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Wilhelm Heinſe
Saͤmmtliche Werke
Herausgegeben von
Carl Schuͤddekopf
Erſchienen im Inſel-Verlag
PAR
Gedichte. Jugendſchriften
Der Geſammtausgabe
erſter Band
AN
Leipzig im Jahre 1913 0 1
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Die Ausgabe umfaßt
ıo Bande und wurde
gedruckt in der Officin
W. Drugulin, Leipzig
N 9 *
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SN * 72 7
22 2
Einleitung
ieſe Ausgabe von Wilhelm Heinſes ſämtlichen Wer;
ken will verſuchen, ein langjähriges Unrecht wieder
gut zu machen, indem ſie den Autor als Dichter und
x 95 0 als Menſchen in einem reineren Lichte erſcheinen
übereifriger literariſcher Schatzgräberei als eine ſtarke Übertreibung
erſcheinen, wenn die Behauptung auftritt, ein Dichter ſei hundert
Jahre nach ſeinem Tode in ſeinem innerſten Weſen noch uner—
kannt, das Perſönlichſte und Eigenſte, was er beſaß, liege noch ver—
borgen; aber doch ſteht zu hoffen, daß wenigſtens die letzten vier
Bände unſrer Ausgabe, die feine groͤßtenteils noch ungedruckten Tage;
bücher, Aphorismen und Briefe bringen, dieſes Urteil rechtfertigen.
Hierauf in aller Kürze hinzuweiſen iſt der Zweck dieſer Einleitung.
Für eine ausführliche Biographie Heinſes dagegen, die neben der
Analyſe ſeiner Schriften beſonders ſeine Wirkungen auf die Nach—
welt darzulegen hätte, iſt hier kein Raum; auch hat die Forſchung
über den Dichter eben erſt ſo kräftig eingeſetzt, daß für eine ab—
VI Einleitung
ſchließende Darſtellung ſeines Lebens und Wirkens die Zeit noch
nicht gekommen ſcheint.
Menſchlich wie dichteriſch iſt unſer Held in ſeiner Entwicklung durch
widrige Schickſale beeinträchtigt worden, ſodaß das Beſte, was
Mutter Natur ihm mitgegeben hatte, erſt ſpät zu freier Entfaltung
gelangte. Geboren am 15. Februar 1746 in Langewieſen, einem
ſchwarzburg⸗ſondershauſenſchen Landſtädtchen bei Ilmenau, als Sohn
eines Organiſten und Stadtſchreibers, von dem er außer einer im
thüringiſchen Volkscharakter wurzelnden muſikaliſchen Begabung
wenig ererbte, erhielt er feine erſte Erziehung von orthodoxen Pe;
danten. Sein leidenſchaftliches curriculum vitae im erſten Briefe
an Gleim zählt ihr Sündenregiſter auf, und im dritten der „Muſi⸗
kaliſchen Dialoge“ von 1770 fagt fein Doppelgaͤnger Löwe: „Schur⸗
ken von dickbäckigten Candidaten quälten mich täglich in Poſtillen
und Gebetbüchern zu leſen und das lateiniſche Wörterbuch auswen⸗
dig zu lernen, anſtatt daß fie meinen Verſtand, mein Genie ent⸗
wickeln ſollten.“ So blieb Heinſe, trotz erfolgreichen Beſuches der
Gymnaſien zu Arnſtadt (1760 /) und Schleuſingen (1762/60, fein
Lebelang auf ſeine Erzieher ſchlecht zu ſprechen; das Beſte gab ihm
eifrige Lektüre und die erwachende Erotik, die in ſeiner Entwicklung
frühzeitig eine wichtige Rolle ſpielt.
Auch die Univerſität Jena, die er, ſchon über zwanzig Jahre alt, im
Herbſt 1766 als Juriſt bezog, konnte mit ihren rohen Sitten dem
von Rouſſeau und Winckelmann Beeinflußten wenig bieten; er ſelbſt
nennt die anderthalb Jahre, die er dort zubrachte, die bitterſte
Periode ſeines Lebens. Nur dem eitlen und unzuverläſſigen Privat⸗
dozenten der Philoſophie Friedrich Juſt Riedel verdankte er einige
Anregung und Unterſtützung, wurde aber dafür in allerlei litera⸗
Einleitung VII
riſche Skandale verwickelt und zur Abfaſſung von Pamphleten be;
nutzt, die uns zum Teil noch unbekannt ſind. Erſt in Erfurt, wohin
er Oſtern 1768 feinem bedenklichen Gönner folgte, fand er in Wie;
land, der an der vom Kurfürſten Emmerich Joſeph reorganiſierten
Univerſität am 3. Juni 1769 ſeine Vorleſungen eröffnete, ſeinen
erſten wirklichen Lehrer und Führer. Im vertrauten Verkehr mit
ihm bildete Heinſe ſich unter dem Einfluß feiner hedoniſchen Philo⸗
ſophie zum Schüler der Griechen aus, der er, wenn auch in ver;
ändertem Sinn, ſein Lebenlang bleiben ſollte. Wieland empfahl
ihn an Gleim und Fritz Jacobi, verſuchte feine literariſchen Erſt—
linge unterzubringen und ihn zum Theaterdichter zu machen; doch
bereitete ſich ſchon jetzt eine innerliche Entfremdung vor, die zwei
Jahre ſpäter zum offenen Bruch führte. Aus dem Kontraſt der
drückenden Wirklichkeit, in der er lebte, mit den ätheriſchen Höhen,
auf denen feine Phantaſie wandelte, iſt fein erſtes größeres Werk
„Elyſium“, die leider verlorne Urgeſtalt der „Laidion“, hervor;
gegangen; und der Traum von einer „glückſeligen Inſel“, zu der
ſeine Gedanken flüchteten, kehrt Jahre lang in immer neuen Formen
wieder.
Aber den fünfundzwanzigjährigen Studenten, der ſein Studium
nicht abgeſchloſſen hatte und in gewiſſem Sinne immer ein Auto⸗
didakt blieb, drängte die Not des Lebens bald auf andere Bahnen;
kurz entſchloſſen ging er Ende September 1771 mit einem verab⸗
ſchiedeten preußiſchen Hauptmann, der angeblich den Namen Gün—
ther oder von Liebenſtein führte und mit Leſſing und Quintus Ici⸗
lius befreundet ſein wollte, als Sekretär auf Reiſen an den Rhein
und nach Süddeutſchland, wo deſſen Gefinnungs; und Waffenge:
noſſe, der Graf Hermann Woldemar von Schmettau, nach Quitti⸗
VIII Einleitung
— Eee
rung des däniſchen Dienſtes als Verfaſſer freigeiſtiger Schriften
lebte und Prozeſſe um Lotteriekonzeſſionen führte. In dieſer frag⸗
würdigen Umgebung iſt die berüchtigte Überſetzung des Satyrikon
von Titus Petronius entſtanden, die für Heinſes Entwicklung, auch
wenn er fie fpäter Gleim und Wieland gegenüber ſcharf verläugnete,
ungemein wichtig iſt. Aus einer faſt unheimlichen Kenntnis der
erotiſchen Weltliteratur fügte er Anmerkungen und eine Einleitung
hinzu, die man mit Recht einen phalliſchen Proteſt gegen die
zimpferlich bürgerliche Griechenmaskerade der deutſchen Kleinſtädter
nennen konnte. Wielands Pſeudogriechentum war tief empört und
noch 178 1 nannte Herder die Überſetzung, trotz ihrer Kunſt, einen
Flecken unſerer Sprache.
Völlig ausſichtslos kehrte Heinſe nach dieſem ſtürmiſchen Wanders
jahre im Auguſt 1772 in ſeine Vaterſtadt zurück, die wenige Tage
vorher durch einen Brand zerftört war; bei aller Leichtlebigkeit und
Sorgloſigkeit um ſeine Zukunft mußte ihm daher eine Einladung
Gleims nach Halberſtadt, um dort eine Hauslehrerſtelle anzutreten,
wie eine Erlöfung erſcheinen. Die anderthalb Jahre, welche Heinſe
nun unter der Protektion des gutherzigen aber eitlen „Vater Ana—
kreon“ verlebte, dem er ſchon manche Unterſtützung und die Druck⸗
legung ſeiner unbedeutenden „Sinngedichte“ verdankte, ſind nicht
ohne Einfluß auf ſeine äußere Entwicklung geblieben. Die auch von
Wieland gerügten „vöbelhaften“ Sitten des Kantorſohnes vom
Thüringer Walde wurden in dem Hauſe der Frau von Maſſow in
Quedlinburg, deren Sohn er erzog, von einer feineren Lebensart
wohltätig beeinflußt. Typiſch für die eben einſetzende Empfindſam⸗
keit der Zeit iſt ſein Verhältnis zu der adligen Frau des Hauſes,
mit der er zuſammen muſtziert, den Metaſtaſio lieſt und eine Seelen⸗
Einleitung IX
freundſchaft ſchließt, während fie, empfindfam, ſchwelgend in Gefühlen,
mit einem derben, ſoldatiſchen Manne verheiratet, die Huldigungen
des ſchwärmenden Jünglings halb ermuntert, halb zärtlich abwehrt.
Einen nachhaltigen Eindruck, der ſich noch nach zwanzig Jahren in
der Konzeption der „Hildegard von Hohenthal“ widerſpiegelte, wie
ihn mehrere Biographen Heinſes conſtruiren, halte ich jedoch für
ausgeſchloſſen.
Trotz ſolcher Einflüſſe war der junge Dichter aber im Grunde ge—
nommen auch hier am falſchen Orte; der Aufenthalt in Quedlinburg
und in Halberſtadt, wohin er mit ſeiner Prinzipalin im März 1773
überſiedelte, war für ihn eher ein Stillſtand, ja ein Rückſchritt. Zwar
die Beteiligung an dem anakreontiſchen Getändel, das Gleim ſein
Leben lang mit den Jacobis und Genoſſen trieb, war ihm nicht Ernſt,
Heinſe wählte dieſen „auf die Dauer unerträglichen Jargon“, wie
ihn Laube nennt, nur, weil er ihm eine gute Aufnahme verſprach,
wie er überhaupt mit großer Virtuoſität die literariſchen Stilmoden
mitmacht, wie ſie kommen, bis er in Italien zu ſeinem eigenen Aus⸗
druck reift. Daß aber Gleim ſeinen Schützling, ſtatt ihn vor eine
große Aufgabe zu ſtellen, wie es vielleicht ſein geplanter Künſtler—
roman „Apelles“ hätte werden können, mit Rokoko⸗Tändeleien, wie
die Überſetzung der „Kirſchen“ nach Dorat es war, mit ſpielerigen
Nachahmungen oder unbedeutenden Epigrammen für die Halber
ſtädter „Büchſe“ ſeine beſte Zeit verlieren ließ, wird ihm immer
zum Vorwurfe gereichen. Denn daß auf dieſem Boden Heinſe nicht
die ſittliche Energie gewann, um ſich, etwa wie Schiller auf der
Karlsſchule, aus eigner Kraft loszureißen, war leicht einzuſehen.
Um ſo mehr iſt anzuerkennen, daß ſein Schützling, obwol ihm inner⸗
lich längſt fern ſtehend, doch dem alten Vater Gleim, der ſo manche
X Einleitung
ſchmerzliche Erfahrung mit ſeinen Freunden machen mußte, in zart⸗
fühlendſter Weiſe bis zu ſeinem Tode die Treue bewahrte.
Inſofern ſchien feine Überſiedlung nach Düſſeldorf, wohin er ohne
Gleims Wiſſen und Willen ſich von dem Anakreontiker Jacobi als
Mitredakteur an deſſen Damenzeitſchrift „Iris“ im April 1774
entführen ließ, eine Befreiung für ihn zu ſein. Schon auf der Reiſe
lernte er in Braunſchweig und Hannover einige führende Männer,
wie Leſſing, der ihn nach Boies Bericht ironiſch ablehnte, und
Leiſewitz kennen, vor allem aber machte er bald nach feiner An⸗
kunft in Pempelfort die Bekanntſchaft Goethes, an den er ſich, mit
dem ganzen Jacobiſchen Kreiſe, in leidenſchaftlicher Bewunderung
anſchloß. In neidloſer Entzückung über den drei Jahre Jüngeren,
vom Glücke Begünſtigten, ſchreibt Heinſe an die Halberſtädter
Freunde (13. IX. 74): „Göthe war bey uns, ein ſchöner Junge
von 25 Jahren, der vom Wirbel bis zur Zehe Genie und Kraft
und Stärke iſt; ein Herz voll Gefühl, ein Geiſt voll Feuer mit
Adlerflügeln, qui ruit immensus ore profundo“ und (13. X. 74):
„Ich kenne keinen Menſchen in der ganzen Gelehrten-Geſchichte, der
in ſolcher Jugend ſo rund und voll von eigenem Genie geweſen
wäre, wie er. Da iſt kein Widerſtand; er reißt alles mit ſich fort.“
Der Mondnacht auf dem Schloſſe zu Bensberg, wo Goethe ſeinen
„König in Thule“ vortrug, erinnerte ſich Heinſe noch 1790, als das
Fragment von Fauſt erſchien, in voller Friſche, und den Glauben an
„ſeinen Wolfgang Göthe“ hat ihm weder der Streit um Fritz Jacobis
parodirten „Woldemar“, noch der Angriff in den Zenien rauben
können. Noch ſieben Tage vor ſeinem Tode rät er Sömmerring
von einer Überſiedlung nach Jena mit den Worten ab: „Was
geiſtiges Leben betrifft, haben Sie weiter Niemand dort, ſo viel
Einleitung XI
ich weiß, als Wolfgang Göthe, und Niemand weiter, als Wolfgang
Göthe.“
Vor allem der „Werther“ hatte es ihm angetan. Als Fritz Jacobi
ihm den eben erſchienenen Roman am 19. October 1774 vorlas,
beteuerte Heinſe, Goethe ſei der größte Mann, den die Welt hervor:
gebracht; kein neues Volk habe ein ſolches Wunder aufzuweiſen als
„Werthers Leiden“; und der erſte Entwurf zu einer Beſprechung in
der Iris, den er am folgenden Morgen ſchickte, war fo überſchwäng—
lich, daß Jacobi ihn unterdrücken mußte. Auffallender Weiſe war
Goethe nicht minder entzückt von Heinſes vor kurzem veröffentlichten,
erſten größeren Werk „Laidion oder die eleuſiniſchen Geheimniſſe“.
Über dieſen Griechenroman, der, mit ſeinen Anfängen noch in Heinſes
Erfurter Zeit zurückreichend, die Philoſophie der Grazien mit Wie⸗
landſchem Apparat verkündet, zugleich aber auch die hedoniſche Phi—⸗
loſophie des Meiſters zu Conſequenzen verfolgt, zu denen der wei⸗
mariſche Prinzenerzieher ſich weder bekennen wollte noch konnte,
ſchreibt Goethe in dem forcierten Stil feiner Jugendbriefe an Jo—
hanna Fahlmer: „Das iſt mein Mann! Er hat Hunderten das Wort
vorm Maule weggenommen. Eine ſolche Fülle hat ſich mir ſo leicht
nicht dargeſtellt. Ich halte dafür, daß ſich nichts über ihn ſagen läßt.
Man muß ihn bewundern oder mit ihm wetteifern. Wer etwas An;
deres thut, oder ſagt ſo! und ſo! iſt eine Canaille.“ Und an Heinſe
ſelbſt in einem mit der ganzen Correſpondenz leider im Original ver;
loren gegangenen Briefe: „Es wird ſchon eingreifen, ſowie die Vor⸗
rede zum Petron, ob's gleich was ganz anders iſt, laßt die Kerls
raiſonniren, was ſie wollen. — Und was die Stanzen betrifft, ſo
was hab' ich für unmöglich gehalten. Es iſt weiter doch nichts als
ein Jouissance, aber der Teufel mach die 50 ſolche Stanzen darüber
XII Einleitung
nach — Kurz; ich darf nichts darüber ſagen, es iſt ſo vieles darin,
das nicht anders iſt, als ob ich's ſelbſt geſchrieben hätte“. Kein
Wunder, daß Heinſe auf ein ſolches Lob ſtolz war, zumal ſein alter
Lehrer Wieland, voller Beſorgnis vor den Geiſtern, die er gerufen
hatte, gerade an dieſen Stanzen das größte Argernis nahm und
ſeinem Schüler darob die Freundſchaft kündigte, ohne doch auf die
Dauer deſſen Mitarbeit am Deutſchen Merkur entbehren zu können.
Sonſt war für Heinſe, rein äußerlich genommen, in Düſſeldorf nicht
viel zu holen. Okonomiſch von dem guten Willen der Brüder Ja—
cobi abhängig und nur durch ſeinen unverwüſtlichen Optimismus
imſtande, ſich über Waſſer zu halten, war er auch als Schrift:
ſteller hier zunächſt nicht am rechten Platze. Zum Herausgeber einer
Damen⸗Zeitſchrift war der Überſetzer des Petron und der Kirſchen
am wenigſten geeignet, wenn er auch eben als Compilator von „Er:
zählungen für junge Damen und Dichter“ debütiert hatte; und ſeinen
Beiträgen zur Iris, einer „Erziehung der Toͤchter“, einer „Frauen⸗
zimmer⸗Bibliothek“, einer „Geſchichte des Kalenders“ und ähnlichem
merkt man leicht das Gezwungene an. Auch feine Proſa-Überſetzungen
aus dem Italieniſchen des Fortiguerra, Taſſo und Arioſt tragen
den Stempel beſtellter Lohnarbeit, wenn auch die letztere, erſt in
Venedig vollendet und 1782 in Mannheim erſchienen, das bittere
Epigramm Schillers
Wohl, Arioſto, biſt du ein wahrhaft unſterblicher Dichter,
Denn da du hier nicht ſtarbſt, ſtirbſt du, o Goͤttlicher, nie,
nicht verdient, ſondern gegenüber Vorgängern und Konkurrenten, wie
Meinhard, Werthes und Mauvillon, einen weſentlichen Fortſchritt
bedeutet.
Aber trotz alledem iſt der ſechsjährige Aufenthalt am Niederrhein
Einleitung XIII
für Heinſe von der entſcheidendſten Bedeutung geweſen; neben der
Italieniſchen Reiſe iſt dies die wichtigſte Station feines Lebens;
weges. Wielands falſches Griechentum und Gleims tändelnde Ana;
kreontik ſchwinden für immer aus ſeinem Ideenkreis; über Jacobis
bevorſtehende Heirat mit einer Couſine in Celle ſchreibt er, es werde
nicht viel kluges daraus entſpringen, außer einigen Liederchen an
Roſenbüſche, Schmetterlinge und Liebesgötter zwiſchen Thyrſis und
Chloe. Eine ganz andere Gedankenwelt wird durch die beginnende
Bekanntſchaft mit der Renaiſſance in Heinſe wach; mehrfach tritt
neben Taſſo und Arioſt der Name Macchiavelli auf, und aus der
alten Rouſſeauſchen Naturverehrung erwächſt ihm eine freie,
äſthetiſch geſtimmte Kraftmoral, die er aber ſorgſam vor der Außen—
welt verbirgt und auch feinen naͤchſten Freunden nicht verrät. Wahr;
heiten erwachen in ihm, die ſein einziges Eigentum im achtzehnten
Jahrhundert bleiben, die er aber nur ſeinen flüchtig geſchriebenen
Tagebüchern und Notizheften anzuvertrauen wagt. Man braucht
nur wenige Seiten in dieſen „Gedankenhecken“ aufzuſchlagen, um
einzuſehen, wie es in dem Einſamen Jahre vor der großen
Revolution wetterleuchtet. Da finden wir Sätze wie: „O, wie
will ich mich freuen, wenn ich einmal unter Menſchen komme, die
nackend gehn und wo ich nackend gehn kann“, „Jedes Verhältniß
in der bürgerlichen Geſellſchaft iſt ein Strick; der gemeine Mann
iſt am wenigſten gefeſſelt“, „Je vollkommener ein Menſch iſt,
deſto weniger glaubt er“, „Ein wahrer Menſch muß Unrecht zu
thun vermögen; geſchweige Unrecht leiden“, „Es giebt fo wenig
eine allgemeine Moral, als ein Menſch eine Million Menſchen
iſt. Was ſoll das: liebe deinen Vater! wenn der Vater ein aus—
gemachter häßlicher ſchlechter Kerl iſt“, oder endlich: „Es giebt keine
XIV Einleitung
andren Pflichten, als die aus der Selbſterhaltung eines Ganzen
entſpringen“. Er ſpottet über die „Seelen, die nie ohne Stock oder
Degen gehen können“, erklärt „Der Menſch iſt das größte Raub—
thier“ oder „Die Religion iſt weiter nichts, als eine Heiligung der
geſellſchaftlichen Pflichten“ und ſcheut nicht vor dem Paradoxon
zurück: „Die Zeiten, in denen bellum omnium contra omnes war,
ſind nach aller Geſchichte immer die glücklichſten Zeiten für die
Menſchheit geweſen“.
Daß er ſolche revolutionäre, zum Teil auf Stendhal, Nietzſche und
Darwin voraus deutende Gedanken nicht vor dem frommen Philos
ſophen Jacobi, der ihn liebte, aber nicht verſtand, offenbarte, und daß
dieſer urteilen konnte (29. X. 77 an Wieland): „Was feine Seele brütet,
weiß ich nicht genau. Er ſpricht von ein paar Romanen. Ich glaube
aber nicht, daß er je ein Ganzes von wahrhafter, lebendiger Schön⸗
heit hervorbringen wird“, iſt leicht zu begreifen. Auch ſonſt hat er,
durch die Erfahrungen mit Wieland, Gleim und Jacobi mistrauiſch
gemacht, ſich kaum Jemanden in ſeiner wahren Ratur gezeigt und
beſonders Menſchen gegenüber, die ihm nicht kongenial, nicht ſym—⸗
pathiſch genug erſchienen, ſich in eine kühle Zurückhaltung gehüllt.
Das war z. B. dem ſcharfen Beobachter Merck gegenüber der Fall,
der nach ſeiner Rheinreiſe im Juli 1778 an Wieland ſchreibt: „Der
Schäfer Heinſe iſt nicht zu verachten, wenn nur die Beſtie mehr
Theil an den Menſchen nähme und nicht alles ſo lächlend angrinzte.
Genie aber hat er die Menge,“ wogegen er dem derben, aus här-
terem Holz geſchnitzten Klinger in ſeiner „wirklichen wahren poe—
tiſchen Phantaſie erſtaunend lieb von Seiten des Geiſtes und Herzens“
erſcheint.
Am meiſten verriet ſich ſeine innere Wandlung noch in den an Gleim
Einleitung XV
gerichteten und in Wielands „Teutſchem Merkur“ abgedruckten
Briefen über die Düſſeldorfer Gemäldegalerie, die eine überraſchende
Wirkung hatten. Vor ben Italienern, Van Dyck und Rubens,
die jetzt als Cimelien die Münchener Pinakothek ſchmücken, erkennt
Heinſe ſeinen eigentlichen inneren Beruf, mit Werken der Kunſt um⸗
zugehen: hier giebt er gewiſſermaßen in nuce eine Aſthetik der neuen
Richtung, der er ſich in Düſſeldorf zuwandte, und die wir als die
Sturm⸗ und Drangzeit zuſammenfaſſen. Den Spuren Herders und
Goethes folgend tritt er energiſch für das Nationale in der Kunſt
ein, verteidigt die von Winckelmann und Leſſing zurückgeſetzte Land⸗
ſchaftsmalerei und entdeckt in einer meiſterhaft ſtiliſirten Apotheoſe
den großen Niederländer Rubens, der auch ſeiner erotiſchen Natur
kongenial erſchien, gewiſſermaßen erſt wieder für die Kunſtgeſchichte.
Nach all den Maskeraden der Erfurter unb Halberſtädter Zeit regt
ſich hier wieder, wie im Petron, Heinſes eigne Natur und ſchafft
Eindrücke von Kunſtwerken, die mit einer Suggeſtionskraft ohne
Gleichen Farben und Formen gegenwärtig machen.
Aber mit dieſen Studien war ihm nicht gedient, ſeine Seele ſtrebte
mit aller Gewalt nach höherem Ziele. „Ich ſitze gefangen und kann,
voll Leben und Feuer, nicht von der Stelle: und Niemand verſteht
mich, als ich; und Niemand weiß, was mir fehlt; wornach ich trachte
und ringe, wornach meine Kräfte ſtreben, wie die Wurzeln eines
fremden Baums“ ſchreibt er an Gleim (30. XII. 77); und ein an⸗
dermal (6. VII. 78): „Ich bin zu allem andern, außer Natur und
Kunſt, verdorben. Meine Tage fliehen dahin in verzehrendem
Feuer: Die goldnen Stunden des Lebens, wo ich zu ſchaffen, und zu
genießen, und zu ſchaffen vermöchte. Das kann ich nicht nach Her⸗
zensluſt, ohne dem Schönſten, ohne der beſten Natur und Kunſt am
XVI Einleitung
_——
Buſen zu liegen und gelegen zu haben, Mark und Bein voll Seelig⸗
keit und ewiger Wonne. Ein unwiderſtehlicher Zug reißt mich fort
in die Thäler und Höhen der Schweiz, unter die Schatten der
Griechen zu Florenz und Rom, und weiterhin nach dem ſchoͤnen
Sicilien!“
Ungefähr zu gleicher Zeit fand die Sehnſucht ſeines ganzen Lebens,
der Traum ſeiner Jugend Ausſicht auf Erfüllung; Fritz Jacobi und
Gleim verſprachen ihm für zwei Jahre je hundert Dukaten Unter⸗
ſtützung, der Reſt ſollte durch Correſpondenzen für ein Journal auf⸗
gebracht werden, und die Reiſe wurde für das Frühjahr 1779 feſt⸗
geſetzt. „O glimmen will ich auf die hoͤchſten Höhen, die noch keines
Menſchen Fuß betrat! um endlich einmal dieſem unruhigen Herzen,
das vor lauter eingepreßtem Leben zu Grunde gehen wollte, wieder
Luft zu machen.“ Aber die Arbeit am Arioſt, Krankheit und Geld—
ſorgen hielten ihn noch ein Jahr zurück, und erſt im Frühling 1780
war das heiß erſehnte Ziel erreicht.
Am 21. Juni 1780 zog Heinſe von Düſſeldorf aus den Rhein herauf
nach Frankfurt, wo er Goethes Mutter begrüßte, von dort über
Heidelberg, Mannheim und Straßburg zu Schloſſers nach Emmen⸗
dingen und zu Pfeffel nach Kolmar, in deſſen Fremdenbuch er ſich
mit dem Leitmotiv ſeiner Reiſe „des Menſchen Wille iſt ſein Himmel—
reich“ eintrug, und betrat Anfang Auguſt in Baſel die Schweiz,
überall Natur und Kunſt in vollen Zügen genießend. Seine Briefe
an Fritz und Betty Jacobi, auf reichhaltigen Tagebuchnotizen be;
ruhend, ſtrömen über von Dank und Freude für die Urheber ſeines
Glücks. In Koblenz, Frankfurt, Mainz und Mannheim beſucht er
die offentlichen und privaten Glaerien, den erſten überwältigenden
Eindruck architektoniſcher Schönheit aber hat er vom Straßburger
Einleitung XVII
Münſter, deſſen „Gothik“ er wie ſieben Jahre zuvor der junge
Goethe verteidigt. Am 14. Auguſt kommt Heinſe nach Schaffhauſen
und verweilt dort drei Tage, von dem Rheinfall gefeſſelt, den er in
Briefen voll dithyrambiſcher Entzückung beſchreibt.
Auch die übrigen Briefe aus der Schweiz, vom Rigi und Gotthard,
von der Furka und aus Genf ſind voll der feinſten Beobachtungen
über Land und Leute, ſodaß ſchon Gleim und Jacobi ſie drucken
laſſen wollten. Die Reiſebeſchreibung entſpricht am meiſten ſeiner
Begabung, die dem Impreſſionismus unſerer Tage nahe verwandt
iſt; die Fähigkeit treueſten Feſthaltens blitzartig wirkender Ein—
drücke, die Wiedergabe eines dunkeln Gefühls durch den unmittel⸗
barſten Ausdruck, der bis an die Grenze des Moͤglichen geht, aber
nie zu viel wagt, iſt bei ihm ſtärker entwickelt als bei allen ſeinen
Zeitgenoſſen. Noch hatte Niemand die Majeftät der Bergwelt
empfunden und dargeſtellt, wie er in ſeinem Briefe von der Höhe
des St. Gotthard, und je weiter er, über Lyon, Avignon und Bau;
cluſe, nach dem Süden kommt, deſto ſtaͤrker wird ſeine Aufnahme⸗
fähigkeit und die Sehnſucht nach dem Ziel ſeiner Wanderung.
Endlich ſchifft er ſich in Marſeille zu einer ſechstägigen Fahrt nach
Genua ein, auf der das Meer einen mächtigen Stimmungseindruck
auf ihn macht, fährt „im Fluge“ mit einem Vetturin nach Parma,
Reggio, Modena und kann am 22. November jubelnd den erſten
Brief aus Venedig an Fritz Jacobi mit den Worten beginnen
„Becomi a Venezia!“
Jetzt erft iſt Heinſe in feinem wahren Element. Italien entbindet
ſein eigentliches Weſen; hier werden alle ſchlummernden Kräfte in
ihm wach, er lebt „ſtärker an Leib und Seele“. Das leidenſchaft⸗
liche Bedürfnis nach eigener, unabhängiger Weſensexiſtenz, das in
1
XVIII Einleitung
ſeinen Briefen und Tagebüchern immer wieder anklingt, beweiſt jetzt
ſeine innere Berechtigung. Unter den groͤßten Entbehrungen, im
abgeſchabten Düſſeldorfer Reiſerock durchwandert Heinſe, der in der
weichlichen Atmoſphäre ſeiner „Laidion“ des Dolce ſar niente ver⸗
göttert hatte, zu Fuß Italien, wie zwanzig Jahre ſpäter der Spazier⸗
gänger nach Syrakus, ſchläft auf der Überfahrt nach Genua in
kalter Winternacht auf dem harten Verdeck und bleibt in Venedig,
um Holz zu ſparen, 18, ja 22 Stunden im Bett, mit der Beendi⸗
gung der Taſſo⸗liberſetzung beſchäftigt. „Noth iſt der Uhrſchlüſſel,“
ſagt er ſelbſt, „womit die Springfedern des Herzens von neuem
wieder aufgezogen werden, und Sturm und Wetter auf der See
des Lebens unendlich entzückender als aller Sonnenſchein, wenn es
vorbei iſt.“
Aber wie ſtark auch die Eindrücke waren, die auf ſein künſtleriſches
Empfinden einſtürmten, ſo hält er doch anfangs mit ſeinem Urteil
vorſichtig zurück. „Italien habe ich bis jetzt noch ganz anders emp⸗
funden, als man mir hat weis machen wollen; aber ich will nicht
eher von ganz Italien reden, als bis ich das Recht dazu habe.“
Nur über die enthuſiaſtiſch aufgenommene italieniſche Muſik bes
richtet er in ausführlichen Briefen an Fritz Jacobi aus Venedig, wo
er, abgeſehen von einem kurzen Beſuch in Padua, mehr als ſechs
Monate bleibt, vom Taſſo feſtgehalten. Erſt in die letzte Zeit ſeines
dortigen Aufenthalts fallen Aufzeichnungen in ſeinen Nachlaßheften,
die er ſich über die Sammlung antiker plaſtiſcher Werke im Museo
archeologico und in der Bibliothek zu Venedig macht. Sobald er
ſich aber Ende Juni 1781 über Bologna nach Florenz aufmacht,
nimmt ihn die bildende Kunſt völlig in ihren Bann; in vollen Zügen
genießt er die Werke der Architektur, der Plaſtik und der Malerei.
Einleitung XIX
In Bologna bewundert er vor allen, wie fünf Jahre ſpäter Goethe,
Raphaels Cäcilia, Guido Reni und die beiden Caracci, nicht unbe;
einflußt von Volkmanns Reiſehandbuche, von dem er damals noch
wie ſein berühmter Nachfahre abhängig iſt; doch bleibt er bei ſeiner
Düſſeldorfer Anſchauung: „Alle Kunſt iſt menſchlich und nicht
griechiſch“. Erſt in Florenz, wo er Anfang Juli eintrifft und durch
den Hofmeiſter des Großherzogs, einen Grafen von Hohenwart,
freien Zutritt zu den Uffizien und allen Bibliotheken erhält, findet
er das richtige Verhältnis zur Antike wieder. „Ich bin ſelig in vollen
Zügen“, ſagt er vor der mediceiſchen Venus und dem Apollino, wie
vor der Venus Tizians.
Zwei Monate bleibt Heinſe in Florenz und im Toskaniſchen, das
er die Kreuz und die Quer, bis nach Lucca, Piſa und Livorno
durchſtreift, wo er die Poeſie des Meeres wiederum, als einer der
Erſten, tief empfindet; und nach einem vierzehntägigen Aufenthalt
in Siena trifft er endlich im „heiligen“ Rom ein, um daſelbſt faſt
zwei Jahre — die glücklichſten feines ganzen Lebens — zu ver;
bringen! In einem dithyrambiſchen Briefe an Fritz Jacobi vom
15. September 1781 beſchreibt er ſeine erſte nächtliche Wanderung
durch die ewige Stadt, den Sonnenuntergang in der Rotunda,
das mondbeſchienene Kapitol und die ungeheuern Maſſen des
Coloſſeums; gerade um Mitternacht überſchaut er vom ſpaniſchen
Platz das ganze Rom und kommt zu dem Schluß: „Wenn man ſich
ſo ſeinen Sinnen überläßt und in der täuſchenden Dämmerung da⸗
ſteht, ſcheint es wirklich vom Schickſal beſtimmt zu ſein, die Erde
zu beherrſchen, es ſei mit Legionen oder Zauberſprüchen“. In ver⸗
trautem Verkehr mit dem pfälziſchen Dichter und Maler Müller,
mit Ferdinand Kobell und andern Künſtlern vertieft er ſich in das
XX Einleitung
Studium der Kunſt ſo, „daß er gar nicht heraus kann“, glaubt
aber, die Künſtler würden am Ende wenig mit ihm zufrieden ſein.
Von durchreiſenden Fremden intereſſiert ihn vor allem ſein alter
Freund Klinger, der mit dem ruſſiſchen Großfürſten Paul im Früh⸗
jahr 1782 auf längerer Reife auch Rom beſuchte und ihn vergeb—⸗
lich zum Bibliothekar des Großfürſten zu machen ſuchte, ferner der
„ehern trockne“ Göttinger Hiſtoriker Schlözer, der ihn zur Benutzung
mehrerer Renaiſſance-Chroniken anregte, mit ſeiner frühreifen
Wundertochter Dorothea, ſpäter die auch von Goethe hochgeſchätzte
Frau von Diede, die Heinſe 1790 auf ihrem Schloß Ziegenberg
wiederſah, der Mainzer Domherrr von Beroldingen und andre
mehr.
Am 1. Juli 1782, zwei Tage nach dem Petersfeſte, das er in einem
ausführlichen Briefe an Gleim beſchreibt, geht Heinſe mit Kobell
weiter nach Neapel, wo er mit Angelika Kaufmann und Philipp
Hackert zuſammentrifft. Er beſucht Taſſos Geburtsort Sorrent,
das Grab Virgils am Poſilipp, Pompeji und Herkulanum, wo er
über die verbrannten Manuſkripte eingehende Studien macht, muß
aber am 29. Auguſt, da fein Geld knapp wird, Neapel wieder ver;
laſſen, ohne Sizilien, geſchweige denn Griechenland oder Kleinaſien
zu bereiſen, wie er ſich noch in Venedig feſt vorgenommen hatte.
Auch hier alſo, auf dem Gipfel ſeiner Exiſtenz, eine herbe Ent⸗
täuſchung, die auf den Schluß des „Ardinghello“ nicht ohne Einfluß
geblieben iſt! Anfang September iſt er wieder in Rom, und der
nun folgende Winter und Frühling iſt die ertragreichſte Zeit ſeines
italieniſchen Aufenthalts. Seine Nachlaßhefte und Tagebücher ſind
beredte Zeugen einer intenſiven, faſt fieberhaften Tätigkeit, die
Schätze italieniſcher Kunſt und Literatur ſich zu eigen zu machen, ehe
Einleitung XXI
er das gelobte Land auf immer wieder verlaſſen mußte. Erſtaunlich
iſt, was alles er in dieſen wenigen Monaten, und wie er es in ſich
aufnimmt! Hingekritzelt mit flüchtigen, oft unleſerlichen Bleiſtift⸗
zügen in die geheimen Tagebücher und Notizhefte, die man mit
Recht ſein eigentliches „Werk“, ſein Dokument genannt hat!
Allein von Gemäldebeſchreibungen aus dem Vatikan, der Villa
Borgheſe, dem Palazzo Colonna, der Farneſina und den zahlloſen
Kirchen Roms beſitzen wir an die Hunderte; dazu kommen Studien
über antike Schriftſteller, beſonders Homer, Euripides und Virgil,
über das Dreigeſtirn Dante, Petrarca, Boccaccio und über die
neuere Literatur, der er vorwiegend ſkeptiſch gegenüberſteht; ferner
Auszüge und Reflexionen über Geſchichtsſchreiber wie Salluſt und
Macchiavelli, über alte und neuere Philoſophen wie Giordano Bruno,
Leibniz, Bayle und Hobbes, über Naturforſcher wie Kepler und
Galilei, über Naturwiſſenſchaft, Anatomie, Staats; und Wirtſchafts⸗
lehre, Sprachen, wie Neugriechiſch, Hebräiſch und Türkiſch, Reiſe⸗
beſchreibungen und ähnliches mehr. Alles überragend jedoch an
Umfang und Vertiefung ſind ſeine Studien in Kunſt und Aſthetik.
Fortſetzend, was er ſchon in Düffeldorf begonnen, erweitert er
ſeine Kunſtauffaſſung gegenüber der Leſſings und Winckelmanns;
als die drei groͤßten Lichter der Malerei erſcheinen ihm mit Mengs
nun Raffael, Tizian und Correggio, zu denen er aber Michel
Angelo als vierten hinzufügt, während Rubens merklich in ſeiner
Achtung ſinkt. In der Landſchaftsmalerei, die er nach wie vor
verteidigt, von der er im Ardinghello ſogar ſagt, ſie werde endlich
alle andern verdrängen, ſchätzt er vor allem Claude Lorrain, deſſen
„Studium der Natur bis in die kleinſte Faſer hinein“ er be;
wundert. Sonſt aber tritt die Forderung der Natur immer mehr
XXII Einleitung
zurück in ſeinen Aufzeichnungen, das Wort Ideal wird immer
häufiger; er hat nicht umſonſt mit der Antike Zwieſprache gehalten!
So nähert er ſich zum Schluß ſeiner Reiſe wieder Goethe, der
drei Jahre nach ihm in Italien gleichfalls ſich „zu groͤßerer Be⸗
ſtimmtheit und Reinheit in allen Kunſtfächern auszubilden“ ſuchte,
aber ganz verſchiedene Wege ging. Als Jünger Winckelmanns
will Goethe „Klarheit und Ruhe“ gewinnen; während Heinſe in
leidenſchaftlichem Stimmungsgefühl feine Empfindungen hinwühlt,
will Goethe die Dinge ſchildern, wie ſie ſind. Das Ziel von Goethes
italieniſcher Reiſe iſt Objektivität, in Heinſes Aufzeichnungen herrſcht
der allmächtige Trieb, über die Dinge der Außen- und Innenwelt
ins klare zu kommen durch Erwägungen „pro und contra“, Eins
fälle aller Art und Betrachtungen von allen Seiten. Vor allem
aber ſucht Heinſe ein Verhältnis zur Renaiſſance zu gewinnen, die
Goethe, trotz dem Benvenuto Cellini, fremd geblieben iſt; und ihm
erwächſt daraus eine neue Moral, die, wie wir ſehen werden, im
„Ardinghello“ zum künſtleriſchen Ausdruck kommt. Das Kühnſte
und Freieſte freilich liegt auch nach dieſer Richtung hin in ſeinen
Tagebüchern und Nachlaßheften verborgen, die er, wie weiter unten
ausgeführt, nach ſeiner Rückkehr in Deutſchland nur teilweiſe
ausnutzte, „Hieroglyphen zur Rückerinnerung“, wie er ſie ſelbſt
nennt, niedergeſchrieben in dem Gedanken an eine ſpätere Ver⸗
wertung und in ihrer Bedeutung für die Kunſt⸗ und Geiſtes⸗
geſchichte bisher noch kaum beachtet.
Während er aber, künftiger Zeiten eingedenk, in ſeine Scheunen
ſammelte, was er noch erraffen konnte, neigten ſich ſeine Tage in
Italien dem Ende zu. Mehr als drei Jahre war er, mit den be;
ſcheidenſten Mitteln, unterwegs; im letzten Winter beſchäftigten ihn
Einleitung XXIII
die Vorarbeiten zu einer Zeitſchrift, die unter dem Titel „Itali⸗
äniſcher Merkur“ oder „Italiäniſche Bibliothek, nebſt Nachrichten
von Kunſtſachen“ die Schätze des Landes in Literatur, Kunſt und
Muſik den Deutſchen bekannt machen ſollten, — aber die ſtille
Hoffnung, ſich dadurch eine dauernde Exiſtenz in Italien zu ſchaffen,
die ſeinem Unabhängigkeitsgefühl nicht widerſtrebte, ging nicht in
Erfüllung. Am 7. Juli 1783, Nachts drei Uhr, verließ Heinſe
die ewige Stadt, die er nicht wiederſehen ſollte, und reiſte anfangs
zu Fuß, trotz ſeiner ſchweren Jagdtaſche, dann zu Pferde über
Terni und Perugia nach Florenz, wo er am 19. Juli eintraf und
die Schätze der Uffizien und übrigen Sammlungen mit ganz andern
Augen betrachtete, wie zwei Jahre zuvor. In der Mitternacht
vom 28. zum 29. Juli ging es weiter über Bologna, Ferrara und
Padua nach Venedig, wo er vom 2. bis 6. Auguſt nochmaligen
Aufenthalt nahm und, wie auf der ganzen Rückreiſe, ein ausführ⸗
liches Tagebuch führte; dann wieder über Padua, Vicenza und
Verona nach Mailand, das er noch nicht kannte, und endlich über
Cremona und Mantua, wo er ſeinen letzten Brief aus Italien an
Fritz Jacobi ſchrieb, zurück nach Verona. Am 22. Auguſt wurde
endgültig die Rückreiſe, die noch manchen künſtleriſchen Gewinn
brachte, über den Brenner, Innsbruck und Augsburg nach München
angetreten, wo er vom 30. Auguſt bis zum 4. September blieb
um dann wieder über Augsburg, Stuttgart, Mannheim und Mainz
den Rhein hinunter nach Düſſeldorf zurückzukehren.
Am 18. September 1783 traf Heinſe wieder in Düſſeldorf ein,
wo ihm eine kurfürſtliche Bibliothekarſtelle in Ausſicht geſtellt war,
bald aber packte ihn, wie den Helden feiner „Hildegard von Hohen;
thal“ das „Italien⸗ Weh“. „Es iſt bei uns alles fo kalt, fo kalt,
XXIV Einleitung
und kein edler Geiſt findet Unterſtützung“ und „Mich reut es, fo
viel mir Haare auf dem Kopfe ſtehen, daß ich Rom verließ; ich
ſehe in Teutſchland kein Heil vor mir“ klagt er in ſeinen Briefen
an Gleim. Kleinere Reiſen, ſo mit dem Grafen Neſſelrode nach
Holland im Oktober 1784, dienen zwar zur Erweiterung ſeiner
Kunſtkenntniſſe, aber auch zur Befeſtigung ſeiner Anſicht, die er mit
Goethe teilte, daß jenſeit der Alpen die bildenden Künſte nicht ge⸗
deihen koͤnnen. Er benutzte die folgenden Jahre, in denen ihm
Fritz Jacobi in edler Uneigennützigkeit Aufnahme gewährte, um die
Früchte ſeiner italieniſchen Reiſe, von deren künſtleriſchen Ein⸗
drücken er bis an fein Lebensende zehrte, unter Dach und Fach zu
bringen. Dies geſchah zunächſt in dem Hauptwerke ſeines Lebens,
das ſeinen Namen vor allem auf die Nachwelt bringen ſollte, dem
1787 in Lemgo erſchienenen Roman „Ardinghello und die glück⸗
ſeligen Inſeln“ — einem wundervollen Torſo, wie ihn Heinſes
neueſter Biograph mit Recht nennt, der, ſo wie er vor uns ſteht,
Erzählern erſten Ranges ein erſter großartiger Entwurf geweſen
wäre.
Schon im Herbſt 1780, auf der Reiſe durch die Schweiz und
Oberitalien, hatte Heinſe ein flüchtiges Schema zu einer Erzählung
entworfen, die zuerſt „Das Weib, eine Geſchichte“, dann „Weib
und Unſchuld“ betitelt werden und die Schickſale eines ländlichen
Liebespaares ſchildern follte, bald aber zu einem Briefroman „Adel:
heit und Heidenblut“ erweitert wurde, der auch Motive zur
„Hildegard von Hohenthal“, Heinſes zweitem großen Roman, in
ſich birgt. Hier ſollte die Geſchichte des ſchweizeriſchen Foͤrſterſohns
Heidenblut und ſeiner Jugendgeliebten Adelheid erzählt werden,
die nach abenteuerlichen Schickſalen als Korſar und Opernſängerin
Einleitung XXV
ſich in London wiederfinden und in der Schweiz eine utopiſche
Republik gründen, wie Ardinghello und Fiordimona auf den glück⸗
ſeligen Inſeln. Eine weitere Fragmentengruppe zeigt uns einen
typiſchen Renaiſſanceroman im Entſtehen, in Geſtalt eines Brief—
wechſels zwiſchen dem „Raubmenſchen“ Caeſar Borgia, Anton
Orſino, Stephan und Hannibal Colonna; die Handlung ſpielt un⸗
gefahr gleichzeitig mit der des Ardinghello in Mittel- und Unter;
italien, knüpft aber direkt an den Streit der beiden Familien
Orſino und Colonna und damit an das wilde Rom des Papſtes
Alexanders VI. an. Von dieſem großartigen Hintergrunde ſollte
ſich die Liebe der Kinder aus den beiden feindlichen Häuſern um
ſo wirkungsvoller abheben. Die wenigen erhaltenen Fragmente
(IV3, 412-418) find mit einer ſolchen Wucht geſchrieben und fo
von typiſcher Renaiſſancemoral erfüllt, daß ihre Nichtvollendung
aufs äußerſte zu bedauern iſt.
Denn die endgiltige Faſſung des Romans, zu welchem der „im
Zentrum feines Weſens unverrückbare“ Autor ſechs Jahre hin:
durch immer wieder zurückkehrt, um ihn nach der Rückkehr von
der holländiſchen Reiſe im Winter 1784 bis 85 auf Grund der
italieniſchen Notizhefte und Tagebücher abzuſchließen, iſt gerade
durch die maſſenhafte Hineinarbeitung früherer Aufzeichnungen in
ſeiner Wirkung beeinträchtigt worden. Zwar ſteht es außer allem
Zweifel, daß ein großer Teil dieſer flüchtig, oft faſt unleſerlich mit
Bleiſtift hingekritzelten Notizen mit dem beſtimmten Vorſatz nieder⸗
geſchrieben wurde, ſie ſpäter auszuarbeiten und zu benutzen; wie
denn Heinſe ſelbſt nach ſeiner Rückkehr aus Süditalien am 13. Ok⸗
tober 1782 an Fritz Jacobi ſchreibt: „Inzwiſchen hätt' ich Ihnen
doch ſchon vieles über Neapel und andre Oerter unterwegs ge⸗
XXI Einleitung
ſchrieben, wenn ich nicht gerad an einem Werk brütete, worin ver⸗
ſchiedene Scenen dahin verſetzt ſind; und ich mag nichts doppelt be⸗
ſchreiben. Es ſoll vor meiner Abreiſe von Italien nach Deutſchland
noch weitres fertig werden.“ Aber die Art und Weiſe, in der die
Aufnahme dieſer meiſt nur leiſe ſtiliſierten Notizen erfolgt, iſt ſo
oberflächlich, daß an manchen Stellen der urſprüngliche Sinn
geradezu entſtellt wird, und vor allem ſo unkünſtleriſch, daß das
ganze Dichtwerk gefährdet erſcheint. Nur aus Heinſes relativer
Talentloſigkeit für die gewählte Kunſtform läßt ſich dieſer offenbare
Mangel erklären; der Roman iſt für ihn, wie für viele ſeiner Zeit⸗
genoſſen, noch die traditionelle Form amüſanter Mitteilung, ja
Belehrung, wie im ſiebzehnten Jahrhundert bei Happel und Con⸗
ſorten, wenn er auch die alten Schläuche mit neuem Wein zu füllen
weiß. So umgibt er denn ſeine Schilderungen und Reflexionen,
die weit beſſer zu Eſſays oder Skizzen gepaßt hätten, oft genug mit
ungeſchickt romanhaften Motiven, die nicht ſelten faſt karikierend
wirken, wie das in noch erhöhterem Maße bei der künſtleriſch tiefer
ſtehenden „Lucinde“ Friedrich Schlegels der Fall iſt.
Dagegen iſt in dem fertigen Roman die Charakteriſtik der Haupt⸗
figuren gegenüber den früheren Entwürfen weſentlich fortgeſchritten;
erſt zu Hauſe, in ſehnſüchtiger Erinnerung an Italien, hat Heinſe
die Renaiſſance ganz begriffen. Der Held ſeiner Erzählung,
Ardinghello, iſt zweifellos ein Abbild des Dichters ſelbſt, erhöht
nach dem Vorbild des vielſeitigen Renaiſſancemenſchen, des uomo
universale, deſſen Weſen ihm zuerſt in den toskaniſchen Archiven
aufging. Der junge Florentiner, der die durch Cosmus von
Medici veranlaßte Ermordung ſeines Vaters zu rächen ge⸗
ſchworen hat, iſt — ohne eigentlichen Beruf — Maler, Dichter
Einleitung XXVII
Muſiker, Philoſoph, Ingenieur, Soldat und Seemann in einer
Perſon, voll leidenſchaftlicher „Gluth“ in allem, was er angreift,
dabei Meiſter in allen Leibesübungen, praktiſcher und theoretiſcher
Politiker, Pädagog und Lebenskünſtler rar &oynv, ein Virtuos
des galanten Abenteuers — kurz ein unwirklicher, ja unmöglicher
Idealmenſch, der die Spuren der Renaiſſancemoral deutlich an der
Stirn trägt. In ihm hat Heinſe den Gedanken von dem Men:
ſchen, der ſo groß und ſchön iſt, daß er die Moral nicht braucht,
von der wiedererfaßten Renaiſſance her zu verkörpern geſucht, ihn
auf die Romantik übertragen und ſo die immer wachſende Stroͤmung
bis auf unſere Tage geleitet.
Neben Ardinghello, das Ideal des ſouveränen Individuums, tritt
nun aber als Heinſes eigentlichſte Neuſchöpfung ein zweiter
charakteriſtiſcher Renaiſſancetypus, das „freie Weib“ der Gefell;
ſchaft, welches aus dem „Machtweib“ des Sturmes und Dranges
hervorgegangen iſt, aber nicht wie dieſes — und ſein Urtypus,
Shakeſpeares Lady Macbeth — ausſchließlich herrſchen will, ſondern
nur auf das ungehinderte Ausleben ihrer Leidenſchaft ausgeht.
Dieſe Umwandlung des weiblichen Ideals, als deſſen Vertreterin
bei Heinſe Fiordimona erſcheint, hat ſtärker wie jede andre feiner
Anregungen auf die Nachſtrebenden, beſonders auf die Romantik
eingewirkt.
Da aber die „zerrüttende“ bürgerliche Ordnung, die verhaßte „bar—
bariſche Geſetzgebung“ auch in der idealen Ferne dieſer Renaiſſance⸗
zeit ſich einem ſolchen ſchrankenloſen Individualismus entgegen
ſtellen, ſo läßt Heinſe folgerichtig ſeinen Roman zum Schluß in
einer Utopie ausklingen, wie ſie ſeit den Tagen des Thomas Morus
das alte Europa erfüllten. Die Phantaſien des armen Erfurter
XXVIII Einleitung
Studenten von „glückſeligen Inſeln“ voll heiter leuchtender Exi⸗
ſtenz geſtalten ſich, auf Grund von Reiſebeſchreibungen wie des
Comte de Choiſeul-Gouffier „Vogage pittoresque de la Grèce“,
die er im April 1786 in Düſſeldorf exzerpiert, zur Anſchauung; und
da Heinſe ſelbſt dieſes erſehnte Land, wo er noch am erſten einen
Reſt echten Griechentums zu finden glaubte, nie erblickte, ſo läßt
er wenigſtens ſein Ebenbild Ardinghello auf dieſen Inſeln der
Sehnſucht ſeinen „beſten Staat“ gründen. In dieſer nach Platos
Idealſtaat gebildeten Republik, die auf den Inſeln Paros und
Naxos lokaliſiert wird, ſucht Heinſe ſein ethiſch-politiſches Ideal zu
verkörpern, nicht etwa eine Demokratie im Sinne des heutigen
Sozialismus, ſondern eine Art von Sozialariſtokratie, die das Recht
des Stärkeren auf die Herrſchaft anerkennt, auf Individualität
und überkommene Kultur den größten Wert legt und eine neue
Naturreligion einzuführen ſucht. Der geheime Zweck dieſer Staats;
verfaſſung aber — ſo ſchließt weitblickend der Roman — „beſtand
darin: der ganzen Regierung der Türken in dieſem heitern Klima
ein Ende zu machen und die Menſchheit wieder zu ihrer Würde zu
erheben. Doch vereitelte dies nach ſeligem Zeitraum das unerbitt⸗
liche Schickſal“.
Kein Wunder, daß dieſes Buch, mit ſeiner Reaktion gegen alle her⸗
kömmliche Moral und ſeiner Verherrlichung der unbeſchränkten
Individualität, ungemeines Aufſehen erregte und ſtark angegriffen
wurde. Goethe — um wieder nur einige erſte Namen zu nennen —
der ſich ſchon in Italien Bäbe Schultheß gegenüber ablehnend
äußerte, ſagt in dem erſt 1817 gedruckten Aufſatz „Glückliches Er;
eigniß“, er ſei bei ſeiner Rückkunft aus Italien neben Schillers
„Räubern“ hauptſächlich vom „Ardinghello“ angewidert worden,
Einleitung XXIX
„weil er Sinnlichkeit und abſtruſe Denkweiſen durch bildende Kunſt
zu veredeln und aufzuſtutzen unternahm“. Und noch vierzig Jahre
ſpäter wirkt dieſer Eindruck fo ſtark bei ihm nach, daß er bei Her—
ausgabe ſeines Briefwechſels mit Schiller in zwei Briefen vom 8.
und 20. Juli 1795, um den noch lebenden Klinger zu ſchonen, ein
ſcharfes Urteil über deſſen „Giaffar“ freundſchaftlich fälſchend in
einen Ausfall gegen Heinſe und ſeinen „Ardinghello“ verwandelte.
Auch Schiller erklärte in ſeiner Abhandlung „über naive und ſenti—
mentaliſche Dichtung“ (1795), Ardinghello ſei „bei aller ſinnlichen
Energie und allem Feuer des Colorits nichts weiter als eine ſinn—
liche Carricatur ohne Wahrheit und ohne äſthetiſche Würde, merk—
würdig als ein Beiſpiel des beinahe poetiſchen Schwunges, den die
bloße Begier zu nehmen fähig ſei“, worüber Heinſe in einem Briefe
an Soͤmmerring (X, 295) ſpottet.
Andere dagegen waren entzückt, auch die oͤffentlichen Kritiken
lauteten verhältnismäßig günſtig. So ſchreibt Johannes v. Müller
am 3. Januar 1788 an Gleim: „Den Ardinghello haben Sie doch?
Große, kühne Natur, Nerv, Anſchauen, Genußkraft, Sieg“. Gleim
ſelbſt meint, „ſo ein Buch hat' ich von ihm erwartet; ich kenne
meinen Heinſe ganz, er kann noch mehr“. Und der Genoſſe glück⸗
licher Tage, der Maler Müller, ſchreibt in feiner krauſen Ortho—
graphie aus Rom am 12. Auguſt 1788: „Deinen Artingello habe
ich mit entzücken geleſſen, welche vortrefliche Dialogen, wie kanſtu
nur mit ſo viel Gefühl und Sinn für Schoͤnheit und Kunſt in
Deutſchland hockken.“
Und in der Tat fühlte Heinſe ſich, wie wir ſchon ſahen, in der kargen
Heimat tief unglücklich. Das Wort Otto Ludwigs „Es iſt ein
trauriges Lied, das Lied von der Heimkehr“ bewahrheitete ſich auch
XXX Einleitung
bei ihm, trotz feiner optimiſtiſchen Zuverſicht. Sein Intereſſe für
die bildende Kunſt beginnt langſam zu erlahmen und flackert nur
noch einmal, in Holland, auf; dafür wendet ſich der Unermüdliche
aufs neue der Muſik und endlich den exakten Wiſſenſchaften zu,
nicht unbeeinflußt durch die inzwiſchen eingetretene Veränderung
in ſeiner äußeren Exiſtenz.
Endlich, mehr als drei Jahre nach ſeiner Rückkehr aus Italien
fand Heinſe, vierzigjährig, eine bleibende Stätte in Mainz, wohin
ihn am 1. Oktober 1786 der Kurfürſt Karl Joſeph Freiherr
von Erthal berief. Johannes v. Müller ſchreibt darüber am 3. Ok⸗
tober 1786 an Gleim: „Vor wenigen Tagen haben wir Heinſen zu
des Kurfürſten Vorleſer gemacht; wenn ich aber anderswohin ginge,
würde ich dafür ſorgen, daß er mir im Bibliothekariat folge, welches
feſter, einträglicher und wohl auch eher fein Fach iſt.“ Das geſchah
bereits im folgenden Jahre, und Heinſe faßte damit feſten Fuß in
einem Kreiſe bedeutender Männer, die an der neugegründeten
Mainzer Univerſität wirkten, wie der große Anatom Sömmerring,
Georg Forſter und Ludwig Ferdinand Huber, der Freund Schillers
und nachmalige Gatte von Thereſe Forſter; daneben zogen ihn vom
kurfürſtlichen Hofe beſonders der Koadjutor v. Dalberg, der Miniſter
Albini und die einflußreiche Nichte Erthals, Frau von Couden⸗
hoven, in ihre Kreiſe. Aber auch hier, in günſtigeren Verhältniſſen,
als er ſie bisher in Deutſchland kennen gelernt hatte, wiederholt ſich
dieſelbe Erſcheinung, wie in Düſſeldorf, daß er nur wenigen ver;
trauten Freunden, vor allen Sömmerring, ſich enthüllt. Vor andern
zieht er ſich, unangreifbar und undurchdringlich, in ſich ſelbſt zurück.
So verkennt ihn der unruhige Forſter völlig in feinem Briefe vom
13. April 1788 an ſeine Frau: „Heinſe iſt zuweilen Miſanthrop
Einleitung XXXI
und gewöhnlich immer Miſogyn und hält den Kopf auf eine Seite
aus Naturfehler. Wenn er aber bei Laune iſt, ſagt er herrliche
Dinge und würde dir gefallen“; und noch ärger im Briefe an Jacobi
vom 14. Februar 1792: „Heinſe thut ſich tr fflich bene! So gern
ich ihn lieb hätte, fo unmöglich macht er mirs doch an ihn zu kommen.
Das Futteral, das er anhat, iſt nicht von Holz, ſondern von Leder,
und das zieh ihm der Teufel ab. Ich fürchte auch ſehr, wenns end;
lich herunter wäre, würde er einen eher jammern, als anziehen,
denn ich glaube, das Leder hat ſich mit ſeiner eigenen Subſtanz
ziemlich identificirt. In der That, ſein Egoismus iſt bewunderns⸗
werth, weil er ſich wohl und glücklich dabei befindet; aber er des—
eſperirt alles um ſich her, was nicht geradezu gemacht iſt, einem
ſolchen Egoismus zu fröhnen.” Unparteiiſcher ſchreibt Huber am
9. Juli 1788 an Schiller: „Unter den Menſchen, die ich habe kennen
gelernt, iſt Heinſe, der Verfaſſer des Ardinghello, doch wohl der den
meiſten Gehalt hat. Man hat ſich wohl in ſeiner Geſellſchaft, aber
von keinem Menſchen wäre mir's ſchwerer eine deutliche Idee zu
geben, ſeine Individualitäten ſcheinen ſo tief zu liegen daß Jahre⸗
langer Umgang und vielfältiges Anſchlagen ſie nicht herauslockt.
Abgeſtumpftes iſt nichts in ihm. Vielleicht liegt der Grund ſeiner
Verſchloßenheit in feiner jetzigen Lage. Er iſt der protege von den
Menſchen, die am meiſten Credit hier haben, dieſe Rolle ſcheint er
aus Conſequenz durchzuſpielen, und ſein eignes Selbſt unterdeſſen
in dem verborgenſten Fache einzuſchließen, um ſich in der Rolle nicht
ſtoͤren zu laßen.“ Schiller, frühzeitig auf Heinſe aufmerkſam ge—
worden, antwortet am 29. Juli: „Heinſes Bekanntſchaft mag ſchon
intereſſant ſeyn. Es iſt einer von dieſen Köpfen, die nichts ſo
merkwürdiges ſchreiben koͤnnen als ſie ſelbſt ſind und ſeine Augen⸗
XXXII Einleitung
blicke vor dem Schreibtiſch ſind gewiß nicht die ſchoͤuſten ſeines
Geiſts. Von dieſer Art glaube ich iſt auch Gothe“, — ein Urteil,
das merkwürdig zuſammentrifft mit Clemens Brentanos Worten
an Achim v. Arnim vom 18. März 1806: „Ich glaube, er hat
vielleicht klaſſiſcher gelebt als gedichtet.“
In dieſen ſeinen ruhigſten Jahren hat Heinſe wiederum, wie in
Düſſeldorf und Italien, einen Schatz von Kenntniſſen geſammelt
und Reflexionen daran geknüpft, die bisher faſt ganz unbekannt in
feinen Nachlaßheften verwahrt lagen. Denn dieſer keineswegs in
„ledernem“ Egoismus befangene, ſondern lebendige und wiſſens⸗
durſtige Menſch ſteht allen Intereſſen offen und verſucht über Alles
ſelbſt zu denken. Zunächſt nimmt er zwar die Griechen, beſonders
den Ariſtoteles, vor, „die ihm für Italien und Rom gewiſſermaßen
zum Erſatz dienen“, bald aber umfaßt er mit gleicher Leidenſchaft
die Politik, Pädagogik, Frauenemanzipation, exacte Naturwiſſen⸗
ſchaften und vor allen die Muſik. Nur zum ſelbſtändigen Produ⸗
zieren fehlt ihm der nötige Anlaß von außen. Eine von Sömmerring
gemeinſam mit Heinſe und Forſter geplante kritiſche Zeitſchrift, nach
dem Muſter und als Gegengewicht der Jenaiſchen Allgemeinen
Literaturzeitung, kam nicht zuſtande; auch eine zur Erweiterung
ſeiner Kunſtkenntniſſe ſehr erwünſchte Reiſe nach Dresden und
Berlin im Sommer 1788 blieb unausgeführt. So hauſte er denn
als ein kontemplativer Zuſchauer bei den ungeheuern Zeitereigniſſen
in der kurfürſtlichen Bibliothek, über deren koſtbare Inkunabeln er
eine Reihe wertvoller, erſt 1832 von ſeinem Nachfolger herausge⸗
gebener bibliographiſcher Bemerkungen niederſchrieb, bis im Sommer
1792 die „Mainzer Freiheitsfarce“, die dem armen Forſter das
Leben koſten ſollte, auch ihn aus ſeiner ruhigen Bahn riß. Während
Einleitung XXXIII
der Kurfürſt nach Erfurt floh, ſuchte Heinſe wieder ſeine alte Zu⸗
flucht bei Jacobi in Pempelfort, wo er im November 1792 auch
Goethe auf der Rückkehr aus der unglücklichen Campagne in Frank⸗
reich wiedertraf, ohne dem alten Jugendgenoſſen, von dem ihn jetzt
eine Welt trennte, näher zu kommen. Mitten unter dem Kriegs;
getümmel begann er, nach Mainz zurückgekehrt, im Juni 1794
ſeinen zweiten großen Roman „Hildegard von Hohenthal“ und
vollendete ihn ſchon nach wenigen Monaten in Aſchaffenburg, mo;
hin er mit dem Hofe und der kurfürſtlichen Bibliothek vor dem er;
neuten Vordringen der Franzoſen flüchtete. In drei Bänden 1795 / 6
in der Voſſiſchen Buchhandlung in Berlin erſchienen, wiederum
anonym, wie alle Schriften Heinſes mit Ausnahme feiner Erſt—⸗
lingsarbeit, überraſchte der Roman aufs neue die literariſche Welt
durch den unerwarteten Wechſel des Stoffgebiets und ſeine mit un⸗
geheuerm Impetus vorgetragne künſtleriſche Überzeugung. Mög⸗
lich wurde ein ſo ſchnelles Erſcheinen nur auf Grund früherer
umfaſſender Vorarbeiten und tief eindringender Studien, die in
mehreren ſeiner Nachlaßhefte vorliegen und zum Teil noch aus
Italien ſtammen.
Auch in der Hildegard ſind die Ereigniſſe, die in romanhafter Form
geſchildert werden und ſich teils am Hofe eines muſikliebenden
Duodezfürſten am Rhein, teils in Italien zwiſchen dem jungen
Kapellmeiſter Lockmann, ſeiner ſchoͤnen Schülerin Hildegard und
einem engliſchen Lord abſpielen, nur eine durchſichtige Rahmen⸗
erzählung, um Dialoge und Kommentare über italieniſche Opern
und Kirchenmuſik vorzubringen. Noch weit rückſichtsloſer und un⸗
künſtleriſcher wie im Ardinghello ſind dieſe trockenen Erörterungen
eingefügt; man kann zwanzig und mehr Seiten fortleſen, ſagt
I. * *
XXXIV Einleitung
Sulger⸗Gebing mit Recht, ohne zu merken, daß man einen Roman
und nicht ein muſikäſthetiſches Werk in Händen hat. Die Grund;
lagen ſeiner Muſikäſthetik ſind, wie neuerdings von A. v. Lauppert
nachgewieſen wurde, faſt dieſelben geblieben, wie in den zwei Jahr⸗
zehnte vorher niedergeſchriebenen „Muſikaliſchen Dialogen“, nur
in der Beurteilung der deutſchen Muſik, beſonders Glucks, iſt er
weiter fortgeſchritten. Nach wie vor gründet er alles künſtleriſche
Schaffen auf das Erleben und verurteilt alle muſikaliſchen Formen,
denen irgend ein Regelkanon zu Grunde liegt; „die Kunſt ſoll ganz
verſchwinden, und nur die dargeſtellte Sache in die Seele kommen“.
Gewaltig ſind dagegen ſeine Fortſchritte in der Wiedergabe muſi⸗
kaliſcher Impreſſionen; das gefügige Inſtrument ſeiner Sprache
bringt auch hier jeden Eindruck zum Wiederklang: „Die Orgel wälzt
tiefe Fluten“ oder „Die göttliche Menſchenſtimme überfliegt wie ein
Vogel die Inſtrumente“. Dagegen iſt die Vermutung, daß der aus⸗
führlichen Analyſe der Oper „Achille in Sciro“, die feinem Doppel;
gänger, dem Kapellmeiſter Lockmann zugeſchrieben wird (VI, 50-72),
eine eigene Kompoſition Heinſes zu Grunde liegen könnte, hinfällig.
Die Aufnahme der Hildegard war eine ſehr verſchiedne. Während
der Koadjutor von Dalberg über den erſten Teil an Heinſe ſchrieb,
ihm ſei kein Werk bekannt, in welchem tiefere Blicke mit einer ſo
glühenden Darſtellung vereinigt wären, bat der unfreie Fritz Stol⸗
berg ſeine Freunde, das Buch zu verbrennen, wenn ihnen an der
Tugend ihrer Schweſtern, Weiber und Kinder etwas gelegen ſei.
Das weimariſche Zenion, welches eine Stelle aus dem Roman
ſelbſt zitiert:
Gerne hört man dir zu, wenn du mit Worten Muſik machſt,
Miſchteſt du nur nicht ſogleich hundiſche Liebe darein
Einleitung XXXV
blieb ungedruckt, und Heinſe triumphierte über die Keulenſchläge,
die fein hämiſcher Rezenſent Reichardt im Kenien⸗Almanach erhielt.
Doch ließ er eine in zweifacher Geſtalt vorliegende Antikritik (III,
2, 599. 638) unveröffentlicht und meinte: „Einem Schriftſteller
kann nichts glücklicheres begegnen, als ſo angegriffen zu werden; je
mehr es anfangs bei den Idioten Lärm macht, deſto beſſer.“
Nach Beendigung der „Hildegard von Hohenthal“ verſtummte
Heinſe wieder für acht Jahre; ſeine Tendenz ging immer mehr aufs
Praktiſche, Verſtandes mäßige, ſchließlich ſogar, vor allem unter
Sömmerrings Einfluß, auf das Studium der Naturwiſſenſchaften,
fo auf die phyſtologiſche und anatomiſche Erforſchung des menſch⸗
lichen Gehirns, über die er eine „kleine Inaugural⸗Diſſertation“
(III, 2,612) an den Verfaſſer der „Tabula baseos encephali“ richtete.
Auch auf ſeinen kürzeren Reiſen, die ihn im Sommer und Herbſt
1796 nach Heſſen und Weſtfalen führten, wo er in Bad Driburg
den jungen Hoͤlderlin und ſeine „Diotima“ kennen lernte, bevorzugte
er jetzt die exakten Wiſſenſchaften, beſuchte in Göttingen die Biblio⸗
thek und exzerpierte die Kataloge für ſeine amtliche Tätigkeit. Auf
derſelben Linie ſteht feine letzte größere, im Jahr feines Todes er;
ſchienene Schrift „Anaſtaſia und das Schachſpiel“, deren Unter⸗
titel „Briefe aus Italien“ auf einer Fiktion beruht, wenn auch
Einzelnes auf wirkliche Erlebniſſe Heinſes in Padua und ſonſt
zurückgeht und ſeine Aphorismenbücher auch hier noch nachwirken.
Das Ganze iſt ein in ſo unkünſtleriſche Form gekleideter Beitrag
zur Geſchichte und Theorie des von ihm Zeit feines Lebens hochge;
ſchätzten Spieles, daß es auf den Namen eines poetiſchen Kunſt⸗
werks keinen Anſpruch machen kann. „Etliche Bände vermiſchte
Schriften“ dagegen, deren baldiges Erſcheinen Heinſe im März
XXXVI Einleitung
1803 dem neuen Kurfürſten ankündigt, ſollte er nicht mehr voll⸗
enden.
Nach dem Frieden von Baſel hatte Heinſe dauernden Aufenthalt in
Aſchaffenburg genommen, wohin auch die kurfürſtliche Bibliothek
geflüchtet war. In weiſer Reſignation, erfüllt von der Herbſt⸗
erkenntnis: „In der Jugend muß man genießen, für das Alter ſind
die Künſte“, zog er ſeine Kreiſe enger und enger, ſo daß Jacobi
meinte (an Sömmerring, 3. April 1796), ſeine Aufführung werde
noch ſo verſtändig, daß ſie ihn ſogar ins erzbiſchöfliche Miniſterium
führen würde. Wie die Freundſchaft mit Sömmerring ſeine letzten
Jahre verſchönte und der unwiderleglichſte Beweis für die Reinheit
ſeiner Geſinnung iſt, ſo lernte er auch noch den jungen Nachwuchs,
der ihm ſo viele Anregung verdankte, kennen. Hölderlin ſchreibt
nach dem Zuſammentreffen in Driburg über ihn am 16. Februar
1797 an Neuffer: „Er iſt ein herrlicher alter Mann. Ich habe
noch nie ſo eine grenzenloſe Geiſtesbildung bei ſo viel Kindereinfalt
gefunden“; und Clemens Brentano ſtellt ihm im Briefe an Achim
v. Arnim nach Erſcheinen der von Körte herausgegebenen „Briefe
zwiſchen Gleim, Heinſe und J. v. Müller“ am 18. März 1806 das
fchönfte Zeugnis aus: „Heinſe iſt mir eine der wunderbarſten poetiſchen
Naturen, und beſcheiden war er; da ich ihn kannte, war er noch ſo
beſcheiden; er konnte mit Handwerkern zuſammen leben. Ich weiß
nicht, warum? aber ich habe ihn gar lieb.“
Aber die Hofluft und der an Anregungen nicht eben reiche Aufent⸗
halt im Aſchaffenburger Schloſſe war nicht das Element, in welchem
Heinſe auf die Dauer gedeihen konnte. Er ſelbſt hat feinen Ent:
ſchluß, ſich im Dienſte des Kurfürſten feſſeln zu laſſen, am Ende
ſeines Lebens ſchwer bereut (X, 346), und Sömmerring äußert
Einleitung XXXVII
gleich nach dem Tode des Freundes: „Verbiſſene Kränkungen ver;
bitterten die letzte Zeit ſeines Lebens. Die Zeitumſtände, welche
die Säkulariſation mit ſich brachte, hatten den meiſten Theil daran.
Er war ein Opfer ſeiner Gutmüthigkeit.“
Am 27. Juni 1802, kurz nachdem er auf die Nachricht vom Tode
der Diotima an Sömmerring geſchrieben hatte: „O wären auch wir
noch in unſrer Blüthe wieder frei in das ewig Göttliche verſchwun⸗
den! Gewiß, o gewiß! wen die Götter lieben, der ſtirbt jung; wenn
er die Schönheiten des irdiſchen Lebens und deſſen Freuden erlangt
hat“, traf ihn ein Schlaganfall. Er konnte nicht ſprechen; die Zunge,
der rechte Arm und das rechte Bein waren gelähmt. Doch erholte
er ſich verhältnismäßig ſchnell wieder; ſchon am r. Juli konnte er
wieder ſchreiben: „Das Schickſal hat ſtarke rauhe Hände! Es
ſchlägt blind zu und man muß ſich drein fügen. Der Menſch hat
noch lange nicht Klugheit genug, feinen tollen Streichen auszu⸗
weichen“ und am 4. Juli: „Der Blitz vom Himmel herab auf
meinen Scheitel war noch gnädig.“ Der Kurfürſt behandelte ihn
äußerſt huldreich in ſeiner Krankheit, und auch nach dem am
25. Juli 1802 erfolgten Tode des Freiherrn von Erthal blieb er
unter deſſen Nachfolger, dem bisherigen Koadjutor von Dalberg,
als Hofrat und kurfürſtlicher Bibliothekar in Amt und Würden.
An eine völlige Wiederherſtellung aber war nicht zu denken; ſein
Arzt, der Hofrat Pauli, ſchreibt ganz mit Recht nach Heinſes Tode
an Soͤmmerring: „Ohne die Hof⸗Diät, und was damit in Verbin;
dung ſtehet, lebte er noch.“ Faſt ein Jahr nach dem erſten Anfall
wurde er zum zweitenmal vom Schlage getroffen; man fand ihn am
Freitag den 17. Juni 1803 auf ſeinem Zimmer im Schloß, das jetzt
eine Gedenktafel trägt, am Boden liegen. Noch fünf Tage kämpfte
XXXVIII Einleitung
ſeine ſtarke Natur gegen die Auflöſung; erſt am 22. Juni, dreiviertel
auf elf Uhr vormittags, wurde er erlöft und am 24. früh halb fünf
Uhr unter geringem Geleite auf dem Agathenfriedhof beigeſetzt, wo
auch Clemens Brentano ſeine letzte Ruheſtatt fand. Der alte Vater
Gleim und Klopſtock waren ihm kurz zuvor vorausgegangen, Herder
folgte ihm noch in demſelben Jahre nach. Zwiſchen den Büſten
beider ließ König Ludwig I. von Bayern, ſelbſt am „Italienweh“
krankend, in der „Walhalla“ bei Regensburg die Heinſes aus
karrariſchem Marmor aufſtellen; fein an Sömmerring vermachter
Schädel ruht in der Senckenbergſchen Geſellſchaft in Frankfurt
und trägt die Inſchrift „Wilhelm Heinſe. Poeta summus, nat. 1746.
denat. 1803“. |
Sonſt ift Heinſes Tod in den ungeheuern politiſchen Wirren der
Zeit faſt unbeachtet vorüber gegangen; nur Sömmerring bewahrte
ihm die Treue und rettete ſeinen Nachlaß. Bald nach ſeinem Tode
gab ein wenig Vertrauen erweckender Erfurter Literat namens
Arnold ſeine „Muſikaliſchen Dialogen“ heraus, deren Echtheit lange
angezweifelt wurde; und ſein brieflicher Nachlaß geriet zum Teil in
die unſaubern Hände Körteg, gegen den Fritz Jacobi den alten
Freund verteidigen mußte. Aber Heinſes Nachwirkungen ſind da⸗
für um ſo ſtärker geweſen und laſſen ſich bis auf unſre Tage ver⸗
folgen. Sein Ideal des ſouveränen Individuums, ſeine Reaktion
gegen die kirchliche Moral wird von der Romantik wieder aufge;
nommen; in Tiecks „Lovell“, in Hölderling „Hyperion“, in Schlegels
„Lucinde“, in Brentanos „Godwi“, in Arnims „Dolores“ finden
wir Heinſes Frauentypus wieder. Programmatiſche Bedeutung
gewinnen ſeine Ideen dann für das Junge Deutſchland, das ſein
neues Evangelium von der „Emanzipation des Fleiſches“ aus
Einleitung XXXIX
Heinſes Werken verteidigt, und es ift kein Zufall, daß fein Führer,
Heinrich Laube, die erſte Geſamtausgabe von Heinſes Werken auf
Anregung des Verlegers herausgab. Leider iſt der Text dieſer Aus—
gabe, die in zehn Bänden 1838 bei F. Volckmar in Leipzig erſchien,
ſei es durch eigene oder des Verlegers Schuld, lückenhaft und un⸗
zuverläſſig; es fehlen darin die muſikaliſchen Dialoge, die Petron⸗
Überſetzung, die Erzählungen für junge Damen und zahlreiche Ge⸗
dichte, dagegen ſind mehrfach fremde Gedichte aufgenommen, und
der Text, beſonders vom Ardinghello, iſt durch zahlloſe willkürliche
Anderungen entſtellt. Nicht nur Fremdwörter und altertümliche
Formen werden ausgemerzt oder vielmehr „entfernt“, ſondern der
unbekannte Redaktor verfolgt mit geradezu fanatiſchem Haß die
Eigenart der Heinſiſchen Sprache, auf der ein gut Teil feiner Wir;
kung beruht. Aus „platterdings“ macht er „durchaus“, „ſtämmicht“
wird zu „kräftig“, „unzukommbar“ zu „unnahbar“, „ſchwängerte“ zu
„erfüllte“, „ſchier“ zu „faſt“, „verfügen“ zu „entgegnen“, „Feuchtig⸗
keit“ zu „Thränen“, der „Stempel“ der Liebe zum „Pfeil“, und fo
fort in hunderten von Beiſpielen. Dennoch hat dieſe erſte Geſamt⸗
ausgabe und vor allem Laubes Biographie, die ihren Helden mit
wahrhaft dichteriſcher Intuition in feinen Grundzügen weit rich—⸗
tiger erkannte, als die fpäteren Verſuche von Schober und Roͤdel,
viel zu ſeiner Wiedererweckung beigetragen. Durch die Wiederauf—
findung ſeines Nachlaſſes aber, die wir Hermann Hettner verdanken,
wurde fie völlig antiquirt; und ich mußte es freudig begrüßen,
daß der Inſel⸗Verlag die Hand zu einer neuen und vollſtändigen
Ausgabe bot. Daß ich fie, bis auf den in Vorbereitung befind-
lichen achten Band, vollenden konnte, iſt in erſter Linie das Ver⸗
dienſt der Stadtbibliothek zu Frankfurt am Main, deren Leiter,
2 Einleitung
Geh. Konſiſtorialrat Profeſſor Or. Ebrard, mir Jahre lang die Be⸗
nutzung der zahlreichen und nicht leicht zu entziffernden Nachlaßhefte
ermöglichte. Daneben bin ich der Königlichen Bibliothek in Berlin,
der Gleim-Stiftung in Halberſtadt und den Herren Bäthcke,
Walther Brecht, Ernſt Jeep, Albert von Lauppert, Erich Petzet,
Auguſt Sauer, Arthur Schurig und Bernhard Seuffert zu dauern,
dem Danke verpflichtet; welche Förderung ich durch die biogra—
phiſchen und exegetiſchen Arbeiten von W. Brecht, K. D. Jeſſen,
F. Poppenberg, A. Schurig und E. Sulger-Gebing empfing, kann
ich hier nur andeuten. Die Freunde Rudolf Brockhaus, Eduard
Griſebach und Gotthilf Weisſtein trifft mein ſpäter Dank nicht
mehr unter den Lebenden an.
Weimar, im Herbſt 1912. Carl Schüddekopf.
Jugendgedichte
1.
Empfindungen, in einem entzückenden Thal' im May 1766
niedergeſchrieben von einem Jünglinge,
der noch ein Knabe war. —
Heiter iſt der Himmel über mir!
Süße Düffte wallen mir entgegen!
Weſte ſchlagen mit verliebten Schlägen
Eine Roſe nach der andern hier!
Ueber allen Blüthen brütet Seegen! —
Millionen gäb' ich nicht dafür!
Durch die Buchen fließet Abendröthe!
In das Murmeln von des Baches Fall
Singt entzückend dieſe Nachtigall!
Singt entzückend ienes Jünglings Flöte! —
Mutter Erde! tränk' in meiner Aue
Deine Kinder nun mit friſchem Thaue
Heinſes Werke. Erſter Band.
Und erquicke dieſe lechzende Flur! —
Seelig iſt der Unſchuld die Natur!
Muß ich ſtreben wohl nach Perus Schätzen?
Braucht denn auch die reine Freude Gold?
Iſt mir meine weiſe Chloe hold
Brauch ich Daphnen, um mich zu ergötzen?
Wein und Roſen, Chloens griech'ſcher Kuß
Iſt des Lebens edelſter Genuß.
Wenn ich dieſe gnug genoßen habe
Und ich ſie nicht mehr genießen kan,
Fängt empfindungleeres Alter an —
O dann trage man mich gleich zu Grabe.
Fühl ich einſt bey meiner Chloe Küßen
Keine Wolluſt durch die Nerven fließen —
Sind unſchmackhafft Chloe, Freunde, Wein,
Die Anakreon, die Homere,
Wein’ ich bey Zayren keine Zähre —
Fühl ich einſt bey Gleims und Kleiſtens Liedern
Nicht mehr Wonne zittern in allen Gliedern —
Iſt es ſchlimmer dann nicht mehr zu ſeyn? —
O gelaßen, ruhig will ich ſterben!
Noch mit dieſer kummerloſen Bruſt!
Dieſem Kopfe voll von weiſer Luſt! —
Könnten heitrer Kopf und reine Bruſt
Nach dem Tod' ein Paradies erwerben,
Würd' ich warlich mir auch eins erſterben!
Aber ach! daß Würmer dieſe ſüßen,
Lachenden Gedanken eßen müßen!
Jugendgedichte.
Die Gedanken von verblümten Flüßen,
Vollen Buſen, Roſenlippen, Küßen! —
Alle Lieder des Anakreon!
Alle Weisheit der Bacchidion!
Jedes Bad in dieſen friſchen Lauben
Und den Safft von manchen Nektartrauben!
Dieſen Himmel, dieſe heitre Flur!
Jedes Bild der reizenden Natur!
Meines Jomelli Melodieen,
Die ſteinharte Herzen nach ſich ziehen!
Dieſen Buſen, wo nur Liebe ſchlägt,
Der den ganzen Himmel in ſich trägt!
Ach daß Würmer alles eßen müßen,
Nach unüberwindlich ſtarken Schlüßen.
Young und Plato eurer Schwärmerey
Stimmet man nur mit dem Munde bey! —
Und was wird aus deiner Seele werden,
Wenn du nun geſtorben biſt?
Wann ein Wurm an dieſen Fingern ißt?
Das Gehirn verwandelt iſt zur Erden?
O wo wirſt du dann o Seele ſeyn?
Kehreſt du wohl bey den Teufeln ein? —
Kan ein Weſen, das in Millionen
Sonnenwelten viel Centillionen
Thiere zum Genuß der Luſt gemacht,
Und zum Leiden keins hervorgebracht,
Wohl für ſeinen Liebling Höllen ſchaffen?
Wer beſtraft ein Vögelchen mit Quaal,
Heinſes Werke. Erſter Band.
Das ein Stükchen ſüßen Zuckers ſtahl?
Könnt ihr dieſesthun ihr ſchwarzen Pfaffen?
Gott iſt weiſe. Gott iſt kein Tyrann.
Gütig iſt er — kan er mich verdammen?
Können Fehler ſeine Rach' entflammen,
Die kein Fleiſcherner vermeiden kan? —
Teufel, ewge, quaalenvolle Hölle
Finden wohl in Gottes welt nicht Stelle. —
Wann der Erdkreis ſich um mich bewegt
Und vor meinen Augen Sonnen hüpfen
Wann die Lebensgeiſter mir entſchlüpfen
Und das lezte Leben in mir ſchlägt —
Soll ich bald nun mit dem Tode ringen —
Will ich mit dem weiſen Chaulieu ſingen,
Noch von Funken dieſes Feuers warm,
Das verwelken machet dieſe Roſe:
Ruhen werd' ich doch in deinem Schooſe
O Natur, wo nicht in Gottes Arm.
Hier in dieſem dichteriſchen Thale
An der Stelle, wo zum erſtenmahle
Ich und Chloe uns entzükt umpfiengen —
Buſen an Buſen wallte, Lippen hiengen
An den Lippen, wie die ſeelgen Bienen,
Wenn der Lenz vom Himmel iſt erſchienen,
An den Nektarreichen Blumen hangen,
Wo die Nachtigallen um uns ſangen —
An der Stelle ſoll man mich begraben.
Dieſe werde von Mädchen mit Roſen bepflanzt!
Jugendgedichte.
Von Verliebten, wenn ſie blühen, umtanzt!
Auf mir ſoll ein Stein die Aufſchrifft haben:
T
i D
Ich lebte, der du dieſes lieſt,
O Erdenbürgerchen. dag iſt:
Ich aß und trank das beßte,
Was ich erhalten konnte, küßte
Die ſchönſten Maedchen auf Mooſe mit Roſen beſtreut,
Trank Nektar ſchon in dieſer Zeitlichkeit!
Ich ſcherzte mit Maedchen und Freunden,
Die ſelten mit mir weinten.
Ich opferte den Charitinnen
Und ihrer Goettin Lyaeen und allen Pierinnen!
O Erdenbürgerchen!
Kannſt du nichts beßers wohl im Leben dir erſehn,
So magſt du gleich von dannen gehn,
Du ſeyſt von Armen oder Reichen!
Und leben ſo, und thun desgleichen. —
Leichentext.
Du ſchwimmſt in der Zeiten Raum,
Wie auf Stroemen leichter Schaum,
Kannſt du nicht ſo bald zur Erden,
Wie der Schaum zu Waſſer werden!
+
a 1
Heinſes Werke. Erſter Band.
Doch dort ſeh ich in den iungen Linden
Chloen wandeln, ſich durch Zweige winden,
Wie die Roſen blühet ihr Geſicht!
Reizender iſt wohl Aglaia nicht.
Sie umfließet eine Athmoſphäre,
Ach wenn ich entzükt darinnen bin,
Strömt die Wonn' in ieden offnen Sinn,
Und mir iſt's, als ob im Himmel ich wäre —
Nicht in Dantens neunter Himmelsſphäre —
In Eliſium nach der Griechen Lehre!
Komm' o Chloe, meines Lebens Luſt!
Küße ruhig die empörte Bruſt! —
Jage Würmer, Tod und alle Teufel
Fort von mir und ieden finſtern Zweifel.
2.
An meinen Freund Tr: am Tage meiner Geburt
den 16ten Februar 1767.
O du Natur, aus deren Schoos ich kam,
Erklär' es mir, woher ich meinen Anfang nahm!
Wie haſt du mir dies Leben,
Den Geiſt in meinen Leib gegeben?
O Wunder! das uns Sydenham,
Maupertuis, Löwenhoek nicht heben!
Wie ich es einſt — ſo Gott will — wißen werde,
Erklären mir es nicht die Weiſen dieſer Erde. —
* *
Jugendgedichte. 9
„Im dunkeln, rufſt du Freund, im dunkeln iſt kein Licht!
„Woher du kamſt? o darnach grüble nicht!
„Genug! du wurd'ſt im May empfangen,
„Als in den Büſchen Nachtigallen ſangen,
„Zur Zeit, wann die Roſe die Knoſpe durchbricht,
„Wann Amor herrſcht, und Herzen Feuer fangen!
„Auf einem Bette von Floren
„Aus weichen Blumen gemacht, im Februar gebohren.
x *
„Die Grazien ſandten deine Seele
„Aus ihrem Himmel herab in deines Leibes Hoͤhle!
„So ſanft, wie der gelindeſte Ton
„Der zärtlichſten Philomele
„Flog ſie herab in deines Vaters Sohn!
„So kamen Kleiſt und Gleim, Anakreon,
„Petrarch und Wieland, Leßing und Voltaire
„Und Hagedorn, Chaulieu und Utz auf unſre Sphäre.“
* *
— Freund! laß es immer uns geſtehn!
Aus unſrer Erde wachſen unſre Geiſter.
Sie haben ferne Himmel nie geſehn!
Sie wachſen aus der Erde, ſpricht Galen,
Der größten Aerzte Meiſter,
Ihn widerlegt kein Haller und kein Heiſter!
Aus dem Saffte der Trauben von feuerreichen Reben
In jungen Herzen gekocht wird geiſterreiches Leben.
* +
Heinſes Werke. Erſter Band.
Mit Schrecken ſeh ich in das Labyrinth
Verlebter Tage hin! die ſchwache Seele nährte
Mit Vorurteilen ſich! die Zähre rinnt
Vor Wuth die Wang' hinab! man lehrte
Mich Unvernunft biß man mich ganz bethörte.
Man peitſchte mich verlaßnes Kind,
Hielt ich nicht ruhig ſtille,
Zu ſehen durch der Alten Brille.
* *
So wird von aufgeſchwollnem Strome fortgerißen
Der junge Roſenſtrauch!
Halbtod, nach vielen Hindernißen,
Schwimmt er an's Land und trinkt den ſüßen
Und ſchöpferiſchen Zephyrs Hauch,
Wie ſeine Brüder auch,
Wenn ihn der milde Strahl der Sonn' in's Leben küßt
Und er nicht ganz erſäufet worden iſt.
* *
Nie gabſt du, wie man ſagt, unſeelges Vorurtheil
Dem menſchlichen Geſchlechte Heil!
Es ſtürmte deine Wuth der Landes väter Thronen,
Zerrüttete die himmelngleiche Zonen,
Mit Krieg und Fluch und Beil
Ermordeteſt du ganze Nationen!
Dein Anblick gleicht Meduſen
Und wo du biſt, da fliehen alle Muſen.
* *
Jugendgedichte. 11
Ich ſtieg aus dieſem Schlamm empor,
Erblikte Welt und ſah voll Freude
Das Licht nun wieder, das ich gleich verlohr,
Und trug, da mancher Geck mich Armen verabſcheute,
In mein Gehirn ſehr reiche Beute —
Ich wurde wenigſtens ein kleinrer Thor!
Selbſt Zevs hat keine Winternacht
Zu einem Frühlingstag gemacht.
* *
Und o! wem dank ich es? dir weiſe Chloe! dir —
Nehmt ſie in euer Chor ihr Charitinnen!
Sie kan den Jüngling, wie den Greiß gewinnen!
Barbaren folgen ihr!
Und Helden macht ſie ſpinnen! —
Du Chloe, nur du lehrteſt mir,
Des Lebens mich zu freun und mich zu quälen nie!
Die ſeeligſte Philoſophie!
* *
Hoch flog ich über alle niedern Sphären
Biß in die Himmel hinauf! wann ich die ſüßen Lehren
Von deinen Lippen trank!
Von Wonne taumelnd offt an deinen Buſen ſank
Durch den die Grazien ſelbſt ſchöner wären.“)
Hier wein' ich dir voll Zärtlichkeit den Dank!
*) Wenigſtens in verſchiedenen deutſchen und franzoͤſiſchen Gemaͤhlden und
Kupferſtichen.
Heinſes Werke. Erſter Band.
O ſäheſt du die ſüße Zähre
Im Auge ſchwimmen dir zur Ehre.
* *
Wohin find fie? wohin die fchönften meiner Tage?
Der erſte Frühling meiner Lebenszeit?
In Unſchuld floß er hin! noch unentweyht
Von Gram und Traurigkeit!
Und ohne Krankheit, ohne Plage!
Nie rufet ihn zurük die bängſte Klage!
Im Buſen ſchlug wollüſtiges Getümmel!
Und alles auſſer mir war Mahomediſcher Himmel.
* *
Noch hab ich dich o Freund, den mir die Sympathie
Und lange Treue gab! laß die Philoſophie
Uns führen, die des Lebenspfade
Mit Roſen überſtreut! was nach dem Götterrathe
Uns dort beſtimmet ſey, das ſuche nie
Tief auszuſpähn! es wäre Schade
Um die verdorbne ſchnelle Zeit!
Wir armen wißen nichts von einer Ewigkeit!
* *
Heil denen, die die Götter ſahn,
Die Epikur, wie Hottentotten, ſchlafen
In ihren Himmeln läßt! poßierlicher als Affen
Iſt Zevs und feine Frau beym Spötter Lucian!
Und andre Götter ſind gerade — wie ihre Pfaffen!
Nie will ich mich den heiligen Rätſeln nahn!
Jugendgedichte. 13
Ein Weiſer findet doch Glükſeeligkeit beym Zweifel.
Der Narren Gott iſt bald ein Gek und bald ein Teufel.
* *
3.
[Stammbuch⸗Eintrag für Joh. Friedr. Schalling.]
Ja! warlich unſer Leben
Läuft wie ein Wagenrad,
Und der hat nicht gelebet,
Der nicht getrunken hat!
Was helfen Gram und Sorge?
Wir ſind der Zeiten Raub.
Wir ſterben, und im Grabe,
Liegt dann ein wenig Staub.
Auf Erden iſt dem Weiſen
Ein Gläschen und ein Kuß,
Sein beſter Wunſch, ſo lange
Biß er von hinnen muß.
Jene [I] den 4. Merz Hochedelgebohrner Herr
1768.
Erfüllen Sie meinen ſchoͤnſten Wunſch, und errinnern Sie ſich meiner
mit Vergnügen. Zweifeln Sie nicht, daß ich beſtändig ſeyn werde
Ihr aufrichtiger Freund und Diener
J. J. W. Heinſe. aus dem Schwarzburg.
der ſchöͤnen Wißenſch. Befliß.
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Aus dem Thuͤringiſchen Zuſchauer
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4.
Auf ein hochmüthiges Mädgen.
Du biſt ſehr reich, noch Jungfer, iung und fchön!
Denn niemand leugnet es, wer dich nur angeſehn!
Allein du lobeſt dich zu ſehr
Und biſt nicht reich, nicht ſchön,
Nicht iung, und keine Jungfer mehr.
5.
Widerlegung der vorherbeſtimmten Harmonie
auf einem Masquenballe.
Wie wunderlich! dein unverhüllt Geſicht
Verbarg die Seele mir!
Jezt da's die Larve dekt, verbirgſt du ſie mir nicht,
O wirf ſie weg! ſie ſchadet dir.
6.
Auf das Gedicht Muſarion.
Die Griechen! o die Griechen! ia die Griechen!
Die waren weiſe Leute nur!
18 Heinſes Werke. Erſter Band.
Bey ihnen ſahe man die reizende Natur
In Mädgen, Jünglingen und Quell und Hayn und Flur.
Die Griechen! o die Griechen! ia die Griechen!
Die waren weiſe Leute nur!
So ruft uns ieder Thor, um auch gelehrt zu ſeyn
Bey ſeinem Heſiod; ſo ruf' ich auch, allein
Nur beym Anakreon
Homer und Sophokles und — bey Muſarion.
7.
Auf Traxen.
Thrax ſchläft am Tag, und wacht
Die ganze Mitternacht!
Du denkſt er wird in Büchern leſen?
Nein! er iſt's ſo gewohnt, er iſt ein Dieb geweſen.
8.
An einen Freund.
Verſcheuche Freund aus deinem Buſen
Der Sorgen Schwarm und ſing entzückt!
Dich haben Grazien und Muſen
Mit ſüßem Saytenſpiel beglückt!
Dem Weiſen iſt kein Schikſal ſtrenge,
Sich freuen iſt die größte Pflicht!
Der Patriarchen Lebenslänge
Erreichen wir nun warlich nicht!
Wir leben nicht ſo lang, als Eichen,
Wir leben wie die Roſen blühn!
Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 19
Und alle Menſchen ſind die Zeugen,
Daß unſre Jahre bald entfliehn
Wie Blitz und leichte Wolken fliehn,
Dies iſt dem kurzen Menſchen eigen.
Wir wollen nicht in Wüſten ſchleichen,
Laßt uns auch gleich beym Pöbel ſeyn,
Wir können uns des Lebens freun.
Und haben alle Menſchen Mängel,
Wie oft ein finſtrer Cato ſpricht,
Gequält von Stein weh oder Gicht:
So machen manchen ſie zum Engel;
Uns gab die gütige Natur
Die Nerven voll hüpfender Geiſter nur!
Ererbten wir nicht Geld und Würde,
So gab ſie uns auch keine Bürde.
Horaz beſang in feurgen Oden
Die Feinde, die Auguſten drohten;
Und kein Monarch war glücklicher!
Ihm brachten nicht verhaßte Boten
Die ſchreckenvolle Nachricht her
Von Varus harter Niederlage,
Auguſten traf allein die Plage.
Er ſang entzückt im ſüßen Ton,
Auf ſeinem kleinen Barbiton,
Auguſten auf des Kayſers Thron,
Den liebenswürdigen Mäcen
Und alle ſeine Lalagen,
Sing du den Donner der teutſchen Jagd,
5 *
—
20 Heinſes Werke. Erſter Band.
Und fehlen deinem Lied Mäcene,
So haſt du manche wilde Schöne,
Die ſich in deinen Wald gewagt;
Ein Kuß von ihnen iſt fo fchön
Und reizet mehr, als ein Mäcen!
9.
Rechtfertigung der Vorſehung.
Freund! ſchweige ſtill mit deiner Klage,
Und wünſche nicht die allgemeine Sprache!
Ach tadle mir die Vorſicht nicht,
Weil Britte, Franzmann, Mohr und Türk beſondre ſpricht!
Hätt uns die Vorſicht nicht verſchiedene gegeben,
Wie, Freund; wie könnten denn die Überſetzer leben?
IO.
Luz.
Du wunderſt dich, daß Luz, der immer zum Erbarmen
Auf ſeiner Kanzel ſteht, ſo ſchön vom Himmel ſpricht!
So reizend ihn uns mahlt! verwundre dich nur nicht!
Denn vor der Predigt lag er Lottgen in den Armen.
11.
An meinen Freund am Tage meiner Geburt.“)
Ich athmete zuerſt dies Leben,
Ihr nur allein, ihr Götter, wißt es! wie?
*) Der Verfaſſer bittet den Leſer ihn wegen einiger harten Ausdrücke
nicht zu verketzern; er will hier blos Philoſoph ſeyn, er weis auch, was in der
Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770, 21
Warum ihr mir es habt gegeben?
Wir arme wiſſen dies Geheimniß nie!
Der große Plato muß, wie wir, in Zweifeln ſchweben,
Ihm lüget ſeine Phantaſie!
Und Sokrates weis weniger davon,
Als bey dem Becher Freund Anakreon.
* *
Ich ſah die Welt und grüßte ſie mit Thränen,
Bald war ſie Wüſte mir und bald Elyſium!
Ich ward, ich weis es nicht, warum?
Vielleicht um nur den Plan der unbegreiflich fchönen
Natur zu ſehn! zu ſeyn der Gottheit Ruhm!
Ihn zu verkündigen in meines Lebens Scenen!
Verirrter kühn gewagter Blick
Die Nacht iſt nicht für dich! zurück!
*
Heil denen! die die Götter ſahn,
Die Epikur, wie Hottentotten, ſchlafen
In ihren Himmeln läßt! — poßierlicher, als Affen,
Iſt Zevs und Mars beym Spötter Lucian!
Und andre Götter ſind gerad — wie ihre Pfaffen.
Nie will ich mich den dunkeln Räthſeln nahn!
Der Weiſe findet Glück und Ruh bey ſeinem Zweifel,
Der Narren Gott iſt bald ein Geck und bald ein Teufel!
*
Offenbarung ſteht, und iſt von Herzen froh darob! er will hierdurch ihre
Nothwendigkeit einigermaßen zeigen.
Heinſes Werke. Erſter Band.
Mit Schrecken ſeh ich in das Labyrinth
Verlebter Tage hin — die Zähre rinnt
Vor Wuth die Wang hinab — die ſchwache Seele 9
Mit Vorurtheilen ſich! man lehrte
Mich Unvernunft, bis man mich ganz bethörte
Man peitſchte mich verlaßnes Kind,
Hielt ich nicht ruhig ſtille,
Zu ſehen durch der Alten Brille.
* *
So wird vom aufgeſchwollnen Strome fortgeriſſen
Der iunge Roſenſtrauch,
Halbtodt nach vielen Hinderniſſen ’
Schwimmt er ans Land und trinkt des ſüßen
Und ſchöpferiſchen Zephyrs Hauch,
Wie ſeine Brüder auch,
Wann ihn der milde Strahl der Sonn' ins Leben küßt
Und er nicht ganz erſäufet worden iſt.
* *
+
Nie gabft du, wie man ſpricht, unfelges Vorurtheil
Der Menſchen Glück und Staaten Heyl!
Es ſtürmte deine Wuth durch alle Zonen,
Erſchütterte der Kön'ge Thronen!
Und mit Gericht und Fluch und Beil
Zerrütteteſt du Nationen!
Dein Anblick gleicht Meduſen,
Und wo du lebſt, da fliehen alle Muſen.
*
Aus dem Thüringifchen Zuſchauer 1770. 23
Ich flieg aus dieſem Schlamm empor
Und guckte in die Welt! und ſah voll Freude
Das Licht nun wieder, ſo ich erſt verlohr!
Und trug zu der Pedanten Leide
In mein Gehirn ſehr reiche Beute,
Und ward doch wenigſtens nun ſchon ein kleinrer Thor!
Denn ſagt: wer hat ſo ſchnell die finſtre Nacht
Zum unbemölften Frühlingstag gemacht?
* *
Und o! wem dank ich es? dir weiſe Chloe! dir —
Nehmt fie in euer Chor, ihr holden Charitinnen!
Sie kan den Jüngling, wie den Greiß gewinnen!
Barbaren folgen ihr,
Und Helden macht ſie ſpinnen! — —
Du Chloe nur du lehrteſt mir
Die reizende Philoſophie
Des Lebens mich zu freu'n und mich zu quälen nie!
* *
*
Hoch flog ich über alle Sphären
Und alle Himmel auf! wenn ich die ſüßen Lehren
Von deinen Lippen trank!
Von Wonne taumelnd an den Buſen ſank,
Durch den die Gratien ſelbſt ſchöner wären! —
Hier Chloe! wein ich dir voll Zärtlichkeit den Dank —
Sieh! dieſe bange ſüße Zähre
Im Auge ſchwimmet dir zur Ehre!
+
Heinſes Werke. Erſter Band.
Wohin ſind ſie? wohin die ſchönſten meiner Tage?
Der erſte Frühling meiner Lebenszeit?
In Unſchuld floß er hin! noch unentweyht
Von bitterm Gram und Traurigkeit!
Und ohne Krankheit, ohne Plage!
Nie rufet ihn zurück die bängſte Klage!
Im Buſen ſchlug wollüſtiges Getümmel!
Und alles auſſer mir war Mahomed'ſcher Himmel!.
* *
Noch hab ich dich, o Freund! den mir die Sympathie
Und lange Treue gab: laß die Philoſophie
Uns führen, die des Lebenspfade
Mit Roſen überſtreut, was von der Götterrathe
Uns dort beſtimmet ſey? das ſuche nie
Tief auszuſpähn! es wäre Schade
Um die verdorbne ſchnelle Zeit
Wir Arme wiſſen nichts von einer Ewigkeit!
* *
*
Uns gab das Glück nicht Schätze dieſer Erden!
Ich leugne nicht, daß dies ein Uebel iſt!
Allein — kan Epikur bey Waſſer glücklich werden,
Apell, wenn er Campaſpen küßt,
Anakreon, wenn er Roſinen ißt —
Was wollen wir? o Freund! wir haben viel Gefehrden!
Man braucht nicht viel um glücklich hier zu ſeyn,
Der Roſen wachſen viel den Weg uns zu beſtreu' n!
Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770.
12.
An einen Philoſophen.
Du ſuchſt der Liebe Kraft und Weſen auszuſpähn!
Im Winkel fliehen dich die Gratien und Muſen!
Sieh her! Herr Philoſoph! willſt du ihr Weſen ſehn,
So fühle ſie, wie ich auf einer Chloe Buſen.
33.
Auf Baven, als er ein Sinngedicht gemacht hatte.
Bav ſpringet Ellen hoch und wiehert, iauchzt und lacht!
Ruft ſeine Köchin her, und ſchreyet lache! lache!
„Ey, ey! was haben Sie gemacht?“
Du kleiner Teufel du! Hör nur die luſtge Sache,
Und höre ſie und lache nicht! —
Drauf lacht' er ihr ein langes Sinngedicht.
14.
Sinngedichte.
Auf Petrarchen.
Wie zärtlich ſingt Petrarch im Elegien Ton!
Ich weinte bald mit ihm! — Doch wär es warlich Schade,
Denn ganz allein erſchlich er Lauren einſt im Bade,
Sie ſpritzt ihn ſchalkhaft voll“) und er? — er lief davon!
*) Siehe italiaͤniſche Biographieen 1. B. unter Laura.
Sen
25
Sinngedichte
1771
—
—
15.
An Chloen, als ſie am Bache lag und ihr Bild betrachtete.
Du braune Chloe, glaube mir!
Du denkſt, du ſieheſt dich?
Die ſchönſte Nymphe ſieht nach dir,
Und ſie bewundert dich!
16.
Auf die Satyre des Boileau wider das Frauenzimmer.
Gerecht ſey Boileau mit ſeinem Satyr immer!
Doch glitſcht' er wenigſtens einmal aus ebner Bahn.
Ihn hackt' (Ihr wißt wohin) ein kalekut'ſcher Hahn
Und er beſtraft — das Frauenzimmer.
17.
An Chloen.
Um Acidalien zu malen,
So reizend, wie Apell ſie einſt den Griechen gab,
30 Heinſes Werke. Erſter Band.
Braucht ſieben Grazien nicht zu bezahlen,
Dich nur, o Chloe, mal' er ab!
18.
Auf eine ſchöne Gegend, nach dem Dü Bos.
O welch ein heitrer Himmel fließet
Rund um mich her!
Thal, ſey du mir gegrüßet!
Hier werd' ich mehr,
Als Wieland ſeyn;
Die Grazien ſeh ich in Reihn
Und Lorbeerkränze brech' ich ab!
Wenn Klima ganz allein
Die Grazien uns gab!
19.
Auf Amalien, nach dem Griechiſchen.
Der Grazien ſind vier'!
Und wißt! der Muſen zehn'! und zwo Göttinnen
Der Liebe! — glaubet mir!
Amalia kann Weiſen Herz gewinnen,
Jünglinge, Männer und Greiſe laufen nach ihr,
Und gaffen und ſtaunen ſie an! ſtehn ſtarr, nicht wie bey Meduſen
Nein ſtarr, wie Agathon einſt beym Geſang der Muſen!
Und der Syrenen ſtand! beym Triumph der Danae! —
Iſt ſie nicht venus? Muſe? Grazie?
Sinngedichte 1771. 31
20,
An Gunilden.
Der Maler kömmt, Gunilde! —
Geſchwind die Schminke vom Geſicht!
Sonſt trifft er deine Züge nicht,
Und malt ein Bild von einem Bilde!
DE,
An Chloens Sperling.
Du biſt der glücklichſte von allen deinen Brüdern!
Faſt glücklicher, als ich, biſt du!
Du pipſt zu Chloens Liedern,
Trinkſt Nektar, nimmſt Ambroſia dazu!
Und wann ſie ihren Leib enthüllt —
Dann — Sperling! — ſiehſt du gar, was Götter mit Wonne füllt.
Was fehlet dir? was ſiehſt du mich ſo ſchmachtend an?
Der Sperling.
Ich wäre gern der Leda Schwan!
22.
Auf Baven.
Der Palmen Dichter Bas, der allen heilig ſchien,
Flucht itzt: es iſt kein Gott! warum? — es hungert ihn.
32 Heinſes Werke. Erfter Band.
23.
An meinen Arzt.
Du ſprichſt: „Freund! trinke keinen Wein!
Er wird dir tödtlich ſeyn.“ —
Sehr wohl, mein Freund, es tranken
Wohl deine Kranken
Faſt alle Wein?
24.
Auf eine unwiſſende Schöne.
Halt deinen Stolz im Zügel!
Schön biſt du! Niemand leugnet's dir,
So ſchoͤn, wie Eulenſpiegel
Gedruckt von Elzevier.
25.
Auf den plauderhaften Barbill.
Man ſagt: Barbill ſey im Duell geblieben;
Ich glaub' es nicht, er hätt' es mir geſchrieben.
26.
Auf den badenden kleinen Damon.
Vom luftigen Gewand entladen
Wirft ſich der kleine Damon in den Bach,
Die Wellen hüpfen lachend nach,
Das wunderſchöne Kind zu baden.
Sinngedichte 1771. 33
Doch ſchnell ſpringt er — ein nackender Adon —
Ans Ufer hin und lauft davon
Zu Chloen und zu Lalagen
Und ſpricht: „Wollt ihr den Amor ſehn,
So ſeht in Bach von jenem Rofenhügel!
Da ſchwimmt er auf dem Rücken ohne Flügel.“
27.
Franz der Erſte noch als Graf von Angouleme und Maria,
die ſchöne Gemahlinn des alten Ludwigs des Zwölften.
1
Franz.
Maria! — ſchildern kann ich deine Reize nie!
Nur fühlen kann ich ſie!
Ach Engel, einen Kuß von dir!
Erlaube nur zu küſſen mir!
Maria.
Verwegner Jüngling, flieh!
Franz.
Ey! Ey! mit dieſem Graziengeſicht
Sprichſt du der Liebe Hohn?
So liebſt du mich — mich tapfern Prinzen! — nicht?
Maria.
Prinz wiß'! ich liebe dich! ſonſt — raubt' ich dir den Thron!
3
34 Heinſes Werke. Erſter Band.
28.
Auf einen Schauſpieler, der in Krügers blindem Ehemanne
den blinden Ehemann machte.
Auf Kenntniß eigner Mängel bleibt jeder immer Kind!
Der denkt, er macht den Blinden? und iſt doch wirklich blind.
29.
Auf * in *.
Dein Buſen iſt von Holz und dein Gehirn von Bohnen,
Und was darinnen denkt, der dümmſte der Dämonen.
Du ſchimpfſt den Shakeſpear und fluchſt dem Moliere,
Anakr eon gefällt dir nicht,
Du höͤrſt nicht gern von Grazien die Lehre;
Und Lächeln kam dir nie ins mürriſche Geſicht —
Die M“ nahm bey dir wohl an des V' St“
Das dümmſte E“ fo wie V'“ PR!
30.
Auf eben dieſen * in **.
Du Freudenhäſſer du, in Himmel koͤmmſt du nie!
Warum: dort liebt man fie.
38
Auf den nämlichen * in **,
In deine Hölle wünſch' ich mich!
Hin! zu den göttlichſten Genien!
Sinngedichte 1771. 35
Hin! wo die ſchönſten Mädchen blühen!
Und dann — in deinen Himmel dich!
32.
Bav und Ich.
Bav.
Ich zeche dir — thu's nach! — hier ſechszehn Flaſchen leer!
Und bin nicht trunken!
Ich.
Narr! ein Eſel ſäuft ja mehr!
33.
Die Wünſche.
Ratz wünſchet ſich ein Rittergut
Mit Fluren, Wäldern, Bergen voll von Reben.
Dann trüg' er einen Federhut
Und hätt' ein herrlich Leben.
Ein Weibchen wünſcht er ſich, jung, mit Cytherens Mienen,
Wie ſie auf Paphos trat, ſchwarz, weiß und roſenroth,
Und noch, wie Salomo, dreyhundert Concubinen.
Dann wünſcht er ſich zuletzt ein Stückchen — Käs und Brod.
34.
Auf Baven.
„Dies Werkchen hab ich wohl verdaut!
Wie witzig iſt es nicht!“ — ruft Ban — — nun lacht er laut —
*
J
36
Heinſes Werke. Erſter Band.
Bav lüget nicht, fein Kopf verdauet wie fein Magen,
Was da das niedlichſte Gericht
In wenig Stunden wird — das ſchickt ſich nicht zu ſagen —
und fo verdaute Bap das witzigſte Gedicht. |
35.
Lutz weinet ſehr um feine zwote Frau.
Lutz weinet ſehr, er läßt die Frau begraben,
Mit der er Tag und Nacht
Im Zank und Streite zugebracht,
Warum: er will dadurch nun ſchon die dritte haben.
36.
An Chloen, als ſie krank war.
Du denkeſt an das Grab?
O Chloe, zittre nicht! ich bat Cytheren
Die Kunſt zu lieben dich zu lehren,
Und meinen Wunſch mir zu gewähren,
Geſchah es, daß ſie dir die kleine Krankheit gab!
37
Schliems.
Seht nur! wie Schliems die Stirn voll Runzeln macht!
Den Finger um die Naſe biegt!
Die Augen in ſich zieht! — was hat er wohl gedacht?
Herr Schliems hat euch den weiſen Schluß gemacht
Daß jede Frau den Mann betrügt.
Sinngedichte 1771. 37
38.
An Herr Schlapſen.
Man nennt dich grauſam, hart und unempfindlich,
Den ärgſten Geizhals gar! wahrhaftig! das iſt ſündlich!
Du liebſt den Feind, erfüllſt die ſtrengſte Pflicht,
Die uns das Evangelium befohlen,
Und ſammleſt dem, der täglich flucht und ſpricht:
Dich möchten alle T* holen!
39.
Auf den Herrn Büſtrich.
Ach ſeht den reichen Büſtrich, der allen Waiſen raubt,
Seht! bey der vierten Bitte! wie tief beugt er das Haupt!
40.
An Chloen, als ich ihr zum neuen Jahre eine friſche
Roſe gab.
Sieh! wie an ſüßen Düften reich
Noch itzt die Roſe blüht!
Dein Alter ſey der Roſe gleich,
Die noch im Winter blüht!
41.
Mecen und Hartburg.
Hartburg.
Geruhe doch, o göttlicher Mecen!
Mit einem gnädgen Blick mich einmal anzuſehn!
38 Heinſes Werke. Erſter Band.
Mecen.
— Der war doch gnädig gnug? Nun könnt ihr wieder gehn!
42.
Luck und Liſette.
Luck ſprang zum Bett heraus, getäuſcht vom Mondenſchein;
Er dachte voll Sorgen,
Es wäre lichter Morgen;
Und ließ Liſetten nun allein.
Kaum war er fort, ſo ſah Liſette,
Daß ihn der Mond getäuſchet hätte,
Da fluchte ſie dem Mondenſchein
In ihrem leeren Bette.
Luck kam die andre Nacht — ſchon war es heller Tag,
Als ihn der Glocken frommer Schlag
Und Nachtigallen Geſang
In kaum entſchlafne Ohren drang.
Er wollte fliehn, allein
Liſette hielt ihn, ſchrye: es iſt ja Mondenſchein!
43.
Eine Beſchreibung.
Bald Geiſt, bald Nichts und Punkt, im Anfang ſteckt's in Tonnen,
So klein, daß man's nicht ſieht; am End' erſchafft es Sonnen.
Und itzt ſitzt es in einer Höhle,
Wohl gar in einem Sumpf! Es ißt und trinket nicht,
Und lebt von Speiſ' und Trank! Es hört und ſieht, und ſpricht,
Und hat doch keinen Sinn! Was iſts? — der Weiſen Seele.
Sinngedichte 1771. 39
44.
Bav.
Bap ſpricht: ich wollte mehr, als Wieland Klopſtock ſeyn!
Wollt' ich mich nur den Muſen weihn.
Er flucht und ſchwört: bey meiner Seel'!
Hier wohnet Dichtergeiſt! hier tobt er in der Stirne! —
So trug den Engel Raphael
Ein Mann von Waldheim im Gehirne.
45.
Si fractus illabatur orbis
Inpauidum ferient ruinae.
Fällt der ganze Himmel ein,
Will die Welt vergehen,
Werd ich doch nicht furchtſam ſeyn,
Zagen und zitternd ſtehen!
Starr von Wonne, den Buſen voll Freudengetümmel
Seh ich dann der Wunderdinge Gewimmel
Im zerbrochnen Himmel.
46.
Auf die Perraults.
Der Mond verbirgt mit ſeiner dunkeln Scheibe
Uns eines glänzenden Geſtirnes Licht,
Das durch die Wolken brennt. Verdenkt es nicht
Ihr Weiſen, einem alten Weibe!
40 Heinſes Werke. Erſter Band.
Denn dieſes glaubt gewiß,
Es wäre Sonnen- und nicht Erdenfinſterniß. —
Allein, was ſeyd ihr mehr, ihr Perraults unſrer Zeit?
Euch iſt Homer bisweilen nicht geſcheut? 5
Ihr ſeht, wie's alte Weib, das reine Sonnenlicht
Vor einem Monde nicht!
47.
Die Kinder.
Ich ſah ein Kind,
Das gab einen Naſenſtüber
Dem Bilde Voltairs!
Ich ſah ein häßliches Kind,
Das beguckte ſich im Spiegel
Und bewunderte ſich!
Ich ſah ein Kind,
Das biß und ſchug den Buſen,
Indem er es ſäugte!
Ich ſah ein Kind,
Das wählt' aus ächtem Golde
Und Silber und Flittergolde
Das Flittergold,
Und zerzaußt' es dann,
Und ſah das andre nicht an!
Ich ſah ein Kind,
Dem ſpielte Damon
So zärtliche, ſüße Lieder —
Sinngedichte 1771. 41
Indem er aber fang,
Zerriß ihm das Kind
Mit ſeinen Händen die Locken
Und verſtörete ihn!
Ich ſah ein Kind,
Das k* in die Stube
Und zeigte die ſchöne That
Dem, den es ſah,
Und lächelte fröhlich darob!
Die Amme belehrte das Kind,
Dann fieng es an zu ſchreyen,
So jämmerlich zu ſchreyen,
Daß es die Kinder der Nachbarſchaft
Auch mit zum Schreyen ſchrye!
Wie bey den Hunden,
Wenn einer bellet,
So bellen die andern nach — —
Bis itzt ſind ſolche Kinder
Die mehrſten Journaliſten .
*) Man beliebe ſich zu erinnern, daß in Deutſchland Kunſtrichter und Sour:
naliſten einerley Bedeutung haben; denn ein Kunſtrichter muß jährlich, wenig⸗
ſtens! dreyhundert und fünf und ſechzig, und wenn ein Schaltjahr iſt, drey⸗
hundert und ſechs und ſechzig Bücher recenſiren. Ich werde manchen Kunſtrichter
hierdurch auf meine Seite gebracht haben, denn wahrhaftig! viele wiſſen noch
nicht, wie ſauer das Handwerk eines Journaliſten iſt! Man wird mir dieſen kleinen
Kunſtgriff nicht verdenken! Was thut nicht die Eigenliebe? Jeder iſt ſich ſelbſt
der naͤchſte! Ein Sperling in der Hand, iſt beſſer, als eine Taube auf dem Dache;
ſagt Sancho Panßa.
42 Heinfes Werke. Erſter Band.
48.
An einen Freund, welcher mir aus Scherz ſchrieb, er habe
ſich zu einer Parthey von Kunſtrichtern geſellet.
Wer? du? du, du willſt journaliſiren?
Du Haſſer der deutſchen Kritika?
Wie? wie? du könnteſt journaliſiren?
Du alter Haſſer der Kritika!
Ach! ſie verſteinert, gleich Meduſen,
Die Seel' im Kopf! das Herz im Buſen!
Weiſt du denn nicht, was Gerſtenbergen geſchah?
Du alter Haſſer der Kritika?
Er recenſirte — da flohn
Ihm Grazien, Amor und Muſen,
Cythere und Bacchus und Chloe davon!
Und ſäng' er ihnen tauſend Lieder,
So lieben ſie den Kritiker nicht wieder!
40.
An eine Biene, als ich und Chloe friſches Honig gegeſſen
hatten.
Du der Inſekten Menſch, wie in der Unſchuld Stande
Beſingen Dichter ihn in einem Blumenlande!
Du Seelenräuberinn der Blumen und der Blüten!
Du der Lebendigen glückſeligſte!
Im Nektargeiſte haſt du meiner Chloe Küſſe
Gebadet, Biene! nie ſo ſüße
Sinngedichte 1771. 43
War mir dein Honig! nie fo unausſprechlich ſüße!
Die Wolluſt ſog ich ganz in jedem ihrer Küſſe!
Du wäreſt mehr als Menſch, wenn in der kleinen Stirne
Geiſt wohnete! — doch, wie des Cartes ſpricht,
So haben Thiere Seelen nicht,
Nur im fünfpfündigen Gehirne
Beſitzt der Menſch ſie ganz allein.
Drum Biene mußt du ſterblich ſeyn!
Vielleicht iſt dein Gehirn zu klein!
Vielleicht, beym Zevs! iſt's gar zu fein!
Doch tröſte dich! du haſt dein Gutes hier genoſſen!
Für dich iſt ſüßer Geiſt aus Roſen oft gefloſſen!
Und wächſt dein Geiſt nicht einſt zu einem Weltſyſtem,
Wozu noch wachſen ſoll der Geiſt des jüngern Böhm —
Hoffſt du kein Himmelreich in deiner kleinen Zelle,
So fürchteſt du auch keine Hölle.
50.
Bey dem Anblick eines ungewöhnlich ſchönen Mädchens.
O ſeht den Buſen ſteigen, fallen,
Und Blendung in die Augen wallen!
Noch einen Blick! — verſchwunden
O Chloe biſt du mir!
Treulos in zwo Secunden
O Chloe werd' ich dir!
O wie der Mund ſo lieblich ſpricht!
Welch Lächeln in dem Angeſicht!
44 Heinſes Werke. Erſter Band.
Petrarcha dächt' an Lauren nicht
Bey dieſem himmliſchen Geſicht!
Anakreon betheuerte: Sie wäre
Die Göttinn von Cythere!
51.
Auf den unweiſen Accoucheur Vulkan.
Welch Glück, wenn einſt der Mann, der, die der Schaum gebahr,
Der Donnerkeile Schmidt, klug, wie Maupertuis, war!
Zu jener Zeit, da er das patagonſche Haupt
Des Zevs“) zerhieb, woraus die Göttinn unfrer Weiſen,
Die, gleich der Eule, nur das fchöne Dunkle preifen,
Gewaffnet ſprang — welch Glück hat uns Vulkan geraubt! —
Zu jener Zeit, da hätt' er Seele können ſehen!
Ein Glück, warum noch itzt viel große Weiſen flehen!
Die brauchten itzt nicht Patagonen
Zu ſuchen da, wo keine ſollen wohnen“).
*) Ein Kopf, der fo groß wäre, wie das Bäuchlein eines ſchwangern Daͤmchens,
möchte wohl ſchon ſo groß ſeyn, wie der Kopf eines Patagonen. Nun phantaſiere
man ſich den Leib einer Rieſendame vor, die mit einem Kinde, ſo groß wie ein
mannbares Maͤdchen ſchwanger ſey; und nun den Kopf des Zevs, in welchem
die lange homeriſche Pallas völlig bewaffnet ſteckt! — man muß ſich nach
und nach ein Ideal von dieſem Rieſenkopfe machen! auf einmal ſich ſo was
ungeheures vorzuſtellen, möchte nicht wohl möglich ſeyn. Seele hätte Vulkan
gewiß da ſehen müſſen, wenn er Augen gehabt hätte!
*) Maupertuis machte, wie bekannt iſt, zur Verbeſſerung unſerer Seelentheorie,
den Vorſchlag: „man ſollte zuſehen, wie man einen von den großen Rieſen, den
Patagonen der unentdeckten Südländer bekäme, und dieſem den Kopf abſchneiden
Sinngedichte 1771. 45
52.
Auf Chloen. Nach dem ı26ften Sonett des Petrarcha.
In welchem Himmel, welchem Sonnenlichte,
In welcher heitern, milden Himmelsflur
War wohl zu dieſem reizenden Geſichte
Das Muſter für die bildende Natur?
In welchem ſie hierunten zeigen wollte,
Was ſie dort oben in dem Himmel kann!
Die Grazie“), das Himmliſche, das Holde,
Das Beſte, Schönſte, was ſie je erſann!
In Haynen welche Göttinn? und in Flüſſen,
Welch eine Nymphe läßt fo fchöneg Haar
So golden glänzend in die Luft hinfließen.
Wo iſt ein Herz, das niemals hingeriſſen,
Der Sammelplatz von jeder Tugend war?
Iſt gleich dadurch mein Leben in Gefahr
Der hat vergebens himmliſche Schönheit erblickt,
und hinein gucken; da müßte man nicht allein die Seele, ſondern auch alle Ideen
ſehen können.“ Der weiſe Maupertuis hatte nicht unrichtig geſchloſſen! Man
würde ſie ganz gewiß ſehen, allein — ſie nicht ſehen können.
* Wer nicht ſo glücklich iſt, fühlen zu können, was Grazie iſt! der belieb es
in den Grazien unſers Wielands zu erlernen.
Ich glaubte immer, unbeſchreiblich waͤre die Grazie; allein, bis zum Entzücken
fand ich ſie in dieſen deliciis der ſchönſten Geiſter beſchrieben. O die Unglück⸗
ſeligen, welche ſie nicht empfinden können! O die Unglückſeligen, welchen die
Natur nicht vergönnte, die Grazie lebendig in einer Muſarion, Danae,
Laura — Chloe und Bacchidion anzuſtaunen?
46
Heinfes Werke. Erſter Band.
Den ihre Augen haben nie entzückt!
Der nie geſehn, wie lieblich ſie ſolche beweget! —
Der weis nicht, wie die Liebe Wunden ſchläget
Und wieder heilet — ach das weis der nicht,
Der nie gehört, wie himmliſch ſüß ſie ſpricht! —
Wie ſüß ſie ſeufzt! — geſehn nie im Geſicht,
Wie ſüß ſie lächelt! — ach, das weis der nicht!
53.
Auf einen ſchönen Tag im May.
Aus ihren Knoſpen ſchwellen itzt die Roſen,
Und Zephyr wallte mit verliebtem Flügel
Die jungen Düfte vom beblümten Hügel
In laue Thäler Nymphen zu liebkoſen.
Es ſchloß Gott Aeol nun mit gnädgem Riegel
Der Stürme Kammer, ſammt dem Reif und Schloſſen,
Da ſchlich im blütenvollen ſüßen Hayne
Ich meiner Chlo' in Blumenpfaden nach,
Und fand — o Wonne! ſie am Roſenbach
Schon halb entkleidet — ſchüchtern — ganz alleine!
Die Sonne ſtrömte Strahlen her von oben,
Durch Laub und Blüten! leichte Weſte hoben
Die ſchwarzen Locken von dem Buſen ihr!
Es ſang die Lieb' im Lied der Philomene
Den Brand in meine aufgeſchäumte Seele! —
Da ſteht ſie! — willſt du mehr von mir?
Sinngedichte 1771. 47
54.
An Chloen im Mannskleide.
Wär ich ein Mädchen! — o Chloe!
Ich weinte — die ganze Nacht,
Daß nach dem Huart)“ dein Vater
Dich nicht zum Knaben gemacht!
Itzt aber bin ich ein Jüngling,
Und werd' in Himmel entzückt,
Da ich dich — wie Bathyllen
Anakreon — angeblickt!
35.
An einen Freund, der die verſchiedenen Beweiſe für die
Unſterblichkeit der menſchlichen Seele ſammlete.
Mein lieber Freund, o zähle
Nicht tauſend leere Nullen du!
Noch fehlet eins bis itzt dazu!
Sag' erſt, was iſt die Seele“)!
56.
An Chloen.
Du wareſt arm, ich liebte dich!
Voll Zärtlichkeit empfiengſt du mich,
) Man beliebe dieſe vortreffliche Kunſt ſich in Huarts Prüfung der Köpfe
bekannt zu machen.
) Man beliebe zu mehrerer Deutlichkeit hierbey die Predigt des Herrn Dio⸗
genes, vom Mann im Monde, nachzuleſen!
48 Heinſes Werke. Erſter Band.
Kein Glück war unſrer Liebe gleich!
Nun biſt du reich,
Und flieheſt mich!
Den Schmetterlingen biſt du gleich,
Die fliehn das Blatt,
Das ſie als Wurm ernähret hat.
Chloens Antwort darauf.
Noch immer lieb ich dich!
O Freund, bedaure mich!
Ja! fliehen, haſſen ſoll ich dich! —
Noch immer eil' ich dir, am klaren Bach’
Im Hayn, in jenen blütenvollen Linden,
Die ſich zur ſtillen ſüßen Dämmrung winden,
Doch leider nur im Traume nach!
Ich küſſe dich! und lieg auf weichem Mooße
In deinen Armen, Freund, |
Vom rheiniſchen Nektar berauſcht, bekränzt mit blühender Roſe! —
Wie oft hab' ich nach dieſen Träumen, Freund,
Das Schickſal, das uns trennt, beweint! —
Ihr Liebesgötter, Grazien, Cythere,
Seht her! und rächet dieſe bittre Zähre“).
*) Zur Ehre dieſer Chloe fer’ ich zugleich dieſe Antwort mit hieher; Ich fühle
zwar Feuer in meinem Geſichte glühen, da ich ſie abſchreibe, allein —
Ove sia, chi per pruova intenda amore,
Spero trouar pietà, non che perdono.
Sinngedichte 1771. 49
57.
Auf die Leda der Griechen.
So ſimpel waren wohl die griech'ſchen Damen nicht,
Wie ſie uns Rouſſeau malt! Sie konnten auch betrügen!
Und wenn es nöthig war, bisweilen artig lügen.
Ein Zweifler ſehe nach, was jede Chronik ſpricht,
Wo griechſche Damen ſind genau beſchrieben worden!
Die Eyerlegerinn, der ſchönſten Frauen Preis
Frau Leda machte gar dem armen Manne weiß —
Vielleicht gehörte ſie zu Parthenaiens Orden“)!
Sie habe jüngſt Herr Zevs im Bad' als Schwan belegt,
Sie habe itzt davon zwey Eyerchen gelegt,
Im legen wären ſie gefallen und zerbrochen! —
(O ſaget! konnt es noch wahrſcheinlicher wohl ſeyn?
Denn welche meynet wohl, ſie käm mit Eyern ein?)
Und daraus wären dann vier Kinderchen gekrochen. —
Der großen Ehre froh freut ſich der gute Mann,
So ſehr er ſich nur freuen kann,
Umarmt und küßt die ſchönen Kinderchen. —
Ach hätt' ich nur geſehn,
Spricht er, eh ſie herausgekrochen,
Wie groß ein Zwillingsey
Von meiner Frau geweſen ſey!
O Leda hätteſt du nur eins mir nicht zerbrochen )
) Man ſehe im vierten Bande des Diet. von Bayle unter dem Titel: Ouel-
lenee, wie fie dieſen der Unfruchtbarkeit wegen gerichtlich anklagte, und die vor⸗
trefflichen Anmerkungen des weiſen Bayle dazu.
**) Dies iſt keine Ironie meine deutſchen Damen und Herren! es iſt lauter Einfalt
4
50 Heinſes Werke. Erſter Band.
58.
Ueberſetzung der 27ſten Ode des Petrarcha.
O helle, friſche Quelle!
Und ihr ſanftmurmelnden, beblümten Waſſerfälle!
Da ſanken einſt die ſchoͤnen Glieder
Von der, die mich allein bezaubern kann —
Mit Seufzen denk ich dran! —
An dieſem ſchoͤnen Bäumchen nieder.
Chiare, fresche, e dolei acque,
Ove le belle membra
Pose colei, che sola a me par donna;
Gentil ramo, ove piacque
(Con sospir mi rimembra!)
A lei di fare al bel fianco colonna;
und guter Glaube. Rouffeau hätte ſagen follen, die Männer bey den Griechen
wären — was die Eheſtandsſachen betrifft — ſimpel geweſen, und nicht die Da⸗
men! Er würde mir zwar gleich mit der geduldig leidenden Kallirhoe angezogen
kommen; allein ich, als ein Jüngling, wollt' ihm gern ein Licht in dieſem Be-
gebenheitchen anzünden.
Uebrigens verwundre man ſich nicht über die Einfalt der damaligen Zeiten, wo
dieſe Begebenheiten, als Glaubensartikel geglaubet wurden; Man hat ja nach
der Zeit viele Jahrhunderte lang, vielmehr geglaubt, als daß eine Frau Eyer
legen könne.
O Prometheus, haft du nicht vorher ſehen konnen, wie ſehr man die Gutherzig⸗
keit und den leichten Glauben deiner Menſchen mißbrauchen würde?
Sinngedichte 1771. 51
Das leichte Kleid, o Laub und Blüten ihr!
Den engliſchen Buſen noch verbargt ihr mir!
O heilge, heitre Luft in dir
Floß Amor — welch ein ſüßer Schmerz! —
In ihren Blicken in mein Herz!
O laßt euch alle meine letzten Klagen
Mit heißen Zähren und mit Seufzen ſagen!
Iſt es des Schickſals Schluß,
Und will der Himmel es nicht wehren,
Daß dieſes Auge ſich in Zähren
Verſchließen muß;
So nehmt mitleidig noch den Leib in euren Schooß
Indeß der Geiſt von ſeinen Feſſeln loß
Zu ſeiner alten Heymath fähret.
Erba, e fior, che la gonna
Leggiadra ricoverse
Con l’angelico seno;
Aer sacro, sereno,
Ov’ Amor co’ begli occhi il cor m'aperse;
Date udienza insieme
Alle dolenti mie parole estreme!
S'egli è pur mio destino
El Cielo in ciò s’adopra,
Ch’ Amor quest’ occhi lagrimando chiuda;
Qualche grazia il meschino
Corpo fra voi ricopra,
E torni l’alma al proprio albergo ignuda.
52 Heinſes Werke. Erſter Band.
O ſchlaf' ich nur mit dieſer Hoffnung ein,
So wird der Tod mir nicht ſo ſchmerzlich ſeyn.
Der müde Geiſt verläßt, ganz abgehärmt von Quaal,
Den Körper dann in dieſem ſtillen Thal',
In dieſem ruh'gen Hafen;
Und läßt ihn — wie ein Kind die Pupp' auf Blumen — ſchlafen.
Noch koͤmmt vielleicht die Zeit,
Da dieſe wilde Schöne,
Die vorge Sprödigkeit
In dieſem Thal bereut!
Dann ſucht ſie mich an dieſem Orte, da,
Wo ſie zuerſt mich ſah,
Hier wird ſie voll von Liebe ſtehn
La morte fia men cruda,
In questa spe me porto
A quel dubbioso passo:
Che lo spirito lasso
Non potria mai in piu riposato porto,
Nè'n piu tranquilla fossa
Fuggir la carne travagliata, e l’ossa.
Tempo verrä ancor forse
Ch’all’ usato soggiorno
Torni la fera bella, e mansueta;
E lä ov' ella mi scorse
Nel benedetto giorno,
Volga la vista desiosa, e lieta,
Sinngedichte 1771. 53
Nach mir verlangen — und dann fehn —
O Schmerz! wie Staub an diefem Ort
Ich unter einem Stein geworden!
Der Anblick wird fie dann zur Lieb’ entflammen,
So zärtlich ſeufzet ſie für mich um Gnade dann,
Daß, wär der Richter ein Tyrann,
Und wollte mich in Ewigkeit verdammen,
Er keinen Augenblick verdammen kann!
Und trocknet nun die Schöne
Mit ihrem Schleyer eine Thräne —
Dann weint der ganze Himmel! —
Gewalt thut ſie ihm an!
Dann weint der ganze Himmel!
Hier ſah ich einſt von dieſen ſchönen Zweigen,
Wie Flocken Schnee, ſo ſanft herunter ſteigen
Die Blüten in ihren Schoos — Erinnrung voll Entzücken!
Cercandomi: ed, o pieta!
Gia terra infra le pietre
Vedendo, Amor linspiri
In guisa che sospiri
Si dolcemente, che mercè m’impetre,
E faccia forza al Cielo
Asciugandosi gli occhi col bel velo.
Da’ be’ rami scendea,
Dolce nella memoria!
54 Heinſes Werke. Erſter Band.
Die Seele floß auf ſie in Wonn' in meinen Blicken! —
Demüthig ſaß ſie da,
Als ich in dieſer Pracht ſie ſah,
In Herrlichkeit bedecket ganz
Von des verliebten Regens Glanz.
Die Blüte fiel ihr auf das Mäntelchen,
Und die aufs blonde Haar,
Das wie polirtes Gold und Perlen anzuſehn
An dieſem Tage war.
Und die vermählte ſich mit Roſen
Und jene eilete der Quelle liebzukoſen.
Und dieſe wallte ſanft, als ob
Sie in den Lüften hängend bliebe,
Verliebt in Wirbeln um ſie herab
Und ſchien zu ſagen: Hier herrſcht die Liebe!
Una pioggia di fior sovra’l suo grembo;
Ed ella si sedea
Umile in tanta gloria,
Coverta già dell'amoroso nembo
Qual fior cadea sul lembo,
Qual sulle treccie bionde,
Ch’oro forbito, e perle
Eran quel di a vederle.
Qual si posava in terra, e qual sull' onde;
Qual con un vago errore
Girando parea dir: Qui regna Amore!
Sinngedichte 1771. 55
Wie oft in Erſtaunen verlohren
Rief ich damals: gewiß!
Die wurd' im Paradies —
Im Himmel wurde ſie gebohren!
Ganz von der Erd' entrückt
Und in den fchönften der Himmel entzückt
Ward ich von ihrem Gang’! — fie gieng gleich den Göttinnen! —
Von dem Geſpräch, und vom Geſicht
Und von dem ſüßen Lächeln drinnen.
Im Himmel war ich! da war ich nicht,
Da, wo ich wirklich war. Hier rief ich ſeufzend: wer?
Und wann? wann bracht' er mich hieher?
Seit ich nach dieſer Zeit aus dieſem Thale kam,
Floh auch der Friede mich; empfieng dieſe mich Quelle,
Und grüßten mich die holden Waſſerfälle,
So floh mich auch der Gram!
Quante volte diss'io
Allor pien di spavento,
Costei per fermo nacque in Paradiso!
Cosi carco d’oblio
Il divin portamento
E'l volto, e le parole, e'l dolce riso
M’avevano, e si diviso
Dall' imagine vera;
Ch'i' dicea sospirando:
Qui come venn'io, o quando?
Credendo esser in ciel, non la dov'era.
56 Heinſes Werke. Erſter Band.
Da indi in qua mi piace
Quest' erba si, che altrove non ho pace.
Se tu avessi ornamenti, quant hai voglia*)
Potresti arditamente
Uscir del bosco, e gir infra la gente.
*) Diefe drey Verſe find nur für die Italiaͤner ſchoͤn, und Petrarcha konnte
fie mit Fug und Recht für ſchön halten, in dem Jahrhunderte, in welchem er
lebte. Mir aber ſind ſie unüberſetzlich.
Zerſtreute Gedichte
I
4
10 1
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Fee MDR N
Zerſtreute Gedichte. 50
59.
An Bachidion.
Bachidion! Die Roſe,
Die du ſanftlächelnd brachſt,
Dann ſchüchtern, nimm ſie Jüngling!
Entzückend zu mir ſprachſt —
Die erſte deiner Roſen,
Die Roſe will ich ſingen!
Sie duftete der Seele
Zehntauſend Himmel ein!
Die Roſe unter den Roſen,
Die Roſe will ich ſingen!
Von deren Saft wir trancken,
Als du Bachidion
Den erſten Kuß mir küſteſt —
Die ſchnellen Stunden flohn
Als hätten ſie Flügel an Füßen,
Bey unſern erſten Küßen!
Die Rebe die in Rhingau
Uns dieſe Traube gebahr,
Bey deren Saft wir küſten,
Zum erſtenmal uns küſten,
Die lebe tauſend Jahr! —
Sie pflegte der Luͤſten Sohn
Der Gott des Anakreon,
Der Gott der einſt mit junger Roſe
Bekränzt, den Ganges bezwang!
60
Heinſes Werke. Erſter Band.
Den Winkelman in Proſe
Und Wieland in Verſen beſang!
Der Schöpfer neuer Geiſter —
Du kennſt ihn, Bachus heiſt er,
Der pflanzte dieſe Rebe!
Sie wachſe, ſie blühe, ſie lebe!
Es müßen
Bey ihren Trauben ſich
Jüngling und Mädchen entzücken!
Und, wie du Bachidion mich,
Und wie ich Bachidion dich,
Bey unſern erſten Küßen,
So müßen ſie mit den Seelen ſich
Nicht mit den Augen erblicken!
Von allen Mädchen die die Erde
Vor Zeiten auf Blumen wandeln ließ,
Von allen Mädchen die Cythere
Vor Zeiten zu uns aus Paphos wies,
Von allen Mädchen die die Dichter
Anakreon, Ovid,
So ſchon uns beſungen haben,
Von dieſen ſchweigt mein Lied.
Denn Keines hob den Dichter
Ins neunte Himmelreich,
Und holt ihn wieder herunter
Auf unſer Erdenreich!
Keins machte daß ein Dichter
Kühn in die Himmel flog!
Zerſtreute Gedichte.
61
Keins machte daß er wieder
Zu uns herunter zog!
Keins war, daß je den Dichter
Mit ihren Reizen zwang,
Daß er die Grazien Platons
Uns Leimenſöhnen ſang!
Die Danae, die Pſyche,
Den weiſen Agathon!
Geprieſen ſeyſt du Doris!
Ich ſinge Muſarion.
Und dann, erlaub' es o Doris!
Dann ſing ich Bachidion,
Denn dich zu erſt zu ſingen
Befahl mir Bachidion!
Von allen Geniußen
Die ſeit dem Vater Homer
Den Sterblichen die Vorſicht
Von oben ſandte her —
Ich ſinge Gleim und Wieland,
Allein im höͤhern Ton!
Den Sokrates der Deutſchen!
Der Deutſchen Anakreon!
Und dann — der Deutſchen Wieland,
Und dann der Deutſchen Gleim!
Es war der alte Tejer
Die Helffte nur von Gleim!
Nie brauften feine Lieder
Im ſtarcken Kriegeston,
62 Heinſes Werke. Erſter Band.
ä ——— —˙§ê k —·—(˙1³Auãe•mZ aa ——:..ñüͤ„t.̃̃ñů5üS
Der Krieg zerriß die Saiten
Auf ſeinem Barbyton!
Und dann — der Deutſchen Wieland!
Denn nie hat Griechenland
Von ſeinem Sokrateße
Gedichte je gekant!
Er ſang als Knabe Gedichte
Wie Rom Lucrez ſie ſang,
Bis er als Jüngling in Himmel
Auf Flügeln des Blitzes drang!
Dann flog er wieder herunter
Auf dieſe Unterwelt,
Und ſang uns, was im Himmel
Erhabnern Geiſtern gefält!
Der Schönheit Ideale
Sang er Raphaelen vor,
Und ſchwung ſich über die Menſchheit
Zu höhern Geiſtern empor!
Dann ſang er uns entzückend
Den weiſen Agathon! —
Den Paris — und den Idris,
Und dann, Muſarion!
Die Grazien wurden gebohren,
Die Weiſeſten ſtaunten ſie an,
Und wünſchten dem Torſo der Pſyche
Ein Köpfgen und Füßgen daran!
Jezt reiſt er im Lande der Zeiten
Wie bey Lebendgen herum,
Zerſtreute Gedichte. 63
Und fpricht mit den gröften Weiſen
Im grauen Alterthum.
Er weis wer Zoroaſter
Und wer Confucius war,
Orpheus, Lykurg und Solon,
Und den die Amme gebahr,
Wer Kenophon und Plato
Und wer Diogenes war. —
Den Tlantlaquacapatli
Kent er in Mexiko gar —
Er kent die groſen Weiſen
Von jedem Alterthum,
Und reiſt im Lande der Zeiten
Wie bey Lebendgen herum!
Sing Pindar immer Waßer,
Du Geiziger dein Gold!
Ich ſinge Wein und Roſen,
Mir iſt Cythere hold!
Ich ſinge meinen Wieland
Und meinen Anakreon —
Dann ſing ich meine Liebe —
Nein erſt Muſarion! —
Dann ſing ich meine Liebe,
Dich ſchönſte Bachidion!
Sing immer Waßer Pindar!
Wein ſingt Anakreon.
64 Heinfes Werke. Erſter Band.
60.
Auf einen Neider Wielands im Jahre 1770.
Er las den Ganymed und den Endimion,
Und ſchwoll vom Neid empor; er las die Wahl des Paris,
Da ſchwoll er höher noch; er las den Agathon,
Da ſchwoll er höher noch; er las Muſarion,
Da ſchwoll er höher noch; den Abulfaovaris,
Da ſchwoll er höher noch; er las den Diogen,
Da ſchwoll er höher noch; er las die Grazien,
Da ſchwoll er höher noch; — wird er den Amadis ſehn,
Der ſchönſten Ritter erſten —
Dann muß er warlich berſten!
61.
Auf einen Arzt, der das Gedicht Muſarion
in einer Zeitung baß tadelte.
Er haßt Muſarion? ihr fragt: warum? — o wißt,
Weil dieſe Charitin ein wenig weiſer iſt,
Als er! dann fragt er nicht nach Danaen und Leden!
Die Mädchen achtet er nur in den — Kindesnöthen!
62.
Flüchtige Überfegung des Flaminiſchen Vmbrae frigidulae.
Könnt ihr Muſen und Charitinnen keine
Kühle Schatten und Grotten, blumenvolle
Wieſen, Bäche, die ſanft darüber murmeln
Zerſtreute Gedichte.
Blühnde Lauben daran voll Nachtigallen,
Bergerac und Eliſen und Aglaien —
Könnt ihr Muſen und Charitinnen nicht mehr
Tempe geben — wie einſt dem alten Tejer
Euren Dichtern der Freude Tempe geben?
Seht! da kränkelt der arme Gleim von Ohnmacht
Voll und jammert „Vergönnten doch die Götter
Ach vergönnten doch meine Charitinnen
Mir ein Oertchen voll Unſchuld, Ruh und Freude!
Einen Tempel, wie ſie ihn Chaulieu gaben! —
O dann wollt' ich mein Leben ganz der Freude,
Ganz den Muſen es weyhn, und ſingen allen
Menſchenherzen, die Freud’ empfinden konnen
An den Quellen zur Zeit, wann Veilchen blühen
Und in Blüthen die Nachtigallen ſchlagen,
Unter Schatten im Kühlen bey der Ernde —
O dann wollt' ich, ihr Muſen, ſingen allen
Menſchenherzen, die Freud empfinden konnen,
Und Valet jeder alten Sorge ſagen,
Bald auf Blumen mit Pſammis Kindern ſcherzen,
Bald in Schatten ein Honigſchläfchen ſchlummern,
Bald in Lauben mit friſcher Milch mich letzen!
Welch ein Leben ihr Götter! ſeelig wollt ich
Und allgütig wie ihr im Himmel leben!
Selbſt vergeßen den Athamas, die Maske!
Ach ihr Muſen und Charitinnen reißt mich —
Immer hab' ich euch ia geopfert! — reißt mich
5
65
66
Heinfes Werke. Erſter Band.
Vom Geräuſche der Stadt los! von den Acten!
Von den Feſſeln der Seele! Treibt den Gifft aus
Meinen Nerven, der allen Geiſt verzehret!
Treibt den Dämon des Timon aus dem Leibe!
Und vergönnet mir Grazien und Muſen
Doch ein Oertchen zur Ruh und weiſen Freude!“
— Hört ihr holden Göttinnen nicht das Seufzen
Eures lieben Anakreon? — Ihr hört es:
Werdet nun ihm ein Tejifch Tempe geben.
Laßt ihn leben, wie Solon einſt geſungen,
Frey vom Joche der Aemter nun ſein Leben.
Gieße Göttin von Paphos Lieb' in ſeinen
Buſen! Schaffe du Bacchus in die Nerven
Wonnehüpfende Geiſter! Singet Wieland
Und Jakobi und Schmidt ihm ſüße Lieder! —
Gleim verdiente zu leben, wie im goldnen
Spiegel Pſammis, den Abend ſeines Lebens;
Teutſchland ſinget nur ſeine Lieder, ſeine
Thaten kennet nur der, den er beglücket.
Spalding, Rammler und Karſchin kennen ſelbſt ſie
Gleich gefallenen Engeln Gottes Thaten. —
Geiſter ſchweben um mich und liſpeln: Amen!
Gleim ſoll ſeelig wie Pſammis künftig leben! —
Schauer fliegen durch mich — ſind Michaelis
Jähns und Kleiſt nicht die Geiſter, die hier ſchweben?
Zerſtreute Gedichte. 67
63.
An Herrn Kriegsſekretär Schmidt.
In Elyfium wurd' ich hingezaubert“
Minnaſänger — in jene wonniglichen
Uebertempiſchen Gärten — in die Auen,
Wo die Quellen der Charitinnen glänzend
Sterniglich in den Bach der Jugend hüpfen,
Der durch Hayne von Myrthen dann ſich ſchlängelt
Und durch Roſen, wo die Laiden, Leden
Und Aſpaſien mit Alcibiaden
Und Bathyllen und Herkuleßen wandeln —
Mit den Göttern der Phidiaße leichter
Roſenroͤther hinſchweben zum Entzücken
Als die Grazien nach Horazen tanzen —
Minnaſänger in meiner Lais Himmel,
Wo dein ſüßeſtes Wonnigliches ſich ver⸗
lieren würde, wie ein Accentchen ſänftlich
Hingeflötet zu jenen Melodieen,
Womit Danaen Agathone feſſeln —
In Elyſium wurd’ ich hingezaubert —
Auf des Mannes der jüngſten der Huldinnen
Auf des Gottes der Träume Schwanenrücken
Sank ich flüchtig hinüber augenblicklich.
Träumend reiſet man ſchneller als in Kutſchen
Von den Pferden der Engel ſelbſt geflogen:
*) Dieſe Beſchreibungen werden denen andern, die dieſes etwa leſen und
nicht völlig verſtehen werden, binnen kurzer Zeit verſtändlicher ſeyn können.
5 *
68 Heinſes Werke. Erſter Band.
Jezt iſt man in dem Bette, jezt im Himmel.
Der kann La vatern fragen, wer dran zweifelt.“
Unausſprechlich und unbeſchreiblich iſt das
Was Laidion dir nicht hat beſchrieben,
Kein Sinn hat dir da Weile zum Aufſchreiben
In's Gedächtnis, er muß zu viel genießen —
Denn kann Paulus der Alleſprachenwißer
Selbſt unmoͤglich empfindlich machen, was kein
Menſchenauge geſehn, kein Ohr gehöret
Nicht gekommen iſt noch in's Menſchenherze —
Kurz! was keiner geſehn im dritten Himmel.
Caspar Lavater will's zwar noch beſchreiben
Aber wird er St. Paulus Lügen ſtrafen?
Kurz! was einer geſehn im dritten Himmel
Kann er ſich nur beſchreiben, denn verſtändlich
Und empfindlich iſt's keinem, der nicht da war.
Mein Elyfium war zwar nicht der dritte
Himmel, aber es iſt doch auch ein Himmel,
Ob er gleich nicht von Gold und Silber ſtrotzet
Und wie Sonne das Auge rund um blind blitzt;
Folglich vieles auch ſchwerlich zu beſchreiben,
*) Deßen Seele, ein ens simplex, das iſt ein Ding, das gleichſam etwas,
ſonſt aber nach dem Ausſpruch grundgelehrter Weltweiſen nichts iſt — im
Huy ſich durch alle Neun Dantiſche Himmel und feine ſelbſt gemachten dazn
ausdehnen und alle Monaden darinnen ſehen, hören, ſchmecken, riechen und
fühlen und mit einigen Millionen andern Sinnen, von denen wir ſubluna⸗
riſchen Geſchöͤpfe leiden! noch nichts wißen, ſchon hier empfinden und be⸗
ſchreiben kann.
Zerſtreute Gedichte.
69
Wenn man vollends im Traum es nur geſehn hat.
So viel weiß ich gewiß, ich ſah die Muſen
Und die Grazien und noch hundert Dichter
Und darunter war Kleiſt und Michaelis.
Lächelnd ſcherzte nun dieſer neugebohren
Aufgeblüht mit Horazen und mit Sternen,
Hagedornen und Kleiſten, Arioſten
Und noch vielen, die wir nicht unten kennen,
Arm geſchlungen in Arm wie Du, Jakobi,
Gleim und Er mit einander offt gegangen —
Sprechen hätt' ich mit allen ſollen, mit den
Charitinnen und Leden und Laiden,
Denn der Herr Gott der Träume wird ſobald nicht
Dahin über mich flugs ſo wieder tragen
Und der Mühe wär es wohl werth geweſen
Doch es iſt nicht geſchehn, warum? weiß ſelbſt nicht.
Schneller als wie der Blitz war ich in einer
Roſenlaube bey Kleiſt und Michaelis
Und trank Nektar von ihrem Chiernektar.
Gleim ſoll ſeeliger leben, hoͤrt' ich, als der
Weiſe Salomo, glücklicher, als Solon,
Und glückſeeliger, als die Großen alle,
Die den Himmel verſchließen können wollen
Und eröffnen, auf Erden und im Himmel
Leben werden, ſo ſoll er ſeelig leben
Zum Entzücken der Beſten auf der Erde —
Herz und Geiſt iſt ihm ſchon purgiret worden,
Heiter Blut iſt in Adern, und im Kopfe
70 Heinſes Werke. Erſter Band.
Iſt kein Timon zu hören und zu ſehen.
Und das wißt ihr und bringt kein Opfer euren
Charitinnen dafür? Nimm meine Flöte —
Eben wollt' ich den Mund aufthun und reden
Und vertheidigen uns — und ich erwachte.
Schneller lag ich in meinem Bette wieder
Als ich war in den Himmel hingetragen,
Träumte wachend nun das was ich geſehen
Und vertheidigte, daß wir nicht geopfert
Für die Wiedergeneſung unſers Vaters.
Vor Entzücken vergaßen wir das Opfer
Und ergötzten uns an dem aufgehellten
Wolkenloſen Geſicht' und an Geſprächen,
Die, wie lechzende Blumen Thau erquicket,
Und wie Honig das Gäumlein ſeines Mühmchens
Wenn die Scherze der Ninon es umflattern —
Unſre Geiſter mit Wonne ganz erfüllten,
Und an Augen aus denen Liebe, Weisheit,
Wie aus Veilchen der ſüße Dufft, ſich gießet —
Vor Entzücken vergaßen wir das Opfer
Charitinnen zu bringen und den Muſen;
Denn wie Leßing in der Dramaturgie be⸗
weiſet, muß man bey ſchoͤnen Werken nicht nach
Ihren Schöpfern erſt fragen, ſondern fühlen
Und die Schönheit des Werkes nur empfinden
Und Meropens Verfaßer nicht citiren.
Kalte Köpfe nur Journaliſten fragen
Eh ſie Hand an das Kind der Muſen legen:
Zerſtreute Gedichte. 71
Wer hat es denn gemacht? und wo? und warum?
Aber Opfer den Charitinnen laß uns
Minnaſänger nun bringen, daß ſie uns den
Dreymahl göttlichen Mann, der Freude wieder
Und den Scherzen, der Freundſchaft wieder gaben —
Opfern wollen wir nun den Charitinnen
Und den Muſen — und Manifefte, Bullen
Und ein Bibliothekchen von Journalen
Lichterloh in die Höhe brennen laßen
Und vergnügter, als die Leviten bey den
Feiſten Opfern von Rindern, Lieder ſingen,
Welche Grazien, Amor und die Muſen
Gleimen haben geſungen und Jakobi.
64.
An den Kurfürſten von Maynz.
Im May, wann alle Bäume Liebe blühen,
Und Blumenwindchen in die Sinnen wallen,
Hör’ ich im Hayn offt alte Nachtigallen
Entzückend junge zum Geſang erziehen:
An Chloens Buſens hoͤr' ich Melodieen
Der ſüßen Unſchuld dann die Kinder lallen —
Der jungen Luſt — die übertreffen allen
Geſang von ihren göttlichſten Genieen.
So ſollten in des Frühlings Abendroͤthen
Die Gleim' uns auferziehn im blühnden Hayne
Uns dichteriſche Knaben zu Poeten:
72 Heinſes Werke. Erſter Band.
Gern ſäng' auch Gleim uns vor — ſchenk nur vom Rheine
Uns die Carthaus ) o Bromius!“) Bey Flöten
Und Lauten ſingen wir zu deinem Weine.
*) Die Carthauſe zu Maynz hat die Ausſicht in die ſchoͤnſte Gegend am
ganzen Rheine.
**) Der jezige Kurfürſt Emmerich trinkt täglich 18 Maas rheiniſch alten
Rüdesheimer und Hochheimer; bisweilen oder offt 24.
Aus der Halberſtaͤdter „Buͤchſe“
1774
Aus der Halberftädter „Büchſe“. 1774. 75
65.
Zur böfen Stunde habt ihr Krähen und ihr Eulen
Euch in der Muſen Hayn gewagt!
Apollo ladet ein zur Jagd,
Die Koͤcher werden ſchon gefüllt mit ſcharfen Pfeilen.
66.
Wie ſo liſtig der Gott der Diebe doch den
Alten Nikel den Kettenhund zum Schweigen
Brachte! Leckere Biſſen von der Götter
Tafel ſtekt er dem Knurrer in den Rachen,
Lockt ihn hinter ſich drein, entfernt ihn von den
Feiſten Rindern Germaniens, und bringt ihn —
O der Gauner — ſo gar bis in den Himmel.
Aber übel empfingen ihn die Thiere
Des Olympus, der Kater, Junons Liebling,
Und der Eſel Silens, und der Minerva
Eule machten Parthey, und fielen an den
Knurrer, und es entſtand ein ſolcher Lermen
Daß die Muſen erſchrocken inne hielten —
Biß denn Momus mit einem Beſenſtiele
Den er unter dem Tiſche fand, den Nikel
Vom Olympus zu ſeiner Stätte fegte.
67.
Auf einen Kunſtrichter.
Wie, ſeines hohen Amtes voll,
Er, durch ſein Fenſterchen am Zoll,
76 Heinſes Werke. Erfter Band.
Mit ernſten Viſitator⸗Mienen
Auf kleine Freuden⸗Götter paßt,
Und, weil er nie geſcherzt, an ihnen
Die lachenden Geberden haßt!
Die Götter ſehen, ſtill und heiter,
An ſeinem Zoll, den ernſten Mann;
Sie ſtoßen nur einander an,
Und freuen ſich, und gehen weiter.
den Sten Januar 1774.
68.
Hinweg, hinweg mit dieſen Ruthen!
Die feigen Marſyaße bluten.
Ihr Knaben! eilt hinaus,
Und reißet neue Diſteln aus.
So bald an dieſen Ruthen,
Die ſonſt Apollo ſelbſt im frommen Eifer hebt,
Der erſte Tropfe nur des ſchwarzen Blutes klebt,
So bald entehren ſie die Hand
Die goldnes Saitenſpiel für Grazien beſpannt.
den 15ten Januar 1774.
69.
Antiquitäten nennt der Eſel ſein Geſchmier?
Dergleichen dumme Sudeley
Ward nie gemacht, iſt unerhoͤrt und neu;
Beſoffen war der Stax in Fuſel oder Biere!
Wer ſah noch je ſo ſehr geſchändete Papiere?
Aus der Halberſtädter „Büchſe“. 1774. 77
70.
Die Kunſtrichter.
Wie ſtolz ſie thun, die Herren allzumahl,
Auf ihrem hohen Tribunal
Von lahmen Bretter-Bänken!
Und wie ſie nicht daran gedenken,
Daß ihre Häute noch einmal —
Nicht etwa in dem ſchwarzen Saal
Den Stuhl des Rhada mantus decken:
Wie könnten ſie wohl einen Richter ſchrecken?
— Allein daß einſt, im Reich der Todten,
Mit ihrer Haut die Höllen-Bothen,
Zur eignen Luſt herum ſpatzieren,
Und ſelber ſie darinn citieren.
71.
O Baſedow in dieſem Stück
Biſt du fürwahr noch klug geweſen;
Du machteſt doch dein Werk ſo ungeheuer dick,
Daß nur ein Duns es wagt, ein Achtel durchzuleſen?
72.
Ihr Grazien zu hart ſeyd ihr dießmahl geweſen!
Blos für ein Kompliment, das ihm entſchlüpfet war,
Muß Wieland — wifßt, ihr ſetzt fein Leben in Gefahr —
Ach! einen ganzen Band der allgemeinen leſen.
78 Heinſes Werke. Erſter Band.
73.
Unter den Kopf des Homer vor der
allgemeinen deutſchen Bibliothek.
Auf dieſem Anger könnt ihr Krähen und ihr Raben
Und Weſpen ieder Zeit vollauf zu ſchmauſen haben;
Kommt nur getroſt hierher, wenn euch der Hunger brennt!
Zum Mahle ladet euch hier dieſer Todtenknochen,
Dem Meiſter Nikel ſelbſt, daß ihr es finden könnt,
Die Augen ausgeſtochen.
74.
Jeruſalem und Spalding, ach
Wo ſind denn eure ſchönen langen Bärte,
Wovor man euch als Majeſtaeten ehrte,
Worinn ein Schatz von Zaubereyen ſtach? —
„Leibnitzens Maske hat ſie abgeriſſen —“
O meh! iſt's zu verwundern, daß
Die groſſen Heil'gen immer baß
Die Maskeraden ſchimpfen müſſen!
75:
Der Marktſchreyer.
Daß ſie zu ſeiner Bude laufen,
Und ſeine Mordgeſchichten kaufen;
Daß Mann, und Weib, und Kinder gaffen
Und ſich erſtaunt am Ermel ziehn:
Das alles thut ſein Harlekin:
Und ſiehſt du nicht den kleinen Affen?
Aus der Halberftädter „Büchſe“. 1774.
79
76.
An Klopſtock.
That nenneſt du, was ſchon beſchloſſen iſt?“
Bey Sünden muß ich es den Prieſtern Gottes glauben —
Allein beym Guten bin ich, wie du ſelber biſt,
Beſtändig einer von den Tauben.)
Es müßten denn die Dardanellen ein
Genommen ſeyn —
Und ich in Griechenland an Quellen unter Myrthen
Bekränzt mit Roſen, ſanft berauſcht von Cyperwein
Der Völker guten Hirten
Pindariſche Geſänge weyhn,
Wozu die Heben in Geſträuchen irrten
Und über mir verliebte Tauben girrten.
77.
Als der größte der Helden aller Zeiten,
Der gewaltige Roland, den Bireno,
Der Olimpia Leben, aus den Klauen
Des Tyrannen Cimosco reiſſen wollte,
Und verrätheriſch dieſer, ihn zu fangen,
Seinen Räubern befahl, da ſpießte Roland
Einen, fürchterlich lächelnd, nach dem andern
Leicht, als wären ſie Pfefferkuchenmänner,
Durch die Herzen an feine ſtarke Lanze —
Sechſe hiengen daran wie eingefädelt,
*) In ſeiner Dedication an den Kaiſer.
**) In einem ſeiner Epigrammen.
80
Heinſes Werke. Erſter Band.
Als der ſiebente ſo davon getroffen
Wurde, daß er die Seel' in's Grüne hinſpie.
Hätt' ein Gott mir die Stärke dieſes Ritters
Doch auf einige Zeit gegeben! — nicht den
Groſſen Damen in Wien, Paris und andern
Städten wollt' ich damit Alkmenennächte
Machen — flehentlich bät ich einen Zaubrer,
Mir die Kritiker Teutſchlands doch an einen
Ort zuſammen zu bannen — Euch Geſindel,
Euch ihr Räuber der Tempel unſrer Muſen,
Euch Algierermatroſen, die ihr alles
Schöne ſchändet, und um das Leben bringet.
O du Nikel, in deſſen Buſen eine
Kröte Gift in die Adern geifert, und durch
Deſſen Schädel ſich eine Hyder ſchlängelt —
O du Nikel durch deine Kröte ſollte
Meine Lanze zuerſt geſtochen werden.
Angebetetes Krokodyll, du Goͤtze
Sollteſt Nikeln darauf von ſeiner Stelle
Weiter ſtoſſen; und dann du ſchwarzer Ziegra
Dieſen weiter; und Mauvillon, du Schmäher,
Dieſen weiter; und Schirach, o du Kläffer,
Dieſen weiter; und Mangelsdorf, du Affe
Dieſen weiter — und du Antiquitäten
Schmierer ſo noch getroffen werden, daß du
Dein armſeeliges Leben in das Grüne
Speyen müßteſt — Noch einmal ſäh ich
An die gräßlich verzogenen Geſichter,
Aus der Halberftädter „Büchſe“. 1774. 81
Aufgeriſſenen Mäuler, ſtarren Augen —
Säh die Hände den Tod umklammern, die der
Muſen Namen an Galgen eifrig ſchlugen —
Würf die Lanze hinweg, ergriff die ſcharfe
Durindana, wie junge Dornen ſollten
Dann die übrigen Gaſſenjungen durchge;
hauen werden und Teutſchland Ruhe haben.
Könnt' ich einen Einbalſamierer dann noch
Finden, der mir die durchgeſpießten Schreyer
Unverweslich an meiner Lanze mächte —
O dann ſollten in einem Raritäten
Zimmer ewig zur Schau die Marſyaße
Hängen, Dunſen und Kritikern zum Schrecken.
Hängt denn, weil mir des Körpers Stärke fehlt, an
Dieſen Hendekaſylben, wie an Rolands
Spieße jene Barbaren hiengen, o ihr
Foltrer unſerer Muſen, hänget ewig
Euch zur Schande daran, den andern Buben
Zum Exempel, ihr Schänder unſrer Jugend.
Die Geſpenſter verſpott' ich — ſchon als Knabe,
Wann Gewitter am Himmel auf der Werra
Eichenwälder ſich toͤſend lagerten, und
Meine ſanften Geſpielen zitternd weinten,
Daß die Blitze die tauſendjaͤhr'ge Nacht er;
hellten, ſah ich ſie an, als wären's Brüder,
Hört' ich Jubelgetön in ihren Donnern;
Und zum Jüngling herangereifet, ſollten
Mich Irrwiſche noch furchtſam machen können? —
6
82
Heinſes Werke. Erſter Band.
Welch ein Ekel durchſchauert meine Nerven!
Laßt, o Muſen, mich dieſes ſchwarze Blut im
Aganippe verbaden — dann ein reines
Opfer euch und den Charitinnen bringen.
Verzeyhet mir, geliebte Charitinnen!
Ich bet' euch ewig an.
Ihr aber könnt mit Huld die Teufel nicht gewinnen —
Verſöhnt euch! laßt mich eurem Tempel nahn!
Ich hielt euch für der Unſchuld Rächerinnen —
War eu'r Apoſtel nicht auch Lucian?
O zürnet nicht, es ſoll in meinem künftgen Leben
Nie wieder Drachenblut an meinen Händen kleben!
79.
Moral in Jocus eingehüllet
Erlaubt die heil'ge Critica?
Und doch verdamt ſie meine Kirſchen da.
Die Hure die hat Nikels Balg kaum ausgeſtillet
Gleich iſt ein andrer wieder da.
Wär nicht Madamens Kopf mit Grütze angefüllet
So ſäh die garſt'ge Hure ja
Im Kirſchen auch, Moral in Jocus eingehüllet.
80.
Dumm iſt Nikel, daß iſt gewiß; doch merkt er
Sich bisweilen was kluges. Jener Sultan,
Aus der Halberftädter „Büchſe“. 1774. 83
Der ſo gerne die Flaſchen Chier leerte,
Rief bey jeder, fo bald er fie eröffnet:
Lieber Mahomed drük die Augen zu! — Das
Hörte Nikel und ſagte zu ſich; was den
Türken Mahomed iſt, das iſt Homer den
Muſenſöhnen; und da doch leider! deine
Vierzig Bibliothekenleute groſſe
Sünder find, und die Weiſen keine Tage;
Löhnerdienſte dir leiſten werden, und du
Doch die Dummen ein wenig plündern mußt, um
Wohlzuleben, ſo willſt du ihre Sünden
Gleich im Anfang den Weiſen nur geſtehen,
Daß fie dir das Profitchen gönnen mögen —
Willſt den Kopf des Homerus mit geſchloſſnen
Augenliedern auf alle Theile ſetzen,
Zum Geſtändniß, daß keiner von uns allen
Sich erkühne, von ihm geſehn zu werden.
Wär in Nikeln der Hoffahrtsteufel nicht ge:
fahren, hätt' er die Weiſen nicht geläſtert,
Und bey ſeinem Profitchen ſich beſcheiden
Aufgeführet, ſo würden ſie noch immer
Durch die Finger ihm ſehen, da doch die Zunft der
Journaliſten zu jeder Zeit aus armen
Dummen Tröpfen beſtanden, und die Weiſen
Selbſt veralberten, wenn ſie ſich zu ihrer
Zunft verirrten — und jezt noch Nikel werden.
6 *
84 Heinſes Werke. Erſter Band.
81.
Um noch einmahl ein Käſtchen voll Piſtolen
Aus Böhmen und aus Sſterreich zu hohlen
Wird jezt daſelbſt der Gott der Schelmerey
Das Nikelchen, den albernen Geſellen,
Und einen Mönch, als ob er Wiener ſey,
Zu dem Meſſias unſers Klopſtocks ſtellen —
Im Meſſgewand ſtellt er das Eſelein
Und Oechslein vor mit Gott dem Herren ſein.
82.
Wir halten hier ein feyerlich Gericht
Ihr Journaliſten über eure Sünden
Und davon appellieren könnt ihr nicht!
Die Muſen haben uns Gleminden
Und Friederiken hergeſandt,
Zwo ſanfte Prieſterinnen
Der Charitinnen,
Und ſie zu Oberrichterinnen
An ihren Platz ernannt.
83.
Nikels Grabſchrift.
Hier lieget Nikel, den der lieblichſte Geſang
Der ſchoͤnſten Muſe nie im Leben konnte rühren;
Gewißlich wird er auch Eloas Harfenklang
Am jüngſten Tage nicht in ſeinem Grabe ſpüren,
Aus der Halberſtädter „Büchſe“. 1774. 85
Willſt du Beelzebub ihn in die Hölle führen,
So muß ein Janitſcharen Chor
Von deinen Teufeln ihn zuvor
Mit Trommeln, Klapperblechen, Dudelſäcken
Und Katzenſtimmen auferwecken.
84.
Wie gern läßt doch die Dumheit ſich
In einem ſchwarzen Rocke tragen,
Wie gern verbirgt ſich liſtiglich,
Betrügerey im weiſſen Kragen,
Wie gern der Schalck ins Heugelchen,
Wie gern der Neid in die Parüque,
Wie gern im großen Ermel Tücke
Und Heucheley im Mäntelchen.
Wollt ihr dies Goetzenbild im Schwartzen Rock verehren?
So geht nach Hamburg es zu ſehen und zu hören!
85.
Petronius ins deutſche überſetzt?
Mein Gott wer iſt denn das geweſen,
Wird denn ſolch Zeug noch abgeſetzt
Und noch geleſen?
Du Naſeweis von Erlang oder Dreſen,
Petronius ſchrieb für geſunden Geiſt
Nicht für verfaulte Herz und Nieren,
Warum läſt denn du Heidenbeiſt
Dich von dem kleinſten Scherze rühren!
86 Heinſes Werke. Erſter Band.
86.
Aus einem Briefe.
O laß in ſeinem Pleißathen
Herr Garven doch ſein Näschen rümpfen
Und auf der Freuden Dichter ſchmähn —
An Aphroditen alles ſchimpfen
Und nur den völligen Poppo
Allein betrachtungswürdig preiſen —
Die Schönheit ſuchet er in Kreiſen
Von Zirkellinien, und ſo
Rechtwinkelmäſſig eingeſchloſſen,
Daß ſie allein der Zahlenmann
In ungeheueren Koloſſen
Und Pyramiden finden kann.
Was ſelbſt Anakreon geſungen,
Iſt abgeſchmakt und klein für ihn.
Laß immer ihn mit den Schmelfungen
Wie Hudibras zu Felde ziehn
Und mächtiglich die Trommel rühren
Und feyerlich ſein Steckenpferd
In Leipzig rund herum trottieren —
Schmelfunge werden nie belehrt;
Die hohe Schönheit zu empfinden,
Dazu gehört ein eigner Sinn,
Der muß ſich ſchon im Herzen finden
Sonſt rührt es keine Charitin.
Aus der Halberſtädter „Büchſe“. 1774.
87.
Der Ochſenhüter Götze ſtreitet
Für ſeiner lieben Teufel Schaar;
Und Zürchens Jakob Böhme reutet,
Wie ein beſoffener Huſar
Auf Sankt Johannis Hypogryphe
Mit ſieben Köpfen, voller Zorn,
Aus ſeinen Welten in die Tiefe
Der Erd' herab, und bläſt in's Horn
Und fordert jeden zum Tourniere
Der ihm nicht glauben will heraus —
Wir lachen den auf ſeinem Thiere
Und den mit ſeinen Teufeln aus,
Warum uns mit den Narren balgen?
Schlägt doch ein Nikel in Berlin
Der Muſen Namen an den Galgen
Und Wieland ſieht's und — lobet ihn.
88.
Wenn Herrmanns edle Völker ſtreiten,
Und ſeine Barden, kühn,
Den Schwerdtſchlag mit Geſang begleiten,
Wem ſollte deutſcher Geiſt nicht in den Adern glühn?
Wenn aber, unſern ModerZeiten
Ein ſeltnes Schauſpiel zu bereiten,
Der Muſen⸗Sohn den alten Barden ſpielt,
Und nach dem Eichenkranze fühlt,
Ob dieſer feſt auf ſeinem Haupte ſtehe,
87
Heinſes Werke. Erſter Band.
Benetzt mit Roͤm er⸗Blut;
Indeß ich ihm den Alltags⸗Hut
Auf ſchön gelockten Haaren ſehe
Dann, warlich! dann gedenk ich mir,
Sein Waffenträger müſſe ſchier,
Wie vormals Sancho Panſa lachen,
Als Don Quixott', im ewigen Tournier,
Mit Hexenmeiſtern und mit Drachen,
Dem guten reiſenden Barbier
Das hingeworfne Becken raubte,
Und einen goldnen Helm ſich auf der Stirne glaubte.
89.
Babel.
Ein Völkchen hatte Luſt, allmählich, im Vertrauen,
Sich einen hohen Thurm zu bauen,
So hoch, daß auch der Muſenberg,
Mit ihm verglichen, nur ein Zwerg
Der ganzen Erde ſcheinen ſollte.
Doch was geſchah? Des Pindus erſter Gott,
Der ſolch ein Völkchen nicht zum Nachbar haben wollte,
Betrachtete das Werk, und hatte ſeinen Spott;
Denn alſobald verwirrte ſich
Die Sprache gar erbärmiglich;
Ein jeder folgte ſeinem Dünkel,
Ein jeder fieng, im eignen Winkel,
Zu mauren an, zu mahlen und zu weißen,
Zu ſtützen, oder einzureiſſen;
Aus der Halberſtädter „Büchſe“. 1774. 89
Die Männer alleſammt verſtanden ſich kein Wort;
Und dennoch bauen ſie bis dieſe Stunde fort.
90,
Von Klotzens Satyr nennſt du einen Affen ihn? —
Die Affen ſcheinen doch etwas dabey zu fühlen
Wenn ſie Komödien von unſern Thaten ſpielen.
Dein Gleichniß iſt zu groß, zu dichteriſch, zu kühn
Vergleiche lieber ihn,
O Freund, mit Papageyen,
Die ungeſtümm ein jedes Wort,
Das fie gehört, in einem fort
Ohn' einigen Gedanken ſchreyen.
91.
In Teuſchland iſt die Weisheit ganz erloſchen;
Da führen euch die Kritiker
Den Hungrigen die Garben her,
Die ſie — Gott ſey's geklagt! vorher rein ausgedroſchen.
92.
Du gute Göttin Kritika
Wirſt von den Teutſchen ſchlecht behandelt!
Was einſt der Griech' an dir von ernſter Grazie ſah,
Iſt in Pirroniſche Karrikatur verwandelt;
Wie Voltairs Meſſalina ſtehſt du da,
Und hältſt zur Schau ein Blat in deiner Rechten,
Worauf der langen Nikel Namen ſtehn,
Die dich am ſtärkſten ſchwächten,
Und ſprichſt: dergleichen hab' ich nie geſehn!
90
Heinſes Werke. Erſter Band.
93.
Ich werde flott — rief einſt ein Schiffspatron,
Als aus dem Kammertopf, den durch ein Schalk geſtoſſen,
Ein wenig von der Braut in's Bette war gefloſſen —
So rief auch jüngſt ein Geck: es iſt ein Agathon
An Kolorit, an Ausdruck, und an Riſſe;
Nothanker iſt ein Wunder von Roman! —
Es ſah der arme Tropf ein wenig Seelenpiſſe
Auch ſo fürs groſſe Meer des Lebens an.
94.
An Wieland.
Und Fönnteft du, wie Gott den Teufel, ihn betrachten,
So würdeſt du ihn doch noch nicht genug verachten.
95.
Und wär Homerus blind
Und bettelarm geweſen,
Wie wir in den Legenden leſen;
So war er glücklicher, als deutſche Dichter find.
Er ſang in Griechenland; da wußte jedes Kind,
Daß bey der lieblichſten Muſik
Die Hunde heulen.
Bey uns hingegen halten dieß bisweilen
Die Weiſen ſelbſt für treffliche Kritik.
Aus der Halberftädter „Büchſe“. 1774. 91
96.
Die Erbſünde.
An Herrn Roſt von Paſtor Amor.
Zween Knaben ſah ich einſt — in's Wäldchen gieng der eine
Zur Abendzeit und hört in ſüſſer Ruh
Verliebten Nachtigallen zu;
Der andre ſchlich ihm nach, und warf nach ihnen Steine.
Und hatt' er nun der Sängerinnen eine
Getöͤdtet, oder doch ihr Neſt
Zerſtöͤret — o! fo war's ein Feſt
Für ihn, als wär' er ganz berauſcht in ſüſſem Weine.
Der hohlte Thymian darauf bey'm Morgenroth
Für ſeine Bienen von den Hügeln; —
Und dieſer drückte ſie in jungen Blumen todt,
Und biß das Honig von den Flügeln.
Der pflanzte Blumen in das Land
Und zog die Bäumchen an's Geländer; —
Und dieſer riß ſie aus: Wenn jener Kränze wand
Fürs Schweſterchen — zerſchnitt der ihm die Bänder,
Und ſpritzte Koth auf's weißgewaſchene Gewand. —
Wenn jener von dem Quellenteiche
Ein Känchen friſchen Waſſers trug
Zu tränken matte Roſenſträuche, —
So ſchnitt ſie der mit ſamt den Knoſpen ab, und ſchlug
Mit ihren Dornen die Geſpielen,
Daß ſie von Blut beſpritzt zu ſeinen Füßen fielen.
92 Heinſes Werke. Erſter Band.
Und in der heitern Nacht ſah der der Sterne Heer,
Als ob er da vorher geweſen wär',
Eh' er auf dieſe Welt gekommen,
Mit ſehnſuchts vollen Blicken an,
Und merkte ſich der ſchönen Venus Bahn —
Indeß der andre was dem Koche weggenommen
Wes wegen er das Mahl nicht recht bereiten kann.
Der eine war ein Kind mit lieblichen Gebehrden,
Sein Auge war, wie ſeine Seele, rein,
Wie Veilchenthau im Sonnenſchein —
Den Grazien wird er dereinſt — Ja ko bi ſeyn,
Und jener muß — o Gott! — ein Nikolai werden.
O Herr! wir ſehen hier auf Erden
Nie deiner Weisheit Tiefen ein.
97.
Der Adler und der Eſel.
Der Eſel.
Warum verſteigt ihr euch doch in fo hohe Höhen?
Warum, Herr Adler? — Lehrt es mich!
Der Adler.
Um deine Brüder nicht zu ſehen,
Und eure ganze Welt nicht gröſſer mehr, als mich.
Aus der Halberftädter „Büchſe“. 1774. 93
98.
An den Mahler Leontidas, der den Teufel mit Horn und
Schwanz gemahlt hatte.
Freund Leontidas, willt du mir den Teufel
Mahlen: halte dich fein zur Mode! Horn und
Schwanz ſind abgeſchafft! Seit das wackre Männchen
Herr Magiſter geworden, iſt ſein Wappen
Ein Homeruskopf, mit gehöhlten Augen!
99
Geſpräch bei einer Pariſer Puppe.
„Schön iſt die Puppe! ſchön
Bis zum Entzücken!
Nun möcht' ich doch einmahl die Puppe von Athen
Von der Aſpaſia gebildet ſehn.“
„Madam, die koͤnnen Sie noch zu Florenz erblicken,
Da ſoll ſie unverändert ſtehn.“
100
Über einen Kunſtrichter der Damenbuſen; Kirfchen ;
„Ich weiß ein Mädchen, ſchöner iſt“, u. ſ. w.
Die Maske nur allein macht feine ganze Gröſſe;
Wie häßlich würd' er da von ihr beraubet ſtehn!
Deswegen ſcheut er ſich den erſten Schein der Blöffe
So gar bey Grazien zu ſehn.
94 Heinſes Werke. Erfter Band.
101.
An die Kunſtrichterinnen der Schönpfläſterchen meiner
Daphne.
Ihr nennet Daphnen ſtolz? und ich, ſie zu beſcheiden:
Damit die Sonne könne nicht
An ihr der reinen Schönheit Glanz beneiden,
Macht ſie zwo Flecken ſelbſt in's himmliche Geſicht.
102.
Die dreyfache Sonnenfinſterniß an einem Tage.
Das kalte, dunkle Ding der Mond kann ohne Schein
Der Sonne niemals ſichtbar ſeyn,
Und doch verdunkelt er bisweilen ihre Strahlen,
An einem Tage hab' ich jüngſt zu dreyenmahlen
Ihr glänzendes Geſicht von ihm verlöfcht geſehn —
— Es konnten meiner Daphne Strahlen
Vor ihrem Manne nicht in meine Seele gehn.
103.
Eine, etwas ungetreue, Ueberſetzung der 19 Elegie des
zehnten Buches der Phantaſieen des Fernando Herrera;
unmittelbar aus dem Spaniſchen.
Ach! wo biſt du hin, o goldner Friede,
Meines Lebens Genius, geflohn?
Herz und Seele ſind des Krieges müde;
Kehre wieder, Charitinnen-Sohn,
Aus der Halberſtädter „Büchſe“. 1774. 95
Eh' ich meinen letzten Geiſt verweine!
Führe mich zurück in jene Hayne —
Jene Hayne, wo die Nachtigallen
Meines Lebens erſten May geweckt!
Zwiſchen Bächen, die von Hügeln fallen,
Lag ich unter Myrthen hingeſtreckt;
Gleich den Liebesgöttern ſchwanden Träume
Bey dem erſten Blicke durch die Bäume,
Die voll leisbewegter Blüthen hiengen,
Sanft erröthend in dem Roſenſchein
Von Auroren. Mit verliebten Schwingen
Spielten Turteltauben in dem Hayn;
An den Blumenufern klarer Dellen
Letzten Rehe ſich an friſchen Wellen.
Voll von Wonneſchauern, mein Entzücken
Singend, gieng ich nun hinab in's Tal,
Friſche Mayenblumen abzupflücken.
Schon erſchien der reinen Sonne Strahl
Und berauſchte ſich in friſchen Düften —
Nachtigallenluſt war in den Lüften.
Da ich pflückte, flogen plötzlich Töne
Süſſer, als ein Amorettenblitz
Mir in's Herz; die lieblichſte Syrene
Sang ein Lied auf einen Blumenſitz —
Heinſes Werke. Erſter Band.
Unter Blüthen, in dem Sonnenſcheine
Göttlich glänzend, ſaß der Muſen eine.
Blumen in das blonde Haar geflochten,
Das in Locken auf den Buſen fiel.
Alle Pulſe meines Geiſtes pochten
Heftig, vor entzückendem Gefühl.
Von den hohen Reizen hingeriſſen
Lag ich ſchüchtern da zu ihren Füſſen,
Lehre mich doch deine Lieder ſingen!
Küßt' ich Knab' auf's zarte Händchen ihr;
Jeden Morgen will ich Blumen bringen
Friſch gepflückt, o Göttin, dir dafür!
Jeden Morgen will ich Blumen bringen,
Lehre mich doch deine Lieder ſingen! —
„Kleiner Schmeichler — ſprach ſie lächelnd — höre
Zu dem Liede, das ich ſingen will!“
Und fie fang. Es ſchwiegen alle Chöre
Der verliebten Frühlingsfänger fill.
Philomele lallte nur dazwiſchen
Heimlich ein Accentchen in den Büſchen.
Taumelnd ſank ich ihr im Schooße nieder,
Allzuvoll von Götterſeeligkeit;
Feuerſchauer wallten durch die Glieder,
Herz und Seele wurden eingeweyht,
Aus der Halberſtädter „Büchſe“. 1774. 97
— — . —— —H—
Ihre Gottheit würdig zu empfangen,
Mit der Liebe Zähren auf den Wangen.
Sing' es nun mir nach, du kleiner Lieber —
Hob ſie mich an ihre Bruſt, und gab
Mir ein Küßchen, und mit ihm hinüber
Schlich ein Liebesgott in's Herz hinab.
Von dem brennend heiſſen Sonnenfunken
Wacht' ich auf an ihre Bruſt gefunfen. — —
Sie verſchwand, wie Sonnenlicht verſchwindet.
Zitternd vor Beſtürzung ſtand ich da,
Wie ein Kind die Mutter nicht mehr findet,
Die es erſt in Blumen ſpielen ſah —
Alles wurd' an mir zu leichten Flügeln,
Ich verließ das Thal mit ſeinen Hügeln —
Nachtigallen ſangen in den Ohren,
Lauter Himmel war die Phantaſie.
Wie zu einem neuen Gott gebohren,
Sang ich ihres Liedes Melodie;
Sichtbar wurden alle Pierinnen,
Liebesgötter, Venus, Charitinnen.
Oefter iſt ſie mir darnach erſchienen
Manchen Abend in der Einſamkeit;
Unter Roſen ſaſſen wir im Grünen —
Ach! dieß war des Lebens goldne Zeit.
Jede Wonne hab' ich da empfunden!
Tag' und Nächte waren kurze Stunden.
98
Heinſes Werke. Erſter Band.
Dieſe Laube war Tibullens Laube,
Jene Grotte Platons Heiligthum.
Hier entriß ich Stolzer mich dem Staube;
Dort erblickt' ich ein Elyſtum
In den Haynen, auf beblümten Wieſen,
Voll Adonen, Heben und Eliſen.
Jene Quelle war Petrarchens Quelle.
Kaum empfand ich damals, was er weint —
Ach! jetzt fühl' ich ſelbſt, da nicht ſo helle
Mir die Sonn' am Jugendhimmel ſcheint,
Mehr als er die Schmerzen in mir wüthen,
Wenn die Lauren, ſie zu fliehn, gebieten.
Irren möcht' ich, wie er, auf Gebürgen
Tag und Nacht, von allen Menſchen fern,
Wo die wilden Thiere ſich erwürgen.
Weinend findet mich der Abendſtern,
Daphnens Blicken gleichen ſeine Strahlen,
Und vergröſſern meiner Liebe Quaalen.
Keine Weisheit kann mir Troſt gewähren,
Keiner Göttin Auge blickt ſo ſüß!
In ihm glänzt ein Licht von höhern Sphären,
Wo es leuchtet iſt ein Paradies.
Seelig ſind, die's ewig ſehen können,
Und von keinem andern Feuer brennen.
Will ich ſchlafen — o! dann ſteigt im Herzen
Aus der Halberftädter „Büchſe“. 1774.
Eine neue Sonn' empor, und macht
Allen Sinnen Morgen — meiner Schmerzen
Stärkſtes Feuer fühl ich erſt die Nacht.
Ach! ihr Bild läßt meinen Augen keinen
Schlummer faſſen, die ſich brennend weinen.
Dort hab' ich ein Röschen ihr gegeben,
Und Orangſchenblüthen gab ſie mir.
Wie im Himmel ſaß ich in der Reben
Kühlem Schatten ſcherzend da bey ihr.
Himmel wäre Hölle mir geweſen,
Hätte Zevs mich hier dazu erleſen.
Jedes Wörtchen floß aus ihrem Munde
Süſſer, als ein Nachtigallenton.
Schlug es gleich dem Herzen tiefe Wunde,
O! ſo rann doch Süſſigkeit davon.
Wen er küßt, wer an die Bruſt ſie drücket,
Wird im Himmel höher nicht entzücket,
Wenn auch Venus ihm die goldne Schaale,
Während ihm Apollo Hymnen ſingt,
Voll Unſterblichkeit am Göttermahle
Liebeblickend an die Lippen bringt;
Und die Muſen mit den Charitinnen
Ihm zu Ehren einen Tanz beginnen.
Kaum enthüllten Roſenknoſpen gleichet
Herz und Geiſt unſchuldig im Geſicht.
1 55
99
1oo Heinſes Werke. Erſter Band.
Wen ihr ſüſſes Lächeln nicht erweichet,
Wenn hervor die Thrän' in's Auge bricht —
Hat der was davon, daß ihm das Leben
Gott in eines Menſchen Leib gegeben?
Wer Jomellis reizende Syrenen
Und Galuppis Muſen hat gehört,
Wird nach ihnen überall ſich ſehnen,
Wo kein ſolcher Ton die Seele nährt.
Selbſt der fchönfte Geiſt vermehrt mein Leiden,
Er erinnert mich an ſüßre Freuden.
Möchte doch ein Gott mich jezt vernichten,
Und das Leben wiedergeben mir,
Wenn er ſie in jene roſenlichten
Tempe zaubert — dann mich hin zu ihr
Wiederbringen, wo nur Wonne weinet
Und beſtändig Mayenſonne ſcheinet.
Ach! wo biſt du hin, o goldner Friede,
Meines Lebens Genius, geflohn?
Herz und Seele ſind des Krieges müde!
Leite mich, o Charitinnen⸗Sohn —
Alle meine Klagen ſind vergebens —
In die erſten Scenen meines Lebens.
Lauter Frühling war da meine Seele,
Lauter heitre Freude mein Gefühl.
Leicht, wie der Geſang der Philomele,
Aus der Halberftädter „Büchſe“. 1774. 101
War die Liebe mir ein Jugendſpiel.
Jedes Blümchen konnte mich erfreuen,
Alle größre Wonne prophezeyen,
Legte ſich die Sonn' in Roſen nieder
Wenn in Blumen ich bey Chloen lag;
O! fo prieſen unſre frohen Lieder
Schon den andern ſchönern Frühlingstag.
Alles war für unſre Herzen Weide!
Jeder Pulsſchlag ein Genuß der Freude.
104.
Überfegung eines Madrigals aus dem Gongora;
auch unmittelbar aus dem Spaniſchen.
Bey einem Abſchiedsbillet.
Da liegt mein armes Herz, und zittert,
Wie ein verlaßnes Kind in einem Walde liegt,
Wenn um es her der Himmel wittert,
Und ſchon der Blitz um ſeine Schläfe fliegt.
In Blumenfeſſeln hat es meine Daphne nieder —
Ach! welche Grauſamkeit! — hieher für mich gelegt;
Und daß es gleich ein heiſſer Strahl erſchlägt,
Wenn es in meinen Buſen wieder
Zurückekehrt —
Hat fie wohl tauſendmahl von ihm gehört.
102 Heinſes Werke. Erſter Band.
105.
Aus dem Sicilianiſchen des Reni bey dem Kuſſe eines
Mädchens, das nicht ſeine Geliebte war.
Süß war des Mädchens Kuß! ich athme wieder freyer —
Allein was hilft's! mein Herz iſt nun in dieſer Welt
Ein ſiedendes Gefäß auf ewig glühndem Feuer,
In das bisweilen noch ein kühler Tropfen fällt.
106.
Aus dem Italiäniſchen eines Virtuoſen auf der Flöte, als
er von einer Fauſtina ſich entfernen mußte.
O ewig, ewig Daphne fliegt
Mein Geiſt dahin, mit nie geſenkten Flügeln,
Wo unter lauen Frühlingshügeln
Die Hälfte meines Herzens liegt.
Ach! niemals wird es wieder Ruhe fühlen!
Zu heftig iſt der Schmerz, der mich im Buſen quält,
Nun iſt's ein Inſtrument, wozu das Mundſtück fehlt,
Und keine Muſe kann darauf ein Stückchen ſpielen.
107.
An einen Dichter, den die Journaliſten canoniſirten.
Wenn für die Geiſter einſt ein heller Tag erwacht,
Dann ſieht es übel aus, mein Herr, mit Ihrem Stolze —
Ihr göttliches Genie gleicht einem faulen Holze —
Es leuchtet in der Journaliſten Nacht.
Aus der Halberftädter „Büchſe“. 1774. 103
108.
Ueber die Scribenten, von denen man nichts mehr wußte,
ſo bald ihre Leichencarmina verbraucht waren.
In unſern Himmel kam ein flammend Meteor;
Doch währt' es wenig Stunden,
Als ſich das dunkle Feu'r in düſtern Schein verlohr,
Und endlich war es ganz verſchwunden.
Durch alle Himmel blitzte Sirius
Die Strahlen nun bis in das Weſenleere.
So kömmt's, daß manches Ruhm ſehr ſchnell vergehen muß,
Indeß wie Sirius
Mit eignem Lichte glänzt der ewige Voltaire.
109.
Wenn Platos Geiſt, vom Leibe losgewunden,
Aus dieſem Erdennebel ſchlüpft,
Und — wie die Sonn' in Morgenröthe hüpft —
Das höchſte Schöne von ihm wird empfunden —
Wenn alles ſüſſer Blick in ſeinem Weſen iſt,
Und über jeden Blick der Wonne Zähre fließt —
Und wenn Praxiteles, vom Geiſte Chier Reben,
Und Phrynens Kuß noch ſanft berauſcht, erwacht,
Und um ihn himmliſche Geſtalten ſchweben,
Und jede reizender, nach ihr ihn lüſtern macht —
Wenn Damon den Geſang verliebter Nachtigallen
104
Heinſes Werke. Erfter Band.
In Mädchenkehlen lockt, daß im Syrenenton
Die Lieder des Anakreon
Bey Tag und Nacht davon
Im Herzen der Bathylle wiederhallen —
Wenn ſeine Melodie den Füſſen Seelen giebt,
Und in den Koiſchen Gewaͤndern
Empfindung ſchwimmt und jede Falte liebt,
Und ſich nach ihr die Leidenſchaften ändern:
Indeſſen Ariſtipp auf Roſen Flamme wird,
Und von den Reizen allen hingeriſſen,
Wie Vater Zevs nach einer Leda Küſſen,
Bey ſeinem Klazomener girrt —
Und wenn Kampaspe, die Syrene,
Wie Venus Anadyomene
Aus einem Quellenbade ſteigt
Und dem Apelles, der in Myrthen ſie verlohren,
So kindlich ſchüchtern ſich im Jugendglanze zeigt,
Als wäre ſie den Augenblick gebohren,
Mit Augen, deren Blick die erſte Gottheit träumt,
Und blondem Haar, woraus ſie lauter Zauber ſchäumt —
Und nun Apelles ſich um ihren Buſen windet,
Und mehr, als Götterſeeligkeit empfindet
Und Amoretten leis um ſie herum
Sich lauſchend auf den Zweigen wiegen —
Dieß find Perſonen aus Elyfium
Aus der Halberftädter „Büchſe“. 1774. 105
Wenn ſie Apelles mahlt, noch taumelnd vor Vergnügen,
In Gegenden, wo roſenfarbnes Licht
Durch Paphos Dämmerungen bricht.
IIO,
Elyſium, eine Elegie an meine Minna an jenem Abend
geſchrieben, da Venus, Jupiter und Luna den Erdenkindern
das lieblichſte Trio am Himmel machten.
Als ſanft umſchlungen ich an deinem Buſen lag,
Worinn die Liebe mir mit ſchnellerm Herzensſchlag
Verkündigte, wie ſehr ich dich beglückte;
Und Küſſe von dem Munde pflückte,
Der ſie freywillig mir, wie reife Früchte, gab:
Da ſchien's, wenn ich gen Himmel blickte,
Als ſäh' aus jedem Stern ein Genius herab,
Von ſüſſer Schwermuth voll, daß er in ſeine Sphäre
Verbannet ſey, und nicht ſo ſeelig wäre. —
So ſeelig hat uns manche Sommernacht
In jenem Nachtigallenhayn gemacht!
Da hab' ich ganz des Lebens Glück genoſſen!
Die Wonne hatte ſich an unſre Bruſt geſchmiegt,
Und lag, wie kühler Thau auf warmen Roſen liegt;
Die Herzen waren in Empfindungen zerfloſſen,
Die Seelen hatten in einander ſich ergoſſen,
Das Denken ſchwieg, die Sprache wurde ſtumm —
106
Heinſes Werke. Erſter Band.
Iſt hoͤheres Entzücken in Elyſium
Ihr Götter? ach! mir war die Freude damals hoͤher,
Als Kaſpar Lavater, der groſſe Geiſterſeher,
Die ihm geoffenbahrte Welt
Mit ſeinen tauſend Sinnen hält.
Allein Elyſium iſt jezt darauf verſchwunden;
Von dir, o Chloe, fern
Vermiß ich jedes Glück, das ich vorher empfunden,
Ein Kefich iſt ſie mir. Nun ſeh' ich jeden Stern
Vor einem Gnid, als einen Pharus leuchten;
Und meine Phantaſie eilt zum Voraus dahin,
Und ſieht — was ihre Flügel nie erreichten
Zurückgehalten von zu ſehr entzücktem Sinn —
Von Millionen Sonnenwelten
In jeder ein zukünftig Paradies,
Worinnen unſre Seeligkeiten gelten —
Wo der Nepenthe, den Helene pries,
Die Herzen ewiglich berauſchet —
Petrarchens Liebesgott in ſüſſer Schwärmerey
Verlohrne Grazien belauſchet —
O Götter, ſteht mir Armen bey!
Laßt mich zu dieſer Seeligkeiten
Entzückenderm Genuß,
Indeſſen Chloe noch hier unten ſchlummern muß,
In jedem Himmel ihr ein Götterfeſt bereiten,
Und wählt mich dann zum Genius,
Dieß Wunder zu euch zu begleiten. —
Aus der Halberſtädter „Büchſe“. 1774. 107
O Chloe! ſieh! ſo ſuch' ich dieſe Gluth,
Die mir das Herz verzehrt, zu lindern;
Allein geträumte Fluth
Kann niemals wirklich Feuer mindern.
Und dieſer Mann, der wie die Suada ſpricht,
Dem jede Muſe Lorbeeren flicht,*)
Will dieſen Schattentroſt noch meiner Seele nehmen?
Ich muß — ich muß mich ja zu Tode grämen.
111.
Herkules und Hebe.
Als Herkules mit ſeiner Keule Schlag
Die Welt von jedem Ungeheuer,
Das im Verborgenen und an den Wegen lag,
Erlöft — und in die Harmonie der Leyer
Die Mädchen wieder in dem Myrthenhayn
Den Charitinnen Lieder ſangen,
Und, ohne Furcht vor Räubern und vor Schlangen
Die Sommernacht im Mondenſchein,
Das Haar geſchmückt mit Roſenkränzen,
Wegzaubern konnten unter leichten Tänzen —
Da fuhr ſein Geiſt aus Flammen, wie der Blitz
Des Zevs aus einem Donnerwetter
Weit durch die Himmel fliegt, zum Sitz
Der groſſen Götter.
Aus ſeinen Augen ſtrahlt die Glut von Adlerblicken,
Und aus den Muffeln tritt hervor die Wunderkraft,
*) Voltaire.
108 Heinſes Werke. Erſter Band.
Die Geryonen der Verwegenheit beſtraft,
Und fähig war, die Löwen zu erdrücken.
„Willkommen im Olymp!“ — ſprang Zevs von ſeinem Thron —
Und drückt' ihn an die Bruſt — „Willkommen, o mein Sohn!“ —
Und das Entzücken ſchwebt von ihm in alle Weſen
Bis in die tiefſte Nacht des Tartarus — — —
„Die Gottheit fließ' in dich mit dieſem Vater Kuß!
Wir alle haben dich zum Bruder auserleſen.“ —
Ein ſüſſes magiſches Verlaagen zieht
Die Götter all' und die Göttinnen
Zum Nektarhayne hin, der über Roſen blüht,
Wo klare Bäche durch die Blumen rinnen.
Der kleinen Amoretten Schaar
Kam vor der Liebesgöttin hergeflogen,
Und Juno wurde von dem ſchönſten Pfauenpaar,
Als Himmels Königin, wie im Triumph gezogen.
Minerven und Dianen ſah
Man zärtlicher, als ſonſt, erſcheinen,
Die Muſen kamen von des Pindus Lorbeerhaynen,
Apollo, Bacchus, Mars — und jeder Gott war da.
Nun führt ihn Zevs an feiner Rechten
Zu den verſammelten Olympus Mächten
Und nimmt den Becher voll Unſterblichkeit —
„Dies iſt der junge Jupiter der Erde!
Mit dieſer ſiegenden Gebehrde
Trat ich in dieſen Buſch nach der Giganten Streit —
Er ſoll wie wir den Nektarbecher leeren.“ —
Er ſpricht's, und reichet ihn dem Sohn
Aus der Halberſtaͤdter „Büchſe“. 1774 109
Und ſteigt auf ſeinen Thron,
Und wirft, indem er trinkt, zehn Donner durch die Sphären
— Bis in die letzten Pole ſchmetterte der Ton
Und hallte jubelnd wieder. —
Nun kniete Herkules vor ſeiner Feindin nieder,
Ergriff die zarte lilienweiße Hand
Und küßte fie, und ſprach: „iezt irrt' ich unbekannt
Vielleicht am ſtygiſchen Geſtade
Und ſeufzte bey den Furien um Gnade,
Wenn du mir nicht als Kind ſchon Drachen zugeſandt,
Um meine Bruſt mit dieſem Muth zu ſtählen,
Die Loͤwenkämpfe, ſtatt der Wolluſt zu erwählen.“
Kalliope gab ihr den Lorbeerkranz
Und Juno wand mit ſanftbeſchämten Wangen
Und holdem Lächeln ihn um's Haupt voll Götterglanz,
Indeß die Muſen ſeine Thaten ſangen.
Die Goͤtterfüſſe wurden alle Tanz
Und jeder eilete den Helden zu umpfangen.
Aus ſeinen kühnen Adleraugen flog
Ein brennend Feuer in die Herzen der Goͤttinnen,
Das ſie an ſeinen Buſen zog;
Minerva fuchte ſelbſt den Helden zu gewinnen.
Die Knoſpe des Entzückens gieng —
Und jeder Goͤttin Seele bebte —
Mit Venus Lippen auf, dieß ſüſſe Lächeln ſchwebte
Um ihren Mund, das immer Herzen fieng.
Ihr Auge war benetzt mit dieſer Spur von Thräne,
110 | Heinſes Werke. Erſter Band.
Mit dieſer ſeelenlichten Feuchtigkeit,
Worinnen Unſchuld ſchwimmt, und reizet Lüſternheit —
Jezt blickte Paphia, jezt Anadyomene.
Schon iſt ihr Sieg gewiß; kein Blick geht fehl, und trift
Getränkt in dieſem ſüſſen Gift
Den Mittelpunkt von dieſes Helden Herzen,
In dem ihr Mars, Adon und Zess vereinigt ſchien;
Doch, während über ihn
Die Liebesgötter ſcherzen
Und jede Göttin zürnt, kam aus der Myrthen Grün,
Worinn um ſie die Nachtigallen ſangen,
Mit Pſychen Hebe hergegangen —
Auf ihren Roſenlippen ſchien
Der erſte Traum von Küſſen zu entſtehen,
Als ſie den neuen Gott geſehen.
Vom groſſen Donnerſchlag ward ſie herbeygeführt.
Sie war gewohnt in himmliſchen Gefielden
Herumzuirren, und die Geiſterchen zu bilden
Von denen jede Welt dereinſt regieret wird.
Jezt eben hatte ſie mit Platos Geiſt geſprochen
Mit ihm vereiniget den des Anakreon,
Und beyde hatten ihr ein Röschen abgebrochen,
Der in das blonde Haar, der auf des Buſens Thron.
Noch keinem Gotte war es im Olymp gelungen
Und keinem Sterblichen, daß von Begierden warm
Sie ſanft um ihn den Charitinnenarm
Im Taumel ſeiner Schwärmerey geſchlungen,
Der Sinnen Liebe war ihr ein veraͤchtlich Spiel. —
Aus der Halberſtädter „Büchſe“. 1774.
Empfindungen von höherem Gefühl,
Als er empfand bey ſeinen Dejaniren,
Die nicht verſchwinden nach genoſſner Luſt,
Nur in ein Meer von Wonne ſich verlieren,
Entſtanden in Alcidens Bruſt —
„O möchtet ihr, o Zevs und Juno! Heben
Mir doch zur ewigen Geſpielin geben!
Ich kann nicht ohne ſie in eurem Himmel leben.
O Hebe, laß mich doch mit einem ſüſſen Blick
Der Götter höchfte Seeligkeit empfinden! —“
Auf ihren Wangen blüht ſein Glück
In Roſen auf, und Zevs und Juno winden
Umflattert von der Liebesgötter Schaar
Mit Blumenfeſſeln ſie zuſammen —
In einen Kuß zerrann des Himmels ſchönſtes Paar,
Und um ſie blitzten lichte Liebesflammen —
Der ganze Himmel war bey ihrem Sieg erfreut;
Der Schönheit Blüthe gab, zum Lohn für ihre Tugend,
Die nie ein Nektarbacchanal entweyht,
Das Schickſal die Unſterblichkeit,
Und ſetzte ſie zur Charitinn der Jugend.
Ihr ſchönſten Kinder der Natur
O laßt euch doch durch keinen Schwur,
Durch keines Gottes Zauberey verführen
Den höchſten Reiz, die Unſchuld, zu verlieren!
Ach! ihn erſetzt der Venus Gürtel nicht;
Die Roſe welkt, und wenn die ſchönſte Hand fie bricht.
111
112 Heinſes Werke. Erſter Band.
O ſeht! Dort wandelt er mit Heben in die Myrthen,
Der Sohn und Held von einer Wundernacht,
Der die Göttinnen ſeufzen macht
Daß ſie für Heben mit ihm in die Schatten irrten.
112.
Die Schöpfung Elyſiums.
Amor, la tua virtute
Non e dal mondo intesa.
Pietro Bem bo.
Der Gott der Liebe flog vom Himmel einſt herab,
Und ließ in Blumen ſich dort auf dem Aetna nieder,
Wo ſeinem abgematteten Gefieder
Ein Pommeranzenhayn den kühlſten Schatten gab.
Die Erde ſah er hier zu ſeinen Füſſen liegen,
Den ſchönſten Theil von Aſia,
Europa, und von Africa;
Und ſprach mit innigem Vergnügen
In ſeiner Gottheit ſeeligſtem Gefühl:
„Die Menſchen, die hier glücklich leben,
Sind es durch mich, und durch den Gott der Reben,
Und durch der Muſen Saitenſpiel.
Laßt uns den andern auch doch dieſe Freuden geben!
Durch Liebe ſoll ihr Geiſt zum Himmel ſich erheben.
Cimmerien ſoll bald ein Nachtigallenhayn,
Und jede Wüſteney den Göttern Tempe ſeyn.“
Aus der Halberſtädter „Büchſe“. 1774. 113
So ſprach der kleine Gott, erquickt von ſüſſen Düfften,
Und faßte den Entſchluß, fein ſchönſtes Werk zu ſtiften;
Als plotzlich unter ihm der Grund
Erbebte bis an Aetnas Gipfel —
Auf ſprang er, flog auf eines Baumes Wipfel,
Und ſah durch einen weiten Schlund,
Beym Schimmer rother Schwefelflammen,
Den Höllengott ein Schattenheer verdammen,
Und ſchon die Furien, mit Schlangen in dem Haar,
Die zitternden Verdammten quälen,
Den Rhadamanthus einer Schaar
Von Henkern Martern anbefehlen —
Er ſah den Cerberus
Mit aufgeſperrten Rachen
Nach Biſſen lechzen, und das Höllenthor bewachen,
Und jeden Höllenfluß
Durch Klippen und durch Dornenruthen
Hinwälzen ſeine Feuerfluthen —
Er ſah ein weites Reich in wilderhellter Nacht
Voll Schrecken und voll Grauſen
Belebt von Ziſchen und von Brauſen —
Welch ein Tyrann, ſprach er, hat dieß hervorgebracht! —
Daß es beſteht, gereicht den Göttern nicht zur Ehre.
Und aus dem Herzen trat in's Aug' ihm eine Zähre —
Vernichtet das Gefchöpf, das erſt durch ſolche Quaal
Vollkommen werden ſoll!
Wie hier in den Gefielden
Siciliens die Hayne blühn im milden
I
114 Heinſes Werke. Erſter Band.
Durch friſche Meeresluft gekühltem Sonnenſtrahl,
Von deſſen Flammen oben alles kahl
Und oede ſteht; fo muß man auch die Geiſter bilden,
Mit Liebe, nicht durch Quaal.
Hier legt' er einen Pfeil auf ſeinen ſtärkſten Bogen,
Den er in Quinteſſenz von Nektar eingetunkt,
Und, wie ein Strahl, war er bis in den Mittelpunkt
Des Tartarus, in Plutos Herz geflogen.
Ein Schauer überlief den Styx und Acheron,
Und Pluto ſprang herab von ſeinem Thron,
Und rüſtet ſich zum Streit — und Amor fliegt davon.
In einem Thal an Aetnas Fuß,
Wo Ceres in den ſüſſeſten Gefühlen
Des Himmels, unter Lieb' und Kuß,
Das erſte Tempe ſchuf, zu ihrer Tochter Spielen
Luſtwandelten zugleich in dieſer goldnen Zeit,
Da noch die Freundſchaft der Göttinnen
Der Eris Apfel nicht entweiht,
Dian' und Pallas in Vertraulichkeit
Mit Aphroditen und den Charitinnen.
Die erſten trugen weder Helm noch Spieß
Ein weibliches Gewand umfloß die ſchönen Hüften,
Das manchen Reiz den Zephyrn überließ;
Und wo ſie giengen war Entzücken in den Lüften.
Mit ihnen gieng Proſerpina;
Ein Mädchen, das die Welt nur unter Roſen ſah,
Aus der Halberſtädter „Büchſe“. 1774. 115
Dem Erd' und Himmel ſchon bey der Geburt gewogen,
Das jede Muſe ſich, und jede Charitin
Und Venus ſelbſt, die Zauberin,
Zur Freundin auferzogen.
Sie pflückten Blumen ab — entzückend war's zu ſehn! —
Die Locken und die Bruſt einander zu bekränzen,
In dieſem Sansſouci des Lenzen
Wo Roſen an den Quellen ſtehn,
Und ewig lind die Winde wehn,
Und Sonn' und Mond und Sterne heiter glänzen.
Die Bienen ſumſten um ſie her,
Die Nachtigallen ſangen in den Büſchen,
Und Phoͤbus ſtieg iezt eben in das Meer,
In Thetis Schooß ſich wieder zu erfriſchen —
Als plötzlich ſich der Aetna theilt,
Und Flammen an den Himmel ſchlagen,
Auf einem Tiegerſchnellen Wagen
Proſerpina geriſſen, fortgetragen
Aus ihren Armen wird; wie in den Sommertagen
Der Blitz aus einem Wetter eilt,
Verzehrt, und wiederum verſchwindet —
Minerva ſpringt nach Jovis Keil,
Diana greift nach Spieß und Pfeil,
Und jede zürnt, daß ſie dafür nur Blumen findet.
Die Grazien entfliehn — Doch Cypria
Spricht lächelnd: fliehet nicht! Es iſt Proſerpina
8 *
116 Heinſes Werke. Erſter Band.
Uns durch der Götter Huld entriſſen
Und Amors That; zwar von dem Hoͤllengott,
Dem jede Pierinn und Grazie zum Spott
Mit ihren Reizen dient; allein ſie wird mit Küſſen,
Mit Launen und Geſang ihn bald zu zähmen wiſſen.
Es wird der Furien entſetzlich Schlangenhaar
In goldne Locken ſich verwandeln:
Und Rhadamanth, der mehr Hyäne war
Als Richter, ſoll gleich einer Nymphe handeln:
Und Schwefel, Pech und alle Hoͤllengluth
Soll aus dem Aetna ſich in's weite Meer ergießen:
Und Styx und Phlegethon in reiner Silberfluth
Durch Lilien und Roſenſtraͤuche flieſſen.
Es werden bey der Dichter Saitenſpiel
Die Schäferinnen mit den jungen Hirten tanzen,
Die Helden ſchieſſen nach dem Ziel;
Und jeder Nachen wird ein neues Tempe pflanzen.
Und Chier, und Geſang, und Liebe — keine Quaal —
Soll hier die Seelen ſchöner bilden,
Und Licht, wie hier der Abendroͤthe Strahl,
Worinn der Himmel lacht aus ſeeligern Gefielden:
Und jeden Frühling wird aus dieſem Reich ein Heer
Von Muſen, Grazien, von Dichtern und von Weiſen,
Und Künſtlern in die Sterne reiſen —
Der Himmel iſt Geſang und keine Sphäre leer —
Aus der Halberſtaͤdter „Büchſe“. 1774. 117
Verlaſſen werden ſie den Ort mit ſüſſen Thränen
Und ſeufzen: „Ach! Proſerpina!
In jedem Himmel werden wir nach dir uns ſehnen!
Dem Goͤtterhimmel fehlt dein Herz Proſerpina!
Saturnus Sohn — o gutes Maͤdchen weine
Doch nicht! — und ſeine Macht iſt nun dein Eigenthum.
O bald beſuchen wir in einem Myrthenhayne,
Als Königin, dich in Elyſium. —“
Der Gott betrat mit ihr entzückt des Orkus Schwelle,
Aurora kam hinunter in die Hölle,
Und der Göttinnenchor floh ſchnell beſtürzt davon,
Denn aus dem Aetna fuhr — der ganze Phlegethon.
1135
An Meiſter Schmidt.
Dein ſchneller Pegaſus, mein lieber Meiſter Schmidt,
Iſt von Petrarchen ſchon ſehr weislich zugeritten,
Du führſt den Zügel wohl, er geht dir jeden Schritt —
Doch meiner iſt ein Roß, das keinen noch gelitten.
Von Flammen wurd' er an dem Caucaſus erzeugt,
Und eine Löwin hat das wilde Thier geſäugt,
Er läßt von keinem Sporn ſich in die Seiten ſtechen;
Gewaltſam trägt er mich jezt bis zu Jovis Thron,
Und ſtürzt dann, wie ein Pfeil, herab zum Acheron
Und weder Macht noch Kunſt kann ſeine Wildheit ſchwächen,
Nicht Aſtolfs Hypogryph und nicht Bucephalus
118 Heinſes Werke. Erfter Band.
War je ſo ungeſtüm — Ich fechte nur zu Fuß! —
O wolle doch mit mir jezt keine Lanze brechen.
114.
An den Abendſtern.
Vergebens blickeſt du, o Venus, auf uns nieder,
Wir Deutſchen ſchreiben nur; die Griechen ſangen Lieder.
115.
Lais an einen unſchuldigen ſchönen Jüngling
an ſeinem Geburtstage.
An dieſem Tage gab die Parce dir das Leben —
Die Seele will ich dir mit dieſem Kuſſe geben.
116.
Die teutſchen Grazien und Muſen an den Apollo.
Für unſre Blumenflur und unſer Myrthenthal
War Opiz, Morgenroth; der erſten Sonne Feuer
Warf Wieland, Uz und Gleim. Wir kraͤnzten unſre Leyer
Und prieſen ſie bey jedem frohem Mahl.
Darauf entſtehen Klopſtocks Donnerwetter,
In Fruchtbarkeit blüht Flur und Hayn.
Wir ſehen wieder Gleims und Leſſings Sonnenſchein
Der Regenbogen wird Greſſet Jakobi ſeyn —
Für alles danken wir dir fchönften Gott der Götter.
Zerſtreute Gedichte
II
Zerſtreute Gedichte. II. 121
117.
Der Seelenkrieg.
Auf Roſenwoͤlkchen ſank der Freund der Liebe herab,
Schon ſah ich ſeinen Stern in der Quell' in dunkeln
Sich ſanft bewegenden Zweigen zärtlich funkeln
Und hoͤrte zärtlich melodeyen Philomelen —
Als Chloe mir ein Küßchen gab,
Nach welchem alle meine Seelen,
Wie Faunen nach einer Grazie, ſprangen,
Ein Küßchen, das entzückender war,
Als alle, die Tibull,
Ovid, Horaz, Katull,
Und Sappho, Johannes — der Dichter ganze Schaar
Von ihren Maͤdchen uns Enkeln beſangen.
Da ſchlugen die himmliſchen Seelen
Nun mit den irrdiſchen ſich,
Und jede ſchlug und keine wich —
O Götter! wie tobten die Seelen! —
Schnell ſucht' ich Chloens ſüßen
Entzückenden Mund, um flugs mit tauſend Küßen
Den Lerm zu ſtillen, aber ich fand ihn nicht,
Die Schlaue verbarg mir ihr Geſicht.
Da fingen die Seelen ſich ärger an zu ſchlagen
Um dieſen Kuß,
Bis endlich die thieriſchen unterlagen
Und ſtürzten in Tartarus.
Hier fiengen ſie nun an zu wüthen und zu lärmen
Zu ſtechen, wie Bienen, wenn ſie ſchwärmen.
Heinfes Werke. Erſter Band.
Bald hätten ſie mich ermordet gar,
Wenn Chloe mir, mein Leben,
Nicht noch ein Küßchen gegeben
Das weit entzückender war,
Als jenes das ſchon entzückender war,
Als alle, die Tibull,
Ovid, Horaz, Katull
Und Sappho, Johannes, der Dichter ganze Schaar
Von ihren Mädchen uns Enkeln beſangen —
Es war ein Küßchen voll Ohnmacht und Verlangen!
Auf Rofenwölfchen ſank der Freund der Liebe herab,
Noch ſah ich ſeinen Stern in der Quell in dunkeln
Sich ſanft bewegenden Zweigen zärtlicher funkeln,
Und hoͤrte zärtlicher melodeyen alle Philomelen,
Als Chloe mir dieß Küßchen gab,
Von welchem taumeln noch alle meine Seelen.
118.
[Im Namen Valentins von Maffow.]
Jezt bin ich ſieben Jahr.
O wär ich doch ſo gut und weiſe,
Als noch kein Junker war
In dieſem Jahr
Auf dieſem Erdenkreiſe!
Bin ich erſt zweymahl ſieben Jahr,
Dann will ich's ſeyn, wie große Geiſter,
Will reden, ſchreiben — tanzen gar
So wie Papa, und ſeyn in allem Meiſter.
Zerſtreute Gedichte. II. 123
Bin endlich ich nun dreymahl ſieben Jahr,
Dann komm' ich ſchon von Reiſen
Vom Vaterlande deines Arioſts
Mamma zurück, vom Himmel meines Roſts,
Ein Mädchen an Geſtalt, an Weisheit gleich den Greiſen.
O hofft doch nur auf dieſe ſchoͤne Zeit!
Bald iſt ſie da! o zweymahl ſieben
Sind bald gezählt! Dann ſollt Ihr mehr mich lieben.
Bedenkt doch nur, daß Ihr — auch klein geweſen ſeyd!
Dann ſollt Ihr mich an Euren Buſen drücken,
Dann will ich würdger Eurer Liebe ſeyn,
Dann ſollt Ihr zärtlich auf mich blicken,
Euch herzlich freun,
Dann ſoll der Tag, an dem der Himmel mich gegeben,
Beynah der ſchoͤnſte ſeyn
In Eurem ganzen Leben.
Seinem gnädigen Papa
und
Seiner gnädigen Mama
an ſeinem Geburtstage
geſchrieben von
Ihrem lieben Valentin.
119.
Geſpräch zwiſchen meinem Genius und mir.
Der Genius.
Was irrſt du in der Welt herum
Mein lieber Pflegeſohn? Du findeſt kein Elyſium
124 Heinſes Werke. Erſter Band.
Darinnen ohne Freund, und eine ſchöne Seele
Die voll von Liebe dich an ihren Buſen drückt,
Und Goͤtter Seeligkeit in deine Sinnen blickt
Und ſingt mit einer Nachtigallenkehle:
Auf dieſen Wegen glückt
Es dir gewißlich nicht ſo bald ſie aufzufinden
Und ewig dich mit ihnen zu verbinden
Man ſieht dich überall für einen Schwärmer an
Und wärſt du weiſe gleich dem Spoͤtter Lucian.
Ich.
Das mag man denn! Auf Sophas niederlegen
Sollt' ich gleich einem Perſer mich,
Und meinen Leib in träger Ruhe pflegen
Indeß des Lebens Lenz verſtrich?
Mein Herz empöret ſich
Mit ſchnellern Flammenſchlägen
Bey dieſem Rathe wider dich!
Italien und Griechenland entgegen
Eilt längſt mein Geiſt, der nie der Auſter glich.
Genius.
Ich gebe dir zur Reiſe meinen Seegen,
Vielleicht erwartet dich ein Archipelagus,
Die Flotte von Athen und einer Lais Kuß.
Ich.
Dein Spott bekehrt mich nicht. Ein hiſpahanſcher Garten
Iſt mir die Erdenwelt,
Auf welche mich die Vorſicht hin geſtellt
Und wie ich glaube, nicht zum Gärtner, ihn zu warten.
Zerſtreute Gedichte. II. 125
Die Sonnenkinder ſind dazu ernennt,
In deren Geiſt ein Funken Gottheit brennt,
Die Friederiche, Katharinen,
Doch auch zu einem Sklaven nicht
Ob's gleich der große Mufti ſpricht
Den Gartenjungen auf den Wink zu dienen.
Gleich einem Vogel will ich ſingend Baum von Baum
Die ſchönſten Gegenden durchfliegen,
Und hier und da in einem ſüſſen Traum
Mich ſelbſt und Seelen voll Empfindung wiegen.
Nicht einen Morgen Land will ich zum Eigenthum
Und überall ſey mir die Welt Elyſium.
In einem Kefich ſollt' ich auf und nieder hüpfen?
Gleich einem Zeiſſig Waſſer ziehn,
Und aus dem Fenſter nur die Fluren ſehen blühn
Mich ewig ängſtigen Würghänden zu entſchlüpfen?
Genius.
O wie ſo lieblich doch die Bilderſprache klingt!
Da hüpft mein Vögelchen von Baum zu Baum und ſingt |
Speiſt Kirſchen, ſchlummert ein in dicht verſchlungnen Schatten
Und kann ſich, wenn es will, mit einem Weibchen gatten.
Doch wenn der Winter koͤmmt, wenn Boreas die Luft
Mit Pgelfittichen durchſchneidet
Und Dachs und Wolf in ſeiner Gruft
Des Todes Schmerz vor groſſer Kälte leidet?
Wie? wenn's in unſichtbare Schlingen faͤllt?
Wenn ein Barbar es feſt gefangen hält?
126 Heinſes Werke. Erſter Band.
Ich.
In Worten ohne Zier! — ich würde ſchwerlich reiſen,
Um Herz und Geiſt glückſeelig mir zu ſehn,
Ich würde folgen Sokrates dem Weiſen,
Und meines Landes Früchte ſpeiſen
Und ſeine Toͤchter als die ſchönſten Nymphen preiſen,
Wenn mich in einer Muſenſtadt Athen
Ein Bürger ſein Geſchöpfe nennte,
Zum höchſten Ideal darinnen ich erhoͤhn
Die Phantaſie in allen Künſten konnte.
Den Männern würd' ich dann Themiſtokles,
Den Damen Alcibiades
Zu werden mich beſtreben
Und meine Vaterſtade zum Thron der Welt erheben.
Allein Demokratie
Und Ariſtokratie
Die Reiche der Genieen ſind verſchwunden,
Des Geiſtes Flügel find
Mit Feſſeln überall umwunden,
Und meiſtens herrſcht ein unerzognes Kind.
Was ſoll ich um das Wohl der Narren mich bekümmern
Und ihnen predigen die Kallokagathie?
Wobey die Raſenden ſich immer mehr verſchlimmern.
Ein ſtumpfer Sinn empfindet nie
Den ſanften Reiz der Charitinnen,
Ein Maſernſtock kann nicht bey Zephyrsliedern Hauch
Und Mayenſonnenſtrahl gleich einem Roſenſtrauch
Der Schönheit lieblichſte Geſtalt gewinnen.
Zerſtreute Gedichte. II.
Drum reiſ' ich in ein Land, wo jede Kunſt geblüht,
Das Virtuoſen noch aus fremden Ländern zieht,
Wohin der Griechen Meiſterſtücke
Die Könige der Welt gebracht,
Wo jedes Kabinett mit Bildern Seelenblicke
Bezaubert, und den Geiſt voll Ideale macht,
Wo Nachtigallen mit des Arioſto Stanzen
Die Herzen ſchmelzen, und die Grazien
Mit Muſen in den Thälern tanzen
Und Erd und Himmel lächelnd ſtehn
Und ihre Reize voll Empfindung ſehn.
Genius.
Vermuthlich haſt du nie Voltairen
Von dieſem Lande reden hoͤren;
Der ſpricht in einem andern Ton,
Und nicht aus dem Petrarch davon.
Darinnen alſo willſt du hin und wieder wandern?
Die Schwäne hoͤren an dem Po
Und bey der Scill' ein Lied des Metaſtaſio
Und auf dem Aetna gleichen Alexandern?
Wohin denn weiter?
Ich.
Dann? Zum Archipelagus
Und zu den Töchtern der Circaſſen.
Genius.
Dann wirſt du Secretär von irgend einem Baſſen,
Und endlich wird in einem Thal am Fuß
Des Quellenreichen Kaukaſus
127
128 Heinſes Werke. Erſter Band.
Dich eine Charis in Georgien umfaßen
Dann wirſt du dich entzückt von ihrem Kuß
Bey Perſerwein auf Roſen niederlaßen
Wenn aber dich vorher das Meer verſchlingt?
Ich.
Dann bin ich todt, und werde nicht begraben.
Genius.
Wenn ein Verſchnittner dich in einen Kerker bringt
Und dich verwandelt in Combaben?
Ich.
Dann müßte ſeine Kraft mein Geiſt verlohren haben.
Genius.
Wenn Krankheit wie ein Wurm an deinem Herzen nagt
Und Nichts Geliebtes dir Troſt in die Seele ſagt?
Ich.
Das kann mir auch in Teutſchland wiederfahren
Und kurz! ich kämpfe gern mit Trübſal und Gefahren.
Das träge Leben iſt mir eine größre Laſt
Die Ruh der Eſel hab' ich ſchon als Kind gehaßt.
Genius.
So aber wirſt du nur die Oberfläche ſehen,
Das Weſen ſelten?
Ich.
Und wenn das mich glücklich macht?
Bis auf der Dinge Grund zu gehen
Hat manchen ſchon um den Verſtand gebracht.
Mein lieber Genius, ſo iſt es ohne Zweifel,
Die Menſchheit iſt von auſſen ſchön
Zerſtreute Gedichte. II. 129
Mit lieblichen Gebehrden anzuſehn,
Allein im Innern ſitzt der Teufel.
Genius.
Das Gegentheil iſt wahr, dein Satz iſt falſch und trügt,
Die Menſchheit hat zum Grund das allerbeſte Weſen.
Ich.
So iſt es falſch, was wir in der Geſchichte leſen,
Wo unter Blumen ſtets verſteckt die Schlange liegt?
Genius.
Du irreſt! Brutus iſt hier immer eine Schlange,
Ein Pfaffen⸗ und ein Dichterfürſt ein Gott
Und Sokrates ein Don Quiſchott.
Allein wir ſchweifen aus und ſpringen von der Stange.
Mit was für Träumen iſt dein Köpfchen angefüllt?
Kind, deine Phantaſie fliegt wie ein Adler wild
Im leeren Raum herum, und hier iſt nichts zu finden.
Verlaß den Aether! komm' und ſuch' in Hirtengründen
Dein Glück am Buſen einer Schäferin
Und laß dein Haar von ihr mit Roſen ſchoͤn umwinden
Und wirf das Zauberbild von fremder Wonne hin.
Des Lebens Nektar kann dein Herz nur hier empfinden;
O bleib’ in deinem Vaterland'
Und ſetze dich in einen Stand
Worinn du deinen Brüdern nützen,
Die Tugend gegen Macht beſchützen
Und glücklich leben kannſt.
Du findeſt immer ſchoͤne Seelen
1
130 Heinſes Werke. Erſter Band.
Die dich zu ihrem Freund erwählen —
Was kümmert dich ein Abderiten-Wanſt?
Durch kühle Schatten rinnet dann dein Leben
Gleich einem Blumenbache hin,
Es darf vor keinem Sturme beben
Und froher Muth begeiſtert jeden Sinn.
Am Abend ſingeſt du als Gärtner in den Lauben,
Die du mit eigner Hand gepflanzt,
Und deine Freundin reicht dir Moſt von Honigtrauben
Und wirſt von deinen Töchterchen umtanzt.
Was that dein Gleim? er ſang zuerſt der Griechen Lieder
Den Teutſchen in das Herz,
Und Freude, Witz und Scherz
Belebte da der Hayne Nymphen wieder,
Die ſeit dem Minnelied nichts liebliches gehoͤrt,
Von jeder wurd' er als ein junger Gott verehrt;
Drauf ſang er ſeines Friedrichs Helden Thaten
So ſtark, als er ſie that, und alle Muſen traten
Hinzu, und wanden ihm ums Haupt den Lorbeerkranz,
Und um ihn blitzte da des Ruhmes ſchönſter Glanz.
Doch was erzähl' ich dir, was er geſungen?
Wenn er im Adlerflug ſich vom Olymp geſchwungen
Dann hat er ſeinen Geiſt mit Acten abgekühlt
Und Unſchuld und Genie vom Staub’ emporgehoben
Und mehr dabey des Lebens Glück gefühlt
Als hätt' er ſich auf Aetnas Keſſel, oben
Im Himmel, unter ſeinem Fuß die Welt
Mit Strömen, Bergen, Städten, Oceanen
Zerſtreute Gedichte. II. 131
Als einen Globus von Homannen vorgeſtellt?
Mein lieber Sohn verlaß verirrter Ritter Fahnen,
Er ſey dein Muſter, ſtrebe, was er iſt,
Auch einſt als Mann zu ſeyn, von Grazien geküßt
Von Muſen ſchön bekränzt ſitzt er im Freundſchafts Tempel
Und ſcherzt und ſingt und freut ſich inniglich
Den andern zum Erempel
Und alles um ihn ſingt, und ſcherzt und freuet ſich.
Hier hatte ſich mein guter Genius
Aus meiner Phantaſie verlohren,
Ich ſah dich, Vater Gleim, und deiner Freunde Kuß
Empfinden dieſen Tag, an welchem du gebohren
Für ihre Herzen warſt, ich flog an deine Bruſt
Und miſchte mich in eurer Herzen Luſt,
Ich ſtieß mit Schulzen an,
Mit Köpken, Gleimen und Gleminden
Und rief: es lebe, wie ein Gott, der Mann
Des gleichen nie die Teutſchen ſahn
Und niemals werden wieder finden.
Ein Jährchen werd' ich wohl nun dieſen wilden Geiſt,
Der unaufhoͤrlich mich in's Land der Schönheit reißt,
In Teutſchland noch zurücke halten;
Er ſoll in einem Myrthenhayn
Bey Roſen und bey Mofler Wein
Ein Nuntius der Iris ſeyn
Und dieſes Amt bey Grazien verwalten.
Heinſes Werke. Erſter Band.
120.
[Laurette.]
In einem Thal am Fluſſe des Veſuv,
Wo die Natur entzückt, im ſüſſeſten Gefühle
Des Himmels, ſich ein neues Tempo ſchuf;
Ganz Anmuth für der Charitinnen Spiele,
Wohin ſie oft gewandelt ſind
Und Blumen pflückten zu des Taſſo Kränzen —
In dieſem Sansſouci des Lenzen,
Aus welchem Aeols frechſter Wind
Sich ſcheuet, ihn zu ſtürmen
Und wo vor Sommergluth ihn Lorbeerhügel ſchirmen —
Darinnen wurd' ein Hebenkind,
Bis daß aus ſeiner Bruſt die erſten Wünſche flogen,
Und ſeine Phantaſie der Liebe Träume ſah,
Laurette zur Aspaſia,
Die Tochter von der Mutter auferzogen.
Von einem himmliſchen Geſicht erwacht,
Wovon die Wonne noch die Lippen lächeln macht,
Gieng jezt Laurette
Nach einem Myrthenhayn von ihrer Lagerſtätte.
Auroren ſah ſie hier ſo zärtlich aus dem Meer
Als wäre ſie die junge Venus, ſchwimmen,
Und Nachtigallen um ſie her,
Als wollten ſie ihr Herz zur Liebe ſtimmen.
Sie ſang in deren Harmonie
Ein Charitinnenlied von Orpheus Metaſtaſen
Zerſtreute Gedichte. II. 133
In Pergoleſis Melodie
Und ſetzte ſich auf einen Blumen Raſen.
Ein Lüftchen weht um ſie die Düfte von der Flur,
Und wehte mit ſo zärtlichem Gefieder,
Als wäre jeder Hauch ein Küßchen der Natur,
Hervorzulocken ihre Lieder.
Unſchuldiger Begeiſterungen voll
Nahm ſie ein Blatt und ſchrieb an ein ätheriſch Weſen
An einen Vaticaniſchen Apoll;
Bald konnte fie den Traum in ſchoͤnen Verſen leſen,
Als ihre Mutter kam
Und ihr den Traum aus ihren Händen nahm.
Sie lächelte, ſie war auch das, was ſie, geweſen.
Sie wandelten nun in den Hayn
Und ihre Mutter ſprach von dieſes Lebens Freuden:
In jedem Stande kann die Unſchuld glücklich ſeyn
Doch ſchwerer an dem Thron, als wo die Hirten weiden.
Hier wiederholten ſie holdſeelig jede Kunſt
Der Grazien: die Blumen nachzuſtücken,
Wie Laura Herzen zu entzücken,
Und durch der Tugend Reiz die Gunſt
Von Männern und von Frauen zu erwerben
Und — wie ein Mayentag im Abendroth zu ſterben.
Als nun der Mittagsſtrahl voll Gluth mit Blüthen ſich
Begattete, der Wind an Felſenquellen
Vor ſeinen Flammen wich,
Da führte zu den Waſſerfällen
Des Lorbeerhayns die kleine Charitin
134 Heinſes Werke. Erſter Band.
Den Vater in die Dämmerung der Lauben,
Erfriſcht ſein Herz und ſeinen heiſſen Sinn
Mit Ananas und Surentiner Trauben
Und ſingt ein Lied dabey gleich einer Nachtigall
So zärtlich, mit ſo reinen Tönen,
Und ihre Mutter miſcht darein der Laute Hall
So rührend, daß er in Entzückungsthränen
An ihren Buſen fliegt, ſie und Lauretten küßt,
Und ſeeliger als Zevs in Platos Himmeln iſt.
Laurette ſah ein Bild von ihrem idealen
Geträumten Leben hier, und ſah es ſchmachtend an;
Es hätt' Elyſium den Kennern Tizian
Aus dieſer Laube zum Entzücken können mahlen.
Der Nachmittag verſtrich
Und jeder Tropfen Zeit war wie ein Kuß empfunden
Bis daß die Sonne wich;
Geſpräche machten Stunden
Zu lieblichen Secunden. — — —
121.
Zu Braunſchweig hat man jüngſt was ſeltenes geſehn;
Ein Hamſter, eine Gans, ein Pfau und ſieben Krähen
Ein Eſel und ein Fuchs, ein loſer Pavian
Ein Eulchen und ein Spaz und noch ein ſchöner Schwan
Ein Budel und ein Bär und Kalekutſche Hähne
Die alle plauderten zuſammen auf der Scene
Und hielten dann darauf ein friedlich Mittagsmahl.
Es ſtaunete darob das Volk der ganzen Meſſe
Zerſtreute Gedichte. II. 135
Ich aber nicht; ich ſah ſchon das Original
Zu dieſem Poſſenſpiel in einem fhönen Saal —
Die halberſtädtiſche Nobleſſe.
122.
Der Menſch und der Adler.
Der Menſch.
„Was that es dir, das Reh, du Ungeheuer du?
Es fraß nur Kraut und Gras, und flog aus den Gebüſchen,
Wenn's heiß ihm ward, zum Bach, ſich wieder zu erfriſchen,
Und hörte feinen Vögeln zu.
Was that es dir, du Ungeheuer du!“
Der Adler.
„Herr Menſch, ich ſeh's mit Luſt in dieſen Wäldern ſtreichen,
Wie du, ſo froh, ſo ſchüchtern jugendlich:
Und ſeh dieß gern von allen Seinesgleichen;
Doch itzt, du Narr, gehöͤrt's für mich.“
Der Adler trug's mit mächtigem Gefieder
Hin in ſein Felſenneſt, und fraß es auf, und flog,
Sich zur Verdauung, bis der Erde Rieſenglieder
Geſtalt ſich unter ihm zur runden Kugel bog,
Und fühlte freudenwarm auch von Gewiſſensbiſſen
In ſeinem Herzen auch nicht die geringſte Spur —
Ein Täubchen aß der Menſch, und dann von Kälberfüſſen,
Er brauchte juſt die Brunnenkur —
O heilige Moral, verdamme die Natur
Samt ihrem Schöpfer zu der Hölle Finſterniſſen!
136
Heinfes Werke. Erſter Band.
128)
Bey einer Landſchaft von Claude le Lorrain.
Bacchidion, dieß wär' ein Land für unſre Liebe!
So voll von ſüſſem Geiſt iſt Buſch und Bad und Thal
Und Wald und Berg. O wär' ich hier mit dir! ich bliebe,
Und käm ein Engel hundertmahl
Mit Flammenſchwerd. Ich rief, wir gehen nicht!
Ich ſchlüge mich mit ihm. Bey Gott! ich gienge nicht.
124.
Ueber die Madonna von Guido.
In dieſem ſüſſen Blick läßt Gott ſich hier erblicken,
Wie Sonn' in Luna's Schein. O Himmel! o Entzücken!
Bis aus den Spitzen ſtrahlt's hervor vom blonden Haar.
So kann's der Erdentöchter keine fühlen,
Die nicht von Gottes Geiſt in taumelnden Gefühlen
Mit Liebesfittichen einſt überſchattet war.
125.
Zum Beſchluß.
Sie liegen ja ſchon in der letzten Noth,
Ein Wetterſtrahl iſt gnug zu ihrem Tod'!
Ich fürchte, daß von mehrern dieſe Drachen
Wie beym Sanchoniaton auferwachen.
126.
Sie thun es nur, um zu verſüſſen unſre Blicke.
Ein wenig Roth macht keine ſchlimme Zeit.
Die ſchöne, ſonnenwolkichte Perrücke
Macht ſo bezaubernder auch ihre Heiligkeit.
Zerſtreute Gedichte. II. 137
127.
Auf einen Sinndichter 1770.
Der nannt ihn wohl den deutſchen Martial,
Der noch nicht wußte, daß er ihn beſtahl.
Und doch vielleicht hat der im Martial geleſen,
Was das unwitzigſte darinnen iſt geweſen.
128.
Auf Chloen.
O ſeht, wie Chloe zürnt, in beyden Augen Gluth!
O ſeht, wie um ſie her die ſchnellen Blitze fliehen!
Bald iſt ſie Schnee, bald Roſenblut,
Und Stirn und Wang' und Buſen glühen! —
Was zürnt ſie doch? was glüht ſie ſo? —
Dem armen Kind' enthüpft' ein kaum gefangner Floh.
129.
An Lottchen.
Wie gut iſt die Vernunft! Da hängt es an dem Bein
Das ſchöne Vögelchen nur wegen einer Beere!
Sprach Lottchen — und verlohr des Kranzes Ehre
Zwo Stunden drauf bey einem Fläſchchen Wein.
130.
Auf die Vermählung des Doge von Venedig.
O liebe Chloe glaub' es ſicherlich,
So wie der Doge von Venedig ſich
Vermählet mit dem Meere — ſo geſchehen
Auf unſrer ganzen Welt die Ehen.
138
Heinſes Werke. Erſter Band.
131.
Apologie der Päbſte.
Die Päbſte ſtellen Petern vor,
Und wahrlich gut! obgleich der ganze Chor
Beweibter Prieſter widerſpricht.
Wenn ſie mit Jeſu Chriſt gegeißelt ſollen werden,
So rufen ſie mit heidniſchen Gebehrden
So gut wie Peter rief: den Menſchen kenn' ich nicht.
132,
Die Apologie der Ehe.
Ein Fragment von einer Erzählung.
Es ift der Eheſtand, wenn wir Adepten fragen,
Der allerſchlimmſte Stand auf dieſem Erdenrund,
Er iſt ein Labyrinth voll Plagen,
Und macht für Geiſt und Leib die Sinnen ungeſund.
In dieſen Stand ſich zu begeben,
Iſt viel gewagt; wenn ihr glückſeelig leben,
Und ſeelig ſterben wollt, ſo meidet dieſen Stand.
Warum? weil unter Tauſend Paaren
Bey jedem Volk, wo Ehen waren,
In dieſem Quaalenvollen Stand
Kaum Eins glückſeelig Leben fand.
Der Liebe ganze Seeligkeit genießen
In dieſem Stande konnt ihr nicht;
Sie läßt ſich nicht in Feßeln ſchließen
Und bleibt nicht Liebe mehr wird ſie einmahl zur Pflicht.
Zerſtreute Gedichte. II. 139
Verliebte laufen nach der Ehe, wie die Knaben
Begierig ſpringen hin nach einem Schmetterling;
So bald ſie ihn erſprungen haben,
So iſt er ſchon nicht mehr das allerliebſte Ding.
Die Purpurflecken ſind den Augen nicht mehr ſüße,
Sie ſchimmern nun nicht mehr im Glanz von Sonnenſchein;
Die Flügel ſind zerknickt, abſcheulich ſind die Füße —
Und endlich wird er nichts als eine — Raupe ſeyn.
Gemächlichkeit, das höchſte Gut des Lebens,
Das iſt, zu machen, was ihr wollt,
Sucht ihr in dieſem Stand vergebens;
Und einem Weiſen iſt ſie mehr als alles Gold.
Die beſte Freundſchaft kann nicht neben ihm beſtehen,
Des Weibes Freund iſt nicht des Mannes Freund,
Und umgekehrt; und kurz; bey allen Ehen
Wird beyder Freund auch endlich beyder Feind.
Das ſind die kleinſten Uebel dieſes Standes.
Die Kinder nun, und nun die Kinderzucht,
Der Putz der Frau, die Koſten ihres Tandes,
Mit dem ſie andern zu gefallen ſucht,
Die Sorgen nun für alles, was da lebet
Im Hauſe, krank iſt, ſterben will
Geſtorben iſt — „Herr Doctor gebet
Euch ſo viel Mühe nicht, und ſchweigt ein wenig ſtill,
Wenn ich euch bitten darf!
Ein jedes Ding hat Seiten,
Und dieſe find ſehr ſelten alle fchön.
Auch bey der Ehe ſind, das will ich nicht beſtreiten,
140
Heinſes Werke. Erſter Band.
Nicht alle roſenroth und lieblich anzuſehn.
Und nennt mir einen Stand, der durchaus lieblich wäre?
Vom Sultan Muſtapha bis zum Diogenes
Von Genf beſeufzt in jedem Stand die ſchweere
Ganz untragbare Laſt der ſtärkſte Herkules.“
133.
Gregorius von Nazianz.
Gregor, ein Heiliger, verbrannte
Das Schönfte, was Athen einſt kannte,
Was Griechenland hervorgebracht,
Und zum Elyfium der Welt es hat gemacht —
Den Nektar für der Weiſen Seelen,
Geſänge von der Menſchen Philomelen,
Die Lieder des Anakreon,
Die Wolluſt der Sapphoen und Erinnen
Die ſelbſt berauſcheten der Charitinnen
Und ihrer Göttin Sinnen —
So hat ein Eber auch ermordet den Adon.
134.
Qui Bavium non odit, amet tua carmina, Maevi!
Er ſoll mich loben, Er? Beim großen Einmal Ein:
Hans Bunkels Pindar — der ſoll auch der meien ſein?
135.
Wer nicht das Schwert behält hat keine Sicherheit;
Der Große wird verfolgt heimtückiſch von den Kleinen.
Selbſt unſer Hermann fiel, der erſte ſeiner Zeit,
Der Retter ſeines Volks, ermordet von den Seinen.
Zerſtreute Gedichte. II. 141
136.
Die heutgen Staaten ſind ein Meer
In Flaſchen eingepfropft.
Bläſt auch der Wind gleich noch ſo ſehr:
Sie bleiben doch verſtopft.
Nord, Oſt und Süd und Weſt treibt nichts aus ſeiner Stelle,
Die Menſchheit rührt ſich nicht, und denkt an keine Welle.
137:
Holder Mond, Geſtirn der Liebe
Aller Augen ſüßes Licht,
Das nur wohl thut, und nicht ſticht
Und beſtendig heiter bliebe
Wenn von uns dem Erdenvoͤlkchen
Nicht aufſtiegen finſtre Woͤlkchen.
Leucht in meines Mädchens Auge
Leucht mir auf ihr Brüſtlein hart
Leucht auf ihre Lippen zart
Weil ich Küße von ihr ſauge.
Wirf auf alles deinen Schimmer
Trauter! Das vergeß ich nimmer.
Sieh! wir ſeufzen dir entgegen!
Eya! konnten wir bey dir
Seyn in Liebe für und für!
Oder auf geſtirnten Wegen
Ziehen aus dem Weltgetümmel
Durch den freyen weiten Himmel.
142 Heinfes Werke Erſter Band.
138.
Ich will dich beſtehlen dumme Hummel
Beſtehlen mir meinen Honig lernen!
Den Stachel ins Herz dir dafür
Ins Herz ohne Saft und Kraft.
Sonſt kannſt du ja nichts als ſummen brummen
Um Menſchen und Vieh damit zu quälen.
Den Stachel ins Herz dir dafür
Ins Herz ohne Saft und Kraft.
Die Blumen des Frühlings, Duft und Blüthen
Sind Jedermann da zum ſüßen Honig.
Den Stachel ins Herz dir dafür
Ins Herz ohne Saft und Kraft.
Kunſtrichterlein o du dumme Hummel
Ich will dich beſtehlen mir meinen Honig
Den Stachel ins Herz dir dafür
Ins Herz ohne Saft und Kraft.
139.
Monarchie und Republik der Natur.
Wo einer herrſcht, iſt Tag; wo viele herrſchen, Nacht.
Wenn einer gleich der Sonne
So Leben giebt und Wonne
So ſeine Welt durchſtrahlt und Brüder ſchwinden macht
Und wie ein Gott erſcheint in Frühlingsmorgenröthen,
Doch dem Gewürm nur auf Planeten.
Zerſtreute Gedichte. II. 143
140.
Es lebe hoch, wer auf den Flügeln
Des Genius von deutſcher Kraft geregt
Die Schönheit über Alpen trägt
Aus Welſchland und aus Roms verfallnen Hügeln.
141.
Erdbeben Ungeheuer
Wirf alle Klöfter um
Nur laß uns dieſes Heiligthum
Der Inſel Lipari entzückend trinkbar Feuer.
142.
Wer weiß, wo wir geweſen ſind
Vorher im Mutterleib als Kind
Vielleicht weiß einer von dem andern
So wenig auch wenn aus der Welt wir wandern
Drum freuet euch der Zeit beym edeln Saft der Reben
Nur — deine Kunſt wird ewig leben.
143.
Wer die Geſchichte fühlt, der lebt in Rom,
Als wie ein Fiſch in einem tiefen Strom.
144.
Selbſt Gluck iſt ein Pedant, wenn er lehrt unwiſſenden Knaben:
Gluck iſt ein Geck, wenn er liebt jeden muthwilligen Schelm.
145.
Gluck iſt Pedant und Geck; nur nenn ihn nicht un wahrſcheinlich,
Mit ſich im Widerſpruch, Meiſter, erkenne dich ſelbſt.
144 Heinſes Werke. Erſter Band.
146.
Alles muß in das Ganze ſich fügen. Dieß iſt die erſte
Regel der Welt und der Kunſt, Wirklichkeit, Wahrſcheinlichkeit.
147.
Reich an herrlichen Schätzen wie ein Großmogul iſt Gothe.
Wie Großmogul theilt er auch an Puppen ſie aus.
148.
Niederträchtigers kann wohl nichts ſeyn als wenn ein Menſch ſich
Brauchen läßt wie ein Hund, Freund anzufallen und Feind.
149
Ein Paar fürſtliche Windſpiele ſeyd ihr; Moloſſiſche Hunde
Nicht! vor Wolf und Bär zieht ihr den Schwanz ein, und kriecht.
150.
Un goüt de passage.
Er iſt einer von denen, von welchen ſchreibet St. Paulus:
Hätt ich ſtudirt den Fuchs, Emanuel Bach, und Kirnberger,
Noten geleſen zum Blindwerden von Händel bis Mozart,
Componirt ſogar mit Schallmayen, Trombonen, zehnſtimmig,
Aber wenig Genie noch Geſchmack“) — fo wär ich nichts weiter,
Als ein toͤnendes Erz und eine klingende Schelle.
151.
Seht, wie die Dürftigkeit prangt in dem Jeſuitiſchen Reichthum!
Mehr als Horaz er ſich dünkt ſelbſt in dem Plunder der Kräh.
*) ſo moderniſirt, glaub ich, Bahrd für die Schulmeiſter den antiken Aus⸗
druck des Apoſtels:
Aber hätte der Liebe doch nicht —
Zerſtreute Gedichte. II. 145
152.
Richter der Kunſt in Deutſchland ſind die elenden Scribenten,
Männer von Kopf verführt unter ſie — Rachſucht und Neid.
153.
Seltner Fall, daß ein Leſſing gerecht, ſelbſt Meiſter, und Kenner,
Ruhm, abgewogen wie Gold, frey, gleich der Nachwelt, ertheilt.
154.
Wer der Armenier ſey? erfahrt denn des Schwaben Geheimniß!
Plan und Natur entrückt iſts le diable amoureux.
155.
Welch ein Schikſal, für Deutſche zu ſchreiben! ihr Urtheil, wie Kindern
Man den Brey einſtreicht, haben im Mund ſie gepappt.
156.
Koryphären der Sachſenhaͤuſer, wer könnt es auf Grobſeyn
Wohl aufnehmen mit euch? ich überlaß euch das Feld,
Koryphären der Sachſenhäuſer! auf Schärfe der Kunſt kommt!
Wies dem Genius ziemt, edel der Tapfre auch fällt.
157.
Pfaff durchaus; ſeicht, boshaft und eitel, überall Gleißner,
Über Gott und die Welt, über Humanität — Pfaff!
158.
Würg ſie nur alle heraus die grün und gelblichte Rachſucht!
Deiner Gebrechen ſelbſt klage mich an! und genes.
1
10
146 Heinſes Werke. Erſter Band.
159.
Wahrheit, lebendig geſagt, ſo daß die Worte verſchwinden,
Zeiget jedem ſein Bild, wie ein geſchliffner Kryſtall.
160.
Schön und häßlich findet ſich, fo wie er iſt, der Charakter.
Schelte den Künſtler nicht, ſondern erkenne dich ſelbſt.
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0
Proſaiſche Auflage
Aus dem Thuͤringiſchen Zuſchauer
1770
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 149
Vom Jagdgedichte.
Wie! vom Jagdgedichte im Thüringiſchen Zuſchauer! vom Jagdge⸗
dichte? Ja! ia! vom Jagdgedichte, meine Herren, will ich handeln!
Verwundern Sie ſich nicht! es iſt ganz und gar nicht wider den Plan,
ſo wir zu unſrer Wochenſchrifft gemacht haben; wir wollen zuſchauen
nicht allein in der Kirche und Schule, in Gerichten, Caffee; und Spiel;
häuſern, nicht allein in der Stadt und auf dem Lande, ſondern wir
werden auch bißweilen in die Studierſtuben unſrer ſchönen Geiſter,
unſrer Genieen gehen und daſelbſt zuſchauen! Es iſt uns nie in den
Sinn gekommen, dieſe Wochenſchrifft deswegen allein, die Vorurtheile
des Poͤbels auszurotten, zu ſchreiben; dies wäre wahrhafftig eine
Arbeit, wo nicht größer, doch wenigſtens eben fo groß, als die Her;
kuliſche, des Augias Stall, mit Erlaubniß! auszumiſten! und die
uns noch dazu nach aller möglichen Anſtrengung unſrer Köpfe wenig
Dank bringen würde! Wir werden uns auch bißweilen ein wenig
zu erholen ſuchen und uns mit unſern thüringiſchen ſchoͤnen Geiſtern
ein Stündgen unterhalten. Wir bitten den Theil unſrer Leſer, der ſo
unglüklich iſt, dabey nichts zu denken, uns dieſes kleine Vergnügen
nicht übel zu nehmen; wir werden auch noch auf die Studierſtuben
der Herren Juriſten und Mediciner kommen! wie werden wir da zu—
ſchauen! dann werden die andern auch wieder etwas Seelenſpeiſe
für ſich finden!
Die erſte Frage, die ich beantworten muß, iſt dieſe: Haben wir denn
auch ſchöne Geiſter? Genieen in unſerm Thüringen? einige von
den Koͤpfen, welche die hierinnen ſparſame Natur ſo ſelten zu⸗
bereitet, und denen ſie eine Portion von Göttlichkeit mit auf die
Welt giebt, daß du ihnen zuſchauen kannſt?
150 Heinſes Werke. Erſter Band.
Eine wichtige Frage! Aus der thüringiſchen Geſchichte, wenigſtens
aus der, ſo wir wiſſen, kennen wir faſt kein einziges von ſolchen
Genieen; die Schwaben und Schweizer konnen hierauf ſtolzer ſeyn!
denn dies iſt ein wahrer Nationalſtolz groſe Männer hervorge—
bracht zu haben! Wir kennen keinen groſen Philoſophen, Dichter,
Tonkünſtler, Staatsmann und Eroberer! die Geſchichte giebt uns
nichts, als Beyſpiele von Barbarey, Verfinſterung in den Köpfen
und Aberglauben! — Nichts von Wiſſenſchafften? — Nein! Ha!
Schwabe, du kannſt ſtolz auf deine Minneſinger ſeyn und iezt —
du biſt ſehr unwiſſend, wenn du nicht weiſt, worauf du ſtolz ſeyn
kannſt! Ach ich armer Thüringer! ich habe keinen Landsmann, auf
den ich ſtolz ſeyn kann! o verwünſchte Geſchichte! Ganz voll von
Patriotismus glaube ich iezt wie Bayle, Hume und Voltaire:
Thüringen hatte ohne Zweifel groſe Männer, nur die Geſchicht⸗
ſchreiber waren zu nachläßig, zu fromm, um ihre Namen dem Jubel
der Enkel zu überlaſſen! Wer durfte es wagen, in ienen finſtern
Zeiten die Talente zu zeigen, dieſe Portion Goͤttlichkeit, die ihm die
gütige Natur gab, wenn er nicht wollte verbrannt werden, oder auf
ſeine ganze Lebenszeit unglüklich ſeyn. Das Genie läßt die Flügel
ſinken, wenn es nicht belohnt wird; wie Helvetius ſagt: der Beloh—
nungen ſind gar vielerley und die wichtigſte iſt die Bewunderung von
Weiſen! Von wem wollte ein Genie fie damahls verlangen?“)
Aber haben wir denn iezt in Thüringen Menſchen mit Köpfen?
O wer wollte daran zweifeln! iezt koͤmt das güldene Sekulum für
die Wiſſenſchafften hieher von andern Gegenden des Erdbodens ge;
*) Ich werde dies in einem künftigen Kapitel unſerer Wochenſchrifft weitläuf-
iger ausführen, wennn ich die Geſchichte der Dummheit erzaͤhlen werde.
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 151
wandelt! wir haben kein ſo rauhes Clima, daß ſich hieher keine
Muſe wagen ſollte! Die Nachtigallen ſingen in unſern lachenden
Haynen; können Muſenmädgen von ſolchen allzu zärtlichem Gefühle
ſeyn, daß ſie in Gegenden erſtarren ſollten, wo Nachtigallen ſingen?
Thüringen hat die ſchoͤnſten Hayne und Wälder von Teutſchland
und dieſe lieben ſie ia!
O wir haben auch Dichter und Tonkünſtler und mit den leztern ver;
ſorgen wir halb Europa! Auf manchem der kleinſten Dörfer in
Thüringen wird eine reizendere Muſik gemacht, als in den größten
Städten von Sachſen, Schwaben, Schweiz und Rhein; die guten
Virtuoſen leben in der Stille, ſie ſpielen nicht für ihren Hochmuth,
ſondern um ſich zu vergnügen! ſie verlangen nicht Bewunderung
und Penſionen, der Kuß einer niedlichen Dirne iſt ihnen ſüſſer! das
Schmäzchen, ſo von ihren geküßten Lippen glitſcht, iſt ihren Ohren
entzückender, als das lärmende Händeklatſchen eines unwiſſenden
Parterre! Ein empfindender Philoſoph, ein Rouſſeau, würde mit
einer wolluſtvollern Seele aus ihrer ländlichen Muſik gehen, als aus
der Oper zu Paris! Durch ihre ſüßen Flöten machen fie das Still;
ſchweigen reden, gießen Empfindungen und Leidenſchafft mit den
eigendſten Accenten in den Buſen und erſchüttern die Herzen! Ihre
Waldhörner tönen Freude und Wolluſt in die wiederhallenden
Wälder und die Trompete und Pauke donnert Muth und Ahnen:
feuer in die Seele! Die Muſtk liebt die waldigten Gegenden, ſie
wurde daſelbſt gebohren! Ein Hayn von Nachtigallen, ein Echo in
einem buſchichten Thale locket uns zu Liedern! wir müſſen ſingen,
wenn wir auch nicht wollen; und wie verſchwiſtert iſt hier Muſik
und Poeſie! und wir ſollten keine Dichter ſeyn? O wir haben auch
Barden und vielleicht ſchon ſehr groſe gehabt, wie wir aus den
152 Heinſes Werke. Erſter Band.
Ueberbleibſeln ſehen koͤnnen, ſo noch von ihnen in dem Munde unſrer
Jäger und Jägerinnen übrig ſind.
Unſre Dichter wiſſen nichts von unſern Kunſtrichtern! ohne Stolz,
ohne die Sucht gedrukt und von den Kritikern anatomirt zu werden,
verfertigen ſie ihre Gedichte, lehren ſie ihren Mädgen und ſingen
ſie mit ihnen auf der Jagd. Wahre Barden! Ich habe Jägerinnen
und Jäger in unſern Wäldern Lieder fingen gehört, die den Liedern
Utzens, Weiſſens und Gleims an die Seite verdienen geſezt zu werden.
Im vorigen Frühlinge an einem heitern Morgen gieng ich in
einen Hayn und lagerte mich in den Dufft iunger Birken und hörte
Nachtigallen Duetten muſiciren, meine Seele ſchwamm in wollüſti⸗
gen Empfindungen, als ich auf einmahl eine männliche volle Stimme
noch dazu ſingen hoͤrte:
Wo find ich dich du kleines Reh?
In welchem ſtillen Thal?
Auf welches fernen Berges Hoͤh
Trinkſt du den Morgenſtral?
Auf welchen Blumen ſchlummerſt du?
Ihr Blumen ſaget an!
O hauchet ſüßern Dufft mir zu,
Daß ich ſie finden kann.
Du ſingeſt kleine Nachtigall,
Iſt ſie vielleicht bey dir?
Ich ſuchte ſie ſchon überall
Komm führ ſie her zu mir!
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 153
Find ich ſie an dem Bache nicht,
Will ich zur Aue gehn,
Find ich ſie in der Aue nicht,
Will ich noch weiter gehn!
Bis ich ſie ſeh, will ich nicht ruhn,
Durch Wald und Berge gehn!
Drey lange finſtre Tage nun
Hab ich ſie nicht geſehn!
Es hüpft mein Herz, es wallt mein Blut
Und alles kocht in mir,
Und meiner heißen Lippen Glut
Lechzt Jägerin nach dir.
Und find ich dich, dann halt ich dich
Mit meinen Armen feft,
Laß dich nicht los, biß daß du mich
Dich feurig küſſen läßt! —
Sie haben auch komiſche Jagderzäh lungen, die offt ſehr artig find,
und von denen man nicht glauben ſollte, daß ſie in Thüringen wären
gemacht worden; ich will nur von einer derſelben den Anfang hie—
her ſetzen, man kann wenigſtens aus dieſer Stelle auf die übrigen
ſchlieſen:
Ihr Mädgen, wenn ihrs noch nicht wißt,
Daß es nicht immer rathſam iſt,
Wenn man nach alter teutſcher Art
Die Küſſe nur für künftge Männer ſpart,
So hoͤrt das Abentheuer an
154 Heinſes Werke. Erſter Band.
Von Jechean und von Marcomann,
Und ſpiegelt euch daran!
In Hennebergs berufnen Wüſteneyn
Wo Wolfen größre Flocken ſchneyn
Und ſtärkre Blitze ſpeyn,
Als ſonſt geſchicht, ſtand ein berühmter Buchenhayn!
Seit Hermanns Sieg war er dem Teut
Dem Vater unſers Volks geweyht.
Hier ſtand ſein Bild, gleich einem grimmgen Baͤren
Und ewges Feuer brannt auf myſtiſchen Altären,
Der Ilm⸗ und Werraſtrand
Biß an der Catten Vaterland
War ſeiner Gottheit unterthan.
Zween Barden dienten ihm und gaben früh und ſpat,
Dem Volk fürs Opfer guten Rath;
Der eine war ein Greis von mehr als hundert Jahren,
Ein rechter Ehrenmann, in allem wohl erfahren,
Er kannte iedes Kraut und die geheime Krafft
Der Stern’, und was noch mehr! die ſeltne Wiſſenſchafft
Der edeln ſchwarzen Kunſt war ganz bey ihm zu Haus,
Er machte Wind und Schnee, die Sonne löfcht er aus,
Wenns ihm gefiel, und ſang die beſten Lieder
Im Lande, kurz er war der Calchas ſeiner Brüder,
Eins ſollte man von ihm nicht in der Chronik leſen,
So wär er gar ein Philoſoph geweſen.
Genug! nicht weit von ſeinem Aufenthalt
Stand unter andern auch ein iunger Birkenwald
In einer kleinen Au, die war ſeit kurzer Zeit
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 155
Der Sammelplaz von aller Luſtbarkeit.
Viel Stutzer lebten hier, nach alter teutſcher Art,
Gar niedlich anzuſehn mit ſchoͤn geloktem Bart
Braun im Geſicht, mit rothgefärbter Wange,
Im Laufen ſchnell und lieblich von Geſange.
Den ganzen Tag war Feſt, bald Wettlauf und bald Jagd,
Bald Schieſen nach dem Ziel; und kam die ſtille Nacht,
Da hätt euch einer erſt den Lärmen hören ſollen!
Da gieng es zu, da gabs Concert und Ball!
Hier ſas ein Chor und zog den Wiederhall
Mit Hörnern aus dem Wald. Dort tönten Jägerlieder,
Das ganze Thal war Feſt und alles tönte wieder.
Dies wundert euch? mich nicht!
Denn wie die alte Chronik ſpricht,
So wohnte hier ein Mädgen iung und ſchoͤn,
So niedlich wie ein Reh, gefährlich anzuſehn!
Ihr ſchwarzes Haar, das um den Nacken flog,
Und lockigt ſich auf ihren Buſen bog,
Ihr ſchalkhafft Aug, die weiße Stirn, ihr Hals
War unvergleichlich ſchoͤn, und hätten allenfalls,
Wenn meine Chronik nicht gelogen,
In's Nez der Sinnlichkeit den Plato ſelbſt gezogen.
u. ſ. f.
Sie haben ferner auch eine Art von Jagdſinggedichten; ſie ſind von
der Art, wie das Gedicht Comala von Oßian. Dieſe Jagd—
gedichte haben für mich unzählige Reize mehr, als die Schäferge—
dichte. Beym Schäfergedichte muß ſich der Dichter erſtlich in die
156 Heinſes Werke. Erſter Band.
Scenen des güldnen Alters hinein träumen, hier wird er von der
Natur ſelbſt begeiſtert! dort iſt nichts als Unſchuld in den Sitten,
hier Handlung; dort fehlen die ächten poetiſchen Gemälde, hier ſind
ſie zu mannichfaltig; dort iſt ein ewiges Einerley, welches auch ſogar im
Theokrit und Geßner ermüdet, hier immer verſchiedene und abwech—⸗
ſelnde Scenen. Welche reizende Gegenſtände für einen Dichter, der
mit einem feurigen Pinſel mahlen kann, ſind hier anzutreffen! Welche
liebenswürdige und naive Wildheit kann er in den Handlungen der
Jäger und Jägerinnen ſchildera! welche Mannichfaltigkeit an fo;
miſchen, erhabnen und rührenden Scenen! Die Jagd giebt Stoff
für iede Dichtungsart, ein erfindriſches Genie wird ſich hier niemals
erſchöpfen!
Der Jäger iſt wild, aber liebenswürdig wild! ſeine Handlungen ſind
ſchnell, kühn und voll Feuer! Die Jägerinnen find männliche Mäd—⸗
gen mit kriegeriſchem Geſicht und harten vollen Buſen! kurz alle,
wie die Diane der Alten, ausgenommen die Sprödigkeit; o fie
wiſſen, wie ſüß die Liebe in der Dunkelheit kühler Hayne iſt! welche
himmliſche Wolluſt man aufs Moos gelagert am Buſen eines braunen
Jünglings fühlt! doch iſt ihre Liebe nicht bloß thieriſch, Rouſſeauiſch!
ſie iſt menſchlich! halb platoniſch und halb thieriſch! glückliche Ver⸗
miſchung! die Alten folgten wohl der Natur nicht, da ſie Dianen zur
Göttin der Sproͤdigkeit machten; es iſt ein wahrer Widerſpruch,
Göttin der Jagd und Göttin der Sprödigkeit zu ſeyn! Habe ich nicht
Recht, ſchoͤne Amazonen? o! ſchlagen Sie die Augen nicht nieder!
lieben iſt ia keine Sünde!
Wir haben die Neigung zur Jagd von unſrer Nation ererbt! Wir
freuen uns, wenn wir einen Wald ſehen! ein ſüßer heiliger Schauer
zittert durch uns, wenn wir in die Nacht eines dicken Waldes kom⸗
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 157
men! iede erhabne Eiche errinnert uns an unſere tapfern Väter!
an die alten Barden! an ihre Freyheit! Schade! daß dieſer Anblick
offt demüthigend iſt!
O! hätten wir die alten Jagdgedichte unſrer Oßiane! welch ein
Verluſt für uns! dies waren Originale! Gedichte! nicht nach andern
vortrefflichen Gedichten geſungen und copieret! die Natur dictirte
ſie. Junge Geniees! macht es, wie ſie! macht es, wie die griechiſchen
Dichter, die Meiſterſtücke hervorbrachten, ohne Meiſterſtücke zu leſen
oder Formen zu haben! Sie bildeten ihr Ideal vom Schoͤnen, vom
Vortrefflichen aus der Natur; macht es wie ſie! ſtudieret fie
Tag und Nacht! dann werdet ihr den Wunſch der Patrioten erfüllen
und Thüringen wird Genieen vom erſten Range haben. Ihr Edeln!
die ihr in eurem Hirn etwas von dieſem himmliſchen Feuer brennen
fühlet, das den Oßian, Shakſpear, Petrarch; Raphael,
Correggio und Titian; Leo, Pergoleſe, Dur ante und Jomelli
über andere Menſchen empor hob und ſie zu Lieblingen und Stolze
ihrer Nation machte, empor mit den Seelenflügeln! Zerreißet die
Sclavenfeſſeln gewohnlicher Menſchenkinder! und fürchtet euch nicht
mit Sonnenlichte die dunklen Augen eurer Nation zu blenden! Gehet
aus euren Wäldern hervor, werdet der Stolz eurer Bürger und die
Bewunderung der Nationen.
158 Heinſes Werke. Erſter Band.
Wir haben die Erlaubniß erhalten, einige Briefe von zwo
vornehmen Damen hier einzurückenz ihren Inhalt wird
man wiſſen, wenn man ſie geleſen hat:
Sie lernen ietzt gar Griechiſch! liebſte Schweſter! o verſinken Sie
nicht in die Tiefen der Wiſſenſchafften! denken Sie an die ſpöttiſche
Kritik, ſo Sie iüngſthin von der gelehrten nordiſchen Koͤnigin gemacht
haben! Ihre vielen Lucubrationen verringern die Roſenroͤthe von
Ihren Wangen und erfchöpfen die Lebensgeiſter. Die Natur gab
Ihnen einen glüklichen Kopf und ein feurig Genie mit auf die
Welt, Sie haben nicht nöthig, es aus dem Homer und Anakreon zu
ſtehlen; überlaſſen Sie dieſes Handwerk den gelehrten Dumm;
köpfen!
Ich bin überhaupt gar nicht mit Ihrem brennenden Eifer für die
ſchoͤnen Wiſſenſchafften zufrieden; was nützen ſie dem Frauenzimmer?
Ein Mädgen erhält dadurch in den Augen eines Mannes nicht meh⸗
rere Reitze; alles, was die Männer von uns verlangen, iſt Vermögen
und ein ſchoͤner Koͤrper; um die Seele bekümmern ſie ſich nichts; die
platoniſche Liebe iſt in Teutſchland nicht anzutreffen. Ein Mädgen von
einigen Tauſenden mit ſchwarzen Augen und Haaren nach der Mode,
zarter Haut, rothen Wangen und — kleinem Munde — laßt ſie
eine Schafſeele haben — iſt ein Wunder.
Die Wiſſenſchafften ſchaden ſogar dem Frauenzimmer; die Männer
fliehn uns, wenn wir mehr wiſſen als ſie; und geſtehen Sie es nur!
Sie ſelbſt würden keinen dummen Mann lieben konnen. Alles
Frauenzimmer iſt allezeit ein bißgen hochmüthig und ſpoͤttiſch, und
die gelehrteſte Frau wird die Seelenfrauenzimmerheit fo wenig ab⸗
legen können, als die körperliche.
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 159
Dies iſt ohne Zweifel die Urſache, warum auch ſogar die gelehrteſten
Männer kein gelehrtes Mädgen zur Frau haben wollen. Doch haben
manche vielleicht noch eine nicht allzugeringe Nebenurſache, zumal
wenn ſie eiferſüchtig ſeyn ſollten, welches man aber ſelten finden
wird, nämlich ſie können ſich nicht auf die ehliche Keuſchheit eines
Frauenzimmers verlaſſen, das den Roſt, Grecourt und Crebil—
lon und vielleicht gar — au weh! — den Mſtr. Boccaz, Petron,
Martial und Catull gelefen hat; wie würde es euch armen Ger
lehrten ergehen, zumal wenn ihr ſchwächlicher Natur wäret! wir
können es ihnen alſo nicht verdenken, wenn fie einfältige, doch aber
gute Hausthiere von Frauen heyrathen.
Wozu, liebe Schweſter, ſoll Ihnen alſo die Gelehrſamkeit dienen?
Sie werden niemals einen Mann bekommen, wenn Sie ins künftige
immerfort ſich mit gleichem Eifer auf die Wiſſenſchafften legen werden!
Wenn Ihnen alſo die Wohlfarth und Glückſeligkeit Ihres Leibes an
Herzen liegt, ſo ſtellen Sie ſich wenigſtens auf ein Paar Jahre ein
wenig dumm und vermeiden Sie die Bibliotheken und gelehrte Ge;
ſellſchafften. Man wundert ſich offt, warum die gelehrteſten und
artigſten Mädgen ſitzen geblieben ſind, hier haben Sie den Schlüſſel zu
dem Räthſel. Die zärtlichſte Liebe faſt aller unſrer Mannsperſonen
gründet ſich auf das phyſiſche Bedürfniß, Geld, Geiz und — auf
Dummheit, oder nach der Sprache der Verliebten auf ein haushältiges
Weſen. Sie können nun leicht ſelbſt einſehen, welchen Gegenſatz Witz
und Geſchmack und eine aufgeheiterte Seele mit dieſen Liebenswürdig⸗
keiten machen! Die Dummheit iſt ein gewiſſes Mittel ſicher und glüklich
durch die Welt und — Sie wiſſen, was ich im Sinne habe — zu
kommen; der Grund von dieſem Satze iſt dieſer, weil die mehrſten
Leute dumm find und die geſcheiten nicht vertragen können.
160 Heinſes Werke. Erſter Band.
Einen Einwurf muß ich machen, der etwas mehr ſagen will. Es iſt
eine bekannte Erfahrung, daß die gelehrteſten Männer die dümmſten
Kinder hervorbringen; die Urſache iſt natürlich, weil ſie die beſten
Lebensgeiſter im Kopfe verbrauchen und folglich nur die elendeſten,
die Hefen davon zur Paſſage des menſchlichen Geſchlechtes in die
Welt kommen. Nun geben Sie einem Manne von der Art noch ein ge⸗
lehrtes Weib zur Gehülfin, ums Himmels willen! welche Mißgeburten
werden entſtehen! — Verhungert werden ſie in die Welt gucken;
wie ein frommer Wanderer, der durch eine Wüſte gegangen iſt!
Doch werden Sie nur nicht boͤſe auf mich! meine Liebe, nein ſo hart
will ich nicht ſeyn, daß ich Ihnen verbieten wollte, gar nichts mit
den ſchönen Künſten und Wiſſenſchafften zu thun zu haben; o! ſie ſind
eine Zierde eines iungen ſchönen Frauenzimmers!
Ihr Witz erheitert die Geſellſchafften, wo Sie ſich befinden, und wenn
Sie auf dem Flügel ſpielen und dazu ſingen, ſo ſpielen und ſingen
Sie die Schwermuth und den Gram aus allen Köpfen der Zuhörer
heraus, und Wonne und Wolluſt wieder hinein. Nur dieſes ver;
biete ich Ihnen, daß Sie nicht Tag und Nacht, wie ein Gelehrter
von Profeßion über den Büchern ſitzen und ſtudieren. Die ſchoͤnen
Künſte und Wiſſenſchafften ſollen eine Arzney, nicht Gift und Peſti—
lenz für Ihren Körper ſeyn. Sie verfertigen Gedichte, die das Lob
der Kenner erhielten, es war unpartheyiſch, da ſie nicht wußten, daß
Sie Dichterin waren; was wollen Sie mehr? Ich halte die Schrift:
ſteller für Thoren, die für die Nachwelt arbeiten und nicht für ihr
Jahrhundert; das Lob und der Ruhm iſt der Sporn des Genies
und die Belohnung für Meiſterſtücke; das Lob der Nachwelt konnen
wir nicht genieſen, und folglich iſt es keine Belohnung; der Name
allein empfängt ſie und mein Name iſt nicht Ich! Sie werden ſich
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 161
doch wohl nicht die Grille in den Kopf geſetzt haben, für die Nach⸗
welt zu ſchreiben! Bekehren Sie ſich artige Sünderin und folgen
Sie Ihrer Sie zärtlich liebenden
u. ſ. f.
Antwort auf den vorhergehenden Brief.“
Schade; daß Sie Madame nichts auf das Lob der Enkel halten!
meine Nachwelt wird Ihnen einſt danken, daß Sie ſo zärtlich für
meine Geſundheit zu ihrem Vortheil geſorgt haben!
Glauben Sie ia nicht, daß ich Tag und Nacht ſtudiere! ich liebe ſo
gern, wie andre Frauenzimmer die Bequemlichkeit, Ruhe und —
ich bin aus ſündlichem Saamen gezeugt — mein Bißgen Schönheit.
Sagen Sie mir doch den böſen Mann, der den ſchönen Panegy—
ricus auf meinen Fleiß hielt! die Nachtwachen haſſe und — liebe ich
eben ſo, wie andre meines Geſchlechts; beruhigen Sie ſich nur.
Ich kann in vielen Gedanken, die Sie mir zu ſchreiben die Gütigfeit
hatten, nicht einerley Meinung mit Ihnen ſeyn; der erſte davon iſt:
„Die Natur gab Ihnen einen glücklichen Kopf und ein feurig Genie,
Sie haben nicht nöthig es aus dem Homer oder Anakreon zu ſtehlen.“
Ich weiß, wie ſehr Sie die Wiſſenſchafften lieben, ich darf alſo nicht
befürchten, meine Unterſuchung dieſer Schmeicheley möchte Ihnen
verdrüßlich ſeyn.
Wir armen Frauenzimmer ſind übel daran, wir müſſen uns von den
Männern beherrſchen und uns Geſetze vorſchreiben laſſen, ohne daß
man uns um unſre Einwilligung fragt; die Seelenfähigkeiten, die
weſentlichen Stücke, ſo uns von den Thieren unterſcheiden, ſpricht
man uns ab und ſieht uns nur als thieriſche Maſchienen an, wodurch
das menſchliche Geſchlecht fortgepflanzt wird. Insbeſondre giebt es
1
11
162 Heinſes Werke. Erfter Band.
unter den Männern etliche, die ſie groſe Geiſter nennen, welche
uns alles Genie abſprechen; ich will Ihnen einige davon an⸗
führen.
Der berühmte Hanns Jacob Rouſſeau ſagt in ſeiner vortreflichen
Epiſtel an den Hrn. D’Alembert mit ausdrücklichen Worten: Les fem-
mes n'aiment aucun art, ne se connoissent à aucun, et n'ont aucun
genie. Ce feu celeste, qui echauffe et embrasse l’ame, ce genie,
qui consume et devore, cette brulante eloquence, ces transports
sublimes, qui portent leurs ravissemens jusqu'au fond des coeurs,
manqueront touiours aux ecrits des femmes; ils sont tous froids
et iolis comme elles; ils auront tant d’esprit, que vous voudrez,
jamais d' ame. Dahier haben Sie's! die Weiber haben kein
Genie!
Rouſſeau nimmt dieſen Satz ohne Beweis an, er denkt männig⸗
lichen wird die Erfahrung gleich dabey einfallen. Mſtr. Hanns
Huart aber demonſtrirt es uns, daß ſie kein Genie haben koͤnnen,
in ſeinem Buche von der Prüfung der Köpfe, nämlich weil ſie alle
im erſten, andern und dritten Grad feuchter und kalter Natur wären.
Ich weis nicht, was ich aus dieſem Hanns Huart machen ſoll! Er
muß manchmal ganz naͤrriſch und manchmal ſehr klug geweſen ſeyn;
der Mann muß einen unbegreiflich groſen Glauben gehabt haben;
hier haben Sie nur einige Beiſpiele davon. Er ſagt: ein Hund, ein
Bär und ein Affe hätten drey Mädgen geſchwängert und alle drey
vernünftige Menſchen gezeuget; dies ginge noch an; aber: „fo gar
iſt ein Frauenzimmer, das am Ufer des Meeres ſpazieren gegangen,
von einem Fiſche, welcher aus dem Waſſer geſprungen, geſchwängert
worden“ u. ſ. f. und der gute Mann nennt die Leute ſogar Pöbel, denen
es unbegreiflich iſt; dann ſpricht er wieder an einem andern Orte:
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 163
die Schönheit wäre allezeit ein Beweis, daß man dumm ſey, oder
wenigſtens nicht viel Genie habe. Dieſer Mann wird für eins, fogar
von dem ältern Herrn Leßing für eins von den groſen Genieen
Spaniens gehalten; aber was halten Sie von einem Manne, der
nur die angeführten Stellen im allen Ernſte glauben kann? iſt er
zu widerlegen?
Rouſſeau ſtützt ſich auf die Erfahrung, indem man kein Beyſpiel von
einem Frauenzimmer von Genie angeben könnte; allein der ſcharf—⸗
ſinnige Philoſoph irrt ſich; die Sappho nimmt er ſelbſt aus. Aber
wir haben noch andere; ich brauche Ihnen die griechiſchen Mädgen
nicht zu nennen, bey welchen die Philoſophen ihre Weisheit holten,
die Aspaſien, Laiden, Phrynen, Leontien! Sie kennen die Cleopatra,
Eliſabeth, Lady Worthley Montague und ſtatt aller unſre Kar;
ſchin.
Baute Gott den Kopf der Weiber nicht eben ſo, wie den Kopf der
Männer? wüthen in uns nicht eben die Leidenſchafften, als bey ihnen?
Rouſſeau muß die Weiber in der Welt wenig kennen, und von
ſeiner Frau oder Aufwärterin auf alle ſchlieſen, wenn er ſagt: elles
ne savent ni decrire ni sentir l'amour meme. Auf diefe Art wäre
die Liebe ein Hirngeſpinſt.
Man ſollte die Anecdotenſammler nicht ſo ſehr tadeln! o! die Anec⸗
doten geben uns oft Sonnenlicht in die Schriften verſchiedener Ver;
faſſer. Wer weis, ob nicht der arme Rouſſeau aus dem nämlichen
Grunde auf das Frauenzimmer zankt, als Boileau. Sie wiſſen es
von dem leztern, daß er wegen gewiſſer Umſtände kein Ehemann
ſeyn konnte, und daß daher die berühmte Satyre auf die Weiber
und ſein Haß gegen die Jeſuiten, welche zuerſt die Kalekutſchenhüner
nach Europa brachten, herrührte. Es fällt mir eben ein Sinngedicht
11*
164 Heinſes Werke. Erſter Band.
ein, ſo ich neulich davon geleſen habe, ich will es Ihnen herſetzen,
weil ich mich ein wenig dadurch deutlicher machen kann:
Gerecht ſey Boileau mit ſeinem Satyr immer!
Er glitſchte wenigſtens einmal aus ebner Bahn,
Ihn hackt' — ich weis wohin — ein Kalekutſcherhahn
Und er beſtraft — das Frauenzimmer!
Rouſſeau hätte ſich auch beſtimmter und nicht ſo allgemein aus⸗
drücken ſollen: die Weiber haben kein Genie. Nach feiner Umſchrei⸗
bung ſpricht er ihnen das ſublime poetiſche Genie ab; es giebt aber
gar vielerley Arten von Genie, Newton hatte unſtrittig ein andres,
als Petrarch, und dieſer fromme Dichter ein andres als Voltaire u. ſ. f.
Wenn ich alſo unter dem Genie die Fähigkeiten begreife, die uns die
Natur mit auf die Welt giebt, nach dem allgemeinen Ausſpruche, da
man ſagt, das Genie wird uns angebohren, fo iſt es in der That eine Ab⸗
ſurdität, es dem Frauenzimmer abſprechen zu wollen. Die Entwickelung
des Genies geſchieht ſelten bey ihnen, wegen der übeln Auferziehung,
ſo es hat. Ein Mädgen darf von Kindheit an ſich mit weiter nichts
beſchäftigen, als mit Putz, Eigenliebe und Schönheit; mit nichts als
Kleinigkeiten; das Genie wird immer mehr und mehr unterdrückt,
und wenn es ſich nicht ſelbſt aus der Dunkelheit mit Gewalt reißt,
wie das wüthende Feuer, ſo bey ſeinem Ausbruch die Erde zerbricht,
ſo bleibt es verborgen; das Exempel zu dieſem Satze iſt die Aufer⸗
ziehung unſrer Karſchin. Bey den Mannsperſonen iſt es eine
andre Sache.
Helvetius hat nicht fo Unrecht, als es ihm einige haben demon⸗
ſtriren wollen, wenn er behauptet: das Genie komme von der Auf:
erziehung, (das Wort im weitläufigen Verſtande genommen), die
Natur giebt uns etliche Pfund feine ſubtile Materie in unſern Kopf,
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 165
die wir mit unſern Sinnen zu Genie verarbeiten müſſen; der ganze
Unterſchied iſt, daß der eine ein wenig ſubtileres Gehirne und beſſere
Sinnen hat, als der andre. Nun kömmt es freylich viel auf das
Ohngefähr an, in welche Gegend der Welt es uns mit unſern Sinnen
und Gehirn geſetzt hat, und was es uns für eine Art von Lebens—
geiſtern in unſre Nerven gab. Sollten die Weiber von der Natur
ſo verwahrloſt ſeyn, daß ſie niemals ſo gutes Gehirn, ſo feine
Sinnen und flüchtige Lebensgeiſter erhielten; daß ſie niemals das
Ohngefäãhr in ſolche Gegenden ſetzte, wo fie ſich Genie machen koͤnnten?
der Unterſchied zwiſchen den Männern und Weibern iſt ia nicht das
Gehirn, die Sinnen und die Lebensgeiſter! Sie konnten es immer
nicht glauben, Madame, daß oft die größten Philoſophen nicht wiſſen,
was Kindern von 5 Jahren bekannt iſt, hier haben Sie ein deut;
liches Beyſpiel! Rouſſeau weis den Unterſchied des männlichen
und weiblichen Geſchlechts nicht! einer von Galliens ſcharfſinnigſten
Weiſen!
Haben alſo, liebſte Schweſter, wir Frauenzimmer nicht eben das
Recht unſre Köpfe aufzuheitern, wie die Männer? dies gehört zur
Menſchheit. Ich habe mich ſchon oft darüber erzürnt, daß man uns
das Genie abſprechen will, es iſt eben ſo einfältig, als wenn man
ſagte, wir wären keine Menſchen. Zanken Sie alſo nicht mit mir,
daß ich dieſe Materie in meinem Kopfe verarbeiten will; dieſes heiſt
nicht aus den Griechen Genie ſtehlen, ſondern es durch ihre Schriften
verbeſſern; doch! Sie können es nehmen wie Sie's wollen! das
weibliche Geſchlecht iſt zu vielen Künſten und Wiſſenſchafften ge⸗
ſchickter als das männliche. Was den Witz, die Delicateffe, den feinen
Geſchmack, das naive und — mit Erlaubniß Hr. Bodmer! die
kleine Grazie betrift! und darinnen ſind ſie Meiſter über die Männer.
166 Heinſes Werke. Erſter Band.
Sie haben viel zärtere und feinere Nerven, die leichter können er;
ſchüttert werden, und folglich auch ein feineres Gefühl. In der
Poeſie, Muſik, Mahlerey, von iedem in einer beſondern Art konnen
ſie ſehr leicht vortreflich werden. Man hat davon Beyſpiele genug;
und wenn die Damen einer Nation dieſes koͤnnen wirklich machen,
dann ſind ſie eine Stütze des aufgeheiterten Geſchmacks und die
Barbarey wird ſich nicht ſo leicht wieder einſchleichen. Sie haben
mir viele Einwendungen von der Liebe und Männerey gemacht, ich
wollte Ihnen eben iezt wider die Ihrigen einige machen, allein ich
ſehe, daß mein Brief ſchon allzu lang iſt, ich will die platoniſche Liebe,
und die Liebe überhaupt in einem meiner folgenden Briefe abhandeln.
Zum Schluſſe füge ich noch zur Vertheidigung meines Lieblings des
Hrn. Rouſſeau hinzu, daß er vielleicht in der angezeigten Epiſtel
nur eine Satyre wider das franzöſiſche Frauenzimmer hat machen
wollen, und hierinnen kann ich ihm nicht widerſprechen. Entfchul;
digen Sie meine Freyheit in verſchiedenen Ausdrücken; ich bin an
einigen Stellen in einen heiligen Eifer gerathen, und lieben Sie
ferner Ihre aufrichtige
U ef.
In einem folgenden Stücke ſoll der Brief von der Liebe folgen; einer
von den Verfaſſern wird einen Anhang von einigen Anmerkungen
zu allen dieſen Briefen machen und zeigen, worinnen die Verfaſſe⸗
rinnen Recht oder Unrecht haben.
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 167
Hier iſt der Brief, und noch einer mehr, als wir im ſiebenten Stück
verſprochen haben; man theilt ſie hier mit, wie ſie von dem Frauen⸗
zimmer vor fünf Jahren geſchrieben worden ſind. „Die Tartüffen
und die armen Köpfe, welche die Welt bereden wollen, die Excre—
mente ihres milzſüchtigen Gehirns für Reliquien zu küſſen, mögen
ihre Köpfe ſchütteln, ſo ſtark ſie koͤnnen“, vielleicht finden ſie in dem
verſprochenen Anhange ihre Befriedigung, vielleicht — auch nicht;
und vielleicht — verſchütteln ſie ihr Gehirn gar darüber und — Gott
behüte ſie, meine finſtre Herren!
Liebſte Amalia.
Es iſt viel gewagt von mir — armen ſchwachen Werkzeuge — daß
ich Ihnen einen Brief von der Liebe ſchreiben will, ob mir gleich
Rouſſean ins Ohr ſagt: Vous ne savez ni decrire ni sentir l'amour!
Bin ich unglücklich darinnen, ſo verlaſſe ich mich auf Ihre Gütigkeit.
Ich muß Ihnen Briefe ſchreiben, und es iſt mir unmöglich, fie mit einem
witzigen — Nichts, Verläumdungen oder Plaudereyen von nichts;
würdigen Neuigkeiten zu unterhalten; kurz um keinen Frauenzimmer⸗
brief ſchreiben zu müſſen, ſchreibe ich Ihnen einen Liebesbrief.
Unglücklich iſt der Menſch, der in ſeinem Leben niemals geliebt hat!
tauſendmal unglücklicher iſt er, als ein unglücklich liebender! die
beſten Freuden dieſes Lebens ſind ihm unbekannt, Entzücken und
Wonne, Tumult und Aufruhr war niemals in ſeinem Buſen! ſeine
Lebensgeiſter ſind — gefrornes Waſſer, das niemals von einer
Sonne aufgekocht wurde; er kennt weder die ſüſſen Seelen zer;
ſchmelzenden Zähren, ſo man bey Zayren weint, noch das erhei—
ternde Lächeln und Sorgen veriagende Vergnügen, welches man
bey der Geſchichte des Daphnis ins Geſicht und in den Buſen lieſt!
168 Heinſes Werke. Erſter Band.
Ich beiammre euch unglückſeligen Kaltköpfe, die ihr ſtatt des Herzens
eine Gurke im Leibe habt! die Liebe erfand Wiſſenſchafften und Künſte
und erhob uns von den Thieren zu Menſchen; ein Herz ohne Aae
iſt todt, wie eine Gegend ohne Luft.
Die Liebe iſt die Hauptleidenſchaft des menſchlichen Geſchlechtes und
ſehr ſelten mit der Vernunft verträglich. Das groſe Meiſterſtück
eines Geſetzgebers iſt, den Amor der menſchlichen Geſellſchafft nütz—
lich, und, damit der wilde böſe Junge nicht ſo viel Unheil ſtiftet, ſo
vernünftig zu machen, als es möglich iſt; eine ſchwere Kunſt! Wenn
die Liebe noch dabey Liebe bleiben, und ihre himmliſchen Reize nicht
verlieren ſoll! |
Ich will die Bewegungsgründe, fo uns zur Liebe reizen, nicht unter:
ſuchen; kein wahrer Verliebter weis, was ihn eigentlich ſo mächtig zu
dem geliebten Gegenſtand hinreißt; Mar tial ſagt: ich liebe dich nicht;
warum? kann ich nicht ſagen; nur ſo viel — ich liebe dich nicht.
Ich liebe dich; warum? das weis ich nicht; dies iſt eben ſo wahr;
der Hang zur Liebe liegt in unſern Herzen, bey einem iſt er größer,
bey dem andern kleiner. Ein einziger Blick kann ein iunges Herz er⸗
obern, das noch nicht geliebt hat; wie der Blitz in eine Pulvertonne
fährt und entzündet, ſo fährt er hinein und macht Flamme dar⸗
innen, und wir wiſſen nicht, wie es zugeht! Wir kennen von der
Perſon, deren Augen er entfloh, oft nichts weiter, als Geſicht und
Wuchs, und dennoch lieben wir ſie auf das heftigſte! Wenn wir ihre
Fehler erfahren, ſo werden ſie Vollkommenheiten; und müſſen wir
ſie für Fehler erkennen, ſo ſuchen wir die unſrigen auf, um ſie damit
entſchuldigen zu können! und dies iſt wohl der einzige Fall, wo wir
dies ſchwere, verhaßte Geſchäft unternehmen. Wenn es uns aber
eine allzu groſe Eigenliebe nicht erlaubt, ſo ſuchen wir uns wenig⸗
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 169
ſtens davon zu überzeugen, daß dieſe Perſon weniger Fehler, wo
nicht, doch mehr Vollkommenheiten, als andere Perſonen ihres Ger
ſchlechtes habe, ſo wir lieben koͤnnten; oder — welches das natür⸗
lichſte iſt, die Liebe deckt die Fehler mit ihrem Mantel zu, und raiſo⸗
nirt nicht. Es iſt völlig falſch, wenn einige Moraliſten ſagen, die
Vollkommenheiten einer Perſon reizten uns zur Liebe; die wahre
Liebe hat mehrentheils ein Ohngefähr zum Grunde, ein ſo kleines
Etwas, welches bey nahe Nichts iſt! Es iſt freylich närriſch genug!
aber ſo iſt es. Ein ieder Verliebter preißt zwar die Vollkommen⸗
heiten ſeiner Geliebten, allein giebt es einen Menſchen in der Welt,
der keine Vollkommenheiten haben ſollte, welche die Phantaſie eines
Verliebten vergrößern könnte?
Der Hauptbewegungsgrund zur Liebe iſt die Schönheit des Körpers.
Es giebt nur wenig Philoſophen, die ſo eiskaltes Fleiſch und Blut
haben, daß ſie nur allein die ſchöne Seele an einem Mädgen lieben
konnen. Ein Maͤdgen kann allerdings auf ihre Schönheit ſtolz ſeyn,
die frommen Moraliſten moͤgen ſagen was ſie wollen. Wenn Männer
von Genie auf ihr Genie ſtolz ſeyn koͤnnen, ſo können es die Mädgen
auch auf Schönheit ſeyn, die Natur giebt beydes. Nach ihrer guten
Art zu ſchlieſſen, kann ich auch beweiſen, daß ein Engel, ein Eloa nicht
mehr ſey, als der elendeſte Wurm, den ich mit Füßen trete, wenig⸗
ſtens, daß er nicht auf ſeine Vorzüge vor ihm ſtolz ſeyn dürfe. Die
Natur iſt eben fo ſparſam mit der ächten Schönheit, als fie es mit
dem ächten Genie iſt. Jeder Menſch hat ſein beſondres Ideal von
Schönheit im Kopfe, und es iſt nothwendig, daß die Schönheit ſub—
iektiviſcher Natur ſey, denn ſonſt wäre die Welt ſchon längſt aus⸗
geſtorben, und es wäre ein wahres Unglück für ein Mädgen, ſchön
zu ſeyn, wenigſtens für ein ſolches, die keine Meſſalinen Seele
170 Heinſes Werke. Erſter Band.
hätte. Es iſt mit der Schönheit, wie mit dem Genie; für den Bauer
iſt Grethe eine bezaubernde Schönheit, und der Eulenſpiegel das
größte Genie. Vom Bauer bis zum Ariſtipp oder Crebillon
ſteigt die Kenntniß der Schönheit und des Geniees von Grad zu
Grad. Daher kann ein groſes Genie nur von einem groſen voll⸗
kommen empfunden und geſchätzt werden; daher kommt es, daß ein
Halbkopf einen Drittelskopf über ein Genie vom erſten Range ſetzt.
Jeder Menſch hat ſeinen beſondern Gegenſtand, womit er ſich er⸗
götzen kann; es müſſen alſo Unvollkommenheiten in der Welt ſeyn,
denn viele ergögen ſich nur an Unvollkommenheiten, und wer will
deßwegen ibren Schöpfer tadeln! Voltaire fagt:* Interrogez le
diable, il vous dira, que le beau est une paire de cornes, quatre
griffes et une queüe; le beau est tres relatif, comme ce, qui est
decent au Japon est indecent ä Rome. Gott wollte die Menſchen
glücklich machen, und er gab ihnen Seelen die verſchieden dachten;
das ewige Einerley iſt verhaßt, und wir lieben die Leute, die anders
denken, als wir; ein paradoxer Saz, aber dennoch iſt er wahr, ob:
gleich alle Moraliſten vom Anfange der Welt, bis iezt das Gegen⸗
theil mit dem ſchönen Waidſprüchelgen: Gleich und Gleich geſellt ſich
gern; behauptet haben. Wir intereßiren uns für Perſonen in Tragd-
dien, Comödien und Romanen, die ganz anders denken, als wir,
ia wir lieben ſie oft heftig. Jeder, der einen beſondern originellen
und launichten Character hat, macht uns auf ſich aufmerkſam, und
wir pflegen uns ſehr gern mit ihm zu unterhalten; er betrachtet
die mehreſten Dinge aus einem ganz andern Geſichtspunkte, als die
* In einem Buche, deſſen Titel abzuſchreiben, bey manchen ſchon für eine
Ketzerey gehalten wird; der Herausgeber mag ihn alſo auch aus Furcht nicht
abſchreiben; ein Ketzer! o das iſt — — — — —
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 171
übrigen Menſchen; die natürliche Liebe zur Neuheit zieht uns hin zu
ihm; und daraus läßt ſich das Räthſel erklären, warum bisweilen
Perſonen ſich lieben, ia ſich überaus zärtlich lieben, in deren Character
doch ein himmelweiter Unterſchied iſt. Ich koͤnnte Ihnen dieſes aus
hundert Geſchichten beweiſen, insbeſondre aus den Schriften des
großen Sterne, Fieldings, Wielands und Leßings. Es giebt freylich
leider! auch in unſrer Chriſtenheit eine gewiſſe Art von Japanern,
die eine Ausnahme von dieſem Satze ſind; dieſe gewiſſenhaften Leute
halten ſich und dieienigen, ſo eben ſolche — Köpfe haben, für allein
weiſe, und die Gedanken, die andere ehrliche Leute mit vielem Scharf;
ſinn ausgedacht haben, für Eingebungen des leidigen Satans. Kurz
fie find Japaner; das iſt Leute, die alle andern, fo nicht Japaner
ſind, für Teufel halten. — Doch ums Himmels willen? wie bin ich
hieher gekommen? verzeyhen Sie liebſte Amalia meiner ausſchwei⸗
fenden Einbildungskraft! Verzeyhen Sie mir die groſe Frauen⸗
zimmerſünde, tiefſinnig zu ſeyn!
Sokrates ſagte: ein ſchöner Koͤrper verſpricht auch eine ſchöne
Seele; fo gern ich die Schönheit erheben möchte, fo muß ich doch ge;
ſtehen, daß dieſem Satze die Erfahrung ſehr widerſpricht. Ich will
mich dadurch nicht zu den Spöttern geſellen, die dem Sokrates
Schuld geben, er habe dieſes geſagt, um deſto ſicherer vor der Ver;
läumdung mit ſchönen Knaben und Weibern umgehen zu können.
Ich habe Mädgen gekannt, die am Leibe Grazien waren, und dennoch
Seelen von nicht allzu groſer Schönheit hatten. Sie, liebſte Amalia,
wiſſen es, wie oft wir uns über die fchöne K ꝛc. verwunderten, wenn
ſie den Eulenſpiegel oder die Baniſa las, und — mit Entzücken las;
allein hier nenn ich Schönheit ein glattes Geſicht, eine zarte weiſſe
Backenhaut, wodurch das Blut ſchimmert, ſchwarze Augen ohne
172 Heinfes Werke. Erſter Band.
Seele, hohen Buſen voll ruhigen Blutes, und kurz das regelmäßigſte
Geſchöpf, wo alles in Hogarths Schlangen- und Wellenlinien
dahin ſchwimmt.
Aber es giebt noch eine andere Schönheit, woraus man auf eine
ſchöne Seele ſchlieſſen kann. Jede Tugend und iedes Laſter, ia bey
nahe iede Wiſſenſchafft, hat ihre beſondern Züge im Geſichte; die
Züge, ſo die Tugend dem Geſichte einprägt, ſind überaus ſchön, ein
häßliches Geſicht kann dadurch reizend werden; nun laßt die Tugend
einem ſchönen Geſichte nach der obigen Art noch ihre geiſtige Ge;
berde eindrücken, ſollte ein ſchöͤnes Geſicht voll folder Mienen keine
fchöne Seele verſprechen? und eine ſolche Schönheit meinte Sokra⸗
tes. Laßt Wielande und Klopſtocke die reizendſten Gemälde mit
Poeſie machen, dieſe Schönheit können fie nicht ſchildern; man kann
fie ſich nie in die Phantaſie leſen, man muß fie von Mengſen und
Oeſern lebendig vor ſich ſehen; und dies iſt die Schönheit, die die
Herzen der Weiſen ſamt ihrem Hirne anbrennt. Montagne (in
feinen Verſuchen) hat einige vortrefliche Anmerkungen hierüber ge;
macht; man muß ſie heraus ſuchen, er plaudert ſeine Gedanken heraus,
wie ſie ihm einfallen; leſen Sie das 12. Kapitel im dritten Buche,
da werden Sie viel gutes davon finden. Er ſagt unter andern:
Je ne puis dire assez souvent combien j’estime la beauté, qualité
puissante et advantageuse. Socrate l’appelloit une courte tyran-
nie, et Platon, le privilege de Nature. Nous n’en avons point, qui
* Ich kann es nicht oft genug fagen, wie hoch ich die Schönheit fhäge, dieſe
mächtige und vorteilhafte Eigenſchafft. Sokrates nennt ſie eine kurze Tyranney
und Plato, das Privilegium der Natur. Nichts übertrift ſie. Sie hat die Ober⸗
ſtelle in der menſchlichen Geſellſchaft, zeigt ſich zuerſt und verführt unſere
Vernunft. u. ſ. w.
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 173
la surpasse en credit. Elle tient le premier rang au commerce
des hommes. Elle se presente au devant, seduit et preoc-
cupe notre iugement, avec grande autoritè et merueilleuse im-
pression. Phryne perdoit sa cause, entre les mains d'un excellent
Advocat, si ouvrant sa robbe, elle n'eut corrompu ses Juges, par
l’eclat de sa beauté. Et ie trouve que Cyrus, Alexandre, Cesar,
ces trois Maitres du monde, ne l'ont pas oublièe à faire leurs
grandes affaires. Non a pas le premier Scipion. Vn meme mot
embrasse en Grec le bel et le bon. Et le S. Esprit appelle souvent
bons, ceux qu'il veut dire beaux. Ariſtoteles fagt, das Recht zu
befehlen, gehört der Schönheit; und wenn es Leute giebt, die ſo
ſchön wie Götter ſind, ſo muß man ſie verehren.
Die erſtere Schönheit bey einem Mädgen reizt zur thieriſchen Liebe,
und die letztere zur himmliſchen und platoniſchen; wenn die letztere
in einem häßlichen Geſicht iſt, fo iſt es möglich, daß fie die ganz reine
platoniſche Liebe erzeugen kann; iſt aber die letztere Schoͤnheit mit
der erſtern verbunden, ſo muß ſie thieriſche und platoniſche Liebe
vermiſcht hervorbringen. Du Weiſer mußt dein Herz an einem
andern Fleckgen ſitzen haben, wenn du ſprichſt, du liebteſt hier
rein platoniſch! Stecke deine Hand ins Feuer und verbrenne dich
nicht, und hungere an einer Tafel voll niedlicher Speiſen! Kannſt
du es, ſo wollen wir dich von der Erde iagen, denn du biſt hier
nichts mehr nütze. Wär ich Lais oder Phryne geweſen, wehe
dir! Kenokrates. Erlauben Sie mir, liebſte Schweſter, da ich
die thieriſche und platoniſche Liebe genannt habe, daß ich ein
wenig mit Ihnen über die verſchiedenen Arten der Liebe plaudern
darf.
Erſtlich alſo von der thieriſchen oder Rouſſeauiſchen. Sie
174 Heinſes Werke. Erſter Band.
wiſſen, was dies für eine Liebe iſt, Sie haben das Buch über die Un;
gleichheit der Menſchen geleſen.
Die mehrſten Menſchen ſind mehr Thier, als Menſch, und folglich
iſt es auch kein Wunder, daß dieſe Liebe ſehr häufig anzutreffen iſt.
Fielding beſchreibt ſie in dem Meiſterſtücke des menſchlichen Ver—
ſtandes, in der Geſchichte des Thomas Jones; er ſagt, fie wäre
„das Verlangen, einen gefräßigen Appetit nach einer Quantität
zartes und weiſſes Menſchenfleiſch zu ſättigen; wie ein Freſſer ſagen
kann, ich liebe dieſes Gericht; ſo kann ein ſolcher Liebhaber ſagen: ich
hungere nach dem Mädgen.“ Solche Leute lieben nur mit einem
Sinne, wie alle Thiere, der Unterſchied allein iſt, daß ſie zu ieder
Zeit lieben, wenn ſie können. Mit Erröthen muß ich es ſagen, daß
dieſes die Liebe der groͤßten Weiſen war und — noch iſt. Kann man
alſo wohl dem vortreflichen Dichter Beyfall geben, wenn er in
ſeinem Antiovid ſingt:
Und du, zweydeutiges Geſchlecht,
Mit welchem Namen ſoll die Wahrheit dich benennen?
Vielleicht hat Acid al mit Recht
Die Menſchlichkeit bey dir in Zweifel ziehen können?
Bildſäulen nennt man euch, wenn man euch tadeln will;
Ach wärt ihr's nur, ihr würdet minder ſchaden,
Und die Vernunft verlöhr an euch nicht viel.
Doch nein, ihr ſeyd beſeelt, Albin en ausgenommen,
Habt ihr ſo was, das einer Seele gleicht,
Im Schlummer der Natur bekommen,
Nur was es iſt, erräth ſich nicht ſo leicht.
So wandelbar iſt Proteus nicht,
Nicht der Cameleon, von dem die Wandrer lügen,
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 175
Pomona konnte nicht den Waldgott öfter trügen,
Als an euch Seele und Geſicht.
Doch! es war, zu ihrer Entſchuldigung, etwas mehr als Hunger, wie
ich im folgenden erzählen will. Dieſe Liebe entſteht mehrentheils aus
einer elenden Auferziehung, Leſung wollüſtiger Romane, Verführung
böſer Leute, oder beſſer — ſie iſt ein Stück von der Erbſünde. Dieſer
Trieb tobt in uns am mächtigſten, wenn wir unſrer Vernunft be;
raubt find, der Schildwache wider unſre böfe Neigungen und Be;
gierden. Dieſe Schildwache wird aber veriagt, oder vielmehr ein—
geſchläfert von der Trunkenheit, Muſik und ſchlüpfrigen Romane.
Von der Trunkenheit brauche ich es nicht zu beweiſen; beſoffen darf
man nicht ſeyn, nein, nur berauſcht; wenn man beſoffen iſt, ſo ſchläft
Schildwache und Begierde; ein kleiner Rauſch von Burgunder aber
giebt der letztern Muth und Feuer.
Es wird mir ſehr ſchwer mich zu überwinden, und die Muſik, dieſe ent⸗
zückende Kunſt, als eine Feindin der Vernunft in dieſem Falle an⸗
zuführen; allein ſo iſt es. Freylich verſtehe ich hierunter nicht die
Muſik einer Rotte Prager, nein eine ſolche, wie die, mit welcher
Danae die Vernunft des Agathon von ihrer Poſt iagte; Sie
wiſſen die entzückende Beſchreibung derſelben in dieſem vortreflichen
Roman, (warum ſoll ich nicht Geſchichte ſagen? ich kann dieſe Er;
zählungen, ſo wie die mehrſten von Fielding und Crebillon für
wahrer, wenigſtens für eben ſo wahr annehmen, als den ganzen
Herodot, Polybius, Livius, Tacitus, Daniel, Rapin und
Maskopz; ich finde in den Romanen dieſer Schriftſteller die Natur
in ihren innerſten Winkeln aufgeſucht, und dort wie ſie — oft den
Augen des Pöbels — erſcheinet). Ich wollte ſie Ihnen herſchreiben,
wenn Sie nicht dieſes ganze Kapitel mit mir auswendig gelernt
N Heinſes Werke. Erſter Band.
hätten. Der ſcharfſinnige Home ſagt: die Muſik mache die Seele
leer; und Martin Luther hält ſie für das beſte Mittel wider
die Leidenſchafften. Ich will Ihnen meine Gedanken hierüber
ſagen. i
Ich nehme gleich die Erfahrung zu Hülfe. Hoͤren Sie Miß Sara
Sa mpſon oder Romeo und Julia aufführen, und nach dem fünften
Act hören Sie die zärtlichſte Muſik von einem Jomelli oder einem
andern Meiſter, der in der allgemeinen Sprache der Töne ein Sprach;
meiſter iſt, aber von Virtuoſen ſpielen, die ſelbſt fühlen können, was
zärtlich iſt; und wenn Ihnen nicht Seele und Herz aus dem Leibe
ſchmelzen wollen, und wenn nicht fünfmal geläuterte Tropfen der
Entzückung durch Ihre Nerven zittern, und wenn dieſe bittere Wonne,
ſo Sie bey dem Tode Juliens gefühlt haben, Ihnen nicht — wie ein
ſchweres Ungewitter die Nacht mit Blitzen ſchlägt — mit iedem
ſtarken Ton zehnmal heftiger wieder ins Herz zurück geſchlagen wird,
fo — haben Sie entweder keine Ohren, oder — ich habe kein menſch—⸗
liches Gefühl. Die Muſik reiniget die Seele von andern Leiden;
ſchafften, aber die Hauptleidenſchafft bleibt ſitzen, und dieſe nährt und
verſtärkt ſie; es kommt freylich viel auf die Art der Muſik an; eine
kriegeriſche Muſik wird freylich bey einem Verliebten nicht die Wür⸗
kung thun, als eine wollüſtige Operarie von Jomelli oder Ga:
luppi, wenn ſie noch dazu von einem reizenden Mädgen geſungen
wird; oder eine entzückende Melodie, wornach eine Grazie im Tanze
dahin ſchwimmt und bey ieder Bewegung Reize zeigt, die die Tugend
nicht nur verwunden, ſondern mit dem füfleften Gifte töden, Und
eine ſolche Muſik veriaget die Vernunft von ihrer Wache, gieſt
Tumult und Sturm ins Herz, und wenn Gelegenheit da iſt, ſo
kömmt der alte Adam geſchlichen. Doch rede ich hier von Zuhoͤrern,
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 177
die eine gute Anlage, einen ziemlichen Hang zur thieriſchen Liebe
haben; ein halber Platoniker freylich wird haben —
über Sternen den Geiſt
doch auch — — — —
den Fuß im Staube.
Der Brief iſt ſo lang, daß wir noch ein Stück damit anfüllen
können, und dieſes ſoll im künftigen geſchehen.
Fortſetzung des vorigen Briefes.
Nun von der Liebe der Weiſen, oder derer, die nach der allgemeinen
Meinung aufgeheiterte Köpfe hatten.
Es iſt doch wunderbar, daß beynahe alle groſe Philoſophen, Dichter
und Künſtler von den berühmten Zeiten Griechenlandes an durch
alle Jahrhunderte bis auf die iezigen, ſich nicht unter das ehelige
Joch haben biegen wollen! die Geſchichte aller Zeiten beweiſet es.
Unter den griechiſchen Weiſen hatten nur Sokrates und noch
einige wenige andere Weiber; und vielleicht heyratheten auch dieſe
nicht aus ächten Abſichten: Sokrates zeugte keine Kinder, und
lernte die Redekunſt und Politik bey Aspaſien; kann man ſich
wohl noch verwundern, warum Xantippe mit ihrem nicht immer
ſokratiſchen Manne manchmal zankte? das Syſtem, ſo ſich die
Herren Epikur, Ariſtipp, Diogenes, Ariſtoteles und fo gar
der göttliche Plato von der Liebe machten, ſtimmt mit dem obigen
Satze überein.
Zu den Zeiten des Auguſtus philoſophirte man eben ſo; nur eine
paradoxe Ausnahme von dieſer Sekte machen Ovid und Cicero,
welche ihre Gemahlinnen — — in ihrer Verbannung — überaus
zärtlich liebten.
1 12
178 Heinſes Werke. Erſter Band.
Sie wiſſen die Sitten der Philoſophen in dem berühmten ſechs—⸗
zehnten Jahrhunderte, wo Leo der zehnte Pabſt war.“
Viele Frauenzimmer haben ſich ſogar zu dieſer Partey geſchlagen:
Heloiſe und andere mehr wollten lieber Maitreſſen, als Weiber
ihrer Abälarde ſeyn.
Aus dieſem moraliſchen Grunde, liebſte Schweſter, hätten Sie mir
das Studium der Wiſſenſchafften verbieten ſollen, er überwiegt den
phyſiſchen ſo ziemlich. Sehen Sie, wie offenherzig ich bin! ich gebe
Ihnen die Waffen wider mich ſelbſt in die Hände! Gewiſſe Dinge
müſſen uns angebohren werden, ich muß es nur wider meinen
Willen geſtehen: gewiß iſt die Plauderhaftigkeit dem Frauenzimmer
angebohren, hier fühle ich den Beweis in ſeiner ganzen Stärke.
Helfen Sie mir doch das Räthſel erklären, warum die Philoſophen
nicht heyrathen wollen? Iſt ihre groſe Kenntniß der menſchlichen
Natur oder ihre tief ausgeſonnene Theorie der Liebe daran Schuld,
oder was iſt es? Thomas Morus ſagt: „Die Heyrath iſt eine
ſeltſame Verbindung, man muß die ganze Lebenszeit mit einer vor⸗
geblichen Helfte zubringen, die öfters die ſchrecklichſte Feindin iſt.
Man muß allen Verdruß, allen Unfall der Ehe gemeinſchaftlich er⸗
tragen. Man kann deswegen nicht Vorſicht genug brauchen. Die
Liebe wird gar zu leicht kaltſinnig. Sie iſt meiſtens eine ſtroherne
Flamme.“ — “*
Ich behaupte, daß ieder Weiſe, wenigſtens einmal in ſeinem Leben,
wenigſtens nur ein Paar Wochen platoniſch verliebt geweſen iſt.
* Man ſiehe den Bayle hiervon.
**: Der Herausgeber dieſer Briefe muß hier eine ſcharfſinnige Stelle der Ver:
faſſerin unterdrücken, weil er befürchtet, es möchten einige Leute viel daran
auszuſetzen finden.
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 179
Dieſe Lebenszeit iſt die erſte Jugend, wo die Phantaſie noch mit den
feurigſten Lebensgeiſtern überſchwemmt iſt; wenn dieſe geiſtige Des
ſoffenheit (anders kann ich es nicht nennen) vorbey iſt, dann entſteht
eine gutartige Liebe, ein Miſchmaſch von platoniſcher, thieriſcher,
menſchlicher und vernünftiger Liebe. (Wenn man vernünftig hier
brauchen darf.) Das thieriſche Ingredienz iſt bey ihnen von der aus⸗
geſuchteſten Delicateſſe. Sie konnen es aus verſchiedenen Schriften
ſehen, wie weit es die Griechen, Roͤmer, Türken, Italiäner und
Franzoſen hierinnen gebracht haben; und dieſe bis zum ſchönſten
Ideal ausgeſonnene thieriſche Liebe war nun, leider! das, was ſie
hauptſächlich ſuchten. Um ſich einen Begrif davon zu machen, leſen
Sie die witzigen Anmerkungen, ſo Bayle in ſeinem Wörterbuche unter
den Titeln Lais, Phryne, Leontium u. ſ. f. ausgeſonnen hat.
Lais hatte ganze Armeen von Liebhabern: den Ariſtipp und Dio-
genes und andere Philoſophen eroberte fie mit ihrer Schönheit und
buhleriſchen Künſten; man kann den Satz: ad cuius iacuit Graecia
tota fores, bey nahe im wortlichen Verſtande nehmen. Man errichtete
ihr Statuen; dieſes iſt wahrhafftig ſehr viel. Das nannten ſie mit
Geſchmack lieben, und hier holten die Philoſophen ihre Weisheit.
Eine griechiſche Buhlerin mußte nach der Beſchreibung, ſo man uns
von ihnen macht, ein Frauenzimmer ſeyn, dergleichen man zu unſern
Zeiten in allen vier Welttheilen wenige antrift. Sie mußte die
ausgeſuchteſte Schönheit, Witz, Feinheit des Geſchmacks, Muſik,
Tanzkunſt und die größten Reize im Umgange beſitzen. Man darf
aber doch auch nicht denken, als wenn die größten Weiſen Griechen;
landes und folglich der Welt blos um dieſen thieriſchen Trieb zu
ſtillen, zu ihnen gegangen wären, nein! das wäre Schande für
die menſchliche Vernunft! Sie giengen zu den Buhlerinnen, um
12*
180 Heinſes Werke. Erſter Band.
ſich aufzuheitern, zu ergözzen, und zu vergnügen; es gieng oft ganz
ehrlich zu. Sie mußten vor ihnen ſingen und tanzen, und ſie mit
ihrem Witze unterhalten; oft philoſophirten ſie gar, wie Epikur und
deſſen Schüler mit der Le ontium. Einen Schatten von dieſer Art
Buhlerinnen trift man noch in unſern Zeiten zu Paris und andern
groſen Städten an, bey welchen ſich die größten Männer von ihren
ſchweren Geſchäften auf die nämliche Art erholen. Freylich iſt die
bloße thieriſche Liebe eine Peſt für iunge Leute, ſie machet ſie zu edeln
Thaten unfähig, zerrüttet ihren Körper und machet fie dumm; man
ſollte nie einem Jünglinge die ſchlüpfrigen Bücher, worin ſie mit
allzureizenden Farben gemahlt wird, in die Hände kommen laſſen;
ſie töden die Tugend und verderben das Herz. Der Anblick eines
franzoͤſiſchen Lazareths wäre ihm geſünder.
Gebeut denn die Natur dem Viehe gleich zu werden?
Verdammet ſie den Geiſt, des Himmels groſen Sohn,
Geſtürzt von ſeinem Goͤtterthron,
Zu Würmern in den Staub der Erden?
Die uns zu Menſchen bildt, der Helden Schöpferin,
Die Tugend raubſt du dir, mit ihr die edeln Triebe
Zum allgemeinen Wohl, die Großmuth, Menſchenliebe,
Und was uns göttlich macht.
Wieland im Antiovid.
* Dieſes vortrefliche Gedicht ſollten alle füßen iungen Herrchen auswendig lernen.
Doch zum Troſt will ich Ihnen eine vortrefliche Stelle aus dem Agathon
hier abſchreiben:
„Wenn ihr ia lieben wollt oder müßt — — nun, ſo kömmt alles, glaubet mir,
auf den Gegenſtand an — Findet ihr eine Aspaſia, eine Leontium, eine
Ninon — ſo bewerbet euch um ihre Gunſt, und, wenn ihr konnt, um ihre
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 181
Nun endlich komme ich auf die platoniſche Liebe. Dieſe iſt die
erhabenſte und edelſte Freundſchaft. Sie hat ihren Namen vom
Plato, weil er die Dame Archeanaßis auf das zärtlichſte ohne
Liebe liebte. So machte es zwar vor ihm auch Sokrates mit der
Frau Pericleß in, As paſiaz allein Plato ſchilderte fie fo reizend
in ſeinen Phantaſieenreichen Schriften, daß ſie den Namen von ihm
erhielt; ſie beſtehet eigentlich darinnen, daß man eine Perſon vom
andern Geſchlechte liebt, und nur ihre Seele liebt, ohne das geringſte
von einem thieriſchen Triebe gegen ſie zu fühlen.
Bey Perſonen von einerley Geſchlecht iſt dieſe nämliche Zuneigung
keine Liebe mehr, ſondern nur Freundſchafft. Die Platoniker müſſen
alſo auf die nämliche Art männliche und weibliche Seelen geglaubt
haben, fo wie es männliche und weibliche Körper giebt; und dieſe
erhabene Redensart: unſere Seelen flieſen zuſammen oder ſchmelzen
in einander, will fo viel ſagen: fie begatten ſich. Ich kann die plato;
niſche Liebe Ihnen ohnmöͤglich beſſer beſchreiben, als fie ein Dichter
beſungen hat, der von ihr begeiſtert war.
Freundſchafft. Die Vortheile, die ihr daraus für euren Kopf, für euren Geſchmack,
für eure Sitten — ia, meine Herren, für eure Sitten, und ſelbſt für die Pflichten
eurer Beſtimmung, von einer ſolchen Verbindung ziehen werdet, werden euch
für die Mühe belohnen“ — Gut! Aspaſien! Ninons! die müßten
wir im ganzen Europa aufſuchen — das rathen wir euch nicht; die Rede
iſt nur von dem Falle, wenn ihr ſie findet — Aber wenn wir keine finden?
So ſuchet die vernünftigſte, tugendhafteſte und liebenswürdigſte Frau auf, die
ihr finden könnet — Hier erlauben wir euch zu ſuchen, nur nicht (um euch
einen Umweg zu erſparen) unter den Schönften; iſt fie liebenswürdig, fo wird
fie euch deſto ſtärker einnehmen; iſt fie tugendhafft, fo wird fie euch nicht ver:
führen; iſt fie klug, fo wird fie ſich von euch nicht verführen laſſen. Ihr Eönnet
ſie alſo ohne Gefahr lieben.
182 Heinſes Werke. Erſter Band.
„Göttliche Liebe! — die unſre harmoniſchen Seelen
Sich zu lieben, ſo zärtlich erſchuf, und die himmliſche Doris
Deinem zärtlichſten Engel und feiner Schönheit nachahmteſt,
Und an der Bruſt der Tugend, die edeln unendlichen Triebe
Zu vollkommner und geiſtiger Wonne dem Herzen einfloͤßteſt.
Sie zu lieben erſchufſt du auch mich, und gabeſt der Seele
Ueberſchwengliche Zärtlichkeit ein, gleichſchlagende Triebe.
Ein ätheriſcher Leib umfloß die werdenden Seelen
Fern noch vom iezigen Leib. In deinen Armen o Liebe!
Brachteſt du ſie mir lächelnd entgegen, die göttliche Doris,
Blühend wie himmliſche Auen, wie junge Seraphim zärtlich.
Liebe! du weiſt es, du ſah'ſt es! was für Bewegungen faßten
Unſere harmoniſche ganz zur Liebe gebildete Herzen,
Da ſie zuerſt ſich ſahn, und von gleicher Empfindung erhoben
Mit umfaſſenden brünſtigen Armen ſich ſchweſterlich küßten,
Da ſie auf ſanft vereinigten Lippen zuſammen floſſen
Und ſich ewig der Tugend und dir, o Liebe! gelobten.“
O! wenn Plato fie fo glühend geſchildert hat, fo muß ich Griechiſch
lernen und ihn leſen. Sie mögen einwenden, was Sie wollen; —
o wie reizend iſt dieſe Liebe! o Phantaſie! Phantaſie! du biſt es allein,
die uns die Schmerzen dieſes Lebens verſüßet, und unſern Geiſt in
Gegenden führt, wohin ihn die Vernunft nie führen kann! du er:
hebſt den Geiſt von der Erden über Sonnen empor, in Gegenden,
wo alles Himmel iſt, die Vernunft zieht ihn wieder in Staub
hernieder. Du bildeſt die ſchoͤnen Seelen und macheſt Dichter,
Mahler und Tonkünſtler! Fort, ihr kalten Köpfe! O Plato! du
führſt den Beynamen des göttlichen mit Recht! denn die groſen
Köpfe aller Jahrhunderte haben ſich mit dieſer Liebe von Menſch—⸗
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 183
heit zur Engelheit entzückt! Verzeihen Sie, liebſte Freundin, meiner
Verwirrung! nichts ſteckt leichter an! Plato iſt der gefährlichſte
und entzücken dſte Philoſoph für Frauenzimmer Seelen, er blendet
und reiſt unſere Herzen aus dem Leibe in andere Sphären hinüber!
die platoniſche Liebe iſt die ſüſſeſte Krankheit! eine Maladie der
Engel! — —
Ich habe mich einige Stunden von meinem Schreibepult entfernt
gehabt, um mich zu zerſtreuen, ſonſt hätten Sie noch viele Schwär—
mereyen leſen müſſen. Die platoniſche Liebe, wenn ſie ia exiſtirt,
wohnt nur bey Leuten von der ausſchweifendſten Einbildungskrafft
und folglich nur bey der Jugend, ſo bald der Kopf nur ein wenig
kälter wird, ſo verſchwindet ſie. Dieienigen, ſo etwa angeſteckt ſind,
kommen gar nicht aus dem Labyrinthe ihrer Imaginationen heraus,
ſie träumen und phantafieren ſich Himmel und Seligkeiten vor,
und alles in ihnen iſt voll von wollüſtiger Tugend: daher, wenn ſie
nicht bald davon curirt werden, artet ſie in die ſublimſte Andacht
aus. Petrarch iſt ein Beweis davon, man leſe einige ſeiner Sonetten.
Die Muſik und die Einſamkeit giebt ihr die ſtärkſte Nahrung: dieſes
kann man aus den Beyſpielen der Morgenländer ſehen. Dies war
die Liebe der Ritter und Feenromans. In Engelland und Italien
iſt ſie noch iezt anzutreffen.
Es iſt gewiß, daß ſie groſe Geiſter macht; aber dieſe groſen Geiſter
werden endlich Narren, ſie zanken auf alle Freuden in der Welt
und zürnen auf uns, daß wir nicht eben ſo halbe Raſende ſeyn
koͤnnen, als ſte. Sie brennt das Gehirn an, wenn ſie lange dauret.
Doch kenne ich zum größten Glück oder — Unglück faſt keinen ächten
platoniſchen Liebhaber. Petrarch bekam endlich doch auch Hunger
und ſtillte den Appetit ſo gut er konnte; dieſer hat es am längſten
184 Heinſes Werke. Erfter Band.
ausgedauert; leiden iſt hier manchmal Wolluſt, aber nicht immer.
Sie verſchwindet mit der Zeit und ins beſondre mit dem thieriſchen
Genuſſe: denn da fühlt man wieder, daß man kein Engel, ſondern
ein Erdenſohn iſt und keinen ätheriſchen Leib hat. Man mag nun
von dieſer Art Liebe ſagen, was man will; „ſie bleibet doch in ihren
Würkungen ſich allezeit ſelbſt ähnlich. Sie erweitert ihre Forderungen
ſo lange, bis ſie im Beſitz aller ihrer Rechte iſt; und die treuherzige
Unerfahrenheit iſt am wenigſten im Stande, ihr dieſe Forderungen
ſtreitig zu machen.“ (Agathon.) „Sie ſucht ſich zwar auf eine weit
zärtlichere Art zu ſättigen, aber ſie verlangt dennoch ihre Sättigung
eben ſo ſehr, als die gröbfte von allen unſern Begierden.“ (Fielding.)
Die eigentliche Quelle, woraus dieſe Liebe entſpringt, iſt doch allezeit
der thieriſche Trieb. Platoniker von der Art wie Plotinus, die ſich
ſchämen, daß ſie gebohren ſind, eſſen und trinken müſſen und einen
Körper haben, werden es freylich nicht zugeben wollen. Wir werfen
unſere verliebten Blicke auf eine Perſon, die über unſern Stand er;
haben iſt, und mit der wir folglich nicht ſo vertraut, als wie mit
unſers Gleichen umgehen dürfen; es iſt ein vollkommner Wider⸗
ſpruch, platoniſch verliebt in eine Perſon zu ſeyn, bey der wir alle
Tage unſere Aufwartung machen können. Dieſe über unſern Stand
erhabene und wenigſtens für uns unzugängliche Perſon wird ein
Engel in unſerer Phantaſie; ein einziges unbedeutendes Wort, ſo
wir von ihr hören, iſt Götterweisheit; gelingt es uns gar, einen
Kuß von ihr zu erhaſchen, ol — im Himmel find wir — weit von
der Erde — unſere ganze Seele iſt Phantaſie. —
Und ſo gelangen wir immer durch krumme Wege, nach und nach,
kriechend, gehend, laufend, ſpringend und hüpfend dahin, wohin
unſere Reiſe vielleicht, wie des Sancho Panſa mit ſeinem Eſel —
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 185
gehen ſollte. Freylich iſt das, was man unter Wegens genieſt, weit
entzückender, als was man am Ende empfängt, denn da iſt keine
Hoffnung mehr da, der Spaß iſt aus. Es gehet den Platoniſchver—⸗
liebten eben ſo, wie einem Jäger, der einen Haſen iagen will, und
auf dem Wege ein Dutzend Hirſche und eine Mandel Rehe erlegt —
das Gleichniß gefällt mir nicht, ein anders! — es geht einem ſolchen,
wie — mit einem, der, um Paris zu ſehen, nach Italien reiſt —
auch das gefällt mir nicht, hier will ich Ihnen eine ganze Reihe davon
herſetzen, leſen Sie ſich eins davon aus: — — wie dem Columbus,
der, um die Nordweſtpaſſage nach Oſtindien zu entdecken, die neue
Welt erfand — oder wie einem, der, da er in die Komoͤde geht, um
ſein Zwerchfell zu erſchüttern, die Seele erſchüttert — oder, wie
einem, der, um Griechiſch zu lernen, den Homer — oder, um Ketze—⸗
reyen aufzufiſchen, den Bayle, Helvetius, Voltaire, Rouſ—
feau* — oder wie ein iunger Auguſtinus die Bibel, um darüber zu
ſpotten, lieſt — oder wie Philippi Liskoven; oder 3* R**;
oder K* L*; oder N“ W** um ihn zu recenſiren — o! wenn ich
ins Gleichnißmachen komme, dann kann ich nicht wieder aufhören!
Zu dieſer Liebe muß man die Jugend anfeuren; das iſt der wahre
Kunſtgriff, wenn man ſchöne Seelen bilden will. Ein Herz, worinnen
dieſe Liebe wohnet, iſt vor allen Laſtern ſicher! dafür hat man nicht
zu ſorgen, daß fie das Gehirn anbrennt: denn wie ich Ihnen bes
wieſen habe, ſo kann ſie nicht von allzulanger Dauer ſeyn.
Dieſe Liebe iſt ſehr furchtſam, wird durch die geringſten Kleinigkeiten
befriediget und ihr Ausdruck iſt einfältig, edel und erhaben: fie redet
die Sprache der Empfindung, und iſt niemals witzig: groſe Gedanken,
traurige und zärtliche Bilder bringt ſie hervor.
* oder der Zuſchauer, si parua licet componere magnis!
186 Heinſes Werke. Erſter Band.
Dies iſt die Liebe, die faſt in allen Tragödien, Komödien, Romanen,
den mehreſten Liedern von den Minneſingern an bis auf unſere
Zeiten durchgearbeitet worden iſt, und noch verarbeitet wird. Viele
Menſchen leben und viele ſterben davon: es iſt alſo wohl nicht un⸗
dienlich, wenn man ihre Natur zu erforſchen ſich bemühet. Und ſo
viel davon. Ich habe iezt ſehr nöthig, Sie, liebſte Amalia, um Ver⸗
zeyhung zu bitten, ich habe mehr geplaudert, als ich mit Ihnen habe
plaudern wollen. Ich habe auch wahrhafftig den Kopf fo voll plato;
niſcher ſüßer Grillen, daß ich nothwendig aufhören muß, ſonſt ſchrieb
ich Ihnen noch einen ganzen Bogen voll Unſinn. Leben Sie wohl,
Madame, und lieben Sie mich u. ſ. f.
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 187
Liebſte Freundin.
Wir kommen in die Welt, um zu lieben, und ſo bald wir damit fertig
ſind, ſo bald iſt es Zeit, daß wir wieder daraus wandern; ohne Liebe
ſich des Lebens zu freuen, iſt eben ſo viel, als ohne Sonne, ohne Licht
ſehen zu wollen. Auf fie muß das Syſtem der menſchlichen Glück—
ſeligkeit gebauet werden, und alle Philoſophen, ſo es auf einen
andern Grund geſetzt haben, machten Luftſchlöſſer.
Die Gefchöpfe find wahrhafftig nicht würdig Menſchen zu ſeyn, die
die Pforten zum Eingange der menſchlichen Glückſeligkeit für die
Pforten der Hölle anſehen;“ fie find närriſcher als Don Quixot, der
Windmühlen für Rieſen anſah. Ihre Seele hätte ewig ein ens
simplex ohne Ideen und Gedanken bleiben können. Iſt es nicht
mehr, als waldheimiſcher Unſinn, wenn man dieſen ſchoͤnen Körper,
den uns Gott zu unſrer Glückſeligkeit gab, um ihn nicht dazu zu
brauchen, peiniget? Entweichet ihr unheiligen Verächter der Liebe
aus meiner Phantaſie! ich kann ohne Verdruß nicht an euch denken.
Die ächten Platoniker in der Liebe ſind ächte Narren. Dies iſt die
wahre glückſeligmachende Liebe, wenn man Seele und Leib an der
geliebten Perſon liebt, und dieſe Liebe iſt unmenſchlich, wenn man
nur eins von beyden an ihr liebet. Ovid und Grecourt, Plato
und Plotin verdienten die Strafe Abälards.
Dieſer wahren Liebe bedienten ſich alle weiſen Geſetzgeber um ihre Na⸗
tionen glücklich zu machen; bey iedem entſpringenden Staate brachte
man dieſes zuerſt in Ordnung, und darauf wurde das übrige gebauet.
Der Endzweck der Liebe iſt Kinder zu zeugen, und ſie und ſich glücklich
zu machen. Die mehrſten Geſetzgeber ſehen die Menſchen als Geſchöpfe
an, die mehr zum Böſen als zum Guten geneigt wären; daher ſetzten fie
S. Bayle in feinem Wörterbuche die N. J. unter Pythagoras.
188 Heinſes Werke. Erfter Band.
auch hier voraus, daß es ſolche unthieriſche und hölzerne Menſchen gäbe,
die ohne dieſe Abſicht lieben könnten; dies iſt der Urſprung der Ehe.
Ich kann Ihnen, liebſte Schweſter, die verſchiedenen Arten von Liebe,
ohne die Jungfräulichkeit zu verletzen, beſchreiben, und auch über die
Gattung, von der ich iezt rede, werde ich meine Anmerkungen machen
koͤnnen, ohne mein keuſches Herz zu bemafeln? Ich will es wagen;
Niemand ſieht es, wie ich hoffe, was ich Ihnen ſchreibe; und wir
haben ia, wie Sie wiſſen, oft von ähnlichen Dingen miteinander
geſprochen, ohne unrein geworden zu ſeyn. |
Die Mannsperſonen irren ſich wahrhafftig fehr, wenn fie glauben,
wir wären unter uns auch ſo ſittſam, ſo ehrbarlich, züchtig und
ſäuberlich; wir hätten immer ſo delicate Ohren, daß wir unter uns
eben ſo über die geringſten Kleinigkeiten errötheten, als wenn wir
in ihren Geſellſchafften ſind; ſie würden groſe Augen und noch
größere Ohren machen, wann ſie manchmal etliche Frauenzimmer
alleine von gewiſſen Dingen reden hören ſollten. Der aufrichtige
Montagne hat uns dieſes ſchon lange vorgeworfen; er ſagt mit
Recht, es ſtünde nichts im Boccaz und andern böſen Büchern,
das wir nicht alles beſſer wüßten; die Gelehrſamkeit ſteckte uns im
Geblüte, und die vortreflichen Lehrmeiſter, Natur, Jugend und Ger
ſundheit blieſen ſie uns ein.
Lucian ſpricht in ſeinem Dialog von der Liebe: die Ehe wäre wegen
der Erbſchaften entſtanden; allein ich bin hier nicht ſeiner Meynung;
er ſagt noch mehr in dieſem Geſpräche, was mir gar nicht gefällt;
und insbeſondere ärgere ich mich über das, was er den Philoſophen
einräumt. Vielleicht wollte er eine Satyre machen! allein man müßte
hier den ehrlichſten Ernſt für Ironie halten; er iſt aber ſonſt nicht
gewohnt, ſeine Ironie allzuſehr zu verſtecken.
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 189
Die Ehe iſt das nützlichſte Inſtitut, ſo nur iemals ein Geſetzgeber
machen konnte. Es iſt wahr, es ſind gewiſſe kleine Uebel damit ver⸗
bunden, welche die Philoſophen verleitet haben, auf andere Mittel
zu ſinnen, das menſchliche Geſchlecht fortzupflanzen; allein die Uebel
der Ehe find gegen die, fo aus ihren Proiecten entſpringen, unend-
lich klein; Sie können dieſe Proiecten alle in den philoſophiſchen
Republiken finden. Helvetius ſagt, die Uebel würden alle ver—
ſchwinden, wenn die Weiber gemeinſchafftlich und die Kinder dem
Staate gehörten; ich kann dieſem groſen Weiſen hier unmöglich Bey:
fall geben; das Wohl des Staates kann unmöglich beſtehen, wenn
man die kindliche und väterliche Liebe daraus verbannen will. Sie
wiſſen, wie glücklich die Chineſer ſind, alle ihre Geſetze und ihr
ganzes Glück beruht auf der kindlichen Liebe, und nächſt dieſer auf
der Höflichkeit.
Wir finden auch kein Volk auf der Erde, bey welchem die Ehe nicht
eingeführt wäre. Es giebt nun freylich verſchiedene Arten von Ehen,
bey den Türken iſt ſie anders, als bey den Chriſten; und überhaupt
verändert ſie die Natur ſchon nach den verſchiedenen Erdſtrichen.
In den warmen Gegenden werden, wie einige behaupten wollen,
mehr Menſchen weiblichen als männlichen Geſchlechts gebohren,
als in den nördlichen; und in manchen Climaten wird ein Mädgen
im 8 ten Jahre ihres Lebens mannbar, und im zwanzigſten iſt fie
ſchon unfähig, Kinder zu zeugen. Die zufälligen Geſetze des Eheſtandes
müſſen folglich auch an ſolchen Orten anders ſeyn.
Die Geſetze der Ehe, oder überhaupt die Geſetze der Liebe müſſen in
einem Staate, der erſtlich errichtet worden iſt, ganz anders beſchaffen
ſeyn, als in einem ſchon policierten.
Ich habe hierbey einige Anmerkungen zu machen, die iedem Ver—
190 Heinſes Werke. Erſter Band.
nünftigen bey den europäiſchen Geſetzen einfallen müſſen. Die
Quelle, woraus die mehrſten Uebel der Ehe flieſen, iſt die Unzer⸗
trennlichkeit derſelben; die dringendſten Urſachen, bey welchen ſelbſt
das Weſen der Ehe nicht beſtehen kann, ſind hier unzulänglich. Unſere
Richter ſchreiben oft die Erklärung ſehr billiger Geſetze mit Blute.
Selbſt bibliſche Ausſprüche werden von ihnen auf die grauſamſte
und unbilligſte Art gemißbraucht, ohne, daß ſie bedenken, ob auch das
daraus folge, was ſie daraus herleiten wollen. Die Beyſpiele, die
ich anführen koͤnnte, werden einem ieden ohnehin beyfallen.
Iſt es wohl ein Wunder, daß es noch iezt ſo viele Hageſtolzen giebt?
darf man wohl noch nach Gründen fragen, warum Philoſophen
und andere ehrliche Leute nicht heyrathen wollen? Wenn man den
erſten Schritt ins Labyrinth gethan hat, ſo iſt es unmöglich, ſich
wieder heraus zu winden; man muß durch Pfützen, Sümpfe und
Koth waden, und findet oft kein heiteres und gutes Oertgen
wieder.
Unerträgliche Grauſamkeit, Tollheit und Raſerey, Unfruchtbarkeit
und noch härtere Dinge ſind oft nicht einmal hinlänglich, die Ehe
bey uns zu trennen. Bey der Grauſamkeit eines Ehegatten ſagt
man: die Obrigkeit kann ihn ſchon zwingen es nicht zu ſeyn. Aber,
welche Ehe! o wie wenig kennen ſolche Leute die Liebe! wie wenig
müſſen ſie die Auferziehung der Kinder durchſtudiert haben! wie
wenig muß ihnen das Wohl des Staates und die Glückſeligkeit der
Bürger an Herzen liegen!
Bey der Tollheit ſagen die Herren weiter nichts, als: matrimonium
est consortium omnis vitae; fie müffen die Logik gut ſtudiert haben!
Bey der Unfruchtbarkeit wiſſen ſie gleich ſehr fromme und heilige
Reden anzubringen, ſie ſchmücken ſie mit den ſchönſten Beyſpielen
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 191
von der Rebecca J. B. Moſis am 25.; der Sara 11.; der Rachel,
39; der Anna im Samuel, und der Eliſabeth Luc. I. aus und
ſprechen, man ſollte hoffen und harren, und Mediciner und Herz
ſtärkende Mittel brauchen, und unterdeſſen verdirbt die beſte Familie.
Ich muß Ihnen hier noch eine vortrefliche Anmerkung meines ge⸗
liebten Michel Montagne herſetzen: „Wir glaubten das Band der
Ehen feſter zu knüpfen, wenn wir ihre Trennung unmöglich machten;
allein das Band des Willens und der Liebe hat um fo viel nach⸗
gelaſſen, als der Knoten des Zwanges feſter geknüpft wurde. Und
umgekehrt, die Freyheit ſie trennen zu können, erhielte ſie ſo lange
zu Rom in Ehre und Sicherheit. Die Römer nahmen ihre Weiber
in Acht, weil ſie ſie verlieren konnten; und die völlige Erlaubniß der
Eheſcheidung machte, daß ſich ihrer Niemand binnen fünfhundert
Jahren bediente; quod licet ingratum est, quod non licet acrius
urit.“ Die Türken und andere Nationen, ſo warm ſie ſonſt in ihrer Liebe
ſind, erlauben bey der geringſten Gelegenheit die Eheſcheidung; und
die Ehegeſetze find bey ihnen ſchon fo beſchaffen, daß weder den Ehe;
gatten, noch den Kindern Nachtheil dadurch wiederfahren koͤnnte.
Die zwote Anmerkung, fo ich hierbey zu machen habe, betrift die fo;
genannte Hurerey;“ das iſt, wenn ein unverheyrathetes Mädgen
einen Baſtarden zur Welt bringet; dieſes iſt in manchen Ländern
ein ſo groſes Verbrechen, daß ein ſolches armes Mädgen dadurch
ihre ganze Lebenszeit nicht allein unglücklich, ſondern auch von ſolchen
Perſonen verachtet und geſchmähet wird, die tauſendmal mehr Hurer
und Huren ſind, als ſie. Die alten Griechinnen und Römerinnen
waren hierinnen viel glücklicher, als dieſe armen Kinder; wenn man
* Man ſehe die Schrift des Hrn. Oelrichs nach, die von dieſer Materie
handelt.
192 Heinſes Werke. Erſter Band.
ihre Schwangerſchaft merkte, fo ſagten fie Apollo, Mars, Bacchus
und insbeſondere Zevs wäre Papa! Hatte ein iunger Herr das
Glück, daß man ihm ein Kind vor die Thür legte, ſo war es ein Sohn
oder eine Tochter der Frau Venus, der Muſen oder einer andern
ſchönen Göttin; und iedermann hatte Hochachtung.
Es iſt grauſam und menſchenfeindlich, wie man zuweilen mit einem
ſolchen unglücklichen Mädgen verfährt! An manchen Orten muß ſie
Kirchenbuße thun, Geldſtrafe geben, im Gefängniſſe ſitzen, und ſich
von Vater, Mutter, Geſchwiſtern, Vettern, Enkeln, Tanten, Baſen,
Schwägern, Freund und Feind, Schulmeiſter und Pfarrer aus⸗
ſchimpfen und wohl gar halb tod prügeln laſſen.
Der arme, muntere und germaniſche Baſtard weint ſelbſt voll zärt⸗
lichen Mitleids darüber, und verwundert ſich, warum doch die Leute
ſo um ihn herumſtehen und zanken, und lächelt ihnen endlich
Liebe ein.
Es iſt kein Wunder, daß die verführten Mädgen ſich ſo viele Mühe
geben, ſich die Frucht abzutreiben, und daß die tolle Barbarey des
Pöbels ſie zu der thränenvollen Grauſamkeit bringet, den iungen
Baſtarden gar zu ermorden, und vielleicht dadurch einen künftigen
Eraſmus der Welt zu entziehen. Ein ieder von den wilden Richtern,
die dieſen Fehltritt ſo hart beſtraft wiſſen wollen, ſollte die Reiſen
des Lorenz Sterne leſen, insbeſondere die Stelle, wo er mit dem
Mädgen allein auf der Stube iſt. Sie haben es empfunden, meine
liebſte Amalia, wie entzückend, wie hinreiſſend und wie philoſophiſch
dieſe Erzählung ift!*
* Hier iſt eine ſehr lange Stelle von der Cenſur vertrieben worden, und die
ſehr vortreflich für gewiſſe Leute war; dieſe ſind aber ſelbſt Schuld daran, daß
ſie ihnen nicht nutzen kann; ich kann ihnen nun nicht helfen.
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 193
Die Liebe läßt ſich eigentlich keine Geſetze vorſchreiben; man kann etwas
ohnmöglich mit Vernunft thun, was man nicht mit Vernunft thun
kann. Warum ſoll man einen ſolchen Fehltritt ſo hart beſtrafen; iſt
es denn ein ſo groſes Verbrechen, einen Menſchen dem Staate zu
geben? Ferner giebt es auch gewiſſe Perſonen im Staate, die nicht
heyrathen koͤnnen, wenn ſie auch wollten; theils koͤnnen ſie keine
Kinder ernähren, und Standes mäßig erziehen, theils können ſie
wegen ihres Standes nicht heyrathen. Man muß alſo von dieſen
verlangen, fie ſollen keine Menſchen ſeyn, bey Strafe der Kirchen—
buße und Unehrlichkeit; eine wunderliche Forderung! Man muß den
Eheſtand in Ehren erhalten, und Eheleuten allezeit mehr Ruhm er⸗
theilen, als den Hageſtolzen; aber dabey hat man doch nicht nöthig,
ein Mädgen deßwegen infam zu machen, wenn ſie einen Bürger dem
Staate liefert. Man mag ihr einen Strohkranz aufſetzen laſſen, oder ihr
ſonſt eine Strafe ertheilen, wodurch ſie ausgelacht, aber nicht infam,
unehrlich, und die Zeit ihres Lebens unglücklich wird.
Die Moraliſten ſchreiben den Perſonen, ſo ſich verheyrathen wollen,
ſo viele Regeln vor, daß ich zweifeln muß, ob dieſe Leute auch wohl
Fleiſch und Blut haben? Ich habe ſchon oben geſagt, woraus die
wahre Liebe entſteht; ich habe hier weiter nichts zu ſagen, als wie ſie
verlohren geht; und wo die Modeliebe ihren Urſprung nimmt.
Die mehrſten Ehen kommen ſelten von der Liebe her; Geld und Ehr;
geiz iſt meiſtentheils die Urſache. Man heyrathet 1000 thlr. und
nicht das häßliche alte Weib; man heyrathet die Miniſterſtelle und
nicht die Maitreſſe. Ich will hiervon nichts ſagen; dieſe Materie iſt
von Juvenalen bis auf Schwifften, und von dieſem bis auf Rabnern
und — ziemlich ſcharf verarbeitet worden; aber wie die wahre Liebe
verloren und erhalten wird, will ich noch berühren.
1 13
194 | Heinſes Werke. Erſter Band.
Die Flitterwochen ſind bekannt genug, und auch das ſo darauf folgt.
Alle Weiber ſollten ein wenig Philoſophie verſtehen, ſo würden die
Ehen nicht ſo unglücklich ſeyn. Auguſtinus ſagt zwar, (ich weis
nicht in welchem Buche, kurz ich hab' es bey ihm geleſen,) wenn wir
im Stande der Unſchuld geblieben wären, ſo würde es beſtändig ſo
geſchehen ſeyn; allein er hat auch den ſaubern Geſellen Grecourt zu
einem böſen Einfalle verführt. Vielleicht hat ihn mancher ſchon
vorher gehabt, und Grecourt war nur der erſte, der es wagte ihn
Öffentlich zu ſagen. Ein Kind, das ohne Begeiſterung, Taumel, Auf:
wallung und Aufſprudelung gezeugt oder empfangen wird, ſoll, wie
ich in ſehr philoſophiſchen Büchern geleſen habe, kein Genie und
kein Feuer mit auf die Welt bringen; ſein Gehirn ſoll aus eben ſo
dicken Theilen beſtehen, als ſeine große Fußzehe.
Anhang oder Anmerkungen zu den vorigen Briefen.
Vielleicht glauben einige von den Leſern oder Leſerinnen dieſer
Wochenſchrift, daß ich mich ſelbſt in ein Frauenzimmer verlarvt, und
dieſe Briefe deßwegen geſchrieben habe, damit ich meine Meynung
fein verdeckt ſagen und mich dann ſelbſt auf eine ſophiſtiſche Art
widerlegen konnte; dieſe Vermuthung hat viel Wahrſcheinlichkeit,
indem die Briefe ſelbſt dem Charakter gewöhnlicher Frauenzimmer
gar nicht entſprechen! Allein ſie wird wegfallen, ſobald ich Ihnen
das Räthſel werde erklärt haben.
Dieſe zwo Damen hatten eine ganz ungewöhnliche Auferziehung;
ihr Vater war ein Gelehrter vom erſten Range in Deutſchland; ein
Jüngling von groſem Genie übernahm die Hofmeiſterſtelle bey
feinen Töchtern, um in feinem beſtändigen Umgange ſich den Kopf
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 195
aufzuheitern. Sie hatten noch zween Brüder, und dieſen und ihnen
gab er faſt den nämlichen Unterricht, weil ſie es ſelbſt verlangten; ſie
ſtudierten mit dieſen Geſchichte, ſchoͤne Wiſſenſchafften, Philoſophie,
und erlernten verſchiedene Sprachen; und da die Jüngſte mehr Ver:
gnügen daran fand, ſo wurde die Aelteſte auch eher eine Frau. In
dem vorigen Jahre ſtarben ſie alle beyde. — „Dies iſt wunderbar“!
werden Sie ſagen; allein es muß Ihnen bekannt ſeyn, daß die Ge⸗
ſchichte oft unwahrſcheinlicher iſt, als die Erdichtung. — Ich kann alſo
deſto freyer über ihre Gedanken urtheilen, denn ſie ſind todt, und
leſen und hoͤren's nicht, und nehmen es folglich auch nicht übel, wenn
ich ſie vielleicht widerlegen werde.
Ich habe die Briefe ganz mitgetheilet, weil ich kein Liebhaber von
Chreſtomathieen bin. Viele von unſern Leſern und Leſerinnen werden
ſich freylich oft über Dunkelheit und Unverſtändlichkeit beklagt —
weil viele unter ihnen nichts von Genie, platoniſcher und mufa;
rioniſcher Liebe wiſſen — oder vielleicht geärgert haben, weil ſie die
Gelehrſamkeit an einem Mädgen nicht ausſtehen können.
Dieſen letztern will ich gleich eine Anmerkung über die Gelehrſamkeit
der Frauenzimmer mittheilen.
Ich verlange von keinem Frauenzimmer, daß es eine Dacier ſeyn
ſoll; „wer war denn dieſe Frau“? — Gut, daß Sie darnach fragen!
ſie war eine Franzöſin, die ſo viel griechiſch und lateiniſch konnte,
daß ſie in Athen und Rom, wie zu Hauſe bekannt war; „das iſt
viel“! freylich meine Herren! Allein iedes Frauenzimmer vom
Stande ſollte doch ſo viel Gelehrſamkeit beſitzen, als erfordert wird,
das Gedicht Muſarion mit Geſchmack — nein das iſt zu viel —
die Crebilloniſchen Romane — „was? wie? was? das wär' uns
eben recht“! — nun! wenigſtens den Hagedorn, Gleim, Uz und
13*
196 Heinfes Werke. Erfter Band.
Gellert zu lefen. Denn wenn eine Dame dieſes nicht einmal kann,
was ſoll ſie in Geſellſchaften machen? ſie wird den witzigen Perſonen
zum Spott, und den andern zur Laſt mit ihren Verläumdungen
ſeyn! „was ſoll hier Verläumdung“? — Herr Frager! Ihnen dienet
zur Antwort, daß die Unwiſſenheit — dies Wort iſt doch ein bißgen
hoͤflicher als Dummheit — blos die Quelle iſt, woraus das, was man
kleinſtädtiſch nennt, flieſſet. Man kömmt in Geſellſchaften zu⸗
ſammen, und die Unwiſſenden wollen doch auch nicht das Anſehen
haben, als wenn ſie ſtumm wären; man weis nichts, womit man
fich unterhalten könnte, als Neuigkeiten; das Lob anderer anzuhören, iſt
ſehr verhaßt, wie Helvetius richtig bemerket; daher tadelt man lieber,
um den Zuhörern angenehm zu ſeyn, und tadeln kann der dümmſte
Eſel. Das ſieht man an unſern Kunſtrichtern von Profeßion, die
Elendeſten tadeln am meiſten; der Weiſe tadelt ſelten, ſondern ſagt
neue Wahrheiten, und lehret, wo andere blos ſpotten!
Es iſt mehrentheils ein Beweis von der Unwiſſenheit der Mitglieder
einer Geſellſchaft, wenn ſie ſich mit nichts, als mit Tadel, Spott und
Verachtung anderer unterhalten können; und dies iſt eigentlich das
kleinſtädtiſche Weſen. Jede Perſon, und wenn es auch ein Bettler
wäre, wird beobachtet, und insbeſondere hat dieſes Schickſal derienige,
den man für klug halten muß. Bey dieſem verdammt und läſtert man
die unſchuldigſte Freude! Man verlangt von ihm nicht weniger, als
Herrnhuther und Pietiſten Sitten! Er ſoll weder Augen, Ohren, Naſe,
Mund, Hände noch Füße zu ſeiner Ergoͤtzlichkeit und Erholung von
ſeinen ſchweren Geſchäften brauchen; er darf nicht ſpazieren gehen,
um friſche Luft zu ſchöpfen, kein Concert anhören, nicht Tarok
ſpielen, nicht tanzen, nicht lächeln, wenn er nicht Sünder, lüderlicher
Freygeiſt und hundert Ketzernamen erhalten will; man muß wenigſtens
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 197
die dumme Miene eines ägyptiſchen Gottes annehmen, die Augen
niederſchlagen, und die Hände falten bey dem Anblick einer Schön;
heit; wenn man den Beyfall ſolcher kleinſtädtiſchen, oͤden, finſtern,
mürriſchen Köpfe, ſolcher Zaunkönigsſeelen haben, wenigſtens für
ihnen in Sicherheit ſeyn will! Mit dem Kleinſtädtiſchen iſt mehren;
theils auch Boßheit verbunden, und dies iſt das ſchlimmſte; man muß
große venetianiſche Brillen brauchen, wenn man nicht in ihre Netze
fallen will. Ich, kraft meines Zuſchaueramtes, muß — mit Zähren
in den Augen, muß ich es bekennen, daß dieſe Kleinſtädterey in
meinem lieben Thüringen noch ſehr häufig, und zwar, wider die
Wortbedeutung, mehr in den groſen als in den kleinen Städten an⸗
getroffen wird, und zwar mehrentheils bey ſolchen Leuten, die alle
Stadien der Dummheit abſolviert haben.
Sehen Sie, mein Herr, alles dieſes folgt aus der Unwiſſenheit des
Frauenzimmers! denn dieſes machet doch nach unſern Sitten allezeit
den vornehmſten Theil der Geſellſchaften aus. Daher kommen ferner
unſere barbariſchen Karten- und Hazardſpiele; die den alten auf;
geheiterten Nationen völlig unbekannt waren; nichts iſt unerträg⸗
licher, als die Langeweile, und immer kann man doch auch nicht ver;
läumden. Ich verlange daher von iedem Frauenzimmer vom Stande,
Känntniß der franzöfifchen und italiäniſchen Sprache, der ſchönen
Künſte und Wiſſenſchafften. „Warum denn eben franzsſiſch, iſt es
nicht genug, wenn es deutſch kann“? — Nein mein Herr! wir haben
im Deutſchen noch wenige Frauenzimmerſchriften; wir haben nicht
mehr, als einen einzigen guten Roman, der noch dazu nicht für
Frauenzimmer, ſondern Ariſtippe und Crebillone geſchrieben iſt; und
keine Nation iſt hierinnen reicher, als die Franzoſen. — „O, mein
Herr Zuſchauer! ſie ſind alle überſetzt“! daran dachte ich nicht, Sie
198 Heinſes Werke. Erſter Band.
haben wahrhaftig recht mein Herr! ſie ſind alle ſehr gut traveſtirt —
„und warum denn italiäniſch“? weil iede vornehme Dame billig
ſollte fingen können; und die italiäniſche Sprache iſt doch die muſi⸗
kaliſchſte in der Welt. „Das kann fie, ohne daß fie dieſelbige zu vers
ſtehen braucht“! Mein Herr Antianmerker! ein ſolches Frauenzimmer
ſchätze ich deßwegen, oder was dieſe Sache betrift, eben nicht höher,
als meine Amſel, die mir alle Morgen die Melodie eines Liedes
pfeift! „Aber mein weiſer Zuſchauer, wie wird denn das Hausweſen
beſtehen, wenn die Frau mit nichis, als Romanen, witzigen Schriſten,
Operarien und Tänzen beſchäftiget iſt“? O mein weitausſehender
Herr Frager, wer hat denn geſagt, daß ſie mit nichts, als Romanen
u. ſ. f. beſchäftiget ſeyn ſollen? wie Sie doch die Worte verdrehen
können! ſie ſollen ſich damit nach vollendeten Geſchäften vergnügen
und ergoͤtzen; ein ſolches Frauenzimmer wird weder ihrem Manne,
noch ihrer Familie zur Laſt leben; die ſchönen Künſte und Wiſſen⸗
ſchaften verfeinern die Sitten; das zänkiſche, grobe, filzige Weſen
wird verſchwinden, und der ſchlimmſte Ehemann muß mit einer
ſolchen Ehegattin einträchtiglich und friedlich leben können, und die
Auferziehung der Kinder! — o mein Herr! das wichtigſte hätt' ich
bald vergeſſen! wird unverbeſſerlich ſeyn.
Die griechiſche, roͤmiſche und überhaupt alle todte Sprachen gehören
nicht für das fchöne Geſchlecht! was fie davon zu wiſſen nöthig haben,
fönnen fie aus franzöfifchen Ueberſetzungen lernen. Ich bin deß—⸗
wegen mit dem Hrn. Hofmeiſter meiner zwo Damen gar nicht zus
frieden, daß er ſie mit dem Petron, Catull und Martial bekannt
gemacht hat! So viel zur Nachrede! Freylich hätte es Vorrede ſeyn
ſollen; doch meine Herren! Boileau, wie uns die Anecdoten—
geſchichte ſagt, machte auch allezeit den zweeten Vers vor dem erſten;
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 199
und das war doch auch ein gelehrter Mann, wie Sie wiſſen werden!
Nun folgen die Anmerkungen.
Seite 100 [160] ſagt das Frauenzimmer: „ein gelehrter Mann darf
kein gelehrtes Mädgen heyrathen, ſonſt kommen Mißgeburten in die
Welt“. Der Gedanke iſt erſtlich nicht frauenzimmerhaftig! allein es
ſind ia Schweſtern, die aneinander ſchreiben; die Leſerinnen, ſo
Schweſtern haben, werden hierwider nichts einwenden, wenn ſie
Gewiſſen und Wahrheitsliebe haben. — Dann iſt er auch nur halb
wahr; nämlich nur in dem ſeltnen Falle, wenn der Gelehrte mit
ſeiner gelehrten Frau die halbe Nacht tiefſinnig geweſen iſt, und
dann — iſt er wahr! Das Unglück iſt überhaupt nicht zu beſorgen,
denn den Brodgelehrten ſchadet dieſes nicht.
S. 101 [160]. „Die Schriftſteller find Thoren, fo für die Nachwelt
arbeiten, und nicht für ihr Jahrhundert; das Lob und der Ruhm iſt
der Sporn des Geniees und die Belohnung für Meiſterſtücke; das Lob
der Nachwelt können wir nicht genieſſen, und folglich iſt es keine Be;
lohnung“. Zum Unglück muß ich geſtehen, daß dieſer Satz wahr iſt;
allein ich muß doch noch dabey erinnern, daß ein groſes Genie vor
ſeinem Publikum entweder als vor einem Göttergericht erſcheinet,
oder als ein Gott für arme Sünder; es müßte denn ein ſolches
Publikum ſeyn, das unſchuldig ausgedachte Sätze mit dem Feuer
beſtraft; ein wildes, unzäumbares Genie wird ſich aber auch daraus
nichts machen; und folglich iſt dieſes Unerſchrockenheit und Muth,
und gar keine eigentliche Thorheit; Unvorſichtigkeit kann es ein Poli—
tikus nennen. Dieſe Eigenſchaft iſt dem Genie weſentlich; Her—
kules kämpfte mit Rieſen, und Eraſmus mit Dummkoͤpfen; ſolche
Leute denken über ihr Jahrhundert hinaus, und es iſt gut, daß der
Himmel ſolche Seelen auf die Erde herabkommen läßt.
200 Heinſes Werke. Erſter Band.
S. 103 [162]. Rouſſeau verdiente längft widerlegt zu werden; es
wundert mich, daß es die Stutzer von Frankreich nicht gethan
haben. Rouſſeau muß ein groſes Genie ſeyn, man kann es wenig⸗
ſtens daraus ſehen, daß er kühn genug war, in Frankreich zu
ſchreiben: die Weiber haben kein Genie. S. 104 [162]. Huart muß
entſchuldiget werden; man muß die Zeiten und die Nation im
Sinne haben, wo er geſchrieben hat, wenn man ihn lieſt. Er mußte
Unſinn ſchreiben, um nicht verbrannt zu werden! ein betrübter
Umſtand!
S. 106 [63/4]. Dieſe ganze Seite iſt ſehr boshaft! tantaene ani-
mis coeleftibus irae?
S. 107 [164/5]. Hier macht die Verfafferin über den Unterſchied der
Köpfe die Anmerkung: „Die Natur giebt uns etliche Pfund feine fub-
tile Materie in unſern Kopf, die wir mit unſern Sinnen zu Genie
verarbeiten müſſen; der ganze Unterſchied iſt, daß der eine ein wenig
ſubtileres Gehirn und beſſere Sinnen hat, als der andere“. Dies
iſt kein Materialismus meine Herren! wie Sie zu glauben belieben!
Unſere Ideen haben wir nun doch einmal alle im Gehirne — oder
beſinnen Sie ſich, daß Sie in andern edlern Theilen Ihres Leibes
dergleichen haben? Nun, wenn wahr iſt, daß ohne Ideen kein Genie
ſeyn kann, ſo muß auch in verſchiedenem Gehirne verſchiedenes Genie
ſtecken; denn fragen Sie nur Hallern oder Albinen um Rath, die
werden Ihnen ſagen, daß wenigſtens unſere ſinnlichen Ideen materiel
ſind. Aber aus allen dieſem folgt doch nicht, daß die Seele ſelbſt
körperlich fey; denn Sie, meine Herren, und ich auch wiſſen die
Demonſtration, daß Materie nicht denken kann, ſehr gut; Sie können
ſie vielleicht beſſer wiſſen, allein ich bin ſchon damit zufrieden, daß
ich ſie ſehr gut weis. Daß unſere Ideen im Gehirne ſtecken, und daß
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 201
dennoch die Seele ein einfaches Ding iſt, können wir armen Sterb—
lichen nicht begreifen; den Blick in unſere Seele
Caliginosa nocte premit Deus
Ridetque, si mortalis ultra
Fas trepidat.
Weder Plato, noch Gale nus haben ihr Weſen ergründen koͤnnen;
und nichts iſt wunderlicher, als wenn man aus ihrer Einfachheit
allein auf ihre Unſterblichkeit ſchlieſſen will, oder vielmehr aus der
letztern auf die erſtere. Mir armen Zuſchauer geht es eben ſo, wie
allen alten Kirchenvätern, die ſich kein ens fimplex mit ihrer ein⸗
fachen Seele denken konnten; es iſt wunderbar, daß ein einfaches
Ding nur zuſammengeſetzte und nicht einfache Dinge denken kann!
Wir kommen hier nicht weiter, und wenn wir noch ſo ſehr grübeln.
Plato ſchwärmt, Moſes Mendelſohn iſt hier ein weiſer Sophiſt,
und Voltaire bayliſirt; Cruſius pantagrueliſirt: Wolf
demonſtrirt, als wenn die Seele ein magister matheseos wäre, und
Lavater macht aus ihr, was man verlangt; wenn wir auch einmal
glauben damit weiter gekommen zu ſeyn, wehe uns dann! Das iſt
der beſte Rath: Suche in der Schrift, erwarte den groſen Lehrer Tod,
falle nieder und bete Gott an!
S. 130 [167]. Hier ſpottet die Verfaſſerin auf die Frauenzimmerbriefe;
allein die Frauenzimmerbriefe ſind es nicht allein, von denen man
nur ſagen könnte: fie find mit einem witzigen Nichts, Verläumdungen
oder Plaudereyen von nichtswürdigen Sachen angefüllt; man kann
es leider! auch von den Briefen unſerer Gelehrten ſagen; die Er;
findung der Poſten hat gleichen Nutzen und Schaden mit der Erz
findung der Buchdruckerkunſt. Mancher arme Gelehrte, insbeſondere
ein Mann, der berühmt iſt, muß ſich mit Briefen beſtürmen laſſen;
202 Heinſes Werke. Erſter Band.
——— K EEEEEEEEEESEEEEEGER
er muß ſich das einfältigſte Gewäſch, die unverſchaͤmteſten Compli⸗
mente, und oft die unbeträchtlichſten Neuigkeiten mit großen Pomp
von Worten erzählen laſſen; und zum Unglück, wenn er nicht als
unhöflich und grob will verſchrieen werden, wieder antworten, und
zwar einen ſehr weiſen Brief auf einen ſehr närriſchen ſchreiben,
wenn er ſeine Weisheit nicht verdächtig machen will; denn es giebt
Correſpondenten, die mit ihren erbettelten Briefen ſo ſehr prahlen,
daß ſie nicht anders, als mit einer Brieftaſche ihre Freunde beſuchen.
Die Anecdotenträgerey iſt ein Beweis, daß wir nach und nach wieder
in die Barberey linksum machen. Unſere gelehrte Zeitungen ſind
oft weiter nichts, als rußiſche Nachrichten von den Niederlagen der
Türken.
Die Verfaſſerin fängt auf eben dieſer Seite an, einen Panegyricus
auf die Liebe zu halten, man muß ihn ihr als einem Frauenzimmer
zu gut halten; wenigſtens bey der Stelle hat ſie recht, wo ſie mit
Popen ſagt: ein Herz ohne Liebe iſt todt, wie eine Gegend ohne
Winde.
S. 132 [169]. „Es iſt völlig falſch, wenn einige Moraliſten ſagen, die
Vollkommenheiten einer Perſon reizten uns zur Liebe“; es iſt nicht ſo
völlig falſch, Mademoiſelle! — allein fie hoͤrt's doch nicht! — die
Vollkommenheiten müſſen freylich relatif ſeyn; eine Perſon ohne
Vollkommenheiten zu lieben, iſt aber doch wohl auch ein Widerſpruch!
freylich iſt dennoch oft ein Ohngefehr der Grund der Liebe, eine halb:
geſehene Vollkommenheit.
S. 133 [169]. Das Mädgen verlangt hier ein wenig zu viel, wenn es
eben fo ſehr auf feine Schönheit ſtolz ſeyn will, als ein Mann auf fein
Genie. Das Genie koſtet ein wenig mehrere Mühe, gar viele Nacht—
wachen; das leichtſinnige Kind widerſpricht ſich ſelber, vorher ſagt
ei. ie u
Proſaiſche Aufſätze. Aus dem Thüringiſchen Zuſchauer 1770. 203
es: wir müſſen die etliche Pfund ſubtile Materie zu Genie verarz
beiten; und nun: die Natur giebt es. Man findet doch allezeit in
der Welt, daß die Frauenzimmer flüchtiger find, als die Manns⸗
perſonen. Sie hat aber dennoch darinnen recht, daß die Moraliſten
Narren find, die von den häßlichen Weibern verlangen, fie ſollen
dem Himmel noch danken, daß fie nicht fchön find, denn ſonſt würden
ſie nicht ſo keuſch ſeyn! Auf die nämliche Art kann eine Katze Gott
danken, daß er ſie nicht zum Menſchen gemacht hat, weil ſie da ihre
Freyheit mißbrauchen koͤnnte. Schönheit bleibt allezeit das Privi⸗
legium der Natur.
S. 134 [170]. Auf dieſer Seite iſt ein ziemlicher Wirrwarr von
Schlüſſen. „Wir lieben die Leute, fo anders denken, als wir“; der Satz
iſt nur halb wahr; ſie macht ſelbſt die Einſchränkung: wenn ſie
einen beſondern originellen und launichten Charakter hätten.
S. 141 [175]. Die Verfaſſerin hat hier noch den größten Verführer
zur Unkeuſchheit vergeſſen, nämlich ein wollüſtiges Gemählde. Eine
Leda mit dem umflügelnden Schwan — eine Venus im Bade,
oder im Netz mit dem kämpfenden Mars — oder ein Gemählde im
Gotteriſchen Geſchmack — lauft davon, arme Kinder! es brennt.
Zum zehnten Stück hab ich nichts anzumerken, weil die Verfaſſerin
mehrentheils recht hat, und weil einige Leſer ſich vielleicht beſchweren
möchten, ich machte ihnen noch unverſtändlichere Anmerkungen über
ihnen unverſtändliche Sachen. Nur noch eine einzige muß ich
machen.
S. 148 [179]. „Diogenes war ein Liebhaber der Lais, und zwar ver;
ſtattete ſie ihm den Zutritt umſonſt“. Ich bedaure die arme Ver-
faſſerin, daß ſie die ächten griechiſchen Dialogen des Diogenes nicht
hat leſen können, und insbeſondere die entzückenden Kapitel von der
204 Heinſes Werke. Erſter Band.
Liebe des Diogenes mit der Laidion oder Glycerion, einer Tochter
der fchönen Lais; hier iſt die Liebe eines Weiſen, fo wie in Muſarion,
bis zum ſchönſten Ideal ausgedacht, und die ächte griechiſche Liebe
abgeſchildert worden; wir fühlen hierbey, daß wir keine Griechen,
ſondern Deutſche find; fo wie ein platonifcher Liebhaher beym Ge;
nuß der thieriſchen fühlt, daß er kein Engel, ſondern ein Menſch iſt.
Nur von dem Vorwurf muß ich hier noch den Diogenes befreyen,
daß er Mutter und Tochter zu gleicher Zeit geliebt hätte; die Alten
ſelbſt beſchreiben uns zwo Buhlcrinnen, davon iede Lais geheiſſen
hat; wenigſtens muß man dieſes annehmen, wenn man die Stellen
der alten Autoren von der Lais vereinigen will.
Zum eilften Stück wag ich es nicht Anmerkungen zu machen, ich
unterwerf' es ſamt meinen iezigen Anmerkungen dem Urtheil der
Leſer.
Auſſer zur 171. [193.] Seite muß ich eine einzige machen; die Verfaſſe⸗
rin ſagt: „aber wie die wahre Liebe verlohren und erhalten wird, will
ich noch berühren“. Dieſe Berührung hat die hier ein wenig zu
ſtrenge Cenſur nicht erlaubet; die Verfaſſerin erzählte das philoſo⸗
phiſche Geſetz, ſo Lykurg, dieſen Endzweck in der Ehe zu erhalten,
den Spartanern gab; (nämlich Mann und Frau mußten einander
verſtohlnerweiſe ehelich beywohnen) und ſuchte es auf unſre Sitten
anzuwenden. — Ich habe dieſes nur deßwegen angemerkt, damit die
durch die Cenſur verurſachte Unordnung nicht allzuſehr unordent⸗
lich iſt.
Muſikaliſche Dialogen
SL N SS
Leſerinnen und Leſer!
7 Ich bin noch ein Jüngling und kaum zwanzig Jahre
Hatt. Verzeihen Sie —
„O mein Herr! wir ſehen nicht auf den Verfaſſer,
0 er mag berühmt oder nicht berühmt — vornehm oder
nicht vornehm — alt oder jung — arm oder reich ſeyn; ſondern
wir ſehen auf die Schrift! wir ſind Menſchen ohne Freunde und
Feinde; wir denken nicht, wie — unſre Lehrer; wir denken nicht,
wie Deutſche zu denken pflegen; wir haben keine verwachſenen
Köpfe, die ſich eher verbrennen ließen, als von ihren Meinungen
abzugehen; wir prüfen alles mit Vernunft, und werden Ihnen be
weiſen, wo Sie recht oder unrecht haben!“ —
„Nonum prematur in annum! Laſſen Sie Ihre Schrift neun Jahre
liegen, Herr Autor!“
Nicht à la Montagne!
„Was geht es uns an, ob Sie alt oder nicht alt ſind! Was geht das
uns an? Montagne hatte das Recht allein, à la Montagne zu ſchrei—
ben.“ —
„Sie ſind ein Jüngling? Es iſt mir lieb, daß Sie uns das ſagen!
SSN
208 Heinſes Werke. Erſter Band.
Wir fällen ſchon zum Voraus ein gütiges Urtheil von Ihrem Buche.
Ein Jüngling! Welche ſüße Gedanken erweckt dieſer Name in
unſern Herzen, Jüngling! — Sie ſind uns lieber, als Mann und
Greis, wenn Sie nur einige von den Eigenſchaften haben, die wir
an Jünglingen lieben. O waͤren Sie feurig! blühend in Ihrer
Schreibart! voll von gewagten und kühnen Gedanken! bisweilen
ein wenig unbeſonnen! beißend, witzig bei denen, die ſich für große
Philoſophen halten, und — waͤren Sie leichtfertig genug, mit Cre—
billonſchen, Lafontainſchen, Grecourtſchen, oder überhaupt mit ſolchen
naiv ſchalkhaft geſagten Jünglingsgedanken uns zu zwingen, Ihre
Schrift verſtohlen und heimlich zu leſen, dann würden Sie das für
unſere Seelen werden, was ein wohlgemachter Jüngling und ein
ſchöͤnes Mädchen für Leib und Seele iſt! Wenn Sie nur einige von
dieſen Eigenſchaften haben, ſo wollen wir bei Ihren Fehlern die
Finger vor die Augen halten. —“
„Sie ſind ein Jüngling, und ſchreiben Dialogen über die Weisheit?
Zu welcher Klaſſe von Philoſophen wollen Sie ſich zaͤhlen laſſen?
Denn jeder Jüngling muß noch Anhänger und Schüler ſeyn. Sind
Sie — — — — — — — — — — — Anhänger? Das müſſen
Sie uns ſagen, eher können wir Sie weder loben noch tadeln! —
Sie können von Glück ſagen, wenn Ihnen Ihr Genius eingegeben
hat, die arithmetiſche Muſik zu vertheidigen! Denn dann werden
Sie durch uns gelobt, und aufgemuntert, ferner in Ihren mufiz
kaliſchen Rechnungen fortzufahren.“
O meine Herren (denn die Beſten waren gewiß keine Damen), laſſen
Sie mich doch zum Worte kommen. Ich kann Ihnen allen nicht
auf einmal antworten, da Sie ſo verſchiedene Betrachtungen und
Lehren bei dem offenherzigen Bekenntniſſe: Ich bin ein Jüngling —
Muſikaliſche Dialogen. 209
gemacht und gegeben haben. Erlauben Sie mir ein wenig partheiiſch
zu ſeyn! Ich bin ein Jüngling, dem nicht alle — Mädchen gleich
wohl gefallen. Ich habe leider mein natürliches Herz noch nicht ſo
ſehr mit der Moral todtbeizen und dazu zwingen können, alle Men—
ſchen wie mich ſelbſt zu lieben; das iſt verdollmetſcht — alle Men;
ſchen mit gleichem Grad der Liebe zu umarmen. — Ich könnte zwar
zu meiner Vertheidigung den Ort anführen; dieſer ſagt: du darfſt
niemand ſo ſehr als dich lieben, denn niemand hat dir ſo viel Dienſte
erwieſen, als du dir ſelbſt — Allein dieſer Mann war gar nicht
fromm! Man kann leicht daraus einſehen, wie tief er noch im Argen
verſunken war, er ſollte aus — drei Mädchen ſich nehmen, die ihm
am beſten gefiel, und er nahm — was meinen Sie wohl — alle
drei! — Doch ich darf nicht zu weitlaͤuftig ſeyn!
Kurz, ich antworte denen zuerſt, deren Betrachtungen mir am beſten
gefallen haben, die ſagten: — es iſt uns lieb, daß Sie noch Jüng—
ling ſind.
Fleiſch und Blut ruft bei mir, wie Shakeſpears Baſtard: Natur,
du biſt meine Göttin, dir will ich dienen! und der Geiſt antwortete
denen zuerſt, die am aͤrgſten ſchrieen, die du am erſten hörteft: das
thu' ich nicht! O junger Herr! ruft, ſpricht Fleiſch und Blut der
Geiſt: — wie wird es dir ergehen! ſo renn' in dein Verderben! ich
habe dir's geſagt! ich habe dich gewarnt! fo renn' in dein Ver—
derben! —
Meine liebſten Mädchen, Damen und Jünglinge! — das ſind Sie —
ja das ſind Sie! — Es waͤre ein Wunder, wenn niemand gewiß
das Öffentlich ſagen könnte; heimlich denken's alle niemals, aber
ſagen dürfen ſie's wohl, daß Sie gern die Schriften der Jünglinge
leſen —
1 14
210 Heinfes Werke. Erſter Band.
Meine liebſten Mädchen, Damen und Jünglinge, Ihnen mit dieſer
Schrift Vergnügen zu machen, und Sie bisweilen zu unterrichten —
(verzeihen Sie dieß unbeſonnene Wort, ich bin ſo bequem, daß ich
nicht gern ausſtreiche, was ich einmal geſchrieben habe!) — war
meine Hauptabſicht.
Ich glaube, daß dieſe Dialogen den mehrſten verſtändlich ſeyn wer—
den; ſollten einige unter Ihnen ſeyn, die ſie nicht verſtünden — Ich,
ſage kein Wort mehr davon und empfehle mich allen.
Sie fordern Grecourtſche, Crebillonſche und — — — iſche naive
Gedanken — O meine lieben Frauenzimmer, Sie verlangen zu viel
von einem deutſchen Jünglinge als Autor! Unſre Moral iſt hart,
ſehr hart! ſtrenge, ſehr ſtrenge! Unſre Moraliſten erlauben zwar die
Priaperien Petrons, Katulls, Martials, Anakreons, Ariſtophans,
Ovids, u. ſ. f. (Das find ſechs Schriftſteller der Römer und Grie—
chen, die die Lehrer der Bokaze und Grecourte waren, und ſie weit
im Bokaziſchen übertreffen!) Dieſe erlauben ſie alle zu leſen, Tag
und Nacht ſie zu ſtudiren, wie ein heiliger Kirchenvater Chryſoſto—
mus den Ariſtophan. Allein im Deutſchen können ſie nicht erdulden,
was ſie im Griechiſchen und Römiſchen mit Entzückung leſen.
Wenigſtens öffentlich! — Heimlich leſen fie ihre Schriften von der Art
mit der größten Begierde; fie verſchlingen fie! Unſre Moraliſten find
die größten Heuchler! es iſt keinem zu trauen. Sie müſſen aber auch
Heuchler ſeyn, wenn ſie den gewöhnlichen Charakter eines ſtrengen
Moraliſten behaupten wollen. Von ſolchen Gedanken darf ich nicht
viel in meine Schrift bringen; wenigſtens müſſen ſie ſehr verſteckt
ſeyn, daß ſie ſolche nur allein finden können. —
Nun zu den Maͤnnern ohne Freunde und Feinde ein Paar Woͤrtchen!
Ich bedaure es von ganzem Herzen, meine Herren, daß ich weder
Muſikaliſche Dialogen. 211
Ihr Freund noch Feind ſeyn kann, da Sie weder Freunde noch
Feinde haben können. Ich will aber doch einmal die Saͤtzchen ein
wenig betrachten, die Sie mir zu ſagen die Gütigkeit gehabt haben.
1) „Wir ſehen nicht auf den Verfaſſer, er mag berühmt oder nicht
berühmt ſeyn.“ — O ſchämen Sie ſich, eine ſolche weltbekannte In;
wahrheit als Wahrheit mir ins Geſicht zu ſagen, mir! der ich Sie
ſo gut zu kennen die Gelegenheit gehabt habe. Sie mit Erfahrungen
und Beiſpielen zu widerlegen, würde zu beleidigend ſeyn; allein die
Hand aufs Herz! — Sehen Sie nicht gleich nach dem Namen und
dem Charakter des Verfaſſers, wenn Sie ein Buch in die Hände
bekommen? Iſt einer als witziger Sinndichter berühmt, und Sie
bekommen einige Sinngedichte von ihm zu cenſiren, und wenn ſie
Spitzen haͤtten, wie Schüſſeln, ſie müßten martialiſch ſeyn alle, keins
ausgenommen. Iſt einer als ein guter Odendichter bewundert
worden: wer von Ihnen unterſteht ſich, eine neue Ode von ihm zu
tadeln? Iſt einer als Satyrenſchreiber berüchtigt, und wenn er das
fadeſte Zeug in die Welt ſchickte, er muß Swift und Buttler, Horaz
und Pope und Boileau, Juvenal und alles ſeyn. Wie vielmal ſind
Sie nicht mit falſchen Namen hintergangen worden? Schreibt gar
ein Herr von etwas — Gott! welch ein Lärm iſt dann!
2) „Alt oder jung“ — Das iſt nicht gut, daß Sie nicht darauf ſehen!
Allein ich muß Ihnen antworten, daß Sie nur gar zu ſehr darauf
ſehen. Denn den alten Skribenten beten Sie nach, und den jungen
bringen Sie in die gewöhnliche Fuhrſtraße, wenn er auf den Helikon
ſteigen und einen Beſuch beim Apollo, den Muſen und Grazien
machen will.
3) „Arm oder reich!“ — Ich weis nichts von reichen Skribenten.
In Deutſchland giebt es keine reichen Skribenten. Darauf kann
14 5
212 Heinſes Werke. Erſter Band.
ich Ihnen nicht antworten. Was aber den armen betrifft: ſo ſuchen
Sie es mit allem Fleiße dahin zu bringen, daß er nie reich werden
kann.
4) „Wir denken nicht wie unſre Lehrer!“ Warum ſchreien Sie aber
ſo ſehr, wenn ein Autor etwas neues ſagt? Warum verketzern Sie
ihn? Warum holen Sie Reſponſa von allen theologiſchen Fakul—
täten?
5) „Wir denken nicht, wie Deutfche zu denken pflegen.“ — Sehr
lieb wäre mir das! Erinnern Sie ſich an das Sätzchen, wenn Sie
die Recenſion zu dieſen Dialogen machen wollen.
6) „Wir prüfen alles mit Vernunft!“ — Meine Herren, Sie ſind
zu ſehr Kunſtrichter, wenn Sie alles mit Vernunft, mit kalten
Köpfen recenſiren! Alſo kann ein Sophokles, ein Shakeſpeare,
ein Voltaire keine Leidenſchaften in Ihnen erregen? Wie bedaure
ich Sie, daß Ihnen die Natur das Herz verſagte! Allein Sie wider—
ſprechen ſich beſtaͤndig; Sie ſagen immer, man muß ſich in die Lage
der handelnden Perſonen ſetzen, ſich mit der ganzen Phantaſie hinein:
denken. — Ich empfehle mich Ihnen, wenn Sie auch nur das thun
ſollten, was Sie verſprochen haben. —
„Nonum prematur in annum; laſſen Sie Ihre Schrift neun Jahre
liegen!“ — Das iſt zu arg, mein Herr! Neun Jahre ſollen die Kinder
der Seele Zeit reif zu werden brauchen, als die Kinder vom Weibe
geboren? Neun Monate nach der Ausrechnung der Kirchenvaͤter,
welche dies Ding gar gut verſtunden, und nach der gutherzigen
Rechtsgelehrten Meinung find ſchon ſieben Monate bei dieſen hinz
länglich, und Sie verlangen bei den Kindern des Geiſtes neun
Jahre?
Im Ernſte! Nichts wird von den Herren Kunſtrichtern mehr gemis⸗
Muſikaliſche Dialogen. 213
braucht, als dieſe Regel, die Horaz aus Scherz ſagte. Eine Schrift,
die im Anfange nichts taugt, wird niemals gut, vielmehr nach der
Länge der Zeit immer ſchlimmer werden.
Sinus- und Tangenten-Berechnungen können liegen, fo lange man
will; dieſe Ausrechner ſind Handwerker, und können keine Kinder
des Geiſtes hervorbringen, da kein Genius in ihren Köpfen lebt.
Dieſes gute Regelchen iſt zwar nicht ein ungezweifelter Lehrſatz ges
worden, und man wird mich als einen Freigeiſt ſehr züchtigen, daß
ich es gewagt habe, deſſen Wahrheit verdächtig zu machen.
Ich will nicht läugnen, daß es gewiſſe Schriften gebe, wobei das
nonum prematur in annum Statt finden könne, z. B. bei philoſo—⸗
phiſchen Syſtemen, die für die ganze Welt und für alle Zeiten ge—
ſchrieben werden, Geſchichten u. ſ. f. Allein es giebt auch andere
Schriften, die durch das lange Liegen viel verlieren; insbeſondere
kann dieſe Regel nicht Statt finden bei Büchern, die für das gegen;
wärtige Publikum beſonders geſchrieben ſind.
Ferner gehören dahin Gedichte, und alle Werke der fchönen Künſte,
die im Taumel müſſen geſchrieben werden, z. B. die Ode:
Im Taumel der Begeiſterung, geſchwind
Verfertigt man das Seelenkind,
Womit Tyrtäus Feinden drohte,
Horaz Auguſten ſang,
Und Sappho Männer Herz bezwang,
Und Pindar lohnte — die Ode.
Ich will offenherzig geſtehen, daß ich ohnmoͤglich neun Jahre, ja
nicht einmal neun Monate an einer Schrift arbeiten kann; ich kann
den Genius, der mir im Kopfe ſteckt, nicht dazu zwingen; die Kunſt⸗
richter mögen ihn dafür züchtigen! —
214 Heinſes Werke. Erſter Band.
„Nicht à la Montagne!“ — Alſo iſt das à la Montagne, wenn man
ſagt: ich bin noch ein Jüngling? Leider! iſt es ſo weit gekommen,
daß die Schriftſteller, die offenherzig ihren Leſern die Wahrheit ſagen,
ſeltne Phänomene find, und daß man unter den Centillionen Schrift—
ſtellern nur den Montagne als einen Mann citiren kann, der die
Wahrheit ſagte, und ſeine Seele abſchrieb. Unſre mehrſten Autoren
werden deswegen nicht Originale, weil ſie ihre Köpfe für zu ſchlecht
zum Abſchreiben halten; ſie machen ſich alſo fremde, lügen und
kriechen in andrer Leute Köpfe, und ſchreiben dieſe ab. Daher kann
man die wundervolle Erfahrung erklären, daß alle neuern Koms—
dien und Tragödien einander wie Puppen gleichen; daß unſre Sym—
phonien und Liedermelodien alle einerlei Wendungen haben; daß
unſre Logiken, Metaphyſiken, Moralen, Politiken, Dogmatiken
alle verſchiedene Worte und — einerlei Wortgedanken enthalten;
daß unſre Bauern noch immer ſo über die Advokaten, wie nach dem
dreißigjaͤhrigen Kriege, klagen; daß unſre Damen Friſuren tragen,
als wenn fie ſich einander ſelbſt laͤcherlich machen wollten; daß die
Deutſchen gute Soldaten find. Daher kommt es ferner, daß die
Franzoſen, wenn fie einen Deutſchen ſehen, ſagen: c’eft un Alle-
mand! Die Sprache der Leidenſchaften iſt daher faſt den mehrſten
Deutſchen unverſtaͤndlich, weil fie die Leidenſchaften nie gefühlt haben,
und weil ihnen ihre Moraliſten auf das feierlichſte verbieten, ſie zu
fühlen. Daher glauben die deutſchen Kunſtrichter: ein Autor koͤnne
die Sprache der Leidenſchaften gut ſprechen, ob er ſchon oft nicht
das A. B. C. davon verſteht. b
Kaum ſagte ein berühmter weiſer Mann: ein Philoſoph muß den
Menſchen ſtudiren; gleich ſchrieen alle Journaliſten: das Studium
des Menſchen iſt die beſte Philoſophie. O Philoſophie der Emp—
Muſikaliſche Dialogen. 215
c —————— — — — — — — — — — ——
findung! Und die mehrſten von dieſen Herren glauben oft in
einer Schrift Philoſophie der Empfindung, Kenntniß des Men—
ſchen zu finden, wo nichts weniger als dieß anzutreffen iſt; ſie
ſehen, gleich dem fahrenden Ritter von Mancha, Windmühlen für
Rieſen an.
Kömmt aber ein Autor, der die Menſchen, männliche und weibliche
Seelen und Herzen, von Jugend auf auszuforſchen und kennen zu
lernen geſucht hat, und vielleicht ſie ſo gut kennt, als ein deutſcher
Mann ſie kennen kann, ſo verketzern ſie ihn, und erzürnen ſich, daß
der Mann ihnen was lehren will; denn ein Kunſtrichter muß mehr
wiſſen, als ein Autor! und das von Rechtswegen.
„Ein Jüngling muß ein Anhänger und ein Schüler ſeyn!“ — In
Deutſchland iſt es was bekanntes, daß ein Schulkonrektor einen
Autor, deſſen Genie er vielleicht hat halb verdorren laſſen, für ſeinen
Anhänger ausgiebt, und wenn er berühmt wird, gleich ſagt: den
hab' ich auch zum großen Mann gemacht. Das Genie muß ſich ſelbſt
nähren; unter tauſend Lehren iſt kaum eine, die ihm behaglich iſt;
Meditation und eignes Studium macht es fruchtbar, und die Ge—
ſpraͤche einer Geſellſchaft von Perſonen, die verſchiedenen Charakter
und einen guten sens commun haben, nützen ihm mehr, als ein
Dutzt Compendien der Philoſophie.
Nur von Sokraten kann man behaupten, daß ſie Platone, Ariſtippe,
Zenophone und Antiſtheneſſe gebildet haben. Allein Sokrates war
ein anderer Mann, ein Philoſoph von einer andern Art, als —
meine Herren ich weis nicht mehr, was ich im Sinne hatte; eben
ſchrieb ich dieſe Vorrede in einer Laube, und wie ich hieher kam,
hält mir meine Kloe die Augen zu; Sie werden mir doch nicht übel
nehmen, daß ich bei meiner Kloe die Folge von dem Woͤrtchen: als,
216 Heinſes Werke. Erſter Band.
vergeſſen habe? Jezt ſingt ſie wieder einige vortreffliche deutſche
Liederchen. O wenn fie doch Rouſſeau und Jomelli fingen hörten!
wenigſtens Jomelli! Ach fie ſingt fo ſchön, daß ich mit meiner Vor—⸗
rede aufhören muß!
Leben Sie wohl, und ſeyn Sie nur ein wenig gnaͤdig und warm;
herzig gegen
Ihren
unterthänigften, gehorſamſten, erge—⸗
benſten Diener, Knecht und Sklaven
und Verehrer, der keinen Titel hat,
ſondern ſchlechtweg heißet
Wilhelm Heinſe.
N
8 88
Vorrede zum erſten Dialog
über muſikaliſches Genie.
Rouſſeau und Jomelli.
ie dieſe zwei Herren zuſammen gekommen ſind, aus
welcher Sprache ich dieſen Dialog überſetzt, und wo—
her ich ihn ſelbſt erhalten, könnte ich meinen Leſern
I gleich fagen; denn alle Umſtaͤnde davon find mir be;
kannt. Allein da ich weis, daß man in meinem lieben Vaterlande
gar nicht viel auf ſolche Nachrichten haͤlt, und ſie auch nichts zur
beſſern Verſtaͤndlichkeit dieſes Geſprächs beitragen würden: fo will
ich dieſes alles übergehen, und zu den kleinen Vorerinnerungen
ſchreiten, welche den Inhalt ſelbſt betreffen.
Der Hauptendzweck der Muſik iſt die Nachahmung oder vielmehr
Erregung der Leidenſchaften. Aus der Erfahrung weis man, daß
die Melodie das Mehrſte dazu beiträgt. Die Melodie muß folglich
etwas aͤhnliches von den Leidenſchaften in ſich haben; und worin
dieſes Aehnliche beſtehe, muß ein muſikaliſches Genie wiſſen. Dieſe
Wiſſenſchaft kann ihm unmöglich angebohren werden; alſo muß man
218 Heinſes Werke. Erſter Band.
ſie aus der Erfahrung lernen. Wie dieſes zu bewerkſtelligen ſey,
glauben unſere Theorienmacher der ſchoͤnen Künſte und Wiſſen—⸗
ſchaften vollkommen zu wiſſen. Allein, meine Herren! man glaubt
ſehr ſelten was Wahres! Die Regel, die Sie dazu gegeben hatten,
ſchien mir ſo leicht auszuüben zu ſeyn, daß ich mich oft darüber ver—
wunderte, daß es doch ſo wenig muſikaliſche Genies gebe, da man
nach Ihrer Meinung ſo leicht eins ſeyn könnte. Sie kam mir ver—
daͤchtig vor. Ich las alle muſikaliſche Schriften nach, die ich nur
haben konnte; allein keine unter allen dieſen ſagte etwas anders;
ich mußte alſo denken, Sie hätten ſich abgeſchrieben, und wurde noch
mehr in der paradoxen Sache beſtaͤrket: man ſchreibe nach der Er;
findung der Buchdruckerkunſt mehr ab, als vor ihr! Nach dieſem
erſchien das muſikaliſche Wörterbuch von Herrn Rouſſeau. Kein
Menſch konnte begieriger ſeyn, es zu leſen, als ich. Ich fing an zu
leſen; allein wie war ich in meiner Erwartung betrogen, als ich auf
der dritten Seite die naͤmliche Regel fand!
„O Herr Ueberſetzer! immer von der Regel! Was iſt es denn für
eine? wir wiſſen ja ſonſt nicht, was Sie haben wollen.“ Wie uns
die Phantaſie taͤuſchen kann! Ich dachte, jeder wüßte ſie, weil ſie in
allen Büchern ſtünde. Hier iſt ſie! „Man muß ſich Melodien in dem
gewöhnlichen Diſcour der Menſchen, in der Deklamation der Per—
ſonen, die ſich in Leidenſchaft befinden, ſuchen!“ oder wie Rouſſeau
ſagt: „Le Chant melodieux n'est qu'une imitation paisible et ar-
tificielle des accens de la voix parlante ou passionnee.“ Oder
wie Diderot, nach Anführung einiger vortrefflichen lyriſchen Verſe:
Qu’ on abandonne ces vers à Mademoiselle Dumeni; voila, ou
je me trompe fort, le desordre qu'elle y repandra; voilà les sen-
timens, qui se succederont dans son ame. Voilà ce que son
Muſikaliſche Dialogen. 219
genie lui suggerera et c'est sa declamation que le musicien doit
imaginer et écrire.
Herr Ramler und Herr Moſes Mendelſohn und Herr — u. ſ. w.
ſagen das Nämliche.
Es wäre höchft wunderbar, wenn nichts Wahres in der Regel ſeyn
ſollte, da fie die größten Kenner des Schönen, des Vortrefflichen,
des menſchlichen Ohres und Herzens gegeben haben!
Vor wenigen Wochen bekam ich folgenden Dialog zu leſen, und
wurde ſehr vergnügt, da Herr Jomelli dieſe allgemeine Regel für
unrichtig ausgab. Herr Rouſſeau machte ihm alle nur mögliche
Einwendungen, als ein aͤchter griechiſcher Sophiſt; allein endlich
gab er ihm doch Recht. Ich will es dem Urtheile der Leſer über—
laſſen, ob es ihm zur Schande gereiche oder nicht. Dieſe werden es
am beſten einſehen, welche fein vortreffliches muſikaliſches Wörter;
buch geleſen haben.
Meine wahre Meinung davon zu ſagen: ſo glaube ich, daß dieſe
Regel ihren Urſprung aus der griechiſchen Muſik habe. Bei dieſer
Nation ſollte alles ſchön ſeyn. Schneider, Schuſter und Töpfer ge—
hörten mit unter die Klaſſe der Künſtler. Und in ihrer Theorie der
fchönen Künſte und Wiſſenſchaften hatte man ein beſondres Kapitel:
Von der Idealſchoͤnheit der Ofengabeln. Es war alfo kein Wun—
der, daß ſie ſelbſt die gewöhnliche Ausſprache der Worte im ge—
meinen Leben zu einem Theil ihrer Muſik machten. Redner und Ge;
dichtableſer mußten ein Ideal von Schönheit dieſer Ausſprache
haben, worüber weiter nichts gehen durfte. Sie gelangten in allen
ihren Künſten beinahe bis zum höchſten Grade. Ihre Sprache war
überhaupt ſehr muſikaliſch. Wir konnen uns keinen Begriff mehr
davon machen, weil wir die achte Ausſprache nicht eher erhalten
220 Heinſes Werke. Erfter Band.
fönnen, als bis wir einmal die Aſpaſia und Lais wieder reden
hören.
Man iſt alſo gezwungen zu glauben, daß ſie ſelbſt in ihrer gewöhn—
lichen Rede eine Melodie hatten, die aber freilich noch ganz roh ſeyn
mußte; aus dieſer entſtand die Deklamation, und aus dieſer hin—
wieder der Geſang.
Allein unſre gothiſchen Sprachen und die griechiſchen ſind himmel—
weit unterſchieden. Wer kann nur die geringſte Spur von Melodie
in unfrer natürlichen Rede finden? Doch man kann die ganze Aus;
führung in dem Dialog ſelber leſen.
Noch eine Vorerinnerung! Man bürde mir aus der Philoſophie der
Herren Rouſſeau und Jomelli nicht auf, was ſie wider Deutſchland
geſagt haben. Was kann ich armer Ueberſetzer dafür, daß dieſe großen
Leute ſo wanken! Ohne das Ganze zu verſtümmeln, mußte ich alles
beibehalten. Sie werden das Unbillige in ihrem Urtheil in der Folge
dieſer Dialogen widerlegt finden, zum Theil auch nicht, je nachdem
es die redenden Perſonen für gut erachten. Nun nichts mehr vom
Vorberichten; es dürfte doch nicht eher verſtändlich ſeyn, als bis Sie
den Dialog ſelbſt geleſen haben, womit Sie nun den Anfang machen
können.
a
Erſter Dialog.
Vom muſikaliſchen Genie und von der
pathetiſchen Muſik.
J. J. Rouſſeau und N. Jomelli.
Jouſſeau. Welch ein Mann find Sie! Was für
ein Geiſt muß Sie beleben, und Ihnen dieſe bezau—
bernden Geſaͤnge eingeben? Ja, wie entzückend fang
Eliſa:
Alla selva, al prato, al fonte
Io n’andrö col gregge amato:
E alla selva, al fonte, al prato
L’idol mio con me verra.
In quel rozzo angusto tetto,
Che ricetto a noi dara,
222 Heinſes Werke. Erſter Band.
Con la gioia, e, col diletto
L' innocenza al berghera.*)
Mit welchen wollüſtigen Accenten floſſen dieſe reizenden Gedanken
aus dem holdſeligen Munde der Maſi Ginea! Ein einziger Accent
war mächtig genug, das ganze Syſtem, fo ich von der Vortrefflich—
keit des natürlich wilden Zuſtandes des Menſchen gemacht, aus
meinem Kopfe wegzuzaubern! Ich bewundere in Ihnen den goͤtt—
lichſten der Sterblichen! und der Muſen Liebling, den Metaſtaſio,
nach Ihnen! Ich bin außer mir! Wer kann der hinreißenden Ge;
walt der Muſik widerſtehen? Ich bin trunken von Wonne! Nein,
die Muſik iſt keine von den unglückſeligmachenden Erfindungen der
Menſchen!
Jomelli. Sie ſind ein außerordentlicher Mann! Ich weis nicht,
unter welche Klaſſe ich Sie ſetzen ſoll. Wie heißt der Mann, welcher
Ariſtipp und Diogen zugleich iſt? Ohne Zweifel Rouſſeau! Man
hat mir ſo viele wunderliche Dinge von Ihrem Charakter erzählt,
daß ich noch über das Compliment ſtaune, ſo Sie mir gemacht haben.
Kann ein ungeſelliger Mann ſo gut die ächte Hofſprache wiſſen?
Kann ein ſo großer Weiſer die Werke eines ſchwachen Sterblichen
bewundern?
Rouſſeau. Man ſagte Ihnen eine große Unwahrheit, liebſter So;
melli, da man mich unempfindlich nannte; ich wünſche vielmehr, die
Natur wäre nicht allzugütig gegen mich geweſen; fie hat meinen
) Im Haine, auf Wieſen, an Quellen, werd' ich mit der geliebten Heerde
gehen; und in dem Haine, an Quellen, auf Wieſen wird mein Amyntas bei
mir ſeyn.
Das Glück mag uns die ſchlechteſte Schäferhütte geben, die Unſchuld wird
mit Freuden und Wolluſt da wohnen.
Muſikaliſche Dialogen. 223
Leib mit den zaͤrteſten Nerven durchflochten, und meinem Herzen
feines Gefühl gegeben. Die Tyrannei, der Pfauenſtolz, die Unver—
ſchaͤmtheit der Großen, die ich das Unglück hatte kennen zu lernen;
die Eſelsdemuth, die Liebe zur Sklaverei, der Betrug, Geiz, und die
Unglückſeligkeit der Niedrigen und Kleinen dieſer wunderbaren
Erde war mir unausſtehlich. Ich ſonderte mich von dieſen aus—
gearteten Enkeln Adams ab; und wer will es mir verdenken, daß
ich nicht beſtändig vor Schmerz, Verdruß, Mitleiden und Zorn krank
ſeyn wollte? Ich lebe einſam und frei, mitten unter Laͤrm und
Sklaverei, und erfülle die Pflichten eines Weltbürgers. Für den
elenden Pöbel wurde ich unempfindlich, ich geiſſelte und beſtrafte
ihn für den Verdruß, den er mir verurſacht; allein ich wurde kein
Menſchenfeind. O ich ſchaͤtze bis zum Enthuſiasmus die wenigen
Edlen unter ihnen hoch!
Ich verehre die Verdienſte, wo ich ſie finde. Der Menſch, welchen
die Geburt auf den Thron, oder in den Schoos des Reichthums ge—
ſetzt hat, iſt mir eben ſo verachtungswürdig, wenn er keine Ver—
dienſte, keine ſeinem Charakter aͤhnliche Eigenſchaften hat, als der
Bettler, der Dieb, der ihn beſtiehlt. Genie und Charakter adeln,
nicht Geburt! Sokrates, Cicero konnten ihren Kindern nicht das
feine Gehör, die immer aufſchaͤumenden Lebensgeiſter, die em;
pfindlichen Nerven mittheilen, die ſie ſelbſt hatten! — Warum ſetzte
der Schöpfer keine Familie von Engeln, keine Gattung von er—
habenen Geſchöpfen unter das menſchliche Geſchlecht, damit es von
ihnen könnte regiert werden? Wie glücklich würden wir dann ſeyn!
Kein Ochſe, kein Pferd, kein Eſel und kein Hund gehorcht einem
Gefchöpfe von feiner Art; dem Menſchen aber gehorchen fie! Warum?
Sie wiſſen, daß er ein edleres Geſchöpf ſey, als ſie. Und wir ſollen
224 Heinfes Werke. Erfter Band,
andern Menſchen gehorchen? Menſchen, die nicht die Verdienſte,
das Genie und die Talente haben, die wir beſitzen? Sind wir nicht
auf dieſe Art unglückſeliger, als die Thiere? Sehen Sie, das iſt
die Quelle des menſchlichen Elends! Eine Familie von Engeln unter
dem menſchlichen Geſchlechte würde uns glücklich machen. Pedan—⸗
ten, finſtre Gefchöpfe, die die Welt nur aus ihrer Studirſtube kennen,
tadeln den großen Sohn Philipps, das erhabene Genie, welches ein
Ariſtoteles bewachte, — daß er ſich für einen Gott ausgab; er wollte
dadurch das Joch, ſo er den Sterblichen, um ſie wider ihren Willen
glücklich zu machen, auflegen mußte, ertraͤglich machen! Alle die
großen Alten, die der Himmel beſtimmte, über Andre zu herrſchen,
bedienten ſich dieſer unſchuldigen Lift. Einfältige würden nicht fo
ſehr über die Beherrſcher von Mexiko“) lachen, die ſich für Kinder
der Sonne ausgaben, wenn fie dieſes nur ſeyn könnten. Sie kann—⸗
ten das menſchliche Herz beſſer, als unſere Stubenphiloſophen!
Wenn wir einmal in Geſellſchaft leben, ſo müſſen wir auch einen
Beherrſcher haben; denn die Freiheit iſt ſonſt das unertraͤglichſte
Joch! Allein einen Beherrſcher, der an Genie und vortrefflichen
Eigenſchaften alle die, welche ihm gehorchen ſollen, übertrifft; mit
dem nicht noch tauſend Andre die Tyrannen des Volks ſind. Bei
einem ſolchen werden die Menſchen glücklich ſeyn! — Ich verwun—
dere mich ſehr, daß die Gelehrten meine Gedanken über die Ungleich—
heit der Menſchen nicht für eine Satyre haben annehmen wollen.
Allein ich bin vielleicht ſelbſt daran Schuld geweſen, indem ich zu
*) Ohne Zweifel ſtammten dieſe von einem Paar ſchiffbrüchigen Europäern
ab, die fo klug waren, fi für Kinder der Sonne auszugeben, damit ſie dieſe
unſchuldigen Leute glücklich machen könnten.
Muſikaliſche Dialogen. 225
viele mit Verdruß von Tyrannei ſchrieb, die der ernſthafteſten Wahr;
heit gleich ſehen. )
Hier haben Sie meine ganze Denkungsart! Bin ich noch der wun—
derbare Mann, für welchen Sie mich gehalten haben?
Jomelli. Sie ſind noch immer wunderbar; allein ich habe Ehr—
furcht für Sie. Nur wünſche ich, Sie hätten ſich nicht auf die
Seite der Herakliten und Juvenalen gemacht. Die Philoſophie eines
Ariſtoteles und Ariſtipps iſt die meinige. Ein Philoſoph gefaͤllt mir,
„der auf die guten Leute in der Unterwelt, ſo ſehr ſie Thoren ſind,
nicht böſe wird, nur lächerlich ſie find't.“
Rouſſeau. Ein ſolcher Philoſoph muß Grönlaͤndiſches Blut, Is—
laͤndiſche Lebensgeiſter, und die Seele eines Engels haben! So
lange dieſes nicht zuſammen vereinigt werden kann, ſo lange wird
man auch keinen ſolchen Philoſophen finden. Wer will über die
Böſewichter, dergleichen bisweilen Shakespeare und andre Dichter
in ihren Tragödien und Romanen ſchildern, lachen? Wer will die
alte ſpaniſche Inquiſition nur laͤcherlich finden? Wo iſt der Sohn
Adams? Ich finde viele Leute auch nur lächerlich; aber nicht alle!
Wenn die unterdrückte Tugend ihre ohnmächtigen Hände gen Him⸗
mel faltet, und das Laſter ſie nieder zur Erde ſchlägt; wenn ein
Sklavenhändler ein bezauberndes Mädchen, das das Gehirn der
*) Herr Leſſing ſagt in feinem Laokoon, S. 126: „Von dem erſten Blicke
hangt die größte Wirkung ab, und wenn uns dieſer zu mühſamen Nachſinnen
und Rathen nöthiget, fo erkaltet unſere Begierde gerühret zu werden; um uns
an dem unverſtändlichen Künſtler zu rächen, verhaͤrten wir uns gegen den Aus⸗
druck — Wir finden ſodann gar nichts, was uns reitzen könnte, vor feinem Werke
zu verweilen; was wir ſehen gefällt uns nicht, und was wir dabey denken
ſollen, wiſſen wir nicht.“
1 15
226 Heinſes Werke. Erſter Band.
r . —ẽ - ̃ĩͥ ͤ—]GW ] m; — Orca a
Sappho und Leda's Geſtalt hat, einem morgenlaͤndiſchen ohnmaͤch—⸗
tigen ſtupiden Tyrannen zur ewigen Sklaverei verkauft; wenn ein
Concilium den weiſeſten Sterblichen zum Feuer verdammt; wenn
ein Monarch aus lauter Geiz ſeine Unterthanen unglücklich macht,
die Felder mit Kinderblute und dem Blute hülfloſer Greiſe über—
ſchwemmt, und Einwohner der Städte wegen Verletzung der Eti—
quette Leder freſſen laͤßt — Wer will da lachen? Wer eine ſo feurige
Phantaſie von Natur hat, wie ich! — erlauben Sie mir dieſe
Worte zu ſagen: dieſe Phantaſie iſt ein unglücklich Geſchenk für
mich — kann ohnmöglich gleichgültig bleiben, wenn er auch nur
ſolche Begebenheiten in der Geſchichte lieſt; und ich ſehe ähnliche mit
meinen Augen! |
Können Sie mich verdammen, liebſter Jomelli, daß ich böfe wurde?
Ich würde mich bei keinem Andern ſo ſehr vertheidigt haben; allein
Ihre Hochachtung zu erhalten, iſt mein großer Endzweck!
Jomelli. Sie konnen vertheidigen, was Sie wollen; Ihre Bered—
ſamkeit iſt bekannt genug. Ich ſagte auch nur: über Thoren muß
man lachen, und nicht böfe werden; und Böfewichter gehören ſelten
unter die Klaſſe der Narren. Man muß freilich in Griechenland
leben, wenn man Ariſtipp ſeyn will; dort waren noch keine ſpa—
niſchen Inquiſitionen; kein einziger Menſch konnte von der Natur
und Erziehung ſo ſehr verwahrloſet werden, daß er ein Nero, ein
Caligula, ein chriſtlicher Alexander oder der zweite Mahomed hätte
ſeyn konnen! Mir ſelbſt fährt ein Schauer durch alle Nerven! Die
Gedanken zu dieſen Worten in meinem Gehirne erwachen!
Rouſſeau. O laſſen Sie uns dieſe traurigen Gegenſtände aus
unſerer Imagination jagen! — Wie entzückend iſt die Melodie zu
den Worten:
Muſikaliſche Dialogen. 227
LT na ——
Alla selva, al prato, al fonte
Io n’andrö col gregge amato!
E alla selva, al fonte, al prato
L'idol mio con me verrä!
O vortrefflicher Mann! fagen Sie mir, wer lehrte Ihnen dieſe fo
vollkommen natürliche Melodie?
Jomelli. Ohne allen Zweifel die Natur, wenn ſie natürlich iſt.
Rouſſeau. Wie empfingen Sie aber dieſe Melodie von der Na—
tur? Ließen Sie dieſe Worte von einer reizenden und gefühlvollen
Chammelai ſich vordeklamiren, und ſetzten ſie dann die Melodie
darnach auf; oder wie machten Sie es ſonſt? Ich bewundere ſo
leicht nicht etwas; allein die Erfindung Ihrer Melodien muß ich
bewundern. Aus jeder Zeile glänzt das ſchoͤnſte Genie. Sie unter;
werfen alles, was lebt, Ihrer Kunſt; Sie mahlen alle Gemählde
durch Töne; Sie machen ſelbſt das Stillſchweigen reden, Sie muſi—
ciren uns Empfindungen durch Accente in die Seele; und die
Leidenſchaften, die Sie ausdrücken, brennen unſre Herzen an; die
Wolluſt empfaͤngt von Ihnen neue Reize; und der Schmerz, den
Sie ſeufzen laſſen, bringt uns zum Angſtgeſchrey. Die Seele, in
Zähren aufgelößt, fließt in die Augen, Wonne geht vor ihr her, das
Herz wallt empor, und der allzuſchnelle Flug der erhitzten Lebens⸗
geiſter macht ſie ſtille ſtehen; und Seele, Blut, Fleiſch und Gebein,
kurz der ganze Menſch voll von Leidenſchaft zittert, aufgeſchwollen
von Entzückungen, die Ihre Melodien zu fühlen befehlen.
Jomelli. Nur nicht ſo ſchwärmeriſch, Herr Rouſſeau! Die Dekla—
mation einer Chammelai würde mir wenig helfen, wenn ich die
Melodien zu den vortrefflichen Arien des Metaſtaſio erfinden wollte.
Es iſt gar ein zu großer Sprung von der Deklamation zur Melodie.
17 *
228 Heinſes Werke. Erſter Band.
In der Deklamation einer Perſon, die ſich in Leidenſchaft befindet,
bemerk' ich weiter nichts, als bald langſame, bald ſchnelle Ausſprache;
der hohe und tiefe Ton derſelben iſt nichts weniger, als Melodie;
den Takt koͤnnte man noch einigermaßen darnach einrichten; allein
dazu braucht man ſich nicht erſtlich eine Chammelai die Poeſie vor;
deklamiren zu laſſen; die iſt noch zu wenig dazu.
Rouſſeau. Ich glaubte aber doch immer, daß der beſondre Accent
der Sprache auch der Nation eine beſondre Melodie gäbe, nachdem
die Phantaſie einer Nation kalt, warm oder feurig wäre, darnach
richte ſich auch ihre Melodie. Der Deutſche z. B. erhebt die Stimme
immer gleich ſtark, wenn er zornig iſt; er ſchreiet in dem naͤmlichen
Tone fort. Der Italiener, welchen tauſenderlei Bewegungen ſchnell
und hintereinander in eben dieſer Leidenſchaft erhitzen, verändert
auch ſeine Stimme auf tauſendfaͤltige Art. Der naͤmliche Grad von
Leidenſchaft herrſcht in ſeiner Seele; allein welche Verſchiedenheit
herrſcht in ſeinen Ausdrücken, in ſeinen Accenten und ſeiner Sprache!
Ich glaubte beſtändig, daß der Tonkünſtler dieſer einzigen Verſchie—
denheit, wenn er gut nachahmen könne, den Ausdruck und die Grazie
feines Geſanges ſchuldig wäre; es ſey ſchwer, alle dieſe verſchie—
denen Accente nach den Regeln der Kunſt zu vereinigen. Allein hier
zeige ſich eben das Genie; man finde nicht bei kaltem Blute die
Sprache der Leidenſchaft, man müſſe ſelbſt erſt die Leidenſchaft in
ſich erwecken, und in ſeinem Herzen das Feuer anzünden, welches
man in die Herzen der Zuhörer tragen wolle.
Jomelli. Es iſt viel Wahres in dem, was Sie ſagten, und ich ent;
ſinne mich, es ſchon in Ihrem vortrefflichen muſikaliſchen Woͤrter—
buch unter dem Titel: Accent, geleſen zu haben; allein Sie ſagen
auch, wenn mich meine Memorie nicht betrügt, in dieſem naͤmlichen
Muſikaliſche Dialogen. 229
Buche unter dem Worte: Chant, daß der Unterſchied zwiſchen der
gewöhnlichen Ausſprache der Worte und dem Geſange ſehr merk—
lich ſey, und daß man ihn nicht finden könnte, wenn man ihn ſuchte.
Sie ſagen ferner daſelbſt, daß die Intervallen der gewoͤhnlichen
Rede gar nicht harmoniſch wären, daß ſie gar nicht in das Syſtem
der Muſik gehörten, und daß fie folglich auch nicht in Noten könnten
ausgedrückt werden, und gar keinen Geſang für uns enthielten.
Und gleich darauf ſagen Sie doch: der Geſang iſt blos eine ruhige
und künſtliche Nachahmung der Accente der redenden leidenſchaft⸗
lichen Stimme. An einem andern Orte wiederholen Sie ſich und
ſagen: der Accent der Sprache beſtimmt die Melodie jeder Nation;
Sie ſagen dieſes unter dem Worte: Voix, noch einmal.“) Nun
vereinigen Sie ſich! Es kann unmöglich beides vollkommen richtig
ſeyn; denn wenn die Intervallen der Stimme in der natürlichen
Rede nicht können in Noten geſetzt werden, wie kann man daraus
eine Melodie machen?
Rouſſeau. Sie machen mich mit mir ſelbſt verwirrt; ich halte
beides für richtig, allein ich kann es nicht zuſammen vereinigen.
Die Melodie hat ihren Grund in der Harmonie, ſie iſt eine Tochter
von ihr, durch die Verſetzung eines Accentes entſteht vermittelſt des
Taktes eine Melodie; allein wie kann man dadurch das Herz zu
verſchiedenen Empfindungen bewegen, Leidenſchaften darinnen auf—
wecken und beſaͤnftigen? Mit einem Farben-Klaviere kann ich eben
*) Ich will nicht weiter in meinen Anmerkungen darüber fortfahren; man
möchte mich ſonſt hierinnen mit den Antikritikern des Herrn Leſſings in eine
Reihe ſtellen und glauben, ich wollte mir dadurch ein Anſehen geben, weil
ich einige kleine Kleinigkeiten an einem berühmten Manne tadeln könnte.
Nein, ſo ehrgeizig bin ich nicht! Auch der Weiſe ſtrauchelt!
230 Heinſes Werke. Erſter Band.
ſolche harmoniſche Akkorde hervorbringen; allein wo liegt dann ſonſt
die Quelle der pathetiſchen Muſik, wenn fie nicht in der leidenſchaft—
lichen Ausſprache der Rede liegen ſoll? Wenn dieſes nicht die wahren
Grundſätze der Muſik ſind, ſo begreife ich nicht, wie die Muſik eine ſo
große Gewalt über das menſchliche Herz haben kann. Ich weis ſelbſt
nicht, was ich dazu ſagen ſoll, daß man doch die Intervallen in der
Ausſprache der Rede nicht komponieren kann. Machen Sie mir Licht
in dieſer Sache! Wie erfinden Sie Ihre pathetiſchen Melodien?
Jomelli. Hier ſind die Tiefen der muſikaliſchen Wiſſenſchaft!
Vielleicht daß es mir wie den mehrſten Genien in allen Künſten
geht, wir arbeiten nach unbekannten Regeln; wir wiſſen und ſind
überzeugt, daß dieſe Melodie die Wirkung thun wird, die wir verz
langen; allein wir wiſſen nicht, warum?
Rouſſeau. Das iſt wunderbar, ſehr wunderbar! Sie werden bei—
nahe machen, daß ich noch in meinen alten Tagen anfange zu glauz
ben. Sokrates, wenn man ihn fragte, wie er dieſen philoſophiſchen
Satz herausgebracht? ſagte: er habe einen Genius, der ihn ihm ge:
ſagt haͤtte. Von dieſem Manne kömmt ohne allen Zweifel noch das
Wort Genie her;“) ein Wort, welches wir nicht definiren können.
*) Es iſt dieſes völlig wider die gemeine Genealogie. Helvetius ſagt: Genie
koͤmmt her von gignere, gigno, ich gebähre, bringe hervor. Unſere Defini-
tionsmacher verſtehen unter dem Worte Genie mehrentheils ein allgemeines,
dergleichen es nicht giebt. Baumgarten definirt es ſehr gut: es ſey das be—
ſtimmte Verhaͤltniß der Erkenntnißvermögen in einem Menſchen, das ihn zu
gewiſſen Verrichtungen in ausnehmendem Grade geſchickt macht. Doch iſt
dieß noch zu allgemein. Rouſſeau ſcheint mir es deutlicher zu beſchreiben.
Er verlangt nicht zu viel und nicht zu wenig von einem Genie. Ich habe
eine Beſchreibung geleſen, wo verlangt wurde: wer ein Genie ſeyn wollte,
müßte einem Raphael, Wieland, Milton, Klopſtock, Leſſing, Gleim,
Muſikaliſche Dialogen. 231
Wenn man von einem Gedanken ſagt: hieraus leuchtet Genie! ſo
will man weiter nichts damit zu erkennen geben, als, man wiſſe
nicht, wie der Verfaſſer darauf gekommen ſey;“) oder deutlicher:
ein Genius müſſe ihm denſelben eingegeben haben. Daher ſagt man:
Newton war ein Genie, weil er Sachen entdeckte, wovon noch keinem
Menſchen je geträumt hatte; Shakespeare war ein Genie, weil er
die geheimſten Gedanken der Menſchen wußte, die niemand erfahren
konnte. Die alten Poeten hatten, ſtatt der Geniuſſe, Muſen. Homer
ſagte: die Muſen hätten ihm ſeine Gedichte eingegeben; und daher
Ramler, Moſes, Käftner, Winkelmann, Swift und Händel gleich
ſeyn. Das iſt doch wahrhaftig ein wenig zu viel verlangt! Ein ſolches Genie
müßte da vor allzuvielen neuen, wider ſich ſelbſt kriegenden Gedanken toll
werden! Eine unbarmherzige Foderung!
*) Es geht ihm wie einem, der aus einem dunkeln Loche auf einmal an die
helle Mittagsſonne kömmt; er wird im Anfange geblendet, allein hernach ſieht
er deſto beſſer! — Es iſt nichts leichter, als ein Schock große Namen hinzu—
ſetzen, und zu verlangen, man ſolle ſie ſich zuſammen in einem Kopfe denken,
und dann werde man ein Genie haben. Es iſt eben ſo, als wenn man ſich
ein Ideal zu einer Venus von allen ſchönen Mädchen machen, und deren
Schönheiten alle ihr geben wollte. Dann müßte fie ein blaues und ein
ſchwarzes Auge, ſchwarze und blonde Haare u. ſ. f. zugleich haben; ein ſchoͤnes
Ideal von einer Venus! Kann man denn aus zwanzig Originalen eins
machen? Kann ein ſatyriſcher Kopf wie Swift ein zaͤrtliches petrarchiſches
Sonnet verfertigen, oder Oden wie Klopſtock? Die Leute wiſſen manchmal
ſelbſt nicht, was ſie wollen, und verlangen von einem Genie, Strohmann zu
ſeyn. Kann eine Eiche die Früchte aller Bäume tragen? und ein Roſen—
buſch alle Blumen? Eine wahre Unmöglichkeit! Man kann ein Ideal von
der Schönheit der Roſe und des Eichbaums machen; aber dann hat die Roſe
nicht den Geruch aller Blumen, und die Eiche ſieht nicht aus wie Harlequin
unter den Baͤumen.
232 Heinfes Werke. Erſter Band.
rufen noch alle unſere Dichter die Muſen an, und wiſſen nicht,
warum. Und beinahe möchte ich mir vom Dalai Lama weiß machen
laſſen, auch ich und Sie tragen Geniuſſe im Kopfe herum, wie er
einen Gott. Allein wollen die Dichter die erſten Regeln ihrer Kunſt
entdeckt haben, fo wird es uns doch wohl nicht allein unmöglich
ſeyn! Beſinnen Sie ſich recht, warum Sie Ihre Melodien ſo und
nicht anders machten? Nichts iſt ohne Grund! So ſagen alle Me—
taphyſiker, die oft nicht einmal den Grund von dem Satz: Nichts
iſt ohne Grund! wiſſen. Wie iſt Ihr muſikaliſches Genie zur Reife
gelangt? |
Jomelli. Das Genie wächſt oft wie das Frühlingslaub an den
Bäumen; wir ſehen es immer größer werden, aber nicht wachſen.
Ich glaube, daß der Grund, woraus wir alle die großen Wunder
unſerer Kunſt erklaͤren können, nichts weiter als die Wirkung des
Tons der Nerven des menſchlichen Körpers ſind, und daß wir die
Quelle davon gar nicht in den Accenten der Sprache ſuchen dürfen;
denn daraus würde folgen, daß eine italieniſche Muſik keine Wir;
kung auf Franzoſen, Türken, Ruſſen, Deuſche u. ſ. f. thun könnte,
wenn fie die italieniſche Sprache nicht verſtünden; vom Gegentheil
aber kann Sie die tägliche Erfahrung überzeugen. Ein Ruſſe kommt
in eine ganz andere Welt, wenn er in eine italieniſche Oper kömmt,
und ſtaunt alles an, was er ſieht und hört. Die Muſik iſt eine all
gemeine Sprache; der Irokeſe verſteht ſie, wie der Italiener, nur
mit dem Unterſchiede, daß jener das Feine, Zärtliche und die Meiſter—
züge nicht ſo vollkommen fühlt. Warum? Er hat keine ſo feinen
Nerven, als dieſer. Ein Antiquar, ein Philolog verſteht den Homer
vielleicht ſo gut, als Pope; allein fühlt er die Schönheiten darin
eben ſo ſehr, wird er eben ſo von den empfindlichſten, nur den Seelen
Muſikaliſche Dialogen. 233
bemerkbaren Schönheiten hingeriſſen und bezaubert, als dieſer? Die
Ausſprache der Worte im gemeinen Leben hat gar nichts ähnliches,
wie Sie ſelbſt ſagen, mit dem Geſange; wir konnen unſre Melo—
dien auch folglich daher gar nicht holen. Ein muſikaliſches Genie
muß geboren werden, die Natur muß es ſchaffen, die Kunſt wird
dieſes nie thun. Es gehört dazu die feinſte, die vollkommenſte Sinn;
lichkeit, das allerzaͤrtlichſte Ohr. Es muß den Unterſchied von einem
einzigen Ton im unisono wenigſtens auf tauſenderlei Art fühlen.
Z. B. der Ton vt (oder deutſch e) thut eine himmelweit verſchiedene
Wirkung bei einem Menſchen, wenn er mit der Trompete, als
wenn er mit der Flöte hervorgebracht wird; er iſt bei jedem In—
ſtrumente verſchieden; Violine, Violoncello, Viola, Harfe, Laute,
Clavier, Clavecin, Orgel, Horn, Fagot, Hautbois, Flöte, haben einen
Unterſchied in dieſem nämlichen Tone, der auch dem unempfind—
lichſten Ohre empfindbar iſt. Nun rechnen Sie die verſchiedenen
Arten von jedem Inſtrumente, die unzählbaren Übergänge vom
piano zum forte, rechnen Sie ferner die verſchiedenen Oktaven zu;
ſammen; nun komponiren Sie alle dieſe verſchiedenen Inſtrumente,
o welche Anzahl von verſchiedenen Tönen werden Sie da haben!
Und das iſt nur ein Ton im Unisono. Zählen Sie noch Akkorde,
Harmonie, Melodie, die verſchiedenen menſchlichen Stimmen und
Accente darinnen, und machen Sie den Schluß, was muß ein Ton—
künſtler verſtehen, wenn er in ſeiner Kunſt vollkommen ſeyn will!
Alles dieſes ſoll er mit dem menſchlichen Ohre, mit ſeinen Nerven
und Herzen ausſtudirt haben. Er kann nur von ſich ſelbſt das
Mehrſte lernen, in ſeiner eignen Seele, in ſeinem Herzen und ſeinen
Nerven leſen, und ſelten ſehen, was Andere fühlen, was dieſe Ver—
bindung von Tönen in ihnen für eine Wirkung habe, ob fie die—
234 | Heinſes Werke. Erſter Band.
ſelben zärtlich, zornig, muthig, wüthend, oder ruhig machte. Es iſt hier
nicht ſo wie bei andern Künſtlern. Dort kann man fragen: warum
hat dir dieſes gefallen? und der, den man fragt, giebt die Urſache
davon an. Bei der Muſik laͤßt ſich ſelten mehr ſagen, als: es hat
mir gefallen, oder nicht; ich bin zaͤrtlich geworden, oder wüthend,
u. ſ. f. Man muß hier blos fühlen, was ſchön, was vortrefflich iſt.
Alle Regeln, ſo man uns in ſo vielen Büchern, in großen und kleinen
Generalbaßſchulen, in Theorien der Harmonie und Melodie ꝛc. gez
geben hat, helfen uns nichts, gar nichts. Die einzige Regel, die
man geben kann, iſt dieſe: ſtudire die Natur der Töne, und die
Wirkungen, welche die verſchiedenen Verbindungen derſelben auf
das menſchliche Herz machen. Wer nicht Genie, das iſt, das feinſte
Gehör und die delikateſten Nerven, von der gütigen Natur empfan—⸗
gen hat, wird nie die Wunder thun lernen, die Corelli, Vinci,
Perez, Xinaldo, Leo, Pergoleſe, Galuppi und Durante ge;
than haben. Rechnen kann man bald lernen; und wenn Fertigkeit
im Rechnen ein muſikaliſches Genie machen konnte, fo würde jeder
von der Natur verwahrloſte Kopf eins werden können; denn der
ſtupideſte und dümmſte Menſch kann durch Fleiß ein Rechenmeiſter
werden; es gehört gar kein Genie dazu, denn es geht da alles nach
Regeln; und wie Sie ſagten, es arbeitet ein Genie nur nach un—⸗
bekannten Regeln; denn ſonſt nennte man es nicht Genie. Ich habe
mich immer bis zum Erſtaunen verwundert, wie doch Männer von
gravitätiſchem Anſehen ſich fo ſehr vergehen und ganze Folianten
voll in die Welt hinein ſchreiben können, mit der hochmüthigſten
Miene! Das wenige Nützliche der muſikaliſchen Rechnungen be—
trifft ganz allein die Inſtrumente. Daß die Oktave ſich verhält wie
1: 2, und die Quinte wie 2:3 u. ſ. w. kann den Handwerkern der
Muſikaliſche Dialogen. 235
Inſtrumente etwas helfen, aber einem muſikaliſchen Genie nicht.
Das Ohr iſt Richter, und nicht das Verhältniß von 1:2; was geht
dieſes die Ohren an. Die Regeln der Harmonie, welche in der Na—
tur liegen, ſind ſehr leicht zu begreifen, die bloße Erfahrung iſt dazu
hinreichend; und Herr Rameau und hundert andre Syſtemenmacher
hätten ſich dieſe Mühe erſparen können. Ich habe bis zum Ekel die
Titel von dieſen Büchern in den muſikaliſchen Katalogen geleſen.
In unſrer Muſik herrſcht mitten unter den aufgeheiterten Köpfen
noch die gröbſte Barbarey! Dieſe laſſen ſich gar nichts ſagen; ſie
ſind ſtolz auf ihre Kindereien; ſie wollen mit aller Gewalt Onkel
Tobiaſſe und Korporale ſeyn, und ſind es nicht einmal! Sobald ſie
etwas von der Mathematik begriffen haben, ſetzen ſie ſich hin und
kalkuliren die Verhaͤltniſſe aus, und wenn ſie fertig ſind, ſo wollen
ſie, obgleich alle vernünftige Ohren ihnen widerſprechen, eine vor—
treffliche Arbeit gethan haben. Am lächerlichſten iſt es, wenn ſie gar
anfangen, und ſich einander, wie Rechenmeiſter auf kleinen Schulen
die Jungen (wie ich dieſes bei der Durchblaͤtterung einiger kritiſchen
Schriften mit Verwunderung geleſen habe) korrigiren, und dann
darüber einen Krieg anfangen, worüber oft der eine Theil für ſeinen
Wortſtreit aus Gram ſtirbt. Wehe denen, die dieſen Pedanten ver—
haßt werden, ſie ſagen mitten in der finſtern Nacht: die Sonne
ſcheint; und dem gehts übel, der ihnen widerſpricht! Doch ich halte
mich zu lange hierbei auf — Die Leidenſchaften zu erregen, iſt der
vornehmſte Endzweck der Muſik. Man hat viele Regeln gegeben,
wie man dieß thun könnte; einige davon ſind ſehr gut und ſcharf—
ſinnig ausgedacht worden, allein die mehrſten helfen uns gar nichts.
In Ihrem muſikaliſchen Wörterbuche haben Sie vortreffliche Artikel
davon.
236 Heinſes Werke. Erſter Band.
Rouſſeau. Ich bin hier ohne Zweifel meiner eignen Empfindung
gefolgt, und habe die Quellen der Melodien, die mich in Leidenſchaft
ſetzten, auszuſpekuliren geſucht. Selten hab' ich meinen Kopf in die
zur Abſtraktion gehörige Kälte ſetzen können. Überhaupt aber iſt es
wahr, daß man wenige Regeln zur Hervorbringung der Leiden—
ſchaften einem muſikaliſchen Genie ſagen kann; jeder muß ſelbſt
fühlen, wie dieß möglich zu machen ſey. Unſere Theorienſchreiber
der ſchönen Künſte und Wiſſenſchaften wiſſen oft nicht, ob ein Lulli,
Pergoleſe in der Welt war, ja ſie wiſſen nicht einmal, was eine Terz,
oder Quart, was Melodie oder Harmonie iſt, und dennoch ſetzen ſie
ſich hin und ſchreiben in den Tag hinein: ein Tonkünſtler müſſe die
Leidenſchaften nachahmen, ſich ein Ideal von ſinnlicher Vollkommen
heit machen, den Meibom fleißig leſen, und kurz, die Zuhörer in die
höchſte äſthetiſche Illuſion verſetzen! die Poeſie und Beredtſamkeit
habe willkührliche Zeichen, Muſik und Mahlerei ꝛc. natürliche; und
wenn fie damit fertig find, fo laſſen fie ſich drucken. Die Necenfen;
ten, die noch weniger als ſie ſelbſt davon verſtehen, loben ſie dann;
denn es heißt bei ihnen: was ich nicht verſtehe, gefällt mir überaus
wohl; und nun brüſten ſie ſich und glauben, die Tonkünſtler müßten
ihnen ſehr verbindlich ſeyn für die guten Lehren, die ſie ihnen ge—
geben haͤtten, und ſehen, wie Don Quixot, vom Himmel auf die
Erde herab! Doch, was zank' ich Ihnen die Ohren voll! Sie wiſſen
alles dieſes ſo gut, als ich.
Nur noch etwas erklaͤren Sie mir: woher kömmt es, daß das muſi—
kaliſche Genie mit dem Alter immer von Grad zu Grad abnimmt,
da es nach Ihren Sätzen umgekehrt ſeyn ſollte?
Jomelli. Es iſt in der Muſik eben ſo, als bei andern Künſten.
Man muß eine erſtaunliche Biegſamkeit haben, um ſich in die ver:
Muſikaliſche Dialogen. 237
ſchiedenen Charakter zu ſetzen, welche man ſchildern, oder in ſeinen
Gedichten und Muſiken leben laſſen will. Das Genie muß das
Herz, die Lebensgeiſter bald warm und feurig, bald kalt machen
können; die Seele muß in dem Gehirne, gleich einem Alexander in
ſeiner Armee, herumgalloppiren, und alle Ideen kennen und zu ge—
brauchen wiſſen. Alles muß lebendig ſeyn und auf den erſten Wink
zu Gebote ſtehen. Der Tonkünſtler ſelbſt muß noch ein empfindliches
Herz haben, um von den zaͤrtlichen Geſaͤngen einer Grazie begeiſtert
zu werden; er muß als Greis noch der jugendlichen Moral huldigen.
Welche Forderungen!
Rouſſeau. Die Jugend iſt die Stütze des menſchlichen Geſchlechtes,
und die Meiſterſtücke in allen Künſten und Wiſſenſchaften kommen
von Jünglingen! Wie ärgere ich mich über die Narren, die in ihrem
Alter auf ihre Jugend mit Verachtung herabſehen!
Jomelli. Trauen Sie keinen; es iſt lauter Verſtellung! Wie viele
unter dieſen Heuchlern würden ſich von einer Medea in Stücken
hauen und kochen laſſen, wenn ſie wieder jung werden könnten!
Man findet auch noch Beiſpiele, daß große Genies bis in ihr Alter
das jugendliche Feuer behalten haben, aber ſehr ſelten; Lulli, Ana—
kreon und Milton blieben immer wer ſie waren.
Rouſſeau. Ich glaube, man könnte daraus beinahe eine all—
gemeine Regel machen: je älter ein Künſtler wird, je ſchwächer
wird ſein Genie, und je geläuterter wird ſein Geſchmack. Im
Winter iſt die Luft heiter und reiner, und im Frühling voll von
Dünſten; einige davon ſind ſchaͤdlich. Allein will man des—
wegen die Düfte junger Roſen, Nelken und Veilchen, den ſüßen
Geruch der Blüthen entbehren? Wie Ihre Muſik iſt, fo iſt auch
Ihre Mahlerei; Sie koͤnnen den ſublimen Mengs nicht ſchaͤtzen,
238 Heinſes Werke. Erſter Band.
— k k—— EEE
ja nicht einmal dulden! Sie wiſſen nicht, wer Raphael war. Wer
iſt er?
Jomelli. Nicht ſo hart, Herr Rouſſeau! Jede Nation hat Mängel.
Noch kein Volk hat die hohe Vollkommenheit, den Endzweck der
Natur, erreicht. Italien hat Vorzüge vor Frankreich, und dieſes
vor jenem. —
Ich will den Unterſchied zwiſchen Harmonie und Melodie noch deut—
licher machen. Die Melodie iſt weiter nichts, als eine empfindbare
Harmonie. Nehmen Sie eine Melodie, welche Sie wollen, Sie
können ſie gleich in Harmonie verwandeln; und ferner laͤßt ſich auch
jeder harmoniſche Akkord in Melodie auflöſen. Daß wir mehr bei
der Melodie, als Harmonie fühlen, iſt ein Beweis von der menſch⸗
lichen Schwachheit. Wir können auf einmal nicht ſo verſchiedene
Töne zuſammen denken und jeden beſonders fühlen. Die Melodie
entfaltet und entwickelt die Harmonie. Unſre Nerven und Aufmerk—
ſamkeit koͤnnen jeden Ton beſonders mit mehrerm Vergnügen
faſſen.
Rouſſeau. Allein Sie ſcheinen Ihren Saͤtzen zu widerſprechen;
auf dieſe Art verminderte in der Harmonie das Akkompagnement
die Wirkung der Melodie? Ich glaube daher feſt, daß die Muſik
der Griechen vollkommner als die unſrige war; alles war leicht und
faßlich; das Akkompagnement war ſehr einfach; ſie hatten faſt gar
keins!
Jomelli. Was ich eben geſagt habe, verſteht ſich von der Harmonie
ohne Melodie. Dieſe liegt zwar in jener; allein kein Ohr kann ſie
empfinden. Zum Beiſpiele können Sie hier alle die ſchweren Piecen
der Deutſchen nehmen. Dieſe verlangen wirklich eine göttliche All—
macht von unſern Ohren; ſie ſollen die Melodie aus dem Chaos
Muſikaliſche Dialogen. 239
herausholen, und ſchoͤn und vortrefflich herausholen! Unſer Ohr
iſt kein Magnet, und die Melodie keine Eiſenſpäne. Dieſe Harmonie
und Melodie zuſammen wird dem Ohre viel ſchwerer, als die Me;
lodie ganz allein. Wenn aber die Harmonie die Melodie begleitet,
fo wird dieſe dadurch dem Ohre faßlicher und richtiger; der Aug;
druck wird beſtimmter; wir koͤnnen das Ganze eher auf einmal über;
ſehen!
Rouſſeau. Sie haben Recht, die Melodie fließt ganz allein aus
der Harmonie; allein es iſt uns, da wir dieſes wiſſen, noch immer
eben ſo ſchwer, vortreffliche, ausdruckende Melodien zu machen;
wir müſſen dabei doch noch immer die Wirkungen der Töne und
ihrer Verbindungen auf den Menſchen, den Unterſchied der Inſtru—
mente, die Stimmen von mancherlei Alter und Leidenſchaften, die
Sprache der Poeſie ausſtudirt haben; und dieſes bleibt immer ein
Werk des Genies.
Ich will Ihnen nicht wieder erzaͤhlen, was Sie mich ſchon oben zu
lehren die Gütigkeit hatten; ſondern Sie nur bitten, mir den Grund
zu ſagen, warum die mehrſten Virtuoſen auf den Inſtrumenten, die
vortrefflichſten Sänger und Sängerinnen ſo entſetzlich dumm ſeyn
können, da ſo viel Studium von einem Tonkünſtler erfodert wird?
Sie werden die Erfahrung ſchon längſtens davon gemacht haben;
ich brauche Ihnen nicht erſtlich Beiſpiele davon zu erzählen.
Jomelli. Das iſt ein Raͤthſel für die größten Philoſophen; ich habe
mich oft darüber bis zum Erſtaunen verwundert. Wir wollen doch
dieſe Erfahrung unterſuchen, und ſehen, was wir herausbringen.
Die Natur iſt ſelten oder niemals ſo freigebig, daß ſie einem Ge—
ſchöpfe alle mögliche Vollkommenheiten mittheilt, Arioſt und Per
trarch mögen ſagen, was fie wollen.
240 Heinſes Werke. Erſter Band.
Rouſſeau. Die Stirnen der Ochſen bewaffnete ſie mit Hörnern,
mit Hufen die Füße der Pferde, den Haſen gab ſie ſchnelle Läufte,
dem Löwen einen Rachen voll Zaͤhne, den Fiſchen das Schwimmen,
Genie den Sokraten und Homeren, Schoͤnheit und delikate Stimmen
den Stutzern und Weibern.
Jomelli. Die Damen werden Sie ſchon noch beſtrafen laſſen, daß
Sie ihnen das Genie abſprechen; und die Anakreone, Kenophone,
Ariſtippe, Alcibiade und Conſorten in den elyſaͤiſchen Feldern werden
Sie übel empfangen.
Rouſſe au. Wenigſtens iſt Genie bei einer ſchoͤnen Perſon eben fo
ſelten, als bei der Tulpe der Geruch anzutreffen. Man muß, um
ihnen zu gefallen, tauſend Thorheiten begehen; fie koͤnnen die So⸗
kraten und Homere ſo wenig dulden, als die kalekutiſchen Hähne
die Muſik. Huart demonſtrirt es, daß die Schönheit mit dem Genie
unverträglich iſt.
Jomelli. Ich nehme mich wider Sie und alle Miſogyne des
ſchönen Geſchlechts oder überhaupt der Schönheit an. Ich möchte
die Demonſtration hören!
Rouſſeau. Sie will mir eben nicht einfallen; allein er beweiſt es
ſehr gut! Und was brauche ich es lange zu beweiſen, die taͤgliche
Erfahrung iſt ſchon genug; die Schönheit verträgt fich nicht mit dem
feurigen Blute und den Lebensgeiſtern, und dieſe werden zum Genie
erfodert.
Jomelli. O Herr Rouſſeau, nicht ſo haſtig! Die Erfahrung iſt
völlig wider Sie. Die Frauenzimmer haben mehrentheils viel mehr
Gefühl, als das männliche Geſchlecht. Sehen Sie mehr Frauen—
zimmer oder Maͤnner bei Ihren Corneillen und Voltairen, oder bei
unſern Duranten und Pergoleſen Zaͤhren vergießen? Das Frauen
Muſikaliſche Dialogen. 241
zimmer hat ein ungleich feiner Gefühl, als die Mannsperſonen; und
ein Genie kann nicht ohne zarte Nerven ſeyn, und wenn es der
größte Held waͤre! Alexander und Cäſar, ſie mußten ein ſo feines
Gefühl haben, als Pindar und Alcaͤus; und Anakreon hatte vielleicht
kein feineres, als Ninon.
Rouſſeau. Das gehört zum Geſchmacke; allein Genie und Ge;
ſchmack find himmelweit unterſchieden; fie können ſogar von eins
ander getrennt werden. Shakeſpeare hat wenig Geſchmack, und
Newton noch weniger; Alexander mehr als beide, und Carl der
Zwölfte gar keinen. Daß ein feiner Geſchmack ohne Genie ſeyn
kann, beweiſen insbeſondre unſre Kunſtrichter.
Jomelli. Herr Rouſſeau, Sie verirren ſich! Die Griechen waren
alle ſchön! Anakreon, Ariſtipp, Kenophon waren die fchönften Menz
ſchenkinder; und Sie werden doch nicht läugnen wollen, daß dieſe
Genie hatten?
Rouſſeau. Die Zeiten der Griechen ſind voll von Wundern und
Fabeln; und doch, koͤnnen wir gewiß überzeugt ſeyn, daß Aſpaſia
ſchoͤn war, und auch Genie hatte?
Jomelli. Sokrates war ja ihr Schüler, und Perikles, ein
Mann, der die häßlichen Maͤdchen gar nicht lieb hatte, nahm ſie zur
Frau!
Rouſſeau. Wenn die Frauenzimmer in Frankreich den griechiſchen
glichen, fo wollte ich gar nicht deswegen ſtreiten. Allein die Franz
zoͤſinnen herrſchen, jene gehorchten; dieſe laufen immer in der Stadt
herum, und beſuchen täglich zwölferlei Geſellſchaften, jene blieben
den ganzen Tag zu Hauſe; dieſe ſpielen Karten und machen den
Mann arm, und arbeiten nichts, und kleiden ſich ſogar nicht einmal
vor Faulheit an und aus, jene wirkten, kochten und nähten; dieſe
1 16 5
242 Heinſes Werke. Erſter Band.
urtheilen über alle Produkte des Genies, machen den Bär zum Vir⸗
gil, das Aeffchen zum Herkules, beherrſchen die Stadt, und wollen
nicht einmal das thun, weswegen ſie die Natur geſchaffen hat,
Kinder gebähren und erziehen; jene mußten in den Schauſpielen in
den Ecken ſitzen, um nicht geſehen zu werden, dieſe ſetzen ſich gar
ins Orcheſter; jene durften ſich bei Todesſtrafe nicht bei den Olym—
piſchen Spielen ſehen laſſen, dieſe reiten auf Hengſten herum; jene
empfanden nur Vergnügen in den Vorzügen ihrer Maͤnner, und
die Weiſen allein theilten Bewunderung und Lob aus! Bei uns iſt
alles umgekehrt, das Unterſte oben, das Oberſte unten; zuletzt wird
es noch ſo weit kommen, daß die Weiber Degen tragen, und den
Männern befehlen, wenn fie fie lieben ſollen. Wenn das Frauen;
zimmer eben ſo viel Genie haben koͤnnte, als die Männer, ſo würden
nicht die Geſetze aller Nationen ſagen: der Mann ſoll dein Herr
ſeyn!
Jomelli. Genie und Stärke des Körpers ſind ſehr weit von ein—
ander verſchieden. Die Frauenzimmer haben eben ſolche Köpfe,
eben ſolches Gehirn, wie wir; die Natur giebt ihnen oft feinere
Nerven und flüchtigere Lebensgeiſter, als uns! Doch iſt bei allem
dieſem Ihr Zorn gerecht; und um Sie zu befriedigen, will ich in
Ihrem Tone fortfahren.
Die Nachtigall ſingt am vortrefflichſten unter allen Vögeln. Wie
hell, wie ſtark find ihre Töne! wie aͤußerſt wollüſtig ihre leiſen Ac⸗
cente! wie ſüß, wie fein, wie entzückend iſt ihre ganze Melodie! Man
ſollte glauben, fie müßte die Liebe viel zaͤrtlicher empfinden, als das
zärtlichſte Mädchen! — Von dem feinen Gefühl kommt Scharfſinn;
und dennoch wird Ihnen jeder Bauer und Jaͤger ſagen, daß die
Nachtigall der dümmſte unter allen Vögeln iſt. Ein Sperling hat
Muſikaliſche Dialogen. 243
das mehrſte Genie unter ihnen; er iſt der verliebteſte und wollü—
ſtigſte, und dennoch ſingt er abſcheulich!
Rouſſeau. Nichts iſt wunderbarer, als ſo entzückend zu ſingen
und ſo dumm zu ſeyn! Ich kann es gar nicht begreifen.
Jomelli. Wir haben ähnliche Beiſpiele unter den Menſchen. Die
größten Genies handeln auch oft am wunderlichſten. Petrarch, der
ſo feurig, ſo brennend durſtig nach den Küſſen ſeiner Laura war,
traf ſie in einer Quelle unter den muthig machenden Schatten der
Bäume nackend im Bade an; ihre Kleider lagen ſeitwärts. Was
würde der Jüngling, ja ſogar der Greis Anakreon? was würde
Ovid? was würden alle Heiligen gethan haben? Und was that Per
trarch, was that Laura? „Sie ſpritzt ihn ſchalkhaft voll“ und er?
„er lief davon!“
Rouſſeau. Das iſt die ſchönſte, die erhabenſte Handlung, die ich
gehört habe! Ich kann fie ohnmöͤglich als Erklärung von der Dumm;
heit der Nachtigall annehmen. Zu welchen unſterblichen Thaten
muß ein ſolcher Sinn verleitet haben!
Jomelli. Ihre Greſſete und Chaulieuen würden gewaltig über
Sie lachen, wenn fie dieß hörten, und Grecourt würde fagen: zu
nichts weniger als zu unſterblichen Thaten! Allein Sie haben Recht;
ich bewundre Ihr empfindliches Herz, Ihre fchöne Seele; denn
dieſes zu ſagen, muß man ein Gefühl haben, dergleichen Engel kaum
haben koͤnnen! Man muß das Grobe der Menſchheit ausgezogen
haben! Wenn Petrarch nicht auf die Nachtigall paßt, ſo ſchickt ſich
doch dieſe, neben vielen von unſern vortrefflichen Sängerinnen und
Virtuoſen zu ſtehen. Es ſcheint, als wenn witzige, ſcharfſinnige
Perſonen ſehr ſelten eine gute Stimme haben konnten. Dieſes mußte
man ſchon bei den Alten glauben; denn Sänger und Saͤngerinnen
16*
244 Heinſes Werke. Erſter Band.
— . — ——m— ——
aßen allzeit Bohnen, um gut ſingen zu können; und Bohnen und
Früchte von der Art ſollen ja nach der Lehre der Phyſiker Lebens⸗
geiſt und Blut hervorbringen, welches ſich zu nichts weniger ſchickt,
als zur Delikateſſe! Man ſoll bei lange anhaltendem Gebrauche
der Bohnenſpeiſe ſogar dumm werden, wenn man vorher klug ge⸗
weſen wäre.
Rouſſeau. Ich habe lachen müſſen, wie ich die Stelle im Iſidor
de divinis officiis J. 2. c. 12. gelefen habe; er ſagte da ohngefaͤhr:
die Alten enthielten ſich vorher der Speiſe, wenn ſie ſingen ſollten;
allein Bohnen aßen ſie beſtändig, um ihre Stimmen gut zu erhalten ;
darum hießen die Sänger bei den Heiden Bohnenfreſſer (vnde can-
tores apud gentiles fabarii dieti sunt).
Ich kenne ein Maͤdchen von mittelmaͤßiger Schönheit, (wenn die
dümmſten Geſichtszüge und närriſchſten Geberden und Bewegungen
einem Mädchen noch Schönheit laſſen können,) allein von der un:
begreiflichſten Einfalt. Dieſes Madchen hat eine Stimme, ſchöner
kann man keine im Ideal ſich denken! Manieren, Accente, Sprache,
Betragen — alles bis zur Entzückung! Sie ſingt vortrefflich! Die
Läufer (Roulades) vollendet ſie in der größten Geſchwindigkeit und
mit dem vollkommenſten Ausdrucke von Leidenſchaft! und — mit
der dümmſten Miene von der Welt, und ohne die geringſte Be—
wegung des Körpers! Wie ich fie zum erſtenmale fingen ſah, fo
riebe ich meine Augen mehr als zwanzigmal, und guckte rund herum;
ich dachte immer, ich fähe nicht richtig. Und gleich darauf ließ ſich
in dem nämlichen Concerte ein Virtuoſe auf dem Violoncello hören
— höher kann die Kunſt nicht getrieben werden! Er ſpielte fo goͤtt⸗
lich, daß alle Nerven im Leibe, ſamt Seele und Herz, in den Zu—
hörern zu tanzen anfiengen. Ich ſagte darauf zu ihm: mein Herr,
Muſikaliſche Dialogen. 245
Sie ſpielen unübertrefflich! Er ſagte darauf: das brauchen Sie
mir nicht erſtlich zu ſagen, das weis ich ſo! Ich will nur ſo viel mit
meinem Spielen verdienen, daß ich leben kann, dann Inſtrument
und Noten ins Feuer ſchmeißen! Warum dieſes? „Weil die ganze
Muſik für Kinder, und nicht für ernſthafte Leute iſt; weil fie Gelegen⸗
heit zu böſen Handlungen giebt, und der Wolluſt fröhnt; kurz, weil
die Geiger und Pfeifer vom Jubal, einem Enkel des gottloſen Cains,
ihren Urſprung haben! Nun und nimmermehr einen Griff!“ Und
ſeit dieſer Zeit hat man dieſen wunderlichen Mann auch nicht wieder
dazu bereden koͤnnen.
Jomelli. Das iſt das laͤcherlichſte Beiſpiel, fo ich noch gehört habe.
Doch nein; ich kenne einen Mann vom nämlichen Schlage, der in
ſeiner Jugend die vortrefflichſten, genievollſten Gedichte geſungen
hat, und nun auf fie ſchimpft und mit der größten Verachtung herab—
ſieht, als auf unnütze Spielereien ſeines noch unentwickelten Genies.
Man hat ihn ſchon verſichert, daß dieſe Gedichte ganz allein auf die
Nachwelt kommen, und die Enkel ſie bewundern würden, wenn viele
Folianten, die Geburten ſeines kalt gewordenen Kopfs, längſt die
Würmer verzehrt haͤtten! Allein ſagen Sie ums Himmels willen
von unſern Geſprächen keinem Frauenzimmer Etwas; ſonſt wird
keines mehr fingen wollen. Nun im Ernſte zur philoſophiſchen Be;
trachtung darüber!
Es iſt nichts leichter, als aus Gewohnheit und Auferziehung einige
mit Fleiß erlernte Accente und Künſteleien auf Inſtrumenten für
ein Produkt des Genies anzuſehen. Man kann ſich von einer einzigen
auswendig gelernten Cadenz taͤuſchen laſſen. Ein ſcharfſinniges,
genau aufmerkſames Ohr aber wird dem Herzen gleich den Unter—
ſchied zwiſchen den wahren affektvollen, ſentimentaliſchen und den
246 Heinfes Werke. Erfter Band.
erlernten und durch die Gewohnheit künſtlich gemachten Accenten
fagen; die Bewegungen ihres Körpers werden ihren Accenten noch
weniger entſprechen, als dieſe den Leidenſchaften. Sie können
rühren und vergnügen, wie Nachtigallen. Allein nie werden ſie
Wuth und Aufruhr, Entzücken und wollüſtige Zaͤrtlichkeit ins Herz,
Zähren in die Augen, und den Himmel in die Mienen tragen, wie
die Fauſtinen und Cuzzonen, wie Farinelli und Porpora. Nein,
das können ſie nie! Hier müſſen ſie die Flügel ſinken laſſen; das
kann allein das ſchöpferiſche Genie, und die dummköpfigen Vir—
tuoſen werden nie Durante werden. Wenn dieß ein Dummkopf
könnte — dann gehab dich wohl, Muſik! Nie will ich eine Feder
wieder anſetzen; denn du biſt nicht mehr Kunſt! Um komponiren zu
konnen, braucht man kein Genie zu ſeyn; dieſes will ich dem dümm⸗
ſten Jungen binnen zwölf Stunden lehren, die Noten von ein Paar
Akkorden einzeln auszuſetzen, in Terzen und Sexten die Melodie
fortlaufen zu laſſen, auch ein Paar Diſſonanzen zu miſchen, alles
nach dem Takt und den mechaniſchen Regeln der Kunſt; das iſt ſo
leicht zu erlernen, als das Multipliciren in der Rechenkunſt, wenn
es auch noch ſo hübſch klingt! Dieſes kann ein Dummkopf bisweilen
noch eher lernen, als ein Genie! und leider hält man dieſes mehren;
theils, insbeſondre in Deutſchland, für den Beweis eines muſikaliſchen
Geiſtes!
Rouſſeau. Herr Jomelli, auch in Frankreich!
Jomelli. Und Ihre Kunſtrichter halten in der Muſik Versmacher
und Poeten immer für einerlei! Und wenn der Letztere einen ſchlech—⸗
ten Vers macht, der Gedanke mag noch ſo vortrefflich ſeyn, ſo ſetzen
ſie den Versmacher über ihn. So machten ſie es mit dem zaͤrtlichen
Filz und andern. Und Ihr großer Graun mußte in den vortrefflichen
Muſikaliſche Dialogen. 247
Sachen, die für er Sie machte, bisweilen dieſem Geſchmacke folgen.
Einige Beiſpiele werden Ihnen davon aus ſeinem berühmten Tode
Jeſu bekannt ſeyn. Von dem stabat mater unſers Pergoleſe müſſen
ſie wider Willen nun ſagen, daß es ſchön iſt; allein ſie fügen allzeit
hinzu: die zwei Fugen übertreffen alles.
Rouſſeau. Und ſie ſagen doch beſtaͤndig in ihrer Theorie von
ſchönen Künſten und Wiſſenſchaften: in der Muſik übertreffen wir
gegenwaͤrtig alle Nationen; und die Thoren haben noch kein lyriſches
Nationalſtück, keine Oper! Ihre Sprache ſchickt ſich zur Muſik, wie
— (das kann ich vor Bosheit über die Unverſchaͤmtheit dieſes wun⸗
derlichen Mannes unmöglich überſetzen. Vom Herrn Jomelli ließe
ich es mir noch gefallen; allein dieſer macht es wahrhaftig gar zu
bunt). Ihre Tanzmelodien müſſen ſie ſich von Frankreich verſchreiben
laſſen, und ihre Concerte und Symphonien gleichen einander wie
die Schuhe! (Es iſt unausſtehlich! Ich mag die Schimpfworte dieſes
Gallenſüchtigen nicht abſchreiben.) Allein — fährt er fort — hilft
die Mathematik der Muſik nichts? Kann man ſie nicht durch die
Ausrechnung der Proportionen vervollkommnen? — — —
Zweiter Dialog.
Die Prinzeßin *, Metaſtaſio und die Grazien.
Die Prinzeſſin.
ein — ich will mich ihm nicht nahen — nein! das
wäre eine von den unverzeihlichſten Sünden! — ich
will ihn nicht ſtoͤren! er arbeitet für das Vergnügen,
für die Wolluſt, für die Entzückungen der Weiſen,
die jezt leben und binnen Jahrtauſenden leben werden, für die Ent;
zückungen der Maͤdchen, Jünglinge und Greiſe. Jezt wandelt ſein
Geiſt in dem Paradieſe ſeiner Phantaſie herum! —
In ihm leben die ſchoͤnſten Gedanken, die die ſchoͤnſten Seelen der
größten Genieen dachten! Jezt iſt einer der allerfchönften feinem
Genius gegenwärtig! Wie göttlich heiter iſt ſein Geſicht! eine kleine
Wellenlinie in der Stirne macht es zum Geſichte der denkenden
Schönheit. Jezt bewegen ſich ſeine Lippen! ein ſanfter Hauch faͤhrt
hindurch, wie eine Welle durch Blumen! Jezt ſchreibt er den ſchoͤnen
Gedanken in der Sprache der Muſen und Grazien auf! —
Muſikaliſche Dialogen. 249
— . . — — — —— . —
Ihr Roſen, euch pflanzten die Muſen um ſeine Laube, düftet ihm
eure Seelen aus und ſeid ſtolz darauf, daß er euer Leben ath—
met! —
Ihr Zephyre, entfernet von ihm alle unſeligen Ausflüſſe der Natur!
Und ihr Nachtigallen, macht eine ſanftere Harmonie in die Luft!
Sie gleiche der heiligen Daͤmmerung ſeiner Laube!
Wie wenig ſind der Edeln, der Weiſen unter den Großen Europens,
welche den göttlichen Genius, die Würde dieſes Mannes einſehen,
einſehen können!
Nichts iſt ſeltner, als ein Mann von Genie! Man kann allezeit eine
Million Menſchen gegen einen einzigen rechnen; und noch erſticken
die mehrſten unter dieſen Wenigen in der Blüthe! Die mehrſten
Menſchen ſind Pöbel, oder Thiere, die durch die Auferziehung zu
menſchlichen Maſchinen gemacht worden ſind.
Leider ſind die Menſchen ſo ſehr von ihrer göttlichen Würde herab—
geſunken, daß ſie die Verdienſte nach dem Adel der Geburt ſchätzen!
Nichts iſt unerträglicher, als die Lobeserhebungen ſclaviſcher Dichter,
wenn ſie einer Königin oder einem König ein Kompliment damit
machen, daß fie über viele Nationen herrſchen, daß es in ihrer Ges
walt ſteht, Millionen glücklich oder unglücklich zu machen, und ihr
und ihm ein halbes Dutzt Beinamen von großen Eroberern und
Königinnen geben, die ſie nicht einmal zu kennen das Verdienſt
haben.
Dieſe Elenden ſind eben daran Urſache, daß ſie nicht in die Ge—
ſchichte der Vorwelt ſehen und daraus ihre Pflicht lernen. Macht
und Reichthum eines Monarchen kommt nicht auf die Nachwelt,
nicht angeerbte, ſondern perſönliche Verdienſte. Wie viele Namen
ſtehen in unſerer Geſchichte eben ſo unbedeutend, als im Kalender!
250 Heinſes Werke. Erſter Band.
und wie viele Namen ſtehen daſelbſt, über welche man mit den
Augen ſchnell hinwegfaͤhrt, um ſich keine unangenehme Stunde zu
machen! Bei den erſtern denkt man nichts, und bei den andern
wünſcht man nichts zu denken. Man kommt durch eine leere Wüſte
in eine mit Schlangen und Ungeheuern angefüllte Gegend.
Nur wenige glaͤnzen als wohlthaͤtige Sterne! Nur wenige waren
Vaͤter ihrer Unterthanen! Nur wenige ſind als Helden für das
Wohl der Menſchen bekannt!
O wie ſtrahlen die griechiſchen Helden, die Verfechter des Vater—
landes aus ihrer Nacht hervor! aus der Nacht einer halben Ewig—
keit blitzen ſie mit ihren Thaten Verwunderung und Erſtaunen in
unſern Buſen! Klein war ihr Land, aber viel ihrer Helden! So hat
eine Flaſche Tokayer mehr Geiſt, als der halbe Ocean! Bei ihnen
war perfönliche Tapferkeit; bei uns findet gar keine Tapferkeit mehr
Statt; Tollkühnheit oder Liſt macht unſere Helden berühmt. Unſere
Geſchichtſchreiber ſind ſehr freigebig mit den Beinamen: Alexander,
Leonidas, Hannibal, Scipio und Caͤſar; wenn fie nur nicht noch das
Wörtchen: Mehr, dazu ſetzten, fo verzeihte man es den Poltrons.
Es iſt wahr, oft glaͤnzt ein neuer Held mehr, als ein alter, weil der
Mond uns größer ſcheinen muß, als der Sirius; allein die Weiſen
ſollten wiſſen, welcher Stern unter beiden am groͤßten wäre! Was
geht ſie der Schein an? Wie froh bin ich, daß ich einmal denken
kann, wie ich will! O ihr Kleinen dieſer Erde, wüßtet ihr, in
welcher Sklaverei die Großen leben müſſen, ihr würdet ſie nicht be—
neiden!
Ihnen iſt die Glückſeligkeit der Freundſchaft und der Liebe verſagt!
Ihre Freunde find Sklaven und Schmeichler, Sklaven aus Inter—
eſſe, und Schmeichler aus Etiquette, oder Sklaven und Schmeichler
* = —
Muſikaliſche Dialogen. 251
aus Intereſſe und Etiquette; und folglich find fie auch gezwungen,
ihnen ihre Seele nicht zu zeigen aus Intereſſe und Etiquette.
Nichts iſt lächerlicher, als die Liebe der Großen dieſer Erde. Ihre
Heirathen werden durch nichts weniger als die Liebe geſchloſſen, die
Staatsgeſetze und die Politik ſchließen ſie. Kinder werden vermaͤhlt,
die noch nicht wiſſen, warum ſie ihre Aeltern Vater und Mutter
nennen.
Dieſe pflanzen den Adel von Vater und Mutter fort; denn die
Seelen haben eben ſo gut verſchiedene Racen, wie arabiſche Pferde.
Es wundert mich, daß die Großen es litten, daß Locke ein Buch
herausgeben durfte, worin er fo ſcharfſinnig bewieß, daß es keine
angebohrne Gedanken geben koͤnne. Es war dieſes ein wahres
crimen laesae majestatis; allein eben beſinn' ich mich, daß Locke ein
Engländer war.
Ihre Liebe außer der Ehe iſt mehrentheils Nothzüchtigung; auch
Damen können nothzüchtigen!
Allein, ihr Weiſen unter den Unterthanen, oder vielmehr ihr weiſen
Weltbürger, ſpottet nicht über die Großen dieſer Welt! Beklaget ſie
vielmehr, daß ſie großentheils ſo elende Auferziehung haben, wie
Wilde aufwachſen, und weiter nichts als Etiquette lernen müſſen.
Könnet ihr von Jemanden verlangen, den Homer griechiſch zu leſen
und zu verſtehen, der die griechiſchen Buchſtaben nicht kennt?
Ihnen iſt noch nicht bekannt, daß die Künſte und Wiſſenſchaften und
das Genie den Menſchen allein adeln; könnt ihr es ihnen verdenken,
daß ſie Ahnen, Geld und Aemter für Verdienſte halten?
Lehret ihnen erſt die wahre philoſophiſche Beſtimmung des Mens
ſchen, dann werden fie euch ſchätzen. —
252 Heinfes Werke. Erſter Band.
Allein die Herren von Genie ſind ſelbſt Urſache davon, daß man ſie
nicht nach Verdienſten ſchaͤtzt, warum machen fie ſich durch ihre
vielen Opfer ſelbſt geringe und unbedeutend? Doch, wem ſollen ſie
opfern? und opfern müſſen ſie!
Doch noch ein Punkt iſt auszumachen: wer ſind die Weiſen in
Deutſchland, die ſich über die Großen beſchweren können, daß ſie
nicht nach Verdienſten geſchaͤtzt werden?
Ein Seelenſpiegel wäre wahrhaftig eine wichtige Erfindung! Viele
koͤnnten wenigſtens daraus einſehen, daß ihre Seelen nicht die
höchſte griechiſche Schönheit haͤtten; denn eine Häßlichkeit kann doch
niemand in einem Spiegel erkennen? Ein Scarron, das lateiniſche
2 glaubt Grazie und Reize zu haben — und haͤtt' er nicht Recht,
dieſes zu glauben, da Maintenon ſeine Frau war?
Bleibt je ein Metaſtaſio unbelohnt, ſo iſt er gewiß mehrentheils ſelbſt
Schuld daran. Ein Juwelier würde nicht viel verdienen, wenn er
ſeine diamantnen Bauren allein verkaufen wollte.“)
Genieen können ſich ſelten ſelbſt belohnen; denn jedes muß ſich ſelbſt
auf die Nachwelt bringen können; Liebhaber und Kenner müſſen be;
lohnen. Deswegen ſchicken die Italiener ihre Virtuoſen zu andern
Nationen; denn jeder kann dann einen Kapellmeiſter vorſtellen, ſo
wie jeder Spartaner einen Feldherrn. —
Jezt wandelt er aus ſeiner Laube; ſeine Empfindung, ſein Herz haͤlt
ein Geſpräch mit ſeinem Genius, noch überlieſt er ſein Gedicht; jezt
laͤchelt ſein Herz ſeiner Seele Beifall zu; — es muß vortrefflich
ſeyn; ich will es ſehen, und ihm eine Roſe abpflücken. Auch Kleinig⸗
*) Mengs, Winkelmann, Wille und andere befanden und befinden ſich wohl,
da ſie ſich nach dieſer Regel gerichtet haben.
Muſikaliſche Dialogen. 253
keiten bezaubern die Seelen großer Maͤnner — Das iſt eine Helene
unter den Roſen — Jezt ſieht er mich!
Metaſtaſio. Prinzeſſin —
Prinzeſſin. Iſt dieſe Roſe nicht ſchoͤn, Metaſtaſio?
Metaſtaſio. So war die Göttin von Paphos in der Phantaſie
unſerer Titiane, wie Sie hier mit der Roſe in den Fingern ſtehen;
allein fie konnte nicht fo unbeſchädigt aus ihren Köpfen, wie aus
der Muſchel auf Paphos, ins Leben gehen.
Prinzeſſin. Sie haben wohl meine Frage nicht recht verſtanden,
Herr Metaſtaſio? Ich fragte Sie, ob dieſe Roſe — und nicht, ob ich
ſchön wäre!
Metaſtaſio. Ich konnte Ihnen keine Antwort auf Ihre Frage
geben, Prinzeſſin, weil Sie die größte Kennerin des Schönen find,
und gewiß meine Meinung von der Schönheit dieſer Roſe nicht im
Ernſte verlangten.
Prinzeſſin. Allein, mein Herr Metaſtaſio, warum iſt dieſe Roſe
ſchoͤn?
Metaſtaſio. Ich bin kein Philoſoph, und kann folglich nicht Demon;
ſtriren, worin die Schönheit beſteht. Ihre Sinnen werden Ihnen
beſſer zeigen, warum ſie ſchön iſt, als meine, weil Ihre Sinnen die
meinigen ſo ſehr übertreffen, daß —
Prinzeſſin. Sie wollen ſagen, meine Sinnen waͤren vollkommner
als die Ihrigen, und Sie ſagen dafür: fie wären ſchoͤner. Allein
Schönheit und Vollkommenheit iſt doch nicht einerlei? Warum
wollen Sie mir aber nicht geſtehen, daß dieſe Roſe fchön iſt?
Metaſtaſio. Sie iſt vortrefflich, die ſchoͤnſte unter allen Roſen, die
ich noch geſehen habe — Ich mache hier der Roſe kein Kompliment,
Prinzeſſin; ich muß Ihnen zuvorkommen, ſonſt möchten Sie mich
254 Heinfes Werke. Erſter Band.
deſſen beſchuldigen — Ihre Farbe erreicht beinahe die Schönheit
Ihrer Wangen!
Prinzeſſin. Ich hör es, daß Sie eben die Muſen begeiſtert haben!
Ohne durch das Kompliment auf die Schönheit meiner Wangen
partheiiſch worden zu ſeyn, muß ich doch geſtehen, daß dieſe Roſe
eine von den fchönften iſt, die ich noch geſehen habe, und daß ich fie
für würdig halte, mit ihren Düften Ihre Seele zu bewirthen.
Metaſtaſio. O Prinzeſſin, Sie bezaubern mich! — welche —
Prinzeſſin. Wir ſogenannte Großen handeln doch niemals ohne
Intereſſe, lieber Metaſtaſio! Sie müſſen mir dafür das Gedicht
zeigen, welches Sie hierein verſteckten, als Sie das Unglück hatten,
in Ihrer Begeiſterung von mir überraſcht zu werden.
Metaſtaſio. Seyn Sie gnädig; ich kann und darf es noch nicht
ſehen laſſen; es iſt ein Embryo, der vor der Sonne ſtirbt. Es iſt
noch unreif, unzeitig, unordentlich.
Prinzeſſin. Jezt bin ich ſtrenge, und gehe nicht von meiner Bitte
ab; man muß euch Dichter doch auch einmal im Negligs betrachten;
ihr ſagt immer, wir Damen wären am ſchönſten darinnen; wer
weis, iſt es bei euch eben ſo! Heraus! heraus! Es iſt mir ſehr lieb,
daß ich Sie eben ſo erwiſche.
Metaſtaſio. Gnade! Gnade! ich kann nicht!
Prinzeſſin. Heraus! heraus!
Metaſtaſio. Ich muß mich ja ſchaͤmen, Ihnen eins von meinen
Kindern ſo nackend unter die Augen treten zu laſſen.
Prinzeſſin. Die Maler und Bildhauer zeigen ihre Meiſterſtücke
im Nackenden! Ihr Gedicht wird ſich wie ein ſchöͤnes Mädchen
ſchaͤmen; die Schaam iſt nur der Schönheit eigen. Heraus damit!
Muſikaliſche Dialogen. 25 5
Wenigſtens müſſen Sie mir meine Roſe wieder geben, Herr Meta—
ſtaſio, wenn Sie es nicht thun.
Metaſtaſio. Die Bedingung iſt zu hart. Hier haben Sie es
denn.
Prinzeſſin. O Himmel! die geraͤchten Grazien! Ei! ei! das muß
was vortreffliches ſeyn.
Senza di noi seintillerà si bella. Das iſt der wahre Zorn einer
Grazie in der aͤchten Sprache der Muſen und Grazien ausgedrückt.
Die italieniſche Sprache hat etwas übermenſchliches in ihrem Tone,
was göttliches, welches alle andere Sprachen nicht haben. So hat
die Mediceiſche Venus etwas göttliches im Ausdruck, welches man
bei keiner unſers Geſchlechts antreffen wird.
Me taſtaſio. Außer bei Ihnen, Prinzeſſin.
Prinzeſſin. Wie treuherzig Sie das ſagen! Sie haben es weit
in der Schmeichelei gebracht.
II fren di rose. Ihnen ſitzen die Grazien im Kopfe! Ich kann ſonſt
nicht begreifen, wie Sie ſo gut die Sprache derſelben reden
können.
Figlie di Gione. Ich glaubte, ſie waͤren Töchter der Venus und
des Bacchus?
Metaſtaſio. Die mehrſten Alten geben ſie für Kinder des Zevs
und der Eurynome aus. Ihr Urſprung wird verſchieden angegeben,
fo wie der mehrſten Götter und Goͤttinnen.
Prinzeſſin. Die alten Dichter glaubten wohl eine Göttin zu be—
ſchimpfen, wenn ſie ihren Kindern einen gewiſſen Vater gegeben
haͤtten, und die Kinder dazu.
Metaſtaſio. Ich glaube, daß dieſe Anmerkung eine vortreffliche
Antwort auf die Beſchimpfungen der Mythologie iſt.
256 Heinſes Werke. Erſter Band.
Prinzeſſin. ma mi piago la mano. Eine zum höchſten Ideal
empor gehobene Grazie kann nur ſo erzaͤhlen. Der Charakter Amors
kann nicht vortrefflicher gezeichnet werden.
Metaſtaſio. Die Erzählung iſt nachgeahmt Prinzeſſin. Die
griechiſchen Grazien haben fie ihrem Prieſter, dem Anakreon, ein;
gegeben. Ich habe die Erzählung nur zu meinem Endzwecke be;
arbeitet.
Prinzeſſin. Nur ein Genie, das ſich ſeiner hohen Größe bewußt
iſt, kann ſo offenherzig gegen ein unwiſſendes Frauenzimmer ſeyn.
Dieſes Geſtaͤndniß iſt mir mehr als alle Beweiſe der Kunſtrichter,
daß Sie das Original weit übertreffen.
guardommi e rise. Welch ein vortreffliches Gemaͤhlde! Wo find
ich einen Mahler der Grazien, der mir es mahlte?
Minaceia? — In Ihren Arien find Sie unübertrefflich! Sie find
ſo muſikaliſch, daß die Erfindung der Melodie dem Komponiſten
gar nicht ſchwer werden kann! Doch — ich glaube, daß hier ein
Komponiſt vollkommen die Lage eines Mahlers hat; die Grazie ber
ſteht in ſo einfachen Zügen, daß man glauben ſollte, ein Mahler
müßte ſie ſehr leicht in ſein Gemählde übertragen können; und viel—
leicht hat die Grazie, welche Titian über ſeine ſchlafende Venus
hauchte, ihm mehr Mühe als das übrige gekoſtet; dieſe Linien
glitſchen ſo ſanft und ſo ſchnell über die Lippen dahin, daß einer
Adlers⸗-Augen haben muß, wenn er fie erhaſchen will. Ein Ton;
künſtler muß ein Guido und Raphael und Titian ſeyn; wenn er
dieſes zornige, grazienvolle Muſikaliſche in dieſer Ariette erhaſchen
und in ſeiner Melodie feſtſetzen will. Die Grazie iſt faſt mehr bei
der Muſik zu Hauſe, als in den übrigen Künſten. Allein die kleinen
Accente, welche die großen italieniſchen Tonkünſtler wie Blitze in
Muſikaliſche Dialogen. 257
ihren Melodien entſtehen und ſchnell wieder verſchwinden laſſen,
dieſe aus dem Munde leicht ſchlüpfenden Töne einer vortrefflichen
Taͤnzerin, dieſe Töne, welche ihrem Geſichte mit Gewalt Grazie
geben — kurz, die Grazie in allen Künſten läßt ſich nur von Genieen
erhaſchen, welchen die Natur ſo viel bezaubernde Reize gegeben hat,
daß ſie ſich gutwillig von ihm fangen laͤßt. Einen ſolchen bezaubern⸗
den Genius haben Sie, lieber Metaſtaſio. Wem die Natur aber
nicht ſo viel Reize gegeben hat, als dazu erfodert werden, einer
Grazie liebenswürdig vorzukommen, dem wird ſie auch nie erlauben,
ſie zu haſchen, und wenn er der größte Jaͤger der Schönheit, wenn
er ſelbſt Apoll wäre, fie wird ſich eher wie Daphne in einen Lorbeer;
baum verwandeln, als ſich von ihm fangen laſſen.
Man giebt wohl eben deswegen die Grazien für Mädchen aus, deren
jungfräulichen Gürtel noch kein Gott und Sterblicher haͤtte auf—
loͤſen koͤnnen, weil fie gleich dem Genius dem wieder aus der Hand
ſchlüpfen, der fie erhaſcht hat. Die wenigen find wohl außerordent—
lich glücklich, denen ſie drei Küſſe auf einmal erlauben! Allein Ihr
Glück übertrifft das Glück aller Sterblichen, Herr Metaſtaſio, da
ſie, wie ich eben ſehe, alle drei ſo lange bei Ihnen blieben, daß Ihnen
jede eine ganze Begebenheit erzaͤhlte. Sie werden Ihnen doch wohl
nicht gar, Herr Metaſtaſio —
Metaſtaſio. Ich fühle einen Gott in mir! — o machen Sie meinen
Genius nicht zu ſtolz, Prinzeſſin!
Prinzeſſin. Il loco ombroso — soave obblio. Nur mit der
italieniſchen Sprache kann man ein ſolches mufifalifches Gemählde
machen. Ihr armen Deutſchen! dieſes in eurer Sprache auszu—
drücken, ift Unmöglichkeit! —
m'intrico. Hier haben Sie den künftigen Guidonen ein Meiſter⸗
1 17
258 Heinſes Werke. Erſter Band.
ſtück, ein Original vorgemahlt, welches ſie ſchwerlich werden erreichen
können.
sarei. O Aglaia! Aglaia! Meine Geniuſſin umarmt ſich mit dir!
O göttliches Mädchen! Welche Unſchuld! O Aglaia! Aglaia! o aller;
liebſte Aglaia! Und o du leichtfertiger, tückiſcher Amor!
Metaſtaſio. Sie laſſen ſich zu weit von Ihrer Höhe herunter,
vortreffliche Prinzeſſin!
Prinzeſſin. O erlauben Sie mir doch, mich Schweſter Ihrer
Aglaia zu nennen. Ich bin noch nicht achtzehn Jahre alt, und auch
ein ganz hübſches Maͤdchen, wie man mir weiß gemacht hat. — si
ma non dura. Welche Sanftmuth!
Ch’egli € fanciullo ancor. Dieſer Vers iſt in Ihrer Arie, wie die
ſchönſte Seele in dem ſchönſten Leibe. Aglaia ſteht lebendig vor
mir.
Ich muß mich nur einſtweilen geſchwind über alle die Schönheiten
freuen, weil meine Neugierde mir nicht erlaubt, wo ſtehen zu
bleiben.
piangea. O der Tückiſche!
guarda. Das iſt Amor, der Sohn der Venus! der wahre Amor.
So ſtark, ſo getreu, ſo aͤcht griechiſch hab' ich ſeinen Charakter nie
gezeichnet gefunden.
delusa. Wie naiv! — Ich mag nicht mehr loben, mein Lob wird
geringer dadurch. Und doch kann ich mich nicht zwingen, nicht zu
loben.
vilta. Die Vortrefflichkeit verbietet mir das Lob.
cure. Venus muß wahrhaftig ſehr weiſe geweſen ſeyn, auch dieſes
iſt ein Beweis davon. Das Schickſal hatte vergeſſen, den Grazien
anzubefehlen, was ſie am beſten thun konnten. Venus entdeckte
Muſikaliſche Dialogen. 259
dieſes neue Talent. Ich halte ſie für weiſer, als Pallas; nicht
allein, weil fie dieſe beim Streit um den Apfel an Weisheit über;
traf, ſondern weil ſie überhaupt immer neue Entdeckungen machte.
Sie müſſen dieſes als Poet beſſer wiſſen, als ich. — So ſind die
großen Poeten, Mahler und andre Künſtler weiſer, als die Weiſen
oder Philoſophen. Die Muſen und Venus mit den Grazien und
Amor werden doch wohl mehr wiſſen, als eine Pallas, deren Weis—
heit oft nur in der Aegide beſtand, wie die Weisheit der Gelehrten
zu den Zeiten des Galilei, und vielleicht noch jezt in manchen Laͤn⸗
dern, in Gefaͤngniſſen.
Eliſa. Sie ſind ein Meiſter in allen. Glückliche Kaiſerin, die das
Glück hat, von einem Metaſtaſio auf die Nachwelt gebracht zu
werden!
Venere avia. In dieſen Zeilen werden die Philoſophen ihre Schüler
die Grazie angaffen laſſen.
Die gerächten Grazien find ein Drama, ein Gedicht fo niedlich, fo
voll ſüßer Gedanken, fo voll ſchoͤner Gemaͤhldchen, fo voll von muſi⸗
kaliſchen Verſen, und im Ganzen ſo vollkommen ſchoͤn, daß es die
hohe Schönheit, die hoͤchſte Vollkommenheit erreicht hat, worüber
nichts ohne Verletzung der Schönheit gehen kann. So wie ein
Mädchen, wenn es den höchften Grad der Jugend erreicht hat, von
den hohen Graden der Schönheit wieder abſteigt, wie Roſen an—
fangen zu welken, wenn ſie in ihrer höchſten Blüthe ſind, ſo —
Metaſtaſio. Sie machen dieſer Kleinigkeit zu viel Lobſprüche.
Dieſes Gedichtchen hat vielleicht noch verſchiedene Fehler; wir
Poeten müſſen immer feilen; ich werd' es auch hier thun müſſen,
zumal da ich es binnen einigen Stunden ſehr ſchnell verfertigt
habe.
N
260 Heinſes Werke. Erſter Band.
Prinzeſſin. Nicht eine Sylbe dürfen Sie ändern! Was Grazie
haben ſoll, muß auch die Natur der Grazie haben; ihre Natur ver—
langt das ſchnell hinwegſchlüpfende, folglich muß ein ſolches Ge—
dichtchen auch wie mit einem Hauch ins Leben geblaſen zu ſeyn
ſcheinen.
Ihr Dichter geht oft mit euren Geiſteskindern um, wie unſre Ammen
mit den Kindern — ia da weis ich denn keinen Ausdruck — mit
den Kindern vom Weibe gebohren. Was müſſen dieſe nicht aus⸗
ſtehen, zumal wenn ſie das Unglück haben, weiblich geſtaltet zu ſeyn.
Gepreßt bei uns unter den Rippen, und bei den Chineſern an den
Füßen werden ſie, daß ihre ganze Form ſo gezwungen wird, und
daß ſie gegen die Form der Natur ſich verhalten, wie die elende
Kopie eines Schülers von der Mediceiſchen Venus zum Original.
So machen es die mehrſten Dichter auch mit ihren Werken! Beſſert
die Form der Natur nicht mit Fiſchbein, und die Geſtalt der Kinder
des Genies nicht mit Verſtande.
Metaſtaſio. Prinzeſſin, der Genius ſelbſt kann verbeſſern, ſo wie
die Natur oft die Fehler der Kinder nach und nach verbeſſert; und
dann iſt, was dieſes betrifft, auch noch ein großer Unterſchied zwiſchen
der Entſtehung der Kinder des Geiſtes und der Kinder vom Weibe
gebohren. Allein die ſogenannte Iſokratiſche Arbeit iſt jedem Genie
unverſtändig.
Prinzeſſin. Was iſt Iſokratiſche Arbeit?
Metaſtaſio. Iſokrates arbeitete zehn Jahre an einer kurzen Rede.
Sie ſollte ein Meiſterſtück werden, wornach ſich unſre Redner bilden
konnten.
Prinzeſſin. O das iſt zu arg. Zehn Jahre an einer kurzen Rede
Muſikaliſche Dialogen. 261
zu arbeiten! Was iſt das für ein Genius, der ſich ſelbſt in ſolche
ſclaviſche Feſſeln zwingen kann? — Doch genug davon.
Man wirft der Oper vor, daß ſie unnatürlich wäre, indem es lächer⸗
lich ſey, wenn Herkules und Alexander ihre heroiſchen Gedanken
mit allem Pomp der Muſik begleitet ſaͤngen. Man kann nichts auf
dieſen Einwurf antworten, als — daß das Lächerliche bei der vor;
trefflichen Aufführung nur kalte Philoſophen fühlen koͤnnen, deren
Köpfe und Ohren unerhitzbare Lebensgeiſter und keine Verbindung
mit dem Herzen haben. Auch dieſen Einwurf kann man Ihren ge—
raͤchten Grazien nicht machen. Bei einer Grazie wird man doch
wohl den Geſang nicht für unnatürlich halten?
Metaſtaſio. Ich glaube aber, daß man noch viele Gründe zu
zweifeln hat, ob die ſingenden Alexander und Herkuleſſe auch wirk—
lich lächerlich ſeyen.
Wie man die Oper erfunden hatte, mußte man es ohne Zweifel
glauben; denn die Poeten wagten es nicht, Menſchen auf das
Theater zu bringen, ſondern fie ließen Götter und Teufel und Nym—
phen und Feen auftreten; und wenn ſie es auch wagten, ſo mußte
doch ein Gott den ſogenannten Knoten aufwickeln. Die Thoren
hatten nicht fo viel Menſchenverſtand, einzuſehen, daß Götter noch
laͤcherlicher dabei waren, als Menſchen.
Die unter den Menſchen erſcheinenden Götter waren ſchon lächer—
lich zu den Zeiten, da man noch an ſie glaubte, ſie verehrte und ihnen
Opfer brachte; Euripides ſelbſt führt ſeine Götter und Göttinnen
nur deswegen auf das Theater, damit er über ſie ſpotten konnte.
Nichts iſt laͤcherlicher, als wenn der alte Zevs von feinem antiquen
Himmel herunter ſteigen muß, um den Mangel des Genie bei einem
262 Heinfes Werfe. Erfter Band.
Poeten zu erfegen und durch Entdeckung einer Narrheit bei einer
ſchrecklich tragiſchen Handlung den Knoten entzwei zu hauen.
Prinzeſſin. Ihren Grazien kann man wohl dieſes nicht vor—
werfen. Sie führen uns in das Paradieß des Homeriſchen Him—
mels, und laſſen uns daſelbſt die ſchönſten ihrer Göttinnen betrach—
ten. Sie löfen keinen Knoten auf. Die Handlung iſt fo klein, fo
ſchoͤn, fo vortrefflich ausgedacht, und dabei der Phantaſie fo wahr;
ſcheinlich, daß ſie uns täuſchen und mit der wirklichen Gegenwart
der Grazien überraſchen muß. Sie verſetzen uns in den griechiſchen
Himmel, wie ein vortrefflicher griechiſcher Dichter und Mahler ſeine
Zeitverwandten dahin zauberte. Herr Metaſtaſio, ſollten wir nicht
eben ſo weit in der dramatiſchen Kunſt ſeyn, als die Griechen?
Metaſtaſio. Eine vortreffliche Oper iſt das hohe Meiſterſtück der
dramatiſchen Kunſt. Den Neuern war ihre Erfindung vorbehalten;
denn die Alten hatten fie nicht. Die griechiſche Tragoͤdie war noch
gar keine Oper, wie einige Gelehrte ſie dafür haben ausgeben wollen.
Weiter kann man nichts behaupten, als daß die griechiſchen Trags⸗
dien bei der Aufführung höchſtens eine Aehnlichkeit mit unſern Ne;
citativen hatten. Die Griechen hatten den höchften Grad der Voll;
kommenheit ihrer Muſik erreicht, und wir vielleicht den hoͤchſten
Grad der Vollkommenheit der unſrigen. Die muſikaliſchen Inſtru⸗
mente der Griechen waren um ſehr viel unvollkommner, als die
unſrigen. Sie konnten ſolche nur zum Akkompagnement brauchen;
und in ihrem Akkompagnement waren ſie ohne Zweifel bis zum
hoͤchſten Grad der Vollkommenheit gekommen, fo wie auch beim
Singen. Ich glaube aber nun daraus den Schluß machen zu konnen,
daß unſre Muſik um fo viel vollkommner iſt, als unſere Inſtrumente
die griechiſchen übertreffen. Wenigſtens iſt die Inſtrumentalmuſik
Muſikaliſche Dialogen. 26
um ſo viel vollkommner. Unſere Virtuoſen können ohne allen
Zweifel ihre Clavecins und Violinen eben ſo vortrefflich ſpielen,
als die Griechen ihre Barbitons; denn es läßt ſich bei einigen Vir—
tuoſen kein höherer Grad der Vollkommenheit mehr denken. Ihr
Barbiton konnte hoͤchſtens kein vollkommneres Inſtrument ſeyn⸗
als unſere Harfe. Um wie viel alſo ein vortreffliches Clavecin volls
kommner iſt als eine Harfe, um fo viel vollkommner iſt auch unfre
Inſtrumentalmuſik.
Prinzeſſin. Der Beweis ſcheint ſehr bündig zu ſeyn; allein die
Köpfe mit fremden Haaren werden ihn doch wohl nicht für bündig
halten. Sie werden ſagen, wer weis ob ihr Barbiton nicht ein eben ſo
vollkommenes Inſtrument war, als unſer Clavecin? denn es giebt
Gelehrte, die ſich nicht ſchämen zu behaupten, das Schiff des Ulyſ—
ſes waͤre ſo groß geweſen, wie ein großes Englaͤndiſches Orlog—
Schiff.
Metaſtaſio. Die Vergleichungen unſrer Künſte mit den Künſten
der Alten ſind allemal laͤcherlich. Die neuere Muſik iſt ganz etwas
anders, als die Muſik der Alten. Das iſt offenbar. Allein die
mehreren Grade ihrer Vollkommenheit genau beſtimmen können
wir nicht, weil wir von der Muſik der Alten nichts mehr übrig
haben.
Prinzeſſin. Dieſes kann wohl nicht geleugnet werden, daß unſere
Inſtrumental-Muſik vollkommner iſt; allein wie ſteht es mit der
Singmuſik?
Metaſtaſio. Ich glaube, daß unſere berühmten Sängerinnen und
Saͤnger wenigſtens eben ſo vortrefflich ſind, als die Sänger und
Saͤngerinnen bei den Griechen. Ihr Geſang war ſchöne Natur,
und unſer Geſang iſt verfchönerte Natur. Ihre Sängerinnen
264 Heinſes Werke. Erſter Band.
—
machten wohl kein ſolch beſondres Studium daraus, als unſere
Fauſtinen und Cuzzonen. Vielleicht ſangen ſie eben ſo vortrefflich,
als dieſe; allein was iſt ein Liedchen gegen die zaͤrtlichen, die rühren⸗
den Vorſtellungen einer ganzen Oper!
Prinzeſſin. Dieſer Beweis iſt zu ſtark. Der vortreffliche Geſang,
mit einer vortrefflichen Aktion verbunden, muß wohl mehrere Wir—
kungen hervorbringen, als Geſang allein, oder als Geſang mit der
Aktion verbunden, welche zu einem Liedchen erfodert wird. Allein
die kalten nordiſchen Bewunderer der Griechen werden immer ſagen:
euere Oper iſt unnatürlich, und folglich übertrifft die griechiſche
Muſik doch noch immer die neuere! Denn durch das Unnatürliche
das Natürliche übertreffen wollen, iſt eben ſo viel, als die nach
Antitheſen ſchnappenden Nachahmer des Petrarchs über ihn ſetzen
wollen.
Metaſtaſio. Man könnte erſtlich dieſe kalten nordiſchen Köpfe be;
weiſen laſſen, daß die Aufführung der griechiſchen Tragödien ſo
natürlich war, als ſie ſolche vorausſetzen. Ihre Deklamation, ihre
Chöre und ihre Flöten und andere Inſtrumente dazu würden viel⸗
leicht ihren Beweis ſehr ſchwer machen, und wenn ſie ihn heraus—
gebracht haͤtten, ſo würden ſie vielleicht unſerer Oper ebenfalls das
Unnatürliche dadurch abgenommen haben.
Prinzeſſin. Allein woher kömmt es, daß uns der Geſang dieſer
Helden auf der Bühne gar nicht unnatürlich vorkömmt, da wir ihn
auf der Stube uns als unnatürlich vorſtellen müſſen?
Metaſtaſio. Prinzeſſin, verſchonen Sie mich mit der Erklaͤrung
dieſer Frage! Ein abſtrakter kalter deutſcher Kopf wird Ihnen
vielleicht dieſe Frage beſſer erklaͤren können, als ich. Meine Seele
geht nicht aus meiner Phantaſie heraus, und folglich kann ſie
Muſikaliſche Dialogen. 265
ſolche auch nicht von ferne betrachten und über ſie Schlüſſe
machen.
Prinzeſſin. Dieſe Entſchuldigung taugt nichts. Warme Köpfe
können über gewiſſe Gegenſtände beſſer philoſophiren, als kalte;
und feurige beſſer, als beyde. Dieſer Gegenſtand ſchickt ſich für
Sie.
Metaſtaſio. Ich weis den Weg nicht in die Heiligthümer der
Göttinnen Muſik und Philoſophie; da iſt es dunkel. Wie kann ich
den Pfad treffen, den ich nicht kenne? Wie kann ich ſehen, wo es
dunkel iſt?
Prinzeſſin. Ich merke nun ſchon, warum Sie dieſes nicht thun
wollen; Sie denken, ich verſtünde Ihre Erklaͤrung doch nicht. Nicht
wahr?
Es iſt wahr, ich bin noch ein unwiſſendes Maͤdchen; allein ich glaube
doch ſehr gut verſtehen zu konnen, was verſtändlich iſt. Ihre Philo—
ſophie iſt gewiß nicht unverſtändlich. Ein jedes Wörtchen in Ihrer
Sprache hat ein Bild, und ich verſtehe die Wörterchen ſehr gut, mit
denen ich Bilder verbinden kann.
Metaſtaſio. Ihre heftige Wißbegierde wäre Beweis von dem
Sonnenglanze des Adels Ihrer Seele, wenn nicht ſchon die zahl—
loſen, tiefgedachten Kenntniſſe ihn bewieſen. Schon danke ich dem
Vater der Weſen für die Glückſeligkeit, welche Nationen unter
Ihrer künftigen Regierung genießen werden. Prinzeſſin, Ihre Seele
iſt wahrhaftig ein Ausfluß der Gottheit, wenn es auch keine andere
menſchliche Seele wäre.
Prinzeſſin. Sie ſind ein tugendhafter Mann, Metaſtaſio. Ihre
Zunge iſt ſo gut an das Herz, als an den Kopf gewachſen. Ich
werde mich darnach zu bilden ſuchen, daß Sie dem Vater der Weſen
266 Heinſes Werke. Erſter Band.
nicht vergeblich für die Glückſeligkeit der Nationen ſollen gedankt
haben. Allein, lieber Metaſtaſio, wir wollen von dieſen Blitzen in
unſerer Unterredung uns nicht blenden laſſen. Warum, Metaſtaſio,
koͤmmt uns der Geſang der Helden auf der Bühne nicht unnatürz
lich vor, da er uns außer ihr unnatürlich zu ſeyn ſcheint? Sollte
man dieſes nicht erklären können? Wir wollen es verſuchen: fangen
Sie an, ich will auch mit helfen arbeiten. Sie werden ſich doch
nicht weigern, mit einem ſo guten Maͤdchen zu arbeiten, als ich
bin?
Metaſtaſio. Sie erniedrigen ſich zu ſehr gegen den Poeten Meta;
ſtaſio.
Prinzeſſin. Und Sie erniedrigen die Prinzeſſin zu ſehr, wenn Sie
ſo mit ihr ſprechen.
Metaſtaſio. Sie zwingen mich dazu, Prinzeſſin! Sie werden alſo
fo gütig ſeyn, und mir verzeihen, wenn meine Philoſophie gezwun—
gen ſeyn ſollte.
Wer in Neapel eine vortreffliche Oper hat aufführen geſehen, wird
nicht an der Möglichkeit zweifeln, daß eine Oper täuſchen und den
Zuſchauer in eine ſolche Vergeſſenheit der Unwahrſcheinlichkeit ſetzen
könne, daß er glaubt, er ſähe den wahren Alexander, die wahre
Dido, den wahren Herkules. Die häufigen Thränen, welche über
Geſichter voll Leidenſchaft herabrollen, die hochauf geathmeten
Buſen, worinnen die Angſt arbeitet, der zärtlichen, gefühlvollen und
feurigen Italienerinnen werden es ihm beweiſen. Wenn es auch
einen Kopf mit ſolchen gegenwaͤrtigen Augen geben ſollte, der dieſe
Zaͤhren für Beweiſe der Schwaͤrmerei der Italiener anſehen wollte,
ſo mag er die Geſichter der Franzoſen und Engländer in ſolchen
Opern betrachten, ihre Thraͤnen werden ihm ſagen, daß er kein
Muſikaliſche Dialogen. 267
Menſch, noch weniger ein Gott — ſondern daß er weiter nichts als
eine denkende Maſchine ohne Menſchheit ſey. Sogar die oft un—
ſchickliche Figur der Caſtraten zu den Perſonen, welche ſie machen,
verhindert die Täuſchung nicht. Wenn gar Fauſtinen, Cuzzonen, die
Farinelli, die Porporen die ihnen angemeßnen Rollen haben, wenn
zugleich ein Apoſtolo Zeno die Leidenſchaft der Perſonen in der
Sprache der Muſen ausgedrückt, und ein Pergoleſi die Accente
dazu aus der Seele heraus empfunden hat — o wie wenig muß
der dann die Natur kennen, der den Geſang dieſer Perſonen für
unnatürlich halten kann! Er iſt nicht würdig, Seligkeiten zu empr
finden! Er mag den Ruhm eines Stoikers haben, eines Mannes,
deſſen Seele ſich ewig gleich bleibt, wie ein Stein.
Prinzeſſin. Wie muß es aber zugehen, daß die geſchmackvolleſten
Perſonen, die aufgeheitertſten Köpfe, ohngeachtet der Unwahrſchein—
lichkeit, doch ſo ſehr getäuſcht werden, daß ſie nicht daran denken
koͤnnen?
Metaſtaſio. Wo Natur iſt, kann der Dichter und Tonkünſtler die
Unwahrſcheinlichkeit leicht aus den Köpfen der Zuhörer hinweg—
zaubern. Die Unwahrſcheinlichkeit in den Opern iſt nicht viel größer,
als in Tragödien und Comödien. Caͤſar, Cato, Brutus, Alexander,
Medea, Lukretia ſprechen in franzöſiſchen, engliſchen und italieniſchen
Verſen auf dem Theater, wenn der Dichter ihre Charaktere gut und
ſtark gezeichnet hat. Wenn die Akteurs und Aktricen vortrefflich
ſind, ſo verbannt die Natur die Unwahrſcheinlichkeit.
Prinzeſſin. Alſo müßten Pergoleſi, Vinci, Leo das Unnatürliche
zur Oper bringen; je vortrefflicher, je entzückender ihre Melodien
wären, je unnatürlicher müßten fie ſeyn? Welche närriſche De;
hauptung! Man ſollte denen die Ohren abſchneiden, oder das
268 Heinſes Werke. Erfter Band.
Trommelfell entzwei ſtechen, welche etwas von dieſer Art behaupten
konnen.
Metaſtaſio. In den Opern werden die Leidenſchaften in dem
höchften Grade der Schönheit vorgeſtellt, deſſen fie nur fähig ſeyn
können. Alles muß mit der Leidenſchaft übereinſtimmen, Ton, Ak—
tion und Ausdruck. Die in den Opern handelnden Perſonen ſind
Ideale von vollkommenen Menſchen.
Warum hielt man den Geſang bei Erfindung der Oper für natür;
lich bei den Göttern, und für unnatürlich bei Menſchen?
Prinzeſſin. Ohne allen Zweifel, weil man die Götter ſich als die
vollkommenſten Menſchen vorſtellte.
Metaſtaſio. Der Ton der gewöhnlichen Ausſprache einer Perſon,
die ſich in einer gewiſſen Leidenſchaft befindet, iſt rauh, die Leiden—
ſchaft ſelbſt giebt ihn noch grob und unvollkommen an. Der Ton:
künſtler bearbeitet ihn nur, und giebt ihm die Annehmlichkeit, die
Schönheit, die der Poet der rohen Rede, dem ungehobelten Aus—
druck der leidenſchaftlichen Perſon gegeben hat.
Wenn eine Perſon, welche ſich in einer heftigen Leidenſchaft bes
findet, nur erzählt, oder ſelbſt, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, die
Geſchichte der Leidenſchaft handelt, fo wird der Ton in der gewoͤhn—
lichen Ausſprache ſich nicht ſehr veraͤndern; ſobald ſie aber ihre
Empfindungen darüber ausdrückt, ſobald fie über ihr Schickſal ſeufzt,
oder ſobald ſich zwo Perſonen in einer Scene befinden, wo ſie nicht
mehr handeln, ſondern nur empfinden konnen, da verändert ſich
der Ton ſehr merklich, die Accente darinnen werden bald ſchneller,
bald langſamer, bald fehlen ihr die Worte zum Ausdruck der
Empfindung, ſie drückt ſie alſo blos durch Töne aus; bald kann ſie auch
dieß nicht mehr, und die allzuheftige Empfindung erſtickt Ton und
Muſikaliſche Dialogen. 269
Worte. Die Erzählung oder die gehandelte Geſchichte der Leiden;
ſchaft macht das Recitativ, und die darüber ausgedrückten
Empfindungen Arien und Chöre aus. Dieſes findet bei den mehrſten
Leidenſchaften Statt; Zorn, Liebe, Furcht, Schrecken, Eiferſucht ſteigen
von ihren Anfängen zur höchſten Höhe empor, und mit ihrem
Wachsthume verändern ſich immer die Accente der Drohungen,
der Zärtlichkeit, der Klagen, der Seufzer, der Wuth und des
Schreckens.
Der Dichter macht die Natur vollkommner, und der Tonkünſtler
vervollkommnet ſie noch mehr. Wenn ſie beide gleiche Genieen,
gleich vortrefflich ſind, ſo erhoͤhen ſie die Staͤrke, die Schönheit der
Leidenſchaft zu einem ſolchen Grade, daß die Gegenwaͤrtigen nur
beim Anblick und Anhören der handelnden Perſonen mehr fühlen
mũſſen, als wenn fie ſich ſelbſt in der Leidenſchaft befinden.
Die Zuſchauer ſehen und hören die Perſonen wirklich handeln; ihr
Gefühl, ihre Sinnen laſſen ſie nicht an das Unnatürliche denken,
ſondern beweiſen ihnen nur zu ſehr, daß die geſungene Empfindung
natürlich iſt. Ihnen faͤllt nur ſo viel aus der Geſchichte der Dido
ein, als ihre Leidenſchaft zu verſtehen nöthig iſt.
Der Tonkünſtler muß die Natur der Töne ſamt ihren Wirkungen
auf die Nerven des Ohres, und die Erſchütterungen, die dieſe durch
den ganzen Menſchen machen, vollkommen kennen; die Melodie
muß vollkommen mit der Empfindung harmoniren.
Und alſo iſt eine Oper nichts weniger als unnatürlich; es wird hier
vielmehr dasjenige dazu gethan, was dem Natürlichen noch an
Schönheit und Vollkommenheit fehlet. Daher koͤmmt es, daß eine
Arie hundertmal mehr das Herz empfindlicher Zuhörer erſchüttert,
wenn fie geſungen, als wenn fie in einer Tragödie nur deklamirt
270 Heinſes Werke. Erſter Band.
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wird. Ich habe die beſten Tragoͤdien von Corneille und Racine auf:
führen geſehen, und die faſt übermenſchliche Aktion und Deflamas
tion der berühmteſten Aktrice hat noch lange nicht ſo viel Zaͤhren
aus den Zuſchauern herausgelockt, als eine vortreffliche Sängerin
mit dem hinreißenden Geſang einer Arie, wo in der Götterſprache
der Italiener der hoͤchſte Grad einer melancholiſchen Zaͤrtlichkeit
ausgedrückt iſt, herausſtroͤmen kann. Ihre zaͤrtlichen, hingeſeufzten
Accente aus einem Munde mit melancholiſcher Grazie übergoſſen
geſungen, die Zaͤhren ihrer himmelaufſehenden Augen, ihr ängſtlich
wallender Buſen, mit welchem das Herz mehr als mit der Zunge
ſprechen kann! mit der vollkommnen Aktion eines ſchoͤnen Leibes
verbunden — Wer wollte hier nichts fühlen? Selbſt die Aktion in
der Oper iſt natürlicher, als in einer Tragödie; hier iſt fie oft fo
ſchnell, daß ſie die ganze Handlung unnatürlich macht, der Kampf
des Geiſtes mit den Leidenſchaften in ihrer hohen Größe iſt oft nicht
ſo ſchnell vorbei, als ihn eine Aktrice in einer Tragoͤdie, um das
Leere zu vermeiden, dauren läßt.
Dichter und Tonkünſtler müſſen beide einerlei Endzweck haben: der
Dichter darf nichts in ſeine Handlung bringen, das der Tonkünſtler
nicht bearbeiten kann, und der Tonkünſtler darf nicht durch den
Pomp und das leere Geräuſch ſeiner Muſik die Handlung unter—
brechen, oder das Intereſſe derſelben vermindern.
Daher darf der Dichter weiter nichts thun, als die Leidenſchaften
von ihren intereſſanten Anfaͤngen bis auf ihren höchſten Grad in
Handlungen nach und nach ausführen. Das Feuer derſelben darf
gar nicht auslöſchen, die Flamme muß immer nach und nach wachſen.
Die kalten überlegten Sentenzen, Gedanken ohne Empfindungen,
Schlüſſe, politiſche Feinheiten, kurz, Witz und Verſtand muß ſich
Muſikaliſche Dialogen. 271
nicht in die Sprache der Empfindung und des Herzens drängen.
Der Tonkünſtler kann dieſe nicht ausdrücken. Die Muſik drückt
entweder Leidenſchaften und Empfindungen aus, oder ſie iſt weiter
nichts, als ein angenehmes Geraͤuſch für die Ohren. Der Zuſchauer
muß immerfort empfinden; ſobald die Empfindung unterbrochen
wird, ſobald die Seele wieder willkührlich denken kann, ſobald iſt
wenigſtens das Intereſſe an der Handlung geſchwächt, wenn es
nicht ganz und gar verſchwunden iſt. Daher waren die erſten und
mittlern Opern weiter nichts als ein Concert mit Recitativen und
Arien untermiſcht. Die Muſik war für ſich, und die Poeſie auch.
Höchſtens machten fie eine Vereinigung, wie ein Paar nicht allzu
zaͤrtliche Eheleute. Sie ſollen ſich aber zuſammen wie die Theile
des Menſchen verbinden; man muß weder Poeſie noch Melodie be—
ſonders unterſcheiden können, fie müſſen in einander zuſammen⸗
ſchmelzen, zuſammenfließen. Und fo wird die Täuſchung ganz ge’
wiß hervorgebracht werden, und die Oper wird gegen die Tragödie
und Comoͤdie allezeit das ſeyn, was Tragödie gegen die wirklichen
Handlungen der Menſchen iſt.
Prinzeſſin. Mit Vergnügen hab' ich Ihnen zugehört, und Sie
ſcheinen völlig Recht zu haben, wenn Sie die vollkommne Oper ſo
weit über das Trauerſpiel erheben.
Die Menſchen werden bei der Oper zu einem Ideal der Vollkommen—
heit empor gehoben, welches ſie freilich in der Natur noch nicht er—
reicht haben, die handelnden Perſonen in der Oper ſind unwahr—
ſcheinlich, allein nicht unnatürlich. Das Unwahrſcheinliche ver
ſchwindet, weil die Menſchen allezeit die verſchönerte Natur in die
Wirklichkeit wünſchen, und wenn man ihnen nur die geringſte Ge—
legenheit dazu giebt, ſie wirklich ſehen. Die Natur legte dieſen
272 Heinſes Werke. Erſter Band.
Grundtrieb insbeſondere in den Menſchen, immer vollkommner zu
werden. Daher entſteht die Liebe zum überirdiſch Schoͤnen; denn
die überirdiſche, die idealiſche Schönheit iſt eine vollkommnere natür—⸗
liche; und daher entſteht unſre Liebe, jedes Ding in feiner höchften
Vollkommenheit zu ſehen. Man hat kaum den Wunſch gethan, ſo
ſetzt ſchon die Phantaſie das noch hinzu, was zur hoͤchſten Vollkommen⸗
heit fehlt; wenn fie es ſelbſt nicht thut, fo iſt es ihr überaus ergoͤtzend,
wenn es ihr ein Gemählde von der hoͤchſten Vollkommenheit eines
Dinges macht. Alle Sinnen ſind auf die Sache gerichtet, und alles
wird entfernet, was dieſem Gemaͤhlde von der höchften Vollkommen⸗
heit zuwider iſt. Daher ſieht man ein ſchönes Gemaͤhlde gleich für
lebendig an, die Titianiſche Venus ſchläft, Chriſtus verkläret ſich,
die Mediceiſche Venus kömmt aus dem Bade, Laokoon ſeufzet, in⸗
dem ihn die Schlangen drücken; die Gewalt unſerer Phantaſie geht
noch weiter, wir ſehen die Perſonen, welche Dichter in ihren Ger
dichten handeln laſſen, vor unſern Augen; und auf eben dieſe Art
ſehen wir die ſiegenden Helden mit unſern Augen leibhaftig, unſere
leiblichen Augen verwandeln ſich in die Augen der Phantaſie, wir
ſehen fie wie fie find, und nicht wie fie nach der Geſchichte ſeyn ſoll—
ten. Der Geſang iſt weiter nichts als eine bis zur höchften Boll;
kommenheit gebrachte Rede. Die unharmoniſchen Töne der gewoͤhn⸗
lichen Ausſprache ſind harmoniſch worden.
Metaſtaſio. Allein warum ſehen wir die Karrikaturen, die verz
groͤßerte Haͤßlichkeit in Gemählden eben fo gut für lebendig an, als
die Schönheit?
Prinzeſſin. Weil die Haͤßlichkeit vollkommner iſt, als die Schön;
heit. Allein wenn ich einen haͤßlichen Gegenſtand abgemahlt ſehe,
ſo ſehe ich ihn gleich nach dem erſten Anblick blos für ein Gemaͤhlde,
Muſikaliſche Dialogen. 273
und nicht für lebendig an, und werde unwillig auf den Mahler, daß
er meinen Sinnen Ekel verurſachen will. Ich will immer lieber
alle Dinge vollkommen ſchön, als haͤßlich und mangelhaft ſehen.
Man ſollte die Künſtler, die das Haͤßliche bearbeiten, auch nicht
fchöne, ſondern häßliche Künſtler nennen.
Metaſtaſio. Prinzeſſin, bisweilen müſſen Dichter und Mahler
haͤßliche Charaktere bearbeiten, um die andern Perſonen durch
dieſen Contraſt in ein helleres Licht zu ſetzen. Man muß oft
die Natur nur ſchildern, ſich zeigen laſſen wie ſie iſt, wenn man
ein Gemaͤhlde intereſſant machen will; die allzuhohe Vollkommen—
heit wird uns zur Laſt, wenn wir ſie nicht erreichen können.
Die allzuſehr verſchönerte Natur, insbeſondere die vom Menſch—
lichen allzuſehr gereinigten Leidenſchaften erhalten durch das allzu
Unwahrſcheinliche einen Anſtrich von Unnatürlichen, daß ſie unſere
Eigenliebe beleidigen, und daß wir die Leidenſchaft für Heucheley
halten.
Prinzeſſin. Die menſchliche Natur muß beybehalten werden; die
ihr natürlichen Leidenſchaften, die bis aufs höchfte verfchönerte
menſchliche Natur im wahren, achten menſchlichen Leidenſchaften
wird allemal ein Gegenſtand unferer Liebe bleiben. Man darf frei⸗
lich feine Helden nicht zu Göttern erhöhen, ihnen die Menſchlichkeit
ausziehen; man muß ihnen nicht allein erhabnen Adel, ſondern auch
Zorn, ausſchweifende Liebe, und andere menſchliche Leidenſchaften
geben. Sie müſſen Blut und Nerven haben. Ich glaube, daß man
einen haͤßlichen Charakter nie auf das Theater bringen darf, außer
bis er die Süßigkeit der Zaͤhren vermehrt, die wir über die von ihm
unglücklich gemachte Perſon weinen ſollen. Die Bühne iſt mehr
zum geiſtigen Vergnügen der Menſchen beſtimmt, als zum Belehren
1 18
274 Heinſes Werke. Erſter Band.
ſo wie alle ſchönen Künſte. Die moraliſche Philoſophie ſoll zeigen,
welche Folge Laſter und Tugenden haben. Wir intereſſiren uns
für die tugendhaften Perſonen auf der Bühne, und die laſterhaften
verabſcheuen wir; wir müſſen aber ſchon wiſſen, was Tugend und
Laſter iſt, ehe wir dieſes thun koͤnnen. Wir bewundern oft die große
Kenntniß der Menſchen eines vortrefflichen Dichters in feinen dra—⸗
matiſchen Stücken, ja wir lernen von ihm die Menſchen beſſer kennen,
wir ſtudieren in feinen handelnden Perſonen die Natur der Leiden;
ſchaften; allein deswegen gehen wir nicht ins Schauſpiel, um durch
eine Handlung von drei Stunden lang uns die Folge des Laſters
und der Tugend zeigen zu laſſen. Folglich iſt der Hauptendzweck
eines ſchönen Künſtlers, die Natur zu verfchönern und vollkommner
zu machen, um dadurch die geiſtigen Wollüſte bei denen, für welche
er arbeitet, hervorzubringen. So iſt es auch bei dem Operndichter
und Componiſten.
Weil nun bei einer vollkommnen Oper die geiſtigen Wollüſte nicht
allein ſtärker, ſondern auch haͤufiger in den Zuſchauern und Zu—
hoͤrern hervorgebracht werden, fo iſt fie auch eben deswegen der
Tragödie und Komödie weit vorzuziehen. Und folglich ſind Sie,
Herr Metaſtaſio, den griechiſchen und engliſchen und franzöſiſchen
Trauerſpielſchreibern vorzuziehen, weil Sie eben ſo vollkommne
Opern dichten, als jene Trauerſpiele machten; denn ein Gedicht iſt
ſehr viel ſchwerer zu verfertigen, wo nichts als Leidenſchaft, nichts
als Handlung und Empfindung ſeyn darf, als ein anderes, wo man
die Zuſchauer und Zuhörer mit dem kalten Waſſer der Sentenzen
zu übergießen die Erlaubniß von den Kunſtrichtern hat.
Metaſtaſio. Prinzeſſin, ich weis nicht, wodurch ich es verdient
habe, daß Sie heute ſo außerordentlich gnädig gegen mich ſind. Ich
Muſikaliſche Dialogen. 275
werde alle meine Talente anwenden, wie ich mich Ihrer außerordent—⸗
lichen Gnade inskünftige würdig machen kann.
Prinzeſſin. Keine Dankſagungen und Complimente für mein
Lob! Metaſtaſio, Sie wiſſen, wie hoch ich Sie fhäge! Ihre Grazien
haben die Hochachtung, welche ich ſchon gegen Sie hatte, noch ver—
größert. Es ſind drei allerliebſte Maͤdchen, ſamt ihrem Amor. Sie
machen mit ihren naiven und unſchuldigen Erzaͤhlungen die ganze
Seele heiter, und ſelbſt daß ſie ſich rächen, und die Art der Rache
iſt voll von Grazie. Wenn der Tonkünſtler nur dieſer naiven Un—
ſchuld folgt, und nur nicht ſeine Kunſt im Künſtlichen zeigen will,
und wenn dann die Sängerinnen ihrer Aktion und ihrem Geſange
Grazie geben können, ſo muß dieſes kleine Gedichtchen die Zuſchauer
und Zuhörer in die ſüßeſte Entzückung ſetzen. Es wird eine ſolche
heitere Stille in unſerer Seele ſeyn, wie in der ſchoͤnſten Frühlings⸗
gegend Elyſiums.
18˙*
Vorbericht.
chon über die ſich unterredenden Perſonen werden ſich
meine Landsleute verwundern! Was werden fie den;
ken, wenn ſie den Dialog ſelbſt geleſen haben werden?
Zumal, wenn fie, vermöge ihres großen Talents zu
errathen, es herausbringen, wer die Prinzeſſin iſt? —
„Und kennen Sie denn, Herr Vorberichter, uns ſo gut, daß Sie,
vermöge Ihres großen Talents zu errathen, dieſes voraus ſehen
konnen?“ —
Eine Prinzeſſin unterhält ſich mit dem Metaſtaſio über die Oper.
Eine deutſche Prinzeſſin ſpricht mit ihm! und noch dazu eine ſehr
große Prinzeſſin! Ihre Geſpräche find ſehr philoſophiſch! Sie ſchaͤtzt
ihn wegen ſeines Genies höher, als Könige und Fürſten! Und Sie
wollten ſich nicht darüber verwundern? Sie müſſen ſehr eigenſinnig
und aͤrgerlich ſeyn, wenn Sie das leugnen wollen!
In Deutſchland dürfen ſich unſere Gelehrten ſehr ſelten dem Throne
nahen: das iſt gar was unerhoͤrtes, daß ſich der Thron ihnen naher!
Muſikaliſche Dialogen. 277
Wenn das erſtere bisweilen gefchiehet, fo brennen gleich die großen
Journaliſten ihr grobes Geſchütz los, und die kleinen ihr kleines, und
es entſteht ein Laufdonner von Berlin an bis nach Hamburg. Und
dann fangen alle Gelehrten an und ſingen das Te Deum. Sollte
gar das letztere geſchehen — von welchem mir nur ein einziges
Beiſpiel beifaͤllt, fo — erlauben Sie mir, eine ſprichwörtliche Redens⸗
art von Sancho Panſa zu entlehnen — ſteht ihnen gar der Verſtand
ſtille, und der von Wonne trunkene Gelehrte muß ſich ſelbſt ein
Donnerwetter machen, und ſein Glück der Welt verkündigen. —
O ihr Großen dieſer Welt, wie wenig koſtet es euch, die Weiſen
glücklich zu machen! Wie viel weniger wird euch alſo das Glück der
Narren koſten? Auch dieſes Wenige wollet ihr nicht thun? Wes—
wegen machen euch Weiſe und Narren glückſelig? Was nützt ihr
der Welt, wenn ihr dieſes nicht einmal thun wollet? Wenn ihr
glückſelig machen euch für Schande haltet, was ſoll euer Stolz
ſeyn?
Dieſe große Prinzeſſin laͤßt ſich ſehr weit gegen den Metaſtaſio herab,
ſie ſpricht wie eine Freundin mit ihm — Verwundern Sie ſich nicht
darüber! Metaſtaſio iſt der erſte Dichter ſeiner Zeit, und den erſten
Dichtern Griechenlands und Roms gleich! Und die Prinzeſſin iſt
unter den Prinzeſſinnen, was Metaſtaſio unter den Dichtern iſt!
O matre pulchra filia pulchrior!
ARD
0,9
278 Heinſes Werke. Erſter Band.
Euphroſine.
Beſänftigen wollet ihr mich?
Wie? Schweſtern! — Nur zu gerecht iſt mein Zorn!
Mehr reizen ſolltet ihr mich!
Die ſtolze Göttin der Liebe! —
Sie ſuche ſich andre Geſpielen,
Und was ſie iſt,
Wenn ihr die Grazien nicht dienen,
Wird dann vielleicht die Stolze fühlen!
Schon weckt die Nachtigall mit ihrem Lied die Horen!
Sie ruft! Wir hören es nicht! Wir ſchlafen mit den Ohren!
Sie mag allein aus ihrem Himmel gehn,
Und glaͤnzen vor Auroren!
Glaͤnzen? — Das wollen wir ſehn!
Wie nun ihr Morgenſtern wird funkeln,
Ob er mit zitterndem Sonnenlicht
Dianens Strahlen kann verdunkeln!
O Schweſtern, das wollen wir ſehn!
Vielleicht glaͤnzt ohne Grazien
Er nicht fo fchön!
Aglaia.
O Schwerter, laß uns doch die Sphären
In ihrem alten Lauf nicht ſtören!
Thalia.
Zu lange harr't der Tag
Durch unſern Zorn!
Muſikaliſche Dialogen. 279
Aglaia.
Die Sonnenpferde wiehern ſchon,
Geblendet von langer Nacht,
O Euphroſine, ſtampfen ſie Sonnenlicht!
Thalia.
Aurora ſchmücket ſich,
Und unſre Göttin wartet!
Aglaia.
Ach laßt uns nur die Taͤubchen
Mit Roſenzäumen
An ihre Muſchel ſpannen!
Euphroſine.
O Schweſtern, bleibt, und hoͤret eure Schweſter! —
Wie, wollen wir ewig ſeyn
Die Dienerinnen ihrer Phantaſie?
Und immer den frechen Spötterein
Des lieben Söhnchens unterworfen ſeyn?
Wir Grazien! wir? wir? —
Nein! Laſſet uns rächen
Für ſo viel alt' und neue Verbrechen! —
Wißt! wir ſind Kinder des Zevs! O laßt es ihnen uns zeigen,
Daß unſre Rache kann den Spöttereien gleichen!
Ag laia.
Doch! welches neue Bubenſtück
Entflammet deinen Zorn?
280 Heinſes Werke. Erſter Band.
Euphroſine.
O hoͤret es! und, wenn ihr Fönnet, ſprecht:
Mein Zorn ſey ungerecht!
Ein überraſchender Sturm
Fuhr geſtern über unſern Himmel,
Und Amor wurde von ihm erwiſcht;
Ich weis die Gegend nicht, wo?
Und eine Stunde lang
Zerriſſen Winde ihn!
Es ſtürzte Regen und Schloßen
Der Sturm auf ihn herab.
Ganz athemlos erreicht' er endlich das Schloß
In Cyprien, wo Venus und ich war.
Die Mutter ſelbſt und ich,
Verwandelt wie er war,
Erkannten ihn nicht.
Das Waſſer träufelte vom Köcher auf mich, der Bogen
War ſchlapp, und Pfeile, Kleid und Haar
Und Binde, ja die Flügel gar
Hatt' euch die Naͤſſe ganz durchzogen.
Er weinte, kaum halb lebendig, erſtickte
Nun haͤufiges Schluchzen ihn.
Er zitterte nach uns die Hände
Und ſeufzte Wörterchen, bald langſam, bald behende,
Und dann verlispelt' er die heimlichen Accente.
Mitleiden hatt' ich mit ihm;
Wer haͤtte den Treuloſen nicht beklagt?
Muſikaliſche Dialogen. 281
Ich laufe freundlich nach ihm
Und nehm' ihn bei der Hand —
Schon brennen arabiſche Zweige
Den ſüßeſten Duft
In die Luft.
Nun ſtieg das Leben ihm wieder ins Geſicht.
Ich trocknete ſeine Stirn, und drückt' aus ſeinen Locken
Der hellen Tropfen viel;
Ich legte ſeine kalten Haͤndchen
In meine, drückte ſo ſanft, ſo zärtlich die Waͤrm' in ſie,
Und ſpielte, tändelte ſo artig mit ſeinen Händchen,
Liebkoſ'te, tröftete ihn! — Und, Schweſtern! wie
Vergalt er meine Müh?
Kaum erwachte das Leben in ihm,
So fodert' er die Waffen;
Ich will, ſpricht das treuloſe Kind,
Doch ſehn, ob ſie nicht vom Regen verdorben ſind;
Der undankbare Bube ſpannt
Den Bogen, ein Pfeilchen darauf! und eh' ichs mir verſah,
Flog er nach meiner Bruſt, und flog mir in die Hand,
Die ſchnell ich wie ein Schild vor meine Bruſt gewandt.
Haͤtt' ich dieß nicht gethan, fo wär von feinem Bogen
Das Pfeilchen grad ins Herz geflogen.
Ag laja.
Was machte Venus nun?
Thalia.
Wie! ſtrafte ſie ihn nicht?
282 Heinſes Werke. Erſter Band.
Euphroſine.
Ihn ſtrafen? Sie befürchtete,
Ich möchte dem Soͤhnchen was thun!
Sie nahm ihn auf den Arm und gab dem Buben Küſſe,
Und lobte ſeine That, ihm gab ſie lauter ſüße,
Und mir nur fpöttifche Blicke;
Den Bogen wieß mir das Kind; fie lachte feiner Tücke.
Aglaia.
Das iſt zu arg, o Schweſtern! (zu Euphroſinen)
O Schweſter, das iſt zu arg! (zu Thalien)
Thalia.
Man darf den Zorn nicht zeigen,
Und waͤr' er auch gerecht,
Und ſchweigen, und erdulden.
Euphroſine.
Erdulden! ſchweigen!
Nein! nein! ich will mich rächen;
Der Hohn war allzugroß,
Den ſie hier auf mich goß.
Erdulden ſollt' ich ihn?
Jezt, da er ſeufzte, weinte,
Schon halb erſtorben ſchien,
Da ſollt' ich mich fürchten und fliehn?
Seht, Schweſtern, drohend ihn!
Muſikaliſche Dialogen. 283
Thalia.
Und glaubſt du die allein zu ſeyn,
Die ihn erdulden ſoll?
Aglaia.
Ach Amor geht mit uns
Nicht anders um!
Euphroſine.
Es ſey! Doch konnten die Spötterein
Euch nie ſo ſehr empfindlich ſeyn!
Aglaia.
Jüngſt, höre nur! floh ich
Die brennenden Strahlen der Sonne;
Mit ſeinen freundlichen Schatten
Umfieng mich dieſes Wäldchen;
Ich kühlte meine Lippen
Mit friſcher Quelle.
Dann legt' ich mich ins Grüne
Und athmete die Ruhe.
Stiller Schatten floß um mich,
Lieblich lispelten die Blätter,
Murmelnd hüpften die Wellen
Ueber Blumen dahin,
Schmeichelnde Lüftchen flatterten
In den Locken herum;
284 Heinſes Werke. Erſter Band.
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Scherzend küßten ſie mich;
Sanft und nach und nach
Schlummert ein ſüßes Schlaͤfchen
Nun Aglaien ein!
Es lauſchte nicht weit davon
Das boͤſe Kind,
Und lauerte eben darauf:
Nun ſpringt er in die Roſenhecke
Und pflückt und bindet Roſen
Und lacht ſchon über mich,
Und knüpfet feſte Binden!
Nun ſchleicht er leiſe nach mir,
Ganz langſam ſetzt er die Füßchen
Eins nach dem andern ſo ſanft auf,
Daß er es ſelber nicht hört,
Und windet ſeine Feſſeln
Um meine Haͤnd' und Füße
Und um den ganzen Leib
Unzählige mal herum,
Und bindet mich
An einen Lorbeerbaum.
Er macht es ſo ſchlau und ſo liſtig,
Daß da Aglaia gefeſſelt liegt,
Als wenn ſie mit gutem Willen
Sich haͤtte feſſeln laſſen.
Er ſchlich ſich wieder davon
In ſeinen Hinterhalt,
Und ich! ich regte mich nicht.
Muſikaliſche Dialogen. 285
Endlich wach ich auf,
Und will den Schlummer aus den Augen
Mit meinen Fingern jagen;
Allein ſie thaten es nicht,
Es hielt ſie was zurück.
Erſchrocken will ich auffahren,
Es hält mich was zurück.
Schon fuhr mir die Angſt ins Herz,
Ich ſtrecke die Arme aus
Und hebe mich wieder auf,
Nun fühle ich Feſſeln, und ſeufze.
Je mehr ich zieh, je mehr ich ringe,
Je mehr verwickl' ich mich hinein.
Das Bübchen kikkert nun laut;
Ich hör’ es, drehe mich um
Und ſehe das feine Herrchen —
Und entbrannte für Zorn!
Verwegner, kühner Böſewicht,
Treuloſer! ruf ich ihn.
Er ſchweigt und lacht mir ins Geſicht. —
Ich tobe! Das freuet ihn!
Ich fange zu bitten an:
Ach Amor, mache mich los!
Und gab ihm hundert ſüße Namen.
Das freuet ihn noch mehr.
So lag ich lange da,
Bis endlich Hebe kam
Und noch die Feſſeln von mir nahm.
286 Heinſes Werke. Erſter Band.
Und wäre dieſe nicht von ohngefaͤhr gekommen,
Sie wären mir gewiß jezt noch nicht abgenommen.
Euphroſine.
Er gieng ja mit dir um, wie mit geringen Dirnen,
Und Zorn entflammet dich nicht?
Aglaia.
Ich kann, ich kann nicht zürnen.
Oft will mich Zorn entflammen,
Ich tobe, ſuche ihn;
Bald aber kann ich ihn nicht verdammen,
Er iſt ja noch ein Kind.
Ich denk', er iſt verwöhnet;
Dann bin ich gleich verſöhnet,
Wie gute Mädchen find!
Thalia.
Die Tücke, welche Amor euch erwieß,
Sind gegen die Streiche gering,
Die er mir taͤglich ſpielt.
In einem einzgen hört die übrigen.
Da, wo die Meereswellen
Den Amathunt umhüpfen
Und den erhabnen Gipfel ein Felſen woͤlbet,
Um zu beſchiffen die friedliche Fluth,
Da wollt' ich einſt mit Netzen
Und Angeln Fiſche fangen,
Und Amor war bei mir.
Er tändelte mit Blumen
Und haſchte Schmetterlinge,
Muſikaliſche Dialogen. 287
Und dieß mit ſo viel Ernſte,
Daß wegen ſeiner Tücke
Ich unbeſorgt nur nach meiner Angel blicke.
O wie misbrauchte der Knabe,
Der Heuchler, meine Sicherheit!
In einem dichten Buſche
Von Diptam verbarg der Betrüger
Geſchärfte Pfeile, und etwas weiter davon
Legt' unvermerkt aufs künſtlichſte
Er zwiſchen Blumen und Gras
Mir einen Fallſtrick hin.
Nun ſchreit er: ach! ich bin verwundet,
Und haͤlt die Händchen vor's Geſicht
Und weinet ganz erbaͤrmlich.
Ich werfe das Netz von mir und fliehe zu ihm —
Er ſchreit und klagt: ach eine Biene,
Ach eine Biene hat mich geſtochen;
Ach Hülfe! Hülfe! Thalia!
O weh! o weh! o weh! —
Ich glaubte dem kleinen Heuchler,
Und jedes O weh! ſchlug eine Wunde ins Herz.
Ich pflück, um ihm den Schmerz zu lindern,
Schon Diptam, und ſuche die weichſten,
Die jüngſten ſeiner Blätterchen —
Doch plötzlich fühlt' ich Stiche in meinen Fingern;
Ich zog ſie heraus, da fielen die Pfeile,
Die tückiſchen Pfeile von ihnen herab.
Schnell floh der Schmerz von des Verräthers Lippen,
288 Heinſes Werke. Erſter Band.
Er lachte laut: Getroffen, getroffen!
Und ſchrie: Ach ſieh, wie meine Wange
Geſchwollen iſt! ach wie geſchwollen iſt ſie! —
Wie zornig war ich da,
Als ich die ſpöttiſche Miene ſah!
Um mich zu raͤchen, lauf ich nach ihm,
Und er ſprang lachend vor mir her;
In hundert Kreiſen hüpft er bald dahin, bald dorthin,
So liſtig, daß ich endlich in die Schlinge
Des böſen Buben ſpringe.
Da lag ich auf der Erde
Und hieng mit dem Fuße dran!
Ich tobte, wüthete für Zorn,
Und der Betrüger konnte kaum
Vor Lachen weiter laufen.
Ich riß aus Wuth die Schling' entzwei,
Sprang auf und lief ihm nach;
Ich hätt' ihn auch gewiß erhaſcht;
Allein indem ich mich aus ſeiner Schlinge machte,
Und Zorn und Wuth mich aus der Faſſung brachte,
Entlief er mir, indem er mich verlachte.
Euphroſine.
Und du, du ratheſt mir
Zu ſchweigen und zu dulden!
Thalia.
Nicht weniger iſt Amor mir verhaßt
Als dir, beſtändig iſt er mir zu Laſt.
Muſikaliſche Dialogen.
Ich haſſe ſeine Bubenſtücke,
Und tobe oft, wie du, auch über ſeine Tücke;
Beſtrafen, rächen möcht' ich fie;
Doch, liebſtes Schweſterchen, wie?
Nichts iſt wohl zu heilig dem kindiſchen Gotte.
Thalia weis dieß lange ſchon,
Unſchuldige ſind ihm zum Hohn,
Und Jupiters Blitze zum Spotte.
Wir müſſen auch erdulden ihn,
Er äffet ganze Heere
Im Himmel, auf Erden, im Meere,
Und Götter und Menſchen ſind ihm zum Spotte.
Euphroſine.
Der Gegenſtand von meinem Zorn,
O Schweſter, iſt nicht Amor.
Wer wird auf Kinder zürnen!
Allein des Sohnes Streiche
Sind Fehler ſeiner Mutter,
Sie iſt's, die uns verfolget;
Und dieſe kleinen Beleidigungen
Erinnern mich an größere.
Aglaia.
An welche?
Euphroſine.
Ihr fragt noch lang, an welche?
1
19
289
290 Heinfes Werke. Erſter Band.
Sagt, welches Amt ſchrieb uns das Schickſal vor?
Was fodert unſre Pflicht?
Aglaia.
Friedfertig ſollen wir die Menſchen alle machen,
Und dankbar und wohlthätig!
Thalia.
Die Fackel aus der Hand
Dem Haß und Zorne winden.
Aglaia.
Durch Fried' und Freundſchaft ſie verbinden.
Euphroſine.
Und Venus, wozu braucht ſie uns?
Wir müſſen ihrem Sohne dienen,
Die Kindereien noch verſchönern;
Bald ihren Lippen Lächeln geben,
Und bald ihr Auge liebäugeln laſſen;
Was hilft uns alle Müh?
Gewalt, treuloſe Zeugen
Vernichten Geſetz und Recht,
Und Furien ſind auf die Erde gedrungen,
Und peinigen das menſchliche Geſchlecht.
Thalia.
Es iſt nur allzuwahr!
Aglaia.
Und doch, wie koͤnnen wir uns raͤchen?
Muſikaliſche Dialogen. 291
Euphroſine.
Die Rach' iſt ausgedacht.
Seht nur, mit welcher triumphirenden Miene
Sie die Göttinnen anblickt!
Hat nur Aglaia, Thalia
Und Euphroſine
Sie ausgeſchmückt!
Wie wird wohl ohne Grazien
Die Stolze Göttinnen anſehn?
Hm! Laßt uns rächen,
Und mit der Stolzen brechen,
Und eine Schönheit bilden,
Dergleichen man nie ſah in Paphiſchen Gefilden.
Aglaia.
O Schweſter, Ja!
Thalia.
O ja! das ſoll geſchehn.
Euphroſine.
Und alles ſoll ſie haben,
Was noch der Göttin fehlt.
Mit Schoͤnheit Majeſtät vereiniget,
Beſcheidenheit mit allen Reizen
Und allen Tugenden.
Das königliche Herz ſoll aus den Mienen blicken,
Und Schönheit, Kopf und Herz ſoll Nationen entzücken!
19*
292 Heinſes Werke. Erſter Band.
Doch welche Seel' iſt unter den Sternen
Wohl edel genug, die Würde,
Den Himmel von Geſchenken zu ertragen?
Nur die iſt ihrer würdig,
Von der man ſtets im Himmel ſpricht,
Die dieß Jahrhundert
Mit ihrer Geburt verherrlichen ſoll!
Thalia.
Und wenn wird die gebohren werden?
Euphroſine.
Noch dieſen Tag.
Aglaia.
Und ſie wird heißen?
Euphroſine.
Eliſa.
Aglaia.
Geſchwind, ihr Schweſtern, eilen wollen wir!
Thalia.
Wir wollen gehn.
Euphroſine.
Wir wollen gehn
Die große That zu thun!
Thalia.
Wie wird ſich Venus ſchämen!
Muſikaliſche Dialogen. 293
Aglaia.
Das menſchliche Geſchlecht
Wird wieder Ruhe athmen.
Euphroſine.
Laßt Venus bitten und flehn,
Es werden doch die Grazien
Eliſen zur Liebegöttin erheben.
Eliſa wird gerächten Grazien
Des goldnen Alters Würde wieder geben.
Chor.
Herauf! herauf! Aurore,
Und öffne des Tages Thore!
Schon blitzt durch die Nacht
Ihr ſonnigter Blick,
Der ganze Himmel lacht!
O welche Freuden
Verſpricht der Tag den künftgen Zeiten!
O Götter, welches Glück!
Dritter Dialog.
Ueber muſikaliſche Bildung.
Herr Löwe, Herr Waldmann, ein Cantor und drei
Mädchen.
88 aldmann. Noch einmal wollen wir es ſpielen,
U mein lieber Herr Löwe! Wenn ich ſonſt ein ſchönes
Stück zweimal geſpielt habe, ſo bin ich gleichgültig
dabei geweſen, wenn ich es zum drittenmale ſpielte;
allein mehr als dreißigmal habe ich es ſchon geſpielt, und immer
entzückt es mich! — O göttlicher Salieri, Schöpfer der ſchoͤnſten
Harmonieen!
Löwe. Nun! ſo laſſen Sie uns dieſen vortrefflichen Terzett noch
einmal ſpielen. Von ihm gilt, was Horaz von den Gedichten der
Sappho fagte: Vivunt adhuc commissi fidibus calores!
Wer glaubt, man könne nicht für Jeden Liebe fpielen,
Der hör’ es nur! er wird es glauben und fie fühlen!
Muſikaliſche Dialogen. 295
Oder er müßte wahrhaftig von den Göttern nicht deswegen auf
dieſe Unterwelt geſandt worden ſeyn, um glücklich zu leben und um
das menſchliche Geſchlecht zu vermehren.
Die Herren unter den philoſophiſchen Theologen oder theologiſchen
Philoſophen, welche den Ort der Hölle beſtimmen, ſagen: ohne allen
Zweifel iſt fie in einem Planeten am Himmel; vielleicht iſt die Hölle
eines andern Planeten auf unſrer Erde, ſo wie auch vielleicht der
Himmel eines andern Planeten hier ſeyn kann. Wenn man dieſes
annaͤhme, ſo waͤren auf einmal die Grillen von der böſen Welt,
vom Urſprung des Böſen und der Mannichäer und vieler andern
widerlegt.
Es iſt ja möglich, daß die Herren und Damen, die in Mönchs⸗ und
Nonnenkloſter wandern und daſelbſt Fiſche freſſen, damit fie deſto
beſſer beten können, in einer andern Welt vorher, ehe ſie auf dieſe
Erde kamen, ſo ſehr geſündigt haben, daß ſie nun hier dafür büßen
müſſen. Denn wahrhaftig! es ſcheint, als wenn die mehrſten vom
Schickſal dazu beſtimmt waͤren, ihr Leben unglücklich und unglück⸗
ſelig daſelbſt zuzubringen, da ſie mehrentheils gezwungen werden,
das Gelübde zu thun: kein Fleiſch zu effen, felten zu reden, ihre
Geſichter nicht ſehen zu laſſen, und auf Steinen zu ſchlafen.
Die Liebe und der Umgang mit andern Menſchen iſt das Beſte auf
dieſer Welt. Wenn man einem Menſchen verwehren will zu lieben
und mit andern Perſonen umzugehen, ſo nimmt man ihm alles,
was ihn glückſelig machen kann; und giebt ihm dafür in der ewigen
Einſamkeit eine Hölle, die ſchrecklicher iſt, als welche man uns ge;
wöhnlicher Weiſe abſchildert. Da Gott für alle Geſchoͤpfe ſorget,
da kein Sperling ohne ſeinen Willen auf die Erde faͤllt: ſo würde
er doch auch fo viele Geſchöpfe in Moͤnchs- und Nonnenklöſtern
296 Heinfes Werke. Erſter Band.
nicht unglücklich ſeyn, und ſie nach einem Tropfen Liebe, wie den
reichen Mann in der Hölle nach einem Tropfen Waſſers, ſchmachten
laſſen, wenn ſie es nicht ſchon vorher in einem andern Planeten
durch ihre Sünden verdient hätten. |
Waldmann. O guter Freund! die fchönen Nonnen und die
ſchoͤnen Mönche leben glücklicher, als Sie glauben. Sie werden
aufgeſpürt und gebraucht, wozu fie taugen. Dickbaͤuche und ein⸗
gerunzelte Haͤute würden auf der Welt nicht viel mehr genützt haben,
als ſie in ihren Klöſtern nützen. — Allein was ſollen die Moͤnche
und Nonnen bei dieſem Trio? Es iſt wahr, daß es voll der zärt—⸗
lichſten Liebe iſt, und daß folglich Mönche und Nonnen das Gegen:
theil dazu find, doch — Nehmen Sie Ihre Geige, ich will das Cla⸗
vecin ſo gut dazu ſpielen, die Melodieen dazu ſo trefflich hervor⸗
bringen, wie ſie Filz in ſeiner Phantaſie hatte.
Löwe. Dort lauſchen drei Maͤdchen in der Laube! Das ſchöne
Schwarzköpfchen iſt dabei. Geſchwind angefangen, damit ſie nicht
umſonſt lauſchen! — (jezt ſpielen ſie.) Gucken Sie einmal ſeitwärts!
Wie die Lämmerchen, wenn der Hirt auf ſeiner Schallmey pfeift,
ſtehen die guten Mädchen da! Ihre Ohren hören wohl verſchiedene
Töne; aber ſie wiſſen ſo wenig, was dieſe Melodieen zu bedeuten
haben, als wie die Laͤmmer beim Geſang des Schaͤfers. — Wir
wollen ſpielen: „Als der Großvater die Großmutter nahm“ —
(jezt ſpielen ſies.) Ha, ſehen Sie nur! Das gefällt ihnen —
Waldmann. Jezt laufen ſie davon! Warum lachen Sie ſo
ſehr? )
*) Man kann daraus ſehen, daß dieſe Herren noch Schüler find; ſonſt wür-
den ſie ihnen nachlaufen! Nicht wahr, ihr Herren Studenten? O lächerliche
Schüchternheit! Vielleicht ſcheuten ſie ſich, weil der Mädchen drei waren!
Muſikaliſche Dialogen. 297
Löwe. Bald ſollen ſie wieder hier ſeyn. — Spielen Sie nur: „Ich
ſchlief, da träumte mir“ — Hab' ichs nicht geſagt? Sehen Sie nur,
wie ſie die Ohren ſpitzen! wie junge Rehe beim Jagdhorn! — Nun
will ich dazu ſingen; was gilts, ſie kommen näher?
Ich ſchlief, da traͤumte mir,
Geliebtes Kind, von dir! —
Waldmann. Poz Wetter! Singen Sie doch! — Sie kommen! —
Sie ſind da!
Erſtes Madchen. O Herr Löwe, lehren Sie mich doch auch fo
fchön fingen!
Zweites Mädchen. Sie denkt, Sie hätten von ihr getraͤumet.
Drittes Mädchen. Nicht wahr, Sie haben nicht von ihr ge—
traͤumet?
Erſtes Maͤdchen. O Herr Löwe, wenn ich ſo ſingen könnte wie
Sie, ich fange Tag und Nacht!
Zweites Mädchen. Singen Sie uns doch noch einmal das ſchöne
Liedchen!
Drittes Maͤdchen. O thun Sie es doch! Auf den Sonntag ſollen
Sie auch ein recht ſchön Sträußchen von uns bekommen! ein recht
ſchoͤnes!
Erſtes Mädchen. Herr Waldmann, fangen Sie nur an zu ſpielen,
dann wird Herr Löwe ſchon ſingen! Das Herz hüpft mir im Leibe,
wenn Sie das Clavier ſchlagen! Sie ſind zween allerliebſte
Herren!
Waldmann. Nun fo fingen Sie doch, Herr Löwe! Sie laſſen ſich
zu weit herab, Demoiſellen! Wir verdienen es nicht!
Coppia si tenera, cosi fedel,
No, non dividere, pietoso ciel!
298 Heinſes Werke. Erſter Band.
Il fato scordisi d'esser crudel
E sol perseguiti alma infedel.
Coppia si tenera, cosi fedel,
No, non dividere, pietoso ciel!
(Gerechte Götter, ſteht
Der Tugend bei!
O trennet Herzen nicht,
So gut und treu!
Straft, wollt ihr grauſam ſeyn,
Treuloſigkeit.
Doch reiner Liebe ſchenkt
Zufriedenheit.
Gerechte Götter, ſteht
Der Tugend bei!
O trennet Herzen nicht,
So gut und treu!)
Löwe. O meine allerliebſten Demoiſellen, kommen Sie doch oft zu
uns in dieſen Garten. Ich will Ihnen die ſchönſten Liederchen vor:
ſingen, ſo lange, bis wir ſie zuſammen ſingen können.
Waldmann. Ich habe gar vortreffliche Tänze, die will ich Ihnen
vorſpielen; tanzen können Sie dabei! Ach es muß herrlich gehen!
Sie thaͤten uns einen wahren Gefallen, wenn Sie oft zu uns kaͤmen.
Ich will inskünftige auch meine Harfe mitbringen.
Erſtes Maͤdchen. Es iſt uns recht ſehr lieb, meine Herren, daß wir
das Glück haben, mit Ihnen bekannt zu werden. Die Muſik iſt
unſer Leben! Ich hab' oft meinen Papa und meine Mama um
Gottes willen gebeten, mir das Clavier und das Singen lehren
zu laſſen. Nein, ſagten fie: alle Mädchen, die leichtfertige Lieder⸗
Muſikaliſche Dialogen. 299
chen ſingen lernen, werden Huren, und du ſollſt uns keine Hure
werden.
Zweites Maͤdchen. St! Schäme dich doch, mit dieſen Herren ſo
zu reden.
Erſtes Mädchen. Sie können wohl viele ſolcher leichtfertigen
Liederchen ſingen, Herr Löwe? und ich weis doch von Ihnen, daß
Sie hübſch eingezogen zu Hauſe leben!
Löwe. Aber Ihre Frau Mama kann doch ſehr gut ſingen! Sie
wird doch wohl aus eigener Erfahrung wiſſen, daß man durch ein
Paar Liederchen ſich nicht gleich verführen läßt! und es giebt ja
auch ſehr ſchöne Liederchen!
Erſtes Mädchen! Mein Papa iſt auch am mehrſten dawider!
Waldmann. Ei! ei! es iſt doch wunderbar, daß Ihr Herr Papa
nicht haben will, daß Sie ſich nach Ihrer Frau Mama bilden
ſollen.
Erſtes Mädchen. Sie ſind mir ein loſer Vogel! Warten Sie nur,
Herr Waldmann! — Allein wir wollen unſere Lektionen gleich an—
fangen. Lehren Sie mir jezt ein ſchönes Liedchen, Herr Löwe!
Löwe. Ihnen aufzuwarten. Spielen Sie, Herr Waldmann!
O Traum, der mich entzücket!
Was hab' ich nicht erblicket!
Ich warf die müden Glieder
In einem Thale nieder,
Wo einen Teich, der ſilbern floß,
Ein ſchattichtes Gebüſch umfloß.
Da ſah ich durch die Straͤuche
Mein Mädchen bei dem Teiche,
300 Heinſes Werke. Erfter Band.
Das hatte ſich zum Baden
Der Kleider meiſt entladen,
Bis auf ein untreu weiß Gewand,
Das keinem Lüftchen widerſtand.
Der freie Buſen lachte,
Den Jugend reizend machte;
Mein Blick blieb lüſtern ſtehen
Bei dieſen regen Höhen,
Wo Zephyr unter Lilien bließ,
Und ſich die Wolluſt greifen ließ!
Sie fieng nun an, o Freuden!
Sich vollends auszukleiden —
Der Cantor. Iſt das die Arie, die ihr morgen ſingen ſollt, Löwe?
Waldmann. Die Antwort werden Sie ſchon gehört haben, ehe
Sie fragten. O! —
Der Cantor. Noch fein naſeweis!
Erſtes Mädchen. Herr Löwe, ſingen Sie doch das Verschen
vollends aus! — Zanken Sie doch nicht mit ihnen, Herr Cantor!
Wir ſind ſehr große Liebhaberinnen von der Muſik, und wie wir ſie
fpielen hörten, haben wir uns hergeſchlichen, ohne daß fie etwas da;
von wußten.
Der Cantor. Das iſt eben auch nicht fein, Sie müſſen hübſch zu
Hauſe bleiben.
Löwe. Ich glaube, Sie wollen gar mit dieſen unſchuldigen Kindern
zanken!
Der Cantor. Nun, wo habt ihr die Arie?
Muſikaliſche Dialogen. 301
Waldmann. Zu Haufe haben wir fie!
Der Cantor. Nu! was ſoll denn das heifen?
Löwe. Hier hab ich ſie.
Der Cantor. Nu! was ſoll denn das bedeuten? Einer ſpricht: zu
Hauſe liegt ſie; und der andre: hier hab ich ſie!
Erſtes Mädchen. Wir empfehlen uns Ihnen gehorſamſt, Herr
Löwe und Herr Waldmann; es bleibt dabei! Aber fie müſſen Ihr
Wort halten, Herr Löwe!
Löwe. Mit dem größten Vergnügen.
Waldmann. Sie erweiſen uns zu viel Ehre!
Der Cantor. Und dies ſoll ich ſo mit anhören?
Erſtes Mädchen. Wir danken Ihnen für das Vergnügen, welches
Sie uns gemacht haben!
Alle Drei. Wir empfehlen uns Ihnen, es bleibt dabei!
Waldmann. Aber Sie müſſen Ihr Wort auch halten!
Alle Drei. Gewiß! gewiß! Morgen kommen wir! Leben Sie
wohl, Herr Löwe und Herr Waldmann. (gehen ab.)
Der Cantor. Was iſt das für eine Aufführung?
Waldmann. Eine ſehr gute! feine und loͤbliche! Herr Cantor,
wenn Sie unſre meinen!
Löwe. Wir werden doch nicht wie die Schlafmützen da ſtehen
ſollen?
Der Cantor. Ich werde eure Aufführung dem Conſiſtorio mel;
den!
Waldmann. Nicht doch, Herr Muſikdirector!
Der Cantor. In meiner Gegenwart ſo unverſchämt zu ſeyn und ein⸗
ander zu beſtellen! Eure Stipendien, eure Beneficia ſollen euch
entzogen werden!
302 Heinſes Werke. Erſter Band.
Lowe. Sie haben gar nicht Urſache, fo ſehr zu zanken. Wir find
doch keine Kinder mehr, und dürfen folglich wohl auch ein Paar
Wörtchen mit einem Frauenzimmer reden?
Der Cantor. Ey! eben deswegen, weil ihr keine Kinder mehr ſeyd,
ſollt ihr nicht mit ihnen umgehen.
Löwe. Das iſt noch kein Umgang, wenn drei Maͤdchen zu uns in
dieſes Gartenhaus kommen und uns zuhören. Sie werden doch
wohl nicht gar von uns verlangen, wir haͤtten ſie ſollen fortjagen!
Eine ſchöne Aufführung waͤre das geweſen!
Der Cantor. Was ſangt ihr ihnen aber für ein feines Liedchen
vor, Löwe?
Löwe. Sie baten mich, ich ſollte ihnen etwas ſingen. Abſchlagen
konnt ich es ihnen doch nicht. Verlangen Sie denn aber von mir,
daß ich ihnen die Aria ſingen ſollte, die ich morgen in der Kirche
ſinge! Was würden die Mädchen gedacht haben, wenn ich ihnen
die abſcheulichen Verſe vorgeſungen hätte:
Verfolgt nur, ihr Teufel, die glaͤubigen Seelen,
Bemüht euch, dieſelben recht aͤngſtlich zu quälen,
Ja zeigt die Begierde mit feuriger Wuth
Und brennt ſie mit Schwefel und pechichter Gluth.
Was würden die guten Mädchen gedacht haben?
Der Cantor. Möchten ſie doch gedacht haben, was ſie wollten!
Ihr ſollt mir meine Kirchenſtücke nicht tadeln! Anakreontiſche Tän⸗
deleychen braucht man nicht zu Kirchenmuſiken!
Waldmann. Ihrentwegen werden wir uns doch nicht wohl für
Narren ſollen halten laſſen!
Ls we. Es iſt hier nicht die Rede von Anakreontiſchen Verſen, Herr
Cantor, ſondern überhaupt von abſcheulichen!
Muſikaliſche Dialogen. 303
Der Cantor. Ihr ſollt mit keinen Maͤdchen umgehen, noch weniger
ihnen gottloſe Lieder vorſingen, ſondern hübſch zu Hauſe bleiben,
und eure Naſen in die Bücher ſtecken!
Löwe. Das iſt das allerſicherſte Mittel ein Dummkopf zu werden,
wenn man nicht ſchon einer if. Der Menſch iſt zur Geſellſchaft ger
macht, und insbeſondere die Jugend.
Waldmann. Und noch mehr die ſtudierende Jugend.
Löwe. In Geſellſchaften lernt man mehr von dem, was uns glück—
lich machen kann, als in Büchern.
Der Cantor. Habt ihr nicht eure Mitſchüler, mit denen ihr um—
gehen könnt?
Löwe. In dieſen hören und ſehen wir mehrentheils uns ſelbſt;
wir gewöhnen uns an das Allzuvertrauliche, an das Unhöfliche zu
ſehr, und können uns dann nie verſtellen, ſondern ſagen Alles
heraus, wie es iſt; und wenn wir ja noch ſo viel Verſtand übrig
behalten, dieſes nicht zu thun, fo ſtehen und ſitzen wir in Gefell-
ſchaften wie Statuen, und wagen es nicht ein Wörtchen zu reden.
Daher kömmt die ſchüchterne, die gezwungene Lebensart, alles iſt
ſteif an uns, ſobald wir aus unſrer Sphaͤre kommen. In Geſell⸗
ſchaften wiſſen wir zwar tauſendmal mehr, als was die übrigen
plaudern, wir ſehen es auch ein; allein dennoch machen wir die
albernſte Figur von der Welt mit unſern altklugen, gehorſamen,
ſchülermäßigen Geſichtern. Würde uns der Umgang mit Frauen:
zimmern erlaubt, fo würden wir bald das Artige, das Freie, Scherz
hafte uns angewöhnen, das ſo ſehr beliebt macht, und wodurch oft
ein Jüngling glücklicher worden iſt, als ein ſtiller Kopf durch die
Quinteſſenz aller Schulautoren. Ich ärgere mich oft über mich ſelbſt,
304 Heinſes Werke. Erſter Band.
wenn ich wie der abgeſchmackteſte Tropf in Geſellſchaften ſitze, und
um mich herum die artigſten Mädchen ſcherzen, und fluche über die
Auferziehung, die ich ſeit meiner Kindheit gehabt hatte. Schurken
von dickbaͤckichten Candidaten quaͤlten mich taͤglich in Poſtillen und
Gebetbüchern zu leſen, und das lateiniſche Wörterbuch auswendig
zu lernen, anſtatt daß ſie meinen Verſtand, mein Genie entwickeln
ſollten; ſie falteten mir eine dumme Miene ins Geſicht, anſtatt mir
feine Sitten und Lebensart beizubringen; kurz ſie machten die Hälfte
meines Gehirns zu einem Fragmente von einem lateinifchen Wörter;
buche. Sind ſolche Schurken nicht des Fluches werth? Noch immer
bin ich halb blödſinnig in Geſellſchaften; und da ich es einmal ge;
wagt habe, ein Paar Worte mit einigen artigen Mädchen zu reden,
ſo kommen Sie ſchon mit Schulſentenzen wider mich angezogen;
ich bin des Schultons überdrüßig, mir fingen Sie kein Liedchen dar:
innen vor!
Der Cantor. Nur den Reſpect nicht aus den Augen geſetzt, Löwe!
Ich möchte wiſſen, wer euch das Zeug in den Kopf geſetzt haͤtte!
Ich kann euch Beyſpiele ſagen, was die Herrchen worden ſind, die
ſo erzogen wurden, wie ihr es haben wollt. Gleich fallen mir dreie
davon ein, welche die artigen Mädchen, mit denen ſie umgingen,
zum Falle gebracht haben.
Waldmann. O Herr Cantor, davon ſchweigen Sie ja ſtille; ich
dächte, es fielen Ihnen ein wenig mehr als drei Herren ein, die
ihre Geſichter immer mit Joſephsmienen ausſtafirten, und doch —
welches ganz abſcheulich iſt — mehr als ein Maͤdchen zu früher
Zeit zu Fall brachten! Das iſt leider! ein Stück von der Erbſünde!
fie überfällt uns manchmal wie das böfe Weſen; die Heiligſten haben
ihr nicht widerſtehen können! Adam, Abraham, David, Salomon
Muſikaliſche Dialogen. 305
und die heiligſten Männer wurden von ihr hingeriſſen. Man muß
der Natur hier ihren Lauf laſſen.
Der Cantor. O Waldmann! Waldmann! es wird euch noch trüb—
ſelig ergehen! Ihr ſeyd ein gottloſer Menſch! Das hätt' ich nicht
hinter euch geſucht!
Waldmann. Hinter dem Berge wohnen auch Leute. Guten Tag,
Herr Cantor! Sie dürfen nicht denken, daß Sie alleine klug ſind.
Der Cantor. Ihr redet ja mit mir, als wenn ihr eures Gleichen
vor euch hättet!
Waldmann. Ich denke, Herr Cantor, wir werden einander in der
Muſik nicht viel herausgeben!
Der Cantor. Was ſagt ihr? Ich hab' euch nicht verſtanden!
Waldmann. Ich denke, Herr Cantor, ſag' ich, wir werden ein—
ander in der Mu —
Der Cantor. Nur nicht lange geplaudert! oder ich will euch Mores
lehren! Geſchwind! wo iſt die Arie? — Was liegt denn da für
Zeug?
Waldmann. Sehr gutes Zeug! Es iſt ein Trio von Filzen! und
zwar ein ſehr ſchönes, weil es das ſchönſte von ihm iſt.
Der Cantor. Ich habe noch nichts von dem Kerl gehört; ſpielt
es einmal!
Waldmann. Viel lieber, als Ihre Arie. Nehmen Sie Ihre Geige,
Herr Löwe! Cfie fpielen.)
Der Cantor. Und das haltet ihr für fchön?
Waldmann. Und das halten Sie nicht für ſchoͤn?
Löwe. Was gefällt Ihnen denn?
Der Cantor. Man kann wahrhaftig! davon ſagen, was der Fuchs
im Phädrus von einer Larve ſagt: o quanta species! cerebrum
1 20
306 Heinfes Werke. Erſter Band.
non habet. Sagt mir nur, ihr Leute, wie es moͤglich iſt, daß ihr
euch in ſolches Flittergold vergaffen könnt? Wenn man dieſe ſo
ſchöͤn klingenden Melodieen nach den Regeln des Generalbaſſes
und des Contrapunktes unterſucht, was kömmt da heraus? Dort
eine Sexte, hier eine Quarte, und alle Zeilen einmal eine Septime!
O ihr Leute wißt noch nicht, was das Körnichte in der Muſik iſt!
Löwe. Wahrhaftig! dieſe Probe kömmt mir eben ſo vor, als wie
unſer Herr Rektor die Vortrefflichkeit des Horaz beweiſt. Sie ver:
langen, wir ſollen aus dieſem Trio Regeln des Contrapunktes uns
abſtrahiren; und unſer Herr Rektor, wir ſollen aus den Oden des
Horaz Phyſik lernen. Heute hatten wir die vortreffliche Ode von
Horaz auf den Frühling: |
Solvitur acris hyems — bei den Verſen:
Jam Cytherea choros ducit Venus imminente Luna
Iunctaeque Nymphis Gratiae decentes
Alterno terram quatiunt pede: dum graves Cyclopum
Vulcanus ardens vrit officinas.
Schon tanzen auf jungen Blumen,
Bei der Fackel des Monds,
Wie's ihnen Venus lehrt,
Die ſchüchternen Grazien
Mit ſchoͤnen Nymphen umſchlungen,
Vom Frühling entzückt!
Indeß der hinkende Vulkan
Die Schmiede der Cyklopen
Mit vieler Mühe heizt.
Bei dieſen Verſen wurde weislich angemerkt, Horaz haͤtte hier lehren
wollen, daß im Frühlinge die künftigen Donnerwetter reiften. Man
Muſikaliſche Dialogen. 307
muß keine Augen haben, wenn man nicht ſehen will, daß Horaz hier
auf Koſten des Mannes der Venus hat ſcherzen wollen. Wer kein
Poet iſt, wird ihm freilich Recht geben müſſen. Allein im Ovid und
ſelbſt Horaz und andern Poeten iſt dieſer Gegenſatz allezeit anzu⸗
treffen, wenn fie von den Freuden und den Geſchaͤften der Göttin
der Liebe reden.
Der Cantor. Euer Rektor hat eben ſo völlig Recht, wie ich habe.
Waldmann. Alſo halten Sie nur die Piecen für ſchön, wo viele
Diſſonanzen und Conſonanzen zuſammengeflickt ſind, daß ſie einem
Hannswurſtskittel ähnlich ſehen?
Der Cantor. Ihr jungen Leute ſeht doch auf weiter nichts, als
auf ſchöne Larven; auf das Weſentliche der Muſik kommt ihr
niemals.
Waldmann. Was halten Sie denn für das Weſentliche der
Muſik?
Der Cantor. Die Regeln des Contrapunktes, oder den ganzen Ge⸗
neralbaß. Wer dieſe einmal verſteht, der hat die ganze Muſik inne.
Löwe. Dieſe Vorſchrift, die Muſik zu erlernen, iſt eben nicht viel
beſſer, als die: Man muß alle Aeſthetiken auswendig lernen, wenn
man ein Poet werden will. Mit entzückenden Gedichten der Griechen,
der Italiener und Franzoſen muß man ſein Genie begeiſtern, und
nicht mit Regeln!
Waldmann. Sie haben völlig Recht, Herr Löwe. Wer ein guter
Tonkünſtler werden will, muß ſich erſt ſeinen Geſchmack durch die
Meiſterſtücke von muſikaliſchen Genieen bilden. Man muß die uns
ſterblichen Werke eines Pergoleſi, Jomelli, Graun, Filz und der—
gleichen Männer ſtudiren.
Freilich kann man mit dieſen nicht gleich in der Muſik anfangen,
20*
308 Heinſes Werke. Erſter Band.
man muß ſchon etwas verſtehen, ehe man ſie verſtehen kann. Die
Regeln des Generalbaſſes ſind binnen einigen Stunden erlernt;
alsdann muß man ſich ein gutes muſikaliſches Gehör durch An—
hörung guter Piecen anſchaffen, und immer nach und nach weiter
gehen, und es wagen, Meiſterſtücke von ſolchen großen Meiſtern,
wie junge Dichter ihren Homer, Pindar, Anakreon, Horaz und Vir
gil, zu leſen.
Allein wie erzieht man die Jugend in der Muſik bei uns? Da
müſſen ſie Arien von elenden Purſchen auswendig in den Kirchen
herleiern, oder Fugen geigen, oder Vorſpiele für die Orgel lernen,
und dann über den einfaͤltigen Regeln einer Generalbaßſchule die
beſten Jahre ihres Lebens verſchwitzen. Dann macht man ihnen
weis, nun könnten fie alles in der Muſik; dann ſetzen ſie ſich hin
und komponiren drauf los, daß einem angſt und bange dabei wird.
Daher haben wir ſo ſchöne muſikaliſche Werke in Deutſchland: ent;
weder beſtehen ſie aus veraͤnderten Akkorden, oder ſie ſind ein Ge—
miſch von Fugen, Diſſonanzen und Terzen und Sexten, daß gefund-
öhrichten Leuten die Ohren gellen, wenn ſie das klägliche Wimmern
anhören müſſen.
Wenn die Tutti in den mehrſten Kirchenſtücken geſungen werden,
ſo hört man weiter nichts, als ein Geblöke, wobei man nicht weis,
was man denken ſoll; die Arien in denſelben ſind alle auf einen
Schlag. Von dem Grundton wird in die Quinte deſſelben getrillert,
und von der Quinte mit einer die Lunge folternden Cadenz wieder
in den Grundton. Dann geht es — nach Herrn Sorgen — in die
Gemahlin des Grundtons, und dann — Da Capo. Der Text dazu
iſt aus dem ſechszehnten Jahrhunderte verſchrieben, und der Takt
iſt Pantomime.
Muſikaliſche Dialogen. 309
Alle Kirchenſtücke ſind auf dieſe Art geformt. Bisweilen werden
die Herren Cantoren des ewigen Einerlei ſelbſt überdrüßig; dann
ſchaffen ſie ſich neue Symphonien mit ſchwerem Gelde an, ziehen
die beſten Stellen, nach ihrem Gutachten, heraus, und radebrechen
dann den Text damit, daß es nicht zum Ausſtehn iſt.
Der Cantor. Ihr ſeyd ja vor der Zeit klug geworden, Waldmann!
Waldmann. Oich weis die Schliche der Herren Cantoren zu gut.
Lowe. Daher kömmt es, daß man die Muſik fo wenig achtet. Wenn
ein junges Frauenzimmer in der Muſik unterwieſen wird, ſo muß
fie Kirchenſtücks⸗-Arien und Chorale fingen lernen, oder Polonaifen
und Menuetten.
Es war faſt kein Inwohner des alten Griechenlandes, der nicht die
Muſik verſtand. Einige Philoſophen ſagen, daß die Muſik die Haupt⸗
urſache war, daß die Griechen weiſer als alle andern Nationen
waren. Wie wurde dieſen die Muſik gelehrt? Man brachte ihnen
weder den Contrapunkt, noch die Regeln der Fuge bey, ſondern die
vortrefflichen Melodien zu den feurigen Geſängen einer Sappho,
zu den zärtlichen eines Anakreons, und zu den feurigen Hymnen
eines Pin dars. Ihre Dichter und Tonkünſtler machten fie weiſe,
nicht ihre Philoſophen. Könnte man dies nicht auch in Deutſchland
einführen, und ſtatt der Kirchenſtücks-Arien, Motetten und der—
gleichen Zeug, die vortrefflichen Geſänge eines Hagedorns, Uzens,
Gleims, Weiſens und dergleichen, in unſern Schulen den Schülern
und den Maͤdchen lehren?
Sie würden ein wenig klüger dadurch werden, als durch die vielen
Worte, welche ſie ohne Gedanken auswendig lernen müſſen; der
feine Geſchmack würde bis zum Pöbel kommen. Unſere Vorfahren
die alten Deutſchen hatten ſchon im graueſten Alterthume dieſe Art,
310 Heinſes Werke. Erſter Band.
ihre Kinder zu erziehen. Mädchen und Knaben wurden die Lieder
der Barden, worinnen die Thaten ihrer tapfern Ahnen nebſt den
Lehrſaͤtzen ihrer Religion beſungen waren, beigebracht; wie Tacitus
berichtet. Aus den geheiligten Quellen gingen Jünglinge und Mäd—
chen in die heiligen Haine mit Blumen bekränzt, und fangen und
tanzten. Wenn ſie Barbaren waren, was müſſen wir ſeyn? In
welcher Gegend Deutſchlandes findet man jezt noch dieſe Unſchuld
der Sitten? dieſe jugendlichen Freuden?
Wenn uns die feinern Sitten nicht glücklicher machen, warum
preiſen wir ſie? Und doch, worinnen beſtehen denn die feinern
Sitten unſerer Zeiten?
Ausgeartet find wir von ihnen: warum nennen wir fie unfre Vor-
fahren und Vaͤter? Doch die kleine Eichel kann auch die erhabenſte
Eiche, die bis in die Himmel ihr Haupt erhebt, ihren Vater nennen!
Es iſt wahr, ſie waren Wilde; aber ihre Wildheit war edel! Was
iſt unſere Froͤmmigkeit, unſere geheuchelte Froͤmmigkeit und unſere
Zahmheit dagegen? Wir ſind das caput mortuum von einem ſtar—
ken Spiritus!
Waldmann. Wir jungen Leute ſollen gar keine Luſt mehr haben,
kein Vergnügen genießen. Wir ſollen nicht eher küſſen, bis wir im
Ehebette — mit Erlaubniß, Herr Cantor — liegen. Dieſer Befehl
iſt eben ſo, als wenn wir die Blüthen zu unſern Kränzen abbrechen
ſollten, wenn die Aepfel an den Bäumen hangen.
Der Cantor. Ich haͤtte nicht geglaubt, daß ihr ſo geſcheut, ſo
klug wäret! Wir wollen euch Purſche ſchon kriegen! wartet
nur! wartet!
Waldmann. Das thun Sie ja nicht, Herr Cantor! ſonſt komm'
ich über Ihre Compoſitionen, und decke Ihre ganze Blöße auf. Weil
Muſikaliſche Dialogen. 9
Sie doch in den Fabeln des Phädrus ſo gut bewandert ſind, will
ich mich auch einer Anſpielung auf eine Fabel deſſelben bedienen.
Wenn Sie das geringſte uns zu Leide thun, ſo rupf' ich Ihnen die
geſtohlnen Federn aus! Sie dürfen nicht denken, daß ich mich vor
Ihnen fürchte. Was Sie ſind, kann ich alle Stunden mit beſſerm
Rechte ſeyn!
Löwe. Nicht ſo wild, Waldmann!
Der Cantor. Was plaudert ihr denn? Ihr ſeyd ein grober
Menſch, Waldmann!
Waldmann. Wie man ins Holz ſchreit, fo ſchallt's wieder her;
aus!
Der Cantor. Ibr beiden ſeyd Leute, aus welchen noch etwas wer;
den kann; alleine bis jezt redet ihr immer ohn' alle Erfahrung.
Ihr fodert von einem Cantor, was Prinzen kaum von ihren Kapell⸗
meiſtern fodern. Um einmal die Beſoldung zu erhalten, welche
die Cantoren gewöhnlicher Weiſe bekommen, wird man ſchwerlich
nach Italien reiſen und die Muſik daſelbſt lernen, und Kirchenſtücke
für die Kirche eines kleinen Staͤdtchens mitnehmen. Und mit wem
ſoll denn ein Cantor die Meiſterſtücke der Italiener aufführen? Ja!
wenn ich lauter ſolche Leute haͤtte, wie ihr Zween waͤret, da ging es
an. Aber ihr wißt ja ſelbſt, wie erbaͤrmlich es klingt, wenn ich ein
ſchweres Stück aufführe.
Waldmann. Die Helfershelfer ſollten Sie ſelbſt erziehen und
bilden können! und um gute Kirchenſtücke zu bekommen, hat man
eben nicht nöthig nach Italien zu reiſen. Wir haben einige gute
Kirchenkomponiſten in Deutſchland; allein man kennt ſie nicht.
Der Cantor. Ihr ſeyd aber auch ein rechter Starrkopf.
Löwe. Es waͤre gut, wenn iede von den drei Sekten der chriſtlichen
312 Heinfes Werke. Erſter Band.
Religion auch eine allgemeine Zuſammenkunft in einem Tempel
hätte, wie der zu Jeruſalem war. Auf jedem kleinen Dörflein ſitzt
ein Pfarrer und ein Schulmeiſter, ſamt Weibern und Kindern; die
Inwohner des Dörfleins, welche nun ſelbſt weder zu beißen noch
zu brechen haben, koͤnnen folglich dem Pfarrer und dem Schul⸗
meiſter ſamt ihren Weibern und Kindern, mit welchen letztern ſie
mehrentheils reichlich geſegnet ſind, ſehr wenig geben; wie der Lohn,
fo die Arbeit! Sechs oder acht an einander liegende Dörfer ſollten
niemals mehr als eine Kirche haben.
Wenn in der Hauptſtadt der Lutheraner ein ſo großer Tempel ge—
bauet würde, wie der zu Jeruſalem war, fo könnte man auch ein;
mal einen recht feierlichen Gottesdienſt bei ihnen ſehen. Da das
Ganze dazu beitragen müßte, ſo würd' es nicht viel Schwierigkeit
haben, die Prieſterſtellen und alle Aemter der Kirche mit den aus;
geſuchteſten Maͤnnern zu beſetzen. Nach dieſen koͤnnten ſich dann
die andern bilden. Und alle große Feſttage könnte ſich jeder, der in
feiner Kunſt vortrefflich wäre, die Erlaubniß ausbitten, ſich hören
zu laſſen, und dann würde er nach Verdienſten befördert werden.
Der Cantor. Nein, guter Löwe, das Ding geht nicht fo leicht an,
als ihr es denkt. Das ſind Hirngeſpinnſte. Fangt ja nicht an, euch
in eurer Jugend auf das Projektenmachen zu legen, ſonſt werdet ihr
ganz gewiß einmal ein unglückſeliger Vagabund. Ein Tempel zu
Jeruſalem bei den Lutheranern! ha! ha! Ihr ſeid ein wunderlicher
Kopf! a
Lowe. Es wäre der Religion in ſehr vielen Stücken vortheilhaft;
wenn ein Streit bei den Proteſtanten entſteht, ſo weis man nicht,
wer ihn entſcheiden ſoll. Der Urheber deſſelben mag Recht oder
Unrecht haben, er wird Ketzer geſchimpft, und von Hauſ' und Lande
Muſikaliſche Dialogen. 313
gejagt, wenn ihn die Gegner überwaͤltigen Finnen. Hat er fic aber
feſtgeſetzt, ſo iſt dann ein ewiger Krieg und ein Gezaͤnke, wodurch
die Religion ſelbſt veraͤchtlich gemacht wird. Jede Parthei will Recht
haben, und die Mitglieder von beiden ſchlagen ſich die Haͤnde auf
den Lehrſtühlen wund; und wenn ſie ſehen, daß auch dieſes nicht
hilft, dann vergehen ſich dieſe ſanftmüthigen, gallenloſen Herren ſo
weit, daß ſie Pasquille gegen einander ſchreiben. Der theologiſchen
Fakultäten ſind ſehr viel, jede maßet ſich des Rechts der Entſchei—
dung an; und es ſind ja Faͤlle bekannt, wo unter ſechs Fakultaͤten
keine einzige das nämliche behauptet hat, und wo alle den Sinn des
Ketzers verfehlten. Ein allgemeiner Tempel, wohin von jeder Fakul⸗
tät ein Abgeſandter abgeſchickt und — doch ich bin zu jung dazu,
mein Bart iſt noch nicht lang genug, daß ich es wagen dürfte, meine
profanen Augen hier ſehen zu laſſen.
Allein fo viel iſt gewiß, die Genieen in den Wiſſenſchaften und Kün—
ſten, in der Mahlerei, Bildhauerkunſt, Baukunſt, Muſik, Beredtſam—
keit würden ſich dann vermehren, oder vielmehr, ſie würden erſt in
Deutſchland gebohren werden, indem doch hier Gelegenheit da wäre,
wo man ſie brauchen könnte, und die armen Deutſchen würden
nicht nöthig haben, fo vieles Geld nach Italien zu tragen, um ein;
mal eine fchöne Kirche und vortreffliche Gemaͤhlde zu ſehen, und eine
gute Muſik anzuhören.
Wir können bei fo beſtellten Sachen, wie fie jezt find, in Deutſch—
land keinen großen Bildhauer, Baumeiſter, keinen Fleſchier, keinen
Raphael haben, weil wir keinen haben wollen.
Der Cantor. Laßt euch ja bei keinem Geiſtlichen davon ein Woͤrt—
chen entfahren, ſonſt werdet ihr ankommen, wie der Hund in der
Küche. Ihr habt gefaͤhrliche Dinge im Kopfe! und noch ſo jung!
314 Heinfes Werke. Erſter Band.
Doch was ein Haͤkchen werden will, krümmt ſich bei Zeiten; ihr
werdet einmal viel Unheil anſtiften! Aber der Krug geht ſo lange zu
Waſſer, bis er zerbricht! Merkt euch das! Wenn euch wieder ein
Projekt einfällt, fo thut mir ja den Gefallen, und hört gleich auf zu
denken, und ſeht auf eure Naſe oder zum Fenſter hinaus, und wenn
es Nacht iſt, ſo ſingt ein Abendlied; denn ſonſt macht ihr, ſo lange
ihr lebt, bis man euch ſingt: „Nun laßt uns den Leib begraben“
nichts als Luftfchlöffer. An kleinen Riemchen lernen die Hunde
Leder freſſen, und ein junger Adler fliegt immer höher.
Waldmann. Damit Sie noch mehr Ihrer Sprüchwöͤrter anbringen
können, will ich doch auch ein Projekt machen.
Der Cantor. Sagt mir nur, wo ihr das Projektmachen gelernt
habt?
Waldmann. Das will ich Ihnen gleich ſagen, weil ich es ſehr
gut weis. Wir armen Schüler müſſen ja zu Hauſe ſitzen, wie die
Gefangnen, wie die Cartheuſer, wenn wir aus der Schule kommen.
Alle Freuden ſind uns verſagt.
Wenn ich nach Hauſe komme, ſo fang' ich an auf meinem Claviere
zu ſpielen und leſe Tauſend und eine Nacht, Thomas Jones, Ama⸗
lia, Reiſebeſchreibungen, und zur Abwechſelung lateiniſche Poeten,
wie ſie mir vor die Hand kommen, ſamt den Schriften des Cicero,
Petrons und Apulejus. Nun will ich nur für die Woche zwei
Tage rechnen, wo ich keine Luſt zu leſen habe, was ſoll ich hier
thun?
Ich ſetze mich hin, und reiſe nach Oſt- und Weſtindien, hole mir
Geld, und reiſe wieder nach Deutſchland, kaufe mir das ſchönſte
Landgut in der Schweiz, und dann reiſe ich in der halben Welt
herum, wohl endlich gar nach Perſien und Circaßien und hole mir
Muſikaliſche Dialogen. 315
ein Mädchen, fo ſchön, daß ich Fein Fleckchen, und wär' es nur einen
Pfennig groß, an ihrem ganzen Leibe anſehen kann, ohne entzückt
zu werden. Dieſes bring' ich auf mein Landgut, und ſehe es alle
Morgen von oben bis unten an. Ein herrliches Recipe wider alle
ſchlimmen Launen auf den ganzen Tag! Ich gehe mit ihm auf die
Jagd, ich ſpiele das Clavier zu ihrer Sirenenſtimme, und tanze und
ſpiele mit den auserleſenſten Freunden. So ſitz' ich wohl Stunden
lang auf einem Fleckchen und guck' an meine Wand hinauf und —
ſehe ſie nicht, und wenn ich ſie ſehe, ſo ſpring' ich nach meinem Stocke
und ſchlage Löcher hinein, daß fie mich in meinem wollüſtigen Traume
verſtört hat. Dann nehm' ich mein Halstuch und binde mir die
Augen zu und fange wieder an mich in meine vorige Lage zu denken.
Allein mehrentheils iſt es mir nicht möglich. Nun fang' ich an ein
neues Projekt zu machen, und zwar ein ſchwereres, weil mir das
vorige ſo leicht gemacht war, daß ich nicht lange davon träumen
konnte.
Der Cantor. Gott erhalt' euch bei eurem Verſtande, Waldmann!
Waldmann. Deswegen tragen Sie keine Sorge! —
Wenn ich die Thaten in den Lebensbeſchreibungen der großen Feld—
herren und Generale geleſen habe, und nun überdenke, was Alexan—
der, Hannibal, Pyrrhus, Scipio, Caͤſar, und nun noch einmal über;
denke, was Alexander und Cäſar gethan haben, wer ſie waren! dann
verlier' ich mich auf eine Stunde lang in tiefen Betrachtungen über
das menſchliche Geſchlecht, und endlich erholt ſich mein Geiſt in der
Pauſe einer langen Gedankenſtille, und faͤngt ein ungeheures Pro—
jekt zu entwerfen an; ich drücke die Augen zu, bin nur oben in der
Stirne zu Hauſe, und bilde mir ein, ich waͤre Karl der Große oder
Karl der Fünfte, und nun fang' ich an zu erobern Königreiche,
316 Heinfes Werke. Erſter Band.
Wüſten, Wälder, Berge, Schlöſſer, Nationen. Ich bezwinge tauſend
Völker, bin tapfer wie Pyrrhus und Hannibal, und ein philoſo—
phiſcher Monarch wie Alexander und Cäſar. Ich ſetze in jedes
Land, ſobald ich es erobert habe, Generale, welche alle ausgeſuchte
Leute ſind, zu Landvoigten, wie Cäſar Prokonſuln, und laſſe ſie alle
vier Jahre abwechſeln, und gebe neben ihnen den Philoſophen den
Auftrag, für den Ackerbau, Manufakturen und den Handel zu for:
gen. Dann laſſe ich ein London, ein Paris oder Rom mitten in
meiner Monarchie aufbauen, und ziehe dahin alle Arten von großen
Genieen. Ich bringe die Religion meines Landes auf einfache, leicht
begreifliche Grundſätze zurück vermittelſt meiner Genieen, und richte
ſie ſo ein, daß ſie den Weiſen eben ſo glücklich macht, wie den
Dummkopf, und verbiete die geringſten Zänkereien darüber bei der
härteſten Strafe; ich ſetze das Geſetz feſt nach dem Alexander, daß
jeder meiner Nachfolger allezeit den Faͤhigſten, den Weiſeſten zu
ſeinem Nachherrſcher ernennen ſoll, und beſtimme zugleich meinen
Nachfolger. Denn da ich dieſen durch eine lange Prüfung für den
Weiſeſten befunden habe, ſo wird er auch keinen Dummkopf nach
ſich ernennen. Der Staatsrath beſteht aus lauter Weiſen vom erſten
Range. Ich mache noch dieſes Staatsgeſetz, daß niemals der Mo—
narch einen von ſeinen Söhnen zu ſeinem Nachfolger zu ernennen
das Recht haben ſolle, aus phyſikaliſchen und moraliſchen Gründen.
Nun überſehe ich mein ganzes Reich, und freue mich, und erſticke
beinahe vor Entzückungen einer majeſtaͤtiſchen, edeln, erhabenen
Wolluſt über die Glückſeligkeit meiner glücklich gemachten Bürger.
Friede iſt rund um mich, kein Hügelchen in dem ungeheuern Reiche
iſt unfruchtbar, aus jedem Geſichte lacht mir Geſundheit und Freude
entgegen; blühende Jünglinge tanzen mit bekränzten jungen Maͤd⸗
Muſikaliſche Dialogen. 317
chen Fröhlichkeit, und mein ganzes Reich gleicht einem grünen,
friſchen Wäldchen voll Nachtigallen im May.
Nun ſehe ich meine — weiße Wand an, und verſchwunden ſind
Eroberungen, große Generale, große Genieen, große Weiſen, Nach—
folger, Staatsgeſetze, und ich höre vor meinem Fenſter einen —
jungen, ſtarken Bettler ein Almoſen fodern.
Der Cantor. Geht mir ja nicht in den Hundstagen zu ſehr
ins Heiße!
Waldmann. Und leſen Sie ums Himmels willen in Ihrem
Leben keine Zeitung.
Der Cantor. Warum das?
Waldmann. Weil Sie alle Hände voll Arbeit haben, nur um
Ihrem Amte vorzuſtehen. Dieſe Projekte mache ich nur, wenn ich
an unſern theuern Herr Rektor und an Sie und unſer Gymnaſium
denke. Nun will ich Ihnen aber auch noch ein Projekt ſagen,
welches ich jüngſt gemacht habe, da ich aus der Schule kam, ein
Blatt von gelehrten Zeitungen und eine Seite in der Geſchichte
der Kunſt von Winkelmann, welche eben auf meinem Pulte aufge—
ſchlagen lag, geleſen hatte.
Löwe. Nun, das möcht' ich hören! Schule! Geſchichte der Kunſt!
Gelehrte Zeitungen! Das iſt doch ein Contraſt! Wie wird das Pro—
jekt lauten?
Waldmann. Sehr wohl, Herr Löwe!
Der Cantor. Es iſt kein Wunder, daß es ſo chaotiſch, ſo verwirrt
in euern Köpfen ausſieht.
Waldmann. So iſt es, wie Sie vorhin ſagten, Herr Löwe: wir
find das caput mortuum von einem ſtarken Geiſte. Wenn wir
unſere jezigen Deutſchen betrachten, ſo werden wir finden, daß von
318 Heinſes Werke. Erſter Band.
dem auffliegenden Geiſte, welchen die Deutſchen hatten, da ſie noch
wahre Wilde waren, faſt kein Ueberbleibſel mehr da iſt. Unter
Zehntauſenden findet man kaum Einen Mann, der ſeinen eignen
Kopf hat. Niedergeſchlagen, ſchüchtern, pedantiſch ſind die mehrſten.
Die Britten ſind beinahe das einzige Volk unter allen Nationen
Europens, welches immer ſeinem Nationalcharakter treu geblieben
iſt. Woher kömmt das? Von der Regierungsform und der Auf—
erziehung; beides in der allgemeinen Bedeutung genommen! Der
Umgang der Kinder mit andern Perſonen und die Gegend ihres
Aufenthaltes gehört auch zur Auferziehung, wie Helvetius richtig
behauptet.
Was haben nun die Deutſchen für eine Regierungsform? für eine
Auferziehung? Ich bin noch zu unbaͤrtig, um mir erlauben zu können,
über die Regierungsform der Deutſchen einige Anmerkungen zu
machen. Nur den Monteſquieuen, welche die Regierungsformen
aller Nationen des Erdbodens waͤhrend ihrer ganzen Jugend und
Mannheit durchdacht, durchſtudirt haben, iſt dieſes — in der Schweiz
oder Frankreich — erlaubt. Ich will ſagen, was ich ſchon oft ge
dacht habe, wenn ich an die Einrichtung unſerer Lands, Stadt⸗ und
gelehrten Schulen dachte.
„Ein ſchöner Frühling verſpricht auch einen ſchönen Herbſt“ ſagen
unſere Bauern. Zur Schönheit des Frühlings gehört die auf—
blühende Saat im fruchtbar gemachten Boden. Diſteln und Un⸗
kraut im Lande, und Stöcke und verwachſene Büſche im Walde
müſſen ausgerottet werden, wenn junge Baͤume und die aufblühende
Saat hinlängliche Nahrung haben ſollen. Man muß dabei die
Kraͤuter der Wieſen mit Quellen traͤnken, daß ſie nicht verdorren,
und den jungen Bäumen die untern Aeſte abſcheren, damit alles
Muſikaliſche Dialogen. 319
empor wachſe zur Ehre Gottes, und zum Nutzen und Vergnügen
der Menſchen.
Der Frühling im menſchlichen Leben iſt die Jugend. Mehr als
Millionen mal iſt dieſes geſagt und geſungen und angehöret wor:
den; aber Sager und Sänger und Zuhörer haben ſelten Gedanken
dabei gehabt, wenigſtens dieſe nicht, welche man dabei haben ſollte.
Mehrentheils braucht man die Blüthe der Jugend auf eben dieſe
Art, wie die geiſtvollen Blüthen der edeln Citronenbäume ſchöne
Damen brauchen: fie brechen fie ab, und binden fie in ein Sträus⸗
chen, und geben fie fchönen Herren, welche ihre ſüßen Düfte doch
nicht mit ihren Naſen empfinden können, weil fie ſolche zu ſehr mit
welſchen Wäſſern und Schnupftaback verdorben haben. Kein Wört—
chen iſt in dieſem Gleichniſſe umſonſt, vom Anfange bis zum Ende.
Es iſt kein homeriſches Gleichniß. Die Blüthen unſerer Jünglinge
werden verbraucht, wie die Citronenblüthen; beide können nicht zu
Früchten aufwachſen.
Die Auferziehung der Jugend iſt die Quelle, woraus das Glück
und Unglück der Nation fließt, nachdem ſie gut oder ſchlecht iſt.
Alle Büchleinsſchreiber über die Auferziehung ſagen das, ohne uns
aber zu ſagen, was gute Auferziehung iſt. Beinahe auf eben dieſe
Art ſchreit ein Philoſoph nach dem andern: Dieſe! dieſe Welt iſt
die beſte! Sie ſagen aber nicht, worinnen das Glück derſelben be;
ſteht, was die Beſtimmung des Menſchen iſt. Vielmehr rufen ſie
hinterdrein, wie Cicero nach dem Plato: Humana contemnito!
Auf gut deutſch überſetzt: verachte die Welt. Man werfe mir nicht
ein: du verſtehſt den Satz: dieſe Welt iſt die beſte — nicht recht! —
Ich denke dabei, was man dabei denken ſoll und muß; und dabei
kann doch, Herr Löwe, Ihre neue vortrefflich ausgedachte Muth—⸗
320 Heinfes Werke. Erſter Band.
maßung Statt finden: auf diefer Erde unterm Monde hier iſt viel;
leicht die Hölle und der Himmel eines andern Planeten. Was aber
Seligkeit in dieſem Himmel iſt, ſollten die Philoſophen wiſſen, da
oft ſchon Bauern darnach leben. —
Doch ich muß meine Phantaſie im Geleiſe zu bleiben zwingen. S098
Sie mir eine Nation, bei welcher die Bürger unglückſelig lebten, ob
ſie gleich eine gute Auferziehung gehabt hatten!
Wie war aber die Auferziehung bei den Nationen, die glückſelig
lebten? Bei welchen wenigſtens die mehrſten ihrer Bürger glück—
ſelig lebten? — Die Auferziehung beſteht alſo in weiter nichts, als
die Jugend zu lehren, wie ſie glückſelig leben ſoll. Man muß ihr
alſo lehren, was Glückſeligkeit iſt, und welche Mittel man dazu ans
wenden muß, ſie zu erlangen, und welche Hinderniſſe aus dem Wege
müſſen geräumt werden. Die Mittel fie zu erhalten find ſehr ver;
ſchieden bei manchen Nationen, und alſo muß auch die Auferziehung
verſchieden ſeyn.
Dies ſind die einzigen, die wahren Grundſaͤtze, nach welchen man
die Jugend unterrichten muß. Wer dieſes nicht weis und die Auf—
erziehung verbeſſern will, baut Luftſchloͤſſer. Dieſe wenigen Grund,
ſätze ſind ſo einfach, ſo leicht einzuſehen, daß man ſie eben deswegen
nicht hat ſehen wollen.
Die Glückſeligkeit, welche die mehrſten Griechen für die wahre hiel
ten, beſtand in einem weiſen Genuß der Wollüſte. Das iſt die
irdiſche Glückſeligkeit, deren Grundpfeiler die Tugend iſt. Nur
wenige bei ihnen hatten ſo angebrannte, ſo ſchief verrückte Köpfe,
daß ſie den Genuß der Trübſalen für die wahre Glückſeligkeit hätten
halten ſollen. Ihre Staatsform war ſo eingerichtet, daß den weiſen
Genuß der Wolluſt jeder Bürger haben konnte, wenn er wollte.
Muſikaliſche Dialogen. 321
Wenn man Wolluſt genießen will, ſo muß man ein ruhiges Gemüth
haben. Die Furcht vor künftigen Qualen muß nicht in der Seele,
wie ein Schwären am Leibe ſitzen. Dieſe Furcht mußte wie Un—
kraut ausgerottet werden. Dieſes erreichten ſie dadurch, indem ſie
ihren Kindern die Grundſaͤtze der Religion beibrachten.
Die Grundſätze der Religion, welche wir durch die Vernunft wiſſen
können, find dieſe: es iſt ein Weſen, welches die Welt und die
Väter und Mütter aller Geſchöpfe fo hervorgebracht hat, wie wir
ſie ſehen. Warum? weil wir in allen Faͤchern unſerer Imagination
keine andere Urſache finden können, woher die Welt und die Ge—
ſchoͤpfe ſonſt entſtanden ſeyn ſollten; und einen Urſprung muß doch
jedes Ding haben?
Worin dies Weſen, welches wir Gott nennen, aber beſteht, auf welche
Art es alles hervorgebracht hat, wiſſen wir nicht. Die Menſchen,
welche dies erklaͤren wollen, ſind Narren. Und was ſind die Weiſen,
die ſagen: Gott iſt eine Monade? Kann eine Monade einen ſolchen
ungeheuren Körper zuſammenſetzen, wie die Welt iſt? kann fie all
gegenwärtig ſeyn? Und doch, woher wiſſen wir, daß Gott allgegen—
waͤrtig ſeyn muß? Weil er die Welt erhält.
Löwe. Folglich ſind diejenigen Narren, welche ſagen, Gott be—
wege ſich von einem Orte zum andern; denn ſie ſagen etwas ohne
Grund.
Waldmann. Ich bin in dieſem Zimmer allgegenwärtig, weil ich
in der Ecke ſitze. Kann ich deswegen nicht von dieſer Ecke zur an⸗
dern gehen? Ein Ding iſt in dem Raume nicht allein gegenwaͤrtig,
welchen es einnimmt. Gott koͤnnte als Monade allgegenwärtig ſeyn;
die Art, wie es möglich iſt, iſt uns zwar unbegreiflich, allein wir
koͤnnen doch nicht beweiſen, daß es unmöglich fey! Wie eine Mo:
1
21
322 Heinſes Werke. Erſter Band.
nade dieſe großen himmliſchen Körper ſchaffen, zuſammenſetzen
konnte, das iſt — eben ſo unbegreiflich; allein wir koͤnnen auch nicht
beweiſen, daß es unmoglich ſey. Ich kann zwar von meinen Augen
ſagen, es iſt ihnen unmöglich, meine Gedanken, die ich hier in der
Ecke denke, zwölf Schritte weit davon an die weiße Wand zu ſehen,
oder durch Angucken ſo hinzuſchreiben, daß ſie andere leſen koͤnnen;
allein kann ich es von den Augen eines Weſens behaupten, das ich
nicht kenne?
Ferner vermuthen wir aus der Vernunft, daß noch jenſeit des
Grabes etwas von uns übrig ſeyn wird. Denn was halten wir von
der Weisheit eines Mahlers, wenn er ſein Gemählde, das für ein
Meiſterſtück von allen Kennern gehalten wird, das er ſelbſt dafür
haͤlt, wieder ausſtreicht? verbrennt? vernichtet? Wahrhaftig! man
hält ihn für verrückt im Kopfe. Und was müßte dieſes Weſen ſeyn,
wenn es ſeine Geſchoͤpfe wieder vernichten ſollte?
Das iſt der ſtaͤrkſte Beweis, den man für die Unſterblichkeit der
Seele vortragen kann; wer ſie aus der Natur, aus dem Weſen der
Seele demonſtriren will, den halt ich für den allerelendeſten Stüm—
per in der Phyſik und Pſychologie.
Ideen ſind im Hirn, ſpricht Haller und Albin,
Wenn das Gehirn verfault, wo flieht die Seele hin?
Wo kann ſie dann Gedanken finden?
Beim Zevs! was muß ſie ſeyn,
Wenn fie nicht denkt? Iſt dies wohl zu ergründen?
Wie weis ſie dann, was ſie im Leben hat gethan,
Wenn ſie das Buch nicht hat, worin ſie's leſen kann?
Wie rief Carteſius? „Ich bin! warum? ich denke!“
Muſikaliſche Dialogen. 323
Das lehrt die Phyſik und die Pſychologie. Nun wollen wir auch
ſehen, was die Weisheit darauf antwortet!
Wie? fraſen Würmer Platons Seele?
Des Sokrates erhabnen Geiſt?
Verfauleten in ihres Grabes Höhle
Homer? Anakreon? und Hagedorn? und Kleiſt?
Gedenk' einmal, nicht mehr zu ſeyn:
Wie ſchwarz! wie fürchterlich biſt du!
Die Seele bebt, wann ſie dich denken ſoll.
Ueber dieſe zween Punkte müſſen wir keine Grillen mehr haben,
wenn wir glücklich leben wollen. Die Religionsſtifter der Griechen
ſagten alſo den Griechen, was ſie über dieſe Punkte denken oder
glauben ſollten. Daher entſtand ihre Goͤtterlehre und ihre elyſäiſchen
Felder.
Löwe. Es geſchah nicht allein deswegen, um die Griechen nicht
von den Grillen über das Weſen Gottes und über die Zukunft
quälen zu laſſen, ſondern ſie ſollten auch dadurch eine neue Quelle
erhalten, woraus ſie Wolluſt trinken konnten. Wenn ſie an einen
Gott dachten, ſo hatten ſie den Kopf voll lachender Gedanken. Dann
geſchah es auch, um die böfen Handlungen zu verhüten. Daher
ſchilderten ſie die Seligkeiten der Tugendhaften und die Strafen
der Gottloſen.
Waldmann. Sie haben völlig Recht. Weil ſie aber vorherſahen,
daß dazu ein ziemlich großer Glaube gehörte, und daß dieſes nur die
Gedanken lernenden Menſchen glauben würden, ſo errichteten ſie
eine feinere Religion für die feinern Seelen. Daher ordneten ſie
die Myſterien, wo aber nur feine Köpfe hinzugelaſſen wurden. Für
21*
324 Heinſes Werke. Erſter Band.
die, welche fo klug wie fie ſelbſt waren, ſorgten fie nicht. Ein Weiſer
wird nie die Glückſeligkeit feiner Nebenmenſchen ſtoͤren: thut ein
Menſch dies aus Vorſatz, fo iſt er kein Weiſer. Ueber dieſe Punkte
der Religion wird ein Weiſer auch keine Grillen denken, die ihn
unglückſelig machen. Levius fit patientia, quicquid corrigere est
nefas. In dieſer Religion wurde die Jugend mehr durch die Ger
wohnheit, als durch Lehren unterrichtet. Binnen einigen Monaten
wußten ſie alles, was ſie davon, um glückſelig zu leben, wiſſen ſollten.
Die übrigen Tage ihres jugendlichen Lebens machten fie ſich ger
ſchickt, ſich ſelbſt und andre glückſelig zu machen. Wenn ſie geſchickt
genug dazu waren, fo fingen fie an, und machten ihre Glückſelig⸗
keit dauerhaft. Sie haͤrteten ihren Körper, und übten ſich in den
Waffen und den Künſten des Krieges, um ſich gegen die zu ver—
theidigen, welche es wagten, ſie und ihre Freunde, das iſt gegen den
ganzen Staat, in ihrer Glückſeligkeit ſtoͤren zu wollen. Selbſt dieſe
Uebungen in den Waffen wurden von ihren weiſen Geſetzgebern
ihnen wieder zu einer Quelle der Wolluſt gemacht. Sie lernten
Wiſſenſchaften und Künſte. Kurz, ſie thaten nichts, ſie erlernten
nichts, was ihnen Schmerzen gekoſtet haͤtte. Sie ſchwammen in
Wonne durch dieſes Leben, und wenn ſie an das Ufer deſſelben
kamen, ſtiegen ſie ans Land Elyſium.
Nun will ich die Auferziehung der Deutſchen betrachten. Erſtlich
wie ſie ſeyn könnte, und dann wie ſie iſt.
Die Hauptlehrſaͤtze unſerer heiligen Religion ſind faßlicher, als die
Lehrſaͤtze der griechiſchen Religion, weil fie wahr find, und jene
falſch waren. Wir haben den einigen Gott, Schöpfer Himmels und
der Erden, und die Griechen hatten eine erſtaunliche Anzahl Götter.
Die Verehrung unſers Schöpfers lehrt uns ſchon der geſunde
Muſikaliſche Dialogen. 325
Menſchenverſtand, die Griechen hatten tauſenderlei Ceremonieen zu
erlernen. Der Gedanke an unſern wahren Gott und an den ge—
kreuzigten Jeſus iſt ſo voll entzückender Majeſtät, daß der Gedanke
eines gläubigen Griechen an ſeinen Zevs dagegen ſo klein, ſo gering
iſt, wie ein Sonnenſyſtem gegen Centillionen andrer Sonnenſyſteme.
Unſre Beſtimmung in dieſer und in jener Welt iſt ſo leicht in den
Briefen Paulus an die Corinther zu verſtehen, daß man ſie nur zu
leſen braucht.
Kurz, die Hauptlehrſaͤtze der chriſtlichen Religion ſind binnen wenigen
Monaten den dümmſten Kindern faßlich.
Nun ſollten ihnen die Mittel gelehrt werden, wie man ſich in be
ſondern Lebensarten glücklich machen könne. Ich will von unten
anfangen. Man ſollte auf jedes Dorf einen Mann ſetzen, der er;
fahren im Ackerbau und der Viehzucht wäre. Dieſer müßte die
Kinder darinnen unterrichten, nachdem ihnen die Lehrſaͤtze unſrer
heiligen Religion beigebracht wären. Dazu konnte zur Grundlage
ein Büchlein dienen, ſo ſtark wie ein Abebuch. Er müßte ihnen dann
noch lehren, was jeder für ein Verhältniß und für Pflichten gegen
den Staat und ſeine Bürger habe. Dabei müßten ſie die Geſtalt
unſerer Erde ein wenig kennen lernen, nebſt dem was am Himmel
iſt, und Schreiben und Rechnen. Mit wie vielem Vergnügen wür—
den die armen Bauerkinder das erlernen! Welche Vortheile würde
der Staat dadurch erhalten? Der muß nicht eine Monade von Ver—
nunft und von Phantaſie in ſeinem Gehirne haben, der hierbei nicht
die herrlichſten Ausſichten machen kann!
Nun zu den Schulen in Städten! Was die Religion betrifft, fo
bleibt es bei dem vorigen. Die Inwohner der Städte ſind Hand—
werker, Künſtler und Kaufleute. Die Gelehrten abgerechnet. Hier
326 Heinſes Werke. Erſter Band.
können ſchon mehrere Claſſen, mehrere Arten von Schulen ſeyn,
zumal in großen Städten.
In jeder großen Stadt ſollte eine Handlungsſchule ſeyn. Darinnen
müßten die Kinder hauptfächlich Geographie, Schreiben, Rechnen
und die deutſche Sprache ſtudiren; bei den Lehrſtunden über die
Geographie müßte ihnen dann die Kenntniß der jedem Lande eignen
Produkte, nebſt dem Grade der Güte jeder Waare in verſchiedenen
Ländern beigebracht werden.
Die Jugend, welche Handwerke und Künſte erlernen wollte, könnte
hier ebenfalls unterrichtet werden. In jeder Stadt ſollte ferner eine
Schule der Muſik ſeyn, ſowohl der Sing- als der Inſtrumentalmuſik;
denn die Muſik iſt eine wahre Purganz der Seele, fie führt die böͤſen
Launen und Grillen ab, und giebt derſelben ihre verdauende Kraft
wieder. Jeder Fürſt, er mag groß oder klein ſeyn, ſollte feine Unter;
thanen ſo ſehr vergnügt und aufgeraͤumt zu machen ſuchen, als es ihm
möglich wäre, denn dann kann er mit ihnen anfangen, was er will.
Dazu iſt aber kein beſſeres Mittel, als er bringt es dahin, daß jeder
Bürger die Muſik verſteht. Die Muſik macht fleißige Leute. Ich
verſtehe hierunter aber nicht jede Art von Muſik, ſondern nur die
luſtige. Ein Jäger wird noch einmal ſo gut jagen, noch einmal ſo
ſchnell über die Felſen ſetzen, bei einer Jagdmuſik von Waldhörnern,
als wenn er einſam jagen ſoll. Die Bauern ärnten noch einmal ſo
ämſig, wenn hübſche junge Geſellen drolligte Liederchen dazu fingen.
Chardin ſagt in ſeiner Reiſebeſchreibung von Perſien, daß man da—
ſelbſt bei einer großen Arbeit, wo viele Menſchen Hand anlegen
müßten, allezeit Muſik habe, und daß dann die Arbeit noch einmal
ſo ſchnell von ſtatten gienge, als wenn keine Muſik dabei wäre. Der
Nutzen der Muſik beim Kriege iſt bekannt genug, man koͤnnte ſie
Muſikaliſche Dialogen. 327
— —
aber noch um ſehr vieles verbeſſern. Doch ich darf hier nicht zu
weitlaͤufig davon ſeyn; ich habe ſchon vorhin darüber etwas ge—
ſagt.
Dieſe Schulen ſind für die Knaben. Für die Mädchen müſſen ſie
ganz anders wieder eingerichtet ſeyn, da, wie bekannt, die Maͤdchen
nicht thun und nicht thun können, was die Knaben thun. Ein
Frauenzimmer, welches in den Wiſſenſchaften und Künſten und der
weiblichen Glückſeligkeit wohl erfahren wäre, ſollte mit gutem Fug
und Recht die Auferziehung der jungen Mädchen beſorgen.
Was weis ein mürriſcher Bengel von einem Schulmeiſter von der
Beſtimmung des weiblichen Geſchlechts? von Artigkeit? von feinen
Sitten? An manchen Orten iſt die geiſtliche Polizei ſo ſtrenge, daß
die Mädchen bis in ihr ſechszehntes Jahr chriſtliche Sprüche aus;
wendig lernen müſſen, und zwar jeden Tag ſechs Stunden lang
Mehrentheils ſind die Schulmeiſter Laquaien bei Regierungsräthen
oder Hausknechte bei Superintendenten geweſen, fie haben in Ba;
byloniſcher Gefangenſchaft geſeſſen, höchſtens war ihnen erlaubt,
den Köchinnen eine Zote zu ſagen; nun kommen die Burſche —
wie ein Wolf unter eine Heerde Lämmer aus der Wüſten — unter
ein Schock niedlicher Dirnen; man kann ſich leicht einbilden, wie ſie
der Kitzel ſtechen wird. Es iſt ſchnurgerade wider die Regeln der
Ehrbarkeit und Zucht. — Aber leider! wir haben keine Aſpaſien in
Deutſchland.
Die Jugend, welche die Weisheit völlig lernen will, muß die allers
beſte Auferziehung haben. Man nennt ſie gewöhnlicher Weiſe die
ſtudirende Jugend. Das Hauptwerk hierbei iſt, ſie zum Selbſtdenken
anzugewohnen. Man ſollte mit den leichteſten Lehren der Weisheit
anfangen, und immer nach und nach auf die ſchwerern kommen.
328 Heinſes Werke. Erfter Band.
Die Hauptregel iſt hier insbeſondre zu beobachten, daß ihnen das
Studium beftändig eine Quelle der Wolluſt ſeyn muß; daher ſoll
alles Trockne, Gedankenleere vermieden werden. Die ſchönen
Künſte und Wiſſenſchaften ſind das beſte Mittel dazu. Man macht
ſie nach und nach mit den beſten Schriften der Weiſen bekannt; um
dieſe verſtehen zu koͤnnen, müſſen fie freilich auch ihre Sprache ver
ſtehen. Beides, die Sprachlehre und Philoſophie, kann mit einander
verbunden werden. Wenn man ſie zu Weiſen gemacht hat, ſo gut
als man Jemanden zum Weiſen machen kann, ſo führt man ſie in
die beſondern Felder der Gelehrſankeit. Da Ein Menſch nicht alles
lernen kann, fo iſt es ſchon genug, wenn ein Jüngling nur die Bes
ſchaffenheit eines einzelnen Feldes davon gut kennt. Theologie,
Rechtsgelehrſamkeit und Arzneigelahrtheit ſind die drei bekannteſten
Felder derſelben. In der Theologie ſollten, nach einem kurzen
Syſtem der philoſophiſchen Religion, die Lehrſätze und die Geſchichte
aller bekannten Religionen vorgetragen werden. Dann erſtlich ſollte
man anfangen die erſten Anfaͤnge und Urſprünge der chriſtlichen
Religion zu entwickeln, die Sitten und Gebräuche und Geſchichte
der damaligen Inwohner der Laͤnder, wo Jeſus und die Apoſtel
lehrten, erklären, und dann ihnen zeigen, wer Jeſus und die Apoſtel
waren, den Geiſt ihrer Lehren herausziehen, und die Hauptlehrſätze
beſtimmen. Dann lehrte man den jungen Studenten die Kirchen⸗
geſchichte von dem zweiten Jahrhunderte an, bis daher, wo wir leben.
Was würden wir dann für Geiſtliche erhalten, wenn die Lehrer
lehrten, wie ſie lehren ſollten?
Unſere Rechte liegen noch in einem völligen Chaos. Wenn man in
die Compendien der Rechtsgelehrſamkeit ſieht, ſo ſchwindelt es den
Augen des Geiſtes, wie den leiblichen, wenn ſie auf einen farben⸗
Muſikaliſche Dialogen. 329
— m u nennen nes nennen en nmerenmna men 2
wechſelnden ſeidenen Stoff geſehen haben. Doch ich mag davon
nichts ſagen, weil es ſich nicht für einen Schüler ſchickt, etwas da;
von zu ſagen. Ebenfalls muß ich auch von der Arzneygelahrtheit
deswegen ſtille ſchweigen.
Würde die Auferziehung, ſo eingerichtet, nicht beſſer ſeyn, als ſie
jezt wirklich iſt? Man könnte noch einige von den vielen Stipendien,
welche mehrentheils ſtupide Buben bekommen, auf eine beſſere Art
anwenden. Man könnte jährlich für jedes Gymnaſium etliche hun⸗
dert Thaler zu Prämien beſtimmen, für denjenigen, welcher z. B.
das beſte Gedicht, das beſte muſikaliſche Stück, die beſte Rede, die
beſte Ueberſetzung u. ſ. f. verfertigte. Man könnte ſchon verhüten,
daß das Urtheil darüber nicht parteyiſch ſeyn könnte; und ebenfalls,
daß die Richter nicht mit fremden Arbeiten hintergangen würden.
Doch genug davon.
Wie iſt nun unſere wirkliche Auferziehung? Auf den mehrſten
Schulen ſind ſieben Ordnungen, und in jeder Ordnung muß ein
Schüler zween Jahre bleiben, alſo vierzehn Jahre, wenn er durch
alle Klaſſen wandern will. Was lernt er nun in jeder? Alle vier;
zehn Jahre werden mehrentheils zu Erlernung des Chriſtenthums
angewendet, und das Uebrige auf die Erlernung lateiniſcher und
hebräiſcher und ſehr ſelten — griechiſcher Wörter; und wenn's eine
recht ſehr vortreffliche Schule iſt, lehrt man den Schülern noch
Geometrie und Logik nach der ſo beliebten Anleitung des Herrn
Baumeiſters.
Man wird unter den Schullehrern ſelten einen Mann von Genie
antreffen; fie gehören mehrentheils unter die Klaſſe von Menſchen,
welche im Schweiß ihres Angeſichts die Gedanken Andrer auswendig
lernen.
330 Heinſes Werke. Erfter Band.
Die Bauern- und Burger-⸗Schulen find fo elend eingerichtet, daß es
mir ekelt, wenn ich nur hineingucken ſoll. Theologie, nicht Religion,
wird den Kindern da gelehret, und weiter nichts. Erbärmliche Ge;
ſellen ſind mehrentheils die Lehrer. Sie ſagen die Lehren der
chriſtlichen Religion von der Dreieinigkeit Gottes, vom heiligen
Abendmahl, vom Himmel und ewigen Leben her, wie mein Staar
fein: „Gieb mir was!“ Dieſe Art der Auferziehung iſt keiner Ver;
beſſerung faͤhig, weil ſie keine Auferziehung iſt. Ich mag alſo auch
nichts mehr davon ſagen.
Sie lehren, daß man ſich nicht eher einen Philoſophen nennen koͤnnte,
als bis man die Schriften des Herrn Canzlars und Baron von
Wolf auswendig gelernt hätte; den Cicero müſſe man deswegen
leſen, um ſchoͤne lateiniſche Phraſen aus demſelben zu lernen; kurz,
die Philoſophie müſſe man nicht eher anfangen zu ſtudiren, bis man
auf Akademieen käme. Man müſſe den Anakreon und Homer des—
wegen leſen, damit man das neue Teſtament deſto beſſer erklaͤren
könnte, und den Iſokrates dem Kenophon vorziehen, weil man aus
dem erſtern eine gute Predigt machen lernte.
Die mehrſten Akademieen müſſen noch erbaͤrmlicher ſeyn, als unſere
Gymnaſien in ihrer Art. Ich ſchließe dieſes aus den bejammerns—⸗
würdigen Candidaͤtchen und überhaupt Studentchen, die wieder
zurück gezogen kommen. Ich ſaß einmal in einer Geſellſchaft von
ſolchen Herrchen; hoch brüſteten ſie ſich auf in ihrer Candidaten⸗
Uniform, und ſahen mich über die Achſel an, zumal einer, der eben
gepredigt hatte; und die Bübchen konnten noch nicht einmal deutſch
dekliniren. Vielleicht findet auch hier das Sprüchwöͤrtlein Statt:
es flog eine Gans über den Rhein, und kam mit Gikgak wieder
heim. Die Herren Profeſſoren koͤnnen aus einer Gans keinen Adler
Muſikaliſche Dialogen. 331
2 —— EEE nun
machen. Doch muß ich noch geſtehen, daß ich mir von den mehrſten
keinen allzu vortheilhaften Begriff, wegen des Tones, in welchem
ſie ihre gelehrten Zeitungen ſchreiben, und wegen der Philoſophie,
die ſie ihren Herren Studenten lehren, und wegen der Theologie,
und wegen — und wegen — vieler Erfahrungen, gemacht habe.
Der Cantor. Seid ihr nun einmal fertig?
Waldmann. Fertig bin ich nicht, aber ich will davon aufhören.
Der Cantor. Nun bedankt euch für die Geduld, welche ich gehabt
habe, euer jugendliches Geſchwätz anzuhören! Weil ihr doch ſagt,
daß die Einſamkeit, in welcher ihr leben müſſet, Schuld an dieſen
Projektmachereien ſey, ſo will ich Mittel und Wege ausfündig
machen, daß ihr Geſellſchaft bekommet.
Waldmann. Wenn ich nicht einſam gelebt haͤtte, ſo würd' ich nie
ſolche eigene Gedanken von den Dingen bekommen haben; die Ein⸗
ſamkeit iſt das allernützlichſte für Jünglinge, wenn ihr Verſtand
nur einen Anfang von guter Richtung erhalten hat. Die Jünglinge,
welche von Jugend auf beſtändig in großen Geſellſchaften gelebt
haben, werden endlich Schwaͤtzer, aber keine Genieen. Man muß
aber auch hier die Mittelſtraße beobachten.
Der Cantor. Es ſcheint wahrhaftig! als wenn ihr euch zu meinem
Lehrer aufwerfen wolltet. Waldmann! Waldmann! hütet euch —
Waldmann. Poz Wetter! Mit dem Ihr und Euch ſchweigen Sie
einmal ſtille! Ich mache mir aus dieſen Poſſen nichts; allein ſobald
es einfältigen Hochmuth anzeigt, iſt mir das Ihr und Euch unaug;
ſtehlich.
Der Cantor. Was wollt ihr?
Waldmann. Ihr ſollet mit Eurem Ihr aufhören! wißt Ihr's, Can;
tor! Es ſchickt ſich nach der heutigen Höflichkeit gar nicht, daß
332 Heinſes Werke. Erſter Band.
Schüler ihre Lehrer Ihr, und die Lehrer die Schüler Sie nennen.
Ich will Euch Lektiones geben, Herr Cantor, in der Muſik, Philo—
ſophie, in Sprachen und vielen andern Dingen! und zwar öffent—
lich; und worinnen wollt Ihr mich unterrichten? In nichts; es
müßte denn in der Grobheit ſeyn.
Der Cantor. Schon gut! wir wollen euch lehren — (geht ab.)
Löwe. Sie haben Recht, Herr Waldmann! Die Galle muß einem
manchmal bei ſolchen dummen Geſellen überlaufen.
Waldmann. Der Burſch hat gar keine Aufführung! Zwar die
mehrſten Schullehrer haben keine. Sie gehen mit allen Menſchen
wie mit ihren Schülern um. Sie bilden ſich ein, da ſie oft mehr
wiſſen, als ihre Schüler, alle Welt waͤre Schüler gegen ſie; denn ſie
gehen ſonſt mit niemand um.
Ende.
e
Kritiſcher Anhang.
Dieſer erſte Band vereinigt ſämtliche Gedichte Heinſes, mit Aug;
nahme der „Kirſchen“ und der in ſeinen Briefen und ſonſtigen
Werken zerſtreuten, ſowie feine Jugendſchriften vor der Petron—
Überſetzung; daß zu den letztern auch die poſthumen „Muſikaliſchen
Dialoge“ gehören, deren Echtheit vielfach beſtritten worden iſt, wird
weiter unten nachgewieſen. Dagegen habe ich mich nicht entſchließen
können, die kürzlich von Arthur Schurig in ſeiner aufſchlußreichen
Studie „Der junge Heinſe und ſeine Entwicklung bis 1774“, Mün⸗
chen und Leipzig 1910, für unſern Dichter in Anſpruch genommenen
Beiträge zur „Bibliothek der elenden Scribenten“, Frankfurt und
Leipzig 1768, Stück J, S. 13—22 („Der Antikritikus, ein Helden;
gedicht in fünfzig Büchern“) und S. 23—28 („Kriegslieder“) hier
aufzunehmen, da mir der Beweis dafür, daß ſie gerade von Heinſe
und nicht von einem andern Mitgliede des Riedelſchen Kreiſes her:
rühren, nicht erbracht zu fein ſcheint. Hierüber, wie über die Ver;
faſſer der anonymen Beiträge zum „Thüringiſchen Zuſchauer“ von
1770 wird eine beſondere Unterſuchung anzuſtellen ſein.
Gedichte.
Die hier zum erſtenmal, größtenteils aus den Handſchriften in
Halberſtadt und Frankfurt a. M., vereinigten Gedichte Heinſes um;
faſſen in chronologiſcher Folge: I. Jugendgedichte von 1766 bis 1768
(Nr. 1-3); II. die nachweisbar von ihm herrührenden poetiſchen
Stücke aus dem „Thüringiſchen Zuſchauer“ von 1770 (Nr. 4— 14);
III. die als einzige ſelbſtändige Publikation erſchienenen „Sinnge—
dichte“ von 1771 (Nr. 15—58); IV. die erſte Gruppe der „Zer—
ſtreuten Gedichte“, etwa aus den Jahren 1770— 1774 (Nr. 59 —64);
V. die Epigramme und ſonſtigen Lyrika aus der Halberſtädter
334 Heinſes Werke. Erſter Band.
— EEE EEE EEEEESEEEEEEEEEEEEEEG
„Büchſe“ vom Jahr 1774 (Nr. 65—116) und VI. die übrigen
„Zerſtreuten Gedichte“, etwa aus den Jahren 1773 bis zu Heinſes
Lebensende (Nr. 117160). Von dieſen 160 Gedichten find im
zehnten Bande der Laubeſchen Ausgabe nur 46 enthalten; dagegen
bringt dieſe zwei Schäfererzählungen, „Die eilfertige Schäferin“
(X, 69— 74) und „Die Schäferſtunde“ (X, 75 — 82), die, wie ſchon
Otto Behaghel in Seufferts Vierteljahrſchrift für Litteraturgeſchichte
III, 186 nachwies, nicht von Heinſe, ſondern von Johann Chriſtoph
Roſt herrühren (vgl. deſſen „Schäfererzählungen“ 1742, Seite 6
und 43), deſſen Namen er in Halberſtadt auf Gleims Anraten als
Pſeudonym wählte (vgl. Briefe IX, 88f., Briefwechſel zwiſchen
Gleim und Heinſe J, 93). Ebenſo halte ich die in der Laubeſchen
Ausgabe X, 30 abgedruckte „Dithyrambe. Ach und Weh“, für
apokryph, nehme ſie aber, da ich weder ihren Urſprung noch ihre
Überlieferung nachweiſen kann, hier im Apparat auf:
Dithyrambe.
Ach und Weh!
Sauget Liebe,
Glühende Lippen!
Und Du Nacht,
Schütze alle,
Lächle nieder
Mit Deinen Welten! Evoe!
Ach, ſterben! —
Durch Dich getödtet,
Ueppiges Weſen! —
Glühende Herzen!
Von Liebesmacht
Unendlich gedrungen! Evoe!
Bakchos! Bakchos!
Menſchenbeglücker,
Bruder der hoͤchſten
Farbig geflügelten
Lebendigen Freude!
Folg' uns Entzügelten! Evoe!
Kritiſcher Anhang. 335
— ..
Freudetrunken,
Mächtig verſchlungen
Tanzen wir hin!
Mit Ranken gebunden
An Vater Priapus:
Rufet Evoel — Evoe!
Löſet die Gürtel,
Nichts feßle den Reiz. —
Warm- ſüßes Schrecken
Durchbebe die Körper.
Seht! Venus lächelt!
Evoe! hinaus! — Evoe!
Tuba ertöne!
Syrinx erwecke
Zur Freude Alle!
Tonbecken klinget,
Zittre hoch, Epheu —
Bekränztes Siſtrum! Evoe!
Haltet ein! ſenket
Die Pauken, Becher
Schlaget den Tact!
Den Göttern, den erften
Moſt — der goldnen
Und blutigen Traube. Evoe!
Schwenket den Becher!
Hebet die Arme!
Thyrſus durchſchneide
Die herbſtliche Luft!
Wolluſt erquicke
Die durſtige Bruſt! Evoe!
Hebet die Arme!
Sauget Liebe!
Ringt im Entzücken!
Reißet die Augen
336 Heinſes Werke. Erſter Band.
Dort nach den Höhen —
Kehrt ſie in Euch zurück! Evoel
Gaukelt auf Klippen! —
Erglühe! o Jugend,
O Liebreiz und Wonne,
Lebt langſam Euch auf:
Tönet Ihr Bleche
Süßhallend im Traum! Evoe!
Erwachet! Erwachet!
Und ſchlürfet den Becher
Mit Hochgefühl aus! —
Die Sorgen verſchwinden —
Heisglühend Entzücken,
Du wiegſt Elyſium auf! Evoe!
Jauchzet im Jubel!
Hochlodert die Flamme: —
Unendliches Sehnen
Werde nimmer geſtillt! —
Ach! Laßt uns — auf immer
Das Götterglück ſchlürfen! — — Evoe!
— Es lodert die Flamme! —
Ach Götter! Es leben
Die Welten, — Ach! Ach!
Evoe! — Ach — Evoe!
Welch' ſeliges Sterben —
Ach Götter! Evoe — Evoe — —
Welch heftiges Feuer
Durchrinnet die Adern;
Entwallet von Innen. —
Dem lechzenden Leben
Entrinnet entſeelend
Das ſüß'ſte Gefühl! — Evoe!
Kritiſcher Anhang. 337
Heisrauchende Liebe!
Stürme das Hehre!
Kämpft in Entzücken! —
Ach weile! — Ach toͤdte! —
Tochter des Lebens,
Mutter des Todes! Evoe!
Entfeßle, entſeele
Mit Raſen, mit Macht
Das Wonne⸗-Gefühl!
Woget Ihr Meere
Im Reize des Lebens —
Ende nimmer — O Luſt! Evoe!
Panther zerknirſchen
Den ſtachelverwahrenden
Toddrohenden Thyrſus!
Sieger! Zur Erde,
Zu Eurer Mutter —
Bekämpften durch Ach und Weh! Evoe!
Das Geburtstags⸗Carmen, das Heinſe 1763 in Schleuſingen auf
die regierende Fürſtin von Schwarzburg⸗Sondershauſen verfertigte
(Schnorrs Archiv für Literaturgeſchichte X, 376), iſt bisher, wie
manche andre Jugendgedichte, nicht aufgefunden worden. Dagegen
ſtammt Heinſes bekannteſtes Gedicht („O wie manches fchöne
Kind“), das von Schiller noch am 20. April 1786 im Briefe an
Körner citiert und ſogar in die Hempelſche Schiller-Ausgabe (Ger
dichte, 2. Buch, S. 93) aufgenommen iſt, aus der „Laidion“ (vgl.
unfere Ausgabe III, 1, 162); auch Fräulein Luiſe von Göchhauſen
hat es, ohne Namen des Verfaſſers, in dem Sammelbande, in
welchem ſich der „Urfauſt“ befand, abgeſchrieben.
I
1. Handſchrift in Halberſtadt, am 14. Oktober 1771 (vgl. IX, 39)
aus Frankfurt an Gleim überſandt, von Gleims Hand mit folgen⸗
den Veränderungen verſehen, die J. Schober (J. J. W. Heinſe.
Sein Leben und ſeine Werke, Leipzig 1882, S. 174) in dem erſten
0 22
338 Heinſes Werke. Erſter Band.
Abdrucke des Gedichtes in den Text aufgenommen hat: 3, 11 Zu
dem 12 eine 4, 4 denn auch gestrichen; weiſe gestrichen 6 um
gestrichen 7 und noch Chloens Kuß 9 guug] nur 10 Und ich ge-
strichen kan, o dann 12 Dann fo tragt mich nur 1s zuwieder
16 Und die zärtlichen Homere 19 Keine Wonne zittern in den 20 Dann
iſt beſſer, nicht zu ſeyn 5, 6 der Nectarſüßen Trauben 10 Welche
Felſenherzen — Vgl. Gleim⸗Heinſe II, 254; die übrigen drei, mit
En Briefe überſandten Gedichte folgen hier als Nr. 2, 60
und 61.
2. Vgl. zu Nr. 1 und Gleim⸗Heinſe II, 249. Das Gedicht ſteht in
verkürzter und veränderter Geſtalt unter der Chiffre „H“ auch im
„Thüringiſchen Zuſchauer“ 1770, Stück 11, S. 172, und iſt hier als
Nr. 11 wiederholt; ob der Freund „Tr.“ ein Sohn des Cantors
Treſſelt in Langewieſen, der dem jungen Heinſe den erſten Unterricht
im Lateiniſchen gab, war (Schober S. 8, Rödel S. 10), iſt zweifel⸗
haft. — 10, 9 zuerst: vom aufgeſchwollnen.
3. Der Stammbuch⸗Eintrag für Joh. Friedrich Schalling befindet
ſich in der großherzoglichen Bibliothek zu Weimar (Stammbücher
Nr. 382, Bl. 100) und iſt zuerſt abgedruckt bei Robert und Richard
Keil, Die deutſchen Stammbücher des ſechzehnten bis neunzehnten
Jahrhunderts, Berlin 1893, S. 271; ob die Verſe von Heinſe ſelbſt
ſtammen oder aus einem fremden Gedichte entnommen ſind, iſt
ungewiß, doch wird in ähnlichen Fällen meiſt die Quelle des Citats
angegeben.
II.
Der „Thüringiſche Zuſchauer“, von dem nur ein Quartal, beſtehend
aus dreizehn wöchentlichen Stücken, von Januar bis März 1770
erſchienen iſt, exiſtiert nur in zwei Exemplaren, die ſich in der Uni;
verſitätsbibliothek zu Halle (Wa. 314) und zu Prag befinden. Die
einzelnen Beiträge ſind, mit Ausnahme der von Friedrich Juſt Riedel
unterzeichneten „Vorrede“, anonym oder mit Chiffren unterzeichnet,
deren Auflöſung zumal bei den proſaiſchen Aufſätzen nicht immer
mit voller Sicherheit möglich iſt. Verhältnismäßig einfach liegt die
Frage bei den Gedichten, von denen fünf (4. 6. 9. 12. 14) in Heinſes
„Sinngedichten“ von 1771 wiederkehren, eines (11) in einer zweiten
handſchriftlichen Faſſung vorliegt, die übrigen teils durch die Chiffre
„H“ (5. 8. 10.), teils durch ihre Stellung bei andern nachweis⸗
lich Heinſeſchen Gedichten (7. 13) ihre Herkunft an der Stirn
Kritiſcher Anhang. 339
tragen. Für die vier von A. Schurig (a. a. O. S. 955 Heinſe zuge⸗
ſchriebenen Gedichte in Stück 10 („An die Fühler“, „Der Entſchluß
eines Witwers“, „Die betrübte Witwe“) und in Stück 13 („Hanns“)
treffen dieſe Vorausſetzungen dagegen nicht zu (vgl. zu Nr. 35).
4. Thüringiſcher Zuſchauer, 5. Stück, S. 80; wiederholt in den
„Sinngedichten“ 1771, S. 16, mit folgenden Aenderungen: 17, 1
Auf ein hochmüthiges Mädchen nach dem Martial. 2 Niemand
nur hat geſehn.
5. Thüringiſcher Zuſchauer, 5. Stück, S. 80, Chiffre: H.
6. Thüringiſcher Zuſchauer, 6. Stück, e 96; wiederholt in den
„Sinngedichten“ 1771, S. 3, mit folgenden Aenderungen: 17, 13 Auf
die Bewundrer alles Griechiſchen. 14 ia die Griechen! fehlt 18, ı
ſah man reizende 2 Mädchen 3 ia die Griechen! fehlt ; rufet jeder
6 fo ruf auch ich, s und bey.
a Thüringiſcher Zuſchauer, 6. Stück, S. 96.
8. Thüringiſcher Zuſchauer, 7. Stück, S. 110-112.
9. Thüringiſcher Zuſchauer, 7. Stück, S. 112; wiederholt in den
„Sinngedichten“ 1771, S. 8, mit folgenden Aenderungen: 20,10
Freund! tadle ja die Vorſi che nicht, Weil Ruſſe, Britt' und Türk
verſchiedne Sprachen ſpricht! 11 Hätt' 12 Wovon denn ſollten wohl
die Ueberſetzer leben?
10. Thüringiſcher Zuſchauer, 7. Stück, S. 112, Chiffre: H.
11. Thüringiſcher Zuſchauer, 11. dug = 172—(1)76, Chiffre: H.
Vgl. die handſchriftliche Faſſung in N
12. Thüringiſcher Zuſchauer, 12. Stück S. 192; wiederholt in den
„Sinngedichten“ 1771, S. 14, mit folgenden Aenderungen: 25, ı
auszuſpähn? s Hier iſts, auf meiner Chloe Buſen.
13. Thüringiſcher Zuſchauer, 12. Stück, S. 192.
14. Thüringiſcher Zuſchauer, 13. Stück, S. 208; wiederholt in den
„Sinngedichten“ 1771, S. 5, mit folgenden Aenderungen: 25, 13
Sinngedichte. fehlt 1; Elegienton! 16 wahrlich Schade! 1s ſprützt
voll] an; dazu die Anmerkung: Man beliebe diefe wunderbare
Begebenheit in dem zweyten Bande der italiäniſchen Biographie
nachzuleſen. — Der letzte Vers iſt auch citirt in den „Muſikaliſchen
Dialogen“ vgl. oben Seite 243.
III.
Das am 18. November 1770 von Heinſe und Wieland an Gleim
überſandte Manuſcript feiner „Sinngedichte“ (vgl. Gleim-Heinſe I,
22 *
340 Heinſes Werke. Erſter Band.
6, 25. 7, 14) fehlt jetzt im Gleimarchiv zu Halberſtadt (vgl. Gleim⸗
Heinſe I, 215). Gleim ließ dasſelbe auf feine Koſten in Halberſtadt
drucken, wo es unter dem Titel: Sinngedichte von Wilhelm
Hein ſe. — Halberſtadt, bey Johann Heinrich Groß, 1771
(64 S. 8°, Berlin, kgl. Bibl. Vm. 251) wohl (vgl. die Beſprechung im
Almanach der deutſchen Muſen auf das Jahr 1772, S. 143) zur
Michaelismeſſe 1771 erſchien, während der Verleger die Ausgabe
bis zur nächſten Oſtermeſſe verſchieben wollte (Gleim-Heinſe I, 25).
Die drei Druckfehler, welche Heinſe am 10. September 1771 (IX,
30) corrigirt, ſind auch in unſrer Ausgabe nachträglich zu verbeſſern,
vgl. zu 30, 1. — Die fünf bereits im „Thüringiſchen Zuſchauer“
1770 gedruckten Sinngedichte (Nr. 4. 6. 9. 12. 14) find hier nicht
wiederholt.
15. Sinngedichte S. 4.
16. Sinngedichte S. 6; vorher ſchon citiert im Thüringiſchen Zuſchauer
1770, 7. Stück, S. 106 (oben S. 164), mit folgenden Abweichungen:
29,6 fehlt 8 Er glitſchte wenigſtens 9 — ich weis wohin — Kale⸗
kutſcherhahn
17. Sinngedichte S. 7; 30, 1 lies (nach Heinse IX, 30): Braucht
Oeſer ſieben.
18-23. Sinngedichte S. 9—13.
24. 25. Sinngedichte S. 15.
26— 28. Sinngedichte S. 1720.
29. Sinngedichte S. 21. Dazu eine Handſchrift im Nachlaßheft 36,
auf einem Quartbogen zuſammen mit Nr. 53. 58. 59, und folgenden
Abweichungen: 34, „ Auf G** in H *. 7 denkt] wohnt 3
Scheackeſpear Moliere! 9 Dir armen Manne nicht! 10 Es wird dir
übel faft bey Charitinnen Lehre! Auf 11 folgt: Ihr fragt, warum
ihm's ganz an Menſchen Sinn gebricht? 12 Wiſt ſeine Mutter hat an
eines Mannes Stelle 13 Ein Eſelein belegt, wie einſt Voltairs Pucelle.
30—34. Sinngedichte S. 22—25 (35, 8 fänft).
35. Sinngedichte S. 26. Im „Thüringiſchen Zuſchauer“, 10. Stück,
S. 160, ſteht folgendes Epigramm, das eine ähnliche Pointe hat:
Der Entſchluß eines Witwers.
Nun iſt mir auch mein zweytes Weib entriſſen,
ſprach Barthel jüngſt, und weinte bitterlich —
Ich armer Mann! Wer tröſtet mich —
Ich werde wohl die dritte nehmen müſſen!
Kritiſcher Anhang. 341
A. Schurigs Vermutung (Der junge Heinſe, S. 9), daß auch dieſes
Gedicht, wie das vorhergehende („An die Fühler“) und das folgende
(„Die betrübte Witwe“) von Heinſe ſtammt, ſcheint mir unbegründet;
fie werden ſämtlich der Chiffre G. Gleichmann, die am Schluß
des 10. Stückes ſteht, angehören.
3644. Sinngedichte S.27— 35; „Waldheim“ (39, 7), die ſächſiſche
Irrenanſtalt, auch im „Thüringiſchen Zuſchauer“ (oben S. 187, 13).
45. Sinngedichte S. 36 (39, 9 In panidum).
46—52. Sinngedichte S. 37—48 (45, 1s konnen. Der).
53. Sinngedichte S. 49. Dazu eine Handſchrift im Nachlaßheft 36,
vgl. zu Nr. 29, mit folgenden Abweichungen: 46, 9 ſchwollen? jetzt
11 beblümtem 12 laue aus bunte? liebzukoſen 14 ſamt Schloſen
16 Chloe 17 an dem Roſenbach 21 von über gestrichenem und 24
ſie nackend! So nach Heinses Brief vom 10. September 1771 (IX,
30) einzusetzen.
54-57. Sinngedichte S. 50 — 56 [im Original falſch: 58].
58. Sinngedichte S. 57 [im Original falſch: 59] —64. Dazu eine
Handſchrift, ohne den italiäniſchen Urtext, im Nachlaßheft 36, vgl.
zu Nr. 29, mit folgenden Abweichungen: 50, 1 27 ten Petrarchs 7
dieſen Bäumgen 51, 12 Hier folgt: Von Thränen und Elend abge:
zehrſelt; nach Heinses Brief vom 10. September 1771 (IX, 30)
ist zu ergänzen: Von Klagen abgezehret 14 fähret] kehret
IV.
59. Ungedruckt im Nachlaßheft 36, auf einem Quartbogen zuſammen
mit Nr. 29, 53 und 58, alſo wohl ſpäteſtens aus dem Jahre 1770
ſtammend.
60. Handſchrift in Halberſtadt; zuſammen mit Nr. 1, 2 und 61 am
14. Oktober 1771 aus Frankfurt mit Brief Nr. 9 an Gleim über⸗
ſandt; abgedruckt: Gleim⸗Heinſe II, 253.
61. Handſchrift in Halberſtadt. Vgl. zu Nr. 60 und 117; abgedruckt:
Gleim⸗Heinſe II, 253. Ein ganz veränderter, ſpäterer Abdruck im Al⸗
manach der deutſchen Muſen 1778, S. 184, unterzeichnet: W. Heinſe,
lautet folgendermaßen: Ueber eine Kritik über Muſarion.
Ihr fragt, warum haßt denn der Mann Muſarion?
Ihr ſolltet billig über dieſe Frag' erröthen!
Aus Neid haft [I] er Muſarion,
Und Danaen und ihren Agathon
Und ſchüzt [lies: ſchäzt! die Damen nur in ihren Kindesnöthen.
342 Heinſes Werke. Erſter Band.
62. Handſchrift in Halberſtadt, von Gleim falſch datirt: „den 7 ten Mai
1772“; vielmehr wurde am 6. November 1772 von Gleim die Ueber⸗
ſetzung des Gedichts von Marcus Antonius Flaminius ( 1550)
„Ad agellum suum“ erbeten und an demſelben Tage von Heinſe
überſandt (vgl. IX, 9o, Gleim-Heinſe I, 100. II, 259).
63. Handſchrift in Halberſtadt, hinter Brief Nr. 27 eingebunden,
am 13. November 1772 an Gleim nach Magdeburg als Probe der
mit Klamer Schmidt gemeinſam geplanten, aber nicht vollendeten
„Hendekaſyllaben“ überſandt. Von Schober S. 188 mit vielen
Fehlern zuerſt abgedruckt; vgl. Gleim-Heinſe I, 236. II, 260.
64. Handſchrift in Halberſtadt, hinter Brief Nr. 73 zuſammen mit
dem in den „Laidion“ S. 368 abgedruckten Gedicht „Ein mitter;
nächtlicher Seufzer geſungen in einem ſchönen Garten“ eingebunden.
Da der Kurfürſt Emmerich Joſeph Freiherr von Breidbach am
11. Juni 1774 in Mainz ſtarb (vgl. Allgemeine deutſche Biographie
VI, 83), gehören beide Gedichte noch der Halberſtädter Zeit an. |
V.
Ueber die Halberſtädter „Büchſe“, ihre Entſtehung und Ueberlieferung,
iſt im Briefwechſel zwiſchen Gleim und Heinſe I, 246 ff. das Nähere
mitgeteilt. Da die in einem Foliobande chronologisch vereinigten
Gedichte meiſt von fremder oder verſtellter Hand geſchrieben ſind,
läßt ſich bei manchen die Verfaſſerfrage nicht mit voller Sicherheit
löſen, ſo daß ein Abdruck der ganzen Sammlung ſich wohl lohnte;
hier find aus Gleim⸗Heinſe II, 265 —298 nur diejenigen Stücke
wiederholt, die ſich ſicher Heinfes charakteriſtiſcher, wenn auch oft
8 Handſchrift zuweiſen laſſen.
in BER Blatt 7, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
I, 265
66. Büchſe, Blatt 8, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim⸗Heinſe
II, 265 ff. Nikel iſt der oft verſpottete Chriſtoph Friedrich Nicolai.
67. 55 17 Blatt 10, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
II, 2
68. Anl Blatt 15, von Heinſes verftellter Hand; Gleim-Heinſe
II,
60. Büchſe, Blatt 25, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
II, 267. Geht auf Johann Ludwig Anton Ruſts anonyme Satyren
„Antiquitäten“, Nürnberg 1774, die in der „Büchſe“ mehrfach mit⸗
genommen werden.
Kritiſcher Anhang. 343
15 e Blatt 30, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
267.
a Büchſe, Blatt 31, von Heinſes verftellter Hand; Gleim-Heinſe
II, 267. Geht auf Baſedows vierbändiges „Elementarwerk“, 1774.
72. Büchſe, Blatt 37, von Heinſes verftellter Hand; Gleim-Heinſe
II, 268. Geht auf Wielands anerkennende Rezenſion von Nicolais
„Sebaldus 5 im Teutſchen Merkur 1773, II, 231; vgl.
Nr. 87 und 9
73. Büchſe, Blatt 38, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
II, 268. Ueber „Nikel“ vgl. Nr. 5
1 3 5 Blatt 39, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
Bi Dice Blatt 40, von Heinſes verftellter Hand; Gleim-Heinſe
II, 268 f.
76. Bäche, Blatt 41, von Heinſes verftellter Hand; Gleim-Heinſe
II, 269.
77. Büchfe, Blatt 53, von Heinſes Hand; Gleim⸗Heinſe II, 269— 71.
78. Iſt durch einen Druckfehler überſprungen. f
79. Büchſe, Blatt 60, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim⸗Heinſe
4.072.
80, 4 Blatt 61, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
II, 272
81. . Blatt 62, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
II, 27
82. c, Blatt 65 (verbunden), von Heinſes Hand; Gleim⸗Heinſe
83.5 Böchſe Blatt 64 (verbunden), von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe
II, 274. Gedruckt im Taſchenbuch für Dichter und Dichterfreunde
1775, IV, II5 als „Grabſchrift auf einen Kunſtrichter. Zum
voraus gemacht” mit der Unterſchrift „Aretino“; wiederholt im Ham
burger Muſenalmanach für 1782, S. 14, unter der Chiffre „F“, als
9 Grabſchrift“.
84. Büchſe, Blatt 97, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
6 274. Geht auf den Hamburger Hauptpaſtor Götze, Leſſings
egner.
85. Büchſe, Blatt 101, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
II, 274 f. — 85, 20 Dreſen — Dresden.
86. Büchſe, Blatt 112, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 275.
— Pleißathen = Leipzig, wo Chriſtian Garbe in der Neuen Bibliothek
344 Heinſes Werke. Erſter Band.
der ſchönen Wiſſenſchaften die Anakreontiker befehdete, vgl. J. Minor,
C. F. Weiße, S. 324.
87. Büchſe, Blatt 116, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 276. —
Ueber Goͤtze vgl. zu 84; Zürchens Jakob Böhme = Lavater; über Wie;
land und Nicolai vgl. zu Nr. 72.
88. Büchſe, Blatt 128, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 276 f.
— Gegen die Bardenpoeſie der Kretſchmann und Genoſſen gerichtet;
zu 87, 20 vgl. Goethes Gedicht „Flieh, Taͤubchen, flieh“ (W. A. IV,
361. V, 2, 227).
89. Büchſe, Blatt 132, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 277. —
88, 25 zuerst: Sich an des Seinen zu befleißen 26 ſtützen] zuerst
mauren 89, 1 zuerst: allzumahl.
90. Büchſe, Blatt 133, von Heinſes Hand, von Gleim durchkorrigiert;
Gleim⸗Heinſe II, 277 f.
91. Büchſe, Blatt 134, von Heinſes Hand (89, 12 lies: Teutſchland);
Gleim⸗-Heinſe II, 278. Dazu eine zweite Handſchrift im Nachlaßheft
36 (Sedezblatt, zuſammen mit Nr. 94. 95 und 125), mit der Ab⸗
weichung: 89, 12 iſt fürwahr die.
92. Büchſe, Blatt 135, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 278.
93. Büchſe, Blatt 136, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 278 f.
— Gegen eine lobende Kritik von Nicolais Roman „Sebaldus
Nothanker“, vgl. zu Nr. 72.
94. Büchſe, Blatt 159, von Heinſes Hand; Gleim⸗-Heinſe II, 279.
Dazu eine zweite Handſchrift im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 91),
mit der Ueberſchrift: „An Wieland wegen der Recenſion des Merkurs
in der allgemeinen [Bibliothek]“.
95. Büchſe, Blatt 160, von Heinſes Hand, von Gleim durchkorrigiert.
Gedruckt im Hamburger Muſen-Almanach für 1782, S. 73, unter der
Ueberſchrift „Unſre Krikiker“ und der Chiffre „F.“ Dazu eine zweite
Handſchrift im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 91), mit folgenden Ab:
weichungen: 90, 15 teutſche 1s heulen —
96. Büchſe, Blatt 166, von Heinſes Hand, von Gleim durchkorrigiert
und datiert: „Den 25ten Februar 1774.“ Dazu eine zweite Handſchrift
im Nachlaßheft 36 (auf einem Oktavbogen zuſammen mit Nr. 97) mit
folgenden Abweichungen: 91, 2 H. Paſtor Ca roli an Herrn Roſt.
19 fprißte] ſchmierte 21 Kännchen 23 ſamt den fehlt. Gedruckt im
Taſchenbuch für Dichter und Dichterfreunde 1775, IV, 113 mit der
Unterſchrift „Aretino“, wiederholt im Hamburger Muſen-Almanach
für 1783, S. 45, unter der Chiffre „H“. Gleim-Heinſe II, 279.
Kritiſcher Anhang. 345
97. Büchſe, Blatt 167, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 281.
Dazu eine zweite Handſchrift im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 96), mit
folgenden Abweichungen: 92, 17 Darauf folgt: Dort oben müßt' ich
ja vor Froſte gleich vergehen; Vor Kälte kann ich ſchon nicht auf
dem Brocken ſtehen; Und hundert hoch — Warum 20 nicht vor
Augen ſtets zu 21 gröſſer, als ich mich.
98. 5 Blatt 186, von Heinſes verſtellter Hand; Gleim-Heinſe
1198
99. Büchſe, Blatt 193, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 281.
Dazu eine zweite Handſchrift im Nachlaßheft 36 (auf drei Octav⸗
bogen zuſammen mit Nr. 100 107 und 126) mit folgender Ab:
weichung: 93, 11 einmahl fehlt; eine dritte Handſchrift ebda. (auf
zwei Octavbogen zuſammen mit Nr. 100. 101. 105. 106. 109. 110
und 126) unverändert.
100. Büchſe, Blatt 193, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 282.
Dazu zwei Handſchriften im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 99), denen
die Ueberſchrift (93, 15, 16) fehlt.
101. Büchſe, Blatt 194, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 282.
Dazu zwei Handſchriften im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 99), mit
folgenden Abweichungen: 94, ı. 2 Ueberschrift fehlt 3 Lauren; An
ihr fehlt H= reinern.
102. Büchſe, Blatt 194, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 282.
Dazu eine Handſchrift im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 99), dem die
Ueberſchrift (94, 7) fehlt.
103. Büchſe, Blatt 197— 202, von Heinſes Hand, von Gleim datiert
„Vom ten Martii 1774“; Gleim-Heinſe II, 283. Dazu eine Hand:
ſchrift im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 99) mit folgenden Ab;
weichungen: 94, ıs—ı7 Ueberschrift fehlt 95, 14 Lezten 15 meine
Freude 7 Blumen abzupflücken auf der Weide 24 einem [so im
Text zu lesen] 97, 3 kleiner, lieber — 99, 7 gab fie mir] fie dafür
16 Zuerst: Wen er küſſet, wer fie an die Bruſt fich drücket 100, ro
errinnert 101, ı ein ſüſſes Spiel 3 Alles s Herzen] Seelen. Gedruckt
in Klamer Schmidts „Elegien der Deutſchen“ 1776, S. 179 (vgl. zu
Gleim⸗Heinſe I, 112, 12). Eine Abſchrift nach dieſem Druck im
Nachlaßheft 37.
104. Büchſe, Blatt 202, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 288.
Dazu eine Handſchrift im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 99) mit
folgender Abweichung: 101, 10. 11 fehlt. f
105. Büchſe, Blatt 205, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 288.
346 Heinſes Werke. Erſter Band.
Dazu zwei Handſchriften im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 99) mit
folgenden Abweichungen: 102, 1. 2 fehlt H Bey dem Kuße eines
ſchönen Mädchens, nachdem ich meine Daphne verlohren
hatt e. He 3 Wie füß war dieſer Kuß! HR H
106. Büchſe, Blatt 205, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 288f.
Dazu zwei Handſchriften im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 99) mit
folgenden Abweichungen: 102, 7. 8 fehlt H* Antwort auf einen
Brief meiner Daphne. H? 11 unter] in den H H? 13 wird es aus
werd' ich Hr 15 Nun iſt's] Es iſt Hr H? Unter H- steht verkehrt ge-
schrieben folgender Anfang eines ungedruckten Briefes von
Heinse: Nur eine Viertelſtunde Zeit hab' ich iezt meinem Triebel zu
widmen.
107. Büchſe, Blatt 206, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 289.
108. Büchſe, Blatt 207, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 289.
109. Büchſe, Blatt 224, von Heinſes Hand, von Gleim datiert
„Vom IIten Martii 1774“ und an zwei Stellen korrigiert; Gleim⸗
Heinſe II, 290f. Ein früheres Concept im Nachlaßheft 36, auf zwei
Octavbogen zuſammen mit Nr. 1 10, zeigt folgende Abweichungen: 103,
12 Platons 15 Das höchſte über gestrichnem Das weſentliche 18
Zuerst: Wenn Kalamis vom Nektar Koer Reben 19 ſanft über ge-
strichnem leis 21 nach ihr ihn durch übergeschriebene Zahlen aus
ihn nach ihr 22 verliebter über gestrichnem der 104, 1 Mädchen
Kehlen daß nach und 12 Klazomener unter gestrichnem Nektar
23 Amoretten leiſ' über gestrichnem Liebesgötter rund 24 Zuerst:
Sich auf den Myerthen) Roſenbüſchen wiegen 105, 3 Darnach folgt
gestrichen: Und im Gemurmel von den klaren Bächen.
110. Büchſe, Blatt 226, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 291f.
Ein früheres Concept im Nachlaßheft 36, auf zwei Octavbogen zu⸗
ſammen mit Nr. 109, zeigt folgende Abweichungen: 105, 4—6 Ueber-
schrift fehlt 7 deinem über gestrichnem Daphnes; dich über
gestrichnem fie 16-106, 2 später mit Verweisungszeichen auf
dem zweiten Octavbogen nachgetragen 105, 16. 17 Zuerst: So
war die Dämmerung von mancher Sommernacht Mit mehr als
Götter Leben zugebracht 106, 1. 2. In der ursprünglichen Fassung,
ungestrichen: Da war Elyſium die Erde mir, und höher 2 Statt
Freude lies Erde 3 Caſpar 6 mir über gestrichnem jezt, dann
letzteres wiederhergestellt 7 dir, o Chloe, über gestrichnem
meiner Daphne 9 jezt. Ich ſehe über gestrichnem mir. Nun ſeh'
ich, dann letzteres wiederhergestellt 10 Gnid über gestrichnem
Kritiſcher Anhang. 347
Paphos jezt <über gestrichnem mir, dann letzteres wiederherge-
stellt) ı5 ein nach gestrichnem ſich zukünftig üdZ 16 unſre über
gestrichnem Daphnes 17 Helene über Homerus 18 Die Herzen
ewiglich über gestrichnem Wie Liebe jedes Herz 20 Verlohrne aus
Verlohren? 24—127, 1 Chloe über gestrichnem Daphne 107, 3
Fluth] Waſſerfluth ; die Suada über gestrichnem Apollo 6 Die
Note fehlt 3 Das zweite ich muß üdz.
111. Die Handſchrift der Büchſe, zwei Octavbogen von Heinſes
Hand, von Gleim datiert „vom 18 ten Martii 1774“ (daneben von
unbekannter Hand „N. 2“) und von W. Körte unterzeichnet „W.
Heinſe“, fehlt ſeit Körtes Zeiten in den Halberſtädter Papieren und
befindet ſich ſeit 1906 im Beſitz von Profeſſor Dr. Walther Brecht
in Poſen, der fie in den Nachrichten der K. Geſellſchaft der Wiſſen⸗
ſchaften zu Göttingen, Philologiſch-hiſtoriſche Klaſſe, 1909, S.1— 13,
als „Ein unbekanntes Gedicht von Wilhelm Heinſe“ veröffentlichte.
Unſere Ausgabe folgt ſeinem Abdrucke, den ſie nur an zwei Stellen:
107, 15 (Den statt Der) und 109, 9 (bey statt bei) nach einer
früheren Faſſung im Nachlaßheft 36 (zwei Octavbogen von Heinſes
Hand, unterzeichnet „130“) verbeſſert, die außerdem folgende Ab;
weichungen zeigt: 107, 18 Später zwischengeschrieben 20 Kein
Alinea 24 Gluth 108, 13 Alinea 16 Himmelskönigin 17 Kein Alinea
24 junge fehlt 109, 19 Adleraugen] Augen 20 Feur' in der Gottinnen
Herzen 22 Und Veſta ſelbſt fieng an mit ihm zu ſcherzen 110, 12 her
gegangen 17 Kein Alinea 19 jedes einſt die Welt gleich Sternen
ziert 111,4 Nur] Die 11 fein über gestrichnem deas?) 14 Blumen;
ketten 112, 4 Das [I] in's Gebüſche fie mit ihm für Heben irrten.
112. Büchſe, Blatt 268, von Heinſes Hand, von Gleim datiert
„Preisgedicht den 25ten Martij 1774“; Gleim-Heinſe II, 293—296.
Getilgt ſind zwei Zeilen von Heinſes Hand, die, wie es ſcheint,
lauteten: „Dem Probſt Spalding zugeeignet“ (112, 7 lies é). Eine
frühere Faſſung im Nachlaßheft 36 (zwei Octavbogen von Heinſes
Hand, unterzeichnet „134“) zeigt folgende Abweichungen: 112, 8
Pietro Bembo lehlt 13 Kein Alinea 18 Alinea 21 doch auch 113,;
Aufſprang 12 Henkern] Knechten 22 Alinea ſprach!] rief über ge-
strichnem ſprach 23 Kein Alinea 114, 10 herab] ergrimmt 1s diefer]
jener is entweyht 26 Nicht gesperrt 115, 2 Charitinn 11 ſummſten
19 Aus ihren Armen] Von ihrer Seite 21 Darnach folgt: Mit halber
Stimme ruft ſie bebend Hülfe, windet Die Hände los, allein ſie
bleibt des Pluto Theil 116, 12 Phlegethon] Acheron 20 hier! dort
348 Heinfes Werke. Erſter Band.
117, 1 ſüſſen] bittern 9 betrat entzückt (nach gestrichnem mit) mit
ihr des 10 Die Morgenröthe gieng 11 Göttinnen Chor.
113. Büchſe, Blatt 298, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 297.
Eine frühere Faſſung im Nachlaßheft 36 (Octavbogen, zuſammen
mit Nr. 121. 115. 114 und 116) zeigt folgende Abweichungen:
117, 14 ſchneller über tapfrer Meifter] Bruder 22 Zuerst: Und
ſtürzet dann herab pfeilſchnell zum 118, 1 ungeſtümm.
114. Büchſe, Blatt 299, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 297.
Eine frühere Faſſung im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 113) zeigt
folgende Abweichungen: 118, 3 An die Venus oder den Abendſtern.
4 du fo zärtlich auf 5 Teutſchen. — Gedruckt: Iris J, 2, 113 (Chiffre:
H) mit folgenden Abweichungen: 118, 3 An den Abendſtern. 4 du fo
zärtlich auf.
115. Büchſe, Blatt 299, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 297.
Eine frühere Faſſung im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 113) zeigt
folgende Abweichungen: 118, 6 ſchöͤnen unſchuldigen. — Gedruckt:
Iris I, 2, 112 (Chiffre: H) mit folgender Abweichung: 118, 6. 7
einen ſchönen Jüngling am Tage ſeiner Geburt.
116. Büchſe, Blatt 300, von Heinſes Hand; Gleim-Heinſe II, 298.
Ein Concept im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 113) zeigt folgende
Abweichungen: 118, 10 Ein Danklied der teutſchen Grazien und
Muſen an den Apollo. 11 Myrthenthal aus Myrthenhayn 12 erſten
über gestrichnem reinen 13 Gab <über gestrichnem War) Hagedorn
und Mayen mittags ſtrahl Warf Wieland Utz und Gleim — wir
14 ſangen über gestrichnem prieſen, dann letzteres wiederherge-
stellt 15 Und nun über gestrichnem Darauf, dann letzteres wieder-
hergestellt 15 Darnach gestrichen: Und fruchtbar blühet Land und
Flur und Hayn 16 Flur] Feld 17 Wir <unter gestrichnem Für)
ſehen wieder Wielands <für gestrichnes Wieland, Gleims, Greſſcet?)
und Leſſingsd Sonnenſchein 18 Jakobi wird der Regenbogen ſeyn
durch übergeschriebene Zahlen aus Der Regenbogen wird Greſſet
gestrichen) Jakobi ſeyn 19 ſchönſten über gestrichnem beſten.
VI.
Die zweite Abteilung der „Zerſtreuten Gedichte“ umfaßt Stücke aus
den Jahren 1773 (Nr. 118) oder noch früher (Nr. 117, 123, 124,
126-128) bis 1800 (Nr. 159 f.); einige (z. B. Nr. 121, 125)
ſcheinen urſprünglich für die „Büchſe“ beſtimmt geweſen zu ſein,
Kritiſcher Anhang. 349
—
doch wurde alles, was nicht mit Sicherheit chronologiſch zu fixieren
iſt, hier zuſammengefaßt.
117. Handſchrift im Nachlaßheft 36, ungedruckt, auf einem Oktav⸗
bogen mit Nr 61. 127131; 121, 19 flugs aus pflugs? 23 thieriſchen
über gestrichnem irrdiſchen 122, 3 gegeben nach gestrichnem für
ſie 12 Noch über gestrichnem Schon.
118. Handſchrift im Nachlaßheft 36, ungedruckt, auf einem Oktav⸗
blatt. Valentin Andreas Ernſt Rudolf von Maſſow wurde am
29. Oktober 1766 geboren, vgl. Schurig a. a. O. S. 84; das Gedicht
iſt alſo zum 29. Oktober 1773 niedergeſchrieben.
119. Das am 6. April 1774 in einer verlornen Handſchrift an Gleim
überſandte (vgl. Gleim⸗Heinſe I, 160), bisher unbekannte „Geſpräch
zwiſchen meinem Genius und mir“ hat ſich nachträglich im Nachlaß:
heft 36 auf drei Octavbogen von Heinſes Hand mit zahlreichen
Correcturen vorgefunden; die Abkürzungen in den Ueberſchriften
G. (Genius) und J. (= Ich) find aufgelöft und, wo ſie fehlten,
ergänzt. — 124, 3 Und Götter über gestrichnem Des Himmels; Auf
dieſen Wegen über In (nach gestrichnem Auf; diefen Labyrinthen
6 fo bald über mein Sohn s Davor gestrichen: Verlaſſe dieſe Lebens⸗
bahn 9 Darnach gestrichen: Und ſchriebſt zum Wohl der Welt Moral,
wie die Plutarche Und lebteſt froͤmmer, als Deukalion Daß Vater
Zevs in einer Arche Dich retten würde 11 Sophas über gestrichnem
Roſen 12 mich, aus mich? 15. 16 Nachträglich in zwei Verse geteilt
26 mir gestrichen, dann wieder hergestellt die Erdenwelt nach
gestrichnem da meinem Geiſt 125, große über gestrichnem weiſe
6 auf den Wink über emſiglich 7 fingend über der Zeile 10 Mich
nach gestrichnem Wer mich nur hören Die ı5 Und aus über ge-
strichnem Die Fluren 20 in fehlt 126,3 glückſeelig über gestrichnem
voll Zauber 4 Ich würde über gestrichnem Und 9 Zum nach ge-
strichnem Und ich darinnen ich über der Zeile 23 Nach gestrichnem
Und ſie dadurch 26 Zuerst: Ein zäher Maſernſtock 127, 4 gebracht
über gestrichnem vor Schätzen geführt ; mit nach gestrichnem
voll 6 und — macht aus daß der Geiſt im Anſchaun ſich verliehrt
11 Später zwischen geschrieben 14 hören; aus hören? 15 in nach
gestrichnem davon is hören nach gestrichnem ſingen 19 Später
zwischen geschrieben; statt Scill lies Scyll 21 lies dann 128, 3
auf Roſen über gestrichnem im Schooß der Ruhe 24 Und über
gestrichnem Ge<nius?> 129, 7 was über gestrichnem wenn s Wo
aus Wie ſtets über gestrichnem ſchlau; darnach gestrichen: Die
350 Heinſes Werke. Erſter Band.
Menſchen find entzückende Gefchöpfe | Man muß an ihnen nur die
Oberfläche ſehn. 10 Du irreſt! unter gestrichnem Du irrſt 15 Zuerst:
Du fliecgſto, dann: O Sohn 21 Vorher geht, versehentlich unge-
strichen: So kann über gestrichnem Dann wirdd dein Herz
allein <üdZ> die Seeligkeit empfinden 23 Zuerst: Und wähl, dann:
Du findeſt manchen Ehrenſtand 26 Darnach gestrichen: Du findeſt
ſchöne Seelen Die dich zum Freund erwählen 27 immer üdZ 130,
ı zu ihrem aus zum s begeiſtert über belebet 7 Lauben über ge-
strichnem Büſchen s Darnach folgt gestrichen: Und läßeſt dich 9
reicht über gestrichnem bringt 13 Witz nach gestrichnem Tanz
und 14 Hayne nach gestrichnem Flüſſe 16 Zuerst: Da wurd er als
ein 17 Drauf nach gestrichnem So 18 Zuerst: So ſtark, daß alle
Muſen näher traten | Und ihm den höchften Lorbeerkranz Mit
ſeinem Kleiſt um ſeine Schläfe wanden 19 Hiezu unter gestrichnem
Ihm näher 20 Zuerst: Und ihn umſtrahlte, dann: Und aus ihm
blitzete ſchönſter unter gestrichnem Sonnen, darüber gestrichen
höchſter 21 was er geſungen nach gestrichnem jezt vor <üdZ>, was
er gethan, 22 Durch übergeschriebene Zahlen aus: Wenn <nach
gestrichnem Als über Wies er ſich vom <über gestrichnem zumd
im Adlerflug geſchwungen 23 Dann üdZ feinen über gestrichnem
nicht da den Das Ganze mit Verweisungszeichen am untern Rande
für gestrichnes: Hat er nicht da <über auch> zuvor <über zugleichd
Archive <über die Actend durchgewühlt 2s hätte ſich [so zu lesen!]
aus hätt' er Aetnas nach gestrichnem des 131, 1 Als unter ge-
strichnem Gleich 19 werden nach gestrichnem wieder.
120. Handſchrift, Oktavbogen, im Nachlaßheft 36, ungedruckt; noch
in Halberſtadt entſtanden 134, 12 Davor gestrichen: Elyfium
mach Dend hätt' aus der Laube Tizian Den Kennern <über
Menſchend zum Entzücken koͤnnen mahlen 18 Der Schluss fehlt.
121. Handſchrift im Nachlaßheft 36, ungedruckt, auf einem Oktav⸗
bogen mit Nr. 55 — 58, alſo wohl als einer der letzten Beiträge
Heinſes für die Halberſtädter „Büchſe“ beſtimmt, aber nicht aufge⸗
nommen.
122. Handſchrift im Nachlaßheft 36, ungedruckt, auf einem Oktav⸗
blatt mit Nr. 123 und 124; noch vor Halberſtadt entſtanden? 135,
8 lies: Wann's.
123. 124. Vgl. zu Nr. 122.
125. Handſchrift im Nachlaßheft 36, ungedruckt, auf einem Sedez⸗
blatt mit Nr. 34, 37 und 38, alſo wohl auch für die Halberſtädter
Kritifcher Anhang. 351
— —
„Büchſe“ beſtimmt, aber nicht aufgenommen. — 136, 18 von über
gestrichnem bey. Zweite Handſchrift ebda. (vgl. zu Nr. 91).
126. Zwei Handſchriften im Nachlaßheft 36, vgl. zu Nr. 99.
127. Gedruckt im Almanach der deutſchen Muſen 1778, S. 240,
unter „W. Heinſe“, mit der Anmerkung zu 137, 5: „Nämlich das,
was in den Chreſtomathon [!] aus ihm genommen iſt“. Zu Grunde
liegt eine Handſchrift, die Heinſe am 16. Juli 1773 an Klamer
Schmidt für Chriſtian Heinrich Schmid ſchickte (jetzt im Beſitz der
Familie Brockhaus), vgl. IX, 142 f., abgedruckt in der Zeitſchrift des
Harzvereins für Geſchichte und Alterthumskunde 28, 599, wo es in
der Anmerkung richtig „Chreſtomathien“ heißt. Eine frühere Hand;
ſchrift im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 1 17) hat folgende Abweichungen:
137, 1 Auf einen Sinndichter 1768. 2 nannt' 3 beſtahl; ; unwitzigſte]
einfältigſte, dazu dieselbe Anmerkung.
128. Handſchrift im Nachlaßheft 36, vgl. zu Nr. 117; ungedruckt.
129. Gedruckt im Almanach der deutſchen Muſen 1778, S. 232,
unter „W. Heinſe“ (137, 13 lies: Auf Lottchen. 14 da Bein’ 15
Vögelchen,). Zu Grunde liegt dieſelbe Handſchrift wie bei Nr. 127,
abgedruckt: Zeitſchrift des Harzvereins 28, 600; eine zweite Hand—⸗
ſchrift im Nachlaßheft 36 (vgl. zu Nr. 117) zeigt folgende Ab:
weichungen: 137, 13 Auf Lottchen 14 es] fie 15 Die ſchöne Sängerin,
16 Lottchen jüngſt — und ſie verlohr.
130. Handſchrift wie bei Nr. 127, abgedruckt: Zeitſchrift des Harz⸗
vereins 28, 600; eine zweite Handſchrift im Nachlaßheft 36 (vgl. zu
Nr. 117) zeigt folgende Abweichung: 137, ıs Die Ehen.
131. Handſchrift wie bei Nr. 127, abgedruckt: Zeitſchrift des Harz⸗
vereins 28, 600; eine zweite Handſchrift im Nachlaßheft 36 (vgl. zu
Nr. 117) ‚geist folgende Abweichungen: 138, 1 Beweis, daß die
Päbſte Nachfolger Peters find. ; Jeſus 6 So] Da 7 den
Menſchen kenn' ich nicht.
132. Handſchrift wie bei Nr. 127, abgedruckt: Zeitſchrift des Harz⸗
vereins 28, 600 f. (Chiffre: R. 139, 21 da] das); eine zweite Hand⸗
ſchrift im Nachlaßheft 36, Bl. 12 — 2? eines Oktavbogens, zeigt folgende
Abweichungen: 138, 8. 9 folgt am Schluß 9 von] aus 10 Adepten]
die Weiſen 15 gewagt! wollt ihr glückſeelig leben, 16 So meidet
dieſen Stand — 17 tauſend 20 eins 139, 3 nichts, als eine Raupe
17 Nach gestrichnem: Die Kinder nun, und nun die Kinderzucht.
orher auf Bl. 1 desſelben Oktavbogens ein früheres Concept, ohne
Ueberſchrift, mit folgenden Abweichungen: 138, 10-24 zuerst: Sich
352 Heinſes Werke. Erſter Band.
in den Eheſtand, dann: Sich in den heilgen Stand der Ehe zu be—
geben, Iſt viel gewagt, mein Freund! Glückſeelig leben Iſt eine
ſchwere Kunſt, zuletzt: Sich in den Stand der Ehe zu begeben, Iſt
viel gewagt; willſt du glückſeelig leben So meide dieſen Stand
Warum? weil unter tauſend Paaren Bey jedem Volk, wo Ehen
waren, Kaum eins glückſeelig Leben fand In dieſem Quaalenvollen
Stand (die beiden letzten Verse durch überschriebene Zahlen
umgestellt). Der Liebe ganze nach gestrichnem Der Liebe
höchſted Seeligkeit genießen In dieſem Stande kannſt du nicht Sie
läßt ſich nicht in Feßeln fchließen | Tofayer [nach gestrichnem
Selbſt Necktar] ekelt uns, iſt's, ihn zu trinken, Pflicht.
133. Handſchrift wie bei Nr. 127, abgedruckt: Zeitſchrift des Harz⸗
vereins 28, 607f.
134. Gedruckt: Hamburger Muſen-Almanach für 1782, S. 23
(Chiffre: F.); 140, 20 statt meien lies meine.
135. Handſchrift im Nachlaßheft 32, Bl. 53, aus dem Jahre 1779 .
ſtammend?, ungedruckt; 140, 23. 24 Zuerst: Der Retter ſeines
Volks, der erſte ſeiner Zeit, Selbſt unſer Hermann fiel ermordet
von den Seinen.
136 Handſchrift im Nachlaßheft 32, Bl. 58, ungedruckt; dazu auf
Bl. 58 eine Proſa⸗Faſſung.
5 37. Handſchrift im Nachlaßheft 32, Bl. 63%, ungedruckt (1779 ent:
anden).
138. Handſchrift im Nachlaßheft 32, Bl. 70, ungedruckt (1779 ent⸗
ſtanden); 142, 2 mir nach gestrichnem lernen.
139. Handſchrift im Nachlaßheft 32, Bl. 110, ungedruckt (1779 ent⸗
ſtanden?).
140. Handſchrift im Nachlaßheft 10, Bl. 79°, ungedruckt; 143, 1
wer nach gestrichnem u(nd) hoch 3 über nach gestrichnem
rettend.
141. Handſchrift im Nachlaßheft zo, Bl. 79°, ungedruckt; 143, 8
Lipari aus Liparos.
142. Handſchrift im Nachlaßheft 10, Bl. 79°, ungedruckt.
143. Handſchrift im Nachlaßheft 10, Bl. 116, ungedruckt (1782/3
entſtanden).
144. 145. Handſchrift im Nachlaßheft 2, Bl. 83a, ungedruckt. Die
beiden Diſtichen ſind durch übergeſchriebene Zahlen umgeſtellt; 143,
17 unwiſſenden nach gestrichnem für jeden muthwilligen 19 Gluck
if gestrichen, dann wiederhergestellt; über Gluck unleserliches
Kritiſcher Anhang. 353
gestrichenes Wort 20 Mit ſich in Widerſpruch nach ge—
strichnem In Widerſpruch mit ſich ſelbſt
146— 148. Handſchrift im Nachlaßheft 2, Bl. 84 und 84, ungedruckt.
Voraus geht auf Bl. 84 die Kenie aus dem Schillerſchen Muſen⸗
almanach von 1797, S. 258 (Goethes Werke, W. A., V, I, 239):
Ausnahme. S. 258.
„Barum tadelft du manchen nicht öffentlich? Weil er ein Freund iſt,
„Wie mein eigenes Herz tadl' ich im ſtillen den Freund.“
— Beweis genug, daß dieſe Diſtichen durch die Kenien veranlaßt find.
149. Handſchrift im Nachlaßheft 2, Bl. 92, ungedruckt; gegen
Goethe und Schiller gerichtet.
150. Handſchrift im Nachlaßheft 2, Bl. 92, ungedruckt; gegen J. F.
Reichardt gerichtet (vgl. III, 2, 599 ff.).
151. Handſchrift im Nachlaßheft 2, Bl. 92%, gedruckt: Gleim-Heinſe
I. 144; 214, 16 Darnach gestrichen: Wärſt du wie Balde gelehrt
ſelbſt, proteftantifcher Pfaff: | Gute Nacht dann Luther, Calvin —
und Klopſtock und Goethe: — 17 Mehr als Horaz er ſich nach
gestrichenem Schon in der Krähe Schmuck. — Voraus geht auf
Bl. 922 die Notiz: „Göttingen. Ausführliche Mathematiſche Geo;
graphie von M. Albrecht Georg Walch. Zweite Auflage bey Diederich.
(Mit Lichtenbergs Zuſätzen und Nachrichten von Käſtner.)“ — Das
Diſtichon 151 ſcheint ſich jedoch, wie Nr. 157 (vgl. Gleim-Heinſe I,
213), nicht auf Heinſes Schleuſinger Lehrer Albrecht Georg Walch,
ſondern auf Herder zu beziehen.
152—154. Handſchrift im Nachlaßheft 7, Bl. 68, ungedruckt; 145,
4 Zuerst: Ruhm wie Gold abwiegt, und gleich der Nachwelt, er—
theilt; Für das ganze Distichon 153 zuerst:
Selten, daß ein erhabener Geiſt in die Hölle hinabfährt
Recht auszuüben, und Lob wahren Talenten ertheilt!
dann: Und abgewogen wie Gold Ruhm gleich der Nachwelt ertheilt.
145, 5 zuerst: Wer der Armenier ſey? iſt das ein ſo großes Geheimniß!
6 Zuerst: Ohne Verſtand und Sinn, dann: Ohne Natur und Plan.
155. Handſchrift im Nachlaßheft 7, Bl. 68°, ungedruckt.
156. 157. Handſchrift im Nachlaßheft 7, Bl. 89°; vgl. Gleim-Heinſe I,
213 f. und zu Nr. 151.
158. Handſchrift im Nachlaßheft 7, Bl. 90, ungedruckt. Zuerst:
Wirg ſie alle heraus von dir die ohnmächtige Rachſucht!
Deß was dir nur gebricht klage mich an! und genes.
Wohl auf J. F. Reichardt bezüglich.
1 23
354 Heinſes Werke. Erſter Band.
159. 160. Handſchrift im Nachlaßheft 28, Stück 25 (vom 2. Juni
1800 datirt); gedruckt: K. D. Jeſſen, Heinſes Aſthetik, Berlin 1904,
S. 182. — 146, 3 findet über zeigt.
Im Nachlaßheft 65 trägt der Umſchlag folgendes von Heinſe mit
Bleiſtift und in lateiniſchen Lapidarbuchſtaben geſchriebenes Bruch⸗
ſtück eines wohl an den Kurfürſten Joſeph Freiherrn v. Erthal
gerichteten Gedichtes:
Nach Mainz, nach Mainz durch Ehrenpforten
Zög uibern Rhein Dein Volk Dich hin!
Dein Nahme glänzt an allen Orten:
So zu verlieren iſt Gewinn.
5 Bei Hochheim geht noch auf die Sonne
Dir bald zu Deiner Kinder Wonne.
Vers 2 über Zög unleserlich Fürht'? s Bei Hochheim über Am
Feldberg 6 Kinder über der Zeile.
Endlich ſind im „Morgenblatt für gebildete Stände“, Dienſtag,
9. Februar 1808, Nr. 34, S. 135 folgende, ſonſt nicht überlieferte
„Zwey ungedruckte Epigramme von Wilhelm Heinſe“, deren Echt—
heit wohl außer Zweifel ſteht, abgedruckt:
Wenn es regnet und hagelt, der Wind tobt: ſuch' ich ein Obdach,
Und in der Sommergluth Schatten und Grotten im Wald.
Schmachtet ein Wandrer verirrt: trinkt aus verfallenen Brunnen
Er wohl ein Räderthier mit, ſtärkt ſich, der Magen zermalmt's.
Sieh mit dem Mikroskop ſo auch im moraliſchen Leben
Neider, Verläumder nicht an; ſchluck ihn hinunter den Quark.
*
Löwen und Tieger, merke dir's, bellen nicht, ſondern zerreiſſen,
Sitzen im Sprung im Genick. Kläffer, ein andermal ſchweig!
Der anonyme Einſender „kannte die beyden Epigramme aus einer
gütigen Mittheilung des verehrungswürdigen Jacobi (Praͤſidenten
der baieriſchen Akademie), und hofft — wegen ihrer jetzigen Bekannt⸗
machung keiner Entſchuldigung zu bedürfen.“
Die Proſaiſchen Aufſätze aus dem Thöüringiſchen Zus
ſchauer von 1770 ſind wie die Gedichte aus dieſer Zeitſchrift
(oben Seite 15— 25) nicht mit Heinſes Namen ſondern mit Chiffren
unterzeichnet, laſſen ſich aber mit ziemlicher Sicherheit als ſein
Kritiſcher Anhang. 355
Eigentum nachweiſen. — Über den erſten in Stück VI, Seite 81
— 92 abgedruckten Aufſatz „Vom Jagdgedichte“, unterzeichnet „Z“
Geinze, Heintze), ſchreibt Heinſe ſelbſt am 18. November 1770
an Gleim (IX, 5), daß er in feinem vierzehnten Jahre „Jagd—
lieder“ gedichtet habe; die beiden hineingeflochtenen Gedichte (oben
Seite 152, 153), von denen das erſte in der Chevy-chase⸗Strophe,
das zweite in freien Rhythmen nach Gellert und Wieland ab-
gefaßt iſt, ihm mit A. Schurig (S. 51) abzuſprechen ſehe ich keinen
Grund. Dagegen ſcheinen die übrigen Jagdgedichte (Zuſchauer,
S. 9a. 124. 204), von denen eines die Chiffre G trägt, von feinem
Redaktionskollegen J. G. C. Gleichmann herzurühren. — Die
„Briefe von zwo vornehmen Damen“ in Stück VII, Seite 97 —
110, unterzeichnet „T“ (Heintze), find dadurch als Heinſes Eigen;
tum erwieſen, daß das darin auf S. 106 (oben S. 164) abge⸗
druckte Sinngedicht auf Boileau in ſeinen „Sinngedichten“ von
1771 auf S. 6 (oben S. 29) mit einigen Veränderungen wieder⸗
kehrt. — Auch die in Stück IX, Seite 129—143, X, Seite 145
159, XI, Seite 161—172 und XII, Seite 177—192, abge:
druckten Briefe und Anmerkungen dazu werden, obwohl nur die
letzteren mit der Heinſeſchen Chiffre H unterzeichnet ſind, ihm ſämt⸗
lich zugehören, da ſie unter einander in engem Zuſammenhang
ſtehen und in Gedanken wie in Citaten ſich in denſelben Kreiſen
bewegen, wie ſeine Briefe und übrigen Schriſten dieſer Zeit.
Die Textrezenſion beſchränkt ſich auf die Normaliſierung einiger
Ungleichheiten in der Orthographie (wie: kann, iezt, groſe, bei)
und Interpunktion; im übrigen find folgende Druckfehler ver;
beſſert: 149, 24 unfern in unſerm 154, 1 yon in von 6 berühmer
in berühmter 11 Ilm in Ilm- 17 allen in allem 23 Brüderr in
Brüder 155, 22 In in In's Sinnlichkett in Sinnlichkeit 156, ı
hinnein in hinein 16 Sie in fie 157, 9 von in vom 13 euren in
eurem 14 dem in den 158, 23 ſie es in Sie es 160, 6 kommen; in
kommen. 23 Was in was 162, 22 ſie in Sie 164, 11 u. f. f. in
u. nd] ſ. [o] f. [ort]! 169, 14 Fleich in Fleiſch 172, 2 Schlangen
in Schlangen; 21 „le“ in „Je“ 173, 13 einen in einem 174, 21 ih'rs
in ihr's 179,18 nennten in nannten 183, 16 fublimfie in ſublimſte
184, 11 Fielding. in (Fielding.) 188, 18 Bocciaz in Boccaz
191, 10 umgekeht in umgekehrt 192, 26 und in und 27 gemiſſe in
gewiſſe find in find 194, 9 daß in das 196, nich in nicht 26 tarok
in Tarok 197, 13 Studien in Stadien allſolvirt in abſolvirt 17
237
356 Heinſes Werke. Erſter Band.
Karten in Karten- 199, 19 feinen in feinem 21 daß in das 200, 17
ſie in Sie 203, 22. 23 Ihnen in ihnen.
Die „Muſikaliſchen Dialogen“ ſind erſt zwei Jahre nach
Heinſes Tode in einer poſthumen Ausgabe, die ein wenig Vers
trauen erweckender Erfurter Literat, namens Ignaz Ferdinand
Karl Arnold, herausgab, erſchienen, und über ihre Echtheit iſt viel
hin und wider geſtritten worden. Laube und Goedeke haben ſie
kurzerhand für unecht, Schober und Hans Müller (in der Viertel⸗
jahrsſchrift für Muſikwiſſenſchaft III, 565 ff.) für echt erklärt, Rödel
(S. 28) meint, der erſte Dialog und ein Teil des zweiten rühre
von Heinſe, das Übrige von einem Fälſcher her. Erſt durch
A. Schurig (S. 58 ff.) und beſonders durch A. v. Lauppert, Die
Muſikäſthetik W. Heinſes, Greifswald 1912, iſt der Beweis für
die Echtheit aller drei Dialoge erbracht worden. Den inneren
Gründen, die der Letztere für die Echtheit anführt, laſſen ſich noch
einige weitere äußere anreihen. So iſt im erſten Dialoge auf
Seite 80 (oben Seite 243) ein Vers aus Heinſes Sinngedicht
„Auf Petrarchen“ (oben Seite 25) zitiert, das nur im „Thürin⸗
giſchen Zuſchauer“ von 1770, Seite 208, und in den „Sinn⸗
gedichten“ von 1771, S. 5, ſtand und zur Zeit der Drucklegung
der Dialoge, im Jahre 1805, ſicherlich Arnold unbekannt war.
Ferner iſt es bezeichnend für den Herausgeber, daß er für „Aglaia“
immer „Aglair“ druckt, obwohl 284, 4. 23 die richtige Form ſteht;
der Grund dafür iſt, daß in Heinſes Handſchrift a wie r ausſieht,
das bei dem ſklaviſch getreuen Abdruck eingeſetzt wurde. Auch ſonſt
find ſinnloſe Worte wie „Lüzgonen“ für „Cuzzonen“ (246, 7),
„Porgon“ für „Porpora“ (246 7), „Phäder“ für „Iſidor (244, 7)
und die beiden Lesarten 273, 15 nur durch falſche Leſung des
Heinſeſchen Manuſkripts zu erklären.
Dagegen ſind zweifelsohne einige Stellen, beſonders in der Vor⸗
rede, von Arnold interpoliert und demgemäß in unſerm Abdruck
durch Striche erſetzt; fo 208, 19 die Worte „Sind Sie [Kantianer,
Fichtens oder Schlegels] Anhänger“, die 1770 natürlich unmöglich
find; ferner 210, 9 „[Blumauer liſche“, wofür vielleicht nach 208, 9
„Lafontainſche“ einzuſetzen wäre. Ob nach A. Schurigs Ver⸗
mutung (S. 59) auch 294, 10 „Salieri“ interpoliert iſt, erſcheint
ungewiß. Auch ſonſt ſind einige Worte zweifelhaft, ohne daß mit
11
0
Kritiſcher Anhang. 357
Sicherheit eine Konjektur an ihrer Stelle eingeſetzt werden konnte;
ſo iſt vielleicht 208, 25 „Lezten“ ſtatt „Beſten“, 218, 11 „Sage“
ſtatt „Sache“ vorzuziehen. Auch die Stellen „Ort“ (209, 7), „da
[die?]! Maintenon“ (252, 13), „nach Herrn Sorgen“ (308, 25),
„tanzen .. . in?] Fröhlichkeit“ (317, 1) erregen Bedenken.
Der erſte Druck erſchien unter dem Titel: „Muſikaliſche Dia—
logen. Oder: Philoſophiſche Unterredungen berühmter
Gelehrten, Dichter und Tonkünſtler über den Kunſt—
geſchmack in der Muſik. Ein Nachlaß von Heinſe, Ver—
faſſer des Ardinghello und Hildegard von Hohenthal.
Altenburg, 1805. In Commiſſion bei Chriſtian Friedrich
1 (1 Bl., 238 S.) 8°, mit dem Untertitel: „Muſikaliſche
Dialogen. Herausgegeben von J. F. K. Arnold, Doktor der Rechte
und außerordentlicher Lehrer der Philoſophie. Altenburg, in Com;
miſſion bei C. F. Peterſen. 1805.“ Eine unveränderte Titelauflage,
ohne den Untertitel, erſchien „Leipzig 1805. bey Heinrich Gräff.“
Der Druck geht augenſcheinlich auf eine Heinſeſche Handfchrift
zurück und iſt, mit Ausnahme der oben angeführten Stellen, ver—
hältnismäßig korrekt; folgende Druckfehler wurden verbeſſert:
212, 20 Non in Nonum 214, 4 Crebillonen in Centillionen
[oder Millionen?] 13. 14 Dogmatiken all alle in Dogmatiken alle
220, 18 fie in Sie 224, 14 ausgeben in ausgaben 225, 22—28
Das Citat aus Lessings Laokon S. 126 f. ist nach dem Originale
corrigirt (225, 23 hängt in hangt 24 nöthigt in nöthiget gerührt
in gerühret 25 unverſtändigen in unverſtändlichen 26 fo in ſodann
reizen in reitzen 27 dabei in dabey) 227, 16 uns durch Empfin⸗
dungen, und Empfindungen Accente als Dittographie in uns
Empfindungen durch Accente 238, 1s etwickelt in entwickelt 240, 4
Sokraken in Sokraten 12 Sie in ſie 242, 4 erziehen: in erziehen;
243, 18s Chaulienen in Chaulieuen 25 auch in doch 244, 7 Phäder
in Iſidor [vgl. Musicalisches Lexicon von Joh. Gottfried
Walthern, Leipzig 1732, S. 234] 245, 21 Num in Nun 246, 7
Fauſtinnen in Fauſtinen [vgl. 267, 4] Lüzgonen in Cuzzonen [Vgl.
264, 2. 267, 4] Porpon in Porpora 2s ihr in Ihr 247, 1 fie in Sie
15 Shuhe in Schuhe 251, 27 ſchätzen, in ſchätzen. 262, 15 nach in
noch 263, 11 ob Barbiton in ob ihr Barbiton 26 vortrfflich in vor;
trefflich 264, 2 Luzzonen in Cuzzonen [vgl. 246, 7] s erfordert in
erfodert 27 villeicht in vielleicht 267, 4 Luzzonen in Cuzzonen [Vgl.
246, 7] 10 kaun in kann 268, 11 vollſtellte in vorſtellte 273, 1;
358 Heinſes Werke. Erſter Band.
Leidenſchaft (für etwas affectirtes) für Heucheley in Leidenſchaft
für Heucheley 278 21 Aglair in Aglaia (so immer, ausser 284, 4. 23.)
279, 13 eure Schweſtern in eure Schweſter 14 Wie wollen in Wie,
wollen 295, 12 Mönchs in Mönchs- 296, 27 nachgelaufen in nach;
laufen 298, 1 „fatto“ in „fato“ 2 „Sol“ in „sol“ 299 f. „O Traum,
der mich entzücket“ ist von Uz (Sauers Ausgabe der Sämtlichen
poetischen Werke von J. P. Uz, Stuttgart 1890, S. 24, darnach
geändert: 300, 6 Der in Den 7 Kein in Mein 301, 7 ihr in Ihr
23 Eure in eure (so immer) 302, 22 Sie doch in fie doch 309, 10
Polonoiſen in Polonaiſen 311, 8 plandert in plaudert 312, 2
hätten in hätte 314, 1 Ihr in ihr 317,16 Schnle in Schule 318, 19
Land; in Land-, 319, 3 Citronbäume in Citronenbäume (vgl. 319, 15)
28 ueue in neue 323, 9 deuken in denken 24 dieſe in dieſes 325, 4
glaubigen in gläubigen 326, ; dentſche in deutſche 328, 26 Choos
in Chaos 329, 7 ſtüpide in ſtupide.
LOST
Einleitung VVV III
Gedichte.
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Aus dem „Thüringiſchen Zuſchauer“ 1770 (4—1aꝓ3hů hh 15
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Aus der Halberftädter „Büchſe“ 1774 (65—1166)0ßſü:rr . 7³
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Proſaiſche Aufſätze.
Aus dem „Thüringiſchen Zuſchauer“ 1770 147
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