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Henrik Ibſens
Sämtliche Werke
deutſcher Sprache
Zweiter Band
Das Hünengrab. Deutſch von Emma Klingenfeld
Frau Inger auf Oeſtrot. Deutſch von Emma Klingenfeld
as Feſt auf Solhaug. Deutſch von Chriſtian Morgenſtern
Olaf Liljekrans. Deutſch von Emma Klingenfeld
Berlin
S. Fiſcher, Verlag
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Henrik Ibſens
Sämtliche Werke
deutſcher Sprache
Durchgeſehen und eingeleitet
von
Georg Brandes, Julius Elias, Paul Schlenther
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Vom Dichter autoriſiert 2 .
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Berlin
S. Fiſcher, Verlag
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Ein Spielmann hat weder heim noch Raus,
sein Sinn geht rastlos ins Weite hinaus.
Wem da von Liedern die Brust geschwellt,
Des heimat ist rings die weite Welt.
Im Eaubsaal, im Thal, am grünenden Fang
muss er rühren die bebenden Saiten zum Sang;
Dem heimlichsten Leben muss er lauschen:
Des Giessbachs Tosen, der Wege Rauschen,
Des pochenden Herzens seltsamen Mären;
Sein Lied muss des Volkes Träume klären
Und all die Gedanken, die gären!
Olaf Ciljekrans III, 9.
Inhaltsverzeichnis.
Einleitung
Das Hünengrab
Frau Inger auf Oeſtrot
Vorrede zur zweiten Ausgabe von „Das Feſt auf Solhaug“
Das Feſt auf Solhaug
Olaf Liljekrans .
Seite
IX
Einleitung.
Während Henrik Ibſen ſich im Jahre 1850 auf das
akademiſche Examen vorbereitete, vollendete er in den Pfingſt—
ferien das kleine, in Buchform bisher noch nicht veröffentlichte
Schauſpiel „Das Hünengrab“, das im September und
Oktober desſelben Jahres auf dem Chriſtianiaer Theater und zwar
nur dreimal, aufgeführt wurde. In umgearbeiteter Form — ur—
ſprünglich hatte es in der Normandie geſpielt — erſchien es dann 1854
ſtückweiſe im Feuilleton der „Bergener Blätter“; die betreffenden
Nummern ſind verloren gegangen und nicht mehr aufzufinden.
Im Januar 1854 und im Februar 1856 wurde es in der vor—
liegenden Faſſung noch zweimal auf der Chriſtianiaer Bühne
gegeben. Wenn der Autor dieſer Arbeit unbekannt wäre,
würde nichts ihn erraten laſſen: ſo abhängig iſt Ibſen hier
noch von ſeinen erſten Vorbildern. In der Form der Verſe,
in der Wahl des Ausdrucks, im ſprachlichen Ton nicht minder
als im Thema, in der Auffaſſung der Menſchen nordiſcher
Vorzeit, im ganzen Gefühls- und Gedankeninhalt offenbart ſich
ein junger und begeiſterter Schüler des betagten Oehlenſchläger.
Die guten, leichtfließenden Verſe haben Oehlenſchlägerſchen Takt
und Klang, die Figuren ſind wie aus einer Tragödie oder tra—
giſchen Idylle des Altmeiſters herausgeſchnitten.
In dieſer ſeiner Frühzeit übt Henrik Ibſen noch keine
Kritik an der poetiſchen Ueberlieferung. Er teilt hier noch
die allgemein herrſchenden Anſchauungen. Das Stück iſt
von der Begeiſterung für die nordiſche Vorwelt getragen,
und ein junges ſüdländiſches Mädchen iſt ihre beredte Ver—
„
künderin. Etwas ſtärker als in der Regel Oehlenſchläger betont
der junge Ibſen vielleicht die Roheit und Grauſamkeit, die
Vikingerfahrten mit ſich brachten; aber ſie ſtehen doch auch für
ihn in einem höchſt poetiſchen Licht, das um jo jtärfer auf ſie
fällt, weil er ein junges exotiſches Weib ſo lebhaft für nordiſches
Heldentum ſchwärmen läßt. Wie hier Blanka vom Norden
träumt und ſich nach dem Norden ſehnt, hingeriſſen von den
Thaten der blauäugigen Seekönige, hatte bei Oehlenſchläger im
„Tordenskjold“ das junge engliſche Fräulein, Miß Carteret,
ohne jemals den Gegenſtand ihrer Bewunderung geſehen zu
haben, in Begeiſterung für den däniſchen Seehelden gelebt und
gewebt, und jo ungefähr hatte auch Marie in „den Wäringern“
zu Harald Härderäde emporgeblickt.
Die Grundlage des Stückes bildet die Vorſtellung, daß
das eigentliche Leben jener Zeit ſeinen Schauplatz gewechſelt
hatte und vom Süden an den Norden übergegangen war. Im
Süden hatte es längſt in Kunſt und Wirklichkeit Blüten getrieben,
— dort war Leben „in kalten Stein gebannt“, wie es in der
Dichtung heißt; im Norden dagegen, wo die Natur noch rauh
und wo von Kunſt noch keine Rede war, ſchlug das Leben noch
in ſeiner urſprünglichen Kraft. Aber das war gerade auch,
Oehlenſchlägers Anſchauung geweſen.
Trotzdem ſpürt man bei Ibſen nicht die gleiche Vorliebe
für nordiſches Heidentum auf Koſten des ſüdländiſchen Chriſten—
glaubens, wie ſie Oehlenſchläger in „Hakon Jarl“, „Palnatoke“
und „den Wäringern“ offenbart. Daß Blanka für ihre Feinde
betet, macht ſie dem nordländiſchen Heiden überlegen und ſetzt
ihn in Verwirrung. Vergebens ſucht ſich der junge König des
ſtarken Eindrucks zu erwehren. In Oehlenſchlägers „Hakon,
Jarl“ giebt Auden dem Olaf Tryggvaſon, der das Chriſten—
tum einführen will, die berühmte Antwort:
„Burſch, laß meine Tannen ſtehn!“
Ganz ähnlich antwortet Gandalf der Blanka auf ihre Behaup-
tung, ihr Glaube, auf nordiſchen Boden verpflanzt, würde die
nackte Felswand mit Blumen bedecken:
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„Laß dem Felſen
Die kahlen Wände, bis er ſtürzt zuſammen!“
Aber Blanka behält recht, und der Geiſt einer neuen Zeit
folgt in ihrer Geſtalt dem Seekönig nach ſeiner Heimat. Durch
ihren Einfluß wird ſein Weſen gemildert und veredelt. So
ſteht denn die Idee der Güte als das Höchſte im Stücke da;
nicht Kraft, ſondern Güte iſt für Ibſen, als er zweiundzwanzig
Jahre zählt, wie für Oehlenſchläger, als er ſiebenzig alt war,
das Erhabenſte auf der Welt. Später nimmt bei ihm das Ideal
einer bloßen Güte einen mehr dialektiſchen Charakter an, wie
wir an Tante Juliane in „Hedda Gabler“ ſehen.
Der alte Viking, der, auf der öden Inſel zurückgelaſſen,
ſchließlich die Abſicht ausſpricht, dort ſein Leben zu beenden,
iſt in ſeiner ſchwachen Zeichnung wiederum eine Oehlenſchlägerſche
Figur; er erinnert ein wenig an den Helden in „den beiden
Armringen“. Wenn der Skalde ſich entſcheidet, bei ihm zu
bleiben, um ihm einſt die Augen zuzudrücken und ihm das
Totenlied ſeines alten Glaubens zu ſingen, ſo iſt das ein Zug
guter alter Romantik.
Aber das erwachende Selbſtgefühl des jugendlichen Dichters
kommt, trotz aller Nachahmung, doch in den letzten Zeilen des
Stückes zu Worte. Blanka ſpricht hier die Weisſagung aus,
daß, wie der Held dem Grab, in das man ihn legte, ſo auch
Nordland einſt „hell und hehr“ der Gruft entſteigen werde:
„zur Geiſtesthat auf des Gedankens Meer!“
Es iſt dies eine Weisſagung, die aus dem Rahmen des Stückes
herausfällt, — die einzigen Zeilen, die, bezeichnend genug, in dem
erhaltenen Originalmanuſkript (dem Soufflierbuch der Bergener
Theaterbibliothek) von Ibſens eigener Hand hinzugefügt ſind. Und
in dieſen Worten hat er denn auch ſeinen ſtarken und berechtigten
Glauben an die Zukunft unzweideutig ausgeſprochen.
— XII —
„Frau Inger auf Oeſtrot“, die im Winter 1854 in
Bergen entſtanden iſt, wurde zum erſten Male am 2. Januar 1855
auf dem Bergener Theater geſpielt, 1857 in einigen wenigen
Exemplaren gedruckt, 1874 nach nicht ſehr weſentlicher Umarbeitung
endgültig herausgegeben und darauf in Norwegen, Schweden,
Finnland und Deutſchland auf die Bühne gebracht. Das Stück
iſt ohne Frage unter den Werken, die Henrik Ibſen vor ſeinem
dreißigſten Lebensjahre geſchrieben hat, das bedeutendſte. Sein
Thema iſt norwegiſch-national. Es iſt als Nationalſchauſpiel zur
Erinnerung an den Stiftungstag des Bergener Theaters ge—
dichtet worden. Augenſcheinlich iſt es dem warmen Nationalgefühl
des jungen Dichters entſprungen. Und daß des Dramas Spitze
gegen Dänemark gerichtet iſt, kann nicht wunder nehmen: denn
das lag teils an der Beſchaffenheit des Themas, teils an der
polemiſchen Haltung, die das norwegiſche Nationalgefühl dem
Dänentum gegenüber einnahm, ſolange auf dem Theater in
Chriſtiania däniſch geſpielt wurde, und man noch auf ver—
ſchiedenen Gebieten eine Befreiung von den Traditionen der
Dänenzeit anſtrebte.
Obſchon das Stück der Hiſtorie Rechnung trägt, inſoweit die
Namen der auftretenden Perſonen durch die Ueberlieferung ver—
bürgt ſind, hält es ſich doch auch nicht in einem Punkte an
den wirklichen geſchichtlichen Sachverhalt. Frau Inger war in
Norwegen keine Repräſentantin dänenfeindlicher Beſtrebungen; ſie
litt keineswegs unter der Vermählung ihrer Töchter mit däniſchen
Edelleuten; der „Dalejunker“ (der Nils Stenſſön des Stückes),
deſſen Verlobung mit einer ihrer Töchter ſie zuließ, war ebenſo—
wenig ihr Sohn wie der Sohn Sten Stures, wenn auch Frau
Inger ihn dafür hielt. Nils Lykke, auf den Ibſen einige Züge
übertragen hat, die in Sang und Sage dem däniſchen Edel—
mann Kaj Lykke beigelegt werden, war nicht wie im Schauſpiel
der unwiderſtehliche Don Juan, vielmehr iſt er mit einer Tochter
Frau Ingers, mit Eline, verheiratet geweſen und hat ſich ſpäter,
nach der Mutter Tode, in ein Liebesverhältnis mit ihrer zweiten
Tochter Lucia eingelaſſen, was in der Auffaſſung der damaligen
Zeit Blutſchande bedeutete und jo ſeine Gefangennahme und
ſeinen Tod herbeiführte.
Ibſen hat alle dieſe Perſönlichkeiten und Verhältniſſe um—
geſtaltet. Er hat aus dem Nichts eine nationale Heldin ge—
ſchaffen, die dazu berufen iſt, ihr Vaterland zu befreien, ſich
aber durch ein unglückliches Schickſal, ihre Angſt um einen un—
echten Sohn, der als eine Art Geiſel in den Händen des
Feindes allen möglichen Unbilden ausgeſetzt iſt, beſtändig in
der Ausführung ihres Vorſatzes gehemmt und gehindert ſieht.
Er hat dieſer Geſtalt tragiſche Größe verliehen. Er hat ferner
ganz aus eigener Phantaſie die andere überragende Geſtalt
geſchaffen, den däniſchen Ritter Nils Lykke, den ehrgeizigen
Diplomaten und klugen Ränkeſchmied, deſſen Macht über junge,
ſeinen Lebensweg kreuzende Weiber ſprichwörtlich geweſen iſt in
jener Zeit. Dieſe Geſtalt iſt wohl weniger originell als die
erſte; aber ſie hat ein gutes inneres Gefüge, hat klare Konturen,
wechſelndes Leben und ſteht feſt auf den Füßen. Endlich hat
Ibſen hier in Eline Gyldenlöve ſeine erſte herzgewinnende und
-ergreifende Frauenfigur geſtaltet — jenes junge Mädchen, das,
im Anfang ſo ſtolz und feſt, ſich dann ſo ſchnell und ſo ganz
von der Leidenſchaft ihrer Liebe hinreißen läßt.
Hier lagen die Elemente zu einer klaren und einfachen
Tragödie; Ibſen hat den Stoff zu einem Spiel von Intriguen
ausgebeutet, in dem fortwährend neue Knoten geſchürzt werden
und ſich die Perſonen durch ein Dunkel vorwärts taſten, wo
der Wille des Dichters ſie immer wieder und wieder feſthält,
um ſie fehlgreifen zu laſſen. Sie werden in ein Netz von
Mißverſtändniſſen verſtrickt, und wenn es an einem einzelnen
Punkte zerriſſen wird, geſchieht es nur, um ſie an andern
Stellen um ſo dichter einzuſpinnen und mit verzweifelter Zweck—
widrigkeit handeln zu laſſen. Keine Unwahrſcheinlichkeit hat der
Dichter geſcheut, um die Perſonen ſeines Stückes gewiſſermaßen
mit Blindheit zu ſchlagen: ſo iſt Eline Gyldenlöve über das
Schickſal ihrer verſtorbenen Schweſter völlig unterrichtet, hat
aber doch keine Ahnung von dem Namen des Mannes, der an
— XV —
ihrem Tode ſchuld geweſen iſt, und bleibt bis zum Schluß in
Unkenntnis darüber, daß Nils Lykke, den ſie liebt, dieſer Mann
war. Es wird in dem ganzen Schauſpiel eine Geheimniskrämerei
getrieben, die allein die vielen Mißverſtändniſſe ermöglicht, und
die hier zum erſten Mal Ibſen als den genialen Myſtifikator
zeigt, der er als Dramatiker immer geblieben iſt. Man ſpürt
hinter dieſer allzu ſinnreichen Kunſt, den Faden der Handlung
zu verſchlingen, den bereits geübten Theatermann, den Bühnen—
praktiker und den Regiſſeur, der durch das Studium zahlreicher
fremder, zumal franzöſiſcher Dramen und durch tägliche Er—
fahrung die ſichere Kenntnis deſſen erlangt hat, was von der
Bühne herab wirkt.
Gleich zu Beginn des Stückes weiß z. B. Olaf Skaktavl,
daß er einen Mann auf Oeſtrot treffen ſoll, aber nicht, wer
dieſer Mann iſt. Als nun Nils Lykke, der dort den Grafen
Sture zu finden hofft, von der Ankunft eines Fremden hört,
hält er folgerichtig Skaktavbl für Sture, während ſeinerſeits
Skaktavl, der Nils Stenſſön treffen ſoll, notwendigerweiſe Nils
Lykke für Stenſſön hält. Obſchon der däniſche Ritter alſo
durchaus nicht weiß, wen er in Skaktavl vor ſich hat, giebt er
ſich doch mit vieler Gewandtheit den Anſchein, als ſei er ſelber
der Mann, den der andere treffen ſoll. Dann kommt Nils
Stenſſön hinzu. Auch er ſoll auf Oeſtrot einen Fremden treffen,
der ihm nicht näher bezeichnet worden iſt, dem er aber Papiere
und Briefſchaften zu überbringen hat. Durch Liſt erreicht nun
Nils Lykke die Auslieferung dieſer für Olaf Skaktavl beſtimmten
Schriftſtücke und dringt dadurch in Geheimniſſe ein, deren
Kenntnis ihn den andern überlegen macht; und dieſe Ueber—
legenheit ſteigert ſich, indem ihm Frau Inger unfreiwillig das
entſcheidende Geheimnis ihres Lebens preisgiebt.
Nils Lykke erfährt, daß Nils Stenſſön der Sohn Sten
Stures und Frau Ingers iſt, und verrät dem jungen Menſchen
ſeine bisher unbekannten wahren Eltern. Da erſcheint es denn
wohl möglich, die Handlung ohne andere als die aus Situationen
und Charakteren ſich ergebenden Verwicklungen ihrem Ende zu—
I
zuführen, — allein das Dunkel, das kaum ſich zu lichten be-
gonnen hat, wird aufs neue verſtärkt. Indem nämlich durch
ein Gelübe, das ihm Nils Lykke abgelockt hat, Nils Stenſſön die
Zunge ſo ſehr gebunden wird, daß ſich der Sohn ſeiner Mutter
nicht offenbaren darf, läßt Frau Inger, die, mehr als unwahr—
ſcheinlich, ihr eigenes Lieblingskind niemals geſehen hat, vielmehr
Stenſſön für ihres Sohnes Mitbewerber um den Thron hält,
— dieſen Sohn aus ehrgeiziger Mutterliebe ermorden.
Um die Spannung noch zu erhöhen, hat Ibſen endlich ſchon
hier ein Mittel angewandt, das ſpäter häufig bei ihm wieder—
kehrt, obſchon es künſtleriſch kaum zu verantworten und auch
bereits von Ariſtoteles in ſeiner Poetik verdammt worden iſt,
nämlich den Kunſtgriff, nicht nur die handelnden Perſonen,
ſondern ſelbſt die Zuſchauer ſo lange wie möglich über die
wirklichen, dem Stücke vorausgehenden Verhältniſſe und Ereigniſſe
in Unkenntnis zu laſſen. Die — übrigens vortreffliche —
Expoſition klärt daher die Zuſchauer nicht im mindeſten über
das Geheimnis auf, das Frau Ingers patriotiſche Thatkraft
hemmt. Das erfährt man erſt ſpät, ſehr ſpät.
Trotz dieſer Abſonderlichkeiten und Mängel und trotz eines
allzu wortreichen und breiten Dialogs iſt das Drama doch von
großer dichteriſcher Kraft und erhabener Tragik. Die einfachſten
Scenen ſind die ſchönſten. Nils Stenſſöns jugendliche Geſtalt,
die ſo humoriſtiſch in die Handlung des Stückes hineinpoltert
und die Oehlenſchlägerſche Parallelfigur Olaf in „Königin
Margarethe“ an Friſche übertrifft, bringt einen Hauch ſorgloſer
Jugend mit ſich, und die Liebesſcenen zwiſchen Eline und Nils
Lykke bleiben unvergeßlich durch des Edelfräuleins ſchöne und
ergreifende Leidenſchaft, die ſo leicht erwacht, auf Grund der
Vorgeſchichte aber nur Unheil zu bringen vermag.
Was die Hauptfigur, Frau Inger, betrifft, ſo tritt hier
ſtark (am ſtärkſten jedoch in der älteſten Ausgabe des Stücks)
der bei Ibſen beſtändig wiederkehrende Glaube hervor, daß der
außerordentliche Menſch einen Beruf hat, zu deſſen Erfüllung er
geweiht iſt: nicht im Stich laſſen darf er dieſen Beruf; aber er
— XVI —
kann ihm auch nicht treu bleiben ohne große Opfer an Neigungen,
Gefühlen und Freuden, die er ohne ihn ſich und anderen
gönnen dürfte. Frau Inger iſt durch ihre Mutterliebe gehemmt.
Sie hat ſich an ihrem Beruf dadurch verſündigt, daß ſie einen
Sohn in die Welt ſetzte, deſſen Daſein ſie verbergen muß.
Man achte darauf, wie dieſer echt dichteriſche, halb religiöſe oder
theologiſche Glaube an den Beruf in den „Kronprätendenten“,
in „Brand“, „Peer Gynt“, „Kaiſer und Galiläer“, „Ein Volks-
feind“, „Rosmersholm“, „Baumeiſter Solneß“ u. ſ. w. wieder-
kehrt. Er hat wahrſcheinlich Ibſen ſelbſt die beſte Stütze ge—
währt in ſeinem Gemütsleben. Sehr bezeichnend hat der Dichter
in einer Eingabe an König Karl vom 15. April 1866 über
das, was ihm perſönlich als ſein Beruf vorſchwebte, ſich ſo
ausgedrückt: „Nicht um eine ſorgenfreie Exiſtenz kämpfe ich hier,
ſondern um das Lebenswerk, an das ich unerſchütterlich glaube,
und das, wie ich weiß, Gott mir auferlegt hat“.
*
Ibſen hat ſich in der Vorrede zur zweiten Ausgabe des
„Feſtes auf Solhaug“ jo ausführlich über die Entſtehungs—
geſchichte und erſte Aufnahme des Stückes ausgeſprochen (f.
S. 147 ff.), daß dem faſt nichts mehr hinzuzufügen iſt. Wer
überhaupt außer dem Autor kennt den Urſprung, die inneren
und äußeren Urſachen einer Schöpfung? Was kann ein anderer
darüber ſagen, das im Vergleich zu einer ehrlichen und gründ—
lichen Ausſage des Autors nicht höchſt unvollkommen wäre!
Es wäre nur aufs innigſte zu wünſchen, daß Ibſen uns
die Vorgeſchichte all ſeiner Arbeiten erzählte, wie er uns die
Geneſis dieſer einen erzählt hat. Allerdings iſt ſeine Darſtellung
wohl nicht ganz erſchöpfend. Dazu müßte er als Dichter und
Geiſt weniger zurückhaltend ſein, als er thatſächlich iſt. Er
ſtreift in ſeinem Vorwort nur ganz obenhin die Thatſache, daß
hinter den dichteriſchen Stimmungen und litterariſchen Vor—
bedingungen, aus denen dieſe Dichtung entſtanden iſt, perſönliche
Erlebniſſe lagen. Wo er von ſeinen Beweggründen ſpricht, ſtatt
— XVII —
der früher geplanten „Krieger auf Helgeland“ ein lyriſch—
romantiſches Schauſpiel zu ſchreiben, ſagt er ganz kurz: „Das
meiſte davon, und vermutlich das zunächſt und am ſtärkſten
Entſcheidende, war wohl perſönlicher Natur; aber ich glaube
doch, es war nicht ganz ohne Bedeutung, daß ich eben damals
Landſtads Sammlung „Norwegiſcher Volkslieder“ eingehend
ſtudierte.“
Das Perſönliche, von dem wir übrigens nichts erfahren,
war alſo die Hauptſache; man konnte es bereits aus dem Inhalt
des Stückes erraten, beſonders weil dies Thema in Ibſens
Jugenddichtung mehrmals variiert wird, am bedeutſamſten in
den zwei Jahre ſpäter erſchienenen „Kriegern auf Helgeland“.
Wo der perſönliche Keimpunkt liegt, muß ein Kritiker,
der darüber keine vertraulichen Mitteilungen vom Dichter
empfangen hat, ungeſagt ſein laſſen. Worauf er aufmerkſam
machen kann, iſt nur, daß das Stück ein Jugendwerk iſt; daß
es auf die Sinne wie Muſik jugendlicher Stimmungen wirkt,
und daß jugendliche Erlebniſſe dahinter ſtecken müſſen, von der
Art, wie die meiſten jungen, begabten Männer ſie durchmachen.
Hier findet ſich das junge, leidenſchaftliche Weib, das der Jüng—
ling einſt, da es noch ein halbes Kind war, kennen und lieben
gelernt hat, und dem er nun als der Frau eines andern wieder
begegnet; — dieſe Frau fühlt ſich in ihrer Ehe enttäuſcht und
lebt in Erinnerungen an den Freund ihrer Kindheit. Hier
findet ſich der Gegenſatz zwiſchen der heftig empfindenden, von
der Verzweiflung aufgewühlten, verführeriſchen und zum Ver—
brechen bereiten Frau auf der einen und dem ganz naiv und
hingebend liebenden Weibe auf der andern Seite. Die männliche
Hauptgeſtalt endlich iſt ein Dichter. Durch ſeine „Lieder“ hat
er ſich in Margits Herz geſungen, wie er ſich drei Jahre ſpäter
in Signes Seele hineinſingt. Und er iſt ein friedloſer Dichter,
— friedlos, wie Ibſen ſelbſt ſich gewiß lange gefühlt hat,
friedlos, wie es der heimatloſe Thorgjerd in „Olaf Liljekrans“
war. „Das Feſt auf Solhaug“ zeigt im Gedichte, wie das
Schickſal den jungen Ritter und Sänger aus dem Garn befreit,
II
— XVIII —
worin er durch die erſte Neigung ſich verſtrickt hat, die er in
dem Herzen eines Weibes weckte.
Hübſch abgerundet iſt die kleine Dichtung, — harmoniſch
und aus einem Guß; alle Einzelheiten ſind ſorgfältig motiviert,
jedes neue Ereignis bei ſeinem Eintritt pſychologiſch vorbereitet.
Mit der Sicherheit des gewandten Dramatikers ſtellt Ibſen die
Seelenqual, die Margit an den Rand des Verbrechens führt,
in wirkſamen Steigerungen dar. Die Dämonen, die ihr Gemüt
beherrſchen, ſtehen mit größter Deutlichkeit vor uns. Ueberhaupt
wirken die auftretenden Geſtalten alle wie durchſichtige Bilder
von Menſchen, wie Glasmalereien, warm in der Farbe, licht in
ihrer Klarheit, mit leicht hingeworfenen, aber hinreichenden
Konturen. Die am ſchärfſten charakteriſierte Geſtalt, Frau Margits
Gatte, der brave, dumme, kleinliche, taktloſe Ritter Bengt, iſt
die einzige von allen Figuren, die ein leicht komiſches Gepräge
trägt und ſich der Karikatur nähert. In ihm gewahrt man
ſchon das Urbild zu Jörgen Tesman in „Hedda Gabler“.
Die Form des Stückes iſt gemiſcht; Vers und Proſa
wechſeln geſchickt und ohne ſich irgendwie zu ſtören mit einander
ab. Von dem alltäglichſten Wortſtreit erhebt ſich der Dialog
bis zu lyriſchem Flug und hohem Schwung der Gefühle. Der
Schluß des zweiten Aktes mit ſeinem Gegenſatz zwiſchen dem
Lied, in dem Gudmund Margits Liebe zurückweiſt, und dem
Märchen, worin Margit das Leid ihrer verſchmähten Liebe
ſchildert, verrät den werdenden Meiſter der dramatiſchen Kontraſte
und des indirekten Ausdrucks von Gemütsbewegungen.
Alles in allem iſt „Das Feſt auf Solhaug“ von einem
jungen Romantiker gedichtet, der abſichtlich der Tragik ſeines
Themas die Spitze abgebrochen hat, um es lyriſch ſtill aus—
klingen zu laſſen; — indeſſen man fühlt ſelbſt dieſem Werke
gegenüber, daß in dem Dichter ein Tragiker wohnt, der erſt
an dem Tage groß wird, da unbarmherzige Wahrheitsliebe ihn
gegen jede wohlfeile Schlußharmonie gleichgültig macht.
* *
— XIX —
Wie das „Hünengrab“ den tiefen Eindruck wiederſpiegelt,
den die nordiſchen Tragödien Oehlenſchlägers auf Ibſens junges
Gemüt gemacht haben, ſo bezeugt „Olaf Liljekrans“ zu—
ſammen mit dem „Feſt auf Solhaug“, daß er bis zu ſeinem
dreißigſten Jahre in der mittelalterlichen Heldendichtung eine
Quelle ſah, woraus die neueren Dramatiker mit Vorteil
ſchöpfen könnten.
Das 1850 entworfene und auch ſogleich in Angriff ge—
nommene, aber erſt 1856 beendete Stück wurde zweimal, den
2. und 4. Januar 1857, am Bergener Theater aufgeführt.
Die ganze moderne däniſch-norwegiſche Dichtung war, ſo—
lange ſie nicht das zeitgenöſſiſche Leben abzuſpiegeln verſuchte,
auf drei litterariſche Quellen zurückzuführen, auf die isländiſche
Edda⸗ und Sagalitteratur, auf die Volkslieder und auf Holberg.
Henrik Ibſen iſt anfangs gleich den übrigen nordiſchen
Geiſtern von allen dreien beeinflußt worden. Keiner, dem die
nordiſchen Sprachen fremd ſind, kann den Zauber, den der Stil
und die Melodie der Volksweiſen auf den Nordländer ausüben,
im vollen Umfange verſtehen; ſie ſind mit ihren Tönen, die ſie
anſchlagen, ſo etwas wie unſer „Kuhreigen“. Die ſchönen Lieder
in „Des Knaben Wunderhorn“ haben vielleicht eine ähnliche Macht
auf deutſche Gemüter ausgeübt; aber es iſt meines Wiſſens noch
keinem deutſchen Dichter gelungen, ein dramatiſches Versmaß
zu ſchaffen, in dem ſich von all dem reichen Klang und ſtarken,
ſatten Duft jener mittelalterlichen Volksweiſen das Beſte erhalten
hätte. Warum hat Henrik Hertzens „Svend Dyrings Haus“
ſeinerzeit ſoviel Aufſehen gemacht und ſo tief gewirkt? Deshalb,
weil hier zum erſten Mal die Aufgabe gelöſt war, ein dem Vers—
maß der Heldenlieder verwandtes Metrum zu ſchaffen; dieſes
Metrum ſollte eine ebenſo große Beweglichkeit wie der Vers des
Nibelungenliedes und eine dramatiſche Verwendbarkeit beſitzen,
die nicht hinter der des fünffüßigen Jambus zurückſtand.
Henrik Ibſen hat freilich mit Recht dargethan, daß „Svend
Dyrings Haus“, was das gegenſeitige Verhältnis der Haupt—
geſtalten betrifft, Kleiſts „Käthchen von Heilbronn“ mehr ver—
II*
5
danke als ſein „Feſt auf Solhaug“ dem Schauſpiel von Hertz.
Aber es bleibt für „das Feſt auf Solhaug“ ſowie für „Olaf
Liljekrans“ hinſichtlich der Versſtellen im Dialoge die An-
wendung des Tones und Stiles der Heldenlieder beſtehen, wozu
Hertz ein geniales Beiſpiel gegeben hatte. Es ſcheint mir, daß
Ibſens Bedeutung keineswegs verringert wird, wenn man hier
auf Hertz als ſein urſprüngliches Vorbild hinweiſt. Von einem oder
dem andern muß ja ſelbſt der Größte einmal gelernt haben.
Das Schauſpiel „Olaf Liljekrans“ iſt hauptſächlich dadurch
ſo intereſſant, daß es von der Stärke der Ibſenſchen Begeiſterung
für den Geiſt und Ton der Heldenlieder Zeugnis ablegt,
während es gleichzeitig an einzelnen Stellen die inſtinktive
Skepſis des Dichters gegenüber der Welt der Romantik verrät,
in der ihn die Tradition noch mit Zauberbanden feſthält. Er
hat hier verſchiedene romantiſche Elemente mit einander ver—
ſchmolzen, — erſtens das Heldenlied vom Herrn Olaf, den das
Elfenmädchen, gerade als er auf die Brautfahrt ausgeritten
it, zu ſich lockt, eine der ſchönſten und beliebteſten mittel-
alterlichen Weiſen, unter anderm die Grundlage zu Heibergs
däniſchem Nationalſchauſpiel „Elfenhügel“ und zu einem der
berühmteſten Werke Gades: „Erlkönigs Tochter“; und zweitens
die Erzählung von dem jungen Mädchen („Das Schneehuhn im
Juſtethal“ lautete der urſprüngliche Titel von „Olaf Liljekrans“),
das zur Zeit des ſchwarzen Todes allein in dem Thal am Leben
blieb und dort einſam und ſcheu wie ein Schneehuhn lebte, bis
es gefunden und erzogen wurde und ſich glücklich verheiratete.
Der ſprachliche Ton in dieſer Dichtung iſt wie in den
urſprünglichen Faſſungen aller Ibſenſchen Jugendarbeiten, rein
däniſch; es kommen im ganzen Werke kaum ein Dutzend nor—
wegiſcher Wörter und nicht eine einzige undäniſche Wendung
vor, was den Eindruck beſtärkt, daß man hier einen Jünger
der däniſchen Dichterſchule vor ſich hat. Die Verſe ſind hübſch
und fließend, ohne ausgeprägte Eigenart. Der Wert des Stückes
als eines Schauſpieles iſt nicht groß. Der Titelheld, Ritter
Olaf, ſteht in einem durch und durch jugendlichen und recht kläglichen
BERND
Abhängigkeitsverhältnis zu ſeiner Mutter, deſſen natürliche Folge
eine völlige Unentſchloſſenheit iſt. Aus dieſer Energieloſigkeit
des Helden und aus einer bei dem Anfänger Ibſen hervor—
tretenden Neigung heraus, Verwicklungen durch Mißverſtändniſſe
und Irrtümer hervorzurufen, wird nun der Knoten rein äußerlich
derart geſchürzt, daß die Heldin Alfhild, als Braut geſchmückt,
in dem feſten Glauben auftritt, ſie ſolle ihren Geliebten heiraten,
ohne daß dieſer ſie über ſeine kleinmütige Rückkehr zu ſeiner
früheren Verlobten aufgeklärt hat, mit der er am ſelben
Abend getraut werden ſoll. So tritt eine Kataſtrophe ein, die
Alfhild zu dem halb wahnwitzigen Verſuch der Mordbrennerei
und darauf zur Flucht treibt; nachdem dann noch der Brand—
ſtifterin Untergang und Todesſtrafe gedroht haben, löſt alles
ſich in Harmonie auf, und zwei Paare werden ehelich verbunden.
Weit bedeutungsvoller aber als durch ihre Romantik iſt
für uns heute dieſe Jugenddichtung dadurch geworden, daß
ſich bereits jene Elemente darin finden, die über ſie hinaus
ſchon auf den zukünftigen, ſcharf ſatiriſchen oder bitter peſſi—
miſtiſchen Charakter der ibſenſchen Poeſie hindeuten. Man
begegnet in den beiden letzten Akten verſchiedenen Beſtandteilen
dieſer Art.
Alfhild iſt die Tochter des im Gebirge lebenden Sängers
und Spielmanns Thorgjerd, der ihr von Kindheit auf ſeine
dichteriſch verſchönernde Auffaſſung vom Leben und beſonders
vom Tod in die Seele gepflanzt hat. Er hat ihr den Tod immer
nur als einen Lichtelf geſchildert, der den Sorgenden und
Leidenden von Kummer befreit, ihm ein Bett aus Lilien und
Roſen bereitet und ihn endlich auf dieſem Blumenlager zum
Himmel trägt, wo er in Freude und Herrlichkeit weiter lebt.
Schon im zweiten Akt wird dieſe ihre Vorſtellung vom Tode
durch den Anblick eines Begräbniſſes und des mit ihm ver—
bundenen Jammers vernichtet; und ſtill und ſinnend bemerkt ſie
nach einer Pauſe:
„So war's in des Vaters Liede nicht!“
FI
In der Art, wie hier die Wirklichkeit dem Phantaſieleben
gegenübergeſtellt iſt, liegt etwas, was den „Peer Gynt“ voraus-
ahnen läßt. Ueberhaupt bieten die romantiſch-lyriſchen Stellen
bisweilen etwas in der Haltung und dem Schwung der Verſe,
was ſozuſagen dem Stil vorgreift, in dem „Peer Gynt“ als
Jüngling ſeine Dichterträume und Truggeſichte entfaltet. Das
Folgende erinnert ganz an den Dialog der Scene, da Peer
Gynt den Dovrealten beſucht:
„Wohl wahr! Von den Freuden dort oben im Licht
Ward keinem auf Erden Bericht. —
Weißt Du von Bergkönigs Schatz, der in Pracht
Leuchtet wie rotes Gold durch die Nacht?
Doch greifſt Du danach mit gieriger Hand,
So findeſt Du eitel Schutt und Sand. —
O höre mich, Alfhild: es mag wohl ſein,
Daß auch das Leben von gleicher Art —
Komm' nicht zu nah' ihm, hüte Dich fein!
Es möchte Dir ſengen die Finger zart!
Wohl glänzt es blank wie des Himmels Sterne —
Doch nur, wenn Dein Aug' es ſieht aus der Ferne.“
Noch bezeichnender iſt im dritten Akt die Stelle, wo
Ingeborg und Hemming aus dem Dorfe geflohen ſind — ſie, um
nicht mit Olaf, er, um nicht mit Alfhild eine verhaßte Ehe
eingehen zu müſſen, und wo nun die beiden verſuchen, ſich oben
im Gebirge idylliſch einzurichten. Genügſam wollen ſie von
Wild und Fiſchen leben. Da ſtellt es ſich heraus, daß Hemming
nicht Bogen noch Angelgerät hat, und daß Ingeborg ſich nicht ſtark
genug fühlt, auf ihre Mägde, auf anderer Menſchen Geſellſchaft,
auf Spiel und Tanz zu verzichten. Keines von ihnen kann
ohne die ſoeben verlaſſene Geſellſchaft exiſtieren. Keines von
ihnen vermag auch nur den erſten Tag jene unüberwindliche
und tragende Kraft der Liebe vorauszuahnen, die ſie alle Ent—
behrungen vergeſſen laſſen könnte. Hier liegt ein Moment, eine
— XXIII —
Situation vor, die der Falks und Svanhilds in der „Komödie
der Liebe“ vorgreift, wenn man ſich an die Stelle erinnert,
wo Guldſtad die Bedeutung der praktiſchen Güter und des
irdiſchen Wohlbehagens Svanhild nachgewieſen hat.
Höchſt wahrſcheinlich ſind die angeführten Stellen in dem
urſprünglichen Entwurf nicht geplant geweſen, ſondern erſt
1856 eingefügt worden.
Echt ibſenſch iſt in dem Stück die letzte Rede des Spiel—
manns Thorgjerd. Hier zittert ein Ton durch, den ſpäter der
Dichter mehr als einmal in ſeinen Werken anſchlägt, nämlich ſo
oft er die Heimatloſigkeit und Unraſt ſchildert, die ſein ver—
hängnisvoller Beruf zur Folge hat:
„Ein Spielmann hat weder Heim noch Haus,
Sein Sinn geht raſtlos ins Weite hinaus.
Wem da von Liedern die Bruſt geſchwellt,
Des Heimat iſt rings die weite Welt.
Im Laubſaal, im Thal, am grünenden Hang
Muß er rühren die bebenden Saiten zum Sang;
Dem heimlichſten Leben muß er lauſchen:
Des Gießbachs Toſen, der Woge Rauſchen,
Des pochenden Herzens ſeltſamen Mären;
Sein Lied muß des Volkes Träume klären
Und all die Gedanken, die gären!“
Olaf Liljekrans iſt bisher noch nicht gedruckt geweſen,
nicht einmal in der Urſprache. Das Drama iſt nach der
einzig exiſtierenden Handſchrift überſetzt, derſelben, die vor ein—
undvierzig Jahren der Aufführung auf dem Bergener Theater
zu Grunde gelegen hat. Es gefiel der dortigen Kritik nicht
beſonders und hat wohl auch kaum den Dichter ſelbſt recht
befriedigt, da er niemals irgendwie den Verſuch gemacht hat, es
durch den Druck zu veröffentlichen.
Jetzt aber, da jedes Stadium ſeiner Entwicklung intereſſant
geworden iſt, bietet das alte Schauſpiel ein nicht geringes
—. N
hiſtoriſches und pſychologiſches Intereſſe. Wie der „Catilina“
den Ausgangspunkt für das Revolutionäre in Henrik Ibſen
bezeichnet, ſo weiſt „Olaf Liljekrans“ auf die Stelle hin, wo
der Romantiker in ihm entſprang; zugleich aber deutet dieſe
Dichtung an, wie ihm in ſeiner Seele die erſten Zweifelsfragen
gegen jene Romantik aufſtiegen, die über jede Erfahrung und
alle Wirklichkeit ſich hinwegſetzte.
Georg Brandes.
Das Hünengrab
Dramatiſches Gedicht in einem Akt
Ibſen, Das Hünengrab. ’
Geſchützt auf Grund der Geſetze und Verträge.
Den Bühnen gegenüber Manujkript.
9 ä
Perflonen.
Roderik, ein alter Einfiedler.
lanka, ſeine Pflegetochter.
Gandalf, norwegiſcher Seekönig.
Asgaut, ein alter Wiking.
Hrolloug
Joſtein
Hemming, ein junger Skalde in Gandalfs Dienſten.
Wikinger.
Mehrere Wikinger.
Die Handlung ſpielt auf einer kleinen Inſel bei Sicilien, kurz vor der
Einführung des Chriſtentums in Norwegen.
Sprich: Rollaug.]
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Ein offener, von Bäumen umgebener Platz, nahe dem Strande. Links im Hinter:
grunde die Ruine eines antiken Tempels. In der Mitte der Scene erhebt fi
ein großer Hünenhügel mit einem Bautaſtein, der mit Blumenkränzen um—
wunden iſt.
1. Scene.
NRoderik ſitzt rechts und ſchreibt. Zur Linken Blanka in halb liegender Stellung.
Blanka.
Letzte Abendgluten wogen
Purpurn wie ein Meer in Brand, —
Es iſt tempelſtill am Strand,
Still wie unter Laubenbogen.
Friedevolle Sommernacht
Senkt ſich nieder taubenſacht,
Schwebt gleichwie auf Schwansgefieder
Ueber Wald und Waſſer nieder.
Götter aus der Vorzeit Tagen
Schlummern im Orangenhaine,
Zeugen, hoch in Marmorſteine,
Von verſunkner Welt der Sagen:
Treue, Kühnheit, hohes Streben
Stehn verſteinert, todesmüd —
.
Kann für den verſunknen Süd
Es ein beſſer Gleichnis geben?
Erhebt ſich.
Doch der Vater ſagt: ein Land
Gäb' es über blauen Wellen,
Dort ſoll üppig Leben quellen,
Nicht in kalten Stein gebannt.
Hier entſchwand das Heldenleben,
Ausgezehrt im tiefſten Mark —
Dort wird's herrlich ſich erheben,
Friſch und keck und rieſenſtark!
Und wenn in des Abends Schweigen
Mir die Bruſt in Sehnen ſchwillt,
Sieht empor mein Auge ſteigen
Nordlands lichtes Schneegefild. —
Hier verwitternde Ruinen,
Schwüle, die beklommen macht, —
Dort verheerende Lawinen,
Frühlingstag nach Winternacht.
Hätt' ich flücht'ge Schwanenſchwingen,
Noderik nach einer Pauſe, ſchreibend.
„Und dann verſöhnt die Götterdämmrung,“ heißt es,
„Die wilden Kräfte, läutert alles Leben.
Allvater, Balder und die milde Freja,
Sie ſchirmen friedlich wieder Askurs Stamm.“
Nachdem er einen Augenblick Blanka betrachtet.
och, Blanka — ei, ſchon wiederum in Träumen?
u ſtarrſt gedankenvoll hinauf zum Himmel —
Was ſuchſt Du da?
2
D
—
55
Blanka nähert ſich ihm. Vergieb mir, guter Vater!
Ich folgt' ein Stückchen nur dem Schwan dort oben,
Der übers Meer ſich ſchwang auf weißem Fittich.
Roderik. Und hätt' ich jählings nicht, mein junger Schwan,
In Deinem hohen Fluge Dich gehemmt —
Wer weiß, wie weit Du mitgezogen! Wohl
Fern bis nach Thule?
Blanka. Und warum auch nicht?
Dorthin ja fliegt der Schwan zur Frühlingszeit
Und kehrt doch jeden Herbſt zu uns zurück.
Setzt ſich zu Roderiks Füßen.
Doch gleich' ich nicht dem Schwan. O, nenn' mich lieber
Einen gefangnen Falken, der gezähmt,
Mit gold'nem Ring gefeſſelt.
Roderik. Und der Ring?
Blanka. Iſt Blankas treue Liebe zu dem Vater —
Die hält gebunden Deinen jungen Falken:
Nicht fliehen kann er, ſelbſt wenn er es wollte!
Erhebt ſich.
Doch ſiehſt Du, wenn die Schwäne fernhin gleiten
Schnell über Wogen wie im Wind die Wolke,
Dann kommt mir in den Sinn, was Du erzählt
Vom Heldenleben dort im fernen Thule.
Da dünkt der Vogel mich ein ſtolzes Schiff
Mit Drachenhaupt und weiten, güldnen Schwingen;
Am Steuer ſeh' ich einen jungen Helden,
Den Kupferhelm im lichten Lockenhaar,
Mit blauen Augen, hoch die Bruſt gewölbt,
Das Schwert umklammernd mit der ſtarken Rechten —
Ich folg' ihm nach auf ſeiner raſchen Fahrt,
Und meine Träume ſchwimmen um das Schiff
Pa
Und tummeln, ausgelaſſen wie Delphine,
Sich in der Phantaſie bewegten Wellen.
Roderik. Ja, eine Schwärm'rin biſt Du wohl mein Kind!
Faſt fürcht' ich, allzu oft weilt Dein Gedanke
Bei jenem Kriegervolk im hohen Norden.
Blanka. Und wär' es ſo — wes iſt die Schuld, mein Vater?
Boderik.
So meinſt Du, daß ich ſelbſt — ?
Blanka. Fürwahr, wer ſonſt?
Denkſt Du doch ſtetig Deiner Jugendzeit,
Da ſelbſt Du weilteſt unter Nordlands Helden.
Und Vater, leugn' es nicht: So oft Du kündeſt
Von wildem Waffenſpiel, von Kampf und Strauß —
Da flammt Dein Auge, Deine Wange glüht,
Und wieder jung geworden ſcheinſt Du mir.
Roderik. Wohl wahr! Doch ſag', wie ſollt' es anders ſein? —
Lebt' ich doch einſt in jener Tapfern Mitte;
Und was Erinnrung mir von ihnen flüſtert,
Iſt wie ein Blatt aus meiner eignen Sage.
Du aber, aufgewachſen hier im Süden,
Die nie Du ſahſt die blauen Schneegefilde,
Die nie den Klang des Schlachthorns Du vernommen —
Wie kann, was ich erzähle, ſo Dich bannen?
Blanka. O, ſag', bedarf der Menſch denn, um die Dinge
Zu hören und zu ſehn, der äußern Sinne?
Ward Auge nicht und Ohr auch unſrer Seele,
Damit fie lauſchen kann und klar erſpähn? —
Mit meines Leibes Augen ſeh' ich wohl
Die Farbenſchöne, die der Roſe eigen;
Doch ſieht der Seele Blick in ihrem Kelch
Ein reizend Elfenkind mit Falterflügeln, —
Das birgt ſich ſchelmiſch in den roten Blättern,
ER
Und fröhlich ſummt's von einer Himmelsmacht,
Die Duft und Farbenglut der Blume ſchenkte.
Roderik. Du haſt wohl recht, mein Kind!
Blanka. Faſt möcht' ich glauben:
Das, was ich nicht mit eignen Augen ſah,
Steh' deſto ſchöner vor dem innern Sinn.
So, Vater, mein' ich, iſt es auch mit Dir.
Die alten Götterſagen, Heldenweiſen,
Die kündeſt Du von neuem ſtets mit Luſt
Und ritzeſt ſie auf Pergament in Runen.
Doch frag' ich Dich nach Deinem eignen Leben
Im Nord da droben — düſter wird Dein Blick,
Dein Mund verſtummt — und oftmal dünkt es mich,
Als ob Erinnrung Dir die Bruſt belaſte.
Roderik erhebt ſich. O, mahne mich nicht da ran, gutes Kind!
Wo iſt der Mann, in des Erinnrung nicht
Manch herbes Weh ſich in die Freude miſchte? —
Du weißt, ein wild Geſchlecht ſind die Normannen —
Blanka. Und ſind des Südens Krieger mildern Sinns? —
Vergaßeſt jener Nacht Du vor zehn Jahren,
Da hier am Strand die Fremdlinge gelandet
Mit Mord und Brand?
Roderik in ſichtlicher unruhe. Genug! Wir wollen gehn!
Die Sonne neigt ſich, — komm jetzt, komm, mein Kind!
Blanka indem ſie gehen.
Gieb mir die Hand. Hält inne.
Doch halt!
Boderik. Was haft Du, Blanka?
Blanka. Zum erſten Mal iſt's heut, daß ich vergaß —
Boderik. Daß Du vergaßeſt?
Blanka auf den Hügel deutend. Sieh den Kranz am Steine!
Boderik. Das iſt —
5
Blanka. Der alte welke noch von geſtern.
Ich hab' verſäumt, heut Abend ihn zu wechſeln.
Doch — laß mich erſt zur Hütte Dich geleiten!
Alsdann kehr' ich zurück zur Blumenleſe:
Die Veilchen duften ſtärker nie, als wann
Des Nachttaus Schimmerperlen feucht ſie ſäumen,
Und Roſenknospen ſind am ſchönſten dann,
Wenn du ſie pflückſt, indes ſie kindlich träumen.
Sie gehen rechts ab nach dem Hintergrund.
2. Scene.
Gandalf und die Wikinger kommen von rechts.
Asgaut. Nun ſind wir bald zur Stelle.
Gandalf. Wo? Laß ſehn!
Asgaut. Nur noch Geduld! Erſt dort iſt's hinterm Walde!
Am Klippenhange, nach dem Meer hin, ſtand
Ein Reſt der Mauer, als wir fortgezogen —
Der ſteht wohl noch am Platze, ſollt' ich denken.
Joſtein. Doch ſag', Gebieter, wozu ſoll es frommen,
Daß wir wie Narren hier die Bucht durchſtreifen?
Hrolloug. Ja, ſag', was wir hier ſollen?
Gandalf. Schweigen ſollt Ihr!
Und blindlings thun, was Euer Herr befiehlt!
Zu Asgaut.
Doch faſt bedünkt es mich, als hättet Ihr
Zu gründlich aufgeräumt das letzte Mal.
Ihr hättet etwas übrig laſſen können
Für mich und meine Rache!
Hrolloug. Unſer König
Biſt Du, dem auf dem Thing wir Treue ſchwuren;
Doch, als zum Wikingszuge wir Dir folgten,
Geſchah's, um Ruhm und Ehre zu erwerben.
ER
Joſtein. Und Gold und Schätze, Hrolloug! Gold und Schätze!
Mehrere. So, Gandalf, iſt's Geſetz! Das merke wohl!
Gandalf. Ich kenne das Geſetz ſo gut wie Ihr! —
Doch war es nicht von altersher ſo Brauch
Bei uns und Sitte: wenn ein Anverwandter
Von Feindeshänden fiel und unbeerdigt
Im Feld ſein Leichnam lag, ein Fraß für Raben —
Blutrache zu vollziehn?
Einige. Fürwahr, ſo iſt's!
Gandalf. So haltet Euch bereit mit Schwert und Schild:
Den Herrn habt Ihr, den Vater ich zu rächen!
Bewegung unter den Wikingern.
Joſtein. Den Herrn?
Hrolloug. Den Vater?
Gandalf. Wohl, Ihr ſollt vernehmen,
Was hier geſchah! — Ihr wißt, mein Vater war
Ein kühner Wiking. Vor zwölf Jahren war's,
Daß er zum letzten Male ſtach in See
Mit Asgaut und den alten Kampfgenoſſen.
Zwei Jahre ging's von Strand zu Strand, — er kam
Nach Brittland, Welſchland, ſelbſt in's Mohrenland.
Zuletzt war auf Sicilien er gelandet;
Da ward von einem Häuptling ihm die Kunde,
Der hier auf dieſem kleinen Eiland wohne
In einem Schloß, auf ſtarken Fels gebaut,
Das manchen Schatz in ſeinen Mauern hüte. —
Zur Nachtzeit landet' er am Meeresufer
Und nahm die Burg mit Schwert und Feuer ein.
Kühn ſtritt voran er wie ein wilder Bär,
Und in der Kampfeswut gewahrt' er nicht,
Wie alle ſeine Mannen um ihn ſanken.
Als nun der erſte Strahl im Oſten tagte,
Da lag die ganze Burg in Schutt und Rauch.
Nur Asgaut hier mit Wen'gen blieb am Leben.
Mein Vater und wohl Hunderte mit ihm,
Sie ritten durch die Flammen ein nach Walhall.
Asgaut. Die Segel hißt' ich hoch und wandte nordwärts
Des Schiffleins Kiel und fuhr der Heimat zu.
Dort forſcht' ich rings nach Gandalf, doch vergeblich:
Der junge Aar war übers Meer geflogen,
dach Island, hieß es, oder nach Faerö.
Ohn' Raſt zog ich ihm nach, — ich fand ihn nicht.
Doch war ſein Name kund, ſo weit ich fuhr:
Flog auch ſein Schiff wie vor dem Sturm die Wolke,
So flog ſein Ruf doch auf noch beſſern Schwingen.
Im Sommer endlich trafen wir zuſammen —
In Welſchland war's. Ich kündete dem König,
Was hier geſchehn und wie ſein Vater fiel —
Und Gandalf ſchwor bei allen Göttern Walhalls,
Mit Feu'r und Schwert Blutrache hier zu nehmen.
Joſtein. So will's ein alter Brauch, und der ſoll gelten!
Doch wär' ich ſelbſt an König Gandalfs Stelle,
So wär' ich, traun! in Welſchland wohl geblieben —
Denn dort iſt Gold zu holen —
Hrolloug. Und auch Ruhm!
Gandalf. So haltet Ihr dem toten Herrn die Treue?
Joſtein. Nur ruhig Blut! Ich meinte bloß: der Tote
Könnt' wohl noch warten.
Asgaut mit unterdrückter Erbitterung.
Du entartet Volk!
Joſtein. Doch da wir einmal hier —
Hrolloug. Laßt uns dem König
Ein würdiges Gedächtnismal errichten!
Einige. Ja, ja!
— a
Andre. Mit Brand und Blut!
Asgaut. Recht ſo, Gefährten!
Gandalf. Und nun laßt rings die Inſel uns durchſpähn —
Die Rache ſei vollſtreckt, noch eh' es tagt!
Wenn nicht, ſo fall' ich ſelbſt!
Asgaut. Das ſchwor er zu.
Gandalf. Das ſchwor ich zu bei Walhalls hohen Göttern!
Und nochmals ſchwör' ich's
Hemming eine Harfe über der Schulter, hat ſich inzwiſchen durch die
N Krieger hindurch Gandalf genähert und ruft flehend:
Gandalf, ſchwöre nicht!
Gandalf. Sag, Burſch, was iſt Dir?
Hemming. Schwör' nicht hier im Walde!
Nicht können unſre Götter hier Dich hören.
An Deines Schiffes Bord, auf unſern Bergen —
Da dringt Dein Schwur zu ihnen, doch nicht hier!
Asgaut.
Biſt auch erkrankt ſchon von des Südens Peſthauch? —
Hemming. In Welſchland kündeten die frommen Prieſter
Mir holde Botſchaft von dem weißen Chriſt —
Und was ſie ſagten, ſchwebt bei Tag und Nacht
Vor meinem Sinn und will nicht wieder weichen.
Gandalf. Ich nahm Dich mit mir, weil als Knabe ſchon
Du reiche Skaldengaben offenbarteſt.
Du ſollteſt meine kühnen Fahrten ſchaun;
Und einſt, wenn König Gandalf ſäß' als Greis
Am Eichentiſch inmitten ſeiner Kämpen:
Dann als mein Skalde ſollteſt Du mir kürzen
Die lange Winternacht durch Heldenweiſen,
Und endlich ſingen Deines Königs Heimgang.
Das Denkmal, von des Skalden Sang errichtet,
Iſt ja der ſchönſte Bautaſtein des Helden! —
Geh' denn! zerſchlag' die Harfe! Mumm' Dich ein
In eines Mönches Kutte, wenn Dich's lüſtet!
Haha! Ein würd'ger Sänger König Gandalfs!
Die Wikinger gehen ab nach dem Walde links; Hemming folgt ihnen
Asgaut. ss ijt eine dumpfe Zeit, in der wir leben!
Zu Ende geht es mit dem alten Glauben
Und unſern Sitten aus der Väter Tagen.
Heil mir! Mein Nacken iſt gebeugt vom Alter;
Nicht ſchaut mein Auge mehr des Nordens Fall.
Doch, König Gandalf, jung und ſtark biſt Du;
Und wo Du fürder magſt ins Weite fahren,
Bleib eingedenk: Dem König kommt es zu,
Dem Volk die Götter und die Kraft zu wahren!
Er folgt den anderen Wikingern.
Gandalf nach einer Pauſe.
Er hat kein freudiges Vertraun zu mir!
Gut, daß er ging! Es liegt wie eine Laſt
Mir auf den Schultern, weilt er in der Nähe.
Der ſteinerne Geſell mit barſchen Zügen
Gleicht Aſathor, der, in Granit gehaun,
Mit wucht'gem Hammer ſtand und Stärkegürtel
Im Opferhain bei meines Vaters Hof. . ..
Bei meines Vaters Hof! Wer weiß, wie jetzt
Es droben ausſieht auf der alten Scholle!
In Feld und Wald blieb Alles wohl beim Alten —
Doch in des Volkes Bruſt? Schlägt's da wie ſonſt?
Nein, Meltau fiel hernieder auf die Zeit;
Der iſt's, der an des Nordens Kräften ſaugt
Und giftig zehrt an unſern beſten Blumen — —
Heim will ich ziehn: Zu retten, was da noch
Zu retten iſt, eh' alles ſtürzt zuſammen! —
Nach einer Pauſe, indem er um ſich blickt.
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Wie lieblich iſt es in des Südens Hainen;
Nicht duftet unſer Tannenwald ſo ſtark.
Er bemerkt den Grabhügel.
Doch ſieh! Ein Hünengrab! Darunter ſchläft
Ein Landsmann wohl aus alten, friſchen Tagen. —
Ein Hünengrab im Süd! — Wohl, ſo iſt's billig:
Gab doch der Süden uns die Todeswunde! — —
Wie ſchön iſt's hier! In der Erinnrung taucht
Mir jener Abend auf, da ich als Knabe
Saß auf des Vaters Knie beim Schein des Herds,
Indes von unſern Göttern er erzählte:
Von Odin, Balder und dem ſtarken Thor.
Und als ich ihn befrug um Frejas Hain,
Beſchrieb er ihn ſo ſchön wie dieſen Wald;
Doch, als von Freja ſelbſt ich wiſſen wollte,
Wie ſie wohl ausſäh', lächelte der Alte,
Setzt' auf den Boden mich und gab zur Antwort:
„Das wird dereinſt ein Weib Dich lehren, Kind.“
Lauſcht.
Horch! Schritte dort im Walde! Ruhig, Gandalf!
Sie bringen Dir den Erſtling Deiner Rache!
Er tritt beiſeite, ſo daß er hinter den Büſchen rechts halb verborgen bleibt.
3. Scene.
Blanka mit Eichenlaub im Haar, einen Korb mit Blumen tragend, kommt
von rechts.
Blanka ſetzt ſich links nieder und beginnt einen Blumenkranz zu winden.
Es rieſeln Quellen in den grünen Thälern,
Es rauſchen klare Wogen an den Strand;
Doch nicht der Quelle Laut, der Wogen Stimme
Uebt ſolche Macht auf mich wie jene Blumen,
Die, ſchweſterlich umſchlungen, Bruſt an Bruſt,
In dichter Schar am Kämpengrabe ſproſſen.
3
Sie locken mich hinaus bei Tag und Nacht:
Hier iſt es gut, zu weilen und zu träumen.
Sieh, fertig iſt der Kranz nun, um den Grabſtein,
Des Helden hartes Bette, weich zu decken. —
Schau nur, wie ſchön!
Auf den Hügel deutend.
Ein hingegangen Leben,
Mit Heldenkräften, tief im Grabe ruhend —
Und das Gedächtnismal, das noch der Nachwelt
Davon erzählt: ein nackter Hünenſtein!
Da kommt die Kunſt; zum Kranze pflückt ſie Blumen
Mit güt'ger Hand vom Buſen der Natur
Und deckt den rauhen Grabſtein der Erinnrung
Mit weißen Lilien, mit Vergißmeinnicht.
Sie ſteigt den Hügel hinan, hängt den Kranz um den Bautaſtein und ſagt nach
einer Pauſe:
Nun ſchwingt ſich wieder meiner Träume Schar,
Zugvögeln gleich, fort über Meereswogen.
Es zieht mich hin, wo meine Sehnſucht weilt,
Und willig folg' ich der verborgnen Macht,
Die ihren Herrſcherthron hat in der Seele.
Ich ſteh' im Norden, eines Kämpen Braut,
Und ſpähe, gleich dem Aar, von felſ'ger Zinne.
Dort taucht es auf, das Schiff, auf blanker Flut!
O, ſauſ' im Möwenflug zum Heimatſtrand.
Ich bin ein Kind des Südens, kann nicht warten!
Den Eichenkranz reiß' ich aus meinem Haar:
Nimm ihn, mein Held! Es ſei der zweite Bote,
Der Dich begrüßt — mein Sehnen war der erſte!
Sie nimmt den Kranz vom Haupt und wirft ihn von ſich. Gandalf it vor⸗
getreten und fängt ihn auf.
Wie? Steht dort nicht —
Sie reibt ſich die Augen und ſtarrt ihn verwundert an.
en
Nein, nein! Es iſt kein Traum! —
Wer biſt Du, Fremdling? Und was ſuchſt Du hier
An unſerm Strand?
Gandalf. Komm erſt herab vom Hügel,
So will ich mit Dir ſprechen.
Blanka ſteigt herab. Sieh, da bin ich!
Beiſeite, indem ſie ihn betrachtet.
Die Bruſt im Panzer — mit dem Kupferhelme —
Ganz ſo, wie mir der Vater oft erzählt!
Laut.
Nimm ab den Helm!
Gandalf. Warum?
Blanka. So thu's, ich bitte!
Beiſeite.
Zwei klare Augen, Locken wie ein Kornfeld —
Ganz wie ich ihn in meinem Traume ſah!
Gandalf. Wer biſt Du, Weib?
Blanka. Ich? nur ein armes Ding.
Gandalf. Doch wohl die Schönſte, die dies Eiland hegt.
Blanka lachend.
Die Schönſte? — Ei, fürwahr, das mag wohl ſein —
Denn hier iſt niemand ſonſt.
Gandalf. Sonſt niemand, ſagſt Du?
Blanka. Nur noch mein Vater; doch der iſt bejahrt,
Und einen Bart hat er, lang, ſilbergrau —
Da dünkt mich doch, daß ich den Preis gewinne!
Gandalf. Du ſcheinſt mir heitern Sinnes.
Blanka. O, nicht immer!
Gandalf. Doch ſage mir, wie iſt es zugegangen,
Daß Du allein hier lebſt mit Deinem Vater?
Und gleichwohl hört' ich als gewiß berichten,
Die kleine Inſel hier ſei reich bebaut.
Ibſen, Das Hünengrab.
1
Blanka. So war es auch einmal — zehn Jahr iſt's her —
O, das iſt eine traurige Geſchichte!
Doch ſollſt Du ſie erfahren, wenn Du willſt.
Gandalf. Jawohl, das will ich!
Blanka. Hör' denn — vor zehn Jahren —
Setzt ſich.
Doch ſetze Dich!
Gandalf tritt einen Schritt zurück.
Nein, ſitz' nur Du! Ich ſtehe.
Blanka. Zehn Jahr' iſt's nun, daß ein bewaffnet Volk
Von Räubern zu uns kam — weiß nicht, von wannen!
Sie plünderten ringsum, wohin ſie zogen,
Und was ſie lebend fanden, ward erſchlagen.
Nur Wen'ge könnten durch die Flucht ſich retten —
Sie ſuchten Schutz in meines Vaters Burg,
Die auf der Klippe ragte nah' dem Meer.
Gandalf. Wie? Deines Vaters Burg, ſagſt Du?
Blanka. So iſt's. —
Ein düſtrer Abend war's, als wider die Mauer
Die fremden Krieger ſtürmten, in den Hof
Durchs Burgthor drangen, alles niederſtreckend.
Voll Angſt floh ich hinaus ins nächt'ge Dunkel,
Und ſucht' mir ein Verſteck im Waldesinnern.
Da ſah die Heimſtatt ich in Flammen aufgehn;
Ich hörte Schilderklirren, Todesſeufzer.
Dann ward es ſtill — lag alles doch erſchlagen!
Da zog die wilde Schar hinab zum Strand
Und fuhr davon. Am nächſten Morgen ſaß ich
Vor rauchenden Ruinen auf der Klippe.
Ich war die einz'ge, die der Feind verſchont!
Gandalf. Du ſagteſt eben doch, Dein Vater lebe —
EMO:
Blanka. Mein Pflegevater. Hör’ mich erſt zu Ende!
Ich ſaß auf nackter Klippe, angſtbeklommen,
Und lauſchte bang der grauenvollen Stille.
Da plötzlich war's, als ob zu meinen Füßen
Tief aus der Klippe Spalt ein Seufzer dränge.
Ich horchte bang — zuletzt ſtieg ich hinab
Und fand dort einen Fremdling, bleich und blutend.
Sacht naht' ich mich, ſo furchtſam ich auch war, —
Verband die Wunde, pflegt' ihn —
Gandalf. tun — und er?
Blanka. Erzählte, als er mählich ſich erholt:
Er ſei gelandet an der Inſel hier
Mit einem Kauffahrteiſchiff, grad' am Tage
Der Plünderung, ſei auf die Burg geflüchtet
Und habe kühn die Räuberſchar bekämpft,
Bis er, verwundet und erſchöpft zum Tode,
Tief in die Kluft geſtürzt, wo ich ihn fand.
Seit jenem Tage leben wir zuſammen;
Er baute tief im Wald uns eine Sütte
Und ward mir lieb und teuer, wie noch keiner!
Doch kömm! Du mußt ihn ſehn!
Gandalf. Nein, laß nur! laß!
Mich dünkt, wir treffen bald genug zuſammen.
Blanka. Nun ja denn — wie Du willſt! Doch glaube mir:
Du biſt willkommen unter ſeinem Dache.
Denn Du mußt wiſſen: Gaſtlichkeit hat nicht
Im Norden nur ihr Heim.
Gandalf. Im Norden? Wie?
So wüßteſt Du —!
Blanka. Woher Du kommſt? O ja!
Mein Vater hat ſo oft von Euch erzählt,
Daß ich beim erſten Blick —
Gandalf. Und dennoch, Mädchen,
Ward Dir nicht bange?
Blanka. Bange? — Sprich, warum?
Gandalf. Nun, ſagte Dir Dein Vater — ſagt' er nicht —?
Blanka. Daß Ihr verwegne Helden ſeid? Gewiß!
Doch warum ſollte das mich wohl erſchrecken?
Ich weiß, Ihr zieht nach Ruhm in ferne Lande,
Zu ſtreiten mannhaft wider mut'ge Kämpen!
Doch ich hab' weder Schwert, noch einen Panzer —
Wie ſollte ich wohl da —
Gandalf. Nein, nein! Gewiß nicht! —
Doch jene Fremden, die die Burg verbrannten — 2
Blanka. Was iſt's?
Gandalf. Ich meinte nur: hat nie Dein Vater
Geſagt, woher ſie kamen?
Blanka. Niemals! Nein!
Es waren Fremde ja für ihn und mich. —
Doch, wenn Du willſt, ſo werd' ich ihn befragen.
Gandalf raſch einfallend.
Nein, laß nur!
Blanka. Ahl! nun faſſ' ich Deine Rede!
Du möchteſt gern erforſchen ihre Spur,
Blutrache zu vollſtrecken, wie Ihr's nennt.
Gandalf. Blutrache! Ha! Du mahnſt mich an das Wort.
Beinah' vergaß ich's.
Blanka. Aber weißt Du wohl,
Daß garſtig dieſer Brauch?
Gandalf geht nach dem Hintergrund.
Leb' wohl!
Blanka. Du gehſt?
Gandalf. Wir ſehen bald uns wieder.
Bleibt ſtehen.
era
Sag' noch Eins:
Wer ſchläft dort unter jenem Hünenhügel?
Blanka. Ich weiß es nicht.
Gandalf. Du weißt es nicht? Und ſchlingſt
Doch Blumen um des Helden Bautaſtein?
Blanka. Mein Vater führt' mich eines Morgens her
Und zeigte mir den friſchen Hügel, den ich
Nimmer zuvor geſehn an dieſem Strande. —
Er bat mich, täglich hier am Grab zu beten
Und im Gebet auch deſſen fromm zu denken,
Der heimgeſucht uns hat mit Schwert und Flamme.
Gandalf. Und Du? —
Blanka. Ich ſprach ſeit jenem Tage treulich
Jedweden Morgen mein Gebet für ihn;
Und friſche Blumen wand ich jeden Abend
Zum Kranz für ſeinen Grabſtein.
Gandalf. Seltſam! ſeltſam!
Wie kannſt Du beten, ſag', für Deinen Feind?
Blanka. So will's mein Glaube.
Gandalf heftig. Feig iſt dieſer Glaube,
Des Helden Kraft ſaugt dieſer Glaube auf!
Drum ſtarb bei Euch das Heldenleben auch
Den Tod im Bett!
Blanka. Und doch, dafern mein Glaube,
Mein feiger Glaube, wie Du ihn benennſt,
In Euer friſches Erdreich würd' verpflanzt —
Dann, weiß ich ſicher, wird daraus entſprießen
Bunt eine Blumenfülle, reich genug,
Den nackten Fels zu decken!
Gandalf. Laß dem Felſen
Die kahlen Wände, bis er ſtürzt zuſammen!
Blanka. Hör', nimm mich mit hinauf!
Gandalf. Was meinſt Du, Mädchen?
Ich ſteure heimwärts.
Blanka. Ja denn, nimm mich mit!
Macht' ich doch längſt in Träumen jene Fahrt —
Dorthin, wo Dir die Heimat zwiſchen Eis
Und Schneegebirg und dunkeln Tannenwäldern!
Alsdann kommt Luſt und Leben in die Halle,
Wenn ich dort ſchalten werde, glaube mir!
Denn ich bin heiter — Haſt Du einen Skalden?
Gandalf. Ich hatte einen. Doch der Harfe Saiten
Erſchlafften in der weichen Luft des Südens,
Daß ſie nicht klingen.
Blanka. Wohl, ſo will ich ſelbſt
Dein Skalde ſein!
Gandalf. Du ſelbſt? — Du willſt mir folgen?
Verlaſſen Heim und Vater?
Blanka lachend. Hahaha!
Du glaubſt, es ſei mein Ernſt?
Gandalf. So war es nur
Ein Scherz?
Blanka. Ach ja, ein thöricht-⸗dummer Traum,
Den oftmas ich geträumt, bevor Du kamſt,
Und den noch manches Mal ich träumen werde,
Wenn Du —
Plötzlich abbrechend.
Du ſtarrſt mich an ſo ſeltſam?
Gandalf. Ich?
Blanka. Ei freilich, woran denkſt Du?
Gandalf. Ich? An garnichts!
Blanka. An garnichts?
Gandalf. Wohl, ich weiß es ſelber nicht.
Doch ja, ich weiß! — Und Du, Du ſollſt es hören:
222
Ich dachte nach, wie Du wohl Deine Blumen
In unſern Nord verpflanzen willſt — und plötzlich
Kam in den Sinn mein eigner Glaube mir.
Es iſt ein Wort darin, das nie zuvor
Ich faßte — jetzt haſt Du es mich gelehrt!
Blanka. Was meinſt Du? Sag'!
Gandalf. Es heißt: „Walvaters Eigen
Sei nur die Hälfte der erſchlagnen Streiter;
Die andre Hälfte falle Freja zu“ —
Dies Wort vermocht' ich niemals mir zu deuten,
Nun aber faſſ' ich's! Ein erſchlagner Krieger
Bin ich ja ſelbſt — und meine beſte Hälfte
Ward Frejas Eigentum!
Blanka ſtutig. Was willſt Du ſagen?
Gandalf. Nun wohl, ſo wiſſe denn —
Blanka raſch. Nein, laß es nur!
Mein Vater harrt; nicht länger darf ich ſäumen.
Gandalf. So gehſt Du ſchon?
Blanka nimmt den Eichenkranz, den er fallen ließ, und ſchlingt ihn um
ſeinen Helm. Den Kranz magſt Du behalten.
Sieh, was ich früher Dir in Träumen gab,
Das ſchenk' ich nun im Wachen Dir.
Gandalf. Leb' wohl!
Er geht raſch ab nach rechts.
4. Scene.
Blanka allein.
Er iſt fort! In tiefer Stille
Liegt der öde Küſtenſtrich.
Tiefe Stille, Grabesſtille
Legt ſich lautlos auch auf mich.
.
Kam er einzig, zu entſchwinden
Wie ein Strahl durch Nebelſtreifen
Und alsbald hinauszuſchweifen
Möwengleich vor nächt'gen Winden?
Einſam ſtarr' ich aus ins Weite —
Doch fortan zieht allenthalben
Meiner Träume Schar wie Schwalben
Seinem Drachenſchiff zur Seite.
Das Kriegshorn der Wikinger ertönt von links.
Ah! ſcholl dort nicht ein Horn? Es kam vom Walde.
5. Senne
Gandalf von rechts.
Gandalf für ſich. Es iſt zu ſpät!
Dlanka. O ſieh, da iſt er wieder! —
Was willſt Du?
Gandalf. Flieh von hier! Geſchwind! Geſchwind!
Blanka. Was meinſt Du?
Gandalf. Nur hinweg! Hier droht Gefahr!
Blanka. Was für Gefahr?
Gandalf. Der Tod!
Blanka. Ich faſſ' Dich nicht.
Gandalf. Ich wollt' es Dir verhehlen; darum ging ich,
Mein Volk zu ſammeln, daß es unverweilt
Von dannen zieh'; Du ſollteſt nie erfahren —
Doch weh! das Horn verkündet: 's iſt zu ſpät!
Sie nahen!
Blanka. Wer? Wer kommt?
Gandalf. So wiſſe denn:
Die Fremden, die einſt auf der Inſel hauſten, —
Wikinger waren es, wie ich!
DE...
Blanka. Vom Norden?
Gandalf. Jawohl. Mein Vater fiel; er war ihr König —
Sein Blut heiſcht Rache!
Blanka. Rache?
Gandalf. Ja, ſo iſt es
Im Norden Sitt' und Brauch!
Blanka. Ha, ich verſtehe!
Gandalf. Sie nahn! Tritt hinter mich!
Blanka. Hinweg, Du Blutmenſch!
6. Scene.
Asgaut. Hemming. Die Wikinger, die Roderik mit ſich ſchleppen.
Asgaut zu Gandalf.
Ein mag'rer Fang, — doch immer etwas, Gandalf!
Blanka. Mein Vater! Wirft ſich in ſeine Arme.
Boderik. O mein teures Kind!
Joſtein. Ein Weib!
So hat er gleich Geleitſchaft!
Asgaut. Ja, zu Hel!
Blanka. O Vater! Warum ſagteſt Du mir nie —
Roderik. Still, Blanka! Still!
Auf Gandalf deutend.
Iſt dieſer Euer Häuptling?
Asgaut. So iſt's! Zu Gandalf:
Der Mann da kann Dir Kunde geben
Von Deines Vaters Tod; er war beim Kampf
Und kam allein davon, wie er uns ſagte.
Gandalf. Schweig, ſchweig! Ich will nichts hören!
Asgaut. Gut, ſo laß uns
Ans Werk denn gehn!
Blanka. O Gott! Was wollen ſie?
ee —
Gandalf mit gedämpfter Stimme.
Ich kann nicht, Asgaut!
Asgaut ebenso. Iſt der Häuptling feige?
Hat ihn bethört des Weibes glatte Zunge?
Gandalf. Gleichviel! ich ſagte Dir —
Asgaut. Bedenke, Gandalf:
Es gilt Dein Anſehn unter Deinen Mannen!
Du ſchwurſt den Eid bei Walhalls hohen Göttern —
Und wäreſt ehrlos, brächſt Du Dein Gelöbnis!
Vergiß nicht: ſchwach iſt unſer Glaube nur
Gefeſtigt — ſchon ein Stoß kann ihn erſchüttern;
Und kommt der Stoß von oben, von dem König,
Dann iſt's der Todesſtoß, den er empfing!
Gandalf. Unſelig war der Eid, den ich geſchworen!
Asgaut zu den Wikingern.
Ans Werk, Ihr Krieger!
Blanka. Wollt Ihr dieſen Greis,
Der wehrlos iſt, ermorden?
Asgaut. Tod Euch beiden!
Blanka. Erbarmen!
Hrolloug. Laßt das Weib! Es iſt zu ſchön.
Zu Schiffe mag's uns folgen!
Joſtein lachend. Ja — als Schildmaid!
Gandalf. Zurück!
Noderik. Verſchont, verſchont mir nur mein Kind!
Ich bring' Euch den, der Euren Herrn erſchlug,
Dafern Ihr ſie nur ſchont!
Gandalf rasch. Bring' ihn zur Stelle —
Und frei iſt ſie! Ihr Mannen, nicht?
Die Wikinger. So ſei's!
Blanka zu Roderit. Was, ſagſt Du?
Asaaut. Schaff' ihn her!
oderik. Er jteht vor Euch!
Einige. Ha, Greis! Du ſelbſt!
Gandalf. Was hör' ich!
Blanka. Nein, Du ſollſt nicht!
Roderik. Die Hand hier hat den Wiking hingeſtreckt,
Nun ſchläft er unterm Kämpenhügel dort.
Gandalf. O! meines Vaters Grab!
Boderik. Den kühnen Recken
Begrub ich hier nach ſeiner Väter Weiſe.
Gandalf. Da er beſtattet worden, ſo — —
Asgaut. Gleichviel!
Der Tod des Königs fordert Blut — ſchlagt zu!
Blanka. Nein, nein! Er täuſcht Euch! Zu Gandaff.
O, verſtehſt Du nicht:
Nur mich, ſein Kind, mich will er vor Euch retten!
Doch wie verſtündeſt Du ein zärtlich Herz,
Das alles opfern kann —
Gandalf. Ich nicht verſtehn?
Ich Dich nicht faſſen! Zu den Witingern:
Nein! er ſoll nicht ſterben!
Asgaut. Was ſagſt Du?!
Blanka. Vater! Er iſt gut wie Du!
Asgaut. Du brichſt den Eid?
Gandalf. Nein! Treu will ich ihn halten!
Zoſtein. Was haft Du vor?
Hrolloug. Sag' an!
Gandalf. Ich ſchwor Euch zu:
Den Herrn zu rächen oder ſelbſt zu fallen.
Wohl denn, gebt jenen frei — ich geh' nach Walhall!
Blanka zu Roderit. Was will er?
Asgaut. Gandalf, das iſt Dein Entſchluß?
1
Gandalf. Ja! Haltet mir mein Drachenſchiff bereit,
Die Segel ſpannt und ſchichtet Holz zum Brande —
Nach unſrer Ahnen Art will ich's beſteigen!
O ſeht, der Abendwind bewegt die Flut —
Mit roten Schwingen fahr' ich auf gen Walhall!
Joſtein geht rechts ab.
Asgaut. Ha! 's iſt das Weib, das Dir den Sinn bethörte!
Blanka zu Gandalf.
Nein, Du ſollſt leben!
Gandalf. Leben? — Meinen Göttern
Halt' ich die Treue, kann ſie nicht verraten!
Blanka. Dein Schwur iſt blutig — Balder will ihn nicht!
Gandalf. O, Balder lebt nicht mehr in unſrer Mitte!
Blanka. Für Dich noch lebt er, denn Dein Sinn iſt mild.
Gandalf. Um auch zu fallen, ja! Ich ward berufen,
Als Fürſt zu ſchirmen unſer Heldenleben —
Doch mir verſagt die Kraft. Nimm, Asgaut, Du
Aus meiner Hand den Herrſcherſtab entgegen!
Du biſt ein Kämpe noch von echtem Erz —
Zu lang an mir ſchon ſog des Südens Gift.
Doch, kann ich für mein Volk nicht leben — kann ich
Für Euch doch ſterben!
Asgaul. Wohlgeſprochen, König!
Blanka. So iſt das Los entſchieden! Fall' als Held
In treuer Liebe denn für Deine Götter!
Doch, da wir nun auf ewig ſcheiden müſſen —
So höre: Stirbſt Du ſelbſt für Dein Gelübde,
Alsdann haſt Du auch mich dem Tod geweiht.
Gandalf. Dich? Dich dem Tod?
Blanka. 3 glich mein junges Leben
Der Blume, die erwuchs auf fremder Flur,
Und darum ſchlief es noch in ſeiner Hülle.
Da kam ein Lichtſtrahl aus der fernen Heimat —
Und der warſt Du, mein Held! Die Blütenknoſpe
Erſchloß den Kelch. Ein flücht'ger Augenblick —
Der Strahl erloſch — die Blume mußte ſterben!
Gandalf. Ha! Faſſ' ich Deiner Worte Sinn? Du könnteſt —!
Zehnfach unſelig war er dann, mein Schwur!
Blanka. Wir ſehn uns wieder!
Gandalf. Nimmer, nimmermehr!
Du gehſt zum Himmel und zum weißen Chriſt —
Ich geh' nach Walhall ein; da ſetz' ich ſtumm
Mich an des Tiſches Ende bei der Thüre,
Denn nimmer iſt der Halle Luſt für mich!
Ioftein kommt zurück, ein Banner in der Hand.
Bereit nun iſt das Schiff, wie Du geboten.
Asgaut. Dir wird ein herrlich Ende! Mancher Held
Wird Dich beneiden.
Gandalf zu Blanka. Lebe wohl!
Blanka. Fahr' wohl!
Fahr' wohl fürs Leben und in Ewigkeit!
Roderik mit ſich kämpfend.
Halt! halt! Wirft ſich vor Blanka nieder.
Barmherzigkeit! Vergieb! vergieb!
Blanka. O Gott!
Gandalf. Was haſt Du?
Roderik zu Blanka. Alles will ich beichten:
Mein ganz Gebahren gegen Dich war Trug!
Blanka. Der Schreck hat ihm den Sinn verwirrt.
Roderik. Nein, nein!
Erhebt ſich wieder. Zu Gandalf:
Du junger Fürſt, gelöſt iſt Dein Gelübde —
Nicht fordert Rache Deines Vaters Schatten!
Gandalf. Ha, ſprich!
|
|
Blanka. Erklär' uns!
Boderik. Hier jteht König Nöref!
Einige. Der Totgeglaubte!
Blanka. Himmel!
Gandalf zweifelnd. Du — mein Vater?!
Boderik. Erkennſt Du, Asgaut, hier die Schramme noch,
Die Du mir ſchlugſt beim erſten Wikingzug,
Als um die Beute wir in Streit gerieten?
Er entblößt ſeinen Arm und zeigt Asgaut eine Narbe.
Asgaut. Bei Thor! Ihr ſeid's, Fürſt Rörek!
Gandalf wirft ſich in ſeine Arme. Vater! Vater!
Du ſchenkteſt mir zum zweiten Mal das Leben —
Hab' Dank!
Noderik niedergeſchlagen zu Blanka.
Und Du — was ſchenkſt nun Du fortan
Dem alten Räuber?
Blanka. Liebe wie zuvor!
Ich bin Dein Kind! Hat jahrelange Güte
Nicht all das Blut getilgt von Deinem Schild?
Asgaut. Doch ſag': Wie kommt's, daß Du am Leben bliebſt?
Gandalf auf Blanka deutend.
Die Retterin war ſie!
Noderik. Sie pflegte mich,
Ein milder Elf, und heilte meine Wunden
Und kündete ſo holde Mär' dabei
Vom Glauben ihres ſtillen Volks im Süden,
Daß ſelbſt des Kämpen harte Bruſt ſie rührte.
Von Tag zu Tag verhehlt' ich, wer ich war;
Ich wagte nicht —
Gandalf. Und dort das Hünengrab?
Roderik. Mein Rüſtzeug grub ich ein dort und mein Schwert.
3 dünkte mich, als ſei der wilde Wiking
N
Zugleich mit eingeſenkt. Und täglich hielt
Mein Kind ein fromm Gebet für ihn am Hügel.
Asgaut. Fahr' wohl!
Gandalf. Wo willſt Du hin?
Asgaut. Will nordwärts ſegeln
Klar ſeh' ich, meine Zeit iſt nun vorbei —
Und auch das Wikingleben! Will nach Island —
Dort iſt die Seuche noch nicht hingedrungen!
Zu Blanka.
Folg' Du dem Herrn an meiner Statt, o Maid!
Thors Hammer iſt entzwei, ſein Reich zu Ende;
So walte Balder denn durch Dich! Fahrt wohl!
Er geht ab.
Gandalf. Ja, Blanka! mög’ durch Dich nun Balder walten!
Jetzt fühl' ich klar erſt meines Wikinglebens
Bedeutung! Nicht nur Gier nach Ruhm und Reichtum
War's, was hinaus mich trieb vom Heimatſtrand —
Nein, was mich zog, war ein geheimes Sehnen
Nach Balders lichtem Reich. O ſieh, die Sehnſucht
Iſt nun geſtillt. Zur Heimat denn! Dort will ich
Inmitten meines Volkes friedlich wirken!
Zu den Wikingern:
Und folgt Ihr mir dahin?
Alle. Wir folgen Dir!
Gandalf. Und Blanka — Du?
Blanka. Bin ich doch ſelber wie
Ein Kind des Nordens! Meines Herzens Blumen,
Sie wurzeln dort ja zwiſchen Euren Bergen.
Zu Euch fuhr ich in meinen ſtillen Träumen,
Von Euch hab' meine Liebe ich geholt!
Roderik. Zieht denn hinweg!
Gandalf. Doch Du?
Blanka. Du folgſt nicht, Vater?
Roderik. Ich bleibe hier.
Auf den Hügel deutend.
Mein Grab erwartet mich.
Blanka. Soll einſam ich zurück Dich laſſen?
Hemming. Nicht doch!
Seid unbeſorgt! Sein Auge will ich ſchließen
Und hier am Hügel ihm das Grablied ſingen —
Das ſei mein letzter Sang!
Gerührt, indem er Gandalfs Hand ergreift.
Fahr' wohl, mein König!
Nun holteſt Du Dir einen beſſern Skalden!
Noderik mit Feſtigkeit.
So iſt's beſchloſſen! Du biſt Fürſt, mein Gandalf —
Zu Deinem Volke ruft Dich Deine Pflicht!
Legt beider Hände zujammen.
Ihr ſeid der jungen Morgenröte Kinder —
Zieht hin denn, wo der Hochſitz Euch erwartet!
Der Letzte bin ich aus verſunknen Zeiten:
Mein Königſtuhl: das Grab — vergönnt ihn mir
Gandalf und Blanka werfen ſich ſtumm in ſeine Arme. — Roderik beſteigt den
Hügel. Hemming, die Harfe in der Hand, ſetzt ſich ihm zu Füßen.
Gandalf mit Faſſung.
Und nun gen Nordland!
Hrolloug. Heimwärts!
Alle. Heim gen Norden!
Blanka begeiſtert, indem fie Joſtein das Banner entreißt und es hoch ſchwingt:
Hinweg denn! Freud'gen Mutes ziehn wir fort
Durch Sturmgebraus auf blauer Flut gen Nord!
Bald ob der Gletſcher Zinnen wird es tagen,
Bald künden von der Wikingfahrt nur Sagen.
Schon ragt empor des Nordlandkämpen Hügel;
— 33 —
Vorbei die Zeit, da ſtolz auf Drachenflügel
Er als Erobrer zog mit Schwert und Flammen!
Thors wucht'ger Hammer ſinkt in Staub zuſammen;
Der Norden ſelbſt — er wird zum Hünengrab.
Doch denkt des Troſts, den uns Allvater gab:
Wenn Moos und Blumen um das Grab ſich breiten,
Wird dort des Helden Geiſt in Walhall ſtreiten —
Dem Grab entſteigt dann Nordland hell und hehr:
Zur Geiſtesthat auf des Gedankens Meer!
Ibſen, Frau Inger auf Oeſtrot. 3
4
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Frau Inger auf Oeſtrot
Schauſpiel in fünf Aufzügen
* —
Geſchützt auf Grund der Geſetze und Verträge.
Den Bühnen gegenüber Manufkript.
Perfonen.
Frau Inger, Otto Römers Tochter und Witwe des Reichshof—
meiſters Nils Gyldenlöve.
Eline Gyldenlöve, ihre Tochter.
Nils Lykke, ein däniſcher Ritter.
Reichsrat Olaf Skaktavl, ein geächteter norwegiſcher Edel—
mann.
Nils Stenſſön.
Herr Jens Bjelke, ſchwediſcher Oberſt.
Björn, Kammerdiener auf Oeſtrot.
Finn, Schloßdiener.
Ejnar Huk, Schloßvogt.
Hausgeſinde, Bauern und ſchwediſche Kriegsknechte.
Das Stück ſpielt auf dem Herrenſitz Oeſtrot am Drontheimfjord im
Jahre 1528.
[Sprich: Gyldenlöwe, Skaktaul.
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N 1 Seer g 8
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—— = 2 4
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Erſter Aufzug.
Eine Stube auf Oeſtrot. Durch die offene Thür im Hintergrunde ſieht man den
Ritterſaal in ſchwachem Mondlicht, das dann und wann durch ein tiefes Bogenfenſter
fällt und die entgegengeſetzte Wand ſtreift. Rechts die Ausgangsthür; davor ein
Fenſter mit einem Vorhang. Links eine Thür, die in die inneren Gemächer führt;
weiter im Vordergrunde ein großer offener Herd, der in der Stube Helle verbreitet.
Es iſt ein ſtürmiſcher Abend.
Björn und Finn ſitzen am Feuer. Finn iſt damit beſchäftigt, einen Helm blank
zu putzen. Verſchiedene Waffenſtücke, darunter ein Schwert und ein Schild liegen
neben ihnen.
Finn nach einer Pauſe. Wer war Knut Alfſön?
Björn. Die Herrſchaft jagt, er war Norwegens letz
Rittersmann.
Tinn. Und die Dänen erſchlugen ihn beim Osloer Fjord?
Björn. Frag' einen Buben von fünf Jahren, wenn Du's
nicht weißt.
Tinn. So? Knut Alfſön war alſo unſer letzter Ritter?
Und nun iſt er tot und begraben! Indem er den Helm in die Höhe hält:
Ja, dann kannſt du lange im Ritterſaal hängen, und blank geputzt!
Denn jetzt biſt du nichts weiter als eine leere Nußſchale. Den
Kern — den haben die Würmer ſchon vor manchem Winter
gefreſſen — — Höre, Björn, — könnte man nicht ſagen, Nor—
wegen ſei auch ſolch eine leere Nußſchale wie dieſer Helm:
außen blank und innen wurmſtichig?
ter
ru
Björn. Halt's Maul und thu Deine Arbeit! — Sit der
Helm fertig?
Finn. Er glänzt wie Silber im Mondlicht.
Björn. So leg' ihn weg! — Hier, ſchab' den Roſt vom
Schwerte!
Tinn dreht und wendet es hin und her. Wird ſich das auch ver⸗
lohnen?
Björn. Wieſo?
Tinn. Die Schneide iſt ſtumpf.
Björn. Was kümmert's Dich! Gieb mir das Schwert. —
Hier iſt der Schild.
Finn wie zuvor. Dem fehlt der Handgriff.
Björn murmelt. Könnt’ ich nur Dich mit einem Handgriff
packen und —
Finn trällert ein Weilchen vor ſich hin.
Björn. Was ſoll das wieder?
Zinn. Ein leerer Helm, ein Schwert ohne Schneide, ein
Schild ohne Handgriff — ſchau, das iſt die ganze Herrlichkeit!
Ich glaube, niemand wird Frau Inger ſchmälen, daß ſie ſolche
Waffen putzen läßt und im Saal aufhängt, ſtatt ſie roſten zu
laſſen in Dänenblut.
Björn. Ach, Geſchwätz! Wir haben ja Frieden im Lande.
Tinn. Frieden? Ja, wenn der Bauer ſeinen letzten Pfeil
verſchoſſen, und wenn der Wolf dem Bauer das letzte Lamm
aus dem Stall geſtohlen hat, dann halten auch die zwei Frieden
miteinander. Aber das iſt mir eine wunderliche Freundſchaft.
Na, na, laß ſein! — Wie geſagt, es iſt recht und billig, daß
die Rüſtung blank im Saale hängt; denn Du kennſt ja den
alten Spruch: „Nur der Rittersmann iſt ein Mann.“ Und da
es jetzt keinen Rittersmann mehr im Lande giebt, ſo haben wir
auch keinen Mann mehr; und wo kein Mann iſt, da beſchließen
die Weiber; und darum —
— =
Björn. Darum iſt mein Beſchluß, daß Du Dein faules
Gerede beſchließeſt. Cr ertebt ſih. Es will Nacht werden. Nun
kannſt Du Helm und Schild wieder in den Saal hängen.
Finn mit gedämpfter Stimme. Ich warte lieber bis morgen.
Björn. Du haſt doch wohl nicht Angſt im Dunkeln?
Zinn. Bei Tage nicht; aber bei Nacht bin ich nicht der
einzige, dem es ſo ergeht. Du ſiehſt mich an! Aber Du mußt
wiſſen, unten in der Burgſtube —, da ſpricht man allerlei. Leiſer.
Da giebt es manche, die glauben, daß dort drinnen jedwede
Nacht ein großes, ſchwarzgekleidetes Geſpenſt umgehe.
Björn. Altweibergeſchwätz!
Zinn. Ja, aber alle ſchwören darauf, es ſei wahr.
Björn. Das glaub' ich wohl.
Finn. Das Seltſamſte aber iſt: Frau Inger hat dieſelbe
Meinung.
Björn ſtutzt. Frau Inger? Und was meint ſie?
Tinn. Was Frau Inger meint? Ja freilich, das weiß
nicht jeder. Aber gewiß iſt, daß ſie keine Ruhe in ſich hat.
Merkſt Du nicht, wie ſie Tag für Tag bleicher und hagerer
wird? mit einem forſchenden Blick. Die Leute ſagen, ſie ſchlafe nie,
und zwar wegen des Geſpenſtes.
Während der letzten Worte iſt Eline unter die halboffene Thür zur Linken getreten.
Sie bleibt lauſchend ſtehen, ohne bemerkt zu werden.
Björn. Und ſolchen Unſinn glaubſt Du?
Finn. Je nun, jo halb und halb. Es giebt übrigens auch
Leute, die die Sache anders auslegen. Aber das geſchieht nur
aus Bosheit. Du, Björn, kennſt Du die Weiſe, die im Lande
die Runde macht?
Björn. Eine Weiſe?
Finn. Ja, ſie iſt im Volksmunde. Es iſt ein garſtiges
Schmählied natürlich. Es geht aber ſonſt recht artig. Hör!
nur mal.
— 12 —ñ—
Er ſingt mit gedämpfter Stimme:
Frau Inger ſitzt in Oeſtrots Saal,
Wohl geht ſie in Seide einher.
Sie geht wohl in Seide und Pelz zumal,
Sie flicht ſich die Perlen ins Haar ohne Zahl,
Und doch iſt ihr Herze ſo ſchwer.
Frau Inger hat ſich den Dänen verkauft.
Sie ſchickt ihr Geſind in des Fremden Gewalt
Dafür zum Entgelt —
Björn faßt ihn unwirſch bei der Bruſt. Eline zieht ſich unbemerkt zurück.
Björn. Und ich werde Dich in des Teufels Gewalt ſchicken,
und zwar ohne Entgelt, wofern Du noch ein unziemliches
Wort über Frau Inger wagſt.
Finn, indem er ſich losreict. Na, na! Hab' ich denn die Weiſe
erdacht?
Hörnerſchall rechts hinter der Scene.
Björn. Horch! — Was iſt das?
Tinn. Ein Hornruf. So bekommen wir noch ſpät abends
Gäſte.
Björn am Fenſter. Sie öffnen das Thor. Ich höre Hufſchlag
im Schloßhof. Es muß ein Rittersmann ſein.
Finn. Ein Rittersmann? Das iſt wohl kaum möglich!
Biörn. Warum?
Finn. Haſt ja ſelbſt gejagt: unſer letzter Rittersmann iſt
tot und begraben.
Er geht rechts ab.
Björn. Der verdammte Schelm. Er hat ſeine Augen
überall. So hat mir's wenig gefrommt, daß ich alles zu ver—
decken und verſtecken ſuchte. Sie iſt in aller Munde. Nicht
lange wird es dauern, und ein jeder ruft —
Eline kommt wieder durch die Thür lints. Sie ſieht ſich um und fragt, indem
ſie ihre Erregung unterdrückt: Biſt Du allein, Björn?
Björn. Seid Ihr es, Jungfer Eline?
Eline. Björn, erzähl' mir wieder ein Märchen! Ich weiß,
Du kennſt mehr als —
Björn. Erzählen? Und jetzt? So ſpät abends?
Eline. Wenn Du von der Zeit an rechneſt, da es finſter
wurde auf Oeſtrot, dann iſt es freilich ſpät.
Björn. Was fehlt Euch? Iſt Euch etwas widerfahren?
Ihr ſeid ſo unruhig.
Eline. Wohl möglich.
Björn. Etwas iſt los. Seit einem halben Jahre kenn' ich
Euch kaum wieder.
Eline. Bedenke, daß ſeit einem halben Jahre Lucia, meine
Lieblingsſchweſter, in der Gruft liegt.
Björn. Jungfer Eline! Das iſt gewiß nicht der Grund,
oder doch nicht der einzige Grund, weshalb Ihr bald gedanken—
voll, bleich und ſtill, bald aufgeregt und faſſungslos umhergeht,
wie jetzt.
Eline. Meinſt Du? Und warum nicht? War Lucia nicht
ſanft, ſüß und hold wie eine Sommernacht? Björn, — ich ſage
Dir, Lucia war mir lieb wie mein eignes Leben. Haſt Du
vergeſſen, wie oft wir als Kinder auf Deinen Knien ſaßen
an den Winterabenden? Da ſangſt Du uns Weiſen, und Du
erzählteſt —
Björn. Ja, damals wart Ihr froh und heiter.
Eline. Ja, damals, Björn! Da lebt' ich freilich ein herr—
liches Leben in Märchen und in meinen eignen Gedanken! Sollte
man glauben, daß damals der Strand ſo kahl war wie jetzt?
Und wenn er es war, ſo merkt' ich es nicht. Da unten erging
ich mich ja am liebſten und dichtete alle die ſchönen Sagen.
Meine Helden kamen von ferne her und fuhren wieder übers
Meer; und ich lebte mitten unter ihnen und folgte ihnen nach,
wenn ſie von dannen zogen. Sie ſinkt auf einen Stuhl nieder. Nun
Be ee
bin ich jo matt — jo müde; meine Märchen können mir nicht
mehr helfen; fie find nur — Märchen. Cie erhebt ſich raid.
Björn! — Weißt Du, was mich krank gemacht hat? Eine
Wahrheit. Eine häßliche, häßliche Wahrheit, die Tag und
Nacht an mir nagt.
Björn. Was meint Ihr?
Eline. Denkſt Du noch daran, wie Du uns zuweilen Lebens—
regeln gabſt und gute Ratſchläge? Schweſter Lucia befolgte
ſie; aber ich — Gott ſei mir gnädig!
Björn tröſtend. Na, na!
Eline. Ich weiß — ich war ſtolz, hochmütig. Wenn wir
miteinander ſpielten, wollt' ich immer die Königin ſein, weil ich
die Größere, die Schönere, die Klügere war. Ich weiß, ich weiß!
Björn. Das iſt wahr.
Eline. Einmal nahmſt Du mich bei der Hand, blickteſt mich
ernſthaft an und ſagteſt: Sei nicht ſtolz auf Schönheit und
Klugheit; aber ſei ſtolz wie der Adler auf den Felſenhöhen, ſo
oft Du gedenkſt, daß Du Inger Gyldenlöves Tochter biſt.
Björn. Ihr hattet guten Grund, ſtolz darauf zu ſein.
Eline. Ja, das ſagteſt Du mir gar oft, Björn. O, Du
erzählteſt mir damals jo viele Märchen! Sie drückt ihm die Hand.
Hab' Dank dafür! — Erzähl' mir eins wie ehedem; vielleicht
wird mir wieder leicht ums Herz wie früher.
Björn. Ihr ſeid ja kein Kind mehr.
Eline. Wohl wahr! Aber laß mich wähnen, daß ich es
noch bin. — Nun erzähle!
Sie wirft ſich in einen Stuhl. Björn ſetzt ſich auf den Rand des Herdes.
Björn. Es war einmal ein edler Rittersmann —
Eline, die unruhig nach dem Ritterſaal hingelauſcht hat, faßt Björn am Arm
und flüſtert in heftiger Bewegung: Still! Sprich nicht ſo laut! Ich
bin ja nicht ſchwerhörig.
Bun =
Björn leiſer. Es war einmal ein edler Rittersmann, von
dem die ſeltſame Kunde ging —
Eline erhebt ſich halb und lauſcht mit ängſtlicher Spannung nach dem Saal zu.
Björn. Jungfer Eline — was fehlt Euch?
Eline ſetzt ſich wieder. Mir? Nichts. Erzähl' nur weiter!
Björn. Na, wie geſagt, — wenn er einer Maid tief ins
Auge ſah, ſo vergaß ſie das nun und nimmermehr, ſondern
folgte ihm in Gedanken, wo er ging und ſtand, und welkte hin
vor Gram.
Eline. Davon hört' ich — — Das iſt übrigens kein
Märchen, was Du erzählſt. Denn der Rittersmann, von dem
Du berichteſt, iſt Nils Lykke, der noch heutigen Tages im
däniſchen Reichsrat ſitzt —
Björn. Kann wohl ſein.
Eline. Nun ja, gleichviel! — Fahre fort!
Björn. Und ſo begab es ſich einmal —
Eline erhebt ſich plötzlich. Pit! Still!
Björn. Was giebt's? Was iſt Euch!
Eline dauſchend. Hörſt Du?
Björn. Was?
Eline. Dort — Beim heil'gen Chriſt! Dort!
Björn erhebt ſich. Was iſt dort? Wo?
Eline. Sie ſelbſt — im Ritterſaale —
Sie eilt nach dem Hintergrunde.
Björn folgt ihr. Wie könnt Ihr glauben? — Jungfer Eline,
geht auf Eure Kammer!
Eline. Bit! Steh' ſtill! Rühr' Dich nicht! Laß Dich nicht
ſehen! Halt! Da kommt der Mond hervor. Kannſt Du die
ſchwarze Geſtalt erkennen?
Björn. Bei allen Heiligen —
Eline. Sieh, — da zog ſie den Vorhang über Knut Alfſöns
Bild. Haha! Er ſtarrt ihr wohl zu feſt in die Augen.
— 16
Björn. Jungfer Eline, hört mich!
Eline, indem ſie zum Herde geht. Nun weiß ich, was ich weiß.
Björn für ſich. So iſt es doch wahr!
Eline. Wer war es, Björn? Wer war es?
Björn. Das habt Ihr ebenſo deutlich geſehen wie ich.
Eline. Wohlan! Wen hab' ich geſehen?
Björn. Ihr habt Eure Mutter geſehen.
Eline balo zu ſic. Nacht für Nacht vernahm ich ihren Schritt
im Saal. Ich hörte ſie flüſtern und ſtöhnen, gleich einer
Seele, die der Erlöſung harrt. Und in dem Liede heißt es
ja — Ach, nun weiß ich's! Nun weiß ich, daß —
Björn. Still!
Inger kommt raſch aus dem Saale, ohne die andern zu beachten, geht aufs Fenſter
zu, zieht den Vorhang zurück und ſtarrt eine Weile hinaus, als ob ſie auf
der Landſtraße nach jemand ſpähe; dann wendet ſie ſich ab und kehrt langſam
wieder in den Saal zurück.
Eline leiſe, indem ſie ihr mit den Augen folgt. So fahl und bleich
wie der Tod —
Man hört Lärm und Stimmen hinter der Thür zur Rechten.
Björn. Was iſt das wieder?
Eline. Sieh nach, was es giebt!
Ejnar Huk, gefolgt von einem Troß Bauern und Hausgeſind, wird in der
Vorſtube ſichtbar.
Ejnar Huk in der Tyüre. Nur hinein! Nicht jo verzagt!
Björn. Was ſucht Ihr?
Ejnar. Frau Inger.
Björn. Frau Inger? Und jo ſpät am Abend?
Einar. Spät, doch immer noch zeitig genug, denk' ich.
Die Bauern. Ja, ja — jetzt muß ſie uns hören!
Die ganze Schar dringt in die Stube ein. Im jelben Augenblicke zeigt ih Inger
in der Thüre des Ritterſaales. Alle ſchweigen plötzlich.
Inger. Was wollt Ihr von mir?
—
Einar. Wir ſuchten Euch, edle Frau, um zu —
Inger. Nun denn, — ſo ſprecht!
Ejnar. Ei, es iſt ja eine ehrliche Sache. Kurz und gut,
wir kommen, Euch um Urlaub und Waffen zu bitten.
Inger. Urlaub und Waffen? Wozu?
Einar. Es iſt das Gerücht von Schweden herübergedrungen,
daß das Volk in Dalekarlien ſich erhoben hat und gegen König
Guſtav zu Felde zieht —
Inger. Das Volk in Dalekarlien?
Ejnar. Ja, ſo geht das Gerücht, und es ſoll ganz ver—
bürgt ſein.
Inger. Nun, und wenn dem ſo wäre — was habt Ihr
mit dem Aufſtand in Dalekarlien zu ſchaffen?
Die Bauern. Wir wollen mit! Wir wollen auch dabei
ſein! Frei wollen wir werden!
Inger keiſe. Ach, wäre die Zeit gekommen!
Einar. Aus allen nordiſchen Grenzorten eilen die Bauern
hinzu. Selbſt geächtete Männer, die Jahr um Jahr heimatlos
in den Bergen und Wäldern umhergeirrt ſind, ſelbſt ſie wagen
ſich wieder hervor zu den Höfen, ſammeln Volk und ſchleifen
die Schneide ihrer verroſteten Waffen.
Inger nach einer Pauſe. Hört, — habt Ihr auch alles wohl
überlegt? Habt Ihr auch nachgerechnet, was es Euch koſten
würde, wenn König Guſtavs Mannen ſiegen ſollten?
Björn leiſe und flehentlich zu Inger. Rechnet nach, was es den
Dänen koſten wird, wenn König Guſtavs Mannen unterliegen
ſollten!
Inger abweiſend. Dies Rechenexempel iſt nicht meine Sache.
Sie wender ſich zu der Menge. Ihr wißt, König Guſtav kann ſicher
auf den Beiſtand Dänemarks zählen. König Friedrich iſt ſein
Freund und wird ihn gewiß nicht im Stiche laſſen —
Einar. Aber wenn ſich die Bauern im ganzen norwegiſchen
„
Land erheben? Wenn wir uns alle zuſammenſcharen, Edle und
Gemeine? Ja, Frau Inger, nun, glaub' ich, iſt die Gelegen—
heit gekommen, auf die wir ſo lange geharrt haben! Bricht
es jetzt los, ſo muß der Fremdling aus dem Lande!
Die Bauern. Ja, fort mit den däniſchen Vögten! Fort
mit den fremden Herrenleuten! Fort mit den Trabanten des
Reichsrats!
Inger leiſe. O, es iſt Mark in ihnen; aber dennoch —
Björn für ſich. Sie iſt unſchlüſſig. Zu Eline. Was gilt's,
Jungfer Eline — Ihr habt Euch mit Euerm Urteil über die
Mutter verſündigt.
Eline. Björn, — ich wollte mir dieſe Augen aus dem
Kopfe herausreißen, wenn ſie mir gelogen hätten!
Ejnar. Seht, vieledle Frau — erſt gilt es König Guſtav;
iſt er bezwungen, ſo werden ſich die Dänen nicht lange im
Lande halten können.
Inger. Und dann?
Einar. Dann ſind wir frei; dann haben wir keinen
fremden Herrn mehr über uns und können uns ſelbſt einen
König wählen, wie es die Schweden vor uns gethan.
Inger lebhaft. Selbſt einen König —! Meinſt Du das
Geſchlecht der Sture?
Einar. König Chriſtian und andre nach ihm haben reinen
Tiſch gemacht mit dem Grund- und Erbbeſitz ringsum. Unſre
edelſten Erbſaſſen irren vogelfrei zwiſchen Felſenklüften umher,
wenn ſie überhaupt nach leben. Aber gleichwohl könnte dieſer
oder jener Sprößling aus den alten Geſchlechtern ſich finden —
Inger raſch. Genug, Ejnar Huf! Genug —. O meine
herrlichſte Hoffnung! Sie wendet ſich zu den Bauern und dem Geſinde.
Ich hab' Euch nun vermahnt, ſo gut ich konnte. Ich hab'
Euch geſagt, in wie große Gefahr Ihr Euch hineinwagt. Aber
da Ihr ſo feſt auf Eurem Vorſatz beſteht, ſo wär' es thöricht
— 49
von mir, Euch zu verbieten, was Ihr auf eigne Hand durch—
ſetzen könntet.
Ejnar. Wir haben alſo Eure Zuſtimmung —?
Inger. Ihr habt Euern eignen feſten Willen; fragt den
um Rat. Werdet Ihr wirklich jeden lieben Tag geplagt und
geknechtet — —. Ich weiß jo wenig von dieſen Dingen; ich
will nicht mehr davon wiſſen! Was vermag ich, ein einzelnes
Weib —? Selbſt wenn Ihr den Ritterſaal plündern wolltet
— und es findet ſich manch brauchbare Waffe darin —; Ihr
habt dieſen Abend die Macht auf Oeſtrot; Ihr könnt thun, was
Euch gelüſtet. Gute Nacht!
Die Menge bricht in einen lauten Ruf der Freude aus. Die Knechte machen Licht
und holen allerhand Waffenſtücke aus dem Ritterſaal.
Björn ergreift die Hand Ingers, die ſich zum Gehen wendet. Dank, meine
edle, großmütige Herrin! Ich, der ich Euch ſeit Euren Kinder—
jahren kenne, ich habe nie an Euch gezweifelt.
Inger. Still, Björn! Es iſt ein gefährliches Spiel, das
ich dieſen Abend gewagt habe. Für die andern gilt es nur das
Leben, aber für mich — das glaube mir — gilt es tauſend—
mal mehr!
Björn. Wie? Bangt Euch um Eure Macht oder um das
gute Einvernehmen mit —
Inger. Meine Macht! O Gott im Himmel!
Ein Knecht kommt aus dem Saal mit einem großen Schwert. Seht,
hier iſt ein richtiger Wolfszahn! Damit will ich die Knechte des
Blutſaugers zerhacken.
Einar zu einem andern Knecht. Was haſt Du aufgetrieben?
Der Knecht. Den Bruſtpanzer, der Herlof Hyttefad gehört
haben ſoll.
Einar. Der iſt zu gut für Dich; — ſieh, hier hab' ich die
Lanzenſtange Sten Stures! Steck' den Panzer darauf, ſo haben
wir das prächtigſte Heerzeichen, das man verlangen kann.
Ibſen, Frau Inger auf Oeſtrot. 4
En
Der Schloßdiener Tinn mit einem Brief in der Hand kommt durch die
Thür links und geht auf Inger zu. Ich ſuchte Euch in allen Ges
mächern.
Inger. Was ſoll's?
Finn reicht ihr den Brief. Ein Knappe aus Drontheim hat Brief
und Botſchaft für Euch gebracht.
Inger. Laß ſehen! Indem ſie den Brief öffnet: Aus Drontheim?
Was kann das ſein? Sie duichfliegt den Brief. Barmherziger! Von
ihm! Er hier im Lande —
Sie lieſt in heftiger Bewegung weiter, während die Mannen fortfahren, ſich Waffen
aus dem Saale zu holen.
Inger für ji. Er kommt alſo hierher — und noch in dieſer
Nacht. Ja, dann gilt es, mit der Klugheit und nicht mit dem
Schwerte zu kämpfen!
Einar. Genug, genug, Ihr guten Leute! Nun, mein’ ich,
ſind wir wohlgerüſtet. Nun können wir uns auf den Weg
machen.
Inger mit einer raſchen Wendung. Kein Mann verläßt dieſe Nacht
den Hof!
Einar. Aber edle Frau, jetzt iſt der Wind uns günſtig; wir
gehen über den Fjord und —
Inger. Es bleibt bei dem, was ich geſagt habe.
Ejnar. Sollen wir denn bis morgen warten?
Inger. Bis morgen und noch länger. Kein bewaffneter
Mann darf Oeſtrot verlaſſen — für den Augenblick!
Man vernimmt aus der Menge Aeußerungen des Unwillens.
Einige Bauern. Wir gehen trotzdem, Frau Inger!
Viele andere. Ja, ja, wir gehen trotzdem.
Inger einen Schritt näher. Wer wagt es? Ale ſchweigen; nach einer
kurzen Pauſe fügt fie hinzu: Ich habe für Euch gedacht. Was wißt
Ihr geringen Leute aus dem Volke von den Sachen des Landes?
Wie könnt Ihr Euch vermeſſen, über dergleichen zu urteilen?
Ihr werdet Druck und Mühſal noch eine Weile ertragen müſſen!
Das darf Euch nicht zu nahe gehen, wenn Ihr bedenkt, daß
auch uns, den Herrengeſchlechtern, heutzutage kein beſſres Los
winkt! — Tragt die Waffen alle in den Saal zurück! Später
ſollt Ihr meinen Willen erfahren! Geht!
Das Geſinde bringt die Waffen zurück; dann entfernt ſich die ganze Schar durch die
Thür rechts.
Eline teife zu Björn. Meinſt Du noch immer, ich hätte mich
mit meinem Urteil verſündigt an — der Herrin von Oeſtrot?
Inger Björn Herbeiwintend. Halt! eine Gaſtkammer bereit —
Björn. Gut, Frau Inger.
Inger. Und die Pforte offen für jeden, der etwa anpocht.
Björn. Aber — ?
Inger. Die Pforte offen.
Björn. Die Pforte offen. Er geht rechts ab.
Inger zu Eline, die ſchon in der Thüre links ſteht. Bleib' — Eline
— mein Kind. Ich habe mit Dir allein zu reden.
Eline. Ich höre Euch.
Inger. Eline, Du denkſt ſchlecht von Deiner Mutter.
Eline. Ich denke nur die Gedanken, zu denen mich Euer
Benehmen ſo ſchmerzlich zwingt.
Inger. Und Du antworteſt mir, wie Dein harter Sinn
Dir gebeut.
Eline. Wer hat meinen Sinn verhärtet? Seit früheſter
Kindheit war ich gewohnt, zu Euch emporzublicken wie zu einem
großen, hochgeſinnten Weibe. Euch müßten, dacht' ich, jene
Frauen gleichen, von denen in den Chroniken und im Helden—
buche ſteht. Es war mir, als ob Gott ſelbſt ſein Zeichen auf
Eure Stirn gedrückt und Euch als die beſtimmt hätte, die
Lenkerin ſein ſollte den Zagen und Unſchlüſſigen. Im hohen
Saale ſangen Ritter und Herrenleute zu Eurem Preis; ja ſelbſt
das Volk, nah und fern, nannte Euch die Hoffnung und Stütze
4 *
— 52 —
des Landes, und alle meinten ſie, daß unter Euch die guten
Zeiten wieder kommen würden. Alle meinten ſie, daß mit Euch
ein neuer Tag für uns anbräche. — Noch iſt es Nacht; und
ich weiß nicht, ob ich länger glauben darf, daß mit Euch ein
neuer Morgen kommt.
Inger. Es läßt ſich leicht erraten, woher Dir ſo bittre
Worte ſtammen. Dir kam zu Ohren, was der gedankenloſe
Haufe über Dinge flüſtert, die er nicht beurteilen kann.
Eline. Im Volksmund iſt Wahrheit, ſagtet Ihr damals, als
Euer Ruhm in Wort und Lied erſcholl.
Inger. Mag ſein. Aber wenn ich nun vorgezogen hätte,
unthätig hier zu ſitzen, obgleich es bei mir ſtünde, zu handeln
— glaubſt Du nicht, daß dieſes mein Los mir eine Bürde iſt?
Und auf dieſe ſchwere Bürde willſt Du noch Steine häufen?
Eline. Die Steine, die ich auf Eure Bürde häufe, drücken
mich ebenſo ſehr wie Euch. Leicht und frei ſog ich des Lebens
Odem ein, ſo lang' ich an Euch glaubte. Denn ſoll ich leben,
muß ich Stolz empfinden; und ſtolz würde ich mit Recht ge—
weſen ſein, wofern Ihr geblieben wäret, was Ihr einſtens wart!
Inger. Und was bürgt Dir dafür, daß ich es nicht bin?
Eline — woher weißt Du ſo genau, daß Du Deiner Mutter
nicht unrecht thuſt?
Eline leidenschaftlich. O, daß ich es thäte!
Inger. Still! Es kommt Dir nicht zu, Rechenſchaft von
Deiner Mutter zu fordern. Mit einem einzigen Worte könnt'
ich —; doch es zu hören wäre nicht gut für Dich. Du mußt
abwarten, was die Zeit bringt; vielleicht —
Eline, indem ſie gehen will. Schlaft wohl, Mutter!
Inger zögernd. Nein — bleib'! Ich habe Dir noch mehr
zu ſagen — komm näher! Du mußt mich hören, Eline!
Sie ſetzt ſich an den Tiſch beim Fenſter.
Eline. Ich höre Euch.
En
Inger. So verſchloſſen Du auch bift, ich weiß doch, daß Du
Dich mehr als einmal von hier weggeſehnt haſt. Es iſt Dir zu
öde, zu einſam auf Oeſtrot.
Eline. Wie kann Euch das wundern, Mutter?!
Inger. Es ſteht bei Dir, ob es künftig anders werden ſoll.
Eline. Wieſo?
Inger. Höre mich. In dieſer Nacht erwart' ich jemand auf
dem Schloß.
Eline nähert ſich. Einen Gaſt?
Inger. Einen Gaſt, der fremd und unerkannt bleiben muß.
Niemand darf wiſſen, woher er kommt, noch wohin er geht.
Eline ſtürzt mit einem Freudenſchrei ihrer Mutter zu Füßen und ergreift ihre
Hände. O Mutter, Mutter! Vergebt mir all das Unrecht, das
ich Euch zugefügt habe, — wenn Ihr könnt!
Inger. Was iſt Dir? Ich verſteh' Dich nicht, Eline.
Eline. So haben ſich denn alle getäuſcht! Ihr ſeid noch im
Herzen treu geſinnt!
Inger. Aber ſo ſteh' doch auf und ſag' mir —
Eline. Und glaubt Ihr, daß ich nicht weiß, wer der
Gaſt iſt?
Inger. Du weißt es? Und doch —
Eline. Glaubt Ihr, Oeſtrots Pforten ſind ſo dicht ver—
ſchloſſen, daß nicht zuweilen ein Klagelaut hereindringen kann?
Meint Ihr, ich weiß nicht, daß mancher Sprößling aus altem
Geſchlecht als Geächteter umherirrt, ohne Obdach und Lager,
während die däniſchen Herren auf ſeiner Väter Hof ſchalten
und walten?
Inger. Und was weiter?
Eline. Ich weiß wohl, daß mancher edle Ritter wie ein
hungriger Wolf im Walde gehetzt wird. Er hat keinen Herd,
wo er raſte, keinen Biſſen Brot —
Inger kalt. Genug! Jetzt verſteh' ich Dich.
5
Eline fortfahrend. Und darum öffnet Ihr Oeſtrots Thore zur
nächtlichen Zeit; darum muß er fremd und unerkannt bleiben,
jener Gaſt, von dem niemand wiſſen darf, woher er kommt, noch
wohin er geht. Ihr trotzt dem ſtrengen Gebot, das verbietet,
die Verfolgten zu behauſen und ihnen beizuſtehen mit Obdach
und Pflege —
Inger. Genug, ſag' ich! Sie ſchweigt eine Weile und fügt dann mit
Ueberwindung hinzu: Du irrſt, Eline; — nicht ein Geächteter iſt's,
den ich erwarte.
Eline erhebt ſich. So hab' ich Euch wahrlich falſch verſtanden.
Inger. Hör' mich an, mein Kind, aber hör' mich mit Ueber—
legung an, wofern Du Deinen wilden Sinn zu zähmen vermagſt.
Eline. Ich werd' ihn zähmen, bis Ihr zu Ende ge—
ſprochen habt.
Inger. So gieb wohl acht auf das, was ich Dir ſage. Ich
ſuchte, ſo weit es in meiner Macht ſtand, vor Dir die Not und
Bedrängnis, die uns umgiebt, zu verbergen. Denn was konnte
es nützen, wenn ich Sorge und Gram in Deine junge Seele
ſenkte? Thränen und Weiberſeufzer können uns nicht aus den
Drangſalen befreien. Wir brauchen Mut und Manneskraft.
Eline. Und wer ſagt Euch, daß ich nicht Mut und Mannes—
kraft habe, wenn es gilt?
Inger. Still, Kind! Ich könnte Dich beim Wort nehmen.
Eline. Wie das, Mutter?
Inger. Ich könnte beides von Dir fordern; ich könnte —
doch laß mich erſt zu Ende ſprechen! — Wiſſe denn, daß die
Zeit ſich zu nahen ſcheint, auf die der däniſche Reichsrat ſchon
ſeit vielen Jahren hingearbeitet hat, — die Zeit, mein' ich, da
man unſern Rechten und unſrer Freiheit den letzten Stoß geben
wird. Sieh, darum gilt es —
Eline lebpaft. Offne Fehde, Mutter!
Inger. Nein, es gilt, Spielraum zu gewinnen. In Kopen—
*
EEE
hagen iſt jetzt der Rat verſammelt, um zu überlegen, wie man
am geſchickteſten zu Werke geht. Die Mehrheit ſoll der Anſicht
ſein, daß die Zwiſtigkeiten nicht beigelegt werden können, jo
lange Norweger und Dänen uneins ſind. Denn behalten wir
unſre Rechte als freies Reich, — wenn einmal die Königswahl vor
ſich geht, ſo iſt es wahrſcheinlich, daß es zu offener Fehde kommt.
Sieh, das wollen die däniſchen Herren verhindern —
Eline. Ja, das wollen ſie verhindern —. Aber ſollen wir
das dulden? Sollen wir ruhig zuſehen, daß — ?
Inger. Nein, wir ſollen es nicht dulden! Aber die Waffen
ergreifen und den Kampf eröffnen — wohin würde das führen,
ſolange wir nicht alle einig ſind? Und ſtand es jemals ſchlechter
um die Einigkeit im Lande als gerade jetzt? — Nein, wenn
wir etwas ausrichten wollen, ſo muß es heimlich und in der
Stille geſchehen. Wir müſſen, wie ich Dir ſagte, Spielraum
gewinnen. Im ſüdlichen Norwegen iſt ein großer Teil des
Adels für die Dänen; aber im Norden hier iſt die Stimmung
noch zweifelhaft. Darum hat König Friedrich einen ſeiner Ver—
trauensmänner heraufgeſchickt, der ſich mit eignen Augen von
unſerer Geſinnung überzeugen ſoll.
Eline geſpannt. Nun — und?
Inger. Und dieſer Ritter kommt heut Nacht hierher.
Eline. Hierher? Und heut Nacht?
Inger. Ein Kauffahrer brachte ihn geſtern nach Drontheim.
Eben erhielt ich die Botſchaft, daß er ſich hier einfinden wird.
Binnen einer Stunde können wir ihn erwarten.
Eline. Und Ihr bedenkt nicht, Mutter, wie Ihr Euern
Ruf aufs Spiel ſetzt, wenn Ihr dem däniſchen Abgeſandten
eine ſolche Zuſammenkunft gewährt? Iſt nicht das Volk rings—
umher ſchon mißtrauiſch genug gegen Euch? Wie könnt Ihr
hoffen, daß es ſich dereinſt von Euch lenken und leiten läßt,
wenn ruchbar wird —
Inger. Sei unbekümmert. All das hab' ich zur Genüge
bedacht; aber es hat keine Not. Sein Geſchäft hier im Land
iſt ein Geheimnis; deshalb iſt er als Fremder nach Drontheim
gekommen, und fremd und unerkannt wird er auch auf Oeſtrot
weilen.
Eline. Und der Name dieſes däniſchen Herrn?
Inger. Er klingt gut, Eline! Dänemarks Adel hat kaum
einen beſſeren zu nennen.
Eline. Und was habt Ihr im Sinne? Noch hab' ich
Eure Abſicht nicht erfaßt.
Inger. Du wirſt mich bald verſtehen. — Da wir die
Schlange nicht zertreten können, müſſen wir ſie binden.
Eline. Hütet Euch wohl; die Schnur möchte reißen!
Inger. Es kommt auf Dich an, wie feſt ſie geknüpft
werden ſoll.
Eline. Auf mich?
Inger. Längſt hab' ich gemerkt, daß Oeſtrot Dir ein Kerker
iſt. Für einen jungen Falken taugt es nicht, zwiſchen Eiſen—
ſtäben zu ſitzen.
Eline. Meine Schwingen ſind gelähmt. Gäbt Ihr mich
auch frei, es würde mir wenig frommen.
Inger. Deine Schwingen ſind nicht länger gelähmt, als
Du ſelbſt es willſt.
Eline. Als ich es will? Mein Wille iſt in Euern Händen.
Werdet wieder, was Ihr geweſen, ſo will auch ich —
Inger. Genug davon! Höre weiter! — Oeſtrot zu ver—
laſſen, wird Dir gewiß nicht unlieb ſein.
Eline. Wohl möglich, Mutter!
Inger. Du ſagteſt mir einmal, daß Du Deine glücklichſte
Zeit in Deinen Märchen und een verlebt haſt! Dieſe Zeit
könnte wiederkommen.
Eline. Was meint Ihr?
Inger. Eline, — wenn nun ein mächtiger Rittersmann
erſchiene und Dich nach ſeiner Burg führte, wo Du Knechte und
Mägde, ſeidene Gewänder und hohe Säle fändeſt?
Eline. Ein Ritter, ſagt Ihr?
Inger. Ein Ritter.
Eline mit leiſer Stimme. Und der däniſche Geſandte kommt
heut Nacht?
Inger. Heut Nacht.
Eline. Wenn dem ſo iſt, dann ſchaudert es mich, Eure
Worte zu deuten.
Inger. Es braucht Dich nicht zu ſchaudern, wenn Du ſie
nicht mißdeuten willſt. Du ſollſt zu nichts gezwungen werden.
Nach eignem Gutdünken ſollſt Du wählen und beſchließen in
dieſer Sache.
Eline einen Schritt näher. Habt Ihr von jener Mutter gehört,
die zur Nachtzeit mit ihren kleinen Kindern im Schlitten über
die Haide fuhr? Eine Wolfsrotte folgte ihren Spuren; es ging
um Tod und Leben — und ſie warf ihre Kleinen hinter ſich,
eines nach dem andern, um Zeit zu gewinnen für die eigene
Rettung!
Inger. Märchen! Eine Mutter riſſe ſich das Herz aus der
Bruſt, ehe ſie ihre Kinder vor die Wölfe würfe.
Eline. Wär' ich nicht meiner Mutter Tochter, dann würd'
ich Euch Recht geben. Aber Ihr ſeid wie jene Mutter: Ihr
habt Eure Töchter vor die Wölfe geworfen, eine nach der andern.
Zuerſt habt Ihr die älteſte ihnen vorgeworfen. Vor fünf
Jahren zog Merete von Oeſtrot. Nun ſitzt ſie in Bergen als
Vincenz Lunges Hausfrau. Aber glaubt Ihr, ſie ſei glücklich
als des Dänenritters Weib? Vincenz Lunge iſt faſt wie ein
König mächtig; Merete hat Knechte und Mägde, ſeidene Ge—
wänder und hohe Säle; aber der Tag hat keine Sonne für ſie
und die Nacht keine Ruhe; denn ſie iſt ihrem Mann nie
gut geweſen. Er kam her, er freite um ſie, weil ſie Nor—
wegens reichſte Erbin war, und weil er damals feſten Fuß
im Lande faſſen wollte. Ich weiß das; ich weiß es nur zu
gut! Merete war Euch gehorſam; ſie folgte dem fremden
Herrn! Aber was hat es ſie gekoſtet? Mehr Thränen, als
eine Mutter ſich wünſchen wird am Tage des Gerichts ver-
antworten zu müſſen!
Inger. Ich kenne meine Verantwortung, und ſie ſchreckt
mich nicht.
Eline. Eure Verantwortung iſt damit nicht zu Ende. Wo
iſt Lucia, Euer zweites Kind?
Inger. Frage Gott, der ſie zu ſich nahm.
Eline. Euch frage ich, denn Ihr habt es auf dem Ge—
wiſſen, daß ſie ihr junges Leben ſo früh laſſen mußte. Fröhlich
war ſie wie ein Vogel im Lenz, als ſie von Oeſtrot zog, um
Merete in Bergen zu beſuchen. Ein Jahr danach ſtand ſie
wieder hier in der Halle; aber da waren ihre Wangen weiß,
und der Tod hatte ſich ihr ins Herz geſchlichen. Ja, Ihr
wundert Euch, Mutter! Ihr glaubtet wohl, daß dies Geheimnis
mit ihr begraben iſt. Aber ſie hat mir alles geſagt. Ein
höfiſcher Ritter hatte ihr Herz gewonnen. Er wollte ſie zu
ſeinem Weibe machen. Ihr wußtet, daß es ihre Ehre galt.
Allein Ihr bliebt unbeugſam, und Euer Kind mußte ſterben.
Ihr ſeht, ich weiß alles.
Inger. Alles? So hat ſie Dir auch ſeinen Namen
geſagt?
Eline. Seinen Namen? Nein, ſeinen Namen hat ſie mir
nicht geſagt. Sie ſchien eine beklemmende Scheu vor ſeinem
Namen zu haben, — ſie nannte ihn nie.
Inger erleichtert, für fi. Ah! So weißt Du doch nicht alles!
— — Eline, das, woran Du gerührt haſt, war mir durchaus
Erg: 2
bekannt. Aber eins iſt an der Sache, worauf Du vielleicht nicht
acht gegeben haſt: jener Rittersmann, dem Lucia in Bergen
begegnete, war ein Däne —
Eline. Auch das weiß ich.
Inger. Und ſeine Liebe war eine Lüge. Mit Liſt und
glatten Worten hatte er Lucia umſtrickt.
Eline. Ich weiß es. Aber ſie liebte ihn dennoch. Und
hättet Ihr das Herz einer Mutter gehabt, ſo wäre Euch die Ehre
Eures Kindes über alles gegangen.
Inger. Nicht über ihr Glück. Glaubſt Du, daß ich, Meretens
Los vor Augen, mein zweites Kind einem Manne geben würde,
der ſie nicht lieb hätte? 5
Eline. Kluge Worte bethören gar manchen Sinn, aber mich
bethören ſie nicht. — Glaubt nicht, daß ich ſo ganz ununter—
richtet bin von dem, was rings im Lande vorgeht. Vollkommen
durchſchau' ich Euer Verhalten. Ich weiß wohl, daß der
däniſche Adel keine treu ergebene Freundin an Euch hat.
Vielleicht haßt Ihr ihn ſogar; aber Ihr fürchtet ihn zu gleicher
Zeit. Damals, als Ihr Merete dem Vincenz Lunge zur Gattin
gabt, hatten die däniſchen Herren allerorten die Uebermacht im
Lande. Drei Jahre danach, als Ihr Lucien verbotet, den zu
ehelichen, an den ſie ihr Leben geknüpft hatte, obgleich er ſie
verführt hatte — da ſtanden die Dinge ganz anders. Die
däniſchen Vögte des Königs hatten ſchändliche Greuelthaten am
Volke verübt, und Ihr fandet es nicht rätlich, Euch feſter, als
ſchon geſchehen war, an die däniſchen Gewalthaber anzu—
ſchließen. — Und was habt Ihr gethan, um ſie, die ſo jung
ſterben mußte, zu rächen? Ihr habt nichts gethan! Wohlan!
Ich werde für Euch handeln und die Schmach rächen, die
unſer Volk und unſer Geſchlecht betroffen hat.
Inger. Du? Was haſt Du im Sinn?
Eline. Ich gehe meinen Weg, wie Ihr den Euern
Ba.
geht. Was ich im Sinn habe, weiß ich ſelbſt nicht; aber ich
fühle Kraft in mir, alles für unſre gute Sache zu wagen.
Inger. Du wirſt einen harten Kampf zu kämpfen haben.
Ich gelobte einſt dasſelbe wie Du; und mein Haar iſt ergraut
unter der Laſt meines Gelübdes.
Eline. Gute Nacht! Euer Gaſt könnte eintreffen, und bei
dieſer Begegnung bin ich überflüſſig. — Vielleicht iſt es noch
Zeit für Euch — nun, Gott ſtärk' Euch und leit' Euer Thun!
Vergeßt nicht, daß viel tauſend Augen auf Euch gerichtet ſind!
Denkt an Merete, die früh und ſpät um ihr verſpieltes Leben
weint; denkt an Lucia, die im ſchwarzen Sarge ſchläft. — Und
noch eins! Vergeßt nicht, daß Ihr in dieſer Nacht Schach
zieht um Euer letztes Kind!
Sie geht links ab.
Inger blickt ihr eine Weile nach. Mein letztes Kind? — Du
ſprachſt wahrer, als Du ſelbſt wußteſt. — Aber es gilt nicht
mein Kind allein. Gott helfe mir! In dieſer Nacht wird
Schach gezogen um das ganze norwegiſche Reich. — Ah! Reitet
dort nicht wer durch das Burgthor? Sie lauſcht am Fenſter. Nein,
noch nicht. Es war nur der Wind. Er weht grabeskalt — —
Hat Gott der Herr recht gehandelt? Mich zum Weibe zu
bilden und eine Mannesthat auf meine Schultern zu laden!?
Denn des Landes Wohlfahrt liegt in meiner Hand. In
meiner Macht ſteht es, daß ſich alle wie ein Mann er—
heben. Von mir erwarten ſie das Zeichen; und geb' ich es
jetzt nicht — ſo geſchieht es — vielleicht nie! — Zögern?
Die Vielen um des Einen willen opfern? — Wär' es nicht
beſſer, wenn ich — —? Nein, nein, nein! Ich will nicht!
Ich kann nicht!
Sie wirft einen verſtohlenen Blick nach dem Ritterſaale, wendet ſich, wie in Angſt,
ab und ſagt flüſternd:
Nun ſind ſie wieder da drin! Bleiche Schatten, tote Ahnen,
gefallene Blutsfreunde! — — Pfui! dieſe bohrenden Augen in
BC
allen Ecken! Sie ſchlägt mit der Hand hinter ſich und ruft: Sten Sture! Knut
Alfſön! Olaf Skaktavl! Weicht, weicht! Ich kann es nicht!
Ein fremder, kräftig gebauter Mann mit angegrautem Haar und Bart, mit
einem zerriſſenen Wams aus Schaffell bekleidet und mit roſtigen Waffen, iſt durch
den Ritterſaal eingetreten.
Der Fremde bleibt bei der Thür ſtehen und ſagt mit gedämpfter Stimme:
Heil Euch, Frau Inger!
Inger wendet ſich mit einem Schrei um. Ha! — Jeſus Chriſtus,
ſteh mir bei!
Sie fällt in den Stuhl zurück. Der Fremde blickt ſie ſtarr an, unbeweglich, auf
ſein Schwert gelehnt.
Sweiter Aufzug.
Stube auf Dejtrot, wie im erſten Akt.
Inger ſitzt am Tiſch rechts vor dem Fenſter. Olaf Skaktavl ſteht ein wenig
von ihr entfernt. Beider Mienen verraten, daß ein aufregendes Geſpräch voran⸗
gegangen iſt.
Olaf. Zum letzten Mal, Frau Inger, — Ihr ſeid alſo
unbeugſam in Euerm Entſchluß?
Inger. Ich kann nicht anders. Und mein Rat iſt: geht
auch Ihr meinen Weg. Sit es des Himmels Wille, daß Nor—
wegen untergehen ſoll, ſo geht es unter, ob wir es ſtützen
oder nicht.
Olaf. Und mit dieſem Glauben, meint Ihr, ſoll ich mich
in Geduld faſſen? Ich ſollte unthätig ſitzen und zuſchauen,
nun die Zeit gekommen iſt? Habt Ihr vergeſſen, was es zu
rächen giebt? Mein liegendes Gut haben ſie geraubt und unter
ſich geteilt. Meinen Sohn, mein einziges Kind, den letzten
Sproß unſeres Geſchlechtes, erſchlugen ſie vor meinen Augen
wie einen Hund, und mich ſelbſt haben ſie zwanzig Jahre lang
friedlos durch Wald und Gebirge gehetzt. Mehr als einmal
meldete das Gerücht mich tot; aber nun hab' ich die Zuverſicht, daß
man mich nicht in die Erde legen wird, eh' ich Rache genommen.
Inger. Dann habt Ihr auf ein langes Leben zu hoffen.
Und jetzt — was wollt Ihr thun?
Olaf. Was weiß ich, was ich thun werde? Ich habe
mich niemals darauf verſtanden, Pläne zu ſchmieden. Das ijt
etwas, wozu ich Eurer Hilfe bedarf. Ihr ſeid gar klug dazu;
ich habe nur meine zwei Arme und meine Waffen.
Inger. Eure Waffen ſind verroſtet, Olaf Skaktavl! Alle
Waffen in Norwegen ſind verroſtet.
Olaf. Alſo deshalb ſtreiten gewiſſe Leute nur mit der
Zunge? — Inger Gyldenlöve, Ihr habt Euch ſehr verändert.
Es war eine Zeit, da ſchlug ein Mannesherz in Eurer Bruſt.
Inger. Mahnt mich nicht an das, was war.
Olaf. Und doch bin ich da rum zu Euch gekommen. Ihr
ſollt mich hören.
Inger. Nun wohl! Doch macht es kurz; denn — ich
muß es Euch wohl ſagen — Ihr ſeid hier auf dem Schloſſe
nicht ſicher.
Olaf. Auf Schloß Oeſtrot iſt nicht Sicherheit für den
Friedloſen? Das wußt' ich längſt. Aber Ihr vergeßt, daß
ein Friedloſer nirgends ſicher iſt, wo er auch weile.
Inger. So ſprecht. Ich kann es Euch nicht verwehren.
Olaf. Es iſt nun bald dreißig Jahre, daß ich Euch zum
erſten Male ſah. Es war zu Akershus bei Knut Alfſön und
ſeinem Weibe. Ihr wart faſt noch ein Kind, und gleichwohl
wart Ihr kühn wie ein Falke auf der Jagd und zuweilen faſt
unzähmbar. Viele warben um Euch. Auch mir wart Ihr
teuer — teuer, wie kein andres Weib mir ſeitdem geweſen iſt.
Aber Ihr hattet nur ein Ziel, nur einen Gedanken. Und
das war der Gedanke an das Unglück und die große Not des
Reiches.
Inger. Ich war fünfzehn Sommer alt — erwägt das!
Und war es nicht, als hätt' in jenen Tagen uns insgeſamt
ein wilder Trotz erfaßt?
Olaf. Nennt es, wie Ihr mögt. Aber das weiß ich: die
Aelteſten und Erfahrenſten unter uns meinten, es ſtünde dort
BE, 1
oben in den Sternen gejchrieben, daß Ihr es wärt, die das
Sklavenjoch brechen und uns alle unſre Rechte zurückgewinnen
ſollte; und ich weiß auch, Ihr dachtet damals ebenſo.
Inger. Das war ein ſündiger Gedanke, Olaf Skaktavl!
Hochmut war es und nicht der Ruf des Herrn, was aus mir
ſprach.
Olaf. Ihr konntet die Auserkorne ſein, wenn Ihr
gewollt hättet. Ihr ſtammtet aus Norwegens edelſtem Ge—
ſchlecht; Ihr hattet Macht und Reichtum zu erwarten und Ihr
hattet ein Ohr für den Klageruf — damals. — — Denkt
Ihr jenes Nachmittags noch, da Henrik Krummedike mit der
däniſchen Flotte vor Akershus erſchien? Die Schiffsherren
boten gütlichen Vergleich; und mit ſicherem Geleitbrief ließ
Knut Alfſön ſich vom Lande rudern. Drei Stunden ſpäter
trugen wir ihn wieder durchs Schloßthor —
Inger. Als Leiche, als Leiche!
Olaf. Als Krummedikes Spießgeſellen ihn erſchlugen, da
brach Norwegens beſtes Herz. Noch mein' ich den langen
Zug zu ſehen, der kummerſchwer und Paar für Paar in den
Ritterſaal wallte. Da lag Knut Alfſön auf der Bahre, mit
dem Axthieb über der Stirn, weiß wie eine Frühlingswolke.
Ich darf wohl ſagen, daß Norwegens beſte Männer in jener
Nacht verſammelt waren. Frau Margarete ſtand zu Häupten
ihres toten Mannes, und alle, alle ſchwuren wir, Gut und
Blut daran zu ſetzen, um dieſe letzte Greuelthat und all das
Uebrige zu rächen. — Inger Gyldenlöve, wer war es, der
da ſich Bahn brach durch den Kreis der Männer? Eine Jung—
frau — faſt noch ein Kind — mit Feuer im Auge und mit
thränenerſtickter Stimme. Was ſchwur ſie? Soll ich Eure
Worte wiederholen?
Inger. Ich ſchwur, was Ihr alle ſchwurt, — nicht mehr,
nicht weniger.
—
Olaf. Ihr entſinnt Euch Eures Eides — und habt ihn
doch vergeſſen.
Inger. Und wie hielten die andern, was ſie gelobt? Ich
ſpreche nicht von Euch, Olaf Skaktavl, doch von Euren Freunden,
vom ganzen nordiſchen Adel. Nicht ein einziger iſt darunter,
der in all dieſer Zeit den Mut gehabt hätte, ein Mann zu
ſein; und doch legen ſie mir zur Laſt, daß ich ein Weib bin.
Olaf. Ich weiß, was Ihr ſagen wollt. Warum haben ſie
ſich unterworfen, ſtatt der Gewalt Trotz zu bieten, bis aufs
Aeußerſte? Gut! Es iſt ein erbärmlich Mark heutzutage in
unſern Geſchlechtern. Aber hätten ſie zuſammengehalten — wer
weiß, was geſchehen wäre! Und Ihr konntet ſie zuſammen—
halten, denn vor Euch hätten ſie ſich alle gebeugt.
Inger. Ich könnte leicht Euch darauf antworten, aber Ihr
würdet die Antwort nicht gelten laſſen. Sprechen wir deshalb
nicht weiter von Dingen, die nicht zu ändern ſind. Sagt mir
lieber, was Euch eigentlich nach Oeſtrot führt. Bedürft Ihr
des Schutzes? Wohlan! Ich will Euch zu verbergen ſuchen.
Habt Ihr noch andere Wünſche — ſagt es frei! Ihr ſollt mich
bereit finden —
Olaf. Zwanzig Jahre bin ich heimatlos geweſen. Zwiſchen
den Felswänden von Jämteland iſt mein Haar ergraut. Ich
habe mit Wölfen und Bären gehauſt. Ihr ſeht, Frau Inger —
ich bedarf Eurer nicht, wohl aber der Adel und das gemeine Volk.;
Inger. Das alte Lied!
Olaf. Ja, ich weiß wohl, es klingt häßlich Euren Ohren
aber Ihr ſollt es dennoch hören. Kurz und gut: ich komme
von Schweden. Unruhen giebt es da. In Dalekarlien ſoll es
losgehen.
Inger. Ich weiß.
Olaf. Der Kanzler Peter iſt im Bunde, doch — Ihr ver—
ſteht — nur insgeheim.
Ibſen, Frau Juger auf Oeſtrot. 9
Inger ſtutzt. Wie?
Olaf. Und er war's, der mich nach Oeſtrot ſandte.
Inger erhebt ſich. Der Kanzler Peter, jagt Ihr?
Olaf. Er ſelbſt; — oder kennt Ihr ihn vielleicht nicht
mehr?
Inger halb für fig. Nur allzugut. — — Doc) jagt mir, id)
bitt Euch, welche Botſchaft bringt Ihr?
Olaf. Als das Gerücht vom Unfrieden bis in die Grenz—
thäler drang, wo ich mich verborgen hielt, brach ich unverweilt
nach Schweden auf. Ich konnte mir denken, daß der Kanzler
ſeine Hand im Spiele hat. Ich ſuchte ihn auf und bot ihm
meinen Beiſtand an. Ihr wißt, er hat mich in frühern Zeiten
gekannt; er wußte, daß man auf mich bauen kann — und
darum ſandte er mich hieher.
Inger ungeduldig. Gewiß, gewiß — er ſandte Euch her,
um —
Olaf geheimnisvoll. Frau Inger — ein Fremder kommt heut
Nacht nach Oeſtrot.
Inger überraſcht. Wie? Ihr wißt —
Olaf. Und warum nicht? Ich weiß alles. Ich wurde ja
vom Kanzler hergeſandt, um mit ihm zuſammenzutreffen.
Inger. Mit ihm? Unmöglich, Olaf! Unmöglich!
Olaf. Wie ich Euch ſage. — Wenn er nicht ſchon da iſt,
ſo wird es doch nicht mehr lange währen —
Inger. Allerdings. Doch ſprecht —
Olaf. Ihr wart alſo auf ſeine Ankunft vorbereitet?
Inger. Ja, gewiß. Er ſandte mir Kunde. Deshalb auch
wurde Euch auf Euer Pochen ſogleich aufgethan.
Olaf lauſchend. Horch! Es reitet einer den Weg daher. Er
geht zum Fenſter. Die Pforte wird aufgethan.
Inger zum Fenſter hinausblickend. Ein Ritter mit ſeinem Knappen.
Sie ſteigen im Hofe ab.
EIER. RER
Olaf. Das alfo iſt er. Sein Name?
Inger. Ihr wißt ſeinen Namen nicht?
Olaf. Der Kanzler weigerte ſich, ihn zu nennen. Er ſagte
nur, daß ich den Abgeſandten am dritten Abend nach Martini
auf Oeſtrot treffen werde —
Inger. Richtig — alſo heut Abend.
Olaf. Er brächte wichtige Briefſchaften mit. Aus ihnen
und aus ſeinem eigenen Munde würde ich erfahren, wer er ſei.
Inger. So laßt mich Euch nach Eurer Kammer geleiten.
Ihr bedürft der Labung und Pflege. Bald ſollt Ihr den
Fremden ſprechen.
Olaf. Nun, wie Ihr wünſcht. Sie gehen lints ab.
Nach einer kleinen Weile kommt der Schloßdiener Finn vorſichtig durch die Thür
rechts, ſieht ſich im Zimmer um, guckt in den Ritterſaal und geht dann wieder nach
der Thür zurück, indem er jemand draußen ein Zeichen giebt. Gleich darauf treten
Nils Lykke und Jens Bjelke von rechts herein.
Nils Lykke ſtuſternd. Niemand?
Finn ebenſo. Nein, Herr!
Nils Lukke. Und wir können uns feſt auf Dich verlaſſen
in allem und jedem?
Finn. Der Statthalter von Drontheim hat mir ſtets das
Zeugnis gegeben, daß ich zuverläſſig bin.
Nils Lykke. Gut; auch mir ſagte er jo. Nun denn, vor
allem: iſt ein Fremder heut Abend nach Oeſtrot gekommen?
inn. Ja, vor einer Stunde iſt ein Fremder hier an—
gekommen.
Nils Lykke leise zu Jens Vielte. Er iſt hier. er wendet ſich wieder zu
Finn. Würdeſt Du ihn wiedererkennen? Haſt Du ihn geſehen?
Finn. Nein. Niemand außer dem Pförtner ſah ihn, ſoviel
ich weiß. Er wurde ſogleich zu Frau Inger geführt, und ſie —
Ails Lykke. Und ſie? Nun? Er iſt doch nicht ſchon
wieder fort?
Pam Zu
Finn. Nein, fie wird ihn verſteckt haben in einem ihrer
eigenen Zimmer —
Nils Lykke. Es iſt gut.
Jens Bjelke flüstert. Alſo vor allen Dingen das Thor be—
wachen, dann haben wir ihn ſicher.
Nils Lukke lächelnd. Hm! Zu Finn: Du, ſag' mir, giebt es
hier noch einen andern Ausgang als durch das Thor? Sieh
mich nicht ſo dumm an! Ich meine, kann einer ungeſehen von
Oeſtrot entkommen, wenn das Burgthor verſchloſſen iſt?
Zinn. Ja, das weiß ich nicht. Man ſpricht zwar von
geheimen Gängen unten in den Kellern; aber niemand kennt ſie
außer Frau Inger — und vielleicht Jungfer Eline.
Jens Bjelke. Verwünſcht!
Nils Lykke. Es iſt gut. Du kannſt gehen.
Zinn. Wohl. Solltet Ihr ſpäter meiner bedürfen, jo
braucht Ihr nur an die zweite Thür rechts im Ritterſaal zu
pochen. Ich werde dann gleich bei der Hand ſein.
Nils Lykke. Gut.
Er deutet auf die Thür; Finn geht hinaus.
Jens Bjelke. Wißt Ihr was, — lieber Freund und
Bruder, — das wird ein elender Feldzug für uns zweibeide.
Nils Lykke lächelnd. J, nicht für mich, will ich hoffen.
Jens Bjelke. So? Fürs erſte bringt's nur wenig Ehre,
auf einen ſo grünen Jungen, wie dieſen Nils Sture, Jagd zu
machen. Soll ich ihn nach ſeinem Vorgehen für klug oder für
verrückt halten? Erſt ſtachelt er die Bauern auf, verſpricht
ihnen ſeinen Beiſtand und goldne Berge — und wenn es
zum Handeln kommt, läuft er davon und verkriecht ſich
hinter eine Weiberſchürze. Und dann bereu' ich's überhaupt,
offen geſtanden, Eurem Rate gefolgt zu ſeinem und nicht meinem
eigenen Kopfe.
Nils Lykke leiſe. Die Reue kommt etwas ſpät, Herr Bruder!
— 69 —
Jens Bjelke. Denn ſeht, den Dachs zu graben, das hat
mir nie Spaß gemacht. Ich erwartete mir etwas ganz anderes.
Ich bin mit meinen Reitern von Jämteland aufgebrochen und
habe den Brief des Statthalters von Drontheim, daß ich auf
den Unruhſtifter überall fahnden kann, wo's mir paßt. Alle
Spuren deuten darauf hin, daß er in Oeſtrot iſt.
Nils Lykke. Er iſt hier! Er iſt hier, ſag' ich.
Jens Bjelke. Ja, aber was wäre dann natürlicher geweſen,
als daß wir das Thor verſchloſſen und bewacht gefunden hätten?
Wär' es nur ſo geweſen, dann hätt' ich doch meine Kriegsknechte
gebrauchen können!
Nils Lykke. Doch ſtatt deſſen öffnet man uns das Thor
gar höflich. — Paßt auf! Iſt Frau Inger wie ihr Ruf, ſo
wird ſie es ihren Gäſten weder an Speiſ' noch an Trank
mangeln laſſen.
Jens Bjelke. Um uns das Mißtrauen zu benehmen, nicht
wahr? Wie konntet Ihr auch nur den Einfall haben, daß ich
meine Leute eine Viertelmeile Weges zurücklaſſen ſollte! Wären
wir nur mit Kriegsmannſchaft hergekommen, ſo —
Nils Lukke. Frau Inger hätte uns deshalb nicht weniger
willkommen geheißen. Aber bedenkt, daß unſer Beſuch in dieſem
Falle Aufſehen gemacht hätte. Die Bauern ringsum würden
darin eine Gewaltthat gegen Frau Inger erblickt haben. Sie
wäre wieder in der Gunſt der Menge geſtiegen. Und Ihr ſeht
ein, das iſt nicht ratſam.
Jens Bjelke. Mag fein. Aber was nun —? Graf Sture
iſt auf Oeſtrot, behauptet Ihr. Ja, was hilft mir das? Frau
Inger hat, gleich dem Fuchſe, wohl manch geheimen Schlupf—
winkel in ihrer Wohnung und mehr als einen Ausgang. Hier
können wir zwei einzelne Geſellen lange ſpähen und ſuchen.
Verwünſcht — die ganze Geſchichte!
Mils Lukke. Nun wohl, lieber Herr, — ſeid Ihr mit der
a
Wendung, die Eure Miſſion genommen hat, unzufrieden, jo
überlaßt das Schlachtfeld mir.
Jens Bjelke. Euch? Und was wollt Ihr thun?
Nils Lykke. Klugheit und Liſt bringen hier vielleicht zu
ſtande, was Waffengewalt nicht vermag. — Ehrlich geſprochen,
Herr Jens, ich hatte ähnliche Gedanken ſchon geſtern, als wir
uns in Drontheim trafen.
Jens Bijelke. Und deshalb habt Ihr mich wohl dazu
überredet, mich von meinen Kriegsknechten zu trennen?
Nils Lykke. Sowohl Euer wie mein Geſchäft auf Oeſtrot
konnte beſſer erledigt werden ohne ſie; darum —
Jens Zjelke. Hol' Euch dieſer und jener — hätt' ich faſt
geſagt — und mich dazu! Ich konnte ja wiſſen, daß Euch der
Schalk im Nacken ſitzt.
Nils Lykke. Ja ſeht Ihr, der Schalk iſt hier ſehr am
Platze, wenn auf beiden Seiten die Waffen gleich ſein ſollen.
Und ich will Euch nur geſtehen, daß es mir von der höchſten
Wichtigkeit iſt, mich geſchickt und in aller Stille meines Auftrags
zu entledigen. Denn wißt: der König war mir bei meinem
Aufbruch nicht ſehr gewogen. Er glaubte ſeine guten Gründe
dafür zu haben, obgleich ich der Anſicht bin, daß ich ihm mehr
als einmal nützliche Dienſte geleiſtet habe.
Jens Zielke. Dies Zeugnis dürft Ihr Euch kecklich aus—
ſtellen. Gott und alle Welt weiß, daß Ihr der verſchlagenſte
Teufel in den drei Reichen ſeid.
Nils Lykke. Schönen Dank! Aber das will gerade nicht viel
ſagen. Doch was ich hier zu verrichten habe, das halt' ich
allerdings für eine Meiſterprobe. Denn hier gilt es ein Weib
zu überliſten —
Jens Zjelke. Hahaha! In dieſem Handwerk habt Ihr ſchon
längſt Eure Meiſterprobe abgelegt, mein Lieber! Meint Ihr,
wir kennen nicht auch in Schweden die Weiſe:
„Da ſeufzt jede Jungfrau in Herzensglut:
O wäre Nils Lykke mir hold und gut.“
Nils Lykke. Bah! Die Weiſe gilt nur den Mädchen von
zwanzig Jahren und da herum. Aber Frau Inger iſt bald an
die fünfzig und überdies ſchlau wie keine ſonſt. Es wird nicht
leicht ſein, ſie klein zu kriegen. Doch es muß geſchehen —
um jeden Preis! Glückt es mir, dem König gewiſſe Vorteile
über ſie zu verſchaffen, nach denen er ſchon lange trachtet, ſo
kann ich darauf rechnen, nächſtes Frühjahr mit der Sendung
nach Frankreich betraut zu werden. Ihr wißt doch, daß ich
volle drei Jahre auf der Hochſchule zu Paris geweſen bin? Mein
ganzes Sinnen ſteht danach, wieder einmal dorthin zu kommen,
vornehmlich wenn ich in der höchſt anſehnlichen Eigenſchaft eines
königlichen Geſandten auftreten könnte. Alſo — nicht wahr, —
Ihr überlaßt Frau Inger mir? Wißt Ihr noch, wie ich Euch
bei Eurem letzten Beſuch am Hof zu Kopenhagen mehr als eine
junge Schöne willig abtrat —?
Jens Zielke. Meiner Treu, — der Edelmut war jo groß
nicht. Ihr hattet ſie ja doch alle im Sack — aber einerlei!
Da ich nun einmal verkehrt zu Werke gegangen bin, ſo mögt
Ihr auch das Weitere auf Euch nehmen. Jedoch, Euer Wort
darauf — befindet ſich der junge Graf Sture auf Oeſtrot, ſo
liefert Ihr ihn aus — tot oder lebendig.
Nils Lykke. Lebendig und leibhaftig ſollt Ihr ihn haben.
Jedenfalls iſt es nicht meine Abſicht, ihn ums Leben zu
bringen. — Doch nun müßt Ihr zu Euren Leuten zurück!
Haltet die Landſtraße beſetzt! Wenn ich irgend etwas Ver—
dächtiges merke, ſo ſollt Ihr unverzüglich Kunde haben.
Jens Bjelke. Gut, gut. Aber wie komm' ich hinaus?
Nils Lykke. Der Kerl von vorhin wird Euch ſchon zurecht—
weiſen. Aber in aller Stille —
Jens Bjelke. Verſteht ſich! — Alſo — gut Glück!
Nils £ykke. Das Glück hat mich noch nie im Stich gelaſſen,
wenn ich mit Frauen angebunden habe — Nun eilt!
5 Jens Bjelfe rechts ab.
Nils Luykke bleibt einen Augenblick ſtehen, geht ein paar Schritte in der
Stube umher, ſieht ſich um und ſagt mit gedämpfter Stimme: So bin ich
denn endlich in Oeſtrot. Auf dieſem alten Herrenſitz, von dem
ein Kind mir vor zwei Jahren ſo viel erzählte. — Lucia! Ja,
vor zwei Jahren war ſie noch ein Kind. Und jetzt — jetzt iſt
ſie tot. Er ſummt mit einem halben Lächeln: „Blumen bleichen, Blumen
welken.“ Sieht ſich wieder um. Oeſtrot! — Mir iſt, als hätt' ich
dieſe Räume ſchon früher geſehen, als wär' ich hier zu Hauſe.
— Dort iſt der Ritterſaal, und unter mir iſt — das Grab—
gewölbe. Dort liegt wohl auch Lucia. Leiſer, halb in ernithaftem,
halb in gezwungen ſpöttiſchem Ton: Wär' ich furchtſam, ſo könnt' ich
mir einbilden, ſie hätte ſich im Sarge umgedreht, als ich meinen
Fuß auf Oeſtrots Schwelle ſetzte. Als ich über den Burgho
ſchritt, hob ſie den Deckel des Schreines, und nun ich ihren
Namen nenne, dringt es wie eine beſchwörende Stimme in ihre
Gruft. Vielleicht tappt ſie jetzt die Treppe herauf. Das Leichen—
tuch hemmt ihren Schritt, aber dennoch tappt ſie vorwärts — —
Nun iſt ſie im Ritterſaale. Nun lehnt ſie an der Thür und
ſtarrt mich an. Er wirft das Haupt über die Schulter zurück, winkt und ruft
laut: Komm näher, Lucia! Plaudre ein wenig mit mir! Deine
Mutter läßt mich warten. Es iſt langweilig, zu warten, und
Du haſt mir ſo manche langweilige Stunde vertrieben —
Er fährt mit der Hand über die Stirn und geht einige Male auf und ab.
Sieh! Richtig, da iſt das tiefe Bogenfenſter mit dem Vor—
hang. Hier pflegt Inger Gyldenlöve zu ſtehen und auf die
Landſtraße hinauszublicken, als ob ſie harre auf einen, der
niemals kommt. Dadrin — er blickt nach der Thür zur Linten — da
liegt Schweſter Elines Stube. Eline? Ja, Eline iſt ihr Name.
— Iſt es wohl wahr, daß ſie ſo merkwürdig — ſo klug, ſo
mo
— 13 . —
kühn iſt, wie mir Lucia ſagte? Schön ſoll ſie auch ſein. Aber
zur Gattin — Ich hätte das nicht ſo ohne weiteres ſchreiben
follen — —
Er ſetzt ſich, in Gedanken verloren, an den Tiſch, erhebt ſich aber ſogleich wieder.
Wie Frau Inger mich aufnehmen wird? — Sie wird das.
Haus nicht über uns in Brand ſtecken, wird mich nicht in eine
Falle locken, noch wird ſie mir meuchlings den Dolch — —
Er lauſcht, dem Saal zugewandt.
Ah!
Inger kommt aus dem Saal und ſagt kalt: Ich entbiet' Euch meinen
Gruß, Herr Reichsrat —
Nils Lynkke verbeugt ſich tief. Ah — die Herrin von Oeſtrot!
Inger. — und meinen Dank, daß Ihr mich Eure Ankunft
wiſſen ließet.
Nils Lykke. Es war nicht mehr als meine Pflicht. Ich hatte
Grund zu vermuten, daß mein Kommen Euch überraſchen würde —
Inger. Fürwahr, Herr Reichsrat, darin habt Ihr Euch
nicht geirrt. Nils Lykke als Gaſt auf Oeſtrot zu ſehen, das
hab' ich gewiß am allerwenigſten erwartet.
Nils Lykke. Und wohl noch weniger habt Ihr erwartet,
daß er als Freund kommen würde.
Inger. Als Freund? Ihr fügt noch Spott zu all dem
Schmerz und Schimpf, den Ihr meinem Hauſe angethan? Nach—
dem Ihr mein Kind mir unter die Erde gebracht, wagt Ihr
28 —
Nils Lykke. Erlaubt, Frau Inger, in dieſem Punkte werden
wir uns nie einigen; denn Ihr zieht nicht in Betracht, was ich
ſelbſt bei dieſem unglücklichen Ereignis verloren habe. Meine
Abſichten waren ehrlich. Ich war meines zügellojen Lebens
ſatt; zudem war ich ja ſchon über dreißig Jahre; ich ſehnte mich
danach, ein gutes und frommes Weib zu finden. Dazu die
Ausſicht auf das Glück, Euer Schwiegerſohn zu werden —
a) RE
Inger. Hütet Euch, Herr Reichsrat! Was meinem Kinde
widerfahren iſt, hab' ich, ſo gut ich's vermochte, zu vertuſchen
geſucht. Doch glaubt nicht, daß das Verborgne nun auch ver—
geſſen ſei. Bei irgend einer Gelegenheit —
Nils Lykke. Ihr droht mir, Frau Inger? Ich hab' Euch
die Hand zur Verſöhnung gereicht. Ihr weigert Euch, ſie zu
ergreifen? Von nun an iſt alſo offene Fehde zwiſchen uns?
Inger. Ich wüßte nicht, daß es je anders geweſen iſt.
Nils Lykke. Von Eurer Seite vielleicht. Ich war nie⸗
mals Euer Widerſacher, obgleich ich als Unterthan des Königs
von Dänemark triftigen Grund dazu hätte.
Inger. Ich verſteh' Euch. Ich bin nicht fügſam genug
geweſen; es iſt nicht ſo glatt gegangen, wie man wünſchte,
da man mich ins andere Lager hinüberzuziehen ſuchte. Und
doch ſcheint mir, Ihr hättet Euch nicht zu beklagen. Der
Gemahl meiner Tochter Merete iſt Euer Landsmann. Weiter
kann ich nicht gehen. Meine Stellung iſt ſchwierig, Nils
Lykke!
Nils Lykke. Das begreif' ich vollkommen. Der Adel und
das gemeine Volk in Norwegen glauben ja einen alten Anſpruch
auf Euch zu haben — einen Anſpruch, dem Ihr, wie man
ſagt, nur halbwegs Genüge thatet.
Inger. Verzeiht, Herr Reichsrat, — für meine Thaten ſteh'
ich keinem Rede als Gott und mir ſelbſt. Und drum, wenn es
Euch beliebt, ſo laßt mich wiſſen, was Euch herführt.
Mils Lykke. Sofort, Frau Inger. Der Zweck meiner
Sendung kann Euch wohl nicht unbekannt ſein.
Inger. Ich weiß, mit welchen Aufträgen man Euch gewöhnlich
bedenkt. Unſerm König iſt es von Wichtigkeit, die Geſinnung
des nordiſchen Adels zu kennen.
Nils Lyhke. Allerdings.
Inger. Alſo deshalb ſeid Ihr nach Oeſtrot gekommen?
mr
Nils Lykke. Zum Teil deshalb. Doch komme ich keines—
wegs, um irgend eine mündliche Zuſage von Euch zu begehren.
Inger. Was dann?
Nils Lykke. Hört mich, Frau Inger: Ihr ſagtet eben ſelbſt,
daß Eure Stellung ſchwierig ſei. Ihr ſteht zwiſchen zwei feind—
lichen Lagern, die ſich beide nur halb auf Euch verlaſſen können.
Euer eigener Vorteil muß Euch notwendigerweiſe an uns
knüpfen; an die Mißvergnügten dagegen bindet Euch die Lands—
mannſchaft und — wer weiß
heime Feſſel.
Inger teije. Eine geheime Feſſel? Barmherziger! Sollte er —
Nils Lykke gewahrt ihre Erregung, läßt es aber nicht merken und fügt
ungezwungen hinzu: Ihr ſeht gewiß ſelbſt ein, daß Ihr Eure
Stellung auf die Dauer nicht behaupten werdet. — Geſetzt nun,
es ſtünde in meiner Macht, Euch aus dieſer Lage zu be—
freien — 2
Inger. In Eurer Macht, ſagt Ihr?
Nils Lykke. Vor allen Dingen muß ich Euch bitten, Frau
Inger, kein Gewicht auf die leichtfertigen Worte zu legen, wo—
mit ich vorhin das geſtreift haben könnte, was zwiſchen uns
liegt. Glaubt nicht, daß ich einen Augenblick aus dem Ge—
dächtnis verloren hätte, in welcher Schuld ich bei Euch ſtehe.
Doch, wenn es nun längſt meine Abſicht geweſen, nach Möglichkeit
wieder gut zu machen, was ich verbrach? Wenn ich zu dieſem
Zweck mir die Sendung nach Oeſtrot übertragen ließ?
Inger. Erklärt Euch deutlicher, Herr Reichsrat! Jetzt ver—
ſteh' ich Euch nicht.
Mils Lykke. Ich irre vielleicht nicht, wenn ich annehme,
daß Ihr, ſo gut wie ich, von den Unruhen unterrichtet ſeid,
die in Schweden loszubrechen drohen. Ihr wißt oder Ihr ahnt
jedenfalls, daß dieſe Unruhen eine größere Bedeutung haben,
als man ihnen allgemein beilegt. Und Ihr werdet daher be—
vielleicht noch eine andere ge—
u
greifen, daß unſer König nicht ruhig zuſehen kann, wie die Dinge
ihren Lauf nehmen. Nicht wahr?
Inger. Fahrt fort.
Nils Lukke forſchend, nach einer kleinen Pauſe. Ein denkbarer Fall
könnte Guſtav Waſas Thron gefährden —
Inger leiſe. Worauf will er hinaus?
Nils Lykke. — der Fall nämlich, daß ſich in Schweden
ein Mann fände, der auf Grund ſeiner Geburt Anſpruch darauf
hätte, zum Lenker des Volks erkoren zu werden.
Inger ausweichend. Der Adel in Schweden ward ebenſo blutig
zuſammengemäht wie der unſrige, Herr Reichsrat! Wo wolltet
Ihr ſuchen —?
Nils Eykke lächend. Suchen? — Der Mann iſt ſchon ge-
funden —
Inger fährt zuſammen. Ah! Er iſt gefunden?
Ails Lykke. Er ſteht Euch zu nah, edle Frau, als daß
Eure Gedanken nicht auf ihn fallen ſollten. Sic fie ſcharf an.
Der verſtorbene Graf Sture hinterließ einen Sohn —
Inger mit einem Schrei. Barmherziger Himmel! Woher wißt
Ihr —
Nils Lykke ſtutzt. Faßt Euch, edle Frau, und laßt mich zu
Ende reden. — Dieſer junge Mann lebte bis jetzt ruhig bei
ſeiner Mutter, der Witwe Sten Stures.
Inger atmet wieder freier. Bei —? Ach ja, ganz recht!
Nils Lykke. Jetzt dagegen iſt er vor aller Augen auf-
getaucht. Er iſt erſchienen als der Führer der Bauern in Dale—
karlien. Ihre Zahl wächſt von Tag zu Tage; und — wie Ihr
vielleicht wißt, finden ſie auch diesſeits der Berge Freunde unter
der Menge.
Inger die ſich inzwiſchen gefaßt hat. Herr Reichsrat! Ihr thut aller
dieſer Begebenheiten Erwähnung in der feſten Zuverſicht, daß ſie
mir bekannt ſind. Welchen Grund habe ich Euch gegeben, das zu
— 77
vermuten? Ich weiß von nichts und will von nichts wiſſen.
Mein Wunſch iſt, ruhig zu leben auf meiner eigenen Scholle.
Ich leihe den Unruhſtiftern nicht meinen Beiſtand; aber zählt
auch nicht auf mich, wenn Ihr im Sinne habt, ſie niederzuhalten.
Nils Lykke mit gedämpfter Stimme. Würdet Ihr auch unthätig
bleiben, wenn ich die Abſicht hätte, ihnen beizuſtehen?
Inger. Wie ſoll ich Euch verſtehen?
Nils Lykke. Ihr habt alſo nicht begriffen, auf was ich die
ganze Zeit hingezielt? Wohlan — ſo will ich Euch alles frei
und ehrlich ſagen. Wiſſet denn, daß der König und ſeine Räte
vollkommen einſehen, wie ſie auf die Dauer nicht feſten Fuß in
Norwegen faſſen können, wenn Edle und Gemeine fortfahren,
ſich für benachteiligt zu halten. Wir begreifen ſehr wohl,
daß willige Bundesgenoſſen beſſer ſind als gezwungene Unter—
thanen, und wünſchen daher nichts ſehnlicher, als die Bande
zu löſen, die uns ja im Grunde ebenſo läſtig ſind wie Euch.
Aber Ihr ſeht auch gewiß ein, daß der Norweger Geſinnung
gegen uns einen ſolchen Schritt recht bedenklich macht — ſo
lange wir nicht eine ſichere Stütze im Rücken haben.
Inger. Und dieſe Stütze —?
Ails Lykke. Dieſe Stütze iſt zunächſt in Schweden zu
ſuchen. Aber, wohlbedacht, nicht, ſo lange Guſtav Waſa am
Ruder iſt; denn ſeine Rechnung mit Dänemark iſt noch nicht
beglichen und wird es auch nie werden. Ein neuer ſchwediſcher
König dagegen, der das Volk auf ſeiner Seite hätte und ſeine
Krone dem Beiſtand Dänemarks verdankte — —. Na, fangt
Ihr an, mich zu begreifen? — Dann könnten wir unbeſorgt
zu Euch Norwegern ſagen: „Nehmt Eure alten, vererbten Rechte
wieder; wählt Euch einen Führer nach Eurem Sinne; ſeid unſre
Freunde in der Not, wie wir die Euren ſind.“ Beachtet wohl,
Frau Inger, daß dieſer Edelmut eigentlich nicht ſo groß iſt,
wie es vielleicht ſcheinen mag. Ihr werdet ſelbſt einſehen, daß
wir, weit entfernt, dadurch geſchwächt zu werden, vielmehr dabei
gewinnen. Und da ich nun offenherzig mit Euch geſprochen,
jo laßt auch Ihr jedes Mißtrauen fahren. Alſo — Bestimmt:
Der Rittersmann aus Schweden, der eine Stunde vor mir
hier eintraf —
Inger. Ihr wißt es alſo ſchon?
Nils Lykke. Alles. Ihn ſuch' ich ja.
Inger für ji. Seltſam! Alſo doch, wie Olaf Skaktavl ſagte!
Zu Nils Lytte: Ich bitt' Euch, hier zu warten, Herr Reichsrat!
Ich gehe, ihn Euch zuzuführen.
Ab durch den Ritterſaal.
Nils Lukke blickt ihr eine Weile mit höhniſchem Erſtaunen nach. Sie
holt ihn! Ja, wahrhaftig — ſie holt ihn! Der Kampf iſt halb
gewonnen. So leicht hätt' ich es mir nicht gedacht. — Sie iſt
im Einverſtändnis mit den Unruhſtiftern — durchaus. Sie
fuhr zuſammen vor Schreck, als ich den Sohn Sten Stures
nannte... Was nun? — Hm, iſt Frau Inger leichtgläubig in
die Falle gegangen, ſo wird Nils Sture nicht viel Schwierig—
keiten machen. Ein junges Blut ohne alle Beſonnenheit und
Ueberlegung — — Mit meinem Verſprechen, ihm beizuſtehen,
zieht er von hier; unglücklicher Weiſe fängt ihn Jens Bjelke
am Wege ab — und der ganze Anſchlag iſt vereitelt. — Und
dann? — Dann einen Schritt weiter, uns ſelbſt zum Frommen.
Man ſprengt aus, daß der junge Graf Sture auf Oeſtrot war,
daß ein däniſcher Geſandter eine Zuſammenkunft mit Frau Inger
hatte, daß infolge hievon Junker Nils keine hundert Schritte
vom Hofe durch König Guſtavs Kriegsknechte abgefangen wurde. —
Frau Gyldenlöves Anſehen beim Volke mag noch ſo groß ſein —
gegen einen ſolchen Stoß wird es ſich nicht behaupten können. —
Fährt plötzlich unruhig auf. Alle Wetter! Wenn Frau Inger Unrat
gewittert hätte! Vielleicht entſchlüpft er uns in dieſem Augenblick
unter den Händen. Beruhigt, indem er nach dem Saal hin lauſcht. Ach,
es hat keine Not. Da kommen ſie. Inger kommt aus dem Saal,
von Olaf Skaktavl begleitet.
Inger zu Nus eytte. Hier bring’ ich, den Ihr erwartet.
Nils Lykke leiſe. Tod und Teufel! Was ſoll das heißen?
Inger. Ich habe dieſem Rittersmann Euren Namen geſagt
und was Ihr mir mitgeteilt habt —
Nils Lukke unſchlüſſig. So? Ja fo? Nun, ja —
Inger. Und ich will Euch nicht verhehlen, daß ſein Ver—
trauen auf Euern Beiſtand nicht gerade groß iſt.
Nils Lykke. Nicht?
Inger. Kann Euch das wundern? Ihr kennt ja doch ſeine
Geſinnung und ſein ſchweres Schickſal.
Ails Lykke. Das Schickſal dieſes Mannes? — Nun ja,
— gewiß.
Olaf zu Nils Lytte. Aber nachdem der Kanzler Peter ſelbſt
dieſe Zuſammenkunft angeordnet —
Nils Lykke. Der Kanzler —? Er faßt ſich schnell. Ja, freilich!
Ich habe eine Botſchaft vom Kanzler —
Olaf. Und er muß ja am beſten wiſſen, wem er trauen
darf. Ich will mir deshalb nicht den Kopf zerbrechen mit
Grübeleien, wieſo —
Nils Lykke. Nein, ſo iſt's recht, lieber Herr; nur das nicht!
Olaf. Lieber gleich zur Sache —
Nils Lykke. Gleich zur Sache, ohne Umſchweife; — das iſt
ſtets meine Art.
Olaf. Und wollt Ihr mir jetzt Euern Auftrag nennen?
Nils Lykke. Meinen Auftrag könnt Ihr jo ungefähr er—
raten —
Olaf. Der Kanzler ſprach von Papieren, die —
Nils Lykke. Von Papieren? Ganz recht, von Papieren!
Olaf. Ihr habt ſie wohl bei Euch? a
Nils Lykke. Natürlich; gut verwahrt, faſt zu gut, um ſie
Br
fo ſchnell — Er greift in ſein Wams, als ob er ſie ſuche, und ſagt leiſe:
Wer zum Teufel mag das ſein? Was beginn' ich nur? —
Hier ſind vielleicht große Entdeckungen zu machen. Er bemerkt,
daß die Diener den Tiſch im Ritterſaale decken und die Lampen anzünden, und
jagt zu Olaf: Ah, ich ſehe, Frau Inger läßt das Nachtmahl an—
richten. Bei Tiſche könnten wir wohl beſſer von unſeren An—
gelegenheiten ſprechen.
Olaf. Gut, — wie es Euch gefällt.
Nils Lykke leiſe. Zeit gewonnen, — Spiel gewonnen. mit
großer Liebenswürdigkeit zu Inger: Und mittlerweile werden wir er—
fahren, auf welche Weiſe ſich Frau Inger an dieſer Sache zu
beteiligen gedenkt.
Inger. Ich? — Gar nicht.
Olaf und Nils Lykke. Gar nicht?
Inger. Ihr wundert Euch, edle Herren, daß ich mich von
einem Spiele fern halte, bei dem alles zu verlieren iſt? Um
ſo mehr, als nicht einmal meine Bundesgenoſſen mir ganz zu
trauen wagen.
Nils Lykke. Dieſer Vorwurf trifft nicht mich. Ich ver-
trau' Euch blindlings, des ſeid bitte verſichert.
Olaf. Wer dürfte auf Euch bauen, wenn nicht Eure
Landsleute?
Inger. Wahrhaftig — dieſes Vertrauen freut mich. Sie
geht nach einem Schrank im Hintergrund und füllt zwei Becher mit Wein.
Nils £ykke leiſe. Verdammt! Wenn ſie ſich aus der Schlinge
zöge!
Inger reicht jedem einen Vecher. Und weil dem ſo iſt, ſo biet'
ich mit einem Becher Euch Willkomm auf Oeſtrot. Trinkt, edle
Ritter, bis auf die Neige! Sie betrachtet fie abwechſelnd und ſagt, nachdem
ſie getrunten haben, ernſt: Und nun ſollt Ihr wiſſen: der eine Becher
enthielt den Willkommgruß für meinen Freund, der andre —
den Tod für meinen Feind!
BEN
Nils Lykke ſchleudert den Becher fort. Weh mir! Ich bin vergiftet!
Olaf zu gleicher Zeit, indem er nach dem Schwert greift. Tod und
Teufel! Habt Ihr mich gemordet?
Inger lachend zu Olaf, indem ſie auf Nils Lykke zeigt. Das iſt das
Vertrauen der Dänen zu Inger Gyldenlöve — zu Nils Lytte, indem
ſie auf Olaf deutet: und ſo bauen meine Landsleute auf mich! Zu
beiden: Und dabei ſollte ich mich in Eure Gewalt begeben! —
Sachte, edle Herren, ſachte! Die Frau von Oeſtrot hat noch
ihren vollen Verſtand.
Eline kommt durch die Thür lints. Welch lauter Lärm — — was
iſt los?
Inger zu Nils Lytte. Meine Tochter Eline.
Nils Lykke leiſe. Eline! So hatt’ ich fie mir nicht vor—
geſtellt. Eline bemerkt Nils Lykke und bleibt überraſcht ſtehen, während ſie ihn
betrachtet.
Inger berührt Elinens Arm. Mein Kind, dieſer Ritter iſt —
Eline macht eine abwehrende Bewegung, indem ſie ihn unverwandt betrachtet,
und jagt: Bemüht Euch nicht! Ich ſehe, wie er heißt. Es iſt
Nils Lykke.
Nils Lykke leiſe zu Inger. Wie? Sie kennt mich? Hätte
Lucia —? Sollte fie wiſſen —?
Inger. Still! Sie weiß nichts!
Eline für ji. Ich wußt' es, — jo mußte Nils Lykke ausſehen.
Nils Lukke nägert ſich. Nun wohl, Eline Gyldenlöve, Ihr
habt richtig geraten. Und da ich Euch denn hiemit bekannt und
überdies der Gaſt Eures Hauſes bin — ſo werdet Ihr mir
die Blumen nicht verſagen, die Ihr an Eurem Buſen tragt.
So lange ſie friſch ſind und duften, will ich in ihnen ein Ab—
bild Eurer ſelbſt verehren.
Eline ſtolz, doch ihn noch immer unverwandt betrachtend. Mit Vers
laub, Herr Ritter, ſie ſind in meiner eigenen Kammer gepflückt;
und da wachſen keine Blumen für Euch.
Joſen, Frau Inger auf Oeſtrot. 6
Nils Lykke, indem er einen Strauß nimmt, den er ſelbſt am Wams jteden
hat. Ah, — ſo werdet Ihr doch aber dieſe geringe Gabe nicht ver—
ſchmähen. Eine Edeldame reichte ſie mir zum Abſchied, als ich
heut Morgen von Drontheim zog. — Bedenket edles Fräulein;
wollt' ich Euch eine Gabe bieten, die Eurer ganz würdig wäre,
ſo müßt' es eine Fürſtenkrone ſein.
Eline, die willenlos die Blumen nahm. Und wär' es ſelbſt Däne—
marks Königskrone, die Ihr mir reichtet — eh' ich ſie mit
Euch teilte — eh' zertrümmert' ich ſie mit dieſen meinen Händen
und würfe ſie Euch in Stücken vor die Füße! Sie wirft die Blumen
ihm vor die Füße und geht ab in den Ritterſaal.
Olaf murmelt vor ſich hin. Keck, — wie Otto Römers Tochter
an Knut Alfſöns Bahre.
Inger leiſe, nachdem ſie abwechſelnd Eline und Nils Lykke betrachtet hat.
Der Wolf kann gezähmt werden. Nun gilt's die Kette fertig
zu ſchmieden.
Nils Lykke, der die Blumen aufnimmt und Eline entzückt nachſieht. Bei
Chriſti Blut! Wie iſt ſie ſtolz und ſchön!
Dritter Aufzug.
Der Ritterſaal. Im Hintergrund ein hohes Bogenfenſter; ein kleineres Fenſter
links im Vordergrund. Zu beiden Seiten mehrere Thüren. Die Decke ruht auf
ſtarken freiſtehenden Holzpfeilern, die, gleich den Seitenwänden, mit Waffen aller
Art behängt ſind. Bilder von Heiligen, Rittern und Frauen hängen in langen
Reihen. Unter der Decke ein großer vielarmiger Kronleuchter, der angezündet iſt.
Rechts im Vordergrund ein geſchnitzter Hochſitz aus alter Zeit. Mitten im Saale
ſteht ein gedeckter Tiſch mit Speiſereſten.
Eline kommt langſam und gedankenvoll von links. Der Ausdruck ihres Ge—
ſichts verrät, daß ſie in der Erinnerung die Scene mit Nils Lykke nochmals durch⸗
lebt. Zuletzt macht ſie dieſelbe Armbewegung wie in jenem Augenblicke, da ſie den
Strauß zu Boden warf; dann ſpricht ſie mit lauter Stimme:
— und ſo ſammelte er die Stücke von Dänemarks Königs—
krone — Blumen waren's und — „bei Chriſti Blut! Wie
iſt ſie ſtolz und ſchön!“ Hätte er dieſe Worte geflüſtert, ge—
flüſtert im heimlichſten Winkel, meilenweit von hier — ich hätte
ſie dennoch vernommen! — Wie ich ihn haſſe! Wie ich ihn
ſtets gehaßt habe — dieſen Nils Lykke! — Kein andrer Mann
iſt ihm gleich, ſagen ſie. Er ſpielt mit uns Frauen und —
tritt uns mit Füßen. — — Und ihm wollte meine Mutter
mich ausliefern! — Wie ich ihn haſſe! — — Man ſagt, daß
Nils Lykke anders ſei wie ſonſt die Männer. Das iſt nicht
wahr! Es iſt nichts Beſonderes an ihm; es giebt viele, viele
wie er. Wenn Björn mir Märchen erzählte, da ſahen alle
Prinzen aus wie Nils Lykke. Wenn ich einſam hier im Saale
6 *
Se
ſaß und meine Sagen träumte, und wenn meine Ritter kamen
und gingen — alle, alle ſahen aus ſie wie Nils Lykke. — — Wie
wunderſam und wie ſchön iſt es, zu haſſen! Noch nie hab' ich
empfunden, wie köſtlich es iſt — noch nie bis zu dieſer Stunde.
Nein, nicht für tauſend Lebensjahre würde ich die Augenblicke
verkaufen, die ich gelebt, ſeit ich ihn ſah! — — „Bei Chriſti
Blut! Wie ift fie —“
Sie geht langſam nach dem Hintergrund, öffnet das Fenſter und ſieht hinaus. Nils
Lykke kommt herein durch die erſte Thür rechts.
Nils Lykke für ſich. „Schlaft wohl in Oeſtrot, Herr Ritter“,
ſagte Inger Gyldenlöve, als ſie ging. Schlaft wohl! Ja, das
iſt leicht geſagt; doch — — da draußen Himmel und Meer
in Aufruhr; tief unten im Grabgewölbe das junge Blut auf
der Bahre; das Schickſal zweier Reiche in meiner Hand — und
an meiner Bruſt ein verwelkter Blumenſtrauß, den ein Weib
mir vor die Füße geworfen hat! Wahrlich, ich fürchte ſehr, der
Schlaf wird ſich erſt jpät melden. Er bemerkt Eline, die das Fenſter
verläßt und nach links abgehen will. Da iſt lie. Das ſtolze Auge blickt
gedankenvoll. Ah, wenn ich es wagte — — Laut: Jungfer
Eline!
Eline bleibt an der Thür ſtehen. Was wollt Ihr? Was verfolgt
Ihr mich?
Nils Lykke. Ihr täuſcht Euch. Ich verfolg' Euch nicht;
ich werde ſelbſt verfolgt.
Eline. Ihr?
Nils Lykke. Von mancherlei Gedanken. Und darum macht's
der Schlaf wie Ihr — er flieht mich.
Eline. Geht ans Fenſter, da findet Ihr Zeitvertreib —
Ein Meer im Sturm —
Nils Lykke lächelnd. Ein Meer im Sturm? — Das find'
ich auch wohl bei Euch.
Eline. Bei mir?
Nils Lykke. Unſere erſte Begegnung hat mich deſſen gewiß
gemacht.
Eline. Und Ihr beſchwert Euch darüber?
Nils Lykke. Keineswegs; aber ich wünschte doch, Euch
milder geſtimmt zu ſehen.
Eline its. Glaubt Ihr, es wird Euch glücken?
Nils Lykke. Ich bin deſſen ſicher; denn ich bring' Euch
willkommene Botſchaft.
Eline. Und welche?
Nils Lykke. Mein Lebewohl.
Eline einen Schritt näher. Euer Lebewohl? Ihr verlaßt Oeſtrot
— ſo bald?
Nils Lykke. Noch heut Nacht.
Eline ſcheint einen Augenblick uneinig mit ſich ſelbſt zu ſein; dann ſagt ſie
kalt: So nehmt meinen Gruß, Herr Ritter!
Sie verbeugt ſich und will gehen.
Nils Lykke. Eline Gyldenlöve! Ich habe kein Recht, Euch
zurückzuhalten; aber es iſt unedel, wenn Ihr Euch weigert zu
hören, was ich zu ſagen habe.
Eline. Ich hör' Euch, Herr Ritter.
Nils Lykke. Ich weiß, Ihr haßt mich.
Eline. Euer Scharfblick hat nicht gelitten, wie ich merke.
Nils Lykke. Aber ich weiß auch, daß ich dieſen Haß vollauf
verdient habe. Unziemlich und kränkend waren die Worte,
womit ich in meinem Briefe an Frau Inger Eurer Erwähnung
that.
Eline. Wohl möglich; ich habe ſie nicht geleſen.
Nils Lykke. Aber der Inhalt iſt Euch doch wenigſtens nicht
unbekannt? Ich weiß, Eure Mutter hat Euch nicht in Unklar—
heit darüber gelaſſen; ſie hat Euch jedenfalls geſagt, daß ich
den Mann glücklich pries, der —; ja, Ihr wißt, welche Hoffnung
ich genährt habe —
.
Eline. Herr Riter, wünſchtet Ihr mich deshalb zu ſprechen,
fo — f
Ails Lykke. Nur, um mein Vorgehen zu entſchuldigen,
wünſcht' ich Euch zu ſprechen. Aus keinem anderen Grunde;
das ſchwör' ich Euch. Iſt, wie ich leider vermuten muß, mein
Ruf zu Euch gedrungen, eh' ich mich ſelbſt auf Oeſtrot vor—
ſtellte, ſo müßt Ihr auch mein Leben hinreichend kennen, um
Euch nicht darüber zu wundern, daß ich ſo dreiſt zu Werke
ging. Ich bin vielen Frauen begegnet, Eline! Unbeugſam
fand ich noch keine. Unter ſolchen Umſtänden, ſeht Ihr, wird
man etwas bequem; man kommt aus der Gewohnheit, Um—
ſchweife zu machen —
Eline. Möglich. Ich weiß nicht, aus welchem Stoff jene
Frauen waren. Uebrigens täuſcht Ihr Euch, wenn Ihr glaubt,
jener Brief an meine Mutter habe mein Herz mit Haß und
Bitterkeit gegen Euch erfüllt. Ich hatte ältere Gründe.
Ails Lykke unruhig. Aeltere Gründe? Was wollt Ihr damit
ſagen?
Eline. Es iſt, wie Ihr vermutet: Euer Ruf ging vor Euch
her durchs ganze Land; er drang bis nach Oeſtrot. Wird der
Name Nils Lykke genannt, ſo geſchieht es immer in Verbindung
mit einem Weibe, das Nils Lykke bethört und verſtoßen hat.
Viele nennen ihn mit Gram, andre mit Hohn und frechem
Spott über jene ſchwachſinnigen Geſchöpfe. Aber durch Spott
und Hohngelächter klingt die Weiſe von Euch, die dröhnende,
empörende Weiſe, gleich eines Feindes Siegesſang. . .. Das
alles hat meinen Haß gegen Euch erzeugt. Unaufhörlich ſtandet
Ihr vor meinen Gedanken, und es war wie ein Sehnen in
mir, Euch Aug' in Auge gegenüberzuſtehen, damit Ihr erfahret,
daß es auch Frauen giebt, an denen Eure glatten Reden
wirkungslos abgleiten — wofern Ihr ſie vorbringen ſolltet.
Nils Lykke. Ihr richtet mich ungerecht, wenn Ihr mich
— er
nach meinem Rufe richtet. Möglich, daß Wahrheit in allem iſt,
was Ihr hörtet; — aber die Urſachen kennt Ihr nicht. — Als
ſiebzehnjähriger Junker begann ich meine luſtige Laufbahn.
Volle fünfzehn Jahre ſind ſeitdem vergangen. Leichte Weiber
gewährten mir, was ich begehrte — oft eh' mein Wunſch noch
Begehren ward; was ich ihnen darbot, nahmen ſie mit frohen
Händen. Ihr ſeid die erſte, die ein Geſchenk mir verächtlich vor
die Füße warf. Denkt nicht, daß ich mich beklage. Im Gegen—
teil, — ich ehre Euch eben darum ſo hoch, wie ich noch nie ein
Weib geehrt habe. Aber was ich beklage, und was in
mir nagt wie ein großes Herzeleid, iſt, daß das Schickſal mich
nicht ſchon früher zu Euch geführt hat. — Eline Gyldenlöve!
Eure Mutter hat mir von Euch erzählt. Während die Welt
fern von hier ihren unruhigen Lauf nahm, wandeltet Ihr in
dieſem einſamen Oeſtrot, ſtill, allein mit Eurem Dichten und
Träumen. Und darum werdet Ihr auch verſtehen, was ich Euch
zu ſagen habe. Wißt, daß auch ich einſtmals ein Leben lebte
wie Ihr. Ich dachte, wenn ich hinausträte in die große, weite
Welt, dann käme mir ein edles, herrliches Weib entgegen, die
mir zuwinkte, die mir den Weg zum Ruhme zeigte. Aber nein,
Eline Gyldenlöve, — Frauen begegneten mir; doch ſie war
nicht unter ihnen. Noch eh' ich ganz zum Manne geworden,
hatt' ich ſie insgeſamt verachten gelernt. — Iſt das meine
Schuld? Warum waren die andern nicht wie Ihr? — Ich
weiß, das Schickſal Eures Vaterlandes bedrückt ſchwer Euer
Herz. Ihr kennt meine Stellung zu dieſen Verhältniſſen — —
Man ſagt, ich ſei falſch wie der Schaum auf den Wellen. Wohl
möglich. Aber bin ich es, ſo haben die Weiber mich's gelehrt.
Hätt' ich früher gefunden, was ich ſuchte, — wäre ich einem
Weibe begegnet, ſtolz, edel und hochgeſinnt wie Ihr, — mein
Weg wäre gewiß ein andrer geworden. Vielleicht ſtünd' ich dann
in dieſem Augenblick an Eurer Seite als Verteidiger aller Unter—
drückten im norwegiſchen Reiche. Denn das glaub’ ich feſt: ein
Weib iſt das Mächtigſte auf Erden, und in ſeiner Hand liegt
es, den Mann dahin zu leiten, wo Gott der Herr ihn haben
will.
Eline für ſich. Sollt' er die Wahrheit ſprechen? — Nein,
nein! Lug iſt in ſeinem Auge und Trug auf ſeinen Lippen.
Und doch — kein Sang iſt ſo ſüß wie ſein Wort.
Ails Lykie näher, leiſer und vertraulicher. Wie oft habt Ihr wohl
hier geſeſſen, einſam mit Euern wechſelnden Gedanken! Da ward
es Euch ſo ſchwer ums Herz; Decke und Wände ſchienen enger
und enger zu werden und Eure Seele zu erdrücken. Ihr ſehntet
Euch hinaus, — es lüſtete Euch weit, weit wegzufliegen, — Ihr
wußtet ſelbſt nicht wohin. — Wie oft ſeid Ihr wohl einſam
am Fjord gewandelt, während ein geſchmücktes Schiff, mit Rittern
und Damen an Bord, unter Geſang und Saitenſpiel weit draußen
vorüberſegelte. Eine dunkle Kunde von großen Begebenheiten iſt
zu Euch gedrungen, da habt Ihr ein Sehnen in Eurer Bruſt
gefühlt, ein unbezwingliches Verlangen nach dem, was Ihr jen—
ſeits des Meeres vermutetet. Aber Ihr begrifft nicht, was Euch
fehlte. Ihr glaubtet zuweilen, es wäre das Geſchick Eures
Vaterlandes, was Euch mit ſo unruhigen Gedanken erfüllte.
Ihr täuſchtet Euch — eine Jungfrau in Euern Jahren ſinnt
über andre Dinge — Eline! Habt Ihr nie an geheime Kräfte
geglaubt, an eine ſtarke, rätſelhafte Macht, die der Menſchen
Schickſale aneinander knüpft? Wenn Ihr von dem bunten Leben
draußen in der weiten Welt träumtet, von Waffenſpiel und
frohen Feſten — ſaht Ihr dann nie in Euern Träumen einen
Ritter, der mit lächelndem Munde und mit gramvollem Herzen mitten
im lärmenden Treiben ſtand — einen Ritter, der einſt ſo ſüß
wie Ihr, geträumt von einem hohen, herrlichen Weibe, ſo er
vergebens ſuchte unter denen, die ihn umgaben?
Eline. Wer ſeid Ihr, der Ihr meinen geheimſten Gedanken
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Worte leiht? Wie vermögt Ihr zu nennen, was ich im tiefſten
Innern barg, mir ſelber unbewußt? Woher wißt Ihr —?
Nils Lykke. Was ich Euch gejagt habe, das habe ich in
Euern Augen geleſen.
Eline. Niemals noch hat ein Mann ſo zu mir geſprochen.
Nur dunkel hab' ich Euch verſtanden; und doch — — wie
ſcheint mir alles, alles ſeitdem verwandelt! Für ſich. O, nun be—
greif' ich, warum es heißt, Nils Lykke ſei anders als alle andern.
Nils Lykke. Es giebt etwas in der Welt, das eines Menſchen
Gedanken verwirren könnte, wenn man darüber grübeln wollte,
und das iſt der Gedanke, wie es gekommen wäre, wenn alles
ſich ſo oder jo gefügt —. Wäret Ihr auf meinem Pfad mir
entgegengetreten, ſo lang' mein Lebensbaum noch grünte und
blühte, ſo ſäßet Ihr vielleicht in dieſer Stunde als — — Doch
verzeiht mir, edle Jungfrau. Unſer kurzes Zwiegeſpräch ließ
mich unſre gegenſeitige Stellung vergeſſen. Mir war, als hätte
eine geheime Stimme mir geſagt, ich könnte mit Euch offen
reden, ohne Falſch und ohne Schmeichelei.
Eline. Das könnt Ihr.
Nils Lykke. Nun wohl, und dieſe Offenherzigkeit hat uns
vielleicht halb und halb miteinander ausgeſöhnt; ja, ich bin noch
kühner in meiner Hoffnung — es kann die Zeit kommen, da
Ihr des fremden Ritters ohne Haß und Harm in der Seele
gedenkt — Nun, mißverſteht mich nicht! Ich meine nicht ſo—
gleich, doch eines Tags vielleicht. Und um Euch den Gedanken
minder ſchwer zu machen, und weil ich einmal begann, offen
mit Euch zu reden, ſo laßt mich Euch ſagen —
Eline. Herr Ritter —!
Nils Lykke lächelnd. Ah, ich merke, daß mein Brief Euch
noch immer ſchreckt. Doch Ihr könnt ganz ruhig ſein. Ich
gäbe Tauſende hin, wenn er ungeſchrieben wäre; denn — nun
ich weiß, daß Ihr es ohne ſonderlichen Schmerz vernehmen
werdet, kann ich es ja frei geſtehen: — ich lieb' Euch nicht
und werd' Euch niemals lieben lernen. Seid alſo deswegen
ganz unbeſorgt. Ich werde nie verſuchen — — doch was iſt
Euch?
Eline. Mir? Nichts, nichts! — Sagt mir nur eins: warum
tragt Ihr noch dieſe Blumen? Was wollt Ihr damit?
Nils Lykke. Dieſe Blumen? Sit das nicht der Fehde—
handſchuh, den Ihr im Namen aller Frauen dem böſen Nils
Lykke hingeworfen? Mußte ich ſie darum nicht aufheben? Ihr
fragt, was ich damit will? Mit gedämpfter Stimme: Wenn ich wieder
im Kreiſe ſchöner Dänenfrauen ſitze, wenn das Saitenſpiel ſchweigt
und im Saale Stille herrſcht — dann will ich dieſe Blumen
hervornehmen und ein Märchen von einer Jungfrau erzählen,
die fern in Norwegen einſam in dunkler Balkenhalle ſitzt —
Abbrechend, indem er ſich ehrerbietig verneigt. Doch ich fürchte, ſchon all⸗
zulange hielt ich des Hauſes edle Tochter auf. Wir ſehen uns
nicht wieder. Denn noch vor Tagesanbruch bin ich fort. Ich
ſag' Euch alſo Lebewohl!
Eline. Und ich Euch, Herr Ritter!
Kurze Pauſe.
Nils Lykke. Ihr ſeid wieder jo gedankenvoll, Eline Gylden—
löve. Bedrückt Euch wieder das Geſchick Eures Vaterlandes?
Eline ſchüttelt das Haupt, indem ſie zerſtreut vor ſich hin blickt. Mein
Vaterland? — Ich denke nicht an mein Vaterland.
Nils Lykke. So ängſtigt Euch die Zeit mit ihrer Not und
Gefahr?
Eline. Die Zeit? Die vergeſſ' ich jetzt. — Ihr geht nach
Dänemark? Sagtet Ihr nicht ſo?
Nils Lykke. Ich geh' nach Dänemark.
Eline. Kann ich gen Dänemark von dieſem Saale ſchauen?
Nils Lukke auf das Fenſter lints deutend. Von dieſem Fenſter.
Dort, gen Süden, liegt Dänemark.
A
Eline. Und iſt es weit von hier? Mehr als hundert Meilen?
Nils Lykke. Viel weiter. Das Meer liegt zwiſchen Däne—
mark und Euch.
Eline, wie in Gedanken verloren. Das Meer? — Der Gedanke
hat Möwenſchwingen. Das Meer hemmt ihn nicht. Sie geht lints ab.
Nils Pykke blict ihr eine Weile nach; dann ſpricht er: Könnt' ich zwei
Tage daran wenden — oder nur einen —, ſie wäre in meiner
Gewalt ſo gut wie alle andern. Und doch — aus ſeltnem Stoff
iſt dieſes Mädchen geſchaffen. Sie iſt ſtolz. Sollte ich mich
wirklich entſchließen — ? Nein, lieber fie demütigen! er geht im
Saal auf und ab. Wahrhaftig, — iſt mir nicht, als hätte ſie mein
Blut in Brand geſetzt?! Wer würde das noch geſtern für mög—
lich gehalten haben? — — Fort damit! Ich muß heraus aus
dieſem Wirrſal, in das ich mich verſtrickt habe! er jest ſich auf
einen Stuhl rechts. Wie ſoll ich mir das erklären? Olaf Skaktavl
und Inger Gyldenlöve ſcheinen beide blind zu ſein gegen das
Mißtrauen, dem ſie ſich ausſetzen, ſobald es ruchbar wird, daß
ich mit ihnen im Bunde ſtehe. — Oder ſollte Frau Inger wirk—
lich meinen Plan durchſchauen? Sollte ſie erraten, daß alle Zu—
ſagen nur darauf berechnet ſind, Nils Sture aus ſeinem Ver—
ſteck zu locken? er ſpringt auf. Verdammt! Wäre ich wirklich ſelbſt
der Gefoppte? Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß Graf Sture gar
nicht auf Oeſtrot iſt. Vielleicht war auch das Gerücht von
ſeiner Flucht nur eine Kriegsliſt. Er ſitzt möglicherweiſe zu
dieſer Stunde wohlbehalten bei ſeinen Freunden in Schweden,
während ich — er geht unruhig auf und ab. Daß ich auch meiner Sache
ſo gewiß ſein mußte! Wenn ich nun nichts ausrichte? Wenn
Frau Inger hinter meine Abſichten kommt und aus meinem
Vorgehen kein Hehl macht? — O Nils Lykke, dich zum Kinder—
ſpott zu machen hier und in Dänemark! Frau Inger in die
Falle locken zu wollen — und dadurch ihre Sache erſt recht
zu fördern, ihr Anſehen im Volke erſt recht zu ſtärken! — —
Ha, ich könnte mich dem Böſen ſelbſt verjchreiben, wenn er den
Grafen Sture in meine Hand geben wollte —
Das Fenſter im Hintergrund wird aufgeſtoßen. Nils Stenſſön wird draußen
ſichtbar.
Nils Lykke nach dem Schwerte greifend. Was giebt's?
Nils Stenſſön ſpringt herunter auf den Fußboden. Na, endlich bin
ich da!
Nils Lykke leiſe. Was ſoll das heißen?
Nils Stenſſön. Gottes Frieden, Herr!
Nils Lykke. Dank, Herr! Uebrigens habt Ihr Euch einen
eigenartigen Eingang ausgeſucht.
Nils Stenflön. Teufel auch, was ſollt' ich anders thun?
Das Thor war ja verſchloſſen. Hier im Hofe müſſen die Leute
einen Schlaf haben wie der Bär zu Weihnachten.
Nils Lykke. Gott ſei Dank! Ein gutes Gewiſſen iſt das
beſte Ruhekiſſen, wißt Ihr wohl.
Nils Stenſſön. Das muß wohl jo ſein; denn wie ich auch
hämmerte und donnerte —
Nils Lykke. — es ward Euch doch nicht aufgethan!
Nils Stenſſön. Aufs Haar getroffen. Ich ſagte alſo zu
mir ſelbſt: da du nun einmal heut Abend auf Oeſtrot ſein
mußt, und ging's durch Waſſer und Feuer, — ſo kannſt du
auch wohl durchs Fenſter hereinkriechen.
Nils Lykke leiſe. Sollt' er vielleicht — Einen Schritt naher.
Es war Euch alſo ſehr daran gelegen, heute noch hier einzu—
treffen?
Ails Stenſſön. Ob mir daran gelegen war! Das ſollt' ich
meinen! Ich laſſe nicht auf mich warten, meiner Treu!
Ails Lykke. Aha — Frau Inger erwartet Euch alſo?
Nils Stenſſin. Frau Inger? Das kann ich nicht jo ohne
weiteres behaupten. mit liſtigem Lächeln. Aber ich ſollt' einen
andern —
0
Nils Lykke lächelt auch. Alſo ein anderer ſollte —
Nils Stenſſün. Sagt mal — gehört Ihr mit zum Haufe?
Nils Lykke. Ich? Ja, inſofern ich ſeit heut Abend Frau
Ingers Gaſt bin.
Mils Stenſſön. So? Ich glaube wir haben heute den dritten
Abend nach Martini.
Nils Lykke. Den dritten Abend nach —? Richtig, ja.
Wünſcht Ihr vielleicht die Frau des Hauſes gleich zu ſprechen?
So viel ich weiß, iſt ſie noch nicht zu Bett gegangen. —
Doch wollt Ihr Euch nicht ſetzen und ausruhen, lieber junger
Herr? Seht, hier iſt noch eine Kanne Wein. Etwas Speiſe
werdet Ihr auch finden. Na, ſo langt zu! Ihr werdet der
Stärkung bedürfen.
Nils Stenſſön. Ihr habt recht, Herr. Garnicht fo übel
das! Er ſetzt ſich an den Tiſch; während er ißt und trinkt. Braten und
ſüßer Kuchen! Ihr führt ja hier ein Herrenleben! Wenn man
wie ich vier, fünf Tage auf nacktem Boden geſchlafen und nur
von Waſſer und Brot gelebt hat —
Nils Lukke betrachtet ihn lächend. Ja, das mag ſchwer genug
für jemand ſein, der gewohnt war, im gräflichen Saal obenan
zu ſitzen.
Nils Stenſſön. Im gräflichen Saale — ?
Nils Lykke. Doch nun könnt Ihr ja auf Oeſtrot ausruhen,
ſo lang' es Euch gefällt.
Ails Stenflön froh. So? Kann ich das wirklich? Muß ich
denn nicht gleich wieder fort?
Mils Lykke. Ja, ich weiß nicht. Die Frage könnt Ihr
Euch wohl ſelbſt am beſten beantworten.
Nils Stenſſön leiſe. Ei, verflucht! Laut. Ja, ſeht Ihr, die
Sache iſt nicht ſo leicht gethan. Ich für meinen Teil hätte
freilich nichts dagegen, mir für 's erſte es hier bequem zu
machen; aber —
Ails £ykke. — aber Ihr jeid nicht Euer eigener Herr?
Da giebt's Geſchäfte und Aufträge? —
Ails Stenſſön. Ja, da ſitzt der Knoten. Wenn es bei mir
ſtünde, ſo blieb' ich jedenfalls den Winter über hier; ich habe
mein halbes Leben im Felde geſtanden — er bricht plötzlich ab, ſchentt
ein und trinkt. Euer Wohl, Herr!
Ails Lykke. Im Felde? Hm.
Ails Stenſſön. Nein, ich wollte jagen: ich habe mich lange
danach geſehnt, Frau Inger zu ſehen, von der man ſo viel
Rühmens macht. Das muß eine herrliche Frau ſein! Nicht
wahr? — Das Einzige, was mich ärgert, iſt, daß ſie ſo verflucht
ungern losſchlagen will.
Nils Lykke. Nicht losſchlagen will —?
Nils Stenſſön. Na ja, Ihr verſteht mich ſchon. Ich meine,
daß ſie ſo gar nicht mit Hand anlegen will, die fremden Herren—
leute aus dem Lande zu jagen.
Nils Lykke. Da habt Ihr freilich recht. Wenn Ihr nun
aber thut, was Ihr könnt, dann geht's ſchon.
Nils Stenſſöän. Ich? Gott bewahre! Das würde viel helfen,
wenn ich —
Nils Lykke. Es iſt doch ſeltſam, daß Ihr ſie aufſucht,
wenn Ihr nichts Beſſeres zu hoffen habt.
Nils Stenſſön. Was meint Ihr damit? Sagt! Kennt Ihr
Frau Inger?
Ails Lykke. Verſteht ſich. Da ich ihr Gaſt bin, jo —
Nils Stenſſön. Damit iſt noch nicht gejagt, daß Ihr ſie
kennt. Auch ich bin ihr Gaſt und habe doch noch nicht einmal
ſo viel wie ihren Schatten geſehen.
Ails Lykke. Aber Ihr wißt doch zu erzählen —
Nils Stenſſön. Wovon jedermann ſchnackt! Ja freilich. Außer—
dem hört' ich vom Kanzler Peter oft genug —
Er hält verlegen inne und beginnt eifrig zu eſſen.
ng
Nils Lykke. Ihr wolltet noch etwas jagen.
Ails Stenſſön eſſend. Ich? Nicht daß ich wüßte.
Nils Lykte lacht.
Nils Stenſſön. Worüber lacht Ihr, Herr?
Nils Lykke. Ich? Ueber nichts.
Nils Stenſſön trintt. Das iſt ein lieblicher Wein, den Ihr
hier auf dem Hofe habt.
Nils Lykke nähert ſich vertraulich. Sagt mal, — wär' es jetzt
nicht an der Zeit, die Maske fallen zu laſſen?
Nils Stenſſön lächelnd. Die Maske? O ja, das könnt Ihr
thun, wenn's Euch gefällt.
Nils Lykke. So laßt doch alle Verſtellung fahren! Ihr ſeid
erkannt, Graf Sture!
Nils Stenſſün lacht. Graf Sture? Glaubt Ihr auch, ich
bin Graf Sture? Er erhebt ſich. Ihr irrt Euch, Herr. Ich bin
nicht Graf Sture.
Nils Lykke. Wirklich nicht? Wer ſeid Ihr denn?
Nils Stenſſön. Ich heiße Nils Stenſſön.
Nils Lykke betrachtet ihn lächelnd. Hm? Nils Stenſſön? Und
Ihr ſeid nicht Nils Sture, der Sohn des Sten Sture? Der
Name ſtimmt doch ſo ziemlich.
Mils Stenſſön. Sehr wahr; aber Gott weiß, mit welchem
Recht ich ihn trage. Meinen Vater hab' ich nie gekannt; meine
Mutter war eine arme Bauersfrau, die in den früheren Kriegs—
läuften um Gut und Leben kam. Der Kanzler Peter war
damals gerad' nicht weit. Er nahm ſich meiner an, erzog
mich und lehrte mich das Waffenhandwerk. Ihr wißt, er ſieht
ſich ſeit vielen Jahren von König Guſtav verfolgt, und ich hab'
ihn allenthalben getreulich begleitet.
Ails Lykke. Der Kanzler, ſcheint's, hat Euch noch mehr
gelehrt als das Waffenhandwerk. — — Nun gut, Ihr ſeid
alſo nicht Nils Sture. Jedoch Ihr kommt aus Schweden.
— 96 —
Der Kanzler ſchickt Euch her, um hier einen Fremden zu finden,
Der
Nils Stenſſön niet liſig. — der ſchon gefunden iſt.
Ails Lykke etwas unſicher. Und den Ihr nicht kennt?
Nils Stenſſön. Ebenſowenig wie Ihr mich kennt — denn
ich ſchwöre bei Gott dem Vater: ich bin nicht Graf Sture!
Nils Lykke. Im Ernſte, Herr?
Nils Stenſſön. So wahr ich lebe! Warum ſollt' ich es
leugnen, wenn ich's wäre?
Nils Lykke. Aber wo iſt denn Graf Sture?
Nils Slenſſön mit gedämpfter Stimme. Ja, das iſt eben das
Geheimnis.
Nils Lykke fluſternd. Das Euch bekannt iſt? Nicht wahr?
Nils Stenſſön niet. Und das ich Euch mitzuteilen habe.
Nils Lykke. Mir? Nun denn, wo iſt er?
Nils Stenſſön zeigt nach oben.
Nils Lykke. Da oben? Frau Inger hält ihn auf dem
Boden verborgen?
Nils Stenſſön. Was fällt Euch ein! Ihr mißverſteht mich.
Er ſieht ſich vorſichtg um. Graf Sture iſt im Himmel.
Nils £ykke. Geſtorben! — Wo?
Nils Stenſſön. Auf ſeiner Mutter Schloß, — ſchon vor
drei Wochen.
Nils Lnkke. Ah, Ihr belügt mich. Vor fünf oder ſechs
Tagen zog er über die Grenze nach Norwegen.
Nils Stenſſön. O, das bin ich geweſen!
Mils Lykke. Aber wenige Tage zuvor hatte der Graf ſich
in Dalekarlien gezeigt. Das Volk, das ſchon längſt unruhig
war, brach in offne Empörung aus und wollte ihn zum König
machen.
Nils Stenſſön. Hahaha! Das war ja ich!
Nils Lykke. Ihr?
Nils Stenſſön. Ihr ſollt jetzt hören, wie das kam. Eines
Tages rief der Kanzler mich zu ſich und ließ verlauten, daß
große Begebenheiten ſich vorbereiteten. Er hieß mich ins nor—
wegiſche Land nach Oeſtrot gehen, wo ich zu einer beſtimmten
Zeit eintreffen ſollte —
Nils Lykke niet. Den dritten Abend nach Martini.
Nils Stenſſön. Da würd' ich einen Fremden finden —
Nils Lykke. Richtig; das bin ich.
Ails Stenſſön. Von ihm würd' ich erfahren, was ich weiter
zu thun hätte. Ich ſollte ferner ihm melden, daß Graf Sture
plötzlich geſtorben iſt, daß aber außer ſeiner Mutter, der Gräfin,
dem Kanzler und einigen alten Hausleuten der Stures noch
keiner darum wiſſe.
Nils Lykke. Ich verſtehe. Graf Sture war das Haupt
der Bauern. Würde ſein Tod ruchbar, ſo gingen ſie auseinander
— und aus der ganzen Sache würde nichts.
Nils Stenſſöän. Kann wohl fein. Ich bin in dieſe Dinge
nicht ſo eingeweiht.
Nils Lykke. Aber wie konntet Ihr darauf verfallen, Euch
für den Grafen auszugeben?
Nils Stenſſön. Wie ich darauf verfallen konnte? Weiß
ich es ſelbſt? Ich bin in meinem Leben ſchon auf mehr Dumm—
heiten verfallen. Es war übrigens gar nicht meine Erfindung;
denn wohin ich auch kam in Dalekarlien, da rotteten ſich die
Leute zuſammen und grüßten mich als den Grafen Sture. Da
half keine Widerrede. Der Graf wär' erſt vor zwei Jahren
dageweſen, ſagten ſie, und das kleinſte Kind erkenne mich wieder.
Na, in Gottes Namen! dacht' ich. Ein Graf wirſt du doch in
deinem Leben nie wieder; du kannſt ja mal verſuchen, wie das
thut.
Mils Luykke. Nun — und was weiter?
Nils Stenſſön. Ich aß und trank und ließ mir's wohl fein.
Jbſen, Frau Inger auf Oeſtrot. .
ION
Es war nur ſchade, daß ich jo bald wieder fort mußte. Und
als ich über die Grenze zog, — hahaha! — da gelobte ich ihnen,
daß ich mit drei- oder viertauſend Mann — oder wie viel es
nun wären — wiederkommen würde, — und dann ſollt' es
gehörig losgehen.
Nils Lykke. Und Ihr habt nicht bedacht, wie unbeſonnen
Ihr handeltet?
Nils Stenſſön. Ja, nachher fiel es mir ein; aber da war's
ſchon zu ſpät.
Nils Lykke. Es thut mir leid um Euch, mein junger Freund;
aber Ihr werdet bald die Folgen Eurer Thorheit ſpüren. Ich
kann Euch ſagen, daß Ihr verfolgt werdet. Ein Troß ſchwediſcher
Reiter ſetzt Euch nach.
Nils Stenſſön. Mir nach? Hahaha! Das iſt herrlich! Und
wenn ſie kommen und glauben, Graf Sture endlich erwiſcht zu
haben — hahaha!
Nils Lykke ernſt. — dann iſt es um Euer Leben geſchehen.
Nils Stenflön. Um mein —? Ich bin doch nicht Graf Sture.
Nils Lykke. Aber Ihr habt das Volk zu den Waffen ge—
rufen; Ihr habt den Rebellen Zuſagen gemacht und Unfrieden
im Lande geſtiftet.
Nils Stenſſön. Das war ja nur im Scherz.
Ails Lykke. König Guſtav wird die Sache in einem andern
Lichte ſehen.
Nils Stenſſön. Es iſt wirklich etwas an dem, was Ihr
jagt. — Daß ich auch jo dumm ſein konnte — —. Je nun,
wir werden uns ſchon wieder herauswinden! Ihr werdet Euch
ja meiner annehmen und — die Reiter ſind mir wohl auch noch
nicht auf den Ferſen.
Ails Lykke. Aber was habt Ihr mir weiter zu jagen?
Nils Stenſſön. Ich? — Nichts; nur das Paket hab' ich
Euch noch einzuhändigen —
— 99
Mils Lykke unbedacht. Das Paket?
Nils Stenſſön. Freilich. Ihr wißt doch —
Nils Lykke. Ach ja, richtig! Die Papiere vom Kanzler —
Nils Stenſſön. Seht, hier find ſie ſamt und ſonders.
Er überreicht Nils Lykke ein Paket, das er aus ſeinem Wams hervorgezogen hat.
Nils Lykke tere. Briefe und Pergamente für Herrn Olaf
Skaktavl. Laut: Ich ſehe, das Paket iſt offen. Ihr kennt alſo
wohl den Inhalt? 8
Nils Stenſſön. Nein, Herr! Ich leſe nicht gern Geſchriebenes;
das hat ſo ſeine Gründe.
Nils Lykke. Ich verſtehe. Ihr habt Euch zumeiſt aufs
Waffenhandwerk gelegt. Er ſetzt ſich an den Tiſch und durchfliegt die Briefe.
Aha, Aufklärungen, mehr als genug, um hinter das zu kommen,
was vorgeht. — Dieſer kleine Brief mit der Seidenſchnur —
Er unterſucht die Aufſchrift. Auch an Herrn Olaf Skaktavl. deffnet den
Brief und prüft flüchtig den Inhalt. Vom Kanzler. Ich dacht' es. Lieſt
murmelnd: „Ich bin hart bedrängt; denn —“ — ja, ganz richtig,
hier ſteht es — „der junge Junker Sture iſt zu ſeinen Vätern
heimgegangen, gerade als der Aufruhr losgehen ſollte. Aber
noch iſt nicht alles verloren“ — — Was nun? er ſtutzt und lieſt
weiter: „Denn Ihr müßt wiſſen, Herr Olaf Skaktavl, der junge
Mann, der Euch dieſen Brief überbringt, iſt ein Sohn von —“
Himmel und Hölle! Wär's möglich? Ja, bei Chriſti Blut,
da ſteht's geſchrieben! mit einem Blick auf Nils Stenſſön. Er wäre —
wäre wirklich — er lieſt weiter: „Ich erzog ihn von ſeinem erſten
Jahr an; aber bis heute weigerte ich mich beharrlich, ihn zurück—
zugeben, weil ich glaubte, in ihm ein ſicheres Unterpfand für
Frau Ingers Treue gegen uns und unſre Freunde zu haben.
Doch hat er uns in dieſer Hinſicht nur wenig genützt. Ihr
ſeid wohl erſtaunt, daß ich Euch dies Geheimnis nie anvertraute,
nicht einmal als Ihr letzthin bei mir wart. Ich will Euch ehrlich
geſtehen, ich fürchtete, Ihr würdet ihn für denſelben Zweck wie
7 *
— 100 —
ich in Anſpruch nehmen. Nun aber, da Ihr mit Frau Inger
zuſammengetroffen ſeid und Euch wahrſcheinlich überzeugt habt,
wie ungern ſie unſrer Sache beitritt, werdet auch Ihr es für
das Klügſte halten, ihr ſo ſchnell wie möglich zurückzugeben, was
ihr gehört. Vielleicht könnten Freude, Sicherheit und Dankbarkeit
fie bewegen — —“ „das iſt unſre letzte Hoffnung.“ Er fitt eine
Weile ſtarr vor Erſtaunen und ſagt dann für ſich: Ah, dieſer Brief! Er iſt
Goldes wert!
Nils Stenſſön. Ich habe Euch wichtige Botſchaft gebracht,
wie es ſcheint. Ja, ja, der Kanzler, heißt es, hat viele Eiſen
im Feuer.
Nils Pykke für ſich. Was fang’ ich nun an? Hundert Wege
laſſen ſich einſchlagen. Wenn ich —. Nein, das wäre zu un—
ſicher. Aber wofern — hm, wofern ich —? Ja, das ſei
gewagt!
Er reißt den Brief quer durch, ballt die Stücke zuſammen und verbirgt ſie in ſeinem
Wams. Die übrigen Papiere legt er wieder in das Paket, ſteckt es in ſeinen Gürtel,
erhebt ſich und ſagt:
Ein Wort, mein junger Freund!
Nils Stenſſön nähert ſich. Na, das klingt faſt, als ſtünde das
Spiel gut.
Nils Lykke. Ja, das will ich meinen! Ihr habt mir lauter
gute Karten in die Hand gegeben, — Damen und Buben und —
Nils Stenſſän. Und ich, der Euch all dieſe guten Zeitungen
gebracht hat, ich bin nun überflüſſig?
Nils Lykke. Ihr? Bewahre! Ihr gehört mit zum Spiele.
Ihr ſeid König — und Trumpf obendrein.
Nils Stenſſön. Ich? Ach, ich begreife! Ihr denkt wohl an
die Erhöhung —
Nils Lykke. Erhöhung?
Nils Stenſſön. Ja, im Fall König Guſtav mich zu faſſen
kriegt, prophezeitet Ihr, ſo — Er macht das Zeichen des Hängens.
— 101 —
Nils Lykke. Ach ja, ſo — doch laßt Euch das nicht weiter
anfechten! Jetzt ſteht es bei Euch, ob Ihr binnen eines Monats
den Strick oder eine goldne Kette um den Hals tragen wollt.
Nils Stenſſön. Eine goldne Kette? Und bei mir ſtünde das?
Nils Lykte nickt. Da mag der Teufel ſich bedenken! — Doch jagt
mir nur, wie ich mich zu verhalten habe.
Nils Lykke. Das werd' ich. Aber zuvor ſchwört mir einen
heiligen Eid, daß keine lebende Seele auf der weiten Welt er—
fahren ſoll, was ich Euch vertraue.
Nils Stenſſöän. Weiter nichts? Ich ſchwör' Euch zehn Eide,
wenn Ihr's verlangt.
Nils Lykke. Ernſthaft, Herr! Ich ſpaße nicht mit Euch.
Nils Stenſſön. Na ja, ja; ich bin ernſthaft.
Nils Pykke In Dalekarlien nanntet Ihr Euch einen
Grafenſohn — nicht?
Nils Stenſſön. Fangt Ihr ſchon wieder damit an? Ich
hab' Euch ja ehrlich gebeichtet —
Nils Lykke. Ihr verſteht mich nicht. Was Ihr damals
ſagtet, war die Wahrheit.
Nils Stenfön. Die Wahrheit? Was meint Ihr damit?
So ſagt mir —
Nils Lukke. Erſt den Eid, den heiligſten, unverbrüch—
lichſten, den Ihr kennt!
Nils Stenſſön. Ich will ihn ſchwören. Da an der Wand
hängt das Bild der Jungfrau Maria.
Nils Lykke. Die Jungfrau Maria iſt heut eine gefallene
Größe. Habt Ihr nicht gehört, was der Mönch von Witten—
berg behauptet?
Nils Stenſſön. Pfui! Was geht Euch der Mönch von
Wittenberg an? Der iſt ja ein Ketzer, ſagt der Kanzler.
Nils Luykke. Ja, wir wollen darüber nicht ſtreiten. Aber
hier will ich Euch einen einwandfreien Heiligen zeigen, bei dem
— 102 —
Ihr mir ſchwören ſollt. Er deutet auf ein Ahnenbild, das an einem der
Wandpfoſten hängt. Kommt her und gelobt mir unverbrüchliches
Schweigen, bis ich ſelbſt Eure Zunge löſe — unverbrüchliches
Schweigen, ſo wahr Ihr auf des Himmels Seligkeit hofft für
Euch und für ihn, deſſen Bild hier hängt.
Nils Stenſſön, indem er ſich dem Bilde nähert. Das ſchwör' ich —
fo wahr mir Gott helfe! entſetzt zurücweichend. Jeſus Chriſtus,
mein Erlöſer!
Nils Lykke. Was iſt denn?
Nils Stenſſön. Das Bild da — das bin ich ja ſelbſt!
Nils Lykke. Das iſt der alte Sten Sture, wie er in ſeinen
jungen Jahren leibte und lebte.
Nils Stenfön. Sten Sture! — Und die Aehnlichkeit, und
— Ihr ſagtet, ich hätte die Wahrheit geſprochen, als ich mich
einen Grafenſohn nannte? War es nicht ſo?
Nils Lykke. So war es.
Nils Stenſſön. Ach, ich hab' es, ich hab' es. Ich bin —
Nils Lnkke. Ihr ſeid Sten Stures Sohn, Herr.
Nils Stenſſön erfaßt von ſtillem Erſtaunen. Ich Sten Stures
Sohn!
Nils Lykke. Auch von Seiten der Mutter ſeid Ihr edler
Abkunft. Der Kanzler belog Euch, wenn er ſagte, Ihr wäret
das Kind einer armen Bauersfrau.
Nils Stenſſön. Seltſam, höchſt ſeltſam! — Aber kann ich
Euch auch glauben — ?
Nils Lukke. Alles, was ich Euch ſage, dürft Ihr glauben.
Doch bedenkt wohl, daß all dies zu Eurem eignen Verderben
ausſchlagen kann, wofern Ihr vergeßt, was Ihr mir bei Eures
Vaters Seligkeit zugeſchworen habt.
Nils Stenſſön. Ich das vergeſſen? Nein, ſeid verſichert,
das werd' ich nie. — Aber Ihr, dem ich mein Wort verpfändet,
ſagt an — wer ſeid Ihr?
— Ji
Nils Lnkke. Mein Name iſt Nils Lykke.
Nils Stenſſön überraſcht. Nils Lykke! Doch nicht der däniſche
Reichsrat?
Nils Lykke. Derſelbe.
Nils Stenſſön. Und Ihr ſolltet —? Das iſt doch wunder—
bar! Zu welchem Zweck kamt Ihr —?
Nils Lykke. — um die Botſchaft des Kanzlers entgegen—
zunehmen. Das wundert Euch?
Nils Senſſön. Ja, ich will es nicht verhehlen. Er hat
Euch ſtets ſeinen erbittertſten Gegner genannt —
Nils Lykke. Und deshalb mißtraut Ihr mir?
Nils Stenflön. Nein, das gerade nicht; allein — — Ei,
der Teufel möge grübeln!
Nils Lykke. Recht habt Ihr! — Folgt Ihr Eurem eignen
Kopfe, ſo iſt die Hanfſchnur Euch ebenſo gewiß wie der Grafen—
name und die goldne Kette, wenn Ihr Euch auf mich verlaßt.
Nils Stenſſön. In allen Stücken! Hier meine Hand darauf,
lieber Herr! Helft mir mit gutem Rat, ſo lang' er nötig iſt.
Gilt es loszuſchlagen, dann werd' ich mich ſchon ſelber wehren.
Nils Lnkke. Gut. Folgt mir auf meine Kammer; da ſollt
Ihr hören, wie alles zuſammenhängt, und was Ihr ferner zu
thun habt. Geht rechts ab.
Nils Slenſſön mit einem Blick auf das Bild. Ich Sten Stures
Sohn! O wunderlich — wie ein Traum — —! Er folgt
Nils Luke.
vierter Aufzug.
Der Ritterſaal wie zuvor, nur ohne den Eftiſch.
Björn, der Kammerdiener, geht Inger und Olaf Skaktavl durch die zweite
Thür links mit brennendem Armleuchter voran. Inger hat Papiere in der Hand.
Inger zu Björn. Und Du biſt gewiß, daß meine Tochter den
Ritter hier im Saale geſprochen hat?
Björn indem er den Leuchter auf den Tiſch ſtellt. Ganz gewiß. Sie
begegnete mir, als ſie in den Gang hinaus trat.
Inger. Und da ſchien ſie Dir aufgeregten Gemüts zu ſein?
Richt wahr?
Biörn. Sie ſah bleich und verſtört aus. Ich fragte, ob
ſie krank ſei; aber ſtatt meine Frage zu beantworten, ſagte ſie:
„Geh zu meiner Mutter und melde ihr, daß der Ritter noch vor
Tagesanbruch von hinnen zieht; bitte ſie, falls ſie Briefe oder
Botſchaft für ihn haben ſollte, ihm keinen unnötigen Aufenthalt
zu verurſachen.“ Und dann fügte ſie noch etwas hinzu, das
ich nicht genau verſtehen konnte.
Inger. Haſt Du garnichts verſtanden?
Björn. Es war mir, als ſagte ſie: „faſt glaub' ich, daß er
ſchon allzu lange auf Oeſtrot weilt.“
Inger. Und wo iſt der Ritter jetzt?
Björn. Wahrſcheinlich auf ſeiner Kammer im Thorflügel.
— 105 —
Inger. Es iſt gut. Ich habe alles in Bereitſchaft, was
ich ihm mitzugeben wünſche. Geh hinein und ſag' ihm, daß ich
ihn hier im Saal erwarte.
Björn rechts ab.
Olaf. Wißt Ihr was, Frau Inger! Ich bin freilich in
ſolchen Sachen ſo blind wie ein Maulwurf; es ſcheint mir aber
doch, als ob — — hm!
Inger. Nun?
Olaf. — als ob Nils Lykke Eurer Tochter gut ſei.
Inger. Dann ſeid Ihr gerade nicht ſo blind — müßt'
ich mich doch ſehr irren, wenn Ihr nicht recht hättet. Bemerkt
Ihr nicht, wie begierig er beim Nachtmahl auf jedes Wort
lauſchte, wenn ich von Eline erzählte?
Olaf. Er vergaß Speiſe und Trank.
Inger. Und unſere geheimen Geſchäfte dazu.
Olaf. Ja, und was noch mehr ſagen will, die Papiere vom
Kanzler.
Inger. Und aus alledem ſchließt Ihr —?
Olaf. Aus alledem ſchließ' ich zunächſt, daß Ihr, die Ihr
Nils Lykke kennt und wißt, welchen Ruf er genießt, zumal
wenn es ſich um ſchöne Frauen handelt.
Inger. — ihn gern wieder draußen ſähe?
Olaf. Ja, und je eher, je lieber.
Inger lächelnd. Nein, — im Gegenteil, Olaf Skaktavl!
Olaf. Wieſo?
Inger. Wenn unſere Vermutung richtig iſt, ſo darf Nils
Lykke um keinen Preis Oeſtrot ſo bald wieder verlaſſen.
Olaf ſieht fie mißbilligend an. Geht Ihr ſchon wieder krumme
Wege, Frau Inger? Was führt Ihr da im Schilde? Wollt
Ihr Eure Macht zu unſerm Schaden vergrößern —?
Inger. O, über dieſe Kurzſichtigkeit, die Euch alle ſo un—
billig macht gegen mich! Ihr glaubt doch wohl nicht, ich wolle
— 106 —
ils Lykke zu meinem Eidam machen? Wenn das in meiner
Abſicht läge — würd' ich mich dann weigern, Teil zu nehmen
an den Dingen, die ſich in Schweden vorbereiten, und die Nils
Lykke und der ganze däniſche Reichsrat zu unterſtützen ſcheinen?
Olaf. Aber wenn es nicht Euer Wunſch iſt, Nils Lykke zu
gewinnen und an Euch zu feſſeln — was habt Ihr dann mit
ihm vor?
Inger. Das will ich Euch mit wenig Worten erklären.
In einem Brief an mich pries Nils Lykke es als ein Glück,
wenn er in unſere Familie kommen könnte; und ich will jo
ehrlich ſein, zu bekennen, daß ich wirklich einen Augenblick über
dieſe Sache nachgedacht habe.
Olaf. Seht Ihr wohl!
Inger. Nils Lykkes Verbindung mit meinem Hauſe wäre
das wirkſamſte Mittel, viele Uneinige im Lande zu verſöhnen.
Olaf. Mich dünkt, die Verheiratung Eurer Tochter Merete
mit dem Grafen Vincent Lunge hätte Euch bewieſen, wie ſolche
Mittel wirken. Kaum hatte Herr Lunge feſten Fuß gefaßt bei
Euch, als er Güter und Gerechtſame an ſich riß —
Inger. Ich weiß, Olaf Skaktavl; aber zuweilen durchkreuzen
ſo mancherlei Gedanken meinen Kopf. Ich kann mich keinem
völlig anvertrauen, nicht einmal Euch. Oft weiß ich nicht, was
für mich das Rechte iſt. Und doch — zum zweiten Mal einen
däniſchen Ritter zu meinem Eidam zu machen, das iſt ein Aus—
weg, den ich nur in der äußerſten Not beſchreiten würde, und
— Gott ſei Dank! — ſo weit iſt es noch nicht gekommen!
Olaf. Ich bin ſo klug wie zuvor, Frau Inger. — Warum
wollt Ihr Nils Lykke auf Oeſtrot zurückhalten?
Inger mit leiſer Stimme. Weil ich einen tiefen, tiefen Groll
gegen ihn hege. Nils Lykke hat mich blutiger gekränkt, als je
ein Menſch mich kränkte. Ich kann Euch nicht ſagen, was es iſt;
aber ich habe nicht Ruhe, bis ich Rache an ihm genommen habe.
= 4107 —
Verſteht Ihr mich noch nicht? — Geſetzt, Nils Lykke wäre
meiner Tochter gut; ich halte das nicht für ſo undenkbar. Ich
werde ihn beſtimmen, zu bleiben. Er wird Eline näher kennen
lernen; ſie iſt klug und ſchön —. Ha, wenn er dann mit heißer
Liebe im Herzen vor mich hinträte und um ihre Hand bäte —
dann ihn fortzujagen wie einen Hund, fortzujagen mit Spott
und Hohn und Verachtung und laut durchs ganze Land zu
rufen, daß Nils Lykke vergebens in Oeſtrot geworben — ich
ſag' Euch, ich gäbe zehn Jahre meines Lebens, um dieſe eine
Stunde zu erleben!
Olaf. Hand aufs Herz, Frau Inger! Das alſo habt Ihr
mit ihm vor?
Inger. Das und nichts anderes — ſo wahr Gott lebt!
Ihr dürft mir trauen, Olaf Skaktavl, ich mein' es ehrlich mit
meinen Landsleuten. Allein ich bin zu wenig mein eigner Herr.
Es giebt Dinge, die geheim bleiben müſſen, wenn ich nicht zu
Tode getroffen werden ſoll. Doch bin ich erſt von dieſer
Seite ſicher, dann ſollt Ihr erfahren, ob ich vergeſſen habe,
was ich an Knut Alfſöns Bahre geſchworen.
Olaf ſchüttelt ihre Sand. Dank für Eure Worte! Ich möchte
ſo ungern ſchlecht von Euch denken. — Doch was Euer Vor—
haben mit dem Ritter betrifft, ſo dünkt mich, Ihr wagt ein
gefährliches Spiel. Wenn Ihr Euch nun verrechnet hättet?
Wenn Eure Tochter —? Sagt man doch, daß kein Weib dieſem
geſchmeidigen Teufel zu widerſtehen vermag.
Inger. Meine Tochter? Ihr glaubt, ſie würde —? Nein,
ſeid unbeſorgt. Ich kenne Eline beſſer. Alles, was ſie von
ihm erzählen hörte, hat ihren Haß gegen ihn genährt. Ihr
habt ja mit Euren eignen Ohren vernommen —
Olaf. Allerdings — doch Weiberſinn iſt ein gar unſicherer
Baugrund. Ihr ſolltet Euch wenigſtens vorſehen.
Inger. Das will ich auch; ich werde auf beide ein wach—
ME —
fam Auge haben. Und ſollt' es ihm dennoch gelingen, ſie in
ſein Garn zu locken, ſo brauch' ich ihr nur ein Wort ins Ohr
zu flüſtern, und —
Olaf. Und?
Inger. — und ſie wird ihn fliehen wie einen Sendling des
hölliſchen Verſuchers. — Still, Olaf Skaktavbl! Er kommt.
Seid vorſichtig.
Nils Lykke kommt aus der erſten Thür rechts.
Nils Lykke geht höflich auf Inger zu. Meine edle Herrin ließ
mich rufen.
Inger. Durch meine Tochter hab' ich erfahren, daß Ihr
uns noch heute Nacht verlaſſen wollt.
Nils Lykke. Leider. Mein Geſchäft auf Oeſtrot iſt ja er⸗
ledigt.
Olaf. Nicht, eh' ich meine Papiere bekommen habe.
Nils Lykke. Ganz recht. Faſt hätt' ich von meinem Ge⸗
ſchäft das Wichtigſte vergeſſen. Aber das iſt die Schuld unſrer
edlen Wirtin. Bei Tiſch wußte ſie ihre Gäſte ſo klug und an—
genehm zu unterhalten —
Inger. Daß Ihr vergeſſen habt, weshalb Ihr gekommen
ſeid? Das freut mich; denn gerade dies war meine Abſicht.
Ich dachte, ſoll mein Gaſt, Nils Lykke, ſich heimiſch auf Oeſtrot
fühlen, ſo muß er —
Nils Lukke. Was, edle Frau?
Inger. — vor allen Dingen ſeinen Auftrag vergeſſen und
alles, was ſeiner Sendung voranging.
Nils Lulke zu Olaf, indem er das Paket hervorzieht und es ihm reicht. Die
Papiere vom Kanzler Peter. Ihr werdet darin vollſtändige
Aufklärungen über unſre Anhänger in Schweden finden.
Olaf. Gut.
Er ſetzt ſich an den Tiſch links, wo er das Paket öffnet und durchblättert.
— 110) =
Nils £ykke. Und nun, Frau Inger — nun wüht ich nicht,
was ich hier noch zu ſchaffen hätte.
Inger. Sofern uns ausſchließlich Staatsgeſchäfte zuſammen—
geführt haben, ſo habt Ihr freilich recht. Doch möcht' ich das
kaum glauben.
Nils £ykke. Ihr meint —?
Inger. Ich meine, nicht ausſchließlich als däniſcher Reichs—
rat oder als Verbündeter des Kanzlers kam Nils Lykke mich zu
beſuchen. —. Sollt' ich irren, wenn ich mir einbildete, daß Ihr
in Dänemark manches hörtet, was Euch neugierig machte, die
Herrin von Oeſtrot näher kennen zu lernen?
Nils Lykke. Es ſei fern von mir zu leugnen —
Olaf in den Papieren blätternd. Sonderbar! Keinen Brief —
Nils Lykke. — Inger Gyldenlöves Ruf iſt zu weit verbreitet,
als daß ich nicht ſchon längſt begehrt haben ſollte, ſie von An—
geſicht zu Angeſicht zu ſehen.
Inger. Ich dacht' es. Aber reicht dann eine Stunde, beim
Nachtmahl vertändelt, aus? — Durch das, was zwiſchen uns
war, wollen wir einen Strich machen. Es wird dem Nils Lykke,
den ich kenne, gelingen, einen Schleier über das zu breiten, was
ein Nils Lykke beging, den ich nicht kannte. Verlängert Euren
Aufenthalt um einige Tage, Herr Reichsrat! Olaf Skaktavl
darf ich nicht zureden. Hat er doch ſeine geheimen Geſchäfte
in Schweden. Jedoch was Euch betrifft — Ihr habt gewiß
alles ſo hübſch vorbereitet, daß Eure Anweſenheit kaum von—
nöten ſein wird. Glaubt mir, es wird Euch die Zeit bei uns
nicht lang werden. Wenigſtens wollen ich und meine Tochter
alles aufbieten, Euch ein recht inniges Behagen zu verſchaffen.
Nils Lylke. Ich zweifle weder an Eurer, noch an Eurer
Tochter freundlichen Geſinnung gegen mich. Davon hab' ich
vollgültige Beweiſe empfangen. Aber Ihr werdet gewiß über—
zeugt ſein, daß meine Gegenwart anderswo unumgänglich nötig
— 10 —
it, wenn ich trotz alledem erkläre, daß ich meinen Aufenthalt
auf Oeſtrot unmöglich verlängern kann.
Inger. Wirklich nicht? Ei, Herr Reichsrat, wenn ich bos—
haft wäre, könnt' ich faſt glauben, daß Ihr nach Oeſtrot ge—
kommen ſeid, um mit mir eine Lanze zu brechen, und daß es Euch,
nachdem Ihr verloren habt, nicht angenehm iſt, länger auf dem
Kriegsſchauplatz bei den Zeugen Eurer Niederlage zu verweilen.
Nils Lykkle. Eure Deutung möchte nicht ganz unbegründet
ſein; aber ſo viel iſt gewiß, daß ich die Schlacht noch nicht für
verloren gebe.
Inger. Und wenn dem ſo wäre — falls Ihr noch einige
Tage bei uns bleibt, dann könnt Ihr die Scharte gewiß noch
wieder auswetzen. Seht doch ſelbſt, wie ſchwankend und unent—
ſchloſſen ich am Scheidewege ſtehe — wie ich ſogar meinen ge—
fährlichſten Angreifer zu überreden ſuche, das Feld nicht zu
räumen. — Nun, offen geſagt, die Sache iſt die: Eure Ver—
bindung mit den Mißvergnügten in Schweden kommt mir ein
wenig — ja, wie ſoll ich es nur nennen? — ein wenig
wunderlich vor, Herr Reichsrat! Ich ſag' Euch das ohne Um—
ſchweife, lieber Herr. Der Gedanke, der den Rat des Königs
bei dieſem heimlichen Schritt geleitet hat, iſt zwar ſehr geſcheit,
aber er widerſpricht doch dem Verhalten Eurer Landsleute
während der vergangenen Jahre ganz und gar. Darum darf
es Euch nicht kränken, wenn mein Vertrauen in Eure Zuſagen
noch nicht ſo feſt iſt, daß ich Gut und Leben in Eure Hände
legen möchte.
Ails Lykke. Zu dieſem Endzweck würde ein längerer
Aufenthalt auf Oeſtrot auch nicht von Nutzen ſein; denn ich
will keinen weitern Verſuch machen, Euch in Eurem Entſchluß
zu erſchüttern.
Inger. Dann beklag' ich Euch von ganzem Herzen. Ja,
Herr Reichsrat — wohl ſteh' ich als unberatene Witwe hier;
*
— 111 —
aber Ihr könnt mir aufs Wort glauben, und ich prophezeie
Euch: es werden Euch Dornen erwachſen aus dieſer Fahrt nach
Oeſtrot.
Nils Lykke mit einem Lächeln. Prophezeit Ihr das, Frau Inger?
Inger. Gewiß. Was wird man wohl ſagen, lieber Herr?
Die Menſchen ſind ja heutzutage ſolche Läſterzungen. Mehr
als ein Spottvogel wird Schmählieder auf Euch dichten; ehe
noch ein halbes Jahr vergangen iſt, werdet Ihr in der Leute
Munde ſein; man wird auf der Straße ſtehen bleiben und Euch
nachblicken. „Seht,“ wird es heißen, „ſeht, da reitet Herr Nils
Lykke, der hinauf nach Oeſtrot zog, um Inger Gyldenlöve zu
fangen, und der in ſeiner eigenen Schlinge hängen geblieben iſt.“
— Na, na, nicht ſo ungeduldig, Herr Ritter! Das iſt ja nicht
meine Anſicht; aber alle ſchlimmen und boshaften Menſchen
werden ſo urteilen — und deren giebt es leider mehr als genug.
Schlimm das, aber wahr: Spott wird Euer Lohn ſein, Spott,
daß ein Weib geſcheiter war als Ihr. „Liſtig wie ein Fuchs
ſchlich er nach Oeſtrot,“ wird man ſagen, „beſchämt wie ein
Hund zog er wieder von dannen.“ — Und noch eins: glaubt
Ihr nicht, der Kanzler und ſeine Anhänger werden Euern
Beiſtand verſchmähen, wenn es ruchbar wird, daß ich nicht
unter Eurer Fahne kämpfe?
Nils Lnkke. Ihr ſprecht wohlbedacht, gnädige Frau. Und
um mich alſo nicht dem Spott auszuſetzen, — ferner, um nicht
die Unterſtützung der lieben Freunde in Schweden zu verwirken,
ſo bin ich genötigt, —
Inger raſch. — Euern Aufenthalt auf Oeſtrot zu verlängern?
Olaf der gelauſcht, leiſe. Jetzt geht er in die Falle!
Nils Lykke. Nein, meine edle Frau — ich bin genötigt,
mich noch in dieſer Stunde mit Euch zu einigen.
Inger. Und falls Euch das nun nicht gelingen ſollte?
Ails Lykke. Es wird gelingen.
— 12 —
Inger. Ihr ſcheint Eurer Sache ſicher zu jein.
Nils Lykke. Was gilt die Wette, daß Ihr auf meinen und
des Kanzlers Vorſchlag eingeht?
Inger. Hof Oeſtrot gegen Eure Schuhſchnallen!
Nils Lykke ſchlägt ſich an die Bruft und ruft: Olaf Skaktavl —
hier ſeht Ihr den Herrn von Oeſtrot!
Inger. Herr Reichsrat —!
Olaf erhebt ſich vom Tiſch. Was nun?
Ails Lyklie zu Inger. Eure Wette nehm’ ich nicht an; denn
im nächſten Augenblick werdet Ihr mir gern Oeſtrot ſchenken
und noch mehr dazu, um Euch aus der Schlinge zu ziehen, in
der Ihr ſitzt, nicht ich.
Inger. Euer Spaß, Herr, fängt an recht luſtig zu werden.
Nils Lykke. Er wird noch luſtiger — wenigſtens für mich.
— Ihr pocht darauf, mich überliſtet zu haben, droht mir,
Hohn und Spott der Welt auf mich zu laden. Ihr ſolltet Euch
hüten, meine Racheluſt zu nähren; denn mit zwei Worten kann
ich Euch in die Knie, vor meine Füße niederzwingen.
Inger. Haha! Hält plötzlich inne, wie von einer Ahnung ergriffen.
Und dieſe zwei Worte, Nils Lykke? Dieſe zwei Worte —
Nils Lykke. — ſind das Geheimnis von Eurem und Sten
Stures Sohn.
Inger mit einem Schrei. Barmherziger Gott!
Olaf. Inger Gyldenlöves Sohn? Was ſagt Ihr?
Inger halb in den Knien vor Nils Lytte. Gnade! O, ſeid barm—
herzig!
Nils Lykke bebt fie auf. Kommt zu Euch und laßt uns
beſonnen miteinander reden.
Inger mit leiſer Stimme und halb wie geiſtesabweſend. Hörtet Ihr's,
Olaf Skaktavl? Oder war es nur ein Traum? Hörtet Ihr,
was er ſagte?
Nils Lyhke. Es war kein Traum, Frau Inger.
— 113 —
Inger ringt die Hände. Und Ihr wißt es — Ihr! — Ihr!
Aber wo habt Ihr ihn denn? Wo habt Ihr ihn? Was wollt
Ihr mit ihm machen? Schreit auf: Tötet ihn nicht, Nils Lykke!
Gebt ihn mir wieder! Tötet mir ihn nicht!
Olaf. Nun fang' ich an, zu begreifen —
Inger. Und dieſe Angſt —; dieſes laſtende Entſetzen, —
ich hab' es Jahr um Jahr mit mir herumgetragen! — Und
nun ſoll alles, alles zuſammenbrechen, und ich ſoll Not und
Qual erdulden! Herr, mein Gott! Iſt das recht von dir? Haſt
du da rum ihn mir gegeben? Sie ringt mit Anſpannung aller Kräfte nach
Faſſung. Nils Lykke, ſagt mir eins: wo habt Ihr ihn? Wo
übten?
Mils Lykke. Bei ſeinem Pflegevater.
Inger. Noch immer bei ſeinem Pflegevater! O dieſer un-
barmherzige Mann —! Stets hat er ihn mir vorenthalten! Aber
es darf nicht länger ſo bleiben! Helft mir, Olaf Skaktavl!
Olaf. Ich?
Nils Lykke. Deſſen wird es nicht bedürfen, wofern Ihr
nur —
Inger. Hört mich an, Herr Reichsrat! Was Ihr wißt —
Ihr ſollt es ganz und gar wiſſen, und Ihr auch, alter
treuer Freund! — Nun wohl! Ihr habt mich an den unglück—
ſeligen Tag gemahnt, da Knut Alfſön bei Oslo erſchlagen wurde;
Ihr habt mich an das Gelübde gemahnt, das ich that, als ich
vor der Leiche ſtand unter Norwegens bravſten Männern. Ich
war zu jener Zeit kaum erwachſen; aber ich fühlte Gottes Kraft
in mir und meinte, was ſpäter gar viele meinten, daß Gott
der Herr ſelbſt ſein Zeichen auf meine Stirn gedrückt und mich
erkoren habe, allen voran für Land und Reich zu ſtreiten. War
das Hochmut? Oder war es eine Offenbarung von oben? Ich
hab' es nie ganz ergründen können. Aber wehe dem, auf den
eine große That gelegt iſt! — Ich darf ſagen, daß ich ſieben
Ibſen, Frau Inger auf Oeſtrot. 8
— 114 —
Jahre lang ehrlich hielt, was ich gelobt hatte. In Not und
Bedrängnis hab' ich treu zu meinen Landsleuten geſtanden.
Alle meine Geſpielinnen ſaßen als Hausfrauen und Mütter
ringsum im Lande; ich allein durfte keinem Freier Gehör
ſchenken — keinem. Ihr wißt es am beſten, Olaf Skaktavl!
— — Da ſah ich Sten Sture zum erſten Male. Einen
ſchönern Mann hatt' ich nie erſchaut bisher.
Nils Lykke. Jetzt wird mir alles klar! Sten Sture kam
um jene Zeit in geheimer Sendung nach Norwegen. Wir Dänen
durften nicht wiſſen, daß er Euren Freunden gewogen war.
Inger. Als ſchlichter Kriegsknecht verkleidet, lebte er einen
Winter mit mir unter einem Dache. In jenem Winter dacht'
ich weniger und weniger an des Reiches Wohlfahrt. — Einen
Jo ſchönen Mann hatt’ ich nie erſchaut. Und ich war ſchon
fünfundzwanzig Jahre alt geworden —. Im nächſten Herbſt
kam Sten Sture wieder; und als er abermals von dannen zog,
nahm er in aller Heimlichkeit einen Säugling mit ſich fort. Ich
fürchtete nicht die böſen Zungen der Menſchen, aber es hätte
unſrer Sache geſchadet, wär' es ruchbar geworden, daß Sten
Sture mir ſo nahe ſtand. — Das Kind ward zu Kanzler Peter
hingethan zur Auferziehung. Ich wartete auf beſſre Zeiten, die
bald kommen würden. Sie kamen nie. — Zwei Jahre ſpäter
verheiratete ſich Sten Sture in Schweden, und als er ſtarb,
hinterließ er eine Witwe —
Olaf. — und zugleich einen geſetzlichen Erben ſeines
Namens und ſeiner Gerechtſame.
Inger. Einen Brief um den andern ſchrieb ich dem Kanzler
und flehte ihn an, mir mein Kind zurückzugeben! Aber er
weigerte ſich ſtetig. „Schließt Euch feſt und unverbrüchlich uns
an,“ antwortete er, „ſo ſende ich Euern Sohn nach Norwegen
— eher nicht!“ — Wie konnt' ich das wagen? Wir Miß—
vergnügten waren damals von vielen ängſtlichen Gemütern im
Be
Lande ſcheel angeſehen. Hätten fie von der Sache erfahren —
o, ich weiß! — ſie hätten dem Kind, um die Mutter lahm zu
legen, dasſelbe Schickſal bereitet, das König Chriſtian erdulden
ſollte, und dem er nur durch die Flucht entging. — Aber auch
abgeſehen davon, waren die Dänen nicht unthätig. Sie ließen
es nicht an Drohungen noch an Verſprechungen fehlen, um
mich auf ihre Seite hinüberzudrängen.
Olaf. Sehr begreiflich. Aller Blicke waren auf Euch
gerichtet, wie auf die Flagge, der ſie nachſegeln ſollten.
Inger. Da kam Herluf Hydefads Aufſtand. Gedenkt Ihr
jener Zeit noch, Olaf Skaktavl? War es nicht, als ſei ein
ſonniger Frühling über das Land gekommen? Mächtige Stimmen
mahnten mich, hervorzutreten — aber ich wagte es nicht. Ich
ſaß unſchlüſſig — fern vom Kampf — auf meinem einſamen
Hof. Oft war mir, als ob Gott der Herr ſelbſt mich riefe;
aber dann kam wieder jene tötliche Angſt über mich und lähmte
mir den Willen. „Wer wird ſiegen?“ Seht, das war die
Frage, die unaufhörlich vor meinen Ohren klang. — Nur ein
kurzer Frühling war's, der damals über Norwegen angebrochen.
Herluf Hydefad und ſehr viele mit ihm wurden in den
Monaten, die folgten, aufs Rad geflochten. Mich konnte niemand
zur Rechenſchaft ziehen. Und doch blieben verblümte Drohungen
von Dänemark nicht aus. Wie? wenn man um das Geheimnis
wüßte? Ich konnte mir zuletzt nichts andres denken, als daß
man darum wiſſe. — In dieſer qualvollen Zeit kam Reichs—
hofmeiſter Gyldenlöve herauf nach Oeſtrot und begehrte meine
Hand. Laßt eine geängſtigte Mutter ſich an meine Stelle ver—
ſetzen. Einen Monat ſpäter war ich des Reichshofmeiſters
Ehefrau — und heimatlos in den Herzen meiner Lands—
leute. — — Dann kamen ſtille Jahre. Keiner erhob ſich
mehr. Die Herren konnten uns bedrücken und bedrängen, ſo
viel fie wollten. Zu Zeiten fühlt' ich Ekel vor mir ſelbſt.
8 *
— 16 —
Denn was war mein Thun? — Nichts andres, als in Angſt zu
leben, verhöhnt zu werden und Töchter zu gebären. — Meine
Töchter? Gott mag mir vergeben, wenn ich kein Mutterherz für
ſie hatte! Der Ehefrau Pflichten wurden mir zum Frondienſt
— wie konnt' ich alſo meine Töchter lieben? Mit meinem Sohne
war das etwas anderes! Er war das Kind meiner Seele, war
das Einzige, was mich an jene Zeit erinnerte, da ich Weib und
nichts als Weib geweſen. — Und ihn hatten ſie mir ge—
nommen! Er wuchs unter Fremden auf. die vielleicht die Saat
des Verderbens ſtreuten in ſein Gemüt. — Olaf Skaktavl!
Hätt' ich, gleich Euch, in Winter und Wetter, verfolgt und ge—
ächtet, durchs Hochgebirg wandern müſſen, und hätt' ich mein
Kind in meinen Armen gehabt — glaubt mir, ich hätte nicht
getrauert und geweint ſo, wie ich um ihn weinte und klagte von
ſeiner Geburt an bis zu dieſer Stunde!
Olaf. Hier meine Hand. Ich hab' Euch zu hart gerichtet,
Frau Inger. Verfügt wieder über mich wie ſonſt; ich will
Euch gehorchen. Ja — bei allen Heiligen! — ich weiß, was
es heißt, um ſein Kind leiden.
Inger. Eures erſchlugen die Gewalthaber. Aber was iſt
der Tod gegen jahrelange ruheloſe Angſt.
Nils Lykke. Nun wohl — in Eurer Macht ſteht es, dieſe
Angſt zu enden. Verſöhnt die ſtreitenden Parteien, dann wird
es keiner beifallen, ſich Euer Kind als Pfand Eurer Treue an—
zueignen.
Inger für ſich. Das iſt des Himmels Rache — — Buct sien
an. Kurz und gut, was fordert Ihr?
Nils Lykke. Erſtens verlang' ich, daß Ihr das Volk
nördlich vom Dovrefjeld unter die Waffen ruft, um die Miß—
vergnügten in Schweden zu unterſtützen.
Inger. Und weiter?
Nils Lykke. — daß Ihr Euern Einfluß aufbietet, um
F
(62)
(gr)
*
den jungen Grafen Sture in ſeines Stammes Rechte als
herrſcher Schwedens einzuſetzen.
Inger. Ihn? Ihr fordert, daß ich —
Olaf leiſe. Das iſt der Wunſch vieler Schweden. Auch uns
wäre damit gedient.
Nils Lykke. Ihr bedenkt Euch, edle Frau? Ihr, die Ihr
um die Sicherheit Eures Sohnes bebt — was könnt Ihr Beſſres
wünſchen, als ſeinen Halbbruder auf dem Thron zu ſehen?
Inger gedankenvoll. Wohl wahr, wohl wahr!
Nils £ykke betrachtet ſie ſcharf. Es müßte denn ein andrer
Anſchlag im Werke ſein —
Inger. Was meint Ihr?
Nils £ykke. Daß Frau Gyldenlöve danach trachtet —
Königsmutter zu werden.
Inger. Nein, nein! Gebt mir mein Kind zurück, ſo könnt
Ihr die Kronen geben, wem Ihr wollt. — Doch wißt Ihr auch,
ob Graf Sture gewillt iſt —?
Nils £ykke. Davon kann er ſelbſt Euch überzeugen.
Inger. Er ſelbſt? Und wann?
Nils Lukke. In dieſer Stunde.
Olaf. Wieſo?
Inger. Was ſagt Ihr da?
Nils Lukke. Mit einem Wort: Graf Sture iſt auf
Oeſtrot.
Olaf. Hier?
Nils Lukke zu Inger. Es ward Euch vielleicht hinterbracht,
daß ich mit einem Geſellen durch das Burgthor geritten bin?
Der Graf war mein Gefährte.
Inger leiſe. Ich bin in feiner Macht. Hier bleibt keine
Wahl. Sie ſieht ihn an und jagt: Gut, Herr Reichsrat — Ihr ſollt
die Verſicherung meines Beiſtandes haben.
Nils Lykke. Schriftlich?
— 118 —
Inger. Wie Ihr begehrt.
Sie geht zu dem Tiſche links hinüber, ſetzt ſich und nimmt Schreibzeug aus der
Schublade.
Nils Luykke bei Seite, am Tische rechts. Endlich iſt der Sieg mein!
Inger bedenkt ſich einen Augenblick, wendet ji dann plötzlich zu Olaf Skaktavl
und flüſtert: Olaf Skaktavl, nun weiß ich gewiß — Nils Lykke
iſt ein Verräter!
Olaf leiſe. Wie? Ihr glaubt?
Inger. Er ſinnt auf Betrug.
Sie legt das Papier zurecht und taucht die Feder ein.
Olaf. Und doch wollt Ihr ſchriftlich eine Verſicherung ab—
geben, die Euern Untergang herbeiführen kann?
Inger. Still! Laßt mich gewähren! — Nein, wartet und
hört mal zuerſt!
Sie ſpricht im Flüſterton mit ihm.
Mils Lykke leiſe, indem er ſie beobachtet. Ja, beratſchlagt nur, jo
viel Ihr wollt! Jetzt iſt alle Gefahr vorbei. Mit ihrer ſchrift⸗
lichen Zuſage in der Taſche kann ich ſie zu jeder Stunde an—
klagen. Noch heut Nacht ſoll heimlich ein Bote zu Jens Bjelke —.
Ich ſage keine Lüge, wenn ich ihm verſichere, daß der junge
Graf Sture nicht auf Oeſtrot iſt. Und morgen, ſobald der
Weg frei iſt — nach Drontheim mit dem Junker! Dann zu
Schiff mit ihm als Gefangenen nach Kopenhagen! Sitzt er
da erſt im Turm, dann können wir Frau Inger vorſchreiben,
was uns gefällt. Und ich —? Ja, dann, denk' ich, wird
der König die Sendung nach Frankreich in keines andern Hände
legen als in die meinen.
Inger flüſtert fortwährend mit Olaf. Nun, Ihr habt mich alſo
verſtanden?
Olaf. Vollkommen. So ſei es denn gewagt nach Eurem
Willen!
Er geht rechts durch die zweite Thür ab.
— 119 —
Nils Stenſſön kommt durch die erſte Thür rechts, ohne von Inger bemerkt zu
werden, die ſchon zu ſchreiben begonnen hat.
Nils Stenſſön mit gedämpfter Stimme. Herr Ritter! Herr Ritter!
Nils Lykke zu ihm gewendet. Leichtſinniger Menſch! Was wollt
Ihr hier? Hieß ich Euch nicht warten da drinnen, bis ich Euch
rufen würde?
Nils Stenſſön. Wie konnt' ich das? Nun, da Ihr mir
anvertraut habt, daß Inger Gyldenlöve meine Mutter iſt, nun
dürſt' ich mehr denn je danach, ſie von Angeſicht zu Angeſicht
zu ſehen — — O, das iſt ſie! Wie ſtolz und edel! So hab'
ich ſie mir ſtets vorgeſtellt. Seid unbeſorgt, lieber Herr —
ich werde mich nicht verraten. Seit ich um das Geheimnis
weiß, fühl' ich mich gewiſſermaßen älter und beſonnener. Ich
will fürder nicht ſtürmiſch und leichtfertig ſein; ich will ſein
wie andre edle Junker. — Sagt mir — weiß ſie, daß ich hier
bin? Habt Ihr ſie vorbereitet?
Nils Lnkke. Ja, freilich hab' ich das, aber —
Ails Stenflön. Nun?
Nils Lykke. — ſie will Euch nicht als ihren Sohn an—
erkennen.
Nils Stenſſön. Sie will mich nicht anerkennen? Aber fie
iſt doch meine Mutter. O, wenn nichts andres im Wege
iſt — er nimmt einen Ring, den er an einer Schnur um den Hals trägt —
dann zeigt ihr dieſen Ring. Ich hab' ihn von klein auf ge—
tragen. Darüber wird ſie ſchon Beſcheid wiſſen.
Mils Lykke. Verbergt den Ring, Menſch! Verbergt ihn,
ſag' ich! — Ihr verſteht mich nicht. Frau Inger zweifelt
keineswegs, daß Ihr ihr Sohn ſeid; aber — — ja, ſeht Euch
um — ſeht dieſen Reichtum; ſeht die mächtigen Ahnen und
Geſippen, deren Bilder prangend die Wände bedecken von oben
bis unten; ſeht endlich ſie ſelbſt, das ſtolze Weib, das gewohnt
it, als erſte Edelfrau im Reiche zu gebieten —. Meint Ihr
— 120 —
es könne ihr lieb ſein, einen armen, dummen Burſchen den
Leuten vor die Augen zu führen und zu ſagen: „Seht her, das
iſt mein Sohn!“
Nils Stenſſön. Ja, Ihr habt gewißlich recht. Ich bin arm
und unwiſſend; ich habe ihr nichts zu bieten im Vergleich zu
dem, was ich begehre. O, niemals hab' ich mich von meiner
Armut bedrückt gefühlt bis zu dieſer Stunde! Aber, ſagt mir!
Was, glaubt Ihr, muß ich thun, um ihr Herz zu gewinnen?
Sagt es mir, lieber Herr; Ihr müßt es doch wiſſen.
Nils £ykke. Ihr ſollt Land und Krone erwerben. Aber
eh' Euch dies geglückt iſt, hütet Euch wohl, ihre Ohren durch die
leiſeſte Hindeutung auf Eure Abkunft oder Aehnliches zu ver—
letzen! Frau Inger wird thun, als hielte ſie Euch für den
wirklichen Grafen Sture, bis Ihr Euch einſt würdig macht, ihr
Sohn zu heißen.
Nils Stenſſön. O, fo jagt mir aber —
Nils Lykke. Still! Still!
Inger erhebt ſich und reicht Nils Lytte das Papier. Hier, Herr Ritter,
habt Ihr meine Zuſage.
Nils Lukke. Ich dank' Euch.
Inger indem fie Nils Stenſſön bemerkt. Ah! Dieſer junge Mann
iſt —
Nils Luykke. Ja, Frau Inger, das iſt Graf Sture.
Inger bei Seite, indem fie Nils Stenſſön verſtohlen betrachtet. Zug für
Zug — ja, bei Gott! Das iſt Sten Stures Sohn. — Sie tritt
näher und ſagt mit kalter Höflichkeit: Seid willkommen unter meinem
Dach, Herr Graf! In Eurer Hand liegt es, ob wir in Jahres—
friſt dieſe Begegnung ſegnen ſollen oder nicht.
Nils Stenſſöän. In meiner Hand? O, gebietet mir, was
ich thun ſoll! Glaubt mir, ich habe Mut und Willen —
Mils Lnkke vorcht unruhig. Was iſt das für ein wilder Lärm,
Frau Inger? Da will wer herein. Was hat das zu bedeuten?
— 121 —
Inger mit erhobener Stimme. Das find die Geiſter, die erwachen.
Olaf Skaktavl, Ejnar Huf, Björn, Finn mit vielen Bauern und Knechten
durch den Hintergrund rechts.
Bauern und Knechte. Heil Euch, Frau Inger Gyldenlöve!
Inger zu Dlaf Stattavl. Habt Ihr ihnen gejagt, was im
Werke iſt?
Olaf. Alles, was ſie zu wiſſen brauchen, hab' ich ihnen
geſagt.
Inger zu der Menge. Ja, meine treuen Knechte und Bauern,
jetzt waffnet Euch, ſo gut Ihr nur könnt! Was ich vorhin Euch
verſagte, das ſei Euch jetzt in vollem Maße gewährt. Und hier
ſtell' ich Euch den jungen Grafen Sture vor, den künftigen
Herrſcher Schwedens, — und Norwegens, wenn Gott es
haben will.
Die Menge. Heil ihm! Heil Graf Sture!
Allgemeine Bewegung. Bauern und Knechte ſuchen ſich Waffen aus und rüſten ſich
mit Bruſtpanzern und Stahlhelmen, alles unter großem Lärm.
Nils Lukke leiſe und unruhig. „Die Geiſter erwachen“, ſagte
ſie? Zum Schein nur hab' ich den Dämon des Aufruhrs herauf—
beſchworen. Verdammt, wenn er mir über den Kopf wüchſe!
Inger zu Nils Stenſſön. Von mir empfangt Ihr die erſte
Hilfeleiſtung — dreißig berittene Bauern, die Euch folgen und
für Euch ſtreiten ſollen. Glaubt mir, noch eh' Ihr die Grenze
erreicht, werden ſich viele Hunderte unter mein und Euer Banner
geſchart haben. Und ſo zieht denn mit Gott!
Nils Stenſſön. Dank, Inger Gyldenlöve! Dank! Und ſeid
verſichert, Ihr ſollt Euch niemals — des Grafen Sture zu
ſchämen haben. Wenn Ihr mich wiederſeht, hab' ich Land und
Krone errungen.
Nils Lykke für ſich. Ja, wenn ſie Dich wiederſieht!
Olaf zu den Bauern. Die Pferde warten, ihr guten Bauern.
Seid Ihr bereit —?
Die Bauern. Ja, ja, ja!
Ails Lykke unruhig zu Inger. Wie denn? Es iſt doch nicht
etwa Eure Abſicht, ſchon heut Nacht —?
Inger. Noch in dieſer Stunde, Herr Ritter!
Ails Lykke. Nein, nein, unmöglich!
Inger. Es iſt, wie ich ſage!
Nils Lyleke leiſe zu Nils Stenſſön. Gehorcht ihr nicht!
Ails Stenſſön. Wie kann ich anders? Ich will; ich muß!
Nils Lykke. Aber — es iſt Euer ſicheres Verderben —
Nils Stenſſön. Gleichviel! Sie hat alle Macht über mich —
Nils Lykke befehlend. Und ich —?
Ails Stenſſön. Mein Wort halt' ich; verlaßt Euch drauf!
Das Geheimnis ſoll nicht über meine Lippen kommen, bis Ihr
ſelbſt mir die Zunge löſt. Aber ſie iſt meine Mutter!
Ails Lykke bei Seite. Und Jens Bjelke, der an dem Wege
lauert. Verdammt, er ſchnappt mir die Beute unter den Händen
weg — Zu Inger. Wartet bis morgen!
Inger zu Nils Stenſſn. Graf Sture! Gehorcht Ihr mir —
oder nicht?
Nils Stenflön. Zu Pferde!
Er geht in den Hintergrund.
Nils Lykke bei Seite. Der Unglückſelige! Er weiß nicht, was
er thut. Zu Inger. Nun, wenn es denn ſein ſoll — lebt wohl!
Er verbeugt ſich raſch und will gehen.
Inger hätt ihn zurück. Nein, halt! Nicht jo, Herr Ritter,
nicht ſo!
Ails Lykke. Was meint Ihr?
Inger mit gedämpfter Stimme. Nils Lykke — Ihr ſeid ein
Verräter! Still! Laßt niemand merken, daß Unruhe im Lager
der Häuptlinge herrſcht. — Mit einer teufliſchen Liſt, die zu
durchſchauen ich nicht im ſtande bin, habt Ihr das Vertrauen
des Kanzlers Peter gewonnen, habt Ihr mich zu offener
es,
Empörung gezwungen — nicht um unſre Sache zu jtüßen,
nein, um Eure eignen Pläne zu fördern, was für welche das
nun auch ſein mögen. Ich kann nicht mehr zurück. Aber
glaubt deshalb nicht, daß Ihr geſiegt habt! Ich werd' Euch
unſchädlich zu machen wiſſen —
Nils Lykke legt unwillkürlich die Hand ans Schwert. Frau Inger!
Inger. Seid ruhig, Herr Reichsrat! Es geht Euch nicht
ans Leben. Aber — Ihr kommt nicht aus Oeſtrots Thoren,
ehe der Sieg unſer iſt.
Nils Lykke. Tod und Verderben!
Inger. Jeder Widerſtand iſt unnütz. Ihr entkommt mir
nicht. Verhaltet Euch darum ruhig; das iſt das Klügſte, was
Ihr thun könnt.
Nils Lykke für ſich. Ah, ich bin überliſtet! Sie iſt ſchlauer
geweſen als ich. Ein Gedanke ſchießt ihm durch den Kopf. Aber ob ich
wohl —?
Inger Leife zu Olaf Stattavl. Folgt Graf Stures Trupp bis zur
Grenze. Dann begebt Euch unverweilt zum Kanzler Peter und
bringt mir mein Kind. Jetzt hat er keinen Grund mehr, mir
vorzuenthalten, was mein it. Da Olaf Skaktavl gehen will, fügt ſie
hinzu: Halt! Ein Erkennungszeichen —. Wer den Ring Sten
Stures trägt, der iſt der Rechte!
Olaf. Bei allen Heiligen! Ihr ſollt ihn haben!
Inger. Dank, Dank, mein treuer Freund!
Nils £ykke zu Finn, den er unbemerkt zu ſich herangerufen, und mit dem
er im Flüſterton geſprochen hat. Alſo — verſuche Dich hinauszu—
ſchleichen! Laß Dich von keinem erwiſchen! Eine Viertelmeile
von hier liegen die Schweden in einem Hinterhalt. Melde
ihrem Anführer, daß Graf Sture tot iſt. Jener junge Menſch
darf nicht angetaſtet werden. Schärfe dies dem Befehlshaber
ein. Sag' ihm, daß das Leben des Junkers mir Tauſende
wert iſt.
— 124 —
Tinn. Es ſoll geſchehen.
Inger, die Nils Lytte unterdeſſen beobachtet hat. Fahrt denn alle mit
Gott! Auf Nils Lytte deutend. Dieſer edle Ritter kann ſich nicht ent⸗
ſchließen, ſeine Freunde auf Oeſtrot ſo raſch wieder zu verlaſſen.
Er will hier bei mir warten, bis die Siegesbotſchaft eintrifft
Nils £ykke bei Seite. Teufel!
Nils Stenſſön ergreift ſeine Hand. Glaubt mir, Ihr ſollt nicht
lange zu warten haben.
Nils Lykke. Es iſt gut; es iſt gut. Bei Seite. Noch iſt
nichts verloren, wenn meine Botſchaft nur Jens Bjelke zeitig
erreicht —
Inger zu Ejnar Huk, indem ſie auf Finn deutet. Und der da wird
unter ſicherer Bewachung ins Burgverließ geſteckt.
Zinn. Ich?
Einar und die Knechte. Finn?!
Ails £ykke leiſe. Nun brach mein letzter Anker.
Inger gebieteriſch. Ins Burgverließ!
Ejnar Huf, Björn und zwei Knechte führen Finn links ab.
Alle andern, Nils Lykte ausgenommen, ſtürmen rechts hinaus. Auf, zu
Pferd, zu Pferd! Heil Inger Gyldenlöve!
Inger tritt, indem ſie den Hinauseilenden folgt, dicht an Nils Lykke heran.
Wer iſt der Sieger?
Nils Lykke auein. Wer? — Ja, wehe Dir! Der Sieg iſt
teuer erkauft. Ich waſche meine Hände. Nicht ich bin's, der
ihn mordet. — Aber bei alledem entſchlüpft mir meine Beute.
Und der Aufruhr wächſt und breitet ſich aus. — O, es war
ein verwegenes, ein wahnwitziges Spiel, auf das ich mich hier
eingelaſſen habe! er lauſcht am Fenſter. Da reiten ſie raſſelnd zum
Thor hinaus. Nun wird es hinter ihnen zugemacht — und
ich ſtehe hier als Gefangener. — — Keine Möglichkeit zu ent—
kommen. In der nächſten halben Stunde fallen die Schweden
über ihn her. Er hat dreißig gutbewaffnete Reiter mit ſich.
end
Es wird auf Tod und Leben gehen. — Wenn er dennoch lebend
in ihre Hände fiele? — Wär' ich nur frei, ich wollte die
Schweden einholen, noch eh' ſie die Grenze erreichen, und ſie
müßten ihn mir ausliefern. er geht ans Fenſter im Hintergrund und
ſieht hinaus. Verdammt! Wachen überall. — Sollt' es gar keinen
Ausweg geben? — Er geht raſch auf und ab; plötzlich bleibt er ſtehen und
lauſcht. Was iſt das? Geſang und Saitenſpiel. Es ſcheint aus
Jungfer Elines Kammer zu kommen. Alſo noch auf — —
Ein Gedanke durchzuckt ihn. Eline! — Ach, wenn das ginge! Wenn
das ſich machen ließe! Und warum ſollte es ſich nicht machen
laſſen? Bin ich nicht mehr ich ſelbſt? — Wie heißt's doch
im Liede?
„Da ſeufzt jede Jungfrau in Herzensglut:
O wäre Nils Lykke mir hold und gut!“
Und ſie —? — Eline Gyldenlöve ſoll mich retten!
Er geht raſch, doch behutſam, durch die erſte Thür links ab.
Sünfter Aufzug.
Der Ritterſaal. Es iſt noch immer Nacht. Der Raum iſt nur ſchwach durch einen
Armleuchter erhellt, der auf einem Tiſche rechts im Vordergrund ſteht.
Inger ſitzt, in Gedanken vertieft, am Tiſch.
Inger nach einer Pauſe. Die Klügſte im Lande nennen ſie mich,
und ich glaube, ich bin es auch. — Die Klügſte —. Aber
niemand weiß, warum ich die Klügſte bin. Mehr als zehn
Jahre hab' ich gekämpft um meines Kindes Heil. Das iſt
der Schlüſſel zum Rätſel, — das giebt dem Schädel Verſtand!
— — Verſtand? — Wo iſt heut meine Klugheit hin? Wo
nur hab' ich meine Umſicht? Es klingt und rauſcht mir vor
den Ohren. Ich ſehe Geſtalten vor mir, ſo leibhaftig, daß ich
ſie greifen könnte. Sie ſpringt auf. — Mein Herr Jeſus, was iſt
das? Bin ich nicht mehr meiner Sinne Herr? Sollte es dahin
kommen, daß ich —? Sie preßt die Hände um das Haupt zuſammen;
7
dann ſetzt fie ſich wieder und ſagt ruhiger: O, es iſt nichts. Es geht
vorüber. Es hat keine Not, — es geht vorüber. — — Wie
friedlich es hier im Saal iſt! Ahnen und Geſippen ſehen mich nicht
drohend an; ich brauche ihre Bilder nicht mehr umzudrehen. Ste
erhebt ſich wieder. Ja, es war gut, daß ich mich endlich ermannt
habe. Wir werden ſiegen. Und dann ſteh' ich am Ziel. Ich
werde mein Kind wieder bekommen. Sie nimmt das Licht, um zu
gehen, hält aber inne und ſagt vor ſich hin: Am Ziel et Ziel? Ihn
= joe
wieder zu befommen! Nur das und ſonſt nichts? Sie ſtellt
den Leuchter auf den Tiſch zurück. Jenes flüchtige Wort, das Nils Lykke
jo von ungefähr hinwarf — —. Wie konnt' er meinen unge—
borenen Gedanken erraten? Leiſer. Königsmutter — Königs—
mutter, ſagte er. — Und warum nicht? Haben nicht meine
Vorfahren als Könige gewaltet, wenn ſie auch nicht den Königs—
namen trugen? Hat nicht mein Sohn dieſelben Anſprüche auf
die Vorrechte der Sture wie jener andre? In Gottes Augen
hat er ſie — wenn noch Gerechtigkeit im Himmel iſt. — Und
dieſe Rechte hab' ich in der Stunde der Not ihm verwirkt! Mit
verſchwenderiſcher Hand hab' ich ſie weggeſchenkt als Löſegeld
für meines Kindes Freiheit — —. Ob man ſie nicht jetzt
zurückgewinnen könnte? Würde der Himmel darob zürnen,
wenn ich —? Werd' ich neue Bedrängnis über mich herauf—
beſchwören, falls ich —? Wer weiß, wer weiß! Es iſt wohl
das Sicherſte, zu verzichten. Sie ergreift den Leuchter wieder. Ich
werde ja mein Kind wieder haben. Das muß mir genug ſein.
Jetzt will ich die Ruhe ſuchen und all die verwegenen Ge—
danken — verſchlafen. Sie geht nach dem Hintergrund, bleibt aber noch
einmal ſtehen und ſagt grübelnd: Königsmutter?
Langſam ab durch die Thüre links im Hintergrund.
Nach einer kurzen Pauſe kommen Nils Lykke und Eline lautlos durch die erſte
Thür links. Nils Lykke hat eine kleine Laterne in der Hand.
Nils £ykke blickt ſpähend umher und flüſtert. Alles iſt ſtill. Ich
muß fort.
Eline. O, laß mich noch ein einzig Mal in Deine Augen
blicken, ehe Du mich verläßt.
Nils Lykke umarmt ſie. Eline!
Eline nach turzer Pauſe. Kommſt Du nie mehr nach Oeſtrot?
Nils Lykke. Wie kannſt Du daran zweifeln? Biſt Du
nicht jetzt meine Verlobte? — Doch wirſt auch Du mir treu
— 128 —
bleiben, Eline? Wirſt Du mich nicht vergeſſen, bis wir uns
wiederſehn?
Eline. Ob ich Dir treu ſein will? Hab' ich denn noch
einen Willen? Könnt' ich Dir untreu werden, ſelbſt wenn ich
wollte? — Du kamſt zur Nachtzeit. Du pochteſt an meine
Thür — und ich ließ Dich ein. Du ſprachſt zu mir. Was
haſt Du geſprochen? Du blickteſt mir feſt ins Auge — ach,
welch geheimnisvolle Macht iſt es, die mich bethörte und einfing
wie in einem Zaubernetz? Sie birgt raſch ihr Geſicht an ſeine Schulter.
Sieh mich nicht an, Nils Lykke! Du darfſt mich nicht anſehen
nach — — Treu, ſagſt Du? Du haſt mich ja. Ich bin ja
Dein — muß es ſein, in alle Ewigkeit!
Nils Lykke. Nun, bei meiner Ritterehre, dann ſollſt Du
auch, eh' dies Jahr zu Ende geht, als Hausfrau ſchalten auf der
Burg meiner Väter!
Eline. Keine Gelübde, Nils Lykke! Schwöre mir nichts!
Ails Lykke. Was iſt Dir? Weshalb ſchüttelſt Du jo weh—
mütig das Haupt?
Eline. Weil ich weiß, daß Du die ſüßen Worte, die meinen
Sinn bethörten, vor mir ſchon gar vielen zugeflüſtert haſt.
Nein, nein, ſei nicht böſe, Liebſter! Ich mache Dir nicht Vor—
würfe, wie ich damals gethan habe, als ich Dich noch nicht kannte.
Nun weiß ich ja, wie hoch Du über allen andern ſtehſt. Wie
kann Dir Liebe anderes ſein als ein Spiel, und das Weib
anderes als ein Spielzeug?
Nils Lykke. Eline — hör' mich!
Eline. Unter dem Klange Deines Namens bin ich auf—
gewachſen. Ich haßte dieſen Namen, weil mich dünkte, alle Frauen
würden gekränkt durch Dein Betragen. Und doch — wie wunder—
lich! — wenn ich im Traume mein eignes künftiges Leben mir
aufbaute, da warſt immer Du mein Held, ohne daß ich ſelbſt es
wußte. Jetzt verſteh' ich, was ich damals nicht verſtanden habe,
— 129 —
— jenes ahnungsſüße, geheimnisvolle Sehnen nach Dir, Du
Einziger, nach Dir, der einſt kommen ſollte, um mir des Lebens
ganze Herrlichkeit zu deuten!
Nils £ykke bet Seite, indem er die Laterne auf den Tiſch hinſtellt. Wie
iſt mir denn? Dieſer berückende, unwiderſtehliche Zauber —.
Iſt das die Liebe, dann hab' ich ſie nicht gekannt vor dieſer
Stunde. Vielleicht iſt es noch nicht zu ſpät für mich — Ach!
Mit Lucia — das Entſetzliche! er ſintt auf einen Stuhl.
Eline. Was iſt? Dieſer ſchwere Seufzer —
Nils Lykke. O, nichts, nichts! — — Eline, ich will Dir
ehrlich beichten. Ich habe oft mit Worten und Blicken betrogen
und gar vielen ſchon geſagt, was ich in dieſer Nacht Dir zu—
geflüſtert habe. Doch glaube mir —
Eline. Still! Nichts mehr davon! Meine Liebe iſt ja
kein Entgelt für das, was Du mir ſchenkſt. O nein, ich liebe
Dich, weil jeder Deiner Blicke ein Königsgebot iſt, das mir fo
gebietet. Sie legt ſich zu ſeinen Füßen. — O laß mich dieſes Königs⸗
gebot noch einmal tief in meine Seele prägen, weiß ich gleich,
daß es für Zeit und Ewigkeit hier eingegraben ſteht! — Du
guter Gott! Wie bin ich blind geweſen gegen mich ſelbſt!
Noch heut Abend ſagte ich zu meiner Mutter: „Soll ich leben,
dann muß ich meinen Stolz mir bewahren.“ Was iſt denn
mein Stolz? Meine Landsleute frei, mein Haus geehrt
zu wiſſen über die Lande und Reiche hin? Nein, nein! Meine
Liebe iſt mein Stolz! Das Hündlein iſt ſtolz, wenn es zu
ſeines Herrn Füßen kauern und Broſamen von ſeiner Hand
haſchen darf. So bin auch ich ſtolz, ſolang' ich zu Deinen
Füßen ſitzen darf, indeſſen Deine Worte und Deine Blicke mich
mit dem Brot des Lebens nähren. Sieh, deshalb ſag' ich zu
Dir, wie ich vorhin ſagte zu meiner Mutter: ſoll ich leben, ſo
muß ich mir meine Liebe bewahren; denn darin liegt mein
Stolz, jetzt und für alle Zeit.
Ibſen, Frau Inger auf Oeſtrot. 9
Ails Lukke zieht fie auf ſeinen Schoß. Nein, nein, — nicht zu
meinen Füßen, an meiner Seite iſt Dein Platz, und da ſoll er
bleiben, wie hoch das Schickſal mich auch ſtellen mag. Ja,
Eline — Du haſt mich auf einen beſſern Weg gebracht; und
iſt es mir einſt gegönnt, durch eine große That zu ſühnen, was
ich in meiner wilden Jugend verbrochen habe, ſo gebühren
Ruhm und Ehre Dir!
Eline. O, Du ſprichſt, als wär' ich noch jene Eline, die
geſtern Abend den Blumenſtrauß Dir vor die Füße warf. —
In meinen Büchern las ich von dem bunten Leben in fernen
Landen. Unter Hörnerklang zieht der Ritter, den Falken auf
der Hand, hinaus in den grünen Wald. So ziehſt auch Du
durchs Leben — Dein Name klingt Dir voran, wohin Du
ziehſt. — Alles, was ich von dieſer Herrlichkeit begehre, iſt,
der Falke an Deinem Arm zu ſein. Wie er war auch ich
blind für Licht und Leben, bis Du die Binde von meinen Augen
nahmſt und mich emporfliegen ließeſt, hoch über die grünen
Wipfel hin. — Doch glaube mir, — wie keck ich auch meine
Schwingen dehne, ich kehre doch ſtets wieder zurück zu meinem Käfig.
Nils Lykke erbebt ſich. So biet' auch ich der Vergangenheit
Trotz! Sieh her; — nimm dieſen Ring und ſei mein vor
Gott und den Menſchen, ob auch die Toten unruhige Träume
darüber haben ſollten.
Eline. Du machſt mir angſt. Was iſt — ?
Nils Lykke. Es iſt nichts. Komm, laß mich den Ring an
Deinen Finger ſtecken — So! Nun hab' ich Dich mir anverlobt.
Eline. Ich Nils Lykkes Braut! Mir ſcheint's ein Traum,
was in dieſer Nacht geſchah. Doch welch ein ſchöner Traum!
Mir iſt ſo leicht ums Herz; nicht Bitterkeit noch Haß ſind mehr
in meinem Sinn. Ich will mein Unrecht wieder gut machen.
Ich war lieblos gegen meine Mutter. Morgen geh' ich zu ihr —
ſie muß mir verzeihn, was ich gefehlt habe.
—
Nils Pykke. Und unſerm Bunde ihre Zuſtimmung geben.
Eline. Das wird ſie. O, ich glaub' es gewiß. Meine
Mutter iſt gut. Alle Menſchen ſind gut. Ich hege gegen keinen
mehr Groll — nur gegen einen.
Nils Lykke. Nur gegen einen?
Eline. Ach, das iſt eine traurige Geſchichte. Ich hatte eine
Schweſter —
Nils Lykke. Lucia?
Eline. Kannteſt Du Lucia?
Nils Lykke. Nein, nein, nur ihren Namen hab' ich gehört.
Eline. Auch ſie gab ihr Herz einem Ritter. Er betrog
ſie — nun iſt ſie im Himmel.
Nils £ykke. Und Du —?
Eline. Ich haſſe ihn.
Nils Lykke. Haſſ' ihn nicht! Kennſt Du Barmherzigkeit,
ſo vergieb ihm, was er geſündigt hat. Glaube mir, er trägt
die Strafe in ſeiner eigenen Bruſt.
Eline. Ihm vergeb' ich nie! Ich kann nicht, wenn ich
auch wollte. Zu heilig iſt der Eid, den ich geſchworen. Sie lauſcht.
Still! Hörſt Du?
Nils Lykke. Was? Wo?
Eline. Draußen, weit weg. Viele Männer reiten auf der
Landſtraße.
Nils Lykke. Ha, das find fiel Und ich, ich vergaß —!
Sie kommen herüber. Dann iſt Gefahr im Verzuge. Ich
muß fort!
Eline. Doch wohin? O Nils Lykke, was verhehlſt Du — ?
Nils Lykke. Morgen, Eline —. Denn bei Gott! — dann
komm' ich wieder. Schnell, nur ſchnell — wo iſt der geheime
Weg, von dem Du gejprochen haſt?
Eline. Durchs Grabgewölbe. — Sieh, hier iſt die Fall—
thür —
se
Nils Lykke. Das Grabgewölbe! Für ſich. Gleichviel! Gerettet
muß er werden.
Eline am Fenſter. Die Reiter ſind gleich vor dem Thor —
Sie reicht ihm die Laterne.
Mils Lykke. Nun wohlan! Er beginnt hinabzuſteigen.
Eline. Geh' die Gruft entlang bis zu dem Sarge mit dem
Totenkopf und dem ſchwarzen Kreuz. Das iſt Lucias —
Nils Lykke ſteigt raſch wieder herauf und ſchlägt die Fallthür zu. Lucias?
Pfui!
Eline. Was ſagſt Du?
Nils Lykke. O nichts. Der Leichengeruch hat mich ſchwindlig
gemacht.
Eline. Horch! Jetzt klopfen ſie ans Thor.
Nils Lykke läßt die Laterne fallen. Ach, es iſt zu ſpät.
Björn kommt eilig mit einem Licht in der Hand von rechts.
Eline ihm entgegen. Was giebt's, Björn? Was giebt's?
Björn. Ein Ueberfall! Graf Sture —
Eline. Graf Sture? Was iſt mit ihm?
Nils Lykke. Haben ſie ihn erſchlagen?
Björn zu Eline. Wo iſt Eure Mutter?
Zwei Rnechte von rechts hereinſtürzend. Frau Inger! Frau
Inger!
Inger kommt mit einem Armleuchter in der Hand aus der zweiten Thür
lints und ſagt ſchnell; Ich weiß alles. Hinunter in den Burghof
mit Euch! Haltet das Thor offen für unſre Freunde, doch ver—
ſchloſſen für jeden andern!
Sie ſtellt den Leuchter auf den Tiſch links. Björn und die zwei Knechte ab nach rechts.
Inger zu Nils Spt. Das alſo war die Schlinge, Herr
Reichsrat?
Nils Lykke. Inger Gyldenlöve, glaubt mir —
Inger. Ein Hinterhalt, — um ihn abzufangen, ſobald Ihr
jene Zuſage hattet, die mich vernichten kann.
— 133 —
Nils Lykke, indem er das Papier hervorzieht und in Stücke reißt. Da
iſt Eure Zuſage. Ich behalte nichts, das gegen Euch zeugen könnte.
Inger. Was thut Ihr?
Nils Lykke. Ich beſchirme Euch von dieſer Stunde an.
Hab' ich mich an Euch verſündigt — nun, beim Himmel! ſo
will ich verſuchen, mein Vergehen wieder gut zu machen. Doch
hinaus muß ich, und wenn ich mich durchs Thor hindurch hauen
müßte! — Eline, ſag' Deiner Mutter alles! Und Ihr, Frau
Inger, laßt unſre Abrechnung vergeſſen fein. Seid hochherzig
und — verſchwiegen! Glaubt mir, Ihr werdet mir Dank wiſſen,
noch ehe der Tag graut.
Er geht eilig durch die zweite Thür rechts ab.
Inger ſieht ihm triumphierend nach. Recht jo! Ich verſtehe ihn!
Sie wendet ſich zu Eline. Nils Lykke „ —2
Eline. Er hat an meine Thür gepocht und dieſen Ring
an meinen Finger geſteckt.
Inger. Und hat Dich lieb von Herzen?
Eline. Das hat er geſagt, und ich glaube ihm.
Inger. Klug gehandelt, Eline! Haha! Mein Herr Ritter,
nun fang' ich an!
Eline. Mutter — Ihr ſeid ſo ſonderbar! O ja, ich verſtehe
wohl — meine liebloſen Worte haben Euch gekränkt.
Inger. Gewiß nicht, liebe Eline! Du biſt eine gehorſame
Tochter. Du haſt ihn hineingelockt; Du haſt auf ſeine ſchönen
Worte gehört. Ich verſtehe vollauf, was es Dich gekoſtet hat —
denn ich kenne ja Deinen Haß.
Eline. Aber, Mutter —
Inger. Still! Wir ſind uns in unſern Plänen begegnet.
Wie fingſt Du es an, mein kluges Kind? Ich ſah ihn ſtrahlen
vor Liebe. Halt' ihn nun feſt! Zieh' das Garn enger und
enger um ihn, und dann — — Ha, Eline, wenn wir ihm ſein
teufliſches Herz in der Bruſt zerfleiſchen könnten!
— 134 —
Eline. Weh mir! Was ſagt Ihr!
Inger. Laß den Mut nicht ſinken. Hör' mich. Ich weiß
das Wort, das Dich aufrecht erhalten wird. — So wiſſe denn —
Lauſchend. Nun kämpfen ſie draußen vor dem Thor. Beſonnenheit!
Bald gilt es — Sie wendet ſich wieder zu Eline. Wiſſe denn, Nils
Lykke war's, der Deine Schweſter unter die Erde gebracht hat.
Eline aufſchreiend. Lucia!
Inger. Er war's, ſo gewiß ein Rächer über uns iſt!
Eline. Dann ſteh' mir der Himmel bei!
Inger entſetzt. Eline — ?
Eline. Ich bin die Seine vor Gott.
Inger. Unglückliches Kind, — was haſt Du gethan!
Eline mit dumpfer Stimme. Verwirkt den Frieden meines Herzens.
— Gute Nacht, Mutter!
Sie geht links ab.
Inger. Hahaha! Es geht bergab mit Inger Gyldenlöves
Geſchlecht. Sie war die letzte von meinen Töchtern. — Warum
konnt' ich nicht ſchweigen? Hätte ſie nichts gewußt, ſie wäre
vielleicht glücklich geworden — in einer Weiſe. — Es mußte
ſo ſein. In den Sternen dort oben ſteht es geſchrieben, daß
ich einen grünen Zweig nach dem andern brechen ſoll, bis der
Stamm entlaubt daſteht — — Dahin denn! Dahin! Jetzt
kehrt mir der Sohn zurück. An die andern, an meine Töchter
will ich nicht denken. — Rechenſchaft? Rechenſchaft ablegen? —
Ah, das kommt erſt am großen Tage des Gerichts —. Es
währt noch lange, bis der da iſt.
Nils Stenſſön ruft draußen rechts; Hei, — ſchlagt das Thor zu
Inger. Graf Stures Stimme —!
Nils Stenſſön waffenlos, mit zerriſſenen Kleidern, kommt aus der zweiten
su
Thür rechts hereingeſtürzt und ruft mit verzweifeltem Lachen: Ein frohes
Wiederſehen, das, Inger Gyldenlöve!
Inger. Was habt Ihr verloren?
— 15 —
Mils Stenſſöän. Mein Land und mein Leben!
Inger. Und die Bauern? Meine Knechte — wo habt
Ihr ſie?
Nils Stenſſön. Die Aeſer werdet Ihr auf der Landſtraße
finden. Wer das übrige genommen hat, das kann ich Euch
nicht ſagen.
Olaf Skaktavl draußen rechts. Graf Sture! Wo ſeid Ihr?
Nils Stenſſön. Hier, hier!
Olaf Skaktavl kommt, die rechte Hand verbunden.
Inger. Weh! Olaf Skaktavl, auch Ihr — ?
Olaf. Es war unmöglich, durchzukommen.
Inger. Ihr ſeid verwundet, wie ich ſehe?
Olaf. Ich hab' einen Finger weniger; das iſt das ganze.
Nils Stenſſön. Wo ſind die Schweden?
Olaf. Uns auf den Ferſen. Sie ſtürmen das Thor —
Nils Stenſſin. O Jeſus! — Aber nein, nein! Ich kann
nicht, — ich will nicht ſterben!
Olaf. Ein Verſteck, Frau Inger! Iſt kein Winkel hier,
wo wir ihn verbergen können?
Inger. Und wenn fie den Hof durchſuchen — 2
Mils Stenſſön. Ja, ja, dann werden fie mich finden und
fortſchleppen in den Kerker oder zum Galgen —! Nein, Inger
Gyldenlöve, — ich weiß gewiß, — das würdet Ihr nicht
überſtehen.
Olaf aauſchend. Nun iſt das Schloß geborſten.
Inger am Fenſter. Viele Menſchen ſtürmen in den Thor—
weg!
Ails Stenſſön. Und jetzt mein Leben zu laſſen, — jetzt,
da es erſt beginnen ſollte, jetzt, da ich kaum erfahren habe, daß
ich für etwas zu leben habe! Nein, nein, nein! Haltet mich
nicht für feig, Inger Gyldenlöve! Wenn mir nur noch ſo
viele Lebenstage vergönnt wären, daß ich —
— 136 —
Inger. Ich höre fie ſchon unter in der Burgſtube. Beſnmmt
zu Olaf Skattavl. Er muß gerettet werden — was es auch koſte!
Nils Stenſſon ergreift ihre Hand. O, das wußt' ich wohl! Ihr
ſeid edel und gut.
Olaf. Aber wie? Wenn wir ihn nicht verbergen können —
Nils Stenſſön. Ah, ich hab's! Ich hab's! Das Ge—
heimnis —
Inger. Das Geheimnis?
Nils Stenſſön. Ja gewiß; Eures und das meinige.
Inger. Gott im Himmel! — Ihr kennt es?
Nils Stenſſön. Von Anfang bis zu Ende. Und nun das
Leben auf dem Spiele ſteht —. Wo iſt Herr Nils Lykke?
Inger. Geflohen.
Nils Stenflön. Geflohen? Dann ſteh' Gott mir bei! Denn
nur der Ritter kann meine Zunge löſen —. Aber das Leben
iſt mehr als ein Gelübde wert. Wenn der ſchwediſche An—
führer kommt —
Inger. Was dann? Was wollt Ihr thun?
Nils Stenſſön. Leben und Freiheit erkaufen — ihm alles
offenbaren.
Inger. Nein, nein! — Seid barmherzig!
Nils Stenſſön. Es giebt ja keine andre Rettung. Wenn
ich ihm erzählt habe, was ich jetzt weiß —
Inger olict ihn an, mit unterdrückter Bewegung. So ſeid Ihr gerettet?
Nils Stenſſön. Ja, ja! Nils Lykke wird mein Fürſprecher
ſein. Ihr ſeht, es iſt das äußerſte Mittel.
Inger gefaßt und mit Nachdruck. Das äußerſte Mittel? — Ihr
habt recht. — Das äußerſte Mittel darf jeder verſuchen. Sie
deutet nach lints. Seht, dadrin könnt Ihr Euch einſtweilen ver—
bergen.
Nils Stenſſön mit gedämpfter Stimme. Glaubt mir — Ihr ſollt
dieſe That nie zu bereuen haben!
a
Inger halb für ſich. Gebe Gott, Ihr jagtet die Wahrheit!
Nils Stenſſön geht raſch ab durch die zweite Thür links; Olaf Skaktavl will ihm
folgen, wird aber von Inger zurückgehalten.
Inger. Habt Ihr verſtanden, was er meinte.
Olaf. Der Bube! Er verrät Euer Geheimnis. Er will
Euern Sohn opfern, um ſich ſelbſt zu retten.
Inger. Wenn es das Leben gilt, ſagte er, darf man das
äußerſte Mittel wagen. Wohlan denn, Olaf Skaktavl — es
geſchehe, wie er ſagte!
Olaf. Was meint Ihr?
Inger. Leben gegen Leben! Einer von ihnen muß unter—
gehen.
Olaf. Ah, Ihr wollt —?
Inger. Wenn er dadrin nicht ſtumm gemacht wird, eh'
er den ſchwediſchen Hauptmann ſprechen kann, ſo iſt mein Sohn
für mich verloren. Wird er dagegen bei Seite geſchafft, ſo
will ich mit der Zeit alle ſeine Anſprüche für mein eignes Kind
geltend machen. Da ſollt Ihr ſehen, daß noch Mark in Otto
Römers Tochter iſt! Verlaßt Euch drauf, — lange ſollt Ihr
nicht mehr auf die Rache zu warten haben, nach der Ihr
zwanzig Jahre gedürſtet habt. — Hört Ihr? Sie kommen die
Treppe herauf! Olaf Skaktavl, — von Euch hängt es ab, ob
ich morgen eine kinderloſe Mutter ſein ſoll oder —
Olaf. Es geſchehe! Mir iſt noch eine rüſtige Fauſt geblieben.
Er reicht ihr die Hand. Inger Gyldenlöve — ich will nicht ſchuld
dran ſein, daß Euer Name ausſtirbt!
Er geht in das Zimmer zu Nils Stenſſön.
Inger bleich und bebend. Darf ich es auch wagen —? Man
vernimmt Lärm in dem Zimmer; ſie eilt mit einem Schrei auf die Thür zu. Nein,
nein — es ſoll nicht geſchehen! Man hört drinnen einen dumpfen Fall;
ſie hält ſich die Ohren mit beiden Händen zu und eilt mit Blicken der Verzweiflung
wieder zurück. Nach einer Pauſe nimmt ſie vorſichtig die Hände weg, lauſcht wieder
— 138 —
und ſpricht leiſe: Nun iſt's vorbei. Alles iſt ſtill da drinnen. Du
haſt es geſehen, o Gott, — ich bedachte mich! Aber Olaf
Skaktavl war zu raſch bei der Hand.
Olaf Skaktavl kehrt ſtumm in den Saal zurück.
Inger nach einer kleinen Pauſe, ohne ihn anzublicken. Iſt es gethan?
Olaf. Seinetwegen könnte Ihr ruhig ſein; — er verrät
keinen mehr.
Inger wie oben. Er iſt alſo ſtumm?
Olaf. Den Stahl ſechs Zoll tief in der Bruſt. Ich fällte
ihn mit meiner linken Hand.
Inger. Ja, ja — die Rechte war auch zu gut für ſo etwas.
Olaf. Das müßt Ihr wiſſen; — Euer war der Gedanke.
— Und nun nach Schweden! Friede mit Euch ſolange! Wenn
wir uns das nächſte Mal ſehen auf Oeſtrot, komm' ich zu zweit!
Ab durch die zweite Tür rechts.
Inger. Blut an meinen Händen. Dahin mußt' es alſo
kommen! — Er kommt mir nachgerade teuer zu ſtehen.
Björn kommt mit einigen ſchwediſchen Kriegsknechten durch die erſte Thür rechts.
Einer der Kriegsknechte. Verzeiht, wenn Ihr die Herrin
des Hauſes ſeid —
Inger. Sucht Ihr den Grafen Sture?
Der Briegsknedt. So iſt es.
Inger. Dann ſeid Ihr nicht auf der falſchen Fährte. Der
Graf hat Zuflucht bei mir geſucht.
Der Briegsknedt. Zuflucht? Erlaubt, hochedle Frau, —
aber die vermögt Ihr ihm nicht zu gewähren, denn —
Inger. Was Ihr da ſagt, das hat auch der Graf ein—
geſehen, und darum hat er — ja, ſeht nur ſelber nach! —
darum hat er Hand an ſich gelegt.
Der Rriegsknecht. Hand an ſich gelegt?
Inger. Seht ſelber nach, wie ich ſagte. Da drinnen werdet
Ihr die Leiche finden. — Und da er nun vor einem andern
Richter Steht, jo iſt meine Bitte, er möge mit allen Ehren von
hier überführt werden, die ſeiner edeln Abkunft gebühren. —
Björn, Du weißt, in meiner Kammer ſteht mein eigner Sarg
ihon ſeit manchem Jahr bereit. Zu den Kriegstnechten. Ich bitt'
Euch, darin Graf Stures Leichnam nach Schweden zu bringen.
Der Kriegsknecht. Es ſoll geſchehen, wie Ihr befehlt. Zu
einem andern. Lauf Du mit dieſer Botſchaft zu Jens Zjelke.
Er hält mit den übrigen Reitern auf der Landſtraße draußen.
Wir andern wollen dort hinein und —
Ein Kriegsknecht rechts ab; die übrigen mit Björn in das Zimmer links.
Inger geht eine Weile ſtumm und unruhig im Zimmer auf und ab. Hätte
Graf Sture nicht ſo eilig der Welt Valet geſagt, ſo würde er
binnen eines Monats am Galgen hängen oder für ſeine Lebens—
zeit im Kerker ſitzen. Wäre ihm mit ſolchem Los beſſer gedient
geweſen? — Oder er hätte ſich frei gekauft dadurch, daß er
mein Kind in die Gewalt der Feinde gebracht hätte. Bin ich
es alſo, die ihn getötet hat? Kämpft nicht ſelbſt die Wölfin
für ihr Junges? Wer darf mich verdammen, weil ich die Klaue
ſchlug in den, der mir mein Fleiſch und Blut rauben wollte? Es
mußte ſo ſein. Jede Mutter hätte gethan wie ich. — Doch
jetzt iſt keine Zeit zu müßigen Gedanken. Handeln muß ich.
Sie ſetzt ſich an den Tiſch links. Ich will an alle meine Freunde rings
im Lande ſchreiben. Alle müſſen ſich jetzt erheben und die
große Sache ſtützen. Ein neuer König — erſt Reichsverweſer
und dann König — — Gie beginnt zu ſchreiben, hält aber gedanken voll
inne und ſagt leiſe: Wen werden ſie an des Toten ſtatt wählen?
— Königsmutter? — Das iſt ein großes Wort! Aber
ein Haken iſt dabei — daß es ſo häßlich anklingt an ein
andres Wort: Königsmutter und — Königs mörder. Königs—
mörder heißt, wer einem König das Leben raubt — Königs—
mutter heißt, wer einem König das Leben ſchenkt. Sie erhebt ſich.
Wohlan — ich will Erſatz ſchaffen für das, was ich geraubt
— 140 —
habe. Mein Sohn ſoll König werden! ie ſetzt ſich und nimmt die
Arbeit wieder auf, legt dann die Feder abermals weg und lehnt ſich in den Stuhl
zurück. Es iſt immer etwas Unheimliches, eine Leiche im Hauſe
zu haben. Darum iſt auch mir jo ſeltſam zu Mute. — Ste
wendet den Kopf heftig zur Seite, wie wenn ſie mit jemand ſpräche. Nicht
darum? Woher ſollte es ſonſt kommen? Grübelnd. Sit es
denn ein ſo großer Unterſchied, ob man einen Feind fällt oder
einen Mord an ihm begeht? Knut Alfſön hatte mit ſeinem
Schwerte ſo manche Stirn geſpalten, und doch lag auf ſeiner eigenen
Stirn die Ruhe eines Kindes? Warum ſeh' nur ich unaufhör—
lich dieſen — Sie macht eine Bewegung, als ob ſie einen Dolch ſchwinge. —
dieſen Stoß ins Herz und dann den roten Blutſtrom? — Sie
ſchellt und fährt fort zu reden, indem ſie unter den Papieren wühlt. Fortan will
ich nichts mehr wiſſen von ſo häßlichen Geſichten. Ich will
thätig ſein Tag und Nacht. Und in einem Monat — in einem
Monat kommt mein Sohn zu mir — —
Björn tritt ein. Hat meine Herrin geſchellt —?
Inger ſchreibend. Du ſollſt mehr Lichter bringen. Von heut
an will ich's hell, ſehr hell im Zimmer haben.
Björn links ab.
Inger nach einer Pauſe, erhebt ſich heftig. Nein, nein, nein — ich
kann die Feder nicht führen in dieſer Stunde! Es brennt und
ſchmerzt mir der Kopf. Sie fährt zuſammen und lauſcht. Was iſt
das?! — Ah! Sie ſchrauben drinnen den Deckel des Sarges
zu. — — Als ich noch ein Kind war, erzählte man mir das
Märchen vom Ritter Aage, der mit dem Sarg auf ſeinem
Rücken daherkam. — Wenn es ihm da drinnen eines Nachts
auch einfallen ſollte, mit dem Sarg auf dem Rücken zu
kommen und ſich für das Darlehn zu bedanken? Sie lacht leiſe.
Hm — was geht uns Erwachſene unſer Kinderglaube
an. Heftig. Aber ſolche Märchen ſind gleichwohl zu nichts
nütze! Sie ſchaffen wüſte Träume. Wenn mein Sohn König
4
— 141 —
iſt, ſollen ſie verboten werden. Sie geht unruhig auf und nieder, dann
öffnet fie das Fenſter. Wie lange pflegt es gemeinlich zu dauern,
bis eine Leiche zu verweſen anfängt?! — Alle Stuben ſollen ge—
lüftet werden. Bis das nicht geſchehen, iſt es hier ungeſund zu leben.
Björn kommt mit zwei Armleuchtern, die er auf die Tiſche ſtellt.
Inger wieder mit den Papieren beſchäftigt. So iſt's recht. Vergiß
mir nie, was ich Dir geſagt habe. Viel Lichter auf den Tiſch!
Was ſchaffen ſie jetzt da drinnen?
Björn. Sie ſind noch dabei, den Sargdeckel feſtzuſchrauben.
Inger ſchreibend. Schrauben fie ihn auch tüchtig feſt?
Björn. So feſt, wie's nötig iſt.
Inger. Ja, ja — man kann nie wiſſen, wie ſehr das nötig
it —. Paß auf, daß es ordentlich geſchieht. Sie geht auf ihn
zu, mit einer Handvoll Papiere, und ſagt geheimnisvoll: Björn, Du biſt ein
Mann, doch will ich Dir eins ans Herz legen: ſei auf Deiner
Hut vor allen Menſchen, — vor denen, die geſtorben ſind,
und vor allen denen, die noch ſterben ſollen. Jetzt geh'
hinein und ſieh, ob ſie den Sargdeckel ordentlich feſt ſchrauben.
Björn leise, topfſchüttelnd. Ich kann nicht klug aus ihr werden.
Ab in das Zimmer links.
Inger will einen Brief zuſiegeln, wirft ihn aber gleich wieder weg, geht eine
Weile auf und ab und ſagt dann heftig: Wenn ich feig wäre, ſo hätt' ich
das da in aller Ewigkeit nicht gethan. Wenn ich feig wäre, hätt' ich
mir ſelbſt zugeſchrien: halt ein, wenn Du Deiner Seele noch
einen Reſt von Seligkeit bewahren willſt! — Ihr Blick fäut auf
Sten Stures Bild; fie wendet ihr Geſicht ab und jagt leiſe: Da lacht er auf
mich herunter, wie er leibt und lebt — Pfui! Sie dreht das Bild
um — mit der Fläche gegen die Wand, ohne hinzuſehen. Was lachteſt Du?
— Weil ich grauſam an Deinem Sohn gehandelt habe? Aber
der andre — iſt er nicht auch Dein Sohn? Und er iſt zu—
gleich der meine. Das merke Dir! — — ie blict verſtohlen
über die Bilderreihe hin. So grimmig wie heut Nacht ſah ich ſie
noch nie. Sie blicken mich an, wo ich geh' und ſtehe. Stampft
mit dem Fuß auf. Aber ich will nichts von ihnen wiſſen! Ich
will Frieden haben in meinem Hauſe. — — Macht ſich daran, ale
Bilder gegen die Wand umzudrehen. Und wenn es nun die heilige Jungfrau
Maria ſelbſt wäre — — Jetzt alſo hältſt Du die Zeit für
gekommen — —? Warum haſt Du meine Bitten nie erhört,
wenn ich Dich ſo inbrünſtig anflehte, mir mein Kind zurückzu—
geben? Warum? Weil der Mönch von Wittenberg recht hat:
es iſt kein Mittler zwiſchen Gott und den Menſchen. Sie atmet
ſchwer auf und fährt in ſteigender Leidenſchaft fort: Es iſt gut, ſehr gut,
daß ich das weiß — — Keiner hat geſehen, was da drinnen
geſchehen iſt — Es giebt keinen, der gegen mich zeugen könnte!
Breitet plötzlich die Arme aus und flüſtert: Mein Sohn! Mein geliebtes
Kind! Komm zu mir! Hier bin ich. — Bit! Ich will Dir
etwas ſagen: ich bin verhaßt dort oben, jenſeits der Sterne,
weil ich Dich zur Welt gebracht habe. Ich war ja dazu
beſtimmt, Gottes des Herrn Wahrzeichen durch das Reich zu
tragen. Aber ich bin meine eigne Bahn gegangen; darum
mußte ich ſo viel und ſo lange leiden.
Björn kommt aus dem Zimmer links. Gnädige Frau! Ich habe
zu vermelden — Gott ſteh' mir bei! Was bedeutet das?
Inger, die die Stufen des Hochſitzes hinangeſtiegen iſt, der an der Wand links
ſteht. Still, ſtill! Ich bin Königsmutter. Sie haben meinen
Sohn zum König erkoren! Es gab harte Arbeit, bis ich es dahin
gebracht habe; — denn die höheren Mächte ſelbſt waren es, mit
denen ich zu kämpfen hatte.
Nils Lukke kommt atemlos durch die zweite Tür rechts. Er iſt frei!
Ich habe Jens Bjelkes Zuſage. Wißt denn, Frau Inger —
Inger. Still, ſag' ich! Seht, wie es von Menſchen
wimmelt: Vom Zimmer her ertönt ein Leichenpſalßm. Jetzt kommt der
Krönungszug. Welche Scharen! Alle neigen ſich vor der
Königsmutter. Ja, ja, ſie hat auch um ihren Sohn gekämpft
Ma
— bis ihre Hände rot wurden. Wo ſind meine Töchter? Ich
ſehe ſie nicht.
Nils Lykke. Bei Chriſti Blut — was iſt geſchehn?
Inger. Meine Töchter — meine holden Töchter! Ich habe
keine mehr. Eine war mir noch geblieben, und ſie verlor ich,
wie ſie ins Brautbett ſteigen wollte. Flüſternd. Lucia lag als
Leiche darin. Es war nicht Platz für zwei.
Nils Lykke. Ah! Alſo dahin iſt es gekommen! — Die
Rache des Herrn hat mich ereilt —
Inger. Könnt Ihr ihn ſehen? Dort! Dort! Das iſt der
König! Das iſt Inger Gyldenlöves Sohn! Ich kenn' ihn
an der Krone und an Sten Stures Ring, den er um den
Hals trägt. — Horch! Wie luſtig das klingt! Er naht! Bald
werden meine Arme ihn umfangen. — Haha! Wer ſiegt, Gott
oder ich?
Die Kriegsknechte kommen mit dem Sarg.
Inger greift ſich an die Stirn und ruft: Die Leiche! Flüſternd. Pfui,
das iſt ein häßlicher Traum! Sie ſinkt in den Hochſitz zurück.
Jens Bielke der von rechts eingetreten iſt, bleibt ſtehen und ruft über—
raſcht: Tot! Alſo doch —
Ein RKriegsknecht. Er ſelbſt hat —
Jens Bjelke mit einem Blick auf Nils Lykte. Er ſelbſt —?
Nils Lykke. Still!
Inger matt, komme wieder zu fih. Ja, richtig, jetzt beſinn' ich mich
auf alles.
Jens Bjelke zu den Kriegsknechten. Setzt die Leiche nieder! Das
iſt nicht Graf Sture.
Ein Rriegsknecht. Vergebt, Herr Ritter, — doch dieſer
Ring, den er um den Hals trug —
Nils £ykke faßt ihn am Arm. Schweig', ſchweig'!
Inger fährt empor. Der Ring? Der Ring? Sie eilt hinzu und
— 144 —
reißt den Ring an ſich. Sten Stures Ring! mit einem Aufſchret. Jeſus
Chriſtus, — mein Sohn! Sie wirft ſich über die Bahre.
Die Kriegsknechte. Ihr Sohn?
Jens Bjelke zu gleicher Zeit. Inger Gyldenlöves Sohn?
Nils Luykke. So iſt's.
Jens Bjelke. Doch warum habt Ihr mir nicht gejagt —
Björn verſucht ſie aufzuheben. Zu Hilfe, zu Hilfe! — Herrin,
was fehlt Euch?
Inger mit matter Stimme, indem ſie ſich halb aufrichtet: Was mir fehlt?
— Noch ein Sarg. Ein Grab bei meinem Kinde — —
Sie ſinkt abermals kraftlos über die Bahre hin. Nils Lykke geht raſch rechts ab.
Tiefe Bewegung unter den Uebrigen.
Das Feſt auf Solhaug
Schauſpiel in drei Akten
Zweite Ausgabe
Mit einer Vorrede des Verxfaſſers
Ibſen, Das Zeit auf Solhaug. 10
Geſchützt auf Grund der Geſetze und Verträge,
Den Bühnen gegenüber Manuſfkript.
Vorrede zur zweiten Ausgabe.
„Das Feſt auf Solhaug“ habe ich in Bergen geſchrieben,
im Sommer 1855, alſo ungefähr vor 28 Jahren.
Das Stück wurde daſelbſt den 2. Januar 1856 in einer
Feſtvorſtellung zur Erinnerung an den Stiftungstag der nor—
wegiſchen Bühne zum erſten Mal aufgeführt.
Ich war damals Inſtruktor Dramaturg und Regiſſeur
am Bergener Theater und leitete ſo die Einſtudierung meines
Stückes ſelber. Es erfuhr eine vorzügliche, in ſeltenem Maße
ſtimmungsvolle Darſtellung. Mit Luſt und Hingebung ward
es geſpielt und ebenſo auch aufgenommen. „Die Bergener
Lyrik“, die, wie verlautet, die letzten politiſchen Wahlen da
oben entſchieden haben ſoll, war an jenem Theaterabend in dem
vollen Hauſe ungewöhnlich ſtark vertreten. Die Vorſtellung
endete mit zahlreichen Hervorrufen des Verfaſſers und der
Schauſpieler. Später am Abend brachte mir die von einem
großen Teil des Publikums begleitete Kapelle ein Ständchen
vor meinen Fenſtern. Ich glaube beinahe, ich ließ mich dazu
hinreißen, eine Art Anſprache an die Verſammlung zu halten;
jedenfalls — das weiß ich — fühlte ich mich ſehr glücklich.
Ein paar Monate ſpäter wurde „Das Feſt auf Solhaug“
in Chriſtiania aufgeführt. Auch dort ward es vom Publikum
mit großem Beifall aufgenommen, und Björnſon ſchrieb den Tag
10*
— 148 —
nach der erſten Aufführung im „Morgenblatt“ einen jugendlich
warmen, liebenswürdigen Aufſatz darüber. Eigentlich war es
weder ein Bericht noch eine Kritik — es war vielmehr eine
ſtimmungsreiche freie Phantaſie, eine dichteriſche Improviſatien
über das Stück und über die Vorſtellung.
Aber dann kam die richtige Kritik, beſorgt von den richtigen
Kritikern.
Wie wurde man zu jener Zeit — ich meine in den Jahren
von 1850 bis etwa 1860 — in Chriſtiania ein richtiger Litteratur—
kritiker und namentlich ein richtiger Theaterkritiker?
Ja, das ging in der Regel jo zu: Nach einigen vor-
bereitenden Uebungen im „Geſellſchaftsblatt“ und nach häufigerer
Teilnahme an den Diskuſſionen, die nach den Theaterabenden in
Treſchows Café oder „bei Ingebret“ gepflogen wurden, begab
ſich der werdende Kritiker in Johann Dahls Buchhandlung und
ließ ſich aus Kopenhagen ein Exemplar von J. L. Heibergs
„Proſaſchriften“ kommen, die, wie er hatte ſagen hören, eine
„Ueber das Vaudeville“ betitelte Abhandlung enthielten.
Dieſe Abhandlung wurde dann geleſen, in grübelndem Geiſte
erwogen und vielleicht auch zum Teil verſtanden. Durch
jene Schriften wurde man des weiteren mit einer Polemik
bekannt, die Heiberg ſeiner Zeit mit Profeſſor Oehlenſchläger und
dem Dichter Hauch in Sorö geführt hatte. Ebenfalls bei dieſer
Gelegenheit erfuhr man, daß J. J. Baggeſen (dev Verfaſſer
der „Geſpenſterbriefe“) ſchon früher einen ähnlichen Feldzug
gegen den großen Dichter von „Axel und Valborg“ und „Hakon
Jarl“ eröffnet hatte.
Vieles andere noch, was einem Kritiker nützlich zu wiſſen
war, ließ ſich aus dieſen Schriften gewinnen. Man lernte z. B.
daraus, daß ein rechter Kritiker im Namen des Geſchmacks
verpflichtet iſt, an jedem Hiatus Anſtoß zu nehmen. Ward in
den Verſen hier und da ein ſolches Ungeheuer angetroffen,
5
ſo konnte man ſicher ſein, daß die jungen kritiſierenden Hierony—
muſſe Chriſtianias, ganz wie Holbergs Hieronymus, ihr „Potz—
tauſend, die Welt ſteht nicht mehr bis Oſtern!“ ausriefen.
Und dann hatte damals die Kritik der norwegiſchen Haupt—
ſtadt noch eine beſondere Eigentümlichkeit, über deren Urſprung
ich mir lange den Kopf zerbrochen habe. Unſere Kritiker pflegten
nämlich jedes Mal, wenn ein neu auftretender Schriftſteller ein
Buch herausgab oder ein kleines Theaterſtück auf die Bühne brachte,
in einen unbändigen Zorn zu geraten und ſich zu gebärden,
als ob durch die Herausgabe des Buches oder die Aufführung
des Stückes ihnen und den Zeitungen, für die ſie ſchrieben, eine
blutige Beleidigung zugefügt würde. Wie geſagt, ich grübelte
lange über dieſes ſonderbare Benehmen nach. Endlich fand ich
mich in der Sache zurecht. Beim Leſen der däniſchen „Monats—
ſchrift für Litteratur“ nämlich wurde ich darauf aufmerkſam,
daß ſeiner Zeit der alte Staatsrat Molbech in ſchweren Zorn
zu geraten pflegte, wenn in Kopenhagen ein junger Dichter
ein Buch herausgab oder ein Schauſpiel auf die Bühne brachte.
So, oder doch ungefähr ſo, war der Gerichtshof beſchaffen,
der nun in der Tagespreſſe ſich vornahm, „Das Feſt auf
Solhaug“ vor die Schranken der Kritik zu ſtellen. Er war
zum größten Teil aus jungen Leuten zuſammengeſetzt, die im
Betrachte der Kritik gemeinhin auf Borg lebten. Ihre kritiſchen
Gedanken waren längſt von anderen gedacht und ausgeſprochen,
ihre Meinungen längſt anderswo formuliert worden. Geborgt
war ihre ganze äſthetiſche Theorie; geborgt war ihre ganze
kritiſche Methode; geborgt war von Anfang bis Ende, im
Großen wie im Kleinen die polemiſche Taktik, deren ſie ſich
bedienten. Ja ſogar ihre Gemütsſtimmung, ſie war geborgt.
Geborgt, geborgt war alles. Das einzige Originale dabei war,
daß ſie das Geborgte immer und ewig verkehrt und zur Unzeit
anbrachten.
— 150 —
Daß dieſes Kollegium, deſſen Mitglieder ihr Daſein von
Anlehen friſteten, bei mir als Dichter etwas Aehnliches vor—
ausſetzen zu müſſen glaubte, kann niemand Wunder nehmen.
Eine Zeitung oder zwei da oben, möglicherweiſe auch mehr,
fanden denn auch ganz prompt heraus, daß ich dies und das
aus Henrik Hertzens Schauſpiel „Svend Dyrings Haus“ ent—
lehnt hätte.
Dieſe kritiſche Behauptung iſt grundlos und unzutreffend.
Offenbar hat die Anwendung des Versmaßes der Kaempe—
viſer in beiden Stücken ſie veranlaßt. Aber bei mir iſt der
ſprachliche Ton ganz anders als bei Hertz; die Ausdruds-
weiſe hat in beiden Stücken ein ganz verſchiedenes Klang⸗
gepräge. Ueber dem Rhythmiſchen in meinem Stücke weht eine
leichte Sommerluft; über dem Rhythmiſchen bei Hertz laſtet es
wie Herbſtwetter.
Auch was die Charaktere, die Handlung oder überhaupt
den thatſächlichen Inhalt angeht, ſo findet ſich keine andere
oder doch keine größere Aehnlichkeit als die, die notwendig
daraus folgt, daß der Stoff beider Stücke dem engen Vor—
ſtellungskreis der Kaempeviſer entnommen iſt.
Mit ebenſoviel oder wohl noch mit größerem Recht
könnte man behaupten, daß Hertz in „Svend Dyrings Haus“
hier und da etwas, und zwar gar nicht ſo wenig, aus Heinrich
von Kleiſts „Käthchen von Heilbronn“ entlehnt habe, das zu
Beginn dieſes Jahrhunderts geſchrieben worden iſt. Käthchens
Verhältnis zum Grafen Wetter vom Strahl deckt ſich in
allem Weſentlichen mit Ragnhilds Verhältnis zum Ritter
Stig Hvide. Ebenſo wie Ragnhild wird auch Käthchen von
einer rätſelhaften, unerklärlichen Macht getrieben, dem Manne,
den ſie liebt, auf allen ſeinen Wegen zu folgen, ihm heimlich
nachzuſchleichen, ſich willenlos in ſeiner Nähe hinzulegen und
zu ſchlafen, mit Naturnotwendigkeit zu ihm zurückzukehren, ſo oft
— 151 —
ſie auch fortgejagt wird. Auch ſonſt greift das Uebernatürliche
bei Kleiſt wie bei Hertz noch auf mancherlei Weiſe ein.
Aber zweifelt jemand daran, daß es mit einigem guten oder
böſen Willen nicht möglich wäre, in der noch älteren dra—
matiſchen Litteratur ein Schauſpiel aufzutreiben, von dem be—
hauptet werden könnte, aus ihm habe Kleiſt Verſchiedenes für
ſein „Käthchen von Heilbronn“ entlehnt? Ich zweifle jedenfalls
nicht daran. Doch dergleichen nachzuweiſen wäre müßig. Das,
was ein Kunſtwerk zum geiſtigen Eigentum ſeines Urhebers
macht, iſt der Stempel ſeiner eigenen Perſönlichkeit, den er dem
Werke aufdrückt. Ich meine deshalb, daß trotz der angedeuteten
Aehnlichkeiten „Svend Dyrings Haus“ ebenſo unbeſtritten und
ausſchließlich ein Originalwerk Henrik Hertzens iſt, wie „Käthchen
von Heilbronn“ ein Originalwerk Heinrich von Kleiſts.
Dasſelbe Recht mache ich auch für mein „Feſt auf Solhaug“
geltend. Ich hoffe nicht minder, man wird in Zukunft jeden
der drei Namensvettern ungeſchmälert im Beſitz deſſen laſſen,
was ihm zu Recht gehört.
Georg Brandes hat gelegentlich das Verhältnis des „Feſtes
auf Solhaug“ zu „Svend Dyrings Haus“ ſo dargeſtellt, als
ſei mein Stück zwar nicht auf irgend einem Anlehen aufgebaut,
aber doch unter einer Einwirkung, einem Einfluß des älteren
Dichters auf den jüngeren entſtanden. Seine Aeußerungen über
meine Arbeit ſind im übrigen ſo wohlwollend, daß ich allen
Grund habe, ihm dafür, wie für ſo vieles andere, dankbar
zu ſein.
Nichtsdeſtoweniger aber muß ich daran feſthalten, daß die
Sache in Wirklichkeit ſich auch nicht ſo verhält, wie Brandes ſie
aufgefaßt hat. Henrik Hertz hat als dramatiſcher Dichter mich
niemals ſonderlich angeſprochen. Es will mir darum nicht in
den Kopf, daß er, mir unbewußt, irgend welchen Einfluß auf
meine eigene dramatiſche Produktion ausgeübt haben könnte.
— 152 —
An dieſem Punkt und in Verbindung hiermit könnte ich
mich darauf beſchränken, auf Dr. Valfrid Vaſenius, Docenten der
Aeſthetik an der Univerſität zu Helſingfors, hinzuweiſen. Sowohl
in ſeiner Doktordiſſertation „Henrik Ibsens dramatiska diktning
i dess första skede“ (1879) als auch in ſeinem Werke „Henrik
Ibsen, ett skaldeporträtt* (343 Seiten. Joſ. Seligmann
u. Comp., Stockholm 1882) hat er ſeine Grundanſchauung über
das hier behandelte Schauſpiel entwickelt, — in der letzt—
genannten Schrift noch unter Berückſichtigung deſſen, was ich
ihm vor drei Jahren bei einem Zuſammenſein zu München in
aller Kürze mitgeteilt habe. Hierauf könnte ich, wie geſagt,
hinweiſen.
Aber der guten Ordnung halber will ich doch ſelbſt auf den
folgenden Blättern die Entſtehungsgeſchichte des „Feſtes auf
Solhaug“ in großen Zügen erzählen.
Hier iſt ſie:
Ich habe dieſe Vorrede mit der Erklärung eingeleitet, daß
das Stück im Sommer 1855 verfaßt worden iſt.
Im Jahre vorher hatte ich „Frau Inger auf Oeſtrot“
geſchrieben. Die Arbeit an dieſem Drama hatte mich genötigt,
mich litterariſch und hiſtoriſch in das norwegiſche Mittelalter,
namentlich in deſſen ſpätere Epoche, zu vertiefen. Ich verſuchte,
ſo gut es ging, mich in die Sitten und Gebräuche jener Zeiten
einzuleben, in das Gefühlsleben ihrer Menſchen, in ihre Denkungs—
art und Ausdrucksweiſe.
Dieſe Periode iſt jedoch nicht anſprechend genug, um lange
bei ihr zu verweilen, ſie bietet auch nicht ſonderlich viel Stoff,
der ſich zu dramatiſcher Behandlung eignete.
Ich flüchtete denn auch bald zur eigentlichen Sagazeit
hinüber. Aber die Königsſagas und überhaupt die ſtrengeren
hiſtoriſchen Ueberlieferungen aus dieſem fernen Zeitalter feſſelten
mich nicht; ich konnte damals für meine dichteriſchen Zwecke von
— 153 —
den Streitigkeiten zwiſchen Königen und Häuptlingen, zwiſchen
Parteien und Gefolgſchaften als Dramatiker keinen Gebrauch
machen. Das ſollte erſt ſpäter kommen.
In reichem Maße dagegen fand ich in den isländiſchen
Familienſagas, was ich zur menſchlichen Einkleidung der
Stimmungen, Vorſtellungen und Gedanken brauchte, die mich
damals erfüllten oder mir doch mehr oder minder klar vor—
ſchwebten. Dieſe altnordiſchen litterariſchen Beiträge zur Perſonal—
geſchichte unſerer Sagazeit hatte ich bisher nicht gekannt, kaum
noch nennen hören. Da fiel mir durch einen Zufall N. M. Peterſens
hinſichtlich des ſprachlichen Tons jedenfalls vortreffliche Ueber—
ſetzung in die Hände. Aus dieſen Familienchroniken mit ihren
wechſelnden Verhältniſſen und Auftritten zwiſchen Mann und
Mann, zwiſchen Weib und Weib, überhaupt zwiſchen Menſch und
Menſch ſchlug mir ein perſönlicher, voller, lebendiger Lebens—
gehalt entgegen; und aus dieſem meinem Zuſammenleben mit all
jenen abgeſchloſſenen, einfachen, perſönlichen Naturen entſtand in
meinem Geiſte der erſte rohe, unbeſtimmte Entwurf zu den
„Kriegern auf Helgeland“.
Wie viel von den Einzelheiten ſich damals in mir aus—
geſtaltete, weiß ich heute nicht mehr anzugeben. Doch erinnere
ich mich recht wohl, daß die zwei Geſtalten, die zuerſt meinen
Blick auf ſich zogen, die beiden Frauen waren, die ſpäter zu
Hjördis und Dagny wurden. Ein großes Feſtgelage mit auf—
reizenden Reden und verhängnisvollem Zuſammenſtoß ſollte in
dem Stücke vorkommen. Im übrigen wollte ich von Charakteren,
Leidenſchaften und gegenſeitigen Verhältniſſen all das aufnehmen,
was mir als am meiſten typiſch für das Leben der Sagazeit
erſchien. Mit einem Wort, — ich wollte einfach, was in der
Völſungenſaga epiſch umgedichtet worden war, dramatiſch wieder—
geben.
Irgend einen vollſtändigen, zuſammenhängenden Plan habe
— 154 —
ich damals wohl nicht entworfen. Doch ſtand es klar vor mir,
daß ein ſolches Schauſpiel das Erſte ſein müßte, was nun ge—
ſchrieben würde.
Allein da kam mancherlei dazwiſchen. Das meiſte davon,
und vermutlich das zunächſt und am ſtärkſten Entſcheidende, war
wohl perſönlicher Natur; aber ich glaube doch, es war nicht ganz
ohne Bedeutung, daß ich eben damals Landſtads Sammlung
„Norwegiſcher Volkslieder“, die ein paar Jahre vorher erſchienen
war, eingehend ſtudierte. Die Stimmungen, in denen ich mich
damals befand, vertrugen ſich beſſer mit der litterariſchen
Romantik des Mittelalters als mit den Thatſachen der Sagas,
beſſer mit der Versform als mit dem Proſaſtil, beſſer mit dem
ſprachmuſikaliſchen Element der Kaempeviſe als mit dem
charakteriſierenden der Saga.
So geſchah es, daß ſich der formlos gärende Entwurf zu
der Tragödie „Die Krieger auf Helgeland“ vorläufig in das
lyriſche Drama „Das Feſt auf Solhaug“ verwandelt hat.
Die beiden Frauengeſtalten der geplanten Tragödie, die
Pflegeſchweſtern Hjördis und Dagny, wurden in dem ausge—
führten lyriſchen Drama zu den Schweſtern Margit und Signe.
Die Abſtammung dieſes zuletzt genannten Paares von den
Frauen der Saga wird leicht in die Augen fallen, wenn man
erſt darauf aufmerkſam geworden iſt. Die Familienähnlichkeit
iſt unverkennbar. Der damals nur flüchtig angelegte Held der
Tragödie, der weitgereiſte und an fremden Königshöfen wohl
aufgenommene Häuptling, der Wiking Sigurd, formte ſich in den
Rittersmann und Sänger Gudmund Alfſön um, der auch lange
in fremden Landen umhergezogen war und am Hof des Königs
gelebt hatte. Seine Stellung zu den beiden Schweſtern wurde
gemäß dem Wandel der Zeitumſtände und Verhältniſſe geändert;
aber die Stellung beider Schweſtern ihm gegenüber blieb im
weſentlichen dieſelbe wie in der urſprünglich geplanten und ſpäter
— 155 —
ausgeführten Tragödie. Das verhängnisvolle Feſtgelage, an
deſſen Schilderung mir bei meinem erſten Entwurf ſo viel ge—
legen war, wurde in dem Drama der Schauplatz, auf dem die
Perſonen durchweg auftraten. Es bildete den Hintergrund, von
dem ſich die Handlung abhob, und teilte dem Gejamtbilde die
Grundſtimmung mit, die ich beabſichtigt hatte. Der Schluß des
Stückes wurde natürlich ſeiner Art gemäß, als der eines Dramas
und nicht einer Tragödie, gedämpft und gemildert; aber unter
ſtrenggläubigen Aeſthetikern dürfte gleichwohl darüber geſtritten
werden können, ob in dieſem Schluß nicht ein Zug von unver—
mittelter Tragik zurückgeblieben iſt, als ein Zeugnis von des
Dramas Urſprung.
Hierauf werde ich mich jedoch nicht weiter einlaſſen. Ich
habe nur aufrecht erhalten und feſtſtellen wollen, daß das vor—
liegende Schauſpiel, ebenſo wie alle meine übrigen dramatiſchen
Arbeiten, ein naturnotwendiges Ergebnis meines Lebensganges
an einem beſtimmten Punkte iſt. Es iſt von innen heraus ent—
ſtanden und nicht irgendwie durch äußeren Anſporn oder Einfluß.
So und nicht anders verhält es ſich mit der Entſtehung
des „Feſtes auf Solhaug.“
Rom, im April 1883.
„
Henrik Ibſen.
Perfonen.
Bengt Gauteſön, Herr auf Solhaug.
Margit, ſeine Ehefrau.
Signe, ihre Schweſter.
Gudmund Alfſön, ihr Vetter.
Knut Gaesling, Vogt des Königs.
Erik von Haegge, ſein Freund.
Ein Knecht.
Ein zweiter Knecht.
Des Königs Sendbote
Ein alter Mann.
Eine Magd.
Gäſte, Herren und Frauen.
Gefolgsmannen Knut Gaeslings. Knechte
und Mägde auf Solhaug.
Der Schauplatz der Handlung iſt Solhaug, die Zeit das vierzehnte
Jahrhundert.
Zu Are
5 * uhr e N
Pr,
Erſter Akt.
Eine ſtattliche Stube mit je einer Thür im Hintergrund und auf beiden Seiten. Vorn
rechts ein Erkerfenſter mit kleinen runden, in Blei gefaßten Scheiben, davor ein Tiſch
mit einer Menge Weiberſchmuck. An der Wand links ein großer Tiſch mit ſilbernen
Krügen, Bechern und Trinkhörnern. Die Thür im Hintergrund führt auf eine offene
Außengalerie, von der man auf eine weite Fjordlandſchaft ſieht.
Bengt Gauteſön, Frau Margit, Knut Gaesling und Erik von Haegge
ſitzen lints um den Trinktiſch. Im Hintergrunde ſitzen und ſtehen Knuts Mannen
umher; ein paar Bierhumpen machen unter ihnen die Runde. In weiter Ferne hört
man Kirchenglocken zur Frühmeſſe läuten.
Erik erhebt ſich vom Tiſche. Und nun, kurz und gut, was für
einen Beſcheid habt Ihr mir auf meine Brautwerbung im Namen
Knut Gaeslings zu geben?
Bengt ſchielt unruhig nach ſeiner Ehefrau. Ja, ich — ich denke nun
— Da ſie ſchweigt: Hm, Margit, laß uns erſt hören, was Du
meinſt.
Margit ſteht auf. Herr Knut Gaesling, — es war mir lange
bekannt, was Erik von Haegge von Euch erzählte. Ich wußte
gar wohl, daß Ihr aus einem berühmten Geſchlechte ſtammt;
Ihr ſeid reich an Geld und Gut, und unſer königlicher Herr iſt
Euch ſonderlich gewogen.
Bengt zu Knut. Sonderlich gewogen, — das ſag' auch ich.
Margit. Und ſicherlich könnte ſich meine Schweſter keinen
beſſeren Ehemann wählen —
— 160 —
Bengt. Keinen bejjeren; juſt dasſelbe denk' auch ich.
Margit. — wenn Ihr ſie nur bewegen könnt, Neigung
zu Euch zu faſſen.
Bengt ängſtlich, halblaut. Aber, — aber, meine Liebe —
Knut springt auf. Ja jo, Frau Margit! Ihr meint, daß
Eure Schweſter —?
Bengt ſucht ihn zu beruhigen. Nicht doch, Knut Gaesling! Nicht
doch! Verſteht uns nur recht!
Margit. Meine Worte können Euch nicht kränken. Meine
Schweſter kennt Euch ja nur aus den Weiſen, die über Euch im
Schwange ſind, — und ſittſamen Ohren klingen dieſe Weiſen übel.
Euer Väterhof iſt ein unſicher Haus
Mit all ſeinen wilden Gäſten.
Chriſt helfe der Braut, wenn tagein tagaus
Die Fremden am Tiſche ſich mäſten!
Chriſt helfe der Braut, die Eure Geſchmeid'
Und Güter und Wälder verblenden; —
Bald wird ſie ſich ſehnen, ein Leben voll Leid
Im Schlummer des Grabes zu enden.
Erik. Freilich — nur zu wahr — Knut Gaesling lebt
etwas wüſt und zügellos. Doch dergleichen ändert ſich leicht,
ſobald man ſich eine Frau ins Haus ſchafft.
Rnut. Und nun ſollt Ihr noch Folgendes vernehmen, Frau
Margit. Es mag eine Woche her ſein, da war ich zu einem
Trinkgelag auf Haegge bei Erik, der hier ſteht. Das Bier
war ſtark; und da es auf den Abend ging, that ich das Ge—
lübde, daß Eure ſchöne Schweſter Signe mein Weib werden
müſſe, eh' noch das Jahr um ſei. Nun ſoll man Knut Gaesling
nimmer nachſagen, daß er irgend ein Gelübde gebrochen hat.
Daher ſeht Ihr ſelbſt, daß Ihr mich zum Mann Eurer Schweſter
wählen müßt, — im Guten oder im Böſen.
— 161 —
Marait.
Bevor dies geſchieht, nun, ich will's Euch nicht hehlen,
Da müßt Ihr erſt andre Geſellſchaft wählen;
Da dürft Ihr nicht länger, ein greulicher Troß,
Das Land durchjagen zu Wagen und Roß!
Sorgt lieber, daß nicht gleich jeder erſchrickt,
Sobald ſich Knut Gaesling zur Freite anſchickt.
Geſittet und ruhig reitet zum Schmauſe,
Und laßt mir die Axt an der Wand zu Hauſe; —
Denn Ihr wißt, wie ſie loſ' Euch im Handgelenk ſitzt,
Wenn der Met und das Bier Euch die Schläfen erhitzt.
Ehrbaren Weibern thut nichts zuleid;
Dem Handelsmann laßt ſeine Ware;
Und ſchickt nicht jedem den frechen Beſcheid,
Er halte nur gleich ſein Sterbhemd bereit,
Wenn er Eure Straßen befahre.
Betragt Ihr Euch ſo, bis das Jahr verrinnt,
So glückt's Euch vielleicht, daß Ihr Signe gewinnt.
Knut mit verbiſſenem Grimm. Ihr wißt Eure Worte klug zu
belegen, Frau Margit. Fürwahr — Ihr hättet ein Pfaff
werden ſollen und nicht Eures Mannes Frau.
Bengt. O, was das betrifft, jo könnte auch ich wohl —
Rnut ohne auf ihn zu achten. Aber das mögt Ihr Euch merken —
hätt' ein gewaffneter Mann auf ſolche Weiſe zu mir geſprochen
wie Ihr, ſo —
Bengt. Nein aber, ſo hört doch, Knut Gaesling, — Ihr
müßt uns recht verſtehen!
Knut wie vorher. Nun, kurz und gut, ſo ſollt' er ſpüren,
daß mir die Axt loſ' in der Hand ſitzt, wie Ihr vorhin ſagtet.
Bengt leiſe. Da haben wir's! Margit, Margit, das geht
nicht gut aus.
Ibſen, Das Feſt auf Solhaug. 11
Margit zu auut. Ihr habt um ehrlichen Beſcheid gebeten,
und den hab' ich Euch gegeben.
Knut. Ja, ja; ich will es auch nicht jo genau mit Euch
nehmen, Frau Margit. Ihr habt mehr Klugheit, als wir
andern alle zuſammen. Da iſt meine Hand; — kann ſein,
Ihr habt triftigen Grund zu all den ſcharfen Worten, die Ihr
mir geſagt habt.
Margit. Das gefällt mir; da ſeid Ihr ja ſchon auf gutem
Wege, Euch zu beſſern. Und nun noch etwas. Wir feiern
heut ein Feſt auf Solhaug.
Knut. Ein Feſt?
Bengt. Ja, Herr Gaesling. Ihr müßt wiſſen, es iſt unſer
Hochzeitstag; heute vor drei Jahren ward ich Frau Margits
Gemahl.
Margit ihn ungeduldig unterbrechend. Wie ich ſagte, wir feiern
heut ein Feſt. Wenn Ihr nun von der Kirche kommt und
Eure übrigen Geſchäfte erledigt habt, ſo reitet wieder hierher
zurück und nehmt am Gelage teil. Da könnt Ihr meine
Schweſter kennen lernen.
Knut. Schön, Frau Margit; ich dank' Euch. Doch bin ich
heut nicht ausgeritten, um die Kirche zu beſuchen. Meine Reiſe
gilt Gudmund Alfſön, Eurem Vetter.
Margit ſtutzt. Ihm! Meinem Vetter? Wo wollt Ihr den
treffen?
Knut. Sein Hof liegt ja hinter der Landſpitze, auf der
andern Seite des Fjords.
Margit. Aber er ſelbſt iſt ſehr fern.
Erik. Sagt das nicht; er dürfte näher ſein, als Ihr denkt
Knut raunt ihm zu. Schweig ſtill!
Margit. Näher? Was meint Ihr damit?
Rnut. So habt Ihr nicht gehört, daß Gudmund Alfſön
wieder im Land iſt? Er kam mit dem Kanzler Audun von
— 163 —
Haegranaes, der nach Frankreich entſandt worden war, unſere
neue Königin einzuholen.
Margit. Das iſt ganz richtig; aber dieſer Tage wird in
Bergen des Königs Hochzeit mit großer Pracht gefeiert, und da
iſt Gudmund dabei.
Bengt. Ja, und da hätten wir auch mit dabei ſein können,
wenn meine Frau gewollt hätte.
Erik leiſe zu Knut. Frau Margit weiß alſo nicht, daß
Knut keiſe. Es ſcheint jo; aber laß Dir auf keine Weiſe
etwas merken. Laut. Nun ja, Frau Margit, ich muß gleichwohl
auf gut Glück aufbrechen; zur Abendzeit komm' ich wieder.
Margit. Und da mögt Ihr zeigen, ob Ihr Euren wilden;
Sinn beherrſchen könnt.
Bengt. Ja, merkt Euch das!
Margit. Ihr rührt nicht an Eure Axt! Hört Ihr, Knut
Gaesling!
Bengt. Weder an Eure Axt, noch an Euer Meſſer, noch
an irgendwelche andere Wehr, die Ihr bei Euch tragt.
Margit. Denn ſonſt dürft Ihr niemals hoffen, mit mir
verſchwägert zu werden.
Bengt. Nein, das haben wir feſt bei uns beſchloſſen.
Knut zu Margit. Habt nur keine Sorge.
Bengt. Und wenn wir etwas bei uns beſchloſſen haben, jo
ſteht das feſt.
Knut. Das gefällt mir, Herr Bengt. Ich habe dasſelbe
geſagt; und ich hab' nun einmal auf unſere Schwagerſchaft ge—
trunken. Ihr ſollt ſehen, ob ich nicht auch an meinem Wort
feſthalte. — Behüt Euch Gott bis heut Abend!
Er und Erik gehen mit ihren Mannen durch den Hintergrund ab. Bengt folgt ihnen
bis zur Thüre. Das Glockenläuten hat mittlerweile aufgehört.
2
Bengt kommt zurück. Es kommt mir vor, als ob er uns
drohte, da er ging.
115
— 164 —
Margit zerstreut. Ja, jo klang es.
Bengt. Mit Knut Gaesling iſt nicht gut Kirſchen eſſen.
Zwar wenn ich's bedenke, jo haben wir ihm auch allzuviel un⸗
freundliche Worte gegeben. Na, laß uns nicht weiter darüber
grübeln. Heut müſſen wir luſtig ſein, Margit! Und ich meine,
wir haben guten Grund dazu, wir beide.
Margit lächelt müßſam. Ja, gewiß!
Bengt. Ich war nicht mehr ganz jung, da ich um Dich
freite, — das iſt wahr. Aber der reichſte Mann auf Meilen
und Meilen im Umkreis, das war ich wahrhaftig. Du warſt
eine ſchöne Jungfer, aus edlem Geſchlecht; aber die Mitgift war
nicht danach, einen Freier zu reizen.
Margit vor ſich hin. Und doch war ich damals ſo reich.
Bengt. Was haſt Du geſagt, Frauchen?
Margit. Oh, nichts, nichts. Geht nach rechts hinüber. Ich will
mich mit Perlen und Ringen ſchmücken. Iſt es doch mein
Freudenfeſt heut Abend.
Bengt. So hör' ich Dich gern reden. Laß mich ſehen,
wie Du Dich in Deinen beſten Staat kleideſt, auf daß unſere
Gäſte ſagen können: Glückſelig ſie, die Bengt Gauteſön zum
Mann bekommen hat! — Aber nun muß ich hinaus in die
Vorratskammer; da iſt heute vollauf zu thun.
Er geht links ab.
Margit ſinkt auf einen Stuhl am Tiſche rechts.
O gut, daß er ging! Wenn er hier drinnen,
Da wird mir, als wollte mein Blut gerinnen;
Da wird mir, als hielte Wintersgewalt
Eiſig mein junges Herz umkrallt,
Unter hervorbrechenden Thränen.
Er iſt mein Herr! Ich bin ſein Weib!
Wie lange hält wohl ein Menſchenleib?
15 —
Ein halb Jahrhundert und mehr wohl gar; —
Und ich bin — im dreiundzwanzigſten Jahr!
Ruhiger, nach kurzem Schweigen.
Ja, ſeufze die goldene Mauer nur an,
Und harre dein Alter im Käfig heran!
Sucht zerſtreut in den Kleinodien umher und beginnt ſich zu ſchmücken.
Mit den Perlen und Ringen, die er mir gab,
Soll ich mich nun für ihn brüſten!
Ich wollte mich lieber zum ſtillen Grab
Als zu eh'lichen Feſten rüſten.
Abbrechend.
Doch Herze, nicht länger gezagt und geklagt —
Du kennſt ja ein Lied, das die Sorge verjagt.
Sie ſingt:
Der Bergkönig ritt hinunter ins Land;
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! —
Er kam, zu frei'n um der Schönſten Hand.
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! —
Der Bergkönig ritt vor Herrn Haͤkons Thor;
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! —
Klein Kirſtin ſtand fliegenden Haares davor.
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! —
Der Bergkönig freite das ſchöne Weib;
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! —
Umſchlang ihm mit ſilbernem Gürtel den Leib.
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! —
Der Bergkönig ſteckte der Lilie hold
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! —
An jeglichen Finger drei Ringe von Gold.
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! —
— 166 —
Drei Sommer gingen und fünf dahin:
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! ——
Kirſtin ſaß immer im Berge drin.
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! —
Fünf Sommer gingen und gingen mehr;
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! —
Klein Kirſtin bangte nach Sonne ſo ſehr.
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! —
Das Thal hat Vögel und Blumenpracht;
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! —
Im Berg da iſt Gold und ewige Nacht.
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! —
Sie erhebt ſich und geht durchs Zimmer.
Wie oft ſang Vetter Gudmund das,
Wenn er abends bei Vater geſeſſen!
Es iſt etwas drin, weiß ſelber nicht was,
Doch konnt' ich es niemals vergeſſen;
Ein Etwas, das mich einſt mächtig erregt, —
Und heute noch ſeltſam zum Grübeln bewegt.
Steht erſchrocken ſtill.
Goldne Ringe! Der Gürtel um meinen Leib —!
Mit Golde freite Bergkönig ſein Weib!
Sinkt verzweifelt auf eine Bank am Tiſche rechts.
Weh! Ich bin es ſelbſt, die Bergkönig gefreit!
Und niemand erlöſt mich — in Ewigkeit.
Signe, freudeſtrahlend, kommt durch die Thür im Hintergrund hereingeſtürmt.
Signe ruft: Margit, Margit — er kommt!
Margit ſpringt auf. Wer? Wer kommt?
Signe. Gudmund, unſer Vetter!
Margit. Gudmund Alfſön! Hierher! Wie kannſt Da
glauben — ?
— 167 —
Signe. O, ich bin deſſen gewiß.
Margit geht nach rechts hinüber. Gudmund Alfſön iſt mit beim
Hochzeitsfeſt im Königsſchloß; das weißt Du ſo gut wie ich.
Signe. Kann ſein; aber dennoch bin ich ſicher, er war's.
Margit. Halt Du ihn denn geſehen?
Signe. O nein, nein. Aber hör' nur —
Margit. Ja, ſo erzähl' doch!
Signe. Es war heut Morgen; der Glocken Klang
Bewog mich, zur Kirche zu reiten;
Hell lärmte der wilden Vögel Geſang
In den Weiden und Birken zuſeiten.
Es war ein Jubel in Luft und Land;
Zu ſpät faſt kam ich zum Ziele,
Denn auf dem ſchattigen Pfade fand
Ich der winkenden Roſen zu viele.
Doch leiſe trat ich am Ende noch ein;
Der Prieſter ſtand am Altare
Und las und ſang, und die fromme Gemein'
Lauſchte dem Mann im Talare.
Da plötzlich klang was über den Fjord —
Die Heiligen ſelber vergaßen den Ort
Und drehten die Häupter wie horchend fort ...
Margit. Was war es, Signe, — ſag' an, was klang?
Signe. Es war ein geheimnisvoller Geſang, —
Der zog mich aus dem gemauerten Haus
Nach Thal und Hügel der Landſchaft hinaus.
Unter weißen Birken ſchritt ich einher,
Lauſchend und faſt wie im Traume;
Hinter mir ſtand das Gotteshaus leer;
Denn auch Prieſter und Gläubige litt es nicht mehr
In ſeinem dämmrigen Raume.
— 18 —
Es war ganz till auf dem Kirchenſteig;
Die Vöglein ſelber lauſchten vom Zweig,
Die Lerchen ſchwiegen, der Kuckuck ward ſtumm,
Und Felder und Höhen klangen ringsum.
Margit. Und nun?
DSigne. Da bekreuzten ſich Männer und Frauen;
Mit den Händen gegen die Bruſt.
Doch mich durchfuhr ein ſeliges Grauen.
Ich kannte das Lied ja, zu Haus im Saal
Sang Gudmund es uns gar manches Mal,
So manchen Abend den Winter lang, —
Ich kenne doch alles, was Gudmund ſang.
Margit. Und Du glaubſt — ?
Digne. Es kann gar nicht anders ſein!
So ſchlag Deine Zweifel doch nieder!
Lachend.
Kommt denn nicht jedes Singvögelein
Zuletzt aus der Fremde wieder?
Ich weiß ſelbſt nicht — doch ich bin ſo froh —!
Da fällt mir ein — ſo mach ich es, ſo!
Seine Harfe hing all die Zeiten
Da drin an der Wand. Ich nehm' ſie herab
Und mach' ſie zurecht und ſtaube ſie ab
Und ſtimme die goldenen Saiten.
Margit geiſtesabweſend. Thu, was Dich lüſtet —
Signe vorwurfsvoll. Ach Margit, ſo nicht!
Umfaßt fie.
Wenn Gudmund kommt, wird Dein Sinn wieder licht,
Wie, da wir noch Kinder waren.
Margit vor ſich hin. Was hab' ich ſeit damals erfahren — —
Signe. Margit, Du ſollteſt doch glücklich ſein!
Haſt Du nicht Hof und Geſinde?
— 169 —
Haſt Du nicht koſtbare Kleider im Schrein
Und Spangen und Perlengewinde?
Am Tage jagſt Du den Rehen nach
Und reiteſt durch Wälder und Au'n;
Die Nächte ruhſt Du im Frauengemach
Auf Polſtern von weichſtem Daun.
Margit blickt durch das Erkerferſter.
Und er, er ſpräche auf Solhaug ein?!
Signe. Was ſagſt Du?
Margit wendet ſich um. Nichts — geh, ſchmücke Dich fein!
So hoch wie ich kannſt Du leichtlich ſteigen —
Wer weiß, wie bald —
Signe. Wie ſollte das ſein?
Margit ſtreicht ihr übers Haar.
Ich meine, — nun ja, das wird ſich ja zeigen, —.
Geſetzt, es ſtellte ein Freier ſich ein — ?
Signe. Ein Freier? Um wen?
Margit. Um Dich.
Signe lacht laut. Gute Nacht!
Der hätt' ſich umſonſt auf den Weg gemacht!
Margit. Doch würb' er nun wirklich um Deine Hand?
Signe. So würd' ich ihm ſagen, ich ſei bis zum Rand
Voll Glück, und Heiraten lockte mich nicht.
Margit. Doch wenn er Dir Macht und Beſitz verſpricht?
Signe. Und wär' mir ſelber ein König hold
Und böte mir Seide und rotes Gold,
Wie ließ ich ihm gerne das Seine.
Ich hab' mich doch ſelber, was frag' ich danach,
Und den Sommer, die Sonne, den rauſchenden Bach
Und Dich und die Vögel im Haine.
O liebſte Schweſter, — ich bleib', wo ich bin;
— 10% —
Der König bekommt keine Königin;
Denn ich hab' keine Zeit und zu fröhlichen Sinn!
Sie eilt ſingend links hinaus.
Margit nach einer Pauſe. Gudmund Alfſön ſollte hierher
kommen? Hierher — nach Solhaug? Nein, nein, das kann
nicht ſein. — Sie hätte ihn ſingen hören. So ſagte Signe.
Wenn ich die Tannen rauſchen hörte tief drinnen im Wald,
wenn ich den Waſſerfall donnern hörte und die Vögel locken
in den Wipfeln der Bäume, da kam es mir oft genug vor, als
ob Gudmunds Lieder in all das ſich miſchten. Und doch war er
weit von hier, — Signe hat ſich getäuſcht. Gudmund kommt nicht.
Bengt in geſchäftiger Eile, ruft aus dem Hintergrund. Ein unerwarteter
Gaſt, liebe Frau!
Margit. Wer denn?
Bengt. Gudmund Alfſön, Dein Vetter! Ruft durch die Thür
rechts hinaus. Die beſte Gaſtkammer in ſtand ſetzen — und
das ſofort!
Margit. Iſt er denn ſchon auf dem Hof?
Bengt blicct über die Außengalerie hinaus. Noch nicht; aber lange
wird es nicht währen. Ruft wieder rechts hinaus. Das geſchnitzte Eichen—
bett mit den Drachenköpfen! Tritt zu Margit. Sein Waffenträger
brachte Gruß und Botſchaft von ihm; er ſelbſt folgt ihm nach.
Margit. Sein Waffenträger? Kommt er mit Waffen-
trägern hierher?
Bengt. Ja, das wollt' ich meinen. Ein Waffenträger und
ſechs gerüſtete Mannen ſind bei ihm. Na ja, Gudmund Alfſön
iſt auch jetzt ein ganz andrer Mann denn damals, als er auf
die weite Reiſe auszog. Aber ich muß hinunter und ihn
empfangen. Ruft hinaus. Legt den Sattel von Goldleder auf mein
Roß! Und vergeßt nicht den Zaum mit den Schlangenköpfen!
Blickt wieder hinaus. Au, da iſt er ſchon an der Hecke! Na, dann
meinen Stab her — den mit dem ſilbernen Knopf! Solch ein
1711
Herr, — Gott ſtraf' mich — er muß mit Ehren empfangen
werden, mit großen Ehren.
Er geht durch den Hintergrund ab.
Margit grübelnd. Ein armer Geſell, jo zog er einſt aus,
Nun kommt er mit Knappen und Mannen nach Haus.
Was will er? Ob er zu ſchauen begehrt,
Wie bitter mich Kummer und Weh verſehrt?
Lockt ihn, zu prüfen, wie viel ich ertrage,
Bevor ich gebrochenen Herzens verzage?
Meint er, daß —? Ah, prüfe nur fein;
Du ſollſt Deiner Freude betrogen ſein!
Sie winkt durch die Thür rechts hinaus.
Drei Mägde kommen herein.
Margit. Merkt auf, meine Kinder! Vor allem ſchaſſt
Ihr mir den Mantel aus blauem Taft.
Dann folgt mir zur Kammer an Euer Amt
Und kleidet mich prächtig in Pelz und in Samt.
Zu zweien von ihnen.
Ihr hüllt mich in Scharlach und Hermelin.
Zur dritten.
Du ſollſt mir mit Perlen das Haar durchziehn.
Zu allen.
Nun nehmt meinen Schmuck und tragt ihn hinaus!
Die Mägde gehen mit den Schmuckkäſtchen links ab.
So will ich's! Ich bin ja in Bergkönigs Haus.
Heut ſtell' ich einmal meinen Brautſtaat aus.
Sie geht links ab.
Zengt führt Gudmund Alfſön über die Außengalerie im Hintergrunde herein.
Bengt. Und noch einmal, — Heil Euch unter Solhaugs
Dach, meiner Frauen Vetter!
Gudmund. Ich dank' Euch. Und wie geht es ihr? Sie
fühlt ſich doch wohl in jeder Hinſicht, will ich hoffen?
— 172 —
Bengt. Ja, darauf könnt Ihr ſchwören, das thut ſie. Es
fehlt ihr nichts. Mit ganzen fünf Zofen kann ſie ſchalten und
walten; ein trefflich geſattelt Roß ſteht bereit, ſobald ſie nur
danach lüſtet. Na, kurz geſagt, ſie hat alles, was ein ſittſam
Weib begehren kann, um mit ſeiner Lage zufrieden zu ſein.
Gudmund. Und Margit, — fie iſt denn auch wohl zu—
frieden?
Bengt. Gott und jedermann ſollte glauben, ſie müßt' es
ſein; aber ſeltſam genug —
Gudmund. Was meint Ihr?
Bengt. Ja, Ihr mögt es nun glauben oder nicht, es kommt
mir ſo vor, daß Margit munterer war, da ſie noch in dürftigen
Verhältniſſen lebte, als ſeit ſie Herrin auf Solhaug ward.
Gudmund vor ſich bin. Ich wußte es doch; es mußte jo kommen.
Bengt. Was ſagt Ihr, Vetter?
Gudmund. Ich ſage: höchlich wundert mich, was Ihr da
von Eurer Frau erzählt.
Bengt. Ja, meint Ihr nicht, daß es mir ebenſo geht?
Ich will nimmermehr ein ehrlicher Gutsherr heißen, wenn ich
weiß, was ſie ſich noch wünſchen könnte. Ich bin den ganzen
Tag um ſie, und niemand wird mir nachſagen können, daß ich
ſie ſtreng hielte. Alle Aufſicht über Haus und Hof hab' ich auf
mich genommen; — und nichtsdeſtoweniger —. Na, Ihr wart
ja immer ein luſtiger Geſell; ich denke wohl, Ihr bringt Sonnen—
ſchein mit. — Pſt, da kommt Frau Margit! Laßt Euch nicht
anmerken, daß ich —
Margit kommt in reicher Tracht von links.
Gudmund geht ihr entgegen. Margit, — liebe Margit!
Margit bleibt ſteben, ficht in vefremdet an. Verzeiht mir, Herr
Ritter; aber — ? us ob fie ihn jetzt erſt ertenne. Fürwahr, irr'
ich nicht, jo iſt das Gudmund Alfſön. Streck im die Hand
entgegen.
a
Gudmund oyne die Hand zu ergreifen. Und Du kannteſt mich nicht
gleich wieder?
Bengt lachend. Nein, aber Margit, an was denkſt Du
nur immer? Ich hab' Dir doch vorhin gemeldet, daß Dein
Vetter —
Margit geht nach dem Tische rechts hinüber. Zwölf Jahre ſind eine
lange Zeit, Gudmund. Das grünſte Kraut kann zehnmal ver—
derben derweilen — a
Gudmund. Sieben Jahre ſind's, ſeit wir uns zuletzt ge—
ſehen haben.
Margit. Nein gewiß, es muß länger her ſein.
Gudmund sent fie an. Ich möcht' es faſt glauben, aber es iſt
doch ſo, wie ich ſage.
Margit. Ganz ſeltſam. Ich war doch ſicherlich noch ein
Kind damals; und das ſcheint mir eine ewig lange Zeit her zu
ſein, daß ich Kind war. Läßt ſich in einen Stuhl fallen. Setzt Euch doch,
lieber Vetter! Ruht Euch aus; heut Abend ſollt Ihr tanzen
und uns mit Eurem Geſang erfreuen. Mit einem gezwungenen Lächeln.
Ja, Ihr wißt wohl, wir ſind heute gar fröhlich auf dem Schloß
— wir feiern ein Feſt.
Gudmund. Das ward mir gejagt, gerade als ich den Hof
betrat.
Bengt. Ja, heute vor drei Jahren ward ich —
Margit aoſchneidend. Mein Vetter hat es ſchon gehört. Zu
Gudmund. Wollt Ihr nicht Euren Mantel ablegen?
Gudmund. Ich dank' Euch, Frau Margit. Aber es kommt
mir vor, als ſei es kalt hier, kälter — als ich erwartet hätte.
Bengt. Da bin ich dagegen in hellem Schweiß. Aber ich
hab' auch vollauf zu thun. Zu Margit. Laß nur unſerem Gaſt
die Zeit nicht lang werden, während ich draußen bin. Ihr
könnt ja zuſammen ſchnacken von alten Tagen. Will gehen.
Margit unentſchloſſen. Gehſt Du? Willſt Du nicht lieber —?
— 174 —
Dengt lachend, zu Gudmund, während er zurückkommt. Seht Ihr wohl;
Herr Bengt auf Solhaug iſt der Mann, der mit Weibervolk
umzugehen verſteht. Keine Stunde, noch ſo kurz, kann meine
Frau ohne mich ſein. Zu Margit, indem er ſie unter das Kinn faßt.
Tröſt' Dich; ich werd' bald wieder bei Dir ſein.
Er geht durch den Hintergrund ab.
Margit vor ſich hin. O, Qual und Harm, all das leiden zu
müjjen! .
Kurze Pauſe.
Gudmund. Wie geht's Eurer lieben Schweiter ?
Margit. Ich danke; ganz gut.
Gudmund. Mir wurde geſagt, ſie iſt bei Euch.
Margit. Sie iſt auf Solhaug hier, ſeit er —
Bricht ab.
Vor drei Jahren kam ſie mit mir hierher.
Nach kurzer Pauſe.
Sie tritt gewiß gleich ſelber ein.
Gudmund. Sie war einſt ſo heiter und herzensrein,
So fremd allen Liſten und Ränken;
Glaub' ich ihr Blauauge vor mir zu ſehn,
So muß ich an Engel denken.
Doch viel kann in ſieben Jahren vergehn.
Sagt mir, — während ich fern vom Norden,
Iſt auch ſie eine andre geworden?
Margit gezwungen ſcherzend.
Auch ſie? Gewöhnt man bei Hofe ſich,
So artig mit Frau'n zu verkehren?
Ihr mahnt mich daran, was die Jahre lehren —
Gudmund Ach Margit, verſtellt Euch nicht gegen mich.
Einſt mochtet Ihr Schweſtern ſo gut mich leiden,
Und als ich fort ſollte, da weintet Ihr beiden
Und wolltet mir ſchweſterlich Treue bewahren
Sr ——
In Leid und Luft, in Glück und Gefahren.
Ihr überſtrahltet der Jungfrauen Kreis;
Weit, weit im Lande jcholl Euer Preis —
Und heute noch ſeid Ihr ein Weib voll Wonnen.
Doch Solhaugs Herrin, ich merk' es, ſie reut
Des armen Verwandten. So kalt ſeid Ihr heut,
Die Ihr einſt mir ſo freundlich geſonnen.
Margit faſt von Thränen erſtickt.
Ja einſt —!
Gudmund blickt ſie teilnehmend an, ſchweigt und ſagt dann mit gedämpfter
Stimme: Wir wollen von damals reden, —
So war es ja auch Eures Gatten Begehr.
Margit heftig. Nein, nein, nicht davon!
Ruhiger.
Es fällt mir zu ſchwer,
Mich dran zu erinnern; ich lern's nimmermehr.
Sprecht lieber von Euren Fahrten und Fehden; —
Die Zeit verrann wohl an Thaten nicht arm;
Ihr kämt wohl ſobald nicht zu Ende!
Da draußen die Welt iſt ja weit und warm, —
Da ſind Sinn und Gedanken behende.
Gudmund. Und doch! Nie lacht' ich am Hofe ſo hell,
Als da ich daheim noch, ein armer Geſell.
Margit ohne ihn anzuſehen.
Und ich — ich preis mich zu allen Tagen,
Daß mich der Himmel nach Solhaug verſchlagen.
Gudmund. Wohl Euch, ſofern Ihr Euch preiſen könnt —
Margit heftig. Und hat mir das Schickſal nicht alles gegönnt?
Leb' ich nicht frei und geehrt dahin?
Folgt man mir nicht, ſobald ich befehle?
Hier bin ich die Erſte, die Herrſcherin,
— 176 —
Und Ihr wißt, danach brannte mir immer die Seele.
Ihr dachtet, Ihr fändet ein kummermüd Weib;
Doch Ihr ſeht, ich bin munter an Seele und Leib.
Seht, deshalb brauchtet Ihr nicht zu kommen, —
Die Reiſe dürfte Euch wenig frommen.
Gudmund. Was meint Ihr, Frau Margit?
Margit erhebt ſich. Ich weiß es genau,
Was Euren Beſuch mir beſchieden.
Gudmund. Und billigt ihn nicht, meine edle Frau?
Grüßt und will gehen.
So lebt denn wohl — Gott ſchenk' Euch Frieden!
Margit. Wenn Ihr beim König geblieben wärt,
hätte Euch wahrlich höher geehrt.
Gudmund bleibt jenen.
Beim König? Ihr ſpottet noch meiner Not?
Margit. Eurer Not? Nun, Vetter, hoch müßt Ihr ſtreben!
Wozu ſich wohl noch Eure Wünſche erheben!
Ihr könnt Euch kleiden in Sammet rot,
Seid ein Königiſcher, habt Gut und Geld —
Gudmund. Ihr wißt ja doch, wie es damit beſtelle.
Ihr ſagtet, man hätte Euch zugetragen,
zarum ich hierher kam —
Margit. Nun, und was dann?
Gudmund.
So wißt Ihr doch, wie mich das Schickſal geſchlagen,
Und wißt doch, daß ich ein friedloſer Mann.
Margit ſchrecensſtarr. Friedlos! Du, Gudmund!
Gudmund. Ja, wie Ihr wohl wißt.
Doch ſchwör' ich Euch zu beim heiligen Chriſt,
Hätt' ich geahnt, wie Ihr mir geneigt,
Ich hätte mich nimmer auf Solhaug gezeigt.
E
750
ee. =
Ich meinte, Ihr fühltet mit mir noch mit,
Wie damals, als ich von dannen ritt.
Doch nur keine Gnade! Der Wald iſt groß,
Mein Bogen wird mich ernähren;
Mir gnügt ein Tiſch aus Fels und Moos
Und als Kammer das Loch eines Bären.
Will gehen.
Margit hält ihn zurück. Friedlos! Nein, bleib! Ich ſchwöre Dir,
Ich wollte Dich nur überliſten.
Gudmund. Es handelt ſich um mein Leben hier,
Und ſein Leben will jedermann friſten.
Ich lag wie ein Hund drei Nächte im Freien;
In den Bergen ruht' ich mein müdes Gebein
Und lehnte mein Haupt an das Felsgeſtein.
Mir Obdach zu betteln in fremden Hofteien,
Das ſchien mir zu große Erniedrigung;
Mein Mut war ſo keck; meine Hoffnung ſo jung!
Ich dachte: nun kommſt du nach Solhaug in Bälde,
Da biſt du aus deiner Feinde Klauen;
Da findeſt du Freunde; auf die kannſt du bauen, —
Doch Hoffnungen ſind wie Blumen vom Felde.
Wohl zeichnete mich Euer Eheherr aus
Vor gaſtlich geöffneten Thoren; —
Doch öde dünkt mich nun Euer Haus;
Die Halle iſt düſter, die Freundſchaft verloren.
Nun gut; ſo zieh' ich denn wieder dahin.
Margit flehentlich. O hör' mich!
Gudmund. Mein Sinn iſt kein Sklavenſinn.
Nun dünkt mich das Leben unſelige Gabe;
Ich achte es faſt für nichts mehr wert.
Ihr habt mir das Herz im Leibe verkehrt,
Ibſen, Das Feſt auf Solhaug. 12
— 178 —
Daß ich all mein liebliches Hoffen begrabe.
Fahrt wohl, Frau Margit!
Margit. Nein, Gudmund, bleib'!
Bei Gott und den Heiligen —!
Gudmund. Leb' und treib’
Deine Tage in Freuden und Ehren;
tie ſoll mein Fuß Herrn Bengtens Weib
Die Schwelle wieder beſchweren.
Margit. Halt ein! Dein bitteres Wort kann Dich
Sonſt leicht noch drücken und nagen.
Hätt' ich gewußt, daß ein Friedloſer ſich
Hierher durch die Lande geſchlagen, —
So pries ich die Stunde tauſendfach,
Da Du Schutz begehrteſt von Solhaugs Dach;
So pries ich als froheſtes Feſtgeſchenk,
Daß der Friedloſe kam, alter Treue gedenk.“
Gudmund. Du ſagſt —! Wes ſoll ich mich nun verſehn?
Margit reicht ihm die Hand.
Daß treue Freunde hier zu Dir ſtehn.
Gudmund. Doch das, was Du eben —?
Margit. Ich ſprach nicht wahr.
Hör' mich, ſo wird Dir das Ganze klar.
Für mich iſt das Leben tiefſchwarze Nacht;
Hab' Sonne und Sterne vergeſſen.
Und niemand kann meine Qualen ermejien;
Denn ich hab' meine Jugend zu Markte gebracht.
Meinen freudigen Sinn verkauft' ich um Gold;
Ich garnte mich ſelber in ſchimmernde Netze.
Glaub' mir, ſo kläglich ſind alle Schätze,
Wenn unſerm Herzen das Glück nicht hold.
Wie war unſre Kindheit hell und warm!
— 19 —
Unſer Kleid war gering, unſer Haus war arm;
Doch von Hoffnungen flog uns das Herz im Leibe.
Gudmund der ſie unverwandt betrachtet hat.
Und indeſſen gediehſt Du zum reizendſten Weibe.
Margit. Kann ſein; doch des Lobes Ueberſchwall,
Das ich hörte, ward meines Glückes Fall.
Du mußteſt fort nach dem fremden Lande,
Doch all Deine Weiſen blieben mir drin
Im tiefen Herzen, im tiefen Sinn
Und ſchlugen mein klares Denken in Bande.
Dieſe Lieder wußten von jo viel Luft
Der unerſchöpflichen Menſchenbruſt;
Dieſe Lieder wußten ſo feſtliche Mär
Von Leben und Liebe. Nun, und zum Reſt
Kamen Freier von Oſt und Freier von Weſt;
Und ſo — ſo folgt' ich Herrn Bengt hierher.
Gudmund. Ach, Margit!
Margit. Doch nur ein Kleines verging,
Da quollen ſchon bittere Thränen.
Nur wenn ich an Dich die Gedanken hing,
Vermocht' ich mich glücklich zu wähnen.
Wie wurden mir Solhaugs Hallen nun leer
Und die großen Stuben ein Grauen.
Wohl gaſteten Ritter, Herren und Frauen,
Wohl ſang mancher Skalde mir Preis und Ehr', —
Doch keiner verſtand meinen wehen Mut,
Doch keiner begriff meinen Jammer; —
Ich fror, als ſäß' ich in felſener Kammer;
Doch ſchmerzte mein Haupt, doch brannte mein Blut.
Gudmund. Aber Dein Mann —
Margit. Den haſſe ich ja!
Sein Gold nur konnt' mich gewinnen;
12*
—
=
Sprach er zu mir, ſaß er mir nah,
Ich kam vor Marter von Sinnen.
Schlägt die Hände zuſammen.
Dies Leben hab' ich drei Jahre gelebt!
Es dünkt mich aus endloſem Wehe gewebt.
Da hieß es plötzlich, Du kämſt. Du weißt es,
Ich war von Jugend auf ſtolzen Geiſtes,
So ſchwieg ich von meinen Kümmerniſſen —
Denn Du, Du mußteſt ja alles wiſſen.
Gudmund bewegt. Und darum wandteſt Du kalt Dich ab?
Margit ohne ihn anzuſehen.
Ich dachte, Du kämſt, Dich heimlich zu weiden.
Gudmund. Margit, Du konnteſt — ?
Margit. Nun kurz, es gab
Der Gründe genug. Doch all die Leiden
Zerblies nun ein himmliſcher Frühlingswind;
Ich brauche nicht länger einſam zu ſchweigen;
Ich fühl' mich ſo leicht und frei, wie ein Kind
Unter blühenden Apfelzweigen.
Fährt erſchrocken zuſammen.
Ach, ich vergaß ja! O neue Sorgen!
Ihr Heiligen, neigt Euch mir gnädig zu!
Friedlos, ſagſt Du —?
Gudmund lächelt. Hier bin ich geborgen
Und hab' vor des Königs Reiſigen Ruh'.
Margit. Doch ſchienſt Du noch jüngſt zu Großem erwählt, —
Wie kam das nun — 2
Gudmund. Das iſt bald erzählt.
Du weißt, ich war in den fränkiſchen Gauen,
Dahin von Bergen zur bräutlichen Kur
Der Kanzler, Audun von Haegranaes, fuhr,
Die Prinzeſſin ſamt ihren Mannen und Frauen
— 181 —
Zum König zu holen. Herr Audun war
Für Weiberaugen von hoher Gefahr.
Und wen der Prinzeſſin Augen baten,
Den traf ihr holdſeliger Zauber heiß.
Sie ſprachen zuſammen, ſie flüſterten leis.
Worüber? Das war ſchwer zu erraten.
Da war's eines Nachts; ich lehnt' über Bord,
Und meine Gedanken flogen
Den weißen Möven nach gen Nord
Wohl über die weiten Wogen.
Da flüſtern zwei Stimmen, — ich wende mich um, —
Es waren jene Beiden.
Sie ſahen mich nicht; ich ſaß ganz ſtumm —
Doch konnt' ich ſie wohl unterſcheiden.
Sie ſah zum Kanzler beweglich auf
Und ſprach: „Ach, wollte des Kieles Lauf
Zum ſchönen Süden uns tragen,
Und wären wir zwei auf dem Schiff allein,
Da würd' meine Stirne bald kühler ſein
Und mein Herz nicht ſo heftig mehr ſchlagen!“
Er widerſprach; doch ſie drängte ihn keck,
Drängte mit Worten, ſo wilden, ſo heißen, —
Ich ſah ihre Augen wie Sterne gleißen, —
Sie bat ihn —
Abbrechend.
Da faßte mich jäher Schreck.
Margit. Sie bat — 2
Gudmund. Ich erhob mich; fie fuhren zurück —
Ich ſtand allein auf des Schiffes Deck; —
Zieht ein Fläſchchen hervor.
Doch wo ſie geſeſſen, da fand ich dies Stück.
Margit. Und dies — ?
Gudmund mit gedämpfter Stimme.
Dies enthält einen argen Saft; —
Ein Tropfen davon in des Feindes Becher, —
So ſiecht ihm langſam die Lebenskraft,
Und nichts mehr rettet den armen Zecher.
Margit. Und der —?
Gudmund jürernd. War dem Könige aufgeſpart.
Margit. Alle Heiligen!
Gudmund indem er das Fläſchchen wieder verbirgt.
Gut, daß ich ihn verwahrt. —
Drei Tage ſpäter war'n wir im Hafen.
Da floh ich heimlich mit meinen Braven;
Ich wußte, Herr Audun würde nicht ruhn,
Mich zu verdächtigen, alles thun,
Mich durch Ränke zu ſtürzen —
Margit. Das iſt nun vorbei.
Und bald iſt alles wieder beim Alten.
Gudmund. Beim Alten? Nein Margit, — da warſt Du
noch frei.
Margit. Wie —?
Gudmund. Nichts. Ich muß mir die Stirne halten;
Mir iſt ja ſo froh und freudig zu Sinn,
Daß ich wieder wie einſt bei Euch beiden bin.
Doch ſag', wo iſt Signe —?
Margit zeigt lächelnd auf die Thür links.
Sie kommt gleich herein.
Sie will doch vor ihrem Vetter beſtehen
Und wird noch nicht ganz mit ſich fertig ſein.
Gudmund. Ob ſie mich wiedererkennt? Laß ſehen!
Er geht links ab.
Margit vriet ihm nach. Wie ſchön und männlich er iſt. Mit
einem Seufzer. Welch ein Unterſchied zwiſchen ihm und — Räume
ein wenig auf dem Trinktiſch auf, hält aber wieder damit inne. Damals warſt
Du noch frei, ſagte er. Ja, damals! Kurze Pauſe. Das war eine
ſeltſame Erzählung, von der Prinzeſſin, die —. Sie hatte einen
andern lieb, und da —. Ja, dieſe Weiber in den fremden
Landen — ich hab' es immer gehört — die ſind nicht fo
weichherzig wie wir; die fürchten ſich nicht, einen Gedanken zur
That zu machen. Nimmt einen Becher vom Tijche. Aus dieſem Becher
tranken Gudmund und ich auf ein fröhliches Wiederſehen, da er
fortzog. Er iſt faſt das einzige Erbſtück, das ich mit nach Sol—
haug gebracht habe. Stellt den Becher in einen Wandſchrank. Wie freund—
lich dieſer Sommertag iſt. Hier iſt es ſo licht herinnen. So
lieblich hat ſeit drei Jahren die Sonne nicht mehr geſchienen.
Signe und hinter ihr Gudmund treten von links auf.
Signe läuft lachend auf Margit zu.
Hahaha! Er kennt mich nicht mehr!
Margit lächelnd, zu Gudmund.
Siehſt Du, während Du fern vom Norden,
Iſt auch ſie eine andre geworden.
Gudmund. Gewiß! Doch daß dies Signe wär' —
Nein, daran hätte ich nie gedacht.
Ergreift Signes Hände und blickt ſie an.
Und doch, aus dieſen Blauaugen lacht
Mich noch immer Dein unſchuldig Kinderherz an, —
So zweifle ich denn nicht länger daran.
Es iſt zum Lachen, wie anders ich
Dein Bild gehegt, — ſtets ſo, wie ich Dich
Auf dem Arm trug. Damals warſt Du noch Kind;
Nun biſt Du ein Elflein, gefährlich zu necken.
Digne droht mit dem Finger.
Ja, hüt' Dich, den Zorn dieſes Elfleins zu wecken,
Damit es Dich nicht in ſein Garn einſpinnt.
— 184 —
Gudmund für ſich.
Faſt kommt es mir vor, als wär's ſchon geſchehen.
Signe. Doch wart'! Du haſt ja noch nicht geſehen, —
Ich hielt Dir auch Deine Harfe in Ehren.
Während ſie links abgeht:
Nun mußt Du mich all Deine Lieder lehren!
Gudmund btict ihr nach, leise.
Aufgeſprungen zur lieblichſten Blüte,
Die noch am Morgen verſchwiegen glühte!
Signe bringt die Harfe. Sieh her!
Gudmund nimmt fire Meine Harfe! Und wie ſie blinkt!
Schlägt einige Akkorde.
Sie weiß noch wohl von den alten Klängen! —
Nun ſollſt du nicht länger die Wand verhängen —
Margit vom Hintergrund. Da kommen ſchon Gäſte.
Signe während Gudmund präludiert. Horch, — ſtille! Er ſingt!
Gudmund fine.
Ich ſtreifte trüb-einſam auf Bergesſteigen;
Die Vöglein ſangen von allen Zweigen;
So liſtig ſangen ſie mir zu Blut:
Hör' zu, wie Liebe entſtehen thut.
Sie wächſt wie ein Baum mit langjährigen Ringen,
Sie nährt ſich von Träumen und Sorgen und Singen.
Sie keimt ſo leicht — in der flüchtigſten Stund'
Faßt ſie Wurzel im Herzensgrund.
Er geht während des Nachſpiels nach dem Hintergrund, wo er die Harfe fortſtell
Signe wiederholt nachdenklich für ſich.
Sie keimt ſo leicht; in der flüchtigſten Stund'
Faßt ſie Wurzel im Herzensgrund.
Margit zerstreut. Sagteſt Du etwas zu mir? — Ich hörte
nicht zu —
u
— 185 —
Signe. Ich? Nein, nein. Ich meinte nur —
Verſinkt wieder in Träumen.
Margit halblaut; ſtarrt vor ſich hin.
Sie wächſt wie ein Baum mit langjährigen Ringen,
Sie nährt ſich von Träumen und Sorgen und Singen.
Signe erwachend. Was ſagſt Du — 2
Margit fährt mit der Hand über die Stirn. Oh, es war nichts
weiter. Komm, wir müſſen unſern Gäſten entgegengehen.
Bengt kommt mit einer Menge von Gäſten, Männern und Frauen, über die Außen⸗
galerie herein.
Die Gäſte ſingen:
Mit feſtlichem Sang und Saitenklang
Wir über die Schwelle ſchreiten.
Gott ſchenk' Euch Schutz Euer Leben lang
Und Glück und Segen zu allen Zeiten!
Mag immer ein Himmel, wie heut ſo blau,
Schloß Solhaugs Bau
Ueberbreiten!
Sweiter Akt.
Eine Birkenwaldung neben dem Hauſe, von dem eine Ecke links ſichtbar iſt. Ein
Fußſteig führt auf die Berghalde im Hintergrund hinauf. Dem Steig zur Rechten
ſchäumt ein Bach hernieder, der ſich zwiſchen Felsblöcken und Steinen verliert. Es iſt
helle Sommernacht. Die Thür zum Hauſe ſteht offen; die Fenſter ſind erleuchtet.
Man hört drinnen Muſik.
Die Güſte ſingen in der Feſtſtube.
Die Fiedel klinge! Bei Saitenklang
Tanzen wir bis zum Morgen lang.
Wie luſtig die Dielen dröhnen!
Die Jungfern brennen ſo hell wie Blut;
Das machen die Burſche, — mit keckem Mut
Umfahn ſie die Hüften der Schönen.
Knut Gaesling und Erik von Haegge treten aus dem Hauſe. Muſik, Tanz und
Jubel tönt weiter während des Folgenden gedämpft heraus.
Erik. Wenn es Dich nur nicht reuen wird, Knut.
Rnut. Laß mich nur machen.
Erik. Ja, ja, aber gewagt bleibt es doch. Du biſt des
Königs Vogt. Da ergeht an Dich der Befehl, Gudmund Alfſön
zu fahen, wo Du ihm beikommen kannſt. Und nun, da Du ihn
in nächſter Nähe haſt, ſagſt Du ihm Deine Freundſchaft zu und
läßt ihn frei fahren, wohin es ihm beliebt.
Knut. Ich weiß, was ich thue. In feiner eignen Be—
hauſung hab' ich ihn geſucht, und da war er nicht zu finden.
2 — 187 —
Und wenn ich es nun unternähme, ihn hier dingfeſt zu machen,
— meinſt Du wohl, daß da Frau Margit gewillt wäre, mir
Signe zum Weib zu geben?
Erik gedehnt. Nein, im Guten wohl nicht, aber —
Knut. Und im Böſen möcht' ich ungern vorgehn. Gudmund
iſt übrigens auch mein Freund von altersher; und er kann mir
viel nützen. Beſtimmt. Darum bleibt es bei dem, was ich gejagt
habe. Heut Abend ſoll niemand hier auf dem Hof erfahren,
daß Gudmund Alfſön friedlos iſt; — morgen mag er zuſehen,
wie er ſich ſelber helfe. f
Erik. Ja, aber des Königs Gebot?
Knut. Ah, des Königs Gebot! Du weißt ſo gut wie ich,
des Königs Gebot wird hier in unſern Gauen nicht groß geachtet.
Sollte des Königs Gebot immer gelten, ſo müßte mancher
prächtige Kerl unter uns für Brautraub und Männermord
büßen. — Nun komm! Ich möchte wiſſen, wo Signe —?
Sie gehen rechts ab.
Gudmund und Signe kommen den Fußſteig im Hintergrunde herab.
Signe. Sprich weiter! Du redeſt mir nie zu viel;
Es hört ſich wie lieblichſtes Saitenſpiel.
Gudmund. Signe, mein holdes, mein reizendes Mädchen!
Digne mit froher, ſtiller Verwunderung.
Ich — ich bin ihm lieb!
Gudmund. Ja, niemand als Du!
Signe. Ich bände Dich feſt mit goldenem Fädchen?
Ich gäb' Deinem Sinn die erſehnte Ruh?
O, darf ich Dir traun?
Gudmund. Das darfſt Du fürwahr!
Hör' mich, Signe, Jahr um Jahr,
Ob es winterte oder Sommer blühte,
Trug ich Euch beide in treuem Gemüte.
Doch fühlt' ich noch unklar zu Euch zwein; —
— 188 —
Dich ſah ich immer als Elflein klein, —
So wie ſie unter des Waldes Bäumen
Gern ſpielen, während wir ſchlafen und träumen.
Doch ſeit ich mich heute auf Solhaug ſchaue,
Da, fühl' ich, iſt mir der Schleier gefallen, —
Ich ſehe, wie Margit die ſtolzeſte Fraue,
Doch Du die holdſeligſte Maid von allen.
Signe die ſeinen Worten nur halb gelauſcht hat.
Ich weiß noch, wir ſaßen am lohenden Herd,
Eines Winterabends, vor Jahren und Jahren; —
Du ſangſt von dem Mägdlein mit goldigen Haaren,
Die der Neck am Grunde zum Weib begehrt.
Da vergaß es Vater und Mutter unten,
Vergaß es Bruder und Schweſter drunten,
Vergaß ſich von Himmel und Erde fort,
Vergaß ſeinen Gott und ſein heiliges Wort.
Doch dicht am Ufer, da ſtand ſein Geſpiel;
Ihn dünkte das Leben ohn' Zweck und Ziel;
Voll Leide griff er der Harfe Saiten,
Das klang ſo laut und lang in die Weiten.
Das Mägdlein, tief auf des Bergſees Grund,
Erwachte und ward ſeines Bannes geſund.
Was half dem Neck die ohnmächtige Wut? —
Es floh zwiſchen Lilien hin über die Flut
Und ward wieder Menſch unter Menſchen hinfort
Und glaubte wieder an Gott und ſein Wort.
Gudmund. Liebſte!
Digne. So ging auch ich dahin
Wie eine träumende Schläferin;
Bis Du mir heute der Liebe Macht
Enträtſelt; — da bin ich ſelig erwacht.
Nie ſah ich früher den Himmel ſo blau,
— 189 —
Noch die Welt von jo jtrahlender Weite;
Ja ſelber die Sänger in Wald und Au
Verſteh' ich an Deiner Seite.
Gudmund. So mächtig iſt Liebe; — in unſerer Bruſt
Weckt ſie Sinnen und Sehnſucht und Luſt. —
Doch komm, nun laß uns zu Margit gehn.
Signe verschämt. Soll fie — ?
Gudmund. Wir wollen ihr alles ſagen.
Signe wie vorher. Ach Du, — ich würde in Flammen ſtehn; —
Willſt Du's nicht lieber ohne mich wagen?
Gudmund. Nun gut, auch ſo.
Signe. Und ich warte hier, ja?
Horcht nach rechts.
Oder beſſer — drunten am Sturzbach! — Da
Hör' ich Knut Gaesling mit Gäſten kommen!
Gudmund. Dort warteſt Du?
Signe. Bis Du ihr Urteil vernommen.
Sie geht rechts ab. Gudmund geht ins Haus. Margit kommt von links hinter
dem Hauſe hervor.
Margit. Die Stube ſtrahlt von feſtlichem Glanze,
Die Weiber und Männer drehn ſich im Tanze.
Doch mir ward ſo ſchwül und beklommen zu Mut, —
Gudmund war nicht zu ſehen.
Atmet tief.
Hier außen iſt's ſtill; hier weilt es ſich gut,
Wo mich nächtliche Winde umwehen.
Grübelt eine Weile.
Dieſer arge Gedanke — ich kenn' mich nicht mehr!
Er treibt und ängſtigt mich hin und her.
Das Fläſchchen — mit ſeinem Wunderſaft —?
Ein Tropfen davon — in des Feindes Becher, —
— 190 =
So ſiecht ihm langſam die Lebenskraft,
Und nichts mehr rettet den armen Zecher.
Wiederum Pauſe.
Wüßt' ich, daß Gudmund — empfänd' er mit mir, —
Ich trüg' kein Bedenken —
Gudmund kommt zur Hausthür heraus.
Gudmund. Margit, Du hier?
So allein? Ich ſuchte Dich drinnen im Haus.
Margit. Ich floh aus dem Dunſt in die Nachtluft hinaus.
Siehſt Du die weißen Nebelweben
Lautlos über das Moor herſchweben?
Hier iſt nicht Dunkel noch Helle allein;
Hier — wie in mir — herrſcht zweifelnder Schein.
Blickt ihn an.
Nicht wahr, — wenn Dein Fuß ſolche Nacht durchzieht,
Da weißt Du oft ſelber nicht, wie Dir geſchieht;
Doch bricht es wie heimliches Leben hervor
Aus Blättern und Blumen, aus Büſchen und Rohr!
Mit plötzlichem Uebergang.
Weißt, was ich möchte?
Gudmund. Nun was?
Margit. Daß ich
Eine Elfe wäre, im Walde drinnen.
Wie wollt' ich da liſtige Zauber ſpinnen!
Glaub' mir —!
Gudmund. Was fehlt Dir, Margit? Sprich!
Margit ohne auf ihn zu hören.
Wie wollt' ich ſingen, wie wollt' ich klagen!
Klagen und ſingen in Nächten und Tagen!
Mit ſteigender Erregung.
Wie wollt' ich es locken, das mutige Blut,
Durch den grünen Wald — in die Felſenkammer; —
— 191 —
Vergeſſen wär' aller irdiſche Jammer
In unſerer Liebe brennender Glut!
Gudmund. Margit! Margit!
Margit immer leidenſchaftlicher. Und Mitternacht, D
Legten wir uns zur ſüßeſten Ruh!
Und ſtürb' ich auch bis zum Morgenrot, —
Sag', wär' es denn nicht ein ſeliger Tod?
Gudmund. Du redeſt im Fieber!
Margit bricht in Lachen aus. Hahahaha!
Lachen! Lachen! Das löſt!
Gudmund. Ja, ja,
Du biſt noch immer ſo maßlos wie je!
Margit plötzlich ernſthaft.
Du darfſt mich nicht ſo durch Schelten ſtrafen —
So bin ich nur nachts, wenn die Menſchen ſchlafen;
Am Tage bin ich ſo ſcheu wie ein Reh.
Und was iſt denn weiter? Erinnre Dich, wie
Die Weiber in fremden Landen ſind, — ſie,
Die ſchöne Prinzeſſin — ja, ſie war wild;
Dagegen bin ich wie ein Lamm ſo mild.
Sie ſchmachtete nicht nur, ſie hatte auch Mut;
Sie ſann auf That; und ſieh, das —
Gudmund. Wie gut!
Du mahnſt mich daran! Den wertloſen alten
Scherben — wozu ihn noch länger behalten!
Zieht das Fläſchchen hervor.
Margit.
Das Fläſchchen! Du meinſt — ?
Gudmund. Ich hob es noch auf,
Weil ich dachte, ich hätte dann leichteren Kauf,
Wenn des Königs Haufe nach mir begehrt.
Doch all das verlor heut für mich ſeinen Wert.
Nun ſtütz' ich mich fröhlich auf mich und mein Schwert;
Und kommt es zum Schlimmſten, ſo ſtehn mir im Streite
Geſippen und Freunde zur Seite.
Will das Fläſchchen gegen einen Felſen werfen.
Margit faßt ihn beim Arm.
Nein, halt!
Gudmund. Was haft Du — ?
Margit. Ein beſſeres Ziel.
Der Neck dort ſoll es empfangen.
Er hielt mich ſo oft durch ſein munteres Spiel
Und ſein ſeltſames Singen gefangen.
Gieb her!
Nimmt ihm das Fläſchchen aus der Hand.
Da haſt Du's!
Thut, als ob ſie es in den Bach würfe.
Gudmund geht nach rechts und blickt in die Tiefe hinab.
Warfſt Du's hinein?
Margit indem fie das Fläſchchen verſteckt.
Du ſahſt doch —
Geht flüſternd dem Hauſe zu.
kun mag mir Gott gnädig ſein!
tun heißt es nichts oder alles wagen!
Lauter.
Hör', Gudmund:
Gudmund nähert ſich. Ja?
Margit. Ich möchte Dich fragen, —
3 geht eine Sage hier unter den Leuten —
Von der Kirche da drunten; die ſollſt Du mir deuten.
Es war eine Frau und ein Edelknab',
Die hielten einander ſo wert;
Und als ſie vorausging ins frühe Grab,
Da ſprang er ins eigene Schwert.
Sie trug man zur ſüdlichen Kirchenwand,
— 193 —
Ihn grub man im Norden ein; —
Nie wollten früher Blumen am Rand
Der geweihten Mauern gedeihn;
Im nächſten Lenz aber ſproßte ein Flor
Aus ihrer Herzen Flammen
Und rankte ſich über das Kirchdach empor
Und ſpann ſich blühend zuſammen. —
Nun deute mir das!
Gudmund blict ſie forſchend an.
Mir iſt nicht klar —
Margit. Man kann's verſchieden deuten, wohl wahr!
Doch glaub' ich, die Deutung iſt recht und ſchlicht:
Was ſich liebt, das trennt auch die Kirche nicht.
Gudmund teiie. Alle Heiligen, wenn —! Nun gilt es zu eilen
Und alles ihr mitzuteilen.
Laut.
Sag', Margit, — willſt Du mir helfen, wenn — ?
Margit freudig bewegt.
Ob ich will!
Gudmund. Ja, ich meine —
Margit. Was haſt Du?
Gudmund. Nun denn!
Du könnteſt mich heut noch ſo glücklich ſchaun —
Margit ausbrechend. Gudmund!
Gudmund. Hör' mich, ich will Dir vertraun —
Er hält plötzlich inne. Vom Ufer des Baches her ſchallen Stimmen und Gelächter.
Signe und einige junge Mädchen kommen von rechts. Knut, Erik und mehrere
jüngere Männer folgen ihnen.
Nnut noch in einiger Entfernung. Gudmund Alfſön! Halt! — ich
möchte ein Wort mit Dir ſprechen.
Er bleibt im Geſpräch mit Erik ſtehen. Die übrigen Gäſte gehen inzwiſchen ins Haus zurück.
Margit zu ſich ſelbſt. Ich könnte ihn heut noch ſo glücklich
Ibſen, Das Feſt auf Solhaug. 13
u.
ſchauen —! Was kann er anders meinen, als —! Salblaut. Signe,
— liebe, liebe Schweſter!
Sie faßt Signe um die Hüfte und geht mit ihr im Geſpräch nach dem Hintergrund,
die Anhöhe hinauf.
Gudmund (eise, indem er ihnen mit den Augen folgt. Ja, jo iſt es am
ratſamſten. Signe und ich müſſen von Solhaug fort. Knut
Gaesling hat ſich mir ja als Freund gezeigt; er wird mir
gewiß helfen.
Nnut reife zu Exit. Ja, ſag' ich, ja. Gudmund iſt ihr Vetter;
er kann meine Sache am beſten führen.
Erik. Na, wie Du willſt.
Geht ins Haus.
Knut kommt näher. Hör’ mal, Gudmund —
Gudmund lächelnd. Kommſt Du mir zu ſagen, daß Du mich
nicht länger frei herumgehn laſſen darfſt?
Knut. Darfſt? Sei deshalb unbeſorgt; Knut Gaesling darf
alles, was er will. Nein, es handelt ſich um was andres. —
Du weißt wohl, ich gelte hier in unſrer Gegend für einen wilden,
unbändigen Kerl —
Gudmund. Ja, und wenn das Gerücht nicht lügt, jo —
Knut. O nein, dies und das mag ja wohl wahr jein —.
Aber nun ſollſt Du hören —
Sie gehen im Geſpräch die Anhöhe im Hintergrunde hinauf.
Signe zu Margit, während fie den Steig beim Haufe herabkommen. Ich
verſteh' Dich nicht. Du ſprichſt, als ob Dir ein unerwartetes
Glück zu teil geworden iſt. Was meinſt Du denn damit?
Margit. Signe, — Du biſt noch ein Kind. Du weißt
nicht, was es heißt, in ewiger Furcht zu ſchweben, daß —
Plötzlich abbrechend. Denk' Dir, Signe, — hinwelken, ſterben zu
ſollen, ohne gelebt zu haben!
Signe Hlict fie verwundert und kopfſchüttelnd an. Nein, aber Margit —?
Nlargit. Ja, ja, Du begreifſt das nicht. Gleichviel —
— 195 —
Sie gehen im Geſpräch wieder die Anhöhe hinauf. Gudmund und Knut kommen
auf der anderen Seite herab.
Gudmund. Nun, wenn es ſo ſteht, — wenn Dir dies tolle
Leben nicht länger behagt, ſo will ich Dir den beſten Rat geben,
den Dir ein Freund geben kann: nimm Dir eine ehrbare Maid
zur Frau.
Rnut. Schau, ſchau! Und wenn ich Dir nun ſage, daß
ich juſt an dasſelbe gedacht habe?
Gudmund Nun dann viel Glück und Heil, Knut Gaesling!
Aber nun wiſſe, daß auch ich —
Knut. Du? Gehſt Du auch mit ſolchen Gedanken um?
Gudmund. Ja, das thu' ich! — Aber des Königs Ungnade —,
ich bin ja ein friedloſer Mann — |
Rnut. Ei, das ſoll Dich wenig kümmern. Außer Frau
Margit weiß hier ja noch niemand darum; und ſo lange ich
Dein Freund bin, haſt Du einen Menſchen, auf den Du Dich
vollſtändig verlaſſen kannſt. Nun hör' aber —
Er fährt flüſternd fort, während ſie die Anhöhe wieder hinangehen.
Signe indem ſie und Margit abermals zurückkommen. Aber ſo ſag' mir
doch, Margit, —
Margit. Mehr darf ich Dir nicht ſagen.
Signe. Da will ich ehrlicher gegen Dich ſein. Aber ant—
worte mir zuerſt auf eins. Verſchämt, zaudernd. Hat Dir — hat
Dir niemand etwas über mich geſagt?
Margit. Ueber Dich? Nein; was denn?
Signe wie vorhin, ſchlägt die Augen nieder. Du haſt mich heut
Morgen gefragt: wenn nun ein Freier erſchiene —?
Margit. Jawohl. Leiſe. Knut Gaesling — ſollte er
ſchon — ? Geſpannt, zu Signe. Nun? Und dann?
Signe Leife, jubelnd. Der Freier iſt gekommen! Er iſt ge—
kommen, Margit! Damals ahnt' ich nicht, wen Du meint:
aber jetzt —!
— 196 —
Margit. Und was haſt Du ihm geantwortet?
Digne. O, das weiß ich nicht. Schlingt die Arme um ihren Hals.
Aber die Welt dünkt mich ſo ſchön und reich von dem Augen—
blick an, da er mic ſagte, er hätte mich lieb.
Margit. Aber, Signe, Signe, ich begreife nicht, daß Du
fo bald —! Du haft ihn ja bis heute kaum gekannt.
Signe. O, ich verſteh' mich ja noch jo wenig auf Liebe; aber
eins weiß ich, wahr iſt das, was in dem Liede ſteht:
Sie keimt ſo leicht; in der flüchtigſten Stund'
Faßt ſie Wurzel im Herzensgrund —
Margit. Mag ſein. Iſt es aber ſo, dann hab' ich nicht
länger nötig, Dir etwas zu verheimlichen. Ah —
Sie hält plötzlich inne, da ſie Knut und Gudmund näher kommen ſieht.
Rnut vergnügt. Schau, das gefällt mir, Gudmund. Hier iſt
meine Hand.
Margit leiſe. Was iſt das?
Gudmund zu Knut. Und hier die meine.
Sie ſchütteln einander die Hände.
Knut. Aber nun wollen wir uns auch beide jagen, wen
wir —
Gudmund. Gut. Hier auf Solhaug, unter all den ſchönen
Weibern, hab' ich ſie gefunden, die —
Bunt. Ich auch. Und ich entführe fie noch heut Nacht,
wenn's vonnöten iſt.
Margit die ſich unbemerkt genähert. Alle Heiligen!
Gudmund nickt Knut zu. Dasſelbe iſt auch meine Abſicht.
Signe die ebenfalls zugehört hat. Gudmund!
Gudmund und nut flüftern mit einander, während ſie beide auf Signe
zeigen. Die dort!
Gudmund wird ſtutzig. Ja, meine.
Rnut ebenſo. Wein, meine.
— 197 —
Margit teife, halb verwirrt. Signe!
Gudmund wie vorher, zu Knut. Was meinſt Du damit?
Nnut. Ich will doch Signe —
Gudmund. Signe! Signe iſt meine Braut vor Gott—
Margit mit einem Aufſchrei. Sie war's! Nein, nein!
Gudmund fie erblicend, leiſe. Margit! Sie hat alles gehört!
Rnut. Alle Wetter! Steht es jo? — Hört, Frau Margit,
Ihr habt nicht nötig, ſo vrwundert zu tun; ich durchſchaue jetzt
das Ganze.
Margit zu Signe. Aber Du haſt doch eben gejagt — ? erfaßt
plötzlich den Zuſammenhang. Gudmund meinteſt Du!
Signe verwundert. Ja, wußteſt Du das nicht? — Aber was
fehlt Dir, Margit?
Margit mit faſt tonloſer Stimme. O nichts, nichts.
Knut zu Margit. Und heut früh, da Ihr mir mein Wort
abnahmt, heut Abend keinen Unfrieden hier zu ſtiften, — habt
Ihr alſo gewußt, daß Gudmund Alfſön zu erwarten war!
Haha, bildet Euch nur nicht ein, daß Ihr mit Knut Gaesling
Poſſen treiben könnt! Signe iſt mir lieb geworden. Noch am
Vormittag war es nur mein unbeſonnenes Gelübde, das mich
trieb, um ſie zu freien; aber jetzt —
Signe zu Margit. Er? Das war der Freier, an den Du dachteſt?
Margit. Still, ſtill!
Nnut ernſt und beſtimmt. Frau Margit, — Ihr ſeid Signes
ältere Schweſter; eine Antwort ſollt Ihr mir geben.
Margit mit ſich ſelbſt kämpfend. Signe hat ihren Bräutigam
ſchon gewählt; — mehr kann ich nicht ſagen.
Enut. Gut! So hab' ich auf Solhaug nichts weiter zu
ſchaffen. Aber nach Mitternacht — merkt's Euch — da iſt
der Tag um! da dürftet Ihr mich wohl wiederſehen, und dann
mag das Glück entſcheiden, wer Signe heimführt, Gudmund
oder ich.
— 198 —
Gudmund. Ja, verſuch's nur! Es ſoll Dich eine blutige Stirn
koſten!
Signe voll Angſt. Gudmund! Bei allen Heiligen —!
Knut. Hab' Geduld, hab' nur Geduld, Gudmund Alfſön!
Eh' die Sonne aufgeht, biſt Du in meiner Gewalt. Und ſie —
Deine Braut —. Geht zur Thür, winkt und ruft leiſe. Erik! Erik,
komm! Fort zu unſern Geſippen! Drohend, während Exit ſich in
der Thür zeigt. Ja, — weh Euch allen, wenn ich wiederkomme!
Er und Erik gehen links im Hintergrund hinaus.
Signe leiſe zu Gudmund. Ach, aber ſo ſag' mir doch, — was
ſoll das alles bedeuten?
Gudmund fluſternd. Wir müſſen beide noch heut Nacht Sol—
haug verlaſſen.
Signe. Gott ſteh' mir bei! — Du willſt —!
Gudmund. Verrate uns nicht! Kein Wort zu irgend
einem Menſchen; nicht einmal zu Deiner Schweſter.
Margit für ſich. Sie — ſie iſt es! Sie, an die er kaum
gedacht hat bis zum heutigen Tag. Wär’ ich frei geweſen,
ſo weiß ich wohl, wen er gewählt hätte. — Ja, frei!
Bengt und die Gäſte, Männer und Weiber, kommen aus dem Hauſe.
Junge Mädden und Zurſche fingen:
Auf! Weiter hier draußen geſcherzt und gelacht
Auf blumigem Wieſenraine,
Daß rings der Vögelein Volk erwacht
Im Birkenhaine!
Auf! Weiter erbaue nun Tanz und Sang
Die fröhlichſte Feſtgemeine, —
All Leid muß enden beim Fiedelklang
Im Birkenhaine!
Bengt. Recht, ſo ſoll es ſein! Das gefällt mir! Ich bin
— 19 —
luſtig und mein Weib iſt luſtig; und darum follt auch Ihr
luſtig ſein alle miteinander.
Einer von den Gäſten. Ja, laßt uns ein Versturnier ver—
anſtalten!
Viele rufen. Ja, ja, ein Versturnier.
Ein anderer Gaſt. Nein, laßt das lieber bleiben; das bringt
nur Unfrieden in die Geſellſchaft. Mit gedämpfter Stimme. Bedenkt,
daß Knut Gaesling heut auf dem Schloß iſt —!
Mehrere unter einander flüſternd. Ja, ja, das iſt wahr! Ihr
erinnert Euch noch an das letzte Mal, da er —. Man ſei auf
der Hut — das iſt das Beſte!
Ein alter Mann. Aber Ihr, Frau Margit —; ich weiß,
Euer Geſchlecht war allzeit ſagenkundig, und Ihr ſelbſt wußtet
viele ſchöne Geſchichten, da Ihr noch ein Kind wart.
Margit. Ach, ich habe ſie alle, alle vergeſſen. Doch fragt
meinen Vetter Gudmund Alfſön; der ſingt Euch gern eine
luſtige Geſchichte.
Gudmund teife, bittend. Margit —!
Margit. Ei, was ſetzeſt Du für ein kläglich Geſicht auf!
Luſtig, Gudmund! Luſtig! Ja, ja, es fällt Dir nicht ſo leicht,
glaub's wohl. Lachend, zu den Gäſten. Er hat heut Abend die
Waldelfe geſchaut. Sie wollt' ihn verführen; aber Gudmund
iſt ein treuer Geſell. Wendet ſich wieder zu Gudmund. Nun ja, die
Geſchichte iſt noch nicht zu Ende. Wenn Du Dein Herzlieb
übers Gebirg' und durch die Wälder entführſt, ſo wende
Dich ja nicht um; ſchau niemals zurück; — die Waldelfe
ſitzt hinter jedem Buch und lacht; und zuletzt — Mit gedämpfter
Stimme, indem ſie dicht an ihn herantritt: kommſt Du doch nicht weiter,
als ſie will.
Sie geht nach rechts hinüber.
Signe leiſe. O Gott, o Gott!
Bengt geht vergnügt unter den Gäſten umher. Hahaha! Frau Margit
— 200 —
verſteht ſo etwas zuſammen zu ſetzen. Wenn ſie erſt einmal
will, ſo macht ſie's viel beſſer als ich.
Gudmund für ſich. Sie droht mir. Ich muß ihr die letzte
Hoffnung rauben; eher beruhigt ihr Gemüt ſich nicht. Wendet ſich
zu den Gäſten. Ich kenn' ein kleines Lied. Wenn Ihr Luſt habt,
es zu hören, ſo —
Mehrere Gäſte. Bitte, bitte, Gudmund Alfſön!
Man ſchließt um ihn einen Kreis; einige ſitzen, andere ſtehen. Margit lehnt an einem
Baum rechts vorn. Signe ſteht links in der Nähe des Hauſes.
Gudmund fingt:
Ich ritt durch weite Wälder,
Ich fuhr nach fremdem Strand;
Doch meine Braut, die freit' ich mir
Im lieben Heimatland.
Da war eine böſe Elfe,
Die wollt' vor Neid vergehn:
Nie ſoll mit ihm ſein feines Lieb
Am Traualtare ſtehn.
Hör' mich, Du böſe Elfe,
Was machſt Du Dir Beſchwer?
Zwei Herzen, die in Liebe eins,
Die trennſt Du nimmermehr!
Ein alter Mann. Das iſt ein ſchönes Lied! Schau, wie
die jungen Burſchen verſtohlen dort hinüber gucken. Zeigt auf die
Mädchen. Ja, ja, jeder hat ſchon die ſeine, glaub's wohl.
Bengt macht Margit Zeichen. Ja, und ich hab' die meine, das
weiß ich genau. Hahaha!
Margit teile, bebend. O, all den Spott und Hohn dulden zu
müſſen! Nein, nein! Nun muß ich das Aeußerſte verſuchen.
Bengt. Was fehlt Dir? Du biſt ja jo blaß.
— 201 —
Margit. Es geht bald vorüber. Wendet ſich zu den Gäſten. Mir
iſt, als ob ich vorhin geſagt hätte, ich hätte all meine Geſchichten
vergeſſen. Aber eine iſt mir doch noch eingefallen.
Bengt. Recht ſo, mein Frauchen! Heraus damit!
Junge Mädchen bittend. Ja, erzählt, erzählt, Frau Margit!
Margit. Faſt bin ich bange, daß ſie Euch wenig gefallen
wird; aber ſei dem nun, wie ihm wolle.
Gudmund keiſe. Alle Heiligen, ſie will doch wohl nicht —
Margit. Es ſaß einmal eine Jungfrau fein
Wohl auf ihres Vaters Schloß;
Sie ſäumte Seide, ſie ſäumte Lein, —
Trübeinſamkeit war ihr Genoß.
Sie ging ſo verlaſſen und freudlos umher
In den leeren Stuben und Sälen;
Doch nährte ihr Herze gar hohes Begehr,
Nur einen vom Adel zum Manne zu wählen. —
Da ſtieg Bergkönig aus ſeinem Schacht
Und kam mit Gold und Mannen
Und führte des dritten Tages Nacht
Sie — als ſein Weib — von dannen.
Nun ſaß ſie im Berge und ließ ſich den Met
Aus goldenem Horne entgegenſchäumen,
Das Thal lag da wie ein blühendes Beet, —
Sie ſah ſeine Pracht nur in Träumen. —
Da war ein Spielmann, jung und fein,
Sang draußen im Lichte der Sonnen;
Das klang bis zum Schoße der Felſen hinein,
Wo ihr Sommer um Sommer verronnen.
So wunderſam löſte ſich nun ihre Qual; —
Auf ſprang das Bergthor in weitem Bogen;
Gottvaters Friede lag über dem Thal,
Nun ward ihr Auge um nichts mehr betrogen.
Ihr war, als ſei bei des Harfentons Macht
Zum erſten Male ihr Herz erwacht,
Als ob ihr nun erſt erſchloſſen werde,
Wie reich, wie überreich die Erde.
Nun müßt ihr wiſſen alleſamt, —
Den, der zum Felſenkerker verdammt,
Kann Harfenſpiel leicht vom Banne befrein!
Nun ſah er ſie ſchmachten, hörte ſie ſchrein, —
Doch er warf ſeine Harfe in ſeinen Kahn,
Zog ſeidene Segel auf ſeine Rah'n
Und ſteuerte über das ſalzige Meer
Samt ſeiner Braut — auf Niewiederkehr.
In ſteigender Leidenſchaft.
Du rührteſt ſo herrlich der Saiten Gold, —
dun ward ich dem Leben von neuem hold!
Ich muß fort, ich muß fort in die grünen Thale!
Ich ſterbe da drinnen im ſteinernen Saale!
Er ſpottet nur mein! Er umfaßt ſie, er
Flieht mit ihr über das ſalzige Meer!
Schreit auf.
Mit mir iſt es aus; die Felſen winken!
Sonne leuchtet nicht mehr; alle Sterne verſinken.
Sie wankt und ſinkt ohnmächtig an einen Baum.
ſigne iſt weinend hinzugeeilt, um ſie in ihren Armen aufzufangen. Margit!
Schweſter!
Gudmund zugleich, ſtützt fie. Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sie ſtirbt!
Bengt und die Gäſte ſcharen ſich unter Ausrufen des Schreckens um ſie.
Dritter Akt.
Die große Stube auf Solhaug wie im erſten Akt, aber jetzt vom Feſt her in Un-
ordnung. Es iſt noch immer Nacht; eine milde Dämmerung iſt über das Zimmer und
die Landſchaft draußen gebreitet.
Bengt ſteht auf der offenen Außengalerie, einen Bierhumpen in der Hand. Eine
Schar Gäſte iſt im Begriff, das Schloß zu verlaſſen. In der Stube geht eine Magd
umher und räumt auf.
Bengt ruft den Fortziehenden nach. Alſo, Gott mit Euch, und ein
froh Wiederſehen auf Solhaug! Ihr hättet ſonſt wirklich hier
bleiben und ausſchlafen können, ebenſogut wie die andern.
Na ja, ja —; nein wartet! Ich komm' noch bis zur Pforte
mit; ich muß Euch doch noch einmal zutrinken.
Geht ab.
Die Gäſte ſingen, ſich entfernend:
B'hüt Gott und Lebwohl Euch insgemein
Hier hinter Solhaugs Thüren!
Nun ziehn wir hin über Stock und Stein; —
Friſch auf! Die Fiedel mag führen!
Bei Tanz und Geſang
Wird der Heimweg uns nicht ſo ſchwer und lang.
Hei, luſtig dahin!
Der Geſang verliert ſich mehr und mehr in der Ferne. Margit tritt durch die
Thür links in die Stube.
Die Magd. Jeſus Chriſtus, Frau, Ihr ſeid ſchon auf?
— 2
Margit. Ich bin friſch und munter; Du kannſt hinunter
gehn und Dich ſchlafen legen. Halt! Sag' mir: ſind ſchon alle
Gäſte fort?
Die Magd. Nein, nicht alle; ein Teil iſt über Nacht ge=
blieben. Die ſchlafen gewiß ſchon.
Margit. Und Gudmund Alfſön —?
Die Magd. Er ſchläft wohl auch. Zeigt nach rechts. Eben
vorhin ging er in ſeine Kammer, dort, gleich überm Gang.
Margit. Gut; Du kannſt gehn.
Die Magd links ab.
Margit geht langſam durch die Stube, ſetzt ſich an den Tiſch rechts und blickt zum
offenen Fenſter hinaus.
Margit. Wenn es tagt, ſo zieht wohl Gudmund hinaus, —
Und ich werde ihn nie mehr wiederſehen;
Dann ſitz' ich wieder beim Gatten zu Haus —
Mir ſpielt das Geſchick wie dem Blümlein mit,
Wie dem Hälmchen, das irgend ein Fuß zertritt,
Mein Los iſt Verwelken, Vergehen.
Kurze Pauſe, ſie lehnt ſich in den Stuhl.
Mir fällt das blinde Geſchöpfchen ein,
Das harmlos zum Kinde gediehen,
Bis daß ihm die Mutter mit Zauberei'n
Die Gabe, zu ſehen, verliehen.
Nun ſchaute es ſtaunend unverwandt
Ueber Berg und See, über Thal und Strand.
Da verſagten die Künſte der Gauklerin,
Und das Kind ging wieder in Dunkel dahin;
Die Luſt am Spielen war ihm vergangen.
Von Sehnſucht bleichten ihm ſeine Wangen.
Hinſiechend lebte es all ſeine Tage
In ewiger, namenloſer Klage. —
*
— 205 —
So ging auch ich wie blindgeboren
Im blühenden Sommer, im ſtrahlenden Licht —
Sie ſpringt auf. f
Und dann —! Und dann wieder alles verloren!
Nein, nein, ſo wohlfeil verkauf' ich mich nicht.
Drei Jahre ertrug ich die Höllenpein,
Nun muß mein Opfer ein Ende finden!
Könnt' ich noch länger dies Daſein verwinden,
Ich müßte wie eine Taube ſein.
Hier wird mir die Jugend verkränkt und vergällt, —
Und draußen, da wogt die unendliche Welt; —
Gudmund will ich folgen mit Schild und mit Bogen,
Teilen ſein Glück und mildern ſeinen Kummer,
Hüten ſeinen Schritt und ſchützen ſeinen Schlummer; —
Das Staunen! Kommen wir ſo gezogen,
Der kühne Ritter und Margit, ſein Lieb —
Sein Weib!
Schlägt die Hände zuſammen.
O Herrgott, vergieb, vergieb!
Weiß ſelber nicht mehr, was ich ſpreche. —
Rette mich, eh' ich zuſammenbreche!
Geht eine Weile grübelnd umher.
Signe —? Könnte ich Ruhe haben,
Wenn ſie Dich vor der Zeit begraben?
Und doch —? Wer weiß? Sie iſt ja noch Kind;
In ihren Jahren vergißt man geſchwind.
Abermals Pauſe; fie zieht das Fläſchchen hervor, betrachtet es lange und jagt leue.
Dies Fläſchchen —! Es ließe mich alles gewinnen —!
Ein Griff — und mein Gatte müßte von hinnen.
Erſchrocken.
Nein, nein, ich werf' es hinaus in den Bach!
Will es zum Fenſter hinauswerfen, hält aber inne.
— 206 —
Und doch, — ich fühlte mich nicht zu ſchwach — —
Flüſtert mit einem aus Schauder und Entzücken gemiſchten Ausdruck.
In welch verführeriſcher Geſtalt
Lockt doch der Sünde ſüße Gewalt!
Mich dünkt, das Glück gewährt höchſten Genuß,
Das mit Leib und mit Seele erkauft werden muß.
Bengt, den leeren Bierhumpen in der Hand, kommt über die Außengalerie herein;
ſein Geſicht glüht; er geht mit unſicheren Schritten.
Bengt ſchleudert den Humpen auf den Tiſch links. So! Das war ein
Feſt, das in der ganzen Gegend von ſich reden machen wird.
Erblickt Margit. Na, da biſt Du ja? Biſt wieder zu Dir gekommen?
Das freut mich.
Margit die inzwiſchen das Fläſchchen verborgen hat. Iſt das Thor ge⸗
ſchloſſen?
Bengt ſett ſich an den Tiſch lints. Ich hab' für alles geſorgt.
Ich folgte den letzten Gäſten bis zur Pforte hinunter. Aber
wo blieb Knut Gaesling heut Abend? — Gieb mir Met,
Margit! Ich bin durſtig. Füll' mir den Becher da.
Margit nimmt eine Metkanne aus dem Schrank und ſchenkt den Becher voll, der vor
ihm auf dem Tiſche ſteht.
Margit geht mit der Kenne nach rechts hinüber. Du fragteſt nach
Knut Gaesling.
Bengt. Ja freilich, freilich. Der Prahler, — der Groß—
ſprecher! Ich weiß noch, wie er uns geſtern früh drohte.
Margit ſetzt die Kanne auf den Tiſch rechts. Er führte ſchlimme
Reden im Munde heut Nacht, als er aufbrach.
Bengt. That er das? Recht ſo! Ich werd' ihm den Schädel
einſchlagen.
Margit tägelt verächtlih. Hm —
Zengt. Ich werd' ihm den Schädel einſchlagen, ſag' ich! Ich
bin nicht furchtſam, und wenn ich zehn ſolcher Kerle begegnete.
Draußen im Vorratshauſe hängt meines Großvaters Streitaxt; der
, —
Schaft iſt mit Silber ausgelegt; und wenn ich mit der komme,
jo — ! Schlägt auf den Tisch und trintt. Morgen rüſt' ich mich und
zie'h aus mit allen meinen Mannen und ſchlage Knut Gaesling
den Schädel ein. Trinkt aus.
Margit reife. O, mit dem da leben zu müſſen!
Sie will gehen.
Bengt. Margit, komm her! Schenk' mir wieder ein! Sie
kommt näher; er will ſie auf ſein Knie niederziehen. Hahaha, Du biſt hübſch,
Margit! Ich hab' Dich gern.
Margit reißt ſich los. Laß mich! Sie geht mit dem Becher nach rechts
hinüber.
Bengt. Du biſt heut Abend nicht fügſam. Hahaha, —
Du meinſt das wohl nicht ſo ſchlimm.
Margit leiſe, während ſie den Becher wieder vollſchenkt. Wär' es der
letzte Becher! l Sie läßt den Becher ſtehen und will nach links ab.
Bengt. Hör', Margit! Für eins kannſt Du dem Himmel
danken, und zwar dafür, daß ich Dich geheiratet habe, bevor
Gudmund Alfſön wieder kam.
Margit bleibt an der Thür ſtehen. Warum das?
Bengt. Nun ja, — weil ſein ganzes Hab und Gut nicht
den zehnten Teil ſo groß iſt wie meins. Und deſſen bin ich
ſicher, gefreit hätt' er um Dich, wenn Du nicht Frau auf
Solhaug wärſt.
Margit kommt näher, blickt verſtohlen nach dem Becher. Glaubſt Du?
Bengt. Darauf will ich ſchwören, Margit. Bengt Gauteſön
hat ein paar kluge Augen im Kopfe. Aber jetzt kann er ja
Signe nehmen.
Margit. Und Du denkſt, er will — ?
Bengt. Sie nehmen? O ja, ſeit er Dich nicht mehr
haben kann. Wenn Du noch frei wärſt, ja dann — Hahaha,
Gudmund iſt juſt wie die andern; er mißgönnt mir, daß
ich Dein Mann bin. Eben darum mag ich Dich ja ſo
— 208 —
gut leiden, Margit! — Her mit dem Becher! Voll bis
zum Rand!
Margit geht widerſtrebend nach rechts hinüber. Deinen Becher ſollſt
Du haben — ganz gewiß.
Bengt. Knut Gaesling hat ja auch um Signe gefreit; aber
dem will ich den Schädel einſchlagen. Gudmund iſt ein ehrlicher
Kerl; er ſoll ſie kriegen. Denk' nur, Margit, wie gut wir als
Nachbarn zuſammen leben werden. Dann kommen wir zu
einander zu Gaſte und ſitzen, ſo lang der Tag währt, jeder
mit ſeinem Weib auf dem Schoß, und trinken und ſchwatzen
das Blaue vom Himmel.
Margit verrät einen immer mehr ſich ſteigernden Seelenkampf; unwillkürlich
hat ſie das Fläſchchen hervorgezogen, während ſie ſagt: Jawohl, jawohl!
Bengt. Hahaha! Am Anfang, mein' ich, wird Gudmund
mich ein bißchen ſcheel anſehen, wenn ich Dich herze; aber das
verwindet er gewiß bald.
Margit leiſe. Das iſt mehr, als ein Menſch ertragen kann!
Schüttet den Inhalt des Fläſchchens in den Becher, tritt ans Fenſter, wirft das Glas
hinaus und ſagt, ohne ihn anzuſehen. Dein Becher iſt gefüllt.
Bengt. Dann her damit! N
Margit kämpft in Angſt und Zweifel; endlich jagt ſie. Trink heut
nicht mehr!
Bengt lachend, indem er ſich in den Stuhl zurücklehnt. So, — warteſt
Du etwa auf mich? VBunzelt ihr zu. Geh nur; ich komm' bald nach.
Margit plötzlich feſt. Dein Becher iſt gefüllt. Zeigt auf ibn. Da
ſteht er. Sie geht raſch lints ab.
Bengt erhebt ſich. Ich mag ſie gern. Es reut mich nicht, daß
ich ſie zur Frau genommen, obſchon ihr nicht mehr Erbgut eignete,
als der Becher da und der Schmuck, den ſie als Braut trug.
Er tritt an den Tiſch am Fenſter und nimmt den Becher.
Ein Knecht kommt eilig und erſchrocken durch den Hintergrund.
Der Rnecht ruft. Herr Bengt! Herr Bengt! Sputet Euch,
jo jehr Ihr könnt! Knut Gaesling zieht mit einem Haufen
Gewaffneter herauf gegens Schloß.
Bengt ſteut den Becher hin. Knut Gaesling? Wer ſagt das?
Ber Knecht. Einige von Euren Gäſten ſahen ihn drunten
des Wegs kommen, und da liefen ſie eiligſt zurück, um Euch zu
warnen.
Bengt. Gut; jo werd' ich denn auch —! Hol' mir meines
Großvaters Streitaxt!
Er und der Knecht gehen durch den Hintergrund ab.
Bald darauf kommen Gudmund und Signe leis und vorſichtig durch die Thüre
rechts herein.
Signe leiſe. So muß es denn ſein!
Gudmund evenio. Die höchſte Gefahr
Zwingt uns.
Signe. Ach, jo flüchten zu ſollen, —
Aus ſeiner Heimat, die einen gebar!
Trocknet ihre Thränen.
Und doch, ich will Dir nicht grollen —
Ich fliehe ja gerne Dir zulieb.
Freilich, wärſt Du nicht friedlos, blieb'
Ich beſſer bei Margit.
Gudmund. Und Tags darauf
Käme Knut Gaesling mit ſeinen Mannen
Und höbe Dich auf ſein Roß hinauf
Und ſchleppte die Braut von dannen!
Signe. Ja, laß uns fliehn! Doch wie fangen wir's an?
Gudmund. Ich hab' draußen am Fjord einen treuen Mann;
Der ſchafft uns ein Schiff. Durch ſalzige Wellen
Wird uns der Nordwind die Segel ſchwellen.
Im Dänenland, glaub' mir, iſt herrlich zu ſein;
Da wirſt Du gar bald mit Freuden wohnen;
Ibſen, Das Feſt auf Solhaug. 14
— 210 —
Da warten die lieblichſten Blumen Dein
Unter ſchattigen Buchenkronen.
Signe bricht in Thränen aus. Meine arme Schweſter — ade! ade!
Wie haſt Du mich immer gehegt und geleitet,
Mit frommem Gebet mir die Wege bereitet;
Wie warſt Du mir Mutter in Wohl und in Weh! —
Komm Gudmund, — trinken wir ihr zur Ehre
Noch dieſen Becher, auf daß ihr Herz
Bald wieder geneſe, und Gott ihren Schmerz
In Frohſinn wieder verkehre!
Sie ergreift den Becher.
Gudmund. Das woll'n wir; wir trinken ihr Wohlergehen.
Wird ſtutzig.
Rein, halt!
Nimmt ihr den Becher aus der Hand.
Wo hab' ich nur den ſchon geſehen?
Signe. s iſt Margits Becher.
Gudmund betrachtet ihn genau. Wahrhaftig, — mich trog
Mein Aug' nicht. Als ich zur Fremde zog,
Trank Margit aus ihm in funkelndem Weine,
Daß der Himmel uns bald wieder fröhlich vereine; —
Doch trank ſie ſich ſelber nur Sorge und Pein.
Nein, trinken wir keinen Met oder Wein
Aus dieſem Becher mehr!
Schüttet den Inhalt aus dem Fenſter.
Komm, 's iſt Zeit!
Lärm und Rufe hinter der Scene.
Signe. Horch! — Gudmund, ich höre Lärm und Streit!
Gudmund vorchend. Knut Gaeslings Stimme!
Digne. Daß Gott ſich erbarm'!
2-8 =>
Kudmund ſteut ſich vor fie.
Keine Furcht! Dich ſchützt Deines Gudmund Arm.
Margit kommt eilig von links.
Margit nach dem Lärm hinhorchend. Was giebt's da? Iſt mein
Mann —?
Gudmund und Signe. Margit!
Margit erblict fie. Gudmund! Und Signe! Ihr ſeid hier?
Signe geht auf fie zu. Margit, — liebe Schweſter!
Margit voll Entſetzen, da ſie den Becher bemerkt, den Gudmund noch immer
in der Hand hält. Den Becher! Wer hat ihn geleert?
Gudmund verwirrt. Geleert —? Ich und Signe, wir
wollten —
Margit ſchreit auf. Gnade, Gnade! Zu Hilfe! Sie ſterben!
Gudmund ſtent den Becher weg. Margit —!
Signe. O Gott, was fehlt Dir?
Margit eilt nach dem Hintergrund. Hilfe, Hilfe! Will denn
niemand helfen?!
Ein Knecht kommt eilig über die Außengalerie herein.
Der Knecht ruft erschrocken. Frau Margit! Euer Gemahl —!
Margit. Er! Hat auch er getrunken —?
Gudmund teiie. Ah, nun begreif ich —
Der Knecht. Knut Gaesling hat ihn erſchlagen!
Signe. Erſchlagen!
Gudmund zieht das Schwert. Noch nicht, will ich hoffen.
Flüſtert Margit zu. Sei ruhig! Keiner hat aus dem Becher
getrunken.
Margit. Dann ſei Gott gelobt, der uns alle errettet hat!
Sie ſinkt in einen Stuhl zur Linken. Gudmund will eilig ab durch den
Hintergrund.
Ein anderer Knecht unter der Thür, hält ihn auf. Ihr kommt zu
ſpät. Herr Bengt iſt tot.
1
2
Gudmund. Alſo doch erſchlagen!
Ber Knecht. Aber die Gäſte und Eure Leute ſind der Gewalt-
thäter Herr geworden. Knut Gaesling und ſeine Mannen ſind
gebunden. Da kommen ſie.
Gudmunds Mannen, Gäſte und Knechte führen Knut Gaesling, Erik von Hacgge
und mehrere von Knuts Leuten gebunden herein.
Knut bleich und ruhig. Totſchläger, Gudmund! Was ſagſt Du
dazu?
Gudmund. Knut, Knut, was haſt Du gethan?
Erik. Es geſchah ohne Abſicht, — das kann ich bezeugen.
Bnut. Er lief mich an mit geſchwungener Axt; ich wollt'
mich verteidigen, und ſo hieb ich denn blindlings zu.
Erik. Hier ſtehen viele, die das geſehen haben.
Knut. Frau Margit, fordert eine Buße, jo hoch Ihr wollt, —
ich bin bereit, ſie zu zahlen.
Margit. Ich fordere nichts. Gott möge über uns alle
richten. Doch ja, — eins fordre ich; laßt Euren ſchlimmen
Anſchlag gegen meine Schweſter fahren!
Rnut. Nimmermehr werd' ich verſuchen, mein unſelig
Gelübde einzulöſen. Glaubt mir, ich werd' mich beſſern—
Möchte nur keine entehrende Strafe mich treffen für meine
That. Zu Gudmund. Sollteſt Du wieder zu Ehren und Würden
gelangen, ſo ſprich beim König ein gutes Wort für mich.
Gudmund. Ich? Noch bevor der Tag kommt, muß ich
über der Grenze ſein.
Erſtaunen unter den Gäſten; Erik erklärt ihnen flüſternd den Zuſammenhang.
Margit zu Gudmund. Du gehſt? Und Signe will Dir
folgen?
Digne bittend. Margit!
Margit. Alles Glück mit Euch beiden!
Signe an ihrem Halſe. Geliebte Schweſter!
Fudmund. Dank, Margit! Und nun leb wohl! Lauſchend.
Horch! Ich höre Huſſchlag im Hof.
Signe voll Angſt. Da kommt fremdes Kriegsvolt!
Ein Rnecht unter der Thür im Hintergrund. Des Königs Mannen
ſtehn draußen. Sie ſuchen Gudmund Alfſön.
Signe. O, Herr im Himmel!
Margit fäyrt erſchrocen auf. Des Königs Mannen!
Gudmund. So iſt alles vorbei! O Signe! Dich jetzt zu
verlieren, — das war das Schwerſte, was mich treffen konnte.
Knut. Nein, Gudmund! Teuer ſoll ihnen Dein Leben zu
ſtehen kommen. Lös unſre Stricke! Wir ſind alle bereit, uns
für Dich zu ſchlagen.
Erik blidt hinaus. Es nützt nichts; es find ihrer zu viele.
DSigne. Sie kommen hier herein! O Gudmund, Gudmund!
Des Königs Sendbote ſamt Gefolge tritt durch den Hintergrund herein.
Der Sendbote. In des Königs Namen und Auftrag ſuche
ich Euch, Gudmund Alfſön.
Gudmund. Gut. Aber ich bin unſchuldig, das ſchwör' ich
hoch und teuer!
Der Sendbote. Das wiſſen wir alle.
Gudmund. Wie?
Bewegung unter den Verſammelten.
Der Sendbote. Ich habe Befehl, Euch an des Königs Hof
zu Gaſt zu bitten. Der König ſchenkt Euch ſeine Freundſchaft
wie früher und reiche Lehen dazu.
Gudmund. Signe!
Signe. Gudmund!
Gudmund. Aber jo jagt mir — ?
Ber Sendbote. Euer Feind, der Kanzler Audun Hugleikſon.
iſt geſtürzt.
= on
Gudmund Der Kanzler!
Die Gäſte halblaut, zu einander. Geſtürzt?!
Der Sendbote. Vor drei Tagen wurde er zu Bergen ent—
hauptet. Mit gedämpfter Stimme. Er hatte Norwegens Königin beleidigt.
Margit tritt zwiſchen Gudmund und Signe.
So ſchlägt den Sünder des Himmels Hand!
Mir hat er heut Nacht ſeine Engel geſendet
Und, als mir ſchon jede Hoffnung ſchwand,
Mein Los noch gnädig zum Guten gewendet.
Nun weiß ich, das Leben iſt mehr als ein Jagen
Nach glänzenden Gütern, nach feſtlichen Tagen.
Ich fühlte, wie bitter der Menſch verzagt,
Der ſeiner Seele Seligkeit wagt. —
Ich tret' in Synnöves Kloſter ein —
Da Gudmund und Signe ſprechen wollen.
Sagt nichts! Es würde vergeblich ſein.
Legt ihre Hände zuſammen.
So knüpf' ich denn Eurer Liebe Band
Und ſtell' Euer Leben in Gottes Hand!
Sie winkt zum Abſchied und geht nach links. Gudmund und Signe wollen ihr folgen.
Margit hält ſie mit einer abwehrenden Gebärde zurück, geht hinaus und ſchließt hinter
fich die Thür. Im ſelben Augenblick geht die Sonne auf und wirft ihr Licht in
die Stube.
Gudmund. Signe, — mein Weib! — Sieh, der Tag will
beginnen;
Das iſt unſrer jungen Liebe Tag!
Signe. Mein ſchönſtes Erinnern, mein beſtes Sinnen
Haſt Du mir geſchenkt und Dein Harfenſchlag.
Mein edler Sänger, — in Leid und Luſt
Schlag' nur die Saiten zu höchſten Liedern
Ich trag' eine Harfe in tiefer Bruſt,
Die ſoll Dir in Freuden und Schmerzen erwidern!
Chorgeſang von Männern und Frauen.
Sonne hat ihr ſegnend Aug' erhoben,
Hütet liebevoll der Frommen Fuß,
Sendet milder Strahlen Troſtesgruß — 0
Lob und Preis dem Herrn im Himmel droben!
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Olaf Liljekrans
Schauſpiel in drei Akten
—
Geſchützt auf Grund der Geſetze und Verträge.
Den Bühnen gegenüber Manuſkript.
Perlonen.
Frau Kirſtin Liljekrans.
Olaf, ihr Sohn.
Arne von Guldvik.
Ingeborg, ſeine Tochter.
Hemming, ſein Knappe.
Thorgjerd, ein alter Spielmann.
Alfhild.
Hochzeitsgäſte. Arne von Guldviks Sippe. Knechte und Mägde.
Ort der Handlung: ein Kirchdorf im Gebirge; Zeit: das Mittelalter.
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15
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Erſter Akt.
Eine dicht bewachſene Halde, die höher hinauf in die Berge führt. In einer tiefen
Schlucht fließt ein reißender Strom vom Hintergrunde her nach rechts; über dem
Waſſer liegen einige alte Holzſtämme und andere Reſte einer verfallenen Brücke.
Mächtige Felsblöcke ſind im Vordergrunde verſtreut; in der Ferne, weit zurück, ſieht
man die Gipfel hoher Schneeberge. Die Abendröte liegt über der Landſchaft aus—
gegoſſen. Später Mondſchein.
1. Scene.
Thorgjerd ſteht auf einem Felsblock bei dem Strome und lauſcht dem Chorgeſang,
der hinter der Scene ertönt.
Chor von Frau Birfins Gefolge tier im Walde links.
Mit frommen Geſängen, mit Glockenſpiel
Zieht aus nach dem irrenden Manne!
Du Chriſt, der unſeligen Mächten verfiel —
Erwach' aus dem Zauberbanne!
Arne von Guldviks Sippe weit draußen rechts.
Nun ziehn wir hinaus
Zum Hochzeitshaus —
Es rennen die Rößlein, die ſchnellen.
Der Hufſchlag ſchallt
Durch den grünen Wald
Beim Ritt der luſt'gen Geſellen.
Trau Birftins Gefolge etwas näher.
Wir beſchwören Dich aus Hügel und Hain,
22
Aus Feld und aus Bergeshalde,
Daß Deine Seele ſich möge befrein
Von liſtigen Elfen im Walde!
Thorgjerd verſchwindet in der Schlucht, wo der Strom fließt. Nach einem raſchen
Zwiſchenſpiel vernimmt man deutlicher:
Arnes Sippe.
Wir kürzen den Weg mit Scherz und Sang,
Zum bräutlichen Feſte wir ziehn.
Trau Rirſtins Gefolge.
Mit Thränen ziehn wir den Weg entlang —
Ach, nirgend erſpähen wir ihn!
Arnes Sippe ganz nahe, aber immer noch hinter der Scene.
Zum Hochzeitsfeſte, zu Spiel und Tanz
Zieht Knabe und Maid mit Geſange —
Frau Rirſtins Gefolge noch naher.
Olaf Liljekrans, Olaf Liljekrans!
Was ſchläfſt Du ſo tief und ſo lange!
2. Scene.
Arne von Guldpik mit feiner Sippe (Männern und Frauen, Spielleuten u. ſ. w.)
erſcheint im Hintergrunde rechts, an dem jenſeitigen Ufer des Fluſſes; ſie ſind alle
im Hochzeitsgewand. Gleich darauf Hemming von derſelben Seite.
Einer aus der Sippe. Seht, hier geht der Weg!
Ein Andrer. Nein, hier!
Ein Dritter. Nicht doch! Hier muß es ſein!
Arne. Ei, da ſtecken wir wieder feſt!
Wo iſt Hemming?
Hemming ritt auf. Hier!
Arne. Hab' ich Dir nicht geſagt, Du ſollſt Dich in meiner
Nähe halten, um mir an die Hand zu gehen!
Hemming. Jungfer Ingeborg — ſie wollte — und da —
Arne ärgerlich. Jungfer Ingeborg! Jungfer Ingeborg!
Ruft. Hemming!
— 223 —
Biſt Du Ingeborgs Zofe? Mein Knappe biſt Du! Mir haſt
Du zu dienen — bekommſt Du nicht Koſt und Lohn dafür? —
Hemming unſicher. Den Weg? — Ja, ich kenne mich hier
oben nur wenig aus, aber —
Arne. Dacht ich's doch! Das iſt der Nutzen, den man
von Dir hat! — Ja, nun müſſen wir in der Einöde übernachten,
ſo wahr ich Arne von Guldvik heiße!
Hemming der unterdeſſen die Reſte der Brücke bemerkt hat. Ei, das hat
noch keine Not! Da können wir ’rüber!
Arne. Warum ſagſt Du das nicht gleich?
Alle gehen über den Fluß und kommen nach dem Vordergrunde.
Arne blict ſich um. Ja, nun find' ich mich wieder zurecht!
Der Strom hier iſt die Markſcheide zwiſchen meinem und Frau
Kirſtins Gebiet. Deutet nach lints. Da unten liegt ihr Hof; in
einer Stunde oder zwei können wir gemächlich im Hochzeits—
hauſe ſitzen. Aber dann gilt's auch, ſich zu ſputen! Ruft.
Ingeborg! — Hemming, wo iſt Ingeborg nun wieder?
Hemming. Noch im Walde droben. Deutet nach rechts. Sie
ſpielt mit ihren Brautmägden. Sie brechen grüne Zweige von
den Büſchen und unter Luſt und Lachen jagen ſie einander damit.
Arne unwirſch, aber mit gedämpfter Stimme. Hemming, dieſe Hoch—
zeit macht mich noch krank, ſo viel muß ich mich dabei ärgern.
Blickt nach rechts. Wie ſie rennen! Nein, ſieh nur! Ingeborg
ſelbſt hatte den Gedanken, über den Berg zu ziehen, anſtatt
dem Wege zu folgen; da kämen wir raſcher zum Ziel, meinte
ſie. Und trotzdem —! O, ich könnte toll drüber werden.
Morgen ſchon ſoll ſie vor den Altar treten. Sind das die
züchtigen Sitten, deren ſie ſich befleißigen ſollte! Was wird
Frau Kirſtin ſagen, wenn ſie meine Tochter ſo ſchlecht erzogen
findet! Da Hemming ſprechen will. Jawohl, das iſt ſie! Sie iſt
ſchlecht erzogen, ſag' ich.
Hemming. Herr! Ihr hättet Eure Tochter nie in Frau
— 224 —
Kirſtins Familie geben ſollen. — Frau Kirſtin und ihre Sippe
ſind von edler Geburt, und —
Arne. Du biſt dumm, Hemming! Edler Geburt! Edler
Geburt! Zu was ſoll das wohl gut ſein? Davon wird keiner
ſatt. Iſt Frau Kirſtin von edler Geburt, ſo bin ich dafür
reich! Ich habe Gold in Kiſten und Silber in Truhen.
Hemming. Und doch machen Eure Nachbarn ſich luſtig
über den Vergleich, den Ihr mit Frau Kirſtin geſchloſſen habt.
Arne. Haha! Laß ſie nur! Das kommt einzig davon,
daß ſie neidiſch auf mich ſind.
Hemming. Sie jagen, Ihr hättet Verzicht geleiſtet auf
Euer verbrieftes Recht, um Jungfer Ingeborg mit Olaf
Liljekrans zu vermählen. Ja, — ich ſollte eigentlich nicht
davon reden — aber — ſie haben eine Spottweiſe auf Euch
gemacht, Herr!
Arne. Das lügſt Du in Deinen Hals! Wer ſollte ſich
unterſtehen, Spottweiſen auf Arne von Guldvik zu machen! Ich
bin mächtig, — kann, wenn es mich gelüſtet, jeden von Haus
und Hof jagen! — Eine Spottweiſe! Ja, Du verſtehſt Dich
gut auf Spottweiſen! — Sit eine Weiſe im Schwange, jo
kann's nur eine ſein zu Ehren der Braut und ihres Vaters.
Aufbrauſend. Doch iſt's ein Machwerk, ein richtiges Machwerk,
ſag' ich Dir! Kein ſangeskundiger Mann war's, der das auf—
geſetzt hat, und krieg' ich ihn mal zu faſſen, dann —
Hemming. Ei, Herr! So kennt Ihr die Weiſe doch?
Hat einer ſich unterſtanden, ſie Euch zu ſingen?
Arne. Singen! Singen! Steh' jetzt nicht da und halt'
mich auf mit Deinem Geſchwätz! Zu den andern. Doch nun
vorwärts, Leute! Wir dürfen nicht länger ſäumen, wenn wir
das Hochzeitshaus noch vor Mitternacht erreichen wollen. —
Ihr hättet hören ſollen, was Hemming mir erzählt! Er ſagt,
es geht das Gerücht, Frau Kirſtin hat volle fünf Tage backen
und brauen laſſen, um uns mit Ehren zu empfangen. Iſt's
nicht ſo, Hemming?
Hemming. Ja, Herr!
Arne. Er ſagt: jeder koſtbare Silberkrug, den ſie beſitzt,
wird ſie blank geputzt auf die Tafel ſtellen. Ein ſo prächtiges
Feſt hat Frau Kirſtin nicht mehr gegeben, ſeit der König vor
zwanzig Jahren bei ihrem ſeligen Gemahl zu Gaſte war. Iſt's
nicht ſo, Hemming?
Hemming. Ja Herr! Zlüſternd. Doch iſt's nicht wohlbedacht,
Herr Arne, ſolches zu ſagen. Frau Kirſtin iſt voll Hoffart und
Adelsſtolz; ſie meint, es widerfahr' Euch eine Ehre mit dieſer
Vermählung. Ihr könnt nicht wiſſen, wie ſie ihren Gäſten be—
gegnen wird.
Arne leiſe. Geſchwätz das! Zu den andern. Er ſagt, Frau
Kirſtin gönnt ſich nicht Ruh' noch Raſt; Tag und Nacht geht
ſie umher in Küch' und Keller. Iſt das nicht — ? Wird ſtutzig, indem
er nach links blict. Hemming, was iſt das? Sieh hin, wer kommt da?
Hemming ruft aus. Frau Kirſtin Liljekrans!
Alle erſtaunt. Frau Kirſtin!
3. Scene.
Die Vorigen. Frau Kirſtin kommt mit ihrem Hausgeſinde von links.
Trau Rirftin zu ihrem Gefolge, ohne die andern zu bemerken. Nur noch
eine Strecke weiter, und ich bin ſicher, wir finden ihn! Fäyrt zu—
ſammen; beiſeite: Arne von Guldvik! Himmel, jetzt ſteh' mir bei!
Arne indem er ihr entgegen geht. Gottes Frieden, Frau Kirſtin
Liljekrans!
Trau Rirſtin faßt ſich und reicht ihm die Hand. Gottes Frieden auch
mit Euch! Beiſeite. Sollt' er ſchon etwas wiſſen?
Arne fortdauernd heiter. Und Glück zur Begegnung an der Grenz—
mark! — Seht, das lob' ich mir! Doch faſt zu groß iſt die
Ehre, die Ihr mir erweiſt.
Ibſen, Olaf Liljekrans. 15
Trau Rirſtin. Was meint Ihr?
Arne. Ich meine, zu viel der Ehre iſt's für mich, daß Ihr
meilenweit von Hauſe zieht über Berg und Heide, um mir
Willkommen zu bieten auf Euerm Grund und Boden.
Trau Rirſtin. Ei, Herr Arne — Veiſeite. Er weiß noch nichts.
Arne. Und noch dazu an einem Tag wie heute, da Ihr
vollauf zu ſchaffen habt. Sollen doch bei Euch unſere Kinder
Hochzeit halten, weil mein Hof zu weit ab liegt von der Kirche.
Und doch kommt Ihr mir nun entgegen mit all Euren Leuten.
Trau Rirſtin verlegen. Ich bitt' Euch, ſprecht nicht weiter
davon!
Arne. Ei doch! Laut will ich davon ſprechen! Das Volk
im Lande ſagt, daß Ihr hoffärtig ſeid und ſtolz auf Eure hohe
Geburt, daß Ihr herabſeht auf mich und die Meinen, und daß
Ihr den Vergleich nur geſchloſſen habt, um den langen Zwiſtig—
keiten ein Ende zu machen, die Euch beſchwerlich fielen — jetzt,
da Ihr Witwe ſeid und älter werdet; ſonſt hättet Ihr wohl
niemals —
Frau Rirſtin. Wie könnt Ihr nur auf das hören, was
böſe Zungen aushecken. Gedenken wir nicht länger der Zwiſtig—
keiten von Eures Stammvaters Tagen her! Ich meine, unſre
Familien hätten ſchwer genug darunter gelitten, die Eure wie
die meine. — Blickt um Euch, Herr Arne! Gleicht dieſe Halde
nicht der wildeſten Einöde — und doch war ſie zu unſrer Väter
Zeit bevölkert und reich. Eine Brücke war über den Strom ge—
ſchlagen, und ein Weg führte von Guldvik nach meines Vaters
Haus. Aber von beiden Seiten zogen ſie herzu mit Feuer und
Schwert: alles ward verwüſtet, worauf ſie nur ſtießen — denn
ſie fanden, daß ſie zu nahe Nachbarn ſeien. Jetzt wächſt Un—
kraut aller Arten auf dem Heerweg, die Brücke iſt eingeſtürzt,
und nur Bären und Wölfe hauſen hier.
Arne. So iſt's. Dort unten legten ſie den Weg an, um
a
den Berg herum. Da iſt's ein gut Teil weiter, und ſie konnten
einander beſſer im Auge behalten. Doch wir brauchen das
nicht mehr; und ſo iſt's gut und ſchön für uns beide.
Trau Rirſtin. Gewiß! Gewiß! Doch wo habt Ihr Inge—
borg, die Braut? — Ich ſehe ſie nicht, und auch die Braut—
mägde fehlen. Sollte ſie nicht — ?
Arne. Sie folgt uns auf dem Fuße. Gleich muß ſie da
ſein. Aber — — ja hört, Frau Kirſtin! Ich hab' Euch etwas
zu ſagen, und Ihr könnt es ebenſo gut jetzt wie ſpäter hören,
— vielleicht wißt Ihr's gar ſchon — —. Ingeborg hat manch—
mal ſeltſame Launen — ich ſchwör' Euch zu, die hat ſie, ſo
wohlerzogen ſie ſonſt auch iſt.
Frau Birflin geſpannt. Nun, ſagt an! Veiſeite. Sollte auch
lie — 2!
Arne. Ihr müßt ſie zügeln, dieſe Launen. Mir, ihrem
Vater, wollt' es nicht gelingen; doch Ihr findet wohl Mittel
und Wege.
Frau Rirſtin. Ei, ſeid unbeſorgt! veiſeite. Und Olaf noch
immer nicht zu ſehn!
Hemming der nach rechts ausgeblickt hat. Da kommt Jungfer Inge—
borg! Beiſeite. Wie hold ſie allen voran ſchreitet!
Frau Rirſtin teife zu ihrem Gefolge. Ihr ſchweigt von dem, was
uns hergeführt hat!
Ein Knecht. Darauf könnt Ihr Euch verlaſſen.
Hemming beiſeite, ſeufzend, indem er noch immer nach rechts ausblickt.
Glückſeliger Olaf, der ſie beſitzen wird!
4. Scene.
Die Vorigen. Ingeborg mit ihren Brautmägden kommt über die Brücke.
Ingeborg noch im Hintergrund. Warum lauft Ihr mir davon?
Was hat denn das für einen Nutzen? Bevor ich nicht da bin,
wird ja doch aus der Geſchichte nichts. — Bemerkt Frau Kirſtin mit ihrem
15*
— 228 —
Gefolge. Frau Kirſtin! Ihr ſeid da? — Ei, das iſt hübſch von
Euch! Raſch im Vorbeigehen zum Gefolge. Meinen Gruß Euch allen!
Zu Frau Kirſtin, indem fie ſich umblict. Aber Olaf, wo habt Ihr ihn?
Frau Rirſtin. Olaf! veiſeite. O weh, nun geht es los!
Arne. Ja, freilich! Olaf! Hahaha! Ich muß blind ſein.
Gut, daß die Braut beſſere Augen hat; denn ich ward nicht
einmal gewahr, daß der Bräutigam fehlt. Jetzt verſteh' ich
erſt, wie das kommt, daß wir uns hier begegnen; — ſeinet—
wegen war's —
Trau Rirſtin. Seinetwegen? — Ihr meint — Ihr wißt
aljo —?
Arne. Ich meine, die Zeit ward ihm zu lange da unten in
der Feſtſtube. Ja, ja, ich weiß es noch von meinem eignen
Hochzeitstag! Dazumal war ich auch jung . . . Er konnte die Zeit
nicht erwarten, die Braut zu begrüßen — — und ſo hieß er
Euch mitkommen.
Trau Rirſtin. Gewiß trug er heißes Verlangen, die Braut
zu begrüßen; aber —
Ingeborg. Nun — und —
Frau Rirſtin. Olaf iſt nicht mit hier!
Hemming nähert ſich. Nicht mit?
Arne. Und warum nicht?
Ingeborg. Sagt, ich bitte!
Trau Rirſtin gezwungen ſcherzend. Fürwahr, mich dünkt, auch
die Braut hat Sehnſucht! — Folgt mir alle zum Hochzeits-
haus. Dort, denk' ich, werden wir ihn finden.
Hemming teife zu Arne. Herr! Merkt wohl: ich hab' Euch
gewarnt.
Arne mißtrauiſch zu Frau Kirſtin. Antwortet erſt, dann wollen
wir Euch folgen!
Frau Rirſtin. Nun denn — er iſt ausgeritten, zu jagen.
Wendet ſich zum Gehen. Kommt nun! Es dunkelt ſchon ſtark.
— 229 —
Ingeborg. Zum Jagen?
Frau Rirſtin. Ei, kann Euch das wunder nehmen? Ihr
kennt ja die Weiſe:
„Es zog der Ritter zum Waldesgrund,
Dort zu erproben Pferd und Hund.“
Ingeborg. Achtet er ſeine junge Braut ſo gering, daß er
am Tage vor der Hochzeit aufs Weidwerk geht?
Trau Rirſtin. Ihr ſcherzt. — Kommt mit! Kommt!
Arne der inzwiſchen Frau Kirſtin und ihr Gefolge beobachtet hat. Nein,
gemach, Frau Kirſtin! Wohl darf ich an Klugheit mich nicht
mit Euch meſſen — aber Eines durchſchau' ich doch klar — —
Ihr verhehlt uns, was Euch in Wahrheit hiehergeführt hat.
Frau Rirſtin betroffen. Ich! Wie könnt Ihr glauben!
Arne. An allem und jedem kann ich's merken: 's iſt etwas,
womit Ihr nicht herauswollt. Ihr ſeid gar verſtimmt, und
doch ſtellt Ihr Euch, als wärt Ihr aufgelegt zu ſcherzen. Aber
es hat keine Art —
Frau Virſtin. Es iſt mir nichts Neues, daß Ihr übel denkt
von mir und den Meinen.
Arne. Mag ſein! Doch keinerzeit that ich's ohne hin—
reichenden Grund. Seftig. So wahr ich lebe, — Ihr verhehlt
uns etwas!
Frau Rirſtin beiſeite. Wie ſoll das enden?
Arne. Ich ließ mich von Euch bethören; doch jetzt ſeh' ich
nur zu klar. Ihr kamt, ſagtet Ihr, mich an der Grenzmark
zu begrüßen. Wie aber wußtet Ihr, daß wir den Weg übers
Gebirge nahmen? — Ingeborg wollt' es ſo, als wir von
Guldvik aufbrachen, und das konntet Ihr von niemand gehört haben.
Da Frau Kirſtin nicht antwortet. Ihr ſchweigt. Ja, das dacht' ich mir!
Hemming leiſe. Seht Ihr wohl, Herr! Glaubt Ihr nun
meinen Worten?
Arne ebenſo. Schweig ſtill!
— 230 —
Trau Rirſtin die ſich inzwiſchen gefaßt hat. Nun wohl, Herr Arne!
Ehrlich will ich zu Euch ſprechen — mag dann das Glück alles
zum beſten wenden!
Arne. So ſagt —
Ingeborg. Was habt Ihr?
Frau Rirſtin. Mit Wort und Handſchlag ward der Ver—
gleich geſchloſſen zwiſchen uns; viele ehrenhafte Männer ſeh' ich
hier, die es bezeugen können. Olaf, mein Sohn, ſollte Eure
Tochter freien; bei mir ſollte morgen das Hochzeitsfeſt ſein —
Arne ungeduldig. Gewiß, gewiß!
Frau Rirſtin. Schmach über den, der ſein Wort bricht,
aber —
Arne und ſeine Sippe. Was iſt? Sprecht!
Frau Rirſtin. Hochzeit kann morgen nicht ſein, wie be—
ſchloſſen war.
Arne. Nicht ſein —?
Frau RNirſtin. Wir müſſen damit warten.
Hemming. Ha! Schimpf und Schande!
Ingeborg. Nicht Hochzeit?!
Arne. Seid verdammt, daß Ihr mich hintergeht!
Die Gäſte drohend, indem einige ihre Meſſer ziehen. Rache! Rache
dem Haus Liljekrans!
Trau Nirſtins Rnechte ſchwingen die Aexte und ſetzen ſich zur Wehr.
Schlagt zu! Nieder mit den Mannen von Guldvik!
Trau Nirſtin wirft ſich zwiſchen die Streitenden. Haltet ein! Haltet
ein! Ich bitte Euch darum! — Herr Arne! hört mich zu Ende,
eh' Ihr mein Thun verdammt!
—
Arne der die Seinen zu beſchwichtigen geſucht hat, nähert ſich Kirſtin und
ſagt mit gedämpfter Stimme, indem er ſich umſonſt bemüht, ſeine innere Erregung
zu bemeiſtern. Vergebt mir, Frau Kirſtin! Ich war zu jach in
meinem Zorn. Bei ruhigem Nachdenken hätt' ich wohl gemerkt,
daß alles nur Scherz von Euch war. Ich bitt' Euch, wider—
— 231 —
ſprecht mir nicht — anders kann es nicht ſein! Morgen nicht
Hochzeit? Wie könnte das ſein! — Braucht Ihr Bier und Met,
fehlt Euch Silber oder geblümtes Linnen, ſo kommt nur zu mir!
Frau Rirſtin. Nicht in eines armen Mannes Haus ver—
heiratet Ihr Eure Tochter, Herr Arne! Kommt nur zum Feſte
mit all Euren Vettern und Freunden — ja, kommt in ver—
dreifachter Zahl, ſo es Euch lüſtet — bei mir ſollt Ihr alle
Unterkunft finden und Hochzeitskoſt, ſoviel Ihr eſſen wollt!
Glaubt nicht, daß ſo unwürdige Urſache mich abhalten könnte.
Arne. Dann ſeid Ihr wohl anderen Sinnes geworden?
Trau Rirſtin. Auch das nicht. Hab' ich mein Wort ge—
geben, ſo bin ich auch gewillt, es zu halten, heute ſo gern wie
morgen! Denn ſo war es allzeit Sitte und Brauch in unſerer
Sippe. Doch in dieſer Sache ſteht's nicht bei mir — an
Einem fehlt's —
Ingeborg. An Einem! Und an wem? — Ich ſollte
meinen, wenn die Braut bereit iſt, alsdann —
Frau Rirſtin. Zum Hochzeitsfeſt gehören zwei: der Bräutigam
und die Braut —
Arne und ſeine Sippe. Olaf!
Ingeborg. Mein Bräutigam!
Frau Rirſtin. Ja, Olaf, mein Sohn! Nächtens hat er
Haus und — Braut verlaſſen.
Die Gäſte. Verlaſſen!
Arne. Verlaſſen! Er!
Frau Rirſtin. So wahr ich auf des Himmels Gnade hoffe,
— ich habe nicht teil daran.
Arne mit unterdrüdtem Ingrimm. Und morgen ſollte die Hoch—
zeit ſein! — Meine Tochter kleidet ſich in goldgeziertes Feſt—
gewand; Botſchaft ließ ich rundum ergehen; Freunde und
Vettern kommen von fernher gezogen, um mit beim Feſte zu ſein.
Aufbrauſend. Ha! Hütet Euch wohl, Arne von Guldvik zum
— 232 —
Geſpött und Gelächter ſeiner Nachbarn zu machen! Das ſoll
Euch teuer zu ſtehen kommen, ſchwör' ich hoch und heilig!
Frau Kirſtin. Auf ſchwanken Grund baut Ihr, dafern Ihr
glaubt —
Arne. Sagt das nicht, Frau Kirſtin, ſagt das nicht! Wir
beide haben eine alte Rechnung miteinander zu begleichen. Nicht
das erſte Mal iſt's, daß Ihr mir und den Meinen ſchlau Fallen
ſtellt. Der Stamm der Guldvik mußte lange Zeit herhalten,
wenn Ihr mit Eurer Sippe auf Ränke und Liſt geſonnen habt.
Die Macht hatten wir und Gut und Geld dazu; aber Ihr
wart die Schlaueren. Ihr wußtet uns zu locken mit trügeriſchen
Worten und Redensarten — und ſolche Ware verſteh' ich nicht
nach Gebühr abzuſchätzen!
Frau Rirſtin. Herr Arne, hört mich an!
Arne fortfahrend. Nun ſeh' ich ein, ich handelte wie der Mann,
der ſein Haus auf einen Eisblock gebaut hatte. Als das Tau—
wetter kam, ging es zu Grunde. — Doch wenig ſoll es Euch
frommen! An Euch will ich mich halten, Frau Kirſtin! Ihr
müßt mir einſtehen für Euren Sohn — wart Ihr es doch,
die für ihn warb! An Euch iſt's, das Wort zu halten, das mir
gegeben ward! — Thor, der ich war, ja, zehnfacher Thor,
Eurer glatten Zunge zu trauen! Die es ehrlich mit mir meinten,
haben mich gewarnt, — meine Widerſacher aber ſpotteten meiner;
doch ich achtete nicht der einen noch der andern. Ich zog meine
Hochzeitskleider an, ſammelte Freunde und Vettern um mich;
mit Sang und Spiel zogen wir zum Feſthauſe — und nun —
nun iſt der Bräutigam weg!
Ingeborg. Nicht folg' ich dem zur Kirche, der mich ſo wenig
wert hält.
Arne. Schweig' ſtill!
Hemming teife zu Arne. Jungfer Ingeborg hat recht. Das
beſte wäre, Ihr brächet den Vergleich.
— 233 —
Arne. Schweig' ſtill, ſag' ich!
Frau Rirſtin zu Arne. Wohl mag Euer Sinn voll Harm und
Groll ſein; haltet Ihr mich aber für wortbrüchig, dann fügt
Ihr mir Unbill zu über Gebühr. Ihr meint, es ſei ein liſtiges
Spiel, das wir mit Euch treiben. Doch ſagt: was ſollte mich
und meinen Sohn wohl dazu veranlaſſen? Hat er Ingeborg
nicht lieb? Wo könnt' er ſich eine beſſere Braut erwählen?
Iſt ſie nicht brav und tüchtig? Iſt ihr Vater nicht reich und
mächtig? Wird Euer Geſchlecht nicht mit ehrenden Worten
genannt, wo immer es bekannt iſt?
Arne. Doch wie konnte Olaf dann —!
Frau Rirſtin. Das Los, das mich getroffen hat, iſt härter
als Ihr ahnt. Beklagen werdet Ihr mich, und nicht mir grollen,
wenn Ihr es vernehmt. Seit Sonnenaufgang ſtreif' ich hier
im Gebirg umher, ihn wiederzufinden.
Arne. Hier oben?
Frau Rirſtin. Ja, hier oben! Denn Ihr müßt wiſſen —
erſchrecken werdet Ihr, wenn Ihr's hört —. Gleichviel! Olaf
iſt — — verwunſchen!
Die Gäſte. Verwunſchen?
Ingeborg zugleich. Gott ſei mir gnädig!
Arne. Was ſagt Ihr, Frau Kirſtin?
Frau Rirſtin. Verwunſchen — von der Bergfee. Es kann
nicht anders ſein. — Vor drei Wochen, als der Feſtmet auf
Guldvik getrunken war, kam Olaf nicht heim vor dem frühen
Tag. Er war bleich und gedankenvoll und ſtumm, wie ich ihn
nie zuvor geſehen hatte. So gingen die Tage dahin. Kaum
ſprach er ein Wort; meiſtens lag er zu Bette, das Haupt gegen
die Wand gekehrt. Doch ſobald es Abend ward — da war's,
als ob eine ſeltſame Unraſt ihn überkäme; da ſattelte er ſein
Pferd und ritt davon, weit hinauf in die Höhen; aber keiner
durfte ihm folgen und keiner wußte, wohin er weiter ſeinen Weg
— 234 —
nahm. Glaubt mir, böſe Geiſter haben ihm den Sinn berückt;
ſtark iſt die Macht, die ſie in dieſer Gegend üben! Seit die
große Seuche über das Land gekommen, iſt's nicht mehr recht
geheuer hier in den Bergen — faſt kein Tag vergeht, ohne daß
die Saeterinnen ſeltſam Spiel und Saitenklang vernehmen, wie—
wohl keine Menſchenſeele dort weilt, von der es kommen könnte.
Arne. Verwunſchen! — Sollte ſo etwas denkbar ſein?
Trau Rirſtin. Wollte Gott, dem wäre nicht jo! Doch kann
ich nicht länger daran zweifeln. Drei Tage und drei Nächte iſt
er nun ſchon von Hauſe fern.
Arne. Und nirgends konntet Ihr ihn erfragen?
Trau Rirſtin. Ach nein, — jo iſt das nicht. Geſtern ſah
ihn ein Schütze hier oben; aber Olaf war ſcheu und wild gleich
dem Renntier. Allerlei Kräuter hatte er gepflückt; die ſtreute
er vor ſich hin auf Schritt und Tritt und murmelte ſeltſame
Worte dazu. Sobald ich das vernahm, machte ich mich auf den
Weg mit meinem Geſinde; doch nirgends war er zu finden!
Ingeborg. Und traft Ihr niemand, der Euch hätte ſagen
können —
Frau Rirſtin. Ihr wißt ja, die Halde liegt öde.
Arne gewahrt Thorgjerd, der von der Schlucht heraufſteigt. Da kommt
ja einer; ich will ihn befragen.
Hemming ängſtlich. Herr! Herr!
Arne. Was denn?
Hemming. Laßt ihn laufen! Seht Ihr nicht, wer es iſt?
Die Güſte und Frau Rirſtins Gefolge unter einander flüſternd.
Thorgjerd, der Spielmann! Der tolle Thorgjerd!
Ingeborg. Er hat ſeine Lieder vom Neck gelernt.
Hemming. Laßt ihn laufen! Laßt ihn!
Arne. Ei! Und wär's der Neck ſelbſt —!
5. Scene.
Die Vorigen. Thorgjerd iſt unterdeſſen bis ans äußerſte Ende links gegangen, bei
Arnes letzten Worten wendet er ſich plötzlich um, als wäre er angeſprochen worden.
Thorgjerd indem er ein paar Schritte näher kommt. Was willſt Du
von mir?
Arne wird ſtutzig. Was iſt das?
Hemming. Da habt Ihr's!
Arne zu ihm. Laß mich nur machen! Zu Thorgierd. Wir
ſuchen Olaf Liljekrans — biſt Du ihm heut hier begegnet?
Thorgjerd. Olaf Liljekrans?
Trau Rirſtin. Nun ja, Du kennſt ihn doch.
Thorgjerd. Iſt das nicht einer von den böſen Menſchen aus
den Gauen da draußen?
Trau Rirſtin. Böſen Menſchen?
Thorgjerd. Alle Menſchen ſind böſe! Olaf Liljekrans ſtellt
den kleinen Vöglein nach, die auf ſeiner Mutter Dach ſingen.
Frau Rirſtin. Du lügſt, Spielmann!
Thorgjerd mit verſchmitztem Lächeln. Um ſo beſſer für ihn.
Arne. Wieſo denn?
Thorgierd. Ihr fragt nach Olaf Liljekrans. Hat er ſich hier
herauf verirrt? Ihr ſucht ihn und könnt ihn nicht finden?
Trau Rirſtin. Ja, ja!
Thorgjerd. Um ſo beſſer für ihn. — War's Lüge, was ich
ſagte, dann hat es keine Not.
Ingeborg. Künde, was du weißt!
Thorgjerd. Spät würd' ich da fertig! Bosbaft. Elfen und
Berggeiſter hauſen hier. Seid guten Muts! Wenn Ihr ihn
nicht findet, ſo iſt er bei der Elfen Spiel. Die Elfen mögen
den gut leiden, der die Vöglein lieb hat; und Olaf, ſagtet Ihr
ja — — Zieht heim! Zieht nur wieder heim! Olaf ſitzt im
Berge — es hat keine Not! Win gehen.
— 236 —
Frau Rirſtin. Fluch Dir, der ſolches jagt!
Arne zu Frau Kirſtin. Achtet nicht auf ſeine Worte!
Thorgjerd nähert ſich wieder. Nun geh' ich, um aufzuſpielen.
Olaf Liljekrans ſitzt im Berge; da ſoll ſeine Hochzeit ſein. —
Der tolle Thorgjerd muß mit dabei fein; er kann machen, daß
Tiſch' und Bänke tanzen, ſobald er die Fiedel ſtreicht. — Doch
Ihr — hütet Euch wohl und kehrt wieder heim; hier iſt nicht
gut ſein für Euch. Kennt Ihr die Weiſe nicht:
O hüte Dich wohl vor der Elfen Spiel,
Sie locken zum Reigen Dich hin;
Und was Du dort ſchauſt und höreſt,
Geht nimmer Dir mehr aus dem Sinn.
Bricht plötzlich in eine wilde Freude aus.
Aber hier ſind ja Hochzeitsgäſte — Haha! Die Frauen alle
haben ihren beſten Staat an und jeder Mann ſein beſtes Wams.
Jetzt verſteh' ich! Olaf Liljekrans iſt Bräutigam unten im
Thal — und hat eine Braut auch hier oben! Ja, Ihr habt
wohl ſchon früher davon gehört. Es war einmal — manch
liebes Jahr iſt's nun her — aber ich weiß es noch ganz gut.
Hält einen Augenblick inne und beginnt dann mehr und mehr verwirrt:
Herr Alvar führte klein Ingrid heim —
Sie war die ſchmuckeſte Maid.
Drei Tage währte das Hochzeitsfeſt
In Jubel und Herrlichkeit.
Die Braut war ſo flink und hold und fein,
Sie ſchwang ſich im Tanz um die Wette;
Da war der Neck, der ſchlimme Geſell, —
Saß plötzlich vor ihrem Bette;
Saß als Spielmann am Bettesrand,
Ließ lockende Weiſen erklingen —
Da huben Tiſch' und Bänke rings an,
Sich mit im Tanze zu ſchwingen. —
— 237 —
Und der Neck, er ſchritt zur Thüre hinaus, —
Laut künden will ich es allen —
Und wie er draußen die Fiedel ſtrich,
Da war die Braut ihm verfallen.
Wild triumphierend.
Zaubergebunden ſtand Ritter und Knecht,
Der Bräut'gam durchforſchte die Runde —
Das Brautbett bereitet klein Ingrid der Neck
In ſchäumender Waſſer Grunde.
Wird plötzlich ernſt und flüſtert:
Die Weiſe vergeſſ' ich nimmermehr! — — — — Doch nun
geht heimwärts! Schon bricht der Abend herein; und nach
Sonnenuntergang gehört der Wald hier — den andern. Lebt
wohl! Ich bringe Olaf Botſchaft und Gruß dahin, wo er ſitzt
— im Berge! Verſchwindet links.
6. Scene.
Die Vorigen, ohne Thorgjerd.
Arne zu Frau Kirſtin. Er lügt! Glaubt ihm nicht!
Hemming. Aber wahr iſt ſie doch, die Geſchichte von der
Braut, die am Hochzeitsabend verſchwunden iſt.
Arne. Ei, das iſt lange her; jetzt kommt ſo etwas nicht
mehr vor! — Doch nun wollen wir alle helfen, Olaf auf die
Spur zu kommen.
Ingeborg. Mir ward es nicht an der Wiege geſungen, daß
ich durch Wald und Feld hinter meinem Bräutigam herlaufen
müßte.
Arne. Schweig' ſtill!
Ingeborg. Iſt er in den Berg gebannt, ſo mag die, die
's gethan hat, ihn auch nehmen. Ich habe keine Luſt, meines
Verlobten Herz und Sinn mit einer andern zu teilen.
— 238 —
Hemming leise und innig. Der Herr ſegne Euch für dieſes
Wort!
Ingeborg mit ſtolzem, abweiſendem Blick. Was ſoll's?
Arne. Willſt Du ſchweigen, ſag' ich! Zu den Gästen. Vor⸗
wärts nun, Freunde! Verteilt Euch! Durchſtreift jeden Steig
und jeden Hügel! Auf denn! Recht ſo! Morgen feiern wir
Hochzeit!
Die Gäſte und Frau Kirſtins Gefolge gehen in verſchiedenen Gruppen nach
beiden Seiten ab.
Arne teife zu Frau Kirſtin. Er muß gefunden werden! Ewige
Schmach wär's für mich, dafern die Hochzeit —
Trau Rirſtin. Ja, folgt nur, folgt nur!
Ingeborg leiſe zu Hemming, der niedergeſchlagen daſteht. Warum gehſt
Du nicht mit den andern? — Beſſer wär's, Du ſchaffteſt mir
meinen Bräutigam zur Stelle, ſtatt daß Du daſtehſt und mich
für Worte ſegneſt, mit denen ich wenig meinte.
Arne im Abgehen. Kommt, kommt!
Ingeborg zu Hemming, der gehen will. Warte, Hemming! Mach'
mir meine Schuhſchnallen feſt.
Frau Kirſtin und Arne gehen links ab.
7. Scene.
Ingeborg. Hemming.
Ingeborg ſtrect den Fuß vor. Da! Schnall' ihn recht feſt.
Hemming kniet nieder und thut, wie ſie ihn geheißen.
Ingeborg ſtreckt den andern Fuß vor. So — ſchnall' mir auch
den feſt! — — Doch warum läßt Du den Kopf hängen? —
Iſt etwas nicht nach Deinem Sinn?
Hemming. Begehrt Ihr, daß ich Euch ehrlich ſage —
Ingeborg. Ja, gewiß!
Hemming. So hört denn —
Ingeborg raſch einfallend. O nein, 's iſt nicht nötig.
Sie entfernt ſich ein paar Schritte. Hemming ſteht auf.
— 239 —
Hemming. Ach, Jungfer Ingeborg! Es gab eine Zeit,
da wart Ihr mir ſo gut. Aber ſeit Ihr erwachſen und zur
Jungfrau erblüht — und zumalen, wie mich dünkt, ſeit Ihr
Euer Wort gegeben zum Bunde —
Ingeborg. Nun — und?
Hemming. Ach, nichts! Kaufe Wißt Ihr noch, wie wir
einmal früher hier oben waren?
Ingeborg kurz. Ich weiß gar nichts mehr!
Hemming. Ihr wart Eurer ſcheckigen Ziege nachgelaufen,
und ich begleitete Euch, wie gewöhnlich — — o, 's iſt lange
her; aber ich weiß es noch, als wär's heut geweſen. Gleich
da unten liegt das Moor, das —
Ingeborg nähert jih. War das damals, als wir den Bären hörten?
Hemming. Ja, — damals war's!
Ingeborg kommt immer mehr in Eifer. Ich fand die Ziege wieder.
Hemming. Nein, ich war's, der fie zuerſt fand.
Ingeborg. Ja, ja, ſo war's, dort oben unter dem Felſenhang.
Hemming. Und dann nahmt Ihr Euer Strumpfband —
Ingeborg. Und damit band ich ſie an.
Hemming. Denn wir wollten Erdbeeren pflücken.
Ingeborg. Dort am Hügel, ja! Und Du hatteſt mir einen
Korb von Birkenrinde gemacht.
Hemming. Und da hörten wir mit einemmal —
Ingeborg. Den Bären! Haha! Wir mußten übers Moor,
wo es am ſeichteſten war —
Hemming. Und da nahm ich Dich auf den Arm.
Ingeborg. Und Du ſprangſt mit mir von einem Waſen
zum andern. Lachend. Wie wir uns fürchteten, wir beiden.
Hemming. Ja, mir war nur Deinetwegen bange.
Ingeborg. Und mir Deinetw — — — Hält plötzlich inne,
ſieht ihn aber unverwandt an, wobei ihre Mienen einen gebieteriſchen und gekränkten
Ausdruck annehmen. Was ſtehſt Du da und ſchwätzeſt? Warum
— 240 —
gehſt Du nicht? Ziemt es Dir, ſolchermaßen zu Deines Herrn
Tochter zu ſprechen? Geh, geh! Du wollteſt ja meinen Bräutigam
ſuchen!
Hemming. Ach, — ich vergaß Euren Bräutigam, vergaß,
daß Ihr meines Herrn Tochter ſeid!
Ingeborg. Findeſt Du meinen Verlobten, ſo verſprech' ich
Dir ein geſticktes Wams zu Weihnachten — vor lauter Freude!
Hemming. Ich will kein Wams haben! Ich dien’ Euch
nicht um Gold und Silber, nicht um Koſt und Ritterkleider.
— Jetzt geh' ich. Was ich vermag, das werd' ich thun, wenn
ich nur weiß, daß es Euch Freude macht.
Ingeborg die auf einen Stein geſtiegen iſt und ſich Blütenzweige pflückt.
Hemming! Wie reich iſt mein Bräutigam?
Hemming. Wie reich er iſt, weiß ich nicht zu ſagen; aber
von ſeinem Großvater war die Weiſe im Schwange:
In goldne Gewande vermöcht' er fürwahr
Der Braut zu kleiden die Mägdeſchar.
So mächtig iſt Olaf Liljekrans nun wohl nicht; aber er hat
doch Haus und Hof zu eigen.
Ingeborg noch immer beſchäftigt. Und Du? Was beſitzeſt Du?
Hemming ſeufzend. Meine Armut — das iſt alles!
Ingeborg. Das iſt nicht viel, Hemming!
Hemming. Nein, das iſt nicht viel, Jungfer Ingeborg!
Ingeborg ſummt, von ihm abgewandt, ohne ihre Stellung zu verändern,
und beſchäftigt wie vorhin:
Gar wenig gilt mir im Herzensgrunde
Der Stolze, der mich begehrt zum Bunde.
Weit beſſer gefällt mir der arme Knab' —
Er iſt's, dem ich heimlich mein Herze gab.
Hemming in höchſter Freude. Ingeborg, wär' es wahr, was Du
ſagſt — dann müßt' ich zehnfältig meine Armut preiſen!
Ingeborg wendet den Kopf und ſagt kalt. Ich verſteh' Dich nicht.
a a
Was ich da ſang, war nur eine alte Weiſe. Steigt herab vom Stein
die Vogelkirſchenzweige in der Hand, und nähert ſich ihm, indem ſie ihn feſt anblickt.
Aber ich kenne noch eine Weiſe, und die will ich Dir ſingen:
Im Königshof ſteht manch Renner gut;
Der Freier von echtem Rittersmut
Beſchlägt den Grauen, den Falben ſodann;
Dem ſchnellſten legt er den Sattel an.
Auf Roſſes Rücken hebt er die Braut —
Sie folgt ihm mit Freuden, dem ſie vertraut!
So ziehn ſie mitſamt in die Lande fern —
Mit ihm will ſie leben und ſterben gern!
Hemming wie außer ſich. Ingeborg, Ingeborg! Dann ſoll
nichts mich mehr ſchrecken! Nicht, daß Du einen Bräutigam
haſt, — nicht, daß Du meines Herrn Tochter biſt! So wahr ich
lebe: ich entführe Dich noch dieſe Nacht!
Ingeborg heftig, indem ſie beſtändig ein hervorbrechendes Lächeln unterdrückt.
Hilf Himmel! Was geht mit Dir vor? Worauf ſinnſt Du? —
Deines Herrn Tochter entführen! Krank mußt Du ſein oder
toll, daß Du auf ſolche Gedanken verfällſt! Doch, es ſei ver—
geſſen — für diesmal! Geh nun und danke Gott, daß Du ſo
glimpflich davon gekommen biſt; denn Schläge hätteſt Du
wohl verdient — Schwingt die Zweige, läßt ſie aber wieder ſinken und ſagt
mit veränderter Stimme: — und meinen roten Goldring — da,
nimm ihn! Wirft ihm einen Ring zu, den ſie vom Arme geſtreift hat, und
geht ſchnell ab nach links.
8. Scene.
Hemming. Gleich darauf Olaf Liljekrans vom Hintergrund her. Der Mond
geht auf.
Hemming. Den goldenen Ring hat mein Lieb mir geſchenkt —
So iſt ſie annoch, wie einſt mir hold!
Sie trieb nur ihr Spiel, daß ich wähnen ſollt',
Als ſei ſie bitter gekränkt. —
Alles, alles will mutig ich wagen!
Joſen, Olaf Liljekrans. 16
Niedergeſchlagen.
Ach, bin ja ein armer Geſell nur, fürwahr!
Und morgen ſchon geht ſie zum Traualtar!
Raſch.
Doch fern iſt der Bräut'gam ſeit Nächten und Tagen:
Er irrt in den einſamen Wäldern umher —
O käm' er doch nimmer und nimmermehr!
Will fort, hält aber inne und ruft erſchrocken:
Olaf! Da iſt er!
Olaf kommt langſam heran zwiſchen den Klippen im Hintergrund. Er geht wie im
Traume, mit entblößtem Haupt, die Hände voll Blumen, die er zerpflückt und auf
den Weg ſtreut. Sein ganzes Gebahren während der folgenden Scenen trägt das
Gepräge verwirrter Sinne.
Olaf ohne Hemming zu bemerken. Könnt’ ich doch künden
Das ſeltſame Wort, das Rätſel ergründen!
Will links abgehen.
Hemming. Herr Olaf! Wohin des Weges, ſprecht!
Ei, hört!
Olaf balb erwachend. Du, Hemming, — Arnes Knecht?
Du hältſt mich nimmer!
Hemming. Wie ſeltſam! Erwacht!
Was ſchweift auf den Höh'n Ihr Tag und Nacht?
Betrachtet ihn genauer.
Wo weiltet Ihr, Herr, — in weſſen Bereich?
Eure Wang' iſt blaß, Eure Stirn iſt bleich.
Olaf. Was wundert Dich, daß mir die Wangen erblaßt?
Drei Nächte wohl ſtritt ich ſonder Raſt;
Was wundert Dich, daß die Stirn mir bleich?
Drei Nächte war ich im Elfenreich.
Hemming. Gott ſei uns gnädig!
Olaf. Das Herz iſt mir ſchwer;
Nicht denk' ich an Himmel noch Erde mehr.
— 243 —
Hemming ängstlich. Laßt uns zum Haus Eurer Mutter gehn!
Olaf. Meiner Mutter Haus! Wo mag es ſtehn?
Nur hier iſt fürder mein Heimatsort!
Der Wald iſt jetzt meiner Väter Haus,
Der Tannen Sauſen, des Stroms Gebraus
Kann ich beſſer verſtehn als der Mutter Wort.
Mit ſteigender Begeiſterung.
Nicht wahr, hier weilt das Auge entzückt?
O ſieh, mein Saal iſt zum Feſte geſchmückt!
Demming beiseite. Was iſt ihm geſchehn?
Olaf. Bald kommt meine Braut!
Hemming. Eure Braut! Ihr wißt — ?
Olaf fährt fort. Wenn der Tag ſich neigt,
Wenn im Mondesdämmer das Vöglein ſchweigt —
Dann tritt ſie hervor, ſo jung und traut!
Hemming betreut ſich. Hilf Himmel! Er iſt vom Zauber gebannt!
Olaf. Weißt Du, wo ich zuerſt ſie fand? —
Von Guldvik ritt heim ich im Mondenſtrahl;
Mich deucht, wir ſaßen beim Feſtesmahl.
Mein Sinn war bedrückt, wie ich ritt fürbaß,
In Groll und Gram — weiß nicht, um was!
Gen Mitternacht kam ich am Fluſſe vorbei —
Da ſcholl eine ſeltſame Melodei;
Von Harfenklang ſchien die Luft geſchwellt,
Es kam wie ein Tanz über Wieſ' und Feld.
Wie Locken und Klagen die Stimmen erſchallten —
Da thät zum Gebet ich die Hände falten;
Doch verſagten die Worte: Sinnen und Denken
Vermocht' ich allein auf die Töne zu lenken.
Bald klang es wie Lachen und bald wie Weinen,
Als wollten Jubel und Schmerz ſich einen;
Dann ſcholl es wie Todesweh durch den Raum,
16*
Als hätt' ein Herz all ſein Klagen ergoſſen
In die zaubriſchen Weiſen, die mich umfloſſen
Wie ſtrömende Fluten! — Ich atmete kaum!
So ſeltſam verworren ward mein Sinn;
Es war, als zögen, mächtig und ſtille,
Verborgne Gewalten zum Hügel mich hin —
Stärker waren ſie als mein Wille!
Sie lockten und lockten mit luſtvollem Leid,
Lockten vom Weg mich — weiß nicht, wie weit!
Hemming beiseite. Und die Braut, von der eben der Spiel—
mann erzählte, die mußte ja auch folgen —
Olaf. Da hielt mein Renner; ich fuhr empor,
Ließ rundum die Blicke gehen —
Wie traut war die Stätte! Doch nimmer zuvor
Hatte mein Aug' ſie geſehen.
Im Thale war's, ein ſchattig Gefild,
Von ſüßem Frieden umzogen;
Der Mond ſchwebte drüber ſo klar und mild,
Er ſchien zu lächeln, ſo oft er ſein Bild
Sah in des Waldſees Wogen —
Mein Haupt war ſo ſchwer und ſo ſchwül mein Sinn,
Mich lüſtete, ſelig zu träumen;
Ich legt' in den ſchattigen Raſen mich hin,
Umrauſcht von den flüſternden Bäumen.
Hemming. Herr Olaf! Herr Olaf! Wie durftet Ihr das
wagen!
Olaf fährt fort. Da kam ich hinein in der Elfen Tanz!
Die Schönſte reichte mir einen Kranz
Von Waſſerlilien, von blauen Glocken,
Sie wußte mein Herz ſo ſehnend zu locken.
Sie flüſtert' ins Ohr mir ein rätſelhaft Wort,
Des werd' ich mich allzeit entſinnen:
„Olaf Liljefrans! Vernimm, wie hinfort
Frieden und Glück zu gewinnen!
Unter allen den Blumen im grünen Thal
Sollſt Du die ſchönſte Dir finden,
Sollſt ihre Blätter zerpflücken zumal,
Daß ſie verwehn mit den Winden —
Dann, erſt dann wirſt das Glück Du finden!“
Hemming. Ihr habt nur geträumt!
Olaf. Seit dieſer Stunde
Ward mir zu eng meiner Mutter Haus:
Durch Schluchten und Steingeröll zog ich hinaus,
Zu jagen im Waldesgrunde!
Und wiederum traf ich die Elfe da draus.
Hemming tritt erſtaunt zurück.
Wie? Auch wachend habt Ihr gefunden — ?
Olaf. Den Brautring nahm ich, und alſo gefeit
Hab' ich das Haupt der Elfenmaid —
Nun iſt ſie auf ewig gebunden!
Hemming. Und das iſt die Braut, die Ihr hier erwartet?
Olaf. Ja, das iſt die Braut! Bald nahet ſie mir.
Hemming beiseite.
Sein Sinn iſt berückt. Mit der traurigen Mär'
Will hin zu Frau Kirſtin ich eilen.
Laut.
Und ſchweift Ihr ſo furchtlos hier oben umher?
Olaf. Nur hier, nur hier, iſt all mein Begehr;
Wie ſüß iſt's, hier träumend zu weilen!
Verſchwindet langſam zwiſchen den Klippen im Vordergrunde.
Hemming. Schon morgen ſoll er zum Traualtar;
Doch wenig gilt ihm die Braut, fürwahr!
Nicht ahnt ihre Näh' der bethörte Mann,
Noch daß einen andern ſie liebgewann! —
— 246 —
Er irrt durch die Wälder — und ich empfing
Von Ingeborg den goldenen Ring! —
Frau Kirſtin meld' ich, was ich vernommen. —
Wendet, ihr Heiligen, alles zum Frommen!
Geht ab nach links.
9. Scene.
Olaf Liljekrans kommt zurück, von rechts.
Olaf Blumen zerblätternd, die er draußen gepflückt.
„Unter allen den Blumen im grünen Thal
Sollſt Du die ſchönſte Dir finden
Sollſt ihre Blätter zerpflücken zumal,
Daß ſie verwehn mit den Winden —
Dann, erſt dann, wirſt das Glück Du finden!“ —
Allzeit verfolgt mich dies ſeltſame Wort.
Wie find' ich die Blume? An welchem Ort?
Wie wird ihre Schöne mir offenbar?
Liegt ſie im Duft? In der Farbe klar?
Oder ſind heimliche Kräfte ihr eigen,
Die nimmer dem forſchenden Auge ſich zeigen? —
So birgt oft unter dem Roſt ein Schwert
Wohl eine Klinge von köſtlichem Wert;
So kann wohl auch eine Harfe hängen,
Von keinem beachtet, verſtaubt an der Wand —
Und doch iſt in ihre Saiten gebannt
Ein ganze Welt von lockenden Klängen!
10. Scene.
Olaf. Alfhild vom Hintergrunde. Sie iſt phantaſtiſch gekleidet und mit Laub⸗
gewinden und Blumen geſchmückt. Aengſtlich blickt ſie umher, dis ſie Olaf gewahrt:
ſie eilt ihm froh entgegen.
Alfhild. O bleib'! Bleib'! Geh' nicht von mir!
Olaf plötzlich wie neubelebt. Alfhild, meine junge, herrliche Braut!
u =
Alfhild. Olaf, mein ſchöner Ritter! Es wurde mir zu
ſchwer, zu warten — ich mußte Dir entgegengehn!
Olaf. Doch ſag' mir: warum nur haſt Du ſtändig Furcht,
hierherzukommen?
Alfhild. Ich habe Dir ja geſagt, noch niemals kam ich
heraus aus unſerm Thal, eh' Du mich beſuchteſt. — Mein
Vater hat mir erzählt, daß böſe Mächte draußen walten; nur
in unſeren Bergen könnt' ich unverzagt und ſicher ſein. — O,
was für Mächte immer walten mögen — Du biſt hier! Was
begehr' ich mehr? Komm, laß mich Dir ins Auge blicken! Ja,
ja, ich hab' Dich wieder!
Olaf. Das haſt Du! Ach ja, meine Alfhild, Du Liſtige,
Du Holdſelige — wohl haſt Du mich wieder! Meinen Sinn
haſt Du berückt, ſo ganz, ſo ganz! Führ' mich, wohin Du
willſt und ſo weit Du willſt: in des Berges Schacht; auf die
grüne Waldwieſe, wo ſo liebliche Weiſen am Abend ertönen;
hinunter auf des Fluſſes Grund, tief unter den Waſſerfall, wo
Harfen geſtimmt ſind für die mächtigen klagenden Lieder! Wo
auch Dein Heim ſei — da will ich weilen!
Alfhild. Warum ſprichſt Du ſo? Wohl weißt Du es
beſſer, als Du da ſprichſt. — Geiſter und Elfen hauſen in
Berg und Hain, und auf des Fluſſes Grund wohnt der Neck,
hat Vater geſagt. Meinſt Du, ich ſei ein Elfenkind oder —
Olaf. Du biſt die Holdeſte auf Erden! Sei, wer immer
Du magſt — wenn Du nur mein biſt!
Alfhild lächend. Wär’ ich ein Elfenweib — dann, fürwahr,
ſollt' es Dir ſchlimm ergehn!
Olaf. Mir?
Alfhild. Ja, Dir! Wo Du ſchweifteſt auf einſamem Pfad,
da trät' ich Dir entgegen; den Trank des Vergeſſens reicht' ich
Dir dar aus dem goldenen Horn; meine Künſte hexte ich hinein,
daß Du Himmel und Erde vergäßeſt hinfort, vergäßeſt, wo
— 248 —
Du geboren und zur Welt gekommen biſt, wie Dein Name lautet und
wo die Deinen wohnen. Nur Eins ſollteſt Du im Gedächtnis be—
wahren, eine Einzige nur ſollte Dein Sinnen und Denken erfüllen!
Olaf. Dann biſt Du gewiß ein Elfenweib! Denn von der
erſten Stunde an haſt Du mich alſo mit Deinen Künſten verhext.
Alfhild. That ich das?
Olaf. Durch die Halde ritt ich, tief unten dort, wo der
Fluß läuft. Es war Nacht; ſeltſame Töne und klagende Weiſen
umrauſchten mich — — — — Ich kam ab vom Wege —
weit, weit hinein in die Berge; ich fand das liebliche Thal,
das kein Fuß je betreten, noch niemand geſehn mit entzücktem
Auge, niemand vor mir! — — Schwerer Schlummer ſenkte ſich
auf mich hernieder; aber die Elfen ſpielten und zogen mich
hinein in ihren Reigen — — — — Doch als ich erwachte,
war Trauer in meinem Sinn. Heimwärts ritt ich; aber dort
unten konnt' ich nicht mehr gedeihen. Mir war, als hätt' ich
des Lebens Beſtes und Schönſtes hinter mir gelaſſen, als wär’
ein herrlicher Schatz mir beſchert, dafern ich nur ſuchte und
ihn fände — — — — Zum Waldthal mußt' ich wieder; eher
konnt' ich nicht Frieden finden — — — — Du kamſt mir
entgegen, hold und warm wie in dieſer Stunde. Ich faßte
Deine Hand, ſah Dir ins Auge — Himmel und Erde, des
Weltalls Lieblichkeit waren in Deinem Blick! — — — —
Da vergaß ich Freunde und Sippe! — — — — Ich kam
wieder in der nächſten Nacht; ich legte den Arm um Deine
Hüfte, preßte Dich feſt an mein Herz; des Himmels Seligkeit
war in Deiner Umarmung — — — — — Da vergaß ich
meinen Chriſtennamen, vergaß meiner Väter Haus! — — —
— — Und ich kam die dritte Nacht; ich mußte kommen!
Ich küßte Deine roten Lippen; meine Augen ſogen ſich ein in
Deine Seele — mehr denn des Weltalls Herrlichkeit lag darin!
— Da vergaß ich mehr als Gott und Vaterhaus, mehr als
2
Himmel und Erde — ich vergaß meiner ſelbſt! Stürzt vor ihr
nieder. Alfhild! Alfhild!
Alfhild. Iſt's ein Trank des Vergeſſens, wovon Du ſprichſt,
dann hab' ich mich ſelbſt damit verzaubert! Mir erging es
wie dem Spielmann, der die Lieder des Neck gelernt, um ſein
Herzlieb damit zu berücken: er trieb die Zauberkünſte ſo lange,
bis der Zauber ihm ſelbſt den Sinn umſponnen, und er ſich
ihm nicht mehr entwinden konnte. Hält inne und bleibt gedantenvoll ſtehen.
Olaf erhebt ſich. Worüber grübelſt Du?
Alfhild. Hoch auf dem Berg da droben ſenkt die Felswand
ſich ſo ſteil, daß nicht einmal des Aars Klaue daran haftet.
Dort ſteht eine einſame Birke; verkümmert iſt ſie und nur
ſpärlich belaubt; aber ſie neigt ihre Zweige hinab nach dem
Thale, das weit draußen liegt. Es iſt, als verlange ſie nach
ihren Schweſtern in dem friſchen, blühenden Wald, als ſehne
ſie ſich, verpflanzt zu werden in das ſonnenwarme Leben da
unten! — — — — — Gleich der Birke auf dem Felſen
war mein Leben. Ich ſehnte mich hinaus — nach Dir ſtand
mein Sehnen lange, lange Zeit, noch eh' ich ahnte, daß Du
da warſt. Das Thal ward mir zu eng; aber ich wußte nicht,
daß hinter den Bergen noch ein anderes Thal war, ganz wie
das meine. Die Ritter und Frauen, die jede Nacht mich be—
ſuchten, konnten meine Sehnſucht nicht ſtillen und nichts mir
künden von dem Leben da draußen.
Olaf. Ritter und Frauen? Haſt Du mir nicht geſagt,
daß Du nie einen Menſchen im Thale dort angetroffen?
Alfhild. Außer Dir keinen! Doch jeden Abend ſang mir
der Vater ſeine Weiſen vor; und wenn es Nacht wurde, und
meine Augen ſich ſchloſſen, dann kamen ſie und beſuchten mich —
alle, die in meines Vaters Weiſen leben! Kühne Ritter, holde
Frauen waren darunter; ſie kamen, den Falken auf der Hand,
hergeritten auf ſtolzen Roſſen. Auf der Wieſe tanzten ſie:
— 250 —
Luft und Lachen erjcholl ringsum, wo ſie ſchweiften. Still
lauſchten die Elfen aus jeder Blume und die Vöglein aus den
Zweigen, wo ſie entſchlummert waren. Doch wenn der Tag
anbrach, dann waren ſie alleſamt fort! — — Einſam ging
ich, ſchmückte mich mit Blumen und grünem Laube; denn ich
wußte: in der nächſten Nacht würden ſie wiederkommen! Ach,
dies Leben füllte mich dennoch nicht aus! Eine mächtige Sehn—
ſucht ſchwellte mir die Bruſt — und nie wär' ſie geſtillt
worden, wärſt Du nicht gekommen!
Olaf. Du ſprachſt von Deinem Vater; noch kein einzig
Mal hab' ich ihn dort im Thale geſehen.
Alfhild. Nur ſelten kommt er um dieſe Zeit. Er war
nicht bei mir ſeit dem Abend, da wir zuerſt uns fanden.
Olaf. Doch ſprich: wo iſt er?
Alfhild. Du haſt mir geſagt, daß Du in einer Sommer—
nacht durch die Halde ritteſt, dort, wo der Fluß dahinrauſcht.
Da hörteſt Du ſeltſame Weiſen, die Du nur halb verſtandeſt,
und die dennoch Dich mahnen und mahnen, daß Du ſie nimmer
vergeſſen kannſt.
Olaf. Gewiß! gewiß!
Alfhild. Dann haſt Du meines Vaters Lieder gehört! Mit
dieſen Liedern bin ich aufgewachſen. Auch ich verſtand ſie wohl
nicht völlig, doch ſie dünkten mich der köſtlichſte Schatz, ja das
Leben ſelbſt! Jetzt acht' ich ihrer nur wenig; ſie ſind mir nur
Botſchaft noch von all der Herrlichkeit, die kommen ſollte. In
ihnen allen lebte ein ſchöner Ritter; ihn dacht' ich mir als
das Beſte und Hehrſte in allen Landen — das Beſte und
Hehrſte, ſo weit der Vogel fliegt, ſo weit die Wolke zieht.
Olaf! Du warſt es! Wohl kenn' ich Dich wieder! — O, Du
mußt mir erzählen von Deiner Heimat, von dem fernen Thal,
woher Du kommſt. Fruchtbar und licht muß es ſein da draußen.
Dahin wohl ziehen meine Vögel, wenn das Laub fällt — denn
|
DD
5s1 —
wenn ſie mich wieder beſuchen, haben ſie ſo viel Seltſames zu
künden, von ſo manchem Wunder zu ſingen, daß all die Kräuter
dabei ſprießen und blühen, alle Bäume dabei grünen, und daß
die große, herrliche Sonne früh aufſteht und ſpät zur Ruhe
geht, um all den holden Mären und Weiſen recht lauſchen zu
können. Doch nur wenig faſſ' ich, was ſie künden; Du mußt
es mir erklären — alles, was da fragt und Antwort begehrt
in meiner Bruſt!
Olaf. Kaum wär' ich des mächtig! Du fragſt nach meiner
Heimat. Meine Heimat? — Hatt' ich je anderswo eine Heimat
als hier, dann weiß ich nur wenig noch davon. Wie ein nebel—
hafter Traum iſt mir alles, der zerrinnt in dem Augenblick,
da wir erwachen! Doch komm! Weit dort unten liegt ein
Gehöft; da, dünkt mich, weilte ich, ehe ich Dich ſah; und es iſt
mir, als ob dort die Meinen wohnen. Hörſt Du, wie der Fluß
mahnt und brauſt? Laß uns ſeinem Laufe folgen! Am Ufer—
ſaum beim Waſſerfall können wir hinſehen über die Stätte, wo
ich — einſt zu Hauſe war! Komm! Komm!
Alfhild. Aber darf ich —
Olaf. Folge getroſt! Ich beſchirme Dich.
Alfhild. Ich bin bereit. Weiß ich doch: ſelbſt wenn ich
nicht wollte — Dir folgen muß ich, wohin Du auch ziehſt!
Sie gehen ab nach rechts.
Chor der Hochzeitsgäſte und Frau Virſtins Gefolge
fern vom Walde links.
O, hüte Dich wohl, daß Du nimmer verfällſt
Den liſtigen Elfen im Walde!
11. Scene.
Frau Kirſtin und Hemming kommen von links.
Hemming. Hier war er; — ſeht! Nein, jetzt iſt er weg!
Trau Rirſtin. Und er hat geſagt, er wartete auf die Braut,
die kommen ſollte?
— 252 —
Hemming. Ja; aber was er damit meinte, daraus ward
ich nicht klug, denn ſeine Rede war ſeltſam verworren. Ingeborg
meinte er nicht; das iſt gewiß.
Frau RNirſtin. Still, guter Hemming! Still von dem, was
er geſagt hat! Wohlgethan war's, daß Du's mich allein wiſſen
ließeſt, er ſei hier. Reichlich will ich Dir dafür lohnen; doch
erſt müſſen wir ſeiner habhaft werden —
Hemming indem er nach rechts ausblickt. Seht, ſeht! Dort im
Mondſchein auf dem Hügel beim Fluſſe — ja fürwahr, mich
dünkt —
Frau Rirſtin. Still, ſtill! Es iſt Olaf!
Hemming. Es ſind Zwei; ein Weib ſteht neben ihm.
Frau Rirſtin. Alle guten Geiſter!
Hemming. Er zeigt über das Thal hin, als ob er — —
da gehen ſie beide!
Frau Rirſtin. Hol' Herrn Arne und unſere Leute! Ich
bringe Olaf zur Stelle.
Hemming. Aber dürft Ihr auch —?
Frau Rirſtin. Thu' nach meinem Geheiß! Und ſchweig'
von dem, was Du gehört und geſehn haſt. Du kannſt ſagen,
Olaf ſei in die Berge geſtiegen, um Renntier und Bär zu
jagen, und habe ſich dabei verirrt.
Hemming. Ihr könnt auf mich bauen, Frau Kirſtin.
Geht links ab.
Frau Rirſtin. Wär' es möglich? Hätten böſe Geiſter
Macht über ihn bekommen? — Ei! Das kann ich Arne von Guldvik
glauben machen, doch ich ſelbſt glaube wenig daran! Und doch
heißt es, daß dergleichen oft genug ſich begeben in alten Zeiten.
Aber es ſind wohl Elfenmädchen von Fleiſch und Blut, die
— — Da ſteigt er hinab zum Fluſſe! Ich muß mich ſputen.
Geht ab rechts in der Mitte.
2
Chor fern aus dem Walde links.
Mit frommen Geſängen, mit Glockenſpiel
Zieht aus nach dem irrenden Manne!
Du Chriſt, der unſeligen Mächten verfiel —
Erwach' aus dem Zauberbanne!
12. Scene.
Olaf und Alfhild kommen vom Hintergrund rechts. Später Frau Kirſtin.
Alfhild. O künde mir mehr noch, immer mehr!
Dein Wort fällt wie Tau in die Seele mir nieder.
Mir iſt, es ſtille mein heimlichſtes Sehnen,
Es klingt wie lockende Lieder — — — —
Biſt nimmer des Nachts Du am Bergſee geſeſſen,
Des Tiefe keiner vermag zu ermeſſen?
Und ſahſt Du des Himmels Lichtlein drin blinken,
Die klugen Augen, die mehr erſpähn als Menſchen ergründen,
Und hätten ſie tauſend Zungen, das Rätſel zu künden!
Dort ſaß ich gar oft; mit Händen fangen
Wollt’ ich die ſchimmernden Rätſel da drinnen —
Ich haſchte danach; da erloſch ihr Glanz,
Wie das Auge ſich trübt, dem Thränen entrinnen;
Vergeblich war all mein Sehnen und Sinnen. —
So war es vordem auch in meiner Seele!
Manch Rätſel wollt' ich erſchloſſen ſehn.
Doch narrten ſie mich gleich den Sternlein im Waſſer,
Wurden immer dunkler, je mehr ich wollt' verſtehn!
Olaf. Und ward ich zum Rätſel nicht ſelbſt mir, ſag' an!
Olaf Liljekrans ich, von adligem Stamme,
Der ſtolz auf des Hauſes Größe nur ſann
Und lachte der Liebe glühender Flamme? —
— 254 —
Doch ſei's! Was ich war, das fahre dahin!
Weiß ich doch eins: daß ich glücklich bin! — —
Fehl ſchlug Dein Wort: Ich würde beglückt,
Erſt wenn ich der Blumen ſchönſte zerpflückt.
Schon halt' ich das Glück, herzliebſte Maid!
Alfhild. Nie hab' ich ſolch Wort Dir prophezeit. —
Doch künde mir mehr von dem bunten Leben!
Olaf. Das Leben laß gehn ſeine eignen Wege!
Hier iſt mein Heim, nur Du biſt mein Streben!
Alfhild, o ſag', meine liebliche Braut:
Iſt's nicht, als ſei uns zum Feſtſaal erbaut
Rings das grünende Waldgehege?
Buntblümlein ſproſſen auf jedem Stege.
Hier iſt Jubel und Freud' und Luſt,
Mehr als Raum hat in meiner Bruſt! —
Horch! Des Stromes Weiſen ertönen — ſie machen,
Daß ich weinen muß und ſelig durch Thränen doch lachen!
Das ſeltſame Lied — wie es lockt und ſchwillt,
Es macht mich ſo froh, ſo mutig, ſo wild!
Schließt Alfhild leidenſchaftlich in ſeine Arme.
Fahrwohl ſag' ich drunten der Heimatſtätte —
Hier oben bereit' ich mein Hochzeitsbette.
Fahrwohl ruf' hinaus in die Welt ich laut —
Nun will ich umfangen die holde Braut!
Alf hild weicht ängſtlich zurück. Olaf!
Olaf hält plötzlich inne, wie von einer unklaren, ſchmerzlichen Erinnerung erfaßt.
Die Braut! Was ſprach ich da!
Sag' — als zum erſten Mal ich Dich ſah —
Weißt Du — gedenkſt Du der Stunde nicht mehr?
Kannſt Du mir ſagen: Was führte mich her?
Wollt' ich Dich holen — hinab — in mein Haus?
Ritt nicht, zur Hochzeit zu laden, ich aus?
255
Alfhild. Was meint Du? Hochzeit! Nicht faſſ' ich Dich.
Olaf. War Feſt nicht auf Guldvik? Verlöbnis? O ſprich! —
Drei Wochen darauf ſollt' ich Hochzeit feiern;
Doch — — ach! Es liegt auf der Stirn mir bleiern.
Nein, nimmermehr denken will ich daran!
Chor gedämpft, weit drinnen im Walde.
Olaf Liljekrans, Olaf Liljekrans!
Was ſchläfſt Du ſo tief und ſo lange?
Alfhild. Still, Olaf! Horch!
Olaf. Haſt auch Du es vernommen?
Alfhild. Was iſt es?
Olaf. Ein halbverklungen Erinnern,
Das oftmals mich mahnt in des Waldes Innern.
Es ſchreckt mich — es ruft mich, hinabzukommen.
Trau Rirſtin tritt, von ihnen nicht bemerkt, vom Hintergrund auf; beiſeite:
Da ſind fie! — Er ſpricht; könnt' ich's nur verſtehn —!
Kommt näher und lauſcht.
Olaf mit ſteigender Heftigkeit.
Wohlan — ich komme! Doch nicht allein will ich gehn!
Ritter und Frauen entbiet' als Geleit ich hinaus —
Mit Sang will ich führen die Braut in mein Haus!
Ein goldengezäumtes Roß will ich reiten;
Dem Zug voran ſoll der Spielmann ſchreiten,
Dann folgt der Prieſter im Meßgewand —
Zu Gaſt will ich laden das ganze Land!
Am Zügel leiten uns Knappen die Pferde,
Den Weg laß beſtreun ich mit Blumen und Zweigen;
Es beug' ſich der Bauer vor Dir bis zur Erde,
Und tief ſoll ſein Weib auch der Herrin ſich neigen.
Glockenſchall künd' in die Weite laut:
Nun führt Olaf Liljekrans heim ſeine Braut!
Chor der Hochzeitsgäſte lebhaft, doch gedämpft, im Walde lints.
Nun ziehn wir hinaus
Zum Hochzeitsſchmaus,
Es rennen die Rößlein, die ſchnellen!
Der Hufſchlag ſchallt
Durch den grünen Wald
Beim Ritt der luſt'gen Geſellen!
Trau Rirſtin beiſeite während des Geſanges.
Dem Himmel ſei Preis! Hemming hat Wort gehalten.
Alfhild jubelnd.
Sie kommen! Sie kommen! Schon hör' ich ſie dort!
Wie lieblich es klingt! Schon ſind ſie uns nah!
Trau Rirſtin. Olaf mein Sohn! Eilt ihm entgegen, ven Alfhild,
die fortwährend nach links ausblickt, nicht bemerkt.
Olaf. Wer ruft mich da? —
Ha! Mutter!
Frau Rirſtin. Mein armes, verblendetes Kind!
Der Zauber muß weichen, der Dich umſpinnt!
Dort naht Deine Braut: jung Ingeborg —
Olaf mit einem Schrei, als ob er förmlich erwache. Weh!
Der Name weckt mich zum Leben jäh!
So war mein Glück denn nur Trug und Schaum,
Und hat ſo lieblich mich doch gedeucht!
Verzweifelnd.
O Mutter, Mutter, wie ſchön war der Traum!
Nun hat Dein Wort ihn hinweggeſcheucht!
13. Scene.
Die Vorigen. Arne, Ingeborg, Hemming, Hochzeitsgäſte und Frau Kirſtins
Leute von links.
Arne. Glück zu, Frau Kirſtin! Ihr habt ihn ja gefunden,
wie ich höre!
Frau Rirſtin. Gottlob, er iſt gefunden! — Und nun
heimwärts!
Arne zu Slaf. Und iſt Euch kein Schaden geſchehen?
Olaf geiſtesabweſend. Mir? Was meint Ihr?
Frau Rirſtin aborechend. Gewiß nicht, Herr Arne! Er hat
ſich beim Jagen verirrt und —
Ingeborg auf Alfhild deutend. Aber dieſe Maid — ?
Frau Rirſtin. Ein armes Ding, das ihm Obdach und
Zuflucht gewährt hat.
Arne. Aber hier oben wohnt ja niemand.
Frau Rirſtin. Etliche doch. Hier und da iſt eine Familie
in den Bergen zurückgeblieben von der Zeit der großen Seuche her.
Arne. So kommt, kommt! Die Pferde warten unten an
der Halde.
Olaf ſchmerzlich, mit einem Blick auf Alfhild. O Mutter! Ich
kann nicht!
Frau Rirſtin teiie, doch entſchieden. Du mußt! Es würde Dir
ewige Schmach bringen, dafern —
Arne. Was meint er?
Frau Rirſtin. Er iſt noch erſchöpft. Das geht vorüber.
Kommt nur! mit bedeutungsvollem Blick auf Olaf. Die Maid mag
uns folgen!
Ingeborg. Ihr meint, daß ſie — ?
Frau Rirſtin. Treulich hat ſie ihn gepflegt; es gebührt
ſich, ihr dafür zu lohnen.
Arne. Und morgen iſt Hochzeit.
Frau Rirſtin. Ja, morgen! Das ſei hoch und heilig be—
ſchworen!
Arne. Ich hab' Euer Wort!
Hemming leiſe und triumphierend, indem er den Ring hervorzieht. Und
ich hab' Ingeborgs roten Goldring!
Ingeborg nimmt ihm den Ring aus der Hand und ſagt gleichgültig.
Joſen, Olaf Liljekrans. 17
Mein Ring! Sieh, fieh! Haſt Du ihn, Hemming? Dank!
Nun will ich ſelbſt ihn verwahren.
Hemming ſteht einen Augenblick verblüfft; dann folgt er langſam den andern, die
rechts abgehen, mit Ausnahme von Alfhild.
14. Scene.
Alfhild. Gleich darauf Thorgjerd vom Hintergrund.
Alfhild hat mit ſtillem, kindlichem Erſtaunen den Vorgang mit angeſehen,
doch ohne ihn weiter zu beachten. — Wenn alle fort ſind, fährt ſie nach einer Weile
auf, gleichwie aus einem Traume erwachend.
Sie ſind fort! Darf ich's glauben! Iſt es auch wahr?
Hier ſah ich ſie jtehen, — der Mond ſchien klar.
Dort zieh'n ſie hinab in ſachtem Schritt.
Und ich bin die Braut — ich muß mit, muß mit!
Will links hinauseilen.
Chorgjerd im Hintergrunde.
Alfhild, mein Kind! Wie kommſt Du hieher?
Ich ſagte doch —
Alfhild. Vater! — Halt' mich nicht mehr!
Nun muß ich frei mit den Winden ziehn,
Muß aus der Enge der Berge fliehn!
Thorgierd nähert ſich.
Was iſt's?
Alfhild. Er iſt kommen!
Thorgjerd. Wer? Sag' an!
Alfhild. Mein Trauter! Der ſtolze Rittersmann!
Jetzt faſſ' ich all die Unraſt und Luſt,
Die mir ſo lange bedrückt die Bruſt! —
Manch Lied haſt Du hier an des Stromes Rand
Von der Königstochter im Berge geſungen —
Ich ſelber war's, die im Berg ſaß gebannt,
Doch der Rittersmann hat den Zauber bezwungen!
Sein Wort war Geſang! Er verlieh mir Schwingen!
Nichts, nichts auf der Welt kann mich feſſeln und zwingen!
Thorgjerd. Du Arme! Hinab zu den andern willſt Du? —
Nein, bleib'! Dich koſtet's die Herzensruh'!
Alfhild. Ich muß, mein Vater! Dein beſter Sang
Dann nimmer hinfort mir Freude machen.
Thorgjerd. So geh' denn, Alfhild! Folge dem Drang —
Dein Vater wird über Dich wachen.
Doch hüte vor lockenden Worten Dich fein,
Vor den liſt'gen Geſellen allen!
Alfhild. Wo Olaf weilt, muß ich atmen und ſein —-
Laß fern in die Thäler mich wallen!
Dort ſteht ſein Schloß mit ſchimmernden Hallen! —
O, ich kenn' aus Deinen Weiſen ihn gut:
Der Ritter iſt er von hohem Mut,
Der Königsſohn, ſtrahlend in Herrlichkeit —
Und mich erfor er, die arme Maid! —
Die Arme? — Nein, nein! Die Prinzeſſin bin ich,
Und mehr noch als ſie — denn er liebt ja mich!
Von fern ertönt der Hochzeitschor herauf.
Horch, horch! Er ruft mich! Das Horn erſchallt!
Lebt wohl nun, ihr Blumen und Fels und Wald!
Leb' wohl, mein Thal, du wardſt mir zu enge;
3 locken hinaus mich die jubelnden Klänge!
Morgen zieh' ich zur Kirche als Braut,
Morgen wird Olaf mir angetraut! a
Er wird auf den Hochſitz ſtolz mich erheben —
Ja jetzt, erſt jetzt beginnt mir das Leben!
Sie eilt links ab. Thorgjerd blickt ihr gedankenvoll nach. Der Chor verliert ſich
in der Ferne.
Der Vorhang fällt.
17*
Sweiter Akt.
Platz vor Frau Kirſtins Hof. Zur Rechten das Hauptgebäude mit einer Luke im
Giebel; Fenſter und Thüren ſind nicht ſichtbar. Weiter gegen den Hintergrund zu
auf derſelben Seite eine kleine Holzkirche mit einem Kirchhof. Zur Linken das Vorratshaus
und andere Nebengebäude. Im Vordergrund zu beiden Seiten einfache Steinbänke.
Es iſt Nachmittag.
1. Scene.
Frau Kirſtin, Knechte und Mägde mit Vorbereitungen zum Feſte beſchäftigt.
Frau Rirſtin. Laßt es an nichts fehlen in Küch' und
Keller! Für ſich. Schwer hat es gehalten, und hart hab' ich
geſtritten, bis alles in Ordnung kam; nun will ich aber auch
ein Feſt geben, wovon die Leute reden ſollen! Zum Geſinde. Sorgt
mir ja für den Hochzeitstiſch! Doch nein, ich will ſelbſt nach
dem Rechten ſehn! — Der Wein wird in den Silberkannen
gereicht; die großen Trinkhörner füllt Ihr mit welſchem Moſt;
das Bier iſt nur fürs Geſinde und der ſelbſtgebraute Met des—
gleichen; — und hört: ſorgt mir dafür, daß genug gelbe Wachs—
lichter in der Kirche ſind! Die Brautleute treten ja erſt in
ſpäter Abendſtunde vor den Altar; mit rotem Fackelbrand ſollen
ſie von der Feſtſtube dahin geleitet werden. — Geht nun alle,
und achtet wohl auf das, was ich Euch geboten, jedweder!
Knechte und Mägde ab. Gott weiß, dieſe Hochzeit koſtet mich mehr,
als ich beſtreiten kann; aber Ingeborg bringt ein reiches
— 261 —
Brautgut mit und überdies — jawohl, Arne läßt ſich lenken
und leiten nach meinem Willen, wenn er erſt — Blick nach rechts.
Da kommt Olaf! Wenn ich nur wüßte, daß er — —
2. Scene.
Frau Kirſtin. Olaf, feſtlich gekleidet, kommt aus dem Hauſe. Er iſt bleich
und gedankenvoll.
Olaf für ſich. Geſtern und heute! Nur eine Mittſommernacht
liegt dazwiſchen, und doch dünkt mich, als ſeien Herbſt und
Winter über meinen Sinn dahingegangen, ſeit ich hoch oben in
den Bergen ſchweifte — bei ihr, bei Alfhild! Bemertt Frau Kirſtin.
Ach, liebe Mutter! Seid Ihr's? —
Frau Rirſtin. Recht jo, mein Sohn! Geſchmückt mit Gold
und Seide — das mag ich wohl leiden! Nun merkt Dir doch
jeder an, daß Du heut Hochzeit feierſt. Ich ſehe, Du haſt Dich
ausgeruht.
Olaf. Geſchlafen hab' ich, doch nicht geruht; denn ich
träumte derweilen.
Trau Rirſtin. Und träumen ſoll der Bräutigam — fo
gilt's von altersher.
Olaf. Mein ſchönſter Traum iſt aus. Laß uns nicht mehr
daran denken.
Trau Nirſtin das Geſpräch ablentend. Es wird ein luſtiger Tag
werden, mein' ich.
Olaf. Es hat nicht den Anſchein, als ob mein Ehrentag
dem Himmel gefalle.
Frau Rirſtin. Wieſo?
Olaf. Ein Unwetter zieht herauf. Seht Ihr nicht, wie
im Weſten dunkel die Wolken ſich ballen?
Frau Rirſtin. Deſto heller leuchten die Hochzeitsfackeln,
wenn Du abends zur Kirche gehſt.
Olaf geht ein paarmal auf und ab; endlich bleibt er vor ſeiner Mutter ſtehen
2.
und fagt: Wenn ich eines Armen Tochter gefreit hätte, ohne Habe
und ohne Sippe — ſagt mir, Mutter, was hättet Ihr dann
gethan?
Frau Nirſtin betrachtet ihn ſcharf. Warum fragſt Du?
Olaf. Antwortet mir erſt! Was hättet Ihr dann gethan?
Trau Rirſtin. Dir geflucht hätt' ich und mich zu Tode
gegrämt! — Doch ſag' mir: Warum fragſt Du?
Olaf. Ei, 's iſt nur eine müßige Frage! Ich dachte mir
nichts weiter dabei.
Frau Rirſtin. Das wollt' ich auch meinen; denn allzeit
haſt Du unſer Geſchlecht in Ehren gehalten. Nun aber ſei
frohgemut! Morgen waltet Ingeborg als Dein Weib hier auf
dem Hof; da findeſt Du Glück und Frieden.
Olaf. Glück und Frieden? Dazu fehlt Eins.
Frau Rirſtin. Was meinſt Du?
Olaf. Die ſchönſte Blume, die ich pflücken und in alle
Winde verſtreuen ſollte.
Frau Rirſtin. Der verrückte Traum! Denk' nicht mehr daran!
Olaf. Wohl frommte mir das am eheſten, wenn ich es
vermöchte.
Frau Rirſtin. In der Frauenſtube ſitzt Deine Braut unter
ihren Mägden. Wenig noch haſt Du heute mit ihr geſprochen.
Willſt Du nicht hinein gehen?
Olaf in Gedanken. Jawohl. Wo iſt ſie?
Frau Nirſtin. Im Frauengemach, wie ich Dir gejagt habe.
Olaf lebhaft. Nichts ſoll ihr mangeln in Zukunft! Schuhe
mit Silberſpangen will ich ihr ſchenken; Geſchmeid und Ringe
ſoll ſie tragen. Die welken Blütenzweige ſoll ſie ablegen; ich
will ihr eine goldene Kette dafür geben.
Trau Rirſtin. Von wem ſprichſt Du?
Olaf. Von Alfhild!
Frau Nirſtin. Ich ſprach von Deiner Braut — von
— 263 —
Ingeborg. Olaf, Olaf! Du machſt mir angſt und bange, jo
wunderlich biſt Du. Faſt wär' ich verſucht, im Ernſte zu
glauben, daß ſie Dich behext hat.
Olaf. Das hat ſie! Ja, fürwahr, Mutter: Ich bin ver—
hext geweſen; ich war mit bei der Elfen Spiel. — Selig und
froh war ich, ſo lang' es währte, doch nun —! Nun wird
Kummer und Weh mich bedrücken — lange, lange Jahre, ſo
oft mich die Erinnerung packt.
Trau Rirſtin. Wäre fie nur eine Hexe, dann würde der
Scheiterhaufen ihr ſicher ſein! Doch ſie iſt ein liſtiges, ver—
ſchlagenes Weib, das Dich mit ſchönen Worten bethört hat.
Olaf. Nein, ſie iſt rein wie die himmliſche Jungfrau ſelbſt!
Frau Rirſtin. Ja, ja, man ſieht's! Doch wie dem auch
ſei — bedenke, daß Du morgen ein verheirateter Mann biſt.
Sünd' und Schande träfen Dich, wenn Du ihrer fürder gedächteſt.
Olaf. Ich begreif' es wohl, gar wohl, Mutter!
Frau Rirſtin. Und Ingeborg, der Du Dich verlobt haſt,
und die Dich lieb hat — ja, Olaf, von Herzen lieb — des
Himmels Strafe würde Dich treffen, wenn —
Olaf. Wohl wahr! wohl wahr!.
Frau Rirſtin. Nicht davon will ich ſprechen, wie es um uns
ſelbſt beſtellt iſt; doch vergiß nicht, daß Arnes Tochter uns in vielen
Stücken aushelfen kann. Stark abwärts iſt es gegangen mit unſerem
Hauſe, und mißrät dieſes Jahr die Saat, ſo ſollt' es mich nicht
wundern, wenn wir zum Bettelſtab greifen müßten.
Olaf. Ich weiß es wohl.
Trau Rirſtin. Mit Arnes Geld kann das alles verhütet
werden; einen ehrenvollen Platz wirſt Du gewinnen unter des
Königs Mannen. Bedenk' es wohl! Haſt Du Alfhild mehr
gelobt, als Du halten kannſt — und ich glaube ihr ſo etwas
angemerkt zu haben, ſo ſehr ſie's auch verbirgt, — dann ſprich
mit ihr! Sag' ihr, — nun ja, ſag' ihr, was Du ſelbſt willſt!
— 264 —
Mit leeren Händen ſoll ſie nicht von hier gehen, das kannſt
Du ihr frei verſprechen. Schau — da kommt ſie! Olaf,
mein Sohn! Denk' an Deine Braut und an Dein ſtolzes
Geſchlecht! Denk' an Deine alte Mutter, die vor Scham ſterben
müßte, wenn — — Sei ein Mann, Olaf! — Nun will ich
hinein und nach der Feſttafel ſehen. Ab ins Saus.
3. Scene.
Olaf allein.
Olaf blickt aus nach rechts. Sie iſt ſo froh wie das junge Reh,
Das ich munter im Walde ſah ſpringen;
Bald wird in Jammer und herbem Weh
Weinend die Hände ſie ringen;
Bald weckt ſie mein Wort aus ſeligem Traum,
Und dann — iſt es aus mit uns beiden!
Ach, arme Alfhild, ich faſſ' es kaum —
Solch hartes Los mußt Du leiden!
Grübelnd.
Was war mir Ehre, was galt mir Macht,
Meines Hauſes Glanz — bei ihr dort oben?
Dünkte mich doch ihrer Augen Pracht
Der reichſte Schatz, den die Welt je gehoben!
Vergeſſen hatt' ich der Erde Gram;
Doch — ſchon in der Nacht, als zurück ich kam,
Als wieder ich ſaß vor des Herdes Flamme,
Als die Mutter mich grüßte, jo ſtolz und kalt — —
Abbrechend.
Ja, ja — ich bin von adligem Stamme,
Und Alfhilds Heim iſt der Fels nur im Wald!
Nicht ziemt Herrn Liljekrans ſolch Gemahl.
Nun ſoll ich ihr künden — ich kann nicht, o Qual!
Und doch, — dieſen Abend —! Wohlan, es geſcheh'!
Sie hör', was mich füllt mit bitterſtem Weh!
— 265 —
4. Scene.
Olaf. Alfhild aus der Kirche.
Alfhild eilt ihm froh entgegen. Olaf, Olaf! Ich kam in ein Land,
Wo auf Blumen ich trete, wie vormals auf Sand!
Hier muß die Inſel des Glückes wohl ſein,
Wo ſelig man lebt und ſtirbt ſündenrein. —
O wüßt' ich —, ich faſſ' es nicht, was ich ſchau'!
Die Rätſel ſollſt Du mir löſen und ſagen:
Iſt allzeit ſo wonnig grün hier die Au?
Olaf. Ach, Alfhild!
Alfhild. Nein, warte! Noch mehr laß mich fragen.
Siehſt Du das Haus mit der Spitze hoch oben?
Des Wunder ſah ich von innen.
Hier außen war Lärmen und lautes Toben,
Doch friedlich und ſtill war es drinnen.
Ich trat durch die Thür in den Saal hinein,
So licht und herrlich zu ſchauen;
Der lag in friedlichem Dämmerſchein —
Dort knieten Männer und Frauen.
Und drüber ſah ich ein Jungfraubild
Auf ſchneeweißen Wolken ſchweben,
Ihr Haupt umgab ein Schimmer ſo mild,
Als wolle der junge Tag ſich erheben.
Ihr Antlitz war klar, ihr Gewand war blau,
Den lieblichſten Elfen ſah ich ſie tragen;
Und Englein umſchwebten die ſchöne Frau, —
Die lachten herab aus himmliſcher Au
Und lenkten den Wolkenwagen.
Olaf beiseite. Weh mir! Was that ich unſeliger Mann!
Nun muß ich grauſam ihr Glück zerſtören!
Alfhild. Olaf, wer ſind fie, dort drinnen? Sag' an!
Künde mir, wem ſie angehören!
— 266 —
Olaf. Jedem, der gut, wie Du es biſt;
Jedem, der Kind noch im Herzen iſt!
Das Haus iſt die Kirche — darinnen wohnt Gott!
Alfhild. Der mächtige Vater! Du treibſt mit mir Spott!
Sein Haus iſt ja hoch, — wo der Himmel blaut
Und die Wolkenſchwäne fliegen;
So hoch, daß kein Aug' auf der Welt es erſchaut,
Nur die Kindlein, die träumend liegen! —
Doch nannteſt die Kirche Du — iſt es nicht dort,
Wo wir uns ſollen vermählen
Als Braut und Bräutigam?
Olaf veiieite. Schmerzlich Wort! —
Und doch — nicht darf ich's verhehlen!
Alfhild. Jed' Wort, das Du ſagteſt, bleibt fürderhin
Mir tief geprägt in den Sinn.
3 füllt mir die Seele mit frohen Gedanken,
3 tröſtet in Leid mich und Ungemach;
3 erhellt mir den Weg wie die Sternlein, die blanken,
Die goldenen Nägel im Himmelsdach. —
Du ſagteſt: Viel Volk ſoll zum Feſt uns geleiten,
Voran ſollen Prieſter und Spielmann ſchreiten,
Ritter ſollen lenken mein Roß an der Hand,
Blüten ſollen ſproſſen aus allen Zweigen,
Die Blümlein alle am Wegesrand,
Alle Sträucher ſollen der Braut ſich neigen!
Olaf. Sagt' ich das?
Alfhild. Konnt's aus dem Sinn Dir entſchwinden?
Blick' nur umher! Haft Du's nicht vollbracht!
Dort bei der Kirche grünen die Linden;
Alle die Roſen erblühten zur Nacht
Und gaukeln wie Elfen in Hochzeitstracht.
Noch nie ſah des Himmels Auge ſo ſchön,
So ſtrahlend herab aus den Höh'n;
Nie ſangen die Vöglein ſo hell und traut —
Sie ſingen ihr Lied ja für Bräut'gam und Braut!
Es ſchwillt das Herz mir in ſeliger Luſt,
Gern drückt' ich Himmel und Erd' an die Bruſt!
So dürftig iſt kein Hälmchen im Feld,
Daß ich mit Füßen es träte;
So elend kein Würmlein auf weiter Welt,
Daß ich ein Leid ihm thäte! —
Der Lenz zog ins Herz mir voll Herrlichkeit,
Es wogt und brauſt darin wie ein Sturm.
Olaf beiseite Und bald wird der Sorge lauernder Wurm
Im Innern Dir nagen, Du liebliche Maid!
Alfhild. Wie ſchön iſt das Leben!
Kniet nieder und ſtreckt die Hände empor.
O Vater, der dort
Fern iſt im Himmel! Wär' Wohlklang mein Wort,
Könnte mit Engelszungen ich ſingen,
Wollt' ich, Allgüt'ger, ein Loblied Dir bringen!
Doch nicht vermag ich's; Du biſt mir zu groß —
In Staub vor Dir beugen kann ich mich bloß.
Dank, Unausſprechlicher! Hoch ſei geprieſen
Für alles, was Du mir gnädig erwieſen!
Erhebt ſich.
Ja, ja, das Leben bei Olaf iſt hold —
So ſchön faſt, als ob in den Tod ich ſollt'!
Olaf. Schön? — Wenn man Dich ſenkt ins Grab hinab?
Alfhild. Was meinſt Du damit? Was iſt's: das Grab?
Den Vater befragt' ich darum; da ſang
Vom Tod er ein Lied mir, das alſo klang:
„Wenn müde der Menſch nach der Erde Qual
Sich ſehnt zu ruhen in Schlummer —
— 268 —
Dann kommt ein Elf auf weißen Schwingen
Und erlöſt ihn von Not und Kummer.
Der kleine Elf mit den weißen Schwingen
Bereitet ein Bett ihm ſo kühl:
Von Lilien webt er das Linnen fein,
Von roten Roſen den Pfühl.
Er legt das Kind auf die Polſter weich,
Naht, ſanft im Arm es zu tragen,
Und fährt mit ihm zum Himmel auf
Im goldenen Wolkenwagen.
Und droben ſind viele Engelein,
Die ſpielen auf himmliſcher Au
Und ſtreuen über den Roſenpfühl
Perlen ihm, weiß und blau.
Da erwacht vom Schlummer das Menſchenkind
Zu himmliſchem Glück und Frieden —
Doch alle die ſeligen Freuden
Kennt keiner von uns hienieden.“
Olaf. Alfhild! Wärſt Du im ſtillen Thal
In Frieden geblieben — Dir wäre beſſer!
Dein Glück ſoll erbleichen — matt und fahl,
Dein Glaube ſterben —
Alfhild. Als Olafs Gemahl
Bin ich ſtark und friſch wie das Felſengewäſſer! —
Biſt Du mir doch nahe! Nicht bin ich bang:
Mag kommen, was will — wir teilen es beide!
Lauſchend.
Still, Olaf! Hörſt Du den klagenden Sang?
Es klingt wie ein Lied von ſchmerzlichſtem Leide.
269 —
Nechts hinter der Scene ertönt gedämpft fol gender
Chor der Leichenträger.
Den kleinen Toten tragen
Wir trauernd nun zu Grab
Und ſenken unter Klagen
Zur Erde ihn hinab.
0 Los muß Gram bereiten:
Mit Seufzen, Trauerſang
Des Kindes Sarg geleiten
Beim letzten, ſchweren Gang!
Alfhild unſicher und beklommen.
Was iſt das, Olaf? Was mag es ſein?
Olaf. Ein Kind iſt geſtorben — es folgen dem Schrein
Die Mutter und die Geſchwiſter klein.
Alfhild. Und wo iſt der Pfühl von Roſen, den roten,
Und wo die Lilienlaken des Toten?
Olaf. Ich ſeh' weder Pfühl noch blankes Linnen,
Ich ſehe die ſchwarzen Bretter bloß, —
Auf Spänen und Stroh ſchläft der Tote darinnen.
Alfhild. Auf Spänen und Stroh?
Olaf. Ja — das iſt unſer Los!
Alfhild. Und wo iſt der Elf, des Arm ihn umſchmiegt,
Und der mit ihm auf gen Himmel fliegt?
Olaf. Ich ſeh' nur die Mutter in bitterer Pein,
Und hinter dem Sarg die Geſchwiſter klein.
Alfhild. Und wo ſind die Perlen, die weißen und blauen,
Die die Englein ſtreun von des Himmels Auen?
Olaf. Ich ſeh' nur die ſchimmernden Thränen fließen,
Die am Grabe die kleinen Geſchwiſter vergießen.
Alfhild. Und wo iſt die Heimat, der liebliche Ort,
Wo der Tote ſchlummert in Ruh'?
— 270 —
Olaf. Du ſiehſt es: Sie ſenken hinab ihn dort
Und decken mit Erde ihn zu.
Alfhild fie und gedantenvol nach einer Pauſe.
So war's in des Vaters Liede nicht!
Olaf. Wohl wahr! Von den Freuden dort oben im Licht
Ward keinem auf Erden Bericht. —
Weißt Du von Bergkönigs Schatz, der in Pracht
Leuchtet wie rotes Gold durch die Nacht?
Doch greifſt Du danach mit gieriger Hand,
So findeſt Du eitel Schutt und Sand. —
O höre mich, Alfhild: es mag wohl ſein,
Daß auch das Leben von gleicher Art —
Komm' nicht zu nah' ihm, hüte Dich fein!
Es möchte Dir ſengen die Finger zart!
Wohl glänzt es blank wie des Himmels Sterne —
Doch nur, wenn Dein Aug' es ſieht aus der Ferne.
Bemerkt Frau Kirſtin draußen rechts.
Die Mutter! Sie ſucht mich — ich geh' hinein!
Alle Engel mögen Dir Frieden verleihn!
Er geht nach dem Hauſe, wird aber von Frau Kirſtin angehalten. — Der Himmel
überzieht ſich mit dunklen Wolken, der Wind beginnt durch die Baumwipfel zu ſauſen.
Alfhild ſteht tief in Gedanken verſunken.
5. Scene.
Die Vorigen. Frau Kirſtin.
Frau RNirſtin leiſe. Nun, mein Sohn! Nicht wahr? Du
halt ihr doch geſagt — ?
Olaf. Alles, was ich über die Lippen zu bringen vermochte,
hab' ich ihr geſagt. Sagt ihr nun das Uebrige, und dann,
Mutter, laßt mich fie niemals, niemals wiederſehen. Wirft einen
Blick auf Alfhild und geht ab, am Haus vorüber.
Frau Nirſtin. Von der Thorheit wird er bald geheilt fein,
— 271 —
wenn —. Als ob ihr plötzlich ein Einfall käme. Doch wenn ich —
Haha, glückte das, ſo wär' er geneſen, dafür ſteh' ich ein. Aber
Alfhild — ? Je nun, gleichviel, man muß es verſuchen.
Alfhild fur ſich.
So harren hier meiner nur Not und Klagen!
Sei's denn! Nicht will ich darum verzagen.
Was auch die Welt mir zu leide thut —
Iſt doch Olaf mir hold und gut!
Trau Rirſtin nähert ſich ihr. Es ſcheint mir, als lägen ſchwere
Gedanken Dir auf der Seele —
Alfhild. Ach ja, das kommt von all dem, was ich eben
gelernt habe.
Frau Rirſtin. Von Olaf?
Alfhild. Jawohl, von Olaf; er hat mir geſagt —
Frau Rirſtin. Ich weiß es, Alfhild! Ich weiß, was er
gejagt hat. Beiſeite. Er hat ihr von ſeiner Hochzeit geſprochen,
kann ich mir denken. Laut. Und ſchon heut Abend ſoll ſie
ſtattfinden.
Alfhild. Was ſoll ſtattfinden?
Frau Rirſtin. Die Hochzeit!
Alfhild lebhaft. O ja, ich weiß!
Frau Rirſtin. Du weißt es — und nicht ſchwerer nimmſt
Du 8
Alfhild. Nein, warum ſollt' ich es denn ſchwer nehmen?
Frau Rirſtin beiſeite. Sie hat einen Hintergedanken, das ſeh'
ich klar. Laut. Nun, um ſo beſſer für uns alle. Aber ſag'
mir: was gedenkſt Du denn zu thun, wenn das Feſt vorüber iſt?
Alfhild. Ich? Daran hab' ich noch nicht gedacht.
Frau Rirſtin. Ich meine: biſt Du geſonnen, hier zu bleiben,
oder kehrſt Du wieder heim?
Alfhild sent fie verwundert an. Ei freilich bin ich geſonnen, zu
bleiben!
— 272 —
Frau Rirſtin beiſeite. Da haben wir's; fie will ihn in ihrem
Garn behalten, ſelbſt wenn er verheiratet iſt. Na, das werden
wir ja ſehen. Laut. Alfhild! Ich gönne Dir alles Gute, und
wenn Du mir vertrauen wollteſt —
Alfhild. Ja, das will ich gewiß!
Frau Rirſtin. Nun gut, jo laß mich für Dein Wohlergehen
ſorgen. Ich will mich Deiner annehmen, ſo gut ich nur kann,
und wenn Du einwilligſt, ſollſt Du noch heut Abend als Braut
zur Kirche gehen.
Alfhild. Ja, das weiß ich doch.
Frau Nirſtin wird ſtutzig. Du weißt es? Wer hat es Dir
denn geſagt?
Alfhild. Das hat mir Olaf ſelbſt geſagt!
Frau Rirſtin. Olaf! veiſeite. Sollte Olaf — ? Ja, für⸗
wahr — er hat denſelben Gedanken gehabt wie ich, ſie zu ver—
heiraten, um ſie los zu werden. Oder vielleicht, um — nun
gleichviel! Iſt ſie erſt verheiratet, und iſt Olaf ſeinerſeits
Ehemann, ſo — Laut. Ja, ja, gut, Alfhild! Wenn Olaf ge—
ſagt hat, welche Abſichten wir mit Dir haben, ſo hab' ich nicht
erſt nötig, Dir —. Aber jetzt flink ins Vorratshaus hinein,
da hängt mein eigenes Hochzeitskleid, das ſollſt Du tragen!
Alfhild in lindlicher Freude. Ich —! Dein eigenes Hoch-
zeitskleid!
Frau Rirſtin. Thu', wie ich ſage! Geh hinein und kleide
Dich ſo prächtig, wie Du magſt.
Alfhild. Und bekomm' ich auch eine Brautkrone?
Frau Rirſtin. Gewiß! Eine Brautkrone und Silberringe
und rote Goldbänder. Du wirſt genug davon finden in den
Truhen und Schränken.
Alfhild. Silberringe und rote Goldbänder!
Frau Nirſtin. Geh, geh, und ſpute Dich, jo ſehr Du
kannſt!
972
—— 273 — .—
Alfhild. O, ich werde bald fertig ſein! Klatſcht in die Hände.
Ich bekomme eine Brautkrone und rote Goldbänder! eilt lünts hinaus.
6. Scene.
Frau Kirſtin allein.
Trau Rirſtin. Das ſchlechte, verdammte Weib! Wie froh
und zufrieden ſie iſt, obſchon ſie weiß, daß Olaf mit einer
andern vor den Altar ſoll. Aber ſo taugt es mir gerade. Es
geht leichter, als ich dachte. Sie ſieht ſo unſchuldig aus wie
ein Kind, und doch iſt ſie bereit, den erſten beſten, den ich ihr
auswähle, zum Mann zu nehmen. Und ich habe mir eingebildet,
Olaf wär' ihr wirklich teuer. Hat er von ihrer wahren Ge—
ſinnung noch nicht Kenntnis, ſo ſoll er ſie bald haben. Er
ſoll ſie gründlich kennen lernen; er ſoll wiſſen, warum ſie ihn
gelockt und behext hat, und dann, ja dann iſt ſie ihm nicht
mehr gefährlich. Lächelnd. Sieh, ſieh! Olaf kam doch auf
denſelben Ausweg wie ich! Für ſo ſchlau hätt' ich ihn nicht
gehalten. — Aber wo finden wir den Burſchen, der willens iſt —.
Nun, hübſch iſt ſie, und auf Geld und ein Stückchen Ackergrund
ſoll es mir nicht ankommen. Sollte Olaf bereits mit jemand
darüber geſprochen haben? Das iſt nicht denkbar! — Nun,
ſo will ich in der Sache das Meinige thun! Ich habe ja Knechte
genug auf dem Hofe und — Sieht nach rechts hinaus. Hemming!
Ob ich es mit ihm verſuche! Aber er hat ſie ja geſtern in
den Bergen zuſammen geſehen; er muß alſo auch wiſſen, daß
die zwei etwas miteinander haben. Doch was thut's — er iſt
ein geringer Burſch, und dabei arm und weichen Gemüts
wir wollen ſehn, wir wollen ſehn!
7. Scene.
Frau Kirſtin. Hemming von rechts.
Hemming für ſich. Nirgends iſt Ingeborg zu finden; ſie
bringt mich noch unter die Erde, wahrhaftig! Geſtern war ſi
Ibſen, Olaf Liljekrans. 18
freundlich zu mir; fie gab mir ihren Armring; aber dann
nahm ſie ihn mir wieder ab, und heute würdigt ſie mich auch
nicht eines Blickes.
Frau Kirſtin leiſe, indem fie ſich ihm nähert. Vorſichtig muß ich
allerdings ſein. Laut. Sieh da, Hemming, Du biſt es? Und
ganz allein, wie ich ſehe, — Du hältſt Dich fern von den
Dirnen und den jungen Burſchen. Wenn ich dergleichen
ſehe, kann ich mir wohl denken, daß es ſeinen triftigen
Grund hat.
Hemming. Ei, hohe Frau! Was ſollte —
Frau Rirſtin. Ja, Hemming! Du trägſt etwas heimlich
mit Dir herum. Du biſt nicht fröhlichen Sinns!
Hemming betroffen. Nicht fröhlich? Ich?
Frau Rirſtin lächelnd. Es iſt da heut eine junge, jchöne
Maid hier, die Dir wohlgefällt.
Demming. Alle Heiligen!
Frau Rirſtin. Und fie iſt auch Dir gut!
Hemming. Mir — wer? Ich weiß nicht, wen Ihr meint.
Frau Rirſtin. Ei, Hemming, ſprich nicht jo! Denn vor
mir brauchſt Du nicht zu erröten! Ja, ja, ich habe gute Augen,
Du!
Hemming veiſeite. Himmel! Ingeborg muß ſich verraten
haben —
Trau Kirflin. Ich habe wohl geſehen, daß das Hochzeits—
feſt Dir wenig Freude macht. Die Kirchfahrt iſt Dir zuwider,
weil Du ſelbſt gern als Bräutigam mitgehen möchteſt, aber keine
Möglichkeit ſiehſt.
Hemming in höchſter Beſtürzung. Ach, Frau Kirſtin! Edle, hohe
Frau! Zürnt mir nicht!
Frau Rirſtin verwundert. Ich? Warum ſollt' ich Dir wohl
zürnen?
Hemming fortfanrend. Ich habe gerungen und gekämpft mit
— 275 —
dieſer unſeligen Liebe, ſolang' ich es vermochte, und ich glaube
ſicher, daß auch ſie es gethan hat.
Frau Rirſtin. Sie? Sie hat Dir alſo gejagt, daß fie
Dir gut iſt?
Hemming. Ja, beinahe!
Trau Rirſtin. Recht jo! Recht jo! Ihr habt alſo ſchon
miteinander davon geſprochen?
Hemming. Ja, aber nur ein, nur ein einziges Mal —
das ſchwör' ich!
Frau Rirſtin. Ein oder zehn Mal, das iſt mir gleich an—
genehm! — Veiſeite. Sie ſind alſo ſchon einig. Welch ein Glück,
daß ich gerade auf Hemming verfiel! Nun wundert es mich
nicht mehr, daß Alfhild ſo geneigt war, vor den Altar zu treten.
Laut. Hemming! Ich ſtehe in großer Schuld bei Dir, da Du
meinen Sohn wieder aufgefunden haſt und mir auch ſonſt zu
Dienſten warſt. Nun kann ich es Dir vergelten; ich will Dir
mit all meinem Einfluß beiſtehn in der Sache, von der wir
eben ſprachen.
Hemming ganz verwirrt vor Freude. Ihr! Wollt Ihr das, Frau
Kirſtin?! Ach, Gott und alle Heiligen! Ich wag' es ja kaum
zu glauben. unterbricht ſih. Aber — Herr Olaf, Euer Sohn!
Was, meint Ihr, wird er dazu ſagen?
Frau Rirſtin. Er wird Dir keinen Stein in den Weg
legen, dafür bürg' ich Dir.
Hemming treuherzig. Ja, die Wahrheit zu jagen, iſt ihm
damit wohl auch am beſten gedient, denn ich weiß, ſie iſt ihm
nicht von Herzen gut.
Trau Rirſtin lächelnd. Das hab' ich ſchon gemerkt, Hemming!
Hemming. Das habt Ihr? Ihr ſeid jo klug, Frau Kirſtin!
Und ich dachte, ich wäre der einzige, der es gemerkt hätte.
Nachdenklich. Aber glaubt Ihr, daß Herr Arne ſeine Zuſtimmung
geben wird?
18 *
— 276 —
Trau Rirſtin. Dein Herr? Ich werd' ihn ſchon gefügig
machen; es wird mir ſchon glücken.
Hemming. Meint Ihr? Ach, aber ich bin ja doch nur
ein armer Burſch.
Trau Rirſtin. Dem werd' ich ſchon abhelfen — falls nicht
Herr Arne ſelbſt dazu bereit ſein ſollte.
Hemming. Dank, vielen Dank, Frau Kirſtin! Der Himmel
lohne Euch Eure gute Geſinnung!
Frau Rirſtin. Aber Du ſchweigſt wohl über das, was wir
zuſammen geſprochen haben.
Hemming. Das gelobe ich.
Trau Rirſtin. So halte Dich bereit. In kurzer Zeit ver—
ſammeln ſich hier außen die Gäſte. Bleib in der Nähe. Geht
auf die Thür des Vorratshauſes zu und ſpäht nach Alfhild aus.
Hemming für ſich. Nein, — das iſt wie ein ſeltſamer,
foppender Traum. Ingeborg und ich, wir ſollten einander be—
kommen! Ach, kann denn das wahr ſein? So hoch wagte in
meinen Gedanken ich mich niemals zu verſteigen — jeden
Morgen war's mir, als hätt' ich eine vermeſſene That begangen,
wenn ich des Nachts bloß davon geträumt hatte. — Hm, ich
weiß übrigens recht gut, daß Frau Kirſtin ſich nicht um meinet—
willen dieſe Mühe macht. Sie hat irgend eine Abſicht dabei;
vielleicht möchte ſie gern den Vergleich mit Herrn Arne brechen,
und nun ſie gemerkt hat, daß Ingeborg mir gut iſt, will ſie
das als Vorwand benutzen. Ja, ja, ich hab' ſo oft meinen
Herrn gewarnt, aber er wollt' mir nie glauben.
Arne ruft von lints draußen. Hemming! Hemming!
Trau Nirſlin kommt nach dem Vordergrund. Dein Herr ruft!
Geh nun! Ich werde ſpäter mit ihm reden. Er wird
ſich ſchon fügen. Glaube mir, er wird ſeinem Knecht
zur ſelben Stunde in die Kirche folgen, da er ſeine Tochter
dorthin führt.
— 277 —
Hemming. Dank, vielen Dank, Frau Kirſtin! Wahrlich,
Ihr thut eine gute That an uns allen. Geht nach links ab.
Trau Nirſlin für ſih. So jung iſt fie, und doch ſchon fo
voller Ränke. Sie hat mit Hemming gebuhlt, während ſie gleich—
zeitig meinem Sohn einredete, daß —. Gut, er wird bald
hinter ihre Schliche kommen. Aber erſt muß ich Herrn Arne
gewinnen. Er hält viel von Hemming und wird ſich ungern
von ihm trennen. Es ſchien, als ob auch Hemming fürchtete,
das könnte ein Hindernis werden. Aber ſie können ja doch leicht
beiſammen bleiben, wenn Hemming ſich auch verheiratet. Dieſer
Hemming ſieht übrigens viel klarer in der Sache, als ich dachte.
Was Olaf dazu ſagen wird, fragte er. Er hat alſo doch ge—
merkt, daß Alfhild meinem Sohn noch am Herzen liegt. Nun,
laß es ihn gemerkt haben! Nimmt er ſie, dann ſchweigt er
auch, und iſt Alfhild erſt verheiratet — ich kenne Olaf: er hat
ſtets hohen Wert darauf gelegt, bei den Männern des Gaus in
Achtung und Ehre zu ſtehen, und darum wird er wohl — ja,
ja, es muß, es wird gelingen! Gent rechts ab.
8. Scene.
Hemming kommt mit einem Bierkrug, den er unter dem Wams verbirgt, von
links. Arne folgt ihm vorſichtig und ſpähend.
Arne. Iſt da niemand?
Hemming. Nein, kommt nur, Herr!
Arne. Aber es war mir doch, als hört' ich Frau Kirſtin.
Hemming. Sie iſt eben gegangen, — kommt nur!
Arne ſetzt ſich auf die Vank links. Hemming, es iſt nur gut, daß
die Hochzeit noch heut Abend ſtattfindet. Morgen gleich brech'
ich auf. Ja, das thu' ich. Nicht einen Tag länger bleib' ich
in Frau Kirſtins Hauſe.
Hemming. Ei, Herr, iſt wieder Unfrieden zwiſchen Euch?
Arne. Meinſt Du, es ſei nicht genug, daß ſie und ihre
ganze vornehme Verwandtſchaft mich höhniſch behandeln! Beim
—
Abendbrot lachten und ſpaßten ſie untereinander, weil ich es
nicht über mich bringen konnte, die gottloſen ausländiſchen
Gerichte da zu freſſen. Und was gab man uns zu trinken?
Süßen Wein und Moſt, der einem nach acht Tagen noch
im Magen liegt. Nein, da lob' ich mir mein gutes, jelbjt-
gebrautes Bier. Trinkt und fügt leiſe und unwirſch hinzu. Davon hab'
ich dem Miſtweib drei volle Tonnen geſchickt, und was hat ſie
damit gemacht? Verthan hat ſie's an ihre Knechte, und nur
verſtohlen kann ich einen Schluck davon thun. Ja, Hemming,
nur verſtohlen darf ich mein eigenes Bier trinken, damit ſie
mich nicht einen groben Bauern ſchimpfen, der ſich nicht auf
vornehme Getränke verſteht.
Hemming. Ja, ja, Herr! Ich hab' Euch ja gewarnt!
Arne. Pah — mich gewarnt! Du biſt dumm, Hemming!
Neinſt Du, ich hab' es nicht ſelbſt gemerkt. Aber warte nur,
Nagel Auffahrend. Mein gutes, ſüffiges Bier den Knechten
vorzuſetzen, als wenn es nicht wert wäre, auf einen Herrentiſch
zu kommen —! a
Hemming. Ja, Frau Kirſtin behandelt Euch ſchlecht, ſoviel
iſt gewiß!
Arne reicht ihm den Krug. Da, ſetz' Dich hin und trink! Hemming
jet fi. Höre, Hemming! Ich wünſchte, wir wären erſt wieder
wohlbehalten zu Hauſe.
Hemming. Ja, mir behagt es hier auf dem Hochzeitshof
auch nicht!
Arne. Nein, da lob' ich mir meine alte Stube auf Guldvik,
wenn wir zwei des Abends zuſammen ſitzen und Schach ſpielen
und den Bierkrug zwiſchen uns haben —
Hemming. Während Jungfer Ingeborg am Webſtuhl ſitzt und
Roſen und allerhand andere Blumen ins Linnen hineinmuſtert —
Arne. Und dabei ſo lieblich ſingt, daß mir's immer iſt,
als würd' ich wieder jung und rüſtig. Ja, Hemming, wenn
— 279 —
die Hochzeit vorüber iſt, wollen wir unſere alte Lebensweiſe
wieder aufnehmen.
Hemming. Aber dann iſt niemand da, der am Webſtuhl
ſitzt und liebliche Weiſen dazu ſingt.
Arne. Ja, das iſt wohl wahr, — Ingeborg iſt dann fort.
Das wird mir ſchwer zu Herzen gehen. Sie iſt ungeſtüm und
eigenwillig, aber vermiſſen werd' ich ſie doch, und ſogar recht
ſchwer. ueberlegt. Bisweilen könnt' ich ſie wohl hier beſuchen — —
Aber nein, das will ich nicht! Hier ſpotten ſie über mich und
tuſcheln ſie hinter meinem Rücken, ich weiß wohl.
Hemming. Aber wenn Ihr wolltet, jo könnt' es ja noch
rückgängig gemacht werden.
Arne. Rückgängig gemacht werden? Du biſt dumm,
Hemming, — immer ſchnackſt Du von rückgängig machen. Reicht
ihm den Krug. Da, trink'! Das thut Dir gut! Rückgängig gemacht
werden! Nein, nein, das ſoll niemals wieder rückgängig gemacht
werden! — Böſe Geiſter waren es, die mir den Gedanken ein—
geblaſen haben, mich mit Frau Kirſtin zu verſchwägern. Aber
nun iſt es geſchehen; und mag die vornehme Sippe ſich auf—
führen, wie ſie will, meine Nachbarn ſollen nicht über mich
ſpotten. Hab' ich mein Wort gegeben, ſo will ich es auch halten.
Zaghaft. Wenn ich nur wüßte, daß Olaf auch gut gegen ſie ſein
wird; ich will es ihm ans Herz legen —. sSeftig Er ſoll es
ſein, — ſonſt laſſ' ich ihn meine alten Fäuſte fühlen.
Hemming. Ja, es wäre wohl gut, wenn Ihr auf ſie acht
gäbt, denn ich bin ſicher, Olaf hält ſie nicht ſehr wert.
Arne. So, meinſt Du?
Hemming. Erinnert Ihr Euch an Alfhild, das arme Mädchen,
das geſtern mit uns vom Gebirge kam?
Arne. Gewiß thu' ich das. Ein ſchönes Kind!
Hemming erhebt ſich. Das findet Olaf auch!
Arne. Was ſoll das heißen?
— 280 —
Hemming. Olaf hat ſie lieb! Gar manches Mal hat er ſie
dort oben beſucht; — was Frau Kirſtin Euch vorgeſchwatzt hat,
dürft Ihr nicht glauben!
Arne. Und was Du mir vorſchwatzeſt, glaub' ich noch
weniger. Du biſt Ingeborg übel geſinnt, weil ſie Dich bis—
weilen neckt, und darum gönnſt Du ihr dieſe anſehnliche Heirat
nicht. Ja, ja, ich kenne Dich ſchon!
Hemming. Wie, Herr! — Ihr könnt glauben, daß —
Arne. Mach' mir nicht weis, daß Olaf Liljekrans dies
Bettelweib liebt! Ein angeſehener, hochgebürtiger Herr wie er!
Das wäre ja gerade ſo, als wenn einer ſagen wollte, Ingeborg,
meine Tochter, hätt' ein Aug' auf Dich geworfen.
Hemming verlegen. Auf mich — wie kommt Ihr darauf —?
Arne. Nein, ich komme auch nicht darauf! Aber das eine
iſt gerade ſo ungereimt wie das andere. Da, trink' und laß
mich mit ſolchem Geſchwätz in Ruhe. Erbebt ſich. Da kommt
Frau Kirſtin mit den Gäſten. Was wird nun geſchehen?
Hemming. Hier außen werden ſich alle verſammeln; dann
geht es mit Braut und Bräutigam zur Hochzeitstafel, und von
da zur Kirche.
Arne. Ei, welch verdammter Brauch! In die Kirche am
Abend! Gilt es denn hier als eine That der Finſternis, zu
heiraten?
9. Scene.
Die Vorigen. — Frau Kirſtin, Olaf, Ingeborg, Gäſte, ſowie Knechte und
Mägde kommen nach und nach von verſchiedenen Seiten herein.
Frau Nirſtin für ih. Ich habe Olaf nicht mehr allein ge—
troffen; aber bedenk' ich's recht, ſo iſt es auch das Beſte, wenn
er vorher nichts davon weiß. Seife zu Semmeng, der flüfternd mit Ingeborg
geſprochen hat. Nun, Hemming! Wie, meinſt Du, iſt Dein Herr
geſonnen?
Er en
Hemming leiſe. Ach, Frau Kirſtin! Ich habe nur geringe
Zuverſicht, wenn Ihr mir nicht helft.
Frau Rirſtin. Ei, das wird ſich ſchon machen. Miſcht ſich unter
die Gäſte.
Ingeborg keiſe zu Hemming. Du? Wa
ſelige Hoffnungen, von denen Du ſprichſt?
Hemming. Ach, ich wage ſelbſt nicht, daran zu glauben;
aber Frau Kirſtin meint es gut mit uns. Sie wird Euch bald
zeigen, daß —
Ingeborg. Still! Da kommen ſie.
Olaf mit gedämpfter Stimme. Sagt mir, Mutter! Wie geht
es ihr?
Frau Rirſtin. Ganz gut, wie ich im voraus wußte.
Olaf. Sie wird ſich alſo tröſten?
Frau Nirſtin lächelnd. Es ſcheint jo. Warte nur ein wenig!
Noch heut Abend ſollſt Du Gewißheit darüber haben.
Olaf. Was meint Ihr?
Frau Rirſtin. Ich meine, daß ſie eine liſtige Hexe iſt!
Alle ihre ſchönen Worte ſind Falſchheit und Betrug geweſen.
Olaf. Nein, nein, Mutter!
Frau Rirſtin. Wir werden ja ſehen. Alfhild iſt froh und
zufrieden, ſoviel weiß ich.
Olaf. Wohl mir, wenn dem ſo wäre!
Trau Rirſtin laut und feierlich. Herr Arne von Guldvik! Nun
iſt endlich die Stunde gekommen, die, wie ich glaube, wir alle
herbeigeſehnt haben.
Demming beiseite. Jetzt geht es los!
Frau Rirſtin. Bald wird die Kirche ihren Frieden über
unſere Kinder ausgießen und ſie zu langem und liebevollem
Zuſammenleben verknüpfen.
Hemming beiſeite, ſtutzend. Was iſt das?
Trau Rirſtin. Ueber die Bedingungen find wir ja einig.
150
ſind das für hold—
— 282 —
Aber ich denke, wir beſiegeln ſie hier noch einmal mit Hand
und Mund.
Hemming wie vorher. Himmel und Erde! Will ſie mich
hintergehen?
Arne. Das iſt nicht vonnöten; ich halte mein Wort als
ehrlicher Mann. ’
Trau Rirſtin. Das weiß ich wohl, Herr Arne, aber es iſt
ſchnell gethan. Erſtens ſoll für ewige Zeiten jeder Zwiſt und
Unfrieden zwiſchen unſern Geſchlechtern aufhören — und für den
Nachteil und den Schaden, ſo unſere alten Zwiſtigkeiten auf
beiden Seiten angerichtet haben, ſoll kein Teil Genugthuung
fordern. Das muß von jedem nach beſtem Einſehn und Ver—
mögen getragen werden. Nicht wahr, das geloben wir?
Alle. Das geloben wir! Die Verwandten des Brautpaares geben ſich
untereinander die Hände.
Hemming leiſe. Schande über Dich! Niederträchtig haſt
Du mich belogen!
Frau Rirſtin. Als Weiteres, worüber wir einig ſind, wäre
anzuführen, daß die Grenzſcheide zwiſchen Herrn Arnes Ge—
markung und der meinigen ſo weit auf ſeinen Grund zurück—
geſchoben wird, wie es gute und unparteitiche Männer für recht
und billig erachtet haben.
Arne. Ja, ja, es muß wohl ſo ſein!
Frau Rirſtin. Das geloben wir alſo?
Die Gäſte. Das geloben wir! Man giebt ſich die Hände wie vorher.
Frau Rirſtin. Endlich giebt Herr Arne ſeiner Tochter ſoviel
Silberzeug, Linnen und andern Hausrat zur Mitgift, als beim
Verlobungstrunk aufgezählt und feſtgeſetzt worden iſt, und alles
zuſammen ſoll hier auf dem Hof zur Stelle ſein von dem Tage
an, da Jungfer Ingeborg als Ehefrau meines Sohnes hier
eingezogen iſt, was noch heut Abend geſchieht. Darüber ſind
wir doch einig?
— 283 —
Die Gäſte. Das geloben und bezeugen wir. Fandſchag.
Frau Rirſlin. So mögen denn Braut und Bräutigam ein—
ander die Hand reichen, um zum Feſtmahl zu gehen und von
da zur Kirche.
Arne beiseite. Haha! Nun kann Hemming ſehen, ob Frau
Kirſtin mich betrügt.
Hemming keiſe. O, jo iſt für mich alſo alles aus! Ein
Thor war ich, daß ich auf ſie baute.
Frau Rirſtin. Aber an dieſem freudigen Tage geziemt es
uns, ſo vielen, wie immer möglich, Freude zu bereiten. Und
darum hab' ich eine Bitte an Euch, Herr Arne!
Arne. Sprecht ſie aus! Kann ich Euch zu Willen ſein, ſo
geſchieht es gern. f
Hemming beiseite. Was hat ſie nun vor?
Trau Rirſtin. Da ſind noch ein paar junge Leute, die auch
gern heut unter die Haube kommen möchten; ſie ſind einig mit
einander nach allem, was ich höre. Für die Braut werd' ich
ſorgen; aber dem Bräutigam müßt Ihr unter die Arme greifen;
es iſt Hemming, Euer Knecht, und Alfhild!
T
—
Ingeborg mit einem Aufſchrei. Hemming!
Olaf ebenſo. Alfhild!
Bemming. O weh, o weh! Jetzt verſteh' ich —
Die Gäſte gleichzeitig. Hemming und Alfhild! Das Mädchen
vom Berge!
Olaf. Alfhild! Ihr wollt ſie vermählen mit — Nein,
nein, das ſoll nicht geſchehen! Niemals, niemals!
Frau Rirſtin. Still! — Olaf, mein Sohn! Sei ſtill! Ich
bitte Dich!
Arne für ſih. Was nun! Ja, wahrlich, Hemming hatte
recht. Olaf und Alfhild haben etwas miteinander. Ftüſternd. Ei,
Frau Kirſtin, ich verſteh' Euern Plan. Nun weiß ich, warum
Olaf drei Tage in den Bergen war; und jetzt wollt Ihr fie
mit Hemmings Hilfe los werden. Haha!
Trau Nirſtin mit erzwungener Faſſung. Herr Arne, wie könnt
Ihr ſo etwas glauben?
Arne mit gedämpfter Stimme. O, ich ſehe klar. Nun ſollt' ich
meinen, hätt' ich triftigen Grund, den Vergleich zu brechen.
Frau Rirſtin teife und erigroden. Den Vergleich zu brechen!
Ich bitt' Euch! Wollt Ihr uns alle in Schande bringen?
Sie reden leiſe miteinander.
Hemming zu Ingeborg, mit der er ſich inzwiſchen im Flüſterton unterhalten hat.
So hängt es zuſammen, das ſchwör' ich Euch! Frau Kirſtin
und ich haben einander mißverſtanden!
Ingeborg. Aber ſo ſprich doch — frei heraus! Hörſt Du!
Ich gebiet' es Dir!
Hemming. Nein, nein, das darf ich nicht! Sie würde ſonſt
merken, daß ich Euch im Sinne gehabt habe.
Ingeborg. Gut, ſo thu' ich es! Laut. Hemming darf nicht
mit Alfhild vor den Altar; — er iſt zu gut, um die Dirne
eines andern zu heiraten.
Olaf aufſchreiend. O Schmach!
Die Gäſte. Dirne!
Arne zu Ingeborg. Was ſagſt Du?
Frau Rirſtin. Der Himmel ſteh' uns bei!
Olaf. Fluch über mich! Sie iſt entehrt!
Ingeborg. Ja, laut ſprech' ich das Wort aus: ſie iſt eines
andern Dirne! Möge mir widerſprechen, wer es wagt!
Arne. Ingeborg! veiſeite. Was iſt mit ihr —?
Trau Rirſtin reife. Nun hab' ich's! Sie, ſie iſt es, die
Hemming liebt! Leiſe und beſtimmt zu Arne. Habt Ihr nun noch
länger die Abſicht, den Vergleich zu brechen? Ihr ſeht ſelbſt
an dem Verhalten Eurer Tochter, wie gute Gründe ich hatte,
Hemming zu verheiraten!
— 285 —
Arne verblüfft. Meine Tochter! Denkt J
Trau Nirſtin. Stellt Euch nur nicht jo! Ingeborg hegt
Neigung zu Euerm Knecht. Nun, ſollt' ich meinen, hätte ich
triftigen Grund, unſern Vergleich zu brechen!
Arne. Zu brechen, zu brechen —! Woran denkt Ihr!
Mir ſolchen Tort anzuthun!
Frau Birfin ſpöttiſh. Ja, denn ſonſt würdet Ihr es
wohl thun!
Arne haſtig. Nein, nein, ich hab' mir's überlegt. Es iſt das
Beſte, wir ſchweigen alle beide!
Frau Nirſtin für ſich. So, nun hab' ich das Spiel gewonnen!
Ich kenne Olaf; ein entehrtes Weib wird ihn nicht mehr reizen!
10. Scene.
Die Vorigen. Alfhild kommt unbemerkt aus dem Haufe, in ſtrahlendem Brautkleid,
mit Krone und offenem Haar.
Arne beiſeite. Das iſt mir ein verdammter Tag geweſe en! O,
er iſt doch ein Halunke, dieſer Hemming! Er wußte, daß Ingeborg
Neigung zu ihm hegt. Darum paßte es ihm ſo wenig, daß
Olaf ſie bekam.
Trau Nirſtin, die inzwiſchen ihre Faſſung wiedergewonnen hat. Und nun
zum Feſtſaal! An Hemming können wir ſpäter noch denken. —
Olaf, nimm Deine Braut bei der Hand!
Arne unwillig, da er Ingeborg mit Hemming flüſtern ſieht. Wo iſt die
Braut? Tritt vor! Tritt vor! |
Alfhild und Ingeborg gleichzeitig, indem jede von ihnen eine Hand Olafs
ergreift. Da bin ich!
Die Gäſte. Wie? Sie macht ſich an Olaf? Allgemeiner Unwille.
Frau Rirſtin beiſeite. Soweit hat er es alſo getrieben!
Laut zu Alfhild. Du irrſt Dich! Das iſt nicht Dein Bräutigam!
Alfhild. Gewiß! Das iſt doch Olaf!
Ingeborg läßt jeine Sand los. Er hat ihr alſo gelobt —!
— 286 —
Frau Nirſtin in heftiger Empörung. Olaf iſt nicht Dein Bräutigam,
ſag' ich. Sag' es ihr ſelbſt, mein Sohn!
Olaf ſchweigt.
Frau Kirſtins Sippen ſehen ſich verlegen an. Arnes Anverwandte nähern ſich finſter
und drohend.
Trau Rirſtin mit erhobener Stimme. Olaf Liljekrans! Antworte
laut und deutlich! Man fordert es mit Recht von Dir!
Olaf verzweifelt, mit ſich ſelbſt kämpfend. Es geſchehe, wie Ihr wollt!
Mutter! Ja, bei allen Heiligen, ich werde antworten! — Alfhild!
Du irrſt! Ich bin nicht Dein Bräutigam! Zeigt auf Jugeborg.
Da — da ſteht meine Braut!
Alfhild tritt wie verſteinert einen Schritt zurück und ſtarrt ihn an. Sie!
Deine. .
Olaf in ſteigender Erregung. Alfhild, geh’ fort von hier! Geh',
geh' zurück in Deine Berge! Das frommt Dir am beſten. Ich
bin krank geweſen und verirrten Gemüts, als ich dort oben
weilte. Was ich Dir geſagt habe, deſſen erinnere ich mich nicht
mehr! Ich weiß es nicht mehr und will es nicht mehr wiſſen!
Hörſt Du, ich will nicht! — Die Goldkrone kannſt Du be—
halten! Behalte alles, das Silber wie das Gold, darein Du
gekleidet biſt. Mehr, ja zehnmal mehr ſollſt Du haben —.
Nun, warum ſiehſt Du mich ſo an?
Alfhild nimmt die Krone und den übrigen Schmuck und wirft alles Olaf vor die Füße,
indem ſie ihn unverwandt anſtarrt.
Olaf. Vielleicht redete ich Dir ein, daß ich Dich heut freien
würde, — vielleicht glaubteſt Du mir! Vielleicht dachteſt Du,
Olaf Liljekrans würde eine — eine — wie nanntet Ihr ſie
doch — heiraten? Stampft mit dem Fuß auf. Sieh mich nicht ſo an,
Du! Ich kenne Dich wohl, Du haſt mich behext. Ich vergaß,
aus welchem Geſchlecht ich ſtamme; ich vergaß meine Braut,
meine Verlobte, ſie, die hier ſteht. Faßt Alfhild mit Heftigteit am Arm.
Schau ſie an, Alfhild! Hahaha! Sie iſt's, die ich liebe!
Alfhild ſinkt in die Knie und bedeckt ihr Antlitz mit den Händen.
Olaf. Steh auf, Alfhild! Steh auf, ſag' ich! Wenn Du
ſo traurig ſein willſt, ermord' ich Dich! — Warum biſt Du
nicht vergnügt? Sei luſtig und trutzig wie ich! — Und Ihr
andern! Was ſteht Ihr ſo ſtumm und ſeht einander an? Lacht
doch, lacht doch, daß es im Hofe wiederhallt! — Alfhild, warum
antworteſt Du nicht? Hab' ich Dir noch nicht genug geſagt!
Haha! So ſagt ihr doch auch ein Wort, Ihr andern! Gebt
doch auch was zum beſten! Frau Kirſtin will es! Lacht ſie
doch aus, verhöhnt fie, tretet ſie mit Füßen! Mit gellendem Lachen.
Hahaha! Sie iſt doch Olafs Dirne!
Alfhild ſinkt zu Voden, ſo daß ſie in liegender Stellung an der Steinbank links zu
ruhen kommt. Ein ſtarker Blitz beleuchtet die Scene; der Donner rollt. Während
des Folgenden nehmen das Dunkel und Unwetter bis zum Schluß des Aktes mehr und
mehr zu.
Olaf. Sieh, ſieh! So iſt's recht! Nun ſtimmen die da oben
mit ein! Juſt nun will ich zur Kirche mit meiner Braut!
Kommt, Jungfer Ingeborg! Aber erſt wollen wir trinken, ja
trinken, trinken! Her mit Krug und Horn — nein, da drinnen!
Macht Licht in der Kirche! Die Orgel ſoll aufſpielen zum
Tanz — keine trübſeligen Pſalmen — Pfui, pfui! nein Tänze!
Blitz und Donner. Haha! Man merkt's im Himmel, daß Olaf
Liljekrans Hochzeit hält. Stürzt rechts hinaus.
Arne. Gott helfe uns! Olaf hat den Verſtand verloren!
Frau Rirſtin. Ei, nur getroſt! Das geht bald vorüber,
— ich kenne ihn. Zieht Arne mit ſich fort.
Arne droht im Vorbeigehen leiſe Hemming. O, Hemming, Hemming!
Du biſt ein Halunke!
Die Gäſte gehen ſtill und verſtimmt rechts, das Geſinde links ab.
Ingeborg hält Semming zurück. Hemming! Ich geh' nicht zur
Kirche mit Olaf Liljekrans!
Hemming. Ach, wie ſoll das verhindert werden?
— 288 —
Ingeborg. Wenn es darauf ankommt, ſag' ich ſelbſt vor
dem Altar noch „nein“, — ſage „nein“ vor der ganzen Gemeinde!
Hemming. Ingeborg!
Ingeborg. Halte mein Pferd geſattelt und bereit!
Hemming. Was! Ihr wollt — ?
Ingeborg. Ich will! Nun weiß ich erſt, wie lieb Du mir
biſt, da ich in Gefahr bin, Dich zu verlieren. Geh und thu, wie
ich ſage, und gieb mir ein Zeichen, wenn es Zeit iſt. Geht rechts ab.
Hemming. Ja, nun bin ich ſtark! Nun kann ich wagen,
was es auch immer ſei! Geht links ab.
11. Scene.
Alfhild. Später Hemming, Ingeborg und mehrere Knechte, die nach und nach
auftreten.
Alfhild bleibt noch eine Zeitlang unbeweglich liegen, das Antlitz in den
Händen vergraben. Endlich richtet ſie ſich halb empor, ſieht ſich wirren Blickes um,
ſteht auf und ſagt mit ſtillem, verlorenem Lachen:
Ein Falke kann ruhn auf der Königin Arm —
Ein andres Vöglein trifft Elend und Harm;
Eines hat Federn wohl rot und blau,
Des andern Gefieder iſt ſchlicht und grau!
Wohl weiß ich: Der Thränen warme Flut
Lindert das Leid, das die Welt uns thut.
Doch jetzt iſt ſolch bitteres Weh mir geſchehn —
Daß ich vor Lachen möchte vergehn!
Es iſt ganz dunkel geworden. Die Fenſter der Kirche werden hell. Alfhild geht nach
dem Hauſe und lauſcht; indeſſen ertönt von innen folgender
Chor.
Glück und Heil ſei Bräut'gam und Braut!
Laßt fröhlich die Becher kreiſen!
Jung Ingeborg iſt ſo hold und traut,
Herr Olaf vor allen zu preiſen!
289 —
Hemming ſchleicht ſich während des Chorgeſangs von links herein. Das
Pferd ſteht geſattelt! Nun noch Ingeborg heimlich das Zeichen
gegeben — und dann auf und davon! Nach rechts hinter das Haus ab.
Alfhild. Aus Silber trinken ſie auf das Paar,
Die Braut ſitzt Olaf zur Seiten; |
Schon brennen die Kerzen vor dem Altar —
Bald wird man zur Kirche fchreiten. —
Da ſitzen ſie drinnen beim feſtlichen Mahl —
Wie iſt mir ihr fröhliches Weſen zur Qual!
Ich ſteh' hier in Wetter und Nacht allein —
Ach, denkt denn keiner, kein einziger mein? —
Olaf! Das Haar zerzauſt mir der Wind!
Olaf! hör', wie der Regen rinnt! —
Olaf! Olaf! Soll ich verzagen?
Läßt Du ſolch maßlos Leid mich ertragen?
Lacht.
Regen und Sturm — die acht' ich nicht
Gegen die Wunde, die Du mir geſchlagen
Und die hier am Herzen mich ſticht! —
Den Vater und alles ließ ich um ihn —
Nur mit dem Herztrauten wollt' ich ziehn!
Er ſchwor mir: Ich führe Dich heim in mein Haus!
Und ich kam — die reinſte Liebe im Herzen;
Da jagt' er mich von ſich, ſtieß mich hinaus
Und lachte, da ich mich wand in Schmerzen!
Hier ſitz' ich, indes ſie ſich freuen dort,
In Wetter und Nacht! Ich will fort, will fort!
Will hinweg, bleibt aber wieder ſtehen.
Nein, ich vermag's nicht, ich kann nicht gehn,
Ob ich von allen verachtet werde!
So wenig man je eine Blume geſehn
Ibſen, Olaf Liljekrans. 19
— 290 —
Die felber ſich ausriß aus ihrer Erde.
Hier wurzle ich feſt in Olaf allein —
Mag er mir gut oder treulos ſein!
Pauſe. — Die Knechte kommen von links mit Fackeln.
Alfhild wie von einer ängſtlichen Ahnung ergriffen. Wohin wollt Ihr?
Wohin, wohin? Was ſoll da geſchehen?
Ein Rnecht. Ei, ſieh, ſieh! Sit das nicht Alfhild? Sie
iſt noch da!
Alfhild. O, ſagt mir! Was ſoll geſchehen? Was geht vor?
Der Knecht. Die Trauung! Haft Du nicht Luſt, zuzu⸗
ſchauen?
Alfhild in fienerhafter Angſt. Die Trauung! O, nein, nein!
Wartet damit, — nur noch bis morgen! Iſt die Trauung
vollzogen, dann, weiß ich, iſt ja alles aus für mich!
Der Knecht. Warten? Nein, Alfhild! Das wäre wohl
weder dem Bräutigam noch der Braut recht!
Ein zweiter Knecht. Bedenk' mal! Wenn Du ſelber die
Braut wäreſt, möchteſt Du da wohl warten.
Gelächter.
Erſter Knecht. Jetzt müſſen wir aber zur Kirchenpforte
hinunter und mit den roten Hochzeitsfackeln leuchten, wenn die
Geſellſchaft vom Hofe reitet.
Zweiter Rnecht. Komm und geh' mit, Alfhild! Du ſollſt
auch eine Fackel zu tragen bekommen!
mehrere. Ja, ja, das mußt Du! Es iſt ja Herrn Olafs
Ehrentag!
Gelächter.
Alfhild nunmt eine Fackel. Ja, ja, ich will! Als die Geringſte
in der Reihe will ich da ſtehen, — und dann, wenn er
mich ſieht, wenn ich ihn darum bitte, wenn ich ihn an alles
mahne, was er gelobt und geſchworen hat — o, ſagt mir, ſagt
mir — glaubt Ihr nicht, daß er mir dann wieder gut werden
wird? Glaubt Ihr's? O, ſagt ja, ſagt ja! Sagt doch, daß
Ihr's glaubt!
Die Rnechte. Hahaha! Gewiß wird er das! Komm, komm!
Sie verſchwinden hinter dem Hauſe.
Alfhild unter hervorbrechenden Thränen.
Sie höhnen mich alle in meiner Pein!
So hart iſt nicht des Bergkammes Stein:
Er gönnt doch dem Mooſe, Wurzel zu faſſen.
So gut ward mir's nicht! — Bin gänzlich verlaſſen!
Blitz und Donner.
Der Himmel iſt ſelbſt wider mich im Bund:
Sein Groll entlädt ſich über mein Haupt;
Doch ſchmettert kein Blitz den Verräter zu Grund,
Des trügriſchen Worten ich Armſte geglaubt!
Aus der Kirche hört man Orgelklänge.
O horch! Da ſingt wohl der Englein Schar —
Sie mahnen Olaf zum Traualtar;
Und ich ſteh' draußen voll Herzeleid
Und wein' im zerriſſenen Hochzeitskleid.
Schwingt die Fackel hoch empor.
Nein, nein, Du dort oben! Und abermal nein!
Verſuch' mich nicht mehr — ſonſt vergeſſ' ich Dein!
Hält inne und lauſcht dem Orgelklang.
Die Englein ſingen! Vom Grab herauf
Könnten ſie Tote beſchwören.
Mir wird ſo weh, die Töne zu hören!
Kniet nieder und wendet ſich zur Kirche.
Hört auf mit den ſüßen Klängen, hört auf!
O, ſchweigt mit dem Sang, ſo rein und klar,
Sonſt lockt ihr Olaf hin zum Altar!
Flüſternd und in höchſter Angſt.
19
— 292 —
Schweigt ſtille, ſchweigt ſtille nur kurze Zeit!
So umfängt ihn der Schlaf der Vergeſſenheit.
O weckt ihn nimmer, damit er ſie nicht
Zur Kirche führt, und das Herz mir bricht!
Die Orgel tönt ſtärker durch den Sturm. Alfhild ſpringt empor, verzweifelt
und außer ſich.
Nein, Gottes Heerſchar hat meiner nicht acht!
Ich bin verſtoßen im Jammer!
Sie mahnen hinein ihn — nun iſt's vollbracht!
Haha! So ſei denn von mir Euch entfacht
Die Fackel der Hochzeitskammer!
Wirft die Fackel durch die offene Luke in den Giebel hinein und ſtürzt zu Boden
Ingeborg und Hemming kommen eilig hinter dem Hauſe hervor.
Hemming. Nun iſt es Zeit! Das Pferd ſteht geſattelt
hinten am Vorratshauſe.
Ingeborg. Und alle Knechte ſind unten an der Kirchenthür,
nicht wahr?
Hemming. Ja, ja, ſei ganz unbeſorgt! Und im Feſthauſe
hab' ich alle Thüren und Luken abgeriegelt. Es ſind dicke
Eiſenringe vor. Niemand kann hinaus!
Ingeborg. Fort denn! Hinauf nach dem Thal, von dem
Alfhild geſprochen hat.
Hemming. Ja, dort hinauf! Da wird niemand uns
ſuchen! Sie eilen nach links ab. — Alfhild bleibt eine Weile unbeweglich liegen.
Plötzlich hört man Lärm und Geſchrei im Hochzeitshauſe. Die Flammen ſchlagen
durch das Dach empor.
Alfhild ſpringt verzweifelt auf.
Es brennt! — Haha! Mir war bang in der Nacht —
Da hab' ich ein helles Licht entfacht!
Ha, Olaf! Du lachteſt vor kurzem noch —
auter und wilder lacht Alfhild doch!
Im Hochzeitshaus iſt Jammer und Harm:
Die Braut verbrennt in des Bräutigams Arm!
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Pte)
3
Die Knechte ſtürzen ohne Fackeln, einer nach dem andern herbei, und bleiben wie
verſteinert ſtehen. Olaf wird oben in der Luke ſichtbar, die er mit verzweifelter
Kraft zu erweitern ſucht.
Olaf. Alfhild — Du! O, das konnt' ich wiſſen!
Nichts, nichts ſollſt Du hinfort vermiſſen,
Retteſt Du mich aus der Flammenglut!
Alfhild mit wildem Lachen.
O, ich weiß: Du hältſt ja Dein Wort ſo gut! —
Zieh' nun ns mit der Hochzeitsſchar,
Vergiß Deine Dirne und tritt zum Altar!
Alfhild that zur Feier das Beſte:
Die Brautfackel ſchwang ſie bei Deinem Feſte!
Sie eilt nach dem Hintergrund fort. Die Knechte kommen zu Hilfe. Ein Teil des
Daches ſtürzt ein. Man ſieht Olaf hoch oben, von den Flammen umringt, während
der Vorhang fällt.
Dritter Akt.
Ein helles, blühendes Thal mit reichſter Baumvegetation und umgeben von hohen,
ſchneebedeckten Bergen. In der Mitte der Bühne ein ſtiller Bergſee; auf der linken
Seite ein Berggipfel, der ſteil zum See abſtürszt. Auf derſelben Seite weiter im
Vordergrunde eine uralte Blockhütte, faſt ganz von Gras und Buſchwerk überwachſen
und verſteckt. Die Bergkämme glühen im Morgenrot; im Thal ſelbſt iſt der Tag
erſt halb angebrochen. Während der folgenden Scene geht die Sonne auf.
1. Scene.
Alfhild liegt ſchlafend und halb zwiſchen den Büſchen an der Hütte verborgen; eine
leiſe Muſik drückt ihre wechſelnden Träume aus. Olaf kommt die Berghalde rechts
herab. Ueber dem Hochzeitsgewande trägt er ein grobes Wams.
Olaf. Hier war es; ja ich erkenne die Wieſe hier am See
wieder. Dort unter der Linde träumte ich meinen ſeltſamen Traum.
Auf dem Bergesabhang dort ſtand ich, als Alfhild das erſte
Mal mir entgegenkam. Ich legte meinen Verlobungsring auf
die Bogenſehne und ſchoß; — der Schuß war ein Zauberſchuß,
er traf den Schützen ſelbſt — —. Seltſam, wenn ich hier oben
wandere, hoch über dem Gau, da iſt es, als umſpiele mich
eine andere Luft, als rolle das Blut friſcher in meinen Adern,
als bekäme ich einen andern Sinn, eine andere Denkart. — —
Wo mag ſie nur ſein? — Ich will, ich muß ſie wiederfinden!
Hier herauf muß ſie kommen; ſie hat ja keine Heimſtatt draußen
in der kalten, weiten Welt. Und ich — bin nicht auch ich ein
heimatloſer Flüchtling da draußen? Bin ich nicht ein Fremdling
— 295 —
geworden in meiner Mutter Hauſe, ein Fremdling unter meiner
Sippe, ſeit jenem Augenblick, da ich Alfhild zum erſten Male
ſah? — — Sit fie denn eine Hexe, gebietet ſie über geheime
Künſte, die —?
Meine Mutter! Hm! Meiner Treu, es würde mir nicht
frommen, meinen Wandel von ihr lenken zu laſſen. Sie ſät
mir Gedanken ins Herz, die dort keine Stätte haben. Nein,
nein, ich muß Alfhild wiederfinden, ihr alles Unrecht abbitten
und dann —. Hätt inne und ſpäht nach links.
2. Scene.
Olaf. Alfhild ſchläft weiter. Thorgjerd kommt von links hinter der Hütte
hervor.
Olaf. Sei gegrüßt, Fremdling!
Thorgjerd. Danke, auch Du! Biſt früh draußen!
Olaf. Oder ſpät. Früh am Tage, aber ſpät in der Nacht.
Thorgjerd. Du biſt wohl drunten im Gau zu Hauſe, was?
Olaf. Meine Sippe hat da ihre Heimat. Und Du?
Thorgjerd. Wo einer mit feinen Gedanken iſt, da hat er
auch ſeine Heimat. So weil' ich am liebſten hier, wo mir kein
Nachbar ein Unrecht zufügt.
Olaf. Das hab' ich gemerkt.
Thorgjerd. So biſt Du ſchon öfter hier oben geweſen?
Olaf. Ich habe im Sommer hier eine Hindin gejagt; aber
wenn ich recht überlege, ſo war es ein verzaubertes Königskind.
Thorgjerd ſieht ihn ſtarr an. Die Jagd iſt gefährlich!
Olaf. Für den Schützen?
Thorgjerd nickt.
Olaf. Ja, — ich dachte juſt dasſelbe bei mir. Mir
iſt, als ob mich auf der Jagd ein Zauberſchuß getroffen hätte.
Thorgierd. Fahrwohl, und viel Glück!
Olaf. Schimpf und Schande Dir! Wünſcheſt Du einem
Jägersmann Glück, ſo kommt ihm kein Wild in den Schuß.
— 296 —
Thorgjerd. Dafern der Schuß den Schützen ſelbſt trifft,
widerfährt ihm das höchſte Glück, wenn er kein Glück hat.
Olaf. Du ſprichſt klug und weiſe.
Thorgjerd. Ja, ja, hier kann man mancherlei lernen, hier oben.
Olaf. Gewiß! Hier hab' ich das Beſte gelernt, was ich weiß.
Thorgjerd. Fahrwohl! Deiner Sippe werd' ich Botſchaft
und Gruß von Dir bringen.
Olaf. Willſt Du hinunter?
Thorgjerd. Ja, das will ich. Da geht es jetzt hoch und luſtig
her, hab' ich gehört. Ein mächtiger Rittersmann hält ſeine
Hochzeit —
Olaf. Du ſollteſt heut Nacht mit dabei geweſen ſein; jetzt
iſt wohl das Beſte vom Feſte vorüber.
Thorgjerd. Ich denke, ich komme doch noch zeitig genug!
Olaf. Vielleicht! Aber Du hätteſt doch heut Nacht mit
dabei ſein ſollen! Einen ſo hellen warmen Feſtſaal haſt Du
gewiß noch nie geſehen.
Thorgjerd. Um ſo beſſer für den, der drinnen war.
Olaf. Ich kenne wen, der draußen ſtehn mußte!
Thorgjerd. Ja, ja, draußen — da iſt der Platz des armen
Mannes.
Olaf. Ich kenne wen, der draußen ſtehn mußte und es
doch beſſer wie auch ſchlimmer hatte als die, ſo drinnen waren.
Thorgjerd. Ich ſeh' ſchon, ich muß doch hinunter. Ich will
zum Feſt aufſpielen. Ich hole nur noch mein Saitenſpiel, und
dann —
Olaf. Du biſt Spielmann?
Thorgjerd. Und keiner von den ſchlechteſten. Nun hol' ich
mein Saitenſpiel, das am Waſſerfall verſteckt liegt. Die Saiten
ſollteſt Du hören. Ich ſaß einmal damit auf Bettesrand und
ſpielte die Braut aus dem Feſthaus heraus über Feld und
Hügel hin. — Haſt Du niemals die Weiſe von klein Ingrid
29
gehört? Wer die Braut aus ihres Bräutigams Arm jpielen
konnte, kann wohl auch das Kind wieder heim zu ſeinem Vater
ſpielen. Fahrwohl! Bleibſt Du hier, ſo können wir uns wohl
wieder treffen, wenn ich zu Berge fahre. Geht nach rechts am See—
ufer ab.
3. Scene.
Olaf. Alfhild.
Olaf. Ha, wenn dem ſo wäre —! Ja, gewiß, ich kann nicht
daran zweifeln. Alfhild ſagte ja ſelbſt, ihr Vater ſchlüge das
Saitenſpiel ſo lieblich, daß, wer es einmal gehört hat, es nie
wieder vergeſſen kann. Er nannte Jungfer Ingrid, die vor
vielen Jahren am Hochzeitsabend verſchwand — ein junger
Spielmann war, mit Namen Thorgjerd, der liebte ſie, hat man
geſagt. Viel wunderliche Sagen gingen ſeitdem von ihm um.
Bisweilen ſtand er mitten im Dorfe unten, und da ſpielte er
ſo ſchön, daß alle weinen mußten; — aber niemand wußte, wo
er zu Hauſe iſt! — Alfhild — ja, ſie iſt ſein Kind! Hier iſt
ſie aufgewachſen. Hier in dieſem entlegenen Thal, von dem
viele Jahre lang niemand etwas gewußt hat; und Ingrid, die
Verſchwundene, — er ſagte ja — Bemerkt Alfhild. Alfhild! Da
iſt ſie! In ihrem Brautſtaat iſt ſie hier heraufgeflüchtet. —
Hier alſo mußt Du nach der Hochzeitnacht erwachen! Solch ein
ſchwerer Tag ward mein Ehrentag für Dich. Du wollteſt
hinaus ins Leben, ſagteſt Du, — Du wollteſt alle Herrlichkeit
der Welt kennen lernen. Du haſt eine ſchwere Wanderung
hinter Dir; aber nun wird alles wieder gut werden. Sie rührt
ſich. Es iſt, als wände ſie ſich in Angſt und Weh. Erwachſt
Du, ſo ſollſt Du zu Glück und Freude erwachen!
Alfhild noch halb im Traum.
Es brennt! O, rettet ihn! Er iſt drinnen!
— 298 —
Er darf nicht ſterben! Er muß noch entrinnen!
Springt entſetzt auf; die Muſik verſtummt.
Wo bin ich? Mich dünkt — Was ſeh' ich! Du?
Eilt auf Olaf zu.
Olaf! O, ſcheuch' meine Träume fort!
Olaf. Alfhild, tröſte Dich! Komm zur Ruh'!
Alfhild. Lockſt Du mich wieder mit ſüßem Wort? —
Falſch iſt Dein Herz, Du lächelnder Mann —
Du lockſt mich nimmer in Deinen Bann!
Olaf. Alfhild! Dich täuſcht nur ein Traumgeſicht!
Ich bin's, Dein Olaf — kennſt Du mich nicht?
Ich weiß, ich weiß, wie ſchwer ich gefehlt!
Und doch — nur Dich hat mein Herz erwählt! —
Schwach nur war ich, verblendet, bethört —
Und darum ward grauſam Dein Glück zerſtört.
Alfhild, kannſt Du mein Thun mir verzeihn?
Ich ſchwör' es, hinfort Deiner wert zu ſein!
Die Thränen küſſ' ich Dir weg von den Wangen;
Glaub' mir: ich will auf Händen Dich tragen,
Dir heilen den Sinn, der leidumfangen,
Die Wunden, die man Dir fühllos geſchlagen.
Alfhild mit milder Klage.
Ich kenne Dich wohl: Dein Sinn iſt voll Trug —
Doch dieſe Tage machten mich klug!
Du gaukelſt mir vor, als wäreſt Du der,
Um den der Sinn mir ſo zag und ſchwer,
Als fühlt' ich um Dich ſolch Bangen im Sinn,
Um Dich dies tobende Weh darin!
Doch glückt es Dir nimmer und nimmermehr —
Kommſt Du bei Tag oder Nacht daher;
Ich kenne Dich wohl; Dir flammt im Geſicht
Das Brandmal. Das hatte der andere nicht!
— 299 —
Olaf. Der andre? Wen meinſt Du?
Alfhild. Ihn, der nun tot!
Ach, daraus erſtand mir ſolch bittere Not! —
Verſtehſt Du? Es waren Eurer zwei;
Und darum werd' ich vom Grame nicht frei!
Der eine war, der mir nur Liebes erwies —
Der andre, der mich, wie Du, verſtieß;
Der eine kam in der Sommernacht —
Da iſt der Lenz mir im Herzen erwacht;
Der andre lockt' in den Berg mich hinein,
Wo weder Sommer noch Sonnenſchein.
Der böſe, treuloſe Olaf biſt Du;
Der andre, der ſchwor mir Liebe zu,
An den ich auf immer und ewig gebannt —
Ihn hab' ich verbrannt!
Sie ſinkt auf einen Stein am Hauſe nieder und bricht in Thränen aus.
Olaf. Und hat er Dir Frieden geraubt und Ruh’, —
Nicht länger heg' ihn im Herzen Du!
Alfhild. Ach, würd' ich auch eingeſenkt ins Grab, —
Mein Kummer folgte mir mit hinab!
Ich weiß es ſelbſt nicht, wie es ſo kam —
Ich glaubte, ich ſei ihm von Herzen gram;
Nun ſeh' ich: und müßt' ich im Tod erblaſſen —
Kann nimmer doch von ihm laſſen!
Kurze Pauſe.
Sag', haſt Du Saiten in Deiner Bruſt,
Daß Du ſo ſüß mich zu locken gewußt?
Wahrlich ſo ſüß —, doch voll arger Liſt!
Höre, wenn Du ein Spielmann biſt,
So ziehe die Dörfer hin und her
Und ſinge von Alfhild die traurige Mär:
Ich war wohl geſtern ein Rehlein klein,
Lief ſorglos im Waldesgrunde;
Da kamen ſie alle zum Jagen hinein, —
Es jagten mich Falken und Hunde.
Ich war wohl geſtern ein Vöglein im Wald;
Dort ſaß ich und kränkte keinen.
Da ſcheuchten ſie mich hervor alsbald
Und warfen nach mir mit Steinen.
Ich war wohl geſtern die wilde Taube,
Die nimmer in Ruhe darf weilen;
Da ward ich den böſen Jägern zum Raube,
Die ſchoſſen ins Herz mir mit Pfeilen.
Olaf ſchmerzlich bewegt.
Ach, läg' ich begraben im trauten Thal,
Braucht' nimmer auf Erden zu weilen!
All Deine Worte ſind ſcharf wie Stahl
Und treffen mein Herz gleich Pfeilen.
Alfhild ſpringt auf in kindlicher Freude.
So muß es ſein — ſo iſt's recht, fürwahr!
Ja, gewiß haſt Du Saiten in Deinem Herzen!
So ſtell' es allen im Liede dar,
Als ſeiſt Du getroffen von meinen Schmerzen,
Daß ſie meinen, Dein eigen Weh ſei ſo groß,
Du ſängeſt klagend Dein eignes Los!
Hält inne und blickt ihn traurig an.
Doch nein! Sing' nimmer von meinem Weh!
Alfhilds Kummer wird keinen grämen.
Woher ich kam und wohin ich geh',
Soll keine Seele da draußen vernehmen!
Sing' lieber von Olaf Liljekrans,
Der war bei der Elfen Spiel und Tanz!
Sing' von der falſchen Alfhild alsdann,
250
Die ihn zu ihrem Herzliebſten gewann;
Sing' von all dem Jammer im Haus,
Als ſie trugen drei Leichen heraus:
Die eine war Olaf, dann ſeine Maid —
Seine Mutter die dritte: ſie ſtarb vor Leid.
Olaf. Ja, Olaf iſt tot, Du haſt wahr geſprochen —
Der Olaf, der Dir ſein Wort gebrochen!
Doch nimm ſtatt ſeiner zum Freund mich an —
licht von Dir weichen will ich fortan!
Und ſoll ich büßen für mein Verſchulden —
Mit Freuden will ich die Strafe erdulden!
Es ſoll mir lindern des Herzens Qual,
Bei Dir zu weilen im einſamen Thal!
Vom Morgen an bis zur Abendſtund'
Will ich Dir folgen, treu wie ein Hund —
In Reu' will ich klagen ſo lang und ſo laut,
Bis endlich Dein Herz mir wieder vertraut.
Jede glückſelige Stunde hier
Mahn' ich aufs neu' ins Gedächtnis Dir:
Von ihr künde jede blühende Blume,
Ihr ſinge Kuckuck und Schwalbe zum Ruhme,
Und jeglicher Baum hier im Waldesgrunde
Flüſtre von ihr mit beredtem Munde.
Alfhild. Halt ein, halt ein! Du täuſcheſt mich nicht,
Wie lieblich auch die Verſuchung ſpricht!
Ach, holde Worte führſt Du im Mund,
Doch treulos biſt Du im Herzensgrund! —
Was willſt Du hier oben? Wie fand'ſt Du den Weg?
Und ſag': wie erkennſt Du die Stätte wieder?
Hier war ja zuvor ein blühend Geheg,
Doch nun ſchlug der Blitz der Verdammnis nieder!
Vormals, als ich allein hier gegangen,
— 302 —
Sah jeden Zweig ich in Blüten prangen,
Und ringsum ſangen die Vöglein laut,
Als Du mich küßteſt und wählteſt zur Braut!
Doch nun — ach, verbrannt iſt heut Nacht das Thal,
Verbrannt hier Baum und Geſträuch zumal,
Welk iſt der Raſen, verſengt das Laub —
Jede Blume zerfiel in Staub! —
Wohl ſeh' ich: es ward in der einen Nacht
Die Welt um all ihre Schönheit gebracht —
Als ich verſtoßen hier ging im Leid,
Da erblich mir des Lebens Herrlichkeit!
Lug und Trug bleibt einzig als Reſt —
So lehrte mich Olaf am Hochzeitsfeſt. —
Nicht iſt, was mein Vater mich lehrte, wahr:
Der Tote käm' zu der Englein Schar;
Die Lehre war beſſer, die Olaf mir gab:
Den Toten verſchlingt das finſtere Grab!
Aufwallend, in tieſſtem Schmerz.
Ja, dafür geb' ich hier Zeugnis ab;
Mich ſelber verſchlang ja das finſtere Grab!
Olaf. Alfhild! Dein Wort macht das Herz mir wund.
O Gott! Wie warſt Du ſo friſch und geſund —
Vergieb mir, vergiß Deinen traurigen Sinn!
Alfhild in einer Verzweiflung, die ſteigt und ſteigt.
Still! O ſprich nicht! Olaf, blick' hin!
Sie tragen zum Grabe den ſchwarzen Schrein
Doch keine Mutter folgt hinterdrein;
Ich ſeh' keinen Pfühl von Roſen rot:
Auf Spänen und Stroh liegt Alſhild im Tod!
Der Himmelswagen nimmt mich nicht auf
Und führt mich nicht zu Gott Vater hinauf.
Licht laſſ' hier in Schmerz eine Mutter ich,
— 303 —
Keine Geſchwiſter trauern um mich;
Ich hab' auf der Welt nicht groß noch klein,
Die um mich weinen am Grabe,
Nicht ſtreuen vom Himmel die Engelein
Mir der Perlen blinkende Gabe,
Und nimmer komm' zu der Heimſtatt ich,
Wo der Tote ſelig erwacht!
Olaf. Alfhild!
Alfhild. Nun ſenken ins Grab ſie mich —
Nun füllen die Schollen den Schacht!
Hier muß ich nun liegen mit all meiner Not,
Muß leben und leiden, und bin doch tot;
Muß wiſſen, daß alles für mich vorbei —
Und ringe doch nie vom Erinnern mich frei;
Muß hören, wie er, dem alles ich gab,
Zur Kirche reitet über mein Grab,
Muß ſeinen Schrei aus den Flammen hören,
Und kann doch die Gluten nimmer beſchwören!
Es will mir die Bruſt zuſammenpreſſen!
Ich bin von allen Engeln vergeſſen!
Keiner von ihnen hört meinen Jammer, —
Des Lebens Thür iſt verſchloſſen für mich!
Laßt mich heraus aus der Grabeskammer!
Stürzt nach links hinaus.
Olaf. Alfhild, Alfhild! O Jeſus Chriſtus, was hab' ich
gethan!
Stürzt ihr nach.
4. Scene.
Ingeborg und Hemming kommen nach kurzer Pauſe von rechts.
Ingeborg. Sieh! Nun ſind wir oben! Wie ſchön und
hell und friedlich es hier iſt!
Hemming. Ja, hier werden wir herrlich zuſammen haufen.
— 304 —
Ingeborg. Aber merk Dir's wohl: Du biſt mein Knappe
und nichts andres, — bis mein Vater ſeine Zuſtimmung ge—
geben hat.
Hemming. Das thut er nie!
Ingeborg. Sei nur unbeſorgt; wir werden ſchon Rat
ſchaffen!! — Aber nun müſſen wir daran denken, uns eine
Hütte zu ſuchen, um darin zu wohnen.
Hemming. Deren giebt's genug. Ueberall im Thal hier
liegen verlaſſene Hütten. Alles ſteht noch wie damals, als vor
vielen Jahren bei der großen Seuche hier die letzten Menſchen
fortſtarben.
Ingeborg. Hier gefällt es mir! Sieh, da liegt gerade
ſolch eine alte Hütte; Waſſer haben wir dicht dabei, und der
Wald iſt gewiß reich an Wild. Da kannſt Du fiſchen und jagen.
Ei, das ſoll ein ſchönes Leben werden!
Hemming. Ja gewiß, ein ſchönes Leben! Ich fiſche und
jage, und Du ſammelſt Beeren derweilen und ſiehſt im Hauſe
nach dem Rechten.
Ingeborg. So? Ich ſoll das? Nein, das mußt Du
beſorgen!
Hemming. Na, gut alſo, wie Du willſt. O, ein luſtig
Leben ſoll das werden! Veſinnt ſich und fügt etwas bedrückt hinzu. Aber
wenn ich's recht bedenke — ich habe doch weder einen Bogen
mit noch Geräte zum Fiſchen.
Ingeborg ebenſo, mit verzagtem Ausdruck. Und da fällt mir ein,
hier giebt es keine Mägde, die mir zur Hand gehen können!
Hemming. Das laß nur meine Sache ſein!
Ingeborg. Nein! Danke ſchön! — Und all meine guten
Kleider! Ich hab' nichts weiter mitgenommen als den Braut-
ſtaat — wie ich da geh' und ſteh'!
Hemming. Das war ſehr unbeſonnen von Dir!
Ingeborg. Nur zu wahr, Hemming! Und darum wirſt
Du eines Nachts Dich nach Guldvik jchleichen und an Kleidern
und andern Dingen holen, was ich brauche.
Hemming. Um als Dieb gehängt zu werden!
Ingeborg. Nein, davor mußt Du natürlich auf der Hut
ſein, — das bitt' ich mir aus! Nachdenklich. Aber wenn dann
der lange Winter kommt? Menſchen giebt es hier oben nicht.
Tanz und Geſang bekommen wir nie zu hören — Hemming!
Sollen wir wirklich hier bleiben oder —
Hemming. Ja, wo ſollen wir denn ſonſt Zuflucht ſuchen?
Ingeborg ungeduldig. Ja, aber — hier kann doch kein
Menſch leben!
Hemming. Freilich kann man hier leben!
Ingeborg. Nein! Du ſiehſt doch ſelbſt, daß ſie alleſamt
geſtorben ſind! — Hemming, ich mein', es iſt am beſten, ich
ziehe wieder hinunter zu meinem Vater.
Hemming. Aber was ſoll denn aus mir werden?
Ingeborg. Du ſollſt in den Krieg reiten!
Hemming. In den Krieg! Und werde totgeſchlagen!
Ingeborg. Das wirſt Du nicht! Du vollbringſt eine
rühmliche That, dann macht man Dich zum Rittersmann, und
dann wird mein Vater nicht mehr gegen Dich ſein!
Hemming. Ja, aber wenn ſie mich nun doch totſchlagen?
Ingeborg. Na, das können wir immer noch überlegen. Heut
und morgen müſſen wir wohl hier bleiben; ſolange ſitzen die
Gäſte im Feſthaus beim Hochzeitsſchmauſe — ſuchen ſie nach
uns, ſo thun ſie's wohl nur rundum im Gau, — hier oben
können wir ſicher ſein und — — Verſtummt und lauſcht.
Man hört von rechts in weiter Ferne folgenden
Chor.
Auf, auf, um ſie zu finden,
Die Zauberin zu binden!
Ibſen, dlaf Lüljekrans. 20
— 306 —
Für das, was ſie begangen,
Soll ſie den Tod empfangen.
Bemming. Ingeborg! Ingeborg! Sie ſind ſchon hinter
uns her!
Ingeborg. Wohin ſollen wir uns wenden?
Hemming. Ja, wie kann ich wiſſen — ?
Ingeborg. Geh' in die Hütte dort und bring' die Thür in
Ordnung, daß wir ſie von innen zuriegeln können.
Hemming. Ja, aber —
Ingeborg. Thu', wie ich ſage! Ich ſteige inzwiſchen auf
den Hügel und ſehe nach, ob ſie noch weit weg ſind.
Nach rechts ab.
Bemming. Ja, ja doch! Ach, wenn ſie uns nur nicht
kriegen! Tritt in die Hütte.
5. Scene.
Olaf kommt vom Walde links. Gleich darauf Ingeborg von rechts.
Olaf ſieht ſich um und ruft mit gedämpfter Stimme. Alfhild! Alfhild!
— Nirgends iſt ſie zu ſehen! Wie ein Vogel entſchlüpfte ſie
meinen Augen waldwärts, und ich —
Ingeborg. Sie ſind gleich da und — erſchrick und verſtummt.
Olaf Liljekrans!
Olaf. Ingeborg!
Hemming ſteckt unbemerkt den Kopf zur Thür heraus und erblickt Olaf.
Herr Olaf! So! Nun wird es wohl mit meiner Herrlichkeit
aus ſein!
Zieht ſich eilig zurück.
Ingeborg beiſeite. Er muß vorausgeritten ſein!
Olaf veiſeite. Sie muß mit ihrem Vater hier herauf gekommen
ſein, um mich zu ſuchen.
Ingeborg beiseite. Aber ich folge ihm nicht!
Olaf veiſeite. Ich weiche nicht vom Platz!
— 307 —
Ingeborg laut, indem fie näher tritt. Olaf Liljekrans! Du haſt
mich nun in Deiner Macht! Aber Du thäteſt übel, wenn Du
mich zwingen wollteſt.
Olaf. Das iſt gar nicht meine Abſicht!
Ingeborg. Warum kommſt Du dann hier herauf ſamt
meiner Sippe?
Olaf. Ich? Im Gegenteil, Du biſt es —
Ingeborg. Deine Trugrede täuſcht mich nicht! Ich ſah
doch eben das ganze Gefolge —
Olaf. Wen? Wen?
Ingeborg. Meinen Vater und unſere Verwandten!
Olaf. Hier oben?
Ingeborg. Jawohl, in nächſter Nähe!
Olaf. Ha, dann iſt meine Mutter auch dabei.
Ingeborg. Ja, freilich iſt ſie das. Aber wie kann Dich
das erſchrecken?
Olaf. Weil ſie mich ſuchen!
Ingeborg. Nein, mich!
Olaf erſtaunt. Dich!
Ingeborg beginnt den Zuſammenhang zu ahnen. Oder — wart' ein-
mal — Hahaha! Was fällt mir da ein! — Hör', wollen wir
beide ehrlich gegen einander ſein?
Olaf. Ja, das war juſt meine Abſicht!
Ingeborg. Nun gut, ſo ſag' mir, wann biſt Du hier
heraufgekommen?
Olaf. Heut Nacht!
Ingeborg. Ich auch!
Olaf. Du!?
Ingeborg. Ja gewiß, ja gewiß! Und Du haſt Dich aus
dem Staube gemacht, ohne daß jemand darum wußte?
Olaf. Ja!
Ingeborg. Ich auch!
— 308 —
Olaf. Aber jo ſag' mir —
Ingeborg. Still, wir haben nicht viel Zeit! Und Du biſt
hierher geflüchtet, weil Du nicht eben Luſt hatteſt, mir zum
Altar zu folgen?
Olaf. Aber wie kannſt Du glauben —
Ingeborg. O ja, das glaub' ich ſchon. Sprich nur offen;
wir ſollten doch ehrlich mit einander reden.
Olaf. Nun wohl denn, es geſchah, weil ich —
Ingeborg. Gut, gut! Ich macht' es ebenſo!
Olaf. Du, Ingeborg!
Ingeborg. Und nun ſäheſt Du es wohl nicht gern, wenn
Dir jemand auf die Spur käme?
Olaf. Ja, das kann ich nicht leugnen.
Ingeborg. Ich auch nicht! Hahaha! Das iſt ein luſtiges
Ungefähr! Ich bin vor Dir und Du biſt vor mir geflohen!
Beide ſind wir hierher geflohen, und nun treffen wir uns, juſt
da unſere Sippen uns auf den Ferſen ſind. — Hör', Olaf Lilje—
krans! Das ſoll ein Wort ſein, — wir verraten einander nicht!
Olaf. Das ſoll ein Wort ſein!
Ingeborg. Aber nun müſſen wir uns trennen!
Olaf. Ich verſtehe!
Ingeborg. Denn träfen ſie uns beiſammen, ſo —
Olaf. Ja, ſo würde es Dir ſchwerer fallen, mich los zu
werden!
Ingeborg. Fahrwohl! Komm' ich noch einmal dazu, Hoch—
zeit zu halten, ſo ſollſt Du mein Brautführer ſein!
Olaf. Und ſollte mir dergleichen zu teil werden, wirſt
Du mir dann denſelben Dienſt erweiſen? —
Ingeborg. Das verſteht ſich! Fahrwohl! Fahrwohl! Und
ſei mir nicht böſe! g
Olaf. Gewiß nicht, — ich will Dir die Hand reichen, wo
wir uns auch begegnen!
N
nn ae
Ingeborg. Und ich Dir! Wo wir uns auch begegnen —
nur nicht vor dem Altar. Tritt in die Hütte. Olaf rechts im Hintergrunde
in den Wald ab.
6. Scene.
Frau Kirſtin, Arne von Guldvik, Hochzeitsgäſte,
Bauern und Knechte von rechts.
Trau Rirſtin. So — hier wollen wir die Jagd beginnen.
Unſere Leute müſſen ſich verteilen und den See rundum ab—
ſuchen. — Sie ſoll ans Tageslicht, und dann — Wehe, wehe
ihr! Ich übe keine Gnade und Barmherzigkeit.
Arne. Was wollt Ihr denn thun?
Frau Rirſtin. Gericht will ich über ſie halten — gleich an
der Stelle, wo wir ſie finden! Die Unthat, die ſie auf meiner
Gemarkung verübt hat, hab' ich Macht und Gewalt nach Recht
und Ermeſſen zu beſtrafen.
Arne. Ja, aber was hilft das? Was verloren iſt, wird
dadurch nicht wiedergewonnen.
Frau Rirſtin. Nein, aber ich nehme Rache an ihr und das
iſt kein geringer Gewinn. Rache, Rache muß ich haben, ſoll ich
meinen Verluſt und die ganze Schmach ertragen und überleben,
die ſie über mich gebracht hat. Das Unwetter heut Nacht hat
mir die Ernte des ganzen Jahres verdorben; nicht ein Halm
iſt auf meinem Acker unbeſchädigt geblieben, und hier, wo ihr
Aufenthalt iſt, wie ſie ſelbſt geſagt hat, — hier blüht und ge—
deiht alles ſo reich, wie ich es noch niemals geſehen habe!
Iſt das nicht die Wirkung geheimer Künſte? Meinen Olaf
hat ſie ſo feſt in ihr teufliſches Garn verſtrickt, daß er mitten
im wildeſten Unwetter aus dem Dorfe entwichen iſt, um ihr zu
folgen. Mein Haus hat ſie bis auf den Grund niedergebrannt;
alle Luken und Thüren hatte ſie von außen verrammelt; —
es war ein Gotteswunder, daß die Knechte noch rechtzeitig Hilfe
brachten!
— 310 —
Arne. Ach, Gott helf' uns! Ich fürchte, ich fürchte —
es hat zwei Leben gekoſtet, die mir teuer waren — das Leben
Ingeborgs und Hemmings, meines Knechts!
Frau Rirſtin. Nun, nun, Herr Arne! Ihr braucht noch
nicht ganz zu verzweifeln. Ingeborg kann doch noch davon—
gekommen ſein. Wir andern alle kamen ja auch mit heiler Haut
davon, trotz den Liſten der verdammten Hexe. — Ingeborg
iſt von Angſt verwirrt wohl irgendwo hingeflüchtet!
Arne. Ja, ja, mag's mit Ingeborg ſo ſein; aber nach
Hemming dürfen wir wohl nimmer fragen, das weiß ich ſicher!
Frau Rirſtin. Warum denn?
Arne. O, er war in der letzten Zeit ſo ein ränkevoller,
ſchlauer Satan geworden! Er hat ſich nur verbrennen laſſen,
um ſich an mir zu rächen. Er wußte, daß ich nicht einen Tag
ohne ihn ſein kann. O, ich kenne ihn!
Trau Rirſtin. Nun, wie dem auch ſei, — Alfhild müſſen
wir kriegen; ſie ſoll verhört, abgeurteilt und gerichtet werden.
Ich hab' ihr genug Unthaten vorzuwerfen.
Arne. Und ich kann noch mehr aufzählen, falls es deſſen
bedürfen ſollte. Sie hat meinen Apfelſchimmel aus dem Stall
geſtohlen; heut Morgen war er fort mit Sattel und Zaum.
Frau Rirflin beiseite. Ingeborg und Hemming fort und ſein
Pferd desgleichen! Wär' ich an ſeiner Stelle, ich wüßte wohl,
was ich zu glauben hätte. Laut. Laßt uns denn alſo auf—
brechen und uns in kleine Haufen verteilen. Wer zuerſt
Alfhild erſpäht, bläſt in ſein Horn oder Lur; die andern
achten darauf und folgen dem Laut, bis wir alle bei ein—
ander ſind.
Sie gehen nach verſchiedenen Seiten ab.
Arne der allein zurückgeblieben iſt. Und ich, der ich mich hier gar
nicht auskenne, wie ſoll ich mich zurecht finden. Ruft. Hemming,
Hemming! Hält inne. Ach Gott, es iſt ja wahr, er iſt —
Kopfſchüttelnd. Hm! Hm! Das war ſchändlich von ihm gehandelt!
Rechts ab.
7. Scene.
Alfhild kommt links vom Ufer des Bergſees; ſie trägt ein kleines Vündel.
Alfhild. Genug der Klagen! Ich weinte mich ſatt;
Hier muß ich ruhn — bin zu Tode matt!
Sinkt auf einen Stein im Vordergrund.
Erſt ſag' ich dem Vater Lebwohl — und dann
Steig' ich die einſamen Höhen hinan!
Im Thal ſeh' ich Olaf, wo ich auch ſei, —
Hinauf in die Berge, erſt dort werd' ich frei!
Ich muß, dem Schmerze nicht zu erliegen,
Die liebſten Gedanken in Schlummer wiegen. —
Ach, und ich glaubte das Leben ſo licht —
Nichts iſt Wahrheit, alles Gedicht!
Alles nur Gaukelbilder und Tand!
Was wir haſchen, wird jäh uns entweichen,
Was wir ſchauen, plötzlich erbleichen —
Nichts hält dem prüfenden Blicke ſtand!
Man hört Lurtöne aus dem Walde.
Hier bring' ich der Mutter Silberſchatz,
Den will ich vergraben an dieſem Platz:
Dort bei der Birke unter dem Gras,
Wo ich zuſammen mit Olaf ſaß.
Oeffnet das Bündel und zieht eine Brautkrone und anderes Geſchmeide hervor.
Die Brautkrone hat meine Mutter getragen;
Auch ſie alſo ward mit Bethörung geſchlagen,
Auch ſie alſo glaubte der Liebe Macht —
Iſt auch ſie dann ſo ſchrecklich erwacht? —
—
Waren ſie Spott, meines Vaters Weiſen,
Die ſelig das Glück der Liebe preiſen? —-
Weh mir, daß ich darauf gehört —
Er hat mir des Lebens Frieden zerſtört!
Es bauten ein Heim mir ſeine Lieder —
Tief drinnen im Herzen, — nun liegt es darnieder!
Das Lur ertönt von neuem.
Silber iſt Erz ſolch edler Art,
Nimmer zerfällt es, wie Gräſer zart;
Läg' es vergraben auch tauſend Jahr' —
Es wird nicht vergehen, bleibt blank und klar.
Des Lebens Glück iſt wie Gras — doch der Schmerz
Gleicht dem Silber, dem edlen Erz!
Packt die Geſchmeide wieder ins Bündel zuſammen.
Ein Schatz lag verzaubert im Bergesſchacht,
Dem enttropften neun Perlen jede Nacht;
Und doch, wie viel ſich auch löſten los —
Erſchöpft ward der Schatz nicht, — er war zu groß!
Mein Schmerz iſt gleich dem verzauberten Hort:
Perlen entſtrömen ihm fort und fort;
Nicht neun — unzählige Perlen klar,
Doch unerſchöpft bleibt er immerdar! —
Wie machte die Welt mich ſo klug, ſo klug!
Einſt folgt' ich ſinnend der Wolken Zug,
Blickt' ihnen nach in thörichtem Wähnen
Und träumte, ein Zug ſei's von himmliſchen Schwänen!
Einſt meint' ich, daß von des Glaubens Zweigen
Mir würden beſchattet die Wege,
Und daß der Fels in ſich Leben hege, —
Nun aber will mir dies alles ſchweigen.
Nun weiß ich: einzig des Menſchen Bruſt
Kann beben in Schmerz und ſchwellen in Luſt.
— 313 —
Es wohnt kein Tröſter in Laub und Geſtein —
Meinen Gram muß ich tragen allein, allein!
Erhebt ſich.
Wohlauf denn! Dem ewigen Eiſe zu!
Hier oder dort, — nur im Grab iſt Ruh!
Wendet ſich zum Gehen.
8. Scene.
Alfhild. Frau Kirſtin. Arne. Hochzeitsgäſte. Bauern und Knechte von
verſchiedenen Seiten. Später Olaf Liljekrans.
Frau Rirſtin. Da iſt ſie! Alfhild, ſteh! Verſuche nicht
zu entſchlüpfen, ſonſt ſchießen wir Dich nieder!
Alfhild. Was willſt Du von mir?
Frau Birfin. Das ſollſt Du noch früh genug erfahren.
Zeigt auf ihr Bündel. Was trägſt Du da?
Alfhild. Meiner Mutter Erbe!
Frau Rirſtin. Gieb her! — Schau, ſchau! Eine ſilberne
Krone! Fürwahr, Alfhild! Biſt Du Deiner Mutter einzige
Tochter, ſo fürcht' ich ſehr, die Brautkrone wird in ihrer Familie
nicht mehr gebraucht werden. Zu den Knechten. Bindet ſie! Wie
ſie daſteht und die Harmloſe ſpielt. Keiner kann wiſſen, worauf
ſie ſinnt.
Alfhild wird gebunden.
Frau Nirſtin laut, mit unterdrückter Leidenſchaft. Das Gericht iſt
eingeſetzt! Wie Ihr alle wißt, hab' ich geſetzlich Recht und
Anſpruch darauf, meine Gemarkung zu ſchirmen und nach den
Satzungen des Landes das Urteil über jeden zu fällen, der mir
auf meinem eigenen Grund und Boden Unbill zugefügt. Deſſen
haſt Du Dich erdreiſtet, Alfhild, und darum ſtehſt Du nun hier
als Angeklagte vor Deinem Richter. Verantworte Dich, wenn
Du kannſt, — aber vergiß nicht, daß es Dein Leben gilt.
Arne. Aber ſo hört, Frau Kirſtin!
— 314 —
Frau Rirſtin. Verzeiht, Herr Arne! Ich bin in meinem
Recht, und daran will ich feſthalten. Zu Alfhind. Tritt vor und
antworte mir!
Alfhild. Fragt nur, ich werde antworten!
Frau Rirſtin. Zahlreich und ſchwer find die Beſchuldigungen,
die wider Dich erhoben werden! Zuerſt und vor allem be—
zichtige ich Dich hier, durch gottloſe Künſte meinen Sohn Olaf
Liljekrans bethört zu haben, ſo daß ſeine Sinne und Gedanken
ſich von ſeiner verlobten Braut abwandten, — und kranken
Herzens er keine Stunde Frieden mehr daheim fand, ſondern
dieſes unbekannte Thal aufſuchte, wo Du Dich aufgehalten haſt.
Solches kann nicht auf natürliche Weiſe zugegangen ſein! Du
wirſt darum der Zauberei bezichtigt — verantworte Dich, wenn
Du kannſt!
Alfhild. Wenig hab' ich darauf zu antworten. Zauberei
nennſt Du jene ſeltſame Macht, die Olaf hier herauf gezogen hat.
Vielleicht haſt Du recht; aber dieſe Zauberei iſt kein Werk des
Böſen; — jede Stunde, die Olaf hier geweilt, — Gottes Augen
müſſen ſie geſehen haben! Jeden Gedanken, den ich Olaf ge—
weiht, — Gottes Engel müſſen ihn kennen; und ſie werden ſich
deſſen nicht ſchämen.
Frau Rirſtin. Genug, genug! Du fügſt Deinem Verbrechen
noch Gottesläſterung hinzu. Weh' Dir, Alfhild! Jedes Wort
ſenkt die Schale Deiner Schuld tiefer. Doch, — das iſt Deine
Sache! Zu den uebrigen. Ich ruf Euch alle zu Zeugen ihrer
Antwort an. Wendet ſich zu Alſhild. Ich beſchuldige Dich ferner,
daß Du auch in dieſer Nacht wieder, durch dieſelben geheimen
Kräfte, Olaf hier heraufgelockt haſt, und daß Du ihn nun hier
oben verſteckt hältſt!
Alfhild. Du haſt recht! Er iſt hier heimlich verborgen!
Trau Rirſtin. Das giebſt Du zu?
Alfhild. Ja, aber ſo mächtig Du auch biſt, — ihn befreien
— 315 —
kannſt Du nicht. Vielleicht wäre das am eheſten zu meinem Heile,
wenn Du dazu im ſtande wäreſt; aber nicht Du, nicht die ganze
weite Erde kann es mit all ihrer Macht und all ihrem Vermögen!
Frau Kirſtin in heftiger Erregung. Nun iſt Dir der Tod gewiß!
Heraus damit! Wo haſt Du ihn?
Alfhild drückt die Hände gegen die Bruſt. Hier drinnen — im
Herzen! Kannſt Du ihn da herausreißen, ſo kannſt Du beſſer
hexen als ich!
Frau Rirſtin. Die Antwort nützt wenig! Heraus damit,
wo iſt er?
Alfhild. Ich habe geantwortet!
Frau Nirſtin mit unterdrüctter Wut. Gut, gut!
Arne zu den umſtehenden. Wäre Hemming noch am Leben, ſo
hätt' er wohl die Wahrheit aus ihr herausgebracht; er war jo
ſchlau geworden auf ſeine letzten Tage.
Frau Rirſtin. Nun kommt die dritte Klage wider Dich:
Du haſt heut Nacht Feuer an meinen Hof gelegt und ihn
bis auf den Grund niedergebrannt. Vielleicht hat es Menſchen—
leben gekoſtet, — das wiſſen wir noch nicht. Aber wie dem
auch ſei, dadurch wird Deine Sache weder ſchlimmer noch beſſer;
denn Deine Abſicht, uns alle zuſammen im Hauſe zu verbrennen,
liegt klar am Tage. Leugneſt Du etwa, wenn ich Dich beſchuldige,
den Hof in Brand geſteckt zu haben?
Alfhild. Ich leugn' es nicht, — ich habe Deinen Hof in
Brand geſteckt!
Frau Rirſtin. Und womit willſt Du Deine That beſchönigen?
Mit bitterem Spott. Du wirſt nicht ſagen können, daß Du übereilt
gehandelt haſt. Gelegenheit, Dir's zu überlegen, hatteſt Du
genug, ſoweit ich mich entſinne. Du ſtandeſt draußen; niemand
kam Dir nahe, niemand hinderte Dich, alles in der größten
Ruhe zu überdenken. Du kannſt auch nicht einwenden, daß die
Feſtesluſt Dir zu Kopfe geſtiegen iſt, auch nicht, daß der Wein
— 316 —
Dich heiß und trunken gemacht hat; denn Du warſt nicht mit
im Hauſe, Du ſtandeſt draußen, und es war kühl genug, und
friſche Winde wehten, die Dich wohl hätten beſonnen machen
können.
Alfhild. Ja, ich habe Deinen Hof in Brand geſteckt; aber
Du und Olaf und all Ihr andern da habt viel Schlimmeres
an mir verübt. Die Welt war mir eine Königshalle, die
dem großen Vater gehörte. Der blaue Himmel war ihr Dach,
die Sterne waren die Lampen, die von ihrer Decke herab—
leuchteten. Ich ging froh und reich darin umher. Aber Ihr,
Ihr habt einen Feuerbrand mitten hinein in die goldene Herr—
lichkeit geworfen. Nun iſt alles tot und verdorrt!
Frau Birfin. Solche Reden helfen Dir wenig! Noch ein—
mal frag' ich Dich: wo iſt Olaf Liljekrans, mein Sohn?
Alfhild. Ich habe geantwortet!
Frau Rirſtin. So haſt Du Dir auch Dein Urteil geſprochen,
und ich will es bekräftigen.
Olaf erſcheint auf der Felſenſpitze zwiſchen den Bäumen, ohne von den Anweſenden
bemerkt zu werden.
Olaf beiseite. Alfhild! — Gott im Himmel, was iſt das?
Zieht ſich ungeſehen zurück.
Frau Kirſtin. Als der Hexenkünſte und der Mordbrennerei
ſchuldig, biſt Du nach dem Geſetz des Landes dem Tode ver—
fallen! Dieſe Strafe wird hiermit über Dich verhängt und ſoll
unverzüglich hier auf der Stelle vollzogen werden!
Arne. Aber ſo hört, Frau Kirſtin!
Frau Rirſtin. Das Urteil iſt gefällt! Alfhild wird den
Tod erleiden!
Alfhild. Thu', was Dich lüſtet! Ich werde Dich darin
nicht hindern! Als Olaf ſeine Liebe verleugnete, da erloſch
mein Leben — ich lebe nicht mehr!
— 317 —
Frau Rirfin. Führt ſie dort auf die Felſenſpitze hinauf!
Zwei Knechte führen Alfhild hinauf.
Frau Rirſtin. Zum letzten Mal, Alfhild! Gieb mir meinen
Sohn zurück!
Alfhild. Ich antworte nicht mehr!
Frau Rirſtin. So geſchehe Dir denn nach Deinem Willen!
Zu den Knechten. Stoßt ſie hinab! Nein, halt! Mir fällt noch
etwas ein! Zu Alfhild. Wie Du ſo daſtehſt, erinnerſt Du mich
an den geſtrigen Tag, da Du mit der Goldkrone im Haar her—
vortrateſt und meinteſt, Du wäreſt würdig, die Braut des Olaf
Liljekrans zu ſein. Nun wollen wir doch ſehen, wie hoch man
Dich einſchätzt! Hier ſind Bauern und Knechte und viel geringe
Leute zur Stelle. Vielleicht iſt Dein Leben noch zu retten! Ja,
Alfhild! Du ſiehſt mich an, aber es iſt ſo! Ich will Dir gnädig
ſein! Wendet ſich zu den uebrigen. Nicht wahr? Ihr kennt alle die
alte Sitte, die da gebietet, daß einem Weibe, wenn es wegen
eines todeswürdigen Verbrechens verurteilt iſt wie ſie da, Leben
und Freiheit wiedergegeben werden, wofern ein unbeſcholtener
Mann hervortritt und es unſchuldig nennt und ſich willens
und bereit erklärt, es zu ehelichen! Nicht wahr, die Sitte
kennt Ihr?
Alle. Ja, ja!
Alfhild mit hervorbrechenden Thränen. O, daß man mich in meiner
letzten Stunde noch ſo verhöhnt, ſo bitter verhöhnt.
Trau Rirſtin. Nun wohl, Alfhild! Dieſe Sitte ſoll Dir
zu gute kommen. Falls ein Knecht, und ſei's auch der geringſten
einer, aus meinem Gefolge hervortritt und ſich willens und
bereit erklärt, Dich zu ehelichen, biſt Du frei! Sieht ſich um
Meldet ſich keiner? Aue ſchweigen.
Frau Rirſtin. Setzt ihr die Silberkrone auf. Die ſoll noch
mit in den Kauf gegeben werden! Vielleicht ſteigſt Du dadurch
im Preiſe, Alfhild! Die Krone wird Alfhild aufs Haupt geſetzt.
— 318 —
Frau Rirſtin. Zum andern Male frag' ich: iſt keiner willens,
fie zu erretten? Sie ſiett ſich um. Ale ſchweigen.
Frau Rirſtin. Nun gilt es; doch fürcht' ich, Deine Augen⸗
blicke ſind gezählt. Hört' mich wohl an, Ihr Knechte da oben!
Wenn auch nach dem dritten Aufruf niemand antwortet, ſo achtet
auf mein Zeichen und ſtürzt ſie hinab in den See. Nun gebrauche
Deine Künſte, Alfhild! Sieh zu, ob Du Dich vom Tode los—
zaubern kannſt. Mit lauter Stimme. Zum letzten Mal! Da ſteht
die Hexe und Mordbrennerin! Wer rettet und ehelicht ſie?
Sie ſieht ſich um. Alle ſchweigen. — Frau Kirſtin hebt raſch die Hand zum Zeichen,
die Knechte ergreifen Alfhild. Im ſelben Augenblick ſtürzt Olaf in voller Hochzeits⸗
kleidung auf die Felſenſpitze vor.
Olaf. Ich rette ſie und will ſie ehelichen! er ſtoßt die anechte
zur Seite und zerreißt Alfhilds Bande. Alfhild ſinkt mit einem Schrei an ſeine
Bruſt; er umſchlingt ſie mit dem linken Arm und hebt die Rechte drohend empor.
Alle ſtehen wie verſteinert und rufen: Olaf Liljekrans!
Trau Rirſtin. Olaf Liljekrans, mein Sohn! Was haſt Du
gethan? Haſt Dich auf ewig mit Schande bedeckt!
Olaf. Nein, ich waſche die Schande und Schmach ab, die
ich auf mich gehäuft durch mein Verhalten gegen ſie. Meine
Schuld will ich ſühnen und ſelber dadurch glücklich werden!
Führt Alfhild vor. Ja, vor Euch allen nenn’ ich dieſe junge Maid
laut und vernehmlich meine Braut! Sie iſt unſchuldig an allem,
deſſen ſie angeklagt iſt; nur ich habe mich vergangen. Beugt das
Knie vor ihr. Und zu Deinen Füßen bitte ich Dich, zu vergeſſen
und zu vergeben —
Alfhild beot ion auf. Ach, Olaf, Du haſt mir alle Herrlich—
keit der Welt zurückgegeben!
Frau Rirſtin. Du willſt ſie ehelichen! Gut und ſchön, —
dann bin ich Dir nicht länger eine Mutter!
Olaf. Großer Schmerz wird mir dadurch bereitet, obſchon
es lange her iſt, daß Ihr mir eine wahre Mutter geweſen ſeid.
— 319 —
Ihr konntet mich nur dazu brauchen, Euern eigenen Stolz groß—
zuziehen. Ich war ſchwach und fand mich darein. Aber nun
hab' ich Kraft und Willen gewonnen, nun ſtehe ich feſt auf
meinen eigenen Füßen und gründe mir ſelbſt den Bau meines
Glücks!
Frau Rirſtin. Aber ſo bedenke doch —
Olaf. Nichts will ich mehr bedenken! Ich weiß, was ich
will. Jetzt erſt verſtehe ich meinen ſeltſamen Traum. Es wurde
mir verheißen, ich ſollte die ſchönſte Blume finden und ſollte ſie
zerpflücken und in alle Winde ſtreuen. O, und ſo iſt es auch
geſchehen! Eines Weibes Herz iſt die ſchönſte Blume der Welt;
all die reichen und goldenen Blätter darin hab' ich zerriſſen
und in die Winde geſtreut. Aber tröſte Dich, Alfhild! Manch
ein Samenkorn iſt mitgefolgt, — der Schmerz hat es gereift,
und daraus wird ein neues, reiches Leben uns hier im Thal
erblühen; denn hier wollen wir wohnen und Hütten bauen!
Alfhild. O, nun bin ich ſelig, wie in dem erſten Augen—
blick, da wir uns ſahen!
Frau Rirſtin beiſeite. Ingeborg iſt fort, — dieſes reiche
Thal gehört Alfhild. Kein anderer hat ein Recht darauf —.
Laut. Nun wohl, Olaf! Ich will Deinem Glücke nicht im
Wege ſein. Meinſt Du auf dieſe Weiſe es zu finden, ſo — —
Meine Zuſtimmung habt Ihr!
Olaf. Dank, Mutter, Dank! Nun fehlt mir nichts mehr!
Alfhild zu Frau Kirſtin. Und mir vergiebſt Du all meine
Schuld?
Frau Rirſtin. Nun ja! Vielleicht war der Fehler auch
auf meiner Seite. Nichts mehr davon!
Arne. Und was iſt mit mir? Und mit meiner Tochter,
mit der Herr Olaf verlobt geweſen iſt — Doch, es iſt ja wahr,
— vielleicht lebt ſie nicht mehr!
Olaf. Gewiß lebt ſie!
— 320 —
Arne. Sie lebt? Wo iſt ſie? Wo?
Olaf. Das kann ich nicht jagen; aber ſoviel ſteht feſt, wir
haben beide in aller Freundſchaft unſer Verlöbnis gelöſt!
Frau Rirſtin. Ihr ſeht, Herr Arne, daß ich — —
Arne. Ja, ja, meine Tochter ſoll zu nichts gezwungen werden.
Alfhild war es beſchieden, einen Rittersmann zu bekommen; aber
das kann wohl auch Ingeborg noch zu teil werden. Mit Würde.
Ihr edlen Herren und wohlgeborenen Männer! Höret meine
Rede! Es iſt mir zu Ohren gekommen, daß ich von manchem
unter Euch für einen Mann gehalten werde, der in höfiſchem
Schick und Brauch wenig bewandert iſt. Ich will Euch nun
beweiſen, daß das in Euren Hals gelogen iſt. In den alten
Chroniken wird erzählt: wenn einem braven König ſeine Tochter
abhanden kommt, ſo gelobt er ihre Hand und die Hälfte des
Reiches dem, der ſie wieder findet. Ich will thun wie die alten
braven Könige. Wer Ingeborg wiederfindet, bekommt ihre Hand
und mein halbes Hab und Gut dazu. Seid Ihr mit dabei?
Die jungen Knechte. Ja, ja!
9. Scene.
Die Vorigen. Ingeborg tritt ſchnell aus der Hütte und zieht Hemming
hinter ſich her.
Ingeborg. Da bin ich! Hemming hat mich gefunden!
Alle erſtaunt. Ingeborg und Hemming! Hier?!
Arne ärgerlich. Ei, da ſoll doch — —
Ingeborg wirft ſich ihm an die Bruſt. O Vater, Vater! Es hilft
Dir nichts! Du haſt Dein Wort gegeben!
Arne. Ihm hat es nicht gegolten! Doch nun verſteh' ich!
Er ſelbſt hat Dich entführt!
Ingeborg. Nein, im Gegenteil, Vater! Ich hab' ihn entführt!
Arne erſchroten. Willſt Du ſchweigen mit ſolchen Reden!
Biſt Du denn verrückt?
— 321 —
Ingeborg leiſe. So ſag' ja, gleich auf der Stelle! Sonſt
erzähl' ich allen Menſchen, daß ich es war, die — —
Arne. Schweig, ſchweig! Ich ſage ja ſchon ja! rut zwiſchen
beide und ſieht Hemming grimmig an. Du warſt es alſo, der meinen
Apfelſchimmel mit Sattel und Zaum geſtohlen hat?
Hemming. Ach, Herr Arne —
Arne. O, Hemming! Hemming! Du biſt ein — Veſinnt ſich.
Na, Du biſt der Bräutigam meiner Tochter, und damit ſei's gut!
Hemming und Ingeborg. O Dank, Dank!
10. Scene.
Die Vorigen. Thorgjerd, mit ſeinem Saitenſpiel in der Hand, hat ſich während
der letzten Vorgänge unter die Menge gemiſcht.
Thorgjerd. Ei, ſieh, ſieh! Soviel Volk heut hier im Thale!
Die Bauern. Thorgjerd, der Spielmann!
Alfhild wirft ſich in ſeine Arme. Mein Vater!
Alle. Ihr Vater!
Olaf. Ja, ja, Alter! Heut iſt es voll fröhlichen Volkes hier,
und ſo ſoll es auch in Zukunft bleiben. Deiner Tochter Hochzeit
wird gefeiert; aus Liebe hat ſie ihren Bräutigam erkoren, von
Liebe haſt Du ihr geſungen, — Du wirſt nicht wider uns ſein!
Thorgjerd. Mögen alle guten Geiſter mit Euch ſein!
Alfhild. Und Du bleibſt bei uns!
Thorgjerd. Nein, nein, Alfhild! —
Ein Spielmann hat weder Heim noch Haus,
Sein Sinn geht raſtlos ins Weite hinaus.
Wem da von Liedern die Bruſt geſchwellt,
Des Heimat iſt rings die weite Welt.
Im Laubſaal, im Thal, am grünenden Hang
Muß er rühren die bebenden Saiten zum Sang;
Dem heimlichſten Leben muß er lauſchen:
Des Gießbachs Toſen, der Woge Rauſchen,
Ibſen, Olaf Liljekrans.
0
— 322 —
Des pochenden Herzens ſeltſamen Mären;
Sein Lied muß des Volkes Träume klären
Und all die Gedanken, die gären!
Olaf zu Thorgjerd.
Doch kommſt Du zu Gaſte wohl dann und wann! —
Ich will ein Haus hier im Birkenwald bauen,
Alfhild, da findeſt Du Frieden fortan!
Da ſollſt Du nur glückliche Tage ſchauen,
Und nie ſollen Thränen das Aug' Dir betauen.
Alfhild. Nun ſeh' ich, das Leben iſt reich und licht,
Licht wie des Herzens ſchönſtes Gedicht!
Wie ſchwer und nächtig düſter die Sorgen —
Einmal doch tagt ein ſtrahlender Morgen!
Kniet nieder.
Ihr Englein! Ihr habt meine Schritte gelenkt,
Habt wieder Troſt mir und Frieden geſchenkt!
Ihr ſtütztet den Fuß, der vom Pfade wich —
Nimmer im Glauben wanken will ich!
Ihr himmliſchen Mächte — ihr haltet noch Wacht?
Die Sonne ſcheint klar nach der Wetternacht. —
Trotz allem mußt' unſre Liebe beſtehn —
Mag, was da will, nun geſchehn!
Nun bin ich bereit, nun gewann ich Stärke
Und Mut zu des Lebens wechſelndem Werke!
Mit einem Blick auf Olaf.
Und ſcheiden wir einſt —
Bricht ab und hebt die Hände hoch empor.
Dann, weich und warm,
Tragen uns Engel in Gottes Arm!
Alle gruppieren ſich um ſie.
Der Vorhang fällt.
Herrofs & Ziemfen, Wittenberg.
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