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Full text of "Sämtliche Werke; in deutscher Sprache"

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Henrik Ibſens 


Sämtliche Werke 


deutſcher Sprache 


Zweiter Band 


Das Hünengrab. Deutſch von Emma Klingenfeld 
Frau Inger auf Oeſtrot. Deutſch von Emma Klingenfeld 
as Feſt auf Solhaug. Deutſch von Chriſtian Morgenſtern 


Olaf Liljekrans. Deutſch von Emma Klingenfeld 


Berlin 


S. Fiſcher, Verlag 


BE. 
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v. 


Henrik Ibſens 


Sämtliche Werke 
deutſcher Sprache 


Durchgeſehen und eingeleitet 
von 


Georg Brandes, Julius Elias, Paul Schlenther 


9. 
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Vom Dichter autoriſiert 2 . 
9 
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Berlin 


S. Fiſcher, Verlag 


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Ein Spielmann hat weder heim noch Raus, 
sein Sinn geht rastlos ins Weite hinaus. 
Wem da von Liedern die Brust geschwellt, 
Des heimat ist rings die weite Welt. 
Im Eaubsaal, im Thal, am grünenden Fang 
muss er rühren die bebenden Saiten zum Sang; 
Dem heimlichsten Leben muss er lauschen: 
Des Giessbachs Tosen, der Wege Rauschen, 
Des pochenden Herzens seltsamen Mären; 
Sein Lied muss des Volkes Träume klären 
Und all die Gedanken, die gären! 

Olaf Ciljekrans III, 9. 


Inhaltsverzeichnis. 


Einleitung 
Das Hünengrab 
Frau Inger auf Oeſtrot 


Vorrede zur zweiten Ausgabe von „Das Feſt auf Solhaug“ 


Das Feſt auf Solhaug 
Olaf Liljekrans . 


Seite 


IX 


Einleitung. 


Während Henrik Ibſen ſich im Jahre 1850 auf das 
akademiſche Examen vorbereitete, vollendete er in den Pfingſt— 
ferien das kleine, in Buchform bisher noch nicht veröffentlichte 
Schauſpiel „Das Hünengrab“, das im September und 
Oktober desſelben Jahres auf dem Chriſtianiaer Theater und zwar 
nur dreimal, aufgeführt wurde. In umgearbeiteter Form — ur— 
ſprünglich hatte es in der Normandie geſpielt — erſchien es dann 1854 
ſtückweiſe im Feuilleton der „Bergener Blätter“; die betreffenden 
Nummern ſind verloren gegangen und nicht mehr aufzufinden. 
Im Januar 1854 und im Februar 1856 wurde es in der vor— 
liegenden Faſſung noch zweimal auf der Chriſtianiaer Bühne 
gegeben. Wenn der Autor dieſer Arbeit unbekannt wäre, 
würde nichts ihn erraten laſſen: ſo abhängig iſt Ibſen hier 
noch von ſeinen erſten Vorbildern. In der Form der Verſe, 
in der Wahl des Ausdrucks, im ſprachlichen Ton nicht minder 
als im Thema, in der Auffaſſung der Menſchen nordiſcher 
Vorzeit, im ganzen Gefühls- und Gedankeninhalt offenbart ſich 
ein junger und begeiſterter Schüler des betagten Oehlenſchläger. 
Die guten, leichtfließenden Verſe haben Oehlenſchlägerſchen Takt 
und Klang, die Figuren ſind wie aus einer Tragödie oder tra— 
giſchen Idylle des Altmeiſters herausgeſchnitten. 

In dieſer ſeiner Frühzeit übt Henrik Ibſen noch keine 
Kritik an der poetiſchen Ueberlieferung. Er teilt hier noch 
die allgemein herrſchenden Anſchauungen. Das Stück iſt 
von der Begeiſterung für die nordiſche Vorwelt getragen, 
und ein junges ſüdländiſches Mädchen iſt ihre beredte Ver— 


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künderin. Etwas ſtärker als in der Regel Oehlenſchläger betont 
der junge Ibſen vielleicht die Roheit und Grauſamkeit, die 
Vikingerfahrten mit ſich brachten; aber ſie ſtehen doch auch für 
ihn in einem höchſt poetiſchen Licht, das um jo jtärfer auf ſie 
fällt, weil er ein junges exotiſches Weib ſo lebhaft für nordiſches 
Heldentum ſchwärmen läßt. Wie hier Blanka vom Norden 
träumt und ſich nach dem Norden ſehnt, hingeriſſen von den 
Thaten der blauäugigen Seekönige, hatte bei Oehlenſchläger im 
„Tordenskjold“ das junge engliſche Fräulein, Miß Carteret, 
ohne jemals den Gegenſtand ihrer Bewunderung geſehen zu 
haben, in Begeiſterung für den däniſchen Seehelden gelebt und 
gewebt, und jo ungefähr hatte auch Marie in „den Wäringern“ 
zu Harald Härderäde emporgeblickt. 

Die Grundlage des Stückes bildet die Vorſtellung, daß 
das eigentliche Leben jener Zeit ſeinen Schauplatz gewechſelt 
hatte und vom Süden an den Norden übergegangen war. Im 
Süden hatte es längſt in Kunſt und Wirklichkeit Blüten getrieben, 
— dort war Leben „in kalten Stein gebannt“, wie es in der 
Dichtung heißt; im Norden dagegen, wo die Natur noch rauh 
und wo von Kunſt noch keine Rede war, ſchlug das Leben noch 
in ſeiner urſprünglichen Kraft. Aber das war gerade auch, 
Oehlenſchlägers Anſchauung geweſen. 

Trotzdem ſpürt man bei Ibſen nicht die gleiche Vorliebe 
für nordiſches Heidentum auf Koſten des ſüdländiſchen Chriſten— 
glaubens, wie ſie Oehlenſchläger in „Hakon Jarl“, „Palnatoke“ 
und „den Wäringern“ offenbart. Daß Blanka für ihre Feinde 
betet, macht ſie dem nordländiſchen Heiden überlegen und ſetzt 
ihn in Verwirrung. Vergebens ſucht ſich der junge König des 
ſtarken Eindrucks zu erwehren. In Oehlenſchlägers „Hakon, 
Jarl“ giebt Auden dem Olaf Tryggvaſon, der das Chriſten— 
tum einführen will, die berühmte Antwort: 

„Burſch, laß meine Tannen ſtehn!“ 
Ganz ähnlich antwortet Gandalf der Blanka auf ihre Behaup- 
tung, ihr Glaube, auf nordiſchen Boden verpflanzt, würde die 
nackte Felswand mit Blumen bedecken: 


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„Laß dem Felſen 
Die kahlen Wände, bis er ſtürzt zuſammen!“ 


Aber Blanka behält recht, und der Geiſt einer neuen Zeit 
folgt in ihrer Geſtalt dem Seekönig nach ſeiner Heimat. Durch 
ihren Einfluß wird ſein Weſen gemildert und veredelt. So 
ſteht denn die Idee der Güte als das Höchſte im Stücke da; 
nicht Kraft, ſondern Güte iſt für Ibſen, als er zweiundzwanzig 
Jahre zählt, wie für Oehlenſchläger, als er ſiebenzig alt war, 
das Erhabenſte auf der Welt. Später nimmt bei ihm das Ideal 
einer bloßen Güte einen mehr dialektiſchen Charakter an, wie 
wir an Tante Juliane in „Hedda Gabler“ ſehen. 

Der alte Viking, der, auf der öden Inſel zurückgelaſſen, 
ſchließlich die Abſicht ausſpricht, dort ſein Leben zu beenden, 
iſt in ſeiner ſchwachen Zeichnung wiederum eine Oehlenſchlägerſche 
Figur; er erinnert ein wenig an den Helden in „den beiden 
Armringen“. Wenn der Skalde ſich entſcheidet, bei ihm zu 
bleiben, um ihm einſt die Augen zuzudrücken und ihm das 
Totenlied ſeines alten Glaubens zu ſingen, ſo iſt das ein Zug 
guter alter Romantik. 

Aber das erwachende Selbſtgefühl des jugendlichen Dichters 
kommt, trotz aller Nachahmung, doch in den letzten Zeilen des 
Stückes zu Worte. Blanka ſpricht hier die Weisſagung aus, 
daß, wie der Held dem Grab, in das man ihn legte, ſo auch 
Nordland einſt „hell und hehr“ der Gruft entſteigen werde: 


„zur Geiſtesthat auf des Gedankens Meer!“ 


Es iſt dies eine Weisſagung, die aus dem Rahmen des Stückes 
herausfällt, — die einzigen Zeilen, die, bezeichnend genug, in dem 
erhaltenen Originalmanuſkript (dem Soufflierbuch der Bergener 
Theaterbibliothek) von Ibſens eigener Hand hinzugefügt ſind. Und 
in dieſen Worten hat er denn auch ſeinen ſtarken und berechtigten 
Glauben an die Zukunft unzweideutig ausgeſprochen. 


— XII — 


„Frau Inger auf Oeſtrot“, die im Winter 1854 in 
Bergen entſtanden iſt, wurde zum erſten Male am 2. Januar 1855 
auf dem Bergener Theater geſpielt, 1857 in einigen wenigen 
Exemplaren gedruckt, 1874 nach nicht ſehr weſentlicher Umarbeitung 
endgültig herausgegeben und darauf in Norwegen, Schweden, 
Finnland und Deutſchland auf die Bühne gebracht. Das Stück 
iſt ohne Frage unter den Werken, die Henrik Ibſen vor ſeinem 
dreißigſten Lebensjahre geſchrieben hat, das bedeutendſte. Sein 
Thema iſt norwegiſch-national. Es iſt als Nationalſchauſpiel zur 
Erinnerung an den Stiftungstag des Bergener Theaters ge— 
dichtet worden. Augenſcheinlich iſt es dem warmen Nationalgefühl 
des jungen Dichters entſprungen. Und daß des Dramas Spitze 
gegen Dänemark gerichtet iſt, kann nicht wunder nehmen: denn 
das lag teils an der Beſchaffenheit des Themas, teils an der 
polemiſchen Haltung, die das norwegiſche Nationalgefühl dem 
Dänentum gegenüber einnahm, ſolange auf dem Theater in 
Chriſtiania däniſch geſpielt wurde, und man noch auf ver— 
ſchiedenen Gebieten eine Befreiung von den Traditionen der 
Dänenzeit anſtrebte. 

Obſchon das Stück der Hiſtorie Rechnung trägt, inſoweit die 
Namen der auftretenden Perſonen durch die Ueberlieferung ver— 
bürgt ſind, hält es ſich doch auch nicht in einem Punkte an 
den wirklichen geſchichtlichen Sachverhalt. Frau Inger war in 
Norwegen keine Repräſentantin dänenfeindlicher Beſtrebungen; ſie 
litt keineswegs unter der Vermählung ihrer Töchter mit däniſchen 
Edelleuten; der „Dalejunker“ (der Nils Stenſſön des Stückes), 
deſſen Verlobung mit einer ihrer Töchter ſie zuließ, war ebenſo— 
wenig ihr Sohn wie der Sohn Sten Stures, wenn auch Frau 
Inger ihn dafür hielt. Nils Lykke, auf den Ibſen einige Züge 
übertragen hat, die in Sang und Sage dem däniſchen Edel— 
mann Kaj Lykke beigelegt werden, war nicht wie im Schauſpiel 
der unwiderſtehliche Don Juan, vielmehr iſt er mit einer Tochter 
Frau Ingers, mit Eline, verheiratet geweſen und hat ſich ſpäter, 
nach der Mutter Tode, in ein Liebesverhältnis mit ihrer zweiten 
Tochter Lucia eingelaſſen, was in der Auffaſſung der damaligen 


Zeit Blutſchande bedeutete und jo ſeine Gefangennahme und 
ſeinen Tod herbeiführte. 

Ibſen hat alle dieſe Perſönlichkeiten und Verhältniſſe um— 
geſtaltet. Er hat aus dem Nichts eine nationale Heldin ge— 
ſchaffen, die dazu berufen iſt, ihr Vaterland zu befreien, ſich 
aber durch ein unglückliches Schickſal, ihre Angſt um einen un— 
echten Sohn, der als eine Art Geiſel in den Händen des 
Feindes allen möglichen Unbilden ausgeſetzt iſt, beſtändig in 
der Ausführung ihres Vorſatzes gehemmt und gehindert ſieht. 
Er hat dieſer Geſtalt tragiſche Größe verliehen. Er hat ferner 
ganz aus eigener Phantaſie die andere überragende Geſtalt 
geſchaffen, den däniſchen Ritter Nils Lykke, den ehrgeizigen 
Diplomaten und klugen Ränkeſchmied, deſſen Macht über junge, 
ſeinen Lebensweg kreuzende Weiber ſprichwörtlich geweſen iſt in 
jener Zeit. Dieſe Geſtalt iſt wohl weniger originell als die 
erſte; aber ſie hat ein gutes inneres Gefüge, hat klare Konturen, 
wechſelndes Leben und ſteht feſt auf den Füßen. Endlich hat 
Ibſen hier in Eline Gyldenlöve ſeine erſte herzgewinnende und 
-ergreifende Frauenfigur geſtaltet — jenes junge Mädchen, das, 
im Anfang ſo ſtolz und feſt, ſich dann ſo ſchnell und ſo ganz 
von der Leidenſchaft ihrer Liebe hinreißen läßt. 

Hier lagen die Elemente zu einer klaren und einfachen 
Tragödie; Ibſen hat den Stoff zu einem Spiel von Intriguen 
ausgebeutet, in dem fortwährend neue Knoten geſchürzt werden 
und ſich die Perſonen durch ein Dunkel vorwärts taſten, wo 
der Wille des Dichters ſie immer wieder und wieder feſthält, 
um ſie fehlgreifen zu laſſen. Sie werden in ein Netz von 
Mißverſtändniſſen verſtrickt, und wenn es an einem einzelnen 
Punkte zerriſſen wird, geſchieht es nur, um ſie an andern 
Stellen um ſo dichter einzuſpinnen und mit verzweifelter Zweck— 
widrigkeit handeln zu laſſen. Keine Unwahrſcheinlichkeit hat der 
Dichter geſcheut, um die Perſonen ſeines Stückes gewiſſermaßen 
mit Blindheit zu ſchlagen: ſo iſt Eline Gyldenlöve über das 
Schickſal ihrer verſtorbenen Schweſter völlig unterrichtet, hat 
aber doch keine Ahnung von dem Namen des Mannes, der an 


— XV — 


ihrem Tode ſchuld geweſen iſt, und bleibt bis zum Schluß in 
Unkenntnis darüber, daß Nils Lykke, den ſie liebt, dieſer Mann 
war. Es wird in dem ganzen Schauſpiel eine Geheimniskrämerei 
getrieben, die allein die vielen Mißverſtändniſſe ermöglicht, und 
die hier zum erſten Mal Ibſen als den genialen Myſtifikator 
zeigt, der er als Dramatiker immer geblieben iſt. Man ſpürt 
hinter dieſer allzu ſinnreichen Kunſt, den Faden der Handlung 
zu verſchlingen, den bereits geübten Theatermann, den Bühnen— 
praktiker und den Regiſſeur, der durch das Studium zahlreicher 
fremder, zumal franzöſiſcher Dramen und durch tägliche Er— 
fahrung die ſichere Kenntnis deſſen erlangt hat, was von der 
Bühne herab wirkt. 

Gleich zu Beginn des Stückes weiß z. B. Olaf Skaktavl, 
daß er einen Mann auf Oeſtrot treffen ſoll, aber nicht, wer 
dieſer Mann iſt. Als nun Nils Lykke, der dort den Grafen 
Sture zu finden hofft, von der Ankunft eines Fremden hört, 
hält er folgerichtig Skaktavbl für Sture, während ſeinerſeits 
Skaktavl, der Nils Stenſſön treffen ſoll, notwendigerweiſe Nils 
Lykke für Stenſſön hält. Obſchon der däniſche Ritter alſo 
durchaus nicht weiß, wen er in Skaktavl vor ſich hat, giebt er 
ſich doch mit vieler Gewandtheit den Anſchein, als ſei er ſelber 
der Mann, den der andere treffen ſoll. Dann kommt Nils 
Stenſſön hinzu. Auch er ſoll auf Oeſtrot einen Fremden treffen, 
der ihm nicht näher bezeichnet worden iſt, dem er aber Papiere 
und Briefſchaften zu überbringen hat. Durch Liſt erreicht nun 
Nils Lykke die Auslieferung dieſer für Olaf Skaktavl beſtimmten 
Schriftſtücke und dringt dadurch in Geheimniſſe ein, deren 
Kenntnis ihn den andern überlegen macht; und dieſe Ueber— 
legenheit ſteigert ſich, indem ihm Frau Inger unfreiwillig das 
entſcheidende Geheimnis ihres Lebens preisgiebt. 

Nils Lykke erfährt, daß Nils Stenſſön der Sohn Sten 
Stures und Frau Ingers iſt, und verrät dem jungen Menſchen 
ſeine bisher unbekannten wahren Eltern. Da erſcheint es denn 
wohl möglich, die Handlung ohne andere als die aus Situationen 
und Charakteren ſich ergebenden Verwicklungen ihrem Ende zu— 


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zuführen, — allein das Dunkel, das kaum ſich zu lichten be- 
gonnen hat, wird aufs neue verſtärkt. Indem nämlich durch 
ein Gelübe, das ihm Nils Lykke abgelockt hat, Nils Stenſſön die 
Zunge ſo ſehr gebunden wird, daß ſich der Sohn ſeiner Mutter 
nicht offenbaren darf, läßt Frau Inger, die, mehr als unwahr— 
ſcheinlich, ihr eigenes Lieblingskind niemals geſehen hat, vielmehr 
Stenſſön für ihres Sohnes Mitbewerber um den Thron hält, 
— dieſen Sohn aus ehrgeiziger Mutterliebe ermorden. 

Um die Spannung noch zu erhöhen, hat Ibſen endlich ſchon 
hier ein Mittel angewandt, das ſpäter häufig bei ihm wieder— 
kehrt, obſchon es künſtleriſch kaum zu verantworten und auch 
bereits von Ariſtoteles in ſeiner Poetik verdammt worden iſt, 
nämlich den Kunſtgriff, nicht nur die handelnden Perſonen, 
ſondern ſelbſt die Zuſchauer ſo lange wie möglich über die 
wirklichen, dem Stücke vorausgehenden Verhältniſſe und Ereigniſſe 
in Unkenntnis zu laſſen. Die — übrigens vortreffliche — 
Expoſition klärt daher die Zuſchauer nicht im mindeſten über 
das Geheimnis auf, das Frau Ingers patriotiſche Thatkraft 
hemmt. Das erfährt man erſt ſpät, ſehr ſpät. 

Trotz dieſer Abſonderlichkeiten und Mängel und trotz eines 
allzu wortreichen und breiten Dialogs iſt das Drama doch von 
großer dichteriſcher Kraft und erhabener Tragik. Die einfachſten 
Scenen ſind die ſchönſten. Nils Stenſſöns jugendliche Geſtalt, 
die ſo humoriſtiſch in die Handlung des Stückes hineinpoltert 
und die Oehlenſchlägerſche Parallelfigur Olaf in „Königin 
Margarethe“ an Friſche übertrifft, bringt einen Hauch ſorgloſer 
Jugend mit ſich, und die Liebesſcenen zwiſchen Eline und Nils 
Lykke bleiben unvergeßlich durch des Edelfräuleins ſchöne und 
ergreifende Leidenſchaft, die ſo leicht erwacht, auf Grund der 
Vorgeſchichte aber nur Unheil zu bringen vermag. 

Was die Hauptfigur, Frau Inger, betrifft, ſo tritt hier 
ſtark (am ſtärkſten jedoch in der älteſten Ausgabe des Stücks) 
der bei Ibſen beſtändig wiederkehrende Glaube hervor, daß der 
außerordentliche Menſch einen Beruf hat, zu deſſen Erfüllung er 
geweiht iſt: nicht im Stich laſſen darf er dieſen Beruf; aber er 


— XVI — 


kann ihm auch nicht treu bleiben ohne große Opfer an Neigungen, 
Gefühlen und Freuden, die er ohne ihn ſich und anderen 
gönnen dürfte. Frau Inger iſt durch ihre Mutterliebe gehemmt. 
Sie hat ſich an ihrem Beruf dadurch verſündigt, daß ſie einen 
Sohn in die Welt ſetzte, deſſen Daſein ſie verbergen muß. 
Man achte darauf, wie dieſer echt dichteriſche, halb religiöſe oder 
theologiſche Glaube an den Beruf in den „Kronprätendenten“, 
in „Brand“, „Peer Gynt“, „Kaiſer und Galiläer“, „Ein Volks- 
feind“, „Rosmersholm“, „Baumeiſter Solneß“ u. ſ. w. wieder- 
kehrt. Er hat wahrſcheinlich Ibſen ſelbſt die beſte Stütze ge— 
währt in ſeinem Gemütsleben. Sehr bezeichnend hat der Dichter 
in einer Eingabe an König Karl vom 15. April 1866 über 
das, was ihm perſönlich als ſein Beruf vorſchwebte, ſich ſo 
ausgedrückt: „Nicht um eine ſorgenfreie Exiſtenz kämpfe ich hier, 
ſondern um das Lebenswerk, an das ich unerſchütterlich glaube, 
und das, wie ich weiß, Gott mir auferlegt hat“. 


* 


Ibſen hat ſich in der Vorrede zur zweiten Ausgabe des 
„Feſtes auf Solhaug“ jo ausführlich über die Entſtehungs— 
geſchichte und erſte Aufnahme des Stückes ausgeſprochen (f. 
S. 147 ff.), daß dem faſt nichts mehr hinzuzufügen iſt. Wer 
überhaupt außer dem Autor kennt den Urſprung, die inneren 
und äußeren Urſachen einer Schöpfung? Was kann ein anderer 
darüber ſagen, das im Vergleich zu einer ehrlichen und gründ— 
lichen Ausſage des Autors nicht höchſt unvollkommen wäre! 

Es wäre nur aufs innigſte zu wünſchen, daß Ibſen uns 
die Vorgeſchichte all ſeiner Arbeiten erzählte, wie er uns die 
Geneſis dieſer einen erzählt hat. Allerdings iſt ſeine Darſtellung 
wohl nicht ganz erſchöpfend. Dazu müßte er als Dichter und 
Geiſt weniger zurückhaltend ſein, als er thatſächlich iſt. Er 
ſtreift in ſeinem Vorwort nur ganz obenhin die Thatſache, daß 
hinter den dichteriſchen Stimmungen und litterariſchen Vor— 
bedingungen, aus denen dieſe Dichtung entſtanden iſt, perſönliche 
Erlebniſſe lagen. Wo er von ſeinen Beweggründen ſpricht, ſtatt 


— XVII — 


der früher geplanten „Krieger auf Helgeland“ ein lyriſch— 
romantiſches Schauſpiel zu ſchreiben, ſagt er ganz kurz: „Das 
meiſte davon, und vermutlich das zunächſt und am ſtärkſten 
Entſcheidende, war wohl perſönlicher Natur; aber ich glaube 
doch, es war nicht ganz ohne Bedeutung, daß ich eben damals 
Landſtads Sammlung „Norwegiſcher Volkslieder“ eingehend 
ſtudierte.“ 

Das Perſönliche, von dem wir übrigens nichts erfahren, 
war alſo die Hauptſache; man konnte es bereits aus dem Inhalt 
des Stückes erraten, beſonders weil dies Thema in Ibſens 
Jugenddichtung mehrmals variiert wird, am bedeutſamſten in 
den zwei Jahre ſpäter erſchienenen „Kriegern auf Helgeland“. 

Wo der perſönliche Keimpunkt liegt, muß ein Kritiker, 
der darüber keine vertraulichen Mitteilungen vom Dichter 
empfangen hat, ungeſagt ſein laſſen. Worauf er aufmerkſam 
machen kann, iſt nur, daß das Stück ein Jugendwerk iſt; daß 
es auf die Sinne wie Muſik jugendlicher Stimmungen wirkt, 
und daß jugendliche Erlebniſſe dahinter ſtecken müſſen, von der 
Art, wie die meiſten jungen, begabten Männer ſie durchmachen. 
Hier findet ſich das junge, leidenſchaftliche Weib, das der Jüng— 
ling einſt, da es noch ein halbes Kind war, kennen und lieben 
gelernt hat, und dem er nun als der Frau eines andern wieder 
begegnet; — dieſe Frau fühlt ſich in ihrer Ehe enttäuſcht und 
lebt in Erinnerungen an den Freund ihrer Kindheit. Hier 
findet ſich der Gegenſatz zwiſchen der heftig empfindenden, von 
der Verzweiflung aufgewühlten, verführeriſchen und zum Ver— 
brechen bereiten Frau auf der einen und dem ganz naiv und 
hingebend liebenden Weibe auf der andern Seite. Die männliche 
Hauptgeſtalt endlich iſt ein Dichter. Durch ſeine „Lieder“ hat 
er ſich in Margits Herz geſungen, wie er ſich drei Jahre ſpäter 
in Signes Seele hineinſingt. Und er iſt ein friedloſer Dichter, 
— friedlos, wie Ibſen ſelbſt ſich gewiß lange gefühlt hat, 
friedlos, wie es der heimatloſe Thorgjerd in „Olaf Liljekrans“ 
war. „Das Feſt auf Solhaug“ zeigt im Gedichte, wie das 
Schickſal den jungen Ritter und Sänger aus dem Garn befreit, 

II 


— XVIII — 


worin er durch die erſte Neigung ſich verſtrickt hat, die er in 
dem Herzen eines Weibes weckte. 

Hübſch abgerundet iſt die kleine Dichtung, — harmoniſch 
und aus einem Guß; alle Einzelheiten ſind ſorgfältig motiviert, 
jedes neue Ereignis bei ſeinem Eintritt pſychologiſch vorbereitet. 
Mit der Sicherheit des gewandten Dramatikers ſtellt Ibſen die 
Seelenqual, die Margit an den Rand des Verbrechens führt, 
in wirkſamen Steigerungen dar. Die Dämonen, die ihr Gemüt 
beherrſchen, ſtehen mit größter Deutlichkeit vor uns. Ueberhaupt 
wirken die auftretenden Geſtalten alle wie durchſichtige Bilder 
von Menſchen, wie Glasmalereien, warm in der Farbe, licht in 
ihrer Klarheit, mit leicht hingeworfenen, aber hinreichenden 
Konturen. Die am ſchärfſten charakteriſierte Geſtalt, Frau Margits 
Gatte, der brave, dumme, kleinliche, taktloſe Ritter Bengt, iſt 
die einzige von allen Figuren, die ein leicht komiſches Gepräge 
trägt und ſich der Karikatur nähert. In ihm gewahrt man 
ſchon das Urbild zu Jörgen Tesman in „Hedda Gabler“. 

Die Form des Stückes iſt gemiſcht; Vers und Proſa 
wechſeln geſchickt und ohne ſich irgendwie zu ſtören mit einander 
ab. Von dem alltäglichſten Wortſtreit erhebt ſich der Dialog 
bis zu lyriſchem Flug und hohem Schwung der Gefühle. Der 
Schluß des zweiten Aktes mit ſeinem Gegenſatz zwiſchen dem 
Lied, in dem Gudmund Margits Liebe zurückweiſt, und dem 
Märchen, worin Margit das Leid ihrer verſchmähten Liebe 
ſchildert, verrät den werdenden Meiſter der dramatiſchen Kontraſte 
und des indirekten Ausdrucks von Gemütsbewegungen. 

Alles in allem iſt „Das Feſt auf Solhaug“ von einem 
jungen Romantiker gedichtet, der abſichtlich der Tragik ſeines 
Themas die Spitze abgebrochen hat, um es lyriſch ſtill aus— 
klingen zu laſſen; — indeſſen man fühlt ſelbſt dieſem Werke 
gegenüber, daß in dem Dichter ein Tragiker wohnt, der erſt 
an dem Tage groß wird, da unbarmherzige Wahrheitsliebe ihn 
gegen jede wohlfeile Schlußharmonie gleichgültig macht. 


* * 


— XIX — 


Wie das „Hünengrab“ den tiefen Eindruck wiederſpiegelt, 
den die nordiſchen Tragödien Oehlenſchlägers auf Ibſens junges 
Gemüt gemacht haben, ſo bezeugt „Olaf Liljekrans“ zu— 
ſammen mit dem „Feſt auf Solhaug“, daß er bis zu ſeinem 
dreißigſten Jahre in der mittelalterlichen Heldendichtung eine 
Quelle ſah, woraus die neueren Dramatiker mit Vorteil 
ſchöpfen könnten. 

Das 1850 entworfene und auch ſogleich in Angriff ge— 
nommene, aber erſt 1856 beendete Stück wurde zweimal, den 
2. und 4. Januar 1857, am Bergener Theater aufgeführt. 

Die ganze moderne däniſch-norwegiſche Dichtung war, ſo— 
lange ſie nicht das zeitgenöſſiſche Leben abzuſpiegeln verſuchte, 
auf drei litterariſche Quellen zurückzuführen, auf die isländiſche 
Edda⸗ und Sagalitteratur, auf die Volkslieder und auf Holberg. 

Henrik Ibſen iſt anfangs gleich den übrigen nordiſchen 
Geiſtern von allen dreien beeinflußt worden. Keiner, dem die 
nordiſchen Sprachen fremd ſind, kann den Zauber, den der Stil 
und die Melodie der Volksweiſen auf den Nordländer ausüben, 
im vollen Umfange verſtehen; ſie ſind mit ihren Tönen, die ſie 
anſchlagen, ſo etwas wie unſer „Kuhreigen“. Die ſchönen Lieder 
in „Des Knaben Wunderhorn“ haben vielleicht eine ähnliche Macht 
auf deutſche Gemüter ausgeübt; aber es iſt meines Wiſſens noch 
keinem deutſchen Dichter gelungen, ein dramatiſches Versmaß 
zu ſchaffen, in dem ſich von all dem reichen Klang und ſtarken, 
ſatten Duft jener mittelalterlichen Volksweiſen das Beſte erhalten 
hätte. Warum hat Henrik Hertzens „Svend Dyrings Haus“ 
ſeinerzeit ſoviel Aufſehen gemacht und ſo tief gewirkt? Deshalb, 
weil hier zum erſten Mal die Aufgabe gelöſt war, ein dem Vers— 
maß der Heldenlieder verwandtes Metrum zu ſchaffen; dieſes 
Metrum ſollte eine ebenſo große Beweglichkeit wie der Vers des 
Nibelungenliedes und eine dramatiſche Verwendbarkeit beſitzen, 
die nicht hinter der des fünffüßigen Jambus zurückſtand. 
Henrik Ibſen hat freilich mit Recht dargethan, daß „Svend 
Dyrings Haus“, was das gegenſeitige Verhältnis der Haupt— 
geſtalten betrifft, Kleiſts „Käthchen von Heilbronn“ mehr ver— 

II* 


5 


danke als ſein „Feſt auf Solhaug“ dem Schauſpiel von Hertz. 
Aber es bleibt für „das Feſt auf Solhaug“ ſowie für „Olaf 
Liljekrans“ hinſichtlich der Versſtellen im Dialoge die An- 
wendung des Tones und Stiles der Heldenlieder beſtehen, wozu 
Hertz ein geniales Beiſpiel gegeben hatte. Es ſcheint mir, daß 
Ibſens Bedeutung keineswegs verringert wird, wenn man hier 
auf Hertz als ſein urſprüngliches Vorbild hinweiſt. Von einem oder 
dem andern muß ja ſelbſt der Größte einmal gelernt haben. 
Das Schauſpiel „Olaf Liljekrans“ iſt hauptſächlich dadurch 
ſo intereſſant, daß es von der Stärke der Ibſenſchen Begeiſterung 
für den Geiſt und Ton der Heldenlieder Zeugnis ablegt, 
während es gleichzeitig an einzelnen Stellen die inſtinktive 
Skepſis des Dichters gegenüber der Welt der Romantik verrät, 
in der ihn die Tradition noch mit Zauberbanden feſthält. Er 
hat hier verſchiedene romantiſche Elemente mit einander ver— 
ſchmolzen, — erſtens das Heldenlied vom Herrn Olaf, den das 
Elfenmädchen, gerade als er auf die Brautfahrt ausgeritten 
it, zu ſich lockt, eine der ſchönſten und beliebteſten mittel- 
alterlichen Weiſen, unter anderm die Grundlage zu Heibergs 
däniſchem Nationalſchauſpiel „Elfenhügel“ und zu einem der 
berühmteſten Werke Gades: „Erlkönigs Tochter“; und zweitens 
die Erzählung von dem jungen Mädchen („Das Schneehuhn im 
Juſtethal“ lautete der urſprüngliche Titel von „Olaf Liljekrans“), 
das zur Zeit des ſchwarzen Todes allein in dem Thal am Leben 
blieb und dort einſam und ſcheu wie ein Schneehuhn lebte, bis 
es gefunden und erzogen wurde und ſich glücklich verheiratete. 
Der ſprachliche Ton in dieſer Dichtung iſt wie in den 
urſprünglichen Faſſungen aller Ibſenſchen Jugendarbeiten, rein 
däniſch; es kommen im ganzen Werke kaum ein Dutzend nor— 
wegiſcher Wörter und nicht eine einzige undäniſche Wendung 
vor, was den Eindruck beſtärkt, daß man hier einen Jünger 
der däniſchen Dichterſchule vor ſich hat. Die Verſe ſind hübſch 
und fließend, ohne ausgeprägte Eigenart. Der Wert des Stückes 
als eines Schauſpieles iſt nicht groß. Der Titelheld, Ritter 
Olaf, ſteht in einem durch und durch jugendlichen und recht kläglichen 


BERND 


Abhängigkeitsverhältnis zu ſeiner Mutter, deſſen natürliche Folge 
eine völlige Unentſchloſſenheit iſt. Aus dieſer Energieloſigkeit 
des Helden und aus einer bei dem Anfänger Ibſen hervor— 
tretenden Neigung heraus, Verwicklungen durch Mißverſtändniſſe 
und Irrtümer hervorzurufen, wird nun der Knoten rein äußerlich 
derart geſchürzt, daß die Heldin Alfhild, als Braut geſchmückt, 
in dem feſten Glauben auftritt, ſie ſolle ihren Geliebten heiraten, 
ohne daß dieſer ſie über ſeine kleinmütige Rückkehr zu ſeiner 
früheren Verlobten aufgeklärt hat, mit der er am ſelben 
Abend getraut werden ſoll. So tritt eine Kataſtrophe ein, die 
Alfhild zu dem halb wahnwitzigen Verſuch der Mordbrennerei 
und darauf zur Flucht treibt; nachdem dann noch der Brand— 
ſtifterin Untergang und Todesſtrafe gedroht haben, löſt alles 
ſich in Harmonie auf, und zwei Paare werden ehelich verbunden. 

Weit bedeutungsvoller aber als durch ihre Romantik iſt 
für uns heute dieſe Jugenddichtung dadurch geworden, daß 
ſich bereits jene Elemente darin finden, die über ſie hinaus 
ſchon auf den zukünftigen, ſcharf ſatiriſchen oder bitter peſſi— 
miſtiſchen Charakter der ibſenſchen Poeſie hindeuten. Man 
begegnet in den beiden letzten Akten verſchiedenen Beſtandteilen 
dieſer Art. 

Alfhild iſt die Tochter des im Gebirge lebenden Sängers 
und Spielmanns Thorgjerd, der ihr von Kindheit auf ſeine 
dichteriſch verſchönernde Auffaſſung vom Leben und beſonders 
vom Tod in die Seele gepflanzt hat. Er hat ihr den Tod immer 
nur als einen Lichtelf geſchildert, der den Sorgenden und 
Leidenden von Kummer befreit, ihm ein Bett aus Lilien und 
Roſen bereitet und ihn endlich auf dieſem Blumenlager zum 
Himmel trägt, wo er in Freude und Herrlichkeit weiter lebt. 
Schon im zweiten Akt wird dieſe ihre Vorſtellung vom Tode 
durch den Anblick eines Begräbniſſes und des mit ihm ver— 
bundenen Jammers vernichtet; und ſtill und ſinnend bemerkt ſie 
nach einer Pauſe: 


„So war's in des Vaters Liede nicht!“ 


FI 


In der Art, wie hier die Wirklichkeit dem Phantaſieleben 
gegenübergeſtellt iſt, liegt etwas, was den „Peer Gynt“ voraus- 
ahnen läßt. Ueberhaupt bieten die romantiſch-lyriſchen Stellen 
bisweilen etwas in der Haltung und dem Schwung der Verſe, 
was ſozuſagen dem Stil vorgreift, in dem „Peer Gynt“ als 
Jüngling ſeine Dichterträume und Truggeſichte entfaltet. Das 
Folgende erinnert ganz an den Dialog der Scene, da Peer 
Gynt den Dovrealten beſucht: 


„Wohl wahr! Von den Freuden dort oben im Licht 
Ward keinem auf Erden Bericht. — 

Weißt Du von Bergkönigs Schatz, der in Pracht 
Leuchtet wie rotes Gold durch die Nacht? 

Doch greifſt Du danach mit gieriger Hand, 

So findeſt Du eitel Schutt und Sand. — 

O höre mich, Alfhild: es mag wohl ſein, 

Daß auch das Leben von gleicher Art — 

Komm' nicht zu nah' ihm, hüte Dich fein! 

Es möchte Dir ſengen die Finger zart! 

Wohl glänzt es blank wie des Himmels Sterne — 
Doch nur, wenn Dein Aug' es ſieht aus der Ferne.“ 


Noch bezeichnender iſt im dritten Akt die Stelle, wo 
Ingeborg und Hemming aus dem Dorfe geflohen ſind — ſie, um 
nicht mit Olaf, er, um nicht mit Alfhild eine verhaßte Ehe 
eingehen zu müſſen, und wo nun die beiden verſuchen, ſich oben 
im Gebirge idylliſch einzurichten. Genügſam wollen ſie von 
Wild und Fiſchen leben. Da ſtellt es ſich heraus, daß Hemming 
nicht Bogen noch Angelgerät hat, und daß Ingeborg ſich nicht ſtark 
genug fühlt, auf ihre Mägde, auf anderer Menſchen Geſellſchaft, 
auf Spiel und Tanz zu verzichten. Keines von ihnen kann 
ohne die ſoeben verlaſſene Geſellſchaft exiſtieren. Keines von 
ihnen vermag auch nur den erſten Tag jene unüberwindliche 
und tragende Kraft der Liebe vorauszuahnen, die ſie alle Ent— 
behrungen vergeſſen laſſen könnte. Hier liegt ein Moment, eine 


— XXIII — 


Situation vor, die der Falks und Svanhilds in der „Komödie 
der Liebe“ vorgreift, wenn man ſich an die Stelle erinnert, 
wo Guldſtad die Bedeutung der praktiſchen Güter und des 
irdiſchen Wohlbehagens Svanhild nachgewieſen hat. 

Höchſt wahrſcheinlich ſind die angeführten Stellen in dem 
urſprünglichen Entwurf nicht geplant geweſen, ſondern erſt 
1856 eingefügt worden. 

Echt ibſenſch iſt in dem Stück die letzte Rede des Spiel— 
manns Thorgjerd. Hier zittert ein Ton durch, den ſpäter der 
Dichter mehr als einmal in ſeinen Werken anſchlägt, nämlich ſo 
oft er die Heimatloſigkeit und Unraſt ſchildert, die ſein ver— 
hängnisvoller Beruf zur Folge hat: 


„Ein Spielmann hat weder Heim noch Haus, 
Sein Sinn geht raſtlos ins Weite hinaus. 
Wem da von Liedern die Bruſt geſchwellt, 
Des Heimat iſt rings die weite Welt. 

Im Laubſaal, im Thal, am grünenden Hang 
Muß er rühren die bebenden Saiten zum Sang; 
Dem heimlichſten Leben muß er lauſchen: 
Des Gießbachs Toſen, der Woge Rauſchen, 
Des pochenden Herzens ſeltſamen Mären; 
Sein Lied muß des Volkes Träume klären 
Und all die Gedanken, die gären!“ 


Olaf Liljekrans iſt bisher noch nicht gedruckt geweſen, 
nicht einmal in der Urſprache. Das Drama iſt nach der 
einzig exiſtierenden Handſchrift überſetzt, derſelben, die vor ein— 
undvierzig Jahren der Aufführung auf dem Bergener Theater 
zu Grunde gelegen hat. Es gefiel der dortigen Kritik nicht 
beſonders und hat wohl auch kaum den Dichter ſelbſt recht 
befriedigt, da er niemals irgendwie den Verſuch gemacht hat, es 
durch den Druck zu veröffentlichen. 

Jetzt aber, da jedes Stadium ſeiner Entwicklung intereſſant 
geworden iſt, bietet das alte Schauſpiel ein nicht geringes 


—. N 


hiſtoriſches und pſychologiſches Intereſſe. Wie der „Catilina“ 
den Ausgangspunkt für das Revolutionäre in Henrik Ibſen 
bezeichnet, ſo weiſt „Olaf Liljekrans“ auf die Stelle hin, wo 
der Romantiker in ihm entſprang; zugleich aber deutet dieſe 
Dichtung an, wie ihm in ſeiner Seele die erſten Zweifelsfragen 
gegen jene Romantik aufſtiegen, die über jede Erfahrung und 
alle Wirklichkeit ſich hinwegſetzte. 


Georg Brandes. 


Das Hünengrab 


Dramatiſches Gedicht in einem Akt 


Ibſen, Das Hünengrab. ’ 


Geſchützt auf Grund der Geſetze und Verträge. 


Den Bühnen gegenüber Manujkript. 


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Perflonen. 


Roderik, ein alter Einfiedler. 
lanka, ſeine Pflegetochter. 
Gandalf, norwegiſcher Seekönig. 
Asgaut, ein alter Wiking. 
Hrolloug 
Joſtein 


Hemming, ein junger Skalde in Gandalfs Dienſten. 


Wikinger. 


Mehrere Wikinger. 


Die Handlung ſpielt auf einer kleinen Inſel bei Sicilien, kurz vor der 
Einführung des Chriſtentums in Norwegen. 


Sprich: Rollaug.] 


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Ein offener, von Bäumen umgebener Platz, nahe dem Strande. Links im Hinter: 

grunde die Ruine eines antiken Tempels. In der Mitte der Scene erhebt fi 

ein großer Hünenhügel mit einem Bautaſtein, der mit Blumenkränzen um— 
wunden iſt. 


1. Scene. 


NRoderik ſitzt rechts und ſchreibt. Zur Linken Blanka in halb liegender Stellung. 


Blanka. 
Letzte Abendgluten wogen 
Purpurn wie ein Meer in Brand, — 
Es iſt tempelſtill am Strand, 
Still wie unter Laubenbogen. 
Friedevolle Sommernacht 
Senkt ſich nieder taubenſacht, 
Schwebt gleichwie auf Schwansgefieder 
Ueber Wald und Waſſer nieder. 


Götter aus der Vorzeit Tagen 
Schlummern im Orangenhaine, 
Zeugen, hoch in Marmorſteine, 
Von verſunkner Welt der Sagen: 
Treue, Kühnheit, hohes Streben 
Stehn verſteinert, todesmüd — 


. 


Kann für den verſunknen Süd 
Es ein beſſer Gleichnis geben? 
Erhebt ſich. 
Doch der Vater ſagt: ein Land 
Gäb' es über blauen Wellen, 
Dort ſoll üppig Leben quellen, 
Nicht in kalten Stein gebannt. 
Hier entſchwand das Heldenleben, 
Ausgezehrt im tiefſten Mark — 
Dort wird's herrlich ſich erheben, 
Friſch und keck und rieſenſtark! 


Und wenn in des Abends Schweigen 
Mir die Bruſt in Sehnen ſchwillt, 
Sieht empor mein Auge ſteigen 
Nordlands lichtes Schneegefild. — 
Hier verwitternde Ruinen, 

Schwüle, die beklommen macht, — 
Dort verheerende Lawinen, 
Frühlingstag nach Winternacht. 


Hätt' ich flücht'ge Schwanenſchwingen, 
Noderik nach einer Pauſe, ſchreibend. 

„Und dann verſöhnt die Götterdämmrung,“ heißt es, 
„Die wilden Kräfte, läutert alles Leben. 
Allvater, Balder und die milde Freja, 
Sie ſchirmen friedlich wieder Askurs Stamm.“ 

Nachdem er einen Augenblick Blanka betrachtet. 
och, Blanka — ei, ſchon wiederum in Träumen? 
u ſtarrſt gedankenvoll hinauf zum Himmel — 
Was ſuchſt Du da? 


2 
D 
— 


55 


Blanka nähert ſich ihm. Vergieb mir, guter Vater! 
Ich folgt' ein Stückchen nur dem Schwan dort oben, 
Der übers Meer ſich ſchwang auf weißem Fittich. 

Roderik. Und hätt' ich jählings nicht, mein junger Schwan, 
In Deinem hohen Fluge Dich gehemmt — 
Wer weiß, wie weit Du mitgezogen! Wohl 
Fern bis nach Thule? 

Blanka. Und warum auch nicht? 
Dorthin ja fliegt der Schwan zur Frühlingszeit 
Und kehrt doch jeden Herbſt zu uns zurück. 

Setzt ſich zu Roderiks Füßen. 

Doch gleich' ich nicht dem Schwan. O, nenn' mich lieber 
Einen gefangnen Falken, der gezähmt, 
Mit gold'nem Ring gefeſſelt. 

Roderik. Und der Ring? 

Blanka. Iſt Blankas treue Liebe zu dem Vater — 
Die hält gebunden Deinen jungen Falken: 

Nicht fliehen kann er, ſelbſt wenn er es wollte! 
Erhebt ſich. 

Doch ſiehſt Du, wenn die Schwäne fernhin gleiten 

Schnell über Wogen wie im Wind die Wolke, 

Dann kommt mir in den Sinn, was Du erzählt 

Vom Heldenleben dort im fernen Thule. 

Da dünkt der Vogel mich ein ſtolzes Schiff 

Mit Drachenhaupt und weiten, güldnen Schwingen; 

Am Steuer ſeh' ich einen jungen Helden, 

Den Kupferhelm im lichten Lockenhaar, 

Mit blauen Augen, hoch die Bruſt gewölbt, 

Das Schwert umklammernd mit der ſtarken Rechten — 

Ich folg' ihm nach auf ſeiner raſchen Fahrt, 

Und meine Träume ſchwimmen um das Schiff 


Pa 


Und tummeln, ausgelaſſen wie Delphine, 
Sich in der Phantaſie bewegten Wellen. 
Roderik. Ja, eine Schwärm'rin biſt Du wohl mein Kind! 
Faſt fürcht' ich, allzu oft weilt Dein Gedanke 
Bei jenem Kriegervolk im hohen Norden. 
Blanka. Und wär' es ſo — wes iſt die Schuld, mein Vater? 
Boderik. 
So meinſt Du, daß ich ſelbſt — ? 
Blanka. Fürwahr, wer ſonſt? 
Denkſt Du doch ſtetig Deiner Jugendzeit, 
Da ſelbſt Du weilteſt unter Nordlands Helden. 
Und Vater, leugn' es nicht: So oft Du kündeſt 
Von wildem Waffenſpiel, von Kampf und Strauß — 
Da flammt Dein Auge, Deine Wange glüht, 
Und wieder jung geworden ſcheinſt Du mir. 
Roderik. Wohl wahr! Doch ſag', wie ſollt' es anders ſein? — 
Lebt' ich doch einſt in jener Tapfern Mitte; 
Und was Erinnrung mir von ihnen flüſtert, 
Iſt wie ein Blatt aus meiner eignen Sage. 
Du aber, aufgewachſen hier im Süden, 
Die nie Du ſahſt die blauen Schneegefilde, 
Die nie den Klang des Schlachthorns Du vernommen — 
Wie kann, was ich erzähle, ſo Dich bannen? 
Blanka. O, ſag', bedarf der Menſch denn, um die Dinge 
Zu hören und zu ſehn, der äußern Sinne? 
Ward Auge nicht und Ohr auch unſrer Seele, 
Damit fie lauſchen kann und klar erſpähn? — 
Mit meines Leibes Augen ſeh' ich wohl 
Die Farbenſchöne, die der Roſe eigen; 
Doch ſieht der Seele Blick in ihrem Kelch 
Ein reizend Elfenkind mit Falterflügeln, — 
Das birgt ſich ſchelmiſch in den roten Blättern, 


ER 


Und fröhlich ſummt's von einer Himmelsmacht, 
Die Duft und Farbenglut der Blume ſchenkte. 
Roderik. Du haſt wohl recht, mein Kind! 
Blanka. Faſt möcht' ich glauben: 
Das, was ich nicht mit eignen Augen ſah, 
Steh' deſto ſchöner vor dem innern Sinn. 
So, Vater, mein' ich, iſt es auch mit Dir. 
Die alten Götterſagen, Heldenweiſen, 
Die kündeſt Du von neuem ſtets mit Luſt 
Und ritzeſt ſie auf Pergament in Runen. 
Doch frag' ich Dich nach Deinem eignen Leben 
Im Nord da droben — düſter wird Dein Blick, 
Dein Mund verſtummt — und oftmal dünkt es mich, 
Als ob Erinnrung Dir die Bruſt belaſte. 
Roderik erhebt ſich. O, mahne mich nicht da ran, gutes Kind! 
Wo iſt der Mann, in des Erinnrung nicht 
Manch herbes Weh ſich in die Freude miſchte? — 
Du weißt, ein wild Geſchlecht ſind die Normannen — 
Blanka. Und ſind des Südens Krieger mildern Sinns? — 
Vergaßeſt jener Nacht Du vor zehn Jahren, 
Da hier am Strand die Fremdlinge gelandet 
Mit Mord und Brand? 
Roderik in ſichtlicher unruhe. Genug! Wir wollen gehn! 
Die Sonne neigt ſich, — komm jetzt, komm, mein Kind! 
Blanka indem ſie gehen. 
Gieb mir die Hand. Hält inne. 
Doch halt! 
Boderik. Was haft Du, Blanka? 
Blanka. Zum erſten Mal iſt's heut, daß ich vergaß — 
Boderik. Daß Du vergaßeſt? 
Blanka auf den Hügel deutend. Sieh den Kranz am Steine! 
Boderik. Das iſt — 


5 


Blanka. Der alte welke noch von geſtern. 
Ich hab' verſäumt, heut Abend ihn zu wechſeln. 
Doch — laß mich erſt zur Hütte Dich geleiten! 


Alsdann kehr' ich zurück zur Blumenleſe: 

Die Veilchen duften ſtärker nie, als wann 

Des Nachttaus Schimmerperlen feucht ſie ſäumen, 

Und Roſenknospen ſind am ſchönſten dann, 

Wenn du ſie pflückſt, indes ſie kindlich träumen. 
Sie gehen rechts ab nach dem Hintergrund. 


2. Scene. 
Gandalf und die Wikinger kommen von rechts. 

Asgaut. Nun ſind wir bald zur Stelle. 

Gandalf. Wo? Laß ſehn! 

Asgaut. Nur noch Geduld! Erſt dort iſt's hinterm Walde! 
Am Klippenhange, nach dem Meer hin, ſtand 
Ein Reſt der Mauer, als wir fortgezogen — 
Der ſteht wohl noch am Platze, ſollt' ich denken. 

Joſtein. Doch ſag', Gebieter, wozu ſoll es frommen, 
Daß wir wie Narren hier die Bucht durchſtreifen? 

Hrolloug. Ja, ſag', was wir hier ſollen? 

Gandalf. Schweigen ſollt Ihr! 
Und blindlings thun, was Euer Herr befiehlt! 

Zu Asgaut. 

Doch faſt bedünkt es mich, als hättet Ihr 
Zu gründlich aufgeräumt das letzte Mal. 
Ihr hättet etwas übrig laſſen können 
Für mich und meine Rache! 

Hrolloug. Unſer König 
Biſt Du, dem auf dem Thing wir Treue ſchwuren; 
Doch, als zum Wikingszuge wir Dir folgten, 
Geſchah's, um Ruhm und Ehre zu erwerben. 


ER 


Joſtein. Und Gold und Schätze, Hrolloug! Gold und Schätze! 
Mehrere. So, Gandalf, iſt's Geſetz! Das merke wohl! 
Gandalf. Ich kenne das Geſetz ſo gut wie Ihr! — 
Doch war es nicht von altersher ſo Brauch 
Bei uns und Sitte: wenn ein Anverwandter 
Von Feindeshänden fiel und unbeerdigt 
Im Feld ſein Leichnam lag, ein Fraß für Raben — 
Blutrache zu vollziehn? 
Einige. Fürwahr, ſo iſt's! 
Gandalf. So haltet Euch bereit mit Schwert und Schild: 
Den Herrn habt Ihr, den Vater ich zu rächen! 
Bewegung unter den Wikingern. 


Joſtein. Den Herrn? 


Hrolloug. Den Vater? 
Gandalf. Wohl, Ihr ſollt vernehmen, 
Was hier geſchah! — Ihr wißt, mein Vater war 


Ein kühner Wiking. Vor zwölf Jahren war's, 
Daß er zum letzten Male ſtach in See 

Mit Asgaut und den alten Kampfgenoſſen. 

Zwei Jahre ging's von Strand zu Strand, — er kam 
Nach Brittland, Welſchland, ſelbſt in's Mohrenland. 
Zuletzt war auf Sicilien er gelandet; 

Da ward von einem Häuptling ihm die Kunde, 
Der hier auf dieſem kleinen Eiland wohne 

In einem Schloß, auf ſtarken Fels gebaut, 

Das manchen Schatz in ſeinen Mauern hüte. — 
Zur Nachtzeit landet' er am Meeresufer 

Und nahm die Burg mit Schwert und Feuer ein. 
Kühn ſtritt voran er wie ein wilder Bär, 

Und in der Kampfeswut gewahrt' er nicht, 

Wie alle ſeine Mannen um ihn ſanken. 

Als nun der erſte Strahl im Oſten tagte, 


Da lag die ganze Burg in Schutt und Rauch. 
Nur Asgaut hier mit Wen'gen blieb am Leben. 
Mein Vater und wohl Hunderte mit ihm, 
Sie ritten durch die Flammen ein nach Walhall. 
Asgaut. Die Segel hißt' ich hoch und wandte nordwärts 
Des Schiffleins Kiel und fuhr der Heimat zu. 
Dort forſcht' ich rings nach Gandalf, doch vergeblich: 
Der junge Aar war übers Meer geflogen, 
dach Island, hieß es, oder nach Faerö. 
Ohn' Raſt zog ich ihm nach, — ich fand ihn nicht. 
Doch war ſein Name kund, ſo weit ich fuhr: 
Flog auch ſein Schiff wie vor dem Sturm die Wolke, 
So flog ſein Ruf doch auf noch beſſern Schwingen. 
Im Sommer endlich trafen wir zuſammen — 
In Welſchland war's. Ich kündete dem König, 
Was hier geſchehn und wie ſein Vater fiel — 
Und Gandalf ſchwor bei allen Göttern Walhalls, 
Mit Feu'r und Schwert Blutrache hier zu nehmen. 
Joſtein. So will's ein alter Brauch, und der ſoll gelten! 
Doch wär' ich ſelbſt an König Gandalfs Stelle, 
So wär' ich, traun! in Welſchland wohl geblieben — 
Denn dort iſt Gold zu holen — 
Hrolloug. Und auch Ruhm! 
Gandalf. So haltet Ihr dem toten Herrn die Treue? 
Joſtein. Nur ruhig Blut! Ich meinte bloß: der Tote 
Könnt' wohl noch warten. 
Asgaut mit unterdrückter Erbitterung. 
Du entartet Volk! 
Joſtein. Doch da wir einmal hier — 
Hrolloug. Laßt uns dem König 
Ein würdiges Gedächtnismal errichten! 
Einige. Ja, ja! 


— a 


Andre. Mit Brand und Blut! 

Asgaut. Recht ſo, Gefährten! 

Gandalf. Und nun laßt rings die Inſel uns durchſpähn — 
Die Rache ſei vollſtreckt, noch eh' es tagt! 
Wenn nicht, ſo fall' ich ſelbſt! 

Asgaut. Das ſchwor er zu. 

Gandalf. Das ſchwor ich zu bei Walhalls hohen Göttern! 
Und nochmals ſchwör' ich's 


Hemming eine Harfe über der Schulter, hat ſich inzwiſchen durch die 
N Krieger hindurch Gandalf genähert und ruft flehend: 


Gandalf, ſchwöre nicht! 
Gandalf. Sag, Burſch, was iſt Dir? 
Hemming. Schwör' nicht hier im Walde! 
Nicht können unſre Götter hier Dich hören. 
An Deines Schiffes Bord, auf unſern Bergen — 
Da dringt Dein Schwur zu ihnen, doch nicht hier! 
Asgaut. 
Biſt auch erkrankt ſchon von des Südens Peſthauch? — 
Hemming. In Welſchland kündeten die frommen Prieſter 
Mir holde Botſchaft von dem weißen Chriſt — 
Und was ſie ſagten, ſchwebt bei Tag und Nacht 
Vor meinem Sinn und will nicht wieder weichen. 
Gandalf. Ich nahm Dich mit mir, weil als Knabe ſchon 
Du reiche Skaldengaben offenbarteſt. 
Du ſollteſt meine kühnen Fahrten ſchaun; 
Und einſt, wenn König Gandalf ſäß' als Greis 
Am Eichentiſch inmitten ſeiner Kämpen: 
Dann als mein Skalde ſollteſt Du mir kürzen 
Die lange Winternacht durch Heldenweiſen, 
Und endlich ſingen Deines Königs Heimgang. 
Das Denkmal, von des Skalden Sang errichtet, 
Iſt ja der ſchönſte Bautaſtein des Helden! — 


Geh' denn! zerſchlag' die Harfe! Mumm' Dich ein 
In eines Mönches Kutte, wenn Dich's lüſtet! 
Haha! Ein würd'ger Sänger König Gandalfs! 
Die Wikinger gehen ab nach dem Walde links; Hemming folgt ihnen 
Asgaut. ss ijt eine dumpfe Zeit, in der wir leben! 
Zu Ende geht es mit dem alten Glauben 
Und unſern Sitten aus der Väter Tagen. 
Heil mir! Mein Nacken iſt gebeugt vom Alter; 
Nicht ſchaut mein Auge mehr des Nordens Fall. 
Doch, König Gandalf, jung und ſtark biſt Du; 
Und wo Du fürder magſt ins Weite fahren, 
Bleib eingedenk: Dem König kommt es zu, 
Dem Volk die Götter und die Kraft zu wahren! 
Er folgt den anderen Wikingern. 
Gandalf nach einer Pauſe. 
Er hat kein freudiges Vertraun zu mir! 
Gut, daß er ging! Es liegt wie eine Laſt 
Mir auf den Schultern, weilt er in der Nähe. 
Der ſteinerne Geſell mit barſchen Zügen 
Gleicht Aſathor, der, in Granit gehaun, 
Mit wucht'gem Hammer ſtand und Stärkegürtel 
Im Opferhain bei meines Vaters Hof. . .. 
Bei meines Vaters Hof! Wer weiß, wie jetzt 
Es droben ausſieht auf der alten Scholle! 
In Feld und Wald blieb Alles wohl beim Alten — 
Doch in des Volkes Bruſt? Schlägt's da wie ſonſt? 
Nein, Meltau fiel hernieder auf die Zeit; 
Der iſt's, der an des Nordens Kräften ſaugt 
Und giftig zehrt an unſern beſten Blumen — — 
Heim will ich ziehn: Zu retten, was da noch 
Zu retten iſt, eh' alles ſtürzt zuſammen! — 
Nach einer Pauſe, indem er um ſich blickt. 


15 


Wie lieblich iſt es in des Südens Hainen; 
Nicht duftet unſer Tannenwald ſo ſtark. 

Er bemerkt den Grabhügel. 
Doch ſieh! Ein Hünengrab! Darunter ſchläft 
Ein Landsmann wohl aus alten, friſchen Tagen. — 
Ein Hünengrab im Süd! — Wohl, ſo iſt's billig: 
Gab doch der Süden uns die Todeswunde! — — 
Wie ſchön iſt's hier! In der Erinnrung taucht 
Mir jener Abend auf, da ich als Knabe 
Saß auf des Vaters Knie beim Schein des Herds, 
Indes von unſern Göttern er erzählte: 
Von Odin, Balder und dem ſtarken Thor. 
Und als ich ihn befrug um Frejas Hain, 
Beſchrieb er ihn ſo ſchön wie dieſen Wald; 
Doch, als von Freja ſelbſt ich wiſſen wollte, 
Wie ſie wohl ausſäh', lächelte der Alte, 
Setzt' auf den Boden mich und gab zur Antwort: 
„Das wird dereinſt ein Weib Dich lehren, Kind.“ 

Lauſcht. 

Horch! Schritte dort im Walde! Ruhig, Gandalf! 
Sie bringen Dir den Erſtling Deiner Rache! 
Er tritt beiſeite, ſo daß er hinter den Büſchen rechts halb verborgen bleibt. 


3. Scene. 


Blanka mit Eichenlaub im Haar, einen Korb mit Blumen tragend, kommt 
von rechts. 
Blanka ſetzt ſich links nieder und beginnt einen Blumenkranz zu winden. 
Es rieſeln Quellen in den grünen Thälern, 
Es rauſchen klare Wogen an den Strand; 
Doch nicht der Quelle Laut, der Wogen Stimme 
Uebt ſolche Macht auf mich wie jene Blumen, 
Die, ſchweſterlich umſchlungen, Bruſt an Bruſt, 
In dichter Schar am Kämpengrabe ſproſſen. 


3 


Sie locken mich hinaus bei Tag und Nacht: 
Hier iſt es gut, zu weilen und zu träumen. 
Sieh, fertig iſt der Kranz nun, um den Grabſtein, 
Des Helden hartes Bette, weich zu decken. — 
Schau nur, wie ſchön! 

Auf den Hügel deutend. 

Ein hingegangen Leben, 
Mit Heldenkräften, tief im Grabe ruhend — 
Und das Gedächtnismal, das noch der Nachwelt 
Davon erzählt: ein nackter Hünenſtein! 
Da kommt die Kunſt; zum Kranze pflückt ſie Blumen 
Mit güt'ger Hand vom Buſen der Natur 
Und deckt den rauhen Grabſtein der Erinnrung 
Mit weißen Lilien, mit Vergißmeinnicht. 
Sie ſteigt den Hügel hinan, hängt den Kranz um den Bautaſtein und ſagt nach 
einer Pauſe: 


Nun ſchwingt ſich wieder meiner Träume Schar, 

Zugvögeln gleich, fort über Meereswogen. 

Es zieht mich hin, wo meine Sehnſucht weilt, 

Und willig folg' ich der verborgnen Macht, 

Die ihren Herrſcherthron hat in der Seele. 

Ich ſteh' im Norden, eines Kämpen Braut, 

Und ſpähe, gleich dem Aar, von felſ'ger Zinne. 

Dort taucht es auf, das Schiff, auf blanker Flut! 

O, ſauſ' im Möwenflug zum Heimatſtrand. 

Ich bin ein Kind des Südens, kann nicht warten! 

Den Eichenkranz reiß' ich aus meinem Haar: 

Nimm ihn, mein Held! Es ſei der zweite Bote, 

Der Dich begrüßt — mein Sehnen war der erſte! 

Sie nimmt den Kranz vom Haupt und wirft ihn von ſich. Gandalf it vor⸗ 
getreten und fängt ihn auf. 


Wie? Steht dort nicht — 


Sie reibt ſich die Augen und ſtarrt ihn verwundert an. 


en 


Nein, nein! Es iſt kein Traum! — 
Wer biſt Du, Fremdling? Und was ſuchſt Du hier 
An unſerm Strand? 


Gandalf. Komm erſt herab vom Hügel, 
So will ich mit Dir ſprechen. 
Blanka ſteigt herab. Sieh, da bin ich! 


Beiſeite, indem ſie ihn betrachtet. 
Die Bruſt im Panzer — mit dem Kupferhelme — 
Ganz ſo, wie mir der Vater oft erzählt! 


Laut. 
Nimm ab den Helm! 
Gandalf. Warum? 
Blanka. So thu's, ich bitte! 
Beiſeite. 


Zwei klare Augen, Locken wie ein Kornfeld — 
Ganz wie ich ihn in meinem Traume ſah! 
Gandalf. Wer biſt Du, Weib? 
Blanka. Ich? nur ein armes Ding. 
Gandalf. Doch wohl die Schönſte, die dies Eiland hegt. 
Blanka lachend. 
Die Schönſte? — Ei, fürwahr, das mag wohl ſein — 
Denn hier iſt niemand ſonſt. 
Gandalf. Sonſt niemand, ſagſt Du? 
Blanka. Nur noch mein Vater; doch der iſt bejahrt, 
Und einen Bart hat er, lang, ſilbergrau — 
Da dünkt mich doch, daß ich den Preis gewinne! 
Gandalf. Du ſcheinſt mir heitern Sinnes. 
Blanka. O, nicht immer! 
Gandalf. Doch ſage mir, wie iſt es zugegangen, 
Daß Du allein hier lebſt mit Deinem Vater? 
Und gleichwohl hört' ich als gewiß berichten, 
Die kleine Inſel hier ſei reich bebaut. 
Ibſen, Das Hünengrab. 


1 


Blanka. So war es auch einmal — zehn Jahr iſt's her — 
O, das iſt eine traurige Geſchichte! 
Doch ſollſt Du ſie erfahren, wenn Du willſt. 

Gandalf. Jawohl, das will ich! 

Blanka. Hör' denn — vor zehn Jahren — 

Setzt ſich. 

Doch ſetze Dich! 

Gandalf tritt einen Schritt zurück. 

Nein, ſitz' nur Du! Ich ſtehe. 

Blanka. Zehn Jahr' iſt's nun, daß ein bewaffnet Volk 
Von Räubern zu uns kam — weiß nicht, von wannen! 
Sie plünderten ringsum, wohin ſie zogen, 

Und was ſie lebend fanden, ward erſchlagen. 

Nur Wen'ge könnten durch die Flucht ſich retten — 
Sie ſuchten Schutz in meines Vaters Burg, 

Die auf der Klippe ragte nah' dem Meer. 

Gandalf. Wie? Deines Vaters Burg, ſagſt Du? 

Blanka. So iſt's. — 
Ein düſtrer Abend war's, als wider die Mauer 
Die fremden Krieger ſtürmten, in den Hof 
Durchs Burgthor drangen, alles niederſtreckend. 

Voll Angſt floh ich hinaus ins nächt'ge Dunkel, 
Und ſucht' mir ein Verſteck im Waldesinnern. 
Da ſah die Heimſtatt ich in Flammen aufgehn; 
Ich hörte Schilderklirren, Todesſeufzer. 
Dann ward es ſtill — lag alles doch erſchlagen! 
Da zog die wilde Schar hinab zum Strand 
Und fuhr davon. Am nächſten Morgen ſaß ich 
Vor rauchenden Ruinen auf der Klippe. 
Ich war die einz'ge, die der Feind verſchont! 
Gandalf. Du ſagteſt eben doch, Dein Vater lebe — 


EMO: 


Blanka. Mein Pflegevater. Hör’ mich erſt zu Ende! 
Ich ſaß auf nackter Klippe, angſtbeklommen, 
Und lauſchte bang der grauenvollen Stille. 
Da plötzlich war's, als ob zu meinen Füßen 
Tief aus der Klippe Spalt ein Seufzer dränge. 
Ich horchte bang — zuletzt ſtieg ich hinab 
Und fand dort einen Fremdling, bleich und blutend. 
Sacht naht' ich mich, ſo furchtſam ich auch war, — 
Verband die Wunde, pflegt' ihn — 
Gandalf. tun — und er? 
Blanka. Erzählte, als er mählich ſich erholt: 
Er ſei gelandet an der Inſel hier 
Mit einem Kauffahrteiſchiff, grad' am Tage 
Der Plünderung, ſei auf die Burg geflüchtet 
Und habe kühn die Räuberſchar bekämpft, 
Bis er, verwundet und erſchöpft zum Tode, 
Tief in die Kluft geſtürzt, wo ich ihn fand. 
Seit jenem Tage leben wir zuſammen; 
Er baute tief im Wald uns eine Sütte 
Und ward mir lieb und teuer, wie noch keiner! 
Doch kömm! Du mußt ihn ſehn! 
Gandalf. Nein, laß nur! laß! 
Mich dünkt, wir treffen bald genug zuſammen. 
Blanka. Nun ja denn — wie Du willſt! Doch glaube mir: 
Du biſt willkommen unter ſeinem Dache. 
Denn Du mußt wiſſen: Gaſtlichkeit hat nicht 
Im Norden nur ihr Heim. 


Gandalf. Im Norden? Wie? 
So wüßteſt Du —! 
Blanka. Woher Du kommſt? O ja! 


Mein Vater hat ſo oft von Euch erzählt, 
Daß ich beim erſten Blick — 


Gandalf. Und dennoch, Mädchen, 
Ward Dir nicht bange? 
Blanka. Bange? — Sprich, warum? 


Gandalf. Nun, ſagte Dir Dein Vater — ſagt' er nicht —? 
Blanka. Daß Ihr verwegne Helden ſeid? Gewiß! 
Doch warum ſollte das mich wohl erſchrecken? 
Ich weiß, Ihr zieht nach Ruhm in ferne Lande, 
Zu ſtreiten mannhaft wider mut'ge Kämpen! 
Doch ich hab' weder Schwert, noch einen Panzer — 
Wie ſollte ich wohl da — 
Gandalf. Nein, nein! Gewiß nicht! — 
Doch jene Fremden, die die Burg verbrannten — 2 
Blanka. Was iſt's? 


Gandalf. Ich meinte nur: hat nie Dein Vater 
Geſagt, woher ſie kamen? 
Blanka. Niemals! Nein! 


Es waren Fremde ja für ihn und mich. — 

Doch, wenn Du willſt, ſo werd' ich ihn befragen. 
Gandalf raſch einfallend. 

Nein, laß nur! 

Blanka. Ahl! nun faſſ' ich Deine Rede! 
Du möchteſt gern erforſchen ihre Spur, 
Blutrache zu vollſtrecken, wie Ihr's nennt. 

Gandalf. Blutrache! Ha! Du mahnſt mich an das Wort. 
Beinah' vergaß ich's. 

Blanka. Aber weißt Du wohl, 

Daß garſtig dieſer Brauch? 
Gandalf geht nach dem Hintergrund. 
Leb' wohl! 
Blanka. Du gehſt? 
Gandalf. Wir ſehen bald uns wieder. 
Bleibt ſtehen. 


era 


Sag' noch Eins: 
Wer ſchläft dort unter jenem Hünenhügel? 
Blanka. Ich weiß es nicht. 
Gandalf. Du weißt es nicht? Und ſchlingſt 
Doch Blumen um des Helden Bautaſtein? 
Blanka. Mein Vater führt' mich eines Morgens her 
Und zeigte mir den friſchen Hügel, den ich 
Nimmer zuvor geſehn an dieſem Strande. — 
Er bat mich, täglich hier am Grab zu beten 
Und im Gebet auch deſſen fromm zu denken, 
Der heimgeſucht uns hat mit Schwert und Flamme. 
Gandalf. Und Du? — 
Blanka. Ich ſprach ſeit jenem Tage treulich 
Jedweden Morgen mein Gebet für ihn; 
Und friſche Blumen wand ich jeden Abend 
Zum Kranz für ſeinen Grabſtein. 
Gandalf. Seltſam! ſeltſam! 
Wie kannſt Du beten, ſag', für Deinen Feind? 
Blanka. So will's mein Glaube. 
Gandalf heftig. Feig iſt dieſer Glaube, 
Des Helden Kraft ſaugt dieſer Glaube auf! 
Drum ſtarb bei Euch das Heldenleben auch 
Den Tod im Bett! 
Blanka. Und doch, dafern mein Glaube, 
Mein feiger Glaube, wie Du ihn benennſt, 
In Euer friſches Erdreich würd' verpflanzt — 
Dann, weiß ich ſicher, wird daraus entſprießen 
Bunt eine Blumenfülle, reich genug, 
Den nackten Fels zu decken! 
Gandalf. Laß dem Felſen 
Die kahlen Wände, bis er ſtürzt zuſammen! 
Blanka. Hör', nimm mich mit hinauf! 


Gandalf. Was meinſt Du, Mädchen? 
Ich ſteure heimwärts. 
Blanka. Ja denn, nimm mich mit! 


Macht' ich doch längſt in Träumen jene Fahrt — 

Dorthin, wo Dir die Heimat zwiſchen Eis 

Und Schneegebirg und dunkeln Tannenwäldern! 

Alsdann kommt Luſt und Leben in die Halle, 

Wenn ich dort ſchalten werde, glaube mir! 

Denn ich bin heiter — Haſt Du einen Skalden? 
Gandalf. Ich hatte einen. Doch der Harfe Saiten 

Erſchlafften in der weichen Luft des Südens, 

Daß ſie nicht klingen. 


Blanka. Wohl, ſo will ich ſelbſt 
Dein Skalde ſein! 
Gandalf. Du ſelbſt? — Du willſt mir folgen? 
Verlaſſen Heim und Vater? 
Blanka lachend. Hahaha! 
Du glaubſt, es ſei mein Ernſt? 
Gandalf. So war es nur 
Ein Scherz? 
Blanka. Ach ja, ein thöricht-⸗dummer Traum, 


Den oftmas ich geträumt, bevor Du kamſt, 
Und den noch manches Mal ich träumen werde, 
Wenn Du — 
Plötzlich abbrechend. 
Du ſtarrſt mich an ſo ſeltſam? 
Gandalf. Ich? 
Blanka. Ei freilich, woran denkſt Du? 
Gandalf. Ich? An garnichts! 
Blanka. An garnichts? 
Gandalf. Wohl, ich weiß es ſelber nicht. 
Doch ja, ich weiß! — Und Du, Du ſollſt es hören: 


222 


Ich dachte nach, wie Du wohl Deine Blumen 

In unſern Nord verpflanzen willſt — und plötzlich 

Kam in den Sinn mein eigner Glaube mir. 

Es iſt ein Wort darin, das nie zuvor 

Ich faßte — jetzt haſt Du es mich gelehrt! 
Blanka. Was meinſt Du? Sag'! 
Gandalf. Es heißt: „Walvaters Eigen 

Sei nur die Hälfte der erſchlagnen Streiter; 

Die andre Hälfte falle Freja zu“ — 

Dies Wort vermocht' ich niemals mir zu deuten, 

Nun aber faſſ' ich's! Ein erſchlagner Krieger 

Bin ich ja ſelbſt — und meine beſte Hälfte 

Ward Frejas Eigentum! 


Blanka ſtutig. Was willſt Du ſagen? 
Gandalf. Nun wohl, ſo wiſſe denn — 
Blanka raſch. Nein, laß es nur! 


Mein Vater harrt; nicht länger darf ich ſäumen. 

Gandalf. So gehſt Du ſchon? 

Blanka nimmt den Eichenkranz, den er fallen ließ, und ſchlingt ihn um 
ſeinen Helm. Den Kranz magſt Du behalten. 
Sieh, was ich früher Dir in Träumen gab, 

Das ſchenk' ich nun im Wachen Dir. 
Gandalf. Leb' wohl! 
Er geht raſch ab nach rechts. 


4. Scene. 


Blanka allein. 
Er iſt fort! In tiefer Stille 
Liegt der öde Küſtenſtrich. 
Tiefe Stille, Grabesſtille 
Legt ſich lautlos auch auf mich. 


. 


Kam er einzig, zu entſchwinden 
Wie ein Strahl durch Nebelſtreifen 
Und alsbald hinauszuſchweifen 
Möwengleich vor nächt'gen Winden? 


Einſam ſtarr' ich aus ins Weite — 
Doch fortan zieht allenthalben 
Meiner Träume Schar wie Schwalben 
Seinem Drachenſchiff zur Seite. 
Das Kriegshorn der Wikinger ertönt von links. 
Ah! ſcholl dort nicht ein Horn? Es kam vom Walde. 


5. Senne 
Gandalf von rechts. 
Gandalf für ſich. Es iſt zu ſpät! 
Dlanka. O ſieh, da iſt er wieder! — 
Was willſt Du? 
Gandalf. Flieh von hier! Geſchwind! Geſchwind! 
Blanka. Was meinſt Du? 


Gandalf. Nur hinweg! Hier droht Gefahr! 
Blanka. Was für Gefahr? 

Gandalf. Der Tod! 

Blanka. Ich faſſ' Dich nicht. 


Gandalf. Ich wollt' es Dir verhehlen; darum ging ich, 
Mein Volk zu ſammeln, daß es unverweilt 
Von dannen zieh'; Du ſollteſt nie erfahren — 
Doch weh! das Horn verkündet: 's iſt zu ſpät! 
Sie nahen! 
Blanka. Wer? Wer kommt? 
Gandalf. So wiſſe denn: 
Die Fremden, die einſt auf der Inſel hauſten, — 
Wikinger waren es, wie ich! 


DE... 


Blanka. Vom Norden? 
Gandalf. Jawohl. Mein Vater fiel; er war ihr König — 
Sein Blut heiſcht Rache! 


Blanka. Rache? 
Gandalf. Ja, ſo iſt es 
Im Norden Sitt' und Brauch! 
Blanka. Ha, ich verſtehe! 
Gandalf. Sie nahn! Tritt hinter mich! 
Blanka. Hinweg, Du Blutmenſch! 
6. Scene. 


Asgaut. Hemming. Die Wikinger, die Roderik mit ſich ſchleppen. 


Asgaut zu Gandalf. 


Ein mag'rer Fang, — doch immer etwas, Gandalf! 
Blanka. Mein Vater! Wirft ſich in ſeine Arme. 
Boderik. O mein teures Kind! 
Joſtein. Ein Weib! 
So hat er gleich Geleitſchaft! 
Asgaut. Ja, zu Hel! 


Blanka. O Vater! Warum ſagteſt Du mir nie — 
Roderik. Still, Blanka! Still! 
Auf Gandalf deutend. 
Iſt dieſer Euer Häuptling? 
Asgaut. So iſt's! Zu Gandalf: 
Der Mann da kann Dir Kunde geben 
Von Deines Vaters Tod; er war beim Kampf 
Und kam allein davon, wie er uns ſagte. 
Gandalf. Schweig, ſchweig! Ich will nichts hören! 
Asgaut. Gut, ſo laß uns 
Ans Werk denn gehn! 
Blanka. O Gott! Was wollen ſie? 


ee — 


Gandalf mit gedämpfter Stimme. 
Ich kann nicht, Asgaut! 
Asgaut ebenso. Iſt der Häuptling feige? 
Hat ihn bethört des Weibes glatte Zunge? 
Gandalf. Gleichviel! ich ſagte Dir — 
Asgaut. Bedenke, Gandalf: 
Es gilt Dein Anſehn unter Deinen Mannen! 
Du ſchwurſt den Eid bei Walhalls hohen Göttern — 
Und wäreſt ehrlos, brächſt Du Dein Gelöbnis! 
Vergiß nicht: ſchwach iſt unſer Glaube nur 
Gefeſtigt — ſchon ein Stoß kann ihn erſchüttern; 
Und kommt der Stoß von oben, von dem König, 
Dann iſt's der Todesſtoß, den er empfing! 
Gandalf. Unſelig war der Eid, den ich geſchworen! 
Asgaut zu den Wikingern. 
Ans Werk, Ihr Krieger! 


Blanka. Wollt Ihr dieſen Greis, 
Der wehrlos iſt, ermorden? 
Asgaut. Tod Euch beiden! 
Blanka. Erbarmen! 
Hrolloug. Laßt das Weib! Es iſt zu ſchön. 
Zu Schiffe mag's uns folgen! 
Joſtein lachend. Ja — als Schildmaid! 
Gandalf. Zurück! 
Noderik. Verſchont, verſchont mir nur mein Kind! 


Ich bring' Euch den, der Euren Herrn erſchlug, 
Dafern Ihr ſie nur ſchont! 


Gandalf rasch. Bring' ihn zur Stelle — 
Und frei iſt ſie! Ihr Mannen, nicht? 
Die Wikinger. So ſei's! 


Blanka zu Roderit. Was, ſagſt Du? 
Asaaut. Schaff' ihn her! 


oderik. Er jteht vor Euch! 
Einige. Ha, Greis! Du ſelbſt! 

Gandalf. Was hör' ich! 
Blanka. Nein, Du ſollſt nicht! 


Roderik. Die Hand hier hat den Wiking hingeſtreckt, 
Nun ſchläft er unterm Kämpenhügel dort. 

Gandalf. O! meines Vaters Grab! 

Boderik. Den kühnen Recken 
Begrub ich hier nach ſeiner Väter Weiſe. 

Gandalf. Da er beſtattet worden, ſo — — 

Asgaut. Gleichviel! 
Der Tod des Königs fordert Blut — ſchlagt zu! 

Blanka. Nein, nein! Er täuſcht Euch! Zu Gandaff. 

O, verſtehſt Du nicht: 

Nur mich, ſein Kind, mich will er vor Euch retten! 
Doch wie verſtündeſt Du ein zärtlich Herz, 
Das alles opfern kann — 

Gandalf. Ich nicht verſtehn? 
Ich Dich nicht faſſen! Zu den Witingern: 

Nein! er ſoll nicht ſterben! 
Asgaut. Was ſagſt Du?! 


Blanka. Vater! Er iſt gut wie Du! 
Asgaut. Du brichſt den Eid? 

Gandalf. Nein! Treu will ich ihn halten! 
Zoſtein. Was haft Du vor? 

Hrolloug. Sag' an! 

Gandalf. Ich ſchwor Euch zu: 


Den Herrn zu rächen oder ſelbſt zu fallen. 

Wohl denn, gebt jenen frei — ich geh' nach Walhall! 
Blanka zu Roderit. Was will er? 
Asgaut. Gandalf, das iſt Dein Entſchluß? 


1 


Gandalf. Ja! Haltet mir mein Drachenſchiff bereit, 
Die Segel ſpannt und ſchichtet Holz zum Brande — 
Nach unſrer Ahnen Art will ich's beſteigen! 
O ſeht, der Abendwind bewegt die Flut — 
Mit roten Schwingen fahr' ich auf gen Walhall! 
Joſtein geht rechts ab. 
Asgaut. Ha! 's iſt das Weib, das Dir den Sinn bethörte! 
Blanka zu Gandalf. 
Nein, Du ſollſt leben! 
Gandalf. Leben? — Meinen Göttern 
Halt' ich die Treue, kann ſie nicht verraten! 
Blanka. Dein Schwur iſt blutig — Balder will ihn nicht! 
Gandalf. O, Balder lebt nicht mehr in unſrer Mitte! 
Blanka. Für Dich noch lebt er, denn Dein Sinn iſt mild. 
Gandalf. Um auch zu fallen, ja! Ich ward berufen, 
Als Fürſt zu ſchirmen unſer Heldenleben — 
Doch mir verſagt die Kraft. Nimm, Asgaut, Du 
Aus meiner Hand den Herrſcherſtab entgegen! 
Du biſt ein Kämpe noch von echtem Erz — 
Zu lang an mir ſchon ſog des Südens Gift. 
Doch, kann ich für mein Volk nicht leben — kann ich 
Für Euch doch ſterben! 
Asgaul. Wohlgeſprochen, König! 
Blanka. So iſt das Los entſchieden! Fall' als Held 
In treuer Liebe denn für Deine Götter! 
Doch, da wir nun auf ewig ſcheiden müſſen — 
So höre: Stirbſt Du ſelbſt für Dein Gelübde, 
Alsdann haſt Du auch mich dem Tod geweiht. 
Gandalf. Dich? Dich dem Tod? 
Blanka. 3 glich mein junges Leben 
Der Blume, die erwuchs auf fremder Flur, 
Und darum ſchlief es noch in ſeiner Hülle. 


Da kam ein Lichtſtrahl aus der fernen Heimat — 
Und der warſt Du, mein Held! Die Blütenknoſpe 
Erſchloß den Kelch. Ein flücht'ger Augenblick — 
Der Strahl erloſch — die Blume mußte ſterben! 

Gandalf. Ha! Faſſ' ich Deiner Worte Sinn? Du könnteſt —! 
Zehnfach unſelig war er dann, mein Schwur! 

Blanka. Wir ſehn uns wieder! 

Gandalf. Nimmer, nimmermehr! 
Du gehſt zum Himmel und zum weißen Chriſt — 
Ich geh' nach Walhall ein; da ſetz' ich ſtumm 
Mich an des Tiſches Ende bei der Thüre, 
Denn nimmer iſt der Halle Luſt für mich! 

Ioftein kommt zurück, ein Banner in der Hand. 
Bereit nun iſt das Schiff, wie Du geboten. 

Asgaut. Dir wird ein herrlich Ende! Mancher Held 
Wird Dich beneiden. 

Gandalf zu Blanka. Lebe wohl! 

Blanka. Fahr' wohl! 
Fahr' wohl fürs Leben und in Ewigkeit! 

Roderik mit ſich kämpfend. 
Halt! halt! Wirft ſich vor Blanka nieder. 

Barmherzigkeit! Vergieb! vergieb! 

Blanka. O Gott! 

Gandalf. Was haſt Du? 

Roderik zu Blanka. Alles will ich beichten: 
Mein ganz Gebahren gegen Dich war Trug! 

Blanka. Der Schreck hat ihm den Sinn verwirrt. 


Roderik. Nein, nein! 
Erhebt ſich wieder. Zu Gandalf: 


Du junger Fürſt, gelöſt iſt Dein Gelübde — 
Nicht fordert Rache Deines Vaters Schatten! 
Gandalf. Ha, ſprich! 


| 
| 


Blanka. Erklär' uns! 
Boderik. Hier jteht König Nöref! 
Einige. Der Totgeglaubte! 
Blanka. Himmel! 
Gandalf zweifelnd. Du — mein Vater?! 
Boderik. Erkennſt Du, Asgaut, hier die Schramme noch, 
Die Du mir ſchlugſt beim erſten Wikingzug, 
Als um die Beute wir in Streit gerieten? 
Er entblößt ſeinen Arm und zeigt Asgaut eine Narbe. 
Asgaut. Bei Thor! Ihr ſeid's, Fürſt Rörek! 
Gandalf wirft ſich in ſeine Arme. Vater! Vater! 
Du ſchenkteſt mir zum zweiten Mal das Leben — 
Hab' Dank! 
Noderik niedergeſchlagen zu Blanka. 
Und Du — was ſchenkſt nun Du fortan 
Dem alten Räuber? 
Blanka. Liebe wie zuvor! 
Ich bin Dein Kind! Hat jahrelange Güte 
Nicht all das Blut getilgt von Deinem Schild? 
Asgaut. Doch ſag': Wie kommt's, daß Du am Leben bliebſt? 
Gandalf auf Blanka deutend. 
Die Retterin war ſie! 
Noderik. Sie pflegte mich, 
Ein milder Elf, und heilte meine Wunden 
Und kündete ſo holde Mär' dabei 
Vom Glauben ihres ſtillen Volks im Süden, 
Daß ſelbſt des Kämpen harte Bruſt ſie rührte. 
Von Tag zu Tag verhehlt' ich, wer ich war; 
Ich wagte nicht — 
Gandalf. Und dort das Hünengrab? 
Roderik. Mein Rüſtzeug grub ich ein dort und mein Schwert. 
3 dünkte mich, als ſei der wilde Wiking 


N 


Zugleich mit eingeſenkt. Und täglich hielt 
Mein Kind ein fromm Gebet für ihn am Hügel. 
Asgaut. Fahr' wohl! 
Gandalf. Wo willſt Du hin? 
Asgaut. Will nordwärts ſegeln 
Klar ſeh' ich, meine Zeit iſt nun vorbei — 
Und auch das Wikingleben! Will nach Island — 
Dort iſt die Seuche noch nicht hingedrungen! 
Zu Blanka. 
Folg' Du dem Herrn an meiner Statt, o Maid! 
Thors Hammer iſt entzwei, ſein Reich zu Ende; 
So walte Balder denn durch Dich! Fahrt wohl! 
Er geht ab. 

Gandalf. Ja, Blanka! mög’ durch Dich nun Balder walten! 
Jetzt fühl' ich klar erſt meines Wikinglebens 
Bedeutung! Nicht nur Gier nach Ruhm und Reichtum 
War's, was hinaus mich trieb vom Heimatſtrand — 
Nein, was mich zog, war ein geheimes Sehnen 
Nach Balders lichtem Reich. O ſieh, die Sehnſucht 
Iſt nun geſtillt. Zur Heimat denn! Dort will ich 
Inmitten meines Volkes friedlich wirken! 

Zu den Wikingern: 


Und folgt Ihr mir dahin? 


Alle. Wir folgen Dir! 
Gandalf. Und Blanka — Du? 
Blanka. Bin ich doch ſelber wie 


Ein Kind des Nordens! Meines Herzens Blumen, 
Sie wurzeln dort ja zwiſchen Euren Bergen. 
Zu Euch fuhr ich in meinen ſtillen Träumen, 
Von Euch hab' meine Liebe ich geholt! 

Roderik. Zieht denn hinweg! 

Gandalf. Doch Du? 


Blanka. Du folgſt nicht, Vater? 
Roderik. Ich bleibe hier. 
Auf den Hügel deutend. 
Mein Grab erwartet mich. 
Blanka. Soll einſam ich zurück Dich laſſen? 
Hemming. Nicht doch! 
Seid unbeſorgt! Sein Auge will ich ſchließen 
Und hier am Hügel ihm das Grablied ſingen — 
Das ſei mein letzter Sang! 
Gerührt, indem er Gandalfs Hand ergreift. 
Fahr' wohl, mein König! 
Nun holteſt Du Dir einen beſſern Skalden! 
Noderik mit Feſtigkeit. 
So iſt's beſchloſſen! Du biſt Fürſt, mein Gandalf — 
Zu Deinem Volke ruft Dich Deine Pflicht! 
Legt beider Hände zujammen. 
Ihr ſeid der jungen Morgenröte Kinder — 
Zieht hin denn, wo der Hochſitz Euch erwartet! 
Der Letzte bin ich aus verſunknen Zeiten: 
Mein Königſtuhl: das Grab — vergönnt ihn mir 


Gandalf und Blanka werfen ſich ſtumm in ſeine Arme. — Roderik beſteigt den 
Hügel. Hemming, die Harfe in der Hand, ſetzt ſich ihm zu Füßen. 


Gandalf mit Faſſung. 
Und nun gen Nordland! 
Hrolloug. Heimwärts! 
Alle. Heim gen Norden! 
Blanka begeiſtert, indem fie Joſtein das Banner entreißt und es hoch ſchwingt: 
Hinweg denn! Freud'gen Mutes ziehn wir fort 
Durch Sturmgebraus auf blauer Flut gen Nord! 
Bald ob der Gletſcher Zinnen wird es tagen, 
Bald künden von der Wikingfahrt nur Sagen. 
Schon ragt empor des Nordlandkämpen Hügel; 


— 33 — 


Vorbei die Zeit, da ſtolz auf Drachenflügel 

Er als Erobrer zog mit Schwert und Flammen! 
Thors wucht'ger Hammer ſinkt in Staub zuſammen; 
Der Norden ſelbſt — er wird zum Hünengrab. 

Doch denkt des Troſts, den uns Allvater gab: 

Wenn Moos und Blumen um das Grab ſich breiten, 
Wird dort des Helden Geiſt in Walhall ſtreiten — 
Dem Grab entſteigt dann Nordland hell und hehr: 
Zur Geiſtesthat auf des Gedankens Meer! 


Ibſen, Frau Inger auf Oeſtrot. 3 


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Frau Inger auf Oeſtrot 


Schauſpiel in fünf Aufzügen 


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Geſchützt auf Grund der Geſetze und Verträge. 
Den Bühnen gegenüber Manufkript. 


Perfonen. 


Frau Inger, Otto Römers Tochter und Witwe des Reichshof— 
meiſters Nils Gyldenlöve. 

Eline Gyldenlöve, ihre Tochter. 

Nils Lykke, ein däniſcher Ritter. 

Reichsrat Olaf Skaktavl, ein geächteter norwegiſcher Edel— 
mann. 

Nils Stenſſön. 

Herr Jens Bjelke, ſchwediſcher Oberſt. 

Björn, Kammerdiener auf Oeſtrot. 

Finn, Schloßdiener. 

Ejnar Huk, Schloßvogt. 


Hausgeſinde, Bauern und ſchwediſche Kriegsknechte. 


Das Stück ſpielt auf dem Herrenſitz Oeſtrot am Drontheimfjord im 
Jahre 1528. 


[Sprich: Gyldenlöwe, Skaktaul. 


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Erſter Aufzug. 


Eine Stube auf Oeſtrot. Durch die offene Thür im Hintergrunde ſieht man den 
Ritterſaal in ſchwachem Mondlicht, das dann und wann durch ein tiefes Bogenfenſter 
fällt und die entgegengeſetzte Wand ſtreift. Rechts die Ausgangsthür; davor ein 
Fenſter mit einem Vorhang. Links eine Thür, die in die inneren Gemächer führt; 
weiter im Vordergrunde ein großer offener Herd, der in der Stube Helle verbreitet. 
Es iſt ein ſtürmiſcher Abend. 
Björn und Finn ſitzen am Feuer. Finn iſt damit beſchäftigt, einen Helm blank 
zu putzen. Verſchiedene Waffenſtücke, darunter ein Schwert und ein Schild liegen 
neben ihnen. 

Finn nach einer Pauſe. Wer war Knut Alfſön? 

Björn. Die Herrſchaft jagt, er war Norwegens letz 
Rittersmann. 

Tinn. Und die Dänen erſchlugen ihn beim Osloer Fjord? 

Björn. Frag' einen Buben von fünf Jahren, wenn Du's 
nicht weißt. 

Tinn. So? Knut Alfſön war alſo unſer letzter Ritter? 
Und nun iſt er tot und begraben! Indem er den Helm in die Höhe hält: 
Ja, dann kannſt du lange im Ritterſaal hängen, und blank geputzt! 
Denn jetzt biſt du nichts weiter als eine leere Nußſchale. Den 
Kern — den haben die Würmer ſchon vor manchem Winter 
gefreſſen — — Höre, Björn, — könnte man nicht ſagen, Nor— 
wegen ſei auch ſolch eine leere Nußſchale wie dieſer Helm: 
außen blank und innen wurmſtichig? 


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Björn. Halt's Maul und thu Deine Arbeit! — Sit der 
Helm fertig? 
Finn. Er glänzt wie Silber im Mondlicht. 


Björn. So leg' ihn weg! — Hier, ſchab' den Roſt vom 
Schwerte! 

Tinn dreht und wendet es hin und her. Wird ſich das auch ver⸗ 
lohnen? 


Björn. Wieſo? 

Tinn. Die Schneide iſt ſtumpf. 

Björn. Was kümmert's Dich! Gieb mir das Schwert. — 
Hier iſt der Schild. 

Finn wie zuvor. Dem fehlt der Handgriff. 

Björn murmelt. Könnt’ ich nur Dich mit einem Handgriff 
packen und — 

Finn trällert ein Weilchen vor ſich hin. 

Björn. Was ſoll das wieder? 

Zinn. Ein leerer Helm, ein Schwert ohne Schneide, ein 
Schild ohne Handgriff — ſchau, das iſt die ganze Herrlichkeit! 
Ich glaube, niemand wird Frau Inger ſchmälen, daß ſie ſolche 
Waffen putzen läßt und im Saal aufhängt, ſtatt ſie roſten zu 
laſſen in Dänenblut. 

Björn. Ach, Geſchwätz! Wir haben ja Frieden im Lande. 

Tinn. Frieden? Ja, wenn der Bauer ſeinen letzten Pfeil 
verſchoſſen, und wenn der Wolf dem Bauer das letzte Lamm 
aus dem Stall geſtohlen hat, dann halten auch die zwei Frieden 
miteinander. Aber das iſt mir eine wunderliche Freundſchaft. 
Na, na, laß ſein! — Wie geſagt, es iſt recht und billig, daß 
die Rüſtung blank im Saale hängt; denn Du kennſt ja den 
alten Spruch: „Nur der Rittersmann iſt ein Mann.“ Und da 
es jetzt keinen Rittersmann mehr im Lande giebt, ſo haben wir 
auch keinen Mann mehr; und wo kein Mann iſt, da beſchließen 
die Weiber; und darum — 


— = 


Björn. Darum iſt mein Beſchluß, daß Du Dein faules 
Gerede beſchließeſt. Cr ertebt ſih. Es will Nacht werden. Nun 
kannſt Du Helm und Schild wieder in den Saal hängen. 

Finn mit gedämpfter Stimme. Ich warte lieber bis morgen. 

Björn. Du haſt doch wohl nicht Angſt im Dunkeln? 

Zinn. Bei Tage nicht; aber bei Nacht bin ich nicht der 
einzige, dem es ſo ergeht. Du ſiehſt mich an! Aber Du mußt 
wiſſen, unten in der Burgſtube —, da ſpricht man allerlei. Leiſer. 
Da giebt es manche, die glauben, daß dort drinnen jedwede 
Nacht ein großes, ſchwarzgekleidetes Geſpenſt umgehe. 

Björn. Altweibergeſchwätz! 

Zinn. Ja, aber alle ſchwören darauf, es ſei wahr. 

Björn. Das glaub' ich wohl. 

Finn. Das Seltſamſte aber iſt: Frau Inger hat dieſelbe 
Meinung. 

Björn ſtutzt. Frau Inger? Und was meint ſie? 

Tinn. Was Frau Inger meint? Ja freilich, das weiß 
nicht jeder. Aber gewiß iſt, daß ſie keine Ruhe in ſich hat. 
Merkſt Du nicht, wie ſie Tag für Tag bleicher und hagerer 
wird? mit einem forſchenden Blick. Die Leute ſagen, ſie ſchlafe nie, 
und zwar wegen des Geſpenſtes. 

Während der letzten Worte iſt Eline unter die halboffene Thür zur Linken getreten. 
Sie bleibt lauſchend ſtehen, ohne bemerkt zu werden. 

Björn. Und ſolchen Unſinn glaubſt Du? 

Finn. Je nun, jo halb und halb. Es giebt übrigens auch 
Leute, die die Sache anders auslegen. Aber das geſchieht nur 
aus Bosheit. Du, Björn, kennſt Du die Weiſe, die im Lande 
die Runde macht? 

Björn. Eine Weiſe? 

Finn. Ja, ſie iſt im Volksmunde. Es iſt ein garſtiges 
Schmählied natürlich. Es geht aber ſonſt recht artig. Hör! 
nur mal. 


— 12 —ñ— 


Er ſingt mit gedämpfter Stimme: 
Frau Inger ſitzt in Oeſtrots Saal, 
Wohl geht ſie in Seide einher. 
Sie geht wohl in Seide und Pelz zumal, 
Sie flicht ſich die Perlen ins Haar ohne Zahl, 
Und doch iſt ihr Herze ſo ſchwer. 


Frau Inger hat ſich den Dänen verkauft. 
Sie ſchickt ihr Geſind in des Fremden Gewalt 
Dafür zum Entgelt — 

Björn faßt ihn unwirſch bei der Bruſt. Eline zieht ſich unbemerkt zurück. 

Björn. Und ich werde Dich in des Teufels Gewalt ſchicken, 
und zwar ohne Entgelt, wofern Du noch ein unziemliches 
Wort über Frau Inger wagſt. 

Finn, indem er ſich losreict. Na, na! Hab' ich denn die Weiſe 
erdacht? 

Hörnerſchall rechts hinter der Scene. 

Björn. Horch! — Was iſt das? 

Tinn. Ein Hornruf. So bekommen wir noch ſpät abends 
Gäſte. 

Björn am Fenſter. Sie öffnen das Thor. Ich höre Hufſchlag 
im Schloßhof. Es muß ein Rittersmann ſein. 

Finn. Ein Rittersmann? Das iſt wohl kaum möglich! 

Biörn. Warum? 

Finn. Haſt ja ſelbſt gejagt: unſer letzter Rittersmann iſt 
tot und begraben. 

Er geht rechts ab. 

Björn. Der verdammte Schelm. Er hat ſeine Augen 
überall. So hat mir's wenig gefrommt, daß ich alles zu ver— 
decken und verſtecken ſuchte. Sie iſt in aller Munde. Nicht 
lange wird es dauern, und ein jeder ruft — 

Eline kommt wieder durch die Thür lints. Sie ſieht ſich um und fragt, indem 


ſie ihre Erregung unterdrückt: Biſt Du allein, Björn? 


Björn. Seid Ihr es, Jungfer Eline? 

Eline. Björn, erzähl' mir wieder ein Märchen! Ich weiß, 
Du kennſt mehr als — 

Björn. Erzählen? Und jetzt? So ſpät abends? 

Eline. Wenn Du von der Zeit an rechneſt, da es finſter 
wurde auf Oeſtrot, dann iſt es freilich ſpät. 

Björn. Was fehlt Euch? Iſt Euch etwas widerfahren? 
Ihr ſeid ſo unruhig. 

Eline. Wohl möglich. 

Björn. Etwas iſt los. Seit einem halben Jahre kenn' ich 
Euch kaum wieder. 

Eline. Bedenke, daß ſeit einem halben Jahre Lucia, meine 
Lieblingsſchweſter, in der Gruft liegt. 

Björn. Jungfer Eline! Das iſt gewiß nicht der Grund, 
oder doch nicht der einzige Grund, weshalb Ihr bald gedanken— 
voll, bleich und ſtill, bald aufgeregt und faſſungslos umhergeht, 
wie jetzt. 

Eline. Meinſt Du? Und warum nicht? War Lucia nicht 
ſanft, ſüß und hold wie eine Sommernacht? Björn, — ich ſage 
Dir, Lucia war mir lieb wie mein eignes Leben. Haſt Du 
vergeſſen, wie oft wir als Kinder auf Deinen Knien ſaßen 
an den Winterabenden? Da ſangſt Du uns Weiſen, und Du 
erzählteſt — 

Björn. Ja, damals wart Ihr froh und heiter. 

Eline. Ja, damals, Björn! Da lebt' ich freilich ein herr— 
liches Leben in Märchen und in meinen eignen Gedanken! Sollte 
man glauben, daß damals der Strand ſo kahl war wie jetzt? 
Und wenn er es war, ſo merkt' ich es nicht. Da unten erging 
ich mich ja am liebſten und dichtete alle die ſchönen Sagen. 
Meine Helden kamen von ferne her und fuhren wieder übers 
Meer; und ich lebte mitten unter ihnen und folgte ihnen nach, 
wenn ſie von dannen zogen. Sie ſinkt auf einen Stuhl nieder. Nun 


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bin ich jo matt — jo müde; meine Märchen können mir nicht 
mehr helfen; fie find nur — Märchen. Cie erhebt ſich raid. 
Björn! — Weißt Du, was mich krank gemacht hat? Eine 


Wahrheit. Eine häßliche, häßliche Wahrheit, die Tag und 
Nacht an mir nagt. 

Björn. Was meint Ihr? 

Eline. Denkſt Du noch daran, wie Du uns zuweilen Lebens— 
regeln gabſt und gute Ratſchläge? Schweſter Lucia befolgte 
ſie; aber ich — Gott ſei mir gnädig! 

Björn tröſtend. Na, na! 

Eline. Ich weiß — ich war ſtolz, hochmütig. Wenn wir 
miteinander ſpielten, wollt' ich immer die Königin ſein, weil ich 
die Größere, die Schönere, die Klügere war. Ich weiß, ich weiß! 

Björn. Das iſt wahr. 

Eline. Einmal nahmſt Du mich bei der Hand, blickteſt mich 
ernſthaft an und ſagteſt: Sei nicht ſtolz auf Schönheit und 
Klugheit; aber ſei ſtolz wie der Adler auf den Felſenhöhen, ſo 
oft Du gedenkſt, daß Du Inger Gyldenlöves Tochter biſt. 

Björn. Ihr hattet guten Grund, ſtolz darauf zu ſein. 

Eline. Ja, das ſagteſt Du mir gar oft, Björn. O, Du 
erzählteſt mir damals jo viele Märchen! Sie drückt ihm die Hand. 
Hab' Dank dafür! — Erzähl' mir eins wie ehedem; vielleicht 
wird mir wieder leicht ums Herz wie früher. 

Björn. Ihr ſeid ja kein Kind mehr. 

Eline. Wohl wahr! Aber laß mich wähnen, daß ich es 
noch bin. — Nun erzähle! 

Sie wirft ſich in einen Stuhl. Björn ſetzt ſich auf den Rand des Herdes. 

Björn. Es war einmal ein edler Rittersmann — 

Eline, die unruhig nach dem Ritterſaal hingelauſcht hat, faßt Björn am Arm 
und flüſtert in heftiger Bewegung: Still! Sprich nicht ſo laut! Ich 
bin ja nicht ſchwerhörig. 


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Björn leiſer. Es war einmal ein edler Rittersmann, von 
dem die ſeltſame Kunde ging — 

Eline erhebt ſich halb und lauſcht mit ängſtlicher Spannung nach dem Saal zu. 

Björn. Jungfer Eline — was fehlt Euch? 

Eline ſetzt ſich wieder. Mir? Nichts. Erzähl' nur weiter! 

Björn. Na, wie geſagt, — wenn er einer Maid tief ins 
Auge ſah, ſo vergaß ſie das nun und nimmermehr, ſondern 
folgte ihm in Gedanken, wo er ging und ſtand, und welkte hin 
vor Gram. 

Eline. Davon hört' ich — — Das iſt übrigens kein 
Märchen, was Du erzählſt. Denn der Rittersmann, von dem 
Du berichteſt, iſt Nils Lykke, der noch heutigen Tages im 
däniſchen Reichsrat ſitzt — 

Björn. Kann wohl ſein. 

Eline. Nun ja, gleichviel! — Fahre fort! 

Björn. Und ſo begab es ſich einmal — 

Eline erhebt ſich plötzlich. Pit! Still! 

Björn. Was giebt's? Was iſt Euch! 

Eline dauſchend. Hörſt Du? 

Björn. Was? 

Eline. Dort — Beim heil'gen Chriſt! Dort! 

Björn erhebt ſich. Was iſt dort? Wo? 

Eline. Sie ſelbſt — im Ritterſaale — 

Sie eilt nach dem Hintergrunde. 

Björn folgt ihr. Wie könnt Ihr glauben? — Jungfer Eline, 
geht auf Eure Kammer! 

Eline. Bit! Steh' ſtill! Rühr' Dich nicht! Laß Dich nicht 
ſehen! Halt! Da kommt der Mond hervor. Kannſt Du die 
ſchwarze Geſtalt erkennen? 

Björn. Bei allen Heiligen — 

Eline. Sieh, — da zog ſie den Vorhang über Knut Alfſöns 
Bild. Haha! Er ſtarrt ihr wohl zu feſt in die Augen. 


— 16 


Björn. Jungfer Eline, hört mich! 
Eline, indem ſie zum Herde geht. Nun weiß ich, was ich weiß. 
Björn für ſich. So iſt es doch wahr! 
Eline. Wer war es, Björn? Wer war es? 
Björn. Das habt Ihr ebenſo deutlich geſehen wie ich. 
Eline. Wohlan! Wen hab' ich geſehen? 
Björn. Ihr habt Eure Mutter geſehen. 
Eline balo zu ſic. Nacht für Nacht vernahm ich ihren Schritt 
im Saal. Ich hörte ſie flüſtern und ſtöhnen, gleich einer 
Seele, die der Erlöſung harrt. Und in dem Liede heißt es 
ja — Ach, nun weiß ich's! Nun weiß ich, daß — 
Björn. Still! 
Inger kommt raſch aus dem Saale, ohne die andern zu beachten, geht aufs Fenſter 
zu, zieht den Vorhang zurück und ſtarrt eine Weile hinaus, als ob ſie auf 
der Landſtraße nach jemand ſpähe; dann wendet ſie ſich ab und kehrt langſam 
wieder in den Saal zurück. 
Eline leiſe, indem ſie ihr mit den Augen folgt. So fahl und bleich 
wie der Tod — 
Man hört Lärm und Stimmen hinter der Thür zur Rechten. 
Björn. Was iſt das wieder? 
Eline. Sieh nach, was es giebt! 
Ejnar Huk, gefolgt von einem Troß Bauern und Hausgeſind, wird in der 
Vorſtube ſichtbar. 
Ejnar Huk in der Tyüre. Nur hinein! Nicht jo verzagt! 
Björn. Was ſucht Ihr? 
Ejnar. Frau Inger. 
Björn. Frau Inger? Und jo ſpät am Abend? 
Einar. Spät, doch immer noch zeitig genug, denk' ich. 
Die Bauern. Ja, ja — jetzt muß ſie uns hören! 
Die ganze Schar dringt in die Stube ein. Im jelben Augenblicke zeigt ih Inger 
in der Thüre des Ritterſaales. Alle ſchweigen plötzlich. 


Inger. Was wollt Ihr von mir? 


— 


Einar. Wir ſuchten Euch, edle Frau, um zu — 

Inger. Nun denn, — ſo ſprecht! 

Ejnar. Ei, es iſt ja eine ehrliche Sache. Kurz und gut, 
wir kommen, Euch um Urlaub und Waffen zu bitten. 

Inger. Urlaub und Waffen? Wozu? 

Einar. Es iſt das Gerücht von Schweden herübergedrungen, 
daß das Volk in Dalekarlien ſich erhoben hat und gegen König 
Guſtav zu Felde zieht — 

Inger. Das Volk in Dalekarlien? 

Ejnar. Ja, ſo geht das Gerücht, und es ſoll ganz ver— 
bürgt ſein. 

Inger. Nun, und wenn dem ſo wäre — was habt Ihr 
mit dem Aufſtand in Dalekarlien zu ſchaffen? 

Die Bauern. Wir wollen mit! Wir wollen auch dabei 
ſein! Frei wollen wir werden! 

Inger keiſe. Ach, wäre die Zeit gekommen! 

Einar. Aus allen nordiſchen Grenzorten eilen die Bauern 
hinzu. Selbſt geächtete Männer, die Jahr um Jahr heimatlos 
in den Bergen und Wäldern umhergeirrt ſind, ſelbſt ſie wagen 
ſich wieder hervor zu den Höfen, ſammeln Volk und ſchleifen 
die Schneide ihrer verroſteten Waffen. 

Inger nach einer Pauſe. Hört, — habt Ihr auch alles wohl 
überlegt? Habt Ihr auch nachgerechnet, was es Euch koſten 
würde, wenn König Guſtavs Mannen ſiegen ſollten? 

Björn leiſe und flehentlich zu Inger. Rechnet nach, was es den 
Dänen koſten wird, wenn König Guſtavs Mannen unterliegen 
ſollten! 

Inger abweiſend. Dies Rechenexempel iſt nicht meine Sache. 
Sie wender ſich zu der Menge. Ihr wißt, König Guſtav kann ſicher 
auf den Beiſtand Dänemarks zählen. König Friedrich iſt ſein 
Freund und wird ihn gewiß nicht im Stiche laſſen — 

Einar. Aber wenn ſich die Bauern im ganzen norwegiſchen 


„ 


Land erheben? Wenn wir uns alle zuſammenſcharen, Edle und 
Gemeine? Ja, Frau Inger, nun, glaub' ich, iſt die Gelegen— 
heit gekommen, auf die wir ſo lange geharrt haben! Bricht 
es jetzt los, ſo muß der Fremdling aus dem Lande! 

Die Bauern. Ja, fort mit den däniſchen Vögten! Fort 
mit den fremden Herrenleuten! Fort mit den Trabanten des 
Reichsrats! 

Inger leiſe. O, es iſt Mark in ihnen; aber dennoch — 

Björn für ſich. Sie iſt unſchlüſſig. Zu Eline. Was gilt's, 
Jungfer Eline — Ihr habt Euch mit Euerm Urteil über die 
Mutter verſündigt. 

Eline. Björn, — ich wollte mir dieſe Augen aus dem 
Kopfe herausreißen, wenn ſie mir gelogen hätten! 

Ejnar. Seht, vieledle Frau — erſt gilt es König Guſtav; 
iſt er bezwungen, ſo werden ſich die Dänen nicht lange im 
Lande halten können. 

Inger. Und dann? 

Einar. Dann ſind wir frei; dann haben wir keinen 
fremden Herrn mehr über uns und können uns ſelbſt einen 
König wählen, wie es die Schweden vor uns gethan. 

Inger lebhaft. Selbſt einen König —! Meinſt Du das 
Geſchlecht der Sture? 

Einar. König Chriſtian und andre nach ihm haben reinen 
Tiſch gemacht mit dem Grund- und Erbbeſitz ringsum. Unſre 
edelſten Erbſaſſen irren vogelfrei zwiſchen Felſenklüften umher, 
wenn ſie überhaupt nach leben. Aber gleichwohl könnte dieſer 
oder jener Sprößling aus den alten Geſchlechtern ſich finden — 

Inger raſch. Genug, Ejnar Huf! Genug —. O meine 
herrlichſte Hoffnung! Sie wendet ſich zu den Bauern und dem Geſinde. 
Ich hab' Euch nun vermahnt, ſo gut ich konnte. Ich hab' 
Euch geſagt, in wie große Gefahr Ihr Euch hineinwagt. Aber 
da Ihr ſo feſt auf Eurem Vorſatz beſteht, ſo wär' es thöricht 


— 49 


von mir, Euch zu verbieten, was Ihr auf eigne Hand durch— 
ſetzen könntet. 

Ejnar. Wir haben alſo Eure Zuſtimmung —? 

Inger. Ihr habt Euern eignen feſten Willen; fragt den 
um Rat. Werdet Ihr wirklich jeden lieben Tag geplagt und 
geknechtet — —. Ich weiß jo wenig von dieſen Dingen; ich 
will nicht mehr davon wiſſen! Was vermag ich, ein einzelnes 
Weib —? Selbſt wenn Ihr den Ritterſaal plündern wolltet 
— und es findet ſich manch brauchbare Waffe darin —; Ihr 
habt dieſen Abend die Macht auf Oeſtrot; Ihr könnt thun, was 
Euch gelüſtet. Gute Nacht! 

Die Menge bricht in einen lauten Ruf der Freude aus. Die Knechte machen Licht 
und holen allerhand Waffenſtücke aus dem Ritterſaal. 

Björn ergreift die Hand Ingers, die ſich zum Gehen wendet. Dank, meine 
edle, großmütige Herrin! Ich, der ich Euch ſeit Euren Kinder— 
jahren kenne, ich habe nie an Euch gezweifelt. 

Inger. Still, Björn! Es iſt ein gefährliches Spiel, das 
ich dieſen Abend gewagt habe. Für die andern gilt es nur das 
Leben, aber für mich — das glaube mir — gilt es tauſend— 
mal mehr! 

Björn. Wie? Bangt Euch um Eure Macht oder um das 
gute Einvernehmen mit — 

Inger. Meine Macht! O Gott im Himmel! 

Ein Knecht kommt aus dem Saal mit einem großen Schwert. Seht, 
hier iſt ein richtiger Wolfszahn! Damit will ich die Knechte des 
Blutſaugers zerhacken. 

Einar zu einem andern Knecht. Was haſt Du aufgetrieben? 

Der Knecht. Den Bruſtpanzer, der Herlof Hyttefad gehört 
haben ſoll. 

Einar. Der iſt zu gut für Dich; — ſieh, hier hab' ich die 
Lanzenſtange Sten Stures! Steck' den Panzer darauf, ſo haben 
wir das prächtigſte Heerzeichen, das man verlangen kann. 


Ibſen, Frau Inger auf Oeſtrot. 4 


En 


Der Schloßdiener Tinn mit einem Brief in der Hand kommt durch die 
Thür links und geht auf Inger zu. Ich ſuchte Euch in allen Ges 
mächern. 

Inger. Was ſoll's? 

Finn reicht ihr den Brief. Ein Knappe aus Drontheim hat Brief 
und Botſchaft für Euch gebracht. 

Inger. Laß ſehen! Indem ſie den Brief öffnet: Aus Drontheim? 
Was kann das ſein? Sie duichfliegt den Brief. Barmherziger! Von 
ihm! Er hier im Lande — 

Sie lieſt in heftiger Bewegung weiter, während die Mannen fortfahren, ſich Waffen 
aus dem Saale zu holen. 

Inger für ji. Er kommt alſo hierher — und noch in dieſer 
Nacht. Ja, dann gilt es, mit der Klugheit und nicht mit dem 
Schwerte zu kämpfen! 

Einar. Genug, genug, Ihr guten Leute! Nun, mein’ ich, 
ſind wir wohlgerüſtet. Nun können wir uns auf den Weg 
machen. 

Inger mit einer raſchen Wendung. Kein Mann verläßt dieſe Nacht 
den Hof! 

Einar. Aber edle Frau, jetzt iſt der Wind uns günſtig; wir 
gehen über den Fjord und — 

Inger. Es bleibt bei dem, was ich geſagt habe. 

Ejnar. Sollen wir denn bis morgen warten? 

Inger. Bis morgen und noch länger. Kein bewaffneter 
Mann darf Oeſtrot verlaſſen — für den Augenblick! 

Man vernimmt aus der Menge Aeußerungen des Unwillens. 

Einige Bauern. Wir gehen trotzdem, Frau Inger! 

Viele andere. Ja, ja, wir gehen trotzdem. 

Inger einen Schritt näher. Wer wagt es? Ale ſchweigen; nach einer 
kurzen Pauſe fügt fie hinzu: Ich habe für Euch gedacht. Was wißt 
Ihr geringen Leute aus dem Volke von den Sachen des Landes? 
Wie könnt Ihr Euch vermeſſen, über dergleichen zu urteilen? 


Ihr werdet Druck und Mühſal noch eine Weile ertragen müſſen! 

Das darf Euch nicht zu nahe gehen, wenn Ihr bedenkt, daß 

auch uns, den Herrengeſchlechtern, heutzutage kein beſſres Los 

winkt! — Tragt die Waffen alle in den Saal zurück! Später 

ſollt Ihr meinen Willen erfahren! Geht! 

Das Geſinde bringt die Waffen zurück; dann entfernt ſich die ganze Schar durch die 
Thür rechts. 

Eline teife zu Björn. Meinſt Du noch immer, ich hätte mich 
mit meinem Urteil verſündigt an — der Herrin von Oeſtrot? 

Inger Björn Herbeiwintend. Halt! eine Gaſtkammer bereit — 

Björn. Gut, Frau Inger. 

Inger. Und die Pforte offen für jeden, der etwa anpocht. 

Björn. Aber — ? 

Inger. Die Pforte offen. 

Björn. Die Pforte offen. Er geht rechts ab. 

Inger zu Eline, die ſchon in der Thüre links ſteht. Bleib' — Eline 
— mein Kind. Ich habe mit Dir allein zu reden. 

Eline. Ich höre Euch. 

Inger. Eline, Du denkſt ſchlecht von Deiner Mutter. 

Eline. Ich denke nur die Gedanken, zu denen mich Euer 
Benehmen ſo ſchmerzlich zwingt. 

Inger. Und Du antworteſt mir, wie Dein harter Sinn 
Dir gebeut. 

Eline. Wer hat meinen Sinn verhärtet? Seit früheſter 
Kindheit war ich gewohnt, zu Euch emporzublicken wie zu einem 
großen, hochgeſinnten Weibe. Euch müßten, dacht' ich, jene 
Frauen gleichen, von denen in den Chroniken und im Helden— 
buche ſteht. Es war mir, als ob Gott ſelbſt ſein Zeichen auf 
Eure Stirn gedrückt und Euch als die beſtimmt hätte, die 
Lenkerin ſein ſollte den Zagen und Unſchlüſſigen. Im hohen 
Saale ſangen Ritter und Herrenleute zu Eurem Preis; ja ſelbſt 


das Volk, nah und fern, nannte Euch die Hoffnung und Stütze 
4 * 


— 52 — 


des Landes, und alle meinten ſie, daß unter Euch die guten 
Zeiten wieder kommen würden. Alle meinten ſie, daß mit Euch 
ein neuer Tag für uns anbräche. — Noch iſt es Nacht; und 
ich weiß nicht, ob ich länger glauben darf, daß mit Euch ein 
neuer Morgen kommt. 

Inger. Es läßt ſich leicht erraten, woher Dir ſo bittre 
Worte ſtammen. Dir kam zu Ohren, was der gedankenloſe 
Haufe über Dinge flüſtert, die er nicht beurteilen kann. 

Eline. Im Volksmund iſt Wahrheit, ſagtet Ihr damals, als 
Euer Ruhm in Wort und Lied erſcholl. 

Inger. Mag ſein. Aber wenn ich nun vorgezogen hätte, 
unthätig hier zu ſitzen, obgleich es bei mir ſtünde, zu handeln 
— glaubſt Du nicht, daß dieſes mein Los mir eine Bürde iſt? 
Und auf dieſe ſchwere Bürde willſt Du noch Steine häufen? 

Eline. Die Steine, die ich auf Eure Bürde häufe, drücken 
mich ebenſo ſehr wie Euch. Leicht und frei ſog ich des Lebens 
Odem ein, ſo lang' ich an Euch glaubte. Denn ſoll ich leben, 
muß ich Stolz empfinden; und ſtolz würde ich mit Recht ge— 
weſen ſein, wofern Ihr geblieben wäret, was Ihr einſtens wart! 

Inger. Und was bürgt Dir dafür, daß ich es nicht bin? 
Eline — woher weißt Du ſo genau, daß Du Deiner Mutter 
nicht unrecht thuſt? 

Eline leidenschaftlich. O, daß ich es thäte! 

Inger. Still! Es kommt Dir nicht zu, Rechenſchaft von 
Deiner Mutter zu fordern. Mit einem einzigen Worte könnt' 
ich —; doch es zu hören wäre nicht gut für Dich. Du mußt 
abwarten, was die Zeit bringt; vielleicht — 

Eline, indem ſie gehen will. Schlaft wohl, Mutter! 

Inger zögernd. Nein — bleib'! Ich habe Dir noch mehr 
zu ſagen — komm näher! Du mußt mich hören, Eline! 

Sie ſetzt ſich an den Tiſch beim Fenſter. 


Eline. Ich höre Euch. 


En 


Inger. So verſchloſſen Du auch bift, ich weiß doch, daß Du 
Dich mehr als einmal von hier weggeſehnt haſt. Es iſt Dir zu 
öde, zu einſam auf Oeſtrot. 

Eline. Wie kann Euch das wundern, Mutter?! 

Inger. Es ſteht bei Dir, ob es künftig anders werden ſoll. 

Eline. Wieſo? 

Inger. Höre mich. In dieſer Nacht erwart' ich jemand auf 
dem Schloß. 

Eline nähert ſich. Einen Gaſt? 

Inger. Einen Gaſt, der fremd und unerkannt bleiben muß. 
Niemand darf wiſſen, woher er kommt, noch wohin er geht. 

Eline ſtürzt mit einem Freudenſchrei ihrer Mutter zu Füßen und ergreift ihre 
Hände. O Mutter, Mutter! Vergebt mir all das Unrecht, das 
ich Euch zugefügt habe, — wenn Ihr könnt! 

Inger. Was iſt Dir? Ich verſteh' Dich nicht, Eline. 

Eline. So haben ſich denn alle getäuſcht! Ihr ſeid noch im 
Herzen treu geſinnt! 

Inger. Aber ſo ſteh' doch auf und ſag' mir — 

Eline. Und glaubt Ihr, daß ich nicht weiß, wer der 
Gaſt iſt? 

Inger. Du weißt es? Und doch — 

Eline. Glaubt Ihr, Oeſtrots Pforten ſind ſo dicht ver— 
ſchloſſen, daß nicht zuweilen ein Klagelaut hereindringen kann? 
Meint Ihr, ich weiß nicht, daß mancher Sprößling aus altem 
Geſchlecht als Geächteter umherirrt, ohne Obdach und Lager, 
während die däniſchen Herren auf ſeiner Väter Hof ſchalten 
und walten? 

Inger. Und was weiter? 

Eline. Ich weiß wohl, daß mancher edle Ritter wie ein 
hungriger Wolf im Walde gehetzt wird. Er hat keinen Herd, 
wo er raſte, keinen Biſſen Brot — 

Inger kalt. Genug! Jetzt verſteh' ich Dich. 


5 


Eline fortfahrend. Und darum öffnet Ihr Oeſtrots Thore zur 
nächtlichen Zeit; darum muß er fremd und unerkannt bleiben, 
jener Gaſt, von dem niemand wiſſen darf, woher er kommt, noch 
wohin er geht. Ihr trotzt dem ſtrengen Gebot, das verbietet, 
die Verfolgten zu behauſen und ihnen beizuſtehen mit Obdach 
und Pflege — 

Inger. Genug, ſag' ich! Sie ſchweigt eine Weile und fügt dann mit 
Ueberwindung hinzu: Du irrſt, Eline; — nicht ein Geächteter iſt's, 
den ich erwarte. 

Eline erhebt ſich. So hab' ich Euch wahrlich falſch verſtanden. 

Inger. Hör' mich an, mein Kind, aber hör' mich mit Ueber— 
legung an, wofern Du Deinen wilden Sinn zu zähmen vermagſt. 

Eline. Ich werd' ihn zähmen, bis Ihr zu Ende ge— 
ſprochen habt. 

Inger. So gieb wohl acht auf das, was ich Dir ſage. Ich 
ſuchte, ſo weit es in meiner Macht ſtand, vor Dir die Not und 
Bedrängnis, die uns umgiebt, zu verbergen. Denn was konnte 
es nützen, wenn ich Sorge und Gram in Deine junge Seele 
ſenkte? Thränen und Weiberſeufzer können uns nicht aus den 
Drangſalen befreien. Wir brauchen Mut und Manneskraft. 

Eline. Und wer ſagt Euch, daß ich nicht Mut und Mannes— 
kraft habe, wenn es gilt? 

Inger. Still, Kind! Ich könnte Dich beim Wort nehmen. 

Eline. Wie das, Mutter? 

Inger. Ich könnte beides von Dir fordern; ich könnte — 
doch laß mich erſt zu Ende ſprechen! — Wiſſe denn, daß die 
Zeit ſich zu nahen ſcheint, auf die der däniſche Reichsrat ſchon 
ſeit vielen Jahren hingearbeitet hat, — die Zeit, mein' ich, da 
man unſern Rechten und unſrer Freiheit den letzten Stoß geben 
wird. Sieh, darum gilt es — 

Eline lebpaft. Offne Fehde, Mutter! 

Inger. Nein, es gilt, Spielraum zu gewinnen. In Kopen— 


* 


EEE 


hagen iſt jetzt der Rat verſammelt, um zu überlegen, wie man 
am geſchickteſten zu Werke geht. Die Mehrheit ſoll der Anſicht 
ſein, daß die Zwiſtigkeiten nicht beigelegt werden können, jo 
lange Norweger und Dänen uneins ſind. Denn behalten wir 
unſre Rechte als freies Reich, — wenn einmal die Königswahl vor 
ſich geht, ſo iſt es wahrſcheinlich, daß es zu offener Fehde kommt. 
Sieh, das wollen die däniſchen Herren verhindern — 

Eline. Ja, das wollen ſie verhindern —. Aber ſollen wir 
das dulden? Sollen wir ruhig zuſehen, daß — ? 

Inger. Nein, wir ſollen es nicht dulden! Aber die Waffen 
ergreifen und den Kampf eröffnen — wohin würde das führen, 
ſolange wir nicht alle einig ſind? Und ſtand es jemals ſchlechter 
um die Einigkeit im Lande als gerade jetzt? — Nein, wenn 
wir etwas ausrichten wollen, ſo muß es heimlich und in der 
Stille geſchehen. Wir müſſen, wie ich Dir ſagte, Spielraum 
gewinnen. Im ſüdlichen Norwegen iſt ein großer Teil des 
Adels für die Dänen; aber im Norden hier iſt die Stimmung 
noch zweifelhaft. Darum hat König Friedrich einen ſeiner Ver— 
trauensmänner heraufgeſchickt, der ſich mit eignen Augen von 
unſerer Geſinnung überzeugen ſoll. 

Eline geſpannt. Nun — und? 

Inger. Und dieſer Ritter kommt heut Nacht hierher. 

Eline. Hierher? Und heut Nacht? 

Inger. Ein Kauffahrer brachte ihn geſtern nach Drontheim. 
Eben erhielt ich die Botſchaft, daß er ſich hier einfinden wird. 
Binnen einer Stunde können wir ihn erwarten. 

Eline. Und Ihr bedenkt nicht, Mutter, wie Ihr Euern 
Ruf aufs Spiel ſetzt, wenn Ihr dem däniſchen Abgeſandten 
eine ſolche Zuſammenkunft gewährt? Iſt nicht das Volk rings— 
umher ſchon mißtrauiſch genug gegen Euch? Wie könnt Ihr 
hoffen, daß es ſich dereinſt von Euch lenken und leiten läßt, 
wenn ruchbar wird — 


Inger. Sei unbekümmert. All das hab' ich zur Genüge 
bedacht; aber es hat keine Not. Sein Geſchäft hier im Land 
iſt ein Geheimnis; deshalb iſt er als Fremder nach Drontheim 
gekommen, und fremd und unerkannt wird er auch auf Oeſtrot 
weilen. 

Eline. Und der Name dieſes däniſchen Herrn? 

Inger. Er klingt gut, Eline! Dänemarks Adel hat kaum 
einen beſſeren zu nennen. 

Eline. Und was habt Ihr im Sinne? Noch hab' ich 
Eure Abſicht nicht erfaßt. 

Inger. Du wirſt mich bald verſtehen. — Da wir die 
Schlange nicht zertreten können, müſſen wir ſie binden. 

Eline. Hütet Euch wohl; die Schnur möchte reißen! 

Inger. Es kommt auf Dich an, wie feſt ſie geknüpft 
werden ſoll. 

Eline. Auf mich? 

Inger. Längſt hab' ich gemerkt, daß Oeſtrot Dir ein Kerker 
iſt. Für einen jungen Falken taugt es nicht, zwiſchen Eiſen— 
ſtäben zu ſitzen. 

Eline. Meine Schwingen ſind gelähmt. Gäbt Ihr mich 
auch frei, es würde mir wenig frommen. 

Inger. Deine Schwingen ſind nicht länger gelähmt, als 
Du ſelbſt es willſt. 

Eline. Als ich es will? Mein Wille iſt in Euern Händen. 
Werdet wieder, was Ihr geweſen, ſo will auch ich — 

Inger. Genug davon! Höre weiter! — Oeſtrot zu ver— 
laſſen, wird Dir gewiß nicht unlieb ſein. 

Eline. Wohl möglich, Mutter! 

Inger. Du ſagteſt mir einmal, daß Du Deine glücklichſte 
Zeit in Deinen Märchen und een verlebt haſt! Dieſe Zeit 
könnte wiederkommen. 


Eline. Was meint Ihr? 

Inger. Eline, — wenn nun ein mächtiger Rittersmann 
erſchiene und Dich nach ſeiner Burg führte, wo Du Knechte und 
Mägde, ſeidene Gewänder und hohe Säle fändeſt? 

Eline. Ein Ritter, ſagt Ihr? 

Inger. Ein Ritter. 

Eline mit leiſer Stimme. Und der däniſche Geſandte kommt 
heut Nacht? 

Inger. Heut Nacht. 

Eline. Wenn dem ſo iſt, dann ſchaudert es mich, Eure 
Worte zu deuten. 

Inger. Es braucht Dich nicht zu ſchaudern, wenn Du ſie 
nicht mißdeuten willſt. Du ſollſt zu nichts gezwungen werden. 
Nach eignem Gutdünken ſollſt Du wählen und beſchließen in 
dieſer Sache. 

Eline einen Schritt näher. Habt Ihr von jener Mutter gehört, 
die zur Nachtzeit mit ihren kleinen Kindern im Schlitten über 
die Haide fuhr? Eine Wolfsrotte folgte ihren Spuren; es ging 
um Tod und Leben — und ſie warf ihre Kleinen hinter ſich, 
eines nach dem andern, um Zeit zu gewinnen für die eigene 
Rettung! 

Inger. Märchen! Eine Mutter riſſe ſich das Herz aus der 
Bruſt, ehe ſie ihre Kinder vor die Wölfe würfe. 

Eline. Wär' ich nicht meiner Mutter Tochter, dann würd' 
ich Euch Recht geben. Aber Ihr ſeid wie jene Mutter: Ihr 
habt Eure Töchter vor die Wölfe geworfen, eine nach der andern. 
Zuerſt habt Ihr die älteſte ihnen vorgeworfen. Vor fünf 
Jahren zog Merete von Oeſtrot. Nun ſitzt ſie in Bergen als 
Vincenz Lunges Hausfrau. Aber glaubt Ihr, ſie ſei glücklich 
als des Dänenritters Weib? Vincenz Lunge iſt faſt wie ein 
König mächtig; Merete hat Knechte und Mägde, ſeidene Ge— 
wänder und hohe Säle; aber der Tag hat keine Sonne für ſie 


und die Nacht keine Ruhe; denn ſie iſt ihrem Mann nie 
gut geweſen. Er kam her, er freite um ſie, weil ſie Nor— 
wegens reichſte Erbin war, und weil er damals feſten Fuß 
im Lande faſſen wollte. Ich weiß das; ich weiß es nur zu 
gut! Merete war Euch gehorſam; ſie folgte dem fremden 
Herrn! Aber was hat es ſie gekoſtet? Mehr Thränen, als 
eine Mutter ſich wünſchen wird am Tage des Gerichts ver- 
antworten zu müſſen! 

Inger. Ich kenne meine Verantwortung, und ſie ſchreckt 
mich nicht. 

Eline. Eure Verantwortung iſt damit nicht zu Ende. Wo 
iſt Lucia, Euer zweites Kind? 

Inger. Frage Gott, der ſie zu ſich nahm. 

Eline. Euch frage ich, denn Ihr habt es auf dem Ge— 
wiſſen, daß ſie ihr junges Leben ſo früh laſſen mußte. Fröhlich 
war ſie wie ein Vogel im Lenz, als ſie von Oeſtrot zog, um 
Merete in Bergen zu beſuchen. Ein Jahr danach ſtand ſie 
wieder hier in der Halle; aber da waren ihre Wangen weiß, 
und der Tod hatte ſich ihr ins Herz geſchlichen. Ja, Ihr 
wundert Euch, Mutter! Ihr glaubtet wohl, daß dies Geheimnis 
mit ihr begraben iſt. Aber ſie hat mir alles geſagt. Ein 
höfiſcher Ritter hatte ihr Herz gewonnen. Er wollte ſie zu 
ſeinem Weibe machen. Ihr wußtet, daß es ihre Ehre galt. 
Allein Ihr bliebt unbeugſam, und Euer Kind mußte ſterben. 
Ihr ſeht, ich weiß alles. 

Inger. Alles? So hat ſie Dir auch ſeinen Namen 
geſagt? 

Eline. Seinen Namen? Nein, ſeinen Namen hat ſie mir 
nicht geſagt. Sie ſchien eine beklemmende Scheu vor ſeinem 
Namen zu haben, — ſie nannte ihn nie. 

Inger erleichtert, für fi. Ah! So weißt Du doch nicht alles! 
— — Eline, das, woran Du gerührt haſt, war mir durchaus 


Erg: 2 


bekannt. Aber eins iſt an der Sache, worauf Du vielleicht nicht 
acht gegeben haſt: jener Rittersmann, dem Lucia in Bergen 
begegnete, war ein Däne — 

Eline. Auch das weiß ich. 

Inger. Und ſeine Liebe war eine Lüge. Mit Liſt und 
glatten Worten hatte er Lucia umſtrickt. 

Eline. Ich weiß es. Aber ſie liebte ihn dennoch. Und 
hättet Ihr das Herz einer Mutter gehabt, ſo wäre Euch die Ehre 
Eures Kindes über alles gegangen. 

Inger. Nicht über ihr Glück. Glaubſt Du, daß ich, Meretens 
Los vor Augen, mein zweites Kind einem Manne geben würde, 
der ſie nicht lieb hätte? 5 

Eline. Kluge Worte bethören gar manchen Sinn, aber mich 
bethören ſie nicht. — Glaubt nicht, daß ich ſo ganz ununter— 
richtet bin von dem, was rings im Lande vorgeht. Vollkommen 
durchſchau' ich Euer Verhalten. Ich weiß wohl, daß der 
däniſche Adel keine treu ergebene Freundin an Euch hat. 
Vielleicht haßt Ihr ihn ſogar; aber Ihr fürchtet ihn zu gleicher 
Zeit. Damals, als Ihr Merete dem Vincenz Lunge zur Gattin 
gabt, hatten die däniſchen Herren allerorten die Uebermacht im 
Lande. Drei Jahre danach, als Ihr Lucien verbotet, den zu 
ehelichen, an den ſie ihr Leben geknüpft hatte, obgleich er ſie 
verführt hatte — da ſtanden die Dinge ganz anders. Die 
däniſchen Vögte des Königs hatten ſchändliche Greuelthaten am 
Volke verübt, und Ihr fandet es nicht rätlich, Euch feſter, als 
ſchon geſchehen war, an die däniſchen Gewalthaber anzu— 
ſchließen. — Und was habt Ihr gethan, um ſie, die ſo jung 
ſterben mußte, zu rächen? Ihr habt nichts gethan! Wohlan! 
Ich werde für Euch handeln und die Schmach rächen, die 
unſer Volk und unſer Geſchlecht betroffen hat. 

Inger. Du? Was haſt Du im Sinn? 

Eline. Ich gehe meinen Weg, wie Ihr den Euern 


Ba. 


geht. Was ich im Sinn habe, weiß ich ſelbſt nicht; aber ich 
fühle Kraft in mir, alles für unſre gute Sache zu wagen. 

Inger. Du wirſt einen harten Kampf zu kämpfen haben. 
Ich gelobte einſt dasſelbe wie Du; und mein Haar iſt ergraut 
unter der Laſt meines Gelübdes. 

Eline. Gute Nacht! Euer Gaſt könnte eintreffen, und bei 
dieſer Begegnung bin ich überflüſſig. — Vielleicht iſt es noch 
Zeit für Euch — nun, Gott ſtärk' Euch und leit' Euer Thun! 
Vergeßt nicht, daß viel tauſend Augen auf Euch gerichtet ſind! 
Denkt an Merete, die früh und ſpät um ihr verſpieltes Leben 
weint; denkt an Lucia, die im ſchwarzen Sarge ſchläft. — Und 
noch eins! Vergeßt nicht, daß Ihr in dieſer Nacht Schach 
zieht um Euer letztes Kind! 

Sie geht links ab. 

Inger blickt ihr eine Weile nach. Mein letztes Kind? — Du 
ſprachſt wahrer, als Du ſelbſt wußteſt. — Aber es gilt nicht 
mein Kind allein. Gott helfe mir! In dieſer Nacht wird 
Schach gezogen um das ganze norwegiſche Reich. — Ah! Reitet 
dort nicht wer durch das Burgthor? Sie lauſcht am Fenſter. Nein, 
noch nicht. Es war nur der Wind. Er weht grabeskalt — — 
Hat Gott der Herr recht gehandelt? Mich zum Weibe zu 
bilden und eine Mannesthat auf meine Schultern zu laden!? 
Denn des Landes Wohlfahrt liegt in meiner Hand. In 
meiner Macht ſteht es, daß ſich alle wie ein Mann er— 
heben. Von mir erwarten ſie das Zeichen; und geb' ich es 


jetzt nicht — ſo geſchieht es — vielleicht nie! — Zögern? 
Die Vielen um des Einen willen opfern? — Wär' es nicht 
beſſer, wenn ich — —? Nein, nein, nein! Ich will nicht! 


Ich kann nicht! 
Sie wirft einen verſtohlenen Blick nach dem Ritterſaale, wendet ſich, wie in Angſt, 
ab und ſagt flüſternd: 
Nun ſind ſie wieder da drin! Bleiche Schatten, tote Ahnen, 
gefallene Blutsfreunde! — — Pfui! dieſe bohrenden Augen in 


BC 


allen Ecken! Sie ſchlägt mit der Hand hinter ſich und ruft: Sten Sture! Knut 
Alfſön! Olaf Skaktavl! Weicht, weicht! Ich kann es nicht! 
Ein fremder, kräftig gebauter Mann mit angegrautem Haar und Bart, mit 
einem zerriſſenen Wams aus Schaffell bekleidet und mit roſtigen Waffen, iſt durch 
den Ritterſaal eingetreten. 

Der Fremde bleibt bei der Thür ſtehen und ſagt mit gedämpfter Stimme: 
Heil Euch, Frau Inger! 

Inger wendet ſich mit einem Schrei um. Ha! — Jeſus Chriſtus, 
ſteh mir bei! 
Sie fällt in den Stuhl zurück. Der Fremde blickt ſie ſtarr an, unbeweglich, auf 

ſein Schwert gelehnt. 


Sweiter Aufzug. 


Stube auf Dejtrot, wie im erſten Akt. 

Inger ſitzt am Tiſch rechts vor dem Fenſter. Olaf Skaktavl ſteht ein wenig 
von ihr entfernt. Beider Mienen verraten, daß ein aufregendes Geſpräch voran⸗ 
gegangen iſt. 

Olaf. Zum letzten Mal, Frau Inger, — Ihr ſeid alſo 
unbeugſam in Euerm Entſchluß? 

Inger. Ich kann nicht anders. Und mein Rat iſt: geht 
auch Ihr meinen Weg. Sit es des Himmels Wille, daß Nor— 
wegen untergehen ſoll, ſo geht es unter, ob wir es ſtützen 
oder nicht. 

Olaf. Und mit dieſem Glauben, meint Ihr, ſoll ich mich 
in Geduld faſſen? Ich ſollte unthätig ſitzen und zuſchauen, 
nun die Zeit gekommen iſt? Habt Ihr vergeſſen, was es zu 
rächen giebt? Mein liegendes Gut haben ſie geraubt und unter 
ſich geteilt. Meinen Sohn, mein einziges Kind, den letzten 
Sproß unſeres Geſchlechtes, erſchlugen ſie vor meinen Augen 
wie einen Hund, und mich ſelbſt haben ſie zwanzig Jahre lang 
friedlos durch Wald und Gebirge gehetzt. Mehr als einmal 
meldete das Gerücht mich tot; aber nun hab' ich die Zuverſicht, daß 
man mich nicht in die Erde legen wird, eh' ich Rache genommen. 

Inger. Dann habt Ihr auf ein langes Leben zu hoffen. 
Und jetzt — was wollt Ihr thun? 

Olaf. Was weiß ich, was ich thun werde? Ich habe 


mich niemals darauf verſtanden, Pläne zu ſchmieden. Das ijt 
etwas, wozu ich Eurer Hilfe bedarf. Ihr ſeid gar klug dazu; 
ich habe nur meine zwei Arme und meine Waffen. 

Inger. Eure Waffen ſind verroſtet, Olaf Skaktavl! Alle 
Waffen in Norwegen ſind verroſtet. 

Olaf. Alſo deshalb ſtreiten gewiſſe Leute nur mit der 
Zunge? — Inger Gyldenlöve, Ihr habt Euch ſehr verändert. 
Es war eine Zeit, da ſchlug ein Mannesherz in Eurer Bruſt. 

Inger. Mahnt mich nicht an das, was war. 

Olaf. Und doch bin ich da rum zu Euch gekommen. Ihr 
ſollt mich hören. 

Inger. Nun wohl! Doch macht es kurz; denn — ich 
muß es Euch wohl ſagen — Ihr ſeid hier auf dem Schloſſe 
nicht ſicher. 

Olaf. Auf Schloß Oeſtrot iſt nicht Sicherheit für den 
Friedloſen? Das wußt' ich längſt. Aber Ihr vergeßt, daß 
ein Friedloſer nirgends ſicher iſt, wo er auch weile. 

Inger. So ſprecht. Ich kann es Euch nicht verwehren. 

Olaf. Es iſt nun bald dreißig Jahre, daß ich Euch zum 
erſten Male ſah. Es war zu Akershus bei Knut Alfſön und 
ſeinem Weibe. Ihr wart faſt noch ein Kind, und gleichwohl 
wart Ihr kühn wie ein Falke auf der Jagd und zuweilen faſt 
unzähmbar. Viele warben um Euch. Auch mir wart Ihr 
teuer — teuer, wie kein andres Weib mir ſeitdem geweſen iſt. 
Aber Ihr hattet nur ein Ziel, nur einen Gedanken. Und 
das war der Gedanke an das Unglück und die große Not des 
Reiches. 

Inger. Ich war fünfzehn Sommer alt — erwägt das! 
Und war es nicht, als hätt' in jenen Tagen uns insgeſamt 
ein wilder Trotz erfaßt? 

Olaf. Nennt es, wie Ihr mögt. Aber das weiß ich: die 
Aelteſten und Erfahrenſten unter uns meinten, es ſtünde dort 


BE, 1 


oben in den Sternen gejchrieben, daß Ihr es wärt, die das 
Sklavenjoch brechen und uns alle unſre Rechte zurückgewinnen 
ſollte; und ich weiß auch, Ihr dachtet damals ebenſo. 

Inger. Das war ein ſündiger Gedanke, Olaf Skaktavl! 
Hochmut war es und nicht der Ruf des Herrn, was aus mir 
ſprach. 

Olaf. Ihr konntet die Auserkorne ſein, wenn Ihr 
gewollt hättet. Ihr ſtammtet aus Norwegens edelſtem Ge— 
ſchlecht; Ihr hattet Macht und Reichtum zu erwarten und Ihr 
hattet ein Ohr für den Klageruf — damals. — — Denkt 
Ihr jenes Nachmittags noch, da Henrik Krummedike mit der 
däniſchen Flotte vor Akershus erſchien? Die Schiffsherren 
boten gütlichen Vergleich; und mit ſicherem Geleitbrief ließ 
Knut Alfſön ſich vom Lande rudern. Drei Stunden ſpäter 
trugen wir ihn wieder durchs Schloßthor — 

Inger. Als Leiche, als Leiche! 

Olaf. Als Krummedikes Spießgeſellen ihn erſchlugen, da 
brach Norwegens beſtes Herz. Noch mein' ich den langen 
Zug zu ſehen, der kummerſchwer und Paar für Paar in den 
Ritterſaal wallte. Da lag Knut Alfſön auf der Bahre, mit 
dem Axthieb über der Stirn, weiß wie eine Frühlingswolke. 
Ich darf wohl ſagen, daß Norwegens beſte Männer in jener 
Nacht verſammelt waren. Frau Margarete ſtand zu Häupten 
ihres toten Mannes, und alle, alle ſchwuren wir, Gut und 
Blut daran zu ſetzen, um dieſe letzte Greuelthat und all das 


Uebrige zu rächen. — Inger Gyldenlöve, wer war es, der 
da ſich Bahn brach durch den Kreis der Männer? Eine Jung— 
frau — faſt noch ein Kind — mit Feuer im Auge und mit 


thränenerſtickter Stimme. Was ſchwur ſie? Soll ich Eure 
Worte wiederholen? 

Inger. Ich ſchwur, was Ihr alle ſchwurt, — nicht mehr, 
nicht weniger. 


— 

Olaf. Ihr entſinnt Euch Eures Eides — und habt ihn 
doch vergeſſen. 

Inger. Und wie hielten die andern, was ſie gelobt? Ich 
ſpreche nicht von Euch, Olaf Skaktavl, doch von Euren Freunden, 
vom ganzen nordiſchen Adel. Nicht ein einziger iſt darunter, 
der in all dieſer Zeit den Mut gehabt hätte, ein Mann zu 
ſein; und doch legen ſie mir zur Laſt, daß ich ein Weib bin. 

Olaf. Ich weiß, was Ihr ſagen wollt. Warum haben ſie 
ſich unterworfen, ſtatt der Gewalt Trotz zu bieten, bis aufs 
Aeußerſte? Gut! Es iſt ein erbärmlich Mark heutzutage in 
unſern Geſchlechtern. Aber hätten ſie zuſammengehalten — wer 
weiß, was geſchehen wäre! Und Ihr konntet ſie zuſammen— 
halten, denn vor Euch hätten ſie ſich alle gebeugt. 

Inger. Ich könnte leicht Euch darauf antworten, aber Ihr 
würdet die Antwort nicht gelten laſſen. Sprechen wir deshalb 
nicht weiter von Dingen, die nicht zu ändern ſind. Sagt mir 
lieber, was Euch eigentlich nach Oeſtrot führt. Bedürft Ihr 
des Schutzes? Wohlan! Ich will Euch zu verbergen ſuchen. 
Habt Ihr noch andere Wünſche — ſagt es frei! Ihr ſollt mich 
bereit finden — 

Olaf. Zwanzig Jahre bin ich heimatlos geweſen. Zwiſchen 
den Felswänden von Jämteland iſt mein Haar ergraut. Ich 
habe mit Wölfen und Bären gehauſt. Ihr ſeht, Frau Inger — 
ich bedarf Eurer nicht, wohl aber der Adel und das gemeine Volk.; 

Inger. Das alte Lied! 

Olaf. Ja, ich weiß wohl, es klingt häßlich Euren Ohren 
aber Ihr ſollt es dennoch hören. Kurz und gut: ich komme 
von Schweden. Unruhen giebt es da. In Dalekarlien ſoll es 
losgehen. 

Inger. Ich weiß. 

Olaf. Der Kanzler Peter iſt im Bunde, doch — Ihr ver— 
ſteht — nur insgeheim. 


Ibſen, Frau Juger auf Oeſtrot. 9 


Inger ſtutzt. Wie? 

Olaf. Und er war's, der mich nach Oeſtrot ſandte. 

Inger erhebt ſich. Der Kanzler Peter, jagt Ihr? 

Olaf. Er ſelbſt; — oder kennt Ihr ihn vielleicht nicht 
mehr? 

Inger halb für fig. Nur allzugut. — — Doc) jagt mir, id) 
bitt Euch, welche Botſchaft bringt Ihr? 

Olaf. Als das Gerücht vom Unfrieden bis in die Grenz— 
thäler drang, wo ich mich verborgen hielt, brach ich unverweilt 
nach Schweden auf. Ich konnte mir denken, daß der Kanzler 
ſeine Hand im Spiele hat. Ich ſuchte ihn auf und bot ihm 
meinen Beiſtand an. Ihr wißt, er hat mich in frühern Zeiten 


gekannt; er wußte, daß man auf mich bauen kann — und 
darum ſandte er mich hieher. 

Inger ungeduldig. Gewiß, gewiß — er ſandte Euch her, 
um — 

Olaf geheimnisvoll. Frau Inger — ein Fremder kommt heut 


Nacht nach Oeſtrot. 

Inger überraſcht. Wie? Ihr wißt — 

Olaf. Und warum nicht? Ich weiß alles. Ich wurde ja 
vom Kanzler hergeſandt, um mit ihm zuſammenzutreffen. 

Inger. Mit ihm? Unmöglich, Olaf! Unmöglich! 

Olaf. Wie ich Euch ſage. — Wenn er nicht ſchon da iſt, 
ſo wird es doch nicht mehr lange währen — 

Inger. Allerdings. Doch ſprecht — 

Olaf. Ihr wart alſo auf ſeine Ankunft vorbereitet? 

Inger. Ja, gewiß. Er ſandte mir Kunde. Deshalb auch 
wurde Euch auf Euer Pochen ſogleich aufgethan. 

Olaf lauſchend. Horch! Es reitet einer den Weg daher. Er 
geht zum Fenſter. Die Pforte wird aufgethan. 

Inger zum Fenſter hinausblickend. Ein Ritter mit ſeinem Knappen. 
Sie ſteigen im Hofe ab. 


EIER. RER 


Olaf. Das alfo iſt er. Sein Name? 

Inger. Ihr wißt ſeinen Namen nicht? 

Olaf. Der Kanzler weigerte ſich, ihn zu nennen. Er ſagte 
nur, daß ich den Abgeſandten am dritten Abend nach Martini 
auf Oeſtrot treffen werde — 

Inger. Richtig — alſo heut Abend. 

Olaf. Er brächte wichtige Briefſchaften mit. Aus ihnen 
und aus ſeinem eigenen Munde würde ich erfahren, wer er ſei. 

Inger. So laßt mich Euch nach Eurer Kammer geleiten. 
Ihr bedürft der Labung und Pflege. Bald ſollt Ihr den 
Fremden ſprechen. 

Olaf. Nun, wie Ihr wünſcht. Sie gehen lints ab. 

Nach einer kleinen Weile kommt der Schloßdiener Finn vorſichtig durch die Thür 

rechts, ſieht ſich im Zimmer um, guckt in den Ritterſaal und geht dann wieder nach 

der Thür zurück, indem er jemand draußen ein Zeichen giebt. Gleich darauf treten 
Nils Lykke und Jens Bjelke von rechts herein. 

Nils Lykke ſtuſternd. Niemand? 

Finn ebenſo. Nein, Herr! 

Nils Lukke. Und wir können uns feſt auf Dich verlaſſen 
in allem und jedem? 

Finn. Der Statthalter von Drontheim hat mir ſtets das 
Zeugnis gegeben, daß ich zuverläſſig bin. 

Nils Lykke. Gut; auch mir ſagte er jo. Nun denn, vor 
allem: iſt ein Fremder heut Abend nach Oeſtrot gekommen? 

inn. Ja, vor einer Stunde iſt ein Fremder hier an— 
gekommen. 

Nils Lykke leise zu Jens Vielte. Er iſt hier. er wendet ſich wieder zu 
Finn. Würdeſt Du ihn wiedererkennen? Haſt Du ihn geſehen? 

Finn. Nein. Niemand außer dem Pförtner ſah ihn, ſoviel 
ich weiß. Er wurde ſogleich zu Frau Inger geführt, und ſie — 

Ails Lykke. Und ſie? Nun? Er iſt doch nicht ſchon 
wieder fort? 


Pam Zu 


Finn. Nein, fie wird ihn verſteckt haben in einem ihrer 
eigenen Zimmer — 

Nils Lykke. Es iſt gut. 

Jens Bjelke flüstert. Alſo vor allen Dingen das Thor be— 
wachen, dann haben wir ihn ſicher. 

Nils Lukke lächelnd. Hm! Zu Finn: Du, ſag' mir, giebt es 
hier noch einen andern Ausgang als durch das Thor? Sieh 
mich nicht ſo dumm an! Ich meine, kann einer ungeſehen von 
Oeſtrot entkommen, wenn das Burgthor verſchloſſen iſt? 

Zinn. Ja, das weiß ich nicht. Man ſpricht zwar von 
geheimen Gängen unten in den Kellern; aber niemand kennt ſie 
außer Frau Inger — und vielleicht Jungfer Eline. 

Jens Bjelke. Verwünſcht! 

Nils Lykke. Es iſt gut. Du kannſt gehen. 

Zinn. Wohl. Solltet Ihr ſpäter meiner bedürfen, jo 
braucht Ihr nur an die zweite Thür rechts im Ritterſaal zu 
pochen. Ich werde dann gleich bei der Hand ſein. 

Nils Lykke. Gut. 


Er deutet auf die Thür; Finn geht hinaus. 


Jens Bjelke. Wißt Ihr was, — lieber Freund und 
Bruder, — das wird ein elender Feldzug für uns zweibeide. 


Nils Lykke lächelnd. J, nicht für mich, will ich hoffen. 

Jens Bjelke. So? Fürs erſte bringt's nur wenig Ehre, 
auf einen ſo grünen Jungen, wie dieſen Nils Sture, Jagd zu 
machen. Soll ich ihn nach ſeinem Vorgehen für klug oder für 
verrückt halten? Erſt ſtachelt er die Bauern auf, verſpricht 
ihnen ſeinen Beiſtand und goldne Berge — und wenn es 
zum Handeln kommt, läuft er davon und verkriecht ſich 
hinter eine Weiberſchürze. Und dann bereu' ich's überhaupt, 
offen geſtanden, Eurem Rate gefolgt zu ſeinem und nicht meinem 
eigenen Kopfe. 

Nils Lykke leiſe. Die Reue kommt etwas ſpät, Herr Bruder! 


— 69 — 


Jens Bjelke. Denn ſeht, den Dachs zu graben, das hat 
mir nie Spaß gemacht. Ich erwartete mir etwas ganz anderes. 
Ich bin mit meinen Reitern von Jämteland aufgebrochen und 
habe den Brief des Statthalters von Drontheim, daß ich auf 
den Unruhſtifter überall fahnden kann, wo's mir paßt. Alle 
Spuren deuten darauf hin, daß er in Oeſtrot iſt. 

Nils Lykke. Er iſt hier! Er iſt hier, ſag' ich. 

Jens Bjelke. Ja, aber was wäre dann natürlicher geweſen, 
als daß wir das Thor verſchloſſen und bewacht gefunden hätten? 
Wär' es nur ſo geweſen, dann hätt' ich doch meine Kriegsknechte 
gebrauchen können! 

Nils Lykke. Doch ſtatt deſſen öffnet man uns das Thor 
gar höflich. — Paßt auf! Iſt Frau Inger wie ihr Ruf, ſo 
wird ſie es ihren Gäſten weder an Speiſ' noch an Trank 
mangeln laſſen. 

Jens Bjelke. Um uns das Mißtrauen zu benehmen, nicht 
wahr? Wie konntet Ihr auch nur den Einfall haben, daß ich 
meine Leute eine Viertelmeile Weges zurücklaſſen ſollte! Wären 
wir nur mit Kriegsmannſchaft hergekommen, ſo — 

Nils Lukke. Frau Inger hätte uns deshalb nicht weniger 
willkommen geheißen. Aber bedenkt, daß unſer Beſuch in dieſem 
Falle Aufſehen gemacht hätte. Die Bauern ringsum würden 
darin eine Gewaltthat gegen Frau Inger erblickt haben. Sie 
wäre wieder in der Gunſt der Menge geſtiegen. Und Ihr ſeht 
ein, das iſt nicht ratſam. 

Jens Bjelke. Mag fein. Aber was nun —? Graf Sture 
iſt auf Oeſtrot, behauptet Ihr. Ja, was hilft mir das? Frau 
Inger hat, gleich dem Fuchſe, wohl manch geheimen Schlupf— 
winkel in ihrer Wohnung und mehr als einen Ausgang. Hier 
können wir zwei einzelne Geſellen lange ſpähen und ſuchen. 
Verwünſcht — die ganze Geſchichte! 

Mils Lukke. Nun wohl, lieber Herr, — ſeid Ihr mit der 


a 


Wendung, die Eure Miſſion genommen hat, unzufrieden, jo 
überlaßt das Schlachtfeld mir. 

Jens Bjelke. Euch? Und was wollt Ihr thun? 

Nils Lykke. Klugheit und Liſt bringen hier vielleicht zu 
ſtande, was Waffengewalt nicht vermag. — Ehrlich geſprochen, 
Herr Jens, ich hatte ähnliche Gedanken ſchon geſtern, als wir 
uns in Drontheim trafen. 

Jens Bijelke. Und deshalb habt Ihr mich wohl dazu 
überredet, mich von meinen Kriegsknechten zu trennen? 

Nils Lykke. Sowohl Euer wie mein Geſchäft auf Oeſtrot 
konnte beſſer erledigt werden ohne ſie; darum — 

Jens Zjelke. Hol' Euch dieſer und jener — hätt' ich faſt 
geſagt — und mich dazu! Ich konnte ja wiſſen, daß Euch der 
Schalk im Nacken ſitzt. 

Nils Lykke. Ja ſeht Ihr, der Schalk iſt hier ſehr am 
Platze, wenn auf beiden Seiten die Waffen gleich ſein ſollen. 
Und ich will Euch nur geſtehen, daß es mir von der höchſten 
Wichtigkeit iſt, mich geſchickt und in aller Stille meines Auftrags 
zu entledigen. Denn wißt: der König war mir bei meinem 
Aufbruch nicht ſehr gewogen. Er glaubte ſeine guten Gründe 
dafür zu haben, obgleich ich der Anſicht bin, daß ich ihm mehr 
als einmal nützliche Dienſte geleiſtet habe. 

Jens Zielke. Dies Zeugnis dürft Ihr Euch kecklich aus— 
ſtellen. Gott und alle Welt weiß, daß Ihr der verſchlagenſte 
Teufel in den drei Reichen ſeid. 

Nils Lykke. Schönen Dank! Aber das will gerade nicht viel 
ſagen. Doch was ich hier zu verrichten habe, das halt' ich 
allerdings für eine Meiſterprobe. Denn hier gilt es ein Weib 
zu überliſten — 

Jens Zjelke. Hahaha! In dieſem Handwerk habt Ihr ſchon 
längſt Eure Meiſterprobe abgelegt, mein Lieber! Meint Ihr, 
wir kennen nicht auch in Schweden die Weiſe: 


„Da ſeufzt jede Jungfrau in Herzensglut: 
O wäre Nils Lykke mir hold und gut.“ 

Nils Lykke. Bah! Die Weiſe gilt nur den Mädchen von 
zwanzig Jahren und da herum. Aber Frau Inger iſt bald an 
die fünfzig und überdies ſchlau wie keine ſonſt. Es wird nicht 
leicht ſein, ſie klein zu kriegen. Doch es muß geſchehen — 
um jeden Preis! Glückt es mir, dem König gewiſſe Vorteile 
über ſie zu verſchaffen, nach denen er ſchon lange trachtet, ſo 
kann ich darauf rechnen, nächſtes Frühjahr mit der Sendung 
nach Frankreich betraut zu werden. Ihr wißt doch, daß ich 
volle drei Jahre auf der Hochſchule zu Paris geweſen bin? Mein 
ganzes Sinnen ſteht danach, wieder einmal dorthin zu kommen, 
vornehmlich wenn ich in der höchſt anſehnlichen Eigenſchaft eines 
königlichen Geſandten auftreten könnte. Alſo — nicht wahr, — 
Ihr überlaßt Frau Inger mir? Wißt Ihr noch, wie ich Euch 
bei Eurem letzten Beſuch am Hof zu Kopenhagen mehr als eine 
junge Schöne willig abtrat —? 

Jens Zielke. Meiner Treu, — der Edelmut war jo groß 
nicht. Ihr hattet ſie ja doch alle im Sack — aber einerlei! 
Da ich nun einmal verkehrt zu Werke gegangen bin, ſo mögt 
Ihr auch das Weitere auf Euch nehmen. Jedoch, Euer Wort 


darauf — befindet ſich der junge Graf Sture auf Oeſtrot, ſo 
liefert Ihr ihn aus — tot oder lebendig. 


Nils Lykke. Lebendig und leibhaftig ſollt Ihr ihn haben. 
Jedenfalls iſt es nicht meine Abſicht, ihn ums Leben zu 
bringen. — Doch nun müßt Ihr zu Euren Leuten zurück! 
Haltet die Landſtraße beſetzt! Wenn ich irgend etwas Ver— 
dächtiges merke, ſo ſollt Ihr unverzüglich Kunde haben. 

Jens Bjelke. Gut, gut. Aber wie komm' ich hinaus? 

Nils Lykke. Der Kerl von vorhin wird Euch ſchon zurecht— 
weiſen. Aber in aller Stille — 

Jens Bjelke. Verſteht ſich! — Alſo — gut Glück! 


Nils £ykke. Das Glück hat mich noch nie im Stich gelaſſen, 

wenn ich mit Frauen angebunden habe — Nun eilt! 
5 Jens Bjelfe rechts ab. 

Nils Luykke bleibt einen Augenblick ſtehen, geht ein paar Schritte in der 
Stube umher, ſieht ſich um und ſagt mit gedämpfter Stimme: So bin ich 
denn endlich in Oeſtrot. Auf dieſem alten Herrenſitz, von dem 
ein Kind mir vor zwei Jahren ſo viel erzählte. — Lucia! Ja, 
vor zwei Jahren war ſie noch ein Kind. Und jetzt — jetzt iſt 
ſie tot. Er ſummt mit einem halben Lächeln: „Blumen bleichen, Blumen 


welken.“ Sieht ſich wieder um. Oeſtrot! — Mir iſt, als hätt' ich 
dieſe Räume ſchon früher geſehen, als wär' ich hier zu Hauſe. 
— Dort iſt der Ritterſaal, und unter mir iſt — das Grab— 


gewölbe. Dort liegt wohl auch Lucia. Leiſer, halb in ernithaftem, 
halb in gezwungen ſpöttiſchem Ton: Wär' ich furchtſam, ſo könnt' ich 
mir einbilden, ſie hätte ſich im Sarge umgedreht, als ich meinen 
Fuß auf Oeſtrots Schwelle ſetzte. Als ich über den Burgho 
ſchritt, hob ſie den Deckel des Schreines, und nun ich ihren 
Namen nenne, dringt es wie eine beſchwörende Stimme in ihre 
Gruft. Vielleicht tappt ſie jetzt die Treppe herauf. Das Leichen— 
tuch hemmt ihren Schritt, aber dennoch tappt ſie vorwärts — — 
Nun iſt ſie im Ritterſaale. Nun lehnt ſie an der Thür und 
ſtarrt mich an. Er wirft das Haupt über die Schulter zurück, winkt und ruft 
laut: Komm näher, Lucia! Plaudre ein wenig mit mir! Deine 
Mutter läßt mich warten. Es iſt langweilig, zu warten, und 
Du haſt mir ſo manche langweilige Stunde vertrieben — 
Er fährt mit der Hand über die Stirn und geht einige Male auf und ab. 
Sieh! Richtig, da iſt das tiefe Bogenfenſter mit dem Vor— 
hang. Hier pflegt Inger Gyldenlöve zu ſtehen und auf die 
Landſtraße hinauszublicken, als ob ſie harre auf einen, der 
niemals kommt. Dadrin — er blickt nach der Thür zur Linten — da 
liegt Schweſter Elines Stube. Eline? Ja, Eline iſt ihr Name. 
— Iſt es wohl wahr, daß ſie ſo merkwürdig — ſo klug, ſo 


mo 
— 13 . — 


kühn iſt, wie mir Lucia ſagte? Schön ſoll ſie auch ſein. Aber 
zur Gattin — Ich hätte das nicht ſo ohne weiteres ſchreiben 
follen — — 

Er ſetzt ſich, in Gedanken verloren, an den Tiſch, erhebt ſich aber ſogleich wieder. 

Wie Frau Inger mich aufnehmen wird? — Sie wird das. 
Haus nicht über uns in Brand ſtecken, wird mich nicht in eine 
Falle locken, noch wird ſie mir meuchlings den Dolch — — 

Er lauſcht, dem Saal zugewandt. 

Ah! 

Inger kommt aus dem Saal und ſagt kalt: Ich entbiet' Euch meinen 
Gruß, Herr Reichsrat — 

Nils Lynkke verbeugt ſich tief. Ah — die Herrin von Oeſtrot! 

Inger. — und meinen Dank, daß Ihr mich Eure Ankunft 
wiſſen ließet. 

Nils Lykke. Es war nicht mehr als meine Pflicht. Ich hatte 
Grund zu vermuten, daß mein Kommen Euch überraſchen würde — 

Inger. Fürwahr, Herr Reichsrat, darin habt Ihr Euch 
nicht geirrt. Nils Lykke als Gaſt auf Oeſtrot zu ſehen, das 
hab' ich gewiß am allerwenigſten erwartet. 

Nils Lykke. Und wohl noch weniger habt Ihr erwartet, 
daß er als Freund kommen würde. 

Inger. Als Freund? Ihr fügt noch Spott zu all dem 
Schmerz und Schimpf, den Ihr meinem Hauſe angethan? Nach— 
dem Ihr mein Kind mir unter die Erde gebracht, wagt Ihr 
28 — 

Nils Lykke. Erlaubt, Frau Inger, in dieſem Punkte werden 
wir uns nie einigen; denn Ihr zieht nicht in Betracht, was ich 
ſelbſt bei dieſem unglücklichen Ereignis verloren habe. Meine 
Abſichten waren ehrlich. Ich war meines zügellojen Lebens 
ſatt; zudem war ich ja ſchon über dreißig Jahre; ich ſehnte mich 
danach, ein gutes und frommes Weib zu finden. Dazu die 
Ausſicht auf das Glück, Euer Schwiegerſohn zu werden — 


a) RE 


Inger. Hütet Euch, Herr Reichsrat! Was meinem Kinde 
widerfahren iſt, hab' ich, ſo gut ich's vermochte, zu vertuſchen 
geſucht. Doch glaubt nicht, daß das Verborgne nun auch ver— 
geſſen ſei. Bei irgend einer Gelegenheit — 

Nils Lykke. Ihr droht mir, Frau Inger? Ich hab' Euch 
die Hand zur Verſöhnung gereicht. Ihr weigert Euch, ſie zu 
ergreifen? Von nun an iſt alſo offene Fehde zwiſchen uns? 

Inger. Ich wüßte nicht, daß es je anders geweſen iſt. 

Nils Lykke. Von Eurer Seite vielleicht. Ich war nie⸗ 
mals Euer Widerſacher, obgleich ich als Unterthan des Königs 
von Dänemark triftigen Grund dazu hätte. 

Inger. Ich verſteh' Euch. Ich bin nicht fügſam genug 
geweſen; es iſt nicht ſo glatt gegangen, wie man wünſchte, 
da man mich ins andere Lager hinüberzuziehen ſuchte. Und 
doch ſcheint mir, Ihr hättet Euch nicht zu beklagen. Der 
Gemahl meiner Tochter Merete iſt Euer Landsmann. Weiter 
kann ich nicht gehen. Meine Stellung iſt ſchwierig, Nils 
Lykke! 

Nils Lykke. Das begreif' ich vollkommen. Der Adel und 
das gemeine Volk in Norwegen glauben ja einen alten Anſpruch 
auf Euch zu haben — einen Anſpruch, dem Ihr, wie man 
ſagt, nur halbwegs Genüge thatet. 

Inger. Verzeiht, Herr Reichsrat, — für meine Thaten ſteh' 
ich keinem Rede als Gott und mir ſelbſt. Und drum, wenn es 
Euch beliebt, ſo laßt mich wiſſen, was Euch herführt. 

Mils Lykke. Sofort, Frau Inger. Der Zweck meiner 
Sendung kann Euch wohl nicht unbekannt ſein. 

Inger. Ich weiß, mit welchen Aufträgen man Euch gewöhnlich 
bedenkt. Unſerm König iſt es von Wichtigkeit, die Geſinnung 
des nordiſchen Adels zu kennen. 

Nils Lyhke. Allerdings. 

Inger. Alſo deshalb ſeid Ihr nach Oeſtrot gekommen? 


mr 


Nils Lykke. Zum Teil deshalb. Doch komme ich keines— 
wegs, um irgend eine mündliche Zuſage von Euch zu begehren. 

Inger. Was dann? 

Nils Lykke. Hört mich, Frau Inger: Ihr ſagtet eben ſelbſt, 
daß Eure Stellung ſchwierig ſei. Ihr ſteht zwiſchen zwei feind— 
lichen Lagern, die ſich beide nur halb auf Euch verlaſſen können. 
Euer eigener Vorteil muß Euch notwendigerweiſe an uns 
knüpfen; an die Mißvergnügten dagegen bindet Euch die Lands— 
mannſchaft und — wer weiß 
heime Feſſel. 

Inger teije. Eine geheime Feſſel? Barmherziger! Sollte er — 

Nils Lykke gewahrt ihre Erregung, läßt es aber nicht merken und fügt 
ungezwungen hinzu: Ihr ſeht gewiß ſelbſt ein, daß Ihr Eure 
Stellung auf die Dauer nicht behaupten werdet. — Geſetzt nun, 
es ſtünde in meiner Macht, Euch aus dieſer Lage zu be— 
freien — 2 

Inger. In Eurer Macht, ſagt Ihr? 

Nils Lykke. Vor allen Dingen muß ich Euch bitten, Frau 
Inger, kein Gewicht auf die leichtfertigen Worte zu legen, wo— 
mit ich vorhin das geſtreift haben könnte, was zwiſchen uns 
liegt. Glaubt nicht, daß ich einen Augenblick aus dem Ge— 
dächtnis verloren hätte, in welcher Schuld ich bei Euch ſtehe. 
Doch, wenn es nun längſt meine Abſicht geweſen, nach Möglichkeit 
wieder gut zu machen, was ich verbrach? Wenn ich zu dieſem 
Zweck mir die Sendung nach Oeſtrot übertragen ließ? 

Inger. Erklärt Euch deutlicher, Herr Reichsrat! Jetzt ver— 
ſteh' ich Euch nicht. 

Mils Lykke. Ich irre vielleicht nicht, wenn ich annehme, 
daß Ihr, ſo gut wie ich, von den Unruhen unterrichtet ſeid, 
die in Schweden loszubrechen drohen. Ihr wißt oder Ihr ahnt 
jedenfalls, daß dieſe Unruhen eine größere Bedeutung haben, 
als man ihnen allgemein beilegt. Und Ihr werdet daher be— 


vielleicht noch eine andere ge— 


u 


greifen, daß unſer König nicht ruhig zuſehen kann, wie die Dinge 
ihren Lauf nehmen. Nicht wahr? 

Inger. Fahrt fort. 

Nils Lukke forſchend, nach einer kleinen Pauſe. Ein denkbarer Fall 
könnte Guſtav Waſas Thron gefährden — 

Inger leiſe. Worauf will er hinaus? 

Nils Lykke. — der Fall nämlich, daß ſich in Schweden 
ein Mann fände, der auf Grund ſeiner Geburt Anſpruch darauf 
hätte, zum Lenker des Volks erkoren zu werden. 

Inger ausweichend. Der Adel in Schweden ward ebenſo blutig 
zuſammengemäht wie der unſrige, Herr Reichsrat! Wo wolltet 
Ihr ſuchen —? 

Nils Eykke lächend. Suchen? — Der Mann iſt ſchon ge- 
funden — 

Inger fährt zuſammen. Ah! Er iſt gefunden? 

Ails Lykke. Er ſteht Euch zu nah, edle Frau, als daß 
Eure Gedanken nicht auf ihn fallen ſollten. Sic fie ſcharf an. 
Der verſtorbene Graf Sture hinterließ einen Sohn — 

Inger mit einem Schrei. Barmherziger Himmel! Woher wißt 
Ihr — 

Nils Lykke ſtutzt. Faßt Euch, edle Frau, und laßt mich zu 
Ende reden. — Dieſer junge Mann lebte bis jetzt ruhig bei 
ſeiner Mutter, der Witwe Sten Stures. 

Inger atmet wieder freier. Bei —? Ach ja, ganz recht! 

Nils Lykke. Jetzt dagegen iſt er vor aller Augen auf- 
getaucht. Er iſt erſchienen als der Führer der Bauern in Dale— 
karlien. Ihre Zahl wächſt von Tag zu Tage; und — wie Ihr 
vielleicht wißt, finden ſie auch diesſeits der Berge Freunde unter 
der Menge. 

Inger die ſich inzwiſchen gefaßt hat. Herr Reichsrat! Ihr thut aller 
dieſer Begebenheiten Erwähnung in der feſten Zuverſicht, daß ſie 
mir bekannt ſind. Welchen Grund habe ich Euch gegeben, das zu 


— 77 


vermuten? Ich weiß von nichts und will von nichts wiſſen. 
Mein Wunſch iſt, ruhig zu leben auf meiner eigenen Scholle. 
Ich leihe den Unruhſtiftern nicht meinen Beiſtand; aber zählt 
auch nicht auf mich, wenn Ihr im Sinne habt, ſie niederzuhalten. 

Nils Lykke mit gedämpfter Stimme. Würdet Ihr auch unthätig 
bleiben, wenn ich die Abſicht hätte, ihnen beizuſtehen? 

Inger. Wie ſoll ich Euch verſtehen? 

Nils Lykke. Ihr habt alſo nicht begriffen, auf was ich die 
ganze Zeit hingezielt? Wohlan — ſo will ich Euch alles frei 
und ehrlich ſagen. Wiſſet denn, daß der König und ſeine Räte 
vollkommen einſehen, wie ſie auf die Dauer nicht feſten Fuß in 
Norwegen faſſen können, wenn Edle und Gemeine fortfahren, 
ſich für benachteiligt zu halten. Wir begreifen ſehr wohl, 
daß willige Bundesgenoſſen beſſer ſind als gezwungene Unter— 
thanen, und wünſchen daher nichts ſehnlicher, als die Bande 
zu löſen, die uns ja im Grunde ebenſo läſtig ſind wie Euch. 
Aber Ihr ſeht auch gewiß ein, daß der Norweger Geſinnung 
gegen uns einen ſolchen Schritt recht bedenklich macht — ſo 
lange wir nicht eine ſichere Stütze im Rücken haben. 

Inger. Und dieſe Stütze —? 

Ails Lykke. Dieſe Stütze iſt zunächſt in Schweden zu 
ſuchen. Aber, wohlbedacht, nicht, ſo lange Guſtav Waſa am 
Ruder iſt; denn ſeine Rechnung mit Dänemark iſt noch nicht 
beglichen und wird es auch nie werden. Ein neuer ſchwediſcher 
König dagegen, der das Volk auf ſeiner Seite hätte und ſeine 
Krone dem Beiſtand Dänemarks verdankte — —. Na, fangt 
Ihr an, mich zu begreifen? — Dann könnten wir unbeſorgt 
zu Euch Norwegern ſagen: „Nehmt Eure alten, vererbten Rechte 
wieder; wählt Euch einen Führer nach Eurem Sinne; ſeid unſre 
Freunde in der Not, wie wir die Euren ſind.“ Beachtet wohl, 
Frau Inger, daß dieſer Edelmut eigentlich nicht ſo groß iſt, 
wie es vielleicht ſcheinen mag. Ihr werdet ſelbſt einſehen, daß 


wir, weit entfernt, dadurch geſchwächt zu werden, vielmehr dabei 
gewinnen. Und da ich nun offenherzig mit Euch geſprochen, 
jo laßt auch Ihr jedes Mißtrauen fahren. Alſo — Bestimmt: 
Der Rittersmann aus Schweden, der eine Stunde vor mir 
hier eintraf — 

Inger. Ihr wißt es alſo ſchon? 

Nils Lykke. Alles. Ihn ſuch' ich ja. 

Inger für ji. Seltſam! Alſo doch, wie Olaf Skaktavl ſagte! 
Zu Nils Lytte: Ich bitt' Euch, hier zu warten, Herr Reichsrat! 
Ich gehe, ihn Euch zuzuführen. 

Ab durch den Ritterſaal. 

Nils Lukke blickt ihr eine Weile mit höhniſchem Erſtaunen nach. Sie 
holt ihn! Ja, wahrhaftig — ſie holt ihn! Der Kampf iſt halb 
gewonnen. So leicht hätt' ich es mir nicht gedacht. — Sie iſt 
im Einverſtändnis mit den Unruhſtiftern — durchaus. Sie 
fuhr zuſammen vor Schreck, als ich den Sohn Sten Stures 
nannte... Was nun? — Hm, iſt Frau Inger leichtgläubig in 
die Falle gegangen, ſo wird Nils Sture nicht viel Schwierig— 
keiten machen. Ein junges Blut ohne alle Beſonnenheit und 
Ueberlegung — — Mit meinem Verſprechen, ihm beizuſtehen, 
zieht er von hier; unglücklicher Weiſe fängt ihn Jens Bjelke 
am Wege ab — und der ganze Anſchlag iſt vereitelt. — Und 
dann? — Dann einen Schritt weiter, uns ſelbſt zum Frommen. 
Man ſprengt aus, daß der junge Graf Sture auf Oeſtrot war, 
daß ein däniſcher Geſandter eine Zuſammenkunft mit Frau Inger 
hatte, daß infolge hievon Junker Nils keine hundert Schritte 
vom Hofe durch König Guſtavs Kriegsknechte abgefangen wurde. — 
Frau Gyldenlöves Anſehen beim Volke mag noch ſo groß ſein — 
gegen einen ſolchen Stoß wird es ſich nicht behaupten können. — 
Fährt plötzlich unruhig auf. Alle Wetter! Wenn Frau Inger Unrat 
gewittert hätte! Vielleicht entſchlüpft er uns in dieſem Augenblick 
unter den Händen. Beruhigt, indem er nach dem Saal hin lauſcht. Ach, 


es hat keine Not. Da kommen ſie. Inger kommt aus dem Saal, 
von Olaf Skaktavl begleitet. 

Inger zu Nus eytte. Hier bring’ ich, den Ihr erwartet. 

Nils Lykke leiſe. Tod und Teufel! Was ſoll das heißen? 

Inger. Ich habe dieſem Rittersmann Euren Namen geſagt 
und was Ihr mir mitgeteilt habt — 

Nils Lukke unſchlüſſig. So? Ja fo? Nun, ja — 

Inger. Und ich will Euch nicht verhehlen, daß ſein Ver— 
trauen auf Euern Beiſtand nicht gerade groß iſt. 

Nils Lykke. Nicht? 

Inger. Kann Euch das wundern? Ihr kennt ja doch ſeine 
Geſinnung und ſein ſchweres Schickſal. 

Ails Lykke. Das Schickſal dieſes Mannes? — Nun ja, 
— gewiß. 

Olaf zu Nils Lytte. Aber nachdem der Kanzler Peter ſelbſt 
dieſe Zuſammenkunft angeordnet — 

Nils Lykke. Der Kanzler —? Er faßt ſich schnell. Ja, freilich! 
Ich habe eine Botſchaft vom Kanzler — 

Olaf. Und er muß ja am beſten wiſſen, wem er trauen 
darf. Ich will mir deshalb nicht den Kopf zerbrechen mit 
Grübeleien, wieſo — 

Nils Lykke. Nein, ſo iſt's recht, lieber Herr; nur das nicht! 

Olaf. Lieber gleich zur Sache — 

Nils Lykke. Gleich zur Sache, ohne Umſchweife; — das iſt 
ſtets meine Art. 

Olaf. Und wollt Ihr mir jetzt Euern Auftrag nennen? 

Nils Lykke. Meinen Auftrag könnt Ihr jo ungefähr er— 
raten — 

Olaf. Der Kanzler ſprach von Papieren, die — 

Nils Lykke. Von Papieren? Ganz recht, von Papieren! 

Olaf. Ihr habt ſie wohl bei Euch? a 

Nils Lykke. Natürlich; gut verwahrt, faſt zu gut, um ſie 


Br 


fo ſchnell — Er greift in ſein Wams, als ob er ſie ſuche, und ſagt leiſe: 
Wer zum Teufel mag das ſein? Was beginn' ich nur? — 
Hier ſind vielleicht große Entdeckungen zu machen. Er bemerkt, 
daß die Diener den Tiſch im Ritterſaale decken und die Lampen anzünden, und 
jagt zu Olaf: Ah, ich ſehe, Frau Inger läßt das Nachtmahl an— 
richten. Bei Tiſche könnten wir wohl beſſer von unſeren An— 
gelegenheiten ſprechen. 

Olaf. Gut, — wie es Euch gefällt. 

Nils Lykke leiſe. Zeit gewonnen, — Spiel gewonnen. mit 
großer Liebenswürdigkeit zu Inger: Und mittlerweile werden wir er— 
fahren, auf welche Weiſe ſich Frau Inger an dieſer Sache zu 
beteiligen gedenkt. 

Inger. Ich? — Gar nicht. 

Olaf und Nils Lykke. Gar nicht? 

Inger. Ihr wundert Euch, edle Herren, daß ich mich von 
einem Spiele fern halte, bei dem alles zu verlieren iſt? Um 
ſo mehr, als nicht einmal meine Bundesgenoſſen mir ganz zu 
trauen wagen. 

Nils Lykke. Dieſer Vorwurf trifft nicht mich. Ich ver- 
trau' Euch blindlings, des ſeid bitte verſichert. 

Olaf. Wer dürfte auf Euch bauen, wenn nicht Eure 
Landsleute? 

Inger. Wahrhaftig — dieſes Vertrauen freut mich. Sie 
geht nach einem Schrank im Hintergrund und füllt zwei Becher mit Wein. 

Nils £ykke leiſe. Verdammt! Wenn ſie ſich aus der Schlinge 
zöge! 

Inger reicht jedem einen Vecher. Und weil dem ſo iſt, ſo biet' 
ich mit einem Becher Euch Willkomm auf Oeſtrot. Trinkt, edle 
Ritter, bis auf die Neige! Sie betrachtet fie abwechſelnd und ſagt, nachdem 
ſie getrunten haben, ernſt: Und nun ſollt Ihr wiſſen: der eine Becher 
enthielt den Willkommgruß für meinen Freund, der andre — 
den Tod für meinen Feind! 


BEN 


Nils Lykke ſchleudert den Becher fort. Weh mir! Ich bin vergiftet! 

Olaf zu gleicher Zeit, indem er nach dem Schwert greift. Tod und 
Teufel! Habt Ihr mich gemordet? 

Inger lachend zu Olaf, indem ſie auf Nils Lykke zeigt. Das iſt das 
Vertrauen der Dänen zu Inger Gyldenlöve — zu Nils Lytte, indem 
ſie auf Olaf deutet: und ſo bauen meine Landsleute auf mich! Zu 
beiden: Und dabei ſollte ich mich in Eure Gewalt begeben! — 
Sachte, edle Herren, ſachte! Die Frau von Oeſtrot hat noch 
ihren vollen Verſtand. 

Eline kommt durch die Thür lints. Welch lauter Lärm — — was 
iſt los? 

Inger zu Nils Lytte. Meine Tochter Eline. 

Nils Lykke leiſe. Eline! So hatt’ ich fie mir nicht vor— 
geſtellt. Eline bemerkt Nils Lykke und bleibt überraſcht ſtehen, während ſie ihn 
betrachtet. 

Inger berührt Elinens Arm. Mein Kind, dieſer Ritter iſt — 

Eline macht eine abwehrende Bewegung, indem ſie ihn unverwandt betrachtet, 
und jagt: Bemüht Euch nicht! Ich ſehe, wie er heißt. Es iſt 
Nils Lykke. 

Nils Lykke leiſe zu Inger. Wie? Sie kennt mich? Hätte 
Lucia —? Sollte fie wiſſen —? 

Inger. Still! Sie weiß nichts! 

Eline für ji. Ich wußt' es, — jo mußte Nils Lykke ausſehen. 

Nils Lukke nägert ſich. Nun wohl, Eline Gyldenlöve, Ihr 
habt richtig geraten. Und da ich Euch denn hiemit bekannt und 
überdies der Gaſt Eures Hauſes bin — ſo werdet Ihr mir 
die Blumen nicht verſagen, die Ihr an Eurem Buſen tragt. 
So lange ſie friſch ſind und duften, will ich in ihnen ein Ab— 
bild Eurer ſelbſt verehren. 

Eline ſtolz, doch ihn noch immer unverwandt betrachtend. Mit Vers 
laub, Herr Ritter, ſie ſind in meiner eigenen Kammer gepflückt; 
und da wachſen keine Blumen für Euch. 


Joſen, Frau Inger auf Oeſtrot. 6 


Nils Lykke, indem er einen Strauß nimmt, den er ſelbſt am Wams jteden 
hat. Ah, — ſo werdet Ihr doch aber dieſe geringe Gabe nicht ver— 
ſchmähen. Eine Edeldame reichte ſie mir zum Abſchied, als ich 
heut Morgen von Drontheim zog. — Bedenket edles Fräulein; 
wollt' ich Euch eine Gabe bieten, die Eurer ganz würdig wäre, 
ſo müßt' es eine Fürſtenkrone ſein. 

Eline, die willenlos die Blumen nahm. Und wär' es ſelbſt Däne— 
marks Königskrone, die Ihr mir reichtet — eh' ich ſie mit 
Euch teilte — eh' zertrümmert' ich ſie mit dieſen meinen Händen 
und würfe ſie Euch in Stücken vor die Füße! Sie wirft die Blumen 
ihm vor die Füße und geht ab in den Ritterſaal. 

Olaf murmelt vor ſich hin. Keck, — wie Otto Römers Tochter 
an Knut Alfſöns Bahre. 

Inger leiſe, nachdem ſie abwechſelnd Eline und Nils Lykke betrachtet hat. 
Der Wolf kann gezähmt werden. Nun gilt's die Kette fertig 
zu ſchmieden. 

Nils Lykke, der die Blumen aufnimmt und Eline entzückt nachſieht. Bei 
Chriſti Blut! Wie iſt ſie ſtolz und ſchön! 


Dritter Aufzug. 


Der Ritterſaal. Im Hintergrund ein hohes Bogenfenſter; ein kleineres Fenſter 

links im Vordergrund. Zu beiden Seiten mehrere Thüren. Die Decke ruht auf 

ſtarken freiſtehenden Holzpfeilern, die, gleich den Seitenwänden, mit Waffen aller 

Art behängt ſind. Bilder von Heiligen, Rittern und Frauen hängen in langen 

Reihen. Unter der Decke ein großer vielarmiger Kronleuchter, der angezündet iſt. 

Rechts im Vordergrund ein geſchnitzter Hochſitz aus alter Zeit. Mitten im Saale 
ſteht ein gedeckter Tiſch mit Speiſereſten. 


Eline kommt langſam und gedankenvoll von links. Der Ausdruck ihres Ge— 
ſichts verrät, daß ſie in der Erinnerung die Scene mit Nils Lykke nochmals durch⸗ 
lebt. Zuletzt macht ſie dieſelbe Armbewegung wie in jenem Augenblicke, da ſie den 


Strauß zu Boden warf; dann ſpricht ſie mit lauter Stimme: 

— und ſo ſammelte er die Stücke von Dänemarks Königs— 
krone — Blumen waren's und — „bei Chriſti Blut! Wie 
iſt ſie ſtolz und ſchön!“ Hätte er dieſe Worte geflüſtert, ge— 
flüſtert im heimlichſten Winkel, meilenweit von hier — ich hätte 
ſie dennoch vernommen! — Wie ich ihn haſſe! Wie ich ihn 
ſtets gehaßt habe — dieſen Nils Lykke! — Kein andrer Mann 
iſt ihm gleich, ſagen ſie. Er ſpielt mit uns Frauen und — 
tritt uns mit Füßen. — — Und ihm wollte meine Mutter 
mich ausliefern! — Wie ich ihn haſſe! — — Man ſagt, daß 
Nils Lykke anders ſei wie ſonſt die Männer. Das iſt nicht 
wahr! Es iſt nichts Beſonderes an ihm; es giebt viele, viele 
wie er. Wenn Björn mir Märchen erzählte, da ſahen alle 
Prinzen aus wie Nils Lykke. Wenn ich einſam hier im Saale 


6 * 


Se 


ſaß und meine Sagen träumte, und wenn meine Ritter kamen 
und gingen — alle, alle ſahen aus ſie wie Nils Lykke. — — Wie 
wunderſam und wie ſchön iſt es, zu haſſen! Noch nie hab' ich 
empfunden, wie köſtlich es iſt — noch nie bis zu dieſer Stunde. 
Nein, nicht für tauſend Lebensjahre würde ich die Augenblicke 
verkaufen, die ich gelebt, ſeit ich ihn ſah! — — „Bei Chriſti 
Blut! Wie ift fie —“ 

Sie geht langſam nach dem Hintergrund, öffnet das Fenſter und ſieht hinaus. Nils 

Lykke kommt herein durch die erſte Thür rechts. 

Nils Lykke für ſich. „Schlaft wohl in Oeſtrot, Herr Ritter“, 
ſagte Inger Gyldenlöve, als ſie ging. Schlaft wohl! Ja, das 
iſt leicht geſagt; doch — — da draußen Himmel und Meer 
in Aufruhr; tief unten im Grabgewölbe das junge Blut auf 
der Bahre; das Schickſal zweier Reiche in meiner Hand — und 
an meiner Bruſt ein verwelkter Blumenſtrauß, den ein Weib 
mir vor die Füße geworfen hat! Wahrlich, ich fürchte ſehr, der 
Schlaf wird ſich erſt jpät melden. Er bemerkt Eline, die das Fenſter 
verläßt und nach links abgehen will. Da iſt lie. Das ſtolze Auge blickt 
gedankenvoll. Ah, wenn ich es wagte — — Laut: Jungfer 
Eline! 

Eline bleibt an der Thür ſtehen. Was wollt Ihr? Was verfolgt 
Ihr mich? 

Nils Lykke. Ihr täuſcht Euch. Ich verfolg' Euch nicht; 
ich werde ſelbſt verfolgt. 

Eline. Ihr? 

Nils Lykke. Von mancherlei Gedanken. Und darum macht's 
der Schlaf wie Ihr — er flieht mich. 

Eline. Geht ans Fenſter, da findet Ihr Zeitvertreib — 
Ein Meer im Sturm — 

Nils Lykke lächelnd. Ein Meer im Sturm? — Das find' 
ich auch wohl bei Euch. 

Eline. Bei mir? 


Nils Lykke. Unſere erſte Begegnung hat mich deſſen gewiß 
gemacht. 

Eline. Und Ihr beſchwert Euch darüber? 

Nils Lykke. Keineswegs; aber ich wünschte doch, Euch 
milder geſtimmt zu ſehen. 

Eline its. Glaubt Ihr, es wird Euch glücken? 

Nils Lykke. Ich bin deſſen ſicher; denn ich bring' Euch 
willkommene Botſchaft. 

Eline. Und welche? 

Nils Lykke. Mein Lebewohl. 

Eline einen Schritt näher. Euer Lebewohl? Ihr verlaßt Oeſtrot 
— ſo bald? 

Nils Lykke. Noch heut Nacht. 

Eline ſcheint einen Augenblick uneinig mit ſich ſelbſt zu ſein; dann ſagt ſie 
kalt: So nehmt meinen Gruß, Herr Ritter! 

Sie verbeugt ſich und will gehen. 

Nils Lykke. Eline Gyldenlöve! Ich habe kein Recht, Euch 
zurückzuhalten; aber es iſt unedel, wenn Ihr Euch weigert zu 
hören, was ich zu ſagen habe. 

Eline. Ich hör' Euch, Herr Ritter. 

Nils Lykke. Ich weiß, Ihr haßt mich. 

Eline. Euer Scharfblick hat nicht gelitten, wie ich merke. 

Nils Lykke. Aber ich weiß auch, daß ich dieſen Haß vollauf 
verdient habe. Unziemlich und kränkend waren die Worte, 
womit ich in meinem Briefe an Frau Inger Eurer Erwähnung 
that. 

Eline. Wohl möglich; ich habe ſie nicht geleſen. 

Nils Lykke. Aber der Inhalt iſt Euch doch wenigſtens nicht 
unbekannt? Ich weiß, Eure Mutter hat Euch nicht in Unklar— 
heit darüber gelaſſen; ſie hat Euch jedenfalls geſagt, daß ich 
den Mann glücklich pries, der —; ja, Ihr wißt, welche Hoffnung 
ich genährt habe — 


. 


Eline. Herr Riter, wünſchtet Ihr mich deshalb zu ſprechen, 
fo — f 
Ails Lykke. Nur, um mein Vorgehen zu entſchuldigen, 
wünſcht' ich Euch zu ſprechen. Aus keinem anderen Grunde; 
das ſchwör' ich Euch. Iſt, wie ich leider vermuten muß, mein 
Ruf zu Euch gedrungen, eh' ich mich ſelbſt auf Oeſtrot vor— 
ſtellte, ſo müßt Ihr auch mein Leben hinreichend kennen, um 
Euch nicht darüber zu wundern, daß ich ſo dreiſt zu Werke 
ging. Ich bin vielen Frauen begegnet, Eline! Unbeugſam 
fand ich noch keine. Unter ſolchen Umſtänden, ſeht Ihr, wird 
man etwas bequem; man kommt aus der Gewohnheit, Um— 
ſchweife zu machen — 

Eline. Möglich. Ich weiß nicht, aus welchem Stoff jene 
Frauen waren. Uebrigens täuſcht Ihr Euch, wenn Ihr glaubt, 
jener Brief an meine Mutter habe mein Herz mit Haß und 
Bitterkeit gegen Euch erfüllt. Ich hatte ältere Gründe. 

Ails Lykke unruhig. Aeltere Gründe? Was wollt Ihr damit 
ſagen? 

Eline. Es iſt, wie Ihr vermutet: Euer Ruf ging vor Euch 
her durchs ganze Land; er drang bis nach Oeſtrot. Wird der 
Name Nils Lykke genannt, ſo geſchieht es immer in Verbindung 
mit einem Weibe, das Nils Lykke bethört und verſtoßen hat. 
Viele nennen ihn mit Gram, andre mit Hohn und frechem 
Spott über jene ſchwachſinnigen Geſchöpfe. Aber durch Spott 
und Hohngelächter klingt die Weiſe von Euch, die dröhnende, 
empörende Weiſe, gleich eines Feindes Siegesſang. . .. Das 
alles hat meinen Haß gegen Euch erzeugt. Unaufhörlich ſtandet 
Ihr vor meinen Gedanken, und es war wie ein Sehnen in 
mir, Euch Aug' in Auge gegenüberzuſtehen, damit Ihr erfahret, 
daß es auch Frauen giebt, an denen Eure glatten Reden 
wirkungslos abgleiten — wofern Ihr ſie vorbringen ſolltet. 

Nils Lykke. Ihr richtet mich ungerecht, wenn Ihr mich 


— er 


nach meinem Rufe richtet. Möglich, daß Wahrheit in allem iſt, 
was Ihr hörtet; — aber die Urſachen kennt Ihr nicht. — Als 
ſiebzehnjähriger Junker begann ich meine luſtige Laufbahn. 
Volle fünfzehn Jahre ſind ſeitdem vergangen. Leichte Weiber 
gewährten mir, was ich begehrte — oft eh' mein Wunſch noch 
Begehren ward; was ich ihnen darbot, nahmen ſie mit frohen 
Händen. Ihr ſeid die erſte, die ein Geſchenk mir verächtlich vor 
die Füße warf. Denkt nicht, daß ich mich beklage. Im Gegen— 
teil, — ich ehre Euch eben darum ſo hoch, wie ich noch nie ein 
Weib geehrt habe. Aber was ich beklage, und was in 
mir nagt wie ein großes Herzeleid, iſt, daß das Schickſal mich 
nicht ſchon früher zu Euch geführt hat. — Eline Gyldenlöve! 
Eure Mutter hat mir von Euch erzählt. Während die Welt 
fern von hier ihren unruhigen Lauf nahm, wandeltet Ihr in 
dieſem einſamen Oeſtrot, ſtill, allein mit Eurem Dichten und 
Träumen. Und darum werdet Ihr auch verſtehen, was ich Euch 
zu ſagen habe. Wißt, daß auch ich einſtmals ein Leben lebte 
wie Ihr. Ich dachte, wenn ich hinausträte in die große, weite 
Welt, dann käme mir ein edles, herrliches Weib entgegen, die 
mir zuwinkte, die mir den Weg zum Ruhme zeigte. Aber nein, 
Eline Gyldenlöve, — Frauen begegneten mir; doch ſie war 
nicht unter ihnen. Noch eh' ich ganz zum Manne geworden, 
hatt' ich ſie insgeſamt verachten gelernt. — Iſt das meine 
Schuld? Warum waren die andern nicht wie Ihr? — Ich 
weiß, das Schickſal Eures Vaterlandes bedrückt ſchwer Euer 
Herz. Ihr kennt meine Stellung zu dieſen Verhältniſſen — — 
Man ſagt, ich ſei falſch wie der Schaum auf den Wellen. Wohl 
möglich. Aber bin ich es, ſo haben die Weiber mich's gelehrt. 
Hätt' ich früher gefunden, was ich ſuchte, — wäre ich einem 
Weibe begegnet, ſtolz, edel und hochgeſinnt wie Ihr, — mein 
Weg wäre gewiß ein andrer geworden. Vielleicht ſtünd' ich dann 
in dieſem Augenblick an Eurer Seite als Verteidiger aller Unter— 


drückten im norwegiſchen Reiche. Denn das glaub’ ich feſt: ein 
Weib iſt das Mächtigſte auf Erden, und in ſeiner Hand liegt 
es, den Mann dahin zu leiten, wo Gott der Herr ihn haben 
will. 

Eline für ſich. Sollt' er die Wahrheit ſprechen? — Nein, 
nein! Lug iſt in ſeinem Auge und Trug auf ſeinen Lippen. 
Und doch — kein Sang iſt ſo ſüß wie ſein Wort. 

Ails Lykie näher, leiſer und vertraulicher. Wie oft habt Ihr wohl 
hier geſeſſen, einſam mit Euern wechſelnden Gedanken! Da ward 
es Euch ſo ſchwer ums Herz; Decke und Wände ſchienen enger 
und enger zu werden und Eure Seele zu erdrücken. Ihr ſehntet 
Euch hinaus, — es lüſtete Euch weit, weit wegzufliegen, — Ihr 
wußtet ſelbſt nicht wohin. — Wie oft ſeid Ihr wohl einſam 
am Fjord gewandelt, während ein geſchmücktes Schiff, mit Rittern 
und Damen an Bord, unter Geſang und Saitenſpiel weit draußen 
vorüberſegelte. Eine dunkle Kunde von großen Begebenheiten iſt 
zu Euch gedrungen, da habt Ihr ein Sehnen in Eurer Bruſt 
gefühlt, ein unbezwingliches Verlangen nach dem, was Ihr jen— 
ſeits des Meeres vermutetet. Aber Ihr begrifft nicht, was Euch 
fehlte. Ihr glaubtet zuweilen, es wäre das Geſchick Eures 
Vaterlandes, was Euch mit ſo unruhigen Gedanken erfüllte. 
Ihr täuſchtet Euch — eine Jungfrau in Euern Jahren ſinnt 
über andre Dinge — Eline! Habt Ihr nie an geheime Kräfte 
geglaubt, an eine ſtarke, rätſelhafte Macht, die der Menſchen 
Schickſale aneinander knüpft? Wenn Ihr von dem bunten Leben 
draußen in der weiten Welt träumtet, von Waffenſpiel und 
frohen Feſten — ſaht Ihr dann nie in Euern Träumen einen 
Ritter, der mit lächelndem Munde und mit gramvollem Herzen mitten 
im lärmenden Treiben ſtand — einen Ritter, der einſt ſo ſüß 
wie Ihr, geträumt von einem hohen, herrlichen Weibe, ſo er 
vergebens ſuchte unter denen, die ihn umgaben? 

Eline. Wer ſeid Ihr, der Ihr meinen geheimſten Gedanken 


88 


Worte leiht? Wie vermögt Ihr zu nennen, was ich im tiefſten 
Innern barg, mir ſelber unbewußt? Woher wißt Ihr —? 

Nils Lykke. Was ich Euch gejagt habe, das habe ich in 
Euern Augen geleſen. 

Eline. Niemals noch hat ein Mann ſo zu mir geſprochen. 
Nur dunkel hab' ich Euch verſtanden; und doch — — wie 
ſcheint mir alles, alles ſeitdem verwandelt! Für ſich. O, nun be— 
greif' ich, warum es heißt, Nils Lykke ſei anders als alle andern. 

Nils Lykke. Es giebt etwas in der Welt, das eines Menſchen 
Gedanken verwirren könnte, wenn man darüber grübeln wollte, 
und das iſt der Gedanke, wie es gekommen wäre, wenn alles 
ſich ſo oder jo gefügt —. Wäret Ihr auf meinem Pfad mir 
entgegengetreten, ſo lang' mein Lebensbaum noch grünte und 
blühte, ſo ſäßet Ihr vielleicht in dieſer Stunde als — — Doch 
verzeiht mir, edle Jungfrau. Unſer kurzes Zwiegeſpräch ließ 
mich unſre gegenſeitige Stellung vergeſſen. Mir war, als hätte 
eine geheime Stimme mir geſagt, ich könnte mit Euch offen 
reden, ohne Falſch und ohne Schmeichelei. 

Eline. Das könnt Ihr. 

Nils Lykke. Nun wohl, und dieſe Offenherzigkeit hat uns 
vielleicht halb und halb miteinander ausgeſöhnt; ja, ich bin noch 
kühner in meiner Hoffnung — es kann die Zeit kommen, da 
Ihr des fremden Ritters ohne Haß und Harm in der Seele 
gedenkt — Nun, mißverſteht mich nicht! Ich meine nicht ſo— 
gleich, doch eines Tags vielleicht. Und um Euch den Gedanken 
minder ſchwer zu machen, und weil ich einmal begann, offen 
mit Euch zu reden, ſo laßt mich Euch ſagen — 

Eline. Herr Ritter —! 

Nils Lykke lächelnd. Ah, ich merke, daß mein Brief Euch 
noch immer ſchreckt. Doch Ihr könnt ganz ruhig ſein. Ich 
gäbe Tauſende hin, wenn er ungeſchrieben wäre; denn — nun 
ich weiß, daß Ihr es ohne ſonderlichen Schmerz vernehmen 


werdet, kann ich es ja frei geſtehen: — ich lieb' Euch nicht 
und werd' Euch niemals lieben lernen. Seid alſo deswegen 
ganz unbeſorgt. Ich werde nie verſuchen — — doch was iſt 
Euch? 

Eline. Mir? Nichts, nichts! — Sagt mir nur eins: warum 
tragt Ihr noch dieſe Blumen? Was wollt Ihr damit? 

Nils Lykke. Dieſe Blumen? Sit das nicht der Fehde— 
handſchuh, den Ihr im Namen aller Frauen dem böſen Nils 
Lykke hingeworfen? Mußte ich ſie darum nicht aufheben? Ihr 
fragt, was ich damit will? Mit gedämpfter Stimme: Wenn ich wieder 
im Kreiſe ſchöner Dänenfrauen ſitze, wenn das Saitenſpiel ſchweigt 
und im Saale Stille herrſcht — dann will ich dieſe Blumen 
hervornehmen und ein Märchen von einer Jungfrau erzählen, 
die fern in Norwegen einſam in dunkler Balkenhalle ſitzt — 
Abbrechend, indem er ſich ehrerbietig verneigt. Doch ich fürchte, ſchon all⸗ 
zulange hielt ich des Hauſes edle Tochter auf. Wir ſehen uns 
nicht wieder. Denn noch vor Tagesanbruch bin ich fort. Ich 
ſag' Euch alſo Lebewohl! 

Eline. Und ich Euch, Herr Ritter! 

Kurze Pauſe. 

Nils Lykke. Ihr ſeid wieder jo gedankenvoll, Eline Gylden— 
löve. Bedrückt Euch wieder das Geſchick Eures Vaterlandes? 

Eline ſchüttelt das Haupt, indem ſie zerſtreut vor ſich hin blickt. Mein 
Vaterland? — Ich denke nicht an mein Vaterland. 

Nils Lykke. So ängſtigt Euch die Zeit mit ihrer Not und 
Gefahr? 

Eline. Die Zeit? Die vergeſſ' ich jetzt. — Ihr geht nach 
Dänemark? Sagtet Ihr nicht ſo? 

Nils Lykke. Ich geh' nach Dänemark. 

Eline. Kann ich gen Dänemark von dieſem Saale ſchauen? 

Nils Lukke auf das Fenſter lints deutend. Von dieſem Fenſter. 
Dort, gen Süden, liegt Dänemark. 


A 


Eline. Und iſt es weit von hier? Mehr als hundert Meilen? 

Nils Lykke. Viel weiter. Das Meer liegt zwiſchen Däne— 
mark und Euch. 

Eline, wie in Gedanken verloren. Das Meer? — Der Gedanke 
hat Möwenſchwingen. Das Meer hemmt ihn nicht. Sie geht lints ab. 

Nils Pykke blict ihr eine Weile nach; dann ſpricht er: Könnt' ich zwei 
Tage daran wenden — oder nur einen —, ſie wäre in meiner 
Gewalt ſo gut wie alle andern. Und doch — aus ſeltnem Stoff 
iſt dieſes Mädchen geſchaffen. Sie iſt ſtolz. Sollte ich mich 
wirklich entſchließen — ? Nein, lieber fie demütigen! er geht im 
Saal auf und ab. Wahrhaftig, — iſt mir nicht, als hätte ſie mein 
Blut in Brand geſetzt?! Wer würde das noch geſtern für mög— 
lich gehalten haben? — — Fort damit! Ich muß heraus aus 
dieſem Wirrſal, in das ich mich verſtrickt habe! er jest ſich auf 
einen Stuhl rechts. Wie ſoll ich mir das erklären? Olaf Skaktavl 
und Inger Gyldenlöve ſcheinen beide blind zu ſein gegen das 
Mißtrauen, dem ſie ſich ausſetzen, ſobald es ruchbar wird, daß 
ich mit ihnen im Bunde ſtehe. — Oder ſollte Frau Inger wirk— 
lich meinen Plan durchſchauen? Sollte ſie erraten, daß alle Zu— 
ſagen nur darauf berechnet ſind, Nils Sture aus ſeinem Ver— 
ſteck zu locken? er ſpringt auf. Verdammt! Wäre ich wirklich ſelbſt 
der Gefoppte? Es iſt höchſt wahrſcheinlich, daß Graf Sture gar 
nicht auf Oeſtrot iſt. Vielleicht war auch das Gerücht von 
ſeiner Flucht nur eine Kriegsliſt. Er ſitzt möglicherweiſe zu 
dieſer Stunde wohlbehalten bei ſeinen Freunden in Schweden, 
während ich — er geht unruhig auf und ab. Daß ich auch meiner Sache 
ſo gewiß ſein mußte! Wenn ich nun nichts ausrichte? Wenn 
Frau Inger hinter meine Abſichten kommt und aus meinem 
Vorgehen kein Hehl macht? — O Nils Lykke, dich zum Kinder— 
ſpott zu machen hier und in Dänemark! Frau Inger in die 
Falle locken zu wollen — und dadurch ihre Sache erſt recht 
zu fördern, ihr Anſehen im Volke erſt recht zu ſtärken! — — 


Ha, ich könnte mich dem Böſen ſelbſt verjchreiben, wenn er den 

Grafen Sture in meine Hand geben wollte — 

Das Fenſter im Hintergrund wird aufgeſtoßen. Nils Stenſſön wird draußen 
ſichtbar. 

Nils Lykke nach dem Schwerte greifend. Was giebt's? 

Nils Stenſſön ſpringt herunter auf den Fußboden. Na, endlich bin 
ich da! 

Nils Lykke leiſe. Was ſoll das heißen? 

Nils Stenſſön. Gottes Frieden, Herr! 

Nils Lykke. Dank, Herr! Uebrigens habt Ihr Euch einen 
eigenartigen Eingang ausgeſucht. 

Nils Stenflön. Teufel auch, was ſollt' ich anders thun? 
Das Thor war ja verſchloſſen. Hier im Hofe müſſen die Leute 
einen Schlaf haben wie der Bär zu Weihnachten. 

Nils Lykke. Gott ſei Dank! Ein gutes Gewiſſen iſt das 
beſte Ruhekiſſen, wißt Ihr wohl. 

Nils Stenſſön. Das muß wohl jo ſein; denn wie ich auch 
hämmerte und donnerte — 

Nils Lykke. — es ward Euch doch nicht aufgethan! 

Nils Stenſſön. Aufs Haar getroffen. Ich ſagte alſo zu 
mir ſelbſt: da du nun einmal heut Abend auf Oeſtrot ſein 


mußt, und ging's durch Waſſer und Feuer, — ſo kannſt du 
auch wohl durchs Fenſter hereinkriechen. 
Nils Lykke leiſe. Sollt' er vielleicht — Einen Schritt naher. 


Es war Euch alſo ſehr daran gelegen, heute noch hier einzu— 
treffen? 

Ails Stenſſön. Ob mir daran gelegen war! Das ſollt' ich 
meinen! Ich laſſe nicht auf mich warten, meiner Treu! 

Ails Lykke. Aha — Frau Inger erwartet Euch alſo? 

Nils Stenſſin. Frau Inger? Das kann ich nicht jo ohne 
weiteres behaupten. mit liſtigem Lächeln. Aber ich ſollt' einen 
andern — 


0 


Nils Lykke lächelt auch. Alſo ein anderer ſollte — 

Nils Stenſſün. Sagt mal — gehört Ihr mit zum Haufe? 

Nils Lykke. Ich? Ja, inſofern ich ſeit heut Abend Frau 
Ingers Gaſt bin. 

Mils Stenſſön. So? Ich glaube wir haben heute den dritten 
Abend nach Martini. 

Nils Lykke. Den dritten Abend nach —? Richtig, ja. 
Wünſcht Ihr vielleicht die Frau des Hauſes gleich zu ſprechen? 
So viel ich weiß, iſt ſie noch nicht zu Bett gegangen. — 
Doch wollt Ihr Euch nicht ſetzen und ausruhen, lieber junger 
Herr? Seht, hier iſt noch eine Kanne Wein. Etwas Speiſe 
werdet Ihr auch finden. Na, ſo langt zu! Ihr werdet der 
Stärkung bedürfen. 

Nils Stenſſön. Ihr habt recht, Herr. Garnicht fo übel 
das! Er ſetzt ſich an den Tiſch; während er ißt und trinkt. Braten und 
ſüßer Kuchen! Ihr führt ja hier ein Herrenleben! Wenn man 
wie ich vier, fünf Tage auf nacktem Boden geſchlafen und nur 
von Waſſer und Brot gelebt hat — 

Nils Lukke betrachtet ihn lächend. Ja, das mag ſchwer genug 
für jemand ſein, der gewohnt war, im gräflichen Saal obenan 
zu ſitzen. 

Nils Stenſſön. Im gräflichen Saale — ? 

Nils Lykke. Doch nun könnt Ihr ja auf Oeſtrot ausruhen, 
ſo lang' es Euch gefällt. 

Ails Stenflön froh. So? Kann ich das wirklich? Muß ich 
denn nicht gleich wieder fort? 

Mils Lykke. Ja, ich weiß nicht. Die Frage könnt Ihr 
Euch wohl ſelbſt am beſten beantworten. 

Nils Stenſſön leiſe. Ei, verflucht! Laut. Ja, ſeht Ihr, die 
Sache iſt nicht ſo leicht gethan. Ich für meinen Teil hätte 
freilich nichts dagegen, mir für 's erſte es hier bequem zu 
machen; aber — 


Ails £ykke. — aber Ihr jeid nicht Euer eigener Herr? 
Da giebt's Geſchäfte und Aufträge? — 

Ails Stenſſön. Ja, da ſitzt der Knoten. Wenn es bei mir 
ſtünde, ſo blieb' ich jedenfalls den Winter über hier; ich habe 
mein halbes Leben im Felde geſtanden — er bricht plötzlich ab, ſchentt 
ein und trinkt. Euer Wohl, Herr! 

Ails Lykke. Im Felde? Hm. 

Ails Stenſſön. Nein, ich wollte jagen: ich habe mich lange 
danach geſehnt, Frau Inger zu ſehen, von der man ſo viel 
Rühmens macht. Das muß eine herrliche Frau ſein! Nicht 
wahr? — Das Einzige, was mich ärgert, iſt, daß ſie ſo verflucht 
ungern losſchlagen will. 

Nils Lykke. Nicht losſchlagen will —? 

Nils Stenſſön. Na ja, Ihr verſteht mich ſchon. Ich meine, 
daß ſie ſo gar nicht mit Hand anlegen will, die fremden Herren— 
leute aus dem Lande zu jagen. 

Nils Lykke. Da habt Ihr freilich recht. Wenn Ihr nun 
aber thut, was Ihr könnt, dann geht's ſchon. 

Nils Stenſſöän. Ich? Gott bewahre! Das würde viel helfen, 
wenn ich — 

Nils Lykke. Es iſt doch ſeltſam, daß Ihr ſie aufſucht, 
wenn Ihr nichts Beſſeres zu hoffen habt. 

Nils Stenſſön. Was meint Ihr damit? Sagt! Kennt Ihr 
Frau Inger? 

Ails Lykke. Verſteht ſich. Da ich ihr Gaſt bin, jo — 

Nils Stenſſön. Damit iſt noch nicht gejagt, daß Ihr ſie 
kennt. Auch ich bin ihr Gaſt und habe doch noch nicht einmal 
ſo viel wie ihren Schatten geſehen. 

Ails Lykke. Aber Ihr wißt doch zu erzählen — 

Nils Stenſſön. Wovon jedermann ſchnackt! Ja freilich. Außer— 
dem hört' ich vom Kanzler Peter oft genug — 


Er hält verlegen inne und beginnt eifrig zu eſſen. 


ng 


Nils Lykke. Ihr wolltet noch etwas jagen. 
Ails Stenſſön eſſend. Ich? Nicht daß ich wüßte. 
Nils Lykte lacht. 

Nils Stenſſön. Worüber lacht Ihr, Herr? 

Nils Lykke. Ich? Ueber nichts. 

Nils Stenſſön trintt. Das iſt ein lieblicher Wein, den Ihr 
hier auf dem Hofe habt. 

Nils Lykke nähert ſich vertraulich. Sagt mal, — wär' es jetzt 
nicht an der Zeit, die Maske fallen zu laſſen? 

Nils Stenſſön lächelnd. Die Maske? O ja, das könnt Ihr 
thun, wenn's Euch gefällt. 

Nils Lykke. So laßt doch alle Verſtellung fahren! Ihr ſeid 
erkannt, Graf Sture! 

Nils Stenſſün lacht. Graf Sture? Glaubt Ihr auch, ich 
bin Graf Sture? Er erhebt ſich. Ihr irrt Euch, Herr. Ich bin 
nicht Graf Sture. 

Nils Lykke. Wirklich nicht? Wer ſeid Ihr denn? 

Nils Stenſſön. Ich heiße Nils Stenſſön. 

Nils Lykke betrachtet ihn lächelnd. Hm? Nils Stenſſön? Und 
Ihr ſeid nicht Nils Sture, der Sohn des Sten Sture? Der 
Name ſtimmt doch ſo ziemlich. 

Mils Stenſſön. Sehr wahr; aber Gott weiß, mit welchem 
Recht ich ihn trage. Meinen Vater hab' ich nie gekannt; meine 
Mutter war eine arme Bauersfrau, die in den früheren Kriegs— 
läuften um Gut und Leben kam. Der Kanzler Peter war 
damals gerad' nicht weit. Er nahm ſich meiner an, erzog 
mich und lehrte mich das Waffenhandwerk. Ihr wißt, er ſieht 
ſich ſeit vielen Jahren von König Guſtav verfolgt, und ich hab' 
ihn allenthalben getreulich begleitet. 

Ails Lykke. Der Kanzler, ſcheint's, hat Euch noch mehr 
gelehrt als das Waffenhandwerk. — — Nun gut, Ihr ſeid 
alſo nicht Nils Sture. Jedoch Ihr kommt aus Schweden. 


— 96 — 


Der Kanzler ſchickt Euch her, um hier einen Fremden zu finden, 
Der 


Nils Stenſſön niet liſig. — der ſchon gefunden iſt. 
Ails Lykke etwas unſicher. Und den Ihr nicht kennt? 
Nils Stenſſön. Ebenſowenig wie Ihr mich kennt — denn 


ich ſchwöre bei Gott dem Vater: ich bin nicht Graf Sture! 

Nils Lykke. Im Ernſte, Herr? 

Nils Stenſſön. So wahr ich lebe! Warum ſollt' ich es 
leugnen, wenn ich's wäre? 

Nils Lykke. Aber wo iſt denn Graf Sture? 

Nils Slenſſön mit gedämpfter Stimme. Ja, das iſt eben das 
Geheimnis. 

Nils Lykke fluſternd. Das Euch bekannt iſt? Nicht wahr? 

Nils Stenſſön niet. Und das ich Euch mitzuteilen habe. 

Nils Lykke. Mir? Nun denn, wo iſt er? 

Nils Stenſſön zeigt nach oben. 

Nils Lykke. Da oben? Frau Inger hält ihn auf dem 
Boden verborgen? 

Nils Stenſſön. Was fällt Euch ein! Ihr mißverſteht mich. 
Er ſieht ſich vorſichtg um. Graf Sture iſt im Himmel. 

Nils £ykke. Geſtorben! — Wo? 

Nils Stenſſön. Auf ſeiner Mutter Schloß, — ſchon vor 
drei Wochen. 

Nils Lnkke. Ah, Ihr belügt mich. Vor fünf oder ſechs 
Tagen zog er über die Grenze nach Norwegen. 

Nils Stenſſön. O, das bin ich geweſen! 

Mils Lykke. Aber wenige Tage zuvor hatte der Graf ſich 
in Dalekarlien gezeigt. Das Volk, das ſchon längſt unruhig 
war, brach in offne Empörung aus und wollte ihn zum König 
machen. 

Nils Stenſſön. Hahaha! Das war ja ich! 

Nils Lykke. Ihr? 


Nils Stenſſön. Ihr ſollt jetzt hören, wie das kam. Eines 
Tages rief der Kanzler mich zu ſich und ließ verlauten, daß 
große Begebenheiten ſich vorbereiteten. Er hieß mich ins nor— 
wegiſche Land nach Oeſtrot gehen, wo ich zu einer beſtimmten 
Zeit eintreffen ſollte — 

Nils Lykke niet. Den dritten Abend nach Martini. 

Nils Stenſſön. Da würd' ich einen Fremden finden — 

Nils Lykke. Richtig; das bin ich. 

Ails Stenſſön. Von ihm würd' ich erfahren, was ich weiter 
zu thun hätte. Ich ſollte ferner ihm melden, daß Graf Sture 
plötzlich geſtorben iſt, daß aber außer ſeiner Mutter, der Gräfin, 
dem Kanzler und einigen alten Hausleuten der Stures noch 
keiner darum wiſſe. 

Nils Lykke. Ich verſtehe. Graf Sture war das Haupt 
der Bauern. Würde ſein Tod ruchbar, ſo gingen ſie auseinander 
— und aus der ganzen Sache würde nichts. 

Nils Stenſſöän. Kann wohl fein. Ich bin in dieſe Dinge 
nicht ſo eingeweiht. 

Nils Lykke. Aber wie konntet Ihr darauf verfallen, Euch 
für den Grafen auszugeben? 

Nils Stenſſön. Wie ich darauf verfallen konnte? Weiß 
ich es ſelbſt? Ich bin in meinem Leben ſchon auf mehr Dumm— 
heiten verfallen. Es war übrigens gar nicht meine Erfindung; 
denn wohin ich auch kam in Dalekarlien, da rotteten ſich die 
Leute zuſammen und grüßten mich als den Grafen Sture. Da 
half keine Widerrede. Der Graf wär' erſt vor zwei Jahren 
dageweſen, ſagten ſie, und das kleinſte Kind erkenne mich wieder. 
Na, in Gottes Namen! dacht' ich. Ein Graf wirſt du doch in 
deinem Leben nie wieder; du kannſt ja mal verſuchen, wie das 
thut. 

Mils Luykke. Nun — und was weiter? 

Nils Stenſſön. Ich aß und trank und ließ mir's wohl fein. 


Jbſen, Frau Inger auf Oeſtrot. . 


ION 


Es war nur ſchade, daß ich jo bald wieder fort mußte. Und 
als ich über die Grenze zog, — hahaha! — da gelobte ich ihnen, 
daß ich mit drei- oder viertauſend Mann — oder wie viel es 
nun wären — wiederkommen würde, — und dann ſollt' es 
gehörig losgehen. 

Nils Lykke. Und Ihr habt nicht bedacht, wie unbeſonnen 
Ihr handeltet? 

Nils Stenſſön. Ja, nachher fiel es mir ein; aber da war's 
ſchon zu ſpät. 

Nils Lykke. Es thut mir leid um Euch, mein junger Freund; 
aber Ihr werdet bald die Folgen Eurer Thorheit ſpüren. Ich 
kann Euch ſagen, daß Ihr verfolgt werdet. Ein Troß ſchwediſcher 
Reiter ſetzt Euch nach. 

Nils Stenſſön. Mir nach? Hahaha! Das iſt herrlich! Und 
wenn ſie kommen und glauben, Graf Sture endlich erwiſcht zu 
haben — hahaha! 

Nils Lykke ernſt. — dann iſt es um Euer Leben geſchehen. 

Nils Stenflön. Um mein —? Ich bin doch nicht Graf Sture. 

Nils Lykke. Aber Ihr habt das Volk zu den Waffen ge— 
rufen; Ihr habt den Rebellen Zuſagen gemacht und Unfrieden 
im Lande geſtiftet. 

Nils Stenſſön. Das war ja nur im Scherz. 

Ails Lykke. König Guſtav wird die Sache in einem andern 
Lichte ſehen. 

Nils Stenſſön. Es iſt wirklich etwas an dem, was Ihr 
jagt. — Daß ich auch jo dumm ſein konnte — —. Je nun, 
wir werden uns ſchon wieder herauswinden! Ihr werdet Euch 
ja meiner annehmen und — die Reiter ſind mir wohl auch noch 
nicht auf den Ferſen. 

Ails Lykke. Aber was habt Ihr mir weiter zu jagen? 

Nils Stenſſön. Ich? — Nichts; nur das Paket hab' ich 
Euch noch einzuhändigen — 


— 99 


Mils Lykke unbedacht. Das Paket? 

Nils Stenſſön. Freilich. Ihr wißt doch — 

Nils Lykke. Ach ja, richtig! Die Papiere vom Kanzler — 

Nils Stenſſön. Seht, hier find ſie ſamt und ſonders. 

Er überreicht Nils Lykke ein Paket, das er aus ſeinem Wams hervorgezogen hat. 

Nils Lykke tere. Briefe und Pergamente für Herrn Olaf 
Skaktavl. Laut: Ich ſehe, das Paket iſt offen. Ihr kennt alſo 
wohl den Inhalt? 8 

Nils Stenſſön. Nein, Herr! Ich leſe nicht gern Geſchriebenes; 
das hat ſo ſeine Gründe. 

Nils Lykke. Ich verſtehe. Ihr habt Euch zumeiſt aufs 
Waffenhandwerk gelegt. Er ſetzt ſich an den Tiſch und durchfliegt die Briefe. 
Aha, Aufklärungen, mehr als genug, um hinter das zu kommen, 
was vorgeht. — Dieſer kleine Brief mit der Seidenſchnur — 
Er unterſucht die Aufſchrift. Auch an Herrn Olaf Skaktavl. deffnet den 
Brief und prüft flüchtig den Inhalt. Vom Kanzler. Ich dacht' es. Lieſt 
murmelnd: „Ich bin hart bedrängt; denn —“ — ja, ganz richtig, 
hier ſteht es — „der junge Junker Sture iſt zu ſeinen Vätern 
heimgegangen, gerade als der Aufruhr losgehen ſollte. Aber 
noch iſt nicht alles verloren“ — — Was nun? er ſtutzt und lieſt 
weiter: „Denn Ihr müßt wiſſen, Herr Olaf Skaktavl, der junge 
Mann, der Euch dieſen Brief überbringt, iſt ein Sohn von —“ 
Himmel und Hölle! Wär's möglich? Ja, bei Chriſti Blut, 
da ſteht's geſchrieben! mit einem Blick auf Nils Stenſſön. Er wäre — 
wäre wirklich — er lieſt weiter: „Ich erzog ihn von ſeinem erſten 
Jahr an; aber bis heute weigerte ich mich beharrlich, ihn zurück— 
zugeben, weil ich glaubte, in ihm ein ſicheres Unterpfand für 
Frau Ingers Treue gegen uns und unſre Freunde zu haben. 
Doch hat er uns in dieſer Hinſicht nur wenig genützt. Ihr 
ſeid wohl erſtaunt, daß ich Euch dies Geheimnis nie anvertraute, 
nicht einmal als Ihr letzthin bei mir wart. Ich will Euch ehrlich 


geſtehen, ich fürchtete, Ihr würdet ihn für denſelben Zweck wie 
7 * 


— 100 — 


ich in Anſpruch nehmen. Nun aber, da Ihr mit Frau Inger 
zuſammengetroffen ſeid und Euch wahrſcheinlich überzeugt habt, 
wie ungern ſie unſrer Sache beitritt, werdet auch Ihr es für 
das Klügſte halten, ihr ſo ſchnell wie möglich zurückzugeben, was 
ihr gehört. Vielleicht könnten Freude, Sicherheit und Dankbarkeit 
fie bewegen — —“ „das iſt unſre letzte Hoffnung.“ Er fitt eine 
Weile ſtarr vor Erſtaunen und ſagt dann für ſich: Ah, dieſer Brief! Er iſt 
Goldes wert! 

Nils Stenſſön. Ich habe Euch wichtige Botſchaft gebracht, 
wie es ſcheint. Ja, ja, der Kanzler, heißt es, hat viele Eiſen 
im Feuer. 

Nils Pykke für ſich. Was fang’ ich nun an? Hundert Wege 


laſſen ſich einſchlagen. Wenn ich —. Nein, das wäre zu un— 
ſicher. Aber wofern — hm, wofern ich —? Ja, das ſei 
gewagt! 


Er reißt den Brief quer durch, ballt die Stücke zuſammen und verbirgt ſie in ſeinem 
Wams. Die übrigen Papiere legt er wieder in das Paket, ſteckt es in ſeinen Gürtel, 
erhebt ſich und ſagt: 

Ein Wort, mein junger Freund! 

Nils Stenſſön nähert ſich. Na, das klingt faſt, als ſtünde das 
Spiel gut. 

Nils Lykke. Ja, das will ich meinen! Ihr habt mir lauter 
gute Karten in die Hand gegeben, — Damen und Buben und — 

Nils Stenſſän. Und ich, der Euch all dieſe guten Zeitungen 
gebracht hat, ich bin nun überflüſſig? 

Nils Lykke. Ihr? Bewahre! Ihr gehört mit zum Spiele. 
Ihr ſeid König — und Trumpf obendrein. 

Nils Stenſſön. Ich? Ach, ich begreife! Ihr denkt wohl an 
die Erhöhung — 

Nils Lykke. Erhöhung? 

Nils Stenſſön. Ja, im Fall König Guſtav mich zu faſſen 
kriegt, prophezeitet Ihr, ſo — Er macht das Zeichen des Hängens. 


— 101 — 


Nils Lykke. Ach ja, ſo — doch laßt Euch das nicht weiter 
anfechten! Jetzt ſteht es bei Euch, ob Ihr binnen eines Monats 
den Strick oder eine goldne Kette um den Hals tragen wollt. 

Nils Stenſſön. Eine goldne Kette? Und bei mir ſtünde das? 
Nils Lykte nickt. Da mag der Teufel ſich bedenken! — Doch jagt 
mir nur, wie ich mich zu verhalten habe. 

Nils Lykke. Das werd' ich. Aber zuvor ſchwört mir einen 
heiligen Eid, daß keine lebende Seele auf der weiten Welt er— 
fahren ſoll, was ich Euch vertraue. 

Nils Stenſſöän. Weiter nichts? Ich ſchwör' Euch zehn Eide, 
wenn Ihr's verlangt. 

Nils Lykke. Ernſthaft, Herr! Ich ſpaße nicht mit Euch. 

Nils Stenſſön. Na ja, ja; ich bin ernſthaft. 

Nils Pykke In Dalekarlien nanntet Ihr Euch einen 
Grafenſohn — nicht? 

Nils Stenſſön. Fangt Ihr ſchon wieder damit an? Ich 
hab' Euch ja ehrlich gebeichtet — 

Nils Lykke. Ihr verſteht mich nicht. Was Ihr damals 
ſagtet, war die Wahrheit. 

Nils Stenfön. Die Wahrheit? Was meint Ihr damit? 
So ſagt mir — 

Nils Lukke. Erſt den Eid, den heiligſten, unverbrüch— 
lichſten, den Ihr kennt! 

Nils Stenſſön. Ich will ihn ſchwören. Da an der Wand 
hängt das Bild der Jungfrau Maria. 

Nils Lykke. Die Jungfrau Maria iſt heut eine gefallene 
Größe. Habt Ihr nicht gehört, was der Mönch von Witten— 
berg behauptet? 

Nils Stenſſön. Pfui! Was geht Euch der Mönch von 
Wittenberg an? Der iſt ja ein Ketzer, ſagt der Kanzler. 

Nils Luykke. Ja, wir wollen darüber nicht ſtreiten. Aber 
hier will ich Euch einen einwandfreien Heiligen zeigen, bei dem 


— 102 — 


Ihr mir ſchwören ſollt. Er deutet auf ein Ahnenbild, das an einem der 
Wandpfoſten hängt. Kommt her und gelobt mir unverbrüchliches 
Schweigen, bis ich ſelbſt Eure Zunge löſe — unverbrüchliches 
Schweigen, ſo wahr Ihr auf des Himmels Seligkeit hofft für 
Euch und für ihn, deſſen Bild hier hängt. 

Nils Stenſſön, indem er ſich dem Bilde nähert. Das ſchwör' ich — 
fo wahr mir Gott helfe! entſetzt zurücweichend. Jeſus Chriſtus, 
mein Erlöſer! 

Nils Lykke. Was iſt denn? 

Nils Stenſſön. Das Bild da — das bin ich ja ſelbſt! 

Nils Lykke. Das iſt der alte Sten Sture, wie er in ſeinen 
jungen Jahren leibte und lebte. 

Nils Stenfön. Sten Sture! — Und die Aehnlichkeit, und 
— Ihr ſagtet, ich hätte die Wahrheit geſprochen, als ich mich 
einen Grafenſohn nannte? War es nicht ſo? 

Nils Lykke. So war es. 

Nils Stenſſön. Ach, ich hab' es, ich hab' es. Ich bin — 

Nils Lnkke. Ihr ſeid Sten Stures Sohn, Herr. 

Nils Stenſſön erfaßt von ſtillem Erſtaunen. Ich Sten Stures 
Sohn! 

Nils Lykke. Auch von Seiten der Mutter ſeid Ihr edler 
Abkunft. Der Kanzler belog Euch, wenn er ſagte, Ihr wäret 
das Kind einer armen Bauersfrau. 

Nils Stenſſön. Seltſam, höchſt ſeltſam! — Aber kann ich 
Euch auch glauben — ? 

Nils Lukke. Alles, was ich Euch ſage, dürft Ihr glauben. 
Doch bedenkt wohl, daß all dies zu Eurem eignen Verderben 
ausſchlagen kann, wofern Ihr vergeßt, was Ihr mir bei Eures 
Vaters Seligkeit zugeſchworen habt. 

Nils Stenſſön. Ich das vergeſſen? Nein, ſeid verſichert, 
das werd' ich nie. — Aber Ihr, dem ich mein Wort verpfändet, 
ſagt an — wer ſeid Ihr? 


— Ji 


Nils Lnkke. Mein Name iſt Nils Lykke. 

Nils Stenſſön überraſcht. Nils Lykke! Doch nicht der däniſche 
Reichsrat? 

Nils Lykke. Derſelbe. 

Nils Stenſſön. Und Ihr ſolltet —? Das iſt doch wunder— 
bar! Zu welchem Zweck kamt Ihr —? 

Nils Lykke. — um die Botſchaft des Kanzlers entgegen— 
zunehmen. Das wundert Euch? 

Nils Senſſön. Ja, ich will es nicht verhehlen. Er hat 
Euch ſtets ſeinen erbittertſten Gegner genannt — 

Nils Lykke. Und deshalb mißtraut Ihr mir? 

Nils Stenflön. Nein, das gerade nicht; allein — — Ei, 
der Teufel möge grübeln! 

Nils Lykke. Recht habt Ihr! — Folgt Ihr Eurem eignen 
Kopfe, ſo iſt die Hanfſchnur Euch ebenſo gewiß wie der Grafen— 
name und die goldne Kette, wenn Ihr Euch auf mich verlaßt. 

Nils Stenſſön. In allen Stücken! Hier meine Hand darauf, 
lieber Herr! Helft mir mit gutem Rat, ſo lang' er nötig iſt. 
Gilt es loszuſchlagen, dann werd' ich mich ſchon ſelber wehren. 

Nils Lnkke. Gut. Folgt mir auf meine Kammer; da ſollt 
Ihr hören, wie alles zuſammenhängt, und was Ihr ferner zu 
thun habt. Geht rechts ab. 

Nils Slenſſön mit einem Blick auf das Bild. Ich Sten Stures 
Sohn! O wunderlich — wie ein Traum — —! Er folgt 
Nils Luke. 


vierter Aufzug. 


Der Ritterſaal wie zuvor, nur ohne den Eftiſch. 


Björn, der Kammerdiener, geht Inger und Olaf Skaktavl durch die zweite 
Thür links mit brennendem Armleuchter voran. Inger hat Papiere in der Hand. 


Inger zu Björn. Und Du biſt gewiß, daß meine Tochter den 
Ritter hier im Saale geſprochen hat? 

Björn indem er den Leuchter auf den Tiſch ſtellt. Ganz gewiß. Sie 
begegnete mir, als ſie in den Gang hinaus trat. 

Inger. Und da ſchien ſie Dir aufgeregten Gemüts zu ſein? 
Richt wahr? 

Biörn. Sie ſah bleich und verſtört aus. Ich fragte, ob 
ſie krank ſei; aber ſtatt meine Frage zu beantworten, ſagte ſie: 
„Geh zu meiner Mutter und melde ihr, daß der Ritter noch vor 
Tagesanbruch von hinnen zieht; bitte ſie, falls ſie Briefe oder 
Botſchaft für ihn haben ſollte, ihm keinen unnötigen Aufenthalt 
zu verurſachen.“ Und dann fügte ſie noch etwas hinzu, das 
ich nicht genau verſtehen konnte. 

Inger. Haſt Du garnichts verſtanden? 

Björn. Es war mir, als ſagte ſie: „faſt glaub' ich, daß er 
ſchon allzu lange auf Oeſtrot weilt.“ 

Inger. Und wo iſt der Ritter jetzt? 

Björn. Wahrſcheinlich auf ſeiner Kammer im Thorflügel. 


— 105 — 


Inger. Es iſt gut. Ich habe alles in Bereitſchaft, was 
ich ihm mitzugeben wünſche. Geh hinein und ſag' ihm, daß ich 
ihn hier im Saal erwarte. 

Björn rechts ab. 

Olaf. Wißt Ihr was, Frau Inger! Ich bin freilich in 

ſolchen Sachen ſo blind wie ein Maulwurf; es ſcheint mir aber 


doch, als ob — — hm! 
Inger. Nun? 
Olaf. — als ob Nils Lykke Eurer Tochter gut ſei. 
Inger. Dann ſeid Ihr gerade nicht ſo blind — müßt' 


ich mich doch ſehr irren, wenn Ihr nicht recht hättet. Bemerkt 
Ihr nicht, wie begierig er beim Nachtmahl auf jedes Wort 
lauſchte, wenn ich von Eline erzählte? 

Olaf. Er vergaß Speiſe und Trank. 

Inger. Und unſere geheimen Geſchäfte dazu. 

Olaf. Ja, und was noch mehr ſagen will, die Papiere vom 
Kanzler. 

Inger. Und aus alledem ſchließt Ihr —? 

Olaf. Aus alledem ſchließ' ich zunächſt, daß Ihr, die Ihr 
Nils Lykke kennt und wißt, welchen Ruf er genießt, zumal 
wenn es ſich um ſchöne Frauen handelt. 

Inger. — ihn gern wieder draußen ſähe? 

Olaf. Ja, und je eher, je lieber. 

Inger lächelnd. Nein, — im Gegenteil, Olaf Skaktavl! 

Olaf. Wieſo? 

Inger. Wenn unſere Vermutung richtig iſt, ſo darf Nils 
Lykke um keinen Preis Oeſtrot ſo bald wieder verlaſſen. 

Olaf ſieht fie mißbilligend an. Geht Ihr ſchon wieder krumme 
Wege, Frau Inger? Was führt Ihr da im Schilde? Wollt 
Ihr Eure Macht zu unſerm Schaden vergrößern —? 

Inger. O, über dieſe Kurzſichtigkeit, die Euch alle ſo un— 
billig macht gegen mich! Ihr glaubt doch wohl nicht, ich wolle 


— 106 — 


ils Lykke zu meinem Eidam machen? Wenn das in meiner 
Abſicht läge — würd' ich mich dann weigern, Teil zu nehmen 
an den Dingen, die ſich in Schweden vorbereiten, und die Nils 
Lykke und der ganze däniſche Reichsrat zu unterſtützen ſcheinen? 

Olaf. Aber wenn es nicht Euer Wunſch iſt, Nils Lykke zu 
gewinnen und an Euch zu feſſeln — was habt Ihr dann mit 
ihm vor? 

Inger. Das will ich Euch mit wenig Worten erklären. 
In einem Brief an mich pries Nils Lykke es als ein Glück, 
wenn er in unſere Familie kommen könnte; und ich will jo 
ehrlich ſein, zu bekennen, daß ich wirklich einen Augenblick über 
dieſe Sache nachgedacht habe. 

Olaf. Seht Ihr wohl! 

Inger. Nils Lykkes Verbindung mit meinem Hauſe wäre 
das wirkſamſte Mittel, viele Uneinige im Lande zu verſöhnen. 

Olaf. Mich dünkt, die Verheiratung Eurer Tochter Merete 
mit dem Grafen Vincent Lunge hätte Euch bewieſen, wie ſolche 
Mittel wirken. Kaum hatte Herr Lunge feſten Fuß gefaßt bei 
Euch, als er Güter und Gerechtſame an ſich riß — 

Inger. Ich weiß, Olaf Skaktavl; aber zuweilen durchkreuzen 
ſo mancherlei Gedanken meinen Kopf. Ich kann mich keinem 
völlig anvertrauen, nicht einmal Euch. Oft weiß ich nicht, was 
für mich das Rechte iſt. Und doch — zum zweiten Mal einen 
däniſchen Ritter zu meinem Eidam zu machen, das iſt ein Aus— 
weg, den ich nur in der äußerſten Not beſchreiten würde, und 


— Gott ſei Dank! — ſo weit iſt es noch nicht gekommen! 
Olaf. Ich bin ſo klug wie zuvor, Frau Inger. — Warum 


wollt Ihr Nils Lykke auf Oeſtrot zurückhalten? 

Inger mit leiſer Stimme. Weil ich einen tiefen, tiefen Groll 
gegen ihn hege. Nils Lykke hat mich blutiger gekränkt, als je 
ein Menſch mich kränkte. Ich kann Euch nicht ſagen, was es iſt; 
aber ich habe nicht Ruhe, bis ich Rache an ihm genommen habe. 


= 4107 — 


Verſteht Ihr mich noch nicht? — Geſetzt, Nils Lykke wäre 
meiner Tochter gut; ich halte das nicht für ſo undenkbar. Ich 
werde ihn beſtimmen, zu bleiben. Er wird Eline näher kennen 
lernen; ſie iſt klug und ſchön —. Ha, wenn er dann mit heißer 
Liebe im Herzen vor mich hinträte und um ihre Hand bäte — 
dann ihn fortzujagen wie einen Hund, fortzujagen mit Spott 
und Hohn und Verachtung und laut durchs ganze Land zu 
rufen, daß Nils Lykke vergebens in Oeſtrot geworben — ich 
ſag' Euch, ich gäbe zehn Jahre meines Lebens, um dieſe eine 
Stunde zu erleben! 

Olaf. Hand aufs Herz, Frau Inger! Das alſo habt Ihr 
mit ihm vor? 

Inger. Das und nichts anderes — ſo wahr Gott lebt! 
Ihr dürft mir trauen, Olaf Skaktavl, ich mein' es ehrlich mit 
meinen Landsleuten. Allein ich bin zu wenig mein eigner Herr. 
Es giebt Dinge, die geheim bleiben müſſen, wenn ich nicht zu 
Tode getroffen werden ſoll. Doch bin ich erſt von dieſer 
Seite ſicher, dann ſollt Ihr erfahren, ob ich vergeſſen habe, 
was ich an Knut Alfſöns Bahre geſchworen. 

Olaf ſchüttelt ihre Sand. Dank für Eure Worte! Ich möchte 
ſo ungern ſchlecht von Euch denken. — Doch was Euer Vor— 
haben mit dem Ritter betrifft, ſo dünkt mich, Ihr wagt ein 
gefährliches Spiel. Wenn Ihr Euch nun verrechnet hättet? 
Wenn Eure Tochter —? Sagt man doch, daß kein Weib dieſem 
geſchmeidigen Teufel zu widerſtehen vermag. 

Inger. Meine Tochter? Ihr glaubt, ſie würde —? Nein, 
ſeid unbeſorgt. Ich kenne Eline beſſer. Alles, was ſie von 
ihm erzählen hörte, hat ihren Haß gegen ihn genährt. Ihr 
habt ja mit Euren eignen Ohren vernommen — 

Olaf. Allerdings — doch Weiberſinn iſt ein gar unſicherer 
Baugrund. Ihr ſolltet Euch wenigſtens vorſehen. 

Inger. Das will ich auch; ich werde auf beide ein wach— 


ME — 


fam Auge haben. Und ſollt' es ihm dennoch gelingen, ſie in 
ſein Garn zu locken, ſo brauch' ich ihr nur ein Wort ins Ohr 
zu flüſtern, und — 

Olaf. Und? 

Inger. — und ſie wird ihn fliehen wie einen Sendling des 
hölliſchen Verſuchers. — Still, Olaf Skaktavbl! Er kommt. 
Seid vorſichtig. 


Nils Lykke kommt aus der erſten Thür rechts. 


Nils Lykke geht höflich auf Inger zu. Meine edle Herrin ließ 
mich rufen. 

Inger. Durch meine Tochter hab' ich erfahren, daß Ihr 
uns noch heute Nacht verlaſſen wollt. 

Nils Lykke. Leider. Mein Geſchäft auf Oeſtrot iſt ja er⸗ 
ledigt. 

Olaf. Nicht, eh' ich meine Papiere bekommen habe. 

Nils Lykke. Ganz recht. Faſt hätt' ich von meinem Ge⸗ 
ſchäft das Wichtigſte vergeſſen. Aber das iſt die Schuld unſrer 
edlen Wirtin. Bei Tiſch wußte ſie ihre Gäſte ſo klug und an— 
genehm zu unterhalten — 

Inger. Daß Ihr vergeſſen habt, weshalb Ihr gekommen 
ſeid? Das freut mich; denn gerade dies war meine Abſicht. 
Ich dachte, ſoll mein Gaſt, Nils Lykke, ſich heimiſch auf Oeſtrot 
fühlen, ſo muß er — 

Nils Lukke. Was, edle Frau? 

Inger. — vor allen Dingen ſeinen Auftrag vergeſſen und 
alles, was ſeiner Sendung voranging. 

Nils Lulke zu Olaf, indem er das Paket hervorzieht und es ihm reicht. Die 
Papiere vom Kanzler Peter. Ihr werdet darin vollſtändige 
Aufklärungen über unſre Anhänger in Schweden finden. 

Olaf. Gut. 


Er ſetzt ſich an den Tiſch links, wo er das Paket öffnet und durchblättert. 


— 110) = 


Nils £ykke. Und nun, Frau Inger — nun wüht ich nicht, 
was ich hier noch zu ſchaffen hätte. 

Inger. Sofern uns ausſchließlich Staatsgeſchäfte zuſammen— 
geführt haben, ſo habt Ihr freilich recht. Doch möcht' ich das 
kaum glauben. 

Nils £ykke. Ihr meint —? 

Inger. Ich meine, nicht ausſchließlich als däniſcher Reichs— 
rat oder als Verbündeter des Kanzlers kam Nils Lykke mich zu 
beſuchen. —. Sollt' ich irren, wenn ich mir einbildete, daß Ihr 
in Dänemark manches hörtet, was Euch neugierig machte, die 
Herrin von Oeſtrot näher kennen zu lernen? 

Nils Lykke. Es ſei fern von mir zu leugnen — 

Olaf in den Papieren blätternd. Sonderbar! Keinen Brief — 

Nils Lykke. — Inger Gyldenlöves Ruf iſt zu weit verbreitet, 
als daß ich nicht ſchon längſt begehrt haben ſollte, ſie von An— 
geſicht zu Angeſicht zu ſehen. 

Inger. Ich dacht' es. Aber reicht dann eine Stunde, beim 
Nachtmahl vertändelt, aus? — Durch das, was zwiſchen uns 
war, wollen wir einen Strich machen. Es wird dem Nils Lykke, 
den ich kenne, gelingen, einen Schleier über das zu breiten, was 
ein Nils Lykke beging, den ich nicht kannte. Verlängert Euren 
Aufenthalt um einige Tage, Herr Reichsrat! Olaf Skaktavl 
darf ich nicht zureden. Hat er doch ſeine geheimen Geſchäfte 
in Schweden. Jedoch was Euch betrifft — Ihr habt gewiß 
alles ſo hübſch vorbereitet, daß Eure Anweſenheit kaum von— 
nöten ſein wird. Glaubt mir, es wird Euch die Zeit bei uns 
nicht lang werden. Wenigſtens wollen ich und meine Tochter 
alles aufbieten, Euch ein recht inniges Behagen zu verſchaffen. 

Nils Lylke. Ich zweifle weder an Eurer, noch an Eurer 
Tochter freundlichen Geſinnung gegen mich. Davon hab' ich 
vollgültige Beweiſe empfangen. Aber Ihr werdet gewiß über— 
zeugt ſein, daß meine Gegenwart anderswo unumgänglich nötig 


— 10 — 


it, wenn ich trotz alledem erkläre, daß ich meinen Aufenthalt 
auf Oeſtrot unmöglich verlängern kann. 

Inger. Wirklich nicht? Ei, Herr Reichsrat, wenn ich bos— 
haft wäre, könnt' ich faſt glauben, daß Ihr nach Oeſtrot ge— 
kommen ſeid, um mit mir eine Lanze zu brechen, und daß es Euch, 
nachdem Ihr verloren habt, nicht angenehm iſt, länger auf dem 
Kriegsſchauplatz bei den Zeugen Eurer Niederlage zu verweilen. 

Nils Lykkle. Eure Deutung möchte nicht ganz unbegründet 
ſein; aber ſo viel iſt gewiß, daß ich die Schlacht noch nicht für 
verloren gebe. 

Inger. Und wenn dem ſo wäre — falls Ihr noch einige 
Tage bei uns bleibt, dann könnt Ihr die Scharte gewiß noch 
wieder auswetzen. Seht doch ſelbſt, wie ſchwankend und unent— 
ſchloſſen ich am Scheidewege ſtehe — wie ich ſogar meinen ge— 
fährlichſten Angreifer zu überreden ſuche, das Feld nicht zu 
räumen. — Nun, offen geſagt, die Sache iſt die: Eure Ver— 
bindung mit den Mißvergnügten in Schweden kommt mir ein 
wenig — ja, wie ſoll ich es nur nennen? — ein wenig 
wunderlich vor, Herr Reichsrat! Ich ſag' Euch das ohne Um— 
ſchweife, lieber Herr. Der Gedanke, der den Rat des Königs 
bei dieſem heimlichen Schritt geleitet hat, iſt zwar ſehr geſcheit, 
aber er widerſpricht doch dem Verhalten Eurer Landsleute 
während der vergangenen Jahre ganz und gar. Darum darf 
es Euch nicht kränken, wenn mein Vertrauen in Eure Zuſagen 
noch nicht ſo feſt iſt, daß ich Gut und Leben in Eure Hände 
legen möchte. 

Ails Lykke. Zu dieſem Endzweck würde ein längerer 
Aufenthalt auf Oeſtrot auch nicht von Nutzen ſein; denn ich 
will keinen weitern Verſuch machen, Euch in Eurem Entſchluß 
zu erſchüttern. 

Inger. Dann beklag' ich Euch von ganzem Herzen. Ja, 
Herr Reichsrat — wohl ſteh' ich als unberatene Witwe hier; 


* 


— 111 — 


aber Ihr könnt mir aufs Wort glauben, und ich prophezeie 
Euch: es werden Euch Dornen erwachſen aus dieſer Fahrt nach 
Oeſtrot. 

Nils Lykke mit einem Lächeln. Prophezeit Ihr das, Frau Inger? 

Inger. Gewiß. Was wird man wohl ſagen, lieber Herr? 
Die Menſchen ſind ja heutzutage ſolche Läſterzungen. Mehr 
als ein Spottvogel wird Schmählieder auf Euch dichten; ehe 
noch ein halbes Jahr vergangen iſt, werdet Ihr in der Leute 
Munde ſein; man wird auf der Straße ſtehen bleiben und Euch 
nachblicken. „Seht,“ wird es heißen, „ſeht, da reitet Herr Nils 
Lykke, der hinauf nach Oeſtrot zog, um Inger Gyldenlöve zu 
fangen, und der in ſeiner eigenen Schlinge hängen geblieben iſt.“ 
— Na, na, nicht ſo ungeduldig, Herr Ritter! Das iſt ja nicht 
meine Anſicht; aber alle ſchlimmen und boshaften Menſchen 
werden ſo urteilen — und deren giebt es leider mehr als genug. 
Schlimm das, aber wahr: Spott wird Euer Lohn ſein, Spott, 
daß ein Weib geſcheiter war als Ihr. „Liſtig wie ein Fuchs 
ſchlich er nach Oeſtrot,“ wird man ſagen, „beſchämt wie ein 
Hund zog er wieder von dannen.“ — Und noch eins: glaubt 
Ihr nicht, der Kanzler und ſeine Anhänger werden Euern 
Beiſtand verſchmähen, wenn es ruchbar wird, daß ich nicht 
unter Eurer Fahne kämpfe? 

Nils Lnkke. Ihr ſprecht wohlbedacht, gnädige Frau. Und 
um mich alſo nicht dem Spott auszuſetzen, — ferner, um nicht 
die Unterſtützung der lieben Freunde in Schweden zu verwirken, 
ſo bin ich genötigt, — 

Inger raſch. — Euern Aufenthalt auf Oeſtrot zu verlängern? 

Olaf der gelauſcht, leiſe. Jetzt geht er in die Falle! 

Nils Lykke. Nein, meine edle Frau — ich bin genötigt, 
mich noch in dieſer Stunde mit Euch zu einigen. 

Inger. Und falls Euch das nun nicht gelingen ſollte? 

Ails Lykke. Es wird gelingen. 


— 12 — 


Inger. Ihr ſcheint Eurer Sache ſicher zu jein. 

Nils Lykke. Was gilt die Wette, daß Ihr auf meinen und 
des Kanzlers Vorſchlag eingeht? 

Inger. Hof Oeſtrot gegen Eure Schuhſchnallen! 

Nils Lykke ſchlägt ſich an die Bruft und ruft: Olaf Skaktavl — 
hier ſeht Ihr den Herrn von Oeſtrot! 

Inger. Herr Reichsrat —! 

Olaf erhebt ſich vom Tiſch. Was nun? 

Ails Lyklie zu Inger. Eure Wette nehm’ ich nicht an; denn 
im nächſten Augenblick werdet Ihr mir gern Oeſtrot ſchenken 
und noch mehr dazu, um Euch aus der Schlinge zu ziehen, in 
der Ihr ſitzt, nicht ich. 

Inger. Euer Spaß, Herr, fängt an recht luſtig zu werden. 

Nils Lykke. Er wird noch luſtiger — wenigſtens für mich. 
— Ihr pocht darauf, mich überliſtet zu haben, droht mir, 
Hohn und Spott der Welt auf mich zu laden. Ihr ſolltet Euch 
hüten, meine Racheluſt zu nähren; denn mit zwei Worten kann 
ich Euch in die Knie, vor meine Füße niederzwingen. 

Inger. Haha! Hält plötzlich inne, wie von einer Ahnung ergriffen. 
Und dieſe zwei Worte, Nils Lykke? Dieſe zwei Worte — 

Nils Lykke. — ſind das Geheimnis von Eurem und Sten 
Stures Sohn. 

Inger mit einem Schrei. Barmherziger Gott! 

Olaf. Inger Gyldenlöves Sohn? Was ſagt Ihr? 

Inger halb in den Knien vor Nils Lytte. Gnade! O, ſeid barm— 
herzig! 

Nils Lykke bebt fie auf. Kommt zu Euch und laßt uns 
beſonnen miteinander reden. 

Inger mit leiſer Stimme und halb wie geiſtesabweſend. Hörtet Ihr's, 
Olaf Skaktavl? Oder war es nur ein Traum? Hörtet Ihr, 
was er ſagte? 

Nils Lyhke. Es war kein Traum, Frau Inger. 


— 113 — 


Inger ringt die Hände. Und Ihr wißt es — Ihr! — Ihr! 
Aber wo habt Ihr ihn denn? Wo habt Ihr ihn? Was wollt 
Ihr mit ihm machen? Schreit auf: Tötet ihn nicht, Nils Lykke! 
Gebt ihn mir wieder! Tötet mir ihn nicht! 

Olaf. Nun fang' ich an, zu begreifen — 

Inger. Und dieſe Angſt —; dieſes laſtende Entſetzen, — 
ich hab' es Jahr um Jahr mit mir herumgetragen! — Und 
nun ſoll alles, alles zuſammenbrechen, und ich ſoll Not und 
Qual erdulden! Herr, mein Gott! Iſt das recht von dir? Haſt 
du da rum ihn mir gegeben? Sie ringt mit Anſpannung aller Kräfte nach 
Faſſung. Nils Lykke, ſagt mir eins: wo habt Ihr ihn? Wo 
übten? 

Mils Lykke. Bei ſeinem Pflegevater. 

Inger. Noch immer bei ſeinem Pflegevater! O dieſer un- 
barmherzige Mann —! Stets hat er ihn mir vorenthalten! Aber 
es darf nicht länger ſo bleiben! Helft mir, Olaf Skaktavl! 

Olaf. Ich? 

Nils Lykke. Deſſen wird es nicht bedürfen, wofern Ihr 
nur — 

Inger. Hört mich an, Herr Reichsrat! Was Ihr wißt — 
Ihr ſollt es ganz und gar wiſſen, und Ihr auch, alter 
treuer Freund! — Nun wohl! Ihr habt mich an den unglück— 
ſeligen Tag gemahnt, da Knut Alfſön bei Oslo erſchlagen wurde; 
Ihr habt mich an das Gelübde gemahnt, das ich that, als ich 
vor der Leiche ſtand unter Norwegens bravſten Männern. Ich 
war zu jener Zeit kaum erwachſen; aber ich fühlte Gottes Kraft 
in mir und meinte, was ſpäter gar viele meinten, daß Gott 
der Herr ſelbſt ſein Zeichen auf meine Stirn gedrückt und mich 
erkoren habe, allen voran für Land und Reich zu ſtreiten. War 
das Hochmut? Oder war es eine Offenbarung von oben? Ich 
hab' es nie ganz ergründen können. Aber wehe dem, auf den 
eine große That gelegt iſt! — Ich darf ſagen, daß ich ſieben 


Ibſen, Frau Inger auf Oeſtrot. 8 


— 114 — 


Jahre lang ehrlich hielt, was ich gelobt hatte. In Not und 
Bedrängnis hab' ich treu zu meinen Landsleuten geſtanden. 
Alle meine Geſpielinnen ſaßen als Hausfrauen und Mütter 
ringsum im Lande; ich allein durfte keinem Freier Gehör 
ſchenken — keinem. Ihr wißt es am beſten, Olaf Skaktavl! 
— — Da ſah ich Sten Sture zum erſten Male. Einen 
ſchönern Mann hatt' ich nie erſchaut bisher. 

Nils Lykke. Jetzt wird mir alles klar! Sten Sture kam 
um jene Zeit in geheimer Sendung nach Norwegen. Wir Dänen 
durften nicht wiſſen, daß er Euren Freunden gewogen war. 

Inger. Als ſchlichter Kriegsknecht verkleidet, lebte er einen 
Winter mit mir unter einem Dache. In jenem Winter dacht' 
ich weniger und weniger an des Reiches Wohlfahrt. — Einen 
Jo ſchönen Mann hatt’ ich nie erſchaut. Und ich war ſchon 
fünfundzwanzig Jahre alt geworden —. Im nächſten Herbſt 
kam Sten Sture wieder; und als er abermals von dannen zog, 
nahm er in aller Heimlichkeit einen Säugling mit ſich fort. Ich 
fürchtete nicht die böſen Zungen der Menſchen, aber es hätte 
unſrer Sache geſchadet, wär' es ruchbar geworden, daß Sten 


Sture mir ſo nahe ſtand. — Das Kind ward zu Kanzler Peter 
hingethan zur Auferziehung. Ich wartete auf beſſre Zeiten, die 
bald kommen würden. Sie kamen nie. — Zwei Jahre ſpäter 


verheiratete ſich Sten Sture in Schweden, und als er ſtarb, 
hinterließ er eine Witwe — 

Olaf. — und zugleich einen geſetzlichen Erben ſeines 
Namens und ſeiner Gerechtſame. 

Inger. Einen Brief um den andern ſchrieb ich dem Kanzler 
und flehte ihn an, mir mein Kind zurückzugeben! Aber er 
weigerte ſich ſtetig. „Schließt Euch feſt und unverbrüchlich uns 
an,“ antwortete er, „ſo ſende ich Euern Sohn nach Norwegen 
— eher nicht!“ — Wie konnt' ich das wagen? Wir Miß— 
vergnügten waren damals von vielen ängſtlichen Gemütern im 


Be 


Lande ſcheel angeſehen. Hätten fie von der Sache erfahren — 


o, ich weiß! — ſie hätten dem Kind, um die Mutter lahm zu 
legen, dasſelbe Schickſal bereitet, das König Chriſtian erdulden 
ſollte, und dem er nur durch die Flucht entging. — Aber auch 


abgeſehen davon, waren die Dänen nicht unthätig. Sie ließen 
es nicht an Drohungen noch an Verſprechungen fehlen, um 
mich auf ihre Seite hinüberzudrängen. 

Olaf. Sehr begreiflich. Aller Blicke waren auf Euch 
gerichtet, wie auf die Flagge, der ſie nachſegeln ſollten. 

Inger. Da kam Herluf Hydefads Aufſtand. Gedenkt Ihr 
jener Zeit noch, Olaf Skaktavl? War es nicht, als ſei ein 
ſonniger Frühling über das Land gekommen? Mächtige Stimmen 


mahnten mich, hervorzutreten — aber ich wagte es nicht. Ich 
ſaß unſchlüſſig — fern vom Kampf — auf meinem einſamen 


Hof. Oft war mir, als ob Gott der Herr ſelbſt mich riefe; 
aber dann kam wieder jene tötliche Angſt über mich und lähmte 
mir den Willen. „Wer wird ſiegen?“ Seht, das war die 
Frage, die unaufhörlich vor meinen Ohren klang. — Nur ein 
kurzer Frühling war's, der damals über Norwegen angebrochen. 
Herluf Hydefad und ſehr viele mit ihm wurden in den 
Monaten, die folgten, aufs Rad geflochten. Mich konnte niemand 
zur Rechenſchaft ziehen. Und doch blieben verblümte Drohungen 
von Dänemark nicht aus. Wie? wenn man um das Geheimnis 
wüßte? Ich konnte mir zuletzt nichts andres denken, als daß 
man darum wiſſe. — In dieſer qualvollen Zeit kam Reichs— 
hofmeiſter Gyldenlöve herauf nach Oeſtrot und begehrte meine 
Hand. Laßt eine geängſtigte Mutter ſich an meine Stelle ver— 
ſetzen. Einen Monat ſpäter war ich des Reichshofmeiſters 


Ehefrau — und heimatlos in den Herzen meiner Lands— 
leute. — — Dann kamen ſtille Jahre. Keiner erhob ſich 


mehr. Die Herren konnten uns bedrücken und bedrängen, ſo 
viel fie wollten. Zu Zeiten fühlt' ich Ekel vor mir ſelbſt. 
8 * 


— 16 — 


Denn was war mein Thun? — Nichts andres, als in Angſt zu 
leben, verhöhnt zu werden und Töchter zu gebären. — Meine 
Töchter? Gott mag mir vergeben, wenn ich kein Mutterherz für 
ſie hatte! Der Ehefrau Pflichten wurden mir zum Frondienſt 
— wie konnt' ich alſo meine Töchter lieben? Mit meinem Sohne 
war das etwas anderes! Er war das Kind meiner Seele, war 
das Einzige, was mich an jene Zeit erinnerte, da ich Weib und 
nichts als Weib geweſen. — Und ihn hatten ſie mir ge— 
nommen! Er wuchs unter Fremden auf. die vielleicht die Saat 
des Verderbens ſtreuten in ſein Gemüt. — Olaf Skaktavl! 
Hätt' ich, gleich Euch, in Winter und Wetter, verfolgt und ge— 
ächtet, durchs Hochgebirg wandern müſſen, und hätt' ich mein 
Kind in meinen Armen gehabt — glaubt mir, ich hätte nicht 
getrauert und geweint ſo, wie ich um ihn weinte und klagte von 
ſeiner Geburt an bis zu dieſer Stunde! 

Olaf. Hier meine Hand. Ich hab' Euch zu hart gerichtet, 
Frau Inger. Verfügt wieder über mich wie ſonſt; ich will 
Euch gehorchen. Ja — bei allen Heiligen! — ich weiß, was 
es heißt, um ſein Kind leiden. 

Inger. Eures erſchlugen die Gewalthaber. Aber was iſt 
der Tod gegen jahrelange ruheloſe Angſt. 

Nils Lykke. Nun wohl — in Eurer Macht ſteht es, dieſe 
Angſt zu enden. Verſöhnt die ſtreitenden Parteien, dann wird 
es keiner beifallen, ſich Euer Kind als Pfand Eurer Treue an— 
zueignen. 

Inger für ſich. Das iſt des Himmels Rache — — Buct sien 
an. Kurz und gut, was fordert Ihr? 

Nils Lykke. Erſtens verlang' ich, daß Ihr das Volk 
nördlich vom Dovrefjeld unter die Waffen ruft, um die Miß— 
vergnügten in Schweden zu unterſtützen. 

Inger. Und weiter? 

Nils Lykke. — daß Ihr Euern Einfluß aufbietet, um 


F 


(62) 
(gr) 
* 


den jungen Grafen Sture in ſeines Stammes Rechte als 
herrſcher Schwedens einzuſetzen. 

Inger. Ihn? Ihr fordert, daß ich — 

Olaf leiſe. Das iſt der Wunſch vieler Schweden. Auch uns 
wäre damit gedient. 

Nils Lykke. Ihr bedenkt Euch, edle Frau? Ihr, die Ihr 
um die Sicherheit Eures Sohnes bebt — was könnt Ihr Beſſres 
wünſchen, als ſeinen Halbbruder auf dem Thron zu ſehen? 

Inger gedankenvoll. Wohl wahr, wohl wahr! 

Nils £ykke betrachtet ſie ſcharf. Es müßte denn ein andrer 
Anſchlag im Werke ſein — 

Inger. Was meint Ihr? 

Nils £ykke. Daß Frau Gyldenlöve danach trachtet — 
Königsmutter zu werden. 

Inger. Nein, nein! Gebt mir mein Kind zurück, ſo könnt 
Ihr die Kronen geben, wem Ihr wollt. — Doch wißt Ihr auch, 
ob Graf Sture gewillt iſt —? 

Nils £ykke. Davon kann er ſelbſt Euch überzeugen. 

Inger. Er ſelbſt? Und wann? 

Nils Lukke. In dieſer Stunde. 

Olaf. Wieſo? 

Inger. Was ſagt Ihr da? 

Nils Lukke. Mit einem Wort: Graf Sture iſt auf 
Oeſtrot. 

Olaf. Hier? 

Nils Lukke zu Inger. Es ward Euch vielleicht hinterbracht, 
daß ich mit einem Geſellen durch das Burgthor geritten bin? 
Der Graf war mein Gefährte. 

Inger leiſe. Ich bin in feiner Macht. Hier bleibt keine 
Wahl. Sie ſieht ihn an und jagt: Gut, Herr Reichsrat — Ihr ſollt 
die Verſicherung meines Beiſtandes haben. 


Nils Lykke. Schriftlich? 


— 118 — 


Inger. Wie Ihr begehrt. 

Sie geht zu dem Tiſche links hinüber, ſetzt ſich und nimmt Schreibzeug aus der 
Schublade. 

Nils Luykke bei Seite, am Tische rechts. Endlich iſt der Sieg mein! 

Inger bedenkt ſich einen Augenblick, wendet ji dann plötzlich zu Olaf Skaktavl 
und flüſtert: Olaf Skaktavl, nun weiß ich gewiß — Nils Lykke 
iſt ein Verräter! 

Olaf leiſe. Wie? Ihr glaubt? 

Inger. Er ſinnt auf Betrug. 

Sie legt das Papier zurecht und taucht die Feder ein. 

Olaf. Und doch wollt Ihr ſchriftlich eine Verſicherung ab— 
geben, die Euern Untergang herbeiführen kann? 

Inger. Still! Laßt mich gewähren! — Nein, wartet und 
hört mal zuerſt! 

Sie ſpricht im Flüſterton mit ihm. 

Mils Lykke leiſe, indem er ſie beobachtet. Ja, beratſchlagt nur, jo 
viel Ihr wollt! Jetzt iſt alle Gefahr vorbei. Mit ihrer ſchrift⸗ 
lichen Zuſage in der Taſche kann ich ſie zu jeder Stunde an— 
klagen. Noch heut Nacht ſoll heimlich ein Bote zu Jens Bjelke —. 
Ich ſage keine Lüge, wenn ich ihm verſichere, daß der junge 
Graf Sture nicht auf Oeſtrot iſt. Und morgen, ſobald der 
Weg frei iſt — nach Drontheim mit dem Junker! Dann zu 
Schiff mit ihm als Gefangenen nach Kopenhagen! Sitzt er 
da erſt im Turm, dann können wir Frau Inger vorſchreiben, 
was uns gefällt. Und ich —? Ja, dann, denk' ich, wird 
der König die Sendung nach Frankreich in keines andern Hände 
legen als in die meinen. 

Inger flüſtert fortwährend mit Olaf. Nun, Ihr habt mich alſo 
verſtanden? 

Olaf. Vollkommen. So ſei es denn gewagt nach Eurem 
Willen! 


Er geht rechts durch die zweite Thür ab. 


— 119 — 


Nils Stenſſön kommt durch die erſte Thür rechts, ohne von Inger bemerkt zu 
werden, die ſchon zu ſchreiben begonnen hat. 

Nils Stenſſön mit gedämpfter Stimme. Herr Ritter! Herr Ritter! 

Nils Lykke zu ihm gewendet. Leichtſinniger Menſch! Was wollt 
Ihr hier? Hieß ich Euch nicht warten da drinnen, bis ich Euch 
rufen würde? 

Nils Stenſſön. Wie konnt' ich das? Nun, da Ihr mir 
anvertraut habt, daß Inger Gyldenlöve meine Mutter iſt, nun 
dürſt' ich mehr denn je danach, ſie von Angeſicht zu Angeſicht 
zu ſehen — — O, das iſt ſie! Wie ſtolz und edel! So hab' 
ich ſie mir ſtets vorgeſtellt. Seid unbeſorgt, lieber Herr — 
ich werde mich nicht verraten. Seit ich um das Geheimnis 
weiß, fühl' ich mich gewiſſermaßen älter und beſonnener. Ich 
will fürder nicht ſtürmiſch und leichtfertig ſein; ich will ſein 
wie andre edle Junker. — Sagt mir — weiß ſie, daß ich hier 
bin? Habt Ihr ſie vorbereitet? 

Nils Lnkke. Ja, freilich hab' ich das, aber — 

Ails Stenflön. Nun? 

Nils Lykke. — ſie will Euch nicht als ihren Sohn an— 
erkennen. 

Nils Stenſſön. Sie will mich nicht anerkennen? Aber fie 
iſt doch meine Mutter. O, wenn nichts andres im Wege 
iſt — er nimmt einen Ring, den er an einer Schnur um den Hals trägt — 
dann zeigt ihr dieſen Ring. Ich hab' ihn von klein auf ge— 
tragen. Darüber wird ſie ſchon Beſcheid wiſſen. 

Mils Lykke. Verbergt den Ring, Menſch! Verbergt ihn, 


ſag' ich! — Ihr verſteht mich nicht. Frau Inger zweifelt 
keineswegs, daß Ihr ihr Sohn ſeid; aber — — ja, ſeht Euch 
um — ſeht dieſen Reichtum; ſeht die mächtigen Ahnen und 


Geſippen, deren Bilder prangend die Wände bedecken von oben 
bis unten; ſeht endlich ſie ſelbſt, das ſtolze Weib, das gewohnt 
it, als erſte Edelfrau im Reiche zu gebieten —. Meint Ihr 


— 120 — 


es könne ihr lieb ſein, einen armen, dummen Burſchen den 
Leuten vor die Augen zu führen und zu ſagen: „Seht her, das 
iſt mein Sohn!“ 

Nils Stenſſön. Ja, Ihr habt gewißlich recht. Ich bin arm 
und unwiſſend; ich habe ihr nichts zu bieten im Vergleich zu 
dem, was ich begehre. O, niemals hab' ich mich von meiner 
Armut bedrückt gefühlt bis zu dieſer Stunde! Aber, ſagt mir! 
Was, glaubt Ihr, muß ich thun, um ihr Herz zu gewinnen? 
Sagt es mir, lieber Herr; Ihr müßt es doch wiſſen. 

Nils £ykke. Ihr ſollt Land und Krone erwerben. Aber 
eh' Euch dies geglückt iſt, hütet Euch wohl, ihre Ohren durch die 
leiſeſte Hindeutung auf Eure Abkunft oder Aehnliches zu ver— 
letzen! Frau Inger wird thun, als hielte ſie Euch für den 
wirklichen Grafen Sture, bis Ihr Euch einſt würdig macht, ihr 
Sohn zu heißen. 

Nils Stenſſön. O, fo jagt mir aber — 

Nils Lykke. Still! Still! 

Inger erhebt ſich und reicht Nils Lytte das Papier. Hier, Herr Ritter, 
habt Ihr meine Zuſage. 

Nils Lukke. Ich dank' Euch. 

Inger indem fie Nils Stenſſön bemerkt. Ah! Dieſer junge Mann 
iſt — 

Nils Luykke. Ja, Frau Inger, das iſt Graf Sture. 

Inger bei Seite, indem fie Nils Stenſſön verſtohlen betrachtet. Zug für 
Zug — ja, bei Gott! Das iſt Sten Stures Sohn. — Sie tritt 
näher und ſagt mit kalter Höflichkeit: Seid willkommen unter meinem 
Dach, Herr Graf! In Eurer Hand liegt es, ob wir in Jahres— 
friſt dieſe Begegnung ſegnen ſollen oder nicht. 

Nils Stenſſöän. In meiner Hand? O, gebietet mir, was 
ich thun ſoll! Glaubt mir, ich habe Mut und Willen — 

Mils Lnkke vorcht unruhig. Was iſt das für ein wilder Lärm, 
Frau Inger? Da will wer herein. Was hat das zu bedeuten? 


— 121 — 


Inger mit erhobener Stimme. Das find die Geiſter, die erwachen. 
Olaf Skaktavl, Ejnar Huf, Björn, Finn mit vielen Bauern und Knechten 
durch den Hintergrund rechts. 

Bauern und Knechte. Heil Euch, Frau Inger Gyldenlöve! 

Inger zu Dlaf Stattavl. Habt Ihr ihnen gejagt, was im 
Werke iſt? 

Olaf. Alles, was ſie zu wiſſen brauchen, hab' ich ihnen 
geſagt. 

Inger zu der Menge. Ja, meine treuen Knechte und Bauern, 
jetzt waffnet Euch, ſo gut Ihr nur könnt! Was ich vorhin Euch 
verſagte, das ſei Euch jetzt in vollem Maße gewährt. Und hier 
ſtell' ich Euch den jungen Grafen Sture vor, den künftigen 
Herrſcher Schwedens, — und Norwegens, wenn Gott es 
haben will. 

Die Menge. Heil ihm! Heil Graf Sture! 

Allgemeine Bewegung. Bauern und Knechte ſuchen ſich Waffen aus und rüſten ſich 
mit Bruſtpanzern und Stahlhelmen, alles unter großem Lärm. 

Nils Lukke leiſe und unruhig. „Die Geiſter erwachen“, ſagte 
ſie? Zum Schein nur hab' ich den Dämon des Aufruhrs herauf— 
beſchworen. Verdammt, wenn er mir über den Kopf wüchſe! 

Inger zu Nils Stenſſön. Von mir empfangt Ihr die erſte 
Hilfeleiſtung — dreißig berittene Bauern, die Euch folgen und 
für Euch ſtreiten ſollen. Glaubt mir, noch eh' Ihr die Grenze 
erreicht, werden ſich viele Hunderte unter mein und Euer Banner 
geſchart haben. Und ſo zieht denn mit Gott! 

Nils Stenſſön. Dank, Inger Gyldenlöve! Dank! Und ſeid 
verſichert, Ihr ſollt Euch niemals — des Grafen Sture zu 
ſchämen haben. Wenn Ihr mich wiederſeht, hab' ich Land und 
Krone errungen. 

Nils Lykke für ſich. Ja, wenn ſie Dich wiederſieht! 

Olaf zu den Bauern. Die Pferde warten, ihr guten Bauern. 
Seid Ihr bereit —? 


Die Bauern. Ja, ja, ja! 

Ails Lykke unruhig zu Inger. Wie denn? Es iſt doch nicht 
etwa Eure Abſicht, ſchon heut Nacht —? 

Inger. Noch in dieſer Stunde, Herr Ritter! 

Ails Lykke. Nein, nein, unmöglich! 

Inger. Es iſt, wie ich ſage! 

Nils Lyleke leiſe zu Nils Stenſſön. Gehorcht ihr nicht! 

Ails Stenſſön. Wie kann ich anders? Ich will; ich muß! 

Nils Lykke. Aber — es iſt Euer ſicheres Verderben — 

Nils Stenſſön. Gleichviel! Sie hat alle Macht über mich — 

Nils Lykke befehlend. Und ich —? 

Ails Stenſſön. Mein Wort halt' ich; verlaßt Euch drauf! 
Das Geheimnis ſoll nicht über meine Lippen kommen, bis Ihr 
ſelbſt mir die Zunge löſt. Aber ſie iſt meine Mutter! 

Ails Lykke bei Seite. Und Jens Bjelke, der an dem Wege 
lauert. Verdammt, er ſchnappt mir die Beute unter den Händen 
weg — Zu Inger. Wartet bis morgen! 

Inger zu Nils Stenſſn. Graf Sture! Gehorcht Ihr mir — 
oder nicht? 

Nils Stenflön. Zu Pferde! 

Er geht in den Hintergrund. 

Nils Lykke bei Seite. Der Unglückſelige! Er weiß nicht, was 
er thut. Zu Inger. Nun, wenn es denn ſein ſoll — lebt wohl! 
Er verbeugt ſich raſch und will gehen. 

Inger hätt ihn zurück. Nein, halt! Nicht jo, Herr Ritter, 
nicht ſo! 

Ails Lykke. Was meint Ihr? 

Inger mit gedämpfter Stimme. Nils Lykke — Ihr ſeid ein 
Verräter! Still! Laßt niemand merken, daß Unruhe im Lager 
der Häuptlinge herrſcht. — Mit einer teufliſchen Liſt, die zu 
durchſchauen ich nicht im ſtande bin, habt Ihr das Vertrauen 
des Kanzlers Peter gewonnen, habt Ihr mich zu offener 


es, 


Empörung gezwungen — nicht um unſre Sache zu jtüßen, 
nein, um Eure eignen Pläne zu fördern, was für welche das 
nun auch ſein mögen. Ich kann nicht mehr zurück. Aber 
glaubt deshalb nicht, daß Ihr geſiegt habt! Ich werd' Euch 
unſchädlich zu machen wiſſen — 

Nils Lykke legt unwillkürlich die Hand ans Schwert. Frau Inger! 

Inger. Seid ruhig, Herr Reichsrat! Es geht Euch nicht 
ans Leben. Aber — Ihr kommt nicht aus Oeſtrots Thoren, 
ehe der Sieg unſer iſt. 

Nils Lykke. Tod und Verderben! 

Inger. Jeder Widerſtand iſt unnütz. Ihr entkommt mir 
nicht. Verhaltet Euch darum ruhig; das iſt das Klügſte, was 
Ihr thun könnt. 

Nils Lykke für ſich. Ah, ich bin überliſtet! Sie iſt ſchlauer 
geweſen als ich. Ein Gedanke ſchießt ihm durch den Kopf. Aber ob ich 
wohl —? 

Inger Leife zu Olaf Stattavl. Folgt Graf Stures Trupp bis zur 
Grenze. Dann begebt Euch unverweilt zum Kanzler Peter und 
bringt mir mein Kind. Jetzt hat er keinen Grund mehr, mir 
vorzuenthalten, was mein it. Da Olaf Skaktavl gehen will, fügt ſie 
hinzu: Halt! Ein Erkennungszeichen —. Wer den Ring Sten 
Stures trägt, der iſt der Rechte! 

Olaf. Bei allen Heiligen! Ihr ſollt ihn haben! 

Inger. Dank, Dank, mein treuer Freund! 

Nils £ykke zu Finn, den er unbemerkt zu ſich herangerufen, und mit dem 
er im Flüſterton geſprochen hat. Alſo — verſuche Dich hinauszu— 
ſchleichen! Laß Dich von keinem erwiſchen! Eine Viertelmeile 
von hier liegen die Schweden in einem Hinterhalt. Melde 
ihrem Anführer, daß Graf Sture tot iſt. Jener junge Menſch 
darf nicht angetaſtet werden. Schärfe dies dem Befehlshaber 
ein. Sag' ihm, daß das Leben des Junkers mir Tauſende 
wert iſt. 


— 124 — 


Tinn. Es ſoll geſchehen. 

Inger, die Nils Lytte unterdeſſen beobachtet hat. Fahrt denn alle mit 
Gott! Auf Nils Lytte deutend. Dieſer edle Ritter kann ſich nicht ent⸗ 
ſchließen, ſeine Freunde auf Oeſtrot ſo raſch wieder zu verlaſſen. 
Er will hier bei mir warten, bis die Siegesbotſchaft eintrifft 

Nils £ykke bei Seite. Teufel! 

Nils Stenſſön ergreift ſeine Hand. Glaubt mir, Ihr ſollt nicht 
lange zu warten haben. 

Nils Lykke. Es iſt gut; es iſt gut. Bei Seite. Noch iſt 
nichts verloren, wenn meine Botſchaft nur Jens Bjelke zeitig 
erreicht — 

Inger zu Ejnar Huk, indem ſie auf Finn deutet. Und der da wird 
unter ſicherer Bewachung ins Burgverließ geſteckt. 

Zinn. Ich? 

Einar und die Knechte. Finn?! 

Ails £ykke leiſe. Nun brach mein letzter Anker. 

Inger gebieteriſch. Ins Burgverließ! 

Ejnar Huf, Björn und zwei Knechte führen Finn links ab. 

Alle andern, Nils Lykte ausgenommen, ſtürmen rechts hinaus. Auf, zu 
Pferd, zu Pferd! Heil Inger Gyldenlöve! 

Inger tritt, indem ſie den Hinauseilenden folgt, dicht an Nils Lykke heran. 
Wer iſt der Sieger? 


Nils Lykke auein. Wer? — Ja, wehe Dir! Der Sieg iſt 
teuer erkauft. Ich waſche meine Hände. Nicht ich bin's, der 
ihn mordet. — Aber bei alledem entſchlüpft mir meine Beute. 
Und der Aufruhr wächſt und breitet ſich aus. — O, es war 


ein verwegenes, ein wahnwitziges Spiel, auf das ich mich hier 
eingelaſſen habe! er lauſcht am Fenſter. Da reiten ſie raſſelnd zum 
Thor hinaus. Nun wird es hinter ihnen zugemacht — und 
ich ſtehe hier als Gefangener. — — Keine Möglichkeit zu ent— 
kommen. In der nächſten halben Stunde fallen die Schweden 
über ihn her. Er hat dreißig gutbewaffnete Reiter mit ſich. 


end 


Es wird auf Tod und Leben gehen. — Wenn er dennoch lebend 
in ihre Hände fiele? — Wär' ich nur frei, ich wollte die 


Schweden einholen, noch eh' ſie die Grenze erreichen, und ſie 
müßten ihn mir ausliefern. er geht ans Fenſter im Hintergrund und 
ſieht hinaus. Verdammt! Wachen überall. — Sollt' es gar keinen 
Ausweg geben? — Er geht raſch auf und ab; plötzlich bleibt er ſtehen und 
lauſcht. Was iſt das? Geſang und Saitenſpiel. Es ſcheint aus 
Jungfer Elines Kammer zu kommen. Alſo noch auf — — 
Ein Gedanke durchzuckt ihn. Eline! — Ach, wenn das ginge! Wenn 
das ſich machen ließe! Und warum ſollte es ſich nicht machen 
laſſen? Bin ich nicht mehr ich ſelbſt? — Wie heißt's doch 
im Liede? 

„Da ſeufzt jede Jungfrau in Herzensglut: 

O wäre Nils Lykke mir hold und gut!“ 
Und ſie —? — Eline Gyldenlöve ſoll mich retten! 


Er geht raſch, doch behutſam, durch die erſte Thür links ab. 


Sünfter Aufzug. 


Der Ritterſaal. Es iſt noch immer Nacht. Der Raum iſt nur ſchwach durch einen 
Armleuchter erhellt, der auf einem Tiſche rechts im Vordergrund ſteht. 


Inger ſitzt, in Gedanken vertieft, am Tiſch. 


Inger nach einer Pauſe. Die Klügſte im Lande nennen ſie mich, 
und ich glaube, ich bin es auch. — Die Klügſte —. Aber 
niemand weiß, warum ich die Klügſte bin. Mehr als zehn 
Jahre hab' ich gekämpft um meines Kindes Heil. Das iſt 
der Schlüſſel zum Rätſel, — das giebt dem Schädel Verſtand! 
— — Verſtand? — Wo iſt heut meine Klugheit hin? Wo 
nur hab' ich meine Umſicht? Es klingt und rauſcht mir vor 
den Ohren. Ich ſehe Geſtalten vor mir, ſo leibhaftig, daß ich 
ſie greifen könnte. Sie ſpringt auf. — Mein Herr Jeſus, was iſt 
das? Bin ich nicht mehr meiner Sinne Herr? Sollte es dahin 
kommen, daß ich —? Sie preßt die Hände um das Haupt zuſammen; 


7 


dann ſetzt fie ſich wieder und ſagt ruhiger: O, es iſt nichts. Es geht 
vorüber. Es hat keine Not, — es geht vorüber. — — Wie 
friedlich es hier im Saal iſt! Ahnen und Geſippen ſehen mich nicht 
drohend an; ich brauche ihre Bilder nicht mehr umzudrehen. Ste 
erhebt ſich wieder. Ja, es war gut, daß ich mich endlich ermannt 
habe. Wir werden ſiegen. Und dann ſteh' ich am Ziel. Ich 
werde mein Kind wieder bekommen. Sie nimmt das Licht, um zu 
gehen, hält aber inne und ſagt vor ſich hin: Am Ziel et Ziel? Ihn 


= joe 


wieder zu befommen! Nur das und ſonſt nichts? Sie ſtellt 
den Leuchter auf den Tiſch zurück. Jenes flüchtige Wort, das Nils Lykke 


jo von ungefähr hinwarf — —. Wie konnt' er meinen unge— 
borenen Gedanken erraten? Leiſer. Königsmutter — Königs— 
mutter, ſagte er. — Und warum nicht? Haben nicht meine 


Vorfahren als Könige gewaltet, wenn ſie auch nicht den Königs— 
namen trugen? Hat nicht mein Sohn dieſelben Anſprüche auf 
die Vorrechte der Sture wie jener andre? In Gottes Augen 
hat er ſie — wenn noch Gerechtigkeit im Himmel iſt. — Und 
dieſe Rechte hab' ich in der Stunde der Not ihm verwirkt! Mit 
verſchwenderiſcher Hand hab' ich ſie weggeſchenkt als Löſegeld 
für meines Kindes Freiheit — —. Ob man ſie nicht jetzt 
zurückgewinnen könnte? Würde der Himmel darob zürnen, 
wenn ich —? Werd' ich neue Bedrängnis über mich herauf— 
beſchwören, falls ich —? Wer weiß, wer weiß! Es iſt wohl 
das Sicherſte, zu verzichten. Sie ergreift den Leuchter wieder. Ich 
werde ja mein Kind wieder haben. Das muß mir genug ſein. 
Jetzt will ich die Ruhe ſuchen und all die verwegenen Ge— 
danken — verſchlafen. Sie geht nach dem Hintergrund, bleibt aber noch 
einmal ſtehen und ſagt grübelnd: Königsmutter? 


Langſam ab durch die Thüre links im Hintergrund. 


Nach einer kurzen Pauſe kommen Nils Lykke und Eline lautlos durch die erſte 
Thür links. Nils Lykke hat eine kleine Laterne in der Hand. 

Nils £ykke blickt ſpähend umher und flüſtert. Alles iſt ſtill. Ich 
muß fort. 

Eline. O, laß mich noch ein einzig Mal in Deine Augen 
blicken, ehe Du mich verläßt. 

Nils Lykke umarmt ſie. Eline! 

Eline nach turzer Pauſe. Kommſt Du nie mehr nach Oeſtrot? 

Nils Lykke. Wie kannſt Du daran zweifeln? Biſt Du 
nicht jetzt meine Verlobte? — Doch wirſt auch Du mir treu 


— 128 — 


bleiben, Eline? Wirſt Du mich nicht vergeſſen, bis wir uns 
wiederſehn? 

Eline. Ob ich Dir treu ſein will? Hab' ich denn noch 
einen Willen? Könnt' ich Dir untreu werden, ſelbſt wenn ich 


wollte? — Du kamſt zur Nachtzeit. Du pochteſt an meine 
Thür — und ich ließ Dich ein. Du ſprachſt zu mir. Was 


haſt Du geſprochen? Du blickteſt mir feſt ins Auge — ach, 
welch geheimnisvolle Macht iſt es, die mich bethörte und einfing 
wie in einem Zaubernetz? Sie birgt raſch ihr Geſicht an ſeine Schulter. 
Sieh mich nicht an, Nils Lykke! Du darfſt mich nicht anſehen 
nach — — Treu, ſagſt Du? Du haſt mich ja. Ich bin ja 
Dein — muß es ſein, in alle Ewigkeit! 

Nils Lykke. Nun, bei meiner Ritterehre, dann ſollſt Du 
auch, eh' dies Jahr zu Ende geht, als Hausfrau ſchalten auf der 
Burg meiner Väter! 

Eline. Keine Gelübde, Nils Lykke! Schwöre mir nichts! 

Ails Lykke. Was iſt Dir? Weshalb ſchüttelſt Du jo weh— 
mütig das Haupt? 

Eline. Weil ich weiß, daß Du die ſüßen Worte, die meinen 
Sinn bethörten, vor mir ſchon gar vielen zugeflüſtert haſt. 
Nein, nein, ſei nicht böſe, Liebſter! Ich mache Dir nicht Vor— 
würfe, wie ich damals gethan habe, als ich Dich noch nicht kannte. 
Nun weiß ich ja, wie hoch Du über allen andern ſtehſt. Wie 
kann Dir Liebe anderes ſein als ein Spiel, und das Weib 
anderes als ein Spielzeug? 

Nils Lykke. Eline — hör' mich! 

Eline. Unter dem Klange Deines Namens bin ich auf— 
gewachſen. Ich haßte dieſen Namen, weil mich dünkte, alle Frauen 
würden gekränkt durch Dein Betragen. Und doch — wie wunder— 
lich! — wenn ich im Traume mein eignes künftiges Leben mir 
aufbaute, da warſt immer Du mein Held, ohne daß ich ſelbſt es 
wußte. Jetzt verſteh' ich, was ich damals nicht verſtanden habe, 


— 129 — 


— jenes ahnungsſüße, geheimnisvolle Sehnen nach Dir, Du 
Einziger, nach Dir, der einſt kommen ſollte, um mir des Lebens 
ganze Herrlichkeit zu deuten! 

Nils £ykke bet Seite, indem er die Laterne auf den Tiſch hinſtellt. Wie 
iſt mir denn? Dieſer berückende, unwiderſtehliche Zauber —. 
Iſt das die Liebe, dann hab' ich ſie nicht gekannt vor dieſer 
Stunde. Vielleicht iſt es noch nicht zu ſpät für mich — Ach! 


Mit Lucia — das Entſetzliche! er ſintt auf einen Stuhl. 
Eline. Was iſt? Dieſer ſchwere Seufzer — 
Nils Lykke. O, nichts, nichts! — — Eline, ich will Dir 


ehrlich beichten. Ich habe oft mit Worten und Blicken betrogen 
und gar vielen ſchon geſagt, was ich in dieſer Nacht Dir zu— 
geflüſtert habe. Doch glaube mir — 

Eline. Still! Nichts mehr davon! Meine Liebe iſt ja 
kein Entgelt für das, was Du mir ſchenkſt. O nein, ich liebe 
Dich, weil jeder Deiner Blicke ein Königsgebot iſt, das mir fo 
gebietet. Sie legt ſich zu ſeinen Füßen. — O laß mich dieſes Königs⸗ 
gebot noch einmal tief in meine Seele prägen, weiß ich gleich, 
daß es für Zeit und Ewigkeit hier eingegraben ſteht! — Du 
guter Gott! Wie bin ich blind geweſen gegen mich ſelbſt! 
Noch heut Abend ſagte ich zu meiner Mutter: „Soll ich leben, 
dann muß ich meinen Stolz mir bewahren.“ Was iſt denn 
mein Stolz? Meine Landsleute frei, mein Haus geehrt 
zu wiſſen über die Lande und Reiche hin? Nein, nein! Meine 
Liebe iſt mein Stolz! Das Hündlein iſt ſtolz, wenn es zu 
ſeines Herrn Füßen kauern und Broſamen von ſeiner Hand 
haſchen darf. So bin auch ich ſtolz, ſolang' ich zu Deinen 
Füßen ſitzen darf, indeſſen Deine Worte und Deine Blicke mich 
mit dem Brot des Lebens nähren. Sieh, deshalb ſag' ich zu 
Dir, wie ich vorhin ſagte zu meiner Mutter: ſoll ich leben, ſo 
muß ich mir meine Liebe bewahren; denn darin liegt mein 
Stolz, jetzt und für alle Zeit. 


Ibſen, Frau Inger auf Oeſtrot. 9 


Ails Lukke zieht fie auf ſeinen Schoß. Nein, nein, — nicht zu 
meinen Füßen, an meiner Seite iſt Dein Platz, und da ſoll er 
bleiben, wie hoch das Schickſal mich auch ſtellen mag. Ja, 
Eline — Du haſt mich auf einen beſſern Weg gebracht; und 
iſt es mir einſt gegönnt, durch eine große That zu ſühnen, was 
ich in meiner wilden Jugend verbrochen habe, ſo gebühren 
Ruhm und Ehre Dir! 

Eline. O, Du ſprichſt, als wär' ich noch jene Eline, die 
geſtern Abend den Blumenſtrauß Dir vor die Füße warf. — 
In meinen Büchern las ich von dem bunten Leben in fernen 
Landen. Unter Hörnerklang zieht der Ritter, den Falken auf 
der Hand, hinaus in den grünen Wald. So ziehſt auch Du 
durchs Leben — Dein Name klingt Dir voran, wohin Du 
ziehſt. — Alles, was ich von dieſer Herrlichkeit begehre, iſt, 
der Falke an Deinem Arm zu ſein. Wie er war auch ich 
blind für Licht und Leben, bis Du die Binde von meinen Augen 
nahmſt und mich emporfliegen ließeſt, hoch über die grünen 
Wipfel hin. — Doch glaube mir, — wie keck ich auch meine 
Schwingen dehne, ich kehre doch ſtets wieder zurück zu meinem Käfig. 

Nils Lykke erbebt ſich. So biet' auch ich der Vergangenheit 
Trotz! Sieh her; — nimm dieſen Ring und ſei mein vor 
Gott und den Menſchen, ob auch die Toten unruhige Träume 
darüber haben ſollten. 

Eline. Du machſt mir angſt. Was iſt — ? 

Nils Lykke. Es iſt nichts. Komm, laß mich den Ring an 
Deinen Finger ſtecken — So! Nun hab' ich Dich mir anverlobt. 

Eline. Ich Nils Lykkes Braut! Mir ſcheint's ein Traum, 
was in dieſer Nacht geſchah. Doch welch ein ſchöner Traum! 
Mir iſt ſo leicht ums Herz; nicht Bitterkeit noch Haß ſind mehr 
in meinem Sinn. Ich will mein Unrecht wieder gut machen. 
Ich war lieblos gegen meine Mutter. Morgen geh' ich zu ihr — 
ſie muß mir verzeihn, was ich gefehlt habe. 


— 


Nils Pykke. Und unſerm Bunde ihre Zuſtimmung geben. 

Eline. Das wird ſie. O, ich glaub' es gewiß. Meine 
Mutter iſt gut. Alle Menſchen ſind gut. Ich hege gegen keinen 
mehr Groll — nur gegen einen. 

Nils Lykke. Nur gegen einen? 

Eline. Ach, das iſt eine traurige Geſchichte. Ich hatte eine 
Schweſter — 

Nils Lykke. Lucia? 

Eline. Kannteſt Du Lucia? 

Nils Lykke. Nein, nein, nur ihren Namen hab' ich gehört. 

Eline. Auch ſie gab ihr Herz einem Ritter. Er betrog 
ſie — nun iſt ſie im Himmel. 

Nils £ykke. Und Du —? 

Eline. Ich haſſe ihn. 

Nils Lykke. Haſſ' ihn nicht! Kennſt Du Barmherzigkeit, 
ſo vergieb ihm, was er geſündigt hat. Glaube mir, er trägt 
die Strafe in ſeiner eigenen Bruſt. 

Eline. Ihm vergeb' ich nie! Ich kann nicht, wenn ich 
auch wollte. Zu heilig iſt der Eid, den ich geſchworen. Sie lauſcht. 
Still! Hörſt Du? 

Nils Lykke. Was? Wo? 

Eline. Draußen, weit weg. Viele Männer reiten auf der 
Landſtraße. 

Nils Lykke. Ha, das find fiel Und ich, ich vergaß —! 
Sie kommen herüber. Dann iſt Gefahr im Verzuge. Ich 
muß fort! 

Eline. Doch wohin? O Nils Lykke, was verhehlſt Du — ? 


Nils Lykke. Morgen, Eline —. Denn bei Gott! — dann 
komm' ich wieder. Schnell, nur ſchnell — wo iſt der geheime 
Weg, von dem Du gejprochen haſt? 

Eline. Durchs Grabgewölbe. — Sieh, hier iſt die Fall— 
thür — 


se 


Nils Lykke. Das Grabgewölbe! Für ſich. Gleichviel! Gerettet 
muß er werden. 

Eline am Fenſter. Die Reiter ſind gleich vor dem Thor — 

Sie reicht ihm die Laterne. 

Mils Lykke. Nun wohlan! Er beginnt hinabzuſteigen. 

Eline. Geh' die Gruft entlang bis zu dem Sarge mit dem 
Totenkopf und dem ſchwarzen Kreuz. Das iſt Lucias — 

Nils Lykke ſteigt raſch wieder herauf und ſchlägt die Fallthür zu. Lucias? 
Pfui! 

Eline. Was ſagſt Du? 

Nils Lykke. O nichts. Der Leichengeruch hat mich ſchwindlig 
gemacht. 

Eline. Horch! Jetzt klopfen ſie ans Thor. 

Nils Lykke läßt die Laterne fallen. Ach, es iſt zu ſpät. 

Björn kommt eilig mit einem Licht in der Hand von rechts. 

Eline ihm entgegen. Was giebt's, Björn? Was giebt's? 

Björn. Ein Ueberfall! Graf Sture — 

Eline. Graf Sture? Was iſt mit ihm? 

Nils Lykke. Haben ſie ihn erſchlagen? 

Björn zu Eline. Wo iſt Eure Mutter? 

Zwei Rnechte von rechts hereinſtürzend. Frau Inger! Frau 
Inger! 

Inger kommt mit einem Armleuchter in der Hand aus der zweiten Thür 
lints und ſagt ſchnell; Ich weiß alles. Hinunter in den Burghof 
mit Euch! Haltet das Thor offen für unſre Freunde, doch ver— 
ſchloſſen für jeden andern! 

Sie ſtellt den Leuchter auf den Tiſch links. Björn und die zwei Knechte ab nach rechts. 

Inger zu Nils Spt. Das alſo war die Schlinge, Herr 
Reichsrat? 

Nils Lykke. Inger Gyldenlöve, glaubt mir — 

Inger. Ein Hinterhalt, — um ihn abzufangen, ſobald Ihr 
jene Zuſage hattet, die mich vernichten kann. 


— 133 — 


Nils Lykke, indem er das Papier hervorzieht und in Stücke reißt. Da 
iſt Eure Zuſage. Ich behalte nichts, das gegen Euch zeugen könnte. 

Inger. Was thut Ihr? 

Nils Lykke. Ich beſchirme Euch von dieſer Stunde an. 
Hab' ich mich an Euch verſündigt — nun, beim Himmel! ſo 
will ich verſuchen, mein Vergehen wieder gut zu machen. Doch 
hinaus muß ich, und wenn ich mich durchs Thor hindurch hauen 


müßte! — Eline, ſag' Deiner Mutter alles! Und Ihr, Frau 
Inger, laßt unſre Abrechnung vergeſſen fein. Seid hochherzig 
und — verſchwiegen! Glaubt mir, Ihr werdet mir Dank wiſſen, 


noch ehe der Tag graut. 
Er geht eilig durch die zweite Thür rechts ab. 

Inger ſieht ihm triumphierend nach. Recht jo! Ich verſtehe ihn! 
Sie wendet ſich zu Eline. Nils Lykke „ —2 

Eline. Er hat an meine Thür gepocht und dieſen Ring 
an meinen Finger geſteckt. 

Inger. Und hat Dich lieb von Herzen? 

Eline. Das hat er geſagt, und ich glaube ihm. 

Inger. Klug gehandelt, Eline! Haha! Mein Herr Ritter, 
nun fang' ich an! 

Eline. Mutter — Ihr ſeid ſo ſonderbar! O ja, ich verſtehe 
wohl — meine liebloſen Worte haben Euch gekränkt. 

Inger. Gewiß nicht, liebe Eline! Du biſt eine gehorſame 
Tochter. Du haſt ihn hineingelockt; Du haſt auf ſeine ſchönen 
Worte gehört. Ich verſtehe vollauf, was es Dich gekoſtet hat — 
denn ich kenne ja Deinen Haß. 

Eline. Aber, Mutter — 

Inger. Still! Wir ſind uns in unſern Plänen begegnet. 
Wie fingſt Du es an, mein kluges Kind? Ich ſah ihn ſtrahlen 
vor Liebe. Halt' ihn nun feſt! Zieh' das Garn enger und 
enger um ihn, und dann — — Ha, Eline, wenn wir ihm ſein 
teufliſches Herz in der Bruſt zerfleiſchen könnten! 


— 134 — 


Eline. Weh mir! Was ſagt Ihr! 

Inger. Laß den Mut nicht ſinken. Hör' mich. Ich weiß 
das Wort, das Dich aufrecht erhalten wird. — So wiſſe denn — 
Lauſchend. Nun kämpfen ſie draußen vor dem Thor. Beſonnenheit! 
Bald gilt es — Sie wendet ſich wieder zu Eline. Wiſſe denn, Nils 
Lykke war's, der Deine Schweſter unter die Erde gebracht hat. 

Eline aufſchreiend. Lucia! 

Inger. Er war's, ſo gewiß ein Rächer über uns iſt! 

Eline. Dann ſteh' mir der Himmel bei! 

Inger entſetzt. Eline — ? 

Eline. Ich bin die Seine vor Gott. 

Inger. Unglückliches Kind, — was haſt Du gethan! 

Eline mit dumpfer Stimme. Verwirkt den Frieden meines Herzens. 
— Gute Nacht, Mutter! 

Sie geht links ab. 

Inger. Hahaha! Es geht bergab mit Inger Gyldenlöves 
Geſchlecht. Sie war die letzte von meinen Töchtern. — Warum 
konnt' ich nicht ſchweigen? Hätte ſie nichts gewußt, ſie wäre 
vielleicht glücklich geworden — in einer Weiſe. — Es mußte 
ſo ſein. In den Sternen dort oben ſteht es geſchrieben, daß 
ich einen grünen Zweig nach dem andern brechen ſoll, bis der 
Stamm entlaubt daſteht — — Dahin denn! Dahin! Jetzt 
kehrt mir der Sohn zurück. An die andern, an meine Töchter 
will ich nicht denken. — Rechenſchaft? Rechenſchaft ablegen? — 
Ah, das kommt erſt am großen Tage des Gerichts —. Es 
währt noch lange, bis der da iſt. 

Nils Stenſſön ruft draußen rechts; Hei, — ſchlagt das Thor zu 

Inger. Graf Stures Stimme —! 

Nils Stenſſön waffenlos, mit zerriſſenen Kleidern, kommt aus der zweiten 


su 


Thür rechts hereingeſtürzt und ruft mit verzweifeltem Lachen: Ein frohes 
Wiederſehen, das, Inger Gyldenlöve! 
Inger. Was habt Ihr verloren? 


— 15 — 


Mils Stenſſöän. Mein Land und mein Leben! 

Inger. Und die Bauern? Meine Knechte — wo habt 
Ihr ſie? 

Nils Stenſſön. Die Aeſer werdet Ihr auf der Landſtraße 
finden. Wer das übrige genommen hat, das kann ich Euch 
nicht ſagen. 

Olaf Skaktavl draußen rechts. Graf Sture! Wo ſeid Ihr? 

Nils Stenſſön. Hier, hier! 

Olaf Skaktavl kommt, die rechte Hand verbunden. 

Inger. Weh! Olaf Skaktavl, auch Ihr — ? 

Olaf. Es war unmöglich, durchzukommen. 

Inger. Ihr ſeid verwundet, wie ich ſehe? 

Olaf. Ich hab' einen Finger weniger; das iſt das ganze. 

Nils Stenſſön. Wo ſind die Schweden? 

Olaf. Uns auf den Ferſen. Sie ſtürmen das Thor — 

Nils Stenſſin. O Jeſus! — Aber nein, nein! Ich kann 
nicht, — ich will nicht ſterben! 

Olaf. Ein Verſteck, Frau Inger! Iſt kein Winkel hier, 
wo wir ihn verbergen können? 

Inger. Und wenn fie den Hof durchſuchen — 2 

Mils Stenſſön. Ja, ja, dann werden fie mich finden und 
fortſchleppen in den Kerker oder zum Galgen —! Nein, Inger 
Gyldenlöve, — ich weiß gewiß, — das würdet Ihr nicht 
überſtehen. 

Olaf aauſchend. Nun iſt das Schloß geborſten. 

Inger am Fenſter. Viele Menſchen ſtürmen in den Thor— 
weg! 

Ails Stenſſön. Und jetzt mein Leben zu laſſen, — jetzt, 
da es erſt beginnen ſollte, jetzt, da ich kaum erfahren habe, daß 
ich für etwas zu leben habe! Nein, nein, nein! Haltet mich 
nicht für feig, Inger Gyldenlöve! Wenn mir nur noch ſo 
viele Lebenstage vergönnt wären, daß ich — 


— 136 — 


Inger. Ich höre fie ſchon unter in der Burgſtube. Beſnmmt 
zu Olaf Skattavl. Er muß gerettet werden — was es auch koſte! 

Nils Stenſſon ergreift ihre Hand. O, das wußt' ich wohl! Ihr 
ſeid edel und gut. 

Olaf. Aber wie? Wenn wir ihn nicht verbergen können — 

Nils Stenſſön. Ah, ich hab's! Ich hab's! Das Ge— 
heimnis — 

Inger. Das Geheimnis? 

Nils Stenſſön. Ja gewiß; Eures und das meinige. 

Inger. Gott im Himmel! — Ihr kennt es? 

Nils Stenſſön. Von Anfang bis zu Ende. Und nun das 
Leben auf dem Spiele ſteht —. Wo iſt Herr Nils Lykke? 

Inger. Geflohen. 

Nils Stenflön. Geflohen? Dann ſteh' Gott mir bei! Denn 
nur der Ritter kann meine Zunge löſen —. Aber das Leben 
iſt mehr als ein Gelübde wert. Wenn der ſchwediſche An— 
führer kommt — 

Inger. Was dann? Was wollt Ihr thun? 

Nils Stenſſön. Leben und Freiheit erkaufen — ihm alles 
offenbaren. 

Inger. Nein, nein! — Seid barmherzig! 

Nils Stenſſön. Es giebt ja keine andre Rettung. Wenn 
ich ihm erzählt habe, was ich jetzt weiß — 

Inger olict ihn an, mit unterdrückter Bewegung. So ſeid Ihr gerettet? 

Nils Stenſſön. Ja, ja! Nils Lykke wird mein Fürſprecher 
ſein. Ihr ſeht, es iſt das äußerſte Mittel. 


Inger gefaßt und mit Nachdruck. Das äußerſte Mittel? — Ihr 
habt recht. — Das äußerſte Mittel darf jeder verſuchen. Sie 
deutet nach lints. Seht, dadrin könnt Ihr Euch einſtweilen ver— 
bergen. 


Nils Stenſſön mit gedämpfter Stimme. Glaubt mir — Ihr ſollt 
dieſe That nie zu bereuen haben! 


a 


Inger halb für ſich. Gebe Gott, Ihr jagtet die Wahrheit! 
Nils Stenſſön geht raſch ab durch die zweite Thür links; Olaf Skaktavl will ihm 
folgen, wird aber von Inger zurückgehalten. 

Inger. Habt Ihr verſtanden, was er meinte. 

Olaf. Der Bube! Er verrät Euer Geheimnis. Er will 
Euern Sohn opfern, um ſich ſelbſt zu retten. 

Inger. Wenn es das Leben gilt, ſagte er, darf man das 
äußerſte Mittel wagen. Wohlan denn, Olaf Skaktavl — es 
geſchehe, wie er ſagte! 

Olaf. Was meint Ihr? 

Inger. Leben gegen Leben! Einer von ihnen muß unter— 
gehen. 

Olaf. Ah, Ihr wollt —? 

Inger. Wenn er dadrin nicht ſtumm gemacht wird, eh' 
er den ſchwediſchen Hauptmann ſprechen kann, ſo iſt mein Sohn 
für mich verloren. Wird er dagegen bei Seite geſchafft, ſo 
will ich mit der Zeit alle ſeine Anſprüche für mein eignes Kind 
geltend machen. Da ſollt Ihr ſehen, daß noch Mark in Otto 
Römers Tochter iſt! Verlaßt Euch drauf, — lange ſollt Ihr 
nicht mehr auf die Rache zu warten haben, nach der Ihr 
zwanzig Jahre gedürſtet habt. — Hört Ihr? Sie kommen die 
Treppe herauf! Olaf Skaktavl, — von Euch hängt es ab, ob 
ich morgen eine kinderloſe Mutter ſein ſoll oder — 

Olaf. Es geſchehe! Mir iſt noch eine rüſtige Fauſt geblieben. 
Er reicht ihr die Hand. Inger Gyldenlöve — ich will nicht ſchuld 
dran ſein, daß Euer Name ausſtirbt! 

Er geht in das Zimmer zu Nils Stenſſön. 

Inger bleich und bebend. Darf ich es auch wagen —? Man 
vernimmt Lärm in dem Zimmer; ſie eilt mit einem Schrei auf die Thür zu. Nein, 
nein — es ſoll nicht geſchehen! Man hört drinnen einen dumpfen Fall; 


ſie hält ſich die Ohren mit beiden Händen zu und eilt mit Blicken der Verzweiflung 
wieder zurück. Nach einer Pauſe nimmt ſie vorſichtig die Hände weg, lauſcht wieder 


— 138 — 


und ſpricht leiſe: Nun iſt's vorbei. Alles iſt ſtill da drinnen. Du 
haſt es geſehen, o Gott, — ich bedachte mich! Aber Olaf 
Skaktavl war zu raſch bei der Hand. 
Olaf Skaktavl kehrt ſtumm in den Saal zurück. 

Inger nach einer kleinen Pauſe, ohne ihn anzublicken. Iſt es gethan? 

Olaf. Seinetwegen könnte Ihr ruhig ſein; — er verrät 
keinen mehr. 

Inger wie oben. Er iſt alſo ſtumm? 

Olaf. Den Stahl ſechs Zoll tief in der Bruſt. Ich fällte 
ihn mit meiner linken Hand. 

Inger. Ja, ja — die Rechte war auch zu gut für ſo etwas. 

Olaf. Das müßt Ihr wiſſen; — Euer war der Gedanke. 
— Und nun nach Schweden! Friede mit Euch ſolange! Wenn 
wir uns das nächſte Mal ſehen auf Oeſtrot, komm' ich zu zweit! 

Ab durch die zweite Tür rechts. 

Inger. Blut an meinen Händen. Dahin mußt' es alſo 
kommen! — Er kommt mir nachgerade teuer zu ſtehen. 
Björn kommt mit einigen ſchwediſchen Kriegsknechten durch die erſte Thür rechts. 

Einer der Kriegsknechte. Verzeiht, wenn Ihr die Herrin 
des Hauſes ſeid — 

Inger. Sucht Ihr den Grafen Sture? 

Der Briegsknedt. So iſt es. 

Inger. Dann ſeid Ihr nicht auf der falſchen Fährte. Der 
Graf hat Zuflucht bei mir geſucht. 

Der Briegsknedt. Zuflucht? Erlaubt, hochedle Frau, — 
aber die vermögt Ihr ihm nicht zu gewähren, denn — 

Inger. Was Ihr da ſagt, das hat auch der Graf ein— 
geſehen, und darum hat er — ja, ſeht nur ſelber nach! — 
darum hat er Hand an ſich gelegt. 

Der Rriegsknecht. Hand an ſich gelegt? 

Inger. Seht ſelber nach, wie ich ſagte. Da drinnen werdet 
Ihr die Leiche finden. — Und da er nun vor einem andern 


Richter Steht, jo iſt meine Bitte, er möge mit allen Ehren von 
hier überführt werden, die ſeiner edeln Abkunft gebühren. — 
Björn, Du weißt, in meiner Kammer ſteht mein eigner Sarg 
ihon ſeit manchem Jahr bereit. Zu den Kriegstnechten. Ich bitt' 
Euch, darin Graf Stures Leichnam nach Schweden zu bringen. 

Der Kriegsknecht. Es ſoll geſchehen, wie Ihr befehlt. Zu 
einem andern. Lauf Du mit dieſer Botſchaft zu Jens Zjelke. 
Er hält mit den übrigen Reitern auf der Landſtraße draußen. 
Wir andern wollen dort hinein und — 

Ein Kriegsknecht rechts ab; die übrigen mit Björn in das Zimmer links. 

Inger geht eine Weile ſtumm und unruhig im Zimmer auf und ab. Hätte 
Graf Sture nicht ſo eilig der Welt Valet geſagt, ſo würde er 
binnen eines Monats am Galgen hängen oder für ſeine Lebens— 
zeit im Kerker ſitzen. Wäre ihm mit ſolchem Los beſſer gedient 
geweſen? — Oder er hätte ſich frei gekauft dadurch, daß er 
mein Kind in die Gewalt der Feinde gebracht hätte. Bin ich 
es alſo, die ihn getötet hat? Kämpft nicht ſelbſt die Wölfin 
für ihr Junges? Wer darf mich verdammen, weil ich die Klaue 
ſchlug in den, der mir mein Fleiſch und Blut rauben wollte? Es 
mußte ſo ſein. Jede Mutter hätte gethan wie ich. — Doch 
jetzt iſt keine Zeit zu müßigen Gedanken. Handeln muß ich. 
Sie ſetzt ſich an den Tiſch links. Ich will an alle meine Freunde rings 
im Lande ſchreiben. Alle müſſen ſich jetzt erheben und die 
große Sache ſtützen. Ein neuer König — erſt Reichsverweſer 
und dann König — — Gie beginnt zu ſchreiben, hält aber gedanken voll 
inne und ſagt leiſe: Wen werden ſie an des Toten ſtatt wählen? 
— Königsmutter? — Das iſt ein großes Wort! Aber 
ein Haken iſt dabei — daß es ſo häßlich anklingt an ein 
andres Wort: Königsmutter und — Königs mörder. Königs— 
mörder heißt, wer einem König das Leben raubt — Königs— 
mutter heißt, wer einem König das Leben ſchenkt. Sie erhebt ſich. 
Wohlan — ich will Erſatz ſchaffen für das, was ich geraubt 


— 140 — 


habe. Mein Sohn ſoll König werden! ie ſetzt ſich und nimmt die 
Arbeit wieder auf, legt dann die Feder abermals weg und lehnt ſich in den Stuhl 
zurück. Es iſt immer etwas Unheimliches, eine Leiche im Hauſe 
zu haben. Darum iſt auch mir jo ſeltſam zu Mute. — Ste 
wendet den Kopf heftig zur Seite, wie wenn ſie mit jemand ſpräche. Nicht 
darum? Woher ſollte es ſonſt kommen? Grübelnd. Sit es 
denn ein ſo großer Unterſchied, ob man einen Feind fällt oder 
einen Mord an ihm begeht? Knut Alfſön hatte mit ſeinem 
Schwerte ſo manche Stirn geſpalten, und doch lag auf ſeiner eigenen 
Stirn die Ruhe eines Kindes? Warum ſeh' nur ich unaufhör— 
lich dieſen — Sie macht eine Bewegung, als ob ſie einen Dolch ſchwinge. — 
dieſen Stoß ins Herz und dann den roten Blutſtrom? — Sie 
ſchellt und fährt fort zu reden, indem ſie unter den Papieren wühlt. Fortan will 
ich nichts mehr wiſſen von ſo häßlichen Geſichten. Ich will 
thätig ſein Tag und Nacht. Und in einem Monat — in einem 
Monat kommt mein Sohn zu mir — — 

Björn tritt ein. Hat meine Herrin geſchellt —? 

Inger ſchreibend. Du ſollſt mehr Lichter bringen. Von heut 
an will ich's hell, ſehr hell im Zimmer haben. 


Björn links ab. 


Inger nach einer Pauſe, erhebt ſich heftig. Nein, nein, nein — ich 


kann die Feder nicht führen in dieſer Stunde! Es brennt und 
ſchmerzt mir der Kopf. Sie fährt zuſammen und lauſcht. Was iſt 
das?! — Ah! Sie ſchrauben drinnen den Deckel des Sarges 
zu. — — Als ich noch ein Kind war, erzählte man mir das 
Märchen vom Ritter Aage, der mit dem Sarg auf ſeinem 
Rücken daherkam. — Wenn es ihm da drinnen eines Nachts 
auch einfallen ſollte, mit dem Sarg auf dem Rücken zu 
kommen und ſich für das Darlehn zu bedanken? Sie lacht leiſe. 
Hm — was geht uns Erwachſene unſer Kinderglaube 
an. Heftig. Aber ſolche Märchen ſind gleichwohl zu nichts 
nütze! Sie ſchaffen wüſte Träume. Wenn mein Sohn König 


4 


— 141 — 


iſt, ſollen ſie verboten werden. Sie geht unruhig auf und nieder, dann 

öffnet fie das Fenſter. Wie lange pflegt es gemeinlich zu dauern, 

bis eine Leiche zu verweſen anfängt?! — Alle Stuben ſollen ge— 

lüftet werden. Bis das nicht geſchehen, iſt es hier ungeſund zu leben. 
Björn kommt mit zwei Armleuchtern, die er auf die Tiſche ſtellt. 

Inger wieder mit den Papieren beſchäftigt. So iſt's recht. Vergiß 
mir nie, was ich Dir geſagt habe. Viel Lichter auf den Tiſch! 
Was ſchaffen ſie jetzt da drinnen? 

Björn. Sie ſind noch dabei, den Sargdeckel feſtzuſchrauben. 

Inger ſchreibend. Schrauben fie ihn auch tüchtig feſt? 

Björn. So feſt, wie's nötig iſt. 

Inger. Ja, ja — man kann nie wiſſen, wie ſehr das nötig 
it —. Paß auf, daß es ordentlich geſchieht. Sie geht auf ihn 
zu, mit einer Handvoll Papiere, und ſagt geheimnisvoll: Björn, Du biſt ein 
Mann, doch will ich Dir eins ans Herz legen: ſei auf Deiner 
Hut vor allen Menſchen, — vor denen, die geſtorben ſind, 
und vor allen denen, die noch ſterben ſollen. Jetzt geh' 
hinein und ſieh, ob ſie den Sargdeckel ordentlich feſt ſchrauben. 

Björn leise, topfſchüttelnd. Ich kann nicht klug aus ihr werden. 

Ab in das Zimmer links. 

Inger will einen Brief zuſiegeln, wirft ihn aber gleich wieder weg, geht eine 
Weile auf und ab und ſagt dann heftig: Wenn ich feig wäre, ſo hätt' ich 
das da in aller Ewigkeit nicht gethan. Wenn ich feig wäre, hätt' ich 
mir ſelbſt zugeſchrien: halt ein, wenn Du Deiner Seele noch 


einen Reſt von Seligkeit bewahren willſt! — Ihr Blick fäut auf 
Sten Stures Bild; fie wendet ihr Geſicht ab und jagt leiſe: Da lacht er auf 
mich herunter, wie er leibt und lebt — Pfui! Sie dreht das Bild 


um — mit der Fläche gegen die Wand, ohne hinzuſehen. Was lachteſt Du? 
— Weil ich grauſam an Deinem Sohn gehandelt habe? Aber 
der andre — iſt er nicht auch Dein Sohn? Und er iſt zu— 
gleich der meine. Das merke Dir! — — ie blict verſtohlen 
über die Bilderreihe hin. So grimmig wie heut Nacht ſah ich ſie 


noch nie. Sie blicken mich an, wo ich geh' und ſtehe. Stampft 
mit dem Fuß auf. Aber ich will nichts von ihnen wiſſen! Ich 
will Frieden haben in meinem Hauſe. — — Macht ſich daran, ale 
Bilder gegen die Wand umzudrehen. Und wenn es nun die heilige Jungfrau 
Maria ſelbſt wäre — — Jetzt alſo hältſt Du die Zeit für 
gekommen — —? Warum haſt Du meine Bitten nie erhört, 
wenn ich Dich ſo inbrünſtig anflehte, mir mein Kind zurückzu— 
geben? Warum? Weil der Mönch von Wittenberg recht hat: 
es iſt kein Mittler zwiſchen Gott und den Menſchen. Sie atmet 
ſchwer auf und fährt in ſteigender Leidenſchaft fort: Es iſt gut, ſehr gut, 
daß ich das weiß — — Keiner hat geſehen, was da drinnen 
geſchehen iſt — Es giebt keinen, der gegen mich zeugen könnte! 
Breitet plötzlich die Arme aus und flüſtert: Mein Sohn! Mein geliebtes 
Kind! Komm zu mir! Hier bin ich. — Bit! Ich will Dir 
etwas ſagen: ich bin verhaßt dort oben, jenſeits der Sterne, 
weil ich Dich zur Welt gebracht habe. Ich war ja dazu 
beſtimmt, Gottes des Herrn Wahrzeichen durch das Reich zu 
tragen. Aber ich bin meine eigne Bahn gegangen; darum 
mußte ich ſo viel und ſo lange leiden. 

Björn kommt aus dem Zimmer links. Gnädige Frau! Ich habe 
zu vermelden — Gott ſteh' mir bei! Was bedeutet das? 

Inger, die die Stufen des Hochſitzes hinangeſtiegen iſt, der an der Wand links 
ſteht. Still, ſtill! Ich bin Königsmutter. Sie haben meinen 
Sohn zum König erkoren! Es gab harte Arbeit, bis ich es dahin 
gebracht habe; — denn die höheren Mächte ſelbſt waren es, mit 
denen ich zu kämpfen hatte. 

Nils Lukke kommt atemlos durch die zweite Tür rechts. Er iſt frei! 
Ich habe Jens Bjelkes Zuſage. Wißt denn, Frau Inger — 

Inger. Still, ſag' ich! Seht, wie es von Menſchen 
wimmelt: Vom Zimmer her ertönt ein Leichenpſalßm. Jetzt kommt der 
Krönungszug. Welche Scharen! Alle neigen ſich vor der 
Königsmutter. Ja, ja, ſie hat auch um ihren Sohn gekämpft 


Ma 


— bis ihre Hände rot wurden. Wo ſind meine Töchter? Ich 
ſehe ſie nicht. 

Nils Lykke. Bei Chriſti Blut — was iſt geſchehn? 

Inger. Meine Töchter — meine holden Töchter! Ich habe 
keine mehr. Eine war mir noch geblieben, und ſie verlor ich, 
wie ſie ins Brautbett ſteigen wollte. Flüſternd. Lucia lag als 
Leiche darin. Es war nicht Platz für zwei. 

Nils Lykke. Ah! Alſo dahin iſt es gekommen! — Die 
Rache des Herrn hat mich ereilt — 

Inger. Könnt Ihr ihn ſehen? Dort! Dort! Das iſt der 
König! Das iſt Inger Gyldenlöves Sohn! Ich kenn' ihn 
an der Krone und an Sten Stures Ring, den er um den 
Hals trägt. — Horch! Wie luſtig das klingt! Er naht! Bald 
werden meine Arme ihn umfangen. — Haha! Wer ſiegt, Gott 
oder ich? 

Die Kriegsknechte kommen mit dem Sarg. 

Inger greift ſich an die Stirn und ruft: Die Leiche! Flüſternd. Pfui, 
das iſt ein häßlicher Traum! Sie ſinkt in den Hochſitz zurück. 

Jens Bielke der von rechts eingetreten iſt, bleibt ſtehen und ruft über— 
raſcht: Tot! Alſo doch — 

Ein RKriegsknecht. Er ſelbſt hat — 

Jens Bjelke mit einem Blick auf Nils Lykte. Er ſelbſt —? 

Nils Lykke. Still! 

Inger matt, komme wieder zu fih. Ja, richtig, jetzt beſinn' ich mich 
auf alles. 

Jens Bjelke zu den Kriegsknechten. Setzt die Leiche nieder! Das 
iſt nicht Graf Sture. 

Ein Rriegsknecht. Vergebt, Herr Ritter, — doch dieſer 
Ring, den er um den Hals trug — 

Nils £ykke faßt ihn am Arm. Schweig', ſchweig'! 

Inger fährt empor. Der Ring? Der Ring? Sie eilt hinzu und 


— 144 — 


reißt den Ring an ſich. Sten Stures Ring! mit einem Aufſchret. Jeſus 
Chriſtus, — mein Sohn! Sie wirft ſich über die Bahre. 
Die Kriegsknechte. Ihr Sohn? 
Jens Bjelke zu gleicher Zeit. Inger Gyldenlöves Sohn? 
Nils Luykke. So iſt's. 
Jens Bjelke. Doch warum habt Ihr mir nicht gejagt — 
Björn verſucht ſie aufzuheben. Zu Hilfe, zu Hilfe! — Herrin, 
was fehlt Euch? 
Inger mit matter Stimme, indem ſie ſich halb aufrichtet: Was mir fehlt? 
— Noch ein Sarg. Ein Grab bei meinem Kinde — — 
Sie ſinkt abermals kraftlos über die Bahre hin. Nils Lykke geht raſch rechts ab. 


Tiefe Bewegung unter den Uebrigen. 


Das Feſt auf Solhaug 


Schauſpiel in drei Akten 


Zweite Ausgabe 


Mit einer Vorrede des Verxfaſſers 


Ibſen, Das Zeit auf Solhaug. 10 


Geſchützt auf Grund der Geſetze und Verträge, 


Den Bühnen gegenüber Manuſfkript. 


Vorrede zur zweiten Ausgabe. 


„Das Feſt auf Solhaug“ habe ich in Bergen geſchrieben, 
im Sommer 1855, alſo ungefähr vor 28 Jahren. 

Das Stück wurde daſelbſt den 2. Januar 1856 in einer 
Feſtvorſtellung zur Erinnerung an den Stiftungstag der nor— 
wegiſchen Bühne zum erſten Mal aufgeführt. 

Ich war damals Inſtruktor Dramaturg und Regiſſeur 
am Bergener Theater und leitete ſo die Einſtudierung meines 
Stückes ſelber. Es erfuhr eine vorzügliche, in ſeltenem Maße 
ſtimmungsvolle Darſtellung. Mit Luſt und Hingebung ward 
es geſpielt und ebenſo auch aufgenommen. „Die Bergener 
Lyrik“, die, wie verlautet, die letzten politiſchen Wahlen da 
oben entſchieden haben ſoll, war an jenem Theaterabend in dem 
vollen Hauſe ungewöhnlich ſtark vertreten. Die Vorſtellung 
endete mit zahlreichen Hervorrufen des Verfaſſers und der 
Schauſpieler. Später am Abend brachte mir die von einem 
großen Teil des Publikums begleitete Kapelle ein Ständchen 
vor meinen Fenſtern. Ich glaube beinahe, ich ließ mich dazu 
hinreißen, eine Art Anſprache an die Verſammlung zu halten; 
jedenfalls — das weiß ich — fühlte ich mich ſehr glücklich. 

Ein paar Monate ſpäter wurde „Das Feſt auf Solhaug“ 
in Chriſtiania aufgeführt. Auch dort ward es vom Publikum 


mit großem Beifall aufgenommen, und Björnſon ſchrieb den Tag 
10* 


— 148 — 


nach der erſten Aufführung im „Morgenblatt“ einen jugendlich 
warmen, liebenswürdigen Aufſatz darüber. Eigentlich war es 
weder ein Bericht noch eine Kritik — es war vielmehr eine 
ſtimmungsreiche freie Phantaſie, eine dichteriſche Improviſatien 
über das Stück und über die Vorſtellung. 

Aber dann kam die richtige Kritik, beſorgt von den richtigen 
Kritikern. 

Wie wurde man zu jener Zeit — ich meine in den Jahren 
von 1850 bis etwa 1860 — in Chriſtiania ein richtiger Litteratur— 
kritiker und namentlich ein richtiger Theaterkritiker? 

Ja, das ging in der Regel jo zu: Nach einigen vor- 
bereitenden Uebungen im „Geſellſchaftsblatt“ und nach häufigerer 
Teilnahme an den Diskuſſionen, die nach den Theaterabenden in 
Treſchows Café oder „bei Ingebret“ gepflogen wurden, begab 
ſich der werdende Kritiker in Johann Dahls Buchhandlung und 
ließ ſich aus Kopenhagen ein Exemplar von J. L. Heibergs 
„Proſaſchriften“ kommen, die, wie er hatte ſagen hören, eine 
„Ueber das Vaudeville“ betitelte Abhandlung enthielten. 
Dieſe Abhandlung wurde dann geleſen, in grübelndem Geiſte 
erwogen und vielleicht auch zum Teil verſtanden. Durch 
jene Schriften wurde man des weiteren mit einer Polemik 
bekannt, die Heiberg ſeiner Zeit mit Profeſſor Oehlenſchläger und 
dem Dichter Hauch in Sorö geführt hatte. Ebenfalls bei dieſer 
Gelegenheit erfuhr man, daß J. J. Baggeſen (dev Verfaſſer 
der „Geſpenſterbriefe“) ſchon früher einen ähnlichen Feldzug 
gegen den großen Dichter von „Axel und Valborg“ und „Hakon 
Jarl“ eröffnet hatte. 

Vieles andere noch, was einem Kritiker nützlich zu wiſſen 
war, ließ ſich aus dieſen Schriften gewinnen. Man lernte z. B. 
daraus, daß ein rechter Kritiker im Namen des Geſchmacks 
verpflichtet iſt, an jedem Hiatus Anſtoß zu nehmen. Ward in 
den Verſen hier und da ein ſolches Ungeheuer angetroffen, 


5 


ſo konnte man ſicher ſein, daß die jungen kritiſierenden Hierony— 
muſſe Chriſtianias, ganz wie Holbergs Hieronymus, ihr „Potz— 
tauſend, die Welt ſteht nicht mehr bis Oſtern!“ ausriefen. 

Und dann hatte damals die Kritik der norwegiſchen Haupt— 
ſtadt noch eine beſondere Eigentümlichkeit, über deren Urſprung 
ich mir lange den Kopf zerbrochen habe. Unſere Kritiker pflegten 
nämlich jedes Mal, wenn ein neu auftretender Schriftſteller ein 
Buch herausgab oder ein kleines Theaterſtück auf die Bühne brachte, 
in einen unbändigen Zorn zu geraten und ſich zu gebärden, 
als ob durch die Herausgabe des Buches oder die Aufführung 
des Stückes ihnen und den Zeitungen, für die ſie ſchrieben, eine 
blutige Beleidigung zugefügt würde. Wie geſagt, ich grübelte 
lange über dieſes ſonderbare Benehmen nach. Endlich fand ich 
mich in der Sache zurecht. Beim Leſen der däniſchen „Monats— 
ſchrift für Litteratur“ nämlich wurde ich darauf aufmerkſam, 
daß ſeiner Zeit der alte Staatsrat Molbech in ſchweren Zorn 
zu geraten pflegte, wenn in Kopenhagen ein junger Dichter 
ein Buch herausgab oder ein Schauſpiel auf die Bühne brachte. 

So, oder doch ungefähr ſo, war der Gerichtshof beſchaffen, 
der nun in der Tagespreſſe ſich vornahm, „Das Feſt auf 
Solhaug“ vor die Schranken der Kritik zu ſtellen. Er war 
zum größten Teil aus jungen Leuten zuſammengeſetzt, die im 
Betrachte der Kritik gemeinhin auf Borg lebten. Ihre kritiſchen 
Gedanken waren längſt von anderen gedacht und ausgeſprochen, 
ihre Meinungen längſt anderswo formuliert worden. Geborgt 
war ihre ganze äſthetiſche Theorie; geborgt war ihre ganze 
kritiſche Methode; geborgt war von Anfang bis Ende, im 
Großen wie im Kleinen die polemiſche Taktik, deren ſie ſich 
bedienten. Ja ſogar ihre Gemütsſtimmung, ſie war geborgt. 
Geborgt, geborgt war alles. Das einzige Originale dabei war, 
daß ſie das Geborgte immer und ewig verkehrt und zur Unzeit 
anbrachten. 


— 150 — 


Daß dieſes Kollegium, deſſen Mitglieder ihr Daſein von 
Anlehen friſteten, bei mir als Dichter etwas Aehnliches vor— 
ausſetzen zu müſſen glaubte, kann niemand Wunder nehmen. 
Eine Zeitung oder zwei da oben, möglicherweiſe auch mehr, 
fanden denn auch ganz prompt heraus, daß ich dies und das 
aus Henrik Hertzens Schauſpiel „Svend Dyrings Haus“ ent— 
lehnt hätte. 

Dieſe kritiſche Behauptung iſt grundlos und unzutreffend. 
Offenbar hat die Anwendung des Versmaßes der Kaempe— 
viſer in beiden Stücken ſie veranlaßt. Aber bei mir iſt der 
ſprachliche Ton ganz anders als bei Hertz; die Ausdruds- 
weiſe hat in beiden Stücken ein ganz verſchiedenes Klang⸗ 
gepräge. Ueber dem Rhythmiſchen in meinem Stücke weht eine 
leichte Sommerluft; über dem Rhythmiſchen bei Hertz laſtet es 
wie Herbſtwetter. 

Auch was die Charaktere, die Handlung oder überhaupt 
den thatſächlichen Inhalt angeht, ſo findet ſich keine andere 
oder doch keine größere Aehnlichkeit als die, die notwendig 
daraus folgt, daß der Stoff beider Stücke dem engen Vor— 
ſtellungskreis der Kaempeviſer entnommen iſt. 

Mit ebenſoviel oder wohl noch mit größerem Recht 
könnte man behaupten, daß Hertz in „Svend Dyrings Haus“ 
hier und da etwas, und zwar gar nicht ſo wenig, aus Heinrich 
von Kleiſts „Käthchen von Heilbronn“ entlehnt habe, das zu 
Beginn dieſes Jahrhunderts geſchrieben worden iſt. Käthchens 
Verhältnis zum Grafen Wetter vom Strahl deckt ſich in 
allem Weſentlichen mit Ragnhilds Verhältnis zum Ritter 
Stig Hvide. Ebenſo wie Ragnhild wird auch Käthchen von 
einer rätſelhaften, unerklärlichen Macht getrieben, dem Manne, 
den ſie liebt, auf allen ſeinen Wegen zu folgen, ihm heimlich 
nachzuſchleichen, ſich willenlos in ſeiner Nähe hinzulegen und 
zu ſchlafen, mit Naturnotwendigkeit zu ihm zurückzukehren, ſo oft 


— 151 — 


ſie auch fortgejagt wird. Auch ſonſt greift das Uebernatürliche 
bei Kleiſt wie bei Hertz noch auf mancherlei Weiſe ein. 

Aber zweifelt jemand daran, daß es mit einigem guten oder 
böſen Willen nicht möglich wäre, in der noch älteren dra— 
matiſchen Litteratur ein Schauſpiel aufzutreiben, von dem be— 
hauptet werden könnte, aus ihm habe Kleiſt Verſchiedenes für 
ſein „Käthchen von Heilbronn“ entlehnt? Ich zweifle jedenfalls 
nicht daran. Doch dergleichen nachzuweiſen wäre müßig. Das, 
was ein Kunſtwerk zum geiſtigen Eigentum ſeines Urhebers 
macht, iſt der Stempel ſeiner eigenen Perſönlichkeit, den er dem 
Werke aufdrückt. Ich meine deshalb, daß trotz der angedeuteten 
Aehnlichkeiten „Svend Dyrings Haus“ ebenſo unbeſtritten und 
ausſchließlich ein Originalwerk Henrik Hertzens iſt, wie „Käthchen 
von Heilbronn“ ein Originalwerk Heinrich von Kleiſts. 

Dasſelbe Recht mache ich auch für mein „Feſt auf Solhaug“ 
geltend. Ich hoffe nicht minder, man wird in Zukunft jeden 
der drei Namensvettern ungeſchmälert im Beſitz deſſen laſſen, 
was ihm zu Recht gehört. 

Georg Brandes hat gelegentlich das Verhältnis des „Feſtes 
auf Solhaug“ zu „Svend Dyrings Haus“ ſo dargeſtellt, als 
ſei mein Stück zwar nicht auf irgend einem Anlehen aufgebaut, 
aber doch unter einer Einwirkung, einem Einfluß des älteren 
Dichters auf den jüngeren entſtanden. Seine Aeußerungen über 
meine Arbeit ſind im übrigen ſo wohlwollend, daß ich allen 
Grund habe, ihm dafür, wie für ſo vieles andere, dankbar 
zu ſein. 

Nichtsdeſtoweniger aber muß ich daran feſthalten, daß die 
Sache in Wirklichkeit ſich auch nicht ſo verhält, wie Brandes ſie 
aufgefaßt hat. Henrik Hertz hat als dramatiſcher Dichter mich 
niemals ſonderlich angeſprochen. Es will mir darum nicht in 
den Kopf, daß er, mir unbewußt, irgend welchen Einfluß auf 
meine eigene dramatiſche Produktion ausgeübt haben könnte. 


— 152 — 


An dieſem Punkt und in Verbindung hiermit könnte ich 
mich darauf beſchränken, auf Dr. Valfrid Vaſenius, Docenten der 
Aeſthetik an der Univerſität zu Helſingfors, hinzuweiſen. Sowohl 
in ſeiner Doktordiſſertation „Henrik Ibsens dramatiska diktning 
i dess första skede“ (1879) als auch in ſeinem Werke „Henrik 
Ibsen, ett skaldeporträtt* (343 Seiten. Joſ. Seligmann 
u. Comp., Stockholm 1882) hat er ſeine Grundanſchauung über 
das hier behandelte Schauſpiel entwickelt, — in der letzt— 
genannten Schrift noch unter Berückſichtigung deſſen, was ich 
ihm vor drei Jahren bei einem Zuſammenſein zu München in 
aller Kürze mitgeteilt habe. Hierauf könnte ich, wie geſagt, 
hinweiſen. 

Aber der guten Ordnung halber will ich doch ſelbſt auf den 
folgenden Blättern die Entſtehungsgeſchichte des „Feſtes auf 
Solhaug“ in großen Zügen erzählen. 

Hier iſt ſie: 

Ich habe dieſe Vorrede mit der Erklärung eingeleitet, daß 
das Stück im Sommer 1855 verfaßt worden iſt. 

Im Jahre vorher hatte ich „Frau Inger auf Oeſtrot“ 
geſchrieben. Die Arbeit an dieſem Drama hatte mich genötigt, 
mich litterariſch und hiſtoriſch in das norwegiſche Mittelalter, 
namentlich in deſſen ſpätere Epoche, zu vertiefen. Ich verſuchte, 
ſo gut es ging, mich in die Sitten und Gebräuche jener Zeiten 
einzuleben, in das Gefühlsleben ihrer Menſchen, in ihre Denkungs— 
art und Ausdrucksweiſe. 

Dieſe Periode iſt jedoch nicht anſprechend genug, um lange 
bei ihr zu verweilen, ſie bietet auch nicht ſonderlich viel Stoff, 
der ſich zu dramatiſcher Behandlung eignete. 

Ich flüchtete denn auch bald zur eigentlichen Sagazeit 
hinüber. Aber die Königsſagas und überhaupt die ſtrengeren 
hiſtoriſchen Ueberlieferungen aus dieſem fernen Zeitalter feſſelten 
mich nicht; ich konnte damals für meine dichteriſchen Zwecke von 


— 153 — 


den Streitigkeiten zwiſchen Königen und Häuptlingen, zwiſchen 
Parteien und Gefolgſchaften als Dramatiker keinen Gebrauch 
machen. Das ſollte erſt ſpäter kommen. 

In reichem Maße dagegen fand ich in den isländiſchen 
Familienſagas, was ich zur menſchlichen Einkleidung der 
Stimmungen, Vorſtellungen und Gedanken brauchte, die mich 
damals erfüllten oder mir doch mehr oder minder klar vor— 
ſchwebten. Dieſe altnordiſchen litterariſchen Beiträge zur Perſonal— 
geſchichte unſerer Sagazeit hatte ich bisher nicht gekannt, kaum 
noch nennen hören. Da fiel mir durch einen Zufall N. M. Peterſens 
hinſichtlich des ſprachlichen Tons jedenfalls vortreffliche Ueber— 
ſetzung in die Hände. Aus dieſen Familienchroniken mit ihren 
wechſelnden Verhältniſſen und Auftritten zwiſchen Mann und 
Mann, zwiſchen Weib und Weib, überhaupt zwiſchen Menſch und 
Menſch ſchlug mir ein perſönlicher, voller, lebendiger Lebens— 
gehalt entgegen; und aus dieſem meinem Zuſammenleben mit all 
jenen abgeſchloſſenen, einfachen, perſönlichen Naturen entſtand in 
meinem Geiſte der erſte rohe, unbeſtimmte Entwurf zu den 
„Kriegern auf Helgeland“. 

Wie viel von den Einzelheiten ſich damals in mir aus— 
geſtaltete, weiß ich heute nicht mehr anzugeben. Doch erinnere 
ich mich recht wohl, daß die zwei Geſtalten, die zuerſt meinen 
Blick auf ſich zogen, die beiden Frauen waren, die ſpäter zu 
Hjördis und Dagny wurden. Ein großes Feſtgelage mit auf— 
reizenden Reden und verhängnisvollem Zuſammenſtoß ſollte in 
dem Stücke vorkommen. Im übrigen wollte ich von Charakteren, 
Leidenſchaften und gegenſeitigen Verhältniſſen all das aufnehmen, 
was mir als am meiſten typiſch für das Leben der Sagazeit 


erſchien. Mit einem Wort, — ich wollte einfach, was in der 
Völſungenſaga epiſch umgedichtet worden war, dramatiſch wieder— 
geben. 


Irgend einen vollſtändigen, zuſammenhängenden Plan habe 


— 154 — 


ich damals wohl nicht entworfen. Doch ſtand es klar vor mir, 
daß ein ſolches Schauſpiel das Erſte ſein müßte, was nun ge— 
ſchrieben würde. 

Allein da kam mancherlei dazwiſchen. Das meiſte davon, 
und vermutlich das zunächſt und am ſtärkſten Entſcheidende, war 
wohl perſönlicher Natur; aber ich glaube doch, es war nicht ganz 
ohne Bedeutung, daß ich eben damals Landſtads Sammlung 
„Norwegiſcher Volkslieder“, die ein paar Jahre vorher erſchienen 
war, eingehend ſtudierte. Die Stimmungen, in denen ich mich 
damals befand, vertrugen ſich beſſer mit der litterariſchen 
Romantik des Mittelalters als mit den Thatſachen der Sagas, 
beſſer mit der Versform als mit dem Proſaſtil, beſſer mit dem 
ſprachmuſikaliſchen Element der Kaempeviſe als mit dem 
charakteriſierenden der Saga. 

So geſchah es, daß ſich der formlos gärende Entwurf zu 
der Tragödie „Die Krieger auf Helgeland“ vorläufig in das 
lyriſche Drama „Das Feſt auf Solhaug“ verwandelt hat. 

Die beiden Frauengeſtalten der geplanten Tragödie, die 
Pflegeſchweſtern Hjördis und Dagny, wurden in dem ausge— 
führten lyriſchen Drama zu den Schweſtern Margit und Signe. 
Die Abſtammung dieſes zuletzt genannten Paares von den 
Frauen der Saga wird leicht in die Augen fallen, wenn man 
erſt darauf aufmerkſam geworden iſt. Die Familienähnlichkeit 
iſt unverkennbar. Der damals nur flüchtig angelegte Held der 
Tragödie, der weitgereiſte und an fremden Königshöfen wohl 
aufgenommene Häuptling, der Wiking Sigurd, formte ſich in den 
Rittersmann und Sänger Gudmund Alfſön um, der auch lange 
in fremden Landen umhergezogen war und am Hof des Königs 
gelebt hatte. Seine Stellung zu den beiden Schweſtern wurde 
gemäß dem Wandel der Zeitumſtände und Verhältniſſe geändert; 
aber die Stellung beider Schweſtern ihm gegenüber blieb im 
weſentlichen dieſelbe wie in der urſprünglich geplanten und ſpäter 


— 155 — 


ausgeführten Tragödie. Das verhängnisvolle Feſtgelage, an 
deſſen Schilderung mir bei meinem erſten Entwurf ſo viel ge— 
legen war, wurde in dem Drama der Schauplatz, auf dem die 
Perſonen durchweg auftraten. Es bildete den Hintergrund, von 
dem ſich die Handlung abhob, und teilte dem Gejamtbilde die 
Grundſtimmung mit, die ich beabſichtigt hatte. Der Schluß des 
Stückes wurde natürlich ſeiner Art gemäß, als der eines Dramas 
und nicht einer Tragödie, gedämpft und gemildert; aber unter 
ſtrenggläubigen Aeſthetikern dürfte gleichwohl darüber geſtritten 
werden können, ob in dieſem Schluß nicht ein Zug von unver— 
mittelter Tragik zurückgeblieben iſt, als ein Zeugnis von des 
Dramas Urſprung. 

Hierauf werde ich mich jedoch nicht weiter einlaſſen. Ich 
habe nur aufrecht erhalten und feſtſtellen wollen, daß das vor— 
liegende Schauſpiel, ebenſo wie alle meine übrigen dramatiſchen 
Arbeiten, ein naturnotwendiges Ergebnis meines Lebensganges 
an einem beſtimmten Punkte iſt. Es iſt von innen heraus ent— 
ſtanden und nicht irgendwie durch äußeren Anſporn oder Einfluß. 

So und nicht anders verhält es ſich mit der Entſtehung 
des „Feſtes auf Solhaug.“ 


Rom, im April 1883. 


„ 
Henrik Ibſen. 


Perfonen. 


Bengt Gauteſön, Herr auf Solhaug. 


Margit, ſeine Ehefrau. 
Signe, ihre Schweſter. 


Gudmund Alfſön, ihr Vetter. 


Knut Gaesling, Vogt des Königs. 


Erik von Haegge, ſein Freund. 


Ein Knecht. 


Ein zweiter Knecht. 


Des Königs Sendbote 
Ein alter Mann. 
Eine Magd. 


Gäſte, Herren und Frauen. 


Gefolgsmannen Knut Gaeslings. Knechte 


und Mägde auf Solhaug. 


Der Schauplatz der Handlung iſt Solhaug, die Zeit das vierzehnte 


Jahrhundert. 


Zu Are 


5 * uhr e N 


Pr, 


Erſter Akt. 


Eine ſtattliche Stube mit je einer Thür im Hintergrund und auf beiden Seiten. Vorn 
rechts ein Erkerfenſter mit kleinen runden, in Blei gefaßten Scheiben, davor ein Tiſch 
mit einer Menge Weiberſchmuck. An der Wand links ein großer Tiſch mit ſilbernen 
Krügen, Bechern und Trinkhörnern. Die Thür im Hintergrund führt auf eine offene 
Außengalerie, von der man auf eine weite Fjordlandſchaft ſieht. 


Bengt Gauteſön, Frau Margit, Knut Gaesling und Erik von Haegge 

ſitzen lints um den Trinktiſch. Im Hintergrunde ſitzen und ſtehen Knuts Mannen 

umher; ein paar Bierhumpen machen unter ihnen die Runde. In weiter Ferne hört 
man Kirchenglocken zur Frühmeſſe läuten. 


Erik erhebt ſich vom Tiſche. Und nun, kurz und gut, was für 
einen Beſcheid habt Ihr mir auf meine Brautwerbung im Namen 
Knut Gaeslings zu geben? 

Bengt ſchielt unruhig nach ſeiner Ehefrau. Ja, ich — ich denke nun 
— Da ſie ſchweigt: Hm, Margit, laß uns erſt hören, was Du 
meinſt. 

Margit ſteht auf. Herr Knut Gaesling, — es war mir lange 
bekannt, was Erik von Haegge von Euch erzählte. Ich wußte 
gar wohl, daß Ihr aus einem berühmten Geſchlechte ſtammt; 
Ihr ſeid reich an Geld und Gut, und unſer königlicher Herr iſt 
Euch ſonderlich gewogen. 

Bengt zu Knut. Sonderlich gewogen, — das ſag' auch ich. 


Margit. Und ſicherlich könnte ſich meine Schweſter keinen 
beſſeren Ehemann wählen — 


— 160 — 


Bengt. Keinen bejjeren; juſt dasſelbe denk' auch ich. 

Margit. — wenn Ihr ſie nur bewegen könnt, Neigung 
zu Euch zu faſſen. 

Bengt ängſtlich, halblaut. Aber, — aber, meine Liebe — 

Knut springt auf. Ja jo, Frau Margit! Ihr meint, daß 
Eure Schweſter —? 

Bengt ſucht ihn zu beruhigen. Nicht doch, Knut Gaesling! Nicht 
doch! Verſteht uns nur recht! 

Margit. Meine Worte können Euch nicht kränken. Meine 
Schweſter kennt Euch ja nur aus den Weiſen, die über Euch im 
Schwange ſind, — und ſittſamen Ohren klingen dieſe Weiſen übel. 

Euer Väterhof iſt ein unſicher Haus 

Mit all ſeinen wilden Gäſten. 

Chriſt helfe der Braut, wenn tagein tagaus 
Die Fremden am Tiſche ſich mäſten! 

Chriſt helfe der Braut, die Eure Geſchmeid' 
Und Güter und Wälder verblenden; — 

Bald wird ſie ſich ſehnen, ein Leben voll Leid 
Im Schlummer des Grabes zu enden. 

Erik. Freilich — nur zu wahr — Knut Gaesling lebt 
etwas wüſt und zügellos. Doch dergleichen ändert ſich leicht, 
ſobald man ſich eine Frau ins Haus ſchafft. 

Rnut. Und nun ſollt Ihr noch Folgendes vernehmen, Frau 
Margit. Es mag eine Woche her ſein, da war ich zu einem 
Trinkgelag auf Haegge bei Erik, der hier ſteht. Das Bier 
war ſtark; und da es auf den Abend ging, that ich das Ge— 
lübde, daß Eure ſchöne Schweſter Signe mein Weib werden 
müſſe, eh' noch das Jahr um ſei. Nun ſoll man Knut Gaesling 
nimmer nachſagen, daß er irgend ein Gelübde gebrochen hat. 
Daher ſeht Ihr ſelbſt, daß Ihr mich zum Mann Eurer Schweſter 
wählen müßt, — im Guten oder im Böſen. 


— 161 — 


Marait. 

Bevor dies geſchieht, nun, ich will's Euch nicht hehlen, 
Da müßt Ihr erſt andre Geſellſchaft wählen; 

Da dürft Ihr nicht länger, ein greulicher Troß, 

Das Land durchjagen zu Wagen und Roß! 

Sorgt lieber, daß nicht gleich jeder erſchrickt, 

Sobald ſich Knut Gaesling zur Freite anſchickt. 

Geſittet und ruhig reitet zum Schmauſe, 

Und laßt mir die Axt an der Wand zu Hauſe; — 
Denn Ihr wißt, wie ſie loſ' Euch im Handgelenk ſitzt, 
Wenn der Met und das Bier Euch die Schläfen erhitzt. 
Ehrbaren Weibern thut nichts zuleid; 

Dem Handelsmann laßt ſeine Ware; 

Und ſchickt nicht jedem den frechen Beſcheid, 

Er halte nur gleich ſein Sterbhemd bereit, 

Wenn er Eure Straßen befahre. 

Betragt Ihr Euch ſo, bis das Jahr verrinnt, 

So glückt's Euch vielleicht, daß Ihr Signe gewinnt. 

Knut mit verbiſſenem Grimm. Ihr wißt Eure Worte klug zu 
belegen, Frau Margit. Fürwahr — Ihr hättet ein Pfaff 
werden ſollen und nicht Eures Mannes Frau. 

Bengt. O, was das betrifft, jo könnte auch ich wohl — 

Rnut ohne auf ihn zu achten. Aber das mögt Ihr Euch merken — 
hätt' ein gewaffneter Mann auf ſolche Weiſe zu mir geſprochen 
wie Ihr, ſo — 

Bengt. Nein aber, ſo hört doch, Knut Gaesling, — Ihr 
müßt uns recht verſtehen! 

Knut wie vorher. Nun, kurz und gut, ſo ſollt' er ſpüren, 
daß mir die Axt loſ' in der Hand ſitzt, wie Ihr vorhin ſagtet. 

Bengt leiſe. Da haben wir's! Margit, Margit, das geht 
nicht gut aus. 

Ibſen, Das Feſt auf Solhaug. 11 


Margit zu auut. Ihr habt um ehrlichen Beſcheid gebeten, 
und den hab' ich Euch gegeben. 

Knut. Ja, ja; ich will es auch nicht jo genau mit Euch 
nehmen, Frau Margit. Ihr habt mehr Klugheit, als wir 
andern alle zuſammen. Da iſt meine Hand; — kann ſein, 
Ihr habt triftigen Grund zu all den ſcharfen Worten, die Ihr 
mir geſagt habt. 

Margit. Das gefällt mir; da ſeid Ihr ja ſchon auf gutem 
Wege, Euch zu beſſern. Und nun noch etwas. Wir feiern 
heut ein Feſt auf Solhaug. 

Knut. Ein Feſt? 

Bengt. Ja, Herr Gaesling. Ihr müßt wiſſen, es iſt unſer 
Hochzeitstag; heute vor drei Jahren ward ich Frau Margits 
Gemahl. 

Margit ihn ungeduldig unterbrechend. Wie ich ſagte, wir feiern 
heut ein Feſt. Wenn Ihr nun von der Kirche kommt und 
Eure übrigen Geſchäfte erledigt habt, ſo reitet wieder hierher 
zurück und nehmt am Gelage teil. Da könnt Ihr meine 
Schweſter kennen lernen. 

Knut. Schön, Frau Margit; ich dank' Euch. Doch bin ich 
heut nicht ausgeritten, um die Kirche zu beſuchen. Meine Reiſe 
gilt Gudmund Alfſön, Eurem Vetter. 

Margit ſtutzt. Ihm! Meinem Vetter? Wo wollt Ihr den 
treffen? 

Knut. Sein Hof liegt ja hinter der Landſpitze, auf der 
andern Seite des Fjords. 

Margit. Aber er ſelbſt iſt ſehr fern. 

Erik. Sagt das nicht; er dürfte näher ſein, als Ihr denkt 

Knut raunt ihm zu. Schweig ſtill! 

Margit. Näher? Was meint Ihr damit? 

Rnut. So habt Ihr nicht gehört, daß Gudmund Alfſön 
wieder im Land iſt? Er kam mit dem Kanzler Audun von 


— 163 — 


Haegranaes, der nach Frankreich entſandt worden war, unſere 
neue Königin einzuholen. 

Margit. Das iſt ganz richtig; aber dieſer Tage wird in 
Bergen des Königs Hochzeit mit großer Pracht gefeiert, und da 
iſt Gudmund dabei. 

Bengt. Ja, und da hätten wir auch mit dabei ſein können, 
wenn meine Frau gewollt hätte. 

Erik leiſe zu Knut. Frau Margit weiß alſo nicht, daß 

Knut keiſe. Es ſcheint jo; aber laß Dir auf keine Weiſe 
etwas merken. Laut. Nun ja, Frau Margit, ich muß gleichwohl 
auf gut Glück aufbrechen; zur Abendzeit komm' ich wieder. 

Margit. Und da mögt Ihr zeigen, ob Ihr Euren wilden; 
Sinn beherrſchen könnt. 

Bengt. Ja, merkt Euch das! 

Margit. Ihr rührt nicht an Eure Axt! Hört Ihr, Knut 
Gaesling! 

Bengt. Weder an Eure Axt, noch an Euer Meſſer, noch 
an irgendwelche andere Wehr, die Ihr bei Euch tragt. 

Margit. Denn ſonſt dürft Ihr niemals hoffen, mit mir 
verſchwägert zu werden. 

Bengt. Nein, das haben wir feſt bei uns beſchloſſen. 

Knut zu Margit. Habt nur keine Sorge. 

Bengt. Und wenn wir etwas bei uns beſchloſſen haben, jo 
ſteht das feſt. 

Knut. Das gefällt mir, Herr Bengt. Ich habe dasſelbe 
geſagt; und ich hab' nun einmal auf unſere Schwagerſchaft ge— 
trunken. Ihr ſollt ſehen, ob ich nicht auch an meinem Wort 
feſthalte. — Behüt Euch Gott bis heut Abend! 

Er und Erik gehen mit ihren Mannen durch den Hintergrund ab. Bengt folgt ihnen 
bis zur Thüre. Das Glockenläuten hat mittlerweile aufgehört. 


2 


Bengt kommt zurück. Es kommt mir vor, als ob er uns 
drohte, da er ging. 
115 


— 164 — 


Margit zerstreut. Ja, jo klang es. 

Bengt. Mit Knut Gaesling iſt nicht gut Kirſchen eſſen. 
Zwar wenn ich's bedenke, jo haben wir ihm auch allzuviel un⸗ 
freundliche Worte gegeben. Na, laß uns nicht weiter darüber 
grübeln. Heut müſſen wir luſtig ſein, Margit! Und ich meine, 
wir haben guten Grund dazu, wir beide. 

Margit lächelt müßſam. Ja, gewiß! 

Bengt. Ich war nicht mehr ganz jung, da ich um Dich 
freite, — das iſt wahr. Aber der reichſte Mann auf Meilen 
und Meilen im Umkreis, das war ich wahrhaftig. Du warſt 
eine ſchöne Jungfer, aus edlem Geſchlecht; aber die Mitgift war 
nicht danach, einen Freier zu reizen. 

Margit vor ſich hin. Und doch war ich damals ſo reich. 

Bengt. Was haſt Du geſagt, Frauchen? 

Margit. Oh, nichts, nichts. Geht nach rechts hinüber. Ich will 
mich mit Perlen und Ringen ſchmücken. Iſt es doch mein 
Freudenfeſt heut Abend. 

Bengt. So hör' ich Dich gern reden. Laß mich ſehen, 
wie Du Dich in Deinen beſten Staat kleideſt, auf daß unſere 
Gäſte ſagen können: Glückſelig ſie, die Bengt Gauteſön zum 
Mann bekommen hat! — Aber nun muß ich hinaus in die 
Vorratskammer; da iſt heute vollauf zu thun. 

Er geht links ab. 

Margit ſinkt auf einen Stuhl am Tiſche rechts. 

O gut, daß er ging! Wenn er hier drinnen, 
Da wird mir, als wollte mein Blut gerinnen; 
Da wird mir, als hielte Wintersgewalt 
Eiſig mein junges Herz umkrallt, 

Unter hervorbrechenden Thränen. 
Er iſt mein Herr! Ich bin ſein Weib! 
Wie lange hält wohl ein Menſchenleib? 


15 — 


Ein halb Jahrhundert und mehr wohl gar; — 
Und ich bin — im dreiundzwanzigſten Jahr! 
Ruhiger, nach kurzem Schweigen. 
Ja, ſeufze die goldene Mauer nur an, 
Und harre dein Alter im Käfig heran! 
Sucht zerſtreut in den Kleinodien umher und beginnt ſich zu ſchmücken. 
Mit den Perlen und Ringen, die er mir gab, 
Soll ich mich nun für ihn brüſten! 
Ich wollte mich lieber zum ſtillen Grab 
Als zu eh'lichen Feſten rüſten. 
Abbrechend. 
Doch Herze, nicht länger gezagt und geklagt — 
Du kennſt ja ein Lied, das die Sorge verjagt. 
Sie ſingt: 
Der Bergkönig ritt hinunter ins Land; 
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! — 
Er kam, zu frei'n um der Schönſten Hand. 
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! — 


Der Bergkönig ritt vor Herrn Haͤkons Thor; 
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! — 
Klein Kirſtin ſtand fliegenden Haares davor. 
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! — 


Der Bergkönig freite das ſchöne Weib; 

— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! — 
Umſchlang ihm mit ſilbernem Gürtel den Leib. 
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! — 


Der Bergkönig ſteckte der Lilie hold 

— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! — 
An jeglichen Finger drei Ringe von Gold. 
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! — 


— 166 — 


Drei Sommer gingen und fünf dahin: 

— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! —— 
Kirſtin ſaß immer im Berge drin. 

— Ergieb Dich! Vergebene Klage! — 


Fünf Sommer gingen und gingen mehr; 
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! — 
Klein Kirſtin bangte nach Sonne ſo ſehr. 
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! — 


Das Thal hat Vögel und Blumenpracht; 
— Wie rinnen mir harmvoll die Tage! — 
Im Berg da iſt Gold und ewige Nacht. 
— Ergieb Dich! Vergebene Klage! — 


Sie erhebt ſich und geht durchs Zimmer. 
Wie oft ſang Vetter Gudmund das, 
Wenn er abends bei Vater geſeſſen! 
Es iſt etwas drin, weiß ſelber nicht was, 
Doch konnt' ich es niemals vergeſſen; 
Ein Etwas, das mich einſt mächtig erregt, — 
Und heute noch ſeltſam zum Grübeln bewegt. 
Steht erſchrocken ſtill. 
Goldne Ringe! Der Gürtel um meinen Leib —! 
Mit Golde freite Bergkönig ſein Weib! 
Sinkt verzweifelt auf eine Bank am Tiſche rechts. 
Weh! Ich bin es ſelbſt, die Bergkönig gefreit! 
Und niemand erlöſt mich — in Ewigkeit. 
Signe, freudeſtrahlend, kommt durch die Thür im Hintergrund hereingeſtürmt. 
Signe ruft: Margit, Margit — er kommt! 
Margit ſpringt auf. Wer? Wer kommt? 
Signe. Gudmund, unſer Vetter! 
Margit. Gudmund Alfſön! Hierher! Wie kannſt Da 
glauben — ? 


— 167 — 


Signe. O, ich bin deſſen gewiß. 
Margit geht nach rechts hinüber. Gudmund Alfſön iſt mit beim 
Hochzeitsfeſt im Königsſchloß; das weißt Du ſo gut wie ich. 
Signe. Kann ſein; aber dennoch bin ich ſicher, er war's. 
Margit. Halt Du ihn denn geſehen? 
Signe. O nein, nein. Aber hör' nur — 
Margit. Ja, ſo erzähl' doch! 
Signe. Es war heut Morgen; der Glocken Klang 
Bewog mich, zur Kirche zu reiten; 
Hell lärmte der wilden Vögel Geſang 
In den Weiden und Birken zuſeiten. 
Es war ein Jubel in Luft und Land; 
Zu ſpät faſt kam ich zum Ziele, 
Denn auf dem ſchattigen Pfade fand 
Ich der winkenden Roſen zu viele. 
Doch leiſe trat ich am Ende noch ein; 
Der Prieſter ſtand am Altare 
Und las und ſang, und die fromme Gemein' 
Lauſchte dem Mann im Talare. 
Da plötzlich klang was über den Fjord — 
Die Heiligen ſelber vergaßen den Ort 
Und drehten die Häupter wie horchend fort ... 
Margit. Was war es, Signe, — ſag' an, was klang? 
Signe. Es war ein geheimnisvoller Geſang, — 
Der zog mich aus dem gemauerten Haus 
Nach Thal und Hügel der Landſchaft hinaus. 
Unter weißen Birken ſchritt ich einher, 
Lauſchend und faſt wie im Traume; 
Hinter mir ſtand das Gotteshaus leer; 
Denn auch Prieſter und Gläubige litt es nicht mehr 
In ſeinem dämmrigen Raume. 


— 18 — 


Es war ganz till auf dem Kirchenſteig; 
Die Vöglein ſelber lauſchten vom Zweig, 
Die Lerchen ſchwiegen, der Kuckuck ward ſtumm, 
Und Felder und Höhen klangen ringsum. 
Margit. Und nun? 
DSigne. Da bekreuzten ſich Männer und Frauen; 
Mit den Händen gegen die Bruſt. 
Doch mich durchfuhr ein ſeliges Grauen. 
Ich kannte das Lied ja, zu Haus im Saal 
Sang Gudmund es uns gar manches Mal, 
So manchen Abend den Winter lang, — 
Ich kenne doch alles, was Gudmund ſang. 
Margit. Und Du glaubſt — ? 
Digne. Es kann gar nicht anders ſein! 
So ſchlag Deine Zweifel doch nieder! 
Lachend. 
Kommt denn nicht jedes Singvögelein 
Zuletzt aus der Fremde wieder? 
Ich weiß ſelbſt nicht — doch ich bin ſo froh —! 
Da fällt mir ein — ſo mach ich es, ſo! 
Seine Harfe hing all die Zeiten 
Da drin an der Wand. Ich nehm' ſie herab 
Und mach' ſie zurecht und ſtaube ſie ab 
Und ſtimme die goldenen Saiten. 
Margit geiſtesabweſend. Thu, was Dich lüſtet — 
Signe vorwurfsvoll. Ach Margit, ſo nicht! 
Umfaßt fie. 
Wenn Gudmund kommt, wird Dein Sinn wieder licht, 
Wie, da wir noch Kinder waren. 
Margit vor ſich hin. Was hab' ich ſeit damals erfahren — — 
Signe. Margit, Du ſollteſt doch glücklich ſein! 
Haſt Du nicht Hof und Geſinde? 


— 169 — 


Haſt Du nicht koſtbare Kleider im Schrein 
Und Spangen und Perlengewinde? 
Am Tage jagſt Du den Rehen nach 
Und reiteſt durch Wälder und Au'n; 
Die Nächte ruhſt Du im Frauengemach 
Auf Polſtern von weichſtem Daun. 

Margit blickt durch das Erkerferſter. 
Und er, er ſpräche auf Solhaug ein?! 

Signe. Was ſagſt Du? 

Margit wendet ſich um. Nichts — geh, ſchmücke Dich fein! 
So hoch wie ich kannſt Du leichtlich ſteigen — 
Wer weiß, wie bald — 


Signe. Wie ſollte das ſein? 
Margit ſtreicht ihr übers Haar. 
Ich meine, — nun ja, das wird ſich ja zeigen, —. 


Geſetzt, es ſtellte ein Freier ſich ein — ? 
Signe. Ein Freier? Um wen? 
Margit. Um Dich. 
Signe lacht laut. Gute Nacht! 
Der hätt' ſich umſonſt auf den Weg gemacht! 
Margit. Doch würb' er nun wirklich um Deine Hand? 
Signe. So würd' ich ihm ſagen, ich ſei bis zum Rand 
Voll Glück, und Heiraten lockte mich nicht. 
Margit. Doch wenn er Dir Macht und Beſitz verſpricht? 
Signe. Und wär' mir ſelber ein König hold 
Und böte mir Seide und rotes Gold, 
Wie ließ ich ihm gerne das Seine. 
Ich hab' mich doch ſelber, was frag' ich danach, 
Und den Sommer, die Sonne, den rauſchenden Bach 
Und Dich und die Vögel im Haine. 
O liebſte Schweſter, — ich bleib', wo ich bin; 


— 10% — 


Der König bekommt keine Königin; 
Denn ich hab' keine Zeit und zu fröhlichen Sinn! 
Sie eilt ſingend links hinaus. 

Margit nach einer Pauſe. Gudmund Alfſön ſollte hierher 
kommen? Hierher — nach Solhaug? Nein, nein, das kann 
nicht ſein. — Sie hätte ihn ſingen hören. So ſagte Signe. 
Wenn ich die Tannen rauſchen hörte tief drinnen im Wald, 
wenn ich den Waſſerfall donnern hörte und die Vögel locken 
in den Wipfeln der Bäume, da kam es mir oft genug vor, als 
ob Gudmunds Lieder in all das ſich miſchten. Und doch war er 
weit von hier, — Signe hat ſich getäuſcht. Gudmund kommt nicht. 

Bengt in geſchäftiger Eile, ruft aus dem Hintergrund. Ein unerwarteter 
Gaſt, liebe Frau! 

Margit. Wer denn? 

Bengt. Gudmund Alfſön, Dein Vetter! Ruft durch die Thür 
rechts hinaus. Die beſte Gaſtkammer in ſtand ſetzen — und 
das ſofort! 

Margit. Iſt er denn ſchon auf dem Hof? 

Bengt blicct über die Außengalerie hinaus. Noch nicht; aber lange 
wird es nicht währen. Ruft wieder rechts hinaus. Das geſchnitzte Eichen— 
bett mit den Drachenköpfen! Tritt zu Margit. Sein Waffenträger 
brachte Gruß und Botſchaft von ihm; er ſelbſt folgt ihm nach. 

Margit. Sein Waffenträger? Kommt er mit Waffen- 
trägern hierher? 

Bengt. Ja, das wollt' ich meinen. Ein Waffenträger und 
ſechs gerüſtete Mannen ſind bei ihm. Na ja, Gudmund Alfſön 
iſt auch jetzt ein ganz andrer Mann denn damals, als er auf 
die weite Reiſe auszog. Aber ich muß hinunter und ihn 
empfangen. Ruft hinaus. Legt den Sattel von Goldleder auf mein 
Roß! Und vergeßt nicht den Zaum mit den Schlangenköpfen! 
Blickt wieder hinaus. Au, da iſt er ſchon an der Hecke! Na, dann 
meinen Stab her — den mit dem ſilbernen Knopf! Solch ein 


1711 


Herr, — Gott ſtraf' mich — er muß mit Ehren empfangen 
werden, mit großen Ehren. 
Er geht durch den Hintergrund ab. 
Margit grübelnd. Ein armer Geſell, jo zog er einſt aus, 
Nun kommt er mit Knappen und Mannen nach Haus. 
Was will er? Ob er zu ſchauen begehrt, 
Wie bitter mich Kummer und Weh verſehrt? 
Lockt ihn, zu prüfen, wie viel ich ertrage, 
Bevor ich gebrochenen Herzens verzage? 
Meint er, daß —? Ah, prüfe nur fein; 
Du ſollſt Deiner Freude betrogen ſein! 
Sie winkt durch die Thür rechts hinaus. 
Drei Mägde kommen herein. 
Margit. Merkt auf, meine Kinder! Vor allem ſchaſſt 
Ihr mir den Mantel aus blauem Taft. 
Dann folgt mir zur Kammer an Euer Amt 
Und kleidet mich prächtig in Pelz und in Samt. 
Zu zweien von ihnen. 
Ihr hüllt mich in Scharlach und Hermelin. 
Zur dritten. 
Du ſollſt mir mit Perlen das Haar durchziehn. 
Zu allen. 
Nun nehmt meinen Schmuck und tragt ihn hinaus! 
Die Mägde gehen mit den Schmuckkäſtchen links ab. 
So will ich's! Ich bin ja in Bergkönigs Haus. 
Heut ſtell' ich einmal meinen Brautſtaat aus. 
Sie geht links ab. 
Zengt führt Gudmund Alfſön über die Außengalerie im Hintergrunde herein. 
Bengt. Und noch einmal, — Heil Euch unter Solhaugs 
Dach, meiner Frauen Vetter! 
Gudmund. Ich dank' Euch. Und wie geht es ihr? Sie 
fühlt ſich doch wohl in jeder Hinſicht, will ich hoffen? 


— 172 — 


Bengt. Ja, darauf könnt Ihr ſchwören, das thut ſie. Es 
fehlt ihr nichts. Mit ganzen fünf Zofen kann ſie ſchalten und 
walten; ein trefflich geſattelt Roß ſteht bereit, ſobald ſie nur 
danach lüſtet. Na, kurz geſagt, ſie hat alles, was ein ſittſam 
Weib begehren kann, um mit ſeiner Lage zufrieden zu ſein. 

Gudmund. Und Margit, — fie iſt denn auch wohl zu— 
frieden? 

Bengt. Gott und jedermann ſollte glauben, ſie müßt' es 
ſein; aber ſeltſam genug — 

Gudmund. Was meint Ihr? 

Bengt. Ja, Ihr mögt es nun glauben oder nicht, es kommt 
mir ſo vor, daß Margit munterer war, da ſie noch in dürftigen 
Verhältniſſen lebte, als ſeit ſie Herrin auf Solhaug ward. 

Gudmund vor ſich bin. Ich wußte es doch; es mußte jo kommen. 

Bengt. Was ſagt Ihr, Vetter? 

Gudmund. Ich ſage: höchlich wundert mich, was Ihr da 
von Eurer Frau erzählt. 

Bengt. Ja, meint Ihr nicht, daß es mir ebenſo geht? 
Ich will nimmermehr ein ehrlicher Gutsherr heißen, wenn ich 
weiß, was ſie ſich noch wünſchen könnte. Ich bin den ganzen 
Tag um ſie, und niemand wird mir nachſagen können, daß ich 
ſie ſtreng hielte. Alle Aufſicht über Haus und Hof hab' ich auf 


mich genommen; — und nichtsdeſtoweniger —. Na, Ihr wart 
ja immer ein luſtiger Geſell; ich denke wohl, Ihr bringt Sonnen— 
ſchein mit. — Pſt, da kommt Frau Margit! Laßt Euch nicht 


anmerken, daß ich — 
Margit kommt in reicher Tracht von links. 
Gudmund geht ihr entgegen. Margit, — liebe Margit! 
Margit bleibt ſteben, ficht in vefremdet an. Verzeiht mir, Herr 
Ritter; aber — ? us ob fie ihn jetzt erſt ertenne. Fürwahr, irr' 
ich nicht, jo iſt das Gudmund Alfſön. Streck im die Hand 
entgegen. 


a 


Gudmund oyne die Hand zu ergreifen. Und Du kannteſt mich nicht 
gleich wieder? 

Bengt lachend. Nein, aber Margit, an was denkſt Du 
nur immer? Ich hab' Dir doch vorhin gemeldet, daß Dein 
Vetter — 

Margit geht nach dem Tische rechts hinüber. Zwölf Jahre ſind eine 
lange Zeit, Gudmund. Das grünſte Kraut kann zehnmal ver— 
derben derweilen — a 

Gudmund. Sieben Jahre ſind's, ſeit wir uns zuletzt ge— 
ſehen haben. 

Margit. Nein gewiß, es muß länger her ſein. 

Gudmund sent fie an. Ich möcht' es faſt glauben, aber es iſt 
doch ſo, wie ich ſage. 

Margit. Ganz ſeltſam. Ich war doch ſicherlich noch ein 
Kind damals; und das ſcheint mir eine ewig lange Zeit her zu 
ſein, daß ich Kind war. Läßt ſich in einen Stuhl fallen. Setzt Euch doch, 
lieber Vetter! Ruht Euch aus; heut Abend ſollt Ihr tanzen 
und uns mit Eurem Geſang erfreuen. Mit einem gezwungenen Lächeln. 
Ja, Ihr wißt wohl, wir ſind heute gar fröhlich auf dem Schloß 
— wir feiern ein Feſt. 

Gudmund. Das ward mir gejagt, gerade als ich den Hof 
betrat. 

Bengt. Ja, heute vor drei Jahren ward ich — 

Margit aoſchneidend. Mein Vetter hat es ſchon gehört. Zu 
Gudmund. Wollt Ihr nicht Euren Mantel ablegen? 

Gudmund. Ich dank' Euch, Frau Margit. Aber es kommt 
mir vor, als ſei es kalt hier, kälter — als ich erwartet hätte. 

Bengt. Da bin ich dagegen in hellem Schweiß. Aber ich 
hab' auch vollauf zu thun. Zu Margit. Laß nur unſerem Gaſt 
die Zeit nicht lang werden, während ich draußen bin. Ihr 
könnt ja zuſammen ſchnacken von alten Tagen. Will gehen. 

Margit unentſchloſſen. Gehſt Du? Willſt Du nicht lieber —? 


— 174 — 


Dengt lachend, zu Gudmund, während er zurückkommt. Seht Ihr wohl; 
Herr Bengt auf Solhaug iſt der Mann, der mit Weibervolk 
umzugehen verſteht. Keine Stunde, noch ſo kurz, kann meine 
Frau ohne mich ſein. Zu Margit, indem er ſie unter das Kinn faßt. 
Tröſt' Dich; ich werd' bald wieder bei Dir ſein. 

Er geht durch den Hintergrund ab. 

Margit vor ſich hin. O, Qual und Harm, all das leiden zu 
müjjen! . 

Kurze Pauſe. 

Gudmund. Wie geht's Eurer lieben Schweiter ? 

Margit. Ich danke; ganz gut. 

Gudmund. Mir wurde geſagt, ſie iſt bei Euch. 

Margit. Sie iſt auf Solhaug hier, ſeit er — 

Bricht ab. 
Vor drei Jahren kam ſie mit mir hierher. 
Nach kurzer Pauſe. 
Sie tritt gewiß gleich ſelber ein. 
Gudmund. Sie war einſt ſo heiter und herzensrein, 
So fremd allen Liſten und Ränken; 
Glaub' ich ihr Blauauge vor mir zu ſehn, 
So muß ich an Engel denken. 
Doch viel kann in ſieben Jahren vergehn. 
Sagt mir, — während ich fern vom Norden, 
Iſt auch ſie eine andre geworden? 
Margit gezwungen ſcherzend. 
Auch ſie? Gewöhnt man bei Hofe ſich, 
So artig mit Frau'n zu verkehren? 
Ihr mahnt mich daran, was die Jahre lehren — 

Gudmund Ach Margit, verſtellt Euch nicht gegen mich. 
Einſt mochtet Ihr Schweſtern ſo gut mich leiden, 

Und als ich fort ſollte, da weintet Ihr beiden 
Und wolltet mir ſchweſterlich Treue bewahren 


Sr  —— 


In Leid und Luft, in Glück und Gefahren. 
Ihr überſtrahltet der Jungfrauen Kreis; 
Weit, weit im Lande jcholl Euer Preis — 
Und heute noch ſeid Ihr ein Weib voll Wonnen. 
Doch Solhaugs Herrin, ich merk' es, ſie reut 
Des armen Verwandten. So kalt ſeid Ihr heut, 
Die Ihr einſt mir ſo freundlich geſonnen. 

Margit faſt von Thränen erſtickt. 
Ja einſt —! 

Gudmund blickt ſie teilnehmend an, ſchweigt und ſagt dann mit gedämpfter 
Stimme: Wir wollen von damals reden, — 
So war es ja auch Eures Gatten Begehr. 

Margit heftig. Nein, nein, nicht davon! 

Ruhiger. 
Es fällt mir zu ſchwer, 

Mich dran zu erinnern; ich lern's nimmermehr. 
Sprecht lieber von Euren Fahrten und Fehden; — 
Die Zeit verrann wohl an Thaten nicht arm; 
Ihr kämt wohl ſobald nicht zu Ende! 
Da draußen die Welt iſt ja weit und warm, — 
Da ſind Sinn und Gedanken behende. 

Gudmund. Und doch! Nie lacht' ich am Hofe ſo hell, 
Als da ich daheim noch, ein armer Geſell. 

Margit ohne ihn anzuſehen. 
Und ich — ich preis mich zu allen Tagen, 
Daß mich der Himmel nach Solhaug verſchlagen. 

Gudmund. Wohl Euch, ſofern Ihr Euch preiſen könnt — 

Margit heftig. Und hat mir das Schickſal nicht alles gegönnt? 
Leb' ich nicht frei und geehrt dahin? 
Folgt man mir nicht, ſobald ich befehle? 
Hier bin ich die Erſte, die Herrſcherin, 


— 176 — 


Und Ihr wißt, danach brannte mir immer die Seele. 
Ihr dachtet, Ihr fändet ein kummermüd Weib; 
Doch Ihr ſeht, ich bin munter an Seele und Leib. 
Seht, deshalb brauchtet Ihr nicht zu kommen, — 
Die Reiſe dürfte Euch wenig frommen. 
Gudmund. Was meint Ihr, Frau Margit? 
Margit erhebt ſich. Ich weiß es genau, 
Was Euren Beſuch mir beſchieden. 
Gudmund. Und billigt ihn nicht, meine edle Frau? 
Grüßt und will gehen. 
So lebt denn wohl — Gott ſchenk' Euch Frieden! 
Margit. Wenn Ihr beim König geblieben wärt, 
hätte Euch wahrlich höher geehrt. 
Gudmund bleibt jenen. 
Beim König? Ihr ſpottet noch meiner Not? 
Margit. Eurer Not? Nun, Vetter, hoch müßt Ihr ſtreben! 
Wozu ſich wohl noch Eure Wünſche erheben! 
Ihr könnt Euch kleiden in Sammet rot, 
Seid ein Königiſcher, habt Gut und Geld — 
Gudmund. Ihr wißt ja doch, wie es damit beſtelle. 
Ihr ſagtet, man hätte Euch zugetragen, 
zarum ich hierher kam — 
Margit. Nun, und was dann? 
Gudmund. 
So wißt Ihr doch, wie mich das Schickſal geſchlagen, 
Und wißt doch, daß ich ein friedloſer Mann. 
Margit ſchrecensſtarr. Friedlos! Du, Gudmund! 
Gudmund. Ja, wie Ihr wohl wißt. 
Doch ſchwör' ich Euch zu beim heiligen Chriſt, 
Hätt' ich geahnt, wie Ihr mir geneigt, 
Ich hätte mich nimmer auf Solhaug gezeigt. 


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750 


ee. = 


Ich meinte, Ihr fühltet mit mir noch mit, 
Wie damals, als ich von dannen ritt. 
Doch nur keine Gnade! Der Wald iſt groß, 
Mein Bogen wird mich ernähren; 
Mir gnügt ein Tiſch aus Fels und Moos 
Und als Kammer das Loch eines Bären. 
Will gehen. 

Margit hält ihn zurück. Friedlos! Nein, bleib! Ich ſchwöre Dir, 
Ich wollte Dich nur überliſten. 

Gudmund. Es handelt ſich um mein Leben hier, 
Und ſein Leben will jedermann friſten. 
Ich lag wie ein Hund drei Nächte im Freien; 
In den Bergen ruht' ich mein müdes Gebein 
Und lehnte mein Haupt an das Felsgeſtein. 
Mir Obdach zu betteln in fremden Hofteien, 
Das ſchien mir zu große Erniedrigung; 
Mein Mut war ſo keck; meine Hoffnung ſo jung! 
Ich dachte: nun kommſt du nach Solhaug in Bälde, 
Da biſt du aus deiner Feinde Klauen; 
Da findeſt du Freunde; auf die kannſt du bauen, — 
Doch Hoffnungen ſind wie Blumen vom Felde. 
Wohl zeichnete mich Euer Eheherr aus 
Vor gaſtlich geöffneten Thoren; — 
Doch öde dünkt mich nun Euer Haus; 
Die Halle iſt düſter, die Freundſchaft verloren. 
Nun gut; ſo zieh' ich denn wieder dahin. 

Margit flehentlich. O hör' mich! 

Gudmund. Mein Sinn iſt kein Sklavenſinn. 
Nun dünkt mich das Leben unſelige Gabe; 
Ich achte es faſt für nichts mehr wert. 
Ihr habt mir das Herz im Leibe verkehrt, 

Ibſen, Das Feſt auf Solhaug. 12 


— 178 — 


Daß ich all mein liebliches Hoffen begrabe. 
Fahrt wohl, Frau Margit! 


Margit. Nein, Gudmund, bleib'! 
Bei Gott und den Heiligen —! 
Gudmund. Leb' und treib’ 


Deine Tage in Freuden und Ehren; 

tie ſoll mein Fuß Herrn Bengtens Weib 

Die Schwelle wieder beſchweren. 

Margit. Halt ein! Dein bitteres Wort kann Dich 

Sonſt leicht noch drücken und nagen. 

Hätt' ich gewußt, daß ein Friedloſer ſich 

Hierher durch die Lande geſchlagen, — 

So pries ich die Stunde tauſendfach, 

Da Du Schutz begehrteſt von Solhaugs Dach; 

So pries ich als froheſtes Feſtgeſchenk, 

Daß der Friedloſe kam, alter Treue gedenk.“ 
Gudmund. Du ſagſt —! Wes ſoll ich mich nun verſehn? 
Margit reicht ihm die Hand. 

Daß treue Freunde hier zu Dir ſtehn. 

Gudmund. Doch das, was Du eben —? 
Margit. Ich ſprach nicht wahr. 

Hör' mich, ſo wird Dir das Ganze klar. 

Für mich iſt das Leben tiefſchwarze Nacht; 

Hab' Sonne und Sterne vergeſſen. 

Und niemand kann meine Qualen ermejien; 

Denn ich hab' meine Jugend zu Markte gebracht. 

Meinen freudigen Sinn verkauft' ich um Gold; 

Ich garnte mich ſelber in ſchimmernde Netze. 

Glaub' mir, ſo kläglich ſind alle Schätze, 

Wenn unſerm Herzen das Glück nicht hold. 

Wie war unſre Kindheit hell und warm! 


— 19 — 


Unſer Kleid war gering, unſer Haus war arm; 

Doch von Hoffnungen flog uns das Herz im Leibe. 
Gudmund der ſie unverwandt betrachtet hat. 

Und indeſſen gediehſt Du zum reizendſten Weibe. 
Margit. Kann ſein; doch des Lobes Ueberſchwall, 

Das ich hörte, ward meines Glückes Fall. 

Du mußteſt fort nach dem fremden Lande, 

Doch all Deine Weiſen blieben mir drin 

Im tiefen Herzen, im tiefen Sinn 

Und ſchlugen mein klares Denken in Bande. 

Dieſe Lieder wußten von jo viel Luft 

Der unerſchöpflichen Menſchenbruſt; 

Dieſe Lieder wußten ſo feſtliche Mär 

Von Leben und Liebe. Nun, und zum Reſt 

Kamen Freier von Oſt und Freier von Weſt; 

Und ſo — ſo folgt' ich Herrn Bengt hierher. 
Gudmund. Ach, Margit! 
Margit. Doch nur ein Kleines verging, 

Da quollen ſchon bittere Thränen. 

Nur wenn ich an Dich die Gedanken hing, 

Vermocht' ich mich glücklich zu wähnen. 

Wie wurden mir Solhaugs Hallen nun leer 

Und die großen Stuben ein Grauen. 

Wohl gaſteten Ritter, Herren und Frauen, 

Wohl ſang mancher Skalde mir Preis und Ehr', — 

Doch keiner verſtand meinen wehen Mut, 

Doch keiner begriff meinen Jammer; — 

Ich fror, als ſäß' ich in felſener Kammer; 

Doch ſchmerzte mein Haupt, doch brannte mein Blut. 
Gudmund. Aber Dein Mann — 
Margit. Den haſſe ich ja! 

Sein Gold nur konnt' mich gewinnen; 


12* 


— 


= 


Sprach er zu mir, ſaß er mir nah, 

Ich kam vor Marter von Sinnen. 

Schlägt die Hände zuſammen. 

Dies Leben hab' ich drei Jahre gelebt! 

Es dünkt mich aus endloſem Wehe gewebt. 

Da hieß es plötzlich, Du kämſt. Du weißt es, 

Ich war von Jugend auf ſtolzen Geiſtes, 

So ſchwieg ich von meinen Kümmerniſſen — 

Denn Du, Du mußteſt ja alles wiſſen. 
Gudmund bewegt. Und darum wandteſt Du kalt Dich ab? 
Margit ohne ihn anzuſehen. 

Ich dachte, Du kämſt, Dich heimlich zu weiden. 
Gudmund. Margit, Du konnteſt — ? 
Margit. Nun kurz, es gab 

Der Gründe genug. Doch all die Leiden 

Zerblies nun ein himmliſcher Frühlingswind; 

Ich brauche nicht länger einſam zu ſchweigen; 

Ich fühl' mich ſo leicht und frei, wie ein Kind 

Unter blühenden Apfelzweigen. 

Fährt erſchrocken zuſammen. 

Ach, ich vergaß ja! O neue Sorgen! 

Ihr Heiligen, neigt Euch mir gnädig zu! 

Friedlos, ſagſt Du —? 

Gudmund lächelt. Hier bin ich geborgen 

Und hab' vor des Königs Reiſigen Ruh'. 
Margit. Doch ſchienſt Du noch jüngſt zu Großem erwählt, — 

Wie kam das nun — 2 
Gudmund. Das iſt bald erzählt. 

Du weißt, ich war in den fränkiſchen Gauen, 

Dahin von Bergen zur bräutlichen Kur 

Der Kanzler, Audun von Haegranaes, fuhr, 

Die Prinzeſſin ſamt ihren Mannen und Frauen 


— 181 — 


Zum König zu holen. Herr Audun war 

Für Weiberaugen von hoher Gefahr. 

Und wen der Prinzeſſin Augen baten, 

Den traf ihr holdſeliger Zauber heiß. 

Sie ſprachen zuſammen, ſie flüſterten leis. 
Worüber? Das war ſchwer zu erraten. 

Da war's eines Nachts; ich lehnt' über Bord, 
Und meine Gedanken flogen 

Den weißen Möven nach gen Nord 

Wohl über die weiten Wogen. 

Da flüſtern zwei Stimmen, — ich wende mich um, — 
Es waren jene Beiden. 

Sie ſahen mich nicht; ich ſaß ganz ſtumm — 
Doch konnt' ich ſie wohl unterſcheiden. 

Sie ſah zum Kanzler beweglich auf 

Und ſprach: „Ach, wollte des Kieles Lauf 
Zum ſchönen Süden uns tragen, 

Und wären wir zwei auf dem Schiff allein, 
Da würd' meine Stirne bald kühler ſein 

Und mein Herz nicht ſo heftig mehr ſchlagen!“ 
Er widerſprach; doch ſie drängte ihn keck, 
Drängte mit Worten, ſo wilden, ſo heißen, — 
Ich ſah ihre Augen wie Sterne gleißen, — 
Sie bat ihn — 


Abbrechend. 
Da faßte mich jäher Schreck. 

Margit. Sie bat — 2 

Gudmund. Ich erhob mich; fie fuhren zurück — 
Ich ſtand allein auf des Schiffes Deck; — 

Zieht ein Fläſchchen hervor. 

Doch wo ſie geſeſſen, da fand ich dies Stück. 

Margit. Und dies — ? 


Gudmund mit gedämpfter Stimme. 
Dies enthält einen argen Saft; — 
Ein Tropfen davon in des Feindes Becher, — 
So ſiecht ihm langſam die Lebenskraft, 
Und nichts mehr rettet den armen Zecher. 
Margit. Und der —? 
Gudmund jürernd. War dem Könige aufgeſpart. 
Margit. Alle Heiligen! 
Gudmund indem er das Fläſchchen wieder verbirgt. 
Gut, daß ich ihn verwahrt. — 
Drei Tage ſpäter war'n wir im Hafen. 
Da floh ich heimlich mit meinen Braven; 
Ich wußte, Herr Audun würde nicht ruhn, 
Mich zu verdächtigen, alles thun, 
Mich durch Ränke zu ſtürzen — 


Margit. Das iſt nun vorbei. 
Und bald iſt alles wieder beim Alten. 
Gudmund. Beim Alten? Nein Margit, — da warſt Du 


noch frei. 
Margit. Wie —? 
Gudmund. Nichts. Ich muß mir die Stirne halten; 
Mir iſt ja ſo froh und freudig zu Sinn, 
Daß ich wieder wie einſt bei Euch beiden bin. 
Doch ſag', wo iſt Signe —? 
Margit zeigt lächelnd auf die Thür links. 
Sie kommt gleich herein. 
Sie will doch vor ihrem Vetter beſtehen 
Und wird noch nicht ganz mit ſich fertig ſein. 
Gudmund. Ob ſie mich wiedererkennt? Laß ſehen! 
Er geht links ab. 
Margit vriet ihm nach. Wie ſchön und männlich er iſt. Mit 
einem Seufzer. Welch ein Unterſchied zwiſchen ihm und — Räume 


ein wenig auf dem Trinktiſch auf, hält aber wieder damit inne. Damals warſt 


Du noch frei, ſagte er. Ja, damals! Kurze Pauſe. Das war eine 


ſeltſame Erzählung, von der Prinzeſſin, die —. Sie hatte einen 
andern lieb, und da —. Ja, dieſe Weiber in den fremden 
Landen — ich hab' es immer gehört — die ſind nicht fo 


weichherzig wie wir; die fürchten ſich nicht, einen Gedanken zur 
That zu machen. Nimmt einen Becher vom Tijche. Aus dieſem Becher 
tranken Gudmund und ich auf ein fröhliches Wiederſehen, da er 
fortzog. Er iſt faſt das einzige Erbſtück, das ich mit nach Sol— 
haug gebracht habe. Stellt den Becher in einen Wandſchrank. Wie freund— 
lich dieſer Sommertag iſt. Hier iſt es ſo licht herinnen. So 
lieblich hat ſeit drei Jahren die Sonne nicht mehr geſchienen. 


Signe und hinter ihr Gudmund treten von links auf. 


Signe läuft lachend auf Margit zu. 
Hahaha! Er kennt mich nicht mehr! 
Margit lächelnd, zu Gudmund. 
Siehſt Du, während Du fern vom Norden, 
Iſt auch ſie eine andre geworden. 
Gudmund. Gewiß! Doch daß dies Signe wär' — 
Nein, daran hätte ich nie gedacht. 


Ergreift Signes Hände und blickt ſie an. 


Und doch, aus dieſen Blauaugen lacht 
Mich noch immer Dein unſchuldig Kinderherz an, — 
So zweifle ich denn nicht länger daran. 
Es iſt zum Lachen, wie anders ich 
Dein Bild gehegt, — ſtets ſo, wie ich Dich 
Auf dem Arm trug. Damals warſt Du noch Kind; 
Nun biſt Du ein Elflein, gefährlich zu necken. 

Digne droht mit dem Finger. 
Ja, hüt' Dich, den Zorn dieſes Elfleins zu wecken, 
Damit es Dich nicht in ſein Garn einſpinnt. 


— 184 — 


Gudmund für ſich. 
Faſt kommt es mir vor, als wär's ſchon geſchehen. 
Signe. Doch wart'! Du haſt ja noch nicht geſehen, — 
Ich hielt Dir auch Deine Harfe in Ehren. 
Während ſie links abgeht: 
Nun mußt Du mich all Deine Lieder lehren! 
Gudmund btict ihr nach, leise. 
Aufgeſprungen zur lieblichſten Blüte, 
Die noch am Morgen verſchwiegen glühte! 
Signe bringt die Harfe. Sieh her! 
Gudmund nimmt fire Meine Harfe! Und wie ſie blinkt! 
Schlägt einige Akkorde. 
Sie weiß noch wohl von den alten Klängen! — 
Nun ſollſt du nicht länger die Wand verhängen — 
Margit vom Hintergrund. Da kommen ſchon Gäſte. 
Signe während Gudmund präludiert. Horch, — ſtille! Er ſingt! 
Gudmund fine. 
Ich ſtreifte trüb-einſam auf Bergesſteigen; 
Die Vöglein ſangen von allen Zweigen; 
So liſtig ſangen ſie mir zu Blut: 
Hör' zu, wie Liebe entſtehen thut. 


Sie wächſt wie ein Baum mit langjährigen Ringen, 
Sie nährt ſich von Träumen und Sorgen und Singen. 
Sie keimt ſo leicht — in der flüchtigſten Stund' 
Faßt ſie Wurzel im Herzensgrund. 

Er geht während des Nachſpiels nach dem Hintergrund, wo er die Harfe fortſtell 
Signe wiederholt nachdenklich für ſich. 

Sie keimt ſo leicht; in der flüchtigſten Stund' 

Faßt ſie Wurzel im Herzensgrund. 
Margit zerstreut. Sagteſt Du etwas zu mir? — Ich hörte 

nicht zu — 


u 


— 185 — 


Signe. Ich? Nein, nein. Ich meinte nur — 
Verſinkt wieder in Träumen. 

Margit halblaut; ſtarrt vor ſich hin. 
Sie wächſt wie ein Baum mit langjährigen Ringen, 
Sie nährt ſich von Träumen und Sorgen und Singen. 

Signe erwachend. Was ſagſt Du — 2 

Margit fährt mit der Hand über die Stirn. Oh, es war nichts 
weiter. Komm, wir müſſen unſern Gäſten entgegengehen. 


Bengt kommt mit einer Menge von Gäſten, Männern und Frauen, über die Außen⸗ 
galerie herein. 


Die Gäſte ſingen: 
Mit feſtlichem Sang und Saitenklang 
Wir über die Schwelle ſchreiten. 
Gott ſchenk' Euch Schutz Euer Leben lang 
Und Glück und Segen zu allen Zeiten! 
Mag immer ein Himmel, wie heut ſo blau, 
Schloß Solhaugs Bau 
Ueberbreiten! 


Sweiter Akt. 


Eine Birkenwaldung neben dem Hauſe, von dem eine Ecke links ſichtbar iſt. Ein 

Fußſteig führt auf die Berghalde im Hintergrund hinauf. Dem Steig zur Rechten 

ſchäumt ein Bach hernieder, der ſich zwiſchen Felsblöcken und Steinen verliert. Es iſt 

helle Sommernacht. Die Thür zum Hauſe ſteht offen; die Fenſter ſind erleuchtet. 
Man hört drinnen Muſik. 


Die Güſte ſingen in der Feſtſtube. 
Die Fiedel klinge! Bei Saitenklang 
Tanzen wir bis zum Morgen lang. 
Wie luſtig die Dielen dröhnen! 
Die Jungfern brennen ſo hell wie Blut; 
Das machen die Burſche, — mit keckem Mut 
Umfahn ſie die Hüften der Schönen. 
Knut Gaesling und Erik von Haegge treten aus dem Hauſe. Muſik, Tanz und 
Jubel tönt weiter während des Folgenden gedämpft heraus. 


Erik. Wenn es Dich nur nicht reuen wird, Knut. 

Rnut. Laß mich nur machen. 

Erik. Ja, ja, aber gewagt bleibt es doch. Du biſt des 
Königs Vogt. Da ergeht an Dich der Befehl, Gudmund Alfſön 
zu fahen, wo Du ihm beikommen kannſt. Und nun, da Du ihn 
in nächſter Nähe haſt, ſagſt Du ihm Deine Freundſchaft zu und 
läßt ihn frei fahren, wohin es ihm beliebt. 

Knut. Ich weiß, was ich thue. In feiner eignen Be— 
hauſung hab' ich ihn geſucht, und da war er nicht zu finden. 


2 — 187 — 


Und wenn ich es nun unternähme, ihn hier dingfeſt zu machen, 
— meinſt Du wohl, daß da Frau Margit gewillt wäre, mir 
Signe zum Weib zu geben? 

Erik gedehnt. Nein, im Guten wohl nicht, aber — 

Knut. Und im Böſen möcht' ich ungern vorgehn. Gudmund 
iſt übrigens auch mein Freund von altersher; und er kann mir 
viel nützen. Beſtimmt. Darum bleibt es bei dem, was ich gejagt 
habe. Heut Abend ſoll niemand hier auf dem Hof erfahren, 
daß Gudmund Alfſön friedlos iſt; — morgen mag er zuſehen, 
wie er ſich ſelber helfe. f 

Erik. Ja, aber des Königs Gebot? 

Knut. Ah, des Königs Gebot! Du weißt ſo gut wie ich, 
des Königs Gebot wird hier in unſern Gauen nicht groß geachtet. 
Sollte des Königs Gebot immer gelten, ſo müßte mancher 
prächtige Kerl unter uns für Brautraub und Männermord 
büßen. — Nun komm! Ich möchte wiſſen, wo Signe —? 

Sie gehen rechts ab. 
Gudmund und Signe kommen den Fußſteig im Hintergrunde herab. 

Signe. Sprich weiter! Du redeſt mir nie zu viel; 

Es hört ſich wie lieblichſtes Saitenſpiel. 
Gudmund. Signe, mein holdes, mein reizendes Mädchen! 
Digne mit froher, ſtiller Verwunderung. 

Ich — ich bin ihm lieb! 

Gudmund. Ja, niemand als Du! 

Signe. Ich bände Dich feſt mit goldenem Fädchen? 
Ich gäb' Deinem Sinn die erſehnte Ruh? 

O, darf ich Dir traun? 
Gudmund. Das darfſt Du fürwahr! 
Hör' mich, Signe, Jahr um Jahr, 
Ob es winterte oder Sommer blühte, 
Trug ich Euch beide in treuem Gemüte. 
Doch fühlt' ich noch unklar zu Euch zwein; — 


— 188 — 


Dich ſah ich immer als Elflein klein, — 
So wie ſie unter des Waldes Bäumen 
Gern ſpielen, während wir ſchlafen und träumen. 
Doch ſeit ich mich heute auf Solhaug ſchaue, 
Da, fühl' ich, iſt mir der Schleier gefallen, — 
Ich ſehe, wie Margit die ſtolzeſte Fraue, 
Doch Du die holdſeligſte Maid von allen. 
Signe die ſeinen Worten nur halb gelauſcht hat. 
Ich weiß noch, wir ſaßen am lohenden Herd, 
Eines Winterabends, vor Jahren und Jahren; — 
Du ſangſt von dem Mägdlein mit goldigen Haaren, 
Die der Neck am Grunde zum Weib begehrt. 
Da vergaß es Vater und Mutter unten, 
Vergaß es Bruder und Schweſter drunten, 
Vergaß ſich von Himmel und Erde fort, 
Vergaß ſeinen Gott und ſein heiliges Wort. 
Doch dicht am Ufer, da ſtand ſein Geſpiel; 
Ihn dünkte das Leben ohn' Zweck und Ziel; 
Voll Leide griff er der Harfe Saiten, 
Das klang ſo laut und lang in die Weiten. 
Das Mägdlein, tief auf des Bergſees Grund, 
Erwachte und ward ſeines Bannes geſund. 
Was half dem Neck die ohnmächtige Wut? — 
Es floh zwiſchen Lilien hin über die Flut 
Und ward wieder Menſch unter Menſchen hinfort 
Und glaubte wieder an Gott und ſein Wort. 
Gudmund. Liebſte! 
Digne. So ging auch ich dahin 
Wie eine träumende Schläferin; 
Bis Du mir heute der Liebe Macht 
Enträtſelt; — da bin ich ſelig erwacht. 
Nie ſah ich früher den Himmel ſo blau, 


— 189 — 


Noch die Welt von jo jtrahlender Weite; 
Ja ſelber die Sänger in Wald und Au 
Verſteh' ich an Deiner Seite. 
Gudmund. So mächtig iſt Liebe; — in unſerer Bruſt 
Weckt ſie Sinnen und Sehnſucht und Luſt. — 
Doch komm, nun laß uns zu Margit gehn. 
Signe verschämt. Soll fie — ? 
Gudmund. Wir wollen ihr alles ſagen. 
Signe wie vorher. Ach Du, — ich würde in Flammen ſtehn; — 
Willſt Du's nicht lieber ohne mich wagen? 
Gudmund. Nun gut, auch ſo. 
Signe. Und ich warte hier, ja? 
Horcht nach rechts. 
Oder beſſer — drunten am Sturzbach! — Da 
Hör' ich Knut Gaesling mit Gäſten kommen! 
Gudmund. Dort warteſt Du? 
Signe. Bis Du ihr Urteil vernommen. 


Sie geht rechts ab. Gudmund geht ins Haus. Margit kommt von links hinter 
dem Hauſe hervor. 


Margit. Die Stube ſtrahlt von feſtlichem Glanze, 
Die Weiber und Männer drehn ſich im Tanze. 
Doch mir ward ſo ſchwül und beklommen zu Mut, — 
Gudmund war nicht zu ſehen. 
Atmet tief. 
Hier außen iſt's ſtill; hier weilt es ſich gut, 
Wo mich nächtliche Winde umwehen. 


Grübelt eine Weile. 


Dieſer arge Gedanke — ich kenn' mich nicht mehr! 
Er treibt und ängſtigt mich hin und her. 
Das Fläſchchen — mit ſeinem Wunderſaft —? 


Ein Tropfen davon — in des Feindes Becher, — 


— 190 = 


So ſiecht ihm langſam die Lebenskraft, 
Und nichts mehr rettet den armen Zecher. 
Wiederum Pauſe. 
Wüßt' ich, daß Gudmund — empfänd' er mit mir, — 
Ich trüg' kein Bedenken — 
Gudmund kommt zur Hausthür heraus. 
Gudmund. Margit, Du hier? 
So allein? Ich ſuchte Dich drinnen im Haus. 
Margit. Ich floh aus dem Dunſt in die Nachtluft hinaus. 
Siehſt Du die weißen Nebelweben 
Lautlos über das Moor herſchweben? 
Hier iſt nicht Dunkel noch Helle allein; 
Hier — wie in mir — herrſcht zweifelnder Schein. 
Blickt ihn an. 
Nicht wahr, — wenn Dein Fuß ſolche Nacht durchzieht, 
Da weißt Du oft ſelber nicht, wie Dir geſchieht; 
Doch bricht es wie heimliches Leben hervor 
Aus Blättern und Blumen, aus Büſchen und Rohr! 
Mit plötzlichem Uebergang. 
Weißt, was ich möchte? 
Gudmund. Nun was? 
Margit. Daß ich 
Eine Elfe wäre, im Walde drinnen. 
Wie wollt' ich da liſtige Zauber ſpinnen! 
Glaub' mir —! 
Gudmund. Was fehlt Dir, Margit? Sprich! 
Margit ohne auf ihn zu hören. 
Wie wollt' ich ſingen, wie wollt' ich klagen! 
Klagen und ſingen in Nächten und Tagen! 
Mit ſteigender Erregung. 
Wie wollt' ich es locken, das mutige Blut, 
Durch den grünen Wald — in die Felſenkammer; — 


— 191 — 


Vergeſſen wär' aller irdiſche Jammer 
In unſerer Liebe brennender Glut! 
Gudmund. Margit! Margit! 


Margit immer leidenſchaftlicher. Und Mitternacht, D 


Legten wir uns zur ſüßeſten Ruh! 
Und ſtürb' ich auch bis zum Morgenrot, — 
Sag', wär' es denn nicht ein ſeliger Tod? 
Gudmund. Du redeſt im Fieber! 
Margit bricht in Lachen aus. Hahahaha! 
Lachen! Lachen! Das löſt! 
Gudmund. Ja, ja, 
Du biſt noch immer ſo maßlos wie je! 
Margit plötzlich ernſthaft. 
Du darfſt mich nicht ſo durch Schelten ſtrafen — 
So bin ich nur nachts, wenn die Menſchen ſchlafen; 
Am Tage bin ich ſo ſcheu wie ein Reh. 
Und was iſt denn weiter? Erinnre Dich, wie 
Die Weiber in fremden Landen ſind, — ſie, 
Die ſchöne Prinzeſſin — ja, ſie war wild; 
Dagegen bin ich wie ein Lamm ſo mild. 
Sie ſchmachtete nicht nur, ſie hatte auch Mut; 
Sie ſann auf That; und ſieh, das — 


Gudmund. Wie gut! 
Du mahnſt mich daran! Den wertloſen alten 
Scherben — wozu ihn noch länger behalten! 


Zieht das Fläſchchen hervor. 
Margit. 
Das Fläſchchen! Du meinſt — ? 


Gudmund. Ich hob es noch auf, 


Weil ich dachte, ich hätte dann leichteren Kauf, 
Wenn des Königs Haufe nach mir begehrt. 
Doch all das verlor heut für mich ſeinen Wert. 


Nun ſtütz' ich mich fröhlich auf mich und mein Schwert; 
Und kommt es zum Schlimmſten, ſo ſtehn mir im Streite 
Geſippen und Freunde zur Seite. 
Will das Fläſchchen gegen einen Felſen werfen. 
Margit faßt ihn beim Arm. 
Nein, halt! 
Gudmund. Was haft Du — ? 
Margit. Ein beſſeres Ziel. 
Der Neck dort ſoll es empfangen. 
Er hielt mich ſo oft durch ſein munteres Spiel 
Und ſein ſeltſames Singen gefangen. 
Gieb her! 
Nimmt ihm das Fläſchchen aus der Hand. 
Da haſt Du's! 
Thut, als ob ſie es in den Bach würfe. 
Gudmund geht nach rechts und blickt in die Tiefe hinab. 
Warfſt Du's hinein? 
Margit indem fie das Fläſchchen verſteckt. 
Du ſahſt doch — 
Geht flüſternd dem Hauſe zu. 
kun mag mir Gott gnädig ſein! 
tun heißt es nichts oder alles wagen! 
Lauter. 
Hör', Gudmund: 
Gudmund nähert ſich. Ja? 
Margit. Ich möchte Dich fragen, — 
3 geht eine Sage hier unter den Leuten — 
Von der Kirche da drunten; die ſollſt Du mir deuten. 
Es war eine Frau und ein Edelknab', 
Die hielten einander ſo wert; 
Und als ſie vorausging ins frühe Grab, 
Da ſprang er ins eigene Schwert. 
Sie trug man zur ſüdlichen Kirchenwand, 


— 193 — 


Ihn grub man im Norden ein; — 
Nie wollten früher Blumen am Rand 
Der geweihten Mauern gedeihn; 
Im nächſten Lenz aber ſproßte ein Flor 
Aus ihrer Herzen Flammen 
Und rankte ſich über das Kirchdach empor 
Und ſpann ſich blühend zuſammen. — 
Nun deute mir das! 
Gudmund blict ſie forſchend an. 
Mir iſt nicht klar — 
Margit. Man kann's verſchieden deuten, wohl wahr! 
Doch glaub' ich, die Deutung iſt recht und ſchlicht: 
Was ſich liebt, das trennt auch die Kirche nicht. 
Gudmund teiie. Alle Heiligen, wenn —! Nun gilt es zu eilen 


Und alles ihr mitzuteilen. 
Laut. 


Sag', Margit, — willſt Du mir helfen, wenn — ? 

Margit freudig bewegt. 
Ob ich will! 

Gudmund. Ja, ich meine — 

Margit. Was haſt Du? 

Gudmund. Nun denn! 
Du könnteſt mich heut noch ſo glücklich ſchaun — 

Margit ausbrechend. Gudmund! 

Gudmund. Hör' mich, ich will Dir vertraun — 
Er hält plötzlich inne. Vom Ufer des Baches her ſchallen Stimmen und Gelächter. 


Signe und einige junge Mädchen kommen von rechts. Knut, Erik und mehrere 
jüngere Männer folgen ihnen. 


Nnut noch in einiger Entfernung. Gudmund Alfſön! Halt! — ich 
möchte ein Wort mit Dir ſprechen. 
Er bleibt im Geſpräch mit Erik ſtehen. Die übrigen Gäſte gehen inzwiſchen ins Haus zurück. 
Margit zu ſich ſelbſt. Ich könnte ihn heut noch ſo glücklich 
Ibſen, Das Feſt auf Solhaug. 13 


u. 


ſchauen —! Was kann er anders meinen, als —! Salblaut. Signe, 

— liebe, liebe Schweſter! 

Sie faßt Signe um die Hüfte und geht mit ihr im Geſpräch nach dem Hintergrund, 
die Anhöhe hinauf. 

Gudmund (eise, indem er ihnen mit den Augen folgt. Ja, jo iſt es am 
ratſamſten. Signe und ich müſſen von Solhaug fort. Knut 
Gaesling hat ſich mir ja als Freund gezeigt; er wird mir 
gewiß helfen. 

Nnut reife zu Exit. Ja, ſag' ich, ja. Gudmund iſt ihr Vetter; 
er kann meine Sache am beſten führen. 

Erik. Na, wie Du willſt. 

Geht ins Haus. 

Knut kommt näher. Hör’ mal, Gudmund — 

Gudmund lächelnd. Kommſt Du mir zu ſagen, daß Du mich 
nicht länger frei herumgehn laſſen darfſt? 

Knut. Darfſt? Sei deshalb unbeſorgt; Knut Gaesling darf 
alles, was er will. Nein, es handelt ſich um was andres. — 
Du weißt wohl, ich gelte hier in unſrer Gegend für einen wilden, 
unbändigen Kerl — 

Gudmund. Ja, und wenn das Gerücht nicht lügt, jo — 

Knut. O nein, dies und das mag ja wohl wahr jein —. 
Aber nun ſollſt Du hören — 

Sie gehen im Geſpräch die Anhöhe im Hintergrunde hinauf. 

Signe zu Margit, während fie den Steig beim Haufe herabkommen. Ich 
verſteh' Dich nicht. Du ſprichſt, als ob Dir ein unerwartetes 
Glück zu teil geworden iſt. Was meinſt Du denn damit? 


Margit. Signe, — Du biſt noch ein Kind. Du weißt 
nicht, was es heißt, in ewiger Furcht zu ſchweben, daß — 
Plötzlich abbrechend. Denk' Dir, Signe, — hinwelken, ſterben zu 


ſollen, ohne gelebt zu haben! 
Signe Hlict fie verwundert und kopfſchüttelnd an. Nein, aber Margit —? 
Nlargit. Ja, ja, Du begreifſt das nicht. Gleichviel — 


— 195 — 


Sie gehen im Geſpräch wieder die Anhöhe hinauf. Gudmund und Knut kommen 
auf der anderen Seite herab. 

Gudmund. Nun, wenn es ſo ſteht, — wenn Dir dies tolle 
Leben nicht länger behagt, ſo will ich Dir den beſten Rat geben, 
den Dir ein Freund geben kann: nimm Dir eine ehrbare Maid 
zur Frau. 

Rnut. Schau, ſchau! Und wenn ich Dir nun ſage, daß 
ich juſt an dasſelbe gedacht habe? 

Gudmund Nun dann viel Glück und Heil, Knut Gaesling! 
Aber nun wiſſe, daß auch ich — 

Knut. Du? Gehſt Du auch mit ſolchen Gedanken um? 

Gudmund. Ja, das thu' ich! — Aber des Königs Ungnade —, 
ich bin ja ein friedloſer Mann — | 

Rnut. Ei, das ſoll Dich wenig kümmern. Außer Frau 
Margit weiß hier ja noch niemand darum; und ſo lange ich 
Dein Freund bin, haſt Du einen Menſchen, auf den Du Dich 
vollſtändig verlaſſen kannſt. Nun hör' aber — 

Er fährt flüſternd fort, während ſie die Anhöhe wieder hinangehen. 

Signe indem ſie und Margit abermals zurückkommen. Aber ſo ſag' mir 
doch, Margit, — 

Margit. Mehr darf ich Dir nicht ſagen. 

Signe. Da will ich ehrlicher gegen Dich ſein. Aber ant— 
worte mir zuerſt auf eins. Verſchämt, zaudernd. Hat Dir — hat 
Dir niemand etwas über mich geſagt? 

Margit. Ueber Dich? Nein; was denn? 

Signe wie vorhin, ſchlägt die Augen nieder. Du haſt mich heut 
Morgen gefragt: wenn nun ein Freier erſchiene —? 

Margit. Jawohl. Leiſe. Knut Gaesling — ſollte er 
ſchon — ? Geſpannt, zu Signe. Nun? Und dann? 

Signe Leife, jubelnd. Der Freier iſt gekommen! Er iſt ge— 
kommen, Margit! Damals ahnt' ich nicht, wen Du meint: 
aber jetzt —! 


— 196 — 


Margit. Und was haſt Du ihm geantwortet? 

Digne. O, das weiß ich nicht. Schlingt die Arme um ihren Hals. 
Aber die Welt dünkt mich ſo ſchön und reich von dem Augen— 
blick an, da er mic ſagte, er hätte mich lieb. 

Margit. Aber, Signe, Signe, ich begreife nicht, daß Du 
fo bald —! Du haft ihn ja bis heute kaum gekannt. 

Signe. O, ich verſteh' mich ja noch jo wenig auf Liebe; aber 
eins weiß ich, wahr iſt das, was in dem Liede ſteht: 

Sie keimt ſo leicht; in der flüchtigſten Stund' 
Faßt ſie Wurzel im Herzensgrund — 

Margit. Mag ſein. Iſt es aber ſo, dann hab' ich nicht 
länger nötig, Dir etwas zu verheimlichen. Ah — 

Sie hält plötzlich inne, da ſie Knut und Gudmund näher kommen ſieht. 

Rnut vergnügt. Schau, das gefällt mir, Gudmund. Hier iſt 
meine Hand. 

Margit leiſe. Was iſt das? 

Gudmund zu Knut. Und hier die meine. 

Sie ſchütteln einander die Hände. 

Knut. Aber nun wollen wir uns auch beide jagen, wen 
wir — 

Gudmund. Gut. Hier auf Solhaug, unter all den ſchönen 
Weibern, hab' ich ſie gefunden, die — 

Bunt. Ich auch. Und ich entführe fie noch heut Nacht, 
wenn's vonnöten iſt. 

Margit die ſich unbemerkt genähert. Alle Heiligen! 

Gudmund nickt Knut zu. Dasſelbe iſt auch meine Abſicht. 

Signe die ebenfalls zugehört hat. Gudmund! 

Gudmund und nut flüftern mit einander, während ſie beide auf Signe 
zeigen. Die dort! 

Gudmund wird ſtutzig. Ja, meine. 

Rnut ebenſo. Wein, meine. 


— 197 — 


Margit teife, halb verwirrt. Signe! 

Gudmund wie vorher, zu Knut. Was meinſt Du damit? 

Nnut. Ich will doch Signe — 

Gudmund. Signe! Signe iſt meine Braut vor Gott— 

Margit mit einem Aufſchrei. Sie war's! Nein, nein! 

Gudmund fie erblicend, leiſe. Margit! Sie hat alles gehört! 

Rnut. Alle Wetter! Steht es jo? — Hört, Frau Margit, 
Ihr habt nicht nötig, ſo vrwundert zu tun; ich durchſchaue jetzt 
das Ganze. 

Margit zu Signe. Aber Du haſt doch eben gejagt — ? erfaßt 
plötzlich den Zuſammenhang. Gudmund meinteſt Du! 

Signe verwundert. Ja, wußteſt Du das nicht? — Aber was 
fehlt Dir, Margit? 

Margit mit faſt tonloſer Stimme. O nichts, nichts. 

Knut zu Margit. Und heut früh, da Ihr mir mein Wort 
abnahmt, heut Abend keinen Unfrieden hier zu ſtiften, — habt 
Ihr alſo gewußt, daß Gudmund Alfſön zu erwarten war! 
Haha, bildet Euch nur nicht ein, daß Ihr mit Knut Gaesling 
Poſſen treiben könnt! Signe iſt mir lieb geworden. Noch am 
Vormittag war es nur mein unbeſonnenes Gelübde, das mich 
trieb, um ſie zu freien; aber jetzt — 

Signe zu Margit. Er? Das war der Freier, an den Du dachteſt? 

Margit. Still, ſtill! 

Nnut ernſt und beſtimmt. Frau Margit, — Ihr ſeid Signes 
ältere Schweſter; eine Antwort ſollt Ihr mir geben. 

Margit mit ſich ſelbſt kämpfend. Signe hat ihren Bräutigam 
ſchon gewählt; — mehr kann ich nicht ſagen. 

Enut. Gut! So hab' ich auf Solhaug nichts weiter zu 
ſchaffen. Aber nach Mitternacht — merkt's Euch — da iſt 
der Tag um! da dürftet Ihr mich wohl wiederſehen, und dann 
mag das Glück entſcheiden, wer Signe heimführt, Gudmund 
oder ich. 


— 198 — 


Gudmund. Ja, verſuch's nur! Es ſoll Dich eine blutige Stirn 
koſten! 

Signe voll Angſt. Gudmund! Bei allen Heiligen —! 

Knut. Hab' Geduld, hab' nur Geduld, Gudmund Alfſön! 
Eh' die Sonne aufgeht, biſt Du in meiner Gewalt. Und ſie — 
Deine Braut —. Geht zur Thür, winkt und ruft leiſe. Erik! Erik, 
komm! Fort zu unſern Geſippen! Drohend, während Exit ſich in 
der Thür zeigt. Ja, — weh Euch allen, wenn ich wiederkomme! 

Er und Erik gehen links im Hintergrund hinaus. 

Signe leiſe zu Gudmund. Ach, aber ſo ſag' mir doch, — was 
ſoll das alles bedeuten? 

Gudmund fluſternd. Wir müſſen beide noch heut Nacht Sol— 
haug verlaſſen. 

Signe. Gott ſteh' mir bei! — Du willſt —! 

Gudmund. Verrate uns nicht! Kein Wort zu irgend 
einem Menſchen; nicht einmal zu Deiner Schweſter. 

Margit für ſich. Sie — ſie iſt es! Sie, an die er kaum 
gedacht hat bis zum heutigen Tag. Wär’ ich frei geweſen, 
ſo weiß ich wohl, wen er gewählt hätte. — Ja, frei! 

Bengt und die Gäſte, Männer und Weiber, kommen aus dem Hauſe. 
Junge Mädden und Zurſche fingen: 
Auf! Weiter hier draußen geſcherzt und gelacht 
Auf blumigem Wieſenraine, 
Daß rings der Vögelein Volk erwacht 
Im Birkenhaine! 
Auf! Weiter erbaue nun Tanz und Sang 
Die fröhlichſte Feſtgemeine, — 
All Leid muß enden beim Fiedelklang 
Im Birkenhaine! 


Bengt. Recht, ſo ſoll es ſein! Das gefällt mir! Ich bin 


— 19 — 


luſtig und mein Weib iſt luſtig; und darum follt auch Ihr 
luſtig ſein alle miteinander. 

Einer von den Gäſten. Ja, laßt uns ein Versturnier ver— 
anſtalten! 

Viele rufen. Ja, ja, ein Versturnier. 

Ein anderer Gaſt. Nein, laßt das lieber bleiben; das bringt 
nur Unfrieden in die Geſellſchaft. Mit gedämpfter Stimme. Bedenkt, 
daß Knut Gaesling heut auf dem Schloß iſt —! 

Mehrere unter einander flüſternd. Ja, ja, das iſt wahr! Ihr 
erinnert Euch noch an das letzte Mal, da er —. Man ſei auf 
der Hut — das iſt das Beſte! 

Ein alter Mann. Aber Ihr, Frau Margit —; ich weiß, 
Euer Geſchlecht war allzeit ſagenkundig, und Ihr ſelbſt wußtet 
viele ſchöne Geſchichten, da Ihr noch ein Kind wart. 

Margit. Ach, ich habe ſie alle, alle vergeſſen. Doch fragt 
meinen Vetter Gudmund Alfſön; der ſingt Euch gern eine 
luſtige Geſchichte. 

Gudmund teife, bittend. Margit —! 

Margit. Ei, was ſetzeſt Du für ein kläglich Geſicht auf! 
Luſtig, Gudmund! Luſtig! Ja, ja, es fällt Dir nicht ſo leicht, 
glaub's wohl. Lachend, zu den Gäſten. Er hat heut Abend die 
Waldelfe geſchaut. Sie wollt' ihn verführen; aber Gudmund 
iſt ein treuer Geſell. Wendet ſich wieder zu Gudmund. Nun ja, die 
Geſchichte iſt noch nicht zu Ende. Wenn Du Dein Herzlieb 
übers Gebirg' und durch die Wälder entführſt, ſo wende 


Dich ja nicht um; ſchau niemals zurück; — die Waldelfe 
ſitzt hinter jedem Buch und lacht; und zuletzt — Mit gedämpfter 


Stimme, indem ſie dicht an ihn herantritt: kommſt Du doch nicht weiter, 
als ſie will. 
Sie geht nach rechts hinüber. 
Signe leiſe. O Gott, o Gott! 
Bengt geht vergnügt unter den Gäſten umher. Hahaha! Frau Margit 


— 200 — 


verſteht ſo etwas zuſammen zu ſetzen. Wenn ſie erſt einmal 
will, ſo macht ſie's viel beſſer als ich. 

Gudmund für ſich. Sie droht mir. Ich muß ihr die letzte 
Hoffnung rauben; eher beruhigt ihr Gemüt ſich nicht. Wendet ſich 
zu den Gäſten. Ich kenn' ein kleines Lied. Wenn Ihr Luſt habt, 
es zu hören, ſo — 

Mehrere Gäſte. Bitte, bitte, Gudmund Alfſön! 


Man ſchließt um ihn einen Kreis; einige ſitzen, andere ſtehen. Margit lehnt an einem 
Baum rechts vorn. Signe ſteht links in der Nähe des Hauſes. 


Gudmund fingt: 
Ich ritt durch weite Wälder, 
Ich fuhr nach fremdem Strand; 
Doch meine Braut, die freit' ich mir 
Im lieben Heimatland. 


Da war eine böſe Elfe, 

Die wollt' vor Neid vergehn: 
Nie ſoll mit ihm ſein feines Lieb 
Am Traualtare ſtehn. 


Hör' mich, Du böſe Elfe, 

Was machſt Du Dir Beſchwer? 
Zwei Herzen, die in Liebe eins, 
Die trennſt Du nimmermehr! 

Ein alter Mann. Das iſt ein ſchönes Lied! Schau, wie 
die jungen Burſchen verſtohlen dort hinüber gucken. Zeigt auf die 
Mädchen. Ja, ja, jeder hat ſchon die ſeine, glaub's wohl. 

Bengt macht Margit Zeichen. Ja, und ich hab' die meine, das 
weiß ich genau. Hahaha! 

Margit teile, bebend. O, all den Spott und Hohn dulden zu 
müſſen! Nein, nein! Nun muß ich das Aeußerſte verſuchen. 

Bengt. Was fehlt Dir? Du biſt ja jo blaß. 


— 201 — 


Margit. Es geht bald vorüber. Wendet ſich zu den Gäſten. Mir 
iſt, als ob ich vorhin geſagt hätte, ich hätte all meine Geſchichten 
vergeſſen. Aber eine iſt mir doch noch eingefallen. 

Bengt. Recht ſo, mein Frauchen! Heraus damit! 

Junge Mädchen bittend. Ja, erzählt, erzählt, Frau Margit! 

Margit. Faſt bin ich bange, daß ſie Euch wenig gefallen 
wird; aber ſei dem nun, wie ihm wolle. 

Gudmund keiſe. Alle Heiligen, ſie will doch wohl nicht — 

Margit. Es ſaß einmal eine Jungfrau fein 
Wohl auf ihres Vaters Schloß; 

Sie ſäumte Seide, ſie ſäumte Lein, — 
Trübeinſamkeit war ihr Genoß. 

Sie ging ſo verlaſſen und freudlos umher 

In den leeren Stuben und Sälen; 

Doch nährte ihr Herze gar hohes Begehr, 
Nur einen vom Adel zum Manne zu wählen. — 
Da ſtieg Bergkönig aus ſeinem Schacht 

Und kam mit Gold und Mannen 

Und führte des dritten Tages Nacht 

Sie — als ſein Weib — von dannen. 

Nun ſaß ſie im Berge und ließ ſich den Met 
Aus goldenem Horne entgegenſchäumen, 

Das Thal lag da wie ein blühendes Beet, — 
Sie ſah ſeine Pracht nur in Träumen. — 
Da war ein Spielmann, jung und fein, 

Sang draußen im Lichte der Sonnen; 

Das klang bis zum Schoße der Felſen hinein, 
Wo ihr Sommer um Sommer verronnen. 

So wunderſam löſte ſich nun ihre Qual; — 
Auf ſprang das Bergthor in weitem Bogen; 
Gottvaters Friede lag über dem Thal, 

Nun ward ihr Auge um nichts mehr betrogen. 


Ihr war, als ſei bei des Harfentons Macht 
Zum erſten Male ihr Herz erwacht, 
Als ob ihr nun erſt erſchloſſen werde, 
Wie reich, wie überreich die Erde. 
Nun müßt ihr wiſſen alleſamt, — 
Den, der zum Felſenkerker verdammt, 
Kann Harfenſpiel leicht vom Banne befrein! 
Nun ſah er ſie ſchmachten, hörte ſie ſchrein, — 
Doch er warf ſeine Harfe in ſeinen Kahn, 
Zog ſeidene Segel auf ſeine Rah'n 
Und ſteuerte über das ſalzige Meer 
Samt ſeiner Braut — auf Niewiederkehr. 
In ſteigender Leidenſchaft. 
Du rührteſt ſo herrlich der Saiten Gold, — 
dun ward ich dem Leben von neuem hold! 
Ich muß fort, ich muß fort in die grünen Thale! 
Ich ſterbe da drinnen im ſteinernen Saale! 
Er ſpottet nur mein! Er umfaßt ſie, er 
Flieht mit ihr über das ſalzige Meer! 
Schreit auf. 
Mit mir iſt es aus; die Felſen winken! 
Sonne leuchtet nicht mehr; alle Sterne verſinken. 
Sie wankt und ſinkt ohnmächtig an einen Baum. 
ſigne iſt weinend hinzugeeilt, um ſie in ihren Armen aufzufangen. Margit! 
Schweſter! 
Gudmund zugleich, ſtützt fie. Zu Hilfe! Zu Hilfe! Sie ſtirbt! 


Bengt und die Gäſte ſcharen ſich unter Ausrufen des Schreckens um ſie. 


Dritter Akt. 


Die große Stube auf Solhaug wie im erſten Akt, aber jetzt vom Feſt her in Un- 
ordnung. Es iſt noch immer Nacht; eine milde Dämmerung iſt über das Zimmer und 
die Landſchaft draußen gebreitet. 

Bengt ſteht auf der offenen Außengalerie, einen Bierhumpen in der Hand. Eine 
Schar Gäſte iſt im Begriff, das Schloß zu verlaſſen. In der Stube geht eine Magd 
umher und räumt auf. 


Bengt ruft den Fortziehenden nach. Alſo, Gott mit Euch, und ein 
froh Wiederſehen auf Solhaug! Ihr hättet ſonſt wirklich hier 
bleiben und ausſchlafen können, ebenſogut wie die andern. 
Na ja, ja —; nein wartet! Ich komm' noch bis zur Pforte 
mit; ich muß Euch doch noch einmal zutrinken. 

Geht ab. 
Die Gäſte ſingen, ſich entfernend: 
B'hüt Gott und Lebwohl Euch insgemein 
Hier hinter Solhaugs Thüren! 
Nun ziehn wir hin über Stock und Stein; — 
Friſch auf! Die Fiedel mag führen! 
Bei Tanz und Geſang 
Wird der Heimweg uns nicht ſo ſchwer und lang. 
Hei, luſtig dahin! 
Der Geſang verliert ſich mehr und mehr in der Ferne. Margit tritt durch die 
Thür links in die Stube. 


Die Magd. Jeſus Chriſtus, Frau, Ihr ſeid ſchon auf? 


— 2 


Margit. Ich bin friſch und munter; Du kannſt hinunter 
gehn und Dich ſchlafen legen. Halt! Sag' mir: ſind ſchon alle 
Gäſte fort? 

Die Magd. Nein, nicht alle; ein Teil iſt über Nacht ge= 
blieben. Die ſchlafen gewiß ſchon. 

Margit. Und Gudmund Alfſön —? 

Die Magd. Er ſchläft wohl auch. Zeigt nach rechts. Eben 
vorhin ging er in ſeine Kammer, dort, gleich überm Gang. 


Margit. Gut; Du kannſt gehn. 

Die Magd links ab. 
Margit geht langſam durch die Stube, ſetzt ſich an den Tiſch rechts und blickt zum 

offenen Fenſter hinaus. 

Margit. Wenn es tagt, ſo zieht wohl Gudmund hinaus, — 
Und ich werde ihn nie mehr wiederſehen; 
Dann ſitz' ich wieder beim Gatten zu Haus — 
Mir ſpielt das Geſchick wie dem Blümlein mit, 
Wie dem Hälmchen, das irgend ein Fuß zertritt, 
Mein Los iſt Verwelken, Vergehen. 
Kurze Pauſe, ſie lehnt ſich in den Stuhl. 

Mir fällt das blinde Geſchöpfchen ein, 
Das harmlos zum Kinde gediehen, 
Bis daß ihm die Mutter mit Zauberei'n 
Die Gabe, zu ſehen, verliehen. 
Nun ſchaute es ſtaunend unverwandt 
Ueber Berg und See, über Thal und Strand. 
Da verſagten die Künſte der Gauklerin, 
Und das Kind ging wieder in Dunkel dahin; 
Die Luſt am Spielen war ihm vergangen. 
Von Sehnſucht bleichten ihm ſeine Wangen. 
Hinſiechend lebte es all ſeine Tage 
In ewiger, namenloſer Klage. — 


* 


— 205 — 


So ging auch ich wie blindgeboren 
Im blühenden Sommer, im ſtrahlenden Licht — 
Sie ſpringt auf. f 
Und dann —! Und dann wieder alles verloren! 
Nein, nein, ſo wohlfeil verkauf' ich mich nicht. 
Drei Jahre ertrug ich die Höllenpein, 
Nun muß mein Opfer ein Ende finden! 
Könnt' ich noch länger dies Daſein verwinden, 
Ich müßte wie eine Taube ſein. 
Hier wird mir die Jugend verkränkt und vergällt, — 
Und draußen, da wogt die unendliche Welt; — 
Gudmund will ich folgen mit Schild und mit Bogen, 
Teilen ſein Glück und mildern ſeinen Kummer, 
Hüten ſeinen Schritt und ſchützen ſeinen Schlummer; — 
Das Staunen! Kommen wir ſo gezogen, 
Der kühne Ritter und Margit, ſein Lieb — 
Sein Weib! 
Schlägt die Hände zuſammen. 
O Herrgott, vergieb, vergieb! 
Weiß ſelber nicht mehr, was ich ſpreche. — 
Rette mich, eh' ich zuſammenbreche! 
Geht eine Weile grübelnd umher. 


Signe —? Könnte ich Ruhe haben, 
Wenn ſie Dich vor der Zeit begraben? 
Und doch —? Wer weiß? Sie iſt ja noch Kind; 
In ihren Jahren vergißt man geſchwind. 
Abermals Pauſe; fie zieht das Fläſchchen hervor, betrachtet es lange und jagt leue. 
Dies Fläſchchen —! Es ließe mich alles gewinnen —! 
Ein Griff — und mein Gatte müßte von hinnen. 
Erſchrocken. 
Nein, nein, ich werf' es hinaus in den Bach! 


Will es zum Fenſter hinauswerfen, hält aber inne. 


— 206 — 


Und doch, — ich fühlte mich nicht zu ſchwach — — 
Flüſtert mit einem aus Schauder und Entzücken gemiſchten Ausdruck. 

In welch verführeriſcher Geſtalt 

Lockt doch der Sünde ſüße Gewalt! 

Mich dünkt, das Glück gewährt höchſten Genuß, 

Das mit Leib und mit Seele erkauft werden muß. 

Bengt, den leeren Bierhumpen in der Hand, kommt über die Außengalerie herein; 
ſein Geſicht glüht; er geht mit unſicheren Schritten. 

Bengt ſchleudert den Humpen auf den Tiſch links. So! Das war ein 
Feſt, das in der ganzen Gegend von ſich reden machen wird. 
Erblickt Margit. Na, da biſt Du ja? Biſt wieder zu Dir gekommen? 
Das freut mich. 

Margit die inzwiſchen das Fläſchchen verborgen hat. Iſt das Thor ge⸗ 
ſchloſſen? 

Bengt ſett ſich an den Tiſch lints. Ich hab' für alles geſorgt. 
Ich folgte den letzten Gäſten bis zur Pforte hinunter. Aber 
wo blieb Knut Gaesling heut Abend? — Gieb mir Met, 
Margit! Ich bin durſtig. Füll' mir den Becher da. 

Margit nimmt eine Metkanne aus dem Schrank und ſchenkt den Becher voll, der vor 
ihm auf dem Tiſche ſteht. 

Margit geht mit der Kenne nach rechts hinüber. Du fragteſt nach 
Knut Gaesling. 

Bengt. Ja freilich, freilich. Der Prahler, — der Groß— 
ſprecher! Ich weiß noch, wie er uns geſtern früh drohte. 

Margit ſetzt die Kanne auf den Tiſch rechts. Er führte ſchlimme 
Reden im Munde heut Nacht, als er aufbrach. 

Bengt. That er das? Recht ſo! Ich werd' ihm den Schädel 
einſchlagen. 

Margit tägelt verächtlih. Hm — 

Zengt. Ich werd' ihm den Schädel einſchlagen, ſag' ich! Ich 
bin nicht furchtſam, und wenn ich zehn ſolcher Kerle begegnete. 
Draußen im Vorratshauſe hängt meines Großvaters Streitaxt; der 


, — 


Schaft iſt mit Silber ausgelegt; und wenn ich mit der komme, 
jo — ! Schlägt auf den Tisch und trintt. Morgen rüſt' ich mich und 
zie'h aus mit allen meinen Mannen und ſchlage Knut Gaesling 
den Schädel ein. Trinkt aus. 

Margit reife. O, mit dem da leben zu müſſen! 

Sie will gehen. 

Bengt. Margit, komm her! Schenk' mir wieder ein! Sie 
kommt näher; er will ſie auf ſein Knie niederziehen. Hahaha, Du biſt hübſch, 
Margit! Ich hab' Dich gern. 

Margit reißt ſich los. Laß mich! Sie geht mit dem Becher nach rechts 
hinüber. 

Bengt. Du biſt heut Abend nicht fügſam. Hahaha, — 
Du meinſt das wohl nicht ſo ſchlimm. 

Margit leiſe, während ſie den Becher wieder vollſchenkt. Wär' es der 
letzte Becher! l Sie läßt den Becher ſtehen und will nach links ab. 

Bengt. Hör', Margit! Für eins kannſt Du dem Himmel 
danken, und zwar dafür, daß ich Dich geheiratet habe, bevor 
Gudmund Alfſön wieder kam. 

Margit bleibt an der Thür ſtehen. Warum das? 

Bengt. Nun ja, — weil ſein ganzes Hab und Gut nicht 
den zehnten Teil ſo groß iſt wie meins. Und deſſen bin ich 
ſicher, gefreit hätt' er um Dich, wenn Du nicht Frau auf 
Solhaug wärſt. 

Margit kommt näher, blickt verſtohlen nach dem Becher. Glaubſt Du? 

Bengt. Darauf will ich ſchwören, Margit. Bengt Gauteſön 
hat ein paar kluge Augen im Kopfe. Aber jetzt kann er ja 
Signe nehmen. 

Margit. Und Du denkſt, er will — ? 

Bengt. Sie nehmen? O ja, ſeit er Dich nicht mehr 
haben kann. Wenn Du noch frei wärſt, ja dann — Hahaha, 
Gudmund iſt juſt wie die andern; er mißgönnt mir, daß 
ich Dein Mann bin. Eben darum mag ich Dich ja ſo 


— 208 — 


gut leiden, Margit! — Her mit dem Becher! Voll bis 
zum Rand! 

Margit geht widerſtrebend nach rechts hinüber. Deinen Becher ſollſt 
Du haben — ganz gewiß. 

Bengt. Knut Gaesling hat ja auch um Signe gefreit; aber 
dem will ich den Schädel einſchlagen. Gudmund iſt ein ehrlicher 
Kerl; er ſoll ſie kriegen. Denk' nur, Margit, wie gut wir als 
Nachbarn zuſammen leben werden. Dann kommen wir zu 
einander zu Gaſte und ſitzen, ſo lang der Tag währt, jeder 
mit ſeinem Weib auf dem Schoß, und trinken und ſchwatzen 
das Blaue vom Himmel. 

Margit verrät einen immer mehr ſich ſteigernden Seelenkampf; unwillkürlich 
hat ſie das Fläſchchen hervorgezogen, während ſie ſagt: Jawohl, jawohl! 

Bengt. Hahaha! Am Anfang, mein' ich, wird Gudmund 
mich ein bißchen ſcheel anſehen, wenn ich Dich herze; aber das 
verwindet er gewiß bald. 

Margit leiſe. Das iſt mehr, als ein Menſch ertragen kann! 
Schüttet den Inhalt des Fläſchchens in den Becher, tritt ans Fenſter, wirft das Glas 
hinaus und ſagt, ohne ihn anzuſehen. Dein Becher iſt gefüllt. 

Bengt. Dann her damit! N 

Margit kämpft in Angſt und Zweifel; endlich jagt ſie. Trink heut 
nicht mehr! 

Bengt lachend, indem er ſich in den Stuhl zurücklehnt. So, — warteſt 
Du etwa auf mich? VBunzelt ihr zu. Geh nur; ich komm' bald nach. 

Margit plötzlich feſt. Dein Becher iſt gefüllt. Zeigt auf ibn. Da 
ſteht er. Sie geht raſch lints ab. 

Bengt erhebt ſich. Ich mag ſie gern. Es reut mich nicht, daß 
ich ſie zur Frau genommen, obſchon ihr nicht mehr Erbgut eignete, 
als der Becher da und der Schmuck, den ſie als Braut trug. 

Er tritt an den Tiſch am Fenſter und nimmt den Becher. 
Ein Knecht kommt eilig und erſchrocken durch den Hintergrund. 


Der Rnecht ruft. Herr Bengt! Herr Bengt! Sputet Euch, 


jo jehr Ihr könnt! Knut Gaesling zieht mit einem Haufen 
Gewaffneter herauf gegens Schloß. 

Bengt ſteut den Becher hin. Knut Gaesling? Wer ſagt das? 

Ber Knecht. Einige von Euren Gäſten ſahen ihn drunten 
des Wegs kommen, und da liefen ſie eiligſt zurück, um Euch zu 
warnen. 

Bengt. Gut; jo werd' ich denn auch —! Hol' mir meines 
Großvaters Streitaxt! 

Er und der Knecht gehen durch den Hintergrund ab. 


Bald darauf kommen Gudmund und Signe leis und vorſichtig durch die Thüre 
rechts herein. 


Signe leiſe. So muß es denn ſein! 
Gudmund evenio. Die höchſte Gefahr 
Zwingt uns. 
Signe. Ach, jo flüchten zu ſollen, — 
Aus ſeiner Heimat, die einen gebar! 
Trocknet ihre Thränen. 
Und doch, ich will Dir nicht grollen — 
Ich fliehe ja gerne Dir zulieb. 
Freilich, wärſt Du nicht friedlos, blieb' 
Ich beſſer bei Margit. 
Gudmund. Und Tags darauf 
Käme Knut Gaesling mit ſeinen Mannen 
Und höbe Dich auf ſein Roß hinauf 
Und ſchleppte die Braut von dannen! 
Signe. Ja, laß uns fliehn! Doch wie fangen wir's an? 
Gudmund. Ich hab' draußen am Fjord einen treuen Mann; 
Der ſchafft uns ein Schiff. Durch ſalzige Wellen 
Wird uns der Nordwind die Segel ſchwellen. 
Im Dänenland, glaub' mir, iſt herrlich zu ſein; 
Da wirſt Du gar bald mit Freuden wohnen; 
Ibſen, Das Feſt auf Solhaug. 14 


— 210 — 


Da warten die lieblichſten Blumen Dein 
Unter ſchattigen Buchenkronen. 


Signe bricht in Thränen aus. Meine arme Schweſter — ade! ade! 
Wie haſt Du mich immer gehegt und geleitet, 
Mit frommem Gebet mir die Wege bereitet; 
Wie warſt Du mir Mutter in Wohl und in Weh! — 
Komm Gudmund, — trinken wir ihr zur Ehre 
Noch dieſen Becher, auf daß ihr Herz 
Bald wieder geneſe, und Gott ihren Schmerz 
In Frohſinn wieder verkehre! 
Sie ergreift den Becher. 
Gudmund. Das woll'n wir; wir trinken ihr Wohlergehen. 
Wird ſtutzig. 
Rein, halt! 
Nimmt ihr den Becher aus der Hand. 
Wo hab' ich nur den ſchon geſehen? 
Signe. s iſt Margits Becher. 
Gudmund betrachtet ihn genau. Wahrhaftig, — mich trog 
Mein Aug' nicht. Als ich zur Fremde zog, 
Trank Margit aus ihm in funkelndem Weine, 
Daß der Himmel uns bald wieder fröhlich vereine; — 
Doch trank ſie ſich ſelber nur Sorge und Pein. 
Nein, trinken wir keinen Met oder Wein 
Aus dieſem Becher mehr! 
Schüttet den Inhalt aus dem Fenſter. 
Komm, 's iſt Zeit! 
Lärm und Rufe hinter der Scene. 
Signe. Horch! — Gudmund, ich höre Lärm und Streit! 
Gudmund vorchend. Knut Gaeslings Stimme! 


Digne. Daß Gott ſich erbarm'! 


2-8 => 


Kudmund ſteut ſich vor fie. 

Keine Furcht! Dich ſchützt Deines Gudmund Arm. 
Margit kommt eilig von links. 

Margit nach dem Lärm hinhorchend. Was giebt's da? Iſt mein 
Mann —? 

Gudmund und Signe. Margit! 

Margit erblict fie. Gudmund! Und Signe! Ihr ſeid hier? 

Signe geht auf fie zu. Margit, — liebe Schweſter! 

Margit voll Entſetzen, da ſie den Becher bemerkt, den Gudmund noch immer 
in der Hand hält. Den Becher! Wer hat ihn geleert? 

Gudmund verwirrt. Geleert —? Ich und Signe, wir 
wollten — 

Margit ſchreit auf. Gnade, Gnade! Zu Hilfe! Sie ſterben! 

Gudmund ſtent den Becher weg. Margit —! 

Signe. O Gott, was fehlt Dir? 

Margit eilt nach dem Hintergrund. Hilfe, Hilfe! Will denn 
niemand helfen?! 


Ein Knecht kommt eilig über die Außengalerie herein. 


Der Knecht ruft erschrocken. Frau Margit! Euer Gemahl —! 

Margit. Er! Hat auch er getrunken —? 

Gudmund teiie. Ah, nun begreif ich — 

Der Knecht. Knut Gaesling hat ihn erſchlagen! 

Signe. Erſchlagen! 

Gudmund zieht das Schwert. Noch nicht, will ich hoffen. 
Flüſtert Margit zu. Sei ruhig! Keiner hat aus dem Becher 
getrunken. 

Margit. Dann ſei Gott gelobt, der uns alle errettet hat! 


Sie ſinkt in einen Stuhl zur Linken. Gudmund will eilig ab durch den 
Hintergrund. 
Ein anderer Knecht unter der Thür, hält ihn auf. Ihr kommt zu 
ſpät. Herr Bengt iſt tot. 


1 


2 


Gudmund. Alſo doch erſchlagen! 

Ber Knecht. Aber die Gäſte und Eure Leute ſind der Gewalt- 
thäter Herr geworden. Knut Gaesling und ſeine Mannen ſind 
gebunden. Da kommen ſie. 

Gudmunds Mannen, Gäſte und Knechte führen Knut Gaesling, Erik von Hacgge 
und mehrere von Knuts Leuten gebunden herein. 

Knut bleich und ruhig. Totſchläger, Gudmund! Was ſagſt Du 
dazu? 

Gudmund. Knut, Knut, was haſt Du gethan? 

Erik. Es geſchah ohne Abſicht, — das kann ich bezeugen. 

Bnut. Er lief mich an mit geſchwungener Axt; ich wollt' 
mich verteidigen, und ſo hieb ich denn blindlings zu. 

Erik. Hier ſtehen viele, die das geſehen haben. 

Knut. Frau Margit, fordert eine Buße, jo hoch Ihr wollt, — 
ich bin bereit, ſie zu zahlen. 

Margit. Ich fordere nichts. Gott möge über uns alle 
richten. Doch ja, — eins fordre ich; laßt Euren ſchlimmen 
Anſchlag gegen meine Schweſter fahren! 

Rnut. Nimmermehr werd' ich verſuchen, mein unſelig 
Gelübde einzulöſen. Glaubt mir, ich werd' mich beſſern— 
Möchte nur keine entehrende Strafe mich treffen für meine 
That. Zu Gudmund. Sollteſt Du wieder zu Ehren und Würden 
gelangen, ſo ſprich beim König ein gutes Wort für mich. 

Gudmund. Ich? Noch bevor der Tag kommt, muß ich 
über der Grenze ſein. 

Erſtaunen unter den Gäſten; Erik erklärt ihnen flüſternd den Zuſammenhang. 

Margit zu Gudmund. Du gehſt? Und Signe will Dir 
folgen? 

Digne bittend. Margit! 

Margit. Alles Glück mit Euch beiden! 

Signe an ihrem Halſe. Geliebte Schweſter! 


Fudmund. Dank, Margit! Und nun leb wohl! Lauſchend. 
Horch! Ich höre Huſſchlag im Hof. 

Signe voll Angſt. Da kommt fremdes Kriegsvolt! 

Ein Rnecht unter der Thür im Hintergrund. Des Königs Mannen 
ſtehn draußen. Sie ſuchen Gudmund Alfſön. 

Signe. O, Herr im Himmel! 

Margit fäyrt erſchrocen auf. Des Königs Mannen! 

Gudmund. So iſt alles vorbei! O Signe! Dich jetzt zu 
verlieren, — das war das Schwerſte, was mich treffen konnte. 

Knut. Nein, Gudmund! Teuer ſoll ihnen Dein Leben zu 
ſtehen kommen. Lös unſre Stricke! Wir ſind alle bereit, uns 
für Dich zu ſchlagen. 

Erik blidt hinaus. Es nützt nichts; es find ihrer zu viele. 

DSigne. Sie kommen hier herein! O Gudmund, Gudmund! 

Des Königs Sendbote ſamt Gefolge tritt durch den Hintergrund herein. 

Der Sendbote. In des Königs Namen und Auftrag ſuche 
ich Euch, Gudmund Alfſön. 

Gudmund. Gut. Aber ich bin unſchuldig, das ſchwör' ich 
hoch und teuer! 

Der Sendbote. Das wiſſen wir alle. 

Gudmund. Wie? 

Bewegung unter den Verſammelten. 

Der Sendbote. Ich habe Befehl, Euch an des Königs Hof 
zu Gaſt zu bitten. Der König ſchenkt Euch ſeine Freundſchaft 
wie früher und reiche Lehen dazu. 

Gudmund. Signe! 

Signe. Gudmund! 

Gudmund. Aber jo jagt mir — ? 

Ber Sendbote. Euer Feind, der Kanzler Audun Hugleikſon. 
iſt geſtürzt. 


= on 


Gudmund Der Kanzler! 
Die Gäſte halblaut, zu einander. Geſtürzt?! 
Der Sendbote. Vor drei Tagen wurde er zu Bergen ent— 
hauptet. Mit gedämpfter Stimme. Er hatte Norwegens Königin beleidigt. 
Margit tritt zwiſchen Gudmund und Signe. 
So ſchlägt den Sünder des Himmels Hand! 
Mir hat er heut Nacht ſeine Engel geſendet 
Und, als mir ſchon jede Hoffnung ſchwand, 
Mein Los noch gnädig zum Guten gewendet. 
Nun weiß ich, das Leben iſt mehr als ein Jagen 
Nach glänzenden Gütern, nach feſtlichen Tagen. 
Ich fühlte, wie bitter der Menſch verzagt, 
Der ſeiner Seele Seligkeit wagt. — 
Ich tret' in Synnöves Kloſter ein — 
Da Gudmund und Signe ſprechen wollen. 
Sagt nichts! Es würde vergeblich ſein. 


Legt ihre Hände zuſammen. 


So knüpf' ich denn Eurer Liebe Band 
Und ſtell' Euer Leben in Gottes Hand! 
Sie winkt zum Abſchied und geht nach links. Gudmund und Signe wollen ihr folgen. 
Margit hält ſie mit einer abwehrenden Gebärde zurück, geht hinaus und ſchließt hinter 
fich die Thür. Im ſelben Augenblick geht die Sonne auf und wirft ihr Licht in 
die Stube. 
Gudmund. Signe, — mein Weib! — Sieh, der Tag will 
beginnen; 

Das iſt unſrer jungen Liebe Tag! 

Signe. Mein ſchönſtes Erinnern, mein beſtes Sinnen 
Haſt Du mir geſchenkt und Dein Harfenſchlag. 
Mein edler Sänger, — in Leid und Luſt 
Schlag' nur die Saiten zu höchſten Liedern 


Ich trag' eine Harfe in tiefer Bruſt, 
Die ſoll Dir in Freuden und Schmerzen erwidern! 
Chorgeſang von Männern und Frauen. 
Sonne hat ihr ſegnend Aug' erhoben, 
Hütet liebevoll der Frommen Fuß, 
Sendet milder Strahlen Troſtesgruß — 0 
Lob und Preis dem Herrn im Himmel droben! 


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Olaf Liljekrans 


Schauſpiel in drei Akten 


— 


Geſchützt auf Grund der Geſetze und Verträge. 
Den Bühnen gegenüber Manuſkript. 


Perlonen. 


Frau Kirſtin Liljekrans. 
Olaf, ihr Sohn. 

Arne von Guldvik. 
Ingeborg, ſeine Tochter. 
Hemming, ſein Knappe. 
Thorgjerd, ein alter Spielmann. 
Alfhild. 


Hochzeitsgäſte. Arne von Guldviks Sippe. Knechte und Mägde. 


Ort der Handlung: ein Kirchdorf im Gebirge; Zeit: das Mittelalter. 


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Erſter Akt. 


Eine dicht bewachſene Halde, die höher hinauf in die Berge führt. In einer tiefen 

Schlucht fließt ein reißender Strom vom Hintergrunde her nach rechts; über dem 

Waſſer liegen einige alte Holzſtämme und andere Reſte einer verfallenen Brücke. 

Mächtige Felsblöcke ſind im Vordergrunde verſtreut; in der Ferne, weit zurück, ſieht 

man die Gipfel hoher Schneeberge. Die Abendröte liegt über der Landſchaft aus— 
gegoſſen. Später Mondſchein. 


1. Scene. 


Thorgjerd ſteht auf einem Felsblock bei dem Strome und lauſcht dem Chorgeſang, 
der hinter der Scene ertönt. 


Chor von Frau Birfins Gefolge tier im Walde links. 
Mit frommen Geſängen, mit Glockenſpiel 
Zieht aus nach dem irrenden Manne! 

Du Chriſt, der unſeligen Mächten verfiel — 
Erwach' aus dem Zauberbanne! 
Arne von Guldviks Sippe weit draußen rechts. 

Nun ziehn wir hinaus 

Zum Hochzeitshaus — 

Es rennen die Rößlein, die ſchnellen. 

Der Hufſchlag ſchallt 

Durch den grünen Wald 

Beim Ritt der luſt'gen Geſellen. 

Trau Birftins Gefolge etwas näher. 

Wir beſchwören Dich aus Hügel und Hain, 


22 


Aus Feld und aus Bergeshalde, 
Daß Deine Seele ſich möge befrein 
Von liſtigen Elfen im Walde! 


Thorgjerd verſchwindet in der Schlucht, wo der Strom fließt. Nach einem raſchen 
Zwiſchenſpiel vernimmt man deutlicher: 


Arnes Sippe. 
Wir kürzen den Weg mit Scherz und Sang, 
Zum bräutlichen Feſte wir ziehn. 
Trau Rirſtins Gefolge. 
Mit Thränen ziehn wir den Weg entlang — 
Ach, nirgend erſpähen wir ihn! 

Arnes Sippe ganz nahe, aber immer noch hinter der Scene. 
Zum Hochzeitsfeſte, zu Spiel und Tanz 
Zieht Knabe und Maid mit Geſange — 

Frau Rirſtins Gefolge noch naher. 
Olaf Liljekrans, Olaf Liljekrans! 
Was ſchläfſt Du ſo tief und ſo lange! 


2. Scene. 


Arne von Guldpik mit feiner Sippe (Männern und Frauen, Spielleuten u. ſ. w.) 
erſcheint im Hintergrunde rechts, an dem jenſeitigen Ufer des Fluſſes; ſie ſind alle 
im Hochzeitsgewand. Gleich darauf Hemming von derſelben Seite. 


Einer aus der Sippe. Seht, hier geht der Weg! 
Ein Andrer. Nein, hier! 
Ein Dritter. Nicht doch! Hier muß es ſein! 
Arne. Ei, da ſtecken wir wieder feſt! 
Wo iſt Hemming? 
Hemming ritt auf. Hier! 
Arne. Hab' ich Dir nicht geſagt, Du ſollſt Dich in meiner 
Nähe halten, um mir an die Hand zu gehen! 
Hemming. Jungfer Ingeborg — ſie wollte — und da — 
Arne ärgerlich. Jungfer Ingeborg! Jungfer Ingeborg! 


Ruft. Hemming! 


— 223 — 


Biſt Du Ingeborgs Zofe? Mein Knappe biſt Du! Mir haſt 
Du zu dienen — bekommſt Du nicht Koſt und Lohn dafür? — 

Hemming unſicher. Den Weg? — Ja, ich kenne mich hier 
oben nur wenig aus, aber — 

Arne. Dacht ich's doch! Das iſt der Nutzen, den man 
von Dir hat! — Ja, nun müſſen wir in der Einöde übernachten, 
ſo wahr ich Arne von Guldvik heiße! 

Hemming der unterdeſſen die Reſte der Brücke bemerkt hat. Ei, das hat 
noch keine Not! Da können wir ’rüber! 

Arne. Warum ſagſt Du das nicht gleich? 

Alle gehen über den Fluß und kommen nach dem Vordergrunde. 

Arne blict ſich um. Ja, nun find' ich mich wieder zurecht! 
Der Strom hier iſt die Markſcheide zwiſchen meinem und Frau 
Kirſtins Gebiet. Deutet nach lints. Da unten liegt ihr Hof; in 
einer Stunde oder zwei können wir gemächlich im Hochzeits— 
hauſe ſitzen. Aber dann gilt's auch, ſich zu ſputen! Ruft. 
Ingeborg! — Hemming, wo iſt Ingeborg nun wieder? 

Hemming. Noch im Walde droben. Deutet nach rechts. Sie 
ſpielt mit ihren Brautmägden. Sie brechen grüne Zweige von 
den Büſchen und unter Luſt und Lachen jagen ſie einander damit. 

Arne unwirſch, aber mit gedämpfter Stimme. Hemming, dieſe Hoch— 
zeit macht mich noch krank, ſo viel muß ich mich dabei ärgern. 
Blickt nach rechts. Wie ſie rennen! Nein, ſieh nur! Ingeborg 
ſelbſt hatte den Gedanken, über den Berg zu ziehen, anſtatt 
dem Wege zu folgen; da kämen wir raſcher zum Ziel, meinte 
ſie. Und trotzdem —! O, ich könnte toll drüber werden. 
Morgen ſchon ſoll ſie vor den Altar treten. Sind das die 
züchtigen Sitten, deren ſie ſich befleißigen ſollte! Was wird 
Frau Kirſtin ſagen, wenn ſie meine Tochter ſo ſchlecht erzogen 
findet! Da Hemming ſprechen will. Jawohl, das iſt ſie! Sie iſt 
ſchlecht erzogen, ſag' ich. 

Hemming. Herr! Ihr hättet Eure Tochter nie in Frau 


— 224 — 


Kirſtins Familie geben ſollen. — Frau Kirſtin und ihre Sippe 
ſind von edler Geburt, und — 

Arne. Du biſt dumm, Hemming! Edler Geburt! Edler 
Geburt! Zu was ſoll das wohl gut ſein? Davon wird keiner 
ſatt. Iſt Frau Kirſtin von edler Geburt, ſo bin ich dafür 
reich! Ich habe Gold in Kiſten und Silber in Truhen. 

Hemming. Und doch machen Eure Nachbarn ſich luſtig 
über den Vergleich, den Ihr mit Frau Kirſtin geſchloſſen habt. 

Arne. Haha! Laß ſie nur! Das kommt einzig davon, 
daß ſie neidiſch auf mich ſind. 

Hemming. Sie jagen, Ihr hättet Verzicht geleiſtet auf 
Euer verbrieftes Recht, um Jungfer Ingeborg mit Olaf 
Liljekrans zu vermählen. Ja, — ich ſollte eigentlich nicht 
davon reden — aber — ſie haben eine Spottweiſe auf Euch 
gemacht, Herr! 

Arne. Das lügſt Du in Deinen Hals! Wer ſollte ſich 
unterſtehen, Spottweiſen auf Arne von Guldvik zu machen! Ich 


bin mächtig, — kann, wenn es mich gelüſtet, jeden von Haus 
und Hof jagen! — Eine Spottweiſe! Ja, Du verſtehſt Dich 
gut auf Spottweiſen! — Sit eine Weiſe im Schwange, jo 


kann's nur eine ſein zu Ehren der Braut und ihres Vaters. 
Aufbrauſend. Doch iſt's ein Machwerk, ein richtiges Machwerk, 
ſag' ich Dir! Kein ſangeskundiger Mann war's, der das auf— 
geſetzt hat, und krieg' ich ihn mal zu faſſen, dann — 

Hemming. Ei, Herr! So kennt Ihr die Weiſe doch? 
Hat einer ſich unterſtanden, ſie Euch zu ſingen? 

Arne. Singen! Singen! Steh' jetzt nicht da und halt' 
mich auf mit Deinem Geſchwätz! Zu den andern. Doch nun 
vorwärts, Leute! Wir dürfen nicht länger ſäumen, wenn wir 
das Hochzeitshaus noch vor Mitternacht erreichen wollen. — 
Ihr hättet hören ſollen, was Hemming mir erzählt! Er ſagt, 
es geht das Gerücht, Frau Kirſtin hat volle fünf Tage backen 


und brauen laſſen, um uns mit Ehren zu empfangen. Iſt's 
nicht ſo, Hemming? 

Hemming. Ja, Herr! 

Arne. Er ſagt: jeder koſtbare Silberkrug, den ſie beſitzt, 
wird ſie blank geputzt auf die Tafel ſtellen. Ein ſo prächtiges 
Feſt hat Frau Kirſtin nicht mehr gegeben, ſeit der König vor 
zwanzig Jahren bei ihrem ſeligen Gemahl zu Gaſte war. Iſt's 
nicht ſo, Hemming? 

Hemming. Ja Herr! Zlüſternd. Doch iſt's nicht wohlbedacht, 
Herr Arne, ſolches zu ſagen. Frau Kirſtin iſt voll Hoffart und 
Adelsſtolz; ſie meint, es widerfahr' Euch eine Ehre mit dieſer 
Vermählung. Ihr könnt nicht wiſſen, wie ſie ihren Gäſten be— 
gegnen wird. 

Arne leiſe. Geſchwätz das! Zu den andern. Er ſagt, Frau 
Kirſtin gönnt ſich nicht Ruh' noch Raſt; Tag und Nacht geht 
ſie umher in Küch' und Keller. Iſt das nicht — ? Wird ſtutzig, indem 
er nach links blict. Hemming, was iſt das? Sieh hin, wer kommt da? 

Hemming ruft aus. Frau Kirſtin Liljekrans! 

Alle erſtaunt. Frau Kirſtin! 


3. Scene. 
Die Vorigen. Frau Kirſtin kommt mit ihrem Hausgeſinde von links. 


Trau Rirftin zu ihrem Gefolge, ohne die andern zu bemerken. Nur noch 
eine Strecke weiter, und ich bin ſicher, wir finden ihn! Fäyrt zu— 
ſammen; beiſeite: Arne von Guldvik! Himmel, jetzt ſteh' mir bei! 

Arne indem er ihr entgegen geht. Gottes Frieden, Frau Kirſtin 
Liljekrans! 

Trau Rirſtin faßt ſich und reicht ihm die Hand. Gottes Frieden auch 
mit Euch! Beiſeite. Sollt' er ſchon etwas wiſſen? 

Arne fortdauernd heiter. Und Glück zur Begegnung an der Grenz— 
mark! — Seht, das lob' ich mir! Doch faſt zu groß iſt die 
Ehre, die Ihr mir erweiſt. 


Ibſen, Olaf Liljekrans. 15 


Trau Rirſtin. Was meint Ihr? 

Arne. Ich meine, zu viel der Ehre iſt's für mich, daß Ihr 
meilenweit von Hauſe zieht über Berg und Heide, um mir 
Willkommen zu bieten auf Euerm Grund und Boden. 

Trau Rirſtin. Ei, Herr Arne — Veiſeite. Er weiß noch nichts. 

Arne. Und noch dazu an einem Tag wie heute, da Ihr 
vollauf zu ſchaffen habt. Sollen doch bei Euch unſere Kinder 
Hochzeit halten, weil mein Hof zu weit ab liegt von der Kirche. 
Und doch kommt Ihr mir nun entgegen mit all Euren Leuten. 

Trau Rirſtin verlegen. Ich bitt' Euch, ſprecht nicht weiter 
davon! 

Arne. Ei doch! Laut will ich davon ſprechen! Das Volk 
im Lande ſagt, daß Ihr hoffärtig ſeid und ſtolz auf Eure hohe 
Geburt, daß Ihr herabſeht auf mich und die Meinen, und daß 
Ihr den Vergleich nur geſchloſſen habt, um den langen Zwiſtig— 
keiten ein Ende zu machen, die Euch beſchwerlich fielen — jetzt, 
da Ihr Witwe ſeid und älter werdet; ſonſt hättet Ihr wohl 
niemals — 

Frau Rirſtin. Wie könnt Ihr nur auf das hören, was 
böſe Zungen aushecken. Gedenken wir nicht länger der Zwiſtig— 
keiten von Eures Stammvaters Tagen her! Ich meine, unſre 
Familien hätten ſchwer genug darunter gelitten, die Eure wie 
die meine. — Blickt um Euch, Herr Arne! Gleicht dieſe Halde 
nicht der wildeſten Einöde — und doch war ſie zu unſrer Väter 
Zeit bevölkert und reich. Eine Brücke war über den Strom ge— 
ſchlagen, und ein Weg führte von Guldvik nach meines Vaters 
Haus. Aber von beiden Seiten zogen ſie herzu mit Feuer und 
Schwert: alles ward verwüſtet, worauf ſie nur ſtießen — denn 
ſie fanden, daß ſie zu nahe Nachbarn ſeien. Jetzt wächſt Un— 
kraut aller Arten auf dem Heerweg, die Brücke iſt eingeſtürzt, 
und nur Bären und Wölfe hauſen hier. 

Arne. So iſt's. Dort unten legten ſie den Weg an, um 


a 


den Berg herum. Da iſt's ein gut Teil weiter, und ſie konnten 
einander beſſer im Auge behalten. Doch wir brauchen das 
nicht mehr; und ſo iſt's gut und ſchön für uns beide. 

Trau Rirſtin. Gewiß! Gewiß! Doch wo habt Ihr Inge— 
borg, die Braut? — Ich ſehe ſie nicht, und auch die Braut— 
mägde fehlen. Sollte ſie nicht — ? 

Arne. Sie folgt uns auf dem Fuße. Gleich muß ſie da 
ſein. Aber — — ja hört, Frau Kirſtin! Ich hab' Euch etwas 
zu ſagen, und Ihr könnt es ebenſo gut jetzt wie ſpäter hören, 
— vielleicht wißt Ihr's gar ſchon — —. Ingeborg hat manch— 
mal ſeltſame Launen — ich ſchwör' Euch zu, die hat ſie, ſo 
wohlerzogen ſie ſonſt auch iſt. 

Frau Birflin geſpannt. Nun, ſagt an! Veiſeite. Sollte auch 
lie — 2! 

Arne. Ihr müßt ſie zügeln, dieſe Launen. Mir, ihrem 
Vater, wollt' es nicht gelingen; doch Ihr findet wohl Mittel 
und Wege. 

Frau Rirſtin. Ei, ſeid unbeſorgt! veiſeite. Und Olaf noch 
immer nicht zu ſehn! 

Hemming der nach rechts ausgeblickt hat. Da kommt Jungfer Inge— 
borg! Beiſeite. Wie hold ſie allen voran ſchreitet! 

Frau Rirſtin teife zu ihrem Gefolge. Ihr ſchweigt von dem, was 
uns hergeführt hat! 

Ein Knecht. Darauf könnt Ihr Euch verlaſſen. 

Hemming beiſeite, ſeufzend, indem er noch immer nach rechts ausblickt. 
Glückſeliger Olaf, der ſie beſitzen wird! 


4. Scene. 
Die Vorigen. Ingeborg mit ihren Brautmägden kommt über die Brücke. 
Ingeborg noch im Hintergrund. Warum lauft Ihr mir davon? 
Was hat denn das für einen Nutzen? Bevor ich nicht da bin, 
wird ja doch aus der Geſchichte nichts. — Bemerkt Frau Kirſtin mit ihrem 
15* 


— 228 — 


Gefolge. Frau Kirſtin! Ihr ſeid da? — Ei, das iſt hübſch von 
Euch! Raſch im Vorbeigehen zum Gefolge. Meinen Gruß Euch allen! 
Zu Frau Kirſtin, indem fie ſich umblict. Aber Olaf, wo habt Ihr ihn? 
Frau Rirſtin. Olaf! veiſeite. O weh, nun geht es los! 
Arne. Ja, freilich! Olaf! Hahaha! Ich muß blind ſein. 
Gut, daß die Braut beſſere Augen hat; denn ich ward nicht 
einmal gewahr, daß der Bräutigam fehlt. Jetzt verſteh' ich 


erſt, wie das kommt, daß wir uns hier begegnen; — ſeinet— 
wegen war's — 

Trau Rirſtin. Seinetwegen? — Ihr meint — Ihr wißt 
aljo —? 


Arne. Ich meine, die Zeit ward ihm zu lange da unten in 
der Feſtſtube. Ja, ja, ich weiß es noch von meinem eignen 
Hochzeitstag! Dazumal war ich auch jung . . . Er konnte die Zeit 
nicht erwarten, die Braut zu begrüßen — — und ſo hieß er 
Euch mitkommen. 

Trau Rirſtin. Gewiß trug er heißes Verlangen, die Braut 
zu begrüßen; aber — 

Ingeborg. Nun — und — 

Frau Rirſtin. Olaf iſt nicht mit hier! 

Hemming nähert ſich. Nicht mit? 

Arne. Und warum nicht? 

Ingeborg. Sagt, ich bitte! 

Trau Rirſtin gezwungen ſcherzend. Fürwahr, mich dünkt, auch 
die Braut hat Sehnſucht! — Folgt mir alle zum Hochzeits- 
haus. Dort, denk' ich, werden wir ihn finden. 

Hemming teife zu Arne. Herr! Merkt wohl: ich hab' Euch 
gewarnt. 

Arne mißtrauiſch zu Frau Kirſtin. Antwortet erſt, dann wollen 
wir Euch folgen! 

Frau Rirſtin. Nun denn — er iſt ausgeritten, zu jagen. 
Wendet ſich zum Gehen. Kommt nun! Es dunkelt ſchon ſtark. 


— 229 — 


Ingeborg. Zum Jagen? 

Frau Rirſtin. Ei, kann Euch das wunder nehmen? Ihr 
kennt ja die Weiſe: 

„Es zog der Ritter zum Waldesgrund, 
Dort zu erproben Pferd und Hund.“ 

Ingeborg. Achtet er ſeine junge Braut ſo gering, daß er 
am Tage vor der Hochzeit aufs Weidwerk geht? 

Trau Rirſtin. Ihr ſcherzt. — Kommt mit! Kommt! 

Arne der inzwiſchen Frau Kirſtin und ihr Gefolge beobachtet hat. Nein, 
gemach, Frau Kirſtin! Wohl darf ich an Klugheit mich nicht 
mit Euch meſſen — aber Eines durchſchau' ich doch klar — — 
Ihr verhehlt uns, was Euch in Wahrheit hiehergeführt hat. 

Frau Rirſtin betroffen. Ich! Wie könnt Ihr glauben! 

Arne. An allem und jedem kann ich's merken: 's iſt etwas, 
womit Ihr nicht herauswollt. Ihr ſeid gar verſtimmt, und 
doch ſtellt Ihr Euch, als wärt Ihr aufgelegt zu ſcherzen. Aber 
es hat keine Art — 

Frau Virſtin. Es iſt mir nichts Neues, daß Ihr übel denkt 
von mir und den Meinen. 

Arne. Mag ſein! Doch keinerzeit that ich's ohne hin— 
reichenden Grund. Seftig. So wahr ich lebe, — Ihr verhehlt 
uns etwas! 

Frau Rirſtin beiſeite. Wie ſoll das enden? 

Arne. Ich ließ mich von Euch bethören; doch jetzt ſeh' ich 
nur zu klar. Ihr kamt, ſagtet Ihr, mich an der Grenzmark 
zu begrüßen. Wie aber wußtet Ihr, daß wir den Weg übers 
Gebirge nahmen? — Ingeborg wollt' es ſo, als wir von 
Guldvik aufbrachen, und das konntet Ihr von niemand gehört haben. 
Da Frau Kirſtin nicht antwortet. Ihr ſchweigt. Ja, das dacht' ich mir! 

Hemming leiſe. Seht Ihr wohl, Herr! Glaubt Ihr nun 
meinen Worten? 

Arne ebenſo. Schweig ſtill! 


— 230 — 


Trau Rirſtin die ſich inzwiſchen gefaßt hat. Nun wohl, Herr Arne! 
Ehrlich will ich zu Euch ſprechen — mag dann das Glück alles 
zum beſten wenden! 

Arne. So ſagt — 

Ingeborg. Was habt Ihr? 

Frau Rirſtin. Mit Wort und Handſchlag ward der Ver— 
gleich geſchloſſen zwiſchen uns; viele ehrenhafte Männer ſeh' ich 
hier, die es bezeugen können. Olaf, mein Sohn, ſollte Eure 
Tochter freien; bei mir ſollte morgen das Hochzeitsfeſt ſein — 

Arne ungeduldig. Gewiß, gewiß! 

Frau Rirſtin. Schmach über den, der ſein Wort bricht, 
aber — 

Arne und ſeine Sippe. Was iſt? Sprecht! 

Frau Rirſtin. Hochzeit kann morgen nicht ſein, wie be— 
ſchloſſen war. 

Arne. Nicht ſein —? 

Frau RNirſtin. Wir müſſen damit warten. 

Hemming. Ha! Schimpf und Schande! 

Ingeborg. Nicht Hochzeit?! 

Arne. Seid verdammt, daß Ihr mich hintergeht! 

Die Gäſte drohend, indem einige ihre Meſſer ziehen. Rache! Rache 
dem Haus Liljekrans! 

Trau Nirſtins Rnechte ſchwingen die Aexte und ſetzen ſich zur Wehr. 
Schlagt zu! Nieder mit den Mannen von Guldvik! 

Trau Nirſtin wirft ſich zwiſchen die Streitenden. Haltet ein! Haltet 
ein! Ich bitte Euch darum! — Herr Arne! hört mich zu Ende, 
eh' Ihr mein Thun verdammt! 


— 


Arne der die Seinen zu beſchwichtigen geſucht hat, nähert ſich Kirſtin und 
ſagt mit gedämpfter Stimme, indem er ſich umſonſt bemüht, ſeine innere Erregung 
zu bemeiſtern. Vergebt mir, Frau Kirſtin! Ich war zu jach in 
meinem Zorn. Bei ruhigem Nachdenken hätt' ich wohl gemerkt, 
daß alles nur Scherz von Euch war. Ich bitt' Euch, wider— 


— 231 — 


ſprecht mir nicht — anders kann es nicht ſein! Morgen nicht 
Hochzeit? Wie könnte das ſein! — Braucht Ihr Bier und Met, 
fehlt Euch Silber oder geblümtes Linnen, ſo kommt nur zu mir! 

Frau Rirſtin. Nicht in eines armen Mannes Haus ver— 
heiratet Ihr Eure Tochter, Herr Arne! Kommt nur zum Feſte 
mit all Euren Vettern und Freunden — ja, kommt in ver— 
dreifachter Zahl, ſo es Euch lüſtet — bei mir ſollt Ihr alle 
Unterkunft finden und Hochzeitskoſt, ſoviel Ihr eſſen wollt! 
Glaubt nicht, daß ſo unwürdige Urſache mich abhalten könnte. 

Arne. Dann ſeid Ihr wohl anderen Sinnes geworden? 

Trau Rirſtin. Auch das nicht. Hab' ich mein Wort ge— 
geben, ſo bin ich auch gewillt, es zu halten, heute ſo gern wie 
morgen! Denn ſo war es allzeit Sitte und Brauch in unſerer 
Sippe. Doch in dieſer Sache ſteht's nicht bei mir — an 
Einem fehlt's — 

Ingeborg. An Einem! Und an wem? — Ich ſollte 
meinen, wenn die Braut bereit iſt, alsdann — 

Frau Rirſtin. Zum Hochzeitsfeſt gehören zwei: der Bräutigam 
und die Braut — 

Arne und ſeine Sippe. Olaf! 

Ingeborg. Mein Bräutigam! 

Frau Rirſtin. Ja, Olaf, mein Sohn! Nächtens hat er 
Haus und — Braut verlaſſen. 

Die Gäſte. Verlaſſen! 

Arne. Verlaſſen! Er! 

Frau Rirſtin. So wahr ich auf des Himmels Gnade hoffe, 
— ich habe nicht teil daran. 

Arne mit unterdrüdtem Ingrimm. Und morgen ſollte die Hoch— 
zeit ſein! — Meine Tochter kleidet ſich in goldgeziertes Feſt— 
gewand; Botſchaft ließ ich rundum ergehen; Freunde und 
Vettern kommen von fernher gezogen, um mit beim Feſte zu ſein. 
Aufbrauſend. Ha! Hütet Euch wohl, Arne von Guldvik zum 


— 232 — 


Geſpött und Gelächter ſeiner Nachbarn zu machen! Das ſoll 
Euch teuer zu ſtehen kommen, ſchwör' ich hoch und heilig! 

Frau Kirſtin. Auf ſchwanken Grund baut Ihr, dafern Ihr 
glaubt — 

Arne. Sagt das nicht, Frau Kirſtin, ſagt das nicht! Wir 
beide haben eine alte Rechnung miteinander zu begleichen. Nicht 
das erſte Mal iſt's, daß Ihr mir und den Meinen ſchlau Fallen 
ſtellt. Der Stamm der Guldvik mußte lange Zeit herhalten, 
wenn Ihr mit Eurer Sippe auf Ränke und Liſt geſonnen habt. 
Die Macht hatten wir und Gut und Geld dazu; aber Ihr 
wart die Schlaueren. Ihr wußtet uns zu locken mit trügeriſchen 
Worten und Redensarten — und ſolche Ware verſteh' ich nicht 
nach Gebühr abzuſchätzen! 

Frau Rirſtin. Herr Arne, hört mich an! 

Arne fortfahrend. Nun ſeh' ich ein, ich handelte wie der Mann, 
der ſein Haus auf einen Eisblock gebaut hatte. Als das Tau— 
wetter kam, ging es zu Grunde. — Doch wenig ſoll es Euch 
frommen! An Euch will ich mich halten, Frau Kirſtin! Ihr 
müßt mir einſtehen für Euren Sohn — wart Ihr es doch, 
die für ihn warb! An Euch iſt's, das Wort zu halten, das mir 
gegeben ward! — Thor, der ich war, ja, zehnfacher Thor, 
Eurer glatten Zunge zu trauen! Die es ehrlich mit mir meinten, 
haben mich gewarnt, — meine Widerſacher aber ſpotteten meiner; 
doch ich achtete nicht der einen noch der andern. Ich zog meine 
Hochzeitskleider an, ſammelte Freunde und Vettern um mich; 
mit Sang und Spiel zogen wir zum Feſthauſe — und nun — 
nun iſt der Bräutigam weg! 

Ingeborg. Nicht folg' ich dem zur Kirche, der mich ſo wenig 
wert hält. 

Arne. Schweig' ſtill! 

Hemming teife zu Arne. Jungfer Ingeborg hat recht. Das 
beſte wäre, Ihr brächet den Vergleich. 


— 233 — 

Arne. Schweig' ſtill, ſag' ich! 

Frau Rirſtin zu Arne. Wohl mag Euer Sinn voll Harm und 
Groll ſein; haltet Ihr mich aber für wortbrüchig, dann fügt 
Ihr mir Unbill zu über Gebühr. Ihr meint, es ſei ein liſtiges 
Spiel, das wir mit Euch treiben. Doch ſagt: was ſollte mich 
und meinen Sohn wohl dazu veranlaſſen? Hat er Ingeborg 
nicht lieb? Wo könnt' er ſich eine beſſere Braut erwählen? 
Iſt ſie nicht brav und tüchtig? Iſt ihr Vater nicht reich und 
mächtig? Wird Euer Geſchlecht nicht mit ehrenden Worten 
genannt, wo immer es bekannt iſt? 

Arne. Doch wie konnte Olaf dann —! 

Frau Rirſtin. Das Los, das mich getroffen hat, iſt härter 
als Ihr ahnt. Beklagen werdet Ihr mich, und nicht mir grollen, 
wenn Ihr es vernehmt. Seit Sonnenaufgang ſtreif' ich hier 
im Gebirg umher, ihn wiederzufinden. 

Arne. Hier oben? 

Frau Rirſtin. Ja, hier oben! Denn Ihr müßt wiſſen — 
erſchrecken werdet Ihr, wenn Ihr's hört —. Gleichviel! Olaf 
iſt — — verwunſchen! 

Die Gäſte. Verwunſchen? 

Ingeborg zugleich. Gott ſei mir gnädig! 

Arne. Was ſagt Ihr, Frau Kirſtin? 

Frau Rirſtin. Verwunſchen — von der Bergfee. Es kann 
nicht anders ſein. — Vor drei Wochen, als der Feſtmet auf 
Guldvik getrunken war, kam Olaf nicht heim vor dem frühen 
Tag. Er war bleich und gedankenvoll und ſtumm, wie ich ihn 
nie zuvor geſehen hatte. So gingen die Tage dahin. Kaum 
ſprach er ein Wort; meiſtens lag er zu Bette, das Haupt gegen 
die Wand gekehrt. Doch ſobald es Abend ward — da war's, 
als ob eine ſeltſame Unraſt ihn überkäme; da ſattelte er ſein 
Pferd und ritt davon, weit hinauf in die Höhen; aber keiner 
durfte ihm folgen und keiner wußte, wohin er weiter ſeinen Weg 


— 234 — 


nahm. Glaubt mir, böſe Geiſter haben ihm den Sinn berückt; 
ſtark iſt die Macht, die ſie in dieſer Gegend üben! Seit die 
große Seuche über das Land gekommen, iſt's nicht mehr recht 
geheuer hier in den Bergen — faſt kein Tag vergeht, ohne daß 
die Saeterinnen ſeltſam Spiel und Saitenklang vernehmen, wie— 
wohl keine Menſchenſeele dort weilt, von der es kommen könnte. 

Arne. Verwunſchen! — Sollte ſo etwas denkbar ſein? 

Trau Rirſtin. Wollte Gott, dem wäre nicht jo! Doch kann 
ich nicht länger daran zweifeln. Drei Tage und drei Nächte iſt 
er nun ſchon von Hauſe fern. 

Arne. Und nirgends konntet Ihr ihn erfragen? 

Trau Rirſtin. Ach nein, — jo iſt das nicht. Geſtern ſah 
ihn ein Schütze hier oben; aber Olaf war ſcheu und wild gleich 
dem Renntier. Allerlei Kräuter hatte er gepflückt; die ſtreute 
er vor ſich hin auf Schritt und Tritt und murmelte ſeltſame 
Worte dazu. Sobald ich das vernahm, machte ich mich auf den 
Weg mit meinem Geſinde; doch nirgends war er zu finden! 

Ingeborg. Und traft Ihr niemand, der Euch hätte ſagen 
können — 

Frau Rirſtin. Ihr wißt ja, die Halde liegt öde. 

Arne gewahrt Thorgjerd, der von der Schlucht heraufſteigt. Da kommt 
ja einer; ich will ihn befragen. 

Hemming ängſtlich. Herr! Herr! 

Arne. Was denn? 

Hemming. Laßt ihn laufen! Seht Ihr nicht, wer es iſt? 

Die Güſte und Frau Rirſtins Gefolge unter einander flüſternd. 
Thorgjerd, der Spielmann! Der tolle Thorgjerd! 

Ingeborg. Er hat ſeine Lieder vom Neck gelernt. 

Hemming. Laßt ihn laufen! Laßt ihn! 

Arne. Ei! Und wär's der Neck ſelbſt —! 


5. Scene. 


Die Vorigen. Thorgjerd iſt unterdeſſen bis ans äußerſte Ende links gegangen, bei 
Arnes letzten Worten wendet er ſich plötzlich um, als wäre er angeſprochen worden. 

Thorgjerd indem er ein paar Schritte näher kommt. Was willſt Du 
von mir? 

Arne wird ſtutzig. Was iſt das? 

Hemming. Da habt Ihr's! 

Arne zu ihm. Laß mich nur machen! Zu Thorgierd. Wir 
ſuchen Olaf Liljekrans — biſt Du ihm heut hier begegnet? 

Thorgjerd. Olaf Liljekrans? 

Trau Rirſtin. Nun ja, Du kennſt ihn doch. 

Thorgjerd. Iſt das nicht einer von den böſen Menſchen aus 
den Gauen da draußen? 

Trau Rirſtin. Böſen Menſchen? 

Thorgjerd. Alle Menſchen ſind böſe! Olaf Liljekrans ſtellt 
den kleinen Vöglein nach, die auf ſeiner Mutter Dach ſingen. 

Frau Rirſtin. Du lügſt, Spielmann! 

Thorgjerd mit verſchmitztem Lächeln. Um ſo beſſer für ihn. 

Arne. Wieſo denn? 

Thorgierd. Ihr fragt nach Olaf Liljekrans. Hat er ſich hier 
herauf verirrt? Ihr ſucht ihn und könnt ihn nicht finden? 

Trau Rirſtin. Ja, ja! 

Thorgjerd. Um ſo beſſer für ihn. — War's Lüge, was ich 
ſagte, dann hat es keine Not. 

Ingeborg. Künde, was du weißt! 

Thorgjerd. Spät würd' ich da fertig! Bosbaft. Elfen und 
Berggeiſter hauſen hier. Seid guten Muts! Wenn Ihr ihn 
nicht findet, ſo iſt er bei der Elfen Spiel. Die Elfen mögen 
den gut leiden, der die Vöglein lieb hat; und Olaf, ſagtet Ihr 
ja — — Zieht heim! Zieht nur wieder heim! Olaf ſitzt im 
Berge — es hat keine Not! Win gehen. 


— 236 — 


Frau Rirſtin. Fluch Dir, der ſolches jagt! 

Arne zu Frau Kirſtin. Achtet nicht auf ſeine Worte! 

Thorgjerd nähert ſich wieder. Nun geh' ich, um aufzuſpielen. 
Olaf Liljekrans ſitzt im Berge; da ſoll ſeine Hochzeit ſein. — 
Der tolle Thorgjerd muß mit dabei fein; er kann machen, daß 
Tiſch' und Bänke tanzen, ſobald er die Fiedel ſtreicht. — Doch 
Ihr — hütet Euch wohl und kehrt wieder heim; hier iſt nicht 
gut ſein für Euch. Kennt Ihr die Weiſe nicht: 

O hüte Dich wohl vor der Elfen Spiel, 

Sie locken zum Reigen Dich hin; 

Und was Du dort ſchauſt und höreſt, 

Geht nimmer Dir mehr aus dem Sinn. 
Bricht plötzlich in eine wilde Freude aus. 

Aber hier ſind ja Hochzeitsgäſte — Haha! Die Frauen alle 
haben ihren beſten Staat an und jeder Mann ſein beſtes Wams. 
Jetzt verſteh' ich! Olaf Liljekrans iſt Bräutigam unten im 
Thal — und hat eine Braut auch hier oben! Ja, Ihr habt 
wohl ſchon früher davon gehört. Es war einmal — manch 
liebes Jahr iſt's nun her — aber ich weiß es noch ganz gut. 

Hält einen Augenblick inne und beginnt dann mehr und mehr verwirrt: 

Herr Alvar führte klein Ingrid heim — 
Sie war die ſchmuckeſte Maid. 

Drei Tage währte das Hochzeitsfeſt 

In Jubel und Herrlichkeit. 

Die Braut war ſo flink und hold und fein, 
Sie ſchwang ſich im Tanz um die Wette; 
Da war der Neck, der ſchlimme Geſell, — 
Saß plötzlich vor ihrem Bette; 

Saß als Spielmann am Bettesrand, 

Ließ lockende Weiſen erklingen — 

Da huben Tiſch' und Bänke rings an, 
Sich mit im Tanze zu ſchwingen. — 


— 237 — 


Und der Neck, er ſchritt zur Thüre hinaus, — 
Laut künden will ich es allen — 
Und wie er draußen die Fiedel ſtrich, 
Da war die Braut ihm verfallen. 

Wild triumphierend. 
Zaubergebunden ſtand Ritter und Knecht, 
Der Bräut'gam durchforſchte die Runde — 
Das Brautbett bereitet klein Ingrid der Neck 
In ſchäumender Waſſer Grunde. 


Wird plötzlich ernſt und flüſtert: 


Die Weiſe vergeſſ' ich nimmermehr! — — — — Doch nun 
geht heimwärts! Schon bricht der Abend herein; und nach 
Sonnenuntergang gehört der Wald hier — den andern. Lebt 


wohl! Ich bringe Olaf Botſchaft und Gruß dahin, wo er ſitzt 
— im Berge! Verſchwindet links. 


6. Scene. 


Die Vorigen, ohne Thorgjerd. 


Arne zu Frau Kirſtin. Er lügt! Glaubt ihm nicht! 

Hemming. Aber wahr iſt ſie doch, die Geſchichte von der 
Braut, die am Hochzeitsabend verſchwunden iſt. 

Arne. Ei, das iſt lange her; jetzt kommt ſo etwas nicht 
mehr vor! — Doch nun wollen wir alle helfen, Olaf auf die 
Spur zu kommen. 

Ingeborg. Mir ward es nicht an der Wiege geſungen, daß 
ich durch Wald und Feld hinter meinem Bräutigam herlaufen 
müßte. 

Arne. Schweig' ſtill! 

Ingeborg. Iſt er in den Berg gebannt, ſo mag die, die 
's gethan hat, ihn auch nehmen. Ich habe keine Luſt, meines 
Verlobten Herz und Sinn mit einer andern zu teilen. 


— 238 — 


Hemming leise und innig. Der Herr ſegne Euch für dieſes 
Wort! 

Ingeborg mit ſtolzem, abweiſendem Blick. Was ſoll's? 

Arne. Willſt Du ſchweigen, ſag' ich! Zu den Gästen. Vor⸗ 
wärts nun, Freunde! Verteilt Euch! Durchſtreift jeden Steig 
und jeden Hügel! Auf denn! Recht ſo! Morgen feiern wir 
Hochzeit! 


Die Gäſte und Frau Kirſtins Gefolge gehen in verſchiedenen Gruppen nach 
beiden Seiten ab. 


Arne teife zu Frau Kirſtin. Er muß gefunden werden! Ewige 
Schmach wär's für mich, dafern die Hochzeit — 

Trau Rirſtin. Ja, folgt nur, folgt nur! 

Ingeborg leiſe zu Hemming, der niedergeſchlagen daſteht. Warum gehſt 
Du nicht mit den andern? — Beſſer wär's, Du ſchaffteſt mir 
meinen Bräutigam zur Stelle, ſtatt daß Du daſtehſt und mich 
für Worte ſegneſt, mit denen ich wenig meinte. 

Arne im Abgehen. Kommt, kommt! 

Ingeborg zu Hemming, der gehen will. Warte, Hemming! Mach' 
mir meine Schuhſchnallen feſt. 

Frau Kirſtin und Arne gehen links ab. 


7. Scene. 
Ingeborg. Hemming. 
Ingeborg ſtrect den Fuß vor. Da! Schnall' ihn recht feſt. 
Hemming kniet nieder und thut, wie ſie ihn geheißen. 
Ingeborg ſtreckt den andern Fuß vor. So — ſchnall' mir auch 
den feſt! — — Doch warum läßt Du den Kopf hängen? — 
Iſt etwas nicht nach Deinem Sinn? 
Hemming. Begehrt Ihr, daß ich Euch ehrlich ſage — 
Ingeborg. Ja, gewiß! 
Hemming. So hört denn — 
Ingeborg raſch einfallend. O nein, 's iſt nicht nötig. 


Sie entfernt ſich ein paar Schritte. Hemming ſteht auf. 


— 239 — 


Hemming. Ach, Jungfer Ingeborg! Es gab eine Zeit, 
da wart Ihr mir ſo gut. Aber ſeit Ihr erwachſen und zur 
Jungfrau erblüht — und zumalen, wie mich dünkt, ſeit Ihr 
Euer Wort gegeben zum Bunde — 

Ingeborg. Nun — und? 

Hemming. Ach, nichts! Kaufe Wißt Ihr noch, wie wir 
einmal früher hier oben waren? 

Ingeborg kurz. Ich weiß gar nichts mehr! 

Hemming. Ihr wart Eurer ſcheckigen Ziege nachgelaufen, 
und ich begleitete Euch, wie gewöhnlich — — o, 's iſt lange 
her; aber ich weiß es noch, als wär's heut geweſen. Gleich 
da unten liegt das Moor, das — 

Ingeborg nähert jih. War das damals, als wir den Bären hörten? 

Hemming. Ja, — damals war's! 

Ingeborg kommt immer mehr in Eifer. Ich fand die Ziege wieder. 

Hemming. Nein, ich war's, der fie zuerſt fand. 

Ingeborg. Ja, ja, ſo war's, dort oben unter dem Felſenhang. 

Hemming. Und dann nahmt Ihr Euer Strumpfband — 

Ingeborg. Und damit band ich ſie an. 

Hemming. Denn wir wollten Erdbeeren pflücken. 

Ingeborg. Dort am Hügel, ja! Und Du hatteſt mir einen 
Korb von Birkenrinde gemacht. 

Hemming. Und da hörten wir mit einemmal — 

Ingeborg. Den Bären! Haha! Wir mußten übers Moor, 
wo es am ſeichteſten war — 

Hemming. Und da nahm ich Dich auf den Arm. 

Ingeborg. Und Du ſprangſt mit mir von einem Waſen 
zum andern. Lachend. Wie wir uns fürchteten, wir beiden. 

Hemming. Ja, mir war nur Deinetwegen bange. 

Ingeborg. Und mir Deinetw — — — Hält plötzlich inne, 
ſieht ihn aber unverwandt an, wobei ihre Mienen einen gebieteriſchen und gekränkten 
Ausdruck annehmen. Was ſtehſt Du da und ſchwätzeſt? Warum 


— 240 — 


gehſt Du nicht? Ziemt es Dir, ſolchermaßen zu Deines Herrn 
Tochter zu ſprechen? Geh, geh! Du wollteſt ja meinen Bräutigam 
ſuchen! 
Hemming. Ach, — ich vergaß Euren Bräutigam, vergaß, 
daß Ihr meines Herrn Tochter ſeid! 
Ingeborg. Findeſt Du meinen Verlobten, ſo verſprech' ich 
Dir ein geſticktes Wams zu Weihnachten — vor lauter Freude! 
Hemming. Ich will kein Wams haben! Ich dien’ Euch 
nicht um Gold und Silber, nicht um Koſt und Ritterkleider. 
— Jetzt geh' ich. Was ich vermag, das werd' ich thun, wenn 
ich nur weiß, daß es Euch Freude macht. 
Ingeborg die auf einen Stein geſtiegen iſt und ſich Blütenzweige pflückt. 
Hemming! Wie reich iſt mein Bräutigam? 
Hemming. Wie reich er iſt, weiß ich nicht zu ſagen; aber 
von ſeinem Großvater war die Weiſe im Schwange: 
In goldne Gewande vermöcht' er fürwahr 
Der Braut zu kleiden die Mägdeſchar. 
So mächtig iſt Olaf Liljekrans nun wohl nicht; aber er hat 
doch Haus und Hof zu eigen. 
Ingeborg noch immer beſchäftigt. Und Du? Was beſitzeſt Du? 
Hemming ſeufzend. Meine Armut — das iſt alles! 
Ingeborg. Das iſt nicht viel, Hemming! 
Hemming. Nein, das iſt nicht viel, Jungfer Ingeborg! 
Ingeborg ſummt, von ihm abgewandt, ohne ihre Stellung zu verändern, 
und beſchäftigt wie vorhin: 
Gar wenig gilt mir im Herzensgrunde 
Der Stolze, der mich begehrt zum Bunde. 
Weit beſſer gefällt mir der arme Knab' — 
Er iſt's, dem ich heimlich mein Herze gab. 
Hemming in höchſter Freude. Ingeborg, wär' es wahr, was Du 
ſagſt — dann müßt' ich zehnfältig meine Armut preiſen! 
Ingeborg wendet den Kopf und ſagt kalt. Ich verſteh' Dich nicht. 


a a 


Was ich da ſang, war nur eine alte Weiſe. Steigt herab vom Stein 
die Vogelkirſchenzweige in der Hand, und nähert ſich ihm, indem ſie ihn feſt anblickt. 
Aber ich kenne noch eine Weiſe, und die will ich Dir ſingen: 

Im Königshof ſteht manch Renner gut; 

Der Freier von echtem Rittersmut 

Beſchlägt den Grauen, den Falben ſodann; 

Dem ſchnellſten legt er den Sattel an. 

Auf Roſſes Rücken hebt er die Braut — 

Sie folgt ihm mit Freuden, dem ſie vertraut! 

So ziehn ſie mitſamt in die Lande fern — 

Mit ihm will ſie leben und ſterben gern! 

Hemming wie außer ſich. Ingeborg, Ingeborg! Dann ſoll 
nichts mich mehr ſchrecken! Nicht, daß Du einen Bräutigam 
haſt, — nicht, daß Du meines Herrn Tochter biſt! So wahr ich 
lebe: ich entführe Dich noch dieſe Nacht! 

Ingeborg heftig, indem ſie beſtändig ein hervorbrechendes Lächeln unterdrückt. 
Hilf Himmel! Was geht mit Dir vor? Worauf ſinnſt Du? — 
Deines Herrn Tochter entführen! Krank mußt Du ſein oder 
toll, daß Du auf ſolche Gedanken verfällſt! Doch, es ſei ver— 
geſſen — für diesmal! Geh nun und danke Gott, daß Du ſo 
glimpflich davon gekommen biſt; denn Schläge hätteſt Du 
wohl verdient — Schwingt die Zweige, läßt ſie aber wieder ſinken und ſagt 
mit veränderter Stimme: — und meinen roten Goldring — da, 
nimm ihn! Wirft ihm einen Ring zu, den ſie vom Arme geſtreift hat, und 
geht ſchnell ab nach links. 


8. Scene. 


Hemming. Gleich darauf Olaf Liljekrans vom Hintergrund her. Der Mond 
geht auf. 


Hemming. Den goldenen Ring hat mein Lieb mir geſchenkt — 
So iſt ſie annoch, wie einſt mir hold! 
Sie trieb nur ihr Spiel, daß ich wähnen ſollt', 
Als ſei ſie bitter gekränkt. — 
Alles, alles will mutig ich wagen! 
Joſen, Olaf Liljekrans. 16 


Niedergeſchlagen. 
Ach, bin ja ein armer Geſell nur, fürwahr! 
Und morgen ſchon geht ſie zum Traualtar! 
Raſch. 
Doch fern iſt der Bräut'gam ſeit Nächten und Tagen: 
Er irrt in den einſamen Wäldern umher — 
O käm' er doch nimmer und nimmermehr! 
Will fort, hält aber inne und ruft erſchrocken: 
Olaf! Da iſt er! 
Olaf kommt langſam heran zwiſchen den Klippen im Hintergrund. Er geht wie im 
Traume, mit entblößtem Haupt, die Hände voll Blumen, die er zerpflückt und auf 
den Weg ſtreut. Sein ganzes Gebahren während der folgenden Scenen trägt das 
Gepräge verwirrter Sinne. 
Olaf ohne Hemming zu bemerken. Könnt’ ich doch künden 
Das ſeltſame Wort, das Rätſel ergründen! 
Will links abgehen. 
Hemming. Herr Olaf! Wohin des Weges, ſprecht! 
Ei, hört! 


Olaf balb erwachend. Du, Hemming, — Arnes Knecht? 
Du hältſt mich nimmer! 
Hemming. Wie ſeltſam! Erwacht! 


Was ſchweift auf den Höh'n Ihr Tag und Nacht? 
Betrachtet ihn genauer. 

Wo weiltet Ihr, Herr, — in weſſen Bereich? 
Eure Wang' iſt blaß, Eure Stirn iſt bleich. 

Olaf. Was wundert Dich, daß mir die Wangen erblaßt? 
Drei Nächte wohl ſtritt ich ſonder Raſt; 
Was wundert Dich, daß die Stirn mir bleich? 
Drei Nächte war ich im Elfenreich. 

Hemming. Gott ſei uns gnädig! 

Olaf. Das Herz iſt mir ſchwer; 
Nicht denk' ich an Himmel noch Erde mehr. 


— 243 — 


Hemming ängstlich. Laßt uns zum Haus Eurer Mutter gehn! 
Olaf. Meiner Mutter Haus! Wo mag es ſtehn? 
Nur hier iſt fürder mein Heimatsort! 
Der Wald iſt jetzt meiner Väter Haus, 
Der Tannen Sauſen, des Stroms Gebraus 
Kann ich beſſer verſtehn als der Mutter Wort. 
Mit ſteigender Begeiſterung. 
Nicht wahr, hier weilt das Auge entzückt? 
O ſieh, mein Saal iſt zum Feſte geſchmückt! 
Demming beiseite. Was iſt ihm geſchehn? 


Olaf. Bald kommt meine Braut! 
Hemming. Eure Braut! Ihr wißt — ? 
Olaf fährt fort. Wenn der Tag ſich neigt, 


Wenn im Mondesdämmer das Vöglein ſchweigt — 
Dann tritt ſie hervor, ſo jung und traut! 
Hemming betreut ſich. Hilf Himmel! Er iſt vom Zauber gebannt! 
Olaf. Weißt Du, wo ich zuerſt ſie fand? — 
Von Guldvik ritt heim ich im Mondenſtrahl; 
Mich deucht, wir ſaßen beim Feſtesmahl. 
Mein Sinn war bedrückt, wie ich ritt fürbaß, 
In Groll und Gram — weiß nicht, um was! 
Gen Mitternacht kam ich am Fluſſe vorbei — 
Da ſcholl eine ſeltſame Melodei; 
Von Harfenklang ſchien die Luft geſchwellt, 
Es kam wie ein Tanz über Wieſ' und Feld. 
Wie Locken und Klagen die Stimmen erſchallten — 
Da thät zum Gebet ich die Hände falten; 
Doch verſagten die Worte: Sinnen und Denken 
Vermocht' ich allein auf die Töne zu lenken. 
Bald klang es wie Lachen und bald wie Weinen, 
Als wollten Jubel und Schmerz ſich einen; 
Dann ſcholl es wie Todesweh durch den Raum, 
16* 


Als hätt' ein Herz all ſein Klagen ergoſſen 

In die zaubriſchen Weiſen, die mich umfloſſen 

Wie ſtrömende Fluten! — Ich atmete kaum! 

So ſeltſam verworren ward mein Sinn; 

Es war, als zögen, mächtig und ſtille, 

Verborgne Gewalten zum Hügel mich hin — 

Stärker waren ſie als mein Wille! 

Sie lockten und lockten mit luſtvollem Leid, 

Lockten vom Weg mich — weiß nicht, wie weit! 
Hemming beiseite. Und die Braut, von der eben der Spiel— 

mann erzählte, die mußte ja auch folgen — 
Olaf. Da hielt mein Renner; ich fuhr empor, 

Ließ rundum die Blicke gehen — 

Wie traut war die Stätte! Doch nimmer zuvor 

Hatte mein Aug' ſie geſehen. 

Im Thale war's, ein ſchattig Gefild, 

Von ſüßem Frieden umzogen; 

Der Mond ſchwebte drüber ſo klar und mild, 

Er ſchien zu lächeln, ſo oft er ſein Bild 

Sah in des Waldſees Wogen — 

Mein Haupt war ſo ſchwer und ſo ſchwül mein Sinn, 

Mich lüſtete, ſelig zu träumen; 

Ich legt' in den ſchattigen Raſen mich hin, 

Umrauſcht von den flüſternden Bäumen. 
Hemming. Herr Olaf! Herr Olaf! Wie durftet Ihr das 

wagen! 

Olaf fährt fort. Da kam ich hinein in der Elfen Tanz! 

Die Schönſte reichte mir einen Kranz 

Von Waſſerlilien, von blauen Glocken, 

Sie wußte mein Herz ſo ſehnend zu locken. 

Sie flüſtert' ins Ohr mir ein rätſelhaft Wort, 

Des werd' ich mich allzeit entſinnen: 


„Olaf Liljefrans! Vernimm, wie hinfort 
Frieden und Glück zu gewinnen! 
Unter allen den Blumen im grünen Thal 
Sollſt Du die ſchönſte Dir finden, 
Sollſt ihre Blätter zerpflücken zumal, 
Daß ſie verwehn mit den Winden — 
Dann, erſt dann wirſt das Glück Du finden!“ 
Hemming. Ihr habt nur geträumt! 
Olaf. Seit dieſer Stunde 
Ward mir zu eng meiner Mutter Haus: 
Durch Schluchten und Steingeröll zog ich hinaus, 
Zu jagen im Waldesgrunde! 
Und wiederum traf ich die Elfe da draus. 
Hemming tritt erſtaunt zurück. 
Wie? Auch wachend habt Ihr gefunden — ? 
Olaf. Den Brautring nahm ich, und alſo gefeit 
Hab' ich das Haupt der Elfenmaid — 
Nun iſt ſie auf ewig gebunden! 
Hemming. Und das iſt die Braut, die Ihr hier erwartet? 
Olaf. Ja, das iſt die Braut! Bald nahet ſie mir. 
Hemming beiseite. 
Sein Sinn iſt berückt. Mit der traurigen Mär' 
Will hin zu Frau Kirſtin ich eilen. 
Laut. 
Und ſchweift Ihr ſo furchtlos hier oben umher? 
Olaf. Nur hier, nur hier, iſt all mein Begehr; 
Wie ſüß iſt's, hier träumend zu weilen! 
Verſchwindet langſam zwiſchen den Klippen im Vordergrunde. 
Hemming. Schon morgen ſoll er zum Traualtar; 
Doch wenig gilt ihm die Braut, fürwahr! 
Nicht ahnt ihre Näh' der bethörte Mann, 
Noch daß einen andern ſie liebgewann! — 


— 246 — 


Er irrt durch die Wälder — und ich empfing 

Von Ingeborg den goldenen Ring! — 

Frau Kirſtin meld' ich, was ich vernommen. — 

Wendet, ihr Heiligen, alles zum Frommen! 
Geht ab nach links. 


9. Scene. 


Olaf Liljekrans kommt zurück, von rechts. 
Olaf Blumen zerblätternd, die er draußen gepflückt. 
„Unter allen den Blumen im grünen Thal 
Sollſt Du die ſchönſte Dir finden 
Sollſt ihre Blätter zerpflücken zumal, 
Daß ſie verwehn mit den Winden — 
Dann, erſt dann, wirſt das Glück Du finden!“ — 
Allzeit verfolgt mich dies ſeltſame Wort. 
Wie find' ich die Blume? An welchem Ort? 
Wie wird ihre Schöne mir offenbar? 
Liegt ſie im Duft? In der Farbe klar? 
Oder ſind heimliche Kräfte ihr eigen, 
Die nimmer dem forſchenden Auge ſich zeigen? — 
So birgt oft unter dem Roſt ein Schwert 
Wohl eine Klinge von köſtlichem Wert; 
So kann wohl auch eine Harfe hängen, 
Von keinem beachtet, verſtaubt an der Wand — 
Und doch iſt in ihre Saiten gebannt 
Ein ganze Welt von lockenden Klängen! 


10. Scene. 


Olaf. Alfhild vom Hintergrunde. Sie iſt phantaſtiſch gekleidet und mit Laub⸗ 
gewinden und Blumen geſchmückt. Aengſtlich blickt ſie umher, dis ſie Olaf gewahrt: 
ſie eilt ihm froh entgegen. 


Alfhild. O bleib'! Bleib'! Geh' nicht von mir! 
Olaf plötzlich wie neubelebt. Alfhild, meine junge, herrliche Braut! 


u = 


Alfhild. Olaf, mein ſchöner Ritter! Es wurde mir zu 
ſchwer, zu warten — ich mußte Dir entgegengehn! 

Olaf. Doch ſag' mir: warum nur haſt Du ſtändig Furcht, 
hierherzukommen? 

Alfhild. Ich habe Dir ja geſagt, noch niemals kam ich 
heraus aus unſerm Thal, eh' Du mich beſuchteſt. — Mein 
Vater hat mir erzählt, daß böſe Mächte draußen walten; nur 
in unſeren Bergen könnt' ich unverzagt und ſicher ſein. — O, 
was für Mächte immer walten mögen — Du biſt hier! Was 
begehr' ich mehr? Komm, laß mich Dir ins Auge blicken! Ja, 
ja, ich hab' Dich wieder! 

Olaf. Das haſt Du! Ach ja, meine Alfhild, Du Liſtige, 
Du Holdſelige — wohl haſt Du mich wieder! Meinen Sinn 
haſt Du berückt, ſo ganz, ſo ganz! Führ' mich, wohin Du 
willſt und ſo weit Du willſt: in des Berges Schacht; auf die 
grüne Waldwieſe, wo ſo liebliche Weiſen am Abend ertönen; 
hinunter auf des Fluſſes Grund, tief unter den Waſſerfall, wo 
Harfen geſtimmt ſind für die mächtigen klagenden Lieder! Wo 


auch Dein Heim ſei — da will ich weilen! 
Alfhild. Warum ſprichſt Du ſo? Wohl weißt Du es 
beſſer, als Du da ſprichſt. — Geiſter und Elfen hauſen in 


Berg und Hain, und auf des Fluſſes Grund wohnt der Neck, 
hat Vater geſagt. Meinſt Du, ich ſei ein Elfenkind oder — 

Olaf. Du biſt die Holdeſte auf Erden! Sei, wer immer 
Du magſt — wenn Du nur mein biſt! 

Alfhild lächend. Wär’ ich ein Elfenweib — dann, fürwahr, 
ſollt' es Dir ſchlimm ergehn! 

Olaf. Mir? 

Alfhild. Ja, Dir! Wo Du ſchweifteſt auf einſamem Pfad, 
da trät' ich Dir entgegen; den Trank des Vergeſſens reicht' ich 
Dir dar aus dem goldenen Horn; meine Künſte hexte ich hinein, 
daß Du Himmel und Erde vergäßeſt hinfort, vergäßeſt, wo 


— 248 — 


Du geboren und zur Welt gekommen biſt, wie Dein Name lautet und 
wo die Deinen wohnen. Nur Eins ſollteſt Du im Gedächtnis be— 
wahren, eine Einzige nur ſollte Dein Sinnen und Denken erfüllen! 

Olaf. Dann biſt Du gewiß ein Elfenweib! Denn von der 
erſten Stunde an haſt Du mich alſo mit Deinen Künſten verhext. 

Alfhild. That ich das? 

Olaf. Durch die Halde ritt ich, tief unten dort, wo der 
Fluß läuft. Es war Nacht; ſeltſame Töne und klagende Weiſen 
umrauſchten mich — — — — Ich kam ab vom Wege — 
weit, weit hinein in die Berge; ich fand das liebliche Thal, 
das kein Fuß je betreten, noch niemand geſehn mit entzücktem 


Auge, niemand vor mir! — — Schwerer Schlummer ſenkte ſich 
auf mich hernieder; aber die Elfen ſpielten und zogen mich 
hinein in ihren Reigen — — — — Doch als ich erwachte, 


war Trauer in meinem Sinn. Heimwärts ritt ich; aber dort 
unten konnt' ich nicht mehr gedeihen. Mir war, als hätt' ich 
des Lebens Beſtes und Schönſtes hinter mir gelaſſen, als wär’ 
ein herrlicher Schatz mir beſchert, dafern ich nur ſuchte und 


ihn fände — — — — Zum Waldthal mußt' ich wieder; eher 
konnt' ich nicht Frieden finden — — — — Du kamſt mir 
entgegen, hold und warm wie in dieſer Stunde. Ich faßte 
Deine Hand, ſah Dir ins Auge — Himmel und Erde, des 
Weltalls Lieblichkeit waren in Deinem Blick! — — — — 
Da vergaß ich Freunde und Sippe! — — — — Ich kam 


wieder in der nächſten Nacht; ich legte den Arm um Deine 
Hüfte, preßte Dich feſt an mein Herz; des Himmels Seligkeit 
war in Deiner Umarmung — — — — — Da vergaß ich 
meinen Chriſtennamen, vergaß meiner Väter Haus! — — — 
— — Und ich kam die dritte Nacht; ich mußte kommen! 
Ich küßte Deine roten Lippen; meine Augen ſogen ſich ein in 
Deine Seele — mehr denn des Weltalls Herrlichkeit lag darin! 
— Da vergaß ich mehr als Gott und Vaterhaus, mehr als 


2 


Himmel und Erde — ich vergaß meiner ſelbſt! Stürzt vor ihr 
nieder. Alfhild! Alfhild! 

Alfhild. Iſt's ein Trank des Vergeſſens, wovon Du ſprichſt, 
dann hab' ich mich ſelbſt damit verzaubert! Mir erging es 
wie dem Spielmann, der die Lieder des Neck gelernt, um ſein 
Herzlieb damit zu berücken: er trieb die Zauberkünſte ſo lange, 
bis der Zauber ihm ſelbſt den Sinn umſponnen, und er ſich 
ihm nicht mehr entwinden konnte. Hält inne und bleibt gedantenvoll ſtehen. 

Olaf erhebt ſich. Worüber grübelſt Du? 

Alfhild. Hoch auf dem Berg da droben ſenkt die Felswand 
ſich ſo ſteil, daß nicht einmal des Aars Klaue daran haftet. 
Dort ſteht eine einſame Birke; verkümmert iſt ſie und nur 
ſpärlich belaubt; aber ſie neigt ihre Zweige hinab nach dem 
Thale, das weit draußen liegt. Es iſt, als verlange ſie nach 
ihren Schweſtern in dem friſchen, blühenden Wald, als ſehne 
ſie ſich, verpflanzt zu werden in das ſonnenwarme Leben da 
unten! — — — — — Gleich der Birke auf dem Felſen 
war mein Leben. Ich ſehnte mich hinaus — nach Dir ſtand 
mein Sehnen lange, lange Zeit, noch eh' ich ahnte, daß Du 
da warſt. Das Thal ward mir zu eng; aber ich wußte nicht, 
daß hinter den Bergen noch ein anderes Thal war, ganz wie 
das meine. Die Ritter und Frauen, die jede Nacht mich be— 
ſuchten, konnten meine Sehnſucht nicht ſtillen und nichts mir 
künden von dem Leben da draußen. 

Olaf. Ritter und Frauen? Haſt Du mir nicht geſagt, 
daß Du nie einen Menſchen im Thale dort angetroffen? 

Alfhild. Außer Dir keinen! Doch jeden Abend ſang mir 
der Vater ſeine Weiſen vor; und wenn es Nacht wurde, und 
meine Augen ſich ſchloſſen, dann kamen ſie und beſuchten mich — 
alle, die in meines Vaters Weiſen leben! Kühne Ritter, holde 
Frauen waren darunter; ſie kamen, den Falken auf der Hand, 
hergeritten auf ſtolzen Roſſen. Auf der Wieſe tanzten ſie: 


— 250 — 


Luft und Lachen erjcholl ringsum, wo ſie ſchweiften. Still 
lauſchten die Elfen aus jeder Blume und die Vöglein aus den 
Zweigen, wo ſie entſchlummert waren. Doch wenn der Tag 
anbrach, dann waren ſie alleſamt fort! — — Einſam ging 
ich, ſchmückte mich mit Blumen und grünem Laube; denn ich 
wußte: in der nächſten Nacht würden ſie wiederkommen! Ach, 
dies Leben füllte mich dennoch nicht aus! Eine mächtige Sehn— 
ſucht ſchwellte mir die Bruſt — und nie wär' ſie geſtillt 
worden, wärſt Du nicht gekommen! 

Olaf. Du ſprachſt von Deinem Vater; noch kein einzig 
Mal hab' ich ihn dort im Thale geſehen. 

Alfhild. Nur ſelten kommt er um dieſe Zeit. Er war 
nicht bei mir ſeit dem Abend, da wir zuerſt uns fanden. 

Olaf. Doch ſprich: wo iſt er? 

Alfhild. Du haſt mir geſagt, daß Du in einer Sommer— 
nacht durch die Halde ritteſt, dort, wo der Fluß dahinrauſcht. 
Da hörteſt Du ſeltſame Weiſen, die Du nur halb verſtandeſt, 
und die dennoch Dich mahnen und mahnen, daß Du ſie nimmer 
vergeſſen kannſt. 

Olaf. Gewiß! gewiß! 

Alfhild. Dann haſt Du meines Vaters Lieder gehört! Mit 
dieſen Liedern bin ich aufgewachſen. Auch ich verſtand ſie wohl 
nicht völlig, doch ſie dünkten mich der köſtlichſte Schatz, ja das 
Leben ſelbſt! Jetzt acht' ich ihrer nur wenig; ſie ſind mir nur 
Botſchaft noch von all der Herrlichkeit, die kommen ſollte. In 
ihnen allen lebte ein ſchöner Ritter; ihn dacht' ich mir als 
das Beſte und Hehrſte in allen Landen — das Beſte und 
Hehrſte, ſo weit der Vogel fliegt, ſo weit die Wolke zieht. 
Olaf! Du warſt es! Wohl kenn' ich Dich wieder! — O, Du 
mußt mir erzählen von Deiner Heimat, von dem fernen Thal, 
woher Du kommſt. Fruchtbar und licht muß es ſein da draußen. 
Dahin wohl ziehen meine Vögel, wenn das Laub fällt — denn 


| 
DD 


5s1 — 


wenn ſie mich wieder beſuchen, haben ſie ſo viel Seltſames zu 
künden, von ſo manchem Wunder zu ſingen, daß all die Kräuter 
dabei ſprießen und blühen, alle Bäume dabei grünen, und daß 
die große, herrliche Sonne früh aufſteht und ſpät zur Ruhe 
geht, um all den holden Mären und Weiſen recht lauſchen zu 
können. Doch nur wenig faſſ' ich, was ſie künden; Du mußt 
es mir erklären — alles, was da fragt und Antwort begehrt 
in meiner Bruſt! 

Olaf. Kaum wär' ich des mächtig! Du fragſt nach meiner 
Heimat. Meine Heimat? — Hatt' ich je anderswo eine Heimat 
als hier, dann weiß ich nur wenig noch davon. Wie ein nebel— 
hafter Traum iſt mir alles, der zerrinnt in dem Augenblick, 
da wir erwachen! Doch komm! Weit dort unten liegt ein 
Gehöft; da, dünkt mich, weilte ich, ehe ich Dich ſah; und es iſt 
mir, als ob dort die Meinen wohnen. Hörſt Du, wie der Fluß 
mahnt und brauſt? Laß uns ſeinem Laufe folgen! Am Ufer— 
ſaum beim Waſſerfall können wir hinſehen über die Stätte, wo 
ich — einſt zu Hauſe war! Komm! Komm! 

Alfhild. Aber darf ich — 

Olaf. Folge getroſt! Ich beſchirme Dich. 

Alfhild. Ich bin bereit. Weiß ich doch: ſelbſt wenn ich 
nicht wollte — Dir folgen muß ich, wohin Du auch ziehſt! 

Sie gehen ab nach rechts. 


Chor der Hochzeitsgäſte und Frau Virſtins Gefolge 


fern vom Walde links. 
O, hüte Dich wohl, daß Du nimmer verfällſt 
Den liſtigen Elfen im Walde! 


11. Scene. 
Frau Kirſtin und Hemming kommen von links. 
Hemming. Hier war er; — ſeht! Nein, jetzt iſt er weg! 
Trau Rirſtin. Und er hat geſagt, er wartete auf die Braut, 
die kommen ſollte? 


— 252 — 


Hemming. Ja; aber was er damit meinte, daraus ward 
ich nicht klug, denn ſeine Rede war ſeltſam verworren. Ingeborg 
meinte er nicht; das iſt gewiß. 

Frau RNirſtin. Still, guter Hemming! Still von dem, was 
er geſagt hat! Wohlgethan war's, daß Du's mich allein wiſſen 
ließeſt, er ſei hier. Reichlich will ich Dir dafür lohnen; doch 
erſt müſſen wir ſeiner habhaft werden — 

Hemming indem er nach rechts ausblickt. Seht, ſeht! Dort im 
Mondſchein auf dem Hügel beim Fluſſe — ja fürwahr, mich 
dünkt — 

Frau Rirſtin. Still, ſtill! Es iſt Olaf! 

Hemming. Es ſind Zwei; ein Weib ſteht neben ihm. 

Frau Rirſtin. Alle guten Geiſter! 

Hemming. Er zeigt über das Thal hin, als ob er — — 
da gehen ſie beide! 

Frau Rirſtin. Hol' Herrn Arne und unſere Leute! Ich 
bringe Olaf zur Stelle. 

Hemming. Aber dürft Ihr auch —? 

Frau Rirſtin. Thu' nach meinem Geheiß! Und ſchweig' 
von dem, was Du gehört und geſehn haſt. Du kannſt ſagen, 
Olaf ſei in die Berge geſtiegen, um Renntier und Bär zu 
jagen, und habe ſich dabei verirrt. 

Hemming. Ihr könnt auf mich bauen, Frau Kirſtin. 
Geht links ab. 

Frau Rirſtin. Wär' es möglich? Hätten böſe Geiſter 
Macht über ihn bekommen? — Ei! Das kann ich Arne von Guldvik 
glauben machen, doch ich ſelbſt glaube wenig daran! Und doch 
heißt es, daß dergleichen oft genug ſich begeben in alten Zeiten. 
Aber es ſind wohl Elfenmädchen von Fleiſch und Blut, die 
— — Da ſteigt er hinab zum Fluſſe! Ich muß mich ſputen. 


Geht ab rechts in der Mitte. 


2 


Chor fern aus dem Walde links. 
Mit frommen Geſängen, mit Glockenſpiel 
Zieht aus nach dem irrenden Manne! 
Du Chriſt, der unſeligen Mächten verfiel — 
Erwach' aus dem Zauberbanne! 


12. Scene. 


Olaf und Alfhild kommen vom Hintergrund rechts. Später Frau Kirſtin. 
Alfhild. O künde mir mehr noch, immer mehr! 

Dein Wort fällt wie Tau in die Seele mir nieder. 

Mir iſt, es ſtille mein heimlichſtes Sehnen, 
Es klingt wie lockende Lieder — — — — 
Biſt nimmer des Nachts Du am Bergſee geſeſſen, 
Des Tiefe keiner vermag zu ermeſſen? 
Und ſahſt Du des Himmels Lichtlein drin blinken, 
Die klugen Augen, die mehr erſpähn als Menſchen ergründen, 
Und hätten ſie tauſend Zungen, das Rätſel zu künden! 
Dort ſaß ich gar oft; mit Händen fangen 
Wollt’ ich die ſchimmernden Rätſel da drinnen — 
Ich haſchte danach; da erloſch ihr Glanz, 

Wie das Auge ſich trübt, dem Thränen entrinnen; 
Vergeblich war all mein Sehnen und Sinnen. — 

So war es vordem auch in meiner Seele! 

Manch Rätſel wollt' ich erſchloſſen ſehn. 

Doch narrten ſie mich gleich den Sternlein im Waſſer, 
Wurden immer dunkler, je mehr ich wollt' verſtehn! 

Olaf. Und ward ich zum Rätſel nicht ſelbſt mir, ſag' an! 

Olaf Liljekrans ich, von adligem Stamme, 

Der ſtolz auf des Hauſes Größe nur ſann 
Und lachte der Liebe glühender Flamme? — 


— 254 — 


Doch ſei's! Was ich war, das fahre dahin! 
Weiß ich doch eins: daß ich glücklich bin! — — 
Fehl ſchlug Dein Wort: Ich würde beglückt, 
Erſt wenn ich der Blumen ſchönſte zerpflückt. 
Schon halt' ich das Glück, herzliebſte Maid! 

Alfhild. Nie hab' ich ſolch Wort Dir prophezeit. — 
Doch künde mir mehr von dem bunten Leben! 

Olaf. Das Leben laß gehn ſeine eignen Wege! 
Hier iſt mein Heim, nur Du biſt mein Streben! 
Alfhild, o ſag', meine liebliche Braut: 

Iſt's nicht, als ſei uns zum Feſtſaal erbaut 
Rings das grünende Waldgehege? 
Buntblümlein ſproſſen auf jedem Stege. 
Hier iſt Jubel und Freud' und Luſt, 
Mehr als Raum hat in meiner Bruſt! — 
Horch! Des Stromes Weiſen ertönen — ſie machen, 
Daß ich weinen muß und ſelig durch Thränen doch lachen! 
Das ſeltſame Lied — wie es lockt und ſchwillt, 
Es macht mich ſo froh, ſo mutig, ſo wild! 
Schließt Alfhild leidenſchaftlich in ſeine Arme. 
Fahrwohl ſag' ich drunten der Heimatſtätte — 
Hier oben bereit' ich mein Hochzeitsbette. 
Fahrwohl ruf' hinaus in die Welt ich laut — 
Nun will ich umfangen die holde Braut! 
Alf hild weicht ängſtlich zurück. Olaf! 
Olaf hält plötzlich inne, wie von einer unklaren, ſchmerzlichen Erinnerung erfaßt. 
Die Braut! Was ſprach ich da! 
Sag' — als zum erſten Mal ich Dich ſah — 
Weißt Du — gedenkſt Du der Stunde nicht mehr? 
Kannſt Du mir ſagen: Was führte mich her? 
Wollt' ich Dich holen — hinab — in mein Haus? 
Ritt nicht, zur Hochzeit zu laden, ich aus? 


255 


Alfhild. Was meint Du? Hochzeit! Nicht faſſ' ich Dich. 

Olaf. War Feſt nicht auf Guldvik? Verlöbnis? O ſprich! — 
Drei Wochen darauf ſollt' ich Hochzeit feiern; 
Doch — — ach! Es liegt auf der Stirn mir bleiern. 
Nein, nimmermehr denken will ich daran! 

Chor gedämpft, weit drinnen im Walde. 
Olaf Liljekrans, Olaf Liljekrans! 
Was ſchläfſt Du ſo tief und ſo lange? 

Alfhild. Still, Olaf! Horch! 

Olaf. Haſt auch Du es vernommen? 

Alfhild. Was iſt es? 

Olaf. Ein halbverklungen Erinnern, 
Das oftmals mich mahnt in des Waldes Innern. 
Es ſchreckt mich — es ruft mich, hinabzukommen. 

Trau Rirſtin tritt, von ihnen nicht bemerkt, vom Hintergrund auf; beiſeite: 
Da ſind fie! — Er ſpricht; könnt' ich's nur verſtehn —! 

Kommt näher und lauſcht. 

Olaf mit ſteigender Heftigkeit. 
Wohlan — ich komme! Doch nicht allein will ich gehn! 
Ritter und Frauen entbiet' als Geleit ich hinaus — 
Mit Sang will ich führen die Braut in mein Haus! 
Ein goldengezäumtes Roß will ich reiten; 
Dem Zug voran ſoll der Spielmann ſchreiten, 
Dann folgt der Prieſter im Meßgewand — 
Zu Gaſt will ich laden das ganze Land! 
Am Zügel leiten uns Knappen die Pferde, 
Den Weg laß beſtreun ich mit Blumen und Zweigen; 
Es beug' ſich der Bauer vor Dir bis zur Erde, 
Und tief ſoll ſein Weib auch der Herrin ſich neigen. 
Glockenſchall künd' in die Weite laut: 
Nun führt Olaf Liljekrans heim ſeine Braut! 


Chor der Hochzeitsgäſte lebhaft, doch gedämpft, im Walde lints. 
Nun ziehn wir hinaus 
Zum Hochzeitsſchmaus, 
Es rennen die Rößlein, die ſchnellen! 
Der Hufſchlag ſchallt 
Durch den grünen Wald 
Beim Ritt der luſt'gen Geſellen! 
Trau Rirſtin beiſeite während des Geſanges. 
Dem Himmel ſei Preis! Hemming hat Wort gehalten. 
Alfhild jubelnd. 
Sie kommen! Sie kommen! Schon hör' ich ſie dort! 
Wie lieblich es klingt! Schon ſind ſie uns nah! 
Trau Rirſtin. Olaf mein Sohn! Eilt ihm entgegen, ven Alfhild, 
die fortwährend nach links ausblickt, nicht bemerkt. 
Olaf. Wer ruft mich da? — 
Ha! Mutter! 
Frau Rirſtin. Mein armes, verblendetes Kind! 
Der Zauber muß weichen, der Dich umſpinnt! 
Dort naht Deine Braut: jung Ingeborg — 
Olaf mit einem Schrei, als ob er förmlich erwache. Weh! 
Der Name weckt mich zum Leben jäh! 
So war mein Glück denn nur Trug und Schaum, 
Und hat ſo lieblich mich doch gedeucht! 
Verzweifelnd. 
O Mutter, Mutter, wie ſchön war der Traum! 
Nun hat Dein Wort ihn hinweggeſcheucht! 


13. Scene. 
Die Vorigen. Arne, Ingeborg, Hemming, Hochzeitsgäſte und Frau Kirſtins 
Leute von links. 
Arne. Glück zu, Frau Kirſtin! Ihr habt ihn ja gefunden, 
wie ich höre! 


Frau Rirſtin. Gottlob, er iſt gefunden! — Und nun 
heimwärts! 

Arne zu Slaf. Und iſt Euch kein Schaden geſchehen? 

Olaf geiſtesabweſend. Mir? Was meint Ihr? 

Frau Rirſtin aborechend. Gewiß nicht, Herr Arne! Er hat 
ſich beim Jagen verirrt und — 

Ingeborg auf Alfhild deutend. Aber dieſe Maid — ? 

Frau Rirſtin. Ein armes Ding, das ihm Obdach und 
Zuflucht gewährt hat. 

Arne. Aber hier oben wohnt ja niemand. 

Frau Rirſtin. Etliche doch. Hier und da iſt eine Familie 
in den Bergen zurückgeblieben von der Zeit der großen Seuche her. 

Arne. So kommt, kommt! Die Pferde warten unten an 
der Halde. 

Olaf ſchmerzlich, mit einem Blick auf Alfhild. O Mutter! Ich 
kann nicht! 

Frau Rirſtin teiie, doch entſchieden. Du mußt! Es würde Dir 
ewige Schmach bringen, dafern — 

Arne. Was meint er? 

Frau Rirſtin. Er iſt noch erſchöpft. Das geht vorüber. 
Kommt nur! mit bedeutungsvollem Blick auf Olaf. Die Maid mag 
uns folgen! 

Ingeborg. Ihr meint, daß ſie — ? 

Frau Rirſtin. Treulich hat ſie ihn gepflegt; es gebührt 
ſich, ihr dafür zu lohnen. 

Arne. Und morgen iſt Hochzeit. 

Frau Rirſtin. Ja, morgen! Das ſei hoch und heilig be— 
ſchworen! 

Arne. Ich hab' Euer Wort! 

Hemming leiſe und triumphierend, indem er den Ring hervorzieht. Und 
ich hab' Ingeborgs roten Goldring! 

Ingeborg nimmt ihm den Ring aus der Hand und ſagt gleichgültig. 


Joſen, Olaf Liljekrans. 17 


Mein Ring! Sieh, fieh! Haſt Du ihn, Hemming? Dank! 

Nun will ich ſelbſt ihn verwahren. 

Hemming ſteht einen Augenblick verblüfft; dann folgt er langſam den andern, die 
rechts abgehen, mit Ausnahme von Alfhild. 


14. Scene. 
Alfhild. Gleich darauf Thorgjerd vom Hintergrund. 

Alfhild hat mit ſtillem, kindlichem Erſtaunen den Vorgang mit angeſehen, 
doch ohne ihn weiter zu beachten. — Wenn alle fort ſind, fährt ſie nach einer Weile 
auf, gleichwie aus einem Traume erwachend. 

Sie ſind fort! Darf ich's glauben! Iſt es auch wahr? 
Hier ſah ich ſie jtehen, — der Mond ſchien klar. 
Dort zieh'n ſie hinab in ſachtem Schritt. 
Und ich bin die Braut — ich muß mit, muß mit! 
Will links hinauseilen. 


Chorgjerd im Hintergrunde. 
Alfhild, mein Kind! Wie kommſt Du hieher? 
Ich ſagte doch — 
Alfhild. Vater! — Halt' mich nicht mehr! 
Nun muß ich frei mit den Winden ziehn, 
Muß aus der Enge der Berge fliehn! 
Thorgierd nähert ſich. 
Was iſt's? 
Alfhild. Er iſt kommen! 
Thorgjerd. Wer? Sag' an! 
Alfhild. Mein Trauter! Der ſtolze Rittersmann! 
Jetzt faſſ' ich all die Unraſt und Luſt, 
Die mir ſo lange bedrückt die Bruſt! — 
Manch Lied haſt Du hier an des Stromes Rand 
Von der Königstochter im Berge geſungen — 
Ich ſelber war's, die im Berg ſaß gebannt, 
Doch der Rittersmann hat den Zauber bezwungen! 
Sein Wort war Geſang! Er verlieh mir Schwingen! 
Nichts, nichts auf der Welt kann mich feſſeln und zwingen! 


Thorgjerd. Du Arme! Hinab zu den andern willſt Du? — 
Nein, bleib'! Dich koſtet's die Herzensruh'! 

Alfhild. Ich muß, mein Vater! Dein beſter Sang 
Dann nimmer hinfort mir Freude machen. 

Thorgjerd. So geh' denn, Alfhild! Folge dem Drang — 
Dein Vater wird über Dich wachen. 
Doch hüte vor lockenden Worten Dich fein, 
Vor den liſt'gen Geſellen allen! 

Alfhild. Wo Olaf weilt, muß ich atmen und ſein —- 
Laß fern in die Thäler mich wallen! 
Dort ſteht ſein Schloß mit ſchimmernden Hallen! — 
O, ich kenn' aus Deinen Weiſen ihn gut: 
Der Ritter iſt er von hohem Mut, 
Der Königsſohn, ſtrahlend in Herrlichkeit — 
Und mich erfor er, die arme Maid! — 
Die Arme? — Nein, nein! Die Prinzeſſin bin ich, 
Und mehr noch als ſie — denn er liebt ja mich! 

Von fern ertönt der Hochzeitschor herauf. 

Horch, horch! Er ruft mich! Das Horn erſchallt! 
Lebt wohl nun, ihr Blumen und Fels und Wald! 
Leb' wohl, mein Thal, du wardſt mir zu enge; 
3 locken hinaus mich die jubelnden Klänge! 
Morgen zieh' ich zur Kirche als Braut, 
Morgen wird Olaf mir angetraut! a 
Er wird auf den Hochſitz ſtolz mich erheben — 
Ja jetzt, erſt jetzt beginnt mir das Leben! 


Sie eilt links ab. Thorgjerd blickt ihr gedankenvoll nach. Der Chor verliert ſich 
in der Ferne. 


Der Vorhang fällt. 


17* 


Sweiter Akt. 


Platz vor Frau Kirſtins Hof. Zur Rechten das Hauptgebäude mit einer Luke im 

Giebel; Fenſter und Thüren ſind nicht ſichtbar. Weiter gegen den Hintergrund zu 

auf derſelben Seite eine kleine Holzkirche mit einem Kirchhof. Zur Linken das Vorratshaus 

und andere Nebengebäude. Im Vordergrund zu beiden Seiten einfache Steinbänke. 
Es iſt Nachmittag. 


1. Scene. 


Frau Kirſtin, Knechte und Mägde mit Vorbereitungen zum Feſte beſchäftigt. 


Frau Rirſtin. Laßt es an nichts fehlen in Küch' und 
Keller! Für ſich. Schwer hat es gehalten, und hart hab' ich 
geſtritten, bis alles in Ordnung kam; nun will ich aber auch 
ein Feſt geben, wovon die Leute reden ſollen! Zum Geſinde. Sorgt 
mir ja für den Hochzeitstiſch! Doch nein, ich will ſelbſt nach 
dem Rechten ſehn! — Der Wein wird in den Silberkannen 
gereicht; die großen Trinkhörner füllt Ihr mit welſchem Moſt; 
das Bier iſt nur fürs Geſinde und der ſelbſtgebraute Met des— 
gleichen; — und hört: ſorgt mir dafür, daß genug gelbe Wachs— 
lichter in der Kirche ſind! Die Brautleute treten ja erſt in 
ſpäter Abendſtunde vor den Altar; mit rotem Fackelbrand ſollen 
ſie von der Feſtſtube dahin geleitet werden. — Geht nun alle, 
und achtet wohl auf das, was ich Euch geboten, jedweder! 
Knechte und Mägde ab. Gott weiß, dieſe Hochzeit koſtet mich mehr, 
als ich beſtreiten kann; aber Ingeborg bringt ein reiches 


— 261 — 


Brautgut mit und überdies — jawohl, Arne läßt ſich lenken 
und leiten nach meinem Willen, wenn er erſt — Blick nach rechts. 


Da kommt Olaf! Wenn ich nur wüßte, daß er — — 


2. Scene. 
Frau Kirſtin. Olaf, feſtlich gekleidet, kommt aus dem Hauſe. Er iſt bleich 
und gedankenvoll. 

Olaf für ſich. Geſtern und heute! Nur eine Mittſommernacht 
liegt dazwiſchen, und doch dünkt mich, als ſeien Herbſt und 
Winter über meinen Sinn dahingegangen, ſeit ich hoch oben in 
den Bergen ſchweifte — bei ihr, bei Alfhild! Bemertt Frau Kirſtin. 
Ach, liebe Mutter! Seid Ihr's? — 

Frau Rirſtin. Recht jo, mein Sohn! Geſchmückt mit Gold 


und Seide — das mag ich wohl leiden! Nun merkt Dir doch 
jeder an, daß Du heut Hochzeit feierſt. Ich ſehe, Du haſt Dich 
ausgeruht. 


Olaf. Geſchlafen hab' ich, doch nicht geruht; denn ich 
träumte derweilen. 

Trau Rirſtin. Und träumen ſoll der Bräutigam — fo 
gilt's von altersher. 

Olaf. Mein ſchönſter Traum iſt aus. Laß uns nicht mehr 
daran denken. 

Trau Nirſtin das Geſpräch ablentend. Es wird ein luſtiger Tag 
werden, mein' ich. 

Olaf. Es hat nicht den Anſchein, als ob mein Ehrentag 
dem Himmel gefalle. 

Frau Rirſtin. Wieſo? 

Olaf. Ein Unwetter zieht herauf. Seht Ihr nicht, wie 
im Weſten dunkel die Wolken ſich ballen? 

Frau Rirſtin. Deſto heller leuchten die Hochzeitsfackeln, 
wenn Du abends zur Kirche gehſt. 


Olaf geht ein paarmal auf und ab; endlich bleibt er vor ſeiner Mutter ſtehen 


2. 


und fagt: Wenn ich eines Armen Tochter gefreit hätte, ohne Habe 
und ohne Sippe — ſagt mir, Mutter, was hättet Ihr dann 
gethan? 

Frau Nirſtin betrachtet ihn ſcharf. Warum fragſt Du? 

Olaf. Antwortet mir erſt! Was hättet Ihr dann gethan? 

Trau Rirſtin. Dir geflucht hätt' ich und mich zu Tode 
gegrämt! — Doch ſag' mir: Warum fragſt Du? 

Olaf. Ei, 's iſt nur eine müßige Frage! Ich dachte mir 
nichts weiter dabei. 

Frau Rirſtin. Das wollt' ich auch meinen; denn allzeit 
haſt Du unſer Geſchlecht in Ehren gehalten. Nun aber ſei 
frohgemut! Morgen waltet Ingeborg als Dein Weib hier auf 
dem Hof; da findeſt Du Glück und Frieden. 

Olaf. Glück und Frieden? Dazu fehlt Eins. 

Frau Rirſtin. Was meinſt Du? 

Olaf. Die ſchönſte Blume, die ich pflücken und in alle 
Winde verſtreuen ſollte. 

Frau Rirſtin. Der verrückte Traum! Denk' nicht mehr daran! 

Olaf. Wohl frommte mir das am eheſten, wenn ich es 
vermöchte. 

Frau Rirſtin. In der Frauenſtube ſitzt Deine Braut unter 
ihren Mägden. Wenig noch haſt Du heute mit ihr geſprochen. 
Willſt Du nicht hinein gehen? 

Olaf in Gedanken. Jawohl. Wo iſt ſie? 

Frau Nirſtin. Im Frauengemach, wie ich Dir gejagt habe. 

Olaf lebhaft. Nichts ſoll ihr mangeln in Zukunft! Schuhe 
mit Silberſpangen will ich ihr ſchenken; Geſchmeid und Ringe 
ſoll ſie tragen. Die welken Blütenzweige ſoll ſie ablegen; ich 
will ihr eine goldene Kette dafür geben. 

Trau Rirſtin. Von wem ſprichſt Du? 

Olaf. Von Alfhild! 

Frau Nirſtin. Ich ſprach von Deiner Braut — von 


— 263 — 


Ingeborg. Olaf, Olaf! Du machſt mir angſt und bange, jo 
wunderlich biſt Du. Faſt wär' ich verſucht, im Ernſte zu 
glauben, daß ſie Dich behext hat. 

Olaf. Das hat ſie! Ja, fürwahr, Mutter: Ich bin ver— 


hext geweſen; ich war mit bei der Elfen Spiel. — Selig und 
froh war ich, ſo lang' es währte, doch nun —! Nun wird 
Kummer und Weh mich bedrücken — lange, lange Jahre, ſo 


oft mich die Erinnerung packt. 

Trau Rirſtin. Wäre fie nur eine Hexe, dann würde der 
Scheiterhaufen ihr ſicher ſein! Doch ſie iſt ein liſtiges, ver— 
ſchlagenes Weib, das Dich mit ſchönen Worten bethört hat. 

Olaf. Nein, ſie iſt rein wie die himmliſche Jungfrau ſelbſt! 

Frau Rirſtin. Ja, ja, man ſieht's! Doch wie dem auch 
ſei — bedenke, daß Du morgen ein verheirateter Mann biſt. 
Sünd' und Schande träfen Dich, wenn Du ihrer fürder gedächteſt. 

Olaf. Ich begreif' es wohl, gar wohl, Mutter! 

Frau Rirſtin. Und Ingeborg, der Du Dich verlobt haſt, 
und die Dich lieb hat — ja, Olaf, von Herzen lieb — des 
Himmels Strafe würde Dich treffen, wenn — 

Olaf. Wohl wahr! wohl wahr!. 

Frau Rirſtin. Nicht davon will ich ſprechen, wie es um uns 
ſelbſt beſtellt iſt; doch vergiß nicht, daß Arnes Tochter uns in vielen 
Stücken aushelfen kann. Stark abwärts iſt es gegangen mit unſerem 
Hauſe, und mißrät dieſes Jahr die Saat, ſo ſollt' es mich nicht 
wundern, wenn wir zum Bettelſtab greifen müßten. 

Olaf. Ich weiß es wohl. 

Trau Rirſtin. Mit Arnes Geld kann das alles verhütet 
werden; einen ehrenvollen Platz wirſt Du gewinnen unter des 
Königs Mannen. Bedenk' es wohl! Haſt Du Alfhild mehr 
gelobt, als Du halten kannſt — und ich glaube ihr ſo etwas 
angemerkt zu haben, ſo ſehr ſie's auch verbirgt, — dann ſprich 
mit ihr! Sag' ihr, — nun ja, ſag' ihr, was Du ſelbſt willſt! 


— 264 — 


Mit leeren Händen ſoll ſie nicht von hier gehen, das kannſt 
Du ihr frei verſprechen. Schau — da kommt ſie! Olaf, 
mein Sohn! Denk' an Deine Braut und an Dein ſtolzes 
Geſchlecht! Denk' an Deine alte Mutter, die vor Scham ſterben 


müßte, wenn — — Sei ein Mann, Olaf! — Nun will ich 
hinein und nach der Feſttafel ſehen. Ab ins Saus. 
3. Scene. 


Olaf allein. 
Olaf blickt aus nach rechts. Sie iſt ſo froh wie das junge Reh, 
Das ich munter im Walde ſah ſpringen; 
Bald wird in Jammer und herbem Weh 
Weinend die Hände ſie ringen; 
Bald weckt ſie mein Wort aus ſeligem Traum, 
Und dann — iſt es aus mit uns beiden! 
Ach, arme Alfhild, ich faſſ' es kaum — 
Solch hartes Los mußt Du leiden! 


Grübelnd. 
Was war mir Ehre, was galt mir Macht, 
Meines Hauſes Glanz — bei ihr dort oben? 


Dünkte mich doch ihrer Augen Pracht 

Der reichſte Schatz, den die Welt je gehoben! 

Vergeſſen hatt' ich der Erde Gram; 

Doch — ſchon in der Nacht, als zurück ich kam, 

Als wieder ich ſaß vor des Herdes Flamme, 

Als die Mutter mich grüßte, jo ſtolz und kalt — — 
Abbrechend. 

Ja, ja — ich bin von adligem Stamme, 

Und Alfhilds Heim iſt der Fels nur im Wald! 

Nicht ziemt Herrn Liljekrans ſolch Gemahl. 


Nun ſoll ich ihr künden — ich kann nicht, o Qual! 
Und doch, — dieſen Abend —! Wohlan, es geſcheh'! 


Sie hör', was mich füllt mit bitterſtem Weh! 


— 265 — 


4. Scene. 
Olaf. Alfhild aus der Kirche. 

Alfhild eilt ihm froh entgegen. Olaf, Olaf! Ich kam in ein Land, 
Wo auf Blumen ich trete, wie vormals auf Sand! 
Hier muß die Inſel des Glückes wohl ſein, 
Wo ſelig man lebt und ſtirbt ſündenrein. — 
O wüßt' ich —, ich faſſ' es nicht, was ich ſchau'! 
Die Rätſel ſollſt Du mir löſen und ſagen: 
Iſt allzeit ſo wonnig grün hier die Au? 

Olaf. Ach, Alfhild! 

Alfhild. Nein, warte! Noch mehr laß mich fragen. 
Siehſt Du das Haus mit der Spitze hoch oben? 
Des Wunder ſah ich von innen. 
Hier außen war Lärmen und lautes Toben, 
Doch friedlich und ſtill war es drinnen. 
Ich trat durch die Thür in den Saal hinein, 
So licht und herrlich zu ſchauen; 
Der lag in friedlichem Dämmerſchein — 
Dort knieten Männer und Frauen. 
Und drüber ſah ich ein Jungfraubild 
Auf ſchneeweißen Wolken ſchweben, 
Ihr Haupt umgab ein Schimmer ſo mild, 
Als wolle der junge Tag ſich erheben. 
Ihr Antlitz war klar, ihr Gewand war blau, 
Den lieblichſten Elfen ſah ich ſie tragen; 
Und Englein umſchwebten die ſchöne Frau, — 
Die lachten herab aus himmliſcher Au 
Und lenkten den Wolkenwagen. 

Olaf beiseite. Weh mir! Was that ich unſeliger Mann! 
Nun muß ich grauſam ihr Glück zerſtören! 

Alfhild. Olaf, wer ſind fie, dort drinnen? Sag' an! 
Künde mir, wem ſie angehören! 


— 266 — 


Olaf. Jedem, der gut, wie Du es biſt; 
Jedem, der Kind noch im Herzen iſt! 
Das Haus iſt die Kirche — darinnen wohnt Gott! 
Alfhild. Der mächtige Vater! Du treibſt mit mir Spott! 
Sein Haus iſt ja hoch, — wo der Himmel blaut 
Und die Wolkenſchwäne fliegen; 
So hoch, daß kein Aug' auf der Welt es erſchaut, 
Nur die Kindlein, die träumend liegen! — 
Doch nannteſt die Kirche Du — iſt es nicht dort, 
Wo wir uns ſollen vermählen 
Als Braut und Bräutigam? 
Olaf veiieite. Schmerzlich Wort! — 
Und doch — nicht darf ich's verhehlen! 
Alfhild. Jed' Wort, das Du ſagteſt, bleibt fürderhin 
Mir tief geprägt in den Sinn. 
3 füllt mir die Seele mit frohen Gedanken, 
3 tröſtet in Leid mich und Ungemach; 
3 erhellt mir den Weg wie die Sternlein, die blanken, 
Die goldenen Nägel im Himmelsdach. — 
Du ſagteſt: Viel Volk ſoll zum Feſt uns geleiten, 
Voran ſollen Prieſter und Spielmann ſchreiten, 
Ritter ſollen lenken mein Roß an der Hand, 
Blüten ſollen ſproſſen aus allen Zweigen, 
Die Blümlein alle am Wegesrand, 
Alle Sträucher ſollen der Braut ſich neigen! 
Olaf. Sagt' ich das? 
Alfhild. Konnt's aus dem Sinn Dir entſchwinden? 
Blick' nur umher! Haft Du's nicht vollbracht! 
Dort bei der Kirche grünen die Linden; 
Alle die Roſen erblühten zur Nacht 
Und gaukeln wie Elfen in Hochzeitstracht. 
Noch nie ſah des Himmels Auge ſo ſchön, 


So ſtrahlend herab aus den Höh'n; 
Nie ſangen die Vöglein ſo hell und traut — 
Sie ſingen ihr Lied ja für Bräut'gam und Braut! 
Es ſchwillt das Herz mir in ſeliger Luſt, 
Gern drückt' ich Himmel und Erd' an die Bruſt! 
So dürftig iſt kein Hälmchen im Feld, 
Daß ich mit Füßen es träte; 
So elend kein Würmlein auf weiter Welt, 
Daß ich ein Leid ihm thäte! — 
Der Lenz zog ins Herz mir voll Herrlichkeit, 
Es wogt und brauſt darin wie ein Sturm. 
Olaf beiseite Und bald wird der Sorge lauernder Wurm 
Im Innern Dir nagen, Du liebliche Maid! 
Alfhild. Wie ſchön iſt das Leben! 
Kniet nieder und ſtreckt die Hände empor. 
O Vater, der dort 
Fern iſt im Himmel! Wär' Wohlklang mein Wort, 
Könnte mit Engelszungen ich ſingen, 
Wollt' ich, Allgüt'ger, ein Loblied Dir bringen! 
Doch nicht vermag ich's; Du biſt mir zu groß — 
In Staub vor Dir beugen kann ich mich bloß. 
Dank, Unausſprechlicher! Hoch ſei geprieſen 
Für alles, was Du mir gnädig erwieſen! 
Erhebt ſich. 
Ja, ja, das Leben bei Olaf iſt hold — 
So ſchön faſt, als ob in den Tod ich ſollt'! 
Olaf. Schön? — Wenn man Dich ſenkt ins Grab hinab? 
Alfhild. Was meinſt Du damit? Was iſt's: das Grab? 
Den Vater befragt' ich darum; da ſang 
Vom Tod er ein Lied mir, das alſo klang: 


„Wenn müde der Menſch nach der Erde Qual 
Sich ſehnt zu ruhen in Schlummer — 


— 268 — 


Dann kommt ein Elf auf weißen Schwingen 
Und erlöſt ihn von Not und Kummer. 


Der kleine Elf mit den weißen Schwingen 
Bereitet ein Bett ihm ſo kühl: 

Von Lilien webt er das Linnen fein, 
Von roten Roſen den Pfühl. 


Er legt das Kind auf die Polſter weich, 
Naht, ſanft im Arm es zu tragen, 

Und fährt mit ihm zum Himmel auf 
Im goldenen Wolkenwagen. 


Und droben ſind viele Engelein, 

Die ſpielen auf himmliſcher Au 

Und ſtreuen über den Roſenpfühl 

Perlen ihm, weiß und blau. 

Da erwacht vom Schlummer das Menſchenkind 
Zu himmliſchem Glück und Frieden — 

Doch alle die ſeligen Freuden 

Kennt keiner von uns hienieden.“ 


Olaf. Alfhild! Wärſt Du im ſtillen Thal 


In Frieden geblieben — Dir wäre beſſer! 
Dein Glück ſoll erbleichen — matt und fahl, 
Dein Glaube ſterben — 

Alfhild. Als Olafs Gemahl 


Bin ich ſtark und friſch wie das Felſengewäſſer! — 

Biſt Du mir doch nahe! Nicht bin ich bang: 

Mag kommen, was will — wir teilen es beide! 
Lauſchend. 

Still, Olaf! Hörſt Du den klagenden Sang? 

Es klingt wie ein Lied von ſchmerzlichſtem Leide. 


269 — 


Nechts hinter der Scene ertönt gedämpft fol gender 

Chor der Leichenträger. 

Den kleinen Toten tragen 

Wir trauernd nun zu Grab 

Und ſenken unter Klagen 

Zur Erde ihn hinab. 

0 Los muß Gram bereiten: 

Mit Seufzen, Trauerſang 

Des Kindes Sarg geleiten 

Beim letzten, ſchweren Gang! 


Alfhild unſicher und beklommen. 
Was iſt das, Olaf? Was mag es ſein? 

Olaf. Ein Kind iſt geſtorben — es folgen dem Schrein 
Die Mutter und die Geſchwiſter klein. 

Alfhild. Und wo iſt der Pfühl von Roſen, den roten, 
Und wo die Lilienlaken des Toten? 

Olaf. Ich ſeh' weder Pfühl noch blankes Linnen, 
Ich ſehe die ſchwarzen Bretter bloß, — 
Auf Spänen und Stroh ſchläft der Tote darinnen. 

Alfhild. Auf Spänen und Stroh? 

Olaf. Ja — das iſt unſer Los! 

Alfhild. Und wo iſt der Elf, des Arm ihn umſchmiegt, 
Und der mit ihm auf gen Himmel fliegt? 

Olaf. Ich ſeh' nur die Mutter in bitterer Pein, 
Und hinter dem Sarg die Geſchwiſter klein. 

Alfhild. Und wo ſind die Perlen, die weißen und blauen, 
Die die Englein ſtreun von des Himmels Auen? 

Olaf. Ich ſeh' nur die ſchimmernden Thränen fließen, 
Die am Grabe die kleinen Geſchwiſter vergießen. 

Alfhild. Und wo iſt die Heimat, der liebliche Ort, 
Wo der Tote ſchlummert in Ruh'? 


— 270 — 


Olaf. Du ſiehſt es: Sie ſenken hinab ihn dort 
Und decken mit Erde ihn zu. 

Alfhild fie und gedantenvol nach einer Pauſe. 
So war's in des Vaters Liede nicht! 

Olaf. Wohl wahr! Von den Freuden dort oben im Licht 
Ward keinem auf Erden Bericht. — 
Weißt Du von Bergkönigs Schatz, der in Pracht 
Leuchtet wie rotes Gold durch die Nacht? 
Doch greifſt Du danach mit gieriger Hand, 
So findeſt Du eitel Schutt und Sand. — 
O höre mich, Alfhild: es mag wohl ſein, 
Daß auch das Leben von gleicher Art — 
Komm' nicht zu nah' ihm, hüte Dich fein! 
Es möchte Dir ſengen die Finger zart! 
Wohl glänzt es blank wie des Himmels Sterne — 
Doch nur, wenn Dein Aug' es ſieht aus der Ferne. 

Bemerkt Frau Kirſtin draußen rechts. 

Die Mutter! Sie ſucht mich — ich geh' hinein! 
Alle Engel mögen Dir Frieden verleihn! 
Er geht nach dem Hauſe, wird aber von Frau Kirſtin angehalten. — Der Himmel 
überzieht ſich mit dunklen Wolken, der Wind beginnt durch die Baumwipfel zu ſauſen. 


Alfhild ſteht tief in Gedanken verſunken. 


5. Scene. 
Die Vorigen. Frau Kirſtin. 

Frau RNirſtin leiſe. Nun, mein Sohn! Nicht wahr? Du 
halt ihr doch geſagt — ? 

Olaf. Alles, was ich über die Lippen zu bringen vermochte, 
hab' ich ihr geſagt. Sagt ihr nun das Uebrige, und dann, 
Mutter, laßt mich fie niemals, niemals wiederſehen. Wirft einen 
Blick auf Alfhild und geht ab, am Haus vorüber. 


Frau Nirſtin. Von der Thorheit wird er bald geheilt fein, 


— 271 — 


wenn —. Als ob ihr plötzlich ein Einfall käme. Doch wenn ich — 

Haha, glückte das, ſo wär' er geneſen, dafür ſteh' ich ein. Aber 

Alfhild — ? Je nun, gleichviel, man muß es verſuchen. 
Alfhild fur ſich. 

So harren hier meiner nur Not und Klagen! 

Sei's denn! Nicht will ich darum verzagen. 

Was auch die Welt mir zu leide thut — 

Iſt doch Olaf mir hold und gut! 

Trau Rirſtin nähert ſich ihr. Es ſcheint mir, als lägen ſchwere 
Gedanken Dir auf der Seele — 

Alfhild. Ach ja, das kommt von all dem, was ich eben 
gelernt habe. 

Frau Rirſtin. Von Olaf? 

Alfhild. Jawohl, von Olaf; er hat mir geſagt — 

Frau Rirſtin. Ich weiß es, Alfhild! Ich weiß, was er 
gejagt hat. Beiſeite. Er hat ihr von ſeiner Hochzeit geſprochen, 
kann ich mir denken. Laut. Und ſchon heut Abend ſoll ſie 
ſtattfinden. 

Alfhild. Was ſoll ſtattfinden? 

Frau Rirſtin. Die Hochzeit! 

Alfhild lebhaft. O ja, ich weiß! 

Frau Rirſtin. Du weißt es — und nicht ſchwerer nimmſt 
Du 8 

Alfhild. Nein, warum ſollt' ich es denn ſchwer nehmen? 

Frau Rirſtin beiſeite. Sie hat einen Hintergedanken, das ſeh' 
ich klar. Laut. Nun, um ſo beſſer für uns alle. Aber ſag' 
mir: was gedenkſt Du denn zu thun, wenn das Feſt vorüber iſt? 

Alfhild. Ich? Daran hab' ich noch nicht gedacht. 

Frau Rirſtin. Ich meine: biſt Du geſonnen, hier zu bleiben, 
oder kehrſt Du wieder heim? 

Alfhild sent fie verwundert an. Ei freilich bin ich geſonnen, zu 
bleiben! 


— 272 — 


Frau Rirſtin beiſeite. Da haben wir's; fie will ihn in ihrem 
Garn behalten, ſelbſt wenn er verheiratet iſt. Na, das werden 
wir ja ſehen. Laut. Alfhild! Ich gönne Dir alles Gute, und 
wenn Du mir vertrauen wollteſt — 

Alfhild. Ja, das will ich gewiß! 

Frau Rirſtin. Nun gut, jo laß mich für Dein Wohlergehen 
ſorgen. Ich will mich Deiner annehmen, ſo gut ich nur kann, 
und wenn Du einwilligſt, ſollſt Du noch heut Abend als Braut 
zur Kirche gehen. 

Alfhild. Ja, das weiß ich doch. 

Frau Nirſtin wird ſtutzig. Du weißt es? Wer hat es Dir 
denn geſagt? 

Alfhild. Das hat mir Olaf ſelbſt geſagt! 

Frau Rirſtin. Olaf! veiſeite. Sollte Olaf — ? Ja, für⸗ 


wahr — er hat denſelben Gedanken gehabt wie ich, ſie zu ver— 
heiraten, um ſie los zu werden. Oder vielleicht, um — nun 
gleichviel! Iſt ſie erſt verheiratet, und iſt Olaf ſeinerſeits 
Ehemann, ſo — Laut. Ja, ja, gut, Alfhild! Wenn Olaf ge— 
ſagt hat, welche Abſichten wir mit Dir haben, ſo hab' ich nicht 
erſt nötig, Dir —. Aber jetzt flink ins Vorratshaus hinein, 


da hängt mein eigenes Hochzeitskleid, das ſollſt Du tragen! 

Alfhild in lindlicher Freude. Ich —! Dein eigenes Hoch- 
zeitskleid! 

Frau Rirſtin. Thu', wie ich ſage! Geh hinein und kleide 
Dich ſo prächtig, wie Du magſt. 

Alfhild. Und bekomm' ich auch eine Brautkrone? 

Frau Rirſtin. Gewiß! Eine Brautkrone und Silberringe 
und rote Goldbänder. Du wirſt genug davon finden in den 
Truhen und Schränken. 

Alfhild. Silberringe und rote Goldbänder! 

Frau Nirſtin. Geh, geh, und ſpute Dich, jo ſehr Du 
kannſt! 


972 
—— 273 — .— 


Alfhild. O, ich werde bald fertig ſein! Klatſcht in die Hände. 
Ich bekomme eine Brautkrone und rote Goldbänder! eilt lünts hinaus. 


6. Scene. 
Frau Kirſtin allein. 

Trau Rirſtin. Das ſchlechte, verdammte Weib! Wie froh 
und zufrieden ſie iſt, obſchon ſie weiß, daß Olaf mit einer 
andern vor den Altar ſoll. Aber ſo taugt es mir gerade. Es 
geht leichter, als ich dachte. Sie ſieht ſo unſchuldig aus wie 
ein Kind, und doch iſt ſie bereit, den erſten beſten, den ich ihr 
auswähle, zum Mann zu nehmen. Und ich habe mir eingebildet, 
Olaf wär' ihr wirklich teuer. Hat er von ihrer wahren Ge— 
ſinnung noch nicht Kenntnis, ſo ſoll er ſie bald haben. Er 
ſoll ſie gründlich kennen lernen; er ſoll wiſſen, warum ſie ihn 
gelockt und behext hat, und dann, ja dann iſt ſie ihm nicht 
mehr gefährlich. Lächelnd. Sieh, ſieh! Olaf kam doch auf 
denſelben Ausweg wie ich! Für ſo ſchlau hätt' ich ihn nicht 
gehalten. — Aber wo finden wir den Burſchen, der willens iſt —. 
Nun, hübſch iſt ſie, und auf Geld und ein Stückchen Ackergrund 
ſoll es mir nicht ankommen. Sollte Olaf bereits mit jemand 


darüber geſprochen haben? Das iſt nicht denkbar! — Nun, 
ſo will ich in der Sache das Meinige thun! Ich habe ja Knechte 
genug auf dem Hofe und — Sieht nach rechts hinaus. Hemming! 


Ob ich es mit ihm verſuche! Aber er hat ſie ja geſtern in 
den Bergen zuſammen geſehen; er muß alſo auch wiſſen, daß 
die zwei etwas miteinander haben. Doch was thut's — er iſt 
ein geringer Burſch, und dabei arm und weichen Gemüts 
wir wollen ſehn, wir wollen ſehn! 


7. Scene. 
Frau Kirſtin. Hemming von rechts. 
Hemming für ſich. Nirgends iſt Ingeborg zu finden; ſie 
bringt mich noch unter die Erde, wahrhaftig! Geſtern war ſi 


Ibſen, Olaf Liljekrans. 18 


freundlich zu mir; fie gab mir ihren Armring; aber dann 
nahm ſie ihn mir wieder ab, und heute würdigt ſie mich auch 
nicht eines Blickes. 

Frau Kirſtin leiſe, indem fie ſich ihm nähert. Vorſichtig muß ich 
allerdings ſein. Laut. Sieh da, Hemming, Du biſt es? Und 
ganz allein, wie ich ſehe, — Du hältſt Dich fern von den 
Dirnen und den jungen Burſchen. Wenn ich dergleichen 
ſehe, kann ich mir wohl denken, daß es ſeinen triftigen 
Grund hat. 

Hemming. Ei, hohe Frau! Was ſollte — 

Frau Rirſtin. Ja, Hemming! Du trägſt etwas heimlich 
mit Dir herum. Du biſt nicht fröhlichen Sinns! 

Hemming betroffen. Nicht fröhlich? Ich? 

Frau Rirſtin lächelnd. Es iſt da heut eine junge, jchöne 
Maid hier, die Dir wohlgefällt. 

Demming. Alle Heiligen! 

Frau Rirſtin. Und fie iſt auch Dir gut! 

Hemming. Mir — wer? Ich weiß nicht, wen Ihr meint. 

Frau Rirſtin. Ei, Hemming, ſprich nicht jo! Denn vor 
mir brauchſt Du nicht zu erröten! Ja, ja, ich habe gute Augen, 
Du! 

Hemming veiſeite. Himmel! Ingeborg muß ſich verraten 
haben — 

Trau Kirflin. Ich habe wohl geſehen, daß das Hochzeits— 
feſt Dir wenig Freude macht. Die Kirchfahrt iſt Dir zuwider, 
weil Du ſelbſt gern als Bräutigam mitgehen möchteſt, aber keine 
Möglichkeit ſiehſt. 

Hemming in höchſter Beſtürzung. Ach, Frau Kirſtin! Edle, hohe 
Frau! Zürnt mir nicht! 

Frau Rirſtin verwundert. Ich? Warum ſollt' ich Dir wohl 
zürnen? 

Hemming fortfanrend. Ich habe gerungen und gekämpft mit 


— 275 — 
dieſer unſeligen Liebe, ſolang' ich es vermochte, und ich glaube 
ſicher, daß auch ſie es gethan hat. 

Frau Rirſtin. Sie? Sie hat Dir alſo gejagt, daß fie 
Dir gut iſt? 

Hemming. Ja, beinahe! 

Trau Rirſtin. Recht jo! Recht jo! Ihr habt alſo ſchon 
miteinander davon geſprochen? 

Hemming. Ja, aber nur ein, nur ein einziges Mal — 
das ſchwör' ich! 

Frau Rirſtin. Ein oder zehn Mal, das iſt mir gleich an— 
genehm! — Veiſeite. Sie ſind alſo ſchon einig. Welch ein Glück, 
daß ich gerade auf Hemming verfiel! Nun wundert es mich 
nicht mehr, daß Alfhild ſo geneigt war, vor den Altar zu treten. 
Laut. Hemming! Ich ſtehe in großer Schuld bei Dir, da Du 
meinen Sohn wieder aufgefunden haſt und mir auch ſonſt zu 
Dienſten warſt. Nun kann ich es Dir vergelten; ich will Dir 
mit all meinem Einfluß beiſtehn in der Sache, von der wir 
eben ſprachen. 

Hemming ganz verwirrt vor Freude. Ihr! Wollt Ihr das, Frau 
Kirſtin?! Ach, Gott und alle Heiligen! Ich wag' es ja kaum 
zu glauben. unterbricht ſih. Aber — Herr Olaf, Euer Sohn! 
Was, meint Ihr, wird er dazu ſagen? 

Frau Rirſtin. Er wird Dir keinen Stein in den Weg 
legen, dafür bürg' ich Dir. 

Hemming treuherzig. Ja, die Wahrheit zu jagen, iſt ihm 
damit wohl auch am beſten gedient, denn ich weiß, ſie iſt ihm 
nicht von Herzen gut. 

Trau Rirſtin lächelnd. Das hab' ich ſchon gemerkt, Hemming! 

Hemming. Das habt Ihr? Ihr ſeid jo klug, Frau Kirſtin! 
Und ich dachte, ich wäre der einzige, der es gemerkt hätte. 
Nachdenklich. Aber glaubt Ihr, daß Herr Arne ſeine Zuſtimmung 
geben wird? 

18 * 


— 276 — 


Trau Rirſtin. Dein Herr? Ich werd' ihn ſchon gefügig 
machen; es wird mir ſchon glücken. 

Hemming. Meint Ihr? Ach, aber ich bin ja doch nur 
ein armer Burſch. 

Trau Rirſtin. Dem werd' ich ſchon abhelfen — falls nicht 
Herr Arne ſelbſt dazu bereit ſein ſollte. 

Hemming. Dank, vielen Dank, Frau Kirſtin! Der Himmel 
lohne Euch Eure gute Geſinnung! 

Frau Rirſtin. Aber Du ſchweigſt wohl über das, was wir 
zuſammen geſprochen haben. 

Hemming. Das gelobe ich. 

Trau Rirſtin. So halte Dich bereit. In kurzer Zeit ver— 
ſammeln ſich hier außen die Gäſte. Bleib in der Nähe. Geht 
auf die Thür des Vorratshauſes zu und ſpäht nach Alfhild aus. 

Hemming für ſich. Nein, — das iſt wie ein ſeltſamer, 
foppender Traum. Ingeborg und ich, wir ſollten einander be— 
kommen! Ach, kann denn das wahr ſein? So hoch wagte in 


meinen Gedanken ich mich niemals zu verſteigen — jeden 
Morgen war's mir, als hätt' ich eine vermeſſene That begangen, 
wenn ich des Nachts bloß davon geträumt hatte. — Hm, ich 


weiß übrigens recht gut, daß Frau Kirſtin ſich nicht um meinet— 
willen dieſe Mühe macht. Sie hat irgend eine Abſicht dabei; 
vielleicht möchte ſie gern den Vergleich mit Herrn Arne brechen, 
und nun ſie gemerkt hat, daß Ingeborg mir gut iſt, will ſie 
das als Vorwand benutzen. Ja, ja, ich hab' ſo oft meinen 
Herrn gewarnt, aber er wollt' mir nie glauben. 

Arne ruft von lints draußen. Hemming! Hemming! 

Trau Nirſlin kommt nach dem Vordergrund. Dein Herr ruft! 
Geh nun! Ich werde ſpäter mit ihm reden. Er wird 
ſich ſchon fügen. Glaube mir, er wird ſeinem Knecht 
zur ſelben Stunde in die Kirche folgen, da er ſeine Tochter 
dorthin führt. 


— 277 — 


Hemming. Dank, vielen Dank, Frau Kirſtin! Wahrlich, 
Ihr thut eine gute That an uns allen. Geht nach links ab. 

Trau Nirſlin für ſih. So jung iſt fie, und doch ſchon fo 
voller Ränke. Sie hat mit Hemming gebuhlt, während ſie gleich— 
zeitig meinem Sohn einredete, daß —. Gut, er wird bald 
hinter ihre Schliche kommen. Aber erſt muß ich Herrn Arne 
gewinnen. Er hält viel von Hemming und wird ſich ungern 
von ihm trennen. Es ſchien, als ob auch Hemming fürchtete, 
das könnte ein Hindernis werden. Aber ſie können ja doch leicht 
beiſammen bleiben, wenn Hemming ſich auch verheiratet. Dieſer 
Hemming ſieht übrigens viel klarer in der Sache, als ich dachte. 
Was Olaf dazu ſagen wird, fragte er. Er hat alſo doch ge— 
merkt, daß Alfhild meinem Sohn noch am Herzen liegt. Nun, 
laß es ihn gemerkt haben! Nimmt er ſie, dann ſchweigt er 
auch, und iſt Alfhild erſt verheiratet — ich kenne Olaf: er hat 
ſtets hohen Wert darauf gelegt, bei den Männern des Gaus in 
Achtung und Ehre zu ſtehen, und darum wird er wohl — ja, 
ja, es muß, es wird gelingen! Gent rechts ab. 


8. Scene. 
Hemming kommt mit einem Bierkrug, den er unter dem Wams verbirgt, von 
links. Arne folgt ihm vorſichtig und ſpähend. 
Arne. Iſt da niemand? 


Hemming. Nein, kommt nur, Herr! 

Arne. Aber es war mir doch, als hört' ich Frau Kirſtin. 

Hemming. Sie iſt eben gegangen, — kommt nur! 

Arne ſetzt ſich auf die Vank links. Hemming, es iſt nur gut, daß 
die Hochzeit noch heut Abend ſtattfindet. Morgen gleich brech' 
ich auf. Ja, das thu' ich. Nicht einen Tag länger bleib' ich 
in Frau Kirſtins Hauſe. 

Hemming. Ei, Herr, iſt wieder Unfrieden zwiſchen Euch? 

Arne. Meinſt Du, es ſei nicht genug, daß ſie und ihre 
ganze vornehme Verwandtſchaft mich höhniſch behandeln! Beim 


— 


Abendbrot lachten und ſpaßten ſie untereinander, weil ich es 
nicht über mich bringen konnte, die gottloſen ausländiſchen 
Gerichte da zu freſſen. Und was gab man uns zu trinken? 
Süßen Wein und Moſt, der einem nach acht Tagen noch 
im Magen liegt. Nein, da lob' ich mir mein gutes, jelbjt- 
gebrautes Bier. Trinkt und fügt leiſe und unwirſch hinzu. Davon hab' 
ich dem Miſtweib drei volle Tonnen geſchickt, und was hat ſie 
damit gemacht? Verthan hat ſie's an ihre Knechte, und nur 
verſtohlen kann ich einen Schluck davon thun. Ja, Hemming, 
nur verſtohlen darf ich mein eigenes Bier trinken, damit ſie 
mich nicht einen groben Bauern ſchimpfen, der ſich nicht auf 
vornehme Getränke verſteht. 

Hemming. Ja, ja, Herr! Ich hab' Euch ja gewarnt! 

Arne. Pah — mich gewarnt! Du biſt dumm, Hemming! 

Neinſt Du, ich hab' es nicht ſelbſt gemerkt. Aber warte nur, 
Nagel Auffahrend. Mein gutes, ſüffiges Bier den Knechten 
vorzuſetzen, als wenn es nicht wert wäre, auf einen Herrentiſch 
zu kommen —! a 

Hemming. Ja, Frau Kirſtin behandelt Euch ſchlecht, ſoviel 
iſt gewiß! 

Arne reicht ihm den Krug. Da, ſetz' Dich hin und trink! Hemming 
jet fi. Höre, Hemming! Ich wünſchte, wir wären erſt wieder 
wohlbehalten zu Hauſe. 

Hemming. Ja, mir behagt es hier auf dem Hochzeitshof 
auch nicht! 

Arne. Nein, da lob' ich mir meine alte Stube auf Guldvik, 
wenn wir zwei des Abends zuſammen ſitzen und Schach ſpielen 
und den Bierkrug zwiſchen uns haben — 

Hemming. Während Jungfer Ingeborg am Webſtuhl ſitzt und 
Roſen und allerhand andere Blumen ins Linnen hineinmuſtert — 

Arne. Und dabei ſo lieblich ſingt, daß mir's immer iſt, 
als würd' ich wieder jung und rüſtig. Ja, Hemming, wenn 


— 279 — 
die Hochzeit vorüber iſt, wollen wir unſere alte Lebensweiſe 
wieder aufnehmen. 

Hemming. Aber dann iſt niemand da, der am Webſtuhl 
ſitzt und liebliche Weiſen dazu ſingt. 

Arne. Ja, das iſt wohl wahr, — Ingeborg iſt dann fort. 
Das wird mir ſchwer zu Herzen gehen. Sie iſt ungeſtüm und 
eigenwillig, aber vermiſſen werd' ich ſie doch, und ſogar recht 
ſchwer. ueberlegt. Bisweilen könnt' ich ſie wohl hier beſuchen — — 
Aber nein, das will ich nicht! Hier ſpotten ſie über mich und 
tuſcheln ſie hinter meinem Rücken, ich weiß wohl. 

Hemming. Aber wenn Ihr wolltet, jo könnt' es ja noch 
rückgängig gemacht werden. 

Arne. Rückgängig gemacht werden? Du biſt dumm, 
Hemming, — immer ſchnackſt Du von rückgängig machen. Reicht 
ihm den Krug. Da, trink'! Das thut Dir gut! Rückgängig gemacht 
werden! Nein, nein, das ſoll niemals wieder rückgängig gemacht 
werden! — Böſe Geiſter waren es, die mir den Gedanken ein— 
geblaſen haben, mich mit Frau Kirſtin zu verſchwägern. Aber 
nun iſt es geſchehen; und mag die vornehme Sippe ſich auf— 
führen, wie ſie will, meine Nachbarn ſollen nicht über mich 
ſpotten. Hab' ich mein Wort gegeben, ſo will ich es auch halten. 
Zaghaft. Wenn ich nur wüßte, daß Olaf auch gut gegen ſie ſein 
wird; ich will es ihm ans Herz legen —. sSeftig Er ſoll es 
ſein, — ſonſt laſſ' ich ihn meine alten Fäuſte fühlen. 

Hemming. Ja, es wäre wohl gut, wenn Ihr auf ſie acht 
gäbt, denn ich bin ſicher, Olaf hält ſie nicht ſehr wert. 

Arne. So, meinſt Du? 

Hemming. Erinnert Ihr Euch an Alfhild, das arme Mädchen, 
das geſtern mit uns vom Gebirge kam? 

Arne. Gewiß thu' ich das. Ein ſchönes Kind! 

Hemming erhebt ſich. Das findet Olaf auch! 

Arne. Was ſoll das heißen? 


— 280 — 


Hemming. Olaf hat ſie lieb! Gar manches Mal hat er ſie 
dort oben beſucht; — was Frau Kirſtin Euch vorgeſchwatzt hat, 
dürft Ihr nicht glauben! 

Arne. Und was Du mir vorſchwatzeſt, glaub' ich noch 
weniger. Du biſt Ingeborg übel geſinnt, weil ſie Dich bis— 
weilen neckt, und darum gönnſt Du ihr dieſe anſehnliche Heirat 
nicht. Ja, ja, ich kenne Dich ſchon! 

Hemming. Wie, Herr! — Ihr könnt glauben, daß — 

Arne. Mach' mir nicht weis, daß Olaf Liljekrans dies 
Bettelweib liebt! Ein angeſehener, hochgebürtiger Herr wie er! 
Das wäre ja gerade ſo, als wenn einer ſagen wollte, Ingeborg, 
meine Tochter, hätt' ein Aug' auf Dich geworfen. 

Hemming verlegen. Auf mich — wie kommt Ihr darauf —? 

Arne. Nein, ich komme auch nicht darauf! Aber das eine 
iſt gerade ſo ungereimt wie das andere. Da, trink' und laß 
mich mit ſolchem Geſchwätz in Ruhe. Erbebt ſich. Da kommt 
Frau Kirſtin mit den Gäſten. Was wird nun geſchehen? 

Hemming. Hier außen werden ſich alle verſammeln; dann 
geht es mit Braut und Bräutigam zur Hochzeitstafel, und von 
da zur Kirche. 

Arne. Ei, welch verdammter Brauch! In die Kirche am 
Abend! Gilt es denn hier als eine That der Finſternis, zu 
heiraten? 


9. Scene. 
Die Vorigen. — Frau Kirſtin, Olaf, Ingeborg, Gäſte, ſowie Knechte und 


Mägde kommen nach und nach von verſchiedenen Seiten herein. 


Frau Nirſtin für ih. Ich habe Olaf nicht mehr allein ge— 
troffen; aber bedenk' ich's recht, ſo iſt es auch das Beſte, wenn 
er vorher nichts davon weiß. Seife zu Semmeng, der flüfternd mit Ingeborg 
geſprochen hat. Nun, Hemming! Wie, meinſt Du, iſt Dein Herr 
geſonnen? 


Er en 


Hemming leiſe. Ach, Frau Kirſtin! Ich habe nur geringe 
Zuverſicht, wenn Ihr mir nicht helft. 

Frau Rirſtin. Ei, das wird ſich ſchon machen. Miſcht ſich unter 
die Gäſte. 

Ingeborg keiſe zu Hemming. Du? Wa 
ſelige Hoffnungen, von denen Du ſprichſt? 

Hemming. Ach, ich wage ſelbſt nicht, daran zu glauben; 
aber Frau Kirſtin meint es gut mit uns. Sie wird Euch bald 
zeigen, daß — 

Ingeborg. Still! Da kommen ſie. 

Olaf mit gedämpfter Stimme. Sagt mir, Mutter! Wie geht 
es ihr? 

Frau Rirſtin. Ganz gut, wie ich im voraus wußte. 

Olaf. Sie wird ſich alſo tröſten? 

Frau Nirſtin lächelnd. Es ſcheint jo. Warte nur ein wenig! 
Noch heut Abend ſollſt Du Gewißheit darüber haben. 

Olaf. Was meint Ihr? 

Frau Rirſtin. Ich meine, daß ſie eine liſtige Hexe iſt! 
Alle ihre ſchönen Worte ſind Falſchheit und Betrug geweſen. 

Olaf. Nein, nein, Mutter! 

Frau Rirſtin. Wir werden ja ſehen. Alfhild iſt froh und 
zufrieden, ſoviel weiß ich. 

Olaf. Wohl mir, wenn dem ſo wäre! 

Trau Rirſtin laut und feierlich. Herr Arne von Guldvik! Nun 
iſt endlich die Stunde gekommen, die, wie ich glaube, wir alle 
herbeigeſehnt haben. 

Demming beiseite. Jetzt geht es los! 

Frau Rirſtin. Bald wird die Kirche ihren Frieden über 
unſere Kinder ausgießen und ſie zu langem und liebevollem 
Zuſammenleben verknüpfen. 

Hemming beiſeite, ſtutzend. Was iſt das? 

Trau Rirſtin. Ueber die Bedingungen find wir ja einig. 


150 


ſind das für hold— 


— 282 — 


Aber ich denke, wir beſiegeln ſie hier noch einmal mit Hand 
und Mund. 

Hemming wie vorher. Himmel und Erde! Will ſie mich 
hintergehen? 

Arne. Das iſt nicht vonnöten; ich halte mein Wort als 
ehrlicher Mann. ’ 

Trau Rirſtin. Das weiß ich wohl, Herr Arne, aber es iſt 
ſchnell gethan. Erſtens ſoll für ewige Zeiten jeder Zwiſt und 
Unfrieden zwiſchen unſern Geſchlechtern aufhören — und für den 
Nachteil und den Schaden, ſo unſere alten Zwiſtigkeiten auf 
beiden Seiten angerichtet haben, ſoll kein Teil Genugthuung 
fordern. Das muß von jedem nach beſtem Einſehn und Ver— 
mögen getragen werden. Nicht wahr, das geloben wir? 

Alle. Das geloben wir! Die Verwandten des Brautpaares geben ſich 
untereinander die Hände. 

Hemming leiſe. Schande über Dich! Niederträchtig haſt 
Du mich belogen! 

Frau Rirſtin. Als Weiteres, worüber wir einig ſind, wäre 
anzuführen, daß die Grenzſcheide zwiſchen Herrn Arnes Ge— 
markung und der meinigen ſo weit auf ſeinen Grund zurück— 
geſchoben wird, wie es gute und unparteitiche Männer für recht 
und billig erachtet haben. 

Arne. Ja, ja, es muß wohl ſo ſein! 

Frau Rirſtin. Das geloben wir alſo? 

Die Gäſte. Das geloben wir! Man giebt ſich die Hände wie vorher. 

Frau Rirſtin. Endlich giebt Herr Arne ſeiner Tochter ſoviel 
Silberzeug, Linnen und andern Hausrat zur Mitgift, als beim 
Verlobungstrunk aufgezählt und feſtgeſetzt worden iſt, und alles 
zuſammen ſoll hier auf dem Hof zur Stelle ſein von dem Tage 
an, da Jungfer Ingeborg als Ehefrau meines Sohnes hier 
eingezogen iſt, was noch heut Abend geſchieht. Darüber ſind 
wir doch einig? 


— 283 — 


Die Gäſte. Das geloben und bezeugen wir. Fandſchag. 

Frau Rirſlin. So mögen denn Braut und Bräutigam ein— 
ander die Hand reichen, um zum Feſtmahl zu gehen und von 
da zur Kirche. 

Arne beiseite. Haha! Nun kann Hemming ſehen, ob Frau 
Kirſtin mich betrügt. 

Hemming keiſe. O, jo iſt für mich alſo alles aus! Ein 
Thor war ich, daß ich auf ſie baute. 

Frau Rirſtin. Aber an dieſem freudigen Tage geziemt es 
uns, ſo vielen, wie immer möglich, Freude zu bereiten. Und 
darum hab' ich eine Bitte an Euch, Herr Arne! 

Arne. Sprecht ſie aus! Kann ich Euch zu Willen ſein, ſo 
geſchieht es gern. f 

Hemming beiseite. Was hat ſie nun vor? 

Trau Rirſtin. Da ſind noch ein paar junge Leute, die auch 
gern heut unter die Haube kommen möchten; ſie ſind einig mit 
einander nach allem, was ich höre. Für die Braut werd' ich 
ſorgen; aber dem Bräutigam müßt Ihr unter die Arme greifen; 
es iſt Hemming, Euer Knecht, und Alfhild! 


T 
— 


Ingeborg mit einem Aufſchrei. Hemming! 

Olaf ebenſo. Alfhild! 

Bemming. O weh, o weh! Jetzt verſteh' ich — 

Die Gäſte gleichzeitig. Hemming und Alfhild! Das Mädchen 
vom Berge! 

Olaf. Alfhild! Ihr wollt ſie vermählen mit — Nein, 
nein, das ſoll nicht geſchehen! Niemals, niemals! 

Frau Rirſtin. Still! — Olaf, mein Sohn! Sei ſtill! Ich 
bitte Dich! 

Arne für ſih. Was nun! Ja, wahrlich, Hemming hatte 
recht. Olaf und Alfhild haben etwas miteinander. Ftüſternd. Ei, 
Frau Kirſtin, ich verſteh' Euern Plan. Nun weiß ich, warum 


Olaf drei Tage in den Bergen war; und jetzt wollt Ihr fie 
mit Hemmings Hilfe los werden. Haha! 

Trau Nirſtin mit erzwungener Faſſung. Herr Arne, wie könnt 
Ihr ſo etwas glauben? 

Arne mit gedämpfter Stimme. O, ich ſehe klar. Nun ſollt' ich 
meinen, hätt' ich triftigen Grund, den Vergleich zu brechen. 

Frau Rirſtin teife und erigroden. Den Vergleich zu brechen! 
Ich bitt' Euch! Wollt Ihr uns alle in Schande bringen? 

Sie reden leiſe miteinander. 

Hemming zu Ingeborg, mit der er ſich inzwiſchen im Flüſterton unterhalten hat. 
So hängt es zuſammen, das ſchwör' ich Euch! Frau Kirſtin 
und ich haben einander mißverſtanden! 

Ingeborg. Aber ſo ſprich doch — frei heraus! Hörſt Du! 
Ich gebiet' es Dir! 

Hemming. Nein, nein, das darf ich nicht! Sie würde ſonſt 
merken, daß ich Euch im Sinne gehabt habe. 

Ingeborg. Gut, ſo thu' ich es! Laut. Hemming darf nicht 
mit Alfhild vor den Altar; — er iſt zu gut, um die Dirne 
eines andern zu heiraten. 

Olaf aufſchreiend. O Schmach! 

Die Gäſte. Dirne! 

Arne zu Ingeborg. Was ſagſt Du? 

Frau Rirſtin. Der Himmel ſteh' uns bei! 

Olaf. Fluch über mich! Sie iſt entehrt! 

Ingeborg. Ja, laut ſprech' ich das Wort aus: ſie iſt eines 
andern Dirne! Möge mir widerſprechen, wer es wagt! 

Arne. Ingeborg! veiſeite. Was iſt mit ihr —? 

Trau Rirſtin reife. Nun hab' ich's! Sie, ſie iſt es, die 
Hemming liebt! Leiſe und beſtimmt zu Arne. Habt Ihr nun noch 
länger die Abſicht, den Vergleich zu brechen? Ihr ſeht ſelbſt 
an dem Verhalten Eurer Tochter, wie gute Gründe ich hatte, 
Hemming zu verheiraten! 


— 285 — 


Arne verblüfft. Meine Tochter! Denkt J 

Trau Nirſtin. Stellt Euch nur nicht jo! Ingeborg hegt 
Neigung zu Euerm Knecht. Nun, ſollt' ich meinen, hätte ich 
triftigen Grund, unſern Vergleich zu brechen! 

Arne. Zu brechen, zu brechen —! Woran denkt Ihr! 
Mir ſolchen Tort anzuthun! 

Frau Birfin ſpöttiſh. Ja, denn ſonſt würdet Ihr es 
wohl thun! 

Arne haſtig. Nein, nein, ich hab' mir's überlegt. Es iſt das 
Beſte, wir ſchweigen alle beide! 

Frau Nirſtin für ſich. So, nun hab' ich das Spiel gewonnen! 
Ich kenne Olaf; ein entehrtes Weib wird ihn nicht mehr reizen! 


10. Scene. 


Die Vorigen. Alfhild kommt unbemerkt aus dem Haufe, in ſtrahlendem Brautkleid, 
mit Krone und offenem Haar. 

Arne beiſeite. Das iſt mir ein verdammter Tag geweſe en! O, 
er iſt doch ein Halunke, dieſer Hemming! Er wußte, daß Ingeborg 
Neigung zu ihm hegt. Darum paßte es ihm ſo wenig, daß 
Olaf ſie bekam. 

Trau Nirſtin, die inzwiſchen ihre Faſſung wiedergewonnen hat. Und nun 
zum Feſtſaal! An Hemming können wir ſpäter noch denken. — 
Olaf, nimm Deine Braut bei der Hand! 

Arne unwillig, da er Ingeborg mit Hemming flüſtern ſieht. Wo iſt die 
Braut? Tritt vor! Tritt vor! | 

Alfhild und Ingeborg gleichzeitig, indem jede von ihnen eine Hand Olafs 
ergreift. Da bin ich! 

Die Gäſte. Wie? Sie macht ſich an Olaf? Allgemeiner Unwille. 

Frau Rirſtin beiſeite. Soweit hat er es alſo getrieben! 
Laut zu Alfhild. Du irrſt Dich! Das iſt nicht Dein Bräutigam! 

Alfhild. Gewiß! Das iſt doch Olaf! 

Ingeborg läßt jeine Sand los. Er hat ihr alſo gelobt —! 


— 286 — 


Frau Nirſtin in heftiger Empörung. Olaf iſt nicht Dein Bräutigam, 

ſag' ich. Sag' es ihr ſelbſt, mein Sohn! 
Olaf ſchweigt. 

Frau Kirſtins Sippen ſehen ſich verlegen an. Arnes Anverwandte nähern ſich finſter 
und drohend. 

Trau Rirſtin mit erhobener Stimme. Olaf Liljekrans! Antworte 
laut und deutlich! Man fordert es mit Recht von Dir! 

Olaf verzweifelt, mit ſich ſelbſt kämpfend. Es geſchehe, wie Ihr wollt! 
Mutter! Ja, bei allen Heiligen, ich werde antworten! — Alfhild! 
Du irrſt! Ich bin nicht Dein Bräutigam! Zeigt auf Jugeborg. 
Da — da ſteht meine Braut! 

Alfhild tritt wie verſteinert einen Schritt zurück und ſtarrt ihn an. Sie! 
Deine. . 

Olaf in ſteigender Erregung. Alfhild, geh’ fort von hier! Geh', 
geh' zurück in Deine Berge! Das frommt Dir am beſten. Ich 
bin krank geweſen und verirrten Gemüts, als ich dort oben 
weilte. Was ich Dir geſagt habe, deſſen erinnere ich mich nicht 
mehr! Ich weiß es nicht mehr und will es nicht mehr wiſſen! 
Hörſt Du, ich will nicht! — Die Goldkrone kannſt Du be— 
halten! Behalte alles, das Silber wie das Gold, darein Du 
gekleidet biſt. Mehr, ja zehnmal mehr ſollſt Du haben —. 
Nun, warum ſiehſt Du mich ſo an? 

Alfhild nimmt die Krone und den übrigen Schmuck und wirft alles Olaf vor die Füße, 
indem ſie ihn unverwandt anſtarrt. 


Olaf. Vielleicht redete ich Dir ein, daß ich Dich heut freien 


würde, — vielleicht glaubteſt Du mir! Vielleicht dachteſt Du, 
Olaf Liljekrans würde eine — eine — wie nanntet Ihr ſie 


doch — heiraten? Stampft mit dem Fuß auf. Sieh mich nicht ſo an, 

Du! Ich kenne Dich wohl, Du haſt mich behext. Ich vergaß, 

aus welchem Geſchlecht ich ſtamme; ich vergaß meine Braut, 

meine Verlobte, ſie, die hier ſteht. Faßt Alfhild mit Heftigteit am Arm. 

Schau ſie an, Alfhild! Hahaha! Sie iſt's, die ich liebe! 
Alfhild ſinkt in die Knie und bedeckt ihr Antlitz mit den Händen. 


Olaf. Steh auf, Alfhild! Steh auf, ſag' ich! Wenn Du 
ſo traurig ſein willſt, ermord' ich Dich! — Warum biſt Du 
nicht vergnügt? Sei luſtig und trutzig wie ich! — Und Ihr 
andern! Was ſteht Ihr ſo ſtumm und ſeht einander an? Lacht 
doch, lacht doch, daß es im Hofe wiederhallt! — Alfhild, warum 
antworteſt Du nicht? Hab' ich Dir noch nicht genug geſagt! 
Haha! So ſagt ihr doch auch ein Wort, Ihr andern! Gebt 
doch auch was zum beſten! Frau Kirſtin will es! Lacht ſie 
doch aus, verhöhnt fie, tretet ſie mit Füßen! Mit gellendem Lachen. 
Hahaha! Sie iſt doch Olafs Dirne! 


Alfhild ſinkt zu Voden, ſo daß ſie in liegender Stellung an der Steinbank links zu 
ruhen kommt. Ein ſtarker Blitz beleuchtet die Scene; der Donner rollt. Während 
des Folgenden nehmen das Dunkel und Unwetter bis zum Schluß des Aktes mehr und 


mehr zu. 


Olaf. Sieh, ſieh! So iſt's recht! Nun ſtimmen die da oben 
mit ein! Juſt nun will ich zur Kirche mit meiner Braut! 
Kommt, Jungfer Ingeborg! Aber erſt wollen wir trinken, ja 
trinken, trinken! Her mit Krug und Horn — nein, da drinnen! 
Macht Licht in der Kirche! Die Orgel ſoll aufſpielen zum 
Tanz — keine trübſeligen Pſalmen — Pfui, pfui! nein Tänze! 
Blitz und Donner. Haha! Man merkt's im Himmel, daß Olaf 
Liljekrans Hochzeit hält. Stürzt rechts hinaus. 

Arne. Gott helfe uns! Olaf hat den Verſtand verloren! 

Frau Rirſtin. Ei, nur getroſt! Das geht bald vorüber, 
— ich kenne ihn. Zieht Arne mit ſich fort. 

Arne droht im Vorbeigehen leiſe Hemming. O, Hemming, Hemming! 
Du biſt ein Halunke! 

Die Gäſte gehen ſtill und verſtimmt rechts, das Geſinde links ab. 

Ingeborg hält Semming zurück. Hemming! Ich geh' nicht zur 
Kirche mit Olaf Liljekrans! 

Hemming. Ach, wie ſoll das verhindert werden? 


— 288 — 


Ingeborg. Wenn es darauf ankommt, ſag' ich ſelbſt vor 
dem Altar noch „nein“, — ſage „nein“ vor der ganzen Gemeinde! 

Hemming. Ingeborg! 

Ingeborg. Halte mein Pferd geſattelt und bereit! 

Hemming. Was! Ihr wollt — ? 

Ingeborg. Ich will! Nun weiß ich erſt, wie lieb Du mir 
biſt, da ich in Gefahr bin, Dich zu verlieren. Geh und thu, wie 
ich ſage, und gieb mir ein Zeichen, wenn es Zeit iſt. Geht rechts ab. 

Hemming. Ja, nun bin ich ſtark! Nun kann ich wagen, 
was es auch immer ſei! Geht links ab. 


11. Scene. 


Alfhild. Später Hemming, Ingeborg und mehrere Knechte, die nach und nach 
auftreten. 


Alfhild bleibt noch eine Zeitlang unbeweglich liegen, das Antlitz in den 
Händen vergraben. Endlich richtet ſie ſich halb empor, ſieht ſich wirren Blickes um, 
ſteht auf und ſagt mit ſtillem, verlorenem Lachen: 

Ein Falke kann ruhn auf der Königin Arm — 
Ein andres Vöglein trifft Elend und Harm; 
Eines hat Federn wohl rot und blau, 
Des andern Gefieder iſt ſchlicht und grau! 
Wohl weiß ich: Der Thränen warme Flut 
Lindert das Leid, das die Welt uns thut. 
Doch jetzt iſt ſolch bitteres Weh mir geſchehn — 
Daß ich vor Lachen möchte vergehn! 
Es iſt ganz dunkel geworden. Die Fenſter der Kirche werden hell. Alfhild geht nach 
dem Hauſe und lauſcht; indeſſen ertönt von innen folgender 
Chor. 
Glück und Heil ſei Bräut'gam und Braut! 
Laßt fröhlich die Becher kreiſen! 
Jung Ingeborg iſt ſo hold und traut, 
Herr Olaf vor allen zu preiſen! 


289 — 


Hemming ſchleicht ſich während des Chorgeſangs von links herein. Das 
Pferd ſteht geſattelt! Nun noch Ingeborg heimlich das Zeichen 
gegeben — und dann auf und davon! Nach rechts hinter das Haus ab. 

Alfhild. Aus Silber trinken ſie auf das Paar, 

Die Braut ſitzt Olaf zur Seiten; | 
Schon brennen die Kerzen vor dem Altar — 
Bald wird man zur Kirche fchreiten. — 
Da ſitzen ſie drinnen beim feſtlichen Mahl — 
Wie iſt mir ihr fröhliches Weſen zur Qual! 
Ich ſteh' hier in Wetter und Nacht allein — 
Ach, denkt denn keiner, kein einziger mein? — 
Olaf! Das Haar zerzauſt mir der Wind! 
Olaf! hör', wie der Regen rinnt! — 
Olaf! Olaf! Soll ich verzagen? 
Läßt Du ſolch maßlos Leid mich ertragen? 

Lacht. 
Regen und Sturm — die acht' ich nicht 
Gegen die Wunde, die Du mir geſchlagen 
Und die hier am Herzen mich ſticht! — 
Den Vater und alles ließ ich um ihn — 
Nur mit dem Herztrauten wollt' ich ziehn! 
Er ſchwor mir: Ich führe Dich heim in mein Haus! 
Und ich kam — die reinſte Liebe im Herzen; 
Da jagt' er mich von ſich, ſtieß mich hinaus 
Und lachte, da ich mich wand in Schmerzen! 
Hier ſitz' ich, indes ſie ſich freuen dort, 
In Wetter und Nacht! Ich will fort, will fort! 


Will hinweg, bleibt aber wieder ſtehen. 


Nein, ich vermag's nicht, ich kann nicht gehn, 
Ob ich von allen verachtet werde! 
So wenig man je eine Blume geſehn 


Ibſen, Olaf Liljekrans. 19 


— 290 — 


Die felber ſich ausriß aus ihrer Erde. 
Hier wurzle ich feſt in Olaf allein — 
Mag er mir gut oder treulos ſein! 


Pauſe. — Die Knechte kommen von links mit Fackeln. 


Alfhild wie von einer ängſtlichen Ahnung ergriffen. Wohin wollt Ihr? 
Wohin, wohin? Was ſoll da geſchehen? 

Ein Rnecht. Ei, ſieh, ſieh! Sit das nicht Alfhild? Sie 
iſt noch da! 

Alfhild. O, ſagt mir! Was ſoll geſchehen? Was geht vor? 

Der Knecht. Die Trauung! Haft Du nicht Luſt, zuzu⸗ 
ſchauen? 

Alfhild in fienerhafter Angſt. Die Trauung! O, nein, nein! 
Wartet damit, — nur noch bis morgen! Iſt die Trauung 
vollzogen, dann, weiß ich, iſt ja alles aus für mich! 

Der Knecht. Warten? Nein, Alfhild! Das wäre wohl 
weder dem Bräutigam noch der Braut recht! 

Ein zweiter Knecht. Bedenk' mal! Wenn Du ſelber die 
Braut wäreſt, möchteſt Du da wohl warten. 

Gelächter. 

Erſter Knecht. Jetzt müſſen wir aber zur Kirchenpforte 
hinunter und mit den roten Hochzeitsfackeln leuchten, wenn die 
Geſellſchaft vom Hofe reitet. 

Zweiter Rnecht. Komm und geh' mit, Alfhild! Du ſollſt 
auch eine Fackel zu tragen bekommen! 

mehrere. Ja, ja, das mußt Du! Es iſt ja Herrn Olafs 
Ehrentag! 

Gelächter. 

Alfhild nunmt eine Fackel. Ja, ja, ich will! Als die Geringſte 
in der Reihe will ich da ſtehen, — und dann, wenn er 
mich ſieht, wenn ich ihn darum bitte, wenn ich ihn an alles 
mahne, was er gelobt und geſchworen hat — o, ſagt mir, ſagt 


mir — glaubt Ihr nicht, daß er mir dann wieder gut werden 
wird? Glaubt Ihr's? O, ſagt ja, ſagt ja! Sagt doch, daß 
Ihr's glaubt! 
Die Rnechte. Hahaha! Gewiß wird er das! Komm, komm! 
Sie verſchwinden hinter dem Hauſe. 
Alfhild unter hervorbrechenden Thränen. 
Sie höhnen mich alle in meiner Pein! 
So hart iſt nicht des Bergkammes Stein: 
Er gönnt doch dem Mooſe, Wurzel zu faſſen. 
So gut ward mir's nicht! — Bin gänzlich verlaſſen! 
Blitz und Donner. 
Der Himmel iſt ſelbſt wider mich im Bund: 
Sein Groll entlädt ſich über mein Haupt; 
Doch ſchmettert kein Blitz den Verräter zu Grund, 
Des trügriſchen Worten ich Armſte geglaubt! 
Aus der Kirche hört man Orgelklänge. 
O horch! Da ſingt wohl der Englein Schar — 
Sie mahnen Olaf zum Traualtar; 
Und ich ſteh' draußen voll Herzeleid 
Und wein' im zerriſſenen Hochzeitskleid. 
Schwingt die Fackel hoch empor. 
Nein, nein, Du dort oben! Und abermal nein! 
Verſuch' mich nicht mehr — ſonſt vergeſſ' ich Dein! 
Hält inne und lauſcht dem Orgelklang. 
Die Englein ſingen! Vom Grab herauf 
Könnten ſie Tote beſchwören. 
Mir wird ſo weh, die Töne zu hören! 
Kniet nieder und wendet ſich zur Kirche. 
Hört auf mit den ſüßen Klängen, hört auf! 
O, ſchweigt mit dem Sang, ſo rein und klar, 
Sonſt lockt ihr Olaf hin zum Altar! 
Flüſternd und in höchſter Angſt. 
19 


— 292 — 


Schweigt ſtille, ſchweigt ſtille nur kurze Zeit! 
So umfängt ihn der Schlaf der Vergeſſenheit. 
O weckt ihn nimmer, damit er ſie nicht 

Zur Kirche führt, und das Herz mir bricht! 


Die Orgel tönt ſtärker durch den Sturm. Alfhild ſpringt empor, verzweifelt 
und außer ſich. 


Nein, Gottes Heerſchar hat meiner nicht acht! 
Ich bin verſtoßen im Jammer! 

Sie mahnen hinein ihn — nun iſt's vollbracht! 
Haha! So ſei denn von mir Euch entfacht 
Die Fackel der Hochzeitskammer! 


Wirft die Fackel durch die offene Luke in den Giebel hinein und ſtürzt zu Boden 
Ingeborg und Hemming kommen eilig hinter dem Hauſe hervor. 


Hemming. Nun iſt es Zeit! Das Pferd ſteht geſattelt 
hinten am Vorratshauſe. 

Ingeborg. Und alle Knechte ſind unten an der Kirchenthür, 
nicht wahr? 

Hemming. Ja, ja, ſei ganz unbeſorgt! Und im Feſthauſe 
hab' ich alle Thüren und Luken abgeriegelt. Es ſind dicke 
Eiſenringe vor. Niemand kann hinaus! 

Ingeborg. Fort denn! Hinauf nach dem Thal, von dem 
Alfhild geſprochen hat. 

Hemming. Ja, dort hinauf! Da wird niemand uns 
ſuchen! Sie eilen nach links ab. — Alfhild bleibt eine Weile unbeweglich liegen. 
Plötzlich hört man Lärm und Geſchrei im Hochzeitshauſe. Die Flammen ſchlagen 
durch das Dach empor. 


Alfhild ſpringt verzweifelt auf. 


Es brennt! — Haha! Mir war bang in der Nacht — 
Da hab' ich ein helles Licht entfacht! 


Ha, Olaf! Du lachteſt vor kurzem noch — 
auter und wilder lacht Alfhild doch! 

Im Hochzeitshaus iſt Jammer und Harm: 

Die Braut verbrennt in des Bräutigams Arm! 


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Pte) 


3 


Die Knechte ſtürzen ohne Fackeln, einer nach dem andern herbei, und bleiben wie 
verſteinert ſtehen. Olaf wird oben in der Luke ſichtbar, die er mit verzweifelter 
Kraft zu erweitern ſucht. 

Olaf. Alfhild — Du! O, das konnt' ich wiſſen! 
Nichts, nichts ſollſt Du hinfort vermiſſen, 
Retteſt Du mich aus der Flammenglut! 
Alfhild mit wildem Lachen. 
O, ich weiß: Du hältſt ja Dein Wort ſo gut! — 
Zieh' nun ns mit der Hochzeitsſchar, 
Vergiß Deine Dirne und tritt zum Altar! 
Alfhild that zur Feier das Beſte: 
Die Brautfackel ſchwang ſie bei Deinem Feſte! 
Sie eilt nach dem Hintergrund fort. Die Knechte kommen zu Hilfe. Ein Teil des 


Daches ſtürzt ein. Man ſieht Olaf hoch oben, von den Flammen umringt, während 
der Vorhang fällt. 


Dritter Akt. 


Ein helles, blühendes Thal mit reichſter Baumvegetation und umgeben von hohen, 

ſchneebedeckten Bergen. In der Mitte der Bühne ein ſtiller Bergſee; auf der linken 

Seite ein Berggipfel, der ſteil zum See abſtürszt. Auf derſelben Seite weiter im 

Vordergrunde eine uralte Blockhütte, faſt ganz von Gras und Buſchwerk überwachſen 

und verſteckt. Die Bergkämme glühen im Morgenrot; im Thal ſelbſt iſt der Tag 
erſt halb angebrochen. Während der folgenden Scene geht die Sonne auf. 


1. Scene. 


Alfhild liegt ſchlafend und halb zwiſchen den Büſchen an der Hütte verborgen; eine 
leiſe Muſik drückt ihre wechſelnden Träume aus. Olaf kommt die Berghalde rechts 
herab. Ueber dem Hochzeitsgewande trägt er ein grobes Wams. 

Olaf. Hier war es; ja ich erkenne die Wieſe hier am See 
wieder. Dort unter der Linde träumte ich meinen ſeltſamen Traum. 
Auf dem Bergesabhang dort ſtand ich, als Alfhild das erſte 
Mal mir entgegenkam. Ich legte meinen Verlobungsring auf 
die Bogenſehne und ſchoß; — der Schuß war ein Zauberſchuß, 
er traf den Schützen ſelbſt — —. Seltſam, wenn ich hier oben 
wandere, hoch über dem Gau, da iſt es, als umſpiele mich 
eine andere Luft, als rolle das Blut friſcher in meinen Adern, 
als bekäme ich einen andern Sinn, eine andere Denkart. — — 
Wo mag ſie nur ſein? — Ich will, ich muß ſie wiederfinden! 
Hier herauf muß ſie kommen; ſie hat ja keine Heimſtatt draußen 
in der kalten, weiten Welt. Und ich — bin nicht auch ich ein 
heimatloſer Flüchtling da draußen? Bin ich nicht ein Fremdling 


— 295 — 


geworden in meiner Mutter Hauſe, ein Fremdling unter meiner 
Sippe, ſeit jenem Augenblick, da ich Alfhild zum erſten Male 
ſah? — — Sit fie denn eine Hexe, gebietet ſie über geheime 
Künſte, die —? 

Meine Mutter! Hm! Meiner Treu, es würde mir nicht 
frommen, meinen Wandel von ihr lenken zu laſſen. Sie ſät 
mir Gedanken ins Herz, die dort keine Stätte haben. Nein, 
nein, ich muß Alfhild wiederfinden, ihr alles Unrecht abbitten 


und dann —. Hätt inne und ſpäht nach links. 
2. Scene. 
Olaf. Alfhild ſchläft weiter. Thorgjerd kommt von links hinter der Hütte 
hervor. 


Olaf. Sei gegrüßt, Fremdling! 

Thorgjerd. Danke, auch Du! Biſt früh draußen! 

Olaf. Oder ſpät. Früh am Tage, aber ſpät in der Nacht. 

Thorgjerd. Du biſt wohl drunten im Gau zu Hauſe, was? 

Olaf. Meine Sippe hat da ihre Heimat. Und Du? 

Thorgjerd. Wo einer mit feinen Gedanken iſt, da hat er 
auch ſeine Heimat. So weil' ich am liebſten hier, wo mir kein 
Nachbar ein Unrecht zufügt. 

Olaf. Das hab' ich gemerkt. 

Thorgjerd. So biſt Du ſchon öfter hier oben geweſen? 

Olaf. Ich habe im Sommer hier eine Hindin gejagt; aber 
wenn ich recht überlege, ſo war es ein verzaubertes Königskind. 

Thorgjerd ſieht ihn ſtarr an. Die Jagd iſt gefährlich! 

Olaf. Für den Schützen? 

Thorgjerd nickt. 

Olaf. Ja, — ich dachte juſt dasſelbe bei mir. Mir 
iſt, als ob mich auf der Jagd ein Zauberſchuß getroffen hätte. 

Thorgierd. Fahrwohl, und viel Glück! 

Olaf. Schimpf und Schande Dir! Wünſcheſt Du einem 
Jägersmann Glück, ſo kommt ihm kein Wild in den Schuß. 


— 296 — 


Thorgjerd. Dafern der Schuß den Schützen ſelbſt trifft, 
widerfährt ihm das höchſte Glück, wenn er kein Glück hat. 

Olaf. Du ſprichſt klug und weiſe. 

Thorgjerd. Ja, ja, hier kann man mancherlei lernen, hier oben. 

Olaf. Gewiß! Hier hab' ich das Beſte gelernt, was ich weiß. 

Thorgjerd. Fahrwohl! Deiner Sippe werd' ich Botſchaft 
und Gruß von Dir bringen. 

Olaf. Willſt Du hinunter? 

Thorgjerd. Ja, das will ich. Da geht es jetzt hoch und luſtig 
her, hab' ich gehört. Ein mächtiger Rittersmann hält ſeine 
Hochzeit — 

Olaf. Du ſollteſt heut Nacht mit dabei geweſen ſein; jetzt 
iſt wohl das Beſte vom Feſte vorüber. 

Thorgjerd. Ich denke, ich komme doch noch zeitig genug! 

Olaf. Vielleicht! Aber Du hätteſt doch heut Nacht mit 
dabei ſein ſollen! Einen ſo hellen warmen Feſtſaal haſt Du 
gewiß noch nie geſehen. 

Thorgjerd. Um ſo beſſer für den, der drinnen war. 

Olaf. Ich kenne wen, der draußen ſtehn mußte! 

Thorgjerd. Ja, ja, draußen — da iſt der Platz des armen 
Mannes. 

Olaf. Ich kenne wen, der draußen ſtehn mußte und es 
doch beſſer wie auch ſchlimmer hatte als die, ſo drinnen waren. 

Thorgjerd. Ich ſeh' ſchon, ich muß doch hinunter. Ich will 
zum Feſt aufſpielen. Ich hole nur noch mein Saitenſpiel, und 
dann — 

Olaf. Du biſt Spielmann? 

Thorgjerd. Und keiner von den ſchlechteſten. Nun hol' ich 
mein Saitenſpiel, das am Waſſerfall verſteckt liegt. Die Saiten 
ſollteſt Du hören. Ich ſaß einmal damit auf Bettesrand und 
ſpielte die Braut aus dem Feſthaus heraus über Feld und 
Hügel hin. — Haſt Du niemals die Weiſe von klein Ingrid 


29 


gehört? Wer die Braut aus ihres Bräutigams Arm jpielen 
konnte, kann wohl auch das Kind wieder heim zu ſeinem Vater 
ſpielen. Fahrwohl! Bleibſt Du hier, ſo können wir uns wohl 
wieder treffen, wenn ich zu Berge fahre. Geht nach rechts am See— 


ufer ab. 


3. Scene. 


Olaf. Alfhild. 


Olaf. Ha, wenn dem ſo wäre —! Ja, gewiß, ich kann nicht 
daran zweifeln. Alfhild ſagte ja ſelbſt, ihr Vater ſchlüge das 
Saitenſpiel ſo lieblich, daß, wer es einmal gehört hat, es nie 
wieder vergeſſen kann. Er nannte Jungfer Ingrid, die vor 
vielen Jahren am Hochzeitsabend verſchwand — ein junger 
Spielmann war, mit Namen Thorgjerd, der liebte ſie, hat man 
geſagt. Viel wunderliche Sagen gingen ſeitdem von ihm um. 
Bisweilen ſtand er mitten im Dorfe unten, und da ſpielte er 
ſo ſchön, daß alle weinen mußten; — aber niemand wußte, wo 
er zu Hauſe iſt! — Alfhild — ja, ſie iſt ſein Kind! Hier iſt 
ſie aufgewachſen. Hier in dieſem entlegenen Thal, von dem 
viele Jahre lang niemand etwas gewußt hat; und Ingrid, die 
Verſchwundene, — er ſagte ja — Bemerkt Alfhild. Alfhild! Da 
iſt ſie! In ihrem Brautſtaat iſt ſie hier heraufgeflüchtet. — 
Hier alſo mußt Du nach der Hochzeitnacht erwachen! Solch ein 
ſchwerer Tag ward mein Ehrentag für Dich. Du wollteſt 
hinaus ins Leben, ſagteſt Du, — Du wollteſt alle Herrlichkeit 
der Welt kennen lernen. Du haſt eine ſchwere Wanderung 
hinter Dir; aber nun wird alles wieder gut werden. Sie rührt 
ſich. Es iſt, als wände ſie ſich in Angſt und Weh. Erwachſt 
Du, ſo ſollſt Du zu Glück und Freude erwachen! 

Alfhild noch halb im Traum. 

Es brennt! O, rettet ihn! Er iſt drinnen! 


— 298 — 


Er darf nicht ſterben! Er muß noch entrinnen! 
Springt entſetzt auf; die Muſik verſtummt. 
Wo bin ich? Mich dünkt — Was ſeh' ich! Du? 
Eilt auf Olaf zu. 
Olaf! O, ſcheuch' meine Träume fort! 

Olaf. Alfhild, tröſte Dich! Komm zur Ruh'! 

Alfhild. Lockſt Du mich wieder mit ſüßem Wort? — 
Falſch iſt Dein Herz, Du lächelnder Mann — 

Du lockſt mich nimmer in Deinen Bann! 

Olaf. Alfhild! Dich täuſcht nur ein Traumgeſicht! 
Ich bin's, Dein Olaf — kennſt Du mich nicht? 
Ich weiß, ich weiß, wie ſchwer ich gefehlt! 

Und doch — nur Dich hat mein Herz erwählt! — 
Schwach nur war ich, verblendet, bethört — 

Und darum ward grauſam Dein Glück zerſtört. 
Alfhild, kannſt Du mein Thun mir verzeihn? 

Ich ſchwör' es, hinfort Deiner wert zu ſein! 

Die Thränen küſſ' ich Dir weg von den Wangen; 
Glaub' mir: ich will auf Händen Dich tragen, 

Dir heilen den Sinn, der leidumfangen, 

Die Wunden, die man Dir fühllos geſchlagen. 

Alfhild mit milder Klage. 

Ich kenne Dich wohl: Dein Sinn iſt voll Trug — 
Doch dieſe Tage machten mich klug! 
Du gaukelſt mir vor, als wäreſt Du der, 
Um den der Sinn mir ſo zag und ſchwer, 
Als fühlt' ich um Dich ſolch Bangen im Sinn, 
Um Dich dies tobende Weh darin! 
Doch glückt es Dir nimmer und nimmermehr — 
Kommſt Du bei Tag oder Nacht daher; 
Ich kenne Dich wohl; Dir flammt im Geſicht 
Das Brandmal. Das hatte der andere nicht! 


— 299 — 


Olaf. Der andre? Wen meinſt Du? 
Alfhild. Ihn, der nun tot! 
Ach, daraus erſtand mir ſolch bittere Not! — 
Verſtehſt Du? Es waren Eurer zwei; 
Und darum werd' ich vom Grame nicht frei! 
Der eine war, der mir nur Liebes erwies — 
Der andre, der mich, wie Du, verſtieß; 
Der eine kam in der Sommernacht — 
Da iſt der Lenz mir im Herzen erwacht; 
Der andre lockt' in den Berg mich hinein, 
Wo weder Sommer noch Sonnenſchein. 
Der böſe, treuloſe Olaf biſt Du; 
Der andre, der ſchwor mir Liebe zu, 
An den ich auf immer und ewig gebannt — 
Ihn hab' ich verbrannt! 
Sie ſinkt auf einen Stein am Hauſe nieder und bricht in Thränen aus. 
Olaf. Und hat er Dir Frieden geraubt und Ruh’, — 
Nicht länger heg' ihn im Herzen Du! 
Alfhild. Ach, würd' ich auch eingeſenkt ins Grab, — 
Mein Kummer folgte mir mit hinab! 
Ich weiß es ſelbſt nicht, wie es ſo kam — 
Ich glaubte, ich ſei ihm von Herzen gram; 
Nun ſeh' ich: und müßt' ich im Tod erblaſſen — 
Kann nimmer doch von ihm laſſen! 
Kurze Pauſe. 
Sag', haſt Du Saiten in Deiner Bruſt, 
Daß Du ſo ſüß mich zu locken gewußt? 
Wahrlich ſo ſüß —, doch voll arger Liſt! 
Höre, wenn Du ein Spielmann biſt, 
So ziehe die Dörfer hin und her 
Und ſinge von Alfhild die traurige Mär: 


Ich war wohl geſtern ein Rehlein klein, 
Lief ſorglos im Waldesgrunde; 
Da kamen ſie alle zum Jagen hinein, — 
Es jagten mich Falken und Hunde. 
Ich war wohl geſtern ein Vöglein im Wald; 
Dort ſaß ich und kränkte keinen. 
Da ſcheuchten ſie mich hervor alsbald 
Und warfen nach mir mit Steinen. 
Ich war wohl geſtern die wilde Taube, 
Die nimmer in Ruhe darf weilen; 
Da ward ich den böſen Jägern zum Raube, 
Die ſchoſſen ins Herz mir mit Pfeilen. 
Olaf ſchmerzlich bewegt. 
Ach, läg' ich begraben im trauten Thal, 
Braucht' nimmer auf Erden zu weilen! 
All Deine Worte ſind ſcharf wie Stahl 
Und treffen mein Herz gleich Pfeilen. 
Alfhild ſpringt auf in kindlicher Freude. 
So muß es ſein — ſo iſt's recht, fürwahr! 
Ja, gewiß haſt Du Saiten in Deinem Herzen! 
So ſtell' es allen im Liede dar, 
Als ſeiſt Du getroffen von meinen Schmerzen, 
Daß ſie meinen, Dein eigen Weh ſei ſo groß, 
Du ſängeſt klagend Dein eignes Los! 
Hält inne und blickt ihn traurig an. 
Doch nein! Sing' nimmer von meinem Weh! 
Alfhilds Kummer wird keinen grämen. 
Woher ich kam und wohin ich geh', 
Soll keine Seele da draußen vernehmen! 
Sing' lieber von Olaf Liljekrans, 
Der war bei der Elfen Spiel und Tanz! 
Sing' von der falſchen Alfhild alsdann, 


250 


Die ihn zu ihrem Herzliebſten gewann; 
Sing' von all dem Jammer im Haus, 
Als ſie trugen drei Leichen heraus: 
Die eine war Olaf, dann ſeine Maid — 
Seine Mutter die dritte: ſie ſtarb vor Leid. 
Olaf. Ja, Olaf iſt tot, Du haſt wahr geſprochen — 
Der Olaf, der Dir ſein Wort gebrochen! 
Doch nimm ſtatt ſeiner zum Freund mich an — 
licht von Dir weichen will ich fortan! 
Und ſoll ich büßen für mein Verſchulden — 
Mit Freuden will ich die Strafe erdulden! 
Es ſoll mir lindern des Herzens Qual, 
Bei Dir zu weilen im einſamen Thal! 
Vom Morgen an bis zur Abendſtund' 
Will ich Dir folgen, treu wie ein Hund — 
In Reu' will ich klagen ſo lang und ſo laut, 
Bis endlich Dein Herz mir wieder vertraut. 
Jede glückſelige Stunde hier 
Mahn' ich aufs neu' ins Gedächtnis Dir: 
Von ihr künde jede blühende Blume, 
Ihr ſinge Kuckuck und Schwalbe zum Ruhme, 
Und jeglicher Baum hier im Waldesgrunde 
Flüſtre von ihr mit beredtem Munde. 
Alfhild. Halt ein, halt ein! Du täuſcheſt mich nicht, 
Wie lieblich auch die Verſuchung ſpricht! 
Ach, holde Worte führſt Du im Mund, 
Doch treulos biſt Du im Herzensgrund! — 
Was willſt Du hier oben? Wie fand'ſt Du den Weg? 
Und ſag': wie erkennſt Du die Stätte wieder? 
Hier war ja zuvor ein blühend Geheg, 
Doch nun ſchlug der Blitz der Verdammnis nieder! 
Vormals, als ich allein hier gegangen, 


— 302 — 


Sah jeden Zweig ich in Blüten prangen, 

Und ringsum ſangen die Vöglein laut, 

Als Du mich küßteſt und wählteſt zur Braut! 

Doch nun — ach, verbrannt iſt heut Nacht das Thal, 

Verbrannt hier Baum und Geſträuch zumal, 

Welk iſt der Raſen, verſengt das Laub — 

Jede Blume zerfiel in Staub! — 

Wohl ſeh' ich: es ward in der einen Nacht 

Die Welt um all ihre Schönheit gebracht — 

Als ich verſtoßen hier ging im Leid, 

Da erblich mir des Lebens Herrlichkeit! 

Lug und Trug bleibt einzig als Reſt — 

So lehrte mich Olaf am Hochzeitsfeſt. — 

Nicht iſt, was mein Vater mich lehrte, wahr: 

Der Tote käm' zu der Englein Schar; 

Die Lehre war beſſer, die Olaf mir gab: 

Den Toten verſchlingt das finſtere Grab! 

Aufwallend, in tieſſtem Schmerz. 

Ja, dafür geb' ich hier Zeugnis ab; 

Mich ſelber verſchlang ja das finſtere Grab! 
Olaf. Alfhild! Dein Wort macht das Herz mir wund. 

O Gott! Wie warſt Du ſo friſch und geſund — 

Vergieb mir, vergiß Deinen traurigen Sinn! 
Alfhild in einer Verzweiflung, die ſteigt und ſteigt. 

Still! O ſprich nicht! Olaf, blick' hin! 

Sie tragen zum Grabe den ſchwarzen Schrein 

Doch keine Mutter folgt hinterdrein; 

Ich ſeh' keinen Pfühl von Roſen rot: 

Auf Spänen und Stroh liegt Alſhild im Tod! 

Der Himmelswagen nimmt mich nicht auf 

Und führt mich nicht zu Gott Vater hinauf. 

Licht laſſ' hier in Schmerz eine Mutter ich, 


— 303 — 


Keine Geſchwiſter trauern um mich; 
Ich hab' auf der Welt nicht groß noch klein, 
Die um mich weinen am Grabe, 
Nicht ſtreuen vom Himmel die Engelein 
Mir der Perlen blinkende Gabe, 
Und nimmer komm' zu der Heimſtatt ich, 
Wo der Tote ſelig erwacht! 
Olaf. Alfhild! 
Alfhild. Nun ſenken ins Grab ſie mich — 
Nun füllen die Schollen den Schacht! 
Hier muß ich nun liegen mit all meiner Not, 
Muß leben und leiden, und bin doch tot; 
Muß wiſſen, daß alles für mich vorbei — 
Und ringe doch nie vom Erinnern mich frei; 
Muß hören, wie er, dem alles ich gab, 
Zur Kirche reitet über mein Grab, 
Muß ſeinen Schrei aus den Flammen hören, 
Und kann doch die Gluten nimmer beſchwören! 
Es will mir die Bruſt zuſammenpreſſen! 
Ich bin von allen Engeln vergeſſen! 
Keiner von ihnen hört meinen Jammer, — 
Des Lebens Thür iſt verſchloſſen für mich! 
Laßt mich heraus aus der Grabeskammer! 
Stürzt nach links hinaus. 
Olaf. Alfhild, Alfhild! O Jeſus Chriſtus, was hab' ich 
gethan! 
Stürzt ihr nach. 


4. Scene. 
Ingeborg und Hemming kommen nach kurzer Pauſe von rechts. 
Ingeborg. Sieh! Nun ſind wir oben! Wie ſchön und 
hell und friedlich es hier iſt! 
Hemming. Ja, hier werden wir herrlich zuſammen haufen. 


— 304 — 


Ingeborg. Aber merk Dir's wohl: Du biſt mein Knappe 
und nichts andres, — bis mein Vater ſeine Zuſtimmung ge— 
geben hat. 

Hemming. Das thut er nie! 

Ingeborg. Sei nur unbeſorgt; wir werden ſchon Rat 
ſchaffen!! — Aber nun müſſen wir daran denken, uns eine 
Hütte zu ſuchen, um darin zu wohnen. 

Hemming. Deren giebt's genug. Ueberall im Thal hier 
liegen verlaſſene Hütten. Alles ſteht noch wie damals, als vor 
vielen Jahren bei der großen Seuche hier die letzten Menſchen 
fortſtarben. 

Ingeborg. Hier gefällt es mir! Sieh, da liegt gerade 
ſolch eine alte Hütte; Waſſer haben wir dicht dabei, und der 
Wald iſt gewiß reich an Wild. Da kannſt Du fiſchen und jagen. 
Ei, das ſoll ein ſchönes Leben werden! 

Hemming. Ja gewiß, ein ſchönes Leben! Ich fiſche und 
jage, und Du ſammelſt Beeren derweilen und ſiehſt im Hauſe 
nach dem Rechten. 

Ingeborg. So? Ich ſoll das? Nein, das mußt Du 
beſorgen! 

Hemming. Na, gut alſo, wie Du willſt. O, ein luſtig 
Leben ſoll das werden! Veſinnt ſich und fügt etwas bedrückt hinzu. Aber 
wenn ich's recht bedenke — ich habe doch weder einen Bogen 
mit noch Geräte zum Fiſchen. 

Ingeborg ebenſo, mit verzagtem Ausdruck. Und da fällt mir ein, 
hier giebt es keine Mägde, die mir zur Hand gehen können! 

Hemming. Das laß nur meine Sache ſein! 

Ingeborg. Nein! Danke ſchön! — Und all meine guten 
Kleider! Ich hab' nichts weiter mitgenommen als den Braut- 
ſtaat — wie ich da geh' und ſteh'! 

Hemming. Das war ſehr unbeſonnen von Dir! 

Ingeborg. Nur zu wahr, Hemming! Und darum wirſt 


Du eines Nachts Dich nach Guldvik jchleichen und an Kleidern 
und andern Dingen holen, was ich brauche. 

Hemming. Um als Dieb gehängt zu werden! 

Ingeborg. Nein, davor mußt Du natürlich auf der Hut 


ſein, — das bitt' ich mir aus! Nachdenklich. Aber wenn dann 
der lange Winter kommt? Menſchen giebt es hier oben nicht. 
Tanz und Geſang bekommen wir nie zu hören — Hemming! 


Sollen wir wirklich hier bleiben oder — 

Hemming. Ja, wo ſollen wir denn ſonſt Zuflucht ſuchen? 

Ingeborg ungeduldig. Ja, aber — hier kann doch kein 
Menſch leben! 

Hemming. Freilich kann man hier leben! 

Ingeborg. Nein! Du ſiehſt doch ſelbſt, daß ſie alleſamt 
geſtorben ſind! — Hemming, ich mein', es iſt am beſten, ich 
ziehe wieder hinunter zu meinem Vater. 

Hemming. Aber was ſoll denn aus mir werden? 

Ingeborg. Du ſollſt in den Krieg reiten! 

Hemming. In den Krieg! Und werde totgeſchlagen! 

Ingeborg. Das wirſt Du nicht! Du vollbringſt eine 
rühmliche That, dann macht man Dich zum Rittersmann, und 
dann wird mein Vater nicht mehr gegen Dich ſein! 

Hemming. Ja, aber wenn ſie mich nun doch totſchlagen? 

Ingeborg. Na, das können wir immer noch überlegen. Heut 
und morgen müſſen wir wohl hier bleiben; ſolange ſitzen die 


Gäſte im Feſthaus beim Hochzeitsſchmauſe — ſuchen ſie nach 
uns, ſo thun ſie's wohl nur rundum im Gau, — hier oben 
können wir ſicher ſein und — — Verſtummt und lauſcht. 


Man hört von rechts in weiter Ferne folgenden 


Chor. 
Auf, auf, um ſie zu finden, 
Die Zauberin zu binden! 
Ibſen, dlaf Lüljekrans. 20 


— 306 — 


Für das, was ſie begangen, 
Soll ſie den Tod empfangen. 
Bemming. Ingeborg! Ingeborg! Sie ſind ſchon hinter 
uns her! 
Ingeborg. Wohin ſollen wir uns wenden? 
Hemming. Ja, wie kann ich wiſſen — ? 
Ingeborg. Geh' in die Hütte dort und bring' die Thür in 
Ordnung, daß wir ſie von innen zuriegeln können. 
Hemming. Ja, aber — 
Ingeborg. Thu', wie ich ſage! Ich ſteige inzwiſchen auf 
den Hügel und ſehe nach, ob ſie noch weit weg ſind. 
Nach rechts ab. 
Bemming. Ja, ja doch! Ach, wenn ſie uns nur nicht 
kriegen! Tritt in die Hütte. 


5. Scene. 

Olaf kommt vom Walde links. Gleich darauf Ingeborg von rechts. 

Olaf ſieht ſich um und ruft mit gedämpfter Stimme. Alfhild! Alfhild! 
— Nirgends iſt ſie zu ſehen! Wie ein Vogel entſchlüpfte ſie 
meinen Augen waldwärts, und ich — 

Ingeborg. Sie ſind gleich da und — erſchrick und verſtummt. 
Olaf Liljekrans! 

Olaf. Ingeborg! 

Hemming ſteckt unbemerkt den Kopf zur Thür heraus und erblickt Olaf. 
Herr Olaf! So! Nun wird es wohl mit meiner Herrlichkeit 
aus ſein! 

Zieht ſich eilig zurück. 

Ingeborg beiſeite. Er muß vorausgeritten ſein! 

Olaf veiſeite. Sie muß mit ihrem Vater hier herauf gekommen 
ſein, um mich zu ſuchen. 

Ingeborg beiseite. Aber ich folge ihm nicht! 

Olaf veiſeite. Ich weiche nicht vom Platz! 


— 307 — 


Ingeborg laut, indem fie näher tritt. Olaf Liljekrans! Du haſt 
mich nun in Deiner Macht! Aber Du thäteſt übel, wenn Du 
mich zwingen wollteſt. 

Olaf. Das iſt gar nicht meine Abſicht! 

Ingeborg. Warum kommſt Du dann hier herauf ſamt 
meiner Sippe? 

Olaf. Ich? Im Gegenteil, Du biſt es — 

Ingeborg. Deine Trugrede täuſcht mich nicht! Ich ſah 
doch eben das ganze Gefolge — 

Olaf. Wen? Wen? 

Ingeborg. Meinen Vater und unſere Verwandten! 

Olaf. Hier oben? 

Ingeborg. Jawohl, in nächſter Nähe! 

Olaf. Ha, dann iſt meine Mutter auch dabei. 

Ingeborg. Ja, freilich iſt ſie das. Aber wie kann Dich 
das erſchrecken? 

Olaf. Weil ſie mich ſuchen! 

Ingeborg. Nein, mich! 

Olaf erſtaunt. Dich! 

Ingeborg beginnt den Zuſammenhang zu ahnen. Oder — wart' ein- 
mal — Hahaha! Was fällt mir da ein! — Hör', wollen wir 
beide ehrlich gegen einander ſein? 

Olaf. Ja, das war juſt meine Abſicht! 

Ingeborg. Nun gut, ſo ſag' mir, wann biſt Du hier 
heraufgekommen? 

Olaf. Heut Nacht! 

Ingeborg. Ich auch! 

Olaf. Du!? 

Ingeborg. Ja gewiß, ja gewiß! Und Du haſt Dich aus 
dem Staube gemacht, ohne daß jemand darum wußte? 

Olaf. Ja! 

Ingeborg. Ich auch! 


— 308 — 


Olaf. Aber jo ſag' mir — 

Ingeborg. Still, wir haben nicht viel Zeit! Und Du biſt 
hierher geflüchtet, weil Du nicht eben Luſt hatteſt, mir zum 
Altar zu folgen? 

Olaf. Aber wie kannſt Du glauben — 

Ingeborg. O ja, das glaub' ich ſchon. Sprich nur offen; 
wir ſollten doch ehrlich mit einander reden. 

Olaf. Nun wohl denn, es geſchah, weil ich — 

Ingeborg. Gut, gut! Ich macht' es ebenſo! 

Olaf. Du, Ingeborg! 

Ingeborg. Und nun ſäheſt Du es wohl nicht gern, wenn 
Dir jemand auf die Spur käme? 

Olaf. Ja, das kann ich nicht leugnen. 

Ingeborg. Ich auch nicht! Hahaha! Das iſt ein luſtiges 
Ungefähr! Ich bin vor Dir und Du biſt vor mir geflohen! 
Beide ſind wir hierher geflohen, und nun treffen wir uns, juſt 
da unſere Sippen uns auf den Ferſen ſind. — Hör', Olaf Lilje— 
krans! Das ſoll ein Wort ſein, — wir verraten einander nicht! 

Olaf. Das ſoll ein Wort ſein! 

Ingeborg. Aber nun müſſen wir uns trennen! 

Olaf. Ich verſtehe! 

Ingeborg. Denn träfen ſie uns beiſammen, ſo — 

Olaf. Ja, ſo würde es Dir ſchwerer fallen, mich los zu 
werden! 

Ingeborg. Fahrwohl! Komm' ich noch einmal dazu, Hoch— 
zeit zu halten, ſo ſollſt Du mein Brautführer ſein! 

Olaf. Und ſollte mir dergleichen zu teil werden, wirſt 
Du mir dann denſelben Dienſt erweiſen? — 

Ingeborg. Das verſteht ſich! Fahrwohl! Fahrwohl! Und 
ſei mir nicht böſe! g 

Olaf. Gewiß nicht, — ich will Dir die Hand reichen, wo 
wir uns auch begegnen! 


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Ingeborg. Und ich Dir! Wo wir uns auch begegnen — 
nur nicht vor dem Altar. Tritt in die Hütte. Olaf rechts im Hintergrunde 
in den Wald ab. 


6. Scene. 
Frau Kirſtin, Arne von Guldvik, Hochzeitsgäſte, 
Bauern und Knechte von rechts. 

Trau Rirſtin. So — hier wollen wir die Jagd beginnen. 
Unſere Leute müſſen ſich verteilen und den See rundum ab— 
ſuchen. — Sie ſoll ans Tageslicht, und dann — Wehe, wehe 
ihr! Ich übe keine Gnade und Barmherzigkeit. 

Arne. Was wollt Ihr denn thun? 

Frau Rirſtin. Gericht will ich über ſie halten — gleich an 
der Stelle, wo wir ſie finden! Die Unthat, die ſie auf meiner 
Gemarkung verübt hat, hab' ich Macht und Gewalt nach Recht 
und Ermeſſen zu beſtrafen. 

Arne. Ja, aber was hilft das? Was verloren iſt, wird 
dadurch nicht wiedergewonnen. 

Frau Rirſtin. Nein, aber ich nehme Rache an ihr und das 
iſt kein geringer Gewinn. Rache, Rache muß ich haben, ſoll ich 
meinen Verluſt und die ganze Schmach ertragen und überleben, 
die ſie über mich gebracht hat. Das Unwetter heut Nacht hat 
mir die Ernte des ganzen Jahres verdorben; nicht ein Halm 
iſt auf meinem Acker unbeſchädigt geblieben, und hier, wo ihr 
Aufenthalt iſt, wie ſie ſelbſt geſagt hat, — hier blüht und ge— 
deiht alles ſo reich, wie ich es noch niemals geſehen habe! 
Iſt das nicht die Wirkung geheimer Künſte? Meinen Olaf 
hat ſie ſo feſt in ihr teufliſches Garn verſtrickt, daß er mitten 
im wildeſten Unwetter aus dem Dorfe entwichen iſt, um ihr zu 
folgen. Mein Haus hat ſie bis auf den Grund niedergebrannt; 
alle Luken und Thüren hatte ſie von außen verrammelt; — 
es war ein Gotteswunder, daß die Knechte noch rechtzeitig Hilfe 
brachten! 


— 310 — 


Arne. Ach, Gott helf' uns! Ich fürchte, ich fürchte — 
es hat zwei Leben gekoſtet, die mir teuer waren — das Leben 
Ingeborgs und Hemmings, meines Knechts! 

Frau Rirſtin. Nun, nun, Herr Arne! Ihr braucht noch 
nicht ganz zu verzweifeln. Ingeborg kann doch noch davon— 
gekommen ſein. Wir andern alle kamen ja auch mit heiler Haut 
davon, trotz den Liſten der verdammten Hexe. — Ingeborg 
iſt von Angſt verwirrt wohl irgendwo hingeflüchtet! 

Arne. Ja, ja, mag's mit Ingeborg ſo ſein; aber nach 
Hemming dürfen wir wohl nimmer fragen, das weiß ich ſicher! 

Frau Rirſtin. Warum denn? 

Arne. O, er war in der letzten Zeit ſo ein ränkevoller, 
ſchlauer Satan geworden! Er hat ſich nur verbrennen laſſen, 
um ſich an mir zu rächen. Er wußte, daß ich nicht einen Tag 
ohne ihn ſein kann. O, ich kenne ihn! 

Trau Rirſtin. Nun, wie dem auch ſei, — Alfhild müſſen 
wir kriegen; ſie ſoll verhört, abgeurteilt und gerichtet werden. 
Ich hab' ihr genug Unthaten vorzuwerfen. 

Arne. Und ich kann noch mehr aufzählen, falls es deſſen 
bedürfen ſollte. Sie hat meinen Apfelſchimmel aus dem Stall 
geſtohlen; heut Morgen war er fort mit Sattel und Zaum. 

Frau Rirflin beiseite. Ingeborg und Hemming fort und ſein 
Pferd desgleichen! Wär' ich an ſeiner Stelle, ich wüßte wohl, 
was ich zu glauben hätte. Laut. Laßt uns denn alſo auf— 
brechen und uns in kleine Haufen verteilen. Wer zuerſt 
Alfhild erſpäht, bläſt in ſein Horn oder Lur; die andern 
achten darauf und folgen dem Laut, bis wir alle bei ein— 
ander ſind. 


Sie gehen nach verſchiedenen Seiten ab. 


Arne der allein zurückgeblieben iſt. Und ich, der ich mich hier gar 
nicht auskenne, wie ſoll ich mich zurecht finden. Ruft. Hemming, 


Hemming! Hält inne. Ach Gott, es iſt ja wahr, er iſt — 
Kopfſchüttelnd. Hm! Hm! Das war ſchändlich von ihm gehandelt! 
Rechts ab. 


7. Scene. 


Alfhild kommt links vom Ufer des Bergſees; ſie trägt ein kleines Vündel. 


Alfhild. Genug der Klagen! Ich weinte mich ſatt; 
Hier muß ich ruhn — bin zu Tode matt! 
Sinkt auf einen Stein im Vordergrund. 

Erſt ſag' ich dem Vater Lebwohl — und dann 
Steig' ich die einſamen Höhen hinan! 
Im Thal ſeh' ich Olaf, wo ich auch ſei, — 
Hinauf in die Berge, erſt dort werd' ich frei! 
Ich muß, dem Schmerze nicht zu erliegen, 
Die liebſten Gedanken in Schlummer wiegen. — 
Ach, und ich glaubte das Leben ſo licht — 
Nichts iſt Wahrheit, alles Gedicht! 
Alles nur Gaukelbilder und Tand! 
Was wir haſchen, wird jäh uns entweichen, 
Was wir ſchauen, plötzlich erbleichen — 
Nichts hält dem prüfenden Blicke ſtand! 

Man hört Lurtöne aus dem Walde. 
Hier bring' ich der Mutter Silberſchatz, 
Den will ich vergraben an dieſem Platz: 
Dort bei der Birke unter dem Gras, 
Wo ich zuſammen mit Olaf ſaß. 

Oeffnet das Bündel und zieht eine Brautkrone und anderes Geſchmeide hervor. 


Die Brautkrone hat meine Mutter getragen; 
Auch ſie alſo ward mit Bethörung geſchlagen, 
Auch ſie alſo glaubte der Liebe Macht — 
Iſt auch ſie dann ſo ſchrecklich erwacht? — 


— 


Waren ſie Spott, meines Vaters Weiſen, 
Die ſelig das Glück der Liebe preiſen? —- 
Weh mir, daß ich darauf gehört — 
Er hat mir des Lebens Frieden zerſtört! 
Es bauten ein Heim mir ſeine Lieder — 
Tief drinnen im Herzen, — nun liegt es darnieder! 
Das Lur ertönt von neuem. 
Silber iſt Erz ſolch edler Art, 
Nimmer zerfällt es, wie Gräſer zart; 
Läg' es vergraben auch tauſend Jahr' — 
Es wird nicht vergehen, bleibt blank und klar. 
Des Lebens Glück iſt wie Gras — doch der Schmerz 
Gleicht dem Silber, dem edlen Erz! 
Packt die Geſchmeide wieder ins Bündel zuſammen. 
Ein Schatz lag verzaubert im Bergesſchacht, 
Dem enttropften neun Perlen jede Nacht; 
Und doch, wie viel ſich auch löſten los — 
Erſchöpft ward der Schatz nicht, — er war zu groß! 
Mein Schmerz iſt gleich dem verzauberten Hort: 
Perlen entſtrömen ihm fort und fort; 
Nicht neun — unzählige Perlen klar, 
Doch unerſchöpft bleibt er immerdar! — 
Wie machte die Welt mich ſo klug, ſo klug! 
Einſt folgt' ich ſinnend der Wolken Zug, 
Blickt' ihnen nach in thörichtem Wähnen 
Und träumte, ein Zug ſei's von himmliſchen Schwänen! 
Einſt meint' ich, daß von des Glaubens Zweigen 
Mir würden beſchattet die Wege, 
Und daß der Fels in ſich Leben hege, — 
Nun aber will mir dies alles ſchweigen. 
Nun weiß ich: einzig des Menſchen Bruſt 
Kann beben in Schmerz und ſchwellen in Luſt. 


— 313 — 


Es wohnt kein Tröſter in Laub und Geſtein — 
Meinen Gram muß ich tragen allein, allein! 
Erhebt ſich. 
Wohlauf denn! Dem ewigen Eiſe zu! 
Hier oder dort, — nur im Grab iſt Ruh! 
Wendet ſich zum Gehen. 


8. Scene. 
Alfhild. Frau Kirſtin. Arne. Hochzeitsgäſte. Bauern und Knechte von 
verſchiedenen Seiten. Später Olaf Liljekrans. 

Frau Rirſtin. Da iſt ſie! Alfhild, ſteh! Verſuche nicht 
zu entſchlüpfen, ſonſt ſchießen wir Dich nieder! 

Alfhild. Was willſt Du von mir? 

Frau Birfin. Das ſollſt Du noch früh genug erfahren. 
Zeigt auf ihr Bündel. Was trägſt Du da? 

Alfhild. Meiner Mutter Erbe! 

Frau Rirſtin. Gieb her! — Schau, ſchau! Eine ſilberne 
Krone! Fürwahr, Alfhild! Biſt Du Deiner Mutter einzige 
Tochter, ſo fürcht' ich ſehr, die Brautkrone wird in ihrer Familie 
nicht mehr gebraucht werden. Zu den Knechten. Bindet ſie! Wie 
ſie daſteht und die Harmloſe ſpielt. Keiner kann wiſſen, worauf 
ſie ſinnt. 

Alfhild wird gebunden. 

Frau Nirſtin laut, mit unterdrückter Leidenſchaft. Das Gericht iſt 
eingeſetzt! Wie Ihr alle wißt, hab' ich geſetzlich Recht und 
Anſpruch darauf, meine Gemarkung zu ſchirmen und nach den 
Satzungen des Landes das Urteil über jeden zu fällen, der mir 
auf meinem eigenen Grund und Boden Unbill zugefügt. Deſſen 
haſt Du Dich erdreiſtet, Alfhild, und darum ſtehſt Du nun hier 
als Angeklagte vor Deinem Richter. Verantworte Dich, wenn 
Du kannſt, — aber vergiß nicht, daß es Dein Leben gilt. 

Arne. Aber ſo hört, Frau Kirſtin! 


— 314 — 


Frau Rirſtin. Verzeiht, Herr Arne! Ich bin in meinem 
Recht, und daran will ich feſthalten. Zu Alfhind. Tritt vor und 
antworte mir! 

Alfhild. Fragt nur, ich werde antworten! 

Frau Rirſtin. Zahlreich und ſchwer find die Beſchuldigungen, 
die wider Dich erhoben werden! Zuerſt und vor allem be— 
zichtige ich Dich hier, durch gottloſe Künſte meinen Sohn Olaf 
Liljekrans bethört zu haben, ſo daß ſeine Sinne und Gedanken 
ſich von ſeiner verlobten Braut abwandten, — und kranken 
Herzens er keine Stunde Frieden mehr daheim fand, ſondern 
dieſes unbekannte Thal aufſuchte, wo Du Dich aufgehalten haſt. 
Solches kann nicht auf natürliche Weiſe zugegangen ſein! Du 
wirſt darum der Zauberei bezichtigt — verantworte Dich, wenn 
Du kannſt! 

Alfhild. Wenig hab' ich darauf zu antworten. Zauberei 
nennſt Du jene ſeltſame Macht, die Olaf hier herauf gezogen hat. 
Vielleicht haſt Du recht; aber dieſe Zauberei iſt kein Werk des 
Böſen; — jede Stunde, die Olaf hier geweilt, — Gottes Augen 
müſſen ſie geſehen haben! Jeden Gedanken, den ich Olaf ge— 
weiht, — Gottes Engel müſſen ihn kennen; und ſie werden ſich 
deſſen nicht ſchämen. 

Frau Rirſtin. Genug, genug! Du fügſt Deinem Verbrechen 
noch Gottesläſterung hinzu. Weh' Dir, Alfhild! Jedes Wort 
ſenkt die Schale Deiner Schuld tiefer. Doch, — das iſt Deine 
Sache! Zu den uebrigen. Ich ruf Euch alle zu Zeugen ihrer 
Antwort an. Wendet ſich zu Alſhild. Ich beſchuldige Dich ferner, 
daß Du auch in dieſer Nacht wieder, durch dieſelben geheimen 
Kräfte, Olaf hier heraufgelockt haſt, und daß Du ihn nun hier 
oben verſteckt hältſt! 

Alfhild. Du haſt recht! Er iſt hier heimlich verborgen! 

Trau Rirſtin. Das giebſt Du zu? 

Alfhild. Ja, aber ſo mächtig Du auch biſt, — ihn befreien 


— 315 — 


kannſt Du nicht. Vielleicht wäre das am eheſten zu meinem Heile, 
wenn Du dazu im ſtande wäreſt; aber nicht Du, nicht die ganze 
weite Erde kann es mit all ihrer Macht und all ihrem Vermögen! 

Frau Kirſtin in heftiger Erregung. Nun iſt Dir der Tod gewiß! 
Heraus damit! Wo haſt Du ihn? 

Alfhild drückt die Hände gegen die Bruſt. Hier drinnen — im 
Herzen! Kannſt Du ihn da herausreißen, ſo kannſt Du beſſer 
hexen als ich! 

Frau Rirſtin. Die Antwort nützt wenig! Heraus damit, 
wo iſt er? 

Alfhild. Ich habe geantwortet! 

Frau Nirſtin mit unterdrüctter Wut. Gut, gut! 

Arne zu den umſtehenden. Wäre Hemming noch am Leben, ſo 
hätt' er wohl die Wahrheit aus ihr herausgebracht; er war jo 
ſchlau geworden auf ſeine letzten Tage. 

Frau Rirſtin. Nun kommt die dritte Klage wider Dich: 
Du haſt heut Nacht Feuer an meinen Hof gelegt und ihn 
bis auf den Grund niedergebrannt. Vielleicht hat es Menſchen— 
leben gekoſtet, — das wiſſen wir noch nicht. Aber wie dem 
auch ſei, dadurch wird Deine Sache weder ſchlimmer noch beſſer; 
denn Deine Abſicht, uns alle zuſammen im Hauſe zu verbrennen, 
liegt klar am Tage. Leugneſt Du etwa, wenn ich Dich beſchuldige, 
den Hof in Brand geſteckt zu haben? 

Alfhild. Ich leugn' es nicht, — ich habe Deinen Hof in 
Brand geſteckt! 

Frau Rirſtin. Und womit willſt Du Deine That beſchönigen? 
Mit bitterem Spott. Du wirſt nicht ſagen können, daß Du übereilt 
gehandelt haſt. Gelegenheit, Dir's zu überlegen, hatteſt Du 
genug, ſoweit ich mich entſinne. Du ſtandeſt draußen; niemand 
kam Dir nahe, niemand hinderte Dich, alles in der größten 
Ruhe zu überdenken. Du kannſt auch nicht einwenden, daß die 
Feſtesluſt Dir zu Kopfe geſtiegen iſt, auch nicht, daß der Wein 


— 316 — 


Dich heiß und trunken gemacht hat; denn Du warſt nicht mit 
im Hauſe, Du ſtandeſt draußen, und es war kühl genug, und 
friſche Winde wehten, die Dich wohl hätten beſonnen machen 
können. 

Alfhild. Ja, ich habe Deinen Hof in Brand geſteckt; aber 
Du und Olaf und all Ihr andern da habt viel Schlimmeres 
an mir verübt. Die Welt war mir eine Königshalle, die 
dem großen Vater gehörte. Der blaue Himmel war ihr Dach, 
die Sterne waren die Lampen, die von ihrer Decke herab— 
leuchteten. Ich ging froh und reich darin umher. Aber Ihr, 
Ihr habt einen Feuerbrand mitten hinein in die goldene Herr— 
lichkeit geworfen. Nun iſt alles tot und verdorrt! 

Frau Birfin. Solche Reden helfen Dir wenig! Noch ein— 
mal frag' ich Dich: wo iſt Olaf Liljekrans, mein Sohn? 

Alfhild. Ich habe geantwortet! 

Frau Rirſtin. So haſt Du Dir auch Dein Urteil geſprochen, 
und ich will es bekräftigen. 


Olaf erſcheint auf der Felſenſpitze zwiſchen den Bäumen, ohne von den Anweſenden 


bemerkt zu werden. 


Olaf beiseite. Alfhild! — Gott im Himmel, was iſt das? 
Zieht ſich ungeſehen zurück. 

Frau Kirſtin. Als der Hexenkünſte und der Mordbrennerei 
ſchuldig, biſt Du nach dem Geſetz des Landes dem Tode ver— 
fallen! Dieſe Strafe wird hiermit über Dich verhängt und ſoll 
unverzüglich hier auf der Stelle vollzogen werden! 

Arne. Aber ſo hört, Frau Kirſtin! 

Frau Rirſtin. Das Urteil iſt gefällt! Alfhild wird den 
Tod erleiden! 

Alfhild. Thu', was Dich lüſtet! Ich werde Dich darin 
nicht hindern! Als Olaf ſeine Liebe verleugnete, da erloſch 
mein Leben — ich lebe nicht mehr! 


— 317 — 


Frau Rirfin. Führt ſie dort auf die Felſenſpitze hinauf! 
Zwei Knechte führen Alfhild hinauf. 

Frau Rirſtin. Zum letzten Mal, Alfhild! Gieb mir meinen 
Sohn zurück! 

Alfhild. Ich antworte nicht mehr! 

Frau Rirſtin. So geſchehe Dir denn nach Deinem Willen! 
Zu den Knechten. Stoßt ſie hinab! Nein, halt! Mir fällt noch 
etwas ein! Zu Alfhild. Wie Du ſo daſtehſt, erinnerſt Du mich 
an den geſtrigen Tag, da Du mit der Goldkrone im Haar her— 
vortrateſt und meinteſt, Du wäreſt würdig, die Braut des Olaf 
Liljekrans zu ſein. Nun wollen wir doch ſehen, wie hoch man 
Dich einſchätzt! Hier ſind Bauern und Knechte und viel geringe 
Leute zur Stelle. Vielleicht iſt Dein Leben noch zu retten! Ja, 
Alfhild! Du ſiehſt mich an, aber es iſt ſo! Ich will Dir gnädig 
ſein! Wendet ſich zu den uebrigen. Nicht wahr? Ihr kennt alle die 
alte Sitte, die da gebietet, daß einem Weibe, wenn es wegen 
eines todeswürdigen Verbrechens verurteilt iſt wie ſie da, Leben 
und Freiheit wiedergegeben werden, wofern ein unbeſcholtener 
Mann hervortritt und es unſchuldig nennt und ſich willens 
und bereit erklärt, es zu ehelichen! Nicht wahr, die Sitte 
kennt Ihr? 

Alle. Ja, ja! 

Alfhild mit hervorbrechenden Thränen. O, daß man mich in meiner 
letzten Stunde noch ſo verhöhnt, ſo bitter verhöhnt. 

Trau Rirſtin. Nun wohl, Alfhild! Dieſe Sitte ſoll Dir 
zu gute kommen. Falls ein Knecht, und ſei's auch der geringſten 
einer, aus meinem Gefolge hervortritt und ſich willens und 
bereit erklärt, Dich zu ehelichen, biſt Du frei! Sieht ſich um 
Meldet ſich keiner? Aue ſchweigen. 

Frau Rirſtin. Setzt ihr die Silberkrone auf. Die ſoll noch 
mit in den Kauf gegeben werden! Vielleicht ſteigſt Du dadurch 
im Preiſe, Alfhild! Die Krone wird Alfhild aufs Haupt geſetzt. 


— 318 — 


Frau Rirſtin. Zum andern Male frag' ich: iſt keiner willens, 
fie zu erretten? Sie ſiett ſich um. Ale ſchweigen. 

Frau Rirſtin. Nun gilt es; doch fürcht' ich, Deine Augen⸗ 
blicke ſind gezählt. Hört' mich wohl an, Ihr Knechte da oben! 
Wenn auch nach dem dritten Aufruf niemand antwortet, ſo achtet 
auf mein Zeichen und ſtürzt ſie hinab in den See. Nun gebrauche 
Deine Künſte, Alfhild! Sieh zu, ob Du Dich vom Tode los— 
zaubern kannſt. Mit lauter Stimme. Zum letzten Mal! Da ſteht 
die Hexe und Mordbrennerin! Wer rettet und ehelicht ſie? 
Sie ſieht ſich um. Alle ſchweigen. — Frau Kirſtin hebt raſch die Hand zum Zeichen, 
die Knechte ergreifen Alfhild. Im ſelben Augenblick ſtürzt Olaf in voller Hochzeits⸗ 
kleidung auf die Felſenſpitze vor. 

Olaf. Ich rette ſie und will ſie ehelichen! er ſtoßt die anechte 
zur Seite und zerreißt Alfhilds Bande. Alfhild ſinkt mit einem Schrei an ſeine 
Bruſt; er umſchlingt ſie mit dem linken Arm und hebt die Rechte drohend empor. 

Alle ſtehen wie verſteinert und rufen: Olaf Liljekrans! 

Trau Rirſtin. Olaf Liljekrans, mein Sohn! Was haſt Du 
gethan? Haſt Dich auf ewig mit Schande bedeckt! 

Olaf. Nein, ich waſche die Schande und Schmach ab, die 
ich auf mich gehäuft durch mein Verhalten gegen ſie. Meine 
Schuld will ich ſühnen und ſelber dadurch glücklich werden! 
Führt Alfhild vor. Ja, vor Euch allen nenn’ ich dieſe junge Maid 
laut und vernehmlich meine Braut! Sie iſt unſchuldig an allem, 
deſſen ſie angeklagt iſt; nur ich habe mich vergangen. Beugt das 
Knie vor ihr. Und zu Deinen Füßen bitte ich Dich, zu vergeſſen 
und zu vergeben — 

Alfhild beot ion auf. Ach, Olaf, Du haſt mir alle Herrlich— 
keit der Welt zurückgegeben! 

Frau Rirſtin. Du willſt ſie ehelichen! Gut und ſchön, — 
dann bin ich Dir nicht länger eine Mutter! 

Olaf. Großer Schmerz wird mir dadurch bereitet, obſchon 
es lange her iſt, daß Ihr mir eine wahre Mutter geweſen ſeid. 


— 319 — 


Ihr konntet mich nur dazu brauchen, Euern eigenen Stolz groß— 
zuziehen. Ich war ſchwach und fand mich darein. Aber nun 
hab' ich Kraft und Willen gewonnen, nun ſtehe ich feſt auf 
meinen eigenen Füßen und gründe mir ſelbſt den Bau meines 
Glücks! 

Frau Rirſtin. Aber ſo bedenke doch — 

Olaf. Nichts will ich mehr bedenken! Ich weiß, was ich 
will. Jetzt erſt verſtehe ich meinen ſeltſamen Traum. Es wurde 
mir verheißen, ich ſollte die ſchönſte Blume finden und ſollte ſie 
zerpflücken und in alle Winde ſtreuen. O, und ſo iſt es auch 
geſchehen! Eines Weibes Herz iſt die ſchönſte Blume der Welt; 
all die reichen und goldenen Blätter darin hab' ich zerriſſen 
und in die Winde geſtreut. Aber tröſte Dich, Alfhild! Manch 
ein Samenkorn iſt mitgefolgt, — der Schmerz hat es gereift, 
und daraus wird ein neues, reiches Leben uns hier im Thal 
erblühen; denn hier wollen wir wohnen und Hütten bauen! 

Alfhild. O, nun bin ich ſelig, wie in dem erſten Augen— 
blick, da wir uns ſahen! 

Frau Rirſtin beiſeite. Ingeborg iſt fort, — dieſes reiche 
Thal gehört Alfhild. Kein anderer hat ein Recht darauf —. 
Laut. Nun wohl, Olaf! Ich will Deinem Glücke nicht im 
Wege ſein. Meinſt Du auf dieſe Weiſe es zu finden, ſo — — 
Meine Zuſtimmung habt Ihr! 

Olaf. Dank, Mutter, Dank! Nun fehlt mir nichts mehr! 

Alfhild zu Frau Kirſtin. Und mir vergiebſt Du all meine 
Schuld? 

Frau Rirſtin. Nun ja! Vielleicht war der Fehler auch 
auf meiner Seite. Nichts mehr davon! 

Arne. Und was iſt mit mir? Und mit meiner Tochter, 
mit der Herr Olaf verlobt geweſen iſt — Doch, es iſt ja wahr, 
— vielleicht lebt ſie nicht mehr! 

Olaf. Gewiß lebt ſie! 


— 320 — 


Arne. Sie lebt? Wo iſt ſie? Wo? 

Olaf. Das kann ich nicht jagen; aber ſoviel ſteht feſt, wir 
haben beide in aller Freundſchaft unſer Verlöbnis gelöſt! 

Frau Rirſtin. Ihr ſeht, Herr Arne, daß ich — — 

Arne. Ja, ja, meine Tochter ſoll zu nichts gezwungen werden. 
Alfhild war es beſchieden, einen Rittersmann zu bekommen; aber 
das kann wohl auch Ingeborg noch zu teil werden. Mit Würde. 
Ihr edlen Herren und wohlgeborenen Männer! Höret meine 
Rede! Es iſt mir zu Ohren gekommen, daß ich von manchem 
unter Euch für einen Mann gehalten werde, der in höfiſchem 
Schick und Brauch wenig bewandert iſt. Ich will Euch nun 
beweiſen, daß das in Euren Hals gelogen iſt. In den alten 
Chroniken wird erzählt: wenn einem braven König ſeine Tochter 
abhanden kommt, ſo gelobt er ihre Hand und die Hälfte des 
Reiches dem, der ſie wieder findet. Ich will thun wie die alten 
braven Könige. Wer Ingeborg wiederfindet, bekommt ihre Hand 
und mein halbes Hab und Gut dazu. Seid Ihr mit dabei? 

Die jungen Knechte. Ja, ja! 


9. Scene. 


Die Vorigen. Ingeborg tritt ſchnell aus der Hütte und zieht Hemming 
hinter ſich her. 

Ingeborg. Da bin ich! Hemming hat mich gefunden! 

Alle erſtaunt. Ingeborg und Hemming! Hier?! 

Arne ärgerlich. Ei, da ſoll doch — — 

Ingeborg wirft ſich ihm an die Bruſt. O Vater, Vater! Es hilft 
Dir nichts! Du haſt Dein Wort gegeben! 

Arne. Ihm hat es nicht gegolten! Doch nun verſteh' ich! 
Er ſelbſt hat Dich entführt! 

Ingeborg. Nein, im Gegenteil, Vater! Ich hab' ihn entführt! 

Arne erſchroten. Willſt Du ſchweigen mit ſolchen Reden! 
Biſt Du denn verrückt? 


— 321 — 


Ingeborg leiſe. So ſag' ja, gleich auf der Stelle! Sonſt 
erzähl' ich allen Menſchen, daß ich es war, die — — 

Arne. Schweig, ſchweig! Ich ſage ja ſchon ja! rut zwiſchen 
beide und ſieht Hemming grimmig an. Du warſt es alſo, der meinen 
Apfelſchimmel mit Sattel und Zaum geſtohlen hat? 

Hemming. Ach, Herr Arne — 

Arne. O, Hemming! Hemming! Du biſt ein — Veſinnt ſich. 
Na, Du biſt der Bräutigam meiner Tochter, und damit ſei's gut! 

Hemming und Ingeborg. O Dank, Dank! 


10. Scene. 


Die Vorigen. Thorgjerd, mit ſeinem Saitenſpiel in der Hand, hat ſich während 
der letzten Vorgänge unter die Menge gemiſcht. 

Thorgjerd. Ei, ſieh, ſieh! Soviel Volk heut hier im Thale! 

Die Bauern. Thorgjerd, der Spielmann! 

Alfhild wirft ſich in ſeine Arme. Mein Vater! 

Alle. Ihr Vater! 

Olaf. Ja, ja, Alter! Heut iſt es voll fröhlichen Volkes hier, 
und ſo ſoll es auch in Zukunft bleiben. Deiner Tochter Hochzeit 
wird gefeiert; aus Liebe hat ſie ihren Bräutigam erkoren, von 
Liebe haſt Du ihr geſungen, — Du wirſt nicht wider uns ſein! 

Thorgjerd. Mögen alle guten Geiſter mit Euch ſein! 

Alfhild. Und Du bleibſt bei uns! 

Thorgjerd. Nein, nein, Alfhild! — 

Ein Spielmann hat weder Heim noch Haus, 
Sein Sinn geht raſtlos ins Weite hinaus. 

Wem da von Liedern die Bruſt geſchwellt, 

Des Heimat iſt rings die weite Welt. 

Im Laubſaal, im Thal, am grünenden Hang 
Muß er rühren die bebenden Saiten zum Sang; 
Dem heimlichſten Leben muß er lauſchen: 

Des Gießbachs Toſen, der Woge Rauſchen, 


Ibſen, Olaf Liljekrans. 


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— 322 — 


Des pochenden Herzens ſeltſamen Mären; 
Sein Lied muß des Volkes Träume klären 
Und all die Gedanken, die gären! 
Olaf zu Thorgjerd. 
Doch kommſt Du zu Gaſte wohl dann und wann! — 
Ich will ein Haus hier im Birkenwald bauen, 
Alfhild, da findeſt Du Frieden fortan! 
Da ſollſt Du nur glückliche Tage ſchauen, 
Und nie ſollen Thränen das Aug' Dir betauen. 
Alfhild. Nun ſeh' ich, das Leben iſt reich und licht, 
Licht wie des Herzens ſchönſtes Gedicht! 
Wie ſchwer und nächtig düſter die Sorgen — 
Einmal doch tagt ein ſtrahlender Morgen! 
Kniet nieder. 
Ihr Englein! Ihr habt meine Schritte gelenkt, 
Habt wieder Troſt mir und Frieden geſchenkt! 
Ihr ſtütztet den Fuß, der vom Pfade wich — 
Nimmer im Glauben wanken will ich! 
Ihr himmliſchen Mächte — ihr haltet noch Wacht? 
Die Sonne ſcheint klar nach der Wetternacht. — 
Trotz allem mußt' unſre Liebe beſtehn — 
Mag, was da will, nun geſchehn! 
Nun bin ich bereit, nun gewann ich Stärke 
Und Mut zu des Lebens wechſelndem Werke! 
Mit einem Blick auf Olaf. 
Und ſcheiden wir einſt — 
Bricht ab und hebt die Hände hoch empor. 
Dann, weich und warm, 
Tragen uns Engel in Gottes Arm! 
Alle gruppieren ſich um ſie. 


Der Vorhang fällt. 


Herrofs & Ziemfen, Wittenberg. 


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