontalenti unter Herzog Franz
abgebrochene Taufbecken, Inferno XIX, 13 ff. schildert:
Jo vidi per le coste e per lo fondo
Piena la pietra livida di fori
D'un largo tutti, e caiscun era tondo.
Kon mi paren meno ampi ne maggiori
Che quei che son nel mio bei San Giovanni
Fatti per luogo de' battezzatori;
L'un' degli quali, ancor non e molt' anni
Rupp'io per un che dentro v' annegava.
Früher soll in Pisa sogar eine Aedicula darüber gestanden
haben, von der man noch Spuren zu erkennen glaubt1.) An
der Innenseite gegen den später erst errichteten Altar zu steht
die Inschrift, welche uns auch den Familiennamen unseres
Meisters und die Herkunft aus Como überliefert:
f A. D. MCC. XLVI. SUB JACOBO RECTORE LOCI
GUIDO BIGARELLI DE CUMO FECIT OPUS HOC.
An den Brüstungen des grossen Bassins sieht man den orna-
mentalen Stil, den wir an den Fassadenflächen in Lucca kennen
gelernt , mit seiner Marmorschnitzelei und eingelegten Arbeit
in raffinierter Steigerung. Die Aussenseiten des Achtecks sind
in je zwei Kassetten, oder quadratische Felder geteilt, mit er-
höhtem Rande aus weissem Laubwerk, darinnen ein dunkler
Streifen ringsum und dann die eigentliche Kassette, die wiederum
mit weissem Marmorrahmen und innen darangelegter Blatt-
schräge umgeben, mit einem Kreisrund aus ähnlicher Arbeit
und einer reichen Rosette gefüllt ist, während die Grundfläche
mit mannichfaltigen Mustern in Marmorintarsia geziert wird. In
mühsamer Aushöhlung und sauberster Steinschneiderei ist hier
das Aeusserste geleistet. Offenbar hat der Virtuose der Marmel-
1 ) ilothes a. a. O. p. 733. Er corrigiert mit Recht den Fehler bei Schnaase
VII, S. 264 wo die Jahreszahl 1346 gegeben wird, und betont die spätere Entstehung
des Altars, der von Galginus de Sala, j 1305, gestiftet worden (laut Grabschrift).
Rohault de Fleury, dessen Buch Les Monnments de Pise, mir nicht zugänglich ist,
nennt lälschlich den mythischen Sienesen Lino, aus dem dann andere Vasariausleger
Tino di Camaino machen.
58 SANCT MARTIN VON LUCCA
kunst, wie wir ihn angesichts dieser Geduldsprobe nennen
müssen, an einem Ort wie Pisa sein Bestes aufgeboten, um
dem anspruchsvolleren Kunstgeschmack dieser glänzenden
Stadt zu genügen. Um so lauter jedoch drängt sich dem
Historiker, der dicht neben diesen blos ornamental gefüllten
Marmorschranken die Kanzelreliefs von Niccolö Pisano schaut,
die alte Rätselfrage auf: weshalb denn hier an so geeigneter
Stelle nicht schon figürliche Skulptur eintrat, weshalb nicht
Scenen aus dem Leben Johannes des Täufers oder was sonst
auf dies Sakrament symbolisch oder historisch Bezug hat, statt
dieser verzweifelten Eleganz und Spielerei?
Wahrscheinlich würde die Antwort des Künstlers ganz
anders lauten als die der Besteller: — oder stimmen sie viel-
leicht darin überein, dass man garnicht darauf verfallen sei,
etwas Anderes zur Wahl zu stellen? Ja, warum denn die Ge-
schichte des Täufers gerade am Architrav der Tür in so ge-
drängter Darstellung, — oder war das Vorhandensein dieser
Bilder nun gerade hier das Hinderniss? Soviel aber ist, wenn
wir vom Vermögen der damals vorhandenen Kräfte ganz ab-
sehen, wol unverkennbare Tatsache: der byzantinisch-sicilische
Modegeschmack in der Handelstadt Pisa veranlasst noch 1246
die Berufung des Marmolarius Guido, der seltsamer Weise
nicht aus Süditalien, sondern aus Como stammt. Guido
Bigarelli beschränkt sich auf die Anbringung einiger mensch-
licher Köpfe zwischen dem Kreisrund und dem Viereck, gleich-
sam als Verbindung an den vier Berührungspunkten, — ■ und
zwar oben und unten in Vordersicht, an den Seiten als Profile.
Es sind meist Idealköpfe langhaariger und vollbärtiger Männer;
an einer Stelle aber ist dem Profil eines Dante-ähnlichen bart-
losen Mannes, der sich deutlich als Porträt zu erkennen giebt, in
dem man geneigt sein wird einen Klosterbruder ä la Savonarola
zu sehen, gegenüber ein anderer Prohlkopf gezeigt, der nur ein
Bildniss des Meisters Guido selbst sein kann. Wie gering er
aber diese Köpfe sonst mit individuellem Leben zu erfüllen be-
strebt war, wie wenig er sie über den Wert anderer Dekorations-
mittel hinaushob, beweist schon der Umstand, dass sie gelegent-
lich, als völlig aequivalent, von Kalbsköpfen abgelöst werden.
Uns aber werden diese wenigen figürlichen Zutaten besonders
wertvoll und wichtig; denn sie geben uns die Möglichkeit
GUIDO DA COMO 59
strikten Beweises für einen weiteren Zusammenhang, den man
bis dahin nur vermuten konnte. Weil in dieser Inschrift Bigarelli
sich Guido da Como nennt, verfielen schon Manche darauf, ob
er vielleicht mit dem Guido da Como dieselbe Person sei, welcher
sich an einer Kanzel in Pistoja von 1250 bezeichnet;1) aber
Niemand hat den Versuch der Identifizierung über diesen Einfall
des Xamensgedächtnisses hinausgeführt, während Ridolfi auf der
anderen Seite die Association zwischen Guidetto an S. Martino zu
Lucca und Guido in Pistoja vollzieht, offenbar noch ohne das
Werk des letztern selber von Angesicht zu kennen, nur
Ciampis Beschreibung folgend, dessen seltsames Quiproquo von
dem zweitgenannten Turrisianus als etwaigem Vollender ebenso
wiederholt wird.
Bestätigt nun die Marmorintarsia am Taufbecken zu Pisa
aufs Schlagendste die Zusammengehörigkeit mit der Fassaden-
dekoration von S. Martin und S. Michael zu Lucca, so stellen
hier die Marmorköpfe wie die Arbeit des Laubwerks in Pisa
die engste Verbindung mit Pistoja her, wo neben der Kanzel
in S. Bartolommeo übrigens sehr ähnliche, wenn auch minder
reiche Chorschranken in lavori di commesso vorhanden waren.
J_Jie Kanzel der ehemaligen Klosterkirche S. Bartolommeo
in Pantano trägt an der Vorderseite noch jetzt eine wolerhaltene
und in keinem Punkt bezweifelbare Inschrift2):
SCVLPTÖR- LAVDAT'- Q2 DOCT' IN ARTE PBAT':.
GUIDO- DE- COMO- QVE- CVCTIS CARMINE P,MO ;
und auf einem zweiten Stück der gleichmäfsig fortlaufenden
Einfassung daneben:
A. D. M.C. C. L:. EST. OPI. SAN'. SUEESTAS. TURRISIAN':.
NAQ. FIDE. ENA. VIGIL. HC D'S IN CORONA:.
1) So der Cicevone, Beiträge 1874 S I und Mothes (1884) S. 733.
2) Sculptor laudatus, qui doctus in arte probatus, Guido de Como, quem
cunctis carmine promo. — Anno Domini 1250. Est operi Sanus superestans
Turrisianus; Namque fide prona vigil: hunc Deus in (de?) Corona!
6o SANCT MARTIN VON LUCCA
Eine spätere Inschrift an dem Vorderrand der Unterplatte
erzählt dann ruhmredig, dass der Abt Alexander a Ripa aus
Mailand im Jahre 1591 die Kanzel von ihrem ursprünglichen
Standort, d. h. von den Chorschranken wegnehmen, vergröfsern
und ausschmücken lassen ,,Suggestum auxit, decoravit, transtulit."
— sicher nicht zum Vorteil des Ganzen, das dadurch seine symme-
trische Anordnung und harmonische Wirkung verloren hat.
So zeigt die Vorderseite der Brüstung jetzt drei Platten, mit
je zwei Reliefs übereinander auf jedem Stücke, — also sechs
historische Darstellungen in zwei Reihen, wie sie niemals ur-
sprünglich zusammengeordnet gewesen sein können, während
an der einen Schmalseite nun das vornhin genommene Relief
fehlt und durch eine rein ornamental bearbeitete Platte der ehe-
maligen Chorschranken ersetzt worden ist. Zur Wiederherstellung
der authentischen Kanzelform kann das nächste Beispiel in
Pistoja, diejenige des Fra Gugliemo in S. Giovanni Evangelista
Fuorcivitas, obwol auch sie anders aufgestellt worden, immer-
hin insofern benutzt werden, als sich die Wahrscheinlichkeit
anbietet, dass bei ihrer Anfertigung eben dies ältere Vorbild
als mafsgebend bezeichnet war und so von dem Meisterstück
seines Lehrers Niccolö zu Pisa abgesehen wurde. Denn es ist
wol zu beachten, in diesen kleineren Kirchen handelt es sich
gewöhnlich nur um ein Lectorium an den Schranken des Chores,
d. h. um eine Lettnerkanzel, oder einen Cancellen-Lettner, nicht
um eine selbständige , weiter in die Kirche vorgeschobene
Predigtkanzel (suggestus) wie in Pisa und Siena, besonders in
den Domen. In S. Giovanni Fuorcivitas sehen wir gegen-
wärtig drei figürliche Gruppen als Träger der Lesepulte die
umlaufende Brüstung durchbrechen. Die eine dieser Träger-
gruppen ist aus den Symbolen der Evangelisten zusammenge-
setzt, diente also gewiss dem Pulte, von dem aus das Evan-
gelium verlesen wurde, und würde am passendsten in die Mitte
der Vorderseite einzusetzen sein. Und da ferner noch drei
Säulen mit figürlichem Untersatz vorhanden sind, so denkt man
die beiden anderen Pultträger symmetrisch an den Ecken links
und rechts, den Säulen entsprechend angeordnet. Möglich
aber, dass auch hier ein Pult, wie in Pisa, weiter unten seitlich
angebracht war, also am Aufgang — wofür die Auszeichnung des
einen durch schwebende Engel mit dem Erlöserbilde zu sprechen
GUIDO DA COMO 61
scheint. Jedenfalls haben wir auch in S. Bartolommeo drei
Säulen. Die beiden äusseren stehen auf Löwen, deren einer
rechts einen Drachen bändigt, welcher ihm in die Kinnlade beisst,
während die ebenso mähnengeschmückte Genossin links ihr
Junges säugt. Die mittlere Säule aus weissem geädertem
Marmor ruht auf der Schulter eines sitzenden Mannes, der sehr
deutlich an die Porträtfigur des Bildhauers am Dom zu Lucca,
noch mehr aber an das Profil des Gealterten am Taufbecken
in Pisa erinnert.
Es ist ein Mann von vorgerückten Jahren, mit glatt rasiertem
Gesicht, mit runder Kappe über dem vorn eckig geschnittenen
Haar, in einem Kittel mit engen Aermeln, der von einem breiten
Ledergurt zusammengehalten, über die Knie herabfällt, auf denen
beide Hände aufruhen, darunter die bekannten ledernen Strumpf-
stiefel. — Indessen, gegenwärtig sind an der Kanzel selbst nur
zwei Pulte mit figürlichen Eckgruppen angebracht, welche die
ursprüngliche Bestimmung des einen für das Verlesen des Evan-
geliums, des anderen für die Episteln ausser Zweifel stellen.
Das schräg herausspringende Haupt des Lucifer dient der
einen Gruppe als Konsole. Das fratzenhafte Antlitz mit stieren
Augen und geöffnetem Mund ragte spitzbärtig hinunter. Auf
der Breite des gehörnten Schädels steht der Engel des Matthäus,
sowie links der Löwe des Marcus und rechts der Ochs des
Lucas , beide Tiere ebenfalls menschlich aufrecht, ihr Buch
haltend, die Köpfe neigend, während darüber das Symbol des
vierten Evangelisten, der Adler des Johannes, auf einem Buche
stehend die Flügel ausbreitet als Träger des Lesepults. Auch
er ist sehr allgemein, mehr in Gestalt einer Taube, und, wie
es scheint, nach metallischem Vorbild gegeben, während die
beiden Vierfüssler ganz oberflächlich behandelt, nur willkürlich
angeklebt sind. Der Engel allein, in einfacher, nach antikem
Muster, nur allzu regelmäfsig geordneter Gewandung, mit etwas
grossen Händen und Füfsen, aber kleinen Flügeln, gewährt doch
den Eindruck, dass wir es mit einem sicheren Gestaltenbildner
zu tun haben. Er ist wolproportioniert, hat einen runden Kopf
mit etwas platt gedrücktem Schädel, vorn kurzgeschnittenes
welliges Haupthaar , das durch geschwungene Linien kleiner
Bohrlöcher in eine Reihe von Strähnen geteilt ist, und schwarze
Augensterne, wie alle Geschöpfe des Meisters Guido.
62 SAN CT MARTIN VON LUCCA
S. Paulus vorn und zwei andere Verfasser apostolischer
Briefe, oder etwa Lucas als Verfasser der Apostelgeschichte
und Johannes als Verfasser der Offenbarung, haben wir in
den drei ähnlich gekleideten Männern zu erkennen, welche
den Pfeiler des Epistelpultes schmücken , dessen ehemals
spitzer zulaufende Konsole auch hier unten beschnitten ist. Der
architektonischen Function entsprechend ist die Haltung der
Figuren etwas steif, das Auftreten der Füfse aber noch be-
fangen. Die Bildung der Hände bleibt im Vergleich zu denen
des Engels ungleichmäfsig, die Finger der unteren lang und
allzu biegsam, die der oberen dünn, gelenklos und hölzern.
Paulus trägt einen Vollbart, in der Mitte gescheiteltes Haar;
die beiden jugendlicheren Nachbarn sind bartlos, der eine
sogar mit einem Grübchen im Kinn, und mit verschiedenartig
behandeltem, hier glatt gesträhntem dort krauser gelocktem
Haar geschildert, alle drei trotz Uebereinstimmung der Ge-
sichter, doch eigentümlich und verschiedenartig im Ausdruck.
Der festgeschlossene leise zugespitzte Mund , die geblähten
Nasenflügel und der scharfe Blick geben ihren Zügen eine ge-
wisse Spannung und Strenge. Das Kapitell des vortretenden
Pfeilers ist trapezförmig, mit Akanthusblättern belegt, und setzt
sich in einem ähnlichen Kämpferstück vor dem Gesims fort, um
dasLesepultaufzunehmen, das wie ein grofses Buch gebildet ist, mit
reich gemustertem Umschlag, in zweifarbiger Marmorarbeit geziert-
Diesem zweiten Pulte sehr ähnlich müsste das dritte Stück
gedacht werden, das mit ihm symmetrisch gestellt, vom gröfseren
Evangelienpult wie von einem Mittelstück überragt wurde, —
wenn anders die Anordnung hier derjenigen in S. Giovanni
Fuorcivitas völlig entsprach. Waren jedoch nicht drei den
Säulen entsprechende Pulte vorhanden wie dort, so haben wir
uns jedenfalls die dritte Säule hier, mit dem sitzenden Meister
darunter, etwas weiter zurück als Träger eines die Bodenplatte
der Rednerbühne haltenden Querbalkens zu denken, während
die Löwen, näher an einandergerückt den Vortritt hatten, und
das zweite Pult, — für die Episteltexte — wäre dann seitwärts
am Aufstieg zur Kanzel, also etwas niedriger angebracht, wie
im Baptisterium zu Pisa, in La Cava dei Tirreni und sonst wol.
Mit voller Sicherheit dagegen lässt sich die ursprüngliche
Anordnung der Reliefs bestimmen, welche wiederum auf die
GUIDO DA COMO 63
letztere Annahme zurückführt. Von den acht Darstellungen
aus der biblischen Geschichte gehören vier der Jugendzeit Jesu
an, während die anderen vier erst nach dem Kreuzestode spielen.
Auf den Anfang des Lebens Christi beziehen sich die Ver-
kündigung, die Geburt, die Anbetung der Könige und die Dar-
stellung im Tempel; — auf den siegreichen Erlöser dagegen
die Höllenfahrt, der Gang nach Emaus, die Erscheinung unter
den versammelten Jüngern und die Ungläubigkeit des Thomas.
Diese acht Bilder ziehen sich in zwei Reihen rings um die
Schranken, doch nicht so, dass etwa die obere Reihe den
Eintritt in's Leben, die untere das Auftreten nach dem Tode
erzählte; sondern es sind immer je zwei Scenen aus einem
Stück gearbeitet, welches der ganzen Höhe der inneren Flächen-
füllung entspricht, und zwar hängen so zusammen:
I. a) Verkündigung b) Anbetung
IL a) Geburt b) Darstellung
III. a) Höllenfahrt b) Emaus
IV. a) Erscheinung b) Thomas
Das heisst, bei der zweiten Hälfte sind die Paare so aus
einem Stück gearbeitet, wie sie historisch zusammengehören,
das untere folgt dem oberen im Gang der biblischen Erzählung
nach. In der ersten Hälfte dagegen springt die historische
Reihenfolge von einer Marmorplatte auf die andere über. Auf
I. a) die Verkündigung hat IL a) die Geburt zunächst zu folgen,
auf I.b) die Anbetung der Könige sodann Il.b) die Darstellung
im Tempel. Die beiden Platten mit Erscheinungen des Erlösers
konnten von einander getrennt sein durch gröfseren oder
kleineren Zwischenraum; denn sie sind wie Columnen der Schrift
von oben nach unten zu lesen. Die beiden Platten dagegen,
welche die Kindheit Christi erzählen, mussten nebeneinander
auf einer Seite sitzen, da die Scenen in horizontaler Reihe
von links nach rechts wie zwei Schriftzeilen verlaufen. Diese
Reconstruktion der ursprünglichen Anordnung, welche die vier
ersten Hauptmomente der synoptischen Evangelien an der
breiteren Vorderseite, die vier anderen paarweis getrennt, an
den beiden Schmalseiten der Kanzel erscheinen lässt, wird
auch durch die Inschriften bestätigt. Die Vorderseite bietet
sodann einfache Bezeichnung der Scene:
64 SANCT .MARTIN VON I.UCCA
Iai ANNUNTIATIO DOMIXI:.
IIa) NA TIVITAS IHV XPL.
Ib) HIC OFFERUNT MUNERA DOMINO:.
IIb) REPRE SENTATIO: DNI: INTEMPLO
während die beiden Seitenflächen den Inhalt in Verse fassen.
III a) Inferni portis stratis cum principe mortis
Extra portavit haec quae Deus ipse creavit.
Illb) Iste peregrinus peram post dorsa ligatus
Missus divinus Jesus est, de Virgine natus.
IV a) Panditur hie ante conspectum diseipulorum,
Thoma distante qui nulli credit eorum.
IV b) Discipulis edit se Christus & omnia credit
Thomas, cum tangit quibus os errantibus angit.
* *
*
AVerden aber so die Scenen des Lebens Jesu aus den Synop-
tikern an die breite Vorderseite der Kanzel gerückt, wo gewiss
auch die zweiteilige Inschrift des Bildhauers Guido von Como
und seines schriftgelehrten Vorgesetzten Sano Torrigiani an der
unteren Einfassung der beiden Reliefplatten, deren Breiten-
mafse stimmen, zu lesen war, — so ergiebt sich wol die Not-
wendigkeit, dass hier auch das Lesepult mit den Evangelisten-
symbolen und zwar in der Mitte angebracht gewesen.
Die Anweisung des richtigen Standortes erklärt endlich
auch die technische Verschiedenheit der Reliefs, die dort flacher
hier tiefer herausgearbeitet, sogar veranlasst haben, an zwei
Hände zu denken, hier des alten Guido, dort des fabelhaften
Vollenders Turrisianus, der nur bei mangelhaftem Verständnis
der Inschrift noch als Künstler fortbestehen kann, während
wir ihn höchstens als Dichter der Tituli und als Epigraphicus
anerkennen dürfen. Zu einer solchen Einführung zweier Künstler
liegt indess auch in der Ungleichmäfsigkeit der Reliefs keine
genügende Veranlassung vor. Dazu sind die Abweichungen
in der Arbeit nicht einschneidend genug und ergeben sich fast
von selbst aus der einfacheren oder gedrängteren Komposition,
GUIDO DA COMO 65
wie aus den Beleuchtungsbedingungen ihrer bezüglichen Plätze.
Vielleicht sind auch die ersten'Arbeiten, — gerade der Vorderseite,
die der Meister nicht leicht jemand anders überlassen mochte, —
etwas unbeholfen angefasst, die letzten etwas flüchtiger durchge-
bildet; aber der Stil ist durchweg der nämliche. Hätte ihm ein Ge-
sell dabei geholfen, so müsste es einbesonders geschickter Figuren-
bildner gewesen sein, dem man gewisse Vollkommenheiten im Ein-
zelnen auf Rechnung seiner glücklicheren Begabung setzen dürfte.
Sonst sind alle Scenen Gestaltungen eines Urhebers und charakte-
risieren seine Eigentümlichkeit in zusammenhängenden Zügen. T )
Die „Verkündigung" schon ist eine sonderliche Komposition,
mit einem starken Ueberrest, man möchte sagen byzantinischer
Genremalerei, und doch mutet sie durch die Typen, die darin
auftreten, wie ein germanisches Sittenbild an. Es sind drei
Personen zugegen. Von rechts her kommt der Engel herein-
geschritten; in der einen Hand eine Schriftrolle, die andere
segnend vorgestreckt, verrichtet er seine Botschaft, während
die Taube des heiligen Geistes über seinen Fingern schwebt.
Es ist eine gedrungene Gestalt mit grofsen ausgebreiteten
Flügeln, und einem dicken runden Kopf, dessen welliges Haar,
in der Mitte gescheitelt, fast wie eine Allongenperücke sich
am Ende aufrollend auf den Nacken fällt. Maria steht in der
Mitte, aufgerichtet, wie sie sich vom Polsterkissen erhoben hat,
die Spindel in der herabgesunkenen Rechten, und legt die
andere Hand in ganzer Breite flach auf die Brust. Sie hat
etwas matronenhaft Hausmütterliches. Ihr Manteltuch ist über
den Kopf gelegt, bedeckt nach Nonnenart die Haare bis an
den Rand der Stirn, und fällt auf beiden Seiten in schweren
Zickzackfalten herunter. Ihr Antlitz ist ganz nach vorn gewendet,
die schwarzen Augen blicken mit einem Anflug von stumpf-
sinnigem Schrecken über das Peinliche „Wie sollt ich?" ins
Leere. Neben ihr zur Linken aber sitzt auf der Schwelle des
Hauses, etwas niedriger, doch auf ähnlichem Polster wie die
wirtschaftliche Herrin, eine derbe Magd, in der einen Hand
das Knäuel in der anderen die Spindel. Und diese geschäftige
Schaffnerin, die sich im Abwickeln der Wolle nicht stören lässt,
zeigt uns den üppigsten Haarschmuck: in der Mitte gescheitelt,
J) Photographieen von Brogi, nach denen wir zwei Scenen reproducieren.
Italienische Forschungen I. S
66 SANCT MARTIN VON LUCCA
legt er sich in zwei breiten, armdicken Flechten auf den Rücken,
die wir unwillkürlich in der hellblonden Farbe des Flachses
ergänzen. Das ist eine echte Langobardin, deren nächste An-
verwandten in unseren niedersächsischen Gauen noch heute
wohnen, und damit ist gleichsam die Lokalfarbe dieser häus-
lichen Ueberraschung g-egeben1 }.
Die „Geburt Christi" giebt die üblichen Bestandteile, aber auch
mehr oder weniger von der Gegenseite. Ganz in der Ecke rechts
sitzt Joseph in seinen Mantel gehüllt, sodass die erhobene Rechte
nur wenig hervorguckt, und in dieser Bewegung gehemmt ist,
während eine weite Schlinge des Shawltuchs über den linken Arm
fällt, der auf dem Oberschenkel ruht, so dass die Hand das Knie
berührt. Daneben Maria auf dem Lager, den Kopf gegen ein
Kissen an der Felswand aufgerichtet, über welche ein Engel mit
ausgebreiteten Flügeln und erhobenen Händen hereinschaut. Auf
der Höhe dieses Erdwalls weiterhin die Krippe mit dem Wickel-
kind, das Ochs und Esel beschnobern. Ganz links vorn die
Badescene. Die eine Magd sitzt neben dem kelchartigen Wasser-
becken und taucht das nackte Knäblein soeben hinein, während
ein jüngeres Mädchen herzutretend aus einem Krug Wasser hin-
zugiesst. Auch hier haben die dienenden Weiber, wie Joseph
mit seinem breiten kurzgeschnittenen Vollbart, germanische Köpfe.
In der „Anbetung der Könige" erscheint Maria abermals
mit ihrer Mantelhaube, über der am oberen Rande der helle
Stern in schwarzem Kreise stillesteht. Sie sitzt rechts, den
ganz nach dem Vorbild des Engels Gabriel gebildeten Jesusknaben
im Schofs, — einen Krauskopf mit grofsen Ohren, in antiker
Tracht, der rftit der Schriftrolle in der Hand in ritueller Gebärde
den Segen erteilt. Vor ihm beugt der älteste der Weisen ein
Knie, während er mit beiden Händen eine Elfenbeinbüchse dar-
bringt. Die vordere Hand ist frei und unbedeckt, während die
andere noch einen Zipfel des Mantels beim Anfassen der kost-
baren Gabe zu benutzen scheint. Auch hier ist der Kopf durch-
aus germanisch, der Vollbart vorn zugespitzt, das Haar in
leichter Windung auf den Nacken fallend, sogar die Krone
1 ) H. Semper, Ztschr. f. bild. Kst. VI. 359, meint: „Was an diesen Reliefs
specifisch lombardiseh erscheint sind durchaus nicht die Motive der Komposition, noch
auch die Kostüme, vielmehr erblicken wir das Lombardische in der Form und Auf-
fassung sowie in der Technik."
GUIDO BIGAERLLI: KANZELRELIEFS IN S. BARTOLOMMEO
ZU PISTOJA
GUIDO DA COMO 67
mehr einer runden, oben flachen, nach hinten zu etwas tiefer
herabreichenden Mütze ähnlich, ohne Zacken, nur mit einem
eingetieften Ornamentstreifen ringsum. Aehnliche mehr dem
Kurfürstenhut mit pelzverbrämtem Aufschlag verwandte Kronen
tragen die beiden jüngeren Magier, die noch zu Pferde sitzen,
wie mit dem dritten ledigen Gaul daher galopierend. Charak-
terisiert die Haartracht des Ersten den Greis, so ist der Zweite
mit dem kurzgehaltenen Vollbart der Mann im kräftigsten Alter,
der Dritte mit vorn in die Stirn gekämmten und gerade weg-
geschnittenen Haaren noch jugendlich bartlos. Sie tragen
über dem langen Rock mit engen Aermeln, einen vorn und
hinten herunterfallenden, nur über den Schultern verbundenen
Ueberwurf, wie spanische Staubmäntel aus farbigem Flanell.
Die kleinen Pferdchen sind nur kindlich wiedergegeben, aber sorg-
fältig aufgezäumt, und selbst dieHufnägel wurden nicht vergessen.
Der Tempel in der „Darbringung" wird durch Rund-
bogennischen angedeutet, welche den Hintergrund der Scene
bilden. Vor der mittleren steht der Altartisch mit einem Kelch-
gefäfs darauf. Von links tritt Maria heran und hält den
Knaben in sitzender Lage über den Altar, während der Hohe-
priester mit verhüllten Händen die nackten Füfschen des
Kindes berührt. Auch er ist, wenngleich nur klein in seiner
vorgebeugten Haltung, ein würdevoller Greis mit langem
flockigem Flachshaar und regelmäfsig gesträhntem Vollbart.
Hinter ihm erscheint Hannah mit verhülltem Haupt, trägt eine
Schriftrolle in der Hand und erhebt die Rechte, ihre Weissagung
begleitend, während links, hinter Maria, auch Joseph herzutritt,
um auf verhüllten Händen sein Taubenpaar als Ersatz zu bringen.
— Durch die tiefere Aushöhlung des Reliefgrundes erscheint
diese Tempelscene räumiger, die Gestalten freier sich loslösend,
aber die Niedrigkeit der Architektur erweckt auch wieder den
Eindruck der Gedrücktheit. Uebrigens sind auf dieser Platte,
d. h. in der Geburt wie in der Darbringung, die Figuren in
kleinerem Mafsstab gehalten, als in den beiden Scenen der
ersten Platte, wo sie mit den Köpfen überall an die Aus-
kehlung des oberen Randes stofsen. Ausserdem hat Maria und das
Christkind hier einen Heiligenschein, auf der ersten Platte nicht.
In mancher Beziehung anders geartet sind die vier Reliefs,
welche die Schmalseiten der Kanzel einnahmen. Besonders die
68 SANCT .MARTIN VON LUCCA
beiden Ersten zeichnen sich durch geschickte Verwertung der
Profilstellungen und seitlich gerichteter Bewegungen aus, welche
für das Flachrelief mit nur einer Figurenreihe auf schmalem
Vordergrund so notwendig ist. In der „Vorhölle" erscheint
Christus gerade sehr wirksam in dieser Profilwendung nach rechts,
wenn auch die Haltung der Beine noch etwas gewaltsam erreicht
ist. Mit der linken Hand den Kreuzstab umfassend, streckt er
die Rechte dem knieenden Erzvater Adam hin, während Eva,
als Matrone angetan wie Maria, und ein jugendlicher Bursch,
etwa Abel, stehend zuschauen. Hinter Christus soll ein bärtiger
Mann mit verwildertem Haar, nur ein Manteltuch um den
nackten Leib, wol niemand anders als Johannes den Täufer
vorstellen, indes zwei jüngere Herren in der vornehmen Tracht
der Zeit, mit runden Mützen auf dem Haupt, der eine bärtig,
der andere mit jugendlich glattem Gesicht, etwa die Könige
als schon Erlöste bedeuten, die nur kurze Weile geschmachtet.
Auch hier ist der nordische, milde und freundliche Christus
bezeichnend genug in seiner klassischen Gewandung, die mit
besonderer Sorgfalt und besserem Erfolg als sonst gegeben ist,
doppelt interessant in der unmittelbaren Nachbarschaft des mittel-
alterlichen Kostümes, von dem nur der Täufer und Adam noch
ausgenommen sind. Die knieende Stellung des Erzvaters hat
allerdings, wie bei dem König in der Anbetung, zu einer un-
möglichen Darstellung der Gewandmasse geführt, deren Ende
sich beidemal in die Höhe richtet, statt abwärts zu fallen, —
von dem befangenen Motiv der linken Hand Adams und der
einförmigen Wiederkehr einer Armbewegung bei allen übrigen
Gestalten ganz zu schweigen.
Das Erscheinen Christi auf dem Wege nach Emaus teilt
sich ausnahmsweise in zwei Momente, und verrät uns so wol
nur die Verlegenheit, mit den gegebenen drei Gestalten die
Breite des Reliefs zu füllen ; denn die Wahl des nächstfolgenden
Momentes trifft nicht einmal das Wichtigste, die eigentliche
Erkennungsscene, wie Christus das Brot bricht, sondern bleibt
bei einem Uebergang stehen. Links sehen wir die erste Be-
gegnung, oder wie der fremde Wanderer das Erlösungswerk
auslegt. Die beiden Jünger stehen zur Seite neben einander,
der eine bärtig, der andere jugendlich, beide mit der gleichen
Gebärde der Rechten ihre Frage begleitend. Ihnen tritt der
GUIDO DA COMO 69
Auferstandene, an dem Kreuznimbus kenntlich entgegen, sonst
als Pilger gekleidet, barfufs, mit zottigem Mantel über dem
Kittel und mit einem Bündel, ja einem kleinen Tönnchen am
Stock, über die Schulter gehängt. Rechts sehen wir Christus
von den beiden Aposteln in die Mitte genommen, in freund-
lichem Eifer gedrängt, mit ihnen in's Haus zu treten, dessen
offene Tür diesen Auftritt erklären hilft. Abgesehen von dem
Parallelismus der Armbewegung gehört gerade diese Gruppe
zu den bestgelungenen und spricht wol für die Benutzung
einer Vorlage, deren dritter Teil, die Erkennung beim Male
nur aus Rücksichten der Raumeinheit und des Gleichgewichts
der Massen aufgegeben wurde, obschon er inhaltlich sich mehr
empfahl als das Mittelglied.
Allzugrosse Einförmigkeit in Gruppierung und Bewegung
sowie eine allgemeine Oberflächlichkeit in der Behandlung
des Reliefs setzen den Wert des letzten Paares auf der vierten
Marmortafel herab. Oben erscheint Christus den Jüngern und
mahnt sie zu ihrem apostolischen Beruf. Der Auferstandene,
mit Schriftrolle in der Linken und lehrend erhobener Rechten,
steht in der Mitte, die Apostel zu sechsen links und fünfen rechts
in zwei Reihen, fast alle in der selben Gebärde und mit allzu
ähnlichen Gesichtern, unter denen nur drei unbärtig sind. —
Die nämliche Zahl kehrt unten ebenso wieder, obgleich Thomas,
bei der ersten Erscheinung laut Inschrift abwesend, nun hinzu-
tritt. Christus hat die Brust entblöfst, hält mit der Linken den
Mantel, der über die Schulter gelegt ist, vor dem Leibe fest und
erhebt den rechten Arm, um die Seitenwunde frei darzubieten.
Thomas, vorgebeugt, aber auch kleiner als die übrigen Figuren,
legt den Finger in die Oeffnung und starrt auf das untrüg-
liche Zeichen, ganz erpicht, die Gewissheit des Tastsinnes mit
den Augen zu ergänzen. Die Verkürzung des nackten Armes
Christi ist leider nicht überzeugend gelungen; sonst wäre die
Mittelgruppe, die von zwei nahestehenden Jüngern links und
rechts geschlossen wird, geschickt und lebendig genug zu nennen,
während der übrige Raum zu den Seiten mit je drei Aposteln
symmetrisch gefüllt ist.
Fassen wir darnach, auf die ganze Reihe zurückblickend,
die charakteristischen Merkmale der Arbeit zusammen, so
zeichnet sich der Meister im Vergleich zu anderen Leistungen
70 SANCT MARTIN VON LUCCA
in Toskana immer vorteilhaft aus durch wolabgewogene Klar-
heit der Kompositionen und entsprechende Wahl der Figuren-
gröfse. Bemerkten wir im Einzelnen auch Schwankungen,
welche immerhin verraten, dass beim Beginn dieses historischen
Cyklus nicht volle Sicherheit vorhanden war, wie sie nur lange
und fortdauernde Uebung erhalten kann, so ist doch Gleich-
mäfsigkeit anzuerkennen. Gerade sie beruht aber bei diesem
Künstler auf einer Eigenschaft seines Naturells oder seines
Stammes. Heftigere Leidenschaft, die Ausbrüche einer starken
Empfindung scheinen ihm fremd; er bewahrt auch bei dramati-
schen Momenten den ruhigen Gleichmut, den wir wol mit
Phlegma bezeichnen. Dennoch fehlt es seinen Gebärden nicht
an Kraft, auch nicht an einer gewissen Grofsheit; aber sie
bekommt in den gedrungenen Gestalten mit ihren runden Köpfen
den Anflug bäurischer Derbheit. So geht auch der Ausdruck
der Gesichter, die Wiedergabe schärferer Züge nicht über ein
Durchschnittsmafs hinaus, das alle, wenn nicht langweilig, doch
etwas stumpf und leer erscheinen lässt. Diese Eindrücke
werden indess erst vollzogen und verstärkt durch die Gleich-
förmigkeit der Gewandbildung, deren Motive nicht durchdacht
und durchgearbeitet sind je nach der Bewegung und Lage des
Körpers, sondern summarisch abgetan und in einer Manier
für alle Stoffe behandelt. Obwol sichtlich bedeutende Vor-
bilder benutzt werden, wie z. B. Hannah und der Hohe-
priester im Tempel, der Erlöser in der Vorhölle, ja selbst der
Engel in der Verkündigung noch erkennen lassen, so ist doch
damals immer fraglich, in welcher Abschwächung und wie vielster
Wiederholung sie dem Künstler wirklich vorlagen. Eins aber
ist deutlich, und dies erklärt Alles: mögen die Kompositionen
und die Einzelfiguren darin noch so weit zurückweisen und
altes Erbgut wiederholen, die Uebersetzung, die hier gegeben
wird, ist eine romanische, und zwar eine oberitalienische. Fühlen
wir in Christus mit den Jüngern auch altchristliche Einfachheit
durch, in den Genremotiven der Verkündigung und der Ge-
burt wie im rituellen Wesen der Darbringung byzantinische
Beiträge, so erinnert die Hannah geradezu an Erscheinungen
auf einem Elfenbeingefäfs des Domes zu Mailand, und ein Rest,
wie vor Allem die Gestalten im Zeitkostüm, ist mindestens
Eigentum der Lokalschule, welcher der Meister Guido da
GUIDO DA COMO 7 1
Como entstammt. Der Gesamteindruck ist hier in Pistoja, mitten
in Toskana, durchaus lombardisch. Mafsstab und Aufreihung
der Bilder, wie ihre Kompositionsweise offenbaren ausserdem,
dass wir es noch nicht mit selbständig gedachten Werken der
Steinskulptur zu tun haben. Gemalte Bildercyklen oder Elfen-
beinschnitzwerke liegen noch durchweg zu Grunde. Die Haupt-
mittel der ganzen Technik dieses Marmorarius sind wol oder
übel aus der Elfenbeinschnitzerei und Intarsia übertragen: wir
erkennen auch in diesen figürlichen Leistungen überall den
Virtuosen der Flächenornamentik in eingelegter Arbeit wieder.
Es ist daran zu erinnern, dass er von umfassender, zeitweilig"
wol ausschliesslicher Tätigkeit auf diesem Gebiete in Pisa (1246)
herkam, und auch hier in S. Bartolommeo zu Pistoja zunächst
wol die Ausschmückung der Chorschranken liefert, deren Flächen
— wie das eingeflickte Stück an der jetzigen Kanzel zeigt —
mit plastischen Rosetten und Blattwerk in vertieftem Kreise,
dickem Ringwulst herum, und concentrischen Kanten in Stein-
mosaik gefüllt waren, wie die Kassetten einer Decke. In allen
Figuren, besonders in der Gewandung des Guido da Como verrät
sich die schablonenhafte Präcision, aber auch die stumpfe
Oberflächlichkeit eines für Aussendekoration architektonischer
Bestandteile geschulten Marmorarbeiters.
Die Beurteilung seiner figürlichen Reliefs wird indessen
den Eigentümlichkeiten und Ungleichheiten der Ausführung
erst dann völlig gerecht, wenn sie beachtet, dass die ganze
plastische Durchführung dieser Historien durch die Farbe
ihre notwendige Ergänzung erhalten sollte und bei der Voll-
endung des Werkes sicher erhielt. In vielen Stücken erklärt
sich die summarische Andeutung der Faltenzüge nur dadurch,
dass der Rest von der Bemalung erwartet wurde.
Bei der Verkündigung ist die Magd im Begriff Garn ab-
zuwickeln, Knäuel und Spule sind in zusammenhängender Be-
wegung; aber der Faden fehlt: ein Beweis, dass er aufgemalt
war; denn bei so realistischer Durchführung des Genremotives
kann nicht davon abgesehen werden. In der Geburtsscene ver-
langt die Hinterwand von felsigem Terrain mit weichen Wellen-
linien am oberen Rande unbedingt weitere Durchführung mittelst
der Malerei. Die Haare, die Kronen und besonderen Kostüm-
stücke fordern Ergänzung durch die Farbe, da ihre Einzel-
72 SANCT MARTIX VON LUCCA
heiten nur angedeutet, aber zu bestimmt angedeutet sind, um
unausgeführt zu bleiben. Die Augen sind noch heute überall
mit schwarzen Sternen versehen, der Stern der Magier in
eingelegter Arbeit hergestellt. Und die Abhebung der Ge-
stalten vom Reliefgrunde, z. B. der Flügel des Erzengels Gabriel,
erheischt überall Färbung dieser Grundfläche, sei es das Blau
des Himmels oder die Steinfarbe der Architektur oder das Grün
des bemoosten Hügels. An einzelnen Teilen, z. B. der Taube
des hl. Geistes, am Rankenwerk des Kranzgesimses, am Ge-
fieder des Adlers glauben wir sogar noch jetzt, nach sytemati-
scher Entfärbung die Spuren ehemaliger Vergoldung zu erkennen.
Unter dieser Voraussetzung schwinden die Unterlassungs-
sünden des Bildhauers wesentlich zusammen. Nun auch ver-
stehen wir erst recht seine seltsame Porträtfigur am Fufs der
Mittelsäule. Die flachen Falten seines Kittels werden mit hellerer
und dunklerer Farbe schnell in die rechte Wirkung gesetzt,
der Ledergürtel mit der metallenen Schnalle hebt sich heraus,
wie die Hände auf den Knieen; ja, unter der glatten Kalotte
und dem vorguckenden Haar gewinnt auch das Antlitz Leben
genug. Da sitzt er leibhaft unter seinem Werke, ein altge-
wordener Mann, der viel Arbeit in den Städten Toskanas
hinter sich hat.
Ich glaube sogar diese Kanzel in S. Bartolommeo in Pantano
mit den Chorschranken, die wir hinzudenken müssen, ist nicht
das einzige Werk von Guido Bigarelli zu Pistoja. Am jetzigen
Oratorium S. Giuseppe, einst S. Michele in Cioncio, befindet
sich im Giebeldreieck über der Tür die Marmorfigur des Erz-
engels auf dem Rücken des Drachens stehend' ). Sie ist in Hoch-
relief fast völlig rund herausgearbeitet, haftet aber mit dem
Rücken, der Aussenseite der breit entfalteten Flügel und einem
Teil des Gewandes in der Steinfläche, die von den Flügeln
abwärts bis an die Basis, auf welcher der Drache liegt, senk-
recht abgeschnitten ist. S. Michael ist eine breitschultrige,
etwas gedrungene Gestalt, wie Gabriel und der Matthäusengel
an der Kanzel. Seine Tunica mit langen weiten Aermeln und
*) Vgl. unsere Abbildung nach Phot. von Brogi.
GUIDO DA COMO
73
ein leichter, über seine linke Schulter und um den Leib ge-
schlungener Mantel bilden genau so schematische Falten, herab-
fallende Zipfel und runde Bausche, wie wir sie ebenfalls überall
wiederkehren sahen, wo sich derartige Gelegenheit bot, wie in
der Verkündigung und Anbetung der Könige. Die Form des
Kopfes und die Bildung der inneren Gesichtsteile entspricht
genau dem jugendlich bartlosen Idealtypus des Guido da Como,
S. Michael. Pistoja.
der Haarwuchs vollends legt sich ebenso breit und wulstig vom
Scheitel auseinander und fällt in welligen Strähnen auf die
Schultern herab: wie üppiges blondes lombardisches Flachshaar.
Endlich ist auch das Flügelpaar genau so gearbeitet, wie
bei Gabriel und dem Adler der Kanzel, zwischen den langen
Hauptfedern unten der Reliefgrund nicht weiter weggearbeitet,
sondern bemalt gewesen, so dass die Umrisslinien deutlich her-
vortraten.
74 SANCT MARTIN VON LUCCA.
Die Haltung ist feierlich, wenig bewegt. Die Linke legt sich,
eine Kugel in der Hand haltend, über die Brust: die Rechte ist
erhoben undfasstmit der (jetzt abgebrochenen undverstümmelten)
Hand die Lanze, deren Spitze den Drachen durchbohrt. Kräftig
und sicher tritt der Streiter des Allmächtigen auf Rückgrat und
Flügel des Bösen, der seinen schuppigen Hals und Hundskopf
unter dem Lanzenstich emporreckt und an der anderen Seite
den ebenso schuppigen Schweif aufwärtsringelt. Der Organismus
des abenteuerlichen Fabelwesens ist mit besonderer Liebe
durchgeführt und die schlangenhafte "Windung des Leibes wie
der Flügelansatz und die Bewegung der Vorderpfote von über-
zeugender Wahrheit. Auch hier kam natürlich Farbe zu Hülfe,
wie z. B. die dickhäutige Unterpartie des Bauches und Schwanzes,
wo die Schuppen aufhören, mit Reihen runder schwarzer Flecke
besetzt ist, welche ausgebohrt und mil Pasta gefüllt worden.
Nach der Sorgfalt der Arbeit und der Verwandtschaft mit
anderen Leistungen, die wir sogleich betrachten werden, möchte
ich die Entstehungszeit dieser Hochrelieffigur nicht mit derjenigen
der Kanzel in S. Bartolommeo, d. h. in die letzten Jahre des
Meisters um 1250 ansetzen, sondern in einen früheren Abschnitt
seines Lebens, wo er auf dem Wege zwischen Prato und Lucca
oder umgekehrt jedesmal die Stadt Pistoja berührte, also Ge-
legenheit genug hatte, einen derartigen Auftrag zu empfangen,
wie die fertige Marmorfigur abzuliefern undpersönlichaufzustellen.
So wird der hl. Michael als Drachentöter zu einem will-
kommenen Mittler zwischen der inschriftlich beglaubigten Kanzel
in Pistoja und früheren Skulpturen am Dom zu Lucca, welche,
bisher nicht als Eigentum des nämlichen Meisters erkannt, uns
erst den zwingenden Beweis liefern, dass der soeben betrachtete
Guido da Como von 1250 wirklich eine und dieselbe Person
ist mit jenem Magister Guido, der sich in Prato als Marmolarius
Sti. Martini de Luca und 1204 an der Säule der Domfassade
sein jugendliches Bildniss mit dem Diminutivnamen Guidetto
bezeichnet. Zu diesem Resultate konnte nur die genaue Analyse
der Werke in Pistoja führen, die wir soeben versucht, um jetzt
das blofse Spiel der Erinnerung in der Association gleich-
lautender Xamen durch den greifbaren Nachweis eines künstle-
rischen Zusammenhanges zu ersetzen.
GUIDO DA COMO 75
JUie Bildhauerarbeiten am Dom zu Lucca, welche auf Grund
der bisherigen Betrachtung- in erster Linie für den Comasken
Guido in Anspruch genommen werden müssen, befinden sich am
mittleren Hauptportal unter der Vorhalle. Es ist die breite
aber niedrige Fläche, welche der Türsturz darbietet, und das
Tympanon im Rundbogen darüber. ') Leider sind beide Teile,
wie die entsprechenden der Seitentüren, mit dunkler Farbe
überstrichen, um die Corrosion und sonstige Verletzung der Skulp-
tur zu verdecken. Die Vorderseite des starken Architravs enthält
eine Reihe von dreizehn einzelnen Figuren, Maria in der Mitte
der zwölf Apostel. Alle sind durch Unterschrift mit den
Anfangsbuchstaben bezeichnet; von links nach rechts folgen sich:
S. Filippus, Jacobus, Tadeus, Matthäus, Andreas, Johannes, Maria,
Jacobus, Petrus, Bartolomeus, Simon, Mathias, Thomas. Hier
ist die Uebereinstimmung mit den Werken in Pistoja schlagend,
obwol schon auf den ersten Blick die gröfsere Befangenheit
im Einzelnen den zeitlichen Abstand erkennen lässt. Maria trägt
die vom Manteltuch gebildete Haube mit den breiten Zickzack-
falten an den Seiten und sonst genau dieselbe Gewandung, wie
auf der Verkündigung in Pistoja, nur wird der Gürtel hier, vom
überfallenden Gewandstoff bedeckt, während dort die Schnur
mit dem Knoten vorn sichtbar ist. Ebenso werden die Füfse,
die dort hervorsehn, hier völlig vom Kleidsaum versteckt, der
auf den Boden fallend sich wellig kräuselt; so entsteht hier
dieselbe misverstandene Erscheinung, die wir überall bisher
bei Guido beobachtet haben, dass der Saum sich nach vorn in
die Höhe hebt und den Einblick in die Faltenbausche gestattet,
wie es nur bei einem steif unterlegten Stoffe geschehen würde.
Maria legt die Rechte bekennend auf die Brust, genau wie die
Annunziata in Pistoja ihre Linke, und erhebt die andere Hand
senkrecht, so dass sie die Innenseite zeigt, wie beim Ausdruck
des Staunens. Von den Aposteln ist nur Petrus durch das
Attribut der Schlüssel gekennzeichnet, die übrigen tragen Bücher
oder Schriftrollen oder sind einfach in sprechender Gebärde hin-
gestellt. Auch hier sehen wir sowol die jugendlichen wie die
bärtigen Typen vorbereitet, die dann flotter durchgeführt in den
J) Vgl. unsere Abbildung nach Phot. von Alinari.
76 SANCT MARTIN' VON LUCCA
Kanzelreliefs von S. Bartolommeo zu finden sind. Die Gewänder
offenbaren aber das emsige Bemühen, die zwölfmal wiederkeh-
rende Idealtracht von Tunika und Mantel durch abwechselnde
Motive mannichfaltiger zu beleben, wenn auch mit geringem
Erfolg. Wir können die Einzelheiten fast alle nach Pistoja
weiter verfolgen; so die straffe, viersträhnige Querfalte des
Mantels um den Leib, dort bei Gabriel und Michael, wie hier
bei Petrus, Jacobus und anderen; den hängenden Sinus zwischen
Arm und Körper, dort bei Joseph am Lager der Wöchnerin,
bei Christus in der Vorhölle, wie hier bei Taddeus, Andreas
und Mathias ; den frei herabfallenden Zipfel dort bei Michael, hier
bei Taddeus u. s. w. Doch ist am Architrav zu Lucca die Be-
handlung der Falten überall noch schematischer, die zahlreichen
scharfen Parallelzüge unfreier nach der Schulregel gearbeitet
und so die Gesamterscheinung trotz allen Eifers nicht in
lebendigen Fluss gekommen. Will man des Verdienstes solcher
Leistung inne werden, so muss man schon ganz verwandte
Arbeiten aus der nächsten örtlichen oder zeitlichen Umgebung
vergleichen. So auf der einen Seite die beinahe gleiche Figuren-
reihe am Portal von Sta. Reparata neben dem Dom zu Lucca,
deren Entstehung, wie gesagt, um 1187 angesetzt wird. Auf
der andern Seite die Verleihung der Schlüssel am Architrav
von S. Piero Maggiore zu Pistoja, dessen Entstehung nach
einer Inschrift über die Erneuerung der Kirche seit 1203 bis
gegen 1270 hinausgeschoben wird, und auch deutlich die Nach-
wirkung dekorativer Vorbilder von Guido da Como verrät. l)
J) Vgl. Tolomei, Guido di Pistoja (1821 p, 60 u. 143, Anmkg.j, der Ciampi
citiert. — Wäre nicht die Corniche mit sehr vorgeschrittenem Rankenwerk vorhanden
und von der Figurenreihe nicht untrennbar, so würde man schwerlich auf so späte Zeit
verfallen. Doch tiägt dieses tüchtig gerr.eisselte Sims seltsamer 'Weise am oberen
Plattenrand die Namensbezeichnung der unten am Architrav dargestellten Figuren.
Dieser Türsturz selbst ist durch vierzehn Säulchen mit zierlich geschmückten Bogen
darüber in eine Arkadenreihe gegliedert, welche die Gestalten sinnlos trennt und ein-
schränkt. In der mittelsten Oefl'nung steht Christus und reicht dem Petrus die
Schlüssel in die nächste Nische links um die Säule herum, während rechts eine
jugendliche Erscheinung auf diesen Vorgang hinweist. Es ist nach der Ueberschiift
ein Engel. Links neben Petrus ist noch Maria zugegen, und diese liefert die Bestäti-
gung, dass die Arbeit nach 1250 entstand: sie tiägt die Mantelhaube des Guido da
Como in zu auffälliger Aehnlichkeit und entspricht in Haltung und Gebärde genau
deijenigen am Dome zu Lucca. Links von ihr noch ein zweiter Engel. Bei diesem
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GUIDO DA COMO 7 7
Hier sind die Köpfe die Hauptsache an den puppenhaften
Wesen. Die Gewandung ist verhältnismäfsig einfach und wol
geordnet wie Papier; — aber zugleich muss einleuchten, welcher
Abstand zwischen diesem toskanischen Steinmetzen, in dem
Lokalforscher den Florentiner Bono di Bonaccolto vermuten,
und dieser früheren Arbeit des Guido da Como besteht, — und gar
zu einer Zeit, wo Niccolö Pisano seine Meisterwerke schuf!
Müssen schon bei den einförmig aufgereihten Figuren am
Türsturz zu Lucca die zeitlichen und örtlichen Bedingungen
berücksichtigt werden, unter denen die damalige Bauskulptur
gefangen lag, so dürfen wir den Stand dieser Kunst noch um so
weniger vergessen, wenn wir das zweite Stück des Portal-
schmuckes, das Tympanon in's Auge fassen. Die Darstellung
bewahrt absichtlich noch schärfer den hieratischen Charakter
und schliesst sich sicher einem kirchlicherseits gegebenen
Vorbild an. So darf es nicht Wunder nehmen, wenn in der
archaisierenden Formgebung die persönliche Figentümlichkeit des
Meisters Guido sich nicht sogleich auf den ersten Blick offenbart.
Wer ihn jedoch mit uns von der Kanzel zu Pistoja und dem Erz-
engel Michael daselbst durch dieHeiligenfiguren hier am Architrav
verfolgt hat, wird trotz strengerer Stilisierung die nämlichen
Kennzeichen entdecken.
Das Bogenfeld zeigt uns den tronenden Christus in mandel-
förmiger Glorie von zwei schwebenden Engeln getragen. Die
Anordnung des Ganzen ist durchaus symmetrisch; der Engel
links eine genaue Wiederholung des Engels rechts im ent-
gegengesetzten Sinne. Beide fassen die Mandorla mit beiden
Händen, so dass die Arme einen rechten Winkel bilden,
dessen Scheitel ungefähr durch die vordere Schulter markiert
wird. Bei beiden hängt der sichtbare Schenkel aufrecht hernieder,
so dass die untere Hälfte des Beines sich hebend wieder den
rechten Winkel ergänzt, während das andere Bein, höher empor-
gehoben, diesen Winkel teilt. Von der oberen Schulter fällt
hüben und drüben ein Mantelende hernieder und bildet in
gleicher Linie mit der unteren Spitze der Mandorla den aus-
einanderwehenden Zipfel, dessen weitere Verwendung in Guidos
dreifachen Zuwachs von Teilnehmern bleibt aber kein Raum die übrigen Apostel
ebenso einzeln aufzureihen; deshalb drängt sich in den äussersten Bögen ein zweiter
Kopf hinter dem Inhaber der Nische vor. (Photogr. von Brogi 4539-)
78 SANCT MARTIN VON LUCCA
Gewandkunst wir schon verfolgt haben. Von den Flügeln legt
sich je einer in ruhiger Haltung aus, während der obere, dem
erhobenen Arm entsprechend, die Spitze emporstreckt, so dass
auch da zwischen den drei Köpfen zwei sekundäre Gipfelungen
entstehen. Die Dominante bildet natürlich der tronende Christus
mit dem Kreuznimbus um das bärtige Haupt. Er erhebt die
Rechte (deren Hand übrigens abgebrochen ist) und setzt auch
das Bein seitwärts vor, während die andere Seite ruhig bleibt.
Hier liegt die Hand auf dem Rande eines aufrecht stehenden
Buches, während das Bein ganz von vorn gesehen unbewegt
den Fufs auf den Schemel stützt. Seine Füfse sind mit Sandalen
bekleidet, sein Sitz mit einem Teppich bedeckt.
Auch hier ist das antikisierende Bemühen in der Behandlung
der Gewänder bezeichnend und muss als Merkmal der einge-
schlagenen Richtung hervorgehoben werden, obwol gerade hier
auch unverkennbar die Wiedergabe eines besonderen Vorbildes
zu Tage tritt. Die scharfen Furchen, welche die Falten der
dünnen Gewänder bedeuten sollen, verraten ihren Ursprung in
einer fremden Technik. So zieht kein Marmorarbeiter seine
S-Linien vom einen Rande der Form aus, um sie auf der
Höhe der Rundung verschwinden und jenseits sich wieder
fortsetzen zu lassen. So führt kein echter Bildhauer die straff-
gezogenen Falten fächerförmig auf einen Punkt zusammen oder
daraus her, so löst er nicht Flügel und Heiligenschein wie dünne
Platten vom festen Steingrunde, ohne die Oberfläche des Ge-
fieders mit stärkeren Absätzen für Licht- und Schattenwirkung
zu beleben. Ueberall sind die eingezeichneten Umrisse in
einheitlicher Linie zusammengehalten, die Formen in ihrer
ganzen Länge gleichmäfsig hoch ausgerundet, ohne wechselnde
Senkungen und Schwellungen nach dem Zug der Muskellagen.
Klare Kurven, scharfe Ränder, symmetrisch wiederkehrende
Zickzacklinien umschreiben das Ganze. Es ist wol kein Zweifel,
dass ein Meisterwerk byzantinischer Goldschmiedekunst, d. h.
eine in feinstem Metallblech getriebene Arbeit das Vorbild
war, das Guido für dieses Tympanon gegeben ward. Hier
vollends sind die Proportionen der Körperteile nicht die seiner
sonstigen untersetzten Typen, wie sie beim fortdauernden
Figurenbilden auf verhältnismäfsig niedrigen Reliefstreifen sich
so leicht angewöhnen. Die schwebenden Engel besonders sind
GUIDO DA COMO 79
lang und schlank, auch die Beine des Sitzenden von den
Knöcheln bis an die Knie von erklecklicher Höhe, wolbe-
rechnet für die Wirkung, und das Verhältniss des Ober-
körpers durchaus correkt. Selbst der Kopf des Erlösers
weicht von dem Christus, den der Lombarde uns in den
Historien der Kanzel zu zeigen vermag, in Ernst und Hoheit
ab, wenn auch die Formen jetzt verstümmelt und die Züge
zum Teil entstellt sind. Entscheidend ist schon das weiche
Seidenhaar, das in langen Enden bis auf den Rand der Schultern
herabfällt. Merkwürdig nehmen sich dagegen die Engelköpfe
aus. Sie tragen den wulstigen perrückenähnlichen Haarwuchs,
wie Gabriel und die Magd bei der Verkündigung in Pistoja,
mit denen sie überhaupt schlagend übereinstimmen, und der
reiche Schwall scheint sich, rückwärts zusammengeflochten oder
netzartig verbunden, weit abstehend links und rechts hinaus zu
ballen. Hier ist der Zusammenhang mit dem Meister Guido
von Como und seiner letzten Arbeit von 1250, auch in einer
Nachbildung fremdartigen Wesens, unläugbar vorhanden.
Und sollte noch ein Zweifel übrig bleiben, dass er in einer
früheren Periode seines Strebens so sorgsam sich geübt, so
bedarf es nur eines Blickes über die Einrahmung dieses Bogen-
feldes hinaus. Da sitzen in den Zwickeln der Arkadenreihe die
Symbole der Evangelisten Matthäus und Johannes, d. h. ein
Engel und ein Adler in ziemlich hohem Marmorrelief, — und
diese sind so voll überzeugende Beweise der nämlichen Hand
die in Pistoja gearbeitet hat, dass kein Wort mehr nötig ist.
Schon S. Michael und der Drache unter ihm genügen, die Ueber-
einstimmung aller Eigentümlichkeiten darzutun. Das heisst
also: die späteren Arbeiten hier in Lucca gesellen sich am
nächsten der früheren in Pistoja, als schlössen sich die Glieder
zur fortlaufenden Kette zusammen. Wir haben genug vollgültige
Dokumente gewonnen, um die Tätigkeit des Künstlers von
1204 bis 1250 zu verfolgen. Und am Schlüsse scheint ihm
gar ein Werk aufgetragen zu sein, mit dem wir einen viel
gröfseren Namen verbinden. An der Kanzel des Niccolö
Pisano im Baptisterium zu Pisa sind die beiden hinteren
Säulchen des jetzigen Aufgange ganz in der Weise des Marmo-
larius Guido Bigarelli gearbeitet, der das Taufbecken wie die
Schranken herum gearbeitet hatte. Nur der Tod des alten
80 SANCT MARTIN VON LUCCA
Meisters scheint hier abgebrochen und die Ausführung in
begabtere Hände gespielt zu haben, nicht die Einsicht der
Pisaner.
.Doch bleibt uns ja noch eine Auseinandersetzung über
die Gränzen seines Anteils in der Vorhalle des Domes zu Lucca
übrig. Gehört dem Guido Bigarelli von Como sowol die
Skulptur des Architravs und des Tympanon am Hauptportal als
auch die beiden Evangelistensymbole darüber, so erkennen wir
die Eigenart seines dekorativen Stiles auch in der Umfassung
der Tür selbst1). Das innere Halbsäulenpaar ist wie der zuge-
hörige Bogenwulst am Tympanon mit eingelegter Arbeit über-
zogen, d. h. schmale schwarze und weisse Marmorstreifen
bilden in regelmäfsigem Wechsel ein Zickzackmuster, das
gleichförmig herumläuft. Daneben schmiegt sich ein feines Band,
ebenso mit einer weissen Zickzacklinie auf schwarzem Grunde.
An der Vorderfläche des nächsten einspringenden Pfeilers,
dessen Ecke abgefast ist, zieht sich wie am entsprechenden
Bogenrande abermals eine Intarsiakante empor, diesmal eine
symmetrisch sich schlängelnde Ranke mit correspondierenden
Blättern enthaltend. Nur das äussere Paar von Halbsäulen
mit dem Bogenwulst darüber ist einfarbig und in Stein-
skulptur ausgeführt. Sie werden von klassicierendem Ranken-
werk belebt, das aus einem Blätterbüschel aufsteigt, — ■ und
dieser einzige Beitrag der Bildnerei ist merkwürdiger Weise
in ganz flachem Relief gehalten. Die Verteilung der dekorativen
Werte ist wolweislich so berechnet, dass die figürlichen Teile
an Architrav und Tympanon den bedeutsamsten Abschnitt, den
Kern des ganzen Schmuckes bilden. Also auch hier durchaus
keine Anwandlung üppiger Phantasie, die sich vor Gestalten-
reichtum und Bildnerlust nicht zu lassen wüsste, wol gar Be-
standteile des architektonischen Aufbaues, unbekümmert um
ihre Funktion, mit figürlichen Gebilden überwucherte. Es ist
der selbe Meister der Marmorinkrustation, der hier oben die
Säulengalerien geordnet hat, der nämliche, der an den Schranken
des Taufbeckens in Pisa keine Veranlassung empfand die
1 ) Die eingelegten Teile daran sind erneuert.
GUIDO DA COMO 81
zahlreichen Flächen mit historischen Kompositionen zu erfüllen,
sondern Rosetten und Sterne auf schwarz und weiss gemustertem
Grunde hineinsetzt, — der endlich in Pistoja, als wirklich eine
Kanzel mit biblischen Scenen von ihm verlangt wird, sich in
den Gränzen eines ziemlich flachen Reliefs bescheidet und
nirgends überschäumt im Erguss des drängenden Gestaltungs-
triebes.
Nachdem wir den jungen Guidetto, der sich 1 204 so sieges-
froh an der Säule der oberen Säulenreihe nennt, in seiner weiteren
Entwickelung vollständig kennen gelernt, dürfen wir uns wol
berechtigt glauben, den Anteil an den wenigen mit reicher
Skulptur dekorierten Säulen, die Ridolfi ihm zugeschrieben,
unsererseits ihm abzusprechen und andersgearteten Bildnern
der Comaskenschule von Lucca zuzuweisen. Nicht Guido da
Como, sondern der Erbauer dieser Vorhalle unten ist es ge-
wesen, welcher der Steinskulptur im höheren Sinne einen weiten
Spielraum an der Fassade zu eröffnen dachte, der die Pracht-
säulen unten, aber auch die Konsolen angeordnet, auf denen
S. Martin mit dem Bettler steht.
Nur eine Aehnlichkeit bemerken wir, nachdem wir Guidos
Stil erfasst. Unter den Vorfahren Christi, vom Stammvater
Jesse bis zu Maria hinauf kehren hier und da Gesichtstypen
wieder, die denen Bigarellis verwandt sind, noch mehr aber
bietet die Gewandung der oberen Figuren gleichsam seine
Manier in einem früheren, noch unentwickelten Stadium. Da
diese Züge sich mit andern, ihm fremden mischen, so kann wol
nur gesagt werden, hier liege seine Herkunft dokumentiert, eine
Leistung seines Lehrers oder älteren Schulgenossen vor. Diese
Tatsache wird aber um so wichtiger als wir einen andern nahen
Stilverwandten Guidos noch an ganz entlegener Stelle nachzu-
weisen haben, dessen Ursprung aus der gleichen Schule nun
kaum mehr zweifelhaft erscheint.
Aus der alten Kamaldulenserkirche, dem jetzigen Dom von
Borgo S. Sepolcro im oberen Tibertal stammt eine herrliche
tronende Madonna, die sich jetzt im Museum zu Berlin be-
findet. Es ist eine holzgeschnitzte und in vollständiger Be-
malung überraschend wolerhaltene Gruppe, welche auf einer
Tafel unter dem Schemel des Trones eine Inschrift trägt,
die mit wünschenswerter Genauigkeit das Datum der Ent-
Italienische Forschungen I. 6
82 SANCT MARTIN' VON LUCCA
stehung und die Namen des Urhebers wie seines vorgesetzten
Abtes anführt1 ):
A. D. M. CL. X.X.X.X. Villi: MENSE. GENVARII
IN GREMIO MATRIS. FVLGET SAPIENTIA PATRIS
FACTVM E AVTE H' OPVS MIRABILE. DONNI PETRI
AB ATIS TEMPORE
PRESBITERI MARTINI LABORE. DEVOTO
MINISTRATO AMORE
„Die Figur der Maria ist mit dem Sessel und dem Hinter-
grunde, von dem sie sich in starkem Hochrelief abhebt, aus einem
mächtigen Stamm von Pappelholz geschnitzt, der hinten ausge-
höhlt ist. Das Christkind ist aus einem besonderen Stück gear-
beitet und an einem Dorn auf dem Schofse der Mutter be-
festigt." Wie eine solche Schnitzarbeit aus rundem Stamm er-
warten lässt, ist die Haltung der ganzen (im Sitzen 140 Centi-
meter hohen) Gestalt überaus einförmig. Ganz von vorn ge-
sehen, verlaufen die Beine von den Hüften bis an die Spitzen
der Füfse, die gleichmäfsig auf dem Schemel stehend unter dem
Gewand hervorsehen, völlig parallel. Die Arme, bis unter die
Ellenbogen herab, hängen gleichsam mit dem Rumpfe zusammen.
Erst wo der enge Aermel aus dem weiteren hervortritt,
d. h. doch wol ein eigenes Stück Holz eingelassen worden,
treten sie selbständig heraus und legen beide Hände schützend
vor den Leib des Kindes. Auch dieses ist von den Schultern
bis an die Zehen der nackten Füfse, die gerade neben einander
herabhangen , wie aus einem rechteckigen Block herausge-
schnitten, beide Aermchen eingesetzt, der linke horizontal mit
einem kleinen Reichsapfel in der Hand, der rechte segnend
aufgereckt. Der Kopf des Kindes wie der Mutter blickt starr
nach vorn, und besonders das Haupt der Madonna, mit einem
breiten Tuch umhüllt, erscheint absichtlich grofs, die Majestät
zu erhöhen. „Der stumme Ausdruck der Maria hat etwas
Herbes, sagt Bode, der des Kindes mit seinen alten Zügen
einen strengen, fast drohenden Charakter; und die Falten der
1) Publiciert im Jahrbuch d. K. preuss. Kunstsammlungen. 1888 p 198 mit
Text von Bode.
GUIDO DA COMO »3
Gewänder sind so regelmäfsig gelegt wie die Dekoration eines
Tapeziers. Aber gerade darin liegt eine eigentümlich grofs-
artige Wirkung. — An ihrem ursprünglichen Platze, auf dem
breiten Pfeiler einer Basilika über einem kleinen Altare musste
diese Gruppe in ihrer feierlichen Haltung, in der unerforsch-
lichen Ruhe der Maria und dem strengen, strafenden Blick des
Gottessohnes, auf dem goldenen Tron und in den reichen Ge-
wändern von stralenden Farben und glänzendem Golde auf die
andächtige Menge einen überwältigenden Eindruck machen."
Dieser treffenden Charakteristik des ganz einzigen "Werkes
ist nichts hinzuzufügen. Wenn aber gesagt wird : „der Künstler
gehörte wahrscheinlich dem Teile von Umbrien an, der noch
unter dem Einflüsse von Toskana stand, wenn er nicht eben
aus Toskana stammte," — so glaube ich diesen Zusammenhang
bestimmter aufzeigen zu können. Zwei Eigentümlichkeiten sind
es besonders, die an diesem hochragenden Muttergottesbilde
zunächst auffallen, und auch Bode wol veranlasst haben „eine
stärkere Anlehnung an die geheiligten byzantinischen Vorbilder"
hervorzuheben, welche sich durch den Umstand erkläre, dass
ein gelehrter Geistlicher der Künstler war. Das ist einmal der
grofsköpfige Typus mit dem übermäfsig langen Oval und den
regelmäfsig geschnittenen Formen der inneren weit von ein-
ander getrennten Gesichtsteile, und dann die schematische und
doch wieder schlicht geordnete Gewandung, mit den einförmigen
Parallelzügen der schmalen Falten, der symmetrischen Wieder,
kehr der einzelnen Motive links und rechts und die sichtliche Ver-
meidung aller Bauschen, Wulste und Verwicklungen in dem
reichen fliessenden Seidenstoffe kostbaren sicilischen Gewebes.
Die nämlichen Eigenschaften finden sich in der gleichen
Vereinigung in einer ganz bestimmten Gegend und Schule
wieder, ja sogar besonders auffällig bei einem Künstler, näm-
lich bei dem Comasken Guido Bigarelli. Ich meine nicht
seine erzählenden Kanzelreliefs in Pistoja, die unter anderen
Bedingungen entstanden , auch begreiflicher Weise in den
Figuren eher eine Neigung in die Breite zu gehen offenbaren.
Es kommen vielmehr seine Einzelgestalten in Betracht und vor-
wiegend seine früheren Leistungen. Wie genau er den Typus
forterhält, bezeugt indess wol keine Gestalt so schlagend als
der Apostel Paulus am Lesepult der Kanzel von 1250. Ob-
84 SANCT MARTIN VON LUCCA
gleich wir in der holzgeschnitzten Gruppe des Presbyter Mar-
tinus von 1 1 gg ein weibliches Idealbild haben, im Paulus hier
ein durchfurchtes Männerantlitz mit spitzem Vollbart, so ist
der übereinstimmende Charakter doch durchaus zutreffend.
Das selbe längliche Oval mit der Grofsflächigkeit der Wangen,
die selben Augen und Brauen, die selbe gerade, scharfgespitzte
Nase und , sehr bezeichnend , der gleiche feingeschnittene
Mund mit den schmalen geschlossenen Lippen, welche auch
bei den jugendlichen Epistelschreibern neben Paulus wieder-
kehren, und immer die Gewohnheit zu haben scheinen, sich leise
seitwärts von der Mittellinie zu verschieben, im unwillkürlichen
Ausdruck ihres scharfbeobachtenden Innern, — während sonst
das ganze Antlitz in seinem Ebenmafs auch eine leidenschafts-
lose Ruhe ausprägt. Alle diese Köpfe haben in der obern
Schädelrundung eine grosse Breite und eine sanfte Abplattung
auf der Scheitelhöhe, die selbst unter dem Kopftuch der Ma-
donna von Borgo San Sepolcro in Berlin ihresgleichen findet.
Der Christusknabe dort ist kein Laienkind, sondern ein geborener
Prälat, ein harter starrköpfiger unbeugsamer Kleriker, den man
sofort auf den Bischofstul setzen und mit den Pontifikalien be-
kleiden könnte, ohne dass er eine Miene verzöge. Aber auch
er ist nicht fremd unter den Arbeiten Guidos. Man betrachte
den Jesusknaben in der Anbetung der Könige; ist er nicht
auch so ein Pfaffenkind 'J — und den Engel in der Verkündigung,
den man Gabriello del Prete nennen möchte. Die Einzelfiguren
der Apostel in Pistoja gewähren auch der Vergleichungspunkte
genug für die Gewandung. Noch stärker jedoch tritt uns
dieser archaistische Schematismus, der doch wieder ein Streben
nach einfacher Anordnung und klassischer Regel enthält, in
den Portalskulpturen des Doms zu Lucca entgegen, wo Guido
den völlig hieratischen Christus in Mandorla mit schwebenden
Engeln und darunter am Architrav Maria inmitten der Apostel
dargestellt. Hier ist die Uebereinstimmung in der Faltengebung
welche gerade diese frühen Leistungen des Comasken so be-
stimmt von andern unterscheidet, durchaus überzeugend, sogar
das eigentümliche, auf verbreiternde Wirkung ausgehende
Kopftuch der Maria vorhanden, — nur muss immer berück-
sichtigt werden, das dieser Meister bereits einer folgenden
Generation angehören mag, sodass Martinus, der 1199 Presbyter
GUIDO DA COMO 85
im Kamaldulenserkloster zu Borgo S. Sepolcro war, kurz zu-
vor in Lucca sein bestimmendes Vorbild gewesen sein könnte,
wo Guido fünf Jahre später als leitender Marmorarius auftritt.
Ist es erlaubt diesen Holzbildhauer Martin, der vielleicht nach
dem Lokalheiligen Luccas getauft war, in diese Stadt Toskanas
zu versetzen, zu deren Comaskenschule er künstlerisch unzweifel-
haft gehört, so würde sein Einfluss die beste Erklärung dafür er-
bringen, weshalb gerade Guido da Como sich der systematischen
Reinigkeit des Klassicierens zugewendet, welche der Geistliche
nicht blos aus priesterlicher Befangenheit, sondern im römischen
Geist oder gar in echt toskanischer Neigung zur Antike zurück
selbst so sichtlich bevorzugte und dem jüngeren Genossen
empfehlen mochte. Sicher zeigen uns der Presbyter Martinus
im oberen Tibertal und Guido da Como in Pistoja eine und
die selbe Schulrichtung, deren Hauptsitz Lucca war , sei nun
dieser Priester selbst Lucchese oder irgendwoher hier herum-
gekommen,
Die späteren Betrachtungen anderer gleichzeitiger Arbeiten
in Toskana werden diese persönliche Zusammengehörigkeit nur
durch mannichfache Gegensätze bestätigen. Die einzige Ab-
weichung zwischen Martin und Guido, die bevorzugten Propor-
tionen, erklärt sich bei dem Marmolarius leicht, — und die
langgestreckten Glieder des Ersteren finden sich in Lucca sonst
genau so wieder , vor ihm in Adam und Eva im Sündenfall
an der Prunksäule des Domes, nach ihm in zahlreichen Bild-
werken der Vorhalle, die wir im nächsten Kapitel ausführlich
zu besprechen haben. Die Herkunft der tronenden Madonna des
Presbyters Martinus erschliesst sich unserem Verständniss end-
lich am besten durch einen Blick auf jene alte byzantinische
Gottesmutter an S. Maria Forisportam zu Lucca, mit der wir
unsere Umschau in der Lokalschule lucchesischer Bildhauer
vorhin eröffnet haben und nun unsere Vorgeschichte schliessen.
86 SANCT MARTIN VON LUCCA
BARGA
Ein Kanzehverk, das mir bereits der Zeit nach Guido Bigarelli anzugehören
scheint, ist das in Barga, dem herrlich gelegenen Städtchen in den Bergen von Lucca,
welches früher zum Gebiet von Pisa gehörte. Hier sind im Dome auch die ( hor-
schranken in voller Ausdehnung erhalten, wenn auch nicht in ursprünglicher Anordnung.
Sie trennen jetzt etwa ein Drittel des dreischiffigen Langhauses der Basilika ab,
während die jetzt in den Seitenschiffen stehenden Brüstungen wol sicher nur das
Mittelschiff' seitlich einfriedigten. Die Platten der Brüstung sind aus rotem Marmor,
die Einfassungen weiss mit Kanten in lavoro di commesso. In der Nähe der Kanzel
sind auch an den Schranken grössere Köpfe zum Teil mit Diademen angebracht.
Auch die Kanzel ist verschoben. Sie steht jetzt vom Altar aus links gegen den
Pfeiler gelehnt, sodass die eine Schmalseite nach vorn gekehrt ist, die Langseiten
sich nach Mittelschiff' und Abseite wenden. Sie ruht auf vier Säulen , aber nur dre1
gehörten ihr ursprünglich, die beiden mit Löwen (Schlange und Mensch unter sich)
und die mit dem sitzenden Manne unter sich: die vierte mag vom Treppenaufgang
stammen. Das Lesepult mit den Evangelistenzeichen steht jetzt an der Langseite
(gegen die Mittelachse der Kirche zu) gerade vor dem die ganze Fläche füllenden
Relief, sodass eine der Figuren verdeckt wird — ein sicherer Beweis, dass hier will-
ki rliche Versetzung vorliegt. An der andern Langseite gegen das Nebenschiff
befindet sich ein zweites Lesepult, das mir enger mit der Brüstung zusammenzuhängen
schien, darunter die Einzelfigur eines Apostels, also für die Epistel, — und zwar
zwischen einerseits zwei, andererseits drei Blendarkaden, welche dieses Parapet
gliedern. Dazu ist noch ein drittes ebenfalls altes, aber kleineres Pult an der Haupt-
seite angeflickt mit einer Einzelfigur darunter. Die figürlichen Reliefs befinden sich
an der Langseite gegen das Mittelschiff und an der schmalen Vorderseite. An der
Schmalseite Verkündigung und Geburt; an der Langseite, als ein Ganzes von links
nach rechts fortschreitend, Ritt der Könige und Anbetung, — alles unter spitz-
bogigen Arkaden, deren Bogen üppig mit Blattwerk skulpiert sind. Bei der Ver-
kündigung kommt Gabriel mit langem Scepter von rechts und streckt die Hand über
die Säule hin gegen Maria aus, die unter dem Bogen links, sich eben vom Sitz
erhebend, mit der Linken ihren Schleier zusammenrafft und in der Rechten die Spule
hält; links neben ihr sitzt vor dem Hause die Magd beim Garnwickeln. — Bei der
Geburt sehen wir Joseph auf einer Bank in seinen Mantel eingewickelt, Maria aut
schrägem Lager (das nur als Pritsche angedeutet, die Inschrift trägt ,,f Virgo
Maria fuit nfe medicina salutis") und darüber die Halbfigur eines Engels mit aus-
gebreiteten Armen unter Einem Bogen, in der anderen Arkade links die Krippe
(.wie an die Säule schräg festgenagelt) mit Ochs und Esel, daneben das Bad, das
vollständig wie eine Taule gehandhabt wird, nämlich in einem auf hohem Baluster
ruhenden Weihbecken , neben dem beide Frauen stehen. — In fünf Arkaden voll-
zieht sich, sehr zu Ungunsten des Zusammenhangs, das Hauptbild: in den ersten
drei Bogen der Ritt der Könige, d. h. jeder einzeln auf kleinem Pferdchen, und
über wie unter ihnen sternähnliche Rosetten zur Raumfüllung. Daneben in den
beiden andern Bögen die Anbetung, wobei nur der älteste König anwesend ist.
Mit der Krone auf dem Haupt beugt er den Nacken und ein Knie, indem er mit
beiden Händen eine Büchse darreicht. Leber ihm schwebt der wegweisende Engel.
DIE KANZEL IN BARGA 87
Maria tront unter der letzten Arkade, und das Kind, mit einer Schriftrolle in der
Hand, segnet den Verehrer ganz rituell, genau so wie bei Guido in Pistoja.
Die Abhängigkeit in Einzelheiten, welche nicht allgemeines Schulgut sein können,
lässt uns in dem Urheber dieses Kanzelwerks einen geringeren Schüler des Guido da
Como vermuten, der also ungefähr gleichzeitig mit Niccolö Pisano arbeitet. (H. Sempers
Beschreibung dieser Kanzel in den Römischen Blättern war mir nicht zugänglich ; ich
weiss also nicht, wie viel ich etwa wiederhole.) — In einer Seitenkapelle neben dem
Chor des Domes ist ein Ciborium noch guter Robbia-Arbeit, blau und weiss; in
der Kirche S. Francesco (Spedale) vor der Stadt drei späte Altäre aus glasierter
vielfarbiger Terracotta: Himmelfahrt Marias, Geburt Christi und Stigmatisation des
hl. Franz (XVI. Jh.), im Klosterhof daselbst ein unglasierter Altar mit der Madonna
in trono nebst S. Sebastian u. S. Rochus. In Lobbia, dicht vor Barga eine alte
romanische Kirche mit grossem Campanile, wie in Decimo, an der Strasse von Lucca,
Monatscyklus am Don
Unter Beinato und Aldibrando
1/ ommt es nach den Auseinandersetzungen über Guido
/\- da Como, die uns weiter von der Hauptsache abgeführt,
aber auch reicher belohnt haben, als man erwarten mochte,
nun darauf an, die Geschichte der künstlerischen Ausschmückung
des Domes von Lucca da fortzusetzen, wo wir sie verlassen, so
gewährt die beste Anknüpfung wol die' noch unerledigte Frage,
wo sich etwa die Skulpturen des Hauptportales in die chrono-
logische Reihenfolge der Werke Guidos einordnen. Wir haben
das Jahr 1204 als Anfangstermin aufgestellt, fanden den Meister
noch 1 2 1 1 in fester Beziehung zur Domopera, wenn auch die
gleichzeitige Beschäftigung in Prato, vielleicht die weitere Bau-
tätigkeit anS.Michele in Foro das persönliche Verhältniss lockerte.
Jedenfalls verdient der Umstand Beachtung, dass S. Michele voll-
endet ward, die Domfassade nicht : der unfertige Giebel scheint
noch jetzt von einem unerwarteten, wenn nicht gar schroffen
Abbruch der Arbeit zu erzählen, — und diesen hätten wir jeden-
falls einige Zeit vor 1246 anzusetzen, da Guido Bigarelli in
diesem Jahre zu Pisa die Brüstung des Taufbeckens im
Baptisterium abschliesst.
Doch wir sind durch ein anderes Datum in den Stand
gesetzt, den Zwischenraum noch enger einzuschränken. Dicht
neben dem rechten Pfeiler des Hauptportals von S. Martin
UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO 89
steht eine Inschrift, die in der Kunstgeschichte schon zweimal
eine grössere Rolle gespielt hat als sie in Wirklichkeit verdient-
Ueber dem zweiten Querstreifen der Marmorinkrustation, der
mit einer Kante aus schwarzen Rauten in weisser Füllung aus-
gelegt ist, steht zwischen zwei schwarzen Kreisflächen mit
weissen Figuren darin in zwei gedrängten Zeilen geschrieben
f H(OC)OP(VS) CEP(IT) FIER(I) A BELENATO ET
ALDIBRANDO OPERARIIS. A. D. MCCXXXIII.
Die Angabe, dass „dieses Werk zu machen begonnen
ward unter den Opera-Vorstehern Belenatus und Aldibrandus im
Jahre 1233", hat man früher geglaubt auch ohne Weiteres auf
die Bildhauerarbeiten am Seitenportal links beziehen, und so
für die Chronologie des Niccolö Pisano verwerten zu dürfen,
während der Standort der Inschrift doch ein beträchtliches
Stück davon entfernt ist. Eine andere Steigerung ihres kunst-
geschichtlichen Wertes ergab sich, indem man in den beiden
Namen Belenatus und Aldibrandus zwei Künstler sehen zu
dürfen meinte, die sich hier, wie Guidetto droben, bezeichnet
hätten1). Ein neuerdings aufg-efundenesjDokument stellt jedoch
klar heraus, dass diese Operaji keine Künstler waren, sondern
nur Vorsteher der oben genannten „Opera Frontispicii Scti
Martini2).
Nachdem diese Deutungen als irrig erkannt worden, bleibt
jedoch immer noch die Frage: wie weit erstreckt sich die
Tragweite der inschriftlichen Angabe? — Entweder bezieht sich
der Ausdruck „hoc opus" auf die Marmorinkrustation der ganzen
Kirchenwand, bedeutet also das Datum 1233 den Beginn der
inneren Ausschmückung der Vorhalle-3). Dann wäre für die
unmittelbar daran stofsende Arbeit des Guido da Como am
Hauptportal ein fester Ausgangspunkt gegeben, und aus dem
Umfang seines Anteils nur auf die Dauer seiner Tätigkeit
weiter zu schliessen. Wir hätten uns jedoch den Erbauer der
Fassade nun im Auftrag und unter dem Regiment der Vor-
') Vgl. F. W. Unger, im Allgem. Küustlerlexicon in. 346. So auch Ridolfi,
noch im Text des oftgmannten Hauptwerks.
2) Ridolfi in den Errori e Correzioni, 17 Arte in Lucca S. 401.
3) So fasst es Ridolfi S. 1 8, u. Guida di Lucca S. 3.
QO SANCT MARTIN VON LUCCA
Steher Aldibrand und Beinato arbeitend zu denken, während
man Guido da Como doch bisher ebenso als Operajo Maggiore
betrachtet, wie es der Nachfolger dieser beiden Lucchesen,
Giovanni di Bono da Como von 1274 bis nach 1292 war,
der treffliche Baumeister, dem die weitere Einkleidung des
Kirchenkörpers in die Gliederungsformen des romanischen
Stiles beizumessen ist, bis auf die klassisch schöne, erst nach
1320 ausgeführte Chorpartie. — Will jedoch die Bezeichnung
„hoc opus" im engeren Sinne verstanden sein, so liegt die
Sache ganz anders. Für eine solche Deutung spricht, meine
ich, das einzige Dokument, das als gleichartig herangezogen
werden kann, die Inschrift eben an der Aussenseite des Chores
unterhalb des mittleren Fensters, wo ein Operarius die Gränze
bezeichnet, bis zu welcher sein Vorgänger gediehen, und von
welcher seine eigene "Weiterführung beginnt.
t Hoc opus 'inceptum fuit tempore Ser. Macthei Campa-
nari Operaii Opere Sancte Crucis A. D. MCCCVIII. Et Mortuus
est dictus Operarius A. D. MCCCXX. Eoco ejus successit Ser.
Bonaventura Rolenthi, quo anno ipsum hoc opus reassunsit ab
hinc supra."
Darnach hätten wir auch in der Vorhalle genau vom Stand-
ort der Inschrift auszugehen, welche die Gränze bezeichnet, und
„ab hinc supra'' den unter Beinato und Aldibrand ausgeführten
Teil der Wanddekoration zu suchen, der zunächst jedenfalls die
gleichartige und zusammengehörige Inkrustation mit eingelegter
Arbeit und zwei Reihen vcn Marmorreliefs zu beiden Seiten
des Hauptportales umfasst. Die plastische Ausschmückung
könnte sehr wol mit der Mitteltür eingesetzt haben, nachdem die
Gesamtdisposition der ganzen Eingangswand in sieben Blend-
arkaden vorher festgestellt war und demgemäfs nun die Arbeit
von unten begonnen ward. Diese Einteilung der Wand im
Innern der A^orhalle mag der Füllung unter den Arkaden
immerhin noch Spielraum für stärkeren Aufwand gelassen
haben, ist aber selbst einheitlich gedacht und gehört wol enger
zu der weiteren Gliederung der Kirchenfront in den oberen
Geschossen. Jedenfalls aber muss gesagt werden, dass diese
Wandgliederung unten mit ihren schlanken Pilastern und leichten
Bogenstreifen einen beträchtlichen Schritt weiter zur Reinheit
der Verhältnisse gelangt, und zu edler Einfahcheit des Stiles
UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO 91
zurückkehrt, wie gerade auch die Kreuzarme und die Chor-
partie, die sowol von den vorderen Arkaden des Atriums wie
von Guidettos Säulengalerien sich vorteilhaft unterscheiden.
Die Dekoration des mittleren Hauptportales gehörte doch
immer zu den vornehmsten Aufgaben und seine baldige Fertig-
stellung war schon aus praktischen Gründen wünschenswert.
Im Uebrigen mochte man Schritt für Schritt fortfahren, wenn
nur nicht die Eingänge zu gleicher Zeit versperrt, und der
notorisch unentbehrliche Raum für die Wechsler und Verkäufer
gänzlich unbrauchbar blieben. Diesen Hergang scheinen mir auch
einzelne Confiikte der allmählich fortschreitenden Dekorations-
arbeit mit der architektonischen Gesamtgliederung der Wand-
fläche zu verraten. Sind also ausser dem Hauptportal keine
Skulpturen dieser Wand als Eigentum des Guido da Como zu
erweisen1), so könnte das Jahr 1233 sehr wol auch den Weg-
gang des Meisters aus Lucca, oder wenigstens seiner Ver-
uneinigung mit der Dombehörde bedeuten, wie es gewiss den
Amtsantritt der beiden Bürger Aldibrand und Beinato als Vor-
steher der Opera bezeichnet.
Gehen wir von der Inschrift des Beinato und Aldibrand
aus, so treffen wir zunächst auf einen weissen Marin orstr ei Pen
mit kreisförmigen Medaillons aus eingelegter Arbeit, hier mit
einem Löwen, dort mit einem Sperber — von einem Renaissance-
medaillon mit dem Profilbildniss des Giovanpietro d'Avenza ab-
gesehen — dort mit einem Hippogryphen, der einen Drachen
bekämpft, einem fliehenden Hirsch und einem Reiter in der
Mitte, weiss auf schwarzem Grunde, im Stil orientalischer Stoffe,
also auf eine Fortführung der oben an der Schmuckfassade
geübten Technik. Dann folgt jedoch ein entscheidender Schritt
zur Steinskulptur: zwei Reihen von Reliefs, die zu den Seiten
des Mitteltors die ganze Breite der rechts und links anstofsen-
den Blendarkaden einnehmen, zwischen dem Haupteingang und
den beiden Seitenpforten gleichsam eine Verbindung herstellen,
so dass alle drei wie eine zusammenhängende Gruppe auf dem
Grunde der Kirchenwand sich abheben. Der Gegenstand der
Darstellung weist die beiden Reihen freilich auseinander: unten
1) Es ist beachtenswert, dass ausser den beiden über dem Hauptportal vor-
handenen Evangelistenzeichen von Guido die beiden andern nicht ausgeführt worden.
Q2 SANCT MARTIN VON LUCCA
werden die zwölf Monate des Jahres, oben vier Geschichten
aus dem Leben des heiligen Martin geschildert. Aber die
Reihenfolge, in der sie verlaufen, erweist wieder die einheit-
liche Entstehung in ruhig fortschreitender Arbeit hüben und
drüben. Die erste Hälfte der Monate von Januar bis Juni ist
rechts vom Portal, also dort angebracht, wo die Inschrift von
1233 steht, und will von rechts nach links verfolgt sein, während
jenseits der Tür die zweite Jahreshälfte, von Juli bis December
anschliesst, so dass December und Januar, die in anderen
Monatscyklen so nah verbunden sind, hier die äussersten Enden
bilden. Das Leben S. Martins aber, in der oberen Reihe, be-
ginnt seine Erzählung auf der linken Seite des Portals, und
zwar ganz links über dem Ende des Jahreslaufs. Es zeigt den
Heiligen zuerst noch als Mönch, wie er einen Verstorbenen
wieder auferweckt, dann seine Berufung zum Bischof; drüben
seine Verklärung beim Messopfer und seine Wundertat an
einem Besessenen, womit — gerade über dem Jahresanfang —
die Legende schliesst.
Leider haben auch diese Bildwerke durch den Einfluss
der Witterung und durch ruchlose Menschenhand, wie durch
jahrhundertelange Verwahrlosung vielfach gelitten, so dass ihr
gegenwärtiger Zustand wol manches betrachtende Auge abge-
schreckt hat, sich weiter in ihr schlichtes Wesen zu vertiefen.
Und doch gehören sie zu den wichtigsten Urkunden für die
Lokalgeschichte der toskanischen Skulptur, und sind in ihrem
von Restauration unberührten, auch nicht durch gleichmäfsigen
Anstrich getrübten Aussehen doppelt wertvoll für das Urteil
des Forschers.
J_Jer Marmorstreifen für den Monatscyklus ist durch eine
niedrige Arkadenreihe von zwölf Rundbogen auf gedrungenen
romanischen Säulchen eingeteilt, und in den Zwickeln sind
kreisförmige Medaillons ausgetieft für die Zeichen des Tier-
kreises, nur — da der fortlaufende Fries in zwei Hälften ge-
trennt ist, so dass sich auf jedem Stücke nur fünf ganze und
zwei halbe Dreieckfelder ergeben — wurde, rechts anfangend,
der letzte Halbzwickel links statt dessen mit einem ornamen-
talen Stern gefüllt. Die Namen der Sternbilder stehen auf
UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO 93
einem schmalen weissen Rand, der sich oben hinzieht, die
Namen der Monate an der Basis unter den Fig-uren selbst.
Die Gesamtdisposition schliesst sich an diejenige an, die be-
sonders an Elfenbeinarbeiten üblich war, wo dieser architekto-
nisch gegliederte Streifen, die ganze Höhe der Aussenseite etwa
eines Kästchens oder einer Predella füllend, selbständig auftrat
und nur noch eines leichten Kranzgesimses als oberen Abschlusses
oder einer umlaufenden Einfassuug bedurfte. Damit ist im
Allgemeinen auch wol das Vorbild des Bildners bezeichnet,
dem sich sein Reliefstil fühlbar genug anschmiegt, und vielleicht
gehen manche Vorzüge seiner Darstellungen, die geschickte
Einordnung seiner Gestalten in den gegebenen Rahmen, die
Richtigkeit der Proportionen, die Klarheit der bezeichnenden
Gebärde auf dieses Erbgut aus einer glücklicheren Kunst-
periode zurück. Indessen darf man sich auch seine Abhängig-
keit nicht allzu lähmend vorstellen. Die Nachahmung geht
sicher nicht so weit, dass er nur wiederholt hätte, was er in
kleinerem Mafsstab vorfand. Das schliesst der schon völlig
abendländische Inhalt der Monatsbilder selbst aus und der
völlig zeitentsprechende Charakter seiner Gestalten, der be-
sonders im Vergleich zu einem sonst verwandten Cyklus am
Baptisterium zu Pisa hervortritt. Man darf eben nicht ver-
gessen, dass dieser Gegenstand in mannichfaltigster Weise un-
endlich oft abgewandelt war, und dass ihn auch die Malerei
von der einfachsten Zeichnung eines Schreibers bis zum farben-
reichen Wandgemälde, dort in äusserster Abkürzung, hier in
genrehafter Ausführlichkeit, behandelt hatte1).
Was die Zeichen des Zodiakus betrifft, so genügt die
Hervorhebung weniger Eigentümlichkeiten, da die Mehrzahl
ganz schlicht gegeben ist. Der Wassermann gehört als
handelnde Person mit einem Gefäfs auf der Schulter, aus
dessen Hals er Wasser ausströmen lässt, zu den Tätigkeits-
bildern der Monate. Die Zwillinge sitzen zusammen in einem
kraterähnlichen Becken, wie es bei der Waschung des neuge-
borenen Kindes damals vorzukommen pflegt. Der Löwe verrät,
dass wir keinen von jenen geübten Darstellern dieses Tieres
1 ) Jos. Strzygowski, Die Jlonatscyklen der byzantinischen Kunst. Repertorium
für Kwsch. XI. 1888.
94 SA.NCT MARTIN VON l.UCCA
vor uns haben, welche damals jede Kirche an mehr als einer
Stelle mit voll ausgerundeten Steinbildern dieses Schreckens
orientalischer Länder schmückten; dieser Künstler hält sich
mehr an die Pardel, die man auch im Abendlande als Jagd-
helfer benutzte, giebt dafür aber momentane Bewegung mit
erhobenem Schweif, wobei jedoch die Rückenlinie wieder mehr
als billig der des Rosses ähnelt. Die Jungfrau erscheint als
nonnenhaftes Wesen, ohne jeden Reiz: die Wage ohne Träger:
der Schütze als Kentaur mit dem Bogen.
Desto lebendiger ist der Eindruck des Monatscyklus, dessen
herkömmliche Darstellungen, nach italienischem Brauch gegeben,
sich fast überall zu frischen Augenblicksbildern gestalten. *)
JAXUARIUS. Auf hölzernem Hüker mit Lederkissen
darauf sitzt ein Mann (dessen Kopf und vorderer Arm zerstört
sind) in Profil nach links; er hat die Füfse auf einen Schemel
gesetzt und erhebt die Arme gegen das wärmende Feuer,
dessen Flammen vor ihm vom Boden aufschlagen. Er trägt
einen Kittel mit kurzen Aermeln, wie die Mehrzahl der
Männer hier, und seine Beine scheinen gar nackt wie die Arme,
FEBRUARIUS zeigt uns einen am Ufer stehenden bärtigen
Mann mit der Kappe, der soeben einen Fisch an der Angel
aus dem Wasser zieht; er trägt an einer Stange (der erhobene
Vorderarm der Linken, die sie hielt, ist abgebrochen) über die
Schulter gehängt ein Metallkesselchen, dessen Kleinheit darinnen
eher die Lockspeise als die Beute vermuten lässt. Mit dem
rechten Fufs tritt er etwas vor gegen den Rand, wie zum
Widerhalt gegen die Armbewegung, die den Fisch auf's Land
schleudern soll.
MARTIUS. Ein Bauer in langärmligem Kittel und Leder-
schuhen, die um die Knöchel geschnürt sind, steht vor einem
kahlen Baumstamm, an dem sich eine Rebe emporschlingt,
und beschneidet mit krummem Messer das Gezweig. (Auch
hier ist der Vorderarm abgebrochen und das Gesicht zerstossen.)
APRILIS führt uns in vornehmere Gesellschaft. Ein
junger Mann in eleganteren Schuhen, längerem Rock, der gar
über die Knie reicht, und ärmellosem Ueberwurf, ein Käppchen
auf dem Haupt (das Antlitz ist abgestofsen, scheint aber nicht
M Vgl. die Kopfleiste dieses Kapitels (nach Phot. von Alinarii.
UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO Q5
unbärtig gewesen), hält in der Rechten eine Blume, als brächte
er sie heim wie eine Frühlingsbotin.
MADIUS erhöht die Lust der angenehmen Jahreszeit.
Auf prächtig gesatteltem Rösslein tummelt sich der ritterliche
Herr durch seine Fluren; den Staubmantel, der im Winde
flattert, über die Schultern geworfen, trägt auch er ein Pfand
des Wonnemonds in der Hand, das sich deutlicher noch als
die kelchartige Form im April als Blümchen erkennen lässt.
Der muntere Gaul ist trotz der Enge des Rahmens in tänzelnder
Bewegung erfasst, als teile er die Stimmung seines Reiters;
der erhobene Vorderfufs allerdings zeigt mehr die Form eines
Rindsfufses (zwei Beine sind abgebrochen, der Kopf wie beim
Herrn selbst verstümmelt).
JUNIUS bildet auf dieser Seite den Abschluss, indem sich
der Landmann mit dem Rücken gegen den Türpfeiler, im
Profil nach rechts wendet, von wo der Reiter heransprengt.
Er fasst mit der Linken die hochgewachsenen Aehren und
schneidet mit der krummen Sichel die Halme in der Mitte durch.
Deutlich offenbart sich in dieser Gestalt, wie in dem
frierenden Mann zu Anfang, die Neigung des Bildhauers zu
schlanken Körpern und gestreckteren Proportionen.- Ihm
correspondiert auf der andern Seite des Portals sein Fortsetzer
in der Arbeit:
JULIUS. Der Bauer drischt sein Korn auf der Tenne —
allerdings in ebenso primitiver, zeitraubender Weise wie er
mähte: in sauberen Reihen sind die Aehren auf der glatten
Fläche am Boden ausgebreitet, während der stehende Mann
den Dreschflegel schwingt. (Sein linker Vorderarm ist abge-
brochen, der Kopf durch Corrosion beschädigt). Doch darf
nicht vergessen werden, dass die Enge des Raumes auch hier
zu einem Vereinfachungskompromiss mit der Wirklichkeit ge-
nötigt haben kann. Weit günstiger steht es mit den drei
folgenden Tätigkeiten.
AUGUSTUS zeigt uns den Gärtner vor seinem Feigen-
baum, beschäftigt die Früchte zu pflücken und in den Korb
zu lesen, der vor ihm am Aste herabhängt. (Kopf und Hand
sind zerstört).
SEPTEMBER. Der Winzer steht in der Kelter und
stampft die Traube, dass der süsse Saft in ein nebenstehendes
96
SANCT .MARTIN VON LUCCA
Kübel rinnt. (Leider sind beide Arme, die in verschiedener
Haltung sich bewegten, abgebrochen, so dass nicht mehr er-
kennbar, wie sie gebraucht worden.)
OCTOBER. Der ausgegorene Wein wird in's Fass gefällt,
den kostbaren Trank zu bewahren. (Der eine Arm des Küfers
abgebrochen.)
NOVEMBER. Der Ackersmann pflügt den Boden um
für die neue Saat. Auch hier war der Platz wieder nicht aus-
reichend; so ist das Ochsenpaar zu klein geraten und erscheint
vor dem langen Treiber wie ein Riesenspielzeug. (Das vordere
Tier zerschlagen, die Vorderfläche des Mannes corrodiert.)
DECEMBER giebt die ganz abendländische Sitte des
Einschlachtens von Schweinefleisch. Im Profil nach rechts ge-
wendet, ist der Landmann eben im Begriff das Tier auszu-
weiden, das an den Hinterfüfsen aufgehängt, noch stark in eine
darunter gesetzte Schale blutet. (Der Vorderarm des Metzgers
und der Kopf des Schweines sind abgebrochen.)
Ueberblickt man diesen Monatscyklus am Dome zu Lucca,
so macht sich in engem Rahmen immer die Fülle mannich-
faltigen Lebens fühlbar, die in diesen einfachen Darstellungen
enthalten ist. Und fragen wir, ob etwa Guido Bigarelli zwischen
dem Schmuck des Hauptportales hier und der Kanzel in
S. Bartolommeo zu Pistoja noch diese Skulpturen gearbeitet
haben könnte, so ist es wol gerade diese Eigenschaft frischer
Lebendigkeit, die einer solchen Annahme am meisten wider-
spricht. In technischer Beziehung haben diese beiden Friese
neben der Tür allerdings gewisse Merkmale mit den Proben
UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO 97
des Marmorarius von Como gemein. Seine Art die Falten
durch schmale Parallelfurchen zu geben, oder einen Gewand-
zipfel in Zickzacklinien zu umreissen kehrt hier wieder, wie
am Tympanon und Architrav. Aber es ist klar, nicht die Hand
des Meisters wiederholt gewohnte Mittel, sondern es sind
wesentlich Befangenheiten einer jungen, noch im Lernen be-
griffenen Kunst, gegenüber den Anforderungen des bildneri-
schen Stoffes. Besonders an der Kleidung der Vornehmen
merkt man, dass die Erscheinungsformen dem Künstler nicht
so geläufig waren wie die Tracht des Volkes, dass er sie
wenigstens in Bewegung nicht recht zu beherrschen weiss.
Gerade hier begegnet ein steifes Mantelende, ein wehender
Ueberwurf, dessen Falten flach ausgelegt sind, statt sich im
Winde zu blähen. Raumfüllende, oft rein ornamental ver-
wertete Motive der antiken Kunsttradition spielen noch hin-
ein ohne sich mit dem schwereren Zeuge der Zeittracht zu ver-
tragen. Unglücklich wirkt auch der Rockschofs des Fischers,
der wie abgeschnitten aussieht. Aber wie fliessend und natür-
lich ist der Landmann in seinem Kittel mit den nackten Beinen,
der Mäher, der Metzger, der Frierende am Feuer, selbst der
Aquarius in so viel kleinerem Mafsstab! Das Ganze verrät
ein viel einfacheres Gestalten als es Guido gelingt, der ent-
weder mühsamer antikisiert, wie hier am Portal, oder alles
versuchend aufs Geratewol arbeitet, wie vorwiegend an de
Kanzel zu Pistoja. Während jene Reliefs bald tiefer bald
flacher gehalten sind, werden hier die Formen runder modelliert,
dort nur mit scharfen Schattenrändern umzogen, hier die Falten
eingegraben, dort hochliegend ausgepart; erweist sich in diesem
Monatscyklus ein gleichmäfsiger, wenn auch noch nicht völlig
selbständiger und frei durchgebildeter Stil, ein weit klareres Er-
fassen der plastischen Formen und Motive, eine wol abgewogene
Wiedergabe des Körperhaften, die auch einem guten Vorbilde
gegenüber nur einer wirklich bildnerischen Künstlerkraft gelingt.
So bescheiden der Fries mit dem Monatscyklus auftritt,
so entschieden ist der Fortschritt zur echten Skulptur. Von
der bunteren Vielgewandtheit des Marmorarius, der — für seine
Zeit gewiss überraschend und anerkennenswert — heute die
peinlichsten Arbeiten in Steinmosaik, lavoro di commesso,
morgen scharfgeschnittenes Blattwerk und Rosetten, und da-
Italienische Forschungen I. 7
g8 SAXCT MARTIN VON LVCCA
zwischen je nach Gelegenheit auch Einzelfiguren, Gestalten-
reihen und historische Darstellungen in Relief fertigt, Alles
scheinbar mit gleicher Virtuosität, — gelangen wir jetzt zur
figürlichen Plastik, gleichsam erst auf ihrem eigenen Boden.
Noch schiiesst sie sich rücksichtsvoll, doch nicht dienend blos,
der Architektur an. Ihre Aufgabe, eine Wandfläche zu zieren,
wird erfasst, der Rahmen hergestellt und nicht missachtet, aber
innerhalb dieser selbstgewählten Gränzen kommt die Gestalt
schon völlig zu ihrem Recht, in lebendiger Bewegung, und
wird, man fühlt es, bald nirgends mehr anstofsen, wenn die
Herrschaft über die technischen Mittel hinreichend geläufig ist.
Indess immer noch könnte die Vermutung laut werden,
dass diese Vorzüge wesentlich auf Rechnung des glücklicheren
Vorbildes zu setzen wären, nach dem dieser Steinmetz ge-
arbeitet haben müsse. Nun gut, lassen wir sein Verdienst vor-
läufig dahingestellt, und prüfen zunächst die Geschichten
des heiligen Martin, welche den Vorteil antiker Kunst-
tradition nicht genossen.
Diese Scenen kommen in der italienischen Kunst damals
überhaupt selten vor. Hier werden sie vielleicht zum ersten
Mal auf toskanischen Boden in solcher Ausführlichkeit erzählt.
Und demgemäfs erscheinen die Mitspielenden samt und sonders
im Kostüm der Zeit, nicht des Heiligen, sondern des Künstlers
und seiner nächsten Gemeinde. Wir späten Betrachter können
nur bedauern, dass die Legende fast auschliesslich auf geist-
liche Kreise beschränkt bleibt, deren Tracht nicht nur mit Ein-
förmigkeit, sondern durch die schweren Stoffe auch mit
Sprödigkeit der künstlerischen Behandlung manches Hinde'rniss
bereitete.
Immerhin bieten die vier Ereignisse, die hier vorgeführt
werden, des Interessanten und Bedeutenden genug um die
nähere Prüfung zu belohnen. ') Die Umrahmung des eigentlichen
Reliefbildes, deren jedes also die Breite von drei Arkaden des
Monatscyklus einnimmt, entspricht fast völlig der eigentüm-
lichen Weise von Guidos Kanzelreliefs in Pistoja. Der untere
i) Vergleiche unsere Abbildung nach Alinari's Phot. auf beistehender TafeL
6
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UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO 99
Rand ist als Boden für die Personen senkrecht eingetieft, der
obere jedoch und die Seitenränder haben eine ziemlich breite
Schräge, die, mehr oder minder ausgekehlt, gegen den Relief-
grund läuft und dort wieder senkrecht absetzt, so dass der
Eindruck eines Bilderrahmens entsteht, oder hölzerner Leisten,
die in den Ecken mit scharfem Diagonalschnitt zusammen-
stofsen. So ergiebt sich auf dem schmalen Streifen des Vorder-
grundes nur für eine, höchstens zwei Figurenreihen genügender
Platz, oder richtiger, kann nur die erste Reihe wirklich auf
dem Boden stehen, während tiefer hinten erscheinende nur
konventionell zulässig, hier übrigens selten eingeführt werden.
— Die Gestalten nehmen die ganze Höhe ein, sodass die
gleiche Scheitellinie aller Köpfe vor der oberen Rahmen-
schrägung vortritt, Koptbedeckungen oder Heiligenscheine bis
an den graden Rand sich ausdehnen. — Immer blickt, bei
diesen Beschränkungen der Komposition, der glatte Relief-
grund überall durch, und die Angabe der Oertlichkeit kann
nur durch körperhafte Requisiten angedeutet werden, nirgends
eine Anwandlung zur perspektivischen Entwickelung des
Schauplatzes und malerischer Einbeziehung der Scenerie. In
allen diesen Dingen, welche den strengsten Gesetzen der
Skulptur Genüge leisten, ist der Cyklus aus der Martins-
legende weit sicherer und klarer als die biblischen Geschichten
des Guido da Como. So kann nicht die Abhängigkeit des
Einen vom Andern ausgesprochen werden, dagegen wol um
so bestimmter das Bestehen eines Schulzusammenhangs, der
auch in sonstigen Gewohnheiten sich bemerkbar macht. Er-
klären lässt sich die gemeinsame Besonderheit vielleicht durch
den Hinweis auf den bisherigen Gebrauch, derartige Mauer-
streifen an Chorschranken, Kanzelbrüstungen, Treppengeländern
u. dgl. in regelmäfsige Abschnitte einzuteilen und kassetten-
förmig zu behandeln, sodass die Grundfläche entweder mit ein-
gelegtem Muster, also in Flachornament dekoriert, oder nur zum
Teil, etwa in rosettenartigem Mittelstück, erhaben heraus-
gearbeitet wurde. Denn der Hinweis auf Elfenbeintafeln, wo
allerdings ähnliche Erscheinungen vorkommen, kann insofern
nicht genügen, als der damals gangbare Vorrat mindestens
ebensoviel, wenn nicht überwiegend anders geartete Schnitzereien
enthielt, also eine bewusste und zielsichere Wahl des Künstlers
IOO SANCT MARTIN VON LUCCA
im XIII. Jahrhundert vorausgesetzt werden müsste. Und ausser-
dem geht die Höhe des Reliefs, die wir vor uns haben, viel-
fach über die derjenigen Elfenbeinplatten hinaus, die gerade dann
in Frage kämen. Arme und Beine, Gewandteile und Werkzeuge
sind häufiger noch als in der Monatsreihe ganz rund heraus-
gearbeitet. — Dagegen werden wir schon durch die äussere
Form an die Bildercyklen erinnert, die zu zweien oder dreien
auf einer Blattseite vereinigt, damals wol nur noch in Pergament-
handschriften und vielleicht als Einzelblätter, später gewiss mehr
als wir denken, verbreitet waren.
MARTINUS MONACHVS DEFUNCTUM VIVERE FECIT
heisst die Unterschrift der ersten Darstellung. Rechts erblicken
wir drei Angehörige zu Häupten des Bettes, auf dem der
eben Verblichene, unterm Rücken und unterm Kopf durch
Kissen gestützt, daliegt, bis an die Brust von einer Decke
verhüllt, mit Kamisol und Nachtmütze angetan. Links zu
Füfsen des Lagers eine Gruppe von drei Mönchen, voran
S. Martin, in der einen Hand ein Buch, die Rechte zum Macht-
spruch erhoben. Der Tote schlägt die Augen auf und blickt
ihn an. — Die Komposition ist klar und wirksam zugleich.
Die Gruppe der Mönche in ihren Kutten und Kapuzen, deren
hochstehende Ränder die bärtigen Köpfe umrahmen, die Be-
wegung des Heiligen (dessen rechter Vorderarm leider abge-
brochen ist) muss geradezu grandios genannt werden. Wie
eine geschlossene Macht treten die Klostermänner in das Haus
der zagenden Familie. Das jüngste Mitglied, vielleicht der
Sohn, in vornehmer Tracht, noch mit dem Mantel um die
Schulter, scheint sie gerufen zu haben; er steht hinter der
Bettstatt und weist empfehlend oder bittend, mit etwas unge-
schickter Armbewegung auf den Ausgestreckten hin, indem er
mit dem Rücken der Hand die Decke berührt. Ganz rechts
zu Häupten steht ein stattliches Weib mit üppig langem Haar,
in hochschliessendem Gewände, das ein Gürtel umspannt.
Sie legt die Linke auf das Rückenkissen des Lagers, so ihr
Anrecht als Pflegerin erweisend. (Das Antlitz ist hier wie bei
den Nachbarn zerstofsen, so dass vom Ausdruck nicht die Rede
sein kann.) Als Dritter wird zwischen beiden ein älterer Mann
von echt germanischem Typus sichtbar. Das Haar ist gescheitelt
UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO IOI
und fällt auf beiden Seiten bis zur Kinnhöhe voll herab; ein
starker Schnauzbart und spitz zulaufender Vollbart geben ihm
das Ansehen eines kampfgewohnten Burgherren. Kein Mangel
also an Kontrasten gegen die Mönche.
DE MONACHO PRESUL ES TU MARTINE VOCATUS
lautet die Erklärung der folgenden Scene. Hier ist der heilige
Hilarius der Handelnde und S. Martin der Empfänger. In
vollem Ornat, mit der Mitra auf dem Haupte, den der Nimbus
umgiebt, gefolgt von seinen Geistlichen, deren erster ihm
assistierend seine Hände auf die Seiten legt, während der
zweite ein Buch trägt, ist der Kirchenfürst dahergeschritten
und setzt soeben dem heiligen Martin, der sich demütig vor
ihm neigt, die Bischofsmütze auf das Haupt, als letztes Symbol
des Hirtenamtes, mit dessen sonstigen Abzeichen, sogar dem
Pallium über der Paenula, er schon bekleidet von rechts heran-
getreten ist. (Die Arme sind abgebrochen, müssen aber eben
deshalb ausgearbeitet gewesen sein). Auch ihm assistiert ein
Geistlicher, die Seiten mit flacher Hand berührend, während
zwischen diesem und S. Martin noch ein zweiter mit kurzge-
haltenem Bart, den sonst nur die beiden Bischöfe tragen, viel-
leicht als mönchischer Zeuge hervorsieht. — Der Vorgang legte
dem Künstler durch die ceremonielle Form, die vorgeschriebene
Haltung der Mitwirkenden und die Wiederkehr des nämlichen
Ornats die stärksten Fesseln an. Dennoch hat er Abwechselung
in die gleiche Zahl der beiden Parteien gebracht; und die
Köpfe, die hier besser als anderswo erhalten sind, offenbaren
eine eigentümliche physiognomische Lebendigkeit, besonders
in den wenig beteiligten Geistlichen, die seitwärts zur Um-
gebung hinausschauen.
Nicht viel mehr als getreue Wiedergabe des rituellen
Bildes wie der Künstler es im Dome selber sah, blieb auch in
der folgenden, von diesem Gesichtspunkt aus allerdings hoch-
interessanten, Darstellung übrig:
IGNIS ADEST CAPITI MARTINO SACRA LITANTE.
Die Mitte vorn nimmt der Altar mit reichgeschmücktem Ante-
pendium ein. Auf dem Tische ist nur der Kelch mit der Patena
darauf und das geöffnete Buch sichtbar. Hinter dem Altar
steht, mit dem Antlitz uns zugekehrt, der heilige Bischof im
102 SANCT MARTIN VON I.UCCA
Ornat und erhebt soeben die Hände, deren Innenfläche zeigend.
Auf seinem Scheitel aber erscheint eine lohende Flamme vor
dem Heiligenschein. Zu seiner Linken hält sein langbärtiger
Erzpriester, im Chormantel, die rechte Hand auf dem Text des
Buches, die andere auf dem Rand des Tisches — und neben
diesem harrt der eine Diakon, mit dem Rauchfass. Zur
Rechten des Bischofs warten die beiden andern Diakone mit
Büchern in der Hand, der eine näher, der andere weiterab
vom Altare. Die Nächststehenden allein scheinen das Feuer auf
dem Haupte des Heiligen zu erblicken und staunend zu ihm
hinzusehen. (Nur die Fingerspitzen S. Martins sind abgestofsen
und einzelne Gesichtsteile angegriffen). — Fasst man die Auf-
gabe als einmal gegeben in's Auge, so fordert die Leistung
unbedingte Anerkennung. Die fünf Gestalten sind in ihrer
biederen Wahrheit ein echtes Bild aus der romanischen Kirche,
deren halbrunde Chorapsis mit ein paar gedrungenen Säulen
wir unwillkürlich hinzudenken. Da ist aufrichtige Treue bis an
die Gränze des Bildnisses gewollt und gelungen.
DEMONE VEXATUM SALVAS MARTINE BEATE.
Wie gern sähe man die Wunderkraft des Heiligen sich ge-
legentlich äussern, unerwartet auf seinem Wege, veranlasst
durch den Anblick eines Unglücklichen, unmittelbar eingreifend
mit der hülfreichen Hand des Barmherzigen! Doch auch hier
bannt die kirchliche Abschrift rücksichtslos des Künstlers Er-
findung in Schranken, die das Standesinteresse der Geistlichkeit
hüten. S. Martin wirkt die Heilung des Besessenen, aber nur
als Bischof in pontificalibus, unter Assistenz seines Klerus, d. h.
nach vorgeschriebenem Ritus der Kirche, wie die Priester,
welche das Marmorbild bestellten, auch noch exorcisierten.
Mit dem Bischofsstab in der Hand, mit der Inful auf dem Haupt,
begleitet von zwei Klerikern, deren erster nicht verfehlt, seine
Hände aufzulegen, als ob er mitwirke an der Kraft des Heiligen,
vollzieht Martinus die Austreibung des bösen Geistes, der in Gestalt
eines geflügelten Teufelchens vom Haupt des Kranken entweicht.
Dieser erscheint etwas geknickten Ganges, von einem Diener
gehalten, wie zum letzten Mal von seinen Zufällen geschüttelt,
vor dem Gottesmann. (Die erhobenen Hände sind abgebrochen
wie die segnende Rechte S. Martins, so dass man nicht sagen
kann, ob sie sich krampfend zusammenballten oder krallend
UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO 103
öffneten). Die Tracht ist bezeichnend gewählt. Es ist ein wol-
häbiger Bürger aus der Stadt, vielleicht sogar ein Kaufmann
oder ein Mitglied der Wechslerzunft, die hier in der Vorhalle
des Domes zu Lucca mehr dem Mammon als der Milde huldigte,
sodass eine Inschrift an dieser Wand das alte Gesetz Bischof
Rangers in's Gedächtnis ruft, das sie der Eidesleistung und
einem Gerichtshof unterwarf. Er trägt den langen, bis an die
Knöchel reichenden Rock und eine Kapuze, wie wir die Zeit-
genossen Dantes, die Herren der Handelshäuser und die Vor-
steher der Zünfte vorzustellen gewohnt sind.
Es kann wol kein Zweifel bestehen, dass diese Geschichten
des hl. Martin an künstlerischem Wert über die Leistungen
des Guido Bigarelli zu Pistoja vom Jahre 1250 hinausgehen.
Gewiss kann der Schulzusammenhang nicht geläugnet werden,
der sich schon in dem Zuschnitt der Bildflächen, in den gemein-
samen Grundgesetzen des Reliefstils, wie in mancherlei Ver-
wandschaft der Gewandbehandlung wie der Meissel- und Bohr-
technik genügend ausspricht. Dagegen erscheinen die Historien
Guidos, des ausgereiften, wahrscheinlich schon alternden Meisters
immer noch als Versuche, voll tastender Unsicherheit und
schwankender Ungleichmäfsigkeit, im Vergleich zu diesen sicheren
Gestaltungen einer einfachen, aber klaren Reliefkunst, die ihrer
Ziele ebenso wie ihrer Schranken wol bewusst, den gestellten
Aufgaben gerecht wird. Man denke doch auch hier hinzu, was
sicherlich nicht fehlte und als Ergänzung von vornherein mit in
Rechnung gezogen war, die Bemamng. Da belebt sich sofort
was uns bei dem heutigen Zustand überall die Härte des Steines
fühlbar macht; da gewinnen die glatten Stellen der Oberfläche
scheinbar unvollendete, nur angelegte und vorgearbeitete, oder
vollends in der Andeutung stehengebliebene Partien ihren
wolberechneten Wert als Unterlage des Aufzumalenden. Am
Altar des dritten Reliefs scheint gar das Antependium seine
volle Zier erst durch eingelegte Goldplättchen erhalten zu haben ;
denn die Austiefung der Sternfüllungen ist für lavoro di
commesso in Stein wol allzuflach, nur für dünnes Metallblech
oder farbige Pasta genügend, während das Kreuz in der Mitte
aus rotem Marmor eingelegt worden. Und das Ornat der Bischöfe
wäre gewiss nicht so sauber unterscheidend in allen Teilen ab-
gegränzt, wenn nicht die entsprechende Färbung die getreue
104 SANCT MARTIN VON LUCCA
Wiedergabe vervollständigen sollte. So erklären sich allein
auch manche Besonderheiten der Gewandbehandlung. Im ersten
Bilde sehen wir die Faltengebung des Frauenkleides noch eng
sich an das Vorbild am Tympanon des Hauptportales an-
schliessen. Senkrechte Parallelrillen trennen die Oberfläche der
Beine, die in sich noch sehr ungegliedert, starke Unkenntnis
der weiblichen Formen verraten, und ebensolche Parallellagen,
nur schräg verlaufend, fliessen von der Höhe der Rundung
wieder abwärts. Auch die Bettdecke erinnert deutlich genug
an die "Weise des Guido in der Lagerstatt Marias bei der Geburt
Christi. Fast schematisch über einen Kamm geschoren sind die
Röcke der Geistlichen hinter dem Bischof in der zweiten und
vierten Scene; doch da liegen unüberwindliche Hindernisse, so
lange die Amtstracht gewissenhaft konterfeit werden sollte.
Und diese Schwäche hier wird aufgewogen durch die herrliche
Gruppe der Mönche und die tüchtige Durchbildung des Be-
sessenen mit seinem Wärter. — Endlich darf bei dem Ueber-
blick über die Köpfe, die hier allein die Möglichkeit gewähren
sich von der Künstlerkraft eine Vorstellung zu bilden, wol ohne
Widerspruch behauptet werden, dass hier eine Fülle lebendiger
Charakteristik, ein frisch eroberter Schatz von Naturbeob-
achtung vorliegt, wie ihn damals nur ein genialer Mann er-
werben und verwerten konnte. Das heisst mit kurzen Worten,
wir befinden uns Denkmälern gegenüber, die in jedem Zuge
— in ihren Mängeln wie in ihren Vorzügen — den aufsteigen-
den Fortschritt der Bildnerkunst beurkunden.
Weder der Monatscyklus noch die Martinslegende kann
dem Guido da Como zugeschrieben werden. Beide Werke,
gleichzeitig oder doch im engsten Zusammenhange entstanden,
müssen vielmehr einer jüngeren Künstlergeneration angehören,
welche aus derselben Schule hervorgehend, also wol ebenso
oberitalienischen Stammes wie er, doch auf Grund einer ge-
sunderen und wahrheitstreuen Gesinnung die Natur unbefangener
wiedergeben und die blofse Steinmetzenübung weit hinausführen
auf die Bahn echter Steinkulptur. Es bleibt also nur noch das
Seitenportal neben dem Glockenturm, dessen Schmuck sich dem
des Mitteltores näher anschliessen mochte, zur Betrachtung übrig.
UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO
I05
S. Regulus und die Arianer. Lucca.
„La Porta di San Regolo" enthält wieder sowol am Sturz
block wie im Bogenfelde plastischen Schmuck. 2) Da die Pilaster
der Blendarkaden fast die Höhe des Entlastungsbogens der Tür
erreichen, so bleibt die Kapitellreihe der Halbsäulen und Pfeiler-
ecken der Türeinfassung weit unterhalb der Kapitelle jener
Wandpilaster; es kann also nicht wie beim Hauptportal un-
mittelbarer Anschluss stattfinden. So legt sich an den grofsen
roten Marmorpilaster nicht zunächst eine Halbsäule; sondern
eine Pfeilerecke aus weissem Marmor betont die Selbständig-
keit, und ebenso der äussere Bogenrand darüber. Dann erst
folgen wie beim Haupttor Halbsäule mit Bogenwulst aus
rotem, Pfeilerecke mit Archivolte aus weissem, und wieder
Halbsäule mit Bogenwulst aus rotem Marmor, an welche dann
die eigentlichen Türpfosten mit Sturz Corniche und Entlastungs-
bogen anschliessen. Nur die einspringenden Pfeilerecken und
zugehörigen Bogenränder sind mit einfachen Mustern in einge-
legter Arbeit, weiss in dunkelgrünem Grunde, verziert. Die
ganze Einrahmung ist also schlichter, schmalgliedriger, aber
durch den Farbenkontrast wirksamer als beim Hauptportal, und
gehört der gereinigten, dem Sinne der Frühgotik nicht mehr
allzu fremden Stilrichtung an.
Am Architrav wird uns ein verhängnisvoller Auftritt aus
dem Leben des hl. Regulus geschildert. Auf der linken Seite
erscheint der Bischof selbst in vollem Ornat, begleitet von
seinem Klerus mit Büchern in der Hand und hält die Rechte
lehrend erhoben, in dem er mit der Linken ein grofses Perga-
x) Vgl. unsere Abbildungen nach Phot. Alinaris.
IOÖ SANCT MARTIN VON LUCCA
mentblatt darreicht. Auf der rechten Seite drängt sich in
Ueberzahl eine Schaar von Laien heran. In feinfaltigen, bis
über die Knie reichenden Röcken und weichen Mänteln, deren
Ende auf der rechten Achsel befestigt ist, zum Teil mit einem
kurzen Spiess auf der Schulter, haben sie ein kriegerisches
Aussehen. Doch der Rädelsführer an ihrer Spitze, ein junger
Mann, der nur durch ein rundes Käppchen und wallende Locken
ausgezeichnet ist, trägt ebenso ein Pergament in der Linken,
indem die Gebärde der Rechten seine Rede begleitet. Man
denkt zunächst, es handle sich um Austausch irgend welcher
Urkunden zwischen Geistlichkeit und Adel oder gar um einen
diplomatischen Notenwechsel zwischen dem Kirchenhaupt und
den Herren des Landes. Auf beiden Blättern ist jedoch die
Schrift sorgfältig ausgeführt und mit bewaffnetem Auge noch
heute lesbar:
N( )S ARIANI DICIMUS FILIUM DEI INITIVM IN
DIVINITATE ABUISSE
sagt die des jungen Führers;
EGO REGULUS ASSERO SEMPER FUISSE DEUM
PATREM ET FILIUM ET SPIRITUM SANCTUM
antwortet der Bischof im Sinne römischer Lehre. Die beige-
schriebenen Worte enthalten also die eigentliche Hauptsache:
der orthodoxe Bischof in Konflikt mit dem arianischen Volke.
Die geistlichen Besteller wollten die dogmatische Differenz der
Lehre betonen, ohne zu bedenken, dass dergleichen von der
Bildnerkunst zu heischen nur so viel heisst, als die Kunst lahm
legen und das Bild in eine Region verweisen, wo nur der Be-
griff regiert. So würde die Komposition des Künstlers ohne
seine treue Durchbildung der Trachten auch ohne Interesse bleiben;
denn das Auge des gewöhnlichen Beschauers ist nicht einmal im
Stande, die dogmatischen Formeln zu lesen und so die Er-
klärung" des Vorgangs zu gewinnen. Nur die Verschiebung der
Caesur, das Uebergewicht der Masse rechts lässt uns ahnen
dass die Gewalt entscheidend wird, und dass gegen kriegerische
Waffen das geistliche Gewand nicht schützt. Diese Herren des
Landes treten selbstbewusst und entschieden auf gegen den
Vertreter des römischen Kirchentums, das ihnen fremd ist, und
UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO 107
der letzte dieser Schaar, der einzige Bärtige unter ihnen, mit
einem turbanähnlichen Kopftuch, wirkt wie ein finsteres Drohen.
Der Meister hat Alles versucht, was bei einem Silbenstecher-
streit, wo nicht einmal lebhaft disputiert und peroriert werden
sollte, irgend möglich blieb. Die Gestalten bewahren vor-
nehme Ruhe; auch die „Barbaren" benehmen sich keines-
wegs ungebärdig. Alles Leben wird in die Köpfe koncentriert,
deren Gesichter mit überraschender Feinheit gegeben sind, —
eine Leistung die bei Figürchen von ungefähr zweiundsechzig
Centimeter Normalhöhe immerhin beachtenswert scheint. —
(Nur der Kopf des dritten Vandalen ist zur Hälfte abgebrochen,
das Uebrige wol erhalten.)
Das Relief ist flacher als das der Martinslegende und des
Monatscyklus und steht insofern dem Architrav des Haupt-
portales näher. Die technische Behandlung aber und die Typen
der Köpfe erinnern hier und da ganz überraschend an die
Kanzelreliefs des Guido da Como zu Pistoja. Die drei Geist-
lichen besonders, welche S. Regulus begleiten, sehen den
jungen Aposteln hinter Paulus am Epistellettner daselbst
sprechend ähnlich. Ihre Köpfe haben den selben mehr rund-
lichen als ovalen Umriss mit grofser Breite der Schädelbasis
und weitem Abstand der Augenbrauen. Doch wird die Lage
der Augen, mit Nase und Mund nah zusammengehalten; so
tritt das Kinn scharf hervor, die Wangen, nicht eben voll,
bieten doch eine freie Fläche, und die Stirn, vom einfallenden
Haare halb verdeckt, erscheint doch geräumig und hoch. Die
Kugelform der Hirnschale plattet sich oben etwas ab und wird
von reichem, aber kurzgehaltenem Haarwuchs umhüllt. Für
den Ausdruck ist neben den grofsen Augen, der leisen Blähung
der Nüstern besonders die Zusammenpressung der Lippen
charakteristisch, welche der jugendlichen Offenheit der Züge
doch eine herbere Klugheit beimischt. Diesen jungen Diakonen
des Bischofs sind noch die drei mittleren Arianer verwandt.
Hier nähert sich die Behandlung des lockigeren oder wulstigeren
Haares in der Abteilung mit gebohrten Linien und der Zu-
sammenballung der Masse an den Enden sogar noch mehr der
persönlichen Manier des Guido Bigarelli.
Darnach könnte man versucht sein, dies Relief am Regulus-
portal als eine besonders sorgfältige und gediegene Arbeit
108 SANCT MARTIN VON LUCCA
seiner Hand zu betrachten, und würde darin durch den Hin-
blick auf die Statue S. Michaels als Drachentöter zu Pistoja,
welche die selben Vorzüge besitzt, nur befestigt. Indess die
übrigen Bestandteile der Disputa gegen die Arianer lassen
sich mit dem Wesen des Comasken, dessen Kunstvermögen
die Kanzel von S. Bartolommeo im Verein mit dem Haupt-
portal von S. Martino doch erschöpfend kennen lehrt, durchaus
nicht vereinigen, selbst wenn man eine letzte Vollendung nach
1250 annehmen wollte. Ein unmittelbarer Anschluss an die
Skulpturen der Mitteltür, wie er aus örtlichen wie zeitlichen
Gründen wahrscheinlicher wäre, ist vollends undenkbar. Hier
ist trotz aller Uebereinstimmung in der Gewandung und Falten-
gebung doch ein weit reinerer und mehr einheitlich durchgebildeter
Geschmack, eine sichere Eleganz und Richtigkeit der Verhält-
nisse, wie sie Guido da Como nirgends bewährt, wo er mehrere
Figuren in einer Darstellung vereinigen soll. Man vergleiche
nur diese zehn Gestalten des Regulusreliefs, ihre klare und
doch nicht steife Aufreihung gegenüber dem Figurengeschiebe
bei der Erscheinung des Auferstandenen an der Kanzel zu
Pistoja. Ausserdem ist der Typus der übrigen Köpfe völlig
abweichend, der Gesichterschnitt und der Ausdruck viel zu
fein, als dass wir ihn dem älteren Marmorarius zutrauen dürften.
Ebenso bezeugt der Vortrag der Gestalten, wie gerade der
Fortschritt in füessender Gewandbehandlung von dem anti-
kisierenden Bemühen des Guido aus, dass wir es mit einem
jüngeren Künstler zu tun haben, den wir uns wol als tüchtigen,
vielleicht schon überlegenen Gehülfen bei der Kanzel in Pistoja
beteiligt denken könnten. Wäre dort z. B. der Epistellettner
und etwa die Geschichte von Emaus sein Werk, so hätten wir
die Vorstufe für seine Entwicklung bezeichnet, die hier im
eigneren Sinne sich fortsetzt.
Jedenfalls unterscheidet sich dieser Künstler deutlich genug
von dem derberen Zug der Martinslegende eben durch den
Anschluss an die Bestrebungen Guidos vom Geschmack der
Antike zu lernen. Dagegen bricht im Relief des Tympanon
darüber, so einfach es ist, ein eigenartiges Gefühl entschieden
durch. Diese Lünette enthält nur zwei Figuren: den heiligen
Bischof, der in vollem Ornat und mit gefalteten Händen sein
Haupt mit der Mitra demütig neigt, und den Henkersknecht,
UNTER BELNATO UND ALDIBRANDO
109
Enthauptung des hl. Regulus. Lucca.
der in gewohntem Kittel barhaupt ihm gegenüber steht, mit
der Linken noch die Scheide des kurzen Schwertes packt, das
er soeben hervorgezogen, und mit der Rechten den Streich
in den Hals des Bischofs führt, so dass er vornüber taumelt.
Ein einsames Pflänzlein, das an dem kräftigen Stengel soeben
erst das vierte Blatt entfaltet, wächst hinter dem Scharfrichter
aus dem Boden, als handle es sich um eine Wunderblume,
die aus dem Blut des Märtyrers ehtspriesse. Kein Befehls-
haber, der das Zeichen giebt, keine Leibwache, keine Zuschauer
bei dem Gewaltakt. War die Schmalheit des verfügbaren
Raumes, d. h. die einfigurige Tiefe des gewohnten Reliefs,
die einzige Ursache dieser Entsagung, oder sollen wir auch
hier ein bestimmendes Vorbild vermuten? Die Gestalt des
Soldaten, deren Haltung uns etwas befremdet, weil er mehr
zu schneiden als zu hauen scheint, giebt doch gewiss die Augen-
blicksbewegung wieder, wie der Bildner sie bei der Hand-
habung des kurzen Schwertes gesehen hatte. (An dem Ellen-
bogen der Linken ist etwas abgestofsen, sonst die Erhaltung
gut.) Ebenso tritt in der Darstellung des vorgebeugten und
nun gar stürzenden Bischofs zum ersten Mal die bewusste
Klarlegung der entscheidenden Gliedmafsen unter der Ge-
wandung auf, ja, der durchgehenden Beugung des Körpers
zuliebe fällt die Casula mit dem Pallium wol nicht soweit
vornüber, wie sie es in Wirklichkeit würde. Man ruft sich
IIO SANCT MARTIN* VON LUCCA
bei dieser Erscheinung unwillkürlich die Geschichte von Kain
und Abel an den Erztüren Bernwards von Hildesheim, wo der
Getroffene in weit übertriebener Heftigkeit kopfüber purzelt,
wie einen fernen Ausgangspunkt in's Gedächtnis. Die Haltung
des Schergen mit dem damals üblichen kurzen Schwert und
die des Bischofs, der nicht niederkniet den Streich zu empfangen,
spricht wol gleichermafsen dafür, dass wir es mit einer eigenen
Komposition des Bildhauers zu tun haben ■ ), die in ihrer
Schlichtheit und Lockerheit, welche um Raumfüllung und
Symmetrie sich wenig kümmert, allerdings in dem auffallend-
sten Gegensatz steht zu dem Tympanon des andern Seiten-
portals mit der Abnahme Christi vom Kreuz, die uns sogleich
beschäftigen muss. Schlagender kann nicht bewiesen werden,
dass hier eine völlig andere, vom Norden hereingedrungene
Richtung hervortritt, als deren Vermittler wenigstens, wenn
auch nicht sicher als einzige Träger, noch immer die Magistri
Comacini betrachtet werden müssen.
Damit aberhaben wir auch den Ueberblick über die Skulpturen
der Vorhalle von S. Martin vollendet, deren Charakter sie einiger-
mafsen als zusammenhängend erscheinen lässt. Keinem Betrachter
wird die Tatsache entgehen, dass der bildnerische Schmuck des
Seitenportals links, der sich gleichartig anfügen und das Ganze
abschliessen sollte, einer völlig anderen Kunstweise angehört.
Hatten wir, von der Inschrift des Belenat und Aldibrand
ausgehend, die Entstehung des Monatscyklus und der Martins-
legende nach 1233 anzusetzen, so kamen wir durch technische
und stilistische Merkmale bei dem Architrav der Regulustür
schon auf die Zeit um 1250, ja vielleicht nach diesem Datum der
Kanzel von S. Bartolommeo in Pistoja. Die Bildwerke an
der „Porta del Volto Santo" hätten uns über den Endtermin
zu belehren, wann die Innendekoration der Vorhalle mit dem
noch fehlenden Schmuck an Architrav und Tympanon dieser
dritten Tür ihren Abschluss fand.
1 ) Das Malerbuch vom Berge Athos schreibt z. B. für die Enthauptung des
Paulus vor: ..Paulus kniet und hat seine Augen mit einem Tuche verbunden. Und
über ihm der Scharfricftter, das Schwert haltend; und andere Soldaten rundum, und
1 in wenig weiter eine einäugige Frau (Plautilla), welche auf Paulus schaut."' (Ueber
Setzung von G. Schäfer, S. 349)
N. Pisano. Anbetung der Könige. Lucca,
VI
Niccolö Pisano
Die Entstehungszeit der Marmorreliefs am linken Seitenportal
der Vorhalle von S. Martino in Lucca ist der Gegen-
stand einer neuen Streitfrage. Gerade über den Charakter der
Arbeit selbst sind die Meinungen der besten Forscher so ge-
teilt, dass man woltut sich nach andern Mitteln und Wegen
umzuschauen, mit deren Hülfe vielleicht doch eine Entscheidung
herbeigeführt werden kann. Dies wird zur gröfseren Sicher-
heit selbst dann noch ratsam erscheinen, wenn man, wie wir,
überzeugt ist, dass eig-entlich das Werk allein, sogar in seinem
arg zerstörten Zustande noch hinreicht, die Einfügung in die
fest datierte Denkmälerreihe, in die es gehört, durchaus be-
friedigend zu vollziehen.
Unsere bisherige Betrachtung hat der chronologischen
Sicherung unserer Schritte auch für diesen Gang schon vor-
gearbeitet. Es muss auch für den, der früher lautgewordene
Bedenken noch nicht hören wollen, jetzt klar sein, dass die
Inschrift von 1233 nicht auch auf das linke Portal bezogen
werden darf, ebensowenig wie auf das Regumstor, dessen alter-
tümlicheres Aussehen man so gegensätzlich hervorhebt. Die
Skulpturen hier enthielten für uns sogar sichere Merkmale, dass
sie um 1250, ja erst nach diesem Datum der Kanzel des Guido
da Como zu Pistoja entstanden seien, — und somit wäre der
112 SANCT MARTIN VON LUCCA
einen der gegenüberstehenden Meinungen, der noch immer die
Jahreszahl des Amtsantritts der Operarii Belenatus und Aldi-
brandus vorschwebt, eigentlich schon jeder Anhalt entzogen.
Jedenfalls wundern wir uns nicht, in der Baugeschichte des
Domes von Lucca weitere Indicien zu finden, die mit unserer
Rechnung im besten Einklang stehen und uns wie in fort-
laufendem Zusammenhang weiterführen, — so spärlich sie auch
bei emsigster Durchforschung der Archive zum Vorschein ge-
kommen, und so unbestimmt sie gerade in kunstgeschichtlicher
Rücksicht sich aussprechen mögen.
Das erste Zeugnis für die wichtige Tatsache, dass die
Bautätigkeit der Domopera zu andern Teilen der Kirche über-
geht, ist ein Beschluss vom Jahre 1261 (14 Kai. Aprilis), welcher
„pro reformatione et reparatione Campanilis ecclesie S. Martini
Lucani" Sorge trägt. ') Jedenfalls ist bei der Instruktion des
1274 neu erwählten Operajo Maggiore, Magister Janni da Como
nur vom Bau des Kirchendaches, des Campanile, dessen eine
Glocke unter Magister Johannes 1277 gegossen ward, und von
Holzarbeiten die Rede 2), nicht mehr von der Vorhalle oder
dem Fassadenschmuck überhaupt.
Der Beschluss des Jahres 1261, an die Herstellung und
Erneuerung des Glockenturms zu gehen, dessen beide oberen
Drittel noch völlig im romanischen Stil erbaut sind, und die
Abordnung eines Priesters der Kathedrale für die Sorge um
dieses Unternehmen bedeutet doch wol den Abschluss auf der
einen und den Anfang auf der anderen Seite. Denn ein solcher
Schritt zu einem neuen kostspieligen und langwierigen Werke
war keine Kleinigkeit. Wir dürfen voraussetzen, dass bei dieser
entschiedenen Wendung, die Domopera nun beim Turmbau in
Tätigkeit zu setzen, der plastische Schmuck der Domportale
bereits bezahlt war, oder doch kontraktlich gesichert in festen
Händen lag. Kommt es auf Jahr und Tag auch nicht genau
an, da jener Beschluss nicht das Einsetzen der Arbeit bei dem
Neubau wirklich garantiert, so darf doch der äusserste Termin
für die Entstehung der Skulpturen in der Vorhalle des Domes
5) Aus den 1694 gesammelten Memorie di Matteo Barsotti im Mscr. Cia-
nellis in der Bibliothek zu Lucca, mitgeteilt bei Ridolfi, a. a. O. p. 24, wo jedoch
ies Datum nicht so verwertet wird, wie wir es versuchen.
2) Ridolti, a. a. O. p. 20. Anmkg.
NICCOLÖ PISANO I I 3
ungefähr dreissig Jahre nach der Inschrift des Belenat und
Aldibrand von 1233 angesetzt werden.
Diese Zeitbestimmung „um 1263" trifft nun zunächst die
Marmorreliefs am linken Seitenportal, das nach dem Heilig-
tum im Innern, auf das es zuführt, den Beinamen „del Volto
Santo" empfieng; denn dass diese beiden Darstellungen als
die zeitlich letzten Zutaten in dem gesamten Schmuck der
Eingangswand betrachtet werden müssen, darüber sind alle
Stimmen einig. In Beziehung auf das hochverehrte Bildniss
des gekreuzigten Jesus von Nazareth enthält das Tympanon
die Abnahme Christi vom Kreuz und der Türsturz darunter
eine figurenreiche Erzählung, welche als Hauptmomente die Ge-
burt Christi und die Anbetung der Könige vereinigt. Schon
Vasari schreibt sie an zwei Stellen, einmal im Proemio delle
Vite Cap. XV. und dann in der Biographie selbst dem Niccolö
Pisano zu, dessen früheste sicher datierte Arbeit, die Kanzel
des Baptisteriums zu Pisa, 1260 entstand, und die neueste
Forschung hat wenigstens die Kreuzabnahme mit steigender
Anerkennung beurteilt, wenn die verstümmelten und mit dunklem
Anstrich überschmierten, zum Teil wieder zurechtgeflickten
Figuren auch nur dem sorgfältig ergänzenden Auge des Be-
trachters noch den vollen Genuss des Meisterwerkes gewähren.
Unsicher dagegen steht noch immer die Entscheidung, ob
dem Zeugnis Vasaris in der Zuweisung an Niccolö Pisano selbst
zu folgen sei, oder ob man nur ein Schulwerk zu erkennen
habe. Und diese Verschiedenheit der Ansichten erstreckt sich
dann weiter auf das Urteil ob hier die Jugendarbeit eines
Künstlers oder vielmehr die reifste Frucht einer längeren Ent-
wicklung vorliege.
Ernst Förster hält auch in seiner Geschichte der italienischen
Kunst (Bd. IL S. 108. Leipzig 1870) an der Jahreszahl 1233
fest und sieht in den Reliefs ein Jugendwerk des Niccolö Pisano
selber. Auch Lübke ist in der dritten Auflage seiner Geschichte
der Plastik (1880, Bd. IL S. 554, vgl. besonders die An-
merkung S. 556) dieser Erklärung treu geblieben. Crowe und
Cavalcaselle dagegen Hessen (186g, Gesch. d. ital. Malerei,
Deutsche Ausgabe I, p. 144) die Frage schweben, ob diese
Kreuzabnahme ,,ein Werk des eigenen Meisseis von Niccolö
und Giovanni Pisano, oder ihrer Schule sei," — dachten indess
Italienische Forschungen I. "
I 1 4 SANCT MARTIN VON LUCCA
jedenfalls an die spätere Zeit im Leben Niccolö's, wo der
Brunnen von Perugia als eine solche gemeinsame Arbeit von
Vater und Sohn entstand. Schnaase wiederum fasst sie als
Jugendwerk, will jedoch die ganze Angelegenheit noch als
offene, der künftigen Forschung vorbehalten (1870. Ztschr. f.
bild. Kunst. V. S. 97 ff.) Hans Semper erklärte sich (1871,
Ztschr. f. bild. Kst. VI. 365) für den Schüler Niccolos, Fra
Guglielmo dAgnello, mit dessen Kanzel in Pistoja und dessen
Anteil an der Area di San Domenico zu Bologna die Arbeit
genauestens übereinstimme. Sorgfältig und eingehend erörtert
Eduard Dobbert sodann in seiner Abhandlung über den Styl
Niccolö Pisano's und dessen Ursprung (München 1873. S. 62 ff)
die abweichenden Ansichten. Er glaubt die Kreuzabnahme
„einer späteren Zeit und zwar der Schule Niccolö's zuschreiben
zu müssen," erhebt aber Bedenken gegen die Behauptung, dass
das Relief am Türsturz mit Geburt und Anbetung aus der
selben Hand hervorgegangen sein müsse. Und diesen Stand-
punkt bewahrt er auch (1878) in seinem Aufsatz „Die Pisani"
(in Seemanns Kunst und Künstlern III, p. 30), wenn er aus-
spricht: das Luccheser Relief sei wol geeignet des Meisters
Kunsttätigkeit in glänzender Weise abzuschliessen, aber Niccolö's
Anteil daran stehe trotz Vasari nicht fest; vielleicht stamme es
erst aus seiner Schule. — Endlich ist dann der Cicerone von
Jacob Burckhardt und Wilhelm Bode wenigstens in der vierten
Auflage (1879) und ebenso in der fünften (1884) mit Entschieden-
heit für Niccolö Pisano als Urheber beider Teile eingetreten,
indem er sie auch zeitlich mit der Kanzel in Pisa in nächste
Beziehung setzt. Wir kommen auf seine Worte weiterhin
zurück.
Zunächst sei es gestattet, auf die Stelle bei Vasari, die
man bezweifeln zu dürfen glaubt, einen prüfenden Blick zu
werfen. Denn sie ist offenbar in einer verderbten Lesung über-
liefert, die, so unverbessert weitergeführt, allerdings den Sinn
sehr „confus" erscheinen lässt. Ihre ursprüngliche, vollkommen
klare Fassung ist um so leichter mit den vorhandenen Stücken
wieder einzurenken, als nur ein zufälliges Missgeschick beim
Druck den bisher beibehaltenen Zustand veranlasst haben mag.
„Niecola, il quäle fu non meno eccellente scultore che archi-
tettore" — schrieb Vasari — „fece nella facciata della chiesa di
NICCOLO PISANO 115
San Martino in Lucca, sotto il portico la porta minore, che e
a man manca entrando in chiesa, dove si vede un Cristo deposto
di croce sopra una storia di marmo in mezzo rilievo tutta piena
di figure, fatte con molta diligenza".1) Unsere Emandation be-
seitigt nicht allein die sinnlose Ortsbeschreibung „unter dem
Porticus, der sich über der kleineren Tür zur Linken des Ein-
tretenden befindet," sondern auch die Unsicherheit, ob Vasari
nur die Kreuzabnahme demNiccolö zuschreibe und diesTympanon
eine „storia piena di figure" nenne, oder ob er die Kreuzab-
nahme nur zur näheren Ortsbezeichnung erwähne und eigentlich
das Architravrelief meine, auf das seine Bezeichnung „storia
di marmo in mezzo relievo tutta piena di figure" treffend passt,
als Xiccolös Arbeit im Auge habe. Nach der einfachen Aus-
hebung der störenden "Worte „che e sopra" und ihrer getrennten
Einsetzung an die Stellen, wohin sie gehören, ergiebt sich, dass
Vasari mit genauester Bestimmung der Oertlichkeit sowol
Tympanon wie Architrav als Werke Niccolös nennt, nur das
erstere nach dem Gegenstand der Darstellung bezeichnet, das
andere Stück, dessen Gegenstand kaum einheitlich zu fassen
ist, da es Verkündigung, Geburt, Anbetung der Hirten und An-
betung der Könige in einem Bilde erzählt, nach seiner Kompo-
sitionsweise beschreibt, die einem Künstler, auch gerade im
Gegensatz zu den Nachbarwerken, am meisten auffallen musste.
Darnach bleibt wol kein Anlass mehr, Vasaris Zeugniss zu
verdächtigen. An Deutlichkeit lässt es nichts zu wünschen
übrig. — Wenn er dann fortfährt: „avendo traforato il marmo
e finito il tutto di maniera, che diede speranza a coloro che
prima facevano l'arte con stento grandissimo, che tosto doveva
venire chi le porgerebbe con piü facilitä migliore ajuto," — so
könnte dieser historische Ausblick wol eher wie eine seiner be-
liebten, nur füllenden Phrasen erscheinen. Gerade sie aber hat
die Fassung des hoch gesteigerten Lobes bei Crowe und Caval-
caselle beeinflusst, wo die unpersönliche Beziehung zu Dem, der
da kommen soll, zu einer wirklichen Prophezeihung ex eventu
wird: „Die Kreuzabnahme in S. Martino zu Lucca bezeichnet
eine Höhe der Kunst, die nur Michelangelos wartete, um zur
J) Die gewöhnliche Lesung lautet: Sotto il portico che e sopra la porta minore
a man manca entrando in chiesa, dove si vede un Cristo deposto di croce, una
storia di marmo in mezzo rilievo, tutta piena di figure. •'
Il6 SAXCT MARTIN VON LUCCA
Vollendung zu reifen.'- Doch dies geistreiche Zusammengreifen
so weit von einander getrennter Erscheinungen in dem Verlauf
einer ruhig fortschreitenden Entwickelung kann auf der andern
Seite auch wol irre führen. Darnach wären am Ende die zwei
Jahrhunderte, die zwischen dem Tode des Xiccolö Pisano und
der Geburt des Michel Angelo in's Land giengen, für die Skulptur
Toskanas nichts gewesen als Hoffen und Harren.
Für den Historiker sind sie eine glänzende Periode unaus-
gesetzter Arbeit und Schritt um Schritt sich drängender Erfolge
gerade in dem praktischen Sinne, den Vasari als Künstler im
Auge hat. Und mag er mit dem „bald Kommenden, der den
mühsamen Arbeitern mit gröfserer Leichtigkeit als Xiccolö noch
bessere Hülfe leistete," den Giovanni Pisano gemeint oder an
gar keinen bestimmten Meister gedacht haben, — wir werden
wol tun, ihm abzugewinnen soviel er irgend bei gewissenhafter
Prüfung uns lehren kann.
Was in Xiccolö Pisanos Relief die Bewunderung am meisten
erregte, war also die starke Bearbeitung des Marmors, die kühne
Bohrung und Aushöhlung des Steines, wie die Einbeziehung
des Einzelnen, die Durchführung des Teilwerks; aber es war
noch keine Leichtigkeit des Schaffens, nicht die klare Freiheit
des Gestaltens, sondern noch sichtliche Anstrengung in dem
Formen des Vielen, ein peinliches Drängen in der Bewältigung
des Stoffes. Gewiss muss auch uns noch, im Vergleich zu den
eben betrachteten Beispielen einer lebendig fortschreitenden
Bildnergeneration in Lucca, an dem "Werke des Pisaners zuerst
die Fülle des Reichtums auffallen, aber auch bald bemerklich
werden, dass sie nicht immer organisch wachsend aus natürlicher
Schöpferkraft hervorquillt, sondern vielfach nichts anderes ist
als ein Zusammenschieben ohne Klarheit — ein gewaltsames
Ringen mit dem Stoff, noch keine freie Herrschaft.
In dieser Hinsicht freilich stehen die beiden Reliefs an der
linken Seitentür auffallend genug einander gegenüber. Das
Eine scheint gewachsen wie ein organisches Gebilde, das andere
ein Geschiebe, wo sich deutlich verschiedenartige Schichten
durchdringen. Daran liegt es wol hauptsächlich, dass ein Gefühl
vorwaltet, als seien beide Stücke wol kaum unter einen Künstler-
namen vereinbar.
NICCOLO PISANO 1 1 7
Jjetrachten wir zunächst das untere, da es für die genaue
Bestimmung der Entstehungszeit unzweifelhafter entscheiden
muss, als das obere, dessen Darstellung sich in den übrigen
Werken nicht so wiederholt wie die hier vereinigten Scenen.
Allerdings hat sich die kühne Bearbeitung des carrarischen
Marmors an diesem Architrav verhängnissvoll erwiesen; denn
er ist so zerstört, dass man, wie Förster meinte, auf eine nähere
Untersuchung nicht eingehen kann. Mit wenigen Ausnahmen
fehlt den Figuren entweder der Kopf ganz oder doch der gröfste
Teil des Gesichtes, und dazu vielfach noch eine Hand, ein Arm
oder der Gegenstand, den sie trugen. Dennoch kann uns die
Komposition des Ganzen, die Abwandlung der einzelnen Momente
im "Vergleich zu ihrer früheren oder späteren Fassung, die Ge-
staltenbildung, die Ausdrucksweise durch Gebärden und die
Gewandbehandlung immerhin noch mancherlei Aufschluss geben.
„Trotz der schlechten Erhaltung, sagt der Cicerone, erkennt
man sofort die fast bis ins Detail zu verfolgende Ueberein-
stimmung mit den betreffenden Darstellungen der Kanzel zu
Pisa."
Die Erzählung beginnt mit dem Grufs des Engels, also wie
an der Kanzel zu Pisa. Gabriel steht zuäusserst links in ähn-
licher Haltung wie dort, aber bis an die Füfse sichtbar. Der
erhobene rechte Arm und der Kopf sind abgebrochen. Die
linke Hand greift in die Falten des Mantels, sie emporzuraffen.
Der wehende Zipfel hinten unter dem Fittig ist nicht so vor-
stehend, also die unmotivierte Draperie vermieden. Dagegen
entfaltet sich das rechte Bein klar vortretend unter dem Mantel,
und die Bogenfalten, die von der linken Schulter zur linken
Hand läuft, fällt tiefer herab, so dass die Gurtung der Tunica
frei liegt. Schon diese Gestalt bedeutet einen gewaltigen Fort-
schritt über die Vorstufe hinaus, und zwar im Sinne echt plasti-
scher Wiedergabe des Körpers. Auch Maria geht von der
gleichen Figur in Pisa aus, aber auch sie ist an der Seite von
störender Nachbarschaft befreit, so dass sie in ganzer Breite ge-
sehen wird. Sie legt die rechte Hand ganz ähnlich auf die
Brust; aber der Ellenbogen schiebt sich nicht so eckig heraus,
zieht das Schleiertuch nicht zu harter Falte wie dort, sondern
lässt auch den Oberarm sich deutlich runden, und die sprechende
I 18 SANCT .MARTIN VON LUCCA
Bedeutung des Gestus erstreckt sich bis in die Finger der Hand,
die sich fester andrückt. Die Linke hält nicht steif die Spindel,
das altüberkommene Werkzeug, sondern wird benutzt, die herab-
sinkende Masse des Mantels in den Arm zu nehmen, und so
wirkt auch diese Seite vollberechtigt mit. In der Mitte vor
diesem Paar sitzt Joseph, die Rechte auf's Knie legend, den
Ellenbogen der Linken darauf stützend, so dass die Hand in
den Bart griff. Der jetzt nicht mehr vorhandene Kopf war
also geneigt, nicht zurückgebogen und aufwärts blickend ge-
geben wie in der Figur in Pisa, deren Unterkörper sonst über-
einstimmt. Neben ihm folgt die Gruppe der beiden Frauen, die
das Kind baden, in den Hauptsachen genau so wie dort; doch
ist sowol das Kind, wie der Wasserkrug, nebst den Händen und
Köpfen der Weiber hier weggebrochen, so dass ein weiteres Ein-
gehen unmöglich wird. Drei Schäfchen und Ziegen füllen in freierer
Bewegung den Vordergrund vor dem Lager Marias, das weiter
nach rechts verschoben, für die zweite Hälfte der Komposition
den Zielpunkt aller Bewegungen bilden soll; denn neben ihr
steht die Krippe mit dem neugeborenen Königskind, in Windeln
eingewickelt, darinnen. Deshalb liegt die Gebärerin nicht wie
auf dem Kanzelrelief des Battistero in olympischer Ruhe aus-
gestreckt, fast teilnahmlos träumend mit dem junonischen Auge,
— sondern sie greift handelnd ein. Ganz ähnlich gelagert, auf
dem rechten Ellenbogen aufgestützt, den Oberkörper empor-
richtend, lässt sie den andern Arm nicht auf dem Leibe ruhen,
sondern erhebt ihn nach links herum, das Schleiertuch vom
Kopf des Kindes zu lüften, damit die Verehrer, die sich her-
zudrängen, es erschauen. So bewegt sich natürlich ihr ganzer
Körper ein wenig mit, besonders die Beine sind mehr herauf-
gezogen, die Knie sondern sich unter der deckenden Hülle und
die Form der Glieder tritt lebendig aus der vorhin noch lang-
weilig daliegenden Faltenmasse. Sehr viel besser sind auch
die Hände mit dem feiner durchgebildeten Gelenk. Die ganze
Gestalt hat selbst im Ausruhen hier Leben und Beziehung ge-
wonnen. In dieser Hinsicht verdient sie sogar den Vorzug vor
der Maria in Siena, die sich im Interesse einer freundlichen
Empfindung zu der Badescene herumkehrt, das Wickelkind in
der Krippe jedoch der Ehrfurcht von Ochs und Esel oder dem
Schutz der Engel überlässt. Hier in Lucca halten sich die
NICCOLO PISANO HO
Tiere bescheiden zurück, und die Himmelsboten leiten die
Hirten zur Verehrung an. Zu den Füfsen Marias liegt wie in
Pisa auch hier das Hündchen, das in Siena fehlt.
Von rechts her nahen die drei Könige mit ihrem Gefolge.
Die beiden älteren knieen, der jüngste steht in der Mitte hinter
beiden. Es ist also die Gruppe auf dem zweiten Relief in Pisa
hier verwertet, nur in entgegengesetzter Richtung nach links
gekehrt. Ausserdem haben die beiden Knieenden mehr Platz,
bleiben hinter einander und legen sich in freierer Profilbewegung
aus, während ihr Königsmantel breiter und fliessender von den
Schultern über das Bein fällt. Auch hier sind Vorteile gegen
die eckigen Faltenlagen und Parallelzüge der Pisaner Kanzel
gewonnen. Leider entzieht uns die Zerstörung manche Einzel-
heiten; nur ist beachtenswert, dass der stehende König im
Begriff ist das darzubringende Gefäfs zu öffnen, — eine an-
scheinend unwichtige Kleinigkeit, doch ein Bewegungsmotiv für
den bildenden Künstler, das z. B. an der Kanzel von S. Giovanni
fuorcivitas zu Pistoja schon hastiger bei zweien ausgebeutet
ist. Den Abschluss bildet das Gefolge, das schlagend wiederum
die Entwickelungsstufe charakterisiert, auf der wir uns hier in
Lucca befinden. In Pisa sind nur die Pferde dargestellt, deren
Vorderkörper allein in den Rahmen hereinragen. In Lucca
sind zwei Diener hinzugekommen. Der erste drängt sich neu-
gierig herüberschauend hinter dem jüngsten König; der andere
hält das mittlere der Pferde, hebt sich aber in der oberen
Ecke des Reliefs so weit sichtbar heraus, dass man meinen
könnte, er sitze derweil im Sattel seines Herrn, um die Scene
frei zu überschauen. Die Rosse selbst sind feiner gebildet
lebendiger bewegt als in Pisa, aber nicht so klassisch schön
und grofsartig wie dort. Das vorderste ist bis an den Leib
gurt sichtbar und senkt das Haupt (das jetzt abgebrochen ist)
das zweite bewegt sich unruhiger unter dem drauf hockenden
Stallknecht, das dritte neigt den Kopf unter dem hochge.
bogenen Halse vor, so dass wir an die giraffenartigen Pferde-
bildungen gewisser Maler des XVI. Jahrhunderts erinnert
werden. — An der Kanzel in Siena wird aus dieser genre-
haften Gruppe des Gefolges eine eigene, vom Hauptvorgang
abgezweigte Schilderung des Reiterzuges mit Kamelen,
Hunden und munterer Dienerschaft. Wir merken also an
120 SANCT MARTIN VON LUCCA
jedem Punkt, dass die Fassung der einzelnen Momente die
Mitte hält zwischen der früheren zu Pisa und der späteren zu
Siena. Für die Ausführung der Kanzel im Sieneser Dom ward
aber am 29. September 1265 der Kontrakt mit Niccolö Pisano
geschlossen, während der Meister gleichzeitig an der Area di
San Domenico für Bologna beschäftigt war, und ihre Vollen-
dung verteilte sich auf die Zeit zwischen 1. März 1266 und
November 1268. — Dazu kommt noch ein nebensächliches,
aber als solches doppelt willkommenes Kennzeichen. Auf den
Reliefs zu Pisa begegnen wir im Hintergrunde nur romanischen
Bauwerken, sogar antikisierenden Giebeln und Simsrändern
mit Kragsteinreihen darunter, höchstens einem Dreiblatt oder
Vierpass als Füllwerk in Rundfenstern oder Bogenzwickeln.
In Lucca erscheint links bei der Verkündigung ein Ausschnitt
wie aus den beiden unteren Geschossen des Baptisteriums zu
Pisa, im Rücken der lagernden Maria dagegen ein grofses
gotisches Kirchenfenster mit Rosette über zwei Spitzbogen,
die wieder je zwei kleinere Spitzbogen umschliessen. — End-
lich bewegt sich in der nämlichen Richtung der Fortschritt der
Faltenbehandlung, Ueberall ist der Künstler sichtlich von den
Motiven der Pisaner Reliefs ausgegangen, hat sie mit der in-
zwischen gewonnenen Uebung, die schon die späteren Ge-
schichten und der Statuenschmuck von den früheren Dar-
stellungen an der Kanzel selbst unterscheidet, nun hier in
Lucca geschmeidigt und belebt. Aber noch immer bleibt an
den Faltenbogen und im weicheren Gehänge die Brechung in
mehreren Ecken gerade so beibehalten wie in Siena. Das
hängt zum grofsen Teil mit dem Standort dieser Skulpturen
zusammen, die doch nur aus beträchtlicher Entfernung be-
schaut werden. — Während jedoch in Siena aus Verlangen
nach gröfserem Figurenreichtum, nach Häufung der Motive
und Steigerung des Ausdrucks sich ein Abweichen von echter
Bildnergesinnung bemerkbar macht, d. h. eine Vernachlässigung
des Körperlichen, eine Oberflächlichkeit in der Durchbildung
des Leibes und der Gliedmafsen Platz greift, die mit dem
eigensten und besten Wesen Niccolö's schwerlich mehr in Ein-
klang steht, so erhebt er sich gerade hier in Lucca zu einer
meisterlichen Herrschaft über die Darstellung der menschlichen
Gestalt, und giebt selbst in dieser gedrängten Vereinigung
NICCOLO PISANO
121
N. Pisano. Kreuzabnahme. Lucca.
mehrerer Scenen auf dem Architrav des Domportales der
plastischen Erscheinung jedes Körpers ihr Recht, ja er stellt
gerade dadurch zwischen der lagernden Maria, die den Schleier
vom Kinde hebt, und den lang hingegossenen Verehrern zu
ihren Füfsen die Verbindung her, d. h. der Teile, in welche
dies breite Reliefbild sonst auseinanderfallen würde.
Die nämliche Gestaltungskraft zeichnet nun gerade auch
das Relief im Tympanon aus, das die Abnahme des toten
Christus vom Kreuze schildert. Die glücklichste Wahl eines
Bewegungsmotivs, das den Keimtrieb des ganzen Bildwerkes
enthält, hob diese Leistung über die vorgeschriebenen Bilder-
cyklen an seinen Kanzeln hinaus, und sicherte ihr die höchste
Anerkennung, weil die Durchführung nicht nach der ererbten
Schablone geschah, sondern in wahrhaft bildnerischem Sinne
neu durchdacht ward. Die Ueberlieferung ist alt, hängt nicht
blos mit früheren toskanischen Beispielen, von denen uns eins
in S. Lionardo bei Florenz erhalten ist, zusammen, sondern
geht, wie man merkwürdiger Weise nicht hervorgehoben, auf
byzantinische Schulvorlagen zurück.
Noch das Malerbuch vom Berge Athos beschreibt die
Abnahme vom Kreuz folgendermafsen : „Ein Berg, und das
Kreuz ist in die Erde befestigt, und eine Leiter an das Kreuz
angelegt, und Joseph (von Arimathia) steigt oben auf die Leiter
und hält Christus in der Mitte (des Leibes) umfangen und
122 SANCT MARTIN VON LUCCA
reicht ihn hinunter. Und die Heiligste (Maria) steht unten,
empfängt ihn in ihre Arme und küsst ihn in's Angesicht; und
hinter der Muttergottes sind die Salbölträgerinnen; und Maria
Magdalena hält seineLinke und Johannes (der Theolog) küsst seine
Rechte. UndNikodemus nimmt ein wenig knieend, mit einer Zange
die Nägel aus seinen Füfsen, und neben ihm ist ein Korb. Und
unter dem Kreuze ist der Schädel des Adam, wie bei der
Kreuzigung.
"Wichtiger als ein solcher spät redigierter Text ist natür-
lich ein Beleg aus künstlerischen Denkmalen der Zeit selbst.
Es sei nur ein besonders schlagendes Beispiel genannt, die
eherne Türe des Barisanus von Trani an der Kathedrale von
Ravello, vom Jahre 1 1 79. Hier findet sich die Kreuzabnahme,
wie die Mehrzahl der Bildplatten, hüben und drüben auf beiden
Flügeln. In der Mitte ist das Kreuz aufgerichtet über dessen
Armen zwei Engel erscheinen; die Leiter lehnt daran, Joseph
von Arimathia steht oben und fasst Christus um den Leib,
dessen Haupt und beide Arme rechts herabsinken, wo Maria
ihr Antlitz an das des Toten legt. Links steht Johannes, be-
gleitet von zwei anderen Personen, während Nikodemus vorn
knieend die Nägel aus den Füfsen zieht, die noch nebenein-
ander an dem Trittbrett haften. Die Uebereinstimmung mit
der Vorschrift für Malereien ist also auch in diesem Basrelief
bei allen Hauptsachen genau, nur der Enge des Raumes wegen
die Zahl der beteiligten Personen etwas eingeschränkt. Die
einzige wichtige Abweichung ist, dass die Arme beide auf die
eine Seite sinken, dass also Johannes nicht die Rechte des
Leichnams küssen kann.
Diese Vorschrift sehen wir dagegen genau beobachtet
auf dem Relief der Kanzel aus S. Piero Scheraggio, jetzt im
kleinen Kirchlein S. Leonardo in Arcetri bei Florenz, d. h.
gerade in der Darstellung, auf welche Förster seine ausführ-
liche Vergleichung richtet. Es muss jedoch gesagt werden,
dass eben dieses Marmorwerk wieder manche der bedeutendsten
Züge der byzantinischen Vorschrift veräusserlicht oder ver-
nachlässigt, wie z. B. das Herabsinken des Kopfes Christi und
den Kuss der Mutter in's Antlitz des Sohnes. Es ist also nicht
statthaft und zugleich irreführend, die Darstellung des Niccolö
Pisano ohne Weiteres mit dieser florentinischen zusammen-
NICCOLO PISANO 123
zustellen. Ja, es darf wol gegenüber Försters Annahme eines
Schulverhältnisses zu dem Meister dieser Arbeit, und wider
Schnaases Anerkennung eines überzeugenden Zusammenhangs
wenigstens zwischen den Werken beider, entschieden aus-
gesprochen werden, dass Niccolö dies eine bestimmte Beispiel,
das sich in Florenz erhalten hat, nie gesehen zu haben
braucht l ).
Höchst bezeichnend bleibt dagegen immer die Betrachtung,
wie sich der Meister von Pisa den durchgehenden Zügen der
überlieferten Vorschrift gegenüber verhält2). Er beseitigt vor
allen Dingen die Leiter als störendes Werkzeug aus dem
organischen Gebilde, dem schon die Kreuzform schwer genug
einzuverleiben war. Dies konnte jedoch nur geschehen, indem
man die Höhe des Kreuzesstammes minderte, eine Notwendig-
keit, mit der die früheren Künstler, denen kein byzantinisch
gestrecktes Hochformat als Bildtafel zur Verfügung stand, schon
sichtlich gerungen hatten. Die Kreissegmentform des Tympanon
führte gebieterisch zu einer andern Lösung.
So ist aus rohen Stämmen ein niedriges Kreuz errichtet
mit aufgeschütteten Steinblöcken, aus denen der Schädel Adams
hervorblickt, zur Sicherung am Fufse, und der Querbalken er-
scheint in natürlicher Krümmung leise abwärts gebogen, der
Linie der Wölbung folgend. So tritt auch Joseph von Arimathia
von links her kommend, mit dem rechten Fufs auf den Erd-
boden, nur den linken gegen den Steinhaufen setzend, und um-
fasst mit kräftigen Armen den entseelten Leib, dessen Hände
schon vom Holze gelöst sind. In lebendiger Bewegung sich
selber Halt schaffend, stützt er zugleich mit Brust und Schulter,
die sich aufwärts drängen, die Last des Körpers, welcher am
Kreuzesstamm herabgleitet, so dass das Haupt des Toten, der
1 ) Abbildungen des Reliefs in Lucca bei Ottley, Italian School of Design,
bei Förster, Dkm. deutscher Kunst VI, bei Semper, Ztschr. f. bildende Kst. VI. p.
365, obwol nach Photographie doch sehr verschwommen; alle kleineren bei Schnaase
VII. Lübke, Gesch. d. Plastik u. Ksthist. Bilderbogen sind völlig ungenügend.
Die kleine photogr. Aufnahme des Portals, Alinari No, 6397 hat manche Vorzüge
vor der grösseren, die für unsere Reproduktion benutzt wurde.
2) Irh muss besondeis die trefflichen Bemerkungen Försters anerkennen, mit
denen ich mich im Folgenden auseinandersetze, indem ich absichtlich seine Ausdrücke
verwerte, soweit sie mir das Rechte bezeichnen. (Seine Beiträge zur Kunstgeschichte
waren mir in Breslau nicht zugänglich.)
124 SANCT MARTIN VON LUCCA
eigenen Schwere folgend, seitwärts auf die Achsel des rechten
Armes sinkt. Auf der andern Seite des Kreuzes, rechts gegen das
Geröll, kniet Nikodemus, bemüht in dieser kauernden Haltung
mit einer Zange den Nagel auszuheben, der beide Füfse auf
dem Brettchen festhält. Das rechte Bein des Gekreuzigten ist
über das linke geschlagen, und so die Beugung der Knie nach
vorn und links, zu Joseph herüber, geschickt motiviert, während
noch bei Barisanus von Trani der schlanke Körper eine weit
ausladende Bogenlinie bildet. Maria und Johannes haben die
beiden Arme Christi erfasst, der Jünger rechts hinter Nikodemus,
die Mutter gegenüber dicht neben Joseph, an ihrer gewohnten
Stelle unter dem Kreuz, und jeder netzt sein Teil mit Tränen.
Maria trägt den ganzen Arm auf ihren Händen, wie einst das
Kind, und neigt darauf niederschauend ihr gramerfülltes Haupt,
während der Scheitel des Toten sich dem ihren nähert. Johannes
fasst die Hand mit der seinen und lehnt die Wange an den
Arm, wie er einst an des Meisters Brust gelegen. Neben ihm
drängt sich ein zweiter Kopf hervor. Dann tolgt der Haupt-
mann Longinus; in römischer Kriegertracht, auf die Lanze ge-
stützt, das Schwert an der Seite umspannend, blickt er gläubig
auf zu dem Gottessohn. Ganz rechts in der Ecke kniet ein
bärtiger Mann, der auf verhüllten Händen eine Schale hält.
Man meint es sei eine Schüssel mit Spezereien; in der Be-
schreibung des Malerbuches fanden wir einen Korb erwähnt,
der neben Nikodemus stehen soll, — wol für die Nägel be-
stimmt. Hier ist auch für dieses Gerät ein lebendiger Träger
eingeführt; aber die feierliche Art, wie er das Gefäfs hält, be-
deutet, dass geweihte Schätze, Heiligtümer darin seien. Es sind
wie die blutige Dornenkrone, die man vom Haupt genommen
und die Nägel aus den beiden Händen; und der Knieende
wartet, auch den letzten Nagel zu empfangen, der soeben gelöst
wird. Drüben zur Seite Marias steht eine andere der Frauen,
wol Magdalena, in wehmütiges Schauen verloren, und kniet
in der Ecke eine Dritte, die, ausser einem Tuch über dem linken
Arm, noch in der rechten Hand einen kleinen Gegenstand hält,
in dem wir nach den Angaben des Malerbuches ein Salböl-
fläschchen vermuten.
So bildet das Ganze in dem engen Rahmen, der das Tym-
panon umschliesst, einen woldurchdachten Organismus, der nach
NICCOLO PISANO 125
eigenem Bildungsgesetz in diesem Raum gewachsen scheint.
Alle Bewegungen sind klar erfasst und greifen wirksam inein-
ander. Ja, mit den früheren Leistungen vergleichend, sollte
man sagen, es ist Alles echt plastisch in körperliche Bewegung
aufgelöst, und diese entwickelt sich nicht hastig und bunt,
sondern ruhig und fühlbar vor unsern Augen. Und doch ver-
rät dieses schwierige Kunstwerk durch seine technische Be-
schaffenheit, soweit der jetzige Zustand noch erkennen lässt,
die neue erstaunliche Tatsache, dass das Relief ohne sorgfältig
vorbereitetes Modell, vielleicht nur nach einer kleinen Skizze,
frei aus dem Stein gehauen worden. Die Ungleichheit der
Reliefhöhe beweist das, ebenso wie an sonstigen Arbeiten
des Meisters, und nicht sowol die allgemeine Unsicherheit, die
seinem Verfahren überhaupt noch anhaftet, als vielmehr deutliche
Kompromisse zwischen den zuerst herausmodellierten Teilen und
dem noch übrig gebliebenen Raum und Stein. Der linke Arm
des Gekreuzigten z. B. ist rund vom Grunde losgearbeitet, da-
gegen wird an andern Stellen die Rundung der Formen zu-
weilen durch Eingrabung der Umrisse ersetzt, wie namentlich
bei den Wangen. Neben der vollen Durchbildung wolgestalter
Glieder hilft sich die Meisterhand mit eckig geschnittenen
Stücken, und auch so gelingt es nicht ganz, das Uebergewicht der
Köpfe, die er dem Ausdruck zuliebe bevorzugt, wieder aus-
zugleichen. Immer noch macht sich die Gedrungenheit der Körper,
die Kürze der Verhältnisse bemerkbar, bald in der oberen, bald
in der unteren Hälfte der Gestalt, je nachdem sie eingreift oder
gefertigt ward. Die ganze Behandlung ist breit, und weit ent-
fernt von glatter Vollendung. Wir haben also sicher nicht das
Werk eines Anfängers, sondern eines kühngewordenen Schöpfers
auf der Höhe seiner Kraft vor uns.
Und sollten die Hauptsachen, die wir betrachtet, noch nicht
genügen, die Stelle zu bestimmen, die solch eine Leistung in
der Tätigkeit des Pisaners einnehmen muss, — und noch nicht
überzeugt haben, dass nur an den Meister selbst in eigenster
Person gedacht werden kann, so mag hier noch eine Ver-
gleichung mit beglaubigten und datierten Arbeiten folgen, wie
126 SAfCCT MARTIN VON LUCCA
bei dem Relief am Architrave. Vorab sei jedoch erinnert, was
es doch heissen will, wenn man zu einer Zeit, wo nur ein
wahrhaft bildnerischer Gestalter lebt , — angesichts solcher
Schöpfung wie hier von der „Schule" redet! Mit dem Genossen
Fra Guglielmo d'Agnello und mit dem Sohne Giovanni ist eine
persönliche Abfindung möglich. Was aber bleibt ausser ihnen
von Schule übrig? — Woran liegt es, dass die Kunst des
Niccolö Pisano sich nicht fortsetzt in regelmäfsiger Weiterübung
des Erlernbaren? Bleibt doch dieser Mann in seiner Eigenart
ein einsames Phänomen.
Schon im Cicerone ist darauf hingewiesen, dass der Christus
hier in Lucca die gröfste Verwandtschaft mit dem des Kanzel-
reliefs in Pisa zeige, das die Kreuzigung darstellt. Die Ueber-
einstimmung würde sich bis in den Typus Christi verfolgen
lassen, wenn der Kopf in der Depositio nicht auch zum Teil
beschädigt wäre. Und so weit überlegen dann diese Abnahme
vom Kreuz erscheinen mag, — „durch die treffliche Raum-
füllung, die ausnahmsweise feinen Verhältnisse der selbst in
dem schlechten Zustande der Erhaltung noch imposanten Ge-
stalten und durch die ergreifende AVirkung der Scene" — , so
darf doch auch nicht unerwogen bleiben, wie sehr gerade an
der Kanzel in Pisa der Gegenstand der Kreuzigung und das
gegebene Format des Reliefs den Künstler in Verlegenheit
setzten. Sie machten ihm fast unmöglich seine besten Kräfte
zu zeigen. Die Niedrigkeit des Rahmens zwang ihn, das Kreuz
herabzurücken, die Breite wieder, zahlreiche Figuren darunter
aufzustellen, also auch den Mafsstab dieser vorderen Personen
zu kürzen, so dass sie zwerghaft wirken. Die starren Kreuz-
arme mit . dem festgenagelten Körper daran stehen als unbe-
weglicher Keil in der Gestaltenreihe, und der Meister strengt
sich mühsam an, Leben und Bewegung hineinzubringen, obwol
das Herkommen die trauernden Angehörigen unter dem Kreuz
und den Ausdruck des Schmerzes verlangte. So entstand der
unbefriedigende Johannes, so der unglückliche Versuch den
Zusammenbruch der Mutter zu schildern, wozu es eben an Platz
gebrach. So erklären sich auch die zeternden und entweichen-
den Juden rechts, die nur der Bewegung zuliebe sich so breit
vordrängen dürfen. Es sind verzweifelte Anstrengungen des
Bildners, dem die Hauptsache verwehrt ist: die Gestalt seines
NICCOLO PISANO 12 7
Helden in lebendiger Entfaltung mit den übrigen Faktoren der
Komposition in Verbindung zu setzen. Daher der Abstand
zwischen dem Kreuzestod und der Abnahme vom Kreuze!
Daher das volle Aufatmen, das jubelnde Hervorbrechen der
verhaltenen Bildnerkraft bei dem neuen Vorwurf, bei dem dieses
notwendigste Bedürfnis zum Kern der Aufgabe gehörte. Es
sind besonders günstige Bedingungen, mit denen wir in Lucca
zu rechnen haben. Die Freude an dem glücklichen Motiv hat
Alles in Fluss gebracht und selbst in engem Rahmen ein Bild
aus einem Guss geschaffen.
Nicht minder als Christus erscheinen die übrigen Figuren
dieser Komposition in Lucca mit denen des wenig früher ent-
standenen Reliefs in Pisa verwandt: Die Typen der Frauen,
des Lieblingsjüngers mit seinem etwas verzerrten Ausdruck, die
vollwangigen Römer köpfe der Jünglinge, wie die vollbärtigen
der Juden kehren wieder. Auch die Kreuzigung hat schon
Vorzüge, die hier durchweg zur Geltung kommen, wenigstens in
deutlichem Ansatz aufzuweisen. Man beachte die plastische
Hervorhebung der Beine unter der Gewandung bei der Marien-
gruppe wie bei den Juden. Gewisse Faltenzüge und abgestufte
Gehänge der Draperie bezeugen den näheren Zusammenhang.
Wenn auch das klare Verständnis der Form in Lucca um so
mehr zu seinem Rechte gekommen, als die Einheit des Vor-
ganges wesentlich darauf beruht, — so sind doch Häufungen
der Gewandstoffe benutzt, entstehende Lücken zu verdecken,
und der Sinn für passende Raumfüllung betätigt sich da, wo
die Personen nicht unmittelbar beteiligt sind, doch immerhin
genau so konventionell wie in der späteren Kunst beim Auf-
bau von Pyramidalgruppen und Lünettenbildern. Ganz besonders
aber muss in dieser Richtung doch auch an die Propheten-
figuren erinnert werden, die an der Kanzel zu Pisa nicht selten
mit glücklichstem Erfolge in die Zwickelfelder, zwischen Klee-
blattbogen und Eckpfosten, eingeordnet sind. Auf der andern
Seite ist es wichtig, einen Blick auf die Kanzel zu Siena und
die des Fra Guglielmo in Pistoja zu tun, um die einzige neue
Erscheinung zu erklären : ich meine den Hauptmann Longinus,
den Niccolö hier als jugendlichen Krieger in römischer Rüstung
darstellt, wie die Schergen des Herodes beim Kindermord in
Siena. während dies weiter wirkende Vorbild ähnlicher noch
128 SANCT MARTIN VON LUCCA
bei der Beweinung Christi in S. Giovanni fuorcivitas zu Pistoja
wiederkehrt und wol veranlasst hat, auch hier in Lucca an Fra
Guglielmo als Urheber zu denken.
Bezeichnet so das Tympanon in Lucca einen natürlichen
und wolerklärlichen Fortschritt über die Kanzelreliefs in Pisa,
so tritt es auf der andern Seite in Beziehung zu den ferneren
Arbeiten des Meisters, die dieser nun freilich, wie uns glaubhaft
überliefert ist, nicht mehr allein, sondern mit offener Hinzu-
ziehung eines oder mehrerer Gehülfen vollendet hat. Doch,
wies uns die figurenreiche Darstellung am Sturzblock dieser
Tür auf verwandte Weiterbildungen in Siena, so scheint bei
dem Tympanon der Hinblick auf die Area di S. Domenico zu
Bologna geboten.
Dies nächste, am 5. Juni 1267 in Gegenwart des Meisters
Xiccolö und seines Genossen Fra Guglielmo feierlich enthüllte
Werk scheint immer noch einer schwankenden Beurteilung zu
unterliegen. Förster und Crowe-Cavalcaselle schreiben es ganz
dem Guglielmo zu. Es befremdet gerade die genauesten Kenner
der Kanzeln in Pisa und Siena, so dass man eher geneigt
wäre, den Anteil des Laienbruders Guglielmo möglichst grofs
zu bemessen, während, besonders nach der Veröffentlichung
der Chronik des Klosters Sta Caterina zu Pisa, dem Fra Gug-
lielmo angehörte, und der Annalen, welche die Uebertragung
der Reliquien des hl. Dominicus in den neuen reichskulpierten
Alabasterschrein erzählen, an dem Eigentumsrecht des Niccolö
vor den Augen der Mitwelt nicht gezweifelt werden kann ' ).
Am bündigsten spricht sich Schnaase (VII. p. 280 f.) aus, dem
1 ) Bonaini, Archivio storico VI. II. p. 468. u. Marchese, Memorie . . degli
artisti domenicani. ed. 3. I p. 118. Die wertvollere Stelle ist die der Annalen.
„Frater Guillelmus conversus, sculptor egregius, cum Nicolaus Pisanus Patris nostri
Dominici sacras reliquias in marmoreo, vel potius alabastrino sepulcro a se facto
collocaret, praesens erat et ipse ailjuvabat, anno 1267 tempore F. Vercellensis Ma-
gistri Ordinis, qui tunc cum capitulo generali Bononiae praesens erat. Licet autem
idem magister, sub poena exeommunicationis praeeepisset, neminem de sacris reliquiis
quippiam subripere, hie tarnen Guillelmus vel praeeepti immemor, vel pium arbitratus
furtum, clam costam unam subripuit." Die andere Stelle aus der Chronik enthält
mehrere Versehen, sagt aber dasselbe. Ich würde lesen : „in si.llempniore tumulo . . .
quem sculpserant Magister Nichola de Pisi1;, Policretior manu, et ipse (frater Guil-
lelmus) sociatus dicto architectori." Vgl. dazu, was Grimm (Künstler u. Kunstwerke
I. 1865.), Dobbert u. Schnaase hierüber gesagt hatten.
NICCOLO PISANO 12 0.
auch der Cicerone folgt. „Dem Dominikaner Fra Guglielmo
Agnelli sind die Reliefs auf der Rückseite des Sarkophags, die
nicht aus dem Leben des Ordenstifters selbst, sondern aus dem
seines Schülers, des hl. Reginald, genommen sind, und die
Statuetten der vier Kirchenväter auf den Ecken allein zuzu-
schreiben, da sie längere Körperverhältnisse und andere Ge-
wandbehandlung zeigen und überhaupt bedeutend schwächer
sind als die Arbeiten des Meisters. Dagegen entsprechen die
beiden Reliefs der Vorderseite und die der schmalen Seiten-
wände, sämmtlich aus dem Leben des Heiligen selbst entlehnt,
völlig dem Geiste Niccolö's, und wenn man die Verschiedenheit
der Aufgaben in Rechnung bringt, auch dem Stil der Kanzel
von Pisa."
Mir scheint die Lösung nicht so einfach, und überhaupt
zweifelhaft, ob der Anteil der Beiden so zutreffend nach den
Marmorplatten oder Scenen gesondert werden könne. Viel-
mehr dürfte sich weit inniger verwebte Zusammenarbeit heraus-
stellen, wobei die Grundlage, d. h. Komposition und Erfindung
immer dem Hauptmeister gewahrt blieb. Sehr bezeichnende
Einzelfiguren, welche dem Fra Guglielmo gehören, scheinen
mir der Heilige zuäusserst links an der Vorderseite und der
Mittelste der Rückseite, welche mit den Apostelfiguren der
Kanzel in Pistoja schlagend übereinstimmen. Nachdem jetzt
dieses Werk in S. Giovanni fuorcivitas auf Grund der Nach-
richten wie der vergleichenden Betrachtung als Eigentum des
Fra Guglielmo anerkannt worden, muss die Forschung, um
weiter zu kommen, eben von ihm ausgehen als dem festen
Besitz seines eigenen Kunstvermögens. Obwol wir von der
Aehnlichkeit gewisser Teile der Area di S. Domenico mit der
Kanzel von S. Giovanni auf den gleichen Urheber geschlossen
haben und so erst dazu gelangt sind, Fra Guglielmo zu er-
fassen, wäre jetzt zur kritischen Sonderung der Arbeit in
Bologna der umgekehrte Weg einzuschlagen. Das ist kein
Cirkelschluss, wie man so gern von Seiten skeptischer Nicht-
seher einwendet; denn ein Kunstwerk ist kein logischer Be-
griff, sondern eine tatsächliche Erscheinung.
Mit der Beobachtung, dass die Rückseite der Area be-
deutend schwächere Arbeit zeigt als die übrigen, kommt man
nicht durch; denn Fra Guglielmo war keine dem Niccolö
Italienische Forschungen I. 9
, ,0 SANCT MARTIN VON LTJQCA
Pisano so weit nachstehende Kraft, sondern, wie die Zeitge-
nossen ihn nennen, ein „magister in schultura peritus", ein
sculptor egregius", und wie die Kanzel in Pistoja beweist,
ein ganz eigenartig begabter Künstler, dessen Naturell von dem
des Niccolö weit abweicht, aber sicher nicht ohne Einfluss auf
die Richtung des Giovanni Pisano geblieben ist. Ausserdem
erklärt sich die flüchtigere Behandlung der Rückseite sicher
aus der Aufstellung der Area' in der Unterkirche, wo sie sich
ursprünglich auf einfachen Säulen ruhend befand.
Aus diesem Umstand, aber im entgegengesetzten Sinne, ist
auch manche Eigentümlichkeit der Durchführung herzuleiten,
an der man Anstofs genommen. Niedriger aufgestellt als die
Reliefs an den Kanzeln, dem Auge besser, vielleicht gar dem
Kuss der Lippen erreichbar, waren diese Darstellungen an der
Area, soweit ihr Standort sie nicht in Dunkelheit hüllte, ab-
sichtlich feiner ausgeführt und sorgfältiger geglättet. Nicht
minder wichtig ist die Verschiedenheit des Materiales, welches
der Dominikanerchronist ausdrücklich als „Alabaster" bezeichnet,
dessen Weichheit schon an sich andere Nuancen hervorrief
und hier und da zu technischen Spitzfindigkeiten, wie zur Nach-
ahmung der Besatzstreifen und bunt gewirkter Beinkleider,
einer Tischdecke mit langen Franzen und kleiner Schmuck-
sachen verleitete. So nähern sich diese Reliefs mehr der
Klasse von Elfenbeinarbeiten, die man sonst an Reliquien-
schreinen geringeren Umfangs zu sehen gewohnt war, und
wetteiferten mit der farbigen Augenweide, welche Goldfiguren
und Emailplatten den gläubigen Betrachtern solcher Heiligtümer
sonst gewährten.
Von entscheidender Bedeutung ist endlich der Unterschied
der Vorwürfe, die hier dem Künstler gegeben wurden — wie
Schnaase gebührend hervorhebt. Das Leben des 1221 ge-
storbenen, erst 1234 heilig gesprochenen Domingo Guzman aus
Calaruega ist Zeitgeschichte für den Bildner und sein Publikum,
und Niccolö Pisano hatte sie gewiss zum ersten Mal künstlerisch
zu gestalten. Deshalb gewinnen diese Erzählungen für die
Beurteilung seiner erfinderischen Kraft ausserordentlichen Wert
und stellen — meine ich — so überhäufte Wiederholungen wie
die Kanzeln in Siena unter diesem Gesichtspunkt weit in
Schatten. Ja, wenn es gilt, den eigenen Anteil des schaffenden
NICCOLO PISANO 131
Oberhauptes von den Schulerzeugnissen seiner Werkstatt
kritisch zu scheiden, so hätte man alle Ursache, in Siena
radikaler vorzugehen als in Bologna. Doch diese Angelegen-
heiten gehören nicht zu unserer gegenwärtigen Aufgabe.
An die Vollendung der Area di S. Domenico schliesst sich
die fragwürdige Tätigkeit in Pistoja von 1273, mit der ich gern
das Weihwasserbecken in S. Giovanni zeitlich in Verbindung
dächte, ganz eng an, und fernerhin der Brunnen in Perugia, wo
wesentlich dekorative Aufgaben den Künstler wieder von einer
andern Seite zeigen, deren organischer Zusammenhang mit der Art
des früheren Schaffens noch eingehende Erklärungen verdiente.
Doch das würde uns mitten hineinführen in die Rätsel der
vollen Entwickelung, die wir so greifbar wahrzunehmen glauben,
und doch noch so wenig ergründet haben.
J\.ehren wir also zu unserem vorbereitenden Thema zurück,
so ist auch über die Kreuzabnahme zu Lucca noch eins zu
sagen, Crowe und Cavalcaselle betrachten gerade dieses Werk
als die Krone der künstlerischen Tätigkeit — wie wir wol
sicherer jetzt hinzufügen dürfen, des Niccolö Pisano selber —
als die Erfüllung dessen, was seine übrigen Werke versprochen.
„Verglichen mit den früheren Arbeiten in Pisa wird man zu-
geben, dass der Künstler von der ihm anklebenden blofsen
Nachahmung, welche an und für sich schon den Charakter des
Schülerhaften behält, sich allmählich freigemacht, und, durch
Naturbeobachtung gestärkt, seinen Gestalten kraftvolle lebendige
Bewegung eingefiöfst hat." Versetzen wir diese Erkenntnis
auf unseren Standpunkt in die Geschichte des Künstlers um
1263, so stellt sich zwischen der Nachahmung antiker Vorbilder
in den biblischen Geschichten zu Pisa und dem ersten Versuch
der Gestaltung zeitgenössischen Lebens in den Geschichten des
hl. Dominicus, zu deren freier Bewältigung die erworbene Kraft
vielleicht doch nicht hinreichte, — bedeutsam genug zu Lucca
der Durchbruch des eigenen Wollens heraus. Da ist enthalten
was Niccolö Pisano selber war nach dem glühenden Wunsche
seines Herzens, da ist die Triebkraft, die ihn angespornt hatte
die herrlichen Ueberreste antiker Skulptur, deren er habhaft
9*
j,2 SANCT MARTIN VON LUCCA
werden konnte, mit emsigem Bemühen anzueignen als Ausdrucks-
mittel seines eigenen Empfindens.
Wo ein Aufschwung im Gebrauch der Technik stattfindet,
— schreibt Herman Grimm bei Gelegenheit der Pisanofrage
(Ueber Künstler und Kunstwerke 1865, I, 52) — dürfen immer
Ideen vorausgesetzt werden, zu deren Darstellung es den Meister
drängte, die er jedoch mit der vorhandenen Technik nicht wieder-
zugeben vermochte, die ihn also zu suchen zwangen. Das allein
hätte Niccolö bewegen können, sich die Mittel der antiken Meister
anzueignen. Welche Ideen aber waren es, die ihn diese höhere
Fertigkeit zu gewinnen drängten? Die Abwesenheit jedes christ-
lichen Gefühls in seinen Werken wird von Schnaase scharf be-
tont (und auch von Crowe und Cavalcaselle, dürfen wir hinzu-
fügen und zwar mehr als billig, selbst der Kreuzabnahme gegen-
über). Die Ideen fehlten offenbar. Es wäre also nur der un-
bestimmte Reiz der vortrefflicheren Arbeit gewesen, die
Schönheit." —
Ja die Schönheit, und sie allein! müssen wir antworten.
Freilich nicht die äusserlichen Vorzüge der technischen Voll-
endung, der Wert überlegenen Verfahrens, die dem ausübenden
Künstler, der die Kräfte seiner Hände täglich erprobt, aller-
dings Veranlassung genug zu andachtsvollem Wundern und
sehnsüchtiger Einkehr gaben, — besonders dazumal, wo von
gleichmäfsig geübter Technik sehr wenig als gemeinsames Be-
sitztum überliefert ward. Nicht der unbestimmte Reiz vortreff-
licherer Arbeit, den auch ein Steinmetz noch am Kunstwerk
wol empfinden kann ; sondern die Schönheit, die aus allen Ge-
stalten der antiken Ueberreste immer klar und lebendig hervor-
leuchtet, die Schönheit des Menschenbildes vor allen Dingen,
in ihrer mannichfaltigen Offenbarung, wie sie den geringsten Ab-
kömmlingen hellenischer Kunst noch gelang. Giebt es denn
damals, auch mitten im christlichen Mittelalter nur christliche
Ideen, die den Bildhauer bestimmen konnten? Sollte ihm, dem
Künstler, sei es in natürlichem Einverständnis mit seiner besten
Anlage und liebsten Betätigung, oder im bewussten Gegensatz
gegen die semitisch-asketischen Dogmen der Staatsreligion,
nicht der Wert des menschlichen Leibes aufgegangen sein,
in dem wir nun einmal leben und weben? Sollte er, wo christ-
liche Lebensformen diesen Wert entrücken und verdunkeln
NICCOLO PISANO 133
mochten, nicht beim Anblick der bacchischen Vase und des
Hippolytos-Sarkophages zu Pisa, wie so manches ändern antiken
Beutestückes, das seine seefahrenden Landsleute heimgebracht
und als Schmuck bei den Heiligtümern der Stadt, im Umkreis
des Domes selber aufgestellt, in dieses edelste Mysterium helleni-
schen Natursinns eingeweiht sein, ohne dass er sich verstandes-
klar darüber Rechenschaft gab, wie er darob zum Heiden werden
könne? Es geht ein stolzes Bewusstsein von der eigenen
Kraft des Individuums durch das Jahrhundert, in dem er lebte,
und der Hohenstaufenkaiser, mit dessen Musenhof man auch
diesen antikisierenden Bildner so eifrig zusammenzubringen ver-
sucht hat, war nicht der Einzige, der dieser Gesinnung huldigte.
Gewaltige Männer und stattliche Frauen, ausgerüstet mit allen
Gaben, die das Dasein bieten und erfordern kann, übermütige
Jünglinge und frische Knaben, energisch hässliche Weiber selbst
und wolgenährte Mönche, ja strotzende Kinder auf dem Mutter-
arm sind die Freude der besten und vornehmsten Kreise da-
mals, die Lust der Künstler vollends im Norden wie im Süden.
Nur Italien gelangt spät, in letzter Stunde gleichsam, zum
bildnerischen Ausdruck dieses Fühlens.
Und Niccolö Pisano ist der Träger dieses Wollens. Es ist
die allerheiligste Idee des bildnerischen Schaffens überhaupt,
die ihn beseelt. Und solche Menschen zu machen begehrt er
mit der Glut eines echten Künstlerherzens, und das anfängliche
Unvermögen seiner armselig geschulten Hände musste dies
Verlangen nur steigern wie unbefriedigte Leidenschaft. Deshalb
giebt er sich in die Schule der antiken Kunst, wo er solche
Erscheinungen findet, und ringt in dem sichtbaren Zwiespalt
zwischen Wollen und Können. Ein herrliches Weib, das er
auf etrurischer Aschenkiste ruhen sah, begeistert ihn den Wert
solchen Daseins noch einmal zu gestalten, und sie wird ihm
zum Ausdruck des hohen Ideales der Kirche, zur Gottesge-
bärerin. Der Anblick eines vollbärtigen Mannes, der in wein-
seligem Zustand noch die grofsartige Fülle seiner Kraft be-
wahrt, bestimmt ihn, den indischen Bacchus zum Hohenpriester
Jehovas selber zu weihen. Vor der nackten Schönheit helleni-
scher Jünglinge und den bemähnten Häuptern des edelsten Tieres,
das dem ritterlichen Geschlecht der Kreuzfahrer der liebste Ge-
fährte war, betet er den Psalmenvers: „Ich habe Wolgefallen
134 SANCT MARTIN VON LUCCA
an des Rosses Stärke wie an Jemandes Beinen," mit Unter-
schleif eines einzigen Wortes der asketischen Verneinung, und
in vollstem Einverständis mit dem Schöpfer, der nach Moses sich
eingestand, seine Kreaturen seien gut gemacht. Selbst die Juden
noch, die er — als elende Spötter unter dem Kreuze — in
den Augen seiner Gemeinde brandmarken soll so arg es geht,
werden ihm mit ihren langen Barten und breiten Kapuzen lieber
als er denkt, und spielen gar unerlaubt auf seiner Kreuzigung
eine prächtige Figur. Und nun sein Christus vollends am Kreuzes-
stamm! Ist es nicht ein Heldenleib, den man schmählich an
das Holz genagelt, — ein Mann in der Vollkraft seiner Jahre
von herkulischer Bildung in allen Gliedern? Der Sohn der
Jungfrau ist ihm unversehens zum Sohn des Jupiter geworden.
Und er liefert uns gar den Beweis an der Kanzel der Tauf-
kirche selbst: denn da steht die christliche Tugend „Fortitudo1'
in der leibhaftigen Gestalt des nackten Heros mit Löwenfell
und Keule.1)
Giebt es noch einen Zweifel, wo die Ideen zu suchen sind,
die in diesem Bildner nach Ausdruck ringen? — Und doch ist
es unbillig, ihn als Heiden und Ketzer zu steinigen, oder auch
nur ihm vorzuwerfen, das religiöse Gefühl versage bei ihm
durchaus. Das Urteil freilich darf allein bei einer Aufgabe gefällt
werden, wo auch das bildnerische Schaffen sein Genüge findet,
wo die christliche Empfindung nicht rein passiv verharrt, und
und was die Herzen innerlich bewegt nicht in untätigem Be-
harren nur sich offenbaren soll. In diesem Sinne wird uns
Xiccolös Kreuzabnahme in Lucca zum wertvollsten Zeugnis
seines eigensten Wesens, in diesem Sinne zum Höhepunkt
seiner Künstlerlautbahn. 2) Der wahrhaft plastische Gehalt auch
im christlichen Stoffe, der hier zu Tage gefördert ist, die grandiose
Kraft, mit der sich physische und psychische Bewegung ver-
' ) Poggio Fiorentino erzählt: „Uno de' miei amici lodava assai un giovane
romano di bellissime forme — e infine: Jo penso, disse, che nostro signor Gesu
Cristo alla sua eta non fosse altrimenti."
2) Um der Eigentümlichkeit dieser Auflassung recht inne zu werden, vergleiche
man nur ein ganz nahestehendes Beispiel, den gemalten Crucifixus in der Pinakothek
von Lucca mit der aufgefrischten aber inhaltlich unbezweifelbaren Inschrift: ■+■ A.
D. M. | CCLXXXVUI | DEODATU' FJLIV [ ORLANDI DE LUCHA | ME
PINXIT. Auch dies Werk, eins der ältesten Zeugnisse lucchesischer Malerei, ist
noch durchaus romanisch, und doch welch ein Abstand.
NICCOLÖ PISANO 135
binden, Handeln und Empfinden zugleich in sichtbarer Ge-
staltung erscheinen, — dies Gelingen setzt das eine Werk in
fühlbaren Zusammenhang mit den gröfsten Meistern der italie-
nischen Bildnerei, an die man mit Recht erinnert hat, — ■
Donatello und Michelangelo.
Mit diesen Auseinandersetzungen, die uns für die eigent-
liche Hauptaufgabe unserer Untersuchung unentbehrlich werden,
ist nun aber Niccolö Pisano als der Letztling einer Kunstperiode,
die mit ihm dahin sinkt, erwiesen und als der frühe Vorläufer
einer neuen Glanzzeit, die länger als ein Jahrhundert auf sich
warten Hess, bis Donatello kam, und kein Jahrhundert dauerte,
bis Michelangelo die Menschenform mit Geist erfüllte, dass die
sprang, — „und ohne Seele nun das Dasein fristet" . . .
Schärfer scheiden sich wol nirgends die beiden Welt-
anschauungen, die aus der spätromanischen Kunst und aus der
frühgotischen so sprechend sich uns offenbaren, als zwischen
Niccolö Pisano und seinem eigenen Sohn Giovanni. Der
Schüler des Einen und der ältere Genosse des Andern ist
gleichsam der einzige Vermittler: Fra Guglielmo dAgnello.
Kaum der väterlichen Werkstatt entwachsen, wird Giovanni
der ausgeprägte Vertreter des gotischen Empfindungslebens.
Man lege seine Kreuzigung Christi aus S. Andrea zu Pistoja
neben die seines Vaters aus dem Baptisterium in Pisa, und
man hat die beiden schlagendsten Belegstücke nebeneinander.
Nur das enge Familienband rechtfertigt noch die gewohnte
Verbindung beider Künstler in unserer historischen Betrachtung.
Sonst ist Niccolö der spätgeborene Sohn einer alten Zeit, Gio-
vanni der erstgeborene einer neuen. Ein Jahrhundert könnte
zwischen ihnen verflossen sein nach gewöhnlichem Bedünken. So-
wie Niccolö die Augen schliesst, ist auch das Trecento in Italien
erwacht, und alle stolzen Ideale des Bildners von Menschen-
wert und Leibesschönheit zerstieben wie Marmorspreu unter
dem genialischen Meissel des eigenen Sprösslings.
* *
*
.Detrachtet man nach solcher Umschau nun nochmals am
Dom zu Lucca den Skulpturenschmuck der Portalwand, der
uns eigentlich beschäftigte, so erscheinen wol erst recht deut-
lich die beiden Bestandteile, welche zuletzt hinzukamen, die
136 SANCT MARTIN VON LUCCA
Marmorreliefs an den Seitentüren rechts und links, als auf-
fallende Beispiele zweier gänzlich verschiedener Richtungen
der Bildhauerei auf toskanischem Boden. Die „Abnahme des
gekreuzigten Christus" und die „Enthauptung des Regulus" sind
zeitlich lange nicht so weit getrennt, wie man glauben
möchte, das Eine vielleicht kaum zehn Jahre nach dem Andern
vollendet. Wer die Vorzüge und Eigentümlichkeiten auch
verschiedener Kunstweisen neben einander zu erkennen und in
ihrem selbständigen Wert anzuerkennen vermag, wird auch
nicht genötigt sein, das Eine herabzusetzen um das Andre zu
erheben, nicht allzu allgemein von „den übrigen phantastisch
wilden Arbeiten der selben Vorhalle" zu reden, damit die Ein-
bildungskraft der Leser eine weite Kluft zwischen Niccolö
Pisano und seinen Zeitgenossen erblicke. Wol aber wäre es
wichtig, die Unterschiede des künstlerischen Schaffens, des Auf-
fassens wie des Darstellens in diesen lehrreichen Beispielen näher
zu verstehen, und sich klar zu machen, was es heisst, wenn in
einer Gegend, wo die Bildnerkunst bisher nur wenig Bedeutendes
aufzuweisen hatte, nun zwei so beachtenswerte und doch so anders-
geartete Strömungen fast gleichzeitig hervortreten, oder einander
ablösen. Die Eine kommt vom Norden Italiens; Steinmetzen und
Bildhauer aus dem Gebiet von Como sind nachweislich ihre
Träger, wenn nach Guido Bigarelli, mit dem der Urheber der
„Disputa contro gli Ariani" sichtlich zusammenhängt, auch die
Xamen der Künstler uns nicht mehr überliefert sind. Die
Andre kommt aus dem benachbarten Pisa, das kurz zuvor noch
den selben Comasken Guido beschäftigte; der Träger nennt
sich nach der glänzenden Handelsstadt, und bald wird die Be-
zeichnung „Pisano" zum Ehrentitel wie früher „Lombardo" und
„Comacino." Aber bei den heutigen Forschern steht er noch
immer im Verdacht, die eigentliche Hauptsache seines Könnens
aus dem Süden heimgebracht zu haben. Und doch könnte man
in dem Umstand, dass er nach seinem, uns als Erstlingswerk
geltenden Meisterstück in Pisa, sofort nach Lucca berufen
ward, eine Bestätigung der entgegengesetzten Ansicht erblicken.
Niccolö Pisano soll hier zu Lucca in eine klaffende Lücke ein-
treten, sei es als Ersatz für die frühere, völlig eingewöhnte
Künstlergeneration, die vielleicht keine Kraft mehr zu stellen
hatte, oder geradezu in der Absicht der neuen Kunst in
NICCOLO PISANO 137
Tuscien ihr Hausrecht zu wahren. Darnach dürfte man sich
zuversichtlicher als sonst veranlasst fühlen, den Ort Apulia,
nach dem sich noch sein Vater Piero, obwol er Bürger von
Pisa geworden, zu nennen fortfährt, eben im Umkreis von
Lucca zu suchen, wo es in der Tat an der Südseite der Stadt
einen aus vier Gemeinden bestehenden Flecken Apulia oder
Pulia giebt, — und nicht in's Valdarno bei Arezzo zu schweifen,
geschweige denn in die fernen Gegenden des südlichen Reiches
Apulien. r) So wäre der Künstler seiner Herkunft nach als
Angehöriger von Lucca zu betrachten, vielleicht eine Zeit lang
hier in die Schule der Comasken gegangen, und hätte dann die
alte Heimat seines Geschlechtes mit einem Meisterwerke seiner
Hand geschmückt, ja mitdemBesten was er zu leisten vermochte . . .
Fruchtbarer jedoch als dieser Hinweis auf persönliche Be-
ziehungen, welche den Gegensatz seiner Kunst zu den früheren
Skulpturen des Domes nur noch auffallender erscheinen lassen,
bleibt die Erklärung der Tatsachen, die uns in diesen Denk-
mälern selber vor Augen treten und durch Theoreme nicht zu
beseitigen sind. — So erwünscht das Auftreten des geborenen
Toskaners auch gewesen sein mag, als der Opera des Domes
zu Lucca die Sorge oblag, das letzte Portal der Eingangshalle
mit dem fehlenden Schmuck zu vollenden, — so unverkenn-
bar bleibt es, dass der Umfang seiner Tätigkeit verschwindend
hinter dem der Comaskenschule zurückbleibt, die bis zur Stunde
hier ohne Rivalin geherrscht hatte. — Warum wurde nicht
Niccolö Pisano, der um 1263 die innere Dekoration der Vor-
halle abschloss, nach einer solchen Leistung wie die Marmor-
reliefs der Porta del Volto Santo, nun mit der Ausführung der Frei-
skulpturen ander Aussenseite betraut? Die Frage reizt um so mehr
als wir uns auch sonst vergeblich nach Beispielen seiner statuarischen
Kunst umschauen, die uns genügenden Anhalt gewährten, etwa
eine lebensgrofse Gruppe von seiner Hand auf den Konsolen der
Fassade, wie „Sanct Martin und der Bettler", auch nur vorzustellen.
1) Vgl. Milanesis Commentar zu Vasari, Opere I. p. 323. Gegenüber jeder
leichtfertigen Erneuerung des Crowe'schen Erklärungsversuches muss auf die Triftig-
keit des Unterschiedes in der urkundlichen Bezeichnungsweise jener Zeit zwischen
„de Apulia" und „de partibus Apulie" hingewiesen werden, auf welche Milanesi
aulmerksam macht. Historiker sollten das nicht missachten.
S. Andrea. Pistoja.
VII
S. Martin im Trecento
Wieder sehen wir uns vor das Reiterbild des Domes ge-
stellt, um die Entscheidung zu suchen, wohin es zeitlich
gehöre. Fand Niccolö Pisano dies mächtige Bildwerk vor, so
hatte er um so gröfseres Anrecht auf die leer gebliebenen
Konsolen, die gleichsam vor seiner Türe lagen. Hier wäre
eine Gelegenheit zu noch entscheidenderem Wettstreit mit den
Lombarden gewesen, welchen man dem Abkömmmling Luccas
nicht versagen konnte, da er im nachbarlichen Pisa seine Kräfte
bewährt hatte, nun gar vom befreundeten Siena wie vom
ferneren Bologna zugleich Aufträge empfieng. Wenn dagegen
um 1260 die ganze Reihe der Konsolen noch unbesetzt war,
so müsste es immer befremden, weshalb man so spät darauf
kam, sie auszustatten, und so bald davon abstand sie vollauf
zu benutzen.
Noch einmal müssen wir uns der Baugeschichte des Domes
zuwenden, um soviel Aufschluss zu erhalten wie sie irgend
geben kann, und zugleich um zu beurteilen, wie weit diese
Nachrichten etwa auch uns bestimmen müssten, die Martins-
gruppe einer weit späteren Periode zuzuweisen. Ein so genauer
Kenner der Lokalforschung wie Enrico Ridolfi rückt dies Bild-
werk und die Reliefs des Niccolö Pisano um ein volles Jahr-
hundert auseinander. Sind vielleicht in dem Fortschritt der
S. MARTIN IM TRECENTO 139
künstlerischen Unternehmungen, die im Lauf der Zeit zu Ehren
dieses Heiligtums beschlossen wurden, noch triftige Gründe zu
suchen, die Ridolfi bei solchem Urteil mit geleitet, — oder
liegt auf dieser Seite kein Hindernis vor, die Entscheidung
über die Frage ganz frei nach dem Charakter des Denkmals
allein zu fällen?
Im Jahre 1 2 74 entschloss man sich, offenbar nach ärgerlichen
Streitigkeiten, die gerade beim Turmbau durch die Delegation
eines Kanonikus zwischen Opera und Kapitel ausgebrochen
sein mochten, die Oberleitung zu concentrieren, d. h. Bischof und
Kapitel übertrugen alle ihre Kompetenzen an die Bauhütte
und die Fraternitä di Sta. Croce, und diese wählte einen
„Operajo Maggiore" und zwar einen Baumeister, Namens
Giovanni quondam Boni da Como. ') Unter diesem ist, wie oben
erwähnt, die erste der neuen Glocken des Campanile 1277 ge-
gossen, — ein Zeichen dass sein Bau rüstig vorgeschritten war.
Daneben wurde auch die Marmorbekleidung des Kirchenkörpers
weiter geführt, dessen schlichte Strenge natürlich neben der
glänzenden Prunkfassade doppelt auffiel. Die Hauptsache sollte
jedoch die Erweiterung des Querhauses bilden, welche von der
Bruderschaft Sta. Croce als eigentliches Ziel verfolgt ward.
Der Anteil des Giovanni di Bono kann sehr umfassend sein,
da er noch 1292 in voller Amtstätigkeit auftritt, und der Wett-
eifer mit den herrlichen Bauwerken Pisa's, wo 1279 Giovanni,
der Sohn des Niccolö, den Camposanto errichtet, gerade damals
die Betriebsamkeit und die Aufopferung der Lucchesen warm
erhielt. Am 15. Juli 1295 fand, wol nach dem Tode des Bau-
meisters, die Neuwahl statt, und diesmal siegte wieder die Rück-
sicht auf das bürgerliche Decorum, das in so wichtiger Stellung
keinen fremden Mann, nun gar des Handwerks, sehen wollte.
Ser Matteo Campanari nennt sich der neue Vorsteher der Opera
— also ein Jurist — , der bis zu seinem Tode 1320 im Amte
blieb. An Eifer fehlte es" auch ihm nicht. Er war es, der
1308 die lange geplante Erweiterung der Kathedrale an der
Chorseite wirklich begann, indem er vom Vicar des Bischofs
Heinrich die Bewilligung des nötigen Baugrundes hinter den
alten Tribunen gegen den Bischofssitz zu erlangte. Aber die
1 ) Vgl. zum Folgenden Ridolfi, L'arte in Lucca, p. 19 ff. u. passim.
140 SANCT MARTIN VON LUCCA
Kämpfe der Guelfen und Ghibellinen störten auch hier; die
Plünderung der Stadt durch Uguccione della Fagiuola und
seine Tyrannis lähmten den Fortschritt. Die Inschrift unter
dem Mittelfenster der Chortribuna, welche wir oben schon heran-
gezogen, bezeichnet die Stelle wie weit er den Neubau geführt,
also nicht weit über dem Erdboden, bis 1320, von wo dann
sein Nachfolger Ser Bonaventura Rolenzi mit neuem Mute vor-
anschritt. Es war im selben Jahre, als Castruccio Castracane
zum Generalkapitän von Lucca auf Lebenszeit gewählt war,
eine kurze Periode des Kriegsruhmes, für welche die Stadt
hernach zu büfsen hatte. Rolenzi, dessen Namen auch die
letzten damals hinzugefügten Glocken des Campanile, vom Jahre
1320 und 1324 verkünden, gedachte seine Amtszeit mit einem
neuen Unternehmen zu verherrlichen: der Dom zu Lucca sollte
einen Camposanto erhalten wie der zu Pisa. Und wirklich
sieht man noch heute das Eingangstor gegenüber der Nordseite
der Kirche, in strengen Formen unter Bischof Wilhelm erbaut;
doch ward die Anlage bald wieder aufgegeben. Denn schon der
militärische Aufwand, die stete Kriegsbereitschaft, verzögerte
die Arbeit am Dom. Die Bauleute wurden so häufig zu per-
sönlichen Leistungen bei den Mauern und Vesten herange-
zogen, dass die Opera ernstlich auf Abhülfe denken musste,
zumal da ihre Werkmeister doch meistens von auswärts be-
rufen, garnicht lucchesische Untertanen waren. So wurden sie
1334 ausdrücklich von derartigen Verpflichtungen befreit, und
bei dieser Gelegenheit erfahren wir eine Reihe von Namen.
Es sind Lippo Pucci aus Florenz, der eine Zeitlang Capomastro
war, und sein Landsmann Giovanni di Bartolo; die Pisaner
Guillelmo Benintendi und Ghieri di Ciuccio, und die Comasken
Jschinardus Guillelmi, Martignone Guillelmi und Cattaneo Jacobi,
sowie der neu aus Pisa berufene Cechus Lupi. Doch nur der
spätere Capomastro Cattano di Jacopo Martini, genannt il Bi-
scione, aus dem Flecken Borrino des Amtes Como gebürtig,
beansprucht ein gröfseres Interesse, da er die schöne Chorpartie
des Domes vollendet hat. ')
■J Er bestimmte 1 348 in seinem Testament, dass er am Fuss der neuen Apsis-
mauern, e latere S. Marie ex parte orientis beerdigt werde, und vermachte dem Bau
seine ansehnliche Habe.
S. MARTIN IM TRECENTO 141
Noch unter Castruccios Regiment hatte sich Lucca das
Interdikt des Papstes zugezogen, da es Ludwig dem Bayern
und dem Gegenpapst Nicolaus gehuldigt; nur durch die Ver-
mittlung des Schutzherrn Mastino della Scala von Verona ge-
lang es, bei Johann XXII. die Absolution zu erwirken, für
die unter andern Bedingungen auch die Erbauung und Aus-
stattung einer Kapelle S. Benedikts im Dome verfügt ward.
Sie wurde nach langem Zögern 1342 ernstlich begonnen und
1345 geweiht, rechts neben dem Hochaltar, und erhielt bald
den Namen „Cappella della Libertä". Damals gerade seufzte
Lucca unter dem Joch der Nachbarin Pisa, und ward 1348 von
der Pest und sonst vielem Ungemach heimgesucht. Während
der nächsten vier und zwanzig Jahre nach Vollendung der
Tribunen gieng es unter dem Operajo Niccolao di Lemmo de'
Sornacchi, einem alten angesehenen Cavalier in Lucca, sehr lang-
sam vorwärts. Nur die Umfassungsmauern des Kreuzschiffes,
wie die Seitentür gegenüber der Cappella del Santuario (wo
heute das schöne Altarbild von Fra Bartolommeo) und die
Fenster dieses Teiles müssen noch in der ersten Hälfte des
XIV. Jahrhunderts in möglichster Uebereinstimmung mit der
Chorpartie ausgeführt sein. Im Jahre 1363 wird ein „Magister
Nicolaus de Senis, capomagister laborerii Opere S. Crucis et
S. Martini" genannt, bei dem wir, wenn die Jahreszahl richtig
ist, vielleicht an Niccolö di Giacomo zu denken haben, der 1348
mit zwei anderen sienesischen Meistern die Chorkapelle von S.
Pietro degliAgostiniani zuMassa Marittima übernimmt,1 ) — dem
dann zu Lucca der Plan der Umgestaltung des Inneren vom
Chore aus, und zwar auf rechtwinkligen Pfeilern mit dürftiger
Corniche statt Kapitell, zuzuschreiben wäre, deren Ausführung
damals begonnen ward. Da wäre es denn ein Glück zu nennen,
dass die Unterdrückung der Stadt durch Pisa, die steigende
Not und Bedrängnis, sowol Geld als Mut für den Dombau ent-
zogen und diese Arbeit, die nicht sehr erfreulich ausgefallen
wäre, verhinderten. Ein wichtiges Symptom aber ist in dieser
ganzen Zeit, um die Mitte des Trecento, das Vordringen sienesi-
scher und florentinischer Bauleute.
Erst als 1370 die Befreiung der Stadt gelang, wandte sich
auch bald das aufatmende Selbstgefühl der Republik Lucca
1 ) Vgl. Milanesi, Documenti per la storia dell'arte Senese I p. 246.
142 SANCT MARTIN VON LUCCA
wieder dem Haupttempel zu, und am \g April 1372 ward ein
entscheidender Beschluss gefasst, den doch wol die Bauführung
des Sienesen Nicolaus prinzipiell vorbereitet hat, wenn auch
selbst noch nicht mit befriedigendem Erfolge. ,,Adhibitis ma-
gistris carpentariis et lapicidis de magis industriosis. famosis
prospicuis ac expertis, qui haberi potuerint de partibus Tuscie"
ward über die Fortführung des Innenbaues verhandelt und auf
den Rat der besten dieser herbeigerufenen Toskaner bestimmt:
,.di demolire totalmente le due prime colonne a spigoli, costruite
presso le tribune, e sostituirle con altre colonne ad otto angoli
con basi e capitelli di bello e conveniente lavoro," d. h. die
Arbeit des letzten Bauleiters, des Sienesen, soweit sie hinder-
lich oder verfehlt schien, wieder zu zerstören, um ein konsequenteres
System des mittlerweile entwickelten Stiles durchzuführen. —
Auch die alten Säulenarkaden des Langhauses sollten durch
achteckige Pfeiler ersetzt werden. Die florentinische Gotik
hielt ihren siegreichen Einzug in den romanischen Dom von
Lucca, dessen Inneres uns nun in mehr als einer Beziehung
an Orsanmichele, die Loggia de' Signori und andere Bauten von
Florenz aus der letzten Hälfte des Trecento erinnert.
Damit verschwinden auch die Comasken völlig aus den
leitenden Stellungen bei der Opera, und gotisch geschulte Bau-
leute aus Tuscien, die im weifisch gesinnten Florenz ihren
Mittelpunkt sahen, treten überall ein. Wahrscheinlich beginnt
schon mit dem Tode des „Biscione," der sterbend seinen Schatz
dem Dombau überliess, d. h. nach 1348 die Krisis in diesem
Sinne; aber erst 1372 erfolgt der endgültige Durchbruch, —
für Lucca, den Hauptsitz lombardisch-romanischer Kunst, gewiss
ein fühlbares Ereignis.
Die Ausführung des gotischen Innern zog sich freilich lange
hin, bis zur Wende des XIV. ins XV. Jahrhundert. Erst 1381
erhielt die Bufskapelle S. Benedetto ihre Altartafel in einem
Gemälde von Giovanni Lazzarini, der damals als bester Maler
Lucca's galt; 1383 sorgte man endlich für eine würdigere Auf-
stellung der Reste des hl. Regulus; aber immer war Geldnot.
Die Pfeiler und Triforien und Gewölbe verschlangen alle Mittel,
die man flüssig machen konnte. Und noch 138g klagt der Vor-
stand, dass die Einkünfte der Opera für die Vollendung des
Baues nicht ausreichen. So schliesst die Herstellung der go-
S. MARTIN IM TRECENTO 143
tischen Wölbung gerade in dem Augenblick ab, wo in Florenz
die Renaissance sich meldet.
Und fragen wir nach dem Anteil, den während dieses fort-
gesetzten Bauens die Schwesterkunst Skulptur etwa für sich
erhalten, so kann es kaum überraschen, wenn sich vollständige
Vernachlässigung herausstellt Der Innenraum, das neue Ge-
häuse nach dem Sinn der Zeit, ist die Hauptsache, die alles
Andere vergessen macht. Die wenigen Bildwerke, die nach-
weislich aus dieser Periode stammen, sind kaum der Rede
wert. Am Portal des Kreuzarmes ist ein Relief am Architrav,
das in drei besonderen Rahmen Christus im Grabe, beweint
von Maria und Johannes," und zwei einzelne Bischöfe, wol S.
Martin und S. Regulus enthält. Es ist ein ausgesprochenes
Trecentowerk, aber unbedeutend. Besser sind die vereinzelten
Statuetten, welche an der Langseite der Kirche, an einer Stelle
Fialen und Nischen der dekorativen Strebepfeiler schmücken,
während die Mehrzahl der für solche Figuren bestimmten
Plätze leer geblieben. Die vier Einzelfiguren zeigen die
Schule des Andrea Pisano, also florentinische Gotik in ziem-
licher Reinheit. — Dem Uebergang ins Quattrocento dagegen
gehört bereits die stehende Porträtfigur in der Ecke, wo diese
Langseite mit dem Kreuzarm zusammenstöfst. Sie steht auf
einer derben Konsole im Kostüm der ansehnlichen Bürger von
damals. Über dem Unterkleid, mit Strümpfen und niedrigen
Schuhen, sitzt die Kappe mit breiten Falten und langen Ober-
ärmeln, deren Ende fast bis an die Knöchel reichen. Die
rechte Hand ist in Brusthöhe erhoben, als weise sie auf den
Bau, die Linke hält, wenig unterhalb des Gürtels, eine grofse
volle Börse. Das Volk hat diesen bartlosen Mann in Kapuze
als Mönch aufgefasst und Fra Fazio getauft; doch ohne
Grund. Es kann höchstens, als Bruder einer Genossenschaft,
an einen Laien gedacht werden. Ridolfi vermutet wol mit
Recht darin das Bildnis des reichen Kaufherrn Francesco di
Lazzaro Guinigi, welcher 1372 in den Vorstand der Opera ge-
wählt ward, d. h. also einer Zeit angehört, welcher das Kostüm
sowol wie der Stil der Arbeit entspricht. Dies Porträt erscheint
sogar, rein kunstgeschichtlich betrachtet, als eine beachtens-
werte Vorstufe für Jacopo della Quercia, der im ersten Jahr-
zehnt des Quattrocento hier gearbeitet hat. Ihm gehört ausser
144 SANCT MARTIN VON LUCCA
dem herrlichen, jetzt wieder vollständig und frei aufgestellten
Grabmal der Ilaria del Carretto im Innern, hier am Dome die ein-
zige derStatuen, welche die Spitzgiebel dieser Seitenfrontbekrönen
sollten. Die Familie der Guinigi, welche sowol den sienesischen
Goldschmied Piero della Quercia, wie seinen berühmteren Sohn
Jacopo beschäftigten, haben eine enge Beziehung mit der Kunst
Sienas unterhalten, so dass man noch heute zwischen den beiden
Palästen, die sie in Lucca errichtet, mitten in Siena zu stehen
glaubt.
In der nämlichen Beziehung auf Quercias früheste Kunst-
weise ist auch der armselige Ueberrest eines prächtigen Taber-
nakels aus Marmor interessant, der gegenwärtig in der Sakra-
mentskapelle mehr versteckt als sichtbar ist. Es ist nur noch
der Untersatz des Ciboriums, vor welchem die schönen Engel
des Matteo Civitali knieen; urkundliche Nachrichten aber be-
sagen, dass im Jahre 1389 von Antonio di Dino da Volterra,
einem lucchesischen Bürger, ein figurenreiches Altarwerk
hierher geschenkt ward, das in Florenz bestellt und ausgeführt
worden. In der Tat ist die Verwandtschaft mit den Trecento-
skulpturen der Arnostadt aus der Uebergangsperiode unver-
kennbar, die wir an den Portalen des Domes und an den Nischen
von Orsanmichele hier und da beobachten.
Ist damit der Skulpturenschmuck aus gotischer Zeit am
Dome erschöpft, so besitzt doch Lucca noch andre Werke dieses
Stiles, wenn auch in auffallend geringer Zahl. Eine merk-
würdige Zusammenstellung von Marmorfiguren aus drei ver-
schiedenen Perioden bietet das hölzerne, vergoldete und be-
malte Altargehäuse gotischen Stiles in der Pinakothek. !) Ein
Erzengel mit Buch stammt aus den Tagen des Niccolö Pisano,
die Madonna mit Kind in der Mitte aus der Umgebung des
Giovanni Balducci, und der hl. Bischof links aus der Werk-
statt des Jacopo della Quercia. Eine andre Marmormadonna
steht dem Nino Pisano ganz nahe, wenn sie für ihn selber auch
etwas zu leer erscheint. 2) Ganz besondere Beachtung als offen-
bar bevorzugtes Hauptwerk verdient als Zeugniss für den Stand
1) Das Ganze (No. 9) wird der Pisaner Schule zugeteilt.
2) No. 10. Dagegen steht dem Giovanni' Pisano überaus nahe die
Madonna mit Kind (No. I. Marmorstatuette), die durch allzu energisches Abputzen
viel von ihren feineren Charakterzügen eingebüsst hat.
S. MARTIN IM TRECENTO 145
der Trecentoskulptur in Lucca eine Statue, die ein keines-
wegs günstiges Urteil veranlasst. Es ist die Madonna della
Rosa, dicht hinter dem bischöflichen Palast hinterm Dome,
deren Entstehungszeit die Lokalforscher völlig falsch angeben.
Ridolfi (Guida di Lucca p. 32 f.) schreibt: an der Ecke (des
Kirchleins S. Maria della Rosa) zwischen Nord und Ost, wurde
das Bild der Jungfrau mit dem Sohn auf dem Arm, voll aus-
gerundet in Marmor gemeisselt, mit einer Rose in der Hand
angebracht; in dieser Statue erscheint die Manier des Giovanni
Pisano so deutlich, dass man sie ihm selber zuteilen könnte,
und sie ist ein schönes Denkmal der Bildnerei jenes Jahr-
hunderts. Ihr zur Seite [etwas unterhalb] liest man (auf einer
Inschrifttafel): + A HONORE DEL ET BEATE ] VIRGINIS:
DE ROZA. HOC OPUS FAC | TUM EST TEMPORE:
BIANCHIBIFO | LCHI: LUPORO. VIVIANI: ET NUCHO |
RI. SPESIARIUS: OPERA | RH HUJUS OPERIS. A. N D.
M | CCC. Villi.: -— Das wäre also 130g, wenn man wie Ridolfi
die Inschrift auf die Statue bezieht. Das geht aber nicht an;
schon das doppelte Motiv und die völlig gotische Gewandung
der Madonna weisen sie in das letzte Drittel des Trecento
nach Nino Pisano, und die Konsole, auf der sie steht, zeigt
vollends späte Formen, fast Uebergang zur Renaissance. Da-
gegen befremdet die altertümliche Steifheit, ja Ungeschlacht-
heit des Kindes, das nun durch eine von frommen Stiftern
octroyierte Krone noch unförmlicher wird. Vielleicht erklärt
sich die Sache so, dass ein hölzernes Madonnenbild aus früherer
Zeit vorhanden war, das man später in Marmor übertrug, um
es draussen an der Kirche aufzustellen, wo es neuerdings durch
einen Baldachin geschützt ward. Mehr als irgend ein andres,
von sienesischen oder florentinischen Künstlern ausgeführtes
Werk, beweist diese eigene Leistung den Tiefstand der Bild-
hauerei in Lucca während der zweiten Hälfte des vierzehnten
Jahrhunderts.
*
.Der Einblick in den geschichtlichen Verlauf der künst-
lerischen Unternehmungen an S. Martin ermutigt also keines-
wegs der Ansicht Ridolfis zu folgen. Im Gegenteil, die Er-
gebnisse seiner eigenen Forschung werden, genau betrachtet,
Italienische Forschungen I. 10
146 SANCT .MARTIN" VON LUCCA
überall zum Hindernis, in dieser späteren Periode überhaupt
ein Kunstwerk unterzubringen, das die selbständige Bedeutung
der Bildhauerei in Lucca so sichtlich verkündet. Die spärlichen
Zeugen der Trecentoskulptur, die wir genannt, beweisen an
keinem Punkt, wo sie auftreten, einen Zusammenhang mit aus-
gedehnter Uebung und hervorstechender Fertigkeit, welche das
Wagnis einer Reitergruppe schon in technischer Beziehung
voraussetzt.
Es bleibt demnach wol nichts anderes übrig als die Frage
nach der Herkunft des Marmorbildes ganz auf den innern
Umkreis der kunsthistorischen Kritik zu beschränken und zu-
nächst die Leistungen in 's Auge zu fassen, welche die benach-
barten Gegenden etwa aufzuweisen haben. Soll, wie Ridohi
meint, die Martinsgruppe in der zweiten Hälfte des XIV. Jahr-
hunderts entstanden sein, so hätten wir unsere Betrachtung der
treibenden Kräfte, welche die toskanische Skulptur im Mittel-
alter bewegten, an der Stelle wieder aufzunehmen, wo wir sie
im vorigen Kapitel verlassen. Nachdem dort versucht worden,
in das künstlerische Empfinden des Niccolö Pisano einzudringen,
um zu begreifen, wie er dazu kam, die Formen der Antike so
stark und eifrig zu verehren, wäre nun die Aufgabe gestellt,
die veränderte Sinnesart des folgenden Geschlechts zu er-
gründen. Denn es gälte zu verstehen, weshalb sich der Sohn
vom Vater losgesagt, weshalb schon Giovanni Pisano die
Formen der Antike, in denen er geschult war, wieder aufgab,
und die mühsam errungene Schönheit des kraftvollen Menschen-
leibes von sich warf,' um einem andern Ideale nachzuringen.
Ist er doch dadurch eben zum entscheidenden Vertreter des
neuen Stiles geworden, den wir, im Gegensatz zu jener „Proto-
renaissance'- bei Niccolö Pisano nun als ,,Trecento" bezeichnen.
Nichts ist lehrreicher, den völlig andern Geist, der diesen
„Gotiker" beseelt, zu fassen, als ein vergleichender Blick auf
seine Darstellung des Kreuzestodes an der Kanzel von S. Andrea
zu Pistoja, seinem Meisterwerk (1301). Giovanni giebt bis auf
wenige Zutaten genau dieselbe Komposition wie Niccolö an der
Kanzel zu Pisa. Aber welch ein Unterschied in allen Teilen!
Der Christus seines Vaters war ein Göttersohn, eine Hünenge-
stalt, die man ans Kreuz genagelt, ohne ihre Schönheit und
Manneswürde zu verletzen, und ein König bleibt es, der ge-
S. MARTIN IM TRECENTO 147
storben. Der Christus des Sohnes hat für das Leben schon von
Mutter Natur nur spärlich die Gaben entliehen, nur soviel,
scheint es, um unter den Erdenkindern zu wandeln und ihnen
die Nichtigkeit alles Fleisches zu predigen. Im Tode vollends
erscheint der nackte Körper, der am Holze hängt, nur wie ein
armes gebrechliches Gefäfs aus Haut und Knochen, — ein
Jammerbild. Die Brust ist eingefallen, der Leib geknickt, der
ganze schwache Bau zusammengesunken. Nur das Haupt, das
zur Seite geneigt vornüber hängt, bewahrt in den edeln durch-
geistigten Formen selbst im Elend roch ein Hoheitszeichen.
Die grofse Seele, die mit ihrer Liebe die Welt umfasst, entfloh
aus diesem, dürftigen Gehäuse, — das sagt der Anblick, und
das will er eben. Doch nicht genug; der Kriegs knecht mit der
Lanze ist gerade im Begriff das Eisen in die Seite des Ge-
kreuzigten zu stofsen, und links und rechts hängen auch die
Sünder, die mit ihm ans Kreuz gebracht worden, und blicken, hier
mitleidig und fromm, dort hadernd und verstockt, auf den Dulder
der nun ausgekämpft in ihrer Mitte. Das ist die Zutat, die
Giovanni zur Steigerung der Schmach und Not hier einführt,
Jim seine Gläubigen noch stärker zu erschüttern. Und Entsetzen
erfasst die versammelten Juden, wie unter dem Anblick des
Mordes. Wie vom Sturme gejagt stürzen sie hinaus; nur be-
troffen, furchtsam oder schaudernd blicken einige sich um, zu
schauen, ob er tot sei den jsie hassen. Zum Gehen gewandt
streckt auch der Hauptmann Longinus die Hand aus, zu bekennen:
dieser war Gottes Sohn! — Drüben aber, wo die Seinen bei
einander stehen, erhebt sich der Schmerz in seiner ganzen
Stärke. Wie ein schneidig Schwert durchdringt er die Mutter, die
tödtlich getroffen zusammenbricht. Bebenden Kniees sinkt sie in
die Arme der Frauen, die sie sorgend umgeben, und haltend zu-
gleich zum Kreuze emporsehen. Johannes fasst ihre Hand, bemüht
an Sohnesstelle tröstend teilzunehmen; aber das eigene Weh
verzerrt sein Antlitz, das sich zum Herrn herumwendet. Lauter
denn alle jammert Magdalena, mit aufgehobenen Armen, und
richtet ihre Klage wie völlig selbstvergessen an den Toten hin.
So vertiefen sich alle Züge, beleben sich innerlich alle Be-
ziehungen, und steigert sich das Ganze unter dieses Künstlers
Hand zu hochgradiger Erregung. Alle Ruhe der Personen ist
vergessen, alle Schönheit der Formen wie des Angesichts ge-
10*
148 SANCT MARTIN VON LUCCA
opfert, nur der Ausdruck dessen, was die Seele bewegt, wird
hervorgetrieben und wirksam auch dem Betrachter zu Gemüt
geführt. Durchgehends sind die Gestalten in kleinerem Mafs-
stab gegeben, schlanker und feiner gebildet. Nirgends über-
wiegt mehr die Freude an der Erscheinung des stattlichen
Leibes , sondern überall nur Bewegung und Anteil bis zu
pathetischer Gestikulation, — als dringe der Wehlaut aus ihrer
Kehle, und stelle das Wort sich vernehmlich ein. Der Körper
ist diesem Bildhauer nichts mehr als das ausdrucksfähige Gefäfs
der Seele, die gewaltsam hervorbricht und ungeduldig an dem
Gefängnis rüttelt, das ihr volles Ausklingen noch einschränkt.
Deshalb wird von dem Knochengerüst und Gliederbau des
Leibes unter der Gewandung nur soviel angedeutet oder durch-
geführt, als zum Verständniss seiner eingreifenden Bewegung
oder seiner sprechenden Gebärde notwendig gefordert wird.
Damit freilich eröffnet sich der Künstler die Darstellungs-
fähigkeit der ganzen Tragik christlicher Stoffe, erschliesst er die
ganze hinreissende Poesie seelischer Schönheit, und beginnt in
genialischem Gebahren mit seinen Marmorgebilden zu dichten, so
reich und innig wie kaum ein Zweiter in seinem Lande. Nicht breit
gelagert entfalten sich patriarchalische Propheten, sondern wie in
sich hineingeschlungen kauern sie, nur noch mimetische Symbole
des Gedankens. Nicht hochragend erheben sich stolze Sibyllen
als persönliche Verkünderinnen der Wahrheit, sondern erbebend
empfangen sie die Kunde, zitternden Leibes horchen sie, wie
angedonnert, der inneren Stimme, oder winden sich, wie ein
schwankes Rohr unter dem Sturm der Begeisterung. Aber, wie
energisch redet der Engel im Traum zu den Königen, wie be-
zeichnend hat er den linken Arm auf die Brust des Schlafenden
gestützt und erhebt die Rechte hinausweisend in die weite
Ferne; — wie gutmütig rührt er den schlummernden Joseph
an der Schulter und rät ihm freundlich zu dem Rettungsweg.
Ganz Demut und Verehrung ist der greise König, der seine
alten Glieder vor dem Kinde beugt und das Füfschen des
Kleinen zum Kuss an seine Lippen führt. Welch innige Hold-
seligkeit erfüllt die Mutter bei dieser Huldigung, durch alle
Glieder ihres schlanken Leibes, bis hinein in den Blick der
Augen, deren seelenvolle Tiefe wir zu sehen glauben. Das ist
die Kunst dieses wunderbaren Mannes, dem wir statt des Meisseis
S. MARTIN IM TRECENTO 14g
manchmal den Pinsel oder Zeichenstift gegeben wünschten, oder
alle Mittel der Sprache gönnten, nur voll zu sagen, was er im
Menschenbilde geschaut und empfunden.
Wer möchte läugnen, dass wir damit weit entfernt sind
von dem natürlichen Ausgang und Wesen der plastischen Kunst,
dass diese Seelenbildnerei in Marmor nur noch an wenigen
Banden mit der leibhaftigen Körperlichkeit zusammenhängt,
aus deren freudiger Wertschätzung und gesunder Entfaltung die
Gestaltenbildnerei einst hervorgegangen. Man betrachte nur
einmal die jämmerliche Figur, die aus dem antiken Herakles
geworden, wo Giovanni ihn als Vertreter der Stärke an der
Kanzel des Domes zu Pisa (als Fragment im Camposanto) ver-
wendet, also sein Ideal eines nackten Mannes in vollster Kraft,
— und vergleiche sie mit dem nächsten Vorbild, dem Herkules
an der Kanzel Niccolös im Baptisterium. Sonst ist es überall
die christliche Entfremdung von der irdischen Grundlage der
menschlichen Existenz, eine weit getriebene Durchgeistigung
der realen Natur, die wir vor uns haben, — und sollten wir
das Wesen dieser Bildnerkunst statt mit dem Worte „gotisch"
mit einer Charakteristik der Sache bezeichnen, so müssten wir
im Hinblick auf verwandte Erscheinung in der Architektur
sagen: ganz ähnlich wie dort die Auflösung des Massenbaues
in einen Gliederbau, ist es hier die Auflösung der Körpermasse
in ihre Glieder, ja bis in ihr Knochengerüst, die Darstellung
des Construktiven mit möglichster Verringerung aller nur füllen-
den und umhüllenden Teile. D;e mimische Funktion jeder
Figur in der Oekonomie des Ganzen lässt sich, — wie vielfach
bei Giotto — , auf ein paar Linien reducieren, etwa wie in
Abbreviatur des Skelettes, oder so, wie Villard de Honnecourt
seine Gestalten entwirft. Diese Runen aber, richtig herausge-
zeichnet, diese geraden Linien, die sich hoch aufrecken oder
in sich zusammenknicken, die sich beugen und winden, mit den
Hebelarmen in mannichfaltiger Stellung zu einander, mit den
Ovalen auf der Spitze, die sich zurück oder vorwärts oder nach
einer Seite neigen, geben als Gesamtbild das ganze ausdrucks-
volle Wesen, die leidenschaftliche Gebärde seiner Schöpfungen
wieder.
Doch wäre es unrichtig, den Charakter der Kunst Giovanni
Pisanos allein aus seinen Reliefskulpturen bestimmen zu wollen,
150 SANCT MARTIN VON I.UCCA
oder nur die Statuetten herbeizuziehen, die an den Ecken und
Trägern seiner Kanzeln in fühlbarer Abhängigkeit vom gröfseren
Ganzen erscheinen. Auch die Freifiguren müssen zu Worte
kommen. Sie sind unstreitig durch entschieden statuarische
Haltung ausgezeichnet. So die herrliche Madonna im Bogen-
feld des Hauptportales am Baptisterium zu Pisa, oder am
Scrovegni-Grabmal der Cappella dell' Arena zu Padua, ja selbst
die kleine Elfenbeinstatue der Cappella della Cintola im Dom
zu Prato und der etwas grämliche Apostel Andreas am Tor
seiner Kirche zu Pistoja ' ). Und doch verdanken sie diese
Wirkung nicht dem eigentlich plastischen , sondern einem
fremden Prinzip, — dem nämlichen, das auch in jenen ab-
hängigen Kanzelfiguren bestimmend mitwirkt. Giovanni Pisano
ist trotz der Gestaltenfülle, die er in überströmender Schaffens-
lust hervordrängt, durch und durch Architekt, — als gotischer
Baumeister geschult. Seine Statuetten an den Kanzeln haften
mit dem Rückgrat in dem architektonischen Gliede, das sie
schmückend vertreten, und beugen sich in Ausübung dieser
besonderen Funktion unter das Gesetz des Baues, dem sie
dienen. Das verrät ganz deutlich noch die kleine Madonnen-
figur im Museum zu Berlin, die mit ihren auffallend kurzen
Proportionen und ihrer abhängigen Haltung unzweifelhaft einst
dem Zwischenpfeiler einer Brüstung vortrat. An gewisser
Stelle geht die organische Form gleichsam in die unorganische
über, und der beseelte Madonnenleib wird wieder zum Marmor-
block. Dagegen befreit sich die Auffassung beinahe ganz in
der herrlichen Priestererscheinung- am Eckpfeiler der Kanzel
zu Pistoja, wo der Meister sich offenbar fast ebenso unbeirrt
der Natur selbst gegenüber befindet, wie in der Porträtfigur
des Scrovegni zu Padua, indem er uns statt des biblischen
Aaron oder eines jüdischen Leviten das persönliche Abbild
eines Geistlichen aus eigener Umgebung vorführt. So spricht
auch aus den freistehenden Statuen Giovanni Pisanos stets die
architektonische Grundform. Sie steigen von viereckigem
1 ) Im Museo zu Arezzo befindet sich keine Madonna von Giovanni Pisano
wie der Cicerone irrtümlich angiebt (p. 326). Die unter diesem Namen dort auf-
gestellte ist ein spateres Werk schon sienesischen Charakters. Dagegen hat an der
Südseite des Domes von Siena, dicht neben der Fassade, die Sibylle wol Anspruch
auf den Namen des Giovanni selbst. Vgl. S. 144 Anm.
S. MARTIN IJI TRECENTO 151
Sockel zu einem Höhepunkt empor, verjüngen sich konisch
nach oben, gipfeln im Kopf fast wie in einer Spitze mit Kreuz-
blume darauf, — sie sind organisch aufgelöste Fialenrisen. Oder
geht unser Auge von der Betrachtung des ausdrucksvollen
Hauptes der Madonna, der Arme mit dem lebendig bewegten
Kinde aus, so nimmt die Beseelung fühlbar ab, je weiter wir
abwärts blicken, und der Marmorblock als vierkantige Pyramide
macht sich schon im reichen Gewände, das den Boden berührt,
als tektonische Masse kenntlich. Sieht man darauf die ge-
ringeren Leistungen der Schule von Pisa, so versteht wol jeder
dies unorganische Wesen: die heilsame Regel, die der Meister
aufgestellt und selber befolgt, den eigenen Trieb nach lebendiger
Bewegung in Schranken zu halten, wird bei den talentlosen
Schülern zur starren Schablone; nach der nun bekleidete Obe-
lisken mit menschlichem Oberkörper gemeisselt werden, — sei
die Figur stehend, als wirkliches Krönungsglied, oder sitzend
oder knieend dargestellt wie z. B. im Tabernakel über dem
Eingang des Camposanto oder am Hauptportal des Baptisteriums
neben Giovannis eigener Madonna. Der Meister starb 1320.
Schon 13 13 aber, während Giovanni beim Grabmal der Kaiserin
Margarethe beschäftigt sein mochte, ward seinem Schüler Tino
di Camaino aus Siena das Monument für Heinrich VII. auf-
getragen, das dem Kaiser in Pisa errichtet ward. Und dieser
Sienese war es, der im Grabmal Orso (f 1321) im Dome auch
zu Florenz ein erstes Beispiel dieses Stiles aufgestellt hat, dessen
Einfluss nicht übersehen werden darf.
\_)ie zweite Phase der Trecentobildnerei Toskanas wird
durch Andrea Pisano (f 1349) bestimmt. Mit ihm verlegt
sich der Hauptsitz der künstlerischen Tätigkeit von Pisa nach
Florenz, und hier erst empfängt der gotische Stil die Läuterung
zu klassischer Schönheit wieder, die Giovanni Pisano bald
völlig ausser Acht gelassen. Erst gegen Ende seines Wirkens
gewinnt Andrea durch die persönliche Berührung mit Giotto
und gemeinsame Arbeit am Glockenturm des Domes die volle
Kraft und Gröfse, deren er fähig war. Und wir beurteilen
ihn deshalb häufig noch zu geringschätzend, ja halten ihn gar
der spärlichen Freifiguren, die auf uns gekommen sind, nicht
152 SAN'CT MARTIN VON LUCCA
einmal für fähig. So sehr überwiegt die Betrachtung des ersten
grofsen Meisterwerkes, der Bronzetür am Florentiner Baptiste-
rium (1330) mit den Reliefs aus der Geschichte Johannes des
Täufers ' ).
Freilich ist diese Leistung immer als die sicherste Grund-
lage festzuhalten, auf der allein sich unser Urteil über die
eigenste Natur des Künstlers aufbauen darf. Und da seine
Marmorarbeiten vielfach beschädigt oder zerstört, nur ausnahms-
weise noch in ihrem ursprünglichen Charakter zur Wirkung-
kommen, so steigert sich der Wert dieser Bronzereliefs der-
mafsen, dass sie uns recht eigentlich im Mittelpunkt plastischen
Schaffens während der ganzen gotischen Epoche zu stehen
scheinen.
Der Stil Andrea's von Pontedera, der sich der Schule
wegen Pisano nennt, ist völlig verschieden von dem Giovannis,
bei dem er ausgebildet sein soll. Nur der Mafsstab seiner
Normalfiguren könnte die Abkunft von diesem Meister bezeugen.
Während aber die Marmorreliefs des Letzteren vielfach über-
füllt sind, jedes Plätzchen zur bildnerischen Ausgestaltung ver-
wertet wird, gleichgültig, ob immer noch deutlich verfolgbare
Körper oder nur Halbfiguren und Köpfe ohne zugehörigen
Rumpf dabei herauskommen, so beschränkt sich Andrea auf
wenige Personen und ordnet sie übersichtlich in eine Reihe,
höchstens in zwei hintereinander. Giovanni nimmt keine Rück-
sicht auf einheitliches Gröfsenverhältnis, durchfurcht den Stein
in freier Willkür mit tiefen Höhlungen und kühner Bohrarbeit
und wetteifert so mit den spätrömischen oder altchristlichen
Sarkophagreliefs noch gewaltsamer als sein Vater Niccolö.
Andrea strebt keineswegs nach den starken Kontrasten von
Licht und Schatten, nach der malerischen Entwickelung ver-
schiedener Pläne, hält sogar mit der Andeutung des Schau-
platzes, mit perspektivischen Versuchen , den Eindruck der
Raumtiefe hervorzubringen, wolweislich zurück. So bewahren
seine Kompositionen durchweg mehr Aehnlichkeit mit den Dar-
stellungen der Goldschmiede in getriebener Metallarbeit, —
1 ) Ich habe an zwei Stellen versucht, zur richtigen Würdigung Andrea's bei-
zutragen : „Vier Statuetten der Domopera zu Florenz1' im Jahrbuch der K. preuss.
Kunstsammlungen 1887 und „Andrea Pisano'' in den preussischen Jahrbüchern 1889.
Bd. LX1IL 2.
S. MARTIN IM TRECENTO 153
und da seine figürlichen Gebilde an Stelle flachen Ornaments
in die Kassettenfelder der Türe eintreten, so bleibt es in erster
Linie die Flächendekoration, von der des Künstlers Vorstellung
ausgeht. Um so mehr aber muss es auffallen, dass er nicht
nach gleichmäfsiger Ausfüllung der ganzen Fläche, nach all-
seitiger Verteilung der Massen im Räume strebt, sondern viel
Platz frei lässt, als wären die Reliefgestalten nur auf neutrale
Grundflächen aufgesetzt, mit dem sie nicht wie mit einer räum-
lichen Umgebung notwendig und natürlich zusammenhängen.
Es bleibt viel Luft in seinen Kompositionen, wie in Wandge-
mälden und Tafelbildern jener Zeit, so dass man zur Erklärung
dieses Himmelsblaues oder Goldgrundes schon, wie bei den
Arbeiten des vorigen Jahrhunderts in Lucca, auf graphische
Bildercyklen hinweisen muss, welche vor ihm die Geschichten
Johannes des Täufers erzählten.
Andrea da Pontedera hat nichts von der dramatischen
Ader seines Vorgängers Giovanni Pisano, nichts von dem leiden-
schaftlichen Temperament, das so ergreifend und wirkungsvoll
in den tragischen Scenen der Passion zum Ausdruck kommt.
Dagegen besitzt er die ganze Innigkeit der Empfindung, die
auch in seltneren Fällen Giovannis Erfindung, wie in jener An-
betung der Könige, mit Anmut durchdringt. Alle seine Ge-
stalten sind von dem gleichen Geist der Milde gereinigt und
gewinnen unsere Teilnahme durch die klare Schönheit der liebens-
würdigen Natur ihres Schöpfers selber. Aber auch Ereignisse,
die zu heftigen Auftritten, zu plötzlichen Ausbrüchen des
Pathos Gelegenheit boten, werden von ihm ruhig und vor-
nehm, wie in einer Atmosphäre edlerer Kultur und zahmerer
Sitte, zur Erscheinung gebracht. So bleibt der Bufsprediger auch
vor dem Tron des Herodes und in Gegenwart des abspänstig
gemachten Weibes gemessen wie das Fürstenpaar; so wird der
Tanz der Salome, gar oft in mittelalterlicher Kunst ein Schau-
spiel wilder Gaukelei, hier zum sittigen Duett mit zurück-
haltender Mimik; so ist auch die Enthauptung des letzten Pro-
phetennicht als grausige Katastrophe gezeigt, sondern der Vollzug
selber der Phantasie des Betrachters überlassen. Dadurch unter-
scheidet sich auch die ganze Erfindungsweise Andrea Pisanos von
der des grofsen Malers, der in Florenz an seiner Seite stand.
Nicht so heftig, nicht so leidenschaftlich, nicht so drastisch hand-
154 SANCT MARTIN VON LUCCA
greiflich wie Giotto, der Alles auf ein paar starke eindringliche
Hauptaccente setzt, bewahrt Andrea seinen Darstellungen den
eigenartigen Reiz gleichmäfsig fliessenden Lebens, das Gefühl
wahrhaftiger Existenz. Ja, er ist diesem genialen Zeitgenossen
selbst überlegen in der psychologischen Durchdringung der
ganzen Gestalt, in der sprechenden Offenbarung des innern
Wesens unter der Situation des Augenblicks. Denn er be-
herrscht als Bildner die Ausdrucksfähigkeit des ganzen Körpers
weit mehr und rechnet mit ihr überall, wo es dem Maler auf
Breite der Gewandung und Fülle des farbigen Reichtums an-
kommt.
Ganz anders steht es mit den Marmorreliefs am Campanile,
wo beide Meister, der Maler und der Bildner, die beide zu-
gleich Architekten waren, notorisch gemeinsam arbeiten. Die
sechseckigen Rahmen am Untergeschoss des Turmes sollen die
Mauermasse wirksam durchbrechen, in der bunten Bekleidung
der Wandfläche durch Marmorinkrustation geradezu die Stelle
von Oeffnungen, Fenstern oder Nischen, vertreten. An der Er-
findung der Bilder darin hat wirklich der Maler teilgenommen^
und es ist ebenso lehrreich für uns wie charakteristisch für
die Künstler, den Unterschied ihres Verfahrens zu beobachten.
Selbst in dieser Verbindung noch, wo dem Bildhauer doch
selbstverständlich die Ausführung in Marmor zufiel, gehen die
Naturen neben einander her, denken und schaffen im Sinne der
besonderen Begabung und gewohnten Auffassungsweise. Giotto
betont die Bildwirkung: er sieht seine Gestalten zugleich mit
ihrer örtlichen Umgebung; die Beziehung hinüber und herüber
ist das Malerische. Die landschaftliche Scenerie verlangt bei
ihm, wenn auch dem damaligen Stande der Malkunst ent-
sprechend nur in beschränktem Mafse, doch das gleiche An-
recht wie die menschlichen Körper darin. Und die Tiefen-
dimension, so bescheiden sie noch sein mag, wird schon beim
Erfinden überall ausgebeutet, in der Lagerung und Bewegung
der Gestalten, in der Gruppierung der Personen mit Bäumen,
Tieren und sonstigen Gegenständen. So schildert Giotto die
Erschaffung Adams und Evas, die Arbeit der ersten Eltern, so
auch die Trunkenheit Noahs bei seinem Weinfass unter der
Rebenlaube fast schon in perspektivischer Entwicklung der
Raumtiefe. — Andrea Pisano dagegen bevorzugt die körper-
S. MARTIN IM TRECENTO 155
liehe Form, drängt dazu ihr gröfseren Mafsstab innerhalb des
Rahmens einzuräumen und beschränkt sich lieber auf den Vorder-
grund. Hier und da scheint der Bildhauer nach dieser Ein-
sicht schon die Erfindungen des Malers bei der Uebertragung
in Marmor vereinfacht, d. h. auf das Plastische zurückgeführt
zu haben. So ist bei der Bändigung des Rosses das Hinein-
springen in die Tiefe vorausgesetzt, bei der Schiffahrt die un-
endliche Weite noch fühlbar, obschon die Gestalten im Kahn
auf schmaler Grundfläche dahingleiten, bei Herkules und Antäus,
der Erfindung des Wagens und des Pfluges die malerische Vor-
stellung immer noch durchzuspüren, ja in den Reliefs ,,der
Maler" und „der Bildhauer" bei der Abwägung der Massen
sogar auf Polychromie gerechnet. Dagegen müssen „die Heil-
kunde" und die „Webekunsf als eigene Schöpfungen des Bild-
hauers allein anerkannt werden, dessen Anteil an der Ausführung
immer überwiegend bleibt. Hier, wo er auf dem eigensten
Gebiet sich bewegt, das er nach den Erfahrungen längerer
Schultradition beherrschen gelernt hatte, und wo er nicht erst
wie bei den Bronzetüren, sich mit den Anforderungen einer
ungewohnten Technik auseinandersetzen musste, hier erst werden
wir der ganzen Kraft und Grofsartigkeit inne, deren Andrea
fähig war. Als Prüfstein mag auch bei ihm die Wiedergabe des
Herakles hervorgehoben werden, die zum Vergleich mit Giovanni
und Niccolö Pisano herausfordert. In dieser lebensvollen Ge-
stalt eines nackten Mannes, mit dem Löwenfell, über Haupt
und Schultern geschmackvoll drapiert, die rechte Hand seit-
wärts auf die Keule stützend, erscheint uns gleichsam ein Typus
der innigen Durchdringung mit antikem Eormensinne, welche
der italienischen Gotik damals gelang. Es ist eine Breite und
Wucht in allen diesen Gestalten, wie die Wirkung an solcher
Stelle sie forderte, eine Freiheit des Vortrags und ein Geschmack
in der Gewandung, wie sie Giotto nicht besitzt.
Der dritte Faktor, der unsere Beurteilung des Meisters be-
stimmen soll, sind seine Freifiguren, deren geringe auf uns ge-
kommene Zahl erst neuerdings nachgewiesen worden. Dem Er-
zähler des Johanneslebens am Baptisterium würden wir vielleicht
kaum vorzügliche Leistungen in statuarischer Kunst zutrauen.
Wer aber die Einzelgestalten der Tugenden, drunten an der Tür,
in ihrem künstlerischen Wert erfasst hat, wer die Marmorreliefs
156 SAN CT MARTIN VON LUCCA
am Campanile zu würdigen weiss, und sich klar macht, welch
ein echter plastischer Sinn dazu gehörte, unter den beschränken-
den Bedingungen und angesichts der völlig andersartigen Bei-
spiele der bisherigen Skulptur so durchweg gediegene und
wirksame Bildwerke zu Stande zu bringen, der wird sich kaum
mehr wundern, wenn in den vollausgerundeten Statuen die
Liebenswürdigkeit seiner Auffassung, die Geschmeidigkeit seines
Vortrags, der Körperformen wie der Draperie, sich auf's Glück-
lichste mit statuarischer Haltung und einer gewissen Hoheit
verbinden, die Giovani Pisano durch fremde Mittel erreichte.
Anmut und Frische zeichnet die beiden kleineren Statuetten in
der Domopera zu Florenz aus, in denen er die fürstliche Jung-
frau Reparata und Christus selbst als milden Lehrer der Welt
verkörpert hat ' ). Grofsartigen Schwung müssen wir dagegen
der tronenden Madonna über dem Hauptportal des Domes von
Orvieto auch jetzt noch zuerkennen, wo sie durch barbarischen
Anstrich mit Bronzefarbe ein gut Teil ihres ursprünglichen
Charakters eingebüfst hat. Andrea verstand es sehr wol, wenn
es verlangt war, auch eine ,, Majestät" zu schaffen. Das würde
auch die stehende Himmelkönigin auf der Spitze der Domfassade
von Pisa beweisen; nur bin ich bei der grofsen Entfernung und
allzu blendenden Beleuchtung nicht ganz sicher geworden, ob dies
bedeutende, bisher fast garnicht anerkannte Werk noch Andrea
selber oder schon seinem Sohne Nino beizumessen sei.
Nino bewahrt in gewissem Grade noch die harmonische
Verbindung antiken Schönheitssinnes mit der christlichen Ge-
fühlsweise, wie Andrea sie erreicht; aber er neigt bald mehr
zu Lieblichkeit und Beziehungsreichtum, die besonders für die
monumentaleren Werke, wie gröfsere Statuen und Grabmäler 2),
verhängnisvoll werden kann. Schon die Häufung von Motiven
in seinen Madonnenfiguren nötigt ihn, die untere Hälfte des
Körpers, die dabei ruhig bleibt, durch künstliche Mittel, durch
1 ) Wegen der Zuschreibung dieser Arbeiten muss ich auf meinen oben er-
wähnten Auisatz im Jahibuch der K. preuss. Kunstsammlungen verweisen.
2 ) Ich denke hier nicht allein an das Grabmal Saltarelli in Sta. Caterina zu
Pisa, sondern auch an das der hl. Margarethe zu Cortona, das wol eher als mit
Sienesen (wie der Cicerone meint) mit Nino Pisano in Verbindung zu bringen ist.
Die Reliefs des Gradino sind sehr bezeichnend und für die Wandlung des Relief-
stiles wichtig
S. MARTIN IM TRECENTO 157
eleganten Schwung, Faltengehänge u. dgl. interessant zu machen.
Und das verstärkt sich noch bei den Schulkräften zu denen
auch sein Bruder Tommaso und eine Reihe von Sienesen ge-
hört: bei ihnen geraten die Beine in eine wiegende Bewegung,
und die Falten des Kleides verlaufen doch in starren Rändern
zur Seite. Auch auf dieser Bahn war ohne die Lebensquelle im
-eigenen Empfinden der Künstlerseele nicht weiter zu kommen.
Jeder Versuch den Stil zu vergröfsern, muss misglücken, wenn
die Begabung nicht auch hinreicht, die Formen mit gewaltigerem
Wesen zu durchdringen. Das zeigt der letzte Nachfolger dieser
Richtung am deutlichsten: Alberto di Arnoldo, ein Steinmetz
aus der Lombardei, der sich in Florenz an Ninos Werken
gebildet. Seine Madonna zwischen zwei leuchtertragenden
Engeln auf dem Altar der Loggia del Bigallo (vollendet 1364;
der eine der Engel übrigens offenbar von Michelozzo ergänzt
ist innerlich leer und öde, und überlässt auch in der äusser-
lichen Durchführung schon allzuviel der ergänzenden Bemalung.
1 rieb man dagegen die Lust am Beziehungsreichtum oder
an genrehaften Zügen aus dem Menschenleben noch weiter
als Nino Pisano, so blieb die Abirrung in malerisches Wesen
unvermeidlich. Kein Wunder, wenn dieser Schritt von einem
Bildhauer vollzogen wird, der eigentlich als Maler geschult
war, und sich schon als Meister umfassender Wandgemälde
einen Namen gemacht hatte, bevor er in die andere Zunft
übergriff. Ich meine Andrea di Cione, genannt Orcagna
(-j- 1368), dessen Tabernakel in Orsanmichele den Mittelpunkt
plastischen Schaffens zu Florenz in der dritten Phase des
Trecento bezeichnet. Kundige florentiner Architekten von
heute haben ihn als Erzgotiker, als den Schöpfer eines wirk-
lich gotischen Stiles .in Florenz hervorgehoben. Das wäre be-
deutsam genug, da dieser „Tempietto della Madonna" doch
nur ein dekoratives Gebilde genannt werden kann, das in
Gefahr ist über der Mannichfaltigkeit des Schmuckes die Klar-
heit des Aufbaues einzubüfsen. Was die Geschichte der
Plastik betrifft, so ist gerade Orcagna der heimliche Zerstörer
des gotischen Stiles. Der erste grofse Bildner dieser Periode,
der geborener Florentiner war, bringt auch das malerische
15° SANCT MARTIN VON LUCCA
Element hinein, das die Skulptur auflöst. Es liegt keineswegs
an dem frischen Natursinn, an dem sogenannten realistischen
Streben dieses Mannes; denn davon verträgt die Skulptur, auch
die gotische, ein gut Teil, — um nicht mehr zu sagen! Es
liegt an der malerischen Auffassung, in welcher dieser Kopf
zu denken gewohnt ist, und es sind wesentlich seine Reliefs,
wo diese Anschauungsform zur Geltung kommt. Man hat mit
Recht betont, dass er sich an Giotto gebildet, und ihm die
ernste Gröfse, den mächtigen Sinn, ja etwas Derbheit abgelernt.
Er ist in der Tat dem genialen Maler weit näher verwandt
als Andrea Pisano. Aber das sind Vorteile, die an dieser
Stelle nur einzelnen Figuren zu gute kommen, wo sie allein
erscheinen, wie wo sie zusammen auftreten. Klarheit des
gewählten Moments, Entschiedenheit des Handelns sind die
Folge, — sind die unläugbaren Vorzüge auch seiner Kompo-
sitionen. Aber diese Bilder rechnen mit der Tiefe des Raumes
als mit einem wichtigen Faktor, und da stellt sich sofort der
Uebelstand heraus, der auch in den Reliefs am Campanile
hervorgetreten sein müsste, wenn die Ausführung Andrea
Pisanos nicht der Erfindung Giottos das Gegengewicht gehalten
hätte. Der Mafsstab der Xormalfiguren in seinen achteckigen
Rahmen ermöglicht nur eine Reihe, höchstens zwei dicht hinter-
einander. Orcagna zeigt uns trotzdem zwei Stockwerke über-
einander und die Treppe, die vom Erdboden zur Tempelhalle
emporführt, sogar in voller Vorderansicht, indem er durch
Verjüngung der Körpermafse die unzureichende Entfaltung
der Perspektive zu ersetzen wähnt; er wagt es ebenso, in der
Geburt Christi, den landschaftlichen Hintergrund mit der Ver-
kündigung an die Hirten in der Ferne hineinzuziehen, während
gerade die volle Körperhaftigkeit der vorderen Gestalten dem
Auge verbietet die kleinen Puppen darüber als gleiche, nur
entferntere Wesen anzuerkennen. Als Gemälde gedacht ist
vollends das grofse Hauptrelief an der Rückseite der Altar-
wand, wo die symmetrische Klarheit der oberen Himmelfahrt
Marias mit der gedrängten Ueberfülle der unteren Hälfte, wo
dem Auge näher, doch im kleineren Mafsstab der Tod Marias
geschildert wird1), auf's Unangenehmste contrastieren. Hier
1 ) Es ist wol nicht unwichtig beim Anblick der Felshöhle, wo diese untere
Scene stattfindet, an ähnliehe Arrangements hellenistischer Reliefs zu erinnern.
S. MARTIN IM TRECENTO 159
sieht man, wie der Meister, um seine malerische Erfindung
durchzusetzen, sich wenig scheut, die plastische Rundung der
Körper zu opfern, ja zu allerlei Auskunftsmitteln seine Zuflucht
zu nehmen, welche die Wahrheit seiner „realistischen" Ge-
sinnung Lügen straft. Darnach entdecken wir die selbe Willkür
auch in den kleineren Reliefs und selbst da, wo nur eine
Einzelfigur in ruhiger Haltung gegeben wird. Das Hochrelief
quillt hier aus den Rahmen hervor, in deren architektonisches
Gesetz der Meister sich nicht zu schicken weiss, oder die Leiber
werden an der uns abgewandten Seite verkümmert, um sie in
einer Schrägstellung zu geben, der er als Maler auf seiner
Bildfläche vielleicht, nicht aber als Bildner im Marmelstein
gewachsen ist. So gern wir das frische Leben hier eindringen
sehen, gegenüber der hölzernen Starrheit geringer begabter
Zeitgenossen, so freudig wir den kräftigen Sinn für die leib-
haftige Erscheinung und den Wert der ganzen Gestalt wieder
begrüfsen, — die Schwächen der Leistung als Hauptbeispiel
im Entwickelungsgange der Skulptur darf nicht verhehlt
werden, eine Ueberschätzung Orcagnas als Bildhauer nicht
weiter um sich greifen. Die individuellen Züge in den beiden
Köpfen zuäusserst rechts in zweiter Reihe beim Tode Marias,
d. h. des eigenen in der Kappe und eines vornehmen Herrn
im Reisehut, erscheinen allerdings wie eine Vorahnung, dass
ein Menschenalter nach 1359 das Quattrocento vor der Tür
stehe; aber wichtiger bleibt die Verbreiterung und Erfüllung
der biblischen Figuren von Innen heraus, das Wachsen des
Fleisches zu gesunder Fülle: denn diese Wiedergeburt erwärmt
und erlöst den abstrakten Idealismus der Gotik und zersprengt
allmählich die architektonischen Schranken des kirchlichen
Stiles. Darin liegt die historische Bedeutung Orcagnas für das
Schicksal der Bildnerei Italiens, — in der Reaktion gegen die
ausschliessliche Betonung des blos Construktiven, zu Gunsten
der umhüllenden Rundung. Er hatte gleichsam die Mission
mit gesundem Sinn für die umgebende Natur auf den Punkt
zurückzuführen, zu dem Niccolö Pisano durch die Anschauung
antiker Vorbilder gelangt war. Aber beide blieben noch un-
fähig mit ihren eifrig erlernten Mitteln das wirkliche Dasein
"•selber künstlerisch zu bewältigen, und was sie liebten und
wollten auch schöpferisch zu gestalten.
l6o SAXCT MARTIN VON LUCCA
Es ist bezeichnend, dass wir von Orcagna kein vollrundes
Bildwerk, keine gröfsere Statue besitzen, und dass in Florenz,
wo es galt, am Glockenturm die Nischen mit Prophetenfiguren
zu füllen, die Maler der Stadt beauftragt werden, sie zu ent-
werfen und, nachdem der Steinmetz sie nach der Zeichnung
ausgehauen, auch noch mit Farben zu vollenden. Das beweist,
wie das ganze Verfahren Orcagnas, dass es dem allgemeinen
Kunstbedürfnis nur auf den bildmäfsigen Eindruck ankommt,
dass man nur dargestellt sehen will, was die Erscheinungen
des Lebens bieten, aber noch kein Gefühl dafür hat, welche
Kunst für dies oder jenes beanlagt und deshalb zu bevorzugen
ist, noch kein Verständniss für spezifisch malerischen oder
spezifisch plastischen Kunstgenuss besitzt. Deutlicher als durch
jenes Verfahren bei den Statuen am Glockenturm kann der
Tiefstand der statuarischen Kunst als solcher nicht aus-
gesprochen und urkundlich verbrieft werden. Und dieser
allein erklärt es, weshalb darnach ein deutscher Statuenmacher
wie Piero di Giovanni solchen Anklang finden konnte, als
er im letzten Jahrzehnt des Trecento nach Florenz kam, — und
weshalb dieser Fremde solange das Feld behauptet, bis
Xiccolö d' Arezzo als Wegbahner erschien und Donatello
endlich als wahrer Erlöser auftrat.
r\uch dieser Ueberblick über die Wege der toskanischen
Skulptur im XIV. Jahrhundert, den wir besonders auf die Ent-
wicklung des Stiles als notwendigen Ausdruck der inneren Ge-
sinnung gerichtet, hat wol an keiner Stelle die Erinnerung an
die Martinsgruppe vom Dom zu Lucca wachgerufen, so dass
man sagen müsste, hierher könnte auch jenes Marmorbild von
Ross und Reiter und Bettelmann in lebensgrofsem Mafsstab
gehören. Nirgends ist unserm spähenden Auge ein ähnliches
Werk der Freiskulptur begegnet; sondern überall beschränkt
sich die Tätigkeit auch der bedeutenden Meister, die wir allein
betrachtet, fast ausschliesslich auf dekorative Aufgaben ge-
ringerer Dimension. Kanzeln, Grabmäler, Altäre, werden mit
mehr oder weniger zusammenhängenden Figuren und histori-
schen Reliefs geschmückt, und der Aufbau dieser Monumente
schon ist zu vielteilig und nach gotischer Weise zergliedert,
S. MARTIN IM TRECENTO IÖI
als dass die Gestalten daran eine gewisse bescheidene Gröfse
überschreiten könnten. Nur selten einmal wird an Kirchen-
portalen oder sonst an öffentlicher Stelle ein vollausgerundetes
Standbild errichtet, und auch da selbst geht man nicht zur
vollen Leibhaftigkeit oder zur Vergröfserung menschlicher Pro-
portion voran.
Ausserdem widerspricht die grofsartige Auffassung, die
unbefangene Wahrheit dieser Gruppe, und die schlichte, von
jeder konventionellen Manier des gotischen Stiles freie Durch-
führung allen Phasen der toskanischen Skulptur, die wir kennen
gelernt. Nichts von der leidenschaftlichen Energie und der
asketischen Dürre des Giovanni Pisano, — im Vergleich zu seiner
Bewegtheit geradezu starr! — Nichts von der liebenswürdigen
Anmut und geschmeidigen Frische des Andrea da Pontedera,
dessen Darstellung des Pferdes sowol wie des Menschenleibes
so völlig verschieden ist! — Dem derberen Wirklichkeitssinn
des Andrea Orcagna wäre auch diese Erscheinung wol eher
verwandt, aber völlig fremd wieder seiner malerischen Vortrags-
weise, seiner Bevorzugung des bildmäfsigen Reliefs, die ihn
von monumentaler Freiskulptur gerade so weit entfernt. Je
mehr wir uns der zweiten Hälfte des gotischen Jahrhunderts
nähern, desto unvereinbarer wird eine solche Umgebung für
die Martinsgruppe. Und folgen wir gar Ridolfis Meinung und
suchen die Entstehung um jene Zeit, als auch im Dombau zu
Lucca die toskanische Architektur entscheidend eindrang, und
den alten romanischen Innenraum der Umgestaltung nach dem
Vorbild fiorentinischer und sienesischer Kirchen unterzog, —
wo wäre seit 1372 überhaupt noch der Mut zu dergleichen
Wagnis in der Skulptur, wo auch nur in diesen Gewändern
ein Anflug spätgotischer Draperie oder in der Haltung der
Figuren die unvermeidliche Kurve?
*
IVeine Betrachtung dieser allgemeinen Eigentümlichkeiten
des Trecentostiles in Toskana wirkt jedoch so schlagend wie
ein einziger Vergleich mit einem bestimmten Denkmal, das die
nötigen Anhaltspunkte bietet. Nur ein ähnliches B.eiterbild,
womöglich eine Gruppe, kann überzeugend über die Unter-
schiede belehren. Nun, wir sind in der glücklichen Lage, diesen
entscheidenden Streich zu führen. S. Martin im Trecento ver-
Italienische Forschurgen I. * I
IÖ2 SANCT MARTIN VON LUCCA
weist diesen Gefährten selbst aus seiner Nähe. Wir besitzen
nicht weit von Lucca ein herrliches Werk, das die nämliche
Scene mit dem Bettler darstellt. Es ist ein Marmorrelief in
dem rundbogigen Tympanon des Hauptportales an San Mar-
tino in Kinsica zu Pisa. Freilich muss auch hier erst die
Entstehungszeit und die künstlerische Herkunft der Arbeit be-
stimmt werden, denn Urkundliches ist nicht überliefert; aber
die Geschichte des Baues wie die gleichzeitigen Denkmäler der
Malerei kommen uns in wünschenswerter Weise zu Hülfe.
Die jetzige Kirche, im südlichen Teil von Pisa, wurde in Folge
einer Schenkung Papst Johannes' XXII. an Bonifazio Novello
della Gherardesca, der das frühere Gotteshaus mit zugehörigem
Spital in ein Kloster für Franziskanerinnen umzuwandeln be-
schloss, im Jahre 1332 begonnen, 1338 der Hochaltar noch vom
Stifter selbst ausgestattet, und das ganze Kloster im Laufe von
vierzig Jahren vollendet. Aus dieser Bauzeit stammt auch die
erste Ordnung der Fassade mit weisser und bläulicher Marmor-
inkrustation, während das Obergeschoss laut Inschrift 1606
modernisiert worden ' ).
Das Basrelief über der Tür zeigt die Gruppe in pyrami-
dalem Aufbau vorzüglich in das halbrunde Bogenfeld hinein-
komponiert. Der Heilige in runder Kappe und Reisekostüm
kommt von links hergeritten; der Bettler tritt ihm von rechts-
her in den Weg und hüllt sich bereits in das Ende des langen
Manteltuches, das der mitleidige Reitersmann von der eigenen
Schulter gezogen und nun in der Mitte durchteilt. Beide fassen
den Stoff an dieser Stelle, so dass die Schneide des Schwertes
über dem Kopf des Gaules einsetzt, und so eine wolmotivierte
Abstufung und lebendige Einheit des Ganzen erreicht wird.
„Völlig sichere Behandlung auch des Ensemble der Erscheinung
findet sich in Verbindung mit verständnissvoller Detailbildung
nur in einer Ausnahme — schreibt H. Weizsäcker2) — bei
dem überhaupt weitaus bedeutendsten Pferdebilde des Trecento,
dem Rosse des hl. Martin, dessen wolgelungene Figur die
Portallünette über dem Eingang von S. Martino zu Pisa schmückt
und wol gleich den im Innern der selben Kirche erhaltenen
Fresken in seiner Entstehung auf die Schule Giotto's zurück-
1 ) Grassi, Descrizione storica ed artistica di Pisa.
2) Das Pferd im Quattrocento, Göttinger Dissertation 1886. p. 14.
r i *
104 SANCT MARTIN VON LUCCA
geht, wenn wir nicht den Meister selbst als den Urheber dieser
vorzüglichen Arbeit anzunehmen haben." — Vollkommen ein-
verstanden, dass die Zeichnung dieser Gruppe selbst eines Giotto
würdig wäre, möchte ich doch in der Zuweisung nicht so weit
gehen. Die im Innern der Kirche erhaltenen Wandmalereien
sind freilich zu arg zerstört, um ein bestimmteres Urteil zu ge-
statten, doch wol sicher sienesischen Ursprungs. Und ich muss
gestehen, auch der Stil des Marmorreliefs erinnert mich, mehr
denn an Giotto, an einen sienesischen Maler wie Simone Martini
und geradezu an dessen Darstellung der Legende dieses
Heiligen in der Unterkirche von S. Francesco zu Assisi. Mit
den Hauptpersonen dieser Scenen, ihrem etwas behäbigen und
doch eleganten Gebahren, stimmt das Wesen dieses gutmütigen
Reiters überein, ja, bis in die Haltung der Hände und die Beweg-
lichkeit ihrer Gelenke, die bei Simone Martini so eigentümlich
halb vornehm, halb geziert ist, als zeichne er darin die Vor-
schrift des feinen Anstands und die modischen Sitten von Siena.
Allerdings ist eine genauere Uebereinstimmung der Komposi-
tion nicht vorhanden; denn in Assisi ist der Bettler links und
der Heilige reitet nach rechts, sie kommen sich also nicht ent-
gegen, und das Manteltuch wird nicht hinterwärts geschnitten,
sondern hängt vorn herunter. Das Pferd im wallenden Schmuck
der Mähne zeigt uns ein malerisch eingerahmtes Gesicht, als
ahnte das Tier in dem Bettler den Gottessohn. — Im Uebrigen
ist es wol überhaupt wichtiger, auf verwandte Erscheinungen
in den grofsen Hauptgemälden des Camposanto zu Pisa hinzu-
weisen, wo uns im Triumph des Todes unter den Reitern der
berühmten Cavalcade, die vor dem Anblick der offenen Gräber
stockt, ganz ebensolche Herren in fast identischem Kostüm be-
gegnen. Die Korpulenz dieser Vornehmen , die rundlichen
Lenden und Bäuche fallen uns hier wie dort ebenso auf. Das
heisst also, wir haben auch entscheidende Aehnlichkeit mit
Leistungen aus der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts vor
uns, welche den besonderen Charakter von Pisa zwischen Siena
und Florenz recht anschaulich zum Ausdruck bringen1). Das
Wichtige ist der malerische Gesamtcharakter des Ganzen,
der auch trotz der Unterordnung- unter die Anforderungen des
Flachreliefs fühlbar bleibt, und durch die Bemalung des Mar-
i) Vgl. H. Thode im Repertoiium f. Kstwschft. XL 1888. p. 13 11.
S. MARTIN IM TRECENTO IÖ5
mors, von der sich deutliche Spuren erhalten, nur erhöht werden
konnte. Ueberall hat der Künstler sich bemüht, die Gewandung
selbständig zu beleben, und ihr unabhängig von der körper-
lichen Form, an deren plastischer Durchbildung im eigentlichen
Sinne ihm weniger gelegen scheint , durch Augenblicksbe-
wegung ein eigenes Interesse zu leihen. Immer allerdings be-
wahrt er dabei die Klarheit der Formen und den deutlichen
Zusammenhang aller Bewegungen der Gestalt selbst.
Die Beziehung zu Siena gewinnt noch erhöhte Bedeutung,
wenn wir die Arbeit des Marmorbildners selbst in's Auge fassen.
Hier ist durchaus nichts von der Pisaner Lokalschule gegen die
Mitte des Trecento zu erkennen, wo Nino dAndrea, Cellino di
Nese und deren geringere Genossen die Manier bestimmen.
Ich finde vielmehr in Allem, was nicht der malerischen Vor-
lage, deren Voraussetzung mir notwendig scheint, auf Rechnung
gebracht werden kann, die auffallendste Uebereinstimmung mit
einem Teil der Skulpturen an der Fassade des Domes von
Orvieto. Hier trifft man an dem Pfeiler, dessen Mitte mit dem
königlichen Stammbaum Christi verziert ist, unten, wo der offene
Sarkophag mit dem Skelett Abrahams zu sehen ist, zwischen
den mannichfaltig bewegten Richtern und Propheten des jüdi-
schen Volkes einige Figuren von frappanter Aehnlichkeit mit
dem Bettler. So stehen ganz links die beiden Reihen nackter,
nur mit einem Manteltuch umhüllter Männer, ein Schriftband in
der Linken, die Rechte lehrhaft erhebend. Ebenso auf der
rechten Seite, in der Nähe der Frau, die als Deborah erklärt
wird. Nur die Gewandung ist hier und da faltenreicher, sonst
ebenso um den Leib gezogen, sogar die Haltung der Beine,
die schreitende Stellung der Füfse, die Art der Armbewegung,
ja der Typus der Köpfe durchaus verwandt. Dazu kommt
endlich die gleiche technische Behandlung der Augen, die mit
stark betonten Rändern und weit geöffnet ohne Andeutung der
Iris und Pupille gegeben sind, und der Haare, deren welliges
Gelock eingehend durchgearbeitet ist, — in Orvieto, so nah
dem Beschauer, natürlich noch schärfer, als in dem Flachrelief
über der Tür von S. Martino?).
>) In der ersten Rankenwindung rechts ist auch Balaam mit dem Esel darge-
stellt und hier ersichtlich genug, dass der Bildhauer in Orvieto nicht selbst so feine
Beobachtung des Rosses zu geben gewusst hätte.
f
l66 SANCT MARTIN VON LUCCA
Jedenfalls gehört dies Marmorwerk in Pisa zu den reiz-
vollsten, von echtester Trecento-Empfindung erfüllten Schöpfungen
der italienischen Skulptur, und darf als klassisches Muster be-
zeichnet werden, wie damals die Barmherzigkeit S. Martins dar-
gestellt wurde, und wie man sie damals annähernd auch in
Lucca zu erwarten hätte. Charakteristisch ist auch hier in Pisa
die malerische Auffassung und die völlige Durchdringung der
drei Wesen in ihrer Gemeinschaft mit dem Lebensgefühl der
Zeit. Ein Vergleich mit der Marmorgruppe des Domes zu
Lucca muss den weiten Abstand zwischen dieser Kunst und
jener überzeugend dartun. Nur wer diese Unterschiede ver-
steht, kann auch den Wert und die Berechtigung der einen
wie der anderen ermessen. Wer für das innere Leben der
Kunstwerke weniger empfänglich ist, und den Geist der ver-
schiedenen Menschenalter nicht herauserkennt, der mag sich an
äussere Zeichen halten, wie z. B. die Tracht, in welche der
Reitersmann gekleidet ist. Im XIV. Jahrhundert haben wir
den langen über die Kniee reichenden Rock mit kurzen
Aermeln, die sich schräg erweitern, und am Armgelenk abge-
schnitten, unter dem Ellenbogen mehr oder weniger spitz herab-
hängen; darunter noch enge Aermel bis an das Handgelenk.
Die runde Kappe, unterm Kinn gebunden, und die nämliche
Form der Sporen sehen wir in den Wandgemälden des Simone
Martini, beim Heiligen selbst oder beim Gefolge des Kaisers
Julian, der die Schwertleite an ihm vollzieht. — Nichts von
alledem in der Reiterfigur am Dome zu Lucca, deren Charakter
uns doch wie die schlichte Gestalt des Bettlers daneben das
Vertrauen aufrichtiger Wirklichkeitstreue wol eher erweckt,
als den Nachgedanken an klassische Muster. Aus demselben
Grunde wird auch ein Blick auf die Darstellung des Pferdes
entscheidend. Im Relief zu Pisa sehen wir die kurz gebaute
aber wol proportionierte Rasse, die für solche Kompositionen
mit wenigen Menschengestalten besonders willkommen sein
musste. Schon am Brunnen von Perugia tritt sie uns, neben
einem antikisierenden Rösslein, auf dem der Kavalier daher-
sprengt, frischweg nach dem Leben in dem derberen Zelter
entgegen, der friedlichen Ganges eine Edeldame zur Falkenjagd
trägt. Er erscheint ebenso auch auf den Reliefs des Andrea
Pisano am Glockenturm zu Florenz, wenn auch nicht frei von
S. MARTIN IM TRECENTO
167
dem Einfluss antiker Kunsttradition, und begegnet uns auch
sonst überall in Toskana, wo nicht besondere Leibrosse oder
Pferdeporträts gegeben werden sollen, wie dies z. B. bei der
Darstellung des Feldhauptmanns Guidoriccio de' Fogliani im
Stadthause zu Siena von der Hand Simone Martinis der Fall
sein könnte, — g-anz abgesehen davon, wie weit ein Trecento-
künstler auch beim besten Willen die unerlässlichen Mittel
besitzt, solch Vorhaben zu verwirklichen.
Das Pferd S. Martins in Lucca gehört einer anderen Rasse
gestreckten Baues an, die hochbeiniger, langhalsiger als die
soeben betrachtete, auch im Kopf die unterscheidenden Merk-
male nicht verkennen lässt. Sollten in solchen und andern
positiven Eigenschaften nicht genug Anhaltspunkte gegeben
sein, die nächstverwandten Erscheinungen herauszufinden, und
so, wie örtlich auch zeitlich den Ursprung zu bestimmen, nach-
dem wir uns — denk' ich — von allen Seiten überzeugt, dass
dieser S. Martin im ganzen Trecento Toskanas als Fremdling
dastünde.
S. Regulus und die Ariaoer. Lucca.
VIII
Die Entstehungszeit der Martinsgruppe
Jetzt erst, nachdem alle Hindernisse, welche der freien Beur-
teilung des Denkmals nach seinem eigensten Charakter ent-
gegenstanden, geduldig hinweggeräumt worden, ohne uns
einseitig gegen die Erwägungen zu verschliessen, welche Anders-
denkende etwa zu abweichendem Urteil berechtigen könnten,
dürfen auch wir uns gestatten den Weg einzuschlagen, den wir
sonst für den natürlichsten gehalten und unsererseits zuerst
versucht hätten. Kehren wir also zu dem Ausgangspunkt zurück,
wo wir zur Prüfung der Gründe Ridolfi's von dieser Bahn ab-
gelenkt.
Die Meinung Crowe und Cavalcaselle's freilich, die Martins-
gruppe sei nach der Inschrift des Guidetto von 1204 in diese
frühe Zeit des XIII. Jahrhunderts zu setzen und dem selben
Meister zuzuschreiben, der eben die ganze Schmuckfassade er-
richtet habe, müssen wir schon auf Grund einer genaueren
Bekanntschaft mit den Werken und der Begabung des Guido
da Como zurückweisen. Höher begabte , doch in ähnlicher
Schule gebildete Hände erkannten wir zu beiden Seiten des
Hauptportales, wie an dem Nebeneingang rechts, in dem Monats-
cyklus, der Martinslegende und der Geschichte des heil. Regulus.
Und da bleibt natürlich die nächste Frage, zu welchem Teil
dieser seit 1233 unter den Vorstehern Beinato und Aldibrand
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE I ÖQ.
ausgeführten Skulpturen der Vorhalle die Marmorgruppe an
der Aussenseite gehören könne. Ja, wir werden durch den
gegenständlichen Zusammenhang wol zwingend längst dazu hin-
gedrängt, eine unmittelbare Verbindung der „Barmherzigkeit
S. Martins" mit den übrigen Darstellungen aus seinem Leben
vorauszusetzen, und vor allen Dingen zu versuchen, wie weit
uns dieser Hinweis führt. Die fast als Freiskulptur gearbeitete
Gruppe draussen auf den Konsolen giebt sogar die erste Scene,
mit der die bildliche Erzählung dieser Legende gewöhnlich ein-
setzt, und — historisch genommen — wird also seit 1233 zu
den Seiten des Hauptportales mit dem Cyklus fortgefahren, der
hier am Mittelbogen der Front beginnt.
Dazu kommt noch ein äusserer Umstand. Die beiden Kon-
solen, auf denen das Ross S. Martins fufst, sind wie die einzelne
rechts, dicht neben dem Glockenturm, anders gearbeitet als die
drei andern, welche links von der Mitte, unbenutzt geblieben.
Die letzteren, von denen übrigens wieder das innere Paar etwas
tiefer angebracht ist als die äussere einzelne, die also jedenfalls
schon von vornherein für verschiedenartige Bildwerke berechnet
waren, schliessen sich in der Arbeit mehr den oberen Gesimsen
der Fassade an, und werden gleichermafsen von kauernden
Menschenfiguren getragen, wie auch unter der reichskulpierten
Mittelsäule der ersten Galerie ein sitzender Gnom als Träger
vorkommt. Die drei Konsolen rechts sind roher und altertüm-
licher in der Grundform wie in dem Bildwerk. Die erste beim
Campanile zeigt unten einen Mann, der in ein Hörn bläst, und
an der Corniche wilde Bestien. Darauf steht eine Halbfigur in
mehr als natürlicher Gröfse, welche Ridolfi als die Büste einer
jungen Frau beschreibt. „Es ist unmöglich den Gegenstand der
Darstellung zu erraten, da sie kein Attribut in der rechten
Hand hat, die allein noch übrig ist, seitdem die andere abge-
brochen; der Arm ist erhoben und mochte so etwas halten, das
sie hätte erkennen lassen. Die Haare, über Stirn und Schläfen
zurückgestrichen, fallen seitwärts bis zur Kinnhöhe herab und ver-
einigen sich im Nacken. Sie trägt ein Gewand mit Taille und engen
Aermeln, und ein Tuch fällt vorn über den Leib, bis unter den
Busen. Man darf nicht sagen, es sei eine schöne Skulptur; denn
die Gestalt ist völlig lahm in der Bewegung und in der Haltung
des erhobenen Armes. Dennoch fehlt ihr nicht grofse Breite
1 ;o SAXCT MARTIN VON LUCCA
und Grandiosität, und das Gesicht ist sehr schön." (L'Arte in
Lucca p. 92.) — Wie aber, wenn diese Halbfigur garnicht als
solche gedacht ward, sondern nur das Fragment einer gröfseren
Statue ist — und wenn sie gar kein Weib sondern einen jungen
Wann darstellt? — ■ Es bleibt seltsam genug, dass Ridolfi gar-
nicht aufgefallen, dass die Haltung der beiden Arme, wie der
übrigen Büste fast ganz die nämliche ist, wie beim hl. Martin
daneben. Der rechte Arm, dessen Bewegung nun lahm er-
scheint, führte in der Hand das Schwert und die Linke fasste
das Manteltuch, dessen oberes Ende eben als jenes bei weib-
licher Kleidung unerklärbare „Stück Tuch" (pannicello) über die
Brust herabfällt, unter dem sich nun auch der Leibrock mit
engen Aermeln, der um die Taille gegürtet war, von selbst
erklärt. Wir haben in dieser allegorischen Frau nichts anderes
vor uns als den Rest einer älteren Statue des Schutzpatrones,
welche stilistisch mit den Konsolen zusammengehört, auf denen
die jetzige steht, und auf deren letzter neben dem Campanile
dies Fragment, wer weiss wann, Aufstellung gefunden. Damit
ist ein neuer Beweis für unsere Ansicht über die allmähliche
Entstehung der Vorhalle unvermutet gewonnen, aber auch ein
neues Zeugnis für die Bildhauertätigkeit in Lucca, welche
schon bei der Ausführung dieser ältesten Teile des Atriums
ein Kolossalbild des Heiligen mit dem Bettler hervorgebracht
hat, das durch irgend einen Unglücksfall zusammenbrach und
deshalb, möglichst ähnlich, erneuert wurde! — Damit beant-
wortet sich aber auch unsere Frage, ob die jetzige Martinsgruppe
vor den um 1233 begonnenen Reliefs aus der Martinslegende
neben dem Hauptportal entstanden sein müsse, von selbst zur
vollsten Befriedigung.
Die beiden Konsolen unter dem Rosse haben an den
Cornichen ebenso wilde Bestien im Kampf, Drachen und
Menschenköpfe, und am Untersatz hier einen Bären nnd einen
Bauern, die sich in grimmiger Umarmung erdrücken wollen,
dort ein Paar von Drachen aufrecht einander gegenüber, als
fauchten sie sich lechzend an. Für die aussergewöhnliche Last,
die sie von Anfang zu tragen hatten, sind sie stärker und
plumper gebildet, und ihr Schmuck entspricht dem derberen
Geschmack ihrer frühen Entstehungszeit. Ist es doch nicht
mehr als natürlich, dass für die Darstellung des Hauptheiligen,
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE I 7 I
dessen Namen die Domkirche führt, und des allgemeinen Schutz-
patrons der Stadt zuerst Sorge getragen wurde. Hier stand
also das ältere, gröfsere Steinbild, dessen Büste nur uns daneben
erhalten ist, wol noch als Guido da Como die oberen Galerien
begann. Und denken wir an die mittelalterlichen Zustände und
den Aberglauben des Volkes , der statt des Heiligen sein
marmornes Abbild als Palladium der Gemeinde verehrte, so
ergänzt unsere Phantasie sich leicht einen Hergang, wie etwa
ein Missgeschick beim Bau der oberen Schmuckfassade den
Steinkoloss auf diesen Konsolen drunten zu Fall gebracht, und
damit den ferneren Aufenthalt des Meisters Guido, der den
Bau leitete, in Lucca unmöglich gemacht habe. So wäre der
Giebel der Fassade unvollendet geblieben, und der nächsten
Bildnergeneration die Aufgabe zugefallen, das zertrümmerte
Marmorwerk selbst zu erneuern. Das könnte sich zwischen
1233 und 1246, wo wir Guido Bigarelli in Pisa finden, ereignet
haben : ) und dieser Zeitpunkt würde vorzüglich zu den weiteren
Anzeichen stimmen, die wir jetzt verfolgen.
Wer mit aufmerksamem Auge die Reliefstreifen neben dem
Hauptportal geprüft hat , dem ist auch gewiss die Gruppe
S. Martins mit dem Bettler keine so unerhörte Ueberraschung
mehr geblieben. Die vier Scenen der Legende des Heiligen
bieten allerdings weniger Gelegenheit zur Vergleichung dar;
denn die Mönche und Geistlichen überwiegen fast ausschliesslich.
Nur die erste mit der Auferweckung des Toten und die letzte
mit der Heilung des Besessenen enthalten auch Personen aus
dem Laienverkehr, und diese wenigen erscheinen nicht einmal
alle in ganzer Figur. Dagegen sind die mannichfaltig bewegten
Gestalten der Monatsbilder doppelt willkommen. Der Schnitter,
der die Halme schneidet oder die Aehren drischt, der Küfer,
der den Wein in ein Fass füllt, der Winzer, der die Reben
beschneidet, ja der Metzger, der mit vorgebundener Schürze
und zurückgestreiften Aermeln das geschlachtete Schwein aus-
weidet, — sind ebenso viel Erscheinungen aus dem täglichen
!) Ich muss die Fachgenossen ausdrücklich bitten, diesen Erklärungsversuch
nicht als feste Behauptung von meiner Seite auffassen zu wollen, wie dies neuerdings
Bode mit einer rein hypothetischen Kombination bezüglich des Reiterdenkmals
Alfons I. von Neapel in meiner Gelegenheitsschrift über Donatello (Breslau 1886)
passiert ist. Solche Misverständnisse erwecken leicht Misliredit.
172
SANCT MARTIN VON LUCCA
Leben des Volkes, die dem Bettelmann neben dem heiligen
Martin droben durchaus verwandt sind. Selbst in dem frieren-
den Alten, der im Januar an seinem Feuer sitzt, möchte man
einen Genossen erkennen. Und schliesslich erhält sogar die
ganz kleine Figur des Wassermannes, in dem Zwickelfelde hinter
ihm, eine besondere Bedeutung in dieser Reihe, weil seine
Körperhaltung und Beinstellung derjenigen des Fufsgängers
neben dem Rosse am nächsten kommt.
Natürlich haben wir uns immer den Abstand bewusst zu
halten, der zwischen Reliefs von verhältnismäfsig bescheidenem
Mafsstab und einer voll ausgearbeiteten Freifigur überall be-
stehen bleibt; wir müssen ferner nicht ausser Acht lassen, dass
Monatscyklus am Do
die Friese der Kirchenwand in der Vorhalle im Interesse der
Gesamtwirkung nicht über einen gewissen Grad der Erhebung
und der Durchführung- hinausgehen, sondern ergänzende Be-
malung zu Hülfe nahmen, also, im Anschluss an die Architektur
und in den Schranken fortlaufender Umrahmung, doch dem
Künstler nicht volle Freiheit zur Entfaltung seiner plastischen
Kraft gewährten. In mancher Beziehung dürfte mithin bei sicht-
licher Zurückhaltung hier auch ein gewaltiger Schritt in's
Monumentale und Grofsartige uns durchaus nicht befremden,
wenn sich daneben die seltene Aufgabe eröffnet, eine Marmor-
gruppe in fast voller Unabhängigkeit von Wand und Rahmen
zu schaffen.
Unter diesen Voraussetzungen erscheint uns, wir gestehen
es rund heraus, der Bettelmann als eine ganz natürliche Ent-
wickelung aus den Relieffiguren der Monatsbilder. Zuerst ist
die Tracht, in der er uns gezeigt wird, — ein hemdartiger
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE
173
Kittel — die durchgehende bei dem arbeitenden Landmann von
damals, nur dass zur besseren Motivierung des Frierens und zur
Unterscheidung des Verarmten statt der langen, engen Aermel
ein weiter Schlitz im Rock die Arme und einen Teil der Brust
nackt hervortreten lässt. Und trägt der Bauer hier und da bei
seinem Tagewerk auf dem Stoppelfeld und im Hause seine
Lederschuhe, so geht der verkommene Landstreicher barfufs, ja
bis über die Knie entblöfst auch in der kalten Jahreszeit, be-
sonders wo er durch seinen Anblick das Mitleid des vorüberziehen-
den Wanderers erregen will. Um so besser sind wir in der Lage
den Bau seines Körpers und die charakteristische Bildung seiner
Glieder zu betrachten. Machte sich in dem Monatscyklus trotz
Monatscyklus am Dom zu Lucca.
der niedrigen Arkaden und der vorgeschriebenen Einordnung
eine sichtliche Neigung zu gestreckten Proportionen, zu schlanken
Gestalten bemerkbar, so dass sie oft mit den kleineren Ver-
hältnissen der Architektur oder dem Mafsstabe der dargestellten
Tiere contrastieren, so erklärt sich das sicher nicht allein aus
der Benutzung etwa antiker Vorbilder, wo wir das letztere
wenigstens häufig beobachten, sondern bekundet auch eine aus-
gesprochene Gewohnheit des Vorstellens beim Künstler, — ein
angeborenes Naturmafs, dass ihm in den Fingern steckt. Das-
selbe waltet in dem nämlichen Sinne auch hier in der Matmor-
gruppe, wo er frei ist und keinen Bogen über den Köpfen
spürt mit seinem drückenden Veto. Dazu kommt die gleich-
artige Form in den einzelnen Teilen, vor allen Dingen im Kopfe,
und zwar gerade mit diesen gröfseren Kerlen der Landbe-
völkerung, aber auch mit der vornehmen Familie germanischer
Herkunft, die am Totenbett eines Angehörigen versammelt
]J4 SANCT WARTIN VON LUCCA
sind, den S. Martin auferweckt. Es scheint absichtlich den
Klerikern der runde Kopf gegeben, den Uebrigen aber ein
Oval mit wolgeformtem Schädel, der, hohen Scheitels und
leichten Haarwuchses, sich klar herauswölbt und ein energisches
und doch fein geschnittenes Antlitz entwickelt. Fest und gerade
sitzt dieses Haupt auf dem Rumpfe selbst bei dem Bettler noch.
Sehr charakteristisch sind für seine Erscheinung auch die nicht
eben langen, aber eckig bewegten Arme mit ziemlich kleinen
Händen, wie wir sie überall in den Ceremonien der Martins-
legende und besonders beim Wärter des besessenen Kaufmanns
erblicken. Die langen Beine sind nur bei wenigen Figuren der
Reliefs so stark emporgeschossen wie hier unter freiem Himmel,
aber mehr als einmal bemerken wir die selbe etwas schiebende
Gangart in den Knieen und den platt am Boden haftenden
Füfsen. In der ganzen Behandlung jedoch, in den nackten
Gliedern wie dem Gesicht beobachtet man leicht die nämliche
Technik, bis in die Wiedergabe der Augen und Haare hinein,
nur in grofsartigerer Entschiedenheit, und selbst die Gewandung
offenbart in all ihrer Schlichtheit einen gewissen Hochsinn für
die Hauptsache. Ganz knapp ist der einfache Kittel mit einem
Strick um den Leib gebunden, über den der obere Bausch des
Stoffes herüberhängt; ganz wenige vertiefte Linien deuten den
Zug der Schenkelform an, und ein paar Falten weisen die
Richtung. Der Kleinkram, der sich hier und da in den Monats-
bildern noch bemerkbar macht, in der Martinslegende bereits
zurücktritt, ist völlig abgestreift.
Und nun auch der Reitersmann. An einer Stelle wenigstens
stofsen wir auf einen verwandten Zug. In der Auf erweckung des
Toten steht am Lager ein vornehmer Jüngling in der nämlichen
Tracht. Und obwolgeradeseineArmbewegungnichtrechtgeglückt
ist, und die andere Hand in den Mantel greifend wol auch für
den Künstler nur, wie beim Dargestellten, die Verlegenheit ver-
rät etwas Anderes mit ihr anzufangen, so wird doch eben da-
durch ihr Wert für uns erhöht. Es ist das nämliche Kleidungs-
stück und die nämliche Art sich damit zu gehaben, die wir
auch bei S. Martin droben wiedererkennen. Der Kriegsmantel
hängt, auf der rechten Schulter zusammengehalten, voll und
breit über die linke Seite, deren Arm dadurch verhüllt und be-
hindert wird. Es ist ein gleichzeitiges Hervorstrecken der Hand
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE 175
und Zurückschieben des Mantelstoffes geboten, und so entpuppt
sich die Linke gleichsam, hier wie dort, in eigens angewöhnter
Weise. Beim Martin greift sie sogar, die Innenfläche nach oben
kehrend, über den Rand des Zeuges, es festzuhalten, weil es
entzweigeschnitten werden soll. In solcher vom besonderen
Kleidungsstück besonderter Bewegung dokumentiert sich die
zeitgenössische Beobachtung des Künstlers. Ja selbst in der
Auswärtskehrung des Ellenbogens bei doch nicht völlig freiem
Auslegen des rechten Armes darf man wol ein Zeugniss für den
nämlichen Urheber erblicken. Das Schwert in der Hand ist
leider nicht alt, sondern ist neuerdings ergänzt; aber die Scheide,
die vom Gürtel herabhängt, gestattet wenigstens einen Rück-
schluss auf die ursprüngliche Form. Damit sind wir bei der
wichtigen Frage nach dem weiteren Kostüm. Der obere Teil
stimmt genau mit dem des Jünglings in der Auferweckung
drunten, deren Entstehung zwischen 1233 und 1250 spätestens
gesichert ist. Der Reiter zeigt uns nun unter dem ziemlich
langen Rock, der vor dem Knie zurückschlägt, die engan-
schliessenden Strumpfhosen und lederne Stiefel, deren weicher
Schaft bis zur halben Wade hinanreicht, — unter den Knöcheln
die übergeschnallten Sporen mit Steg unterm Fufs, und weiter
vorn den Steigbügel unter der zugespitzten, etwas abwärts ge-
bogenen Sohle. Bedauerlicher Weise ist im Monatsbilde Mai,
wo ein fröhlicher Herr zu Pferde dahertrabt, gerade der Fufs
abgebrochen, so dass wir nur die verwandte Aufzäumung des
Gaules betrachten resp. den fehlenden Zügel bei Martin dar-
nach ergänzen können. Doch kommt uns der Ritt der Könige
aus Morgenland an der Erztür des Bonannus in Pisa, an der
Kanzel des Domes von Siena und in Barga, wie an dem Architrav
von S. Andrea zu Pistoja, nach Wunsch zu Hülfe, und bestätigt
diese Tracht im XII. und XIII. Jahrhundert, wie so manches
Fürstenbild und ritterliche Grabmonument im Norden, während
wir zugleich anerkennen müssen, wie treulich unser Künstler
die wirklichen Erscheinungen seiner Tage in diesem Bilde
wiederzugeben trachtet, bis in die Einzelheiten der Aufzäumung
und des Geschirres hinein, und wie er doch einfach und grofs
geblieben.
Vielleicht ist es auf der anderen Seite gar notwendig auf-
diese Zeugen seiner Treue ausdrücklich hinzuweisen, wenn unser
17Ö SANCT MARTIN VON LUCCA
Blick von den Fufsspitzen wieder emporgelenkt wird zur Büste
des Heiligen mit dem entblöfsten Haupt. Das war doch sicher
eine Freiheit, die sich der Bildner nahm, den biederen Soldaten
nicht in seinem Kegelhelm oder wenigstens in der Kappe zu
zeigen, die er auf dem Ausritt tragen musste? — Gewiss, wir
erwarten das Eine oder das Andere, wenn nicht statt beider,
wie gegenwärtig ergänzt, den Heiligenschein, der die Aus-
nahme genugsam erklärt. — Und liegt nun nicht gerade in der
Auffassung und Darstellung- dieses bartlosen Hauptes ein deut-
licher Beweis, dass auch dieser Meister idealisiert, und in der
Gesamterscheinung der Büste fühlbar bemüht ist, antiker
Schönheit nachzukommen? — Möglich, dass auch hier die
Kenntnis antiker Vorbilder mitgewirkt, wie etwa in dem
Monatscyklus noch ein später Nachklang fühlbar bleibt. Aber
man sollte mit dem Hinweis auf klassische Muster jedenfalls
vorsichtig sein, da wir uns vielleicht lange nicht genügend die
Verwandtschaft vorstellen, die auf dem alten Boden der Kultur
doch noch immer in der allgemeinen Erscheinung des Lebens
und der Menschen fortbestand. Erinnert uns doch heute noch
an entlegenen Orten, oft gar in einsamen Gebirgsnestern die
weltfremde Bevölkerung mit ihren uralten Gefäfsformen und
dem ererbten Gehaben mit diesem Gerät überraschend genug
an die Darstellungen jener glücklichen Kunstperiode! — Wird
auch hier in der Büste S. Martins mit der Manteldraperie um
die Schultern der klassische Anklang zugegeben, so muss auf
der anderen Seite um so entschiedener hervorgehobeen wrerden,
dass die technische Behandlung keinen Versuch gröfserer An-
näherung an die antike Marmortechnik zeigt, sondern vielmehr
genau dieselbe bleibt, die wir auch in den Reliefs zu den Seiten
des Hauptportales beobachten. Der Kopf des Bettlers besonders
ist ganz ebenso behandelt wie der des Reiters, und hier lag
die Aufforderung nach der Antike zu schielen doch jedenfalls
nicht vor. Diese Behandlung aber zeichnet sich, wie die ganze
Auffassung des Künstlers überhaupt, durch schlichte Einfach-
heit und gerade Aufrichtigkeit aus. Mit wenigen Mitteln er-
riecht er die Wirkung. Die Haare liegen als dünne Decke auf
dem wolgeformten Schädel und sind in kleine wellige Strähne
gesondert. Die Augen sitzen tief in ihrer Höhle, deren oberer
Rand mit scharfem Bogen die Brauen bezeichnet, sind aber
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE 177
durchaus nicht grofs und mit stark vortretendem Augapfel ge-
bildet, sondern von feinem mandelförmigen Schnitt mit ver-
tieftem Stern, genau so wie es an den Köpfen der Martins-
legende zu sehen ist, wo sie gut erhalten geblieben. Natürlich
ist das Antlitz des Heiligen, hier in jugendlichem Alter, als
Glanzpunkt der ganzen Gruppe die höchste Leistung des Bildners.
In dem zarten Schwung der Brauen, die nah an einander stofsen,
in der feinen geraden Nase mit leise geblähten Flügeln, in dem
frischen, doch nicht üppigen Munde, umrahmt von dem weichen
Oval, das im Kinn entschiedener vortritt, ist es doch nicht das
Ebenmafs allein, das uns entzückt. Es wohnt in diesen Formen
eine freundliche Anmut, die aus dem Blick der Augen zu sprechen
und um die Lippen zu spielen scheint, als leuchte die reine
Seele aus dem Innern. Und diese Verklärung ist mehr, als ein
Heiligenschein bedeuten könnte1).
Wenn aber ein Abglanz antiker Schönheit vermutet wird,
wo wir eher germanische Durchgeistigung erblicken, so wird
man dergleichen ererbte Vorzüge gewiss noch eher bei dem
Teil der Gruppe voraussetzen, der diese „Barmherzigkeit
S. Martins" in die Reihe der Reiterdarstellungen erhebt, und
die Aufgabe sicher zu einer so ungewöhnlichen machte, dass
man erwarten darf, der Künstler werde sich Rats erholt haben
wo irgend er vermochte. Das Ross, auf dem der Heilige sitzt
fordert unsere Beachtung.
Gerade dieses Pferd nun zeigt die Anlehnung an klassische
Reiterstatuen am allerwenigsten, ja es widerspricht ihr ent-
schieden. Diese Darstellung gehört unstreitig zu den wenigen
Beispielen, wo der mittelalterliche Künstler auch in Italien sich
unmittelbar an die Natur gewendet, und sich nicht entschliessen
konnte, im Hinblick auf Vorbilder des Altertums, die ihm selbst
vertraute Rasse zu verläugnen und die fremdere darzustellen,
für deren Wiedergabe ihm doch häufig genug in diesen Gegenden
vorgearbeitet war. Er hat die Sarkophagreliefs im benachbarten
1 ) Leider gefährden zwei Risse im Marmor, einer am Halse und einer schräg
durch das Gesicht von der Schläfe rechts, im Bogen unter der Nase durch Oberlippe
und Wange hin, in drohender Weise die Erhaltung dieses seltenen Meisterstückes.
Vielleicht entschliesst sich die Generalverwaltung der K. Museen in Berlin oder des
South-Kensington-Museums zu London, die sich schon so manches Verdienst in
dieser Richtung erworben haben, dazu die ganze Gruppe abformen zu lassen.
Italienische Forschungen I. 12
178 SANCT MARTIN VON LUCCA
Pisa, die Niccolö Pisano nachweislich studiert hat, aller Wahr-
scheinlichkeit nach auch gesehen, sie aber keinen Augenblick
seine Phantasie bestimmen lassen. Weder die marmornen Rosse
der Dioskuren auf Monte Cavallo in Rom, noch das Bronze-
pferd des Marc Aurel, der damals unter dem Namen Constantins
oder gar eines Bauern am Lateran stand, noch die Triumph-
gespanne der Kaiser an ihren Siegesbogen haben irgend
einen unmittelbaren oder mittelbaren Einfiuss auf dies Werk
gewonnen. Ebenso wenig teilt der Gaul S. Martins die kurzen
gedrungenen Proportionen mit den späteren Darstellungen der
toskanischen Kunst, wie etwa an der Kanzel der Pisanischen
Meister zu Siena oder in dem Relief aus Ponte allo Spino im
selben Dome, oder mit dem Silberrelief am Jacobusaltar des
Domes zu Pistoja. Es ist vielmehr ein hochbeiniges Tier von
sehr gestrecktem Bau, mit langem, wenn auch immer sehr
kräftigem Hals und schmalem länglichem Kopf, dessen weitge-
öffnetes Auge unter dem gespitzten Ohr eine Bedeutung ge-
winnt, als ob es horchend nach dem Vorgang herumblickte und
so ganz natürlich und verständlich die lammfromme Ruhe be-
wahrt, die der Reiter bei dem Teilungsgeschäft ihm aufnötigen
musste. Wenn es gilt verwandte Erscheinungen in unserm
Denkmälerkreise nachzuweisen, müssen wir schon nach Ober-
italien zurückgehen, wo wir ohnehin die Heimat des Bildners
voraussetzen. Hier ist in der Tat dieser gestreckte Pferdetypus
mehr zu Hause, als im mittleren und südlichen Italien, und
kommt im ganzen Mittelalter fast ausschliesslich an Reiter-
monumenten vor, bis hinein in die Renaissance, bei deren Ein-
tritt gerade ein Mann wie Jacopo Bellini, in dessen Zeichen-
büchern zahlreiche Beispiele zu finden sind, ihm weitgreifende
Verbreitung sicherte.
So erscheint S. Martin in Lucca wiederum im Gegensatz
zur pisanischen Schule, speciell zu dem nächsten Künstler, der
hier auftritt, Niccolö di Pietro da Pulia, — und rückt in eine
Gruppe mit lombardischen Monumenten, welche einer gemein-
samen Kunstrichtung angehören. Diese Denkmäler aber ent-
standen sämtlich, soweit sie uns erhalten, erst im Verlauf des
XIV. Jahrhunderts, und es erhöbe sich nachträglich noch einmal
die Frage, ob daraus nicht auch auf die Entstehung unseres
S. Martin im vollen Trecento geschlossen werden müsse, oder
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE 179
ob vielmehr der genaue Vergleich mit diesen nächstverwandten
Beispielen nicht wiederum den früheren Ursprung, den wir so-
eben ausführlich darzutun versucht, auch in dieser letzten Instanz
entscheidend bestätige?
Vi
ier Reitermonumente sind es, die hier vor Allem be-
trachtet werden müssen: die drei der Scaliger zu Verona und
das des Bernabö Visconti zu Mailand. Die seltsam aufgetürmten
Grabmäler der Herren della Scala, die so nah aneinander gerückt
den kleinen Friedhof von St* Maria antica mit dem schlichten
Backsteinhelm des Kirchturms zu einer Stätte märchenhafter
Poesie erheben, wo deutsche Ritterromantik so heiter und ver-
wegen in den blauen italienischen Himmel ragt, — diese eng-
geschlossene Gruppe, — für uns, in unmittelbarer Nähe des
Gemüsemarkts mit seinem farbenreichen Getriebe unter den
wie Riesenpilze aufgeschossenen Sonnenschirmen, eine Welt für
sich, — ■ ist ganz allmählich entstanden.
Was Orsanmicchele für die Skulptur in Florenz, ist dieses
Scaligerheiligtum in Verona, vom Beginn des Trecento bis an
den Eintritt der Renaissance. Ja, es ist höchst bedeutsam sogar,
wie die Bildnerei hier einsetzt, in dem mächtigen Sarkophag,
der noch nicht von einer Reiterstatue bekrönt wird. Der In-
sasse, Alberto della Scala, ist 1301 gestorben, sein Gehäuse
also um die selbe Zeit entstanden, wo Giovanni Pisano die
Scrovegnikapelle im nahen Padua, die Giotto gemalt, mit Statuen
schmücken half, indem er ein gotisches Tabernakel als Grab
und Altar zugleich errichtete. Hier in Verona wird auf den
Boden im Freien ein Sargkoloss aus veronesischem Marmor auf-
gestellt, das in jeder Beziehung an die Sarkophage der Glanzzeit
Ravennas erinnert, wie das Dogengrab Morosini an S. Marco zu
Venedig. An der Schmalseite ist ganz der nämliche Schmuck:
ein Kreuz mit Kranz herum, in byzantinischer Arbeit. Den
selben Charakter tragen auch die Evangelistensymbole an den
Vorderseiten der vier Eckwürfel, die das Satteldach des Deckels
einpflöcken, und doch wol als Postamente für vier Statuen be.
stimmt waren. Ebenso der figürliche Schmuck der Giebelfronten
zu Häupten und Füfsen, wo hier im Giebelfeld das Lamm, an
den Würfeln zwei Propheten erscheinen, dort in der Mitte die
180 SANCT MARTIN VON LUCCA
Halbfigur des segnenden Gottvater und an den Seiten die Ge-
stalten Gabriels und Marias. Auf der einen Langseite erscheint
der verstorbene Fürst, bei einem Rosenbusch knieend vor der
Madonna, die breit und robust wie ein Bauerweib dasitzt mit
dem ganz bekleideten Kind auf dem Schofse, während zwei
Cherubim hinter ihr einen Vorhang halten, links und rechts
Papageien sitzen. Zuäusserst stehen zwei Erzengel als Wächter
des Trones; der eine mit untergeschlagenen Armen, der andere
weist auf den frommen Verehrer. Auch hier ist das byzantinische
Vorbild überall deutlich durch die Verrohung hindurch zu er-
kennen, wenn auch die stark vorspringenden Schädel mit tiefen
Augenhöhlen und zurückfliehendem Hinterkopf und oben abge-
platteter Hirnschale gar seltsam barbarisch sind, und die tech-
nische Durchführung, die schneckenartigen Ecken der Flügel,
die Reihen von Bohrlöchern an den Besatzstreifen der Gewänder,
die ausgetieften und mit farbigem Einsatz gefüllten Augensterne
nur unbehülfliche Versuche bedeuten, in dem harten Steinmaterial
mit andern Leistungen des Kunsthandwerks zu wetteifern. Uns
aber interessiert am Meisten die andere Langseite des Steinsarges,
die uns den Fürsten zwischen zwei stehenden Heiligen auf
seinem Rosse daherreitend zeigt. Rechts steht Jacobus mit
Pilgerstab, Hut und' Tasche, barhaupt, aber mit grofsem reich-
gearbeiteten Heiligenschein, zu einer ewigen Lampe gewendet,
die vom oberen Reliefrand herabhängt, — links Maria Magdalena
als Büfserin mit erhobenen Händen, in ihrem Kleid aus eigenem
Haar, neben einem seltsam geformten Baum, und in der Mitte
trabt auf seinem Gaule Alberto della Scala selbst, nach rechts,
in Profil gesehen, — selbstverständlich Ross und Mann in
kleinerem Mafsstab, in gleicher Kopfhöhe mit den stehenden
Heiligen.1) Diese beiden hieratischen Gestalten sind durchaus
in dem romanischen Stil behandelt, der seine Herkunft von
Byzanz noch nicht verläugnet und gewohnt ist, sich in kostbaren
Stoffen, wie Goldblech, Email und Elfenbein auszusprechen.
Sie gehören in eine Kategorie mit den vielumstrittenen Dar-
stellungen von der Verkündigung bis zur Taufe Christi am
Taufbecken des alten Kirchleins S. Giovanni in Fönte beim
Dom zu Verena. Man hat dies Werk irriger Weise mit einer
1 ) PhotDgraphieit von Alinari.
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE 181
Herstellung und Erweiterung der Kirche um 1 1 30 zusammen-
datieren wollen1), während schon die umrahmenden Architektur-
teile eine spätere Entwickelungsphase des romanischen Stiles
aufweisen. Der Cicerone2) setzt es mit Recht um 1200 an.
Es macht sich aber in den schlanken Figuren, in den regel-
mäfsigen Falten nicht blos die Bekanntschaft mit byzantinischen
Gemälden geltend, sondern es ist wol mit Dobbert^) für ein
treffliches Werk byzantinischer Kunst zu halten, d. h. in dem
Sinne, wie ich dies auch vom Grabmal des Alberto della Scala
von 1301 noch behaupten möchte: ein Werk byzantinisch ge-
schulter Bildner in Venedig, deren Kunstweise mit dem Einfiuss
der Lagunenstadt hier hart gegen die deutsche und lombardische
Gränze vordringt. Als drittes Beispiel byzantinisch- venezianischer
Arbeit wäre die Area Duxaimi an der Rückwand von S. Pietro
Martire (bei St. Anastasia) zu erwähnen, an deren Vorderseite
sogar ganz deutlich ein Altaraufsatz aus getriebener Metallar-
beit in Stein übersetzt wird, und zwar in drei Bogenstellungen,
deren Figuren in verschiedenem Grade archaisieren, am meisten
natürlich die Madonna mit dem ganz bekleideten Kinde4).
Diese Symptome trägt unverkennbar auch die Figur des
Reiters selber, in der Mitte zwischen Jacobus und Magdalena
an sich, ein porträtmäfsiger Bestandteil, der uns doch immerhin
das Zeugniss giebt, dass wir uns an der Wende des XIII. ins
XIV. Jahrhundert befinden. Herr Alberto della Scala wird hier
getreulich in seinem fürstlichen Kostüm mit hochrandiger Mütze
und richterlichem Schwert abgebildet, wie er in den Strafsen
Veronas erschien, sogar mit genauer Schilderung des Zaumwerks
und seiner Schnallen. Das Ross selber jedoch g-ehört nicht der
1 ) So neuerdings auch Mothes , die Baukunst des Mittelalters in Italien
S. 212. Doch kommen ihm S. 432 selber Bedenken, resp. die richtigen Erwägungen.
,.Auch hier sind die Kapitelle der Ecksäulcheri und die der zwischenstehenden.
Konsolen des Rundbogenfrieses ... in der Gestaltung völlig ausgebildet romanisch,
die gewundenen Schäfte und die Füsse sogar schon einen Schritt weiter in der
Entwicklung."
'■) Fünfte Auflage 1884. S. 313.
3 ) Ueber den Styl Niccolö Pisanos. S. 60.
4 ) Phot. v. Alinari. Das älteste und reinste Beispiel dieses byzantinischen
Imports via Venedig ist wol db kleine Statue der tronenden Madonna mit dem Kinde
(deren Kopf leider ergänzt) an der Innenseite der Eingangshalle zum Yescovado. Der
Tronsessel und sein Schemel (wie ein scaldino) deutet wol auf metallisches Vorbild-
182 SANCT -MARTIN VON LUCCA
langgestreckten, sondern der kurzgebauten Rasse an, die der
Schulung des Bildners entspricht, und zeigt sogar das später
so beliebte Motiv des erhobenen Vorderfufses wie die vergoldeten
Bronzepferde von S. Marco.
Darauf aber folgt die Freistatue auf dem Monument des
1329 gestorbenen Can Grande L, das sich bescheiden noch als
Nische an die Kirchenwand legt, um dann in pyramidalem
Aufstieg, der übrigens eine spätere, gotisch dekorierte Zutat
des Nachfolgers sein könnte1), über das Kirchendach hinaus-
zuragen. Auf der Platte droben hält der fürstliche Herr in
vollem Waffenschmuck auf seinem reichbehängten Turnierross,
den mächtigen Flügelhelm mit Hundskopf auf dem Rücken,
das blofse Schwert aufrecht in der Hand. Und dieses Ross
nun in seinem Turniermantel gehört unverkennbar zu jener
langgebauten nordischen Art, die man zu diesem Zweck be-
vorzugte.
Daran schliesst sich ganz eng das um 1351 (?) errichtete
Denkmal Mastinos IL, das schon selbständig und frei von allen
Seiten sichtbar heraustritt. Hier ist die oben abgestumpfte
Pyramide wirklich organisch aufgebaut oder doch mit den
"Wimpergen der vier Bögen verbunden, und die Laternenpfähle
an den vier Ecken wirken immerhin fialenmäfsig, belastend und
belebend zugleich. Der Skulpturenschmuck, in Relief sowie
Statuetten, ist überall reicher geworden. Das Reiterbild auf
der Platte droben geht aber kaum über das vorige hinaus, nur
vermeidet es die unglückliche Idee mit dem zurück über den
Nacken gelegten Helm, der hier auf dem Haupte prangt, und
vollendet den turniermäfsigen Aufzug in dem statt des Schwertes
die lange Turnierlanze aufrecht gehalten wird2).
Wol zwei Jahrzehnte später entstand zu Mailand das Denk-
mal, das Bernabö Visconti (1354 — 1385) sich selbst bei Lebzeiten
errichten Hess 3). Es erscheint nur wie eine Reduktion dieses
• ) Die ursprüngliche Form des Daches wäre wol derjenigen des Grabmals
Castelbarco zwischen S. Pietro Martire und S. Anastasia, ähnlich zu denken; doch
ist dieses neuerdings ergänzt worden.
2 ) Für die Entwickelungsreihe in Verona ist es wol wichtig, dass das Grabmal
des 1359 gestorbenen Johannes Scaliger, auch an der Kirchenwand, den p a d u a-
n i s c h e n Typus aufweist.
J ) Jetzt im Museo archeo'ogico der Brera.
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE 183
Scaligergrabes, welche der Fürst sich gefallen liess, um so doch
im Innern seiner Kirche S. Giovanni in Conca hinterm Hoch-
altar Platz zu finden und sich dort, wie ein witziger Schrift-
steller ihm unterlegt, mit beweihräuchern zu lassen. Auf sechs
runden und sechs polygonen Säulen ruht der rechteckige
Marmorkasten, dessen vier wenig vortretende Eckpfosten mit
Statuetten bekrönt waren. Auf dem in der Mitte etwas er-
höhten Sargdeckel steht mit allen Vieren der klobige Gaul.
Obwol die Beine schon überaus plump gebildet sind, hat der
Steinmetz doch nicht gewagt, den Rumpf selber noch ohne
Mittelstütze zu lassen. Der stehengebliebene Pfosten unter dem
Bauch wird durch zwei Frauengestalten gedeckt, deren eine gar
das Symbol der Stärke, einen Löwen, bei sich führt, dem Reiter
jedoch kaum bis an die Fufssohle reicht. Auch sonst ist der
Körper des Hengstes sehr wenig durchgeführt, dagegen von
oben bis unten mit goldig-en Härchen bemalt. Nur der Kopf
zeigt das Bestreben möglichst getreu das natürliche Vorbild zu
konterfeien. Und der Reiter selbst in voller Rüstung auf dem
seltsam hohen Sattel, der die kleine Figur des Menschen aller-
dings mehr über die kolossale Gröfse des Tieres hinaushebt
Offenbar hatte der Mailänder Visconti keine künstlerische Kraft
wie der Veroneser Scala zur Verfügung, mit der er übrigens
durch seine Gattin Beatrice, die Tochter Mastinos, verschwägert
war, — und es kann trotz der deutlichen Beziehung zwischen
diesem Monument in der Brera und dem Mastinos della Scala,
welche sich auf diese Weise genügend erklärt, keineswegs auf
die Selbigkeit des Künstlers geschlossen werden. Der Veroneser
ist wirklich ein Bildhauer, dieser Mailänder in der Tat nur ein
Steinmetz, wie wir ihn genannt. Allerdings darf auch bei der
Beurteilung Jenes niemals ausser Acht gelassen werden, dass
der plastischen Arbeit überall Bemalung zu Hülfe kam, deren
Reste gerade bei dem Denkmal Mastinos am stärksten er-
halten sind1).
Der Wert jedoch auch dieser Leistungen in Verona schränkt
sich auf bescheidnere Gränzen ein, wenn wir das glänzende
Prachtstück in's Auge fassen, das schon der letzten Phase des
1 ) Blau und Gold herrscht vor, in der Blätterkante, in den Engelsgewändem
und am Bahrtuch. Die Flügel der Engel, und was sonst aus Metall angesetzt ist,
war natürlich vergoldet
184 SANCT MARTIN VON LUCCA
Trecento angehört. Die völlig dekorative Architektur mit ihrer
Häufung von Motiven und ihrem verschwenderischen Skulpturen-
schmuck geht hier ganz sichtlich schon in die Renaissance über,
so dass man an die bilderreichen Zierstücke des Dogenpalastes
in Venedig und besonders an die Porta della Carta erinnert
wird. Indessen auch dies Monument des letzten Machthabers
der Scala, Can Signorio, der seinen eigenen Bruder 1356 auf
der Strafse umgebracht, hat wol während des Aufbaus erst die
Erweiterung des Planes und die Wandlung des Stiles erfahren
die sich in der Auflockerung und Zergliederung des Ganzen, in
der Umstellung mit selbständigen Tabernakeln, in der Ver-
mehrung der Statuetten, der Nischen und Medaillons nach oben
zu ausspricht, und unverkennbar in dem Wunsche gipfelt, alle
übrigen Denkmäler der Familie zu überbieten. So macht es
mit den Renaissancedetails in der Höhe geradezu den Eindruck
eines erneuten Anlaufs, und man würde an der Einheitlichkeit
der Erfindung und Ausführung zweifeln, wenn nicht die Inschrift
deutlicher als sonst die Autorschaft des einen Meisters für das
Ganze betonte:
HOC OPVS FECIT ET SCULPSIT BONINVS DE
CAMPIGLAONO MEDIOLANENSIS DIOCESIS. —
MCCCLXXV. OCTOBRIS XIX
OBIIT MAGNIFICUS CAN SIGNORIUS').
Sie ist uns wichtig für den lombardischen Ursprung auch dieser
Bildhauer in Verona.
Die Erscheinung des Fürsten in seiner Rüstung, als ab-
schliessende Reiterfigur auf der Höhe, ähnelt am meisten dem
Bernabö Visconti, mit dem diese letzte Darstellung auch den
hohen Sattel und die stützende Säule unter dem Leibgurt des
Pferdes gemein hat. Und dieses nicht mehr im Turniermantel
eingehüllte Streitross bringt mehr als die andern den Eindruck
eines friedlichen Gaules hervor, ja, es steht wieder sehr plump
und bewegungslos auf den Beinen. Leben und Bewegung, das
fühlt man hier deutlich, kommt doch erst mit dem Durchbruch
des neuen Geistes, der im eifrigen Natursinn auch dem edelsten
1) Unten herum stellt noch ein Lobesvers: „Ut fieret pulcrum pollens niti-
dum^ue sepulcrum Vere Boninus erat sculptor . . . etc.
EXTSTEHUXGSZEIT DER MARTIXSGRUPPE 185
Tiere wieder die Aufmerksamkeit zuwendet, die ihm gebührt.
Das kündigt sich in dem Pferde des Paolo Savello an, der 1405
als Kriegsführer im Dienst der Republik seinen Tod fand und
dafür mit dem Reitergrabmal in S. M. dei Frari geehrt ward,
das (aus Holz geschnitzt) nun eine lange Reihe eröffnet, und
kommt in Verona selbst sogar soweit, dass die Lebendigkeit
des derben Hengstes die menschlichen Figuren übertrifft: das
ist schon kurz vor Donatello im Bildniss des Feldherrn Cortesia
da Serego in St. Anastasia, vom Jahre 14291) der Fall.
Blicken wir zurück auf die Reihe der Trecentowerke, die
wir zum Vergleich mit S. Martin in Lucca herangezogen, so
leuchtet auf der einen Seite unzweifelhaft die grofse Verwandt-
schaft in der Wahl und Auffassung des Tieres ein. Besonders
ist es überall die Wiedergabe der langgebauten Rasse, ohne
Rücksicht auf die Benachteiligung der menschlichen Figur, die
daraus erwachsen kann. Während das ganze griechisch-römische
Altertum und die von ihm abhängigen Kunstrichtungen des
Mittelalters schon im Interesse dieser glücklichen Verbindung
von Ross und Reiter die Proportionen des Tieres reducieren,
und zwar in Toskana so gut wie in Venedig, — begegnet uns
hier in der Lombardei eine treue Gemeinde von Naturnach-
ahmern, die unbekümmert um die Schulregeln der Komposition
zunächst die wirkliche Erscheinung selber zu packen sucht,
mag ihr Vermögen zur Bewältigung der Aufgabe auch lange
noch nicht hinreichen und die glückliche Durchbildung wenigstens
eines oder des andern Teiles das einzige Resultat sein, das sie
erreicht.
Als alleiniger Ausläufer nach Toskana hinein könnte hier
der Gaul S. Martins in Lucca erscheinen. Fragen wir uns
aber, in welchem Verhältnis er zu den einzelnen Beispielen
steht, die wir in Oberitalien betrachtet, so muss auf der andern
Seite wol klar werden, dass er zeitlich nicht in einer Linie mit
diesen Werken zu denken ist, welche der zweiten Hälfte des
Trecento angehören. Alle haben, freilich aus der besonderen
Aufgabe einen ritterlichen Fürsten zu verherrlichen, mehr oder
weniger deutlich die Darstellung als Turnierpferd vorwiegen
lassen, und es ist gerade das früheste unter ihnen, das seitlich
1 ) Vgl. Cipolla, Ricerche storicae intorno a.la chiesa di St. Anastasia in Verona
Archivio Veneto XIX. 1880. Cap. III. p. 225 ff.
l86 SANCT MARTIN VON LUCCA
gesehene des Can Grande (-f- 1329), das in der lebendigeren
Wendung des Kopfes noch am meisten Aehnlichkeit aufweist.
Bei aller Ehrlichkeit der Gesinnung hat hier oben in der Lom-
bardei doch die bildnerische Kraft nicht zugenommen, und so-
wol das Pferd des Visconti in Mailand wie das Can Signorios
in Verona bleiben hinter den Anforderungen zurück, die wir
in Toskana bei den Künstlern des Trecento zu stellen gelernt
haben. Dagegen gerade erweist sich das in anspruchsloser
Schlichtheit und doch grofsartiger gegebene Ross S. Martins
in Lucca als getragen von der gewaltigeren Auffassung der
romanischen Zeit, und erscheint nicht als ein gleichzeitiger Aus-
läufer jener lombardischen Gruppe von Reiterbildern, sondern
als ein früherer glücklicher Anlauf, der nur deshalb so lange
ohne Folge blieb, weil sich die Auffassung des Lebens und
seiner Werte so völlig umwandelte, wie wir es an Giovanni
Pisano gesehen, und weil deshalb auch der Geist der Bildhauer
auf die Sphäre des milden und zahmen Wesens christlicher De-
mut eingeschränkt ward, wie es die Darstellung des frommen
Kriegsmannes im Relief zu Pisa und in den Fresken des Simone
Martini zu Assisi sich fühlbar ausprägt. Wie sollte gerade der
Comaske in Lucca während des XIV. Jahrhunderts zu so einfacher
Freiheit gekommen sein, wenn seine Landsleute in der Lombardei
sogar bei den stolzesten Fürstenbildern sich nicht zu dieser
Grofsartigkeit aufschwangen? Es ist das gänzlich andere Zeit-
bewusstsein, das ihn um die Mitte des XIII. Jahrhunderts zu
dieser Höhe trägt, während die Nachgeborenen ein Jahrhundert
später vergebens die Leiter emporbauen und droben nicht freier
stehen als auf der untersten Staffel.
l_Joch haben wir noch im fernen Norden einen Bundesge-
nossen, der diese Erwägungen zwischen Lucca, Mailand und
Verona zum Austrag bringen hilft. Zu diesen Reiterbildern
des Mittelalters von der treuen Gesinnung für die Wirklichkeit
gehört auch ein deutsches Werk: das ist das Denkmal König
Konrads III. im Dome zu Bamberg. Er ist an dem einen
Hauptpfeiler an der Aussenseite des 1237 geweihten Georgen-
chores angebracht, und wie eine Reihe von Einzelstatuen, zu
denen wir besonders die Maria in der Verkündigung, die söge-
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE 187
nannte Sibylle und Johannes den Täufer rechnen, in der zweiten
Hälfte des XIII. Jahrhunderts entstanden. Auf zwei Konsolen,
die eine gemeinsame Deckplatte tragen, steht das Reiterbild
fast ganz so wie das am Dome zu Lucca, nur rechtshin ge-
wendet, — vielleicht als Gegenstück zu S. Georg auf seinem
Streitross im Kampf mit dem Drachen, d. h. zu einer Dar-
stellung des Hauptheiligen, den wir an seinem Chore gerade
hier an vornehmster Stelle vermissen. x)
Das Reitpferd des Königs gehört zu der selben Art wie
das S. Martins, nur ist es etwas unedler, obwol sich der Künstler
doch schwerlich für so hohen Zweck einen beliebigen Acker-
gaul zum Vorbild gewählt hat. Die Hauptsache aber ist auch
hier das eingehende Naturstudium und die aufrichtige Wieder-
gabe des Tieres, die gewissenhafter sich mit dem Einzelnen
befasst als die des Italieners, darüber allerdings auch ein gut
Teil der Grofsartigkeit einbüfst. Die allzu getreue Nach-
bildung des Hufbeschlages giebt den ohnehin derben Beinen
ein plumpes Aussehen, ja das Auftreten der Vorderfüfse ist
misraten. Die Hinterbeine sind lebendiger in Bewegung ge-
geben; aber die Oberschenkel und Kreuzpartie zu schwach,
unentwickelt, und machen einen dürftigen Eindruck. Gerade
darin aber liegt wieder eine merkwürdige Uebereinstimmung
mit dem italienischen Werke, wo ebenso das Verständnis für
den Bau der Hinterhand fehlt, wenn dieser Mangel auch durch
den vortretenden Bettler glücklich verdeckt wird. Der Kopf
dagegen ist auch hier sehr gut beobachtet und mit Frische durch-
geführt, fast ohne Anwandlung menschenähnlicher Form und
Physiognomie, nur hat eben ein charakterloser Mischling dazu
Modell gestanden, den wir beim Bauer wol am Platze finden,
beim König aber kaum am geringsten Ort im Marstall vermuten.
Der Fürst selbst sitzt würdig und fest im hohen Sattel,
ja die Art, wie sein Fufs nur mit den Zehen in den Steig-
bügel tritt, hat etwas vornehm Nachlässiges. Mit der Linken hält
er den Zügel, die erhobene Rechte greift mit dem Vorderfinger
in die Schnur seines Mantels, den er so über die Schulter zieht.
Aber auch der fürstliche Herr ist keine vollkommene Erscheinung.
3) Eine Abbildung bei Bode, Geschichte der deutschen Plastik, S. 65, auf die
wir leider nur hinweisen können, da die Grotesche Verlagsbuchhandlung nicht ein-
mal eine verkleinerte Reproduktion in Zinkätzung gestatten wollen.
l88 SANCT MARTIN VON LUCCA
Der Künstler giebt uns, da er den 1 152 zu Bamberg gestorbenen
König darstellen soll, auch hier ein bestimmtes Individuum, wie
bei dem Pferde, doch wie dort kein auserlesenes Meisterstück
der Natur. Die Brust ist eingefallen, die Schultern hoch, Unter-
leib und Hüften korpulent und die Beine ziemlich kurz. Die
Bewegungen haben trotz der sichern Ruhe etwas Eckiges; der
Kopf streckt sich auf dem blofsen Halse vor und erscheint durch
das gekräuselte, in fester Masse ringsum abstehende Haar mit
der Krone darauf etwas beschwert. So bekommt die ganze
Haltung etwas Melancholisches, — um nicht Handwerkerhaftes
im Festzug zu sagen, — einen Anflug von Sentimentalität, der
uns doch schon die herannahende Veränderung des Lebensge-
fühles, die specifische Empfindung des sogenannten gotischen
Stiles verkündet.
Gerade darin liegt aber für den S. Martin in Lucca die
überzeugendste Bestätigung, dass wir dort noch mit einem
Werke der echten romanischen Plastik Italiens zu tun haben.
Denn diese Gruppe ist völlig frei von empfindsamem Wesen,
frei von der hastigen Erregung des Giovanni Pisano wie von
der milden Gefühligkeit Andreas da Pontedera, d. h. von den
entscheidenden Charakterzügen der Trecentokunst in Toskana.
Heiter und klar spricht sich der Sinn der Hohenstaufenzeit für
den Wert der menschlichen Erscheinung darin aus. Der schlichte
Soldat selbst auf der Heerstrasse und der Bettelmann, der kaum
mehr als das nackte Dasein besitzt, — es sind ganze Geschöpfe,
in voller Uebereinstimmung mit sich selbst. Und auch das Werk
der Barmherzigkeit, das ein menschliches Rühren in der Brust
des jung-en Kriegers voraussetzt, vollzieht sich vor unseren
Augen ohne das Vordrängen der Gemütsstimmung im Augen-
blick, ohne absichtliche Schaustellung des innerlichen Motives
wie eine selbstverständliche Aeusserung des Naturells. Kein
gotischer Künstler hätte sich die Gelegenheit zu starker Gebärde,
zur Beteiligung des Mienenspiels entgehen lassen, und seine
Aufgabe vorwiegend darin gesehen, die Stimme des Erbarmens
auch in der Brust des Beschauers wachzurufen. Er hätte den
Bettler elender und flehentlicher, den Kriegsmann eifriger und
gerührter zu zeigen versucht, — und sei es selbst nur durch
mildes Schmiegen und Biegen der ganzen Gestalt und durch
geknicktes Wesen des Bittenden, — ja womöglich auch das
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE
Vcm Grabmal des Wilhelm von Narbonne.
Florenz.
Pferd noch damit afficiert. Das
finden wir selbst bei Andrea
Pisano, wie Christus die Kran-
ken heilt; das erstreben un-
verkennbar die Bildner an der
Domfassade von Orvieto, das
ist auch das Wollen des Künst-
lers, der an S. Martin in Pisa
die schöne Komposition des
Reliefs erfunden, das uns die
gleiche Scene im Geiste des
Trecento schildern soll. Und
so, denken wir, ist gerade da.
mit, dass wir den innerlichsten
Kern der Auffassung, den
künstlerischen Gedanken in seiner klaren Eigentümlichkeit
auszusprechen suchen, wie er der Martinsgruppe zu Lucca
innewohnt, zugleich auch der schlagendste Beweis geliefert,
dass wir darin eine herrliche Schöpfung der romanischen
Skulptur aus der Mitte XIII. Jahrhunderts erkennen müssen
und nichts Anderes.
Zum Gewinn einer äusseren Bestätigung allein darf hier
wol ein kleines Denkmal erwähnt werden, das als seltenes Bei-
spiel einer Reiterdarstellung in Florenz erhalten ist. Ich meine
das Grabrelief des Bailli Guillielmo de Nerbona im Klosterhof
der SSü^ Annunziata. Es ist eine längliche, stark eingerahmte
Sarkophagplatte, die sich in der Mitte dreieckig wie zum Giebel-
feld erweitert, und darauf in ziemlich kräftigem Relief aus dem
harten Stein gehauen, in der Mitte der rechtshin sprengende
Reiter, zwischen zwei rosettenartigen Pflanzengebilden sehr
wenig vegetabilischen und fast plumpen Charakters. Unter der
Figur des Reiters steht der Name:
DNS GVILIELMVS- BALIVS" OLIM- DNI- AMERIGHP
DENERBONA.
dann ist offenbar nachträglich, wenn auch in der nämlichen
Schrift, doch sehr zusammengedrängt links davor hinzugefügt:
igo SATsXT MARTIN VON LUCCA
ANI DNI- M. CCLXXXIX. HIC JACET
für uns also die sehr wichtige Zeitbestimmung 1289, die, wenn
auch vielleicht nur das Todesjahr bedeutend, doch immerhin
wol unzweifelhaft auch die Entstehungszeit ungefähr feststellt.
Der Bailli Guglielmo d'Amerighi erscheint in voller Turnier-
rüstung, den kleinen Schild mit seinem Wappen auf dem linken
Arm vor der Brust, das gezogene Schwert in der Rechten, auf
dem Haupt den Kugelhelm über der Kappe des Ringpanzers,
der den ganzen Körper bedeckt. Das AVamms darüber zeigt
die französischen Lilien; am Gürtel steckt ein Dolchmesser,
reichgeschmückte Beinschienen bedecken die Vorderseite des
enganschliessenden Kettenkleides. Auch das lebhaft dahin
sprengende Ross ist bis auf die Vorderfüfse mit dem Turnier-
mantel behängt, sodass über die Durchbildung des im Allge-
meinen wolverstandenen Tierleibes kaum etwas zu sagen ist.
Haben wir es aber mit einem um 128g in Florenz entstandenen
Bildwerk zu tun, so muss doch die Vermutung ausgesprochen
werden, dass der Künstler kein Florentiner, sondern ein Ober-
italiener gewesen. Dafür scheint mir sowol die Auffassung des
Reiterbildes, wie die dekorativen Teile und die Arbeit in dem
harten Steinmaterial zu sprechen. Für unseren gegenwärtigen
Gesichtspunkt aber ist es besonders wichtig zu sehen, wie weit
sich schon in diesem, in den Tagen des Fra Guglielmo Agnelli und
des Giovanni Pisano entstandenen, und beiden doch so durchaus
fremden Skulpturwerk, der Stil des Trecento vorausverkündet,
wenn auch nicht im Ausdruck, doch in dem gewählten Maß-
stab der Hauptfigur und ihrer Einordnung in den gegebenen
Raum, — für uns immerhin eine Warnung, mit der Datierung
des hl. Martin in Lucca nicht allzuweit gegen das Ende des
XIII. Jahrhunderts vorzurücken!
* *
*
JNur eine Frage bleibt wol für das genauere Interesse,
das wir an diesem Bildwerk in Lucca und seiner Umgebung
genommen, noch übrig, damit sich der Ring unserer Be-
trachtungen völlig befriedigend schliesse. Wer soll nun als der Ur-
heber dieser hohen Leistung gelten, deren Bedeutsamkeit für die
Kunst des XIII. Jahrhunderts wol Niemand mehr entgehen
kann.
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE 191
Für unser Auge gehört die Martinsgruppe weder mit dem
Aeusseren der Vorhalle, an dem sie steht, noch mit den oberen
Gallerien des Guidetto stilistisch zusammen, sondern setzt als
Hintergrund eine Architektur voraus, wie die Gliederung der
Kirchenwand im Innern des Atriums, oder, da es sich hier nur
um Inkrustation einer Fläche handelt, etwa wie die Langseite
von S. Michele in Foro und die Chorpartie des Domes selber.
Es ist der gereinigte Geschmack des spätromanischen Stiles in
dieser Gegend gerade, der sich wieder frei macht von dem
üppigen Dekorationsspiel und zu der Tradition des Diotisalvi
zurückkehrend, doch in der Vorliebe für schlankere Verhältnisse
und zierlich ebenmäfsige Gliederungen, schon eine fühlbare Ver-
wandtschaft mit dem strengen Sinn der Frühgotik erkennen
lässt. In solcher Umgebung des geläuterten pisanisch luche-
sischen Stiles, der sein Hauptverdienst in der Reinheit der
Proportionen und dem Ebenmafs der (schwarz auf weissen)
Gliederungen sucht, würde auch „St. Martin mit dem Bettler"
wie eine natürliche und notwendige, durchaus geistesverwandte
Aeusserung der Schwesterkunst erscheinen.
Dürfen wir darnach eine so ausserordentliche Arbeit monu-
mentaler Freiskulptur wirklich dem Relief bildner zutrauen, der
den Monatscyklus und die Martinslegende gemeisselt, — oder
sollten wir sie nicht vielmehr mit dem Schmuck der Regulustür
in Verbindung denken, die in mancher Beziehung an Feinheit
und Geschick vorzüglicher erschien?
Wenn unsere frühere Untersuchung der Regulusreliefs als
Resultat ergeben, dass hier wahrscheinlich ein begabterer Ge-
hülfe des Guido da Como zu erkennen sei, der aus den tech-
nischen Gewohnheiten dieses Meisters hervorgehend, doch
gröfseren Geschmack und feineres Geschick besitzt als jener
so musste doch zugleich darauf hingewiesen werden, dass diese
Darstellungen keine Dedeutendere Gestaltungskraft verraten,
keine besonders originelle Erfindung, wie wir sie, trotz mancher-
lei Hindernisse in der Martinslegende immerhin gefunden.
Es ist überhaupt schwer, so niedrige Reliefstreifen mit
kleinen Figuren ohne Weiteres mit einem grofsen Gebilde der
Freiskulptur in Vergleich zu bringen. Wären wir doch z. B.
kaum im Stande, uns eine statuarische Leistung solchen Mafs-
stabes von NiccolöPisano vorzustellen, allein aus der Betrachtung-
192 SAXCT MARTIN VON LUCCA
seiner Historien heraus, — und bei ihm kämen uns doch immer
noch die Statuetten der Kanzeln zu Hülfe. "Wenn aber unsere
Beobachtung der technischen Eigentümlichkeiten und des
sonstigen Charakters irgend welchen Anspruch auf Genauigkeit
erheben kann, so dürfen wir wol die Behauptung wagen, dass
nur die Reliefs der Martinslegende und des Monatscyklus mit
der Martinsgruppe draussen hinreichend übereinstimmen, — ja,
wir dürfen wol entscheidender noch hinzufügen, dass diese
Uebereinstimmung so grofs ist, wie sie nur sein kann, und dass
deshalb der Urheber des einen Werkes auch für den des andern
gelten muss, solange nicht etwa ein unerwarteter Fund vollbe-
glaubigter Archivalien mit genauester Bezeichnung der einzelnen
Arbeiten uns auch mehrere Namen gemeinsam geschulter
Künstler aufdeckt, die mitsammen an diesem Skulpturenschmuck
von 1233 bis gegen 1250 tätig gewesen. Schade, dass uns
die Inschrift des erstgenannten Jahres statt der Namen der
beiden Operaji nicht die zweier Künstler überliefert; die Be-
zeichnung „Belenat und Aldibrand" wäre dann Alles, was wir
bedurft hätten, und was unsere kunsthistorische Analyse für
sich forderte.
Jedenfalls haben wir es am Dome zu Lucca bis zum Auf-
treten des Niccolö Pisano mit einer gleichartigen Schule zu tun,
deren Herkunft von den Comasken nicht bezweifelt werden kann,
und die höchste Leistung, zu der sie sich hier in Toskana — und
überhaupt wol — aufgeschwungen, ist die Gruppe S. Martins mit
dem Bettler. Es kann wol nur der Tod eines solchen Meisters
gewesen sein, der die Fortführung der noch fehlenden Skulp-
turen verhinderte. Und der Urheber der Regulustür wäre viel-
leicht als der Letztling einer Künstlergeneration zu denken,
deren Kräfte nun verbraucht waren, und deren Schicksal dann
von der eigenen Kraft Toskanas abgelöst und verdrängt zu
werden, in ähnlichen Fällen dem Geschichtschreiber zu oft be-
gegnet, als dass man sich darüber zu wundern oder gar zu be-
trüben hätte.
Sehr wichtig dagegen erscheint uns die Erkenntniss, dass
diese Comaskenschule zu Lucca offenbar aus Steinmetzen und
Maurern herangewachsen, sich in der ersten Hälfte des
XIII. Jahrhunderts zu wahrhaft bildnerischem Schaffen empor-
hob, und so von dem allgemeinen Aufschwung des künstle-
ENTSTEHUNGSZEIT DER MARTINSGRUPPE 193
rischen Genius Zeugniss giebt, der sich allerorten damals in
Italien regt, am stärksten und am nachhaltigsten freilich, —
wenn auch etwas später — in Toskana, wo die Befähigung der
Individuen und die Bildung der Bessern stark genug verbreitet
war, um auch der Kunst Leben und Inhalt zu gewähren.
Diese Tatsache, dass eine aus Oberitalien nach Toskana ver-
pflanzte Bildhauerei sich gesund und selbständig fortschreitend
entwickelt und den Höhepunkt ihres Könnens in einem Augen-
blick erreicht, wo das epochemachende Ringen Niccolö Pisanos
mit antiken Vorbildern begann, — diese Tatsache muss noch
in weiterem Umkreis gewürdigt werden, indem wir das Ver-
hältniss S. Martins von Lucca zu den Anfängen der mittel-
alterlichen Skulptur in Toskana etwas ausgiebiger betrachten.
Italienische Forschungen I.
Türsturz am Itaptist^rimi lx Pisa.
IX
S. Martin von Lucca und die Anfänge der Skulptur
in Toskana
Kein plötzlicher Aufschwung war es, den die italienische
Skulptur im dreizehnten Jahrhundert, etwa durch die
Wundertaten eines einzelnen Meisters wie Niccolö Pisano, ge-
nommen, sondern ein allmähliches Heranreifen zu der Fähigkeit
sich auszusprechen ist auch hier vorangegangen, und mehr als
eine Vorstufe bezeichnet noch heute erkennbar die wiederholten
Anläufe, etwas leidlich Annehmbares zu Stande zu bringen.
Niccolös Ringen mit der antiken Reliefkunst ist nur ein Weg
von mehreren, die versucht wurden, um von dieser oder jener
Seite dem Ziel sich anzunähern.
Freilich bietet sich dem Auge des Forschers noch im
zwölften Jahrhundert überall in Italien ein trauriger Anblick
dar, wenn er die Fortschritte bildnerischen Könnens in Deutsch-
land und Frankreich mit den wenigen Leistungen vergleicht,
die hier zu Tage treten. Die Anschauung dieser wenigen
Denkmäler wird uns jedoch fortschreitend verständlicher, je
mehr wir uns vorurteilsfrei hineinleben und in ihrem eigenen
Kreise die Beziehungen suchen, die sie bedingen und erklären.
So fühlen wir doch wol heraus, dass eine Entwicklung in auf-
steigender Linie durch sie alle hindurchgeht, dass in mannich-
faltiger Befruchtung sich damals der Boden bereitet, auf dem
das spätere herrliche Wachstum gedeihen konnte, an dessen
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 195
unvergänglichen Früchten auch wir so gern geniessend Anteil
nehmen.
Eine Reihe solcher Zeugnisse künstlerischen Strebens
einer fernen Zeit haben wir bereits zu Anfang unserer Be-
trachtungen kennen gelernt, als es galt, die Bildnerschule
Luccas beim Beginn der schmückenden Arbeiten an der Dom-
fassade zu charakterisieren, und waren dort durch die enge Ver-
wandtschaft und den späteren Austausch der Kräfte genötigt,
auch die zweite Hauptstätte dieser frühen Bildnerei, Pistoja,
mit in unsere Umschau hineinzuziehen. Es darf nicht vergessen
werden, was wir mehrfach wiederholt, dass diese Architrav-
skulpturen in Lucca und Pistoja einer Steinmetzenschule ange-
hören, welche aus der Uebung im Aushauen architektonischer
Formen, wie Kapitelle, Gesimse zu ornamentierten Säulenschäften,
vegetabilisch oder figürlich gefüllten Streifen, zu Löwen,
Drachen, Kobolden und sonstigen als Träger benutzten Gebilden
übergieng, immer noch die Steinskulptur im Dienste der Bau-
kunst, doch in einheitlichem Material, und so mit wachsender
Sicherheit betrieb. Diese Herkunft erkennen wir auch in
ihrer Reliefkunst wie in ihren Versuchen statuarischer Ge-
staltung noch lange genug.
Bei einer andern Klasse von Handwerkern liegen die Be-
dingungen der Arbeit und damit die Gewöhnungen völlig
anders, und deren Beachtung ist unerlässlich zu einem Urteil
über ihre Reliefkunst, die neben den vorigen nun Erzeugnisse
liefert, die das selbe erreichen und bieten wollten, und doch
gänzlich verschiedenen Charakter tragen. — Diese zweite
Gruppe, welche mit den Bauskulptoren und den wenigen wirklich
daraus erwachsenden Bildhauern im eigentlichen Sinne nun in
Konkurrenz tritt, wird von Steinmosaicisten gebildet, die damals
in Süditalien und Rom sehr beliebt und gepflegt, sich allmäh-
lich auch nordwärts in die toskanischen Lande verbreiten.
Hängt diese Bewegung auch gewiss mit dem Aufschwung zu-
sammen, den wir in der Schule der Cosmaten um Rom zu er-
blicken gewohnt sind, so ist damit noch nichts über die Herkunft
der hier in Toskana auftretenden Künstler entschieden. Im Gegen-
teil wird aus dem Beispiel des Guido da Como, den wir ge-
nugsam kennen gelernt, ganz klar, dass auch Comasken sich
diesem Geschmack sehr bald anbequemten und als geschickte
13*
IQÖ SAXCT MARTIN VON LUCCA
Steinarbeiter auch diese geduldige Dekorationsweise über-
nahmen. Vielleicht brachten sie die Kenntniss schon aus jener
absichtlichen Berührung der amalfitanischen und longobardischen
Meister heim, welche der Abt Desiderius von Monte Cassino
um 1066 — 1071 herbeiführte und sicher auch als Papst
Viktor III. im Jahre 1086 nach Rom fortpflanzte. Die vor-
handenen Materialien, die zu dieser Kleinarbeit benutzt werden,
bestimmen aber in jeder Provinz den besonderen Charakter.
Während in Rom und Süditalien, soweit viele Reste antiker
Marmorinkrustation in Ruinen zu Gebote standen, das eigentliche
Steinmosaik, also die Zusammenfügung kleiner Würfel ver-
schiedenfarbigen Marmors, Serpentin, Porphyr u. s. w. über-
wiegt, tritt in Gegenden, wo dieser Reichtum gleichsam vor-
gearbeiteten Materials nicht gegeben war, und besonders in
Toskana eine natürliche Vereinfachung in Schwarz und Weiss,
zuweilen wol noch mit Rot dazu, an die Stelle, und die Her-
stellungsweise ist bald mehr oder weniger die der Intarsia,
d. h. es wird eine gröfsere Steinplatte, der weisse oder der
farbige (grünlich- oder bläulichschwarze) Marmor als Grundlage
genommen, darin das Muster ausgeschnitten und mit der andern
Farbe, in kleinen Plättchen gefüllt. Die Verbindung bunt-
farbiger Marmorsorten und die eingelegte Flächendekoration
(lavoro di commesso) haben nicht wenig dazu beigetragen, den
reichen Fassadenschmuck zu fördern und durchzubilden, der ge-
rade nun in Toskana von Comasken ausgeführt wird. Der
Baumeister der Fassaden von S. Martin und S. Michele zu
Lucca, eben Guido da Como, ist ja ein Vertreter dieser Richtung
schon in ihrem vollausgereiften Stadium, wo sie zur willkür-
lichen Uebertreibung entartet, während eine frühere Phase in
Florenz durch die Marmorinkrustation ohne consequente Rück-
sicht auf die innere Struktur, wie anS.Miniato, und am Baptis-
terium veranschaulicht wird, die später am Dome so verhäng-
nissvoll veräusserlicht. Die Hauptarbeiten, welche diese Stein-
mosaicisten zu liefern hatten, waren die eingelegten Fufsböden,
die Chorschranken, die Kanzelbrüstungen, Taufbecken und
sonstige Ausstattungsgegenstände. Auch hiervon sind in S.
Miniato al monte und im Baptisterium vorzügliche Beispiele aus
verschiedenen Entwicklungsstufen erhalten. Besonders die
Kanzel in S. Miniato ist lehrreich durch ihre einfache Klarheit
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 197
und die strenge Sonderung der eingelegten und skulpierten
Teile von dem spärlichen Figurenschmuck, der nur am Lese-
pult, das in der Mitte der breitetren Vorderseite heraustritt, be-
fangen genug gewagt wird. Die Felder werden mit erhabenen
Rändern aus weissem Marmor eingerahmt, und diese sind mit
sehr mäfsigem Ornament ausgemeisselt; die Fläche selbst ist
weiss und schwarz (resp. rot) gemustert, und in der Mitte
sitzt wieder eine Marmorrosette.
Florenz
Zu dieser Klasse gehört nun auch die Kanzel aus der
alten Kirche S. Piero Scheraggio in Florenz, die bis 1 784 beim
Palazzo vecchio unter den Uffizien bestand. Der Grofsherzog
Peter Leopold liess diese Kanzel nach S. Leonardo in Arcetri
vor Porta S. Giorgio bringen, wo sie sich noch, allerdings
in willkürlicher Zusammensetzung befindet. Sie ist das Werk
eines solchen Steinmosaicisten aus etwas vorgeschrittener Zeit I) ,
wo der Geschmack nicht mehr rein war, die Gränzen nicht
mehr klar bewusst waren, — und wo vor allen Dingen bereits
figürliche Darstellungen in den Feldern der Brüstung verlangt
wurden -). So musste der Flächendekorator wol oder übel in
die Skulptur hineinpfuschen, und tat dies im engsten Anschluss
an die ihm geläufige Technik und die ihm überlieferten Vor-
lagen für die hier erforderten Scenen.
Diese ihm vorliegenden Kompositionen waren, wie sich
deutlich noch aus seinem Marmorwerk erkennen lässt, getriebene
Arbeiten aus Metallblech, also Goldschmiedsware. Demgemäfs
ist seine Reliefkunst, soweit man bei einem solchen Kompromiss
davon reden darf, durchaus verschieden von der früher be-
trachteten jener Gruppe von Bauskulptoren. Seine Gestalten
sitzen wie aufgelötet auf dem mosaicierten Hintergrunde, oder
erscheinen wie ausgeschnitten, da die Grundfläche durch Teppich-
musterung gleichsam heterogen geworden ist. Bei Goldschmieds-
x) Die Sage, dieses Werk sei als Siegesbeute aus Fiesolc, schon 1010 nach
Florenz gekommen, ist also nach obiger Auseinandersetzung unglaubwürdig, — wie
ja auch die Darstellungsweise der Scenen auf das XII. Jahrhundert weist.
2) Vgl. die Zusammenstellung der Kanzeln mit figuriertem Schmuck und ihre
Datierung nach H. W. Schulz Dkm. Süditaliens bei Hettner, Ital. Studien (Ueber
Niccolö Pisano).
Iü8 SANCT MARTIN VON LUCCA
arbeiten bleiben Figuren und Grund homogen, weil das Material
gemeinsam durchgeht und die Ornamente ebenso durch Bear-
beitung herausgetrieben oder eingeschlagen werden, wie man
die Figuren mit ausgerundeten Formen und eingetieften Falten
u. s. w. hergestellt. Hier aber ist das Ornament, das Pflanzen-
gebilde, der Fläche in weissem Marmor stehen geblieben, der
ausgetiefte Grund aber schwarz eingelegt, also nun dieses
Schwarz der Boden, aus dem sich die weissen Gestalten heraus-
heben. Dies dient allerdings dazu sie besser in Wirkung zu
setzen und der mangelnden Modellierung nachzuhelfen.
Diese Stufe ist besonders deutlich in der symbolischen
Darstellung der Wurzel Jesse, welche sich ursprünglich an
einer Schmalseite der Kanzel befand, und ebenso in der Ab-
nahme vom Kreuze, welche daneben gehört. An der Vorder-
seite safsen, wie noch die stehengebliebenen Unterschriften auf
einem zusammenhängenden Streifen beweisen, rechts die Ge-
burt Christi „+ NOBIS ADMIXTUM CERNUNT ANIMAL1A
CRISTUM," links die Anbetung der Könige „TRES TRIA
DONA FERVNT, TRINUM SUB SIDERE QUERUNT," wo-
rauf dann an der linken Schmalseite die Darbringung im Tempel
und die Taufe Christi folgten.
Mit der Geburt Christi ist die Verkündigung an die Hirten
vereinigt, so dass sich das Relief in einen oberen und einen
unteren Teil gliedert. Oben sitzt Maria in ihrem Bett, auf
das Kind in der Krippe hinweisend, das von Ochs und Esel
beschnobert, von einem Engelchor in Wolkenkranz besungen
wird. Hier zeigt sich das Vorbild in getriebener Arbeit so
stark, dass Förster, der die Kanzel doch sehr genau kennt,
diesen vorstehenden Wolkenrand für einen „Korb voll Engel-
köpfchen" hielt. Der Stern ist wieder eingelegt in Schwarz
und Weiss. Joseph sitzt rechts auf einem Hügel, kratzt sich
aber nicht betrübt hinter dem Ohr, sondern stützt die Wange
in die Hand des rechten Armes, dessen Ellenbogen auf dem
Knie des hochgezogenen Beines fufst. — Unten vor einem
Hüttendach sind Schafe und Ziegen, daneben eine Brotpalme
(doch sicher keine abendländische Erfindung!), und vor dieser
' lauscht der Hirt in phrygischer Mütze, auf seinen Stab gestützt,
der wundersamen Botschaft. Während sein treuer Schäferhund
ruhig bei ihm sitzt, blickt er selbst vorwärtsstrebend mit
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 199
stierem Auge zum Engel empor, der herabschwebend ein Schrift-
band hält, indes zwei andere ungeflügelte tanzend auf Laute
und Hörn musicieren. Trotz aller Roheit ist der Rest einer
byzantinischen Idylle, wie die besten Miniaturen sie darbieten,
auch hier noch fühlbar. Der Marmorgrund ist unbearbeitet,
alles Figürliche aber tritt aus der Fläche heraus, die keinen
erhobenen Rand hat, sodass der unteren Scene sogar der
Boden fehlt.
Auch in der Anbetung der Könige ist, nach dem Vorbild
der getriebenen Metallarbeit der obere Teil der Fläche mit
Architekturstreifen gefüllt, so dass Dächer und Fenster, sowie
der Stern wieder in eingelegter Arbeit erscheinen. Joseph
steht rechts hinter Maria, die auf einer Polsterrolle sitzt. Die
Könige „KASSPAR. MELCHIOR. BALDASAR", — in kurzer,
am Saume besetzter Tunica und über der Schulter geheftetem
Mantel — nahen noch im Laufschritt wie auf altchristlichen
Darstellungen, der älteste im Begriff zu knieen, der jüngste
mit Zackenkrone noch aufrecht, ein Füllhorn in der Hand.
Ebenso spielt die Darbringung im Tempel vor einer Ar-
kadenreihe, wie bei Guido da Como noch 1250, aber Simeon
empfängt den Knaben, der zur Mutter zurückstrebt mit blofsen
Händen, und auch Joseph trägt seine Turteltauben als Opfer-
gabe ohne Tuch in der Hand. Ueber dem Altare hängt eine
Lampe an drei Fäden herab J). Wie bei der Taufe, der Kreuz-
abnahme 2) und der Anbetung ist hier der untere Rand wie
ein Balken bearbeitet, mit den Namen der Personen und Gegen-
stände darauf, während sich, wie überall um das Ganze ein
schwarz und weisser Ornamenstreifen und dann erst die skul-
pierte Schräge der Einrahmung hinzieht, — so dass immer noch
die Erinnerung an die ursprünglichen Kassettenfelder erhalten
bleibt.
Nach alledem erscheint die Kanzel von S. Lionardo bei
Florenz mit ihrem wie ausgeschnittenen und aufgehefteten
Figurenschmuck auf gemustertem Mosaikgrund als eine Aus-
!) Sie ist schwarz ausgeschnitten in den weissen Grund eingelegt. Rumohr
(I. 253Q nahm sie irrig für ein Kreuz. Man vergleiche die Lampenform auf der
Erztiir des Bonannus in Pisa. Photographien der Kanzel von Brogi.
2) Ueber die Verwandtschaft der ditoxa^Xuiois mit der des Barisannus von
TraDi in Ravello (1 179) siehe oben Kap. VI. S. III.
200 SANCT MARTIN VON LUCCA
nähme, bei deren Durchführung der namenlose Meister selbst
auf die Notwendigkeit einer Aenderung verfiel, und so steht
dies Werk doch im Ganzen ausserhalb des durchgehenden Zuges
der Entwicklung J). Dagegen hat dies Beispiel immer den Wert
eines Versuches zu der eigentlich gestaltenbildenden Kunst hin-
durchzudringen, und solcher Anläufe haben wir noch mehrere
zu betrachten, bevor es möglich wird, die Wege aufzuzeigen,
die allein zu einem gesunden Fortschritt führten.
Arezzo
Man geht in dem Streben sich die Herrschaft über die
Mittel der Steinskulptur wieder anzueignen, von bestimmten Vor-
bildern in verschiedenen anderen, verwandt erscheinenden
Kunstzweigen aus. Und die Technik der frei gewählten oder
meist wol zwingend sich aufnötigenden, weil eben vorhandenen
Vorlage bestimmt dann das Gelingen oder Abirren, nicht selten
gewiss das Schicksal der einzelnen Künstlerkraft, wenn nicht
einer ganzen Lokalschule.
Drei solcher Anläufe besitzt die Pieve von Arezzo, und
alle drei sind höchst interessant, selbst als Irrwege lehrreich,
und weichen so weit von einander ab, dass man sie schwerlich
für Leistungen eines Ortes und Schmuckteile ein und desselben
Baues halten würde, wenn sie zerstreut auf uns gekommen
wären. Nur Eins dieser Stücke ist sicher datiert und zwar dem
Charakter nach das jüngste: die Türlünette des Hauptportales
mit der Madonna und zwei Engeln, die einen weiten sorgfältig
ausgearbeiteten Mantel hinter ihr ausbreiten. Am Architrav
darunter, der mit verschiedenen Heiligenfiguren besetzt ist,
steht die Inschrit:
„ANNID. M. CC. XVI. MS MADII MARCHIO SCVLPSIT.
PBR. MATHS MUNERE FVLSITL TPR. ARCHIPBI. Z . . ."
Dies ist also der von Vasari (opere I, 277 u. Anm. ij
erwähnte Marchionne, den er offenbar nach dieser Inschrift für
den Erbauer der ganzen wunderlichen Fassade ansah, während
sie ihn nur -als Bildhauer ausweist. Ja, auch dieBeziehung desselben
') Ein Meister derselben Schule, stellt Guido da Como solche uniigürliche
Dekorationen noch 1246 für den Taufbrunnen in Pisa her, bestrebt sich dagegen bei
der Kanzel in S. Bartolommeo zu Pistoja denn doch die Reliefkunst mehr in der Art jener
Bauskulptoren zu üben, die ihm überall in dieser Stadt wie in Lucca vor Augen stand.
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 201
Namens und Jahres auf den Monatscyklus im Bogen des nämlichen
Portales erscheint bereits mehr als gewagt; denn technisch
stimmt dieser Schmuck in den wahrscheinlich späteren Ein-
schnitten nicht mit dem Madonnenrelief im Tympanon überein.
so dass wir vorziehen erst später darauf zurückzukommen
Sicher von ihm ist nur der Arcbitravstreifen, an dem sich die
Inschrift befindet, mit den Halbfiguren der Maria, zweier Engel,
zweier Bischöfe, S. Satirus und S. Donatus und der zwölf
Apostel, sowie das Tympanon mit der Halbfigur der Madonna
in reicher byzantinischer Tracht, zweier Engel in Diakonen-
kleidung, die ihre erhobenen Arme unterstützen, und zwei herab-
schwebenden Seraphim, die ihren Heiligenschein halten, — sehr
hieratische Arbeiten, in denen deutliche Spuren der Bemalung
beweisen, dass die Skulptur nicht allein auskommen sollte.
Ebenso wenig aber wie die Monatsbilder des Mittel-
tores rührt von dem selben Künstler das Tympanon-
relief der Seitentür rechts her. Es stellt die Taufe Christi
dar und trägt am Rande des Bogenfeldes nach einer Jahres-
zahl, von der sogleich, die Umschrift:
+ H(ic) BATIZA(tur) A IÖHE XPC DEI FILIVS IN
QÜE S(piritus Sanctus) (de)SCENDIT . . . ')
Von der Jahreszahl die links unten vor dem Kreuz die
Umschrift eröffnet, liest man ganz deutlich . . . XXI, und hat
darnach im Anschluss an die Jahreszahl des Hauptportales
MCCXVI auch hier MCCXXI ergänzt. Dies aber scheint mir
nach dem viel altertümlicheren Charakter des Bildwerkes
selbst unmöglich. Vielmehr bleibt wol nur übrig MCLXXI
zu setzen, da die Stellenzahl der Ziffer noch ziemlich zu ermessen
oder aus Spuren zu ersehen ist '-), und ein Zurückgehen auf
MCXXI höchst unwahrscheinlich wäre.
1) Ich verbessere, soweit ich dies nach meinen Notizen vermag, Ubaldo Pas-
qui, Nuova Guida di Arezzo, 1882, der sonst viel Dankenswertes beibringt.
2) Sonst wäre auch eine X. nicht unmöglich. Eine frühere Entstehung
dieser Seitentür, vor dem nicht in der jetzigen Mittelachse befmdlicheu Hauptportal,
wird auch durch den noch etwas altertümlicheren Charakter der Nebentür an der
Langseite wahrscheinlich, wo das Tympanon mit einem quadrierten Muster gefüllt
ist, die Eckkapitelle Männer im Kampf mit Löwen enthalten. Auch die Seitentür
der Vorderfront links neben dem Hauptportal ist im Tympanon nur mit Weinstock
ausgerankt.
202 SANCT MARTIN VON LUCCA
Dieses merkwürdige Steinrelief ahmt nämlich in ganz be-
fangener Weise, ohne irgend einen Versuch selbständiger Ge-
staltung, eine getriebene Arbeit aus Metallblech, und zwar sehr
öden byzantinischen Charakters nach. In der Mitte steht Christus
mit grofsem Kreuznimbus, die herabschiessende Taube über sich,
die eine Hand auf den Leib gelegt, die andere nach abwärts
ausgestreckt; das Wasser bedeckt ihn bis an die Hüften, so-
dass die Beine nur wie leise durchscheinend gegeben werden
innerhalb der regelmäfsigen Wellenlinien, unter denen auch
ein kleiner Knabe, der Jordan, halb verborgen sitzt. Johannes,
im zottigen Fellmantel über der Tunica, bewegt sich wie auf-
wärts schreitend, fasst sein Gewand mit der Linken über den
Leib zusammen und legt die Rechte auf Christi Haupt. Links
und rechts stehen ganz symmetrisch je zwei Engel mit Tüchern
über den ausgestreckten Händen. Ihre Gewänder sind ganz
schematisch gerillt und die Köpfe nicht minder schablonenhaft
wiederholt. Diese Portallünette ist entweder von einem Gold-
schmied selber gearbeitet, oder von einem Steinmetzen, der für
sein Material gar kein Gefühl hatte, nach dem byzantinischeh
Goldschmiedswerk sklavisch ausgehauen bis in die punktierten
Ränder der Gewandsäume hinein ')•
Weit bedeutender in all seiner altertümlich naiven Ver-
wechslung von überirdischer Hoheit mit körperlicher Aus-
dehnung, ist ein Relief im Inneren der Kirche, das der eigent-
lich plastischen Kunst weit näher kommt. Es ist jetzt in die
Eingangswand eingelassen und stellt die Anbetung der Könige
dar, und zwar ebenfalls nach einem in Silber- oder Goldblech
getriebenen Original, doch durchaus nicht so byzantinischen,
sondern abendländisch romanischen Charakters. Maria tront
als Königin mit der Krone über dem Schleiertuch, links in
Profil auf einem leichten Stul, dessen gedrechselte Beine auf
einem Drachen stehen. Der Kopf des unterwürfigen Scheusals
dient ihr als Fufsschemel und der Schweif streckt sich unter
den Stulsitz mit der Beischrift DRACUS; an der Wange des
Sessels steht geschrieben ,JN GREMIO MATRIS RESIDET
SAPIENTIA PATRIS." Auch der Christusknabe ist sehr
grofs. In langer Tunica und über der Brust zusammenge-
i) Photographie von Alinari.
MARMORRELIEF IN DER PIEVE ZU AREZZO
ANFÄNGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 203
bundenem Mantel, eine Krone auf dem Haupt, sitzt er in könig-
licher Ruhe, während die Mutter ihre beiden grofsen Hände
schützend ihm über Knie und Schofs legt. Wie Kinder er-
scheinen dagegen die Könige, deren Köpfe nur bis an die Sitz-
höhe reichen, während sie heranschreitend sich nähern, so dass
die bärtigen vorn schon im Begriff sind die Knie zu beugen,
der bartlose jüngste, fast noch aufrecht, die anderen etwas über-
ragt. Sie sind sehr ähnlich wie der Christusknabe in schmale
Mäntel und ganz weiche fliessende Tuniken gekleidet, deren
Aermel sich am Ellenbogen erweitern, und deren Saum nur
wenig über die Kniee reicht, unter denen nur glatte Strumpf-
hosen erkennbar sind. Alle drei halten in völlig identischer
Gebärde einen kleinen Gegenstand in der Hand, in dem man
wol eher ein Goldklümpchen als ein Gefäfs zu sehen hat. Ueber
ihren Köpfen aber fährt ein Engel in Diakonentracht herab
und schwingt ein mächtiges Rauchfass reinster romanischer
Arbeit gegen die Tronenden. Auf dem Reliefgrunde zieht
sich, unter dem Stern zu Häupten Christi in mehreren Streifen
die Inschrift zur Bezeichnung der Personen hin: ein M bei
Maria, ein X J bei Jesus, dann AGLS für den Engel und
MA/EI über dem Rauchfass, endlich zusammenhängend; JSTI
SUNT MAGI CASPAR BALTASAR MELCHIOR," und diese
Buchstaben alle sind bezeichnender Weise nicht eingegraben,
sondern erhaben herausgearbeitet, weil sie — in der Metall-
blechvorlage von der Rückseite aus hervorgetrieben — so da-
standen. Dieser Umstand, der am Architrav des Hauptportals
wiederkehrt, könnte, wie sonstige Verwandtschaft der Arbeit
bestimmen, Marchionne auch als Urheber dieses Reliefs in
Anspruch zu nehmen.
Die Typen erinnern mit ihren grofsen sternlosen Augen
von ovalem Schnitt, ihrer kräft'gen Nase und dem eigentüm-
lichen scharf geschlossenen Mund, dessen Unterlippe sich etwas
vorspitzt, noch auffallend an Elfenbeinarbeiten des X. Jahr-
hunderts in Deutschland, wie z. B. an den Gekreuzigten auf
dem Echternacher Codex in Gotha, andrerseits aber an die
Bronzearbeiten zu Magdeburg, wie etwa die Grabplatte Erz-
bischof Friedrichs I. (f 1152), — so dass man in dem zu Grunde
liegenden Originale wenigstens eine engere Berührung mit der
germanischen Kunst voraussetzen möchte, während diese Aus-
204 SANCT MARTIN VON LUCCA
führung in Stein doch wol erst dem XII. — XIII. Jahrhundert an-
gehören kann. — Trotz ihres ungeschlachten Kopfes hat diese
Königin Maria etwas Grandioses in ihrem Wesen, und bekundet
den angeborenen Sinn des Italieners für monumentalen Zuschnitt,
so kindlich auch die demütige Erniedrigung der Magier vor
dem Tron der Himmlischen gegeben wird. In dem Ganzen
ist ein gesundes Gefühl für den Wert der menschlichen Ge-
stalt in allen ihren Teilen erhalten geblieben, und so steht dies
wenig beachtete Werk fast einzig in seiner Art da, und es fällt
schwer zwischen Original und Uebertragung abzurechnen und
die Zeit genauer zu bestimmen. Eins aber ist wichtig: trotz grofser
Verschiedenheiten, besonders in der Technik, leuchtet doch der
Zusammenhang mit jener Auffassung der plastischen Aufgabe
und jener robusten und gesunden Sinnesart hervor, die wir am
Taufbecken von S. Frediano in Lucca herausfühlen. Wie weit
diese jedoch auf Rechnung des aretinischen Meisters zu bringen,
der diese Anbetung in Marmor gemeisselt, wie weit sie viel-
mehr auf das Original zurückgehen, ist um so schwerer zu
entscheiden, als gerade die Typen auf germanische Leistungen aus
frühromanischer Zeit zu weisen scheinen. In dieser Erwägung
bestärkt mich das Vorhandensein eines einzigen im Herzen Italiens
erhaltenen Denkmals, das die nämlichen Eigenschaften, wenn
auch in anderer Vortragsweise, zeigt und wol sicher von einem
Germanen, langobardischen Stammes gearbeitet worden
Ich meine einen länglichen Reliefstreifen mit dem Martyrium
eines Bischofs (angeblich Ponzianus, vielleicht richtiger Eredianus)
in der städtischen Sammlung zu S p o 1 e t o. Es mag an der altenKirche
S. Ponziano, aus der es stammt, einen Türsturz geschmückt haben.
Die Darstellung gliedert sich in drei Scenen, zwei breiteren links
und rechts und einer schmalen in der Mitte. Links tront der König,
ganz in der Tracht der Langobardenfürsten, mit übereinander-
gekreuzten Beinen, an die Königsbilder karolingischer Miniaturen
gemahnend; mit der linken Hand aber fasst er ein auf dem
Boden stehendes Scepter, während die Rechte sich befehlend
nach rechts hinüberstreckt, gegen die Marterscene. Ihn scheint
hierzu die Vorstellung eines Ratgebers zu bestimmen, der leb-
haft gesticulierend ihm links zur Seite steht, und offenbar den
Heiligen beschuldigt. Dieser ist, bis auf den Schurz ent-
kleidet, aber mit der Bischofsmütze auf dem Haupt, an einen
ANFÄNGE DER SKULPTUR IN TOSKANA
205
Pfal gebunden, indem ein Strick
seine Füfse zusammenschnürt, ein
anderer die Arme über dem Kopf
verbindet. Zwei Schergen sind,
dem Wink des Herrschers ge-
horchend, bemüht ihn mit Mar-
terwerkzeugen, die wie Pferde-
striegeln oder Wollkämme aus-
sehen, zu zerfleischen, während
ein Engel vom Himmel herab-
schwebend ihm wunderbare Hülfe
bringt. Diese Darstellung, die sich
übrigens, ähnlich in einem alten
Wandgemälde zu S. Frediano
in Lucca findet, erinnert wieder
ganz auffallend an jenen Ge-
kreuzigten zwischen den beiden
Schergen mit Lanze und Essig-
schwamm auf dem Codex von
Echternach in Gotha, sowol
durch die Typen wie durch die
heftige Bewegung und geknickte
Haltung, die im Streben sich ver-
ständlich zu machen zu viel Kraft
aufwendet, — dass nur ein wirk-
licher Zusammenhang der Kunst-
schule hier und dort die Gleich-
heit in beiden Denkmälern er-
klärt. An ein anderes deutsches
Werk, die Geschichte des hl.
Gallus auf dem Diptychon des
Tuotilo von S. Gallen, müssen
wir bei der zweiten Scene den-
ken. Wie dort der Einsiedler den
Bären füttert und seinen drohen-
den Hunger in fromme Ehrfurcht
wandelt, so werden hier zwei
wilde Tiger von ihrem Wärter
zum Heiligen geführt, gewiss nicht
fc$g
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206 SANCT MARTIN VON LUCCA
in friedlicher Absicht, sondern um sie gegen ihn loszulassen;
der Bischof aber, in vollem Ornat, streckt die gefalteten Hände
über sie hin, ein Engel schwebt ihm segnend entgegen, und
die Bestien neigen demütig ihr Haupt vor dem Gottesmanni
durchaus nicht gesonnen ihm ein Leides zu tun. Die dritte
wieder breitere Scene enthält links die Enthauptung des Bischofs
in sehr barbarischer Version: der Bischof muss einen Baumstamm
umfassen und dagegen knieend den Kopf vorstrecken; so führt
der hinter ihm stehende Henker den Streich, während ein zweiter
ebenfalls das Schwert zieht, um zuzuhauen, wenn des Ersten
Hieb vereitelt werde. Aber das Haupt fällt, das Antlitz nach oben
wendend, und erblickt so noch die' Erscheinung des Himmels-
boten, indem zugleich ein anderer Engel knieend, und merk-
würdiger Weise bärtig wie der Bischof selbst, das fallende
aufzufangen bereit ist. Rechts tront Christus auf gleichem Sitz
wie der König, stützt ein Buch auf das Knie und hebt die
Rechte segnend gegen den Märtyrer, eine strenge, absichtlich
byzantinische Erscheinung. Auch in der Enthauptung gebärden
sich die Henker wie der Getroffene nicht unähnlich wie Kain
und Abel im Brudermord an den Erztüren Bernwards von
Hildesheim, und so kann wol bei dem ganzen Denkmal, das
technisch vorgeschritten, in dem harten Material noch feinfaltige
Gewänder, ja Stoffmuster wie in Elfenbeinschnitzerei wieder-
zugeben sucht, nur an eine sehr frühe Entstehungszeit im XI. Jahr-
hundert gedacht werden, und zwar an eine Bildnerschule, die mit
dem alten Langobardenreich in Spoleto noch eng zusammenhängt.
Calci
"Wenden wir uns von der einen Seite Toskanas mit
Florenz und dem benachbarten, damals aber durchaus selbst-
ständigen Arezzo, auf die andere Seite des Gebietes unserer
näheren Untersuchung, so möchten wir den soeben betrachteten
ehrwürdigen Denkmälern früher Bildnerei zunächst einen fast
unbeachteten Ueberrest anreihen, der sich in der Nähe von
Pisa erhalten hat. Es ist das Taufbecken der Pieve zu Calci
in den pisaner Bergen '), das, wol immer in einer niedrigen
i) K. E. von Liphart hat es gelegentlich gefunden, Alinari veranlasst, es zu
photograpMeren, und mir zur Deutung vorgelegt. Gegenwärtig ist Calci bequem
mit der Trambahn von Pisa erreichbar. Vgl. unsere Abbildung.
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA
207
fensterlosen Seitenkapelle stehend wie jetzt noch, nur von der
Vorderseite sichtbar und deshalb nur hier künstlerisch bearbeitet
ist. Aus einem mächtigen viereckigen Steinblock herausgehauen,
enthält es in der Mitte die Immersionswanne mit vier Stand-
löchern (pozzi) für die Priester herum und ist an der Stirnwand
wie ein altchristlicher Sarkophag ravennatischer Periode mit
Blendarkaden ausgestattet. Sechs kurze gedrungene Säulen,
deren äusserste links und rechts spiralisch kannelliert sind, tragen
auf mannichfaltigen Kapitellen die fünf kleinen Rundbögen,
deren Leibung wieder mit Blatt- und Rankenwerk besetzt ist,
und in den Zwickeln erscheinen Engel in Halbfiguren mit aus-
gebreiteten Flügeln, zum Teil wie knieend auf den Kapitellen.
In der Arkadenreihe stehen Einzelfiguren, die fast völlig wie
IftlSiillll«
4
Taufsteiu der Pieve zu Calci.
etruskische Wesen aussehen, so stark stimmen die grofsen
Köpfe und die kleinen Körper, die Gewandung und die
Attribute mit jener uralten Landeskunst überein. Sie alle
wandeln auf Tieren, mit Ausnahme der Mittelfigur, welche die
rätselhafteste von Allen scheint und einen kleinen Dämon vor
sich herdrängt. Die ganze Erscheinung besteht nur aus einem
kurzbärtigen Kopf und einem Sack, aus dem dieser Kopf
buchstäblich hervorguckt, ohne Andeutung von Armen, Beinen
oder sonstiger Körperform. Man verfällt zunächst darauf, diesen
Teil für unausgeführt zn halten, zumal, da auch die letzten
beiden Bögen links nicht mit Blattwerk geschmückt sind, wie
die übrigen drei, und die Säule dazwischen ein rohgebliebenes
"Würfelkapitell zeigt, an dem doch die einspringenden Ecken
der Deckplatte und ihr Mittelklötzchen bereits eingehauen sind.
208 SANCT MARTIN VON LUCCA
Die letzte Säule links ist einmal herausgebrochen, hat dabei
ihr Kapitell sammt Engel verloren, und ein zeitweilig eingesetzter
Ersatz liegt jetzt wiederum zur Seite.
Der kleine Dämon aber, der vor dem Sack einhertrollt,
hilft uns weiter: er giesst im Gehen aus einem Henkelkrug
Wasser auf den Boden, allerdings als begösse er Blumen; auf
dem bärtigen Haupte ist eine Zinkenkrone erkennbar, die uns
hindert, ihn als Gärtner oder Wassermann anzusehen. Jupiter
Pluvius wäre wieder zu vornehm für so bescheidene Dienste
und so kleinen Mafsstab, einem andern Gröfseren untergeordnet,
— der noch dazu durch einen Nimbus ausgezeichnet ist. Nun
entdecken wir im Rankenwerk des Bogens zu Häupten dieser
Mittelfigur auch ein kleines Vögelchen, und dieses bestätigt die
bisher verhaltene Vermutung: es ist Christus als Täufling im
Jordan, der als Flussgott zu seinen Füfsen sitzt, und über ihm die
Taube des heiligen Geistes I In der Tat erhebt die nächste
Gestalt rechts die Hand gegen diesen wundersam verpuppten
Gottessohn, hält mit der Linken das Gewand vor dem Leib
empor und schreitet wie steigend aus auf dem Tier, das seine
nackten Füfse nur mit den Zehen berühren, und in dem wir
zur Not ein Lämmchen erkennen. Und links von Christus ver-
steht sich nun das geflügelte Wesen von selbst als Engel, der
ein faltenreiches Chorhemd mit runder Halsöffnung in den
Händen hält und auf einen kleinen Löwen tritt. Somit wären
die Hauptfiguren einer Taufe Christi beisammen, und das sack-
förmige Gewand erklärt sich im Notfall als stehengebliebenes
Wasser, das nur noch mit Wellenlinien gerillt zu werden
brauchte, um uns den gewohnten Anblick damaliger Dar-
stellungen zu bieten. Nun aber stehen in den äussersten Ar-
kaden links und rechts noch zwei Figuren: hinter Johannes
ein Engel, der ein Gewand zu tragen scheint und somit zur
Taufe gehören könnte, obgleich sein Platz dann eher neben
dem andern Engel gewesen wäre; hier aber steht eine ma-
tronenhafte Frauengestalt, die wir, nachdem einmal Christus
aufgetreten, nur als Maria ansprechen können. Es bleibt wol
nichts Anderes übrig, als diese beiden äussersten Figuren nah
aufeinander zu beziehen, und da Maria bei der Taufe Christi
niemals gegenwärtig ist, in dem Engel, dem sie sich zuwendet,
den Bringer der Verkündigung Gabriel zu erblicken. Dann
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 209
aber hätten wir wieder eine ganz eigentümliche Darstellung
dieser Scene; denn der Engel macht gar keine Handbewegung
als Bote, sondern fasst mit beiden Händen den wie ein Puppen-
kleid geformten Gegenstand, wie man etwa ein Kind vor sich
halten würde. Die Aermel dieses Gebildes hängen auch mehr
wie Aermchen über seine Hände, sind aber so zerstofsen, dass
man vom Ellenbogen ab nichts mehr erkennen kann; ebenso
würde es fraglich bleiben, ob oben nur der Rand am Halse
weggebrochen sei oder gar ein Kinderkopf daran gesessen
habe, wenn in der runden Vertiefung nicht wirklich ein Blei-
zapfen säfse, der wol nichts anderes bedeuten kann, als dass
ein Kopf mit Hals hier eingepasst gewesen! So hätten wir
also doch eine Verkündigung, wo der Engel das Christkind als
praeformiertes Wesen überbringt. Dieser Gabriel wandelt
übrigens auf einem Stier, dem Symbol der Stärke, während das
Geschöpf unter Marias Füfsen nicht mehr zu bestimmen ist,
und sie selber, klösterlich verhüllt, beide Hände über den Leib
legend, ruhig das Wunder über sich ergehen lässt. Auch die
Cherubim in den Zwickeln der Bogenreihe ergeben wenig zur
Erklärung: der dieser Annunziata zunächst erscheinende hält wol
ein offenes Buch; der hinter Gabriel bläst in ein Hörn, als hätten
sie die Attribute der Hauptpersonen übernommen. Was der
vor Gabriel in der Rechten hält, kann wol nur eine Glocke
sein; vor Johannes erscheint ein Bote mit Schriftband, bei dem
wir wol eher an die Stimme „Hie est filius meus", als an das
übliche Johanneswort „Ecce Agnus Dei" zu denken haben.
Der Knieende zwischen Christus und dem gewandhaltenden
Engel erhebt beide Hände, wie staunend über die Demut des
Gottessohnes, oder als Orantin bei der feierlichen Handlung.
Zur näheren Datierung des Werkes sei noch darauf auf-
merksam gemacht, dass bei den Engeln durchaus keine An-
zeichen des byzantinischen Ritus des Darbringens mit verhüllten
Händen vorkommt, sondern dass der Eine den Chiton Christi,
der Andre das Himmelskind mit blofsen Fingern fafst. Die
Säulenkapitelle sind meist komposite Bildungen, das eine jedoch
mit Widderköpfen an den Ecken besetzt, das andre mit Pflanzen-
geschlinge verziert, das auf der Umbildung zu Vogelformen
scheint und doch wol als romanisch bezeichnet werden muss, be-
sonders in Verbindung mit dem rohgebliebenen Würfelkapitell.
Italienische Forschungen I. 14
210 SANCT MARTIX VON LUCCA
Das Ganze erscheint mit seinen Mischformen christlicher
und heidnischer Art, mit den völlig etruskischen Köpfen, deren
langes Oval mit eingedrückten Schläfen und glotzenden Augen
durch starke Kinnladen und grofse Münder gekennzeichnet
wird, wie eine denkbar zutreffendste Illustration der Hypothese
H. Sempers von einer „Bildhauerschule, welche auf den Bergen
des inneren Toskana, fern vom Weltverkehr, das ganze Früh-
mittelalter hindurch diese ältesten Typen christlicher Kunst
getreu bewahrte — und auf der Tradition des antiken Provinzial-
stiles von Etrurien fortbaute." Jedenfalls wäre dieses Tauf-
becken in Calci noch mehr geeignet, die Möglichkeit einer
solchen Continuität „zur Gewissheit zu erheben", als die Reliefs
im Dom zu Siena, welche Sempers Ausspruch (Ztschr. f. bild.
Kst. 187 1. S. 363) veranlasst haben. Denn es dürfte wol nicht
unvorsichtig erscheinen, wenn wir dieses Taufbecken einer
Dorfkirche in den Pisaner Bergen mindestens ein Jahrhundert
vor Niccolö Pisano's Kanzel entstanden glauben. Es ist ja
Bauernkunst, mit der wir es hier zu tun haben, wenn auch ein
sehr interessantes und ikonographisch wichtiges Stück. Und so
betrachtet gewinnt es seinen wolverständlichen Zusammenhang
mit den Architravskulpturen in Pistoja, besonders an S. Andrea
von 11 67, und mit den Leistungen des Biduinus von 11 80 an
der ganz nahe gelegenen Kirche S. Casciano am Arno, wie
mit dem Taufbecken in S. Frediano zu Lucca, deren Typen
diese Einzelfiguren in Calci durchaus verwandt sind.
Pisa
Mit diesen Beziehungen zu bekannteren Denkmälern, unter
denen es doch vielleicht; was das Alter betrifft, die erste Stelle
beanspruchen darf, ist das Taufbecken in Calci auch am besten
geeignet, den Ausgangspunkt für die Betrachtung der mittel-
alterlichen Skulptur in Pisa selber zu bilden. Der älteste Ueber-
rest ist sonst wol der Türsturz, an dem sich der Steinmetz
Bonusamicus bezeichnet hat, jetzt im Camposanto. Das Relief
ist aus dem harten Marmor der Bagni Pisani gehauen und
rührt, da es von einem Besitzer aus Castellina marittima hierher
geschenkt wurde, gewiss nur von einer Dorfkirche her. Es zeigt
in rohester Arbeit in der Mitte den Erlöser als alten bärtigen
Mann auf den Querstangen einer elliptischen Glorie sitzend,
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 2 1 1
so dass von seinem Körper nur das obere Drittel bis an die
Ellenbogen, das untere von den Knieen abwärts gesehen wird,
das Mittlere fehlt. Von dieser Mandorla, deren schwerer Rand
mit einem Wulst von romanischem Rankenwerk geschmückt
ist, bewegen sich die Evangelistenzeichen nach den Seiten hin,
so dass der Adler des Johannes, der ein Lamm auf dem Rücken
trägt, noch mit dem Schweif darin zu stecken scheint, nur der
Engel des Matthäus sein Antlitz Christus zuwendet. Die Inschrift:
+ OPUS QUOD VIDETIS BONUS AMICUS FECIT P(ro) EO
ORATE
kehrt fast genau so, nur mit dem Reim ORETIS und dem Titel
MAGISTER in der Pieve zu Mensano bei Casole im Sienesischen
wieder, wo der Marmorstreifen, der sie trägt, jetzt an der Seite
des Hochaltars eingelassen ist. Sie scheint sich auf ein ähnliches,
nicht mehr vorhandenes Werk des Steinmetzen bezogen zu
haben. J) — Ob so unzweifelhaft von ihm, wie man annimmt, auch
der sitzende David sei, der als Geschenk eines Canonicus von
Pisa im Camposanto seinen Platz über jenem Architrav gefunden
hat, ist wol aus der stilistischen Verwandtschaft dieser un-
geschickten Arbeiten, an die sich dann noch ein ähnlicher David
aussen am Chor des Domes anschliessen würde, nicht bestimmt
zu ersehen. Jedenfalls aber gehören diese Machwerke alle drei
der oberitalienischen Steinmetzenschule an, deren technische
Gewohnheiten sie aufweisen. Wirkliche Bedeutung aber be-
sitzen sie kaum: so wenig ist noch der Steinblock zur Menschen-
gestalt mit charakteristischem Leben verwandelt. Um 1 1 80
wirkt hier dann Biduinus, von dem in Pisa selbst wenigstens
ein Sarkophag im Camposanto mit voller Namensinschrift er-
halten ist. Seine Arbeiten an S. Casciano bei Pisa und an
S. Salvatore zu Lucca erwiesen gewisse Verwandtschaft mit der
Darstellungsweise architektonischen Beiwerks bei Bonannus,
dem Bildner der Erztüren am Pisaner Dome.
Damit erst treten wir in die Reihe der monumentalen
Schöpfungen Pisas, an welchen nun auch die darstellenden
Künste beschäftigt werden konnten und Gelegenheit fanden,
J) Der Cicerone spricht von diesem Stück, als ob er die Skulpturen gesehen
habe. Vgl. jedoch Milanesi zu Vasari opere I 271. Anm. 2.
212 SANCT MARTIN VON LUCCA
aufzubieten, was sie vermochten. Erst nachdem der Dom, spät
genug, durch Meister Raynaldus seine Fassade erhalten, wurden
auch die Portale geschmückt. Im Jahre 1180 entstand die
Bronzetür des Hauptportales, die beim Brande 1596 zerstört
sein soll. Wahrscheinlich wurde sie nur mehr oder weniger
beschädigt und ist, wie schon Förster vermutete, das nämliche
Werk, das wir jetzt am Seitenportal neben dem Chore, dem Cam-
panile gegenüber erblicken, — der gerettete Ueberrest, den man
hierher versetzte, als Giovanni Bologna die neuen Bronzetüren
für das Hauptportal schuf. Denn einmal stimmen die Gegen-
stände der Darstellung genau mit denen an der jetzigen Haupt-
tür überein, und zweitens ist der Stil der Reliefs ganz der selbe
wie an der Tür von Monreale, welche Bonannus laut Inschrift
1186 vollendet, jedoch mit der doppelten Anzahl von kleineren
Darstellungen ausgestattet hat 2). Ja, gewisse Unförmlichkeiten
der unteren Reliefs in Pisa könnten, ausser dem fortwährenden
Anfassen und Abscheuern, auch durch Wegschmelzen beim
Brande erklärt werden müssen. Diese Bronzewerke haben
natürlich, ganz abgesehen von dem Mafs künstlerischen Ver-
mögens, das in ihnen etwa zu Tage tritt, eine ganz eigentüm-
liche kunsthistorische Bedeutung.
Zwei Aeusserlichkeiten fallen in den Kompositionen dieses
Erzgiessers besonders auf: einmal die Vorliebe für Palmen, die
er unten in langer Reihe als Garten für seine Propheten auf-
stellt und vereinzelt in mehreren Scenen, nicht blos bei der
Flucht nach Aegypten, sondern auch bei der Taufe Christi und
sogar bei der Höllenfahrt anbringt, während sonst, im Einzug,
in der Fufswaschung und im Himmel am Tron der Jungfrau
andre Bäume auftreten, die wir wegen ihrer grofsen runden
Früchte wol nur für Orangen halten können, — d. h. also zwei
Gewächse, die in Pisa kaum heimisch waren, und bei einem
2) Die Inschrift in Monreale, wo noch 1 1 75 Barisanus von Trani die Nordtiir
geliefert, lautet an der westlichen: .,MCLXXXVI ind. III Bonannus civis Pisanus
me fecit." Die Inschrift in Pisa besagte nach Morrona: „Ego Bonanus Pis. mea
arte hanc portam uno anno perfeci tempore Benedicti operaiii. A. D. MCLXXX-" —
Crowe und Cavalcaselle (D. A, I p. 100) gehen zu weit, wenn sie aussprechen:
„Diese Scenen aus dem alten und neuen Testament (in Monreale) scheinen mit den
Arbeiten des Meisters in Pisa aus Einer Form gegossen." — Richtiger urteilt
Springer, Bilder aus d. neuein Kstgesch. I p. 192 (2te Aufl.).
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 213
romanischen Bildner um so mehr Beachtung fordern, als die
Darstellung von Bäumen in dieser Kunstperiode gewöhnlich
auf Zweige, oder rein ornamentale Bildungen beschränkt ist. —
Und zweitens die Anbringung von Kuppelarchitektur selbst da,
wo wir sie garnicht erwarten, und zwar in einem Stile, der
nicht etwa aus Pisas Monumenten hinreichend erklärt werden
kann, sondern nur aus Reminiscenzen an Süditalien, wo sich
Byzantinisches, ja Maurisches einmischt. In der Verkündigung
steht Maria in einem Tempel, der auf vier Säulen zuerst ein
zinnenbekröntes, fast flach gewölbtes Dach mit vier Ecktürmchen
und in der Mitte eine säulenreiche Laterne mit kühner Kuppel
trägt. Etwas breiter erscheint diese Architektur, wo sich
Maria und Elisabeth darunter begrüfsen, etwas höher und mit
einer grofsen Hängelampe darin als Tempel bei der Darbringung
des Kindes, in verkleinertem Mafsstab mit konisch gespitzter
Kuppel in der Versuchung Christi, und etwas verändert als
Grabmonument des Lazarus, auf dessen Dach die Hauptzuschauer
versammelt sind, — ja, turmartig gestreckt links und rechts
beim Tode Maria's. Das Abendmal ist in eine solche breite
Kuppelhalle verlegt, mit Türmchen an den Ecken, und das
Grab Christi zeigt eine der orientalischen Zwiebelform genäherte
Bedachung, der Baldachin, unter dem Herodes tront, eine Ein-
ziehung auf halber Höhe, der ihn der Birnform nähert. Oben
erblicken wir den Herrn Zebaoth selbst, von Engeln verehrt,
unter einem Tronhimmel, wie wir ihn ambesten auskarolingischen
Miniaturen kennen, wo er über dem Haupt des Herrschers
im Widmungsbilde (Codex aureus aus St. Emmeran in München)
oder der Evangelisten, oder im Urteil Salomos, ja über Holofernes
(Evangeliar in S. Paolo fuori zu Rom) sich wölbt, d. h. als byzan-
tinisches Hofrequisit zur Verherrlichung unentbehrlich schien.
Dazu kommt dann, bei genauerer Abwägung der gegebenen
Kompositionen und ihres Verhältnisses zu den Leistungen der
Steinskulptur in Toskana, wol die Erkenntniss, dass eine ganze
Reihe von Darstellungen, und zwar die figurenreicheren, ganz
gewiss ohne byzantinische Vorbilder irgend welcher Art nicht
diese Regelmäfsigkeit und sichere Klarheit erhalten haben
würden. Man urteilt an Ort und Stelle gewöhnlich nur nach
den unteren Scenen und hört dann Urteile, wie im Cicerone:
„dass sie zwar geringer und plumper als die Bronzetüren by-
214 SANCT MARTIN VON LUCCA
zantinischen Stiles, doch bereits von einem frischeren selbst-
ständigen Geiste belebt sind"; — oder man durchblättert daheim
die charakterlose Publikation in Kupferstich, und schreibt dann,
wie Schnaase: „sie seien zwar besser geordnet, aber dafür
dürftig und steif." Beides ist einzeln nur zur Hälfte wahr, zu-
sammengenommen erst annähernd das Richtige. Offenbar haben
wir eine ähnliche Erscheinung vor uns, wie in den Mosaikge-
mälden der Cappella Palatina in Palermo und des Domes zu
Monreale, wenn auch gleichsam im umgekehrten Verhältnis
ihrer Faktoren. Noch übt der Bilderkreis der byzantinischen
Kunst einen mächtigen Einfluss aus, bannend zugleich und er-
ziehend; aber schon strebt der eigene Sinn des italienischen
Künstlers überall da selbstständiger gestaltend vorzudringen,
wo der Gegenstand ihm in häufiger Uebung und heimischen
Versuchen vertraut geworden, und nur bei selten behandelten
und schwierigen Vorwürfen unterwirft er sich schlechthin der
überlieferten Komposition der alten, weitaus überlegenen
Schule, die den kirchlichen wie den künstlerischen Vorschriften
durch jahrhundertelange Uebung immer noch am sichersten
entsprach. Da freilich musste der Bildner sich dann meist mit
malerischen Vorlagen begnügen, welche die gegebene Fläche
eben nach Art eines Bildes verwerten, Kompositionen über-
nehmen, die nicht für die Reliefkunst gedacht waren, und so
gerät er häufig in Widerspruch oder doch in unsicheres Tasten,
wie weit er z. B. architektonische Hintergründe, visionäre Er-
scheinungen am Himmel, und dergleichen, die der Maler nach
Belieben auf dem oberen Teil angebracht, um den Raum einer
überhöhten Tafel zu beleben, nun im Relief auch körperhaft
durchzubilden habe.
Bonannus trachtet überall nach plastischer Selbständigkeit
seiner Gebilde, begnügt sich deshalb mit wenigen Figuren, neben
denen auch ein Baum, ein Gebäude die Fläche füllen hilft; ja
er geht soweit, die Körper fast aus dem Grunde zu lösen, dass
sie wie aufgelötet erscheinen, und hebt besonders die Köpfe
mit einem Teil des Oberkörpers so stark hervor, dass wir an
deutsche Arbeiten des Bronzegusses denken müssen. An andern
Stellen, besonders höher hinauf, erscheinen die Flügel der Engel,
die Blätter und Früchte seiner Orangenbäume, der Baldachin
Zebaoths tatsächlich aufgesetzt, ausgeschnitten und unterhöhlt.
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 21 5
Dagegen hält sich die eigentliche Figurenkomposition in der
Fufswaschung, die als Ceremonie gefasst ist, — im Abendmal, wo
Christus mit Johannes am rechten Ende, die anderen Apostel
ruhig aufgereiht am Tische sitzen, und der Verräter gar nicht
bezeichnet wird, — in der ganz symmetrischen Gefangennahme,
der Höllenfahrt und der Himmelfahrt, wie im Tode Marias, fast
ganz in flachem Relief, während andere, auch nicht stärker
ausgerundete, doch durch die Vereinzelung der Körper im Räume
und das Ausfehneiden der Grundlinie den Schein des Aufge-
lockerten und Angehefteten empfangen. Das eigentliche Wesen
des Reliefgusses ist ihm keineswegs klar, sondern Goldschmieds-
arbeit, Bildhauerei und flächenhafte Zeichnung bis zum gemalten
Vorbild streiten hier miteinander, und die erlernte Bronzetechnik,
von der er ausgeht, könnte schliesslich der Flachreliefguss des
Barisanus von Trani gewesen sein, wie er noch 1 1 75 in Monreale
und 11 79 in Ravello auftritt. — Nichts ist lehrreicher als ein
Vergleich der Türen des Bonannus mit diesen kurz vorher ent-
standenen des Barisanus, der unentwegt byzantinisch erzogen
war. „Man merkt es namentlich den sitzenden Figuren der
Apostel und Heiligen an, dass ihm die sichere Haltung, die
klare Bewegung derselben, der leichte Fluss der Gewänder keine
Schwierigkeiten bot, — sagt Springer mit Recht von ihm, —
und dass er in einem Kreise sich bewegte, in welchem der
Entwurf ruhig gemessener, würdig ernster Gestalten zur künstleri-
schen Gewohnheit geworden war." — Und doch drängt sich,
trotz dem Abstände zwischen der byzantinischen Disciplin des
zierlichen Zeichners Barisanus und der halbbarbarischen Unge-
schultheit des derberen Bildners Bonannus, wol die Frage auf,
wie nah auf rein technischem Böden ihre Beziehung gewesen
sein mag? In Süditalien blüht der Bronzeguss, wenn auch in
flachem Relief, ja in Nielloarbeit sich begnügend; aber in Palermo
tragen die Gusswerke schon im zwölften Jahrhundert nicht mehr
den gleichen Charakter wie auf der Ostseite Italiens. „Eine
grofse Glocke am Dom zu Palermo, welche König Roger 1136
von der kundigen Hand Bions giessen Hess, zeigte das Bild der
Madonna in Relief, und in gleicher Weise sind auch die Löwen-
köpfe an der Bronzetür der Cappella Palatina gearbeitet1)." —
j) Springer, Bilder aus der neueren Kunstgeschichte, 2. Aufl. I p. 191 f.
2l6 SAN CT MARTIN VON LUCCA
Hier war also der Bronzeguss sicher in fortgesetzter Pflege und
Uebung. Wie kommt es, dass man nach 1175 — 79 von dem
Süditaliener Barisanus zu dem Pisaner Bonannus übergeht? —
Die Architektur wie die Vegetation auf seiner Domtür zu Pisa
von 1180 erzählen doch wol von süditalischen Eindrücken, die
er vorher empfangen? auf der Tür in Sicilien von 11 86 treten
diese Dinge dann wieder zurück, wenigstens die Palmen ver-
chwinden, denn sie waren in Palermo nichts Aussergewöhnliches,
das die Beschauer durch sich selbst erfreute und in paradiesische
Regionen versetzte, wie zu Pisa. Immer jedoch bewahren seine
Figuren die schlichte Behandlung, einfache, weiche, nicht mit
Falten überladene Gewandung, unter welcher der Körper sich
leidlich erkennbar hält, und einfache Bewegungen, die jede Ver-
kürzung und Verwickelung umgehen, oft sogar ein Zusammen-
halten der Körpermasse, welche die freie Bewegung authebt,
unbeholfen und steif erscheint. — Und an derselben Tür nun, in
Monreale, sind die Leisten, welche die Felderreihen senkrecht
scheiden, die Sternknöpfe und zierlich gemusterten Bänder gewiss
eine Zutat sicilischer Hände, also ein Zeichen persönlicher Gemein-
schaft mit süditalischen Künstlern ■ ). Die Wegschneidung eines
Stückes von den breiten Hauptkompositionen oben, nach Mafs-
gabe des Spitzbogens, wie die Hinzufügung der blos heraldischen
Greifen und Löwen in den untersten, gleichsam den Sockel
bildenden Streifen, lässt vermuten, dass vielleicht nur die Zu-
sammenstellung der Tür, nicht auch der Guss der figürlichen
Reliefplatten an Ort und Stelle erfolgt sei. Die architektonische
Einfassung des Portales selbst darf aber nicht mehr in Frage
kommen, diese ist durchaus sicilianisch.
Dagegen giebt es andere Stellen in Palermo, wo das Her-
überwirken lombardisch-toskanischer Künstler, besonders in der
Marmorbildnerei unläugbar ist. Solch eine Stätte ist gerade
der Klosterhof von Monreale. Bieten die grofsen figurierten
Kapitelle der Ecksäulen uns Architekturbilder, wie sie bei
Bonannus wiederkehren, so sind die reichornamentierten Säulen-
schäfte nichts Anderes, als was wir an den Kirchenfassaden in
1 ) Springer, a. a. O. 1 93 wirft die Frage auf, ob diese dekorativen Teile an
der Tür auf die pisaner Schule zurückzuführen seien oder vielmehr der süditalisch-
sicilischen Kunst gehören.
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 217
Lucca und Pisa zu sehen gewohnt sind, in der Vorhalle von
S. Martin und dem Hauptportal des Baptisteriums, in reichster
Ausbildung vorfinden. So ist auf diesem Gebiete ein Austausch
unverkennbar, ein Geben und Nehmen ganz natürlich, so lange
der Verkehr bestand.
Damit aber haben wir auch den Schlüssel zu den Versuchen
figürlicher Marmorskulptur an den Hauptmonumenten in Pisa,
deren herrlich schimmernde Gruppe, so einzig in ihrer Art,
gerade damals der Vollendung näher rückte. Das Baptisterium
war 11 53 begonnen, wurde allerdings nur langsam gefördert,
musste aber doch, als man 11 74 zu einem neuen kostspieligen
Unternehmen, dem Bau des Glockenturms, übergieng, im eigent-
lichen Hauptkörper fertig dastehen, so dass vielleicht nur noch
die äussere Verdachung fehlte, die dann mit dem Obergeschoss
seit 1278 vollständig verändert wurde. So gehören die Skulpturen
der Portale wol in die selbe Zeit, wo Bonannus tätig war, d. h.
nach 1180 an's Ende des Jahrhunderts.
Am Architrav der Nordtür gegen den Camposanto zu er-
scheinen in einer Arkadenreihe von gewundenen Säulen, und
mit schmalen Fensterchen in den Zwickeln der Bögen, sieben
einzelne Gestalten, ganz im Charakter byzantinischer Elfenbein-
reliefs. Es sind schlank proportionierte hohe Figuren in klarer
einfacher Gewandung mit wol abgewogener Gebärde, — fest
überlieferte Typen der alten, für die Kirche klassischen Kunst.
Die Mitte hat ein Hohepriester mit dem Rauchfass inne, der
Einzige, zu dem eine andere Figur in sichtlicher Beziehung
steht, nämlich der Engel links, der sich sprechend zu ihm
wendet. Es ist also Zacharias, dem die Geburt des Sohnes
verkündet wird. Rechts von ihm steht eine Matrone mit aus-
gebreiteten Armen, in der Haltung der Orantin, also wol
Elisabeth — „exaudita est deprecatio." Dann entsprechen
einander ein Vertreter des alten und des neuen Bundes, wie
Moses und Petrus, und zuäussert zwei Erzengel mit vollem
Waffenschmuck und gezogenem Schwerte, edle wolgebildete
Erscheinungen, die auf die besten Beispiele byzantinischer Kunst
zurückgehen.
Wir sehen also die Pisaner an ihrem Nationaldenkmal be-
müht, sich im Skulpturenschmuck ebenso an die Vorbilder der
Kunst Konstantinopels zu halten, wie in dem kreuzförmigen
218 SANCT MARTIN VON LUCCA
Plan ihres Domes die Beziehung zur Apostelkirche der griechi-
schen Kaiserstadt und in ihrer Kuppel die dankbare Aner-
kennung für den Zuschuss des byzantinischen Herrschers nicht
zu verkennen war. Und weit allmählicher noch als die Baukunst,
die hier zur glücklichsten Reinigung und geschmackvollsten
Bereicherung des nationalen, lombardisch-toskanischen Stiles hin-
durchdrang, schien die heimische Bildnerkunst sich an der Hand
der Führerin entwickeln zu wollen; denn je vorzüglicher die
kostbaren Werke waren, die von Byzanz nach Pisa gelangten,
um so stärker wirkte der Zauberbann des klassischen Stiles,
die Regungen des eigenen Gestaltungstriebes entmutigend und
immer zu bewundernder Nachahmung zurückzwingend.
Das spricht sich auch an dem Hauptportal des Bapti-
steriums überzeugend aus, dessen sämtliche Skulpturen, mit
Ausnahme der erst unter Giovanni Pisano eingestellten Statuen
der Lünette, nur in sehr bedingter Weise zur romanischen Kunst
Italiens gerechnet werden dürfen :). Wenn von diesen Arbeiten
gesagt wird: „der romanische Stil tritt hier in völliger Befreiung
von byzantinischen Einflüssen auf", — so ist gerade das Gegen-
teil richtig, nur muss man nicht an die manierierten Erzeugnisse
des späten Byzantinismus denken; die lange genug seine Ver-
urteilung in Bausch and Bogen veranlasst haben. Es ist der
für Pisa damals gerade charakteristische Zug zum Antikisieren,
der sie alle bestimmt, der aber natürlich keinen Unterschied
macht zwischen hellenischen, römischen oder byzantinischen
,Antiken," ja zunächst nach solchen Vorlagen greift, welche
die Kirche bereits verarbeitet hatte, welche den christlichen
Stoff, der hier verlangt ward, bereits gestaltet darboten. Es
sind also vorwiegend vortreffliche Elfenbeinwerke byzantinischer
Herkunft, in welchen man damals das Heil sucht, während
dann später Niccolö Pisano den weiteren Schritt wagt, die
griechisch-römischen Marmorwerke künstlerisch anzueignen, die
heidnischen Gestalten im Sinne seiner kirchlichen Aufgabe zu
bearbeiten. Das heisst wir haben zwei Phasen desselben
Processes vor uns, die sich auch auf literarischem Gebiete ganz
ähnlich unterscheiden.
J) Vgl. unsere Kopfleiste zu diesem Kapitel nach Alinari's Photographie des
Portales.
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 21 g
Es ist mir unbegreiflich, wie Crowe und Cavalcaselle die
Halbfiguren an dem Kranzgesims des Türsturzes dem Stein-
metzen Bonusamicus zuschreiben können, dessen rohe Versuche
wir im Camposanto betrachtet haben. Diese Halbfiguren in
feinster Marmorarbeit sind sorgfältige und geschickte Nach-
bildungen der besten byzantinischen Muster, und zwar ganz
sichtlich Uebertragungen aus der Elfenbeinschnitzerei. In der
Mitte erscheinen, stark hervorragend, wie über den Rand her-
überschauend, Christus, links Maria rechts Johannes Baptista;
dann je ein Engel mit Scepter, darauf wieder je ein Heiliger
mit Buch, Engel mit Scepter und wieder je ein Heiliger mit
Buch, — also die vier Evangelisten, — und zuäusserst je eine
Palme in flachem Relief i). Trotz der Abhängigkeit von be-
stimmter Vorlage bezeugt diese Arbeit doch ein unverkennbares
Talent, — nur dass sich nirgends die toskanische Herkunft des
Meisters offenbart und hier ebenso wenig wie am Nordportal
Veranlassung vorläge Vasaris Angabe zu bezweifeln, es seien
„scultori greci, che lavorarono le figure e gli altri ornamenti
d'intaglio del Duomo di Pisa e del tempio di S. Giovanni," —
solange es uns nicht auf die Geburt sondern auf die Schule
ankommt. Wahrscheinlich allerdings, dass hier schon geborene
Pisaner auftreten, die sich charakteristisch genug von den
Comasken in Lucca und Pistoja unterscheiden.
Am Architrav selbst ist in enggedrängter Reihe und
flacherem Relief die Geschichte Johannes des Täufers erzählt,
von dem Auftreten des Bufspredigers bis zur Bestattung des
Enthaupteten. Zuerst zwei fast gleiche Scenen, durch einen
Palmbaum getrennt, wo er als antiker Rhetor, in Toga und
mit der Schriftrolle in der Hand, klassisch ruhig den Zuhörern
vorangeht, wie ein Peripatetiker lehrend. Dann der Hinweis
auf Christus, der von einem Berge herabsteigt. Hier sind über
den Hörern zwei Köpfe in Kappe und Kapuze angebracht,
wie sie der pisanische Bildhauer und seine Zeitgenossen trugen,
also offenbar Porträtversuche, vielleicht den Künstler und den
Vorsteher der Opera darstellend. Weiter die Taufe mit dem
kleinen, als antiker Flussgott hingelagerten Jordan unter dem,
!) Sollten Crowe und Cavalcaselle wegen dieser Palmen an Bonannus gedacht
haben, und der Name Bonusamicus nur ein Gedächtnis- oder Schreibfehler sein?
2 20 SANCT MARTIN VON LUCCA
bis an den Hals des Täuflings emporsteigenden, Wasser und
drei Engeln mit Tüchern über den Händen. In der Mitte des
ganzen Streifens der Auftritt vorHerodes: auf einfachem Falt-
stul unter seinen Höflingen sitzend befiehlt er die Ergreifung,
die von einem völlig griechischen Jüngling in leichtem Mantel
vollzogen wird. Das Gastmal ist besonders bemerkenswert,
weil sowol bei der Zwiesprach von Mutter und Tochter ein
geflügelter Dämon die Köpfe zusammenhält, als auch beim Tanz
eine solche Peitho zugleich den tafelnden Fürsten wie das
schöne Mädchen berührt, das in langem geschlossenen Kleide
von fliessendweichem Stoffe nur ein Menuett zum Besten giebt.
Dann die Enthauptung und die Ueberreichung der Schale an
Herodias in einem Bilde, und endlich die Klage der Jünger
und die Bestattung des mumienhaft mit Binden umwickelten
Leichnams in Einem aufrecht stehenden Sarkophag.
Trotz der verhältnissmäfsig geringen Erhebung der Figuren
sind sie doch klar von einander gesondert, und der Grund bald
unter der einrahmenden Architektur bald hinter den Bäumen
der Landschaft stark ausgetieft, — wiederum Beweis genug,
dass vom Elfenbeinrelief ausgegangen wird. Die völlig antiki-
sierend gekleideten Gestalten, unter denen auch der Täufer
nicht im üblichen Zottelpelz auftritt, sind schlank und gestreckt,
in den Köpfen oft von überraschender Schönheit, nur zu ge-
drängt in der Komposition, um sich freier entfalten zu können,
— haben aber unter diesen Bedingungen sehr deutliche Ver-
wandtschaft mit den Einzelfiguren am Architrav des Nordportales.
Völlig in der Weise byzantinischer Elfenbeinplatten sind die
Kassettenfelder an den beiden Türpfosten, welche diese in ihrer
ganzen Höhe gliedern. Hier sieht man in rechteckigen Rahmen
auf der einen Seite, rechts oben den fronenden Erlöser in
Mandorla, dann zwei Engel, darauf die Mutter Gottes (mit
griechischer Beischrift), Petrus als Apostelfürst, Mathaeus und
Andreas, Bartholomeus und Thomas, Johannes und Japocus (sie),
Fylippus und Jacobe, Simon und Tadeus; sodann die Erlösung
der Voreltern durch Christus bei der Höllenfahrt „Introitus
Solis"1), und endlich „David Rex'\ An der linken Innen-
i) Abbildung bei Sclinaase VII, 269 und Liibke, Gesch. d. Plast
(1880) I, 437-
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 221
wandung sind die Monate dargestellt, von unten nach oben
aufsteigend, — ein Cyklus, der durch die antike Schlichtheit
wie durch die örtlichen Beziehungen überaus wichtig erscheint.
Januar: ein Mann mit Schriftrolle in der Hand steht neben
einem altarartigen Herd, auf dem ein Feuer um einen Topf
brennt. Februar: ein Fischer steht mit seiner Angel am Ufer,
daneben ein Palmbaum. (!) März: ein sitzender Mann, der
etwas zu schneiden scheint. April: ein Jüngling umfasst einen
Baum und hält auf der ausgestreckten Rechten einen Blumen-
korb. Mai: Ausritt des Bewaffneten. Juni: schneidet die Garben.
Juli: drischt auf der Tenne. August: Feigenlese. Hier hört
die Beischrift des Namens auf. (September) : Keltern des Weines
und Einfüllen in die Fässer. (October): Pflügen. Dann folgt
nur noch ein Bild: das Schweineschlachten, das wir im De-
cember zu sehen gewohnt sind; es ist also ein Monat, wahr-
scheinlich November, ausgefallen, weil der Türpfosten nur eilf
solche Felder bot. — An der Leibung des Bogens sind die
vierundzwanzig Aeltesten in Medaillons dargestellt, und im
Scheitel oben erscheint das Lamm Gottes.
Diese kleinen, leider zum Teil sehr zerstörten Reliefs, ver-
dienen das Lob, das ihnen gespendet wird, vollauf. In den
paarweise zusammengestellten Aposteln strebt der Künstler
sichtlich nach lebendiger Charakteristik und freier Bewegung
seiner immer in antiker Würde verharrenden Personen; in den
Monatsbildern wird in der Entfaltung körperlicher Tätigkeit
unverkennbar die wundervolle Herrschaft der antiken Kunst
über die Darstellung des Nackten in frischem Abglanz herüber-
gerettet, während schon die Erscheinung Christi in der Vor-
hölle nicht über die byzantinische Vorlage hätte in Zweifel
lassen sollen. — Glückliche Nachahmung, gelungenes Anti-
kisieren ist der Vorzug dieser Leistungen. Eben dadurch aber
werden sie gewissermafsen zeitlos, bleiben verhältnismäfsig un-
berührt von dem bedingten nationalen Charakter ihrer eigenen
Zeit und Umgebung ') und sind deshalb sehr schwer zu datieren.
Bei der Bestimmung des Termines kann eben nur die
technische Fertigkeit entscheiden und die Fähigkeit das klassische
J) Wichtig ist wol gerade bei unserer Ausführung der Hinweis, dass wir doch
den abendländischen Monatscyklus vor uns haben, nicht den byzantinischen.
222 SANCT MARTIN VON LUCCA-
Vorbild so rein aufzufassen, die Form so zu sehen und wieder-
zugeben, und die Abwandlung so geschickt im Sinne der Vor-
lage auszuführen, wie es hier geschehen. Da es aber seltsam
zugegangen sein müsste, wenn die Ausfchmückung des Portales
nicht damals geschehen wäre, als der Bau fertig war, und da die
spätere Zutat der Freistatuen im Bogenfeld sich ganz einfach
aus dem Umbau seit 1278 erklärt, an dem Giovanni Pisano
ebenso wie am Camposanto beschäftigt gewesen sein dürfte, 1)
so liegt kein Grund vor, die Entstehung der einzelnen Bestand-
teile weit auseinander zu rücken. Jedenfalls bedeutet die Be-
rufung des Guido Bigarelli zur Herstellung des Taufbeckens,
1246 nicht nur, dass das Eingangsportal fertig dastand, sondern
auch, dass die dort betätigten Kräfte nicht mehr vorhanden
waren, dass der erste Anlauf antikisierender Nachahmung wieder
vorüber war, ohne eine pisanische Skulptur erzeugt zu haben,
und nun zu einem Marmorornamentisten aus Como gegriffen
werden musste, der allerdings sehr prunkhaften Schmuck aus
eingelegten Marmorplatten zu liefern vermochte, der Richtung
auf klassische Gestaltenschönheit, die in Pisa begonnen hatte,
jedoch ebenso fremd als unfähig gegenüber stand.
Wenden wir diese Ergebnisse auf Niccolö Pisano an, so
heisst das: wäre dieser Bildhauer nicht vor 1246 schon unter
jenen griechisch geschulten Meistern der Portalskulpturen des
Baptisteriums in die technischen Fertigkeiten eingeführt, so
hatte ihm Pisa ausser den stummen, nur für das sehende Auge
beredten Lehrmeistern, den antiken Vasen und Sarkophagen,
die am Dom herumstanden, Nichts zu bieten. Aber als starkes
Erbteil war die antikisierende Richtung vorhanden, die schon
einmal zu achtenswerten Erfolgen geführt hatte.
Volterra
Wie wenig auch sonst die tändelnde Dekorationsweise des
Guido da Como als etwas Geringwertigeres erkannt wurde denn
die figürliche Plastik, beweist das Fortbestehen dieses Ge-
schmacks an anderen Orten. Die eigentliche Gestaltenbildung
x) Das schliesse ich nicht allein aus seiner angesehenen Stellang als leitender
Baumeister beim Camposanto gerade in diesem Jahre, sondern auch aus der Stil-
gleichheit entsprechender Teile am Dom zu Siena, wo er so lange das Oberhaupt
beim Fassadenbau war.
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 223
aber, die er selbst in Pistoja (1250) geübt hatte, blieb auch nach
ihm noch auf diesem Niveau stehen, wo es sich in nächstem
Umkreise um ähnliche Aufgaben handelte. Ausser der Kanzel
in Barg'a, die wir, wie oben ausgeführt, nach Guidos Leistung
in Pistoja datieren zu müssen glauben, sei hier nur ein anderes
Werk genannt, das unseres Erachtens bisher zu früh eingereiht
worden: die Kanzel im Dom zu Volterra.
Das Alter dieses Werkes wird verschieden geschätzt. Der
Cicerone setzt es an's Ende des zwölften Jahrhunderts, also
gleichzeitig- mit der Kanzel in Groppoli und der Berliner Ma-
donna von Borgo S. Sepolcro. Nach der Geschichte der Kirche
zu Volterra wäre ein Umbau, der 1234 beschlossen, 1254 in
der Fassade zum Abschluss gebracht worden *), die natürlichste
Geleg-enheitfür ihre Entstehung im Anschluss an eine umfassendere
Innenausstattung, — während 1252 das Baptisterium von Giroldo
da Lugano gebaut ward, der auch das Taufbecken in Massa
Marittima (1262) fertigte 2). Schon allein nach der fortgeschrittenen
Vollendung des ornamentalen Rankenwerks scheint mir die
gleichzeitige Entstehung mit Guidos Kanzel in Pistoja sehr
wahrscheinlich. Das Altertümliche liegt nur in dem Typus der
Figuren. Die Reliefs sind auch unter sich nicht gleichmäfsig
durchgeführt. Besonders geringwertig ist die Schmalseite mit
der Verkündigung und der Begegnung Marias mit Elisabeth.
Gegenüber befand sich das Opfer Abrahams. Das Hauptstück
an der Vorderseite bildet das Abendmal, das als Komposition
eigentümlich von der am Portal von S. Giovanni fuorcivitas zu
Pistoja abweicht und der des Bonannus in Pisa näher steht,
durch die eigentümliche Darstellung des Verräters aber zu Ver-
wechselungen (mit dem Gastmal des Leviten, wo Magdalena die
Füfse des Herrn salbt) veranlasst hat. Die Jünger sitzen an
der inneren Langseite des Tisches in einförmiger Reihe, ganz
links auf einem Tronstul mit hohem Schemel, unter welchem
ein Stier — als Symbol der Stärke — ruht, ganz im Profil
Christus, gegen den sich der nächstsitzende Johannes mit
schmerzvoll geschlossenen Augen lehnt, während zu den Füfsen
1) Mothes, Baukunst d. MA.'s in Italien S. 743 citiert Gioanelli, der nach einer
Chronik erzählt.
2) Förster, Gesch. d. ital. Kst. II, 84 bringt die Inschrift.
224 SANCT MARTIN VON LUCCA
des Meisters, wie durch magische Gewalt gezwungen, Judas
Ischarioth knieend die Hände erhebt, um den Bissen zu em-
pfangen, der ihm unter den Tisch gereicht wird wie einem
Bettler. Hinter ihm aber reckt sich am Boden, in ganzer
Länge der Tafel, ein Drache mit verschlungenem Schweif, im
Begriff nach dem Fufs des Knieenden zu schnappen. Vor den
gedrängten Jüngern : Petrus (neben Johannes), Andrea, Philippus,
Jacobus, Bartolomeus, Taddeus, Thomas, Mattheus, Simon,
Jacobus, die zum Teil nur in zweiter Linie, als hervorguckende
Köpfe erscheinen, liegen auf kleinen Schalen drei Fische, deren
letzten Jacobus erfasst '). Die Mehrzahl der Apostel zeigt uns
runde kurzbärtige Köpfe und in der Mitte gescheiteltes Haar,
das bei Christus in längeren Locken auf den Nacken fällt.
Ganz eigentümlich ist die Gestalt und der Typus des ebenfalls
bartlosen Judas, der dieses Aussehens wegen von Rumohr für die
Sünderin Magdalena gehalten ward — „von dem symbolischen
Drachen noch immer verfolgt, oder eben erst ausgespieen, worüber
wir den Künstler selbst vernehmen müssten." Hier ist die Nach-
ahmung etruskischer Terracottafiguren in der Gedrungenheit
ihrer Proportionen, dem Uebergewicht des Kopfes über den
Körper ganz ausserordentlich schlagend, an einer solchen Haupt-
stätte etruskischer Denkmäler aber durchaus nicht wunderbar.
Wie wenig hier an eine Fortdauer des antiken Provinzialstiles,
an eine einheimische Verbindung etruskischer Kunst mit christ-
lichem Inhalt gedacht werden darf, beweist die Technik, die
Behandlung des Reliefs und die Dekoration der Kanzel. Schon
Rumohr sagt: ,,Im Entwurf und in der Arbeit der Rosons und
Gesimse, in dem sparsam angebrachten Schmuck von eingelegtem
schwarzen Marmor, gleicht dieses AVerk jenen architektonischen
Denkmalen, welche ... im oberen Arnotale in nicht geringer
Zahl errichtet worden." Genauer bezeichnet, haben wir lavori
di commesso wie bei Guido da Como und Genossen in Lucca,
Pistoja, Barga, Pisa, haben im Rankenwerk des Fufs- und
Kranzgesimses den voll entwickelten spätromanischen Stil, genau
J) Die nächste Verwandtschaft mit dieser Darstellung des Abendmals hat also
diejenige im Dom zu Monreale: Am Tische sitzen in abendländischer AVeise die
Apostel, so dass Christus, an dessen Brust sich Johannes lehnt, die linke, Petrus
ihm gegenüber die rechte Ecke bildet. Judas, mit ausgestreckten, byzantinisch ver-
hüllten, Händen kniet vor Christus. (Springer, Bilder I. p. 208.)
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 225
so wie an der Kanzel von 1250 in S. Bartolomeo in Pantano,
am Eingang von S. Piero Maggiore zu Pistoja (1263 — 1270)
und an den sorgfältigsten Portalen der Kirchen von Lucca.
Schon das spricht für einen Comasken als Urheber. Er bohrt
auch die Augen ebenso aus und füllt sie mit Schwarz, drapiert
das Linnentuch der Tafel und die Falten der Gewänder ebenso
einförmig, wie ein talentloser Dekorateur eine Bretterbühne mit
dünnem Zeug benagelt. Endlich ist die isokephale Reihe der
Figuren genau so gegen den oberen, zur Inschrift der Namen
stehengebliebenen Reliefrand gesetzt, wie überall in Pistoja
und Lucca bei dieser Comaskenschule von Steinmetzen, die sich
in Toskana damals zu Marmorvirtuosen und Bildhauern ver-
feinern. Blicken wir endlich auf die Löwen unter den Säulen,
deren vorgeschrittener Charakter die Ueberlegenheit über Guido
da Como und die Verwandtschaft mit den lebendigsten Exem-
plaren in Pistoja und Lucca bestätigt, so dürfen wir wol be-
haupten, dass die Kanzel in Volterra eine der spätesten Ar-
beiten dieser Reihe ist, d. h. in das Jahrzehnt unmittelbar vor
der ersten datierten Kanzel des Niccolö Pisano, 1250 — 1260
gehört. Diese Zeitbestimmung gewinnt ihre Wichtigkeit, wenn
wir nun daran erinnern, dass auch die Kanzel im Baptisterium
zu Pisa zuerst dem Guido Bigarelli aufgetragen zu sein scheint,
in dessen Dekorationsweise noch die Säulchen des Aufgangs
selber gearbeitet sind, und dass nur der Tod dieses Marmo-
larius die Ursache gewesen sein wird, welche die Pisaner
veranlasste, ihren Landsmann Niccolö di Piero mit der Aus-
führung zu betrauen!
Siena
Wie steht es nun mit der Schule, aus der dieser wahre Bild-
hauer hervorgegangen sein kann? Werden wir nicht durch
unsere bisherigen Resultate von allen Seiten darauf hingedrängt,
uns mit dem vielbesprochenen Relief im Dome zu Siena, das
H. Semper als Vorstufe für Niccolö Pisano angeboten, wie mit
dem einzigen Mittelglied abzufinden, das gleichsam handgreiflich
den Uebergang vorbildet. Sind .wir nicht durch unsere Be-
trachtung über den lombardischen Ursprung so vieler Bildhauer
in Toskana und über den Unterschied ihres Stiles von dem
des Pisaners, gerade genötigt, die persönliche Beziehung
Italienische Forschungen I. 15
2 20 SANCT MARTIN VON L.UCCA
zwischen diesem Relief in Siena und Niccolö noch enger her-
zustellen, da in der Tat die Verwandtschaft, die hier nicht ge-
läugnet werden kann, mit keinem andern Werke sonst vor-
handen scheint. Wir hätten doch wol consequenten Sinnes
den entscheidenden Schritt zu tun, und die Schule, wo Niccolö
Pisano aufwuchs, statt in Pisa, oder Lucca oder gar in Süd-
italien, zunächst vielmehr im Gebiet von Siena zu suchen.
Was ist also von den vier kleinen Darstellungen aus dem
Kirchlein von Ponte allo spino zu halten, die sich jetzt in
der Cappella S. Ansano des Domes von Siena befinden1)? —
Ich glaube, es ist durch die allzufrühe Datierung dieser Skulpturen
eine arge Verwirrung angerichtet worden, der sich auch unsere
besten Kenner dieser Kunstperiode nicht entschieden genug
widersetzt haben.
Dobbert hat die Ueberschätzung des Alters und damit der
Bedeutung dieser Fragmente wenigstens durch den Nachweis
eingeschränkt, dass wir es nicht mit den ,, ältesten Typen christ-
licher Kunst1' zu tun haben, sondern mit solchen, die von
Byzanz ausgegangen2). Er fügt sogar hinzu: dass im Sieneser
Relief der antike Formalismus viel reichlicher, ursprünglicher
und ungemischter enthalten sei, als in Niccolös Werken (wie
Semper sich ausgedrückt), könne man zugeben, ohne es vor
Niccolö setzen zu müssen. ,, Warum sollte ein späterer Künstler
in der Nachahmung der Antike nicht Fortschritte gemacht haben?'1
Aber er begnügt sich dann mit der Gegenbemerkung: „dass
Niccolös Werke dem Relief zu Siena. was künstlerische Reflexion
und Gewandtheit anbetrifft, doch weit überlegen seien," und
lässt in seinem Leben Niccolös (Kunst und Künstler XL., 23)
sogar wieder die Möglichkeit zu, der Meister habe jenen alter-
tümlichen Reliefs der Ansanokapelle die Anregung zum Ritt
der Könige zu danken, der an seiner Kanzel zu Siena vor-
kommt.
Sollte man die bisherige Betrachtungsweise nicht vielmehr
umkehren? „Cavalcaselle selbst gab zu, erzählt Semper, dass
es zu Niccolös Schule gehöre und viel primitiver sei." Ich denke,
>) Vgl. Milanesi, Sulla storia civile ed artistica Senese, Siena 1862 p. 76 und
Semper, Ztschr. f. bild. Kst. 1871. S. 187.
2) Ueber den Styl Niccolö Pisanos und dessen Ursprung (München 18731 S. 57.
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 227
Calvalcaselle wird ganz genau gewusst haben, wie viel er damit
sagte, und unter „primitiver" eben nicht verstanden haben, was
Semper hineinlegt, — dass es eine Vorstufe zu Niccolös Werken
bezeichne.
Da diese Fragmente in Siena selbst wieder unvermittelt
dastehen, ohne sichtlichen Zusammenhang mit anerkannt früheren
Werken, welche in der selben Weise auf Nachahmung antiker
Provinzialreste ausgehen und zugleich diese charakteristische
Reliefbehandlung zeigen ; da sie auf der anderen Seite in ebenso
unläugbarem Zusammenhange mit den ersten Leistungen des
Niccolö Pisano erscheinen, je mehr man die verschiedenartigen
Versuche der Skulptur in Toskana überschauen lernt: so ist
die natürlichste und methodisch zunächst gebotene Annahme die;,
dass dies ungeschickte und schwächere Machwerk in Siena von
den überlegenen Schöpfungen des bedeutenden Meisters Niccolö
abhängig sei. In der Tat vermag ich das scheinbar so alter-
tümliche Relief aus Ponte allo spino nur für ein Schulprodukt
zu halten, das ohne das Vorbild der Kanzel Niccolös zu Pisa
kunsthistorisch unerklärlich bliebe.
Die Kompositionen stimmen, soweit sie auch bei Niccolö
vorkommen, zu g-enau mit seiner persönlichen Bildweise über-
ein. Es handelt sich hier nicht um die Darstellungsform der
Scenen, die darin angebrachten Motive u. dgl., das heisst um
die kirchliche Tradition, denn diese war, wie Dobbert nach-
gewiesen hat, gemeinsamer Besitz, überall verbreitetes Erbe
der byzantinischen Lehre. Dagegen kommt Alles auf die
künstlerische Gestaltung, auf die Verwertung der Motive im
plastischen Sinne, auf Gebärde und Ausdruck der Figuren und
ihren Zusammenschluss zur Gruppe an. Man lege sich doch
die Darstellung des nämlichen Gegenstandes von einigen zeitlich
und örtlich, ja schulmäfsig nahestehenden Meistern zusammen,
wie die Verkündigung, Geburt, Anbetung von Guido da Como
(1250), Niccolö Pisano (1260) und seinen Genossen in Siena
(1265 — 68), dazu von Fra Guglielmo in S. Giovanni fuorcivitas
zu Pistoja und von Giovanni Pisano in S. Andrea daselbst
(1301), — und vergleiche die Verwandlungen im Einzelnen. In
dieser Beziehung,- meine ich, steht das Werk aus Ponte allo
spino dem Niccolö zu nahe, um als unabhängig gelten zu können.
Nicht als ob wir den genialen Geist des Meisters darin er-
15*
228 SANCT MARTIN VON LUCCA
kennten, wol aber Reflexe seines Lichtes, wie sie nur in un-
mittelbarer Nähe vorkommen.
Mit Recht hebt man das stark antike Wesen in der Ver-
kündigung hervor; aber es liegt nicht allein in der Gewandung
und den Gesichtern, sondern vielmehr noch in dem wuchtigen
Auftreten, der grofsartigen Kraft, die selbst diesen plumpen,
untersetzten Puppen mit ihren schweren Köpfen noch innewohnt.
Die Grofsheit der Gebärde, die Majestät der leiblichen Er-
scheinung ist aber die persönlichste Eigentümlichkeit der
Schöpfungen Niccolös, die keiner seiner nächsten Mitarbeiter
so voll mit ihm teilt, selbst Fra Guglielmo nur ausnahmsweise
erreicht. Die Verkündigung auf Niccolös Relief an der Kanzel
in Pisa allein kann dieses Widerspiel in Siena erklären ').
Mit Recht wird der völlig etruskische Charakter der Maria
in der Geburtsscene hervorgehoben; sie ist mehr in sitzender
Haltung gelagert, wie die Porträtfiguren auf Aschenkisten, und
die feingerillten Gehänge der Parallelfalten ihres weichen Ge-
wandes, das Busen und Knie deutlich hervortreten lässt, ist wol
unmittelbar von solchen Vorbildern in Terracotta hergenommen.
Der Bildhauer ist antikischer als Niccolö Pisano, der nirgends
die Nachahmung so in's Einzelne treibt. Ja, diese speziellen
Ueberreste, die um Siena vorhanden gewesen sein müssen, ver-
drehen noch im XV. Jahrhundert den Sinn eines Steinmetzen
wie Urbano da Cortona, wie seine Reliefs aus dem Marienleben
im Dome genugsam dartun. — Wie völlig ungeschickt ist nun
aber das Zusammenschrumpfen des Mafsstabes in Joseph, und
in lächerlichster Weise bei den Frauen, die im Vordergrunde
das Kind baden. Hier hat die stärkere Antikisierung der einen
Hauptfigur die Verkümmerung aller übrigen zur Folge; auch
sie aber sind Reminiscenzen an Niccolös Arbeiten, nur gedreht
und gekürzt, bis sie in den spärlichen Raum hineinpassten,
aber ohne jede Nachprüfung oder Neubelebung angesichts der
Natur oder der Antike. Dagegen verrät die Akanthuslaube,
die Mutter und Kind umgiebt, den geschulten Ornamentisten;
denn das Ganze ist ein Stück Rankenwerk, wie man es damals
■) Niccolös Verkündigungsengel scheint übrigens ursprünglich darauf angelegt
zu sein, ein Scepter in der Linken zu tragen, wie der in der Anbetung der Könige,
und bei früheren und späteren Darstellungen Gabriels in diesem Umkreise überall.
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 229
auf Säulenschäften und Türpfosten überall anzubringen pflegte.
Lauter Beweise, dass wir einen untergeordneten Hülfsarbeiter
sich hier, für eine Dorfkirche, in figürlichen Darstellungen ver-
suchen sehen.
Die heiligen drei Könige zu Ross sind durch ihre wehenden
Gewänder und deren steife Bauschlinien sehr leicht als Erbstück
kenntlich, das antiken oder byzantinischen Reiterfiguren nach-
gebildet worden. Man vergleiche nur die Heiligen Eustachius
und Georg an der Bronzetür des Barisanus zu Ravello, und
dann die Könige selbst auf der Domtür zu Pisa von Bonannus.
Eine Bestätigung, wie sehr geläufiges Schulgut sie waren, be-
weist ihr Vorkommen auf dem Silberaltar in S. Jacopo zu
Pistoja, dessen Darstellungen aus- der Jugendgeschichte Christi
auf's Engste mit Niccolö Pisano zusammenhängen, wie andere
Scenen wieder mit Era Guglielmo, so dass man versucht wäre,
die urkundliche Notiz von einem Altar aus dem Jahre 1273
auch mit ihnen in Verbindung zu bringen. Jedenfalls sind die
reitenden Könige auf der Pisanokanzel in Siena nicht von dem
Gehülfenstück in Ponte allo spino herzuleiten, sondern waren
durch andre Beispiele (ausser Pisa sei nur Guidos Kanzel in
Pistoja und die zu Barga genannt) genug motiviert; ja, sie ge-
winnen ihren Wert gerade durch das Abweichen von dieser
altüberlieferten Schablone.
Endlich die Anbetung der Magier. Die Zusammenführung
der beiden Hauptpersonen, der Maria mit dem Kinde und des
ältesten Königs, welche die Komposition des Ganzen entscheidet,
ist so genau wie nur möglich mit der Niccolö Pisanos über-
einstimmend, — wenn eben nicht an Kopieren vor dem Original,
sondern nur an Nachahmung aus dem Gedächtnis oder mit
Hülfe mehr oder minder genauer Skizze gedacht werden kann.
Wie kommt es, dass der König in der Ansanokapelle gerade
ebenso das linke Knie beugt, das rechte wirklich auf den
Boden niederlässt, gerade ebenso dem Kinde seine Gabe mit
beiden Händen darreicht, und, dass dieses ebenso darnach greift,
wie bei Niccolö? In den älteren Kunstwerken ist die Scene
gewöhnlich feierlicher; hier segnet das Kind, wie noch 1250
bei Guido da Como und in Barga; so in Ferrara und Forli,
während das Relief in Arezzo sogar völlige Unnahbarkeit auf-
recht erhält; wo die Gabe als willkommenes Geschenk gefasst
230 SANCT MARTIN VON LUCCA
wird, demütigen sich auch die Geber nicht so, wie an S. Andrea
zu Pistoja und in S. Leonardo zu Florenz. Warum entspricht
sogar die Kleidung des Königs im Sieneser Relief bis auf den
Knoten des Mantels auf der Schulter dem klassischen Werke
zu Pisa? Maria hält freilich einmal das Kind an der Schulter, das
andere Mal am Gesäfs. Die beiden jüngeren Könige stehen
in Siena, während in Pisa auch der zweite bärtige noch nieder-
kniet; aber in Siena war eben zu dieser breiteren Entfaltung
kein Platz mehr, beide müssen stehen und halten wieder ein
identisches rundes Gefäfs in der Hand, kuglige Büchsen mit
eitlem Gold oder Geschmeide. Auch der Schutzengel musste
wegbleiben; aber so entstand doch eine Lücke, die der Bild-
hauer nun mit der ganz unmotiviert erhobenen Hand Marias
ausfüllt, als halte sie schon eine der Gaben, während alle drei
noch in den Händen der Geber sind. (Einen Granatapfel, an
den Semper denkt, stellt es schon der Form nach sicher nicht
dar.) Zur Füllung dieser Lücke ist nun auch die Krone Marias
etwas schief entwickelt, und dieses Akanthuslaubwerk auch an
den Kronen der Könige, im Vergleich zu den Diademen bei
Xiccolö so üppig ausgebildet, dass wir ihm das Praedikat
,,gotisch" wol nicht versagen können, wol bewusst der Einschrän-
kung, die es in Italien erleidet. In seiner Durchführung ist das
•Blattwerk dem des Guido da Como an den prunkhaften De-
korationsstücken verwandter, und so wieder ein Beweis, dass
wir in Ponte allo spino einen Marmorornamentisten zu erkennen
haben, dem der Versuch, durch Nachbildung antiker Sarkophag-
skulpturen zur Erschaffung einer selbständigen Plastik durch-
zudringen, überhaupt nicht zugetraut werden darf.
Gerade die unläugbare Nachahmung der selben antiken
Vorbilder, die erst Niccolö Pisano, im Unterschied von seinen
Landsleuten, wie wir gesehen haben, direkt zu verarbeiten
w-agt, gerade die Abhängigkeit von diesen Beispielen antiker
Steinskulptur ist der entscheidenste Grund gegen die Priorität
dieses Steinmetzen von Ponte allo spino. Diesen Vorrang behaup-
ten hiesse denn doch aus pragmatischer Erklärungslust die geniale
Leistung Niccolös verdunkeln, die eben nicht weiter abgeleitet und
heraus destilliert werden kann, weil sie ein Gedanke, eine Ent-
deckung, ein kühnes Wagnis ist, wie sienur einem grofsen Künstler,
nicht einem armseligen Handwerker beikommen. Die vier Stücken
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 231
eines Lettners aus der Pieve von Ponte allo spino, über die
so viel Aufhebens gemacht worden, sind nichts als ein geringes
Machwerk eines eifriger, aber auch sinnloser antikisierenden
Schulgehülfen, — mag man dabei an Goro oder Lapo oder
Donato di Ciuccio di Ciuto da Firenze, die sich ja in Siena
einbürgerten, oder sonst einen namenlosen Marmorarius denken,
der etwa mit Niccolö von Pisa gekommen war. Dass eine
Dorfkirche immer noch mit solchem unbehülflichen Bildwerk
zufrieden gewesen, als vielleicht schon im Dom zu Siena die
Kanzel der Pisaner in ihrem frischen farbigen Glänze zu
schauen war, — darf nicht Wunder nehmen, wenn wir an die
Kanzeln von Barga und Volterra denken. Es malten auch in
Rom nicht Raphael und Michelangelo allein, sondern viel
jämmerliche Stümper unter dem Anblick der Meisterwerke selbst.
Lucca
So steht Niccolö Pisano wieder allein und scheinbar unver-
mittelt da. Und die einzig bedeutende Erscheinung, welche
uns vor ihm aut toskanischem Boden entgegentritt, bleibt
immer Sanct Martin in Lucca. In der Vorhalle des Luccheser
Domes erblicken wir wirklich eine zusammenhängende Bild-
hauerschule, welche für die Ausbildung einer einheimischen
toskanischen Skulptur in Betracht kommen konnte. Diese
aber trägt einen von der Pisanischen Reliefkunst völlig ver-
schiedenen Charakter und bleibt trotz langjähriger Einbürgerung
in Toskana doch immer ein fremder Gast, während sie selber
vielleicht nur hier, in Verbindung mit der romanischen Archi-
tektur pisanisch-lucchesischen Lokalstiles und unter den Be-
dingungen der mehr oder minder starken Marmorinkrustation,
gerade diese Entwickelungsstufe erreichen konnte, welche sie
ebenso deutlich von der oberitalienischen unterscheidet.
Versuchen wir diese Eigentümlichkeiten, die für das
Schicksal der Bildhauerschule entscheidend sind, noch einmal
in voller Bestimmtheit zu erfassen. Die Comasken in Lucca^
welche nach Guido da Como die Vorhalle des Domes mit
Reliefskulpturen geschmückt haben, arbeiten, wie wir gesehen,
in ganz sicherer Schulgewohnheit, welche in der Legende
S. Martins und der Disputation S. Regolo's mit den Arianern
SANCT MARTIN VON LUCCA
am ausgeprägtesten hervortritt. Ihre plastische Vorstellung
wird offenbar von der architektonischen beeinflusst. Sie meisseln
figürliche Darstellungen im Dienste einer Baukunst, welche ge-
wohnt ist, mit einer ziemlich starken Marmorbekleidung über
dem eigentlichen Baukörper zu rechnen, und die Dicke dieser
Schicht von Marmorquadern übt ihre unwillkürlich bestimmende
Macht über den Spielraum der plastischen Anschauung. Sie
bilden ihre figürlichen Darstellungen ausserdem an Türbalken
und Bogenfeld darüber, oder an fortlaufender Wandfläche mit
der dekorativen Aufgabe, die Einzelbestandteile ihrer Kompo-
sitionen friesartig aufzureihen, so dass sie annähernd die
Wirkung von Rankenwindungen, symmetrisch wiederkehrenden
Ornamentkörpern, wie z. B.. Palmettenreihen, u. dgl. behalten,
welche man an diesen Stellen von Alters her zu verwenden
pflegte. So erscheinen diese Monatsbilder wie streng abge-
schlossene, wolabgerundete Strophen eines Gedichtes. Daher
das Festhalten an der isokephalischen Reihe der Gestalten, in
starrer Zusammenhangslosigkeit bei Guido da Como am Archi-
trav des Hauptportals, — in immer noch befangener Gegen-
einanderführung zweier Parteien am Regulusportal, wo die
Disputation mit den Arianern nur zwei feindliche Potenzen
zeigt, die drohend einander in's Angesicht schauen, bevor der
zündende Funke überspringt und den Gegensatz zum Ausbruch
bringt. Aber nicht minder herrschend bleibt es in der Ueberzahl
stehender, aufrecht aneinander geschobener Figuren in den
Geschichten der Martinslegende, wo sich gröfsere Einheiten, —
der Ausdehnung nach gleich drei Strophen der unteren Reihe,
— zusammenschliessen, doch alle von gleicher Höhe. Dieser
Aufgabe gemäfs sind auch die Geschichten unter sich symmet-
risch komponirt. In den beiden Scenen der Tür zunächst, der
Krönung des Bischofs und der Messe S. Martins gipfelt sich's
in der Mitte, hier in einer dort in zwei gleichwertigen Domi-
nanten. In den beiden äusseren Feldern links und rechts,
Auferweckung und Exorcisation, gruppieren sich die Gestalten
in zwei Hälften, so dass die Caesur in die Mitte einschneidet.
Auf's engste zusammenhängend mit diesen Regulativen
für die Höhen- und Breiten-Ausdehnung erscheinen dann die
Gesetze der Tiefenentwicklung, für die Relief kunst nicht
minder entscheidend. Die Marmorschicht, mit welcher die
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 233
Backsteinmauer bekleidet ist, hat nur eine gewisse Stärke,
der Sturz über den Türpfosten eine jeden Augenblick mit dem
Auge des Eintretenden messbare Dicke, und diese muss der
Hauptsache nach unzerstü ekelt erhalten werden, damit der
Steinbalken nicht breche. Beide Rücksichten setzen der Aus-
beutung der Tiefendimension sehr enge Schranken, deren
Ueberschreitung der leitende Baumeister auf's strengste ver-
bietet. Nur die obere Schicht wird dem Bildhauer zum
geregelten Schalten darin verdungen, der feste Grund gehört
dem Architekten, der Baubehörde. So sehen wir überall
dieses obere Drittel oder Viertel der Marmorquader fest um-
randet. Die Fufslinie für die Figuren ist senkrecht eingetieft,
genau nach dem Zollmafs, der Grund und Boden für die
Personen vorgemessen. Die übrigen Seiten werden abgeschrägt,
so dass diese Ränder in primitivster Art die Funktion der
Coulissen rechts und links und der Soffite oben erfüllen.
Hinter dieser schmalen Bühne schliesst sofort die Wandfiäche,
d. h. die zusammenhängende und unverletzliche Steinmasse als
neutrale Skene ab. Die gegebene Höhe wird vollständig aus-
genutzt, so dass die stehenden Figuren vom Fufspunkt bis an
die Oberschräge reichen, und schon die zweite Reihe von Ge-
stalten kann nur durch Kompromiss hergestellt werden, d. h.
gleichsam durch Zwischenschieben, — wiederum ein erstes
Hindrängen nach perspectivischer Täuschung des Auges; denn
zum Fufsen auf dem Boden ist für diese zwischen je zwei
Vordermännern Hervorschauenden in Wirklichkeit kein Platz.
So sind die Körper gleichsam zwischen zwei Glasplatten, der
Oberfläche und der Grundfläche, eingeschlossen, — und so
nimmt ganz von selbst die Stellung der Füfse und Beine, die
Bewegung der Arme, die Haltung des ganzen Rumpfes eine
Verschiebung in Dreiviertel sieht an, sobald die Zahl der
Figuren sich soweit mehrt, dass die Einzelne nicht nach allen
Seiten frei auszugreifen vermag. Innerhalb dieser Gränzen aber
strebt der Bildner nach voller Rundung, um so entschiedener
je weniger ihm die Kunstgriffe der Reliefperspektive, der
Formenverjüngung und Scheinvertiefung bekannt sind. Fast
möchte man sagen: abgesehen von der notwendigen Ver-
schiebung und Abplattung zwischen den beiden Ebenen, die
vorn und hinten sein Reich abscheiden, — wie eine Mittelzone
234 SANCT MARTIN VON LUCCA
zwischen dem warmen Leben der "Wirklichkeit und der kalten
Starrheit des Steines, — abgesehen von diesen unsichtbaren
Glaswänden, denkt er wie für Freiskulptur. Die wirksamsten
Reize der Profilbewegungen, der Beziehungsreichtum zwischen
den Gestalten des Reliefbildes sind ihm noch nicht aufgegangen,
d. h. die eigentliche Stärke dieser Kunstgattung noch ver-
schlossen.
Es wäre müfsig damit einen Tadel aussprechen zu wollen,
vielmehr soll diese Hervorhebung nur die historische Tatsache
charakterisieren. Gerade diese Beschränktheit der Tiefen-
dimension, die wir im Zusammenhang denken mit der wirk-
lichen Stärke der in dieser Gegend Toskanas angewendeten
Marmorinkrustation, bestimmt genau das Wesen dieser in
Lucca und Pistoja eingebürgerten Comaskenschule, bestimmt
genau den Schritt, den sie zur Entwicklung der Freiskulptur
zu machen im Stande war. Für die Richtigkeit dieses Zu-
sammenhangs zeugt die Relieflosigkeit der florentiner Bauten,
wo aus Rücksicht auf das spärlich vorhandene Material die
Marmorinkrustation nicht mehr wie zwischen Prato und Pisa
in soliden Quadern, sondern nur in dünnen Platten besteht,
die immer etwas Aufgeheftetes bleiben und nie das Gefühl
des organischen, einheitlichen Zusammenhaltens aufkommen
lassen. Und es ist wieder bezeichend, dass es der Maler Giotto
war, der am Campanile die Inkrustation mit starken fenster-
ähnlichen Oeffnungen durchbrach, und so auch den Bann löste.
Die malerische Vorstellung überwindet die architektonische,
und so wird ein Raum gewonnen für Reliefbilder, die Andrea
Pisano hineinsetzt in die festen sechseckigen Rahmen; — so
aber auch das Verhängnis der liorentinischen Reliefskulptur
angesponnen: denkt doch Andrea Orcagna noch in solchen
festen Rahmen nach Belieben malerische Raumtiefe für seine
Marmorgebilde.
Der florentiner Relieflosigkeit gegenüber sehen wir in
Lucca und Umkreis die Tiefendimension der Reliefbildnerei
ganz bestimmt geregelt nach der Stärke der zur Bearbeitung
freigegebenen Steinschicht. Weiter geht auch die Freiskulptur
eigentlich nicht. Die Martinsgruppe steht auf Konsolen vor
der Wand, mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, — und die
vorspringende Ausladungsbreite dieser Konsolen bemisst die
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 235
körperhafte Entfaltung. Denken wir nach Mafsgabe dieser
Kragsteine den Rahmen unten, oben und an den Seiten herum-
geführt, so passt die Gruppe völlig hinein, springt mit keinem
Teil über die Randhöhe vor. Sie ist nicht nur nach diesen un-
sichtbaren Gränzen zurechtgeschoben , sondern von vornherein
in dieser Auffassung gedacht.
Es ist auch hier nicht die Absicht, sie gleichsam in eine
Kiste einzuschliessen, und so bei diesem Werk der Freiskulptur
die Beschränkung auf Hochrelief zu tadeln, wie bei den Werken
der Reliefkunst drunten die Tendenz nach voller Ausrundung
und Vordersicht, — sondern nur den historischen Zusammen-
hang mit den nächsten Verwandten herzustellen und zugleich
die besonderen Bedingungen des toskanischen Bodens zu er-
weisen, wo wir diese eingewanderten Comasken beobachtet.
Gerade so aufgefasst, wie wir es getan, wird die Martinsgruppe
zum Mittelgliede zwischen diesen lucchesischen Arbeiten und
einer Reihe von Skulpturen jenseits dieses Umkreises, deren
oberitalienischer Ursprung ausser Zweifel steht, und deren
Charakter sich unter anderen Bedingungen doch anders ent-
wickelt, aber die Verwandtschaft trotzdem unverkennbar
bekundet.
Nur eine Spanne mehr in der Tiefendimension des Reliefs
hinzugegeben, und der Schauplatz für den Bildhauer ist voll-
ständig verändert, — es kommt nur darauf an, wie er diese
Spanne handhabt, in welchem Sinne er sie ausnutzt. Und da
führt eine Consequenz allmählich zur Reliefperspektive, sehr
bald zur Vermehrung der vorgestellten Pläne, eine andere
Consequenz aber zur vollausgerundeten Plastik, zur Freiskulptur.
Diesen letzteren Weg geht man in Oberitalien, und dieser ein-
fache, g-leichsam naturnotwendige, sicher nicht auf bewusster
Wahl oder Einschränkung beruhende Vorgang erweist eben die
Stammverwandtschaft zwischen diesen lucchesischen Comasken
und ihren Kunstgenossen, die in den nördlichen Provinzen
Italiens geblieben.
Norditalien
Ein kurzes Verweilen vor dem Baptisterium in Parma,
dessen Nordportal die Namensinschrift des Benedetto Antelami
und die Jahreszahl 1 1 96 trägt, genügt diese Schritte nachzu-
236 SANCT MARTIN VON LTJCCA
weisen; denn sie sind hier auffallend genug beisammen doku-
mentiert1 ). Der Architrav zeigt die Taufe Christi, das Mal des
Herodes mit dem Tanz der Tochter und die Enthauptung des
1 ) Da der Rahmen dieses Schlusskapitels eine ausführliche Behandlung der
romanischen Skulptur in Norditalien ausschliesst, seien wenigstens in Anmerkungen
ein paar "Winke gegeben, die uns für unsere Untersuchung wichtig erscheinen. Eine
der wichtigsten Stätten ist der Dom zu Modena. wo auch stärker noch als in
Parma, die Beziehung zu dem Skulpturenschmuck der Kirchen jenseits der Alpen
hervortritt. Man giebf als Ausgangstermin gewöhnlich das Jahr 1099. der Käme
des Meisters Wilhelm weist in die Zeit um 1 1 35 : der jetzige Bestand lässt mindestens
drei verschiedene Arbeitsperioden unterscheiden. Zu den ältesten der erhaltenen Bau-
skulpturen gehören die Monnlsbilder au den Türpfosten des Seiteuportals gegen den
Campanile. Januar ist eine sitzende Figur, deren Beschäftigung nicht recht erkenn-
bar; Februar wärmt sich im Pelzrock am Feuer; März beschneidet die Reben; April
freut sich an den Blumen des Frühlings; Mai zeigt den Krieger neben seinem Ross
(von dem nur der Kopf sichtbar); Juni die Heumaht; Juli die Kornmaht; August
scheint mit Spaten zu graben; September keltert den Wein; October füllt ihn in's
Fass; November der Säemann; December der Holzhacker. — Im Innern gehören zu einer
Gruppe; vier Reliefs im Vorraum der Krypta, zwei rohere mit den Evangelistenzeichen,
und zwei mit den Evangelisten selbst, die von ihren Symbolen inspiriert werden:
ferner in der Sakramentskapelle neben dem Chor: der tronende Christus, sehr byzan-
tinisierend romanisch (links neben dem Altan und das Gebet auf dem Oelberg
(rechts), wie von einer Kanzelbrüstung, convex. Wieder anders sind eine Reihe
von Stücken aus dem V ebergang des XII./XIII. Jahrhundert, welche offenbar zu
einem Lettneraufbau gehören, jetzt an der rechten Wand derselben Kapelle einge-
mauert: die Fasswaschung I schmal: Petrus sitzt links mit Buch, vor ihm kniet
Christus, den Fuss des Apostels in einem Topfe waschend, hinter ihm zwei andere
Jünger). — Das Abendmal, wobei Judas sogar mit Heiligenschein zwischen den
anderen Jüngern sitzt (alle mit Namen bezeichnet) und zwar neben Johannes, über
dessen angelehnten Kopf hinweg Christus dem Verräter gewaltsam den Bissen in den
Mund schiebt. Petrus hält die Schlüssel wie ein Werkzeug; rechts trinkt Matheus dem
Simon zu; — der Judaskuss (wieder schmäler): Christus vor Pilatus und die Geisselung,
zusammen; — die Kreuztragung (nur zweifigurig. ) Alle diese Reliefs sind bemalt, einige
Spuren echt, das Abendmal so lebhalt, dass man an eine Erneuerung der Farben durch
Guido Mazzoni denken möchte. Dazu kommen zwei Zwickelreliefs als Gegenstücke aus
einer Arkatur : der Verrat des Judas ( der Jünger links, der Hohepriester in der Mitte, sein
Camerarius rechts) und die Verläugnung Petri ( der Apostel sitzt links und wärmt seine
Hände am Feuer, ihm gegenüber die Magd mit Spindel, in der Mitte der Herd und oben
der Hahn, alle mit Beischriften). Auch hier echte Bemalung. harte aber sichere Arbeit.
Immer noch starker Einfluss byzantinischer Vorbilder im Sinne des nordischen Romanismus;
nur in der Kreuztragung die Gewandung einfacher. — An der Südseite draussen ist be-
sonders ein Relief, wo die Bestrafung des Lügners geschildert wird: ,,man reisst ihm die
Zunge aus der Kehle1', und zwar durch seine Verwandtschaft mit den Reliefs am Grabmal
Clemens'll. im Dom zu Bamberg bemerkenswert. DieBehandlung der Gewänder ist reicher,
bauschiger, aber die Bewegung der Gestalten in eckiger Lebhaftigkeit ganz wie dort
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 237
Täufers, in flachem Relief mit stehengebliebenem Rande oben
und unten; die Pfosten der Tür wie die Einfassung des Bogen-
feldes sind mehr in der Weise ornamentaler Auszierung der
Oberfläche behandelt, das Tympanon selbst jedoch mit der
fronenden Madonna in der Mitte, den anbetenden Königen
links und der Ermahnung Josephs zur Flucht rechts, hat völlig
den Charakter der Regulusgeschichten in Lucca, nur noch etwas
altertümlicher in den Typen und etwas unsicherer in den
Uebergängen von plastischer Rundung in die Grundfläche
deren Rand abgestuft statt abgeschrägt ist *). — Zu den Seiten
des äussersten Portalbogens aber sind links und rechts in den
Dreiecken der Wandfläche rechteckige Vertiefungen mit einem
stehenden Engel darin angebracht. Es wird also das Verfahren
von den Relieffriesen auf die immer statuarisch wirkende Einzel-
figur übertragen, und diesberuht offenbar auf der Verwendung von
Vorbildern aus der Kleinkunst, Diptychonplatten aus Elfenbein,
oder auf solchem, nach Analogie des Kunsthandwerks verfahrenden
Beispiel aus Byzanz. Denn wir finden solche Einzelgestalten von
Aposteln z. B. an S. Marco in Venedig, noch mit dem ornamentier
ten Rande um die Platte in die Mauer eingelassen, dagegen an dem
romanischen Portale vonS. Zeno zu Verona wie am Dom zuFerrara
dieFiguren an gleicher Stelle wie inParma, ohne Rahmen undNische,
in mäfsigem Relief aus der Wandfläche herausgearbeitet, — und
einen Uebergang gleichsam, mit Andeutung einer rundbogigen
Nische, am Domportal zu Verona. In Parma geht man schon
entschiedener in die Tiefe, mit dem Gedanken an Freiskulptur,
— und dies zeigt sich ganz deutlich an den geschlossenen
Wänden des selben Baptisteriums. Hier sind zur Gliederung
der compakten Mauermasse je zwei auf Postamenten aus dem
Sockelrand vortretende Halbsäulen, mit teils antiken teils
derb romanischen Kapitellen, als Träger eines geraden Balkens
für das Bogenfeld aufgestellt. Zwischen den Säulen ist ein
rechteckiges Fenster eingeschnitten, und über diesem Fenster
eine rechtwinklige Nische für zwei Figuren darin. Sitzende
oder stehende Gestalten, — nur an zwei Seiten ist diese Aus-
1 ) An dem zweiten Portal ist das Jüngste Gericht, an dem dritten die mehr-
fach besprochene Parabel aus Barlaam dargestellt. Am ersten Tympanon zeigen sich
noch starke Spuren von Vergoldung der Gewänder, Kronen etc.
238 SANCT MARTIN VON LUCCA
stattung fertig- geworden und bietet einmal ein stehendes
Königspaar, das andere Mal zwei sitzende Könige neben ein-
ander, — ganz von vorn gesehen, in dieser architektonisch
völlig unmotivierten, nur für statuarischen Zweck angeordneten
Austiefung, und zwar in fast voller Rundung des ganzen Körpers,
also beinahe wie Freifiguren, in Nischen aufgestellt; — aber die
Behandlung ist einseitig, die Skulpturarbeit reliefmäfsig ' ).
Das geht nach Mafsgabe der soliden Bauweise mit starken
Quadern aus ungemein hartem Material, wie veronesischem
Marmor u. dgl. einen Schritt über die toskanischen Reliefbilder
hinaus, nirgends aber auf perspectivische Ausnutzung dieser
M Hierzu gehören wol noch eine stehende Jungfrau und ein sitzender Mann
ebenso völlig von vorn gesehen, jetzt im Innern des Baptisteriums in der ersten Galerie
aufgestellt. Von der alten Kirche S. Ulderigo dagegen soll die ganz verwandte
Reihe der Monatsbilder mit den Zodiakalzeichen herstammen, welche ebenda Platz
gefunden haben. Erhalten sind der in's Hörn Blasende — März, der Blumenträger
— April, der Reiter — Mai, der Mäher — Juni, der Fassbinder — August, der
Winzer mit dem Zeichen der Wage — September, der Pflüger (mit den beiden, ganz
von vorn gesehenen Rossen, ohne Darstellung des Pfluges) — October ?, der
Rübenleser, mit dem Sternbild des Schützen, also — November ; der Säemann —
December?, der Holzsammler — Januar ? und der Umgraber mit den Fischen —
Februar. Das Bild des Skorpions neben einer Baumkrone ist abgebrochen.
Zu der ursprünglichen Ausschmückung des Innern gehören : in der Altarapsis
Christus in Mandorla mit den vier Evangelistenzeichen, über den Türen die
Darstellung Chr. im Tempel, die Flucht nach Aegypten und David mit den Sängern
(wie in Psalterminiaturen häufig). In den Nischenwölbungen sonst Einzelgestalten:
Gabriel, die Annunziata und andere Personen, die später durch aufgemalte Flügel und
in Verbindung mit hinzugemalten Figuren zu Engeln gemacht worden. Unter der
ersten Galerie sollte sich Iriesartig in niedrigen Streifen der Cyklus der Monalsbilder
mit den Zeichen des Tierkreises hinziehen, ist aber ebenfalls nur angefangen. —
Auch die rein dekorativen, in quadratischen Kasten erscheinenden Zierstücke am
Sockel aussen sind nicht ringsum durchgeführt.
Im Dom zu Parma waren ursprünglich sämmtliche Pfeilerkapitelle mit figür-
lichen Skulpturen geschmückt und vergoldet; an einigen sind die Reste später ab-
sichtlich beseitigt. Der Hochaltar hat einen sehr wichtigen romanischen Sarkophag
mit weissen Figuren auf rotem veronesischem Marmor; in der Chorapsis steht noch
der alte Bischofstul mit S. Georg und S. Michael an den Wangen und Drachen zu
beiden Seiten. Eine der Kapellen enthält das Kreuzigungsrelief von der Kanzel des
Benedetto Antelami mit dem Datum 117S, welche sicher zu der durLhgchenden Aus-
stattung mit Skulpturen gehört. Am Hauptportal sagt die Inschrift: t An. Mille-
simo Ducentesimo Octuagesimo Indictione Nona Facti Fuere Leones Per Magistrum
Janem Bonum De Bixono Et Tempore Fratrum Guidi Nicolai Bernardini et Benvenuti
de Laborerio:" — also die Aussendekoration der Fassade erst um 1280.
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 239
neuen Raumtiefe für mehrere Figurenreihen oder gar verschieden
entfernte Pläne. Und dies findet ausser am Baptisterium zu
Parma auch an der Kathedrale von S. Donnino durch Benedetto
Antelami selbst Fortbildung im nämlichem Sinne '), also gerade
an zwei Hauptorten, welche nördlich der Gebirgsstrafsen ge-
legen sind, welche auf die Centralstätten der comaskischen
Skulptur in Toskana zuführen.
Ist es erlaubt für diese technischen Unterschiede auch
etwas handgreifliche Ausdrücke zu wählen, welche die Sache
1) C. B. Toschi, Le sculture di Benedetto Antelami a Borgo S. Donnino
(Archivio storico dell'Arte 1888, II) würde sieb bei dieser Gelegenheit durch eine
ausführliche Beschreibimg aller Bildwerke jener Kirche den Dank seiner Leser ge-
wonnen haben. Borgo San Donnino ist reicher an erhaltenen Resten als manche später
umgebauten Kathedralen. Hier nur einige Notizen: Sehr selten in Italien ist die
hier vorhandene Ausstattung der übrigens schon spätromanischen Chorapsis, in deren
Gewölbekappen der Christus sehr würdig tronend dargestellt ist mit je zwei
Evangelistenzeichen in den nächsten Abteilungen und je einem erwachsenen
Engel zuäussert. Unten an den Konsolen der Dienste verschiedene Trag-
figuren> links tronende Madonna und Joseph, dann Gabriel und Annunziäta, z. T.
schon mit Knollenlaubwerk. — Am Weihbecken unten eine sitzende Figur und an
der Schale selbst eine Reihe von Halbfiguren zu zweit oder dritt gruppiert: Bischot
mit Buch und zwei Kleriker; Papst mit Bischof, wo auf einem Schriftband die
Worte „Jnstitutio Alexandri II. Papae" (1086), Darstellungen, wozu das Weihwasser
gebraucht wird. — Am ersten Pfeiler der Engelsturz am Kapitell.
An der Fassade Skulpturen an den drei Portalen, wie an der Wandfläche ein-
gelassen und am dicht anstossenden Turm rechts. Ausser den beiden Prophetenfiguren
Ezechiel und David, von denen Toschi handelt, noch eine ganz zerfressene Figur
auf vorspringender Säule neben dem Hauptportal, und Reliefs mit der Darstellung im
Tempel, der Anbetung der Könige, der Mahnung an Joseph. Am Architrav der
Mitteltür und über die Kapitelle ihrer Schrägung bis an die angränzenden Säulen
zieht sich ein fortlaufender Fries mit der Legende S. Donninos hin. Am Aussen-
rand der Archivolte die zehn Gebote und die Seligpreisungen, in der Mitte Christus
zwischen zwei Engeln. Am Seitenportal rechts S. Michael im Tympanon und an der
Schräge links Hercules, rechts ein Greif über einer Kuh. - — In der Frontmauer ein-
gelassen der Prophet Elias, auf dem Wagen emporfahrend, und Henoch. Am Turm
der Ritt der Könige und der Rat des Herodes: ferner ein umlaufender, mit Mäander
und Eierstab eingefasster Streifen mit genrehaften Einzelscenen: zwei Raufende, zwei
mit der Hacke zur Arbeit Gehende, ein Liebespaar und ein Bogenschütze, ein Mann
von Löwen zerrissen u. s. w., dann eine grosse Kavalkade mit einem Affen und einem
Jagdpardel zu Ross und Fussgänger dazwischen. An der Chorseite in Turmnische
tronende Madonna (Antelami), an der Apsis selbst Reste eines Monatscyklus . Tuter
März) Blumenträger (April) zusammen, Reiter (Mai) und Biceps Januarius unter
Würsten dasitzend, ebenso der oben verfolgten Reihe verwandt.
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Ferrara, September.
kurz und treffend bezeichnen, so dass man
sie als Terminus verwerten kann, dann
wäre die toskanisch-lucchesische Weise
der dort eingebürgerten Comasken als
Rahmenrelief (rilievo incorniciato) ,
diese einheimische oberitalienische Weise
die sich in Parma ausgebildet zu haben
scheint, als Kastenrelief (rilievo in-
cassato oder incastrato) zu benennen.
Sehr charakteristische Beispiele des Letz-
teren finden wir weiterhin in der seit-
lichen Vorhalle des Domes von Ferrara,
deren Schmuck nicht etwa von dem Meister
Xicolaus') am Hauptportal (1135) aus-
sondern erst aus der vorgeschrittenen Zeit
Hier sind eine Reihe solcher
geführt sein kann
des XIII. Jahrhunderts herrührt
Kastenreliefs in leidlicher Erhaltung in die erneuerten Mauern
') Die Ruhmesverse des Meisters Xicolaus stehen an der Einfassung des
Tympanons, das die sehr beachtenswerte, ja in ihrer Art meisterhafte Darstellung
S. Georgs im Drachenkampfe enthält. Am Architrav ist in acht kleinen Arkaden
die Visitation, die Geburt Christi, d:e Freude der Hirten, die Anbetung der Könige
(welche die beiden mittelsten Felder einnimmt), die Darbiingung im Tempel, die
Flucht nach Aegypten und die Taute Chris. i geschildert, lauter saubere und gediegene
Arbeit. Aussen an der Schräge Einzelliguren von Heiligen, architektonisch belangen,
wie auch die beiden Hauptpatrone an der Stirn des Vorbaues, über denen die In-
chrift mit dem Datum steht. Tüchtig sind auch die Löwen und die kauernden
Männer als Träger der vortretenden Säulen. — Die Gleichheit der Ruhmesverse weist
auch das nah verwandte, aber nicht so fein durchgeführte Portal des Domes von
Verona dem selben Meister Xicolaus zu, das man zu lange übersehen, und endlich
rinden wir ihn mit Meister Wilhelm zusammmen an S. Zeno zu Verona (1139). zu
beiden Seiten und über der Erztür von deutscher Herkunft. Hier ist am Gebalk des
baldachinartigen Vorbaues wieder der Monatscvklus interessant, der sich aussen und
innen, also in \ier Abteilungen zu je drei Bildern hinzieht. Das Jahr beginnt mit
dem März aussen rech.s vorn, der wieder als wüster Kerl mit flammendem Haar
zwei Tuten blasend erscheint (also sicher als Windgott, wie ohne diese Instrumente,
aber ganz aus blauer Luft geformt, mit riesiger l'errücke, in den schönsten
Miniaturen der Libreria zu Siena, XVI. Jh.) April als Blumenträger : Mai: Auszug
des Reiters. — Juni: Fruchtlese vom Baum (wol nur als Kirschen erklärbar); Juli:
Mäher: August: Fassbinder; — September: Winzer; (Jetober: Lese der Eichelmast ;
Xovember : Schweineschlachten. — December : Holzsammler ; Januar : wärmt sich
am Feuer ; Februar: beschneidet die Aeste. — Unter dem Schutzdach am Tympanon
reichliche Spuren der alten Bemalung, die freilich nicht intakt geblieben ist.
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA
241
Anbetung der Könige. Forli.
eingelassen. Sie bildeten ursprünglich einen vollständigen
Monatscyklus, zuweilen (wie in Borgo S. Donnino) zwei Ver-
treter in einem Rahmen vereinigend, wie z. B. ein bekränzter
Jüngling mit Blume in der Hand neben einem wüsten Kerl mit
flammend emporgesträubtem Haar, der in ein Hörn bläst, doch nur
als vornehmer Herr in Frühlingsfreude, d. h. als April und als Kuh-
hirt, der das Vieh heraustutet, oder vielmehr als Personifikation des
"Windmonats ,,Marzo pazzo" gedeutet werden können Daneben ist
der Juli, wo ein Gaul die Garben tritt, der August, wo neben dem
Feigenbaum der Weinbottich ausgebessert wird, der September
bei der Traubenlese, der Februar beim Holzhacken für das
Herdfeuer unter einem mächtigen Kessel, und der doppel-
köpfige Januar leidlich erhalten. Der obere und der untere
Rand des Steines ist in voller Stärke stehen geblieben und
dazwischen in ganzer Höhe die Figur voll ausgerundet, so dass
es nur der Entfernung der unbearbeiteten Teile zu bedürfen
scheint, um Freiskulpturen herzustellen. Indess ist auch hier
die Ansicht von der Vorderseite und das ergänzende Beiwerk
dem Sinne des Reliefs gemäfs behandelt.
Einen letzten Schritt in der eingeschlagenen Richtung tut
dann, wie es scheint, der nämliche Künstler an der Portal-
lünette von S. Mercuriale zu Forli. Hier ist in der Vertiefung-
des Tympanons der Traum der heiligen drei Könige und ihre
Italienische Forschungen I.
16
242 SAXCT MARTIN VON LUCCA
Huldigung vor dem Christkinde in ganzen Figuren zusammen-
gestellt. Links schlafen die Magier alle in einem Bett mit der
Krone auf dem Kopf und legen die Hand an's Ohr : denn sie
horchen im Schlummer den Worten des Engels, der über ihnen
herniederschwebt, — nämlich in energischer Bewegung als Halb-
figur aus der Bogenleibung hervorwächst. Rechts in der Ecke
steht Joseph als zwerghaft kleiner Greis auf seinem Krückstock
gestützt, eifrig zuschauend; neben ihm sitzt auf einer Holzbank,
ganz von vorn gesehen, Maria rr.it dem Kinde auf dem Schofs,
die eben empfangene Gabe, einen Kelch, in der Hand empor-
hebend. Darüber ist der grofse Stern nicht vergessen, ebenso
körperhaft auf die Wand gesetzt. Die Mitte nehmen die
Magier ein, ganz getreu in ihrem Reisekostüm nach damaliger
Sitte gegeben: in Lederschuhen mit Sporen, Reithosen, weiten
faltenreichen Kitteln, die über den Knieen seitwärts geschlagen
sind, mit Ledergurt, an dem auf der einen Seite eine Tasche
und das Messer in Futteral, auf der andern die Handschuhe
hängen, und weitem Mantel. Es sind derbe bäuerische Gestalten
mit ungeschickten Bewegungen, so dass sie in der Tat ihrer
Kronen bedürfen, um für Könige gehalten zu werden. Der
Erste beugt ein Knie vor der Tronenden, nachdem er zuvor
Mantel und Krone über zwei Wandrechen abgelegt; der Zweite,
Bartlose, der mit seiner Gabe in der Rechten dahinter steht,
lüftet mit der Linken die (jetzt abgebrochene) Krone wie einen
Hut, während der Letzte, Langbärtigste, beide Hände braucht,
um das schwere Metallabzeichen seiner Herrscherwürde vom
Scheitel abzuheben, was bei der massigen Steinform nur an
Wahrscheinlichkeit gewinnt. Die ganze Gestaltenreihe ist wie
ein Fries gedacht, ohne Gipfelung in der Mitte, wie das Bogen-
feld sie verlangt hätte, sitzt aber voll ausgerundet in der breit-
gerandeten Wandnische drin, und ist, wie man deutlich sieht,
stückweise von vorn herausgemeisselt und mit dem dahinter
stehen gebliebenen Block an Ort und Stelle eingesetzt. Wir
haben hier also einen Versuch, im Hochrelief so weit zu gehen
wie die griechischen Giebelskulpturen, d. h. zu vollständiger
Abhebung vom Grunde. Und zur Erhöhung dieses Eindrucks trug-
hier wie dort natürlich entsprechende Bemalung das Ihrige bei.
Nach diesen schlagenden Beispielen, die für Oberitalien
hier ausreichen mögen, ist es nur noch wichtig auf ein Monument
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA
243
hinzuweisen, mit dem wir ungefähr an den Ausgangspunkt
unserer Wanderung" zurückkehren. In unmittelbarer Nachbar-
schaft des lange relieflosen Gebietes der Marmorinkrustation
sehen wir jetzt die nämliche Richtung auch ausserhalb des ober-
italienischen Gebietes auftreten: in Arezzo. An der Pieve
selbst hat an der Wölbung- des Bogens vor dem Hauptportal ein
nah verwandter Künstler wieder die Monatstypen in Kasten-
relief dargestellt. Und zwar sind hier zwischen dem harten
Haustein die Quadern weicheren grauen Sandsteines eingelassen,
der in dieser Gegend heimisch ist und später trotz seiner Ver-
gänglichkeit neben der beliebten Terra-
cotta eine so wichtige Rolle spielt. In vier
länglichen Streifen finden je drei Monats-
bilder Platz. Diese Darstellungen reihen
sich ohne Trennungsglieder auf, und be-
ginnen unten rechts mit dem „Bifrons
Januarius", der wie in Ferrara einen grofsen
Krug in der Hand trägt; Februarius, neben
dem Kessel über dem Holzhaufen, noch
Reisig von den kahlen Bäumen ab-
schneidend; der Martius als Windmonat mit
dem Hörn. Auf der andern Seite der Tür
folgt der April als eleganter Herr mit Blume, der Mai vertreten
durch den Reiter, der mit schwerem Schild bewehrt, zum Kriegs-
dienst auszieht, und der Juni, der das Korn mäht. Darüber
beginnt der Juli beim Dreschen der Aehren auf der Tenne;
der August, ganz wie in Ferrara, sein Fafs mit Reifen be-
schlagend, neben dem Feigenbaum, und der September bei der
Traubenlese, — diese Sommermonate alle barfufs. Rechts von
der Tür dagegen die lederbeschuhten: October als Säemann,
November beim Ausziehen der Rüben, und December beim
Schweineschlachten, gerade im Begriff das am Boden liegende
Tier abzustechen.
Auch hier ist die Relief behandlung unverkennbar darauf aus-
gegangen, die Körper möglichst voll auszurunden, nur hat die
Rücksicht auf die Zerstörbarkeit der Pietra serena der Lust
in dem weichen Material allzu frisch vorzugehen, sowol in der
Loslösung der Gliedmafsen wie in der Wegmeisselung des
Grundes gewisse Beschränkung auferlegt. Die Tatsache aber,
16*
Arezzo, August.
244 SANCT MARTIN VON LUCCA
dafs wir in Arezzo, in nächster Nachbarschaft von Florenz das
Kastenrelief der Oberitaliener auftreten sehen, und zwar in ganz
populärer, auf kostbares Material verzichtender Weise, ist un-
zweifelhaft und für die Erklärung der Freiskulptur in monu-
mentalem Sinne beim Erwachen der Renaissancekunst, wie mir
scheint, sehr wichtig, da Niccolö d'Arezzo. der erste Statuen-
bildner in Florenz gerade in demselben Material gearbeitet
hat und seine Evangelisten am Dome von Arezzo noch wesent-
lich im selben Sinne in Nischen eingeschlossen als Hochrelief
denkt, wie die Meister von Parma und Ferrara ihre Propheten
und Monatstypen seit der Wende des XII. in's XIII. Jahr-
hundert.
Niccolb l'isano und S. Martin von Linea
LJiese Tatsache stellt auch die letzte Anstrengung der
romanischen Kunst, zu der wir jetzt uns zurückwenden, in ein
eigentümliches Licht: ich meine die Richtung der Reliefskulptur,
welche Niccolö Pisano 1260 mit seiner Kanzel im Baptisterium
zu Pisa einschlug. Seine Auffassung weicht von der eben be-
trachteten der Bauleute völlig ab. Selbst der milderen, vor-
nehmeren, feiner gebildeten Schule von Lucca gegenüber sahen
wir den Gegensatz in der Vorhalle von S. Martino vielsagend
genug hervorspringen. Aber es wäre ungerecht gegen die
Comasken, der Kreuzabnahme Niccolös nur auf der einen Seite
die Enthauptung S. Regolo's entgegenzustellen, und nicht gleich-
zeitig auf der anderen Seite die Gruppe S. Martins mit dem
Bettler. Beide Vergleiche sind lehrreich, und alle drei Faktoren
vollenden erst das Bild der historischen Entwicklung, das wir
vor uns haben.
Die grundsätzliche Verschiedenheit der Reliefkunst Niccolös
ist einleuchtend, sobald man eben auf den Einfall gekommen,
das Urteil auf diesem Wege vorzubereiten, und nicht einfach
lobt, weil sie antikisch aussieht, oder alle Bestandteile seines
künstlerischen Schaffens unterschiedslos durcheinander wirft.
Seine Reliefkunst ist den Dutzenderzeugnissen spätrömischer
Sarkophagskulptur abgesehen und teilt deren Fehler wie deren
Vorzüge, — und diese Uebertragung aus dem heidnischen Gräber-
kult in den christlichen Kirchendienst ist um so weniger unver-
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 245
mittelt, als beide von der Kunst, die sie heranziehen, das Selbe
wollen: die Andeutung möglichst vielen religiösen Lehrinhalts
in symbolischer Einkleidung, in sichtbarer Form. Daraus ent-
springt, also aus einer und derselben Quelle, auch das Grund-
übel, das die Entwicklung einer echten Plastik erdrückt und
erstickt: die Ueberbürdung mit dem Vielen, das gar nicht einzeln
um seiner selbst willen ausgestaltet und rein und ganz durchge-
bildet sein soll, sondern nur angedeutet, eben angeschlagen, nur ja
nicht allzu leibhaftig verkörpert werden darf. So wird auchNiccolö
durch den Erzählungsstoff oder die theologischen Beziehungen,
die er darstellen muss, von dem Einfachen zum Ueberladenen
hingedrängt. Seine Anbetung der Könige beweist, dass er
schlicht und organisch denken kann. Aber die betonten Momente
der biblischen Geschichte sind zu zahlreich, und haben in sich
wieder nur Wert durch ihre Beziehungen auf einander, eben als
Teile eines längeren Verlaufs, dass die Verschiebung der Pläne
übereinander, die Kunstgriffe, den Beschauer mit Halbfiguren
in zweiter oder mit Köpfen in dritter Linie immer noch so weit
zu befriedigen, wie er erwartet, — sich dem Künstler fast von
selbst aufdrängen, sich seiner Gestaltungslust auf allen Seiten
verführerisch anbieten, sobald er einmal in der verehrten Antike
das Vorbild gerade dieser zweckverwandten Sarkophagreliefs
gefunden und ihnen einmal ihr Verfahren abgesehen.
Niccolö Pisanos plastische Begabung ist viel gröfser als
diese gedrängteren Reliefs erkennen lassen; die Grofsartigkeit
einzelner in weiterer Vollendung durchgeführter Gestalten
beruht nicht blos auf Anempfindung und ist deshalb nicht nur
ein Abglanz der antiken Kunst, die er nachahmt. Das beweisen
grade die einfacheren Kompositionen, das beweist auch der
strenge Org'anismus seiner Kreuzabnahme in Lucca, das beweisen
endlich einzelne seiner Statuetten. Aber warum findet er auf
dieser Bahn, die doch so nah an die wahre Gröfse der plasti-
schen Kunst zu streifen scheint, nirgends den Zugang wirklich
zu statuarischem Schaffen? Warum drängt es ihn nirgends in
die monumentalere Richtung wie jene oberitalienischen Kunst-
genossen? — Der heilige Martin zu Ross mit dem Bettler zur
Seite ist kurze Zeit vor seinem ersten datierten Werk entstanden •
er hat ihn gesehen, als er in Lucca den Schmuck für das Seiten-
portal in Auftrag nahm, und wieder gesehen, als er die Kreuz-
246 SANCT MARTIN VON LUCCA
abnähme — sein Meisterstück, das uns Donatello und Michel-
angelo ahnen lässt, — im Tympanon zur Aufstellung brachte,
also auf der Höhe seiner Kraft. "Warum sind die Konsolen
leer geblieben, die seiner zu warten schienen?
Das liegt nicht an einem äusseren Umstand allein, an Zu-
fälligkeiten der Verhältnisse, von denen uns schriftliche Nach-
richten und archivalische Findlinge erzählen könnten, das liegt
an tieferen Ursachen, die kein Schreiber uud Xotar aufs Papier
vermerkt hätte, wenn es sich darum handelte den bewunderten
und vielbegehrten Meister der Bildhauerei für eine Arbeit zu
gewinnen oder zu belohnen . . .
Niccolö Pisano ist im Grunde seines Wesens nicht für die
höchste monumentaleKunst berufen. Er hat mit dem Marmorarius
Guido da Como, der zu Lucca die Fassade von S. Martino und
S. Michele vollendet, doch mehr gemein als man sagen mag. Er
ist ein Meister der Kleinkunst, ein Vertreter der dekorativen
Richtung der spätromanischen Periode wie jener. Nicht er so
wol ist der grofse Architekt, als vielmehr sein Schüler Arnolfo di
Cambio und sein Sohn Giovanni, die beide erklärte Anhänger der
Gotik werden. Es eröffnet sich in der Tat die Frage, wie viel an
dem Aufbau der Kanzel in Pisa eben Arnolfo Anteil gehabt,
der Genosse, den die Sienesen — vielleicht deshalb gerade —
so dringend mitbegehrten, und der in Perugia die Anlage des
Brunnens, die technische Sicherung' der Wasserleitung, vielleicht
auch die architektonische Gliederung des dreifachen Beckens
leiten musste, an dem figürlichen Schmucke jedoch keinen An-
spruch erhebt. — Und so freudig wir die Vorzüge der Reliefs
am Seitenportal zu Lucca als plastische Leistungen jener Zeit
gewürdigt, so bestimmt muss es ausgesprochen werden, dass
sie im Zusammenhang der architektonischen Faktoren keine
rechte Wirkung tun, dass sie viel zu compliciert und mit
organischen Formen, mit beseelten Gliedern gefüllt sind, um
noch monumental zu bleiben. Alle Einzelfiguren, die Niccolö
gedacht und hingestellt hat, bleiben Statuetten; keine erhebt
sich auch nur im AVesen, wenn schon nicht dem Mafsstab nach,
zu voller Lebensgröfse und freiem selbständigem Gebahren.
Sie haften am Gerüst des Schmuckbaues, leben nur als Teile
des dekorativen Ganzen, für das sie erfunden sind. Und wo
uns der gewaltige Sinn des wahren Gestaltenschöpfers entgegen-
ANFANGE DER SKULPTUR IN TOSKANA 247
dringt, wo wir überrascht sein Gefühl für den Wert des mensch-
lichen Leibes und für natürliche Majestät der körperlichen
Erscheinung bewundern, — da bleibt er entweder in dem Zu-
sammenhang des Geschehens, in den Beziehungen der Mehrheit
von Figuren, die eben in seinen Historien auftreten, unlösbar
gebunden, oder die Aeusserung der schöpferischen Kraft, bleibt
doch mehr eine Ahnung als eine Tat, — und nur die künst-
lerische Tat hat in der Geschichte dieser Kunst eine Folge.
Gewiss lag dieses Stehenhleiben vor dem höchsten Umkreis
des bildnerischen Schaffens nicht allein an dieser Begabung.
Ohne Zweifel hat die Wandlung des Zeitgeistes, die innerliche
Veränderung des Lebensgefühls und der Weltanschauung das
Ihrige dazu beigetragen, ihm offen Halt geboten, oder still die
Gelegenheit versagt, die Kräfte zum höchsten Wagen zusammen-
zuraffen. Denn nicht umsonst ist S. Martin auf seinem Ross
allein geblieben an der Fassade seines Doms, — nicht umsonst
der Sohn Niccolös selber, Giovanni Pisano, so völlig schon in
andere Bahn geraten, obwol er architektonischer geschult war.
Niccolö ist derLetzling derPeriode, die wir die romanische nennen;
sofort mit dem Eindringen der Gotik entschwindet der Bau-
skulptur im Sinne der freien statuarischen Kunst gleichsam der
Boden unter den Füfsen, um nur der gesinnungstreuen Dienerin
der Architektur, der wolgeschulten Ausgestalterin der Bauteile
selbst, wieder in beschränkter Breite und unter strengen Ge-
setzen zurückgegeben zu werden.
So wird in dem grofsen kulturgeschichtlichen Process die
Weiterentwickluug der wahren Steinskulptur im Sinne der Alten
gleichsam für ein Jahrhundert aufgehoben, und die sichtlichen
Anfänge, die sich im XIII. Jahrhundert überall hervordrängen,
auf einmal abgebrochen, wie durch ein Verbot zu Gunsten
anderer Kräfte der Menschen seele . . .
So steht die Marmorgruppe am Dom zu Lucca, die wir
zum Ausgangspunkt unserer Betrachtungen gemacht, nicht nur
an Ort und Stelle, sondern in ganz Italien allein als einziges
Zeugnis der romanischen Kunstperiode da, welches uns späten
Durchforschern der Vergangenheit bekundet, dass auch die
italienische Bildnerei, spät freilich, doch nicht ohne glückliches
Gelingen zur freien, völlig selbständigen Gestaltung hindurch-
gedrungen war, ja sogar eine er schwierigsten Aufgaben, die
248 SANCT MARTIN VON LUCCA
Vereinigung von Ross und Reiter gewagt hat. Und lassen
wir noch einmal unseren Blick auf diesem Bilde ruhen, das
mit so wenigen Mitteln und so bescheidener Kenntnis, doch
so unläugbar grofsartige Wirkungen erreicht, da dürfen wir
wol ohne Widerspruch, nun die Behauptung wagen, die Be-
deutung dieses Denkmals sei im Umkreis seiner Kunst und
seines Jahrhunderts ohne Gleichen.
Die vorstehende Arbeit wurde in Rücksicht auf das Zustandekommen des
literarischen Unternehmens, dessen ersten Band sie bilden sollte, schneller geschrieben
als es dem Wunsch und der Weise des Verfassers sonst entsprochen hätte. So erklärt
sich Manches, das nun auf Nachsicht rechnen muss. Kundige Leser werden ausserdem
in allen Abschnitten, wo es zunächst auf eingehende Beschreibung und chronologische
Einordnung der Denkmäler ankam, den Charakter einer Vorarbeit nicht verkennen,
aber auch ebensowenig die Ansätze zu den ersten Kapiteln einer „Geschichte der
italienischen Skulptur," d. h. eines gröfseren Werkes, das uns seit Jahren am
Herzen liegt.
REGISTER
Abendmal: in Modena 236, Anm. in
Monreale 224, I. in Pisa 213, 215,
222. in Pistoja 12, 36, 223. in Vol-
terra 223 f.
Adeodatus, Bildhauer 36 f
Alberto di Arnoldo. Bildhauer 157.
Aldibrandus, Operajo 89 ff.
Alexander II Papst 13, 23g Anm.
Anbetung der Könige: in Arezzo 202 f.
229. Barga 86, 229. Borgo S. Don-
nino 239. Ferrara 229. 240,1 Florenz
199, 229. Forli 229, 241 f. Lucca
44,2, 117 f. Parma 236 Pisa 119,
229, 245. Pistoja 36, 66, 148, 229.
Ponte allo spino (Siena) 229. Siena
119 f.
Andrea da Pontedera, siehe Pisano.
Anselm von Bedagio, Bischof v. Lucca
(Papst Alexander II.) 13.
Aiitelami, siebe Benedetto
Apulia 137.
Arezzo, Dom 243. Museum 150, 1. Pieve
201 ff., 242 f.
Arianer u. S. Regulus 105.
Arnolfo di Cambio, Architekt 246.
Assisi, S. Francesco, Fresken der Unter-
kirche 164.
Bacchus 133.
Balducci, Giovanni, Bildhauer 144.
Bamberg, Dom 186 ff, 236 Anm.
Barga, Dom 32, 86 f., 175. S. Francesco 87.
Barisanus von Tra?ii, Erzbildner 122.
255 f., 228.
Bartolommeo, Fra, Maler 141.
Belenatus, Operajo 89 ff.
Bettini, jacopo, Maler 178.
Benedetto Antelami, Bildhauer 235 ff.
239, Anm.
Berceto, Dom. Portalskulpturen 18, Anm.
31 f-
Berlin, K. Museen :
Madonna des Presbyter Martinus 81 ff.
,, von Giov. Pisano. 150.
Bern-iiiard, v. Hildesheim, Bischof. Erz-
tiiren 110, 206.
Biduinus, Bildhauer 40, Anm. 44 — 48,
52, 210, 211.
Bigarelli, Guido da Co/no, Bildhauer und
Architekt: 3, 14 f., 21 ff, 27, 50—52,
53—87, 88, 89 ff, 96 f., 103 f., 107 f.,
171, 195 f., 199, 200,3, 222. 2247.
246.
Bion, Erzgiesser 215.
Biscione, il, siehe Cattaneo di Jacopo
Martini.
Bologna, S. Domenico, Area 114, 128 f.
Bonannus, Erzbildner 48, 175 , 200,1,
211 — 217, 219,1, 229.
Bonino, da Campigliaono Bildhauer 184.
Bono di Buonaccolto, Architekt 77.
Bonusamicus, Bildhauer 210 f., 219.
Borgo San Donnino, Skulpturen 239 ff.
Borgo San Sepolcro, Dom. 81.
Brancoli, bei Lucca (Vinchiano) 30 — 32.
Buontalenti, Bernardo, Architekt 57.
'50
REGISTER
Calci, Pieve: Taufbecken i, 206 ff.
Campanari. Ser Malteo, Operajo 90. 139.
Carreto, Ilaria del, Grabmal, 144.
Casciano, S. am Arno, zwischen Pisa und
Cascina 45 f . 210.
Castrac.'.ne. Castruccio 14c f.
Cattaneo di Jacopo, il Biscione. da Como
Capomastro in Lucca 140, 142.
Cava, siehe La Cava dei Tirreni.
Cellino di Nese, Bildhauer 165.
Civitali. Mattet), Bildhauer 13, 144.
Comacini, Maestri. 23, 110, 136, 140.
142, 192. 195.
Como, Guido da. siehe Bigarelli.
., Janni du, siehe Giovanni di Bono.
Cortona, Sla Margarita 156.2.
Cosmaten 195 f.
Croce, Sta, Fraternita in Lucca 90, 139.
Dante 56 f.
Decimo, unweit Lucca S~.
Deodatus, Or/andi, ilaler 134,2.
Desiderius, Abt von Monte Cassino (Papst
Victor III.) 196.
Diotisafoi, Architekt 16 f.
Domiuicus, S. 131.
Donatello. Bildhauer 135. 160, 171.I,
1S5. '
Gennaro, San, zwischen Lucca und Pescia.
Kanzel 32, Anm.
Gherardesca. Bonifazio Xovello. della. 163,
Ghiero di Ciuccio, da Pisa. Maurer 140.
Giambono, Bildhauer 238, Anm.
Giotto. Maler 149, 151. 153 '■• '58, 163 f.,
-.54-
Giovanni, di Bartolo, da Firenze 140.
(Janni) di Bono, da Como,
Architekt 90, I r 2. 139.
di N ccolb, siehe Pisano.
Giroldo, da Lugano, Architekt und Bild-
hauer 223.
Gotha. Herzogl. Museum 203, 205.
Groppoli, bei Pistoja 47 it.
Gruamons, Architekt und Bildhauer 36 ff.
Guerrazar. Goldfund 37.
Guglielmo Agnelli, Fra, Bildhauer 60,
1 14. in. 126. 12S f., 135.
190. 227 IT.
,. Amerighi, de Nerbona Balio
iS9f,
„ Benintendi, da Pisa. Maurer
140.
Guidectiis, siehe Bigarelli.
Guido. Architekt von S. M. in Corte Or-
landini in Lucca 21 f.
Guido da Como, siehe Bigarelli.
Guidoriccio de Fogliani. 167.
Guinigi, Francesco di Lazzaro 143.
Einhard 13,1
Enrigus, Bildhauer 38, 4*.
Faggiuola, L'guccione della 140.
Fazio, Fra. 143.
Fcrrara, Dom. 237, 240 IT
J-ilippus, Bildhauer 32. Anm.
Florenz, Annunziata 189 f. Baptisterium
152, 196. Bigallo 157. Campanile
151, 154, 160, 234. Dom. 144. '51-
Dom-Opera 152,1, 156. Leonardo,
San 122. 197 ff. Loggia dei Signori 142.
Miniato. San 196. Orsanmichele 142,
144, 157 f.. 179- Piero, S., Scheraggio
122, 197.
Forli, S. Mercuriale, Portalskulptur 241 f.
Franz, Herzog von Toskana 57.
Fredianus. S. Bischof von Lucca 12, 204 f.
Friedrich L, Bischof von Magdeburg 204.
Friedrich II, Kaiser 133.
Fulda, S. Salvator 13, I.
H
Heinrich VII. v. Luxemburg, Kaiser 151.
Heinrich, Bischof v. Lucca. 139.
Herakles 134, 149, 155. 239, Anm.
Herodes 37, 44. 44.-- 219 f., 236.
Hildesheim, Er/.türen 110, 206.
Immersionsbecken 52, 47, 56 f. 207.
Jschinardus GulHelmi, v. Como, Stein-
metz 140.
Jerusalem, Eroberung durch Saladin 22.
Johann XXII. Papst 141. 163.
Johannes, Bischof v. Lucca 12.
Kanzel in Barga 86. — Brancoli 31. —
Florenz, S. Leonardo 197 ff". S. Mi-
niato 196. — San Gennaro 32,1. —
REGISTER
251
Groppoli 42. — La Cava 62. — Mo-
dena? 226, Anm. — Paima 238 Anm.
— Pfsa, Baptist. 62, 79, 117 f. 133 f.
147, Dom, 149. — Pistoja, S. Andrea
146 t., S. Bartolommeo 59 f., S. Giov.
Evang. 60. — Siena 118, 1 1 9 f . , 175,
178, 227. — Volterra 223.
Konrad III von Hohenstaufen 186 ff.
(Denkmal in Bamberg.)
La Cava dei Tirreni, unweit Salerno 62.
Lazzarini. Giov. Maler 142.
Lippo Pucci, da Firenze, Capomastro in
Lucca 140.
Lobbia, bei Barga 87. (Romanische
Kirche.)
Lucca, Architektur der romanischen Pe-
riode 16, 53, 191.
„ Bildnerschule 18, 26, 29—35, .44
— 50, 92—110, 136, 143 ff.,
170, 192 f., 231 ff.
,, Camposanto 140.
„ Dom, Geschichte 12 f., 89, 112,
139 ff.. Campanile 112, 139.
Cappella (S. Benedetto) della
Liberti 141, 142. Capp. dell.
Santuario 141, 144. Chorbau
90, 139 f., 140,1. Fassade
12 — 28. Kreuzarme 139 f., 143.
Vorhalle 13, 14 f., 18, 24,75 fr".
80 f., 89 ff., 113 ff, 191. Sta-
tuetten 143, 1 69 f. Martins-
gruppe siehe Sanct Martin von
Lucca.
S. Cristoforo 17.
S. Frediano 29, 32 ff., 204, 210,
"Wandgemälde 205.
S. Giovanni (Sto Reparata) 12, 26,
32, 49-
S. Maria bianca, forisportam 29 f.
„ Corte Orlandini 21 f.
,, della Rosa 145.
S. Michele in Foro 17, 5 3 f.
S. Salvatore (Misericordia) 46 f.,
52-
Pal. Guinigi 144.
,, Mazzarosa, Skulpturen 44 f.
Pinakothek. 134,2, 144.
M
Magdeburg, Dom, Grabplatten 204.
Mailand, Brera 179, l82f.
Malerbuch vom Berge Athos HO, 121 f.
Marchionne, Bildhauer 201 f.
Margarete, Kaiserin, Gemahn Heinr. VII.
151.
Martignone di Gugliehno, da Como 140.
Martin S. von Lucca, Marmorgruppe I — 11,
137, 138, 146, i6of., i66f., 168—179,
185 f., 188 f., 190 f., 231, 234 f.,
244 — 247. Relief in Pisa 162 f.
Legende, Reliefs in Lucca 98 — 104,
169, 171 ff., 191, 232. Malereien in
Assisi 164.
Martinas, Presbyter, Bildschnitzer 81 ff.
Masaccio, Maler 26.
Massa Marittima. Dom 223. S. Pietro
141.
Mensano bei Casole, Inschrift des Buon-
amico 211.
Michael, Erzengel in Groppoli 43, in
Pistoja 72 f.
Michelangelo. 115 f.. 135.
Michelozzo, Bildhauer 157.
Modena, Dom, Skulpturen 236,1.
Monatscyklus, in Arezzo 242 f. — Borgo
San Donnino 239, Anm. — Ferrara
24t. — Lucca 92 ff., 171 f., 191 f., 232.
— Modena 236,1. — Parma 238 Anm.
— Pisa 220 f. — Verona 240,1.
Monreale 211 f., 214, 216.
N
Niccolo d'Arezzo, Bildhauer 160, 243.
,, da Pisa, siehe Pisano.
,, da Siena, Capomaslro in Lucca
(= Nicc. di Giacomo?) 141.
Nicolaus, Bildhauer in Ferrara, Verona
240.
Nicolaus, S., Taufe 47.
Nicolaus V., Gegenpapst 141.
Orcagna, Andrea di Cione, Maler und
Bildhauer 157 — 160, 234.
Orso, Bischof von Florenz, Grabmal 151.
Orvieto, Domfassade, Skulpturen 156, 165.
Padua, Cap. dell' Arena 150. Grabmäler
182,2.
Palermo, Bildnerwerke 211, 215. Cappella
Palatina 214.
Parma, Baptisterium 235 ff. Dom 238,
Anm. S. Ulderigo , Skulpturen 238,
Anm.
252
REGISTER
Peter Leopold, Grossherzog von Toskana.
Perugia, Brunnen 114, 131, 166, 246.
Piero di Giovanni Tedesco. Bildhauer
160.
Pisa, Architektur der roman. Periode 16,
217 f. Baplisterium 16, 02, 79 f., 150,
217 IV.. Kanzel 56, 114, 117 f.. 120,
126 f., 149. 225. Taufbecken 56 ff.,
222. Büdnerschule 210 — 222. Dom
149, 156, 217 f. Erztüren 2 1 1 f. Cam-
posanto 46,1, 133, 139, 149, 151, 164.
222 (Antiken 133). S. Caterina 156,2.
S. Martin 162 f.
Pisaiw. Andrea (da Pontedera) Bildhauer
151 — 157, 158, 188, 234.
Giovanni. Architekt und Bild-
hauer 113, I 1 6, 126, 127 f.,
"35, 139, 143, 2> 144, 146— 151.
153. 155- '79, 190, 218, 222,1,
227, 246 f.
„ Niccolb, Bildhauer 8, 10, 58, 89,
III — 137, 138, 144, I46f,
149, 'SS. '59, i/8- —5 ff-,
244 ff-
„ Nino d' Andrea, Bildhauer 144 f.,
156 f., 165.
„ lommaso 157.
Pistoja, Dom (S. Jacopo) 178, 229. S.
Andrea 36, 146— 148, 150, 175, 210,
227. S. Bartolommeo in Pantano 39 f.,
59 ff., 107, 200.3, 224, 227. S. Gio-
vanni Evang. fiiorcivitas 12, 36, 60.
62, 114. 119, 127, 223, 227. S. Giu-
seppe IS. Micliele in Cioncio) 72 ff.,
108. S. Piero Maggiore 40, Anm. 76,
224.
Poggio Fiorentino 134,1.
Ponte allo spino, siehe Siena.
Pontremoli, Skulpturen? 32, Anm.
Prato, Dom 15, 55 f., Capp. della Cin-
tola 150.
Quercia, jacopo. Bildhauer 143, 144.
,, Piero, Goldschmied 144.
R
Raitus, Bildhauer 30 f.
Ranger, Bischof, Lucca 103.
Ravello, Erztüren 122, 215 f., 228.
Raynaldus, Baumeister der Domfassade
zu Pisa 212.
Reccesvinthus, Krone des 37.
Reginald, S. beke! rt von S. Dominicus
129.
Regulus, S. Bischof 12, 105. Legende
(Reliefs) 105 fr., 136, 142, 191, 232,
23G, 244.
Reitermonumente 3 f., 178 — 190.
Robertus. Bildhauer 32 ff.
Rodolhnus, Operajo 39.
Roger, König von Sicilien 215.
Rolenzi. Ser Bonaventura, Operajo 90.
140.
Rom, Marc Aurel 4, 178.
Montecavallo, Dioskuren 178.
Saladin 22.
Savello, Paolo {Grabmal) 185.
Scala, della, Alberto 179 f.
„ „ Cangrande 182.
„ „ Cansignorio 183 f.
„ „ Johannes 182,2.
„ „ Mastino II. 1S2 f.
Serego, Coitesia (Grabmal) 185.
Siena, Dom 118, 1 1 9 f . , 150,1, 175,
178. 222,1.
,, Stadthaus 167.
„ Ponte allo spino, bei, 178, 210,
2:5 ff
Simone Martini, Maler l64f., 167.
Sornacchi, Xicolao di Lemmo dei, Ope-
rajo 141.
Spoleto, Stadthaus (Relief) 204 ff.
Taufbecken: Brancoli, Pieve 31. — Cal-
ci, Pieve 206. — Florenz, Bapt. 57.
— Lucca, S. Frediano 32 f., S. Gio-
vanni 32. — Massa Marittima 223. —
Pisa, Bapt. 56 f — Verona, S. Giov.
in Fönte 1 80 f.
Taufe Christi: Arezzo 201 f. — Calci,
207 f., Florenz S. Leonardo 198. —
Parma 236. — Pisa, Bapt. 194, 219.
— Verona 180 f.
Tino, di Camaino. Bildhauer 151.
Tnotilo. v. S. Gallen, Bildschnitzer 205.
Turrisianus (Sano Torrigiani) Operajo 59,
64.
u
Urbano, da Cortona, Bildhauer 228.
Vasari, Giorgio 1 14 f , 137,2. 219.
Venedig, S. Marco 179, 1S2, 237.
REGISTER
253
Venedig, S. Maria gloriosa de' Frari 185.
Verkündigung: Barga 86. — Calci 209.
— Groppoli 42. — Lucca 117. —
— Pisa 117. 213, 228. — Pistoja 38,
65. — Ponte allo spino (Siena) 227.
Verona, Dom 237, 240,1. S. Anastasia
182,1, 195. S. Giovanni in Fönte
180 f. S. Pietro Martire 1S1. S. Ze-
no 237, 240,1. Scaligergräber 179 ff.,
Vescovado, Hof. (Madonna) 181,4.
Villard de Honnecourt 149 (Skizzenbuch.)
Visconti, Bernabö (Grabmal) 179, 182 f.
Volterra, Baptisterium 223.
Volterra, Dom, Kanzel 223 f.
Volto Sanlo (Lucca, Dom) 13, 113.
w
Wechslerzunft (in Lucca) 13 f., 103.
Weihbecken: Borgo S- Donnino 239 Anm.
— Brancoli 30. — Pistoja, S. Giov.
Ev. 131.
Wilhelm, Bischof v. Lucca 140.
Wiligehnus, Bildhauer in Modena 236,1.
Verona 240,1.
KUNSTHISTORISCHE SCHRIFTEN
VON
DR. AUGUST SCHMARSOW
Professor an der Universität Breslau
GIOVANNI SANTI, der Vater Raphaels, als Dichter und Maler. Mit
einer Lichtdrucktafel nach einem (bisher unbekannten) Fresco Santis in
Sta. Croce zu Urbino. gr. 8°.
Berlin, Druck und Verla" von A. Haack. 1887.
DÖNATELLO, Eine Studie über den Entwicklungsgang des
Künstlers und die Reihenfolge seiner Werke. — Fest-
gabe zum fünf hundertjährigen Jubiläum der Geburt
JJonatelloS. Mit 3 Lichtdrucktafelu nach einem verloren geglaubten
Werke des Meisters (in St. Peter zu Rom). — Publication des Vereins
für Geschichte der bildenden Künste zu Breslau. 1886. gr. 8° Com-
missionsverlag von Breitkopf und Härtel. Leipzig.
MELOZZO DA FORLI, Ein Beitrag zur Kunst- und Kultur-
geschichte Italiens im XV. Jahrhundert. — Mit 24 Tafeln und
5 Vignetten. Royal 40. Berlin und Stuttgart. Verlag von W. Spemann. 1886.
PINTURICCHIO IN ROM, Eine kritische Studie. Mit 6 Lichtdruck-
tafeln. Royal 4°. Stuttgart. Verlag von W. Spemann. 1882.
RAPHAEL UND PINTURICCHIO IN SIENA Eine kritische
Studie. Mit 10 Lichtdrucktafeln. Royal. 4O. Stuttgart. Verlag von
W. Spemann. 1 880.
Der demnächst erscheinende zweite Band der
ITALIENISCHEN FORSCHUNGEN ZUR
KUNSTGESCHICHTE
enthält:
M. SEMRAU: Donatellos Kanzeln in S Lorenzo, ein Beitrag
zur Geschichte der italienischen Plastik im XV. Jahr-
hundert.
ITALIENISCHE FORSCHUNGEN
ZUR KUNSTGESCHICHTE
HERAUSGEGEBEN VON
AUGUST SCHMARSOW
ZWEITER BAND
DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
EIN BEITRAG ZUR GESCHICHTE DER ITALIENISCHEN
PLASTIK IM XV. JAHRHUNDERT
VON
MAX SEMRAU
BRESLAU
DRUCK UND VERLAG DER SCHLESISCHEN BUCHDRUCKEREI, KUNST- UND
VERLAGS-ANSTALT VORM. S. SCHOTTLAENUER
1891.
DONATELLOS
KANZELN IN S. LORENZO
EIN BEITRAG ZUR GESCHICHTE DER
ITALIENISCHEN PLASTIK IM XV. JAHRHUNDERT
VON
MAX SEMRAU
BRESLAU
DRUCK UND VERLAG DER SCHLESISCHEN BUCHDRUCKEREI, KUNST- UND
VERLAGS-ANSTALT VORiM. S. SCHOTTLAENDER
1891.
INHALT
Seite
Einleitung i — 3
I. Historisches und Technisches 4 — 37
II. Donatellos Anteil am Gesaratentwurf der Kanzeln 38 — 55
III. Höllenfahrt — Auferstehung — Himmelfahrt 56 — 61
IV. Donatellos Reliefkunst 62 — 113
V. Die Marien am Grabe und das Pilatus-Kaiphas-Relief 114 — 126
VI. Kreuzigung und Beweinung 127 — 135
VH. Christas auf dem Oelberg und die Ausgiessung des h. Geistes . . 136 — 140
VHI. Bartolommeo Bellano von Padua 141 — 174
IX. Die Grablegung Christi — Das Martyrium des h. Laurentius — ■
Die Puttenfriese 175 — 190
X. Bertoldo di Giovanni 191 — 224
Schluss 224 — 228
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
(4 Licbtdrucktafeln * und 14 Zinkätzungen)
Seite
'Berlin, Kgl. Museum. Madonna mit dem Kinde, Thonrelief des Baitolommeo
Bellano (unpubliciert) 142
Florenz, S. Lorenzo, Rechte Kanzel (R)
Vorderseite: Kreuzigung (nach Photogr. Brogi) 133
Beweinung (Brogi) 129
Puttenfries (Brogi) .... I, 62, 114, 127, 141, 184 — 186
Rechte Seite: Grablegung (Brogi) 176
Linke Seite : Christus vor Pilatus und Kaiphas (Brogi) 118
Rückseite : Christus auf dem Oelberg u. A. (Brogi) 4,136
Linke Kanzel (L)
Vorderseite Höllenfahrt — Auferstehung — Himmelfahrt (Brogi). . 58
Rechte Seite: Ausgiessung des h. Geistes (Brogi) 138
Linke Seite: Die Marien am Grabe (Brogi) 119
Rückseite: Martyrium des h. Laurentius u. A. (Brogi) .... 38, 175
Florenz, Museo nazionale. Reiterschlacht, Bronzerelief von Bertoldo (Brogi) 191
„ ,, Beweinung unter dem Kreuze, Bronzerelief von
demselben (Alinari) 207
,, „ Beweinung, Bronzeplakette von demselben (Alinari) 209
Padua, S. Francesco. Madonna zwischen zwei Heiligen, Bronzerelief
von Bartolommeo Bellano (Alinari) 169
ZUSATZE UND VERBESSERUNGEN
S. I — 37. Da das I. Kapitel als Dissertation vor Anfertigung der Ab-
bildungen gesetzt werden musste, so konnte auf letztere nicht verwiesen werden. Der
Lichtdruck S. 58, die Zinkätzungen S. 4 und 38, S. 118 und 119, S. 129 und 133.
S. 184 — 186 mögen zur Veranschaulichung des hier Gesagten herangezogen werden.
S. 4 ff. Durch einen Schreibfehler ist in dem Namen des Autors der Memorie
istoriche etc.. welche dem Verfasser bei der Drucklegung nicht zur Hand waren,
eine Buchstabenverselzung stehen geblieben: statt Cionfagn muss es S. 4. Anm. I
sowie S. s< Anm. 1, 2. S. 6. Anm. I, 3. S. 23 Anm. I, 3, 4, 6 Cianfogni heissen.
S- 21. Vergl. auch die Ausführungen Dehio's über ,, romanische Renaissance"
Jahrb. d. pr. Ivunsts. VII 129 ff.
S. 86 f. Bezüglich des Crucilixus im Santo muss Verf. nachträglich zugestehen,
dass er sich durch die Photographie hat in der Hervorhebung des — immerhin nicht
ganz zu leugnenden — Strebens nach effectvollei Eleganz etwas zu weit führen
lassen. Wie ihn eine erneute Prüfung des Gipsabgusses in Berlin belehrte, dürfte
sich die Mitarbeit Giovannis da Pisa hauptsächlich auf die Haarbehandlung erstrecken.
I
^
Kanzel R. Teil des Puttenfrieses.
A
ls Donatello nach dem Abschlüsse seiner Tätigkeit für
Padua nach Florenz zurückkehrte, — vom März 1456
ab ist er mit einigen Unterbrechungen hier wieder
nachweisbar1) — hatte er das siebente Jahrzehnt seines Lebens
erreicht. In Florenz winkte ihm ein ruhiger Lebensabend unter
dem Schutze seines alten Freundes Cosmo de' Medici, und die
herannahenden Zeichen des Alterns fesselten auch den allezeit
unstät gewesenen an die Scholle der Heimat. Aber untätig
auszuruhen und des behaglichen Besitzes, welchen seine Gönner
ihm zugedacht hatten-), in Frieden sich zu erfreuen, war auch
dem Greise wider die Natur. Die Kraft seiner letzten Jahre,
so lange ihm das Arbeiten noch vergönnt war, wandte er
einem neuen umfangreichen Werke zu, das ihm Cosmo in Auf-
trag gegeben hatte-?). Als Donatello am 13. December 1466
starb, hinterliess er unvollendet das letzte Denkmal der ge-
segneten Tätigkeit seines Lebens: zwei Bronzekanzeln für die
Kirche San Lorenzo in Florenz, geschmückt mit Reliefs aus
der Passion Christi.
J) Vasari ed. Milanesi II p. 412 Anm.
2) Vasari ed. Milanesi II p. 420 f.
3) Vgl. Vespasiano Bisticci im Leben des Cosimo de Medici (Mai, Spicilegium
Romanum I p. 341 :) Fu raolto amico di Donatello e di tutti gli pittori e scultori
e perche ne' tempi sua quest' arte degli scultori alquanto venne, che egli erano poco
adoperati, Cosimo a fine che Don. non si stesse gli allogö certi pergami di bronzo
per San Lorenzo.
Italienische Forschungen II. I
2 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Das hinterlassene Werk des Meisters vollendete sein
Schüler Bertoldo.
So berichtet uns Vasari an mehreren Stellen, wo er,
jedesmal in verschiedenem Zusammenhange, die Kanzeln er-
wähnt. Aber es erscheint unmöglich, aus seinen Worten zu
entnehmen, wie weit seiner Kenntnis nach der Anteil Bertoldos
an der Arbeit gegangen ist. Während er an der einen Stelle J)
nur seine Tätigkeit bei der Ciselierung des Gusses hervorhebt,
ja an einer zweiten2) selbst die Ueberarbeitung und Fertig-
stellung nur zum gröfsten Teil ihm zuzuschreiben scheint, drückt
er sich anderwärts3) wiederum so aus, als ob auf Donatello
selbst nur der Entwurf zurückzuführen sei, während Bertoldo
alles Uebrige geleistet habe. Dass seines hohen Alters wegen
Donatello die Vollendung der Arbeit an seinen Schüler über-
tragen musste, giebt Vasari an dieser Stelle ebenso an, wie
Baccio Bandinelli in einem an Cosmo I. von Florenz gerichteten
Briefe4) insbesondere die geschwächte Sehkraft des Meisters
hervorhebt, die ihn an eigenhändiger Vollendung seiner letzten
Werke gehindert habe.
Hieraus scheint wenigstens das eine hervorzugehen, dass
Bertoldo schon zu Lebzeiten des Meisters an dem Werke be-
teiligt war; im Uebrigen aber lässt uns die Ueberlieferung
wie vorauszusehen war, gänzlich im Stich, wenn wir die Arbeit
an den Kanzeln im Einzelnen an Donatello und seinen Schüler
zu verteilen unternehmen. Für die Entscheidung dieser Frage
bleiben wir anscheinend ganz auf stilkritische Untersuchung an-
!) Vasari ed. Milanesi VII 141 f: Bertoldo, che era discepolo di Donato . .
maestro molto pratico e molto reputato non solo per avere diligentissamente rinettato
ßl getto de' pergami di Donato suo maestro etc.
2) Vasari ed. Milanesi II p. 425 : Rima.se a Bertoldo, suo creato, ogni suo
avoro, e massimamente i pergami di bronzo di San Lorenzo ; che da lui furono pol
rinetti la maggior parte, e condotti a quel termine che e' si veggono in detta chiesa.
3) Vasari ed. Milanesi II p. 416: Ordinö ancora i pergami di bronzo, dentrovi
a Passione di Cristo, cosa che ha in se disegno, forza, invenzione e abbondanza di
gure e casamenti: quali non potendo egli per vecchiezta lavorare, fmi Bertoldol
suo creato, ed a ultima perfezione li ridusse.
4) Bottari Lettere pittor. I p. 50 : Donato fece, per il vecchio Cosimo, li per-
gami e le porte di bronzo in S. Lorenzo tanto vecchio, che la vista non la servi
giudicarle, ne a dar loro bella fine, e ancora che siano buona invenzione . Donatello
non fi mai la piu brutto Opera.
EINLEITUNG 3
gewiesen — eine um so dornenvollere Aufgabe, als wir mit
einem unbekannten Factor zu rechnen haben. Denn die künst-
lerische Persönlichkeit Bertoldos ist eine bisher so gut wie
unfassbare, und sein in Frage stehender Anteil an den Kanzeln
vielleicht die bedeutsamste Leistung seines Lebens gewesen.
Aber die doppelt verschlungene Aufgabe bedarf wenigstens
eines Versuches zu ihrer Lösung, schon auf Grund der bekannten
Beziehungen, in welchen Bertoldo zu dem zweiten grofsen
Meister der Renaissanceplastik gestanden hat: der Schüler Dona-
tellos, der zugleich der Lehrer Michelangelos war1), ist gewiss
eine für die Kunst nicht bedeutungslose Persönlichkeit, die in
festeren Umrissen zu zeichnen wünschenswert erscheinen muss.
Die Forschung ist bisher den Kanzeln von San Lorenzo
ebenso wenig gerecht geworden, wie dem Künstler Bertoldo.
Auch die bisher ausführlichste Behandlung der ersteren von
Semper in seiner Festschrift S. 102 ff. kann nicht anders als
flüchtig genannt werden. Wickhoff2) und Schmarsow^) haben ge-
legentlich für die Scheidung der beiden Meister beachtenswerte
Andeutungen gegeben. Eine Liste der nachweislichen Arbeiten
Bertoldos aufzustellen hat v. Tschudi'») versucht, aber ohne
dabei den Kanzeln die gebührende Beachtung zu schenken.
Ich glaube einen richtigen Weg einzuschlagen, wenn ich
durch eine sorgfältige Analyse gerade diesen Werken abzufragen
suche, was sie uns über ihre Entstehung und über die Kunst
ihrer Meister verraten wollen. Interessantes genug wissen
uns Denkmäler des zur Rüste gehenden Quattrocento sicherlich
zu erzählen, und der grofse Name Donatellos, welcher mit den
Kanzeln verknüpft ist, lässt uns mit Vertrauen in die Frage-
stellung eintreten. Für die Kenntnis des engeren Kreises
von Bronzeplastik ern, welchen er herangebildet hatte, müssen
hier entscheidende Ansatzpunkte zu finden sein!
!) Vasari ed. Milanesi VII 141 f. Vgl. IV 257. VI 201.
2) Die Antike im Bildungsgange Michelangelos. Mittheilungen des Instituts für
österr. Geschichtsforschung Bd. III p. 414 ff.
3) Donatello. Breslau 1886 p. 48.
4) Meyers Allgem. Künstler-Lexikon Bd. II s. v. Bertoldo di Giovanni und
Donatello e la critica moderna. Torino 1887 p. 28 ff.
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Kanzel K. Rückseite.
1
Historisches und Technisches
Zwischen den Vierungspfeilern und dem ersten Säulenpaar
des Langhauses von S. Lorenzo ') erheben sich auf je
vier Säulen einander gegenüber die oblongen Tribünen mit
reliefgeschmückten Brüstungen, welche als „Kanzeln des Dona-
tello" jedem Besucher der Kirche vvol bekannt sind. Auch die
Bezeichnung „Ambonen" ist ihnen öfters beigelegt worden2),
nach Analogie der doppelten Lesepulte in den altchristlichen
Basiliken. Wie hier nach altem Brauche das Pult auf der
rechten Seite der Kirche (vom Altar aus) zur Verlesung des
Evangeliums, das auf der linken Seite zur Verlesung der
Epistel diente j), so spricht auch unsern Kanzeln eine Notiz
Albertinis, die erste, welche sie als fertige Werke erwähnt,
die gleiche Bestimmung zu4). Aber als der Kanonikus und
') Die Geschichte dieser Kirche giebt das "Werk von Pier Nolasco Cionfagni
Memorie istoriche dell' Ambrosiaria R. Basilica di S. Lorenzo di Firenze, das von
Domenico Moreni mit seiner eigenen Fortsetzung (Continuazione delle Memorie
istoriche etc.) 1 816/17 herausgegeben wurde. Ich citire die drei Bände des Gesammt-
werks nach der fortlaufenden Reihe mit I — III.
2) E. Miintz, Donatello. Paris 1885. P- 88.
3) Otte, Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie 5 I. 294 F. X. Kraus,
Realencyklopaedie d. christl. Altertümer I. 43 ff.
4) Franc. Albertini. Memoriale di molte Statue e pitture della Cittä di Firenze
1510. Neudruck von Milanesi Firenze 1863 p. II: Donato . . il quäle fece K due
Pergami di bronzo per Evangelio et Epistola (Jordans Ausg. v. Crowe u. Caval-
caselle II. p. 437).
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 5
Kapellan von S. Lorenzo diese — im Jahre 1510 gedruckte —
Mitteilung seinem Freunde Baccio von Montelupo zu Nutz
und Frommen aufzeichnete, da waren beide Kanzeln höchst
wahrscheinlich noch in unfertigem Zustande, vielleicht erst die
eine überhaupt zusammengesetzt, und keinesfalls waren sie schon
an den Stellen im Langschiff der Kirche aufgerichtet, welche
sie heute einnehmen. Dies geht aus den ausfuhrlicheren Nach-
richten hervor, welche die wenige Jahre späteren Kirchenakten
ergeben. Denn als 151 5 Papst Leo X. zum ersten Mal als
solcher in die dem Besitze seines Hauses wiedergewonnene
Stadt einzog und die Grabkirche seiner Vorfahren durch Er-
hebung zur päpstlichen Kapelle während seines Aufenthaltes
in Florenz auszeichnete1), da beschloss das Kapitel von S.
Lorenzo „um die Kirche auf jede mögliche Weise zu schmücken
und auszuputzen," die beiden Kanzeln Donatellos herbei-
schaffen und aufstellen zu lassen. Da uns die genau spezi-
ficierte Rechnung über die hierzu erforderlichen Arbeiten er-
halten ist2), so kann kein Zweifel bestehen, dass es sich dabei
wirklich um ein Uebertragen der einzelnen Teile der Kanzeln
!) Cionlagni-Moreni H 117.
2) Ich gebe das Document nach Moreni HI 444 (n. XXXVI.) hier voll-
ständig wieder: Spese facte ne Pergami di bronzo condocti in Chiesa per ornarla con
tucti gli ornamenti, et gentilezze, che a noi e stato possibile, per condurre el Pergamo
minore, che era in pezzi Lir. 4 sold. 4 a 6 figli cont. et per condurre el Pergamo
di bronzo grande, et assettarlo, et porlo in sul palco Fi. 4. a Giunta muratore cont.
et per una collectione a 16. huomini, che adiutorono condurre decto Pergamo per 6.
fiaschi di vino a soldi 6. il fiascho e per 20. pcni sol. 16. d. 8. et una coppia di
cacio sol. 6. et per fare buchi ne püastri in tre volte, per fermare decti Pergami
conlo scarpello Lire 2 sol. 4. et per fare nectare et lavare e' decti Pergami Lire 14.
a Paolo Soglani cont. Et per tre legni per fare ponte, et fermare et armare el
Pergamo de' cantori comperö Bastiano dall' opera Lire 17. sol. 13. et per vectura
Lire una, et per 5. asse di faggio di br. II 1' una a sol, 3. br. per fare le spag-
liere, et agiunta a decto Pergamo in modo fusse capace de cantori, Lire otto sol.
nove pagati a decto Lantino cont. et per due faggi che reghino el Pergamo minore,
et per vettura in tutto Lire tredici soldi dicessette, et per due asse di faggio a sol.
3 br. et per uno pezzo d'asse d'albero, in tucto Lire una sol. uno, et per piü pezzi
d' altro legname per armare decti Pergami Lire cinque sol. Otto, et per 6. pezzi
d'asse d' Abeto a sol. 4, l'una per la scala del Pergamo Lire una sol. 4 et per lib.
una d'aguti sol. 4 et per uno chiavistello, et altri aguti sol. otto et per mettere el
Pergamo minore in su' e püastri di Legno Lire due sol. otto pagati ad Antonio d' An-
drea muratore cont. et per una collectione sol. quattordici monta in tutto L. 103. 17. 8.
6 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
aus einem Aufbewahrungsraum in die Kirche und um ihre
provisorische Zusammenfügung handelt. Wie damals der Chor
selbst zur Aufnahme so vieler hoher Persönlichkeiten aus der
Umgebung des Papstes eine Erweiterung durch ein Schranken-
werk bis zum Anfang des Langhauses erfuhr '), so scheinen in
Verbindung mit diesem provisorischen Festbau auch unsere
Kanzeln, die gröfsere und die kleinere, wie sie in den Akten
unterschieden werden, auf hölzernen Pfosten und mit Hülfe von
Stützen und Sparren schnell aufgerichtet worden zu sein; ja
die eine von ihnen wurde allem Anschein nach zu einer Sänger-
tribüne umgestaltet. Dass sie für Zwecke der Predigt damals
nicht benutzt wurden, beweist die Erwähnung eines be-
sonderen hölzernen Predigtstuls mit Schalldeckel in den-
selben Rechnungsakten 2).
Mehr als ein halbes Jahrhundert war damals bereits ver-
flossen, seit die Kanzeln auf Geheiss des alten Cosmo in Arbeit
genommen waren; erst nach einem zweiten Zeitraum von gleicher
Dauer, als das Haus der Medici längst den Herzogshut von
Toskana gewonnen hatte, gelangten beide Werke zu ihrer end-
gültigen Aufstellung. Am 15. März 1558 wurde die Kanzel
auf der rechten Seite (Kanzel R) auf ihren vier Marmorsäulen
aufgerichtet, und im December 1565 folgte die Aufstellung der
gegenüberliegenden Kanzel (L)3). Aus der Zwischenzeit hat
die Schilderung Vasaris von der Leichenfeier für Michelangelo
in der Kirche S. Lorenzo uns eine weitere Notiz erhalten,
welche der angeführten Nachricht zur Bestätigung dient +). Bei
dieser Feier am 14. Juli 1564 hielt von der rechten Kanzel
herab Benedetto Varchi seine berühmte, nachmals im Druck
!) Cionfagni-Moreni II 178 f.
2) a. a. O. p. 45 1: E per rimectere el pergamo di legno della Predica al suo
luogho et con Tpadiglione etc.
3) Cionfagni-Moreni II 1 79 nach dem handschriftlichen Diario des Chronisten
Lapini : A di 15 di marzo 1558 giorno di mercoledi, si pose su il pergamo di
bronzo che e in S. Lorenzo di Firenze dov' e scolpita la passione di Cristo, che e
di mano di Donatello, di verso i chiostri di detta Ckiesa (auf der Südseite, der Altar
liegt nach Westen) su le quattro colonne di poriido, et di dicembre 1565 s' messel
su quell' altro che gli e incontro.
4) Vasari ed. Milanesi VII 313 ff. Gaye. Carteggio III 139 f. Vgl. Moreni,
Pompe funebii celebrate nell' imp. e real basilica di S. Lorenzo. Fir. 1S27 p. 118.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 7
erschienene Leichenrede. Trotz der reichen Dekoration, mit
welcher die ganze Kirche ausgestattet war, hatte man die
Kanzel ohne jeden Schmuck gelassen „als ein Werk Donatellos,
das durch jede Dekorierung nur verunziert worden wäre". Da-
gegen wurde die zweite Kanzel, welche augenscheinlich zur
Aufstellung vorbereitet, noch auf dem Fufsboden der Kirche
lag, durch ein allegorisches Gemälde des Vincenzio Danti ver-
kleidet.
Damit ist Alles angeführt, was uns über unsere Kanzeln
berichtet wird; das Weitere über ihre Geschichte vor und
nach dieser Aufstellung müssen uns die Werke selbst verraten,
an die wir nun zu näherer Betrachtung herantreten.
Beide Kanzeln sind, wie erwähnt, mit ihrer Langseite der
Mittelachse der Kirche parallel auf je vier Säulen errichtet.
Das Material der Säulenschäfte ist bei R durchweg rötlicher
Marmor, bei L ist dies nur bei dem Schaft der linken hinteren
Säule der Fall, die drei anderen bestehen aus Verde antico
oder Pavonazetto T). Die schönen jonischen Kapitelle und
Basen sind durchweg aus weissem Marmor. Darauf ruht eine
einfach profilierte Marmorplatte, die von korinthischen Konsolen
um ein Geringes über den Grundriss des Säulenoblongums
hinausgetragen wird. Sie dient den Kanzelbrüstungen zur
Grundlage, welche der Hauptsache nach aus dünnen, einem
hölzernen Kernbau aufgehefteten Bronzetafeln zusammengesetzt
sind. Ihr Aufbau gliedert sich, um dies zur Uebersicht nur
kurz vorauszuschicken, nach drei Teilen in Sockel, Reliefs
und Gesims, welch letzteres von einem dekorativen Puttenfries
getragen wird. An der Rückseite jeder Kanzel sind auf je
zwei Drittel ihrer Länge alle diese Teile in Holzschnitzerei
statt in Bronzeguss ausgeführt. Das Verhältnis dieser Teile
zu dem Uebrigen, sowie die Anordnung der figürlichen Reliefs
an den verschiedenen Seiten der Kanzelbrüstung überhaupt
mag das folgende Schema zur Anschauung bringen:
i) Die Angabe Lapinis, welche sich noch bei Semper 2 p. 103 findet, dass die
Säulen aus Porphyr seien, wird schon von Moreni H 179 Anm. bespöttelt. (Ich
citiere der Kürze halber die beiden Schriften Semper's über Donatello: D.'s Leben
und Werke. Quellenschriften z. Kunstgesch. Bd. VI 1875 und D.'s Leben und
Werke. Innsbruck 1887 nü* Semper1 und Semper2.}
w.
DONATELLOS KANZELN IN
N.
4
c b
S.
LORENZO
a
i
L
3
a b
2
c
b
a
4
R
1 1
o.
s.
Die Kanzel R enthält folgende Reliefs '
i a) Christus auf dem Oelberg
b) Der Evangelist Johannes
Alinari 14350
Brogi 8635
Br. 8637 AI
14348 u. 7719
c) Geifselung Christi
2 Christus vor Kaiphas und vor Pontius Pilatus Br. 8636
AI. 14352
3 a) Kreuzigung Christi Br. 8638 AI. 14349
b) Beweinung des abgenommenen Leichnams
Br. 8639
4 Grablegung Christi Br. 8640
Die Kanzel L enthält:
1 Die Marien am Grabe Christi Br. 8631
2 a) Christi Höllenfahrt
b) Christi Auferstehung l Br. 8632 AI. 14347 u. 7790
c) Christi Himmelfahrt
3 Ausgiessung des heil. Geistes Br. 8633
') Ich führe zugleich die Nummern der vorhandenen Photographien an.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES
4 a) Martyrium des heil. Laurentius
b) Der Evangelist Lukas
c) Verspottung Christi
Br. 8634 AI. 1435 1
Die aus geringerem Material gearbeiteten Teile der Rück-
seiten erweisen sich auf den ersten Blick als spätere Zu-
sätze, die wir vor der Betrachtung des echten Werkes auszu-
sondern haben. Sie bestehen aus je zwei Stücken, einem
schmäleren in der Mitte, das in ornamentaler Umrahmung das
Relief eines Evangelisten enthält, und einem breiteren, das dem
in Bronze gearbeiteten Teile der Rückwand entspricht. Jene
Mittelstücke sind beweglich und dienen noch heute als Zugangs-
öffnungen, wenn die Kanzeln mitunter ihrer alten Bestimmung
gemäfs für die Predigt benutzt werden r). Es ist längst bemerkt
worden, dass der Evangelist Johannes an der Rückseite von R
eine Kopie der entsprechenden Figur Ghibertis an seiner ersten
Tür des Baptisteriums zu Florenz ist 2). Aber auch die beiden
in Holz geschnitzten Reliefs aus der Passion Christi vermag
ich nun als Kopien nach fiorentinischen Originalen nachzuweisen,
die überdies eine sichere Zeitbestimmung dieser Zusatzteile
ermöglichen. In ihnen sind zwei von den Bronzereliefs, mit
welchen Giovanni da Bologna seine der Inschrift zufolge im
Jahre 1599 geweihte Grabkapelle hinter dem Chor der SS=
Annunziata zu Florenz schmückte 3), fast Zug für Zug wieder-
gegeben. Die Abweichungen beschränken sich auf Einzelheiten
der Tracht und eine durch Raummangel gebotene A'ereinfachung
der linken Seitengruppe in der „Verspottung"; in der „Geisse-
lung" ist aus demselben Grunde die rechte Seitengruppe weg-
gelassen, und die linke, welche den zuschauenden Hohenpriester
enthält, durch einige ähnliche Figuren auf einem Balkon im
Hintergrunde ersetzt. Im Uebrigen ist gerade der dem vlä-
mischen Meister eigene Stil der Architektur und der Perspektive,
*) Nach Aussage des Küsters geschieht dies zuweilen iü der Fastenzeit. Ein
hölzerner Tritt, welcher innen längs der Vorderseite läuft, und ein Lesepult, welches
innerhalb der Brüstungen aufbewahrt liegt, bestätigen dies. Der Zugang erfolgt dann
durch eine angesetzte Stiege.
2) Cicerone^ p. 359, wo aber zwei irrtümliche Angaben mit unterlaufen.
3) Photographien Alinari 14308 u. 14309. Vgl. auch A. Desjardins. La vie
et l'oeuvre de Jean Bologne Paris 1883 p. 87 f.
10 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
seine Behandlung des Körperlichen und der Gewandung ge-
treulich nachgeahmt. Da Giambologna 1608 starb, so geben
die Reliefs in seiner Grabkapelle, deren eigenhändige Aus-
führung nicht zu bezweifeln ist, eine sichere Bestimmung der
Zeitepoche, nach welcher jene Ergänzungsstücke an den Kanzeln
hinzugekommen sind. Die zwar derbere und handwerksmäfsige
aber stilistisch getreue Art der Wiedergabe rät ferner, ihre
Entstehung dem unmittelbaren Einfluss der Bolognaschule nicht
fern zu rücken, sondern noch dem Beginne des 17. Jahrhunderts
zuzuweisen1). Es ist interessant zu sehen, wie dieser schon
von einem konventionell gewordenen Schönheitsideal genährten
Kunst auch der elegante Linienfluss Ghibertis wieder mund-
gerecht wird und zur Nachahmung dient. Denn es liegt kein
Grund vor, den holzgeschnitzten Johannes einer anderen Zeit
zuzuweisen, als den Lukas, welcher sowol durch die malerische
Behandlung der Scenerie wie durch die Aehnlichkeit des Kopf-
typus mit den gröfseren Holzreliefs in enge Beziehung gebracht
wird; ein Vorbild vermag ich für ihn freilich nicht nachzuweisen.
Xur das armselig rohe Flickwerk der ornamentalen Teile, welche
die Evangelistendarstellungen einrahmen, dürfte auf noch spä-
tere Reparaturarbeit der geschmacklosesten Barockzeit zu
schieben sein.
In wie weit haben nun diese in Holz ausgeführten Teile
etwas mit der ursprünglichen Gestalt der Kanzeln zu schaffen?
Sind sie, wie man angenommen hat, an Stelle nicht fertig
gewordener oder in Verlust geratener Bronzetafeln einge-
schmuggelt worden? Ich glaube diese Frage auf das Be-
stimmteste verneinen zu müssen, sowol auf Grund genauer
Untersuchung der angrenzenden Teile der Brüstungen, wie
auch in Erwägung des inneren Zusammenhanges der sämt-
lichen Reliefdarstellungen. Die aus Bronze bestehenden Teile
der Rückwand haben klar und bestimmt ausgesprochene Eck-
abschlüsse nach der jetzt durch die Holzreliefs ausgefüllten
Oeffnung hin. Der Sockel des Reliefs „Christus auf dem Oel-
i) Danach sind die Annahmen Sempers - p. 103 zu belichtigen. Die Be-
merkung des Cicerone5 p. 359: „Die Zusammensetzung der Bronzetafeln erfolgte
erst im 17. Jahrhundert, und dabei wurden einige rohe Kompositionen, die sich
leicht kennzeichnen, eingeschmuggelt', mischt Falsches mit Richtigem.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES I I
berg" (R i a) ist an der linken Ecke auch auf der inneren
schmalen Seite ebenso ausgegliedert, wie auf seiner ganzen
sichtbaren Länge, ein Beweis, dass er nicht weiter fortgeführt
werden, sondern hier sein vorläufiges Ende haben sollte. Auch
der entsprechende Teil an der andern Kanzel (L 4 a) ist in
der Bildung des Sockels wie des Reliefs und des oberen
Puttenfrieses — hier namentlich durch die Anordnung der an
dieser Kanzel üblichen Eckgruppe (Rossebändiger) — gleicher-
mafsen als fertiges und in sich abgeschlossenes Brüstungsstück
gekennzeichnet1). Also mindestens der mittlere Teil der
rückseitigen Brüstung war an beiden Kanzeln offen gelassen;
aber auch bezüglich des Platzes, den heute die beiden Passions-
reliefs einnehmen, ist es höchst unwahrscheinlich, dass hier etwa
den noch vorhandenen bronzenen Brüstungsteilen entsprechende
Stücke beabsichtigt oder vorhanden gewesen seien. An tech-
nischen Merkmalen hat sich hierfür nur das eine erhalten, dass
an der rechten Ecke über der „Verspottung" (L 4 c) das krönende
Gesims der Nebenseite (L 1) einige Centimeter weit recht-
winklig auf die Rückseite herumgeführt ist, während sonst
überall die aneinanderstofsenden Gesimsteile im Scheitel der
Ecke gefugt sind. Entscheidend tritt aber hier die Rücksicht
auf den inneren Zusammenhang der ganzen Reliefreihe hinzu.
Diese schliesst sich zu einem fortlaufenden Cyklus ungezwungen
nur zusammen, wenn wir jene späteren Einschiebsel entfernt
denken. Dann beginnt die Reihe mit dem Relief „Christus auf
dem Oelberg" ander Rückseite von Kanzel R(ia), schreitet über
die anstofsende Schmalseite (2) mit den Darstellungen „Christus
vor Kaiphas und vor Pilatus" und die vordere Langseite
(3: Kreuzigung und Beweinung) bis zur zweiten Schmalseite
(4: Grablegung) fort — nimmt also für den vor der Kanzel
Stehenden den Weg von der Linken zur Rechten. An das
letzte Relief dieser Kanzel, die Grablegung, würden sich der
biblischen Geschichte nach die Reliefs der „Höllenfahrt" und
„Auferstehung (2 a u. b) auf der zweiten Kanzel unmittelbar an-
J) Die Eckleile der betreffenden Kranzgesimse sind beidemal in roher Weise,
durch Abmeisseln ausgeschnitten und durch hölzernes Flickwerk ersetzt. Dies geschah
natürlich, um die ursprünglich vorhandene Eckausladung des Gesimses zu beseitigen
welche das glatte Anfügen der Einsatzstücke hinderte.
12 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
schliessen, und diesen dann der „Besuch der Marien am Grabe" (i)
folgen müssen. Es ist leicht verständlich, weshalb hier die
Reihenfolge etwas verändert ist: die Dreiheit „Höllenfahrt —
Auferstehung — Himmelfahrt" bildet eine in sich geschlossene
Trilogie, welche aus künstlerischen Gründen nicht getrennt werden
durfte und die Vorderseite in Anspruch nahm. So setzt sich
die Erzählung analog der Anordnung an der rechten Kanzel
auch hier von der linken Schmalseite (Marien) nach rechts hin
fort und endet auf der rechten Schmalseite mit der ,,Aus-
giessung des heiligen Geistes", als der letzten Scene, welche im
Anschluss an die Passion Christi noch zur Darstellung gebracht
werden konnte. Das noch übrige Relief auf dem anstofsenden
Teile der Rückwand (L 4 a) musste also notgedrungen einem
anderen Stoffgebiet entnommen werden: es schildert das Mar-
tyrium des heil. Laurentius, des Patrons der Kirche.
Jene geschlossene Folge der Passionsbilder würden die
Reliefs der „Verspottung" und „Geisselung" an den Stellen,
wo wir sie jetzt finden, also unnötiger Weise sprengen und
in Verwirrung bringen, anstatt sich notwendig in sie einzu-
reihen. Aber auch jede andere Scene aus der Leidensgeschichte
Christi, welche sich den vorhandenen Darstellungen anreihen
könnte, wie etwa das Abendmal, wäre doch an dieser Stelle
undenkbar.
So finden wir auch von diesem Gesichtspunkt aus die An-
nahme bestätigt, auf welche rein äusserliche Merkmale zuerst
führten: dass ursprünglich an beiden Kanzeln nur etwa der
dritte Teil der Rückseite mit einem Brüstungsstück versehen
war. Der übrige Teil — bei beiden Kanzeln an genau der-
selben Stelle — war offen und wurde erst weit später mit jenem
aus Holz geschnitzten Flickwerk geschlossen.
War dies also die ursprüngliche Disposition der Brüstungen,
so wird es dadurch auch höchst unwahrscheinlich, dass die
jetzige freie Aufstellung der Kanzeln von Anfang an beabsichtigt
war. Eben weil die breite Oeffnung in der Rückwand ungünstig
wirkte, schloss man sie wol noch in so später Zeit durch jene
Einsatzstücke. Dem ursprünglichen Plane gemäfs müssen die
Kanzeln für eine Art der Aufstellung berechnet gewesen sein,
welche die teilweise Offenlassung der Rückseite forderte, das
heisst: für den Zusammenhang mit einem gröfseren
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 13
Chor bau. Diese Annahme erhält durch einen Blick auf die
anderwärts erhaltenen Monumente des toskanischen Kanzelbaus
die sichersten Stützen.
Mit den Kanzeln der Frührenaissance in Toskana weisen
die Werke in S. Lorenzo ihrer Anlage nach — abgesehen von
den Formen der Dekoration — fast gar keine Vergleichungs-
punkte auf. Jene zeigen durchweg eine runde oder polygonale
Grundrissbildung, mögen sie nun frei stehen1), oder an einen
Pfeiler des Kirchenschiffs ang-ebaut sein2). Wir müssen in
die altchristliche Zeit und die Periode des romanischen und
gotischen Stils zurückgreifen, um Analogien für die Form
unserer Kanzeln zu finden. Scheinbar den nächsten Anlass
zur Vergleichung bieten die Ambonen der römischen Basiliken
durch die auch hier stets festgehaltene Zweizahl und die
Unterscheidung eines Evangelien- und Epistelambo, insofern
diese von Albertini ja auf unsere Kanzeln angewendet wird,
ferner durch ihre Aufstellung parallel der Längsachse der
Kirche. Aber wie diese Anordnung sich für die florentiner
Werke als höchst zweifelhaft herausgestellt hat, so kann auch
die Bemerkung Albertinis, zu dessen Zeiten beide Kanzeln
noch der Aufstellung harrten, die Vergleichung mit jenen
römischen Denkmälern nicht stützen. Albertinis Notiz ent-
springt eher einer gelehrten Reminiscenz, als einem tatsächlich
geübten Brauch in der Benutzung der beiden Kanzeln. Denn
es fehlt ferner die Hervorhebung des Evangelienambo durch
gröfseren Umfang mit stattlicher Treppenanlage, welche dort
als besonders charakteristisch hervortritt, wie ja überhaupt
nicht blos die dekorative Ausstattung, sondern auch der Grund-
riss und Aufbau der römischen Ambonen in wesentlichen
Punkten anders gestaltet sind^).
1) Die Rundkanzel von Antonio Rossellino und Mino da Fiesole im Dom zu
Prato (vollendet 1473).
2) Die Kanzel Buggianos ("f 1462) in Sa. Maria Novella, das Meisterwerk
Benedettos da Majano in Sa. Croce (um 1475^, die Kanzel von Matteo Civitale im
Dom zu Lucca (1494).
3) Die Anlage einer ein- oder zweiflügeligen Treppe, deren Wangen den trapez-
förmigen Aufriss der Vorderseite bilden helfen, der sechseckige oder quadratische
Umriss des eigentlichen Lesepodiums, der durchweg nur musivische Schmuck der
Seitenwände geben die unterscheidenden Merkmale. In S. demente ist bekanntlich
14 DOXATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Weit sicherere Anhaltspunkte ergeben sich bei einer Ver-
gleichung mit der zweiten Gruppe von Denkmälern, welche
hierin Betracht kommt: den toskanischen Kanzeln des 12. und
13. Jahrhunderts. Sie zerfallen in zwei Klassen, deren Unter-
scheidung für unsere Zwecke grundlegend ist. Von den frei auf
Säulen oder ähnlichen Stützen sich erhebenden Kanzeln von
polygonaler Grundform, haben im Baptisterium zu Pisa (1260),
im Dom von Siena (1268). in S. Andrea zu Pistoja (1301) sich
bekannte Beispiele erhalten. Diese reichere Bildung findet
sich aber erst in der zweiten Hälfte des 13. oder im Anfange
des 14. Jahrhunderts; ihr vorauf geht die einfachere oblonge
Form der Kanzel, welche den aus dem 12. Jahrhundert er-
haltenen Werken durchweg eigen ist. Kaum eines derselben
ist uns in seiner ursprünglichen Anordnung und an seinem
alten Platz erhalten; wir finden sie, teilweise auch mit deut-
lichen Spuren einer veränderten Zusammensetzung, an die
Kirchenwand gerückt, ein Platz, den sie von Anfang an
schwerlich eingenommen haben. Höchst wahrscheinlich standen
vielmehr diese Kanzeln mit dem alten romanischen
Chorbau in engster Verbindung. Den ersten und
vielleicht schlagendsten Beweis hierfür liefern uns die anschau-
lichen Darstellungen einer solchen Choranlage des 13. Jahr-
hunderts auf einigen Fresken Giottos, ich meine die Dar-
stellungen der Abweisung Joachims und des Tempelgangs
Mariae in S. Maria dell' Arena zu Padua, vor allem aber das
Fresko der Oberkirche zu Assisi, welches die Weihnachts-
feier in Greccio schildert. Hier ist mit aller realistischen
Treue die Lettnerwand von der Innenseite des Chors dar-
gestellt; auf den hohen Chorschranken ruht, mit der vorderen
Langseite der Kirche zugewendet, die oblonge Kanzel mit
ihrer Rückseite auf, vom Innern des Chors durch eine Treppe
zugänglich. Das die Breite derselben überragende Stück der
Kanzel ist mit einem Brüstungsteil geschlossen, genau so wie
wir dies an unsern Kanzeln festgestellt haben. Es ist nur
allein noch, trotz erkennbarer Veränderungen im Einzelnen, die ursprüngliche Anlage
gewahrt; in S. Lorenzo fuori haben die beiden Ambonen ihre Plätze vertauscht.
Beidemal ist das Lesepult des kleineren Ambo dem Altar zugewendet Die zu
einander in Front gestellten, an die ersten Mittelschiffspfeiler gelehnten Kanzeln in
S. Maria in Araceli haben sicher durchgreifende Veränderungen erlitten.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES I 5
eine Kanzel und zwar auf der linken Seite vom Altar aus
vorhanden. Ebenso weisen die in der Ansicht vom Schiff der
Kirche aus aufgenommenen Choranlagen in den beiden anderen
Fresken nur eine Kanzel und zwar auf derselben Seite und
in derselben Verbindung mit den Chorschranken auf.
Das Zeugnis dieser malerischen Darstellungen, bei welchen
man immerhin noch eine Abweichung von der Wirklichkeit
argwöhnen könnte, wird aber vollauf bestätigt durch das Be-
weismaterial, welches die erhaltenen Reste toskanischer Oblong-
kanzeln selbst ergeben. Zunächst mag uns schon der Um-
stand, dass die meisten derselben jetzt an eine Wand ange-
baut sind, darauf hinweisen, dass sie auch in ihrer ursprüng-
lichen Anlage an einem architektonischen Hintergrunde Anhalt
hatten. In der Tat finden wir, soweit die alten Stützen er-
halten sind, diese meist nur in einer solchen Anzahl, dass sie
zur Unterstützung der Vorderseite des oblongen Kanzelbodens
ausreichen, und auch die erhaltenen Reliefs lassen sich nur
auf eine Vorder- und zwei Nebenseiten zwanglos verteilen: die
vierte Seite blieb eben ganz oder teilweise offen, und auch in die-
sem Falle ohne Reliefschmuck, da sie auf den Schranken aufruhte
und dem Innern des Chors zugekehrt war. Bei einigen Werken
lässt sich in Folge ihrer Verstümmelung und vorgenommener
Restaurationen der Nachweis des hier kurz skizzierten früheren
Zustandes freilich nur teilweise führen.
Bei dem ältesten Beispiel, der Kanzel in S. Lionardo in
Arcetri bei Florenz — nach dem Stile der Darstellungen ins
12. Jahrhundert zu setzen — ist der ganze Unterbau mit zwei
Säulen und zwei Halbsäulen sicher erst später hinzugefügt.
Die sechs Reliefs aber, je zwei auf einer Seite, obwol stark
durcheinander geworfen, scheinen doch den alten Bestand zu
repräsentieren1). Die 1193 datierte Kanzel in Groppoli bei
Pistoja ist zwar besonders schlimm mitgenommen und zurecht-
geflickt, so dass es unmöglich däucht, über die Verteilung der
erhaltenen Reliefs (Bruchstück einer Verkündigung, Begegnung
zwischen Maria und Elisabet, Geburt und Flucht nach Aegypten)
mit Sicherheit zu urteilen. Dagegen ist hier nach der ganzen
1) Ueber ihre ursprüngliche Verteilung auf die drei Seiten s. Schraarsow,
Martin von Lucca S. 292 ff. (Ital. Forschungen zur Kunstgeschichte Bd. I.)
16 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Art des notdürftigen Aufbaus, die ursprüngliche Dreizahl der
Säulenstützen unzweifelhaft1). Nur mit Wahrscheinlichkeit lässt
sich auch über die Kanzel in Volterra (um 1250) urteilen,
welche auf vier von Tieren getragenen Säulen ruht. Ist die
Zahl der Reliefs, welche dem stark veränderten Oberbau ein-
gefügt sind, die ursprüngliche, so bildete wol das Abendmal
die Vorderseite; die Verkündigung mit der Begegnung und das
Opfer Abrahams entsprechen sich an den Schmalseiten2). An
der Kanzel in Barga bei Lucca (2. Hälfte des 13. Jahrhunderts)
gehören die sämtlich in Arkaden eingezwängten Darstellungen
von Verkündigung und Geburt an die Xebenseiten, der Ritt
der drei Könige und die Anbetung der Könige an die Vorder-
seite 3). Von den Säulen dürfte die vierte, welche auf dem
Boden aufsteht, während die anderen von zwei Löwen und
einem kauernden Mann getragen werden, später Zusatz sein.
Am deutlichsten redet die im Ganzen unversehrt erhaltene Kanzel
des Fra Guglielmo in S. Giovanni fuorcivitas in Pistoja. Zwei
auf Löwen ruhende Säulen stützen die Vorderseite, die
Rückseite ruht auf Konsolen, die von kauernden Männern
gebildet werden; sie unterstützten auch an den Chorschranken
den hinteren Kanzelboden, nur die Voluten darunter sind
später Zusatz •»). Ganz unverändert sind die Kanzelbrüstungen
geblieben, auf jeder Seite zwei Platten, von denen fünf mit je
zwei übereinander liegenden Reliefs geschmückt sind, während
die sechste, die hintere der linken Schmal wand, musivisch
verziert, wie auch der Grund des Reliefs und Teile der
tragenden Figuren unter den Lesepulten, als Tür gedient
hat. die hier also ausnahmsweise auf der Seite angebracht
war. Der Sockel darunter ist glatt gearbeitet für den Ansatz
') Zwei davon ruhen auf Löwengruppen, während die dritte auf dem Boden
steht. Der Unterschied in der Höhe ist hier durch einen mächtigen Steinbalken
ausgeglichen, welcher mit seinem andern Ende in die "Wand geht und so den
Kanzelboden trägt. Wäre eine vierte Säule vorhanden gewesen, so hätte es dieses
Flickwerks nicht bedurft. — Vgl. Ital. Forschungen z. Kunstg. I. S. 42.
2) Ital. Forschungen z. Kunstg. I. S. 223.
3) a. a. O. S. 86.
4) Die Löwen waren jedenfalls nicht wie jetzt langseits gedreht, sondern mit
den Köpfen nach vorn gerichtet und eine dritte Stütze nahm den Platz in der
Mitte ein. Die weit über die Abakusflächen hinausragenden sechseckigen Basen der
Eckpilaster lassen auf eine vorgenommene Aenderung schliessen.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 17
einer Holzstiege. Hier mag also auch die Rückseite mit einer
Brüstung geschlossen gewesen sein, dass sie aber Reliefs ge-
tragen habe, ist unwahrscheinlich, da die vorhandenen Dar-
stellungen, von der Verkündigung bis zum Tode Marias
reichend, einen abgeschlossenen Cyklus bilden.
Die Kanzel des Guido da Como (datiert 1250) ist seit 1591
als Sängerchor an der Seitenwand des linken Nebenschiffes in
S. Bartolommeo in Pantano zu Pistoja aufgebaut und zwar in
einer Breite von drei Feldern mit je zwei über einander be-
findlichen Darstellungen1). Von den zwei Feldern jeder Neben-
seite trägt nur das vordere rechts den gleichen Reliefschmuck;
das hintere Feld dieser Schmalwand und die beiden Felder der
gegenüberliegenden zeigen Rosettenmuster2). Die ursprüng-
liche Breite der Kanzel lässt sich nach der Künstlerinschrift
ermessen, welche in zwei übereinander stehenden, in sich ge-
reimten Zeilen auf zwei Platten der Vorderseite angebracht
ist: also gehört die dritte Platte auf die Nebenseite. Dann
gruppieren sich die Reliefs auch dem Inhalt nach angemessen:
beiderseits vom Mittelpult die Darstellungen aus der Kindheits-
geschichte Jesu, an den Schmalseiten die Erscheinungen des
Auferstandenen in der Hölle und auf Erden.3).
Das Bild des Kanzelbaus in S. Bartolommeo lässt sich
aber noch vervollständigen durch Beachtung der Spuren, welche
die alte Choranlage zurückgelassen hat. Im östlichen Ende
des Mittelschiffs bezeichnet ein Pfeilerpaar, welches mit den
zwei Halbpfeilern zu Seiten der Schlusswand correspondiert,
offenbar einen besonderen Raumabschnitt, da die übrigen
J) Ital. Forschungen z. Kunstg. I. S. 60.
2) Sie dürften aus gleicher Zeit mit den Figurenreliefs stammen; ähnliche
Stücke finden sich im Hof des Palazzo Communale eingemauert. Sollten sie von der
Brüstung des alten Chorraums stammen, und bei dessen Abbruch zur Ergänzung der
in grösserer Breite als vordem aufgebauten Kanzel verwendet worden sein?
3) Die Tragbalken unter dem Kanzelboden und die tektonischen Zwischen-
glieder sind augenscheinlich bei der Uebertragung an den jetzigen Standort erneuert
worden. Auch an dem linken Lesepult ist viel ergänzt. Vielleicht war ursprünglich
nur eins in der Mitte der Vorderseite angeordnet, das zweite, wie häufig, am Fufse
der Treppe. Die Zusammensetzung aus mehreren Stücken macht sich auch bei dem
Gesims der Kanzel geltend. Ein Löwenköpfchen, das jetzt mitten darin sitzt, beweist
durch seine schräge Stellung, dass hier das zu einer Eckfuge von 450 geschnittene
Ende eines solchen Gesimsstückes zu suchen ist.
Italienische Forschungen II. -
18 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Stützen, auch das Paar inmitten jenes Pfeilervierecks, durchweg
Säulen sind. Man geht wol nicht fehl mit der Annahme, dass
hiermit die Ausdehnung der alten Chorschranken angedeutet
ist, um so mehr, als der Raum des davorliegenden Mittel-
schiffjochs ehemals vorn und an den Seiten von Gittern ab-
geschlossen war, wie an den Vorderseiten der Pfeiler und den
entsprechenden Stellen des nächsten Säulenpaares sowie an den
Innenseiten der Säulen genau in gleicher Höhe eingelassene
eiserne Angeln und Krampen beweisen. Innerhalb dieses Gitters
haben wir uns also die Kanzel zu denken, mit dem vorderen
Rande auf den wolerhaltenen alten Stützen ruhend, deren
mittlere die Porträtfigur des Meisters selbst trägt, und rück-
wärts den westlichen Chorschranken aufliegend und wol von
diesen aus zugänglich1).
So treten sich gegenseitig stützend und ergänzend Be-
weisgründe genug in den besprochenen Werken zu Tage,
um die Einordnung dieser Kanzeln in die Chorschranken zu
bestätigen, die eigentlich schon durch ihre Form allein nahe
gelegt wird. Denn die oblonge Gestaltung und die Verteilung
des bildnerischen Schmucks auf nur drei Seiten weisen ebenso
entschieden auf Anschluss an ein gröfseres architektonisches
Ganzes hin, wie andererseits eine der Rundform sich nähernde
polygonale Grundrissbildung nur für Freikanzeln erfunden sein
kann. Nun wird es aber auch nicht mehr zweifelhaft sein, dass
') Die ganze Anlage findet bekanntlich ihre Analogie in den romanischen
Kirchen Deutschlands, wo namentlich die niedersächsischen Bauten einige Beispiele
der Verbindung der Kan/.el mit den westlichen Chorschranken erhalten haben. Vgl.
den Dom zu Braunschweig, die Abteikirche zu Quedlinburg (Mittelalterliche Bau-
denkmäler Niedersachsens III 30. II 49.) Zwei zierliche Halbrundkanzeln zu Seiten
des Choraufgangs in der Stiftskirche zu Bücken (a. a. O. II 82 u. 89). Die Anlage
der Krypta und des Laienaltars bedingt hier meist besondere Eigentümlichkeiten der
Anordnung, welche aber gegenüber der Erkenntnis eines durchgehenden Typus der
romanischen Choranlagen von geringer Bedeutung sind. Vergl. auch Otte, Handbuch
der kirchl. Kunstarchäol.5 I 51 f. Die Zahl und Gestalt der vorderen Stützen
schliesst bei den italienischen Kanzeln den Gedanken an eine Verbindung mit dem
Altar, wie sie in Deutschland häufig ist. aus. Durch ihre oblonge Grundform und
den gleichfalls nur auf drei Seiten verteilten Reliefschmuck stehen die Kanzeln in
Wechselburg (Monumente des Mittelalters u. der Renaiss. aus d. sächs. Erzgebirge
Tf. 34) und in der Neuwerkskirche zu Goslar (Mithoffs Archiv f. Niedersachsens
Kunstgesch. HI Tf. 23) den toskanischen Werken besonders nahe. Vergl. Bode,
Gesch. d. deutschen Plastik p. 46 ff.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 19
nicht die römischen Ambonen, wol aber jene oblongen Relief-
kanzeln der romanischen Kirchen Toskanas das Vorbild für
die Werke in S. Lorenzo abgegeben haben. Die weiterreichende
Frage, ob demgemäfs nicht auch ihre Zweizahl etwas der ur-
sprünglichen Absicht Fremdes sei, lassen wir hier vorläufig
bei Seite und beschränken uns darauf, die Analogie jener tos-
kanischen Werke auch hinsichtlich ihrer Verbindung mit
einem Chorbau für unsere Kanzeln in Anspruch zu nehmen.
Von der Gestalt des Chors in den Kirchen des 15. Jahr-
hunderts hat sich nur hier und da ein vereinzeltes Beispiel
erhalten. Denn mit den älteren Choranlagen, in welchen der
Altar seinen Platz inmitten des Presbyteriums hatte und das
Halbrund des Chorgestühls oft nach dem Eingang der Kirche
zu gelegen war, begann man schon im Anfang des 16. Jahr-
hunderts aufzuräumen1). Dem orthodoxen Raumgefühl der
Hochrenaissance vollends erschienen diese Einbauten, welche
namentlich in den grofsen gotischen Mönchskirchen mit den
daran gelehnten Altären und Kapellen einen beträchtlichen
Teil des Innenraumes beanspruchten, als störende Beeinträch-
tigungen des architektonischen Gesamteindrucks. Kirchliche
Rücksichten auf den vermehrten Pomp beim Gottesdienst
mochten zu ästhetischen Erwägungen hinzutreten2), um jene
malerischen Schrankenbauten fallen zu machen, deren Zer-
störung zugleich den Untergang so manches wertvollen Kunst-
werks herbeigeführt hat. Denn für Gemälde und Statuen gaben
die Chorwände und Lettner stets einen bevorzugten Auf-
stellungsort ab3). So müssen wir, wie manche Anhänger der
alten Sitte schon damals taten, den Eifer beklagen, mit wel-
chem man namentlich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts an
die Beseitigung jener alten Choranlagen ging4). Augenschein-
1 ) 1506 wurde der Chor des Doms zu Siena abgebrochen und in die er-
weiterte Mittelschiffskapelle verlegt. Gaye, Carteggio H 470.
2) A. a. O.: Attenta remotione chori ecclesie cathedralis, quod est necessarium
ad maiorem ornatum dicte ecclesie et commoditatern cleri pro divinis.
3) Vgl. Vasari ed. Milanesi II 290, 292, 507, 516. Selbst ein Fresko von
den Grössenverhältnissen wie Masaccios Dreifaltigkeit in S. Maria Novella fand als
Altarbild unter dem Lettner Platz.
4) Man lese, was Vasari über seine Zerstörung des alten Chors in S. Maria
Novella und S. Croce sagt (VH 710 f.) und demgegenüber Gaj'e, Carteggio H 480-
Diese Umbauten fallen in die Jahre 1565/66.
2*
20 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
lieh wurde seitdem ganz allgemein bei Basilikalbauten der
Chor in die Mittelschiffnische zurückgeschoben und der Altar
vor dieselbe gesetzt.
In den Neubauten des 15. Jahrhunderts scheint man noch
lange der alten Regel gefolgt zu sein. Die Chorschranken im
Dom zu Lucca, welche gelegentlich der Herstellung eines
Mosaikfufsbodens 1478 erneuert wurden, unterschieden sich
gewiss nur durch die entzückende Anmut der Ornamentik, mit
welcher Matteo Ci vitale sie ausstattete, von der älteren
romanischen Anlage1). Der Chor in der um die Mitte des
Jahrhunderts vor den Toren von Florenz errichteten Kirche
der Giesuati2) schloss den Hochaltar ein und war gegen die
Kirche hin durch eine massive Lettnerwand (tramezzo) ab-
geschlossen, an welche sich zwei Altäre lehnten; über dem
Eingang in der Mitte hatte eine Kreuzigungsgruppe von Bene-
detto da Majano ihren Platze). So erinnert die Einrichtung
im Wesentlichen unmittelbar an jene Bilder von Kirchen-
chören, welche wir bei Giotto fanden. Die Verbindung der
Kanzel freilich mit den Chorschranken war seit der wachsen-
den Bedeutung, welche die Predigt gewonnen hatte, aufgegeben.
Nicht mehr von der Lesetribüne zwischen Presbyterium und
Laienkirche aus wurde das Gotteswort verkündigt, sondern
mitten hinein unter das im Schiff der Kirche versammelte
Volk trugen die Franziskaner und Dominikaner ihren Predigt-
stul und höchstens ein paar bescheidene Lesekanzeln blieben
mit den hohen Schranken verbunden, welche den Mönchschor
umschlossen4).
') Vergl. Ch. Yriarte, Matteo Civitale, sa vie et son oeuvre. Paris 1886 p.
19 ff. Erst im Anfang des 17. Jahrhunderts wurde dieses Schrankenwerk Civitales
beseitigt und aus den Bruchstücken dann 1681 das Sanktuarium für die Sakraments-
kapelle zusammengesetzt. Jetzt ist die ursprüngliche Anordnung Civitales wieder
hergestellt.
2) Sie war 1441 im Bau. Gaye I 556. 1479 wird ein Altar mit Bild für
die Kirche gestiftet. Gaye I 172. Also ist das von Milanesi zu Vasari IV 476
A. 4 angegebene Datum 1487 wol dasjenige ihrer scliliesslichen Vollendung durch
Antonio di Giorgio aus Settignano. Bei der Belagerung 1529 wurde die Kirche
zerstört.
3) Nach der Beschreibung bei Vasari III 570.
4) Sa. Maria gloriosa de' Frari zu Venedig (Chorschranken von 1475) bietet
hierfür wie für die Anlage eines' Mönchschors überhaupt ein wolerhaltenes Beispiel.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 2 1
Aber die neu erbaute Kirche des h. Laurentius war keine
Predigtkirche und gehörte keinem Bettelmönchsorden, sondern
dem vornehmsten und ältesten Chorherrnstifte von Florenz an1).
Wenn sich ihr Baumeister also in der Anordnung des Grund-
risses auch dem Einflüsse jener imposanten Gotteshäuser, als
deren Typus in Florenz S. Croce und S. Maria Novella her-
vortreten, nicht entziehen konnte2), so schwebte ihm in der
Gestaltung des Aufbaus anerkanntermafsen doch ein ganz
anderes Ideal vor. Die monumentalen Beispiele alteinheimischer
Kunstübung, wie das Baptisterium und S. Miniato, welche in
ihren architektonischen Formen noch unmittelbar an die Ueber-
lieferung der Antike anknüpfen, hat bereits das 16. Jahrhundert
als die Lehrstätten Brunellescos und anderer Künstler der
Frührenaissance gepriesen, ja Vasari bezeichnet die altfloren-
tinische Basilika SS. Apostoli geradezu als das Vorbild, wel-
chem Brunellesco bei seinen Plänen für S. Lorenzo und
S. Spirito gefolgt sei^). Die einstige innere Einrichtung dieser
romanischen Bauten dürfen wir uns aber im Wesentlichen
kaum anders vorstellen, als wie sie in der Kirche des h. Minias
noch heute erhalten ist. Sollte der unvergleichlich malerische
Aufbau des hohen Chors in dieser ehrwürdig-zierlichen Basilika
nicht ohne Eindruck auf die Phantasie des grofsen Architekten
geblieben sein? Gerade hier begegnet uns ja wieder die Ver-
bindung der Kanzel mit den Chorschranken, und die Grund-
rissbildung und Disposition der Brüstungen an dieser Kanzel
bildet zugleich die schlagendste Analogie zu den Werken in
S. Lorenzo4).
!) Als solches schon in der Bulle Nicolaus II. vom Jahre 1059 charakterisiert.
Richa, Chiese fiorentine V II. S. Lorenzo war als Basilika des h. Ambrosius die
erste Kathedrale von Florenz. Cionfagni-Moreni I 45. 56.
2) Burckhardt, Architektur der Renaissance p. 113. Thode, Franz von Assisi
und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien p. 359.
3) Vasari ed. Milanesi I 312. 235.
4) Auf der linken Seite vom Altar aus ruht die Kanzel mit der Rückseite
auf der Schranke, und nur ein Drittel dieser Seite ist mit einem Brüstungsstück ver-
sehen. Das übrige dient als Zugang vom Innern des Chors aus. Die vordere
Kante wird von zwei Säulen getragen, die Brüstung ist hier im Aufriss dreigeteilt,
aber infolge der Anlehnung an den Kirchenschiffs pfeiler nimmt die vorspringende
Halbsäule des letzteren das äusserste von den drei in Steinmosaik ausgeführten
Quadraten zum grössten Teil hinweg.
2 2 DOXATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Fassen wir alle diese Umstände scharf in's Auge, so ver-
stehen wir erst recht, was der vertrauenswürdige zeitgenössische
Biograph Brunellescos ' ), und seiner Angabe folgend Vasari
über den Chor von S. Lorenzo berichten. ,,La cappella mag-
giore si tirö su in buona parte in altra forma che la non istä
al presente, non avendo fatto ancora Cosimo pensiero di met-
tervi drento el coro del clero e deliberando poi cosi, Filippo
l'adattö nella forma che la sta al presente", sagt Manetti
(p. 144) und Vasari führt erläuternd aus, dass nach der Ab-
sicht Giovannis de' Medici — in welchem er bekanntlich den
ersten Bauherrn der Kirche sieht — der Chor seinen Platz
in der Mitte der Kirche unter der Kuppelwölbung haben
sollte; aber sein Nachfolger Cosimo verlegte ihn mit Zu-
stimmung Brunellescos: die Mittelschiff kapelle (la cappella
grande), welche ursprünglich als eine Nische von geringerer
Ausdehnung geplant war, wurde vergröfsert, so dass sie für
Unterbringung des Chors den nötigen Raum bot2). Diese
Notiz weist auf einen noch engeren Anschluss von S. Lorenzo
an den Grundriss von S. Croce hin, als wie er sich ohnehin
in der Anordnung der Sakristei und der Kapellen im Quer-
schiff ausspricht. Wie in jener gewaltigsten Ordenskirche
Mittelitaliens, an welche damals gerade die letzte Hand gelegt
wurde (geweiht 1442), die Mittelkapelle einst den Hochaltar
umschloss und der Chor in dem davor gelegenen Theil des
Langhauses seinen Platz hatte ■>), so wäre die Anordnung also
auch in S. Lorenzo gewesen. Den Gedanken einer Ab-
änderung schreiben die Biographen auffallenderweise dem
Cosimo zu, welchem Brunellesco gewillfahrt habe: es wird uns
immerdar wahrscheinlicher klingen, dass der Architekt selbst
die Initiative zur Umgestaltung seines Grundrisses ergriffen
habe. Jedenfalls ist die Chorkapelle in ihrer gegenwärtigen
>i Vgl. Milanesi, Operette istoriche di Ant. di Tuccio Manetti. Firenze 1887
und zu Vasari II 329 A. 4.
2) \asari ed. Milanesi II 329: Avevano Giovanni e quegli altri ordinato fare
il coro nel mezzo sotto la tribuna: Cosimo lo rimutö col voler di Filippo, che fece
tanto maggiore la cappella grande, che prima era ordinata una nicchia piü piccola,
che e'vi si potette fare il coro come sta al presente.
3) Gaye, Carteggio II 479: era collocato fra i quattro püastri piü vicini all'
altar grande. Vgl. Vasari V1L 710.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 23
Anlage von Brunellesco selbst noch ausgeführt worden, wie
sich aus den Daten der Baugeschichte ergiebt. Am 13. August
1442 erklärte sich Cosimo de' Medici bereit, innerhalb 6 Jahren
den Bau der grofsen Kapelle, welcher seit Langem liegen ge-
blieben war, zu vollenden1). Als Brunellesco vier Jahre später
starb, war nach Angabe seiner Biographen sogar das ganze
Kreuzschiff, dessen übrige Kapellen sieben andere florentinische
Familien übernommen hatten, im Bau fertig mit Ausnahme der
Kuppel2). Die alte Kirche stand damals noch und nahm den
Raum etwa des heutigen Langhauses bis zu den hinteren
Seitentüren ein^): schon mit Rücksicht auf diesen Umstand
mochte jene Zurückschiebung des Chors notwendig erscheinen.
Auch die Einweihung des Hochaltars, mit welcher am 9. März
1461 der Gottesdienst in dem neuen Bau eröffnet wurde4), be-
deutet schwerlich mehr als die Vollendung des Kreuzschiffes
durch Hinzufügung der Kuppel: denn noch wenige Jahre vor-
her (1457) war diese in der Ausführung und erregte durch die
verpfuschte Form, welche Brunellescos Nachfolger Manetti
Ciacheri ihr gab, die gerechte Entrüstung aller Freunde des
Architekten5). Wir erfahren, dass der damals errichtete Hoch-
altar aus Holz war und mit einer Wand den Chor nach der
Kirche hin abschloss6): unzweifelhaft ein provisorisches Werk,
welches nach Vollendung des ganzen Baus einer stattlicheren
Choranlage Platz machen sollte, wie sie der Bauherr der
Kapelle wol für das Allerheiligste der Kirche im Sinne hatte,
in welcher er selbst seine letzte Ruhestätte finden wollte und in
deren Kapitel die Mitglieder seines Geschlechts sitzen sollten7).
J) Cionfagni-Moreni II 4. 2) Vita p. 142. Vasari II 329.
3) Cionfagni-Moreni II 46. 345. Vgl. Moreni, Descrizione della gran cappella
delle pietre dure e della sagrestia vecchia etc. Fir. 1813 p. 55. Eine im Jahre
1448 bezeugte Reparatur (Gaye I 557) kann sich wol nur auf die alte Kirche be-
ziehen. Diese hatte eine Säulenvorhalle (vgl. die Zeichnung in der Uffiziensammlung
bei Moreni Descr. p. 54), was vielleicht zum Verständniss der dunkeln Notiz vom
10. März 1450 (Gaye I 559) beiträgt: La chiesa di S. Lorenzo aveva il portico.
Der Kreuzgang wurde erst nach 1457 neu erbaut. Cionfagni-Moreni II 14.
4) Cionfagni-Moreni II 15.
5) Vgl. den interessanten Brief des Giovanni di Domenico. Gaye, Carteggio I 167.
6) Cionfagni-Moreni a a. O. Er wurde 1689 durch einen Marmoraltar ersetzt,
an dessen Stelle 1787 der heutige schöne Altar aus farbiger Steinmosaik trat. A.a. O.IH65.
7) Leo X. war Kanonikus von S. Lorenzo. Cionfagni-Moreni II 173
24 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Somit scheint es, dass die Form unserer Kanzeln, welche
so deutlich auf jene cancelli der altromanischen Kirchen zurück-
geht, im Plane bereits festgestellt war, bevor die erwähnte
Aenderung der Choranlage eintrat1), und das Festhalten an
der ursprünglichen Form auch bei der späteren Ausführung —
welche sicher erst nach Donatellos Rückkehr von Padua an-
gesetzt werden kann — würde zugleich darauf hindeuten, dass
eine entsprechende Gestaltung des Chorbaus auch damals noch
ins Auge gefasst war. Den bedeutsamsten Schmuck der Chor-
schranken, die vielleicht ähnlich wie in S. Miniato sich über
einer Krypta mit den Gebeinen der Stifter erheben sollte,
hätten eben die vergoldeten Reliefs der Kanzeln gebildet 2 ). —
Das Bild, welches wir so vor der Phantasie erstehen
lassen, fügt unserer Anschauung von Brunellescos edler Säulen-
basilika eine Vorstellung ein, wie sie gewiss auch dem künst-
lerischen Empfinden ihres Meisters nicht fremd war. Denn
weit prächtiger und farbenreicher hatte sich Brunellesco über-
haupt die innere Ausstattung dieses ersten Kirchenbaus der
Renaissance gedacht, als heute das mörderische Weiss der
alles bedeckenden Tünche uns ahnen lässt. Haben sich doch
gerade in dem Teil seines Baus, dessen Innendekoration noch
ganz von Brunellesco vollendet ward, in der alten Sakristei
zahlreiche Reste einer polychromen Behandlung erhalten, wel-
cher sich die reiche Verwendung farbigen Marmors und ver-
goldeter Bronze an Fufsboden, Altar, Waschbrunnen und Grab-
denkmälern in diesem Raum harmonisch anschliesst 3 ). Un-
möglich konnten die Hauptteile des ganzen Baus an Pracht
der Ausstattung dahinter zurückstehen. Die Behauptung Vasaris
1) Auch Cavallucci (Vita ed opere di Donatello. Milano 1886 p. 28) nimmt an,
dass der Auftrag zu den Kanzeln gleichzeitig mit Donatellos Arbeiten für die
Sakristei — also bereits um 1442 — erfolgt sei. Die Gründe, welche er hierfür
der Behandlung der Architektur an Kanzel L entnehmen zu können glaubt (a. a. O.
p. 30), lassen sich freilich nicht billigen.
2) Ihre Zweizahl vorausgesetzt, können wir sie uns auf beiden Seiten des Ein-
gangs zum Chor auf den Vorderschranken angeordnet denken, vielleicht so, dass das
Gestühl der Chorherrnsitze unmittelbar unter den mit Brüstungen geschlossenen
Teilen der Rückwand sich anschloss. Das Beispiel von S. Miniato hält auch die
Möglichkeit der Anlehnung an einen Vierungspfeiler offen.
3) Vgl. H. v. Geymüller in: Die Architektur der Renaissance in Toskana,
herausgegeben von der Gesellschaft San Giorgio, I p. 17
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 25
freilich, dass Brunellesco beabsichtigt habe, sämtliche Kapellen-
nischen mit Wandmalereien ausschmücken zu lassen, wird da-
durch hinfällig, dass die Kapellen des Langhauses in Bunellescos
Grundriss nicht enthalten waren1). Aber wie leer die tiefe
Chorkapelle mit ihren grofsen Wandflächen in dem fest-
gehaltenen Zustande der Unfertigkeit wirkte, fühlte man schon
im 16. Jahrhundert, und bedeckte sie mit riesigen Fresko-
gemälden, die allerdings selbst bei den Zeitgenossen nur be-
dingten Beifall fanden2). Von dem Charakter der sonstigen
inneren Ausstattung kann uns der einzige Rest, welcher ausser
den Kanzeln davon erhalten ist, einen schwachen Begriff ver-
schaffen: Der kleine Orgelchor über der Seitentür nach dem
Kreuzgange, welcher früher gewiss in gröfserer Nähe des
Presbyteriums angebracht war, passt in seiner spielenden Bunt-
heit mit den farbigen Marmorinkrustationen und der glitzernden
Steinchenmosaik nur in ein so farbenfrohes Bild von der Innen-
dekoration der Kirche, wie es der Frührenaissance auch sonst
allezeit zu Sinne stände).
Von einer diesem Innenraum angemessenen Ausgestaltung
des Chors reden heute als einzige Zeugen die Kanzeln Dona-
tellos. Sie sind lange in Stücken liegen geblieben, weil das
Ganze, dem sie sich einfügen sollten, nicht zur Ausführung
gelangte + ). Nur vorübergehend erfüllten sie ihre Bestimmung
J) Vasari ed. Milanesi VII 691. Vita di Brunellesco p. 142. Vasaris Be-
hauptung rechtfertigt sich auch nicht dadurch, dass die von ihm genannte Kapelle
Martelli sich im Kreuzschiff befindet, wie Geymüller a. a. O. angiebt. Es ist viel-
mehr die vierte rechts im Langhause, wo sich noch bis 1712 Vasaris Altargemälde
befand. Richa, Chiese fiorentine V II. Allerdings wird auch die Kapelle degli
Operai nach der Familie Martelli benannt.
2) Vasari ed. Milanesi VI 284. Sie waren von Pontormo und Bronzino aus-
geführt (vollendet 1558J und stellten Scenen aus der Geschichte der ersten Menschen,
der Sintflut und Auferstehung dar. 1738 wurden sie übertüncht. Richa, Chiese
fiorent. V. 29. — Die heutige Dekoration der Schlusswand des Chors, eine Wieder-
holung von Michelangelos innerer Fassade, stammt erst aus neuester Zeit, als die
Orgel hierhin verlegt wurde.
3) Er ist unzweifelhaft eine Arbeit der Donatelloschule, wie die Vergleichung
mit den Architekturteilen von Donatellos Orgeltribüne im Dom erkennen lässt.
4) Bei der Vertreibung der Medici i. J. 1494 wurde die Grabinschrift für
Cosimo im Fufsboden vor dem Hochaltar zerstört (Richa, Chiese fiorentine V 29).
Wenn man die Möglichkeit nicht ausschliessen will, dass die Kanzeln damals bereits
zusammengesetzt und aufgerichtet waren, so Hesse sich ihr späterer Zustand damit
2 6 DONATELLOS KAXZELX IN S. LOREXZO
als Teil eines zu festlicher Gelegenheit hergerichteten Chor-
baus. Dann hat eine spätere Zeit sie aufgerichtet als
prunkvolle Schaustücke und sie vervollständigt, so gut sie
es verstand. Aber von der Wiedererweckung einer alt-
nationalen Form der Chortribüne, welche diese Werke
ursprünglich bedeuten sollten, wusste sie nichts mehr, und das
kann uns nicht Wunder nehmen. Denn in die alte Form hatte
der Genius der Zeit neuen Geist gegossen. Andere Bilder und
in anderer Bedeutung, als sie an jenen romanischen Denk-
mälern uns entgegentreten, schmücken die Brüstungen dieser
Kanzeln. Nicht die traditionelle Folge von Darstellungen, welche
die kirchliche Lehre von der Ueberwindung der Sünde durch
den Gottessohn in bestimmter Symbolik verherrlichen soll ' ), son-
dern eine ausgewählte Reihe von Bildern aus dem Leiden und
Sterben Christi mit scharfer Hervorkehrung menschlich empfun-
denen Jammers und tief wehmütiger Klage. Und unmittelbar
darüber treibt eine harmlos glückliche Kinderwelt ihre friedlichen
Spiele, ja erhebt sich zu bacchischer Ausgelassenheit. Wie kam
diese seltsame Verquickung antiker Lebensfreude mit der tiefst
empfundenen Tragik des christlichen Erlösungswerkes zu Stande?
Ist es eine Künstlerseele undist es dieStimmung einer Schaffens-
periode, welche sie geboren hat? Auf solche Fragen werden
unsere Kanzeln uns in allem Folgenden Rede und Antwort
stehen müssen.
Die kritische Betrachtung des figürlichen Schmucks wird
darum immer den Mittelpunkt einer diesen Werken gewidmeten
Untersuchung bilden müssen. Aber bevor wir an diese heran-
gehen, erscheint doch der Versuch geboten, aus rein äusserlichen
Merkmalen, welche der subjectiven Beurteilung weniger unter-
liegen als Stilkriterien, einige Anhaltspunkte für die Entstehungs-
geschichte der Kanzeln zu gewinnen. Trotz der auffälligen Ver-
schiedenheiten, welche sie jedem aufmerksamen Betrachter
gerade auch in ihrer Gesamterscheinung, in der Art ihres Auf-
baus und ihrer technischen Behandlung bieten, sind die beiden
Werke unter solchen Gesichtspunkten noch nicht untersucht
erklären, dass auch sie damals eine Beute der Zerstörungslust wurden. Manche
Spuren gewaltsamer Behandlung, welche sie an sich tragen, Hessen sich wol damit
vereinigen.
J) Hettner Italienische Studien p. 14.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 27
worden. Wir werden darum gut tun, von der möglich ein-
fachsten Fragestellung auszugehen! ).
Wie baut man aus Bronzematerial die Brüstungen einer
Tribüne auf, welche umfangreicheren Reliefdarstellungen Platz
gewähren sollen? Jede der beiden Kanzeln erteilt hierauf eine
andere Antwort. Wie die Meister der Frührenaissance in
ihren oben erwähnten Marmorwerken die Aufgabe zu lösen
versucht haben, so oder ähnlich hat sich der Künstler, welcher
den endgültigen Entwurf für die rechte Kanzel schuf, die
Sache zurechtgelegt. Er errichtet auf einem ringsum laufenden
wolgegliederten Sockel — er ist mit dem toreutischen Motiv
ornamentierter Buckeln geziert — kanneliierte Pilaster, und ver-
bindet sie durch einen darüber hinlaufenden niedrigen Fries,
welcher mit Puttenscenen von dekorativem Charakter geschmückt
ist. Diesem konstruktiven Gerüst dient ein reich ornamentiertes2)
Kranzgesims von sanftgeschwungenem simaähnlichem Profil zur
Bekrönung, durch eine lesbische Welle mit dem darunter liegen-
den Gliede verknüpft. Der ganze Aufbau trägt und umrahmt
den Hauptschmuck des Werkes, die figürlichen Reliefs aus der
Passionsgeschichte, von denen jede Nebenseite eines zwischen
den Pilastern eingeschlossen enthält, während auf der Vorder-
seite, wo zwei solcher Reliefs angebracht sind, in der Mitte ein
gleicher Pilaster eingeschoben wurde. Symmetrische Zwei-
teilung zeigt dann auch der dekorative Fries der Vorderseite.
Seine Mitte wird durch die Gruppe zweier Kentauren betont,
welche gemeinsam ein rundes Schild — für eine Inschrift der
passendste Platz — emporhalten. Wie die Metopen des
Triglyphenfrieses, so sind dann die beiden Puttenscenen, welche
rechts und links von der Mittelgruppe den Friesstreifen erfüllen,
durch zwei Paare dickbauchiger langhälsiger Amphoren getrennt
und eingerahmt, auf den Nebenseiten, wo die Betonung der
Mitte wegfällt, umrahmen diese nebeneinandergestellten Paare von
Henkelvasen allein die beiden hier angebrachten Puttenscenen.
1) Während seines Aufenthalts zu Florenz im Wintersemester 1888 war es
dem Verf. ermöglicht, die Kanzeln mit Benutzung aller erforderlichen Hilfsmittel
auch in Bezug auf ihre technische Beschaffenheit einer eingehenden Prüfung zu
unterziehen. Für die bereitwilligst gewährte Erlaubnis ist er dem Herrn Abbate
mitrato von San Lorenzo, Monsiguore Giovannini zu besonderem Dank verpflichtet.
2) Das Motiv bilden bärtige Flügelgestalten abwechselnd mit Palmetten.
28 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
So sind die Brüstungen dieser Kanzel gegliedert, wie ein
Architekt etwa bei dem Entwurf eines leichten Wandbaus mit
Freskogemälden verfahren würde. Ein regelrechter Aufbau aus
tragenden und getragenen Gliedern giebt ebenso dem kon-
struktiven Gedanken Ausdruck, wie er den dazwischen ausge-
spannten Relieftafeln zur allseitigen Umrahmung dient. Hier und
da freilich überschreiten diese Reliefs die Grenze des Flächen-
schmucks und quellen gewissermafsen über ihren Rahmen
hinaus, indem sie diesen selbst einer malerischen Erweiterung
der Komposition dienstbar machen. Dies geschieht auf der
linken Nebenseite (Christus vor Kaiphas und vor Pilatus) und
auf der Rückseite (Chr. auf dem Oelberg) — ein deutlicher
Fingerzeig, dass die Arbeit nicht in dem gleichen Geiste zu
Ende geführt wurde, wie sie begonnen war1).
"Von ganz anderen Anschauungen ist ausgegangen, wer zu-
erst die Reliefs an der anderen Kanzel (L) ersann. Er stellte
sich — ungeachtet des Materials, in dem er schuf — die Wan-
dungen der Kanzel aus Quader- oder Ziegelmauern festgefügt
vor, ein starrer Kernbau, der als solcher dem bildnerischen
Schmuck kaum zugänglich erscheint. Aber dann dachte er sich
kurze Mauerstücke rechtwinklig darangesetzt, strebenartig, aber
doch selbständig abgegiebelt und mit Toröffnungen scheinbar
durchbrochen *). Legte sich nun vor die Sockel dieser vor-
springenden Glieder eine niedrige Randleiste, so grenzten sich
zwischen ihnen halbgeschlossene Räume ab von mäfsiger Tiefe,
eine Art offener Gallerie, die sich um die Kanzel herumzieht
— und diese schien dem Meister eben recht für die Entfaltung
seiner bildnerischen Kraft. Er füllte sie mit einem reichen
Figurenwerk, das sich rahmenlos und scheinbar selbständig wie
auf einer vorgeschobenen Bühne bewegt. Jeder Gedanke an
Flächenschmuck ist also aufgegeben, nur wie zufällig scheint
die Kanzelwandung selbst als neutraler Hintergrund den Ge-
i) Die Kriegerfiguren, welche auf der Vorderseite und der rechten Nebenseite
vor den Pilastern stehen, haben eine rein dekorative Bedeutung und gehören principiell
dem Rahmenwerk an. Wo diese Figuren jetzt fehlen, weisen doch deutliche Spuren
wie Bohrlöcher und das Fehlen der Pilasterkannellierung an den Stellen, wo sie von
den Figuren überdeckt wurde, darauf hin, dass sie einst vorhanden waren oder ange-
setzt werden sollten.
2) Ich habe hier zunächst die Vorderseite allein im Auge
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 29
stalten Halt und Zusammenhang zu geben. Aber doch ist
andererseits auch die volle Ausrundung des Reliefs sorgfältig
vermieden; die Figuren haften so viel als möglich mit dem
Hintergrunde zusammen und hängen sich schwer, wie die breiten
Faltenmassen eines Gewandes an den Körper der Kanzel an1).
Um diese Masse ohne Schaden für den Gesamteindruck zu
tragen, ist nun der Aufbau des Werkes in seinen oberen Teilen
verständnisvoll ausgestaltet. Ein einfach ornamentiertes flaches
Band, das gleich oberhalb der Figurenzone ringsum läuft, schnürt
zunächst den struktiven Körper kräftig zusammen und sondert
durch einen schmalen Abakusstreifen die wiederum aus Fries
und Gesims bestehenden Aufsatzteile wirksam ab. Die Hänge-
platte ladet eckig profiliert und in sparsamen Formen gehalten
weit aus und in dem Putten fries darunter, den eine hohe Blatt-
welle mit ihr verbindet, sind die Ecken besonders kräftig be-
tont. Denn während er im übrigen fast identisch mit dem der
anderen Kanzel erscheint, werden die Amphorenpaare an den
Ecken durch Rossebändiger ersetzt. So dient alles dazu, der
Fülle der Gestaltungen, welche der untere Aufbau zu tragen
hat, oben ein sie beherrschendes kräftiges Gegengewicht zu
halten.
Verweilen wir noch etwas bei dem Puttenfriese dieser
Kanzel, dessen eingehendere Besprechung allerdings einer
späteren Stelle aufbewahrt bleiben muss. Bei der so auf-
fällig verschiedenen, ja gegensätzlichen Gesamterscheinung der
beiden Kanzeln ist es die Gleichheit dieses oberen Zierfrieses,
welche die Werke einander ähnlich macht und doch als Gegen-
stücke erscheinen lässt. Um so lehrreicher sind die Abweichungen,
') Jede Analogie, an die man etwa denken könnte, führt irre. "Weder die
griechischen Tympanon- und attischen Grabreliefs, noch die gotischen Kastenaltäre
der deutschen Holzschnitzkunst können mit der eigenartigen Anlage dieser Reliefs
in Vergleichung gebracht werden Dort sind in einen körperlich vorhandenen telefoni-
schen Rahmen in Hochreliei gearbeitete, zum Teil ganz vom Grunde gelöste Figuren
hineingesetzt. Das Charakteristische dieser Reliefs beruht aber gerade darauf, dass
die tektonischen Massen, welche die Figuren umgeben und den kastenartigen Eindruck
hervorrufen, mit in die Reliefbildung hineingezogen sind. Die Reliefs sind also rahmen-
los und im Ganzen als Flachreliefs durchgeführt, indem sich immer eine Figuren-
schicht auf die andere legt. Die räumliche Tiefe, welche sie in der Tat haben, ist
als solche nicht ausgenutzt.
30 DOXATELLOS KAXZELX IN S. LOREXZO
welche sich in Einzelheiten der Anordnung- und Durchführung
gerade hier ergeben. Das symmetrische Kompositionsprincip
ist streng festgehalten; die hübsche Gruppe der schildtragenden
Kentauren in der Mitte der Vorderseite aber ist ihrer eigent-
lichen Bestimmung erst an Kanzel L gerecht geworden, denn
hier lesen wir wirklich auf dem Schilde in schönen Renaissance-
majuskeln die Inschrift:
OPVS
DOXATELLI
FLO
Vergleichen wir dann aber etwas genauer die anmutigen
Kinderscenen beiderseits, welche sich wieder um die beiden
Amphoren gruppieren. Es scheint, als ob die symmetrische
Gliederung des ganzen Streifens sich auch auf die Komposition
dieser Einzelscenen erstreckt habe, denn wir finden vier wol-
abgerundete, jedes für sich um einen Mittelpunkt komponierte
Bildchen. Hiervon zeigt der Fries der andern Kanzel an zwei
Stellen eine Abweichung: in den beiden äussersten Scenen
rechts und links sind dicht neben der Ecke jedesmal eine einzelne
Puttofigur resp. zwei solche eng neben einander gestellt hinzu-
gefügt, welche ganz aus der sonst streng festgehaltenen
Symmetrie herausfallen. Das ist sehr begreiflich, wenn
man erwägt, dass hier nicht die Rossebändigergruppen, wie an
Kanzel L, sondern die weit schmäleren Amphorenpaare auch das
Eckmotiv bilden: der dadurch leer bleibende Raum musste durch
jene Einschiebsel ausgefüllt werden. Genau ebenso steht es
mit den Puttenfriesen an den Seitenwänden beider Kanzeln, und
noch eine andere Beobachtung gesellt sich hier dazu: einzelne
Eroten an den Seiten von L finden auf dem schmalen Streifen,
welcher den gemeinsamen Standort aller dieser Figürchen bildet,
für ein Bein oder einen Arm nicht mehr Platz ; ihnen gewährt die
vorspringende Abakusleiste, welche den hier darunter hinlaufen-
den Ornamentstreifen nach oben abschliesst, einen Stützpunkt.
Die genau entsprechend gebildeten Figürchen am Puttenfriese
der anderen Kanzel hingegen tappen mit Fufs und Hand in's
Leere, da ja hier jene Leiste, auf deren Vorhandensein sie
rechnen müssten, weggefallen ist.
Dies bestätigt den Schluss, zu dem uns schon die Betrachtung
der Vorderseite berechtigt hätte, dass nämlich die Puttenscenen
HISTORISCHES UND TECHNISCHES
31
in Verbindung- mit den Eckgruppen der Rossebändiger, wie sie
an L erscheinen, die ursprüngliche Redaction dieses für
den Gesamteindruck der Kanzel so wichtigen Zierfrieses dar-
stellen, welche dann erst für die Verwendung an der anderen
Kanzel, wo jene ursprünglichen Eckmotive wegfielen, mit einigen
Zusätzen versehen wurde. Lässt sich auf diese Weise also
eine Abhängigkeit einzelner Teile der Kanzel R von den ent-
sprechenden Teilen an L nachweisen, so dürfen wir hoffen,
auf gleichem Wege auch über das Verhältnis beider Kanzeln
zu einander einigen Aufschluss zu gewinnen. Wir beginnen die
Untersuchung bei R. Die Vorderseite ist entsprechend den
oben gekennzeichneten Teilen des struktiven Aufbaues aus
einzelnen Stücken zusammengesetzt.1) Auf dem Sockel, welcher
ein solches Stück für sich bildet, erheben sich die Pilaster und
zwar derjenige an der rechten Ecke und der mittlere als be-
sondere Werkstücke gearbeitet, der linke Eckpilaster dagegen
sicher mit der daranstofsenden Reliefplatte als ein Stück ge-
gossen, sowie auch die davorstehenden Kriegerfiguren mit dem
Pilaster ein ursprüngliches Ganzes bilden.2) Der mittlere
Pilaster ragt jetzt in seiner vollen Stärke von 4 cm über
J) Ich gebe hier eine Uebersicht der Höhenmasse der einzelnen Teile an
beiden Kanzeln, soweit sie für die Vorstellung von den Gesamtwerken von
Wichtigkeit sind:
A. Unterbau
Höhe der Säulen
Höhe der Marmorplatte
Gesamthöhe des Unterbaues
B. Aufbau.
Höhe des Sockels resp. der vorgelegten Randleiste . .
= der Pilaster
= des Reliefhintergrundes (bis an den umlaufenden
Bandstreifen)
= des Bandstreifens
= des Puttenfrieses bis an das Kymation
= = incl. Kymation
= des Gesimses incl. Kymation
= = excl. Kymation
Gesamthöhe der Kanzelschranken
2) Die sichtbaren Nägel dienen nicht zum Aufheften der Figuren, sondern zur
Befestigung des Pilasters auf dem Holzkein.
Kanzel L
Kanzel R
2,36 m
2,46 m
0,23
0,23
2,69
2,69
0,08
0,16
—
0,89
0,64
—
0,14
—
_..
0,17
0.23
—
—
0,15
0,14
—
1,23
1,37
32 DONATELLOS KANZELN IN S. LOREXZO
den Grund der Reliefplatten hervor. Aber die Prüfung seiner
schmalen Flächen zeigt, dass diese ursprünglich in einen Falz,
der in 2,2 cm Tiefe in den unteren Rand des Kapitells ge-
schnitten ist, eingelassen werden sollten. Der obere Kapitell-
rand ist von dieser Tiefe an überhaupt weggeschnitten. Bolzen-
löcher in der Höhe des Kapitells und ca. 2 cm über der Basis
vervollständigen das Bild, welches wir uns von der beab-
sichtigten Verbindung dieser Teile zu machen haben. Gleiche
Vorbereitung für ein Einfalzen und die Befestigung mittelst
durchgetriebener Bolzen zeigt die innere Schmalseite des rechten
Eckpilasters. Aber auch dieser ist jetzt in seiner vollen Stärke
von 4 cm vor die Platte gesetzt und überdeckt den
äussersten Rand des Reliefs. Dabei ist seine innere
Fläche der wechselnden Erhebung der zum Teil dahinter ver-
schwindenden Relieffiguren entsprechend ausgeschnitten.1)
Das Gleiche ist auch am rechten Ende des anderen Reliefs
(Kreuzigung) wenigstens bei der flacher gebildeten Figur im
oberen Felde (Reiter) der Fall, während die im Hochrelief
stärker als der Pfeiler hervortretende Figur des enteilenden
Kriegers im Vordergrunde ihrerseits so weit weggeschnitten
ist, dass sie nun mit dem Pfeiler in einer glatten Fläche zu-
sammenstöfst. Auch die rechte Seite des Mittelpfeilers trifft
mit dem Relief der Kreuzabnahme in einer senkrechten Kante
zusammen, ohne dass ein Ueberdecken von Figurenteilen statt-
fände. 2)
Fast genau dieselben technischen Verhältnisse walten auf
der rechten Seitenwandung der Kanzel ob, wo gleichfalls Sockel,
Pilaster, Relieftafel, Puttenfries und Gesims je ein besonderes
Stück des Aufbaus bilden. Der rechte Pilaster — die davor-
1) Dass die Bronzetechniker der Renaissance in der nachträglichen Bearbeitung
des Gusses weit resoluter verfuhren, als wir anzunehmen geneigt sind, ist auf-
merksamen Beobachtern nicht entgangen. Insbesondere ist der Gebrauch von
Meissel und Hammer bei der letzten TJeberarbeitung dem Zustande mancher Werke
gegenüber unleugbar. Wenn aber bei der Bearbeitung von Statuen solche Werkzeuge
zur Anwendung gelangten, so steht der Annahme ihres Gebrauchs bei rein hand-
werklichen Arbeiten nichts im Wege. Vgl. auch C. v. Stegmann, Handbuch der
Bildnerkunst. 2. Aufl. 1884 p. 311.
2) Der in einer Tiefe von 2 cm in den Pilaster eingeschnittene Falz ist auch
hier unbenutzt geblieben.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 33
stehende Figur ist ebenso wie an dem linken Pilaster aus dem-
selben Stück gegossen — greift wieder über den Rand der
Reliefplatte über und verdeckt einen beträchtlichen Teil der
äussersten Figur, während am linken Ende das Relief in glatter
Fuge mit dem (an der Seitenfläche nicht für Einfalzung vor-
bereiteten oder mit Bohrlöchern versehenen) Pilaster zusammen-
stöfst.
So ergiebt sich ein dreifach verschiedenes Verfahren bei
Zusamirfenfügung dieser Teile der Kanzel. Zunächst findet
sich ein Relief mit dem daranstofsenden Pilaster aus einem
Stück gegossen, ein Beweis, dass bei Herstellung desselben die
Modelle auch für die eigentlich tektonischen Bestandteile der
Kanzel bereits vorlagen. Dann findet sich an einem Teil der
übrigen Pilaster eine sorgfältige Zusammenfügung vorbereitet,
welche nicht zur Ausführung kam, vielmehr durch eine weit
unsolidere und gewaltsamere ersetzt wurde. l) Die Veranlassung
hierzu lässt sich wenigstens an der Vorderseite in jenem von
der anderenKanzel herübergenommenen Puttenfriese nachweisen.
Denn trotz der angegebenen Erweiterung bleibt dessen Länge
an R um etwa 12 cm hinter derjenigen von Kanzel L zurück:2)
um dieses Mafs ist dann die Gesamtlänge der Vorderseite
von R, welche ursprünglich doch wol auf gleiche Ausdehnung
mit ihrem Gegenstück berechnet war, bei der Zusammenfügung
J) Die Folge davon war ein sehr unbefriedigender Zustand der Werke in tech-
nischer Hinsicht. Die Fugen schliessen fast nirgends dicht und stellenweise hat
offenbar eine nachträgliche Verschiebung der Teile stattgefunden. So wurden wol
schon früh Sicherungsmassregeln notwendig, welche zum Teil in rohester Weise aus-
geführt sind. Die Reliefplatten wurden durch Nägel, die mit ihren plumpen Köpfen
oft mitten in den Figuren sitzen, auf dem hölzernen Kernbau besser befestigt. Zwei
eiserne Balken, für welche im Sockel der Seitenwände viereckige Lager ausgestemmt
wurden, verbinden der grösseren Sicherheit halber beide Kanzeln mit den benach-
barten Säulen resp. Pfeilern. Eine besonders arge Havarie ist durch einen Sprung
im Sockel an der vorderen Kante der rechten Seitenwandung verursacht. Zwischen
dem aus dem Lot geratenen Pilaster und dem Plattenrande klafft eine Lücke, welche
bis auf die innere Holzauskleidung hindurchblicken lässt; die Reliefplatte selbst ist
herausgedrängt, so dass die Randfiguren bedeutend über den Pilaster hervorragen.
Dagegen ist das Manco an der linken vorderen Ecke entlang der ganzen Kante des
linken Seitenreliefs offenbar schon beim Guss dieser Platte entstanden. Es ist dann
notdürftig mit schwarzem Kitt ausgefüllt, in welchen einzelne Bruchstücke des
Pilasters und der Randfigur eingedrückt sind.
2) Länge an L: 2,92 m, an R: 2,80.
Italienische Forschungen II. 3
34 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
der Reliefplatten und der Pilaster verkürzt worden. Aus der
auffallenden Art, wie dies geschehen, können wir entnehmen
dass die beiden Reliefs der Beweinung und Grablegung bereits
im Guss vollendet vorlagen, denn sonst hätte bei ihrer An-
fertigung auf die erwähnten Mafsverhältnisse Rücksicht ge-
nommen werden können. Ja, die Möglichkeit ist nicht ausge-
schlossen, dass der Gesamtaufbau dieser Kanzel in seinen
Einzelheiten noch unbestimmt war, als diese Reliefs geschaffen
wurden.
Erhalten wir auf diese Weise schon die Vorstellung ge-
wisser zeitlich unterschiedener Stadien in der Arbeit an dieser
Kanzel, so tritt uns nun an der linken Schmalwand und an der
Rückseite noch deutlicher ein ganz anderes Verfahren und da-
mit eng verbunden auch eine andere Behandlungsweise des
Reliefs entgegen. Sockel, Reliefs und Pilaster sind aus einem
Stück gegossen und — wie beim ersten Blick sich aufdrängt
— auch künstlerisch als eine Einheit behandelt. Hier quillt das
Relief, wie oben betont wurde, wirklich über seinen Rahmen
hinaus und zieht die tektonischen Glieder des Aufbaus in seine
Dienste. Auf dem Sockel sitzen und stehen, an ihn lehnen sich
wie an eine Brüstung die Gestalten, und die Pilaster dienen
gar als Ansatzpunkte der Konstruktion architektonischer Per-
spektive. Unverkennbar macht sich hier also eine neue Auf-
fassungs- und eine andere Arbeitsweise geltend. Nicht blos
in rein technischer Beziehung tritt an Stelle des Aufbaus aus
einzelnen Stücken der Guss des ganzen Reliefs mit seinen um-
rahmenden Teilen aus einem Stück, sondern auch dem Ent-
würfe nach sind diese Reliefs aus dem Vollen und Ganzen ge-
schaffen. Ihrem Schöpfer schwebt die Gesamterscheinung der
Kanzel bereits fertig vor Augen und er schaltet mit ihr als
einem Feststehenden. Es ist offenbar der schliessliche Vollender
der Kanzel, der hier zu Worte kommt und sich selbst und ganz
giebt, während er bei Fertigstellung des Uebrigen zum Teil
mit fremdem Gut wirtschaften musste. Fast glauben wir ihm
die Stelle nachweisen zu können, wo er mit eigener Arbeit und
Rechnung einsetzt: es ist die linke Ecke der Vorderseite, wo
Pilaster und Relief sich. aus Einem gearbeitet erweisen, wie
in den späteren Teilen gleichfalls. Während das Relief hier
sich nur mühsam noch der flacheren Behandlungsweise der
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 35
beiden früheren Tafeln (Kreuzabnahme und Grablegung) anzu-
passen versucht, aber doch in Proportionen und Ausdruck so
peinlich von seinem Gegenstück absticht, so waltet ein einheit-
licher Geist in den sich nach links hin anschliessenden Teilen;
sie bezeichnen den Abschluss der Arbeit an allen Stücken der
Kanzel, welche für ihre Vollendung notwendig waren.
Um so wichtiger muss uns nun die Untersuchung der linken
Kanzel sein; in ihr dürfen wir nach dem bisher Gefundenen
den Anfangspunkt aller Arbeit an beiden Werken suchen, wenn
irgendwie eine natürliche Folge in ihrer anscheinend so vielen
Wechselfallen unterworfenen Entstehung anzunehmen ist.
Auch hier lassen sich nach den objektiven Merkmalen der
technischen Behandlung von vornherein zwei Arbeitsperioden
unterscheiden. Die eine wird durch die Vorderseite allein re-
präsentiert, die sich aus vier Stücken zusammengesetzt erweist.
Das Hauptstück bilden die drei Reliefs, allem Anschein nach aus
ein er Form hergestellt, eine bewunderungswürdige Leistung des
Bronzegusses. Nur wenige Einzelheiten, wie das Schild mit
dem Skorpionszeichen im mittleren Relief, sind nachträglich
aufgelötet; die ornamentierten Plättchen, welche die Scheidung
zwischen den einzelnen Reliefs am glatten Sockelstreifen mar-
kieren, sind mit Nägeln aufgeheftet: sie decken vielleicht die
Köpfe gröfserer Bolzen, mit welchen die ganze Platte auf den
inneren Holzkern befestigt ist. In einer Höhe von 64 cm
schneidet die Platte gerade ab, so dass die Christusfiguren der
Auferstehung und Himmelfahrt frei herausmodelliert noch ganz
beträchtlich darüber hervorragen. Auf den Rand setzt der
wieder als besonderes Stück gearbeitete Bandstreifen auf, in
der Mitte aus zwei Stücken zusammengeschweisst. Dann folgt
der Puttenfries samt dem darüber angeordneten wellenartigen,
mit einer Doppelreihe lanzettförmiger Blätter verzierten Gliede,
welches zu der Hängeplatte des Gesimses überleitet; diese bildet
wiederum ein Werkstück für sich..
Von allen Reliefs an beiden Kanzeln ist es diese Vorder-
seite von L allein, welche durch Vergoldung ausgezeichnet
ist. Spuren davon finden sich in Kopf- und Barthaar Christi,
an den Heiligenscheinen, Helmen und Rüstungen, dem Mauer-
werk und den Pflanzen, an dem Ornamentstreifen, den Figuren
des Puttenfrieses, namentlich den Kentauren in der Mitte, und am
3 6 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Gesimse; hingegen habe ich sie an den Gesichtern und Gewändern
der Figuren in den drei unteren Reliefs vergeblich gesucht1).
Einer zweiten und offenbar späteren Arbeitsperiode gehören
alle übrigen Seiten dieser Kanzel an; sie entsprechen in ihrem
Verfahren jenen letzten Reliefs der andern Kanzel. Denn hier
setzt sich die gesamte Brüstung nur aus zwei Teilen zu-
sammen; die Fuge verläuft unterhalb des Bandstreifens, alles
darunter und alles darüber Liegende ist ein Gussstück2). Von
der Vorderseite unterscheiden sich diese Teile in technischer
Hinsicht ferner durch den Mangel jeder Vergoldung, dann aber
auch durch eine andere Behandlung der Bronze. Das Metall
hat einen schwärzlich grauen, stumpfen Ton, wie er etwa durch
Zusatz von Schwarzblei erzeugt werden mochte j), während der
Bronzeton der Vorderseite ein hellerer bräunlicher ist und die
Oberfläche glatter und glänzender poliert erscheint.
Dass diese Teile später entstanden sind, als die Vorder-
seite wird durch den Zustand der Ecken, wo sie mit dieser
zusammenstofsen, aufs klarste erwiesen. Die Platte des
vorderen Reliefs überragt die Breite des eigentlichen Körpers
der Kanzel um ein Beträchtliches, sie steht links um 10 und
rechts um 1 1 cm über und reicht selbst über die tragende
i) Auf die angeführten Tatsachen beschränkt sich das, was Semper 2 p. 105
über ,,die polychrome Färbung der Bronzen" behauptet, „welche neben der natür-
lichen Bronzefarbe auch reiche Vergoldung. Versilberung, sowie Kupferrot zeigt."
Lieber Unterschiede im Ton der Bronze, welche dann aber für ganze Reliefs dieselben
sind und nicht etwa blos zur Hervorhebnng einzelner Teile dienen, wird sogleich
zu berichten sein. Von Versilberung und Kupferrot habe ich nicht die leiseste
Spur entdecken können und die Reste von Vergoldung linden sich, wie nochmals
hervorgehoben sein mag, eben nur an dieser einen Kanzelseite.
2) Die technische Bewältigung des Bronzegusses zeigt also noch einen Fortschritt
über die entsprechenden Reliefs der rechten Kanzel hinaus, denn dort waren Fries und
Gesims besonders aufgesetzt. Durch Löten oder Schrauben ist hier auch nicht das kleinste
Teilchen hinzugefügt, selbst die Plättchen vom Sockelende der Mauerpfeiler gehören
zum Gusswerk; Bohrlöcher wie an vielen Teilen der Vorderseite, sind hier nirgends
sichtbar. An der Ecke zwischen dem rechten Seiten- und dem Rückwandrelief ist
auch für die feinste Messerklinge keine Fuge zu entdecken, so dass man versucht
ist anzunehmen, beide Reliefs seien aus einer Form gegossen. Hier ist auch allein
der Versuch gemacht, durch ein Stück herabhangender Guirlande die scharfe Kante,
zu verkleiden. Erst in der oberen Hälfte vom unteren Rande des Bandstreifens an
ist eine Fugung sichtbar.
3) Pomponius Gauricus, De sculptura ed. Brockhaus p. 225.
HISTORISCHES UND TECHNISCHES 37
Marmorplatte noch um i1/, cm links, resp. 6 cm rechts
hinaus1). So können nur die oberen Teile der Vorderseite,
von der Fuge unter dem Bandstreifen an, winkelrecht mit den
anstofsenden Schmalseiten schliessen. Für die beiderseits vor-
springenden Teile der Reliefplatte hat man auf jeden Ver-
such, sie in den tektonischen Aufbau glaubwürdig einzufügen,
verzichtet: sie bleiben einfach als überschüssiges Plattenende
stehen und sind zu allem Ueberfluss auch auf der freien Rück-
seite noch mit jener Ciselierung aus abwechselnd senkrechten
und wagerechten Strichen bedeckt, welche in dem ganzen
Relief Mauerwerk andeuten soll. In diesen Endteilen neigt
sich nun überdies die Bronzeplatte etwas vornüber aus dem
Lote, und die Endabschlüsse der anschliessenden Reliefplatten
der Nebenseiten folgen dieser Neigung. Sie füllen durch
eine nach oben hin zunehmende Verbreiterung über die Senk-
rechte hinaus die Lücke, welche sonst entstehen würde. Dies
genügt zum sicheren Erweise, dass jene Nebenseiten und was
nachweislich in derselben Arbeitsperiode entstanden ist, zur Aus-
führung erst gelangten, als die Vorderseite bereits vorlag.
Somit glaube ich als Resultat dieser notgedrungen oft
an Kleinigkeiten haftenden Untersuchung wenigstens einige
feste Punkte für die Entstehungsgeschichte unserer beiden
Werke anbieten zu können. Kanzel R erwies sich in wesent-
lichen Verhältnissen ihres Aufbaus abhängig von Kanzel L;
an dieser wiederum ist die Vorderseite nachweisbar zuerst aus-
geführt worden. In der Eigenart ihrer Zusammensetzung aus
einzelnen Werkstücken unterscheiden sich beide Vorderseiten
und die rechte Nebenseite an R von den übrigen Teilen beider
Kanzeln, die unter sich verwandte Herstellungsweise in techni-
scher Beziehung aufweisen. Ein Anpassen an früher Vor-
handenes, ein Umändern und Zurechtschneiden macht sich an
bestimmten Stellen geltend; aber gerade in den offenbar zuletzt
hinzugekommenen Teilen tritt wieder eine einheitlichere Behand-
lung, ein gereifteres technisches Können zu Tage. — Mit diesen
Tatsachen werden wir zu rechnen haben, wenn wir nun die Ent-
stehung der Kanzeln als Kunstwerke klarzulegen unternehmen.
J) Breite des Sockelstreifens 3,13 m gegen 2,92 m Breite des Puttenfrieses.
Die Breite des Sockels an Kanzel R beträgt 2,99 m.
Kanzel Rückseite
II
Donatellos Anteil am Gesamtentwurf
der Kanzeln
OPUS DONATELLI FLOrentini — diese Künstlersignatur 0
ist also gerade an der Stelle angebracht, auf welche auch
die Erwägung technischer Merkmale unsere Blicke in erster
Linie hinlenkt, wenn wir nach dem Anfang der Arbeit und
nach den Teilen des Werkes fragen, bei welchen die eigene
*) Die Behauptung Tschudis (Donatello e la ciitica moderna p. 31), dass der
Zusatz der Heimatsbezeichnung in der Kiinstlerinschrift Donatellos sich zuerst am
Gattamelata rinde, ist nicht zutreffend, wie folgende Zusammenstellung zeigen mag.
Um 1420. Johannes d. T. am Campanile. Am glatten Teil der Basis
DONATELLO. Die Form der Inschrift und die Grösse des rechts von ihr leer ge-
lassenen Raums machen wahrscheinlich, dass der Zusatz FECit beabsichtigt war. —
David (il Zuccone) und Jeremias (Sog. Salomon) am Campanile. An der Plinthe
OPVS DONATELLI.
Nach 1426. Grabplatte Pecci. Zwischen der breiten Inschriftrolle zu Füssen
der Grabtigur und dem Rande der Bahre: OPVS DONATELLI. Die Buchstaben
sind ungleich und ihre untere Hälfte verschwindet z. T. unter der Inschriftrolle.
1432. Grabplatte Crivelli. Am Schluss der auf dem glatten Rande umlaufenden
Grabinschrift: OPVS DONATELLI FLORENTINI. Offenbar der Raumfüllung
wegen ausgeschrieben.
DONATELLOS ANTEIL AM ENTWURF 39
Hand des Meisters am ehesten vorauszusetzen ist. Aber will
diese Inschrift auch nicht mehr sagen? Sie ist dem oberen
Puttenfriese eingefügt, welcher inhaltlich in einem bestimmten
Gegensatz zu den Hauptreliefs an beiden Kanzeln steht: wird
hierdurch, wie man angenommen hat, nicht auch insbesondere
dieser Fries als eine Erfindung Donatellos bezeichnet?1) Wer
unbefangen die Stellung der Inschrift und ihr Verhältnis zu
dem ganzen Aufbau der Kanzelwandung betrachtet, wird schwer-
lich diesem Einwurfe Geltung beimessen können. Die Kentauren-
gruppe, welche das Schild trägt, ist so kräftig als ein Teil des
dekorativen Gesamtaufbaus herausgehoben, dass die Absicht
deutlich scheint, vornehmlich diesem die Signatur des grofsen
Künstlernamens zuzuwenden. — Also Donatellos Werk ist die
Um 1440. Statue der Judith. An dem überhangenden Teil des Kissens, auf
welchem Holofemes sitzt, an der Vorderseite:
• OPVS • DONATELLI
FLO
Das V und S in das P, und dieses in das O von Opus hineingesetzt.
Um 1450. Statue des Gattamelata. An der Vorderseite der Marmorplinthe
OPVS DONATELLI FLO.
Nach 1450. Holzstatue Johannes d. T. in Venedig. Auf dem glatten Teil
der Basis aufgemalt: DONATELLIVS. FLOR
Die zuletzt angeführte Aufschrift mag bei der Restauration hinzugefügt
oder verändert worden sein. Die ungewöhnliche Form der Inschrift, am Johannes
des Campanile giebt gleichwol zu Zweifeln an ihrer Aechtheit keinen Anlass, da
die Form der Bachstaben genau mit den Inschriften der beiden anderen Campa-
nilestatuen übereinstimmt. Dieselbe Inschrift DONATELLO findet sich übrigens
an einer Plakette im Florentiner Nationalmuseum (identisch mit Molinier n. 63,
welcher nur das Exemplar der Sammlung Dreyfus anführt und von einer Inschrift
nichts sagt). Die Darstellung, eine Madonna zwischen zwei stehenden Engeln,
kommt ihrem Stilcharakter nach dem Martyrium des h. Sebastian (Molinier n. 75)
am nächsten und hat ebensowenig wie diese Plakette etwas mit Donatello direkt zu
schaffen. — An dem Schwertgriflf in der R. Anneria zu Turin (Katalog von 1840
p 297. Molinier n. 80), welcher die Inschrift trägt: OPVS DONATELLI FLO
scheint mir höchstens das Ornament des Knopfes (Putti auf Delphinen reitend zu
Seiten einer Maske) auf eine Donatellosche Plakette zurückzugehen.-
Für die Beurteilung der Künstlerinschrift an unserer Kanzel ergiebt sich aus
alledem nichts Entscheidendes. Die von dem Meister in der zweiten Hälfte seiner
Tätigkeit offenbar mit Vorliebe angewendete Form musste füglich auch sein Schüler
wählen, wenn er das Andenken des Urhebers dem Werke wahren wollte. Dass gleich-
zeitige Inschriften nicht immer vom Künstler selbst angebracht worden, kann Ghibertis
Bronzetür (Laurentii Cionis de Ghibertis — Mira arte fabricatum) beweisen.
1) Tschudi, Donatello e la critica moderna p. 28.
4° DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
erste Kanzel, nicht aber die zweite? Noch hat Niemand gewagt
mit so leichtherzigem Buchstabenglauben die Sache zu ent-
scheiden, und wir können um so weniger die ersten hierzu sein,
da alles, was die bisherige Untersuchung uns gelehrt hat, auf weit
kompliciertere Eigentumsverhältnisse hinwies. Donatellos Werk
blieb die Kanzel sicherlich in den Augen der Zeitgenossen und
Nachfahren, auch wenn der Meister nur einen Teil der Arbeit
der Vollendung nahe gebracht hatte. Also liegt in dieser In-
schrift und der Stelle, wo sie angebracht ist, nichts, was uns das
Urteil über das Werk und seine Teile beschränken könnte.
Immerhin muss es auffallen, dass die Künstlerbezeichnung
an der später vollendeten Kanzel fehlt, obwol der Platz dafür
ebenso vorgesehen ist, wie an jener anderen. Der Zustand
gröfserer Unfertigkeit , der uns an vielen Teilen von R ent-
gegentritt, genügt nicht zur Erklärung; denn gerade der Putten-
fries der Vorderseite zeigt bei näherer Untersuchung die letzte
Feile mit Hülfe des Ciseleurs weit sorgfältiger und schärfer
gegeben, als an Kanzel L. Wenn man jenes Werk dem Meister
zuerkannte, warum nicht auch dieses, welches an klarer Ein-
fachheit des Gesamtentwurfs so wesentlich überlegen scheint?
Soll die Inschrift an der Stirn der ersten Kanzel also doch
vielmehr das ganze Werk für Donatello in Anspruch nehmen,
im Gegensatz vielleicht zu der zweiten, welche ihm nur noch
zum Teil gehört?
Eine erschöpfende Antwort auf die aufgeworfenen Fragen
vermag selbstverständlich erst die Einzelbetrachtung zu geben.
Aber zur Klärung des Verhältnisses, in welchem wir uns
Donatello zur Ausführung des ihm übertragenen Werkes zu
denken haben, wird es doch wesentlich beitragen, wenn wir an
einer Reihe ähnlicher Arbeiten von plastisch-architektonischem
Charakter die Art und Richtung aufzuweisen vermögen, in
welcher der Meister solche Aufgaben zu lösen wusste1).
Die ausgedehnte Tätigkeit Donatellos, welche stets die
Beihilfe eines grofsen Kreises von Schülern und Gehülfen er-
*) Das Folgende giebt sich nur als ein Versuch, die mit den Kanzeln in
formaler Beziehung stehenden Werke zur Kritik derselben heranzuziehen. Eine um-
fassendere Behandlung dieser Fragen würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten.
Hoffen wir, dass unter dem Schilde San Giorgios auch für die Lösung solcher Auf-
gaben Förderliches geleistet werde !
DONATELLOS ANTEIL AM ENTWURF 4 I
forderlich machte, sowie seine Werkstattgenossenschaft mit dem
vielgewandten Michelozzo ist für manchen seiner Biographen
eine Versuchung gewesen, allzu freigebig auch dem grofsen
Bildner jene Universalität der Begabung und des Schaffens zu-
zuerkennen, welche so vielen seiner Zeitgenossen eigen war.
Aber was bedeuten Gelegenheitsaufträge, wie der Karton zum
Glasgemälde der Krönung Marias in dem Tambour der Floren-
tiner Domkuppel1) oder gar seine Teilnahme als Begleiter
Brunellescos an den Ingenieurarbeiten gegen Lucca (1430) 2) im
Vergleich mit der Wichtigkeit, welche etwa ihre architekto-
nische Tätigkeit für die Rossellini und Benedetto da Majano
oder ihre Leistungen als Maler für Antonio Pollajuolo und
Verrocchio beanspruchen dürfen?
Donatello tritt uns gerade in Gegensatz hierzu, wenn wir
seine Tätigkeit überschauen, überall nur als der strenge Plastiker
entgegen, welchem die lebendige Menschengestalt und der Aus-
druck der Empfindungen, welche sie innerlich bewegen und ihr
den Stempel eines Charakters aufprägen, als höchstes Ziel seiner
Kunst gilt. In immer erneutem Ringen versucht er sich an
der Einzelfigur, die er bald in plastischer Ruhe, bald malerisch
bewegt, bald mit Beschränkung auf die für den Ausdruck des
Charakters wesentlichsten Teile als Büste gestaltet. Erst auf
der Höhe seiner Kunst wagt er den Fortschritt zur Gruppe,
zur Verbindung von Mensch und Tier im Reiterstandbild. Auch
hier bedeutet ihm Form und Ausdruck Alles, Linie wenig
oder nichts.
Seine Judith wirkt unbefriedigend in den Umrissen des
statuarischen Aufbaus, ist aber auf's feinste zugespitzt auf die
Schilderung eines dramatisch fruchtbaren Moments. Im Gatta-
melata ist es der geistige Ausdruck des Feldherrntums, welcher
uns das Missverhältnis zwischen „dem kleinen Mann und dem
grofsen Ross" vergessen macht. — Das Relief ist nicht blos
unter dem Einfiuss der Zeit erst verhältnismässig spät von
ihm gepflegt worden; es bildet dann rasch einen glänzenden
!) Semper1 p. 282 und Mitth. d. k. k. Centralcommission XVIII p. 23.
2) Semper1 p. 2 13. Schon die Geringfügigkeit der Summe, welche D. aus-
gezahlt erhält, im Vergleich zu der Besoldung Brunellescos und Michelozzos beweist,
dass seine Tätigkeit nur untergeordneter Natur war.
42 DOXATELLOS KANZELN IN S. LOREXZO
Schauplatz für die Entfaltung seines Genius. Auch hier strebt
er nicht in erster Reihe nach Linienschönheit, sondern nach
Klarheit und Energie des Ausdrucks. Wenn er in figuren-
reicheren Reliefs architektonische Hintergründe zur Belebung
der Fläche heranzieht, so hat dies mit der Frage nach seiner
Fähigkeit, ein architektonisches Werk aufzubauen und zu deko-
rieren, offenbar nichts zu schaffen; das architektonische Beiwerk
ist ihm hier nur Hülfsmittel bei der Gestaltung der Massen-
bewegung. Ueberdies besteht zwischen der Liebhaberei an
perspektivischen Konstruktionen, wie sie bei dem Freunde
Brunellescos natürlich ist, und dem Studium architektonischer
und dekorativer Formen behufs ihrer kunstgemäfsen Anwendung
offenbar ein wesentlicher Unterschied. Wie hätte sonst gerade
der mathematisch und perspektivisch hochgebildete Antonio di
Tuccio Manetti von Donatello behaupten können, er habe —
bei dem angeblichen Jugendaufenthalt zusammen mit Brunellesco
in Rom — die antiken Ueberreste studiert „senza mai aprire gli
occhi all' architettura"?1)
Nur wer jenen Grundzug in der Begabung Donatellos fest-
hält, wird über sein Verhältniss zu Michelozzo — welches noch
der eingehenderen Klarlegung harrt2) — richtig zu urteilen
vermögen. Entschieden liegt hier der Angelpunkt einer Kritik
dessen, was Donatello auf architektonisch-dekorativem Gebiete
zu leisten vermochte. Aus einer Tätigkeit ausschliesslich im
Dienste der Architektur sehen wir ihn um die Mitte der
zwanziger Jahre plötzlich heraustreten und sich an Unter-
nehmungen beteiligen, welche ein selbständiges architekto-
nisches Schaffen bedingten. So wird uns der Gedanke geradezu
aufgenötigt, dass in dieser Verbindung der hauptsächlich als
Architekt tätige Michelozzo die leitende Stelle einnahm — eine
Vermutung, welche die erreichbaren Dokumente und die Ver-
gleichung der Denkmäler nur bestätigen. An dem Grabmal
1 1 Milanesi, Operette istoriche di Ant. Manetti p. 94.
2) Die richtigen Fingerzeige hat hier zuerst Schmarsow gegeben (Donatello 1886
p. 24 ff.), wogegen Semper2 p. 32 u. passim mit wenig Glück polemisiert, indem
er fälschlich behauptet. Schm. habe Donatello in der Architektur zum Schüler
Michelozzos machen wollen. H. Stegmann 1 Michelozzo di Bartolommeo, Münchener
Habilitationsschrift 1888) hat sich das Problem als solches nicht einmal klar gemacht.
Vergl. meine Recension Repert. für Kunstwissenschaft XIII 193 f.
DONATELLOS ANTEIL AM ENTWURF 43
Johanns XXIII. im Baptisterium treten die architektonischen
Linien so streng und rein und mit so überwiegender Bedeut-
samkeit hervor, dass uns schon aus diesem Grunde schwer
wird, hier die Erstlingsarbeit eines Bildhauers auf diesem
Felde zu erkennen. Stellt sich doch das Denkmal beinahe als
ein organischer Bestandteil der Architektur des Taufhauses dar,
zwischen dessen Wandsäulen es eingefügt ist, so dass es nicht
zu verwundern wäre, wenn beim Einbau einer Grabdekoration
an so bedeutsamer Stelle der Dombaumeister Brunellesco selbst
seinen Freunden mit entscheidenden Weisungen zur Seite
gestanden hätte. Ein Kind seines Geistes ist in den ausschlag-
gebenden Teilen der Komposition ja auch das Brancaccigrab
in S. Angelo a Nilo zu Neapel! Denn der Aufbau zwar des
Sarkophags mit den vorhangziehenden Engeln und auf den
Schultern von karyatidenartigen Figuren war von toskanischen
Skulptoren des 14. Jahrhunderts in Neapel heimisch gemacht
worden, wie die Grabmäler der Familie Anjou in den ver-
schiedenen Kirchen der Stadt beweisen. Ihnen schliesst sich
das kapellenartige Gehäuse, welches das eigentliche Wandgrab
des Kardinals umfriedigt, noch insoweit an, als es zur letzten
Bekrönung auf den spätgotischen Spitzgiebel zurückgreift.
Alles Uebrige aber verrät deutlich seinen Ursprung in nächster
Nähe, ja in der Werkstatt des Meisters der Pazzikapelle. Denn
die auf Säulen ruhende Gesimswand mit den Doppelpaaren
von Pilastern und dem dazwischen eingespannten Bogen ist
nichts anderes, als eine genaueste Wiedergabe des Motivs der
Attika an der Vorhalle jenes berühmten Bauwerks, welches
doch, nach den einleuchtenden Ausführungen Geymüllers, da-
mals (1427) kaum anders als im Entwurf oder Modell fertig
gewesen sein kann1).
Solche auf Mitarbeiter- und Schülerschaft beruhende Ab-
hängigkeit entspricht aber ganz dem Verhältnis, in welchem
wir Michelozzo und nur diesen allewege zu Brunellesco finden.
Wusste er doch die Ideen des Meisters auch sonst geschickt zu
verwerten und gleichsam in gangbare Münze auszuprägen. So-
mit liegt es doch wol in erster Linie nahe, die entscheidenden
Züge in dem Entwurf dieser architektonisch empfundenen Werke
') Architektur der Renaissance in Toskana. Brunellesco p. 29.
44 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
auf seine Rechnung zu setzen. Jedenfalls ist nicht abzusehen
warum gerade hier dem Donatello eine führende Stellung zu-
gewiesen, und die Tradition, welche diese gemeinschaftlichen
Arbeiten mit seinem berühmten Namen geschmückt hat, unbe-
sehen fortgepflanzt werden soll " ). Soviel sich aus den Urkunden
ersehen lässt, erkannten die beiden Meister in jenen Jahren
sich gegenseitig als durchaus gleichberechtigte Compagnons
an2) und so wenig im Ernst von einer Schülerschaft Donatellos
bei Michelozzo in architektonischen Dingen gesprochen worden
ist, so wenig sind wir berechtigt, dem letzteren sein Verdienst
um die baukünstlerische Gestaltung der ersten Wandgräber der
Renaissance zu verkürzen. Hätte Donatello schon damals eine
so sichere Beherrschung architektonischer Formen besessen,
wie hätte er dann zu gleicher Frist und noch weit später in
kleineren Aufgaben ähnlichen Charakters, die doch viel eher
vollkommene Selbständigkeit in Entwurf und Ausführung vor-
aussetzen lassen, eine oft recht auffallende Befangenheit in
der Gestaltung des architektonischen Beiwerks an den Tag
legen können? Ich glaube diese Arbeiten gerade auch im Hin-
blick auf unsere Kanzeln zur Vergieichung heranziehen zu
dürfen, da trotz der mehr dekorativen Leistung, welche hier
vorliegt, das unbewusste Festhalten gewisser statischer Voraus-
setzungen, die Klarheit und die folgerichtige Durchführung des
Entwurfs, und die ausdrucksvolle Bildung der Einzelformen auch
in diesen Grenzen mit einiger Sicherheit darauf schliessen lassen,
ob die Erfindung einem architektonisch denkenden, oder einem
mehr malerisch empfindenden Künstler angehört.
Prüfen wir darauf hin zunächst jenes zierliche "Werk, das
der Zeit nach etwa dem Beginn der gemeinschaftlichen Tätig-
') Wenn sich das Grabmal für Bartolommeo Aragazzi auch 1427 in dem ge-
meinschaftlichen Atelier befand, so erscheint späterhin doch Michelozzo allein als
Zahlungsempfänger. Für uns kommt es auf die Entscheidung nicht an, ob Donatello
ihm die Ausführung allein überlassen hatte, da über den Zusammenhang des Denk-
mals sich doch nicht mehr urteilen lässt.
2) Der verhältnismässig geringe Betrag, welchen Michelozzo in der Denunzia
dei beni vom Jahre 1427 als seinen Anteil an den noch ausstehenden Bezahlungen
ausrechnet, beweist nichts für den Umfang seiner Teilnahme an den gemeinschaftlich
ausgeführten Arbeiten. Er kann ja den grösseren Teil seines Guthabens schon erhalten
haben. Ueberdies wurde die eigentliche Skulpturarbeit, wie sie überwiegend auf
Donatello entfiel, jedenfalls besser bezahlt.
DONATELLOS ANTEIL AM ENTWURF 45
keit mit Michelozzo angehört1): das Tabernakel der Verkündi-
gung in S. Croce. Hier ist ein einfacher Aufbau aus Sockel,
Pilastern und Gebälk mit Giebel wol klar durchgeführt, aber
die Formgebung verrät teils unselbständige Nachahmung, teils,
wo eigene Erfindung hinzutritt, einen empfindlichen Mangel an
Gefühl für die architektonische Funktion des einzelnen Gliedes.
Ueber dem viel zu malerisch bewegten Sockel erheben sich die
seitlichen Rahmenpilaster auf Basen, welche ihrer Last entlaufen
zu wollen scheinen, denn sie sind aus Voluten und Löwenfüfsen
zusammengesetzt. Auch die Maskenprofile, welche das Kapitell
bilden, sind nicht architektonisch gefühlt, sondern wie ein Zierrat
äusserlich aufgeheftet. Die Misbildung, in welcher der Eierstab
an dem recht kleinlich gestalteten Architrav auftritt, hat Donatello
mit Michelozzo gemein, ebenso wie die muschelförmigen Or-
namente am Giebelgesims (vgl. das Gebälk am Tabernakei der
SS. Annunziata), aber die aufdringliche Wiederholung des gleichen
Motivs am Fries muss doch ihm allein auf's Kerbholz gebracht
werden. So liebenswürdig ferner die quellende Frische der
Erfindung — mit einem leisen Anhauch von Befangenheit —
uns in den Figuren des Reliefs entgegentritt, so ängstlich er-
scheint auch hier die Behandlung des raumbildenden Hinter-
grundes. Die ornamentale Felderteilung, welche Donatello für
seine Statuen in den gotischen Tiefnischen an Orsanmichele und
am Campanile geläufig geworden war, klingt deutlich nach.
Die Unruhe, weiche die in breiter Fläche, nicht wie dort in
wechselnder Seitenansicht, wirkenden Rankenornamente hervor-
rufen, wird durch den ähnlich verzierten Tronstul der Madonna,
welcher die abstrakte Raumbezeichnung zur Darstelmng einer
konkreten Räumlichkeit umdeuten soll, noch mehr gesteigert.
Es ist die Hand eines Steinbildners, welche dies Möbel in
seinen schweren Formen entworfen hat, wie andererseits die
allzu leichten Bildungen an dem umschliessenden Rahmenwerk
draufsen.
Zwischen diesem ersten tastenden Versuche und dem Taber-
nakel in S. Peter liegt wol die ganze Reihe jener umfang-
reichen Grabdenkmalsarbeiten, und die sichere Lösung der
gröfseren Aufgabe hier zeigt, wie viel Donatello seinem Ge-
i) Semper2 p. 57. Dagegen Tschudi a. a. O. p. 19: Nicht vor 1433.
46 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
nossen abgesehen hatte. Da die Anwesenheit Michelozzo's in
Rom 1433 durchaus als wahrscheinlich gelten darf, so könnte
man an eine direkte Beihülfe des Architekten auch an diesem
kleinen, kaum 2 Meter hohen Werke denken, das offenbar schnell
und flüchtig als Gelegenheitsarbeit ausgeführt wurde. Aber
die wunderliche Scheinarchitektur zu Seiten der tragenden
Pilaster, mit dem rechtwinklig gebogenen Gebälkstück, das
durch eine steife Volute auseinandergespreizt wird, zeigt doch
wiederum deutlich, dass wir es eben nur mit einem dekorativ,
nicht konstruktiv denkenden Künstler zu tun haben. Ein
Architekt hätte diese rein malerisch wirkende, wie durch scharfe
Seitenbeleuchtung auf die AVand geworfene Silhouette niemals
ersonnen. Für Donatello bedeutet sie die Gelegenheit zu
weiterer Ausdehnung des figürlichen Schmuckes, worin er seine
Stärke empfand. Und so ordnete er um die unteren wie die
oberen Pilaster jene reizenden Engelknaben, für deren Ein-
führung als belebendes Element in die dekorative Architektur
wir ihm dankbar sein müssen. So wie er sie in anderer Ver-
wendung auch auf dem Giebeldreieck über dem Ciborium ruhen
lässt, hat er ein Motiv angeklungen, das noch Michelangelo zu
unsterblichen Gestaltungen fortriss. Aber das Unzulängliche
seines Gesamtentwurfs beeinträchtigt auch hier die Wirkung;
denn die hohe und stark vorspringende Reliefplatte mit der
Grablegung lastet schwer auf der Giebelspitze und taucht die
gelagerten Putten in tiefe Schatten.
So hält auch dies Probestück nur mühsam Stich, wenn wir
es auf seine architektonischen Bedingungen hin prüfen. Dona-
tello begnügt sich mit einer malerischen Wirkung, ohne sich
über die sinngemäfse Funktion der konstruktiven Formen ge-
naue Rechenschaft zu geben. So bedeutet das Tabernakel in
S. Peter trotz der korrekteren Formengebung im Einzelnen
keinen wesentlichen Fortschritt über dasjenige in S. Croce hin-
aus. Auch die Vergleichung der beiden Grabplatten des
Bischofs Pecci und des Kanonikus Crivelli, zwischen denen
nachweisbar ein etwa eben so grofser Zeitabstand liegt, zeigt
uns nur wie Donatello von einer schlichten aber konsequenten
Wiedergabe naturalistischer-Motive zu einer reicheren Verwend-
ung architektonischer Kunstformen fortschreitet, ohne sich
in diesen über eine rein dekorative Behandlung zu erheben.
DONATELLOS ANTEIL AM ENTWURF 47
In der Grabplatte des 1426 verstorbenen Bischofs von Grosseto
im Dom zu Siena haben wir eine getreue Nachbildung der
muldenartigen Totenbahre vor uns, deren Kopfende muschel-
förmig ausgehöhlt ist, samt den Tragstangen und dem Teppich,
auf welchem sie niedergesetzt ist. Ganz folgerichtig sind also
auch die beiden Putti, welche am Fussende der Bahre den
breiten Inschriftstreifen aufgerollt halten, nur mit Kopf und
Armen, gewissermafsen in Vogelperspektive, sichtbar. — Das
in Rom geschaffene Grabmal des apostolischen Protonotars
Crivelli ist eine flache Muschelnische mit korinthischen Pilastern
und einem voll ausgegliederten Architrav unter der Concha.
Dass hier in der Tat die Vorstellung eines aufrechtstehenden
Gehäuses zu Grunde liegt, beweisen überdies die beiden das
Wappen des Verstorbenen haltenden Putten, welche auf der
abschliessenden Archivolte knieen. Dies steht aber wieder
in einem direkten Widerspruch zu der Bestimmung des
Ganzen als Deckplatte eines nur wenig über dem Fufsboden
der Kirche sich erhebenden Sockels1), welcher die liegende
Gestalt des Toten trägt mit gefalteten Händen und dem zur
Seite geneigten, auf einem Kissen ruhenden Kopfe. Das Ent-
scheidende blieb also auch hier die Erinnerung an das Parade-
bett, auf welchem der Leichnam ausgestellt war, wie an den
Grabmälern Martins V. und Sixtus IV., aber die nur äusserlich
herzugebrachte, nicht selbständig durchdachte Verwendung
antikisierender Formen bringt doch etwas Unerfreuliches in
das Werk, worüber die treffliche Durchführung im Einzelnen,
der schlichten Grabfigur und der vorzüglich in den Raum kom-
ponierten Engel nicht hinwegtäuschen kann2).
In diesen Zusammenhang würde auch das berühmte
Marmortabernakel um die Thomasgruppe Verrochios an Or-
J) Vgl. hierüber Gnoli im Archivio =torico dell' arte I. p. 28.
2) Die Unklarheit über die architektonische Ausgestaltung der Grabplatten ist
freilich schon unter dem Einfluss der Gotik eingerissen, wie u. A. die Gräber im
Fussboden von S. Crcce in Florenz und für Rom insbesondere die zahlreichen
Kanonikergräber in S. Cecilia in Trastevere erweisen. Der Tote ruht oft mit ge-
kreuzten Beinen in einem gotischen Tabernakel mit Baldachin und achteckiger Basis-
platte, so wie andererseits auch schon früh (in S. Croce ein Beispiel von 1419) in
Erz und Marmor die naturalistische Nachbildung der mit einem Strickgeflecht ver-
sehenen Totenbahre auftritt. "Was ein architektonisch denkender Künstler daraus zu
machen wusste, zeigt das Grabmal Martins V. im Lateran. — Eine genaue
48 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
sanmichele gehören, wenn uns an diesem klassischen Nischen-
bau mehr als das schöne Relief der Dreieinigkeit im Giebel-
felde davon überzeugen könnte, dass es von Donatello ge-
schaffen sei1). In der Tat stimmen nicht blos die korinthischen
Pilaster, sondern auch das darauf ruhende Gebälk so genau
mit den entsprechenden Teilen von Michelozzos Tür zum
Noviziat in S. Croce überein, dass wir mit Sicherheit diesen
als Meister des Ganzen nennen dürfen2). Selbst die fein-
berechnete Einzelheit, dass die vier festontragenden Engels-
köpfe im Fries abwechselnd in etwas ungleicher Höhe ange-
bracht sind, findet sich hier wie dort; dieser Kunstgriff giebt
dem Gehänge Lebendigkeit und Schwung. Die weiche Be-
handlung des Marmorreliefs weist auf Donatellos mittlere
Periode als Entstehungszeit hin, und wenn er nach den Ur-
kunden auch für die ursprünglich dafür bestimmte Figur des
h. Ludwig bezahlt wird, so ist das Tabernakel doch ausdrücklich
von dieser Bezahlung ausgeschlossen j).
Also noch um 1440 — denn in diese Zeit wird die Statue
des h. Ludwig zusammen mit der nach demselben Modell ge-
arbeiteten Diakonenbüste in der Sakristei von S. Lorenzo doch
wol mit Recht versetzt4) — hat Michelozzo dem Genossen
gelegentlich den architektonischen Teil der Aufgabe besorgt
wie von allem Anfang ihrer Werkstattgemeinschaft an meistens
der Fall gewesen war. Dieses Verhältnis tritt uns fast nirgends
so handgreiflich entgegen, wie an der Aussenkanzel des Doms
zu Prato, wofür uns nun die Dokumente in der schönen Publi-
kation Cesare Guasti's in wünschenswerter Vollständigkeit vor-
Nachahmung des Crivelli-Grabes findet sich im linken Seitenschiff von S. Maria del
Popolo. Die jetzt nur noch zum Theil lesbare Inschrift giebt Ciaconius II 91 3 voll-
ständig. Danach war der hier Begrabene (Johannes Tit. S. Laurentii in Lucina Presb.
Card, Morinensis) 1451 gestorben und die Grabplatte befand sich ursprünglich in
S. Lorenzo in Lucina.
') Vgl. Schmarsow, Florentiner Studien. Die Statuen an Orsanmichele (National-
zeitung v. 7. März 1889).
- ) Das Gebälk an der Kanzel in Prato stimmt bis auf eine unwesentliche Ver-
änderung gleichfalls genau überein.
3) Semper r 3 1 5 (aus dem Trattato dArchitettura des Vittorio Ghiberti auf der
Magliabecchiana) : La figura del S. Lodovico sanza 1' oro et sanza el Tabernacolo
d'Or S. Michele. A Donatello per suo maesterio e di chi attenuto cho lui f. 449-
4) Schmarsow, Donatello p. 40. Sempera p. 80.
DONATELLOS ANTEIL AM ENTWURF 49
liegen1). Nach der Art, wie hier zuerst (1428) Michelozzo
als Bevollmächtigter der gemeinsamen Firma und Vertrag-
schliessender auftritt, während dann bei der Erneuerung des
Abkommens im Jahre 1434 Donatello allein als Verpflichteter
genannt wird, unterliegt die Arbeitsteilung zwischen den beiden
Meistern wol kaum einem Zweifel. Schon 1433 waren eben
alle zum architektonischen Aufbau der Kanzel gehörigen Teile,
wie das Kragwerk des Bodens mit den Konsolen und die
Pilaster der Brüstung, soweit vollendet, dass man in der Hoff-
nung auf baldige Fertigstellung die ältere Schautribüne an der
südlichen Langseite des Doms abzureissen begann (Guasti p. 16),
aber die figürlichen Reliefs als Füllungen der Brüstungen fehlten
noch und die Mahnungen zur Vollendung der Arbeit richteten
sich deshalb in erster Linie an Donatello, der mit seinen eigent-
lichen Bildhauergehilfen, als welche sich ausser Pagno di Lapo
vielleicht noch andere wahrscheinlich machen liessen, dann
noch vier volle Jahre brauchte zur Lieferung seines Anteils
an dem Gesamtwerk.
Wenn diese lange Verzögerung des gemeinsam unter-
nommenen Werks an und für sich wahrscheinlich macht, dass
die Verbindung mit Michelozzo auch in diesen Jahren, trotz
mehrfacher Abwesenheit desselben von Florenz2), nicht gänzlich
gelöst gewesen sei, so stimmt dies bestens zu der nachgewiesenen
Ausführung des Thomastabernakels durch diesen Meister. Wie
steht es nun aber mit der Sängertribüne für den Florentiner
Dom, welche nach Ausweis der Urkunden 3) genau in derselben
Zeit (1438 — 39) vollendet worden ist? Die tektonischen Teile
dieses Werkes, welche bisher ziemlich unbeachtet im Hofe des
Bargello lagerten4), weisen für den ersten Anblick einen so
1) C. Guasti, II Pergamo di Donatello pel Duorao di Prato. Firenze 1887.
2) 1434 — 35 ist er als Gehülfe in der Zecca nachweisbar; dann stellt er einen
Ersatzmann bis 1440. Stegmann, Michelozzo p. 8.
3) Semper I Regesten n. 70 ff. I438ist die Tribüne prope finem; 1439 Oktober
wird sie als vollendet erwähnt.
4) Da Reproduktionen dieser Teile meines Wissens nicht existieren, und ihre
dekorativen Einzelheiten wenig bekannt sind, so gebe ich im Folgenden eine kurze
Beschreibung. Der Boden der Tribüne ruht über einem mit Guirlanden zwischen
Engelsköpfen gezierten Friese auf fünf massigen Trägern. Sie bestehen aus je zwei
Teilen: einer mit einfacher Volute geschlossenen dreieckigen Konsole und einer oblongen
Trägerplatte, welche an ihrer Vorderseite mit einer um zwei Rosetten aufgerollten,
Italienische Forschungen II. 4
50 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
durchaus eigenartigen Charakter auf, dass sie mit jenen reinen
Marmordekorationen nichts gemein zu haben scheinen. Die
Anwendung bunter Inkrustation als Untergrund nicht blos für
das figürliche, sondern auch für das ornamentale Relief, ja selbst
an Stelle der Kannellierung an den Säulchen, die emailartige
Bemalung einzelner Teile des Ornaments, welches dadurch wie
aufgeheftet wirkt, verleihen dem Ganzen einen ebenso fremd-
artigen Charakter, wie die beinahe versteckte Anbringung des
Reliefs mit den tanzenden und musizierenden Kindern hinter
einer Reihe vorgesetzter Säulchen, welche aber doch durch
die vorhandene Ausarbeitung im unteren Reliefrande zweifellos
sicher gestellt wird ' ). Sollte der Bildhauer aus eigenem An-
triebe sich dazu verstanden haben, auf solche Art seine Arbeit
in den Schatten zu stellen oder müssen wir hierin die Abhängig-
keit von der Vorschrift eines Architekten erkennen, welcher mit
Rücksicht auf die hohe Anbringung der Orgelbühne in dem
nicht allzu hellen Raum unter der Domkuppel eine lebhaftere
Bewegung und Zerteilung der Massen erzielen wollte? Einen
Entscheid hierauf zu geben ist schwer, denn auch die Ver-
gleichung der Einzelformen bringt uns nicht weiter. Von der
Guirlande zwischen Engelsköpfen am unteren Rande zu
schweigen, so finden sich einzelne Elemente der Dekoration
reich mit lanzettförmigen Blattreihen skulpierten Volute geschmückt sind. Die Seiten-
flächen tragen auf goldenem und z. T. auf blauem Mosaikgrunde sehr charakteristische
Rankenornamente in vierfach verschiedenem Muster. Das streng symmetrisch kom-
ponierte Rankenwerk geht entweder von einem rosettenartig behandelten Centrum aus
oder quillt aus einer bauchigen Amphora hervor. Den Abschluss der aus derben
Blatthülsen sich entwickelnden Ranken bildet fast durchweg eine vierblättrige Kreuz-
blume, die abwechselnd von oben oder von unten sichtbar gemacht wird. — Darüber
vermittelt ein Eierstab den Uebergang zum Gesims des Tribünenbodens, das in seiner
unteren Hälfte mit Muscheln auf Goldmosaik geschmückt ist, während auf der oberen
Masken in Flachrelief ausgearbeitet sind, von einem Federkranz mit goldenen Tupfen
umgeben, dazwischen grün und blau emaillierte Blätter. Vor dem Relief der Brüstung
mit den tanzenden Kindern standen ebenfalls mit Gold inkrustierte Säulchen (heute
im Hol der Domopera), deren Stellen durch Ausarbeitungen in dem unteren Rande
des Marmoneliefs bestimmt werden. Sie trugen ein (heut verloren gegangenes)
abschliessendes Gesims. — Die beste Anschauung von dem Charakter des Ganzen
giebt der mehrfach erwähnte Orgellettner in S. Lorenzo (Photographie Alinari 14354).
1 1 Vgl. die Rekonstruktionszeichnung von Marcucci und Sampaolo in den Ricordi
di architettura Bd. VII. (1884) Tf. 3. Jetzt steht ihre Neuaufstellung im Museum
der Domopera bevor.
DONATELLOS ANTEIL AM ENTWURF 51
in überraschender "Weise an dem Gebälk von Miohelozzos
Tabernakel in der SS. Annunziata wieder, welches allerdings
in noch zahlreicheren Einzelheiten mit dem rein dekorativen
Gegenstück zur Domtribüne, dem schon erwähnten Orgelchor
in S. Lorenzo übereinstimmt. Sollte die Tatsache, dass Miche-
lozzo die Ausführung seines Tabernakels (1448 — 52)demPagno
di Lapo überliess, eine Lösung zu bringen vermögen?
Das Streben nach kräftig malerischer Wirkung, ein Erb-
teil der Gotik1) tritt in keinem anderen Werke Donatellos so
ungescheut hervor, wie in diesem, und die Erinnerung an
römische Cosmatentechnik liegt ebenso nahe, wie der Hinweis
auf das bunte Marmormosaik, mit welchem Orcagna sein Taber-
nakel in Orsanmichele übersponnen hat. Dem ziemlich derben
Geschmack dieser farbigen Behandlung entspricht ganz die
Zeichnung des Ornaments, welches noch weit entfernt ist von
der Anmut und Reinheit des Umrisses, wie sie die Florentiner
Marmorbildner der zweiten Hälfte des J ahrhunderts in ihren mit
hinreissender Verschwendung ausgestreuten Flächendekorationen
zu entwickeln verstanden. Fast könnte man geneigt sein, einen
späten Nachklang des derben Laub- und Rankenwerkes, wie
es Niccolö dArezzo zu bilden liebte, etwa in den Ornamenten
zu erkennen, welche auf mosaiciertem Grunde die Seitenflächen
der Tragkonsolen schmücken. Donatellos realistischem Sinn
behagt es dabei offenbar am meisten, wenn hier wie anderwärts
die Stengel und Ranken seines Pflanzenornaments aus bauchigen
Vasen und Amphoren emporsteigen 2). Dieses Motiv ist durch
ihn zum Gemeingut geworden und kehrt in der Marmordekoration
fast bis zum Ueberdruss wieder. ^) Mit verhältnismäfsig
T) Cicerone 5 p. 146. Den hier zusammengestellten Arbeiten, welche die
Schulwerke mit umfassen, lassen sich noch hinzufügen : ein Tabernakel aus Pietra
serena in der Guardaroba von S. Lorenzo; das Taufbecken im Baptisterium zu
Empoli von Pasquino da Montepulciano (datirt 1447); die Predella an dem Terra-
kottaaltar des Giovanni da Pisa in der Kapelle der Eremitanikirche zu Padua ;
das Ornament der oberen Türeinfassung zur Madonnenkapelle in S. Francesco in
Rimini.
2) Vgl. die Seitenfüllungen am Tabernakel in S. Peter; Altarschranken und
Nischenlaibungen in der Sakristei von S. Lorenzo ; Orgelbühne daselbst.
3) Um nur zwei naheliegende Beispiele herauszugreifen, sei auf die Türlaibung
um Verrocchios Grabmal in der Sakristei und auf Desidcrios Sakramentstabernakel
in der Kirche von S. Lorenzo verwiesen.
52 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
wenigen Formen bestreitet er auch sonst die Ansprüche der
architektonischen Ornamentik. E.in derb gezeichneter oft ganz
misbildeter Eierstab, die römische Form des Herzblattes, ein
einfacher Rund- oder Perlstab genügen ihm meist für die
Charakterisierung der einzelnen Glieder. Eine Zierleiste aus
einer doppelten Reihe lanzettförmiger Blätter mit starker
Mittelrippe zieht sich als ein stets wiederkehrendes Motiv mit
auffälliger Monotonie für ablaufende wie für ansteigende Glieder,
für Rahmeneinfassungen wie für Giebelleisten angewendet durch
alle seine Werke hindurch, von dem Tabernakel in S. Croce
bis zu den Kanzeln in S. Lorenzo.
Einen Höhepunkt erreicht seine Dekoration in dem an-
mutigen Capriccio, welches wir als unmittelbare Frucht des
Römischen Aufenthalts ansehen dürfen, dem Bronzekapitell unter
der Kanzel von Prato. Ein Rankenwerk, von geschmeidig herab-
hängenden Schilf blättern eingefasst, die mit flatternden Bändern
an eine aufschiessende Blume geknüpft sind, und mit den beliebten
Blattrosetten in den Augen der Voluten füllt die obere Hälfte
des Kapitells. Im Schatten aber gleichsam dieses Ranken- und
Blütenwerks, in welchem kleine Blumengeister umherklettern,
lagern auf einem basisartig vorspringenden Eierstab zwei
nackte Bübchen mit krausen Locken, die anmutigsten Guirlanden-
träger, welche Donatello jemals gebildet — und oben zwischen
dem Rand des Pfeilerkapitells und dem recht willkürlich darauf,
gesetzten Säulenabakus mit stark eingezogenem Profil schaut
ein dritter schelmisch lächelnd wie aus einem Korbe hervor,
als wenn es hier nichts zu tragen gäbe. So ist das Ganze
ebenso originell wie unorganisch gedacht, das tektonische
Schema des Kapitells aufgelöst in ein anmutiges Spiel von
Blumen, Ranken und Figuren — der glückliche Einfall eines
Reliefbildners, nicht eines konstruktiv empfindenden Archi-
tekten. J)
Die Richtung auf dramatisch bewegte Darstellung histo-
rischer Begebenheiten und auf psychologisch vertiefte Ge-
staltung, welche Donatello in der dritten Periode seines
') Schon hieraus ergiebt sich, dass unmöglich Michelozzo dieses Dekorationsstück
erfunden haben kann. Es kommt doch darauf an, wer das Modell lieferte, nicht wer
den Guss ausführte.
DONATELLOS ANTEIL AM ENTWURF 53
Schaffens mit wachsender Entschiedenheit einschlug, konnte der
strengen Innehaltung architektonischer Linien im Aufbau, der
sorgfältigen Durchbildung rein ornamentaler Teile kaum
förderlich sein. Wie mit immer gröfserer Ausschliesslichkeit
die Bronze das bevorzugte Material wird, für welches Donatello
fortan mit dem Modellierholz arbeitet, so fehlen unter den Spät-
lingen seiner Kunst gröfsere Arbeiten von architektonisch-
dekorativem Charakter gänzlich. Die Tätigkeit in Padua
beschränkte sich auf die Herstellung von bronzenen Statuen
und Reliefs zur Ausschmückung des Altars, dessen Form die
einfache eines Altars alla romana gewesen zu sein scheint,
mit einer doppelten Mensa nach dem Eingang und dem
Chorschluss hingewendet J). Die dekorativen Zutaten in den
Reliefs der musizierenden Engel und der Evangelistensymbole
sind dürftig im Entwurf und mit ziemlicher Flüchtigkeit aus-
geführt.
So trennt die Kanzeln in S. Lorenzo ein Zeitraum von
beinahe zwanzig Jahren von jener Periode in Donatello's
Schaffen, welche ähnliche Arbeiten plastisch-architektonischen
Charakters in gröfserer Anzahl aus seiner Werkstatt hervor-
gehen sah. Gewinnt unter solchen Umständen nicht der Hin-
weis an Bedeutung, dass ihre ursprüngliche Form und Anlage
aufs engste mit dem Gedanken eines Chorschrankenbaus für
S. Lorenzo verknüpft zu sein scheint, den noch Brunellesco
selbst praktischen Erwägungen zu Liebe aufgeben musste?
In diese Zeit einer engeren Gemeinschaft mit Brunellesco
und Michelozzo weisen ja auch an Kanzel L einzelne Form-
elemente des tektonischen Aufbaus zurück. Nicht zwar, wie
Cavallucci 2) meint, die aufdringliche Hineinbeziehung architek-
tonischer Massen in die Figuration des Reliefs, — denn gerade
hierin müssen wir einen allerdeutlichsten Beweis dafür er-
blicken, dass der Entwurf dieser Kanzel, wenn überhaupt er in
greifbarer Gestalt aus jener Zeit der vierziger Jahre bereits vor-
lag — nach der Rückkehr aus Padua einer durchgreifenden
Umgestaltung unterzogen worden ist. Aber das edel und
kräftig wirkende Gesims kann seine Abhängigkeit von dem
i) Gonzati, La basilica di S. Antonio di Padova. Padua 1854, Bd. I, S. 69.
2) Vita ed opere di Donatello p. 30.
54 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Formenschatze Michelozzos, welcher so den Palazzo Medici be-
krönte, nicht verleugnen, wenn auch hier alles in die flachere
und trockenere Ausdrucksweise des Bronzestils übertragen ist,
wie ihn Donatello eben von Padua mitbrachte Und auch dass
der bildnerische Schmuck des Gewandes für den davon um-
hüllten tektonischen Körper allzusehr ins Schwere und Breite
getrieben ist, so dass er sich fast losgelöst davon mit selbst-
ständiger Bedeutung entfaltet, kann nur im Zusammenhang mit
der überquellenden Gestaltungskraft verstanden werden, welche
die Paduaner Reliefs mit den Wundern des h. Antonius ge-
boren hat.
Damit ist aber die Erscheinung dieser Kanzel, wie sie uns
in dem vollendeten Werke gegenübertritt, auch noch nicht zur
Genüge erklärt. Als vermittelndes Element schiebt der sorg-
fältig gegliederte Puttenfries mit seinen Eckgruppen sich ein —
und eine kundige Hand scheint in einer letzten Ueberarbeitung
dem Ganzen nach Kräften einheitlicheren Zusammenhang ver-
liehen zu haben. Könnte es nicht dieselbe gewesen sein, die
wir bei der Redaktion des Gesammtentwurfs der zweiten
Kanzel allein in Tätigkeit sehen? Denn dass Donatello selbst
hier an dem Aufbau der Pilaster und der Formbildung des Ge-
simses noch beteiligt gewesen, darf nun auch aus inneren
Gründen als undenkbar bezeichnet werden. Die streng ge-
zogenen Linien des architektonischen Gerüstes, welchem sich
der bildnerische Schmuck einordnete, entsprechen um so weniger
seiner Art, als es gerade das letzte Werk seines Lebens ge-
wesen sein müsste, in welchem er diese Wendung zur respekt-
vollen Wahrung konstruktiver Verhältnisse genommen hätte.
Die reiche Bildung der Sima mit ihrer Verwendung mensch-
licher Leibesformen zu ornamentalen Motiven geht vollends
über Alles hinaus, was Donatello auf diesem Gebiete jemals
gewagt hat und entspricht überhaupt erst der freieren, natura-
listisch gerichteten Behandlung des Ornaments, wie sie die
letzten Jahrzehnte des Quattrocento im Uebergang zur Hoch-
renaissance geübt haben, i) Der Charakter des Bronzestils tritt
in dieser Sima nicht mit solcher Bestimmtheit hervor wie in den
l) Ein florentiner Beispiel wüsstc ich nicht zu nennen vor dem holzgeschnitzten
Rahmen des Altarbildes von Rafaellino da Firenze im linken Querschiff von S. Spi-
rito, welches die Bezeichnung 1505 tragt.
DONATELLOS ANTEIL AM ENTWURF 55
ornamentierten Buckeln, welche den Sockelstreifen schmücken,
und der ganze Aufbau erinnert nachdrücklich an eine Wand-
dekoration aus Marmor. Es ist also ein auf architektonischem
wie plastischem Gebiete, in der Marmor- wie in der Bronze-
bildnerei gleich tätiger Künstler, welcher hier im Grofsen und
Ganzen mit endgültiger Entschliessung gestaltend einge-
griffen hat.
Also führt auch dieser Weg uns wieder vor Kanzel L als
dasjenige Werk, welches in seiner Gesamtheit dem Meister
am nächsten steht. Und werfen wir nun hier einen Blick auf
die nachweislich zuerst vollendete Vorderseite, so dürfen wir
wol getrost glauben, dass von dieser wenigstens die Inschrift
darüber voll und ganz zutrifft: so kühn und frei, so über alle
Schranken der tektonischen Form hinaus kann allein Donatello
geschaffen haben, da er an das letzte Werk seines Lebens
gieng!
ö ^^ sr
III
Höllenfahrt — Auferstehung — Himmelfahrt
Die Erscheinung des Gekreuzigten und Begrabenen im Vor-
raum der Hölle, sein siegreiches Emporsteigen aus dem
Grabe und seine Auffahrt zum Himmel — dies alles zieht als zu-
sammengehörige Bilderfolge auf dieser Vorderseite (L 2)anunserm
Auge vorüber. ') Gar sehr verschiedenartige Schauplätze also
müssen die engen, kastenförmigen Räume uns vergegenwärtigen,
welche, wie oben geschildert worden ist, die einzelnen Scenen
in sich fassen. Jeder für sich ist zwischen den beiden vor-
springenden Mauerstreben als ein geschlossenes Compartiment
behandelt, aber durch die beiden Rundbögen, welche jedesmal
in Relief sich von der gleichmäfsigen Quaderstruktur der Rück-
seite abheben, und durch die torartigen Oeffnungen in den
Zwischenwänden wird auch wieder die Vorstellung einer fort-
laufenden Gallerie erregt, durch welche hin unser Auge dem
Bilderzuge folgt bis zu ihrem Ende an der nicht durch-
brochenen Querwand rechts.
So eröffnet sich uns links (a) der Blick in den Höllenvor-
raum, wo die Vertreter des Alten Bundes der Erlösung harren.
Die Pforte ist gesprengt, durch welche Christus eingedrungen
in übermenschlicher Gröfse, die Siegesfahne in der Hand.
Aber sein Antlitz spricht nicht von Sieg und Siegesfreude.
Mit einem eigentümlich verdrossenen Ausdruck blickt er auf
t) Siehe unsern Lichtdruck nach Photogr. von Brogi.
HÖLLENFAHRT — AUFERSTEHUNG — HIMMELFAHRT 57
die Heiligen des Alten Testamentes, denen er als Messias er-
schienen ist. Lautschreiend entweichen vor ihm die Diener der
Hölle. Jene aber drängen sich von allen Seiten mit Hast um
ihn: Männer, Greise, Frauen strecken flehend die Hände aus
oder stürzen vor ihm nieder mit dem Schrei nach Erlösungf —
ein wildes Getümmel innerlich bewegter Gestalten. Nur eine
von ihnen ist so deutlich charakterisiert, dass wir sie mit be-
stimmtem Namen bezeichnen können: der hagere Knochenmann
im Fellkleide, der vertrauteste Gegenstand von Donatellos
Kunst, Johannes der Täufer. Er streckt rechts stehend als
Chorführer über alle andern hinweg dem Erlöser die Hand
entgegen, welche die Schale mit dem Taufwasser über seinem
Haupte ausgegossen hat. Und der harmvolle Zug langer,
banger Erwartung ist auch auf den anderen Gesichtern allen
ergreifend ausgeprägt, vor allem in dem Antlitz des Greises, den
Christus zu sich emporziehen will. Wir möchten ihn Adam
benennen, wenn nicht das unerlässliche Charakteristikum der
Nacktheit sich eher bei andern dieser langbärtigen Greisen-
gestalten fände, als grade bei diesem. Auch die beiden vorn
knieenden Frauen sind bekleidet, so dass es misslich erscheint,
in einer von ihnen Eva zu erkennen. Donatello hat auf die
Hervorhebung dieser Gestalten, welche sich das fünfzehnte
Jahrhundert sonst so leicht nicht entgehen Hess, mit Absicht
verzichtet. Ihm kam es auf anderes an in diesen Reliefs, als
auf biblisch-archäologische Treue.
Die eng-e Grabkammer, aus welcher der Gottessohn an's
Licht steigt, haben wir in der zweiten Scene vor uns (b). Breit
nimmt der Sarkophag die Mitte ein, ringsum liegen die Wächter
sieben an der Zahl i), in Stellungen, wie sie die Enge des
Raumes bot, dem Schlafe hingegeben. Pflanzenwerk schiesst
zwischen ihnen empor; die Schilde, zum Teil mit sorgfältig aus-
geführten Zeichen 2) versehen, und Lanzen sind hier und da
verteilt. Wie aber steigt Christus aus dem Grabe hervor?
Nicht wie ein Triumphator über Tod und Hölle, sondern wie
x) Semper 2 p. 107 zählt nur drei.
2) Neben dem bekannten Symbol des Skorpions treten antikisierende Schild-
zeichen hervor : SPQR, ein Medusenhaupt, ein springendes Ross, auf dessen Rücken
ein Amor tanzt.
58 DONATEIXOS KANZELN IN S. LORENZO
ein Bild des Todes selbst, der in beiden Händen statt der Kreuzes-
fahne die Sense halten könnte. Nicht sieghafte Göttlichkeit
spricht aus seinem Antlitz, sondern tiefstes Leid, und wie einem
Lazarus umgeben die Leichenbinden ihm Haupt und Schultern.
Christi Gestalt bildet auch nicht den Mittelpunkt, um
welchen sich die realistischen Gruppen der Schläfer ordnen,
wie sonst wol überall in den Darstellungen dieser Scene, sondern
ist links zur Seite gerückt in die Ecke neben dem Mauerpfeiler,
und der leere Raum über der Mitte wird durch ein an der
Hinterwand aufgehängtes Arrangement von Waffen notdürftig
ausgefüllt. Diese Anordnung entspricht so ganz dem ent-
schlossenen Realismus in Donatellos späteren Reliefkompo-
silionen, dass wir schon hierin den Eindruck seines eigensten
Schaffens empfangen. Und dieser Eindruck wird gewiss nicht
gestört, wenn wir nun bei Betrachtung der nächsten Scene
erkennen, dass der scheinbar kunstlosen und beinahe saloppen
Komposition doch die feine Berechnung künstlerischer Raum-
ökonomie zu Grunde liegt.
Denn hier in der Darstellung der Himmelfahrt (c) war das
Schwierigste zu leisten für den Relief bildner: die Erhebung des
Leibes über den irdischen Boden sichtbar und glaubhaft zu
machen, noch dazu in einem Bildstreifen, dessen Niedrigkeit
jeder Tendenz zur Höhenkomposition zu widerstreiten scheint.
Die Aufgabe an sich war für Donatello nichts ungewohntes:
In seinem Relief der „Schlüsselübergabe" ') hatte er sie bereits
einmal glänzend gelöst, aber durch malerische Mittel der Relief-
perspektive, welche hier nachdem das Verhältnis der Normalfigur
zu den Dimensionen der Kanzel einmal festgestellt war, nicht
anwendbar erschienen. Ueberdies hätte die kompakte Masse
des tektonischen Kernbaus, welche sich hinter und über den
Figuren erhebt, jeden Versuch perspektivischer Wirkung Lügen
gestraft. So war die Lösung der Aufgabe augenscheinlich nur
auf dem Wege zu finden, den von ähnlichen Intentionen erfüllt
Luca della Robbia in seinem Relief der Himmelfahrt Christi
über der Sakristeitür im Dom eingeschlagen hatte (1446). Aber
dort war freilich das Problem nicht so schwierig gestellt ge-
') Im South Kensington Museum (n. 7629 Holzschnitt in Robinsons Katalog
p. 15.) Vergl. unten p. 75.
H
3
0
o
HÖLLENFAHRT — AUFERSTEHUNG — HIMMELFAHRT 59
wesen. Die malerische Wirkung des polychromen Thonreliefs,
die überredende Kraft einer gröfseren Entfernung vom Beschauer
und die halbdunkle Beleuchtung unter der Kuppel des Doms
kamen Luca zu Gute und gestatteten ihm in seinem Bildwerk
ganz irdisch zu bleiben, das heisst ganz plastisch, und auf
malerische Illusionsmittel, auf Wolken wie auf Engel, gänzlich
zu verzichten. Der Bildner dieser Himmelfahrt war, das ist
leicht einzusehen, so günstig nicht gestellt, um durch die
Zeichnung und Modellierung seines Christus allein den Eindruck
des Entschwebens und Sichloslösens von den Gefährten zu er-
reichen, der gerade Luca so meisterlich gelungen war.
So sehen wir denn auf niedrigem Erdhügel Christus noch
stehen, in langem gegürtetem Rock; nur der Mantel darüber
breitet sich aus und drei geflügelte Engel greifen in die Falten
wie um ihn emporzutrag-en. Mit erhobener Hand und ernstem,
ja wieder etwas mürrischem Gesicht blickt Christus auf die
zu seinen Füfsen knieenden Jünger und Maria herab. Zärtlich
schmieg-en die Mutter und der Jünger, den er vor allen lieb
hatte, sich an ihn und die Uebrigen drängen mit frommer Ge-
berde sich hinzu, den letzten Abschied zu nehmen.
So ist notgedrungen hier ein anderes Moment stärker be-
tont als dasjenige, worauf es eigentlich ankam; ja, erinnerten
die Englein nicht an das Auffahren gen Himmel, wir könnten
wol an eine Bergpredigt denken inmitten der andächtig lauschen-
den Gemeinde — um so eher, da wunderlicher Weise Christus
ein Buch in der Linken trägt, wie ein Prophet oder Evangelist.
Jedenfalls durfte diese Gestalt kein Gegenstück haben an der
ganzen Kanzelseite, das ihr den Eindruck des Aufsteigens noch
mehr vorweggenommen hätte, — und so erscheint uns jetzt die
Anordnung der Christusfigur in der Auferstehungsscene in der
Tat als ein Ergebnis künstlerischer Berechnung-. Wie sie
möglichst entfernt von jenem anderen Christus sich in die Ecke
schmiegt, unfrei und in sich zusammengeduckt, bildet sie freilich
den Höhepunkt für die mälich aufsteigende Linie der dichtge-
drängten Gestaltenmasse in der Höllenfahrt. Aber es ist eben
gewissermafsen nur die erste Arsis der Komposition, und nach
langer Thesis hebt sich der Rythmus dann noch einmal zu
einer zweiten mit höherer Note und stärkerer Instrumentation,
um wieder langsam abzuschwellen und auszuklingen.
6o DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
In diesem grossen Zuge des Ganzen tritt uns sichtlich ein
Meister der Komposition entgegen, mag im Einzelnen auch hier
und da eine schwächliche oder bizarre Wendung befremden.
Aber auch hier machen sich dem sorgfältigen Beschauer Fein-
heiten bemerkbar, welche immerhin von der nimmer müden
Erfindungskraft des Künstlers Zeugnis ablegen. Hat er doch
in der „Höllenfahrt" nicht vergessen, selbst die Spuren der Er-
schütterung, welche das Sprengen der Pforte verursachte, im
Mauerwerk anzudeuten, und es hat ihn nicht in Verlegenheit
gesetzt, dass der Schauplatz der Himmelfahrt nur unter freiem
Himmel gedacht werden kann, nicht zwischen engen Steinwänden
wie die beiden anderen Vorgänge. So ist denn hier geschickt
mit einfachen Mitteln die Vorstellung eines Gartens angeregt
durch ein hölzernes Geländer, das sich vorn zwischen den beiden
Mauerstreben ausspannt und mit Pflanzen umrankt ist, die auch
dazwischen am Boden wachsen. Das Geländer setzt sich in
Sparrenpfosten fort, die trotz der Figurenfülle in perspektivischer
Verkürzung zu bilden der Künstler Mittel und Wege gefunden
hat, um auf diese Weise den Schein einer noch gröfseren
Raumtiefe hervorzubringen.
Mit vollendeter Sicherheit und Freiheit also ist dies
alles herausmodelliert, und mit besonderer Virtuosität der
plastischen Wirkung. Denn trotz der scheinbaren Tiefe der
Räume und der so täuschend körperhaft vorspringenden
Zwischenmauern ist doch Alles nur in perspektivischer Ver-
schiebung gegeben für den Standpunkt des Beschauers vor der
Mitte der ganzen Langseite und das Relief erhebt sich nirgends
mehr als 4—5 cm vom Grunde. Eine Figurenschicht legt sich
immer auf die andere und die Flächen sind in sanften Ueber-
gängen in einander verschmolzen. Es ist eine Weichheit und
Flottheit der Behandlung, wie sie nur ein vielerfahrener Meister
zu eigen haben kann. Mögen wir im Einzelnen zu mäkeln
finden und in den Gewändern Schwülstigkeit, in der Komposi-
tion mitunter Verworrenheit und Ueberladung tadeln, der
packende Eindruck des Ganzen und die Virtuosität der Durch-
führung lassen keinen andern Gedanken aufkommen, als dass
Donatello hier mit eigener Hand tätig gewesen ist. Das ist
freilich wol nur so zu verstehen, dass der Meister selbst den
Entwurf geliefert und das Thonmodell für den Erzguss der
HÖLLENFAHRT — AUFERSTEHUNG — HIMMELFAHRT 61
Hauptsache nach mit eigener Hand geschaffen habe. Wir
wissen ja, dass Donatello in den letzten Jahren seines Lebens
von den Heimsuchungen des Alters nicht verschont blieb, und
es darf uns also nicht Wunder nehmen, wenn wir hier und da
die Tätigkeit eines Gehülfen auch in den Gestalten dieser
Reliefs verspüren. In der Auferstehung' mag der Meister den
Christus modelliert haben, auf den es ihm ankam, und die Aus-
führung der umhergelagerten Krieger nach seiner Skizze dem
Mitarbeiter überlassen haben, der nun ein Uebriges zu tun
vermeinte, wenn er die Schlafenden möglichst verworren durch-
einander warf, so dass von einigen nicht mehr als ein Stück
des Kopfes oder eine Hand zu sehen ist. Die Kleinarbeit
vollends an Helmen und Schilden war ein zu mühsäliges Stück
Arbeit für den halbblinden Donatello. — Mit fortschreitender
Deutlichkeit macht sich die Mitwirkung einer fremden Hand
bemerkbar in der ,Himmelfahrt', wo im Allgemeinen die Be-
handlung des Haares und der Kleidung eine trockenere und
ängstlichere ist. Doch auch in der Modellierung des — eigent-
lich knochenlosen — Körpers Christi und in der Bildung der
Hände mit ihren kantigen, stumpf abgeschnittenen Fingern
lässt sich die zahmere Ausdrucksweise eines Gehülfen nicht
verkennen. Maria und Johannes und die sich unmittelbar an-
schliessenden Apostel sind innig empfundene Gestalten; aber
wie bleierne Langeweile liegt es auf den letzten Aposteln
rechts mit ihren ausdruckslosen Köpfen und eintönigen Ge-
berden. Selbst in der Behandlung des Reliefs setzt hier eine
andere Rechnung ein: anstelle des weichen Ineinanderfliessens
der grossen Flächen tritt ein härteres, rundes Herausheben der
einzelnen Gestalt. So scheidet sich hier in einer fast mathe-
matisch streng zu ziehenden Linie das Flick- und Füllwerk von
dem Kern der ursprünglichen Skizze.
Aber solche Zutaten verschwinden vor dem Geist Dona-
tellos, welchen diese Reliefs in Wahrheit atmen. Glauben
wir dies bisher mit Sicherheit erkannt zu haben, so bleibt uns
nun die Verpflichtung, sie mit inneren festen Bezügen in die
Geschichte seiner Reliefkunst einzuordnen. Dann dürfen wir
hoffen, endlich den sicheren Boden gewonnen zu haben für die
Betrachtung alles Uebrigen , was an Reliefschmuck unsere
Kanzeln noch bieten.
Kanzel R. Teil des Puttenfrieses
IV
Donatellos Reliefkunst
Der Hang zum Malerischen, welcher das florentinische
Relief des XV. Jahrhunderts beherrscht , ist ihm bereits
von den Marmorbildnern des Trecento als forterbendes
Verhängnis eingeimpft worden. In der mit bunter Marmor-
täfelung verkleideten Steinwand des Campanile oder an dem
vielgliedrigen Zierwerk des Tabernakels in Orsanmichele treten
uns die figürlichen Reliefs von kräftigem Rahmenwerk um-
schlossen wie eingelassene Bilder entgegen, welche in plastischer
Greifbarkeit hinzustellen versuchen, was sonst nur der Maler
als Illusion auf der Fläche wiederzugeben vermag, nämlich
räumliche Tiefe und die Beziehung der Gestalten zu ihrer Um-
gebung ' ). Die unzulängliche Mischung der Stilweisen macht
sich am augenfälligsten wol an Orcagnas Hauptstück auf der
Rückseite seines Madonnenaltars bemerkbar, wo in der oberen
Hälfte die in der Mandorla emporgetragene Himmelskönigin
mit den symmetrisch geordneten Engeln auf reich mosaiciertem
Grunde erscheint, wie sie Goldschmiede und Steinbildner als
plastisches Reliefwerk auch sonst zu gestalten verstanden —
während in der unteren die mit der Grablegung der Ver-
storbenen beschäftigten Apostel samt den trauernden Gläubigen
in derber Wirklichkeitstreue geschildert sind, unter einer über-
1 ) Vergl. hierüber die lehrreichen Auseinandersetzungen Schmarsows Ital.
Forschungen z. Kunstgesch. I. S. 157 fl'. S. 234.
DONATELLOS RELIEFKUNST 63
hangenden Felswand sich um den Sarkophag drängend: ein in
Stein übertragenes Gemälde mit staffeiförmiger Uebereinander-
reihung der Figuren, wie sie auch in Orcagnas Wandfresken
in S. Maria Novella die mangelnde Fähigkeit zu perspektivi-
scher Bewältigung des Raumes und richtig bemessener Ver-
jüngung ersetzen muss.
Unter dem Einfluss des Meisterwerkes von Andrea Pisano,
zu dem er ein Gegenstück liefern sollte, gelang es Ghiberti
an seiner ersten Bronzetür für S. Giovanni schon besser, die
idealen Bedingungen des Flächenschmucks mit dem Verlangen
nach malerischer Tiefe und Fülle, das auch ihm als echtem
Florentiner im Blute steckte, in Einklang zu bringen. Aber es
war mehr ein Kompromiss, der hier zu Stande kam, auf der
Grundlage erlesensten Geschmackes und Bildnersinnes, als die
vollendete Durchführung eines einleuchtenden Kunstprincips,
— ■ und fast einer Erlösungstat mochte es daher wol gleichen,
da Ghiberti bei seiner zweiten Tür für das Baptisterium mit
Entschiedenheit auf jene recht eigentlich bildmäfsige Anlage
der Darstellungen zurückgriff, wie sie Orcagna und vielleicht
am Campanile Giotto eingeführt hatten, nur ohne die gotische
Verkünstelung des äusseren Rahmenwerkes. In den einfach
rechteckigen Bildfeldern, die sich leicht eingetieft zwischen
glatte Rahmenleisten einspannen, vermochte er in voller Frei-
heit und Schönheit wirkliche „Gemälde" in Bronze zu schaffen,
wie sie ihm nach dem Herzen waren.
Aber lange zuvor schon, ehe Ghiberti die Arbeit an der
ersten Pforte vollendet, hatte ein Anderer auf dem Gebiete
der Reliefbildnerei den eigentlich entscheidenden Schritt ge-
tan, und das unscheinbare kleine Werk, womit dies geschah,
erhält durch dieses Zeitverhältnis eine besondere Bedeutung
Donatellos Marmorrelief an dem Sockel der Nische
seines h. Georg an Orsanmichele wird der Zeit nach doch
wol ziemlich genau durch die Notiz bestimmt, wonach die
auftraggebende Zunft im Jahre 14 16 von der Domverwaltung
einen Marmorblock zur Herstellung dieses Sockels verkauft
erhielt ') und rückt somit chronologisch an die Spitze aller
') Milanesi zu Vasari II 404. Es besteht kein Grund, die Herstellung der
Nische mit dem Sockelrelief von derjenigen der Statue zu trennen, welche stilistisch
64 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
bekannten Reliefarbeiten Donatellos, nachdem der Verkündi-
gungsaltar in S. Croce mit guten Gründen aus der Reihe der
Jugendwerke ausgeschieden worden ist l ). — Der Sockel unter
dem Marmorbilde des ritterlichen Patrons der Harnischmacher
ist wie bei den meisten anderen Nischen an Orsanmichele
seitlich von zwei kurzen vierkantigen Pfeilern begrenzt, welche
das Zunftwappen tragen. Dazwischen spannt sich die glatte
Fläche zu ornamentalem oder figürlichem Schmuck aus; die
quer hinübergeführten Gesimse der Pilaster geben ihr den
unteren und oberen Abschluss. Das somit im engsten Ver-
bände der Nischenarchitektur stehende Friesstück schmückte
Donatellos gleichstrebender Genosse Nanni di Banco unter
seinen Statuen des h. Eligius und der vier Patrone des
Zimmerer- und Steinmetzgewerbes mit symmetrisch kompo-
nierten Hochreliefs, welche in ihrer lebensvollen Einfachheit
und dem echt plastischen Charakter ein glückliches Studium
antiker Vorbilder verraten. Ausser den erwähnten trägt nur
noch ein vierter Sockel anderen als rein ornamentalen Schmuck,
nämlich derjenige unter der Statue des h. Jakobus an der Süd-
seite, und dieser zeigt wieder engen Anschluss an die Dekora-
tionsweise Ghibertis, so dass man um seinetwillen bereits das
ganze Werk, Nische und Statue , für ein Jugendwerk des
Meisters erklärt hat. Hier ist in der Mitte des Sockelstreifens
zwischen seitlichen Rankenornamenten wieder ein compasso
von jener Form, wie an den Baptisteriumstüren, angebracht
und die hineingefügte Scene der Enthauptung des Heiligen
sieht aus wie die Uebertragung eines Ghibertischen Reliefs in
Marmor2) — dies alles eine interessante Bestätigung dafür,
dass um 1420 diese malerisch überfüllten Relief bildchen in
gotischen Vierpässen so sehr dem allgemeinen Geschmack ent-
nach allgemeinem Urteil in eben die von dem genannten Datum bezeichnete Periode
gehört. Binnen 10 Jahren sollten nach dem Beschlüsse vom Jahre 1406 (Semper '
p. 771 die Zünfte sämtlich ihre Statuen aufgestellt haben. Vergl. Tschudi, Donatcllo
e la critica moderna p. 7.
') Semper 2 p. 56. Uebrigens ist dies Werk seiner Anlage nach eher mit
den Nischenfiguren und -gruppen am Campanile und Orsanmichele in Yergleichung
zu bringen und hat auf die Bezeichnung als Relief nur in einem beschränkten Sinne
Anspruch.
2) Schmarsow, Florentiner Studien II (National-Zeitung 12. März 1889).
DONATELLOS RELIEFKUNST 65
sprachen, dass man sie auch dort verwendete, wo eine tekto-
nisch ohnehin genau umgrenzte Fläche zu breiterer Entfaltung
im Sinne echter Steinskulptur gewissermafsen herausfordern
musste.
Donatello gieng seinen eigenen Weg, da er für die Statue
des h. Georg ein richtiges Predellenstück schuf, wie es mit
den Taten des Heiligen geschmückt die Staffel so manches
Altargemäldes bildet. Flach wie die Nische selbst, in auf-
fallendem Gegensatz zu allen anderen, ist auch das Relief; die
tektonische Verwendung bedingte strenge Symmetrie der Kom-
position, welche sich dem entsprechend klar und einfach ent-
faltet. Zwischen der Drachenhöhle hier, dem Königspalast der
kappadokischen Prinzessin dort dehnt sich die freie Bühne, der
Schauplatz des Kampfes, welchen das zitternde Mädchen mit
ihren Gebeten begleitet. Halbabgewendet, in energisch ge-
schlossenem Kontur lässt Donatello den gepanzerten Ritter
in den Grund hineinsprengen, — so wie der Maler Raphael es
schliesslich unter dem sichtlichen Eindruck dieses Reliefs auch
nicht besser zu machen wusste. Für diese prächtige Figur hat
sich Donatello weder bei dem Reiterrelief am Campanile noch
bei dem Grabmal des Wilhelm von Narbonne ') Rats erholt:
sie wuchs ihm zu aus der gestaltenden Kraft des energischen
Raumgefühls, welche das ganze Relief sichtlich durchdringt.
Denn nicht genug an den schräg gestellten Seitenkulissen des
Drachenfelsens und der Königsburg — eine perspektivisch
gezeichnete Reihe knorriger Olivenbäume führt über welliges
Terrain hin den Blick noch weiter in die Tiefe und leicht
hingesetzte Wolkenfetzen auf dem Reliefgrunde suchen die
Empfindung landschaftlicher Ferne hervorzulocken.
Mit sichtbarer Freude am Neuen, Unerhörten ist dies alles
in den Grund hineingezeichnet, und wenn die noch ungeübte
Hand auch öfters irre gegangen, wie in den Blendbogen des
1) Ital. Forschungen z. Kunstgesch. I. 189.
2) Ein Blick auf Benedetto da Majano's Kanzelreliefs in S, Croce kann uns
zeigen, in wie hohem Grade die florentinische Marmorbildnerei auch auf der Höhe
ihrer Vollendung dem verführerischen Einfluss des Bronzestils ausgesetzt war. Diese
virtuosen Leistungen des Meisseis scheinen nicht blos in ihren Zielen, sondern auch
in ihrer Ausdrucksweise unmittelbar mit Ghibertis ,Paradiesespforte' wetteifern zu
wollen.
Italienische Forschungen II. 5
66 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Gebäudes rechts oder gar dem Versuch, hier einen Einblick
in die gepflasterte Flurhalle zu geben, — wo gab es vor 1420
in Florenz auch auf Wandbildern und Gemälden besser ge-
lungene Perspektivkonstruktionen zu schauen?
Es fällt nicht schwer, sich von dem grundverschiedenen
Charakter dieses Werks im Vergleich zu Ghibertis Relief-
bildern zu überzeugen, obgleich die angewandten Darstellungs-
mittel, perspektivische Verkürzung und Uebergang vom Hoch-
relief zum zartesten Flachrelief, doch genau dieselben scheinen.
Der zunächst entscheidende Grund für den so ganz verschie-
denen Eindruck liegt freilich nahe genug: dort haben wir es
mit Bronzereliefs zu tun, hier mit einem Marmorrelief, — und
die Bedeutung dieses eigenartigen Werkes besteht eben nicht
zum kleinsten Teil auch darin, dass es bei gleichem Streben
nach freier Raumentfaltung den echten Steinstil vertritt im
Gegensatz zum Bionzestil. Lag doch die Gefahr einer Ver-
mischung beider Stilarten in jener Uebergangsepoche nahe
genug, wie das erwähnte Reliefbildchen mit der Enthauptung
des h. Jakobus beweisen kann. Donatello war dazu berufen,
neben dem vollendet ausgebildeten Bronzestil Ghibertis im
Wettstreit des Kunstschaffens auch die grundsätzlich ver-
schiedenen Vorausbedingungen und Gesetze des Marmorrelief-
stils zur Geltung zu bringen.
Man muss sich die historischen Bedingungen vergegen-
wärtigen, unter welchen die Kunst, Bildwerke für den Erzguss
zu formen, in Florenz ihren Anfang genommen hatte. Der
Schmuck dreier bronzener Prachttüren gab dazu nicht blos
die äussere Veranlassung, sondern wirkte vermöge der besonderen
Natur der hier gestellten Aufgabe auch sichtlich auf die Ent-
wicklung der künstlerischen Ausdrucksweise. Den Weg, welchen
Andrea Pisano zu einer plastischen Gestaltung des Türschmuckes
gewiesen « ) verfolgt auch Ghiberti bei seiner ersten Tür in der
wesentlichen Anlage der Reliefs. Er stellt seine Figürchen
innerhalb des von dem gotischen Vierpass abgezirkelten Raumes
der glatten Türfläche auf schmale, von Laubknäufen getragene
Konsölchen, welche sich dann, wo die Scenerie es verlangt,
auch zur Wiedergabe von Felsterrain auswachsen, das die Ecken
1) Vgl. Schmarsow, Andrea Pisano. Preuss. Jahrbücher LXII1 p. 165.
DONATELLOS RELIEFKUNST 67
des Vierpasses füllt. In den Reliefs selbst erscheint Alles)
was zur Andeutung des Schauplatzes gehört, ebenso wie die
Figuren auf der glatten Türfläche wie aufgeheftet, und in jedem
Augenblick bleibt dem kundigen Beschauer das Verfahren des
Modelleurs für Goldschmiedearbeit oder Erzguss gegenwärtig,
welcher auf dem festen Modellierbrett die Wachsform aufträgt
und ausarbeitet und für den daher eben diese Fläche ein Ge-
gebenes ist, das er in jedem Falle zu respektieren hat.
AnGhibertis zweiter Tür ist dieses Bewusstsein tektonischer
Festigkeit bis zu einem gewissen Grade durch die Eintiefung
der Türfelder beeinträchtigt; die für unsere Vorstellung not-
wendig existierende innere Türfläche sind wir genötigt uns etwas
weiter zurück zu denken und das Gefüge der Längs- und Quer-
leisten tritt als konstruktives Element fast ausschliefslich hervor.
Doch um bezüglich der Stärke und Tiefe der ganzen Tür-
wandung unserer Vorstellung nicht allzuviel zuzumuten, hat der
Künstler zu dem eigenartigen Auskunftsmittel gegriffen, die
unteren Teile der Reliefs schubkastenartig über den inneren
Rahmen hervorzuziehen, so dass die vorderen Figuren in der
Tat rahmenlos frei in der Luft stehen, ohne Fühlung mit der
tektonischen Fläche, auf welche sie vielmehr ihren Schatten
werfen z ).
Im vollen Gegensatz gegen dieses Verfahren des Bronze-
bildners, das zur voll ausgerundeten Freifigur als der letzten
Konsequenz der auf einen Wettstreit mit der Malerei aus-
gegangenen Reliefkunst führte, arbeitet Donatello in seinem
Predellenstück an Orsanmichele als echter Steinbildner von
der Oberfläche in die Tiefe des Marmorblockes hinein und
holt daraus die Gestalten und den Raum heraus, die er dar-
r) In der Verteidigung Ghibertis gegen den namentlich hieraus abgeleiteten
Tadel G. Hauck's (Preuss. Jahrbücher LVI p 13) ist H. Lücke (Grenzboten IV p 490 f.)
zu weit gegangen, wie er in dem wesentlichsten Punkte berichtigend nachher selbst
anerkannt hat (a. a. O. p. 613). Doch wird man den Hinweis auf denEinfluss der
Beleuchtung durch grelles, von allen Seiten auffallendes Tageslicht, welcher diese
Reliefs an ihrem Platze stets ausgesetzt sind, immerhin als berechtigt anerkennen
müssen. Ghiberti selbst war sich des Unterschiedes in der Beleuchtungsart augen-
scheinlich bewusst, wie ein Blick auf die Reliefs der Area di S. Zanobi beweist.
Hier ist mit Rücksicht auf die geschlossene Beleuchtung im Innern des Doms die
Erhebung der Vordergrundsfiguren eine weit geringere.
5"
68 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
stellen will. Das Gegebene ist ihm die Fläche des Steins und
die Randgliederung oben und unten stellt die Stärke der Schicht
dar, welche bis zum Grunde des Reliefs davon abgetragen
worden ist. In die Tiefe des Steingrunds hinein sprengt der
Ritter mit seinem Ross, zieht sich die Wandung der Felshöhle
und des Gebäudes: diesen Weg nahm auch der Meissel in der
Hand des Meisters. Auf der innigen Einheit von Gedanke und
Ausführung, von Erfindung und Technik beruht die keusche
Stilreinheit dieses Werkes, und diese eben bedingt seinen
künstlerischen und historischen Wert. Der zerstörende Einfluss
des Malers Orcagna, der nur durch Beeinträchtigung der plasti-
schen Form die Illusion der Raumerfüllung zu erkaufen wusste,
erscheint hier überwunden, insofern als mit den eigensten
Mitteln der Steinskulptur weit Kühneres unternommen und ge-
leistet ist. Dass der Versuch des namenlosen Künstlers des
Jakobustabernakels, Ghiberti nachzuäffen, dagegen nicht auf-
kommen konnte, ist nur natürlich. Aber auch Nanni di Banco's
Zurückgehen auf die Antike tritt an Bedeutsamkeit weit dahinter
zurück. Seinen zierlich, fast im Vollrund ausgeführten Genre-
figuren gegenüber wird man den Gedanken an Terrakottabild-
werk nicht los. Donatello hat vor ihm in diesem Werke nicht
blos das feinere Stilgefühl des Marmorkünstlers voraus, sondern
auch die lebhafte Mitempfindung für die neue Kunst des Jahr-
hunderts, welche überall ein Gesamtbild sei es auch nur eines
kleinen Ausschnitts der Wirklichkeit sehen will, überall das
Leben in der Totalität seiner Erscheinung, wie es kaum
erst die Malerei in jenen Tagen zu bewältigen vermochte. Und
so fragen wir wol mit Recht: woher nahm der Steinbildner
Donatello die Anregung zu einem so kühnen und energischen
Versuch, der Marmorplatte eine Raumtiefe abzugewinnen, wie
sie bisher noch keiner der florentinischen Skulptoren auch nur
annähernd erreicht hatte?
Wenn uns wahr berichtet wird, dass der jugendliche Dona-
tello sich auch in der Ausschmückung von Hochzeits- und
Sterbetruhen, wie sie damals in Florenz üblich waren, mit
figürlichen und ornamentalen Flachreliefs in vergoldetem Stuck
und in Verbindung mit farbiger Malerei betätigt habe I), so
*) Vasari ed. Milanesi II 150 (im Leben des Dello Delli).
DONATELLOS RELIEFKUNST 6g
mag uns diese handwerkliche Kunstfertigkeit wol als eine Vor-
bereitung auf solche Arbeiten, wie die hier in Rede stehende,
erscheinen. Zumal im Hinblick darauf, dass auch später diese
,Cassoni', wie erhaltene Beispiele lehren, gern mit Einblicken
in Strafsen- und Häuserperspektiven ausgestattet wurden. *)
Aber dies bleibt nur ein Hinweis auf verwandte Arbeitsge-
legenheit, da es sich auch an dem Sockel der Georgsnische
um die Ausfüllung eines langgestreckten Feldes handelt, wie
bei den Deckeln und Vorderwänden jener Holztruhen, und wir
uns die Zuhülfenahme von Bemalung zur stärkeren Hervor-
hebung der Linien von Halle, Fels, Hügeln und Bäumen auch
hier gern angewendet denken. — Das entscheidende Moment
liegt doch in der Energie und Sicherheit der perspektivischen
Zeichnung, welche dieses Relief in so überraschender Weise
bekundet — und diese verweist uns mit aller Entschiedenheit
auf die Bemühungen um eine wissenschaftliche Begründung der
Perspektive, wie sie von Filippo Brunellesco, Antonio Manetti
u. A. gepflegt wurden. Eine Darstellung wie die unter der
Georgsnische kann nicht anders entstanden sein, als im nahen
Zusammenhange mit Brunellesco's perspektivischen Ansichten
des Baptisteriums und der Piazza de' Signori 2). Manetti ver-
setzt diese freilich bereits in den Anfang des Jahrhunderts 3),
aber es wäre zu fragen, warum dann erst so viel später die
neue Fertigkeit sich in Werken der Kunst betätigt, erst nach
1420 bei Masaccio und einige Jahre früher bei Donatello. So
muss dem unscheinbaren Predellenrelief an Orsanmichele auch
für die allgemeine Kunstgeschichte seine Stellung als epoche-
machende Leistung gewahrt bleiben. Es ist die erste Betätigung
eines Programms, wie es in den Malereien der Brancaccikapelle
seine vollendete künstlerische Ausführung gefunden hat.
Und vergleichen wir nun unter diesem Gesichtspunkte der
1 ) Ein Gemälde von einer Hochzeitstruhe mit der Ansicht des Domplatzes in
der Akademie (Sala V, No. 1.) — Sehr interessant ist ein ganz flaches Stuckrelief
in ovaler Form, im South Kensington-Museum, für das eine ähnliche Verwendung
anzunehmen ist. Die Darstellung, Madonna tronend zwischen zwei Heiligen, auf
den Stufen im Vordergrund zwei musizierende Engel, geht in den Typen und der
Gewandbehandlung ganz deutlich auf Donattellos Sienesisches Relief zurück.
J) Milanesi, Operette istoriche di Antonio Manetti p. 85 ff.
3) a. a. O. p. 82 ff.
70 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
perspektivischen Behandlung noch einmal speziell Donatello's
Werk mit denjenigen Reliefs Ghiberti's, mit welchen er augen-
scheinlich seine Arbeit für die dritte Bronzetür begann und die
immer noch eine beträchtliche Anzahl von Jahren vorwärts
liegen, so wird uns recht klar, worin der Unterschied be-
ruht. In Donatellos Relief ist es die Vereinigung von echt
plastischem Bildnersinn mit dem perspektivisch-mathematischen
Calcul des Hintergrundes, die ihm seine Wirkung sichert; aus
Ghibertis Reliefs spricht ein durchaus malerisches Empfinden,
von angeborenem Schönheitsgefühl geleitet. Donatello kon-
struiert den Schauplatz einer geschlossenen Handlung aus
einem bestimmten Augenpunkt, Ghiberti verschmilzt auch eine
Mehrheit von Scenen zu einem abgerundeten Ganzen von fein
empfundener Linienharmonie. Sein Raumgefühl liegt gewisser-
mafsen in seinen Fingerspitzen, mit denen er im weichen Thon
die feinsten Unterschiede der Körperlichkeit herausmodelliert.
Fast möchte man sagen : Donatellos Relietkunst ist von der
Linienperspektive beherrscht, diejenige Ghibertis von der Luft-
perspektive.
Dieses Verhältnis kommt nun auch zum Ausdruck, da sie
Beide berufen waren, an demselben Werk mitzuarbeiten,
an den Reliefs nämlich für den Taufbrunnen in Siena. Ghiberti
welcher etwa zehn Jahre brauchte, um die beiden ihm über-
tragenen Darstellungen zu liefern — 141 7 aufgetragen wurden
sie 1427 abgeliefert ') — steht in der ersten, der Verhaftung
Johannes des Täufers vor Herodes noch ganz auf dem Boden
seiner Reliefs an der ersten Tür des Baptisteriums. In der
Anordnung der . Scene und der Behandlung der Architektur
schliesst sich diese Arbeit aufs engste der Handwaschung des
Pilatus in jener Relieffolge an. Die Taufe Christi dagegen
nähert sich — obwol im Einzelnen noch ungelenk und eines
der schwächsten Werke Ghibertis — bereits sehr der Be-
') Im Guss vollendet waren beide Reliefs augenscheinlich bereits 1425 Daher
hat es auch wenig zu sagen' dass die zuerst fertig ciselierte und zur Ansicht nach
Siena gesandte ,storia' die Taufe Christi war. S. Milanesi, Documenti per la storia
dell' arte Senese II p. 89 ff. p. 119 ff.
DONATELLOS RELIEFKUNST 71
handlungsweise der Reliefs an der zweiten Tür. In beiden
aber tritt uns die Arbeitsweise des Bronzebildners deutlich
entgegen in den grofsen Flächen freien Grundes und der
wechselnden Erhebung der Figurenschichten.
Donatello erweist sich auch hier, trotz des Materials, für
welches er arbeitet, als der konsequente Perspektivenzeichner
und der geschulte Steinbildner, welcher dem Ganzen die gleich-
mäfsige Verteilung der höchsten Höhen des Reliefs wahrt und
nur in die Tiefe unbeschränkt eindringt, um ihr den Schein
der Raumerweitung zu entlocken. In die obere Hälfte der
Tafel ist ein kompliziertes Bild architektonischer Innenräume
hineingearbeitet, ganz so, als wenn es durch schichten-
weises Abtragen des Materials dem Marmor abgewonnen wäre.
Gewisse Absonderlichkeiten, wie die vorspringenden Balken in
den Pfeilern der vorderen Arkadenreihe und die in der
stützenden Mauer angedeuteten Steinlücken entsprechen genau
dieser Arbeitsweise; sie wollen zugleich den Verlauf der per-
spektivischen Linien nach ihrem gemeinsamen Verschwindungs-
punkt in der Mitte der Tafel recht schulgemäfs eindringlich
und augenfällig machen. — Mit scharfem Strich ist diese
Hälfte des Reliefs von der unteren Region mit dem dramatisch
bewegten Gastmal des Herodes geschieden, nur durch Sekun-
därscenen lose damit verknüpft. Und dieser mangelnden
organischen Einheit wegen darf man mit Recht fragen, ob in
diesen Baumeisterphantasieen mit ihrem Kleinkram von
Quadermauern, Pfeilerstellungen und Treppenanlagen sich nicht
fremde Erfindung dazwischen schiebe, diejenige Brunellescos
oder, was für diese Jahre und diese etwas kleinliche Art viel-
leicht zutreffender sein würde, Michelozzos. Das Verhältnis
hätten wir uns also ähnlich zu denken, wie bei dem grofsen
Madonnentondo am Dom zu Siena, wo auch ein direktes Neben-
und Miteinanderarbeiten der beiden Werkstattgenossen anzu-
nehmen ist1), oder wie es die gemeinsam ausgeführten grofsen
Grabdenkmäler in diesen Jahren überhaupt mit sich brachten.
Für Donatellos Selbständigkeit als Reliefbildner bleibt
auch so noch genug übrig in der so klar und schön kompo-
nierten Scene des Vordergrundes. Zu Seiten der langgestreckten
') Schmarsow, Donatello p. 27 und 35.
72 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Tafel kristallisieren sich in zwei Gruppen die Gestalten um
die beiden Hauptpersonen: den entsetzten König- hier, das noch
im Tanzschritt begriffene und doch vor dem Anblick des blutigen
Hauptes erschauernde Mädchen dort. Aus dieser Abgewogenheit
der Komposition, wie aus der fliessenden Behandlung der Ge-
wänder und den scharf profilierten Römerköpfen spricht antiker
Einfluss, an den ja auch eine Gestalt wie die der kappadokischen
Prinzessin auf dem Georgsrelief bereits zu denken zwingt.
Die oft erwähnte Erzählung Vasaris J) von dem Sarkophag
in Cortona, den Donatello zufällig entdeckt und Brunellesco
auf seinen Bericht hin sofort aufgesucht und abgezeichnet habe,
ist ihrem eigentlichen Sinne nach noch nicht verstanden worden.
Wir müssen doch, die von Vasari hervorgehobene Seltenheit
derartiger Ueberreste alter Kunst zu jener Zeit und den Nimbus
des Antik-Klassischen immerhin in Rechnung gezogen, aus-
drücklich fragen, was denn an jenem uns noch heute erhaltenen
Werke die beiden Meister mit solcher Bewunderung- erfüllt
habe2). Technische Vorzüge in der Behandlung des Marmors
dürften es kaum gewesen sein, denn hierin stand die fioren-
tinische Kunst mindestens auf der selben Höhe; auch in der
Lebendigkeit der Bewegung, der Kühnheit der Zeichnung
durften Brunellesco's Opferung Isaaks und Donatello's Drachen-
kampf wol damit wetteifern. So bleibt nur die in diesem
Exemplar allerdings noch ziemlich frische Bildung' des Nackten
und die ganze Behandlungsweise des Reliefs und Anlage der
Komposition übrig. Diese geht hier in der Tat noch sichtbar
auf gute griechische Muster zurück und ist nicht ohne Feinheit
abgewogen3). Ohne schwülstige Figurenanhäufung ist das
i ) Vasari ed. Milanesi II 412.
2 ) Weder Milanesi noch Semper, die mehrfach darauf verweisen, haben sich
die Mühe genommen, den Sarkophag selbst oder eine Abbildung anzusehen: denn
sie geben Beide an, dass er die Darstellung eines Centaurenkampfes enthalte.
Publiziert ist die Vorderseite in Photographie von Altnari (N. 9662). ferner bei
Müller- Wieseler Denkm. d. a. Kunst II 38, 443 und Archaeol. Zeitg. 1845 (III) Tf. 30.
(mit den Nebenseiten), dem Inhalt nach besprochen von Gerhard a. a. O. und Klüg-
mann Arch. Zeitg. 1869 (XXVII) p. 31. Kentauren kommen nur als Gespann am
Wagen des Dionysos darauf vor, der im Kampf mit den Indern dargestellt ist. Der
Arbeit nach gehört der Sarkophag zu den besten römischen Exemplaren.
3 ) Von links stürmt Dionysos mit Nike als Wagenlenkerin auf einem von zwei
Kentauren gezogenen Streitwagen einher, dem sich ein ganz nackter, beschildetei
DONATELLOS RELIEFKUNST 73
Ganze nach den Gesetzen eines echten Friesreliefs in einreihiger
Anordnung durchgeführt. Die Komposition hat einen kräftigen
Zug von links nach rechts, gliedert sich aber deutlich in zwei
Flügel mit starker Betonung der Ecken und einer Cäsur in der
Mitte, wo die Gestalten sich von einander kehren und die
einzige En-face-Figur hervorspringt. So ist die fortlaufende
Bewegung des Frieses durch eine symmetrische Anordnung
wieder in sich zusammengeschlossen, wie von einem letzten
Nachklang der Gesetze edelsten, von der griechischen Kunst
zur Entfaltung gebrachten Marmorreliefstils berührt. Wir glauben
gern, dass unter den wenig- zahlreichen Beispielen antiker
Relief bildnerei, welche damals in Toskana über der Erde
vorhanden waren, sich keines befand, das an Reinheit des
Stils sich mit diesem messen konnte und meinen den Ein-
druck zu verstehen, den es auf ein empfängliches Auge aus-
üben musste. Da wir keinen Anlass haben, an einem tatsäch-
lichen Kern in Vasaris Anekdote zu zweifeln, so würde es sich
nur fragen, in welche Zeit etwa die Bekanntschaft Donatello's
mit diesem hervorragenden Werke griechisch-römischer Skulptur
fallen dürfte. Und da ergeben sich die Jahre, wo ihn sein
Auftrag für den Dom in Orvieto (1423) und für das Taufbecken
in Siena (vollendet 1427) öfters nach der umbro-toskanischen
Grenze geführt haben werden, als nächste Anhaltspunkte1).
Es wäre nun freilich sehr falsch, einen engeren Zusammen-
hang zwischen diesem Sarkophagrelief und der Bronzetafel in
Siena konstatieren oder einen direkten Einfluss desselben auf
Donatellos Stil, wie es Semper tut, annehmen zu wollen. Aber
Vasaris Histörchen mag, richtig verstanden, zur Lösung des
Rätsels, welches diese Arbeit Donatellos aufgiebt, immerhin bei-
Krieger entgegenstellt. Dann erscheint en face gesehen eine Pansfigur, mit erhobenem
Pedum, als Ortsgottheit gedacht. In der rechten Hälfte bilden ein verfolgender und
ein sich verteidigender Satyr mit einer Gestalt zu Pferde eine in Bewegung nach
rechts begriffene Gruppe. Diese berittene Gestalt hat durch die weibliche Bildung
der Brust ein amazonenhaftes Aussehen erhalten; sie ist, wie Klügmann a. a. O.
nachgewiesen, aus Nachlässigkeit von der benutzten Vorlage, einer auch sonst ver-
tretenen Amazonomachie, herübergenommen. Dieser Gruppe kehrt sich eine zweite,
nach links hin gewendete entgegen, in welcher ein Satyr das sich aufbäumende Ross
eines im Herabsturz begriffenen Besiegten am Zügel gefasst hat. Die Andeutung
eines Stadttors dient ihr als Hintergrund.
1 ) Semper 2 p. 33.
74 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZ0
tragen. Denn im Gegensatz zu dem theoretisierenden In-die-
Tiefe-gehen der oberen Hälfte wirkt in der unteren die Schmalheit
der Bühne, der Isokephalismus der Figuren, die nach Gleich-
gewichtsmomenten abgewogene Komposition doppelt auffällig.
Im ganzen Umkreis der früheren und gleichzeitigen toskani-
schen Reliefbildnerei findet sich nichts, was so ausgleichend
und beruhigend auf Donatellos Reliefstil hätte einwirken können.
So kommt uns Vasaris Erzählung von dem Sarkophag in Cortona
eben recht, um auch durch eine äufsere Tatsache das Studium
und den steigenden Einfluss der Antike zu beglaubigen, den
die Werke dieser Zeit ohnehin laut genug verkündigen.
Denn dies sind die Jahre, in denen die allegorischen Ge-
stalten der Grabmäler entstanden und die unmittelbar der römi-
schen Antike nachgeahmten Reliefs Michelozzos in Montepul-
ciano. Und worin spräche die Anregung durch die Antike
sich deutlicher aus als in der Reihe köstlich bewegter Putten-
darstellungen, welche Donatello jetzt in Angriff nahm? Die
Reliefs der tanzenden und musizierenden Knaben an den
Brüstungen der Kanzel in Prato und der Orgelbühne im
Dom zu Florenz sind richtige Marmorwerke, trotz der ver-
schieden starken Ausrundung der Figuren von gleichmäfsiger
Oberfläche, wie von einer Glasplatte überdeckt. Sie sind
tektonisch bedingt durch die umrahmenden Säulchen und die
Randleisten oben und unten und auf farbigen Grund gesetzt
gleich dem Bildwerk eines griechischen Tympanon.
Aber wichtiger als diese mehr dekorativen Arbeiten ist uns
das "Werk, welches der erneuten unmittelbaren Berührung mit
der Antike während Donatellos Aufenthalt in Rom seine Ent-
stehung verdankt: die Grablegung Christi am Tabernakel
der Cappella de' Benefiziati in S. Peter. Der äusseren Zurüstung
nach gleicht dieses Relief Donatellos noch mehr als irgend ein
anderes bisher einem Gemälde, denn ein Stück Rahmenleiste
wird unten sichtbar und zwei Putten heben einen darüber ge-
spannten Vorhang, so dass die Darstellung nach oben und den
beiden Seiten ohne feste Grenze verläuft, als wenn wir nur ein
Stück des Ganzen zu sehen bekämen. Und wie ein Gemälde
ist es auch durchgeführt, flach und zart, so dass die Umrisse
mancher Figur in der Tat nur wie mit der Spitze des Meisseis
hingezeichnet erscheinen. Trotzdem fehlt jede Spur der An-
DONATELLOS RELIEFKUNST 75
deutung eines Hintergrundes und nach der Weise eines antiken
Friesreliefs sind die Figuren geordnet. Einer lebhaften Bewegung
von links nach rechts giebt die symmetrisch komponierte Mittel-
gruppe um den Sarkophag Halt und Gleichgewicht. Nirgend
hat Donatello ein so schönes Ebenmafs der Komposition bei
aller Leidenschaft des Empfindungsausdruckes, nirgend einen
solchen Schwung der Formen und der Bewegungen erreicht wie
in diesem Werk, in welchem der monumentale Geist der ewigen
Stadt zu Worte kommt. — Durch gleiche Gröfse und Innig-
keit der Empfindung ausgezeichnet schliesst sich in der Art der
Behandlung und insbesondere durch die genaue Aehnlichkeit
des Christuskopfes das schöne Relief der Pietä im South-
Kensington-Museum auf's engste an, mit der Halbfigur des
von zwei Engeln aufrecht gehaltenen Heilands, während drei
andere klagende im zartesten Relief auf dem Hintergrunde ange=
deutet sind, i) Auch dieses Relief ist wie ein Gemälde umrahmt,
aber doch rein plastisch in seiner Gesamthaltung und von an-
tikem Geiste durchweht in dem herrlichen Christuskörper und
den über das Kindliche hinausgehobenen Engeln.
Um so lehrreicher ist es zu sehen, wie auf einem dritten
Werk Donatellos, welches mit den genannten zusammen un-
leugbar den Höhepunkt seiner Ausbildung des Marmor-Flachre-
liefs bildet, das Ringen um eine malerische Behandlung auf's
neue aufgenommen wird. Es ist die Darstellung der Schlüssel-
üb ergäbe im Kensington-Museum 2), seit Langem als eigen-
händige Arbeit des Meisters anerkannt. Liesse die meister-
hafte Behandlung des Flachreliefs noch einen Zweifel, so würde
der Hinweis auf die frappante Uebereinstimmung in den Ge-
stalten der knieenden Madonna, den tiefäugigen Charakter-
köpfen der Apostel, der Bildung und der Bewegung der Hände,
der Anlage und Faltengebung der Gewänder zu der Gewissheit
berechtigen, dass dieses Werk in die unmittelbare Nähe jener
römischen Grablegung gehört. Es lässt sich vermuten, dass
es mit dieser auch die Entstehung während des römischen
') South Kensington Museum, Italian Sculpture etc. A descviptive Catalogue
by J. C. Robinson. No. 7577. Lichtdruck bei Semper 2 p. 58.
2) Robinson a. a. O. nr. 7629 mit Holzschnitt p. 16. Gipsabguss in der Dona-
tello-Ausslellung in Florenz. — Stilistisch gehört hierher auch das Relief der Himmel-
fahrt Mariae am Brancaccigrabmal in Neapel.
76 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Aufenthaltes — worauf der Gegenstand der Darstellung hin-
weisen würde — ja selbst die ursprüngliche Bestimmung als
Schmuck eines Tabernakelaufbaus geteilt hat. ') In der Annahme
einer Berechnung auf Untenansicht dürfte wenigstens die geist-
reiche Art, wie hier auf langgestrecktem Friesstreifen die Figuren
mit ihrer räumlichen Umgebung in Beziehung gesetzt sind,
ihre beste Erklärung finden. Die Scene ist auf der Spitze
eines Hügels gedacht, von der aus sich ein Blick in die Ferne
eröffnet. In zwei geschlossenen Gruppen symmetrisch verteilt
stehen die Jünger einander gegenüber, die hinteren links mit
abfallender Höhe der Kopflinie scheinbar etwas niedriger,, als
wenn ihre Reihe sich den Abhang hinabzöge. An der Spitze
der einen Gruppe die knieend emporblickende Madonna, an der
Spitze der anderen Petrus, in demütig"er Haltung die Schlüssel
empfangend, welche der auf Wolken dazwischen tronende
Christus ihm mit ernster Geberde herabreicht. Die eigentliche
Handlung ist also wiederum geschlossen im Vorderplane zu-
sammengehalten und könnte füglich auch vor einem durchaus
neutralen Hintergrunde stehen im oblongen oder halbrund ge-
schlossenen Felde. Nun dehnt sich aber rechts und links und
in der Lücke, welche die Figurenreihe in der Mitte teilt, die
Landschaft scheinbar in weite Ferne. Ein Wäldchen von Lor-
beerbäumen ist rechts angedeutet, und links zieht sich eine
Einzelreihe von Bäumen in starker Verkürzung über niedrige
Hügel hin, wie auf dem Relief mit dem Drachenkampf. In
der Mitte senkt sich der Abhang ins Tal hinab, aus dem wieder
Baumkronen heraufgrüfsen: so ist mit meisterhafter Berechnung
auch für den Eindruck der Höhe, in welcher Christus schwebt,
') Dass es jemals wirklich dazu verwendet worden sei, soll nicht gesagt sein.
Nach einer hübschen Conjectur C. von Fabriczys (Archivio stoiico dell' arte 1 187)
scheint es vielmehr bereits im XV. Jahrb. im Besitz der Medici gewesen zu sein.
In dem Inventar von 1492 (Müntz, Les collections des Medicis p. 63) wird erwähnt:
Quadro di marmo, choraicie di legname atorno, entrovi di mezo riiievo, una Accen-
sione di mano di Donato. In ihrer eigentümlichen und in der tlorenünischen Kunst
sonst nicht nachweisbaren Komposition mochte die Schlüsselübergabe von dem nicht
sehr kundigen Verfasser des Inventars leicht für eine „Himmelfahrt" angesehen werden.
Am Ende des 16. Jahrh. befand sich das Relief im Besitz der Salviati, (Bocchi e
Cinelli, Le bellezze di Fioienza p. 185) in welchen es etwa durch Erbschaft von
Lorenzo's de' Medici Tochter Lucrezia, der Gattin des Jacopo Salviati gelangt sein
konnte. Der alte Holzrahmen ist noch erhalten.
DONATELLOS RELIEFKUNST 77
das Auge gewonnen — ein plastisches Werk, das in seiner
diskreten Durchführung einen Maler beschämen könnte! J)
So vereinigen sich in höchst charakteristischer "Weise auf
dieser Marmorplatte Einflüsse der Antike und echt floren-
tinische Lust an der Bewältigung des Räumlichen mit einander
unter der strengen Zucht des Flachreliefstils, der in dieser
Blütezeit seines Schaffens sich mit Entschiedenheit als das
ausschlaggebende Moment in Donatellos Reliefbildnerei erweist.
— Die Erinnerung an Ghiberti kann auch hier deutlich machen,
wie selbständig schöpferisch Donatello seinen eigenen Reliefstil
zur Ausbildung gebracht hat, der in der Monumentalität seiner
"Wirkung sich weit näher mit den Wandfresken der Bran-
caccikapelle berührt, als mit Ghibertis Bronzegemälden. Des
letzteren Area di S. Zanobi im Dom ist freilich später (1440)
vollendet, als dieses Relief, aber die Darstellung auf der
Vorderseite, wo der h. Zenobius im Beisein einer grofsen
Volksmenge das Kind einer Witwe vom Tode erweckt, zeigt
in der Komposition eine so grofse Aehnlichkeit, dass sie zur
Vergleichung herausfordert. Auch hier finden wir ja eine
zweiflügelige Anlage der Gruppierung und im mittleren Durch-
blick, wie an den Ecken die perspektivische Darstellung einer
Landschaft mit Hügeln, Bäumen, Gebäuden und einer um-
mauerten Stadt. Aber wie sehr verschieden ist die Grund-
anschauung und die Durchführung! Donatello stellt eine
Figurenreihe in den Vordergrund, die nach Höhe und Breite
den Raum beinahe ausfüllt, und fügt die Andeutungen der
weiteren Umgebung wie ein leises Begleitmotiv hinzu; er
erzielt im Flachrelief starke Wirkungen durch den unmittel-
baren Gegensatz von Nähe und Ferne, Höhe und Tiefe.
Ghiberti geht auf ein einheitliches Bild aus und sucht die Reize
der verschiedenen Pläne durch wechselnde Reliefhöhen zu er-
schöpfen; aber eben deshalb verfällt er oft in das Kleinliche
und vermag doch nicht überzeugend zu wirken.
Hat Donatello diesen Flachreliefstil seiner Marmorwerke2)
J) Man denkt unwillkürlich an Masaccios Predellenbildchen mit der Anbetung
der Könige in Berlin, wo in der hügeligen Landschaft des Hintergrundes ähnliche
Wirkungen erreicht sind.
2 ) Die Rundreliefs im Hof des Palazzo Medicl reihen sich hier an. Dabei ist
die Nachahmung antiker Kameen für den Stil entscheidend gewesen, Tschudi (a. a. O.
78 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
auch auf Bronzearbeiten übertragen? Auf diese Frage scheint das
vielumstrittene Bronzerelief im Bargello zu Florenz, welches
Christus zwischen den Schachern und eine zahlreiche Menge
von Trauernden und Kriegsvolk am Fufse der Kreuze darstellt
und vielleicht aus dem Besitze der Medici stammt1), eine be-
jahende Antwort zu erteilen, das heifst, wenn es wirklich ein
Werk des Meisters sein sollte. Durch ihr Hochformat ist die
Tafel, welche von einer Blattwelle umrahmt sich als selbst-
ständiges Werk wie ein Gemälde präsentiert, bezüglich der
Wiedergabe des Räumlichen auf eine andere Rechnung gestellt)
als die bisher betrachteten Reliefs. Um so mehr überrascht
es, wiederum der so resolut in die Tiefe gehenden Perspektive
der Baumreihen auf dem felsigen Hintergrunde zu begegnen,
welche hier noch durch die eingravierte Zeichnung eines die
Baumreihe wie ein Geländer einschliessenden Pfostenwerks
vervollständigt wird. Auch die von Wolkenfetzen überdeckten
schwebenden Engel und die besenartige Form der Pinienwipfel
schliessen sich der Art und Weise der „Schlüsselübergabe" an,
aber es schmeckt doch alles mehr nach der Schule und es
fehlt die zielbewusste Klarheit, mit welcher Donatello die Kom-
position zu durchdringen weiss. Die Figuren sind regellos und
mit mangelhafter Beherrschung der Perspektive durch die ver-
schiedenen Gründe hin verteilt. In den einzelnen Gestalten
weist Vieles auf eine Entstehung in weit späterer, paduanischer
Zeit hin, wie die klagenden Frauen, die regungslos in starrer
Trauer dasitzende Maria. Wie auf den Reliefs mit den Antonius-
wundern in Padua mischen sich in diese Darstellung leiden-
schaftlicher Erregung antikisierende Figuren, welche allein der
Freude an der Schönheit des nackten männlichen Körpers ihre
Entstehung zu verdanken scheinen. Von einzelnen Krieger-
figuren wieder möchte man beinahe glauben, dass sie Mantegna
hineingezeichnet habe, auf dessen Erfindung auch die schöne
p. 19) hat mit Recht die Beihiilfe eines Schülers bei der Ausführung erkannt.
Töricht dagegen ist es, diese Reliefs mit Maso di Bartolomeo in Beziehung zu bringen.
Vergl. Repert. f Kunstwissenschaft. XIII iy4.
* ) Vergl. Vasari ed Milanesi II 417: Nella medesima guardaroba c, in un
quadro di bronzo di bassotilievo, la Passione di Nostro Signore, con gTan numero di
ligure. — Geschmacklos in Rüstungen und Kleidung der Figuren hineingravierte und
mit Gold plattierte Ornamente haben die Tafel arg verunglimpft.
DONATELLOS RELIEFKUNST 79
Gestalt des trauernden Johannes zurückweist — kurz, das Ganze
zeigt einen so bunt gemischten Stilcharakter, dass die Urheber-
schaft eines selbständig erfindenden und schaffenden Meisters
ausgeschlossen erscheint. Am ehesten würde dem eklektischen
Charakter dieser Tafel und der Mischung von eigenem Können
mit beschränkter Nachahmung die Vermutung entsprechen, dass
ein älterer Schüler Donatellos, der ihn nach Padua begleitete,
dies Werk gefertigt habe, vielleicht unter Benutzung eines ersten
Entwurfs oder einzelner Studien von der Hand des Meisters. ')
Immerhin fehlt es nicht an entscheidenden Belegen dafür,
dass Donatello vor seiner Uebersiedlung nach Padua auch die
Reliefarbeit ausschliesslich im Thonmodell — für das Brennen
oder den Guss — in gröfserem Umfange geübt, ja vielleicht
mit Vorliebe an Stelle derjenigen in Marmor zur Anwendung
gebracht hat. Denn die Arbeiten für die Ausschmückung
der Sakristei von S. Lorenzo fallen zum gröfsten Teil in
diese Zeit, mit alleiniger Ausnahme der Medaillons in den
Pendentifs der Kuppel, mit Darstellungen aus dem Leben
des Evangelisten Johannes. So weit diese heut mit weisser
Tünche zugedeckten Rundbilder ein sicheres Urteil noch ge-
statten, gehören sie ihrer ganzen Anlage nach, welche das
Figürliche nur als Staffage für ausgedehnte Perspektivkon-
struktion benutzt, einer durchaus anderen Anschauungsweise
an, welche für Donatello höchstens nach seinem Aufenthalt
in Padua denkbar wäre. Die Notiz Manetti's 2 ), dass bei
Brunellescos Tode (1446) die Sakristei gänzlich vollendet ge-
wesen sei, scheint also nicht auszuschliessen, dass diese Deko-
rationsstücke in Terrakotta oder Stuck erst nachträglich ein-
gefügt worden sind. Dagegen erweist sich Tschudis Versuch 3)
die Bronzereliefs der Türflügel aus der Gemeinschaft der
übrigen Arbeiten Donatellos in der Sakristei herauszulösen und
seiner Spätzeit zuzuweisen, als unannehmbar, selbst wenn man
die Erzählung des Biographen von der Meinungsverschieden-
heit zwischen den Freunden bezüglich der Umrahmung dieser
Türen nicht auch auf die bronzenen Türflügel selbst ausdehnen
r) Die Stucknachbildung des flüchtigen Modells einer Kreuzigung von Donatello
in Berlin (n. 41) scheint mir eher hierher zu gehören, als zu den Kanzeln inS. Lorenzo.
21 Operette istoriche di Ant. Manetti ed. Milanesi p. 145.
3) Don. e la crit. mod. p. 23. vgl. p. 27.
80 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO *
wollte ' ). Denn diese Reliefs hängen stilistisch so eng mit den
Heiligenpaaren in den Lünetten darüber und mit den Evange-
listenfiguren in den Rundin edaillons der Wandbogen zusammen,
dass eine zeitliche Scheidung unmöglich erscheint. Aus der
Behandlung jener Evangelistendarstellungen erwachsen aber
der Annahme, dass diese ganze Gruppe von Arbeiten um 1440
entstanden sei, sichere Stützen. Nicht blofs die Rundform als
solche weist auf einen Zusammenhang mit den Marmorme-
daillons im Palazzo Medici hin, sondern auch eine ähnliche
Benutzung antiker Einzelmotive, wie sie dort in der treuen
Nachahmung von Gemmendarstellungen zu Tage tritt. So sind
die Tronstüle und Lesetische der Evangelisten durchweg aus
antiken Dekorationsmotiven zusammengesetzt, und an ihren
Seiten mit Puttendarstellungen geschmückt, die gleichfalls auf
direkte Nachahmung antiker geschnittener Steine zurückgehen;
für zwei derselben lassen die Vorbilder sich noch nachweisen 2 ).
Aber auch abgesehen von diesen mehr äusserlichen Be-
weisgründen — was scheidet denn in der Tat die Reliefs in
der Sakristei von den Werken der dreissiger Jahre? J) Sind es
nicht die selben Charakterfiguren hier, wie die Apostel der
,Grablegung' und Schlüsselübergabe'? Ist es nicht dasselbe
Streben nach malerischer Breite und Fülle der Erscheinung
hier wie dort, und dann auch wieder die gleiche dramatische
Lebhaftigkeit der Bewegungen, in denen sich die Glut der
inneren Empfindung kundgiebt? Erregt und unruhig geberden
sich ja selbst die Evangelisten auf ihren Tronstülen und ihre Sym-
bole sind zum Teil von der Bewegung mitergriffen. Bei den
in dramatischer Wechselwirkung einander gegenübergestellten
■) Manetti a. a. O. p. 145. Aus dem Wortlaut der Erzählung scheint hervor-
zugehen, dass die Umrahmung gleichzeitig mit den Türllügeln dem Donutello in
Auftrag gegeben wurde.
2) Am Tisch des Matthaeus ein Putto mit dem Blitzstrahl des Zeus, vgl.
Tassie-Raspe A descript. catalogue of anc. and mod. gems Lond. 1791 n. 6633«=
Museum Florent. II. 16; am Tisch des Marcus ein Putto als Sieger im Ringkampf
über dem Besiegten stehend Tassie-Raspc 6939.
3) Dass auch die Judithgruppe in die Reihe dieser Werke gehöre erscheint mir
trotz der von Tschudi a. a. O. p. 30 f. dagegen geltend gemachten Gründe noch unwider-
legt ; also wären auch die geistvoll bewegten Puttenreliels am Sockel hier zu
berücksichtigen, wenn wir von ihnen nicht besser in einem anderen Zusammenhange
ausführlicher sprächen.
DONATELLOS RELIEFKUNST «I
Heiligen und Märtyrern an den Türen ist es namentlich wieder
das geistreiche Spiel der Hände, in denen sich die Erregung
äussert. Endlich die Gewandbehandlung mit ihren faltigen
Priesterröcken und den breit darüber geordneten togaartigen
Mänteln schliesst sich durchaus an die Weise jener Marmor-
reliefs an und hat fast nichts mit der realistischen, knapperen,
im Einzelnen weit schärfer accentuierten Faltengebung der
Paduaner Bronzewerke zu tun. Es ist immer noch die Antike
und der Marmorstil, deren Einfluss nachwirkt — nur dass hier
alles freier, fliessender sich entfalten kann. Denn diese Ge-
stalten sind um ihrer selbst willen da, nicht als Verkörperungen
einer Idee oder Handlung. So erscheinen sie uns fast wie
Vorübungen zu der neuen Periode reicher Tätigkeit, welche
Donatello in Padua erwartete.
Uenn in dem Thonmodell für den Bronzeguss, wie es in
gröfserem Umfange zuerst bei diesen Reliefs für die Sakristei
von S. Lorenzo angewandt ist, scheint Donatello von nun an
die Arbeitsweise gefunden zu haben, welche dem Reichtum
seiner Phantasie, dem Verlangen nach Betätigung der gewonnenen
Herrschaft über den psychologischen Ausdruck am meisten ent-
sprach. Den natürlichen Einfluss dieser Technik auf seine
Reliefkunst stellen die Arbeiten für die Kirche des h. Antonius
in Padua dar, und heischen deshalb eingehendere Betrachtung.
Wir dürfen sie ihnen nicht versagen, mag auch dabei ein
gelegentliches Eingehen auf die weiter greifenden Fragen,
zu deren Lösung die Paduaner Werke auffordern, sich als
unumgänglich ergeben.
Das Wichtigste ist wol die Entscheidung, welche unter diesen
Werken überhaupt als einwandsfreie Zeugen für Donatellos
persönliche Arbeitsweise anzusehen sind. In den Umständen
ihrer Entstehung liegt manches, was die mögliche Zahl solcher
Arbeiten zu beschränken scheint. Denn der Zeit nach verteilen
sich die Arbeiten für den Santo auf wenige Jahre. Die Reliefs
für den Schmuck des Hochaltars wurden sämtlich im Jahre
1446 bestellt und der Hauptsache nach im Laufe der beiden
folgenden Jahre vollendet: 144g erfolgten die letzten Zahlungen
Italienische Forschungen II. 6
82 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
für die vier Tafeln mit Wundertaten des Heiligen und für die
zwölf Engel und vier Evangelistensymbole1). Schon diese
äusseren Umstände also machen die Annahme notwendig, dass
eine gröfsere Zahl von Schülern und Gehilfen unter der An-
leitung des Meisters dabei mittätig gewesen sei, und zwar, wie
bei der Menge der binnen kurzer Frist ausgeführten Aufträge
wahrscheinlich ist, mit verhältnismäfsig grofser Selbständigkeit 2).
Ein Blick auf die erhaltenen Werke kann dies nur bestätigen.
Der Untersuchung eröffnet sich somit vor allem die Aufgabe,
vorläufig wenigstens die beschränkte Zahl von Künstlernamen,
welche uns in den Rechnungsbüchern des Santo genannt werden,
mit den vorhandenen Arbeiten dieser Werkstatt nach Möglich-
keit in Zusammenhang zu bringen — und damit einen ersten
Baustein zu der Geschichte der so wichtigen Donatelloschule
in Padua beizutragen. 3)
Insbesondere bieten die Vermerke über die Anfertigung
der zwölf Reliefs mit singenden und spielenden Engeln und der
vier Evangelistensymbole einen Ausgangspunkt für die stil-
kritische Auseinandersetzung. Ausser dem Meister selbst wurden
diese Arbeiten fünf mit Namen aufgeführten Gehilfen übertragen,
nämlich dem Giovanni da Pisa und dem Antonio di Chellino
da Pisa, dem Urbano di Pietro da Cor to na, dem Francesco
del Valente und dem Maler Niccolö (Pizzuolo). Wenn nun
bei der Bezahlung der vier Evangelistenzeichen von diesen
Beauftragten nur die vier erstgenannten Gehilfen als Zahlungs-
empfänger bezeichnet werden, der fünfte (Niccolö Depentor)
dagegen ausgeschlossen bleibt, so ist der Schluss erlaubt,
dass je eines der vier Symbole von einem der vier Schüler
gearbeitet worden sei — und da wenigstens von zweien der
i) Hierfür und für alles Folgende bietet das Werk von Gonzati, La basilica
di S. ADtonio di Padova. Padua 1854 die urkundlichen Belege. S. Bd. I, Doc.
LXXXI ff.
2) Vgl. Baccio Bandinelli bei Bottari, Raccolta di lettere I 70: Alcuni che
stettero con Donato mi dissero che sempre aveva nella sua bottega diciotto o
venti garzoni ; altrimenti non arebbe mai fornito un altare di Santo Antonio da Padua,
con altre opere.
3) Ich folge hier dankbar den Anregungen, welche H. von Tschudi, Don. e la
crit. mod. p. 25 f. gegeben hat, ohne in den Resultaten überall mit ihm überein-
zustimmen.
DONATELLOS RELIEFKUNST 83
genannten Meister uns anderwärts beglaubigte Werke vor-
liegen, so erscheint der Versuch gerechtfertigt, die einzelnen
Arbeiten mit einem bestimmten Namen in Verbindung zu
bringen.
Für unsere Vorstellung von der Arbeitsweise des Giovanni
da Pisa, den Donatello nach Padua mitgebracht hat, bietet
der als sein Werk bezeugte Terrakottaaltar J) in der Kapelle
Ovetari der Eremitanikirche zu Padua eine erwünschte Grund-
lage. Es ist ein breites Tabernakel, mit vollrunden Figuren
das von korinthischen Rahmenpilastern, Predella und Fries
umschlossen und durch einen giebelförmigen Aufsatz bekrönt
durch Uebertünchung jetzt in seinen dekorativen Teilen zumeist
der feineren Wirkung beraubt ist.
In dem mäfsig hohen Untersatz ist, jetzt in weissen Figuren
auf gelbem Grunde, im Mittelstück die Anbetung der Könige
dargestellt, friesartig gegen die links sitzende Madonna hin
sich entfaltend. Am interessantesten erscheinen uns die jugend-
lichen Gestalten des Gefolges der Könige, welche im Gespräch
oder ein Pferd am Zügel haltend beisammen stehen. Solche
flotten Studentenfiguren im eng anliegenden gegürteten Wammse
ziehen auch in den Reliefs im Santo das Auge des Beschauers
auf sich. Ein zerfallenes Denkmal und daran gelehnt ein antiker
Torso bekunden weiter den Eindruck der Gelehrtenstadt Padua
und der Ueberreste antiker Kunst, welche hier zusammen ge-
bracht waren. In den Seitenteilen der Predella dagegen über-
rascht wieder ein ganz und gar florentinisch - donatelleskes
Ornament: die breite bauchige Schale, aus deren durch-
brochenem Deckel hier Aehren, Blumen und zwei Füllhörner
hervorwachsen.
Ein Puttenreigen in dem oberen Fries erinnert bereits stark
an das entsprechende Glied in den Kanzelbrüstungen von
S. Lorenzo, wenngleich hier noch durchaus dergeistliche Charakter
der Darstellung gewahrt ist, dem strengeren Ernst des Altar-
bildwerks entsprechend. Mafsgebend für den Stil waren sichtlich
1) S. Anonimo Morelliano ed. Frimrael p. 2. Er ist leider immer noch nur
in dem unzureichenden Stich bei Cicognara Storia della scultura II tav. 12
publiciert. Die Giebelputten in einer flüchtigen Radierung Gaz. des Beaux-Arts
1868 p. 298.
6*
84 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
in erster Reihe die Balustraden der Orgelbühne im floren-
tiner Dom. ')
Auch der Giebelaufsatz ist mit Putten belebt. Von vier
Füllhörnern umkränzt bildet ein Medaillon mit dem segnenden
Gottvater sein Mittelstück, über welchem zwei auf der Gesims-
höhe stehende Putten das Kreuz hochhalten. Auf der abfallenden
Gesimskante rechts und links liegt je ein Knabe und ein Leier-
spielender sitzt vor der sich aufrollenden Eckvolute.
Mischen sich in diesen mehr dekorativen Zutaten also meist
Eindrücke der florentinischen Werke Donatello'fc mit Motiven,
wie sie in den gleichzeitigen Arbeiten in Padua auftreten, so dringt
in den völlig als Rundfiguren behandelten Hauptgestalten seines
Altarwerks der Pisaner Meister zu gröfserer Selbstständigkeit
durch. Sechs Heilige umgeben die auf zierlichem Tron sitzende
Madonna, eine schlanke Gestalt in reicher Gewandung, welche
hochaufgerichtet das auf ihrem rechten Knie sitzende Kind
leicht mit der Linken berührt. Das Antlitz mit den feinen, noch
etwas herben Zügen wendet sie dem h. Jakobus zu, welcher
mit Buch und Pilgerstab ihr zugekehrt wie ein vertrauter Freund
zur Linken neben dem Trone steht. Auf der andern Seite der
Madonna hat sich Johannes der Täufer in ähnlicher Weise zu
dem Bambino gesellt, der von seinem Spiel mit einer Blume
aufschauend sich lebhaft nach ihm umwendet — und wie ein
älterer Spielgefährte streckt Johannes ihm die Rechte entgegen,
während er mit dem linken Fufs auf die Tronstufe tritt und den
Ellbogen sogar auf die Seitenlehne stützt. Der feierlich dog-
matische Gestus des ,Precursore' ist zu einer freundlichen Ge-
berde traulicher Annäherung umgedeutet und somit in diese
auch künstlerisch wolabgerundete Mittelgruppe ein Zug von
liebenswürdiger Empfindung hineingebracht, welcher als charak-
teristisch für den Künstler angesehen werden darf. Er giebt sich
!) Durch ein amphorenähnliches Ornament in der Mitte ist der Streifen in zwei
Hälften geteilt, an deren Enden posaunenblasende Flügelknaben nach innen gewendet
stehen. Dann folgen nach der Mitte zu je ein orgelspielender Putto, mit einem
andern, der den Blasebalg bewegt, Gruppen von selbständiger Anmut der Erfindung,
endlich ein wilder Reigen zur Musik eines Leietspielenden und eines Schalmeibläsers.
Tanzender mit Kränzen in den Händen. In der Mitte sind zwei Gruppen von je
Dreien angeordnet, von denen ein Sitzender unter Begleitung eines Trommlers und
Triangelspielers links, eines Tamburin- und Beckenschlägers rechts zu singen scheint.
DONATELLOS RELIEFKUNST 85
auch im Aeusseren seiner Gestalten durch ein unverkennbares
Streben nach Anmut und Zierlichkeit der Erscheinung- kund,
wie in dem reich gefältelten und am Halsausschnitt und den
Aermeln geschmückten Kleide der Madonna, welches lebhaft
an Donatello's Judith erinnert, in dem kunstvoll aufgesteckten
Schleiertuche, welches ihr Haar bedeckt und in Zickzackfalten
auf die Schulter herabfällt. Selbst das Fellkleid Johannes des
Täufers ist mit einem shawlartigen Gewandstück herausgeputzt,
das von der linken Schulter herabfällt, wie es ähnlich auch um
die Schultern des Bambino gelegt ist und das Kleid der Madonna
umgürtet.
Paarweise reihen sich zu beiden Seiten die vier übrigen
Heiligen an: rechts der andere Patron der Kapelle, S. Christo-
phorus mit dem jungen Baumstamm in der Rechten und das
Christuskind auf der Schulter tragend — eine lebhaft bewegte
Gestalt in schreitender Stellung. Aber in der gegensätzlichen
Haltung von Ober- und Unterkörper, in der Bildung der
kräftigen Beine erinnert er auch unmittelbar an Gestalten,
wie sie Mantegna in den Wandfresken derselben Kapelle an-
zubringen liebt. Neben ihm die statuarisch geschlossene Figur
des h. Antonius Abbas mit Krückstock und Eremitenglöckchen.
Auf der linken Seite stehen einander zugekehrt die Heiligen
der beiden Prediger orden : Petrus Martyr und Antonius von
Padua — ruhige Gestalten von fester Haltung mit den üblichen
Attributen ausgestattet.
Wenn man in der glücklichen Anordnung dieser Figuren-
reihe, welcher ein an der Wand dahinter aufgehängter Vor-
hang nur eine leise Andeutung malerischer Tiefe verleiht, den
unmittelbaren Einfiuss der Kompositionskunst Donatellos er-
kennen darf, wenn Anklänge an des Meisters ornamentale Er-
findungen und an Motive seiner Gewandbehandlung ebenso-
wenig fehlen, wie Nachwirkungen paduanischer Eindrücke und
Vorbilder — so tritt uns doch in der feineren Durchbildung
seiner Gestalten Giovanni da Pisa aus diesem Werk als ein ver-
hältnismäfsig selbständiger Künstler entgegen, dessen Stil ge-
nügend charakteristische Merkmale aufweist, um ihn als eine Indi-
vidualität neben den Grofsen, zwischen denen er sich bewegt,
anzuerkennen. Bei fester plastischer Gestaltungskraft ist ihm ein
Streben nach anziehender Eleganz der Erscheinung eigen,
86 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
wie es sich weder im Kreise Donatellos noch Mantegnas sonst
finden dürfte. Die schlanke Körperbildung, die sorgfältige
Zierlichkeit in den G-ewändern und dem ornamentalen Beiwerk,
die etwas äusserliche Anmut seiner Formen müssen in's Auge
fallen. Als besonders charakteristisch tritt seine elegante Be-
handlung der Hände hervor, welche schlank und weich gebildet
mit einer gewissen Absichtlichkeit zur Schau gestellt werden,
wie dies bei der Madonna und Johannes dem Täufer nicht zu
verkennen ist. Daneben betätigt sich das Streben des Künstlers
nach gefälliger Zierlichkeit namentlich in der Haarbehandlung.
Die reichen vollen Locken des Johannes und Jakobus, der
dichte Scheitel der Madonna mit der kunstvollen Schleierhaube
sind hierfür die ausgeprägtesten Beispiele. Mit ähnlicher Locker-
keit behandelt, ist das Haar bei dem Bambino und den Putten
in weichen Strähnen zurückgestrichen und bei einigen an der
Seite gescheitelt ' ).
Ist es demnach ein Zufall, wenn das einzige unter den
Werken im Santo, bei welchem die Urkunden den Giovanni
da Pisa wenigstens als Genossen des Donatello ausdrücklich
und allein nennen2), der Cr ucifixus vom Hochaltar, in diesem
Grundzuge weicher Eleganz sich mit den Figuren in der Ere-
mitani - Kapelle berührt? Man vergleiche doch diesen Ge-
kreuzigten mit den Holzbildern Donatellos aus Sa. Croce und
S. Lorenzo^). Obwol ein halbes Jahrhundert zwischen diesen
beiden liegt, haben sie doch unter einander nähere Verwandt-
■) Diese Haarbehandlung macht sich auch in den Marmorreliefs im Hofe des
Pal. Medici geltend, namentlich in der Darstellung ,Daedalus und Ikarus', und es
fragt sich demzufolge, ob nicht schon hier die Mitarbeirerschaft Giovannis anzunehmen
sei. Den von Tschudi p. 19 hervorgehobenen eigenartigen KopUypus, der in anderen
dieser Reliefs (.Ariadne', , Kentaur') deutlich ist, vermag ich allerdings mit der Weise
dieses Meisters nicht in Einklang zu bringen.
2) Gonzati Doc. LXXXI: Maistro Donatello da Firencie de' dare adi 28 de
zenaro (1444) L. 4 s. 12 le quali sono per L. 46 de ferro ave da Piero Mangion
per fare el Croccfiso tolse m° Zuan so compagno da la botega de Piero Mangion.
3) Der aus Korkholz geschnitzte Crucifixus, welcher sich heute, meist unzu-
gänglich, in der Guardaroba im Kreuzgang von S. Lorenzo befindet (Phot. Alinari
14363/4) wird von Vasari (II 459 mit den Noten Milanesis) allerdings als eine Arbeit
des Simone Ferrucci bezeugt, geht aber doch sicher — namentlich im Kopf,
der weit besser ist als der Körper — aut ein Modell Donatellos aus dessen letzten
Jahren zurück.
DOXATELLOS RELIEFKUNST 87
schaft als mit dem Paduaner "Werk, was Auffassung und Energie
des Ausdrucks anlangt. Der Crucifixus im Santo ist eine sorg-
fältig durchgebildete Arbeit, aber es fehlt ihm durchaus die
Kraft der Empfindung, welche wir bei Donatello in diesen
Jahren vorauszusetzen berechtigt sind. Das edel geformte, aber
wenig beseelte Antlitz, das kunstvolle Arrangement der weichen
Haarmassen, die schlanke und elegante Körperbildung stimmen
dagegen durchaus zu dem künstlerischen Charakter des Pisaners
und berechtigen uns zu der Annahme, dass derselbe doch einen
selbständigeren Anteil an diesem Werk gehabt habe, als nur
die Beihülfe bei der technischen Ausführung z ). Wäre es denn
auch ohne weiteres zu verstehen, dass Donatello zugleich mit
jenen leidenschaftlich erregten Grablegungs- und Wunder-Dar-
stellungen diesen kühlen wolfrisierten Christus geschaffen haben
sollte?2)
Suchen wir mit diesem Eindruck von Giovanni's Stil eines
der Evangelistensymbole im Santo zusammenzubringen,
bei denen freilich von vornherein eine mehr dekorative
Behandlung vorauszusetzen ist, so wird es nicht schwer sein, in
dem Zeichen des Matthaeus, dem Engel, ganz ähnliche Züge
wiederzufinden. Die schlanken Körperformen, die elegant
ausgelegten Hände, das um rechte Schulter und Unter-
arm geschlungene shawlartige Gewandstück, die weiche,
lockere Haarbehandlung rufen unmittelbar die Erinnerung an
den Terrakottaaltar der Eremitanikapelle wach. Es ist eine
in Körperhaltung und Gewandbehandlung noch ziemlich be-
fangene Gestalt und hält ihr Buch ebenso ängstlich und un-
sicher, wie der hl. Jakobus dort, aber der freundliche Ausdruck
des unschuldigen Kindergesichts wirkt doch ansprechend.
Durch diesen Ausdruck einer freundlichen Milde schliessen
sich nun aber auch, um den angeknüpften Faden gleich weiter zu
verfolgen, unter den Reliefs der tanzenden und musizierenden
T) Wie Tschudi a. a. O. p. 26 meinte.
2) Angesichts der ganz eigentümlichen Haaranordnung bei diesem Christus
fragt es sich, ob nicht auch jener häufig wiederkehrende Madonnentypus, den für
uns in erster Linie das Berliner Marmorrelief n. 44 repräsentiert, auf Giovanni da Pisa
zurückgeführt werden muss. Auch im Berliner Katalog wird bereits auf die Arbeiten
im Santo und einen von Donatellos Paduanischen Mitarbeitern verwiesen. Vergl.
Tschudi Don. e la crit. mod. p. 33.
88 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Engel der Geigenspieler und der nach rechts gewandte
Tamburinschläger an die genannten Werke an. Beide sind
durch die fast ganz in Vorderansicht gegebene Körperhaltung
unter sich nahe verwandt und zeigen in den diitenförmigen
gequetschten Falten des kurzen Röckchens, ja der Geigen-
spieler wiederum auch in dem shawlartigen Arrangement um
die Schultern das gleiche Princip dtr Gewandbehandlung wie
der Matthaeusengel und das Kind auf dem Schofse der
Madcnna. So elastisch im Gelenk wie hier sind die Händchen
an keinem anderen der zwölf Engelreliefs bewegt, aber auch
nirgends mit so koketter Absichtlichkeit zur Schau gestellt.
Der kleine Mund mit den geöffneten Lippen ist sämtlichen
Figuren des Terrakottaaltars eigen und die Putten am Friese
desselben finden jedenfalls, soweit ihr kleiner Mafsstab ein
Urteil gestattet, in keiner anderen der Engelsfiguren im Santo
genauere Seitenstücke, als in dem bezeichneten Paar. ')
Wenn Giovanni da Pisa, wie diese Arbeiten von seiner
Hand bezeugen, unter die tüchtigsten der damaligen Gehülfen
Donatello's gerechnet werden muss und ihm angeborenes
Schönheitsgefühl und selbständiges Können nicht abzusprechen
sind, so tritt uns in Urbano da Cortona der rein handwerks-
mäfsig geschulte und ganz in unselbständiger Nachahmung
stecken gebliebene Steinmetz entgegen. Als solchen wenigstens
lernen wir ihn in seinen Arbeiten in Siena kennen, wo er von
145 1 bis in die achtziger Jahre beschäftigt war und erst 1504
gestorben ist. 2) In das Atelier Donatello's und Michelozzo's
scheint er bereits als ganz junger Bursche gekommen und bei
der Ausführung der dekorativen Steinmetzarbeiten für die
Orgelbühne im Dom beschäftigt worden zu sein. 3) Der durch-
') Der auch von A. G. Meyer (Jahrb. d. preuss. Kunstsammlungen X p. 94)
nicht mit der nötigen Entschiedenheit zurückgewiesene Versuch, das Grabdenkmal des
Rafl'aello Fulgoso (t 1427) im Santo, welches dem Cosciagrabe nachzuahmen strebt,
dem Giovanni da Pisa oder einem anderen bekannnten Schüler Donatellos zuzuschreiben,
ist ganz verfehlt. Es' ist die ziemlich plumpe Arbeit eines Steinmetzen aus der Werk-
statt der beiden florentiner Meister, welche das Grabmal des Tommaso Mocenigo in
Venedig schufen.
2) Vergl. Schmarsow, Repert. f. Kunstwissenschaft XII. 290. Rumohr Ital.
Forschungen II. 203 ff. Milanesi, Documenti per la storia den" arte Senese II. 271 ff.
3) Einmal wird er in den Urkunden des Santo auch als Urbano da Fiorer.za
bezeichnet. Gonzati, p. LXXXVIII.
DONATELLOS RELIEFKUNST 89
gehende Typus der Engelköpfe, wie er an seinen Reliefs aus
dem Marienleben im Dom zu Siena sich findet, mit den auf-
gedunsenen Formen des Gesichts, dem mähnenartig zu den
Seiten abstehenden, über der Stirn durch einen Reifen zu-
sammengehaltenem Haar tritt bereits an den Brüstungsteilen
im Hof des Bargello auf. Die Dekoration der vorderen Seite
der Steinbank im Casino de' Nobili, als deren Urheber er nun wol
endgültig erwiesen ist, mit Vasen und daraus emporspriessendem
Rankenwerk, schliesst sich auf's engste an das damals beliebteste
Ornamentationsmotiv Donatello's an, wie es auch an den
Seitenwandungen der Tragkonsolen jener Orgelbühne erscheint,
und selbst die Verzierung der Trittstufe vor der Loggiabank
erinnert unmittelbar an dort gebrauchte Rankenmotive. Die
Meinung, dass Urbano in Padua als Steinmetz an den Chor-
schranken verwendet worden sei, hat demnach ihre volle Be-
rechtigung, und die Beobachtung, dass das Hauptziermotiv der
Chorschranken im Santo, die schlanke Amphora mit spiralisch
kannelliertem Halse, in den Marienreliefs mehrfach wiederkehrt
(am Betpult der Madonna in der Verkündigung und im Giebel
der Altarnische auf der Abweisung Joachims), mag ihr zur
weiteren Stütze dienen. ') Doch sind wir durch das ausdrück-
liche Zeugnis der Urkunden befugt, dem Urbano auch an der
Ausführung der Evangelistensymbole und Engel einen Anteil
zuzuweisen, und die Vergleichung lässt keinen Zweifel übrig,
dass ihm die bei weitem schwächste Leistung unter den ersteren,
das Bild des Lukasstiers, gehört. Die Unfähigkeit Urbano's
zu verständnisvoller Durchbildung der Gestalt, die plumpe
Rohheit seines Formenausdrucks treten in diesem glotzäugigen
Ungetüm wahrhaft abstofsend zu Tage. Entscheidend für seine
Urheberschaft ist die Behandlung der Flügel, welche aus
breiten, stumpf abgerundeten, schwachgerippten Federn äusserst
leblos und schematisch zusammengefügt sind, ganz so, wie die
Flügel der Cherubim in der Himmelfahrt und Krönung Mariae
oder in der Verkündigung an Joachim unter den sienesi sehen
I ) Ich habe mir auch bezüglich der Cherubimköpfe in den Ecken der unteren
Schrankenfelder des Chors eine Haaranordnung notiert, mit rückwärts flatterndem Schopt
über der Stirn, wie sie am Engel in der Verkündigung und an den allegorischen
Figuren der Steinbank mehrfach wiederkehrt.
90 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Reliefs. Danach gehört ihm aber weiter unter den paduanischen
Engeln wenigstens teilweise die Ausführung des Mandolinen-
spielers, wenn hier auch sicherlich ein Entwurf Donatello's
zu Grunde liegt und die nachbessernde und belebende Hand
des Meisters sich in Einzelheiten vorteilhaft bemerkbar macht.
Aber das hässliche blöde Gesicht, die plumpe und höchst
befangene Gewandbehandlung können nur dem Schüler auf
Rechnung- gesetzt werden, mit dessen Weise, die Federn der
Flügel zu bilden, dieser Putto ganz übereinstimmt. Sein
Kittel ist — das einzige Beispiel unter allen paduaner Putten,
— am Halse mit einem schmalen Bunde eingefasst, der ebenso
wie das auch hier wiederkehrende Stirnband und das Bändchen,
mit dem das Kleid um die Hüften gerafft ist, eine Reihe ein-
getiefter Punkte als Verzierung zeigt: gerade dieses Halsband
aber und diese Art der Gewandverzierung kehren auf den
sieneser Reliefs Urbano's bis zur Ermüdung wieder.
Für die übrigen an den dekorativen Reliefs beteiligten
Künstler liegt die Möglichkeit sicherer Stilvergleichung nicht
vor, so dass sich bis auf Weiteres feste Resultate hier kaum
erzielen lassen. Dass der Anteil Donatellos selbst an diesen
Arbeiten ein verhältnismäfsig- geringer ist, wird dem aufmerk-
samen Beobachter nicht zweifelhaft erscheinen. Ganz seiner
würdig erscheint nur jener wildbewegte Tänzer und Sänger,
welcher sich mit dem Rasseln des Tamburins begleitet und
dessen flatternder Chiton noch den Florentiner Putten einiger-
mafsen nahe steht. An Originalität der Erfindung kommen ihm
die beiden nach rechts hingewendeten Knaben annähernd gleich,
welche aneinander geschmiegt aus einem Buche singen. Doch hat
Tschudi mit R.echt bemerkt, dass in der Ausführung die Bei-
hilfe einer anderen Hand deutlich sei. J ) Das Gegenstück zu
diesem Sängerpaar ist gleichfalls bereits von Tschudi mit den
beiden flötenblasenden Engeln zu einer unter sich ver-
wandten Gruppe zusammengefasst worden, für welche er ver-
mutungsweise den Namen des Antonio diChellino aus Pisa
nennt, „des am leichtesten erkennbaren, meistbeschäftigten und
zugleich schwächsten unter den Genossen Donatellos.'' In der
Tat muss dieser Antonio nach der Höhe der ihm ausbezahlten
') A. a. O. p. 26.
DONATELLOS RELIEFKUNST 91
Summen zu schliessen z), zusammen mit Giovanni da Pisa und
Francesco del Valente den tätigsten Anteil an der Herstellung
dieser Reliefs genommen haben. Die überaus fleischigen, fast
knochenlosen Körper, mit dem überlangen Rumpf im Gegen-
satze zu kurzen und schwächlichen Beinen, die runden Kinder-
köpfe mit den dicken Lippen, den stark ausgehöhlten Augen
und dem tief in die Schläfen hinabwachsenden Haar bilden die
charakteristischsten Merkmale seines Stils. Unter den Evan-
gelistensymbolen möchte ihm Tschudi den Adler zuweisen; ich
glaube, dass eine Vergleichung der Art, wie die Federn am Arm-
knochen des Flügels schuppenartig übereinandersitzen, ferner der
Behandlung des leicht aufgeblätterten Buches eher dazu führen,
in dem Löwen die selbe Hand wiederzuerkennen 2). Dann bliebe
also der Adler als Eigentum des vierten hierbei beschäftigten
Gehülfen, des Francesco del Valente übrig und die Be-
handlung des enggefältelten Gewandstücks, welches sich zwischen
seinen Fängen in so gesuchter Weise hindurchschlängelt, dürfte
unter den Putten am ehesten in der ähnlich gefältelten, manieriert
angeordneten Gewandung des auf den Zehen stehenden Doppel-
flötenbläsers ihr Analogon finden. Im Uebrigen steht dieser
dralle Bube, was die Erfindung und die Körperbildung anbelangt,
ziemlich allein. Nur in der Gewandanordnung nähert sich ihm
der ruhig dastehende, nach rechts gewendete Beckenschläger,
welcher dagegen durch die Formenbehandlung in seinem grofsen
runden Kindskopfe wieder einigermafsen an die Art und Weise
eines bestimmten Meisters erinnert, der uns in den Freistatuen
am Altar begegnen wird. — So bleiben als letztes Paar der
Harfenspieler and der nach links gewendete Doppelflöten-
bläser übrig, welche trotz einiger Verschiedenheiten im Ein-
zelnen doch den Ursprung aus ein- und derselben Hand
nicht verleugnen können. Der eigenartige Kopfputz mit der
dicken Guirlande um die Stirn, die lockige Behandlung
des Haars, die Art wie das Gewand in höchst manierierter
Weise zwischen den Beinen hindurchgezogen und die Scham
1) GoDzati doc. LXXXVI.
2) Für Antonio di Chellino könnte seine Mitarbeiterschaft an dem Triumph-
bogen Alfons I. in Neapel (Minieri Riccio, Gli artisti etc. p. 3.) weiter helfen, wenn
es erst gelungen sein wird, die Arbeit der vielen hieran beteiligten Künstler ausein-
anderzuhalten.
92 DOXATELLOS KANZELN IX S. LOREXZO
darunter angedeutet iit, begründen die Zusammengehörigkeit.
In den Köpfen erkennt man einen in den gleichzeitigen Paduaner
Wandfresken häufigen Typus; doch nähert sich der Kopf des
Flötenbläsers in der Durchführung stark dem Antonio di Chellino,
während das blöde Gesicht des Harfenspielers von Urbano da
Cortona modelliert sein könnte. In der ganzen Formenbehandlurg
macht sich eine von den übrigen Engeln abweichende Manier
geltend, welche es begründen würde, wenn man einen Gold-
schmied als Verfertiger vermuten wollte: die Haare, die Flügel,
insbesondere aber die Gewandung mit ihren überall wulstig ge-
rundeten Konturen sehen aus wie aus Goldblech getrieben;
wie aus Blech geschnitten biegt sich das herabhängende Mäntel-
chen des Harfenspielers rund heraus oder legt sich der lose Zipfel
des Ueberwurfs bei dem Flötenspieler zusammengerollt auf
den Rand der Relieftafel ').
*
\J eberblicken wir die ganze Reihe dieser Engelreliefs, so
tritt uns deutlicher als irgendwo bisher in den Werken, welche
Donatello's Namen tragen, die Tätigkeit einer ganzen Schule
und Arbeitsgenossenschaft entgegen, welche sich aus sehr ver-
schiedenen Elementen zusammensetzt, anders geartet nach ihrer
Herkunft, Schulung und dem Mafs ihres Könuens. Aus der
Steinmetzzunft ist der eine der Genossen hervorgegangen, der
hier im Drange der Aufträge neben seiner gewohnten hand-
werklichen Tätigkeit von dem Meister auch zu selbständigerer
J) Wenn es hier die Behandlung des Körperlichen und der Gewandung ist,
welche unmittelbar an Arbeit aus getriebenem Metallblech erinnert, so weist ja auch
die ornamentale Durchführung sämtlicher Reliefs auf das Mitsprechen einer ähnlichen
Geschmacksrichtung hin, wie sie Donatcllo selbst damals längst abgetan hatte. Die
eingegrabenen Ornamente in den Engelreliefs sind mit Goldplättchen ausgestanzt und
die Evangelistensymbole haben einen gemusterten Grund, mit einem Ringmuster, wie
es ähnlich Mantegna später in seinen Fresken in Mantua verwendet. Am auffallendsten
tritt dieser Goldschmiedsgeschmack in dem Pietärelief zu Tage, welches heute am
Altar der Gattamelatakapelle augebracht ist. Hier geht die Behandlung des Grundes
direct von der Vorstellung einer 1 jour gearbeiteten Metallplatte aus, die etwa einen
Blick auf die im Innern des Altars bewahrten Reliquien gewähren sollte. Für die
etwas dürftige Gewandbehandlung und die Formengebung des Christuskopfes hat
Tschudi bereits auf die Holzstatue Johannes d. Täulers in der Frarikirche zn Venedig
als nächstverwandt hingewiesen. S. Tschudi a. a. O. p. 30.
DONATELLOS RELIEFKUNST 93
Leistung mit dem Modellierholz herangezogen wird, und dabei
seine Zunftgewohnheiten so wenig verleugnet, wie da er später
als anerkannter „maestro" umfassende Aufträge zur eigenen
Ausführung übernimmt. Maler ist ein anderer, und als Gold-
schmied giebt sich durch unzweideutige Merkmale ein dritter
und vielleicht ein vierter zu erkennen, der gewohnt ist über
einem festen Kern dünnes Metallblech zu Formen auszutreiben.
Kein Wunder also, dass eine einheitliche Behandlung des
Reliefs in diesen Arbeiten nicht wahrzunehmen ist. Es sind im
Grunde genommen meist Statuetten, völlig runde Figuren, die
nur wie zufällig in den vertieften Rahmen hineingesetzt
erscheinen, der sie alle gleichmäfsig umgiebt. Eine Ausnahme
davon machen zunächst wol nur die auf Donatello unmittelbar
zurückgehenden Figuren, der Tänzer und die Sänger (n. r.), bei
welchen in Anlage und Ausführung wirklich auf eine mehr
flächenhafte Wirkung gerechnet ist. Man vergleiche das
andere Sängerpaar (n. 1.) oder den Geigenspieler, den Tam-
burinschläger, um sich der Unterschiede bewusst zu werden.
Aber auch Figuren, wie den beiden Flötenbläsern, haben
Reminiscenzen an die Sakristeitüren von S. Lorenzo zu einer
mehr reliefmäfsigen, ja schon völlig malerischen Anlage ver-
holfen; jedenfalls ist die Art, wie diese etwas schläfrigen
Bürschchen an dem Rahmen des Reliefs die einzige Stütze für
ihre bequeme Stellung finden, so unplastisch wie möglich. In
der Gewandbehandlung erinnern sie noch ebenso deutlich wie
der Mandolinenspieler an den Marmorstil Donatello's, während
in den übrigen Figuren mehr oder weniger entschieden bereits
das enge Gefältel, wie es das Thonmodell mit sich bringt, zur
Herrschaft gelangt ist.1).
') Die bekannte achteckige Erotenurne im capitolinischen Museum (s. Benn-
dorf in Arch. Zeitg. 1865 (XXIII) p. 61 f., wo die übrige Literatur angeführt ist),
bietet in den sieben Reliefs musicierender und tanzender Putti manchen auffallenden
Vergleichungspunkt mit den paduanischen Engeln — noch nicht einmal so sehr in den
Motiven, welche gemeinsam entlehnt sein könnten, als Einzelheiten der Behandlung und
des Ausdrucks, namentlich der Köpfe. Man vergleiche den Leierspielet, welcher auf-
allenderweise mit der Linken sein Instrument schlägt, mit dem einen Sänger in Padua.
Der eigenartige Haarschmuck mit Kranz und bügelartig nach hinten gelegtem Zopf kehrt
hier mehrmals wieder. — Die Archaeologen mögen entscheiden, welche Schlüsse etwa
für die Beurteilung dieses viel besprochenen, aber noch nicht genügend erklärten Werkes
hieraus zu ziehen wären. — Nach einer brieflichen Mitteilung des Herrn Prof.
94 DOXATELLOS KAXZELN IN S. LOREXZO
Wo Auffassung und Arbeitsweise im Einzelnen so ent-
gegengesetzt sind, kann es nicht überraschen, wenn ein letzter
Rückblick uns zeigt, dass in der Ausführung der ganzen Reihe
ein vorgefasstes Programm in die Brüche gegangen ist. Denn
offenbar waren diese Engelreliefs ursprünglich auf gegenseitige
Responsion angelegt, wie dies bei den Paaren der Flötenbläser,
der Sängerduos und etwa noch der Doppelflötenspieler deutlich
ist. Aber schon für den Tamburinschläger, den der Meister
selbst sich zur Ausführung vorbehalten, vermochte Giovanni
da Pisa kein rechtes Seitenstück zu liefern; sein freundlich
lächelnder Knabe ist in Allem das gerade Gegenteil von
jenem bacchantischen Tänzer, bei welchem die derben Putten
der Brüstungsreliefs in Prato und Florenz Gevatter gestanden
haben. Dass hingegen der Geigenspieler und der Lauten-
schläger als Gegenstücke angelegt sind, erkennt man noch
deutlich trotz ihrer Ausführung durch so verschiedene Hände. —
Auf diese fünf Paare beschränkte sich der erste Auftrag1); später
findet sich in den Rechnungen noch ein elfter Engel erwähnt2),
und diese Zahl hat, wie der Augenschein beweist, ihre Ergänzung
zur graden Summe gefunden, ohne dass bei dem letzten Paar
noch der Versuch einer Responsion fortgesetzt worden wäre.
So bieten diese Enge!reliefs in ihrem wechselnden Stil-
charakter wie in ihrem inneren Zusammenhange ein sprechendes
Zeugnis für die Art der Tätigkeit Donatello's in Padua. Wir
sehen, wie der Meister bei der Ausführung eines vorgeschriebenen
Programms sich fast ganz auf die skizzenhafte Andeutung der
Idee beschränkt und die plastische Ausgestaltung den Schülern
überlässt. Das Arbeiten nach weitläufiger Anweisung war sicher-
lich niemals seine Sache und das hier Geforderte überstieg
seine Geduld und seine Kräfte. Verlangten die nimmersatten
Paduaner doch ausser den Reliefs und dem Crucifixus zu gleicher
Zeit noch sieben beinahe lebensgrofse Bronzestatuen der Madonna
und der Stadtheiligen von ihm zum Schmuck ihres Hochaltars 3).
Schmarsow findet sich an der Tür des Rectorenpalastes in Ragusa ein Relief, in
welchem die musicierenden Putten aus dem Santo zu einer Gruppe vereinigt erscheinen.
i) Gonzati, Doc. LXXXJ, p. LXXXV.
2) Gonzati, Doc. LXXXI, Carte 68. p. LXXXVI1I.
3) Diese Statuen, nach den Rechnungsbüchern des Santo sämtlich bei
Donatello bestellt, tragen doch durchweg den Charakter der Schularbeit. Dies gilt
DONATELLOS RELIEFKUNST 95
Daneben liefen sicherlich Jahre lang die umfangreichen und
schwierigen Arbeiten für die Modellierung und den Guss
der Reiterstatue fort; wir finden Donatello ferner in diesen
Jahren — nach 1450 — in lebhafter Verbindung mit Ludovico
Gonzaga in Mantua, für welchen er gröfsere Arbeiten teils
in erster Reihe von der Madonna mit dem Kinde, welche ursprünglich auf dem
Altar die Mitte einnahm und jetzt in der hinteren Chorwand auf der Höhe des
Giebels aufgestellt ist — ein höchst ungeschicktes Werk, ohne Herrschaft über den
Körper ausgeführt und unklar in der Gewandung. Die übrigen Statuen sind sorg-
fältiger, mit strenger Beziehung auf einander als Gegenstücke gearbeitet. Der heilige
Diakon und Martyr Daniel macht dieselbe Geberde mit der Linken, wie die heilige
Justina mit der Rechten, S. Franciscus drückt ebenso sorgsam sein Buch mit
beiden Händen an sich, wie S. Antonius, und hält ein Crucifix an die rechte Brust
gepresst, wie jener den Lilienstengel an die linke. Die genauere Prüfung der Statuen
wird durch ihre hohe Aufstellung und die ungünstige Beleuchtung jetzt unmöglich
gemacht. (Auch die von L. Fiorentini in Padua einst gefertigten Photographien sind
jetzt nicht mehr erhältlich). Der Gipsabguss des Franciscuskopfes (in der Donatello-
ausstellung in Florenz) zeigt eine charakteristisch durchgearbeitete Physiognomie,
für welche sich wol auf einen bestimmten Meister verweisen Hesse. Bezüglich der
Madonna scheint mir so viel sicher, dass LTrbano da Cortona daran beteiligt ist.
Die Sphinxköpfe am Tron stimmen durchaus mit seinen Engelmasken in Siena und
an der Florentiner Orgelbühne. — Den relativ höchsten künstlerischen Wert unter
diesen Statuen beanspruchen die beiden Bischofsfiguren S. Ludwig und
S. Prosdocimus, welche in den ernsten etwas mürrischen Physiognomien immerhin
einen Anlauf zu selbständiger Auffassung erkennen lassen. Sie stehen namentlich die
erstere in der scharfrandigen, glatten Behandlung der Köpfe der Kreuzigungsgruppe im
Dom zu Ferrara, welche als Werk des Niccolo di Giovanni Barone e 1 li bezeugt
sind, so nahe, dass sie ebenso wie die Porträtköpfe des Ludovico Gonzaga und des
jungen Gattamelata (Schmarsow im Reprt. f. Kunstwschft. XII. 106) unter die Arbeiten
dieses Meisters aufgenommen werden müssen. — Hier würde sich auch, wie oben
hervorgehoben, der Beckenschläger unter den Engeln anschliessen. — Die unleugbaren
Unterschiede in der Gewandbehandlung erklären sich wol dadurch, dass bei den
ferrareser Statuen das Bestreben hervortritt, durch kunstvolle Ausschmückung mit
ciselierten Mustern und eingelegter Goldarbeit ein Paradestück zu liefern. Dieser Ab-
sicht zu Liebe sind dann die Mäntel in möglichst einfachen breiten Faltenmassen
übergelegt, so dass die ornamentierten Säume und Granatapfelmuster zur Geltung
kommen, während an den paduaner Bischofsstatuen die Gewandung nur dekorativ
flüchtig angelegt ist. — Gonzati nimmt (I 65) für die beiden Statuen eine ursprüng-
liche Aufstellung auf dem Gesimse über dem vorderen Choreingange an, zu beiden
Seiten des Crucifixus. So sieht man noch heute an der entsprechenden Stelle den
Gekreuzigten zwischen Maria und Johannes in der Frarikirche in Venedig; über die
entsprechende Aufstellung der ferraresischen Gruppe s. Gualandi, Memorie Serie IV,
40 f. Der Anonimo Morelliano (ed. Frimmel p. 2) erwähnt nur die Madonna mit
den sie umgebenden 4 Heiligen; sie hatten ihren Platz auf dem ,scabello' des Hoch-
gb DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
nur im Modell ausführte, teils zur Vollendung brachte1); er
begab sich 1451 nach Ferrara um über die Reiterstatuen des
Xiccolo und Borso d'Este ein Gutachten abzugeben2); er wurde
im selben Jahre nach Modena berufen und blieb bis zum
Sommer 1452 dort mit den Vorbereitungen für eine zweite
Reiterstatue des Herzogs Borso beschäftigt 3) — kurz, wir ge-
winnen das Bild einer so umfangreichen und mannichfaltigen
Tätigkeit, wie sie eben nur mit Hülfe einer grofsen und wol-
geschulten Werkstatt durchgeführt werden konnte. Und zu
alledem kam offenbar das Drängen der Paduaner, die nach
immer neuen Werken von seiner Hand begehrten. Es wird eine
Aeusserung Donatello's berichtet, welche sein Verhältnis zu den
Paduanern ebenso scharf beleuchtet, wie seinen hochstrebenden
Künstlersinn. Er fürchte, soll er gesagt haben, in Padua alles zu
verlernen, was er könne, da er hier von jedermann höchlichst
gelobt werde. In Florenz werde er ständig getadelt, aber eben
dieser Tadel gebe ihm Ursache zu weiterem Streben und damit
zu höherem Ruhme3). Und auch jenes Wort eines Freundes,
welches dieser 1458 nach Siena schreibt4), geht wol auf eine
Aeusserung des Künstlers selbst zurück, dafs Donatello vier
Jahre zuvor — also 1454 — grofse Sehnsucht gehabt habe, von
Padua nach Siena fortzukommen — «per non morire fra quelle
ranochie di Padova; che poco ne manchö."
Und doch hat Donatello den Pfahlbürgern von Padua das
Höchste geschenkt, was er auf dem Gebiete historisch-drama-
tischer Darstellung zu leisten vermochte — in den vier Reliefs
mit Wundertaten des h. Antonius, welche ja auch neben dem
Reiterbilde des Gattamelata offenbar stets in erster Linie den
Ruhm seiner dortigen Tätigkeit ausgemacht haben. Oder wagt
altars, d. h. auf der über den freistehenden Altar (,aila romana') sich hinziehenden
Staffel, welche zwischen der vorderen und hinteren mensa als Scheidewand diente. In
den Rechnungsaliten (Gonzati, Carte 68) heisst es allerdings von allen 7 Freistatuen:
le quali figure serano poste a lo altare grande de la gexia.
x) Vergl. Braghirolli im Giornale di erudizione artistica 1873. Bertolotti,
Figuli fonditori e scultori in relaz. colla corte di Mantova p. 66.
2) Gualandi Memorie IV. p. 35.
3) Vasari ed. Milanesi II 413.
4 ) Brief des Leon. Benvoglienti bei Milanesi, Docum. per la storia delT arte
Senese II 299.
DONATELLOS RELIEFKUNST gj
kritischer Zweifel wie an die untergeordneten Leistungen mehr
dekorativer Art sich auch an diese vielbewunderten Historien?
Bevor wir hier einen Schritt vorwärts tun, wird es gut sein,
rückschauend den Anschluss an den bisherigen Entwicklungs-
gang von Donatellos Reliefkunst wiederzugewinnen. Schenken
wir unsere Aufmerksamkeit zunächst jenem unscheinbaren
Werk, das heute an dunkler Stelle über dem hinteren Chor-
eingang des Santo eingemauert ist, dem Stuckrelief der
Grablegung Christi1).
Arg bestofsen und durch dick aufgetragenen Firnis ent-
stellt wirken die Gestalten dieses Reliefs doch so unmittelbar
auf den Beschauer, dass sich kaum eine Stimme gegen die
Behauptung erheben wird, dass aus ihnen Donatello selbst zu
uns spricht. Hier haben wir 'seiner eigenen Hände Arbeit vor
uns, und es fragt sich nur, wie die Ausführung in vergäng-
lichem Material, Gips oder Thon, zu erklären sei, die auffällig
!) Bei Vasari ed. Milanesi II 411 heisst es: Similmente nel dossale dello altare
fece bellissime le Marie che piangono il Christo morto. Diese Inhaltsangabe würde
vortrefflich auf die Grablegung passen, deren Platz danach am Antependium des
rückseitigen Altartisches gewesen wäre, wenn das vorhandene Stuckrelief wol auch
nur provisorisch hier angebracht sein konnte. Die auffallenden Beschädigungen —
namentlich die Nasen der Figuren sind abgestoßen — wären damit auf das ein-
fachste erklärt. Bedenken erregen mir dagegen die Mafse des Reliefs, welche
1,30 Höhe zu 1,90 Breite betragen. Deshalb mag auch dahingestellt bleiben, ob
sich die Notiz des Anonimo Morelliano, welche gleichfalls von einem Christo morto
an der Rückseite des Altars berichtet, mit derjenigen Vasaris vereinbaren lässt. Auf-
fallend genug ist, was der Anon. (ed. Frimmel p. 1) sagt: Et da dietro laltarsotto
il scabello (also nicht „über" der Staffel, wie Fr. übersetzt) il Christo morto cum le
altre figure a circo, et le due figure da man dextra, cum le altre due da man sinistra,
pur di basso rileuo ma di marmo, forono di mano di Donatello. Der Herausgeber
nimmt hier, wie es nach dem Wortlaut auch zunächst liegt, an, dass der Anon. drei
Reliefs beschreibt: eine ,Pietä' in der Mitte und je zwei marmorne Relieffiguren
seitlich davon. Aber die bronzene Pietä am Gattamelataaltar kann hier nicht gemeint
sein, da sie nach ihren Mafsen mit den Wunderreliefs zusammengehört, welche am
, Scabello' angebracht waren. Und was waren und wo blieben die Marmorfiguren
zu beiden Seiten? — Demgegenüber erscheint es immerhin nicht ganz undenkbar,
dass der Anon. — wider seine Gewohnheit etwas geschwätzig — das so auffallend
symmetrisch komponierte Stuckrelief, welches er für Marmor ansah, hätte in der Art
beschreiben wollen : Christus mit einigen Figuren in der Mitte und rechts und links
je zwei Figuren. — Aber, wie gesagt, trotz der schönen Uebereinstimmung der
Quellen, • diese Auslegung müsste durch die Form des Reliefs besser unterstützt
werden, um für mehr als eine Hypothese zu gelten.
Italienische Forschungen II. 7
98 DONATELLOS KANZELN IN S. LOREXZO
bleibt, zumal wenn wirklich das Relief einst zum Schmuck
des prunkvollen Hochaltars gehört haben sollte. Man möchte
zunächst an ein Modell für den Bronzeguss denken; aber dem
widerspricht nicht blos die musivische Arbeit, wie sie am
Sarkophag und auf dem Hintergrunde sichtbar ist, sondern
auch die ganze Art der Behandlung. War dieser Entwurf in der
Tat für eine Ausführung in edlerem Material bestimmt, so kann
nur an eine solche in Marmor gedacht sein. Darauf weist die
strenge Wahrung der gleichen Fläche in den höchsten Teilen
der Figuren, das Stehenbleiben eines gleichhohen umschliessen-
den Randes, die Rücksichtnahme auf bunte Steintäfelung mit
Notwendigkeit hin. Der Materialstil des Marmorreliefs tritt uns
in diesem Werke ebenso deutlich entgegen, wie in Donatellos
Arbeiten aus den dreissiger Jahfen des Jahrhunderts. Stilistisch
wie inhaltlich knüpft es an jene Grablegung in S. Peter an,
unbeschadet des Einflusses, den eine mehr als zehnjährige
Weiterentwicklung auf Donatello*s Empfindungs- und Dar-
stellungsweise ausgeübt hat. Es ist der Mann an der Schwelle
des Greisenalters, der in diesem Werke seine Enttäuschung und
Klage ausspricht und die beginnende Resignation1).
Die Komposition ist so einfach und streng als möglich.
Fast in genauer Symmetrie sind die Figuren um den Sarkophag
verteilt: Zwei Greise mit dem Bahrtuch zu Häupten und Füfsen
des Leichnams, zwei andere in völlig paralleler Bewegung seinen
Leib umfassend und haltend; dazwischen die drei Frauen in
wilden Schmerzgeberden, und Johannes, verzweiflungsvoll zum
Himmel emporschauend. Bis auf diesen sind die Gestalten alle
greisenhaft und hässlich, von starkknochigem Körperbau, mit
dürftigen Kitteln angetan und die Gesichter von einem ver-
wilderten Haarwuchs umrahmt. Aber in den niedrigen Leibern,
welche Gewalt des Empfindungsausdrucks bis in die Finger-
spitzen hinein! Als echte Klageweiber nach südländischem
Trauergebrauch strecken die Frauen laut schreiend ihre Arme
weit von sich oder raufen sich das Haar. Mit brechenden
Knieen verrichten die Jünger ihre Arbeit um den Leichnam,
der sich schwerlastend in ihren Armen biegt und dessen hinten-
•) Yergl. die trelfende Parallele zwischen den beiden Grablegungsreliefs bei
Schmarsow Donatello p. 47.
DONATELLOS RELIEFKUNST 99
über sinkendes Haupt von dem kummervoll dreinblickenden
Träger gestützt wird. „Es ist eine wunderbare Energie gemein-
samer Aktion in dieser Scene," sagt Schmarsow, „ein hoch-
gesteigertes theatralisches Pathos und doch ergreifende
Wahrheit."
Breit, aber niedrig und von ganz geringer Tiefe ist die
Bühne, auf welcher diese Tragödie des Schmerzes sich vor
unseren Augen abspielt. Auf alles Nebenwerk ist absichtlich
verzichtet. So viel vom Hintergrunde nicht durch die Figuren
verdeckt ist, wird von einer simpeln Quadrierung eingenommen,
deren dunkel gefärbte Innenstreifen einen sparsamen Farben-
kontrast zur besseren Abhebung der Relieffiguren schaffen.
Der Höhe des ganzen Reliefs kommt die der Figuren beinahe
gleich, kaum ein Fleckchen des Ganzen also ist frei von
bewegten Leibesformen zum Ausdruck menschlicher Empfindung.
Oder doch — fast die ganze untere Hälfte der Fläche wird
von dem breit und eckig hingestellten Sarkophag eingenommen,
einem echten Erzeugnis donatellesker Tektonik, mit seinem
schweren Gesims und der polychromen Felderteilung in dürftiger
Rahmengliederung. So schneidet er die unteren Teile der
Figuren weg, die für den Ausdruck nicht mitsprechen, und lässt
alles Körperliche nur als Organ seelischer Erregung zur Geltung
kommen. Breit hinflatternde Mäntel und malerischer Falten-
wurf der Gewandung, wie sie noch an den sonst nahe ver-
wandten Heiligen und Aposteln in der Sakristei von S. Lorenzo
auftreten, haben in dieser Ueberfülle des Ausdrucks keinen
Raum. Mit rücksichtsloser Konsequenz ist jede Versuchung
zu mehr malerischer Ausgestaltung, auch des Raumes, von der
Hand gewiesen. Kaum soviel scheinbare Tiefe ist dem Relief
gegönnt, als der natürliche Rauminhalt desSarkophages bedingen
würde. — So steht dies Werk als ein letzter Ausläufer streng
plastischen Reliefstils in Marmor scheinbar fremdartig unter
einer geschlossenen Gruppe von Arbeiten, die in anderem Sinne
gedacht mit anderen Mitteln gestaltet und in einem anderen
Material ausgeführt sind ').
x) Das bronzene Grablegungsrelief in der Ambraser Sammlung, das meist
in Verbindung mit diesem "Werke genannt wird, ist in Wahrheit von einem durchaus
anderen Geiste erfüllt, so dass mir die Urheberschatt Donatello's ausgeschlossen
7*
IOO DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Oder sollte zwischen dem Grablegungsrelief und den vier
Darstellungen der Antoniuswunder, da sie ja doch, unter
gleichen Verhältnissen entstanden, höchstens durch einen
Zwischenraum weniger Jahre von einander getrennt sein können,
eine innere Uebereinstimmung bestehen, die in jenen reich aus-
gestatteten Historien nur durch äussere Umstände verschleiert
wäre? Sind die vier Reliefs selbst doch bisher noch nie-
mals auf ihr stilgeschichtliches Verhältnis hin befragt worden,
trotz der unleugbaren Verschiedenheiten, welche sich einer
näheren Betrachtung ohne weiteres ergeben.
Sie gehören paarweise zusammen, so wie sie auch jetzt
noch zu zweien neben einander auf den Vorderseiten des
Hochaltars im Chor und des Sakramentsaltars in der Familien-
kapelle der Gattamelata angebracht sind. Am Hochaltar
finden wir die beiden Scenen, welche im Freien spielen: die
eine, wo Antonius einem Jüngling den Fufs wieder ansetzt,
den dieser sich abgehauen hat in zorniger Reue darüber, dass
er ihn gegen seine Mutter zum Stofse erhoben; die andere,
wie Antonius die Leiche eines Geizhalses öffnen lässt, die eben
zum Begräbnis hinausgetragen werden soll: und siehe, man
findet an Stelle des Herzens einen Stein, das Herz des Mannes
aber, wie der Heilige es vorausgesagt, zu Hause in seiner
Geldkiste. — Die beiden Reliefs am Gattamelataaltar stellen
Ereignisse dar, die in geschlossenen Räumen vor sich gehen:
links die wunderbare Begebenheit in Rimini, da ein Maultier,
welches seinem gabenbringenden Herrn in die Kirche gefolgt
ist, vor der Hostie, die ihm Antonius am Altar entgegenhält,
anbetend in die Kniee sinkt; rechts, wie der Heilige einem
Säugling die Sprache verleiht, damit er für die Unschuld seiner
mit Unrecht verdächtigten Mutter zeugen könne.
Die übereinstimmenden Notizen des Anonimo und Vasaris
lassen über den Platz, welchen diese Reliefs am Hochaltar
erscheint. Auf die Zurschaustellung rein körperlicher Anstrengung, z. B. in den
beiden jugendlichen Trägern des Leichnams, ist hier ein besonderes Gewicht gelegt,
wie es der Stimmung des paduaner Reliefs gegenüber fast als Profanation erscheint.
Dagegen giebt sich die eigentliche Geberdensprache schon erstarrt, aus der
gewohnheitsmäfsigen Wiederholung bestimmter Arm- und Handhaltungen geboren. In
einzelnen Motiven ist eine Nachahmung der paduanischen Reliefs Donatello's unver-
kennbar.
DONATELLOS RELIEFKUNST IOI
einnahmen, keinen Zweifel: sie waren zu je zweien an der
Vorder- und Rückseite des staffeiförmigen Aufsatzes ange-
bracht, welcher sich auf dem Altartisch erhob und die fünf
Bronzestatuen trug z ). Auch die Art ihrer Verteilung ergiebt
sich aus dem Angeführten von selbst. Denn nur bei den zu-
sammengehörigen Paaren liegt der Augenpunkt der perspek-
tivischen Konstruktion in gleicher Höhe. Wir finden ihn bei
den ersten beiden Reliefs etwa in der Mitte des ganzen Bild-
feldes gelegen, bei den letzterwähnten dagegen in der unteren
Rahmenleiste, also unter dem Fufspunkte der Figuren. Jenes
entspricht der in florentmischen Gemälden und Bildwerken
üblichen Perspektivkonstruktion, dieses nähert sich bereits der
eigenartigen Anlage des Verkürzungsschemas, welche Mantegna
in seinen späteren Fresken in der Eremitanikapelle mit solcher
Entschiedenheit durchgeführt hat.
Das ist auffallend genug und darf nicht länger übersehen
werden! Was bei Mantegna's Wandfresken durch den tief-
gelegenen Augenpunkt des Beschauers, welchen der Maler
unter allen Umständen auch zu demjenigen des Bildes machen
will, seine Rechtfertigung findet, klingt hier bereits an in
Reliefdarstellungen, welche schon im Hinblick auf ihren geringen
Umfang und die Kleinheit der Figuren in keiner beträchtlichen
Höhe über dem Auge des Beschauers angebracht sein konnten 2 ).
Also ist ein Zusammenhang unleugbar, und da an Mantegna
selbst noch nicht gedacht werden kann — denn 1448 war dieser
siebzehnjährig und begann wol erst nach dem Tode seines
Hauptmitarbeiters Niccolö Pizzuolo im selben Jahre ganz selbst-
ständig zu schaffen — so werden wir auf Squarcione und seine
Schule verwiesen. Das Verhältnis Donatello's zur Paduanischen
Kunst scheint denn doch nicht ein so einseitiges gewesen zu
sein, wie man gewöhnlich annimmt. Nicht blos als Gebender
tritt uns Donatello in Padua entgegen, sondern auch als ein
Empfangender — diese Erkenntnis wird Niemandem entgehen,
1 ) Anon. Morelliano ed. Friramel p. 2: Et sotto le ditte figure nello scabello
le due istoriette dauanti et la due da dietro pur di bronzo di bassorilieuo. Vasari
ed. Milanesi II 412 : nella predella dello altar maggiore le istorie di Sant' Antonio
di Padova.
2) Die Reliefs sind 1,24 br., 0,57 h. Die Höhe der Figuren steigt bis zu 0,25,
102 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
der das Grablegungsrelief im Santo zum Prüfstein nimmt für
das, was in diesen Historien von Haus aus ursprünglich und
künstlerisches Eigentum Donatellos ist. Aus dem reichen
Ensemble schält sich dann ein echter Kern heraus, der ebenso
gewiss die Originalarbeit des Meisters sein muss, wie alles
Uebrige uns fremdartig anmutet und wie von aussen herzu-
gebracht.
Dies tritt am deutlichsten zu Tage in dem Relief, welches
die Heilung des abgeschlagenen Fufses darstellt. Wie sonder-
bare Inkongruenzen walten hier doch zwischen der figürlichen
Darstellung des wunderbaren Vorgangs und dem weitausge-
sponnenen Perspektivenwerk, das ihr als Umgebung dient! In
der Mittelgruppe der um den verwundeten Jüngling und den
Heiligen sich drängenden Greise erkennen wir ohne Weiteres
Donatello's Erfindung und Arbeitsweise. Sie ist in der Ge-
schlossenheit der Anordnung, der Wahrung isokephaler Ver-
hältnisse und im Ausdruck namentlich der erregten Greisen-
gestalten ein, wenn auch schwächeres, Seitenstück zu jener
Grablegung Christi — und erschöpft für sich allein den eigent-
lichen Inhalt der Handlung so vollständig, dass man sie ohne
Bedenken aus dem ganzen Bildfelde herausschneiden könnte
und doch ein für sich verständliches, dramatisch bewegtes und
vollkommen abgerundetes Relief erhielte. Was hat dagegen
mit dem Eindruck der Komposition das verwirrende Konglo-
merat von Baulichkeiten aller Art mit vereinzelten Staffage-
figuren darauf und dazwischen zu schaffen, welches den ganzen
übrigen Raum der Tafel ausfüllt, von welcher die eigentliche
Figurenkomposition kaum ein Viertel in Anspruch nimmt?
Diese dürftigen Fachwerksbauten im Vordergrunde, der offene
Stufenbau dahinter, der von der Anschauung einer antiken
Arena inspiriert erscheint, schliesslich gar das im obersten
Grunde auftauchende castellartige Viereck, bei welchem der
gröfseren Kompliciertheit zu Liebe auch noch die eine Wand
durchbrochen dargestellt ist — sind es nicht im Grunde ge-
nommen perspektivische Künsteleien, die nur müfsige Rätsel
aufgeben? Und die bronzene Sonne, welche oben darein scheint,
beleuchtet einen ganz entschieden zum Kleinlichen neigenden
Geschmack, dem sich Donatello hier dienstbar gemacht hat.
Nur in Werken der plastischen Kleinkunst, wie den Medaillen
DONATELLOS RELIEFKUNST IOJ
des Vittore Pisano und Johannes Boldu, begegnen wir in
dieser Zeit dem gleichen kindlichen Versuch, das Tagesgestirn
zu plastischer Gestaltung zu bringen r). — Dem ganzen Relief
fehlt es an Einheit im Stil und der Durchführung. Neben die
lebendig bewegten Gestalten der Hauptgruppe und einzelne
gut erfundene Staffagefiguren treten blutleere Schemen flüchtig
skizziert, wie auf der Treppe links; ja in der ganzen vorderen
Ecke dieser Seite macht sich die Werkstatt breit, als ob es
nur darauf angekommen sei, mit schneller Erfindung den Raum
zu füllen. Modelle und halbausgeführte Stücke aus dem Atelier
sind hier zusammengeschoben, eine verschleierte Matrone, der
Madonna auf dem Kreuzigungsrelief im Bargello gleich, ein
Flussgott und eine Nymphe oder Tellus nach antiken Mustern,
wie wir sie wiederum auf Medaillen von Donatellos Schüler
Bertoldo finden werden.
Dies unausgeglichene Werk muss entschieden an den
Anfang der Reihe gesetzt werden; in dem folgenden zeigt der
Künstler schon eher, was er eigentlich will, aber eine rechte
einheitliche Wirkung ist auch hier nicht erzielt. Der Schauplatz
allerdings ist deutlich genug charakterisiert: eine gepflasterte
Strafse, die auf eine Kirche zuführt; rechts und links ist sie
mit phantastischen Hallenbauten besetzt, deren eine das Haus
des Geizhalses vorstellen soll, denn hier sehen wir, wie das
Herz in der Geldkiste gefunden wird.2) Rechts verliert sich
T) Vgl. Heiss, Les medailleurs de la Renaissance I Tf. 7. VII. Tf. 3. u. 4.
Jahrbuch der prenss. Kunstsammlungen I Tf. 5, 19. 6, 20. II Tf. II, I. 15, I.
2) In diesen Hallen finden sich die vielbesprochenen Inschriften: S ANT DI
GIOV DE SEN E SVORV auf einer gröfseren, und S DI PIERO E BARTOLOMEO
E SVO auf einer kleineren Tafel an der Wand sichtbar, deren eigentliche Erklärung
bis jetzt noch nicht gefunden scheint. Nur soviel ist wol sicher, dass es Grab-
inschriften sind, wie Toschi (Nuova Antologia 1887, 15. Mai) gegen den Cicerone
p. 357 Anm. nachgewiesen. Aber für die Vorhalle einer Kirche lässt sich der Raum,
in welchem die Inschriften angebracht sind, unmöglich erklären, wenn in der Archi-
tektur des Hintergrundes Sinn und Verstand herrschen soll. Denn es sind eben zwei
verschiedene Hallen, die sich mit ihrer Axe rechtwinklig zur Axe der Kirche, deren
Front im Hintergrunde zu sehen ist, gegen die Strafse hin öffnen, und in der vorderen
steht die Truhe des Geizhalses. — Der immer erneute Versuch, die genannten Namen
für die Kenntnis von Donatellos Gehilfen in Padua zu verwerten (Gonzati, Bode)
erscheint auch in seiner neuesten Wiederholung durch C. v. Fabriczy (Repertor. XH,
103) wenig geglückt, insofern er darin anderweitig bekannte Persönlichkeiten wieder-
104 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
die architektonische Perspektive wieder ganz ins Unklare und
Kleinliche. — Die gedrängte Gruppe entsetzt Zurückweichender,
welche hier vollständig isoliert den Vordergrund füllt, wird von
einer Niobe - ähnlichen Gestalt beherrscht, welche durch ihre
antikisierende Schönheit von allen anderen Figuren dieses Reliefs
auffallend abweicht. — Die Hauptgruppe in der Mitte ist wieder
mit meisterhafter Konzentration des Interesses um die Bahre
mit dem Leichnam zusammengehalten. Ein Schnitt über die
gleichstehende Reihe der Köpfe hinweg würde nicht mehr
wegnehmen, als jene glückliche Improvisation der beiden Neu-
gierigen, welche das eben von dem eifrigen Bufsprediger ver-
lassene Podium erstiegen haben, um erschauernd das Wunder
zu sehen. Nach links hin hat die notwendige Scene um die
Geldkiste Anschluss gefunden, mit Verwendung des schon vor-
her — in der Fufsheilung — gebrauchten Motivs der einmütig
Niederknieenden.1)
Ihren entschiedenen Höhepunkt erreichen diese Komposi-
tionen in dem „Wunder zu Rimini." Als Schauplatz dient eine
einheitlich durchdachte Architektur, die an den grofsartigsten
Resten der Antike ihre Vorbilder genommen hat. Direkt auf
die Ruinen der Konstantinsbasilika zu Rom geht der Gedanke
der drei Tonnengewölbe zurück, welche sich hier nebeneinander
öffnen und sicher nicht die Seitenkapellen einer Kirche dar-
stellen sollen, sondern einen idealen Querschnitt durch eine
finden will. Denn nicht Piero Hess Donatello's Schüler, sondern Urbano, und Piero
war sein Vater — und die Identifizierung eines Antonio di Giovanni da Siena mit
Antonio di Chellino da Pisa ist vollends etwas Unglaubliches.
1 1 Auf das Fortleben dieses und anderer von Donatello gefundener Motive in
Raphaelischer Kunst hat R. Vischer, Studien z. Kunstgesch. p. 109 aufmerksam
gemacht. Vergl. Schmarsov, Donatello p. 46 Anm. mit Hinzufügung weiterer Beob-
achtungen. Auch aus der Plastik des Cinquecento Hesse sich Manches dieser Art
beibringen, namentlich Baccio Bandinelli hat diese Reliefs kräftig geplündert. Ich
verweise nur auf seine Entwürfe zum Einzug Christi in Jerusalem (Uffizien, Braun n. 33)
und zu einem Ecce homo (Br. 35). Vgl. auch die Anbetung der Könige (Uffizien
502, 1526) und den Stich des Agostino Veneziano .,der Kirchhof" Bartsch n. 424 nach
einer Zeichnung Bandinellis. In der Uffiziensammlung befindet sich eine Federzeichnung
(495, 1484), welche dort wegen der Anklänge an die vatikanischen Fresken natür-
lich ,Scuola di Raflaello' genannt wird. Es ist eine flüchtige aber genaue Kopie der
rechten Hälfte von Donatello's Auffindung des Herzens, bis zur Figur des Heiligen
exclusive.
DONATELLOS RELIEFKUNST 105
solche, den kühnsten Entwürfen Alberti's und Bramantes vor-
greifend. Denn künstlich genug ist durch das Gitterwerk,
welches die drei Tonnen abschliesst, nach rückwärts ein Einblick
in drei weitere ebenso gestaltete Gewölbe angedeutet, die
gleichfalls durch Gitter geschlossen werden, und erst hinter
diesen erblickt man die definitive Quaderwand. Die Gewölbe
ruhen auf Säulenstellungen, auch nach den Aussenseiten hin,
sodass die Vorstellung weiterer Räume, die sich rechts und
links anschliessen, geweckt wird. x) Diesem idealen Charakter
der Architektur entsprechend ist auch die ganze Vorderseite zu
einer wirklichen Frontdekoration ausgebildet, mit kannellierten
Pilastern vor den Widerlagern und römischen Genien in den
Zwickeln und auf den Schlusssteinen. So ist das zerstreute
Kulissenwesen der früheren Reliefs zu einheitlichem Rahmen-
werk durchgebildet, Bühne und Handlung vielleicht zum ersten
Mal in diesen Reliefs aus einem Geiste geboren. Dies äussert
seinen Einfluss auch auf die figürliche Komposition. Sie schmiegt
sich, zum besten Vorteil des Gesamteindrucks, der Disposition
des Räumlichen aufs engste an. Im Mittelschiff steht der Altar,
und die Gruppe des Heiligen mit dem vor ihm knieenden Maul-
tier tritt frei heraus; nur zu den Seiten drängt sich die Menge
scheu und neugierig zugleich herein und staut sich an den Pfeilern
empor und blickt von erhöhtem Standpunkt ehrfürchtig auf das
gottbeseelte Tier. Die Gestalten in den Seitenschiffen verraten
durch manche Ungeschicklichkeit wieder die Mitwirkung der
Schülerhände, aber das Ganze ist eine geniale Leistung des
Meisters, der hier zuerst mit eigenstem Können das fremdher An-
geeignete zu einheitlicher Wirkung durchquickt hat.
In der Grundanlage ist das folgende Relief diesem gleich.
Den Querschnitt einer dreischiffigen Kirche sehen wir auch hier,
aber unmittelbar hinter dem ersten Joch an der Eingangswand
genommen, und der Architektur mangelt es an dem ausge-
sprochenen Renaissancecharakter. Sie ist wieder in jenem mehr
1) Architektonisch betrachtet ist diese ganze Konstruktion sicherlich ein Unding:
denn welcher Baukünstler vermässe sich, Tonnengewölbe mit Architrav und Rund-
säulen zu unterfangen? Beispiele oder Vorbilder auch nur annähernd gleicher Art
wird man deshalb in der Renaissancearchitektur — insbesondere vor 1450 — ver-
geblich suchen. Ein Kirchenbau mit drei gleich hohen Tonnenschiffen müsste in
Wirklichkeit überaus öde wirken!
IOÖ DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
spielenden Sinne behandelt, wie auf den früheren Reliefs und
rechnet stark auf die Mithilfe gravierter Arbeit und aufgestanzter
Plättchen, wie sie der Goldschmied verwendet, zur Belebung
der Flächen. — Die Komposition ist fast ganz in dem bedeutend
breiteren Mittelschiff konzentriert, wo der Heilige der Mutter
das Kind zurückgiebt und auf der einen Seite die männlichen
Teilnehmer, der fälschlich beschuldigte Hausfreund mit seinen
eleganten Gefährten, auf der anderen die weiblichen Anver-
wandten und Gevatterinnen sich als Zeugen des Wunders
gegenüberstehen, das der Ehemann in der Mitte knieend
gläubig verehrt. Die reiche Bewegung, welche hier herrscht,
geht nach den Seiten hin zum Teil in's Gewaltsame über.
Eiligst herein- und hinausstürzende, halb im Türrahmen
steckende Figuren bringen eine Unruhe in die Komposition,
welche offenbar über das Ziel hinausschiesst. Auffallend ist
der Mangel an einheitlichen Proportionen, wie er sich nament-
lich in den Frauen und in dem auf den Pfeilersockel gestiegenen
Manne geltend macht. Ja die Mutter und einige ihrer Ge-
fährtinnen geben sich in den schlanken Körpermafsen, dem
modischen Schnitt ihrer Kleider mit dem Fälbelsaum und
den hoch aufgetürmten lockeren Haarfrisuren direkt als Ver-
wandte von Giovanni's Madonna in der Eremitanikapelle zu
erkennen1). In vollem Lockenschmuck prangen auch die jungen
J) Diese Frauen tragen den Busen nicht enlblöfst, wol aber eine so engan-
liegende Taille, dass die Brüste und Schultern darunter wie unbekleidet hervortreten.
Die ganze Art der Behandlung der Frauenbüste mit den von Gewanddrapeiie um-
rahmten vollen Formen erinnert sehr an die weibliche Reliefbüste im Besitz von
Lord Vaughan (Gipsabguss in der Donatello-Ausstellung. Semper 2, pag. 59), nur
dass hier das Gewandstück um den entblüfsten Busen in freierer, antikisierender Weise
drapiert ist. Auch das Profil des Gesichts ähnelt bis zu einem gewissen Grade der
Madonna in der Eremitanikapelle und die lockere und weiche Behandlung des unter
einem Kopf bände zurückgestrichenen Haares, das wieder in antikisierender Manier in
aufgelösten Locken endigt, darf als ein besonderes Kennzeichen für Giovanni da Pisa
bezeichnet werden. Von mehr handwerksmäfsiger Arbeit ist eine im Winter 1889
in den Bargello gekommene, gleichfalls nach rechts profilierte weibliche Reliefbüste
(im I. Marmorsaale), welche dieselbe Schleierhaube trägt wie die Eremitanimadonna.
In dem viereckigen Reliefrahmen sitzt die kleine Dame so bewegt darin, mit stolz
aufgerichtetem Kopfe und stark zurückgenommener rechter Schulter, als wenn sie
direkt aus dem paduanischen Relief herausspaziert wäre. Die einzelne Schläfenlocke,
welche sich kokett unter dem perlenbesetzten Haubenrande hervorstiehlt, ist genau
so behandelt wie der vollere Lockenschopf der Donna Vaughan.
DONATELLOS RELIEFKUNST 107
Lebemänner drüben, zu denen wir die Seitenstücke ja bereits
in der Anbetung der Könige an jenem Altar zu finden ver-
meinten. Sollte also Giovanni da Pisa bei diesem Relief zur
Mitarbeit selbst an den Hauptfiguren zugelassen worden sein?
Haben wir den genetischen Zusammenhang unter den
Reliefs mit den Antoniuswundern richtig verstanden, so fügen
sie sich ebenso organisch in die bisherige Entwickelung von
Donatellos Reliefkunst ein, wie sie eine neue Epoche derselben
bedeuten. Die Grundanschauung, welche ihn bisher in der Ge-
staltung der plastischen Flächendarstellung leitete, hat Donatello
keineswegs aufgegeben. Noch immer ist es die Form des
Friesreliefs nach antikem Muster, welche ihm vorschwebt, noch
immer arbeitet er die eigentliche Handlung in energischer Ge-
schlossenheit und übersichtlicher Klarheit heraus, so dass eine
bestimmte Normalhöhe der Figuren fast durchweg festgehalten
werden kann. Selbst die flache Gesamthaltung, welche das
Marmorrelief gelehrt hatte, ist hier im Thonmodell beibehalten,
und als wäre eine ursprüngliche Oberfläche zu markieren, um-
giebt die Reliefs sämtlich ein leistenartiger Rahmen, über dessen
Höhe nur ganz wenige Teile der Figuren um ein Geringes
hervorragen. Die langjährige Gewohnheit des Marmorbildners
lässt Donatello nicht los, auch da er im Uebrigen mit vollem
Bewusstsein der Vorteile, welche das weiche Thonmaterial bot,
modellierte und gestaltete. Wie flott und sicher sein Griffel
in der bildungsfähigen Masse gearbeitet, das erkennt man noch
an Einzelheiten, welche vom Ciseleur unberührt gelassen sind,
wie den so sprechend bewegten Händen der Mittelgruppe auf
der Fufsheilung, und in der ganzen Art der Gewandbehandlung,
welche oft blos durch einige energische Faltenzüge die Lage
und Form des darunter liegenden Körpergliedes anzudeuten
sich begnügt. Beispiele hierfür bieten die Gruppe am linken
Pfeiler des Maultierwunders oder die Knieenden in der Fufs-
heilung. Anderes hingegen, namentlich in den realistisch durch-
geführten Zeittrachten, ist mit sichtlicher Sorgfalt durchge-
arbeitet, und der gedrängte, scharffaltige Gewandstil der Bronze-
plastik kommt hier zuerst unter den paduanischen Werken zur
Ausbildung.
Mit den unverwischbaren Züg-en der individuellen Kunst-
weise des Meisters, welche an der Antike und dem Marmor-
108 DOXATELLOS KAXZELX IX S. LOREXZO
stil genährt ist. vereinigt sich aber ein Element von mehr all-
gemeiner, lokaler Prägung, das ihm hier und da selbst das
Concept verrückt hat, so dass der Eindruck, als ob eine ganze
Schule oder Akademie bei dem Entwurf dieser Bronzegemälde
mitgeschaffen habe, nicht abgewiesen werden kann. Tritt doch
das gelehrte Streben nach Bewältigung perspektivischer Pro-
bleme, welches hier in so breiter Betonung und zum Teil ausser
Zusammenhang mit dem inneren Darstellungswert der Kompo-
sition sich entfaltet, beinahe gleichzeitig in der paduanischen
Malerschule des Francesco Squarcione auf und führt selbst
dazu, ein eigenes System der perspektivischen Raumdarstellung
zu versuchen, welches freilich neben den einfacheren und
richtigeren Principien der Florentiner keine allgemeine
Geltung gewinnen konnte1).
Von einem Hauche dieses Geistes der alten Gelehrtenstadt,
welcher allen paduanischen Kunstschöpfungen — selbst denen
eines Genius wie Mantegna — einen Zug unerschütterlicher
Ernsthaftigkeit und selbst nüchterner Pedanterie verleiht, ist
auch Donatello nicht unberührt geblieben!
Als Donatello nach Padua kam, stand die Squarcioneschule
schon seit Langem in Blüte und Ansehen; andernfalls hätte ihr
Vorsteher und Meister einen so umfangreichen und bedeutsamen
Auftrag, wie die Ausmalung der Ovetari-Kapelle, weder er-
halten noch übernehmen können. Und während Donatello mit
seiner Gehilfenschaar für den Santo skizzierte und modellierte,
nahmen auch die Fresken an der Decke und den Wänden
jener Kapelle ihren Anfang und Fortgang-). Es wäre wunder-
1 ) Die Darstellung der paduanischen Perspektivlehre giebt bekanntlich Pom-
ponius Gauricus, De sculptura (zuerst gedruckt Florenz 1504). Vergl. die Erläute-
rungen von Heinrich Brockhaus in seiner Ausgabe (Leipzig 1886) p. 51 ff. und die
Bemerkungen von Schmarsow, Melozzo da Forli p. 310.
= ) Wenn auch feststeht, dass die Fresken spätestens 1458 vollendet sein
müssen (vergl. jetzt den urkundlichen Beleg, dass Mantegna im Januar 1459 bereits
einige Zeit in Mantua war, Arch. storico delT arte I 81), so hat man den Anfangs-
termin bisher ziemlich unbestimmt gelassen. Dass lange Jahre daran gearbeitet
worden ist, geht aus der stilistischen Entwicklung der Fresken selbst hervor.
(Schmarsow, Melozzo da Forli p. 303.) Zieht man aber die urkundlich bezeugte
Mitarbeit des 1448 ermordeten Xiccolo Pizzuolo in Betracht, so wird man zu der
Feberzeugung kommen müssen, dass die Arbeit nicht allzulange nach dem Testament
des Jacopo Ovetari (1443I. d. h. also etwa gleichzeitig mit Donatellos Arbeiten für
DChVATELLOS RELIEFKUNST 109
bar, wenn die Berührung zwischen diesen beiden Arbeitsstätten,
welche uns äusserlich ja durch den Namen des Niccolo Pizzuolo,
Squarcione's und Donatello's „garzone", bezeugt wird, nicht
auch nach beiden Seiten hin in ihren Leistungen zur Geltung
käme. Mit Recht ist die Invasion des florentinischen Statuen-
bildners und seiner "Werkstatt von je als ein entscheidendes
Ereignis in der Geschichte der paduanischen Malerschule an-
erkannt worden. Bildet doch die weitgetriebene statuarische
Behandlung der einzelnen Gestalt einen wesentlichen Zug in
Mantegna's Vortragsweise 2 ). Man wird angesichts der Antonius-
reliefs im Santo sich der Annahme nicht entziehen können, dass
Donatello auch seinerseits von der spezifisch paduanischen
Richtung beeinflusst worden ist, ja dass er, in engstem Zu-
sammenhang mit den paduanischen Theoretikern, von diesen
vielleicht selbst Vorschrift und Skizze zu den ausgedehnten
Perspektivkonstruktionen seiner Reliefs empfangen habe. Zu
deutlich tritt in dem ersten derselben die mehr äusserliche
Zusammenarbeit verschiedener Elemente, die künstliche Aus-
weitung der ursprünglichen Originalskizze zu einem kompli-
cierten Gesamtbilde zu Tage. Schon eher beherrscht in dem
folgenden Relief der Plastiker die Situation; die meisterliche
Gestaltung der dramatischen Handlung mit Akteurs und Chorus
drängt das umfangreiche Kulissenwerk in den Hintergrund.
Noch mehr aus einem Gusse sind Handlung und Bühne in
dem Glanzstück unter diesen Reliefs, dem Wunder zu Rimini.
Hier scheint die mit Raffinement ersonnene Phantasiearchi-
tektur doch nur dem Zwecke zu dienen, dem Herzuströmen,
den Santo begonnen habe. Denn als Niccolo die Himmelfahrt Mariae an der
Altarwand begann, welche nach dem übereinstimmenden Urteil Cavalcaselles und
Schmarsows von Mantegna — also erst nach Niccolos Tode — vollendet worden
ist, da müssen nach allgemein üblichem Brauch die Deckenteile vollendet gewesen
sein. In diesen selbst aber giebt sich ja schon eine fortschreitende Entwicklung
kund. Wahrscheinlich waren aber auch die beiden obersten Bilder der Jakobus-
legende vollendet, an denen Schmarsow die gemeinsame Arbeit von Niccolo und
Mantegna. nachgewiesen hat. Der Tod des Ersteren bot die Veranlassung zur
Berufung der beiden auswärtigen Maler, da Mantegna damals erst 17J ährig war.
Dieser würde dann etwa 1450 mit selbständiger Arbeit einsetzen.
2) Ueber Mantegna's ,, Bronzestil" vergl. auch die feinen Bemerkungen von
R. Vischer, Studien zur Kunstgeschichte p. 184 ff.
HO DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Andrängen, Gaffen, Staunen, ehrfürchtigen Zurückweichen
einer fieberhaft erregten Volksmenge Raum und Ziel zu ge-
währen. Auf diese Leistung muss zurückgegriffen werden, wenn
es sich darum handelt, festzustellen, was Donatello's Relief-
kunst in der dramatischen Massenkomposition vermochte. —
Im Einzelnen noch reich und glücklich kehrt die vierte Dar-
stellung wieder zu einer einfacheren, geschlossenen Gesamt-
haltung zurück, ohne durchgreifende Belebung der wiederum
in Dreiteilung angelegten Komposition.
Ein besonderes Gepräge erhalten diese letzten beiden
Reliefs, wie schon oben kurz hervorgehoben wurde, durch das
Aufgeben der florentinischen Gepflogenheit, den Centralpunkt
(raggio centrale) in der Kopfhöhe der dargestellten Figuren
anzusetzen'). Mit Hilfe dieses Kunstgriffs wussten die floren-
tinischen Bildner nach der Anleitung ihres grofsen Lehrmeisters
L. B. Alberti, in dem Beschauer den Eindruck zu erwecken,
dass die im Bilde geschauten Menschen und Dinge sich aut
dem gleichen Plane befänden wie er selbst. Die Bildfläche
erschien, nach Albertis Ausdruck, wie in dem Rahmen eines
geöffneten Fensters gesehen, und der davorstehende Beschauer
gab mit den Proportionen seines Körpers selbst das Grundmafs
der dargestellten Menschen und Dinge2).
So genial einfache Beziehungen und Verhältnisse sind der
paduanischen Malerei stets fremd geblieben. Sie hatte auch
nicht das Bedürfniss, den Beschauer in so unmittelbaren Rapport
mit dem Mikrokosmos des Gemäldes zu setzen, dass er es wie
ein Stück seiner eigenen Welt vor sich zu sehen vermeinte.
Im Gegenteil, sie liebt es selbst in ihren Tafelbildern eine ganz
körperlich gedachte Scheidewand zwischen beiden aufzurichten.
Schon Squarcione setzt seine Madonna hinter eine gemalte
steinerne Brüstung und dieses Motiv bleibt in der venetianischen
Malerei ständig und mit Vorliebe gepflegt. In den Wand-
fresken der paduaner Schule wächst es sich aus zu der Vor-
stellung einer wirklichen Bühne mit fester Rampe nach vorn
1 J L. E. Alberti della Pittura hrsg. v. Janitschek Quellenschr. z. Kunstg.
XI. p. 79. Vergl. H. Ludwig's Commentar zu Lionardos Buch von d. Malerei
Quellenschr. XVII, 3 p. 186.
2) Vergl. auch Albertis Deutung des Ausspruchs, dass der Mensch das Mafs
aller Dinge sei. a. a. 0. p. 77
DONATELLOS RELIEFKUNST I 1 1
hin, so dass dem unten stehenden Beschauer der Anblick der
in hinterer Reihe stehenden Figuren sehr bald durch die
natürliche Wirkung der perspektivischen Verkürzung entzogen
wird. — Beides, sowol die vornehme Absonderung der dar-
gestellten höheren Welt von der gemeinen Wirklichkeit, welche
ja durch die Vorliebe für phantastischen Aufputz mit Guir-
landen, schwebenden Engeln oder zurückgeschlagenen Vor-
hängen noch mehr betont erscheint, wie die starre Durch-
führung eines optischen Realismus, welcher die freie Entfaltung
wolgegliederter Kompositionen fast unmöglich macht, tritt uns
als etwas der florentinischen Anschauungsweise durchaus
Fremdes entgegen, — und deshalb glauben wir mit Recht in
der Annäherung Donatellos an diese Konstruktionsmethode in
seinen Reliefs ein bedeutsames Zeichen für den Einfluss zu
erblicken, welchen die Berührung mit der herben Eigenart der
paduanischen Kunst auf ihn ausgeübt hat ' ).
Ijass wir uns in dieser Annahme eines paduanischen Ein-
flusses auf Donatello's Relief kunst nicht täuschen, dafür werden
die Kanzeln in S. Lorenzo im Laufe der Betrachtung noch
weitere Belege liefern. Sein Fortwirken aber in der nächsten
Zeit nach der Rückkehr aus Padua bezeugen uns zuerst und
am allerdeutlichsten die vier Rundmedaillons, welche die
Pendentifs der Fächerkuppel in Brunellesco's Sakristei von
S. Lorenzo schmücken. Denn nur hier können, wie schon
oben hervorgehoben wurde, diese ganz malerisch und zerstreut
behandelten Reliefs ihre Stelle finden. Sie sollen Vorgänge
aus dem Leben des Altarheiligen der Sakristei, des Evangelisten
*) Es ist nicht ohne Bedeutung, dass sich den Werken aus diesem Kunstkreise
gegenüber der Vergleich mit einer Bühne immer wieder aufdrängt. Trägt doch die
venettanische Malerei in all ihrer heiteren Pracht und Fülle den Charakter des Schau-
bühnenmäfsigen deutlich an der Stirn geschrieben. Man sehe ein Gemälde wie
Carpaccio's Darstellung im Tempel daraufhin an. Auch das Verhältnis ihrer heroi-
sierten Madonnen und Heiligen zur Landschaft des Hintergrundes erscheint in erster
Linie hierdurch bedingt. Der Rahmen des Andachtsbildes, das auf dem kirchlichen
oder häuslichen Altartisch stehend gedacht werden muss, wie jener „scabello" mit
den Reliefs Donatellos, bildet gleichsam die Pforte zu einer verklärten Gestaltenwelt,
die sich in ihrer eigenen Sphäre vor dem Gläubigen auf tut und nur in weiter, weiter
Ferne ihm noch den Blick auf ein Stück irdischer Welt gönnt.
I I 2 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Johannes darstellen. Aber die wenigen Figuren der einzelnen
Scenen verschwinden fast in der breiten Entfaltung architek-
tonischer und landschaftlicher Hintergründe. So dominiert in
der ,Auferweckung der Drusiana' (links vom Eingang) ein
zweigeschossiger, nach hinten mit drei Tonnengewölben ge-
schlossener Rundbogenbau, vor dem der Raum vorn durch
ein Geländer begrenzt ist. In diesem steht schräg in den
Grund gerichtet die Bahre, auf welcher Drusiana erwachend
die Arme hebt; der Apostel mit vorgestreckter Hand steht
hinter ihr. Ein Träger und zwei andere Zuschauer, sowie im
Hintergrund durch die Bogen sichtbar einige im flachsten
Relief angedeutete Figuren beleben diesen Innenraum. Auf
den dazu emporführenden Stufen steigen andere herauf und
herab, im Vordergründe ausserhalb der Schranke sind zwei
stehende Figuren sichtbar — es ist ein Kommen und Gehen,
eine eilfertige Bewegung in diesen Gestalten, wie auf den
paduanischen Legendendarstellungen, aber ohne eine Spur ge-
schlossener Gruppenbildung, wie sie dort den Eindruck bedingt. —
Johannes auf Patmos' versetzt uns in eine weite Gegend,
vorn durch einen niedrigen Felshang abgeschlossen; beiderseits
erheben sich zwei schlanke Pinien und links kommt ein Fluss
aus dem Hintergrund; Andeutungen von Gebüsch bleiben
zweifelhaft. Vorn in der Mitte lagert Johannes auf den einen
Arm gestützt, ein aufgeschlagenes Buch vor sich; am Felsrand
sitzen zwei Engel. In der Luft werden visionäre Gestalten
sichtbar: Maria (?), und ein Drache, der einen Engel mit
einer Seele in seinen Armen verfolgt. — ,Das Martyrium des
h. Johannes' geht vor einer geschlossenen Wand vor sich, die
sich rechts in einem Bogentor öffnet. Vorn ist der Raum
ähnlich wie auf dem ersten Relief durch eine Barriere ge-
schlossen und eine Treppe führt herab. In der Mitte steht
der sehr grosse Oelkessel, worin Johannes mit erhobenen Armen
sichtbar wird: ein von rechts herabkommender Enge] reicht
ihm den Kelch. Beiderseits schüren Knechte mit langen
Stangen das Feuer unter dem Kessel; ein Krieger mit Schild
kommt die Treppe herauf, mehrere Figuren verschwinden bis
auf die Köpfe hinter dem Reliefrand.
Den gröfsten Aufwand an Architekturperspektive zeigt die
Darstellung der Himmelfahrt des Evangelisten. Auf einem
DONATELLOS RELIEFKUNST 113
ziemlich hohen Podium erhebt sich im Hintergründe in zweimal
gebrochener Front eine abschliessende Pfeilerarchitektur mit
mehreren Giebeln bekrönt. In Gebälkhöhe wird davor die
emporfliegende Gestalt des Apostels sichtbar, der von einem
aus den "Wolken herabschauenden Engel oder Christus auf-
genommen wird. Mehrere Figuren erscheinen zwischen den
Pfeilern, halb von denselben verdeckt, andere vorn vor der
Bühnenwand; einer sucht das Podium zu erklettern, andere
werden nur mit dem Kopf sichtbar.
Der Eindruck dieser merkwürdigen Reliefs ist heute, wo
sie gleichmäfsig weiss übertüncht sind, nicht mehr der alte.
Denn sicher waren sie einst bemalt und vergoldet und mochten
dann an ihrem Platze als leichte Füllungen des architektonisch
bedingten Steinrahmens vortrefflich wirken. Mehr als einen
dekorativen Wert beanspruchen sie ohnehin nicht, und kaum
mehr als die Skizzen werden Donatello selbst angehören.
Denn soweit die Ueberschmierung noch ein Urteil im Einzelnen
gestattet, sind die Typen zwar durchweg donatellisch, aber in
seltsamer Weise aus verschiedenen Stilperioden des Meisters
gemischt. Neben langbärtigen Greisen und Kahlköpfen mit
spitzen Schädelformen, welche aus den Paduaner Reliefs
stammen, treten uns auch jene charakteristischen scharf profilierten
Römerköpfe entgegen, wie sie das Sieneser Relief aufwies.
Sollte also Donatello sich selbst abgeschrieben haben? Eher
wol dürfen wir die Arbeit eines Schülers vermuten, der nach
den im Atelier vorhandenen Modellen aus verschiedenen Zeiten
seine Muster wählte.
Immerhin sind diese Medaillonreliefs für unsere Betrachtung-
von grosser Wichtigkeit. Sie liefern den Beweis, dass die
Auflösung der eigenartigen Relief kunst Donatellos, nach dem
Anstofs, welchen sie hierzu in Padua erfahren, immer weiter
fortschritt zu ganz malerischem Wesen, zu einem überwiegenden
Hervorkehren der Raumgestaltung und Scenerie, in welche
die Gestalten nun unter Umständen schon als blofse Staffage
hineingesetzt werden. Damit aber stehen wir nach langer
Wanderung wieder unmittelbar vor den Kanzeln in S. Lorenzo,
deren Betrachtung Ausgang und Anlass unseres Weges war.
Italienische Forschungen II.
Aus dem Puttenfriese an Kanzel R.
V
Die Marien am Grabe und das Pilatus-Kaiphas-
Relief
Wenn die Reliefs mit den Wundertaten des h. Antonius
in der Tat 1449 vollendet waren, so verfloss ein Zeit-
raum von mindestens sieben Jahren, bevor Donatello die Vorder-
seite der linken Kanzel in S. Lorenzo schuf1). Diese Frist,
doppelt lang für das Leben des Siebzigjährigen, konnte nicht
spurlos an seiner Weise zu empfinden und zu gestalten vor-
übergehen. Jener Zug von Greisenhaftigkeit, welcher sich
zuerst in dem Grablegungsrelief in Padua ankündigte, hat sich
gesteigert. Mit Recht hebt Müntz2) hervor, dass die Ausdrucks-
formen seiner Kunst selbst greisenhaft geworden sind. Fast
nur noch Gestalten, welche vom Alter gebeugt, der Fülle des
Fleisches und der Spannkraft der Muskeln beraubt erscheinen,
begegnen uns in den Reliefs der Höllenfahrt und der Auf-
erstehung, und der Heiland selbst ist von solchem Alterungs-
process nicht verschont geblieben. Wirres Haar, lässig über-
geworfene Kleider verstärken diesen Eindruck. Aber um so
ergreifender wirkt die innere Erregtheit, welche aus der Seele
des greisen Meisters heraus in die Gestalten seiner Phantasie
") Vgl. oben S. 1. S. 81.
2) Donatello p. 89.
DIE MARIEN AM GRABE I I 5
übergeströmt ist. Das unheimliche Getümmel der Erlösung-
heischenden in der ersten, das Grauen des Todes in der zweiten
Scene, und die Wehmut des Abschiedes in der Himmelfahrt
konnten nicht überzeugender zum Ausdruck gebracht werden.
In der Anlage und Durchführung der Komposition ergiebt
sich mehr als ein Anknüpfungspunkt an die Reliefs im Santo.
Wie im „Wunder zu Rimini" sind drei mit einander kommu-
nizirende Räume neben einander angeordnet und der Rhythmus
der Figurenbewegung schmiegt sich dieser Raumgestaltung
an ! ). Nur dass diese hier wieder ganz nach Donatellos eigenem
Geschmack erfunden ist, originell, aber formlos, und ohne Gefühl
für architektonische Realität. Mit dem Aufgeben der einheit-
lichen Umrahmung ist zugleich der letzte Rest des Marmor-
reliefstils und jede Erinnerung an eine gemäldeartige Behand-
lung geschwunden. Nun kommt der Plastiker, der trotz der
Fläche, an die er gebunden bleibt, zur Freiskulptur hindrängt,
wieder allein zum Wort. Der perspektivische Schein ist in
höchst eigenartiger Weise zu einer Emancipation des Bildwerks
von seinem tektonischen Grunde benutzt, die selbst bis zu einer
Verleugnung des Materials geht. Als Mauerwerk soll gelten,
was mit den Figuren zusammen aus Erz gegossen ist; hier trat
Vergoldung wol als Hilfsmittel der Unterscheidung hinzu2).
Sucht man die hieraus resultierende Behandlung des Räum-
lichen in diesen Reliefs in Worte zu fassen, so kommt Einem
unwillkürlich wieder der schaubühnenartige Charakter ober-
italienischer Gemälde in's Gedächtnis. Vor allem ist es das
Aufgeben einer gemeinsamen festen Standfläche aller Figuren,
des Grundprinzips aller florentinischen Perspektivlehre, das sich
in seinen ersten Anfängen hier bemerkbar macht und dessen Be-
deutung für die Beurteilung der Kanzelreliefs wir noch fernerhin
kennen lernen werden. Hinter der festen Randleiste, welche
die Bühne nach vorn hin abschliesst, verschwinden in der
Höllenfahrt die Figuren mit dem unteren Teil des Körpers
3) S. oben p. 59 und die Lichtdrucktafel.
2) Nach den vorhandenen Resten scheint es in der Tat, als ob nur das Ac-
cessorische an den Figuren und das zur Andeutung der Umgebung Gehörige ver-
goldet gewesen sei, während die Figuren selbst die natürliche Farbe der Bronze be-
hielten. Vgl. oben S. 35 f.
8*
I 16 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
oder auch nur bis zur halben Höhe des Unterschenkels, als
wenn sie aus der Tiefe eben emportauchten.
Einzelnes geht unmittelbar auf paduanische Fresken zurück.
Das vordere Geländer in der Himmelfahrt ist eine Erfindung
Mantegna's (in der Enthauptung des Jakobus), und wie die
Knappengestalten in den Fresken zu Mantua steht Johannes
der Täufer vor dem trennenden Zwischenpfeiler.
Dafür knüpft der Stil des Körperlichen und der Gewandung
— jene oben betonten Einflüsse des Alters in Rechnung ge-
zogen — noch deutlich genug an Donatellos persönliche Arbeits-
weise an, soweit sie uns aus den Werken der letzten zehn
Jahre bekannt wird. Zwar die Gewandung ist unter dem Ein-
fluss der Arbeit im weichen Thon, welche in dieser Zeit dem
Meister wol allein noch von der Hand ging, schon sehr in's
Manierierte geraten. Sie klebt entweder am Körper oder zieht
sich in einzelnen wirren Falten darüber hin, die in einer für
diese Arbeitsweise sehr charakteristischen Art ohne Schärfe
und Rundung erscheinen, wie sie die natürliche Konsistenz des
Stoffes ihnen geben müsste, sondern wie mit dem Messer flach
gestrichen. In der Behandlung des Haars tritt jene Vorliebe
für das Zottige und Gedrehte hervor, welches der etwa gleich-
zeitigen Täuferstatue in Siena1) ein so seltsames Aussehen
giebt. Der Johannes in der Höllenfahrt kann nach Körper,
haltung und Durchführung als ein Seitenstück zu jener unvoll-
endeten Bronzefigur gelten. — Was die Geberdensprache an-
langt, so bedarf es gleichfalls nur eines Vergleiches mit den
Reliefs in Padua, um in den flach ausgestreckten Händen, dem
nervösen Spiel der Finger die Ausdrucksweise eines und des-
selben Meisters anzuerkennen; um so deutlicher sondern sich
dann aber auch die Partien ab, welche wir schon oben der
ergänzenden Beihülfe eines Schülers oder Gesellen zugeschrieben
haben2).
Solche Fülle intimerer Beziehungen rechtfertigt es, auch
abgesehen von den schon ausführlich entwickelten äufseren
Indicien, wenn wir diese Dreiheit von Reliefs an der Vorder-
*) Abgeliefert 12. Oktober 1457. Milanesi, Docum. per la storia dell'arte
Sienese II 297.
2) Vgl. oben S. 61.
CHRISTUS VOR PILATUS UND KAIPHAS II 7
seite der Kanzel L zum Ausgangspunkt der Betrachtung ge-
nommen haben, welche den eigenen Anteil Donatellos an diesen
Werken von den Leistungen des einen oder mehrerer Genossen
scheiden soll. Kommt man frisch von der Würdigung seiner
paduaner Arbeiten, so mag sich der Blick freilich zuerst auf
andere Teile der Kanzelreliefs lenken, welche die dort ange-
fangene Kompositionsweise christlicher Historien unmittelbar
fortzuspinnen scheinen. Und in der Tat sind Darstellungen
wie die „Marien am Grabe Christi" (L i) und das Doppelrelief
„Christus vor Kaiphas und Pilatus" (R 2) so ganz und gar mit
paduanischem Geiste durchtränkt, dass wir mit ihnen uns wol
zunächst abzufinden haben, bevor wir an die übrigen Reliefs
herantreten. Da es uns nun doch verwehrt ist, dem historischen
Verlauf der Passionserzählung in dieser Bilderfolge den Gang
der Untersuchung anzuschliessen, so muss die innere Ver-
wandtschaft der Reliefs unter einander ihn ersetzen. Und trotz
der Zugehörigkeit zu so grundsätzlich unterschiedenen Kom-
positionstypen, trotz der nachgewiesenen Wahrscheinlichkeit
einer Entstehung in sehr verschiedenen Zeiten, gehören diese
beiden Reliefs doch eng genug zusammen1).
Die Verkörperung eines architektonischen Gedankens als
stimmunggebendes Element in der Komposition ist beide Male
das, wovon der Entwurf ausgegangen. Im Pilatus-Kaiphas-
Relief sehen wir ein umfangreiches architektonisches Prunk-
stück sich vor uns auftun, eine hohe zweischiffige Halle, mit
kassettierten Tonnengewölben gedeckt, aber auf solide Quader-
wände gestülpt, nicht auf windige Säulenreihen, wie in jenem
paduaner Relief. Im Hintergrunde erscheint eine vergitterte
Pfeilerhalle angebaut, deren flaches Dach mit einer Brüstung
nach dem Innern der Gewölbedecke hin sich öffnet. Die Vorder-
front ist auch hier nach Möglichkeit selbständig ausgestaltet.
An den Mittelpfeiler lehnt sich eine Halbsäule, die nach dem
Muster der Trajan- und Antoninsäule mit spiralförmig auf-
steigendem Puttenfriese verziert ist und auf einem korbähnlichen
Aufsatz einen Flügelknaben trägt und ähnliche Dekorations-
1 ) Vergl. die Zinkätzungen im Text. Die Photographien Brogis, wonach die-
selben hergestellt sind, mussten mit Rücksicht auf die Stellung der Kanzeln zwischen
den Kirchenpfeilern leider in seitlicher Verschiebung aufgenommen werden.
1 18
DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
stücke, nur einfach spiralisch kanneliiert, mit Flügelknaben
darauf, stehen vor den Pilastern rechts und links. Das Ganze
macht beinahe einen festlich frohen Eindruck, wie denn auch
am Gebälk der Rückwand sich eine Guirlande hinzieht.
In die Geschlossenheit dieses Raumes gliedert sich die
Handlung wie von selbst hinein: Symmetrisch angeordnet hat
in jeder der beiden Hallen der richtende Würdenträger seinen
Kanzel R Linke Schmalseite
Platz auf der Aussenseite, vom Mittelpfeiler her naht ihm
Christus. Hier rechts, in der hinteren Ecke die hochaufge-
richtete Gestalt des Hohepriesters, mit erregt vorgestrecktem
Arm, auf einem mehrstufigen Podium, umdrängt von den fana-
tisierten Juden, teils Männern aus dem Volke in kurzem Wams
und Kniehose, teils Schriftgelehrten mit langen Barten, in
faltige Mäntel gehüllt. Von vorn her an der Wand entlang
CHRISTUS VOR PILATUS UND KAIRHAS
119
drängen sich die Hauptschreier, emsig bemüht, sich einer vor
dem andern mit Schmähungen und falschem Zeugnis hervorzu-
tun. Vor den Stufen des hohenpriesterlichen Tribunals dann
römische Kriegsknechte und hinter ihnen Christus mit demütig
gesenktem Haupte, nur halb sichtbar, wie eben zur Tür herein-
tretend — eine ergreifend schlichte Erscheinung als Mittel-
und Ausgangspunkt der lebhaftesten Erregung.
,"*»*»;5§
Kanzel L. Linke Schmalseite
Nicht ganz auf der selben Höhe des dramatischen Aus-
drucks steht die zweite Scene. Vor dem im Vordergrunde
links tronenden Pilatus, dessen Geberde seine Unentschlossen-
heit gut charakterisiert, sehen wir wiederum Christus jugendlich
und schlank, mit lang herabfallenden Locken. Hinter ihm ein
bekümmerter Alter mit langem Bart, näher an Pilatus die ver-
hüllte Gestalt einer Frau, die mit bittender Geberde auf Christus
hinweist. Ohne Zweifel haben wir hier die Eltern des Heilands
120 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
zu erkennen. Wunderlich wirkt neben diesen rein menschlich
empfundenen Gestalten der allegorische Einfall, dem das Wasch-
becken haltenden Diener des Pilatus einen zweigesichtigen Kopf
zu geben. Die Absicht kann doch wol keine andere sein, als
die schwankende Gesinnung des Landpflegers zu symbolisieren z ).
Eine sehr aufdringliche Staffage bilden in beiden Dar-
stellungen die Kriegerfiguren, welche einen grofsen Teil des
Raumes füllen. Sie stehen hoch aufgerichtet und dekorativ
sehr wirksam auf dem Sockel vor dem linken Eckpfeiler und
schreiten in eiliger Bewegung vor dem Mittelpfeiler aus der
einen Halle in die andere hinüber. Aber sie füllen auch dicht
gedrängt den Hintergrund und tauchen hinter dem Sockel wie
aus einer Versenkung empor, mit halbem Leibe nur sichtbar
sich daran lehnend, im Schlafe zusammengesunken — kurz,
sie sind in überreicher Fülle durch die Darstellung zerstreut
und müssen als ein Beitrag zu ihrer Charakteristik im Auge
behalten werden.
Bis zu greifbarster Körperlichkeit herausgearbeitet, wie es
die ganze Anlage der zweiten Kanzel gestattete, finden wir ein
ähnliches architektonisches Phantasiestück in dem Relief, welches
den Besuch der Frauen am Grabe Christi darstellt. Zwischen
die seitlichen Scheerwände ist eine flachgedeckte Halle einge-
baut, die sich als offene Gallerie vor die Kanzelwandung legt,
so dass die Bäume, deren Stämme wir durch das Gitter im
Grunde erblicken, auch mit ihren Wipfeln oberhalb des Hallen-
daches wie auf Himmelsgrund sich projicieren. Nach dem Be-
schauer hin öffnet sich diese Architektur vier Mal in einer
Pfeilerstellung", die in der Mitte durch eine von zwei Halb-
pfeilern flankierte Rundsäule unterbrochen wird. Die Pfeiler-
kapitelle sind zierlich im Renaissancegeschmack ornamentiert;
wieder zieht sich eine Guirlande am Architrav hin und die
kompakteren Giebelwände sind mit liegenden Putten, mit
Fenstergittern und daran aufgehängten Waffen und Schilden
i) Semper 2, pag. 106. In der volkstümlichen Vorstellung dieser Zeit er-
scheint die Personifikation der Klugheit mit einem Januskopf : so z. ß. die Prudencia
unter den s. g. Tarocchi (Bartsch XIII, p. 128 u. 52) als Frau mit einem bärtigen
Mannsgesicht rückwärts. In der Hypnerotomachie des Polifilo kommt ein Reigentanz
von sieben Männern und sieben Frauen mit je zwei Gesichtern, einem lachenden und
einem weinenden vor.
DIE MARIEN AM GRABE 12 1
phantastisch geschmückt. Ja, über der Mittelsäule steigt ein
Mauerstück auf, das deutlich als ein abgebrochener, mit kasset-
tierter Decke versehener Rundbogen in Backsteinkonstruktion
charakterisiert ist, ein Spezimen aus der antiken Ruinen-
welt, wie es die paduaner Maler auf ihren Bildern anzubringen
liebten1).
Hinter so vielem, sorgfältig durchgeführten Beiwerk ver-
schwinden fast die Figuren, welche diese kühle Halle beleben.
Maria und Magdalena und Salome sind gekommen, den Leichnam
Christi mit Spezereien zu versehen. Magdalena, den Mantel
über das Haupt gezogen, steht mit dem Salbgefäfs in Händen
noch auf der Treppe, welche — von der Eingangstür in der linken
Seitenwand — hinabführt zu dem antiken Sarkophag, der fast
verdeckt von dem breiten Pfeiler in der Mitte der Halle
steht. Daher ist auch die dritte der Frauen, welche voraus-
geeilt sich über das Grab beugt, kaum bemerkbar. Der Mutter
aber des Toten, welche gleichfalls mit einem Salbgefäfs in
Händen die unterste Stufe der Treppe herabschreitet, tritt aus-
gestreckten Armes der Engel des Herrn entgegen: „Was
suchet ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier,
er ist auferstanden!" (Lucas 24, 5. 6.) Und Maria fasst, von
der plötzlichen Kunde erschüttert, nach dem nächsten Pfeiler
um sich aufrecht zu halten.
Jenseits des breiten Mittelträgers und zum Teil noch von
ihm versteckt, sitzt auf dem Rande des Sarkophags der zweite
Engel und hinter ihm sehen wir die drei Grabeswächter in
ihrem totähnlichen Schlummer, so wie sie beim Herabfallen
des schweren, dachförmigen Sarkophagdeckels durcheinander
geworfen scheinen. Auf den Stufen der Ausgangstür sitzt der
eine, den Fufs hoch aufgestützt und den Kopf in die Hand
geschmiegt; ganz auf die Knie vornüber gesunken wird der
andere hinter dem Pfeiler kaum sichtbar; krampfhaft seine
Waffen an sich pressend, hängt der dritte über den Relief-
rand hinaus, hinter welchem der ganze untere Teil seines
Körpers verschwindet.
1 ) Es scheint wiederum eine Reminiscenz an den „Tempio della Pace'1 vor-
zuliegen, bei dem die Ansätze der Kreuzgewölbe im 16. Jahrhundert noch erhalten
waren. Vergl. den Holzschnitt bei Gamucci, Le antichitä della cittä di Roma. 2. Aus-
gabe, 1580.
120 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
zu erkennen. "Wunderlich wirkt neben diesen rein menschlich
empfundenen Gestalten der allegorische Einfall, dem das Wasch-
becken haltenden Diener des Pilatus einen zweigesichtigen Kopf
zu geben. Die Absicht kann doch wol keine andere sein, als
die schwankende Gesinnung des Landpflegers zu symbolisieren ' ).
Eine sehr aufdringliche Staffage bilden in beiden Dar-
stellungen die Kriegerfiguren, welche einen grofsen Teil des
Raumes füllen. Sie stehen hoch aufgerichtet und dekorativ
sehr wirksam auf dem Sockel vor dem linken Eckpfeiler und
schreiten in eiliger Bewegung vor dem Mittelpfeiler aus der
einen Halle in die andere hinüber. Aber sie füllen auch dicht
gedrängt den Hintergrund und tauchen hinter dem Sockel wie
aus einer Versenkung empor, mit halbem Leibe nur sichtbar
sich daran lehnend, im Schlafe zusammengesunken — kurz,
sie sind in überreicher Fülle durch die Darstellung zerstreut
und müssen als ein Beitrag zu ihrer Charakteristik im Auge
behalten werden.
Bis zu greifbarster Körperlichkeit herausgearbeitet, wie es
die ganze Anlage der zweiten Kanzel gestattete, finden wir ein
ähnliches architektonisches Phantasiestück in dem Relief, welches
den Besuch der Frauen am Grabe Christi darstellt. Zwischen
die seitlichen Scheerwände ist eine flachgedeckte Halle einge-
baut, die sich als offene Gallerie vor die Kanzelwandung legt,
so dass die Bäume, deren Stämme wir durch das Gitter im
Grunde erblicken, auch mit ihren Wipfeln oberhalb des Hallen-
daches wie auf Himmelsgrund sich projicieren. Nach dem Be-
schauer hin öffnet sich diese Architektur vier Mal in einer
Pfeilerstellung, die in der Mitte durch eine von zwei Halb-
pfeilern flankierte Rundsäule unterbrochen wird. Die Pfeiler-
kapitelle sind zierlich im Renaissancegeschmack ornamentiert;
wieder zieht sich eine Guirlande am Architrav hin und die
kompakteren Giebelwände sind mit liegenden Putten, mit
Fenstergittern und daran aufgehängten Waffen und Schilden
i) Semper 2, pag. 106. In der volksthümlichen Vorstellung dieser Zeit er-
scheint die Personifikation der Klugheit mit einem Januskopf : so z. B. die Prudencia
unter den s. g. Tarocchi (Bartsch XIII, p. 128 u. 52) als Frau mit einem bärtigen
Mannsgesicht rückwärts. In der Hypnerotomachie des Politik) kommt ein Reigentanz
von sieben Männern und sieben Frauen mit je zwei Gesichtern, einem lachenden und
einem weinenden vor.
DIE MARIEN AM GRABE 12 1
phantastisch geschmückt. Ja, über der Mittelsäule steigt ein
Mauerstück auf, das deutlich als ein abgebrochener, mit kasset-
tierter Decke versehener Rundbogen in Backsteinkonstruktion
charakterisiert ist, ein Spezimen aus der antiken Ruinen-
welt, wie es die paduaner Maler auf ihren Bildern anzubringen
liebten1).
Hinter so vielem, sorgfältig durchgeführten Beiwerk ver-
schwinden fast die Figuren, welche diese kühle Halle beleben.
Maria und Magdalena und Salome sind gekommen, den Leichnam
Christi mit Spezereien zu versehen. Magdalena, den Mantel
über das Haupt gezogen, steht mit dem Salbgefäfs in Händen
noch auf der Treppe, welche — von der Eingangstür in der linken
Seitenwand — hinabführt zu dem antiken Sarkophag, der fast
verdeckt von dem breiten Pfeiler in der Mitte der Halle
steht. Daher ist auch die dritte der Frauen, welche voraus-
geeilt sich über das Grab beugt, kaum bemerkbar. Der Mutter
aber des Toten, welche gleichfalls mit einem Salbgefäfs in
Händen die unterste Stufe der Treppe herabschreitet, tritt aus-
gestreckten Armes der Engel des Herrn entgegen: „Was
suchet ihr den Lebendigen bei den Toten? Er ist nicht hier,
er ist auferstanden!" (Lucas 24, 5. 6.) Und Maria fasst, von
der plötzlichen Kunde erschüttert, nach dem nächsten Pfeiler
um sich aufrecht zu halten.
Jenseits des breiten Mittelträgers und zum Teil noch von
ihm versteckt, sitzt auf dem Rande des Sarkophags der zweite
Engel und hinter ihm sehen wir die drei Grabeswächter in
ihrem totähnlichen Schlummer, so wie sie beim Herabfallen
des schweren, dachförmigen Sarkophagdeckels durcheinander
geworfen scheinen. Auf den Stufen der Ausgangstür sitzt der
eine, den Fufs hoch aufgestützt und den Kopf in die Hand
geschmiegt; ganz auf die Knie vornüber gesunken wird der
andere hinter dem Pfeiler kaum sichtbar; krampfhaft seine
Waffen an sich pressend, hängt der dritte über den Relief-
rand hinaus, hinter welchem der ganze untere Teil seines
Körpers verschwindet.
1 ) Es scheint wiederum eine Reminiscenz an den „Tempio della Pace1' vor-
zuliegen, bei dem die Ansätze der Kreuzgewölbe im 16. Jahrhundert noch erhalten
waren. Vergl. den Holzschnitt bei Gamucci, Le antichita della cittä di Roma. 2. Aus-
gabe, 1580.
122 DONATELLOS KANZELN IN S. LOREXZO
Diese Kriegergestalten schliessen sich nach Erfindung,
Zeichnung, Art ihrer Verwendung, in dem Charakter der Aus-
rüstung und Bewaffnung auf's engste an die entsprechenden
Figuren des Pilatus-Kaiphas-Reliefs an. Sie bleiben aber auch
gleich diesen von dem Verdacht nicht verschont, dass sie zum
Teil wenigstens mit der ursprünglichen Skizze der Darstellung
nichts zu tun haben. Daher muss auf die nahe Verwandtschaft,
welche in der ganzen Anlage zwischen den beiden Reliefs
besteht, noch besonders hingewiesen werden. Wenn der Raum,
in welchem der Sarg mit Christi Leichnam steht, sich uns in
der Längsaxe praesentiert, während wir dort den Querschnitt
eines Tonnengewölbes vor uns haben, so ergab sich das von
selbst aus der Anpassung an die Behandlungsweise der übrigen
Reliefs an jeder der beiden Kanzeln. Aber von derselben An-
schauung ist ausgegangen, hier wie dort: ein Dach, durch eine
starke Mittelstütze getragen, überdeckt zwei gleiche Raum-
kompartimente, durch deren mit einem Rautengitter1) ge-
schlossene Rückwand wir hindurch in's Freie schauen; selbst
die Guirlande am Gebälk fehlt nicht hier wie dort. Die per-
spektivischen Probleme der Antonius-Reliefs im Santo sind
hier wieder aufgenommen und mit Virtuosität gelöst. Ja, die
selbständige Bedeutung der Raumdarstellung erscheint mit
Bewusstsein bis zu einer rein malerischen Wirkung gesteigert.
Wäre die Ausführung nicht so körperhaft greifbar, man könnte
meinen, in dem Marienrelief ein malerisches Stimmungsbild vor
sich zu haben, ausgestattet wie es ist mit allen Reizen des
Halbdunkels, dem tiefen Schatten der Halle und der Hinein-
beziehung selbst landschaftlicher Umgebung, so dass ihm nur
die Farbe fehlt, um auch im Blau des Himmels und im Grün
der Bäume mit der Wirklichkeit wetteifern zu wollen. Und
in seinem Gegenstück, mit den rembrandtisch schlichten Figuren
des Christus und seiner Angehörigen, ist ein malerisches Streben
nach Licht- und Schattenwirkung kaum weniger deutlich fühlbar.
Wie sich die Fülle der Figuren um die Hauptstützpunkte der
Architektur kristallisiert und nicht durch Einzelgestalten, sondern
als lichtauffangende Masse gelten will, wie die Gestalten der
1 ) Dieselbe Form des Gitters auf dem Stich der thronenden Madonna von
Girolamo Mocetto. Passavant V p. 136 u. 10.
DIE MARIEN AM GRABE 123
Richter frei in's volle Licht herausgestellt sind und Christus
vor ihnen aus dem Halbdunkel emporzutauchen scheint — das
ist alles im eminenten Sinne malerisch gedacht und kann nur
aus der innigen Berührung mit der Kompositionsweise eines
Malers heraus genügend verstanden werden.
Den Schauplatz dieser Berührung in der florentinischen
Kunst zu suchen, kann Niemandem einfallen, der sich gegen-
wärtig hält, welche Vorbilder hier dem Schöpfer dieses Reliefs
zu Gebote stehen konnten. In den Fresken Masaccios, Fiesoles,
Filippo Lippis findet sich nichts auch nur annähernd Aehnliches,
weder hinsichtlich der Behandlung des Raumes noch in der An-
ordnung des Figürlichen. Eine solche Freiheit in der Gruppierung,
wie sie das Marienrelief zeigt, mufs als unerhört gelten für diese
Periode der florentinischen Kunst, selbst wenn wir geneigt
wären, die Entstehung des Reliefs bis in das letzte Jahrzehnt
des Quattrocento hinaufzurücken. Und welcher florentiner
Künstler hätte vor 1490 solche Halbfiguren in den Vordergrund
der Darstellung gesetzt, wenn es sich nicht um Stifterporträts
handelte?1) welcher vor Verrocchio und Filippino Lippi solche
römisch gerüstete Kriegerfiguren mit phantastischen, aus der
Spirale konstruierten Helmen und langen Setzschilden als blofse
Staffage durch die Darstellung hin verteilt? Dagegen finden
sich diese ähnlich genug und von gleicher Auffassung getragen
in Mantegnas Fresken in Padua, und die Form ihrer Rüstungen
gleicht der, welche Erasmo de' Narni getragen, wenn seine
Reiterstatue und die Porträtfigur auf seinem Grabe hierin der
Wirklichkeit entsprechen. Lässt sich auf diese zwecklosen
Staffagefiguren nicht unmittelbar eine freilich etwas doktri-
näre Auslassung des Pomponius Gauricus anwenden, welche
dieser über gewisse Lieblingsmotive Mantegnas macht? Gauricus
unterscheidet *) in den Darstellungen ruhender Figuren zwischen
einem ,ocium liberale' und ,illiberale'. Nachdem er als Beispiel
für das erstere einen Philosophen angeführt hat, der über den
') Fra Filippo Lippis Krönung Mariae in der Akademie bildet nur eine schein-
bare Ausnahme; hier wird eben der Himmelsraum durch das Hineinragen irdischer
Persönlichkeiten weiter charakterisiert." Sonst findet sich Aehnliches erst wieder
in den Fresken Ghirlandajos in S. Trinitä und S. Maria Novella.
2) De sculptura ed. Brockhaus p. 212.
124 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Tod nachsinnend dargestellt sei, fährt er fort: illiberale vero
iam dudum in omnium pictorum consuetudinem venit. Pre-
cipueque solitum fieri a Mantenio nostro, ubi negligentes
famuli modo accumbunt, modo dominorum imperia
deoscitantes expectant, modo inertes stupidique ma-
nent. Quod oportune factum si fuerit, iocunditatem simul
atque ex uarietate graciam afferret. Wem fielen bei dieser Aus-
lassung, welche einen Kern berechtigter Kritik in sich birgt,
nicht zahlreiche Beispiele aus Mantegnas Bildern ein, denen
sich die erwähnten Figuren in unseren Reliefs und Aehnliches
etwa in der weiter oben besprochenen * ) figurenreichen Kreu-
zigung im Bargello anschliessen?
Freilich entspricht daneben auch — und gerade in den ent-
scheidenden Teilen der Komposition — Vieles der dramatischen
Kraft und dem Uebermafs an leidenschaftlicher Erregtheit,
welche Donatello in jener Dreiheit von Reliefs an der Vorderseite
der linken Kanzel bewiesen hat. Man möchte sich gern überreden,
dass die Gruppe der Ankläger vor dem Hohepriester und die
ergreifende Verkörperung Christi auf einen Entwurf dieses
Meisters zurückgeht. Aber sollen wir ihm auch die allegorische
Spielerei mit dem Janusköpfigen Diener zutrauen? Und können
wir von ihm weiter nicht blos eine so malerisch gedachte
Komposition, sondern auch eine so starke Abhängigkeit von
bestimmten Schöpfungen Mantegnas als möglich annehmen,
wie sie bei genauerer Betrachtung noch deutlicher als in jenen
eben angeführten Einzelheiten sich herausstellt? Denn ver-
gleichen wir nur einmal dieses Zwillingsrelief mit dem Zwillings-
fresko Mantegnas an der linken AVand der Eremitani-Kapelle,
welches die , Taufe des Hermogenes' und das .Verhör des
Jakobus vor dem Prokonsul' umfasst! Beidemal haben wir
zwei reiche Architekturen auf einen gemeinsamen Verschwin-
dungspunkt hin konstruiert, der in der trennenden Mittelleiste
liegt. Beidemal schliesst ein rechtwinklig anstofsendes Bauwerk
die Perspektive nach dem Hintergrunde zu ab, und wie in dem
Relief beleben es auch auf dem Fresko der Taufe über eine
Brüstung herabblickende Zuschauer. Hier wie dort ist der
Schwerpunkt der figürlichen Scene vor die äussere Seitenwand
i) s. 80.
DIE MARIEN AM GRABE 125
gelegt, und wenn dies in dem Pilatusrelief ein römischer Statt-
halter auf seinem ,tribunal' ist, wie in dem Verhör des Jakobus,
so lässt die Scene vor Kaiphas noch weitergehende Vergleichung
zu: der Angeklagte ist aus der Mitte der beiden Begleiter,
die ihn dort vor den Richterstul führen, nun nach hinten
herausgerückt und der vordere von jenen hat in die Tiefe
steigen müssen, um den Blick auf den Hohepriester und die
ihn unmittelbar Umdrängenden freizugeben. So verstehen wir
auch besser die Gestalten, welche sich hinter dem Sockel, wie
hinter einer Brustwehr bewegen: lehnt nicht in derselben Weise
jener schlanke Krieger an der Barriere, welche auf Mantegnas
Fresko sich unterhalb des prokonsularischen Tribunals hinzieht?
Diese Vergleichung soll und kann nichts anderes beweisen,
als dass die Reliefs von einem Künstler entworfen sind, der
sich seinen Raum in einer ähnlichen Weise zurechtgelegt hat,
wie Mantegna in jenen Fresken, und der diese Fresken selbst
gesehen haben muss. In diesem strengen Anschluss an ein
malerisches Vorbild aus der paduanischen Kunst liegt wol das
Entscheidende. Donatello selbst hätte in der Periode seines
Schaffens, welche durch die Rundmedaillons aus dem Leben
des Johannes bezeichnet wird, bei gröfserer Konzentration
seiner Kraft einen Entwurf wie diesen ersinnen können.
Aber es wäre müfsig, hier schon die Frage nach dem
Künstler aufzuwerfen, welcher die Reliefs so ausführte, wie
wir sie jetzt vor uns sehen; dürfen wir doch zunächst noch
nicht einmal mit Sicherheit behaupten, dass es nur einer ge-
wesen sein kann. Die Durchführung des Reliefs im Einzelnen
ist eine zu ungleichmäfsige, um dafür Anhaltspunkte zu ge-
währen. Neben sorgfältig und ausdrucksvoll auch in der Cise-
lierung vollendete Teile, wie die Köpfe des Pilatus und der
vor ihm Stehenden, treten andere, welche offenbar schon im
Thonmodell unvollendet geblieben sind, wie der Christus vor
Kaiphas und die Andeutungen von Figuren neben ihm. Auch
einzelne der Kriegergestalten sehen ganz so aus, als wären sie
erst bei einer letzten Ueb er arbeitung hinzugefügt. Das ganze
Relief aber ist für den Platz, welchen es einnimmt, erst ziemlich
gewaltsam zurechtgemacht. Von der Wölbung oben ist ein
Teil weggeschnitten und der Rand schliefst nur teilweise bündig
126 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
mit der unteren Leiste des Puttenfrieses; seine Mitte steht um
etwa 5 cm. davon ab J ).
Es ist eben, wie wir uns bereits überzeugt haben2) der Aus-
führung nach einer der spätesten Teile des ganzen Werkes,
mit dem wir es hier — und ebenso in dem so ähnlich empfun-
denen Marienrelief — zu tun haben. Begnügen wir uns also
vorerst damit, aus dem Stilcharakter dieses Reliefs so über-
raschende Aufschlüsse über die Einwirkung ausserfiorentinischer
Kunstweise gewonnen zu haben, und wenden uns nun der
Vorderseite der Kanzel R zu, deren in sich zwiespaltiges Aus-
sehen uns das Erkennen und Auseinanderhalten der verschiedenen
Künstlerhände und Stilweisen, welche bei der Entstehung dieses
Werks tätig gewesen sind, in ihrem unmittelbaren Nebenein-
ander um so eher zu verheissen scheint.
■) Auf den Gussfeliler am rechten Seitenrande ist schon S. 33 Anm. aufmerk-
sam gemacht.
2) Vgl. oben S. 34.
Teil des Puttenfrieses an Kanzel R
VI
Kreuzigung und Beweinung
Von diesem ungleichen Paar, welches die Vorderseite der
rechten Kanzel bildet, kann es dem aufmerksamen Be-
schauer keinen Augenblick zweifelhaft sein, dass es so nicht
neben einander gedacht worden ist. Sind doch die Proportionen
der Figuren in der rechts angeordneten Beweinung Christi am
Fufse der Kreuze aus guten Gründen mindestens um die Hälfte
gröfser, als in der links daneben befindlichen Kreuzigung. Denn
der Raumabschnitt, der in die letztere Darstellung aufgenommen
werden musste, betrug naturgemäfs in der Höhendimension etwa
das Doppelte von dem, welcher für die erstere erforderlich er-
schien. Schon aus diesem Sachverhältnis also ergiebt sich eine
Bestätigung unserer durch äussere Gründe gewonnenen An-
schauung1), dass die Kreuzabnahme früher vorhanden war, als
das daneben geordnete Relief — und überhaupt zu den ursprüng-
lichsten Teilen dieser Kanzel gehört. Beginnen wir also mit
ihr auch unsere Betrachtung2).
Nach rechts in den Hintergrund hinein zieht sich die Reihe
der drei neben einander gestellten Kreuze, so dass in zunehmen-
1 ) Vergl. oben S. 44.
2) Vergl. unsere Zinkätzung nach Phot. Brogi.
128 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
der perspektivischer Verkürzung an dem ersten Kreuze links
der daran hangende Schacher nur bis zum Knie sichtbar
wird, der zweite Schacher aber fast mit dem ganzen Körper;
an das mittlere Kreuz ist die Leiter gelehnt, mit deren Hilfe
der Leichnam Christi herabgenommen wurde. An ihrem Fufse
sitzt uns zugewendet Maria, in deren Schofse die Träger den
Leib niedergelegt haben. Eben löst der bärtige Greis, welcher
die Beine des schlaffen Körpers beim Herabnehmen gestützt
hat, mit sanfter Behutsamkeit seine Hände von der Last; noch
unterstützt die zusammengekauerte weibliche Gestalt links den
Kopf des Heilands, hinter dessen Heiligenschein ihr eigenes
Gesicht verschwindet. Maria aber schaut, mit der darunter ge-
schobenen Rechten den Kopf des Todten sanft emporhebend,
starren Blickes in das teure Antlitz. Ihr stummer Schmerz
kommt auch in den beiden Frauen zum Ausdruck, die mit
fromm gefalteten Händen neben ihr sichtbar werden, und in der
rührenden Gestalt der ganz verhüllt zu den Füfsen des Toten
abgewendet Sitzenden. Desto ekstasischer geberden sich die
Klageweiber, welche mit aufgelöstem Haar und fliegenden Ge-
wändern , die Arme weit vorgestreckt oder hoch emporge-
worfen, herbeieilen, oder stehend mit schrillem Jammerlaut sich
das Haar zerraufen. Woltätig sticht hiergegen wieder der stille
Schmerz ab, wie er sich in der ganz links auf einem antiken
Steinrelief sitzenden, das Antlitz auf die gefalteten Hände nieder,
beugenden Frauengestalt ausdrückt. Das liebliche Rund des
Kopfes mit den schlicht unter den Schultermantel zurückge-
strichenen Haaren erinnert an Gestalten, wie die der Ver-
kündigung in S. Croce. — So fehlt nur noch Johannes, den wir
sicherlich in der kühn in die Sprossen der angelehnten Leiter
hineinkomponierten Figur zu erkennen haben, die ihr Antlitz in
dem aufgehobenen Gewände verbirgt. Neben ihm steht ein Alter
mit unförmlicher Mütze, die Kreuzigungsnägel in der Hand. —
Die rechte Ecke füllen ein schlafend sitzender Mann mit turban-
ähnlicher Kopibedeckung und vor ihm ein am Boden ausge-
streckter Krieger, der, mit dem erhobenen Arm seine Augen be-
schattend, sich dehnt und reckt, wie ein Heros Michelangelos.
Die linke Seite der Darstellung ist infolge der Einschiebung
noch mehrerer Krieger und Frauen durch ein wirres Gedränge
von Gestalten erfüllt, welches keine Figur selbständig zur
Italienische Forschungen II.
130 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Geltung kommen lässt. Füllen doch selbst den Grund bis zum
oberen Rande skizzenartig- im flachsten Relief hingeworfene
nackte Reiterfiguren. Es bedarf kaum dieser sinnlosen und
rohen Zusatzfiguren, welche ein noch sehr unvollkommenes
Können verraten1), um uns die Ueberzeugung zu erwecken,
dass in diesem Relief ein Entwurf des Meisters von Schüler-
händen vervollständigt und überarbeitet worden ist. Nur Dona-
tello kann die grandiose Mittelgruppe der Beweinung geschaffen
haben. Diese Madonna, welche in der strengen Profilstellung
des Kopfes mit dem darüber gezogenen Mantel so genau dem
Typus entspricht, welchen er für die Einzeldarstellung von
Mutter und Kind in Marmor- und Terrakottareliefs geschaffen,
dieser meisterhaft in der Welkheit des Todes charakterisierte
Leichnam, diese stille Trauer und dies laute Klagen verraten
in jedem Zuge seine persönliche Empfindungs- und Gestaltungs-
weise. Dagegen stechen auffallend genug solche Figuren ab
wie der Alte, welcher die Kniee des Toten umfasst hält und
bei welchem bereits die weit kleineren Körpermafse auf eine
andere Hand hinweisen. Das gleiche gilt von dem Mann mit
den Kreuzesnägeln hinter ihm, der sich auch durch den un-
förmlichen Kopf und die ungelenke Haltung als Schülerarbeit
charakterisiert. Dieselbe zahme Hand mag dann auch noch
den zweiten Mann mit den Kreuznägeln und die verhüllten
Frauen in seiner Nähe hineingesetzt haben. Das Wesentliche
der Komposition aber gehört Donatello selbst; er muss das
Ganze entworfen und die hauptsächlichsten Teile im Modell
vollendet haben. Dies ergiebt sich nicht blos aus der allge-
meinen Abschätzung des künstlerischen Wertes der verschiede-
nen Figuren, sondern mit weit gröfserer Bestimmtheit noch
aus den Merkmalen der stilistischen Behandlung, welche auf's
genaueste mit jenen drei Reliefs der anderen Kanzel überein-
stimmen. Man vergleiche nur die schlotternden Gewänder mit
den wirren, flachgequetschten Falten, wie sie in der Beweinung
namentlich an den klagenden Frauen, in der Auferstehung am
1) Semper 2, pag. 107 fühlt mit starker Uebertreibung in ihnen „griechischen
Geist athmen". Benvenuto Cellini hat mit gröfserer technischer Sicherheit diese Reiter-
figuren in ganz ähnlicher Verwendung auf seinem Relief der Befreiung der Andromeda,
am Fufse der Perseusstatue in der Loggia de' Lanzi nachgeahmt. Dies Relief zeigt
auch in sonstigen Einzelheiten Anlehnung an die Kanzeln in S. Lorenzo.
KREUZIGUNG UND BEWEINUNG I 3 I
Christus hervortreten; ferner die strähnige Behandlung des
Haares, das sorgfältig durchciseliert ist, wie überhaupt in der
endgiltigen Ueberarbeitung gerade dieser beiden Reliefs Ber-
toldo sich als der würdige Erbe seines Meisters bewährt. Beim
Anblick aus nächster Nähe überrascht geradezu der i\usdruck
und die Schönheit in den Köpfen der Beweinung, welche durch
charakteristische Wiedergabe der im Affekt bewegten Haut-
falten erzielt ist1).
Aber steht nicht auch nach Geist und Erfindung die Kom-
position auf der Höhe dessen, was wir nach jener Trilogie er-
warten dürfen? Das Uebermafs seelischer Erregung erscheint
hier sogar zu einem noch höher gesteigerten Ausdruck gebracht
und hat die Gestalten des letzten Restes an plastischem Halt
beraubt. Wie durchrieselt von einer Flut des Schmerzes steht
jenes ,,schlottrichte" Klageweib da; wie geschüttelt von inneren
Stürmen des Gefühls ist dieses zusammengesunken. Es liegt
ein Pathos in diesen Gestalten, welches noch weit über die
Reliefs in Padua hinausgeht. Und für die nervöse Stimmung
der Komposition, welche sich nach links hin zu einem dichten
Figurengeschiebe zusammenballt, kann gleichfalls nur die Höllen-
fahrt von der anderen Kanzel zum Vergleich herangezogen
werden. Wie dort die Linie der Köpfe allmählich nach rechts
hin sich emporhebt, so schiebt sich hier die bewegte Gestalten-
masse nach links und der Höhe hin zusammen. Es ist dasselbe
Princip der Massenkomposition und es erscheint undenkbar,
dass nicht auch diese Scene auf den Zusammenhang mit anderen,
auf ein Gegenstück angelegt sei, dessen Komposition ihr im
Zuge der Linien und der Massenbewegung entsprechen sollte.
Kann das daneben angebrachte Relief der Kreuzigung
dieses Gegenstück gewesen sein2)?
Es gehört nicht viel dazu, die Unmöglichkeit dieser Vor-
aussetzung zu erkennen. Die Komposition ist hier eine sym-
metrische. Wir erblicken die drei Kreuze mit Christus und
den Schachern in voller Vorderansicht neben einander gestellt,
sodass schon hierdurch die Rechnung bezüglich der Raumdisposi-
1 ) Als eine gemeinsame Eigentümlichkeit kann die Angabe der Fingergelenke
durch einciselierte Ouerfalten gelten.
2 ) S. unsere Zinkätzung nach Phot. Brogi.
9*
132 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
tion festgelegt ist. Auf schmaler Bühne bewegen sich die Gestalten
nach dem Mittelpunkt hin, welcher durch das Kreuz Christi
gegeben ist. Ihm zugewendet stehen zunächst dem Felsblock
am Fufse des Kreuzstamms Maria und Johannes, ganz in ihre
Trauer versunken. Jene dicht in einen Mantel gehüllt, der
über den Kopf gezogen auch die Stirn bedeckt, starrt auf ihre
gefalteten Hände nieder, dieser stützt das von lang herabfallen-
den Locken verhüllte Antlitz auf die Rechte. Hinter dem
Kreuzstamm erblicken wir Magdalena, das gleichfalls von
langen Haarsträhnen umflutete Haupt in den Händen bergend.
Hinter Maria eilt eine dritte Frau stürmisch herbei, das ver-
zerrte Antlitz zu dem Erlöser emporgerichtet, in der rechten
Hand ein Büschel ausgerissener Haare haltend. Noch weiter
links sitzt eine vierte Frau am Boden, das Haupt kummervoll
auf die Linke gestützt 1 ).
Christus und die Schacher sind in einem Augenblick nach
dem Verscheiden dargestellt. Das Haupt des Erlösers, mit
einem gedrehten Strick umwunden, ist auf seine rechte Schulter
herabgesunken. Ruhig und friedlich, fast einem Christus selber
gleich, hängt der rechte Schacher am Kreuze, während in den
verzerrten Gliedern und Gesichtszügen des linken sich die
Qualen seines unbufsfertigen Todes abspiegeln. Ein Teufel eilt
herbei, seine Seele in Empfang zu nehmen, während gute Engel
den reumütigen Sünder umschweben oder mit heftigen Klag-
geberden sich zu Seiten Christi herabstürzen. Es ist durchaus
die konventionelle Form einer Kreuzigungsdarstellung — und
was ihr der Künstler an psychologischem Ausdruck zu verleihen
i) Auffällig ist die Freiheit, mit welcher in der Anbringung des Heiligen-
scheins verfahren ist. "Wahrend dieser bei Christus Maria Johannes und der zuletzt
erwähnten Frau fehlt haben ihn Magdalena — wenn anders diese Benennuni; zu-
lässig ist — und,' die herbeistürzende Frau. Auch die übrigen bisher betrachteten
Reliefs weisen in dieser Hinsicht manche Absonderlichkeit auf. An der Vorderseite
von L haben den Heiligenschein — und zwar einen mit stralenlörmigen Vertiefungen
gezierten — alle Gestalten, welchen er zukommt: den Marien am Grabe fehlt er
dagegen gänzlich. In dem Pilatus-Kaiphas-Relief ist nur Christus mit einem solchen,
von glatter scheibenförmiger Gestalt, ausgezeichnet. Dieselbe Foim hat der Heiligen-
schein bei den oben genannten Figuren der Kreuzigung, während Christus, Maria
und drei trauernde Frauen in der Beweinung wieder den gerieften Heiligenschein
tragen. — Diese Verschiedenheiten widersprechen nirgends den von uns angenommenen
Beziehungen der Reliefs unter einander.
134 DOXATELLOS KAXZELX IN S. LOP.EXZO
gewusst, hat er in den bisher genannten Figuren auch erschöpft.
Alles Uebrige ist ein ödes Gedränge von Kriegern in römischer
Rüstung zu Fufs und zu Pferde, von denen nur wenige als
charakteristische Einzelfiguren hervortreten; so der gläubig ge-
wordene Hauptmann zu Pferde, links vom Kreuze, oder sein
Gegenstück ganz rechts, dicht am Mittelpfeiler, ein nur halb
noch sichtbarer Reiter, der im Motiv der Bewegung wie durch
die Formen des Pferdes an den Gattamelata erinnert.
Diese Staffagefiguren setzen sich vor dem linken Eckpfeiler
fort, welcher ja mit dem Relief auch materiell ein Ganzes
bildet a ). Die beiden Krieger, welche hier mit ähnlich dekora-
tiver Wirkung, wie auf der anstofsenden Schmalseite, neben-
einander gruppiert sind, stimmen auch ihrem Stile nach so genau
mit den Gestalten der Kreuzigung selbst überein, dass kein
Zweifel bleiben kann: Wer dies Relief ausführte, hat auch die
Pilasterstruktur der ganzen Kanzel geschaffen — hier haben
wir jenen Künstler vor uns, welcher die Kanzel im Zusammen-
hang vollendete und redigierte, indem er ihr das struktive Ge-
rüst gab und aus den unter verschiedenen Händen entstandenen
Einzelreliefs nach Möglichkeit ein Ganzes bildete. Auch in dem
Pilatus-Kaiphas-Relief trat uns dieser schliessliche Vollender des
Werks ja bereits entgegen — und von hier führten die Spuren hin-
über zu den Marien am Grabe der anderen Kanzel, welche sich
im Charakter der Komposition als eng verwandt herausstellten.
Und doch ist damit die Teilnahme dieses Künstlers an der Arbeit
noch nicht abgeschlossen, wie die weitere Vergleichung bald
ergeben wird. Fassen wir daher als Grundlage der letzteren,
vorläufig wenigstens einige Hauptzüge seines Stils zusammen!
Von den Teilen des Werkes, die auf Donatello unmittelbar
zurückgehen, unterscheidet die Arbeit dieses Mannes sich zu-
nächst durch die kürzeren ■ und gedrungeneren Proportionen
seiner Figuren, sowie durch einen ganz bestimmten, konstant
festgehaltenen Kopftypus, welcher am ausgeprägtesten in den
!) Vergl. oben S. 31. — Dass die Figuren vor den beiden andern Pilastern
der Vorderseite schliesslich weggelassen worden sind, erklärt sich wol aus der Ver-
legenheit, welche sich gegenüber der so bedeutend verschiedenen Höhe der Xormal-
figuren in den beiden Reliefs ergab. Wahrend die stehende Klagefrau in der Be-
weinung 45 cm hoch ist, misst keine Figur in der Kreuzigung über 39 cm. Welches
dieser Mafse hätte für die Pilaslertiguren des Mittelpfeilers ausschlaggebend sei 1 solL-n?
KREUZIGUNG UND BEWEINUNG 135
Figuren der Kreuzigung' erscheint. Es sind Gesichter mit harten
eckigen Zügen, einer langen breitrückigen Nase und eigen-
tümlich stieren Augen. Die Haarbehandlung, obwol sichtbar
unter dem Einfluss der letzten Arbeiten Donatello's, unter-
scheidet sich durch gröfsere Fülle und Schwere der langen,
geringelten Haarsträhne, welche oft zu spiralischen Locken zu-
sammengedreht sind. Am meisten charakteristisch ist die
Gewandbehandlung. Hier sehen wir nichts von der geistreich-
verworrenen Flattrigkeit Donatello's, von seinen fliessenden flach-
gestrichenen Falten, sondern statt dessen finden wir starre
Gewandstoffe, in schwere, harte Falten gelegt, von einem Aus-
sehen, als wären sie aus Stein- oder Holzmaterial geschnitzt.
Diese Stilweise herrscht durchgehends in sämtlichen Figuren
der Kreuzigung, so dass die Ausführung dieses Reliefs un-
zweifelhaft völlig derselben Hand gehört, mögen nun für die
Hauptfiguren, Maria, Johannes und die klagenden Frauen
Originalskizzen Donatello's selbst zu Grunde gelegen haben,
oder mögen sie nur in Anlehnung an die entsprechenden Ge-
stalten der Beweinung koncipiert sein.
Dass es Bertoldo sei, den wir hier gefunden haben — der
einzige Mitarbeiter an den Kanzeln, der uns in den Quellen
genannt wird — kann bereits jetzt als höchst unwahrscheinlich
bezeichnet werden. Den Anspruch, für diesen Schüler und
Gehilfen Donatello's zu gelten, darf doch zunächst wol jener
andere Bildner erheben, den wir in engster Gemeinschaft mit
dem Meister als Ergänzer und Vollender, sowie als sorgfältigen
Ciseleur der von diesem angelegten und der Hauptsache nach
fertig modellierten Reliefs — der Vorderseite von L und der
Beweinung — konstatiert haben. Ob die Arbeitsweise dieses
Gehilfen der Vorstellung entspricht, welche wir nach be-
glaubigten Werken uns von dem Stil Bertoldo's machen dürfen,
wird weiterhin zu untersuchen sein; jedenfalls zeigt sie in
keinem Punkte eine Berührung mit jenem weit selbständiger
arbeitenden Bildner, den wir soeben zu charakterisieren ver-
suchten. Folgen wir also zunächst der so unverhofft auf-
getauchten Spur und sehen wir, ob sie zu einem Ziele führt.
Zunächst sind es zwei weitere Reliefs der Kanzeln, welche sich
unzweideutig als Eigentum desselben Meisters herausstellen.
. >
Kanzel R- Rückseite
VII
Christus auf dem Oelberg und die Ausgiessung
des h. Geistes
Nur einen bescheidenen Platz an der Rückseite der rechten
Kanzel hat, entsprechend der Oekonomie des Ganzen, die
Scene erhalten, welche das Gebet Christi in Gethsemane
darstellt. Ihrer künstlerischen Behandlung nach schliesst sie sich
unmittelbar der Kreuzigung an, mit deren Stil sie in den Typen
und der Gewandbehandlung die auffallendste Uebereinstimmung
zeigt. Freilich ist die Gesamtanlage hier eine andere. Sie
baut sich staffeiförmig auf und zieht, ähnlich wie dies auf der
anstofsenden Nebenseite geschehen ist, das tektonische Gerüst
der Kanzelbrüstung, Sockel und Pilaster, in den Dienst der
figürlichen Darstellung, mit welcher sie zusammen modelliert
und gegossen sind.
Links oben auf der Höhe eines felsigen Abhangs, im
Schatten einiger Bäume kniet der Heiland, die Hände zu dem
Kelche erhoben, welchen der herzuschwebende Engel ihm ent-
gegenhält. Den Felshang abwärts lagern dann in drei Gruppen
verteilt die elf schlafenden Jünger. Die untersten drei haben
auf dem Sockel wie auf einer Steinbank Platz genommen und
CHRISTUS AUF DEM OELBERG 137
die beiden Eckfiguren, der schnarchend mit offenem Munde
zurückgelehnte Alte links, die vornübergesunkene Jünglingsgestalt
rechts mit den im Schlafe g'elösten Gliedern, benutzen die seit-
lichen Pilaster als Rückenlehne.
Die Proportionen der Gestalten, der Typus der Köpfe, die
Behandlung von Haar und Gewandung stimmen so genau mit
der Kreuzigung überein, dass die Enstehung beider Reliefs aus
einer Hand ohne weiteres einleuchtet. Man vergleiche nur den
sitzenden Schläfer vorn rechts mit dem Johannes der Kreuzigung,
den Alten links mit dem rechten Schacher, die Gesichts- und
Haarbildung der übrigen Jüng'er mit den bärtigen Kriegerfiguren,
ja selbst die Behandlung des Felsterrains, um sich des voll-
kommensten Einklangs bewusst zu werden. Wenn schon die
Kreuzigung in ihrer Ausführung sichtlich nach dem Hochrelief
hindrängt, ein Streben, das hier durch die Rücksicht auf das
daneben befindliche Flachrelief der Beweinung mühsam in
Schranken gehalten wird — so ist diese Behandlungsart, welche
der Künstler offenbar gewohnt war, hier völlig- zum Durchbruch
gelangt und hat der Darstellung zu jener malerischen freien
Entfaltung verholfen, welche ihr einen gewissen Reiz verleiht.
Dem Einfiuss des virtuosen Flachreliefstils Donatello's, welchen
dieser auch in seinen letzten Schöpfungen noch festhält, ist der
Künstler beim Entwurf dieses Werkes gewiss nicht mehr aus
gesetzt gewesen1).
Dies bestätigt uns auch das letzte Relief, das wir ihm auf
Rechnung nehmen müssen: die Ausgiessung des h. Geistes
an der rechten Schmalseite der linken Kanzel (L 3) ■ — nach
Ausweis der technischen Merkmale gleichfalls ein spätes Stück
Arbeit2). Hier herrscht ein ausgesprochenes Hochrelief, ja die
Figuren lösen sich zum Teil völlig von dem Hintergrunde ab,
den die Kanzelbrüstung und die bekannten Seitenwände bilden.
') Eine Flachreliefdarstellung der Oelbergscene (mit nur drei Jüngern) in der
Berliner Sammlung (n. 55), aus cavrarischem Marmor mit Spuren von Bemalung, wird
im Katalog nach der Gewandbehandlung und den Typen einem Donatelloschüler zu-
geschrieben, der vor allem von den Kanzelreliefs in S. Lorenzo beinflusst erscheint.
Gemeint ist wol zunächst eine Verwandtschaft mit unserem Relief gleichen Inhalts.
Aber weder mit diesem noch mit den echt Donatello'schen Teilen der Kanzeln scheint
mir eine nähere Beziehung vorzuliegen. Die Köpfe und die landschaftliche Perspektive
verweisen eher auf die mittlere Zeit Donatello's.
2 ) Vergl. oben S. 36.
13° DOXATELLOS KAXZELX IX S. LOREXZO
So ist hier das Gemach angedeutet, in welchem sie „alle ein-
mütig bei einander waren," da das Wunder des Pfingstfestes
geschah. Maria kniet mitten unter den zwölf Aposteln, die sie
im Halbkreis umgeben. Ueber ihr schwebt die Taube des
heiligen Geistes, und die lodernden Flammenstralen, welche
in seltsamen Büscheln davon ausgehen, haben ein züngelndes
Flämmchen auf den Heiligenschein jedes der Zwölfe geworfen,
genau wie es in der Schrift heisst (Apostelgeschichte 2, 3):
„Und man sah an ihnen die Zungen zerteilet, als wären sie
feurig. Und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen."
So empfangen die einen das göttliche Wunder mit demütigem
Gebet, wie Petrus und Andreas, die mit gefalteten Händen neben
Maria knieen, die andern strecken in Verzückung die Arme aus
oder bergen mit scheuer Ehrfurcht das Antlitz. Es sind bärtige
Gestalten von kräftigen Proportionen, mit biederen, aber geistig
eben nicht sehr belebten Köpfen. Den Boden vor ihnen be-
decken ihre Attribute: das Kreuz des Andreas, Pilgerhut und
Stab des älteren Jakobus, das Winkelmafs des Thomas, die
Keule des Judas Thaddaeus, das Schindermesser des Bartholo-
maeus — und Spruchbänder, wie sie bei jedem von ihnen
üblich sind.
So ist mit einer gewissen nüchteren Klarheit der Vorgang
verkörpert, ohne Donatello's Hast und Unruhe, aber auch ohne
seinen Geist und seine Leidenschaft. Der Ausdruck in den
Köpfen ist ein nur mäfsig bewegter, und die Geberdensprache,
wenn auch leicht verständlich und angemessen, leidet unter
einer gewissen Einförmigkeit. Für den Ausdruck inniger und
zarter Empfindung ist dieser Künstler nicht geschaffen, schon
infolge des Mangels an Adel und Feinheit in seinen Köpfen.
Diese stehen den Gestalten der Kreuzigung und der Oelbergs-
scene ganz nahe, mag sich auch bei der letzten Ueberarbeitung
eine etwas weichere Hand bemerkbar gemacht haben. Ins-
besondere aber gleicht die knieende Madonna derjenigen in
der Kreuzig-ung, in dem Schnitt de; Gesichts wie im Arrange-
ment des Mantels auf dem Kopf und der grobzugehauenen
Gewandbehandlung. Ueberhaupt tritt die ziemlich ungeschlachte
Manier dieses Bildners in der Faltengebung auf diesem Relief
deutlicher hervor, als auf irgend einem der bisher besprochenen.
Wir erkennen nun auch die fast durchgehend gleiche Anlage
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AUSGIESSUXG DES H. GEISTES 139
des Kostüms, bestehend aus einem bis auf die Füfse hinab-
reichenden Faltenrock mit engen Aermeln, oft von einem
schärpenartigen Gewandstück umgürtet, und einem über
Schulter und Hüfte gelegten Mantelstück, dessen freies Ende
nach rückwärts flattert. Dieses halb der Wirklichkeit entlehnte,
halb in malerischer Absicht erfundene Gewand trägt,
wo es uns zuerst begegnet, ein rechter Heros des Schmerzes:
der Apostel Johannes auf Mantegnas grofsem Stich der Grab-
legung (B. 3). Hier in den Reliefs der Kanzeln kehrt es mit
geringen Varianten an dem Johannes in der Kreuzigung wieder
und an den Jüngern in der Oelbergscene.1)
Es ist ja nicht das erste Mal, dass uns diese Reliefs un-
mittelbar auf Mantegna und paduanische Kunst hinweisen und
die blofse Nachahmung einer Aeusserlichkeit des Kostüms oder
der Haarbehandlung2) dürfte an sich noch keine Bedeutung
beanspruchen. Aber in dem Komplex der hier vorliegenden
Tatsachen will sie doch mehr besag-en! Denn überschauen wir
nun die Teile des Werkes, die jenem unbekannten Mithelfer
zugeschrieben werden müssen, so begegnet uns bei jedem von
ihnen, sei es in dieser oder jener Form, die gleiche Beziehung.
Zu dem Einfluss der Mantegnaschen Fresken, welcher sich in
der perspektivischen Anlage und der Kompositionsweise im
Grofsen und Ganzen bemerkbar macht, gesellt sich die charakte-
ristische Mischung eines herben, oft etwas bäurischen Rea-
lismus mit dem antikisierenden Zug- in allem äusserlichen Bei-
werk, den Rüstungen und Waffen, den Formen der Archi-
tektur und Dekoration. Die Empfindungs- und Ausdrucksweise
dieser Reliefs wirkt selbst neben den Spätlingen Donatelloscher
Kunst wie etwas Fremdartiges — und wir müssen uns bewusst
J) Dass auch die Heiligenscheine, welche sämtliche Figuren in den beiden
zuletzt besprochenen Reliefs tragen, in der Form ganz mit denen der Kreuzigung
übereinstimmen, mag nebenbei bemerkt werden.
2) In der Fülle des lose herabfallenden Haares stehen die Trauernden in der
Kreuzigung und die Apostel in der Oelbergscene solchen Figuren Mantegnas, wie
der vom Rücken sichtbare Johannes im Stich der Kreuzabnahme (B. 4) oder die
Frau mit ausgebreiteten Armen in der Grablegung (B. 3) am allernächsten. Vergl.
auch die Zeichnung zu einer Kreuzabnahme aus Jacopo Bellims Skizzenbuch im
Louvre, abgeb. Müntz, Hist. de l'art pendant la Renaissance I p. 613.
140
DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
werden, dass nur in der oberitalienischen Kunst ganz Analoges
gefunden werden kann. Auch dies aber würde wiederum auf
Padua hinweisen, welches in der letzten Hälfte des Jahr-
hunderts neben Florenz unbestritten den Hauptort für die Pflege
des Bronzegusses bildete. Von hier aus dürfen wir also in der
Tat am ehesten über Namen und Person des Künstlers, der
einen so bedeutenden Anteil an der Vollendung von Dona-
tellos hinterlassenem Werke genommen hat. weiteren Auf-
schluss erwarten.
Teil des Puttenfrieses an Kanzel R
VIII
Bartolommeo Bellano von Padua
In die Sammlung von Renaissance-Bildwerken der königlichen
Museen zu Berlin gelangte im Jahre 1889 ein Thonrelief,
welches aus doppeltem Grunde unserer ganz besonderen Auf-
merksamkeit würdig erscheint. Denn es zeigt eine so auf-
fallende Aehnlichkeit des Stils mit den in den letzten Kapiteln be-
sprochenen Reliefs der Kanzeln in S. Lorenzo, dass der Ge-
danke an einen gemeinsamen Urheber nicht abgewiesen werden
kann, und es ist andererseits durch Inschrift und Jahreszahl
als Werk eines ganz bestimmten Künstlers beglaubigt. In
letzterer Beziehung heisst es in dem amtlichen Bericht: ■ ) „Die
eigentümlich flach gehaltene Arbeit lässt einen Paduaner
Schüler Donatellos erkennen. Als Werk des Bellano ist sie
dadurch bestimmt, dass das Marmor original, nach welchem diese
Thonnachbildung in der Werkstatt des Künstlers genommen
wurde, und das noch im Privatbesitz erhalten ist, auf der Rück-
seite die Inschrift trägt: 1461. OPVS. B A.RTOLOMEVS.
BELANI"
J) Jahrb. der k. preuss. Kunstsamml. X p. LI. Das Relief ist ein Geschenk
des Herrn K. von der Heydt in Elberfeld; in der Sammlung trägt es jetzt die
Nummer 155 A.
142 DOXATELLOS KAXZELN IN S. LOREXZO
Das Relief '), unglasiert und unbemalt, zeigt die Halbfiguren
der Madonna und zweier Engel, welche mit dem spielenden
Jesuskinde beschäftigt sind. Links sehen wir die Madonna bis
zu den Hüften, im Dreiviertelprofil dem vor ihr liegenden Kinde
zugeneigt, das sie mit beiden Händen leicht umfasst hält. Sie
trägt einen faltigen, gegürteten Rock mit engen Aermeln
und darüber einen Mantel, der auf die rechte Schulter zurück-
geschlagen ist. Mantelsaum und Aermelbund sind mit breitem
Besatz verziert. Ueber den Kopf legt sich ein vielgefältetes
Schleiertuch, das zu Seiten der Wangen gerade herabfällt und
mit einem scharfen Knick über die rechte Schulter gelegt ist; die
Stirn ist zur Hälfte von einer Binde bedeckt. Das Gesicht von
eckigem Schnitt mit langer spitzer Nase und eigentümlich
stechenden Augen zeigt einen auffallend kalten Ausdruck, trotz
der heiter gestimmten Situation, in welcher wir Mutter und
Kind finden. Denn letzteres, von dem Tuch und Kissen, auf
welchen es ruht, sich halb aufrichtend, greift mit der rechten
Hand spielend in den Schleier der Madonna, während es in der
Linken einen grofsen Ring hält 2 ). Bekleidet ist es mit einem
faltigen, am Halsausschnitt und Handgelenk verzierten Röck-
chen, über welchem eine gemusterte Binde breit um den Leib
gewickelt ist. Die schweren, plumpen Körperformen, der auf-
getriebene Bauch, der grofse Kopf mit dem hässlichen, breiten
Gesicht geben diesem Bambino beinahe etwas Abstofsendes.
Freundlicher wirkt schon der Flügelknabe, welcher ihm von
rückwärts her beim Aufstehen behilflich ist, mit seinem luftigeren
Röckchen, dessen Aermel bis zum Ellenbogen zurückgestreift
sind, und dem bewegteren Ausdruck in dem vollen Gesicht.
Sein lockiges, in der Mitte gescheiteltes Haar wird von einem
Stirnband zusammengehalten. Zwischen diesem Engel und der
1 ) Vergl. nebenstehenden Lichtdruck nach einer Photographie für deren Ueber-
sendung Verf. Herrn Dr. H. "Weizsäcker zu bestem Dank verpflichtet ist, wie Herrn Di-
rector Geh. Rat Bode für die gütigst erteilte Erlaubnis zur Publikation. — Höhe 0,508.
Breite 0,588 m. In den Heiligenscheinen Spuren von früherer Vergoldung. Auf unserer
Abbildung ist die lünettenartige Form des Jlarmororiginals angedeutet, welche in
der Thonnachbildung durch Anstückung zu einem Rechteck ergänzt ist.
2 ) Ein Ring als Spielzeug des Jesuskindes auch auf einem anderen Madonnen-
relief der Donatelloschule, Berlin n 53 A.
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BARTOLOMMEO BELLANO VON PADTJA 143
Madonna wird noch der Kopf eines zweiten — oder des Johannes-
knaben? — en face bis zum Ansätze des Kleides sichtbar.
An und für sich betrachtet vermöchte dies Werk kaum
einen anziehenden und erfreulichen Eindruck zu machen —
trotz des Geschicks, mit welchem die vier Figuren in das Halb-
rund hineinkomponiert sind. Aber nun vergleiche man die
Köpfe mit solchen aus der Kreuzigung an Kanzel R, aus dem
Pfingstfest an Kanzel L ! Eine Formenbehandlung von so aus-
gesprochener Eigenart, dass die Uebereinstimmung in die Augen
fallen muss, liegt ihnen allen zu Grunde. Es sind hartknochige,
echt paduanische Kurzschädel, auf demselben Boden gewachsen
wie Mantegnas knorrige, tiefgefurchte Charakterköpfe, hinter
denen sie an Gröfse des Stils freilich um ein Gewaltiges zurück-
bleiben. In den Gesichtsteilen besonders lassen das massive
Kinn, die spitzen Backenknochen, die scharfgratige Nase mit
ihrem auffallend breiten Rücken das Knochengerüst des
Schädels erkennen. Darüber spannt sich eine derbe Haut,
welche schwere Falten um Mund- und Augenwinkel entstehen
lässt, Der Augapfel liegt zwischen scharfen, enggeschlitzten
Lidrändern flach in seiner Höhlung und die als Ring und
Punkt eingegrabene Iris und Pupille geben ihm einen starren,
beinahe glotzenden Blick. Von derber Textur wie die Haut
ist auch das Haar, das reichlich genug vom Wirbel aus in die
Stirn wächst, auch wo es nicht in langen Locken das Haupt
umwallt. —
Nicht in allen Köpfen der Kanzelreliefs tritt uns freilich
dieser Formenkanon mit gleicher Schärfe entgegen, wie auf
dem Relief von 1461. Aber bedenken wir, dass dieses Datum
etwa in der Mitte liegt zwischen Donatellos Abschied von
Padua und den Jahren, da seinen Schülern und Nachfolgern
die Vollendung der Kanzeln in S. Lorenzo überlassen blieb,
so werden uns die tatsächlich vorhandenen Verschiedenheiten
nicht Wunder nehmen. Das spätere Werk zeigt den For-
mentypus oft abgeschwächt und zu gröfserer Weichheit ver-
schliffen. Die Art der Gewandbehandlung namentlich ist in
dem Hochrelief aus Bronze eine wesentlich andere, als in
dem nach einem Marmororiginal genommenen Terrakotta-Flach-
relief. Das zu häuslichem Andachtsgebrauch bestimmte Einzel-
werk bedingte überdies eine präcisere Durchführung, wie schon
144 DOXATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
die sorgfältige Ornamentierung der Gewandsäume, der Heiligen-
scheine beweist. Trotzdem berührt sich die Stimmung und
Durchbildung der Madonna, insbesondere das Arrangement
ihres Kopftuches mit den auf beiden Seiten herabfallenden
gedrängten Faltenmassen, aufs engste mit den Madonnafiguren
der Kreuzigung und des Pfingstfestes, und die harte, scharfe
Manier, die Einzelheiten der Faltengebung herauszuholen, macht
sich als vorbereitendes Stadium der späteren Entwicklungsform
bereits zur Genüge geltend. Wenn das Berliner Relief sich
nach mancher Richtung hin als ein verhältnismäfsig frühes
Werk ausweist, das im Ringen mit der körperlichen Form
noch nicht zu innerem Leben gelangt ist, so dürfen uns jene
Bronzereliefs wol als die vollendeteren Leistungen des selben
Künstlers erscheinen, den uns jenes Werk glücklicherweise
mit seinem vollen Namen bekannt giebt. Grund genug also,
um uns nach diesem Manne und seinen sonstigen Schöpfungen
umzuschauen, die allein ja die Widerlegung oder Bestätigung der
ausgesprochenen Vermutung ergeben können.
Bartolommeo Bellano von Padua ') verdankt die ziem-
lich häufige Erwähnung, welche ihm die Geschichtsschreiber
der italienischen Renaissancekunst zu Teil werden lassen, wol
hauptsächlich der kurzen Biographie, die Vasari2) — wie er
selbst sagt — nach Mitteilungen seiner paduaner Freunde,
und deshalb wol in so auffallend warmem Tone gehalten, ihm
gewidmet hat. Nach der paduanischen Lokaltradition, welcher
auch die in den Hauptsachen mit Vasari übereinstimmende
Notiz bei Scardeonius^) entstammt, ist Bellano um 1500 in dem
hohen Alter von 92 Jahren gestorben und hat abgesehen von
seinen Werken in Padua, namentlich für Papst Paul IL in Rom
gearbeitet. Was jene Zeitbestimmung anlangt, so wird sich
trotz einer abweichenden Angabe die Datierung seines Todes
weniger anfechten lassen, als die lange Lebensdauer; denn es
1 ) Diese Xamensform, nicht Vellano, wie man früher zu schreiben pflegte,
entspricht allein den Urkunden. Der Vorname wurde früher meist falsch (Giacomo
noch bei Friedländer, Jahrb. II. 92 und im Register des Cicerone | angegeben.
2 ) Vasari ed. Milanesi II 603 ff.
3) Bernard. Scardeonius, De anliquitate urbis Patavii. Basel 1560, p. 37}.
Die Nachrichten über Bellano linden sich zusammengestellt in Meyers Künstler-
lexikon III 363 ff.
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA 145
muss höchst auffallend erscheinen, dass alle uns bekannten Daten
aus seinem Leben erst nach 1460 fallen und dass er noch im
Alter von 80 — 90 Jahren umfangreiche Arbeiten ausgeführt
haben sollte1). Aber auch der Angabe Vasaris, dass Bellano
sich nach der Wahl Pauls II. im Jahre 1464 nach Rom begeben
habe, stehen mindestens keine entscheidenden Zeugnisse zur
Seite. Die Annahme, dass der venetianische Papst den damals
wol angesehensten Bildhauer und Erzgiesser der Terra ferma
nach Rom gezogen, hat freilich an und für sich viel Wahr-
scheinlichkeit. Aber Vasaris unbestimmte Angaben über eine
Teilnahme Bellanos an den architektonischen und dekorativen
Arbeiten für den Palast bei S. Marco können ihr eine sichere
Stütze nicht bieten und es bleibt trotz analoger Beispiele immer-
hin einigermafsen befremdend, dass die römischen Urkunden
aus dieser Zeit und insbesondere die auf den Bau des päpst-
lichen Palastes bezüglichen nicht die mindeste Hindeutung auf
eine Beschäftigung des paduaner Künstlers enthalten, während
sie uns doch so viele Namen selbst der gewöhnlichsten Hand-
werksmeister nennen2). Endlich bietet auch das einzige noch
erhaltene Werk, das Vasari in diesem Zusammenhange als
Arbeit Bellanos bezeichnet, die Marmorbüste des Papstes
im Palazzo Venezia, die sichere Gewähr, dass der Biograph in
diesem Punkte wenigstens falsch berichtet war. Denn sie ist,
wie Domenico Gnoli neuerdings überzeugend nachgewiesen, ein
Werk des Mino da Fiesole und hat mit Bellano nicht das Ge-
ringste zu tun 3).
1) Der Anon. llorelliano (ed. Frimmel, p. 14) setzt den Tod Bellanos um 1492;
doch unterliegt auch diese Angabe starken Bedenken, siehe darüber weiter unten. Die
Herausgeber des Vasari acceptieren sie jedoch und suchen die weiteren Schwierig-
keiten etwas gewaltsam zu lösen, indem sie sich die 92 Jahre bei Vas. durch einen Druck-
fehler aus 62 entstanden denken. Doch wäre die Quelle des Irrtums eher bei Scar-
deone zu suchen, welcher angiebt, dass er in seiner Jugend den B. ,,hominem aetate
paene confectum" noch gekannt habe. Scardeone war 1478 geboren (t 16. Mai 1574
als 96jähriger). Auch bleibt zu berücksichtigen, dass Vas. den B. im Jahre 1479
„giä vecchio" nennt. Nach alledem dürfte eine Ansetzung des Geburtsdatums um
1420 am ehesten das richtige treffen.
2) Müntz, Les arts a la cour des papes II, 29.
3) Gnoli im Arch. stör, dell' arte III p. 264 mit Abbildung der Büste p. 263.
Dieselbe befindet sich noch am selben Platze über einer Tür im oberen Loggien-
gange des Palastes, wohin sie augenscheinlich schon zu Vasaris Zeiten von ihrem
Italienische Forschungen II. 10
I 46 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Sollten aber alle diese Gründe nicht für ausreichend er-
achtet werden, die Angabe Vasaris von einem Aufenthalt
Bellanos in der ewigen Stadt zu entkräften, so kann doch
keinesfalls dieser — wie Vasari .uns glauben machen möchte
— sich bis zum Tode Pauls II. ausgedehnt haben. Sicher be-
glaubigte Arbeiten lassen uns Bellano vielmehr während der
zweiten Hälfte der sechziger und Anfangs der siebziger Jahre
an anderen, weit genug entfernten Orten wiederfinden. So
übernimmt er gegen Ende des Jahres 1466 von der Stadt-
verwaltung zu Perugia einen Auftrag, dessen Ausführung ihn
fast bis zum Ende des nächsten Jahres an die umbrische Stadt
fesselte. Es handelt sich um eine sitzende Kolossalfigur des
Papstes, welche die Perusiner aus Dankbarkeit für die
Schlichtung" ihrer inneren Streitigkeiten am 5. November 1466
zu errichten beschlossen. In den auf die Angelegenheit be-
züglichen Dokumenten, welche Adamo Rossi publiciert hat, ')
wird ,magister Bellanus de florentia1 an zwei Stellen als
Yerfertiger der Bronzestatue genannt, und eine dritte be-
zeichnet ihn noch genauer ,Bartolomeus alias Bellanus de
Florentia'. 2) Bereits am 29. Oktober 1467 gelangte die Statue
in einer Mosaiknische an der Fassade des Domes zur Auf"
Stellung und Bellano nannte in einer Inschrift an der linken
Armlehne des Sessels den Tag des Gusses, den 10. Oktober
1467, und an der rechten Armlehne sich selbst als Künstler:
Hoc Bellanus opus Patavus conflavit babenti
In terris Paulo maxima jura Dei. 3)
Wie erklärt sich aber jene abweichende amtliche Herkunfts-
bezeichnung, die bei ihrer "Wiederholung in ganz verschiedenen
ursprünglichen Bestimmungsort versetzt war Danach ist die irrtümliche Angabe
im Künstl.-Lex. UI 364 zu berichtigen. Vgl. auch Tscbudi im Jahrb. d. pr.
Kunstsamml. IV, p. 174, Anni. 4. Die Medaille Pauls II. wird von Vas. gleichfalls
dem Bellano zugeschrieben. Vgl. Bolzenthal, Skizzen z. Kunstgesch. der mod.
Medaillenarbeit, p. 60. Die Papstmiinzen spricht Friedländer, Jahrb. der pr. Kunst-
samml. II, p. 93, ihm ab.
') Giornale di enniizione artistica Bd. HI Perugia 1874 p. 84 II.
*) a.' a. O. p. 87. 88. 128.
3) Leider wurde die Bronzestatue, welche den Papst in seinem Ornate dar-
stellte. 1798 nach dem Einmarsch der Franzosen eingeschmolzen, um Münzen daraus
zu prägen, a. a. O. p. 90. Orsini, Guida di Perugia p. 107 sagt von ihr: l'attitudine
alquanto goffa, e la forma niente maestosa. Aber so urteilte das XVIII. Jahrhundert
wol stets von Werken des XV.
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA 147
Aktenstücken doch unmöglich als ein konstanter Irrtum des
Notars oder Schreibers aufgefasst werden darf? Kann ihr
gegenüber die sonst naheliegende Annahme, dass Bellano
etwa auf den Wunsch oder die Empfehlung des Papstes von
Rom nach Perugia berufen worden sei, um die Statue
seines Gönners anzufertigen, noch besondere Glaubwürdigkeit
beanspruchen? Dass Bellano aus Florenz gebürtig sei, konnten
die Perusiner nicht glauben, und er selbst hat in der Inschrift
des Werks ja seine Heimat genannt. Also muss dieser Zusatz
,de Florentia' doch wol etwas anderes und vielleicht mehr
bedeuten. Entweder nämlich kam Bellano nicht aus Rom,
sondern aus Florenz nach Perugia, und dann muss ein römischer
Aufenthalt wol überhaupt als Mythe betrachtet werden — oder
er brachte jene Herkunftsbezeichnung als eine Art Ruhmestitel,
als ein künstlerisches Leumundszeugnis mit in die Provinzial-
stadt, welches ihm hier von allem Anfang an gute Meinung
und Ansehen verschaffen sollte. Stand doch die fiorentiner Bildner-
schule, als deren Mitglied er sich dadurch bekannte, in Perugia
durch die Arbeiten des Agostino dAntonio di Duccio, welcher
wenige Jahre vorher die Fassade von S. Bernardino so trefflich
ausgeschmückt hatte, in bestem Rufe; und ein so schwieriges
und kostspieliges Werk, wie eine bronzene Kolossalfigur,
mochte man wol gern nur Jemandem anvertrauen, der sich als
tüchtiger Erzplastiker bereits durch seine Tätigkeit an der
Hochstätte dieser Kunst selbst ausgewiesen hatte. In der er-
forderlichen Schärfe aufgefasst, verraten uns also jene zwei
Worte im Protokoll der perusiner Decemvirn nicht mehr und
nicht weniger, als dass Bellano kurz zuvor in Florenz als Erz-
plastiker tätig gewesen sei. Und nun beachte man die Daten,
wie sie sich zwanglos ergeben: am 13. Dezember 1466 starb
Donatello zu Florenz — und ziemlich um die selbe Zeit oder
nur wenig später muss Bellano nach Perugia gekommen sein!
— Wir verstehen wol, wie Milanesi schlankweg zu der Ver-
mutung gelangen konnte, dass Bellanos Aufenthalt in Rom
eine Fabel, dieser vielmehr von Donatello bei seinem Weggange
von Padua nach Florenz mitgenommen worden sei und hier
bis zum Tode des Meisters verweilt habe. x)
') Seine weitergehende Vermutung, dass Vasari den BelHno mit dem Ge-
hülfen Filaretes, Varro fiorentino, verwechsele und ihm dessen Arbeiten in Rom zu-
148 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Lassen wir also im Folgenden die litterarische Ueber-
lieferung, die sich als unzuverlässig erwiesen hat, bei Seite und
suchen auf Grund seiner Werke und der etwa vorhandenen
Urkunden ein Bild von dem Leben und der Kunst des Mannes
zu gewinnen, so haben wir seine Anfänge doch sicher in
Padua zu suchen. Dass er hier verhältnismäfsig erst spät,
etwa im Alter von vierundzwanzig Jahren, Donatellos Unter-
weisung genossen haben kann, hat bereits Milanesi damit zu
erklären versucht, dass Bellano vorher nur als Handwerks-
meister tätig gewesen und erst durch Donatello zu künstlerischer
Tätigkeit veranlasst und namentlich in der Bronzeplastik unter-
wiesen worden sei. In der Tat finden wir denn auch kurz vor
der Ankunft Donatellos beim Neubau des Chorlettners im
Santo 1443 einen Steinmetzen Bartolommeo di Domenico be-
schäftigt, der mit einor Anzahl Gehilfen, worunter zwei Floren-
tiner und drei Venezianer, die Ausführung der Arbeit auf eigene
Rechnung übernommen hat. ' ) Ebenderselbe erscheint dreizehn
Jahre später als Bartholomeo lapicida q(uondam) ser Domi-
nici als Zeuge in einer Urkunde und wird nach der Ver-
sicherung Gonzatis in paduanischen Akten dieser Zeit noch
mehrmals genannt. 2 ) Ist dieses unser Bartolommeo Bellano,
wie man etwas voreilig bereits als sicher angenommen hat? 3)
Nach dem jetzt vorliegenden Urkundenmaterial erscheint diese
Identifizierung als unmöglich. Als zuverlässigste Angabe über
seinen Namen und Abkunft muss doch wol der Eingangs-
passus seines 147g errichteten Testaments gelten, welchen kürz-
lich B. Cecchetti zu schätzenswertester Bereicherung unserer
Kenntnisse über Bullanos Leben veröffentlicht hat. Und hier
nennt er sich ganz anders: Bartholomeus bellan q(uondam)
Bellani aurificis scolptor de Padua. ■») Nun erfahren wir frei-
lich, dass in gleichzeitigen venetianischen Staatsurkunden unser
weise, wird freilich dadurch hinfällig, dass Yarro bereits 1457 starb oder Rom
verliess, (vergl. Vasari II 461 f. Tschudi im Repert. f. Kstr. VII. 293) Vasaris
Angaben also auf ihn garnicht passen würden.
1 ) Gonzati I. Doc. XXXVIII : M°- Bartholamio taiapria de Domenego.
2) Gonzati II. Doc. CXLIX.
3) Semper 2 p. 87, der auch über jenen 1443 übernommene! Auftrag falsche
Angaben macht.
4) Cecchetti im Archivio veneto Bd. 23 vgl. Repert. f. Kunstw. XII. 214.
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA 149
Künstler noch mehrmals einfach mit dem Namen Bartolomeo
bezeichnet wird1 ) — und es liegt in der Tat nahe, wie bereits
Gonzati getan hat, Bellano mehr als einen Bei- oder Künstler-
namen zu betrachten, welcher erst allmählich neben dem
bürgerlichen Namen Bartolomeo zur Geltung gekommen sei.
Legt doch die Ausdrucksweise jenes perusinischen Rats-
protokolls vom 18. November 1467: Bartolomeus alias Bellanus
von dem Nebeneinanderbestehen beider Namen ein weiteres
Zeugnis ab.2) Aber nur um zwei Jahre später haben wir
auch die facsimilierte Namensunterschrift bei Gonzati: Bartc-
lamio Bellan — und dieser ursprüngliche Beiname ist, wie
häufig, so sehr der allein und allgemein bekannte geworden, dass
schon der Anonimo, Scardeone und Vasari unseren Künstler
nur als il Bellan oder il Vellano aufführen. — Gegen die Identi-
fizierung mit jenem paduaner Steinmetzmeister spricht aber als
schwer wiegender Umstand immer noch die Verschiedenheit
des Patronymikons: die Benennung des Vaters als Domenico
oder gar ser Domenico in den paduaner Urkunden lässt sich
auf keine Weise mit jener des Testaments zusammenreimen,
wo er gleichfalls Bellano heisst und Goldschmied ist, man
müsste denn in gekünstelter Weise eine nachträgliche Ueber-
tragung des durch den Sohn bekannt gewordenen Beinamens
auf den Vater annehmen, und selbst dann bleibt immer noch
die Anwendung des Prädikats (Mes)ser auf einen Handwerks-
meister ein entscheidendes Hindernis 3)
*) Thuasne, Gentile Bellini et Sultan Mohammed IX. p. 15.
2) Sie beweist aber nicht, wie Ad. Rossi a. a. O. p. 128 will, dass Bellano
nur eine Abkürzung oder Koseform von Bartolommeo ist, mag dies auch sonst
namentlich bei der üblichen Schreibweise Bartolamio zulässig erscheinen.
3) Hier findet nun auch die auffallende Form der Inschrift auf dem Marmor-
original des Berliner Madonnenreliefs ihre Erklärung. Man darf wol ergänzen:
Opus Bartolomeus Belani (sc. filius fecit). — Uebrigens liegt die Sache bei Man-
tegnas Namen und Abkunft ganz gleich. Während sein Vater sonst in Docu-
menten (vgl. Vasari III p. 384 n. 1), Ser Biagio genannt wird, heisst es in Man-
tegnas Testament vom J. 1506 (Gaye Carteggio I 377:) Dominus Andreas filius
q. Domini Blasii Mantinee. Zweifelhaft bleibt mir der bekannte Passus aus
Arch. Veneto 1885 p. 191, welcher zugleich über die vielberufene Frage nach
M.'s Geburtsort entscheidet: Andream Blasij Mantegna de Vincentia (1452). M.
selbst führte seinen Beinamen bereits 1448. Sollte also nicht doch schon sein Vater
so geheissen haben? Der Uebergang in den Familiennamen findet sich sonst stets
nur bei den Söhnen bekannter Künstler. Vgl. Vittore Ghiberti, Niccolo Michelozzo.
150 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Lassen wir also die Identität Bellanos mit jenem Steinmetz
Bartolommeo di Domenico, welche, da der Chorlettner des
Santo längst beseitigt ist, für unsere Kenntnis seiner Arbeits-
weise doch keinen greifbaren Nutzen gewährt, als unerweisbar
dahingestellt: für den Kern der Sache erscheint dies ohne
wesentliche Bedeutung. Denn die Ueberzeugung, dass Bellano
aus der Steinmetzzunft hervorgegangen ist, lässt sich auf andre
"Weise gewinnen. Ein Blick auf das Berliner Madonnenrelief
belehrt uns, dass so nur ein Mann arbeiten kann, dem der
Stein ein vertrautes Material ist, das er freilich noch nicht in
seiner ganzen Feinheit und lebenatmenden Weichheit zu be-
handeln versteht. Und woran erinnern die hervorstechendsten
Eigenheiten des Stils in jenen Bronzereliefs der fiorentiner
Kanzeln, die Eckigkeit der Formen und der grobe Schnitt der
Falten, unmittelbarer, als an die robuste Arbeitsweise
eines handwerksmäfsig geschulten Steinmetzen? Donatellos
Unterweisung und Beispiel vermochten wol den Trieb zu
künstlerischer Gestaltung in Bellano zu wecken und anzufachen —
aber die in seiner ersten Beschäftigung und dem lokalen
Charakter der paduanischen Kunst begründeten Stileigentüm-
lichkeiten desselben haben auch sie im Wesentlichen unbeein-
ftusst gelassen1).
Die Paduaner verehrten in Bellano mit Recht den lokalen
Vertreter der Erzplastik und erzählten sich mit Stolz, dass
Donatello bei seinem Weggange alle Studien, Skizzen und
Modelle zu den Arbeiten im Santo dem Bellano hinterlassen
und diesen hierdurch gewissermafsen als seinen Nachfolger und
Erben beglaubigt habe2). Trotzdem findet sich auffallender-
weise während einer Frist von mehr als zwanzig Jahren gerade
in seiner Heimat keine Spur einer Tätigkeit Bellanos als
Bronzegiesser. Vielmehr sind es zunächst wiederum zwei
Marmorwerke und zwar von gröfserem Umfang und halb deko-
*) Von einer Teilnahme Bellanos an den Arbeilen im Santo lässt sich eine
sichere Spur nicht nachweisen; man miisste denn in der Gewandbehandlung der
Statue des S. Antonius seine Mitwirkung anerkennen.
2) Vasari III 604. Die unklare Fassung der Notiz scheint darauf hinzu-
deuten, dass man sich schmeichelte, Donatello habe wol gar zu den Reliefs, mit
welchen Bellano weit später die Chorschranken schmückte, diesem selbst Anleitung
oder Zeichnungen geliefert.
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA 151
rativem Charakter, welche mit Sicherheit oder wenigstens
grofser Wahrscheinlichkeit ihm zugeschrieben werden müssen.
Zunächst das Grabmal des berühmten Rechtsgelehrten und
päpstlichen Geheimschreibers Antonio Roselli, welcher seine
letzten Lebensjahre in Padua zubrachte und hier am 10. De-
cember 1466 starb, also zu einer Zeit, da Bellano auf etwa
ein Jahr in Perugia abwesend war. Da sich Roselli den Platz
für sein Grabmal — im linken Seitenschiff des Santo — bereits
im Jahre 1456 von den Ordensbrüdern zu S. Antonio ab-
treten Hess1), so liegt der Gedanke nahe, dass er beabsichtigte,
das Monument schon bei Lebzeiten zu errichten. Die Inschrift am
Sockel des Sarkophags enthält ausser dem Todesdatum nur seinen
Namen mit dem prunkenden Ruhmestitel, welchen die Be-
wunderung der Zeitgenossen ihm beigelegt hatte: Monarcha
Sapientiae Antonius de Roycellis. Die selbe Unterschrift trägt
sein Bildnis auf der Bronzemedaille, welche bereits Vasari als ein
Werk Bellanos bezeichnet, ein Profilkopf von lebendiger Auf-
fassung, mit einem Zug selbstzufriedener Schlauheit in den
gefurchten Zügen 2). Gehört diese Medaille, welche sicher erst
in den letzten Lebensjahren des Gelehrten angefertigt wurde,
in der Tat dem Bellano — was nach der derben Formen-
behandlung leicht möglich ist — so wäre ein Wahrschein-
lichkeitsgrund dafür gewonnen, dass er auch an dem Grabmal
desselben, welches seit Gonzati ihm gewöhnlich zugeschrieben
wird, beteiligt ist^).
i) Gonzati JI Doc. CVII.
2) Abgeb. Jahrb. d. pr. Kunsts. II Tf. 14. Vergl. dazu Friedländer ibid. p. 92 f.
Dje Zahl 91 neben dem Portraitkopf bedeutet aber nicht, wie Fr. meint, seine
Lebensjahre, denn Roselli starb im Alter von 85 Jahren. — Die Uebereinstimmung
in der eigentümlichen Schreibung des Namens ist beachtenswert, da dieser sonst
nur in der Form Roselli vorkommt. Vgl. Gonzati II 138. Scardeone p. 182.
Tomasinus p. 263. Das y scheint eine ähnliche Verdumpfung des Vokals anzudeuten,
wie sie in der venetianischen Schreibform Ruscello = Antonio Rossellino vorliegt.
Gonzati p. 139 behauptet freilich, dass auch der Vater des Gelehrten sich Roisello
nannte.
3) Gonzati a. a. O. II. 138 stützt sich auf die Aehnlichkeit mit dem gleich zu
behandelnden Marmorwandschmuck in der Sakristei des Santo., sowie darauf, dass in
der angeführten Cessionsurkunde Bellano oder vielmehr Bartolommeo di ser Domenico
als Zeuge genannt wird. — A. G. Meyer im Jahrb. der pr. Kunsts. N p. 192
schliesst sich ihm ohne Weiteres an.
152 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Dem "Werke selbst gegenüber kann diese Ansicht freilich
nicht ohne weiteres hingenommen werden. Das Ganze ist eine
reiche Wanddekoration aus Marmor, getragen von einem ver-
hältnismäfsig hohen, durch Pilaster geteilten Sockel mit dunkler
Steintäfelung. Darauf erheben sich zwei kannellierte Eckpilaster
deren Kapitelle von sitzenden Greifen gebildet sind. An der
Unterkante des darüberliegenden Gebälks ist in Ringen eine
Guirlande aufgehängt mit lang herabfallenden Enden; Fries und
Gesims sind reich ausgebildet. In diesen Rahmen nun ist erst das
eigentliche Grabmal hineingesetzt, nach der Anordnung und dem
Verhältnis seiner Teile eine direkte Nachahmung des Mar-
suppini-Grabmals in S. Croce zu Florenz, aber in den Formen
der einzelnen Glieder ohne den schwellenden Reichtum von
Desiderios Meisterwerk ; bei der Durchbildung der Pilaster,
des Gebälks und Halbrundbogens sind an Stelle ornamentaler
Motive augenscheinlich mit Bewusstsein strengere, rein archi-
tektonische Formen gebraucht; weit schmuckloser und im
Umriss einfacher ist auch der Sarkophag, der auf besonderem
hohen Sockel steht und mit einem echt paduanischen Motiv
ausgestattet ist, nämlich einer doppelten Reihe übereck auf
einander gelegter Bücher zwischen den Tragfüfsen. Der Tote
ruht auf einer von Adlern (?) getragenen Bahre. Es fehlen
auch nicht die Wappenhalter zu Seiten der Pilaster: in der
Lünette erscheint die Madonna zwischen S. Katharina und
S. Magdalena.
Vergleichen wir dies Werk mit den nur wenige Jahre früher
(1456 — 5 9) geschaffenen Grabdenkmälern der beiden Gattamelata
in ihrer Familienkapelle im Santo'), so überrascht nicht blos
1 ) Die Kapelle liefert in ihrer einheitlichen Konception wol das vollkommenste
Beispiel des in Padua einheimischen Dekorationsstils. Indessen sind die beiden
Grabdenkmäler, welche sich ihrer Anlage nach dem Ganzen so trefflich einfügen,
doch sicher von ganz verschiedenen Händen ausgeführt. Das jüngere des Giovanni
Antonio (t 1455) sticht durch delikate Behandlung des Marmors in dem schönen
jugendlichen Heldenkopf, durch Streben nach Wiedergabe des Stofflichen in dem
Eisenpanzer und der ausgebreiteten Decke glücklich hervor und zeigt in den knieenden
Putten am Sarkophag bereits eine flachgedrückte Reliefbehandlung, welche sich der
Weise Desiderios de Settignano nähert. Die Grabfigur des Vaters ist weit derber,
das Kostüm und die Decke ohne stoffliche Wahrheit, sichtlich auf ausgiebige Be-
malung berechnet. Dafür sind die Putten trotz des flachen Reliefs körperhaft heraus-
BARTOLOJIMEO BELLANO VON PADUA 153
im Allgemeinen der fortgeschrittene Renaissancecharakter, son-
dern ganz besonders die sichere Beherrschung der reinen Formen-
sprache, wie sie eben erst die fiorentinische Marmorskulptur unter
Desiderio da Settignano und Antonio Rossellino auszubilden be=
gönnen hatte. In dieser Hinsicht steht dem Monument in Padua
selbst kein anderes auch nur annähernd gleich, und selbst in dem
benachbarten Venedig dürfte es schwer sein, vor 1470 ein so mit
fiorentinischem Geiste durchtränktes Skulpturwerk nachzu-
weisen J). Denn selbst das Grabmal Pasquale Mallpiero (f 1462)
in S. Giovanni e Paolo, welches in der allgemeinen Anlage
und der Form des Sarkophags am nächsten kommt, sowie das
mit jenem schulverwandte Portal von S. Giobbe (um 1470)
stehen dem g-emeinsamen Vorbilde, der florentinischen Nischen-
architektur Desiderios und Rossellinos, bereits ein ganzes Stück
ferner. In dem Malipierigrab ruht auch bereits der Tote un-
mittelbar auf dem Sarkophag und das aus lokaler Kunstübung
herübergenommene Motiv des Baldachins, ' welcher ihn über-
deckt, tritt mit weit gröfserer Bestimmtheit hervor als jene
Anklänge an die Dekoration paduanischer Professorengräber
in dem Grabmal Roselli. So nimmt letzteres in der Tat eine
wichtige kunsthistorische Stellung ein, und die Frage nach seinem
Urheber erheischt eine bestimmtere Antwort, als sich vorläufig
darauf erteilen lässt. Ohne direkte Berührung mit der gleich-
zeitigen florentinischen Kunst erscheint die Entstehung des
Monuments undenkbar und die Vermutung, dass Bellano die
Zeichnung dazu aus Florenz mitgebracht habe, liegt nahe genug.
Die prunkende Umrahmung" dagegen, welche eine ganze Wand-
flache zur Entfaltung malerischer Wirkung in Anspruch nimmt
und durch Häufung der Effekte den Eindruck der wolabge-
wogenen Verhältnisse der Nischenarchitekmr zum Teil wieder
aufhebt, ist ebenso aus einer der venezianischen Grabmalarchi-
tektur verwandten Anschauungsweise hervorgegangen, wie auch
gearbeitet und die Andeutung eines perspektivisch vertieften Ouaderbodens, auf dem
sie hocken, ist wol auch etwas specifisch Paduanisches. Hier darf man direkt an
Bellan.o denken, zu dessen Typen die aufgedunsenen Gesichter, die Behandlung der
Flügel wol passen würden.
') Vgl. zu dem Folgenden A. G. Meyer: Das venezianische Grabdenkmal der
Frührenaissance, Jahrb. d. pr. Kunsts. X., p. 192 f.
154 DONATELLOS KANZELN IN S. LOREXZO
einzelne Teile des Figurenschmucks, nämlich das Lünettenrelief
und die beiden Wappenhalter, den plastischen Stil der älteren
Lombardischule deutlich ausgeprägt zeigen1). Von einer Aus-
führung dieser weichen schlanken Gestalten durch Bellano kann
unmöglich die Rede sein; ausser dem Entwurf des Ganzen wird
diesem nur der Sarkophag mit der Figur des Toten als eigene
Arbeit belassen werden können. Hier entsprechen die scharfen
knittrigen Querfalten in dem Doktorhabit, die t'erb-schlichte
Durchführung des Portraits noch am ehesten der Bildungsweise,
welche wir bisher als diejenige Bellanos kennen gelernt haben.
Hierüber vermag uns auch das zweite grofse Marmorwerk
Bellanos, die Umrahmung für den Reliquienschrein in der
Sakristei des Santo, nicht eines anderen zu belehren, ja es ver-
stärkt wesentlich die Zweifel, welche wir gegen eine weiter-
gehende Verwertung des Roselligrabes für die Kenntnis von
Bellanos Marmorstil erheben zu müssen glaubten. Bei diesem
Werk ist die Urheberschaft des paduaner Meisters durch die
von Gonzati veröffentlichten Urkunden ausser Zweifel gestellt2).
Er hatte es bereits 1469 in Auftrag und wird 1472 mit der ver-
sprochenen Summe von 550 Dukaten für die vollendete Arbeit
bezahlt; ein Extrabetrag von 50 Dukaten, mit welchem über
den Entwurf hinausgehende Verbesserungen belohnt werden
sollten, wird ihm von der Abschätzungskommission gleichfalls
zugebilligt, da er namentlich in den architektonischen Teilen
Manches feiner durchgeführt habe und zur Entschädigung für
eine nicht näher bezeichnete Unbill, die ihm während der Dauer
der Arbeit widerfahren sei. Doch wird von der gestrengen
Jury ausdrücklich bemerkt, dass dies gsschehe „benche le figure
non siano de quela perfezion, che le potria essere". Trotz so
eindringender Beurkundung ist das interessante Werk bisher
kaum beachtet worden und erfordert daher wol zunächst eine
genauere Beschreibung ^ ).
1 ) Am nächsten stehen ihnen wol die Gestalten von Maria und Johannes über
dem Choreingang der Frarikirche.
2) Gonzati I., Doc. CXXX1I. Vgl. seine Beschreibung, p. 261 f.
3 ) Es ist leider noch nirgend reproduziert. Verf. muss daher um XTachsicht
bitten, wenn seine Schilderung nicht in allen Einzelheiten gltichmäfsig genau ist.
Kundige werden wissen, wie leicht Gedächtnis und Reisenotizen gerade an der ent-
scheidenden Stelle im Stiche lassen.
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA I 55
Die umfangreichen Schränke, in welchen der Reliquien-
schatz des Santo bis in's vorige Jahrhundert hinein geborgen
wurde, sind hier zu einer gemeinsamen Marmordekoration zu-
sammengefasst. In dem geräumigen durch drei Fenster von
Osten her beleuchteten Raum der Sakristei, mit gewölbter
Decke, nimmt die Anlage die ganze den Fenstern gegenüber-
liegende Wand ein und ist ihrem praktischen Zweck entsprechend
in einen sockelartigen unteren und den darüberliegenden Haupt-
teil gegliedert, wobei jedesmal ein breiter Mittelschrank mit
doppelten Türflügeln von schmäleren Seitenschränken flankiert
wird. Marmorpilaster bilden das architektonische Gerüst; die
unteren kurz und stämmig, in Hochrelief mit je einem singenden
oder ein Instrument (Geige und Tamburin) spielenden Engel
geziert. Ueber einem leichten Eierstabgesims erhebt sich dann
der Hauptteil, dessen vier Pflaster mit Laub- und Rankenwerk
ornamentiert sind und in aufgehängten Schilden das Wappen
der Gattamelata tragen1). Ein Gebälk mit sehr reich orna-
mentiertem Friese legt sich darüber. Auf Konsolen vor den
Pflastern stehende Vollfiguren, die Statuen des hl. Bernhard
und des hl. Ludwig vor den mittleren, die zweier Engel vor
den Seitenpilastern dienen zur weiteren Belebung dieser Archi-
tektur; kunstvolle Holzintarsien auf den Schranktüren, mit
Heiligenfiguren und perspektivischen Ansichten paduanischer
Kirchen bilden ihren vielleicht kostbarsten Schmuck; es sind
Arbeiten des Lorenzo Canozzo aus Lendinara und von je als
Meisterwerke dieser Kunst viel bewundert2).
Ueber dem Gesims füllt die Mitte des halbrunden Wand-
feldes ein oblonges Marmorrelief, flankiert wiederum von zwei
stehenden Heiligengestalten, S. Antonius und S. Franciscus.
Als hätte der Schüler unmittelbar mit dem grofsen Meister
wetteifern wollen, hat er zum Gegenstand des Reliefs noch ein-
mal das Wunder des h. Antonius mit dem Maultier gewählt.
1 ') Gonzati^., p. 262 vermutet deshalb, dass das Werk gleichfalls aus der
Stiftung der Giacoma Gattamelata, der "Wittwe des Feldherrn, ausgeführt sei.
2) Vgl Gonzati I., Doc. CXXXIII. Dass die fünf Zeichnungen, welche
Francesco Squarcione bereits 1462 für den Reliquienschrein geliefert hatte (Gonzati I.
Doc. CXXXIV), bei diesen Holzintarsien zu Grunde gelegt seien, wie Gonzati an-
nimmt, wird sich kaum beweisen lassen.
156 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Er vermisst sich freilich nicht, eine kunstvolle Architektur-
perspektive zu geben, wie jener, schliesst sich ihm in der
Komposition aber ziemlich genau an. — Den Abschluss des
ganzen Aufbaues und die Vermittlung mit der Gewölbedecke
bildet ein A^orhang aus rotem veronesischem Marmor, der von
der Wölbung herabhängt und seitlich von zwei Engelgestalten
emporgerafft wird.
Dieses Werk rückt den künstlerischen Charakter Bellanos
in ein wesentlich neues Licht; es zeigt uns ihn befähigt, auch
ohne direkte Anleihe bei den florentinischen Marmorskulptoren
eine architektonisch glücklich disponierte, reiche Wand-
dekoration zu schaffen und stützt somit wol auch seinen An-
spruch darauf, bei dem Roselligrabmal wenigstens als der
leitende Meister betrachtet zu werden, der die äussere Pilaster-
umrahmung hinzufügte. Die Ausdrucksmittel Bellanos in dem
neuen Werk tragen zwar die Spuren florentinischen Einflusses,
bewegen sich aber im Ganzen doch in wesentlich anderen
Bahnen; es ist der phantastische, zu üppiger Fülle und häufig-er
Verwendung naturalistischer Motive und figürlichen Beiwerks
neigende Dekorationsstil, wie er in Oberitalien und insbesondere
in Venedig zur Ausbildung gelangte, in unserem Falle allerdings
noch stark beeinflusst durch Reminiscenzen an die Arbeiten
Donatellos und seiner Schule. Weisen hierauf insbesondere
die musicierenden Putten, das obere Relief und die vorhang-
haltenden Engel hin, so herrscht in dem Hauptteil des deko-
rativen Aufbaus doch eine weit selbständigere Geschmacks-
richtung. So wie hier die stehenden Figuren der beiden
Heiligen und Engel als dekorativer Statuenschmuck vor die
Pilaster gestellt sind, ohne durch eine Austiefung des archi-
tektonischen Gliedes zur Flachnische mit diesem in Verbindung-
gebracht zu werden, suchen wir sie in florentinischer Kunst ver-
geblich; es müsste denn auf die ganz entfernte Analogie jener
Engelknaben hingewiesen werden, welche Donatello um die
Pilaster seines Tabernakels in S. Peter versammelt hat. Also
bleibt es auffällig genug, wenn wir nun in ganz ähnlicher Weise
an unserer Bronzekanzel R dergleichen Figuren vor den
Pilastern stehend finden. Und bemerken wir nun überdies,
dass auch in den Kapitellen von Bellanos Mamorpilastern
nackte Putten als Träger des Abakus an die Ecken gestellt
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADTJA 157
sind, wie dort die kleinen bronzenen Guirlandenträger, und
dass der Schmuck des oberen Frieses durch rankenhaltende,
in Akanthusblätter auslaufende Figuren g-ebildet wird, wie sie
ähnlich das Bronzegesims jener Kanzel schmücken — so dürfte
nun die Vermutung, dass Bellano auch bei der dekorativen
Gestaltung jenes Bronzewerkes tätig gewesen sei, nicht mehr
zu den Unwahrscheinlichkeiten zählen. I). — Aber auch die
Körperbildung und Gewandbehandlung der Figuren unseres
Marmorschreins bewegt sich in den Formen, die wir bereits
kennen. Namentlich die musicierenden Engel unterscheiden
sich durch ihren untersetzten Typus deutlich von den über-
schlanken Knabengestalten an dem Roselligrabe, obwol sie
auch g-leich jenen nur ein schmales Gewandstück um Hüften
und Schulter tragen. Und diese ersten nackten Figuren von
Bellanos Hand machen uns noch auf eine weitere Eigentüm-
lichkeit der Formbildung aufmerksam, die an den Gestalten der
mit ihm in Beziehung gebrachten Kanzelreliefs auffällig hervor-
tritt: die starke Betonung des Rippenschlusses und der Muskel-
partieen des Bauches — eine Manier, die aus der Nachahmung
der Antike geboren, im Kreise Mantegnas grofs geworden ist.
Breitfaltig und in knittrigen Flächen gebrochen, wie wir es
an den Gestalten der Kanzelreliefs kennen gelernt haben, ist
auch die Gewandung der stehenden Marmorfiguren und selbst
das Relief droben über dem Gesims, das sich im Uebrigen so
seltsam von Donatellos Bronzetafel am Sakramentsaltar abhängig
zeigt, dass es beinahe wie eine Uebertragung derselben in Marmor
aussieht, wird von dieser Gewandbehandlung- beherrscht. Und
doch zeigt Bellano in der Einführung mehrerer echt oberitalieni-
scher Figurentypen mit bauschigen Lockenperrücken, kurzen
Wämsern und Strumpfhosen auch hier deutliches Streben nach
selbstständiger realistischer Gestaltung.
Individuelle Stileigentümlichkeiten solcher Art, deren Her-
vorhebung für die Ziele unserer Untersuchung von Wert ist,
dürften auch bei der Behandlung einer weiter reichenden, an
den Namen Bellanos geknüpften Frage, deren Beantwortung
aber den Rahmen unserer Erörterung überschreitet, nicht
übersehen werden. Denn freilich liegt es im Hinblick auf die
I-) Vgl. oben S. 27 f., 54 f.
158 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
besprochenen Marmonverke, deren Ausführung in eine so ent-
scheidende Epoche der venezianischen Skulptur fällt, nahe genug,
in Bellano „eine jener Künstlerpersönlichkeiten zu begrüfsen,
welche den Einfiuss toskanischer Schulung nach Venedig ver-
pflanzten1' — ' ) um so mehr, da es nicht an festen Anhaltspunkten
für die Annahme fehlt, dass der paduanische Meister auch in
Venedig eine angesehene Stellung eingenommen habe. In
seinem oben erwähnten, vom 7. September 147g datierten
Testament, von welchem B. Cecchetti leider nur den Anfang
veröffentlicht hat, giebt er als Grund der Errichtung der Urkunde
eine bevorstehende Reise nach Konstantinopel an. Da nun im
selben Monat September Gentile Bellini seine bekannte Mission
an den Hof Sultan Mohammeds IL antrat, da wir ferner wissen,
dass Mohammed nicht blos die Entsendung eines tüchtigen
Bildnismalers, sondern auch eines Bildhauers und eines Erzgiessers
von der Signoria erbeten hatte, dass zu diesem Zwecke auch
ein gewisser Bartolommeo ausgewählt war und dass Bellini
wirklich zusammen mit „aliquot aliis opificibus" zu Schiffe gieng2)
so ist der Schluss, dass Bellano ein Teilnehmer jener künst-
lerischen Expedition gewesen sei, beinahe ein zwingender, ob-
wol in den ferneren darauf bezüglichen Dokumenten, soweit sie
bekannt sind, seines Namens nicht mehr Erwähnung getan wird.
Von der Hochschätzung, deren Bellano sich bei der Signoria'
erfreute, legt aber auch die Erzählung Vasaris Zeugnis ab, dass
er — wie es heisst, durch die Gunst einiger Xobili — bei dem
Auftrage zum Colleonidenkmal im selben Jahre 1479 als glück-
licher Konkurrent Verocchios aufgetreten sei, so dass ihm die
Reiterfigur, jenem aber nur das Pferd zur Ausführung über-
geben wurde j). Mag in den weiteren Verlauf dieser Erzählung
auch die unverbürgte Künstlerlegende hineinspielen, ein wahrer
Kern liegt ihr jedenfalls zu Grunde. Und so scheint es in der
Tat, als ob Bellano in jenen Jahren zu Venedig ein angesehener,
von einflussreichen Persönlichkeiten begünstigter Künstler ge-
wesen sei, der vermöge seiner Erfahrung im Bronzeguss vielleicht
eine besonders mafsgebende Stellung eingenommen hat. Aber
t) A. Meyer a. a. O. p. 193.
2) Vasari ed. Milanesi II. 607 III 368.
il C. v. Fabriczy im Rep. f. Kstw. XII 214.
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADÜA 15g
weder von seiner Tätigkeit auf diesem Gebiete noch von einer
entscheidenden Teilnahme an den gleichzeitigen umfangreichen
Marmorarbeiten, der Dekoration von S. Giobbe (etwa 1462 — 1471),
den Dogengrabmälern in S. Giovanni e Paolo, dem Chor in
S. Maria de' Frari lassen sich überzeugende Beweise liefern.
"Was A. G. Meyer in dieser Hinsicht anführt, geht nicht über
die Bestätigung- der allgemeinen Abhängigkeit solcher Werke
von der toskanischen Frührenaissance hinaus. Dass es Bellano
gewesen sein müsse, der hier die Vermittelung übernommen
habe, wird erst dann glaubhaft erscheinen, wenn deutliche Züge
seines charakterisch genug ausgeprägten individuellen Stils, wie
ihn die paduaner Arbeiten zeigen, auch in venetianischen
Werken nachgewiesen sind1).
Für die Zwecke unserer Untersuchung gewinnen wir also
in Venedig keine Anhaltspunkte. Um so lehrreicher ist das
nächste Werk Bellanos, das uns wiederum in Padua begegnet,
wo sich der Künstler nach Vasaris Bericht während der letzten
Zeit seines Lebens ausschliesslich aufgehalten haben soll. Wir
kennen die Vorgänge, welche die Entstehung der Folge von
Bronzereliefs aus dem Alten Testament an den Chor-
wänden des Santo begleiteten , glücklicherweise ziemlich
') Insbesondere muss gegen die Behauptung A. G. Meyers Einspruch erhoben
werden, dass namentlich der Altar in der zweiten Seitenkapelle zur Linken in S. Giobbe
unmittelbar an Bellanos Wandschmuck in der Sakristei des Santo erinnere (a. a. O.
p. 193). Gerade hier tritt in den Figuren die rein toskanische Inspiration, ja vielleicht
die eigene Arbeit florentinischer Meister deutlich hervor. Man beachte auch die
Robbiakuppeldecke ! Die übrige Dekoration weicht in Nichts von der gewohnten
klassizierenden Weise der Lombardiwerkstatt ab. — Am ehesten möchten die Be-
ziehungen Bellanos zu Venedig noch an die Behandlung des Reliefs mit dem Maul-
tierwunder in der Sakristei des Santo anzuknüpfen sein. Nach Anordnung und Stil
tritt ihm das Relief mit dem Besuch der Frauen am Grabe, welches die Krönung
des Grabmals Pietro Mocenigo (vollendet 1 4S1) bildet, sehr nahe. Die Aehnlichkeit
muss noch stärker hervorgetreten sein, als auch hier die flankierenden Statuen noch
vorhanden waren (Meyer p. 200 Anm.) Der im Cicerone p. 428 Anm. zusammenge-
stellten Reihe venetianischer Reliefs, allerdings von sehr verschiedener Bedeutsamkeit,
welche dieselbe flache, an den Rändern unterhöhlte Arbeit zeigen, Hessen sich noch
hinzufügen die Erzväter und Propheten an den Chorschranken der Frari (1475) und
das offenbar aus derselben Werkstatt hervorgegangene Relief mit der Scene, wie
S. Marco die Hand des Schusters Anianus heilt, über einer Haustür am Campo
S. Tomä (datirt 1479.)
IÖO DONATELLOS KANZELN IN S. LOREXZO
genau1). Am 29. November 1484 übergab Bellano der Area
von S. Antonio das Relief mit Simsons Tempelsturz bereits
fertig gegossen als Probestück und erhielt 40 Dukaten dafür
ausbezahlt. Zugleich wurde ihm der Auftrag auf neun weitere
Reliefs für den selben Preis zu Teil und er führte ihn bis zum
Jahre 1488 aus. Die zwei Reliefs, welche zu der Gesamtzahl
von zwölf noch fehlten, hatte bereits am 21. Oktober 1483 ein
Künstler in Auftrag erhalten, den wir wol erstaunt sein dürfen,
plötzlich hier genannt zu finden; nämlich Bertoldo di
Giovanni, der als Vollender der Kanzeln in S. Lorenzo be-
kannte Donatelloschüler 2 ). Die ihm übertragenen Darstellungen:
der Untergang Pharaos im roten Meer und die Geschichte des
Jonas, rühren aber, wie der Augenschein lehrt, gleichfalls von
Bellano her, so dass zu vermuten steht, der Auftrag an Bertoldo
sei aus irgend einem Grunde von diesem nicht ausgeführt oder
zurückgezogen worden. Dagegen hat auch Bellano selbst in
der Tat nicht mehr als zehn Reliefs im ganzen ausgeführt;
denn die letzten beiden, welche sich ursprünglich zu beiden
Seiten des Choreinganges befanden, sind erst im Jahre 1 506
seinem angeblichen Schüler Andrea Riccio in Auftrag gegeben
und im nächsten Jahre abgeliefert worden 3), Auch wenn uns
ihr Gegenstand, Judith und Holofernes, und die Uebertragung
der Bundeslade nach Jerusalem, nicht ausdrücklich genannt
wäre, würden sich diese Arbeiten durch ihren Stil als Werke
einer fremden Hand leicht kenntlich machen.
Sämtliche Bronzetafeln , 80 cm breit und 6 1 cm hoch,
waren ursprünglich auf der Aussenseite der Chorwände ange-
bracht. Bei dem Umbau 1651 wurden sie inwendig im west-
lichen Chorraum über den ringsumlaufenden Steinbänken ein-
gefügt und dabei in eine chronologische Ordnung gebracht.
So folgen sie nun vom Altar aus von links nach rechts folg-ender-
mafsen auf einander:
1. Kain und Abel 2. Abrahams Opfer 3. Der Verkauf
des jungen Jakob 4. Pharaos Untergang im roten Meer
1) Gonzati I p. 133 ff. Doc. LXXXII.
-) Gonzati giebt diese Notiz in einer Anmerkung zu p. XC, leider ohne die
näheren Umstände oder seine Quelle mitzuteilen: er bemerkt nur: non avendo
corrisposto il suo lavoro. vennero anche questi allogati al Bellano.
3) Gonzati I. Doc. LXXXIII.
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA 161
5. Moses auf dem Sinai und die Anbetung des goldenen Kalbes
6. Aufrichtung der ehernen Schlange. Dann auf der anderen
Seite, rechts vom Altar: 7. Simson bringt den Tempel des
Dagon zum Einsturz 8. David und Goliath 9. Davids Tanz
vor der Bundeslade (Riccio) 10. Das Urteil Salomons 11 Judiths
Triumph über Holofernes (Riccio) 12. Die Geschichte des
Jonas1).
Hart genug lautet das Urteil der Kunstverständigen über
den Wert dieser Reliefs. „Ganz kindlich aufgeschichtete Historien
in zahllosen kleinlichen Figürchen" nennt sie der Cicerone2)
„welche deutlicher als irgend ein toskanisches Schulwerk zeigen,
wohin man gelangen konnte, wenn man Donatellos Freiheiten
nachahmte, ohne seinen Verstand und seine allbelebende Dar-
stellungsgabe zu besitzen." Und dieses Urteil hat gewiss seine
volle Berechtigung, wenn wir den hohen Mafsstab dessen an-
legen, was Donatello selbst in seinen Paduaner Historien an-
strebte und erreichte, oder wenn wir gar von der Aehnlich-
keit der dargestellten Begebenheiten uns zurückgemahnen
lassen an jene Geschichten aus dem alten Testament, mit
welchen die Tür des florentiner Baptisteriums so herrlich ge-
schmückt ist. "Weder von der dramatischen Wucht Donatellos
noch von dem weichen' Schönheitsgefühl Ghibertis ist Bellano
auch nur ein Hauch zu Teil geworden. Wo jener mit feinem
Kunstverstande die Massen bald zusammendrängt, bald aus-
einanderzieht, um die Aufmerksamkeit auf einen Punkt hinzu-
lenken, da kommt sein Nachahmer über ein wirres Getümmel
hin und her bewegter Figuren kaum hinaus. So kläglich wie
seine Kreuzigung neben Donatellos Beweinung, müssen auch
fast alle diese Reliefs bestehen, wenn man sie neben die Antonius-
wunder im Santo hält. Vollends für Ghibertis Schwung und
Linienfluss hat Bellanos hausbackener Realismus kein Verständ-
nis mehr, wenn es auch offenbar ist, dass er die Reliefs am
J) Nur No. I und No. 12 (ausser No. 9) sind in Umrissstichen bei Cicognara
Storia della scultura II tav. 12 und danach No. 12 bei Gonzati zu S. 136 reproduciert.
Die Reliefs verdienten, wie so vieles in Padua, eine photographische Aufnahme.
2) Cicerone p. 417. Der klassizierende Geschmack Cicognaras und des von
ihm abhängingen Gonzati setzt natürlich Andrea Riccio weit über Bellano. Wol
in ähnlichem Sinne nennt bereits Pomponius Gauricus (de sculpt. p. 257) den B. einen
„ineptus artifex".
Italienische Forschungen II. I I
162 DONATELLOS KANZELN IN S. LOREXZO
Baptisterium gekannt und ihre Einwirkung erfahren hat. Denn
seine Behandlung des Landschaftlichen schliesst sich aller-
dings eher an Ghiberti an, nur in dem strengeren Aufbau
der Scenerie giebt sich der Einfluss Donatellos kund. In den
meisten dieser Reliefs ist die allgemeine Disposition des
Raums klar und übersichtlich genug. Mit Vorliebe wird
ein Tal zwischen Felswänden dargestellt, das ein steiler Berg
im Hintergrunde begrenzt. So im Opfer Abrahams, der An-
betung des goldenen Kalbes und der Aufrichtung der ehernen
Schlange, dem Kampf Davids mit Goliath. In öder Gebirgs-
gegend spielt sich das Drama des Brudermordes ab, dessen
wenige Personen sich auf dem weiten Hintergrunde zu ver-
lieren scheinen. Auf dem Verkauf Jakobs sehen wir links
am Berghange die Cisterne, aus welcher der Knabe heraus-
gezogen wird, und auf dem Kamm des Höhenzuges die Karawane
der midianitischen Kaufleute. Die Art, wie einzelne Bäume mit
breiten Laubkronen sich gegen den Horizont abheben, erinnert
unmittelbar an das Gebet Christi auf dem Oelberg an Kanzel R.
Mit naiver Kühnheit ist im Untergang Pharaos Meer und
Land zugleich zur Darstellung gebracht, in der Diagonale des
Bildfeldes einander berührend, so dass wir hier die mit den
Wellen ringenden Aegypter, dort die auf felsigem Ufer mit
Maultieren und Kameelen davon ziehenden Juden erblicken.
Dieser Vorliebe Bellanos für eine ganz malerische Dar-
stellung weit ausgesponnener Scenerien entsprechend sind
augenscheinlich die Gegenstände seiner Reliefs gewählt, bei
deren Bestimmung wol kein geschmackbegabter und belesener
Humanist wie Leonardo Bruni ihm zur Seite stand. Es sind,
wie ein Blick auf das obige Verzeichnis lehrt, meist solche
Scenen, die zur Darstellung grofser Volksmassen Gelegenheit
boten. Nicht selten hat Bellano aber auch da, wo der Gegen-
stand an sich dazu keine Veranlassung gab, in überreicher
Menge Staffagefiguren hinzugefügt, die mit der eigentlichen
Handlung nichts zu tun haben. So füllen die ganze rechte
Hälfte im Opfer Abrahams genreartige Gruppen, ein Hirt mit
seiner Herde, davonziehende Frauen und Kinder; ähnlich ist
dies im Verkauf Jakobs der Fall, und im Hintergrunde des
Goliathreliefs findet ungeachtet der dichtgedrängten Massen
beider Heere, welche den freien Kampfplatz als Zuschauer
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA 163
umringen, noch ein Reitergefecht statt. So häuft er allerdings
in kleinlicher "Weise Figuren auf Figuren und erzielt trotz aller
Sorgfalt und technischen Fertigkeit in der Durchbildung des
Einzelnen keinen künstlerischen Gesamteindruck.
Und doch bleiben unter diesen Reliefs einige übrig, an
denen mehr als technische Sauberkeit und gewissenhafte Durch-
führung anzuerkennen ist. Bellano wagt es, dem überlieferten
malerisch gestaltenden Reliefstil, als dessen glücklichen Erben
er sich hier bekennt, auch neue Probleme zu stellen, die so
resolut ihm bisher kaum vorgelegt worden. Versetzt er doch
Salomons Richterspruch in einen zweigeschossigen offenen
Pfeilerbau, wo von acht korinthischen Pilastern eine obere
Plattform getragen wird, welche rückwärts und an den Seiten
von eben solcher Architektur umschlossen wird; darüber ist
noch ein weiteres Stockwerk gedacht und über das Gesims
schauen zahlreiche Personen herab. In der Mitte" der Bühne
sitzt Salomon auf dem Tron, vor ihm die Gruppe der hadern-
den Weiber und der Henker, umgeben von einem Halbkreis
von Zuschauern, während noch mehr aufgelöste Massen sich
weiterhin nach den Seiten zu bewegen. In der unteren Halle
aber schiebt und drängt sich das erregte Volk, und koncentriert
sich in neugierig emporschauenden Gruppen um die Pfeiler
der Halle. — Wer denkt bei dieser Anlage nicht an das
Pilatus-Kaiphas- und das Marienrelief der Kanzeln in S. Lorenzo,
wo die Architektur eine ähnlich bedeutsame Rolle zugewiesen
erhalten hat und so viel dazu beiträgt der Darstellung Stimmung
und Leben zu verleihen?
Auf eine ähnliche Anlage geht das Simsonrelief zurück,
welches zuerst von allen entstanden ist. Der starke Israelite
hat die eine Säule der Halle, in welcher die Philister ver-
sammelt sind, mit seinen Armen umschlungen und bringt sie
in's Wanken. Und das darauf ruhende Obergeschoss, vollge-
drängt mit Menschen, stürzt herab, Alles vernichtend und mit
sich ins Verderben reissend. Hier ist es trotz des abstofsenden
Vorgangs Bellano gelungen, eine Art von dramatischer Wirkung
zu erreichen, durch den Gegensatz zwischen der triumphierenden
Kraft des geblendeten Riesen und dem Schrecken, der Ver-
zweiflung seiner Opfer. Vasari hebt diese Tafel mit Be-
wunderung aus der Zahl der übrigen hervor und Gonzati sagt
11*
IÖ4 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
mit Recht von ihr: in tutti c'e vita, ma una vita compagna
alla morte!
Wol am eigenartigsten stellt sich das Relief mit der Ge-
schichte des Jonas dar. Hier füllt beinahe den ganzen Raum
des Bildfeldes eine Galeere auf sturmgepeitschtem Meere. Die
Masten brechen und stürzen, das Segel flattert haltlos im Winde
und mit den Trümmern werden die Schiffsleute über Bord ge-
rissen. Der samt seiner Begleitung orientalisch gekleidete
Schiffsherr aber lässt auch den Propheten ins Meer werfen, zur
Versöhnung der zürnenden Gottheit. Wir sehen ihn vorn kopfi-
über hinab stürzen, und ganz im Hintergrunde noch einmal,
wie er von dem Wallfisch eben ausgespieen Gott auf den
Knieen für seine Rettung dankt. — Das Ganze nimmt sich
aus wie eine Reminiscenz an Bellanos eigene Fahrt mit der
Galeere Melchior Trevisans zur Stadt des Grofstürken1), sicher-
lich eine der stolzesten Erinnerungen seines Lebens. In wunder-
licher Weise mischt sich dabei kecker Realismus mit den der
Antike entlehnten conventioneilen Mitteln des plastischen Aus-
drucks. Denn um die Kraft des Sturmes, welche die Wogen
aufrührt und das Schiff in Gefahr bringt, zu sichtbarer Ge-
staltung zu bringen, hat der Künstler in der unteren und
oberen rechten Ecke der Tafel je einen Kopf eines Windgottes
angebracht, aus dessen Munde ein dicker, plastisch gebildeter
Luftstrom hervorgeht. 2 )
Der Gesamteindruck dieser Reliefs nötigt wol ohne
Weiteres zu dem Geständnis, dass ihr Verfertiger diejenigen
Teile unserer Kanzeln, für welche er in Frage kam, selbst-
ständig geschaffen haben könne. Ist doch die Grundlage des
künstlerischen Schaffens, soweit sie ohne anderweitige Rück-
sichten zur Geltung kommt, hier wie dort die gleiche: eine
durchaus malerische Auffassung des Reliefs, eine sorgfältige,
oft kleinliche Durchbildung des landschaftlichen oder architek-
tonischen Schauplatzes, virtuose Fertigkeit in der Behandlung
des Hochreliefs, neben offenkundiger Schwäche in der Ge-
staltung abgerundeter, dramatisch bewegter Komposition eine
i) Thuasne, a. a. O. II. p. 66.
2 ) Vergl. die 8 Köpfe der Windgötter auf dem grofsen Holzsclinittpanorama
von Venedig aus dem Jahre 1500. Lippmann, Wood, engraving p. 129.
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA 165
entschiedene A^orliebe für zahlreiche genreartige Staffagefiguren.
Zu dieser Annäherung im Grundcharakter der Darstellungen
gesellt sich nun eine so weitgehende Uebereinstimmung der
stilistischen Ausdrucksweise in allen Einzelheiten , dass der
Beweis sich zu einem zwingenden gestalten dürfte. Am
frappantesten tritt diese in dem Simsonrelief hervor, wo der
Held selbst wie zahlreiche Figuren unter den Philistern mit
ihren langen Ringellocken, zugespitzten franzenartigen Barten,
mit dem langen, von einem schärpenartigen Gürtel zusammen-
gehaltenen Rock genaue Uebereinstimmung mit den Krieger-
figuren der Kreuzigung, den Aposteln der Oelbergscene und
des Pfingstfestes aufweisen. Aehnliches gilt von dem Abraham
in der Opferung Isaaks, von dem trinkenden Hirten im Verkauf
Jakobs, den knieenden Gestalten im Vordergrunde der Anbetung
des goldenen Kalbes, dem Goliath und vielen anderen Figuren.
Wo die Kleinheit der Einzelgestalten ein Urteil zulässt, findet
sich auch die charakteristische Faltenbehandlung Bellanos, und
durchgängig ist die etwas lahme und einförmige Bewegung des
ausgestreckten Armes mit der halbgeöffneten Hand, welche
die anbetenden Apostel, der Pilatus, einige Kriegerfiguren zeigen,
auch in diesen Reliefs bemerkbar. Die hier nicht selten auf-
tretenden orientalischen Kostüme fehlen dageg-en in den Kanzel-
reliefs noch gänzlich. Selbst Kaiphas samt den Pharisäern
sehen eher venezianischen Nobili ähnlich: dürfen wir dies
also als einen Hinweis nehmen, dass Bellano diese Reliefs vor
seiner türkischen Reise geschaffen habe?
Doch bevor wir auf solche Fragen antworten, ist es wol
ratsam, noch diejenigen Monumente, die uns als Bellanos Werke
aus dem letzten Jahrzehnt seines Lebens genannt werden, zu-
weiteren Kenntniss seines Stiles heranzuziehen. Seit Bran-
dolese1) gilt die bronzene Erinnerungstafel, welche der Canonicus
Nicolaus de Castro 1492 in der Servitenkirche zu Padua
seinem Vater Angelus und seinem Grossvater Paulus stiftete,
als ein Werk Bellanos. Beide Vorfahren hatten — wie der
Stifter selbst — als Rechtslehrer sich grofsen Ruhm erworben2)
!) Pitture sculture architetture di Padova. Padua 1705 p. 65. Künstler-Lex.
III. 364.
2 ) So meldet in prunkenden Worten eine mit dieser Jahreszahl versehene Marmor-
tafel, welche unter jenem Denkmal (im rechten Seitenschiff, über dem Eingang 2ur
166 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
und so erblicken wir sie denn hier, wie sie gleichsam vom
Himmel selbst ihre Gelehrsamkeit empfangen. Ueber den beiden
Juristen, welche auf der unteren Hälfte der ziemlich umfang-
reichen quadratischen Bronzetafel als Relieffiguren sichtbar
werden, in erregter Haltung einander zugekehrt, als wenn sie
disputierten, schwebt ein Engel herab, welcher ihnen zwei
Bücher entgegenstreckt. Darüber aber erscheint die Madonna
mit dem Kinde, das sie mit beiden Händen gerade vor sich
hin hält, in einem Wolkenkranz. Zu ihren Seiten stürzt auf
jeden der beiden Gelehrten in hastiger Bewegung kopfüber
noch ein Engel herab, der einen Kranz über sein Haupt hält.
Von einem ovalen Blätterzweig zwischen ihnen eingeschlossen
steht die Dedikationsinschrift. — Die Porträtfiguren sind lebendig
und ausdrucksvoll. Soweit die Behandlung des Reliefs und
die Typen der übrigen Figuren ein Urteil zulassen, kann das
nach Idee und Anordnung nicht eben sehr geschmackvolle Werk
recht wol dem Bellano gehören oder muss ihm wenigstens
sehr nahe stehen. Die auffallende Bewegung der Engel erinnert
stark an ähnliches in dem Kreuzigungsrelief, und der Kopf
der Madonna gleicht ziemlich genau dem, welchen wir in dem
etwas späteren, letzten Werke Bellanos finden.
Es ist dies das Monument eines anderen paduanischen
Gelehrten, des Mediziners und Philosophen Pietro Rocca-
bonella aus Venedig, der 1491 starb und in S. Francesco bei-
gesetzt wurde. Dort errichteten ihm sein Bruder und sein Sohn
wenige Jahre später ein Grabmal, welches bereits von dem
Anonimo Morelliano als ein Werk des Bellano bezeichnet wird,
das sein Schüler Andrea Riccio zur Vollendung gebracht habe J ).
Sakristei) an der Wand angebracht ist. Die im Fufsboden davor eingelassene und
1489 datierte Inschrifttafel bezieht sich wol auf die Stiftung des Familiengrabes und
würde also auch ungefähr den Termin der Bestellung des Bronzewelkes bezeichnen.
Die Inschriften bei Scardeonius p. 391. Tomasinus Urbis Patav. Insciipt. p. 332 f.
») Anon. Morell. ed Frimmel p. 14. — Das Datum der Errichtung lässt sich
vorlaufig nicht feststellen, da die entscheidende Zahl in der Sockelinschrift mit einer
Schmutzkruste bedeckt ist. Scardeonius p. 421 giebt sie: 1493, Tomasinus p. 231:
1498. Die Inschrift im Fussboden nennt wiederum das Todesjahr: 149 1 . Vergl.
Morelli in seiner Ausg. des Anon. p. III. Der Anon., der wenig mehr als ein
Menschenalter nach der Errichtung des Denkmals schrieb, verlegt diese gegen 1492
und fügt hinzu: essendo morto il Bellan. Aber sollte er dies nicht blos daraus gefolgert
haben, dass Riccio — wie er angiebt — die Arbeit vollendete?
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA I 6 7
Das Denkmal bestand aus zwei gleich grofsen Teilen: einem
unteren mit der am Schreibtisch sitzenden Porträtfigur des Ge-
lehrten zwischen wappenhaltenden Putten, die vor den seit-
lichen Marmorpilastern in Flachnischen stehen, und einem oberen,
ebenso von Marmorpilastern eingerahmten und durch einen
Giebelbogen abgeschlossenen, welcher die Madonna tronend
zwischen den stehenden Heiligen Franciscus und Petrus Martyr
enthält — sämtliche Figuren in starkem Hochrelief aus Bronze
gegossen1). So ist hier ein selbständiger Versuch gemacht,
einen auch sonst beliebten Typus des Gelehrtengrabes2) nach
dem Muster der mehrstöckigen Wandgräber der venetianischen
Frührenaissance zu einem reicheren Aufbau auszubilden — ein
Versuch, der in dieser Form nur zu einem unbefriedigenden
Resultat führen konnte. Denn der in seinen Dimensionen ganz
gleiche und überdies figurenreichere Oberteil drückte schwer
auf die untere Hälfte; das Werk Bellanos ist denn auch ohne
Einfiuss auf die Entwicklung des paduanisch-venezianischen
Grabmals der Folgezeit geblieben.
Aber hiervon abgesehen haben wir die Arbeit eines tüchtigen,
auf der Höhe seines Könnens stehenden Meisters vor uns. Der
Figur des Gelehrten ist lebendige Bewegung verliehen, fast zu
viel für den Eindruck eines Grabdenkmals. Er sitzt hinter
seinem bankartigen Lesetisch, von vorn gesehen, den Kopf
nach rechts (v. Besch.) gewendet, wo ein aufgeschlagenes Buch
an dem Seitenpfosten lehnt, in welchem er mit der Linken
blättert. In der Rechten hält er ein anderes Buch auf
dem Tische aufgeschlagen, und erweckt uns so mit einem
0 Vielleicht sind die beiden Hälften nie in der beabsichtigten Weise zusammen-
gefügt gewesen; bereits der Anon. verzeichnet die Portätfigur als nella fronte del
corco sinistro befindlich, also an derselben Stelle, wo heute dieser Teil des Monuments
sich befindet, wenn anders man corno sinistro hier in dem Sinne von cornu epistolae,
auf der linken Seite des Altars befindlich, verstehen darf. In demselben Seitenschiff
befand sich das Madonnenrelief als Altarwand (pala) verwendet, wie auch Scardeone
p. 347 bezeugt. Im vorigen Jahrhundert dagegen war letzteres auf den ersten Altar
(vom Eingange gerechnet) des gegenüberliegenden Seitenschiffes versetzt (Brandolese
p. 250) und heutzutage ist es, korrespondierend mit der anderen Hallte, an der
Hinterwand dieses Seitenschiffes über einer Tür eingemauert.
2) Vgl. das Liviusrelief über einer Tür in der Loggia des Pal. della Ragione
in Padua und das Danterelief von Pietro Lombardo (1482) in Ravenna.
l68 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Schlage die Vorstellung des kritischen Forschers, des in zwei
Wissenschaften erfahrenen Gelehrten ' ). Weit statuarischer
gehalten ist die Gruppe in der oberen Hälfte2). Der Madonna
im langen gegürteten Rock, mit Mantel darüber und einer
Zackenkrone auf dem verschleierten Haupt, fehlt es nicht an
ruhig-er Würde, selbst Gröfse. Sie sitzt leicht nach rechts ge-
wendet auf dem Tron — dessen Trittstufe mit einem Putten-
reigen verziert ist, wie auch zu Seiten des oberen Halbbogens
ziemlich ungeschickt musicierende Putten angebracht sind —
und hält das auf ihrem Knie stehende Kind, das nach dem
Schleier greift. Dieses freilich kann die gleiche Abstammung mit
jenem ungeschlachten Bambino des Berliner Reliefs nicht ver-
leugnen; es zeigt dieselben plumpen Formen und trägt einen
ähnlichen kurzen Kittel mit breiter Binde um den Leib. Die
beiden Heiligen sind sorgfältig durchgeführte Kuttengestalten
im Typus jener Statuen für den Chor des Santo; S. Franciscus
steht insbesondere der Marmorfigur dieses Heiligen an der
Wand der Sakristei des Santo äusserst nahe 3).
Der Stil Bellanos hat sich in diesem letzten uns bekannten
Werke zu einer Prägnanz und Schärfe entwickelt, welche alle
Eigenheiten seiner Formenbildung besonders lehrreich hervor-
treten lässt. Die Gröfse der Figuren gestattete eine freie Ent-
faltung und wir gewinnen eigentlich erst aus diesem Werke
eine Vorstellung davon, was Bellano in statuarischer Kunst zu
leisten vermochte. Dabei kommt die Breite und Derbheit seiner
Formengebung- zu besserer Geltung, und wenn die Gestalten
auch jedes feineren Reizes entbehren, so sprechen sie doch an
durch ihre ungesuchte Schlichtheit und einen Hauch von Leben + ).
*) Die drei kleinen Figuren auf Konsolen, welche den Schmuck des tronartigen
Katheders bilden, sind nach der Notiz des Anon. eine Zutat des Andrea Riccio.
2 ) Vergl. unsere Zinkätzung nach Phot. Alinati.
3) Dem Grabmal Roccabonella verwandt nennt der Cicerone p. 417 e die namen-
lose Bronzetafel in S. Stefano zu Venedig, welche den Arzt Jacopo Suriano
(t 1499) mit seiner Gattin vor der Madonna knieend darstellt. Prof. Schmarsow. den
ich um eine Nachprüfung dieses mir selbst in Venedig entgangenen Werkes gebeten,
bezeichnet es als „rein venezianisch, und zwar eine sehr feine, wenn auch geistig
ebenso unbedeutende Vorstufe für Tullio und Antonio Lombardo."
4) In seiner Ausgabe des Anonimo erwähnt Jac. Morelli p. 151 einen aus dem
Jahre 1695 stammenden Katalog der Sammlung des Marco Mantova-Benavides in
Padua, welcher u. A. aufzählt: Un mezzorilevo d'un bue inscorcio mezzo rilevato,
BARTOLOMMEO BELLAXO VON PADUA
169
So tritt uns nach alledem Bellano als eine Künstlerpersön-
lichkeit zwar nicht ersten Ranges, aber doch von so ausge-
Vora Grabmal Roccabonella in S. Francesco in Padua
prägter Eigenart entgegen, dass wir uns wol getrauen dürfen,
ihn seinen Leistungen nach von dem namenlosen Schwärm wie
di Pietro (sie) Vellano Padovano allievo di Donatello etc.; ferner eine nackte
Bronzestatue, ohne Arme mit verbundenem Munde, ein Krokodil zwischen den Füssen,
IJO DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
von anderweitig bezeugten Individualitäten der Donatelloschule
sicher zu unterscheiden. Verhältnismäfsig erst spät in der
Kunst der Erzplastik unterwiesen hat er ihre Technik dennoch
mit Virtuosität beherrschen gelernt und darin sicherlich — rein
handwerklich genommen — eine gröfsere Erfahrung und Gewandt-
heit erlangt, als sein Meister, der allem Anschein nach auch in
Padua noch den Guss seiner Modelle nicht selbst auszuführen
vermochte ■ ). Also würde Bellano in erster Linie das Verdienst
gebühren, den Bronzeguss in Padua zur Blüte gebracht zu
haben. Aber auch den Meissel wusste er zu führen — über
ein blos handwerksmäfsiges Können hinaus, wie er es zuerst
geübt haben mag — und wenn wir der Tradition Glauben
schenken wollen, so beschäftigte er sich auch mit der Baukunst.
Dass es ihm an architektonischem Gefühl und an Erfindungs-
gabe wenigstens auf dekorativem Gebiete nicht fehlte, beweisen
ja das Grabmal Roselli und sicherlich der Wandschmuck in
der Sakristei des Santo. So entspricht Bellano also auch in
dieser Hinsicht der Vorstellung, welche wir uns von dem zweiten
welche eine Personification des Schweigens darstellen solle und ebenfalls ein Werk des
Vellano sei. Nach Morelli a. a. O. sind diese Bronzen mit anderen in die Bibliothek
von S. Marco gelangt. — Als ein wahrscheinlich dem Bellano gehöriges Werk ver-
zeichnet Robinsons Katalog der ital. Skulpturen im South-Kensington-Museum p. 1 1 8
auch das Bronzehochrelief einer Pietä (n. 5469): Maria den Leichnam Christi auf
ihren Knien haltend, zwei trauernde Engel im Hintergrunde. Die Vereinigung von
Stileigentümlichkeiten Donatellos mit solchen der lombardisch-venezianischen Meister
rechtfertige die Zuschreibung an Jacopo (sie) Vellano. — Ein anderes figurenreicheres
Pietärelief des South-Kensingt. -Museums (n. 314 — 1878 abgebildet in The South-
Kensingt.-Mus. Examples of art etc. I pl. 32) gehört ebenfalls in die unmittelbare
Nähe Bellanos, obwol darin noch andere Stileinfliisse mitspielen. Es ist von Marmor
und stammt aus Palazzo Lazzara in Padua. — Die Terrakottastatuette eines Dorn-
ausziehers im Berliner Museum, Katalog v. Bode u. Tschudi n. 156, welche dort bereits
einem Paduaner Meister um 1450 zugeschrieben ist, dürfte vielleicht bestimmter als ein
Jugendwerk Bellanos bezeichnet werden. Der Kopf des Knaben steht im Gesichtsschnitt
und in der Haarbehandlung dem Madonnenrelief von 1461 doch sehr nahe. Auch der
etwas kleinliche Realismus, wie er sich in den durchlöcherten Schuhen und Strumpf-
hosen, der Ausrüstung mit allen möglichen Gegenständen ausspricht, würde der Art
Bellanos entsprechen.
J) Bei dem Guss der Reliefs sind die Glockengiesser Andrea de la caldiere
und Antonio oder Francesco del Mayo beteiligt. Gonzati I p. LXXXVI f. Auch
der Guss der Reiterstatue erfolgte durch Glockengiesser. Vergl. Pomponius Gauricus
p. 225.
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA 171
Meister an den Kanzeln von S. Lorenzo, der augenscheinlich
der Vollender des Ganzen gewesen ist, nach dem Befunde des
Werkes selbst haben bilden müssen1).
In seinem Stil verleugnet er nirgends den Paduaner; seiner
Ausdrucksweise fehlt die Leichtigkeit und Anmut beinahe
gänzlich, und wo er ungezwungen sich bewegen will, wird er
bäurisch, ganz im Sinne jenes Tadels, den Pomponius Gauricus
auch gegen Mantegna ausspricht. Aber hiervon abgesehen sind
seine Gestalten lebhaft bewegt und mannichfaltig erfunden, auch
in schwierigen Verkürzungen richtig gezeichnet. Ihr harter und
eckiger Gesichtstypus giebt ihnen fast stets etwas Finsteres, und
der oft in übermäfsiger Fülle gebildete Haarwuchs streift nicht
selten an das Groteske. Wir brauchen nur die entsprechenden
Gestalten der Kreuzigung mit denen der Beweinung zu ver-
gleichen, um zu erkennen, wie ganz anders der Meister Donatello
im Dienste des psychologischen Ausdrucks zu verwenden weiss,
was bei seinem Schüler nur äusserliche Manier geblieben ist!
Seine Gewandbehandlung ist engfaltig, hartbrüchig, wie bei den
Oberitalienern des XV. Jahrhunderts meistens — und hat den
groben, schweren Wurf, welcher ihr ein so charakteristisches
Aussehen giebt, vielleicht als eine Reminiscenz an Bellanos
frühere Steinmetztätigkeit beibehalten.
Den entscheidenden Nachweis, dass der Künstler, dessen
Stil uns in Zügen solcher Art an den Reliefs der Kanzeln be-
gegnet, Bartolommeo Bellano sei, liefern wol die Darstellungen an
den Chorwänden des Santo; hier ermöglicht die Gleichheit des
Materials, die annähernde Aehnlichkeit des Gegenstandes eine
unmittelbare Vergleichung, die nicht anders als für unsere
These bejahend ausfallen kann. Dieser Vergleich fügt auch
die beiden Reliefs Christus vor Pilatus und Kaiphas und die
Marien am Grabe, welche in mancher Hinsicht von den übrigen
Stücken an den Kanzeln abweichen, in die Reihe der Arbeiten
Bellanos. Der Zweifel, ob für das kompositionell bedeutendste
darunter, das Pilatus-Kaiphas-Relief, nicht doch eine Original-
skizze Donatellos zu Grunde liegt, wird sich freilich nicht so
leicht lösen lassen; aber wir haben angesichts solcher Darstel-
J) Vgl. oben S. 34 f. S. 55.
172 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
lungen, wie Simsons Tempelsturz und das Urteil Salomons, keine
Veranlassung, dem Bellano die endgültige Fassung' des Entwurfs
zu jenen Scenen abzusprechen. Ein solches Parterre von Zu-
schauern und Volk, wie im Pilatus-Kaiphas-Relief, hat er im
Urteil Salomons ja gleichfalls angebracht und die perspektivische
Konstruction zeigt dort fast noch höhere Virtuosität. Das
Marienrelief aber geht namentlich in technischer Beziehung mit
jenen Bronzewerken zusammen; die kühne Unterarbeitung der
obersten Reliefschicht, welche hier die Pilaster bilden, findet
sich ebenso bei der frei stehenden Säule in der Anbetung des
goldenen Kalbes, bei der aufsteigenden Rauchwolke im Opfer
Abels, bei der Architektur im Simson- und im Salomonrelief.
Endlich kehren auch für die nur mit dem Oberkörper sichtbaren
Figuren, für die halb hinter dem Reliefrand oder einem Pilaster,
einer Säule verschwindenden Gestalten auf mehr als einem
Relief in jener Reihe zahlreiche Beispiele wieder.
Die stilistischen Bedingungen für eine Teilnahme Bellanos
an den Arbeiten für die Kanzeln sind also wol zur Genüge vor-
handen; wie aber steht es mit ihren äufseren Voraussetzungen?
Eine so umfangreiche Tätig'keit, wie sie uns hier entgegentritt, er-
fordert doch unter allen Umständen einen längeren Aufenthalt
des Künstlers in Florenz. Wann ist dieser nach den von uns
festgestellten Daten aus seinem Leben ansetzbar — und wie
lässt sich der gänzliche Mangel einer literarischen Ueberlieferung
hierüber erklären, während hingegen der Xame Bertoldos in
mehrfachen Wendungen als derjenige des Vollenders der
Kanzeln genannt wird?1) Auf die letztere Frage werden wir
füglich erst antworten können, wenn wir die Stellung Bertoldos
selbst zu der Arbeit klarer erkannt haben. Was aber die Be-
ziehungen Bellanos zu Florenz anbetrifft, so ist bereits oben
die Wahrscheinlichkeit hervorgehoben worden, dass er sich
Ende des Jahres 1466 daselbst aufhielt oder vorher in solchem
Umfange dort tätig gewesen war, dass die Perusiner ihn mit
Recht als Florentiner bezeichnen konnten. Einen erneuten
Aufenthalt in der Arnostadt könnte Bellano nach seiner Rück-
kehr aus Perugia Ende des Jahres 1467 genommen haben.
Doch kann derselbe kaum von längerer Dauer gewesen sein,
1 ) Vergl. oben S. 2.
BARTOLOMMEO BELLANO VON PADUA 173
denn bereits 1469 finden wir ihn in Padua am Wandschmuck
für die Sakristei tätig (bis 1472). Auch muss in die Zwischen-
zeit die Arbeit am Grabmal Roselli fallen, wenn dieses nicht
bereits vor 1466 entstanden sein sollte; diese Annahme aber
würde wiederum einen Aufenthalt in Florenz um dieselbe Zeit
unwahrscheinlich machen. Dagegen bleibt nach dem bisherigen
Stande unserer Kenntnis die Zeit nach 1472 frei für eine
längere Abwesenheit Bellanos aus seiner Heimat, während er
gegen 147g wol daselbst wieder heimisch und tätig gewesen
ist; denn in diesem Jahre finden wir ihn als angesehenen
Künstler in Venedig. Nach seiner Rückkehr aus dem Morgen-
lande (Ende 1480) ist ein Aufenthalt in Florenz unwahrschein-
lich, wenn anders der Erzählung Vasaris von Bellanos Miser-
folg gegenüber dem Florentiner Verrocchio etwas Tatsächliches
zu Grunde liegt. Doch beweist der Auftrag an Bertoldo vom
Jahre 1483 immerhin, dass die Beziehungen zwischen Padua
und Florenz nicht abgebrochen waren. Bellano selbst war von
1484 — 88 durch die Ausführung der Reliefs im Santo an Padua
gefesselt und scheint — entsprechend seinem hohen Alter —
diese Stadt auch fernerhin nicht mehr verlassen zu haben.
Es wäre vermessen, auf Grund immerhin so weniger und
verhältnissmäfsig unsicherer Daten für den Aufenthalt Bellanos
in Florenz bestimmte Jahre überhaupt in Vorschlag zubringen;
bliebe doch vorerst die Frage noch zu entscheiden, ob der
Künstler seine Arbeit hier in einem Zuge zu Ende geführt
habe. Und es scheint beinahe, als ob dem nicht so sein könne.
Das Kreuzigungsrelief macht entschieden den Eindruck einer
frühen Arbeit im Gegensatz namentlich zu dem Pilatus-Kaiphas-
und Marienrelief; die beiden andern fallen etwa in die Mitte.
Jenes steht in der Härte der Formenbehandlung noch dem
Berliner Madonnenrelief sehr nahe; eine Gestalt wie der
Christus vor Pilatus, die Maria in der Grabscene dagegen ist
kaum denkbar, ohne dass Beliano inzwischen den sänftigenden
Einfiuss des Marmorstils des Pietro Lombardi erfahren hatte,
mit welchem wir ihn am Roselligrabe in Verbindung sehen.
Zeigt doch auch das Roccabonellarelief, dass Bellano sich von
seinem untersetzten hochschultrigen Gestaltentypus allmählich
zu einer schlankeren, statuarisch freien Bildungsweise durchge.
rungen hatte. — Und so ist es nun wol Zeit, diejenigen Teile
'74
DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
der Kanzeln, welche wir bisher ausser Acht gelassen haben,
in's Auge zu fassen, um dann in einer Charakteristik Bertoldos,
des florentinischen Lieblingsschülers Donatellos, die Aufhellung
dessen suchen zu können, was in der — offenbar vielfach ge-
hemmten — Entstehungsgeschichte dieser Werke bisher noch
dunkel geblieben ist.
Kanzel L. Rückseite
IX.
Die Grablegung Christi — Das Martyrium des
heiligen Laurentius — Die Puttenfriese
Das Relief der Grablegung an der rechten Nebenseite
von Kanzel R (R 4) bildet schon rein äusserlich betrachtet,
eine auffallend disharmonische Erscheinung. Mit dem linken
Pilaster, an welchen die Reliefplatte in glatter Kante anstiess,
ist sie durch einen Sprung in der Basis ausser Bindung geraten,
der rechte hält sie dagegen um so sicherer fest, da er einen
Teil der letzten Figur überdeckt1). Die beiden stehenden
Figuren vor den Pilastern haben nicht den geringsten Bezug
auf die zwischen ihnen befindliche Darstellung und zeigen
unter sich verschiedenen Stil. Die rechte, ein barhäuptiger
Mann in kurzem gegürtetem Kittel, den er mit der linken Hand
hochhebt, wendet sich von dem Relief ab nach aussen; er ist
samt dem Pilaster, an dem er unglücklich genug klebt, in
der Werkstatt Bellanos modelliert, dessen Stilweise er deutlich
an sich trägt. Der linke, eine weit schlankere bärtige Gestalt
mit langem Haar, steht wenigstens dem Relief selbst zuge-
1 ) Vergl. unsern Lichtdruck, und oben S. 32 f. S. 33 Anm. 1.
176 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
wendet; obwol er sich auf einen langen Schild stützt und eine
helmartige Kappe trägt, ist irgend eine charakteristische Be-
deutung in ihm ebenso wenig ausgeprägt wie in seinem Gegen-
über; an der Gewandung mag auch hier Bellano mitgeholfen
haben.
Aehnlich unharmonisch ist die Behandlung des Reliefs
selbst. Im stärksten Hochrelief gebildete Figuren am linken
Rande gehen fast unmittelbar in einen medaillenartig flach
gehaltenen Hintergrund über, und eine auffallend starke Ver-
kürzung der Proportionen scheint eine weite Tiefenausdehnung
anzudeuten, während im Gegensatz hierzu die Art der
landschaftlichen Umgebung eher auf eine ganz kurze Bühne
schliessen lässt. Denn gedacht ist die Scenerie offenbar als
eine Art von FelsengTOtte, die sich über der Grabstätte Christi
emporwölbt; kleine Blumen und Kräuter nisten in den Fugen
des Gesteins, hohe staudenartige Gewächse mit breiten Blättern
und Blütenbüscheln , ähnlich wie in der „Auferstehung"
Donatellos, wachsen vom Boden aus gerade und schlank empor1 ).
Auch die Form des Sarkophags mit den Löwenköpfen, das
Holzgeländer im Hintergrunde erinnern an jene Reliefs; aber
was dort als — immerhin seltsames — Beiwerk auftrat, drängt
sich hier auffällig hervor und deutet auf eine ähnliche Ueber-
schätzung dieses malerischen Aufputzes, wie sie etwa in den
Darstellungen aus der Johanneslegende in den Zwickelmedaillons
der Sakristei auftrat- ). Die figürliche Komposition krankt an
ähnlichen Zeichen eines noch nicht zur Reife gediehenen Ge-
schmacks. ATier Männer, die sich paarweise an den Lang- und
Schmalseiten des Sarkophags gegenüberstehen, versenken auf
dem Bahrtuch den mit Binden fest umwickelten Leichnam
Christi, während die Frauen den letzten Abschied nehmen.
Weinend drückt Maria ihr Gesicht gegen das Antlitz des Sohnes,
1 ) Die individualisierende Durchführung dieser Pflanzengebilde und ihre oft
recht seltsamen Formen (z. B. der keulenähnliche Kohlstrunk ganz im Vordergrunde
neben dem Arm der sitzenden Frau) legen den Gedanken nahe, dass der Künstler
in realistischem Bestreben wirkliche Naturformen nachgebildet habe. Indessen wussten
mir bewährte Kenner der einheimischen Pflanzenwelt in Florenz keine Gewächse zu
nennen, welche mit den hier dargestellten Formen mehr als eine allgemeine Aehn-
lichkeit besässen.
2) Vergl. oben S. III. f.
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DIE GRABLEGUNG CHRISTI I 7 7
während Magdalena sich über das Grab beugt und eine dritte
Frau die Füfse des Toten küsst; vor dem Sarkophag sitzen mit
aufgelösten Haaren, ganz in sich versunken, die Klagefrauen.
— Die Responsion dieser Hauptgruppen wahrt im Allgemeinen
noch die strengere Anordnung, welche Donatello seinen Grab-
legungs-Scenen gegeben, aber sie ist doch im Grunde malerisch
empfunden und ermangelt durchaus jenerstrengen Geschlossenheit
und Abrundung, welche den Reliefs in Rom und Padua so
mächtige Wirkung verleiht. Aber selbst hiervon abgesehen
tritt in der Formgebung und Bewegung der Gestalten ein
schülerhaftes Unvermögen deutlich zu Tage. Wie unlebendig
und kraftlos ist der überschlanke Jüngling, der das Kopfende
des Leichentuchs hält; wie ungeschickt der mumienhaft um-
wickelte Leichnam in die Länge gezogen, wie verunglückt
die perspektivische Zeichnung des Sarkophages! Beinahe noch
auffälliger macht sich dies unzulängliche Können in den zahl-
reichen Gestalten des Hintergrundes bemerkbar; hier stehen
ausdruckslose Typen wie der Johannes, welcher die eine Hand
behäbig auf den Leib legt und die andere mit einem beiläufigen
Gestus des Bedauerns ausstreckt, so wie ganz gleichgültige
Füllfiguren neben so mänadenhaft bewegten Gestalten, wie die
Frau, welche mit weit zurückgeworfenem Haupte — das hinter
dem Gesicht des einen Trägers fast verschwindet — die Arme
kerzengerade in die Höhe reckt. Besonders verworren und
inhaltlos sind auch die seitlichen Gruppen: links ganz vorn ein
Knabe, der ein Mädchen am Arme packt, beide im vollen Hoch-
relief; dann zwischen dichtem Pflanzenwerk noch eine Kinder-
figur, und schon ziemlich flach gebildet, ein Alter mit einer
Kappe, der die Hände mit einer Schmerzgeberde vorstreckt.
Auf der rechten Seite schliessen ein herbeieilender Alter mit
einem Schild am Arme und die aus der „Beweinung" entlehnte
Figur eines Kriegers — die jetzt zur Hälfte vom Pilaster über-
deckt wird — die Darstellung ab1).
1 ) Eine Federzeichnung im Besitz des Herzogs von Aumale (Stich in L'Art
1879 p. 253. Photogr. in der Donatello- Ausstellung) welche Müntz Donatello p. 106
für echt erklärt, giebt (24 cm breit, 36 cm hoch) eine sorgfältig ausgeführte Kopie
des mittleren Teils unseres Grablegungsreliefs, von der über den Leichnam gebeugten
Frau bis zu der die Füfse küssenden. Es kann sich weder um eine Studie noch um
Italienische Forschungen IL 12
178 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Die Unvollkommenheit dieser Leistung enthebt uns nicht
der Frage nach ihrem Urheber. An Bellano zu denken, wird
zunächst Niemandem einfallen: die Möglichkeit aber, Donatello
selbst auch nur für den Entwurf verantwortlich zu machen,
wird durch das Fehlen gerade jenes nervös leidenschaftlichen
Zuges in der Komposition, welcher so fühlbar durch seine letzten
Arbeiten geht, ausgeschlossen! Sind auch einzelne Figuren, wie
die trauernden Frauen, ihm mit einigem Glück nachempfunden,
so bleibt das Ganze doch an Kraft und Gröfse des Ausdrucks
unendlich weit hinter der Beweinung, der Höllenfahrt zurück —
ganz zu schweigen von dem Mangel an Stil und Geschmack in
der Behandlung des Reliefs. Es ist die Arbeit eines Schülers,
die wir vor uns haben — ohne selbständige Kraft der Empfindung
und des Ausdrucks, trotz der gesuchten Exaltation, womit er
gelegentlich den Donatello überdonatellisieren will. Darauf
weist auch der ängstliche, unentwickelte Charakter der Formen-
gebung hin, wie er sich in den unentschiedenen Bewegungen,
den kleinen kraftlosen Händen vor allem ausprägt. Verschiedene
Merkmale aber lassen uns den selben Gehilfen und Schüler er-
kennen, welcher bereits in die Ausführung der von Donatello
noch selbst geschaffenen Reliefs eingegriffen und mit dem wir
schon oben den Namen des Bertoldo in Verbindung gebracht
haben1). Die schlanken hageren Gestalten, die schmalen, etwas
ausdruckslosen Köpfe mit dünnem Haar, die ganze Anordnung
der Gewänder passen zu dieser Annahme. Insbesondere gleicht
der bärtige Alte mit den Kreuzesnägeln in Händen, welchen
Bertoldo in Donatellos Beweinung hineinsetzte2), im Gesamt-
eindruck seiner Erscheinung und in vielen Einzelheiten der
Ausführung solchen Gestalten, wie der kahlköpfige Träger des
Leichnams und der Johannes der Grablegung: eine kappen-
förmige Kopfbedeckung, wie sie jener trägt, kehrt auch hier
bei mehreren Figuren wieder.
Was uns dieses Relief, in welchem also Bertoldo, wenn
auch künstlerisch noch nicht zur Reife entwickelt, zuerst nach
einen Karton handeln, denn am rechten Ende (links scheint das Blatt durchschnitten)
sind die Konturen von Brust und Leib der die Arme emporstreckenden Frau noch
genau nachgezeichnet, die Figur selbst aber weggelassen.
') S. 61.
2) 5. 130.
DIE GRABLEGUNG CHRISTI iyg
eigener Erfindung schaffend auftritt, insbesondere noch über
seine Weise der Reliefbehandlung lehrt, das begründet in der
Tat einen principiellen Gegensatz zu seinem Mitarbeiter Bellano
und macht ihre Unterscheidung zu einer zweifellos sicheren.
Denn Bellano verleugnet in seinen Bronzewerken nirgends seine
Neigung zu einem kräftigen Hochrelief und vermag selbst in
seiner Kreuzigung sich dem Vorbild der daneben geordneten Be-
weinung nicht so weit anzupassen, dass wenigstens in der Relief-
behandlung ein einheitlicher Eindruck erzielt würde. Bertoldos
Grablegung hingegen schliesst sich nicht blos in den Proportionen
der Figuren und in der flachen Anlage jenem Vorbilde — als
einziges unter allen Kanzelreliefs — auf das Genaueste an,
sondern geht in dem zarten, subtilen Charakter der Arbeit,
namentlich auch durch die weitreichende Inanspruchnahme des
nachträglichen Ciselierens zur Herausbringung so mancher
Einzelheiten, noch weit darüber hinaus und erinnert ganz un-
mittelbar an die Weise eines Medailleurs — als welcher uns
Bertoldo hauptsächlich geschildert wird1).
Nur von diesem Gesichtspunkte aus findet dann auch —
so scheint es — die letzte Darstellung an unseren Kanzeln,
deren Besprechung uns noch übrig bleibt, eine genügende Er-
klärung: das Martyrium des h. Laurentius, an der Rück-
seite von L. 2 ) Wie durch ihren Gegenstand, so fällt auch nach
Anlage und Proportionen diese Darstellung ganz aus der
Reihe der übrigen Reliefs an dieser Kanzel heraus; ihr Ge-
samtmafsstab ist so stark reduciert, dass sie im Vergleich zu
jenen fast wie eine Plakette oder ein Medaillonrelief wirkt und
an ihrer Stelle eben nur als ein notwendiges Ergänzungsstück
eingeflickt zu sein erscheint. Jene giebelförmigen Seitenwände
sind freilich auch hier zur Umrahmung des schmalen Relief-
streifens beibehalten, aber in eine perspektivische Konstruktion
J) Der schmale Streifen am linken Rande der Tafel, welcher allein in Hoch-
relief gebildet ist, weckt durch die sinnlose Häufung von Figuren und Laubw erk so
starke Bedenken, dass mir angesichts des Originals die Möglichkeit nicht ausgeschlossen
erschien, dass hier eine Flickarbeit zur Verdeckung irgend eines Schadens vorliegt.
Die Untersuchung auf das Vorhandensein von Fugestellen blieb allerdings resultatlos.
Denkt man sich diesen Teil weg, so gewinnt das Uebrige wenigstens den einheitlichen
Charakter des Flachreliefs.
2 ) S. die Kopfleiste dieses Kapitels.
180 DONATELLOS KANZELN IN S.'LORENZO
hineingezogen, welche sie in rein malerischem Sinne zur Dar-
stellung eines geschlossenen Innenraums benutzt, in welchem
— seltsam genug — der Feuertod des Heiligen vor sich geht.
Eine dazwischen ausgespannte flache Kassettendecke wird im
Hintergrunde von einer Säulen- und Pfeilerstellung getragen,
die sich über der Decke noch einmal wie in einem oberen Ge-
schoss wiederholt; hier wirkt entschieden das Vorbild des Marien-
reliefs mit den die Halle überragenden Bäumen. — Im Vorder-
grunde rechts über einem Feuer, das von einem knieenden
Diener mit dem Blasebalg angefacht wird, liegt der Heilige
nebst einem anderen Märtyrer auf dem Rost, von einem her-
zuschwebenden Engel gelabt. Auf Anweisung des Befehls-
habers, der einen kurzen Stab haltend links vor seinem Tron
steht, stöfst ein halbnackter Knecht vermittelst seiner langen
Holzgabel den Märtyr, der sich zu erheben versucht, mit roher
Gewalt zurück. Den Hintergrund füllen wieder zahlreiche
Kriegerfiguren mit Helm, Schild und Lanze, wie wir sie von
der Kreuzigung und dem Pilatusrelief her kennen. — Trotz
dieser Entlehnungen aus dem Apparat Bellanos weist doch das
sichtliche Streben nach einer flachen Gesamthaltung des Reliefs,
die gröfsere Weichheit in den Typen und der Gewandbehandlung,
die Schlankheit der Figuren eher auf eine Entstehung unter
Bertoldo hin, der auch hier in dem Ringen nach dramatischem
Ausdruck über eine wirre, ja rohe Figurenanhäufung nicht
hinauskommt. —
Dass wir uns aber mit dieser Zuschreibung auf der richtigen
Fährte befinden, scheint auch eine besonders auffällige Figur
des Reliefs zu beweisen, die bisher unerwähnt geblieben ist.
An der linken Ecke vorn sehen wir einen Jüngling-, abgewendet
in eigentümlicher Haltung. Er tritt mit dem rechten Fufs auf
eine Stufe und beugt sich mit dem Oberkörper weit vor, über
den Rand der Mauer hinaus, während er mit der über den
Kopf erhobenen linken Hand den Mantel von seiner rechten
Schulter auf den vorgestreckten Arm abzustreifen scheint. Ein
kurzer Chiton mit weitem Aermelausschnitt deckt kaum den
Leib und lässt die sehr langen, schlankgeformten Beine un-
verhüllt.
Was soll diese Idealgestalt unter den Kriegern und Henkern
der Darstellung? Auf der andern Seite nimmt die gleiche Stelle
DAS MARTYRIUM DES H. LAURENTIUS Iöl
am Rande der Mauer der Engel ein, welcher zur Tröstung des
Heiligen herzuschwebt: wie er uns gewissermafsen in die Scene
hineinführt, so geleitet diese Jünglingsiigur mit dem Linienflusse
ihrer Bewegung das Auge des Beschauers wieder hinaus; allein
mit der Darstellung selbst hat sie im Gegensatz zu jenem Engel
nichts zu schaffen. Sie ist vielmehr — und darin beruht das
Frappante der Erscheinung — offenbar rein um ihres Motivs
willen hineingesetzt, und spricht somit eine Absicht aus, welche
so unverhüllt in keiner anderen Figur der Kanzelreliefs zu Tage
tritt. Selbst jene stattlichen Landsknechtfiguren, welche am
Tron des Pilatus Wache halten, oder neben Kreuzigung und
Beweinung vor den Eckpilastern stehen, sollen noch etwas für
die Darstellung selbst bedeuten, sind nicht so ausschliefslich
nur ihres körperlichen Eindrucks wegen da. Diese Jünglings-
figur aber bringt in ihrer sich dehnenden und streckenden Be-
wegung ein Wechselspiel der Körperhälften und Gliedmafsen
zum Ausdruck, wie wir es sonst erst in den Werken eines
Bildners zu finden gewöhnt sind, der zu grofs scheint, um hier
in Frage zu kommen. Aber war Michelangelo nicht Bertoldos
Schüler und erinnert die Art, wie der Gegensatz zwischen
tragender und getragener Körperseite, der Kontrapost der ein-
ander entsprechenden Glieder in einem an sich bedeutungslosen,
künstlich erdachten Gesamtmotiv der Bewegung durchgeführt
ist, nicht in der Tat bereits an seine Jugendwerke? — ja, bietet
die unvollendete Marmorstatue eines Apoll oder David im
florentiner Nationalmuseum nicht im Grunde genommen das
gleiche Bewegungsmotiv, wie es, nur flächenhafter auseinander
gelegt und flüchtiger durchgeführt, uns bereits in der Relief-
figur vor Augen tritt?1)
So erscheint diese Gestalt — an wenig bedeutungsvoller
Stelle zwar, aber darum doch nicht zu übersehen — in einer
vom herbsten Realismus des Quattrocento beherrschten Dar-
stellung wie der Vorbote eines neuen idealen Stils; aus dem
z) Man muss die Statue in der scharfen Seitenansicht betrachten, wie sie etwa
auf der Phot. Alinaris (n. 200) erscheint. Die linke Hand greift vor der Brust vor-
bei nach der rechten Schulter, und dadurch wird die Rückwärtsbeugung des Rumpfes
veranlasst; in der Relieffigur geschieht dieselbe Bewegung über den Nacken hinüber;
daher die Vorwärtsbeugung.
182 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Gefüge eines Werkes, das in allen seinen Teilen eine Ueber-
fülle schärfster psychologischer Charakteristik bietet, tritt sie
hervor wie ein erster schwacher Protest eines wiederaufleben-
den Schönheitsgefühls, eines Verlangens nach Linien und Formen,
die nur um ihrer selbst willen geschaffen und genossen werden
wollen. — Ist diese Auffassung richtig, so dürfen wir hierin
wol schon einen wichtigen Ansatzpunkt für die Charakteristik
Bertoldos sehen, welcher sich den ihm sicher zugehörigen Ar-
beiten gegenüber noch zu bewähren haben wird. Aber auch
für die Entstehungsgeschichte unserer Kanzeln erhalten wir
daraus unmittelbar neue Belehrung. Denn unzweifelhaft aus
dem gleichen Streben, dem gleichen Schönheitsempfinden her-
vorgegangen ist ein wichtiges Element ihrer Gesamterscheinung,
das uns allein nun noch zu betrachten übrig bleibt. Ich meine
die Friese mit Puttenscenen, welche sich an beiden Werken
oberhalb der historischen Reliefs entlang ziehen.
Ueber die allgemeine Anordnung dieser Friese und die
sich ergebenden Verschiedenheiten ist bereits oben kurz ge-
sprochen worden'). Danach darf als sicher betrachtet werden,
dass die ursprüngliche Redaktion der an beiden Kanzeln sich
wiederholenden Darstellungen diejenige von L ist. welche für
ihre Verwendung an R nur einige Erweiterungen erfuhr; von
der Vorderseite von L also haben wir auszugehen2). Hier
bildet die vorspringende Leiste, welche den ringsumlaufenden
Bandstreifen abschliesst. ein schmales Gesims, auf welchem
die gewissermafsen struktiven Teile des Frieses ruhen: das
bärtige Kentaurenpaar in der Mitte, welches auf einem zwischen
ihnen aufwachsenden Baumstrunk das runde Schild mit der
Inschrift aufgesetzt hält, und in der Rechten je ein Pedum
schwingt; die Rossebändiger an den Ecken, endlich die
Amphorenpaare, welche dazwischen wieder in die Mitte gesetzt
sind. An deutlich sichtbaren Haken ist hinter jeder Figuren-
gruppe eine in zwei Enden herabfallende Guirlande aufgehängt:
i ) S. 27. S. 29 ff. S. 38 »•
2) Vgl. den Lichtdruck S. 58 und die folgenden Zinkätzungen, welche den
Fries von R in drei Teile zerlegt wiedergeben — Wickhoff (Die Antike im Bildungs-
gange Michelangelos. Mitth. d. Jnst. f. östr. Geschichtsforschung III. p. 417 ff.) hat
den Puttenfries einer Besprechung unterzogen. Seine Erklärungen der dargestellten
Scenen sind meist unzutreffend.
DIE PUTTENFRIESE I 83
die ganze Anordnung- also ist realistisch gedacht und so durch-
geführt, als wenn auch hier eine solche Gallerie entlang liefe,
wie sie unten den gröfseren Figuren Raum zur Bewegung ge-
währt. Dazwischen sind nun aber ohne Benutzung jener ge-
meinsamen Standleiste und in weit kleineren Proportionen vier
Puttenscenen eingelassen , wie Siegelabdrücke geschnittener
Steine oder wie Kameen in die Fassung eines Schmuckstückes.
Dass dieser Vergleich zutrifft, ergiebt sofort die nähere Be-
trachtung; denn es sind diese kleinen Bildchen in der Tat vor-
nehmlich Motiven der antiken Kleinkunst nachgebildet, mag
sich auch nicht immer gerade auf Gemmen die benutzte Vor-
lage nachweisen lassen. Für die Rossebändiger und Kentauren
braucht diese Anregung durch die Antike nicht erst ausdrück-
lich hervorgehoben zu werden, die Analogien drängen sich auf1).
Von den kleinen Puttenscenen scheint namentlich die letzte
rechts: Aufrichtung einer Bacchusherme, ein häufig
variierter Vorwurf des antiken Kunstgewerbes gewesen zu
sein2). Für ihr Gegenstück auf der andern Seite: Flofsfahrt
1) Man braucht gar Licht unmittelbar an die Kolossalgruppen vor dem
Quirinal zu denken; nicht überall, wo die Motive dies.s zu allen Zeiten populären
Werkes der Antike benutzt sind, ist daraus eine Bekanntschaft mit dem Original oder
gar ein Aufenthalt des betreffenden Künstlers in Rom abzuleiten, wie z. B. von H. Glimm
bezüglich Raphaels geschehen ist (Jahrb. d. pr. Kunsts. III 267 f.). Die Gruppen
waren sicher auch im XV. Jahrh. durch Zeichnungen z. B. von Vittore Pisano in der
Ambrosiana und später durch Stiche weit verbreitet und fanden sich auch in Werken der
antiken Kleinkunst, auf Sarkophagen u. s. w. wiederholt. Woher hätte Mantegna sonst
bereits in seiner Madonna in S. Zeno für das eine Pfeilcrmedaillon das Motiv entnehmen
können? — Was insbesondere die Rossebändiger an unsern Kanzeln anbetrifft, so
stimmt keine der acht Gruppen mit den Quirinalischen auch in ihrer alten Aufstellung
(Stiche von Lafreril546 und 1550) so genau überein, dass sie als eine directe Nachbildung
bezeichnet werden könnte. — Dass Kentauren (Seekentauren, Satyrn, Viktorien) in
der Mitte des Reliefs ein Schild mit oder ohne Inschrift tragen, ist auf antiken
Sarkophagen (Vgl. Gerhard, Ant. Bildw. C, I. Clarac 207, 196. Mon. d. Jnst. VI.
VII. 80, 2). Münzen (Cohen Med. imp. n. 650) etc. ein so häufiges Vorkommniss,
dass sich die Anführung weiterer Beispiele wol erübrigt.
2 ) Auf das Relief einer Thonlampe Bartoli-Bellori, Lucern. vet. sepulchr.
II. 28 Müller- Wieseler D. a. K. II. Tf. XLIX n. 615 hat bereits Wickhoff a. a. O.
p. 417 hingewiesen. Sehr nahe kommen auch die Darstellungen, wo Eroten die.
Keule des Herakles aufrichten; zusammengestellt im Anzeiger des Archäol. Jahrb.
IV 167. Aehnliches findet sich auf dem Wiener Kameo Müller- Wieseler Tf. LXIX
184
DONATELLOS KANZELN IN S. LSRENZO
weintrinkender Eroten lassen sich nur entferntere Analogien
beibringen ') und auch für das dritte Bildchen zweier unter
einem Palmbaume gelagerter Eroten, denen andere mit Frucht-
schalen nahen, während zwei Paare in traulicher Umschlingung
zu ihren Seiten stehen, muss eher auf ähnliche Motive der
Sarkophag-Dekoration verwiesen werden2). Inhaltlich bietet
die vierte kleine Darstellung das meiste Interesse; wir
möchten sie Dornauszieher betiteln. Denn so dürfte wol
am ehesten die Beschäftigung des kleinen Putto zu erklären
sein, welcher sich eifrig zu dem erhobenen Fufs eines andern
jn der Mitte auf erhöhter Basis stehenden Flügelknaben (mit
Flofsfahit weintrinkender Eroten
einem Füllhorn im Arm) herabbeugt, während wieder andere
den Stehenden halten und stützen oder erschreckt davonlaufen
n. 377. Durch dieselbe antike Vorlage ist endlich auch die Darstellung in der Um-
rahmung eines Holzschnitts der Mailänder Schule (Wunder der h. Martha) angeregt,
wo Engel den Marterpfahl Christi aufrichten. Lippmann, Wood-engraving in Italy
p. 163.
1 ) Meist fährt Eros allein zu Schiff oder mit aufgespanntem Segel auf einem
Floss, das auch ein "Weinkrug sein kann. Vgl. Tassie-Raspe, A Catalogue of gems etc.
n. 6838. Museum Florentinum I 77 n. 1—4. Ein ähnlicher Stein muss sich nach
dem Inventar von 1492 im Besitz der Medici befunden haben vgl. Müntz, Les collections
des Mädicis p. 71: Una verghetta d'oro, entrovi legato uno chammeo in che e inta-
gliato di rilievo uno bambino che siede in s'uno panno in aqua. Auf einer neu er-
worbenen Plakette des Berliner Museums fährt Amor auf seinem Köcher über Wasser,
den Bogen als Ruder benutzend; ein flatternder Schleier an einem Pfeil dient ihm
als Segel.
2 ) An den niedrigen Seitenflächen der Sarkophagdeckel sind einander gegen-
über gelagerte Nymphen und Eroten, denen andere Fruchtkörbe u. dergl reichen,
nicht selten angebracht. Beispiele u. A. im Museum des Lateran n. 762 und n. 861 ;
im Mus. Pio-Clement. Gall. dei Candelabri n. 173 Cortile del Belved. n. 39. Aehn-
liches bei Tassie-Raspe n. 4464 Müller- Wieseler II, XLIII 516, XXVI, 426. Vgl.
auch Müntz a. a. O. p. 67: Uno chammeo . . . chon righure ad jacere et a 2
bambinj li mettono in mezo et 2 n'a da piedj che s'abbracciono etc. Vgl. ebenda
DIE PUTTENFRIESE
185
und sich einem Dabeistehenden weinend an den Hals werfen1).
Eine Nachahmung antiker Darstellungen ist auch hier unzweifel-
haft und die Wiederkehr der Hauptmotive aus dieser kleinen
Scene in einem zweiten florentiner Werk aus den achtziger
Jahren des Jahrhunderts erklärt sich daher wol eher aus der
gleichen Anlehnung an bekannte Vorbilder, als aus einer Be-
nutzung unseres Kanzelfrieses2).
Bilder heiterer Lebensfreude also und eines naiv harmlosen
Kindertreibens sind es, welche uns hier als begleitender Schmuck
der Passionsdarstellungen Donatellos begegnen. Nach einem
inneren Zusammenhange zwischen den einzelnen Scenen oder
Aufrichtung einer Bacchusherme
gar einer symbolischen Beziehung auf die darunter befindlichen
Reliefs wird man vergeblich suchen. Wie unter Donatellos
p. 71. — ■ Wickhoff p. 417 sieht in dem Relief an unserer Kanzel: „Schwebende
Eroten mit den Straussenfedern der Medici!" Auch die Erinnerung an Eros und
Psyche für die sich Umarmenden ist nicht am Platze, denn sie sind beide männlich;
jede erotische Beziehung ist überhaupt vermieden.
1 ) Wickhoff erklärt: „Bacchus wird das Gehen gelehrt," wobei die Erhöhung,
auf welcher der Knabs .steht, ebenso unverständlich bleibt, wie das aufgeregte Ge-
bahren der Enteilenden. Letzteres scheint mir aber als Aeusserung des Schmerzes
auch bei einem so geringfügigen Leiden des Gefährten dem parodistischen Charakter
solcher Kinderdarstellungen in der antiken Kunst durchaus zu entsprechen. Aehn-
lich unklar bleibt die Handlung auf dem nahe verwandten Sarkophagrelief mit der
Geburt und Erziehung des Bacchus im Capitolinischen Museum: B. auf einem Fels-
stück stehend, fasst mit der R. einen Baum und stützt die L. auf den Kopf eines
vor ihm knieenden Satj-rs, der mit seinem Fuss irgendwie beschäftigt ist. Die
Nebenfiguren deuten wol darauf hin, dass es sich um das Pflanzen jenes Baumes
handelt. — Das Motiv des Dornausziehens ist bekanntlich überaus häufig in der
antiken Genreplastik. Ausser der Gruppe des Mus. Pio-Clementino (Gall. dei Cande-
labri 74) vgl. Tassie-Raspe n. 4778 — 4780. 4785. 6937. n- 47§9 zeigt> dass auch
einem Stehenden der Dorn aus dem Fusse gezogen werden kann.
2) In der Marmorumrahmung der Grabnische des Franc. Sassetti in seiner
gegen 1485 von Giuliano da Sangallo errichteten Kapelle in S. Trinitä. sind auf der
i86
DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Leitung bereits in den Medaillons im Hofe
des Palazzo Medici und an den Lesetischen
der Evangelisten in der Sakristeikuppel1)
auserlesene Werke der antiken Kleinkunst,
insbesondere der Glyptik, wie sie seit Paul IL
aufs eifrigste gesammelt wurden und einen
Hauptbestandteil auch der mediceischen
Sammlungen ausmachten 2 ), mit geringen Ab-
weichungen nachgebildet worden waren, so
geschah es auch mit diesen anmutigen Eroten-
scenen. Nicht um ihres Inhalts willen, ja
meist wol ohne Verständnis für ihre eigent-
liche Bedeutung, wurden sie — • vielleicht
auf Wunsch der Auftraggeber selbst — in
Gemeinschaft mit anderen beliebten Motiven
der Antike zum Schmuck der neuen
Schöpfungen des Erzgusses verwendet. Ein
Verdienst der Erfindung also darf ihr Ur-
heber nur zum geringsten Teil beanspruchen,
wol aber das ihrer formalen Durcharbeitung
und B.edaktion — wie sie denn auch ledig-
lich aus der Freude an der Formenschönheit
ihrer antiken Vorbilder hervorgegangen sind.
Nicht ohne Feinheit ist jede dieser kleinen
Scenen, durch eine ohne Pedanterie zwar,
aber doch mit erkennbarer Absichtlichkeit
durchgeführte symmetrische Anordnung zu
einem abgeschlossenen Bildchen gestaltet,
linken Hälfte des unteren graden Friesstreifens der auf einer
Basis stehende Putto mit den beiden zu seiner Seite knieen-
den, in Vorderansicht zweimal wiederholt, sowie die Gruppe
des ein;m stehenden Putto sich an den Hals Werfenden
zusammen mit Kentauren, einem Dreifuss u. A. als Träger
einer Guirlande verwendet; die Figuren tragen Schleudern
in der Hand — offenbar eine ganz willkürliche, rein formale
Verquickung antiker Motive. (Phot. Alinari 6173, Brogi
8442)
1) S. oben S. 80.
2) Miintz Les precurseurs de la Renaissance p. 104. ff.
Ders. Les collections des Medicis. Paris 1888.
DIE PUTTENFRIESE 187
dessen Mittelpunkt hier die Bacchusherme und der verwundete
Knabe, dort der Palmbaum und der Weinkrug bilden. So fügen
sie sich mit der konzentrischen Gliederung des Frieses zu einem
wolüberlegten Ganzen harmonisch zusammen1).
Von den Puttenfriesen der Neben- und Rückseiten gilt
im Wesentlichen das gleiche Urteil. Sie sind aber bedeutend
einfacher gestaltet, da es im Grunde genommen nur eine einzige
Scene ist, welche auf ihnen immer wiederkehrt: die auf antiken
Kleinbildwerken und Sarkophagen so häufige Weinlese durch
Eroten, welche auch in anderen Arbeiten der Renaissance
nachgebildet worden ist2). Hier sehen wir sie im Wesent-
lichen so gestaltet, dass einem in der Mitte stehenden umfang-
reichen Bottich, welcher mit Trauben bereits hoch angefüllt ist,
von links her — unter Begleitung von Flötenspielern — die
Träger nahen, ihre Last hineinzuschütten, während ein wein-
seliger Erot an den Bottich angelehnt sitzt, Andere von rechts
her sich über den Traubensegen neigen oder davon gemessen;
den Abschluss rechts bildet immer ein Paar, das mit Flöten
hantiert oder sich stürmisch umarmt oder gemeinsam eine Last
von Trauben auf den Armen trägt.
Auch hier haben wir also eine Scene mit deutlich hervor-
gehobenem Mittelpunkt; diese wiederholt sich auf den Neben-
seiten je zweimal, durch ein Amphorenpaar in der Mitte ge-
schieden 3). Interessant aber ist es, zu sehen, wie innerhalb
J) Der Vergleich des Frieses an R, wo in den beiden Eckscenen die Füll-
figuren hinzugekommen sind, ist für die Erkenntnis dieses Gleichmafses der Kompo-
sition besonders lehrreich. In der „Flossfahrt" ist links der eckenschlagende Putto
aus der Hermenaufrichtung hinzugesetzt, und zwar steht er nicht einmal mehr auf
dem Flosse, sondern mitten in dem durch lange Wellenlinien angedeuteten Wasser.
In der „Hennenaufrichtung" füllt den überschüssigen Raum rechts die Gruppe zweier
mit einer Flöte beschäftigter Eroten, welche, wie sich bald zeigen wird, aus den
Nebenseiten entnommen ist.
2) Namentlich auf einen Sarkophag im Camposanto zu Pisa (Dütschke n. 33
Photogr. Alinari n. 10075) und den Kupferstich in der Albertina Passav. V. p. 20
n. 32 Abgeb. Müntz, Hist. de l'art pendant la renaiss. H p. m sei hingewiesen,
sowie auf die Plakette im Bargello (Alinari 14550, fehlt bei Molinier).
3) In die Amphorenpaare ist an den Schmalseiten immer noch ein kleineres,
flaschenförmiges Gefäss hineingesetzt. Die rechte Scene ist immer von der linken etwas
verschieden. Den Friesstücken an R sind natürlich wieder je I oder 2 Figuren hin-
zugesetzt, um den durch Wegfall der Rossebändiger entstehenden grösseren Raum
auszufüllen.
I 88 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
der allgemeinen Uebereinstimmung sich deutlich wieder zwei
Typenreihen unterscheiden, welche so verteilt sind, dass die
ihrer Lage nach einander entsprechenden Seiten der Kanzeln
die selben Reihen aufweisen. So entsprechen sich die beiden
westlichen Schmalseiten (L i und R 4 : Typus A) und die beiden
östlichen L 3 und R 2 : Typus B). Ueber dem Relief mit den
Marien am Grabe haben wir die ursprüngliche Form des
Typus A zu suchen, über jenem der Ausgiessung des heiligen
Geistes die des Typus B1). Die Vergleichung zeigt sofort,
dass hier abgesehen von der veränderten Komposition auch
in der Ausführung sich eine abweichende Manier geltend macht;
einige Eroten sind bekleidet, während sie sonst durchweg nackt
erscheinen, und zwar tragen sie hier ein faltiges, ärmelloses
Röckchen, das den Unterleib frei lässt und mit einem Gürtel
oder einer breiten Schärpe umwickelt ist. Es ist gewiss kein
Zufall, dass diese Figürchen zugleich neue Einzeltypen vor-
stellen, die in der ersten Serie noch nicht verwendet waren;
sie unterscheiden sich von jener zugleich durch untersetztere
Proportionen und eine gewisse Schwerfälligkeit in Formen und
Bewegungen. Wir erkennen daher leicht in ihnen die Weise
Bellanos, dessen Jesuskinder auf dem Berliner Relief und
dem Grabmal in S. Francesco das selbe Röckchen mit Schärpe
tragen; auch der Puttenreigen, welcher sich an dem Fufsschemel
') Typus A, linke Scene: Flötenspieler, Korbträger, Trunkener n. 1. an den Bottich
gelehnt. Trinkender n. r. (diese letzten beiden Figuren benutzen die untere Leiste
als Stützpunkt vgl. oben S. 30.) Dann ein Eros, auf e. umgestürzten Korbe stehend,
über den Bottich geneigt, Paar mit Flöte. Rechte Scene: Flötenspieler, Korbträger,
am Bottich (der von zierlicherer Form und mit Längsstreifen geschmückt) ein darüber
geneigter; n. r. am Boden sitzend ein Eros auf einen mit Trauben gefüllten Korb
gestützt, dahinter ein Trinkender, ein kleiner und ein grosser Erot sich umarmend.
Die Füllfiguren an R 4 sind: 1. Wiederholung des Flötenbläsers und Korbträgers,
r. das Paar mit Flöte.
Typus B, linke Scene: Nackter Eros mit Füllhorn, bekleideter mit Gefäss neben
sich, am Bottich stehend. Nackter Eros n. r. am Bottich sitzend mit Traube im
Arm, hinter ihm ein nackter über letzteren geneigt; zwei Bekleidete mit Trauben.
Rechte Scene : Korbträger, dem ein anderer hilft, zwei andere an und hinter dem
Bottich, diese sämtlich nackt. R. ein Bekleideter am Bottich stehend, ein nackter
Eros, der die zärtliche Umarmung eines Bekleideten ziemlich abweisend über sich er-
gehen lässt. — Die Füllfiguren an R 2 sind: 1. Flötenbläser (?), r. Wiederholung des
Paars mit den Trauben.
DIE PUTTENFRIESE 189
der Madonna auf dem letzteren Relief hinzieht, zeigt in der
Art der Bekleidung und in gewissen Typen eine nahe Ver-
wandtschaft. Andererseits stimmen die Rossebändiger an L 3
in der Behandlung des Haars und des zweispitzigen Bartes genau
mit den Apostel- und Kriegerfiguren Bellanos überein — der
hiernach also unzweifelhaft die Modelle für diese Friesstücke
lieferte, indem er in einem schon vorhandenen Typus einzelne
Figuren nach seiner Weise umgestaltete.
Die Puttenfriese an den Rückseiten beider Kanzeln sind
offenbar die flüchtige Arbeit eines untergeordneten Gehilfen,
der, so gut es gieng, aus den vorhandenen Motiven die nötige
Füllung für die kurzen Friesstücke, die hier zu dekorieren waren,
zusammenflickte. Ueber dem Laurentiusrelief (L 4) ist zwischen
die sehr plump geratenen und in den Verhältnissen ver-
schrobenen Rossebändiger eine Variante des Typus A gesetzt,
aber mit Aufnahme jener bekleideten Figürchen aus B; in
dem Friesstück über der Oelbergscene aber (R 1) sind wieder
zwei Scenen zusammengedrängt, die linke eine "Wiederholung
der eben bezeichneten Variante1], die rechte ihrerseits aus
Typus B abgeleitet — beide aber in einer ganz auffallenden
Manier der Formenbehandlung, welche sie, wie später noch zu
erörtern sein wird, der Schule Bertoldos zuweist.
So spiegeln sich zwar in der Ausführung auch dieser
dekorativen Zutaten für den aufmerksamen Betrachter die
Arbeitsgewohnheiten mindestens zweier verschiedener Künstler
ab; es fragt sich aber, wem die Idee des ganzen antikisierenden
Schmuckwerkes gehört und die Anordnung seiner Teile haupt-
sächlich an der Vorderseite von L, welche die Grundlage aller
weiteren Figurationen bildet. Nur zwischen Donatello und
Bertoldo kann die Wage schwanken — und da erscheint es
denn angesichts jener bereits oben hervorgehobenen Einheit-
lichkeit des Aufbaus nicht zweifelhaft, wie die Entscheidung zu
treffen sei2). Als Donatello diese Kanzel — die allein wol
noch als vollendetes Werk vor seinem inneren Auge stand —
ihrer allgemeinen Disposition nach entwarf, muss er die An-
1) Nur ist der vor dem Bottich sitzende Putto wegciseliert und durch das ein-
geflickte Endstück links die letzte Figur weggefallen.
2) Vgl. oben S. 29. S. 54.
igo DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Ordnung dieses Zierfrieses freilich schon mit in Betracht gezogen
haben. Die Betonung der Mitte und der Ecken ergab sich
von selbst — die speziellere Wahl der Motive hiefür und für
die füllenden Zwischenscenen konnte er dagegen sehr wol
seinem Mitarbeiter und Schüler überlassen, welchem dann auch
die Ausführung anheimfiel. In diesem Sinne lässt sich die
Streitfrage nach dem Urheber des Frieses bereits jetzt ent-
scheiden1), ihre endgiltige Lösung wird sie im Zusammenhang
der umfassenderen Betrachtung erwarten dürfen, welche wir
Bertoldo und dem Charakter seiner Kunst noch schuldig sind.
•) Entgegen Wickhoffs (a. a. O. p. 418) und Schmarsows (Donatello p. 48)
Annahme, dass der Puttenfries von Bertoldo herrühre, hat Tschudi (Don. e la crit.
mod. p. 28) ihn nach Idee und Ausführung dem Donatello zugesprochen.
Reiterkampf von Bertoldo. Florenz, Museo nazionale.
X
Bertoldo di Giovanni
Am 30. Dezember 1491 schrieb Ser Bartolommeo Dei an
seinen Oheim Benedetto Dei, welchem die Mitteilung
vielleicht zur Aufnahme in seine Chronik der gleichzeitigen
florentiner Ereignisse bestimmt war, Folgendes: „Bertoldo, der
höchst schätzenswerte Bildner und vortreffliche Medaillen-
künstler, der mit dem erhabenen Lorenzo stets in ehrenvollen
Beziehungen stand, ist vor zwei Tagen in Poggio gestorben.
Das ist ein schwerer Verlust und er ist viel beklagt worden;
denn es gab keinen anderen in Toskana, ja vielleicht in ganz
Italien, von so ausgezeichneter Begabung und Kunstfertigkeit
auf diesem Gebiete1)." Diese Nachricht von dem Tode des
Mannes spricht zugleich mit einer so warmen Anerkennung
über ihn, wie sie Bertoldo sonst von keinem anderen literari-
schen Zeugen alter und neuer Zeit gespendet wird. Denn die
beiden Grofsen, welche am Anfang und Ende seiner Laufbahn
stehen, Donatello und Michelangelo, überschatten mit ihrem
Ruhm das Andenken des Künstlers, so dass ihn als selbst-
ständige Persönlichkeit zu betrachten nicht leicht Jemandem
!) Brief im florent. Staatsarchiv, angeführt bei Milanesi e Pini, La scrittura
di artisti ital. zu n. 60.
192 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO -
einfällt. Auch Vasari nennt ihn nur beiläufig; das Wenige,
das uns durch ihn und andere zufällige Erwähnungen bekannt
wird, ist gelegentlich zusammengestellt worden1.) Es lässt
sich dahin zusammenfassen, dass Bertoldo unter den Schülern
Donatellos an erster Stelle genannt zu werden pflegt, von ihm
unter anderem auch die traditionelle Intimität mit dem Hause
der Medici erbte und in seinem Alter (ca. 1488) von Lorenzo
Magnifico zum Aufseher über die im Garten bei S. Marco
bewahrte Sammlung von Antiken und Handzeichnungen er-
nannt wurde, nach Vasaris Meinung zugleich in der Absicht,
das Haupt einer Art von Zeichenschule oder Akademie zu
bilden, welche sich aus den dort studierenden jungen Malern
und Bildhauern zusammensetzte2). Da er damals — wiederum
nach dem Bericht Vasaris — schon so alt war, dass er nicht
mehr selbst zu arbeiten vermochte, so wird seine Geburt wol
mit Recht um das Jahr 1420 angesetzt. Feste Daten von
grösserem Belang sind aus seinem Leben sonst nicht über-
liefert. Wir haben einen Brief von Bertoldos Hand, den er
am 29. Juli 1479 während des Einfalls der päpstlichen Truppen
in Toskana von Castro S. Antonio aus an Lorenzo Medici
richtete 3); inhaltlich ohne weitere Bedeutung lässt er durch
seinen intimen, launigen Ton doch erkennen, in wie nahen
persönlichen Beziehungen der Schreiber zu Lorenzo stand*).
1 ) Tschudi s. v. Bertoldo di Giovanni in Meyers Allg. Künstler-Lexikon III,
pag. 720. Frimmel im Jahrb. d. Kunstsammlungen des ah. Kaiserhauses, Bd. V.
pag. 90 f. Ueber Bertoldo vergl. auch Perkins, Handbook of italian sculpture
pag. II,"7. Wickhoff, die Antike im Bildungsgange Michelangelos. Mitth. d. Inst,
f. österr. Geschichtsforschung III., pag. 413 ff. Springer, Raffael u. Michelangelo I.,
Pag- 3°3- Tschudi, Donatello e la critica moderna, pag. 28 f.
2) Vasari ed. Milanesi VII., pag. 141 f, IV., pag. 257. Vasari hebt die Lehr-
tätigkeit Beitoldos im Garlen bei S. Marco geflissentlich hervor und nennt Michel-
angelo, Bugiardini, Granacci, Torrigiani als solche, die er hier auf Grund jener
Sammlung von Vorbildern aus älterer Zeit unterwiesen habe.
3) Abgedruckt bei Gualandi, Nuova raccolta di lettere etc. I, pag. 14; zum
Teil facsimiliert bei Milanesi e Pini a. a. O. n. 60; übersetzt in Guhls Künstler-
briefen, 2. Aufl. von Rosenberg, pag. 20.
4) Die Herausgeber haben zur Erklärung des allerdings ziemlich krausen
Briefes nichts Erhebliches beizubringen gewusst. Doch ist jedenfalls so viel sicher,
dass der darin mehrfach erwähnte Graf Girolamo, welchen Bertoldo schließlich samt
dem Papste und einem gewissen Luca Calvanese, Commandanten von Prato, welcher
BERTOLDO DI GIOVANNI
193
Ja, es scheint beinahe, als ob der Bildhauer ein ständiges Mit-
glied des Mediceischen Haushalts gewesen sei, vielleicht schon
damals eine Art Verwalterposten bei dem reichen und mächtigen
Gönner bekleidet habe. Denn in dem Verzeichnis der Personen,
welche Lorenzo 1485 ins Bad nach Morba mitnahm, wird auch
„Bertoldo il scultore" und zwar nicht gerade an erster Stelle
aufgeführt 1 ), und in dem Inventar des Kunstnachlasses Lorenzos
wird ein Zimmer als „camera di Bertoldo ovvero de' camerieria
bezeichnet2).
Im Auftrage der Medici hat denn auch Bertoldo augen-
scheinlich die Mehrzahl seiner bekannten Arbeiten ausgeführt,
von deren einigen sich noch nachweisen lässt, dass sie einst
zu den Kunstsammlungen des Hauses gehörten. Von einer
Beschäftigung ausserhalb Florenz ist die ohne Beleg gegebene
Notiz bei Gonzati^), dass zwei von den Bronzereliefs an den
Chorwänden des Santo zu Padua, nämlich der Untergang
Pharaos und das Jonasrelief, durch einen Vertrag vom 2 1. Oktober
1483 ursprünglich dem Bertoldo übertragen gewesen seien, die
sich augenscheinlich von ihm zu Verrätereien hatte anstiften lassen, ins Pfefferland
wünscht, niemand anderes sein kann, als Girolamo Riario, der bekannte Nepot
Sixtus IV., Hauptanstifter der Pazziverschwörung und gefährlichster Gegner Lorenzos
de' Medici. Dass er gerade im Sommer 1479 neue Ränke gegen diesen angesponnen,
ist auch anderweitig bezeugt. S. Fabroni Vita Laurentii de Medicis , pag. 199
Namentlich werden ihm die Verschwörungen eines gewissen Battista Frescobaldi,
der Lorenzo im Carmine töten wollte, sowie eines Baldimotti aus Pistoja, der ihn
in Poggio a Cajano zu ermorden beabsichtigte, auf Rechnung gesetzt. S. Capponi
Storia della rep. di Firenze II., pag. 407. Die Witzeleien Bertoldos über seine eigene
bewährte Kochkunst sind wol nicht allzu ernsthaft zu nehmen. Auch ob aus dem
Anfang des Briefes wirklich eine Beschäftigung des Künstlers mit Architektur und
Perspektive zu entnehmen sei (Frimmel a. a. O.) mag dahingestellt bleiben.
1 ) Reumont, Lorenzo de' Medici, H., pag. 468.
2) Milanesi in seiner Ausg. des Manetti, pag. 86, Anm. I.
3) A. a. O., I., pag. XC, Anm. 1. Diese Notiz giebt auch, meines "Wissens
allein, den Namen des Vaters: Giovanni. Da sie sich zweifellos auf eine Urkunde
im Archiv des Santo stützt, so ist die Annahme dieses Namens unbedenklich. Ob
auch die weitere Bemerkung (s. oben S. 160 Anm. 2) einen derartigen Rückhalt
habe, lässt sich nicht entscheiden. Gleichfalls ohne Beleg bleibt Milanesis Notiz zu
Vasari, dass Bertoldo im Jahre 1485 zwei Putten aus Holz für die Orgelbühne des
florentiner Doms in Auftrag erhalten habe.
Italienische Forschungen II. - 1 3
194- DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
einzige schwache Spur, welche freilich dadurch eine wesentliche
Bestärkung erfährt, dass der Anonimo Morelliano die mit Ber-
toldos Künstlerinschrift versehene Bronzegruppe des Bellero-
phon zu Padua im Hause des Alessandro Cappella sah1).
Diese uns erhaltene Gruppe ist zugleich die einzige Frei-
skulptur, welche wir von Bertoldo kennen2); aber auch sie
überschreitet in ihren Mafsen nicht die Grenzen der Klein-
plastik, innerhalb deren sich die Tätigkeit des Künstlers
beinahe ausschliesslich bewegt zu haben scheint, ebenso wie
er unzweifelhaft auch in erster Linie Bronzeplastiker war.
„Schlachten und andere kleine Werke" führt Vasari als die
Leistungen an, in welchen er sich als Meister bewährt habe
— und rühmt im Uebrigen vor allem Bertoldos praktische Er-
fahrung, als deren Zeugnis ihm seine Teilnahme an den Kanzeln
in S. Lorenzo gilt. So gewinnen wir aus den verschiedenen
Nachrichten übereinstimmend das Bild eines Bronzekünstlers
von Ruf, der namentlich in kleineren Arbeiten Treffliches
leistete und als Hauptvertreter von Donatellos Schule in Florenz
und durch die Gunst der Medici ein nicht geringes Ansehen
genoss.
An die Spitze der sicher beglaubigten Werke Bertoldos
ist seit Courajods glücklicher Identifikation 3 ), welche durch
die von Frimmel wieder aufgedeckte Inschrift ihre Bestätigung
erhielt, die schon erwähnte Gruppe des Bellerophon mit
dem Pegasus getreten, welche sich heute in den kunsthistori-
schen Sammlungen des österreichischen Kaiserhauses zu Wien
befindet4). Es ist ein wolerhaltenes Werk von ausgeprägtem
1 ) ed. Frimmel, pag. 1 9.
2 ) Wie es mit dem „centauro di Bertoldo" stellt, welchen das Inventar von
1492 aufführt (Müntz a. a. O. p. 86), muss dahingestellt bleiben.
3) Bulletin de la Soci£te Nationale des Antiquaires de France 1883, p. 148 f.
4 ) Alle näheren Angaben über Gröfse, Erhaltung etc. bei Frimmel, Jahrb.
der Sammlungen des ah. Kaiserhauses, V., pag. 30 ff., wo die Gruppe Taf. X in
Heliogravüre publiziert ist. Zu näherem Eingehen bietet die auf der Innenseite der
Plinthe eingegrabene Inschrift: EXPRESSIT ME BERThOLDVS CONFLAVIT
HADRIANVS Anlass, welche zunächst den auch durch einen Brief Guazzalottis vom
II. Sept. 1478 (angeführt bei Friedländer Jahrb. d. pr. Kunsts. IL, pag. 225) nahe-
gelegten Umstand bemerkenswert erscheinen lässt, dass Bertoldo — wie schon sein
grofser Lehrmeister — seine Bronzewerke, trotz ihres geringen Umfanges, nicht
immer selbst goss, während andererseits Vasari gerade seine Bronzegüsse hervor-
BERTOLDO DI GIOVANNI 195
individuellen Charakter, nach mehr als einer Richtung sehr
geeignet, unserer Anschauung von Bertoldos Kunstweise als
Grundlage zu dienen.
Dem mutig in die Luft steigenden Pegasus ist von der
rechten Flanke her Bellerophon beigekommen und presst
ihm mit der Linken das Kinn zusammen, während er in der
anderen Hand drohend eine Keule schwingt. Bis auf einen
schmalen um die linke Achsel geschlungenen Gewandstreifen
ganz nackt, sucht er mit fest auf die Erde gestemmten Füfsen
und zurückgeworfenem Oberkörper des Flügelrosses Herr zu
werden; seine gebogenen Kniee bilden gewissermafsen den
Angelpunkt dieser hemmenden Bewegung. Weit nach hinten
holt er mit der Keule aus, so dass Arme, Brust und Schultern
sich in breiter Vorderansicht dem Beschauer darbieten, während
das stark vorgeschobene rechte Bein die untere Körperhälfte
in entgegengesetzter Drehung verharren lässt. Der Kopf ist
— für die Seitenansicht im scharfen Profil — festen Blickes
auf das Götterpferd gerichtet, das die schön geformten Rücken-
fiügel entfaltend mit beiden Vorderbeinen gleichmäfsig die Luft
tritt und von der Faust seines Bändigers gezwungen den feinen
Kopf zur Seite wendet. So fügen sich Mann und Ross zu
einer wolabgewogenen Gruppe zusammen, in welcher zweierlei
sofort als besonders charakteristisch hervortritt: bezüglich des
Motivs die starke Anlehnung an die Antike, hinsichtlich der
Ausführung die reliefartige Behandlungsweise. Letztere Eigen-
art, auf welche bereits Courajod hingewiesen, wird zunächst
dadurch bedingt, dass die Komposition nur auf die Betrachtung
von einer Seite her berechnet ist, wobei der Leib des Pferdes
dem Oberkörper des Mannes zum Hintergrunde dient. Aber
auch die breite Entfaltung der Brustpartie des Bellerophon,
das starke Zurücknehmen des rechten Armes hängt damit zu-
hebt (VII., pag. 141) und auch Bartolommeo Dei ihn als „di medaglie otümo fabri-
catore" rühmt. CJeber den Giefser Adriano, der sich ausserdem noch an zwei
interessanten Bronzewerken als Verfertiger nennt, s. Bode im Jahrb. d. pr. Kunst-
sammig. V, pag. 60 u. C. v. Fabriczy, Courrier de l'art 1885, pag. 412 f., welcher
ihn mit dem von Milanesi aus einem Dokument von 1499 nachgewiesenen Skulptor
und Giefser Adriano di Giovanni de' Maestri für identisch hält und in der Gruppe
einer Venus mit Cupido im Besitz des M. Sambon in Mailand Stilähnlichkeit mit
dem Wiener Bellerophon erkennen will.
10.6 DOXATELLOS KANZELN IX S. LOREXZO
sammen, ja es fehlt so viel zu einer vollen Ausrundung der
Gruppe, dass der Körper des Mannes sich fast i cm tief in
den Leib des Rosses hineinsenkt — ein deutlicher Beweis,
wie sehr Bertoldo an die Arbeit in Relief gewöhnt war.
Dem Bellerophon sehr nahe verwandt ist denn auch ein
Werk, das auf Grund einer Notiz Vasaris ' ) schon längst dem
Bertoldo zugeschrieben, durch die Wiener Gruppe seine un-
zweifelhafte Bestätigung als Arbeit unseres Meisters erhält:
das Bronzerelief einer Reiterschlacht im Museo nazionale
zu Florenz. Der Gedanke an eine Nachahmung der Antike
drängt sich beim ersten Anblick dieses Bildwerkes auf. Nach
Art antiken Sarkophagschmuckes sehen wir mehrere Figuren-
reihen in fast gleich starkem Hochrelief ohne jede perspekti-
vische Andeutung des Schauplatzes, gewissermafsen räum- und
luftlos übereinander geordnet. Rechts und links aber werden
diese Figurenreihen von Idealgruppen eingeschlossen, wie sie
an dieser Stelle als Eckmotive namentlich auf antiken Schlacht-
sarkophagen häufig erscheinen. Die Darstellung an der Vorder-
seite eines solchen liegt denn auch unzweifelhaft Bertoldos
Bronzerelief zu Grunde; wir verdanken C. Robert den ersten
Hinweis auf das in fast allen Einzelheiten übereinstimmende
Exemplar im Camposanto zu Pisa, welches der Künstler allem
Anschein nach als Vorbild benutzt hat2). Hier wie dort handelt
es sich um den letzten Verzweiflungskampf einer Schaar bar-
barischer Krieger über ihren bereits zu Fall gebrachten Rossen
gegen die von links hoch zu Ross heranstürmenden Sieger 3).
Die einschliessenden Gruppen werden von Victorien gebildet,
welche mit einem Fufse auf der Schulter gekrümmt dasitzender
1 ) Vasari ed. Milanesi IL, pag. 423.
2 ) Vergl. Meyers Künstler-Lexikon, II., pag. 720. Der Pifaner Sarkophag be-
schrieben bei Dütschke, I, n. 60, abgebildet bei Lasinio tav. CXII. CXIII. und
danach in einer kleinen Zinkätzung Revue archeol. 1889, XIII, pag. 325. Dütschkes
Meinung, dass die auffallend starken Beschädigungen des Reliefs der Vorderseite
nur an gewaltsame Zerstörung durch menschliche Hand denken lassen, ist unzweifel-
haft richtig Bertoldo muss den Sarkophag noch intakt gesehen haben, da er ihn
sonst nicht zur Xachahmung hätte anreizen können. Sein Relief giebt also die
Möglichkeit, die zerstörten Teile danach zu rekonstruieren. Meine Angaben im Folgenden
stutzen sich auf eine genaue Vergleichung der Photogr. des Bronzereliefs angesichts
des Sarkophags in Pisa.
3 ) Vergl. die Vignette dieses Kap. nach Phot. Brogi.
BERTOLDO DI GIOVANNI IQ7
Gefangener stehen und in der erhobenen Hand ein breites
Bandeau hinter ihrem Rücken herabwallen lassen1). Neben
den Gefangenen stehen, mit ihren Blicken einander zugewendet,
links eine hohe Frauengestalt, welche die eine Hand auf ihre
Brust legt, rechts ein bärtiger Mann, die Hände über dem
Leib gekreuzt haltend2). Diese beiden Figuren wie die Ge-
fangenen setzen den Fufs auf längliche am Boden liegende
Schilde. Eine befriedigende Deutung der gesamten Darstellung
wird sich trotz dieser bestimmt genug ausgesprochenen Be-
sonderheiten kaum finden lassen — für Bertoldos Relief noch
weniger als für sein antikes Vorbild. In letzterem ist wenigstens
durch das charakteristische Kostüm der Gefangenen und Krieger
angedeutet, dass es sich um eine Barbarenschlacht handelt,
während diese Merkmale bei Bertoldo fehlen. Das Wahrschein-
lichste dürfte sein, dass es ihm überhaupt nicht um die Dar-
stellung eines bestimmten mythologischen oder historischen Vor-
ganges zu tun war 3).
In der Mitte des pisaner Sarkophagreliefs ist ein so um-
fangreiches Stück vollständig herausg-eschlagen und auch der
gröfste Teil der übrigen Figuren ist so stark zerstört, dass dem
Entscheid der Frage, ob Bertoldo nicht blos in der allgemeinen
Erfindung und Disposition seines Reliefs, sondern auch in den
einzelnen Figuren und Motiven von seinem Vorbilde abhängig
geblieben, sich die gröfsten Schwierigkeiten entgegenstellen.
Jedenfalls verrät sein Werk ein lebhaftes Gefühl für architekto-
nischen Aufbau und symmetrische Abgewogenheit der Kom-
position und erinnert in dieser Beziehung lebhaft an jene unter
ähnlichen Einflüssen entstandenen Reliefs aus Donatellos
mittlerer Periode4). Zu unterst bildet die Reihe der zu Fufs
kämpfenden gewissermafsen die feste Basis. In der Reihe
darüber tritt ein Mittelpunkt die ganze Darstellung beherrschend
hervor: jene prächtige Kriegergestalt mit Adlerflügeln am Helm,
1 ) Dütschke hat dies irrtümlich für Andeutung einer Halle genommen.
2) Die Arme scheinen auch auf dem Sarkophag nicht vorn zusammengebunden,
wie es D. angiebt.
3) Wickhoff (a. a. O., pag. 415), welcher den Pisaner Sarkophag noch nicht
kannte, dachte an die Kämpfe um Ilion und Helena.
4 ) Vergl. oben pag. 72 ff.
198 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
ein Löwenfell um die Hüften, welche samt ihrem Rosse fast
in voller Figur sich heraushebt, da die stark gekrümmte Haltung
der beiden Kämpfer in der Reihe darunter den Blick auf sie
freigiebt. Rechts und links davon füllen dann je ein Reiter
die mittlere, je zwei aufrecht stehende Kämpen die untere
Reihe; darüber aber spannt sich in flach geschwungenem
Bogen die glänzende Kavalkade der obersten Reihe und schliefst
so den lebendigen Kreis von Gestalten, welcher jenen Mittel-
punkt umgiebt. Es scheint fast, als ob diese feinere Abwägung
der zwischen den hochragenden Eckgruppen gleichsam aufge-
hängten Komposition erst von Bertoldo hineingebracht worden
sei, dessen kleine Bronzetafel ja augenscheinlich von vornherein
zu intimerer Betrachtung bestimmt war, als das Relief an der
Vorderseite des Sarkophags1). Aber auch wenn er die wesent-
lichen Züge dort bereits vorgefunden hat, würde das Verständnis,
mit welchem er sie herauszuarbeiten wusste, einen wichtigen
Beitrag zu seiner Charakteristik liefern2).
Dass Bertoldo auch in anderer Beziehung mit Bewusstsein
und in bestimmter Absicht von seiner Vorlage abgewichen ist,
■) Der Sarkophag h. 1,01, br. 2,37; das Bronzerelief h. 0,43, br. 0,99. Ur-
sprünglich befand es sich im Pal. Medici über einem Kamin, wo man sonst Gemälde
anzubringen pflegte. Vergl. das Inventar von 1492 bei Müntz a. a. O., pag. 84.
- ) Die fein geschwungene obere Abschlusslinie der Figurensilhouette tritt auf
dem Sarkophagrelief nicht so fühlbar hervor. Im Einzelnen enthält dieses manche
Figuren, die Bertoldo weggelassen, während er an anderen Stellen einige dazugesetzt
hat. Das Letztere ist in der rechten unteren Ecke der Fall, wo eine komplizierte
Gruppe dreier über einander gestürzter Reiter (mit dem en face sichtbaren Plerde-
kopQ an Stelle einiger augenscheinlich weit einfacher bewegten Figuren getreten ist.
Dagegen sind Reste von Vexillen (ein solches hielt wol die Victoria links, bei
welcher Ansatzspuren eines Stabes über Hüfte und Schenkel hinweg sichtbar sind)
bei B. unbeachtet geblieben ; ein behelmter bärtiger nach rückwärts blickender Reiter
ganz oben links fehlt bei B. Dem prächtigen nackten Kämpfer in der unteren Reihe
links entsprechend sind auf dem Sarkophag nur Ansatzspuren zweier Füfse vorhanden,
die aber weit enger bei einander stehen ; der nach rechts sprengende Reiter über
dieser Figur hatte den Kopf nicht zurückgewandt, sondern wie das Fragment seines
Hinterkopfes beweist, nach vorwärts u. s. w. Interessant ist, dass ein erst im Anfang
dieses Jahrhunderts gefundener Schlachtsarkophag in Villa Borghese in Rom (in der
Vorhalle aufgestellt, n. 18), auf welchen Hr. Prof. Robert mich gütigst aufmerksam
machte, eine ziemlich genau mit dem Pisaner Sarkophag übereinstimmende Dar-
stellung enthält, während die Seitengruppen verschieden sind: hier stehen beiderseits
je ein gefangener Baibar und eine Barbarin vor einem Tropaeum.
BERTOLDO DI GIOVANNI 199
dafür liefert die Vergleichung sofort weitere Beweise. Die Ge-
stalten auf dem Pisaner Sarkophag sind durchweg bekleidet.
Die Gefangenen sowie die Kämpfer der unterliegenden Partei
tragen Hosen, Schuhe, zum Teil auch lange Mäntel und Mützen
und sind dadurch als Barbaren charakterisiert1); die siegreichen
Reiter werden durch ihre Helme, Panzer, kurzen Kriegsmäntel
und Riemenstiefel als Römer bezeichnet. Bertoldo hat diese
ethnographischen Andeutungen, welche er nicht verstand, be-
seitigt und seine Figuren ganz nackt gebildet oder nur mit
Helmen, leichten flatternden Mänteln, Tierfellen u. dergl. aus-
gerüstet. Wie unbefangen er dabei ganz allgemein auf eine
möglichst hüllenlose Darstellung des menschlichen Körpers aus-
gieng, zeigen am deutlichsten die weiblichen Gestalten der Seiten-
gruppen. Diese sind an dem Sarkophag gleichfalls mit langen
faltigen Gewändern bekleidet; die Victoria links z. B„ welche
am besten erhalten ist, mit einem gegürteten Doppelchiton,
welcher um die Hüften wie um die Füfse nach beiden Seiten
breit auseinander flattert, während das linke Bein nackt daraus
hervortritt. Bei der entsprechenden Figur Bertoldos ist die
Anlage des Gewandes die nämliche, aber es fällt von den
Schultern und der linken Brust weiter herab, der Ueberschlag
fehlt und der Stoff schmiegt sich überall so eng an den Körper
an, dass die Formen desselben wie unbekleidet hervortreten.
Diese Umarbeitung des antiken Gewandmotivs, wobei ihm
sicher gewisse Bacchantinnen - und Nymphenfiguren vor-
schwebten, hat Bertoldo aber nicht ohne Unklarheiten und
Misverständnisse durchzuführen vermocht, welche für seine
ganze spätere Gewandbehandlung verhängnisvoll werden sollten.
Ueber dem linken Oberschenkel jener Victoria schiebt sich
der Stoff des seitlich geknüpften Chitons so weit nach der
Mitte hin zusammen, als ob das Bein nackt daraus hervortreten
müsste; trotzdem zieht sich vom rückwärtigen Saum her über
den Unterschenkel wieder eine starke Falte, so dass es nun in
der Tat zweifelhaft bleibt, ob das Bein nackt oder bekleidet
zu denken sei. Aehnliche auf Misverständnis oder Nach-
lässigkeit beruhende Unzuträglichkeiten in der Gewandung
wiederholen sich bei zahlreichen anderen Figuren dieses
1) Nach Reinach (Rev. arch. XIII 326 n. 2) -wären es eher Dacier als Gallier.
200 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Reliefs ' ). Sie weisen darauf hin, dass die Abhängigkeit von
antiken Vorbildern den Künstler zu einer klar durchdachten
Behandlung der Gewänder nicht kommen liefs. Vielleicht
dürfen wir auch den ungünstigen Einfluss des wirren Falten-
geschlinges in Donatellos letzten Arbeiten darin erkennen. —
Dieser unverstandenen Art der Gewandgebung entspricht auch
die Behandlung des Nackten, in welcher Bertoldo so deutlich
sein Hauptverdienst gesucht hat. Die entschiedenen Accente,
welche er hier anschlägt, blenden wol bei oberflächlicher Be-
trachtung und rufen den Anschein einer Virtuosität hervor,
welche an Verrocchio und Pollaiuolo erinnert. Die muskulösen
Leiber der Krieger, die zarten Formen des weiblichen Körpers,
die in allen möglichen Stellungen und Verkürzungen gebildeten
Rosse vereinigen sich zu einem flott bewegten Gesamtbilde.
Aber es bedarf nur eines genaueren Eingehens auf die Einzel-
heiten der Formenbehandlung, um eine konventionelle Mache zu
erkennen, welche schliefslich ermüdend wirken muss. Alle
Formen sind übertrieben dargestellt. Die faltenlos straffge-
spannte Haut legt sich ohne eine deckende und ausgleichende
Fettschicht unmittelbar über Muskeln und Sehnen, welche
polsterartig hervortreten. Die natürlichen anatomischen Ver-
hältnisse sind bei dieser manierierten Betonung bestimmter
Muskelpartieen, wie am Hüftgelenk der Männer, der Brust- und
Halsgegend der Rosse oft arg vernachlälsigt. Beinahe zur
Karrikatur übertrieben erscheinen die Pferdeköpfe, denen
offenbar antike Typen zu Grunde liegen, mit der gedrungenen
Schädelform, der kurzen Wölbung des stark bemähnten Halses,
wie sie etwa am Pferde des Marc Aurel oder auf dem be-
rühmten Schlachtsarkophag von Ammendola erscheinen2). Aber
i ) Die Victoria rechts ist genau ebenso behandelt. An dem Reiter rechts in
der mittleren Reihe erscheinen Schulter und Brust wie unbekleidet, trotzdem deutlich
der Mantel darüber hingeht. Der Reiter zu äusserst links trägt statt des Brust-
harnisches nur den unteren Teil des Panzers mit den Zaddeln, (nie der liegende Krieger
rechts in der Beweinung an Kanzel R). Die Bekleidung der unteren Extremitäten
ist meist auf ein um das Schienbein geschlungenes Tuch mit flatternden Enden zu-
sammengeschrumpft. Der stehende Mann rechts trägt am L Fufs deutlich einen
Schuh, am r. sind trotz des auch hier angegebenen Schuhrandes die einzelnen Zehen
deutlich ausgeprägt.
2) Eine Kopie des Marc Aurel von Filarete gelangte 1465 in den Besitz
Pieros de' Medici. Vgl. hierzu Müntz a. a. O. p. 86. n. 1.
BERTOLDO DI GIOVANNI 2 Ol
die widernatürliche Lage der Nüstern, die Längsspaltung von
Stirn und Oberlippe, die übermäfsige Herausarbeitung des
Superciliarknochens sind Zutaten des Nachahmers, welche ihn
vom Studium der Natur noch weiter entfernt zeigen. Den Weg
des individualisierenden Pferdeporträts, welchen Donatello in
seinem Gattamelata-Standbilde beschritten, sehen wir hier bereits
wieder verlassen zu Gunsten einer schematisierenden Bildungs-
weise, wie sie den meisten späteren Florentinern auf diesem
Gebiete eigen gewesen zu sein scheint1).
"Wie weit für Bertoldos Behandlung des Nackten bei Mensch
und Tier insbesondere das Vorbild des pisaner Sarkophags
mafsgebend gewesen, lässt sich bei dem Zustande des letzteren
nicht mehr entscheiden. Wichtig aber ist, dass die Hauptzüge
derselben auch in der Gruppe des Bellerophon, nur weniger in
die Augen fallend, wiederkehren und so die Kontinuität seines
Stils auf Werke ausdehnen, für welche eine so unmittelbare
Anlehnung an die Antike nicht nachweisbar ist. Wir sehen
auch hier einzelne Teile der Muskulatur mit fast anatomischer
Deutlichkeit und nicht immer der Natur entsprechend ausge-
prägt, Muskeln und Sehnen scharf unterschieden und in einer
bereits konventionell gewordenen Manier bis zum Uebermafs
angespannt. Das Hervortreten des Rippenschlusses als einer
Reihe flacher rundlicher Erhöhungen, die volle Bildung der
Brustwarzen, die polsterartige Hervorwölbung des äufseren
schiefen Bauchmuskels über den Kamm des Hüftbeinknochens,
die Längsfurchung des Unterschenkels durch den Wadenbein-
muskel, die breite Phalanx der Zehen dürfen als besonders
charakteristisch hervorgehoben werden. — Auch im Typus der
Köpfe herrscht entscheidende Uebereinstimmung. Sie zeigen
bei der Statuette wie sämtlichen Figuren des Reliefs, die weib-
lichen nicht ausgenommen, ein im Sinne der römischen Antike
gebildetes Profil mit kurzer gerader Nase, eckigem Kinn und
tiefliegenden Augen unter nachgeschwungenen Brauen; der
tiefe Sitz des Ohrs etwa in der Höhe der Oberlippe, mit flach
J) Vergl. hierüber H. Weizsäcker im Jahrb. d. pr. Kunsts. X. p. 170 f. Es
ist bemerkenswert, dass jene seltsame Betonung des Augenhöhlenknochens sich ebenso
am Pferd des Colleoni findet. Auch für andere von "Weizsäcker hervorgehobene
Züge des Verrocchio'schen Pferdetypus lassen sich in Bertoldos Relief Analogieen
nachweisen.
202 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
nach hinten gezogener fast wagerecht liegender Muschel tritt
als individuelles Merkmal hinzu. ' ) Das Haar ist dicht, aber
kurz und stark geringelt, und bildet so einen deutlichen Gegen-
satz zu der Manier der Haarbehandlung, welche wir als die-
jenige Donatellos und Bellanos bereits kennen gelernt haben.
Werfen wir nun einen Blick auf die Kanzeln von S. Lo-
renzo. Das Thema ,,Der Mann mit seinem Ross", welches
Bertoldo in den bisher besprochenen Werken behandelt, kehrt
ja auch hier an bedeutsamer Stelle wieder. Wir haben ge-
sehen, dass die Eckgruppen der Rossebändiger so entscheiden-
den Einfluss auf die Komposition des dazwischen sich hin-
ziehenden Puttenfrieses ausgeübt, dass sie nur von einem und
demselben Künstler erfunden sein können. Der stilistischen
Vergleichung stellt nun freilich der so sehr verschiedene Mafs-
stab Hindernisse in den Weg, aber ein äusseres Moment kommt
zu der Uebereinstimmung in dem vom Bertoldo offenbar be-
vorzugten Motiv hinzu: auch die Rossebändiger an den Kanzeln
sind mit einer Keule bewaffnet, wie Bellerophon und sämt-
liche Krieger des Reiterkampfes.2) Dies kann nur auf einer
besonderen Gewohnheit des Künstlers beruhen, denn auf dem
pisaner Relief lassen sich, wie auf sämtlichen Schlachtsarko-
phagen, nur Schwert und Lanze als Waffe konstatieren, und
für einen Rossebändiger vollends dürfte die Keule eine sehr
ungewöhnliche Wehr sein. — Auf der Umarbeitung antiker
Vorbilder beruhen wie das Reiterrelief aber auch die Putten-
scenen des Kanzelfrieses und der Sinn für klare Gliederung,
symmetrische Anordnung, welchen wir dort zu bemerken
glaubten, tritt auch hier deutlich zu Tage. Für solche zierliche
1 ) Es ist beachtenswert, dass entscheidende Züge dieses Typus sich bereits in
dem Kopfe des h. Franciscus unter den Altarstatuen des Santo in Padua finden
(Vgl. oben S. 95 Anm.). Auch die Bildung der Hände dieser Statue mit ihren
langen schmalen Fingern zeigt eine auffallende Aehnlichkeit mit denen der beiden
stehenden allegorischen Figuren in dem Reiterkampf. Als der Franciscus entstand,
mag sich Bertoldo als Lehrling in der Werkstatt Donatellos befunden haben; er kann
aber auch die Statue selbst oder ihr Modell, das sich im Besitz Bellanos befand, in
Padua studiert haben, wohin ja die erste Notiz über den Bellerophon gleichfalls
verweist.
2) Die Vergleichung bezieht sich zunächst auf die Vorderseite; die Ausführung
auch der Rossebändiger an den Nebenseiten ist bereits oben S. 189 dem Bellano zu-
gewiesen worden.
BERTOLDO DI GIOVANNI 203
Dekorationsstücke konnte Donatello in der Tat keinen geeig-
neteren Mitarbeiter finden, als seinen Schüler Bertoldo.
So verstehen wir nun auch, wie dieser Künstler gerade auf
dem Gebiete der Kleinkunst, namentlich der Medaillen und
Plaketten, besonderen Ruhm zu gewinnen vermochte. Hier
galt geschickte Verwertung antiker Motive, Eleganz und Zier-
lichkeit der Ausführung den Zeitgenossen wol am höchsten
und in diesen Dingen war Bertoldo Meister. Die mit seinem
Namen bezeichnete Medaille auf Sultan Mahomet II. ist
für ihn charakteristisch1). Sie zeigt auf der Vorderseite das
Profilbildnis des Sultans — eine unselbständige Leistung,
denn sie stimmt in der Wiedergabe der Züge wie in allen
Einzelheiten der Gewandung so genau mit der Medaille und
dem Tafelbilde des Gentile Bellini2) überein, dass sie wol mit
Sicherheit als eine Kopie dieses nach dem Leben geschaffenen
Porträts bezeichnet werden darf. Nur vermag uns Bertoldo
den gewaltigen Kriegshelden und Despoten nicht so glaubhaft
zu machen, wie der venezianische Meister oder wie gar der
unbekannte Medailleur Constantius in seinem grofsartigen
Idealkopfe j). Die Rückseite weist eine allegorische Darstell-
ung nach Art eines römischen Triumphzuges auf. Ein ge-
schmückter Wagen wird von zwei galoppierenden Rossen nach
rechts gezogen; auf einem noch über dem Wagenrand sich er-
hebenden Piedestal steht eine nackte Jünglingsfigur mit flattern-
dem Mantel, Schuhen und Leibgurt.. In der Linken hält sie
eine kleine Figur (Victoria?) empor, mit der Rechten fasst sie
ein Seil, das drei gekrönte nackte Frauen umschlingt, welche
hinter ihr im Wagen stehen und durch die Inschriften Gretie,
Trapesunty, Asie näher bezeichnet werden. Die Rosse vor dem
Wagen führt ein nackter behelmter Mann, welcher ein Tro-
paeum auf der Schulter trägt; um den Leib hat er einen ähn-
lichen Gurt geschlungen, wie der Mann auf dem Wagen, mit
x) Die Literatur zusammengestellt bei Frimmel a. a. O. p. 93. Abgeb. in
Lichtdruck bei Friedländer Jahrb. d. pr. Kunsts. III. Tf. 32 und das bessere Exem-
plar des Cabinet Armand bei Heiss, Les Medailleurs de la Renaissance V. pl.
VIII. 2. —
2) Abgeb. Heiss, a. a. O.Titelbild und pl. IX., 1. Friedländer IL Tf. 17.—
3) Heiss a. a. O. pl. IX. 2 X. I. Friedländer III. Tt. 38.
204 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
hinten nachflatternden Enden. Im unteren Abschnitt sind beider-
seits von der Inschrift OPVS bERTOLDI FLORENTINI
SCVLTORIS zwei nackte Figuren, ein Mann mit Dreizack
und eine Frau mit Füllhorn einander gegenüber gelagert1).
Das Schema dieser aus antiken Motiven zusammengesetzten
allegorischen Darstellung kehrt noch zweimal auf Schaumünzen
derselben Zeit wieder und wir dürfen kein Bedenken tragen,
auch diese Stücke für Bertoldo in Anspruch zu nehmen. Schon
der Umstand, dass hier unter allen bekannten Renaissance-
medaillen allein das Rund in ein gröfseres und ein kleineres Seg-
ment geteilt ist, die beide bildlichen Schmuck aufweisen, ist
entscheidend. So sehen wir auf einer Plakette des Berliner
Museums, welche sich als Revers einer Medaille herausstellt,
den Triumph der Keuschheit allegorisiert2), und ein ähn-
licher Sinn liegt jedenfalls der Darstellung auf einer Medaille
zu Grunde, deren Avers das Profilporträt derLeticia Sanuto
M(atrona) Veneta trägt 3). Die Anordnung nach rechts mit
den galoppierenden Rossen, dem vorauseilenden Lenker, dem
Wagen von antiker Form, den Figuren oder Symbolen im
unteren Abschnitt ist jedesmal die gleiche''). Die auf dem
1 ) Der Sinn der Allegorie kann nicht zweifelhaft sein : Mars geleitet den
Triumphwagen, auf welchem der Sultan als antike Idealgestalt mit der Figur des
Siegs in den Händen steht, die bezwungenen Reiche an der Fessel haltend. Die
Figuren im Abschnitt bezeichnen ihn als Herrscher über Land und Meer. Der
Grundgedanke ist also der selbe, wie auf dem grofsen Kameo (denn ein solcher ist
doch gemeint), der auf Mantegnas Triumphzug am Wagen des Caesar (Braun Phot.
n. 9) aufgehängt ist : Sieger zu Wasser und zu Lande. — Als Mars wird die Figur
vor den Pferden erwiesen durch die Umschrift einer Medaille des Christoforo di
Geremia, wo ganz die nämliche Figur erscheint Friedländer II. Tl. 22. Es ist der
Typus des Mars Gradivus (Preller, Rom. Mythologie I. 348), wie er auf antiken
Münzen und geschnittenen Steinen (z. B. Mus. Florent. I. 64. I.) häufig vorkommt.
2 ) Katalog von Bode und Tschudi n. 707. Die von Einigen dem Bertoldo
zugeschriebene n. 708 derselben Sammlung „Bellerophon die Chimaira tötend'' scheint
ihrem Stil nach kaum hierher zu gehören.
3 ) Heiss a. a. O. V. p. 78. pl. X. 2. Die vorgespannten Einhorne bezeichnen
wol auch hier die auf dem Wagen fahrende Frau als Pudicitia: doch ist die Prägung
sonst zu undeutlich, um eine genauere Erklärung zu ermöglichen. Die Kartusche im
unteren Abschnitt, deren Inschrift Heiss DecusM(atronarum)V(enetarum) liest, wird
von zwei Genien in einer Weise gehalten, welche bereits an die Rüpel Michelan-
gelos erinnert.
4 ) Dieser Typus wirkt fort in Medaillen des Niccolo Fiorentino. Vgl. Heiss
a. a. O. pl. H, 4.
BERTOLDO DI GIOVANNI 205
Wagen tronende Frau der Leticiamedaille gleicht genau der-
jenigen auf der Berliner Plakette. In der sehr charakteristi-
schen Gestalt der Rosse mit ihren kurzen geschwollenen Leibern,
dicken Hälsen und kleinen Köpfen sowie in der Figur des
Vorläufers stehen sich dagegen die Plakette und die Mahomet-
medaille besonders nahe; hier erinnern auch einzelne Besonder-
heiten in der Gewandung an das Reiterkampfrelief. Nach
Komposition und Durchführung muss jedenfalls die Plakette
als das vollendetste unter diesen drei Stücken bezeichnet
werden, während die Darstellung der Leticiamedaille in ihrer
Ueberhäufung den Eindruck der verhältnismäfsig frühesten Ent-
stehung macht.
Genauere Zeitbestimmungen sind nur für die Mahomet-
medaille zu ermöglichen, die nicht vor Bellinis Porträt (1479) und
schwerlich nach dem Tode des Sultans (148 1) entstanden sein
kann. Die nähere Beziehung Bertoldos zu Venedig, welche
sie uns ebenso wie die Medaille der Leticia Sanuto bezeugt,
fällt also nur wenig früher als jener Auftrag iür den Santo zu
Padua (1483). Ungesucht mehren sich die Hinweise, die uns
um 1480 einen lebhaften Verkehr zwischen Florenz, Padua
und Venedig aut dem Gebiete der Kunst annehmen lassen. —
Den Medaillenbildern schliesst sich nach Stil und Erfindung
zunächst ein bekannter kleiner Bronzefries im florentiner
Nationalmuseum an, der lange Zeit für ein Werk Donatellos
selbst gegolten hat, aber bereits von Tschudi mit vollem Recht
für Bertoldo in Anspruch genommen worden ist1). Er stellt
einen Zug tanzender Putten vor einem Wagen dar, welcher von
anderen Putten gezogen und geschoben dem alten Bacchusdiener
Silen zur Ruhestätte dient. Behaglich hat er sich, unter dem
Kopf einen Weinkrug, darauf ausgestreckt und lässt sich von
einem bocksfüfsigen Panisken, den er in seinen Armen hält,
mit einer Traube füttern, während ein anderer Panisk ihm das
weinschwere Haupt stützt und ein Putto ihn mit einer Schlange
zu kitzeln versucht. Andere sitzen musicierend auf der Deichsel
des Wagens, zwei aufgezäumte Putten, von einem Panisken
gelenkt, dienen als Gespann. Ihnen voraus eilt wiederum ein
Vorläufer, welcher in dem Reigen der Tanzenden Platz zu
Don. e la crit. mod. p. 29. — Photogr. Alinari 14530/1.
206 DOXATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
machen sucht. Er trägt wie auch die Tänzer alle in der einen
Hand eine Weintraube, in der anderen den Diamantring, die
Impresa der Medici, und an einem Reifen im Haar befestigt
die drei Straussenfedern, welche bereits Cosimo in die Familien-
devise aufgenommen hatte. Mit den gleichen Insignien ist auch
der Wagen geschmückt, und in dem Ornament an der Seiten-
fläche des Kutschersitzes dürfen wir vielleicht den Falken mit
dem Diamantring erkennen, die persönliche Impresa Pieros de'
Medici. — So bewegt sich die Darstellung zwar durchaus in
den Formen der Antike, aus welcher ihr sicherlich ein be-
stimmtes Werk zum Vorbild gedient hat, bedeutet aber trotz
aller mythologischer Einkleidung doch kaum etwas anderes als
eine zierliche Huldigung für das Haus der Medici, ja vielleicht
eine den Teilnehmern allein einst verständlich gewesene Remi-
niscenz an eines jener glanzvollen Fest- und Tanzspiele, wie sie
der prachtliebende Lorenzo namentlich zu veranstalten liebte.
Der Arbeitsweise des Medailleurs entspricht auch in diesem
liebenswürdigen und vollendet durchgeführten Werk, das heute
in schönster bläulicher Patina erglänzt, das ganz flache, zarte
Relief, wobei er immerhin die Konturen energisch herausarbeitet,
ja stellenweise durch leichte Unterschneidung der Ränder noch
besonders zu betonen sucht. Die Vorliebe für stark verkürzte,
gewundene Bewegungen äussert sich gleichfalls, ja einzelne der
tanzenden Putten gleichen genau den Figuren, welche dort vor
den Rossen einherlaufen. Für die lederartige Glätte der Epi-
dermis und die Eigenarten der Anatomie, die hier allerdings
nur mit löblicher Zurückhaltung auftreten, darf auf die Reiter-
schlacht und den Bellerophon verwiesen werden; dort finden
sich auch die ersten Ansätze zu der eigenartig krausen, auf
diftelige Arbeit im weichen Wachs zurückgehende Lockenbildung,
welche uns an den Putten des Silenfrieses so sehr charakteristisch
entgegentritt. Der ganze Complex aber dieser stilistischen
Merkmale leitet uns nun von der bisher betrachteten Gruppe
rein antikisierender Arbeiten Bertoldos zu einer anderen hinüber,
welche ihrem gegenständlichen Inhalt nach den Reliefs unserer
Kanzeln bei weitem näher steht: es sind zwei Darstellungen der
Beweinung Christi im Museo nazionale zu Florenz.
Die erste derselben, eine quadratische Bronzetafel mit
Christus zwischen den Schachern und acht stehenden Figuren —
BERTOLDO DI GIOVANNI
207
darunter S. Hieronymus und S. Franciscus — am Fusse der
Kreuze ' ) ist früher erst Donatello, dann Antonio Pollaiolo und
Agostino di Duccio zugeschrieben worden, worauf Tschudi zuerst
Bertoldo als ihren Urheber genannt hat2). Die Vergleichung
mit den bisher betrachteten Werken dieses Künstlers lässt uns
denn auch über die Richtigkeit dieser Benennung keinen Zweifel.
mmmmmm
Beweinung unter dem Kreuze von Bertoldo, Florenz, Museo nazionale.
Wie das Reiterrelief und der Silensfries war auch dieses Relief
augenscheinlich zur Verwendung als eine Art von AVandschmuck
in einem der Paläste oder Landhäuser der Medici bestimmt^);
1 ) Vergl. unsere Zinkätzung im Text nach Pliot. Alinari.
2 ) Don. e la crit. mod. p. 29.
3) Aufgeführt im Inventar von 1492 (Müntz a. a. O. p. 85): Una storietta
di bronzo di br. I per ogni verso, entrovi uno Christo crucifixo in mezzo di due
208 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
die Glätte der Arbeit teilt es mit jenen Zierstücken. Auch
die Auffassung und der Stil bleiben in gewissem Sinne dekorativ ;
das tragische Pathos, welches Donatello in die Behandlung des
Stoffes eingeführt, ist durch ein unverkennbares Streben nach
Eleganz und Zierlichkeit versüfslicht. Bei aller scheinbaren
Aufgeregtheit der Stimmung waltet doch ein vorsichtiges Ab-
wägen der Komposition, das beinahe an ein Altarbild Peruginos
erinnert. In gleicher Reihe sind die Figuren der Trauernden
nebeneinandergestellt und ihre gegenseitige Responsion ist
deutlich fühlbar gemacht. Die Paare an den Flügeln der
Reihe entsprechen einander im Motiv ihrer Bewegung, nur
dass die beiden Figuren rechts vom Rücken gesehen werden.
Maria und Johannes wiederholen die Gebärde des Hände-
ringens und die beiden Klagefrauen, welche den Platz unmittelbar
am Kreuze Christi einnehmen, halten ausgeraufte Büschel ihres
Haupthaares in Händen. Donatelleske Motive also hegen zu
Grunde, aber das Uebertriebene seines Empfindungsausdrucks
wird bereits mit Bewusstsein als Reizmittel angewendet. Der
tänzelnde Schritt der stehenden Klagefrau, die unruhige Be-
weglichkeit der knieenden, welche im nächsten Augenblick
wieder emporspringen zu wollen scheint, um das Schauspiel
ihres Schmerzes von neuem zu beginnen, wirken genau ebenso
unwahr, wie die vom Rücken gesehene Frau, welche in stür-
mischer Bewegung sich um die Achse ihres eigenen Körpers
dreht1). Solche Bravourfiguren kennen wir bereits von Ber-
toldos Medaillen her; aber auch die Art der Gewandbehand-
lung findet hier und auf dem Reiterkampfrelief ihre schlagendsten
Analogien. Die bauschigen, schweren Mäntel der Frauen,
ihre antiken, seitlings geknöpften Chitone mit den auf-
fliegenden Säumen, die florartige Dünnheit der Stoffe, das
ganze künstliche, effectvolle Arrangement ist nur die Weiter-
iadrom con otto fighure a pie. Vasari erwähnt es wahrscheinlich (II 417) als
Werk Donatellos. — Vier Nagellöcher im oberen Teil dienten zum Aufhängen der
Tafel. Der Holzrahmen, welcher sie jetzt umgiebt und kleine Teile der äussersten
Figuren bedeckt, ist nicht alt. — Das Relief ist 61 cm hoch und breit.
') Dem Kenner wird es nicht entgehen, dass hier die bekannte „laufende Frau"
welche gewöhnlich einen Korb oder ein Bündel auf dem Kopfe trägt, eine stereotype
Figur der florentiner Freskomaler, zu Grunde lie^t.
BERTOLDO DI GIOVANNI
209
entwickelung jenes Gewandstils, den die allegorischen Figuren
des Reiterreliefs aufweisen. Das Bestreben, die Formen des
Körpers unter der Gewandung hervortreten zu lassen, macht
sich in einer bei heiligen Frauen wenig angemessenen Weise
geltend. Die Behandlung des Anatomischen, wie wir sie an
den Gekreuzigten und dem h. Hieronymus beobachten können,
gleicht genau derjenigen auf dem Hochrelief; für die charak-
teristische Bildungsweise der Füfse mit ihrer breiten Zehen-
reihe, für die ebenso eigentümliche krause, flattrige Haar-
Beweinung Christi von Bertoldo. Florenz, Museo nazionale
behandlung, für die virtuose Art der Verkürzung endlich bietet
der Kinderfries ausreichende Analogien. Ohne Zweifel haben
wir in der Beweinung am Kreuze den Stil Bertoldos in seiner
scharf ausgeprägten persönlichen Eigenart vor uns; für das
Mafs seines Könnens bleibt dieses Werk wie kein anderes
bezeichnend.
Leicht reiht sich daher auch die letzte Arbeit an, die wir
ihm mit Sicherheit noch zuschreiben dürfen: eine zweite Dar-
stellung der Beweinung auf einer Bronzeplakette, von welcher
Exemplare sich im Louvre und im florentiner Nationalmuseum
Italienische Forschungen II. 14
2IO DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
finden1)- — Hier ruht der Leichnam Christi im Schofse der
Mutter, an Kopf und Füfsen von zwei knieenden Frauen unter-
stützt, während drei andere die Klage erheben und zwei bärtige
Männer, mit den Kreuzesnägeln und der Dornenkrone in Händen,
trauernd dabei stehen. Bei aller Flüchtigkeit, mit welcher die
kleine Arbeit, wol ein Bronzeabguss nach einer Modellskizze,
durchgeführt ist, sind die Merkmale der selben Hand, welche
die gröfsere Tafel geschaffen, unverkennbar. In der Kompo-
sition wieder ein Streben nach strenger Symmetrie, in der
Gewandbehandlung die gleiche Manier der luftigen Kleider
und shawlartig drapierten Ueberwürfe, in der Wiedergabe des
Haars vor allem die ganz eigenartige strähnige Bildung, mit
den flatternden Lockenspitzen, welche züngelnden Flämmchen
gleichen, neben kurzlockigen krausen Barten; die ganze Be-
handlungsweise des Nackten, endlich die Proportionen und
Verkürzungen weisen gleichfalls auf Bertoldo hin. — Mit
diesem "Werk haben wir auch wieder den Anschluss an die
Kanzeln in S. Lorenzo erreicht: denn es steht sichtlich unter
dem unmittelbaren Einfluss des Bewreinungsreliefs an Kanzel R-
Wie dort ruht auch hier der schlaffe Leichnam auf den spitz
vorgestreckten Knien der Madonna, hängt der rechte Arm
schlaff zur Erde hinab und umfängt Maria den Leib mit ihren
Armen, während eine andere Frau liebevoll das Haupt unter-
stützt. Das Arrangement des Mantels auf dem Kopf der
Madonna ist das gleiche, wenn auch auf der Plakette bei
weitem roher, das Motiv der Frau links, die sich mit zurück-
geworfenen Armen über den Toten beugt, ähnelt sehr dem
der Klagefrau rechts auf dem Kanzelrelief: endlich gleicht der
Mann mit den Kreuzesnägeln in der Hand neben dieser Frau
so genau demjenigen der Plakette, dass unsere Vermutung,
') S. unsere Zinkätzung nach PhoL Alinari. Die Plakette wird nach dem Vorgang
des Cicerone von Molinier (Les plaquettes etc. n. S3) ebenso wie das vorhergehende
Werk dem Agostino di Duccio zugeschrieben. Die bei ihm (n. 85. 86) unter Ber-
toldos Namen verzeichneten Darstellungen der Grablegung und Beweinung an dem
Bronzetabernakel in Venedig haben wiederum mit diesem nichts zu schaffen. Es sind
spätere abgeleitete Typen, etwa in der Art des Andrea Riccio ausgeführt. Ueber
Molinier n. 87. 88 vergl. Tschudi im Allg. Künstlerlex. III 720
BERTOLDO DI GIOVANNI 2 1 1
Bertoldo habe diese Figur in Donatellos Komposition hinein-
gesetzt, wiederum ihre Bestätigung findet1).
So schliesst die Plakette mit der Beweinung zunächst den
Kreis unserer Betrachtung, indem sie einerseits zu den Arbeiten
gehört, welche Bertoldo auf Grund seiner beglaubigten Werke
zugeschrieben werden müssen, andererseits eine unmittelbare
Abhängigkeit seines Schaffens von den Reliefs der Kanzeln
bezeugt. Bertoldo benutzt — so viel ist hiernach sicher —
Motive aus der Beweinung an Kanzel R für einen neuen Ent-
wurf, den er aber schon in seiner eigensten Manier der Formen-
behandlung anlegt, also zu einer Zeit, da sein Stil zur Reife
entwickelt war. Bezüglich seines Anteils an den Reliefs der
Kanzeln aber, der Grablegung, des Laurentiusreliefs, sowie
einzelner Figuren in Donatellos Beweinung, die wir ihm zu-
schreiben müssen, haben wir im Gegenteil den unentwickelten,
schüchternen und schülerhaften Charakter der Arbeit bereits
hervorgehoben. Es dürfte uns also nicht wundern, wenn diese
Jugendarbeiten mit jenen offenbar weit späteren Leistungen,
der Beweinung im Bargello, dem Silenszug, dem Bellerophon
nur geringe Verwandtschaft aufwiesen. Der Stil Bertoldos hat
nach dem Tode Donatellos augenscheinlich eine gründliche Um-
wandlung erfahren. Wenn sich trotzdem gewisse Einzelzüge der
Behandlungsweise in beiden Gruppen seiner Arbeiten, der
früheren wie der späteren, übereinstimmend nachweisen lassen,
so dürfte dies genügen, um die Ueberzeugung von der Autor-
schaft eines und desselben Künstlers auch von dieser Seite zu
schützen. Solche Uebereinstimmung findet aber statt zunächst
in der Vorliebe für eine ganz flache Anlage des Reliefs, und
in der hiervon bedingten Manier, die Innenpartien der Gewänder
und Körper zum Teil durch kräftig eingegrabene Strichzeichnung
zu geben, welche schon an der Grablegung auftritt, in der
Plakette und dem Relief in Bargello wiederkehrt. Die Umrisse
der Gestalten liebt Bertoldo im Gegensatz zu dem Figuren-
geschiebe in Donatellos letzten Reliefs bereits auf seiner Grab-
legung in möglichst scharfer Silhouette herauszuarbeiten; in
den späteren Werken wird dieser elegante Kontur, oft noch
durch eine leichte Unterarb ei tung der Ränder verdeutlicht, für
') Vgl. oben S 135.
14*
212 DONATELLOS KAXZELX IX S. LOREXZO
ihn ein Hauptwirkungsmittel. In der Bildung der Köpfe zieht
er einen breiten, ausgerundeten Schädelbau vor, in Verbindung
mit verhältnismäfsig kleinen Proportionen der Gesichtsteile, so
dass Augen, Mund und Nase im Gesamtprofil des Kopfes
wenig zur Geltung kommen. Eine bauschige Mütze, wie bei
mehreren Figuren der Kanzelreliefs, oder lockige Haarmassen
verstärken oft noch das Uebergewicht der Schädelpartie. Man
vergleiche daraufhin die Profilköpfe der Träger in der Grab-
legung mit dem linken Schacher der Beweinung, den Christus
oder Johannes der letzteren mit dem über den Leichnam ge-
beugten Alten dort, und wiederum mit dem Alten, der die
Kreuzesnägel in Händen hält auf der Plakette und in dem
Beweinungsrelief der Kanzel.
Steht die Grablegung, abgesehen von solchen stilistischen
Einzelheiten, in ihrer Kompositions- und Empfindungsweise
noch ganz unter dem Einflüsse Donatellos , so macht sich,
wie wir oben gesehen haben, in der Jünglingsfigur des
Laurentiusreliefs. sowie in den Puttenfriesen bereits dasjenige
Element geltend, welches für alle übrigen Arbeiten Bertoldos
als das herrschende betrachtet werden muss: das Streben nach
formaler Schönheit, nach graziöser Bewegung und Drapierung
der Gestalten, sowie nach einer gefällig abgerundeten Kom-
position. Zur Anregung, ja in vielen Fällen nachweislich zum
unmittelbaren Vorbild dienten ihm hierbei die Werke griechisch-
römischer Kunst, namentlich der antiken Kleinkunst, welche
so zahlreich im Besitz der Medici sich befanden. Bei dem ver-
trauten Verhältnis, in welchem der Künstler offenbar zu diesem
Hause stand, bedarf es nicht einmal der Erinnerung an den
Posten eines Aufsehers über die Antikensammlung im Garten
vor S. Marco, welchen Bertoldo ja erst in hohem Alter be-
kleidet haben soll: wir dürfen annehmen, dass er Zeit seines
Lebens mit den Kunstschätzen im Palast und in den verschiedenen
Landhäusern der Medici innig vertraut war, ja dass er wol in
direktem Auftrage seiner Gönner ihnen so häufig die Motive
seiner eigenen Schöpfungen entnahm. Es wird der Wirklich-
keit nicht allzufern bleiben, wenn wir uns Bertoldo als eine
Art Hofkünstler des reichen und mächtigen Hauses vorstellen:
sowol die spärlichen Nachrichten über sein Leben, wie der
Charakter seines Stils entsprechen einem derartigen Bilde von
BERTOLDO DI GIOVANNI 2 13
diesem Meister, das ihn weniger aus eigenem schöpferischen
Drange und tiefer Empfindung heraus tätig zeigt, als viel-
mehr bestrebt, durch Anmut zu erfreuen, durch Schwung und
Zierlichkeit dem Auge wolgefällig zu wirken1).
Nur so lange man blos einzelne Züge von Bertoldos. Stil-
weise ins Auge fasst, wird man daher ein Werk wie sein Be-
weinungsrelief mit den Arbeiten des Agostino d'Antonio di
Duccio oder gar des Antonio Pollajuolo in Beziehung
bringen können. Nach dem Gesamteindruck der bisher be-
trachteten Arbeiten zeigt Bertoldo vielmehr Eigenart genug,
um trotz mancher Verwandtschaft in Aeusserlichkeiten von
jenen beiden Künstlern sicher unterschieden zu werden. Duccio
kennen wir zunächst nur als Terrakotta- und Marmorbildner,
und der Stil seiner Reliefs, insbesondere die manierierte Ge-
wandbehandlung der zahlreichen Idealfiguren in Rimini und
Perugia, ist fühlbar genug auf den Marmor berechnet, in welchem
er hauptsächlich zu arbeiten gewohnt war. Trotz aller schein-
baren Aehnlichkeit, welche der gleiche Manierismus in Ber-
toldos Gewandbehandlung erzeugt, ist daher bei näherer Ver-
gleichung doch keine Uebereinstimmung zu finden; Bertoldo
arbeitet eben stets im Hinblick auf den Bronzeguss und
deshalb weit schärfer und bestimmter in allen Details.
') Ich meine, dass diesem Gesamtbilde des Mannes gegenüber auch die letzten
Zweifel darüber, dass nur Bertoldo die Puttenfriese der Kanzeln geschaffen haben
könne, — was neuerdings auch Bode Jahrb. d. pr. Kunsts. XI. 98 f. bestreitet —
schwinden müssen. Gerade die treffende Schilderung von dem Putto Donatellos,
welche Bode gegeben hat, zeigt, wie tiefgehend der Unterschied zwischen dem hier
auftretenden Puttentypus und dem von Donatello geschaffenen ist. Wo Donatello
Putten zu Trägern einer Handlung macht, da sind es entweder, wie am Tabernakel
von S. Peter, fromme christliche Flügelknaben, welche anbetend das Heiligtum ver-
ehren, oder jene derben, lustigen Gesellen, wie sie an den Brüstungen der Kanzel
von Prato oder der Orgelbühne des florentiner Doms ihr Wesen treiben. Dieser
Eindruck herrscht auch vor, wo er sie ganz im antiken Sinne parodistisch verwendet,
wie in den Sockelreliefs der Judithstatue. Stets geht ein geistvoll lebendiger, höchst
subjeetiver Zug durch seine Puttendarstellungen; sie sind immer nur Mittel zum
persönlichen Empfindungsausdruck. Weit zahmer und ganz unpersönlich geben sich
die Putten an den Kanzeln; sie sind ihrem Wesen nach antik geblieben, ein unassi-
milierler Bestandteil der Gesamtdekoration. Wie die Eroten auf den Medaillen und
dem Silensfriese Bertoldos haben auch sie den Charakter anmutig heiterer Kindlich-
keit bewahrt. Dass sie geflügelt sind, wie die Putten Donatellos stets, kann nicht
in's Gewicht fallen, denn dies ist auch auf den Medaillen Bertoldos beibehalten.
2 14 DONATFXLOS KANZELN IN S. LORENZO
Der Typus der Köpfe, die Bildung des Haars, der Schnitt von
Händen und Füfsen ist vollends abweichend. — Um mit An-
tonio Pollajuolos genialem Naturalismus in Beziehung gebracht
zu werden, ist dagegen Bertoldos Manier wieder zu glatt und
elegant, zu wenig frei und zu wenig auf selbständige Natur-
beobachtung gegründet. Der bezeichnete Stich Pollajuolos und
die kleinen Bronzen im Bargello machen den Unterschied
namentlich in der Behandlung des Nackten deutlich genug:
mit den Leibern, welche Pollajuolo bildet, verglichen sind Ber-
toldos Gestalten trocken und unlebendig, trotz ihrer übertriebenen
Einzelarbeit in Darstellung der Muskulatur und des Knochen-
gerüstes.
Weit näher als diesen florentinischen Meistern steht Ber-
toldo sicherlich einem nach Herkunft und Namen noch unbe-
kannten Künstler, auf den eine unter sich verwandte Gruppe
kleinerer Arbeiten zurückgeführt wird, ja der vermutungsweise
bereits mit Bertoldo selbst identifiziert worden ist. Dahin ge-
hört zunächst ein unbemaltes Thonrelief der berliner Samm-
lung mit einer antikisierenden allegorischen Darstellung, deren
Sinn noch zu enträtseln bleibt;1) ferner eine gröfsere Bronze-
plakette des South-Kensington-Museums, eine Götterversamm-
lung darstellend, deren Hauptpersonen die einander gegenüber-
sitzenden Merkur und Vulkan, sowie in der Mitte stehend die
geflügelte, nackte Venus bilden2). Daran reiht sich eine An-
zahl von Plaketten mit ähnlichen antikisierenden Darstellungen,
welche zuerst von Molinier als Arbeiten des „Meisters der
Orpheussage" zusammengestellt worden sind, ohne dass sie aber
mit den schönen grofsen Rundplaketten, welche verschiedene
Scenen dieser Sage behandeln, eine unmittelbare Verwandtschaft
aufwiesen J). Allen diesen Arbeiten sind gewisse Eigentüm-
lichkeiten gemeinsam, welche sich bis zu einem bestimmten
') S. Jahrb. der preuss. Kunstsamml. XI. Amt]. Bericht p. 2. Der Darstellung
wird hier ein bacchischer Charakter beigelegt.
2) S. die Bemerkung zu No. 798 des Katalogs von Bode und Tschudi. Das
berliner Museum besitzt von der Plakette eine galvanoplastische Nachbildung. Die
gleiche Darstellung ist bemerkenswerter Weise auf Carpaccios „Rückkehr der Ge-
sandten" (Ursulalegende') als Wandschmuck an dem Palast im Hintergrunde angebracht.
3) Vergl. Molinier, Les plaquettes II. p. 95.
BERTOLDO DI GIOVANNI 21 5
Grade der Stilweise Bertoldos nähern. Besonders auffällig ist
die Vorliebe für symmetrische Anlage der Komposition, wie
sie namentlich auf der londoner Plakette hervortritt, sowie die
gewundene Bewegung der einen Frauengestalt auf dem
Thonrelief, welche an ähnliche nur noch heftiger bewegte
Figuren Bertoldos erinnert. Die Form einzelner Waffenstücke
und Attribute gleicht denen auf Bertoldos Medaillen und die
streng im Sinne der Antike empfundene glatte und knappe Ge-
samthaltung würde allenfalls mit seiner "Weise zu vereinbaren
sein. Dagegen fehlen alle spezielleren Merkmale seines Stils,
wie wir sie glauben aus seinen sicheren Leistungen herausge-
arbeitet zu haben; sowol die Haarbehandlung, für deren Ver-
gleichung das Thonrelief genügende Anhaltspunkte giebt, als
die Bildung der Körperformen, insbesondere die Innenzeichnung
der Muskulatur, weisen keine Spur von jenen stilistischen Be-
sonderheiten auf, welche wir zum Teil von den Kanzelreliefs bis
zur Beweinung im Bargello hindurch verfolgen konnten. In
der Entwickelung Bertoldos, so weit wir sie übersehen können,
ist für diese Gruppe von Arbeiten kein Platz, an dem sie sich
ungezwungen einfügen könnten. Sollte nicht eher die im ber-
liner Katalog bereits angedeutete Zurückführung dieserArbeiten
auf einen Künstler oberitalienischer Herkunft das Richtige
treffen, da ja doch die weitaus gröfste Mehrzahl der unter dem
sichtlichen Einfiuss ähnlicher antiquarischer Liebhaberei ent-
standenen Werke der Kleinkunst nachweislich in den Schulen
von Padua, Venedig, Mantua und anderer oberitalienischer
Städte gearbeitet worden ist? Die Annäherung an gewisse
Stilelemente bei Bertoldo würde sich dann einfach genug durch
die enge Beziehung erklären, in welcher dieser selbst zu ober-
italienischer, insbesondere paduanischer Kunst gestanden hat.
Durch den Gang unserer Untersuchung ist uns die Annahme
eines solchen Einflusses schon mehrfach nahe gelegt worden,
sie darf bei einem unmittelbaren Schüler Donatellos wol Be-
deutung genug beanspruchen, um hier noch einer weiteren Be-
gründung unterzogen zu werden.
Die Teilnahme Bellanos von Padua an den Arbeiten für
die Kanzeln in S. Lorenzo, welche wir glauben nachgewiesen
zu haben, die Wahrscheinlichkeit eines Aufenthalts Bertoldos
in Padua besagen in dieser Hinsicht noch nicht alles. Lassen
2IÖ DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
sich doch bereits die Beziehungen zwischen Donatello und
Mantegna nicht, wie man gewollt hat, mit chronologischen
Hinweisen allein abmachen. Die Fäden zwischen diesen beiden
Meistern laufen hin und wieder und der Einschlag, den die
Schüler und Genossen lieferten, könnte sie wol zu einem festen
Gewebe verdichten. Ob Bertoldo hierzu schon als junger
,garzone' beitrug, mag dahingestellt bleiben. In dem Relief,
wo S. Antonius den Fufs des Jünglings anheilt, finden sich
Einzelheiten, wie die links ruhenden antiken Figuren, oder der
die Hand auf den Schmerbauch haltende Alte rechts, welche
Bertoldo später wieder verwertet hat1). Auch die Art der
Ciselierung, mit den abwechselnd durch senkrechte und wage-
rechte Striche unterschiedenen Quadersteinen entspricht genau
der Behandlung des scheinbaren Mauerwerks, wie sie an den
Kanzeln von S. Lorenzo durchgeführt ist. Aber wäre Bertoldo
selbst niemals über das Weichbild seiner Vaterstadt hinausge-
kommen, die Kenntnis der Stilelemente, auf welche es hier
ankommt, hätte auch in reinerer Form, als in den oft bäuri-
schen Gestalten Bellanos, zu ihm dringen können. Denn die
Stiche Mantegnas genossen sicherlich schnell eine weite
Verbreitung und wenn sie jenseits der Alpen bereits in den
neunziger Jahren des Jahrhunderts ihre Wirkung äusserten,
so giebt uns dies bezüglich ihres epochemachenden Einflusses
auf die gleichzeitige italienische Kunst den Mafsstab an die
Hand.
Die selbe Gestalt aus Mantegnas Kupferstichen, welche sich
in mehr als einer Nachbildung bis in die nordische Kunst
verfolgen lässt, hat merkwürdigerweise auch Bertoldo gelegent-
lich das Konzept verrückt: es ist jener Jüngling aus dem
.Bacchanal mit der Kufe' (B. 1 9), welcher die gesenkte Rechte
auf ein Füllhorn legt und emporschauend mit der erhobenen
Linken in den über sein Haupt gehaltenen Kranz greift. Dürer
hat ihn in den Vorstudien zu seinem Adam zweimal verwertet2)
und das Motiv auch in dem Stich mit den drei Genien (B. 66)
benutzt; eine genaue Kopie der Mantegnaschen Figur findet
sich in einer mit dem Namen des Rubens belegten Zeichnung
') S. oben p. 102 f.
2) Lehrs in d. Mittheilungeu d. Inst. f. östr. Geschichtsforschung. II. 283 f.
BERTOLDO DI GIOVANNI 217
des berliner Kupferstichkabinets1). Aber auch auf dem be-
kannten Holzschnitt des Jakob von Strafsburg „Istoria Romana",
welcher Mantegna ganz nahe steht2), kehrt genau dieselbe Figur
— im Gegensinn und mit den Attributen des Merkur ausgestattet
— wieder, und hierdurch wird nun auch der vermutete Ur-
sprung derselben aus der Antike bestätigt. Denn die ganze
Komposition dieser allegorischen Darstellung lehnt sich nach-
gewiesenem! afsen eng an die Reliefs antiker Hippolytussarko-
phage an und auf dem nächstverwandten Exemplar der letzteren,
dem capuanischen, stimmt in der Tat die an entsprechender
Stelle angebrachte Gestalt des Hippolytus im Motiv der Be-
wegung ziemlich genau überein — also dürfte auch Mantegna
aus der selben Quelle geschöpft haben. In der florentinischen
Kunst zeigt freilich schon die nackte Gestalt der Wahrheit auf
Botticellis Verläumdung nach Apelles in den Uffizien deutliche
Anklänge an das Motiv; direkt auf die Fassung Mantegnas
aber geht erst eine Figur in Bertoldos Beweinungsrelief im
Bargello zurück : der h. Hieronymus nämlich, welcher in der
erhobenen Linken das Kreuz hält , das er andächtig be-
trachtet, während die gesenkte Rechte den Stein umschliesst,
mit welchem er seinen dürftig bekleideten Körper kasteite.
Mag dies auch ein öfter benutzter Typus des Heiligen
sein — er findet sich ähnlich z. B. auf einem Blatte aus Ver-
rocchios Skizzenbuch im Louvre — so spricht in Bertoldos
Figur, wenn man die von den Bedürfnissen des Raums und
der Komposition gebotene Abschwächung in Rechnung zieht,
*) Lippmanns Publikation V. 109.
2) Lippmann, "Wood-engraving in Italy p. 112. — Die von Robert (Jahrb. d.
pr. Kunsts. V. 191) versuchte Erklärung des Holzschnittes muss als ungenügend be-
zeichnet werden. Nach meiner Auffassung kann es sich nur um eine Allegorie auf
historischer Grundlage handeln, wie schon die Ueberschrift andeutet. Ohne hier
auf Einzelheiten einzugehen, sei nur hervorgehoben, dass die politische Situation,
wie sie der drohende Kampf um den Besitz der Romagna zwi-chen Venedig und dem
Papste geschaffen hatte, etwa von der Thronbesteigung Julius' II. bis zum Vertrage
von Blois (September 1504) wol in einer von Venedig ausgehenden politischen
Satire, so wie es hier geschehen scheint, illustriert werden konnte. Der Holzschnitt
würde dann mit dem datierten Triumphzug Caesars von demselben Meister (Passa-
vant I p. 133) gleichzeitig sein. — Von der Popularität der Komposition legt ihre
Nachbildung auf einer runden knopfähnlichen Plakette des berliner Museums (Katalog
No. 805) Zeugnis ab.
2l8 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
schon die ganze Auffassung der körperlichen Bewegung, ins-
besondere der Wendung des Kopfes deutlich für eine Bekannt-
schaft mit jener mantegnesken Gestalt und zur Gewissheit wird
dies durch die Behandlung des Nackten, welche — hier in
einer besonders augenfälligen Weise — jene Manier wieder-
giebt, die wir auch sonst schon mehrfach bei Bertoldo bemerkt
haben.
Wie mit dem anatomischen Messer herauspräpariert treten
das Skelett und der Muskelbau, namentlich des Rumpfes, her-
vor; der grofse grade Bauchmuskel mit seinen Einschnürungen
ist deutlich ausgeprägt, die zackenförmigen Ansätze am Rande
des Rippenkastens werden bald als fortlaufende wulstartige
Erhöhung, bald wie eine Reihe von Knöcheln herausgehoben;
die Mittelvertikale des Bauches (weifse Bauchlinie) wird als
scharfer Einschnitt gegeben; auf eben solche Art sind oft auch
die Muskelfurchungen des Brust- und Rippenkastens angedeutet.
Am Unterschenkel zeichnet sich der Umriss des Skeletts vom
Knie unterwärts deutlich ab und der lange Wadenbeinmuskel,
welcher den Schienbeinmuskel von dem Schollen- und dem
Zwillingsmuskel der Wade scheidet, tritt stets besonders
charakteristisch zu Tage. Es ist ein Schematismus der Muskel-
betonung, wie er uns sonst nur an Werken entgegentritt, deren
Entstehung in Padua zu suchen ist. Bereits der bronzene
Crucifixus im Santo und der Christus des Pietäreliefs daselbst
zeigen sich von dieser Manier beherrscht; Mantegna huldigt
ihr auf den Fresken der Eremitanikapelle und in seinen früheren
Tafelbildern, am uneingeschränktesten in den drei Gekreuzigten
des Predellabildes zur Madonna in S. Zeno, welches sich heute
im Louvre befindet. Auf dem Holzschnitt des Jacobus von
Strafsburg, in den Statuen und Reliefs Bellanos ist diese Be-
handlungsweise, welche den Gestalten Mantegnas eine solche
eherne Leibhaftigkeit giebt, in ähnlich trockener Schulmanier
nachgeahmt, wie bei Bertoldo. —
Die Annahme, dass nicht blos das Studium römischer An-
tiken und die Beobachtung des lebenden Aktes eine so pe-
dantisch übertriebene Darstellung des gesamten Muskel- und
Knochenbaus hervorgerufen haben könne, liegt nahe genug.
Es ist daran erinnert worden, dass die anatomischen Studien
BERTOLDO DI GIOVANNI 2 19
grade an der Universität Padua früh zur Blüte gelangten1);
unter ihrem Einfiuss konnte sich wol ein solcher bestimmter
Kanon der Formenbehandlung herausgebildet haben, der für
die von Padua abhängigen Künstler mafsgebend blieb. Die
anatomischen Holzschnitte zu Kethams Fasciculus medi-
cinae stimmen in sehr wesentlichen Punkten, wie der kugel-
förmigen Bildung der Rippenköpfe, der Betonung des graden
Bauchmuskels und der Schienbeinmuskulatur in der Tat mit
jener Manier überein2).
Von alledem findet sich bei Donatello nichts, wenigstens
nicht in dem Sinne, dass er die Elemente jener Formensprache
in konventioneller Weise angewendet hätte, wie dies bei seinem
Schüler Bertoldo nur allzu häufig der Fall ist. Scheiden wir
die erwähnten beiden Bronzewerke, wie schon aus anderen
Gründen als notwendig dargetan worden ist 3 ), aus der Reihe
seiner eigenen Arbeiten aus, so bleibt unter den zahlreichen
nackten Figuren, die er während seines Aufenthaltes in Padua
und späterhin bildete, keine einzige übrig, die als Beweis hier-
für angeführt werden könnte. Donatello hat sich vielmehr auch
bis ins höchste Alter hinein die Frische der Naturbeobachtung
gewahrt: wir brauchen nur den Leichnam Christi im Schofse
der Maria mit dem daneben befindlichen Crucifixus Bellanos an
der Vorderseite von Kanzel R zu vergleichen, um inne zu wer-
den, wo die frei schaffende Naturbeobachtung und wo die Manier
waltet. Das Genie kennt eben nicht den Stillstand und das
Fortarbeiten im ausgefahrnen Geleise! — Ebenso wenig lässt
sich eine Einwirkung jener Formenprincipien auf die mafsgeben-
den Künstler aus Donatellos fiorentiner Nachfolge behaupten:
sowol Antonio Rossellino als Pollajuolo und Verrocchio ver-
fahren in der Bildung des Nackten durchaus selbständig, so
sehr auch namentlich die beiden letzten auf ein reiches Einzel-
leben der Körperformen bedacht sind. Bertoldo steht in der
Hingabe an jene paduanischen Eigentümlichkeiten allein da, so
') Semper 2 p. 95.
2) Vgl- z- B. die Darstellung einer Leichenöffnung in der italienischen Ausgabe
(.Venedig 1493), welche übrigens in der Komposition mit Donatellos paduanischem
Relief eine gewisse Aehnlichkeit hat.
3) S. 80 f. S. 92 Anm.
2 20 DONATELLOS KAXZELX IN S. LORENZO
wie er in anderer Beziehung wieder sich bedingungslos an die
Antike ausliefert. Es scheint, dass er der Anlehnung bedurfte
da er auf eigenen Füfsen nicht stehen konnte. So lange der
übermächtige Einfiuss und die Anleitung seines Meister wirkten,
mochte er eine Arbeit liefern, wie die Grablegung; aber auch
sie verhehlt uns nicht, dass hier ein Medaillenkünstler mit einem
Donatello wetteifern musste. Von einer Einwirkung Bellanos
ist noch nichts zu verspüren, wir dürfen also schliessen, dass
sie vor der Heranziehung des Paduaners zur Arbeit an den
Kanzeln vollendet wurde * ), Dagegen wäre das Laurentius-
relief ohne Bellanos Vorbild nicht denkbar; est ist sicher sehr
spät entstanden, nur als Notbehelf zur Ausfüllung einer Lücke.
Wenn wir mit Recht vermuten, dass mit den Puttenfriesen
Bertoldo noch unter Donatellos eigener Leitung beschäftigt
war, so müssten wir in diesen wol den Anfang seiner Tätig-
keit, so weit sie uns bekannt ist, erblicken. Die Fortsetzung
der hier eingeschlagenen Richtung bedeuten dann seineMedaillen
und der Silensfries, welche uns den eleganten Nachbildner
antiker Nippessachen erkennen lassen. Der Zeit nach gruppieren
sie sich wie die Mahometmedaille verrät, um das Jahr 1480 —
und in die gleiche Zeit fällt augenscheinlich ein Aufenthalt
Bertoldos in Padua und Venedig. Dies macht es denn wol
erklärlich genug, wenn wir in den Arbeiten seines entwickelten
Stils, dem Bellerophon, dem Reiterkampf, und dem Beweinungs-
relief zu dem Pathos Donatellos und der Abhängigkeit von
Motiven antiker Kunst auch noch jene lokalen Eigentümlich-
keiten der paduaner Schule treten sehen, die wir oben zu cha-
rakterisieren versucht haben. Bertoldo ist eben — das dürfte
nach alledem einleuchtend erscheinen — eine schmiegsame
Natur, die allen möglichen Einflüssen gleichmäfsig hingegeben
keinen davon in sich zur Reife kommen lässt, im Ganzen ein
blofser Nachahmer, ohne die Naivetät und Erfindungskraft,
welche allein den Künstler ausmachen.
Dessenungeachtet darf sein Name in der Kunstgeschichte
nicht fehlen. Denn er vertritt in bezeichnender Weise eine
') Man könnte vermuten, dass sie ursprünglich als Pendant zu der ähnlich flach
gehaltenen Beweinung bestimmt war. Die Breitenmafse (Beweinung 1,20 m Grab-
legung i,io m) würden dem nicht entgegenstehen. Vgl. oben S. 175 ff. S. 179
Anm. I.
BERTOLDO DI GIOVANNI 22 1
Richtung, deren Vorhandensein in dem glänzenden Bilde,
welches der florentinische Realismus in der zweiten Hälfte des
Quattrocento bietet, nur zu leicht übersehen wird. Suchen wir
nach vorbereitenden Momenten in den Werken des fünfzehnten
Jahrhunderts für die Kunst der Hochrenaissance, so wird unser
Blick an solchen Erscheinungen wie Bertoldo nicht achtlos
vorübergleiten dürfen. Es macht sich in ihnen, wie wir ge-
legentlich schon angedeutet haben, eine Art idealistischer Unter-
strömung geltend, die vorerst mit der herrschenden Kunst-
richtung jener Tage allerdings noch eng verbunden nur
selten zu Tage tritt. Ursprung und Nahrung schöpft sie aus
dem Vorbilde der Antike, und sie erstarkt mit der Vertiefung
und Ausbreitung der humanistischen Studien ; insbesondere
wirkte, wie Müntz treffend hervorgehoben hat " ), die Wieder-
belebung des platonischen Idealismus auf die Umwandlung
des Geschmacks nach dieser Richtung ein. Im Gegensatz zu
der populären realistischen Kunstweise haben wir es hier
mit einem Stil zu tun, welcher zunächst in den Kreisen
der Gelehrten und Vornehmen seine Gönner fand; die ersten
Spuren einer Aristokratisierung der Kunst gehen auf diese Tat-
sache zurück. Nicht umsonst stellt Vasari den Unterricht,
welchen Bertoldo als Inspector der mediceischen Sammlungen
in dem Casino bei S. Marco erteilte, als den Anfang einer
Akademie im Sinne der Michelangelisten dar; wenn nicht
der Form, so war es doch dem Wesen nach eine solche,
wie denn Bertoldo selbst einen akademischen Zug in seiner
Schaffensart nicht verleugnen kann. In der höfischen Eleganz
der römischen Antike sah er offenbar ein ihm vorschwebendes
Ideal formaler Schönheit bereits erreicht und begnügte sich
daher vielfach mit einer ganz äusserlichen Nachahmung. Unter
den gleichzeitigen Plastikern stehen ihm in dieser Hinsicht zwei
Künstler am nächsten, von denen wir wissen, dass sie ansehn-
liche Schätze an Antiken gesammelt hatten. Die beiden nackten
Figuren (Adam und Eva?) von Vittorio Ghiberti an der Um-
rahmung der südlichen Baptisteriumstür streben einem ähnli-
chen Schönheitsideal nach, wie die Victorien auf Bertoldos Reiter-
1 ) Histoire de l'art pend. la Renaiss. II. 76 f.
22 2 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
kämpf oder die ekstatischen Klagefrauen seines Beweinungs-
reliefs, welche den Nymphen und Mänaden bacchischer Dar-
stellungen gleichen — und in der Verwendung antiker Imi-
tationen zu dekorativer Ausstattung folgt Giuliäno da San
Gallo so- genau den Prinzipien Bertoldos, dass wir leicht zu
der Frage geneigt sind, ob dieser nicht dem hauptsächlich als
Architekt tätigen Günstling Lorenzos de'Medici mit direktem
Rat zur Seite gestanden habe. Auf die Umrahmung der Grab-
nische des Francesco Sassetti ist bereits aufmerksam gemacht
worden; wie an den Puttenfriesen unserer Kanzeln dienen auch
hier antike Vasen zur rythmischen Gliederung. Aber auch der
blau und weiss glasierte Fries an der inneren Attika von Giulianos
niedlicher Kuppelkirche in Prato, S. Maria delle Carceri, setzt
sich in ähnlicher Weise aus antiken Kandelabern mit Guirlanden
und fliegenden Bändern zusammen. Den in gleicher Technik
ausgeführten, bisher wenig beachteten Fries über der Loggietta
der Mediceervilla in Poggio a Cajano — die eben vollendet
gewesen sein muss, als Bertoldo 1491 daselbst starb — teilen
wiederum antike Hermen in fünf gleiche Teile und dazwischen
sind Nachbildungen römischer Reliefs angeordnet, die ein alle-
gorischer Sinn zu verknüpfen scheint. In dieser Weise führen die
Nachfolger fort, wasDonatello selbst begonnen, da er auf Geheiss
Cosimos antike Gemmen in den Medaillons des Palazzo Medici
nachbildete. Aber das Wesen dieser classicierenden Richtung
liegt tiefer begründet, als in solchen mehr zufälligen und nur
dekorativ gedachten Arbeiten. Auch die Romantik eines
Sandro Botticelli und die verwandten Züge in der Kunst
Filippino Lippis und Piero's di Cosimo fanden keine andere
Ausdrucksform als die Antike sie ihnen bot. Was die Phan-
tasie über die gemeine Wirklichkeit hinaus sich vorstellen
mochte, hüllte sich in antikes Gewand; poetische Erfindung
und sinnreich ausgeklügelte Allegorie schlüpften beide in dies
schmiegsame Kleid, das eine ideale Welt bedeutete. Es ist
bezeichnend, wie nahe Bertoldos Formensprache sich nicht nur
mit den allegorischen Gestalten Agostinos di Duccio, sondern
auch mit den Darstellungen etwa des Perseusmythus von Piero
di Cosimo berührt! Das Gemeinsame in diesen nach Zeit und
Inhalt so verschiedenen Werken ist eben das Bestreben, eine
Welt der reinen Formschönheit zu gestalten, wie sie dem von
BERTOLDO DI GIOVANNI 223
der Wiedergabe der realen Wirklichkeit übersättigten Geschmack
zu entsprechen schien.
In diesem Sinne ist Bertoldo der rechte Lehrer für Michel-
angelo gewesen, soweit man von einem Lehrer bei diesem sprechen
darf. Denn kaum, dass er die ersten Schritte getan, steht dieser
Heros als er selbst da, freiherrlich und anscheinend keinem
Zwange der Entwicklung mehr unterworfen. Doch eben diese
ersten Schritte werden ja auf dem selben Boden getan, auf
welchem Bertoldo nach seinen Kräften tätig gewesen. Sie
bedeuten jedenfalls eine entschiedene Abkehr von dem Realis-
mus der Quattrocentoplastik und ein deutliches Hinstreben zu
dem gleichen Ideal der Antike, welches jenem vorgeschwebt
hatte. Ja, wenn manche Jugendwerke Michelangelos neuer-
dings wegen ihrer allzu grofsen Glätte und Eleganz in Zweifel
gezogen sind, so darf bei dem Entscheid über solche Fragen
der Einfluss, den möglicherweise Bertoldos hofmännische Art
auf die Arbeitsweise seines Schülers ausgeübt hat, nicht mehr
so gänzlich ausser Acht gelassen werden. Können wir doch
einem Werke, wie dem Kentaurenkampf in Casa Buonarroti
gegenüber die Erinnerung an Bertoldos Reiterschlacht nicht
ungeweckt lassen! Das Vorbild der gedrängten Reihen-
komposition in antiken Sarkophagreliefs liegt ihnen beiden zu
Grunde. Aber auch die Feinheit haben sie gemeinsam, dass
durch Niederbeugen der vorderen Figuren die eine Gestalt in
der Mitte beherrschend hervortritt, von den Leibern der anderen
wie von einem Kranze umschlungen. Wenn ferner als ein
besonderes Lob für Michelangelos Marmorrelief hervorgehoben
wird, dass keine der vielen so heftig bewegten Gestalten im
Grunde stecken bleibt, so dass wir vergeblich nach der Fort-
setzung ihrer Gliedmafsen suchen müssten, so konnte auch
dieses Erfordernis der Hochreliefplastik der junge Bildner wol
von dem Beispiele des erfahrenen Bronzeplastikers entnehmen.
Bertoldos Reiterkampf ist in dieser Hinsicht gradezu muster-
giltig! Endlich geht die prächtige Figur des Steinschleuderers
im Vordergrunde links unzweifelhaft auf den selben Typus
zurück, welchen Bertoldo für seinen Bellerophon benutzt hat.
Kurz, ohne die Vergleichung, wie leicht möglich wäre, auf
weitere Einzelheiten auszudehnen, darf so viel gesagt werden,
dass Bertoldos Kunst, so beschränkt sie ihrerseits auf engem
224 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Gebiete sich bewegte, nicht ohne Spur untergegangen ist in
dem Jugendschaffen des Genies, welches eine neue Zeit für die
italienische Skulptur heraufführte, die aber im Grunde nichts
anderes bedeutete, als ihre Unterjochung unter einen ausge-
sprochenen Subjektivismus und damit ihr Ende.
Kehren wir nun noch einmal zu den Kanzeln in S. Lorenzo
zurück, welche den Ausgangs- und Mittelpunkt unserer Be-
trachtung gebildet haben! Bei dem Mangel jeder genaueren
Nachricht über ihre Entstehung waren wir ganz an die Werke
selbst gewiesen, um die Fragen, die sich beim ersten Blick
ihnen gegenüber aufdrängen, zu lösen. Die Prüfung ihres
heutigen Zustandes in technischer Hinsicht führte uns gleich
anfänglich zu bestimmten Annahmen über eine Entstehung in
verschiedenen auf einander folgenden Arbeitsperioden, und zu
einer Unterscheidung mehrer Verfahrungsweisen beim Guss und
bei der nachherigen Ueberarbeitung der Bronzetafeln. Wir
konnten feststellen, dass Kanzel L in wesentlichen Punkten
als Vorbild für ihr Gegenstück gedient hat, und dass an L
wiederum die Vorderseite zuerst fertig gestellt worden ist. Mit
ihr stimmen im Aussehen des Gusses und der Art der Zusammen-
setzung aus einzelnen Teilen zunächst die rechte Hälfte der
Vorderseite sowie die anstofsende Xebenseite von Kanzel R
überein, deren Reliefs zugleich Spuren davon aufweisen, dass
sie in einer etwas gewaltsamen Manier für ihre Verwendung
an dieser Stelle zurechtgemacht worden sind. Alle übrigen
Teile beider Kanzeln unterscheiden sich im Farbenton der Bronze
wie in der Art ihrer Zusammensetzung sichtlich von diesen
frühen Stücken und gehören einer und derselben Arbeitsperiode
an. — Diese Resultate fanden in der stilkritischen Untersuchung,
welche wir bei dem Mangel an Vorarbeiten auf breiter Grund-
lage aufbauen mussten, in allen wesentlichen Punkten ihre Be-
stätigung. Jene Trilogie an der Vorderseite von L erwies sich
auch nach Stil und Relietbehandlung als der echteste und ur-
sprünglichste Teil der Arbeit, als ein Werk Donatellos, welches
in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Geist seiner paduani-
schen Reliefs verstanden werden will; Bertoldo ist ihm bei
SCHLUSS 2 25
der Ausführung nur in untergeordneten Partien behilflich ge-
wesen. Auch die Beweinung, welche jetzt die Hälfte der Vorder-
seite an Kanzel R bildet, kann nur von Donatello selbst an-
gelegt sein, wenn sie auch von der Hand des Schülers vollendet
wurde. Dagegen hat Bertoldo den Fries über jenen drei zu-
sammenhangenden Reliefs nach eigener Geschmackswahl mit
antikisierenden Nachahmungen ausgestattet und die Grablegung,
welche jetzt an der rechten Nebenseite von R angebracht ist,
selbständig, wenn auch in schülerhafter Anlehnung an die Manier
seines Meisters ausgeführt. — Fassen wir nun diese zuerst und
vielleicht noch zu Lebzeiten Donatellos vollendeten Stücke ins
Auge, so drängt sich noch einmal die bisher nur flüchtig be-
rührte Frage hervor: ob nicht ursprünglich nur eine Kanzel
beabsichtigt war, deren Vorderseite die Darstellungen von Höllen-
fahrt — Auferstehung — Himmelfahrt enthielt, während die
Nebenseiten eben mit den zuletzt erwähnten Reliefs geschmückt
werden sollten. Donatello hätte dann in einer ersten Arbeits-
periode diese von ihm mit Hilfe Bertoldos fertiggestellte, in-
haltlich und stilistisch unter einander wol zusammenhangende
Reihe von Reliefs hinterlassen, welche sich durch ihre überein-
stimmende flache Relief behandlung noch heute fühlbar genug
von den übrigen Darstellungen abhebt. Für den Augenpunkt
des vor der Kanzel stehenden Beschauers, wie er sich bei einer
Anbringung der Beweinung auf der linken Nebenseite ergeben
würde, schiebt sich die jetzt so auffällige Perspektive dieses Re-
liefs in einer Weise zurecht, dass wir darin wol eine Fortsetzung des
Bestrebens vermuten dürfen, welches uns bereits auf der Vorder-
seite entgegengetreten ist1 :) für die Gesamtheit der Darstellungen
die Einheit des perspektivischen Systems zu wahren. Auch
die verunglückte Zeichnung des Sarkophags in der Grablegung,
wo sich Bertoldo an das Prinzip seines Meisters anzuschliessen
versuchte, würde dann ihre Erklärung finden. Freilich vermögen
wir uns in keiner Weise vorzustellen, wie sich Donatello die
weitere Gestaltung dieser Nebenseiten nach oben hin, insbe-
sondere aber ihren Anschluss an die Vorderseiten gedacht
habe; wussten sich doch auch seine Nachfolger hier nur auf
eine zwar sehr einfache, aber auch sehr rohe Art mit der
Ecklösung abzufinden.
1) S. 60.
Italienische Forschungen II. I 5
2 26 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
Halten wir trotzdem an jener Hypothese fest, dann hätte
also auch Vasari Recht, welcher von einer Teilnahme Bellanos
an der Arbeit nichts weifs, da ihm die Quellen, aus denen er
seine Vita Donatellos schöpfte, wol nur die Tatsachen jener
ersten Arbeitsperiode überlieferten, die wir uns mit dem Tode
des Meisters abgeschlossen denken mögen. Von der offenbar
eine Reihe von Jahren später erfolgten Wiederaufnahme der
Arbeit, welche dann zugleich eine Erweiterung des ursprüng-
lichen Programms bedeutet hätte, schwiegen sie ebenso wie ja
auch die unzuverlässige Tradition über Bellano von Padua nichts
von einer Tätigkeit desselben in Florenz zu melden wusste.
Um so deutlicher spricht der Stil aller jener Teile unserer
Kanzeln, welche dieser zweiten Arbeitsperiode, mag diese nun
als zusammenhangend oder in Unterbrechungen fortschreitend
gedacht werden, angehören. Abgesehen von den persönlichen
Eigenheiten seiner Formensprache, von der Vorliebe für ein
kräftiges Hochrelief und dem naiven, doch nicht immer wirkungs-
losen Realismus, welcher seine malerischen Kompositionen
charakterisiert, bringt der paduanische Meister sichtlich auch
eine gröfsere praktische Erfahrung in der Gusstechnik, gröfsere
Flottheit und Sicherheit des handwerklichen Könnens, wie er sie
bei Ausführung der Kolossalstatue für Perugia wol hatte ge-
winnen können, zur Lösung der ihm hier gestellten Aufgabe
mit. Gewiss drängte er namentlich hierdurch Bertoldo ganz in
den Hintergrund, dessen Mithilfe fortan nur an einer unterge-
ordneten Stelle, wie dem Laurentiusrelief, noch zu bemerken
ist. Die Zusammenfügung der Wandungen aus einzelnen Teilen,
welche die älteren Güsse aufweisen, ersetzt Bellano durch eine
Ausführung in soliden Ganzstücken, so wie er auch kompositionell
aus dem Ganzen schaffen konnte. Denn ihm gehört offenbar
der vollständige Plan und Aufbau der rechten Kanzel, mit seinen
Pilastern, den davorgesetzten Figuren und dem reichen Gesimse,
deren Formen so auffallend der in seinen paduanischen Arbeiten
sichtbaren Bildungsweise entsprechen; er hätte ein Recht gehabt
seinen Namen auf die jetzt leere Inschrifttafel zu setzen. Die
beiden vorhandenen Flachreliefs von Donatellos und Bertoldos
Hand kamen dem veränderten Plan und Zusammenhang ent-
sprechend an Stellen, für welche sie kaum von Anfang an be-
stimmt waren, zur Verwendung — und dabei konnte es ohne
SCHLUSS 227
Gewaltsamkeiten nicht abgehen. Auch die erste Kanzel suchte
Bellano, so gut es gieng, ihrer ursprünglichen Anlage gemäfs
zu vervollständigen.
Ob an die einst beabsichtigte Verbindung der ,Cancelli'
mit einem Prunkchor auch bei ihrer damaligen Fertigstellung
noch gedacht worden ist, können wir heute nicht mehr ent-
scheiden, schwerlich ist sie jemals zur Ausführung gekommen.
Denn vierundzwanzig Jahre nach Bertoldos Tode finden wir
die beiden Werke in Stücken aufbewahrt in einem Raum
der Kirche, aus dem sie nur zu provisorischer Zusammen-
setzung und Verwendung hervorgeholt werden — und erst
ein Jahrhundert beinahe nach ihrer Inangriffnahme gelangten
sie unter gänzlich veränderten Zeitumständen und in einer An-
ordnung, welche den eigentlichen Intentionen ihres ersten
Schöpfers sicherlich nicht entspricht, zur definitiven Aufstellung.
So ist es das Schicksal dieser Werke gewesen, gewisser-
mafsen stets im Zustande der Unfertigkeit zu bleiben, und nur
mühsam vermögen wir uns ihrem heutigen Aussehen gegenüber
von dem, was sie einst hatten werden sollen, Rechenschaft ab-
zulegen. Die Umstände ihrer Entstehung erklären es, wenn
auch der Eindruck des bildnerischen Schmuckes, welchen sie
tragen, ein zwiespältiger bleibt. Die letzten Kraftäusserungen
eines Genies, wie Donatello, vermengen sich hier mit den
Leistungen seiner Nachfolger, welche in seiner Weise zu arbeiten
fortfahren, aber neben ihm banal oder gequält und von dieser
oder jener Seite abhängig erscheinen. Das Hochmafs leiden-
schaftlicher Erregung, welches Donatello in die Darstellung der
Passionsscenen eingeführt hatte, vertrug keinerlei Nachahmung-
oder Steigerung; es bezeichnet vielmehr unverkennbar den Ab-
schluss und Höhepunkt der Entwicklung, zu welcher das ma-
lerische Bronzerelief des Quattrocento unter seinen Händen ge-
diehen war.
Deshalb stehen diese Darstellungen auch so seltsam ver-
einzelt da im weiten Umkreis der florentinischen Plastik! Sowol
Mino da Fiesole und Antonio Pollajuolo als Verrocchio und
Benedetto da Majano knüpfen in ihren Reliefs weit eher an die
Antike und an Ghiberti an, als an die Kanzeln von S. Lorenzo.
Keinerlei nähere Beziehung zu anderen Arbeiten ermöglicht es
daher auch, die Entstehungszeit der letzteren genauer zu prä-
15*
2 28 DONATELLOS KANZELN IN S. LORENZO
zisieren. Es möchte selbst schwer sein nachzuweisen, ob die
einzelnen Reliefs früher oder später fallen als die Bronzearbeiten
Bellanos in Padua, obwol das erstere wahrscheinlich ist, da
jene sich sämtlich in die achtziger und neunziger Jahre zusammen-
drängen. Das Todesjahr Bertoldos dürfte den letzten Termin
bezeichnen, bis zu welchem wir uns die Reliefs der Kanzeln
vollendet denken mögen.
Durch eine bemerkenswerthe Verkettung der historischen
Beziehungen kommt in ihnen ausser Donatello auch der Ein-
lluss Mantegnas zur Geltung, des an selbständiger Formen-
anschauung neben jenem wol reichsten Geistes der Quattro-
centokunst. Und wenn uns nun der Zusammenhang der Be-
trachtung im gegebenen Falle auch den Namen Michelangelos
in die Feder gezwungen hat, so bezeichnen diese drei Namen
in ihren gegenseitigen Beziehungen deutlich genug den Platz,
welchen die Kanzeln von S. Lorenzo in der Geschichte dieser
Kunst einnehmen! Sie gehören jener Zeit des Uebergangs an,
wo die bisher getrennt und selbständig entsprossenen Zweige
des Stilempfindens sich einander zu nähern und mit einander zu
verwachsen beginnen und zugleich die jungen Keime aufschiessen,
aus denen die Kunst des neuen Jahrhunderts erstehen soll.
REGISTER
Adriano (di Giovanni de' Maestri?), Erz-
giesser 194,4.
Agostino d' Antonio dl Duccio, Bildhauer
147, 210,1, 213, 222.
Alberti, Leo Batista 105, HO.
Allegorie 120, 124, 197, 203 f., 214,
217, 222.
Ambonen 4, 13.
Anatomie 157, 201, 206, 218 f.
Antiken : Erotenurne im Capitol. Mus.
93,1, Rossebändiger 183,1, Sarkophag-
reliefs, Cortona 72 f., Pisa 180,2, 196 t'.,
Rom 198,2, 200, "Werke der Klein-
kunst 77,2, 80,2, 183 — 186. Nach-
bildungen der Antike 80, 83, 104,
121, 164, 183 — 190, 195, 196 f.. 200,2,
204, 206, 212, 217, 221 f.
Antonio di Chellino da Pisa, Bildhauer
82, 90 f., 91,2, 103 2.
Assisi, S. Francesco, Oberkirche 14.
Bandinelli, Baccio, Bildhauer 2, 104,1.
Baroncelli, Niccolo di Giovanni, Bild-
hauer 94,3.
Bartolommeo di Domenico, Steinmetz
148 f., ISI.3-
Bellano, Bartolommeo, Bildhauer 134 f.
141— 174, 175, 178, 180, 188 f., 202,2,
215, 218, 220, 226.
Bellini, Gentile, Maler und Medailleur
158, 203, Jacopo, Maler 139,2.
Benedetto da Majano , Bildhauer und
Architekt 41, 65,2.
Berlin, Museum, Renaissance -Bildwerke:
(Kat. No. 40) 94,3. (No. 41) 79,1.
(No. 44) 87,2. (No. 53 A) 142,2
(No. 55) 137,1. (No. 155 A) 141-
144, 150, 169, 188. (No. 156) 169,2.
(No. 707) 204. (No. 708) 204,2. (No.
789 ff.) 214. (No. 805) 217,2. (Neu)
184,1, 214.
Rertolio di Giova?ini, Bildhauer und
Medailleur 2, 3, 103, 131. 135, 160,
172 f., 178 — 181, 189, 191 — 227.
Boldh, Giovanni, Medailleur 103.
BotücelU, Sandra, Maler 217, 222.
Braunschweig, Dom 18, 1.
Brunellesco, Filippo, Architekt 21, 41 f.,
69 f., 72.
Bücken, Stiftskirche 18, I.
Canozzo, Lorenzo, Intarsiator 155-
Carpaccio, Vittore, 111, I. 2l7, 2.
Castro, Angelus und Paulus de, Rechts-
gelehrte, 165 f.
Cellini, Benvenuto, Bildhauer 130,1.
Choranlagen im Mittelalter 14 f., 17 f.,
im XV. Jahrh. 19 f., 22.
Civitale, Matt- 0, Bildhauer 20.
Consta?itius, Medailleur 203.
Cortona, Dom 72.
Cosmaten 51.
Cristoforo di Geremia, Medailleur 204,1.
Dekorationsstil Donatellos 40 — 55, Bella-
nos 152 f., 156 f. Paduanisch - vene-
zianischer 153, 159, 167.
Desiderio da Settignano, Bildhauer 152.
Donatello, Bildhauer. Lebensdaten I — 3,
45—48 f., 53. 63,1, 73. 79, 81, 95 f.,
114. Künstlerinschrift 30, 38,1. Relief-
kunst 62 — 113. Ornamentstil 51 f., 54
230
REGISTER
83. "Werke: Crucifixus 86. Gattamelata
38,1, 41. 95 f-> '23. 134. '70.I- Jo-
hannes d. T. 116. Judith 38,1, 41,
85. S. Lorenzo 48. S. Ludwig 48. —
Drachenkanipf 63 — 65. Grablegung 74,
98, 177. Herodesyof, 113. Madonna
71. Pieta 75. Schlüsselübergabe 58,
75 t. — Kanzel in Prato 48, 74 (Bronze-
kapitell 52). Sängerbühne im Dom
49—51, 74, 88 f. Tabernakel 45 f.,
48, 52, 64, 128, 156, 213,1. Grab-
mäler 38,1, 43, 44,1, 46 f. — (Vgl.
Florenz, S. Lorenzo : Padua, il Santo.)
Duccio s. Agostino d' Antonio.
Dürer, Albrecht, Maler 216.
Empoli, Baptisterium 51,1
Ferrara, Dom 94,3. Reiterbilder 96.
Ferrucci, Simone, Bildhauer 86, 3
Fiesole, Fra Angelico da, Maler 123.
Filarete, Antonio, Bildhauer und Archi-
tekt 147,1, 200,2.
Florenz, S^a Annunziata 9, 45, 51, 6.5.
SS. Apostoli 21. Baptisterium 43, 63,
221. Bargcllo s. Museo nazionale. Casa
Buonarroti 223. Carmine. Brancacci-
kapelle 69, 77. S. Croce 19,4, 21, 45,
47,2, 48, 65,2, 152. (Pazzikapelle 43).
Dom 41, 49, 58 f., 67,1, 77, 193, 3.
(Campanile 45, 62, 64.1, 65). Kirche
der Giesuati 20. S. Lionardo in Arcetri
20, Loggia de' Lanzi 41, 130,1. S.
Maria Novella 19,4, 21, 63, 123,1.
S. Miniato 21, 24. Museo nazionale
49, 78, 89, 94.3. 106,1, 124, 181,
187,2, 196, 205 f., 214. Orsanmichclc
45, 48, 51, 62 f., 64, 67. Palazzo
Media 54, 77,2, 86,1, 186, 198,1, 222,
S. Spirito 21, 54,1. S. Trinitä 123,1,
185,2, 222.
— S. Lorenzo: Bau 21- 23 Sakristei
24, 48, 79 1-, 99, "I — "3, 125, 176,
186. Guardaroba 51,1, 86,3. — Innere
Ausstattung: Choranlage 6, 22 — 25,
53, 227. Orgelbühne 25, 49,4. Bronze-
kanzeln: Geschichte 4 — 13, 224, 227.
Material und Technik 7, 10, 27, 37,
175. Reliefs:
Christus auf dem Oelberge 28, 34,
136 f., 162, 189.
Christus vor Kaiphas und Pilatus 28,
34, 117— 120, 134, 163, 165,
171 f-, 173-
Kreuzigung 131 — 135, 143, 166,
171, 173, 181, 219.
Beweinung 34, 127 — 131, 161, 171,
178, 181, 210 f., 219.
Grablegung 34, 175—179, 211 f.,
220
Die Marien am Grabe 120 f., 134,
163, 171 f., 173, 180, 188.
Höllenfahrt — Auferstehung — Him-
melfahrt 35 f., 56—61, 114 f., 176,
17S.
Ausgiessung des h. Geistes 137 — 139,
143, 165, 188.
Martyrium des h. Laurentius 179,
181, 189, 210 f , 220.
Puttenfriese 29—31, 39, 182 — 190,
202. 212 213 1 220, 222.
Francesco del Valcnte, Bildhauer 82, 91.
Gauricus, Pomponius 123 f., 161,2, 171.
Ghiberti, Lorenzo, Bildhauer 63 f., 66 f.,
70.
Ghiberti, Vittore, Bildhauer 149,3 221.
Gldrlandajo, Domenico, Maler 123,1.
Giovanni da Bologna, Bildhauer 9, 10.
Giovanni da Pisa, Bildhauer 51,1, 82 —
88, 94, 106.
Goslar, Neuwerkskirche 18, 1.
Grabmäler in Florenz 43, 47,2, Neapel
43 Padua 151 f . . 165 t'., Rom 46 f.,
Venedig 153, 159-
Groppoli, S. Michele 15.
Guglielmo Fra, Bildhauer 16.
H
Handzeichnungen 104,1, 139,2, 177,1,
216.
Holzschnitte 183,2, 217.
Jakob von Strassburg, Holzschneider 217t.
Inschriften 30, 38 f., 103,2, 141, 146,
149,3, 151, l66> J94. 204.
K
Kanzeln im Mittelalter 14 — 18, im XV.
Jahrhundert 13,24, 48 f., 225.
Kethams Fasciculus medicinae 2 19.
Keule als "Walle 202.
REGISTER
Kunstsammlungen im XV. Jahrh. 169,2,
186, 212, 221.
Kupferstiche 139, 139,2, 187,2, 214, 216.
Lettner s. Choranlagen.
Lippi, Filippino, Maler 222.
Lippi, Fra Filippo, Maler 123
Lombardei, Pietro, Bildhauer 154, 167,2,
'73-
London, South-Kensington-Museum 58,
69,1, 75 f., 169,2, 214. Lord Vaughan
106,1.
Lucca, Dom 20.
M
Majano s. Benedetto.
Manetti, Antonio 42, 69.
Mantegna, Andrea, Maler 78, 85, 92,1,
IOI, 108 f., 116, 123—125, 139, 143,
149,3. 157, «7<> 204,1, 216 f., 218.
Masaccio, Maler 69, 77,1, 123.
Medaillen 145,4, 151, 191, 203 f.
Medici, Cosimo 23, 206.
„ Giovanni (d'Averardo), 22.
„ Lorenzo 191 f., 222
„ Piero 206.
Michelangelo, Maler und Bildhauer 3 ,
46, 181, 191, 223 f.
Michelozzo di Bartolommeo, Bildhauer
und Architekt 41, 42 — 52, 54, 71, 74.
Michelozzo, Uiccolo 149,3.
Mino da Fiesole, Bildhauer 145.
Modena, Reiterstatue des Borso d'Este 96.
Montepulciano, Dom 44,1.
N
Nanni di Banco, Bildhauer 64, 68.
Neapel, S Angelo a Kilo 43, Anjou-
gräber 43, Triumphbogen Alfons I.
91, 2.
Niccolo d'Arezzo, Bildhauer 51.
Niccolo Pizzuolo, Maler und Bildhauer
82, 101, 108,2, 109.
Orcagna, Andrea, Maler und Bildhauer
51, 621"., 68.
Padua, Eremitani 83 f., I24f, 218, S.
Francesco 166 f., 173, 188, Servi 165 f.,
Pal. della Ragione 167,2.
— il Santo: Chorschranken 89, 148.
160. (Reliefs 150,2, 159 — 165, 171 f.)
Grabmäler Fulgoso 88,1. Gattamelata
152. Roselli 151, 154, 156, 170, 173.
Ehem. Hochaltar: Antoniusreliefs 100
— 108, 113 f., 122, l6l, 2l6, 219,2
Crucifixus 86 f, 218. Engelreliefs 88,
90 f., 94. Evangelistenzeichen 82, 87,
89, 91. Grablegung 97—99. 177-
Pietä 92,1, 218. Statuen 94,3, 150,1,
169, 202.1. Kapelle Gattamelata 100,
123. Sakristei, Reliquienschrein 151,2,
I54—IS7, 170. 173-
Pagno di Lat>o Portigiani Bildhauer 51.
Paris, Louvre 209, 2 18.
Perspektive 65 f., 76, 78, IOI f., 104,
108, 110, III, I, 122, 128, 196, 225.
Perugia, S. Bernardino 147, 213. Kolossal-
statue Pauls II. 146 l.
Piero di Cosimo, Maler 222.
Pisa, Baptisterium 14, Camposanto 187,2,
196 f
Pisano Andrea, Bildhauer 63, 66.
Pisano, Vittore, Medailleur 103.
Pistoja, S. Andrea 14. S Bartolommeo
in Pantano 17 f, b. Giovanni fuorci-
vitas 1 6 .
Plaketten 38,1, 184,1, 187,2, 209 f..
210,1, 214, 217,2.
Poggio a Cajano, Casino 191, 222.
Pollajuolo, Antonio, Maler und Bildhauer
41, 200, 207, 213 ., 219.
Prato, Dom 48, 52. S Maria delle Carceri
222.
Putten 46 f., 52, 74, 80, 83, 152, 157,
166, 169, 205 f., 213,1.
Quedlinburg, Abteikirche 18,1.
R
Raphael, Maler 65, 104,1.
Ravenna, Danterelief 167,2.
Reliefstil 60, 66 f., 80 f , 93, 137, 176
195, 223.
Riario, Girolamo 192,4.
Riccio, Andrea, Bildhauer 160, 166,
168,1, 210,1.
Robbia, Luca della, Bildhauer 58 f.
232
REGISTER
Roccabonella, Pietro, Arzt und Philosoph
l66f.
Rom, S. Cecilia in Trastevere 47,2.
Lateran 47. S. Maria Araceli 46. S.
Maria del Popolo 47,2. S. Peter 45,
47, 74 f. Montecavallo 183.1. Pal.
Venezia 145. Museo Capitolino 93,1,
185,1. Museo Vaticano 184,2, 185,1.
Villa Borghese 198,2.
Roselli, Antonio, Staatsmann und Ge-
lehrter 151
Rossellina. Antonio. Bildhauer und Archi-
tekt 41, 151. 153, 219.
Rossellino. Bernardo, Bildhauer und
Architekt 41.
San Gallo, GiuUano da. Architekt und
Bildhauer 185,2, 222.
Siena, Casino de' Nobili 89. Dom 14,
19,1, 46, 70 f., 89. 116.
Squarcione, Francesco, Maler 101. 108 f..
'55.2-
Turin, R. Armeri.i 38.
u
Urbatto di Pietro da Cortona, Bildhauer
82, 88 — 90, 94.3, 103,2.
Varro Fiorentino, Bildhauer 147. 1.
Vasaii, Giorgio, Maler und Architekt
19,4-
Veliano s. Beüano.
Venedig, Akademie 210,1. Campo S. To-
ma 159,1. Colleonidenkmal 158, 201,1.
S. Giobbe 153. 159. S. Giovanni e
Paolo 88,1, 153, 159. S. Maria glo-
riosa de' Frari 20,4, 92,1, 94,3, 154,1,
159. S. Stefano 169,1.
Verrocchio. Andrea del, Maler und Bild-
hauer 41, 48, 123, 158, 173, 200,
201 I, 217, 219.
Volterra, Dom 16.
w
Wandschmuck 198,1, 207.
Wechselburg, Klosterkirche 18,1.
Wien, ehem. Ambraser Sammlung 99,1
194 f.
345 Semrau, Max. DonateHos Kanzeta ig >S Lorenzo Ein B^z^G«*^
S Martin von Lucca u.d. Anfänge d.toskan
Sküi'pTur im Mittelalter. 253 S.,21 Abb . , 7 Taf. .Breslau l89o.Lwd
2o55 TOSKANA: Schmarsow, A.
Skulptur im Mittelalter. <oj> =>-,*' «.uu.,, x<^. ,-----— - -
(Ital. Forsch.z.Kunstgesch.,l).-Beigebd.:Sen1rau,M., Donatellos Kan-
zeln in S . Lorenzo . 232 S.,Ut Abb . , «t Taf., Breslau 1 89 1 . (ital . Forsch.
. 70 .
z.Kg.,2)
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3 3125 00761 4890