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Full text of "Sämtliche Werke : in chronologischer Reihenfolge"

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in  2010  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/smtlichewerkei16v17herb 


Joh.   Fr.   Herbart. 


JOH.  FR1EDR.  HERBART'S 

SÄMTLICHE   WERKE. 


JOH.  FR.  HERBARTS 

SÄMTLICHE  WERKE 


IN  CHRONOLOGISCHER  REIHENFOLGE 


HERAUSGEGEBEN 


tKARL  KEHRBACH  und  OTTO  FLÜGEL. 


SECHZEHNTER    BAND. 


BEARBEITET 


VON 


THEODOR  FRITZSCH. 


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LANGENSALZA 

HERMANN  BEYER  &  SÖHNE 

(BEYER  &  MANN) 

Herzogl.  Sachs.  Hofbuchhändlhr 

1912 


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BRIEFE  VON  UND  AN 

J.  F.  HERBART. 

URKUNDEN  UND  REGESTEN  ZU  SEINEM  LEBEN 
UND  SEINEN  WERKEN. 

MIT  VIER  BILDERN. 


1.  BAND. 

(VON    1776— 1807.) 

MIT  EINEM  BILDE  HERBARTS. 
VON 

THEODOR  FRITZSCH. 


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LANGENSALZA 

HERMANN  BEYER  &  SÖHNE 

(BEYER  &  MANN) 

Herzogl.  Sachs.  Hofbuchhändler 

1912 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Sr.  Königlichen  Hoheit 
dem  Großherzog  Friedrich  August  von  Oldenburg 

in  tiefster  Ehrfurcht 


gewidmet. 


VORREDE 

ZU  BAND  I— IV  (BAND  XVI-XIX  DER  GESAMT- 
AUSGABE). 


/\ls  ich  vor  Jahren  die  Briefe  Herbarts  an  Drobisch  der 
Öffentlichkeit  übergab,  schrieb  ich  in  den  „Erläuterungen  zum 
Jahrbuch  des  Vereins  für  wissenschaftliche  Pädagogik"  (1905,  S.  63): 
„Nunmehr  wäre  es  an  der  Zeit,  alle  vorhandenen  Briefe  Herbarts 
in  chronologischer  Reihenfolge  erscheinen  zu  lassen,  ähnlich  wie 
es  die  preußische  Akademie  der  Wissenschaften  mit  den  Briefen 
Kants  getan  hat.  Eine  solche  Ausgabe  könnte  einen  vorläufigen 
Ersatz  bilden  für  eine  große  Herbartbiographie,  die  uns  noch 
fehlt;  sie  würde  auch  allen  denen  unschätzbare  Dienste  leisten, 
die  sich  mit  Herbart  beschäftigen.  Die  Kehrbach  sehe  Herbart- 
Ausgabe  könnte  keinen  besseren  Abschluß  finden  als  mit  den 
Herbart -Briefen,  und  die  Beyer -Mann  sehe  Verlagsbuchhandlung 
in  Langensalza  würde  sich  mit  der  Verwirklichung  dieses  Planes 
außerordentlich  um  die  Wissenschaft  verdient  machen." 

Obwohl  eine  solche  chronologische  Veröffentlichung  sämtlicher 
Briefe  Herbarts  nicht  im  ursprünglichen  Plane  Kehrbachs  lag 
und  die  vorliegende  Herbart-Ausgabe  dadurch  wesentlich  umfang- 
reicher wird,  als  beabsichtigt  war,  haben  die  Inhaber  der  Ver- 
lagsbuchhandlung Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in 
Langensalza  diesem  Vorschlag  in  dankenswerter  Weise  zugestimmt 
und  die  größten  Opfer  nicht  gescheut,  um  die  Bände  zustande  zu 
bringen. 

Nach  langen  mühsamen  Vorarbeiten,  die  zum  Teil  ins  vorige 
Jahrhundert  zurückreichen,  können  die  Briefbände  nunmehr  der 
Öffentlichkeit  übergeben  werden.  Sie  bedeuten  auch  für  den 
Herbartkenner  eine  Überraschung.  Denn  während  Robert  Zimmer- 
mann noch  1876  von  den  „bei  Herbarts  Unlust  zum  Schreiben 
nicht  allzu  zahlreichen  Briefen"  redet  und  in  seiner  mit  Unter- 
stützung der  Kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften  in  Wien 
zustande  gekommenen  Briefausgabe1)  nur  120  Herbartbriefe  kennt, 

x)  Wien   1877,  W.  Braumüller. 


X  Vorrede  zu  Band   16 — 19. 

sind  wir  heute  in  der  glücklichen  Lage,  vier  stattliche  Bände  mit 
ungefähr  1000  Nummern  —  darunter  über  300  von  Herbart  selbst  — 
mitteilen  zu  können. 

Schon  früher  (1871)  hatte  TuiSKON  Ziller  eine  Sammlung 
alles  dessen  versucht  was  an  „Herbartischen  Reliquien"  vorhanden 
war.1)  Jedoch  ergab  die  Nachprüfung  dieses  Materials,  daß 
vieles  davon  nicht  diplomatisch  genau  wiedergegeben,  manches 
sogar  überarbeitet  worden  war.  Im  Jahre  1877  erschien  Zimmer- 
manns eben  erwähntes  Buch.  1898  veröffentlichte  dann  KARL 
Georg  Brandis2)  eine  Anzahl  ungedruckter  Briefe  von  Herbart, 
1902  folgte  der  Herausgeber  dieser  Bände  mit  84  Herbartbriefen3) 
und  1909  A.  Spitzner  mit  den  Briefen  Herbarts  an  Strümpell.4) 
Dazu  kommt  noch  eine  Reihe  von  kleineren  Veröffentlichungen, 
die  hier  nicht  aufgezählt  werden,  aber  in  den  Fußnoten  dieser 
Bände  erwähnt  sind. 

In  allen  diesen  Briefsammlungen  vermißte  man  die  Antworten 
der  Adressaten.  So  mußte  von  vornherein  vieles  unverständlich 
bleiben,  auch  ging  der  Hauptreiz  einer  Briefausgabe,  der  im 
Meinungsaustausch  liegt,  verloren.  Viele  der  Schreiben  an  Herbart 
sind  in  meiner  Sammlung  mit  abgedruckt.  Manches  ist  nicht  mit 
aufgenommen  worden.  Auch  von  Herbart  ist  nicht  alles  und 
jedes  veröffentlicht,  obwohl  Herbart  zu  den  führenden  Geistern 
gehört,  die,  wie  Lessing  von  Leibniz  sagt,  „keine  Zeile  umsonst 
sollten  geschrieben  haben".  Manchem  erscheint  vielleicht  das 
eine  oder  andre  von  dem  Dargebotenen  überflüssig.  Solchen 
Kritikern  möchte  ich  zu  bedenken  geben,  daß  im  Zusammenhange 
oft  das  unbedeutendste  Detail  wichtig  ist,  und  daß  der  Brief- 
wechsel das  Material  für  eine  Herbartbiographie  bringen  will. 
Infolgedessen  sind  auch  Urteile  über  Herbart,  Erinnerungen  an 
ihn  u.  a.   aus  Büchern,   Briefen   und  Aufsätzen  mitgeteilt  worden. 

*)  Leipzig,   G.  Gräbner,    I.  Ausg.    1871,   2.  Ausg.    1884. 

2)  Karl  Georg  Brandis,  Ungedruckte  Briefe  von  Joh.  Friedr.  Herbart  (Bei- 
träge zur  Lehrerbildung  und  Lehrerfortbildung,  herausgegeben  von  K.  Muthesius, 
6.  Heft,  Gotha,  E.  F.  Thienemann,  1898,  Sonderabdruck  aus  den  Pädagogischen 
Blättern  für  Lehrerbildung  und  Lehrerbildungsanstalten). 

3)  Theodor  Fritzsch,  84  Briefe  Herbarts  an  Drobisch  (Jahrbuch  des  Vereins 
für  wissenschaftliche  Pädagogik,  herausgegeben  von  Th.  Vogt,  Dresden,  Bleyl  &  Kämmerer, 
I902ff.  XXXIV.  Jahrg.,  S.  227  —  278;  XXXV.  Jahrg.,  S.  129—193;  XXXVII.  Jahrg., 
S.   154 — 206. 

4)  In  der  Einleitung  zur  „Psychologischen  Pädagogik  von  L.  Strümpell".  2.  Aufl. 
von  Alfred  Spitzner.     Leipzig,  E.  Ungleich,  o.  T. 


Vorrede  zu  Band  16 — 19.  XI 


Streichungen  innerhalb  der  Texte,  die  früher  in  Rücksicht 
auf  Lebende  notwendig  waren,  konnten  jetzt  unterbleiben,  wie- 
wohl sich,  wie  jeder  aus  Erfahrung  weiß,  in  vertraulichen  Briefen 
manches  findet,  was  keinen  bleibenden  Wert  hat,  vielleicht  auch 
manches  scharfe  und  freimütige  Wort,  das  einer  augenblicklichen 
Mißstimmung  gegen  Personen  oder  Zustände  entsprang.  Man 
darf  billig  erwarten,  daß  solche  Worte  nicht  „auf  die  Goldwage" 
gelegt  werden,  wie  es  in  einzelnen  Fällen  Herbart  gegenüber 
geschehen  ist,  sondern  daß  der  richtige  Maßstab  der  Beurteilung- 
angelegt  wird. 

Unter  den  mitgeteilten  Briefen  an  Herbart  findet  sich  viel- 
leicht mancher  unbedeutend  scheinende,  der  aber  doch  das  ganze 
Bild  des  Lebenskreises  Herbarts  irgendwie  vervollständigt  oder 
sein  Wesen  in  der  Anteilnahme  und  Mitteilungslust  anderer  wieder- 
spiegelt; und  ich  habe  auch  in  solchen  Fällen  meist  lieber  ganze, 
als  verstümmelte  und  dadurch  entstellte  Briefbilder  gegeben. 

Außerordentlich  schwer  war  die  Beschaffung  des  in  alle  Welt 
zerstreuten  Materials.  Aus  wievielen  Orten  die  Schriftstücke  zu- 
sammengeholt worden  sind,  ersehe  man  aus  den  Fußnoten.  Erst 
nach  langem  Suchen  konnte  ich  die  Hauptkorrespondenz  Herbarts 
in  der  Handschriftensammlung  der  K.  K.  Hofbibliothek  in  Wien 
entdecken.  Da  trotz  hoher  Befürwortung  dieses  Material  nicht 
nach  Leipzig  ausgeliefert  wurde,  habe  ich  es  in  Wien  abschreiben 
lassen  müssen  und  zwar  unter  der  sachkundigen  Leitung  der 
leider  allzufrüh  verstorbenen  Frau  Nelly  Wolff,  geb.  von  Ge- 
schmeidiger. 

Die  Kollationierung  der  Wiener  Briefe  lag  in  den  Händen  der 
Herren  Dr.  phil.  O.  Hein  und  P.  Bey.  Ihnen  wie  den  Herren 
Bibliotheksdirektor  Hofrat  Dr.  Ritter  VON  Karabacek,  Kustos 
Dr.  R.  Beer  und  Reg. -Rat  F.  Mencik  bin  ich  zu  großem  Dank 
verpflichtet.  — 

Schon  waren  drei  Bände  der  Sammlung  fast  ausgedruckt,  da 
gelang  es  Herrn  Dr.  K.  Freye  noch  eine  Reihe  von  Briefen  auf- 
zufinden. Durch  die  außerordentliche  Liebenswürdigkeit  der  Frau 
Geh.  Reg.-Rat  M.  Knack  in  Charlottenburg,  der  treuen  Hüterin 
dieser  Reste  des  Herbartischen  Nachlasses,  wurde  es  in  letzter 
Stunde  noch  möglich,  zahlreiche  Nachträge  zur  Korrespondenz, 
wichtige  Urkunden  zu  Herbarts  Leben  u.  a.  zu  bringen.  Herr 
Dr.  K.  Freye  hat  die  Briefe  vor  mir  zu  seiner  Abhandlung 
„Boehlendorff,  der  Freund  Herbarts  und  Hölderlins"  (Langensalza, 


XII  Vorrede  zu  Band   16 — 19. 


Beyer  &  Söhne)  verwertet  und  mich  bei  der  Drucklegung  in 
der  vorliegenden  Sammlung  in  freundlichster  Weise  unterstützt. 
Die  betr.  Schriftstücke  sind  mit  N.  (==  Nachlaß)  bezeichnet. 

Infolge  des  neuen  Brieffundes  mußte  die  chronologische  An- 
ordnung innerhalb  der  Bände  durchbrochen  werden.  Jedoch 
empfiehlt  es  sich,  die  Briefe  und  Urkunden  so  zu  lesen,  wie  sie 
zeitlich  aufeinanderfolgen.  Dazu  bediene  man  sich  des  Inhalts- 
verzeichnisses am  Anfange  der  Bände  (I  [XVI],  S.  XV)J,  in  dem 
das  Material  chronologisch  geordnet  ist.  Daneben  werden  die 
darauf  folgenden  Register,  die  die  Briefe  von  und  die  an  Herbart 
nach  den  Namen  ihrer  Empfänger  und  Schreiber  aufzählen,  gute 
Dienste  leisten.  Alle  im  Briefwechsel  vorkommenden  Personen 
sind  in  einem  alphabetisch  geordneten  Namen-Register  am  Ende 
der  Briefe  zusammengestellt. 

Daß  ich  mir  bei  der  Herausgabe  überall  die  größtmögliche 
Genauigkeit  zur  Pflicht  machte,  braucht  nicht  besonders  hervor- 
gehoben zu  werden.  Wo  das  Original  schadhaft  oder  ein  Wort 
ausgelassen  war,  habe  ich  es  zu  ergänzen  versucht  und  das 
Fehlende  in  eckige  Klammern  eingeschlossen.  Trotz  großer  An- 
strengungen war  es  in  mehreren  Fällen  nicht  möglich,  die 
Originale  zu  erlangen.  Dann  ist  die  Quelle  angegeben,  nach  der 
gedruckt  wurde.  Offenbare  Versehen  der  ersten  Pierausgeber 
sind  verbessert  worden. 

Bei  der  Masse  der  in  Frage  kommenden  Handschriften  ist 
es  selbstverständlich,  daß  einzelne  Schriftzüge  oft  verschiedene 
Deutungen  zuließen,  namentlich  bei  Namen.  Ich  habe  mich  be- 
müht, mit  Hilfe  der  einschlägigen  Literatur  und  durch  Befragung 
von  Fachgelehrten  die  zweifelhaften  Stellen  zu  entziffern.  Meist 
habe  ich  nur  das  schließliche  Ergebnis  den  Lesern  vorgelegt, 
ohne  die  Gründe  anzugeben,  die  mich  zu  dieser  oder  jener  Lesart 
bewogen  haben.  Dasselbe  gilt  von  der  Datierung  undatierter 
Briefe,  die  oft  nur  gemutmaßt  werden  konnte,  und  von  den 
Empfängern  und  Schreibern  der  Briefe,  soweit  sie  nicht  unzweifelhaft 
feststanden.  Nur  in  einem  Falle  bin  ich  nachträglich  zu  der 
Überzeugung  gelangt,  daß  eine  kleine  Änderung  meiner  Angaben 
sich  nötig  macht:  Nr.  99  (Bd.  I  [XVI],  S.  115)  gehört  wohl  nach 
Nr.  101   und  ist  jedenfalls  an  Smidt  gerichtet. 

Die  mitgeteilten  Schriftstücke  umfassen  etwa  einen  Zeitraum 
von  dreiviertel  Jahrhundert,  sie  fallen  in  das  letzte  Viertel  des  18. 
und  in  die  erste  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts.    Wir  finden  darunter 


Vorrede  zu  Band  ib — 19.  XIII 


Briefe  von  Gelehrten  aller  Fakultäten  und  von  Laien  und  er- 
kennen daraus,  welche  Begeisterung  Herbart  zu  wecken  verstand, 
welche  Verehrung  er  genoß,  und  daß  sein  Einfluß  viel  weiter 
reichte,  als  man  bisher  annahm.  Aber  abgesehen  von  dem,  was 
aus  den  Bänden  für  Herbarts  Leben  und  Wirken  selbst  heraus- 
springt, wird  in  der  Geistesgeschichte,  in  der  Geschichte  unserer 
Universitäten,  ja  in  der  Gelehrtengeschichte  überhaupt  vieles  in 
neues  Licht  gerückt  oder  durch  neue  Urkunden  belegt.  Auf 
den  Inhalt  an  dieser  Stelle  weiter  einzugehen,  verbietet  der  be- 
schränkte Raum.  Hervorgehoben  sei  nur,  daß  aus  dem  hier  ge- 
botenen Material  schon  vor  dem  Erscheinen  mehrere  Arbeiten 
—  darunter  auch  Dissertationen  —  hervorgegangen  sind. 

Es  ist  mir  nicht  möglich,  hier  im  Vorwort  alle  Bibliotheken 
und  Herren  anzuführen,  die  mich  mit  Rat  und  Tat  unterstützt 
haben.  Es  ging  über  die  Kräfte  eines  einzelnen,  das  riesen- 
hafte Material  zu  bewältigen.  Außer  den  genannten  Herren  muß 
ich  aber  besonders  danken  Herrn  Universitäts-Prof.  Dr.  R.  Steck 
in  Bern,  einem  Enkel  des  intimsten  Freundes  Herbarts.  Er  hat 
von  Anfang  bis  zum  Ende  die  Korrekturen  mit  gelesen,  manche 
bessere  Lesart  vorgeschlagen  und  viele  Auskünfte  aus  dem  Schatz 
seiner  reichen  Kenntnis  jener  Zeit  bereitwilligst  erteilt.  Erwähnen 
muß  ich  ferner  Herrn  Richter  a.  D.  Dr.  J.  Smidt  in  Bremen,  den 
Enkel  eines  andern  Jugendfreundes  Herbarts  (s.  Bd.  XIV),  und 
Herrn  Oberlehrer  Fr.  Franke  in  Leipzig,  die  mir  beide  wesent- 
liche Hilfe  geleistet  haben. 

Ehrerbietigsten  Dank  schulde  ich  endlich  der  Königlich 
Sächsischen  Gesellschaft  der  Wissenschaften,  die  mir  eine  finanzielle 
Beihilfe  zu  meinen  nicht  unbeträchtlichen  Unkosten  gütigst  ge- 
währte. 

Leipzig,  im  Nov.   1912. 

Dr.  Th.  Fritzsch. 


Bemerkungen  zu  den  Bildern. 

i)  Das  im  i.  Bande  befindliche  Bild  ist  ein  Jugendbild  Herbarts.     Es  war  bisher 

wie  die  anderen  Porträts,  die  wir  bringen  —   völlig  unbekannt.     Herr  Richter  a.  D. 

Dr.  Smidt  in  Bremen  hat  es  gütigst  zur  Verfügung  gestellt.  W.  v.  Grote  schreibt  am 
17.  Okt.  1833  an  Herbart:  „Vor  Ihrem  ähnlichen  in  Smidts  Stube  befindlichem  Bilde 
sitzend,  haben  wir  recht  lange  und  viel  von  Ihnen  und  Ihrer  künftigen  Wirksamkeit 
in  Göttingen  gesprochen,1'  (Bd.  III,  S.  39).  Danach  gehen  wir  wohl  nicht  fehl,  wenn 
wir  das  Entstehen  des  Bildes  in  die  erste  Göttinger  Zeit  Herbarts  setzen.  Dazu  vgl. 
man  folgende  Stelle  aus  einem  Briefe  Griepenkerls  an  Herbart  (vom  20.  Apr.  1827, 
s.  Bd.  II,  S.  153):  „Ich  sehne  mich  schon  seit  langen  Jahren  ein  ähnliches  Bild  von 
Ihnen  zu  besitzen,  wär's  auch  nur  eine  Bleistift-  oder  Schwarzkreidezeichnung.  Doch 
es  müßte  das  ganze  erhabene  Haupt  darauf  sichtbar  sein,  was  sich  nur  erreichen  läßt, 
wenn  die  Ansicht  halb  en  face  genommen  wird.  Sie  wurden  schon  in  Göttingen  ge- 
zwungen der  Gesundheit  wegen  fremdes  Haar  zu  tragen.  —  Dieses  sähe  ich  nicht 
gerne  auf  dem  Bilde,  weil  es  die  schönsten  Teile  des  Hauptes  verdeckt.  Die  ver- 
schollenen Lehren  des  Dr.  Gall  sind  mir  lächerlich  und  waren  es  ehe  ich  Ihre  Psycho- 
logie las  ;  aber  die  Erfahrung  zeigt  zu  oft  eine  gewisse  Harmonie  zwischen  den  äußeren 
Formen  und  den  inneren,  was  auch  der  Grund  davon  sein  möge  ..."  Ob  dieses  Bild 
noch  vorhanden  ist?  Ich  sah  im  Jahre  1899  bei  Prof.  Lazarus  in  Meran  eine  Daguerreo- 
typie:  Griepenkerl  sitzend,  neben  ihm  Lazarus,  das  Bild  Herbarts  in  der  Hand  haltend. 
Darnach  muß  ein  Heibartbild  in  Griepenkerls  Besitz  gewesen  sein.  (S.  auch  Lazarus 
Lebenserinnerungen,  1906,  S.  473).  Der  Hartensteinschen  und  der  Willmannschen 
Herbart  Ausgabe  (1.  u.  2.  Aufl.)  ist  ein  Bildnis  Herbarts  von  C.  H.  Steffens,  in  Stahl 
gestochen  von  C.  Geyer,  beigegeben.  Eine  Kreideporträt  Herbarts,  das  sich  im  Besitz 
einer  Angestellten  des  Hauses  befand,  soll  erst  vor  einigen  Jahren  nach  Amerika  ver- 
kauft worden  sein. 

2)  Dem  2.  Band  voran  steht  das  Bild  Karl  von  Steigers,  es  ist  gemalt  von 
Sonnenschein  im  Jahre  1801  (s.  Bd.  I,  S.  233  f.)  und  befindet  sich,  wie  das  folgende 
Bild  der  Frau  Herbart  und  ein  Bild  O.  Stiemers,  im  Besitz  der  Frau  Geheimrat 
M.  A.  Albrecht,  geb.  Stiemer,  in  Potsdam.  Auch  an  dieser  Stelle  sei  ihr  für  die 
Bereitwilligkeit,  mit  der  sie  die  Bilder  zur  Reproduktion  zur  Verfügung  stellte,  ergebenst 
gedankt.  Das  Original  ist  ein  lebensgroßes  Ölbild,  stark  rissig  und  nachgedunkelt  (die 
Photographie  ist  retouchiert) ;  es  stammt  aus  dem  Nachlaß  der  Frau  Herbart,  resp. 
O.  Stiemers  und  wurde  erst  jetzt  rekognosziert. 

3)  Das  Bild  des  3.  Bandes  ist  ein  Porträt  von  Herbarts  Frau.  Das  Original 
ist  eine  halblebensgroße  Kreidezeichnung,  und  stellt  Frau  Herbart  wohl  in  mittleren 
Jahren  dar. 

4)  Das  Oldenbitrger  Herbartdenkmal  im  4.  Bande  ist  nach  einer  Büste  H.  Heideis 
(18 10 — 1865),  die  sich  jetzt  im  Besitze  der  Universität  Göttingen  befindet,  von  Marger 
hergestellt  und  wurde  zum  100.  Geburtstage  Herbarts  eingeweiht.  Über  den  Anteil  des 
Großherzogs  Peter  von  Oldenburg,  der  in  Leipzig  unter  Drobisch  und  Hartenstein 
Philosophie  studiert  hatte  und  1876  eine  Herbartstiftung,  einen  Stipendienfonds  für 
unbemittelte  Schüler,  ins  Leben  rief,  und  über  die  Geschichte  des  Denkmals  überhaupt 
vgl.  man  Lazarus  Lebenserinnerungen,  S.  459  f. 


Inhaltsverzeichnis 
von  Band  I— IV  (XVI— XIX  der  Gesamtausgabe), 

chronologisch  geordnet. 

Die  erste  (römische)  Ziffer  bezeichnet  den  Band,  die  zweite,  wenn  nicht  anders 

bemerkt,  die  Nummer. 


Herbarts  Stammbaum  I,  S.  3.  Fleißzettel  für  H.  1786  IV,  701.  W.  Ültzen 
an  H.  IV,  702.  Ein  Aufsatz  Herbarts,  Sommer  1789  IV,  703.  W.  Ültzen  an  H. 
1789  IV,  704.  Studienplan  f.  Herbart  von  Ültzen  1789  IV,  705.  Der  übrige 
Bildungsgang  I,  S.  4  f. 

1795:  J.  G.  Rist  über  H.  I,  1.  Breuning  an  H.  7.  7.  IV,  706.  Meen  an  H 
16.  7.  IV,  707.  Eintrag  ins  Stammbuch  Rumpfs  21.  8.  I,  2.  Langreuter  an  H.  24.  8 
IV.  708.  An  v.  Halem  28.  8.  I,  3.  Antwort  an  Fichte  1.  10.  IV,  709.  Nachtrag 
zu  Nr.  1  IV,  710.  Breuning  an  H.  29.  10.  IV,  7 II.  Woltmann  über  H.,  Okt.,  I,  4 
Ricklefs  an  H.  1.  11.  IV,  715.  An  Gries.  Ohne  Dat.  IV.  716.  Fritz  Hörn  an  H 
20.    12.  IV,   712. 

1796:  An  Smidt  23.  1.  I,  5.  An  Smidt  29.  1.  I,  6.  Groninger  an  H.  4.  2 
IV,  717.  J.  P.  E.  Greverus  an  H.  IV.  718.  F.  Fromm  an  H.  15.  2.  IV,  719 
Herbarts  Mutter  an  Smidt  20.  2.  I,  7.  E.  Berger  an  Smidt  26.  2.  I,  8.  Smidt 
an  H.  28.  2.  IV,  713.  Herbarts  Mutter  an  Smidt  16.  3.  I,  9.  Herbarts  Mutter  an 
Smidt  30.  3.  I,  10.  Lantsch  an  Smidt  1.  4.  I,  Tl.  Smidt  an  seine  Schwester  6.  4. 
I,  12.  Herbarts  Vater  an  Smidt  19.  4.  I,  13.  E.  Berger  an  Smidt  28.  4.  I,  14. 
Rist  an  H.  4.  5.  IV,  714.  Herbarts  Mutter  an  Smidt  8.  5.  I,  15.  An  Smidt  16.5. 
I,  16.  Herbarts  Mutter  an  Smidt  20.  5.  I,  T7.  Herbarts  Mutter  an  Smidt,  Montag 
um  Mitternacht  I,  18.  Rist  an  H.  1.  6.  IV,  720.  Lantsch  an  Smidt  14. — 20.  6. 
I,  19.  An  Smidt  27.  6.  I,  20.  Joh.  Rud.  Steck  an  seine  Mutter  8.  7.  I,  21. 
An  Smidt  29.  7.  I,  22.  An  Smidt  30.  7.  I,  23.  An  Langreuter,  Aus  Jena,  I,  24. 
Herbarts  Mutter  an  Smidt  1.  8.  1,  25.  Steck  an  Zehender  1.  8.  I,  26.  Reimers 
an  H.  5.  8.  IV,  721.  Smidt  an  H.  10.  8.  IV,  722.  C.  Breuning  an  H.  20.  8. 
IV,  723.  An  Rist,  Sept.,  I,  27.  Herbarts  Mutter  an  Smidt  I,  28.  Steck  an  seine 
Mutter  17.  10.  I,  29.  Steck  an  seine  Mutter  24.  10.  I,  30.  J.  G.  Lange  an  Smidt 
u.  Thulesius  28.  10.  I,  31.  Rist  an  H.,  Oktober,  IV,  724.  Steck  an  seine  Mutter 
7.  11.  1,  32.  Lange  an  Smidt  1.  12.  I,  33.  An  Smidt,  Anfang  Dez.,  I,  34.  An 
Smidt,  Anfang  Dez.,  I,  35.     Steck  an  seine  Mutter   19.   12.  I,  36. 

1797:  An  v.  Halem  I,  37.  Steck  an  seine  Mutter  11.  2.  I,  38.  E.  v.  Berger 
und  Hülsen  an  H.  n.  1.  IV,  725.  Smidt  an  H.  16.  2.  IV,  726.  An  Smidt,  Febr., 
I,  41.  C.  Fr.  von  Steiger  an  H.  18.  2.  I,  40.  An  den  Landvogt  v.  Steiger  18.  2. 
I,  39.  G.  A.  v.  Halem  an  H.  14.  3.  IV,  727.  Zu  Herbarts  Aufenthalt  in 
der  Schweiz  IV,  728.  Böhlendorff  an  Smidt  2.  3.  I,  42.  Steck  an  seine  Mutter 
13.  3.  I,  43.  Herbarts  Vater  an  Smidt  19.  3.  I,  44.  Steck  an  seine  Mutter 
20.  3  I,  46.  Aus  dem  Stammbuche  von  Gries  21.  3.  I,  45.  Steck  an  seine 
Mutter  28.  3.  I,  47.  An  Rist  28.  3.  I,  48.  C.  Otth  an  Steck  29.  3.  I,  49.  Steck 
an  seine  Mutter  7.  4.  I,  50.  H.  an  seine  Mutter  in  Oldenburg,  Ostern,  I,  51. 
Herbarts  Vater  an  Smidt  15.  4.  I,  52.  Johanna  Fichte  an  Smidt  17.  4.  I,  53. 
Steck  an  Fischer  29.  4.  I,  54.  Rist  an  H.  5.  5.  I,  55.  Steck  an  seine  Mutter  10.  5. 
I,    56.     An  Rist    12.   6.    I,    57.     Aus  Smidts  Reisetagebuche    14.  6.    I,    58.     Eschen 


XVI  Inhaltsverzeichnis  von  Band    16 — 19. 


an  H.   30.  6.  I,   59.     E.  v.    Berger  an   H.   20.   7.  IV,   729.     E.  v.  Berger  an  H.  Ohne 

Dat.  IV,   730.     Muhrbeck  an   II.    28.   7.  I,  60.     An  Steck  5.   8.  I,  61.     Bonus  an  H. 

28.    8.    IV,    731.     Herbarts  Mutter   an  Langreuter    9.  9.    I,    62.     Gries  an  H.    16.    9. 

IV.    732.     E.  v.  Berger  an  H.    17.  9.    IV,    733.     E.  v.   Berger  an   H.    6.    10.    I,    63. 

Steck  an  Fischer,    Oktober,    I,    64.     Böhlendorf   an    H.  u.    Fischer    22.    10.    IV,    734. 

C.  Otth  an  Steck   27.    10.    I,  65.     Fr.  Muhrbeck  an  H.   3.    11.    IV,   737.     Rist  an  H. 

6.    11.  IV,   735.     Steck  an  Fischer   14.    11.  I,  66.     Böhlendorf  an  H.,  Nov.,  IV,   736. 

Böhlendorf  an  H.  4.    12.  IV,   738.     Gräfin  Kameke  an  H.   28.   12.  IV,   739.     Böhlen- 

dorff  an  Steck  30.    12.  I,  67. 

1798:    J.  G.  Fichte  an  H.    1.   1.    I,    68.     Gries   an  Steck   8.   1.    IV,    740      An 

v.   Halem    28.    1.    I,    69.     An  Langreuter  28.    I.    I,    70.     Ludwig  Steiger  an  H.    8.   2. 

IV,   741.      Hörn  an  Smidt   15.   2.    I,   71.     Eschen  an  H.    19.   2.  IV,   742.     Manuskript 

von  Böhlendorf  IV,   743.     An  Smidt,  Ende  Februar,    I,   72      Aus  Herbarts  Tagebuch, 

März,    IV,    979.     Fischer   an   Steck    u.   Zehender    28.  3.    I,    73.     Herbarts  Mutter  an 

Smidt  3.  4.    I,    74.     Herbarts  Mutter  an  Smidt  3.   6.    I,    75.     Herbarts  Mutter  (Ohne 

Datum)   I,   76.     An  meine  Eltern   30.   6.    I,   "]J.     Fischer  an  Steck  u.   Zehender  26.   7. 

I,    78.     An  v.  Halem   26.   9.    I,    79.     An  Smidt  26    9.    I,    80.     Fr.  Muhrbeck  an  H., 

Sept.,  IV,   744.     Fr.   Muhrbeck  an  H.,  Sept.,  IV,   745       Hörn  an  Smidt  7.    10.  I,  81. 

Gries  an  Steck  26.  10.  I,  82.     Steck  an  Fischer  28.  10.  I,  83.     An  Muhrbeck  28.   10. 

I,  84.     Böhlendorff  an  Rist   10.  11.  I,  85.     Fischer  an  Steck  und  Zehender,  Nov.  od. 

Dez.,    I,    88.     An  Rist    I,    86.     Steck  an  Fischer   9.    12.    I,    87.     Steck  an  Zehender, 

Dez.,  I,   89.     Fr.  Muhrbeck  an  H.,  Dez.,  IV,  746. 

1799:  Aufsatz  v.  C.  Steiger  IV,   747.     Muhrbeck  an  H.  IV,   748.     G.  A  v.  Halem 

an  H.,  Jan.,  IV,  749.     Steck  an  Fischer   19.    1.    I,    90.     Rist  an   H.    19.    1.    IV,    750. 

An   Fichte    24.  3.    I,    91.     Hörn  an  Smidt,  31.  3.    I,    92.     Gries  an  H.   2.   6.    I,    94. 

An  Böhlendorff,    Anfang  Juni,    I,    93.     L.  Otth    an    H.    10.  6.    IV,    751.     An  Eschen 

20.   7.    I,    95.     Jenner  an  H.    27.   7.    IV,    752.     Böhlendorf  an  H.    30.   7.    IV,    753. 

Koppen    an  Smidt     15.  8.    I,    96.     Böhlendorf  an  Steck    15.   8.    I,    97.     Gries  an  H. 

23.   8.    I,    98      An  ?    4.  9.    I,    99.     Fischer  an  Smidt  4.   9.    I,    100.     An  Smidt  4.   9. 

I,    101.     An  Böhlendorff  28.   9.    I,    102.     Eschen  an  Steck    24.   10.    I,    103.     Steck  an 

Eschen    2.    11.    I.    104.     Gries   an    H.    21.   11.    I,    105.     An    Smidt    10.    12.    I,     106. 

Muhrbeck  an  H.  11.  12.  IV,  754.  Reisepaß  für  H.  IV.  755.  Fischer  an  Zehender 
12.    12.  I,   107.     Steck  an  Zehender,  Dez,  I,    108.     Eschen  an   H.  I,   109, 

1800:  An  Carl  v.  Steiger  17.  1.  I,  110.  Ziemssen  an  H.  30.  1.  I,  in. 
Ziemssen   an  H.    4.   2.    I,    112.     An  Carl  Steiger    1.  3.    I,    113.     Herbarts  Besuch  bei 

Gries  in  Göttingen  I,    114.    Eschen  an  H.   20.  3.  I,   115.     Ziemssen  an  H.   26.  3.  I,  116. 

An  Carl  Steiger  12.  4.  I,  117.  An  Segelken  15.  4.  I,  118.  An  Eschen  20.  4,  I,  119. 
Böhlendorf  an  H.  20.  4.  IV,  757.  Gries  an  Steck  9.  5.  I,  120.  Gries  an  Steck 
q.  5.  IV,  756.  Ziemssen  an  H.  3.  6.  I,  122.  Ziemssen  an  H.  9.  6.  I,  123.  Eschen 
an  H.  12.  6.  IV,  758.  Herr  v.  Steiger  u.  Carl  an  H.  16.  6.  I,  124.  Smidt  an  seine 
Schwester,  Juni,  I,  121.  Steck  an  Zehender,  Juli,  I,  125.  An  die  Gebrüder  v.  Steiger 
10.  7.  I,  126.  Ziemssen  an  H.  23.  8.  I,  128.  Th.  Ziemssen  an  H.  29.  8.  IV,  759. 
Steck  an  Zehender,  August,  I,  127.  Segelken  an  H.,  Anfang  Sept.,  I,  129.  Böhlen- 
dorf an  H.  10.  9.  IV,  760.  Fritz  Hörn  und  Ziemssen  an  H.  17.  ?  IV.  761.  An 
Segelken,  Mitte  Sept.,  I,  130.  L.  v.  Steiger  an  H.  23.  9.  I,  131.  Holz  an  H. 
7.  11.  IV,  762.  Walte  über  H.  IV,  763.  Ziemssen  an  H.  16.  10.  I,  S.  174. 
An  Carl  Steiger  10.  11.  I,  133.  J.  Rist  an  H.  14.  II.  I,  134.  An  Segelken,  um 
Weihnachten,  I,    135. 

1801:  Frau  Senator  Schmidt  an  Julie  Jahn  14.  1.  I,  136.  Smidt  an  Justizräthin 
Herbart,  Jan.,  I,  137.  Segelken  an  H.  4.  2.  I,  138.  An  Carl  Steiger  8.  2.  I,  140. 
An  v.  Halem  8.  2.  I,  139.  Böhlendorff  an  Heinrich  Noltenius  14.  2.  I,  141. 
Böhlendorff  an  Noltenius  I,  142.  Ziemssen  an  H.  16.  2.  I,  143.  An  Steck  1.  3.  I,  144. 
Aus  einem  Briefe  von  Halem  an  ?  13.  3.  I,  145.  Steck  an  Zehender  7.  4.  I,  146. 
An  Steck  19.  4.  I,  147.  An  v.  Halem,  Anfang  Mai,  I,  148.  Smidt  an  seine  Frau. 
21.  7.  I,  149.  Smidt  an  seine  Frau  23.  7.  I,  150.  Ziemssen  an  H.  30.  7.  I,  151« 
Ziemssen  an  H.  11.  8.  I,  152.  Zehender  an  H.  18.  8.  I,  153.  Ziemssen  an  H. 
Aug.,  I,  154.  Ziemssen  an  H  ,  Sept.,  I,  155.  An  Carl  v.  Steiger  8.  9.  I.  156.  Steck 
an  Zehender  10.  9.  I,  157.  Ziemssen  an  H..  Oktober,  I,  158.  Böhlendorff  an  Steck, 
Nov.,  I,  159.  An  Carl  Steiger,  Mitte  Nov.,  I,  160.  J.  Fuesli  an  H.  21.  II,  IV,  764. 
Ziemssen  an  H.,  Dez.,  I,  161.    An  Carl  v.  Steiger,  Dez.,  I,  162.    An  v.  Halem  24.  12.  I,  163. 


Inhaltsverzeichnis  von  Band   16  — 19.  XVII 

1802:  An  Carl  v.  Steiger,  Ende  Jan.,  I,  164.  Weineke  an  H.  5.  3.  I,  165. 
Zehender  an  H.  6.  3.  IV,  765.  Ziemssen  an  H.  14.  3.  IV,  766.  An  v.  Grote,  März, 
IV,  767.  An  Carl  v.  Steiger  I.  4  I,  166.  An  v.  Halem,  Ende  April,  I,  167.  An 
Carl  v  Steiger  6.  5.  I,  168.  An  Smidt  24.  5.  I,  169.  Smidt  an  H.,  Ohne  Datum, 
IV,  768.  Gries  an  H.  2.  7.  IV,  709.  Ziemssen  an  H.  19.  7.  IV,  770.  An  Gries, 
Ende  Juli,  I,  170.  Ziemssen  an  H  ,  Sept.,  IV,  771.  N.  Kulenkamp  an  H.  18.  9.  IV,  772. 
von  Grote  an  H.  27.  9.  IV,  773.  Gries  an  H.  1.  10.  IV,  774.  Bonus  an  H.  7.  10. 
IV,  775.  Immatrikulation  7.  10.  IV,  776.  An  v.  Halem  28.  10.  I,  171.  An  Frau 
Doct.  C.  Castendyk,  Mad.  Noltenius  u.  Smidt,  Herbst,  IV,  777.  Ziemssen  an  H.,  Nov., 
IV,  778.  An  Carl  v.  Sreiger  16.  II.  I,  172.  An  Smidt,  Göttingen,  Montags,  I,  173. 
Ziemssen  an  H.,  Dez.,  IV,  779.  Gries  an  H.  22.  12.  IV,  780.  Steck  an  Zehender, 
Ende   1802   I,    174. 

1803:  An  v.  Halem,  Jan.,  I,  175.  Ziemssen  an  H.  20.  1.  IV,  78c  Böhlendorf 
an  Smidt  8.  2.  IV,  782.  Böhlendorff  an  H.  Noltenius,  Febr.,  I,  176.  Ziemssen, 
April,  IV,  783.  Zehender  an  H.  11.  8.  IV,  784.  An  Steck,  Ende  Aug.,  I,  177. 
Hoene  an   H.   7.  10.  IV,   785.     Zehender  an  H.   30.    12.  IV,   786. 

1804:  An  Smidt  13.  2.  I,  178.  An  Smidt  1804?  I,  179.  An  Eltermann  u. 
Kulenkamp  18.  4.  IV,  787.  Smidt  an  seine  Frau  20.  7.  1,  180.  Smidt  an  seine 
Schwester.  20.  7.  I,  181.  Smidt  an  seine  Frau  21.  7.  I,  182.  An  Herrn  v.  Steiger, 
Ohne  Datum,    I,    183.     An  Herrn  v.  Steiger  7.  9.  I,    184.     An  Gries   21.    12.  I,   185. 

1805:  Heise  an  H.  9.  1.  I,  186.  An  Prof.  Heise  18.  I.  I,  187.  Heise  an  H. 
23.  1.  I,  188.  Freiherr  v.  Edelsheim  an  H.  1.  2.  1,  189.  Minister  Grote  an  H. 
3.  2.  I,  190.  An  v.  Edelsheim  11.  2.  I,  191.  Rahden  an  H.  I.  6  I,  192.  An 
Smidt  10.  6.  I,  193.  An  Smidt  4.  7.  I,  194.  An  Paul  Anselm  v.  Feuerbach,  Juli  od. 
Aug.,  I,  195.     F.  A.  Carus  an  H.   1.  9.  I,  19b.    J.  P.  A.  Feuerbach  an  H.  4.  9.  IV,  788. 

1806:  F.  A.  Carus  an  H.  18.  1.  IV,  790.  Graf  George  Sievers  an  H.  25.  1. 
IV,   789.     An  Smidt  2.  2.   I,    197.     F.  A.  Carus  an   H.  8.  2.  I,   198.     An  Smidt  13.  2. 

I,  199.  Casimir  Plater  an  H.  5.  3.  IV,  791.  A.  H.  Niemeyer  an  H.  6.  3.  I,  200. 
W.  G.  Tennemann  an  H.  16.  4.  I,  201.  An  F.  A.  Caius  2.  6.  I,  202.  F.  A.  Carus 
an  H.  10.  7.  I,  203.  An  Smidt,  Mitte  Juli,  I,  204.  An  F.  A.  Carus  25.  7.  I,  205. 
An  Carl  v.  Steiger  23.  8.  I,  206.  An  F.  A.  Carus  29.  8.  I,  207.  An  Carl  v.  Steiger 
8.  9.  I,  208.  An  Smidt  11.  9.  I,  209.  An  Gries  22.  9.  I,  210.  Koppen  an  H. 
30.    11.  I,   211. 

1807:    Vertrag   zwischen  Herbart  und  Danckwerts   16.   6.    I,    212.     Gries   an   H. 

21.   9.  1,   213.     An  Carl  v.  Steiger  22.  11.  I,   214.     An  Carl  v.  Steiger  7.  12.   I,  215. 

1808:   An  Smidt   17.  1.  II,   216.    Smidt  an  H.   27.  1.  IV,   792.     An  Smidt  15.  2. 

II,  217.  An  Carl  v.  Steiger  11.  4.  II,  218.  Griepenkerl  an  H.  4.  6.  II,  219.  An 
v.  Halem  11.  7.  II,  220.  An  Gries  16.  7.  II,  221.  Beilage  zu  Nr.  221  16  7.  II,  222. 
An  Smidt  8.  8.  II,  224.  Sonate  II,  223.  C.  L.  Reinhold  an  H.  I.  9.  II,  225. 
An  v.  Richthofen,  Sept.,  IV,  793.  An  Chr.  D.  Beck  10.  10.  II,  226.  C.  L.  Reinhold 
an  H.  1.  11.  II,  227.  An  C.  L.  Reinhold  Nov.,  II,  228  Griepenkerl  an  H.  14.  II. 
II,  229.  Gries  an  H.  16.  11.  II,  230.  An  Carl  v.  Steiger  21.  II.  II,  231.  Auers- 
wald  an  H.  28.  n.  IV,  794.  An  Smidt,  Dez.,  II,  232.  An  Carl  v.  Steiger  16.  12. 
II,  233.     An  v.   Halem   20.    12.   II,   234.     An  v.  Halem,  Ohne  Datum,  II,  235. 

1809:  An  Carl  v.  Steiger  10.  1.  II,  236.  Auerswald  an  H.  19.  I.  IV,  795. 
J.  D.  Gries  an  H  23.  1.  II,  237.  An  A.  Kühnel  30.  1.  IV,  796.  Unterholzner  an 
v.  Richthofen  über  H.  IV,  797.  An  Carl  v.  Steiger  10.  2.  II,  238.  Gries  an  H. 
17.  2.  IV,  798.  Griepenkerl  an  H.  25.  2.  II,  239.  Unterholzner  an  H.  2.  3.  II,  240. 
Frau  Minister  v.  Grote  an  H.  13.  4.  II,  241.  Richthofen  an  H.  30.  4.  II,  242. 
Richthofen  an  H.  5.  6.  IV,  799.  Dissen  an  H.  24.  6.  II,  243.  W.  v.  Grote  an  H. 
5.  7.  IV,  800.  C.  W.  Pape  an  H.  21.  8.  IV,  802.  Carl  v.  Steiger  an  H.  14.  9. 
II,  244.  Catharina  Castendyk  an  H.  22.  9.  IV,  803.  F.  Kohlrausch  an  H.  8.  10. 
IV,  801.  Dissen  an  H.,  Mitte  Oktober.  II,  245.  Therese  Grote  an  H.  3.  II.  II,  246. 
Wardenburg  an  H.  4.  11.  IV,  804.  Richthofen  an  H.  5.  II.  II,  247.  Unterholzner 
an  H.  6.  11.  IV,  805.  Griepenkerl  an  H.  16.  II.  II,  248.  Wardenburg  an  H. 
1.    12.  IV,   806. 

1810:  Dissen  an  H.  7.  1.  II,  250.  Dorn  an  H.  13.  1.  IV,  807.  Hasse  an  H. 
3.  2.  IV,  808.  Griepenkerl  an  H.  12.  2.  II,  251.  Richthofen  an  H.  19.  2.  II,  252. 
An    Karl   v.    Steiger    27.  2.    II,    253.     An   Ludolf   Dissen    27.   2.    II,   249.      Nicolovius 

Hbrbarts  Werke.     XVI.  II 


XVI II  Inhaltsverzeichnis  von  Band   16 — 19. 


an  H.  29.  3.  II,  254.  Graf  Sievers  an  H.  2.  4.  II,  255.  Casimir  Plater  an  H.  2.  4. 
IV,  809.  Dissen  an  H.  15.  4.  II,  256.  G.PanH.  4.  5.  IV,  810.  Griepenkerl  an  H. 
IV,  811.  H.  wird  Mitglied  der  Königl.  Deutschen  Gesellschaft  11.  7.  IV,  812. 
A.  H  L.  Heeren  an  H.  23.  7.  IV.  813.  Griepenkerl  an  H.  28.  8.  II.  257.  Griepen- 
kerl an  H.    1.    10     II,    258.     Nicolovius  an  H.    6.    10.    IV,    814.     Griepenkerl   an    H. 

19.  10.   II,   259.     Halem  an  H.    17.    II.  IV,  815.     A.   Luber  an  H.   28.    12.  IV,  816. 

1811:  Graffan  H.  4.  1.  IV,  817.  Aufgebot  H.  7.  1.  IV,  818.  Griepenkerl 
an  H.  15.  3.  II,  260.  Kohlrausch  an  H.  12.  4.  II,  261.  Richthofen  an  H.  24.  4. 
II,  262.  Anerbieten  H.  an  Richthofen,  Mai,  IV,  819.  J.  A.  Gotthold  an  H.  4.  5. 
IV,  820.  Richthofen  an  H.  12.  5.  IV,  821.  Griepenkerl  an  H.  14.  6.  II,  263. 
Witt  an  H.    15.    6.    IV,    822.     Delbrück  an  H     16.   6.    II,    264.      Richthofen    an    H. 

20.  6.  IV,  823.  An  v.  Richthofen,  Juli,  IV,  824.  Carl  Steiger  an  H.,  August, 
IV,   825.     Graff  an   H.  IV,   826. 

1812:  Richthofen  an  H.  6.  1.  II,  265.  Richthofen  an  H.  12  3.  IV,  827. 
Friedr.  Thiersch  an  H  2.  4.  II,  266.  Richthofen  an  H.,  Ohne  Datum,  II,  267. 
An  v.  Richthofen  20.  5.  IV,  828.  Richthofen  an  H.  2.  6.  IV,  829.  Karoline 
v.  Grote  an  v.  Richthofen  über  H.  IV,  830.  v.  Richthofen  an  K.  v.  Grote  über  H. 
2.  6.  IV,  831.  An  v.  Richthofen  15.  6.  IV,  832.  Richtofen  an  H.,  Juni,  IV,  833. 
Richthofen  an  H.  23.  6.  II,  268.  K.  v.  Grote  an  v.  Richthofen  IV,  834.  Carl 
v.  Steiger  an  H.  10.  7.  IV,  835.  Toelken  an  H.  20.  7.  IV,  836.  An  L.  Dissen 
29.  7.  II,  269.  An  Carl  v.  Steiger  29.  7.  II,  270.  Tölken  an  H.  9.  9.  II,  271. 
Clemens  an  H.  9.    11.  IV,   837.     Richthofen  an  H.   28.    12.  IV,  838. 

1813:  A.  Luber  an  H.  19.  3.  IV,  840.  Frau  Herbart  an  H.  IV,  839. 
Richthofen  an  H.  5.  4.  IV,  841.  Richthofen  an  H.  15.  8.  IV,  842.  Richthofen 
an  H.   3.    12.  IV,  843.     A.   H.   Niemeyer  an  H.    11.    12.  IV,  844. 

1814:  F.  Rahden  an  H.  2.  7.  IV,  845.  Richthofen  an  H.  17.  7.  IV,  846. 
George  Sievers  an  H.   2    8.  IV,  847.     Grote  an  H.   21.    10.  IV,  848. 

1815:  Griepenkerl  an  H.  3.  1.  IV,  849.  Richthofen  an  H.  26.  2.  IV,  850. 
George  Sievers  an  H.  8/20.  4.  II,  272.  Dissen  an  H.  26.  8.  II,  273.  Remer  an  H. 
11.    11.  IV,   851. 

1816:  Süvern  an  H.  12.  3.  IV,  852.  Schläger  an  H.  9.  6.  IV,  854.  George 
Sievers  an  H.  13.  6.  IV,  853.  Richthofen  an  H.  17.  6.  IV,  855.  Süvern  an  H. 
7.  7.  IV,  856.  Reichhelm  an  H.  13.  7.  IV,  857.  Nicolovius  an  H.  24.  9.  II.  274. 
Reichhelm  an  H.   21.    11.  IV,   858. 

1817:  Nicolovius  an  H.  5  I.  II,  275.  Reichhelm  an  H.  16.  1.  IV,  859. 
George  Sievers  an  H.  24.  1.  IV,  860.  C.  Steiger  an  H.,  März,  IV,  861.  Fr.  Thiersch 
an  H.  12.  4.  IV,  862.  Sievers  an  H.  25.  \.  IV.  863.  An  Thiersch  15.  7.  IV,  864. 
An  Carl  v.  Steiger   15.   7.   II,   276. 

1818:  Richthofen  an  II  25.  3  IV,  965.  Bürgerbrief  23  6.  IV,  866.  An 
Brockhaus  13.  7.  II,   277.     An  Krug  26.  8.  II,  278.     Richthofen  an  H.  28.  11.  IV,  867. 

1819:  Brockhaus  an  H.  5.  4.  II,  279.  Richthofen  an  H.  25.  4.  IV,  868. 
Brockhaus  an  H  10.  5.  II,  280.  Richthofen  an  H.  q.  7.  IV,  869.  Brockhaus  an  H. 
14.  7.  II,  281.  Krause  an  H.  18.  8.  II,  282.  An  Oberlehrer  Heydenreich  25.  8. 
II,  283.  An  Brockhaus  7.  10.  II,  284.  Brockhaus  an  H.  25.  10.  II,  285.  An 
Brockhaus  4.  II.  II,  286.  Richthofen  an  H.  20.  12.  IV,  870.  Brockhaus  an  H. 
24.    12.  II,   287. 

1820:  An  Brockhaus  6.  I.  II,  288.  Griepenkerl  an  H.,  Ohne  Datum  II,  289. 
Patent  H.  17.  3.  IV,  871.  G.  Bielenstein  an  H.  16.  7.  IV,  872.  Vertrag  H.  mit 
der  Societaet  der  Unternehmer...  21.  7.  IV,  873.  Reichhelm  an  H.  1.  10.  IV,  874. 
Richthofen  an  H.   28.    12.  IV,   875. 

1821:  Brockhaus  an  H.  6.  2.  II,  290.  Richthofen  an  H.  24.  6.  IV,  876. 
Minister  v.  Altenstein  an  H.  und  Bessel  22.  7.  II,  291.  Richthofen  an  H.  26.  12. 
IV,    877. 

1823:  Richthofen  an  H.  IV,  878.  Hesse  an  H.  19.  8.  II,  292.  Richthofen 
an   H.    21.    12.   II,   293. 

1824:  J.  Osten  an  H.  1.  4.  IV,  879.  Studenroth  an  H.  13.  5.  II,  294.  Fr. 
Ed.  Beneke  an  H.  22.  5.  II,  295.  Richthofen  an  H.  19.  6.  IV,  881.  Füessli  an  H. 
18.  11.   II,    296. 

1825:  An  Eichstädt  3.  2.  II,  297.  Süvern  an  H.  3.  2.  IV,  882.  Boehlendorf 
an  H.    2.   4.    IV.    880.     An  Eichstädt    14.  4.    II,    298.     G.  E.  Schulze    an    H.    I.   6. 


Inhaltsverzeichnis  von  Band   16 — 19.  XIX 

IV,  883.  Reichhelm  an  H.  11.  7.  II,  299.  L.  Sachs  an  H.  10.  10.  II,  300. 
Griepenkerl  an  H.    1.    11.  II,  301.     Richthofen  an  H.   23.    12.  IV,  884. 

1826:  An  den  Vorstand  der  Schuldeputation  zu  Königsberg  31.  1.  II,  302. 
Dissen  an  H.  30.  4.  II,  303.  Richthofen  an  H.  24.  6.  IV,  885.  Richthofen  an  H. 
2.  8.  II,  304.  An  v.  Richthofen  9.  9.  IV,  886.  Wrangel  an  H.  25.  10.  IV,  887. 
Richthofen  an  H.    17.   12.  II,  305.     Konflikt  mit  K.  Lehrs  IV,  888. 

1827:  F.  Nasse  an  H.  18.  3.  IV,  889.  An  v.  Richthofen  30.  3.  IV,  890. 
Griepenkerl  an  H.  20.  4.  II,  306.  An  v.  Richthofen  29.  4  IV,  891.  Frau  v.  Wrangel 
an  Frau  Herbart  4.   5.  IV,  892.     Richthofen  an  H.   9.  6.  II,  307.    An  v.  Richthofen 

9.  7.  IV,  893.  F.  Rahden  an  H.  21.  8.  IV,  894.  Beilage  zu  Nr.  894  IV,  894b. 
An  v.  Richthofen  9.  9.  IV,  895.  An  Professor  Griepenkerl  24.  9.  II,  308.  Brandis 
an  H.  2b.  9.  II,  309.  Richthofen  an  H.  4.  10.  II,  310.  Griepenkerl  an  H.  19.  10. 
II,  311.  Richthofen  an  H.  6.  11.  IV,  896.  An  Drobisch  22.  11.  II,  312.  Drobisch 
an  H.   23.    12.  II,   313.     I.  G.  Ungewitter  an  H.  II,   314. 

1828:  An  Drobisch  6.  2.  II,  315.  Drobisch  an  H.  13.  2.  II,  316.  Griepenkerl 
an  H.  20.  2.  II,  317.  Jäsche  an  H.  3  5.  II,  318.  An  Drobisch  24.  7.  II,  319. 
Studenroth  an  H.  5.  8.  II,  320.  Drobisch  an  H.  9.  9.  II,  321.  An  Drobisch  20.  9. 
II,  322.  v.  Wrangel  an  H.  5.  11.  IV,  897.  Jäsche  an  H.  22.  11.  II,  323.  An 
Drobisch  26.  11.  II,  324.  Eichstädt  an  H.  8.  12.  IV,  898.  Wrangel  an  H.  8.  12. 
IV,  899.  Richthofen  an  H.  11.  12.  IV,  900.  An  v.  Richthofen  19.  12.  IV,  901. 
An  die  Redaktion  der  Hallischen  Literaturzeitung  21.    12.  II,  325. 

1829:  Gruber  an  H.  17.  1.  IV,  902.  Richthofen  an  H.  21.  1.  II,  326.  Brandis 
an  H.  12.  2.  II,  327.  An  Brandis  27.  2.  II,  328.  Richthofen  an  H.  9.  3.  II,  329. 
Graf  Buquoy  an  H.  12.  3.  IV,  903.  Taute  an  H.  31.  3.  IV,  904.  An  Drobisch  8.  4. 
II,  330.  Drobisch  an  H.  10.  4.  II,  331.  Süvern  an  H.  11.  4.  IV,  905.  Kamptz 
an  H.  IV,  906.  An  Drobisch  18.  4.  II,  332.  Drobisch  an  H.  20.  4.  II,  333. 
Richthofen    an    H.    28.  4.    IV,    907.     Brandis    an    H.    2.   5.    II,    334.     Jäsche    an    H. 

10.  5.  II,  335.  Richthofen  an  H.  20.  6.  IV,  908.  An  Brandis  1.  7.  II,  336.  An 
v.  Richthofen  9.  7.  IV,  909  Brandis  an  H.  17.  7.  II,  337.  Bräuer  an  H.  2.  8. 
IV,  910.  Patent  H.  9.  8.  IV,  911.  Bobrik  an  H.  26.  9.  IV,  912.  I.  D.  Gries 
an  H.  6.  10.  II,  338.  Bobrik  an  H.  31.  10.  II,  339.  Bobrik  an  H.  17.  11.  IV,  913. 
E.  Erdmann  an   H.   24.    11.  IV,  914.     An  Brandis  26.    II.  II,  340.     An   Gries  2.    12. 

11.  341.  An  Eichstädt  12.  12.  II,  342.  F.  Osten  an  H.  17.  12.  IV,  915.  Richt- 
hofen an  H.   22.    12.   IV,  916. 

1830:  An  Drobisch  17.  1.  II,  343.  Drobisch  an  H.  24.  1.  II,  344.  An 
Drobisch  31.  I.  II,  345.  An  v.  Richthofen  31.  1.  IV,  917.  Hüümann  an  H.  6.  2. 
IV,  919.    An  Eichstädt  7.  2.  II,  346.     Eichstädt  an  H.    17.  2.  IV,  920.    An  Drobisch 

I.  3.  II,  347.  Drobisch  an  H.  2.  3.  IV,  921.  An  Drobisch  9.  3.  IT,  348.  Jäsche 
an  H.   20.   3.    IV,    922.      C.  H.   Froelich  an   H.    2*2.  3.    IV,    923.     An  Dissen     15.   5. 

II,  349.  An  Drobisch  15.  5.  II,  350.  An  Brandis  7.  6.  II,  351.  An  Drobisch  8.  6. 
II,  352.  An  ?  8,  6.  IV,  924.  An  Brandis  30.  8.  II,  353.  An  Eichstädt  30.  8. 
II,  354.  An  Drobisch  30.  8.  II,  355.  I.  L.  Ideler  an  H.  3.  9.  IV,  925.  An 
Drobisch  6.  10.  II,  356.  Schwatlo  an  H.  10.  10.  IV,  918.  Hendewerk  an  H. 
13.  10.  IV,  926.  An  Brandis  17.  10.  II,  357.  An  Hendewerk  20.  10.  II,  358. 
Hendewerk  an  H.  6.  11.  IV,  927.  An  Drobisch  14.  11.  II,  359.  An  Schubert.  Ohne 
Datum,  II,  360.     An  Schubert  II,  361.     An  Schubert  II,  362.     An  Schubert  II,   363. 

1831:  Gerlach  an  H.  7.  1.  IV,  928.  Drobisch  an  H.  II.  2.  II,  364.  Hende- 
werk an  H.  13.  2.  IV,  929.  An  Drobisch  20.  2.  II,  365.  An  Brandis  10.  3.  II,  366. 
Jäsche  an  H.  29.  3.  II,  367.  Richthofen  an  H.  21.  6.  IV,  930.  Drobisch  an  H. 
17-  6.  II,  368.  Herbarts  Teilnahme  an  der  1.  ostpreußischen  Direktoren  -  Konferenz 
30.  Juni  bis  2.  Juli  II,  369.  An  Drobisch  15.  7.  II,  370.  An  Drobisch  16.  7. 
II,  371.  Drobisch  an  H.  29  7.  II,  372.  Hendewerk  an  H.  7.  8.  IV,  931.  Jäsche 
an  H.  10/22.  8.  II,  373.  Behnisch  an  H.  20.  8.  IV,  932.  An  Drobisch  26.  8. 
II,  374.  An  Brandis  29.  8.  II,  375.  Gerlach  an  H.  7.  10.  IV,  033.  An  Naße 
24.  10.  II,  376.  Reichhelm  an  H.  16.  II.  II,  377.  An  Brandis  21.  11.  II,  378. 
Brandis  an  H.  II,  379.  An  Brandis  25.  11.  II,  380  An  Brandis  28.  II.  II,  381. 
Drobisch  an  H.  30.  11.  II,  382.  An  Drobisch  8.  12.  II.  383.  I.  G.  Gruber  an  H., 
Dez.,  II,  384.     Drobisch  an  H.  27.  12.  II,   385.     Brandis  an  H.,  Ohne  Datum,  II,  386. 

1832:  Jäsche  an  H.  6.  1.  II.  387.  An  Brandis  15.  1.  II,  388.  An  Brandis, 
Jan.,    II,    389.     Hendewerk  an  H.    16.    1.    IV,    934.     An  Griepenkerl   27.    1.    II.    390. 

11* 


XX  Inhaltsverzeichnis  von   Band    16 — 19. 

An  Brockhaus  6.  2.  II.  391.  An  Brandis  7.  2.  II,  392.  An  Brandis  13.  2.  II,  393. 
Ad  Griepenkerl  27.  3.  II,  394.  An  Griepenkerl  18.  5.  II,  395.  An  Griepenkerl  4.  6. 
II,    396.      An   Drobisch    18.   6.    II,    397.     An  Drobisch   28.   6.    II,    398.      An   Drobisch 

14.  7.  II,  399.  Reichhelm  an  H.  18.  7.  IV,  935.  Bobrik  an  H.  28.  7.  II,  400. 
Grolp  an   H.    16.  8.    II,   401.     v.  Sanden  an  H.   28.  8.  IV,  936.     Jäsche  an  H.   30.   8. 

II,  402.  An  Brandis  3.  II.  IV,  937.  Bobrik  an  H.  13.  11.  II,  403.  Hendewerk 
an    H.   2.    12.   IV,    938.     An  Drobisch   20.    12.   II,    404.     An  Brandis   20.    12.  II,   405. 

1833:  Dissen  an  H.  11.  1.  III,  406.  Jäsche  an  H.  18.  1.  IV,  939.  Ordens- 
verleihung   24.    1.    IV,    940.     Dissen    an    H.    29.    1.    III,    407.     Bobrik   an    H.    30.    1. 

III,  408.  An  Dissen  7.  2.  III,  409.  An  Griepenkerl  1.  3.  III,  410.  Hendewerk 
an  H.  2.  3.  IV,  941.  Dissen  an  H.  4.  3.  III,  411.  An  Dissen  15.  3.  III,  412. 
An  Dissen  17.  3.  III,  413.  An  Prof.  Sachs  26.  3.  III,  414.  Reichhelm  an  H.  2b  3. 
III,  415.     An  Dissen  2.  4.  III,    416.     An  Griepenkerl   2.  4.  III,    417.     Dissen  an   H. 

II.  4.  III,  418.  An  Dissen  16.  4.  III,  419  An  Dissen  22.  4.  III,  420.  Hoppen- 
stedt   an  H.    28.  4.    IV,    942.     Dissen   an  H     29.   4.    III,    421.      Voigt    an   H.    4.   5. 

III,  422.  Beilage  zu  Brief  424.  7.  5.  An  Griepenkerl  8.  5.  III,  423.  An  Drobisch 
10.  5.  III,  424  Grolp  an  H.  20.  5.  III,  425.  An  Strümpell  2J .  5.  III,  426. 
Hoppenstedt  an  H.  5.  6.  III,  427.  Drobisch  an  H.  9.  6.  III,  428.  Brandis  an  H. 
17.  6.  III,  429.  Richthofen  an  H.  18.  6.  IV,  943.  An  Dissen  4.  7.  III,  430. 
Gerlach  an  H.  4.   7,  IV,    944.     Dissen  an  H.    16.   7.    III,    431.      Wendt  an  H.   28.   7. 

III,  432.  Ernennung  zum  Hofrat  1.  8.  IV,  945.  Hugo  an  H.  3.  8.  III,  433. 
Stammbuchblatt  III,  434.  Hoppenstedt  an  H.  19.  8.  IV,  946.  Abschiedsgabe  an 
Frau  H.  25.  8.  IV,  948.  2  Briefe  an  Griepenkerl  6.  9.  IV,  947.  Über  Otto  Stiemer 
13.  9.    IV,    949.     Hendewerk   an    H.    29.  9.    IV,    950.      Hoppenstedt   an    H.    11.    10. 

IV,  951.  An  Griepenkerl  14.  10  III,  435.  W.  v.  Grote  an  H.  17.  10.  III,  436. 
An  Drobisch  3.  11.  III,  437.  Hoppenstedt  an  H.  12.  11.  III,  438.  Drobisch  an  H. 
24.  11.  III,  439.  An  Drobisch  28.  ii.  III,  440.  Nieuwenhius  an  H.  1.  12.  III,  441. 
An  Griepenkerl  5.  12.  III,  442.  Dissen  an  H.  7.  12.  IV,  952.  Taute  an  H.  11.  12. 
lvi  953  An  Ürobisch  12.  12.  III,  443.  An  Prof.  Schubert  15.  12.  III,  444. 
Drobisch  an  H.  19.  12.  III,  445.  Richthofen  an  H.  23.  12.  III,  446.  Strümpell 
an  H.   20     12.  IV,  954. 

1834:  Schubert  an  H.  10.  1.  IV,  955.  Richthofen  an  H.  16.  1.  IV,  956. 
Ungewitter  an  H.  21.  1.  IV,  957.  An  Griepenkerl  9.  2.  III,  447.  An  Griepenkerl 
21.  2.  III,  448.  An  Drobisch  23.  2.  III,  449.  Drobisch  an  H.  28.  2.  III,  450. 
Taute  an   H.    5.  3.    IV,    958.     An  Drobisch    9.   3.    III,    451.     Drobisch  an  H.    19.   3. 

III,  452.  Marotzky  an  H.  31.  3.  III,  453.  Dissen  an  Welcker  4.  4.  III,  454. 
Gregor  an  H.  4.   5.  III,  456.      Drobisch  an  H.  4.   5.  III,  455.     Schubert  an  H.  4.   5. 

IV,  959.     An  Drobisch  9.  5.  III,  457.     Drobisch  an  H.  14.  5.  III,  458.     An  Strümpell 

15.  5    III,  459.     Drobisch  an  H.    17.  5.  III,  460.     An  Droöisch   19.  5.  III,  461.     An 
Drobisch  23.   5.  III,  462.     Drobisch  an  H.   28.  5.  III,  463.     Briefentwurf  an  Drobisch 
1.   6     III,    464.     An    Drobisch    2.   6.    III,    465.     An   Strümpell    9.  6.    III,    466.     An 
Griepenkerl   10.  6.    III,    467.     An  Strümpell   16.  6.    III,    468.     Drobisch  an  H.   20    6. 
III,  469.     An  Griepenkerl  20.  6.  III,  470.     An  Drobisch  29.  6.  III,  471.     Strümpell 
an  H.    1.   7.    IV,    960.     An  Strümpell  3.   7.    III,    472.     An  Strümpell  7.   7.    III,    473 
An  Drobisch   7.   7.  III,    474.     An  Strümpell   13.   7.  III,    475.     Drobisch  an  H.    14.   7 
ni,    476.     Keber   an  H.    26.   7.    IV,    961.     An  Drobisch   III,  477.     Drobisch   an   H 
31.    7.    III,    478.     An    Drobisch    10.    8.    III,    479.      An    Schubert    10.    8.    III,    480 
Strümpell  an  H.    14.   8.    IV,    962.     Dissen    an    H.    IV,    963.     Drobisch   an    H.    18.  8 

III,  481.  An  Drobisch  24.  8.  III,  482.  Drobisch  an  H.  26.  8.  III,  483.  Strümpell 
an  H.    10.  9.    IV,    964.     Drobisch  an  H.    II.  9.    III,    484.     Hendewerk  an  H.    14.  9. 

IV,  965.  An  Drobisch  22.  9.  III,  485.  An  Strümpell,  Ohne  Dat.,  III,  486.  Bobrik 
an  H.  5.  10.  III,  487.  Schubert  an  H.  15.  10.  III,  488.  Drobisch  an  H.,  Ohne  Dat., 
III,  489.  An  Drobisch  22.  10.  III,  490.  Hendewerk  an  H.  29.  10.  IV,  966. 
Verlagsvertrag  zwischen  Herbart  u.  Dieterich  30.  10.  III,  491.  An  Griepenkerl  31.  10. 
III,  492.  Drobisch  an  H.  6.  11.  III,  493.  An  Strümpell  7.  11.  III,  494.  An 
Drobisch  30.  11.  III,  495.  Drobisch  an  H.  3.  12.  III,  496.  An  Drobisch  7.  12. 
III,  497.  Drobisch  an  H.  13.  12.  III,  498.  Grolp  an  H.  21.  12.  III,  499.  Richt- 
hofen an  H.   24.    12.   III,  500. 

1835:  An  Drobisch  7.  1.  III,  501.  Drobisch  an  H.  10.  1.  III,  502.  An 
Drobisch,    Ohne  Dat.,    III,    503.     Carl  Reichhelm  an  H.    30.    1.    IV,    967.     An  Taute 


Inhaltsverzeichnis  von  Band   16  —  19.  XXI 


IV,  968  An  Hendewerk  31  1.  III,  504.  Taute  an  H.  1.  2.  IV,  969.  Drobisch 
an  H  1.2.  III,  505.  An  K.  Reichhelm  8.  2.  III,  506.  Hendewerk  an  H.  9.  2. 
III,  507.  An  Dtobisch  9.  2.  III,  508.  Drobisch  an  H.,  Ohne  Dat.,  III,  509. 
Hoppenstedt  an  H.  15  2.  III,  510.  An  Griepenkerl  20.  2.  III,  511.  An  Griepenkerl, 
Ohne  Datum,  III.  512.  An  Griepenkeil,  Ohne  Datum,  III,  513.  Hartenstein  an  H. 
16  3.  III.  514.  Drobisch  an  H.  5.  4.  III,  515.  Gauß  an  H.  8.  4.  III,  516.  An 
Drobisch,  Postst.  10.  4.,  III,  517.  Thomas  an  H.  14  4.  IV,  970.  An  Drobisch  16.  4. 
III.  518.  Drobisch  an  H  24.  4.  III,  519.  Langwerth  an  H.  28.  4.  III,  520. 
Hartenstein  an  H.  6.  5.  III,  521.  Romang  an  H.  20.  5.  III,  522.  An  Drobisch 
III,  523  Hartenstein  an  H.  9.  6.  III,  524.  Richthofen  an  H.  23.  6.  III,  525.  An 
Drobisch,  Ohne  Dat.,  III,  526.  An  Strümpell  10.  7.  III,  527.  Drobisch  an  H.  12.  7. 
III,  528.  An  Drobisch,  Ohne  Dat.,  III,  529.  An  Strümpell  13.  8.  III,  530. 
Drobisch  an  H.  14  8.  III,  531.  An  Taute  20.  8.  IV,  971.  An  Drobisch  26.  8. 
III,  532.  Dissen  an  H  III,  533.  Drobisch  an  H.  9.  9.  III,  534.  An  Drobisch, 
Ohne  Dat.,  III,  S35  Drobisch  an  H.  29.  9.  III,  536.  An  Strümpell,  Ohne  Dat., 
III,  537.  An  Diobisch  9.  11.  III,  538.  Drobisch  an  H.  20.  11.  III,  539.  Harten- 
stein an   H.   6.    12.   III,   540. 

1836:  Lobeck  an  H.  12  1.  III,  541.  Hartenstein  an  H.  17.  1.  III,  542. 
Dissen  an  H.  III,  543.  Geheimrat  Dieterici  an  Freiherrn  v.  Richthofen  2.  2.  III,  544. 
An  Drobisch  7.  2  III,  545.  Drobisch  an  H.  20.  2.  III,  546.  An  Taute  21.  2. 
III.  588.  An  Taute  22.  2.  III,  589.  An  Drobisch  26.  2.  III,  547.  An  Taute  26.  6. 
III,  5mo.  Dissen  an  H.,  Febr.,  IV.  972.  Drobisch  an  H.  2.  3.  III,  548.  Herbart 
an  H.  3  3.  IV,  9-3  Hartenstein  an  H.  3.  3  III,  549.  An  Drobisch  8.  3.  III,  550. 
Hartenstein  an  H  4.  4.  III,  551.  Drobisch  an  H.  5.  4.  III,  552.  Verlagsvertrag 
zwischen  Herhart  u  Dieterich  15.  4.  III,  553.  Dissen  an  H.  III,  554.  Ungewitter 
an  H.  25.  4.  IV,  974  Schubert  an  H.  27.  4.  IV,  975.  Gregor  an  H  4.  5.  IV,  976. 
An  Dissen,  Ohne  Dat.,   III,   555       Drobisch  an  H     20.  5     III,   556.      Hartenstein   an  H. 

27.  5.  III,  557  Sieffert  an  H.  1.  6.  III,  558.  An  Drobisch  III,  559.  Fries 
an  Drobisch  14  6.  III,  560.  Drobisch  an  H.  15.  6.  III.  561.  An  Drobisch  17.  6. 
III,  562.  Richttofen  an  H.  24.  6.  IV,  977.  An  Fr.  D.  Sanio  26.  6.  III,  563. 
Hartenstein  an  H  3.  7.  III,  564.  An  Drobisch,  Ohne  Dat.,  III,  565.  Drobisch  an  H. 
17.  7.  III,  566.  An  Drobisch,  Ohne  Dat.,  III,  567.  An  Prof  Schubert  29.  7- 
III.  568.  An  Taute  29.  7.  III,  591.  An  Drobisch,  Postst.  6.  8.,  III,  569.  Lang- 
werth an  H.  II.  8.  III,  570.  Drobisch  an  H.  12.  8.  III,  571.  An  Drobisch,  Ohne 
Dat  ,  III.  572.  Bobnk  an  H.  31.  8.  III,  573.  Drobisch  an  H.  31.  8.  III,  574. 
An  Drobisch.  Ohne  Dat.,  III,  575.  An  Drobisch,  Ohne  Dat.,  III,  576.  Drobisch 
an  H  15.  9.  III,  577.  Brzoska  an  H.,  Ohne  Dat.,  III,  578.  Drobisch  an  H.  19.  9. 
III.  579.  Drobisch  an  H.  28.  9.  III,  580.  An  Drobisch,  Ohne  Dat.,  HI,  581. 
Hartenstein  an    H.    10.  10.  III,   582.     Drobisch  an  H.   27.  II.  III.   583.     Dissen  an  H. 

28.  11.  III,  584.  Schubert  an  H.  n.  12.  III,  585.  Gregor  an  H.  18.  12.  III,  586. 
An   Drobisch   27     12.  III,   587. 

1837:  Drobisch  an  H.  25.  1.  III,  592.  Dissen  an  H.,  Ohne  Dat.,  111.  593. 
An  Drobisch,  Ohne  Dat.,  III,  594.  Dtobisch  an  H.  13.  2.  III,  595,  Hartenstein 
an  H.  18  2.  III,  596.  H.  G.  Waitz  an  H.  28.  3.  III.  597.  Drobisch  an  H.  10.  4. 
III,  598.  Hattenstetn  an  H.  25.  4.  III.  599.  An  Herbart  4.  5.  III,  600.  Drobisch 
an  H.  30.  5.  III,  601.  An  Drobisch  1.  6.  III,  602.  Drobisch  an  H.  8.  6.  III,  603. 
Hartenstein  an  H.  II,  6.  III.  604.  An  Drobisch  18.  6.  III,  605.  Brzoska  an  H, 
Ohne  Dat.,  III,  006  Brzoska  an  H.  i.  8.  III.  607.  Hattenstein  an  H.  17.  8. 
III,  608.  An  Drobisch  18.  8.  III,  609.  Drobisch  an  H.  23.  8.  III,  610.  An 
Drobisch,  Ohne  Dat.,  III,  611.  Brzoska  an  H.  I.  9.  III,  612.  Auerswald  an  H. 
4.  9.  III,  613.  Brzoska  an  H.  22  9.  III,  614.  An  K.  H.  Gr.  v.  Meusebach  25.  9. 
III,  615  Bonitz  an  H  27.  9.  III,  616.  Drobisch  an  H.  2.  10.  III,  617.  Wunderlich 
an  H.  18.  10.  III,  618  Voigdt  an  H.  17.  II.  111,  619.  Allihn  an  H.  20.  II. 
III,  620  Drobisch  an  H.  22.  12.  111,  621.  Hartenstein  an  H.  22.  12.  111,  622. 
An  Drobisch  23.  12.  111,  623.  An  Drobisch  26.  12.  III,  624.  Drobisch  an  H. 
28.    12    III,   625. 

1838:  Hartenstein  an  H.  17.  I.  III,  626  Bobrik  an  H.  31.  I.  III,  027. 
Schubeit  an  H.  12.  2.  III,  628.  An  Drobisch  ib.  3.  111,  629.  Drobisch  an  H.  22.  3. 
III,  630.  Jäsche  an  O.  v.  Mirbach  6.  4.  III,  631.  K.  D.  Hüllmann  an  H.  9.  4. 
III,  632.      Gregor  an  H.   9.   6.  111,  633.     An  Dr.  Reiche  8.   6.  IV,  978.     Richthofen 


XXII  Inhaltsverzeichnis  von  Band    16 — 19. 

an  H.    13.   6.    III,    634.     Reiche   an  H.    13.   6.    III,    635.     W.  Herbart   an  H.    19.  7. 

III,  636.  Drobisch  an  H  11.  10.  III,  637.  An  Drobisch  31.  10.  III,  638.  Drobisch 
an  H.    19.    11.  III,  639.     An  Schubert   24.    12.  III,  640. 

1839:  W.  Herbart  an  H.  16.  2.  IV,  641.  F.  Ranke  an  H.  17.  3.  IV,  642. 
W.  Herbart  an  H.  23  3.  IV,  643.  An  Drobisch  7.  4.  IV,  644.  An  Taute  8.  4.  IV,  645. 
Hartenstein  an  H.  13.  4  IV,  646.  Drobisch  an  H.  20.  4.  IV,  647.  An  Drobisch, 
Ohne  Dat.,  IV,  648.  An  Drobisch  26.  4.  IV,  649.  Gregor  an  H.  4.  5.  IV,  650. 
Verfügung  an  H.  15.  7.  IV,  651.  Kahle  an  H.  16.  7.  IV,  652.  Ungewitter  an  H. 
12.  8.  IV,  653.  Thomas  an  H.  29.  8.  IV,  654.  Drobisch  an  H.  14.  9.  IV,  655. 
Sachs  an  H.    15.  9.  IV,  656.     An   Drobisch  6.    10.  IV,  657.     Drobisch  an  H.    15.  10. 

IV,  658.  An  Drobisch  20.  10.  IV,  659.  An  Griepenkerl  20.  10.  IV,  660.  Drobisch 
an  H.  23.  10.  IV,  661.  Richthofen  an  H  25.  10.  IV,  663.  An  Drobisch  28.  10. 
IV,  662.     Teilkampf  an  H.   30.    11.     IV,  664.     An  Taute   1.    12.  IV,  665. 

1840:  An  Taute  3.  2.  IV.  666.  Brief  Kahles  an  H.  10.  2.  IV,  667.  An 
Taute  8.  3.  IV,  668.  An  Taute  20.  4.  IV,  669.  Dieterici  an  H.  24.  4.  IV,  670. 
An  Taute  28.  4.  IV,  671.  Drobisch  an  H.  12.  9.  IV,  672.  H.  Bobrik  an  H.  16.  9. 
IV,  673  Schubert  an  H.  16.  9.  IV,  674.  Bobrik  an  H.  19.  9.  IV,  675.  Vertrag 
zwischen  H.  u.  Dieterich  20.  10.  IV,  676.  Reiche  an  H.  20.  11.  IV,  677.  An  Taute 
27.  11.  IV,  678.  An  Taute  29.  11.  IV,  679.  An  Schubert  29.  11.  IV,  680.  An 
Smidt  29.  11.  IV,  681.  An  Drobisch  29.  11.  IV,  682.  Hartenstein  an  H.  7.  12. 
IV,   683.     An  Griepenkerl   16.   12.  IV,  684. 

1841:  An  Schwetscbke  u.  Sohn  10.  I.  IV,  685.  W.  Herbart  an  H.  21.  I. 
IV,  686.  An  Taute  31.  1.  IV,  687.  Schubert  an  H.  8.  2.  IV,  688.  Schulmann 
an  H.  9,  4.  IV,  689.  An  Drobisch  7.  5.  IV,  690.  Drobisch  an  H.  IV,  691. 
Hartenstein  an  H.  23.  5.  IV,  692.  L.  Rembold  an  H,  26.  7.  IV,  693.  Braunschweig 
an  H.,  Juli,  IV,  694.  Herbarts  Tod  IV,  695.  Auszug  aus  dem  Sterbe-  und  Begräbnis- 
buch IV,  696.     Grabinschrift   IV,    697.     Herbarts  Testament  IV,  698. 

1842:    Rist  an  Smidt  24.  4.  IV,   699.    Herbarts  Frau  an  Smidt  18.  8.  IV,   700.*) 


*)  Um  das  Inhaltsverzeichnis  nicht  zu  sehr  anschwellen  zu  lassen,  wurden  die 
unnummerierten  kleinen  Mitteilungen,  die  Verweise  auf  Herbarts  Werke  u.  a.  nicht 
mit  aufgeführt. 


Verzeichnis  der  Briefe  Herbarts, 

nach  den  Empfängern  geordnet. 

Die  römische  Ziffer  bezeichnet  den  Band  der  Briefe,  die  arabische  die  Nummer. 
(Band  I— IV  der  Briefbände  =  Band  XVI— XIX  der  sämtlichen  Werke.) 


Briefe  Herbarts  an 


Chr.  D.  Beck   10.   10.   1808  II,  226. 
Böhlendorff,  Anfang  Juni   1799  I,  93. 

„  28.  9.    1799  I,    102. 

Brandis   27.   2.    1829  II,  328. 
1.   7.    1829  II,  336. 

„        26.    11.    1829  II,  340. 

„       7.  6.   1830  II,  351. 

„       30.  8.   1830  II,  353. 

„       17.   10.   1830  II,  357. 

.,       10.  3.   1831  II,  366. 

„       29.  8.   1831   II,  375- 

.,       21.   11.   1831  II.  378. 

,.       25.   11.   1831  II,  380. 

.,       28.   11.   1831  II,  381. 

;,    i5. 1. 1832 11, 388. 

„       Jan.    1832  II,  389. 
„        7.   2.    1832  II,  392. 
„        13.   2.    1832  II,  393. 
„        3.    11.    1832  IV,  937. 
„        20.    12.    1832   II,  405. 
Brockhaus   13.  7.   18 18  II,  277. 
„  7.   10.   1819  II,  284. 

„  4.   11.   18 19  II,  286. 

„  6.   1.   1820  II,  288. 

,,  6.  2.   1832  II    391. 

Frau  C.  Castendyk,  Mad.  Noltenius  u.  Smidt, 

Herbst  1802  IV,  777. 
F.  A.  Carus  2.   6.    1806  I,   202. 
25.   7.   1806  I,  205. 
29.  8.   1806  I,  207. 
Dissen  27.   2.   18 10  II,  249. 
,  29.   7.   1812  II,  269. 

15.  5.   1830  II,  349. 
7.  2.    183  5   III,  409. 

15.  3.   1833  III,  412. 

17-  3-   ^33  HI,  413- 
2.  4.   1833  III,  416. 

16.  4.   1833  III,  419. 
22.  4.   1833  III,  420. 
4.  7.   1833  IJIi  43°- 
Ohne  Dat.    1836  III,  555. 

Drobisch  22.    11.    1827   II,  312. 


Ludolf 


Drobisch  6.   2.   1828  II,  315. 
24.   7.    1828  II,  319. 
„  20.  9.   1828  II,  322. 

„  26.   11.    1828  II,  324. 

8.  4.   1829  II,  330. 
18.  4.   1829  II,  332. 

17.  1.  1830  II,  343. 
31.  1.  1830  II,  345. 
1.  3.  1830  II,  347. 

9.  3.  1830  II,  348. 
15.  5.  1830  II,  350. 
8.  6.  1830  II,  352. 

„    30  8.  1830  II,  355. 
6  10  1830  II,  356. 
„    14.  11.  1830  II,  359. 
,,    20.  2.  1831  II,  365. 

15.  7.  1831  II,  370. 

16.  7.  1831  II,  371. 
26.  8.  1831  II,  374. 

8.  12.  1831  II,  383. 

18.  6.  1832  II,  397. 
,,    28.  6.  1832  II,  398. 

14.  7.  1832  II,  399. 
,.    20.  12.  1832  II,  404. 
,,    10.  5.  1833  III,  424. 

3.  11.  1833  III,  437. 
,,    28.  11.  1833  III,  440. 

12.  12.  1833  III,  443. 

23.  2.  1834  III,  449. 

9.  3.  1834  III,  451. 

9.  5-  1834  III,  457. 
„    19.  5.  1834  III,  461. 
„    23.  5.  1834  III.  462. 

Briefentwurf  an  Drobisch  I.  6.  1834  III,  464. 
Drobisch  2.  6.  1834  m,  4^5- 
,.    29.  6.  1834  III,  471. 
7.  7  1834  III,  474. 
1834  III,  477. 

10.  8.  1834  III,  479. 

24.  8.  1834  III,  482. 
22.  9.  1834  III,  485. 

„    22.  10.  1834  III,  490. 


XXIV 


Verzeichnis  der  Briefe  Herbarts. 


Drobisch  30.  II.  1834  III,  495. 
7.  12.  1834  l'1»  497- 
7  1.  1835  HI,  501. 
Ohne  Dat.  1835  III,  503. 
1.  2.  1835  III,  508. 
10.  4.  1835  III,  517. 

16.  4.  1835  III,  518. 

1835  in,  523. 

Ohne  Dat.    1835   III,   526. 
Ohne  Dat.    1835    III,   529. 
„  26.   8.    1835   IM,   532. 

Ohne  Dat.    1835   III,   535. 
9.    11.    1835    HI,   538. 

7.  2.    1836  III,   545. 
26.   2.    1836  III,   547. 

8.  3.    183h  III,  550. 

1836  III,   559. 

17.  6.   1836  III,  562. 

„  Ohne  Dat.  1836  III,   565. 

„          Ohne  Dat.  1836  III,   567. 

6.  8.  1836  III,   569. 
Ohne  Dat.  1836  III,   572. 

„  Ohne  Dat.    1836  III,  575. 

Ohne  Dat.    1836  III,  576. 

Ohne  Dat.    1836  III,   581. 
„  27.    12.    1836  III,   587. 

„  Ohne  Dat.    1837  III,   594. 

,,  1.   6.    1837   III,  602. 

18.  6.    1837   III,  605. 
18.  8.   1837  III,  609. 
Ohne  Dat    1837   III,  611. 
23.    12.    1837   III,  623. 
26.    12.    1837   III,  624. 

16    3.    1838  III,   629. 
31.    10.    1838   III,   638. 

7.  4.    1839   IV,  644. 
Ohne  Da:.    1839  IV,  648. 

,,  26.  4.    1839  IV,   649. 

6.  10.  1839  IV,  657. 
„    20.  10.  1839  IV,  659. 
„    28  10.  1839  IV,  662. 
„    29.  11.  1840  IV,  682. 

7.  5.  1841  IV,  690. 

v.  Edelsheim    11.   2.    1805   I,    191. 
Eichstädt  3.   2.    1825   II,   297. 
„  14.   4.    1825   II.   298. 

,,  12.    12.    1829  II,   342. 

„  7.   2.    1830  II,  346. 

30.   8.    1830  II,  354. 
Meine  Eltern  30.  6.    1798   1,   "jj. 
Eltermann  u.  Kulenkamp  18.  4.  1804  IV,  787. 
Eschen  20.   7.    1799  I,  95. 
„       20.   4.    1800  1,    1 19. 
P.  A.   v.  Feuerbach,   Aug.    1805   I,    195. 
Fichte    1.    10.    1795   IV.   709. 

24.   3.    1799   I,   91. 

Griepenkerl   24.  9.   1827,  II,  308. 

27.    1.    1832   Jl,   390. 

27.   3.    1832    II,   394. 

18.   5.    1832   II,   395. 


Griepenkerl  4.   6.    1832  II,   396. 

1.  3.    1833   III,  410. 

2.  4.    1833  III,  417. 

8.  5.    1833  III,  423. 

2  Briefe  an  Griepenkerl  6.  9.   1833  IV,  947 
Griepenkerl   14.    10.    1833   III.    435. 
„  5.    12.    1833   III,  442. 

9.  2.    1834  111,  447. 
„            21.    2.    1834  III,   448. 

10.  6.  1834  III,  467. 
„  20.  6.  1834  III,  470. 
„    31.  10.  1834  Uli  492. 

20.  2.  1835  III,  511. 

1835  III,  512- 
1835  III,  513. 
,,  20    10.    1839  IV,  660. 

.,  16.   12.   1840  IV,  684. 

Gries,  Ohne  Dat.   IV,   716. 
,,       Ende  Juli    1802   I,    170. 
.,       21.    12.    1804  I,    185. 
,,       22    9.    1806  I,   210. 
,,       2.    12.    1829  II,   341. 
v.  Grote,  März   1802   IV,   767. 
v.  Halem   28    8.    1795   I,   3 

1797   I,   37- 
,,  28.    1.    1798  I,  69. 

2\    9      1798    I,    79. 

,,         8.  2     1801   I,   139. 

,,  Anfang   Mai    1801    I,    148. 

„  24.    12.    1801   I,    163. 

,,  Ende   April    1802   I,    167. 

,,  28.    10.    1802   I,    171. 

Jan.    1X03   I,    175- 
„  20.    12.    1808  II,  234. 

,,  Ohne   Datum   II,   235. 

,,  117     1808   II,    220. 

Heise   18.    1.    1805   I,    187. 
Hendewerk  20.    10     1830  II,   358. 
„  31.    1.    1835   III,    504. 

Herbart  4.   5.    1837   III,   600. 
Heydenreich   25    8.  18 19  II,   283. 
Krug  26.   8.    1818   II,   278. 
A.   Kühnel   30.    1.    1809   IV,   796. 
Langreuter,  I,   24. 

28     1.    1798   I,   70. 
K.  H.  G.  v.  Meusebach  25.  9.  1837  III,  651. 
Seine  Mutter  in  Oldenburg,  Ostern  1797  I,  51. 
Muhrbeck   28.    10.    1798    I,   84. 
Naße  24.    10.    1831    II,   376. 
Reiche  8.  6.  1838  IV,  978 
Reichhelm  26.   3     1833   III,  415. 
,,  8.   2.    1835   Uli   5°6- 

C.   L.   Re:nhold,   Nov.    1808   II,  228. 
v.   Richthofen,  Sept.    1808   IV,   793. 
Mai    181 1    IV,  819. 
„  Juni   iü  11    IV,  824. 

20    5.    1812   IV,  828. 
15.   6.    1812   IV,   832. 
9.   9.    1826  IV,   886. 
30.   3.    1827   IV,  890. 


Verzeichnis  der  Briefe  Herbarts. 


XXV 


v.  Richthofen  29.  4.  1827  IV,  891. 
9.  7.  1827  IV,  893. 
9.  9-  1827  IV,  895. 
19.  12.  1828  IV,  901. 
„      9.  7-  1829  IV,  909. 
31.  1.  1830  IV,  917. 
Rist,  Sept.  17Q6  I,  2J. 
„  28.  3.  1797  I,  48. 
.,   12.  6.  1797  I,  57. 
„  I,  86. 
Sachs  26.  3.  1833  III,  414. 
Fr.  D.  Sanio  26  6.  1836  III,  563. 
Schubert  183 1  II,  360. 
1831  II,  361. 
1831  IL  362. 
1831  II.  363. 
15.  12.  1833  III,  444. 
„    10.  8.  1834  III,  480. 
„    29  7.  1836  III,  568. 
,,    24  12.  1838  III,  640. 
29.  11.  1840  IV,  680. 
Schwetschke  u.  Sohn  10.  1.  1841  IV,  685. 
Segelken  15.  4  1800  I,  118. 

,.    Mitte  Sepi.  1800  I,  130. 
„    um  Weihnachten  1800  I,  135. 
Smidt  23.  1.  1796  I,  5. 

„   29  1.  1790  I,  b. 

,,   16.  5.  1796  I,  16. 

„  2j    6.  1796  I,  20. 

.,   29.  7.  1796  I,  22.  > 

,,   30.  7.  1796  I,  23. 

Anfang  Dez.  1796  I,  34. 
„  Anfang  Dez.  1796  I,  35. 
„   Februar  1797  I,  41. 

Ende  Februar  1798  I,  J2. 
,,   26.  9.  1798  I,  80. 
„   4.  9.  1799  I,  IOI. 
,,   10.  12.  1799  I,  106. 
„   24  5  1802  I.  169. 
„   Montag  I,  173. 

13.  2.  1804  I,  178. 
„   1804?  I,  179 

10.  6.  1805  I,  193. 
„   4.  7.  1805  I,  194 
.,   2.  2.  1806  I,  197. 
.,   13.  2.  1806  I,  199. 
„   Mitte  Juli  1806  I,  204. 
,,   11.  9.  1800  I,  209. 

17.  1.  1808  II,  216. 

15     2     1808  II,   217. 
„       8.   8.    1808  II,  224. 
,,       Dez.    1808  II.    232. 
„       29.    11.    1840  IV,  681. 
Steck   5.   8.    1797   I,   61. 
.,      1.   3.    1801   I.    144. 
„      19.   4.    1801   I,    147. 
„     Ende  Aug.    1803   I,    177. 
Landvogt  v.  Steiger,  vor  18.  2.   1797   I,  39. 


Carl  v.  Steiger   17.   1.   1800  I,   110. 
1    3.    1800  I,    113. 
„  12.  4.    1800  I,    117. 

Gebrüder  v.  Steiger   10.   7.    1800  I,    126. 
Carl  v.  Steiger   10.    11.    1800  I,   133. 
,,  18.   2.    1801   I,    140. 

„  8.  9.    1801   I,    156. 

„  Mitte  Nov.    1801   I,    160. 

,,  Dez.   1801   I,   162. 

„  Ende  Jan.    1802  I,    164. 

,,  1.  4.    1802  I,    166. 

„  6.   5.    1802   I,'   168. 

„  16.    11.    1802  I,    172. 

,,  Ohne  Datum  I,    183. 

„  17.   9.    1804  I,   184. 

23.   8.    1806  I,   206. 
,,  8.   9.    1806  I,   208. 

„  22.    11.    1807   I,  214. 

7.   12.    1807  I'  2I5- 
„  11.  4.    1808  II,  218. 

„  21.    11.    1808  II,  231. 

„  16.    12.    1808  II,  233. 

„  10.    1.    1809  II,   236. 

10.  2.   1809  IL  238. 

2J.    2.     l8lO    II,    253. 
29.    7.     l8l2    II,    270. 

„     15.  7-  1817  IL  276. 
Über  Otto  Stiemer  13.  9.  1833  IV,  949. 
Strümpell  2j.   5.  1833  III,  426. 
„    15.  5.  1834  HI,  459- 
,,    9.  6.  1834  HI,  4DO- 
„    16.  6.  1834  HI,  468. 
3.  7.  1834  III,  472. 
7-  7-  1834  HI,  473- 
13.  7.  1834  HI,  475- 
Ohne  Dat.  III,  486. 
7.  11.  1834  HI,  494- 
10.  7.  1835  HI,  527- 
13.  8.  1835  III,  530. 
„    Ohne  Dat.  III,  537. 
Taute  IV,  968. 

„  20.  8.  1835  IV,  971. 
„  21.  2.  1836  III,  588. 
,.  22.  2.  1836  III,  589. 
„  26.  6.  1836  III,  590. 
„  29.  7.  1836  III,  591. 
„  8.  4.  1839  IV,  645. 
„  1.  12.  1839  IV,  665. 
„  3.  2.  1840  IV,  666. 
„   8.  3.  1840  IV,  668. 

20.  4.  1840  IV,  669. 
,,   28.  4.  1840  IV,  671. 
„  2J.   11.  1840  IV,  678. 
,,   29.  11.  1840  IV,  679. 
„   31.  1.  1841  IV,  687. 
Thiersch  15.  7.  18 17  IV,  864. 
?  4.  9.  1799  1,  99. 
?  8.  6.  1830  IV,  924. 


Verzeichnis  der  Briefe  an  Herbart. 

Die  römische  Ziffer  bezeichnet  den  Band  der  Briefe,  die  arabische  die  Nummer. 
(Band  I— IV  der  Briefbände  =  Band  XVI— XIX  der  sämtlichen  Werke.) 


Briefe  an  Herbart  von: 


Allihn   20.    ii.    1837   III,  620. 

Minister  v.  Altenstein   22.  7.  1821   II,   291. 

Auerswald  28.    11.    1808  IV,   794. 

„  19.    1.    1809  IV,  795. 

Auerswaldt  4.  9.    1837   III,   613. 
Behnisch  20.   8.    183 1   IV,  932. 
Fr.  Ed.  Beneke  22.   5.    1824  II,   295. 
E.  v.  Berger  u.  Hülsen  11.  1.  1797  IV,  725. 
„  6.   10.   1797  I,  63. 

„  20.  7.   1797  IV,  729. 

,,  Ohne  Dat.   IV,   730. 

17.  9.   1797  IV,  733. 
G.  Bielenstein  16.   7.   1820  IV,  872. 
Bobrik  26.  9.    1829  IV,  912. 
,.       31.   10.    1829  II,  339. 
17.    11.    1829  IV,  913. 
„       28.  7.   1832  II,  400. 
„        13.   11.   1832  II,  403. 
„       30.   1.   1833  M,  408. 
„       5.   10.    1834  III,  487. 
„       31.  8.   1836  III,  573. 
„       31.   1.   1838  III,  627. 
„        16.  9.   1840  IV,  673. 
„        16.  9.   1840  IV,  675. 
Bonitz  27.  9.    1837   III,  616. 
Bonus  28.  8.   1797  IV,  731. 
„       7.   10.   1802  IV,  775. 
Böhlendorf  u.  Fischer  22.  10.  1797   IV,  734. 
Nov.    1797   IV,  736. 
4.    12.    1797  IV,   738. 
30.   7.   1799  IV,  753. 
,,  20.  4.    1800  IV,  757. 

,,  10.  9.    1800  IV,  760. 

„  2.    4.     1825    IV,    880. 

Brandis  26.  9.  1827  II,  309. 
,,    12.  2.  1829  II,  327. 
2.  5.  1829  II,  334. 
„    17.  7.  1829  II,  337. 

n,  379. 

„    IL  386. 

„    17.  6.  1833  III,  429. 
Braunschweig,  Juli  1841  IV,  694. 
Bräuer  2.  8.  1829  IV,  910. 


Breuning  7.  7.  1795  IV,  706. 

29.  10.  1795  IV,  711. 
„    20.  8.  1796  IV,  723. 
Brockhaus  5.  4.  18 19  II,  279. 
„     10.  5.  1819  II,  280. 
„     14.  7.  1819  II,  281. 
„     25.  10.  1819  II,  285. 
.,    24.  12.  1819  II,  287. 
„    6.  2.  1821  II,  290. 
Brzoska,  Ohne  Dat.  III,  578. 
„    Ohne  Dat.  III,  606. 
1.  8.  1837  III,  607. 
„    1.  9.  i837  in,  612. 
„    22.  9.  1837  III,  614. 
Graf  Buquoy  12.  3.  1829  IV,  903. 
F.  A.  Carus  1.  9.  1805  I,  196. 

.,     18.  1.  1806  IV,  790. 
„     8.  2.  1806  I,  198. 
,,     10.  7.  1806  I,  203. 
Catharina  Castendyk  22.  9.  1809  IV,  803. 
Clemens  9.  12.  1812  IV,  837. 
Delbrück  16.  6.  181 1  II,  264. 
Dieterici  24.  4.  1840  IV,  670. 
Dissen  24.  6.  1809  II,  243. 

„   Mitte  Oktober  1809  II,  245. 
.,   7.  1.  1810  II,  250. 
15.  4.  1810  II,  256. 
1815  II,  273. 
1826  II,  303. 
1833  III,  406. 
1833  III,  407. 
1833  III,  411. 
1833  III,  418. 
1833  III,  421. 
1833  III,  431. 
1833  IV,  952. 
„   1834  IV,  963. 

v   1835  HI,  533- 
„   Febr.  1836  IV,  972. 
„   1836  III,  543- 
1836  III,  554. 
„   28.  11.  1836?  III,  584. 
„   Ohne  Dat.  1837  III,  593. 


26 

30.  4 
11.  1 
29.  1 

4-  3- 
11.  4 
29.  4 
16.  7 

7.  12 


Verzeichnis  der  Briefe  an  Herbart. 


XXVII 


Dorn  13.  1.  1810  IV,  807. 
Drobisch  23.  12.  1827  II,  313. 

„    13.  2.  1828  II,  316. 

„    9.  9.  1828  II,  321. 

„    10.  4.  1829  II.  331. 
20.  4.  1829  II,  333. 

„    24.  1.  1830  II,  344. 

,,    2.  3.  1830  IV,  921. 

„    11.  2.  1831  II,  364. 

„    17.  2.  1831  II,  368. 

„    29.  7.  1831  II,  372. 

„     2J.     12.  183I  II,  385. 
„     30.  II.  183I  II,  382. 

9.  6.  1833  III,  428. 

„    24.  11.  1833  HI,  439. 
„    19.  12.  1833  III,  445. 
„    28.  2.  1834  III,  450 
„    19.  3.  1834  III,  452 

4.  5.  1834  HI,  455- 
14.  5.  1834  III,  458 
17.  5.  1834  III,  460 

28.  5.  1834  III,  463 
„  20.  6.  1834  III,  469 
„    14.  7.  1834  III,  476 

31.  7.  1834  III,  478 
,,  18.  8.  1834  III,  481 
„    26.  8.  1834  III,  483 

11.  9.  1834  III,  484 
„    Ohne  Dat.  III,  489. 

6.  11.  1834  III,  493 
,,    3.  12.  1834  III,  496 

13.  12.  1834  III,  498. 

10.  1.  1835  HI»  502. 

1.  2.  1835  HI»  505. 
,,    Ohne  Dat.  III,  509. 

5.  4.  1835  III.  515. 

24.  4.  1835  III,  519. 

12.  7.  1835  III,  528. 

14.  8.  1835  III,  531. 

9.  9.  1835  III.  534. 

29.  9.  1835  III,  536. 
20.  11.  1835  III,  539. 

„    20.  2.  1836  III,  546. 

2.  3.  1836  III,  548. 
5.  4.  1836  III.  552. 
20.  5.  1836  III,  556 

15.  6.  1836  III,  561 
17.  7.  1876  III,  566 

12.  8.  1836  III,  571 
31.  8.  1836  III,  574 
15.  9.  1836  III,  577 

,,  19.  9.  1836  III,  579 
28.  9.  1836  III,  580 
27.  11.  1836  III,  583 

25.  1.  1837  III,  592 

13.  2.  1837  III,  595 

10.  4.  1837  III,  598 
,,    30.  5.  1837  III,  601 

8.  6.  1837  HI,  603. 
„    23.  8.  1837  III,  610 


Drobisch  2.  10.  1837  III.  617. 
,,    22.  12.  1837  III,  621. 
„    28.  12.  1837  III,  625. 
„    22.  3.  1838  III,  630. 

11.  10.  1838  III,  637. 

19.  11.  1838  III,  639. 
„    20.  4.  1839  IV,  647. 

14.  9.  1839  IV,  655. 

15.  10.  1839  iv,  658. 
„    23.  10.  1839  IV,  661. 

„      12.  9.  184O  IV,  672. 

,,  1841   IV,  691. 

Freiherr  v.  Edelsheim    1.   2.    1805   I,   189. 
Eichstädt  8.   12.   1828  IV,  898. 

„  17.  2.   1830  IV,  920. 

E.  Erdmann   24.    11.    1829   IV,   914. 
Eschen  30.  6.   1797  I,   59. 

„   19.  2.  1798  IV,  742. 
1799  I,  109. 

„   20.  3.  1800  I,  115. 

„        12.  6.   1800  IV,  758. 
J.  G.  Fichte   1.   1.    1798  I,  68. 
J.  P.  A.  Feuerbach  4.   9.    1805   IV,   788. 
C.  H.  Froelich  22.  3.    1830  IV,  923. 

F.  Fromm    15.   2.    1796  IV,   719. 
J.  Füessli  21.   11.    1800  IV,   764. 
Füessli  18.   11.   1824  II,   296 
G.?  4.  5.   1810  IV,  810. 

Gauß  8.  4.   1835  III,  516. 
Gerlach  7.   1.   1831  IV,  928. 
„       7.    10.    1831   IV,  933. 

„       4.   7-   1833  IV,  944- 
J.  A.  Gotthold  4.   5.    181 1   IV,  820. 
Graff  4.   1.   181 1  IV,  817. 

„       1812  IV,  826. 
Gregor  4.  5.   1834  HI,  456- 
„       4.   5.   1836  IV,  976. 
„       18.   12.   1836  III,   586. 
„       4.  5.   1839  IV,  650. 
„       9.  6.   1838  III,  633. 
J.  P.  E.  Greverus  IV,  718. 
Griepenkerl  4.  6.    1808,  II,  219. 
„  14.    11.   1808  II,  229. 

25.  2.  1809  II,  239. 
,,  16.  11.  1809  II,  248. 
„  12.  2.  1810  II,  251. 
„  28.  8.  1810  II,  257. 
.,  1.  10.  1810  II,  258. 
,,  19.  10.  1810  II,  259. 
„     1810  IV,  811. 

15.  3.  181 1  II,  260. 
14.  6.  181 1  II.  263. 
„     Ohne  Datum  II,  289. 
3.  1.  1815  IV,  849. 
„     1.  11.  1825  II,  301. 
20.  4.  1827  II,  306. 
,,     19.  10.  1827  II,  311. 
„     20.  2.  1828  II,  317. 
Gries  16.  9.  1797  IV.  732. 
„  2.  6.  1799  I,  94. 


XXVIII 


Verzeichnis  der  Briefe  an   Herbart. 


Gries  23.   8.    1709   I.   98. 
„       21.    II.     1799    *i    I05- 

2.   7.  1S02  IV,  ;(><). 

22.      12.      !  802  IV.  780. 

1.  10.  [802  IV,  744. 

21.  9.  1807  I,  213. 
.,    l(>.  7.  1808  II,  221. 

Beilage  zu  No.  221    16.   7.    1808  II,  222. 
Gries   16.    11.    1808   II,   230. 
.,     23.    1.    1809  II,  237. 
„      17.   2.    1809  IV,   798. 
„     6.    10.    1829  II,  338. 
Grolp   16.  8.    1832   II,  401. 
..      20.   5.   1833  III,  425. 
„      21.   12.   1834  III,   499. 
Gronninger  4.   2.    1796  IV,   717. 
von  Grote  27.  9.    1802   IV,   773. 

3.   2.    1805   I,    190. 
Frau     Minister     von    Grote     13.     4.      1809 

II,   241. 
W.   v.   Grote   5.   7.    1809  IV,   800. 
Therese  Grote  3.    11.    1809  II,  246. 
Grote  21.    10.    18 14  IV,  848. 
„       17.    10.    1833  III,  436. 
J.  G.  Gruber   17.    1.    1829  IV,  902. 

„  Dez.    183 1    II,   384. 

G.  A.  v.   Halem    14.   3.    1797   IV.   727. 
Jan.    1799  IV,  749. 
,.  17.    11.    1810  IV,  815. 

Hartenstein    16.   3.    1835   III,   514. 
b.   5.    1835   III,   521. 
9.   6.    1835   HI,   524. 
6.    12.    1835   III,   540. 
,,  17.    1.    1836  III,   542. 

3.  3.    1836  III,   549. 

4.  4.  1836  III,  551. 
27.  5.  1836  III,  557. 
3.  7-  1836  III,  504. 

,,     10.  10.  1836  III,  582. 

18.  2.    1837   III,  596. 
„  25.  4.   1837  III,   599. 

,,  11.  b.    1837   III,  b04. 

17.   8.    1837   III.   bo8. 
„  22.    12.    1837   III,   622. 

„  17.    1.    1838  III,  626, 

13.   4.    1839  D,  64b. 
.,  7.   12.    1840  IV,  b83. 

„  23.   5.    1841   IV,  b92. 

Hasse  3.   2.    1810  IV,  808. 
A.   H.   L.   Heeren   23     7.    1810  IV,  813. 
Heise  9.    1.    1805   I,    18b. 

„       23.    1.    1805   I,    188. 
Hendewerk    13.    10.    1830  IV,  92b. 
b.    1 1.    1830  IV,  927. 
13.   2.    1831   IV,  929. 
7-   8.    1831    IV,  931. 
16.    1.    1832   IV,   934. 
2.    12.    1832   IV.   938. 
2-  3-    l833   IV,  941. 
29.  9.    1833  IV,  950. 


Hendewerk   14.   9.    1834   IV,  9b5. 
,,  29.    10.    1834  IV,  96b. 

9.  2.    1835  H1'   5°7- 
Frau   Herbart   18 13   IV.   839. 
W.   Herbart  3.    3.    183b   IV,   973. 
19.   7-    1838  III,  6^6. 
„  ib.   2.    1839   IV,  641. 

23,  3.    1839  IV,  b43. 
„  21.    1.    1841   IV,  b8b. 

Hesse   19.   8.    1823   II,    292. 
Hoene  7.    10.    1803   IV,   785. 
Holz   7.    11.    1800  IV,   762. 
Hoppenstedt   28.   4.    1833   IV,  942. 
5.   6.    1833   III,  427. 
19.   8.    1833   IV,  946. 
11.   10.   1833   IV,  951. 
„  12.   11.    1833  III,  438. 

„  15.   2.    1835   III.   510. 

Fritz  Hörn   20.    12.    1795   IV,   712. 

,,  u.  Ziemssen  17.  ?  1800  IV,  761. 

Hugo  3.   8.    1833   III,  433. 
Hüllmann   b.   2.    1830  IV,  919. 
9.   4.    1838   III.   b32. 
J.  L.  Ideler  3.   9.    1830  IV,  925. 
Jäsche  3.   5.    1828   II,   318. 
„        22.    1 1.    1828  II,   323. 
10.   5.    1829   II,   335. 
„        20.   3.    1830  IV,   922. 
29.   3.    1831    II,   367. 
„       10/22.  8.   1831   II,   373. 
„       b.   1.   1832  II,  387. 
„       30.  8.   1832  II,  402. 
18.    1.    1833  IV,  939. 
Jenner  27 .   7.    1799    IV,   752. 
Kahle   ib.   7.    1839  IV,  b52. 
„       10.  2.   1840  IV,  6by. 
Gräfin   Kameke   28.    12.    1797   IV,   73Q. 
Kamptz    1829   IV,   90b. 
Keber  2b.    7.    1834   IV,   961. 
F.  Kohlrausch  8.    10.    1809  IV,  801. 

„  12.  4.    18 1 1   II,   271. 

Koppen  30.    11.    1806  I,  211. 
Kiause   18.   8.    1819  II,   282. 
N.   Kulenkamp    18.   9.    1802   IV,   772. 
Langreuter  24.   8.    1795   IV,   708. 
Langwerth   28.   4.    1835   III,   520. 
11.   8.    183b  III,   570. 
Lobeck   12.    1.    183b  III,   541. 
A.  Luber  28.    12.    1810   IV,   81b. 

„  19.   3.    1813   IV,   840. 

Marotzky   31     3     1834  HI,  453. 
Meen    ib.   7.    1795   ^Vi   7°7- 
Fr.  Muhrbeck   28.   7.    1797   1,  bo. 

3     11.    1797   IV,   737. 
Sept.   1798   IV,   744. 
Sept.    1798   IV,    745. 
Dez.    1798    IV,   74b. 
1799   IV,   748. 
11     12.    1799  IV,   754. 
F.  Nasse   18.  3.   1827    IV,  889. 


Verzeichnis  der  Briefe  an  Herbart. 


XXIX 


Nicolovius  2g.   3.    18 10  II,   254. 
„  6.    10.    1810  IV,   814. 

,,  24.  9.    1816  II,  274. 

5.  1.  1817  n,  275. 

A.   H.   Niemeyer  6.   3.    1806,  I,  200. 

„  11.    12.    1813   IV,  844. 

Nieuwenhius   1.    12.    1833   III,  441. 
J.   Osten   1.   4.    1824  IV.   879. 
F.  Osten   17.    12.    1829  IV,   915. 
L.  Otth   10.  6.   1799  IV,  751. 
C.   W.  Pape  21.   8.    1809  IV,   802. 
Casimir  Plater  5.   3.    1806  IV,   791. 
„  2.  4.    1810  IV,  809. 

Rahden   1.   6    1805   I,    192. 
„        2.   7.   1814  IV.  845. 
„        21.  8.   1827  IV,  894. 
F.  Ranke   17.   3.    1839  IV,  642. 
Reiche   13    6.   1838  III,  635. 
„       20    11.    1840  IV,  677. 
Reichhelm    13.   7.    1816  IV,  857. 
21.    11.    1816  IV,   858. 
16.    1.    1817   IV,  859. 

I.  10.   1820  IV,  874. 

II.  7.   1825   II,  299. 
16.    11.    1831   II,  377. 
18.   7-    1832  IV,  935. 
30.   1.   1835  IVi  967- 

Reimers  5.   8.    1796  IV,   721 

C.  L.  Reinhold   1.   9.    1808  II,   225. 

,,  1.    11.    1808   II,   227. 

L.  Rembold  26.   7.    1841   IV,   693. 
Remer   11.    11.    1815   IV,  851. 
Richthofen  30.  4.   1809  II,  242. 

5.  6.  1809  IV,  799. 

5.  11.  1809  II,  247. 


,, 

19.  2.  l8lO  II,  252. 

24  4.  l8ll  II,  262. 

., 

12.  5.  l8ll  IV,  821. 

., 

20.  6.  1811  IV,  823. 

0 

6.  1.  1812  II,  265. 

„ 

Ohne  Datum  II,  267. 

ll 

12.  3.  1812  IV,  827. 

1« 

2.  6.  1812  IV,  829. 

V 

23.  6.  1812  II,  268. 

>1 

Juni  1812  IV,  833. 

11 

28.  12.  1812  IV,  838. 

11 

5.  4.  1813  IV.  841. 

11 

15.  8.  1813  IV,  842. 

•1 

3.  12.  1813  IV,  843. 

11 

17.  7.  1814,  IV,  846. 

11 

26.  2.  1815  IV,  850. 

V 

17.  6.  1816  IV,  855. 

>1 

25.  3.  1818  IV,  865. 

11 

28.  11.  1818  IV.  867. 

11 

25.  4.  1819  IV,  868. 

11 

9.  7.  1819  IV,  869. 

11 

20.  12.  1819  IV,  870. 

11 

28.  12.  1820  IV,  875. 

)1 

24.  6.  1821  IV,  876. 

11 

26.  12.  1821  IV,  877. 

Richthofen  21.  12.  1823  II,  293. 
1823  IV,  878. 

19.  6.  1824  IV.  881. 

23.  12.  1825  IV,  884. 

24.  6.  1826  IV,  885. 
2.  8.  1826  II,  304. 

17.  12.  1826  II,  305. 
9.  6.  1827  II,  307. 
4.  10.  1827  II,  310. 
6.  11.  1827  IV,  896. 
11.  12.  1828  IV,  900. 

21.  1.  1829  IL  326. 
9.  3.  1829  II,  329. 
28.  4.  1829  IV,  907. 

20.  6.  1829  IV,  908. 

22.  12.  1829  IV,  916. 

21.  6.  1831  IV,  930. 

18.  6.  1833  IV,  943. 

23.  12.  1833  III,  446. 
16.  1.  1834  IV,  956. 

24.  12.  1834  III,  500. 

23.  6.  1835  III,  525. 

24.  6.  1836  IV,  977. 
13.  6.  1838  III,  634. 

25.  10.  1839  IV,  663. 
Ricklefs  1.  11.  1795  IVi  7:5- 
Rist  4.  5.  1796  IV,  714. 

„  1.  6.  1796  IV,  720. 
.,  Oktober  1796  IV,  724. 

„  5-  5-  1797  I,  55- 

„  6.  11.  1797  IV,  735- 

.,  19.  1.  1799  IV,  750. 

„  14.  11.  1800  I,  134. 
Romang  20.  5.  1835  III,  522. 
L.  Sachs  10.  10.  1825  II,  300. 
15.  9.  1839  IV,  656. 
v.  Sanden  28.  8.  1832  IV,  936. 
Schläger  9-  6.  18 16.  IV,  854. 
Schubert  10.  1.  1834  IV,  955. 

4.  5.  1834  rv,  959- 

15.  10.  1834  III,  488. 
27.  4.  1836  IV,  975. 

11.  12.  1836  III.  585. 

12.  2.  1838  III,  628. 

16.  9.  1840  IV,  674. 
,,    8.  2.  1841  IV,  688. 

Schulmann  9.  4.  1841  IV,  689. 
G.  E.  Schulze  1.  6.  1825  IV,  883. 
Schwatlo  10.  10.  1829  IV,  918. 
Segelken,  Anfang  Sept.  1800  I,  129. 

„  4.  2.  1801  I,  138. 
Sieffert  1.  6.  1836  III,  558. 
Graf  George  Sievers  25.  1.  1806  IV,  789. 

2.  4.  1810  II,  255. 

2.  8.  1814  IV,  847. 

8.  20.  4.  1815  II,  272. 

13.  6.  1816  IV,  853. 
„       24.  1.  181 7  IV,  860. 

25.  4.  1817  IV,  863. 
Smidt  28.  2.  1796  IV,  713. 


XXX 


Verzeichnis  der  Briefe  an  Herbart. 


Smidt   10.   8.    1796   IV,   722. 
16.   2.    [797    IV,   726. 
,.       Ohne  Dat.   IV,    768. 
„        27.    1.    1808  IV,   792. 
C.  Fr.  von  Steiger   18.   2.    1797   I,  40. 
Ludwig  Steiger  8.    2.    1798  IV,   741. 
Herr  v.  Steiger  u.   Carl   16.  6.  1800  I,  124. 
L.  v.  Steiger   23.   9.    1800  I,    131. 
Carl  v.  Steiger   14.   7.    1809  II.   244. 
August   181 1   IV,  825. 
10.   7.    1812   IV,  835. 
„  März    1817   IV,   861. 

Strümpell   29.    12.    1833   IV,  954. 
1.   7.    1834  IV,  960. 
14.   8.    1834  IV,  962. 
„  10.   9.    1834  IV,   964. 

Studenroth    13.   5.    1824  II,   294. 

5.   8.    1828  II,  320. 
Süvern   12.   3.    1816  IV,  852. 
7.   7.    1816  IV,  856. 
3.   2.    1825   IV,   882. 
„        11.  4.    1829  IV,  905. 
Taute  31.  3.   1829  IV,  904. 
„       11.   12.   1833  IV,  953. 
.,      5.  3.   1834  IV,  958. 
„      1.  2.   1835  IV,  969. 
Teilkampf  30.    11.    1839   IV,  664. 
G.   W.   Tennemann    16.   4.    1806  I,   201. 
Friedr.  Thiersch  2.   4.    181 2   II,  266. 

„  12.   4.    1817   IV,  862. 

Thomas   14.   4.    1835   IV,  970. 
,,        29.   8.    1839  IV,   654. 
Toelken   20.   7.    181 2  IV,  836. 

„        9.  9.    1812   II,   271. 
J.  G.  Ungewitter  II,  314. 

21.    1.    1834  IV,  957. 
25.  4.    1836  IV,  974. 
12.  8.   1839  IV,  653. 
Unterholzner  2.   3.    1809  II,   240. 

„  6.    11.    1809  IV,  805. 


W.  Ültzen  IV,   702. 

„  1798  IV,   704. 

Voigt  4.   5.    1833,  III,  422. 
Voigdt   17.    11.    1837   III,  619. 
H.   G.  Waitz  28.  3.    1837   III,   597. 
Wardenburg  4.    11.    1809  IV,   804. 
,,  1.    12.    1809  IV,   806. 

Weineke  5.   3.    1802  I,    165. 
Wendt  28.   7.    1833  III,  432. 
Witt   15.   6.    181 1   IV,  822. 
v.  Wrangel  25.    10.    1826  IV,  887. 
„  5.    11.    1828  IV,   897. 

„  8.    12.    1828  IV,  899. 

Wunderlich    18.    10.    1837   III,  618. 
Zehender   18.   8.    1801   I,    153. 
6.  3.    1802  IV.  765. 
11.  8.   1803  IV,  784. 
30.   12.    1803  IV,  786. 
Ziemssen  30.    1.    1800  I,    in. 
„  4.   2.    1800  I,    112. 

„  26.  3.    1800   I,    116. 

„  3.  6.  1800  I,  122. 
„  9.  6.  1800  I,  123. 
„  23.  8.    1800  I,   128. 

„  29.  8.   1800  IV,   759. 

,,  16.   10.   1800  I,  S.  174. 

„  16.  2.   1801   I.   143. 

„         30.   7.   1801   I,    151. 

Aug.    1801    I,    154. 
.,  11.   8.    1801   I,    152. 

„  Sept.    1801   I,    155. 

„  Oktober    1801    I,    158. 

„  Dez.    1801    I,    161. 

.,  14.   3.    1802   IV,   766. 

,,  19.   7.   1802   IV,  770. 

„  Sept.    1802  IV,   771. 

„         Nov.   1802  IV,  778. 
„  Dez.    1802  IV,   779. 

„  20.    1.    1803   IV,   781. 

April   1803  IV,   783. 


Übersicht  des  Inhalts  der  vier  Briefbände. 


Band  I:  Seite 
Jugendbild  Herbarts. 

Widmung V 

Vorrede  zu  Band  I— IV VII 

Bemerkungen  zu  den  Bildern XIV 

Inhaltsverzeichnis,  chronologisch  geordnet XV 

Verzeichnis  der  Briefe  Herbarts,  nach  den  Empfängern  geordnet        ....  XXIII 

Verzeichnis  der  Briefe  an  Herbart XXVI 

Übersicht  des  Inhalts  der  Briefbände XXXI 

Abkürzungen XXXII 

Briefe  von  und  an  Herbart,  Urkunden  usw.  Nr.  i — 215 3 — 308 

Band  II: 
Bild  Carl  von  Steigers. 

Briefe  von  und  an  Herbart,  Urkunden  usw.  Nr.  216 — 405 3 — 325 

Band  III: 
Bild  von  Herbarts  Frau. 

Briefe  von  und  an  Herbart,  Urkunden  usw.  Nr.  406 — 640 3 — 318 

Band  IV: 
Bild  des  Herbartdenkmals. 

Briefe  von  und  an  Herbart,  Urkunden  usw.  Nr.  641 — 700 3 — 55 

Nachträge,   Ergänzungen  und  Berichtigungen  Nr.  701 — 980 56 — 281 

Namenregister 283 


Abkürzungen. 


H.  Wien  =  Hofbibliothek  zu  Wien. 
N.  =  Nachlaß,  s.  Vorrede. 

W.  =  Werke    (=    J.     Fr.     Herbarts     Sämtliche    Werke ,    herausgegeben    von 
K.  Kehrbach.) 


Briefe  von  und  an 

J.  F.  Herbart. 

Urkunden   und  Regesten   zu   seinem   Leben   und   seinen    Werken. 


Von 

Theodor  Fritzsch. 
I. 


Herbarts  Werke.     XVI. 


„Von  bedeutenden  Männern  nachgelassene 
Briefe  haben  immer  einen  großen  Reiz  für 
die  Nachwelt,  sie  sind  gleichsam  die  einzelnen 
Belege  der  großen  Lebensrechnung,  wovon 
Taten  und  Schriften  die  vollen  Hauptsummen 
vorstellen.''  Goethe. 


Herbarts  Stammbaum.1) 

Andreas  Herbart.   geb.    1615    im  Städtchen  Ostheim    vor    der  Rhön  (Tauftag   19.  Okt.). 


Georg  Herbart,  geb.    I.Jan.    1644, 
Leineweber. 

11  1        "  ■  .1.1. ^m   1 

Johann  Jakob  Herbart,  geb.   24.  Febr.    1673, 
Leineweber. 


Nikolaus  Herbart, 

geb.    14.  März   1647,  Leineweber. 

[Nachkommen  noch  in  Ostheim  und 

Rappershausen  in  Bayern 

vorhanden] 


Johann  Michael  Herbart,  geb.  30.  Aug.    1703, 
getauft  am  Geburtstage.     Pate  war  Johann  Michael 
Urban,    Bürger   und  Hutmacher   in  Ostheim.     Ge- 
storben am   2.  Aug.    1768  als  Konsistorial- Assessor 

und  Rektor  des  Gymnasiums  in  Oldenburg.2) 


Thomas  Gerhard  Herbart, 
Justiz-     u.     Regierungsrat,     geb. 
27.  Aug.    1739, 
gest.   20.  Aug.    1809.     Am 
26.  Mai  1775  vermählt  mit  Lucia 
Marg.  Schütte,  geb.  10.  Apr.  1755 
als    Tochter   des    weil.    Cornelius 
Schütte   Medicinae  Doct.    u.    der 

Frau  Elisabeth  Adelheid  geb. 
Boden,  gest.  4.  Dez.  [803  in  Paris. 


Johann  Friedrich 
Herbart, 
Obergerichts- 
advokat. 


Johann  Friedrich  Herbart, 

geb.  4.  Mai  1776  in  Oldenburg,   getauft  am  8.  Mai. 

Paten    waren:    Frau   Bürgermeistr.    Regina    Ilsabe 

Gerdes,  Hr.  Oberger.-Adv.  Joh.  Friedrich  Herbart, 

der  Vater  selber  für  den  Großvater  weil.  H. 

Konsist  -Ass.  u,   Rector  Joh.  Mich.  H. 

Vermählt  mit  Mary  Jane  Drake,  geb.  18.  Dez.  1791, 

gest.   2.  Dez.    1876  in  Königsberg  i.  Pr. 8) 


Johann  Just  Herbart, 

geb.    17.  Febr.    17 15,   Weber, 

gest.   27.  P'ebr.    1764. 


Georg    Gotthard 

Herbart, 

geb. 

27.  Nov.    1744, 

verschwindet 

seitdem  aus  den 

Kirchenbüchern 

in  Ostheim. 


Johann  Kaspar 

Herbart, 

geb.  3.  März  1759, 

wurde 

am    16.  Mai   1797 

in  Schmalkalden 

mit  Katharina 

Elisabetha  Strauch 

getraut  u.  hat  sich 

dann  in  Meiningen 

niedergelassen. 


1)  Nach  Hollen  BACH,  Familie  Herbart  in  Ostheim,  Zeitschr.  für  Philos.  u.  Päd., 
hersg.  v.  Flügel,  Just  u.  Rein,  Langensalza,  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann), 
8.  Jahrg.  S.  253.  Ergänzt  nach  einem  Auszug  aus  dem  Kirchenbuche  der  evang.-luth. 
Kirchengemeinde  Oldenburg,  Jahrg.  1776,  pag.  105,  No.  13  und  anderen  Urkunden. 

2)  Über  Herbarts  Großvater  vgl.  Bartelmann,  Joh.  Mich.  Herbarts  Programme, 
Progr.  des  Gymnasiums  zu  Oldenburg  1855.  Joh.  Mich.  Herbart  besuchte  das  Gymnasium 
zu  Schleusingen,  von  Herbst  1722  an  die  Universität  Wittenberg,  wurde  1729  Kon- 
rektor zu  Delmenhorst  u.  1734  m  Oldenburg.  —  Über  Herbarts  Vater  s.  Notiz  unterm 
20.  A.ug.   1809. 

8)  Genauere  Daten  über  Herbarts  Frau  waren  trotz  vielfacher  Bemühungen  nicht 
zu  erlangen.  Die  obigen  verdanke  ich  Hrn.  Prof.  Dr.  G.  Krause  in  Königsberg,  der 
sie  aus  dem  Sterberegister  der  Altroßgärterkirche  in  Königsberg  mitgeteilt  hat,  und  Hrn. 
Friedhof sinsp.  Pohl,  der  mir  die  Grabinschrift  freundlichst  übermittelte.  S.  auch 
G.  Hartenstein,  Herbarts  kleinere  phil.  Schriften  (Leipzig  1842)    1.  Bd.,  S.  LXXII1. 


1776-1794. 


1776 — 1789.  Erster  Unterricht  durch  Privatstunden  des  Predigers  Uelzen,  damals 
Lehrer  im  Hause  des  Conferenzrates  u.  Canzleidirektors  von  Berger,  dann  Besuch  der 
Privat-Anstalt  des  Subconrektors  Kruse.*)  Unterricht  in  Musik  (Violine,  Violoncell, 
Harfe,  Ciavier) .  A  *)  Als  ii  jähriger  Knabe  tritt  er  in  Privatkonzerten  mit  großem  Beifall 
auf.  Composition  kleiner  Singspiele.1)  Michaelis  1788  Aufnahme  in  die  zweite  Classe 
der  lateinischen  Schule  zu  Oldenburg,  die  1792  in  ein  Gymnasium2)  verwandelt  wurde. 
Herbst   1789  Versetzung  in  die  erste  Klasse.3) 


1790.     Aufsatz:   „Etwas  über  die  Lehre  von  der  menschlichen  Freiheit." 
S.  Bd.  I.     S.  LXXI  u.  359. 


1793.  11.  März.  H.  erwidertauf  die  Abschiedsreden  der  Abiturienten  des  Gym- 
nasiums. („Ihnen  wird  J.  Fr.  Herbart  aus  Oldenburg  antworten,  zu  ihrem  Vorhaben  Glück 
wünschen,  und  dabey  die  allgemeinen  Ursachen  aus  einander  setzen,  welche  in  Staaten 
das  Wachsthum  und  den  Verfall  der  Moralität  bewirken."4)  Erste  von  H.  in  Druck  ge- 
gebene Schrift.     S.  Bd.  I.     S.  LXXI  u.  351—358. 


*)  „Gelernt  habe  ich  die  Logik  als  Knabe  von  11  Jahren."  Brief  v.  23.  Aug.  1806 
an  C.  Steiger. 

**)  ,, Tanzen  war  bis  in  mein  14.  Jahr  mein  höchstes  Leben."  Brief  an  Muhr- 
beck  v.   28.  Okt.    1798. 

x)  S.  Brief  seines  Musiklehrers  Weineke  v.   5.  III.    1802. 

2)  Über  diese  Umwandelung,  sowie  über  die  Einrichtung,  den  Lekionsplan,  die 
Lehrbücher  pp.  der  Schule  gibt  das  Programm  des  Oldenburger  Gymnasiums  von  Joh. 
Siegm.  Manso,  Oldenburg  1792,  Auskunft.  (Freundlichst  durch  Hrn.  Gym.-Dir.  Stem- 
vorth  zur  Verfügung  gestellt.) 

:!)  Nach  dem  Nekrolog  Herbarts  in  den  Oldenburgischen  Blättern.  26.  Jahrg., 
Oldenburg  1842,  N.  41 — 48.  Vgl.  über  die  Jugendzeit  Herbarts  auch  Zillers  Herbar- 
tische Reliquien  S.  1  ff. 

4)  Vgl.  Ankündigung  einiger  Abschiedsreden  pp.  durch  Joh.  Siegm.  Manso. 
Oldenburg  1793   (Bibliothek  des  Oldenburger  Gymnasiums)  u.   Bd.  I,  S.  LXX. 


1776— 1794-  5 

1794-  4-  April.  „Joh.  Friedr.  Herbart,  aus  Oldenburg,  vergleicht  in  einer  lateinischen 
Rede  [beim  Abgang  vom  Gymnasium  in  Oldenburg]  Ciceros  u.  Kants  Gedanken  über 
das  höchste  Gut  u.  den  Grundsatz  der  praktischen  Philosophie  mit  einander.'11)  Der 
erste  Professor  am  Gymnasium  Manso  bemerkt  dazu:  „Da  ich  weder  an  der  Wahl  der 
Materien  noch  an  der  Ausführung  einigen  Antheil  habe,  so  kommt,  was  davon  gut  u. 
nicht  gut  seyn  mag,  ganz  auf  Rechnung  des  jungen  Redners.  Unter  den  Abgehenden 
hat  sich,  wie  überhaupt  unter  allen  seinen  Mitschülern,  stets  Herbart  durch  Ordnung, 
gute  Aufführung,  Eifer  im  Studieren  u.  Beharrlichkeit  ausgezeichnet  und  seyne  guten 
natürlichen  Anlagen  durch  unermüdeten  Fleiß  zu  entwickeln  und  auszubilden  getrachtet.'' 

Mit  Herbart  gleichzeitig  verließen  das  Gymnasium:  Joh.  Hohn,  Heinr.  Siegm.  von 
Halem,  Joh.  Herrn.  Hartmann.  Auf  ihre  Abschiedsreden  erwiderte  Anton  Friedr.  Rumpf, 
der  später  mit  Herbart  in  Jena  studierte.  2) 

Aufsatz:  „Bemerkungen  zu  Fichtes  Grundlage  der  gesamten  Wissenschaftslehre.*1 

S.  Bd.  I    S.  34. 

20.  Okt.:  Immatrikulation  unter  dem  Prorektor  Prof.  theol.  Johann  Wilhelm 
Schmid.  Der  Eintrag  in  der  Jenenser  Universitäts-Matrikel  lautet:  „Herbart,  Johan. 
Friedr.,  Oldenburgensis   1794.     Okt.  20".3) 


*)  Ankündigung  einiger  Abschiedsreden  pp.  durch  Joh.  Siegm.  Manso.  Olden- 
burg  1794.     Oldenburger  Gymnasial-Bibl. 

2)  S.  das  Stammbuchsblatt  Herbarts  auf  S.  9  vorl.  Ausg. 

3)  Außer  Familienname,  Vornamen,  Heimatsort,  Immatrikul.,  Jahr  u.  Datum 
finden  sich  keine  weiteren  Angaben.  Freundliche  Mitteilung  des  Hrn.  Prof.  Dr.  Brandis, 
Dir.  der  Univ.-Bibl.  Jena. 


1795. 


I.  Johann  Georg  Rist  über  Herbart  und  über  die  Gesellschaft  der  freien  Männer.  *) 

„Böhlendorf  äußerte  den  Wunsch,  mich  zum  Mitglied  einer  schon  seit  mehren 
Jahren  bestehenden,  meist  literarischen  Verbindung  zu  haben,  die  den  Namen  der 
Gesellschaft  der  freien  Männer  trug,  und  von  der  ich,  im  Getümmel  des  Sommers, 
nur  eben  genug  gehört  hatte,  um  mir  eine  hohe  Achtung  mehr  als  die  Hoffnung 
ihr  anzugehören,  zu  erregen.  Es  war  nichts  Geheimes  dabei  im  Spiel,  als  eben,  daß 
sich  die  stilie,  der  gegenseitigen  Ausbildung  gewidmete,  wenig  zahlreiche  Verbindung 
schon  durch  diesen  Charakter  der  öffentlichen  Aufmerksamkeit  entzog.  Unter  den 
Studenten  galt  es  doch  als  ein  Ehrentitel,  zu  den  freien  Männern  zu  gehören,  und 
die  sechs  bis  acht  Mitglieder  zeichneten  sich  als  die  vorzüglichsten  Talente  aus. 
Spiegel  Fromm,  Hörn,  Herbakt,  Floret,  Böhlendorf,  Berger2)  —  Namen,  die  der 
Bursch  mit  großer  Achtung  nannte  —  waren  übrig,  nachdem  der  Verein  kürzlich 
mehre  bedeutende  Mitglieder,  unter  anderen  Koppen  aus  Lübeck,3)  Smidt  aus  Bremen, 
verloren  hatte ;  es  kam  darauf  an,  sich  wieder  zu  verstärken,  und  ich  war  unter  den 
Candidaten,  ohne  es  zu  wissen;  denn  ich  dachte  damals  wahrlich  zu  gering  von  mir, 
um  mich  an  sie  zu  drängen.  Die  Sache  war  aber  bald  gemacht ;  auf  einem  Spazier- 
gang nach  der  Baraschkenmühle,  an  einem  sehr  schönen  Herbsttage,  machte  Böhlen- 
dorf mir  die  ersten  Anträge.  Ich  ward  vorgeschlagen,  aufgenommen  und  gehörte 
von  diesem  Augenblick  den  Einzelnen  auch  als  innig  verbundener  Freund  an.  Alle 
vierzehn  Tage  versammelte  man   sich;    es  wurden   nach  der  Reihe  eigene  Aufsätze 

l)  Aus  Joh.  Georg  Rists  Lebenserinnerungen,  herausgeg.  v.  G.  Poel.  Gotha 
1880,  1.  Th.,..  S.  561,  62—65,  72.  Rist  studierte  Ostern  1795  bis  Ostern  1796 
in  Jena.  —  Über  die  Gesellschaft  der  freien  Männer  vgl.  auch  „Johann  Smidt.  Ein 
Gedenkbuch  zur  Säcularfeier  seines  Geburtstages,  herausgegeben  von  der  Historischen 
Gesellschaft  des  Künstlervereins  zu  Bremen.-'  Bremen  1873.  Ferner  Hartenstein, 
Herbarts  kleinere  phil.  Schriften,  Lpzg.  1842,  Bd.  I,  S.  XIX  Anm.  —  Über  Herbarts 
Universitätszeit  s.  Brief  von  Rist  an  Smidt  v.  24.  Apr.  1842. 

2)    Über  ihn   vgl.  Johann   Erich  von  Bergers   Leben   (1772—1833)   von  Prof. 

II.  Ratjen.     Mit  Andeutungen  u.  Erinnerungen  von  J.  R[ist].     Altena  1835. 

:ij  „Ein  von  der  Natur  glücklich  begabter  Mensch,  an  schönen  Kunstfertigkeiten 
reich  und  durch  ein  glückliches  Gleichgewicht  der  Kräfte  zu  ihrem  ruhigen  Genuß  und 
heitrer  Mitteilung  aufgelegt1'.  J.  G.  Rists  Lebenserinnerungen,  Gotha  1880,  S.  53. 
—  Über  das  rohe  studentische  Treiben  jener  Zeit,  vgl.  Rists  Lebenserinnerungen, 
Gotha  1880,  S.  51  ff.  —  Dem  Jenenser  Freundeskreis  stand  Sophie  Mereau  nahe. 
„Damals  von  allem,  was  Sinn  u.  Geschmack  besaß,  hoch  gefeiert".  S.  Rists  Lebens- 
erinnerungen, 8.  67  f.    S.  auch  diesen  Bd.  Nr.  24  auf  S.  32. 


1795- 7 

und  Beurtheilungen  geliefert,  dann  etwa  eins  und  das  andere  Neue  vorgelesen,  und 
der  Abend  mit  einem  frugalen,  aber  heitern  Mahl  beschlossen.  Nach  25  Jahren 
brachte  einmal  Gries,  der  letzte  der  freien  Männer,  das  Protocoll  mit  nach  Hamburg, 
wo  wir  mit  großer  Erbauung  nach  den  literarischen  Uebungen,  mehrentheils  auch 
des  herzerfreuenden  Punsches,  womit  die  Versammlung  beschlossen  worden,  erwähnt 
fanden.1)  Mit  besonderer  Zuneigung  schloß  sich  mir  Herbart  an,  den  ich  bis  dahin 
nur  aus  dem  Ruf  als  Fichte's  ersten  Schüler  und  einen  abstrusen  Metaphysiker  ge- 
kannt hatte.  Er  wohnte  im  Sommer  in  Dorndorf,  und  dort  hatte  ich  ihn  an  einem 
Tage,  wo  ich  mit  Hüffel  nach  Dorndorf  geritten  war,  nur  im  Vorbeigehen  gesehen. 
Mit  seinem  ledernen  Käppchen  schlenderte  er  unbefangen  auf  dem  Vorsaal  des 
Wirthshauses  umher;  seine  Züge  waren  wohl  ernst,  aber  jugendlich  und  fromm; 
ich  hatte  ihn  mir  so  nicht  gedacht;  nun  fühlte  ich  keine  Scheu  mehr,  und  von  dem 
Augenblick,  da  ich  zur  Gesellschaft  gehörte,  und  sein,  wenngleich  eckiges,  doch 
mildes  Wesen  erkannte,  nahte  ich  mich  ihm  mit  unbedingtem  Vertrauen  .... 

,,An  einem  schönen  Nachmittag,  um  die  Zeit  meiner  Aufnahme  in  die  Gesell- 
schaft der  freien  Männer,  machte  ich  mit  Gries  einen  Spaziergang  nach  dem  Janzig^ 
und  da  gab  es  gesprächsweise  Anlaß,  ihm  mein  sogenanntes  philosophisches  System 
zu  entwickeln,  das  etwa  darauf  hinauslief :  Alle  Speculation  sei  Tand,  und  der  Mensch 
zu  schwach  und  unbedeutend,  um  sich  mit  Ergründung  des  Unendlichen  befassen 
zu  dürfen ;  er  müsse  fleißig  nach  den  Gesetzen  forschen,  welche  das  Weltall  regierten 
und  bewegten  und  sich  diesen  in  aller  Demuth  fügen.  Fortschreiten  der  Menschheit 
sei  Thorheit,  Alles  ein  ewiger  Wechsel  und  Kreislauf;  liege  doch  auch  in  der  Er- 
gebung etwas  Großes,  und  weiter  bringe  es  kein  Mensch.  —  Mein  guter  Gries  hatte 
eben  nicht  den  Zeug,  um  mich  zurechtzuweisen;  er  hatte  in  der  Speculation  auch 
nicht  viel  gethan,  und  protestirte  nur  ganz  richtig  im  Namen  der  Moral,  für  die  er 
einen  guten  Platz  angewiesen  haben  wollte,  die  aber,  meinte  ich.  wenn  sie  wirklich 
hineingehörte,  sich  schon  an  der  rechten  Stelle  einfinden  würde.  So  kam  ich  ganz 
stolz  auf  meine  Accommodationsphilosophie  nach  Hause.  Bald  "cdarauf  erschien 
Herbart,  der  sich  durch  den  lebhaften  Kopf  und  den  reinen  guten  Willen,  die  er 
bei  mir  fand,  zu  mir  hingezogen  fühlte  und  sich  gern  mit  mir  unterhielt.  Da  wir 
allein  waren,  währte  es  nicht  lange  bevor  wir  in  ein  ernstes  Gespräch  über  die 
Bestimmungsgründe,  unseres  Willens,  die  «letzten  Gründe  unserer  Erkenntniß  ver- 
flochten waren.  Da  kam  ich  nun,  meiner  Meinung  nach,  wohlgerüstet  mit  meinem 
System  herangezogen,  indem  ich  ihm  das  Gespräch  des  Nachmittags  mittheilte. 

Herbart  lächelte,  und  mit  der  ihm  eignen  Klarheit  und  Bündigkeit  hob  er  nun 
an,  von  den  einfachsten  Wahrnehmungen  der  sinnlichen  und  geistigen  Erfahrung- 
ausgehend,  mein  schönes  Gebäude  einzureißen  und  mir  begreiflich  zu  machen,  daß 
nur  in  meinem  Kopfe  jene  Gesetze  des  Weltalls,  das  Weltall  selbst,  die  ganze  leib- 
liche und  übersinnliche  Natur  sammt  allen  ihren  Erscheinungen  existire,  daß  ich 
mich  nur  in  Allem  sehe,  und  folglich  auch  nichts  habe  außer  [mir,  alles  Andere 
Schatten  von  mir,  ein  Traum  der  Seele  sei,  in  ihren  Tiefen  geträumt.  —  Mir  ward 
allmälig  eiskalt,  wie  ich  so  um  mich  her  Alles  verschwinden  sah,  die  befreundete 
Welt  mit  ihren  heiteren  Farben,  die  Luft  der  Sinne  und  was  das  Herz  liebte  in  der 
Natur,  deren  rechtes  leibliches  Kind  ich  mich  wohl  nennen  durfte. 

An  deren  Stelle  trat  nun  ein  düsteres,  formloses  Chaos,  ein  Unding,  Nicht-Ich, 
ohne  Gestalt,  Klang  und  Farbe;  in  diesem  Ungeheuern  bodenlosen  Abgrund  ich 
selbst,  allein  mit  mir,  der  nun  nicht  mehr  an  den  Strahlen  der  Sonne  sog,  sondern 
mich    selbst    erleuchten,    mir  in  meiner  Einsamkeit  genügen   sollte.  —  Einwenden 


*)  Nachforschungen  nach  diesem  Protokoll  waren  bisher  vergeblich.     D.  H. 


8 1795- 

konnte  ich  nichts  gegen  die  logische  Wahrheit,  die  strenge  Consequenz  von  Herbarts 
Deduction;  denn  unter  allen  Systemen  ist  der  reine  Idealismus  das  einzige  durchaus 
in  sich  gerundete  und  folgerechte  wenn  gleich  auf  einer  willkührlichen  Voraus- 
setzung gegründet.  Ich  mußte  ihm  stillhalten  und  langsam  den  Becher  der  Ver- 
nichtung trinken.  Es  war  eine  furchtbare  Stunde.  Es  war  Nacht  geworden  während 
wir  sprachen,  und  die  Welt  schwand  wirklich  vor  meinen  Sinnen.  ,, Verlaß  mich 
nicht*1,  rief  ich.  „du  grausamer  Freund,  der  du  mir  Alles  genommen !"  Er  aber 
faßte  meine  Hand  und  tröstete  mich  mit  sanften  Worten:  Das  Verlorene  werde 
sich  schöner  und  sicherer  wiederfinden;  er  verhieß  erhabene  freie  Aussicht,  herz- 
erquickende Wonne  und  mächtiges  Gefühl  meiner  selbst. 

Er  hielt  sein  Versprechen.  Schon  den  folgenden  Tag  fing  er  an,  mich  in  die 
Tiefen  der  Fichteschen  Philosophie  einzuführen.  Wir  lasen  die  Wissenschaftslehre 
täglich  von  5 — 6  Uhr;  er  gab  mir  über  die  schwersten  Abschnitte  derselben  deut- 
liche Uebersichten,  andere,  die  er  selbst  noch  nicht  ganz  verstand,  durchdachten 
wir  zusammen.  Bald  nachher  widmeten  wir  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  die 
Stunde  von  4 — 5  Uhr  Nachmittags.  Mir  fehlte  es  nicht  an  Abstractionsvermögen, 
wenn  gleich  damals  noch  an  der  Fähigkeit,  lange  Reihen  von  Thesen  und  Antithesen 
in  verschiedener  Potenz  mit  völliger  Klarheit  eine  geraume  Zeit  hindurch  festzu- 
halten. Mich  sprach  also  Anfangs  Inhalt  und  Methode  der  Kritik  mehr  an,  als  die 
Wissenschaftslehre.  Aber  dieß  änderte  sich  bald,  und  ich  fand  in  dieser  nachgerade 
ein  herrliches  gerundetes  Ganzes,  in  ihrem  practischen  Theile  lauter  Leben,  lauter 
Beziehung  aufs  Leben,  den  ganzen  kräftigen  Menschen  in  seiner  höchsten  Bestimmung. 
So  kam  aus  dem  Tode  die  Auferstehung,  und  aus  dem  Streit  entwickelte  sich  der 
Friede;  ich  dankte  meinem  Freunde  für  das  Leid,  das  er  mir  angethan.  Der  Geist 
fühlte  sich  frei  und  sicher;  er  glaubte,  den  innern  Kampf,  zu  dem  wir  geboren  sind, 
nun  zu  verstehen,  und  hatte  tief  im  Innern  eine  Heimat  und  Zuflucht  gefunden, 
die  gegen  alle  Stürme  von  Freude  und  Schmerz  ihn  schützen  sollte. 

Was  ich  der  Zeit  noch  verdanke  und  stets  verdanken  werde,  ist  das  tief  ein- 
geprägte Gefühl  von  der  geistigen  Würde  des  Menschen,  die  Gewohnheit  eines 
höheren  Maaßstabes  für  die  irdischen  Dinge  und  die  feste  Ueberzeugung  von  einer 
über  alle  weltliche  Verhältnisse  erhabene  Bestimmung,  die  mich  als  ein  rechter  Hort 
durch  die  mannigfaltigsten  Wecnsel  des  Lebens,  gute  und  böse  Tage,  begleitet  haben. 
Wohl  ist  mir  seitdem  klar  geworden,  daß  es  noch  ein  höheres  giebt  als  die  geistige 
Herrlichkeit  des  Menschen,  und  daß,  was  Bestand  haben  soll,  an  Gott  angeknüpft 
werden,  von  ihm  ausgehen  und  zu  ihm  zurückführen  muß.  Aber  auch  das  Beste 
mußte  sich  erst  langsam  aus  dem  Besseren  entwickeln,  und  in  dem  schönen  Trotz 
der  Jugend,  welche  aus  sich  jedes  Große  zu  entwickeln  und  durch  sich  es  zu  er- 
reichen sich  vermaß,  lagen  die  Keime  zu  jener  Demut  h,  die  nur  aus  dem  Rückblick 
auf  den  durchlaufenen  Kreis  menschlicher  Bestrebungen  und  Richtungen  hervor- 
gehen kann.  —  — 

Berger,  der  unschuldige  und  fromme,  der  überall  kein  Uebel  in  der  Welt 
anerkennen  wollte,  es  nur  als  mißverstandenes  Streben  zum  Guten  gelten  ließ,  ver- 
stattete keinen  Zweifel  an  dem  guten  Willen  der  Menschen ;  Hülsen,  der  erfahrenere, 
doch  kindliche  Mann,  dem  jener  seine  tiefere  Bildung  verdankte,  löste  in  wenige 
allgemeine  Sätze  von  der  Harmonie  des  Universums  jegliches  Widerstreben  auf. 
Beide  glaubten  an  die  allgewaltige  Kraft  der  Wahrheit,  um  Völker  zu  regeneriren 
und  Regenten  zu  bekehren.  Herbarts  Sinn  war  auf  die  Bildung  der  Jugend  aus- 
schließend gerichtet,  und  nicht  mit  Unrecht  fand  er  in  ihr  den  Hebel  zu  einer 
Umänderung  von   Innen  heraus. 


August   1795. 9 

2.  Eintragung  ins  Stammbuch  des  Jenenser  Studenten  Rumpf.1) 

Breve  et  irreparabile  tempus  ||  Omnibus  una  ruit:  sed  famam 

extendere  factis,  ||  Hoc  virtutis  opus.    Virg.  ||  Jenae  d.  XXI.  Aug.  1795.    In 
sui  memoriam  scripsit  J.  F.   Herbart. 

3.  An   V.    Halem.2)  Jena  am   28  sten  August   1795. 

Sie  wissen  es,  höchstgeschätzter  Herr  Canzleyrath,  was  diesen  Brief 
so  lange  zurückhielt.  Könnten  Sie  geglaubt  haben,  dass  ich  das  Glück, 
ihn  schreiben  zu  dürfen,  nicht  in  seinem  ganzem  Umfange  fühlte,  —  um 
meiner  Ruhe  willen,  darf  ich  das  nicht  für  möglich  halten.   — 

Aus  einer  Art  von  Ohnmacht  des  Körpers  und  Geistes  glaube  ich 
nachgerade  zu  erwachen.  Da  ich  hieher  kam,  änderten  sich  meine  Be- 
schäftigungen so  sehr  wie  alle  meine  andern  Verhältnisse.  Die  Wissen- 
schaftslehre machte,  um  für  ihr  unendliches  Ich  Platz  zu  gewinnen,  eine 
unendliche  Leere  in  meinem  Kopfe.  In  ein  Labyrinth  von  Zweifeln  ver- 
wickelt werden,  das  kann  vielleicht  zu  desto  angestrengterer  Thätigkeit 
spornen;  aber  unter  mir  wich  aller  Grund  und  Boden,  betäubt  lag  ich 
da;  ohne  selbst  mir  helfen  zu  können,  musste  ich  mich  der  Hand  über- 
lassen, die  mich  nur  langsam  wieder  aufrichten  konnte  und  wollte.  Dies 
traf  zwar  nur  das  wovon  ich  theoretisch  überzeugt  zu  seyn  glaubte,  aber 
damit  verlor  ich  den  Stoff  zum  eignen  Denken,  das,  was  mich,  es  mochte 
noch  so  unbedeutend  oder  falsch  sein,  doch  wenigstens  am  interessantesten 
beschäftigt,  worin  ich  gleichsam  gelebt  und  gewebt  hatte.  —  Manche 
Menschen  fiössten  mir  Achtung  ein,  aber  ihr  Ton,  ihre  Sitten  waren  mir 
fremd,  ich  wusste  nicht  mit  ihnen  umzugehn;  daher  glaubte  ich  mich  wo 
möglich  noch  tiefer  unter  ihnen  wie  ich  wirklich  war.  —  Regelmässiges 
Arbeiten  würde  mich  gewiss  bald  aus  diesem  Zustande  herausgehoben, 
mir  mit  meiner  Thätigkeit  auch  frohe  Laune  wiedergegeben  haben, 
häufigere  körperliche  Bewegung  hätte  manche  Unpässlichkeit  verhüten 
können,  die  sich  dazu  gesellte:  das  Eine  verboten  meine  Augen,  das 
andre  mein  Backengeschwür.  Ich  schämte  mich  vor  mir  selbst,  und 
mochte  mich  kaum  meinen  Eltern  in  meinen  Briefen  zeigen.  —  Erst  seit 
kurzem  schimmert  mir  der  Geist  der  Wissenschaftslehre  hell  genug  durch 
ihren  anscheinend  paradoxen  Buchstaben,  um  mich  die  Stunden  ausfüllen 
zu  lehren,  die  ich  vorher  im  Unmuth  über  mich  und  meine  Augen  zu 
verlieren  pflegte.   — 

Dass  Fichte  der  Verfasser  des  Beytrags  zur  Berichtig,  d.  Urth.  ü.  d. 
fr.[anzösische]  R,  [evolution]  ist,  haben  Sie  wol  schon  lange  mit  Gewissheit 
erfahren.  Der  Herzog  von  Weimar  scheint  ihn  dennoch  sehr  zu  schätzen, 
da   er  ihn,   ungeachtet  seiner  Theorie  von  den  Verträgen,  als  einen  gleich 


1)  Im  Besitze  des  Herausgebers.    Bereits  gedruckt  in  Ztschr.  f.  Phil.  u.  Päd.  XV, 
3.     S.  139.     Langensalza   1907. 

2)  Die  Briefe  an  Kanzleirat  von  Halem  in  Oldenburg  befinden  sich  in  der  Großh 
öff.  Bibliothek  in  Oldenburg.  Herr  Oberbibliothekar  Prof.  A.  Kühn  hatte  die  Güte, 
die  Briefe,  die  schon  bei  Ziller  (Herbartische  Reliquien)  gedruckt  sind,  mit  den  Originalen 
zu  vergleichen  und  die  vielen  oft  sinnstörenden  Fehler  bei  Ziller  zu  berichtigen.  — 
Gerhard  Anton  von  Halem  (1752 — 1819)  war  ein  Schüler  von  Herbarts  Großvater 
und  ein  Freund  der  Familie.      Über  ihn  vgl.  Allg.  D.  Biographie  Bd.  10,  S.  407. 


IO 1795- 

zuverlässigen,  und  geraden,  offnen  Mann  kennt.  Uebrigens  dachte  F.  sich 
damals,  als  er  jenes  Buch  schrieb,  noch  nicht  die  Principien,  die  er  jetzt 
der  ganzen  Philosophie  zum  Grunde  legt;  daher  dürfte  in  dem  Naturrecht, 
welches  er  jetzt  ausarbeitet,  manches  anders  modificirt  werden.  Zudem 
scheint  er  wenig  an  dem,  was  er  einmal  geschrieben,  zu  hängen;  selbst 
in  Ansehung  der  Wissenschaftslehre,  deren  erste  Bogen  kaum  ein  Jahr 
alt  sind,  warnt  er  mich,  nicht  an  den  Buchstaben  des  Einzelnen  zu 
kleben,  sondern  alles  aus  dem  Gesichtspuncte  des  Ganzen  anzusehn.  Die 
Totalität  seines  Geistes  die  sich  auch  in  seinem  System  so  sehr  zeigt, 
ist  das,  was  ich  am  meisten  an  ihm  bewundern  muss.  „Die  Wissen- 
schaftslehre" —  sagt  er  am  Ende  des  5  §.  der  Grundlage,  wo  er  über- 
haupt sein  System  so  trefflich  characterisirt,  —  soll  den  ganzen  Men- 
schen erschöpfen;  sie  lässt  sich  daher  nur  mit  der  Totalität  seines  ganzen 
Vermögens  auffassen.  Sie  kann  nicht  allgemeingeltende  Philosophie 
werden,  so  lange  in  so  vielen  Menschen  die  Bildung  eine  Gemüthskraft 
zum  Vortheil  der  andern,  die  Einbildungskraft  zum  Vortheil  des  Ver- 
standes, den  Verstand  zum  Vortheil  der  Einbildungskraft,  —  u.  s.  w.  — 
tödtet.  Mangel  an  Einbildungskraft  legt  er  den  meisten  jetzigen  Philo- 
sophen zur  Last;  von  den  Dichtern  hingegen  erwartet  er  sehr  viel  für 
seine  Philosophie.  Unter  allen  Menschen  glaubt  er  bis  jetzt  von  Schillern 
und  Göthe'n  sich  am  besten  verstanden,  die  sich  sehr  mit  seinem  System 
beschäftigen.  —  Seit  meinem  Umgange  mit  Fichte'n  habe  ich  es  recht 
gefühlt,  wie  wesentlich  die  Cultur  des  ästhetischen  Vermögens  zur  Aus- 
bildung des  ganzen  Menschen  gehört.  Könnte  ich  jetzt  jene  kostbaren 
Stunden  zurückrufen,  wo  Sie  mit  so  vieler  Güte  mich  auf  diesen  Weg 
leiten  wollten!  Wie  noch  viel  dankbarer,  wie  viel  eifriger  sollten  Sie  mich 
jetzt  finden,  als  damals!   — 

Hr.  Prof.  Woltmann1)  ist  noch  immer  mit  literarischen  Arbeiten 
äusserst  beschäftigt.  Seine  letzte  Schrift,  Plan  zu  historischen  Vorlesungen, 
haben  Sie  wahrscheinlich  gelesen.  Jetzt  wendet  er  seyne  müssigen  Stunden 
zu  einem  Trauerspiele  an,  wo  die  Scene  in  Bremen  ist,  und  das  in  die 
Zeit  der  schönsten  Blüte  des  Hansebundes  fällt.  Manche  kleine  Gedichte 
von  ihm  finden  Sie  in  den   Hören. 

Werden  wir  nicht  bald  auf  einen  neuen  Band  Ihrer  Poesie  und 
Prose  hoffen   dürfen?    Wie    würde  ich    mich    freuen,    ein  Gegenstück  zum 


*)  Über  C.  L.  Woltmann  vgl.  Allgem.  D.  Biogr.  Bd.  10,  S.  408.  „In  der 
ersten  Zeit  seines  Aufenthaltes  in  Jena  zog  Fichte  mehrere  Studierende  an  den  ge- 
meinschaftlichen Mittagstisch,  den  er  mit  Woltmann  und  Niethammer  verabredet 
hatte.  An  dieser  Mittagstafel  erwähnte  Woltmann  Herbarts  als  eines  vielver- 
sprechenden jungen  Mannes  und  empfahl  ihn  zur  Aufnahme  bei  dem  Mittagstische  .  .  . 
Herbarts  Verkehr  mit  Fichte  wurde  im  J.  1795  dadurch  unterbrochen,  daß  dieser  von 
Jena  nach  Osmannstädt  zog.  [Fichtes  Bemühungen,  die  Studentenorden  auszurotten,  hatten 
lebhafte  Spaltungen  und  Tumulte  hervorgerufen  und  ihn  veranlaßt,  sich  nach  Osmann- 
städt zurückzuziehen.  S.  Rists  Lebenserinnerungen  t88o,  S.  51.]  ...  Auch  mit  Schiller 
kam  Herbart  durch  seine  Mutter  in  nähere  Berührung  u.  begleitete  diesen  einmal  auf 
einer  Reise  nach  Leipzig.  Hartenstein,  Herbarts  kleinere  phil.  Schriften,  Leipzig  1842, 
Bd.  I,  S.  XV,  Anm.  —  Über  Fichte  und  Frau  sagt  Rist  a.  a.  O.  S.  70:  „Ein  wunder- 
licheres Paar,  als  er  u.  seine  von  allen  Grazien  verlassene  kleine  Frau,  ist  nie  um  den 
Graben  von  Jena  geschritten. " 


September,  Oktober  1795.  II 


Conradin  oder    der  Adelheid    darin    zu   finden!    Recht    vielen    Dank   habe 
ich  hier  schon  eingeärndtet,  wenn  ich  jene  beyden  Gedichte  vorlas. 

Von  unserm  vortrefflichen  Schütz  möchte  ich  Ihnen  so  gern  ange- 
nehmere Nachrichten  bringen  können!  Er  ist  den  ganzen  Sommer  hin- 
durch gefährlich  krank  gewesen;  die  Ärzte  hatten  ihn  aufgegeben  und 
sollen  auch  jetzt  schwache  Hoffnung  haben,  ihn  je  ganz  wieder  herstellen 
zu  können.  Welcher  Verlust  würde  es  für  Jena  seyn,  wenn  er,  wenn 
Paulus,  der  auch  kränkelt,  stürben!  Schnaubert  soll  auch  mit  dem  Hofe 
seit  einiger  Zeit  so  gespannt  seyn,  dass  man  fürchtet,  er  werde  bey  der 
ersten  Gelegenheit  von  hier  gehn.  —  Um  so  mehr  muss  ich  wol  diesen 
Winter  sein  jus  publicum  hören.1)  Im  Grunde  möchte  ich  sehr  gern  die 
Jurisprudenz  noch  so  lange  liegen  lassen,  bis  ich  mit  der  Philosophie,  den 
schönen  Wissenschaften,  selbst  mit  der  Mathematik  weiter  vorgerückt 
wäre.  Hiedurch  mehr  gebildet,  müsste  ich,  dünkt  mich,  alles  historische 
und  positive  von  einem  umfassenderen  Gesichtspuncte  ansehn  können,  es 
leichter  und  interessanter  finden;  meine  Augen  gewönnen  unterdess  Zeit 
zu  einer  radicalen  Besserung,  da  sie  durch  jene  Studien  ungleich  weniger 
als  durch  diese  angestrengt  würden.  —  Dürfte  ich  darüber  um  Ihren 
gütigen  Rath  bitten?  Überhaupt  kann  mein  langes  Geplauder  von  mir 
selber  nur  durch  die  Hoffnung  und  den  innigsten  Wunsch  vielleicht  ver- 
zeihlich werden,  dass  Sie  dadurch  vielleicht  zu  einigen  Bemerkungen  über 
mich  veranlasst  werden  und  mir  dieselben  mittheilen  würden.   — 

Was  macht  Mademoiselle  Sophie?  Ist  ihr  die  Harfe  wol  noch  ein 
wenig  lieb?  Ich  würde  mich  sehr  freuen  wenn  sie  sich  meiner  zuweilen 
erinnerte.   — 

Mit  der  grössten   Hochachtung  habe  ich  die  Ehre  zu  seyn 

Ihr  gehorsamer  F.   Herbart. 

Sept.:  Reise  mit  Smidt,  Hörn  u.  Spiegel  nach  Carlsbad,  Teplitz,  Dresden. 

(S.  Bd.  I,  S.  XXIX.) 

4.     Woltmann  über  H.  in  einem  Briefe  an  Smidt  i.  Okt.  1795: 

„Herbart  ist  ein  philosophischer  Kopf,  überhaupt  ein  trefflicher  Jüngling,  aber 
er  scheint  zu  früh  an  der  einen  Seite  gereift,  die  Genialität  der  Jugend  fehlt  ihm. 
Die  Erziehung  hätte  bei  ihm  um  so  mehr  darauf  hinwirken  sollen,  je  weniger  ihm 
die  Natur  von  jenem  äolischen  Harfenspiel  der  Einbildungskraft  u.  der  Empfindung 
verliehen,  wodurch  der  Mensch  in  ewiger  Jugend  zauberisch  erhalten  wird/'2) 


*)  Über  Herbart's  juristisches  Studium  cf.  Hartenstein,  Herbarts  kleinere  phil. 
Schriften,  Leipzig  I842,  Bd.  I,  S.  XIV,  Zeitschrift  für  exacte  Philosophie  I,  S.  57  und 
JÖRDENS,  Nienburger  Progymnasialprogramm   1860,  S.  II. 

2)  S.  Bd.  I.     S.  XXXXV. 


1796. 


W. :  „Einige  Bemerkungen  über  den  Begriff  des  Ideals,  in  Rücksicht  auf  Rists  Aufsatz  über 
moralische  und  ästhetische'  Ideale."  S.  Bd.  I.  S.  5  —  8.  —  „Spinoza  und  Schelling, 
eine  Skizze."  S.  Bd.  I.  S.  9 — 11.  —  „Versuch  einer  Beurteilung  von  Schellings 
Schrift:  Über  die  Möglichkeit  einer  Form  der  Philosophie  überhaupt."  S.  Bd.  I. 
S.  12  — 16.  —  „Über  Schellings  Schrift:  Vom  Ich,  oder  dem  Unbedingten  im  mensch- 
lichen Wissen."     S.  Bd.  I.     S.  17—33. 

5.  An  Smidt.1)  Jena  am  23  sten  Jan.  96. 

Bester  Smidt.  Du  erhältst  diesmal  für  Deinen  lieben  langen  Brief 
nur  einen  bloßen  Dank,  und  überdies  eine  Bitte,  die  Einlagen  zu  be- 
sorgen. Hoffentlich  trifft  Dich  dieser  Brief  noch  vor  Deiner  Tour  nach 
Oldenburg.  In  diesem  Falle  wirst  Du  so  gut  seyn  den  Brief  an  meine 
Mutter  selbst  mitzunehmen.  Ich  bitte  Dich  dringend,  ihn  ihr  selbst,  wenn 
sie  ganz  allein  ist,  einzuhändigen;*)  ich  bitte  Dich  durchaus  gegen  niemand 
eine  Sylbe  davon  zu  erwähnen.  Solltest  Du  schon  in  Oldenb.  gewesen 
seyn,  so  mußt  Du  ihn  lieber  liegen  lassen,**)  u.  mir  gelegen tl.  zurück- 
schicken, auf  jeden  Fall  bitte  ich  Dich  mich  davon  baldigst  zu  benach- 
richtigen. Du  wirst  alle  Sorgfalt  anwenden,  mir  diesen  Gefallen  ganz  zu 
thun.  —  Fichte  grüßt  Dich  nebst  seiner  Frau.  Er  glaubt  der  Aufsatz 
werde  sich  nicht  ganz  für  die  Hören  schicken;  auch  würde  Schiller  wol 
nicht  selbst  darüber  an  den  Verfasser  schreiben.  Übrigens  entschuldigt 
sich  F.  der  jetzt  bis  Mitternacht  arbeitet,  daß  er  nicht  selbst  schreiben 
kann.  —  Von  Meen  erhalte  ich  so  eben  einen  Brief.  Grüß  ihn.  Sag  ihm 
vielen  Dank  von  mir  für  [2]  das  richtig  angekommene  Paquet.  Sobald 
als  möglich  ich  hoffe  nächsten  Posttag  erhaltet  Ihr  beide  mehr  von  mir. 
Dein  Herbart. 

*)  Durchstrichen:  „dafür  zu  sorgen,  daß  sie  und  sonst  niemand  ihn,  wo  möglich 
aus  deinen  eignen  Händen  bekomme." 

**)  Durchstrichen:  ,,ob  sich  eine  Gelegenheit  findet,  durch  die  er  ganz  sicher  und 
ohne  alles  Aufsehen  zu  ihr  selbst  kommen  kann.  Ist  dies  geschehen,  oder  kann  es 
nicht  gleich  geschehen  so"  bitte  .  .  . 

1 )  1  S.  4Ü.  —  Die  26  Briefe  Herbarts  an  Joh.  Smidt  (über  ihn  vgl.  W.  I.,  S.  XXI) 
sowie  die  Briefe  von  Herbarts  Eltern  sind  im  Archiv  der  Smidt-Stiftung,  das  im  Archiv 
der  freien  Hansestadt  Bremen  aufbewahrt  wird.  Sie  wurden  mir  —  besonders  durch 
die  Fürsprache  des  Hrn.  Richter  Dr.  J.  Smidt  —  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt. 
Herrn  Richter  Dr.  Smidt  verdanke  ich  auch  die  zahlreichen  Notizen  aus  Briefen  an 
Smidt  mit  Nachrichten  über  Herbart. 


Januar   1796.  1^ 

Eiligst.  Am  24sten.  Gestern  kam  mein  Brief  nicht  weg,  heute 
nimmt  ihn  die  fahrende  Post  mit.  Was  für  ein  Misverstand  Dich  zu 
Deiner,  mir  übrigens  sehr  willkommenen  Predigt  über  die  Verzweitlung  an 
sich  selbst  veranlaßt  hat,  davon  nächstens  noch  ein  Wort. 

6.   An    Smidt.1)  Jena  am  29sten  Jan.  1796. 

Hoffentlich,  bester  Smidt,  hast  Du  mein  letztes  großes  Paquet  vom 
Sonnabend  richtig  erhalten,  und  wirst  mir  so  bald  Du  irgend  kannst, 
davon  gewisse  Nachricht  geben.  Zu  gleicher  Zeit  wirst  Du  mir  den  Brief 
an  meine  M[utter]  zurückschicken,  oder  mir  sagen,  daß  Du  ihn  ihr  selbst 
unter  vier  Augen  eingehändigt,  oder  daß  Du  noch  gar  nicht  in  Oldenb. 
gewesen  bist.  Äußerst  begierig  bin  ich,  —  solltest  Du  es  glauben?  — 
auf  das  was  Du  von  dem  jetzigen  Urtheile  meiner  Eltern  über  mich 
sagen  wirst.  Doch  ich  muß  Dich  erst  mit  meinem  Unglück  bekannt 
machen.  Drey  lange  Briefe,  die  ich  im  Okt.  und  Nov.  an  meine  Eltern 
schrieb,  mit  Nachricht  von  unserem  Aufenthalt  in  Dresden,  von  der  An- 
kunft meines  Klaviers,  und  über  manche  andere  Sachen,  die  sie  dringend 
zu  wissen  verlangte,  sind  durch  die  Dieberey  meiner  damaligen  Aufwärterin 
untergeschlagen,  um  das  Postgeld  zu  stehlen ! ! !  Daß  meine  Eltern  nun 
gar  nicht  wußten  was  sie  von  mir  denken  sollten,  oder  vielmehr,  daß  sie 
sehr  bestimmt  mich  für  einen  —  ich  weiß  kein  Wort  —  daß  sie  mich 
für  schrecklich  tief  gesunken  ansahen,  läßt  sich  begreifen.  Aber  wirklich 
sind  die  Vorwürfe  meiner  Mutter  so  hart  und  schneidend,  daß  ich's 
dennoch  kaum  begreife!  So  gar  kein  Gedanke,  daß  irgend  eine  versteckte 
Ursache  mich  werde  entschuldigen  können!  Du  kannst  Dir  nicht  denken, 
was  ich  darüber  gelitten  habe.  —  Und  nun  vollends  —  heute  vor  1 4  Tage 
schrieb  ich  alles  umständlich;  —  heute  hätte  ich  von  ihnen  lesen  können, 
daß  sie  befriedigt  wären;  aber  kein  Brief  ist  gekommen!  —  Es  kann 
seyn,  daß  das  was  ich  außer  meiner  weitläuftigen  Erzählung  wie  ich  end- 
lich jene  Dieberey  entdeckt  habe,  noch  von  anderen  Dingen  hinzufügte, 
und  worauf  sie  eben  begierig  seyn  mochten,  für  sie  viel  zu  kurz  und 
trocken  gewesen  ist,  daß  sie  wol  nun  noch  erwarteten,  ich  sollte  noch 
einmal  von  Dresden  erzählen.  Aber  wie  konnte  ich  nach  einer  solchen 
Geschichte,  noch  von  gleichgültigem  Dingen  viel  reden!  Wie  kann  man 
Neuigkeiten  erzählen,  angenehme  Stunden  schildern,  wenn  ein  solcher 
Zweifel  über  die  Gesinnung  der  Eltern   Kopf  und   Herz  drückt!   [2] 

Auf  Dich  habe  ich  mich  berufen,  bester  Smidt.  Auf  Deine  Freund- 
schaft für  mich.  Das  konnte  ich  so  viel  eher,  da  Dein  letzter  Brief  mir 
so  sehr  wie  irgend  einer  von  allen  den  herzlichen  Stunden  die  wir  zu- 
sammen verlebten,  es  ganz  sagt,  was  ich  an  Dir  habe!  —  Auf  etwas 
mußte  ich  mich  doch  berufen.  Konnten  sie  sich  so  frech  vernachläßigt 
glauben,  fiel  es  ihnen  nicht  von  selbst  ein,  daß  sich  das  anders  aufklären 
müsse,  so  konnten  sie  nun  auch  alles  für  erlogene  Entschuldigungen 
halten!  —  Wo  ist  die  Zeit  hin,  da  mein  Ja  und  Nein  für  vollen  Beweis 
galt!    —    Du    fordre   jetzt    auf   dein    ehrlich    Gesicht    den    Glauben,    daß 

x)  4  S.  4°. 


ja  Januar   1796. 

Deine  Freundschaft  für  keinen  solchen  Lügner  sei.  —  Sorge  übrigens 
selbst,  daß  man  Dich  nicht  für  einen  liederlichen  Fant  hält,  —  denn  wie 
sollte  ich  jetzt  jemanden  entschuldigen,  was  mag  man  mir  selbst  nicht 
alles  zutrauen! 

Du  begreifst  jetzt  wol,  was  meine  Mutter  drückte,  da  sie  von  mir 
sprach.  Du  siehst  nun  daß  es  mit  meiner  gefürchteten  Krankheit  und 
Selbstverzweiflung  nicht  so  ganz  Ernst  war.  Aber  konntest  Du  glauben 
daß  sich  ein  fremdes  Frauenzimmer  Dir  auf  den  ersten  Blick  gleich 
öffnen  werde?  Glaube  mir,  Bester!  bey  meiner  Mutter  spricht  —  zwar 
der  Verstand  nie  ohne  das  Herz  —  aber  auch  das  Herz  nie  ohne  den 
Verstand.  Ihr  tiefes  Gefühl  untergräbt  schrecklich  ihre  Gesundheit;  leicht 
kann  es  ihr  das  Leben  rauben,  aber  nie  den  Kopf.  Schreib  mir  mit 
allen  kleinsten  Umständen,  wie  Du  sie  fandest.  Wie  niedergeschlagen 
oder  wie  heiter.  Ob  herzlich,  oder  mit  angenommener  Munterkeit.  In 
jenem  Falle  hat  sie  sich  Dir  einiger  maßen  geöffnet,  im  letzteren  schwer- 
lich. Durch  ihre  Munterkeit  glaubt  sie  eine  Pflicht  der  Geselligkeit  zu 
erfüllen,  das  ist  alles.    —    — 

Das  hat  mich  den  letzten  Monat  oft  traurig  gemacht.  Sonst  bin  ich 
guter  Dinge;  frey  streife  viel  auf  dem  Klavier  umher,  und  wenns  mir  ein- 
fällt auch  auf  dem  Felde.  Erst  neulich  lief  ich  einmal  Nachmittags  von 
hier  weg  mit  den  Hören  und  einigen  Schreibereyen  in  der  Tasche  schlief 
in  Lobeda,  ging  den  andern  [3]  morgen  nach  manchem  Kreuz  und  Querzug 
über  Berg  und  Thal  nach  Roda,  schlief  des  Abends,  schrieb  des  Nachts, 
legte  mich  gegen  Morgen  wieder  nieder,  und  spazirte  dann,  nach 
dem  ich  recht  ausgeschlafen,  wieder  hieher.  Daß  die  Collegien  mich  nicht 
binden  —  weniger  als  sie  sollten  —  weißt  Du.  Von  meiner  Un- 
zufriedenheit mit  mir  selbst  —  die  von  der  Verzweiflung  an  mir  selbst 
gewaltig  entfernt  ist  —  mag  ich  gar  nicht  reden.  Wol  regt  sich  das 
radicale  Böse  alle  Stunde  u.  Augenblick  in  mir,  ich  thue  so  selten  was 
ich  will,  wenigstens  währt  es  eine  halbe  Stunde  ehe  die  Ordre  meines 
Ich  befolgt  wird  —  von  meiner  Reflexionsfreyheit  wollen  wir  also  nicht 
rühmen  —  aber  man  sollte  das  gar  nicht  sagen,  nicht  einmal  sich  selbst 
sollte  man  es  gestehn,  denn  was  hindert  mich,  diesen  Augenblick  gleich 
frey  zu  seyn  da  ich  nur  daran  denke,  was  hindert  mich  den  alten  Men- 
schen eben  jetzt  gleich  von  mir  zu  werfen  und  dann  gar  nicht  mehr  der- 
selbe zu  seyn?  das  sage  ich  mir  alle  Tage;  und  das  ist  wol  nicht  die 
Denkart  dessen  der  an  sich  selbst  verzweifelt;  sondern  dessen  der  seine 
Besserung  nur  der  wahren  Kraft  seines  Geistes,  und  nicht  jener  beliebten 
Rene  —  wahrlich  kann  es  keine  zusammenschnürendere  Beschränkung  für 
das  Ich  geben  —  verdanken  will.  —  Aber  doch  drückt  es  auch  nicht 
wenig  daß  ich  so  arm  an  allen  geselligen  Tugenden  bin.  Recht  auf- 
fallend wird  es  mir  jetzt  im  Sonntagsklub  —  Du  mußt  wissen  daß  ich 
jetzt  die  Welt  suche  —  es  liegt  wahrlich  nicht  am  Wollen  und  Wünschen, 
daß  ich  so  gar  nicht  an  die  Damen  kommen  kann  —  zwar  thut  es  mir 
nicht  leid  daß  sie  mein  Herz  noch  immer  in  seiner  stolzen  Ruhe  lassen, 
und  daß  ich  die  Zahl  ihrer  ernstlichen  Verehrer  nicht  mehren  kann ;  aber 
stielen  möchte  ich  gar  gern  mit  ihnen  können,  weil  es  doch  nun  einmal 
auch    so   mit  dazu    gehört  —   Du    guter   Freund  denkst   wol    jetzt    so  zu- 


Februar  1796.  15 

weilen  an  eine  Synthesis  zwischen  Spiel  und  Ernst  —  in  Deiner  Lage, 
in  Deiner  Stimmung  preise  ich  Dich  glücklich  vorausgesetzt,  daß  Du, 
wenn  Du  von  der  Freyheit  des  Geistes  predigst,  auch  selbst  Dein  an- 
dächtiger Zuhörer  bist.   [4] 

Schick  uns  doch  die  Predigt  um  Ostern  herüber,  wenn  Du  nicht 
etwa  noch  etwas  Besseres  zum  Besten  geben  willst,  ein  schöneres  Thema 
findest  Du  wenigstens  wol  schwerlich.  Wir  rechnen  auf  jeden  Fall  ganz 
vorzüglich  auf  Dich  —  Du  merkst  doch,  daß  ich  mich  auf  die  Einlage 
beziehe?  —  Außerdem  vorzüglich  auf  Hörn,  Koppen  und  Cramer.  Wir 
hoffen  auch  auf  Breuning,  Meister  und  Krüger.  (In  Parenthese  —  hast 
Du  von  Breuning  eben  so  wenig  Nachricht  wie  Floret  und  ich?  Wir 
wissen  seit  fast  einem  4teljahr  nicht  einmal  seine  Adresse.)  Von  Bärn- 
hoff,  der  jetzt  nach  Petersburg  als  Informator  geht,  ist  wol  nichts  zu  er- 
warten. Du  hast  doch  endlich  Briefe  von  ihm?  —  Hörn  hat  mir  neulich 
geschrieben,  und  eben  darin  den  ersten  Vorschlag  gethan,  der  unsern 
Plan  veranlaßte.  Was  ihm  davon  angehört  findest  Du  in  der  Einlage  be- 
merkt. Der  Aufsatz  selbst  ist,  bis  auf  wenige  Worte,  von  mir;  weil  ich 
Horns  Brief  hätte,  sagte  man,  so  könnte  ich  das  am  besten  concipiren. 
Das  Ding  hat  uns  allen  in  diesen  Tagen  viel  Freude  gemacht.  —  Es 
sind  3  neue  Mitglieder  aufgenommen;  der  Liefländer  Thiel,  und  die 
beyden  Hamburger  Rist  und  Gries.  Den  ersteren  kenne  ich  wenig  die 
beyden  letzeren  sind  ein  paar  Menschen  von  trefflichem  Kopf  und 
Charakter,  und  jetzt  mein  liebster  Umgang.  Schade  daß  Rist  schon  Ostern 
fortgeht.  —  Du  sagst  mir  daß  Floret  ein  Herz  hat.  Wol  hat  er  es,  aber 
er  trägts  tief  im  Busen,  und  ich  habe  es  gar  zu  gern,  wenn  es  manchmal 
auf  die  Zunge  kommt.  Mit  einem  Worte,  er  ist  nicht  gesellig.  Ich  esse 
Mittags  bei  ihm;  mit  Velthusen,  Bekedorf  und  Bigeleben;  aber  es  giebt 
nie  ein  ordentliches  Tischgespräch;  der  eine  liest,  der  andere  spricht  vom 
Fechten  und  ledernen  Hosen,  dann  kommt  Lindner  herauf  und  fängt  an 
zu  witzeln,  das  alles  ist  nicht  für  mich.  Sonst  schätze  ich  Floret  sehr, 
habe  auch  wol  so  beyläufig  eine  interessante  Stunde  mit  ihm  gehabt.  — 
Fichte'n  sehe  ich  selten,  er  arbeitet  jetzt  bis  Mitternacht  am  Naturrecht. 
Das  Collegium  ist  äußert  interessant,  die  Paradoxien  der  Bey träge  lösen 
sich  trefflich  auf.  Lossius  arbeitet  hoffentl.  an  Deinem  Heft.  —  Papa  L. 
quält  seine  L.  mit  seinen  Grillen,  und  studiert  seine  Pandekten  sehr 
fleißig,   das  ist  alles  was  ich  von  ihm  weiß. 

Schreib  mir  bald  lieber  Smidt,  und  sag  mir  Dein  Urtheil  über  die 
Einlage.  Empfiehl  mich  auch  an  Meen,  nächsten  Posttag  schreib  ich  ihm. 
Es  wäre  heute  geschehen,  hätte  ich  nicht  gestern  für  die  Gesellschaft  zu 
schreiben  gehabt.  Dein   Herbart. 

Schreib  mir  doch  Meisters  Adresse  oder  besorge  die  Einlage  an  ihn. 

7.     Herbarts  Mutter  an  Smidt.1)  Oldenburg  am  20ten  Febr.  1796. 

Mein  theuerster  Freund,  So  lassen  Sie  mich  immer  sagen:  denn  wenn  auch 
Sie  nichts  als  Mitleid  für  eine  Mutter  empfinden  können,  die  Ihnen  mit  ihren 
8chwächen  zu  wiederhohlten  malen  so  lästig  war,   so  habe  doch  ich  in  den  beyden 

x)  4  S.  4°. 


j5  Februar   1796. 

ängstlichen  Vorfallen  meines  Lebens  Ihnen  allein  die  "Wiederkehr  meiner  Ruhe  zu 
danken.  Daß  ich  es  ganz  empfinde  was  Sie  für  mich  und  mehr  noch  was  Sie  für 
meinen  Sohn  gethan  haben,  darf  ich  Ihnen  nicht  erst  sagen  —  nur  einige  Nach- 
sicht und  Unterstützung  noch  schenken  Sie  derjenigen  die  es  19  ganzer  Jahre  ge- 
wohnt war  ihren  Zögling  auf  jeden  seiner  Schritte  zu  begleiten  oder  doch  zu  be- 
obachten, und  ihn,  mit  dessen  geistigen  und  physischen  Kräften  sie  hier  nicht  ganz 
bekannt  werden  konnte,  noch  nicht  ohne  alle  Furcht  auf  einem  schlüpfrigen,  ihr 
ganz  unbekanntem  Wege  allein  gehen  sehen  kann.  "Wahr  ist  es,  ich  glaube  nun 
an  das  aus  Erfahrung,  was  ich  bey  seinem  Abschiede  mit  Zuversicht  hoffte:  Mein 
Sohn  werde  sich  von  aussen  her  nicht  verführen  lassen.  Ob  er  aber  sich  selbst 
nicht  leicht  irre  führen  könne?  Das  ist  was  anders.  Vors  erste  bin  ich  zufrieden 
daß  er  noch  ganz  der  Alte  ist.  Daß  er  es  nicht  versäumt  hat  an  Sie  zu  schreiben, 
daß  auch  ein  Brief  an  mich  zur  bestimmten  Zeit  mit  bündigen  Beweisen  von  seinen 
unveränderten  Gesinnungen  da  war,  das  ist  mir  genug,  und  dies  bewieß  mir  auch, 
daß  Sie  die  Güte  gehabt  hatten  Ihr  Versprechen  zu  erfüllen.  "Wenn  denn  nur  mein 
Sohn  sich  Ihre  Freundschaft  zu  erhalten  weiß,  so  wird  er  mit  Hülfe  derselben  und 
bey  mehrerer  Erfahrung,  als  ein  vernünftiger  und  brauchbarer  Mensch  alle  meine 
Wünsche  erfüllen.  Ich  verlange  weder  ein  Genie  noch  einen  Engel  zum  Sohn  zu 
haben,  und  daher  kann  mir  das,  was  Sie  die  Güte  gehabt  haben  von  ihm  abzu- 
schreiben, nicht  ganz  gefallen.  Es  sind  seine,  und  waren  auch  weiland  meine  alten 
Lieblingsträume,  nur  in  einer  neuen  Sprache  aufgetragen.  Ich  sagte  vordem :  Kein 
Mensch  ist  edel  und  frey  der  den  Begierden  gehorchet,  und  in  solchen  Augenblicken 
des  Selbstgefühls,  ergriff  die  Leidenschaft  den  Zügel  und  führte  mich  wohin  sie 
wollte.  Wenn  dann  Körperliche  Schwächen  und  Widerwärtigkeiten  von  aussen 
hinzukommen,  sollte  man  da  nicht  um  so  eher  die  Geduld  mit  sich  selbst,  und 
allen  Glauben  an  das  theure  Ich  verlieren? 

Doch  zu  etwas  Andern.  Durch  eine  Nachlässigkeit  der  Post  erhielt,  ich  Ihre 
gütigen  Zeilen  erst  nach  10  Uhr  gestern  Morgen,  so  schnell  ich  also  auch  ein  Packet 
mit  Eßwaaren  expedirt  hatte,  so  mußte  es  doch  zurück  bleiben,  weil  die  fahrende 
Post  genau  um  11  Uhr  abgegangen  war.  Meine  Bothenfrau  kann  indeß  zu  Zeiten 
dem  Fuhrmann  Haushalter  nachfragen,  da  ich  nun  durch  Ihre  Güte  seine  Adresse 
habe. 

Es  bleibt  doch  dabey  daß  ich  auf  Ostern  das  Vergnügen  habe  Sie  zu  sehen? 
Pr.  Woltmann  wird  schon  8  Tage  früher  hier  seyn,  könnten  Sie  dann  nicht  schon 
auch  abkommen?  Sie  sagen  mir  nichts  von  dem  Befinden  Ihres  Hn.  Vaters,  ich 
nehme  das  für  ein  gutes  Zeichen;  wenn  Sie  nur  für  dessen  Gesundheit  nicht  be- 
sorgt seyn  dürften,  so  glaube  ich,  würden  Sie  Sich  hier  schon  ganz  leidlich  unterhalten, 
wenn  Sie  in  der  Gesellschaft  des  Pr[ol]  W[oltmann]  hieher  kämen.  Ich  invitire  Sie 
dann  zwar  in  ein  lediges  verstörtes  Haus  worin  alle  Meubies  durcheinander  geworfen 
sind,  weil  sie  in  der  vollen  "Woche  nach  Ostern  verkauft  werden  sollen;  aber  um 
desto  mehr  Platz  haben  wir  darin  recht  froh  zu  seyn,  denn  "Wardenburg  und  Gether, 
der  Liebling  unserer  Herren  und  alter  und  junger  Mädgen,  sind  nun  auch  hier 
und  werden  Sie  mit  offenen  Armen  empfangen.  Also  richten  Sie  Sich  ja  so  ein 
daß  wir  alle  Sie  recht  geniessen  können,  d.  i.  so  lange  als  möglich. 

Dürfte  ich  Sie  noch  bitten,  mich  Ihrem  Hn.  Vater  und  der  Fr.  Mutter  zu  emp- 
fehlen, und  es  bey  ihnen  zu  entschuldigen  wenn  ich  neulich  zudringlicher  gewesen 
bin,  als  nöthig  war. 

Auch  um  Ihre  fernere  Freundschaft  bittet  Sie 

Ihre  ergebene  Herbart. 


Februar  1796.  I  7 

Nachschrift.  Aus  Besorgnis,  daß  Mad  Stock  mir  Ihre  Adresse  woi  eben  so 
unrichtig  als  andere  Nachrichten  gegeben  haben  könne  —  trage  ich  dem  Vetter  die 
Besorgung  dieses  Briefes  auf,  daher  erhalten  Sie  denselben  einen  Tag  später.  Eben 
erhält  mein  Mann  einen  Brief  aus  Jena,  nicht  von,  sondern  über  seinen  Sohn.  Drang 
des  Herzens  ist  es,  der  Hn.  Fr.  Woltmann  die  Feder  ergreifen  läßt,  um  jetzt  schon 
—  oder  soll  ich  sagen  jetzt  erst  (es  ist  eine  Antwort  auf  einen  vor  anderthalb 
Jahren  an  ihn  abgelassenen  Brief)  den  Vater  auf  eine  Menge  Wunderdinge  von 
demselben  zu  regalieren;  unter  andern  soll  das  Söhnchen  nach  der  allgemeinen 
Stimme  der  größte  Klavierspieler  —  in  Jena  seyn.  Er  erzählt  von  einer  neuen 
Akademie  in  Braunschweig  und  einer  andern  den  Jenensern  weit  gefährlichem  in 
Mietau,  und  von  seinem  einzigen  Umgange  mit  Hufeland  und  Schiller.  —  Von  dem 
ersten  schreibt  m[ein]  S[ohn]  daß  er  eine  liebenswürdige  Frau  u.  diese  ein  voi treff- 
liches Fortepiano  und  schöne  Doppelsonaten  habe.  —  Von  Fichte  ist  jetzt  gar  nicht 
die  Rede.  —  H.  W.  schließt  sehr  sentimentalisch  und  was  die  Hauptsache  ist  er 
meldet:  daß  er  J4  Tage  vor  Ostern  abreisen  und  volle  4  "Wochen  hier  seyn  werde. 
Mes  demoiselles  Runge  aus  Bremen  sind  dann  zum  Besuch  bey  meinen  Mädgen 
d.  i.  in  unserm  oder  Schröders  Hause.  Sie  sehen  also,  an  Nahrung  des  Geistes 
kann  es  Ihnen  dann  hier  nicht  fehlen,  und  darnach  dependirts  von  Ihnen,  ob  Sie 
Sich  bey  den  Hn.  durch  Rauchen  und  trinken,  oder  bey  uns  durch  lachen  und  tän- 
deln hervor  thun  wollten.  Was  rechts  müssen  Sie  schon  leisten,  wenn  Sies  mit 
Gether  aufnehmen  mögen.  Dies  zur  Nachricht.  Noch  haben  die  Herren  hier  einen 
so  famosen  Club,  daß  Woltmann  schreibt:  Der  Hannoversche  Feldprediger  Giese 
habe  davon  mit  Entzücken  gesprochen.  Wie  der  Mensch  dahin  kommen  mag!  ich 
schicke  einen  Brief  an  ihn  nach  Hannover  und  dort  meint  man  er  sey  bey  uns  im 
Hause.     Leben  Sie  recht  wol,  bis  wir  uns  sehen. 

Adresse:  Dem  Herrn  Smidt  in  Bremen. 

frey      Abzugeben  im  Hause  des  Hrn.  Doktor  Smidt  bey  St.  Steffani  Kirche. 

8.  E.  Berger  an  Smidt.  Jena  26.  Febr.  96. 

Bald  erscheint  auch  ein  Grundriß  des  Naturrechts  von  Fichte.  Es  wird  darin 

auch  ein  Staat  abgezeichnet,  der  hier  doch  nicht  so  recht  gefallen  will.  Her- 
bart mit  dem  ich  besser  bekannt  geworden  bin  und  der  Zuhörer  im  N.  R.  ist  und 
der  Dich  grüßt  —  hat  keine  Lust  in  diesem  Staat  zu  leben  und  andre  meinen  das- 
selbe. Ich  denke  mir  ihn  als  sehr  strenge,  diesen  Staat.  Bald  kömmt  er  ja  ans 
Licht  —  dann  sehe  ein  jeder  zu! 

9.  Herbarts  Mutter  an  Smidt.1)  Oldenburg  am  16ton  März  1796. 

Nur  ein  paar  Worte  zur  Nachricht.  Hr.  Professor  Woltmann  der  schon  am 
Sonntage  erscheinen  wollte,  kommt  gar  nicht.  Mein  Mann  und  ich,  wir  haben  nun 
einmal  allen  möglichen  Weihrauch  über  unsern  Sohn  empfangen,  und  brauchen  dafür 
dem  Herrn  Professor  weder  naß  noch  trockenes  zu  reichen;  aber  Sie,  mein  armer 
Freund,  Sie  dauern  mich  doch,  Sie  werden  am  meisten  entbehren! 

Damit  Sie  nun  aber  nicht  etwa  eine  Predigt  oder  so  etwas  vorwenden,  um 
von  Ihrem  Versprechen  auch  los  zu  kommen  und  mich  dadurch  zu  compromittiren 
(denn  ich  habe  geradezu  behauptet,  Hr.  Smidt  würde  mit  mir  allein  schon  ein  paar 
Tage  ohne  zu  gähnen  hinbringen)  so  melde  ich  Ihnen  diese  Hiobspost  früh  genug, 
und  füge  noch  hinzu:  daß  mein  Hausherr  unsere  Betten,  Tische  und  Stühle  erst  am 
Uten  Apr.  verkaufen  lassen  wird,  wenn  Sie  etwa  die  Oldenburger  Messe  mit  denen 

x)  2  S.  4°. 

Herbarts  Werke.     XVI.  - 


jg  März   1796. 

in  Leipzig,  Braunschweig  und  Bremen  zu  vergleichen  Vergnügen  finden  sollten. 
Also  dependirt's  von  Ihnen  wann  und  wie  Sie  diese  kleine  Reise  machen  wollen. 
Die  Br.  Schröders  nebst  Anhang  werden  am  Tage  vor  Ostern  hier  eintreffen,  ist 
Ihnen  diese  Gesellschaft  lieb?  oder  könnte  Freund  Meene  doch  vielleicht  noch  ab- 
kommen wenigstens  bis  Falkenburg  könnte  er  Sie  wol  begleiten,  da  kämen  wir  Ihnen 
dann  entgegen  und  ich  sähe  den  guten  Meene  einmal  mit  leichterm  Herzen  [2] 
wie  in  den  letzten  Zeiten.  Wäre  sonst  noch  jemand  den  Sie  zur  Gesellschaft  haben 
mögten,  so  versteht  sich's  von  selbst  daß  jeder,  den  Sie  mitbringen  uns  allen  höchst 
willkommen  seyn  wird. 

Sie  bestimmen  also  selbst  wie  es  Ihnen  am  angenehmsten  ist,  und  geben  mir 
dann  einen  Wink.  Wir  sind  zu  allem  bereit;  auch  sogar  Sie  zu  entführen,  wenn 
Sie  dazu  einige  Lust  bezeigen  sollten.  Sonst  aber  werden  Sie  hoffentlich  nicht  viel 
erwarten,  z.  E.  Nahrung  des  Geistes  finden  Sie  nur  im  Club;  wohin  mein  Mann 
aber  auch  Sie  oft  genug  führen  wird.  Im  Hause  wo  wir  Frauenzimmer  uns  ge- 
wöhnlich der  Conversation  bemächtigen  dürften  Sie  leicht  vor  geendigten  Feiertagen 
kein  gescheutes  Wort  hören,  dafür  lassen  wir  aber  auch  jedem  das  Seine,  und  be- 
gehren so  gar  nicht  einmal  das  gute  Herz  des  Hrn.  Herbart  in  Bremen,  dem  Sie 
selbst  alle  Gerechtigkeit  wiederfahren  lassen  würden,  hätte  er  Sie,  wie  mich  heute 
per  Post  an  den  bekannten  Spruch  erinnert: 

Hat  man  als  Dummkopf  Dich  erprobt 
So  wird  Dein  [gutes  Herz  gelobt]. 

Nach  Ostern  wird's  erträglicher  bey  uns  werden.  Am  letzten  Tage  predigt 
hier  der  Cand.  Bonus,  den  Sie  vielleicht  dem  Namen  nach  kennen.  Wo  nicht,  so 
präsentire  ich  denselben  als  Ihren  Antecessor  bey  meinem  Sohn.  Vor  den  Universi- 
täts  Jahren  war  dieser  ihm  Mentor  und  Ideal  —  doch,  was  schmiere  ich  da  alles 
zusammen!  ich  wollte  ja  nur  ein  paar  Worte  sagen.  Verzeihen  Sie  die  Geschwätzig- 
keit. Ihrer  Freundin  Herbart. 

Eine  Empfel.  von  meinem  Mann  darf  ich  nicht  vergessen  er  freuet  sich  sehr 
auf  das  Vergnügen  Sie  kennen  zu  lernen  und  hofft  Sie  werdens  recht  lange  bey 
uns  aushalten  können. 

Adresse:  An  den  Herrn  Smidt  in  Bremen. 

frey      Abzugeben  im  Hause  d.  Hrn.  Doktor  Smidt  bey  Steffani  Kirche. 

10.     Herbarts  Mutter  an  Smidt.1)  Mittwoch  am  30ten  März  [1796J. 

Übermorgen,  am  Freytage  sehn  wir  Sie,  lieber  Freund,  wenn  ich  entscheiden 
soll.  Höchst  willkommen  wären  Sie  uns  auch  heute  gewesen,  und  nur  das  unfreund- 
liche Wetter,  das  uns  alle,  und  mich  sogar  mit  verhülltem  Kopfe  gefangen  hält  — 
kann  mich  darüber  trösten,  daß  Sie  diesen  guten  Vorsatz  nicht  ausgeführt  haben. 
Ein  schlimmes  Zeichen  ists  immer  daß  Sie  es  nicht  mit  einander  reimen  konnten, 
heute  und  die  kommende  Woche  in  Oldenbg.  zu  seyn.  Zum  Unglück  erinnere  ich 
mich  der  Thorheiten  nicht  mehr  die  ich  neulich  Ihnen  oder  unserm  Freunde  gesagt 
haben  kann;  damit  wir  uns  aber  nicht  wieder  mißverstehen,  so  sage  ich  Ihnen  heute 
im  völligen  Ernste  —  Ich  weiß  aus  Erfahrung,  wie  lästig  die  Gesellschaft  selbst 
guter  Menschen,  wie  peinigend  ihre  zu  große  Höflichkeit  manchmal  werden  kann 
—  ich  werde  das  auch  bey  Ihnen  nicht  vergessen;  wenn  indeß  Sie  selbst  fänden, 
Sie  könnten  bey  uns  ziemlich  wie  zu  Hause  seyn;  kleine  Touren  aufs  Land  oder 
Besuche  bey  unsern  Bekannten  (Canzleyrat  Halem  z.  E.)  wären  Ihnen  angenehm; 
mich  und  vielweniger  noch  meinen  Mann  genirten  Sie  in  keinem  Stücke;   wol  aber 

')  2  S.  4°. 


April   1796.  jg 

wäre  jeder  Tag  den  Sie  mir  schenkten  neue  Wohlthat  für  mich  —  dann  dürfte  ich 
doch  wünschen  daß  Ihre  Geschäfte  Sie  in  den  ersten  14  Tagen  nicht  nach  Bremen 
zurück  riefen?  Vors  erste  wünsche  ich  nur  besseres  Wetter  und  daß  Sie  der  ganzen 
Reise  nicht  schon  übersatt  seyn  mögen.  Könnte  mein  Mann  sich  ein  Stück  Amts- 
arbeit und  ich  mir  einen  geschwollenen  Kopf  für  den  Freytag  vom  Halse  schaffen, 
so  kommen  wir  Ihnen  bis  Falkenburg  entgegen,  sonst  muß  ich  mich  dabey  be- 
ruhigen daß  Sie  an  dem  Jüngern  Woltmann  wenigstens  gute  Gesellschaft  auf  der 
Post  haben  werden,  wenn  es  anders  wahr  ist  daß'  er  mit  Hedden  von  Jena  am 
Freytage  hier  seyn  soll. 

Vetter  Meiners  der  mit  seinen  Cousinen  hier  jetzt  allein  hauset,  und  mein 
Mann  empfehlen  sich.  Meen  sehn  Sie  wohl  nicht  mehr,  sonst  bäte  ich  ihm  zu  sagen : 
daß  die  Nachricht  von  seiner  Zufriedenheit  uns  allen  wahre  Freude  gemacht  habe; 
er  verdient  daß  es  ihm  wol  gehe.  Da  ist  Meiners,  also  nur  noch  meinen  Dank  für 
die  Erlaubnis  welche  Sie  mir  gegeben  haben,  noch  heute  mit  Ihnen  zu  schwatzen, 
denn  im  Ernste  bedurfte  es  doch  keiner  Versicherung  daß  Sie  seit  Weihnachten 
nicht  mehr  ungelegen  kommen  konnten  Ihrer  ergebenen  Herbart. 

Adresse:  An  den  Herrn  Smidt  in  Bremen. 

frey      Abzugeben  im  Hause  d.  Hrn.  Doktor  Smidt  bey  Steffani  Kirche. 

11.  Lantsch  an  Smidt.  Jena  1.  April  1796. 

Hedden  wollte  auch  das  Nat.  Rt.  hören  konnte  aber  nicht  pränum. 

[zahlen].  Herbart  sagt  es  Fichte,  u.  bittet  daß  er  Hedden  Zeit  ließ  bis  er  Geld 
erhielt,  natürl.  willigt  F.  gleich  ein.  —  — 

12.  Smidt  an  seine  Schwester.  Oldenburg  d.  6.  Apr.  96. 
Und   die  Nacht   vom   Montag   auf   den  Dienstag  habe   ich   —  ja   was 

meynst  du  wohl?  —  ganz  und  gar  durchtanzt  —  Der  schönen  Annette  Geburtstag 
wurde  hier  im  Hause  durch  einen  Ball  gefeyert  wo  die  Blüthe  der  Oldenburgischen 
Jungfrauen  u.  Junggesellen  etwa  30 — 40  an  der  Zahl  gegenwärtig  war.  —  Ich  wollte 
nicht  tanzen,  aber  die  Justizräthin  bat  auch  so  dringend  mit  ihr  doch  wenigstens 
den  ersten  Tanz  zu  versuchen,   daß  ichs  nicht  abschlagen  konnte.     Ich  tanzte  zwar 

nicht  schön  aber —  so  bleibe  ich  bis  Anfang  künftiger  Woche.    Die  Herbart 

will  mich  dann  Montag  od.  Dienstag  bis  Falkenburg,  den  helften  Weg  hinbringen 
—  —  —  diesen  Mittag  mache  ich  wahrscheinlich  mit  Msll.  Schröder  einen  Spazier- 
gang aufs  Land.  —  — 

13.  Herbarts  Vater  an  Smidt.1)  Oldenburg  d.  19.  Apr.  1796. 
Liebster  Freund!     Gönnen  Sie  mir  immer  das  Vergnügen,  Sie  so  nennen  zu 

dürfen.     Ein  so  würdiger  Freund  meines  Sohns  muß  auch  der  meinige  seyn.  — 

Unsere  besten  Wünsche  hatten  Sie  am  Tage  Ihrer  Abreise  bis  in  Ihre  Heimat 

begleitet,  und  desto  angenehmer  war  uns  die  Nachricht  von  Ihrer  glücklichen  Ueber- 

kunft.     Gerade  auf  9  Uhr  hatten  wir  diese  berechnet. 

Aber  jeden  Dank  müßen  wir  zurückgeben.    Das  wenige  Gute  so  Sie  etwa  bey 

uns   genoßen,   hebt    sich  gegen  das  Vergnügen   welches  Ihr  Besuch   uns   gewährte. 

Daß  dieser  gerade  in  eine  Zeit  fallen  mußte,  da  uns  die  Ihnen  bekannten  Unruhen 

bevorstanden,   dies  war  uns   unangenehm;   insbesondere   habe  ich  es  bedauert,  daß 

meine  Geschäfte  mich  oft  nöthigten,   mich  von  Ihnen  zu  entfernen.    Unter   andern 

x)  2  S.  40. 


2  0  April   1796. 

Umständen  hätten  wir  nie  zugegeben,  daß  Sie  Ihren  Besuch  so  bald  abgebrochen 
hätten.  Kommen  wir  einst  wieder  zur  Ruhe  und  zu  einer  ordentlichen  häuslichen 
Einrichtung,  so  werden  wir  zu  erfahren  suchen,  ob  es  mit  der  Versicherung,  daß 
Ihnen  Oldenburg  etwas  lieb  sey,  wirklich  Ernst  gewesen,  und  Sie  dieselbe  durch  die 
That  zu  bestätigen  geneigt  seyn  werden.  Meine  Frau  trägt  mir  viel  Grüße  auf. 
Der  H.  E.  R.  v.  Halem  empfiehlt  sich  mit  mir  Ihrem  freundschaftlichen  Andenken. 

Herbart. 

14.  E.  Berger  an  Stilidt.  Rudolstadt  28.  April  1796. 

"Wir  sind  also  unterwegs  in  die  Schweitz,  ich  und  Hegekorn,  und  haben  hier 
einen  halben  Tag  lang  in  dicke  Regenwolken  und  Regengüsse  mit  traurigen  Gesichtern 
hineingesehen.  Herbart,  Floret  und  Gries  aus  Hamburg  den  du  auch  durch  unsere 
Freunde  kennen  wirst  —  sind  mit  uns;  alle  haben  wir  aber  einigermaßen  die  schwarze 
Farbe  der  Luft  angenommen,  nur  Herbart  nicht,  der  Hegekorn  einen  Fehdebrief  so 
eben  aufgesetzt  hat  über  den  ersten  Grundsatz  —  Eben  fällt  aber  ein  Sonnenstrahl 
durch  die  Wolken  —  —  Noch  heute  Nachmittag  gehts  nach  Schwarzburg,  wo  in 
der  Erinnerung  geiveihtem  Heim  viele  Stunden  wir  schivelgen,  —  Dir  und  mir  und 
so  vielen  der  Unsrigen.     [Anspielung  auf  ein  Liebesverhältnis  von  ßärnhoff.] 

15.  Herbarts  Mutter  an  Smidt.1)  Sonntag  Abend  am  8ten  May  96. 
Mein  lieber  unartiger  Freund,    Billig  sollte  ich  Ihnen  gar  nicht  antworten,  da 

Ihnen  ein  paar  Zeilen  so  gar  keine  Mühe  machen  und  Sie  mich  doch  einen  ganzen 
langen  Monat  vergessen  konnten.  Auch  war  es  ernstlicher  mit  Annette  reichlich 
überlegter  Entschluß,  wir  wollten  bis  zu  unserer  Ankunft  in  Bremen  darüber 
schmollen:  daß  Sie,  ohne  Sich  um  uns  zu  bekümmern,  es  an  den  [andern  Enden 
der  Stadt,  beym  Stannthore  an  Gethern  und  beym  Dammthore  an  meinen  Mann 
hatten  wissen  lassen,  Sie  wären  wohl,  und  von  Ihrer  kleinen  Reise  nicht  übel  zu- 
frieden. Im  ersten  Ingrimme  thaten  wir  sogar  das  Gelübde  auch  nicht  weiter  von 
Ihnen  zu  reden;  das  war  denn  freylich  zu  stark,  es  ward  schon  am  ersten  Abend 
und  nachher  tagtäglich  gebrochen;  wir  begnügten  uns  also  damit  Ihnen  zu  zeigen 
daß  wir  doch  stockstille  schweigen  könnten  bis  ich  heute  leider!  an  mir  selbst  eine 
traurige  Erfahrung  machte. 

Mein  ungezogener  Sohn  (mit  dem  Sie  beyläufig  gesagt  nicht  soviel  Nachsicht 
und  Geduld  haben  sollten)  hat  mir  kürzlich  vielmal  hinter  einander  das  Zeugnis  ge- 
geben, daß  --  ich  gar  keinen  Willen  habe,  und  mir  also  nichts  vornehmen  sollte. 
Ich  wundere  mich  über  die  Impertinenz,  glaube  wie  natürlich,  kein  Wort  davon, 
und  erschrack  nicht  wenig  als  heute  beym  ersten  Anblick  Ihres  Siegels  meine  ernsten 
Entschließungen  wider  Sie,  wie  Butter  vor  der  Sonne  da  standen.  Was  mich  noch 
etwas  tröstet,  ist,  daß  mein  Schooskind  doch  wenigstens  nicht  gescheuter  war.  Sie, 
in  deren  Kopfe  seit  Ihrem  Frag-  u.  Antwortspiel  eine  seltsame  Revolution  vorge- 
gegangen  ist  —  schrie  Ihren  Namen  auf  die  uns  bekannte  Art  zur  Gossenthüre 
heraus  und  griff  in  Gegenwart  eines  fremden  Hn.  nach  Ihrem  Briefe,  um  sich  schnell 
zu  überzeugen,  daß  Sie  doch  endlich  auch  ihrer  Sich  erinnert  hätten.     [2J 

Wäre  ich  nicht  diesen  Mittag  bey  meinem  Mann  oder  vielmehr  bey  seiner 
Hauswirthin  zu  Gaste  gewesen,  so  hätten  Sie  es  schon  mit  der  heutigen  Post  er- 
fahren, wie  viel  Sie  von  meiner  einstmaligen  Ungnade  zu  fürchten  haben  könnten. 
Nim  müssen  Sie  ein  paar  Seiten  mehr  lesen,  denn  die  Post  geht  erst  Mittwochen 
und  so  kann  ich  mich  unmöglich  kurz  fassen. 

')  5  S.   1". 


Mai  1796.  2  1 

"Wenig  Stunden  nach  Ihrer  Abreise  kam  der  Dr.  Gr.  um  Sie  und  uns  zu  be- 
suchen. Eben  nahm  ich  mich  so  gut  es  gehen  wollte,  zusammen,  um  vor  einer  sehr 
unangenehmen  Gesellschaft  gehörig  erscheinen  zu  können,  er  hatte  auch  zu  thun, 
daher  kam  er  dasmal  damit  loß,  daß  er  den  Abend  par  force  mit  uns  essen  müßte, 
weil  er  24  Stunden  früher  wegen  seiner  Reisekleidung  etc.  etc.  nicht  hatte  er- 
scheinen ivollen.  Meine  Mädgen,  Melle  Cochet  sogar,  ermangelten  nicht  sich  unge- 
beten auch  einzustellen;  man  zweifelte  nicht  ein  junger  Herr  den  Hn.  Smidt  seines 
nähern  Umgangs  werth  gefunden,  müsse  etwas  scharmantes  seyn,  aber  —  man  war 
verwöhnt  man  gähnte,  schlief  bald  gar  ein  und  sagte  mir  leise  ins  Ohr:  den,  .tonne 
ich  nur  für  mich  allein  behalten. 

An  den  folgenden  2  Tagen  hatte  ich  mit  Besuchen  und  der  neuen  Einrichtung 
meines  Mannes  zu  viel  zu  thun,  als  daß  ich  den  leisen  Wunsch  nach  Ihrer  Gesell- 
schaft noch  hätte  aufkommen  lassen  dürfen.  Gleich  beym  Anfange  der  Auktion 
verließ  mich  mein  Mann.  Er  konnte  dies  um  so  eher,  da  H[erren],  Damen  und 
der  Pöbel  in  mir,  ein  mir  selbst  wenigstens  bisher  ganz  unbekanntes  Talent  zu  ent- 
decken glaubten,  daß  nämlich:  ich  ganz  zur  Kaufmannsche  geboren  sey.  Vielleicht 
kam  es  daher  weil  ich  den  "Werth  aller  Dinge  die  mein  Mann  mir  überließ,  ziem- 
lich genau  in  meinem  Kopfe  bestimmt  und  mein  Herz  ganz  davon  los  gemacht  hatte, 
daß  alles  rasch  und  ordentlich  fort  ging  und  —  oft  doppelt  bezahlt  wurde  da  Andre 
vor  uns  und  die  Dr  Dugend  (?)  nach  uns  von  ihrem  Verkaufen  so  sehr  übel  zu- 
frieden waren.  [3] 

Als  am  Ende  das  Bette  meiner  Magd  auch  fort  war  mußte  diese  wiewol  mit 
großem  Geheul  hinten  nach  marschieren.  Aach  der  Gesehen  sagte  ich  ein  treu- 
herziges Lebewol,  allein  diese  declarirte  rund  heraus:  sie  würde  nicht  weggehen,  so 
lange  ich  noch  da  sey,  sie  verlange  nichts  mehr  von  mir  und  wolle  sehr  gern  allein 
im  Stroh  schlafen.  Erst  gestern  da  weder  Brod  noch  Butter  noch  Kartoffeln  im 
Hause  waren,  ist  mirs  gelungen  sie  fortzutreiben ;  und  seitdem  ist  nun  meine  Vorder- 
hausthüre  geschloßen. 

Mittwoch  am  11  ten. 

Hier  mußte  ich  am  Sonntage  abbrechen,  um  zur  Gesellschaft  zurück  zu 
kehren.  Abend  wollte  die  Kammerräthin  Schloifer  etwas  für  mich  besorgen,  und 
hatte  dabey  das  Unglück  eine  geliehene  Tasse  zu  zerbrechen.  Ich  erzählte  im 
Hause,  wie  untröstlich  sie  darüber  gewesen,  wie  gern  ich  diese  Schuldenlast  von 
ihrem  Herzen  abwälzen  möchte.  Annette  nahm  das  ins  Ohr,  und  ohne  von  einer 
kleinen  tief  verborgenen  Nebenabsicht  etwas  zu  erwähnen  sprang  sie  die  Nacht  froh 
an  meinem  Bette  herum:  Mutter  wir  fahren  nun  über  Bremen.  H.  Smidt  versteht 
sich  ja  so  gut  aufs  Tassen  aussuchen;  er  ist  so  gefällig;  wenn  ich  ihn  nur  sprechen 
könnte  —  sie  wissen  wol,  hingehen  darf  ich  nicht  usw.  Ob  sie  ihren  Zweck  er- 
reicht, und  dadurch  alles  was  ich  geschrieben  überflüßig  gemacht  hat?  oder  ob  sie 
über  Vegesak  nach  Hamburg  gefahren  sind  —  das  wissen  wir  hier  noch  nicht,  es 
sollte  erst  in  Iprump  bestimmt  werden.  So  viel  ist  gewiß,  daß  die  Tasse  der  Mam- 
sell nicht  eben  am  Herzen  lag,  denn  sie  hat  solche  vor  Schloifers  Hause  nicht  ge- 
fordert, vielleicht  auch  nicht  gebraucht,  weil  das  Wetter  gestern  auf  einmal  gut  und 
das  Fuhrwerk  in  Scharmbeck  bestellt  war,  ich  fahre  also  fort. 

„Nichts  ist  unerträglicher  als  so  ein  alter  Kram  von  Besitzthum.  Wie  läßt 
sich  bey  einem  todten  Kapital  nur  irgend  eine  Freude  denken!'1  sagt  Werner  in 
W.  Meisters  Lehrjahren.  Wie  leicht,  wie  froh  war  ich,  [4]  als  nun  gar  keine  über- 
flüßigen  Sachen  mehr  mir  Zeit  und  Freude  raubten!  Mein  Kopf  und  Magen  be- 
durften so  sehr  der  Nahrung  als  meine  Füße  der  Ruhe.  Mit  3  Bänden  von 
Meisters  Lehrjahren,   Voßens   Louise,   dem  Blüthenalter   der  Empfindung   von   der 


22  Mai   1796. 

Pr[ofessor]  Mereau  und  nicht  wenig  Mundvorrath,  sprang  ick  beym  hellen  Tage 
ins  Bett,  streckte  mich  nach  Elerzenslust  aus,  kam  auch  nicht  eher  wieder  ordent- 
lich auf  die  Beine  und  zur  menschlichen  Gesellschaft  zurück,  bis  alles  mit  wahrem 
Heißhunger  verschlungen  war. 

Nun  trat  mein  H.  Sohn  auf,  und  zwar  wie  ichs  Ihnen  vorher  sagte,  sobald 
er  gewiß  war  mich  allein  zu  finden.  Er  meldete,  daß  Schmedes  Ihre  und  meine 
Geschenke  richtig  abgeliefert  und  ihn  sehr  damit  erfreuet  habe.  Aber  nach  dem 
Sprichworte  Gut  macht  Muth  usw.  wollte  er  sich  nun  auch  sogleich  mit  dem  Pr. 
Fichte  u.  Frau  in  den  Wagen  setzen,  um  in  Leipzig  und  beym  Capellmeister 
Reichard  in  Giebichenstein,  von  meinen  übersandten  100  Rtlr.  Gebrauch  zu  machen; 
und  ich  sollte  für  meine  Güte  das  Vergnügen  haben  Ihnen  seine  allerbesten  Dank- 
sagungen vorläufig  zu  hinterbringen.  Hierauf  folgen  eine  Menge  geheimer  Nach- 
richten, welche  man  sich  über  meine  Wenigkeit  nach  Jena  zu  schreiben  bemüht 
hatte.  Ich  verschone  feie  mit  den  schönen  Sachen  und  bemerke  nur,  daß  die  am 
richtigsten  berechneten  an  den  Pr.  Woltmann,  von  diesen  an  seinen  Bruder  und  so 
an  meinen  Sohn  gekommen  waren,  daß  überdem  d.  H.  Buchmacher  Woltmann  die 
Discretion  gehabt  haben  wollte,  nicht  weiter  davon  zu  erzählen.  Darnach  folgen 
einige  nicht  übel  zusammen  gestellte  Vorsichtsregeln.  Die  Bemerkung  daß  es  in 
Jena  sey  wie  hier,  daß  es  z.  E.  nicht  ratsam  sey,  einem  Kutscher  etwas  sehen  zu 
lassen  was  nicht  in  derselben  Woche  die  ganze  Stadt  wissen  dürfe  usw. 

Ich  soll  2  Suppliken  abgehen  lassen  um  einen  hanöverschen  Deserteur  der 
hier  ein  Weib  genommen  hat,  und  nun  krumm  geschlossen  ist  von  seinen  Chefs 
loszubetteln.  Was  für  ein  Einfall !  und  noch  dazu  von  obrigkeitlichen  Persohnen ! 
ich  soll  durch  glatte  Worte  und  List  mehr  ausrichten  als  sie,  und  unser  Herzog 
selbst  vermochten!  Indeß  die  Dinger  waren  schon  gestern  Abend  fertig,  aber  das 
ewige  hin  u.  wieder  schicken  —  [5]  Da  kommt  der  C.  Rath  Zedelius  mit  der  ange- 
genehmen Nachricht  daß  der  Kerl  klüger  gewesen  ist  als  die  Herrn  und  Damen  und 
es  diesen  Morgen  in  gewissen  Augenblicken  gewagt  hat  der  Wache  zu  entspringen 
Ich  bin  also  wieder  in  Ruhe  und  könnte  Ihnen  noch  das  notwendigste  sagen. 

Mein  Sohn  der  beiläufig  gesagt  besser  gethan  hätte  seine  guten  Lehren  von 
dem  vorhin  gesagten  zu  trennen  weil  der  Vater  seit  einem  Vierteljahre  keine  Zeile 
von  ihm  gesehen  hat  —  fährt  fort:  Vor  wenig  Stunden  am  25sten  Aprill  komme 
ich  von  unserer  sehr  interessanten  Reise  zurück.  Dir  gehört  jetzt  der  erste  freye 
Augenblick  ich  muß  Dir  wenigstens  sagen,  daß  es  gleich  ist  wann  ich  von  hier 
abreise,  wenn  ich  mich  nur  nicht  zu  lange  entfernen  muß.  Daß  Du  den  Tag  be- 
stimmen kannst  wann  ich  zu  Fuß  von  hier  gehe  und  in  einer  benachbarten  Stadt 
einen  bequemen  Wagen  zu  miethen  suchen  soll,  daß  ich  Dich  aber  lieber  in  Wolfen- 
büttel als  Braunschweig  träfe  weil  ich  im  letzten  Orte  zu  viel  Bekanntschaften  habe. 
Eine  Wohnung  für  Dich  habe  ich  noch  nicht  bestimmt.  Nahe  bey  Jena  müßte  sie 
wenigstens  seyn,  denn  Verdacht  ist  doch  auf  jeden  Fall  nicht  zu  vermeiden.  Wer 
uns  kennt  wird  eben  so  gut  als  Madam  Beindorf  (der  Mann  dieser  Frau,  die  uns 
6  Jahre  beobachtete  hatte  unsern  ganzen  Plan  dem  Pr.  W.  richtig  vorher  gesagt) 
leicht  und  sicher  berechnen  wohin  das  gegenseitige  Gefühl  eine  gewisse  Reise  ge- 
leiten werde.    Indeß  bestimmt  den  Platz  aufzufinden  das  kann  verhütet  werden  usw. 

Darnach  erzählt  er  von  seinen  vielen  und  großen  Verbindlichkeiten  gegen  Fichte 
und  dessen  Frau,  und  wie  gern  er  dieselben  etwas  verkleinern  möchte.  Sein  Freund 
Smidt  würde  vielleicht  dazu  helfen  wenn  ich  darum  bäte  (!)  Ein  Fäßgen  recht  feinen 
Weins  mit  Haushaiter  würde  nicht  übel  seyn  usw.  Hierauf  habe  ich  geantw  ortet, 
daß  ich  mich  mit  allen  seinen  Aufträgen  nicht  befassen  würde,  daß  H.  Smidt  eben 
so  wo]  als  er,  nicht  die  Zeit  haben  könnte  an  seine  ehemaligen  Freunde  zu  denken  usw. 


Mai   1796.  23 

Endlich  schreibt  er:  Ein  paar  abgehende  Freunde  die  er  nach  Schwarzbg.  zu 
begleiten  versprochen  habe  hindern  ihm  mehr  zu  sagen  als  daß  er  mich  am  24  sten 
Mai  in  Wolfenbüttel  erwarten  würde,  wenn  ichs  so  wollte.  Eine  niedrige  Bauern- 
stube ohne  Schlafkammer  etwas  harte  Betten  würden  mich  nicht  hindern  glücklich 
zu  seyn.  denn  sehr  freundliche  Gesichter  alles  sehr  reinlich  u.  dienstfertig  die  Gegend 
schön  das  Dorf  klein  u.  abgelegen  und  nur  eine  Meile  von  ihm  entfernt  sey  das 
glücklichste  was  er  für  uns  habe  finden  können. 

Hat  man  je  so  was  gehört?  Bin  ich  denn  wirklich  so  schwach?  ist  meine 
völlige  Dependenz  von  einem  vielleicht  noch  unbärtigen  Knaben  denn  so  bekannt  so 
ausgemacht  gewiß?  Sagen  Sie  mir  doch  lieber  Freund,  was  soll  ich  thun,  um  den 
Kopf  wieder  oben  zu  kriegen?  Thun  Sie  Ihrer  Feder  keine  Gewalt  an,  denn  ich  lese 
alles  bei  verschlossenen  Thüren,  denn  ich  bin  allein  im  großen  wüsten  Hause.  Mein 
Mann  grüßt,  er  besucht  mich  tägl.  deshalben,  hindert  mich  doch  nun  Ihnen  mehr 
zu  sagen  als  daß  ich  gern  fortfahre,  so  bald  Sie  es  verlangen  daß  es  mir  aber  lieb 
wäre  wenn  Sie  Sichs  abgewöhnen  könnten  mir  mein  Alter  und  meine  Geburt  vorzu- 
werfen. So  fein  und  zierlich  dies  auch  das  letztemal  war,  so  wissen  Sie  doch  nicht 
besser  als  ich  selbst,  ob  ich  wohl  oder  übel  geboren  bin,  wohl  aber  sind  Sie  jetzt 
schon  überführt  daß  (etwas  Corinthenartiges  ausgenommen)  nichts  verehrungs würdiges 
zu  finden  ist  an  Ihrer  Freundin  Herbart. 

16.  An  Smidt.1)  Am  l6ten  May  (1796). 

Du  erhältst  hier  2  Briefe  lieber  Smidt,  aber  keinen  von  mir.  Ver- 
zeih mir  das;  am  nächsten  Posttage  schreibe  ich  Dir.  Sey  so  gut  den 
einliegenden  an  meine  Mutter  mit  der  nächsten  Post,  die  den  Brief  an 
einem  Donnerstage  oder  an  einem  Montage  in  Oldenburg  bringt,  abzusenden 
vorher  aber  selbst  noch  ein  neues  Couvert  herumzuschlagen.  Du  thust  mir 
den  größten  Gefallen  wenn  Du  dies  pünctlich  ausrichtest.  Daß  der  andere 
Brief  von  Berger  an  Dich  selbst  ist,  siehst  Du  leicht.  Für  Deine  lieben 
Briefe  u.  Geschenke  den  freundschaftlichsten  Dank 

von  Deinem   Herbart. 

17.  Herbarts  Mutter  an  Smidt.2)  Oldenburg  d.  20sten  Mai  1796. 

Lieber  Freund.  Sie  machen  es  mit  mir,  wie  d.  H.  Dr.  Olbers  mit  unsern 
weiland  E.  R.  Widersprecher.  Als  dieser  voll  Vertrauen  auf  seine  Hülfe  eine  sehr 
kostbare  und  noch  beschwerlichere  Reise  im  letzten  Monate  seines  Lebens  unter- 
nommen und  sich  nun  dem  H.  Docktor  gezeigt  hatte;  lächelte  dieser,  wünschte  uns 
Glück  daß  wir  an  Ort  und  Stelle  wären,  und  ohne  noch  weiter  etwas  von  uns  wissen 
zu  wollen,  schickte  er  uns  mit  einem  Schächtelchen  voll  Milchzucker  wieder  Heim. 

Sie  —  in  der  Voraussetzung  daß  alle  Kraft  zum  widerstreben  in  mir  ver- 
loschen sey,  verlangen  das  gar  nicht  zu  wissen  was  ich  Ihnen  neulich  in  der  Eile 
nicht  sagen  konnte,  da  mir  nicht  einmal  ein  Augenblick  zur  Beantwortimg  Ihres  mir 
sehr  lieben  Briefes  übrig  war.  Ihre  Höflichkeit  und  Dienstfertigkeit  die  sich  sogar 
noch  für  einen  äußerst  undankbaren  Menschen  verwenden  will,  erbietet  sich  nicht 
mir  eine  Tasse  von  Hn.  Stolle  zu  schicken,  weil  —  ich  am  2  4 sten  in  "W.,  also  in 
diesen  Tagen  in  Brem,  zu  seyn  Ordre  habe,  also  den  erbetenen  guten  Rath  nicht 
mehr  benutzen,  wol  aber  eine  Tasse  selbst  kaufen  kann.  Sie  verweisen  mich  mit 
einem  mir  freylich  sehr  angenehmen  Titel  zur  Ruhe. 

x)  Vi  Quartblatt.  —  2)  2  S.  4°. 


24  Juni  J796. 

Sie  sehen,  ich  thue  nicht  nach  der  Vorschrift  Ihres  Lehrers.  Ich  zanke  mich 
nie  mit  Menschen  die  mich  nicht  interessiren,  da  aber  doch  die  Liebe  gezankt  seyn 
will,  so  ist  das  am  besten  mit  der  Feder  in  der  Hand.  Man  hat  dann  schwarz  auf 
weiß  und  wenn  man  so  glücklich  ist  beysammen  zu  seyn  so  ist  die  Zeit  zu  gut,  zum 
schmollen  und  zum  deuteln. 

Um  meine  künftige  Wirthin  zu  beruhigen  habe  ich  der  Fr.  von  Liedelof  eine 
Tasse  gestohlen  und  der  S.  dieselbe  mit  einer  gewaltigen  Rechnung  zugestellt,  da 
mm  mein  gewissen  nicht  sehr  enge  ist,  so  könnte  das  corpus  delicti  allenfalls  eine 
Zeitlang  in  Vergessenheit  gerathen. 

Warum  ich  Ihnen  dem  ohngeachtet  das  Ding  schicke?  um  Ihnen  zu  sagen  daß 
Annette  morgen  als  Sonnabend  Abend  in  S.  Hause  bei  Bremen  seyn  wird,  wenn  Sie 
etwa  Lust  haben  sollten  dieselbe  zu  sehen.  Das  arme  Ding  hat  viel  Ungemach  und 
wenig  Freude  unterwegens  empfunden.  Schon  am  Sonntage  jammerte  sie  von 
Hamburg  her  darüber  daß  sie  auch  nicht  für  Geld  einen  Menschen  in  Bremen  habe 
auftreiben  können,  der  meinen  Zettel  zu  Ihnen  gebracht  hätte.  Sie  würde  Ihnen 
mündlich  von  unserer  Reise  nach  Hamburg  und  so  der  Himmel  will  nach  Ratzeburg 
Nachricht  gegeben  haben. 

Ich  schließe  mit  dem  Wunsche  daß  ich  einst  auch  ohne  es  erst  deutlich  sagen 
zu  müssen,  wirklich  seyn  möge  Ihre  Freundin  Herbart. 

Mein  Monsieur  hat  im  entsetzlichsten  Wetter  so  viel  ungeheure  Berge  erklettert 
daß  er  den  letzten  Brief  im  heftigsten  Fieber  fabricirt  hat,  und  noch  wahrscheinlich 
einen  derben  Husten  u.  Schnupfen  zum  Andenken  haben  wird.  Er  wünscht  ich 
möchte  einen  Gruß  wenigstens  an  Sie  abschicken  wollen. 

Adr.:  Dem  Herrn  Smidt  in  Bremen  auf  Steffanikirchhofe. 
frey.    hiebey  ein  Paket  in  weißen  Leinen  gem.  H.  S. 

18.  Herbarts  Mutter  an  Smidt.1)  Montag  um  Mitternacht. 

Eher  als  in  diesem  Augenblicke  könnt  ichs  Ihnen  nicht  sagen  mein  lieber 
Freund,  daß  ich  Sie  nicht  wieder  sehe.  Morgen  früh  um  3  Uhr  reiset  Schröder 
allein  nach  Bremen.  Wir  werden  über  Scharmbeck  gerades  Weges  nach  Stade 
geschickt,  wo  wir  eingeschifft  werden  sollen.  Am  nächsten  Freytage  bringt  uns 
mein  Mann  bis  Vegesack,  wohin  wir  auch  vor  zwey  Jahren  meinen  Sohn  geleiteten. 
Wenn  wir  dann  dort  mit  sieben  Mädgen  zu  Mittag  essen,  so  schicke  ich  Ihnen  einen 
Seufzer  und  wünsche  daß  Sie  Ihres  fernem  Andenkens  würdig  gefunden  haben 
möchten  Ihre  Herbart. 

Empfehlen   Sie   mich   doch   gelegentl.  im  Meenschen  Hause,   recht  sehr  gern 
hätte  ich  meinen  Freund  und  seine  Mutter  noch  gesprochen. 
Adr.:  Dem  Herrn  Smidt  in  Bremen. 

Durch  gütige  Besorgung  abzugeben  bey  Hrn  Docktor  Smidt. 

W.:    ,,Ein  Augenblick  meines  Lebens."      S.  Bd.  I.     S.  34 — 35.     „Am  4.  Juni    1796." 

S.  Bd.  I.    S.  36. 

19.  Lantsch  an  Smidt.  Jena  14.— 20.  Juni  1796. 
—  —  Herbart   war    mit  Fichte    nach  Giebichenstein    wo   sich    Reichard   aus 

Berlin  jetzt  ein  Gut  gekauft  hat  u.  patriarchalisch  lebt. 

l)  1  S.  4°. 


Juni   1796.       ^ 25 

20.     An   Smidt.1)  Jena  am  27  ten  Juni  1796. 

Endlich,  lieber  Smidt!  —  Mich  grüßen  ein  paar  freundliche  Stunden, 
ich  will  mit  ihnen  zu  Dir  kommen.  —  Doch  ich  vergeße,  daß  ich  eigent- 
lich in  armen  Sünders  Gestalt  vor  Dir  erscheinen  sollte,  demüthigst  bit- 
tend, Du  mögest  den  Kopfputz  mit  dem  Du  mich  neulich  begabt  hast, 
wieder  von  mir  nehmen,  und  die  langen  Ohren  —  nach  Belieben  ent- 
weder für  irgend  einen  andern  verwahren,  oder  sie  in  die  Weser  werfen, 
wo  sie  am  tiefsten  ist.  — 

Zu  jeder  andern  Zeit  hätte  ich  ein  hingeworfenes  Wort  —  für  ein 
hingeworfenes  Wort  gehalten;  allein  es  giebt  Lagen  im  menschlichen 
Leben,  wo  man  unwillkührlich  alles  deutet;  so  sagt  mir  eine  traurige  Er- 
fahrung. Führt  mich  doch  jetzt  der  König  Lear  und  Vossens  Luise  und 
Wielands  Danischmend    und   jeder  Spaziergang   auf   denselben  Punct   hin! 

Und  hier  liegt  die  Deutung  gar  nicht  so  fern.  Täuscht  mich  meine 
Vermuthung  nicht,  so  kommen  Deine  Vorwürfe  mehr  von  meiner  Mutter 
als  von  Dir.  Sie  hat  Zutrauen  zu  Dir  gewonnen;  sie  hat  Dir  von  ihrer 
Reise  gesagt,  das  weiß  ich  aus  ihren  Briefen.  Möchte  sie  sich  so  viel 
weniger  allein  in  der  Welt  fühlen,  da  es  einen  guten  Menschen  mehr 
giebt,  von  dem  sie  es  weiß,  daß  er  Theil  an  ihr  nimmt.  Ich  wünsche 
es,  ich  hoffe  es,  ich  glaube  es,  sie  hat  Dir  sich  ganz  anvertraut  Dir  alles 
ausgeschüttet,  was  sie  gegen  mich  auf  dem  Herzen  hat.  Auch  ich  suche 
Erleichterung,  meine  Bürde  drückt  mich  tief,  ich  bedarf  Rath  und  War- 
nung des  Freundes.  Wüßte  ich,  daß  das  was  ich  Dir  sagen  möchte  Dir 
kein  Geheimniß  mehr  wäre,  wie  viel  hätte  ich  Dir  zu  sagen!  So  darf  ich 
nicht.  Aber  wenn  Du  mir  alles  was  Du  weißt  erzählen  willst,  so  werde 
ich  dann  wahrscheinlich  finden,    daß  ich    darf.     Thu    das  Lieber  Freund! 

[2]  Jetzt  nur  Eine  Frage,  die  leider  aus  den  finstern  Höhlen  der 
Casuistik  ans  Tageslicht  hervorgekrochen  ist.  Wenn  Dir  Freundschaft 
angetragen  ward,  aus  der  tiefsten  Tiefe  der  Empfindung  und  mit  aller 
Förmlichkeit  des  Buchstabens,  wenn  Du  sie  in  Dein  innerstes  Herz  auf- 
genommen hast,  wenn  nun  plötzlich  eines  Misverständnisses  wegen  sich 
die  Freundschaft  in  kalten  Spott,  in  Vorwürfe  verwandelt  die  weder 
Deinem  Character  noch  Deiner  Überlegung  noch  Deinem  Gefühl  ein 
gutes  Haar  lassen,  wenn  Du  so  zum  dritten  male  ungehört  und  ungefragt 
verdammt  wirst  nachdem  Du  in  2  ähnlichen  Fällen  schon  vorher  Dir 
volles  Zutraun  wieder  erworben  hattest  —  sag  mir,  darfst  Du  da,  in  einem 
entscheidenden  Augenblicke,  der  künftige  Verhältnisse  bestimmen  soll,  wo 
man  strenge  Aufrichtigkeit  fordert,  wenn  schon  sonst  aufrichtiger  Ernst 
glücklich  wirkte,  darfst  Du  da  die  Empfindungen  Deines  Herzens  ver- 
hehlen? Ist  es  nicht  Pflicht,  Überzeugungen  mit  Wärme  zu  äußern  von 
denen  allein  Du  ein  besseres  Verhältniß  auf  die  Dauer  hoffen  kannst? 
Darfst  Du  in  die  Falten  des  Gehorsams  Dich  schmiegen  wo  es  Erhaltung 
der  Freundschaft  gilt?  darfst  Du  dich  aller  Ansprüche  auf  einen  gewissen 
Grad  von  Achtung  entäußern,  welche  die  Freundschaft  so  nothwendig 
fordert?  Mußt  Du  nicht  laut  Zutrauen  verlangen,  nicht  alle  Zeugnisse  die 

J)  8  S.    40. 


2  6  J"ni  J796- 

für  Dich  reden  geltend  zu  machen  suchen?  —  Und  gesetzt,  Du  irrtest 
hier,  wirst  Du  für  die  Bitte  um  Verzeihung  wofern  Du  irrtest,  für  die 
Versicherung  daß  Du  Dich  jeder  Belehrung  offen  und  empfänglich  er- 
haltest, daß  Du  deine  Gesinnungen,  Dein  Zutrauen,  Deine  Hochachtung 
nicht  sinken  lassest,  Dir  nicht  eine  günstige  Aufnahme  versprechen?  — 
Wenn  Du  hier  anders  denkst;  —  Lieber  Smidt,  so  beklage  die  Verir- 
rungen  Deines  Freundes.  Beklage  Dich  selbst,  denn  Deine  Hände  waren 
das  Werkzeug,  welches  das  erste  unglückliche  Blatt  übergab.  Aber  wie 
Du  auch  denkst,  beklage  mich,  denn  meine  Mutter  scheint  anders  zu 
denken;  sonst  hätte  sie  gewiß  schon  geantwortet.  [3]  Laß  mich  auf  eine 
frohere  Aussicht  hinblicken. 

Du  hast  neulich  einen  Brief  von  Berger  von  mir  erhalten.  Du  fragst, 
was  für  eine  Veränderung  mit  ihm  vorgegangen  sey?  —  Sagt  dies  der 
Brief  nicht?  Weisst  Du  nicht  zu  deuten,  nicht  zu  ahnden?  Die  Hülle  des 
Jakobinismus  ist  gefallen;  er  hat  gefunden,  wie  er  sagte,  „dass  die  Mensch- 
heit noch  Zeit  habe",  die  Freundschaft  mit  Möller  ist  seit  Michaelis  völlig 
vorbey;  dagegen  schloss  er  sich  damals  an  Hülsen  an,  einen  edeln  treff- 
lichen Menschen,  Bergers  ganz  würdig,  und  nichts  weniger  als  das  pfaffen- 
mässige  Wesen,  wofür  wir  ihn  anfangs  beynahe  hielten.  Eine  Reise  nach 
Weimar,  wo  wir  uns  trafen  —  Berger,  Hülsen,  Rist,  Gries,  und  ich,  -— 
wo  Hamlet  über  aller  Erwartung  gut  gespielt  ward,  wo  wir  beym  Cham- 
pagner die  Würde  der  Frauen  lasen,  machte  uns  einander  bekannt.  Seit- 
dem sind  wir  5  oft  von  1  Uhr  Nachmittags  bis  12  Uhr  Nachts  ununter- 
brochen zusammen  gewesen;  haben  zusammen  gelesen,  geschwärmt,  ge- 
sungen, philosophirt,  disputirt,  und  sind  besonders  nie  müde  geworden, 
über  die  Namen  Smidt,  Bärnhof,  Breuning,  zu  commentiren,  der  alten 
Zeiten  zu  gedenken,  und  eine  noch  schönere  Zukunft  zu  träumen.  Un- 
endlich viel  war  mir  das  Vierteljahr!  Gleicher  Enthusiasmus  für  Philo- 
sophie und  schöne  Künste  fesselte  uns,  alle  äussern  Verhältnisse  be- 
günstigten unsern  Umgang.  Besonders  an  Bergers  hellloderndem  Feuer 
habe  ich  mich  gewärmt,  an  seinem  Scharfsinn  und  seinem  nie  ablassenden 
Forschungsgeiste  mich  geübt,  aber  über  alles  an  seiner  kindlichen  Unschuld 
—  anders  weiss  ich  seine  Charaktergüte  nicht  zu  nennen  —  mich  gefreut, 
und  mehrmals  mich  beschämt  gefühlt.  —  Du  kennst  ihn  nur  halb,  lieber 
Smidt.  Er  und  ich  und  Floret  wünschen  so  sehr,  Du  möchtest  ihn 
kennen!  —  Gries  und  Rist  kennst  Du  gar  nicht.  Den  letztern  macht 
[4]  mir  seine  Lebhaftigkeit,  seine  leichte  Phantasie,  sein  feines  zartes  Ge- 
fühl, sein  schnell  eindringender  Geist,  der  sich  mit  mir  an  der  Wissensch. 
L[ehre]  u.  der  Critik  d.  V.[ernunft]  übte,  sehr  schätzbar.  Hättest  Du 
seine  Reisebeschreibung  —  denn  leider  musste  er  nach  Kiel  fortreisen  — 
hättest  Du  die  lebendigen  geistvollen  Schilderungen  gelesen,  die  seine 
sonst  ganz  alltägliche  Reise  uns  so  äusserst  interessant  machten,  hättest 
Du  vollends  die  6  Bogen  gelesen,  in  denen  Berger  uns  neulich  seine 
Wanderung  beschrieb !  Nun,  Du  wirst  schon  beyde  hoffentlich  noch  einmal 
selbst  im  Geiste  und  in  der  Wahrheit  erkennen  und  von  ihnen  im  Geiste 
und  in  der  Wahrheit  erkannt  werden.  —  Gries  ist  der  einzige  den  ich 
noch  hier  habe.  Hamburgische  Geschliffenheit  wohnt  bey  einem  sehr 
gefühlvollen  Herzen,   ausserordentliche    Belesenheit   in   der   schönen   Lite- 


Juni   1796.  2  J 

ratur,  und  das  ihm  allgemein  zugestandene  treffende  Urtheil  über  das 
Schöne  in  der  Poesie  und  Musik,  blendet  sein  Urtheil  über  sich  selbst 
so  wenig,  dass  er  sich  oft  selbst  über  das  was  ihm  noch  fehlt  unrecht 
thut  —  u.  fehlen  muss  ihm  denn  freylich  wol  manches,  da  er  bis  in  sein 
20stes  Jahr  sich  mit  der  Handlung  beschäftigte.  Nachmittags  bringe  ich 
gewöhnlich  eine  Stunde  mit  philosophischen  Studien  gemeinschaftlich  mit 
ihm  zu  —  Fichte's  Collegien  hatten  ihn  sehr  bald  angezogen;  nur  wünschte 
ich,  dass  er  erst  mit  mehr  Selbstthätigkeit  und  dauerndem  Eifer  die  Philo- 
sophie ergriffe.   — 

Wie  man  so  herumgeführt  werden  kann  von  der  unwillkürlichen 
Gedankenfolge!  Mein  Blatt  ist  voll,  und  noch  habe  ich  Dir  nicht  gedankt, 
lieber  Smidt,  für  Deine  lieben  Briefe  und  Deine  Geschenke.  Mein  Dank 
kommt  spät  zu  Dir,  —  wie  ich  Dir  so  manches  im  Gedanken  erzähle 
und  mit  Dir  überlege  und  fühle,  was  meine  Feder  und  meine  Augen  — 
das  ist  das  radicale  Böse  —  Dir  spät  oder  nie  mittheilen.  Aber  es  ist 
der  Dank  eines  freundschaftlichen   Herzens.    [5] 

Das  Herz  musst  Du  kennen,  mein  Theuerer,  musst  es  besser  kennen 
wie  meine  Mutter.  Du  weisst  ja  leider  überdies,  wie  äusserst  selten  bey 
kranken  Augen  sich  eine  freye  Stunde  mit  einer  günstigen  Stimmung  — 
und  mit  der  Willigkeit  und  Brauchbarkeit  des  Organs  zusammen  findet, 
zudem  wenn  man  wie  ich,  an  so  viele  Freunde  und  Bekannte  Schulden 
hat,  und  dann  durch  das  Gedränge  speculativer  Zweifel  so  selten  frey 
genug  hindurch  gehen  kann,  um  einen  Platz  zu  finden,  wo  es  gelingt  sich 
selbst  in  seinem  Schwanken  und  Weben  zu  fixiren  und  sich  schriftlich 
einem   Andern  darzustellen.  — 

Aus  Deiner  schönen  Tasse  geniesse  ich  täglich  mein  Morgenbrod; 
Du  weisst  wie  viel  besser  es  mir  schmecken  muss,  wenn  Du  Dich  noch 
erinnerst,  wie  sehr  ich  an  solchen  kleinen  Niedlichkeiten  hänge,  besonders 
wenn  sie  von  Freunden  kommen.  —  Vorzüglich  haben  mich  die  poetischen 
Zeilen  gefreut,  welche  sie  begleiteten.  Wenn  alle  Kinder  Deiner  Laune 
so  artig  sind,  warum  willst  Du  sie  nicht  von  mir  und  Floret  und  Gries 
und  Böhlendorf  und  Reimers  streicheln  und  liebkosen  lassen?  Von  allen 
4  letztern,  würdest  Du  manche  artige  Sachen  dafür  wieder  erhalten  können. 
Vielleicht  sogar  von  mir.  Nur  mag  ich  mir  hier  nicht  gern  durch  irgend 
einen  bestimmten   Vorsatz  Zwang  anthun.   — 

Willst  Du  ein  paar  Zeilen  haben,  die  ich  neulich  hinwarf,  da  ich 
allein  von  Weimar  zurückging?  Ich  will  sie  abschreiben  und  beylegen.  *) 
Sie  machen  nicht  die  geringsten  Ansprüche  und  sollen  Dir  weiter  nichts 
bedeuten,  als  dass  ich  mich  wohl  gern  zur  schönen  Kunst  erheben  möchte, 
wenn  ich  nur  könnte,  und  dass  ich  mich  wenigstens  des  Reichthums  meines 
Freundes  werde  freuen  können.   — 

Am  isten  Juli.  —  Es  wird  Dir  einerley  seyn.  Lieber,  ob  Du  das 
vorige  Blatt  noch  Einen  Posttag  früher  oder  später  erhältst;  ich  habe  es 
also  bis  heute  liegen  lassen,  weil  ich  doch  manches  noch  hinzufügen 
möchte.    [6] 

*)  Abgedruckt  Bd.  I  dieser  Ausgabe  S.  36  unter  der  Überschrift:  „Am  4ten  Juni." 


28 Juli   1796. 

Vor  allen  Dingen  die  Frage:  Womit  beschäftigst  Du  Dich  jetzt?  Wie 
lebst  Du?  Studirst  Du,  oder  predigst,  oder  philosophirst,  oder  dichtest, 
oder  kosest  Du  mit  Frauenzimmern,  und  siehst  mit  Wohlgefallen  der 
Liebe  zu,  wie  sie  Dich  eben  ganz  heimlich  beschleichen  will?  —  Wenn 
Du  doch  davon  ein  recht  langes  und  breites  erzählen  wolltest!  Es  ist 
nichts  unangenehmer,  als  wenn  man  sich  in  die  Lage  des  Freundes  gar 
nicht  hineindenken  kann.  Mit  fühlen  und  mit  denken,  in  alle  Situationen 
einander  begleiten,  auf  die  mannichfaltigen,  wunderbar  verschlungenen 
Pfade  des  Lebens  einander  aufmerksam  machen,  das  ist  es  ja  doch,  was 
der  Freundschaft  ihren  Werth  giebt.  Was  Du  in  dieser  Hinsicht  für  mich 
gethan  hast,  danke  ich  Dir  sehr;  und  hoffe,  dass  Du  die  grossen  Lücken, 
die  Du  noch  übrig  gelassen,  bald  ausfüllen  wirst.  Zu  dem  Ende,  — 
damit  Dir  Deine  Augen  nicht  denselben  Querstrich  machen,  den  sie  mir 
nun  schon  so  tief  eingegraben  haben,  dass  er  sich  schwerlich  wieder  aus- 
wischen lassen  wird,  —  wirst  Du  es  dienlich  finden,  die  Augen  täglich 
mehreremale  ganze  10  Minuten  lang  in  einem  weiten  Glase  mit  Wasser 
zu  baden,  und  sie  sorgfältig  vorher,  ehe  Du  sie  wieder  öffnest,  im  Tuche 
zu  trocknen,  damit  keine  hängen  gebliebenen  Tropfen  hineinlaufen,  und 
den  Staub  von  den  Wimpern  mit  hineinführen.  Mir  hilft  dies  noch 
immer  am  meisten.  Auf  die  kleinen  Handgriffe  kommt  aber  alles  an.  — 
Bewährt  sich  Dir  mein  Rath,  so  erwarte  ich  zum  Beweise  einen  langen 
Brief  von  Dir.  Du  kannst  unmöglich  mit  mir  gleiche  Rechnung  halten 
wollen.  Ich  werde  genug  zu  thun  haben,  und  noch  viel,  viel  lesen  und 
schreiben  müssen,  wenn  ich  mir  irgend  ein  mir  leidliches  Verhältniss  in 
der  Welt  sichern  will.  Besonders  bin  ich  für  diesen  Sommer  stark  be- 
schäftigt, endlich  mit  der  Wissenschaftslehre  aufs  reine  zu  kommen,  d.  h. 
—  im  Vertrauen  gesagt  —  mir  selbst  eine  zu  machen,  denn,  ob  ich 
gleich  ohne  Fichte  zu  gar  nichts  gekommen  seyn  würde,  so  kann  ich  doch 
von  seinem  Buche,  so  wie  es  bis  jetzt  da  ist,  eigentlich  nicht  eine  einzige 
Seite  als  reinen  Gewinn  für  die  Wahrheit  ansehn.  Dass  ich  das  einem 
Freunde  wol  ohne  Unbescheidenheit  [7]  ins  Ohr  sagen  darf,  davon  ist  wol 
der  beste  Beweis  der,  dass  F.  selbst  längst  laut  gesagt  hat,  er  wolle 
nächsten  Winter  —  denn  diesen  Sommer  ist  das  Collegium  nicht  zu  Stande 
gekommen  —  die  Wssl.  nach  einem  neuen  Manuscripte  lesen.  Um  so 
mehr  will  ich  jetst  erst  selbst  mein   Heil  versuchen.   — 

,,Da  sieht  mans  recht,  wie  der  Mensch  sich  mit  Gewalt  in  seiner 
Einseitigkeit  bevestigen  will.  Immer  und  ewig  die  Wssl!  Diese  Aristo- 
kratie wird  nie  ein  freyeres  Spiel  der  Phantasie,  nie  die  Gefühle  der 
vollen,  ganzen,  wahren  menschlichen  Natur  neben  sich  dulden." 

Ob  Du  wol  wirklich  jetzt  so  denkst,  lieber  Smidt.  Ich  sollt'  es  fast 
glauben.  Denn  das  böse  40  ste  Jahr  und  meine  Inhumanitäten  gegen  A.  S. 
veranlassen  Dich  zu  gewaltig  furchtbaren  Prophezeihungen.  Du  fragst 
sogar,  ob  ich  Schillers  Würde  der  Frauen  kenne  und  schätze.  Aber,  mein 
Bester,  40  ist  eine  runde  Zahl,  —  A.  S.  ist  mir  wirklich  als  ein  äusserst 
gutes  und  lebhaftes  Mädchen,  und  als  die  Gespielin  meiner  Jugend  sehr 
lieb,  sie  hatte  aber  gerade  in  der  Zeit  da  ich  sie  zuletzt  kannte  die  fatale 
Periode  des  Übergangs  vom  Kinde  zur  Mamsell,  affectirte  nun  bald  das 
eine  bald   das  andre,   dadurch  konnte    sie  mich    nun    eben   nicht   anziehn, 


Juli   1796.  29 

zudem  da  ich  viel  mehr  von  ihr  erwartet  hatte,  —  meine  Mutter  schrieb 
mir,  dass  sich  ihr  Äusseres  jetzt  mehr  gebildet  habe  —  warum  ich  ihr 
nicht  geantwortet  habe?  —  ja  da  weiss  ich  mir  freylich  nicht  wol  zu 
helfen;  nächstens  sollst  Du  mein  Fürsprecher  werden.  —  Die  Würde  der 
Frauen  ist  mir  gerade  das  liebste  im  ganzen  trefflichen  Allmanach.  Ich 
habe  sie  neu  componirt,  denn  die  Melodie  von  Reichardt  gefällt  mir  gar 
nicht.  Die  meinige  steht  Dir  zu  Dienste,  wenn  Du  eine  hübsche  Kehle 
und  10  zarte  Finger  weisst  um  sie  zu  spielen  und  zu  singen.  —  Übrigens 
lasse  ich  meine  Natur  schalten  und  walten,  ich  werde  [8]  ihr  keine 
Empfindung  verargen,  aber  sie  auch  zu  keiner  zu  reizen  suchen  —  — 
Da  schlägts  10  Uhr,  nun  muss  ich  schliessen.  Also  nur  noch 
schnell:  Die  Fichten  wird  bald  niederkommen  —  —  unsre  Gesellschaft 
erwartet  mit  Sehnsucht  Deinen  Aufsatz  —  sie  hat  4  neue  Mitglieder  auf- 
genommen, unter  denen  besonders  2  Schweizer  viel  versprechen  —  die 
letzteren  hoffen,  Bärnhof  noch  eine  Stelle  in  d.  Schweiz  verschaffen  zu 
können  u.  haben  heute  Abend  darum  geschrieben.  Es  sind  sehr  gefällige 
Leute;  sie  werden  alles  thun  was  sie  können.  Breuning  ist  von  Wien 
nach  Bonn  gereist.  Ich  habe  noch  so  manches  zu  sagen,  aber  ich  muss 
siegeln.     Ganz  der  Deinige  Herbart. 

21.  Joh.  Rud.  Steck  an  seine  Mutter  in  Bern.1)  Jena,  8.  Juli  1796. 

Bericht  über  seine  und  Fischers  Aufnahme  in  die  Gesellschaft  „der  freien 
Männer".     (Gestern  Abend  zum  1.  Mal  beigewohnt.) 

22.  An    Smidt2)  Am   29  sten  Juli. 3) 

Lieber  Smidt.  Heute  nur  ein  paar  eilige  Worte  in  der  Hoffnung 
daß  Du  neulich  meine  lange  Epistel  erhalten  hast.  Haushalter  wird  noch 
dort  seyn;  solltest  Du  ihm  nicht  ein  paar  Fässer  Wein  eins  für  mich  und 
ein  andres  das  ich  Fichten  schicken  möchte,  mitgeben  können?  Den  letz- 
teren Wein  wirst  Du  selbst  am  besten  wählen  können.  Du  weißt  besser 
wie  ich  was  er  gern  hat.  Für  2  oder  3  Louisd'or  dächte  ich  wäre  genug. 
Für  mich  besorgst  Du  nur  eine  mäßige  Portion  guten  nicht  eben  vorzüg- 
lichen Franzwein.  Das  Geld  wird  Dir  Schröder  etwa  in  14  Tagen 
wieder  bezahlen.  Wenn  Du  es  jetzt  auslegen  könntest  und  wolltest,  u. 
überhaupt  die  Besorgung  übernehmen  willst,  so  sage  ich  Dir  dafür  im 
voraus  meinen  besten  Dank.     Verzeih    nur  meine   Eile    und  behalte    lieb 

Deinen  Herbart. 

x)  Diese  Notizen  der  Schweizer  Freunde  Herbarts  und  die  Briefe  Herbarts  an 
R.  Steck  in  Bern  hat  mir  Herr  Prof.  Dr.  R.  Steck  in  Bern  gütigst  zur  Verfügung 
gestellt.  Über  die  Schweizer  Steck,  Fischer,  Zehender  vgl.:  „Der  Philosoph  Herbart 
in  Bern."  Von  Prof.  R.  Steck.  (Neues  Berner  Taschenbuch  auf  das  Jahr  1900. 
Bern  1899,  S.  1—52;  vgl.  auch  dass.  aufs  Jahr  1898,  S.  3—5);  Johann  Rudolf 
Fischer  von  Bern  u.  seine  Beziehungen  zu  Pestalozzi  von  Prof.  Dr.  R.  Steck  (Bern 
1907,  Heft  2  des  Archivs  für  Schweizerische  Schulgeschichte,  hersg.  von  Schneider); 
111g.  Deutsche  Biographie  35.  Bd.   S.  540  f.,  Art.  „Steck"  von  R.  Steck. 

2)  1  S.    40. 

3)  Ohne  Jahr.  Da  Fichtes  Sohn  am  18.  Juli  1796  geboren  ist,  ist  der  Brief 
1796  geschrieben. 


30  Juli   1796. 

NS.  Fichte  ist  Vater  geworden,  er  hat  einen  Sohn  und  ist  sehr 
froh  darüber. 

Adresse:  An  Herrn  Smidt  Cand.  der  Theologie  in  Bremen. 

frey.      Abzugeben  bey  Hrn.  Pastor  Smidt  an  St.  Stephanikirche. 

23.      An   Smidt.1)         Sonnabend  Mittag  beym  Essen.     Jena  am  30  sten  Juli   1796. 

Lieber  Smidt!  Über  meine  gestrige  Eile  habe  ich  nun  doch  die 
Hälfte  vergessen;  heute  will  ich  mir  etwas  mehr  Zeit  nehmen,  und  da 
kann  ich  denn  noch  etwas  mehr  als  das  allernothwendigste  sagen.  Zuerst 
also  —  die  Klagen,  welche  die  ersten  beyden  Seiten  meines  neulichen 
Briefes  füllten,  sind  verhallt;  der  Himmel  ist  wieder  heiter  —  Sie  ist 
hier\  —  Ich  hatte  zu  viel  aus  ihrem  Stillschweigen  geschlossen,  meine 
Furcht  war  der  Hauptsache  nach  völlig  unbegründet.  Urtheile  von  meiner 
Freude,  da  zwey  Briefe,  von  denen  der  eine  wer  weiß  wo  herumgelaufen 
seyn  mochte,  auf  einmal  ankamen  und  mir  durch  die  angenehmste  Über- 
raschung das  Räthsel  lösten;  da  ich  nun  vollends  den  Tag  darauf 
m.[eine]  M.[utter]  selbst  in  die  Arme  schließen  konnte!  —  —  Nun  weißt 
Du  mein  Geheimniß.  Es  ist  aber  ein  Geheimniß  und  Du  wirst  uns  den 
Gefallen  thun;  es  ganz  völlig  so  zu  behandeln,  da  es  unter  keiner  Be- 
dingung nöthig  seyn  kann,  daß  irgend  jemand  etwas  davon  erfahre.  — 

Nun  aber  schnell  die  Hauptsache.  M.[eine]  M.[utter]  hatte  gestern 
das  einliegende  Billet  einschließen  wollen,  und  mich  zu  dem  Ende  hier 
/:  ist  zu  sagen  auf  dem  schwarzen  Bären  No.  4:/  erwartet;  statt  dessen 
hatte  ich  mein  Blatt  von  Hause  auf  die  Post  geschickt;  das  ist  die  Ver- 
anlassung, daß  ich  es  heute  darauf  wage,  Deine  Gefälligkeit  noch  durch  2 
kleine  Bitten  in  Anspruch  zu  nehmen,  erstlich  den  einliegenden  Brief  zur  Post 
zu  besorgen,  und  dann,  einen  Sack,  der  mit  Dir  und  M.[einer]  M.[utter] 
nach  Bremen  gereist  seyn  soll  [2]  gelegentlich  in  des  Kaufmann  Kirch- 
hofs Hause,  grade  dem  Stockischen  Wirthshause  gegenüber,  bey  meinem 
Vetter  nachzufragen,  der  dort  in  Condition  ist;  denn  dieser  hat  den  Sack 
in  Verwahrung  genommen.  Ich  wünschte  sehr  daß  Haushalter  denselben 
noch  mit  bringen  könnte.  Sollten  meine  Bitten  Dir  aber  beschwerlich 
seyn,  so  wasche  ich  meine  Hände  in  Unschuld,  denn  sie  kommen  alle 
von  einer  Dame,  und  die  Damen,  weißt  Du  wohl,  sind  denn  manchmal 
etwas  unbescheiden.  — *) 

Noch  ein  Wort  von  unsrer  Gesellschaft.  Rist  und  Koppen  haben 
schon  Aufsätze    geschickt,    Spiegel    und  Hörn    versprechen    nächstens    das 


*)  Auf  der  andern  Seite  finden  sich,  unzweifelhaft  von  Herbarts  Mutter,  die  fol- 
genden Zeilen:  (Der  Brief  ist  sehr  verblichen  und  sehr  unleserlich  geschrieben.) 

—  —  ja  hier  ists  hohe  Zeit  daß  ich  dem  jungen  Herrn  die  Feder  wegnehme  — 
hat  man  je  so  etwas  gesehn!  Der  Mensch  von  dem  sonst  keine  Zeile  zu  bekommen 
war,  steht  jetzt  von  der  Suppe  auf,  schreibt  mir  mein  Papier  voll,  um  Sie  von  meiner 
Unbescheidenheit  zu  unterhalten.  —  Was  für  ganz  andere  Universitäts  Nachrichten  hätte 
ich  Ihnen  dagegen  mittheilen  können!  z.  E.  daß  wir  hier  täglich  die  franz[osen]  erwarten, 
(und  daß  ich  fast  Lust  habe  mit  Ihnen  nach  Böhmen  zu  gehen)  —  daß  die  Hrn. 
Studenten  sich  wieder  häufig  duelliren,  dem  ungeachtet  aber  nicht  ermangeln  mir  jeden  Abend 
ein  recht  artiges  Ständchen  zu  br[ingenj.    Gestern  Abend  hörte  ich:  ,.et  sequam  bonum 

x)  4  S.  40.     Ziller  teilt  aus  diesem  Briefe  nur  einige  Sätze  mit. 


Juli  1790.  3! 

gleiche  zu  thun,  sollen  wir  nicht  bald  auch  etwas  von  Dir  haben?  Du 
weißt  wohl,  daß  unsre  Expeditionen,  die  doch  bald  geschehn  müssen, 
keine  kleine  Arbeit  sind,  und  daß  wir  dazu  eigentlich  erst  alles  was  wir 
erwarten  dürfen,   zusammen  haben  müssen.  — 

Unter  unsern  neusten  Mitgliedern  sind  für  mich  Steck,  Fischer  und 
Meyer,  /:  jene  beyde  aus  der  Schweiz,  dieser  aus  Hollstein :/  die  inter- 
essantesten. Diese  3  sind  im  Grunde  außer  mir  wohl  auch  die  einzigen 
die  mit  Eifer  Philosophie  studieren.  Floret,  Gries  und  Böhlendorf  hören 
zwar  bey  Fichten,  ich  zweifle  aber,  ob  sie  hier  so  glücklich  sind,  wie  im 
Gebiete  des  Schönen.  Meine  Philosophie,  oder  vielmehr  mein  Philosophiren 
geht  mehr  und  mehr  einen  eignen  Gang;  besonders  sind  mir  gegen  Fichte's 
Lehre  von  der  Freyheit  sehr  große  Zweifel  aufgestiegen.  Ob  Du  noch 
philosophirst,  oder  ob  Du  ein  so  arges  Weltkind  geworden  bist  dass  Du 
daran  nicht  mehr  denkst,  das  möchte  ich  gern  wissen.  Ich  möchte  Dir 
wohl  gern  dies  u.  jenes,  was  ich  nächstens  ausarbeiten  werde  zur  Prüfung 
zuschicken,  wenn  ich  eine  Prüfung  hoffen  könnte.  —  Auch  möchte  ich 
besonders  gern  ein  ausführlicheres  Urtheil  über  Schelling  [3]  den  Du  aus 
seinen  Briefen  in  Niethammers  Journal  noch  bestimmter  kennen  lernen 
wirst,  und  über  Hülsens  Prüfung  der  Preisfrage  d.  Berl.  Ak.  über  die 
Progressen  der  Metaph.  s.[eit]  L.[eibniz]  u.  W.[olf]   worin  der  Schellingia- 

und  der  Wächter  accom[pag]nirte  „daß  uns  hinfort  nicht  schade,  des  bösen  Feindes 
List"  Mein  H.  Bruder  /  wie  er  in  diesen  Gegenden  heißt  /  kennt  alle  die  schönen 
Sachen  nicht  so  wie  ich.  Neulich  sang  der  Wächter  „Ein  Tag  ist  wieder  hin,  von 
meinem  Leben  ab.  Ich  bin  nun  einen  Schritt,  schon  näher  an  das  Grab.  Dazu  die 
Studenten  „bis  man  die  Finger  darnach  leckt,  so  hats  uns  allen  recht  wohlgeschmeckt.u 
Nun  stellen  Sie  Sich  vor  —  er  wußte  den  Anfang  nicht  von  dem  was  er  hörte.  Als 
heut  vor  8  Tagen  die  Westphälinger  hier  im  Hause  ihr  Kränzchen  hatten  und  wir 
beyden  gerade  über  sie,  ganz  traulich  auf  dem  Sopha  beym  Mondschein  saßen,  da  schlug 
er  bey  ihrem  Gesänge  die  Hände  über  den  Kopf  zusammen  und  rief:  H.  Jesus  wie  ist 
es  möglich.  Ich  für  mein  Theil  konnte  so  etwas  schon  seit  20  Jahren  mitmachen,  und 
wenn  ich  hier  des  Abends  im  blauem  Mantel  u.  rundem  Hut  in  der  Stadt  herum  gehe, 
so  bin  ich  ein  Student  so  gut  als  einer.  Nie  hätte  ich  geglaubt  daß  man  hier  in  J.  so 
lange  ä  son  aise  dabey  so  incognito  leben  könnte.  Noch  glaubt  man  mich  in  Ratze- 
burg und  daher  bitte  ich  Sie  die  Einlage  auf  die  Post  zu  geben,  und  das  Geld  für  den 
Wein  von  G.  Schröders  Hause  hohlen  zu  lassen.  Hätte  L — der  [Loder]  nur  etwas  an 
der  fatalen  Backengeschichte  gebessert,  wäre  auch  nur  Hoffnung  dazu  —  (könnte  der 
alte  Hufeland  mir  an  meiner  ziemlich  abgenuzten  Maschine  noch  so  viel  repariren  daß 
ich  sie  ein  paar  Jahre  ungeflickt  lassen  könnte  —  so  wüßte  ich  nicht  wer  seines  Lebens 
mehr  froh  werden  könnte,  als  ich  hier  mitten  unter  den  Burschen).  Als  eine  anonyme 
Bekanntin  von  Ihnen  habe  ich  von  Hn.  Hfufeland]  einige  Besuche  erhalten.  Er  will 
uns  beyde  auf  Reisen  schicken,  ich  soll  nach  dem  Carlsbade,  und  Sie  —  nicht  nach  der 
Schweitz.  Er  grüßt  Sie,  Gethern  u.  Gröninger  als  seine  lieben  Freunde.  Sie  sehen 
wol  wem  ichs  zu  danken  habe  daß  er  gegen  mich  so  sehr  artig  ist.  Da  er  von  mir 
gar  nichts  weiß  als  daß  ich  einen  sehr  gebrechlichen  und  vernachlässigten  Körper  habe. 
Ferner  ists  Ihr  Werk  daß  gestern  Abend  von  hier  aus,  eine  Zeichnung  der  Burg  Löbeda 
mit  der  umliegenden  Gegend  u.  einem  Baume  worin  gewisser  Mädgen  Namen  geschnitten, 
nebst  einigen  Verschen  —  ferner  eine  Composition  zu  Schillers  Würde  der  Frauen  und 
ein  einst  ganz  verunglücktes  Brieflein  dabey,  an  2  Schwestern  wirklich  abgesandt  worden. 
Sehn  Sie,  was  Sie  alles  vermögen !  Wären  Sie  nur  hier  bey  uns,  so  führte  ich  Sie  noch 
diesen  Abend  zu  Ihrer  schönen  Linde  in  Uhlstädt  an  der  Saale,  wo  ich  mir  einen 
steinernen  Sitz  gemacht,  und  oft  an  Sie  gedacht  habe.  Ein  recht  hübscher  bequemer 
Wagen  den  ich  mir  wohleingedenk  unserer  Delmenhorster  Geschichte,  in  Hamburg 
kaufte,  steht  angespannt  und  wird  sogleich  dahin  bringen  Ihre  beyden  Ihnen  ganz  er- 
gebenen H — rts. 


?  2  August   1796. 

nismus  ebenfalls  sein  Wesen  treibt,  von  Dir  hören.  —  Den  Schluß  muss 
ich  einer  andern  Hand  überlassen,  die  Dir  lieber  seyn  wird  als  die  Deines 
unveränderlichen  Freundes   F.   Herbart. 

Adr.:     An  Herrn  Candidat  Smidt  in  Bremen, 
frey. 

24.  An  Langreuter  in  Eutin.     (Bruchstück.)  *)  Aus  Jena. 

—  Meine  Mutter  ist  sehr  oft  des  Morgens  bei  dem  freidenkendsten 
Professor  (Fichte)  und  Nachmittags  bei  der  Gräfin  Kameken  geb.  Lynar, 
der  eifrigsten  Aristokratin  und  künftigen  Herrnhuterin.  Eine  von  unsern 
Professorinnen,  die  Hofr.  G.,  fegt  selbst  die  Strasse;  eine  andere  die  Mad. 
Mereau,  macht  Gedichte  für  den  Schiller'schen  Musenalmanach  und  studirt 
Kant  und  Fichte.  Während  sich  der  letztere  in  seinem  angefüllten  Audi- 
torium in  den  tiefsinnigsten  Speculationen  der  Wissenschaftslehre  verliert, 
singt  Ulrich,  um  durch  die  plattesten  Spässe  wenigstens  noch  eine  Classe 
von  Zuhörern  für  sich  zu  gewinnen,  im  Collegium  der  Aesthetik  auf  dem 
Katheder  den  alten  andächtigen  Weibern  nach  und  lehrt  für  einige  selecta 
ingenia  philosophiam  Kantianam  alienis  pannis  non  deturpatam  —  die 
selecta  ingenia  sind  dann  einige  Ungarn,  die  nicht  deutsch  genug  ver- 
stehen, um  deutsch  gelesene  Collegia  gehörig  zu  benutzen.  Eine  besondere 
Scheidung  ist  hier  zwischen  den  alten  und  jungen  Professoren.  Die  letz- 
teren haben  ein  besonderes  Kränzchen  und  überhaupt  sehr  wenig  Umgang 
mit  jenen,  auch  sind  sie  fast  die  einzigen,  die  Zuhörer  finden.  Die  eigent- 
lichen Facultätswissenschaften  sind  hier  alle  trefflich  besetzt,  dagegen 
fehlt  es  in  allen  Nebenfächern  sehr.  Unsern  grossen  Lehrer  der  Philo- 
logie, Schütz,  haben  wir  so  gut  wie  verloren;  seine  Kränklichkeit  lässt 
wenig  Hoffnung,  dass  er  je  wieder  lesen  werde.  Schiller  lies't  schon  lange 
nicht  mehr  und  verlässt  äusserst  selten  das  Zimmer.  Göthe  ist  dagegen 
oft  hier  in  Gesellschaft  bei  Hufeland,  Loder2)  u.  a.  m.  Wieland  und 
Herder  kommen  fast  nie  hierher  und  haben   hier   sehr   wenige  Bekannte. 

Ich  habe  die  letzte  Seite  mit  grosser  Anstrengung  der  Augen  ge- 
schrieben. Sie  erlauben  jetzt  nichts  mehr;  ich  muss  geradezu  abbrechen. 
Leben  Sie  wohl,  bester  Freund,  und  sein  Sie  mir  ferner,  was  Sie  ehemals 
waren.  Ihr  Herbart. 

25.  Herbarts  Mutter  an  Smidt..3)  Uhlstädt  am  lsten  Aug.  [1796?]. 

Um  Verzeihung  lieber  Freund,  daß  ich.  den  Briefen  meines  Sohns  ein  aber- 
mahliges  Postscriptum  hintenanhänge.  Es  ist  mir  um  so  unangenehmer  den  letzten 
vom  Freytage  nicht  gesehen  zu  haben,  weil  ich  hier  noch  3  volle  Tage  allein  bin, 
und  also  einer  bloßen  Vermuthung  wegen  Ihnen  noch  einmal  beschwerlich  fallen 
muß.  Da  m[ein]  S[ohn]  den  Sack  mit  dem  geräucherten  jetzt  wahrscheinlich  ge- 
dornten Fleische,  der  eigentlich  als  die  Hauptsache  war  die  fortgeschafft  werden 
mußte  —  vergessen   hat;   so   wird   er  sich  den  Wein  für  F.  mit  dieser  Gelegenheit 


*)  Nach  Ziller,  Herb.  Reliquien  S.  23. 

'-')  Ztschr.   f.    exakte   Philos.  I.     S.  61.      Bei  Loder   hörte    H.  Anthropologie,    vgl. 
Bd.  XII,  S.  192. 

■'')  1  S.  4°. 


August,  September   1796.  -2? 


erbeten  haben.  Vielleicht  haben  Sie  geglaubt  daß  dieser  noch  bey  der  Kindtaufe 
seines  Sohnes  oder  sonst  sehr  schnell  hier  seyn  müßte  und  ihn  wirklich  abgeschickt. 
Wäre  dies  nicht  so  wünschte  ich  wol  daß  es  noch  nicht  geschähe,  da  wahrscheinlich 
F.  noch  durch  Ihre  Güte  vor  Mangel  gesichert  ist.  Da  die  Frau  welche  nicht  nur 
bey  der  Entbindung  sondern  auch  nachher  mit  dem  Kinde,  welches  sie  selbst  hat 
säugen  wollen,  sehr  gelitten  hat  —  und  sich  nun  um  so  weniger  mit  Haushaltungs 
Sachen  befassen  kan;  und  besonders  weil  ich  fürchte  der  Wein  werde  eine  solche 
Reise  bey  dieser  Hitze  schwerlich  vertragen,  zudem  da  es  sehr  wohl  seyn  könnte, 
daß  wir  bey  dessen  Ankunft  im  Bade  wären.  Im  vollen  Vertrauen  auf  Ihre  Dienst- 
fertigkeit von  der  m[ein]  S[ohn]  mir  täglich  erzählt,  werfe  ich  dies  eilig  hin,  und 
bitte  Sie  noch  oben  drein  uns  bald  recht  viel  von  Sich  zu  erzählen.  Möchten  Sie 
doch  nur  halb  so  oft  an  uns  denken,  als  wir  in  den  letzten  4  Wochen  hier,  in  Jena, 
im  romantischen  freyen  Orla  u.  wo  wir  sonst  hauseten,  uns  Ihrer  erinnerten  — 
nein,  von  Ihnen  geschwazt  haben.  Ihre  ergebene  Freundin  H. 

Adr.:  Dem  Herrn  Candidat  Smidt  in  Bremen, 
frey.    auf  Steffanikirchhofe. 

26.  Steck  an  Zehender  in  Bern.  Jena,  1.  Aug.  1796. 
Bericht  über  die  Gesellschaft,  nähere  Schilderung  derselben. 

27.  An  Rist.1)  Jena  im  Sept.  1796. 
Nein,  mein  theuerster  Rist,  nicht  wie  vor  dem  beschämenden  Geiste 

eines  entschlafenen  Freundes  der  Schuldige  zurückweicht,  nicht  so  war 
mir  zu  Muthe  da  ich  vor  8  Tagen  Deine  Handschrift  erblickte.  —  Nicht 
so  würde  Dir  seyn,  wenn  Du  ich  wärest.  —  Du  würdest  anders  urtheilen, 
wenn  Du  wüsstest  dass  ich  lange  keine  solche  Freude  hatte,  —  wenigstens 
nicht  durch  mein  Verhältniss  hier  in  Jena  —  als  da  ich  die  Worte 
Deines  Zornes  vernahm. 

Unsere  Vergangenheit,  unsere  Zukunft  lebt  in  meinem  Herzen,  aber 
die  Gegenwart  —  unsere  Gegenwart  darf  ich  sie  hoffentlich  nicht  nennen 
—  ist  ein  armes  kränkelndes  Wesen,  das  ich  in  einem  Augenblicke  nicht 
sorgfältig  genug  zu  pflegen  weiss,  und  dem  ich  im  andern  mit  beflügelter 
Eile  entfliehen  möchte. 

Ich  weiss  nicht  wo  ich  anfangen  soll,  Dir  zu  sagen,  was  ich  sagen 
will.  Ich  habe  Dir  in  Gedanken  schon  alles  gesagt;  um  so  mehr  sperrt 
sich  die  Feder  es  hinzuschreiben.  Ja  wenn  Dir  ein  günstiger  Wind  das 
alles  hätte  zuführen  können,  was  ich  auf  meinen  einsamen  Spaziergängen 
mit  Dir  plauderte  —  denn  bey  weitem  auf  den  meisten  warst  Du,  waren 
Berger    u.   H[ülsen]    u.  andere    gute  Entfernte    meine  einzige   Geseilschaft. 

Ach  Freund,  ich  habe  den  Wechsel  der  Gefühle  erfahren.  —  Und 
Du  weisst  ja,   wie  leicht  man  mich  zusammendrücken  kann.   — 

Doch  ich  fühle  es  selbst  in  diesem  Augenblicke,  wie  ich  nach  meiner 
Gewohnheit  meine  Kraft  dem  Unmuthe  hingebe,   wie  die  verweilende   Be- 


J)  Über  Rist  s.Johann  Georg  Rists  Lebenserinnerungen,  herausg.  v.  G.  Poel.  Gotha 
1880.  2  Bde.  Nach  fr.  Mitteilung  des  Hrn.  Geh.  Reg  .-Rats  Poel  in  Wulmenau  hat 
der  Herausgeber  der  Ristschen  Lebenserinnerungen  das  handschriftliche  Material  Rists 
vernichten  müssen,  so  daß  die  Briefe  Herbarts  an  Rist  nicht  mehr  vorhanden  sind.  Der 
obige  ist  im  Besitze  des  Hrn.  Richter  Dr.  Smidt  in  Bremen,  der  ihn  gütigst  zur  Ver- 
fügung stellte. 

Herbarts  Werke.     XVI.  3 


•54  September  1796. 


trachtung  alles  schlimmer  macht  als  es  ist.  —  Ich  verliess  eben  unsern 
Böhlendorf,  wir  machten  einen  kleinen  Gang  vors  Thor,  unser  Gespräch 
begann  mit  Klagen  über  Gries,  wie  es  das  schon  öfter  that,  dann  ärgerten 
wir  uns  über  unsere  Gesellschaften.  B.  wollte  die  Form  gebessert  wissen, 
ich  sagte  ihm  nach  meiner  Dir  bekannten  Weise  stark  und  lebhaft,  was 
ich  dabey  zu  erinnern  hatte  —  er  wurde  stumm,  unser  Gespräch  schlich 
einsylbig  weiter,  wir  trennten  uns,  und  ich  ging,  lebhaft  an  alles  unange- 
nehme erinnert,  ans  Pult,  —  um  mich  aufs  neue  von  meiner  Unfähigkeit 
zu  überzeugen,  mich  schriftlich  zu  erleichtern;  denn  das  ist  mir  gar  nicht 
gegeben.  —  Ich  muss  schon  erleichtert  seyn,  ehe  ich  eins  nach  dem 
andern  so  ordentlich  hinschreiben  kann,  dass  jemand  daraus  klug  werden  kann. 

Nachmittags. 

Du  siehst,  Bester,  dass  ich  diesen  Morgen  nicht  schreiben  konnte. 
Eben  habe  ich  neue  englische  Tänzö  bekommen,  sie  sind  recht  hübsch 
—   u.  so  will  ich  Dir  denn  schreiben.  — 

Zuerst  also  muss  ich  wol  die  Räthsel  lösen,  die  ich  Dir  aufgegeben, 
denn  wie  solltest  Du  Dir  träumen  lassen  können,  dass  ich,  im  Schoosse 
des  besten  Cirkels  und  der  angenehmsten  Verbindungen  in  Jena,  nicht 
froh  sey?  Hör  denn  wie  mir's  ging.  Im  Anfange  des  Sommers,  —  un- 
mittelbar nachdem  Berger  u.  Hülsen  uns  verliessen,  bekam  ich  einen  Brief 
von  Haus,  der  mich  ein  entsetzliches  Misverständniss*)  als  gewiss  fürchten 
iiess.  Es  waren  Umstände  dabey,  die,  wenn  die  Verschwiegenheit  mir 
nicht  schlechterdings  verböte,  dem  Papiere  etwas  davon  anzuvertrauen, 
Dir  zeigen  würden,  dass  ich  wohl  auf  ein  ganzes  Vierteljahr  recht  sehr 
davon  verstimmt  werden  konnte.  Ich  war  genöthigt  mancherley  zu  be- 
sorgen, was  mich  von  den  geselligen  Zusammenkünften  auf  Gries's  Stube 
entfernte,  und  meine  übele  Laune  verkümmerte  mir  auch  die  Stunden, 
die  ich  mit  unseren  Freunden  zubrachte.  Erst  nach  Johannis  erhielt  ich 
wieder  einen  Brief,  der  mich  von  der  Seite  auf  einmal  unaussprechlich 
glücklich  machte,  und  mir  zeigte,  dass  jenes  fürchterliche  Blatt  nur  in 
einer  unglücklichen  Viertelstunde  hingeworfen,  also  gar  nichts  weniger  als 
so  bedeutend  war,  wie  ich  es  anfangs  glauben  musste.  Allein  während 
der  Zeit  waren  in  unsrer  Gesellschaft  allerley  Dinge  vorgegangen,  die  wir 
vor  Ostern  nicht  für  möglich  hielten.  Bohlend,  hatte  sich  an  Bekedorf 
gehangen,  und  wollte  ihn  durchaus  in  unsre  Gesellschaft  haben.  Du 
kennst  Beked.  und  hast  es  uns  gesagt,  wie  Du  über  jene  plötzliche 
Freundschaft  urtheilst.  Allein  es  waren  auch  einige  Gründe  für  Bek. 
Besonders  bewog  mich  am  Ende  ein  Aufsatz  den  Bohlend,  mir  von  ihm 
vorlas,  u.  der  in  einer  Schilderung  eines  leichtsinnigen  Jünglings  zugleich 
ein  Bekenntniss  u.  eine  Entschuldigung  enthielt,  wie  ich  sie  ihm  nicht 
zugetraut  hatte,  ihm  meine  Stimme  zu  geben.  Gries  tat  das  Gleiche, 
allein  Reimers  und  die  seinigen  Hessen  ihn  durchfallen.  Die  Spannung 
die  dies,  verbunden  mit  den  Klagen  über  Bohlend,  abgebrochenen  Um- 
gang mit    den  Braunschweigern,    zwischen   B.  und  Reimers    hervorbrachte, 


*)  Von  diesem  Misverständniss  bitte  ich  Dich  Langreutern  nichts  zu  sagen.     Noch 
darf  ich  fürs  erste  niemandem  Gelegenheit  geben,  es  zu  errathen. 


September  1796.  ^r 


dauert  gewissermassen  noch.  Ferner  war  während  meiner  unglücklichen 
Periode  Gries's  Bruder  angekommen.  Vielleicht  muß  ich  es  seiner  da- 
maligen Kränklichkeit  zuschreiben,  dass  er  mir,  und  anfangs  auch  Floret  u. 
Bohlend,  als  ein  ennüyanter  und  verschrobener  Mensch  erschien.  Gänzlich 
in  meinen  hochgespannten  Erwartungen  von  ihm  getäuscht,  konnte  ich  in 
meiner  damaligen  Stimmung  nicht  umhin  die  beyden  unzertrennlichen 
Brüder  zu  meiden,  oder  doch  sehr  selten  mich  in  die  Gesellschaft  zu 
mischen,  welche  sie  jetzt  mit  Möllern,  einem  alten  Bekannten  vom  altern 
Gries,  Bekedorf,  dem  jetzigen  genauem  Bekannten  von  unserm  Gries, 
Lindnern,  der  alle  4  Wochen  von  Ronneburg  hereinkam,  und  Floret,  der 
recht  herzlich  über  die  witzigen  Spässe  dieser  Hn.  zu  lachen  pflegt, 
manchmal  Sonnabends  und  Sonntags  zu  halten  anfingen.  Das  weitere 
siehst  Du  nun  schon  voraus.  Ich  bin  weit  entfernt,  mein  individuelles 
Gefühl,  meinen  Gedankenkreis,  meine  Beschäftigungen,  deren  Einseitigkeit 
ich  kenne,  für  die  Norm  eines  guten  geselligen  Tons  zu  halten,  allein 
der  Sprung  von  da  zu  der  für  mich  unübersichtlichen  Welt  literarischer 
Neuigkeiten,  und  dem  für  mich  im  hohen  Grade  unwegsamen  Gebiete 
des  Witzes,  /:  oder  der  Witzeley,  oder  einer  absprechenden  Kritik  über  die 
Werke  der  schönen  Kunst:/  ist,  als  Sprung,  u.  so  lange  mir  nicht  die 
Freundschaft  liebevoll  die  Hand  reicht  und  mich  die  unbekannten  Steige 
führt,  für  meine  Kräfte  zu  gross  und  meiner  Art  des  Fortschreitens  grade 
entgegengesetzt.  —  Es  würde  sehr  ungerecht  seyn,  daraus,  dass  Gries  sich 
mit  Möller,  Lindnern,  Beke(dorf)  angenehm  zu  unterhalten  weiss,  zu 
schliessen  dass  er  ihnen  —  oder  der  Idee  die  wir  uns  von  ihnen  machten, 
—  auch  nur  im  geringsten  weiter  angehöre;  aber  soviel  ist  mir  täglich 
weniger  zweifelhaft,  dass  ich  den  Freund,  in  dessen  Besitze  ich  mich  so 
glücklich  fühlte,  der  mir  den  Abschied  von  Euch  andern  3  so  sehr  er- 
leichtern sollte  —  auf  einige  Zeit  auch  für  abwesend  ansehn  muss.  Mit 
ihm  sympathisiren  kann  ich,  jetzt  wenigstens,  schlechthin  nicht,  mich  ihm 
verständlich  zu  machen,  ist  eben  so  unmöglich,  er  scheint  beleidigt  über 
Dinge,  bey  denen  mir  nichts  arges  einfällt,  er  redet  im  Gegentheil  von 
ununterbrochener  Freundschaft,  wo  ich  ihn  zu  erinnern  suche,  dass  es  vor 
einem  halben  Jahre  nicht  so  war.  Selbst  in  unserer  Gesellschaft  können 
wir  nicht  mit  einander  reden;  er  spricht  von  ausgemachten  Sachen,  wo 
mir  die  Principien  noch  zweifelhaft  sind.  Wie  weh  es  thut,  von  einander 
in  jedem  Augenblicke,  den  man  mit  einander  zubringt,  im  Geiste  Abschied 
zu  nehmen,  sich  zurückgestossen  zu  finden,  indem  man  sich  zu  nähern 
meinte,  durch  äussere  Verhältnisse,  durch  die  schönsten,  die  heiligsten 
Erinnerungen,  und  in  den  Herzen  gemeinschaftlicher  Freunde  sich  ver- 
einigt zu    wissen,    und   dennoch  sich  getrennt   zu  fühlen1)  —    doch  nichts 

*)  In:  „Aus  dem  Leben  von  Gries"  heisst  es  S.  8:  „Nach  Berger's  Weggang  verfolgte 
er  die  philosophischen  Beschäftigungen  unter  Herbart's  Leitung,  bis  er  endlich  durch 
die  Art,  wie  dieser  Lehrmeister  mit  ihm  verfuhr,  inne  ward,  dass  dieser  selbst  wohl 
nicht  sonderlich  an  die  Fortschritte  seines  Schülers  glauben  möge,  und  so  kam  er  zu  der 
Ueberzeugung,  dass  es  ihm  durchaus  am  eigentlichen  philosophischen  Genius  mangle.'" 
Und  S.  4:  „Die  Musik,  welche  Gries  leidenschaftlich  liebte,  brachte  zuerst  eine  An- 
näherung zwischen  ihm  u.  Herbart  zu  Wege,  in  welchem  er  in  dieser  Hinsicht  mehr  als 
den  Ebenbürtigen  kennen  lernte  —  ...  Es  ward  eine  Freundschaft  geschlossen,  die  auch 
über  die  Zeit  der  Studienjahre  hinausreichte. u 


•a  6  September   1796. 


mehr  davon!  —  Mit  Böhlendorf  kann  ich  ganz  wohl  sympathisiren,  aber 
gar  nicht  mich  mit  ihm  verstehen.  Wir  sind  gern  zusammen  und  suchen 
einander  manchmal,  aber  wenn  wir  etv/as  überlegen  wollen,  so  ist  unsere 
Freude  meistens  dahin.  Mit  Floret  kann  ich  wohl  frohe  Augenblicke 
theilen,  aber  es  ist  zufälliges  Glück,  wenn  wir  mit  einander  froh  werden. 
Ich  schätze  ihn,  er  ist  meinem  Herzen  gar  nicht  fremd,  er  ist  sehr  viel 
mittheilender  geworden  aber  es  fehlt  ihm  für  mich  ein  ich  weiss  nicht 
was,  —  Gewissenhaftigkeit  möcht  ichs  nennen.  Diese  letztere  macht  mir 
Meyern  aus  Holstein,  der  Dir  als  Mitglied  unserer  Gesellschaft  genannt 
seyn  wird,  und  ein  recht  lieber  guter  Mensch  ist,  vorzüglich  werth;  aber 
unsere  Gedanken  wollen  nicht  recht  in  einander  eingreifen.  Mit  den  Schweizern 
hoffe  ich  noch  einmal  recht  glücklich  werden  zu  können.  Sie  vereinigen 
erstaunlich  viel  Geist  mit  grossen  Kenntnissen  und  dem  vortrefflichsten 
Character,  sie  sehen  mich  gern,  ich  esse  Abends  bey  ihnen,  wahrscheinlich 
wird  auch  Böhlendorf,  wie  er  schon  angefangen,  unsere  Gesellschaft  ver- 
mehren. Mir  fehlt  nichts,  wenn  ich  mit  ihnen  bin,  —  als  Du,  lieber 
Rist.  Wenn  Deine  immer  gleiche  Lebhaftigkeit  dem  Gespräche  nur  einen 
beständigen  raschen  Gang  sichern  könnte,  gewiss,  wir  alle,  und  Du  mit 
uns,   wir  könnten   ausserordentlich  glücklich  seyn. 

—  Wie  viele  wenn  und  aber!  —  Wir  beyde,  lieber  Rist,  konnten 
mit  einander  schwatzen  und  philosophiren  und  traulich  thun;  wo  wir  auch 
waren,  da  waren  wir  zusammen,  und  selbst  wenn  unsere  Meinungen  einmal 
nicht  zusammen  zu  seyn  schienen,  so  fand  sich  sogleich  die  Spur,  auf 
der  wir  uns  wieder  finden  konnten.  Bey  Deinem  freundlichen  Bück  be- 
stand keine  üble  Laune;  viel  öftrer  als  Du  es  selbst  weisst  hast  Du  mich 
mir  und  meiner  Arbeit  und  unsern  Freunden  wiedergegeben.  Und  ich 
glaube,  ich  darf  mich  auch  rühmen,  Dich  besser  verstanden  zu  haben, 
wie  irgend  einer  von  denen,  die  Du  hier  zurückgelassen.  Vielleicht  be- 
weisst  Dir  das  ein  kleines  Blatt1),  das  ich,  wenn  ich  noch  Zeit  zum  Ab- 
schreiben finde,  als  Auszug  aus  einem  Aufsatze  für  die  Gesellschaft  bey- 
legen  will;  welches  ich  vorlas,  nachdem  Gries  eine  gewaltige  Kritik  über 
Deine  Ideale  hatte  ergehen  lassen.  Ich  habe  mit  Dir  nur  einen  Wort- 
streit, indessen  wünschte  ich  der  Idee  über  die  Production  der  Ideale, 
und  über  die  Notwendigkeit  die  Wissenschi,  durch  die  Deduction  der- 
selben zu  schliessen,  Deine  Aufmerksamkeit  und  Prüfung;  denn  für  die 
Methode  der  W  .  seh  .  1.  und  für  die  Uebersicht  derselben  scheint  sie 
mir  wichtig.  Durch  das  kleine  Blatt  über  Schelling2)  wünschte  ich  Deine 
Aufmerksamkeit  auf  ihn  lenken  zu  können,  wenigstens  will  ich  so  den 
Fehler  wieder  gut  machen,  den  ich  beging,  da  ich  Dir  bloss  das  was  er 
nicht  leiste,  und  sein  Missverstehen  der  W  .  seh  .  1.  darzustellen  suchte. 
Du  erhältst  hier,  was  ich  den  Sommer  über  in  der  Gesellschaft  vorgelesen, 
nur  einige  Bemerkungen  über  die  Pflicht  des  Staats,  auf  die  Erziehung 
der  Kinder  Rücksicht  zu  nehmen,  ausgenommen,  welche  Bergers  Aufsatz 
im  Genius  der  Zeit  veranlasste.  Der  Hauptgedanke  ist  dieser:  Der  Staat 
setzt  nothwendig  einen  gewissen  Grad  von  Cultur  (und,  soll  er  vollkommen 

!)  S.  Bd.  I,  S.  5 — 8  und  Kehrbachs  Bemerkungen  dazu  Bd.  I,  S.  IL  f. 
-)  S.   Bd.  I.     S.  9:   ,, Spinoza  und  Schelling;   eine  Skizze.u 


September  1796.  37 


seyn,  die  volle  Cultur)  voraus,  denn  seine  Bürger  müssen  die  Gesetze 
kennen,  ihre  innere  Nothwendigkeit  und  verbindende  Kraft  überzeugend 
einsehn,  und  sich  in  jedem  Moment,  wo  es  auf  Befolgung  oder  Ueber- 
tretung  derselben  ankommt,  jene  Kenntniss  und  Ueberzeugung,  zugleich 
mit  der  Erinnerung  an  die  angehängten  Drohungen,  vergegenwärtigen; 
sonst  kann  der  Staat  zwar  Verbrechen  strafen,  aber  keine  verhüten.  Diese 
Cultur  muss  er  daher  allenthalben  hervorzubringen  suchen,  u.  darnach  be- 
stimmt sich  der  Einfluss,  oder  wenigstens  die  Aufsicht  des  Staats  auf  die 
Erziehung.     Sapienti  sat.   — 

Aeusserst  begierig  bin  ich  auf  das,  was  Du  mir  von  Deinen  Fort- 
schritten sagen  wirst.  Es  ist  der  Tod  der  Freundschaft,  wenn  man  ein- 
ander nicht  recht  in  seine  Beschäftigungen  einführt,  wenn  man  sich  nicht 
sagt,  wofür  man  sich  hauptsächlich  interessire,  welche  Richtung,  welchen 
Plan  man  verfolge,  welche  Grundsätze,  welche  Methode  man  im  Denken 
und  im  Handeln  hat  herrschend  werden  lassen.  Darüber  wirst  Du  mir 
genug  sagen  können,  lieber  Rist.  Ich  leiste  Dir  hierin  was  ich  für  jetzt 
vermag;  meine  Aufsätze  hast  Du;  meine  Art  zu  leben  und  meine  Ge- 
dankenreihe kennst  Du  noch  so  ziemlich.  Was  die  erste  betrifft,  so  muss 
ich  Dir  nur  zuerst  sagen,  dass  ich  Dir  jetzt  in  einer  neuen  langen  ledernen 
Hose  schreibe,  und  mit  ein  paar  kleinen  allerliebsten  silbernen  Spörnchen 
angethan  bin,  sintemal  ich  jetzt  der  edlen  Reitkunst  wöchentlich  4  Stunden 
widme,  vom  Hrn.  Stallmeister  Seidler  für  einen  hoffnungsvollen  Schüler 
erklärt  bin,  und  mich  sehr  daran  amüsire,  den  Leuten  zu  zeigen,  dass 
ich  in  weniger  als  einem  Monat  schon  bis  zu  den  Sporen  avancirt  bin. 
Auch  Hr.  Roux  sorgt  dafür  meine  Muskeln  fleissig  vom  Fechten  schwellen 
zu  lassen;  u.  so  wird  mein  armseliges  Organ  ja  wol  endlich  etwas  brauch- 
barer u.  stärker,  wie  bisher.  —  In  meinen  philosophischen  Ueberzeugungen 
sind  keine  Veränderungen  vorgegangen;  des  neuen,  das  ich  hinzugethan, 
ist  nicht  so  viel,  wie  ich  von  diesem  Sommer  erwartet  hatte;  das  wichtigste 
ist  vielleicht  der  Versuch  einer  neuen  Theorie  des  Raums,  die  ich  nächstens 
zu  vollenden  hoffe,  u.  die  Du  dann  wahrscheinlich  leicht  durch  unsern 
Langreuter  vom  Hofr.  Hellwag  wirst  erhalten  können.  Die  von  Fichte 
in  der  W.  1.  befriedigt  mich  gar  nicht,  sie  scheint  mich  auf  einem  viel 
zu  hohen  Reflexionspuncte,  also  viel  zu  spät,  vorzukommen,  obgleich  das 
Raisonnement  selbst  wol  unter  gewissen  Einschränkungen  richtig  ist.  — 
Jetzt  bin  ich  beschäftigt,  Schelling  und  Hülsen,  die  ich  noch  immer  für 
Eine  Parthey  halte,  sorgfältig  zu  prüfen.  Der  letzte,  glaube  ich,  kann  nur 
durch  das  Studium  des  erstem  ganz  verständlich  werden.  Zum  Studium 
der  Kantischen  Critiken  finde  ich  Mellins  Marginalien  sehr  nützlich,  die 
neben  einer  guten  Uebersicht  einen  sehr  wichtigen  Vortheil  durch  das 
Register  gewähren,  welches  die  Kantischen  Schriften  gleich  einen  Lexicon 
zu  gebrauchen  möglich  macht,  nach  welchem  man  Kants  eigene  Ent- 
wicklung jedes  schwierigen  philosophischen  Begriffs  nachschlagen  kann. 
—  Auch  die  äusserst  interessanten  philosophischen  Schriften  Jacobi's  habe 
ich  zu  studiren  angefangen  u.  mich  sehr  belohnt  gefunden.  —  Fichte's 
Moral  habe  ich  mir  nicht  zueignen  können,  am  wenigsten  die  Lehre  von 
der  Freyheit,  doch  kann  es  seyn,  dass  ich  ihn  unrecht  fasste.  Sein  sehr 
sonderbares   Eherecht    erhältst  Du    erst  nach  Neujahr,    denn    eher  kommt 


38  Oktober  1796. 

sein  angewandtes  Naturrecht  nicht  heraus.  —  Zu  Hufeland  bin  ich  kürz- 
lich mehrmals  eingeladen  worden.  Die  Politik  war  zum  Theil  sehr  inter- 
essant. —  —  Solltest  Du  Langreutern  eher  schreiben  als  ich  so  danke 
ihm  in  meinem  Namen  recht  sehr  für  die  Bekanntschaft  mit  Eschen  die 
er  mir  verschafft  —   Meine   Augen,   meine   Backe  sind  erträglich. 

Ich  habe  meinen  Brief,  so  spät  er  kommt,  dennoch  sehr  schnell 
schreiben  müssen,  u.  kann  also  leicht  manches  vergessen  haben,  was  ich 
nothwendig  sagen  sollte;  was  ich  aber  auch  schrieb  oder  nicht  schrieb 
—   vertraue  der  vesten  Freundschaft  Deines  Herbart. 

28.  Herbarts  Mutter  an  Smidt.1)  1796. 

Einige  Augenblicke  nur  unterbreche  ich  Sie,  mein  lieber  Freund,  da  wir  uns 
bald  wieder  sehen.  Mein  jüngster  Sohn  ist  etwas  unbeugsamer  als  der  älteste,  sein 
Zimmer  ist  gar  nicht  geöffnet  worden,  obgleich  wir  einen  gewaltigen  Lärm  davor 
angerichtet  und  sogar  den  Nachbar  Böhlendorf  zu  Hülfe  gerufen  haben.  Ich  nehme 
also  die  Feder  und  bitte  selbst  um  das  was  er  hätte  bestellen  können.  Erstlich,  wir 
wünschen  sehr,  nicht  nur  Sie,  sonder  auch  seine  d.  i.  Fr.  Langens  Mutter  mit  Ihnen 
in  Göttingen  zu  sehen.  Ich  liefere  sie  in  einem  bequemen  und  bedeckten  Wagen 
wieder  zu  den  ihrigen  zurück.  Zweytens.  Bitte  ich  Sie  durch  Meene,  (wenn  Sie 
selbst  nicht  Zeit  haben)  den  Fuhrmann  Haushalter  eiligst  aufsuchen  zu  lassen,  der 
hoffentlich  bey  der  Ankunft  dieses  noch  nicht  aus  Bremen  abgereiset  seyn  wird. 
Er  hat  wahrscheinlich  allerley  Sachen  für  mich  aufgepackt,  die  er  2  mal  dort  ver- 
gessen hat,  die  mir  vor  Weihnachten  sehr  angenehm,  jetzt  aber  sehr  lästig  seyu 
würden.  Statt  dieser,  die  ich  in  Bremen  finden  muß,  sähe  ich  gern,  wenn  er  für 
Fichte  einen  Anker  Wein  mitbringen  könnte,  weil  der  arme  Mann  nichts  zu  trinken 
hat,  als  das  was  ich  übrig  habe.  Der  Anker  kostet  8  Rtlr.  Es  muß  ihm  ja  dabey 
gesagt  werden,  daß  es  derselbe  und  von  demselben  Kaufmann  seyn  müsse,  der  den 
meinigen  geliefert  hat,  sonst  bringt  er  von  dem  theuren  alten  Weine,  den  ich  für 
Fichte  kommen  lassen,  und  mein  armer  Freund  würde  beym  Ueberflusse  Durst  leiden. 
Und  nun  zur  Hauptsache.  Schieben  Sie  nichts  von  dem  auf  die  Rechnung  unsers 
Freundes,  und  ärgern  Sie  Sich  nicht  über  das,  was  Sie  von  seiner  chere  moitie  etwa 
unsinniges  zu  lesen  bekommen.  Ich  habe  heute  3  Stunden  für  Sie  gekämpft  aber 
doch  fürchte  ich,  ist  der  Stoß  nicht  ganz  abgewendet.  Schreiben  Sie  ihr  von  Ihrer 
Fr.  Mutter  so  wenig  als  möglich  weder  böses  noch  gutes.  Es  wird  alles  gedeutelt. 
Mündlich  mehr.  Noch  eine  Bitte,  lesen  Sie  das  Blatt  für  meinen  Mann,  schreiben 
Sie  ein  Wörtgen  darunter,  und  schicken  es  fort.    Da  ist  die  Fichten.   Adieu  die  Ihrige 

Herbart. 

Anfang  Okt.     Herbarts  Reise  nach  Leipzig  und  Rückreise  mit  seiner  Mutter. 

29.  Steck  an  seine  Mutter.  Jena  17.  Okt.  1796. 

Über  die  Gesellschaft,  Lob  der  Mitglieder  derselben.  —  Dann:  „Ich  habe  diesen 
Nachmittag  sehr  angenehm  zugebracht  bei  einem  Freunde  aus  Oldenburg,  den  seine 
Mutter  hier  im  Durchreisen  besucht:  auf  unserer  Hinreise  nach  Leipzig  [Ausflug 
von  Fischer  u.  Steck  dahin  vom  8.  Okt.  an]  begegneten  wir  einer  eleganten  Chaise, 
die  auch  mit  Extrapost  von  dorther  kam;  wie  es  zu  geschehen  pflegt,  wurden  unsere 
Pferde  angespannt  und  an  den  anderen  Wagen  gebracht,  der  uns  dafür  die  seinigen 
' 'in wechselte.     Zufällig   öffnete   sich   das  verschlossene  Fenster  der  Chaise,   wir  er- 

»)  1  S.  4°. 


Oktober,  November   1796.  30 


blickten  unsern  Herbart  und  eine  Dame,  die  wir  an  der  Aehnlichkeit  der  Züge  für 
seine  Mutter  erkannten,  und  nun  wußten  wir,  wer  die  Verwandte  gewesen  war.  mit  der 
er  so  geheimnisvoll  diesen  Sommer  einige  Eeisen  gemacht  hatte.  Sie  ist  eine  sehr 
geistvolle  Frau  und  doch  im  Umgang  so  traulich,  so  offen,  so  wenig  imposant: 
denken  Sie  sich,  welche  schöne  Tage  sie  hier  miteinander  erleben,  wie  ich  den 
Glücklichen  beneide,  so  einen  Besuch  zu  haben!" 

30.  Steck  an  seine  Mutter.  Jena  24.  Okt.  1796. 
,, Fischer  und   ich   speisten   gestern   bey  der  Gräfin  Kameke  geb.  Lynar:    sie 

wollte  die  Hofräthin  Herbart,  die  Mutter  unseres  Freundes,  einmal  zu  Gaste  haben, 
und  bat  uds  daher  mit  ihnen,  weil  sie  unsere  genaue  Verbindung  mit  ihm  kannte: 
außer  diesen  fanden  wir  unsere  Madam  Szykler  [Kirchenräthin,  bei  der  Steck  u. 
Fischer  wohnten]  einen  dänischen  Kanzleyrath  und  seine  Gemahlin.  Nach  Tische 
wurde  Musik  gemacht,  die  Gräfin  sang,  Herbart  accompagnirte  auf  dem  Klavier,  das 
ich  noch,  Steibelt1)  und  Muralt  ausgenommen,  von  Niemand  so  in  der  Vollkommenheit 
spielen  hörte.  Die  Gräfin  wird  nicht  mehr  lange  hier  bleiben,  sie  hat  vor  einigen 
Wochen  ihren  Bruder,  den  älteren  Graf  Lynar  verlohren,  das  einzige  Band,  was  sie 
an  Jena  gehalten  hat." 

31.  J.  G.  Lange  an  Smidt  und  Heinrich  (Thulesius).    Jena  28.  Okt.  1796. 

—  —  Herbart  gefällt  mir  sehr,  u.  ich  und  ein  Schweitzer,  Namens  Fischer, 
und  noch  einer,  wir  kommen  schon  seit  einigen  Tagen  alle  Mittage  von  4—6  zu- 
sammen, u.  sprechen  über  den  Schelling,  (worüber  du  auch  in  kurzem  einen  Auf- 
satz von  Herbart  erhalten  wirst)  weil  wir  3  die  Wissenschaftlehre  hören  wollen. 
Ich  brauche  hiervon  jetzt  weiter  nichts  zu  sagen,  weil  Du  den  Schelling  kennst. 

32.  Steck  an  seine  Mutter.  Jena  7.  November  1796. 
„Die  Mutter  unseres  Herbart  bleibt  zu  unserem  unaussprechlichen  Vergnügen 

den  ganzen  Winter  hier:  wir  kennen  ihre  Lage  nun  näher,  sie  hängt  so  sehr  an 
ihrem  Sohne,  daß  sie  sich  entschloßen  hat,  ihren  Mann  (Justiz-  und  Regierungsrath 
in  Oldenburg,)  dem  sie  nichts  mehr  seyn  konnte  als  Haushälterin,  zu  verlaßen  und 
bei  ihrem  Sohn  zu  bleiben,  der  mit  dem  Vater  nicht  die  gemeine  Bahn  einherwandelt. 
Sie  erzählte  uns  das  mit  allen  Nebenumständen  so  unbefangen  treu  und  offen,  daß 
nur  Blinden  die  schönen  Züge  ihres  reinen  Charakters  entgehen  könnten.  Es  muß 
auch  so  eine  Seele  sein,  um  jenen  Schritt  thun  zu  können,  der  sich  sonst  mit  der 
Zartheit  ihres  Geschlechts  schwerlich  vertragen  würde.  Wir  besuchen  sie  öfter,  ich 
hoffe,  ihr  Umgang  soll  mir  ebensoviel  werden,  als  der  ihres  Sohnes.  Dieser,  der 
nun  in  die  Jahre  des  Mannes  getreten  ist,  lebt  mit  ihr  im  Verhältniß  des  Bruders 
zur  Schwester,  giebt  ihr  gleichsam  in  einer  zweyten  Erziehung  die  reichsten  Früchte 
des  Keimes  zurück,  die  sie  in  seinen  Busen  senkte  und  so  treulich  gepflegt  hat.  So 
eine  seltene  Übereinstimmung  zwischen  Mutter  und  Sohn  ist  mir  noch  nirgends  vor- 
gekommen. Er  ist  Sie  und  Sie  ist  Er,  wie  gut  schickt  sich  zu  dieser  Innigkeit  die 
Sprache  des  Du,  die  sie  gegenseitig  beybehalten  haben." 

33.  Lange  an  Smidt  Jena  1.  December  96. 

—  —  Was  wir  in  diesen  Stunden  [siehe  Brief  v.  28./10.]  zusammen  haben, 
wirst  Du  am  besten  aus  dem  Aufsatze  sehen  können,  den  Herbart  Dir  heute  zu- 
schicken wird,  wie  er  mir  versprochen.  Schelling  zu  verstehen  und  zu  widerlegen 
ist  bisher  der  Hauptgegenstand  dieser  Stunden  gewesen.    Da  Du  mit  diesem  Zettel. 

•  x)  Daniel  Steibelt  (1765—1823)  gefeierter  Klaviervirtuose. 


^O  Dezember   1796. 


zugleich  einen  Brief  an  Herbart  erhältst,  so  sage  ich  jetzt  weiter  nichts  davon,  zumal 
da  ich  meinen  Augen  wegen  ganz  mißfidel  bin. 

Daß  Herbart  nicht  ins  Conversatorium  gehen  kann,  wirst  Du  vielleicht  schon 
aus  diesem  Aufsatz  sehen.  Wenigstens  konnte  ich  es  mir  wohl  erklären,  ohne  ihn. 
darum  zu  fragen,  warum  er  nicht  hineinginge,  wie  ich  erst  sah,  wie  er  von  .Fichte 
seiner  Meinung  abweicht.  Und  da  Du  Herbart  kennst,  so  wird  des  Dir  nicht  wundern, 
wenn  ich  Dir  sage,  daß  er  sich  über  Fichte  glaubt ;  thut  nichts  zur  Sache  ob  er  es 
ist,  darüber  mag  ich  nicht  entscheiden,  genug  wenn  er  sich  über  ihn  glaubt,  so  kann 
ich    mir    wohl    erklären,    warum    er    nicht    so    öffentlich    mit    ihm    sprechen    mag. 

34.    An    Smidt.  -1)  Jena  im  Anfang  Decembers   1796. 

Bester  Smidt!  Vom  letzten  zuerst!  Ich  freue  mich  daß  die  Weser 
point  d'honneur  hat,  und  daß  sie  die  ihr  angethane  Schmach  nicht  bloß 
zu  empfinden  sondern  auch  zu  ahnden  weiß.  Auch  ich  habe  mich  in 
ihrer  Person  beleidigt  gefühlt,  urtheile  also  ob  es  mich  freut,  einen  Rächer, 
und  einen  solchen  Rächer  auftreten  zu  sehn.  Denn  wahrlich,  lieber 
Smidt,  ich  wenigstens  hätte  ihn  nicht  leicht  besser  gewünscht.  Nur  mögt 
ich  Dich  fragen,  ob  nicht  grade  hier,  wo  Du  zu  strenger  Auswahl  er- 
muntern willst,  strenge  Auswahl  Dir  selbst  so  viel  mehr  Pflicht  sey?  Ob 
Du  nicht  auch  von  einer  kleinen  Anzahl  mehr  Eindruck  erwarten  wirst, 
die  aber  Schlag  auf  Schlag  trifft;  als  wenn  der  Gegner  der  ohnehin 
Blößen  sucht,  Zwischenzeiten  zur  Erhohlung  behält?  —  Der  Anonymus, 
(:  der,  im  Vertrauen  gesagt,  gern  an  seiner  Hand  erkannt  seyn  möchte, 
denn  er  hat  an  Dich  geschrieben,  um  eine  kurze  persönliche  Bekanntschaft 
zu  erneuern,  und  er  hofft  noch  auf  Antwort)  hat  Dir  in  äußerster  Eile, 
die  Du  in  der  Situation  entschuldigen  wirst,  so  ziemlich  dasjenige  gesagt, 
was  ich  sonst  geschrieben  hätte;  er  und  Lange  und  ich  sagen  Dir  vielen 
schönen  Dank;  und  versichern  Dich  unsrer  Verschwiegenh[eit]t.  Übrigens 
möchte  ich  Dir  rathen,  Deine  Blätter,  nicht  bloß  an  Schillern  zu  ad- 
dressiren,  denn  er  ist,  wie  mir  Woltmann  vor  einiger  Zeit  sagte,  schon 
gewohnt,  alles,  was  unbekannte  Hände  ihm  senden,  fast  ungelesen  zur 
Seite  zu  werfen.  Göthe  lacht,  glaubte  ich,  lieber  und  unbefangener  wie 
er,  und  wäre  also  vielleicht  eher  Dein  Mann.  Ihm  werden,  denk  ich, 
Progne  und  Philomele,  die  Requisitionen,  die  Sansculoterie  der  Musen, 
mit  dem  was  dazu  gehört,  das  griechische  Mütterchen,  der  Insecten 
Kreuzzug  pp.    und    ganz    besonders    die    5    letzten   Epigramme,    wo    nicht 

])  3  S.  40.  —  Smidt  hatte  gegen  die  Xenien  im  Musenalmanach  für  das  Jahr  1797 
insbesondere  gegen  die  Mißachtung  seiner  lieben  Weser  eine  Anzahl  Antixenien  aufs 
Papier  geworfen  und  an  Herbart  gesandt.  Später  wurden  sie  ohne  Smidts  Wissen  u. 
Willen  gedruckt  unter  dem  Titel:  „An  die  Xeniophoren.  Ein  kleines  Meßpräsent'1 
1797.  Darin  waren  von  seinen  42  Epigrammen  11  fortgelassen,  dagegen  von  Hörn  15 
hinzugefügt.  Vgl.  Johann  Smidt.  Ein  Gedenkbuch  pp.  Bremen  1873.  S.  60  ff.  Dem 
Xenion  Schillers: 

,,Kurz  ist  mein  Lauf  u.  begrüßt  der  Fürsten,  der  Völker  so  viele, 

Aber  die  Fürsten  sind  gut,  aber  die  Völker  sind  frei," 
hatte  Smidt,  „der  die  freien  Völker  der  Saale  aus  eigner  Anschauung  kannte,  sein  „Saal- 
freiheit1' betiteltes  Antixenion  entgegengestellt: 

Lange  zerbrach  mir  den  Kopf  das  freie  Völklein  der  Saale, 

Fabri  nennt  es  uns  nicht.     Xeniophoren,  ihr  wißt's!u 
(Fabri  =  Handbuch  der  Geographie   1784.) 


Dezember  1796.  41 

Buße  (:  ich  fürchte  er  sey  ein  verhärteter  Sünder  [2]  wider  den  heil. 
Geist:)  so  doch  Glaube  —  an  die  Weser  abnöthigen.  —  Deine  frühern 
Gedichte  haben  nicht  so  ganz  den  Beyfall  meiner  Freunde  gehabt;  in  dem 
Abschiede  der  3  Schwestern  schien  ihnen  und  auch  mir:  das  Sylbenmaaß 
nicht  glücklich  gewählt.  So  viele  Dactylen  dürften,  der  zärtlichen  Muse 
einen  zu  raschen  Gang,  statt  eines  leichten  Fluges,  ansinnen.  Eigentlich 
sollte  wol  die  eigene  Gestalt  der  Muse  ganz  verschwinden,  denn  es  ist 
die  Gruppe  der  Schwestern,  die  wir  anschaun,  in  deren  Anschaun  wir  uns 
verlieren  sollen.  Werden  aber  die  Schwestern  so  weltbürgerlich  allgemein 
phantasiren,  werden  sie  Kindheit  und  wachsendes  Alter  überhaupt  in  so 
bestimmten,  fleißig  gearbeiteten  Zügen  darstellen;  oder  werden  nicht  viel- 
mehr einzelne,  zufällig  bedeutende  Scenen  ihrer  Kindheit  schnell  in  Menge, 
flüchtig,  vor  ihrem  Blicke  hinschweben?  Den  Dichter  hören  wir  recht 
schön  hinter  den  Coulissen  reden,  allein  die  Figuren  auf  dem  Theater 
sind  stumm,  und  zeigen  keine  eigene  Persönlichkeit.  Ein  bescheidners 
Lied  in  einem  abwechselnden  jambischen  Metrum  hätte  vielleicht  der 
Situation  besser  entsprochen;  wenn  nicht  der  Dichter  in  seinem  eigenen 
Namen  zu  den  Schwestern  reden  wollte.  —  Der  malende  Amor  ist  viel- 
leicht bey  einer  sehr  individuellen  Veranlassung  entstanden,  die  nicht 
genau  angegeben  ist.  Wenigstens  konnten  wir  die  Hauptidee  des  Ge- 
dichtes nicht  deutlich  auffassen.  —  Bin  ich  nicht  ein  tapferer  Recensent? 
und  zwar  recht  nach  der  Mode,  der  nichts  besser  machen  kann?  Nun 
wohl,  räche  Dich  durch  eine  Antikritik  und  gieb  Dir  recht  oft  Gelegen- 
heit zu  recht  vielen  Antikritiken. 

Unsern  Lange  habe  ich  ganz  so  gefunden  wie  Du  ihn  schildertest, 
und,  ich  hoffe,  auch  ungefähr  so  aufgenommen  wie  Du  wünschtest.  Wir 
sehn  uns  täglich,  und  arbeiten  mit  einander.  [3]  Seinen  Character  liebe 
ich,  und  seinen  Geist  schätze  ich  im  voraus,  denn  was  er  noch  nicht  ist, 
scheint  er  zu  können  und  zu  wollen,  wenn  nur  seine  Gesundheit  günstig 
mit  wirkt.  Hoffentlich  hat  er  Dir  von  dem  Cirkel  in  dem  ich  jetzt  lebe, 
und  in  den  ich  ihn  einzuführen  so  sehr  als  möglich  eilte,  schon  ge- 
schrieben. Er  ist  darin  sehr  willkommen  gewesen.  Auch  mit  Fichten 
hab  ich  ihn  bekannt  gemacht.  Diesen  sehe  ich  jedoch  selbst  jetzt  seltner. 
Meine  Mutter  ist  desto  mehr  da,  und  hilft  treulich  mit,  wenn  die  Frau 
Hülfe  bedarf.  Jetzt  hat  der  Kleine  die  Blattein  durch  Inoculation.  Sie 
sollen  sehr  gutartig  seyn.    — 

Lange  hat  Dir  einen  Aufsatz  von  mir  versprochen.  Die  Schuld  daß 
Du  ihn  heute  nicht  erhältst  liegt  lediglich  an  meinem  Abschreiber,  der 
ihn  schon  am  vorigen  Posttag  fertig  liefern  sollte.  Ich  würde  Dir  darüber 
mancherley  zu  sagen  gehabt  haben.  Vielleicht  ists  gut  daß  ich  heute 
ohnehin  nicht  mehr  Zeit  zu  schreiben  habe;  wer  weiß  ob  nicht  daran 
sich  mancherley  anknüpfen  würde,  was  ich  heute  nicht  recht  hervor- 
zubringen weiß.  —  Was  das  heißen  solle?  Nichts  weiter,  lieber  Smidt, 
als  daß  ich  ein  grillenhafter  Mensch  bin. 

Liebe  mich  und  verzeihe  mir.  Dein   Herbart. 

Deine  Epigramme  habe  ich  Fichten  nicht  gezeigt.  Ich  zweifle,  ob 
er  Sinn  genug  dafür  hat. 

Adresse:  Herrn  Candidat  Smidt  in  Bremen. 

Frey  bis  Braunschweig.     Zu  erfragen  beym  H.  Pastor  Stolze. 


A2  December   1796. 


35.   An   Smidt.  1)  Jena  im  Anfange  Decembers   1796. 

Endlich,  bester  Smidt,  kann  ich  Dir  den  versprochenen  Aufsatz 
senden.2)  Mein  Abschreiber  war  ein  Paar  Tage  krank,  und  konnte  also 
nicht  so  schnell  arbeiten,  wie  er  versprochen  hatte.  —  Dieser  Aufsatz  ist 
das  beste  und  ausgeführteste  was  ich  Dir  von  meinen  philosophischen 
Versuchen  mitzutheilen  habe.  Manches  andre  erwartet  mehr  Fleiss  und 
ruhigere  Muße,  um  alsdann  auch  Deiner  Prüfung  unterworfen  zu  werden. 
Dass  ich  über  das  Princip  der  Philosophie,  über  die  vollständige  Ansicht 
und  den  Gebrauch  desselben,  über  die  Methode  des  Fortschritts  im 
Folgern,  und  über  einige  naheliegende  und  wichtige  Lehrsätze,  mit  mir 
einig  geworden  sey,  werden  Dir  die  einliegenden  Blätter  zeigen;  und 
ziemlich  bestimmt  angeben,  was  Du  von  meiner  Art  zu  philosophiren 
möchtest  erwarten  können.  Nur  muss  ich  Dich  um  eine  etwas  anhaltende 
Aufmerksamkeit  und  um  das  günstige  Vorurtheil  bitten,  dass  jede  einzelne 
abgebrochene  Aeusserung  im  Ganzen  Sinn  und  Bedeutung  haben  werde, 
wenn  sie  auch  für  sich  allein  wenig  verspricht.  Du  wirst  viel  hinzudenken 
müssen;  denn  ich  habe  mich  so  kurz  als  möglich  gefasst.  —  Warum  ich 
an  Sch[elling]s  Schrift  so  viel  Zeit  gewandt?  die  Veranlassung  war  Hülsens 
Schrift,  welche  ganz  in  seinem  Geiste  geschrieben  ist,  ohne  ihn  so  voll- 
ständig und  deutlich  erscheinen  zu  lassen;  überdies  halte  ich  Sch[elling]s 
System,  einige  Kleinigkeiten  abgerechnet,  für  die  möglichst  consequente 
Darstellung  des  Idealismus.  —  Angehängt  findest  Du  Fichte's  Noten,  die 
Dich  überzeugen  mögen,  wie  wenig  Aufmerksamkeit  man  sich  von  ihm 
versprechen  dürfe.  Ich  ward  förmlich  des  Dogmatismus  beschuldigt  und 
nach  einer  mündlichen  Unterredung  ebenso  förmlich  losgesprochen;  aber 
ob  meine  Abweichungen  von  F.'s  eignen  Darstellungen  bedeutend  oder 
unbedeutend  seyen,  darüber  kein  erhebliches  Wort!  Gerade  darüber  be- 
durfte ich  der  Belehrung  am  meisten,  denn  ich  halte  sie  für  bedeutend 
und  Fichte's  jetzige  sehr  veränderte  Darstellung  der  W.-l.  so  gut,  wie  die 
[2]  erste  für  unmethodisch  und  undeutlich;  und  seine  darauf  sich  gründenden 
Ableitungen  im  Naturrecht  und  der  Moral,  so  viele  glückliche  Gedanken 
auch  einzeln  ausgestreut  seyn  mögen,  in  den  Hauptsachen,  wie  z.  B.  in 
der  Theorie  von  der  Anerkennung  eines  vernünftigen  Wesens  als  eines 
solchen,  und  in  der  Freiheitslehre  für  falsch.  Ueber  nichts  wirst  Du  Dich 
mehr  wundern  als  über  seine  Theorie  des  Eherechts,  die  das  Naturrecht 
schliesst.  Hier  sind  die  Principien :  Bey  dem  Hauptgeschäfte  der  Ehe 
verhält  sich  der  Mann  thätig,  die  Frau  leide?id.  Thätigkeit  ist  der  Character 
des  Vernunfts- Wesens,  Leiden  ist  ihm  entgegengesetzt.  Der  Trieb  des 
Mannes  ist  daher  von  der  Vernunft  autorisirt,  die  Frau  aber  erniedrigt 
sich  unter  die  Vernunft,  indem  sie  sich  ihren  Trieb  auch  nur  gesteht.  Das 
besagte  Geschäft  würde  daher  unterbleiben,  oder  doch  moralisch  verboten 
seyn,  wenn  nicht  bey  der  Frau  noch  ein  ganz  eigner  Trieb  einträte,  der 
sie,  die  ursprünglich  eine  Stufe  niedriger  steht,  als  der  Mann,  ihm  wieder 
gleich  setzte,  und  das  ist  die  Liebe.  —  Der  Mann  liebt  eigentlich  nicht, 
das   der  weiblichen  Liebe  in  der  Ehe  bei  ihm  correspondirende  Gefühl  ist 

x)  4  S.  40.     Zum  Teil  gedruckt  in  Bd.  I,  S.  LI. 

2)  S.  Bd.  I.    S.  12  ff.  und  Kehrbachs  Bemerkungen  dazu  Bd.  I.    S.  Lff. 


Dezember  1796.  43 


—  Grossmuth.  —  F.  hat  manchmal  mit  meiner  Mutter  über  diese 
Theorie  disputirt,  Du  kannst  denken,  ob  sie  nach  ihrem  Sinne  war.  Die 
Dispute  müssen  lustig  anzuhören  gewesen  seyn,  ich  habe  zum  Unglück 
bey  keinem  gegenwärtig  seyn  können.  Meine  Mutter  ist  fast  täglich  dort, 
und  ziemlich  wie  zu  Hause;  beyde,  Mann  und  Frau  interessiren  sie,  und 
wie  sollte  es  nicht  interessant  seyn,  eine  so  neue  Theorie  im  Gedränge 
des  wirklichen  Lebens  zu  beobachten?  Zu  sehen,  wie  die  Frau  sich  ge- 
geberdet, wenn  sie  dem  Manne  ihre  Persönlichkeit,  und  mit  diesem  ihrem 
kostbarsten  Schatze  alles  was  sie  ist  und  hat,  hingeben  soll  —  und  wie  der 
Mann  es  macht,  für  die  Frau  Vernunft  zu  haben,  und  das  ihm  anver- 
traute heilige  Depot  pflichtmässig  zu  verwalten  —  denn  so  will  Fi.   — 

—  F.  und  seine  Frau  erwarten  schon  lange  eine  Antwort  von  Dir 
auf  den  Brief,  worin  sie  Dir  die  Pathenschaft  über  den  kleinen  Immanuel 
Hartmann  aufgetragen. x)  Wenn  ich  nicht  irre  so  erwartet  man  zugleich 
eine  sorgfältige  Entschuldigung,  dass  Du  nicht  eher  geschrieben,  deren  Du 
Dich  ohne  Zweifel  je  eher,  je  lieber  wirst  entledigen  wollen.  —  Ich 
wünschte,    Du  erwähntest  nicht,    dass  ich   Dir  dies  geschrieben  habe.    [3] 

Ich  danke  Dir  herzlich,  dass  Du  mir  Lange's  Bekanntschaft  ver- 
schafftest. Dein  Brief  hiess  mich  ihm  gleich  mit  aller  Offenheit  entgegen 
gehen;  er  erwiederte  mein  Zutrauen,  und  sowie  er  mir  damals  und  schon 
in  Deinem  Briefe  erschien,  so  finde  ich  ihn  noch.  Seine  Gutmüthigkeit 
und  sein  guter  Wille  sind  eine  so  vorzügliche  Seite  an  ihm,  dass  man 
sehr  gern  mit  ihm  in  der  Hoffnung  dessen  lebt,  was  sein  Geist  künftig 
seyn  wird.  Seines  schwächlichen  Körpers  wegen  bedaure  ich  ihn  sehr; 
und  von  daher  könnte  vielleicht  auch  für  seinen  Geist  etwas  zu  fürchten 
seyn.  Er  wird  sich  wohl  noch  Anstrengungen  geben  müssen,  die  ihm  bis 
jetzt  gänzlich  unbekannt  scheinen,  um  die  Vernachlässigung  seiner  frühern 
Ausbildung  zu  ersetzen  und  den  grossen  Klumpen  Materie,  den  er  an  sich 
trägt,  zu  organisiren  und  zu  beleben.  Jetzt  entschuldigt  ihn  seine  Körper- 
schwäche, gerade  jetzt  in  dem  Zeitpuncte,  wo  die  Menge  von  Menschen, 
die  er  über  sich  erkennt,  und  von  Wissenschaften,  die  seine  Kräfte  auf- 
fordern, ihn  durch  den  Reiz  der  Neuheit  am  kräftigsten  spornen  könnten. 
Ich  möchte  gern,  so  viel  ich  kann,  nachhelfen;  und  Du  thust  mir  einen 
grossen  Gefallen,  wenn  Du  mir  umständlich  darüber  schreibst,  was  er  be- 
dürfe, was  ich  ihm  geben  könne,  und  von  welcher  Seite  Du  mir  Vorsicht 
zu  empfehlen  nöthig  findest.  Wenn  ich  nicht  irre,  so  ist  er  gerade  für 
soviel  Leitung  empfänglich  als  einem  Menschen  zu  nehmen  und  zu  geben 
anständig  ist.  —  Von  unsern  Unterhaltungen  über  Schellings  System  wird 
er  Dir  geschrieben  haben.  Ich  finde  aber,  dass  sie  an  ihn  noch  zu 
viele  Ansprüche  machen.  Ich  werde  versuchen  ob  einige  Stunden,  wo 
ich  mich  mit  ihm  ganz  allein  beschäftige,  ihm  nützlich  seyn  können.  Das 
Schlimmste  ist,  dass  er  eigentlich  weder  für  die  Philosophie  noch  für 
irgend  sonstetwas  ein  entschiedenes  und  dringendes  Bedürfniss  fühlt  und 
dass   er  dagegen  eine  gewisse  Fidelität    gewöhnlicher  Menschen    liebt,    die 

1)  Am  11.  Okt.  1796  ersuchten  Fichte  u.  seine  Frau  Smidt  als  ihren  „wahren 
Freund"  die  Patenwürde  bei  der  Taufe  ihres  Sohnes  anzunehmen.  S.  Johann  Smidt. 
Ein  Gedenkbuch  pp.  Bremen  1873.  S.  46.  Dort  auch  über  das  Verhältnis  zwischen 
Fichte  u.  Smidt. 


aa  Dezember  1796. 


so  wenig  giebt  als  sie  kostet.  Er  weiss  zwar  wohl,  was  er  nicht  will, 
nämlich  keine  einzelne  Brodwissenschaft;  allein  fragt  man  nach  dem,  was 
er  eigentlich  wolle,  so  will  er  „manches  berichtigen,  was  bei  ihm  noch 
unberichtio-t  sey.u  Ueber  diesen  unbestimmten  allgemeinen  Ausdruck  er- 
hebt er  sich  nicht.  —  Du  wirst  mir  zutrauen,  dass  ich  ihm  nicht  alle 
seine  Gebrechen  so  vorgezählt  habe,  wie  ich  sie  Dir  [4]  mit  absichtlicher 
Strenge  ins  Gedächtniss  zurückrufe,  um  Dich  aufzufordern,  mir  manches 
darüber  zu  sagen.  Ich  wenigstens  bin  sehr  bescheiden  in  meinen  Zu- 
muthungen  an  die  Freyheit  des  Menschen,  und  indem  ich  diese  der 
Schellingschen  Philosophie,  allenfalls  auch  Fichten  überlasse,  suche  ich 
lieber  einen  Menschen  nach  seinen  Vernunft-  und  Naturgesetzen  zu 
determiniren,  und  ihm  zu  geben,  was  ihn  in  den  Stand  setzen  kann,  sich 
selbst  zu  etwas  zu  machen.  Du  siehst  wohl,  dass  ich  ein  arger  Ketzer 
bin,  vielleicht  reden  wir  einmal  mit  einander  darüber  weiter. 

Unsere  Gesellschaft  ist  tief  von  ihrer  Höhe  heruntergesunken.  Der 
Mitglieder  sind  so  wenige,  und  der  einzige  der  Zeit  Lust  und  Kraft,  für 
sich  etwas  zu  thun,  in  sich  vereint,  ist  Böhlendorf.  Dass  sie  mir  jetzt 
unendlich  weniger,  als  Anfangs  Bedürfniss  sey,  wirst  Du  Dir  wohl  er- 
klären können.  Ihr  Schatten  existirt  indessen  noch,  und  es  ist  möglich, 
dass  er  wieder  belebt  werde.  Jetzt  kömmt  die  Gesellschaft  nur  zusammen, 
wenn  sie  berufen  wird;  diese  Einrichtung  veranlasst  besonders  die  äusserst 
flüchtig  hingeworfenen  Aufsätze  mit  denen  sich  die  welche  die  Reihe  traf 
vorigen  Sommer  gewöhnlich  ihrer  Pflicht  zu  entledigen  suchten. 

Doch  haben  wir  neulich  noch  eine  Aufnahme  gehabt,  und  der  Auf- 
genommene ist  ein  trefflicher  Mensch,  Namens  Dr.   Muhrbeck.  — 

Schreib  mir  doch  von  Deinen  Reisen  nach  Hamburg,  besonders  vom 
ältesten  Gries,  der  kürzlich  (im  Sommer)  hier  war.  Mir  ist  bey  einer 
freylich  sehr  oberflächlichen  Bekanntschaft  nicht  nur  er  selbst  unerträglich 
gewesen,  sondern  er  hat  auch  bey  seinem  hiesigen  Bruder  eine  Stimmung 
zurückgelassen,  oder  vielleicht  eine  ältere  erneuert,  die  meine  Freundschaft 
mit  diesem  in  eine  gewöhnliche  gute  Bekanntschaft  verwandelt  hat.  Ich 
kann  es  nicht  beschreiben,   wie  viel  mich  das  Anfangs  gekostet  hat. 

Dein   Herbart. 

36.     Steck  an  seine  Mutter.  Jena  19.  Dezember  1796. 

„Wir  besuchen  oft  Herbarts  Mutter;  man  weiß  nicht,  ob  sie  oder  ihr  Sohn 
mehr  Ausnahme  vom  Gemeinen  machen.  Sie  verträgt  sich  nun  sehr  gut  mit  der 
Gräfin  Kameke;  eine  sonderbare  Verbindung;  jene  über  alle  Vorurth eile  hinweg,  diese 
im  Begriff,  ganz  in  die  Mährische  Brüdergemeinde  zu  treten." 


1797. 


37.    An  v.  Halem.1)  1797.2) 

Höchstgeschätzter  Herr  Canzleyrath!  Schüchtern  und  beschämt  nahe 
ich  mich  Ihnen  wieder,  um,  wie  spät  es  auch  seyn  mag,  meinen  ver- 
bindlichsten Dank  für  Ihren  gütigen  Brief  doch  noch  zu  überbringen. 
Ich  hoffte  ihn  mit  einem  Versuche  über  den  Aufsatz  des  HEn.  Hofrath 
Hellwag  begleiten  zu  können  —  wie  weit  eilen  oft  die  Hoffnungen  den 
Kräften  zuvor!  —  Da  HE.  Pr.  Fichte  sich  wenig  oder  gar  nicht  auf  jene 
Einwürfe  einüess,  deren  umständliche  Erörterung  zu  weit  von  seinen  bis- 
herigen Untersuchungen  entfernt  lag,  so  verwickelte  ich  mich  selbst  in 
die  so  äusserst  interessanten  Fragen,  und  schrieb  einen  Haufen  Papiers 
nach  und  nach  darüber  voll.  Es  ist  manches  darin,  was  ich  dem 
Urtheile  des  HEn.  Hofr.s  noch  vorzulegen  gedenke;  allein  das  letzte 
Resultat  entschlüpfte  mir  noch  jedesmal,  so  oft  ich  es  auch  mit  aller  An- 
strengung zu  fassen  suchte.  Ueber  das  fruchtlose  Suchen  und  Hoffen  ist 
nun  eine  Pflicht  versäumt  worden,  die  das  unschätzbare  Unterpfand  Ihrer 
Gewogenheit  war.  Lässt  es  sich  noch  wieder  gewinnen?  Darf  ich  thun, 
als  ob  ich  es  noch  besässe?  — 

Sie  haben  mich  mit  den  angenehmsten  Geschenken  überhäuft.  Ihre 
Zuschrift  äusserte  die  liebreichste  Teilnahme  an  meinem  Wohl  und  meinem 
Übel.  Ihr  so  sehr  getroffener  Schattenriss  hilft  meiner  Einbildungskraft 
alle  die  Züge  lebhaft  hervorbringen,  deren  wirkliches  Anschauen  ich  nun 
schon  so  lange  entbehren  musste.  Ihre  Elegie3)  versöhnte  mich  mit  der 
wehmüthigen  Erinnerung  an  den  Mann,  an  den  ich  seit  meinen  Kinder- 
jahren mit  Liebe  und  Hochachtung  hing,  den  ich  nun  nie  wieder  sehn 
soll,  —  von  dessen  vielen  Leiden  mir  meine  Mutter  so  traurige  Be- 
schreibungen gegeben  hat  —  dem  so  wenig  Lohn  für  seine  angestrengte 
Thätigkeit  wurde.  Ihre  Freundschaft  war  sein  Lohn;  Ihre  Worte  erheben 
die  Trauer  zum  nacheifernden  Streben.  Nur  zu  gütig  haben  Sie  diese 
Worte  auch  an  mich  gewandt;  und  mit  freudigem  Danke  nehme  ich  die 
Ermunterung  an:   ob  sie  ganz  so   wie  Sie  sie  gaben,  mein   werden  könne, 

x)  Zeitschr.  f.   ex.  Phil.  I.  S.  324  u.  Ziller,  Reliquien. 

2)  Der  Brief  hat  keine  Datierung.  Mit  Bleistift  steht  von  nicht  festzustellender 
Hand  an  der  üblichen  Datierungsstelle  am  Anfang:  Jena  7.  Juli  97.  Diese  Angabe  ist 
ebenso  falsch  wie  die  Datierung  Zillers  („Juli  1796").  Der  Brief  gehört  ungefähr  an 
den  Anfang  des  Jahres   1797. 

3)  Auf  den  Tod  von  K.  A.  Widersprecher,  mit  dem  G.  A.  von  Halem  die  Olden- 
burger literarische  Gesellschaft  gegründet  hatte. 


46  '797- 

—  das  liegt  noch  so  fern!  —  Wie  wenig  ich  bis  jetzt  nach  Wahl  und 
Plan  zu  arbeiten  im  Stande  bin,  wie  wenig  ich  vorher  vestsetzen  kann, 
was  ich  in  einer  bestimmten  Zeit  leisten  will,  das  sehn  Sie  schon  aus 
dem  ganz  wider  meine  Erwartung  so  lange  unvollendeten  Versuche  über 
die  krumme  Linie.  Die  Geduld  mit  der  Sie  meine  ersten  Klagen  über 
mich  selbst  anhörten,  erlaubt  mir,  Ihnen  zu  sagen,  dass  mein  philosophisches 
Studium,  welches  mich  immer  vorzüglich  beschäftigt,  erträglich  schnell, 
und  mit  soviel  sicherern  Schritten  fortrückt,  je  unabhängiger  ich  mich  von 
den  verbis  magistri  mache;  dass  alles  übrige  noch  sehr  wider  meinen 
Willen  zurück  bleibt,  und  dass  dies  auch  die  Jurisprudenz  noch  immer 
trifft.  Doch  habe  ich  mir,  ihrem  Rathe  gemäss,  eine  encyclopädische 
Übersicht  derselben,  vielleicht  noch  etwas  mehr,  verschafft;  und  suche 
jetzt  vom  Staatsrechte  aus  tiefer  in  ihr  Inneres  einzudringen.  Das  letztre 
höre  ich  jetzt  zum  zweytenmal  mit  neuem  Interesse.  Die  Kenntniss  der 
jetzigen  Lage  der  Dinge,  sie  sey  welche  sie  wolle,  ist  doch  immer  äusserst 
wichtig;  und  es  scheint  mir  überdies  fast  unmöglich,  das  Detail  des  natür- 
lichen Staatsrechts  und  der  allgemeinen  Politik  hell  durchzuschauen,  wenn 
nicht  die  Einbildungskraft  durch  ein  bestimmtes  Beyspiel  unterstützt  wird. 

—  Ihre  Idee:  wie,  wenn  unser  D.[eutschland]  ein  Italien  würde?  hat  sich 
mir  oft  wieder  aufgedrungen.  Dass  in  unsern  Staaten,  deren  Existenz  so 
sehr  auf  ihrer  gegenseitigen  Eifersucht  beruht,  sehr  viel  darauf  ankomme, 
diese  Eifersucht  durch  ein  in  der  Natur  der  Sache  gegründetes,  und  eben 
deshalb  immer  klares  und  unzweifelhaftes  Verhältniss  zu  bestimmen,  davon 
glaube  ich  mich  überzeugt  zu  haben;  nur  haben  Sie  das  Beyspiel  Italiens 
wohl  schwerlich  strenge  genommen,  da  hier  die  Regel  des  Gleichgewichts 
nicht  zutreffen  möchte.  —  Sehr  begierig  bin  ich,  Ihr  Urtheil  über  Fichte's 
Ephoren  (Sie  werden  sein  Naturrecht  gelesen  haben)  zu  vernehmen;  die 
Idee  hatte  für  mich  eine  vielversprechende  Miene,  ob  ich  gleich  die 
Strenge  der  Beweise  hie  und  da  zu  vermissen  glaubte.  Seit  einigen 
Tagen  ist  Kants  Naturrecht  zu  uns  gekommen,  und  schon  triumphiren 
unsre  Philosophen  über  die  grosse  Uebereinstimmung,  die,  so  sehr  sie 
unter  einander  abweichen,  doch  jeder  zwischen  sich  und  Kant  bemerken 
will.  Freyer  als  hier  kann  man  übrigens  diese  Untersuchungen  wohl  nirgends 
anstellen;  das  erkennen  selbst  die  eifrigsten  Verfechter  der  Freyheit  mit 
Dank;  und  sogar  die  Xeniendichter  legten  diesen  Dank  der  Saale  in  den 
Mund.  Wie  Sie  über  die  Freiheit,  die  sich  Schiller  und  Göthe,  (sonst 
hat  niemand  Theil  daran)  hier  nahmen,  geurtheilt  haben,  darauf  darf  ich 
wohl  nicht  lange  rathen.  Mich  freute,  neben  der  Weser,  von  der  nichts 
zu  sagen  war,  die  Hunte  nur  lieber  ganz  vergessen  zu  sehn;  selbst  ihr 
Lob  würde  sie  hier  vielleicht  nicht  gern  gelesen  haben.  In  der  A.  L.  Z. 
wird  sie  hoffentlich  nicht  lange  mehr  vergessen;  wenigstens  schrieb  sich 
neulich  Hufeland,  da  ich  Gelegenheit  fand,  ihn  an  Ihre  Poesie  und  Prose 
zu  erinnern,  eine  Mahnung  für  den  schon  2  mal  erinnerten  Recensenten 
ins  Taschenbuch.  Sie  haben  wohl  gleiches  Schicksal  mit  einem  gewissen 
Neubeck,  von  dem  man  nur  neulich  erzählte,  er  habe  vor  12  Jahren  ein 
Gedicht  von  hohem  Werthe  in  Hexametern,  die  den  Vossischen  gleich 
wären,  herausgegeben,  und  erst  jetzt  sey  Schlegel  darauf  aufmerksam  ge- 
worden,   dieser  wolle    nun    aber    auch    recht   laut  in   die  Posaune  stossen. 


Februar   1797.  47 

Die  beyden  Schlegel  sind  jetzt  wol  die  thätigsten  Recensenten  für 
die  A.  L.  Z.  im  ästhetischen  Fache.  Beyde  halten  sich  jetzt  hier  auf; 
soviel  ich  weiss,  sind  sie  hauptsächlich  mit  jenen  Arbeiten  beschäftigt. 
Von  dem  altern  S.  ist  die  Recension  des  Vossischen  Homers.  Wie  un- 
zufrieden Voss  mit  derselben  sey,  wissen  Sie  wahrscheinlich  von  ihm 
selbst.  Irre  ich  nicht,  so  waren  Sie  ehemals  ziemlich  der  Meinung  des 
Rec.  Es  würde  mich  ungemein  interessiren,  wenn  ich  jetzt  so  glücklich 
wäre,  das  bestimmtere  von  Ihnen  darüber  zu  hören,  besonders  da  ich 
jetzt  durch  meinen  täglichen  Umgang  mit  einem  sehr  vorzüglichen  Schüler 
von  Voss,  und  durch  sein  Gespräch,  mir  alles  deutlicher  würde  machen 
können.  Dieser  ist  der  junge  Eschen,  dessen  Bekanntschaft  ich  meinem 
Freunde  Langreuter  verdanke;  der  meine  philosophischen  Ideen  mit  mir 
theilt,  und  nächstens  den  Sophokles  mit  mir  zu  lesen  verspricht.  —  Wollten 
Sie  mir  über  jenen  Gegenstand  einige  Winke  geben,  so  dürfte  ich  mir 
freylich  wol  noch  eher  die  Freyheit  nehmen,  einige  Gedanken,  die  die 
musikalischen  Rücksichten  in  Homers  Gedichten  betreffen,  Ihrer  Prüfung 
zu  unterwerfen. 

Der  arme  Schütz  ist  von  seinem  Übel  wieder  so  heftig  befallen, 
dass  die  Literaturgeschichte,  die  ich  bey  ihm  höre,  schon  lange  ausgesetzt 
ist.  Von  dem  Manuscript  über  den  Äschylus  fehlen  nur  noch  3  bis 
4  Bogen ;  aber  schon  lange  hat  er  vergebens  versucht,  auch  nur  diese 
Arbeit  noch  zu  vollenden.  Von  Göthe  wird  bald  ein  neues  Gedicht  in 
Hexametern,  ungefähr  im  Geschmack  von  Vossens  Louise,  erscheinen, 
die  Zeit  fällt  in  die  letzten  Tage  des  vorigen  Augusts.  Hufeland  und 
Woltmann  haben    meine  Erwartung    davon    ausserordentlich    gespannt.   — 

Sie  werden  mir  Glück  wünschen  zu  der  so  äusserst  seltenen  Freude, 
mit  den  Annehmlichkeiten  des  academischen  Lebens  das  bessere,  das 
unschätzbare  Verhältniss  des  Sohnes  nun  so  enge  vereinigen  zu  können. 
Meine  gute  Mutter  lebt  hier  zufrieden,  und  es  freut  mich,  dass  das 
Studentenverhältniss  ihr  nicht  zuwider  ist.  Sie  will  sich  Ihnen  selbst 
empfehlen;  ich  setze  also  nur  noch  die  Versicherung  der  vollkommensten 
Hochachtung  und  den  lebhaftesten  Wunsch  hin,  in  Ihrem  Andenken  noch 
wie   ehemals  fortzuleben.     Ihr  gehorsamster 

F.  Herbart. 

38.    Steck  an  seine  Mutter.  Jena  11.  Februar  1797. 

„Wir  haben  heute  einen  schönen  Morgen  verbracht,  der  helle  unbewölkte 
Himmel  und  so  viele  Vorboten  des  Fiühlings  lockten  uns  ins  Freye,  wir  verließen 
frühe  mit  unseren  Freunden  das  dumpfe  Zimmer,  bestiegen  den  nahegelegenen  Berg. 
Angekommen  auf  dem  Gipfel  hob  Böhlendorf  mit  einigen  Gedichten  die  er  uns  vorlas 
noch  mehr  unsere  Stimmung,  es  war  so  rein  in  uns  und  außer  uns,  jeder  fühlte 
sein  Herz  im  Busen  des  anderen.  Von  da  gings  hinunter,  wir  kamen  durch  ein 
Hölzchen,  das  man  das  Schlägerhölzchen  nennt,  weil  es  sich  unsere  stets  rüstigen 
Duellanten  zum  "Wahlplatz  erkiesen  haben,  es  schlagen  sich  oft  zu  gleicher  Zeit 
mehrere  Partheyen.  "Wir  fanden  auch  der  Plätze  mehrere,  die  mit  Sand  bestreut 
ganz  besonders  dazu  zugerichtet  sind.  Nach  der  Stadt  zurück  führte  uns  Herbart 
ans  Klavier,  sang  uns  Gedichte  von  Schiller  und  einigen  Freunden,  und  ließ  uns  so 
noch  einmahl  gestärkt  und  gehoben  frohe  nach  Hause  zurückkehren.  —  Herbart  hat 


4g  Februar   1797. 

die  Stelle  bey  Herrn  von  Steiger  von  Interlaken  für  welche  Fischer  Bestellung 
hatte,  angenommen:  er  reist  mit  Fischer;  ihnen  folgen  noch  zwey  unserer  besten 
Freunde,  so  daß  wir  sagen  können;  wir  bringen  unser  Jena,  den  Cirkel  von 
Freunden,  der  uns  so  sehr  an  diesen  Ort  feßelt,  mit  nach  dem  Vaterlande.  Herbart 
hatte  sich  plötzlich  entschlossen,  wir  flogen  gleich  hin  zu  seiner  Mutter,  sie  zu 
Zeugen  unseres  Entzückens,  unserer  Freude  zu  machen,  ihr  Erwiderung  war  so  ver- 
bindlich, daß  wir  ganz  beschämt  sie  verließen.  Sie  begleitet  uns  mit  nach  Göttingen. 
Nun  heute  über  6.  "Wochen  ist  der  Tag  unserer  Abreise;  ich  werde  fast  alles  was 
ich  bey  mir  habe  zurückschicken.'' 

39.    An  den  Landvogt  v.  Steiger  in  Bern.1)  Vor  l8-  Febr-  l797- 

Die  Nachricht  dass  Ew.  —  geneigt  seyen,  Ihre  Söhne  einem  deutschen 
Lehrer  anzuvertrauen,  ist  mir  durch  meinen  Freund,  Hrn.  Fischer,  mit- 
getheilt  worden.  Er  glaubt,  dass  ich  Ihren  Forderungen  würde  entsprechen 
können.  Da  meine  jetzige  Lage  mir  erlaubt,  meinem  ehemals  geäusserten 
Wunsche  einer  ähnlichen  Lehrstelle  in  der  Schweiz,  Gehör  zu  geben:  so 
nehme  ich  mir  die  Freyheit,  einige  Bemerkungen  über  die  Bedingungen 
welche  Ew.  —  Hrn.  Fischer  schriftlich  angezeigt  haben,  Ihrer  gefälligen 
Überlegung  zu  unterwerfen. 

Dass  ich  ungefähr  würde  leisten  können,  was  Ew.  —  unter  wirklich 
absolvirten  humanioribus  verstehen  glaube  ich  dem  Worte  meines  Freundes 
Fischer;  ich  selbst  würde  es  nicht  wagen,  irgend  jemals  von  mir  zu  sagen, 
dass  ich  in  irgend  einer  Wissenschaft  im  strengen  Sinne  absolvirt  habe. 
Was  indess  der  Fassungskraft  eines  Zöglings  von  14  Jahren  und  von 
fähigem  Kopf  angemessen  seyn  wird,  hoffe  ich  ihm  von  der  Geographie, 
Geschichte,  Physik,  Mathematik,  vom  deutschen  Styl,  von  der  Lateinischen 
und  Griechischen  Sprache  beybringen  zu  können.  Mit  grossem  Vergnügen 
würde  ich  einigen  musikalischen  Unterricht  hinzufügen,  da  ich  mich  seit 
früher  Jugend  mit  dem  Ciavier,  der  Geige,  und  dem  Generalbass  sehr 
beschäftigt  habe. 

Um  die  Gesellschaft  der  Discipel  auch  ausser  den  Lehrstunden  würde 
ich  selbst  sehr  bitten,  wofern  dies  nur  nicht  zu  strenge  verstanden  wird. 
Es  sollte  meine  höchste  Freude  seyn,  ihnen  noch  etwas  mehr  als  blosser 
Lehrer  werden  zu  können.  Durch  4  bis  höchstens  6  eigentliche  Lehr- 
stunden, verbunden  mit  einiger  Anleitung  und  Nachhülfe  bey  den  eignen 
Übungen,  welche  die  Zwischenstunden  ausfüllen  werden,  hoffe  ich  sie  für 
den  ganzen  Tag,  die  Erhohlungsstunden  abgerechnet,  beschäftigen  zu  können. 
Auch  die  letztern  würde  ich  gern  manchmal  mit  ihnen  theilen,  um  mehr 
ihr  Freund  als  ihr  Aufseher  zu  seyn.  Nur  möchte  ich  sie  nicht  gern  so 
sehr  an  meine  Gegenwart  binden,  dass  sie  sich  dadurch  gedrückt  fühlten, 
an  einer  freyen  Äusserung  ihrer  Kräfte  und  Neigungen  gehindert,  oder 
gar  verleitet  würden,  Schleichwege  zu  suchen,  um  sich  der  Aufmerksamkeit 
ihres  Wächters  zu  entziehen;  wovon  mir  so  manche  traurige  Beyspiele 
aus  eigner  Erfahrung  bekannt  sind.  —  Schon  ehemals  nahm  ich  an  dem 
Unterrichte  einiger  Kinder  Theil,  und  hatte  die  Freude,  einen  unerwartet 
glücklichen   Einfluss    davon    auf    ihr    ganzes  Betragen    zu    bemerken.     Ich 

l)  3  S,  40.  Nach  Herbarts  Konzept  in  der  H.  Wien.  Bereits  gedruckt  bei 
Zimmermann,  Briefe  pp. 


Februar  1797.  4g 

konnte  dies  keiner  andern  Ursache  zuschreiben,  als  dass  ich  ihnen  an- 
fangs bloss  meinen  Unterricht  angenehm  zu  machen  suchte,  auf  jede  Art 
von  Herrschaft  über  sie  Verzicht  zu  thun  schien,  und  ihnen  nur  für  vor- 
züglichen Fleiss  gleichsam  als  Belohnung  einen  Wink  über  ihr  übriges 
Verhalten  hinwarf;  dies  reizte  sie  so,  dass  sie  mich  immer  selbst  auf- 
forderten, ihnen  alle  ihre  Fehler  und  meine  ganze  Meinung  von  ihnen 
aufrichtig  zu  sagen.  —  Übrigens  würde  es  auch  sowohl  für  mein  eigenes 
Fortstudiren,  als  für  eine  pflichtmässige  und  gründliche  Vorbereitung  auf 
den  Unterricht  erforderlich  seyn,  dass  einige  Stunden  des  Tages  meiner 
völlig  freyen  Disposition  überlassen  blieben;  und  um  hier  ganz  ungestört 
zu  seyn,  würde  ich  vor  allen  Dingen  um  ein  eigenes,  wo  möglich  aber 
dem  der  Zöglinge  naheliegendes  Zimmer  bitten  müssen. 

Ew.  —  wünschen  auch  Verpflichtung  auf  mehrere  Jahre.  Für  2  Jahre 
wäre  ich  bereit,  und,  sollte  ich  so  glücklich  seyn  Ihre  Zufriedenheit  zu 
erlangen,  so  würde  ich  höchstwahrscheinlich  auch  ein  drittes  dort  zubringen 
können. 

Eine  Verbindlichkeit  auf  längere  Zeit,  würden  Ew.  —  selbst  schwer- 
lich wünschen,  da  ich  noch  nicht  die  Ehre  habe,  Ihnen  persönlich  bekannt 
zu  seyn.  Sollte  mir  dieselbe  aber  künftig  zu  Theil  werden,  so  würde  ich 
alles  thun,  um  mich  Ihrer  Gewogenheit  und  Ihres  Beyfalls  werth  zu 
zeigen.      Ihr  etc.  etc. 

40.     C.  F.  v.  Steiger  an  H.1)  18.  Febr.  1797. 

Insonders  zu  verehrender  Herr!  Die  Zuschrift,  mit  welcher  mich  Dieselben 
zu  beehren  beliebt  haben,  verdient  wohl  von  meiner  Seiten  Antwort  durch  rück- 
gehende Post  und  die  Versicherung  der  innigen  Freude  die  mir  derselben  Inhalt 
gewährt.  Ich  darf  es  sagen:  er  entspricht  bey  dieser  meinem  Herzen  so  nahe 
gehenden  Angelegenheit  allen  meinen  Wünschen,  den  einzigen  Punkt  ausgenohmen, 
daß  ich  Sie  nach  2. — 3.  Jahren  schon  wieder  verlieren  soll.  Doch  mag  indessen 
die  Erziehung  meines  ältesten  Sohnes  um  vieles  fortrücken,  und  für  die  beyden 
folgenden  wird  sich,  unter  dero  und  anderer  Freunde  gütigen  Mitwirkung,  verhof ent- 
lich wohl  auch  fernere  Außicht  und  ein  erwünschter  Lehrer  finden  laßen.  Der- 
malen habe  ich  meine  Knaben  der  Leitung  eines  Herrn  Zeenders  von  Bern  anver- 
trauet, der  wirklich  als  ||  Lehrer  beym  hiesigen  politischen  Institut  angestellt  ist,  ein 
junger  Mann  von  vielen  Kenntnissen,  deßen  Bekanntschaft  Ihnen- Vergnügen  machen 
dürfte.  Seine  Unterweisung  sollte  bis  Ende  künftigen  Aprills  oder  Anfang  May- 
Monaths  fortdauern,  da  ich  aufs  Land  zu  gehn  gedenke.  Auf  diese  Zeit  also,  aber 
etwas  früher,  würde  mir  Dero  Ankunft  am  angenehmsten  seyn,  wobey  jedoch  Ihre 
eigene  Convenientz  billig  vorbehalten  bleibt. 

Das  Honorarium  betreffend,  finde  ich  meine  Gedanken  ebenfalls  in  Ihres  und, 
wie  ich  hoffe,  bald  auch  meines  Freundes  Hrrn.  Fischers  Brief  an  meine  Schwester 
enthalten,  wenn  es  Ihnen  so  anstehn  mag.  Über  eint-  und  anders  kann  indeßen 
das  nähere  noch  schriftlich  verabredet  werden.  Mit  einem  eignen  Zimmer  soll  es 
seine  Eichtigkeit  haben. 

Mein  Landsitz  liegt  blos  eine  Stunde  von  Bern  und  beynahe  an  der  Straße 
auf  Hünigen  und  Höchstetten.  Im  November  rufen  mich  dann  meine  Amtspflichten 
jeweilen  wieder  uach  der  Stadt  zurück.     So  sollen  und  dürfen  wir  uns  zum  voraus 

l)  3  S.  kl.  4°. 

Herbarts  Werke.     XVI.  4 


cq  Februar   1797. 

glückliche  Tage  versprechen!  So  seye  Ihnen,  mein  Herr,  als  künftiger  Freund  des 
Hauses,  von  nun  an,  was  mir  auf  Erden  am  liebsten  ist,  meine  Familie,  ihre  Bil- 
dung,  ihr  künftiges  "Wohl,  mit  vollem  Zutrauen  zur  Leitung  übergeben! 

In  diesen  Gesinnungen  habe  ich  die  Ehre,  mit  der  reinesten  Freundschaft  und 
Ergebenheit  zu  seyn, 

Insonders   zu  verehrender  Herr  Dero  Sie  hochschätzender  Diener 
Bern,  am  18.  Februar  1797.    Carl  Fried:  Steiger,  gewesener  Landvogt  v:  Interlaken. 
A  Monsieur  Herbart  d'Oldenburg,     ä  Jena  par  incluse. 

41.    An    Smidt.1)  Jena  [Febr.    1797]. 

Ich  schreibe  Dir  schon  wieder,  bester  Smidt,  ohne  Deine  Antwoit 
auf  meine  beyden  Briefe  zu  erwarten.  Möchte  nur  meine  Furcht  unge- 
gründet seyn,  dass  Deine  Augenkrankheit  sie  verzögere!  —  In  was  für 
einer  Welt  von  Hoffnungen,  Wünschen,  Besorgnissen,  Plänen,  ich  jetzt 
lebe,  hat  Dich  Böhlendorf  schon  einen  Posttag  früher  begreifen  lassen. 
Ob  ich  den  Anblick  des  Fuchsthurms  mit  dem  der  x\lpen  vertauschen 
wolle,  das  kostete  keine  lange  Überlegung;  ich  lasse  hier  jetzt  meine 
Lehrer  und  meine  Freyheit  zurück,  um  sie  nach  einigen  Jahren,  fähiger 
sie  zu  benutzen,  vielleicht  auch  mit  tieferem  Gefühle  ihres  Werths,  am 
selbigen  Platze  wiederzufinden;  und  folge  einer  Reihe  von  innigen 
Freunden,  mit  denen  ich  Genuss  und  Arbeit  zu  theilen.  und  an  die  ich 
mich  in  trüben  oder  schwachen  Stunden  anzulehnen  gewohnt  bin.  —  Ob 
man  von  anderen  Seiten  meinem  Wunsche  entgegenkommen  werde, 
fragt  sich  noch,  doch  ist  es  wahrscheinlich.  Noch  bitte  ich  Dich  indessen, 
das  Ganze  als  ein  strenges  Geheimniss  zu  behandeln;  und  insbesondere 
nicht  etwa  in  einem  Briefe  an  Fichte  vorauszusetzen,  dass  er  davon  be- 
nachrichtigt sey;   denn   das  wird  gerade  zu  allerletzt  geschehen. 

Und  Du,  lieber  Smidt,  willst  von  uns  allen  fast  allein  in  Deutschland 
zurückbleiben?  Wäre  es  Dir  nicht  möglich,  unsern  Zug  zu  verlängern? 
Unser  Muhrbeck  sucht  am  Genfersee  in  Vevay  oder  Morges  seine  Ge- 
sundheit herzustellen,  er  ist  ungefähr  in  Deinem  Falle,  denn  wenn  gleich 
sein  Uebel  ungleich  heftiger  ist,  so  glaube  ich  wenigstens  den  Schluss 
machen  zu  dürfen,  dass  Hufelands  Besorgniss,  eine  Reise  in  die  Schweiz 
[2]  möchte  Dir  schaden,  sich  bloß  auf  das  Besteigen  der  Gebirge  und  die 
Feinheit  der  öbern  Luft  bezieht,  denn  die  niedrigen  Gegenden  des  pays 
de  Vaud  hält  er  für  Muhrbeck  sogar,  der  ernstliche  Brustkrankheiten  hat, 
für  zuträglich.  Jenes  möchtest  Du  also  vielleicht  vermeiden  müssen,  und 
könntest  es  soviel  eher,  da  Berger  und  Muhrbeck  mit  Dir  im  pays  de 
Vaud  zusammenleben;  dabey  behieltest  Du  Dir  etwa  noch  eine  künftige 
Schweizerreise  vor,  oder  entschlössest  Dich,  was  ich  freylich  kaum  zu 
wünschen  wage,  anderthalb  Jahre  dort  zu  bleiben,  um  erst  mit  völlig  her- 
gestellter Gesundheit  im  Sommer  von  1798  die  Gebirge  zu  besuchen.  — 
Dein  Uebel  hat  sich  jetzt  auf  die  Augen  geworfen,  verlässt  es  auch  diese, 
so  wird  es  dennoch  vielleicht  immer  gleich  drückend  bleiben.  Möchte 
Dir  einer  der  dortigen  geschickten  Ärzte  doch  den  Rath  geben,  es  auf 
einmal  ganz  fortzuwerfen.    —   Angenehmer  als  in  der  Gesellschaft  die  sich 

*)  7  S.  40. 


Februar   1797. 


51 


jetzt  anbietet,  könntest  Du  kaum  reisen.  Denn  obgleich  unsre  Caravane 
gross  genug  werden  könnte,  um  in  den  schlechtem  Wirthshäusern  sich  ein 
wenig  ineinander  gepresst  zu  finden,  so  würden  doch  die  Menschen,  aus 
denen  sie  besteht,  Dich  leicht  schadlos  halten.  Es  sind  Böhlendorf, 
Koppen,  Raison,  Muhrbeck,  Fischer  und  ich;  höchstwahrscheinlich  auch 
Lange. 

Die  letztre  Nachricht  wird  Dich  überraschen.  So  innig  ich  Lange'n 
den  übergrossen  Beweis  seines  Zutrauens  danke,  dass  er  sich  durch  meine 
Abreise  bestimmt  findet,  nicht  länger  hier  in  Jena  zu  bleiben,  sondern 
der  Reihe  von  Freunden  die  er  sich  hier  erworben  hat,  zu  folgen;  so 
hoffe  ich  doch  nicht  durch  Eigenliebe  geblendet,  sondern  durch  Gründe 
geleitet,  ihn  noch  mehr  aufgemuntert  zu  haben,  mit  uns  zu  gehn.  Ich 
wüsste  niemand,  dem  er  sich,  wenn  er  hier  bliebe,  so  recht  und  ganz 
anschliessen  könnte.  Zwar  würde  sein  Gefühl  [3]  unter  den  vielen,  die 
seine  Natürlichkeit  und  offene  Freundlichkeit  zu  ihm  hinziehen  würden, 
bald  die  bessern  von  den  schlechtem  zu  sondern  wissen;  und  er  hätte 
gewiss  bald  einen  grossen  Kreis  von  Menschen,  mit  denen  er  froh  sein 
könnte.  Aber  ich  habe  ihm  selbst  gestanden,  —  und  bitte  Dich,  der  Du 
ihn  länger  kanntest,  um  Deine  Meinung  hierüber,  —  dass  ich  ein  ge- 
wisses Hin  und  Herschwanken  zwischen  den  guten  Menschen,  die  sich 
finden  würden,  ein  gewisses  Obenabschöpfen  des  Angenehmen  in  ihren 
Unterhaltungen  fürchten  würde.  Um  selbst  den  vortrefflichsten  Umgang 
sich  wirklich  nützlich  zu  machen,  dazu  gehört  eine  Energie  des  eignen 
Geistes,  die  sich  über  die  fremden  Charactere  erhebt,  sie  von  oben 
herunter  betrachtet,  vergleicht,  das  Detail  ihrer  Erscheinungen  durchmustert, 
und  von  da  auf  das  innere  Princip  zurückschliesst;  die  dann  aus  den  ge- 
selligen Cirkeln  sich  loszureissen  vermag,  um  in  der  Einsamkeit  zu  ver- 
arbeiten, was  dort  gewonnen  wurde;  die  nicht  ängstlich  in  die  Spur  der 
Individualität  des  Freundes  tritt,  aber  so  viel  eifriger  dem  Rufe  seiner 
reinem  Menschheit  nachstrebt;  die  mit  ihm  empfindet,  aber  auch  mit  ihm 
denkt  und  handelt;  die  seine  Freundlichkeit  liebt,  aber  auch  seinen  Ernst 
schätzt  und  achtet;  die  seine  Bitte  um  gemeinschaftlichen  Genuss  muthig 
abschlägt,  so  lange  noch  die  Kraft  zur  gemeinschaftlichen  Arbeit  sich  regt. 
—  Du  verstehst  mich.  Lass  mich  Dir  jetzt  sagen,  was  wir  Lange  in  der 
Schweiz  anbieten  zu  können  glauben. 

Vor  allen  Dingen,  erstlich,  den  schönsten  Platz,  der  Einsamkeit  und 
Eingezogenheit  angenehm  machen  kann,  und  zweytens,  das  Beispiel  unseres 
eignen  angestrengten  Arbeitens  in  Kreisen,  die  unsre  Kräfte  kaum  werden 
ausfüllen  können,  und  die  uns  also  zur  äussersten  Thätigkeit  auffordern. 
Dies  gilt  wenigstens  von  Fischer,  Böhlendorf  und  mir,  und  wir  3  hoffen, 
Langen  unter  jenen  allen  die  nächsten  zu  seyn.  Im  Winter  sind  wir 
wahrscheinlich  alle  in  Bern,  im  Sommer  bleibt  wenigstens  Fischer  da;  B. 
und  ich  sind  dann  auf  Landhäusern,  die  eine  Stunde  [4]  von  der  Stadt 
liegen.  An  grössere  Reisen  werden  wenigstens  Fischer  und  ich  nicht  viel 
denken  können,  auch  wird  mir  diese  Resignation  so  viel  weniger  kosten, 
da  Hr.  Steiger  von  Interlaken  zur  Hauptbedingung  macht,  dass  man  sich 
auf  mehrere  Jahre  verpflichte,  und  ich  also,  wenn  er  mich  zum  Haus- 
lehrer haben  will,   wenigstens   2  Sommer  dort  zubringe.    Eine  Reise  in   die 


4* 


^2  Februar   1797. 

Schweiz  habe  ich  immer  für  mich  noch  viel  zu  früh  geglaubt,  diese  bleibt 
reiferen  Jahren  aufbehalten;  nur  um  in  reinerer  Luft,  im  Anschauen  der 
unerschütterlichen,  unergründlichen,  Himmel  und  Erde  verbindenden  Alpen 
das  Bild  der  Wahrheit  vester  ins  Auge  zu  fassen,  die  Phantasie  zu  be- 
flügeln, das  Gefühl  zu  beleben,  das  Organ  selbst  zu  stärken,  darum 
wünschte  ich  mich  in  das  Land,  von  wo  Bergers  Ruf  zu  uns  so  laut  er- 
schallte. Heiliger,  inniger  wollte  ich  werden;  —  nun  bietet  mirs  überdas 
die  Welt  der  Menschen  an,  mich  klüger  und  vester  zu  machen,  —  die 
Freundschaft  breitet  dort  ihre  Arme  aus,  mich  zu  empfangen,  —  die 
Musen  versprechen,  mich  nicht  zu  verlassen,  —  und  über  alles  andre, 
meine  Mutter  fragt  selbst  zuerst,  warum  folgst  Du  dem  Winke  nicht?  Nun 
folge  ich,  folge  gern  und  freudig;  aber  mit  dem  vesten  Vorsatze,  erst  das 
Glück  zu  verdienen,  was  sich  mir  darbietet.  So  sehe  ich  meine,  so  sehe 
ich  Lange's  Reise  in  die  Schweiz  an.  Auch  die  Letztre  kann  ich 
schlechterdings  nur  allein  aus  diesem  Gesichtspuncte,  zu  diesem  Zwecke 
und  in  Hoffnung  auf  den  vesten  Willen  der  ihn  ausführen  soll,  vernünftig 
finden.  Sonst  würde  ich  es  in  jeder  Rücksicht  thöricht  und  tadelnswürdig 
halten,  ein  eben  angefangenes  Studium  wieder  zu  verlassen,  eben  ange- 
knüpfte Bekanntschaften  wieder  dahin  zu  geben,  den  Tadel  verehrter,  für 
die  Zukunft  unentbehrlicher  Lehrer  auf  sich  zu  laden,  und  der  Mühe  des 
Orientirens  in  der  Laufbahn  des  academischen  Studirens,  so  wenig  Früchte 
abzufordern.  Das  nun  [5]  ist  ein  grosses  Thema  für  Dich,  mein  Bester, 
um  mir  und  Lange  ganz  und  stark  darüber  Deine  Gedanken  zu  sagen; 
denn  Deine  Freundschaft  für  uns  fordert  Dich  auf,  mitzuwirken,  dass  wir 
uns  richtig  und   zweckmässig  selbst  erziehen  lernen. 

Über  das,  was  die  Schweiz  selbst  darbietet,  verspricht  nun  auch  mein 
trefflicher  Fischer,  der  wahrscheinlich  sehr  bald  ein  öffentliches  Amt  in 
Bern  bekommen  wird,  und  dem  dann  mancherley  Hülfsquellen  ergiebiger 
fliessen  werden,  alles  was  er  kann  für  uns  zu  thun;  und  gewiss,  was  er 
verspricht,  darauf  darf  man  sicher  rechnen.  Er  will  Lange'n  recht  oft 
sehen,  ihm  vielleicht  eine  Wohnung  in  seinem  Hause  schaffen,  für  zweck- 
mässigen Unterricht  sorgen,  und  den  Letztern  zum  Theil  gemeinschaftlich 
mit  ihm  nehmen.  Lange  würde,  glaube  ich,  dort  sein  Studium  viel  zweck- 
mässiger als  hier  in  Jena,  anfangen  können.  Wozu  soll  jetzt  schon  die 
Theologie,  oder  was  immer  für  eine  Brodwissenschaft,  so  lange  noch 
jeder  Schritt  im  Felde  der  Literatur  und  Geschichte  wankt?  Wozu  Philo- 
sophie, so  lange  noch  kein  reines  speculatives  Interesse  erwacht  ist?  Dort 
würden  unzusammenhängende  Dogmen,  gleichviel  ob  neue  oder  alte,  hier 
würde  eine  ärmliche  Übung  in  logischen  Kunststücken  der  einzige  Gewinn 
seyn,  wofern  nicht  der  Ueberdruss  an  solchen  geist  verdrehen  den  Beschäfti- 
gungen ins  Mittel  träte,  und  allem  Studiren  ein  Ende  machte.  —  Lange 
ist  von  Ahndungen  beunruhigt,  zu  denen  ich  ihm  Glück  wünsche,  wofern 
es  ihm  gelingt,  sie  in  deutliche  Begriffe  umzuschaffen.  Erst  lege  er  sich 
bestimmte  Rechenschaft  ab  über  die  Fragen,  die  er  zu  thun  hat,  ehe  er 
von  Philosophie  und  Theologie  Antworten  erwartet.  Da  es  mir  scheint, 
dass  das  Studium  der  alten  Literatur  und  der  Naturkunde  ihm  am  besten 
den  Stoff  geben  könnte,  woran  es  ihm  noch  so  sehr  fehlt,  und  dass 
Mathematik  einzig  geschickt  sey,   [6]   ihn  auf  die  erste  Idee  zu  leiten,   wie 


März   1797.  53 

man  überhaupt  einen  Stoff  bearbeiten  könne,  so  habe  ich  mit  Fischern 
darüber  gesprochen  und  dieser  versichert  mich  fürs  Griechische  und 
Lateinische  einen  äusserst  geschickten  Privatlehrer  dort  zu  kennen;  und 
der  Unterricht  in  der  Mathematik  und  Physik  ist  es,  den  er  gemeinschaft- 
lich mit  ihm  beym  Professor  Tralles  zu  nehmen  sich  erbot.  Uebrigens 
soll  eine  bessere  öffentliche  Bibliothek  in  Bern  seyn  wie  in  Jena,  wir 
nehmen  überdas  auch  viele  Bücher  mit,  und  so  kann  es  daran  gar  nicht 
fehlen. 

Nun  müssten  die  Eltern  disponirt  werden,  ihn  auf  ein  Paar  Jahre 
wenigstens,  dort  zu  lassen,  sonst  würde  alles  nicht  der  Reise  und  der 
Einrichtung  werth  seyn;  und  dann  müssten  sie  etwa  700  Thlr.  jährlich 
nicht  scheuen.  Du,  lieber  Smidt,  bist  nun  von  Lange  und  mir  inständigst 
gebeten,  gleich  nach  Empfang  dieses  Briefes  zu  ihnen  zu  gehen,  und, 
soviel  Du  es  selbst  gut  findest,  mit  allen  Kräften  beyzutragen,  nicht  bloss 
ihre  Einwilligung,  sondern  auch  ihre  Billigung  zu  erhalten.  Dazu  könnte 
dienen,  wenn  Du  ihnen  erstlich  begreiflich  machtest,  dass  ihr  Sohn  mit 
dem  grössten  Recht  klagt,  er  finde  sich,  da  er  doch  unmöglich  mit 
halben  Kenntnissen  zufrieden  seyn  könne  und  wolle,  noch  äusserst  unvor- 
bereitet zu  seinem  Studium,  und  die  Mangelhaftigkeit  seines  ehemaligen 
Unterrichts  in  Bremen  müsse  ihnen  selbst  einleuchten;  auch  gebe  es  in 
Jena  zwar  Lehrer  die  für  Geld  ihre  nothgedrungene  Schuldigkeit  thäten, 
in  Bern  hingegen  würden  Freunde  und  [7]  deren  Bekannte  viel  besser 
und  schneller  unterrichten.  Zweytens  hatte  meine  Mutter  mich  zu  der 
Idee  veranlasst,  —  wofür  Du  ihr  mit  mir  und  Lange  danken  wirst  —  Du 
könnest  ihr  Urtheil  als  Gewährleistung  für  diejenigen  Freunde  anführen, 
welche  Lange  begleitet;  denn  wirklich  ist  die  ausserordentliche  Achtung, 
welche  ihr  Fischer  und  Steck  abgewonnen  haben,  die  Hauptursache, 
warum  sie  mich  zuerst  aufmunterte,  die  Gelegenheit  nicht  fahren  zu 
lassen,  wodurch  ich  mit  jenen  länger  zusammenleben  könnte.  — 

Dass  endlich  alles  sehr  leicht  in  den  statum  quo  zurückkehren 
könne,  wenn  ich  nicht  zum  Hauslehrer  angenommen  werden  sollte,  ist  ja 
wohl  von  selbst  klar.  —  Geht  es  aber,  wie  ich  wünsche,  so  reise  ich  erst 
mit  Fischer,  Böhlendorf,  meiner  Mutter  u.  s.  w.  nach  Göttingen,  um  von 
da  unsre  andern  Freunde  abzuholen  und  m[eine]  M[utter]  soweit  zurück 
zu  begleiten;  und  dort  hoffe  ich  dann  auch  meinen  Vater  einige  Tage  zu 
sehen,  und  mit  ihm  bitte  ich  dann  auch  Dich  herüberzureisen.  Meine 
Mutter  hat  mir  ausdrücklich  aufgetragen,  Dir  den  letzten  Vorschlag  auch 
in  ihrem  Namen  zu  machen;  Du  habest  siezwar  lange  umsonst  auf  einen 
Brief  warten  lassen,  und  so  dürfe  sie  auch  Deinen  Augen  nicht  anmuthen, 
einen  von  ihr  zu  lesen;  sie  grüsst  Dich  aber  doch  freundlichst,  und  wird 
sehr  froh  seyn,  Dich  in  Göttingen  zu  sprechen.  Wir  werden  Dir  dann 
erzählen,  wie  froh   wir  den  Winter  zusammen   verlebt  haben. 

Dein  Herbart. 

42.     Böhlendorff  an  Smidt.  Jena  2.  März  1797. 

Endlich  ist  es  auch  völlig  entschieden,  daß  unser  lieber  Herbart  mit  uns 

reist  (nach  der  Schweiz)  und  der  bestimmte  Tag  unserer  Abreise  ist  der  26.  März. 
Wir  gehen  über  Göttingen.    Die  Eeisegesellschaft  von  hier  ist  Fischer,  Steck,  Herbart, 


54  März   1797. 

Muhrbeck,  Lange  und  ich,  außerdem  noch  einige  Freunde,  die  bis  Göttingen  und 
weiter  uns  begleiten  wollen.  —  —  Madame  Herbart  bittet  auch  (daß  Smidt  sich 
anschließe)  denn  sie  gönnt  uns  ihre  Gesellschaft  auch  bis  Göttingen  und  möchte,  daß 
ihr  Gemal  und  eine  gewisse  Annette  Schröder  (die  mir  gefällt)  mit  Dir  dahin  käme, 
indem  sie  von  da  nach  Oldenburg  zurückzukehren  denkt.  —  — 

43.  Steck  an  seine  Mutter.  Jena  13.  März  97. 
„Herr  Steiger   hat   nun  Herbart   angenommen,    ich   bin   so   glücklich   ihn  und 

Böhlendorf  noch  drey  Jahre  zu  besitzen,  0  es  sind  treffliche  Menschen,  ich  schätze 
und  liebe  sie  so  innig." 

44.  Herbarts  Vater  an  Smidt1)  19.  März  1797. 
Hochedelgebohrener  Hochzuehrender  Herr!    Mit  Ew.  Hochedelgebohren  bin  ich 

in  gleichem  Fall.  So  gern  ich  den  Wunsch  meiner  Frau,  daß  ich  sie  von  Göttingen 
abholen  möge,  erfüllte,  so  wenig  verstatten  dies  meine  Geschäfte,  die  gerade  in  dieser 
Zeit  sehr  dringend  sind.  Ich  habe  dies  bey  voriger  Post  meiner  Frau  gemeldet.  Daß 
Sie  nicht  in  Göttingen  bey  der  Reisegesellschaft  eintreffen  können,  wird  dieselbe,  und 
besonders  meine  Frau  und  mein  Sohn  sehr  bedauern,  desto  größer  wird  aber  des 
Letztern  Freude  seyn,  Sie  in  Bern  wieder  zu  sehen.  —  Bis  Bremen  hoffe  ich  meiner 
Frau  entgegen  gehen  zu  können,  da  ich  mir  dann  das  Verguügen  nicht  versagen 
werde,  meine  Zeit  so  kurz  sie  auch  seyn  wird,  vorzüglich  im  Fall  es  Ihnen  so  gelegen 
seyn  sollte,  in  Ihrem  Umgange  zuzubringen.  Im  letzten  Freyrnarkt  war  ich  einige 
Tage  in  Bremen.  Mir  ward  gesagt,  ich  weiß  nicht  mehr  von  wem,  daß  Sie  verreist 
wären.  Daher  kam  es,  daß  ich  die  Gelegenheit  Sie  zu  sehn  verfehlte.  Nach  meiner 
Zuhausekunft  erfuhr  ich  von  den  Dem.  Schröder  zu  meinem  Leidwesen,  daß  ich 
falsch  berichtet  worden.  Die  beyden  Mädchen  empfehlen  sich  und  habe  die  Ehre 
mit  vorzüglicher  Hochachtung  zu  seyn  Ew.  Hochedelgebohren  ergebenster  Diener 
Oldenb.  d.  19.  März  1797.  Herbart. 

Adr.  Herrn  Candidat  Smidt  Hochedelgebohren 
frey.    zu  Bremen. 

45.  Aus  dem  Stammbuche  von  Gries.*)        Jena  am  2isten  März  1797. 
Sey  Dein  Leben  ein  tönendes  Lied!   Im   Päan  der  Sphären 
Schmelz  es,  ein  reiner  Ackord,  sanft  und  melodisch   dahin! 

Dein   Herbart. 

46.  Steck  an  seine  Mutter.  Jena  (20.?)  März  1797. 
„Für   den  Abschiedsabend   hat   uns  Fichte    gebeten,    mit   unseren   Freunden, 

Herbart,  Böhlendorf  und  anderen,  die  mit  Fischer  nach  der  Schweiz  reisen,  es  wird 
eine  festliche  Nacht  seyn!  .  .  .  Gott,  einen  solchen  Abschied  von  Jena  nehmen  zu 
können,  das  war  mehr  als  ich  wünschen  durfte." 

47.  Steck  an  seine  Mutter.  Göttingen  28.  März  1797. 
Über  den  Abschied  von  Jena.    „Dienstag  [23.  März]  Abends  hatte  uns  unsere 

Pflegemutter  zu  Gaste   [Frau  Kirchenrätin  Scykler],   sie  hatte  die  Gräfin  [Kameke], 


*)  Aus  der  Campe'schen  Autographen-Sammlung  in  der  Hamburger  Stadt-Bibliothek. 
Rückseite:  „Gierig  Ostern  97  nach  der  Schweiz.  Im  März  1800  sahen  wir  uns,  auf 
seiner  Rückreise  nach  Oldenburg,  in  Göttingen.  Ward  1805  Professor  der  Philosophie 
in   Göttingen. ;t 

*)  2  S.  4°. 


März   1797.  55 

Madame  Herbart  und  ihren  Sohn,  Mlle  Schubert  und  noch  einige  Freunde  gebeten, 
wir  waren  sehr  frohe,  blieben  über  Mitternacht  bey  einander.  Den  folgenden  Abend 
[24.  März]  brachten  wir  bey  unserem  Freunde  von  Firks  zu;  ein  Gegenstück  zur 
Nacht  von  22ten:  um  Mitternacht  giengen  wir  zu  Fichte,  der  uns  beym  Punsch  er- 
wartete, wir  erwarteten  viel,  aber  es  ward  uns  sehr  wenig.  "Wir  waren  in  einer 
sehr  hohen  Stimmung  und  glaubten  ihn  herzlich  und  offen  zu  finden,  aber  er  war 
höflich,  seine  Frau  blieb  zugegen,  und  so  hatten  wir  eine  unbedeutende  Unterhaltung, 
wo  doch  Zeit,  Umstände,  Anlaß,  alles  auf  seltene  fruchtbare  Stunden  Anspruch  gaben. 
Um  4  Uhr  verließen  wir  ihn,  bey  unserem  Abschied  war  er  doch  bewegt,  aber  was 
war  das  gegen  das  vorhergehende!  ich  gieng  nun  nach  Hause,  packte  meine  Sachen 
zusammen,  und  reiste  um  5  Uhr  mit  den  übrigen  ab."  [25.  März].  Bericht  über 
die  Reise,  Aufenthalt  in  Gotha,  Besuche  bei  Schlichtegroll,  Eeichardt,  Jacobs.  „Wir 
hatten  uns  vorgenommen,  Schnepfenthal  (die  Erziehungsanstalt  von  Salzmann)  zu 
besuchen,  unglücklicher  Weise  hatte  man  mit  unseren  Fuhrleuten  keine  bestimmte 
Abrede  genommen,  sie  weigerten  sich,  den  Umweg  zu  nehmen.  Fischer  fuhr  mit 
Madame  Hebbart  und  ihrem  Sohn  dahin,  ich  wollte  mich  von  den  Uebrigen  nicht 
trennen."  —  [27.  März]  „Erst  späte  ist  Madame  Herbart  mit  ihrem  Sohne  und  Fischer 
hier  angekommen.  Sie  bleibt  nun  noch  10  Tage  hier,  bis  sie  Profeßor  Woltmann 
aus  Jena  hier  abholt  um  sie  nach  Oldenburg  zurückzugeleiten.  Morgen  reisen  wir 
nun  nach  Cassel,  dießmal  fahre  ich  mit  der  Herbart  und  komme  Sonnabend  mit  ihr 
nach  Göttingen  zurück."1) 

48.    An    Rist.2)  Göttingen,  den  28.  März  97. 

(Ich  fand  Dich  nicht  —  hier  wo  wir  uns  zuletzt   sahen    und    hörten 

—  ich  fand  viel  Liebes  und  Gutes,  aber  ich  fand  Dich  nicht.  —  Es  ist 
gut,  dass  ich  Dich  nicht  fand;  in  diesen  Augenblicken,  wo  ich  so  viel  und 
so  wenig  bin,  bin  ich  eigentlich  gar  nichts.  —  Göttingen  ist  für  mich 
nicht  ganz  Göttingen  und  es  sind  doch  Menschen  hier  für  mich  und 
Freunde.  Fischer,  Steck  und  Herbart  sind  mit  mir.  Gries,  der  meine 
geleitet  uns  bis  Cassel.  — 

Morgen  früh  von  hier  —   und  so  immer    und  immer  fort  —  weiter 

—  Lieber,  lebe  wohl,  lebe!  —  Dein  Böhlendorf.) 

Näher  bin  ich  Dir,  lieber  Rist,  aber  ich  soll  Dich  nicht  sehen. 
Wärst  Du  doch  hierher  gekommen.  Doch  nein,  nicht  hierher  hatte  ich 
Dich  gewünscht;  ich  weiss  nicht,  ist  es  Vorurtheil  oder  augenblickliche 
Stimmung,  ich  finde  es  hier  so  unheimisch,  dass  ich  mich  kaum  als 
Freund  und  Sohn  bei  meiner  Mutter  und  meinen  Freunden  fühlen  kann. 3) 

—  Komm    in    die   Schweiz!    Freundschaft    und    schöne    Hoffnung    führen 

*)  Vgl.  hierzu  die  Schilderung  v.  Elise  Campe  in  „Aus  dem  Leben  von  Joh. 
Died.  Gries",  1855,  S.  10 f.:  „In  Jena  versammelte  sich  die  literarische  Gesellschaft 
am  22.  März  zum  letzten  male,  wo  Herbart  gewissermaßen  ein  Vermächtniß  vortrug, 
einen  Plan  zu  einem,  auch  künftig  bestehenden,  rechtlichen  Verhältniß  der  Gesell- 
schaft enthaltend  ....  Wunderlich  genug  hatte  Fichte  sie  alle  die  letzte  Nacht  bei 
sich  vereinigen  wollen,  sie  brachten  die  Stunden  von  12—4  bei  ihm  zu,  bei  sauerm 
Punsch  und  saurer  Unterhaltung,  wobei  Fichte  geflissentlich  jedes  tiefere  interessante 
Gespräch  zu  vermeiden  schien.     Unbefriedigt  kehrten  sie  heim  .  .  .  ." 

-)  Text  nach  Ziller,  Reliquien  S.  47  ff. 

3)  Ueber  die  Versammlung  der  anwesenden  Mitglieder  der  literarischen  Gesell- 
schaft bei  Koppen  und  die  Anregung  Herbart's  zur  Discussion  der  Frage:  darf  ich  er- 
ziehen? s.  Gries's  Leben  S.  11.     (Zeitschrift  f.  ex.  Phil.  I,  S.  61,  Anm.) 


56  März    1797. 

mich  dahin.  Folge  mir,  folge  Steck  und  Fischer.  Ich  lasse  Dir  Zeit, 
denn  wahrscheinlich  bleibe  ich  etwa  3  Jahre  dort.  Täuscht  mich  meine 
Hoffnung,  so  würde  ich  höchst  unglücklich  sein.  Auf  2  Jahre  bin  ich 
gebunden,  ich  weiss  nicht  wie  ich  es  tragen  werde!  Schwere  Pflicht 
fordert  mich  zur  äussersten  Anstrengung  auf.  Wenn  ich  froh  und  heiter 
sein  werde,  so  schreibe  ich  Dir  oft.  Aus  trüben  Wolken  kann  ich  Dir 
nicht  erscheinen.  Ich  kann  es  nicht,  denn  ich  bin  nicht  ich;  und  ein 
Bild,  was  ich  nicht  für  das  meinige  erkenne,  kann  ich  nicht  an  einen 
Freund  absenden.  Gilt  Dir  diese  Entschuldigung,  so  danke  ich  Dir  und 
drücke  Deine  Hand  im  tiefen  Gefühl  unserer  Freundschaft.  Was  mein 
Stillschweigen  bedeutet,  weisst  Du,  etwas  Anderes  bedeutet  es  nie.  Willst 
Du  dennoch  zu  mir  kommen,  wie  am  Abend,  da  ich  von  Pastor  Giese 
kam,  so  erneuerst  Du  mir  jene  unvergesslichen  Stunden.  —  Was  ich  Dir 
sein  würde,  das  weiss  ich  nicht.  Ein  Jahr,  wo  man  sich  nicht  sieht,  ver- 
ändert vieles.  Was  ich  Berger,  was  ich  Hülsen  sein  werde,  weiss  ich 
nicht.  Sie  haben  sich  sehr  verändert;  und  wenn  gleich  mein  Charakter 
noch  derselbe  ist,  so  haben  sich  doch  seine  Grundzüge  tiefer  eingegraben. 
Es  sei!  Von  dem  Punkte,  wo  wir  zusammentrafen,  werden  wir  in  diver- 
girenden  Linien  fortgehen,  das  ist  nicht  anders.  Wir  wollen  es  gestehen, 
und  nur  des  gemeinschaftlichen  Bodens,  auf  dem  wir  wandeln,  nie  ver- 
gessen. Eine  schöne  Stunde  mit  Gries  hat  mich  und  ihn  an  diesen  er- 
innert. Eine  heitere  Sonne  vertrieb  einen  heftigen  Sturm,  und  jetzt  er- 
tragen wir  die  Wölkchen  geduldig.1)  Ich  glaube,  Du  wirst  das  auch  thun. 
—  Ich  bin  sehr  ernsthaft  geworden;  und  ich  suche  umsonst  nach  einer 
Aussicht,  wohin  ich  meinen  Blick  zuversichtlich  wenden  könnte.  Ich  bin 
mir  selbst  zuvor  geeilt;  thue  das  nicht.  Du  thust  es  wirklich  nicht,  und 
darum  bist  Du  froh  und  heiter.     Bleib'   es,   und  bleibe  mein  Freund. 

Dein   Herbart. 

Was  soll  ich  Dir  noch  schreiben,  Rist,  nach  diesem  hier?  Ich  gehe 
noch  mit  nach  Cassel;2)  es  ist  nur  ein  Augenblick  mehr,  aber  ein  Augen- 
blick,  der  eine  Ewigkeit  aufschiebt,  ist    —   o  wie  viel  werth! 

Gries. 

49.  C.  Otth  an  Steck  (damals  in  Göttingen).  Jena,  29.  März  1797. 

,. Gestern  überbrachte  man  mir  ein  Paquet  von  Herbart,  welches  wir,  auf  das 
was  er  Eschen  geschrieben,  eröfnet;  da  wir  dann  nach  unserer  Erwartung  nichts 
fanden,  als  die  Musik,  welche  wieder  zurückerwartet  war  /:von  Leipzig:/.  In  der 
Ungewißheit,  ob  dieser  Brief  ihn  noch  in  Göttingen  finden  würde,  wenn  ich  ihm 
den  meinigen  beylegte,  haben  wir  für  gut  gefunden  die  große  Kiste  aufbrechen  zu 
laßen  u.  ihn  oben  darein  zu  legen,  auf  diese  Weise  wird,  nebst  dem  daß  das  Porto 
erspart  wird,  die  Sache  weniger  leicht  verlohren  gehen  können.1' 

50.  Steck  an  seine  Mutter.  Göttiugen,  7.  April  1797. 

„Ich  füge  Ihnen  hier  einen  Brief  an  Ziehender]  an,  in  dem  Sie  etwas  von  meiner 
Reise  nach  Caßel  finden  werden;  ich  kam   mit  Madame  Herbakt,  ihrem  Sohn  und 

1)  Uebereinstimmend  mit  Gries's  Leben  S.  14. 

2)  Gries's  Leben  S.  14. 


April   1797.  57 

Fischer  am  30ten  [März]  dort  an,  die  übrigen  unserer  Reisegesellschaft  folgten  in 
zwey  Wägen;  am  1.  Aprill  trennten  wir  uns,  wir  reisten  zu  gleicher  Zeit  ab.u 

51.      An    Seine    Mutter   in    Oldenburg.  x)  [Schaffhausen]  Am  Ostertage  [1797]. 

Wir  haben  es  gestern  gesehn,  das  grosse  Schauspiel.  Zwar  blieb  es 
gewissermassen  weit  unter  meiner  Erwartung,  denn  meine  Phantasie  hatte 
aus  Beschreibungen  ein  colossalisches  Bild  zusammengesetzt,  dem  sich  die 
Wirklichkeit  nicht  anpassen  konnte.  Ich  glaubte,  der  grosse  Strom  werde 
von  einem  Berge  herabstürzen,  da  doch,  was  mir  vorher  unbekannt  war, 
die  ganze  senkrechte  Höhe  nur  80  Fuss  beträgt.  Aber  dennoch  —  wie 
weit  bleibt  auch  die  überspannte  Phantasie  hinter  dem  Eindruck  der  An- 
schauung zurück!  Wie  gewaltig  fasst  die  Natur  hier  Ohr  und  Auge  zu- 
gleich! 4  Stunden  verschwanden  wie  eine,  im  Verweilen  auf  allen  den 
verschiedenen  Gesichtspuncten,  die  man  hier  nehmen  kann,  und  deren 
jeder  ein  eignes  Interesse  und  eigene  Schönheiten  hat.  Der  Rhein  beugt 
sich  gleich  nach  dem  Falle  rechts  herum;  und  so  sieht  man  den  letztern 
sowohl  von  vorne  als  von  der  Seite.  Auch  fuhren  wir  über  den  Fluss, 
nach  der  entgegenstehenden  Seite,  wo  auf  dem  hohen  Felsen  das  Dorf 
Laufen  mit  einem  Schlosse  des  gleichen  Namens  liegt.  Eine  kleine  Brücke 
unten  am  Berge  führt  von  einem  Felsstücke,  von  welchem  man  nicht 
ohne  Gefahr  bis  dicht  an  den  Strom  würde  hinabsteigen  können,  unmittel- 
bar an  den  Fall  hinan.  Man  sieht  hier  gerade  in  den  grössten  von  den 
3  Armen  hinab,  in  welche  der  Strom  durch  2  hohe  Felsstücken  getheilt 
ist,  die  aus  dem  Fall  gerade  in  der  Mitte  hervorragen.  Das  Wasser 
wird  Schaum  und  Staub;  beim  Sonnenschein  soll  man  die  schönsten 
Regenbogen  färben  darin  erblicken.  Auch  von  einem  Häuschen  oben  auf 
dem  Berge  kann  man  den  Fall  sehen.  Aber  ich  mag  auf  keine  Grösse 
von  oben  herabblicken;  man  fühlt  sich  so  unwürdig  dabey.  So  ward  mir 
ehemals  oft,  wenn  ich  Fichte'n,  der  kleiner  ist,  wie  ich,  auf  die 
Scheitel  sah. 

—   —   —   —   —   —   —   [Das  Auge,  so   weit  der  Blick] 2)  reicht,   bis 

an  die  entfernten,  mit  Wald  und  Schnee  bedeckten  Gebirge,  erblickt  fast 
keinen  Baum;  trauernd  und  fürchtend  zugleich,  liegt  die  Gegend  da  in 
dumpfer  Stille.  „Geseegnet  sey  der  Rhein!"  wünschten  wir.  Möchten 
wir  es  hoffen  dürfen!  —  Wäre  es  mehr  als  blosses  Gerücht,  was  man 
uns  gestern  sagte,  Buonaparte  sey  gefangen  genommen,  so  muss  Mainz 
vielleicht  ein  noch  traurigeres  Schicksal  fürchten,  denn  wie  weit  ist  dann 
noch  die  Aussicht  auf  den  Frieden! 

Zwischen  Ruinen,  verarmten  Städtchen  und  Dörfern,  und  Feldern, 
die  der  Fleiss  der  Landleute  troz  der  ungewissen  Erndte  doch  bearbeitet 
hatte,  kamen  wir  weiter  nach  Worms.  Im  Fluge  liefen  wir  beym  Ab- 
reisen von  da  noch  in  die  offene  Kirche,  und  sahen  daneben  einen 
Pallast  in  Trümmern.  Dann  gings  weiter  nach  Mannheim;  der  Stadt  in 
gereimter  Prosa,  wie  Baggesen  sie  nennt.  Wirklich,  die  Strassen  reimen 
sich;    es  sind  lauter  Parallellinien,    die    von    anderen   Parallelen    rechtwink- 

1)  2  S.  40.      H.   Wien.     Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  pp. 

2)  Ein  Stück  des  Briefes  ist  abgeschnitten. 


5S  April   1797. 

licht  durchschnitten  werden;  aber  diese  Regelmässigkeit  lässt  die  kleinen 
schlechten  Häuser  nur  so  viel  mehr  auffallen.  —  An  den  Vestungswerken 
wurde  hier  stark  gearbeitet;  auch  waren  Mannheim  und  Mainz  die  einzigen 
Orte,  wo  wir  unsre  Pässe  vorzeigen  mussten.  —  Wir  freuten  uns  hier 
einer  Fahrt  auf  dem  Rhein,  und  des  Schauspiels.  Die  Forderungen, 
welche  man  an  die  Bühne,  welche  Inland  ehemals  belebte,  machen  kann, 
schienen  uns  befriedigt  zu  seyn,  und  unser  Genuss  war  hier  soviel  reiner, 
da  wir  keine  geistlose  Nachahmung  von  der  Manier  jenes  grossen  Künst- 
lers bemerkten.  Leider  gab  man  nur  eine  Posse  von  Kotzebue.  Wäre 
es  doch  blosser  Zufall,  dass  ich  in  Mannheim  und  in  Frankfurt  und 
bevdemale  in  Leipzig  gerade  immer  nur  Kotzebue's  Stücke  sehn  musste; 
möchte  das  kein  Zeichen  von  Vernachlässigung  der  bessern  dramatischen 
[Kunst  sein]    —   —   —   —  —   —   —    —   —   — 

52.  Herbarts  Vater  an  Smidt. l)  Oldenburg  den  15.  Apr.  1797. 
Ew.  Hochedelgeboren  verzeihen,  daß  ich  mir  die  Freyheit  nehme,   Ihnen  den 

anliegenden  Brief  mit  der  Bitte  zuzustellen,  daß  sie  denselben  an  meine  Frau,  so 
bald  Sie  ihre  Ankunft  in  Bremen,  erfahren  werden,  abliefern  zu  laßen  geneigen 
wollen.  Ich  weiß  nicht,  in  welchem  Gasthof  meine  Frau  zu  finden  seyn  wird,  sonst 
würde  ich  den  Brief  gerade  dahin  adressiren. 

Ich  empfehle  mich  und  bin  stets  Euer  ergebenster  Diener 

53.  Johanna  Fichte  an  Smidt.  Jena  d.  17.  Aprill  97. 
—  —  Daß  mir  die  Abreise   der   Lieben  Justizräthin   [Herbart]   weh  thut,   ist 

gewis:  Sie  ist  die  erste  weibliche  Seele,  mit  der  ich  seit  meiner  Abreise  aus  der 
Schweitz  recht  reden  konnte,  denn  die  ewigen  Alttagsgespräche  hier,  haben  mich 
immer  angeekelt,  auch  kann,  und  will  ich  mich  nicht  an  sie  gewöhnen.  Sagen  Sie 
der  Guten,  warum  sie  mir  noch  nicht  geschrieben;  ich  hätte  es  schon  gethan,  wenn 
ich  gewußt,  wo  sie  wäre. 

Freund  Achelis  besuchen  Sie  doch,  nicht  wahr?  Ich  grüße  ihn  auch  herzlich, 
sein  itziger  Zustand  geht  mir  nahe.  Er  war  in  Zürich  wegen  seinem  guten  edlen 
Hertzen  allgemein  geliebt,  und  bey  diesen  hertzlosen  verkehrten  Göttingern  kann  er 
nicht  —  —  — 

54.  Steck  an  Fischer.2)  Hamburg,  29.  April  1797. 
.  .  .  Meine  Eeise  mit  Madam  Herbart,  und  dieser  Besuch  [bei  Jacobi],  das  sind 

Schätze,  die  ich  mitnehme,  die  mein  ganzes  Leben  hindurch  mir  wuchern  sollen  .  .  . 

Wie  sich  Herbart,  Böhlendorf,  Muhrbeck,  Lange  in  unsere  Welt  finden  mögen; 
jetzt  erst  in  der  Entfernung  weiß  ich,  wie  sehr  ich  sie  schätze  und  liebe. 

Es  ist  anmaßend,  Menschen  verschiedener  Bildung  an  einen  Maßstab  zu  halten, 
aber  ich  konnte  mich  doch  nicht  erwehren,  nachdem  ich  nun  Koppen,  Smidt  und 
Bist  kenne,  Herbart  und  Böhlendorf  noch  höher  zu  schätzen. 

55.  Rist  an  Herbart   )  den  5ten  Mai  [1797]. 
„Also  weiter,    und   noch   einmal  so  weit  als  sonst  sind  wir  nun  getrennt?  — 

Soweit,  daß  selbst  unsere  Stürme  verwehen,  und  die  Wolken  die  sie  tragen  vergehen, 

x)  1  S.  4°. 

2)  Aus  dem  Aufsatze  R.  Stecks:  „Ein  Besuch  bei  Jacobi"  im  Archiv  für  Ge- 
schichte der  Philosophie  XII.  Bd.     1899,  S.  498  f. 

:i)  4  S.  8°.  Hofbibl.  zu  Wien.  Zuerst  mitgeteilt  von  R.  Zimmermann  in  der 
Zeitschrift  für  exakte  Philosophie.  Bd.  XIII.  S.  205 — 210.  Langensalza,  Verlag 
von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann),  1884. 


Mai  1797. 59 

ehe  sie  Dich  erreichen !  —  Nur  der  liebende  Menschengeist,  schneller  als  Stürme  und 
Wolken,  dringt  in  die  unabsehbare  Ferne ;  und  tritt  mit  freundlicher  Geberde  vor  den 
verwandten  Geist.  —  0  Herbart,  mögen  drei  oder  vier  große  Ströme  und  weite 
Länder  zwischen  uns  liegen,  —  ich  bin  dennoch  nicht  weiter  von  Dir  entfernt, 
vielleicht  Dir  noch  näher,  als  da  uns  nur  ein  Paar  enge  Gäßchen  und  der  Leutrabach 
trennten.  Zwar  ich  kann  nicht  mehr  täglich  zu  Dir  kommen  —  Dir  meine  Unruh 
und  meine  Wünsche  anvertrauen;  nicht  mehr  liebevoll  mit  Dir  von  den  Freuden 
des  Lebens  sprechen,  und  Dich  zu  ihrem  Genuß  ermuntern,  —  wir  stehen  nicht 
mehr  vor  Deiner  Diana,  vor  Deiner  Niobe  still,  —  und  keine  Sonate  von  Klementi 
schallt  mir  mehr  von  Deinem  Klavier;  —  aber  das  alles  könnten  wir  doch  noch.  — 
Viel  kann  ein  Jahr  verändern;  aber  nicht  die  Treue;  die  bleibt;  die  bleibt  auch  uns. 

—  Treue  ist's,  dieser  feste,  edle,  kräftige  Sinn,  auf  den  ich  die  Welt  gebaut  hätte, 
die  Anhänglichkeit  und  Stetigkeit  an  Deinen  Neigungen  und  Abneigungen,  —  das 
war's,  was  mich  an  Dich  fesselte;  das  ist's,  was  der  Mensch  in  dem  Gefühl  der 
Wandelbarkeit  am  liebsten  findet  im  Menschen,  am  innigsten  festhält.  —  Was  ist 
alle  Herrlichkeit  des  Geistes  und  alle  Liebe  ohne  Treue?  Nur  zu  oft  dem  Freunde 
eine  Quelle  des  Schmerzes.  Aber  was  ist  edler  unter  der  Sonne,  als  einander  [2] 
verstehn  —  und  treu  seyn!  —  Wir  verstanden  einander  ja,  und  liebten,  uns  aus- 
zugleichen über  unsere  Verschiedenheit;  ich  durfte  Dir  ja  dreist  ins  Auge  sehn, 
und  in  meinem  Aug  Dir  mein  Herz  hingeben.  Und  das  darf  ich  noch.  —  Treue  hat 
mein  Sinn  vor  allen  Schätzen  bewahrt;  —  und  die  bring  ich  Dir  wieder  wo  und 
wann  ich  Dir  auch  begegnen  werde.  Drum  frage  nicht:  was  werde  ich  Dir  seyn? 
Bist  Du  derselbe  —  haben  sich  die  Grundzüge  Deines  Charakters  nur  tiefer  ein- 
gegraben —  wohl,  so  bist  Du  mir  nur  mehr,  was  Du  warst. 

Diese  Stunde,  in  der  ich  Dir  schreibe«  würde  nicht  so  schön  sein,  mein  Herz 
nicht  mit  so  frohen,  wehmütigen  Gefühlen  erweichen,  wenn  ich  nicht  mir  bewußt 
wäre,  ich  könne  Dir  noch  sein  was  ich  war,  dürfe  noch  mit  stolzer  Stirn,  und  offnem 
Herzen  auftreten  gegen  einen  Pastor  Giese.  —  Ich  sehe  Dich  wieder  —  ich  hoffe 
oald,  nächsten  Sommer  vielleicht,  —  und  dann  sollen  die  Wolken  verschwinden; 
wir  werden  in  dem  erneuerten  Bunde  glücklich  seyn.  — 

Ach  Herbart,  als  Du  mir  aus  Göttingen  die  letzten  Worte  schriebst1)  warst  Du 
nicht  froh  —  nicht  glücklich;  —  auch  die  Zukunft  bot  Dir  keinen  Ruhepunkt  für 
den  rastlosen  unbefriedigten  Geist.  —  Ich  begreife  Dich  —  —  ich  beklage  Dich. 
0,  hast  Du  noch  nicht  gelernt  Dich  zu  vergessen  im  Lebensgenuß,  Dich  für  Augen- 
blicke hinzugeben,  um  gestärkter  den  Kampf  zu  bestehen.  Können  die  Sinne  den 
übermächtigen  Geist  noch  nicht  binden  an  das  Leben,  an  die  Erde,  daß  er  nicht  vor 
Sehnsucht  und  innerem  unbefriedigtem  Drang  und  Kampf  sich  selbst  zerstöre?  — 
Nein,  Du  [3]  kannst  nicht  zurück,  er  siegt  und  so  muß  es  seyn;  sonst  wärst  Du 
nicht  Du  selbst.  — 

Ich  hoffe  alles  von  der  Schweiz  für  Deinen  Körper,  die  Gesundheit  wird  Dich 
dem  Leben  wiedergeben.  Wie  könntest  Du  Dich  schon  mit  seinen  Freuden  abge- 
funden haben!  Ich  wollte  —  ich  wäre  bei  Dir.  —  sie  würden  uns  schon  begegnen. 

—  Ich  bitte  Dich  nicht,  mir  zu  schreiben;  Du  versprichst  es,  wenn  Dir  wohl  seyn 
wird;  was  Deine  Briefe  mir  sind,  brauch  ich  Dir  nicht  zu  sagen. 

Gries  ist  hier  —  .  .  ich  wünschte,  und  ich  fürchtete  die  Zusammenkunft  mit 
ihm.  Die  streitenden  Bestandteile  unsrer  Wesen  waren  schriftlich  in  eine  so  laute 
Disharmonie  ausgebrochen,  daß  nur  die  Voraussetzung,  wir  haben  uns  beide  misver- 
standen,  uns  wieder  vereinigen  konnte;  mehr  that  freilich  das  Bedürfnis,  wieder 
Freunde  an  einander  zu  finden.   -   Sehr  schöne,  und  merkwürdige  Stunden  habe  ich 

l\  Siehe  unter  28.  März  1797. 


60  Mai  1797. 

mit  ihm  gelebt;  aber  immer  befriedigt  er  mich  nicht  —  immer  dieses  Gefühl,  dieser 
Geschmack,  dieses  Wollen  und  Treiben  ohne  Kraft  und  Selbsttätigkeit ;  —  dieser  be- 
schränkte Blick,  diese  Geschlossenheit  der  Grundsätze  und  der  Ausbildung  von  innen 
heraus;  immer  dies  Behandeln  der  wichtigsten  Gegenstände,  die  ich  mit  Ernst  und 
Liebe  betreibe,  mit  jener  Art  von  LiNDNER'schem  Weltton,  jener  Art  von  —  liberaler 
Spaßhaftigkeit  und  Selbstgenügsamkeit,  die  mir  widriger  ist  als  der  Tod,  bei  solchen 
Gegenständen;  immer  noch  —  —  aber  Du  weißt's  ja  — . 

Was  anders  als  dies  könnte  sonst  die  Ursache  der  traurigen  Verhältnisse  und 
der  schrecklichen  Szenen  [4]  zwischen  Euch  und  ihm  gewesen  seyn,  die  ihn  sehr 
unglücklich  machten  —  und  in  denen  ich  nie  mit  Euch  gestanden  habe7i  mögte!  Er 
theilte  mir  das  wichtigste  davon  mit.  —  So  etwas  läßt  sich  nicht  gut  schriftlich  be- 
handeln. —  Darum  schweige  ich.  Und  laß  uns  diesen  Gegenstand  für  eine  Unter- 
redung aufsparen,  die  nicht  anders  als  wichtig  und  lehrreich  sein  kann.  — 

Die  letzten  herrlichen  Abende,  der  eine  besonders,  der  Euch  alle  vereinigte, 
preßten  mir  Thränen  der  Erinnerung  ins  Auge.  — 

Es  ist  vorüber!  —  Die  Zeiten,  die  uns  so  mild  und  ernst  in  Umständen,  in 
einer  Lage  vereinigt  die  —  nicht  wiederkehren  kann,  sind  auf  immer  dahin,  —  was 
auch  kommen  mag  —  so  wirds  nicht  wieder.  Laß  denn  jeden  'von  uns  hingehen 
und  das  beste  davon  machen,  was  er  kann;  —  laß  uns  streben,  jedem  Schicksal,  der 
Zeit  und  dem  Raum  zum  Trotz,  uns  unter  einander  festzuhalten,  nie  die  Hand  des 
Freundes  fahren  zu  lassen,  so  finden  wir  uns  denn  vielleicht  unter  einem  günstigen 
Gestirn  einmal  wieder  zusammen. 

Lebe  Du  denn  wohl,  und  möge  Dein  Schicksal  Dich  mehr  als  Du  hofftest  finden 
lassen.  —  Ich  gehe  auch  zurück,  wohin  mich  meine  Bestimmung  ruft,  um  dort  in 
friedlicher  Stille  meine  Ausbildung  zu  befördern.  Ich  hoffe,  wenigstens  ebensoviel 
frohe  als  trübe  Stunden  zu  haben;  —  und  so  mag  es  denn  darum  seyn!  —  Denke  an 
mich.     Ich  schreibe  Dir  vielleicht  bald  von  Kiel  aus  weitläuftiger. 

Dein  Rist. 

56.  Steck  an  seine  Mutter.  Bei  Neuschanz  auf  der  Post-Trekschuiten,  10.  Mai  1797. 

[Reise  von  Hamburg  hieher]. 

.,So  haben  Sie  nun  endlich  Eischern  gesehen,  wie  freue  ich  mich  deßen,  und 
sogar  auch  Herbart,  0  ich  wüßte  nichts,  beste  Mutter,  wofür  ich  Ihnen  herzlicher 
danken  könnte,  als  für  diese  Aufnahme  von  Freunden,  die  mir  alles  sind.  Herbart 
hat  Ansprüche  auf  mich,  denen  ich  nie  werde  ganz  entsprechen  können,  und  was 
ich  erst  seiner  Mutter  schuldig  bin!  Sie  können  denken  beste  Mutter,  wie  begierig 
ich  nun  bin,  zu  erfahren  wie  Sie  Herbart  gefunden  haben,  und  wie  sich  das  über- 
haupt gefügt  hat.u 

57.  An    Rist.1)  Bern  am    I2ftenjuni   1797. 

Lieber  Rist!  Eben  habe  ich  Deinen  lieben  Brief  Fischern  und  Muhr- 
beck  vorgelesen,  und  nun  will  ich  auf  des  letztern  Zimmer  gleich  darauf 
antworten,  denn  ich  bin  heute  in  Märchligen  beurlaubt,  und  darf  den 
Sonntag  mit  meinen   Freunden   leben. 

Wie  Du  mit  Deiner  freundlichen,  heitern  Stirn  zu  mir  gekommen 
bist,  mir  wohlzuthun,  so  will  ich  mit  meiner  trübern  Dich  besuchen,  mich 
Dir  zu  zeigen  wie  ich  bin;  Du  magst  sehn,  was  Du  mit  mir  anfangen 
kannst. 

')  Nach    dem  Originale,    von  Hrn.   Richter  Dr.  Smidt   fr.    zur  Verfügung  gestellt. 


Juni   1797.  6l 

Nach  dem  Eingange  erwartest  Du  wol  wieder  solche  Zeilen,  wie  die 
aus  Göttingen.  Aber  freue  Dich,  was  damals  in  ängstlichen  Nebel  ver- 
hüllt in  der  Ferne  vor  mir  lag,  war  nur  furchtbar  durch  den  Nebel;  nun 
ich  da  bin,  finde  ich  ein  Pläzchen,  gerade  so  schön,  als  es  seyn  darf,  um 
nicht  zu  vergessen,  dass  es  die  wirkliche  Welt  ist,  in  der  wir  leben. 
Märchligen1)  ist  der  schönste  Ort,  den  ich  bis  jetzt  in  der  Schweiz  ge- 
sehn habe.  Das  Stück  Land,  das  man  mir  zu  bearbeiten  gegeben  hat  — 
Ludwig  Steiger  mag  mir  diese  Vergleichung  vergeben,  denn  bis  jetzt  ge- 
hört er  wirklich  mehr  ins  Reich  der  Dinge  als  der  Geister  —  ist  von  der 
Natur  nicht  vernachlässigt,  aber  es  hat  schrecklich  lange  brach  gelegen, 
ist  hart  und  vest  geworden  und  man  muss  erst  mit  allen  Kräften  graben, 
ehe  man  etwas  darauf  säen  kann.  Dagegen  sind  alle  Werkzeuge,  die  ich 
gebrauchen  kann,  im  Ueberflusse  da,  und  der  Ruheplätzchen  auch  genug 
und  zum  Theil  sehr  schön,  wo  ich  froh  werden  oder  über  das  was  ferner 
zu  thun  ist,  nachsinnen  kann.  Freundliche  Gesichter  und  hülfreiche 
Hände,  sofern  Hülfe  möglich  ist,  und  Achtung  und  Gefälligkeit,  und  vor 
allen  Dingen  völlige  Freyheit  in  der  Anordnung  der  Arbeit,  verbunden 
mit  dem  grössten  Interesse  an  ihrem  Erfolg,  —  das  war  es,  was  ich 
nöthig  hatte,   und  das  habe  ich  im  Hause  des  Landvogts  Steiger  gefunden. 

Ueberdes  eine  Familie,  und  den  Rang  eines  Gliedes  der  Familie, 
einen  Rang,  den  ich  gewiss  nicht  hingäbe,  böte  mir  auch  Steiger  den 
weissen  Steinbock  den  er  im  Wappen  führt,  dafür  an.  —  Der  Mann  ist 
Mann,  und  die  Frau  ist  Frau,  und  die  7  Kinder  sind  Kinder.  Sie  alle 
sind  wirklich,  was  sie  sind,  und  befriedigen  so  wenigstens  die  Forde- 
rungen der  Wahrheit,  wenn  auch  nicht  die  Bitten  der  Schönheit.  Das 
letztere  kann  ich  auch  noch  nicht,  ich  bin  mit  jenem  noch  nicht  fertig 
und  muss  allen  Ernst  den  ich  nur  habe,  aufbieten,  um  ein  wirklicher 
Hauslehrer  zu  werden  und  zu  bleiben.  Da  übrigens  ein  Hauslehrer  ein 
so  wunderlich  geartetes  Wesen  ist,  dass  bey  ihm  die  Bitten  der  Schönheit 
Forderungen  werden,  sintemal  er  ihnen  bey  seinen  Zöglingen  ein  williges 
Ohr  verschaffen  soll,  —  so  ist  es  mein  grosses  Glück,  dass  Ludwig  in 
seinem  14.  Jahre  noch  zu  ungebildet,  und  Carl  und  Rudolf  im  8ten  u. 
ioten  noch  zu  jung  sind,  um  mir  in  der  Rücksicht  nicht  wenigstens  Zeit 
zu  lassen. 

Der  Arbeit  bedurfte  ich  mehr  als  alles  andern;  und  zwar  einer  Arbeit, 
die  mein  ganzes  Wollen  umfasste,  es  zugleich  in  Portionen  theilte,  und 
diese    an    die    Zahl    der    Klockenschläge    bestimmt    und    vest    anheftete.2} 

x)  Landgut  der  Steiger' sehen  Familie,    1    Stunde  von  Bern. 

2)  Dass  Herbart  auch  mehreren  seiner  Freunde,  die  schwärmerischen  Plänen  für 
ihre  Wirksamkeit  nachhingen,  anrieth,  Hauslehrerstellen  zu  übernehmen,  s.  v.  Berger's 
Leben  S.  23.  Ueber  alles  seiiaen  Schweizeuiufenhalt  Betreffende  s.  Jahrbuch  des  Vereins 
für  wissenschaftliche  Pädagogik,  hersg.  von  T.  Ziller,  2.  Jahrgang,  Leipzig  1870,  S.  229 
bis  294:  Abhandig.  von  Dix  „über  Herbarts  Mitteilungen  an  Herrn  von  Steiger,"  (s. 
auch  Bd.  3,  S.  342  f.);  vor  allem  aber  die  oben  S.  29  Anm.  1  genannten  Abhandlungen 
von  R.  Steck;  ferner:  ,, Herbart  in  Bern"  von  R.  Steck  in  L.  Steins  Archiv  für  Ge- 
schichte der  Philosophie  Bd.  XIII.  Neue  Folge.  VI.  Bd.  (Berlin  1900)  S.  179—199; 
endlich  E.  von  Sallwürk,  Streifzüge  zur  Jugendgeschicbte  Joh.  Fr.  Herbarts  (Langen- 
salza, Hermann  Beyer  &  Söhne  [Beyer  &  Mann]  1903;  199.  Heft  des  Päd.  Magazin, 
hersg.  v.  Fr.   Mann). 


02  Juni  *797- 

In  Jena  war  ich  in  der  letzten  Zeit  zu  träge,  oder  zu  dumm,  meine 
Wissenschaftslehre  förmlich  und  ordentlich  fortzuführen,  zu  stolz,  um 
andere  Beschäftigungen  an  ihre  Stelle  zu  setzen,  zu  arm  an  Mannigfaltig- 
keit der  äusseren  Verhältnisse,  um  im  Leben  das  Bedürfniss  eines  sichern, 
ganz  geprüften,  aller  Wege  kundigen  Führers  —  so  etwas  soll  doch  wol 
ein  phil.  System  seyn,  —  tief  genug  zu  fühlen.  Auch  wurde  mir  die 
letzte  Zeit  die  Physionomie  der  Universität,  und  das  Leben  im  Burschen- 
quartier gar  zu  widerlich.  Die  wirkliche  Welt  ist  zwar  wol  allenthalben 
nur  eine  Werkstatt,  aber  auch  unter  den  Werkstätten  ist  doch  ein  unge- 
heurer Unterschied,  die  eine  ist  denn  doch  sauberer  und  geräumiger  als 
die  andre.  —  Eine  reichere  Umgebung,  mehr  Fülle  von  Naturgrösse  und 
Natur-Schönheit  und  Niedlichkeit,  mehr  Anstrengung  und  Thätigkeit  der 
Menschen,  mehr  gerades  Fortgehen  auf  dem  Wege,  den  sie  nun  einmal 
gewählt  haben,  findest  Du  wol  nicht  leicht,  als  hier  in  Bern.  Diese 
Aristocratie  ist  mir  sehr  achtungswürdig,  und  selbst  wenn  sie  Fischern  und 
Zeendern  beyde  von  der  philosophischen  Lehrstelle  ausschliessen,  um  eine 
Frau  zur  Fr.  Professorin  zu  machen,  —  wie  sie  neulich  wirklich  gethan 
haben,  —  so  weiss  ich  dass  das  gerade  die  schlimmste  Seite  der  Aristo- 
cratie ist,  tröste  mich  damit,  dass  sie  sich  dessen  innerlich  schämen  ■ — 
das  thun  sie  auch  wirklich  und  haben  es  gezeigt  —  und  freue  mich, 
dass  sie  auch  einmal  einen  Landvogt  absetzen,  wenn  er  gleich  aus  der 
Mitte  ihrer  „grossen"  Familien  ist,  weil  er  das  öffentl.  Korn  aus  Unvorsichtig- 
keit einem  schlechten  Unterbedienten  überliess,  der  es  über  den  gesetz- 
mässigen  Preis  verkaufte.  Die  grosse,  schöne,  stolze  Stadt  Bern  mit  ihren 
regelmässigen,  äusserst  wol  gebauten,  doch  nicht  prächtigen  Häusern  und 
Strassen  und  Arkaden  ist  von  einem  wohlhabenden,  zufriedenen  Lande 
umgeben,  indess  das  krumme,  schiefe,  finstere,  eckige  Zürch  mit  seinen 
lächerlichen  3  fachen  Thoren  und  bedeckten  Wegen  u.  Schanzen,  —  die 
alle  einem  nahen  Hügel  von  wo  die  ganze  Stadt  in  den  Grund  geschossen 
werden  kann,  die  Knie  beugen  müssen  —  sich  gegen  seine  beynahe  em- 
pörten Bauern  in  Sicherheit  setzen  muss,  und  aus  Furcht,  sie  möchten  zu 
klug  werden,  ihnen  und  den  Unterthanen  der  Eidgenossenschaft  die  öffent- 
lichen Schulen  verschliesst!   Das  sind  Tatsachen. 

Doch  ich  muss  Dir  noch  etwas  von  Hrn.  und  Fr.  Steiger  erzählen. 
Er  ist  die  Pünktlichkeit  und  Gewissenhaftigkeit  selbst,  dabey  aber  ist  er 
kein  Pedant,  ist  beynahe  ohne  Vorurtheile,  ist  äusserst  empfänglich  für 
alles  was  man  ihm  mit  Gründen  darzustellen  weiss,  und  kann  zu  Zeiten 
auch  froh  seyn  und  scherzen.  Unter  seiner  Regierung  lebt  das  Haus  in 
stiller  Gleichförmigkeit  fort,  die  Frau  in  ihrer  immer  dauernden  Sanftheit, 
Güte  und  Milde,  die  Kinder  in  ihrer  Fröhlichkeit.  Das  Haus  ist  kein 
Tempel  des  Genies;  aber  die  Wohnung  des  gesunden  Menschenverstandes; 
der,  wie  Du  weisst,  gar  gern  auch  die  Musen  und  Grazien  bewirthet, 
wenn  sie  etwa  zu  bewegen  seyn  sollten,  bey  ihnen  einzukehren. 

Die  Freunde  rufen,  —  ich  gehöre  heute  ihnen,  —  von  Märchligen 
aus  schreibe  ich  Dir  wieder  sobald  ich  einen  Augenblick  finde  der  dazu 
geeignet  ist,  und  den  meine  auch  in  der  Schweiz  schwachen  Augen  mir 
nicht  verkümmern.  Was  mir  Deine  Briefe  sind  —  das  sollst  Du  auch 
wissen.  —   Leb  wohl.  Dein  Herbart. 


Juni   1797.  63 

58.    Aus  Smidt's  Reisetagebuch.  14.  Juni  97. 

—  —  Nach  Tisch  packten  wir  (Smidt,  Raison  und  Koppen)  unsere  Sachen  zu- 
sammen (in  Bern)  gingen  dann  zu  Berger  —  tranken  da  —  u.  gingen  um  5  Uhr  mit 

Muhrbeck  u.  Lange  nach  Merglingen  zu  Herbart. Herbart  war  sehr  erfreut.  — 

Noch  immer  der  Alte.  —  Er  hat  4  Knaben  u.  3  Mädchen  zu  erziehen  —  spricht 
viel  mit  ihnen  der  2  te  war  nicht  fleißig  gewesen  u.  mußte  deswegen  jetzt  in  dei 
Freystunde  zur  Strafe  aus  Allarius  eine  Seite  lernen.  —  Wir  wunderten  uns  darüber 
H.  schien  es  nicht  zu  bemerken.  —  Er  stellte  uns  der  Landvogtin  Steiger  vor  —  ein 
sanftes  Gesicht  humanes  Wesen  —  mag  vorzeiten  schön  gewesen  seyn.  —  H.  hatte 
eben  mit  ihr  im  Florian  gelesen.  —  Wir  machten  einen  kleinen  Spatziergang  längs 
der  Aar  —  schöne  Aussicht  —  ich  muß  mit  Herbart  allein  seyn  um  erst  recht 
wieder  mit  ihm  ins  Gespräch  zu  kommen  —  noch  ein  wenig  'bey  der  Frau  Steiger 
im  Zimmer.  —  Haustiere.  —  Auf  Herbarts  Zimmer.  —  Herbarts  launige  Anmerkungen 
über  die  andern.  Berner  =  Jenenser.  —  Stiefel  Discurs.  H.  begleitete  uns  etwas. 
H.  fragte  ob  ich  Muhrbeck  kennen  gelernt  —  ja  sagte  ich  nie  wurde  ich  mit  einem 
Menschen  so  schnell  vertraut.  —  Das  habe  ich  wohl  gedacht  erwiederte  er  —  ihr 
seyd  gebohrene  Freunde.  —  Noch  manches  von  alten  Zeiten  gesprochen,  dann  kehrt 
Herbart  um.  —  Wir  kamen  nach  Bern  —  und  spatzierte  mit  Muhrb.  noch  etwas  auf 
der  Plattform  —  ich  sprach  mit  ihm  üb.  das  was  H.  von  seiner  Mutter  hat.  — 

19.  Juni.  —  Um  12  kam  H.  zu  uns  —  er  speiste  bey  Berger.  —  Nach  Tisch 
ging  ich  zu  Berger.  —  H.  las  einen  Brief  v.  sich  an  Fichte  u.  einen  von  seiner 
Mutter  an  Berger  vor.  —  —  In  Bergers  Logis  traf  ich  Hbart.  und  ging  mit  ihm 
auf  der  Plattform  spatzieren  wo  wir  viel  von  Lange  sprachen  —  dann  gingen  wir  in 
der  Enge  auf  u.  nieder  u.  kehrten  endlich  in  das  Haus  wo  ich  neulich  mit  Muhrbeck 
so  vergnügt  war  setzten  uns  oben  auf  ein  Zimmer  u.  tranken  Thee.  —  Herbart  be- 
mühte sich  mich  zu  bereden  eine  Hofmeisterstelle  in  Bern  anzunehmen  u.  schilderte 
mir  diese  Aussicht  so  reizend  wie  es  ihm  möglich  war.  —  Wir  sprachen  v.  Erziehung 

—  die  Art  wie  man  einen  Knaben  irgend  eine  Wissenschaft  ansehen  lehrt,  sagte  H. 
macht  einen  großen  Thl.  seiner  Erziehung  aus.  —  Der  Vater  könne  wenn  er  wie 
H.  Steiger  7  Kinder  u.  dabey  sein  Geschäft  habe  sehr  wenig  zur  Erziehung  derselben 
thun  —  er  bedürfe  eines  Hofmeisters  —  der  sey  am  freysten  meinte  H.  der  sich 
nie  dem  Zufall  überließe  —  sondern  die  nächste  Lage  seines  Lebens  immer  gehörig 
prämeditirt  hat,  durch  Veränderungen  der  äußeren  Lage  müsse  man  sich  regieren  — 
der  bloße  Wille  könne  es  nicht.  —  Gegen  frühes  Heyrathen  hatte  er  seine  alten 
Bedenklich keiten  —  er  meynte  dann  müsse  man  wirken  und  thäte  für  seine  eigne 
Cultur  nichts  mehr  —  steigere  sein  Ideal  nicht  —  die  Sorge  der  Nahrung  etc. 
komme  dazu  —  er  wisse  nicht  wie  jemand  so  im  Rausche  heyrathen  könne  ohne 
sorgfältig  alle  die  Pflichten  die  aus  diesem  neuen  Verhältnisse  herfließen  untersucht 

—  sich  die  verschiedenen  Lagen  die  hier  vorfallen  könnten  vergegenwärtigt  u.  die 
Art  seines  Benehmens  dabey  vorher  bestimmt  zu  haben.  —  Man  müsse  sich  nie  im 
Augenblick  des  Handelns  entschließen,  da  sey  man  nicht  so  frey  mehr.  —  Nach 
Deiner  Ansicht  sagte  ich  ihm,  würde  ich  keinen  Schritt  aus  der  Stelle  thun  können 

—  auch  d.  geringste  Handlung  ist  in  ihren  möglichen  Folgen  so  unendlich  vielseitig 
anzusehn  daß  man  darüber  niemals  aus  d.  Reflexionspkt.  kommen  dürfte  —  das 
wahre  Leben  lernt  sich  nur  im  Leben.  —  Der  Mensch  soll  sich  nicht  aufdrehen 
durch  seine  Grundsätze  wie  ein  Uhrwerk  u.  dann  ablaufen.  —  In  jedem  Augenblick 
soll  er  sich  selbst  bestimmen  können  —  es  sich  fühlen  lassen  daß  die  gesetzgebende 
u.  executive  Gewalt  nicht  getrennt  in  ihm  sey.  —  Ich  glaube  es  H.  gern  daß  er 
wenig  frohe  Stunden  in  seinem  Leben  hat  —   er  kann  nicht  in  der  Gegenwart  leben 

—  nicht  spielen  —  sich  nicht  dem  Augenblick  hingeben,  sich  nicht  über  das  Objekt 


64  Juni  T"97-       

vergessen.  —  H.  muß  mit  der  Erhaltung  seiner  Moralität  entschieden  mehr  zu  thun 
haben  wie  andere  —  da  jene  Ansicht  der  Dinge  so  leicht  zum  Egoismus  führt  — 
er  hat  sich  indeß  noch  sehr  rein  davon  erhalten  u.  das  macht  ihm  Ehre,  aber  besser 
wärs  doch  er  hätte  seine  Askese  nicht  nöthig.  Es  ist  auch  ganz  begreiflich  wenn 
11.  klagt,  daß  ihm  die  Musen  nicht  hold  seyen.  —  Uebrigens  habe  ich  selten  soviel 
Ehrlichkeit  u.  Aufrichtigkeit  gegen  sich  selbst  gesehen  als  wie  in  H's.  Charakter  liegt. 

—  Berger  u.  Hülsen  meynte  H.  paßten  durchaus  nicht  zusammen.  —  Steck  ist  sein 
Ideal.  —  H.  tadelte  unsere  Art  zu  Reisen  —  sie  sey  zu  eilig  —  er  hat  recht  — 
hätten  wir  nur  mehr  Zeit  und  Geld  —  den  Winter  sollte  ich  wenigstens  in  Bern 
bleiben.  —  Ich  versprach  mich  darauf  zu  besinnen  —  wandte  meine  Mutter  u. 
Schwester  noch  ein  etc.  —  Elterlichen  "Willen  respektirt  er  als  ein  naturrechtliches 
Verhältniß  —  aber  sagte  ich  warum  denn  nicht  ebenso  gut  die  Bande  der  Liebe 
die  den  ganzen  Menschen  hinnehmen  u.  jenes  doch  nur  einen  Theil  desselben? 
Wie  wir  zu  Hause  gingen  strichen  wir  unter  den  Arkaden  noch  viel  herum  u.  er 
erzählte  mir  von  seinem  Verhältniß  zu  seiner  Mutter.  —  Dann  gingen  wir  zu  Berger 
u.  aßen  da  mit  den  übrigen.  —  H.  schlief  bey  mir  u.  wir  setzten  das  Gespräch  im 
Bette  fort  —  er  wurde  nun  herzlicher  wie  zuvor.  —  Er  erzählte  mir  was  ihm 
seine  Mutter   in  Ansehung  d.  Liebe  gesagt. 

20.  Juni.     Herbart  ging  sobald  er  aufgestanden  war  nach  Merglingen   zurück. 

22.  Juni  (auf  dem  Rückwege  vom  Gurnigel  nach  Bern).  Herbart  begegnete  uns 
mit  d.  jungen  Steiger  —    sie  wollten  nach  Gurnigel. 

28.  Juni  (auf  dem  Wege  von  Bern  nach  Vevey)  .  .  Unterwegs  viel  mit  Muhr- 
beck  über  philosophica  gesprochen  —  z.  B.  über  die  Freyheit  des  Willens.  M.  erzählte 
mir,  was  er  mit  Herbart  darüber  gesprochen.  Herbarts  Grundsatz  ist,  der  Mensch 
muß  alles  wissen  wras  er  thut  —  die  Reflexion  soll  beständig  neben  den  Handlungen 
herlaufen  ganz   recht  aber  er  scheint  alles  zu  übertreiben.  —  M.  hatte  ihm  gesagt 

—  wenn  du  mit  dem  Fuß  auf  d.  Erde  trittst,  so  willst  du  jedes  Sandkorn  wissen, 
worauf  du  getreten  hast  u.  so  kommt  man  nicht  aus  der  Stelle.  — 

59.     Eschen  an  Herbart.1)  Jena  den  30sten  jUn.  97. 

Bester  Herbait,  Lange  schon  sehnte  ich  mich  nach  einem  Besuche  von  Dir, 
und  Du  kannst  nicht:  wohl!  ich  komme  zu  Dir,  ergreife  Deine  Hand  und  drücke 
sie  heftig  an  mein  Herz.  0  wie  vieles  möchte  ich  Dich  jetzo  fragen:  wie  ist  Dir? 
wo  bist  Du?  wo  wandelst  Du?  Führt  Dich  die  Natur?  oder  führst  Du  sie?  Aber 
genug,  ich  w7eiß  Du  bist  glücklich  und  mußt  glücklich  seyn;  Du  hast  die  wunder- 
barste Natur,  Du  hast  Freunde,  und  hast  —  Dich  selbst:  und  wer  sich  selbst  hat, 
der  hat  alles,  und  ergreift  alles  mit  Macht  und  zieht  es  an  sich.  Bester  Herbart, 
auch  ich  suche  mich,  nur  ist  es  nicht  mehr  so,  wie  in  den  ersten  Augenblicken  da 
ich  das  Bedürfnis  fühlte,  mich  selbst  zu  suchen,  und  da  ich  mit  verstörtem  Gesichte 
mich  nicht  finden  konnte,  und  nur  einen  Schatten  sah,  der  jedem  Ergreifen  auswich. 
Der  Schatten  wird  allmählich  dichter  und  er  wird  allmählich,  wenn  auch  durch  Nebel, 
in  eine  festere  Gestalt  übergehen.  Was  dann  diese  Gestalt  mit  der  Welt  oder  die 
Welt  mit  ihr  anfangen  wird,  weiß  ich  noch  nicht,  und  diese  Ungewisheit  stört  mich 
nicht  im  mindesten.  Dann  bin  ich  da,  wo  ich  seyn  will,  so  faße  ich  die  Welt,  wo 
ich  es  am  besten  glaube,  und  diese  Macht  mir  zu  verschaffen  und  zu  erhalten  ist 
jetzt  alles  woran  ich  denke.  Kann  ich  diese  Macht  nicht  haben,  so  will  ich  nichts 
haben;  habe  ich  sie  nicht,  so  habe  ich  euch  auch  nicht  und  ihr  könnt  den  Todten  zu 
Grabe  bringen,  und,  wenn  ihr  ||  wollt  ihm  einige  eurer  Blumen  in  die  ferne  AVeit 
mitgeben. 

l)  51/,  S.  40.     H.  Wien. 


Juni   1797.  65 

Dann  geb'  ich  euren  Bundesbrief  euch  allen  zurück,  denn  was  wolltet  ihr  mit 
einem  zerrißenen  Herzen,  mit  einem  Herzen,  das  euch  nicht  faßen  kann,  weil  es 
sich  selbst  nicht  faßen  kann.  —  Aber  dank  dem  Himmel,  der  Jüngling  ist  Jüngling 
und  kein  lahmer,  abgelebter  Greis,  der  durch  das  Leben  hinkt.  Er  ist  Jüngling  und 
er  faßt  Dich,  Herbart,  Dich  ßölendorf,  Fischer,  euch  alle  mit  jugendlichem,  liebenden 
Herzen,  und  harrt  sehnsuchtsvoll  eurer  Umarmung  entgegen.  Will  es  das  Schicksal 
so  bin  ich  Ostern  bey  euch  und  ihr  bey  mir.  Du  wirst  es  vor  Bölendorf  und  Fischer 
wissen.  Bölendorf  oder  Fischer  gaben  Dir  doch  das  Gedicht,  der  Morgen?  Du  hast 
so  großen  Antheil  daran!  und  hättest  Du  Lust,  so  möchte  ich  es  so  gerne  von  Dir 
componirt  sehen!  Hier  hast  Du  ein  anderes  Gedicht: 

Das  Gewitter. 


In  dunklen  Schleier  hüllet  die  Sonne  sich, 

Ihr  Glanz  verschwindet  hinter  die  "Wolken-Nacht, 

Und  an  des  Bergs  dunstvollem  Gipfel 

Hängt  das  Gewölk  von  Regen  schwanger. 

Nur  leise  weht  das  Laub  auf  der  Höben  noch 
Und  tiefe  Stille  herrscht  in  dem  niedern  Thal. 

Und  durch  des  Bergthals  dunkle  Gründe 

Hallet  das  dumpfe  Getön  des  Donners. 

Doch  plötzlich  steigt  ein  wirbelnder  Wind  empor, 
Und  treibt  die  dichten  Wolken  am  Himmel  hin 
Mit  schwarzer  Schwing',  und  seinem  Sturme 
Beugt  sich  die  Saat  und  des  Berges  Tanne. 

Die  Blitze  zucken  schnell  durch  das  Dunkel  hin, 
Es  schwillt  der  Donner  und  vor  dem  lauten  Ton 

Erbebt  der  Grund:  dreimal  erwiedernd 

Ruft  aus  der  Ferne  die  Oreade. 

Die  schwangern  Wolken  strömen  vom  Himmel  nun 
Mit  lautem  Rauschen  segnend  zur  Erd  hinab; 

Es  gießt  der  Waldstrom  seine  Wogen 

Brausender  durch  die  Gebirg  und  Thal  er. 

Doch  schon  verblaßt  der  zuckenden  Blitze  Schein, 
Und  dumpfer  hallt  es  nur  aus  der  Ferne  noch, 
Die  Wolken  ziehen  langsam  vorüber 
Und  aus  der  Bläue  nun  strahlt  die  Sonne.  [| 

So  stiegst  du  Göttin  einst  aus  der  dunklen  Flut, 
Die  Locke  perlte  dir  vor  dem  Morgenthau, 

Und  Freude  sah  dein  blaues  Auge, 

Göttin  der  Lieb',  Anadyomene! 

Ja  eine  Wundergöttin,  lieber  Herbart,  ist  diese  Anadyomene;  die  Pflegerin  alles 
guten  und  edlen  in  uns,  die  uns  lehrt,  alles  mit  Liebe  zu  umfassen  und  allem  unsere 
Liebe  mitzuteilen. 

Alle  meine  Freunde  grüßen  Dich,  May,  Otth,  Gries,  Schildener,  Hofmeister. 
Hofmeister    ward    gestern    in    unsere    Gesellschaft    aufgenommen,    und    Du    kannst 

Herbarts  Werke.     XVI.  5 


66  Juli   1797- 

denken,  daß  wir  uns  freuten,  als  sein  Aufsatz  ihn  von  einer  Seite  uns  zeigte,  die 
wir  au  ihm  nicht  kannten:  es  war  ein  langes  Gedicht,  der  lydische  Herkules,  voll 
Kraft  und  Muth  und  Schönheit.  Gries  las  am  ersten  Tage  unserer  Versammlung 
einen  Aufsatz  vor,  worin  er  Schildner  und  May  bewülkommte ;  dann  habe  ich  einen 
Aufsatz  vorgelesen,  Thymophilos  oder  über  die  Vereinung  des  Gefühls  und  des  Ver- 
standes im  Menschen:  und  nachher  las  Schildener  einen  Aufsatz  vor,  der  uns  um 
desto  mehr  befriedigte,  je  unbefriedigender  sein  Probe-Fragment  war.  Erichson  wird 
wahrscheinlich  auch  in  unsere  Gesellschaft  aufgenommen  werden.  Ich  habe  ihn 
einigemal  gesprochen  und  er  hat  mir  sehr  gefallen.  Unsere  Gesellschaft  ||  besteht 
aus  Freunden  in  der  höchsten  Bedeutung  des  Wortes.  Fichte  hat  mir  und  Gries 
mehrere  vorgeschlagen,  die  er  der  Gesellschaft  würdig:glaubte,  aber  wir  fanden  noch 
keine  davon,  wovon  wir  es  glaubten.  Fichte  läßt  Dich  grüßen.  Ich  höre  das  Natur- 
recht bey  ihm:  und  diese  Stunde  ist  für  mich  sehr  wichtig,  theils  dessen  wegen, 
was  er  sagt,  als  der  Ideen  wegen,  die  er  in  mir  veranlaßt  und  in  denen  ich  nicht 
mit  ihm  übereinstimmen  kann,  wie  z.  B.  über  die  Trennung  des  Naturrechts  und  der 
Moral,  und  über  ein  Princip,  woraus  beide  sich  möchten  herleiten  lassen.  Doch 
hierüber  kann  ich  Dir  nicht  mehr  sagen,  da  ich  bis  jetzt  noch  so  wenig  zu  solchen 
Untersuchungen  habe  kommen  können;  aber  daß  Du  mir  von  Deinen  Ideen  und  viele 
mittheilst,  darum  bitte  ich  Dich  sehr.  Schellings  Ideen  %u  einer  Philosophie  der 
Natur,  wovon  der  erste  Band  herausgekommen  ist,  mußt  Du,  wenn  Du  es  noch  nicht 
gelesen  hast,  nothwendig  lesen.  Schelling  betritt  immer  eine  höhere  Stufe  und  dies 
mit  einer  Kraft  und  Schnelle,  die  Erstaunen  erregt.  — 

In  Deinem  nächsten  Briefe,  den  ich  bald,  sehr  bald  erwarte  schicke  mir  doch 
Deine  mir  versprochenen  Compositionen  von  Florets  und  Bölendorfs  Gedichten,  und 
wenn  es  irgend  möglich  ist,  Deine  Recension  von  Schelling.  — 

Wenn  ich  jezo  manchmal  allein  gehe,  entweder  auf  solchen  Gängen,  wo  ich  mit 
Dir  und  euch  anderen  zugleich  war,  oder  wenn  ich  auf  dem  Stein  sitze,  wo  Du  und 
Fischer  und  ich  zulezt  noch  saßen,  oder  wenn  ich  die  Dornen  bürg  besteige  und  mich 
wieder  mit  Rosen  kränze,  mit  jenen  Rosen,  die  mir  das  erste  Leben  zudufteten: 
o  dann  tobt  es  in  meiner  Brust  und  mein  Herz  will  hinaus,  über  die  Berge  und  ich 
habe  Dich,  bester  Herbart,  an  meinem  Busen:  und  wenn  ich  Dich  nicht  ganz,  wenn 
Du  mich  nicht  ganz  hattest,  wir  werden  und  müßen  uns  so  haben.  Glaube  mir, 
dieser  Gedanke  kann  meine  trübsten  Stunden  aufhellen,  er  ist  ein  Genius,  der  Ver- 
zweiflung oft  zur  Seligkeit  umwandelt,  und  ein  Band  um  uns  schlingt,  das  ewig  ist. 
Bester,  bester  Herbart,  lebe  wohl!  Nimm  dies  Lebe  wohl  ganz  wie  ich  es  Dir  gebe, 
mit  einem  Herzen  voll  von  Sehnsucht  und  Liebe  zu  Dir.  Dein  Eschen. 

60.     Muhrbeck  an  Herbart.1)  Abgesandt  Laufen  d.  28.  Juli  97. 

Lieber  Herbart,  Nun  —  ich  finde  hier  ein  Blatt,  darauf  schon  vorstehendes 
Wörtlein  geschrieben.  Ich  wußte  ihm  so  gleich  keine  Bedeutung  zu  geben,  sonst 
hätte  ich  es  um  des  Papiers  willen  zierlich  zum  Anfang  meines  Briefes  auserkohren, 
angeflickt  hätt  es  doch  den  Schein  eines  realen  gehabt.  Über  den  dinamischen  Zu- 
sammenhang der  Sache  in  uns  mag  der  richten,  der  Schein  von  der  Sache  so  zu 
sondern  weiß,  daß  das  kleinste  Härchen  das  dazwischen  liegen  kann  auch  rein  weg- 
genommen werde.  —  Ich  gieng  heute  spatzieren  und  mir  fiel  mit  einemmale  ein 
was  Du  über  Jakobi  im  Gurnigel  sagtest.  Ich  hatte  gestern  Abend  meinem  Herrn  Pfarrer 


')  4  S.  4°.  H.  Wien.  Der  Brief  ist  sehr  vergilbt  und  z.  T.  in  Abbreviaturen 
geschrieben.  Muhrbeck  war  später  in  Höchstetten  im  Fischer'schen  Pfarrhause.  (Fr. 
Mitteilung  des  Hrn.  Prof.  Dr.  Steck  in  Bern.)  —  Über  Stecks  Besuch  bei  Jacobi  s. 
o.  S.  58  Anm.  2. 


Juli   1797.  67 

die  Worte  Lavaters  mit  denen  Jakobi  sein  Werk  schließt,  vorgelesen,  und  mehreres 
von  dem  Vorhergehenden  durchgesehen.  Es  war  .  .  .  .  so  aus  meiner  Seele  ge- 
sprochen, es  tönte  noch  so  laut  in  mir,  daß  ich  Deine  Vorwürfe  nicht  anhören  konnte 
ohne  Dir  eine  Vertheidigung  so  gleich  entgegen  zu  stellen.  Die  Spekulation,  sagst  Du, 
mußte  ihn  bewegen,  sich  der  Freiheit  zu  entsagen,  da  sie  ihm  einmal  dies  Resuldadt 
gegeben  hatte.  Die  Spekulation  kann  nur  das,  was  unser  Gefühl  sagt,  verdeutlichen, 
verstärken,  und  die  lebendige  Stimme,  spricht  immer  kräftiger  als  der  todte  Satz, 
beides  soll  eins  seyn,  aber  wo  sich  der  Streit  meldet,  wem  den  Vorzug  geben?  Im 
Gefühl  spricht  die  ganze  Menschheit,  in  der  Spekulation  nur  der  Gedanke.  Sie 
konnte  nicht  richtig,  wenigstens  nicht  erschöpfend  seyn,  war  sie  nicht  mit  jedem 
leisem  Zuge  der  Menschheit  eins,  oder  wüßte  sie  nicht  den  Irrthum,  das  Vorurtheil 
aufzudecken,  die  sich  durch  das  Blendwerk  der  Phantasie  hinter  das  Gefühl  ver- 
steckt halten.  Der  besondere  Mensch  wird  sich  hier  besonders  aus  dem  Streit 
ziehen,  der  Schwächling,  oder  bei  dem  ein  gewißes  Gleichmaß  der  Kraft  im  Urtheile 
und  Gefühle  stattfindet  wird  Zweifler,  letzterer  schlichtet  endlich  ohne  Machtspruch, 
ohne  Zwang,  durch  Einsicht.  Jakobi  hielt  seine  Spekulation  für  wahr,  bei  ihm 
sprach  das  Gefühl  überwiegend,  er  mußte  hier  den  Verstand  vom  Gefühle  trennen, 
und  alles  was  man  ihm  vorwerfen  kann  ist,  seine  Spekulation  hat  noch  nicht  den 
höchsten  Punct  ihres  Aufsteigens  erreicht.  Wohl  ihm,  daß  er  so  trennte,  wenn  die 
Wahrheit  vor  ihm  ihr  Licht  auslöschte.  Daß  ich  so  lang  alle  .  .  .  Spekulat.  im  Leben 
vergessen  könnte,  bis  alles  wieder  eins  ist.  Eitler  Wunsch.  Nur  durch  den  Anstoß 
wirst  Du  den  Irrthum  erblicken,  aber  die  Gewalt  wünschte  ich  mir,  über  die  Zeit 
Herr  zu  seyn,  und  aus  ihr,  wenn  ich  wollte,  den  Satz,  das  Resultat  im  Leben  ver- 
bannen zu  können.  Es  gelingt,  und  jeder  warme  Wunsch,  der  aus  dem  real.  Be- 
dürfniß  entspringt,  wird  erfüllt.  Im  wahren  Leben  ist  Wille  und  Wunsch  eins,  und 
der  Wille  greift  nicht  nach  dem  Unmöglichen,  denn  er  geht  dem  Wirklichen  nicht 
voraus.  Im  Bedürfniß  ist  er  getrennt,  je  weiter  sich  dieses  vom  Leben,  von  der 
Realität  entfernt  desto  weniger  kann  es  auf  die  Befriedigung  Anspruch  machen.  Da 
tritt  dann  die  Philosophie  ein  beleuchtet  u.  prüft,  und  giebt  Zusammenhang  und 
Einheit  dem  Ganzen. 

Schon  vor  einiger  Zeit  hatte  ich  dies  für  Dich  niedergeschrieben,  oft  habe 
ich  seitdem  an  Dich  gedacht,  aber  das  Papier  sagt  überhaupt  wenig  und  für  Dich 
nichts.  Ich  trage  mich  mit  vielen  Gedanken  herum,  vielleicht  mit  zu  vielen  und 
schütte  nicht  genug  aus,  mir  fehlt  die  Zeit.  Da  wunderst  Du  dich  gewiß,  wenn  ich 
noch  vom  Mangel  an  Zeit  rede.  Meine  ganze  Lage  Dir  zu  schildern,  würde  wieder 
zu  viel  Zeit  erfordern,  und  die  Stunde  der  Post  rückt  heran.  Dies  nur,  daß  meine 
Gesundheit,  mit  der  es  gar  nicht  fort  will,  die  kühle  Zeit  des  Tages  zur  Bewegung 
verlangt,  und  die  Hitze  hier  fast  unerträglich  wird.  —  Ich  habe  Bergers  Brief  ge- 
lesen, er  hat  mir  sehr  gefallen,  nur  an  einigen  Stellen  kann  ich  nicht  ganz  mit  ein- 
stimmen. Wir  haben  hierüber  gesprochen,  gestritten,  und  sind  eins  geworden,  daß 
er  mit  dem  Wissen  über  das  Wissen  aufs  reine  sei  kann  er  allein  sagen,  und  ent- 
scheiden, daß  man  aber  etwas  besseres  thun  könne  ist  auch  wahr,  indem  jedes  Gute 
ein  Besseres  zuläßt,  und  um  seinem  Sinne  näher  zu  treten,  da  die  Fülle  unsrer 
Kraft  nicht  in  harmonischer  Thätigkeit  bei  allem  abstrakten,  bei  jedem,  wo  die 
Phantasie  den  Meister  spielt,  gehalten  wird.  Aber  deswegen  diese  Beschäftigung  zu 
verwerfen  hieße  so  viel  als  nicht  essen  wollen,  weil  man  während  dieser  Zeit  pflanzen 
konnte.  Das  Bedürfniß  muß  jeden  vollendeten  Menschen  einst  zu  den  höchsten 
Untersuchungen  geführt  haben,  durch  sie  gewinnt  er  nur  die  Aussicht  auf  seine 
fernere  Bahn,  er  muß  sie  festhalten,  sie  müßen  mit  ihm  leben,  sich  wandeln  mit 
ihm,  und  mit  ihm  ihr  stetes  Bleiben  haben. 

5* 


68  August  1797. 

"Wir  sind  in  dieser  Ansicht  gewiß  eins  und  nur  unsere  Verschiedenheit  in  der 
Individualität  theilt  auch  diesem  ||  den  Schein  der  Verschiedenheit  mit.  Doch  wir 
wollten  ja  über  diese  Materie  nicht  weiter  sprechen.  War  nicht  so  unsre  Abrede? 
Nur  eins:  ich  lerne  immer  mehr,  was  ich  mir  auch  vorher  schon  sagte,  wie  wir  in 
jedem  Urtheil  des  Menschen  Wahrheit  finden  können  ohne  uns  von  ihnen  ein- 
schläfern zu  lassen,  wenn  wir  nur  stille  —  und  wills  sich  schicken,  besser  laut  zu 
suppliren,  die  Einseitigkeit  aufzuheben  wissen.  Ich  weiß,  daß  Du  und  Fichte  und 
Hülsen  nicht  einer  Meinung  seid,  wo  ihr  es  seyn  konntet,  das  weiß  ich  aber,  daß 
Hülsens  Ausdruck,  dem  Dinge  Sinn  und  Bedeutung  geben,  eben  das  sagt,  was 
Deine  dünamische  Verbindung,  was  Fichtens  Deductionen  sagen  wollen.  Ließen  wir 
uns  nur  nicht  so  sehr  durch  den  Ausdruck  durch  die  Erscheinung  schrecken,  es 
würde  mehr  Einigkeit  unter  uns  seyn;  und  doch  sollen  wir  alles  von  uns  entfernen, 
was  disharmonisch  zuspricht,  es  soll  Ausdruck  und  Sache,  Erscheinung  und  Ding 
eins  seyn,  wir  müßen  verabscheuen  können  um  lieben  zu  können,  medium  tenuere 
beati  ist  gewiß  ein  weiser  alter  Spruch,  aber  die  Mitte  zu  zeigen,  das  wäre  erst 
Weisheit,  wer  vermag  das,  sie  wird  nicht  gezeigt,  nicht  gesehn,  und  doch  kann  sie 
und  soll  sie  gefunden  werden. 

Gern  schriebe  ich  mehr,  aber  die  Zeit  ist  verfloßen.  Grüße  die  Deinen. 
Fichte  hat  mir  geschrieben,  er  läßt  grüßen.  Dein  H.  Muhrbeck 

31.  Juli  bis  zum  7.  August   1797   (nicht   1798  wie  Bd.  I  steht).      Bergtour  mit  den 
beiden  ältesten  Zöglingen.    (Bericht  über  die  Reise  in  die  Alpen;  S.  Bd.  I.    S.  75  —  8^. )x) 

61.    An    Steck.2)  [Meiringen]  Am   5  ten  August  1797. 

Aus  dem  Hasli,3)  lieber  Steck,  erhältst  du  diesen  Brief.  Ich  komme 
eben  vom  Reichenbach,  und  will  bey  dir  ausruhen.  —  Der  Landvogt 
St.[eiger]  bekam  vor  kurzem  von  Mgnhrn.  [meinen  gnädigen  Herren]  den 
Auftrag  einer  Besichtigung  im  Oberlande,  und  da  fiel  ihm  ein,  er  könne 
mir  und  seinen  beyden  ältesten  Söhnen  die  Freude  machen  uns  bis 
Interlaken  mitzunehmen,  und  uns  dann  durch  die  berühmten  3  Thäler 
Lauterbrunn [en],  Grindelwald  und  Hasli  wandern  zu  laßen.  Da  bin  ich  denn 
nun  im  Hasli,  froher  wahrscheinlich  als  du  in  Paris;  wenigstens  möchtest 
du  im  Gewühl  der  großen  Stadt  nicht  so  angenehm  träumen  als  ich  beym 
Rauschen  dieser  Bäche.  Dir  möchte  ich  die  Träume  erzählen,  mit  dir 
habe  ich  an  den  Waßerfällen  geplaudert;  mit  dir  habe  ich  meine  meisten 
schönen  Augenblicke  in  der  Schweiz  verlebt.  Ich  wollte  du  könntest 
hören,  was  ich  dir  sage  ohne  zu  sprechen  noch  zu  schreiben,  du  hättest 
dann  oft  gehört,  wie  ich  dem  Schicksal  danke,  und  es  beynahe  anstaune, 
das  mich  nach  Märchligen  geführt  hat,  wo  im  Schooße  des  sanftesten 
Thals,  im  zwiefachen  Scheine  des  Abendroths  über  dem  Jura  und  von 
den  Schneegipfeln  her,  eine  Familie  wohnt,  mit  der  ich  im  schönsten 
Wechsel  der  Achtung  und  Freundschaft  stehe,  und  die  sehr  glücklich 
seyn  kann,   wenn  ich  meine  Schuldigkeit  thue.    Ein  Mann  und  eine  Frau, 


1)  Dies  hat  R.  Steck  nachgewiesen  an  den  in  der  folgenden  Anm.  angegebenen 
Orten. 

2)  2  Quartbogen,  wovon  6  Seiten  beschrieben,  die  2  letzten  leer.  Bereits  ver- 
öffentlicht durch  R.  Steck  im  Neuen  Berner  Taschenbuch  auf  das  Jahr  1900,  S.  16  ff. 
u.  im  Archiv  f.  Gesch.  der  Philos.    1900,  S.  184  ff. 

3)  S.  Bd.  I.     S.  83  letzter  Absatz. 


August   1797.  69 

der  eine  mein  Muster,  die  andre  meine  Erhohlung,  danken  mir  für  das 
was  ich  noch  thun  will,  lohnen  mir  wenn  ich  noch  an  meiner  Kraft  [2] 
zweifle,  und  überraschen  mich  schon  wieder  mit  neuer  Freude,  wenn  ich 
eben  anfangen  will  zu  fürchten,  das  alles  sey  zu  schön  für  eine  dauernde 
Wirklichkeit.  Allmählig  aber  höre  ich  auf  zu  fürchten:  es  ist  endlich  Zeit 
zu  glauben,  und  hier  darf  ich  es  oder  nirgends,  denn  beyde  sind  sich 
immer  gleich.  Mir  muß  gewiß  ein  seltenes  Loos  gefallen  seyn;  je  weiter 
ich  in  der  Schweiz  reise,  desto  vorzüglicher  finde  ich  die  Gegend  von 
Märchligen;  je  mehr  Familien  ich  in  Bern  —  nur  von  Hörensagen  — 
kennen  lerne,  und  je  mehr  andre  Hauslehrer  ich  spreche;  desto  ängst- 
licher frage  ich  mich  selbst,  wie  mir  wohl  gewesen  seyn  würde,  wenn  ich 
von  meinem  Luftsprunge  von  Jena  aus  an  irgend  einem  andern  Puncte 
auf  die  Erde  niedergefallen  wäre?  —  Der  Landvogt  ist  einer  von  den 
Characteren,  vor  denen  ich  Stunden  und  immer  neue  Stunden  lang  hin- 
treten  kann,  zu  prüfen,  zu  vergleichen,  zu  bewundern,  zu  bedauern.  Er 
hat  Aehnlichkeit  mit  dir,  lieber  Steck.  Du  kennst  vielleicht  nur  seine 
Pünctlichkeit,  und  hältst  sie  für  Beschränkung.  Aber  so  sehr  seine  Conse- 
quenz  ihn  in  einiger  Rücksicht  bis  ins  kleinste  Detail  ausgearbeitet  hat, 
so  ist  er  darum  im  Ganzen  doch  nicht  minder  groß.  Mit  welcher  Ge- 
walt er  sich  auf  das  wirft,  wozu  die  Umstände  ihn  auffordern,  schließe 
ich,  außer  dem,  was  das  allgemeine  Gerücht  sagt,  aus  der  Sorgfalt  womit 
er  das  ganze  Hauswesen  in  Ordnung  hält,  und  aus  dem  Einfluße  in  die 
Geschäfte  des  Oberlandes,  den  ihm  Bauern  und  Obrigkeit  noch  jetzt  so 
gern  einräumen,  ob  er  gleich  schon  über  2  Jahre  seine  dortige  Stelle  ver- 
laßen hat.  Aber  welche  Blicke  er  über  diese  Sphäre  hinaus  zu  werfen  ver- 
mag, wie  wenig  er  sie  [3]  mit  Vorurtheilen  umzäunt  hat,  mit  welcher  be- 
scheidenen Resignation  er  da  sein  Urtheil  zurückhält,  wo  er  kein  reifes 
Urtheil  haben  würde:  —  das  kann  vielleicht  niemand  beßer  wißen  als 
ich.  Schon  manches  habe  ich  ihm  mit  halber  Furcht  gesagt,  und  je  mehr 
ich  gewagt  zu  haben  meinte,  desto  beßere,  dankbarere,  freundlichere  Auf- 
nahme fand  ich.  Es  kann  mich  innigst  rühren,  wenn  ich  die  einzelnen 
Fälle  dieser  Art  zusammen  nehme;  bis  ins  Innerste  kann  es  mich  be- 
schämen; nie  tönen  die  Vorschriften  der  strengsten  Pflicht  lauter  in 
meinen  Ohren,  als  in  solchen  Augenblicken,  wenn  ich  mich  ihm  gegenüber 
stelle.  Es  geht  mir  mit  ihm,  wie  mit  allen  Menschen,  die  ich  sehr  hoch- 
achte; seine  Gegenwart  ist  mir  nur  dann  nicht  lästig  und  drückend,  wenn 
ich  meine  Pflicht  völlig  erfüllt  zu  haben  gaube.  —  Die  Frau  ist  das 
sanfteste  Weib,  das  ich  bis  jetzt  in  der  Nähe  gesehn  habe.  Auch  ihr 
haben  die  Umstände  unendlich  weniger,  als  die  Natur,  gegeben;  aber  das 
vollkommene  Ebenmaaß,  die  Rundung,  Feinheit,  Geradheit,  Anspruch- 
losigkeit;  die  Gleichförmigkeit  einer  immer  regen,  nie  eilenden  Thätigkeit, 
die  Verbindung  von  Achtung  gegen  ihren  Mann  und  Zärtlichkeit  gegen 
ihre  Kinder,  die  Freude  an  der  Natur,  und  an  sanfter  Poesie,  —  wir 
lesen  den  Florian  zusammen  —  ohne  alle  Kritik;  das  unterhaltende,  nie 
glänzende,  nie  ermüdende  Gespräch,  —  und  —  damit  ich  die  Partei- 
lichkeit meines  Urtheils  bekenne  —  die  unabgebrochene  Reihe  von  kleinen 
feinen,  oft  sehr  schmeichelhaften  Aufmerksamkeiten  für  mich:  —  das  alles 
hat    mich    so    eingenommen,     daß    ich    zuweilen    in    Versuchung    komme, 


yo  August  1797. 

meine  Begriffe  von  der  Bestimmung  des  weiblichen  Geschlechts  sehr  zu 
modificiren.  (Diese  waren  ehemals  meistens  erweiterte  Abstractionen  aus 
[4]  dem  Character  meiner  Mutter.  Du  kennst  sie  jetzt,  Bester;  und  es 
kostet  mich  wahrlich  Mühe,  bis  zu  deiner  Zurückkunft  geduldig  auf  das 
was  du  mir  über  sie  sagen  wirst,  zu  warten.  Vielleicht  theile  ich  dir 
dann  auch  einiges  von  dem  mit,  was  ich  dir  vor  einigen  Wochen  in 
Menge  auf  einsamen  Spaziergängen  vorgeplaudert  habe.  Ich  war  damals 
ein  wenig  gelbsüchtig;  und  sah  weniger  die  männlichen  Tugenden  als  die 
männlichen  Fehler  in  ihrem  Character,  und  besonders  ihr  eignes  Wohl- 
behagen über  diese  Männlichheit.  Die  gute  Mutter  sandte  mir  aber 
Arzney  gegen  die  Krankheit  die  sie  selbst  durch  ihren  ersten  Brief  nach 
der  Schweiz,  veranlaßt  hatte.  Sie  weiß  nichts  von  dem  allem;  sie  hatte 
unabsichtlich  wehe  und  wohl  gethan;  und  ich  habe  mir  nichts  merken 
laßen.) 

Interlaken  am  6  ten  Aug. 
Das  Haslithal  liegt  hinter  mir,  —  soll  ich  dir  noch  von  meinen 
Träumen  am  Reichenbach  erzählen?  Es  ist  eigentlich  etwas  lächerlich, 
Träume  zu  erzählen;  wenn  aber  eine  große  Naturscene  zu  großen  Ge- 
danken aufgefordert  hat,  —  und  wenn  dann  hinterher  ein  regnichter 
Nachmittag,  wie  dieser,  einen  in  eine  fremde  Wirthsstube  einschließt,  so 
mag  denn  ein  Freund  immerhin  erfahren,  was  der  andere  Freund  wol 
möchte,  wenn  er  könnte  und  das  Schicksal  wollte.  Zudem  ist  es  denn 
auch,  bey  Lichte  besehen,  wahr,  daß  ich  ein  freyer  Mensch  bin,  —  wahr, 
daß  sich  nach  3  oder  4  Jahren  ein  Absatz  in  meiner  Arbeit  zu  Märch- 
ligen  machen  ließe,  —  möglich,  daß  die  Kraft,  die  anfing,  auch  fort- 
bestehen und  vollenden  könnte,  —  und  sehr  wahrscheinlich,  daß,  wenn 
sie  jemals  etwas  zu  vollenden  haben  sollte,  im  Haslithal  wol  mehr  als  [5] 
Ein  helfender  Geist  sie  umschweben  würde.  Weil  nun  aus  Wahrheit, 
Möglichkeit,  und  Wahrscheinlichkeit  alle  Hoffnung  in  der  Welt  zusammen- 
gesetzt ist  —  warum  sollte  der  Dämon,  der  jene  Felsen  spaltete,  um  dem 
geduldigen  Strome  den  Weg  in  diese  lachenden  Fluren  zu  öffnen,  der  da 
und  dort  die  schrecklichsten  Steinmassen  häufte  und  sie  dann  mit  dem 
lieblichsten  Grün  bekleidete,  der  endlich,  um  das  Meisterwerk  zu  vollenden, 
dem  tobenden,  schäumenden  Flußgotte  die  himmlische  Iris  vermählte,  — 
warum  sollte  er  nur  Felsen,  Fluthen,  Wiesen  und  Wäldern  gebieten? 
Warum  sollte  das  Geisterreich  sich  seinem  milden  Zepter  entziehen?  Sieh 
nur,  wie  in  seinem  Gebiete  auch  die  Menschheit  so  herrlich  gedeiht!  Sieh 
nur,  wie  Gesundheit  und  Wohlseyn  in  jeder  Miene  lebt!  —  Wer  hat  je 
diesem  Dämon  Altäre  errichtet?  Wer  hat  mit  gebeugtem  Knie  und  mit 
inniger  Andacht  die  fülle  seiner  Gaben  herabgefleht?  Flüchtige  Dank- 
sagungen sind  keine  Loblieder,  und  die  Nachricht,  man  habe  sich  da 
wohl  befunden,  verhallt  im  Winde,  und  ist  für  irdische,  nicht  für  himm- 
lische Ohren.  Wer  aber  die  schönere  Hälfte  eines  ganzen  Jahres  dem 
Gotte  weihte,  wer  die  Früchte  vieler  Mühe  und  vieler  frühern  Jahre  mit- 
brächte, wer  nur  nach  sorgfältiger  Reinigung,  in  aufrichtiger  Demuth,  mit 
hoffnungsvollem  Glauben  ihm  nahte,  wer,  flehend  um  Eine  Offenbarung, 
dennoch  alle  Sinnen  seiner  Eingebung  öffnete,  welcher  Lohn,  glaubst  du, 
würde  dem  werden? 


September  1797.  71 


Hier,  wo  Schönheit  und  Größe  nur  Einen  Körper  haben,  hier, 
meinst  du,  wären  sie  noch  verschiedene  Geister?  Wenn  die  Wahrheit  für 
einen  Sterblichen  hier  eine  Gestalt  annähme,  meinst  du,  hier  würde  sie 
in  ihrer  Nacktheit  nicht  himmlisch  reizend  seyn?   — 

Ich  sah  mich  schon  öfter  im  Geiste  auf  einem  einsamen  Felsen 
stehen,  näher  dem  ewigen  Schnee,  als  dem  Schatten  der  Wälder, 
schwitzend  in  dieser  kalten  Zone  von  der  äußersten  Anstrengung,  er- 
zwingend von  völliger  Abgeschiedenheit,  was  im  Schooße  der  Behaglich- 
keit nicht  hatte  gelingen  wollen.  Göthe  hat  in  einem  Schlünde  auf  der 
[6]  Furka  an  Vollbringung  angefangener  Werke  gedacht,  und  der  Ge- 
danke hatte  mich  gefaßt.  Aber  seit  gestern  und  vorgestern  denke  ich 
nicht  mehr  an  eine  Ärndte  über  der  Gränze  der  Vegetation,  und  von 
dem  ewigen  Schnee  verlange  ich  nur  die  weiße  Spitze,  die  über  dem 
Reichenbach  hervorblickt,  im  Rosenlichte  der  untergehenden  Sonne  zu 
sehn. 

Abends. 

Ludwig  und  Carl  schlafen  schon  neben  mir.  Der  Himmel  sende 
auch  ihnen  angenehme  Träume.  —  Ludwig  erlegt  dann  gewiß  in  diesem 
Augenblicke  ein  großes  schönes  Stück  Wild;  Carl  ißt  vielleicht  Erdbeeren 
mit  Wein,  oder  kann  schwimmen,  wie  sein  Bruder,  oder  bekömmt  ein 
paar  neue  Thaler  geschenkt. 

Wenn  du,  lieber  Steck,  meine  Lieblingsgedanken  deiner  frommen 
Wünsche  werth  hältst,  so  seyen  dir  zuerst  diese  Kinder  empfohlen,  die 
jetzt  meiner  Führung  anvertraut  sind.  Es  wäre  so  schön  wenn  sie  etwas 
würden;  sie  haben  Talente,  und  die  Familie,  aus  der  sie  entsproßen  sind, 
wäre  so  ein  herrlicher  Boden  für  einen  guten  Keim. 

[Ohne   Unterschrift.] 

62.     Herbart's  Mutter  an  Langreuter  in  Eutin.1)  Oldenburg  am  9.  Sept.  1797. 

Lieber  Freund !  Soeben  bringt  Ihre  kleine  Niece  mir  einen  Brief  für  meinen  Sohn, 
der,  wie  sie  mir  sagt,  schon  eine  Reise  nach  Jena  gemacht  hat.  Da  die  Reise  von  hier 
nach  Märchligen  mehr  als  noch  einmal  soweit  und  der  Hr.  Sohn  eben  kein  rüstiger 
Correspondent  ist,  so  haben  Sie  wohl  nichts  dabei  zu  erinnern,  wenn  ich,  als  sein 
gewesener  Secretär,  Ihnen  fürs  erste  seinen  Dank  und  seine  bisherigen  Schicksale 
hinterbringe. 

Kurz  nach  Abgang  seines  letzten  Briefes  an  Sie  kam  er  eines  Abends,  um  mil- 
den Besuch  unseres  gewöhnlichen  freundschaftlichen  Cirkels  anzumelden.  Nun 
sollte  auf  meinem  Zimmer  ausgemacht  werden,  wem  von  unserer  Bekanntschaft  man 
die  Erziehung  des  wahrscheinlich  künftigen  Regenten  von  Bern  antragen  wolle.  Einer 
unserer  Schweizer  Freunde  [Fischer]  hatte  unbeschränkte  Vollmacht  zu  dieser  Wahl 
erhalten.  Er  selbst,  der  jetzt  vielleicht  schon  Prediger  in  Bern  ist,  hatte  oft  ge- 
wünscht, meinen  Sohn  bei  sich  behalten  zu  können;  mehrmalen  hatte  er  es  ihm 
angetragen,  ob  er  nicht  einige  Jahre  ganz  umsonst  bei  ihm  in  seinem  Hause  in  Bern 
zubringen  möchte. 

Ich  wünschte  dies  mehr  noch  als  mein  Sohn,  der  den  ganzen  Morgen  nur  für 
das  jus  und  einen  grossen  Theil  vom  Nachmittage  nur  für  philosophische  Specu- 
lationen  Sinn  und  Gefühl  hatte. 


*)  Nach  Ziller,  Reliquien  S.  53  ff. 


7  2  September  1797. 


Warum  nimmst  Du  die  Stelle  nicht  selbst,  sagte  ich.  —  Mein  Gott,  Mutter 
wie  könnte  ich  daran  denken!  —  Warum  nicht?  —  Ich  bin  hier  ja  lange  noch 
nicht  fertig  und  dann  muss  ich  doch  wenigstens  ein  halbes  Jahr  die  Gott.  Bibliothek 
benutzen.  —  Was  machst  Du  denn  hier?  Collegia  hörst  Du  nicht,  Du  studirst  alles 
allein  und  gehst  dann  hin  und  sprichst  mit  den  Professoren  darüber;  das  kann  alles 
nach  einigen  Jahren  auch  noch  geschehen;  die  Gesellschaft,  der  Umgang  mit  unsern 
Freunden  ist  Dir  weit  mehr  werth,  als  das  alles.  Geh'  zu  ihnen  und  sag:  ich 
schlüge  Dich  vor.  und  ich  stünde  für  alles.  —  Er  war  wie  angedonnert  —  Noch 
einmal,  ich  stehe  für  alles,  auch  für  die  Erlaubniss  von  Deinem  Vater.  Damit  Hess 
ich  ihn  fort,  und  nach  einer  halben  Stunde  kamen  die  Schweizer  mit  ihm,  und  ihr 
Dank  für  das  Zutrauen,  das  ich  zu  ihnen  gehabt  hatte,  ging  so  ganz  von  Herzen, 
ihre  Freude,  meinen  Sohn  mitzubekommen,  war  so  lebhaft,  dass  ich  diesen  seligsten 
Augenblick  meines  Lebens  nie  vergessen  werde. 

Dieser  Entschluss  hatte  bald  noch  weitere  Folgen.  Ich  bleibe,  wo  Herbart  bleibt, 
sagte  ein  Bremer  [Lange],  der  an  meinen  Sohn  empfohlen  war.  Mutter,  machen  Sie 
auch  mich  von  meinen  Eltern  los.  Dies  gelang  mir  bald  und  nächst  diesem  wollten 
nun  auch  ein  Doctor  d.  Philos.  aus  Greifswalde  [Muhrbeck]  und  ein  Cmiänder  — 
Böhlenclorf,  den  Sie  vielleicht  durch  Rist  kennen  —  mitgehen.  Gern  hätten  diese 
7  Freunde  mich  auch  mitgenommen,  der  eine  wenigstens  [Steck]  wollte  mich  nicht 
eher  als  hier  in  Oldenb.  verlassen. 

Nur  die  Gesellschaft  dieser  schätzbaren  Menschen  machte  es  mir  möglich,  das 
mir  so  theure  Jena  so  schnell  zu  verlassen.  Ohne  sie  —  wie  hätte  ich  es  ertragen 
können,  dessen  Bewohner,  die  mich  mit  Freundschaft  überhäuft  hatten,  besonders 
Fichte,  der  ganz  wie  Ihr  verewigter  Bruder  mein  Freund  war,  in  dessen  Hause,  auf 
dessen  Studirstube  ich   mich  wie   zu  Hause  fühlte  —  auf  immer  zu   verlassen.  — 

In  4  Kutschen  eingepackt,  reiseten  wir  schon  am  25.  März  mit  Fichte  zugleich 
ab.  Er  wollte,  die  ersten  Wochen  wenigstens,  auch  abwesend  sein,  und  nachdem 
er  mich  aus  seinem  Hause  in  den  Wagen  geführt  hatte,  stieg  er  mit  Frau  und  Kind 
zugleich  ein,  nahm  einen  andern  Weg  und  wir  sahen  uns  nicht  wieder.  Mit 
11  Personen  machte  ich  also  die  Reise  bis  Göttingen,  und  in  noch  grösserer  Gesell- 
schaft bis  Cassel,  wo  wir  uns  endlich  trennen  mussten.  Ausser  meinem  Freunde  [Steck], 
der  erster  Reg.-Secretär  in  Bern  ist  und  noch  5  Monate  in  Paris  zubringen  und  mit 
mir  über  Oldenburg  und  darnach  über  Holland  dahin  gehen  wollte,  blieb  mir  noch 
ein  Hr.  v.  Fircks  und  ein  Hamburger  [Gries],  der  seinem  Vetter,  einem  Rathsherrn  da- 
selbst, die  Visite  machen  sollte.  Die  Andern  alle  gingen  mit  meinem  Sohne,  der  nach 
unserer  Abrede  zuerst  Widersprecher's  Friderike  bei  Frankfurt  und  dann  Ihren  Hrn. 
Bruder  in  Stuttgart  besuchen  wollte,  welches  aber  wegen  der  Eile  seiner  Freunde 
(die  am  Ostertage  in  Schaffhausen  sein  mussten)  —  nicht  möglich  gewesen.  Er 
schreibt:  ,,In  Stuttgart  war  es  mir  nur  erlaubt,  das  Schloss  Hohenheim  zu  sehen 
und  darin  die  trefflichsten,  mannigfaltigen  Verzierungen  zu  bewundern.  —  In 
Tübingen  kamen  wir  um  Mitternacht  an  und  fuhren  am  frühen  Morgen  weiter 
u.  s.  w.u  Ueberhaupt  war  die  ganze  Reise  zu  schnell,  zu  früh  —  alle  hatten  Kopf 
und  Herz  zu  voll,  als  dass  einer  davon  grossen  Nutzen  hätte  haben  können.  Mein 
Sohn  schreibt  aus  Bern:  ,,Die  Notizen,  die  mein  Gedächtniss  mir  davon  darbietet, 
sind  sehr  dürftig,  da  mir  hier  jeder  Tag  interessanter  ist,  als  die  ganze  träge  Flucht 
von  Cassel  bis  Schaffhausen.  Hier  ist  mir  die  Lust  zum  Reisen  beinahe  vergangen. 
Märchligen  besonders  liegt  so  schön,  dass  ich  es  immer  ungern  verlasse;  ich  habe 
zwar  in  Böhmen  und  in  der  Schweiz  sehr  interessante  Plätze,  aber  keinen  gesehen, 
den  ich  geradezu  mit  meiner  Wohnung  vertauschen  möchte.  Am  Abhänge,  neben 
der  Aar,  sehe  ich  rechts  über  Bern  den  Jura,  links  die  Jungfrau,  das  Schreckhorn, 
Wetterhorn  u.  s.  w.     Ueberhaupt   zweifle  ich,  dass  mein  Schicksal  mich  je  wieder 


Oktober  1797.  73 

in  eine  so  angenehme  äussere  Lage  versetzen  könne,  als  die  jetzige  ist  u.  s.  w."  So 
klingen  noch  immer  alle  Briefe,  und  in  allen  bekomme  ich  einen  Dank  von  allen 
Seiten  her,  dass  ich  diese  Menschen  miteinander  vereiniget  habe.  An  Rist  habe  ich 
neulich  einen  Brief  von  unserm  Böhlendorf  geschickt;  ob  er  wohl  denselben  er- 
halten hat?  Ich  wusste  seine  Adresse  nicht  recht,  sonst  hätte  ich  ihm  dabei  ge- 
schrieben, dass  Böhlendorf  jetzt  in  Italien  ist;  dass  er  in  Bern  eine  Hauslehrerstelle 
angenommen  hat,  und  dass  im  November  alle  Freunde,  auch  Steck  aus  Paris,  dort 
beisammen  sein  werden.  Durch  diesen  Steck  und  Böhlendorf  gehört  Rist  schon 
lange  zu  meinen  besten  Freunden.  Ich  wollte,  er  wüsste  das,  so  wie  Sie,  mein 
theurer  Freund,  längst  von  dieser  meiner  Gesinnung  gegen  Sie  überzeugt  sind. 
Ganz  und  immer  die  Ihrige  Herbart. 

03.    E.  v.  Berger  an  Herbart.1)  6  Oct.  1797. 

Lieber  Herbart,  ich  bin  in  Jena,  wo  wir  zusammen  waren.  Beim  Anblick 
dieser  Berge  dachte  ich  der  Stunden,  da  wir  und  viele  Freunde  Arm  in  Arm  mit 
einander  giengen,  und  durch  freies  und  trauliches  Gespräch  unsere  Geister  erhellten, 
dass  die  ewige  Natur  reiner  und  mehr  sie  selbst  in  ihnen  wäre.  Denn  das  ist  das 
Wort  des  Freundes  zum  Freunde:  ein  reiner  und  ewig  lebender  Gesang,  aus  dem 
die  Schöpfung  heller  und  immer  heller  emporsteigt  vor  unseren  Blikken. 

Schon  in  Saalfeld  begegneten  uns  wandernde  Musensöhne,  meine  Landsleute 
von  den  Ufern  der  Nordsee  und  Ostsee.  Mir  klopfte  das  Herz,  und  ich  gieng  lange 
um  sie  herum  und  meine  Seele  fragte  sie  im  Stillen,  ob  man  immer  an  den  Ufern 
der  Saale  noch  die  Musen  und  Grazien  verehre.  Dann  erkundigte  ich  mich  nach 
Schildner.  Er  sei  in  Schwarzburg,  hiess  es,  und  ich  gieng  nun  mit  Ihnen  dorthin. 
Erinnerst  Du  dich  noch,  Herbart,  unsers  Abschiedes  in  Schwarzburg  und  Saalfeld 
und  denkst  Du  Dir  meine  Freude,  hier  wieder  durch  lebendige  Wesen  an  jene  Zeit 
erinnert  zu  werden  ?  —  Schildner  kam  mir  entgegen  als  ein  kraftvoller  treuer  Jüngling. 
Wir  blieben  Anderthalb  Tage  mit  einander,  und  erkannten  uns  gerne  und  voll  Ver- 
trauen in  Muhrbecks  mildem  hellem  Geiste.  Hülsen,  der  nach  Jena  vorangegangen 
war,  fand  ich  hier  wieder  —  aber  so  eben  verlässt  er  mich  und  geht  mit  Fichte 
nach  Leipzig  um  Schelling  kennen  zu  lernen,  um  die  Messe  zu  sehen  und  einen 
Elephanten,  der  nicht  blos  Elephant  sondern  noch  dazu  ein  grosser  seyn  soll.  Ich 
folge  ihnen  in  wenig  Tagen  und  erwarte  unterdessen  Geies,  der  nach  Dessau  ist. 
Es  verlautet,  im  Schillerschen  Dichterchor  werde  für  das  Jahr  1798  auch  seine 
Stimme  zu  hören  seyn.  —  Bis  Gries  ankömmt  werde  ich  meist  mit  Möller  seyn,  der 
jetzt  mehr  Geistesruhe  zu  besitzen  scheint  und  an  den  ich  durch  ein  gewisses 
mystisches  Band  geknüpft  bin.  Man  soll  sich  nie  scheuen  mit  Menschen  zu  seyn, 
und  wenn  sie  uns  auch  noch  so  sehr  beunruhigen.  Jeder  muss  sich  sagen:  ich  bin 
mit  jedem  verknüpft,  und  ich  soll  stark  genug  seyn  dies  zu  wissen  und  so  viel  ich 
kann  diese  Verbindung  mit  jedem  Tage  fester  zu  schliessen. 

Hier,  lieber  Herbart,  übergebe  ich  Dir  einen  Brief  für  meine  Freundin  in  Bern, 
den  ich  Dich  selbst  wenigstens  ins  Haus  zu  bringen  bitte.  Da  Du  den  Winter  in 
der  Stadt  bist,  werde  ich  Dich  bitten  öfter  unser  Vermittler  zu  seyn.  Ich  weis  Du 
wirst  das  gerne  noch  auf  andre  und  bessere  Art  seyn  wollen.  —  Wenn  ich  nicht 
meinem  Vater  versprochen  hätte,  bald  zurückzukehren,  würde  ich  vielleicht  hier  in 
Jena  bleiben  und  mit  Hufeland  über  die  Lebenskraft  philosophiren.  So  aber  gehe 
ich  weiter;  aber  fleissig  will  ich  seyn,  darauf  verlasse  Dich  —  auf  irgend  eine  Art. 

l)  4  S.  4°.     H.  Wien.     Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  pp. 


•ja  Oktober,   November   1797. 


Hülsen  Lojiimt  vielleicht  im  Winter  wieder  hieher.  Fichte  bittet  ihn  sehr  darum, 
und  fragt  uns  beide  nach  Manuscripten.  Seine  Deduktion  der  Ehe  ist  doch  so  ganz 
schlimm  nicht  dünkt  mich,  wenn  man  das  unwesentliche  absondert,  und  er  sprach 
gestern  von  der  künftigen  Erziehung  seines  Immanuel  Hermanns1),  wie  ich  es 
kaum  erwartet  hätte. 

Eschen  ist  auch  abwesend.     Ott  werde  ich  heute  aufsuchen. 

Schellings  Ideen  zu  einer  Philos.  der  Natur  werden  von  Fichte  sehr  gerühmt. 
Er  macht  es  von  Jahre  zu  Jahre  besser,  sagt  er,  nur  in  die  eigentliche  Synthetik 
sey  er  nicht  sehr  tief  eingedrungen.  —  Was  Synthetik  nun  ist,  bekenne  ich  nicht  recht 
zu  wissen.  —  Ich  erwarte  für  die  Bedürfnisse  meines  einfältigen  Geistes  von  den 
Deutschen  Philosophen  wenig,  so  lange  sie  noch  Griechisch  sprechen.  Ein  griechischer 
Philosoph  —  der  konnte  freilich  Griechisch  sprechen. 

Nicht  wahr,  lieber  Herbart,  Du  schreibst  mir  diesen  "Winter  lange  Briefe  über 
Mathematik  und  Naturlehre.  Ich  will  Dir  wenigstens  schreiben,  wie  ich  es  mache, 
um  hineinzukommen. 

Von  Zürich  aus  sind  wir  sehr  schnell  gereist  und  haben  wenig  anders  gesehen 
als  die  Figuren  im  Innern  des  Postwagens.  Aber  dieser  wandernde  und  abwechselnde 
Mikrokosmus  wrar  auch  seines  Beobachtens  werth,  und  ich  habe  von  Zürich  bis  Saal- 
feld folgende  bürgerliche  Schauspiele  verfertiget:  Die  Savoyarderin  —  Die  Metzgers- 
tochter aus  Rheinfelden  —  D.  Schwäbische  Bandeisdiener  —  Die  beiden  Kellner 
(Marqueurs) ;  —  Die  Amazonin.  Die  Scene  ist  d.  Postkutschen.  Mache  doch  Boehlen- 
dorff  im  voraus  auf  diese  neuen  dramatischen  Produkte  aufmerksam.  Bei  Hülsen 
werde  ich  Müsse  finden,  an  Boehlendorf,  Muhrbeck  und  an  die  Freunde  Steck  und 
Fischer  zu  schreiben.   Daß  keiner  unter  Euch  mich  vergesse !  Lebe  wohl.  Dein  treuer 

E.  Berger. 

64.  Steck  an  Fischer  in  Thaiheim.    Bern.    (Antwort  auf  einen  Brief  desselben 

vom  15.  Oktober  1797.) 

„Wie  Du  es  verlangst,  mein  Theurer,  nur  ein  Wort  des  Empfangs,  aber  auch 
des  Dankes  für  Deinen  langen  trefflichen  Brief:  wir  haben  ihn  gestern  zusammen 
gelesen,  Z[ehender],  Herbart  und  ich,  freuen  uns  in  der  Hauptsache  eines  Sinnes 
mit  Dir  zu  seyn.u 

65.  C.  Otth  an  Steck.  Jena,  27.  Okt.  1797. 

„Seit  gestern  ist  Eschen  von  Giebichenstein  zurück,  wo  er  die  Ferien  bei 
Reichardt  zugebracht  hat;  ich  übergab  ihm  alsobald  den  Brief  von  Herbart,  welcher 
den  Antrag  einer  Lehrerstelle  bei  Hrn.  von  Wattenwyl  von  Montbenay  enthält .  .  . 
Am  nächsten  Posttage  wird  er  an  Herbart  schreiben  .  .  ."■ 

W.:  4.  Nov.    1797.     Erster  Bericht  an  Herrn  von  Steiger.     S.  Bd.  I.     S.  40 — 51. 

66.  Steck  an  Fischer.  Bern,  14.  Nov.  1797. 

„Ich  habe  Herbart  einige  Mahle  gesehen,  Lange  nur  einmal,  Cantzleygeschäfte 
u.  Besuche  nahmen  meiue  ganze  Muße  .  .  .*' 

W.:;  Nov.    1797.     Gebete  für  die  Steigerschen  Knaben.     S.  Bd.  I.     S.  71  —  74. 


l)  Fichte  der  Sohn,  geb.  18.  Juli  1796. 


Dezember  1797.  75 


67.     Böhlendorff  an  Steck.  Bern,  30.  Dez.  1797. 

„Darauf  gingen  wir  [Fischer  u.  Böhlendorff]  zu  Herbart,  wo  wir  vielerlei  an- 
knüpften, besonders  über  Berger  .  .  .  Herbart  fand  ich  neukräftig  u.  wie  ich  ihn 
wünschte,  u.  mehr  als  ich  hoffte  fand  ich  noch  als  wir  heute  Morgen  etliche  Stunden 
allein  in  traulichen  Wechselgespräch  Seel  in  Seele  ergoßen.  Du  nun  noch  bey  uns,  riefen 
wir  miteinander!  Die  Stunden  flohen  unendlich  schnell.  Wir  waren  glücklich  u.  — 
schieden.  Fischer  u.  Muhrbeck  sind  den  Morgen  nach  Höchstetten  gegangen."  — 
.  .  .  „Dies  ist  mein  erster  Tag  in  Bern.  Wir  haben,  Herbart  u.  ich,  viel  gesprochen 
von  dem  thätigen  Leben,  das  wir  mit  u.  durcheinander  führen  wollen,  u.  der  Ent- 
wurf desselben  beschäftigt  mich  noch  iezt." 


1798. 


W.:  ,,Über  philosophisches  Wissen  u.  philosophisches  Studium."    S.  Bd.  I.    S.  84 — 95. 
(1798  u.    1799  hat  H.  bereits  die  Grundgedanken  seiner  Metaphysik  festgestellt. 

S.  Bd.  I.     S.  LVIII.) 

68.    J    G-  Fichte  an  H.1)  Jena,  1.  Januar  1798. 

Da  Sie,  mein  würdiger  Freund,  mit  meiner  Lage  näher  bekannt  sind,  so  er- 
warte  ich  um  desto  eher  Ihre  Verzeihung  wegen  der  so  lange  verzögerten  Beant- 
wortung Ihres  Briefes.  Es  wird  mir  immer  unmöglicher,  aus  den  Ferien  eine  Zeile 
an  meine  Freunde  zu  schreiben. 

Mit  innigstem  Vergnügen  habe  ich  durch  Ihre  Frau  Mutter,  und  durch  Ihre 
Freunde,  die  Fortdauer  Ihrer  vollkommensten  Zufriedenheit  mit  Ihrer  Lage,  und  die 
Schilderung  Ihres  geistigen  Zustandes  erhalten.  (Das  Letztere  besonders  durch  die 
Letzteren.) 

Ich  glaube,  dass  die  Lage,  in  die  Sie  versetzt  worden,  die  zweckmässigste  für 
die  Ausbildung  Ihres,  der  vollständigsten  Ausdildung  so  würdigen  Ganzen  war;  und 
freue  mich,  dass  ||  alles  sich  vereinigen  musste,  um  Sie  in  dieselbe  zu  bringen. 

Dass  Reinhold  ganz  zu  meinem  System  übergetreten,  wie  es  die  Kantianer 
nennen,  wird  Ihnen  wohl  bekannt  seyn.  Er  hat  eine  Recension  meiner  Schriften 
an  die  L.  Z.  eingesandt,  die  ohne  Zweifel  in  diesen  Tagen  wird  ausgegeben  werden. 
—  Seine  Briefe  an  mich  sind  sehr  verständig,  und  ich  erwarte  von  ihm  allerdings 
viel;  wenigstens  vor's  erste.  Ob  er  nicht  späterhin  wieder  auf  eine  Missdeutung 
geräth,  wie  viele,  die  ihn  genau  kennen  wollen,  befürchten,  muss  man  von  der  Zeit 
erwarten. 

Meine  Sittenlehre  wird  soeben  abgedruckt.  Ich  lege  die  Subscriptions-Ankündi- 
gung  bei,  wenn  etwa  unter  Ihren  Bekannten  welche  wären,  die  zu  subscribieren 
gedächten.  || 

Künftigen  Sommer  werde  ich  nicht  lesen,  sondern  ihn  auf  dem  Lande  zu- 
bringen, und  ein  populäres  Buch  über  die  gesammte  Philosophie  ausarbeiten.  Es 
scheint  mir,  dass  so  etwas  dem  Zeitalter  höchst  nöthig  ist. 

Sie  erhalten  ohne  Zweifel  Briefe  von  Jena;  ich  schreibe  Ihnen  daher  keine 
Neuigkeiten. 

Meine  Frau  ist  wohl  und  grüsst  Sie  herzlich.    Der  Kleine  lebt  und  gedeiht. 

Erhalten  Sie  mir  Ihr  Andenken.     Der  Ihrige  Fichte. 

Meine  herzlichsten  Grüsse  an  Steck  und  Fischer.  Ich  bin  so  frei,  einen  Brief 
an  Muhrbeck  beizulegen.  Man  hat  mir  seine  Adresse  gegeben,  aber  es  würde  mir 
Zeit  nehmen,  sie  erst  zu  suchen.  Berger  lebt  in  Jena,  imd  studirt  Chemie,  Ana- 
tomie, Mathematik.     Von  Hülsen,  der  in  der  Mark  ist  hören  wir  nichts. 

*)  3  S.  8°.     H.  AVien.     Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  pp. 


Januar   1798.  yy 

W.:  Januar.     Zweiter  Bericht  an  Herrn  von  Steiger.     S.  Bd.  I.     S.  51  —  57. 

69.     All    V.    Halem.  Bern  am   28sten  Jänner   1798. 

So  gut  es  gehn  will,  suche  ich  mich  aus  der  allgemeinen  Unruhe, 
die  mich  umgiebt  und  ergreift,  zu  sammeln;  um  dem  Briefe  an  meine 
Eltern  die  Versicherung  beyzulegen,  dass  ich  mit  immer  gleicher  Ver- 
ehrung, Dankbarkeit  und  Liebe  Ihr  Andenken  bewahre.  Ueber  mein 
seltnes  Schreiben  hoffe  ich  von  Ihnen  auch  diesmal  ein  mildes  Urtheil; 
ich  zeige  mich  selten,  weil  ich  noch  so  sehr  wenig  zu  zeigen  habe;  doch 
schmeichle  ich  mir,  dass  meine  stille  Arbeit  an  dem  Grunde  des  Baues, 
den  ich  in  mir  aufführen  möchte,  mich  einst  der  Güte  würdiger  machen 
wird,  mit  welcher  Sie  mir  zuvorkamen. 

Weder  vor  der  grossen  Natur,  noch  vor  der  Arbeit  die  ich  hier  ge- 
funden habe,  kann  in  mir  das  Bedürfniss  derjenigen  Philosophie  verstum- 
men, die  ich  suchte,  und  zu  der  ich  den  Eingang  gefunden  zu  haben 
glaube.  So  oft  ich  staunend  zurückkehre  von  dem  Anblick,  wie  hier  die 
Natur  die  äussersten  Enden  des  Schönen  und  Erhabenen  in  Ein  Unnenn- 
bares verwebt  hat  —  so  oft  die  Pflicht  von  mir  heischt,  ich  solle  mit 
Lehre  und  Empfindung  in  die  Tiefe  menschlicher  Herzen  eindringen: 
fühle  ich  mich  gewaltiger  hingerissen  gegen  die  unbekannte  Einheit  ausser 
mir,  die  alles  das  zusammenhält  und  belebt,  und  die  unbekannte  Kraft  in 
mir  und  andern,  die  es  im  Bilde  zusammenfasst,  und  dem  Bilde  selbst 
Sinn  und  Bedeutung  giebt.  Es  dünkt  mich  ein  gutes  Zeichen  für  meine 
Idee  der  Wissenschaftslehre,  dass  sie  sich  allenthalben  wieder  aufdringt. 
Von  Fichte's  bisherigen  Ausführungen  gestehe  ich,  dass  sie  mir  oft  nur 
durch  den  Contrast  das  Ideal  zu  erheben  scheinen.  In  seinem  Natur- 
rechte kann  ich  nicht  über  die  ersten  Seiten  hinweg,  denn  schon  hier 
glaube  ich  sehr  wichtige  Untersuchungen  übersehen.  Was  Sie  mir  über 
die  Ephoren  sagen,  leuchtet  mir  sehr  ein;  aber  aus  diesen  und  andern 
Gründen,  möchte  ich  vermuthen,  dass  das  Natur-  und  Staatsrecht  nie 
eine  abgesonderte,  in  sich  vollendete  Wissenschaft  werden,  und  dass  unter 
einem  Volke  nie  das  Recht  ohne  die  Sitte  fortschreiten  könne.  Betrachte 
ich  dann  das  langsame  Fortschreiten  der  Sitte  bey  meinen  Knaben,  und 
die  grosse  Sorgfalt  der  Erziehung,  deren  es  bedarf,  um  dem  Schritte  nur 
einige  Sicherheit  [zu]  geben,  so  kann  ich  von  grossen  Staatsreformen  oder 
Revolutionen,  durch  die  man  den  Zustand  des  Rechts  plötzlich  herbey- 
zuführen  hofft,  nur  sehr  wenig  erwarten.  Ich  sehe  hier  immer  nur  das 
Schicksal;  und  wirklich  fürchte  ich  nur  zu  sehr,  es  in  wenigen  Tagen  mit 
meinen  leiblichen  Augen  in  seiner  ganzen  schrecklichen  Gestalt  hier  zu 
sehen.  Das  pays  de  Vaud  hat  sich  losgerissen;  die  Regierung  lässt 
Volksrepräsentanten  wählen.  In  diesem  Augenblick  höre  ich  Trommeln 
und  Kriegsmusik  hier  durch  die  Strassen  ziehn,  an  die  ich  schon  lange 
so  gewöhnt  bin,  dass  ich  nicht  mehr  darum  aufstehe.  Meine  Sachen  habe 
ich  einpacken  müssen,  damit  wir  —  die  Frau  und  ich  mit  den  Jüngern 
Kindern,  bey  dem  täglich  befürchteten  Einfalle  der  Franzosen,  gleich  nach 
dem  Oberlande  hin  aufbrechen  können.  Es  wäre  wol  gewiss  nicht  dahin 
gekommen,  wenn  es  nicht  im  Rathe  an  Einigkeit  gefehlt  hätte.  Aber 
eine  Parthie  widersetzte  sich  schnellen  politischen  Veränderungen,  die  andre 


7 8  Januar   1798. 

strengen  Maassregeln.  Die  letztern  soll  das  Volk  im  Deutschen  Theil  des 
Cantons  eifrig  gewünscht  haben,  und  durch  die  Lässigkeit  der  Regierung 
nun  auch  aufgebracht  seyn.  Soweit  ich  den  Geist  der  letztern  bisher 
kennen  lernte,  musste  ich  sie  hochschätzen,  wobey  mich  vielleicht  die 
Hochachtung  für  den  einen  trefflichen  Mann,  in  dessen  Hause  ich  wohne, 
nicht  ganz  unbefangen  urtheilen  Hess.  Hier  hoffte  ich  mehr  als  irgendwo 
sonst,  auf  langsame  Verbesserung;  jetzt  sehe  ich  mit  tiefem  Schmerz  dem 
Umsturz  einer  Verfassung  entgegen,  die  selbst  durch  eine  viel  bessere 
schwerlich  ersetzt  werden  möchte,  wenn  nicht  auch  der  Geist  der  Ver- 
waltung  auf  diese  überginge.  —  Was  bleibt  dem  fremden  Zuschauer 
übrig,  als  sich  auf  den  Gesichtspunct  zu  erheben,  aus  welchem  wir  die 
Staatsumwälzungen  voriger  Jahrhunderte  betrachten?  Wie  sehr  wünschte  ich 
jetzt,  die  Muse  der  Geschichte  hätte  mir  längst  die  Augen  geöffnet,  um 
das  ganze  grosse  Schauspiel  in  allen  seinen  Beziehungen  mit  der  Vorwelt 
betrachten  zu  können.  Wie  ganz  anders  würden  Sie  an  meinem  Platze 
beobachten ! 

Von  der  Schweiz  habe  ich  noch  wenig  gesehn.  In  Zürich  habe  ich 
weder  Lavatern  noch  Hirzeln  gesehn.  Mit  dem  ehrwürdigen  Pestalozzi 
führte  mich  ein  Zufall  zusammen.  Ich  scheue  mich,  Gelehrte  zu  be- 
lästigen, die  ich  noch  nicht  genug  aus  ihren  Schriften  schätzen  lernte,  und 
denen  ich  nicht  unmittelbar  Belehrungen  abfragen  kann.  —  Auf  der 
Brücke  am  Rheinfall  freute  ich  mich,  dass  Sie  auch  da  gestanden  und 
gestaunt  hatten.  Am  Reichenbach  führte  mich  ein  gutmüthiger  Bauer 
denselben  Weg  herab,  den  HE.  Schütz  Sie  herauf  klimmen  hiess. 
Künftigen  Sommer  hoffe  ich  die  Grimsel  oder  den  Gotthard  zu  sehn  — 
wenn  HE.  Landvogt  Steiger  dann  noch  daran  denken  kann,  mich  und 
seinen  Sohn  reisen   zu  lassen. 

Wie  glücklich  wäre  ich,  wenn  Sie  mir  selbst  sagen  wollten,  dass  Sie 
dies  flüchtige  Blatt  verziehen  haben  Ihrem  gehorsamen 

Herbart. 

70.     An  Langreuter.     (Bruchstück.)1)  Am  28.  Jänner  (1798?). 

—  —  Meine  Kleinen  freuen  sich  gar  sehr  in  diesem  Augenblicke, 
zu  hören,  dass  ich  ins  Vossische  Haus  schreibe2)  und  mein  Freund 
Eschen  lehrte  mich  ihn  (d.  i.  Voss)  in  aller  Rücksicht  einstimmig  mit 
Ihnen  schätzen.  Künftigen  Winter  habe  ich  Hoffnung,  durch  Eschen  auch 
einen  kleinen  Antheil  an  dem  Reichthum  seiner  Gelehrsamkeit  zu  be- 
kommen; denn  ich  bin  so  glücklich,  diesen  meinen  Freund  hierher  führen 
zu  können.  Ein  Freund  des  Hrn.  Landv.  Steiger  Hess  sich  bei  mir  er- 
kundigen, ob  einer  meiner  Bekannten  Lust  zu  einer  Hauslehrerstelle  hätte; 
und  da  war  die  Befriedigung  von  Eschen's  Wunsch  gefunden. 

Der  Brief  an  meine  Eltern,  dem  ich  diesen  beifüge,  ward  durch 
mancherlei    Umstände    aufgehalten    —    um    ihn    nicht    länger   hinzulegen, 

1)  Text  nach  Ziller,  Reliquien,  hier  aber  auf  fr.  Rat  des  Hrn.  Prof.  Dr.  Steck 
in  Bern  statt  ins  Jahr  1799  ins  Jahr  1798  verlegt.  Das  Postscript  von  Heibarts 
Mutter  gehört  nach  derselben  Quelle  in  den  März   1798. 

2)  Hier  (bei  Voss  in  Eutin)  hielt  sich  Langreuter  auf. 


Februar   1798.  yn 

schliesse  ich  lieber  gleich,  mit  der  Bitte  um  fernere  unveränderliche 
Freundschaft  für  Ihren  Herbart. 

(Postscript  der  Mutter  Herbart's.) 

—  —  Sie,  mein  lieber  Freund,  wissen  es  schon,  dass  mein  Sohn  als  ein  echter 
Deutscher  da  Monate  braucht,  wo  uns  Tage  ausreichen.  Nehmen  Sie  so  vorlieb.  — 
—  Wissen  Sie  nicht,  wann  und  wie  Eschen  nach  Bern  geht?  Ob  ich  ihm  wohl  ein 
Päckchen  mitgeben  könnte?  —  Mein  Sohn  ist  jetzt  in  Interlaken  mit  den  Kleinen 
und  der  Frau  v.  Steiger.     Sein  ältester  Zögling  dient  als  ein  stattlicher  Held  gegen 

die  Franzosen,  hoffentlich  nicht  lange.     Der  Vater,  ein  Mann  wie  G  — J)  ist 

jetzt  wahrscheinlich  abgesetzt  und  mein  Freund  Steck  dazu.  Gut,  dass  die  Herren 
Vermögen  haben. 

71.  Hörn  an  Srnidt  Baden  in  der  Schweitz  den  15.  Februar  98. 

(Fortgesetzt  Rastadt  den  4.  März.) 

—  —  Am  12.  reiste  ich  über  Aarberg  nach  Bern,  wo  ich  allenthalben  Berner 
Truppen  fand.  Mit  vieler  Mühe  fand  ich  denselben  Abend  noch  Herbarts  Quartier 
aus.  Er  saß  noch  am  Tisch,  ich  ließ  mich  aber  gleich  auf  seine  Stube  bringen  u. 
legte  mich  auf  das  Sopha.  Er  kam  ganz  verlegen  in  die  Stube,  bis  er  mich  endlich 
erkannte.  "Wir  gingen  gleich  noch  zu  Muhrbeck  den  ich  gern  kennen  lernen  wollte. 
Herbart  mußte  vor  10  Uhr  im  Hause  sein,  ich  blieb  aber  bis  gegen  12  Uhr  noch 
bei  Muhrbeck.  Das  Gespräch  über  unsere  gemeinschaftliche  Freunde  vereinigte  ans 
bald  und  seine  Bekanntschaft  ist  mir  der  liebste  Gewinn  meiner  Reise.  Am  andern 
Morgen  tranken  Herbart,  Muhrbeck  und  Böhlendorf  bey  mir,  u.  wir  waren  fast  den 
ganzen  Tag  u.  sehr  vergnügt  beysammen.  Ich  lernte  auch  Böhlendorf  genauer 
kennen,  u.  gestehe  in  meinem  Urtheil  über  ihn  voreilig  gewesen  zu  seyn.  Lange 
sprach  ich  nur  kurz,  weil  er  sich  auch  zur  Abreise  nach  Jena  anschickte,  er  konnte 
sich  nur  eines  halben  Tages  willen  nicht  entschließen,  mit  mir  bis  Schaffhausen  zu 
reisen.  —  —  Herbart  hat  mir  recht  wohl  gefallen,  wenn  wir  uns  schon  in  der 
kurzen  Zeit  ziemlich  herumdisputirt  haben.  Der  Weg,  den  er  geht,  mag  vielleicht 
nicht  ganz  der  richtige  seyn,  aber  er  läuft  doch  wenigstens  in  einer  kleinen  Ent- 
fernung von  ihm  parallel,  u.  in  Muhrbecks  u,  Böhlendorfs  Gesellschaft  wird  [er]  sich 
nicht  weiter  davon  entfernen,  sondern  vielleicht  noch  unmerklich  näher  gezogen 
werden.  Über  Berger  urtheilt  er  gewiß  zu  hart  —  Du  weißt  vielleicht  noch  nicht, 
daß  dem  Anschein  nach  Bergers  Verhältnisse  abgebrochen  sind;  —  wenigstens  ist 
in  Bern  ein  Brief  von  ihm,  der  von  einem  deutlicheren  von  Hülsen  begleitet  warT 
so  ausgelegt.  Der  Anblick  eines  solchen  Schwankens  von  solchen  Menschen  könnte 
einen  der  Herbartschen  Consequenz  geneigter  machen.  —  — 

72.  An  meinen  theuren  Smidt.2)  Bern-   Ende  Februars  1798. 
Die  schönste  Stunde    rief   mich   heraus,    aus   Mauern    und  Thor;    die 

Stunde,  wann  am  scheidenden  Sonnenstrahl  das  Licht  der  Nacht  erglimmt. 
Du  sahst  das  Schauspiel,  Bester.  Heute  sandte  Helios  so  rein,  wie 
jemals,  den  himmlischen  Purpur,  womit  er  dann  das  Diadem  des  Ersten 
unter  den  Staaten  der  Schweiz  zu  schmücken  pflegt.  Der  Geist  der 
Kraft  ist  wieder  erwacht  in  diesem  Lande;   die  Natur  freute  sich  mit  mir 

1)  Ausgerissen. 

2)  4  S.  4°.  Smidt  hatte  sich  am  I.  Jan.  1798  mit  Wilhelmine  Rohde  verheiratet. 
S.  Johann  Smidt.  Ein  Gedenkbuch  pp.  Bremen  1873.  S.  5.  Über  seine  Reise  in 
die  Schweiz,  ebenda  S.  66  ff. 


So  Februar   1798. 

darüber.  Meine  frommen  Wünsche  erhoben  sich  zu  der  blauen  Höhe, 
und  mein  Dank,  dass  ich  mit  leiden  oder  mit  triumphiren  darf.  Ich 
fühlte  mich  sehr  glücklich  hier  auf  diesem  Boden. 

Du  lächelst,  und  neidest  mich  nicht;  —  denn  Du  ruhst  im  Arm  der 
Liebe.  —  Schalk!  Ich  bin  vor  dem  Hause  vorübergegangen,  wo  ich  Dir 
eine  lange  Rede  hielt;  ich  wollte  Dich  halten;  ich  griff  in  die  Luft,  denn 
Amor  hatte  Dich  ganz;  und  Du  liessest  nichts  merken  und  lachtest 
innerlich. 

Deine  Hand,  Theurer!  Ich  freue  mich  mit  Dir.  Alles  Schöne  und 
Herrliche,  was  mir  dies  fremde  Land  giebt  und  verheisst,  und  Mehr  als 
das,  gebe  Dir  die  Vaterstadt  und  die  Liebe.  Glaubst  Du  einen  Augen- 
blick, der  Glückwunsch  eines  Profanen  sey  kalt,  so  erinnere  Dich,  dass 
er  von  einem  Freunde  kommt.  Ich  träume  mich  hin  an  den  Strand  der 
Weser;  zwar  in  den  Zauberkreis  Deiner  Seligkeit  wird  mein  Gefühl  nicht 
eingelassen,  aber  ich  sehe  Dich  doch,  Deine  Miene  [2]  so  mild,  so  heiter, 
fast  scherzend,  und  doch  so  tief  bewegt,  und  voll  befriedigter  Ahndung  — 
die  Gefährtin  Deines  Lebens  ruht  in  Deinem  Arm;  sie  heisst  mich  sitzen, 
und  Du  dankst  ihr,  dass  sie  Deinem  Freunde  gefällig  ist,  —  ich  sitze 
vor  Euch;  betrachtend,  bescheiden  und  still.  —  Auch  unter  Deine  Zu- 
hörer setze  ich  mich  gern,  —  doch  ich  weiss  nicht  recht  was  ich  da 
höre,  wir  haben  uns  zu  lange  nichts  mitgetheilt,  als  dass  ich  Deine  Worte 
noch  im  Traume  vernehmen  könnte.  Es  kömmt  ja  wohl  eine  Zeit  wo 
Du  sie  mir  sagst;  und  was   Du  arbeitest,    das   ist   auch   für    mich    gethan. 

Willst  Du  mich  sehn,  so  siehst  Du  mich  in  meiner  Werkstätte.  Be- 
stäubt, schwitzend;  vielleicht  keuchend,  ermüdet,  —  doch  wieder  an- 
setzend, und  Etwas  fördernd.  Zuweilen  lege  ich  die  Arbeit  aus  der 
Hand,  sehe  gen   Himmel,  und  es  ist  mir  unbeschreiblich  wohl. 

Auch  hängt  manchmal  ein  Freund  an  meinem  Halse,  Sinn  und  Seele 
und  Herz  sind  Eins.  Danke,  danke  Böhlendorf  und  Muhrbeck,  sie  haupt- 
sächlich vertreten  mir  die  Stelle  vieler  Entfernten.  Fischer  und  Steck 
sind  jetzt  zu  sehr  Bürger,  und  nicht  ganz  so  wie  ich  ihr  Mitbürger  seyn 
möchte.  Darum  wankt  die  Freundschaft  nicht,  auch  das  Maass  des  Ge- 
nusses wird  sie  wieder  zu  füllen  wissen. 

Ich  studire  jetzt  Mathematik.  Immer  näher  komme  ich  den  wunder- 
vollen Linien,  welche  den  Gang  der  Sterne  bedeuten.  Freylich  bis  dahin 
muss  mir  noch  manches  geheimen  Zeichens  Sinn  [3]  offenbar  werden.  — 
Habe  ich  einmal  in  meiner  Werkstätte  etwas  fertig  gemacht,  das  ich  ein 
Abbild  meines  bessern  Selbst  nennen  darf,  dann  mache  ich  mich  frey, 
steige  auf  die  Häupter  der  Erde,  schaue  ins  Unermessliche,  mein  Auge 
zeichnet  am  Himmel  die  bekannten  Bahnen;  ohne  zu  schwanken,  ohne 
zu  sagen,  schwinge  ich  auf  und  fort  in  den  wirbelnden  Tanz  der  hal- 
lenden  Sphären. 

Flectere  si   —   queo  superos,   Acheronta  movebo. 

Oeffneten  sich  die  Wege  des  Himmels,  so  springen  wohl  auch  die 
Pforten  des  Orcus.  Ich  raube  vom  Feuer  der  Sonnen,  und  es  soll 
tagen  in  der  grausenden  Nacht  der  Geisterwelt.  Nicht  nur  in  ihre 
Schaaren  will  ich  mich  mischen;  die  scheinbar  nichtigen  Schatten 
sollen    ihr    Wesen    enthüllen;    die    Gabe    des    Prometheus    muss    sich    da 


März   1798.  8l 

wiederfinden.  —  Am  Styx  war  ich  schon;  aber  Charons  unwillige  Blicke 
trafen   mich;   er  will  Entkörperung ! 

Also  vor  allen  Dingen  Arbeit!  —  Ich  habe  in  den  letzten  Wochen 
gearbeitet,  dass  ich  mir  zuweilen  einbildete,  den  Kopf  zu  verlieren.  Thor- 
heit!  Es  schadet  nichts;  ich  bin  wieder  heiter  und  wohl.  Drum  nur 
wieder  hinunter  getaucht  in  den  gleichen  Strom.  Die  kälteste  Fluth  stärkt 
am  meisten.  Zwar  schauderts  einem  beym  Eintritt,  und  besonders,  wenns 
ans  Herz  geht;  aber  nur  hinein  mit  Herz  und  Kopf  zugleich!  Erstickt 
Dich  drunten  ein  böser  Dämon  —  wol;  es  kömmt  wol  noch  ein  andrer, 
der  glücklicher  ist  als  Du.  Erstehst  Du  aber,  dann  schnellt  Dich  die 
Feder  des  Lebens  zu  den  Gestirnen  empor.   [4] 

Indess  ich  mir  da  so  artige  Sachen  sage  über  das  kalte  Bad,  —  es 
ist  hier  auf  meinem  Zimmer  ganz  ordentlich  warm,  —  hinter  mir  hängen 
die  alten  Schweizerschlachten  in  schönen  goldnen  Rahmen,  und  drunter 
steht  mein  Sopha;  —  erträgt  mein  Ludwig  wirklich  die  Kälte  des  Winters 
und  der  Nacht.  Er  ist  im  Felde,  auf  dem  äussersten  Vorposten;  er 
sieht  den  Tod  und  zeigt  ihn.  Er  duldet  so  munter,  und  so  oft  für  andere 
die  Beschwerden  des  Dienstes,  dass  man  ihn  schon  einer  Reihe  unmuthiger 
Officiere  zum  Muster  aufgestellt  hat.  Er  ist  ein  Kerl,  und,  wollen  die 
Franzosen,  vielleicht  bald  ein  Held;  möchte  er  auch  ein  Mensch  werden! 
Dafür  will  ich  beten  und  arbeiten. 

Sonst  sehe  ich  hier  in  Bern  nicht  viel  mehr  als  die  schöne  Stadt, 
(über  deren  Anblick  ich  mich  jedesmal  freue,  und  deren  sichtbar  gleich 
vertheilter  Wohlstand  mich  immer  eine  Lobrede  auf  die  bisherige  Regie- 
rung dünkt,)  dann  die  Alpen,  und  die  Leute  im  Hause.  Für  Gesell- 
schaften habe  ich  weder  Lust  noch  Zeit.  —  Frau  Landvögtin  war  diesen 
Winter  gar  nicht  so  liebenswürdig,  wie  Du  sie  in  Märchligen  sähest. 
Weiblichkeit  und  schweizerischer  Patriotismus  waren  bey  ihr  in  Krieg  ge- 
rathen,  worin  bey  des  sich  gegenseitig  zu  Boden  warf.  Doch  sie  erhebt 
sich  wieder  an  ihrem  trefflichen  Manne,  der  die  Stärke  des  Hauses  und 
vieler  andern  Häuser  und  des  Staates  ist.  Doch  wenn  ich  von  ihm  an- 
fange,  so  bin  ich  in   Gefahr,    kein  Ende  zu  finden:    Drum  breche  ich  ab. 

Den  guten  Lange  scheint  die  blosse  Grille  eines  Polizeybeamten  ver- 
trieben zu  haben,  wenigstens  wussten  dessen  Collegen,  da  Lange's  Freunde 
sie  darüber  befragten,  ihm  nichts  bestimmtes  zur  Last  zu  legen.  Böhld., 
Muhrb.  u.  ich  haben  ihn  in  der  letzten  Zeit  wenig  gesehn.  Man  konnte 
nicht  recht  an  ihn  kommen,  weil  er  immer  seine  Blosse  versteckte.  Zu- 
letzt hat  er  unsern  gutgemeinten  Rath  freundschaftlichst  aufgenommen.  — 
Hörn  hat  uns  auf  einen  Tag  von  Rastatt  aus  besucht.  Ich  freute  mich 
sehr  ihn  wieder  zu  sehn;  freyl.  war  die  Zeit  zu  kurz,  um  auszusprechen. 
—   Bleibe  der  Freund  Deines   Freundes  Herbart. 

W.:  Frühling   1798.     Dritter  Bericht  an  Herrn  von  Steiger.     S.  Bd.  I.     S.  57 — 61. 

73.     Fischer  an  Steck  u    Zehender.  Höchstetten,  28  März  1798. 

Z[ehender],  ich  habe  den  Schreiber  Bühlmann  ersucht,  bei  Dir  nach  Papieren 
für  mich  zu  fragen;  ich  meynte  damit  den  Brief  an  Herbarts  Mutter,  den  ich  un- 
möglich missen  kann.  Unser  Freund  Muhrbeck  wird  denselben  schon  zur  Stelle 
schaffen. 

Herbarts  Werke.    XVI.  6 


82  April.  Juni   1798. 


74.  Herbarts  Mutter  an  Smidt.  Oldenburg  d.  Bten  Apr.  1798. 
Verzeihen  Sie,    höchstgeschätzter  Herr  Professor,   die   verzögerte  Antwort  auf 

Ihre  Fragen.  Unsere  Nachrichten  aus  Bern  gehn  nur  bis  zum  ersten  März,  als  dem 
Anfang  .des  unglücklichen  Krieges.  Mein  Sohn  schrieb  damals:  ich  eile  zur  Post, 
welche  wol  so  bald  nicht  wieder  gehen  dürfte,  und  dann  begleite  ich  die  Fr.  Ldvgtin 
u.  die  Kinder  nach  Interlaken.  Der  Brief  war  damals  über  Nürnberg  gegangen, 
enthielt  keine  veränderte  Adresse,  wol  aber  eine  dringende  Aufforderung  für  mich, 
zum  schreiben;   ich  denke  also   die   bisherige:    bey  HEn.  Steiger  von  Interlaken   in 

Bern,  werde  auch  noch  die  sicherste  seyn. 

Eben  kömmt  ein  Brief  von  Böhlendorf.  Der  Arme!  er  muß  fort  vielleicht 
kömmt  er  uns  näher.  Ein  schrecklicher  Verlust  für  meinen  Sohu!  Dieser  ist  wieder 
in  Bern,  er  wird  Ihren  Brief  sicher  erhalten. 

—  —  Mein  kranker  Mann  empfiehlt  sich  mit  Ihrer  ergebenen 

Herbart. 

75.  Herbarts  Mutter  an  Smidt.  Oldenburg  d.  3.  Juni  1798. 

—  —  —  Mein  Sohn  fährt  fort,  seinen  L[an]dv[o]gt  zu  bedauern  u.  zu  ver- 
göttern. Alle  seine  Briete  sind  voll  von  dem  Glück  mit  ihm  leiden  zu  können. 
,. Steigers  Präzeptor  ist  ein  Titel  der  mir  allenthalben  mehr  war  als  eine  Sauve  garde" 
schreibt  er.  In  Unterseen  hat  er  mit  den  Berner  Damen  gewohnt,  ist  darnach  mit 
St.'s  Schätzen  über  den  Brienzer  See  geschickt  gewesen,  hat  einen  Spaziergang  nach 
Meyringen  gemacht,  seinen  Todten  wieder  auferweckt,  u.  zurück  nach  Bern  gebracht, 
wo  tägl.  15  Menschen  mehr,  die  arme  hochschwangere  Frau  geniren.  —  — 

76.  Herbarts  Mutter.  (Ohne  Datum.) 

—  —  Auch  Sie  mein  Freund  werden  noch  eine  Zeitl.  warten  müssen,  der  eine 
Ihrer  Correspondenten  [Böhlendorf]  ist  so  halb  u.  halb  mit  dem  Kopfe,  der  andere 
mit  dem  ganzen  Körper  über  den  Sternen  engagirt.  Ganz  verloren  ist  indeß  der 
letzte  (der  trefft.  Muhrbeck)  doch  noch  nicht,  er  hat  aber  einen  starken  Blutsturz 
bekommen  u.  ist  noch  sehr  kiank.  Überhaupt  lauten  die  letzten  Briefe  sehr  traurig; 
Außer  Einquartirung,  Contribution,  viel  Unruhe  Sturm  u.  Weh  eitragen  die  Berner 
auch  schwere  Blattern.     Ihre  H. 

77.  An  meine  Eltern.1)  Bem  den  letzten  Juni  1798. 
Mehr  als  ich  es  Ihnen  sagen  kann,  hat  mich  Ihr  letzter  theurer  Brief 

das  Glück  fühlen  lassen,  meinen  Vater  über  die  wichtigste  Angelegenheit 
meines  Lebens  wie  einen  Freund  und  Rathgeber  reden  zu  hören,  und 
zu  ihm  wieder  so  sprechen  zu  dürfen.  Ich  habe  bisher  wenig  Ihren 
Wünschen  entsprochen;  das  schmerzte  mich  immer,  aber  ich  glaubte  es 
noch  weniger  zu  thun,  wenn  ich  auch  meinen  Gedanken  und  Neigungen 
eine  andere,  gezwungene  Richtung  ohne  Ueberzeugung  hätte  aufdringen 
wollen.  Hiervon  war  mir  jeder  Ihrer  Briefe  eine  neue  Versicherung;  mit 
dankbarer  Rührung    empfing    ich    die  Beweise   Ihrer  Schonung,    aber    mir 

*)  Eine  Abschrift  des  Briefes  ist  durch  H.  selbst  an  einen  seiner  Schüler,  den 
Hrn.  von  Rahden  aus  Curland,  und  durch  diesen  an  Rektor  L.  Jördens  in  Nienburg 
(Weser)  gekommen,  der  sie  im  , Jahresbericht  des  Progymnasiums  zu  Nienburg'1  vom 
Jahre  1860  veröffentlichte.  S.  daselbst  S.  12  —  27:  „Ein  Brief  von  J.  Fr.  H.u  Während 
ihm  aber  „die  Pietät  gegen  H.  verbot,"  irgend  etwas  zu  ändern,  finden  sich  bei  Ziller 
(Reliquien)  erhebliche  Abweichungen.  Da  die  Nachforschungen  nach  dem  Originale 
vergeblich  waren,  wurde  der  von  Jördens  mitgeteilte  Text  gedruckt. 


Juni   1798.  83 

blieb  eine  geheime  Besorgniss,  mit  dieser  Schonung  möchten  Sie  mich 
von  Ihrem  Herzen  entfernen.  Haben  Sie  Dank,  innigen,  warmen  Dank, 
bester  Vater,  dass  in  dem  Augenblick,  wo  Sie  mich  nun  ganz  an  die  Pflicht, 
selbst  zu  überlegen,  erinnern,  Sie  zugleich  mich  an  Ihrer  unveränderlichen 
väterlichen  Theilnahme  und  Sorgfalt  für  mein  Wohl  nicht  im  mindesten 
zweifeln  lassen.  Ich  sehe  es,  der  entscheidende  Moment  ist  in  der  That 
da;  Ihr  Brief  war  mir  die  Aufforderung  zur  ernsthaftesten  Ueberlegung, 
die  mir  möglich  ist;  damit  bin  ich  die  ganze  Zeit  über  beschäftigt  ge- 
wesen ;  und  Sie  werden  mir  wohl  verzeihen,  dass  ich  stille  blieb,  so  lange 
ich  mit  mir  selbst  nicht  über  die  Antwort  einig  war,  so  lange  noch  meine 
eignen  Gedanken  von  einem  Tage  zum  andern  hin  und  her  schwankten. 
Jetzt  will  ich  versuchen,  ob  ich  mich  Ihnen  ganz  hinstellen  kann,  wie  ich 
denke  und  empfinde;  aber  ich  nehme  Sie  beym  Worte,  ich  hoffe,  Sie 
werden  mir  auch  nichts  vorenthalten  wollen,  Sie  werden,  indem  ich  mich 
freimüthig  ausrede,  mich  würdigen,  auch  die  Stimme  Ihrer  Erfahrung, 
Ihrer  Klugheit  und  Ihres  Herzens  ganz  deutlich  zu  vernehmen.  Das 
Nämliche  bitte  ich  auch  von  Dir,  meine  geliebte  Mutter.  Deine  ehemaligen 
Aeusserungen  darüber  können  mir  nicht  mehr  sagen,  wie  Du  die  Sache 
jetzt  ansehest;  ich  kann  mir  nicht  denken,  dass  Du  aus  irgend  einer 
Ursache  mich  Deines  Rathes  könntest  berauben  wollen.  Ich  bedarf  der 
Hülfe  meiner  beyden  Eltern;  ich  stehe  am  Scheidewege;  welche  Richtung 
ich  auch  nehmen  soll,  unmöglich  kann  ich  rasch  und  frohen  Muthes  fort- 
schreiten, wenn  einer  von  Ihnen  den  Blick  traurend  abwendet,  wenn  nicht 
die  Hoffnungen  von  Vater  und  Mutter  und  meine  eigenen  sich  in  Eine 
verschmelzen,  wenn  Sie  nicht  beyde  mir  aus  Einem  Munde,  in  Einem 
Nachruf,   Glück  und  Segen  verheissen. 

Ich  gestehe  es  Ihnen  gleich,  bester  Vater,  Ihr  Vorschlag1)  dünkt 
mich  sehr  reizend,  aber  ich  habe  einen  andern  im  Sinn,  der,  obgleich  auf 
den  ersten  Anblick  weniger  einladend,  mir  doch  meiner  Natur  mehr  an- 
passend und  besonders  sicherer  erscheint. 

Es  ist  eine  schöne  Aussicht,  die  in  die  weite  Welt  der  Länder  und 
Nationen.  Besonders  mir,  dem  sich  Arbeit  und  Schule  kenntlich  ein- 
gedrückt haben,  sollte  eine  solche  Abspannung  erfreulich  seyn.  Die  grösste 
Bedenklichkeit,  die  sich  mir  ehemals  bei  dem  Gedanken  hieran  immer 
aufdrang,  haben  Sie  gehoben,  denn  die  Verantwortung,  sagen  Sie,  könne 
nicht  gross  seyn.  Hätte  ein  anderer  die  Aufsicht,  so  wäre  ich  stiller  Be- 
gleiter, sähe  für  mich,  sammelte  mir  die  Kenntniss  der  Menschen,  mit 
denen  und  zu  denen  ich  käme,  und  sorgte  wenig,  was  Andere  beachteten 
und  trieben,  —  oder  böte  sich  ein  glücklicher  Augenblick  dar,  so  würde 
ein  Gedanke,  der  in  meiner  Seele  wenig  Werth  hätte,  verpflanzt  in  die 
eines  Andern,  vielleicht  das  Wohl  vieler  Menschen  befördern.  Bände 
man  mich  mehr,  so  lernte  ich  mich  geniren,  —  auch  kein  kleiner  Ge- 
winn! Doch  was  rede  ich  von  dem  Nutzen?  Sie  sehen  ihn  so  viel  besser 
als  ich! 


l)  H.  sollte  einen  Oldenburger  Prinzen,  wohl  den  spätem  Großherzog  Paul 
Friedrich  August  (1783 — 1853),  auf  einer  längeren  Reise  begleiten  und  dann  eine  Ver- 
sorgung erhalten.     Vgl.  L.  Jördens,  a.  a.  O.  S.  10. 

6* 


84  Juni   J798. 

Um  allen  diesen  Nutzen  wirklich  zu  ziehen,  wäre  es  nöthig,  von 
Stund  an  mir  und  meinen  Arbeiten  eine  ganz  andere  Richtung  zu  geben. 
Länder-  und  Völkerkunde,  neuere  Sprachen,  genaue  Bekanntschaft  mit 
der  neuesten  politischen,  und  besonders  mit  der  unterhaltenden  witzigen 
Literatur,  Wegtilgen  aller  Spuren  der  Speculation  aus  meinem  Betragen, 
Uebung  in  der  Kunst,  viel  zu  reden,  und  doch  die  grössere  Hälfte  meiner 
Gedanken  zu  verschweigen,  —  das  sind  wenige  Worte,  die  aber  ein  für 
mich  unbeschreiblich  schweres  Studium  andeuten.  In  alle  dem  bin  ich 
ein  Stümper.  Wenig  Jahre  nur  könnten  mir  noch  dazu  übrig  seyn;  mir 
graut  nicht  vor  der  Arbeit,  aber  vor  der  Eile,  mit  der  ich  das  Neue 
sammeln  und  darüber  unfehlbar  das  Alte  wieder  einbüssen  müsste.  Mein 
jetziger  Reichthum  besteht  in  einigen  Ueberzeugungen,  die  den  Keim 
vieler  folgenden  zu  enthalten  scheinen.  Sie  sind  gewonnen  in  drittehalb 
Jahren  einer  Müsse,  wie  ich  sie  in  meinem  Leben  nicht  wieder  erwarten 
darf,  wo  die  Empfänglichkeit  und  Lebhaftigkeit  des  jugendlichen  Geistes 
sich  mit  Umständen,  mit  einer  Umgebung  von  Lehrern  und  Freunden 
vereinigte,  die  mir  Muth  und  Zutrauen  zu  dem  geben,  was  damals  in  mir 
erwachte.  Aber  Gedanken  erzeugen  entweder  immer  neue  oder  veralten 
und  verschwinden.  Jetzt  erhebt  mich  eine  innere  Gewissheit  über  die 
Systeme  unserer  Zeit,  das  Fichtische  so  wenig,  als  das  Kantische  aus- 
genommen; sollte  ich  auch  irren,  so  halte  ich  es  doch  für  ein  grosses 
Glück,  ohne  Führer  und  ohne  Furcht  ein  eignes  Feld  durchwandern  zu 
können,  das  sich  bey  jedem  Schritte  zu  erweitern  scheint.  Bliebe  mir 
künftig  einmal  nur  die  Erinnerung,  dass  es  einst  so  gewesen  sey  —  dass 
ich  jetzt  mit  Mühe  fremden  Spuren  nachzukriechen  verurtheilt  sey,  ich 
glaube  kaum,  dass  mich  etwas  dafür  würde  trösten  können.  Aber,  was 
ich  nicht  kenne,  darüber  habe  ich  kein  Urtheil.  Wie  weiss  ich  denn, 
ob  mir  jener  Verlust  nicht  tausendfach  ersetzt  werden  würde?  —  Nehmen 
wir  dies  an;  aber  wie  nun,  wenn  ich  das  Opfer  gebracht  hätte,  und  der 
Lohn  ausbliebe?  Was  ich  auf  meinem  Zimmer  aus  Büchern  Neues  gelernt 
hätte,  würde  mich,  wenn  nun  nicht  wirklich  der  Anblick  der  Welt  hinzu- 
käme, nimmermehr  entschädigen.  Die  Kenntnisse  jener  Art  sind  überdies 
nicht  einmal  Brodwissenschaften.  —  Oder,  wenn  die  Reise  wirklich  vor 
sich  ginge,  aber  bey  dem  Merkwürdigen  vorbeieilte,  nur  Sehnsucht  erregte, 
um  ihr  Zaudern  bey  langweiligen  Cermonienbesuchen  unerträglich  zu  machen  ? 
Da,  fürchte  ich,  würde  ich  mir  umsonst  Geduld  predigen.  Ohnehin  bin 
ich  genug  durch  Städte  und  Dörfer  gefahren,  um  den  blossen  Gedanken 
des  Reisens  nicht  mehr  reizend  zu  finden.  Nie  habe  ich  mich  elender, 
gepeinigter  gefühlt,  als  an  einigen  langweiligen  Reisetagen;  sie  haben  in 
mir  einen  Ekel  zurückgelassen,  den  ich  mit  nichts  zu  vergleichen  wüsste. 
—  Und  wenn  ich  mich,  so  gut  ich's  vermöchte,  vorbereitete;  hätte  aber 
dann  nicht  das  Glück,  Gnade  vor  dem  Herrn  zu  finden?  Oder  irgend 
einmal  nachher  das  Unglück,  sie  zu  verlieren?  Oder  in  mir  selbst  er- 
wachte ein  böser  Genius  und  wollte  sich  mit  der  Versorgung,  die  mir 
nachher  zu  Theil  würde,  nicht  befriedigen?  Die  Mittel,  die  innere  Kraft, 
der  Muth  aber  wäre  nicht  mehr  da,  mir  selbst  irgend  wo  eine  andere 
Hütte  zu  bauen! 

Verzeihen  Sie,    beste  Eltern,    dass    meine    Furcht    lebhaft    wird;    ich 


Juni   1798.  85 

wollte  Ihnen  ja  sagen,  wie  mir  ist.  Sie  tadeln  mich  dann,  so  stark  Sie 
es  nöthig  finden. 

Ist  endlich  wohl  der  friedliche  Winkel  an  der  Nordsee  so  sicher, 
wie  bisher?  Oldenburg  gränzt  an  Ostfriesland,  und  Ostfriesland?  —  Und 
wäre  ein  Geist,  der  sich  für  den  dortigen  Hof  geprägt  hätte,  wohl  jetzt 
die  allgemeine  gangbare  Münze?  Würde  der  —  hinausgestossen  in  die  Welt 
—   so  leicht  seinen  Platz  wieder  finden? 

Die  letztere  Besorgniss  dünkt  mich  bei  meinem  Plane,  der  durch's 
ganze  Leben  geht,  eine  der  wichtigsten,  am  wenigsten  zweifelhaften  — 
um  so  mehr,  da  ich  ihr,  sofern  es  immer  möglich  ist,  ganz  entgehen  zu 
können  glaube. 

Wenn  es  mir  erlaubt  ist,  noch  eine  Weile  nur  von  mir  und  von  der 
Zeit  fortzusprechen:  —  würde  wohl  ein  Mensch,  dessen  Begriffe  nach  allen 
Seiten  hin  sich  zu  entwickeln  streben,  —  der  aber,  im  Gefühl  seiner  Un- 
fähigkeit, und  durch  warnende  Beyspiele  geschreckt,  hiebey  nichts  so  sehr 
scheut,  als  Uebereilung,  dessen  Ahndungen  sich  also  nur  sehr  langsam  zu 
Ueberzeugungen  läutern,  der  sich  hingegen  durch  Alles  was  schnell,  plötz- 
lich gehen  soll,  unvermeidlich  in  ohnmächtige  Zerstreuung  gestürzt  fühlt, 
würde  er  sich  irgend  etwas  mehr  wünschen  können,  als  eine  lange  Reihe  von 
Jahren  hindurch  Müsse  genug  und  beständige  äussere  Veranlassung  zu 
haben,  die  ihn  aus  sich  schöpfen  hiesse,  was  er  nur  könnte,  und  ihn  in 
einer  vorsichtigen  Anwendung  zugleich  Bewährung,  Berichtigung  oder 
Widerlegung  finden  Hesse?  Wenn  er  so  im  Geleite  der  Erfahrung,  der 
Literatur  alter  und  neuer  Völker  und  des  eignen  Denkens  nach  und  nach 
in  zusammenhängender  Folge  die  fruchtbarsten  und  schönsten  Felder  der 
gemeinnützigen  Wissenschaften  durchwandert  wäre,  allenthalben  das 
Bleibendste,  Unentbehrlichste,  Nützliche,  Wahre  und  Gute  aufgesucht, 
vielleicht  manches  Neue  gefunden  hätte,  und  damit  die  Uebung  verbände, 
es  klar  und  einleuchtend  wieder  mitzutheilen :  —  würde  er  nicht,  auch  nach 
dem  wunderbarsten  Wechsel  der  Zeiten,  manche  Plätze  finden,  wo  man 
ihn  brauchen  könnte;  oder  würde  er  sich  nach  solcher  Vorbereitung  nicht 
mit  Leichtigkeit  in  mancherley  Lagen,  Umstände,  Geschäfte  zu  fügen,  oder 
endlich  mannigfaltige  Beschwerden  ruhig  zu  ertragen  und  noch  mehrere 
Glücksgüter  harmlos  zu  entbehren  wissen?  Wenn  ihm  überdas,  um  ihn 
vor  einseitiger  Verschlossenheit  zu  schützen,  und  um  ihn  für  sein  stilles 
Thun  gegen  das  Ungewitter  da  draussen  ein  Dach,  das  doch  die  Aus- 
sicht nicht  sperrt,  zu  geben,  eine  Familie  einen  Platz  in  ihrer  Mitte 
anböte  — ,  eine  Familie,  in  der  er  sein  Herz  und  seine  Achtung  schon 
tief  gewurzelt  fühlte,  —  in  der  ihm  alles  an  seinem  Platze,  alles  möglichst 
wohlgeordnet  erschiene,  —  deren  Grundton  Eintracht,  gegenseitiges  Wohl- 
wollen und  Zufriedenheit  wäre,  —  die  ihm  den  Menschen,  der  sein 
wichtigstes  Studium  ausmacht,  beynahe  in  allen  Altern  und  Geschlechtern 
darstellt,  und  in  ihrem  Haupte  ihm  ein  allgemein  anerkanntes  Muster  der 
geprüftesten  sittlichen  Grösse  vorhielte:  —  wenn  dann  noch  genauere 
Freunde  mit  ihm  und  neben  ihm  die  gleiche  Arbeit  mit  gleichem  Interesse 
und  ungefähr  gleichen  Kräften  trieben,  ihn  zum  Wetteifer  belebten,  und 
zugleich  durch  Rath  und  Beispiel  unterstützten;  wenn  andere  Freunde 
vor  seinen  Augen  in  der   Welt  handelten,  und  ihn  von  ihrem  Thun  und 


86  Juni  1798. 

ihren  Beobachtungen  unterrichteten;  wenn  der  Wohnplatz  selbst  einer  der 
schönsten  der  Erde,  in  unruhigen  Zeiten  ein  Schauplatz  der  grossen  Be- 
gebenheiten, in  ruhigen  der  Sammelplatz  der  ganzen  reisenden  Welt  wäre: 
—  wenn  endlich  durchaus  keine  unauflösliche  Verbindlichkeit  von  sehr 
veränderten  Umständen  oder  Gesinnungen  drückende  Fesseln  befürchten 
Hesse?   — 

Mein  Vorschlag  liegt  vor  Ihnen,  geliebte  Eltern  —  ein  etwa  8-  bis 
10 jähriger  Aufenthalt  in   Hrn.  St.'s   Hause. 

Ohne  noch  von  der  grössten,  auffallendsten  Bedenklichkeit  hiebey  zu 
reden,  lassen  Sie  mich  Ihnen  erzählen. 

Schon  im  vorigen  Sommer  —  da  nach  den  ersten  Monaten  der 
Zweifel,  ob  es  nicht  ein  Traum  sey,  dass  ein  wunderbares  Schicksal  mich 
wie  durch  die  Luft  an  den  erwünschtesten  Ort  gebracht  habe,  sich  all- 
mählich in  einen  angenehmen  Glauben  auflöste,  schon  damals  fing  ich  an, 
mir  dieses  Haus  als  meine  Werkstätte  zu  denken,  in  der  es  mir  vergönnt 
seyn  möchte,  ganz  unbestimmt  so  lange  an  mir  und  an  Andern  zu  arbeiten, 
bis  ich  mich  und  sie  fertig  hielte,  in  die  Welt  zu  treten.  Die  Hoffnung 
auf  jene  Versorgung  in  meinem  Vaterlande  war  damals  noch  so  schwach 
und  zweydeutig!  Aber  als  nun  Ihr  Brief  kam,  stellte  sich  mir  Ihr  Vorschlag 
in  allem  seinen  Glänze  dar.  Ich  fühlte  die  Lust,  weit,  weit  umherzusehen 
und  zu  fahren,  ich  fühlte  im  Voraus  die  Freude,  künftig  einmal  nicht  als 
Grübler,  sondern  als  einer,  der  Welt  und  Menschen  gesehen  hat,  ein  Wort 
reden  zu  dürfen. 

Auf  der  andern  Seite  zweifelte  ich  an  den  Anlagen  meiner  Zöglinge, 
fand  als  Hauslehrer  meine  Zeit  manchmal  zu  beschränkt,  fürchtete  die 
Furcht  des   Herrn  St.  über  seine  Zukunft. 

Bey  näherer  Ueberlegung  verschwand  indessen  jene  Lust  vor  den 
Besorgnissen,  die  ich  vorhin  äusserte.  Unter  meinen  Zöglingen  hatte  ich 
weniger  auf  L[udwig]  zu  sehen:  er  ist  zu  den  Forstwissenschaften  bestimmt, 
ganz  seinen  Neigungen  und  Anlagen  gemäss,  —  bleibt  also  wohl  nicht 
lange  unter  meiner  Aufsicht.  Garin  und  R.,  die  ich  bisher  seinetwegen 
vernachlässigt  hatte,  müsste  ich  genauer  kennen  zu  lernen  suchen.  Ich 
prüfte  sie  einige  Wochen  lang,  und  fand  —  zwar  keine  Genies,  die  alle 
Erziehung  unnöthig  machen  oder  abstossen;  keine  solche  Reizbarkeit,  die 
jeden  Eindruck  durch  und  durch  fühlt  und  sich  so  einprägt,  dass  man 
einmal  gemachte  Erziehungsfehler  nicht  wieder  zu  bessern  hoffen  kann  — 
aber  doch  gesunde,  sehr  bildsame  Anlagen ;  und  besonders  bei  Carln  viel 
mehr  Kopf  und  mehr  Anhänglichkeit  an  mir,  als  ich  erwartet  hatte, 
und  einen  Grad  von  gutem  Willen,  der  allein  für  ein  sehr  grosses  Talent 
gelten  kann.  Seine  Erziehung  kann  beynahe  nicht  wesentlich  verunglücken; 
er  ist  von  aussen  nicht  leicht  in  Bewegung  zu  setzen,  fasst  langsam  und 
ist  zuweilen  sehr  eigensinnig;  aber  innerlich  hegt  er  ein  tiefes  Gefühl  für 
das  Rechte  und  Gute,  und  eine  ruhige  aber  immer  strebende  Wissbegierde. 
Sein  Kopf  reicht  mir  gerade  hin,  um  mit  ihm  Griechisch  und  Buchstaben- 
rechnung mit  recht  gutem  Erfolg  zu  treiben.  In  seinem  Beispiele  glaube 
ich  die  Bürgschaft  zu  finden,  sein  kleiner  8 jähriger  Bruder,  der  Alles 
nachahmt,  werde  mir  auch  nicht  missrathen;  er  ist  fast  ganz  das  Gegen- 
theil   von  jenem,   äusserst   lebhaft,    aber   eben  so  unbeständig,    jeder   Lust 


Juni   1798.  87 

und  jedem  Schmerz  hingegeben,  zu  kleinen  Unwahrheiten  geneigt,  reizbar, 
aber  ohne  Tiefe,  leicht  fassend,  aber  zum  Lernen  zu  bequem.  Doch  habe 
ich  ihn  schon  gewöhnt,  dass  er  stundenlang  nicht  bloß  sitzen,  sondern 
wirklich  thätig  sein  kann ;  und  ungeachtet  der  damit  verbundenen  An- 
strengung freut  er  sich  doch  am  Ciavier,  am  Homer,  an  der  Kenntniss 
der  Blumen  und  am  Vorlesen  aus   Kinderschriften. 

Die  Proben  mit  Carln  hatten  in  jeder  Hinsicht  einen  so  ganz  erwünschten 
Ausgang,  machten  mir  ihn,  und,  wie  ich  deutlich  sah,  ihm  mich  so  lieb, 
deuteten  so  sehr  auf  die  Möglichkeit  eines  künftigen  sehr  schönen  Ver- 
hältnisses unter  uns  hin  —  welches  ich  erst  jetzt  mir  zu  bereiten  anfangen 
kann,  da  Ludwig  mir  mehr  Zeit  lässt,  —  dass  von  der  Seite  mir  kein 
Zweifel  übrig  blieb.  Ob  aber  nicht  dennoch  mein  Wunsch  ein  Traum 
sey  —  so  sehr  ein  blosser  Traum,  dass  ich  Ihnen,  geliebte  Eltern,  auch 
nicht  einmal  davon  reden  dürfte,  —  ob  Herr  St.  und  seine  Frau  mir 
Hoffnung  machen  würden,  mich  auf  lange  Jahre  gern  als  ihren  Haus- 
genossen dulden  zu  wollen,  und  dulden  zu  können  —  ob  sie  mir  Zeit 
genug  zum  eigenen  Arbeiten  zugestehen  würden,  —  das  waren  für  mich 
grosse  Fragen.  Das  verbindliche  Betragen  der  Eltern  gegen  mich,  ihr 
bisheriger  Beyfall  konnte  doch  neben  manchen  geheimen  Beschwerden 
bestehen,  die  sie  verhindern  würden,  mich  so  gleichsam  in  ihre  Familie 
zu  verpflanzen.  Die  Erziehung  der  beyden  Knaben  ganz  vollenden  zu 
können,  musste  ich  als  den  wesentlichen  Theil  meines  Wunsches  ansehen, 
ich  musste  den  ganzen  Kreis  eines  planmässigen  Unterrichts  mit  ihnen 
durchlaufen  können,  um  am  Ende  desselben  mir  selbst  eine  gewisse  Voll- 
endung versprechen  zu  können,  die  als  umfassende  Vorbereitung  auf  meine 
beyden  noch  zuletzt  nachfolgenden  Universitätsjahre  mir  ein  ferneres  Fort- 
kommen nach  meinem  Wunsche  so  sehr  als  möglich  sicherte.  Herr  St. 
musste  einen  encyklopädischen  und  gründlichen,  nicht  einen  oberflächlichen 
oder  auf  irgend  einen  besonderen  Stand  seiner  Söhne  abzweckenden 
Unterricht  von  mir  wollen.  —  Ob  er  geneigt  seyn  würde,  mir  das  Alles 
schon  jetzt  zu  versprechen?  Ich  legte  ihm  meinen  Fall  vor,  nannte  ihm 
Ihre  Wünsche  und  Hoffnungen,  fragte  ihn,  ob,  im  Fall  Sie  Ihre  Zu- 
stimmung gern  und  ganz  geben  würden,  er  es  wohl  mit  mir  wagen  wolle, 
mir  jetzt  die  Erwartung  zu  geben,  dass  ich  auf  die  angegebene  Weise 
meine  angefangene  Arbeit  ganz  würde  zu  Ende  bringen  können?  Ob  ich 
mich  wohl  der  speciellern  Aufsicht  entziehen,  und  meine  eigentliche  Ver- 
pflichtung darauf  beschränken  dürfe,  regelmässig  6  Stunden  täglich  mit 
seinen  Söhnen  zuzubringen?  Ob  er  mir  wohl  jährlich  ungefähr  6  ganz 
freye  Wochen  zu  eigner  Arbeit  erlauben  wolle?  Ob  die  Hoffnung  nicht 
leiden  würde,  etwa  in  ein  Paar  Jahren  meine  Eltern  zu  besuchen?  Wenn 
ich  in  späteren  Jahren  seine  Söhne  dahin  gebracht  haben  sollte,  dass  sie 
ohne  ihren  Schaden  auf  ein  halbes  Jahr  etwa,  sich  durch  eigne  Arbeit 
einen  Lehrer  ganz  entbehrlich  machen  könnten,  —  ob  es  mir  dann  frey- 
stehn  würde,  mich  für  diesen  Zeitraum  aus  dem  Hause  zu  entfernen? 
Ob  ich  wohl  dies  alles  nur  als  unsere  jetzige  gemeinschaftliche  Erwartung 
ansehen  dürfe,  die  sich  bey  einem  Jeden  nur  mit  Rücksicht  auf  den  Vor- 
theil  der  Uebrigen  ändern  werde?  „Verbindlichkeit",  fügte  ich  hinzu, 
„möchte  von  jeder  Seite  drückend  seyn,  da  wir  nicht  wissen  können,  wie 


88  Juni  1798. 

vielleicht  Lage,  Meynung  und  Ueberzeugung  bey  uns  sich  wenden  möchten. 
So  viel  Wahrscheinlichkeit  wünschte  ich,  dass  dieselbe  mein  jetziges  Thun 
vor  meinen  Eltern  und  vor  mir  rechtfertigen  könne.u  —  Wir  sprachen 
über  das  Einzelne,  besonders  über  den  Nutzen,  Schaden,  und  möglichen 
Ersatz  der  Aufsicht;  —  dann  bejahte  Herr  St.  meine  Fragen,  so  schnell, 
so  heiter  und  unbedenklich,  dass  ich  frohen  Muth  zur  Arbeit  mitbringen 
kann.  Endlich  fragte  ich  ihn  noch,  ob  er  nicht  etwa  das,  was  ich  jetzt 
thäte,  überhaupt  für  Thorheit  halte?  Ob  es  nicht  unklug  sey,  in  diesem 
Zeitpunkte  auf  viele  Jahre  voraus  zu  rechnen,  und  ein  so  langes,  stilles, 
friedliches  Werk  anzufangen?  Er  fand  das  nicht  so;  mit  ausgezeichneter 
Güte  ging  er  in  meine  Verhältnisse  ein;  und  von  den  seinigen  sagte  er 
mir,  es  sey  zwar  jetzt  alles  unsicher,  aber  wenn  man  nicht  geradezu  die 
Einzelnen  aussauge,  werde  er  es  länger  aushalten  können,  als  mancher 
Andere.  Ueberhaupt  hat  Herr  St.  bey  allem  Interesse  für  sein  Vaterland 
eine  Ruhe  in  eignen  Geschäften,  die  selbst  durch  die  Revolution  nur  sehr 
wenig  gestört  worden  ist.  In  der,  ohnehin  einfachen  Lebensart  dieses 
Hauses  zeigt  sich  einige  Einschränkung,  aber  ein  ziemlich  beträchtlicher 
Bau  zu  Märchligen,  um  der  anwachsenden  Familie  mehr  Platz  zu  schaffen, 
geht  immer  ungehindert  fort.  So  in  allen  Dingen.  Solche  Fassung, 
Mässigung,  unabgespannte  Energie  ist  gewiss  nur  durch  die  vollkommenste 
Gewissensruhe  und  Einigkeit  mit  sich  selbst  möglich.  Dahin  jemals  zu 
kommen  —   wäre  mehr  als  alles   Wissen  und  Denken. 

Sie  werden  nun  bestimmt  wissen  wollen,  welche  Aussicht  ich  mir 
auf  diesem  Wege  eröffnet  glaube.  Eine  Versorgung,  die  mir  nach  einer 
solchen  Vorbereitung  nicht  fehlen  kann,  glaube  ich  in  einer  philosophischen 
Professur  zu  finden.  Fichte's  wiederhohlte  Zeugnisse,  und  wohl  mehr  noch 
die  Proben,  die  ich  mir  selbst  abgelegt  habe,  scheinen  mich  zu  versichern, 
dass,  wenn  mir  irgend  etwas  gelingen  könne,  es  die  Speculation  sey.  Be- 
friedigen mit  dem,  was  unsere  berühmten  Männer  geleistet  haben,  kann 
ich  mich  unmöglich;  selbst  die  Richtungen  die  sie  nehmen,  entfernen  sich 
weit  von  dem  Wege,  der,  ziemlich  bestimmt  vorgezeichnet,  als  derjenige 
vor  mir  daliegt,  auf  dem  man  sich  zunächst  versuchen  sollte.  Eben  so 
wenig  Zutrauen  kann  ich  ihrer  Art,  zu  arbeiten,  abgewinnen.  Vorlesungen 
und  Schriften  ankündigen  über  das,  was  man  zum  Theil  noch  erst  erfinden 
will  —  dann  unaufhörlich  polemisiren  gegen  die,  welche  halbe  Wahrheiten 
völlig  misverstanden,  und  unglücklich  angriffen,  —  endlich  sich  öffent- 
lich für  einig  erklären  mit  denen,  welche  für  ganz  abweichende  Meinungen 
übereinstimmende  Worte  gebrauchen :  —  das  sind  traurige  Beweise,  wie 
selten  glückliche  Ideen  und  eine  günstige  Lage  zu  ihrer  Entwicklung  und 
Reife  sich  beysammen  finden.  Betrachte  ich  ferner,  wie  wenig  sich  unsre 
Philosophen  um  die  Bekanntschaft  mit  den  Wissenschaften,  die  sie  durch 
Philosophie  beleuchten  und  begründen  —  mit  den  Verhältnissen  des 
Lebens,  die  sie  dadurch  bessern  wollen,  zu  bekümmern  pflegen,  —  wie 
sehr  ihre  Zuhörer  unter  den  Lehrern  nach  dem  Vortrage  zu  wählen 
pflegen,  und  wie  die  Lehrer  so  ganz  den  Vortrag  über  die  Sache  zu 
vergessen  scheinen;  so  dünkt  mich  der  philosophische  Standpunkt  unsers 
Zeitalters  nicht  so  hoch,  dass  er  mich  abschrecken  könnte,  nach  zehn- 
jährigem   treuen  Fleisse    und    möglichster  Vermeidung   jener  Abwege    eine 


Juni   T798. 89 

philosophische  oder  mathematische  Lehrstelle  als  meine  sichere  Aussicht 
anzusehen.  Denn  die  Mathematik  wird  mir,  schon  wegen  ihrer  nahen 
Verbindung  mit  der  Philosophie,  fast  ebenso  wichtig  seyn,  wie  diese  selbst. 
Zu  diesem  Zwecke  würde  ich  mich  einige  Jahre  vorher  mit  Vorsicht  beym 
deutschen  Publicum  um  das  Bürgerrecht  in  der  literarischen  Republik 
bewerben.  —  Vielleicht  aber  würden  sich  gegen  die  Zeit  noch  andre 
frohere  Pfade  durchs  Leben  darbieten;  vielleicht  würde  ich  zugleich  fähig 
geworden  seyn,  in  eine  politische  Sphäre  einzutreten,  vielleicht  würde  ich  dann, 
nachdem  meine  Ueberzeugungen  sich  bevestigt,  meine  Blicke  auf  die  Welt 
ihre  Richtung  erhalten  hätten,  wünschen,  was  ich  jetzt  fürchte;  gute  Ge- 
legenheiten mancherley  Art  würde  ich  dann  hoffentlich  zu  benutzen,  so 
wie  zu  entbehren  wissen.  Das  Universitätsleben  halte  ich  wenigstens  gar 
nicht  für  ein  so  einziges  Glück,  dass  sich  nicht  tausend  fromme  Wünsche 
so  gut  bey  diesem  als  bey  jedem  andern  Stande  aufdringen  müssten. 
Mehr  oder  weniger  werde  ich  mich  den  Staatswissenschaften,  schon  meiner 
Zöglinge  wegen,  in  den  letzten  Jahren  ihrer  Erziehung  nähern  müssen; 
denn  obgleich  ihr  Vater  ihnen  die  Wahl  ihrer  Bestimmung  grösstentheils 
selbst  zu  überlassen  entschlossen  ist,  so  vermuthe  ich  doch,  dass  wenigstens 
Carl  sich  irgend  einmal  in  die  Nähe  eines  Staatsruders  sehnen,  und  eben 
dadurch  auch  die  Wünsche  seines  Vaters  am  besten  befriedigen  wird. 
Interesse  für  Politik  und  Jurisprudenz,  sowohl  für  die  Theorie  als  für  die 
Anwendung,  fehlt  mir  auch  sicherlich  nicht.  Meine  Philosophie  —  lassen 
Sie  mich  das  Wort  übersetzen,  damit  es  nicht  hart  klinge  —  mein  Streben 
nach  Wahrheit  —  will  sich  nicht  bloß  unter  Idealen  herumtreiben,  es 
möchte  vor  allen  Dingen  begreifen  —  also  auch  sehn,  aber  nicht  bloß 
sehn  —  was  der  Mensch  ist,  wie  er  es  ward,  und  wie  er  mehr  werden 
kann:  —  es  ist  dabey  viel  zu  schüchtern  im  dunkeln  Reiche  der  Ab- 
stractionen,  als  dass  es  nicht  gern  allenthalben  bey  der  Erfahrung  und  Ge- 
schichte Bewährung  und  Bestätigung  suchen  sollte.  Und  was  könnte 
hiezu  wichtiger  seyn,  als  die  Kenntnis  der  Staatsverfassungen  und  Gesetz- 
gebungen in  den  Gesetzbüchern  selbst  zu  suchen?  Gewiss,  es  wäre  ein 
schlechtes  Zeichen  für  mich,  wenn  nicht  irgend  einmal  in  meinem  Leben 
die  corpora  juris  meine  Hauptlectüre  würden.  Aber  ein  solches  Studium, 
welche  Vorarbeiten  mag  es  fordern!  Aus  den  Rechtslehren  aller  der  ver- 
schiedenen Zeitalter  Stücken  mitten  herausreissen,  um  die  sonderbare  Zu- 
sammensetzung des  heutigen  deutschen  Gerichtsbrauchs  auswendig  zu 
lernen  —  dann  sich  in  eine  Praxis  vertiefen,  die,  so  belehrend  sie  sonst 
seyn  könnte,  doch  wenn  sie  zu  früh  eintritt,  die  Nachforschungen  hemmen 
und  den  Geist  mehr  betäuben  als  aufklären  dürfte  —  —  Sie  sehen, 
bester  Vater,  was  mich,  bey  immer  steigender  Verehrung  für  die  Juris- 
prudenz, doch  das  eifrige,  wahre  Studium  derselben  immer  länger  auf- 
schieben machte;  Sie  begreifen  meine  Furcht,  dass  ich  zu  einer  baldigen 
juristischen  Praxis  —  {bald  wenn  ich  vor  meinem  mich  einigermassen  be- 
friedigenden Studium  der  Philosophie  und  verwandter  Wissenschaften)  — 
schwerlich,  schwerlich  einem  ruhigen,  unzerstreuten  Sinn,  einen  ämsigen, 
pflichtmässigen  Amtsfleiss,  mitbringen  möchte. 

Hier  finde    ich    mich   bey  dem,    was  ich  vorher  überging,    um  Ihnen 
zuerst  die  Möglichkeiten    darzulegen,    unter    denen  wir   zu  wählen  haben. 


90  Juni  J798. 

Zwischen  Bern  und  Oldenburg  streckt  Deutschland  sich  aus  in  seiner 
ganzen  Länge.  —  Das  würde  meiner  Ueberzeugung  eine  andere  Wendung 
gegeben  haben,  sähe  ich  eine  Art  und  Weise,  wie  wir  zusammenleben 
könnten,  ohne  uns  den  Genuß  davon  zu  verbittern.  Es  würde  mir  sehr, 
sehr  wehe  thun,  meine  theueren  Eltern,  wenn  Ihnen  das  ein  Beweis  wäre, 
dass  ich  Ihnen  misrathen  sey.  Sie  haben  gesehen,  wie  ich  das  geworden 
bin,  was  ich  nun  bin;  Sie  haben  mit  aller  Güte  meiner  Neigung  ihren 
Lauf  gelassen ;  weder  Sie  noch  ich  konnten  berechnen,  wohin,  wie  weit  das 
führen  werde.  —  Ich  hoffe  nicht,  dass  man  irgend  wann  oder  irgend  wo  in 
mir  gefunden  hat,  was  man  einen  unruhigen  Kopf  nennt;  aber  ich  weiss 
nicht,  ob  ich  es  nicht  werden  würde,  wenn  ich  plötzlich  in  die  Bahn  der 
heimischen  Beförderung  eintreten  sollte.  Ob  ich  nicht  immer  nachsinnen 
würde,  was  ich  wohl  anderwärts,  unter  anderen  Umständen,  gedacht  und 
gethan  hätte!  —  Sagen  Sie  mir,  geliebter  Vater,  geliebte  Mutter,  ist  es 
Ihnen  traurig,  scheint  es  Ihnen  gefährlich,  dass  der  Weg,  den  ich  bisher 
so  langsam  für  mich  fortgegangen  bin,  nun  noch  immer  länger  sich  fort- 
zieht, dass  ich  mich  nie  entschliessen  kann,  umzukehren?  —  Kaum  kann  ich 
mir  das  vorstellen,  denn  Sie  selbst  wollen  mich  in  die  weite  Welt  hinaus- 
treiben. Bey  jener  Reise  wäre  die  Wahrscheinlichkeit  unsers  Zusammen- 
lebens nicht  viel  grösser.  Vorher  —  nachdem  mein  noch  übriges  Jahr 
hier  verflossen  wäre,  —  müsste  ich  ohne  Zweifel  meine  Zeit  auf  Universitäten, 
in  der  Nähe  von  Gelehrten  und  grossen  Bibliotheken  zubringen,  um  mich 
theils  auf  die  Reise,  theils  auf  das  künftige  Amt  vorzubereiten,  —  denn 
lange  könnte  die  Reise  doch  wol  nicht  mehr  aufgeschoben  bleiben. 
Nachher  —  bey  dem  dunkeln  Nachher  fällt  mir  unwillkürlich  der  Sturm 
aus  Westen  ein,  der  uns  wol  plötzlich  ostwärts  verschlagen  möchte,  da 
wir  dann  etwa  in  Petersburg  hängen  bleiben  würden,  —  das  Traurigste, 
was  ich  mir  denken  könnte,  —  und  doch,  wenn  ich  nicht  irre,  so  sehr 
denkbar!  Ein  Exil,  wo  ich  keinem  Menschen  mittheilen,  aus  keinem  neuen 
Buche  lernen  könnte  —  denn  der  Kaiser  verspricht  ja  der  wohlgebornen 
Jugend  eine  eigne  Universität,  auf  dass  sie  nicht  in  Deutschland  angesteckt 
werde.  Herausgerissen  aus  meinem  eignen  Gedanken,  fremder  Hülfe  be- 
raubt —   halten  Sie  meiner  Einbildungskraft  ihre  Ausschweifung  zu  Gute! 

Ein  Besuch  zu  Ihnen  bliebe  mir  auch  von  hier  aus  gewiss.  Herr 
und  Frau  St.,  die  beyde  die  angelegensten  Besorgnisse  äusserten,  Sie  möchten 
ungern  einwilligen,  kamen  mehrmals  auf  diesen  Besuch  zurück;  Reise- 
gesellschaft, um  die  Kosten  zu  theilen,  fände  sich  von  der  Schweiz  aus 
gewiss  leicht,  wenn  irgend  die  Ruhe  hergestellt  wäre.  Mehrere  jenaische 
Professoren  haben  Reisen  hieher  im  Sinne.  Wie  viele  Andre  werden 
nur  auf  einen  bessern  Zeitpunkt  warten!  Ludwig  geht  wahrscheinlich  in 
einem  oder  ein  Paar  Jahren  nach  Deutschland,  um  eine  öffentliche  Anstalt 
zu  besuchen.  — 

Gehörte  ich  Niemanden  an,  so  wäre  ich  so  viel  mehr  hier  gebunden. 
Der  mannigfaltigen  Güte,  deren  ich  hier  genossen  habe,  und  deren  ich  so 
viel  mehr  wirklich  gemessen  konnte,  weil  ich  es  ihr  ansah  und  anfühlte, 
dass  sie  von  Herzen  und  aus  dem  Wohlwollen  herfloss,  welches  den  Ton 
des  Hauses  überhaupt  angiebt  und  womit  Herr  und  Frau  St.  beyde 
Heiterkeit,    Rath  und   Hülfe    allenthalben,    so    viel    sie   können,    freundlich 


Juli   I798. 91 

verbreiten  —  dieser  Güte  ist  der  wirkliche  Vortheil,  den  meine  Zöglinge 
von  mir  gehabt  haben,  nicht  angemessen.  Manches,  das  eben  im  Werden 
begriffen  war,  zerstörten  die  Umstände,  manches  Andre  würde  wenig 
Werth  haben,  wenn  es  nicht  Mittel  zu  weiteren  Fortschritten  wäre.  Von 
einem  Nachfolger  wäre  nicht  leicht  zu  erwarten,  dass  er  in  meinen  Plan 
einträte,  vielleicht  würde  er  sich  nicht  einmal  darin  finden  können.  — 
Eine  Erziehung,  die  dem  Anschein  nach  glücklich  genug  angefangen  ist, 
gegen  deren  Fortsetzung  kein  Hinderniss  Misstrauen  erregt,  freywillig  ab- 
zubrechen, wäre  ohne  vorgängige  gewissenhafte  Erwägung  der  Umstände, 
gewiss  unverzeihlicher  Leichtsinn.  —  Sind  die  allgemeinen  Klagen  über 
gehemmte  Bemühung,  Gutes  zu  wirken,  nur  ein  Wenig  gegründet,  so  muss 
eine  Gelegenheit,  wie  die  meinige,  aus  allen  Kräften  zu  arbeiten  —  mit 
vollen  Segeln,  wie  Böhlendorf  sich  ausdrückt,  zu  schiffen  —  und  dabey 
die  Sorge  für  sich  und  die  für  Andre  in  Einer  Arbeit  zu  umfassen,  in 
allen  Ständen  und  Lagen  des  Lebens  ein  ausserordentlich  seltnes  Glück 
seyn.  —  Ginge  ich  übers  Jahr  von  hier,  nähme  ich  das  Bewusst- 
seyn  auf  mich,  vielleicht  erregte  Erwartung  getäuscht,  sehr  wahrscheinlich 
viel  Zeit  und  Anstrengung  für  nichts  aufgewandt  zu  haben  —  was  würde 
ich  dann  weiter  zu  thun  haben? 

Eine  ungewisse  Hoffnung  würde  mich  an  jene  Reisestudien,  — 
meine  Neigung,  aber  ohne  den  Muth,  in  der  kurzen  übrigen  Zeit  etwas 
Bedeutendes  zu  leisten,  an  die  Philosophie  —  die  Sorge  für  die  Zukunft 
an  die  Jurisprudenz  —  ein  gleichfalls  jetzt  unzuverlässiger  Erwerb  — 
hintreiben  wollen.  Welcher  entscheidende  Grund  könnte  mich  dann  so 
bestimmen,  dass  nicht  Unbefriedigung,  Zweifel,  Besorgniss  mich  verfolgte, 
wohin  ich  mich  auch  wendete? 

Von  meinen  Freunden  höre  ich  nur  einstimmige  Billigung  und  Glück- 
wünsche; Muhrbeck,  der  im  Herbst  zu  einer  philosophischen  Professur 
nach  seinem  Vaterlande  zurückkehrt,  nennt  mich  beneidenswerth. 

Meine  Betrachtungen  habe  ich  Ihnen,  meine  theuren  Eltern,  jetzt 
dargelegt;  ich  setze  nichts  weiter  hinzu,  als  die  wiederhohlte  Bitte,  dass 
Sie  Sich  in  mich,  aber  auch  mich  in   Sie  hineinversetzen  mögen. 

78.     Fischer  an  Steck  u.  Zehender.  Höchstetten,  26.  Juli  1798: 

,,M[uhrbeck]  sagt  mir,  daß  auch  Böhlendorf  u.  Herbart  am  Sonntag  [29.  Juli] 
einen  Besuch,  ihm  u.  mir  zugedacht  hätten,  d.  h.  wir  sollten  uns  in  Enggistein  Ren- 
dez-vous  geben;  allein  da  ihr  diesen  Tag  vorziehet,  so  wünschen  wir  jetzt,  daß  jene 
beyden  Freunde  lieber  den  Samstag  wählen  möchten.  —  Melde  es  mir,  wenn  es 
seyn  kann,  Einer  von  Euch  durch  die  heutige  Böttin,  ob  ihr  in  der  That  noch  auf 
den  Sonntag  mich  zu  besuchen  gesinnt  seyt,  mein  Vater  will  mich  mit  der  Chaise 
Euch  bis  Worb  entgegenschicken  u.  am  Abend  dahin  fahren  lassen.11 

4.  Aug.  1798:  „Ich  habe  diese  ganze  Woche  über  geschwiegen,  u.  doch  hat 
der  Nachklang  Eueres  freundschaftlichen  Besuchs  immer  in  mir  getönt.'1 

8.  (?)  Aug.  1798:  „Meine  Theuern!  Ich  ward  vorgestern  durch  Herbarts  An- 
kunft gehindert  an  Euch  zu  schreiben,  u.  gestern  feyerten  wir  mit  dem  nämlichen 
u.  mit  Böhlendorf  einen  frohen  u.  schönen  Tag,  Euerem  Andenken  ward  auch  ge- 
opfert .  .  .  Muhrbeck  hat  sich  um  meine  Schwestern  ein  großes  Verdienst  erworben, 
indem  er  sie  soweit  im  Clavierspiel  unterrichtet  hat,  daß  sie  jetzt  in  kurzem  sich 
selbst  werden  forthelfen   können.     Jetzt    bedürfen   sie   eines  Instruments  .  .  .   Wir 


Q2  September  1798. 


haben  eine  kleine  Summe  zusammengebracht  u.  Herbart  will   dann  den  allfälligen 
Kauf  besorgen." 

W.:  Ende  Aug.  (Engisstein).    , .Erster  problematischer  Entwurf  der  Wissenschaf  tslehre.u 
S.  Bd.  I.     S.  96—110. 

79.      All    V.    Halem.  ^  Märchligen  am  26sten  Sept.    1798. 

Wollen  Sie  unter  den  vielen  Glückwünschen,  die  Sie  kürzlich  emp- 
fangen haben  werden,  auch  den  meinigen  gütig  aufnehmen?  Sie  haben 
wieder  eine  Gefährtin  im  Leben,  Ihre  Tochter  hat  eine  Mutter;  Bande 
der  Familie  und  der  Freundschaft  hat  die  Liebe  enger  geknüpft.  —  Ich 
suche  mir  Ihr  Glück  zu  beschreiben,  und  wenn  ich  es  gleich  nicht  ganz 
empfinden  kann,  weil  ich  es  nicht  kenne,  so  liegt  doch  meine  ganze  Theil- 
nehmung  in  dem  Gedanken,  dass  Sie  glücklich  sind.  Ich  bitte  Sie,  das 
auch  Ihrer  Fr.  Gemahlin  zu  sagen,  der  vielleicht  von  ehedem  noch  einige 
Züge  von  mir  vorschweben. 

Sie  haben  Blüthen  aus  Trümmern2)  hervorspriessen  lassen  —  eine 
Fortsetzung  der  Poesie  und  Prose,  sagt  mein  Vater.  Da  ist  also,  was  ich 
so  lange  wünschte  und  hoffte.  Hätte  ich  sie  nur  schon!  Leider  werden 
es  für  mich  wohl  Frühlingsblumen  seyn;  der  Langsamkeit  der  hiesigen 
Buchhändler  ist  das  nicht  zu  viel  zugetraut. 

An  politischen  Neuigkeiten  bin  ich  diesmal  ganz  arm,  und  bin  herz- 
lich froh  darüber.  Das  Ungewitter  ruht  doch  wenigstens  auf  einen  Augen- 
blick, und  erlaubt  uns,  mit  den  unglücklichen  Überbleibseln  der  halb  aus- 
gerotteten Unterwaldner  Mitleid  zu  fühlen.  Diese  Empfindung  herrscht 
auch  jetzt  in  aller  Herzen,  in  Bern  ist  die  Collecte  äusserst  ergiebig  ge- 
wesen; eine  grosse  Familie  hat  aus  ihrem  Gemeingut  an  600  Carolin's 
für  jene  Feinde  des  neuen  Vaterlandes  gezahlt;  französische  Soldaten 
selbst  sollen  verwais'te  Kinder  adoptirt  haben.  Die  Unterwaldner  leiden 
demüthig  die  geglaubte  Strafe  der  Gottheit,  dafür,  dass  sie  vor  der  Re- 
volution den  Bernern  nicht  thätig  genug  Hülfe  geleistet  haben.  Daran 
soll  indessen  hauptsächlich  Luzerns  Beyspiel  Ursache  seyn,  dem  die 
kleineren   catholischen  Cantone  zu  folgen  gewohnt  waren.  — 

Wir  leben  jetzt  endlich  wieder  auf  dem  Lande,  freylich  nicht  wie 
vorigen  Sommer.  Damit  ja  die  grossen  und  kleinen  Neuigkeiten  des 
Tages  das  beständige  Gespräch  seyn  mögen,  dafür  sorgt  gewöhnlich  ein 
HE.  v.  Goumoens.  Goumoens,  der  mit  seiner  Frau,  einer  Schwester 
der  Fr.  Steiger,  hier  bey  uns  wohnt,  —  ein  Mann  der  seinen  Tag 
zwischen  der  Jagd  und  der  Histoire  des  Voyages  theilt.  Bey  Tische 
führt  er  das  Wort;  HE.  Steiger  antwortet  nur  selten,  wie  aus  einem 
Hinterhalt,  und  ich  bin  stumm ;  meine  Seele  schüttelt  den  Kopf,  weil  mein 
Körper  nicht  darf,  meist  so  sehr  über  das  was,  als  über  das  wie  der  Ge- 
spräche. —  Übrigens  ist  es  mir  ganz  wohl,  ich  ziehe  meinen  Pflug  täg- 
lich weiter.  Die  Franzosen  hatten  auch  mir  allerley  revolutionirt,  was  mir 
die  Stirne  lange  in   pädagogische  Runzeln  faltete;  was  ich  wieder  ins  Gleis 

')  Außer  bei  Ziller  z.  T.  gedruckt  in  den  Oldenburgischen  Blättern  1842,. 
S.  364  Anm. 

2)  Titel  einer  Schrift  von  Halem's. 


September  1798.  03 


habe  bringen  können,  geniesse  ich  jetzt  doppelt  als  zwiefach  erworbnen 
Besitz;  übrigens  verschanze  ich  mich,  halb  ernst,  halb  scherzend  hinter 
allerley  Resignationen,  und  unter  ihrem  Schutze  denke,  träume,  rechne, 
lache  und  seufze  ich,  wie  die  Laune  will.  —  Kaum  darf  ein  junger 
Mensch,  der  Ihre  Güte  bisher  mehr  hochschätzte  als  nutzte,  Ihnen  mehr 
von  sich  sagen.  Es  wird  einmal  besser  werden,  so  hoffe  ich;  und  hoffe 
zugleich  dass  Ihre  Gewogenheit  alsdann  noch  nicht  ganz  verloren  seyn 
werde  für  Ihren  gehorsamen   Diener  F.   Herbart. 

80.      An  Smidt   ill  Bremen.1)       Märchligen  [bei  Bern],  am   26sten  Sept.   1798. 

Es  hat  lange  gewährt,  mein  Bester,  ehe  ich  Dich  um  die  Auszah- 
lung des  Geldes  gebeten,  das  für  mich  in  Deinen  Händen  ist.  Eigentlich 
bat  ich  meine  Mutter  im  vorigen  Winter  aus  Furcht  vor  dem  Schicksale 
der  Schweiz  darum.  Nachher  hoffte  ich  von  Tage  zu  Tage  die  Herstel- 
lung der  Ruhe,  und  wartete  auf  den  Augenblick,  wo  ich  Dich  würde  er- 
suchen können,  es  meinen  Eltern  zurückzugeben.  Denn  wer  wollte  über- 
flüssiges Geld  liegen  haben,  und  wer  möchte  es  jetzt  hier  belegen?  Auch 
jetzt  ist  es  vielleicht  eine  überflüssige  Vorsicht,  wenn  ich  es  nun  noch 
hieher  wünsche;  da  indessen  die  Unruhen  im  Innern,  rund  um  mich  her, 
ungeachtet  aller  harten  Ahndung  nicht  schweigen,  da  die  Spannung  der 
Gemüther  offenbar  wächst,  und  die  Gerüchte  vom  äussern  Kriege  sich 
auch  nicht  zerstreuen  wollen:  so  bitte  ich,  die  100  Rthlr.  an  Hrn.  Poppe 
[2]  et  comp,  zu  Hamburg,  gelegentlich  zu  senden,  da  dann  ein  Herr  Zeer- 
leder  es  mir  hier  zahlen  wird.  Eine  directe  Correspondenz  zwischen  hier 
und  Bremen  habe  ich  nicht  auffinden  können. 

Dass  sich  mein  Leben  noch  ungefähr  so  fortzieht,  wie  ehemals,  siehst 
Du  schon  aus  der  neuen  langen  Pause  unsers  Briefwechsels.  Wie  viel  ich 
dadurch  verliere,  wie  viel  ich  bey  Freunden  wieder  gut  zu  machen  habe, 
das  hat  mir  nichts  so  auffallend  gezeigt,  als  einige  Worte  von  Dir  in 
einem  Briefe  meiner  Mutter.  „Ihr  Sohn  scheint  aus  meinen  Händen  nichts 
verlangen  zu  wollen".  Ist  es  möglich,  dass  Freundschaft  bis  zu  einem 
solchen   Verdachte  abnehme? 

Ich  sollte  nicht  so  fragen;  und  frage  auch  nicht  im  Ernste  so,  denn 
ich  begreife  es  nur  zu  wohl.  Glaube  ja  nicht,  mein  Bester,  dass  ich  Dir 
einen  Vorwurf  oder  eine  Schuld  zuwälzen  wolle,  die  ich  ganz  allein  selbst 
trage.  Aber  ich  gestehe  Dir  auch,  [3]  dass  ich  mich  für  diese  Schuld,  der 
mich  noch  manche  Andre  zeihen,  durch  so  mancherley  gestörte  Verhält- 
nisse mehr  als  gestraft  halte.  Freylich  wird  es  niemand  begreifen,  und 
ich  erscheine  in  jeder  Rücksicht  als  der  allerungereimteste  Mensch,  wenn 
ich  sage,  dass  die  Arbeit,  und  die  Art  zu  arbeiten,  die  ich  einmal  aus 
vester  Überzeugung  gewählt  habe,  mich  nothwendig  so  verstimmen,  so  un- 
mittheilend  machen  musste.  Oder  glaubst  Du  vielleicht,  dass  ich  mich 
nur  Dir  nicht  mittheile?  —  Lies  hier  den  Anfang  eines  Briefes  von  einem 
meiner  nächsten  Universitätsfreunde,   vom  Jun.  98: 

„Nenne  mich  zudringlich,  lästig,  anmaassend,  wie  Du  willst,  —  aber 
,,lass  mich  noch  einen  Versuch  wagen,  ob  keine   Macht  der  Freundschaft 

')  4  S.  8°.     H.  Wien. 


94 


Oktober   1798. 


„mehr  etwas  über  Dich  vermöge.  0  Herbart,  sind  das  meine  Hoffnungen, 
das  Deine  Schwüre?1' 

So  scheine  ich  also  auch  da  den  Schwur  der  Freundschaft  gebrochen 
zu  haben,  weil  ich  nicht  schreibe.   [4] 

Fühlte  ich  nicht,  was  ich  entbehre,  wären  die  innern  Empfindungen 
auch  so  verstummt  wie  die  Worte,  so  hättet  Ihr  alle  Recht.  —  Lass  mich 
Dir  nun  danken,  dass  Du,  bis  auf  den  Augenblick  jenes  Verdachts,  Ge- 
duld mit  mir  hattest;  lass  mich  Dich  bitten,  so  viel  von  Deinen  ehe- 
maligen Gesinnungen  gegen  mich  in  Deinem  Herzen  aufzubewahren,  als 
nöthig  ist,  um  mir  nicht  etwas  geradezu  niedriges,  schlechtes  zuzutrauen. 
Bleibt  auch  nur  ein  schwacher  Funken,  so  lässt  sich  doch  dereinst  viel- 
leicht noch  wieder  eine  wärmende  Flamme  daraus  hervorblasen.   — 

Kürzlich  hatte  ich  einen  angenehmen,  sehr  unerwarteten  Besuch  — 
mit  mündlicher  Nachricht  von  Dir.  Es  war  Lamberts.  Er  hatte  mich 
mit  Mühe  erfragt,  und  glücklich  gefunden.  Er  schien  sehr  wohl,  und  war 
auf  seiner  viermonatlichen  Reise,  am  Rhein  herauf,  vergnügt  gewesen.  Du 
wirst  wissen,  dass  er  nach  Livorno  geht,  um  sich  vielleicht  dort  aufs  neue 
in  einer  Handlung  zu  engagiren.  Vorläufig  ist  er  wieder  mehr  nordwärts, 
nach  Wien  ge reibst,  und  sein  Weg  soll  dann  über  Triest  und  Venedig  gehn. 

W. :  Herbst    1798.     Vierter  Bericht  an  Herrn  von  Steiger.     S.  Bd.  I.     S.  61  —  67. 

81.  Hörn  an  Smidt.  Rastadt  den  7.  Oct.  98. 
—  —  Herbart  will  noch  10  Jahre  so  in  der  Schweitz  bleiben!  Ich  achte  seine 

edlen  Motive,  aber  ich  fürchte  — !  wenn  er  10  Jahr  hindurch  in  seinen  itzigen  ein- 
fachen Verhältnissen  an  sich  gebildet  hat,  u.  er  tritt  dann  hinaus  in  verwickeitere, 
dann  wird  er  manche  Lücke  bemerken,  die  ihm  seine  itzige  Lage  nicht  aufdecken 
konnte,  u.  die  dann  vielleicht  nicht  mehr  ausgefüllt  werden  kann.  —  — 

82.  Gries  an  Steck.  Jena,  26.  Okt.  1798. 
„Ich  lebe  hier  einsam  unter  den  Menschen,    fast  mehr  in  meiner  verlohrenen 

Welt,  als  in  der  wirklichen.  Nur  Eines  Umgang  thut  mir  wohl,  Schellings,  mit 
dem  ich  6  Wochen  in  Dresden  lebte  u.  den  ich  hieher  begleitet  habe.  Er  ist  ein 
herrlicher,  freier  Mensch;  ich  schätze  ihn,  er  nimmt  Antheil  an  mir,  durch  ihn 
ward  größtenteils  mein  Entschluß  bestimmt,  nach  Jena  zurückzukehren.  Sein 
Geist  erscheint  mir  wie  ein  leuchtender  Stern  in  der  Nacht,   die  mich  umgiebt."  .  . 

83.  Steck  an  Fischer.  Bern  28.  Oktober  1798. 
„Herbart  habe  ich  seit  neun  Wochen  heute  wieder  zum  ersten  Mahle  ge- 
sehen, dieß  die  Ursache,  warum  mein  Brief  nun  erst  Mittwoch  abgehen  kann.  Er 
ist  äußerst  fleißig,  hat  die  ganze  Analysis  des  Endlichen  in  Kästner  durchgemacht, 
und  beginnt  nun  die  des  Unendlichen.  Es  ist  unter  uns  verabredet  zwey  Abende 
in  der  Woche  philosophischen  Arbeiten  zu  widmen,  er  will  mir  seinen  Grundriß  der 
Wissenschaftslehre  vortragen,  und  nebenbey  werden  wir  Eichte's  Moral  u.  Naturrecht 
critisch  durchgehen." 

84.  An  Muhrbeck  in  Paris1)  Märchligen,  am  28ten  October  1798. 
Ich  bin  allein,  liebster  Muhrbeck,  —  oder  vielmehr,  wir  Beyden  sind  zusammen 

allein,    zu   einer  traulichen   Unterredung.     Ich   habe    es   in  diesen   Tagen   oft  recht 

l)  7  8.  4°.     H.  Wien.  —  Ist  versehentlich  in  Petit  gesetzt. 


Oktober   1798.  95 

angenehm  gefühlt,  dass  ich  einsam  und  stille  bin.  Wie  gern  möchte  ich  Dich  zu 
mir  einladen,  dass  Du  Dich  bei  mir  sammeltest,  wenn  das  Getümmel  der  Reise  und 
der  grossen  Städte  Dich  ermüdet  hat.  Vielleicht  schiebst  Du  irgend  einmal,  wenn 
Du  auf  Dein  Zimmer  zurückkehrst,  recht  mit  Wohlgefallen  den  Eiegel  hinter  Dir  zu; 
Deine  Gedanken  finden  den  Freund,  und  zwey  Worte  sagen  es  ihm.  Nur  zwey 
Worte,  Lieber,  sie  sind  auch  etwas  werth.  Zu  einem  langen  Briefe  —  wenn  es  Dich, 
nicht  drängt,  raube  Dir  nicht  die  kostbaren  Stunden.  Der  zurückgebliebene  hat  mehr 
Weile,  mehr  Bedürfniss,  seine  Gedanken  können  eher  in  den  sinnigen  Zug  der  Feder 
hereinfliessen,  —  darum  warte  ich  nicht  auf  einen  ersten  Brief  von  Dir. 

Seit  Deiner  Abwesenheit  hat  mich  Kästner  beschäftigt,  nicht  Fichte,  sein  Feen- 
pallast  ist  für  mich  nicht  wohnbar,  und  solltest  Du  allenfals  noch  daran  denken, 
seine  Moral  nach  Paris  zu  wünschen,  rathen  wenigstens  möchte  ich  es  Dir  nicht. 
Unsre  Stunden  sind  gezählt,  bey  mir  wenigstens  wird  das  Verlangen  nach  dem 
Sichern  und  Vesten  jeden  Tag  ungestümer;  zu  wissen,  dass  dieser  und  der  sich  irrt, 
wie  wenig  ist  das?  —  Was  Deine  Augen  sehn,  was  meine  Rechnungen  lehren,  das 
ist  doch  etwas  worüber  man  nachdenken  kann,  ||  —  und  worüber  man  nachdenken 
muss.  —  Kästner  wurde  mir  Anfangs  sehr  schwer,  nach  und  nach  leichter.  Da  ich 
mich  bey  der  Differentialrechnung  in  gutem  Gange  fand,  forderten  meine  Augen 
eine  Pause,  und  ich  gönnte  sie  ihnen  gern,  denn  die  Mathematik  füllte  mich  nicht. 
Nur  dunkle  Bilder  blieben  mir,  wenn  ich  vom  Buche  aufstand;  Erinnerungen  aus 
mancherley  Zeiten  fanden  Platz;  mancherley  Töne  klangen  durch  einander;  manche 
gute  Stunden  haben  sich  über  grössre  Zwischenräume  hinweg  die  Hand  gereicht;  in 
allerley  Gestalten  habe  ich  mich  selbst  wiedererkannt.  —  Es  ist  mir  aufgefallen, 
lieber  Muhrbeck,  dass  ich  in  der  ganzen  Zeit,  wo  Du  mich  kanntest,  mir  selbst 
unähnlich  gewesen  bin.  Vielleicht  kann  es  Dir  selbst  aufgefallen  seyn,  dass  das 
Wesen,  was  Du  vor  Dir  so  hastig  hin  und  her  laufen,  schreyen,  ächzen,  und  mit- 
unter einschlafen  sähest,  unmöglich  in  einem  solchen  Zustande  sich  die  Aufgaben 
gegeben  haben  konnte,  derentwegen  es  so  unstät  und  so  wenig  geniessend  arbeitete, 
dass  das  Gefühl  der  Mühe  diese  Bestrebungen  in  ihrem  Entstehn  der  Natur  der 
Dinge  nach  hätte  aufheben  müssen.  Ich  sage  nicht,  dass  ich  sonst  besser  gewesen 
sey;  ich  kann  andrer  Perioden  wegen  nicht  eben  mehr  als  wegen  der  letzten  mit 
mir  zufrieden  seyn,  eins  wie  das  andre  erscheint  mir  als  eine  Reihe  nothwendiger, 
oder  aus  den  Umständen  ganz  erklärlicher  Durchgänge.  Aber  eine  unruhige  Seele 
erzeugt  gewiss  kein  reines  Ideal.  Nur  wenn  sie  stille  ist,  wie  ein  spiegelnder  See, 
freut  sie  sich  des  unbewölkten  Himmels  über  ihr,  und  möchte  von  dem  Sternen- 
lichte, ||  das  ihr  vergönnt,  ist,  jedes  helle  Pünctchen  in  sich  abbilden.  Das  ist  Wiss- 
begierde, das  ist  der  Reiz  des  Denkens.  Ich  gestehe  Dir,  dass  ich  in  den  letzten 
beyden  Jahren  diese  Empfindung  oft  gesucht  und  vermisst  habe ;  ich  erinnerte  mich 
ihrer  aus  meiner  frühern  Jugend;  ich  wusste,  dass  das,  was  mich  damals  trieb, 
jenes  Sinnen  und  Horchen,  und  die  Freude,  die  darin  lag,  etwas  ganz  andres  war, 
als  alle  die  Antworten,  die  ich  auf  die  Frage  nach  dem  Zweck  der  Wissenschaften 
jetzt  wol  in  Bereitschaft  hatte.  —  Ganz  anders,  wusste  ich,  hatte  ich  ehemals  meine 
Musik  vorgetragen,  viel  leiser  und  behutsamer  mit  dem  Finger  die  Taste,  und  den 
Ton,  und  den  Grad  seiner  Stärke  gesucht,  es  hatte  dann  geklungen,  nicht  gelermt. 
Ein  paar  hübsche  leichte  Sonaten,  die  ich  den  Rudi  lehren  sollte,  —  der  leichte 
Anschlag  meines  neuen  Fortepiano's,  —  und  wer  wreiss  was  sonst,  hat  mir  ein  paar 
heitre  Tage  geschafft  —  wenn  ich  genug  gespielt  hatte,  bin  ich  herum  gelaufen, 
ohne  mir  über  etwas  den  Kopf  zu  zerbrechen,  und  bin  zufälliger  Weise  in  die 
Spuren  meiner  Jugendzeit  ge rathen. 

Wenn  die  Begierden  gestillt  oder  gezähmt  sind,  —  wenn  der  Geist  von  Natur 
wach  ist,  —  wenn  er,   an  Thätigkeit  gewöhnt,    und  hiehin  und  dorthin  gelenkt  und 


o6  Oktober   1798. 

ein  wenig  gedehnt,  nun  frey  wird  vod  bestimmten  Gegenständen,  wenn  dann  der 
erwachende  Gedanke  Zeit  und  Ruhe  hat,  zum  klaren  Bewusstseyn  zu  gelangen,  und 
keine  widrige  Nebenidee  ihn  zurückscheucht,  so  fangen  wir  mit  einfachem  Kinder- 
sinn an  zu  fragen,  an  dem  ersten  besten  Knoten  zu  ziehen  und  zu  nagen,  sind 
überglücklich,  wenn  [|  er  sich  ein  wenig  lüftet;  haben  auch  für  Jahre  lang  keine 
Langeweile,  wenn  er  sich  nur  hin  und  her  wenden  lässt,  —  und  wissen  wahrlich 
recht  gut,  was  wir  wollen,  und  worüber  wir  uns  freuen.  Werden  der  Fragen  viele, 
verschlingen  sie  sich  von  manchen  Seiten  her  in  einander,  so  möchten  wir  das  Werk 
klüger,  methodischer  angreifen  und  drängen  uns  in  die  Hörsaale  der  Philosophen. 
Begrübe  man  uns  doch  nun  nicht  unter  Worte,  täuschte  man  uns  nicht  mit  leeren 
Versprechungen,  lockte  man  uns  doch,  unsern  eignen  Weg  fort  zu  suchen  und  zu 
spüren,  anstatt  uns  zum  Hören  zu  verdammen.  Da  ermattet  das  innere  Treiben, 
es  entstehn  die  unseligen  Fragen:  Warum?  Wozu?  und  was  wir  vorhin  unmittelbar 
wollten,  mag  sich  nun  noch  so  trefflich  als  Mittel  rechtfertigen,  damit  bekommt  die 
Feder  ihre  Elasticität  nicht  wieder.  An  den  Nutzen  des  Denkens  zu  denken,  stört 
das  Denken.  Hätte  ich  vor  sechs  Jahren  gewusst,  was  ich  jetzt  weiss,  in  ein  paar 
Monaten  stünde  ein  philosophisches  System  da,  —  wenigstens  zur  Probe.  Jetzt  suche 
ich  nach  Rüstzeugen  umher,  die  schweren  Steine  zu  heben,  Analysis  des  Unendlichen], 
Combinationslehre,  philos.  Literatur,  Erfahrung  an  Menschen  und  Kindern  —  wer 
weiss  was  alles.  Könnte  ich  mich  wieder  verjüngen,  das  wäre  besser  als  alles. 
Und  kann  ich  es  je,  so  kann  ich  es  in  meiner  jetzigen  Lage.  Wenn  sie  nur  nicht 
immer  mit  unerwarteten  Stürmen  drohte!  —  Sonst  —  die  Einförmigkeit  der  Lebens- 
weise, die  die  Begierden  so  von  weitem  umzäunt,  —  die  immer  wiederkehrenden 
Stunden,  die  immer  binden  und  wieder  frey  lassen  —  die  Kinder,  die  ||  immer  er- 
innern, ohne  zu  plagen,  mein  Verzichtleisten  auf  das  Greifen  nach  allem  was  man 
in  meinem  Alter  gewöhnlich  sucht;  —  könnte  ich  mich  nur  recht  überzeugen,  dass 
unsre  Reise  nach  Paris  und  alles  was  damit  zusammenhängt,  von  mir  noch  soweit 
entfernt  ist,  als  von  einem  10  jährigen  Knaben  sein  zwanzigstes,  so  würde  ich  wol 
noch  einmal  zum  Knaben,  Hesse  Seele  und  Leib  gehn,  springen,  laufen,  fühlte 
Herzenslust  darin,  quälte  mich  unbesorgt  Tagelang  um  Kleinigkeiten,  und  hätte  Ersatz 
für  den  Zeitverlust  durch  das  schnellere  Verfolgen  einer  glücklich  gefundenen  Spur, 
gewönne  wieder  Neuheit,  Klarheit,  Einfachheit  — 

Du  kennst  mich  noch  nicht,  bester  Muhrbeck.  Tief  in  meiner  Seele  ist  eine 
Quelle  der  Freude,  die  sich  vor  Zeiten  in  Strömen  ergoss,  —  die  jetzt  verschüttet, 
aber  wol  noch  nicht  vertrocknet  ist.  Jauchzen,  springen,  tanzen,  —  tanzen  war  bis 
in  mein  vierzehntes  Jahr  mein  höchstes  Leben.  Könnt  ich  davor,  dass  nachher  die 
Mädchen  mich  nicht  mehr  von  der  Strasse  hohlen  konnten,  um  von  mir  ihre  Reihen 
ordnen  zu  lassen?  Mehr  als  eine  jetzige  Dame  in  01denb[urg]  könnte  ich  an  so 
etwas  erinnern.  —  Und  wie  mich  die  Freundschaft  glücklich  machen  könne,  lieber, 
lieber  Muhrbeck,  Du  bist  so  ganz  mein  Freund,  und  weisst  das  so  gar  nicht!  Ist 
das  nicht  traurig?  —  Denn  was  wir  zusammen  genossen  haben,  verschwindet  wie 
nichts  gegen  die  köstlichen  Augenblicke,  die  mir  wie  Juwelen  durch  die  Vergangen- 
heit glänzen,  und  jede  ||  meiner  frühern  Freundschaften  bezeichnen.  Geprüft  haben 
wir  einander;  auf  manche  Probe  habe  ich  —  wahrlich  ohne  meinen  Willen  —  Deine 
Freundschaft  gesetzt,  und  Du  hast  sie  bestanden;  —  hast  mich  erquickt  und  erfrischt, 
wenn  ich  ganz  welk  war.  Komm,  komm  in  die  Schweiz  zurück;  heissen  Dank 
klopft  mein  Herz  Dir  entgegen;  und  herrliche  Stunden  sollen  Dich  feyerlich  ein- 
weihen in  den  Kreis  der  Meinen. 

Doch  stille  —  Du  merkst  mein  Brausen,  das  kennst  Du  und  liebst  es  nicht. 
Nicht  den  Leichtsinn,  nur  die  Lauterkeit  des  Knaben  will  ich  zurückwünschen.    Eine 


November  1798.  gy 


stille,  weisere  Innigkeit  soll  uns,  in  ihr  wollen  wir  uns  einander  durchdringen. 
Über  unser  Handeln  wollen  wir  wieder  rathschlagen,  wir  wollen  es  richten,  uns 
unterwerfen,  und  darauf  herabsehn  lernen,  es  soll  uns  so  sicher  und  genau  und 
nothwendig,  aber  uns  selbst  so  zufällig  nachfolgen,  wie  dem  Leibe  sein  Schatten. 
Unsre  Gedanken  wollen  wir  in  Fluss  bringen;  jeden  chaotischen  Klumpen  wollen 
wir  anhalten,  dass  die  Liebe  ihn  erwärme  und  zerschmelze,  und  in  einer  reinen 
Sprache  zwischen  Dir  und  mir  hin  und  her  leite.  Ganz  sagen  zu  können,  was  man 
meint,  es  in  seiner  wahren  Bestimmtheit  zu  sagen,  ohne  Mangel,  ohne  Zusatz,  — 
in  der  Folge,  in  der  Verknüpfung,  wie  es  die  Natur  des  Gedankens  will,  welche 
schwere,  welche  nothwendige  Kunst!  Aber  dann  müssten  unsre  Gedanken  selbst  aus 
unsrer  Seele,  unverstümmelt,  ganz  gegliedert,  ohne  Schminke,  in  natürlicher  Schöne, 
wie  aus  Amphitritens  Schoosse  Venus  Urania,  hervorspringen.  || 

Ich  erinnere  mich  unsrer  letzten  Gespräche.  Es  ist  eine  Erinnerung,  deren  ich 
zu  wenig  gedacht  hatte,  um  jetzt  etwas  daran  auszuführen.  Was  ich  Dir  mittheilen 
wollte,  kommt  mir  jetzt  so  wenig,  so  nur  halb  geboren  vor.  Sage  mir  wann  Du 
es  wünschest;  gelingt  mir  eine  glückliche  Wiedergeburt,  so  sollst  Du  es  haben.  In 
der  reinen  Mathematik  habe  ich  noch  nichts  weiter  davon  zu  brauchen  gewusst,  das 
neu  gelernte  ist  mir  noch  zu  neu,  das  Alte  zu  unvollständig,  um  meine  Kraft  recht 
daran  zu  versuchen.  —  Du  bist  auch  in  Paris.  Ich  wünsche  Dir  Glück  zu  dem 
Entschlüsse,  bei  Deinem  Vater  auf  einen  längern  Aufenthalt  zu  dringen.  Sieh,  höre, 
geniesse  wenn  Du  kannst,  sammle  was  nicht  für  den  Genuss  ist,  —  bewahre  die 
Freundschaft  und  Dich  selbst. 

85.     Böhlendorff  an  Rist.1)  Bern,  10.  Nov.  98. 

Dass  ich  Dir  auf  Deinen  herrlichen  Brief  vor  anderthalb  Jahren  eine  lange 
Antwort  geschrieben,  sie  Herbart  abgegeben,  damit  er  auch  sein  Wort  hinzufügen 
möge;  dass  dieser  Brief  ein  Vierteljahr  bei  dem  Freunde  lag,  ohne  dass  er  zum 
Supplementiren  hätte  kommen  können,  dass  ich  ihn  dann  als  zu  alt  nicht  absenden 
wollte,  dass  ich  sowohl  als  Herbart  nach  diesem  hundertmal  geschrieben  —  ge- 
schrieben —  geschrieben  —  nur  nicht  bis  zur  Feder  gekommen  bin ,  das  sage  ich 
Dir  nur  im  Vorbeigehen,  nicht  als  Entschuldigung  (wo  es  unmöglich  ist,  zu  ent- 
schuldigen) sondern  nur,  damit  Du  bei  Betrachtung  unserer  Schulden  das  Herz  in 
Anschlag  bringst,  welches,  je  mehr  es  zu  sagen  haben  möchte,  desto  weniger  zum 
Worte  kommen  kann.  —  —  Herbart  hat  sein  System  gefunden.  Lache  nur  nicht; 
es  ist  sehr  ernstlich  gemeint.  Ich  bin  zwar  selbst  noch  keinem  philosophischen 
System  zugethan,  aber  dennoch  könnte  es  leicht  sein,  dass  ich  und  Steck,  die  wir 
beide  eine  Stunde  wöchentlich  Herbart  philosophiren  hören,  von  dem  neuen  Propheten 
besiegt  würden.  Dass  es  kein  System,  wie  von  Reinhold,  Kant,  Fichte,  Schelling 
—  sondern  eine  ganz  andere  Art  von  Systemen  sei,  kann  Dich  schon  seine  Ent- 
stehung lehren.  Fichte  hat  die  Wissenschaftslehre  zuerst  im  Traume  gesehen; 
Herbart  hingegen,  nachdem  er  sich  durch  Fichte's  und  Schelling's,  Kant's  Systeme 
durchgearbeitet,  Chemie,  Mathematik  als  schwere  Steine  langsam  vor  sich  hergewälzt, 
und  mit  einer  gewissen  selbstbewusscen  Macht   in  der  Welt  um   sich  her  gesehen, 

a 

*)  Wie  Steck  im  Berner  Taschenb.  aufs  Jahr  1900,  S.  41  nachweist,  ist  der 
Brief  am  10.  Nov.  (statt  Dezember)  geschrieben.  „Ziller  hat  zwar  den  Irrtum  be- 
merkt, aber  nicht  sicher  ,'zu  heben  vermocht.'1  Dieser  Brief  und  der  folgende  ge- 
hören zusammen;  der  erste  Brief  wird  nach  Ziller  (Reliquien)  mitgeteilt,  der  zweite 
nach  dem  im  Besitze  von  Dr.  Smidt  befindlichen  Originale.  —  S.  auch  Bd.  I,  S.  40 f. 

Herbarts  Werke.     XVI.  7 


qS  November   1798. 


dann  in  sein  eignes  Herz  zurückgesehen,  entstand  das  seinige  l)  in  dem  anmuthigen 
Wäldchen  von  Engisstein,  unweit  Höchstetten,  wo  er  drei  Wochen  eremitisirte ;  und 
ein  solches  System,  in  der  freien  Natur  entstanden,  verschmäht  die  Anhänglichkeit 
freier  Naturen  nicht.  Wir  selbst  sind  selbstredend  jetzt  nur  noch  im  Vorhofe2)  be- 
griffen; wenn  wir  ins  innere  Heiligtum  gelangen,  so  soll  Dir  das  Deinige  nicht  vor- 
enthalten werden.  Für  jetzt  will  ich  Dich  nur  zur  Taufe  eines  Kindes  eingeladen 
haben,  das  den  Genius  des  Gedankens  zum  Erzeuger,  die  Natur  zur  Mutter,  die 
Freundschaft  zur  Säugamme  gehabt  hat.  Eine  neue  Republik  wird  des  Kindes 
Wärterin  sein,  die,  wenn  sie  gleich  das  Kind  bisweilen  fallen  lässt,  doch  desto  eher 
es  zum  Gehen  und  freien  Selbstbewegen  fähig  macht.  —  Herbart  ist  bis  auf  einige 
Unannehmlichkeiten,  welche  das  Leben  des  Freiesten  oft  am  stärksten  anfechten, 
weil  es  nichts  von  sich  werfen,  sondern  alles  ordnen  und  erhalten  will,  gesund  und 
wohl  —  wie  ehemals  ist  Klarheit  der  Gedanken,  Treue  im  pflichtmässigen  und 
männlichen  Lieben  seiner  Freunde  ihm  eigen,  und  —  wie  ehemals,  thut  er  nichts 
ohne  Zweck;  welche  Zweckmässigkeit  seiner  Faulheit  im  Brief  seh  reiben  sehr  zu  Statten 
kömmt.  —  —  Herbart  grüsst  Dich  zärtlich.  Dein  Böhlendorf. 

86.    An  Rist. 

Grüssen  will  ich  Dich  selbst,  mein  geliebter  Rist,  —  entschuldigt  hat 
mich  Böhlendorf  so  meisterhaft,  dass  höchstens  Deine  Freundschaft  noch 
etwas  hinzufügen  könnte.  Wie  willkührlich  er  in  seinen  Gemälden  mit 
Licht  und  Schatten  umgeht,  siehst  Du  ohne  mein  Erinnern;  und  erkennst 
den  Künstler,  der,  da  er  einmal  den  Pinsel  in  seiner  Hand  fühlte,  nicht 
Lust  hatte,  nur  Portraits  zu  malen.  Aber  gleich  Anfangs  hatte  Dein  Bild 
ihn  zu  einer  Begeisterung  fortgerissen,  und  wen  sollte  das  nicht  erheben, 
unter  vielen  Freunden,  die  mehr  oder  weniger  gedrückt  sind,  nun  den 
einzigen  zu  erblicken,  der  mit  heller,  klarer  Stimme  spricht:  ich  bin  heiter 
und  froh;  und  von  dem  wir  alle  begreifen,  wie  er  es  durch  sich  selbst 
ward,  und  wie  er  es  durch  sich  selbst  bleiben  wird.  Auch  ich  sehe  noch 
die  freundliche  Gestalt,  die  mir  oft  nur  begegnen  durfte,  um  mich  von 
Laune  und  Schwäche  zu  erlösen;  höre  noch  die  Rede,  und  kenne  noch 
die  Empfindung,  die  sanft  und  schnell  und  stark  zugleich  bewegt  und 
bewegend,  Dir  eigen  ist,  und  allem  was  Dir  naht,  Wohlthat  wird.  Strebe 
denn  geniessend  weiter,  und  trage  aus  Deinem  Umkreise  mit  Dir  fort, 
was  Du  erreichen  kannst.  Mich  triffst  Du  wol  auf  Deinem  Lebenswege 
so  bald  nicht  wieder.  Ach  es  ist  schon  von  so  lange,  dass  ich  mich 
Deiner  erinnere!  Von  dem  glücklichsten  Vierteljahre,  das  ich  bisher  erlebte. 
Damals  sah  ich  alles  Gute  und  Schöne  so  nahe;  die  Langsamkeit  des 
Erringens  hat  es  mir  so  weit  aus  einander  gerückt. 

Wie  Du  lebst,  davon  sage  mir  doch  etwas.  Ich  mag  mir  gerne 
meine  Freunde  vorstellen  können,  wie  sie  von  Morgen  bis  Abend  ihre 
Zeit  zubringen,  und  wohin  gerichtet  ihre  Elasticität  sich  vorzugsweise  aus- 
dehnt.    Dein  geschäftiges  Leben  bestimmt  ohne  Zweifel  der  Graf  Schimmel- 

')  Vgl.  Bd.  I,  S.  96ff.  u.  II,  S.  515,  ferner  Hartenstein  a.  a.  0.  I,  S.  XLII 
und  Zeitschrift  f.  ex.  Phil.  I,  S.  62. 

2)  Vgl.  Bd.  I,  S.  84 :  „Reicht  mir  die  Hände,  ihr  Freunde !  So  als  Freunde  ge- 
sellt, wollen  wir  dem   Vorhofe  einer  heiligen  Stätte  entgegengehen!" 


Dezember   1798.  gg 


mann1),  und  welche  Hoffnungen  zeigt  er  Dir  weiter?  Ich  muss  eilen,  wenn 
ich  Dir  noch  von  den  Knaben  erzählen  will,  die  nun  bald  kommen  werden, 
den  Homer  in  der  Hand,  mich  abbrechen  zu  heissen.  Es  sind  zwey 
gute  Jungen,  aus  denen  etwas  werden  kann,  wenn  aus  mir  etwas  wird, 
und  das  Zutrauen  der  Eltern  mir  bleibt.  An  ihrem  altern  Bruder  habe 
ich  viel  Kraft  und  Zeit  umsonst  verwendet;  seine  Empfindung  war  so 
ganz  unaufgeregt,  da  ich  ihn  fand  und  wurde  während  meines  Hierseyns  so 
nachtheilig  gereizt  durch  die  Revolution,  dass  sein  schöner  Körper  und 
sein  im  Ganzen  schuldloser  Sinn  wol  denen  wird  genügen  müssen,  die 
ihm  auch  Geist  und  Herz  wünschten.  Ich  unterrichte  ihn,  aber  mein 
Eifer  wendet  sich  von  ihm,  mehr  auf  seine  Brüder,  vorläufig  am  meisten 
auf  mich  selbst;  nach  einiger  Zeit  wird  dies  beydes  hoffentlich  dasselbe 
werden  können.  Ich  wünsche  noch  lange  hier  zu  bleiben;  die  Eltern 
haben  mir  auch  gesagt,  dass  sie  es  wünschen,  nur  zuweilen  muss  ich 
zweifeln,  ob  sie  ihren  Wunsch  so  gut  überlegt  haben  wie  ich  den  meinigen. 
Hr.  St.  ist  unter  Allen  die  ich  kannte,  der  Mann,  dessen  Charaktergrösse 
ich  am  meisten  bewundere;  ich  habe  ihn  bey  vielen  und  mannigfaltigen 
Gelegenheiten  verehren  gelernt;  aber  die  Revolution,  die  er  so  trefflich 
ertrug,  so  lange  er  darunter  litt,  scheint  jetzt,  da  er  nicht  leidet,  eine 
Leidenschaftlichkeit  in  ihm  zurückgelassen  zu  haben,  von  der  ich  nicht 
weiss,  ob  ich  mich  immer  damit  vertragen  werde.  —  Was  ich  gearbeitet, 
hat  Dir  B[öhlendorf]  richtig  angegeben,  wenn  Du  statt  eines  Systems 
einige  erste  Puncte  davon  denkst,  deren  Unrichtigkeit  ich  beyrn  weitern 
Auszeichnen  noch  nicht  gefunden  habe.  Mir  wäre  das  an  Dich  noch 
nicht  der  Rede  werth  gewesen;  und  Du  wirst  es  hoffentlich  keiner  weiteren 
Rede  werth  halten.  Kaum  kann  es  bis  jetzt  die  Freunde  interessiren, 
deren  mündliches   Urtheil  mich  berichtigen  kann. 

Leb  wohl  mein  Theurer,  erzähle  mir  wieder  von  Dir.  Unsere  Herzen 
sind  auf  immer  vereint.  Dein   Herbart. 

W.:    Spätherbst   1798.     Fünfter  Bericht  an  Herrn  von  Steiger.     S.  Bd.  I.     S.  67  —  70. 

87.  Steck  an  Fischer.  9.  Dezember  1798. 

„Wahrscheinlich  weißt  Du  nicht,  daß  Herbarts  Mutter  wieder  in  Jena  ist. 
Warum?  wie?  ...  ich  weiß  nicht,  aber  Manches  ist  vorgegangen,  deß  ich  schon 
lange  mich  versah,   und    das    unserem    trefflichen  Freunde   tiefen  Kummer  macht.1' 

88.  Fischer  an  Steck  u.  Zehender.  Luzern,  Nov.  0.  Dez.  1798. 

Urteil  über  Zschokke. 2)  „Es  wird  mir  daher  nie  recht  wohl  bey  ihm,  u.  ich  habe 
meinem  Herzen  Gewalt  angethan,  um  den  Verstand  zu  befriedigen.  Vielleicht  wird  es 
besser,  aber  auf  jeden  Fall  mangelt  es  ihm  an  Biegsamkeit  u.  Empfänglichkeit,  welche 
die  Kriterien  der  Wahrheitsliebe  u.  der  sanften  Humanität  sind.  Himmel,  welch  ein 
Unterschied,  wenn  er  oder  Muhrbeck  auf  dem  Klavier  spielt,  u.  doch  ist  jener  stärker, 
—  oder    wenn   Böhlendorff   oder  Herbart    über  Kunst    und   Philosophie   sprechen, 


*)  Dänischer  Minister,  bei  dem  Rist  Privatsecretär  war,  bevor  er  dänischer  Ge- 
schäftsträger an  mehreren  auswärtigen  Höfen  und  zuletzt  Conferenzrath  in  Schleswig 
wurde. 

2)  S.  Steck,  Fischer,  S.  34. 

-7* 


jqq  Dezember  1798. 


anstatt  Zschokke.  —  Hier  wird  mir   das  Wort   abgeschnitten,   dort  spinnt  sich  das 
Gespräch  weiter,  weil  sich  das  Herz  dabey  erwärmt." 

89.     Steck  an  Zehen  der.  (Ohne  Datum.    Dez.  1798?) 

„Mein  Theurer.  Ich  bedaure  recht  sehr,  Dir  doppelt  Mühe  zu  machen:  ich 
fragte  Herbart  ob  er  ohne  Entbehrung  mir  die  Hälfte  meines  Vorschußes  von 
100  Kronen  ersetzen  könnte,  nun  sendet  er  mir  statt  50  kr.  —  80.  Heute  bat  ich 
ihn,  den  Ueberschuß  über  jene  Hälfte  wieder  zurückzunehmen:  darf  ich  Dich  wohl 
ersuchen,  mein  Bester,  ihm  30  kr.  zuzustellen  und  Dich  bei  Notar  Meyer  gegen 
beyliegende  Assignation  bezahlt  zu  machen;  ich  füge  zugleich  einen  Empfangsschein 
für  Herbart  bey,  wenn  Du  ihm  allenfalls  keinen  in  meinem  Namen  schon  aus- 
gestellt hast.'1 


1799. 


90.  Steck  an  Fischer.     19.  Januar  1799.     [Projekt  der  Bildung  der  literarischen 

Gesellschaft  in  Bern.1)] 
„Da  es  nun  einmahl  so  ist,  daß  wir  hier  mitmachen  müssen,  so  halte  ich 
die  Ausführung  auf  folgende  Weise  die  zweckmäßigste.  Es  ist  unter  uns  verabredet, 
vor  der  Hand  in  einem  kleineren  Zirkel  uns  zu  berathen.  "Wir  gedenken  "Wagner, 
Grüner,  "Wyttenbach  (Pfarrer),  womöglich  Wyttenbach  gewesener  Unterschreiber, 
Böhlendorf,  Herbart,  Zehender,  Schiferli  zu  versammeln  und  mit  ihnen  einen  Ent- 
schluß zu  nehmen.  Ich  berechne  den  Erfolg  vorzüglich  darauf,  eine  Aussöhnung 
und  Näherung  der  verschiedenen  Denkarten  dadurch  zu  bezwecken,  zu  diesem  Ende 
vormahls  angesehene  Männer  hereinzuziehen,  gemäßigte  Männer  aus  der  Exregenten 
Claße.  Ich.  mache  mir  auch  Hoffnung  auf  den  Präsident  der  Verwaltungskammer 
Bay  und  auch  Zeerleder,  der  letztere  besonders  ist  eine  sehr  wichtige  Person.  Der 
Erfolg  ist  schlechthin  bedingt  durch  den  Beytritt  von  Männern  dieser  Art,  wie  ge- 
sagt, ich  lechne  bloß  auf  die  Wirkung  auf  unser  Stadt-Publikum  und  diese  läßt 
sich  nur  durch  jenes  sichern.11 

91.  An  Fichte  in  Jena.2)  Bern  24  März  1799. 
Hier,    mein    verehrtester    Lehrer,    eine    Probe;    Ihrem    Befehl    gemäss 

möglichst  klein  und  kurz. 

Der  Anfang  Ihres  Briefes  hat  mich  sehr  geschmerzt.  So  unwerth 
bin  ich  Ihnen  geworden,  dass  Sie  an  Erklärungsgründe  meines  Handelns 
nicht  einmal  mehr  denken  mögen!  Ich  würde  nach  der  Ursache  fragen, 
wenn  ich  nicht  zu  vergessen  scheinen  könnte,  dass  Ihre  bisherige  Theil- 
nahme  an  mir  bloss  freye  Güte  war. 

Meine  Ueberzeugungen  sind  mir  klar,  und  ich  halte  sie  für  wichtig. 
Darum  schrieb  ich  an  Sie.  Nicht,  wie  Sie  zu  vermuthen  scheinen,  um 
mich  zu  einer  liter.  Fehde  an  Ihnen  zu  versuchen.  (Für  Ihre  Erlaubniss 
einer  schriftlichen  Mittheilung  aber  meinen  verbindlichsten  Dank;  Prüfung 
und  Antwort  von  Ihnen  wird  mir  ein  kostbares  Geschenk  seyn,  und  mir 
zugleich  andeuten,   ob  ich  jene  Erlaubniss  noch  weiter  ausdehnen  dürfe.)3) 

Mit  unveränderlicher  Hochachtung  Ihr  gehorsamer  H.  || 

1)  S.  R.  Steck,  Fischer,  Bern  1907,  S.  33 f. 

2)  2  S.  8°.  H.  Wien.  Zuerst  veröffentlicht  von  R.  Zimmermann  in  „Perioden 
in  Herbarts  philosophischem  Geistesgangu  (Sitzungsbericht  der  phil.-hist.  Klasse  der 
Kaiserl.  Akademie  der  Wissensch.  LXXXIII.  Bd.  S.  232,  Wien,  Mai   1876). 

3)  Das  Eingeklammerte  ist  im  Original  Fußnote. 


102  März   1799- 

Syst.   der  Sittenl.  pag.  9. 
,Der  Begriff  des  Ich  wird  gedacht,  wenn  das  Denkende  und  das  Ge- 
dachte im  Denken  als  dasselbe  genommen   wird'.     Dies  ist  unser  gemein- 
schaftlicher Anfangspunkt. 

pag.   14. 

,Der  Charakter  des  Ich  ist  der,  dass  ein  Handelndes  und  eins,  worauf 
gehandelt  wird,  Eins  sey  und  eben   dasselbe'. 

Dies  ist  ein  höherer  All  gern  ein  begrpff]  als  der  obige.  Aber  jener,  in 
seiner  ganzen  Bestimmtheit,  und  kein  anderer,  ist  der  Begriff  des  Ich. 
Das  Denken  ist  also  nie  aus  dem  Spiele  zu  lassen. 

Nur  insofern  findet  das  Ich  Sich  —  Sein  Ich  —  inwiefern  es  das 
Denkende  als  das  Gedachte  findet.  Dieser  Begriff,  in  seiner  Strenge  bey- 
behalten,  giebt  freylich  einen  endlosen  Cirkel,  in  welchem  immer  das  letzte 
Object  fehlt.  Ein  solches  letztes  Object  wird  also  durch  den  Begriff  des 
Ich  zwar  gefordert,  aber  keineswegs  gegeben.  Es  wird  immer  etwas 
Anderes  als  das  Ich  —  ein  N.-I.  seyn.  —  Aber  es  soll  zugleich  das  Ich 
selbst  seyn.  —  Das  Problem  muss  gelöst  werden,  ohne  eine  von  den 
schon  veststehenden   Bestimmungen  zu  verlieren. 

Da,  wo  die  ideale  in  sich  zurückgehende  Thätigkeit  selbst  gefunden 
werden  sollte,  eine  reale  einschieben,  ist  eine  unstatthafte  Verwechslung 
der   Begriffe,  also  die  Deduction  des   Wollens  unrichtig. 

92.  Hörn  an  Srnidt  ßastadt  31.  März  99. 
B[öhleudorff]  hat  mir  einen  Brief  von  Herbart,  den  er  an  Mfuhrbeck]  mit 

nimmt,  vorgelesen,  der  mich  sehr  interessirt  und  meine  Idee  von  H.  noch,  erhöhet 
hat.  Er  trauert  sehr  über  das  üble  Verhältniß  seiner  Eltern  und  die  Krankheit 
seiner  Mutter,  die  in  Jena  am  Blutauswurf  leidet.  Er  hat  kürzlich  an  Fichte  über 
seine  Appellation  geschrieben,  daß  er  Manches  von  ihm  selbst  widerlegt  zu  sehen 
wünsche,  und  er  ihm  bald  etwas  über  seine  Philosophie  zu  schicken  und  seiner 
strengsten  Prüfung  unterwerfen  wolle.  Fichte  hat  ihm  nach  Bohlendorfs  Angabe, 
mit  Empfindlichkeit  u.  so  geantwortet,  wie  man  seinen  Schüler  zurechtweisen  will. 

93.  An    Böhlendorff. x)  Anfang  Juni  1799. 
Dein  Geist  ereilte  die  Heimath  schnell,  —   die  Freundschaft  schwebt 

ihm  nach   —   grüsst  ihn  mit  freudigem  Glückwunsch   —  aus  voller  Seele. 

Du  dachtest  unsrer  Vergangenheit,  —  der  Bitten  auch,  die,  zu  be- 
gleiten Dich  in  neue  Kreise  —  mit  Dir  zu  schauen  in  andern  Menschen 
andre  Formen  des  Einen  Geistes  —  mit  Dir  zu  lieben  jegliches  Schöne, 
mit  dem  das  Gute  bekränzt  auf  Deinem  Pfade  Dir  entgegentritt,  —  sich 
sehnend  an   Dich  schmiegten,   und   Dich  nicht  lassen   wollten. 

Mich  dünkt,  ich  sehe  sie,  die  beyden  Freunde;  —  doch,  lass  zwischen 
mir  und  ihnen  mehr  die   Ferne  noch  verschwinden. 

Ich  danke  Dir,  —  schon  schätzte  ich  sie,  —  doch  um  sie  zu 
kennen,  fragt  ganz  einfach  die  Neugier  —  so  ungefähr: 

Tig;  nodtv  tiq  olvÖquw,  nodi  toi  noliq  rjd'e  roxrjsg;  onnoirjg  d'  im  vtjoq 
u(fixto ; '-)   — 

1)  H.  Wien.   —  S.  Zimmermann,  Briefe  pp. 

2)  Homer  Od.  XIV,   187. 


__ Juni   I799-  103 

Soll  ichs  übersetzen? 

Welcher  Hafen  entliess,  —  durch  welche  Klippen  bedrohet,  welchem 
Leitstern  folgend,  entkamen  glücklich  an   Euer  Ufer,   die  Schiffenden? 

Ein  paar  freye  Federzüge  noch,  Du  lieber,  zu  ihres  Wegs  Bezeich- 
nung, erfüllen   meinen   Wunsch  und   füllen   meinen  Dank.  — 

Unter  gleichem  Clima  wandeln  wir  —  doch  Du  versteckt  in  heiligen 
Hainen,  getrieben  vom  Geiste  des  Landes,  leihst  ihm  Deine  Stimme  — 
mich  reisst  die  schlaue  Bosheit  alter  Politik,  die  Wuth  der  Eifersucht 
nachbarlicher  Städte,  aus  dem  süssen  Traume  von  der  goldnen  Heroen- 
zeit, aus  dem  Staunen  über  Lykurgs  und  Solons  Weisheit,  von  den  Tro- 
phäen des  höchsten  siegenden  Muthes  —  hinweg  in  den  Schutt  über- 
einanderstürzender  Grösse,  auf  die  Schlachtfelder,  wo  der  Ehrgeiz  sich 
selbst  ermordet,  in  die  Schwüle  ermüdender  Wiederhohlung  immer  gleichen 
Verrathes,  nimmer  satter  Grausamkeit,  immer  gestraften,  nimmer  gebän- 
digten Volksunsinnes,  mit  dem  Senatoren-Arglist  und  Despotenwuth  wett- 
eifern, ohne  ihn  zu  übertreffen;  —  ganz  ermattet  von  den  Gräueln  des 
peloponnesischen  Krieges  rafft  mich  Demosthenes  noch  einmal  auf  —  und 
mit  seiner  Redekunst  sinke  ich  hin  nach  dem  Unglückstage  bey  Chäronea. 

—  Gillies,  Mably,  Barthelemy,  —  jeder  malt  mit  andern  Pinseln,  aber 
der  Farbentopf  ist  der  gleiche,  das  Original  die  gleiche  Carricatur.  — 
Führe  mich  in  Deine  Schatten,  —  lass  mich  etwas  von  dem  Trauer- 
schleyer sehen,  den   Du  über  Schreckensscenen  hängst. 

Auch  Du    selbst,    Du  Lieber,    bereite  Dich    auf   eine  Trauerbotschaft. 

—  Die  Mutter  Deines  Fritz  —  sie  hatte  die  Masern  nicht  gehabt  —  die 
Krankheit  kam  ins  Haus  —  die  übrigen  waren  glücklich  —  aber  die 
Stütze  des  Hauses  ist  umgestossen.  —  Ich  schätze  Ziemssen,  er  ist  sehr 
thätig  —  wir  denken  über  vieles  gleich;  wird  er  jetzt  auch  bleiben 
wollen?   Er  zweifelt.   —    Ich  zweifle  auch.    Doch  davon  mehr  an  Muhrbeck. 

Meine  Mutter  schrieb  mit  Ziemssen,  am  7  ten  April,  —  mir  erfreu- 
lich —  ihrer  Rechnung  nach  ist  sie  jetzt  in  Oldenburg.  Dahin  folgen 
ihr  oft  auch  meine  Gedanken.    — 

Des  Lebens  Strom  wie  stürzt  er  fort! 

Durchs  Bett  der  unendlichen  Zeit! 

Jeder  Moment  ein  neuer  Quell! 

Doch  wirft  er  mit  jedem  auch  Leichen  aus. 

Ihr  trinkt  der  Sonne  Glanz, 

Und  würd  ihn  leeren, 

Gäben  nicht  Stürme  zurück, 

Was  jener  nahm.  Der   Deine. 

94.    Gries  an  Herbart.1)  Göttingen,  d.  2ten  jan.  99. 

Ich  hätte  Dir  schon  längst  von  hier  aus  schreiben  sollen,  auch  gewollt  habe 
ich  es  lange  —  aber  vergieb,  Lieber,  ich  hab'  es  nicht  gekonnt.  Der  sonderbare, 
fast  abentheuerliche  Widerspruch,  in  welchem  mein  innres  11.  äußeres  Leben  sich 
befindet,  hat  mich  lange  Zeit  zu  allem,  was  sonst  meine  liebste  Beschäfftigung  war, 


x)  20S.  8°.     H.  Wien. 


104  Juni  :799- 

durchaus  unfähig  gemacht.  Aufgelöst  ist  er  noch  lange  nicht;  ich  muß  ihn  ver- 
geßen,  wenn  ich  einmal  einen  beßern  Moment  aus  diesem  seltsamen  Gemisch  heraus- 
heben möchte ;  u.  es  ist  ein  Fluch  unsrer  Natur,  eben  dann  am  wenigsten  vergeßen 
zu  können,  wenn  wir  Alles,  ja  unser  Daseyn  selbst,  darum  geben  möchten.  Aber 
wir  bleiben,  bleiben  in  dieser  Welt,  und  ach!  diese  Welt  in  uns. 

Wie  oft  bin  ich  mit  deinem  Briefe  in  der  Hand  auf  u.  abgegangen,  habe 
mich  hingesetzt,  bin  wieder  aufgestanden,  u.  habe  nirgends  gefunden,  was  ich  suchte: 
Begriff  und  Ausdruck  für  das  tiefe,  verborgene  Gefühl  meiner  Seele.  So  begegnet 
uns,  im  Traum,  manchmal  eine  sonderbare  Erscheinung:  wir  möchten  fliehen,  u. 
unser  Fuß  ist  im  Boden  gewurzelt;  wir  möchten  laut  rufen,  u.  die  Zunge  versagt 
ihren  Dienst.  || 

Aber  wenigstens  das  will  ich  Dir  sagen,  was  ich  Dir  sagen  kann,  daß  neralich 
der  innere  Zweifel  meiner  Seele  durch  Deinen  Brief  keineswegs  gehoben  ist.  Oder 
vielmehr  um  Dir  auf  einmal  alles  zu  sagen  —  ich  fühle  eine  Ueberzeugung  in  mir, 
wie  die  Ueberzeugung  von  der  Wirklichkeit  meines  Daseyns.  daß  auf  dem  Wege, 
den  Du  wählst,  den  Du  vertheidigst,  mit  Gründen,  gegen  die  ich  keine  Gründe  auf- 
bringen kann,  daß  auf  dem  Wege  der  Zweck  des  menschlichen  Daseyns  überhaupt 
nie  völlig  zu  erreichen  ist.  Du  lächelst?  Ich  muß  es  leiden.  Aber  weiter!  Wenn 
ich  hier  von  dem  Zweck  des  menschlichen  Daseyns  rede,  so  verstehe  ich  darunter 
natürlich  nicht  jenes  Ideal  der  Vollkommenheit,  welches,  als  solches,  unerreichbar 
ist;  sondern  die  möglichste  Annäherung  zu  demselben,  eines  Jeden  nach  seinen 
Kräften. 

Die  Gaben  der  Natur  sind  mancherlei,  u.  sie  hängen  nicht  von  uns  ab,  sondern 
wir  von  ihnen.  Etwas  anders  ärndten  wollen,  als  wozu  die  Natur  den  Keim  in  uns 
gelegt  hat,  ist  thörichte  u.  verlohrne  Arbeit,  u.  wir  haben  deß  keinen  Gewinn.  Ein 
Zweig  aus  hesperischen  Gärten  auf  den  Stamm  einer  nordischen  Eiche  gepfropft, 
was  würde  er  hervorbringen,  wenn  er  auch  nicht  gleich  verdorrte?  ||  Der  Baum  soll 
Blätter,  Blüthen  und  Früchte  tragen;  die  Natur  besorgt  das  für  ihn,  er  hat 
nichts  dabei  zu  thun.  Gegen  den  Menschen  ist  sie  weniger  gütig  —  oder  gütiger 
gewesen;  sie  legt  nur  den  Keim,  ob  Blüthen  u.  Früchte  kommen  sollen,  u.  welche, 
das  ist  seine  Sache.  Der  Baum  erfüllt  seinen  Zweck,  willenlos,  durch  Natur- 
notwendigkeit. Des  Menschen  Zweck  ist  eben  so  nothwendig,  aber  die  Art  der 
Erreichung  ist  ihm  frei  gelassen.  Der  Zweck  des  Baums  liegt  außer  ihm;  er  beut 
andern  Wesen  die  Kühlung  seines  Schattens,  den  Duft  seiner  Blüthen,  die  Labung 
seiner  Früchte.    Der  Zweck  des  Menschen  liegt  in  ihm,  er  ist  es,  er  selbst,  er  allein.  — 

Es  wird  uns  von  Jugend  auf  angerathen,  eingepredigt,  jawohl  gar  eingezwungen, 
wir  sollen  unsern  Willen  brechen,  unsre  Neigungen  unterdrücken  —  uns  selbst 
besiegen.  Wer  ist  denn  das  Ich*  das  ich  bekämpfen,  unterdrücken  soll?  Ist  es 
weniger  ich,  als  das  Uebrige,  aus  schlechterm  Stoff  geformt,  weniger  f reigebohren  ? 
Und  wer  giebt  mir  das  Recht,  dies  andere  Ich  zu  unterjochen  ?  Die  reine  Demokratie 
meines  Wesens  in  eine  Aristokratie,  wohl  gar  in  eine  Despotie  zu  verwandeln? 
Einen  Theil  meines  Wesens  zu  fesseln,  zu  vernichten,  um  dem  andern  einen  Thron 
zu  erbauen,  auf  dem  es  herrsche  mit  unumschränkter  Gewalt?  |j 

Und  wer  bist  Du,  mächtiges  Wesen,  dem  ich  meine  Knie  beugen  soll,  nicht 
wie  einem  Könige,  sondern  wie  einem  Gott?  Laß  mich  den  Purpur  heben,  der  Dich 
meinen  Blicken  verbirgt.  —  Himmel!  ein  Todtengerippe  das  aus  leeren  Augenhöhlen 
mich  anstarrt!  ringsumher  Tod,  so  weit  sein  Szepter  reicht;  vertilgt  jede  Spur  des 
Lebendigen;  ausgelöscht  die  Glut  der  Empfindung,  erstarrt  die  Wärme  des  Herzens, 
zu  Eis  geworden  das  Blut  in  den  Adern,  verschloßen  der  Sinn  für  jede  schuldlose 
Freude  des  Lebens,  vertilgt  die  Begeisterung  für  alles  Große  u.  Schöne  —  Tod,  u. 
nichts  als  Tod! 


Juni   1799.  ID5 

Ich  fliehe  hinweg  u.  werfe  mich  bebend  in  die  Arme  der  allgütigen  Mutter, 
die  ja  nicht  will  daß  Herrschaft  sey  u.  Unterjochung,  sondern  Freiheit  und  Gleich- 
maaß ;  die  ja  diesen  mächtigen  Trieb  zum  Leben,  "Wirken  u.  Genießen  nicht  ver- 
liehen hat  zur  Sklaverei  u.  Ertödtung,  sondern  zu  immer  höherm,  völligem,  mensch- 
lichem! Leben,  Wirken  u.  Genuß.  0  Lieber,  könnte  ich  dies  Gefühl  Dir  einhauchen, 
daß  es  Dein  Innerstes  durchdränge,  in  dem  so  herrliche  Kraft  und  Fülle  wohnt,  die 
Du,  ach!  nur  immer  nicht  erkennen  willst;  Kratt  u.  Fülle  nicht  für  eine  blinde 
Zukunft  nur,  nein!  für  die  Zeit,  die  ist,  den  Augenblick  gegenwärtigen  Lebens.  Ich 
kenne  kein  anderes.  || 

Einem  andern,  als  dem  Freunde,  der  mich  so  kennt,  als  ich  von  Dir  gekannt 
zu  seyn  glaube,  würde  ich  so  etwas  nicht  sagen;  wenigstens  nicht  ohne  den  ganzen 
Zusammenhang,  meines  "Wissens  nicht  so  wohl,  als  meines  Wesens,  zugleich  mit 
darzulegen.  Du  weißt  längst,  daß  ich  nicht  zu  denen  gehöre,  denen  der  Augenblick 
ihr  Gott  ist;  weißt,  daß  ich  ein  unendliches  Fortschreiten  zum  Höhern,  Bessern  u. 
Vollkommern  glaube,  ein  Fortschreiten  durch  eigne  innere  Thätigkeit,  nicht  durch 
einen  Stoß  von  außen  her;  weißt,  daß  ich,  zwar  nur  in  dem  Moment,  doch  nicht 
bloß  für  den  Moment  zu  leben  mich  treulich  bestrebe.  Auch  ich  kann,  so  wenig 
wie  Du,  „meinen  Gedanken  u.  Neigungen  eine  gezwungene  Richtung  geben.1'  Auch 
ich  halte  es,  wie  Du,  ,,für  ein  großes  Glück,  ohne  Führer  u.  ohne  Furcht  ein  eigenes 
Feld  zu  durchwandern,  das  sich  bei  jedem  Schritt  zu  erweitern  scheint.11  Aber 
nicht  bloß  scheint,  sondern  wirklich  erweitert.  Wäre  die  Bahn,  die  ich  zu  durch- 
messen hoffe,  etwa  bloß  der  ewige  Zirkel,  den  das  Pferd  in  der  Mühle  mit  ver- 
bundenen Augen  täglich  beginnt  u.  täglich  durchläuft;  wäre  dieser  Zirkel  nur  mög- 
lich —  0  bei  Gott!  dann  keinen  Schritt  weiter,  sondern  hier  die  Last  abgeworfen  u. 
lieber  unter  den  Schlägen  des  Treibers  ein  Daseyn  aufgegeben,  das  keinen  andern 
Zweck  hat,  als  —  sein  Korn  zu  mahlen.  || 

So  ist  es  mit  mir;  und  selbst  in  diesen  Augenblicken,  wo  die  Wendung  meines 
Schicksals  für  meine  liebsten  Plane  und  Hoffnungen  die  allerungünstigste  zu  seyn 
scheint,  wo  ich  alles  fürchten  u.  wenig  hoffen  darf,  wo  der  traurige  Rückfall,  mit 
dem  am  Ende  eines  so  glänzenden  Jahrhunderts  unser  Geschlecht  bedroht  wird, 
mehr  wie  alles  andere  mich  in  das  vernichtende  Gefühl  der  jammervollsten  Schwäche 
versenkt,  —  selbst  da  noch  hebt  in  beßern  Momenten  mein  Auge  sich  voll  Zuver- 
sicht empor  u.  ein  neuer  Muth  strömt  durch  meine  Seele.  Nein!  sie  können  uns 
nicht  wieder  entrißen  werden,  jene  Pfänder  des  Unvergänglichen,  die  einmal  die 
beglückte  Hand  ergriff  — 

Es  sind  nicht  Schatten,  die  der  Wahn  erzeugte, 
Ich  weiß  es,  sie  sind  ewig,  denn  sie  sind ! 

Ich  kehre  zu  Dir  zurück.  Wüßtest  Du  nur,  Lieber,  wie  sehr  ich  mich  daran 
gewöhnt  hatte,  eben  in  dem  festen,  sichern  Gange,  den  Du  auf  Deinem  Wege  giengst. 
die  beste  Zuversicht  für  den  meinigen  zu  finden;  wie  ich  eben  darum  so  gewiß 
hoffte  auf  einen  festen,  sichern  Punkt,  in  welchen  irgendeinmal  unsre  Bahnen  zu- 
sammenlaufen müßten;  Du  würdest  mir  eher  verzeihen,  daß  ich  mich  nicht  daran 
gewöhnen  kann,  Dich  jetzt  von  einem  ,, offnen  Grabe1',  vom  „Tollhauseu  u.  von  der 
,,Schulmeisterwürdeu,  als  den  möglichen,  ja  sogar  wahrscheinlichen  Zielen  Deiner 
Bahn  reden  zu  hören.  Ich  glaube  es,  |j  daß  diese  Resignation  etwas  gekostet  haben 
mag,  ehe  sie  Dir  geläufig  geworden  ist.  Aber  ungeachtet  dieses  Ungeheuern  Kauf- 
preises —  der  mir  nicht  weniger  als  die  Würde  u.  der  Zweck  der  Menschheit  zu 
seyn  scheint,  —  kann  ich  dennoch  zu  diesem  Erwerbe  Dir  kein  Glück  wünschen. 
Vielmehr,  wenn  noch  immer  das  Gelingen  so  unwahrscheinlich,  so  unglaublich  ist, 
wie  Du   selbst  gestehst:   so  wünsche  ich  Dir  jenen  vollkommen  verunglückten,  für 


IOÖ  Juli  1799- 

immer  abschreckenden  Versuch,  zu  welchem  Du  aufs  wenigste  durchdringen  willst 
—  ich  wünsche  ihn  Dir  bald,  bald,  ehe  auch  Du  Herz  u.  Kopf  für  jene  Eroberung 
aufgeopfert  hast,  Du,  der  wahrlich  zu  etwas  beßerm  gebohren  ist,  als  den  Graben 
ausfüllen  zu  helfen,  damit  andere  über  Deine  Leiche  hinweg  zu  jenem  unersteiglichen 
Walle  emporklimmen  mögen.  — 

Leonidas  gierig  hin  mit  seiner  kleinen  Scnaar  in  die  Enge  von  Thermopylae 
und  starb  den  edeln  Tod  für's  Vaterland,  starb  —  weil  das  Gesetz  es  befahl.  Griechen- 
lands Errettung  war  der  Preis  seines  Todes,  u.  freie  Enkel  segneten  seine  Asche. 
Aber  welches  Gesetz  gebietet,  das  unendlich.  Höhere  als  das  Leben,  welches  Leonidas 
aufopferte,  den  freien  Geist  des  Menschen  aufzugeben,  seine  Würde  u.  seinen  Zweck? 
Und  welches  wäre  der  Lohn  einer  solchen  Aufopferung?  Ich  mag  ihn  nicht  aus- 
sprechen. —  || 

Nenne  mir  nicht  Newton,  oder  irgend  einen  andern  Erfinder  mathematischer 
Theoreme;  ihr  Beispiel  steht  hier  unmöglich  am  rechten  Ort.  Jeder  Satz,  den  sie 
herausbrachten,  war  eine  nothwendige  Folge  aus  nothwendigen  Praemissen,  ist  u. 
bleibt  wahr,  an  u.  für  sich,  abgesehen  von  jeder  möglichen  Anwendung.  Jeder 
geometrische  Satz  ist  weder  eine  errungene  noch  eine  eroberte  Wahrheit,  sondern 
eine  natürliche  Ableitung.  Euklid,  der  anfieng  diese  Wildniß  urbar  zu  machen, 
hat  noch  selbst  ihren  Anbau  vollendet;  seit  ihm  hat  die  Mathematik  nur  in  der 
Form,  wenig  im  Gehalt  sich,  verändert  "  Wo  die  geometrische  Gewißheit  aufhört, 
nimmt  die  Ungewißheit  aller  Art  ihren  Anfang;  Newtons,  des  großen  Newtons 
Farbentheorie,  die  so  lange  gläubig  angebetet  ward,  ist  sie  nicht  jetzt  ihrem  gänz- 
lichen Umsturz  nahe?  — 

Es  wird  mir  nicht  gelungen  seyn,  Dich  zu  überzeugen,  u.  ich  habe  auch  keine 
Ansprüche  darauf  gemacht.  Ueberzeugung  ist  Zwang,  u.  zwingen  darf  man  nur 
sich  selbst.  Wir  werden  wohl  jeder  so  seinen  Weg  fortgehen,  u.  das  ist  am  Ende 
auch  wohl  das  beste.  Zu  jenem  „logischen  Enthusiasmus'',  wie  Jakobi1)  das  so 
treffend  nennt,  habe  ich  mich  nie  erheben  können,  aus  Unfähigkeit.  Deine  Ueber- 
xeugung  verbietet  Dir,  meinen  Weg  einzuschlagen.  Aber  doch  dürfen  wir  uns  trau- 
lich die  Hand  hinüber  reichen;  u.  hier  die  meinige!  Bleibe  mir  Freund.  —  — 

D.  7ten  Julius. 

Bis  heute,  Lieber,  habe  ich  meinen  Brief  liegen  lassen,  weil  man  behauptete, 
die  Kommunikation  mit  der  Schweiz  sey  seit  den  letzten  Kriegsbegebenheiten  ganz 
abgebrochen  Jetzt,  da  sich  mir  eine  sichere  Gelegenheit  zeigt,  Dir  Nachricht  von 
mir  zukommen  zu  lassen,  fahre  ich  in  meiner  Schreiberei  fort,  u.  hoffe,  Du  wirst 
mich  eine  Zögerung  nicht  entgelten  lassen  wovon  die  Ursache  10  Meilen  von  mir 
entfernt  liegt. 

Ich  habe  auf  der  vorigen  Seite  einen  Namen  genannt,  den  ich  nie  ohne  Ehr- 
furcht nenne,  und  der,  da  ich  ihn  hinschrieb,  mir  wie  ein  schützender  Genius  zu 
Hilfe  gekommen  ist.  um  statt  meiner,  kräftiger  u.  eindringender,  das  Wort  zu  führen. 
Ich  weiß  nicht,  ob  Du  schon  etwas  von  einem  Briefe  gehört  hast,  den  Jakobi  an 
Fichte,  als  Beantwortung  seines  Aufrufs  in  der  Appellation,  geschrieben  hat.  Von 
diesem  wahrhaft  kanonischen  Briefe  hat  Fichte  mir,  auf  meine  Bitte,  vor  kurzem 
eine  Abschrift  zukommen  lassen,  u.  ich  eile  um  so  lieber  Dir  das  Wichtigste  daraus 
mit  zu  theilen,  da  ich  ihn  als  das  Heiligthum  betrachte,  in  welchem  Jakobi  mehr 
wie  jemals  den  geheimnißvollen  Schleier  gehoben  hat,  mit  dem  er  sonst  sein  innerstes 
Wesen  zu  umhüllen  pflegte.  [| 

*)  Fr.  Heinr.  Jacobi,    der  Glaubensphilosoph   —   in   der   Korrespondenz   meist 
,Jakobi"  geschrieben. 


Juli   I799-  107 

Jakobi  erklärt  sich,  zuvörderst,  in  Sachen  der  spekulativen  Vernunft,  durchaus 
für  Fichte:  „Ich  sage  es  bei  jeder  Gelegenheit,  u.  bin  bereit  es  öffentlich  zu  be- 
kennen, daß  ich  Sie  (Fichte)  für  den  wahren  Messias  der  spekulativen  Vernunft,  den 
ächten  Sohn  der  Verheißung  einer .  durchaus  reinen,  in  u.  durch  sich  selbst  be- 
stehenden Philosophie  halte."  —  „Ich  rufe  zuerst,  eifriger  u.  lauter,  Sie  noch  einmal 
unter  den  Juden  der  spekulativen  Vernunft  für  ihren  König  aus;  drohe  den  Hals- 
starrigen es  an,  Sie  dafür  zu  erkennen,  den  Königsberger  Täufer  aber  nur  als  Ihren 
Vorläufer  anzunehmen.  Das  Zeichen,  welches  Sie  gegeben  haben,  ist  die  Vereinigung 
des  Materialismus  u.  Idealismus  zu  Einem  untheilbaren  Wesen  —  ein  Zeichen,  nicht 
ganz  unähnlich  jenem  des  Propheten  Jonas."'  —  „Wie  vor  1800  Jahren  die  Juden 
in  Palaestina  den  Messias,  nach  welchem  sie  so  lange  sich  gesehnt,  bei  seiner  wirk- 
lichen Erscheinung  verwarfen,  weil  er  nicht  mit  sich  brachte,  woran  sie  ihn  erkennen 
wollten;  weil  er  lehrte:  es  gelte  weder  Beschneidung  noch  Vorhaut,  sondern  eine 
neue  Kreatur:  so  haben  auch  Sie  ein  Stein  des  Anstoßes  u.  ein  Fels  des  Aerger- 
nisses  denen  werden  müssen,  die  ich  Juden  der  spekulativen  Vernunft  heiße.  Nur 
Einer  bekannte  sich  öffentlich  u.  aufrichtig  zu  Ihnen,  ein  Israelite  in  dem  kein 
Falsch  ist,  Nathanael  Reinhold.  Wäre  ich  sein  Freund  nicht  schon  gewesen,  ich 
wäre  es  damals  geworden.  Auch  ist  seitdem  noch  eine  ganz  andere  Freundschaft, 
als  bis  dahin  war,  zwischen  uns  entstanden."  || 

—  „Ich  bin  ein  Nathanael  nur  unter  den  Heiden.  Wie  ich  nicht  zum  alten 
Bunde  gehörte,  sondern  in  der  Vorhaut  blieb,  so  enthalte  ich  mich  auch  des  neuen, 
aus  derselben  Unfähigkeit  oder  Verstockung."  — 

—  „Nur  im  Geiste  lebend,  u.  redliche  Forscher  auf  jede  Gefahr,  sind  wir 
über  den  Begriff  der  Wissenschaft,  denke  ich,  beide  Ems:  daß  sie  nemlich  bestehe 
in  dem  Hervorbringen  ihres  Gegenstandes,  u.  nichts  anders  sey,  als  dieses  in  Ge- 
danken Hervorbringen  selbst;  daß  also  der  Inhalt  jeder  Wissenschaft,  als  solcher, 
nur  ein  Handeln,  u.  die  nothwendige  Art  u.  Weise  dieses  in  sich  freien  Handelns 
ihr  ganzer  Gehalt  sey  —  ein  Objekt- Subjekt,  nach  dem  Urbilde  des  Ich,  welches 
allein  Wissenschaft  an  sich,  u.  dadurch  Prinzip  u.  Auflösungsmittel  aller  Erkenntniß- 
gegenstände,  das  Vermögen  ihrer  Destruktion  u.  Konstruktion,  in  bloß  wissenschaft- 
licher Absicht,  ist.  —  Der  menschliche  Geist  sucht  auf  diese  Weise  aus  Allem  nur 
sich  selbst  hervor;  strebend  u.  widerstrebend;  unaufhörlich  sich  losreißend  vom 
augenblicklichen  bedingten  Daseyn,  das  ihn  gleichsam  verschlingen  will,  um  sein 
Selbst-und-in-sich-seyn  zu  retten,  es  allemthätig  u.  mit  Freiheit  fortzusetzen.  Diese 
Thätigkeit  der  Intelligenz  ist  in  ihr  eine  nothwendige  Thätigkeit:  sie  ist  nicht,  wo 
diese  Thätigkeit  nicht  ist.  —  Es  wäre  also  die  größte  Thorheit,  bei  dieser  Einsicht 
die  Begierde  nach  Wissenschaft  in  sich  oder  andern  hemmen  zu  wollen;  die  größte 
Thorheit,  zu  glauben,  man  könne  das  Philosophiren  auch  wohl  übertreiben:  das 
Philosophiren  übertreiben,  hieße  —  die  Besinnung  übertreiben."  —  „Beide  wollen 
wir  also  mit  ähnlichem  Ernst  u.  Eifer,  daß  die  Wissenschaft  des  Wissens  —  welche 
in  allen  Wissenschaften  das  Eine,  die  Welt- Seele  in  der  Erkenntniß-Welt  ist  —  voll- 
kommen weide:  nur  mit  ||  dem  Unterschiede:  daß  Sie  es  wollen,  damit  sich  der 
Grund  aller  Wahrheit,  als  in  der  Wissenschaft  des  Wissens  liegend,  zeige;  ich, 
damit  offenbar  werde,  dieser  Grund:  das  Wahre  selbst,  sey  nothwendig  außer  ihr 
vorhanden.  Meine  Absicht  ist  der  Ihrigen  auf  keine  Art  im  Wege,  so  wie  Ihre 
nicht  der  meinen;  weil  ich  zwischen  Wahrheit  u.  dem  Wahren  unterscheide.  Sie 
nehmen  von  dem,  was  ich  mit  dem  Wahren  meine,  keine  Notiz,  u.  dürfen,  als 
Wissenschaftslehrer,  keine  daran  nehmen  —    auch  nach  meinem  Urtheil."  — 

—  „Das  Geheimniß  der  Identität  u.  Verschiedenheit  zwischen  Fichte  u.  mir, 
unsrer  philosophischen  Sympathie  u.  Antipathie,  müßte,  däucht  mir,  jedem  offenbar 


108  Juli  X79Q. 

werden,  der  nur  die  einzige  Epistel  an  Erhard  0.  hinter  Allw[ills]  Briefsamml[ung] 
recht  zu  lesen,  u.  sie  durchaus  zu  verstehen  sich  bemühen  wollte."  — 

—  „Eine  reine,  d.  i.  durchaus  immanente  Philosophie;  eine  Philosophie  aus 
Einem  Stück;  ein  wahrhaftes  Vernunft- System  ist  auf  die  Fichtische  Weise  allein 
möglich.  Offenbar  muß  alles  in  u.  durch  Vernunft,  im  Ich  als  Ich,  in  der  Ichheit 
allein  gegeben  u.  in  ihr  schon  enthalten  seyn,  wenn  reine  Vernunft  allein,  aus  sich 
allein,  soll  alles  herleiten  können."  — 

—  „Der  menschliche  Geist,  da  sein  philosophischer  Verstand  schlechterdings 
nicht  über  sein  eigenes  Hervorbringen  hinausreicht,  muß,  um  in  das  Reich  der 
Wesen  einzudringen,  es  mit  dem  Gedanken  erobern,  Vi  elt- Schöpfer,  und  sein  eigener 
Schöpfer  werden;  u.  nur  in  dem  Maaße,  wie  ihm  das  letztere  gelingt,  wird  er  in 
dem  erstem  Fortgang  spüren.  Aber  auch  sein  eigener  Schöpfer  kann  er  nur  unter 
der  angegebenen  allgemeinen  Bedingung  seyn:  er  muß  sich  dem  Wesen  nach  ver- 
nichten, um  allein  im  Begriffe  zu  entstehen,  sich  zu  haben:  in  dem  Begriffe  eines 
reinen  absoluten  Eingehen  u.  Ausgehen,  ursprünglich  —  aus  Nichts,  %u  Nichts, 
für  Nichts,  in  Nichts;  oder  dem  Begriffe  einer  Pendelbewegung,  ||  die,  als  solche, 
weil  sie  Pendelbetvegung  ist,  sich  nothwendig  selbst  Schranken  setzt  im  Allgemeinen; 
aber  bestimmte  Schranken  nur  hat,  als  eine  besondere,  durch  eine  unbegreifliche 
Einschränkung."  — 

Dann  erzählt  Jakobi,  wie  er  in  einem  muthwilJigen  Augenblicke  das  Resultat 
des  Fichtischen '  Idealismus  in  das  Gleichniß  eines  Strickstrumpfs  gebracht  habe. 
Man  sehe  deutlich,  wie  ein  solches  Individuum  durch  ein  bloßes  Hin-  u.  her  Bewegen 
des  Fadens,  d.  i.  durch  ein  unaufhörliches  Einschränken  seiner  Bewegung,  u.  Ver- 
hindern; daß  er  seinem  Streben  in's  Unendliche  hinaus  folgte  —  ohne  empirischen 
Einschlag,  zur  Wirklichkeit  gelangte.  Diesem  Strumpfe  könne  man  nun  Streifen, 
Blumen,  alle  mögliche  Figuren  geben,  u.  erkenne  dann :  wie  alles  dieses  nichts  sey, 
als  ein  Produkt,  der,  zwischen  dem  Ich  des  Fadens  u.  dem  Nicht-Ich  der  Drähte 
schwebenden  produktiven  Einbildungskraft  der  Finger;  u.  wie  alle  diese  Figuren 
mit  dem  Strumpfwesen  zusammen,  aus  dem  Standpunkt  der  Wahrheit  betrachtet, 
nur  der  alleinige  nakte  Faden  seyn.  Er  allein  u.  rein  sey  jenes  Alles,  u.  in  jenem 
Allen  sey  nichts  außer  ihm.  —  Du  hast  recht  —  würde  die  neue  Philosophie 
hierauf  erwiedern  —  „aber  was  sind  alle  Strümpfe  im  Himmel  u.  auf  Erden  gegen 
die  Einsicht  in  ihre  Entstehung;  gegen  die  Betrachtung  des  Mechanismus,  durch 
welchen  sie  überhaupt  hervorgebracht  werden;  gegen  das  Nacherfinden  im  Allge- 
meinen u.  immer  Allgemeinern  ihrer  Kunst:  ein  Nacherfinden,  wodurch  die  Kunst 
selbst,  als  eigentliche  Kunst,  zuerst  erschaffen  wird.  —  Spotte  so  viel  Du  willst 
über  diese  reine  Lust  am  reinen  Wissen  allein  des  reinen  Wissens,  diesen  logischen 
Enthusiasmus:  wir  läugnen  nicht,  daß  wir  in  ihm  selig  sind;  nichts  mehr  fragen 
nach  Himmel  u.  Erde,  u.  wenn  uns  auch  Leib  u.  Seele  verschmachtet,  es  nicht 
achten  aus  jener  hohen  Liebe  des  Erkenntnißes  —  bloß  des  Erkennens  usw.  denn 
allem  Entstehen  u.  Seyn,  unten  vom  niedrigsten  Thiere  an,  bis  hinauf  zum  höchsten 
Heiligen  u.  beinah  =  Gott,  liegt  nothwendig  zum  Grunde  —  ein  bloß  logischer 
Enthusiasmus,  d.  i.  ein  nur  sich  selbst  vorhabendes  u.  betrachtendes  Handeln,  bloß 
des  Handelns  u.  Betrachtens  wegen  ohne  anderes  Subjekt  oder  Objekt,  ohne  in,  aus, 
für  oder  zu.u  —  j| 

„Ich  antworte  hierauf  —  fährt  Jakobi  wieder  in  eigener  Person  fort  —  indem 
ich  bloß  meinen  Strumpf  wieder  vorzeige,  u.  frage :  Was  es  denn  damit  wäre,  ohne 
die  Beziehung  auf  ein  menschliches  Bein,  wodurch  allein  Verstand  in  sein  Wesen 
kommt?  Was  es  sey,  unten  vom  Thiere  an  bis  zum  Heiligen  hinauf,  mit  einem 
bloßen  Weben   eines    Webers?  —  Ich    sage  aus,   daß  meine  Vernunft,   mein  ganzes 


Juli  1799-  109 

Wesen,  auffährt,  schaudert,  sich  entsetzt  vor  dieser  Vorstellung;  daß  ich  mich  ab- 
wende von  ihr,  als  von  dem  Gräßlichsten  unter  allen  Gräßlichkeiten,  Vernichtung 
anflehe,  wie  eiue  Gottheit,  wider  eine  solche  Danaiden-  u.  Ixions-Seligkeit."  — 

„Unsere  Wissenschafter,  bloß  als  solche,  sind  Spiele,  welche  der  menschliche 
Geist,  zeitvertreibend,  sich  ersinnt.  Diese  Spiele  ersinnend,  organisirt  er  nur  seine 
Unwissenheit,  ohne  einer  Erkenntniß  des  Wahren  auch  nur  um  ein  Haarbreit,  näher 
zu  kommen,  in  einem  gewissen  Sinne  entfernt  er  sich  dadurch  vielmehr  von  ihr, 
indem  er  sich  bei  diesem  Geschafft  über  seine  Unwissenheit  zerstreut,  ihren  Druck 
nicht  mehr  fühlt,  sogar  sie  lieb  gewinnt,  weil  —  sie  unendlich  ist;  weil  das  Spiel, 
das  sie  mit  ihm  treibt,  immer  mannigfaltiger,  ergötzender,  größer,  berauschender 
wird.  Wäre  das  Spiel  mit  unsrer  Unwissenheit  nicht  unendlich,  u.  so  beschaffen, 
daß  aus  jeder  seiner  Wendungen  ein  neues  Spiel  entstände:  so  würde  es  uns  mit 
der  Wissenschaft  wie  mit  dem  Nürnberger  sogenannten  Grillenspiel  ergehen,  das 
uns  aneckelt,  sobald  uns  alle  seine  Gänge  u.  mögliche  Wendungen  bekannt  u.  ge- 
läufig sind.  Das  Spiel  ist  uns  dadurch  verdorben,  daß  wir  es  ganz  verstehen,  daß 
wir  es  wissen." 

,,Und  nun  begreife  ich  nicht,  wie  man  an  wissenschaftlicher  Erkenntniß  genug 
haben,  auf  alle  Wahrheit,  außer  der  wissenschaftlichen  Verzicht  thun,  u.  der  Ein- 
sicht, daß  es  keine  andre  gebe,  sich  erfreuen  kann  —  wenn  man  dieser  Wahrheit, 
dem  wissenschaftlichen  Wissen,  so  wie  Fichte,  auf  den  Grund  gekommen  ist,  u.  es 
wenigstens  eben  so  klar,  wie  ich,  vor  Augen  hat,  daß  wir  im  rein  wissenschaftlichen 
Wesen  nur  ein  Spiel  treiben  mit  leeren  Zahlen  —  mit  Zahl-Zahlen  neue  Sätze 
ausrechnen,  immer  nur  zum  weiter  Rechnen,  u.  es  für  abgeschmackt,  lächerlich 
—  erbärmlich  halten  müssen,  nach  einer  Zahlen-Bedeutung ,  einem  Zahlen-Inhalt 
nur  zu  fragen.  —  Noch  einmal,  ich  begreife  ihn  nicht,  den  Jubel  über  die  Ent- 
deckung, daß  es  nur  Wahrheiten,  aber  nichts  Wahres  gebe;  begreife  nicht  jene 
allerreinste  Wahrheits-L^efo,  die  des  Wahren  selbst  nicht  mehr  bedarf  —  göttlich 
selbstgenugsam  dadurch,  daß  sie  aus  dem  Betrüge  des  Wahren  in  die  reine  wesent- 
liche Wahrheit  des  Betruges  übergegangen  ist.  —  Sie  hat  den  Gutt  in'sgeheim  vor- 
sichtig beleuchtet  —  Er  verschwand  nicht,  sondern  er  war  nicht.  Psyche  weiß  nun : 
Alles  außer  ihr  ist  Nichts,  u.  sie  selbst  —  nur  ein  Gespenst.  Ein  Gespenst,  nicht 
einmal  von  Etwas;  sondern  ein  Gespenst  an  sich:  ein  reales  Nichts;  ein  Nichts 
der  Realität."  — 

„Alle  Wissenschaften  sind  zuerst  als  Mittel  zu  andern  Zwecken  entstanden, 
u.  Philosophie  im  eigentlichen  Verstände,  Metaphysik,  ist  davon  nicht  ausgenommen. 
Alle  Philosophen  giengen  darauf  aus,  hinter  die  Gestalt  der  Sache,  d.  i.  zur  Sache 
selbst;  hinter  die  Wahrheit,  d.  i.  zum  Wahren  zu  kommen:  sie  wollten  das  Wahre 
wissen  —  unwissend,  daß,  wenn  das  Wahre  menschlich  gewußt  werden  könnte,  es 
aufhören  müßte,  das  Wahre  zu  seyn,  um  ein  bloßes  Geschöpf  menschlicher  Er- 
findung, eines  Ein-  u.  Ausbildens  wesentlicher  Einbildungen  zu  seyn." 

„Von  dieser  Unwissenheit  u.  Anmaaßung  haben  uns  die  zwei  großen  Männer, 
Kant  u.  Fichte,  befreit;  von  Grund  aus  erst  der  letztere.  Dieser  hat  die  höhere 
Mechanik  des  menschlichen  Geistes  entdeckt;  hat  ein  Intellektual-System,  die  Theorie 
der  Bewegungen  in  widerstehenden  Mitteln  vollständig  dargelegt,  u.  mehr  in  seiner 
Sphäre  geleistet,  als  Huygens  u.  selbst  Newton  in  der  ihrigen.  Durch  die  Ent- 
deckung seiner  Wissenschaft  ist  einer  unnützen  u.  verderblichen  Verschwendimg 
der  menschlichen  Kraft  auf  immer  Einhalt  geschehen,  Ein  Weg  zu  irren  ganz  ab- 
geschnitten worden.  Niemand  kann  von  nun  an  mehr  mit  der  Vernunft,  ver- 
zeihlich schivärmen;  Niemand  mehr  hoffen,  wohl  endlich  doch  noch  die  ||  —  wahre 
Cabbala  zu  finden,  und,  mit  Buchstaben  u.  Ziffern,  Wesen  u.  lebendige  Kräfte  hervor- 


I  IO Juli   1799. 

zubringen.  —  Wahrlich  eine  große  Wohltat  für  unser  Geschlecht;  wenn  es  nicht, 
in  die  Wissenschaft  seiner  Unwissenheit  jetzt  sich  vergaffen,  selig  seyn  will,  darin 
allein  —  daß  es  mit  beiden  Augen  emsig  nur  nach  der  Spitze  seiner  Nase  sieht."  — 

Doch  genug,  mein  Freund;  u.  zu  viel  vielleicht  schon  für  Deine  Augen,  denen 
ich  hier  wahrhaftig  eine  tüchtige  Aufgabe  gegeben  habe.  Wollte  ich  Dir  alles 
Merkwürdige  dieses  merkwürdigen  Sendschreibens  auszeichnen,  so  müßte  ich  Dir 
den  ganzen,  9  Bogen  starken  Brief  abschreiben.  Und  doch  kann  ich  mich  nicht 
enthalten,  Dir  noch  einige  Stellen  daraus  mit  zu  theilen,  welche  die  eigentliche  Ver- 
anlassung desselben  betreffen,  obgleich  sie  zu  dem  Zwecke  meines  Briefes  weniger 
gehören : 

„So  gewiß  ich  Vernunft  besitze,  so  gewiß  habe  ich  mit  dieser  meiner  mensch- 
lichen Vernunft  nicht  die  Vollkommenheit  des  Lebens.  —  Ja,  so  wahr  ich  lebe,  auch 
die  Losung  meiner  Vernunft  ist  nicht:  Ich;  sondern:  Mehr  als  Ich!  Besser  als  Ich! 
—  ein  ganz  Anderer  !u 

„Ich  bin  nicht,  u.  ich  mag  nicht  seyn,  wenn  Er  nicht  ist!  —  Ich  selbst  kann 

mein  höchstes  Wresen  mir  nicht  seyn. So  lehrt  mich  meine  Vernunft  instinkt- 

niäßig:  Gott.  Mit  unwiderstehlicher  Gewalt  weiset  das  Höchste  in  mir  auf  ein  Aller- 
höchstes über  und  außer  mir;  es  zwingt  mich,  das  Unbegreifliche  —  ja,  das  Un- 
mögliche zu  glauben,  in  mir  u.  außer  mir,  aus  Liebe,  durch  Liebe." 

„Gott  ist,  sagt  erhaben  Timaeus,  was  überall  das  Beßere  hervorbringt"  — 
„der  Ursprung  u.  die  Gewalt  des  Outen'1  „Aber  das  Gute  —  Was  ist  es?  —  Ich 
habe  keine  Antwort,  wenn  kein  Gott  ist."  || 

—  „Ich  gestehe,  daß  ich  das  an  sich  Gute  nicht  kenne,  sondern  auch  von 
ihm  nur  eine  leise  Ahnung  habe;  erkläre,  daß  es  mich  empört,  wenn  man  mir  den 
Willen,  der  Nichts  will,  diese  hohle  Nuß  der  Selbstständigkeit  u.  Freiheit  im  absolut 
Unbestimmten,  dafür  aufdringen  will,  u.  mich  —  verweigere  ich  ihn  dafür  zu  er- 
kennen —  des  Atheismus,  der  wahren  u.  eigentlichen  Gottlosigkeit  beschuldige.  Ja 
ich  bin  der  Atheist  u.  Gottlose,  der,  dem  Willen  der  Nichts  will  zuwider,  —  lügen 
will,  wie  Desdemona  sterbend  log,  lügen  u.  betrügen  will,  wie  der  für  Orest  sich 
ausgebende  Pylades,  morden  will  wie  Timoleon,  Gesetz  u.  Eid  brechen  wie  Epami- 
nondas.  Ich  bin  es,  u.  spotte  der  Philosophie,  die  mich  deswegen  gottlos  nennt, 
spotte  ihrer  u.  ihres  höchsten  Wesens:  denn  mit  der  heiligsten  Gewißheit,  die  ich 
in  mir  habe,  weiß  ich  —  daß  das  Privilegium  aggratiandi  wegen  solcher  Verbrechen 
wider  den  reinen  Buchstaben  des  absolut  allgemeinen  Vernunftgesetzes,  das  eigent- 
liche Majestätsrecht  des  Menschen,  das  Siegel  seiner  Würde,  seiner  göttlichen 
Natur  ist."  — 

„Daneben  weiß  ich  auch,  u.  so  gut  als  Kant  u.  Fichte  selbst  es  wissen  mögen, 
daß  einem  allgemein  gültigen,  wissenschaftlichen  System  der  Moial  nothwendig  der 
Wille  der  Nichts  will,  eine  unpersönliche  Persönlichkeit,  die  bloße  Ichheit  des  Ichs 
ohne  Selbst  —  lauter  Un Wesenheiten  zum  Grunde  gelegt  werden  müssen.  Der 
unverläßlichen  strengen  Allgemeinheit  wegen,  als  erster  Gesetzes  Bedingung,  muß 
das  Gewissen  dem  bloßen  Mechanismus  der  Vernünftigkeit  unterworfen  u.  blind 
gesetzlich  gemacht,  seine  lebendige  Wurzel  aber,  die  das  Herz  des  Menschen  ist, 
von  ihm  abgeschnitten  werden,  damit  es  nur  durchaus  gewiß  tcisse  u.  weise  —  auf 
dem  Lehrstuhl!" 

„Will  ich  darum,  daß  Vernunft  keine  allgemeine,  streng  erwiesene  Pflichten- 
lehre aufstellte,  weiches  nur  in  u.  über  einem  reinen  Vernunftsystem  geschehen 
kann?  Läugne  ich,  also  bedingt,  den  Werth,  die  Wahrheit,  den  Einfluß  eines  solchen 
Systems;  die  Erhabenheit  seines  Grundsatzes?  —  Keineswegs!  Das  Moralprinzip  der 
Vernunft:    Einstimmigkeit   des  Menschen    mit  sich  selbst;   stete  Einheit  —  ||  ist  das 


Juli   1799-  III 

Höchste  im  Begriffe;  denn  es  ist  diese  Einheit  die  absolute,  unveränderliche  Be- 
dingung des  vernünftigen  Daseyns  überhaupt;  folglich  auch  alles  vernünftigen  u. 
freien  Handelns:  in  u.  mit  ihr  allein  hat  der  Mensch  Wahrheit  u.  höheres  Leben. 
Aber  diese  Einheit  selbst  ist  nicht  das  Wesen,  nicht  das  Wahre.  Sie  selbst,  in  sich 
allein,  ist  öde,  wüst  u.  leer.  So  kann  ihr  Gesetz  auch  nie  das  Herz  des  Menschen 
werden,  u.  ihn  wahrhaft  über  sich  selbst  erheben;  denn  wahrhaft  über  sich  selbst 
erhebt  den  Menschen  nur  sein  Herz,  welches  das  eigentliche  Vermögen  der  Ideen  — 
der  nicht  leeren,  ist.  Dieses  Herz  soll  transscendentale  Philosophie  mir  nicht  aus 
der  Brust  reißen,  u.  einen  reinen  Trieb  allein  der  Ichheit  an  die  Stelle  setzen. 
Ich  lasse  mich  nicht  befreien  von  der  Abhängigkeit  der  Liebe,  um  allein  durch 
Hochmuth  selig  zu  werden.  —  Ist  das  Höchste,  worauf  ich  mich  besinnen,  was  ich 
anschauen  kann,  meiu  leer  u.  reines,  nackt  u.  bloßes  Ich,  mit  seiner  Selbstständig- 
keit u.  Freiheit:  so  ist  besonnene  Selbstanschauung,  so  ist  Vernünftigkeit  mir  ein 
Fluch  —  ich  verwünsche  mein  Daseyn." 

Um  in  diesen  Aeußerungen  über  Moralität  nicht  mißverstanden  zu  werden,, 
bittet  J.  folgende  Stellen  in  seinen  Schriften  nachzulesen,  die  ich  also  ebenfalls 
beizufügen  mich  verbunden  glaube.  Nemlich  1)  die  Aphorismen  ü.  Nichtfreiheit  in 
der  Vorr.  der  Br[iefeJ  üfberj  Spin[ozaJ,  2)  die  Anmerk.  S.  XVII— XIX  in  der  Vorr. 
z.  Allw[illj  u.  S.  295-300  ibid.,  3)  Woldemar  Th.  2,  S.  232—237  u.  vor  allen 
Dingen  Wold.  Th.  1,  S.  138—141. 

Hier  hast  Du  nun,  lieber  Herbart,  was  ich  für  das  Wichtigste  dieses  wichtigen 
Dokuments  der  Jakobischen  Phil,  halte.  So  oft  ich  diesen  Brief  auch  schon  gelesen 
u.  wieder  gelesen  habe,  so  hat  er  doch  jetzt,  da  ich  für  Dich  ihn  von  neuem  durch- 
gieng,  einen  neuen,  tiefen  Eindruck  auf  mich  gemacht.  Als  ich  vor  fünf  Wochen 
diese  Blätter  an  Dich  anfieng,  hatte  ich  ihn  noch  nicht  gelesen,  hatte  ich  nur  von 
ihm  gehört.  Was  ich  damals  vergebens  suchte:  Begriff  u.  Ausdruck  für  das  innerste 
Gefühl  meiner  Seele  —  dieser  Seher  hat  es  gefunden,  hat  es  herausgelesen  aus 
meinem  tiefsten  Herzen.  ||  Wie  Menelaos  den  wandelbaren  Gott,  hat  er  die  unbestimmte, 
schweigende  Empfindung  gefesselt  u.  zum  Weissagen  genöthigt.  Ich  brauche  Dir  es 
nicht  zu  sagen,  wie  ganz  ich  mit  ihm  übereinstimme  in  dem,  was  das  Wesen  u.  Un- 
Wesen  der  Spekulation  angeht;  welch  ein  Grauen  auch  mich  anwandelt  bei  der  Vor- 
stellung: ein  ganzes  Leben  zu  verbringen  mit  einem  —  Hin-  u.  Her-rücken  leerer, 
inhaltloser  Zahlen.  Mag  doch  Psyche  immerhin  mit  neugieriger  Lampe,  so  hell  sie 
sie  nur  aufzulockern  vermag,  den  schlummernden  Gott  betrachten;  ist  doch  Neugier 
einmal  ihr  Erbtheil,  von  der  Mutter  her!  Aber  sie  lösche  sie  selbst,  freiwillig, 
wieder  aus,  ehe  der  Gott  verschwindet,  u.  freue  sich  seiner  geheimen,  unbegreiflichen 
Umarmung.  — 

Halte  mich  indessen  nicht  für  so  thöricht  oder  verstockt,  daß  ich  durch  diese 
Worte  Dich  eigentlich  widerlegt  u.  durch  Vernunftgrimde  zur  entgegenstehenden 
Ueberzeugung  genöthigt  zu  haben  glaubte.  Ich  weiß  wohl:  von  Dir  zu  mir,  u. 
umgekehrt,  giebt  es  keine  syllogistische  Brücke.  Ich  sehe  Dich  an  jenem  Ufer  ein 
unendliches  Würfelspiel  treiben;  Du  mich  vielleicht  an  diesem  mit  Chimaeren  u. 
Phantomen  friedlich  beisammen  wohnen.  Das  Rufen  hinüber  u.  herüber  weckt 
keinen  aus  seinem  Traum,  u.  der  Sjjrung  ist  gefährlich  —  unmöglich  vielleicht. 
Jakobi  selbst  nennt  ihn  einen  salto  mortale,  u.  will  nicht  böse  werden,  wenn  man 
seine  Philosophie  des  Nicht-Wissens  Chimaerismus  nennt;  wogegen  er  sich  vor- 
behalten will,  jene  Philosophie  des  Wissens  Nihilismus  zu  heißen.  Und  so  beruht 
die  Sache,  pro-  u.  reprotestando,  auf  ihrer  alten  Stelle.  Nur  ein  Wunder  vermag 
sie  zum  endlichen  Final-Ende  zu  bringen  —  Rinaldo's  entzaubernder  Schild,  oder 
ein  göttliches   Werde!  das  aus  Nichts  Etwas  hervorruft.  —  —  —  || 


112  Juli  1799- 

Gern  fügte  ich  noch  etwas  über  Jakobi's  ethische  u.  theognostische  Sätze  hinzu, 
wenn  nicht  Zeit  u.  Kaum  es  verböten.  Nur  dies,  um  Dich  eicht  ganz  in  einer 
Ungewißheit  zu  lassen,  die  mir  vielleicht  Unrecht  thun  könnte:  daß  es  kein  Gutes 
ohne  Gott  gebe,  kann  ich  nur  dem  Sinn,  nicht  dem  Wort  verstände  nach  annehmen. 
Auch  ich  habe  von  dem  Guten  an  sich  nur  eine  leise  Ahnung;  aber  eine  noch  viel 
leisere  von  einem  Gott  an  sich.  Ich  glaube  überhaupt  nicht  so  wohl  einen  Gott, 
als  ein  Göttliches;  doch  möchte  ich  dies  eben  nicht  Weltordnung  nennen,  von  der 
ich  gar  wenig  weiß.  Das  Beßere,  Erhabnere,  Schönere,  ist  mir  überall  das  Göttliche. 
Gott  ist  mir  Poesie.  —  Das  priv.  aggrat.  wegen  der  Verbrechen  wider  den  Willen 
der  Nichts  will,  ist  auch  mir  das  Majestätsrecht  des  Menschen;  alles  hierüber  Gesagte 
unterschreibe  ich  völlig  u.  unbedingt.  — 

Welche  Freude  Du  mir  machen  würdest,  durch  eine  Antwort  im  eigentlichen 
Sinne,  besonders  der  Jakobischen  Sätze,  den  ich  als  meinen  Sachwalter  ansehe, 
brauche  ich  Dir  nicht  zu  sagen.  Darum  aber  bitte  ich  Dich  inständig,  mir  wenigstens 
von  dem  Empfange  dieses  Briefes  bald  möglicht  Nachricht  zu  geben.  Ich  würde 
ihn  höchst  ungern  verlohren  glauben.  Willst  Du  ihn  Steck  u.  Eschen  mittheilen, 
so  thu'  es.  Sage  meinem  theuern  Steck,  daß  ich  in  diesen  Zeilen  oft  u.  lange  seiner 
gedacht  habe.  Daß  er  mir  jetzt  schreibe,  kann  ich  nicht  verlangen,  so  sehr  ich  mich 
auch  nach  Nachricht  von  ihm  sehne.  Unser  Glaube  wird  doch  nicht  zu  Schanden 
werden;  darauf  traue  ich  fest,  auch  jetzt  noch.  Sage  Eschen,  er  solle  nicht  zürnen; 
was  meinen  Brief  an  Dich  so  lange  verzögerte,  hat  mich,  ihm  zu  schreiben,  auch 
abgehalten.  Seine  Aufträge  sind  besorgt;  mit  der  nächsten  sichern  Gelegenheit 
schreib'  ich  ihm  selbst. 

Böhlendorff  u.  Muhrbeck  sind  jetzt  in^Jena  u.  gehen  von  da  nach  Dresden;  in 
4  Wochen  hoffe  ich  sie  hier  zu  umarmen.  Schildener  ist  auch  hier,  der  Einzige 
mit  dem  ich  noch  lebe.  Werdet  Ihr  es  nicht  fühlen,  wenn  wir,  nun  bald  vereint, 
die  seligen  Stunden  unsers  schönsten  Lebens  beschwören?   Leb  wohl.    Schreibe  bald. 

Dein  Gries. 

95.     An  Eschen.1)  20.  Juli  1799. 

Welche  Seele  wäre  so  kanglos,  o  mein  Freund, 
In  der  auch   Freundestöne  nicht  wiederhalleten? 

Aber  aus  Deinem  Saitenspiele  rauscht 
Hervor  auf  Deiner  Hände  Zauberschlag 

Ein   volles  Conzert  mit  allen  Stimmen  in  allen   Rhythmen 
In  Maaß  und   Ordnung,  wie  es  die   Kunst  erheischt; 
Wenn  mir  ein  ungefähres  Lüftchen  die  Äolsharfe  streift, 

Hie  und  da 

Ich  weiß  nicht  wie 

Und  frag'   es  auch  nicht.   — 

Diese  liebliche  Abendstille 
Feyerst  Du  mit  dem  neuen  Liede, 
Welches  die  Muse,  traulich  kosend, 
Jetzt,  wie  immer,   Dir  hold,   Dich  lehret. 

Warum  hör  ich  es  nicht? 
Warum  lausch  ich  vergebens? 

*)  2  S.  4°.     H.  Wien.     Vgl.  auch  S.  128:  Nr.  109.     Eschen  an  H. 


August   1799.  I  13 

Ach!  ich  lausche  schon  lang  auf  den  Schlag  des  Geniusflügels; 
Jenes,  den  ich  nicht  kenn',  u.   der  durch   Ahnden  mich  tröstet, 
Wenn  die  Geduld  mir  reißt,  wenn  mich   ein  Unmuth  verjagt, 
Auf  vom  Sitz,   u.  fort  vom   Buch,  ins  offene  Freye. 
Komm,   o  Geist!   u.  fördere  mich,  u.  schwinge  mich  weiter! 
Schwingend  trage  mich  über  der  Bahn  des  geregelten   Fleißes. 
Gehen  mag  ich  sie  nicht;  fliegend  vollend'  ich  sie  gern. 
Komm   o  Geist;  und  schwinge  mich  hoch,  und  zeige  dem   Blicke 
Dort  in  Alpenpracht  die  Erde  den   Himmel  ersteigen, 
Wo  der  öde  Fels  schrecket  den  kriechenden   Fleiß. 

96.  Koppen  an  Smidt.  Lübeck  15.  Aug.  99. 
—  —  Ueber  Herbart  gab  er  (Berger)  mir  eine  Nachricht  die  Dich  frappiren 

wird,  er  ist  nemlich  verliebt!  Dies  hörte  er  von  einem  oldenburgischen  Frauenzimmer 
in  Kiel  die  den  Brief  selbst  las  worin  lierbart  diese  Verwandlung  schrieb.  So  be- 
siegt doch  die  Liebe  am  Ende  das  starre  menschliche  Herz  u.  ebnet  die  Steine  u. 
Verhaue  mit  denen  es  umdämmt  ist!  Mir  hat  es  herzliche  Freude  gemacht  da  ich 
nichts  anders  als  gute  Folgen  für  ihn  davon  erwarte.  Berger  nannte  mir  auch  den 
Namen  des  Frauenzimmers  die  aber  er  so  wenig  als  ich  kannte.  —  — 

97.  Böhlendorff  an  Steck.  Jena,  15.  Aug.  1799. 
„Es   ist   schändlich,    wie   unserm    guten   Herbakt   mitgespielt   wird,    ich    muß 

glauben,  daß  er  auf  alle  Fälle  von  seinem  Vater  betrogen  ist,  der  trotz  jener  merk- 
würdigen Briefe  ein  gräßlicher  Heuchler  seyn  u.  wenig  Achtung  verdienen  muß. 
Die  Briefe,  die  er  hieher,  an  die  Mutter  geschrieben,  sind  der  absoluteste  Contrast 
von  jenem,  u.  kein  Wort  ist  wahr  von  der  zarten  Behandlung,  die  er  gegen  sie 
beobachtet  haben  will.  Bey  ihrer  Rückkehr,  die  sie  um  ihres  Sohnes  willen  unter- 
nahm, hat  er  sie  wie  eine  Magd  empfangen  in  ein  naßes,  luftiges  Stübchen  sie 
gesperrt  u.  sie  an  allem  Mangel  leiden  laßen.  Harbauer,  der  die  Wahrheit  sagt  u. 
den  ich  schätze,  ist  jetzt  dort  u.  sieht  mit  eignen  Augen.  —  Jetzt  ist  Herbarts  Vater 
sechs  Wochen  in  Pyrmont  gewesen,  u.  seit  der  Zeit  hat  sich  die  Kranke  wieder  er- 
hoh.lt,  sie  schreibt  mir  sehr  oft  u.  denkt  mit  unaussprechlicher  Wärme  Deiner  — 
bittet  Dich,  sie  nicht  zu  vergeßen,  darum  ich  Dich  auch  bitte  —  ihre  letzte  Krank- 
heit verklärt  in  jedem  Fall  ihr  ganzes  vergangenes  Leben." 

98.  Gries  an  Herbart.1)  Göttingen  d.  23sten  Aug.  99. 
Die  Einlage  an  Eschen  blieb  zufällig   einen  Posttag  liegen;   überdies  hielt  ich 

es  für  sicherer  sie  über  Bern  an  ihn  zu  senden.  Daher  noch  an  Dich  heute 
dieses  Blatt. 

Die  kurzen  Worte  Deines  letzten  Briefes  haben  mich  in  eine  sonderbare  Stim- 
mung versetzt.  Muß  so  wundersam  sich  unser  Schicksal  kreisen,  daß  wir  heute 
unsre  Rollen  vertauscht  zu  haben  scheinen,  u.  Du  jetzt  gegen  mich  ein  Mittel  er- 
greifst, das  ich  vor  3  Jahren,  oft  bereut  u.  beweint,  gegen  Dich  gebrauchte?  Her- 
bart, die  Rache  wäre  grausam,  wenn  es  Rache  wäre.  Aber  Du  selbst  erklärst  ja 
diese  Verse  für  ein  Spiel.  Freilich  ein  Spiel,  denn  —  die  Freier  leben  ja  noch,  u. 
der  Platz  zum  Ringen  fehlt  auch  nicht.  Dennoch  kann  ich  den  Bogen  nicht  er- 
greifen, auch  nicht  zum  Spiel  nur.  Die  Sache  ist  zu  ernsthaft,  und  ich  mag  nicht 
von  neuem  mein  Liebstes  und  Theuerstes  auf  ein  so  ungewißes  Spiel  setzen. 

*)  4  S.  8°.     H.  Wien. 

Herbarts  Werke.     XVI.  8 


114  August   1799. 

Also  nur  dies,  u.  im  Ernst: 

Du  weißt,  durch  welche  Veranlaßung  unser  Briefwechsel,  den  ich  als  gänzlich 
abgebrochen  ansehen  mußte,  im  vorigen  Winter  wieder  angeknüpft  ward.  Deine 
Mutter  verlangte  damals  von  mir  einen  Rath  in  Angelegenheiten,  die  für  Dich  von 
der  größten  Wichtigkeit  waren.  „Ihren  Einsichten  —  schrieb  sie  mir,  ||  als  sie 
Deine  Briefe  mir  mittheilte  —  bleibt  alles  überlaßen;  ich,  für  meine  Person,  werde 
gar  nichts  weiter  darein  reden.1'  So  schätzbar  dies  Zutrauen  mir  war,  so  wenig 
würde  ich  dennoch  in  eine  Sache  mich  gemischt  haben,  wo  weder  Du,  noch  ich 
selbst  als  kompetenten  Rathgeber  mich  ansehen  konnte.  Dennoch  wagte  ich  es, 
Deiner  Mutter  meine  geprüfteste  Ueberzeugung  von  der  Zweckmäßigkeit  Deines 
Planes  vorzulegen,  u.  zwar  aus  dem  Grunde,  weil  sie  diesem  Plan  sehr  abgeneigt 
zu  seyn  schien,  u.  ich  es  als  die  heiligste  Freundespflicht  ansah,  alles,  so  viel  an 
mir  war,  zur  Realisierung  Deines  Wunsches  beizutragen.  Für  eben  so  pflichtmäßig 
hielt  ich  es  aber  auch,  ihr  die  Besorgnisse  zu  eröffnen,  die  ich,  im  Einzelnen,  dabei 
nicht  ganz  zurückweisen  konnte.  Ich  hatte  die  Freude,  von  der  würdigen  Frau  die 
Versicherung  zu  empfangen,  daß  meine  Vorstellung  sie  über  das  Ganze  Deines 
Planes  vollkommen  beruhigt.  ,,Ja  —  setzte  sie  hinzu  —  ich  werde  ruhiger  jetzt  die 
Welt  verlaßen,  seit  Sie  meine  Zweifel  über  den  Entschluß  meines  Sohnes  gehoben 
haben.1'  Zugleich  aber  verlangte  Sie  von  mir,  ich  solle  auch  Dir  alles,  was  ich  über 
diese  Sache  auf  dem  Herzen  habe,  unverhohlen  mittheilen.  Ich  that  es,  obgleich 
ich  schon  damals  fürchtete,  von  Dir  falsch  beurtheilt  zu  werden;  eine  Furcht,  die 
der  Erfolg  nur  zu  sehr  bestätigt  hat. 

Doch  so  sehr  von  Dir  verdammt  zu  werden,  als  Dein  letzter  Brief  mir  zeigt 
—  in  der  That,  das  konnte  ich  nicht  befürchten.  Erkläre  immerhin  jene  Verse  für 
ein  Spiel  des  Augenblicks;  sie  sagen  mir  genug,  obgleich  ich  ihre  Deutung  nicht 
ganz  faße,  um  einzusehen,  daß  in;ihnen  Deine  Empfindung  —  unwillkükiiich  viel- 
leicht —  wahrer  ausgedrückt  ist,  ||  als  Du  selbst  es  mich  wolltest  wißen  laßen. 
Doch  sey  es,  wie  Du  willst;  Sagst  Du  nicht  hernach  noch,  ich  solle  Dir  den  Muth 
nur  brechen,  so  bald  ich  könne?  Also  traust  Du  mir  doch  die  Absicht  zu,  Dir  den 
Muth  zu  brechen? 

Dann,  in  der  That,  würde  ich  ihn  brechen  wollen,  wenn  ich  glaubte,  daß  er 
gebrochen  werden  könne.  Gottlob,  daß  ich  über  diese  schrecklichste  aller  Möglich- 
keiten vollkommen  ruhig  seyn  darf!  Wer  zu  der  innern  Gewißheit  gekommen  ist, 
deren  Du  Dich  rühmst,  unter  allen  Beschäftigungen  die  notwendigste  gewählt  zu 
haben;  wer  es  für  seine  Pflicht  erkennt,  dieser  Beschäftigung  alles  aufzuopfern; 
wer  dabei  jene  eiserne  Resignation  sich  erworben  hat,  die  ich  an  Dir  —  bewundere, 
wenn  ich  gleich  sie  nicht  billigen  kann,  nach  meiner  Ueberzeugung  —  wie  könnten 
dessen  Muth  meine  armen  Einwendungen  brechen,  die  überdies  niemals  das 
Materiale  Deines  Plans  weder  angreifen  sollten,  noch  angegriffen  haben?  Nur 
dies  wollte  ich  Dir  sagen,  u.  habe  ich  gesagt:  daß  ich  allerdings  das  Leben  für 
höher  achte,  als  die  Philosophie;  daß  ich  diese  beziehe  auf  jenes,  wie  Mittel  zum 
Zweck;  daß  ich  es  mit  der  Würde  des  Menschen  nicht  vereinbaren  kann,  sich  selbst 
als  Mittel  zu  gebrauchen  für  fremde  Zwecke.  Dagegen  bekenne  ich.  daß  ich  das 
Philosophiren  dem  geistigen  Leben  so  nothwendig  halte,  wie  das  Athemholen  dem 
leiblichen;  wer  würde  aber  deswegen  sagen:  athemholen  sey  leben?  —  Andere 
sehen  die  Sache  anders;  u.  auch  ich  habe  nie  verlangt,  „daß  allen  Bäumen  Eine 
Rinde  wachse." 

Noch  jetzt,  in  diesem  Augenblicke,  bin  ich  von  der  Wichtigkeit  u.  Vortreff- 
lichkeit des  Plans,  den  Du  Deinen  Eltern  vorlegtest,  so  fest  überzeugt,  daß  ich  alles 
daran  wenden  würde,  Dich  bei  ihm  zu  erhalten,  wenn  ich  fürchten  müßte,  daß  Du 


September  1799.  n; 


ihn  verlaßen  wollest.  ||  In  der  That,  Dein  Zettel  an  Muhrbeck  hat  mich  beunruhigt. 
Du  willst  die  Schweiz  verlaßen?  Warum?  Weswegen?  Ich  kann  es  nicht  errathen. 
Darf  ich  es  wißen,  so  wirst  Du  Dir  ein  großes  Verdienst  erwerben,  wenn  Du  mir 
über  diesen  höchst  unerwarteten  Entschluß  einige  Nachricht  geben  willst.  Wo 
Muhrbeck  jetzt  ist,  weiß  ich  nicht  mit  Gewißheit.  (S.  die  Einlage.)  Sobald  er  kommt 
werde  ich  ihm  Deinen  Zettel  geben. 

Deine  Apostrophe  an  Jakobi  hat  mich  in  einiges  Erstaunen  gesetzt.  Zwar,  wie 
Du  sie  schreiben  konntest,  begreife  ich  allenfalls;  weil  jeder  Ausdruck  darin  den 
äußersten  Affekt  verräth.  Daß^sie  ihm  aber  durchaus  nicht  mitgetheik  werden  könne, 
wirst  Du  jetzt  leicht  einsehen.  Sie  würde  es  schon  deswegen  nicht  können,  weil 
meine  Abschrift  seines  Briefes  die  einzige  ist,  die  existiert,  u.  weil  ich  diese  nicht 
von  Jakobi,  sondern  von  Fichte  erhalten  habe.  Ich  kann  mich  also  schlechterdings 
nicht  dem  Verdacht  einer  Indiskretion  aussetzen,  die,  bei  den  jetzigen  Umständen, 
größer  seyn  würde,  als  Du  es  vielleicht  ahnen  konntest. 

Ueber  die  Apostrophe  selbst  wage  ich  es  nicht  eher  Dir  meine  Meinung  zu 
sagen,  als  bis  ich  die  sehnlich  erwartete  Beantwortung  meines  letzten  Briefes  er- 
halten habe.  Indeßen  gestehe  ich  Dir  offenherzig,  daß  einige  Beschuldigungen  der- 
selben mich  empört  haben,  besonders  die,  daß  J.  die  Wahrheit  empört  habe  gegen 
das  Wahre;  */.  heißt  denn  auch  das  das  Schöne  empören  gegen  die  Schönheit,  wenn  man 
beides  unterscheidet^  wie  es  doch  zum  Behuf  der  Wißenschaft  nothwendig  geschehen 
muß?  •/•  ferner,  daß  er  den  Menschen  ohne  Denkkraft  wolle  erstehen  laßen;  end- 
lich, daß  seine  Ueberzeugung  für  Fichte  verbunden  mit  seinen  Gesinnungen,  wenn 
sie  allgemein  würde,  die  Menschen  neben  Prometheus  hinschmieden  müßte  zu  ähn- 
licher Verdammniß ! !  —  —  — 

Vor  einigen  Wochen  reiste  Harbatjr  hier  durch  nach  Oldenb.  zu  Deiner  Mutter. 
Seit  dem  habe  ich  weder  von  ihr  noch  von  ihm  Nachricht;  doch  glaube  ich,  daß 
Du  jetzt  ruhiger  seyn  kannst. 

Lebe  wohl,  u.  laß  mich  nicht  zu  lange  auf  Antwort  harren. 

Dein  Gries. 

99.  *)     An  ?.  (Bern,  um  den  4-  Sept.  1799.) 

Und  jetzt  habe  ich  im  Sinn,  in  diesen  Plan  ein  so  grosses  Loch  zu 
machen,  —  meinen  guten  Carl,  der  hier  neben  mir  seinen  Virgil  repe- 
tirt,  zu  verlassen  ?  In  der  That,  in  diesem  Augenblick  hat  das  keinen 
rechten  Sinn,  die  Ursachen  werden  sich  ein  andermal  wiederfinden,  jetzt 
ist  es  Zeit,  diesem  schönen  Abend  ein  Gedächtniss  zu  stiften,  lass  mich 
Dich  einladen,  mein  Theurer,  komm,  hilf  mir,  mein  kleines  Fest  ganz 
frugal  mit  feyern;  eine  simple  Erzählung  ist  genug.*) 

Sokrates  war  eben  daran,  seinen  überweisen  Euthyphron  (den  Plato 
ein  wenig  zu  pinselhaft  schildert)  das  Resultat  ziehen  zu  lassen.  Das 
hatten  sie  nun  herausgebracht:  das  oaiov  (fromme,**)  religiöse)  sey  nicht 
deshalb  fromm,  weil  es  von  den  Göttern  geliebt  werde,  sondern  es  werde 


*)  „und  Du  leih  mir  Aug  und  ein  wenig  Teilnahme'1   —  durchstrichen. 
**)  „heilige,  es  giebt  kein  gutes  deutsches  Wort  —  das  religiöse,  wenn  Du  willst1,1 
—  durchstrichen. 

*)  4  S.  8°.  H.  Wien.  Hier  zum  ersten  Male  vollständig  veröffentlicht.  Zimmer- 
mann nennt  als  Empfänger  des  Briefes  „Böhlendorf  (?)u,  das  ist  aber  nach  dem 
Briefe  Herbarts  an  Böhlendorff  vom  28.  Sept.  1799  nicht  möglich. 

8* 


jj6  September  1799. 


von  ihnen  geliebt,  weil  es  fromm  sey.  Ferner,  es  sey  ||  eine  Art  vom 
Rechten  (im  weitesten  Sinne)  das  sich  aber  auf  den  Dienst  der  Götter 
beziehe,  —  auf  einen  hülfreichen  Dienst,  der  aber  nicht  dem  Geholfenen 
nützlich  seyn  solle.  „Welches  ist  denn  dannu,  fragt  jetzt  Socrates  „das 
über  alles  herrliche  Werk,  zu  welchem  die  Götter  sich  unsrer  Hülfe  be- 
dienen?1' Der  alberne  Euthyphron  fällt  noch  einmal  vom  Gipfel  der  For- 
schung, und  läuft  dann  ungeduldig  fort,  seinen  Vater  wegen  eines  unab- 
sichtlichen Mordes  zu  verklagen,  —  davon  hatte  ihn  Socrates  abhalten 
wollen  —  wir  sehn  ihm  nach,  —  und  sinnen  über  das  Räthsel,  was  Piato 
nicht  weiter  auflös't.  „Die  Schöpfung  —  kann  es  nicht  seyn,  sagte  Carl, 
dazu  brauchte  Gott  nicht  die  Hülfe  der  Menschen.  —  Ist  denn  das  das 
herrlichste  Werk  Gottes?,    fragte    ich,   —  sinne  nach.      Wozu   diese  Erde? 

—  Seine  Augen  wurden  heller,  glänzender,  —  die  Menschen  —  Bildung 
der  Menschen  —  dazu  sollen  wir  helfen!  Wir  fanden  es  zusammen.  Er  war 
ganz  verklärt.  ||  So  strahlte  es  ihm  nun  auf  einmal  in  die  Seele,  wovon 
ich  ihm  dann  und  wann  nur  dunkel  geweissagt  hatte;  —  dies  Resultat  seiner 
ziemlich  mühsamen  Arbeit,  denn  noch  wird  ihm  Plato  nicht  leicht,  ich 
brauche  von  einem  noch  nicht  12  jährigen  Knaben  wol  kaum  zu  sagen, 
dass  dieser  Dialog  sein  erster  war.  —  Jetzt  kam  er  meiner  Entwicklung, 
meiner  Anwendung,  meiner  Annäherung  an  ihn,  entgegen,  ich  umarmte 
ihn,  dann  hing  er  sich  an  mich,  wir  liefen  zum  Thor  hinaus,  liefen  drey- 
mal  schneller  als  sonst,  —  die  Sonne  ging  unter  —  strahlte  von  den 
Schneeberecn  zurück  —  er  sah,  —  jetzt  vielleicht  zum  erstenmale  mit 
ganz  offenen  Augen;   —  wir  sprachen  von  Gott,  —  von  den  Sonnanbetern 

—  scherzten,  lachten,  —  sahen  die  Schneeberge  sterben,  dachten  der 
Auferstehung  —  ich  dachte  des  Augenblicks,  wo  ihn  dieser  Gedanke,  von 
dem  ich  jetzt  wieder  nur  weissagte,  ||  entzücken  wird  —  ach  es  läutet  zum 
zweytenmal,  ich  muss  zum  Essen  herunter. 

Ich  bin  fertig.  Nun  die  Ursachen,  warum  ich  ans  Weggehen  denke. 
Darum,  weil  ich  nicht  mehr  zur  Hausgesellschaft  gehöre,  weil  die  Politik  alles 
verschlingt,  weil  F[rau]  Landvögtin  so  platt  und  pöbelhaft  als  möglich,  Hr. 
Landv[ogt]  mitten  in  einem  Gespräch  voll  liebenswürdiger  Besonnenheit  so 
aristocratisirt,  dass  man  sich  Meilen  weit  geschleudert  glaubt,  —  weil  man  mir 
das  Versprochene  nicht  hält,  weil  ich  es  nicht  auf  die  Möglichkeit  wieder 
ankommen  lassen  darf,  dass  man  mir  noch  einen  Sommer  meine  mir  un- 
schätzbaren Ferien  raube;  weil  ich  eigentlich  nur  2  Knaben  erziehen 
wollte,  und  statt  dessen  3  habe,  die  mir  zwar  alle  lieb  sind,  aber  für  die 
ich  auf  die  Länge  nicht  Zeit  habe;   weil  ich  bald  den  4ten  haben  würde; 

—  hauptsächlich,  weil  ich  bey  meinem  veränderten  Plane  für  Carln 
wenigstens  das  wesentliche  thun  könnte,  und  nachher  noch  für  meine 
Eltern  wäre.  —  Gegenwärtig,  da  meine  Mutter  vom  neuen  leidet,  erwarte 
ich  ihren  Wunsch   —   ruft  sie,  so  gehe  ich  sobald   als  möglich. 

100.    Fischer  an  Smidt.  Höchstetten  b.  Bern  4.  Sept.  1799. 

Herbart  und  Eschen  drohen  Helvetien  zu  verlassen.    Wie  soll  ich  mich 

dabey  trösten  V  indem  ich  mich  auf  ihren  Gesichtspunkt  stelle,  ihnen  ablerne,  wie 
man  der  Stimme  der  Pflicht  u.  dem  Wink  eines  bewährten  guten  Genius  folgt,  und 
so  lange  als  es  mir  noch  vergönnt  ist,  ihres  Umgangs  genieße,  und,  wo  möglich  mit 


September  1799.  117 


ihnen  einige  Bäume  pfJantze,  in  deren  Schatten  ich  mich  künftig  erhohlen  kann. 
Herbart  würde,  wenn  er  lange  genug  bliebe,  mir  einige  Mitbürger  bilden  die  früher 
od.  späther  meine  Freunde  werden  müßten.  —  Doch  —  ich  bin  zu  aller  Resignation 
gefaßt.  —  An  Freundin  Herbart,  an  Böhlendorf,  Muhrbeck  u.  a.  werde  ich  bald 
schreiben  —  ich  lebe  jetzt  mehr*  mit  ihnen  als  nie. 

101.      An    Smidt1)  Bern  am  4ten  September  1799. 

Lange  habe  ich  nicht  so  gern  und  so  innig  froh  gedankt,  als  jetzt 
Dir,  mein  theurer  Smidt!  Nicht  Fischer,  ich  bin  Dein  Schuldner.  Mir  hast 
Du  eine  Bitte  erfüllt,  so  schnell,  so  ganz;  eine  Bitte  die  nicht  einmal  an 
Dich  gerichtet  war.  Ich  sah  meinen  Freund  angegriffen  durch  jede  Art 
von  Leiden,  seit  2  Jahren  gehemmt,  oft  schmerzlich  zurückgestossen,  in 
seinen  schönsten  Bemühungen  —  das  prägte  sich  ihm  auf,  —  und  die 
Spuren  verwischen  sich  vielleicht  nie.  In  Deutschland  hätte  das  vielleicht 
geschehen  können,  —  und  er  äusserte  einmal  einen  Wunsch  dahin.  Der 
Treffliche!  was  hätte  ihn  besser  erheitert  als  Du  und  Dein  froher  Kreis, 
und  Freunde  von  Dir,  die  Deinen  Lebenssinn  haben!  Aber  dass  Du  dazu 
sogleich  Rath  schaffen  würdest,  wie  konnte  ich  es  hoffen,  —  ich  konnte 
Fischern  auch  nicht  im  Voraus  Aussichten  zeigen,  musste  ihn  sorgen 
lassen,  wo  er  etwa  [2]  selbst  etwas  fände;  er  sagt  mir  freylich  jetzt  auch, 
dass  er  auf  jeden  Fall  durch  sein  Verhältniss  zu  seinem  —  (wunderlich 
unmännlichen)  Vater,  dem  er  Stütze  seyn  müsse,  hier  gebunden  sey. 
Jetzt  kommen  die  eingegangenen  Verbindlichkeiten  dazu,  —  ich  kann  nur 
für  ihn  wünschen,  und  mich  freuen,  dass  er  doch  in  den  letzten  Wochen 
schon  wieder  beträchtlich  lebendiger  geworden  ist;  Dir,  Bester,  reiche  ich 
noch  einmal  über  Berge  und  Flüsse  die  Hand,  dankend,  und  bittend,  Du 
wollest  mir  nicht  unhold  seyn,  dass  ich  Dich,  und  vielleicht  noch  andere 
umsonst  in   Bewegung  gesetzt  habe. 

Und  so  sey  denn  auch,  von  meiner  Seite  wenigstens,  unser  lange  ab- 
gebrochener Briefwechsel  wieder  angeknüpft.  Es  geschehe  mit  ganzer 
Aufrichtigkeit;  ich  will  es  Dir  freymüthig  sagen,  warum  ich  ihn  abbrach. 
Nicht  zögernd,  zaudernd,  es  war  Vorsatz.  Deine  Antwort  auf  meinen 
letzten  Brief  war  mir  keine  Antwort.  Es  war  [3]  eine  Wiederhohlung  — 
vielleicht  weil  mein  Brief  auch  nur  eine  Wiederhohlung  gewesen  war.  Ich 
brauchte  in  jenem  dunkeln  Winter  viel  Kraft,  um  nur  auf  meinem  Platze 
zu  bleiben;  ich  musste  mich  mit  Anstrengung  zu  mir  selbst  erheben;  und 
der  Nachmittag,  da  ich  Dir  schrieb,  glänzt  mir  noch  wie  ein  einzig  heller 
Stern  aus  der  weiten  öden  Finsterniss  jener  Zeit,  —  hat  mir  lange,  wie 
ein  zweytes  besseres  Ich,  wie  ein  Freund  gedient,  an  dem  man  hält  in 
Gefahr.  Das  konntest  Du  nicht  wissen,  —  ich  will  gern  die  Schuld  über- 
nehmen, dass  in  Deiner  Antwort  mir  eine  Beschränktheit  Deines  Interesse 
erschien,  deren  Erweiterung  ich  wohl  erst  erwarten  müsse,  damit  meiner 
Seele  wieder  in  der  Deinigen  Platz  werde,  —  und,  alles  wohl  überlegt, 
habe  ich  vielleicht  ganz  recht  gethan,  Dich  mit  dem  Anblick  einer  ent- 
gegengesetzten Beschränktheit  zu  verschonen,  die  vielleicht  erst  dann  auf- 
hören wird,   wenn  ich  mich  wohl  überzeugt  habe,  dass  das  Gleichgewicht, 

x)  6  S.  8°. 


I  I  8  September  1799. 


womit  ich  mir  schon  jetzt  zuweilen  schmeichle,  kein  Traum  ist.  Es 
braucht  Zeit,  dass  man  seiner  selbst  erst  wohl  inne  geworden  sey,  um 
frey  ausser  sich  umhergehn    zu   können   in  Sonnenschein  u.   Kühlung.   [4] 

—  Glaube  mir  indessen,  theurer  Freund,  ich  war  nie  der  Theilnahme  un- 
fähig an  dem  Glücke,  das  ein  Haus,  ein  Kind,  eine  Gattin,  —  ein  Zu- 
sammenklang von  Charakteren  vieler  nähern  und  entfernteren  Lieben  Dir 
geben.  Lieber  Gatte,  lieber  Vater,  durchfühle  die  Seelen  Deines  Weibes 
und  Kindes,  vervielfältige  Dich  in  ihnen,  —  und  wenn  Du  einen  armen 
Schatzgräber  bedauerst,  so  bedenke,  dass  es  den  Weinbergen  doch  auf 
allen  Fall  wohlthut,  wenn  sie  umgeackert  werden,  —  und  übrigens  be- 
dauere mich  nur,  das  schmerzt  mich  gar  nicht,  ich  danke  Euch  vielmehr 
dafür.  Doch  jetzt  hast  Du  in  der  Rücksicht  noch  wenig  Ursache,  mich 
zu  bedauern;  ich  rühre  den  Spaten  höchst  selten  —  viel  öfter  pflege  ich 
der  Liebe  —  einer  Liebe,  die,  besonders  seit  einem  halben  Jahre,  zu- 
weilen ihr  Gefäss  etwas  zu  voll  füllt,  zuweilen  mit  dem  ernsten  Verhält- 
nisse des  Lehrers  sonderbar  contrastirt.    Mein  Carl  ist  ein  so  verständiger 

—  schöner,  —  guter,  —  inniger  Junge,  dass  mein  Arm  nun  schon  un- 
willkürlich sich  um  ihn  schlingt,  [5]  dass  ich  ihn  nicht  gut  anders  als  an 
meiner  Brust  liegend,  neben  mir  sitzen  lassen  kann,  dass  die  rixae  aman- 
tium  sich  meistens  mit  Küssen  endigen,  dass  ich  manchmal  nicht  nur  pro 
forma  mit  ihm  zum  Knaben  werde,  —  dagegen  muss  er  denn  auch  mit 
mir  Mann  seyn,  den  Homer  nicht  nur  sondern  den  Sophokles  und  Plato 
mit  mir  theilen  —  und  da  beginnt  dann  erst  mein  Fest,  wenn  ich  sehe, 
dass  ihm  die  Sprachen  nicht  gar  schwer,  aber  der  Sinn  noch  viel  leichter 
wird  —  wenn  ich  ihn  den  Dichter  zuweilen  auf  einmal  anstaunen  —  die 
Wendungen  der  Untersuchung  vorher  rathen,  —  das  Resultat  in  seinen 
Augen  glänzen  sehe.  Freilich  haben  wir  vom  Sophokles  u.  Plato  nur  erst 
von  jedem  ein  Stück  gelesen  —  von  der  Odyssee  lasen  wir  in  der  ersten 
Stunde  auch  nur  3  Verse,  in  der  letzten  flog  er  durch  145  Verse  in 
3/4  Stunden.  —  Verzeih,  ich  fange  an  zu  schwatzen,  solch  süsses  Gespräch 
wird  meistens  am  Ende  Geschwätz.  Wahr  ist  es  aber,  dass  ich  eine 
grünende  Pflanzung  [6]  um  mich  sehe  —  von  der  ich  mich  sehr  ungern 
trenne  und  sie  einem,  in  mancher  Rücksicht  ungewissen  Schicksale  über- 
lasse. Verlassen  muss  ich  sie  zwar  einmal,  die  äussern  Umstände  sind 
nicht  mehr  für  lange  meinen  Wünschen,  —  meinem  eignen  Beruf  ange- 
messen doch  könnte  ich  noch  meinen  Garten  mit  einem  ziemlich  derben 
Zaune,  meine  ich,  umringen  —  wenn  nicht  etwa  die  Wünsche  meiner  kranken 
Mutter  mich  schon  jetzt  abrufen.  Ich  habe  sie  wenigstens  gebeten,  mir  diese 
nicht  zu  verhehlen  —  und  dann  wünsche  Du  mir  Ersatz  in  dem  Ge- 
lingen des  Versuchs,  ihr  Leiden  zu  erleichtern.  Die  Gute  —  meine  un- 
endliche Wohlthäterin !  —  sie  hat  auch  von  mir  manches  unbeabsichtigte, 
manches  vielleicht  unvermeidliche,  leiden  müssen,  —  ich  möchte  es  gern 
gut  machen  wenn  ich  es  etwa  könnte.  Meinen  Kindern  werde  ein  andrer 
Schutzgeist,  der  sie  mir  einmal  wieder  zuführe.  Ich  habe  meine  Freunde 
Muhrb[eck]  und  Böhlfendorf]  gebeten,  sich  auf  der  Reise  nach  einem 
Nachfolger  umzusehen.  Wüsstest  Du  mir  vielleicht  einen  Geprüften  zu 
nennen?  Bestimmte  Anträge  kann  ich  freylich  nicht  machen,  ich  habe 
dem  Hrn.  St.  noch  nichts  gesagt;    doch  hoffe  ich,    dass   er  einen  Freund 


September  1799.  11g 


meiner  Freunde  gern  in  seinem  Hause  sehen  würde.  Wenn  wir  uns  nun 
vielleicht  bald  umarmten?  —  Vorläufig  wünsche  ich  meinem  Briefe  glück- 
liche Reise,  und  hoffe  für  ihn  einen  freundlichen  Willkommen  von  Dir. 
Bitte  Deine  liebe  Frau,  dass  sie  mir  ein  wenig  gut  sey.  Grüsse  Langen. 
Leb  wohl.  Dein   Herbart. 

102.      An   Böhlendorff. J)  [Bern,  am  28.  September   1799.] 

Erst  seit  gestern  Abend,  am  27  sten  Sept.,  habe  ich  den  Zeugen 
Deines  Andenkens,  mein  Theurer,  nach  welchem  ich  lange  ausgesehn 
hatte;  jenen  vom  3 Osten  Jul. 

Bilde  ich  mir's  ein,  oder  ist  wirklich  Dein  Ton  wie  der  eines 
Freundes,  dem  eine  Warnung  auf  der  Zunge  schwebt?  —  Nur  das, 
Bester!  mein  letzter  Brief  ward  in  einer  zufälligen,  ganz  ungesuchten  Stim- 
mung geschrieben;  ich  habe  den  letzten  Frühling  wie  noch  keinen,  in 
allen  Adern,  Gliedern,  Sinnen  gespürt.  Ein  wunderbares  Wohlseyn  brach 
durch  alle  Wolken  meiner  äussern  Lage.  Ich  hörte  unwillkürlich  die 
Worte,  die  ich  schrieb;  das  scheint  Dir,  und  Gries,  und  meiner  Mutter 
misfallen  zu  haben. 

Der  letztern  würde  ich  vielleicht  schon  entgegenrollen,  wenn  unsre 
Briefe  nicht  wieder  aufgehalten  seyn  müssten.  Von  ihr  habe  ich  aus 
01denb[urg]  einen  einzigen  Brief  gehabt;  —  das  nasse  Dachstübchen  aber 
erst  gestern  Abend  aus  Deinem,  begriffen.  Es  thut  weh  —  dasmal  ||  hatte 
ich  etwas  ganz  anders  erwartet;  doch  macht  es  Ihn  nicht  zweydeutiger. 
Ich  fürchtete  überhaupt  längst,  dass  das  Wort:  Repressalien,  den  Schlüssel 
enthalte,  und  dies  hier  ist  mir  Bestätigung.  Es  ruft  mich  aber!  —  Bey- 
nahe  vor  2  Monaten,  gleich  nach  Empfange  des  Briefes  von  meiner 
M[utter]  legte  ich  Kommen  und  Bleiben  in  ihre  Hand;  bis  jetzt  habe  ich 
umsonst  ihre  Antwort  erwartet.  Haben  sich  nur  nicht  dasmal  wieder 
Misverständnisse  eingeschlichen!  —  Nicht  wahr,  Lieber,  Du  erfüllst  mir 
gern  eine  Bitte?  So  hilf  Misverständnisse  verhüten.  Die  Hauptfrage  für 
mich  ist:  ob  ich  meiner  Mutter  angenehm  seyn  werde?  Du  kennst  im 
Ganzen  meine  Gesinnungen,  —  kannst  daraus  beurtheilen,  wie  ich  Facta, 
die  ich  etwa  sehn  würde,  betrachten  möchte.  Ich  werde  wahr  und  ohne 
Verstellung  seyn  wollen  —  darf  mir  nicht  schmeicheln,  dass  mir  jede 
Delicatesse,  die  ich  mir  wünsche,  gelingen  werde,  —  muss  fürchten,  dass 
meine  Mutter  sehr  [|  leicht  gekränkt  werden  könne,  —  finde  in  ihrem  letzten 
Briefe  noch,  mehrere  Äusserungen  ihrer  Grundsätze,  die  mich  anstossen, 
und  fühle,  dass  wenn  sie  so  etwas  mündlich  sagte,  sie  die  Misbilligung  in 
meiner  Miene  lesen  würde.  Überdas,  weiss  ich,  ob  Harbaurs  edles  Werk 
nur  einige  Dauer  hat?  Käme  ich  vielleicht  nur,  eine  traurige  letzte  Pflicht 
zu  erfüllen,  so  würde  ich  dann  sehr  bedauern,  meine  grossen  Hoffnungen 
von  meinem  innig  geliebten  Karl,  zernichtet  zu  haben,  um  mich  vielleicht 
dem  Oldenburgischen  Landgericht  auszuliefern  —  denn  wäre  ich  einmal 
dort,  so  wären  die  Ansprüche  meines  Vaters  wieder  zehnfach  grösser. 
Aus  diesen  Gründen  konnte  und  wollte  ich  meine  Mutter  nicht  nur  bloss 

*)  8  S.  8°.  H.  Wien.  Auch  in  diesem  Brief  wurden  wie  oben  S.  116  die  von 
Zimmermann  ausgelassenen  Namen  ergänzt. 


120  September  1799. 


um  Erlaubniss  bitten,  zu  ihr  zu  reisen.  Ich  bat  sie,  mir  zu  sagen,  ob 
sie  mich  wünschte  —  so  würde  ich  ohne  alle  Bedenklichkeiten  zu  ihr 
kommen.  Ich  bat  sie,  meine  Person  dabey  aus  den  ||  Augen  zu  setzen; 
sagte  ihr  aber,  dass  ich  meinen  Knaben  keinen  Ersatz  wüsste.  Das  sagte 
ich  ihr  auf  die  Gefahr  aller  Deutungen  hin,  die  dem  angehangen  werden 
können.  So  war  es,  nachdem  ein  Anstoss  eines  raschen  scheinbaren 
Pflichtgefühls  vorüber  gegangen  war,  meine  Überzeugung,  dass  ich  handeln 
müsste,  und  sie  ist  es  bis  jetzt  geblieben.  Anstalten  zur  Abreise  habe 
ich  gemacht,  meinen  Unterricht  so  gestellt,  dass  er  das  Letzte  nothwendigste 
noch  leistete,  —  jetzt  hätte  er  leicht  abgebrochen  werden  können;  da 
aber  keine  Antwort  von  meiner  Mutter  gekommen  ist,  habe  ich  freylich 
neue  —  doch  nicht  unzerreissbare  Fäden  wieder  anknüpfen  müssen.  Nun 
bitte  ich  Dich,  mein  Theurer,  mir  zu  sagen,  ob  Ihr  jene  frühere  Bitte, 
mir  einen  Nachfolger  auszusehn,  habt  erfüllen  können?  Habt  Ihr  einen 
gefunden  den  Ihr  mit  Zutrauen  an  meinen  Platz  stellen  möchtet,  so 
scheide  ich  mit  leichtem  Herzen  von  hier.  ||  Hauptsächlich  aber  ersuche 
ich  Dich,  die  Gesinnungen  meiner  Mutter  mündlich  oder  schriftlich  zu 
lenken,  so  dass  sie  bey  meiner  Frage  nach  ihrem  Wunsche,  nicht  etwas 
denke,  was  gar  nicht  in  meiner  Seele  ist,  —  auch  nur  nicht  etwa  eine 
Umstimmung  meiner  Denkungsart,  von  mir  erwarte;  und  was  sie  dann 
wünscht,  das  lass  mich  ganz  erfahren;  —  sage  Du  es  mir,  wenn  sie  viel- 
leicht irgend  einer  Delicatesse  wegen  es  nicht  ganz  sagen  würde.  Füge 
Deinen  Rath  bey;  Deine  Ansichten,  und  Nachrichten.  Erinnere  Dich  dass 
mir  hier  dies  alles  mangelt,  dass  dadurch  nicht  nur  mein  inneres  Wesen, 
sondern  alles  was  ich  thue,  und  alle  meine  Verhältnisse  in  Unordnung 
sind.  Du  wirst  es  mir  dann  verzeihen,  wenn  ich  Dir  Beschwerde  mache. 
Du  wirst  vielleicht  gern  auf  ein  paar  verschiedenen  Weg;en  mir  Nachricht 
zukommen  zu  lassen  versuchen  wollen.  —  Sehr  unangenehm  wäre  es  mir, 
wenn  meine  Mutter  mich  meinetwegen  zurückriefe,  und  Pläne  für  mich 
machte,  ohne  mir  das  genau  zu  sagen.  ||  So  etwas  würde  alles  verderben; 
ich  verzeihe  keinem  der  mich  im  Blinden  führen  will.  Doch  ich  besorge 
das  kaum,  und  sage  Dir  nur  auf  eine  unwahrscheinliche  Möglichkeit  hin, 
dass,  wenn  Du  ja  kommen  müsstest,  um  eine  Spur  davon  zu  löschen,  Du 
mein  Wohlthäter  dadurch  werden  würdest.  Übrigens,  wenn  ich  komme, 
ist  meine  Mutter  mir  Hauptsache,  ihr  bringe  ich  meine  Kraft,  und  so  darf 
ich  vielleicht  hoffen,  ihr  etwas  seyn  zu  können,  ohne  sie  fühlen  zu  lassen, 
was  ich  ihr  opfere.  Auch  werde  ich,  wo  ich  mich  überzeugen  kann,  dass 
es  für  sie  nöthig,  und  billig  ist,  mich  wahrlich  nicht  scheuen,  mich  zu 
rühren  und  Kopf  und  Zunge  und  Hände  zu  brauchen.  Der  Dach- 
stübchen wollte  ich,  meine  ich,  bald  Herr  werden,  wenigstens  den  Versuch 
daran  wagen. 

Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  bleibe  ich  jetzt  so  lange  hier,  bis  ich 
Antwort  auf  diesen  meinen  Brief  von  Dir  habe.  Käme  auch  unerwartet 
in  diesen  Tagen  etwas  von  meiner  Mutter,  so  kann  ich  mich  doch  jetzt 
nicht  so  schnell  losreissen,  dass  die  4 — 6  Wochen,  die  höchstens  der 
Weg  zwischen  Dir  und  mir  fordert,  nicht  darüber  hingingen. 

Diesen  Brief  nimmt  ein  Hr.  Fries  mit,  ein  junger  Mann,  der  noch 
mit  uns  in  Jena  war.      Er    ist    interessant,    hat    viel    gelernt,    Mathematik, 


Oktober,  November   1799.  12  I 


Physik,  Philosophie;  geht  jetzt  zu  Scherern  als  dessen  Gehülfe;  bey  che- 
mischen schriftstellerischen  Arbeiten.  Gegen  Fichte  hat  ||  er  eine  Fehde  im 
Sinn.  —  Ich  freue  mich  der  Achtung,  die  Dir  Fichte  aufs  neue  eingefiösst 
hat.  Es  thut  wohl,  von  demjenigen  Gutes  zu  hören,  gegen  den  man  nur 
Hochachtung  und  Dankbarkeit  empfinden  möchte.  Könntest  Du  mir  doch 
bald  auch  Glückliches  von  ihm  sagen!  Unterlass  es  dann  doch  ja  nicht; 
man  erfährt  hier  nichts.  —  Jacobi  und  mich  in  einer  Antwort  zu  treffen, 
dürfte  schwer  seyn.  Einer  grossen  Gefälligkeit  von  Gries  verdanke  ich 
einen  Auszug  von  Jac[obi's]  Briefe.  Ich  habe  darin  Jacobi  den  Trefflichen 
und  Starken,  aber,  ich  verhehle  es  nicht,  auch  Jacobi  den  Schwachen  er- 
kannt. Ein  Blättchen,  durch  Muhrbeck  an  Jac[obi]  abzugeben,  wenn  es 
sich  gut  in  ihr  Gespräch  einfiechten  Hesse,  sandte  ich  an  Gries,  und  es 
hat  ihn  —  empört.  —  Dass  es  wenigstens  nicht  auf  jeden  so  wirkt,  haben 
mir  Eschen  und  Ziemssen  gesagt,  die  mir  nicht  nur  riethen,  es  auf  allen 
Fall  abzusenden,  sondern  auch  meinten,  Muhrbeck  werde  es  wohl  ab- 
geben. —  Ich  wünsche  Dir  Glück  zu  Deinem  Nachfolger  Ziemssen;  willst 
Du  nicht  einmal  an  ihn  schreiben?  —  Ich  fürchte,  Dein  Fritz  verdient  das 
minder.  ||  Ziemssen  klagt  über  seine  Trägheit,  Geist-  und  Herzlosigkeit; 
doch  nicht  ohne  manchmal  auch  bessere  Spuren  zu  bemerken.  Er  lies't 
viel,  das  ist  sein  Bestes.  Z.  macht  sich  viel  mit  den  Kleinen  zu  thun, 
kömmt  mit  Ludwig  zu  recht  und  ist  ganz  voll  von  Ferdinand.  —  Mir  ist 
mein  Karl  diesen  Sommer  —  oft  —  viel,  sehr  viel  gewesen.  Der  Hr. 
S [teiger]  sollte  schon  im  Frühjahr  als  Geissei  fortgeführt  werden,  er  war 
aber  nicht  da  und  ist  erst  kürzlich  wiedergekommen.  Ich  habe  den  treff- 
lichen Mann  ganz  —  mehr  als  ich  dachte  wieder  erkannt;  und  würde 
jetzt  vielleicht  alle  Gedanken  an  Weggehn  vergessen,  wenn  meine  Mutter 
es  nicht  wäre.  —  Denn  auch  mit  Ludwig,  Rudi  und  Henriette  komme 
ich  im  Ganzen  recht  wohl  fort,  und  Du  begreifst,  dass  es  dann  sehr 
leicht  ist,  neben  der  Fr[au]   Landvögtin  vorbeyzugehn. 

Vielen,  vielen  Dank  an  Stahl  dass  er  meiner  denkt;  Deine  Nach- 
richten freuen  mich  sehr.  Eine  innige  Umarmung  meinem  Muhrbeck! 
Und  Du  selbst,  Th eurer  Freund,  behältst  mich  doch  lieb? 

Dein   Herbart. 

Ich  habe  kürzlich  an  Smidt  Briefe  von  Fischer  und  mir,  gesandt,  ob 
die  wol  angekommen  sind?  Es  muss  Smidt  daran  gelegen  seyn.  Der 
Hauptinhalt  war,  dass  Fischer  die  angebotene  Stelle  nicht  annimmt  — 
aber  von   uns  beyden   die  allerherzlichsten   Danksagungen.      [Randbem.] 

103.  Eschen  an  Steck.  Montelier  [bei  Hurten],  24.  Okt.  1799. 

„Ich  habe  kürzlich  einige  frohe  Tage  mit  unserm  Herbart  gelebt.  Ich  war 
nach  Bern  gegangen,  um  mit  meinen  Freunden  über  die  Veränderung  meiner  jetzigen 
Lage  zu  reden,  weshalb  ich  Dir  auch  heute  schreibe.'* 

104.  Steck  an  Eschen  (Hauslehrer  in  Bern).  2.  Nov.  1799. 

„Herbart  hatte  mir  Hoffnung  gemacht,  einen  Theil  seiner  gefreyten  Zeit  bei 
mir  [in  Seedorf  b.  Bern]  zuzubringen!  leider  hatten  wir  fort  und  fort  Besuche  und 
ich  konnte  es  ihm  nicht  zumuthen,  seine  Muße  in  Gefahr  zu  setzen. *; 


122  November  1799. 


105.    Gries  an  H.1)  Göttingen,  d.  21sten  Novbr.  99. 

Deinen  letzton  Brief,  lieber  Herbart,  fand  icli  vor,  als  ich  von  einer  Reise 
nach  Jena  zurückkam,  wo  ich  die  Michaelisferien  zugebracht  hatte.  Du  weißt,  daß 
ich  den  ganzen  Sommer  hindurch  auf  Böhlendorffs  und  Muhrbecks  so  lange  ver- 
sprochenen Besuch  wartete.  Am  Anfang  des  Septembers  kam  endlich  ein  Brief  von 
B.  der  diese  ganze  Freude  auf  einmal  zerstörte.  Muhrbeck  war  wieder  krank  ge- 
wesen; diese  Krankheit  u.  ökonomische  Hinderniße  hatten  die  Reise  so  lange  hin- 
geschleppt, daß  nun  zu  dem  versprochenen  Besuch  keine  Zeit  mehr  war.  Ich  mußte 
also  Verzicht  darauf  thnn,  die  Freunde  zu  umarmen,  oder  —  nach  Jena  kommen. 
Du  kannst  denken,  daß  ich  nicht  lange  wankte.  Schildener,  mit  dem  ich  in  diesem 
traurigen  Sommer  unter  vielen  erbarm  liehen  Stunden  einige  beßere  durchlebt  hatte, 
entschloß  sich  schnell,  mit  zu  reisen;  und  wir  flogen  nach  Jena.  Ich  sage  Dir  nichts 
von  dem  Wiedersehen  des  theuern  Landes  der  Freundschaft,  nichts  von  dem 
schönern  "Wiedersehen  der  Freunde;  Du  fühlst  das  alles,  oder  Du  hast  mich  nie  ge- 
kannt. Nur  so  viel  sage  ich  Dir,  daß  diese  vier  Wochen  mir  wie  ein  himmlischer 
Traum  dahin  schwanden,  u.  daß  beim  Erwachen  nur  dieses  Traumes  Erinnerung 
mein  einsames  Leben  versüßt. 

Ja,  nöthiger  als  jemals  ist  nur  jetzt  der  lindernde  Balsam  der  Freundschaft, 
denn  einsamer  und  verlaßner  war  ich  noch  nie.  Auch  Schildener  ist  nun  in  Jena 
geblieben;  ich  bin  allein  an  einem  Orte,  wohin  nie  mein  Geist  sich  gewöhnen  kann, 
unter  Menschen,  die  mich  anekeln,  unter  Beschäftigungen,  die  mich  niederdrücken 
u.  meinen  Geist  töten.  Lange  wird  das  Leben  hier  wohl  nicht  dauern;  aber  womit 
werd'  ich  es  vertauschen?  —  die  Scylla  mit  der  Charybdis! 

Doch  genug  davon!  Ich  rede  ja  mit  dem  Freunde,  um  mich  selbst  zu  ver- 
geßen. 

Dir  ist  also  wohl,  Herbart?  Wahrlich,  Du  sagst  es  mehr,  als  daß  ich  es  sehe; 
u.  ich  gestehe  Dir,  daß  mir  bei  Deiner  Lustigkeit  nicht  wohl  ist.  Nicht  als  ob  sie 
mich  ärgerte,  wie  den  Armen  in  seiner  Hütte  der  Jubel  im  Palaste  des  Nachbars; 
sondern  weil  es  mir  vorkommt,  als  täuschtest  Du  Dich  selbst  damit,  als  wolltest  Du 
unter  diesem  Anschein  des  Frohsinns  irgend  eine  innere  Unlust  Dir  verhehlen.  Du 
siehst,  daß  ich  offenherzig  bin;  u.  warum  sollte  ich  es  nicht  seyn?  Wir  sind  uns 
wohl  nah  genug,  um  ohne  Sprachrohr  mit  einander  zu  reden. 

Verbrennen  werd'  ich  jenes  Blatt  nun  nicht;  Es  gehört  mit  zur  Geschichte 
unsrer  Freundschaft,  u.  jedes  Dokument  derselben  ist  mir  wichtig.  Ich  glaub'  es 
Dir  auf  Dein  Wort,  daß  Du  mich  nicht  damit  kränken  wolltest,  und  so  hast  Du 
mich  auch  nicht  gekränkt.  Auch  waren  es  nicht  die  Verse,  die  mein  Herz  ver- 
wundeten —  denn  Poesie  muß  immer  poetisch  verstanden  werden  —  sondern  die 
schlichte  Prosa:  „Brich  mir  den  Muth  immerhin,  sobald  Du  kannst."  Jetzt  habe 
ich  längst  eingesehen,  daß,  wenn  Du  mehr  den  Worten  meines  Briefes  vom  8ten 
Julius,  als  dem  ganzen  Zusammenhang  meines  Seyns  u.  Denkens  nachgiengst,  jener 
Verdacht  allerdings  in  Dir  aufsteigen  konnte,  als  wollte  ich  Dir  den  Bißen  aus  dem 
Munde  reißen,  da  ich  doch  nur  —  wie  Jakobi  unserm  Berger  sagte  —  warnen 
wollte,  daß  man  nicht  das  Messer  statt  des  Bissens  verschlucke. 

Jetzt  ist  jener  Brief  Jakobi's  an  Fichte  in  Druck  erschienen,2)  und  also  res  com- 
munis geworden.  Ich  habe  den  Druck  noch  nicht  gesehen,  u.  weiß  also  nicht,  ob 
er  ganz  treu  ist.  Dem  sey  aber  wie  ihm  wolle:  es  scheint  mir,  die  öffentliche  Be- 
kanntmachung dieses  Briefes  könnte  der  guten  Sache  schaden,  wenn  man  nicht  bei 
Zeiten  dem  möglichen  Mißbrauch  vorbaut,  wenn  man  nicht  den  Leuten  die  so  wenig 

*)  12  S.  8°.     H.  Wien. 

2)  Sendschreiben  an  Fichte,  Hamburg  1799. 


November  1799.  122 


Fichte  als  Jakobi  verstehen,  oder  beide  nur  halb,  die  Augen  öffnet,  u.  zeigt,  in  wie 
weit  Jakobi  den  erstem  gefaßt  habe,  wie  weit  beide  eins  sind,  u.  wo  die  ungeheure 
Kluft  beginnt,  welche  beide  unvereinbar  trennt.  Soll  ich  Dir  gestehn,  mein  Freund, 
daß  ich  diese  Arbeit,  die  eben  so  angenehm  als  belehrend  seyn  müßte,  da  es  nicht 
darauf  ankommt,  den  Schiedsrichter  zwischen  zwei  ergrimmten  Kämpfern  zu  machen, 
sondern  dem  staunenden  Volk  die  Bahn  nachzuweisen,  welche  zwei  verwandte 
Genien  durchlaufen,  die  beide  ihren  Pflug  der  himmlischen  Beimat  zuwenden. 
Diese  Bahn  müßte  sich  so  sicher  berechnen  laßen,  wie  die  irgend  eines  Planeten, 
mit  allen  ihren  Perturbationen,  Approximationen  u.  Deklinationen.  Nur  dürfte  dies 
freilich  nicht  in  Apostrophen  geschehen;  man  dürfte  nicht  bloß  fragen:  Warum  hast 
Du  diesen  oder  diesen  Schritt  nicht  noch  gethan?  sondern  man  müßte  zeigen,  wes- 
halb er  nicht  gethan  werden  konnte,  müßte  vor  allen  Dingen  demonstriren,  daß  ein 
solcher  noch  zu  thun  übrig  war,  um  zu  dem  Punkte  zu  gelangen,  wo  beide  Bahnen 
in  eins  laufen  müßen.  Ich  glaube,  diese  Arbeit  wäre  Deiner  wohl  würdig,  u.  es  ist 
kein  leeres  Kompliment,  wenn  ich  dazu  aufmuntern  möchte.  Etwas  Eigennutz  mag 
freilich  wohl  mit  im  Spiele  seyn,  denn  ich  gestehe  Dir,  daß  ich  allerdings  wünschte, 
endlich  einmal  etwas  von  Deinen  Ansichten  zu  erkennen,  worauf  Deine  letzten 
Aeußerungen  mich  so  begierig  machen,  u.  wovon  ich  durch  Muhrbecks  zerstreute 
"Winke  nur  eine  dunkle  u.  entfernte  Ahnung  habe. 

Du  hast  wohl  Recht,  daß  sich  die  Frucht  der  Wahrheit  nicht  verfrühen  läßt, 
u.  daß  sie,  wie  jedes  gute  Ding,  ihre  Weile  haben  will.  Aber  gefährlich  ist  es  doch, 
den  Nachbar  so  fortschlendern  zu  laßen,  wenn  wir  sehen,  daß  sein  Weg  ihn  an  den 
Rand  eines  Abgrunds  führen  wird,  in  den  er  leicht  unbesorgten  Muthes  hinabstürzen 
könnte.  Laß  uns  daher  sobald  wie  möglich  anfangen,  uns  gegenseitig  zuzurufen, 
u.  wenigstens  den  guten  Willen  des  Andern  ehren,  wenn  wir  auch  eben  ihn  als  den 
Irrenden  erkennen  sollten.  Ich  habe  es  für  meine  Pflicht  gehalten,  diesen  Anfang 
zu  machen,  als  ich  zu  erkennen  glaubte,  Dein  Weg  könne  Dich  irgendeinmal  auf 
Abwege  führen.  Ich  habe  vielleicht  zu  laut  gerufen;  es  kann  seyn,  u.  Du  wirst 
mir  das  vergeben.  Mag  auch  mein  Ruf  durch  irgend  ein  Gaukelbild  der  Phantasie, 
ein  Etwas  das  Nichts  ist,  veranlaßt  worden  seyn ;  es  war  wenigstens  ein  gutmüthiger 
Irrthum,  u.  wir  verzeihen  ja  wohl  dem  guten  Freunde,  der  uns  sagt,  unser  Haus 
brenne,  wenn  es  auch  am  Ende  nur  der  Schornstein  war,  der  rauchte.  Jetzt  aber 
ist  es  an  Dir,  zu  rufen;  u.  es  ist  nicht  genug,  daß  Du  mir  im  Allgemeinen  sagst, 
Du  habest  Besorgniße  über  den  Gang  meiner  Gedanken;  denn  ich  kann  ihm  zwar 
wohl  eine  andere  Richtung  geben,  aber  hemmen  doch  nicht.  Warum  bist  Du  gegen 
mich  nicht  so  offen,  als  Du  es  gegen  andere  über  mich  bist?  In  Jena  zeigte  Böhlen- 
dorff  mir  unter  andern  einen  Brief,  den  Du  ihm  im  Herbst  97  mochtest  geschrieben 
haben.  Er  enthielt  eine  ziemlich  scharfe  Kritik  meines  Phaethon, x)  die  mir  damals 
u.  immer  sehr  lieb  gewesen  seyn  würde.  Das  ist  gerade  der  liebste  Lohn,  den  ich 
von  meinen  Arbeiten  zu  erhalten  wünsche:  der  Freunde  strenges,  unverdächtiges 
Urtheil.  Wie  selten  ist  man  selbst  ein  kompetenter  Richter  seiuer  Arbeiten!  Noch 
inkompetenter  ist  meistens  die  Stimme  des  Publicums  u.  seiner  anmaaßlichen 
Sprecher.  Der  Freund  allein  vermag  den  Freund  richtig  u.  unpartheiisch  zu  be- 
urtheilen,  u.  ich  habe  es  allen  meinen  Freunden  zur  Pflicht  gemacht,  mir  ihr  Urtheil 
über  meine  Arbeiten  nicht  zu  verhehlen.  Wahrlich,  ich  müßte  sehr  schwach  seyn, 
wenn  ich  Freundes  Tadel  oder  Billigung  nicht  zu  ertragen  wüßte,  u.  ich  lege  Dir 
jene  Bitte  ausdrücklich  ans  Herz. 


3)  Phaethon,  das  erste  größere  Gedicht  von  J.  D.  Gries,  hatte  Schiller  in    die 
Hören  aufgenommen. 


124  November  1799. 

Es  ist  aber  erlaubt,  zuweilen  auch  gegen  das  Urtheil  des  Freundes  zu  appel- 
lieren; u.  so  laß  mich  Dir  gestehen,  worin  ich  in  Sachen  des  Phaethon  nicht  Deiner 
Meinung  bin.  obgleich  es  mir  jetzt,  da  er  mir  ziemlich  fremd  geworden  ist,  schwerer 
aejD  wird,  seine  Sache  zu  führen,  als  vor  zwei  Jahren.  Ueber  keinen  meiner  poeti- 
schen Versuche  sind  mir  so  ganz  verschiedene,  zum  Theil  kontradiktorisch  entgegen- 
gesetzte Urtheile,  selbst  von  den  Freunden,  zugekommen,  als  über  diesen  Phaethon. 
Darin  waren  jedoch  fast  alle  gleichlautend,  daß  an  dem  technischen  Theile  des  Ge- 
dichts nicht  gar  viel  auszusetzen  sey.  Du  übergehst  diesen  Punkt  mit  Stillschweigen, 
u.  ich  brauche  also  auch  nicht  davon  zu  reden.  Aber  die  Hauptsache!  Die  Idee, 
die  dem  Ganzen  zum  Grunde  liegt;  die  Verknüpfung  derselben  mit  dem  römischen 
Mythos;  die  poetische  Bearbeitung  des  Stoffs  —  das  sind  die  eigentlichen  Steine 
des  Anstoßes!  Was  die  Gattung  betrifft,  zu  welcher  das  Gedicht  gehört,  so  erfor- 
derte es  eine  sehr  weitläufige  Untersuchung,  um  auszumachen,  ob  sie  überhaupt  zu 
statuiren  sey.  Du  sagst,  nein!  Ich  weiß  zwar  Deine  Gründe  dieser  Verneinung 
nicht;  aber  die,  welche  mir  von  andern  angeführt  worden  sind,  haben  mich  noch 
nicht  überzeugt.  Wir  müßen  also  vor  der  Hand  die  Sache  auf  sich  beruhen  laßen ; 
in  possessorio  ist  wenigstens  nichts  dawider  einzuwenden.  Schillers  beste  Gedichte, 
die  Götter  Griechenlands,  die  Künstler,  das  Reich  der  Schatten,  gehören  offenbar  in 
diese  Kategorie,  u.  wenn  man  auch  die  Gattung  annihiliren  sollte,  so  möchte  ich 
mir  diese  doch  nicht  rauben  laßen. 

Es  regt  sich  in  der  Seele  des  Jünglings,  der  seinen  höhern  Ruf  vernommen 
hat,  ein  unbekanntes  Gefühl,  ein  Sehnen  nach  dem  Unendlichen,  das  sich  haupt- 
sächlich durch  die  Geringschätzung  des  Beschränkten  ankündigt,  der  Wirklichkeit, 
die  ihn  von  allen  Seiten  umgiebt  u.  einengt.  Es  weiß  es  nicht,  daß  eben  diese 
Schranken  es  sind,  an  denen  er  seine  Thätigkeit  üben  soll,  daß  sie  so  gewiß  sich  er- 
weitern laßen,  als  diese  Erweiterung  der  Zweck  seines  Daseyns  ist.  Er  kennt  die 
Kraft  nicht,  die  noch  verborgen  in  ihm  schlummert;  die  Schranken  erscheinen  ihm 
wie  ein  Kerker,  den  man  nicht  zu  einer  Welt  erweitern  kann,  sondern  dessen 
Mauern  man  durchbrechen  muß,  um  eine  Welt  zu  haben.  Die  Menschen  umher 
sind  ihm  zuwider;  er  betrachtet  sie  entweder  als  Mitgefangene,  die  in  dumpfer 
Apathie  das  Gefühl  ihrer  ursprünglichen  Freiheit  verloren  haben,  oder  als  Kerker- 
meister, die  durch  ihre  bloße  Erscheinung  das  Gefühl  seiner  Gefangenschaft  quälend 
erhöhen.  Die  ganze  Natur  scheint  sich  gegen  ihn  zu  verschwören;  sie  ist  ihm  nicht 
eine  liebende  Freundinn,  nicht  eine  thätige  Gehilfinn,  sondern  das  ruhende,  ewig 
verschlingende,  ewig  widerkauende  Ungeheuer.  Aus  diesem  Streit  des  Strebens  mit 
der  Beschränktheit  ist  für  ihn  keine  Rettung.  Jeder  Versuch,  die  Schranken  zu 
vernichten,  muß  nothwendig  mißlingen.  Er  erliegt  in  diesem  Ungeheuern  Kampfe, 
den  kein  endliches  Wesen  bestehen  kann.  Er  fällt,  ein  Opfer  seines  Irrthums;  aber 
dieser  Irrthum  ist  nicht  unedel.  Das  erhabenste,  würdigste  Streben  liegt  ihm  zum 
Grunde.  Erst  da  er  ohne  Rettung  verloren  ist,  erkennt  er  seinen  Fehler.  Dennoch 
ist  dieser  Fehler  edler,  als  der  ordentliche  Gang  derer,  die  zu  einem  solchen  Fehler 
keine  Kraft  besitzen.  Noch  indem  er  untergeht,  will  er  lieber  im  Kampfe  mit  dem 
Schicksale  erliegen,  als  leben  wie  ein  feiger  Sklave  des  Geschicks.  Selbst  sein  Fall 
ist  ein  Triumph. 

Diese  Idee  ist  es,  welche  dem  Gedichte  zum  Grunde  liegt.  Die  Form  sollte 
mir  der  bekannte  Mythos  des  Phaethon  geben.  Ich  gestehe,  daß  ich  Anfangs  diesen 
Fund  für  sehr  glücklich  hielt;  erst  bei  der  Ausführung  offenbarten  sich  mir  fast 
unübersteigliche  Hinderniße.  Die  Lenkung  des  Sonnenwagens  schien  mir  kein  un- 
paßendes  Bild,  um  das  Ideal  des  Menschengeistes  zu  versinnlichen;  u.  Du  solltest 
bedenken,    daß    hier    nicht    bloß   von    einem   ledernen  Zügel  u.  von   einer  hänfenen 


November  1799.  125 


Peitsche  die  Rede  ist.  Aber  das  Ueble  bei  der  Sache  war,  daß  man  nur  einmal 
der  Vikarras  des  Sonnengottes,  nicht  der  Gott  selbst  werden  konnte.  Und  hierin 
liegt,  ich  gestehe  es,  ein  Fehler,  den  ich  bis  jetzt  noch  nicht  zu  verbeßern  weiß. 
Du  nennst  diesen  Phaethon  „ein  eigensinniges  Kind  von  cholerischem  Temperament, 
voll  hochadlichen  Dünkels,  das  nichts  Vernünftiges  will*'.  Das  cholerische  Tempera- 
ment mag  wohl  im  Ganzen  ziemlich  das  beste  seyn,  u.  bedenke  doch  nur,  daß  in 
seinen  Adern,  wenigstens  von  väterlicher  Seite,  ein  göttliches  Blut  fließt,  das  uns 
Erdbewohnern  freilich  wohl  ziemlich  cholerisch  vorkommen  mag.  Auf  dieses  Götter- 
blut ist  er  ein  wenig  stolz;  aber  wenn  Stolz  erlaubt  ist,  so  ist  er  es  doch  dem 
Göttersohne,  so  ist  er  es  doch  wohl  gegen  die,  die  ihn  in  ihr  gemeines  Weben  und 
Treiben  hinabziehen  wollen,  u.  seiner  spotten,  weil  sie  ihn  nicht  verstehen,  weil  er 
anders  ist,  als  sie!  || 

Daß  mein  Phaethon  eigentlich  nichts  Vernünftiges  will,  habe  ich  gleich  An- 
fangs zugegeben.  Denn  vernünftig  ist  es  allerdings  nicht,  etwas  zu  wollen,  was  man 
nicht  kann.  Das  Ideal  ist  überhaupt  nichts  Vernünftiges,  seiner  Natur  nach;  aber 
wirst  Du  darum  das  Streben  nach  ihm  unvernünftig  nennen,  wenn  es  auch  nicht 
gerade  nach  reinen  Vernunftprinzipien  geregelt  ist?  "Wäre  es  dies,  so  würde  es 
vielleicht  ein  guter  Stoff  zu  einer  philosophischen  Abhandlung  seyn,  aber  nimmer- 
mehr zu  einem  Gedicht.  Man  konnte  in  gewißem  Sinne  behaupten,  daß  alle  Poesie 
ein  wenig  unvernünftig  seyn  müße,  u.  es  freut  mich,  daß  der  Phaethon  in  diesem 
Stücke,  auch  nach  deinem  Urtheile,  poetisch  genug  ist. 

Doch  genug,  u.  schon  viel  zu  viel  über  eine  Arbeit,  die  ich  selbst  fast  auf- 
gegeben habe,  u.  die  ich  mehr  ex  officio,  als  aus  einem  Rest  von  Vaterhebe  zu 
vertheidigen  mir  einfallen  ließ.  Fahre  fort,  Lieber,  meine  Versuche  so  streng  zu 
beurtheilen;  aber  laß  in  Zukunft  auch  mich  Dein  Urtheil  wißen;  ich  werde  Dir 
gewiß  immer  dafür  dankbar  seyn.  — 

Auch  Du  willst  also  die  schöne  Schweiz  verlaßen  ?  Wahrlich,  es  thut  mir  leid, 
Lieber;  u.  obwohl  meine  Vernunft  Deine  Gründe  nicht  mißbilligen  kann,  so  empört 
sich  doch  mein  Gefühl  dagegen.  Mit  wie  süßer  Sehnsucht  habe  ich  immer  all  mein 
Sinnen  u.  Denken  südwärts  gerichtet  nach  den  heiligen  Alpen,  dem  geweihten  Lande 
der  Freiheit  u.  Freundschaft.  Um  mit  Euch  ||  dort  zu  leben,  hätte  ich  gerne  jedes 
Geschafft  übernommen,  das  mir  diese  Möglichkeit  erleichterte;  u.  es  war  immer  eine 
geheime  Stimme  in  mir,  die  diesem  Wunsche  schmeichelte,  so  unwahrscheinlich  die 
Erfüllung  auch  schien.  Mit  unserm  Steck  dort  zu  arbeiten  an  dem  großen  Werk, 
das  immer  mehr  seiner  Vollendung  sich  nähern  muß,  im  ununterbrochenen  Umgange  mit 
den  Freunden,  unter  einem  Volke,  das  einzig  noch  der  Freiheit  werth  ist,  im  An- 
gesicht der  ewigen  Alpen,  in  der  Nähe  Italiens  —  das  sind  die  Wünsche,  die  seit 
langer  Zeit  meine  liebsten  waren,  u.  die  ich  selbst  jetzt  noch  nicht  ganz  aufgeben 
kann,  ohne  einen  Theil  meines  Selbsts  zu  zerstören.  Vielleicht  bringt  eine  glück- 
lichere Zukunft  mich  der  Erfüllung  näher;  vielleicht  —  0  es  muß  sich  bald  ent- 
scheiden, ob  ich  zu  neuem  Leben  erwachen,  oder  mich  auf  ewig  begraben  laßensoll.  — 
Vor  14  Tagen  kam  Harbaur1)  auf  seiner  Rückreise  von  Oldenburg  nach  Jena 
hier  durch.  Ich  weiß,  Lieber,  was  Dich  in  Deiner  Vaterstadt  erwartet.  Ich  kann 
Dir  nicht  abrathen,   hin  zu  gehen,   wenn  die  Pflicht  Dich   ruft.     Aber  verhehle   es 

!)  Über  ihn  s.  Bd.  I,  S.  XXXVUIff.  In  E.  Müllers  Schiller-Regesten  (Leipzig 
1900)  steht  unter  dem  8.  Nov.  1799:  „Besuch  von  Dr.  Harbaur  (junger  Hausfreund 
Schillers)".  Vergl.  ferner  „Schillers  Calender.  Nach  dem  i.  J.  1865  erschienenen 
Text  ergänzt  u.  bearb.  v.  E.  Müller"  (Stuttg.  1893)  S.  249  und  „Euphorion"  12.  Bd. 
(1905)  S.  334  u.  S.  763  ff.  —  Übrigens  ist  in  der  Schiller-Literatur  von  Beziehungen 
der  Familie  Herbart  (s.  0.  S.  10,  Anm.)  zu  Schiller  nichts  zu  finden.  (Fr.  Mitteilung 
des  Hrn.  Prof.  Dr.  E.  Müller  in  Stuttgart.) 


I2Ö  November  1799. 


Dir  nicht,  mein  Freund,  daß  Deine  Gegenwart  dort  nichts  helfen  kann,  wenn  Du 
nicht  mit  fast  übermenschlicher  Kraft  gerüstet  bist  zu  dem  schwersten  aller  Kämpfe, 
zu  dem  Kampfe  zwischen  dem  natürlichsten  u.  menschlichsten  Gefühle  u.  dem 
eisernen  Gebote  des  Rechts  u.  der  Pflicht.  Deine  Mutter  bedarf  des  Sohnes,  aber 
nur  des  festen,  unerschütterlich  standhaften.  || 

Kannst  Du  der  nicht  seyn,  so  —  geh  nicht.  Vergieb  mir,  Lieber,  daß  ich  so 
zarte  Verhältniße  vielleicht  zu  unsanft  berühre.  Aber  es  ist  Pflicht  des  Freundes, 
zu  reden,  wo  er  oft  lieber  schweigen  möchte. 

Es  ist  mir  eine  Gelegenheit  entstanden,  Deiner  guten  Mutter  zu  dienen,  die  ich 
mit  Freuden  ergriffen  habe.  Ein  Freund  von  mir,  Dr.  Runde,  ein  biederer,  ver- 
ständiger u.  geschickter  junger  Mann,  geht  in  diesen  Tagen  von  hier  nach  Oldenburg 
als  Archivar.  Harbaur  wünschte  Deiner  Mutter  einen  Mann,  der  ihr  mit  seinem 
Rathe  beistehen  könnte,  wenn  ihre  Sache  vielleicht  einem  ungeschickten  oder  un- 
redlichen Advokaten  in  die  Hände  fallen  sollte.  Da  ich  nach  meinem  besten  Ge- 
wißen  überzeugt  war.  daß  mein  Freund  R.  alle  Erforderniße  besitze,  so  machte  ich 
ihn  mit  H.  bekannt,  u.  dieser  legte  ihm  die  Sache  vor,  so  weit  er  sie  zu  wißen 
brauchte.  R.  erklärte  sich  gleich  willfährig,  sich  der  Sache  anzunehmen.  Ich  habe 
ihn  Deiner  Mutter  empfohlen,  u.  hoffe,  daß  er  ihr  Freund  seyn  wird. 

Sage  mir  doch  etwas  von  den  Freunden;  von  Steck,  mit  dem  ich  so  gern 
über  Vieles  reden  möchte,  u.  von  dem  ich  schon  über  ein  Jahr  keine  Zeile  gesehn 
habe;  von  Eschen  -/-dem  Du  doch  meinen  letzten  Brief,  den  ich  Dir  einschloß,  wohl 
gegeben  hast?-/-  Der  mir  ebenfalls  seit  dem  März  nicht  geschrieben;  von  Fischer, 
May  u.  Otth.  Ich  vermiße  jetzt  Böhlendorff  sehr  in  der  Schweiz,  u.  da  er  nun 
einmal  nicht  bei  mir  seyn  kann,  so  wollte  ich,  er  wäre  noch  dort.  Er  war  bei 
weitem  mein  fleißigster  Korrespondent,  u.  durch  ihn  hörte  ich  doch  auch  manches 
von  den  andern.  || 

Mit  den  nordischen  Freunden  stehe  ich  in  fleißiger  Wechselwirkung  durch 
Schreiben,  u.  habe  noch  diese  Woche  einen  Brief  von  Berger,  u.  in  der  vorigen 
einen  von  Rist  erhalten.  Berger  ist  den  Sommer  durch  immer  herumgereist,  u.  hat 
auch  Deine  Mutter  in  Ü[ldenbg.]  u.  Smidt  in  Bremen  besucht.  Jetzt  ist  er  in  Flotbeck, 
einem  Dorfe  2  Stunden  von  Hamburg,  wo  er  auch  den  Winter  über  bleiben  wird, 
um  Landwirthschaft  zu  lernen.  Das  ist  auch  am  Ende  wohl  das  Beste,  was  man 
treiben  kann,  obgleich  ich  mir  noch  nicht  vorzustellen  weiß,  daß  Stall fütterung  u. 
Dünger  viel  intereßanter  seyn  sollten,  als  Klagen  u.  Einreden.  Rist  ist  wieder  in 
Kopenhagen  u.  immer  der  alte. 

Oft,  wenn  ich  mich  an 's  Klavier  setze,  denke  ich  an  Dich,  mein  Freund,  u. 
sehne  mich  danach,  einmal  wieder  Deine  Harmonieen  zu  vernehmen.  Ich  habe 
keine  so  gute  Zeit  für  die  Musik  wieder  gehabt,  seit  unsrer  Trennung;  auch  werde 
ich  wohl  eben  keine  Fortschritte  in  der  Kunst  gemacht  haben.  Du  weißt,  daß  es 
mir  leider  an  Geduld  fehlt,  mich  allein  zu  üben,  u.  an  Akkompagnement  fehlt  es 
mir  seit  langer  Zeit  gänzlich.  Ich  spiele  jetzt  sehr  viel  von  Clementi,  fast  mehr  wie 
von  Mozart,  u.  wünsche  daß  diese  Veränderung  ein  richtiges  Symbol  unsrer  geistigen 
Annäherung  seyn  möge. 

Ich  lege  Dir  hier  einige  kleine  Lieder  bei,  die  ich  der  Freundschaft  u.  der 
Erinnerung  gesungen  habe.  Mögen  sie  Dir  mit  ihren  leisen  Tönen  das  Bild  des 
fernen  Freundes  zurückrufen!  Theile  sie  den  Freunden  mit,  wenn  Du  willst,  u.  bringe 
ihnen  meinen  brüderlichen  Gruß.  Einige  andere  Kleinigkeiten  findest  Du  in  Schillers 
M[usen]  A[lmanach]1)  u.  in  Baders  Taschenbuch,  wenn  diese  bis  jenseits  der  Alpen 
kommen.     Leb  wohl,  u.  bleibe  mir  Freund.  Dein  Gries. 

*)  In  Schillers  Musen-Almanach  für  d.  J.  1799  finden  sich  4  Gedichte,  in  dem 
für  d.  J.  1800  ein  Gedicht  von  Gries. 


Dezember  1799.  127 


106.     An   Smidt.1)  Bern  am   ioten  Dec.   1799. 

Mein  theurer  Smidt!  Ich  bin  in  Noth,  oder  wenigstens  in  Gefahr, 
und  wende  mich  an  einen  Freund  um  Hülfe.  Ich  komme  zu  Dir  mit 
allem  Zutrauen  der  Freundschaft,  und  lasse  es  mich  nicht  irren,  dass  wir 
uns  in  der  letzten  Zeit  seltener  vernahmen.      Höre  mich! 

In  kurzem,  —  in  4  Wochen  vielleicht,  umarmen  wir  uns.  Ich  lasse 
ein  Verhältniss  zurück,  das  mir  ewig  theuer  seyn  wird,  ich  komme  zu 
meinen  Eltern,  von  ihnen  gedrungen,  obgleich  nicht  gerufen.  Schwerlich 
hat  eine  so  stattliche  Neuigkeit,  wie  die  letzte  Geschichte  meiner  Eltern, 
ermangelt,  von  Old.  nach  Bremen  zu  reisen;  und  Du  weisst  sie  wahr- 
scheinlich auf  diesem  [2]  Wege,  wenn  auf  keinem  andern.  Meine  Freunde 
sagen  mir,  das  Leben  meiner  Mutter  hänge  von  meiner  Ankunft  ab.  Ich 
führe  die  Feder  nicht,  um  Dir  meinen  Vater  zu  schildern,  wie  jene  ihn 
zu  kennen  behaupten;  aber  haben  sie  Recht,  so  kann  das  Betragen  was 
ich  gegen  ihn  annehmen  muss,  mich  und  meine  Mutter  fürs  erste  jedes 
Hülfsmittels  berauben.  — 

Mir  kann  die  Sorge   für   ihren    und    meinen   Unterhalt    obliegen.     So 

kann  es  kommen,  wenn,   —  und  wenn; es  ist  möglich,  obgleich  noch 

nicht  wahrscheinlich. 

Kann  ich  auf  meinen  Freunden  fest  stehn? 

Kann  ich,  im  Vertrauen  auf  sie,  erst  [3]  muthig  hintreten,  und  sehn, 
und  thun,  was  die  Pflicht  fordert,  —  kann  ich  dann,  wofern  die  Folgen 
mich  forttreiben  sollten,  Anfangs  von  der  Unterstützung  meiner  Freunde 
leben,  bis  es  mir  möglich  geworden  seyn  wird,  selbst  eine  Arbeit  zu 
finden,   die  mich  und  meine  Mutter  trägt? 

Unter  meinen  Freunden  kann  ich  mich  nur  an  Dich  u.  Muhrbeck 
wenden.     Ich  wende  mich  an  Euch  beyde. 

Die  Capitalien,  die  einst  mein  werden  müssen,  wenn  nicht  unbegreif- 
liche Vorfälle  erfolgen,  sollen  gegen  10,000  Rthlr.  betragen.  Weiter  kann 
ich  Euch  nichts  sagen,  kein  Versprechen  von  irgend  einer  Zeit  hinzu- 
fügen, wo  ich  zahlen  würde.  [4]  Eben  so  wenig  kann  ich  sagen,  wie  viel 
ich  brauche;  Du  begreifst  das  sogleich,  da  ich  nicht  einmal  weiss,  ob  ich 
überall  etwas  brauche. 

Es  wird  mir  nicht  schwer,  Dich  mein  Freund  zu  bitten,  mich 
Dir  verpflichten;  aber  das  wird  mir  schwer,  ich  gestehe  es,  auf  einen 
ungewissen  Fall  Hülfe  zu  rufen.  Verzeihe  es  mir,  Bester,  dass  ich 
Dich  bitte  nicht  ungeduldig  zu  werden,  wenn  ich  Dich  jetzt,  und, 
wer  weiss?  noch  einmal  künftig,  vergeblich  beunruhige.  Wir  werden  uns 
sprechen,  und  ich  hoffe  Dir  dann  zu  zeigen,  dass  mir  alles  an  einem 
letzten  sichern  Rückhalt  liegen  muss,  dass  mir  nichts  gefährlicher  seyn 
kann,  als  die  Furcht,  in  einem  denkbaren,  obgleich  unwahrscheinlichen 
Falle,  alles  zu  verderben,  —  und  dann  freylich  nicht  nur  einzig  für  mich 
zu  verderben.  Muth  brauche  ich  vor  allem,  und  dass  man  keine  Ver- 
legenheit an  mir  spüre. 

Fürs  erste  bitte  ich  Dich  um  100  Thir.  uDd  darum,  dass  Du  mir 
einen   Brief   so    schnell   als  möglich,    am    besten    doppelte  Briefe   nach  Jena 

1)  4  S.   8°.     Teilweise  gedruckt  bei  Ziller,  Reliquien,  S.  93. 


128  Dezember   1799. 


an  Otth  und  Bohlend [orf]  adressirst,  mit  der  Nachricht,  ob  ich  diese 
100  Thlr.  in  Bremen  von  Dir  werde  empfangen  können.  In  Jena  schon 
muss  ich  mich  darnach  richten.  —  Von  Verschwiegenheit  würde  ich  nichts 
sagen,  wenn  mir  nicht  mehr  als  Du  denken  kannst  daran  liegen  müsste, 
dass  meine  ganze  Bitte  an  Dich,  das  tiefste  Geheimniss  sey  und  bleibe, 
fürs  erste  nämlich.     Denke,  mit  den  Deinigen,  Deines  Herbart. 

Du  hast  doch  Fischers  Brief    mit  dem    meinigen,    und   unsere   innige 
Danksagungen  und  Fischers  Ablehnung  neulich  bekommen? 

107.  Fischer  an  Zehender.  Burgdorf,  12.  Dez.  1799. 
„Herbarts  nahe  Abreise  beschäftigt  mich  beständig.     Laß  ihn  ja  wissen,   was 

für  Entwürfe  ich  zunächst  ausführen  muß,  damit  wir  uns  nicht  etwa  verfehlen 
wenn  er  eine  Zusammenkunft  mit  mir  projektirt.  Die  Meinigen  in  Hochstätten 
thun  nicht  gern  auf  das  schmerzhafte  Vergnügen  Verzicht  ihn  noch  einmal  zu  seilen, 
u.  ich  verwende  mich  um  so  viel  eher  für  sie,  weil  ich  weiß,  wie  vieles  er  ihnen 
in  einigen  Stunden  zurücklaßen  kann,  welches  die  bisherigen  fruchtbaren  Verhält- 
niße  gleichsam  sigelt  oder  neue  Keime  zu  zukünftiger  Entwicklung  senkt.  In  Burg- 
dorf hat  auch  der  edle  Pestalozzi  Ansprüche  auf  ihn,  mit  unverkennbarem  lebhaften 
Bedauern  erfuhr  er,  daß  der  Gute  uns  verlaße  ....  N.  S.  Übermorgen  werde  ich 
durch  den  Bothen   an  Herbart  Fichte's  Apologie  u.  den  Brief  von  Gries  schicken." 

108.  Steck  an  Zehender.  Dez.  1799. 
„Melde  mir  doch  mit  einer  Zeile  durch  Überbringer  dieses  wenn  Herbart  ab- 
reist ....     Vielleicht  stellt  Dir  Herbart  zu  meinen  Händen  Geld  zu,  laße  ihm  aber 
nichts  davon  merken.'' 

109.  Eschen  an  H.1) 

Dich  grüßt,  0  Herbart,  innigen  Gruß  Dein  Freund, 

Und  seine  Leier  tönet  ihm  williger, 

Für  Dich  gerührt;  daß  un verwirrend 

Strömen  die  Klänge  dem  Wiederhalle. 
Oft  gönnt  sies  also,  wann  sich  der  Abend  neigt, 

Wann  in  der  Sonne  scheidendem  Glanz  das  Blatt 

Des  Baums  erzittert:  Dein  gedenkend 

Schweben  die  Tön'  in  des  Hains  Umschattung. 
Es  horcht  der  Hain  mir  schweigender:  Echo  mir 

Ruft  in  der  Bergkluft  scherzend  die  Worte  nach 

Daß  froh  getäuscht  ich  oft  den  Herklang 

Sinnend  mir  deute  der  Felsenjungfrau. 
So  rief  sie  nach:  0  traget  ihr  spielender 

Des  Frühlings  Lüfte,  traget  ein  Freundschaftslied 

Zum  Ohr  des  Freundes,  daß  er  staun  und 

Froher  sein  Herz  in  der  Brust  ihm  schlage! 
Daß  schnell  er  ahnde,  was  aus  der  Leier  ihm 

Die  Freude  schlug.     Dann  kehret  ihr  schnelles  Flugs 

Zum  Spiel  zurück,  und  streift  die  blaue 

Fläche  des  Sees,  daß  er  sanft  sich  kräusle!        Dein  Eschen. 


x)  2  S.  8°.     H.  Wien.     Einlage   eines   späteren   Briefes,   wird    aber  hier   ein- 
geschoben, da  als  Datum  „19.  Jul.  99"  angegeben  ist. 


1800. 


W- :  Herbarts  Selbstkritik  über  seinen  Aufsatz :  Etwas  über  die  Lehre  von  der  mensch- 
lichen Freiheit.  S.  Bd.  I.  S.  359 — 361.  —  In  Vegesak:  Über  den  Unterschied  von 
Kantschem  u.  Fichteschem  Idealismus.  S.  Bd.  I.  S.  115.  —  Über  das  Bedürfnis  der 
Sittenlehre  u.   Religion  in  ihrem  Verhältnis  zur  Philosophie.     (Vorlesungen  im  Museum 

zu  Bremen.)     S.  Bd.  I.     S.  116 — 126. 

110.     All    Carl   V.    Steiger.1)  Frankfurt  am    i;ten  Jan.    1800. 

Ich  habe  mich  darauf  gefreut,  mein  lieber  Carl,  Dir  meinen  ersten 
Brief  zu  schreiben;  nun  will  ich  es  denn  wirklich  thun,  und  damit  an- 
fangen, woran  Du  am  wenigsten  gezweifelt  haben  wirst,  —  damit,  dass 
ich  an  Bern  und  an  Dich  unterwegs  oft  und  viel  gedacht,  und  mir  so, 
manche  Stunde  vertrieben  habe,  die  mich  [!]  sonst  herzlich  lang  gedauert 
haben  würde.  Denn  langweiliger  kann  man  kaum  reisen,  als  wenn  man 
in  1 1  Tagen  über  50  Meilen  (100  Stunden)  wegrollt,  durch  Nachtreisen 
den  Körper  und  den  Geist  ermüdet,  sich  nirgends  länger  als  nöthig  ist 
aufhält,  und  folglich  wenig  sieht  und  hört;  —  wenn  dann  vollends  Aus- 
sicht, Jahreszeit,  Weg  und  Wetter  so  trüb  und  ungünstig  als  mög- 
lich sind. 

Was  sich  von  einer  solchen  Reise  etwa  noch  erzählen  lässt,  davon 
findest  Du  den  Anfang  in  meinem  Briefe  an  Ludwig;  bist  Du  nachher 
noch  auf  die  Fortsetzung  neugierig,  so  schlag  um.  || 

Wir  sind  also  in  Colmar,  und  fahren  von  da  weiter  das  Elsass 
hinab,  das,  soviel  ich  in  dem  beständigen,  noch  heute  nicht  aufgehellten, 
Nebel  erkennen  konnte,  eine  noch  viel  einförmigere  Ansicht  giebt,  als  selbst 
mein  Vaterland.  Kein  Baum  am  Wege,  selten  ein  Gebüsch  auf  dem 
Felde,  selten  ein  Dorf,  lauter  flaches  gepflügtes  Land,  das  übrigens  reich 
und  fruchtbar  sein  soll.  Alle  2  Stunden  sprachen  mein  Reisegefährte  und 
ich  ungefähr  ei?ie  Viertelstunde  lang  mit  einander,  die  übrige  Zeit  sassen 
wir  jeder  in  unserer  Ecke  stumm  und  trag,  als  ob  wir  einander  nicht 
mehr  angingen,  wie  2  Kasten,  die  der  Postknecht  neben  einander  auf- 
gepackt hat. 

*)  6  S.  8°.  Die  Briefe  an  Carl  von  Steiger,  die  bereits  in  den  Zillerschen  Reli- 
quien, allerdings  mehrfach  gekürzt  und  durch  Fehler  entstellt,  veröffentlicht  sind,  wurden 
mir  von  dem  Enkel  Carl  von  Steigers,  Herrn  Hauptmann  von  Steiger  in  Straßburg, 
gütigst  zur  Verfügung  gestellt.  Sie  gelangen  hier  zum  ersten  Mal  diplomatisch  genau 
zum  Abdruck. 

Herbarts  Werke.     XVI.  9 


j  iq  Januar   1800. 

o 

So  fuhr  ich  von  Morgens  um  5,  bis  Abends  um  5,  —  da  war  ich 
in  Strasburg.  Ich  eilte  ins  Schauspiel,  das  eben  anfing.  Welcher  ange- 
nehme Wechsel!  Auf  einmal  finde  ich  mich  in  einem  prächtigen  Gebäude; 
hell  erleuchtet  ||  von  2  Kronleuchtern  —  mehr  brauchte  es  nicht;  denn 
auf  den  Kronleuchtern  waren  nicht  Lichter,  sondern  treffliche  Argand'sche 
Lampen,  die  fast  so  hell  brennen  wie  der  Phosphor  in  Lebensluft.  Bald 
fing  eine  Musik  an,  wie  ich  in  dritthalb  Jahren  keine  gehört  hatte,  — 
bald  standen  Figuren  auf  dem  Theater,  die  ich  hätte  sogleich  mögen 
nachzeichnen  können.  Wirklich  traf  ich  es  den  Abend  sehr  glücklich; 
man  gab  3  kleine  Stücke  nach  einander,  die  alle  schön  waren  —  eins 
von  Moliere  —  die  andern  waren  Operetten  --  ein  paar  Schauspieler  so 
ausgezeichnet  an  Gestalt  und  Gesichtsbildung,  dass  ich  zuweilen  glaubte 
Gruppen  eines  Bildhauers  vor  mir  leben  zu  sehen;  auch  bin  ich  über- 
zeugt, Hr.  Sonnenschein  hätte  hier  Ideen  zu  neuen  Kunstwerken  gefasst. 
Den  folgenden  Tag,  nachdem  ich  viel  meines  Passes  wegen  herumgelaufen 
war,  die  Strassen  der  ||  grossen,  aber  nicht  überall  schönen  Stadt  durch- 
strichen, und  am  Münster  gesehen  hatte,  was  der  Thurm  zu  Bern  hat 
werden  sollen:  —  wollte  ich  am  Abend  das  gestrige  Vergnügen  noch 
einmal  haben,  und  zugleich  eine  berühmte  Composition  von  Gretry  kennen 
lernen.  Ich  fand  sie  aber  unter  ihrem  Ruf  —  die  Schauspieler  waren 
nicht  die  nämlichen  —  es  ging  mir,  wie  gewöhnlich,  wenn  man  eine  Lust 
zum  zweyten  Male  aufsucht.  Am  dritten  Tage  fuhr  ich  weiter,  und  reiste 
nun  ununterbrochen  2  Tage  und  2  Nächte,  durch  Hagenau,  Weissenburg, 
Landau,  Ogersheim,  Worms,  Oppenheim  und  andere  kleine  Oerter  nach 
Mainz.  Da  schrieb  der  Platzcommandant  auf  meinen  Pass:  vue  bon  pour 
aller  ä  Bingen  et  Coblence;  Mayence  en  etat  de  siege;  —  da  sagte  man 
mir  ferner,  zu  Bingen  dürfe  man  zwar  passiren,  aber  man  werde  nicht 
können,  weil  der  ||  Rhein  nicht  mehr  fest  gefroren,  und  doch  für  die  Schiff- 
fahrt noch  nicht  offen  sey.  —  Ich  ging,  um  Rath  zu  holen,  zu  einem 
Herrn  Jung,  den  schon  Ziemssen  hier  gesprochen  hatte.  Dieser  meinte, 
es  sey  am  besten,  in  Bingen  zu  warten,  bis  das  Eis  Platz  machen  würde; 
es  könne  einige  Tage  währen.  ,,In  einigen  Tagen  kann  ich  noch  einige 
Integrationen  aus  meinem  Kästner  lernen,"  sagte  ich  mir  selbst;  ergab 
mich  darein  und  miethete  einen  Wagen  nach  Bingen,  weil  dahin  keine 
Diligence  geht. 

Bei  Hrn.  Jung  habe  ich  übrigens  ein  Exemplar  von  Dir  gesehn  — 
ich  will  sagen,  einen  12  jährigen  Carl,  der  ganz  artig  zeichnet.  Nur  darin 
ist  das  Exemplar  —  überlege  Du,  ob  besser  oder  schlechter  gerathen  als 
Du:  —  dass  der  Carl  zu  Mainz  niemals  zeichnen  gelernt  hat  und  des- 
halb auch  nicht  malen  kann  und  nicht  einmal  schattirt,  aber  statt  dessen 
seine  eignen  Ideen  hingezeichnet  —  grosse  ||  verwickelte  Gruppen  von  5 
bis  6  Pferden  und  Menschen.  ,,Er  betrachtet  die  Natur  sehr  aufmerk- 
sam," sagte  sein  Vater.  —  Erinnerst  Du  Dich  wol,  dass  ich  Dich  oft 
darum  bat?  —  Von  jeher  hat  diese  Regel  als  Hauptregel  für  alle  schönen 
Künste  gegolten. 

Deinen  Betrachtungen  darüber  will  ich  Dich  nun  überlassen.  Des- 
gleichen kannst  Du  auch  darauf  rathen,  wenn  Du  willst,  wie  es  zu- 
gegangen sey,    dass  ich   in  Bingen  meinen   Kästner  nicht   aus  der  Tasche 


Januar   1 800.  jm 

zog,  sondern  noch  am  nämlichen  Tage  am  jenseitigen   Ufer  des  halb  ge- 
frornen   Flusses   war.      Ich  will  es  dem   Rudi  erzählen. 

Du  lebe  nun  wol,  mein  Bester.  Sei  immer  mein  guter  Carl  —  der- 
selbe den  ich  liebe  und  an  dem  ich  so  manche  Freude  gehabt  habe. 
Den  andern,  den  langsamen,  schwer  beweglichen,  besonders  aber  den 
launigen  und  mürrischen  Carl  lass  nun  allmählig  verschwinden.  Ich  hoffe 
in  Deinen  Briefen  viel  Angenehmes  von  Ziemssen  und  Eschen1)  und  in 
ihnen  viel  Angenehmes  von  Dir  zu  lesen.     Adieu,  Bester. 

Dein   Herbart. 

111.    Ziemssen  an  H.2)  Bern  d.  30.  Jan.  1800. 

Lieber,  Vortrefflicher,  unaufhörlich  schwebst  Du  mir  vor  und  umgiebst  mich, 
ob  Du  gleich  ferne  bist.  Mein  ganzes  Wesen  hat  sich  innigst  mit  dem  Deiuigen 
verwebt.  Wohl  mir  denn,  daß  allem  Schicksale  zum  Trotze  ein  ewiges  heiliges 
Band  uns  verbindet.  —  Wohl  selten  können  zwey  zu  einander  geschaffene  Menschen 
sich  auf  einer  schönern  Art  finden,  als  wir  uns  hier  fanden.  Nicht  ein  bacchana- 
lisches Fest  oder  gleiches  Streben  nach  blendendem  Ruhme  führten  uns  einander 
zu;  sondern  ein  stilleres,  kräftigeres  Würken  im  ähnlichen  Kreise,  und  ein  ernst- 
licheres, reineres  Eingen  nach  hellerem  Licht  und  höherer  Wahrheit;  —  Und  dieses 
würde  uns  sicher  noch  bis  in  die  kleinste  Individualität  vor  einander  enthüllt,  und 
fest  mit  einander  verknüpft  haben,  wenn  das  Schicksal  nicht  einen  breiten  Fluß 
zwischen  uns  befestigt  hätte,  über  welchen  wir  uns  zwar  einzelne  Worte  zurufen, 
aber  fürs  erste  noch  nicht  zu  einander  kommen  können.  Doch  wird  deshalb  unser 
Bund  unerschütterlich  stehen,  wenn  ich  Deiner  Freundschaft  würdig  bleiben,  und 
würdiger  werden  werde.  Denn  es  ist  nichts  vergängliches,  was  mich  an  Dich 
fesselt,  sondern  Dein  höchstes,  wahrhaftes  Seyn,  Dein  reinstes  Wesen.  ||  Schon  früher, 
schon  seit  jenen  Jahren,  wo  ein  klareres  Bewußtseyn  meiner  selbst  in  mir  erwachte, 
weinte  ich  am  Quell  und  schwärmte  im  Haine  und  am  Meeresgestade  einen  wahren 
Freund  am  Busen  mir  erträumend  und  ersehnend.  Manchem  streckte  ich  aus 
vollem  Herzen  die  offene  Hand  entgegen,  die  einen  schlugen  ein,  aber  immer  fand 
sich,  daß  jenes  hohes  Dritte,  das  die  Menschen  allein  fest  mit  einander  verbindet, 
nicht  in  unsrer  Mitte  war,  und  beyde  zogen  wir  nach  und  nach  wieder  zurück,  der 
lästigen  Fesseln  uns  zu  entladen:  die  andern,  und  leider  waren  die  vielleicht  die  bessern, 
wichen  meinem  Anerbiethen  wissend,  oder  unwissend  aus.  Enger  und  enger  zog 
ich  mich  deshalb  in  mich  selbst  zurück,  und  reichte  selbst  Dir  noch  furchtsam  und 
schon  halb  wieder  zurücknehmend  meine  Hand  entgegen.  Aber  Du  ergriffst  sie  mit 
Kraft  und  Wärme,  nachdem  Du  mir  forschend  ins  Auge  gesehen  hattest,  und  schlugst 
ein  zu  einem  Bunde  an  dessen  Möglichkeit  für  mich  ich  schon  verzweifelte,  ja  zu 
einem  Bunde  schöner  und  höher,  als  meine  Wünsche  ihn  nur  je  gemacht  hatten. 
Mächtig  und  schön  hast  Du,  hat  Deine  Freundschaft,  das  Leben  mit  Dir  über  mein 
ganzes  Wesen  gewürkt,  manchen  bessern  Funken  in  mir  zur  Flamme  angeblasen, 
manchen  edlern  Keim  aus  dem  Schutte  hervorgezogen,  manche  gefärbte  ||  Brille  mir 
zerschlagen;  und  mir  meinen  Glauben  an  höhere  Menschheit  gereinigt  und  fester  ge- 
macht. So  daß,  wenn  je  etwas  edleres  und  besseres  aus  mir  oder  durch  mich  hervor- 
geht, ein  großer  Theil  davon  Dir  sein  Entstehen  verdankt.  —  Und  doch  fing  ich 
kaum  erst  an  mit  Dir  zu  leben,  kaum  zeigte  sich  erst  von  der  Ferne  eine  Zeit,  wo 
ich  mich  inniger  mit  Dir  zu  vereinigen  hoffen  konnte!  Aber  da  fällt  nun  der  schwere 


1)  Beide  haben  den  vorläufig  fehlenden  Hauslehrer  ersetzt. 
2^  4  S.  8°.     H.  Wien. 


j  -i  2  Februar   1800. 


Arm  eines  harten  Schicksals,  uns  zu  trennen,  zwischen  uns  nieder,  und  entreißt  mir 
das,  was  einzig  ich  erfleht  haben  würde.  Mein  Auge  weint,  und  mein  Herz  fühlt 
es  tief;  aber  es  soll  ja  dennoch  seyn.  Sey  es  denn  nun,  damit  ich  versuche  eines 
solcheu  Freundes,  —  dessen  Möglichkeit  nicht  nur  sondern  dessen  wahre  Wirklich- 
keit ich  jetzt  auf  kurzen  Momenten  sähe  und  empfand,  von  denen  mich  aber  meine 
eigne  Schwäche  immer  noch  manchen  Schritt  entfernt  hielte,  —  erst  durch  eigne 
Vervollkommnung  und  Reinigung  würdiger  zu  werden:  oder  sey  es,  daß  die  Göttin 
meinem  eignen  Streben  einen  edlen  Freund  zur  Hülfe  sandte,  mir  auf  den  rechten 
Weg  zu  helfen;  den  sie  mir  dann  aber  wieder  entführte,  damit  ich  im  Empor- 
klimmen nun  meine  eignen  Kräfte  desto  ernstlicher  anstrengen  möchte,  um  meinen 
Freund  mit  meinem  Ziele  aber  gleich  wiederzufinden:  sey  es  dieses  oder  jenes  oder 
was  es  auch  sey;  so  kann  ich  Dein  Andenken  nicht  würdiger  )|  ehren,  und  mir 
selbst  keinen  süßern  Trost  verschaffen,  als  wenn  ich  mit  allen  Kräften  Dir  nach- 
strebe. Aber  Du,  ewig  theurer,  sprich  zuweilen  auch  mit  der  Ferne  ein  herzliches, 
kräftiges  Wort  mir  zu;  laß  mich  Theil  nehmen  an  Deinem  höhern  Leben,  und  laß 
Dir  mein  strebendes  Treiben  nicht  ganz  fremde  oder  gleichgültig  werden.  —  Solltest 
Du  mich  aber  je  verirren,  ermüden  oder  sogar,  was  ich  doch  selbst  kaum  fürchten 
kann,  meinen  höhern  Gelübden,  mir  selbst  und  der  edlern  Menschheit  geschworen 
uneingedenk  und  ungetreu  werden,  in  den  Koth  der  niedrigen  verthierten  Mensch- 
heit herabsinken  sehen,  so  bitte  und  beschwöre  ich  Dich  feststehenden,  starken  jetzt, 
bey  der  heiligsten  Freundschaftspflicht  und  bey  unserm  Glauben  an  eine  höhere 
Menschheit,  ja  bey  dem  höchsten  Deines  eignen  Wesens,  ergreif  mich,  erwecke 
mich,  schüttle  mich,  straf  mich  und  hülf  nur  wieder  empor;  denn  einen  verstockten, 
und  sogar  gegen  die  Worte  des  innigsten,  edelsten  Freundes  verstockten  Sünder, 
hoffe  ich,  wirst  Du  nie  finden;  aber  irren,  irre  geleitet  zu  werden,  oder  etwas  in 
meinem  Eifer  zu  erkalten,  dafür  darf  ich  wohl  weniger  ganz  sicher  seyn. 

Ewig  ganz  der  Deine  Theodor. 

112.    Ziemssen  an  H.1)  Bern  d.  4.  Febr.  1800. 

Du  erhältst  also  heute,  mein  Lieber,  meinem  Versprechen  gemäß  den  zweyten 
Theil  meines.  Briefes,  indem  ich  voraussetzte,  daß  der  erste  mit  den  4  Briefen  von 
Steigers  Dir  richtig  in  die  Hände  geliefert  seyn  wird.  Ich  will  mich  bemühen 
heute  desto  mehr  blos  historisch  zu  seyn,  je  weniger  ich  es  in  dem  vorigen 
Blatte  war. 

Welche  herzliche  Freude  es  uns  allen  machen  mußte,  von  Dir  die  Nachricht 
zu  erhalten,  daß  Du  den  ersten  Theil  Deiner  Reise  so  glücklich  und  ohne  wichtige 
Hindernisse  zurückgelegt  hättest,  kannst  Du  Dir  leicht  vorstellen.  Mit  Sehnsucht 
sähe  ich  täglich  einem  Briefe  von  Dir  entgegen.  In  Stjeigers]  Hause  hatten  alle  vom 
ältesten  bis  zum  jüngsten,  die  Fr.  Ldvtin2)  nicht  ausgenommen,  mich  unzählige  male 
nach  Briefen  von  Dir  gefragt  und  berechnet,  wie  bald  wir  wohl  welche  erwarten 
dürften.  Ebenso  Deine  Freunde.  —  Endlich  langten  Deine  Briefe  (sowohl  an  mich 
und  Eschen,  als  an  Deine  3  Zöglinge)  am  Sonntage  (d.  26.  Jan.)  Abends  an.  Am 
folgenden  Morgen  ging  ich  frühe  zu  Steigers,  wo  ich  alles  in  thätiger  Freude  fand, 
und  wo  der  eine  mir  seinen  Brief  noch  eher  zeigen  wollte  als  der  andere.  Den 
andern  Brief  mit  dem  Einschluß  an  den  Hn.  Ldv.  erhielte  ich  3  Tage  später;  und 
übergab  ||  ihm  denselben  eigenhändig.  —  Aus  Basel  habe  ich  nichts  erhalten;  das 
Felleisen  habe  ich  aber  ohnedem  gleich  nach  Deiner  Abreise  bezahlt.  —  —  Daß 
Di cli  die  Reise  etwas  abspannen  würde,  war  bey  Erwägung  der  Umstände  wohl  zu 


>)  6  S.  8°.     H.  Wien. 

2)  Ldvtin  =s  Landvögtin,  Ldv.  =  Landvogt. 


Februar   1800.  133 


erwarten;  aber  ich  hoffe  auch,  daß  sich  Dein  ganzes  Wesen  nachher  nur  zu  einer 
desto  harmonischem  Stärke  vereinigen  wird.  Möchte  doch  dann  die  Verwendung 
dieser  schönen  Kraft  Dich  mit  einem  erwünschten  Erfolg  lohnen! 

Eschen  kam  gleich  am  Tage  nach  Deiner  Abreise  nach  Bern,  und  half  mir, 
den  Truebsinn,  den  die  Trennung  von  Dir,  Theuerster,  mit  dem  ich  einzig  ganz 
verbunden  seyn  möchte,  mit  so  schwerer  Hand  über  mein  ganzes  Wesen  ausgegossen 
hatte,  etwas  zertheilen,  obgleich  ihn  gewiß  selbst  die  Allmacht  der  Zeit  nie  ganz 
verscheuchen  wird,  bis  die  Hören  mich  wieder  in  Deine  Arme  führen.  Eschen  und 
ich  sind  viel  zusammen;  ich  schätze  ihn  desto  höher,  je  mehr  ich  ihn  kennen  lerne, 
und  hoffe  wir  werden  vertrautere  Freunde  werden;  aber  meinen  Herbart  finde  ich 
doch  in  keinem  andern  wieder.  —  Eschen  trat  seine  Beschäftigungen  mit  Steigers 
auch  sogleich  an,  und  betreibt  sie  mit  größeren  Ernst,  und  selbst  nicht  ohne  die 
nöthige  Strenge.  Unter  uns  beyden  bist  Du  und  Deine  Zöglinge  immer  ein  Haupt- 
gegenstand ||  der  Unterhaltung;  und  in  Beziehung  auf  letztere  suchen  wir  uns  so 
viel  als  möglich  in  die  Hände  zu  arbeiten.  Eschen  betreibt  das  Griechische  mit 
Karl  und  Rudi  sehr  ernstlich  und  strenge,  und  sucht  sie  dadurch  für  eigne  Arbeiten 
in  dieser  Art  vorzubereiten,  wozu  D[er]  H[err]  Ldv.  auch  das  griech.  Lexicon  von 
Schneider,  das  vortrefflich  seyn  soll,  kommen  läßt.  Mit  Karl  geht  es  ihm  und  mir  gut.  Er 
wird  den  Kriton  in  kurzem  mit  ihm  endigen.  Er  klagt  selten  über  ihn  und  ist  mit 
einigen  Arbeiten  von  ihm  sehr  zufrieden  gewesen.  Ich  habe  ihn  auch  täglich  bey 
mir,  und  überlege  mancherley  mit  ihm.  Oft  lasse  ich  ihn  des  Sonntags  ein  paar 
Stunden  zu  mir  kommen,  und  aus  seiner  Übersetzung  aus  dem  Sallust  vorlesen,  um 
daran  sowohl  über  den  Sallust  selbst,  als  über  den  Geist  womit  er  ihn  ließt,  und 
über  andere  ihm  nahe  liegende  Dinge  anknüpfen  zu  können.  Seine  Übersetzungen 
sind  gut  und  wohl  besser  als  sie  Ludwig  mir  daraus  geliefert  hat;  meine  Unterhal- 
tungen mit  ihm  machen  mir  wahre  Freude,  und  sein  ganzes  Betragen  ist  so  gut, 
als  ich  es  nur  wünschen  kann.  Deine  letzten  Unterhaltungen  und  unsere  Fort- 
setzungen derselben  scheinen  ihn  in  eine  äußerst  wohlthätige  Spannung  gesetzt  zu 
haben.  Beym  Wünsch  \\  bin  ich  auch  einige  male  und  hauptsächlich  wohl  wegen 
Karls  Gewissenhaftigkeit  zu  Rath  gezogen;  und  habe  Karl  noch  versprochen  einen 
ganzen  Abschnitt,  den  er  zwar  verstanden  zu  haben  glaubt,  worüber  er  aber  gerne 
noch  dieses  und  jenes  hören  möchte,  mit  ihm  zusammen  durchzulesen.  Seine  Rech- 
nungen werden  wir  auch  einmal  wieder  aufrütteln,  und  in  Bewegung  setzen.  Lud- 
wig bezeugt  mir  in  unsrer  mathematischen  Stunde  viele  Aufmerksamkeit,  und  guten 
Willen;  aber  in  Rücksicht  der  Repetition  muß  ich  ihn  sehr  strenge  nehmen,  wenn 
etwas  ordentliches  daraus  werden  soll ;  doch  habe  ich  es  so  weit  darin  gebracht,  daß 
er  schon  manchmal  mehr  thut,  als  ich  erwartete.  Er  hat  mir  durch  den  Mund  des 
Herrn  Ldv.s  sowohl,  als  der  Fr.  Ldvtin  das  Kompliment  gemacht,  daß  ich  ihm  ganz 
besonders  faßlich  und  deutlich  würde,  und  H.  Ldv.  sagte  mir  auch  einmal,  es 
scheine,  als  wenn  Ludwig  viel  Interesse  und  Vergnügen  an  meinen  Unterricht 
fände;  —  leider  ist  oft  hinter  dem  blanken  Schein  nicht  viel  dahinter,  hauptsäch- 
lich wenn  er  gar  zu  grell  ist!  Doch  wir  wollen  das  Beste  hoffen;  und  so  gehe  ich 
denn  wirklich  auch  oft  mit  vielem  Vergnügen  zu  dem  von  Dir  ererbten  Lehrstuhl, 
da  ich  leider  zu  Dir  selbst  nicht  mehr  gehen  kann.  —  Ludwigs  Auszüge  ||  aus  dem 
Millot  sehe  ich  so  sorgfältig  als  möglich  durch,  und  habe  ihm,  da  der  erste  nicht 
ganz  glücklich  gerathen  war,  an  demselben  Abschnitt  selbst,  so  gut  ich  konnte,  ein 
Muster  eines  gedrängten  bestimmten  Auszugs  gegeben,  worüber  er  sehr  erfreut 
schien.  Außerdem  führe  ich  die  Aufsicht  über  seine  Leetüre  des  Sallust;  laße  ihn 
aber  von  8—9  wieder  unter  Eschens  Direction  den  Livius  lesen  und  bearbeiten. 
Überhaupt  aber  habe  ich  es  so  eingerichtet,  daß  ich,  wenn  ich  will,  fast  von  jeder 


1^4  März   1800. 

Stunde  übersehen  kann,  was  er  darin  gethan  hat;  und  wie  mir  es  scheint,  ist  dies 
für  ihn  nothwendig  und  wohlthätig.  —  Über  sein  Betragen  wüßte  ich  keine  Klagen 
zu  führen. 

Am  mehrsten  macht  uns  Rudi  zu  schaffen,  der  natürlich  am  schwersten  im 
Geleise  zu  erhalten  ist.  Eschen  läßt  sich  aber  die  Sache  sehr  angelegen  seyn;  und 
Karl  behandelt  ihn  nach  seinem  eignen  Zeugnisse  zweckmäßiger  als  je;  auch  be- 
zeugt Karl,  daß  er,  (nachdem  wir  beyde  ihn  sowohl,  als  Karl  selbst  in  dieser  Rück- 
sicht ernstlich  und  herzlich  ermahnt  haben)  in  vieler  Hinsicht  besser  mit  ihm  zu- 
frieden sey,  als  sonst;  aber  Ordnung  und  regelmäßiger  Fleiß  will  noch  nicht  immer 
erscheinen;  doch  hoffe  ich  daß  auch  unsre  gutgemeinten  Bemühungen  nicht  ganz 
fehlschlagen  werden.  ||  Die  Frau  Ldvtin.  hat  mich  mit  vieler  Artigkeit  und  Aus- 
zeichnung aufgenommen,  und  ihre  ganze  Unterhaltung  war  so,  wie  ich  sie  von  einer 
Mutter  sehr  gerne  gehört  hätte,  wenn  ich  nicht  vorher  durch  Dich  eines  andern 
belehrt  gewesen  wäre.  Indessen  scheint  unser  Verhältniß  gegen  einander,  so 
weit  es  nöthig  ist,  in  sehr  guter  Ordnung  zu  seyn ;  und  anstatt  zu  klagen,  sagte  sie 
mir  schmeichelhafte  Sachen.  DHr.  Ldv.  selbst  körnt  bisweilen  in  unsre  Stunden, 
auch  habe  ich  mit  Eschen  ihn  besucht,  um  manches  mit  ihm  genauer  zu  verab- 
reden; so  wie  wir  gleich  am  Montage  nach  Deiner  Abreise,  alle  3  gemeinschaftlich 
Rath  hielten,  und  die  neue  Ordnung  dekretierten,  die  ich  zur  Beruhigung  frommer 
Seelen  zu  Papier  brachte.  Er  scheint  ebenfalls  ziemlich  wohl  zufrieden.  —  Auch  selbst 
für  den  schlimmsten  Punkt,  wenn  sie  nemlich  aufs  Land  gehen  werden,  habe  ich  schon 
mit  Eschen  einen  Plan  gemacht,  den  ich  Steiger  nächstens  mittheilen  will,  wodurch 
wir  die  Abwesenheit  eines  eignen  Lehrers,  so  gut  als  immer  möglich,  zu  ersetzen 
hoffen.  Mich  selbst  hat  den  vorigen  Monat  hindurch  ein  doppelter  Eifer  in  allen 
meinen  Arbeiten  belebt,  wovon  ich  an  meinen  Zöglingen  glückliche  Spuhren  sehe. 
—  Eschen  hat  noch  immer  mit  seinem  Horaz  zu  thun;  und  es  körnt  ihm  etwas 
schwer  an,  mit  seinem  Knaben  so  ganz  von  vorne  anzufangen,  doch  hat  er  gute 
Hofnungen,  liebt  seinen  Rudi,  und  ist  in  dem  Hause  sehr  wohl  aufgehoben.  Er 
kann  jetzt  noch  nicht  schreiben,  grüßt  Dir  aber  herzlich  durch  mich.  Unsere 
Arbeiten  mit  Deinen  Zöglingen  sind   uns  die   angenehmsten  Erinnerungen   an  Dich. 

Dein  Theodor  Z. 

Ende  Febr.  ist  H.  in  Halle,  um  einen  Nachfolger  für  die  Schweizer  Stelle  zu  suchen. 

Den  folgenden  Brief. 

113.    An    Carl    Steiger.1)  Jena  am    istenMärz   1800. 

Mein  guter  Karl!  Ich  lese  Deinen  Brief  noch  einmal  mit  eben  der 
Freude  wie  zum  erstenmale;  und  angenehmer  kann  Dir  mein  Brief  nicht 
gewesen  sein  als  mir  der  Deine.  Du  hättest  längst  Antwort  und  eine 
längere,  als  diese  werden  kann,  wenn  ich  nicht  jetzt  mit  Dingen  beschäftigt 
wäre,  die  minder  leicht  und  minder  erfreulich  sind,  als  es  mir  war,  an 
Deiner  Erziehung  zu  arbeiten.  Dass  ich  Dich  liebe,  dass  ich  Dir  Glück 
wünsche  zu  der  Zufriedenheit  Deiner  gütigen  Lehrer,  ist  jetzt  ungefähr 
das  Einzige  was  ich  Dir  sagen  kann. 

Von  einem  neuen  Lehrer  für  Euch,  —  einem  Hrn.  Brohm  aus  Berlin, 

den  ich  in  Halle  für  Euch  aufgesucht  habe  und  der  fast  gewiss  versprach, 

zu  Euch   zu  kommen,  —  habe  ich  neulich  Deinem  Hrn.  Vater  geschrieben. 

Dass   Du  Dich  mit  Rudolph   noch  nicht   recht    zu    verhalten  weisst,  — 

')   2  S.  gr.  8°. 


März    1800. 


135 


es  ist  gut,  Lieber,  wenn  Du  das  selbst  fühlst.  Ziemssen  ist  auch  darin 
zufriedener  mit  Dir;  und  Du  darfst  nur  2  Dinge  beobachten;  den  Muth 
nicht  sinken  lassen,  —  und  immer  mit  aller  Strenge  gegen  Dich  selbst 
die  Fehler  bemerken,  die  Du  machst,  —  so  wird  Dir  es  schon  gelingen. 
Glaube  nur,  gerade  an  Dein  Betragen  gegen  Rudi  habe  ich  am  öftersten 
gedacht,    am    meisten    gewünscht,    dass   Du    auch   daran  denken   möchtest. 

Du  hast  auch  Deine  Striche  nicht  vergessen;  das  ist  recht.  Ich  habe 
eine  Bitte  an  Dich;  wenn  die  Striche  immer  fortgehn,  wird  es  Dir  schwer 
seyn,  die  Bitte  zu  erfüllen.  Ich  wünschte  nämlich,  Du  möchtest  jeden 
Abend  auch  darüber  nachdenken,  ob  Du  an  dem  verflossenen  Tage  nicht 
irgend  etwas  vorzüglich  interessantes  gehört,  gelernt,  gedacht  habest? 
Möchtest  ferner  am  Sonnabend  oder  Sonntag  zurückdenken,  was  in  der 
vergangenen  Woche  Dir  am  interessantesten  gewesen  ist?  Und  wenn  Du 
wirklich  etwas  findest,  das  Du  selbst  der  Mühe  werth  hältst,  —  es  für 
mich  kurz  niederzuschreiben  —  auf  dünnem  Papier  versteht  sich,  damit 
es  in  Deinen   Brief  an  mich  eingelegt  werden  könne. 

Liebe  mich  wie  bisher,  mein  Karl;  und  wenn  ich  vielleicht  Dich 
jetzt  etwas  lange  auf  einen  Brief  warten  lasse,  so  glaube  Dich  darum 
nicht  vergessen. 

114.  Anfang  März  besucht  H.  seinen  Freund  Gries  in  Göttingen.  In  „Aus 
dem  Leben  von  Gries"  findet  sich  darüber  folgender  Bericht  (S.  33 f.):  ,,In  den 
ersten  Tagen  des  Märzmonats  machte  sein  alter  Freund  Herbart,  aus  der  Schweiz 
nach  Oldenburg  zurückkehrend,  einen  Besuch  bei  Gries  ,  nachdem  er  sich  einige 
Tage  in  Jena  aufgehalten  hatte.  Die  zwei  Tage  seines  Aufenthaltes  in  Göttingen 
kam  ihm  Gries  nicht  von  der  Seite;  seine  Freude  über  dieses  Wiedersehen  war  gross, 
er  fand  den  Freund  in  seiner  äussern  Gestalt,  wie  in  seiner  Art  zu  sein  völlig  unver- 
ändert, auch  im  Innern  erschien  er  ihm  so,  dieselbe  Festigkeit  und  Beharrlichkeit,  der- 
selbe männliche  und  tief  dringende  Geist;  an  Weltkenn  tniss  schien  er  gewonnen  und  sich 
dem  praktischen  Leben  mehr  genähert  zu  haben,  da  er  sonst  fast  nur  der  Speculation 
gelebt.  Nach  dem  ersten  Austausch  ihrer  beiderseitigen  Erlebnisse  nahm  die  Unter- 
haltung eine  durchaus  poetisch -philosophische  Richtung,  wozu  Herbart's  Idee,  die 
Philosophie  poetisch  darzustellen,  Veranlassung  gab.  Auch  Herbart's  eigene  Lebens- 
verhältnisse wurden  berührt,  und  Gries  musste  den  Freund  bewundern,  der  schwere 
Kämpfe  grossherzig  überwand,  deren  Besiegung  er  weder  hoffen  noch  wollen  durfte. 
Gries  war  bis  vor  kurzem  vielfach  in  der  Gesellschaft  von  Herbart's  Mutter  gewesen, 
welche  auch  diesen  Winter  in  Jena  zubrachte  und  den  Freund  ihres  Sohnes  wie  den 
eigenen  behandelte  und  ihn  oft  in  den  verschiedensten  Angelegenheiten  zu  Rathe  zog.u 

115.  Eschen  an  H.1)  Bern,  d.  20ten  März  1800. 

Theurer  Herbart,  die  Sonne  blickt  fröhlich  in  mein  Zimmer  und  verkündet 
mir  den  Frühling  mit  seinen  vollen  Schlägen  —  ich  fühle  lebendiger,  daß  ich  bin 
und  lebendiger  auch,  daß  ich  der  Deine  bin  und  Du  der  meinige.  Nimm  meine 
Hand,  bester,  und  sieh  die  Freudenthränen  in  meinem  Auge,  und  sage  mir,  daß 
auch  Dir  die  Natur  aufersteht,  und  der  Himmel  blauer  und  leuchtender  ist.  Laß 
die  Zeit  und  ihre  Zufälle  uns  von  einander  stürmen,  laß  uns  durch  manche  Thräne, 
durch  manche  unerfüllte  Sehnsucht  ihre  Macht  bezeugen :  doch  wollen  wir  nie  ver- 
gessen, daß  eine  Stimme  in  uns  lebt,  die  wilde  Stürme  beschwören  kann  und  daß 
diese  Stimme  den  Guten  gerne  ertönt.  Ich  weiß,  daß  Du  jetzt  zu  kämpfen  hast, 
aber  auch  das   weiß  ich,  daß  Du  ein  Leben  ohne  Kampf  lieber  den   schwächeren 

J)  8  S.  8°.     H.  Wien. 


1^6  März   1800. 

gönnst,  die  niemals  siegen  —  die  niemals  sich  beweisen  können,  ob  innere  Frei- 
heit ein  Nebeltraum  ist  oder  Wahrheit.  || 

Auch  ich  werde  heiterer  aus  der  Schweiz  gehen,  als  ich  es  jetzt  konnte,  wenn 
ich  erst  wie  Du,  es  weiß  daß  ich  etwas  dort  ließ,  was  ich  gepflanzt  habe  und  so 
gepflanzt  habe,  daß  es  fortwächst  und  immer  höher  in  die  Lüfte  strebt;  wenn  ich 
erst,  wie  Du,  etwas  habe,  woran  meine  Gedanken  so  lange  und  so  froh  verweilen 
können.  Daß  mir  dies  Glück  werden  wird,  darf  ich  jetzt  erwarten.  Mein  Rudy 
giebt  mir  die  schönsten  Hoffnungen  dazu,  mit  Geist  und  Herz.  Du  freust  Dich  mit 
mir,  wenn  ich  Dir  sage,  daß  alles,  was  ich  bis  jetzt  an  ihm  gefunden,  so  ist,  daß 
meine  Wünsche  nicht  weiter  gehen:  eine  Unschuld  und  Reinheit  des  Herzens,  wie 
ich  sie  bey  einem  Knaben  seines  Alters  nie  sah,  und  die  meine  Liebe  zu  ihm  täg- 
lich inniger  macht;  solche  Anlage  des  Geistes,  daß  mir  selbst  das  Anfangen  mit 
allem  bey  ihm  viele  Freude  machte,  und  daß  er  gestern  ohne  die  geringste  Hülfe 
von  mir  fünfzehn  Verse  aus  der  lliade,  wozu  ich  ihm  die  Wörter  gegeben,  allein 
für  sich  ohne  Fehler  herausbringen  konnte. 

Dabey  trotz  des  vorigen  Lehrers  so  wenig  Abneigung  gegen  Lernen,  daß  die 
Vermehrung  seiner  Stunden  ihm  nichts  weniger  als  schwer  ward,  und  daß  er  mit 
seinem  eigenen  Willen  des  Sonntags  Morgens  eine  griechische  Stunde  hat,  Seine 
Anhänglichkeit  an  mir  ist  so  groß,  daß  die  Strenge,  die  ich  bey  dem  kleinsten  Ver- 
gehen ihm  zeige,  diese  durchaus  nicht  verändern  kann.  —  Daß  die  Zukunft  meine 
jezigen  Freuden  an  meinem  Knaben  trüben  sollte,  glaube  ich  nicht,  wenn  dabey  die 
Gesinnung  der  Eltern  so  bleibt,  wie  sie  jezt  ist.  Bis  jezt  finde  ich  von  ihrer  Seite 
nicht  blos  Ruhe  für  meine  Arbeiten  mit  meinem  Rudy,  sondern  auch  Unterstüzung. 

Ein  Aufsatz,  worin  ich  mit  Nachdruck  und  so  bescheiden  wie  möglich  die 
Notwendigkeit  einer  solchen  Unterstützung  vorzüglich  auch  von  Seiten  der  Mutter 
darstellte  und  diese  besonders  um  ihre  Hülfe  aufforderte,  hat  die  herrlichste  Wir- 
kung gehabt,  und  das  Gespräch,  welches  I|  ich  bey  Gelegenheit  dieses  Aufsatzes  mit 
Hr.  Frisching  hatte,  hat  mir  diesen  sehr  werth  gemacht  und  mir  viele  Hochachtung 
gegen  ihn  eingeflößt.  Mein  Verhältniß  zu  den  Damen  des  Hauses  ist,  obgleich  ich 
schon  die  Festigkeit  meiner  Eutschlüße  zu  zeigen  Gelegenheit  hatte,  so  gut  als  ich 
es  nur  wünschen  kann. 

Auch  die  Arbeiten  mit  Rudy,  Karl  und  Ludwig  Steiger  haben  den  gewünschten 
Erfolg  und  belohnen  mich  mit  Freude.  Du  kannst  es  Dir  denken,  wann  es  so  geht, 
die  Pflanzung  eines  Freundes  zu  warten  und  dadurch  die  Freunde  des  Freundes 
auch  zu  den  seinigen  zu  machen,  ist  ein  herrliches  Geschäft  und  erzeugt  viele  der 
schöneren  Stunden.  Bei  Plato's  Kriton  habe  ich  zuerst  Deinen  Karl  recht  herzlich 
liebgewonnen  und  das  stüle  Wetterleuchten  seines  Geistes  beobachtet.  Er  hat  dies 
Gespräch  ganz  schriftlich  übersetzt  und  nachdem  wir  es  geendet,  darüber  viel  ge- 
sprochen, ||  und  in  diesem  Gespräche  das  ganze  Buch  kurz  zusammengefaßt  hatten, 
einen  Auszug  daraus  gemacht. 

Anfangs  war  dieser  ihm  sehr  schwer;  aber  das  lezte  schon  um  vieles  leichter. 
Zur  Vergieichung  schrieb  ich  selbst  ihm  neben  dem  seinigen  einen  Auszug  von  mir 
bey.  Um  nicht  den  Phädon  unterbrechen  zu  müssen  durch  die  Vertauschung  der 
Stadt  mit  dem  Lande,  haben  wir  diesen  uns  für  unsere  Spaziergänge  und  Zusammen- 
künfte im  Sommer  aufbewahrt.  Dagegen  habe  ich  mit  Karl  den  Romulus  aus 
Plutarch  gelesen,  damit  er  den  Styl  Plutarchs  kennen  lerne  und  bis  zu  Brohms  An- 
kunft und  auch  nachher  ihn  für  sich  allein  lesen  könne.  Er  wird  den  Plutarch  auf 
dem  Lande  mit  Xenophons  Feldzug  des  Cyrus  abwechseln,  woraus  wir  einiges  ge- 
lesen und  gleich  gefunden  haben,  daß  er  diesen  ohne  Schwierigkeit  wird  lesen 
können.  Schwerer  wird  ihm  natürlich  Plutarch,  und  deshalb,  nachdem  Karl  mit 
Xenophons  Ton  bekamit  genug  war,  haben  wir  vor  kurzen  den  Theseus  des  Plutarch 


März   1800. 


137 


angefangen,  den  er  auf  dem  Lande  für  sich  endigen  wird.  Daß  ich  ihn  noch  nicht 
zu  den  größeren,  wichtigeren  Lebensbeschreibungen  führen  will,  denkst  Du  leicht. 
In  acht  Tagen  geht  Steiger  mit  den  Seinigen  nach  Riggisberg.  Frisching  wird  auch 
nicht  viel  länger  sich  in  die  Stadtmauern  einschließen,  da  der  Frühling  schon 
draußen  leuchtet  und  jauchzt.  Auch  mit  Rudy,  glaube  ich,  wird  bis  zu  Brohms 
Ankunft,  die  Arbeit  auf  dem  Lande  gut  gehen.  Im  Griechischen  ist  er  jezt  weit 
genug,  um  den  Homer  für  sich  ohne  viele  Schwierigkeit  zu  lesen.  Seit  acht  Tagen 
machen  wir  jede  Stunde  nicht  unter  120  Versen,  wovon  er  60,  auf  die  er  statt 
schriftlicher  Übersezung  sich  zu  Hause  vorbereitet,  ohne  meine  Hülfe  mit  großer 
Raschheit  macht. 

Anfangs  ging  es  langsam  und  er  benuzte  die  weniger  strenge  Aufsicht  im 
Hause  zu  manchem  —  aber  jezo  thun  mir  die  schwereren  Stunden,  die  er  mir  dadurch 
machte,  nicht  leid,  und  ich  freue  mich  sehr,  daß  auch  die  Eltern  jezt  zufriedener 
mit  ihm  in  seinem  häuslichen  Betragen  sind.  Steiger  hat  meine  Strenge,  die  ich. 
anwenden  mußte,  unterstüzt,  indem  Rudy  jezt  auch  ihm  jeden  Tag  auf  einem  Zettel, 
durch  eine  Zahl  darauf,  die  Stufe  seines  Verdienstes  bringt.  Noch  vor  einigen 
Tagen  war  Steiger  bey  mir  und  freute  sich,  daß  Rudy  einen  besseren  Gang  nähme. 
—  Daß  es  auch  mit  Ludewig  nicht  stockt,  weißt  Du  schon  durch  unsern  Ziemsen. 
Auch  seine  Übersezungen  im  Lateinischen,  welche  ich  zweymal  die  "Woche  durch- 
sehe, werden  immer  besser  und  seinen  Livius  wird  er  ohne  Hülfe,  außer  meiner 
Durchsicht,  auf  dem  Lande  fortlesen  können.  —  Daß  Ziemsen  mir,  auch  durch 
unsere  Arbeiten,  näher  geworden  ist,  weißt  Du  ohne  meine  Versicherung:  Dieser 
Sommer,  auf  welchen  wir  schon  manche  Pläne  berechnet  haben,  wird  uns  noch 
enger  verbinden.  Auf  einem  unsrer  lezten  Spaziergänge  sprachen  wir  von  der  ge- 
meinschaftlichen Arbeit,  deren  wir  in  Gümminen  gedachten.  Wir  sagten  uns  beyde, 
daß  nicht  das  Publikum  uns  zu  solchen  Untersuchungen  treibe,  daß  vom  Publikum 
dann  erst  die  Rede  seyn  würde,  nachdem  eine  für  so  viele  Jahre  bestimmte  und 
fortgesezte  Arbeit  uns  gegenseitige  Urtheile  der  Freunde  nicht  beredet,  sondern 
überzeugt  hätten,  daß  die  Wahrheit  hier  nicht  individuelle  Ansicht  wäre,  und  daß 
die  Welt  uns  bey  friedlicher  fester  Hervortretung  danken  dürfte.  Vielleicht  auch,, 
daß  ich  und  Du  nach  Versuchen  finden  würden,  daß  mein,  daß  vielleicht  auch 
Ziemsens  Geist  solchen  Untersuchungen  nicht  gewachsen  sey,  und  deshalb  durch 
uns  nur  etwas  von  und  xu  nichts  herauskommen  würde.  Aber  auch  dies  eher  zu 
finden,  wird  die  Freundschaft  uns  gerne  helfen  und  dadurch  uns  zeigen,  daß  sie 
über  thörigte  Eitelkeit  uns  erhaben  und  redlich  und  der  Wahrheit  treu  glaubt. 
Nicht  was  man  weiß,  sondern  wie  man  es  weiß,  bestimmt  ja  den  Werth  unseres 
inneren  Schazes  —  und  durch  das  Erfahren  dieses  Gesezes  an  uns  soll  auch  unsere 
Freundschaft  ja  immer  sich  fester  knüpfen.  Dein  Eschen. 

116.    Ziemssen  an  Herbart.1)  Bern  d.  26ten  März  1800. 

Theuerster  Herbart,  nur  ein  paar  Worte,  nur  den  Umschlag  zu  Eschens  Brief 
erhältst  Du  heute  von  mir;  obgleich  ich  Dir  so  vieles,  vieles  sagen  möchte,  Dir, 
um  den  sich  alle  meine  Gedanken  und  Empfindungen,  wie  um  einen  Mittelpunkt 
sammeln.  Aber  außer  den  wirklich  vielen  mich  drängenden  Geschäften,  womit  ich 
mich  ungerne  entschuldigen  möchte,  umschwebt  grade  jetzt  seit  ein  paar  Tagen  ein 
etwas  trübes  Gewölk  mein  Wesen,  und  außerdem,  daß  dis  meine  Gedanken  etwas 
in  Stockung  versetzt,  fürchte  ich  mich  dieselben  unwillkührlich  mit  diesem  Trauer- 
schleyer  beym  Schreiben  zu  überziehen.  Das  Gewölk  wird  sich  wieder  verziehen, 
und  dann,  wenn  es  sich  wieder  bey  mir  aufklärt,  schreibe  ich  Dir  vielleicht  bald 
mehreres.     Heute  nur  ein  paar  Worte  von  den  Deinigen,   die  Du  selbst  entkleiden 

x)  6  S.  8°.    H.  W. 


1^8  März   1 800. 

maust  mit  Hülfe  von  Eschens  Briefe,  wenn  auch  sie  unter  meinen  Händen  vielleicht 
mit  einem  zu  dunklen  Gewände  umhüllt  werden.  —  Doch  wie  wäre  es  möglich  diese 
glänzenden  Punkte  zu  verdunkeln!  || 

Ja  freue  Dich  nur,  Du  Edler,  Vortreflicher,  Deine  in  der  Schweiz  verlebten 
Tage  sind  nicht  verloren;  Du  hast  Saamen  ausgestreut,  der  große  Früchte  zu 
erzeugen  verspricht.  —  Deine  Freunde  segnen  die  Stunden,  die  Du  mit  ihnen 
verlebtest,  und  feyern  Dein  stilles  Andenken  in  ihrem  innern  Heiligthume,  das  Du 
ihnen  erbauen  halfst.  —  Und  Dein  treflicher  Karl  wird  hoffendlich  durch  ein  ganzes 
schönes  Leben  zeigen,  welchen  Geist  Du  ihm  einhauchtest.  — 

Von  dem  guten  Fortgange  seiner  Arbeiten  wird  Eschen  Dir  wohl  ausführlich 
schreiben,  was  ich  davon  übersehen  kann,  befriedigt  meine  Erwartungen. 

Aber  erinnerst  Du  Dich  noch  wohl  mit  welcher  Gleichgültigkeit  und  Kälte 
Fritz1)  Böhlendorfs  herliche  Briefe  empfing?  —  Bey  dem  Empfang  Deiner  letzten 
Briefe  aus  Jena  ließ  ich  Karl  zu  mir  hohlen.  Mit  Vorsatz  gab  ich  ihm  zuerst  den 
an  ihn  allein,  und  räumte  einen  Augenblick  unter  meinen  übrigen  Briefen  (ich 
hatte  an  demselben  Tage  viele  auf  einmal  empfangen),  er  konnte  sich  nicht  halten, 
sondern  laß  vor  mir  stehend  seinen  Brief  durch,  wozu  ich  ihm  dadurch,  daß  ich 
selbst  mich  beschäftigte,  Zeit  ließ.  || 

Eine  sanfte  Verklärung  lag  auf  seinem  Gesichte.  —  Nach  einer  kleinen  Pause 
sagte  ich  nur  noch:  Du  freutest  Dich  auch  in  dem  Briefe  an  mich  über  den  guten 
Fortgang  Deines  angefangenen  Werks.  —  Du  wünschtest,  daß  Deine  Hofnungen  an 
ihm  und  seinen  Brüdern  nie  verloren  gehen  möchten.  —  Er  möge  Dich  stets  bey 
allem  Edlern  und  Höhern  als  Leitstern  und  Schutzengel  in  Gedanken  und  im  Herzen 
tragen!  —  Hier  strömte  sein  Herz  in  Thränen  über,  und  sein  ausdruckvolles 
Schweigen  sagte  mir  mehr,  als  wenn  er  geredet  hätte.  —  Ich  sagte  ihm  nur  noch 
drey  herzliche  Worte,  und  überließ  ihn  seinen  eignen  tiefern  Empfindungen,  die  ich 
mehr  zu  stören,  als  erhöhen  zu  können  fürchten  mußte.  —  Gerne  sehe  ich  ihn 
öfter,  und  beneide  es  Eschen  beynahe,  daß  er  ihn  täglich  hat,  und  ihm  täglich 
weiter  helfen  kann.  —  Es  ist  eine  große  Freude  einem  edlen  Jüngling  bey  seiner 
Bildung,  bey  seinem  Emporstreben  zuzusehen.  Aber  unendlich  schöner  und  größer 
muß  es  seyn,  das  Bewußtseyn  zu  haben,  der  Schöpfer  alles  Höherm  in  ihm  ja  dieses 
Stiebens  selbst  zu  seyn!  —  Wäre  ich  doch  tauglich  gewesen,  und  hätte  das  Schicksal 
mich  doch  dazu  bestimmt  gemacht,  ihm  bey  Deiuem  Scheiden  meine  j|  hülfreiche 
Hand  zu  reichen,  um  ihn  weiter  hinauf  zu  führen!  Dann  hätte  auch  uns  noch  ein 
Band  mehr  umschlungen! 

Ludwig  bedarf  freylich  einer  etwas  mehr  treibenden  Führung,  und  gelangt 
auch  wohl  schwerlich  mit  Karl  zu  gleicher  Höhe ;  aber  dennoch  trägt  er  die  Spuren 
Deiner  wohlthätigen  Hand  an  sich,  und  macht  mir,  wenn  er  einen  erziehenden 
strengern  Freund  wiederfindet,  gute  Hofnungen.  Wir  sind  in  der  Stereometrie  bey- 
nahe bis  ans  Ende  fortgerückt  und  werden  sie  vielleicht  in  ein  paar  Tagen  ganz  enden. 
Ich  glaube  es  ziemlich  in  ihm  befestigt  zu  haben;  daß  ich  sein  ganzes  übriges 
mathematisches  Feld  zugleich  mit  wieder  zu  durchwandern  suchte,  versteht  sich  von 
selbst.  —  Es  war  eine  kurze  Zeit,  wo  er  mir  wieder  etwas  herabsank,  vielleicht 
durch  äußere  Zerstreuung  oder  körperliche  Krankheit,  mit  Hülfe  seines  Vaters,  der 
mein  Bitten  darum  sehr  freundschaftl.  aufnahm,  gelang  es  mir  ihn  durch  einige 
kräftige  aber  freundschaftl.  Vorstellungen  wieder  empor  zu  helfen.  Jetzt  sind  wir 
wieder  im  raschen  ||  Fortschreiten.  —  Seine  Auszüge  obgleich  nicht  durchaus  meister- 
haft, übertreffen  meine  Erwartungen  nach  dem  ersten  Vergleich  bei  weiten;  er 
weiß  den  Kern  zu  findeu  und  zu  verbinden. 


l)  Böhlendorffs  früherer  Zögling  Fritz  von  Sinner. 


Aprii   1800.  13Q 

Steiger  wird  ungefähr  in  8  Tagen  aufs  Land  gehen.  Ich  hoffe  Ludwig  dort 
hinlänglich  beschäftigen  zu  können,  und  werde  bis  zu  Brohms  Ankunft  alle  8  Tage 
heraus  zu  kommen  suchen,  da  ich  ja  wegen  Eschens  Nähe  zwey  Fliegen  mit  einer 
Klappe  schlagen  kann.  —  Karl  werde  ich,  wenn  es  sich  zeigen  sollte,  daß  Brohme 
fürs  erste  noch  nicht  käme,  den  Euklid  in  die  Hände  geben  und  ihm  dort,  wo  er 
stockt,  helfen.     Auch  die  Arithmetik  werde  ich  ohnehin  ins  Andenken  zurückrufen. 

Beyde  Eltern  scheinen  mit  uns  zufrieden,  u.  Madam  ist  immer,  wenn  ich  sie  sehe, 
ungemein  artig.  —  Steiger  wünscht  Brohm  möge,  ohne  einen  Brief  von  ihm  zu 
erwarten,  kommen.  Wir  sprachen,  da  er  neulich  bey  mir  war,  über  ihn  und  St. 
sagte:  ein  Herb,  wird  er  nun  freylich  nicht  seyn,  das  ist  nun  keine  Frage,  aber  er 
wird  ||  doch  gut  seyn,  da  er  von  ihm  gewählt  ist.  Auch  für  die  Meinigen  hoffe  ich 
nicht  vergebens  zu  arbeiten.  Fritz  macht  mir  schönere  und  gegründetere  Hofnung 
als  je;  ich  habe  ihn  ergriffen,  und  wie  ich  glaube,  getroffen.  Wenn  ich  den  noch 
einmal  würdiger  Böhlendorfs  Armen  zuführen  könnte! 

Aber,  lieber  Theurer,  ich  kann  kein  Ende  finden  Dir  zu  erzählen !  Vergiß  aber 
ja  nicht  daß  dis  nur  ein  Couvert  ist;  sonst  müßte  mehr  OrduuDg  und  Inhalt  dariu 
seyn.  Deine  Freunde,  die  sich  genau  nach  jeder  Nachricht  von  Dir  erkundigen, 
.grüßen  herzl. ;  auch  Sonnenscheins.  —  Der  gute  Zehender!  — 

Ich  sehne  mich  von  dem  Gelingen  Deines   schweren  Unternehmens  zu  hören. 

Dein  Th.  Z. 

117.     An    Carl    Steiger.1)  Bremen  am    12  ten  April   1800. 

In   Smidt's  Zimmer. 

Ich  bin  hier  allein;  ich  sollte  ihm  und  seiner  Gesellschaft  auf  sein  Landgut  nach- 
gehn   —   der  Regen  wird  ihm  sagen,  warum  ich  nicht  komme. 

Sehr  mismuthig  ging  ich  diesen  Morgen  zum  Thor  von  Bremen 
hinaus  gegen  Oldenburg  hin.  Meine  Mutter  hatte  gestern  hier  eintreffen 
wollen ;  die  Pferde  waren  schon  bestellt,  um  sie  auf  einer  kleinen  Besuchs- 
reise von  hier  aus,  gleich  weiter  zu  führen.  Sie  war  ausgeblieben;  was 
konnte  sie  abgehalten  haben,  als  ein  plötzlicher  Rückfall  in  ihre  Krankheit? 
Hin-  und  hergetrieben  zu  werden,  bin  ich  jetzt  nur  zu  sehr  gewohnt. 
Ich  machte  mich  also  auf,  und  wollte  nach  Oldenburg,  zu  sehn,  was  es 
wäre.  Die  erste  Stunde  Wegs  lag  hinter  mir,  da  riefen  ein  Paar  Stimmen 
von  einem  Wagen:  wir  haben  Briefe  an  Sie!  Ich  erbrach,  es  waren  be- 
ruhigende Nachrichten  von  meiner  Mutter;  —  und  obendrein  eine  Ein- 
lage mit  dem  langersehnten  Z  gesiegelt. 

Die  Herren  Ueberbringer  müssen  mich  sehr  undankbar  gefunden 
haben.  In  dem  nahen  Wirthshause  zum  Wartthurm,  wohin  ich  zurückging, 
und  wo    sie    anhielten,    wäre    es    meine  Schuldigkeit    gewesen,    weiter    mit 


x)  12  S.  8°.  Über  Herbarts  Aufenthalt  in  Bremen  (1800 — 1802)  vgl.  Bd.  I, 
S.  XXXIIIff.  u.  Zeitschr.  f.  exakte  Philosophie  I,  S.  62  u.  Hartenstein  a.  a.  O.  I. 
S.  LVf.  Die  Nachwirkung  seiner  Tätigkeit  schildert  Gerd  Eilers  in  „Meine  Wande- 
rung durchs  Leben"-  (Lpzg.  1856)1.  S.  367  ff. :  „Die  Bremer  Frauen  studierten  förmlich 
Pädagogik  .  .  u.  sprachen  darüber  .  .  mit  einer  Einsicht  u.  Zuversicht,  wie  ich  es  nirgends 
sonst  gefunden  habe.  Immer  beriefen  sie  sich  auf  einen  Lehrmeister,  dessen  Autorität 
bei  ihnen  entscheidend  war:  Herbart .  .  .  Dieser  Herbart  hatte  sich  als  junger  Mann  längere 
Zeit  in  Bremen  aufgehalten  u.  den  wißbegierigen  bremer  Frauen  Vorlesungen  gehalten  .... 
Ihre  Ideen  von  der  Erziehung  des  Menschengeschlechts  zum  edlen  Leben  hingen  durch 
Herbarts  Vermittlung  mit  „Lienhard  u.  Gertrud"1  eng  zusammen  ....  In  Bremen  er- 
regte die  neue  Hauptschule  allgemeine  Teilnahme,  besonders  aber  die  Aufmerksamkeit 
der  Mütter  u.  der  von  Herbart  geschulten  Frauen"  .  .  .  u.  s.  f. 


140  April   1800. 

ihnen  zu  sprechen,  und  zu  fragen,  ob  ich  ihnen  in  Bremen  gefällig  seyn 
könne;  das  war  auch  meine  Absicht,  nur  eine  Minute  wollte  ich  erst  mit 
meinen  Briefen  allein  seyn,  und  lief  deswegen  in  ein  eignes  Zimmer.  Ich 
meinte  recht  eilig  zu  lesen,  meinte  der  Freude  mit  Euch  nur  einen  Augen- 
blick gegönnt  zu  haben;  aber  den  Herren  hatte  es  zu  lange  gewährt,  und 
sie  waren  nun  auch  schon  lange  fort.  ||  Gut,  dass  sie  fort  waren!  Ich 
hätte  Mühe  gehabt,  sie  zu  unterhalten.  Der  Wechsel  der  Gemüths- 
bewegungen  war  zu  stark  und  zu  plötzlich;  —  die  Freude  war  zu  un- 
gestüm, ihr  Stoss  musste  in  meinem,  jetzt  nicht  starken,  Körper  nach- 
dröhnen. Das  merkte  ich  vollends,  da  ich  wieder  in  die  Stadt  kam;  bis 
dahin  war  ich  mit  etwas  mehr  als  verdoppelten  Schritten  gegangen  — 
Du  weisst  noch,  wie  ich  zu  gehen  pflege,  wenn  ich  eben  mit  Dir  eine 
Freude  gehabt  habe;  —  in  der  Stadt  ging  ich  aber  nun  langsam,  und 
freute  mich,  dass  man  sich  zwischen  der  Alt-  und  Neustadt  von  Bremen 
über  die  Weser  setzen  lassen,  und  bey  der  Gelegenheit  im  Schiffe  aus- 
ruhen kann. 

Wären  doch  alle  Stösse  so  leicht  zu  überstehn,  wie  die  Stösse  der 
Freude !  Denn  wenn  Du  es  etwa  bedauern  solltest,  dass  Dein  Brief  mit 
unter  denen  war,  die  mich  so  übermässig  freuten,  so  sage  ich  Dir  zum 
Trost,  dass  ich  mich  diesen  Abend  wieder  vollkommen  wohl  befinde. 
Vielleicht    strafe    ich    Dich    indessen    mit  einem    übermässig  langen  Briefe, 

—  willst  Du  Dich  der  Strafe  entziehen,  so  wirf  ihn  ungesehen  ins  Feuer!  — 

Ich  weiss,  lieber  Carl,  Du  wirst  so  böse  nicht  sein;  und  in  der 
Hoffnung  schreibe  ich  weiter. 

Könnte  dieser  rechte  Arm  Dich  erreichen,  könnte  er  Dich,  wie  sonst, 
an  mich  ziehn,  und  an  meine  Brust  drücken:  ich  gäbe  Dir  den  ersten 
Kuss  dafür,  dass  Du  mich  unter  Ziemssen's  Siegel  nach  Deiner  Hand 
nicht  vergebens  hast  suchen  lassen.  Sage  Deinen  Brüdern:  ich  hätte  zwar 
in  Ziemssens  und  Eschens  Briefen  recht  viel  sehr  angenehme  \  Sachen 
von  ihnen  gelesen,  könnte  mir  auch  allerley  Ursachen  denken,  wodurch 
sie  dasmal  vielleicht  am  Schreiben  verhindert  wären;  entbehrte  aber  doch 
ungern  das  Vergnügen,  was  mir  auch  schon  ein  Paar  Zeilen  von  ihnen 
gemacht  haben  würden.  Ueber  das  schnelle  Gelingen  Deiner  Arbeiten 
preise  ich  Dich  glücklich.  So  bald  hatte  ich  es  nicht  erwartet,  dass  Du 
einer  Erklärung  des  Plutarch  rasch  würdest  folgen  und  den  Xenophon 
mit  Leichtigkeit  für  Dich  lesen  können.  Mit  dem  letztern  wirst  Du  nun 
wol  beschäftigt  seyn,  da  ihr  auf  dem   Lande  allein   seyd. 

Du  fängst  also  jetzt  an,  zu  einem  freyern  Gebrauche  der  reichen 
Schätze  fähig  zu  werden,  die  Dir  die  Griechische  Sprache  darbietet.  Wenn 
Du  mit  gleicher  Kraft  noch  eine  Zeitlang  vorwärts  dringst,  so  muss  es 
Dir  bald  möglich  seyn,  Deine  griechische  Leetüre  grossentheils  selbst  zu 
wählen,  nach  Belieben  nachzusehn,  zu  vergleichen,  die  Bücher  hinten  oder 
vorn  aufzuschlagen,   —    und    die  Sprache    über   dem  Inhalt    zu   vergessen. 

—  Wie  wirst  Du  nun  diese  Deine  Kenntniss  benutzen? 

Deine  guten  Lehrer  und  ich,  haben  darüber  manches  gedacht  und 
gesprochen;  und  werden  es  ferner  thun.  Aber  Du  thätest  sehr  übel,  wenn 
Du   Dich  auf  uns  allein   verlassen  wolltest. 

Ich  weiss,  es  wird  Dir  schwer,  für  Deine  Gedanken  und  Empfindungen 


April   1800.  141 

den  Ausdruck  zu  finden.  Doch  die  Sprache  ||  Deiner  Empfindungen  kenne 
ich  wohl,  und  wünsche  Dir  nichts  weniger  als  eine  frühe  Fertigkeit,  sie 
in  schöne  Worte  einzuhüllen.  Aber  dass  auch  Deine  Gedanken  sich  nicht 
genug  aussprechen,  ist  theils  ein  Beweis,  dass  Du  noch  nicht  deutlich 
genug  denkst,  theils  zwingt  es  Deine  Lehrer,  immer  noch  halb  im  Dunkeln 
zu  gehn,  zu  rathen  und  zu  versuchen,  worin  und  wie  sie  Dich  unterrichten 
sollen.  —  Du  hast  ohne  Zweifel  beym  Krito,  beym  Leben  des  Romulus 
und  des  Theseus,  mancherley  gedacht;  wie  gern  hätte  ich  etwas  davon 
in  Deinem  Briefe  gelesen!  Hoffentlich  erhalte  ich  bald  etwas  von  der  Art; 
denn  Du  versprichst,  mir,  was  Dich  vorzüglich  interessirt,  kurz  nieder- 
zuschreiben. Das  wird  Dir  schwer  werden,  sagst  Du.  Ich  glaube  es, 
denn  man  lernt  nicht  ohne  Mühe  die  Kunst:  leere  Worte  zu  vermeiden, 
und  in  wenig  Worten  viel  zu  sagen:  —  und  in  dieser  Kunst  wird  meine 
Bitte  Dich  üben.  Die  genaue  Erfüllung  derselben  ist  mir  aber  vorzüglich 
in  der  Rücksicht  unumgänglich  noth wendig,  weil  ich  Dir,  je  älter  Du  wirst, 
und  je  weiter  Du  kommst,  desto  weniger  einen  verständigen  Rath  geben 
kann,  wenn  nicht  der  Gang  Deines  Geistes  und  Deines  Interesses  mir 
vor  Augen  liegt. 

Ich  bleibe  nicht  in  Oldenburg,  sondern  gehe  in  wenigen  Wochen 
nach  Göttingen;  und  dort  werde  ich  manche  Arbeiten  mit  Dir  zugleich 
treiben.  Wie  nützlich  für  Dich,  —  wie  ||  angenehm  für  mich,  das  wird 
grossentheils  davon  abhängen,  wie  deutlich  Du  Dich  mir  darzustellen  weisst. 
Du  wirst  im  Sommer  den  Phädon  lesen?  Dein  Hr.  Vater  ist  es  also  zu- 
frieden? —  Bey  diesem  Buche  ist  besonders  viel  zu  denken;  sage  mir 
Deine  Meinung,  und  frage  mich,  so  kann  ich  Dir  forthelfen.  Besonders 
sage  mir,  welcher  von  den  3  Schriftstellern  Xenophon,  Plutarch,  oder 
Plato,  Dir  am  meisten  Vergnügen  macht?  Und  welcher  Dir  am  meisten 
zu  denken  giebt?  Verwechsle  diese  Fragen  nicht  und  beantworte  jede 
einzeln. 

Was  Du  mir  schicken  willst,  das  schreibe  nicht  gleich  ins  Reine. 
Schreibe  überhaupt  nicht  gleich,  sondern  denke  erst  über  Deine  Gedanken 
wieder  nach;  prüfe  sie,  überlege,  was  falsch,  was  unter  gewissen  Ein- 
schränkungen wahr,  was  noch  allgemeiner  wahr  seyn  möge,  als  es  Dir 
zuerst  erschien;  —  bemerke,  wie  stark,  wie  wohlthätig  oder  nachtheilig 
diese  Gedanken  auf  Dein  Gefühl  wirken,  ob  sie  stark  genug  sind,  oder 
noch  kräftiger,  deutlicher,  mehr  zur  Gewohnheit  werden  müssten,  um  Dich 
im  Handeln,  in  Versuchungen,  in  Gefahren,  nicht  zu  verlassen,  Dich  rasch 
und  sicher  genug  zu  führen;  —  wenn  Dir  die  Gedanken  entfliehen, 
scheue  die  Mühe  nicht,  sie  immer  wieder  zu  sammeln,  ganze  Tage  damit 
zuzubringen,  und  tröste  Dich  mit  mir,  der  ich  oft  3  Tage  lang,  bloss 
nachdenke,  und  erst  am  vierten  eine  Feder  ansetze1)  ||  —  gehe  dem,  was 
Dir  dunkel  ist,  nach,  kehre  es,  wende  es  hin  und  her,  denke  es  in  allerley 
Verbindungen,  in  Bildern  und  Beyspielen,  —  denke  es  gehend  und  stehend, 
sitzend  und  liegend,  im  Zimmer  und  im  Freyen;  —  bleibt  Dir  aber  die 
Sache  dunkel,  so  muss  sie  sich  wenigstens  in  eine  deutliche  und  bestimmte 
Frage  fassen  lassen,  und  wem  Du  dann  diese  Frage  vorlegst,  der  wird  an 

x)  Vgl.  Zeitschr.  f.  ex.  Phil.  I,  60. 


142  April    1800. 

der  Art,  wie  Du  Dich  ihm  darüber  äusserst,  und  seine  Winke  auffassest, 
sehn  können,  wie  viel  oder  wenig,  wie  scharf-  oder  stumpfsinnig  Du 
darüber  schon  gesonnen  habest,  —  und  wie  fähig  oder  unfähig,  werth 
oder  un werth  Du  der  Belohnung  seyst.  —  Bist  Du  dann  mit  Dir  einig, 
was  Du  schreiben  willst,  so  suche  es  zu  ordnen,  zurecht  zu  stellen,  in 
Anfang,  Mittel  und  Ende  zu  scheiden.  Die  Veranlassung  Deines  Nach- 
denkens wird  gewöhnlich  den  Anfang  machen  können;  dann  wird  die 
Anzeige  des  Hauptgegenstandes  ihren  Platz  finden;  Erklärungen,  Beweise, 
Zweifel,  Antworten,  Entscheidung,  Bestätigungen  —  das  wird  in  einer 
längern  oder  kürzern  Reihe  folgen  können.  —  Was  Du  mir  überschicken 
willst,  soll  und  kann  freylich  nur  kurz  seyn,  weil  es  vielerley  sein  muss, 
(einige  Briefblätter,  recht  eng  vollgeschrieben,  kannst  Du  indess  immerhin 
zur  Zeit  schicken),  aber  gerade  das  Kurze  bedarf  —  damit  es  von  Inhalt 
gehörig  vollgedrängt  sey,  —  vorzüglich  der  Ordnung,  und  eines  jj  vor- 
gegangenen reifen  Nachdenkens.  Wenn  Du  Dich  zum  Schreiben  setzest, 
so  künstle  nicht  lange  über  den  Anfang,  und  schreibe  überhaupt  etwas 
rasch  alles  nieder;  aber  wenn  es  im  Entwurf  vor  Dir  liegt,  dann  sieh  es 
sorgfältig  durch,  dränge  zusammen,  schneide  das  Ueberflüssige  weg,  ergänze 
was  fehlt,  berichtige  die  Sachen,  schleife  den  Ausdruck;  —  arbeite  es 
ganz  um  wenn  es  Noth  thut,  zwey,  drey,  viermal,  beharrlich  und  unver- 
drossen, bis  es  Dir  recht  ist.  Dann  zeige  es  Deinen  Lehrern.  —  Wenn 
sie  es  Dir  rathen,  schreibe  es  ab,  und  schicke  es  mir.  —  Ich  verlange 
zwar  nicht,  dass  alles  was  ich  von  Dir  erhalte,  bis  auf  diesen  äussersten 
Grad  Deine  Kraft  angespannt  habe;  jedoch  je  besser  Du  Dich  selbst  aus- 
arbeitest, desto  bessere  Hülfe  kann  ich  Dir  leisten;  und  schon  Deiner 
Uebung  wegen  dürfte  es  rathsam  sein,  dass  Du  alle  Monat  einmal,  3  bis 
4  Tage  nach  der  Reihe  Deine  übrigen  Arbeiten  ganz  aussetztest,  um  die 
den  Monat  hindurch  gesammelten  Materialien  auf  diese  Weise  zu  ver- 
arbeiten. Ersuche  Deine  Eltern  und  Lehrer  um  Erlaubniss  dazu,  in  mei?zem 
Namen.  Es  kann  Deine  übrigen  Arbeiten  gar  nicht  bedeutend  stören, 
wohl  aber  ihnen  eine  vortreffliche  Beförderung  geben.  —  Selbst  von 
Deinen  Briefen  an  mich,  die  übrigens  immer  noch  so  kunstlos  als  möglich 
bleiben  mögen,  wünschte  ich  doch,  dass  Du  sie,  wenn  sie  nun  hinge- 
schrieben sind,  noch  einmal  aufmerksam  durchläsest,  um  die  Fehler  gegen 
die  Orthographie,  Grammatik  ||  und  Regeln  des  Stils,  darin  zu  verbessern; 
sie  auch  allenfalls,  wenn  Du  gerade  Zeit  hast,  noch  einmal  abzuschreiben. 
Fehlt  aber  die  Zeit,  dann  ist  mir  das  eiligste  das  liebste;  ich  mag  keinen 
Brief  einbüssen,  damit  Du  für  mich  ein  Exercitium  machen  könnest.  Dies 
letztere  bemerke  besonders,  wenn  Du  mich  lieb  hast;  es  sey  Dir  mehr 
empfohlen,  als  alle  die  andern  schönen  Regeln.  Sclavisch  binden  sollten 
Dich  überhaupt  diese  Regeln,  die  mehr  hingeworfene  Weisungen  sind, 
gar  nicht.  Jeder  Gegenstand  fordert  seine  eigne  Art  zu  arbeiten;  und 
manches  wirst  Du  am  besten  ohne  alle  Umstände  so  schreiben,  wie  es 
Dir  zuerst  einfällt.      Was  von  der  Art  sey?   —   das  erfinde  selbst! 

Ueber  allen  den  Anstrengungen  für  Deine  Bildung  —  über  aller  der 
Aufmerksamkeit  auf  Dich  selbst:  —  wirst  Du  darüber  auch  nicht  ver- 
gessen, dass  es  Pflichten  giebt,  die  mit  Deiner  Bildung  nicht  zusammen- 
hängen,   die    ihr    sogar  entgegen    seyn  können;   —  und  die  Du  gleichwohl 


April   1800.  14  ? 

um  anderer  Menschen  willen  erfüllen  sollst?  —  Bis  jetzt  noch  verschont 
Dich  Dein  Schicksal  mit  den  schweren  Pflichten  dieser  Art,  —  und  wenn 
Du  nur  Acht  giebst,  dass  Deine  Schwester  Henriette  Dich  nicht  rauh 
und  ungefällig  finde,  —  dass  Du  nicht  Rudolphs  wegen  mit  Dir  unzu- 
frieden seyn  müssest  —  so  werden  die  klein ern  Aufmerksamkeiten,  die 
Du  Deiner  Umgebung  schuldig  bist,  Dir  hoffentlich  auch  ||  mehr  und 
mehr  von  selbst  ins  Auge  fallen.  Zu  einer  kleinen  Uebung  Deines 
Urtheils  über  Dich  selbst  in  dieser  Rücksicht  kann  es  dienen,  wenn  ich 
Dir  eine  Stelle  Deines  letzten  Briefes  an  mich,  die  Du  ohne  Zweifel  in 
der  besten  Meinung  von  der  Welt  hingeschrieben  hast,  noch  einmal  vor- 
lege. „Zwar  weis  (weiss)  ich,  dass  es  mir  etwas  schwer  seyn  wird,  das 
Interesante,  (Interessante),  was  mir  den  Tag  über  auffallen  mag,  zu 
finden;  aber  doch,  weil  sie  (Sie)  es  mir  rathen  und  weil  (,)  was  sie  mir 
rathen    (,)   zu  meinem   Nuzen   (Nutzen)  ist,  will  ich   es  gerne  thun.u 

(Verliere  nicht  über  die,  in  Klammern  angemerkten,  orthographischen 
Fehler  die  gute  Laune;  ich  habe  sie  auch  nicht  darüber  verloren.)  Wie 
nun,  wenn  ich  Dir  nicht  gerathen,  sondern  darum  gebeten  hätte,  —  und 
zwar  nicht  um  Deines  Nutzens  willen,  sondern  zu  meinem  Nutzen  oder  zu 
meiner  Freude?  Hättest  Du  mir  es  dann  abschlagen  sollen?  —  Es  ver- 
steht sich,  dass  Du  voraussetzest,  ich  werde  nicht  eines  thörichten  Einfalls 
wegen  etwas  von  Dir  verlangen,  das  Dir  viel  Zeit  und  Mühe  kostet; 
sondern  es  werde  ohne  Zweifel  für  mich  zum  wenigsten  so  viel  Werth 
haben,  als  Dir  Deine  Mühe  werth  seyn  kann.  Wie  aber,  wenn  mein 
Zweck  zum  Beispiel  bloss  der  gewesen  wäre,  dass  ich  die  Erziehung,  die 
ich  Dir  gegeben  habe,  aus  dem  Erfolge  hätte  beurtheilen  wollen,  den  sie 
bey  Dir  zurücklässt?  ||  Hättest  Du  dann  die  Mühe  für  mich  nicht  über- 
nehmen mögen?  Hättest  Du  die  Zeit  lieber  angewandt,  um  selbst  zu 
lernen?   Ich  erwarte  Deine  Antwort  in  Deinem  nächsten   Briefe. 

Ueber  Dein  Betragen  gegen  Rudolph  schweigt  Ihr  diesmal  alle  zu- 
sammen. Eschen  und  Ziemssen  sind  aber  mit  R.  zufriedener;  darf  ich 
nun  wol  daraus  schliessen,  dass  Du  es  ihm  vielleicht  auch  leichter  machst, 
gut  zu  seyn?  —  An  den  kleinen  Franz  möchte  ich  Dich  wol  auch  er- 
innern. Ganz  vergessen  werden  darf  es  wenigstens  nicht;  denn  wenn  sich 
Gelegenheit  findet,  seinen  Fassungskräften  früh  etwas  in  die  Hände  zu 
spielen,  so  ist  für  die  Zukunft  viel  gewonnen.  Doch  wir  wollen  das  zuerst 
mit  Herrn  Segelken  überlegen. 

Segelken  statt  Brohm  —  davon  wird  Dir  Dein  Vater  schon  erzählt 
haben.  Brohm,  Boimelburg,  Stolz,  Segelken  —  Dir  sind  das  alles  jetzt 
nur  blosse  Namen;  denn  Du  kennst  keinen  davon,  —  weisst  nicht,  welcher 
von  ihnen  zu  Dir,  und  zu  Eurem  ganzen  Hause  am  besten  gepasst  haben 
würde,  —  weisst  nicht,  wie  die  Leitung  eines  jeden  Dich  anders  verändert 
haben  möchte,  —  ich  weiss  es  auch  nicht,  ob  ich  gleich  zu  jedem  von 
ihnen  im  Ganzen  genommen  Zutrauen  hatte  —  sie  selbst  können  es  nicht 
wissen;  —  können  eben  so  wenig  wissen,  ob  der  Aufenthalt  bey  Euch 
ihnen  zuträglicher  gewesen  seyn  würde,  oder  ob  ihnen  so  besser  ist.  — 
Brohm  scheint  sehr  zu  zweifeln,  ob  die  Herren,  die  ihn  in  Berlin  zurück- 
halten, ihm  einen  Dienst  leisten,  —  Hr.  Boimelburg  wäre  lieber  in  der 
Schweiz  als  in  Pohlen  gewesen,    ob  er    gleich   dort    eine  ausserordentliche 


144  April   1800. 

Einnahme  hat.  —  ||  Ich  selbst  kam  zu  Euch,  und  musste  wieder  gehn, 
ohne  viel  zu  wissen,  wohin  ich  kam  und  ging.  So  würfelt  das  Schicksal 
um  uns! 

Dass  es  doch  mehr  als  ein  blosses  Würfelspiel  sey  —  meinst  Du,  es  sey 
wichtig,  das  einzusehn,  und  glauben  zu  können?  Wollen  wir  das  im 
Sommer  versuchen?   —   — 

Hr.  Segelken  schlägt  eine  sehr  vortheilhafte  Stelle  aus,  die  ihm  (wenn 
Otth  sich  nicht  irrt)  hier  in  Bremen  angeboten  wurde  —  und  verlässt 
also  sein  Vaterland,  woran  die  Bremer,  so  viel  ihrer  mir  bekannt  sind, 
sonst  sehr  zu  hängen  pflegen,  —  um  zu  Euch  zu  kommen.  Vielleicht 
hat  meine  gute  Meinung  von  Dir  etwas  dazu  beygetragen,  die  er  durch 
meine  Jenaischen  Freunde  erfahren  haben  kann;  denn  ich  selbst  habe 
ihn  dort  nur  bloss  gesehn,  weil  mich  damals  jene  Freunde,  die  ihn  noch 
nicht  genau  genug  kannten,  auf  ihn  auch  nicht  aufmerksam  machen  konnten. 
Was  man  mir  aber  jetzt  von  ihm  schreibt,  und  was  ich  hier  in  Bremen 
allgemein  von  ihm  höre,  das  lässt  mich  sehr  bedauern,  nicht  durch  münd- 
liche Unterhaltung  diejenige  Freundschaft  mit  ihm  angefangen  zu  haben, 
der  er  jetzt  von  meiner  Seite  dadurch  gewiss  ist,  dass  er  sich  um  Eure 
Bildung  Verdienste  erwirbt.  Dich  ||  bitte  ich  vor  allen  Dingen,  ihm  mit 
Gefälligkeiten  jeder  Art,  wo  Du  kannst,  entgegenzukommen;  und  ich  hoffe 
es  von  Deinem  wachsenden  Verstände,  dass  Du  es  mehr  und  mehr  aus- 
finden wirst,  wie  Du  dem  guten  Willen  Deines  Lehrers  —  ohne  ihm 
vorzugreifen  —  die  Wege  bahnen  könnest.  Merke  auf,  ob  er  sich  über 
etwas  mit  Dir  zu  unterreden  wünscht,  verfolge  dann  das  Gespräch  dahin, 
wohin  er  es  lenkt,  sage  bescheiden  Deine  Meinung,  wo  Du  eine  hast,  — 
am  besten  fragweise;  hüte  Dich,  entscheidend  zu  urtheilen,  das  würde  das 
Gespräch  leicht  zerreissen;  —  denke  nachher  über  die  Unterredung  nach, 
und  suche  sie  zu  gelegener  Zeit  fortzusetzen.  Schreibe  mir,  ob  Du  ihn 
leicht  verstehst  und  worüber  Du  mit  ihm  am  liebsten  sprichst.   — 

Du  siehst,  mein  geliebter  Karl,  —  meine  Wünsche  sind  um  Dich; 
und  mein  Geist  möchte  auch  bey  Dir  seyn,  und  sich  mit  dem  Deinigen 
vereinen.  Mein  Zutrauen  zu  Dir  siehst  Du  auch;  —  denn  könnte  ich 
es  sonst  erwarten,  dass  Du  Dir  diese  Papierblätter  nützlich  machen  würdest? 

Bleibe  Du  der  meine,  so  wie  ich  der  Deine  Herbart. 

Magst  Du  diesen  Brief  dem  Hrn.  Segelken  zeigen?  Es  wird  ihm 
vielleicht  lieb  seyn,  wie  wir  mit  einander  sprechen.  —  Es  soll  ganz  in 
Deinem   Willen  stehen. 

118.     An    Segelken.1)  Zur  Dunge  [bei  Bremen]  am  I5ten  April  1800. 

Mit  welcher  Freude  habe  ich  es  in  Otths  Briefe  gelesen,  dass  Sie 
meinem  verlassnen  Platze  einen  entschiednen  Vorzug  geben,  vor  einer 
weit  einträglichem  Stelle  die  Ihnen  zugleich  angeboten  wurde!  So  darf 
ich  denn  hoffen,  dass  auch  das,  was  andre  abschrecken  könnte,  —  die 
schon  bestehenden  Verhältnisse  zwischen  3  Zöglingen  und  3  Lehrern, 
denn  Ziemssen  und   Eschen  muss  ich    mitzählen:    —   Ihnen   vielmehr  an- 


v)  8  S.  40.     Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  pp. 


April  1800.  145 

genehm  sey;  dass  Sie  Ihre  neuen  Verhältnisse  daran  werden  anknüpfen 
wollen.  Ich  setze  voraus  dass  Sie  es  durch  Böhlendorf  hinlänglich 
wissen:  Sie  treten  in  die  Mitte  einer  engen  Verbindung;  die  nach  Dauer 
wenigstens  strebt.   — 

So  ist  es  also  kein  blosses  Wort,  wenn  ich  Sie,  auch  ohne  Sie  zu 
kennen,  mit  Zutrauen  willkommen  heisse  in  dieser  Mitte. 

Erlauben  Sie  mir  als  einen  Beweis  dieses  Zutrauens,  dass  ich  gleich 
den  ersten   Schritt  thue,   damit  wir  einander  gegenseitig  orientiren  mögen. 

Es  muss  mir  wichtig  seyn,  zu  wissen,  welche  Hülfsmittel  ||  der  Er- 
ziehung Sie  vorzugsweise  in  Ihren  bisherigen  Studien  und  Beschäftigungen 
finden;  und  in  welche  wissenschaftliche  Richtung  Sie  ungefähr  für  Sich 
selbst  fortzugehn  denken  —  da  die  eignen  Arbeiten  auf  die  Beschäfti- 
gungen mit  den  Zöglingen  einen  fast  unvermeidlichen  Einfluss  haben.  — 
Um  sogleich  meine  Fragen,  meine  Bitten  an  Sie  darnach  bestimmen  zu 
können,  bat  ich  den  Hrn.  Prof.  Rump,  der  Sie  kennt,  um  die  gewünschten 
Nachrichten;  er  wusste  mir  keine  genaue  Auskunft  zu  geben,  „aber,"  sagte 
er,  „ich  glaube  Sie  werden  nicht  irre  gehn,  wenn  Sie  Sich  deshalb  an 
„Hrn.  Segelken  selbst  wenden;  ich  kann  es  von  seinem  Character  er- 
„warten,  dass  er  Ihnen  alle  Aufschlüsse  darüber,  die  Sie  wünschen 
„können,  gerne  selbst  geben  wird."  Ein  solcher  Rath  war  mir  die  an- 
genehmste Nachricht,  und  ich  folge  hier  seiner  Weisung. 

Sie  empfangen  Ihre  Zöglinge  aus  den  Händen  meiner  Freunde 
Ziemssen  und  Eschen;  und  werden  von  denen  auch  die  letzten  Nach- 
richten über  jene  sich  vorlegen  lassen  können.  Mich  werden  Sie  im 
hohen  Grade  verbinden,  wenn  Sie  mit  diesen  Freunden,  die  meinen  Plan 
genau  kennen,  Ihre  Ueberlegungen  ||  über  Ihre  Erziehungs- Angelegenheiten 
theilen  wollen.  Hier  ist  einiges,  wovon  ich  wünsche,  dass  es  in  die  ge- 
meinschaftlichen  Ueberlegungen  eingehe. 

Wollen  Sie  mir  verzeihen,  dass  ich  mit  einer  Eintheilung  anfange? 
—  Wenn  ich  richtig  bemerke,  so  sind  es  dreyerley  Arten  von  Interessen, 
die  in  den  Jugendjahren  von  einander  nicht  abhängen;  also  auch  nicht 
leicht,  wenn  sie  ihre  gehörige  Stärke  und  ihr  richtiges  Verhältniss  zu 
einander  bekommen  sollen,  —  durch  einander  hervorgebracht  werden 
können;  die  folglich  jedes  besonders  begründet  werden  müssen:  ich  meine, 
das  Interesse  am  Menschen,  —  das  an  der  Natur,  —  und  das  an 
körperlichen   Uebungen. 

Dagegen  glaube  ich,  dass  jedes  unter  diesen  drey  Arten  des  Interesse, 
seine  ganze  Sphäre  richtig  durchlaufen  könne,  dergestalt,  dass  immer  alles 
Vorhergehende  dem  Folgenden  wie  Mittel  zum  Zweck  diene,  folglich  an- 
statt davon  verdrängt  zu  werden,  sich  vielmehr  in  ihm  erneuere  und  be- 
vestige;  —  dass  also  auch  alle  die  besondern,  einzelnen  Interessen,  die  zu 
Einer  von  jenen  3  Arten  gehören,  sich  duich  einander  hervorbringen 
lassen:  —  wenn  nur  der  Anfangspunct  und  jeder  Schritt  der  Fortleitung 
vom  Erzieher   richtig    gewählt    und   in    die   richtige  Folge    gestellt  werden. 

Weitläufige  Auseinandersetzungen  sind  nicht  für  diesen  Brief.  Ich 
wende  mich  zu  meinen  Zöglingen,  um  einige,  zunächst  bedeutende  Be- 
merkungen,  darzulegen. 

» 

Herbarts  Werke.     XVI.  IO 


Ij.6  April   1800. 

Das  Interesse  am  Menschen  schien  bey  meinem  Karl  sehr  glücklich 
in  eine  fortlaufende  Thätigkeit  gesetzt  zu  werden,  da  ich  ihn  durch  den 
Homer  in  die  Griechische  Literatur  einführte.  Unter  Griechischen  Men- 
schen und  Thaten  und  Dichtungen,  wird  er  vielleicht  noch  ein  paar 
Jahre  zweckmässig  verweilen  können;  er  mag  vergleichende  Blicke  in  die 
Römische  Welt  hinüber  thun  —  aber  über  diesen  Kreis  würde  ich  ihn 
fürs  erste  noch,  ungern  in  die  spätere  Geschichte  hinaus  gehn  sehn; 
stimmen  wir  hier  nicht  überein,  so  bitte  ich,  dass  wir  zuerst  unsre  Gründe 
auswechseln.*)  Während  seiner  Leetüre  platonischer  Schriften  hoffe  ich 
selbst  ihm  den  Schleyer  des  Übersinnlichen  —  merkwürdig  zu  machen, 
und  dann  bis  auf  einen  gewissen  Punct  zu  heben.  Ueber  die  bestimmtere 
Anordnung  seiner  Griechischen  Leetüre  wünsche  ich  bald  mehr  mit  Ihnen 
zu  briefwechseln,  vorläufig  wird  es  wahrscheinlich  bey  Eschens  Einrichtung 
bleiben  können;  und  um  meine  Meinung  zu  sagen,  erwarte  ich  erst  eigene 
freyere  Müsse,  und   Briefe  von  Carln  selbst.  |] 

Ueber  die  Leitung  körperlicher  Uebungen  kann  ich  nichts  sagen;  sie 
pflegt  sich  in  Bern  so  ziemlich  von  selbst  zu  finden. 

Das  Interesse  an  der  Natur  zu  wecken,  und  hier  bey  der  kindlichen 
Beschäftigung  des  Blumen -Sammeins  und  Vergleichens  anzufangen,  dazu 
war  es  bey  Carln,  als  ich  hinkam,  fast  schon  zu  spät  —  mich  beschäftigte 
Ludwig  zu  sehr,  —  und  ich  brachte  nicht  gehörige  Kenntnisse  mit.  Zur 
Physik  konnte  ich  ihn  führen;  aber  bey  jedem  Versuch  musste  ich  doch 
bedauern,  dass  ihm  die  gegenseitige  Einwirkung  der  Stoße  nicht  wichtig 
genug  war,  weil  er  die  Stoffe  selbst  nicht  genug  kannte  oder  bemerkte 
—  sich  nie  um  sie  bekümmert  hatte.  Gelegentlich  hat  er  einige  chemische 
Kenntnisse  erworben,  die  aber  der  Erneuerung  bedürfen  werden.  —  Um 
die  hier  entstandene  Lücke  so  gut  als  möglich  zu  füllen  —  würde  es  ein 
besseres  Mittel  geben,  als  ihn  wieder  in  den  Weg  eines  Kindes  zu 
leiten?  Ungefähr  so  wie  wir  mit  unsern  Zöglingen  manches  nachhohlen  — ? 
Mit  seinem  kleinen  Bruder  Franz  wünschte  ich  ihn  ohnehin  beschäftigt; 
theils  damit  er  nicht  alles  nur  für  sich  selbst  thue,  theils  weil  die  beyden 
Knaben  gut  für  einander  passen,  und  der  eine  dem  andern  späterhin  oft 
die  Stelle  des  Lehrers  vertreten  kann,  da  es  so  wichtig  ist,  dass  diesem 
letztern  seine  so  sehr  beschränkte  Zeit  gespart  werde.  || 

Wenn  Sie  Botanik  verstehn,  oder  im  entgegengesetzten  Fall,  wenn 
Eschen  Zeit  hätte,  auf  Spaziergängen  zuweilen  mit  den  beyden  Knaben 
zu  botanisiren,  so  würden  Sie  leicht  dadurch  mancherley  Beschäftigungen 
mit  dem  Kleinen  für  Carln  anweisen  und  in  Gang  helfen  können,  wobey 
dieser  das  Fehlende  nachhohlte. 

Mehr  als  Carln  und  als  die  andern  alle,  muss  ich  Ihrer  Aufmerk- 
samkeit den  Rudolph  empfehlen.  Er  ist  in  dem  Alter,  wo  die  Kindheit 
kein  flüssiges,    und    die  Jugend  noch    kein    vestes    und    hartes  Wesen    ist; 


*)  Durchstrichen  ist  (vom  Gedankenstrich  ab)  folgende  Stelle :  ,,Die  in  die  mittlere 
und  neue  Welt  würde  ich  nicht  begünstigen  —  daher  auch  einen  Abriß  der  Universal- 
geschichte höchstens  auf  sein  dringendes  Bitten,  und  dann  nur  sehr  kurz  geben,  bloß 
um  die  Neugier  nicht  zu  sehr  zu  reizen.1' l) 

x)  Fehlt  bei  Zimmermann. 


April  1800.  147 

—  ich  habe  ihn  nicht  wie  ich  wünschte,  fassen  können,  weil  ich  den 
altern  noch  nöthiger  war;  —  er  hat  Anlagen,  und  bringt  Ihnen  einige 
Kenntnisse,  aber  noch  wenig  Spuren  von  sichrem  Character  mit.  Das  aller- 
wichtigste  für  ihn  ist  in  meinen  Augen,  dass  er  offen  werde,  denn  er  hat 
einen  Hang  zur  Verstecktheit.  Sein  Lehrer  wird  ihn  im  Ganzen  nicht 
streng  behandeln  dürfen;  und  doch  der  Strenge  nicht  entbehren  können, 
wenn  er  nicht  viel  um  und  bey  ihm  ist.  Ich  freue  mich,  dass  Sie  Carln 
wahrscheinlich  ziemlich  viel  werden  allein  arbeiten  lassen  können;  und 
bitte  Sie  dem  Rudolph  ihre  Stunden  zuzuwenden.  Für  eine  Zeitlang 
wenigstens;  ein  halbes  Jahr  kann  vielleicht  schon  viel  thun.  || 

Uebrigens  wage  ich  es,  wenigstens  jetzt,  nicht  über  den  Plan  seines 
Unterrichts  etwas  vorzuschlagen;  ich  bemerke  nur  dass  mein  Plan  bey 
Carln,  nicht  nur  für  diesen  berechnet,  sondern  auf  allgemeine  Ansichten 
gestützt  war.  —  Ueberhaupt  ist  vollkommene  Regelmässigkeit  dieses  Planes 
bey  Rudolph  vielleicht  nicht  ganz  so  nothwendig  und  so  wohlthätig  als 
bey  Carln.  Mannigfaltigkeit  der  Beschäftigungen  wird  er  dagegen  bey 
weitem  mehr  bedürfen.  Denn  jedes  Interesse  läßt  ihn  bald  wieder  los, 
und  muss  daher  durch  ein  neues  ersetzt  werden. 

Sehr  wünschte  ich  es  ihm,  dass  er  Ihr  Herz  so  möchte  gewinnen 
können,  wie  Carl  das  meine  gewann.  Carl  und  ich  haben  erfahren,  wie 
das  hilft.  — 

Bey  Ludwig  wird  es  vielleicht  nöthig  seyn,  dass  Ziemssen  Sie  ge- 
wissermaassen  einführt.  —  Unterricht  wird  er  vor  allem  in  der  Geschichte 
und  im  Französischen  bedürfen,  und  zu  dringend  bedürfen,  als  dass  nicht 
vorläufig  alles  übrige  Nebensache  werden  müsste.  Ich  setze  voraus,  dass 
Ziemssen  mit  der  Mathematik  auf  einen  Punct  gekommen  sey,  wo  sie 
sich  füglich  abbrechen  lasse.  Sonst  wird  derselbe  am  besten  weiter  dafür 
sorgen.  In  der  Chemie  und  Mineralogie  hat  er  ehemals  manches  gethan ; 
es  wäre  gut  wenn  das  wieder  angefrischt  würde.  ||  Das  wird  genug  sein, 
um  von  meiner  Seite  den  Faden  unserer  schriftlichen  Unterhaltungen  an- 
geknüpft zu  haben.  Ist  es  Ihnen  gefällig,  ihn  bald  aufzunehmen,  so  wollen 
wir  fieissig  daran  fortspinnen,  und  dabey  froh  seyn,  und  uns  noch  frohere 
Zeiten  bereiten. 

Sey  es  Ihnen  etwas  werth,  dass  Sie  an  der  Quelle  meiner  Freuden 
wohnen!  Geniessen  Sie  die  Natur!  Bedauern  Sie  das  Land  des  Unglücks! 
Theilen  —  zertheilen  Sie  die  Schmerzen  der  Tiefgekränkten,  die  mehr  als 
eigne  Wunden  fühlen!  Ihr  Herbart. 

119.     An    Eschen.1)  Bremen  am   20.  April   1800. 

Dir  lacht  der  Frühling,  Du  Theurer,  und  Du  kannst  ihm  wieder 
lächeln!  Wohl  Dir!  —  Auch  hier  knospen  die  Bäume,  und  die  frohe 
Menge  drängt  sich  am  Abend  auf  den  Spaziergängen.  —  Mein  Auge  hat 
sichs  bald  abgewöhnt,  an  dem  hiesigen  Horizonte  Alpen  zu  suchen,  aber 
nun  sieht  es  gewöhnlich  gar  nichts;  ausser  wenn  ich  hier  in  der  Neustadt 
unter  der  Allee  spaziere,  wo  der  wirklich  schöne  Anblick  der  Altstadt  mit 
ihren    hohen    und    schlanken   Thürmen    an    der    Weser,    den    Platz    einer 

l)  6  S.  8  °.     H.  Wien. 

10* 


148  April   1800. 

schönen  Landschaft  vertritt.  Sonst  —  bin  ich  zuweilen  auf  der  Platte- 
forme unter  den  dichten  Kastanien,  oder  in  Märchligen,  oder  in  Rüm- 
lingen,  oder  im  Dorfe  zu  Riggisberg,  wo  ich  das  hohe  Schloss  von  ferne 
anschaue,  —  hinauf  kann  ich  nicht  kommen,  denn  ich  war  nie  droben. 
Doch  diese  dunkeln  Schatten  würden  mir  den  dunkeln  Frühling  nicht 
hellen,  thäten  es  nicht   Freunde!  — 

Es  sind  unsrer  doch  mehrere,  die  sich  ohne  Abrede  einem  gleichen 
Puncte  anzunähern  scheinen.  Wie  geht  es  sonst  zu,  dass  wir  einander 
noch  immer  nahe  sind,  noch  immer  näher  kommen? 

Es  muss  doch  wol  ein  Vestes,  Dauerndes  geben,  zu  welchem  der 
gute  Wille  eines  jeden  von  selbst  hinsteuert,  —  es  muss  doch  wol  gemein 
seyn,  einerley  ||  Herz  in  einerley  Vernunft,  das  in  jedem,  unabhängig  von 
den  Andern,  die  Richtung  hieher  —  sucht,  und  nur  nicht  immer  zu 
finden  weiss. 

Werde  nicht  unwillig  über  dem:  scheinen;  und:  es  muss  wol.  Du 
weisst  es  ja,  dass  von  jeher  meine  ganze  Thätigkeit  in  der  Voraussetzung 
gestrebt  hat  und  gehandelt,  dass  ein  solches  Vestes  sich  müsse  finden 
lassen,  wo  die  Individualitäten  sich  zu  vereinigen  suchen  würden  —  so 
dass  weiterer  Fortgang  nicht  mehr  trennen  könnte.  Aber  dass  unser  und 
der  Unsern  Fortgang  uns  noch  trennen  kann,  davon  haben  wir  Bey spiele ; 

—  und  ich,  jetzt,  in  der  Unthätigkeit  in  der  ich  ein  Dritttheil  eines  Jahres 
zubringen  musste,  und  nun  Gottlob  nur  noch  wenige  Wochen!  —  jetzt 
hätte  ich  zur  Skepsis  Zeit  gehabt  —  Zeit  und  Laune  gehabt  zu  zweifeln 
an  der  Zukunft,  und  noch  mehr  an  der  Gegenwart;  an  der  Möglichkeit 
und  noch  mehr  an  der  Wirklichkeit. 

Und,  Dank  sey's  den  Unsern,  jetzt  eben  strafen  sie  die  ungläubigen 
Gedanken  durch  den  Augenschein. 

Zwar  ist  der  Augenschein  nur  Schein  der  Dauer  und  des  Allgemeinen. 
Aber  die  Erfahrung  kann  ja  auch  nur    einzeln    das    allgemeine    bewähren, 

—  kann  in  wenigen  Jahren  nur  wenige  Glieder  der  Reihe  aufstellen,  von 
der  das  ganze  Leben  nur  eine  Probe  ist.  || 

Mein  Eschen!  Es  war  eine  Zeit,  da  wir  uns  fanden  und  hatten,  — 
eine  andre  da  wir  uns  suchten  und  nicht  hatten  —  und  jetzt  haben  wir 
uns  wieder.  Gepriesen  seyen  die  Augenblicke,  da  ein  ganz  reiner  Aus- 
druck gelingt  von  dem,  worauf  die  Freundschaft  ruht!  So  ruhe  ich  jetzt 
auf  Deinem  letzten  Briefe. 

Jetzt  haben  wir  uns  wieder.  Aber  die  Freundschaft  ruht  auf  dem 
Wesen,  und  unser  Wesen  soll  noch  nicht  ruhen.  Wir  sollen  beyde  noch 
wandeln,  und  nach  mancher  Verwandlung  —  kommt  da  eine  Zeit  wo  wir 
bleiben  ? 

6  ßioq,  naQodoQ. 

,,Es  ist  ein  Bleibendes  im  Wandel."  Aber  kannst  Du  es  nennen, 
angeben,  aufzählen,  bestimmen:    das  was  bleiben   wird    und  bleiben   muss, 

—  was  wir  im  Weiterkommen  ferner  von  einander  verlangen  werden,  um 
einander  als  Freunde  aus  der  Menge  herauszuscheiden?  Wissen  wir 
schon,  was  erhöhte  Bildung,  verfeinertes,  oder  gestärktes  Gefühl,  einmal 
strenger  fordern  werde  —  und  ob  dieses  Geforderte  nicht  bey  den  Ver- 
schiednen  ein  Verschiednes  seyn  werde  —  der  einseitigen  Bildung  wegen  ? 


April   1800.  140 

Wissen  wir  etwa  schon,  wie  sehr  es  uns  gelingen  wird,  die  letztre  zu 
vermeiden?  jj 

Die  Freundschaft,  glaube  ich,  wird  bescheidner  in  ihrer  Zuversicht, 
so  wie  der  Mensch  bescheidner  wird. 

„Ist  denn  Treue  nur  die  Anmaassung  des  Jünglings?"  Doch  was  soll 
diese  Frage  hier?  Du  thust  sie  nicht,  und  ich  auch  nicht.  Wir  wissen 
es  ja,  unser  Leben  ist  ein  Versuch,  und  die  Freundschaft  das  köstlichste, 
was  wir  im  Leben  versuchen.  —  Und  gefährliche  Consequenzen  machen, 
ist  ja  unser  Beyder  Sache  nicht. 

Nur  lass  uns  der  Freundschaft  Freyheit  ehren !  Wir  sollen  nicht  nach 
ihr  greifen;  aber  wenn  wir  nach  dem  Rechten  greifen,  will  sie  von  selber 
kommen.  Sie  ist  kein  Besitz,  sondern  in  jedem  Augenblick  neuer  Erwerb. 
Darum  wird  sie  auch  nicht  gleichgültig,  wie  der  Besitz,  sondern  ist  immer 
erneuter  Genuss. 

Ich  habe  mich  verirrt.  Ich  habe  Sentenzen  geschrieben,  da  ich  vom 
Augenschein  erzählen  wollte.  Ueberlege  die  einen,  und  freue  Dich  mit 
mir  über  den  andern. 

Smidt  ist  mein  ältester  Jenaischer  Freund.  Aber  er  liebte,  während 
ich  grübelte,  und  da  meinte  ich  wären  wir  wol  eine  ziemliche  Strecke 
auseinander.  Und  ich  finde,  dass  wir  einander  recht  nahe  sind;  und  dass 
seine  Frau  mit  dazu  gehört.  Wir  haben  noch  viel  gleiches  Interesse  und 
Leichtigkeit  |]  der  Mittheilung.  Einander  in  unserm  Wesen,  und  in  unsern 
Beschäftigungen  zu  ergänzen,  —  die  schöne  Möglichkeit  liegt  —  ich  möchte 
fast  glauben,  klärer  noch  als  damals  vor  uns,  da  wir  uns  zuerst  näherten. 
Damals  auch  waren  Smidt's  Freunde  ihm  näher,  als  sie  mir  werden 
mochten  und  konnten;  —  jetzt  sprechen  Thulesius  und  ich,  die  wir, 
obgleich  Landsleute,  einander  so  gut  wie  gar  nicht  kannten,  in  gutem 
Vertrauen  auf  unsern  gemeinschaftlichen  Freund,  uns  so,  als  ob  wir  schon 
eine  Vergangenheit  hinter  uns  hätten.  —  Wenn  Du  meinen  Brief  aus 
Weimar  bekommen  hast,  so  weisst  Du  schon,  wie  Böhlendorfs  letzte 
Arbeit  mich  innig  freute,  wie  gerne  ich  Schildenern  sah,  wie  hohes  Interesse 
mir  die  wenigen  Stunden  gaben,  die  ich  in  Unterhaltung  mit  Schwarz  zu- 
brachte. 

Diese  Erfahrungen  sind  Gewichte,  mit  denen  ich  wiege,  wie  viel 
Sicherheit,  das  Herz,  der  Freundschaft  ungefähr  geben  könne,  wenn  die 
Köpfe  noch  ungewiss  schweben.  Vielleicht  also  ist  auch  Berger  —  der 
edle  —  unstäte  —  mir  nur  eine  Zeitlang  abwesend,  —  denn  freylich, 
so  freundlich  er  mir  neulich  noch  geschrieben,  —  ich  denke  doch  mit 
einer  Art  von  Scheu  daran,  dass  ich  ihn  vielleicht  bald  hier  sehe.  —  Ist 
nicht  auch  Gries  mir  grossentheils  wiedergekehrt?  Es  war  mir  wohl  bey 
ihm  in  Göttingen,  recht  wohl!  ||  Und  mein  Karl?  Wäre  es  wohl  nun  noch 
möglich,  dass  wir  einander  fremd  würden?  O  es  ist  ein  herrlicher  Beweis 
von  dem  Bleiben,  dass  Ihr  mit  ihm  und  seinen  Brüdern  so  fortrückt.  — 
Lass  mich  hier  abbrechen,   sonst  finde  ich  kein  Ende. 

Ich  habe  noch  das  Bild  im  Sinne  von  dem  wunderschönen  Knaben, 
den  ich  beym  Durchgehn  zu  Rümlingen  sah,  —  und  von  dem  Du  mir 
schreibst,  dass  er  Dir  Freude  macht;  denn  es  ist  doch  hoffentlich  der- 
selbe. —  O   Eschen,  wie  sehr  wünsche  ich   Dir,  auch  solche  Erinnerungen 


I  cq  Mai,  Juni   1800. 


aus  der  Schweiz  mitzunehmen,  die  mit  dem  Fröhlichen  froh  sind,  und 
den  Traurigen  halten  und  heben.  Lieben  Freunde,  —  denn  es  gilt  Euch 
Beyden,   —   seyd  muthig,  bis  Ihr  es  errungen  habt! 

Seyd  muthig  auch,  wenn  Ihr  die  schweren  Gänge  des  Geistes  gehen 
wollt.  Herrlich,  dass  Ihr  es  wollt.  Es  ist  recht,  was  Du  darüber 
schreibst,  und  dass  Ihr  unter  einander  und  zu  mir  so  spracht.  Solche 
Herzensreinigungen  müssen  vorhergehn,  und  das  ßekenntniss  nicht  scheuen 

—  dann  kann  etwas  werden. 

Smidt  und  Thulesius  nehmen  Antheil.  Sie  haben  mich,  glaube  ich, 
verstanden,  und  haben  Prüfung  versprochen. 

Es  ist  noch  von  andern  gemeinschaftlichen  Unternehmungen  der 
Freunde  unter  uns  die  Rede  gewesen.  Von  einem  Erziehungswesen  im 
Grossen.     Es  ist  auch  von  3  Örtern  die  Rede  gewesen,  von  der  Schweiz, 

—  von  Bremen,  —  von  der  Insel  Rügen.  Es  ist  auch  mit  den  Frauen  *) 
davon  geredet  worden.  Wohl  zu  merken,  geredet.  Von  einer  Zeit  ist 
noch  nicht  geredet.  Wohl  aber  von  allerley  sehr  nöthigen  wissenschaft- 
lichen Vorbereitungen;  auch  von  Grund  und  Boden,  und  vom  Nerven  der 
weltlichen  Dinge.     Das  hat  uns  eben  nicht  geschreckt. 

—   —   Möchtet  Ihr?   —   — 
Wisst  Ihr  nun,    warum  ich   gerade  jetzt   überlege,    ob,    und  was,    und 
wie,  man  auf  die  Freundschaft  bauen  könne?   —  Euer  Herbart. 

120.  Gries  an  Steck.  Göttingen,  9.  Mai  1800. 
,,Herbaet   war   vor    einigen  Monaten   bei   mir.     In   den   zwei  Tagen  unseres 

Beisammenseyns  hat  er  mir  viel  erzählt,  viel  von  Dir.  Warnm,  0  mein  Theurer! 
konnte  er  mir  nicht  das  erzählen,  was,  seit  ich  Dich  kannte,  der  ganze  Wunsch 
meiner  Seele  war?  [Gemeint  ist  wahrscheinlich,  daß  Steck  ganz  nach  Deutschland 
ziehen  und  sich  der  Wissenschaft  widmen  sollte.]  Vergieb,  wenn  ich  dies  Gefühl 
so  zur  Unzeit  laut  werden  laße.  Aber  bei  Gott!  ich  begreife  Dich;  ich  ehre  Deine 
That,  u.  schweige." 

W.:    Lilienthal,    Ende   Mai:    „Zur    Kritik    der   Ichvorstellung."     Bd.  I.     S.  113— 114. 

121.  Smidt  an  seine  Schwester  Frau  Doctorin  Castendyk  in  Bremen.2) 

Juni  1800. 

—  Wir  arbeiten  alle  sehr  fleißig  —  Herbart  oben  ich  unten  u.  im  Garten  — 

sind  nur  beym  Trinken  u.  bey  Tisch  zusammen  dann  aber  auch  sehr  froh.  —  Am 

Donnerstag  kommt   unsere   literarische   Gesellschaft  mit   der   Oldenburgischen   eine 

Stunde  diesseit  Elsfleth  zusammen. Herbart  geht  heute  hinein  u.  kommt  morgen 

früh  wieder  heraus  —  er  wird  diesen  Abend  bei  Eichter  Oelrichs  seyn  —  aber  in 
unserem  Hause  schlafen.  —  Solltest  Du  nicht  Lust  haben  Morgen  mit  ihm  heraus 
zu  gehen? 

122.  Ziemssen  an  H.3)  Bern,  d.  3.  Junius  1800. 
Segelken  ist  angekommen,    und  hat  seine  Stelle  angetreten,    weshalb   ich    eile 

Dir  etwas  specielleres  darüber  mitzutheilen.  —  Aber  wenn  ich  Dir  alles  das  schreiben 
könnte,    was   ich   vor   und  hauptsächlich   nach  dem  Empfange  Deiner  letzten  —  in 

1)  S.  o.  S.  139  Arnn. 

2)  S.  Bd.  I,  S.  XXXIV. 
:i)  14  S.  8°.     H.  W. 


Juni   1800.  ki 

Bremen  geschriebenen  —  Briefe  gleichsam  für  und  an  Dich  gedacht  habe,  so 
würdest  Du  lange  zu  lesen  haben,  denn  der  größte  Theil  meiner  besten  Gedanken 
kreißt  noch  immer  nur  um  Dich.  Da  ich  aber  bis  jetzt  noch  keinen  geschickten 
Nachschreiber  für  solche  Gedankenflüge  habe  ausfindig  machen  können,  so  werde 
ich  auch  heute  wohl,  wie  es  uns  ja  so  oft  geht,  mit  dem  schlechtesten  nachkommen. 

—  Dem  ungeachtet  bist  Du  doch  noch  nicht  außer  Gefahr  dismal  einen  %u  langen 
Brief  von  mir  zu  erhalten.    Du  magst  ihn  Dir  selber  in  mehrere  kleinere  zertheilen. 

—  Doch  zur  Sache.  Eschen  und  ich  bemüheten  uns,  —  wie  ich  es  Dir  in  meinem 
letzten  Brief  e  versprach,  —  als  Steigers  nachEiggisberg'gingen,  ihre  Selbstbeschäftigungen 
so  gut,  als  möglich,  zu  organisieren.  Eschen  ging  gleich  darauf  auch  aufs  Land  und 
ließ  die  Knaben  von  Zeit  zu  Zeit  zu  sich  kommen,  oder  ging  zu  ihnen,  und  ich 
suchte  ebenfalls  alle  8  oder  14  ||  Tage  bey  ihnen  zu  seyn,  um  ihre  Arbeiten  durch- 
zusehen und  zu  lenken,  und  sie,  wenn  es  nöthig  war,  fortzuhelfen.  Dis  gelang 
uns  so  wohl,  daß  wir  sie  die  mehrste  Zeit  in  gutem  Zuge  hatten,  und  daß  weder 
Hr.  Steiger  noch  seine  Frau  jemals  klagten,  und  daß  sie  beyde  alle  Mühe  anwandten, 
uns  die  Arbeit  zu  erleichtern,  und  unsern  Aufenthalt  bey  ihnen  angenehm  zu 
machen;  und  ich  muß  gestehen,  daß  es  mir  oft  recht  sehr  wohl  bey  ihnen  war. 

Ehe  nun  Dein  und  Segelkens  Brief  an  Steiger  ankam,  wodurch  St —  von  S — s 
gewissem  Kommen  benachrichtigt  wurde,  schrieb  Otth  mir  aus  Jena,  daß  weder 
Brohme,  noch  der  Gothaner,  noch  Stolze  usw.,  sondern  daß  Segelken  aus  Bremen 
kommen  werde,  (den  Du  und  Böhlendorf  gewählt  hättest,)  wenn  Hr.  St.  seine  Ein- 
stimmung erst  gegeben  habe;  denn  obgleich  Du  unbeschränkte  Vollmacht  von  ihm 
hättest,  so  müßten  sie  doch  seine  Einwilligung  erst  erwarten.  Du  selbst  würdest 
das  genauere  über  Segelken  schreiben,  wenn  Du  erst  von  ihm  die  gewisse  Nachricht 
erhalten  hättest,  daß  er  kommen  werde.  Er  (Otth)  aber  glaube  nicht,  daß  St — 
Deinen  Brief  erwarten,  sondern  daß  er  S —  ohnedem  gleich  kommen  lassen  würde. 
So  äußerst  unbestimmt  war  der  ganze  Brief,  der  mehr  als  dieses  nicht  enthielt.  —  | 
Ich  ging  mit  demselben  zu  Eschen,  wir  überlegten  hin  und  her,  (denn  Steiger  war 
schon  in  Eiggisberg),  was  wir  St—  dabey  rathen  könnten.  Mir  fiel  besonders  auf, 
daß  Du  noch  erst  genauere  Nachrichten  geben  wolltest,  anstatt  ihn  gleich  bestimmt 
zu  engagiren;  und  daß  Otth  doch  kein  Wort  davon  schrieb,  was  Segelken  prästiren 
könne  und  wolle.  Also,  dachte  ich,  wird  er  den  Platz  vielleicht  nur  bis  auf  einen 
gewissen  Punkt  ausfüllen  können,  worüber  Du  erst  mit  St —  correspondiren  wolltest; 

—  und  wie  konnten  wir  oder  Steiger  denn,  ohne  im  mindesten  von  Segelken  zu 
wissen,  darüber  entscheiden?  —  Warum  war  an  S —  nicht  gleich  gedacht,  warum 
erst  nach  Stolze,  den  weder  Eschen  noch  ich  dazu  im  geringsten  fähig  glaubten?  — 
Vielleicht,  dachte  ich,  nimmt  man  ihn  im  Fall  der  Noth,  weil  das  Licht  auf  die 
Finger  brennt.  Aber  dafür  (sagte  Eschen  sowohl,  als  ich,  und  würde  St.,  wenn  wir 
ihm  alles  so  lebhaft  geschildert  hatten,  als  wir  es  selbst  voraussahen.  —  auch  ge- 
sagt haben,)  mag  es  lieber  noch  bleiben,  als  es  ist.  Dazu  kam  noch,  daß  ich  in 
Jena  einen  S —  aus  Bremen  entfernt  gekannt  hatte,  den  ich  aber  für  einen  schwachen 
und  unbedeutenden  Menschen  halte.  —  Unbedingt  durften  wir  St.  also  wenigstens 
nicht  zurathen.  —  Wir  gingen  nach  Eiggisberg  lasen  den  Brief  vor,  und  H.  St. 
wußte  eben  so  wenig  Eath,  als  wir.  ||  Indem  wir  hier  so  miteinander  überlegten, 
fiel  mir  ein  Mittelweg  ein,  der  allgemein  angenommen  wurde.  Hienach  schrieb  ich 
Otth,  wenn  Du  Segelken  selbst  gewählt  hättest,  und  Du  und  Deine  Freunde  ihn  hiezu 
vollkommen  tüchtig  fänden,  so  möge  er  Segelken  in  Steigers  Namen  bitten  so  bald 
als  mögi.  zu  kommen.  Sollte  S —  aber  die  Foderungen  dieser  Stelle  nur  bis  auf 
einen  geiuissen  Punkt  erfüllen  können  —  weshalb  Du  noch  mit  Steiger  sprechen 
wolltest,  —  und  solltest  Du  ihn  also  nur  im  Nothfall  zu  nehmen  entschlossen  seyn; 


jo  Juni   1800. 

so  müßte  H.  St.  seine  Entscheidung  bis  zu  dem  Empfang  Deines  Briefes  verschieben. 
Um  aber  den  Sinn  dieses  Entschlusses  desto  klarer  zu  machen,  unsre  Jenaischen  Freunde 
selbst  in  den  Stand  zu  setzen  über  Segelkens  Geschicklichkeit  für  diese  Stelle  zu 
urtheilen,  und  ihnen  die  Sache  etwas  angelegener  und  wichtiger  zu  machen,  als  sie  sie 
zu  behaudeln  schienen,  fügte  ich  noch  eine  kurze  Schilderung  der  hauptsächlichsten 
Erfoderniße  für  Deinen  künftigen  Nachfolger  hinzu.  Als  das  erste  und  unumgäng- 
lich notwendigste  gab  ich  eine  nicht  geringe  Fertigkeit  in  der  griechischen  und 
lateinischen  Sprache  an,  weil  dis  die  Hauptlectionen  für  Karl  u.  Rudolph  seyn 
würden.  Diesem  suchte  ich  die  richtige  Bedeutung  durch  die  Angabe  dessen,  \\ 
was  sie  hierin  gethan  und  wie  weit  sie  es  gebracht  hätten,  zu  geben.  —  Wenn  S — 
in  der  Mathematik,  fügte  ich  hinzu,  seine  Stelle  ganz  ausfüllen,  und  den  Unterricht 
darin  gleich  übernehmen  wolle,  so  dürfe  er  auch  schon  nicht  ganz  schwach  seyn, 
weil  Du  Ludwig  darin  ebenfalls  ziemlich  weit  gebracht  hättest;  wobey  ich  wieder 
angab,  auf  welchem  Punkte  er  ungefähr  stehe.  —  Wenn  Segelken  aber  nur  im 
Griechischen  u.  Lateinischen  ganz  Genüge  leisten  könne,  so  ließen  sich  in  Hinsicht 
auf  die  Mathematik  wohl  solche  Einrichtungen  treffen,  daß  er  den  Unterricht  darin 
wenigstens  nicht  gleich  übernehmen  dürfe;  und  ich  sey  desto  mehr  versichert  H.  St. 
werde  sich  hierüber  leicht  beruhigen,  weil  ihm  Brohme,  der  auch  nicht  fertig  in 
der  Mathematik  sey,  sehr  willkommen  gewesen  seyn  würde;  —  und  das  noch  desto 
eher,  je  mehr  andre  Vollkommenheiten  und  Kenntnisse  Segelken  mitbringen  werde. 

—  Der  übrige  Theil  werde  sich  eher  nach  S — s  Kentnissen  modificiren  lassen.  — 
Hiezu  fügte  ich  dann  noch  einige  Nachrichten  über  die  Vollkommenheiten  u.  Eigen- 
schaften die  für  S. —  als  Mensch,  für  diese  Stelle  unentbehrlich  seyn  würden;  — 
und  bat  Otth  von  allem  diesen  einen  weisen  Gebrauch  zu  machen. 

Kurz  nachdem  ich  diesen  Brief  abgesandt  hatte,  kam  Dein  und  Segelkens  Brief 
an  Steiger  an,  wonach  ich  vermuthen  mußte  daß  Segelken  eher  abreisen  werde,  als 
Otth  meinen  Brief  erhalten  könne,  der  nun  ohnehin  überflüssig  schien.  —  Eschen 
und  ich  lachten  herzlich  darüber,  daß  Otth  sich,  nun  an  diesen  schönen  Dingen 
allein  amüsiren  könne.     Aber  zum  Unglück  oder  Glück  —  was  es  von  beyden  war 

—  kam  mein  Brief  in  Jena  am  Tage  vor  Segelkens  Abreise  an;  und  Otth  scheint 
ihn  so  wenig  dem  wahren  Sinn  desselben  gemäß  zu  gebrauchen  gewußt  zu  haben, 
daß  er  wieder  seinen  Willen  Segelken  dadurch  zu  den  Entschluß  brachte,  die  Stelle 
aufzugeben,  weil  er  in  der  Mathematik  fast  nichts  leisten  könne.  Sey  dis  allein  der 
Grund  gewesen,  oder  sey  es,  daß  mein  Brief  ihm  (Segelken)  die  Sache  überhaupt 
etwas  ernsthafter  und  wichtiger,  als  Böhlendorf  —  der  es  nach  Otth  wiederhohlten 
Äußerungen,  sehr  oberflächlich  und  leicht  darstellte,  —  geschildert,  und  ihm  deshalb 
etwas  Herzpochen  gemacht  habe;  —  Genug  S —  schlug  die  Stelle  jetzt  wirklich  aus, 
und  Otth  brachte  ihn  nur  nach  mehreren  Tagen  mit  vieler  Mühe  dahin,  bey  seinem 
vorigen  Entschluß  zu  bleiben  und  abzureisen;  weshalb  ich  Steiger  von  der  ganzen 
Sache  nichts  gesagt  habe,  um  ihm  nicht  ein  ungünstiges  Vorurtheil  gegen  S—  bey- 
zubringen.  —  Mir  schreibt  Otth  nun  aber  Briefe,  die  beynahe  das  Ansehen  haben, 
als  wenn  ich  in  der  Sache  zu  viel  gethan  hätte,  und  Deinem  Nachfolger  unbilliger 
Weise  Schwierigkeiten  in  den  Weg  legen  wollte;  worin  er  mir  übrigens  die  Moral 
ließt,  und  mich  um  eine  günstige  Aufnahme  für  S —  bittet.  || 

Endlich  ist  Segelken  selbst  am  Sonntage  vor  8  Tagen  Abends  spät  hier  angelangt, 
und  zwar  zu  erst  —  wie  ich  es  mir  ausgebeten  hatte  —  zu  mir  gekommen.  —  Du 
kannst  Dir  wohl  denken  mit  welchen  wohlwollenden  Wünschen  und  mit  welchem 
innigen  Verlangen,  ihn  in  seine  ganze  neue  Lage  hineinzuversetzen,  und  für  den 
erwartenden  Kreis  vorzubereiten,  ich  ihm  entgegen  kam,  und  wie  sehr  ich  mich 
deshalb   bemühte,   ihn   so  gefällig  und  aufrichtig  als   möglich  zu  empfangen.  —  Er 


Juni   1800.  1  r  3 

war  wirklich  der  Segelken  den  ich  in  Jena  gesehen  hatte;  aber  selbst  sein  Äußeres 
hatte  sich  so  verändert,  daß  ich  schon  bey  dem  ersten  Anblicke  fast  nicht  mehr  an 
den  Jenaischen  Segelken  dachte,  und  ihm  als  einen  neuen  Menschen  von  dem  ich. 
nichts  als  gutes  gehört  hatte  entgegenging.  Dem  ungeachtet  machten  unsre  ersten 
Zusammenkünfte  einen  sehr  unangenehmen  Eindruck  auf  mich,  wovon  ich  Dir  noch 
einiges  erzählen  muß,  um  Dir  ein  neues  Beyspiel  zu  geben,  wie  unglücklich  es  aus- 
fällt, wenn  man  nicht  seiner  Natur  getreu  bleiben  will,  und  glaubt  etwas  scheinen 
zu  müssen  was  man  nicht  ist,  und  deshalb  eine  bloße,  und  noch  dazu  unnatürliche 
Bolle  spielt.  —  Fasse  aber  deshalb  kein  Vorurtheil  gegen  ihn,  weil  ich  ja  nicht 
davon  rede,  wie  ich  glaube,  daß  er  ist,  sondern  wie  er  mir  diesmal  erschien. 

Ich  beredete  ihn  den  Montag  hier  in  Bern  noch  auszurasten,  um  wenigstens 
einen  Tag  allein  und  ungestört  mit  ihm  hinzubringen.  |] 

0  Du  theurer,  edler  Freund,  den  ich  meinen  einzigen  Bruder  nennen  möchte, 
jeder  Moment,  den  ich  mit  Dir  verlebte,  ist  mir  ewig  theuer,  aber  oft  denke  ich. 
mit  dem  frühesten  und  dankbarsten  Herzen  gegen  Dich  daran,  was  Du  mir  hier  in 
der  ersten  Zeit  meines  Hierseyns  warst,  wie  ich  so  nach  und  nach  alles  in  Dir 
fand,  was  ich  schon  kaum  noch  zu  finden  hofte,  und  wie  Dein  reiner,  schon  ge- 
prüfter Enthusiasmus  mich  belebte  und  begeisterte,  und  meinen  wilden  Eifer  für 
meinen  neuen  Kreis,  womit  ich  hieher  kam,  läuterte  und  auf  den  rechten  Punkt 
hinlenken  half.  Vergib  es  mir  deshalb  noch  jetzt,  wenn  Du  es  damals  vielleicht 
nicht  ganz  konntest,  daß  ich  mich  so  an  Dich  drängte;  es  war  nicht  freyer  Entschluß 
bey  mir,  sondern  es  war  die  aus  Dir  athmende  Kraft  der  Wahrheit  und  Hoheit, 
die  mich  zu  Dir  hinxog.  —  Die  reinste,  innigste  Freundschaft,  womit  ich  je  einen 
Menschen  zu  umfassen  fähig  bin,  macht  Dir  in  meinem  Herzen  wohl  keiner  auf 
dieser  Erde  je  mehr  streitig!  Ohne  Dich  wäre  ich  nicht,  was  ich  bin,  und  werde. 
Dir  selbst  konnte  ich  wohl  sehr  wenig  seyn,  aber  wenn  ich  je  andern  Menschen 
etwas  zu  werden  vermag,  so  nimm  das  als  die  aufrichtigsten  Gaben  meiner  innigsten 
Dankbarkeit  gegen  Dich  an  —  deshalb  wünschte  ich  aus  doppeltem  Grunde  einen 
kleinen  Theil  von  dem,  was  Du  so  überschwänglich  über  mich  ausgoßt,  unserm 
neuen  Freunde  mittheilen  gekonnt  zu  haben.  —  Doch  vergib  ich  wollte  Dir  nur 
erzählen,  und  bin  zu  weit  vom  Wege  abgeirrt,  aber  wovon  das  Herz  voll  ist  geht 
uns  der  Mund  über,  u.  wovon  könnte  das  meine  voller  seyn,  als  von  Dir.  —  || 

Hier  mußte  ich  gestern  abbrechen,  ich  war  zu  voll  und  zu  bewegt,  als  daß 
ich  ruhig  den  historischen  Faden  hätte  fortspinnen  können;  deshalb  versuche  ich 
heute  Dir  das  Weitere  von  Segelken  zu  erzählen. 

Um  ihn  freyer  und  ofner,  und  unsre  Unterhaltungen  leichter  und  fließender 
zu  machen,  führte  ich  ihn  am  Montag  Morgen  gleich  zum  Thore  hinaus.  Er  bat 
mich  um  die  versprochenen  Nachrichten,  und  mit  Vergnügen  suchte  ich,  das  Ge- 
spräch um  diese  Gegenstände,  um  seine  künftigen  Zöglinge,  Deine  Plane  für  sie, 
seine  ganze  künftige  Lage,  und  die  Erziehung  überhaupt  herumzulenken.  Er  ließ 
sich  zwar  auf  manches  ein,  aber  ohne  ein  großes  Interesse  daran  zu  zeigen.  Aus 
seinem  ganzen  Benehmen  leuchtete  eine  zurückstoßende  Kälte,  und  ihm  unnatürlich 
scheinende  Festigkeit  oder  vielmehr  Unbiegsamkeit  hervor,  wobey  er  von  Rücksicht 
nehmen  auf  andrer  Ansichten,  und  nothwendigem  Bequemen  nach  Convenienzen 
nichts  wissen  zu  wollen  schien,  obgleich  er  nicht  offenbar  den  Anschein  davon 
haben  wollte.  Du  kannst  leicht  denken,  daß  meine  Forderungen  in  dieser  Hinsicht 
nicht  leicht  zu  weit  gehen  werden,  denn  Du  weißt,  wie  wenig  ich  von  Convenienz- 
menschen  halte;  aber  eben  so  wenig  kann  ich  es  billigen,  wenn  ein  Mensch  ohne 
alle  Klugheit  mit  seinem  eigensinnigen  Kopfe  hineinrennen  will  in  einen  solchen 
Kreis.  —  So  z.  B.  fand  S —  nachdem  ich  ihm  den  Hn.  St—  selbst  sowohl,  als  auch 


ICa  Juni   1800. 

den  Ludwig  geschildert  und  wir  lange  über  sie  geredet  hatten,  es  dennoch  kleinlich 
(u.  Gott  weis  was  ||  noch  mehr)  daß  es  nicht  rathsam  seyn  würde  Rousseau  oder 
Voltaire  mit  Ludwig  zu  lesen.  -  Ferner,  als  wir  von  Hr.  St —  sprachen,  und  ich 
ihm  sagte,  der  Mann  wäre  zwar  durchaus  Herr  im  Hause,  und  auch  in  der  Er- 
ziehung, aber  es  würde  dennoch  nicht  übel  seyn,  wenn  es  wenigstens  den  Schein 
nicht  hätte,  als  wenn  man  sich  um  Sie  durchaus  nicht  bekümmerte;  so  hielt  er 
sich  über  ein  solches  Schein  haben  auf  eine  so  empfindliche  Art  auf,  daß  ich  Mühe 
hatte,  die  Sprache  wieder  zu  gewinnen.  Dergleichen  kam  alle  Augenblicke  vor,  und 
Du  kannst  denken,  wie  mir  dabey  zu  Muthe  ward.  —  Alles  nahm  er  als  Kleinig- 
keiten auf  u.  eilte  mit  einer  stolzen  Seichtigkeit  und  unerträglichen  Kälte  darüber 
weg,  wodurch  sein  Umgang  äußerst  peinlich  ward.  —  Wäre  er  mir  ein  ganz  fremder 
Mensch  und  nicht  Dein  Nachfolger  gewesen,  so  hätte  ich  ohne  Zweifel  an  dem  ersten 
Versuch  genug  gehabt,  und  mich  nicht  viel  mehr  um  ihn  bekümmert.  Aber  jetzt 
suchte  ich  mich  nicht  aus  der  Fassung  bringen  zu  lassen,  und  bemühete  mich  ihn 
so  liebreich,  als  irgend  möglich  zu  behandeln,  und  ihm  immer  klarer  zu  zeigen, 
wie  rein  meine  Absicht  sey.  Wenn  es  mir  hiedurch  auch  nicht  gelungen  seyn  sollte 
seine  Zuneigung  zu  gewinnen,  so  hoffe  ich  wenigstens  meinen  eigentlichen  Zweck, 
ihn  für  seine  neue  Lage  vorzubereiten,  und  in  dieselbe  hineinzuversetzen,  nicht 
ganz  verfehlt  zu  haben.  Da  ich  im  Gegentheil  fürchte,  daß,  wenn  er  so  als  er  hier 
in  Bern  bey  mir  ankam,  bey  St.—  angekommen  wäre,  er  vielleicht  ||  Eindrücke  ge- 
macht und  Dinge  gethan  haben  würde,  deren  ungünstige  Folgen  ihm  vielleicht  lange 
im  Wege  gestanden  hätten.  Sehr  lieb  sollte  es  mir  seyn,  wenn  ihm  meine  Unter- 
haltungen die  Sache  auch  etwas  wichtiger  gemacht  und  näher  ans  Herz  gelegt  hätten. 
—  Ist  er  denn  wirklich  der,  den  wir  suchten,  so  wird  er  mir  in  der  Zukunft  eher 
dafür  danken,  als  zürnen;  und  ist  er  der  nicht,  was  liegt  mir  dann  an  seinem 
Wohlwollen?  — 

Am  Dienstag  Morgen  fuhr  ich  mit  ihm  zu  Eschen,  bey  dem  wir  den  Morgen 
hinbrachten,  der  sich  auch  bemühte  ihm  die  nöthigen  Nachrichten  mitzutheilen,  auf 
den  er  aber  fast  eben  den  Eindruck  machte,  den  er  auf  mich  gemacht  hatte.  Gegen 
Mittag  fuhren  wir  zu  Steigers,  wo  alle  so  recht  waren,  daß  es  einem  wohl  bey 
ihnen  werden  mußte.  Hr.  Steiger  war  äußerst  natürlich  und  wohlwollend  und 
empfing  Segelken  so  schön,  als  man  je  einen  Menschen  empfangen  kann;  aber  S — 
blieb  kalt  und  steif,  wodurch  er  manchmal  wirklich  grob  schien;  so  daß  ich  mich 
alle  Augenblicke  seinethalben  in  Verlegenheit  fühlte,  und  mir  immer  zu  Muthe  war 
als  wenn  ich  ihm  nachhelfen  und  für  ihn  reden  sollte.  Ich  weiß  es  sehr  wohl,  und 
fühle  es  oft  am  besten  an  mir  selbst,  wie  wenig  es  allen  Menschen  gegeben  ist, 
gleich  gefällig  und  zuvorkommend  zu  sein ;  aber  ich  glaube  doch,  daß  man  es  einem 
Menschen  wohl  bald  ansehen  kann,  wenn  ein  wahres  Bestreben  danach  in  ihm  ist, 
obgleich  es  ihm  an  der  Kunst,  es  geschickt  an  den  Tag  zu  legen  fehlen  mag;  — 
und  hie  von  zeigten  sich  in  ihm  wenig  Spuren;  obgleich  ||  er  es  wahrscheinlich  nur 
mit  Gewalt  vorsätzlich  zurückdrängte.  —  Steiger  bemerkte  alles  dieses  weniger  als 
Eschen  und  ich,  weil  er  mit  sich  selbst  beschäftigt  war,  und  schien  es  für  bloße 
Blödigkeit  und  Ungewohntheit  der  neuen  Lage  zu  nehmen;  aber  Eschen  und  mir 
ward  herzlich  bange.  —  Und  Dir,  lieber  Herbart,  wird  während  dem  Lesen  vielleicht 
ebenso  bange  geworden  seyn.  Aber  sey  deshalb  nur  ruhig,  es  ziehen  sich  ja  manche 
dunkle  Wolken  zusammen,  ohne  daß  das  gefürchtete  Ungewitter  folgt,  und  desto 
mehr  erfreuen  wir  uns  dann  der  wiederkehrenden  Sonne;  so  freue  Du  Dich  auch 
jetzt  mit  uns  der  bessern  Aussichten,  die  sich  uns  eröfnen.  —  Denn  wahrscheinlich 
war  es  größtentheils  nur  eine  falsche  Vorstellung  von  seiner  hiesigen  Lage,  und 
von  der  Art,    wie  er   hier  auftreten  müßte,   was   ihn   in   jener   unangenehmen  ver- 


Juni  1800.  155 

drehten  Gestalt  erschienen  machte,  und  seine  natürliche  Kälte  und  Steifheit  ver- 
mehrte, wodurch  er  sich  dagegen  schützen  zu  wollen  schien,  daß  er  sich  ja  nichts 
vergeben  möchte;  welcher  Gedanke  überhaupt  sehr  in  ihm  zu  herrschen  scheint. 
—  Denn,  als  er  8  Tage  in  Riggisberg  gewesen  war,  kam  er  wieder  zu  mir,  und 
war  gar  nicht  mehr  der  vorige.  Er  setzte  sich  nicht  so  gewaltig  mehr  in  Positur, 
seine  Kälte  und  angenommene  Festigkeit  war  nicht  mehr  so  drückend,  und  er  war 
in  seinem  ganzen  Wesen  wieder  natürlicher,  freyer  und  ofner  und  deshalb  auch 
angenehmer  und  unterhaltender.  Eben  das  hatte  auch  Eschen  bemerkt.  —  Steiger 
ist  sehr  zufrieden  und  unterhält  die  besten  Hofnungen  in  ihm  seinen  rechten  Mann 
gefunden  ||  zu  haben.  —  Die  Kinder  freuten  sich  sehr  auf  S — s  Ankunft  und  kamen 
ihm  mit  gutem  Vertrauen  entgegen,  so  daß  S —  seinen  Kreis  gewiß  so  schön  als 
möglich  vorbereitet  findet.  In  Hinsicht  des  Unterrichts  und  der  ganzen  Erziehung 
haben  wir  es  zu  bewürken  gesucht,  daß  Segelken  sich  so  viel  möglich,  wenigstens 
fürs  erste  an  die  bestehenden  Einrichtungen  und  Deinen  ganzen  Plan  anschließt, 
wovon  die  Kinder  dir  selbst  wohl  mehreres  geschrieben  haben  werden  und  wovon 
ich  Dir,  so  bald  ich  mich  selbst  davon  genauer  unterrichtet  habe,  auch  genauer  zu 
schreiben  gedenke.  In  der  griechischen  und  lateinischen  Sprache  ist  S —  nach 
seiner  Aussage  sehr  fertig,  aber  in  der  Mathematik  weiß  er  nichts,  welches  den 
Hn.  Ldv.  Ludwigs  wegen  sehr  zu  beunruhigen  schien;  weshalb  ich  mich  bemühte 
ihnen  zu  zeigen,  wie  man  nicht  alles  von  einem  Menschen  erwarten  könne,  und  daß 
Ludwig  auch  in  andern  Wissenschaften  als  Geschichte  usw.  fortgeholfen  werden 
müßte,  und  nicht  immerfort  Mathematik  zur  Hauptsache  machen  könnte,  um  ihn 
aber  noch  mehr  zu  beruhigen,  habe  ich  es  mit  S[inner]s  Einwilligung  übernommen, 
Ludwigs  Selbstbeschäftigungen  in  der  Mathematik  noch  den  Sommer  über  zu  lenken 
und  mir  Rechenschaft  darüber  geben  zu  lassen,  da  ich  doch  oft  zu  Eschen  gehe 
und  dann  nahe  bey  Riggisberg  bin;  bis  zum  Winter  denkt  S —  sich  selbst  hinein- 
zustudiren. 

Über  Deinen  Brief  an  Segelken  sagte  er  mir,  daß  er  ihm  sehr  angenehm 
gewesen  sey,  und  daß  er  ihn  schon  in  einem  in  Deutschland  noch  an  Dich  ge- 
schriebenen Brief  größtentheils  gleichsam  im  voraus  beantwortet  habe;  ich  bot  ihm  an 
einen  Brief  an  Dich  ||  zu  besorgen,  aber  er  hat  keinen  geschickt.  —  Dasjenige  in 
Deinem  Briefe  an  ihn,  worüber  ich  ihn  zum  Nachfragen  bringen  sollte,  weiß  ich 
in  nichts  anders  zu  finden  als  in  der  Anspielung  auf  unsere  Verbindung;  aber  grade 
das  fürchte  ich,  wird  ihm  das  anstößigste  in  Deinem  ganzen  Briefe  gewesen  seyn. 
Sein  ganzes  Betragen  gegen  mich  und  Eschen  zeigt  deutlich  genug  darauf  hin,  daß 
er  wünscht  wir  möchten  die  Hände  aus  dem  Spiele  lassen.  Anstatt  uns  anzuhören 
und  recht  freundschaftlich  mit  uns  zu  überlegen,  wozu  wir  ihm  denn  doch  wenigtens 
Kentnisse  der  Umstände  und  mancherley  Erfahrungen  entgegenbrachten,  scheint  ihm 
nichts  lieber  zu  sein,  als  wenn  wir  uns  nun  fernerhin  gar  nicht  um  seinen  Kreis 
bekümmern  wollten,  damit  er  sich  ja  nichts  gegen  uns  vergebe,  und  es  ja  nicht  den 
Anschein  habe  als  wenn  er  unsrer  Hülfe  und  Lenkung  bedürfe.  Ich  will  mich 
freuen,  wenn  wir  uns  geirrt  haben,  denn  hätte  ich  recht  gesehen,  wäre  dis  wirklich 
der  Behelf  des  kleinlichen,  eigensüchtigen  Menschen  bey  ihm,  so  wäre  an  eine 
engere  Freundschaft  mit  ihm  nicht  zu  denken.  —  Oder  glaubst  Du  vielleicht,  daß 
wir  es  nur  dumm  mit  ihm  angefangen  hätten,  und  die  Schuld  also  nur  an 
uns  liege?  — 

Karl  sagte  mir,  er  verstehe  Deinen  Brief  nicht  ganz,  weshalb  ich  einiges  davon, 
nachdem  ich  ihn  selbst  vorher  darüber  hatte  nachdenken  lassen,  mit  ihm  zusammenlaß 
und  durchsprach.  Doch  glaube  ich  nicht,  daß  Du  eben  in  einer  andern  Sprache 
an  ihn  schreiben  darfst;   er  wird  Dich  so  gewiß   sehr  gut  verstehen  können;   aber 


156  Juni  i8°°- 

Du  weißt  wie  er  manchmal  vor  Kleinigkeiten  stehen  bleibt,  hauptsächlich  wenn  sie 
ihm  neu  sind ;  dagegen  wird  er,  Deine  Briefe  zu  verstehen,  auch  gewiß  alle  mögliche 
Mühe  aufbiethen. 

P.  S.  Hier  mußte  ich  schließen,  weil  die  Post  abgehen  will,  obgleich  ich  meinen 
Brief  kaum  halb  geendigt  habe.  Ich  hatte  Steigers  versprochen  heute  zu  schreiben, 
und  muß  deshalb  wenigstens  ihre  Briefe  absenden;  ich  war  ungewiß  ob  ich  meinen 
halben  Brief  beylegen  sollte  oder  nicht,  nim  ihn  hin,  in  ein  paar  Tagen  hast  Du  die 
andere  Hälfte,  die  von  Steigers  und  Eschen  handelt.  In  Eschen  (?)  habe  ich  mich 
nicht  geirrt,  u.  ||  freue  mich  auf  die  Stunden  die  ich  noch  mit  ihm  verleben  werde. 
Mit  Steigers  geht  es  ziemlich  gut,  d.  h.  Ldv.  u.  d.  Fr.  Ldvtin  geben  uns  Beweise 
ihrer  Zufriedenstg.     Hpts.  geht  es  mit  Karl  u.  Ludwig  gut. 

Ich  habe  nicht  Zeit  meinen  Brief  durchzulaufen ;  Du  mußt  vielleicht  an  einigen 
Stellen  Dich  aufs  rathen  legen,  denn  er  ist  schnell  geschrieben.       Dein  Th.  Z. 

123.    Ziemssen  an  H.1)    (Fortsetzung.) 

Auf  meinem  Gartenzimmer  bey  Bern,  d.  9.  Juny  1800. 

Mit  welchem  innigen  Interesse  ich  an  der  Natur  hänge,  wie  unzertrennlich 
ich  mich  mit  ihr  verkettet  fühle,  und  wie  ich  so  ganz  in  ihr,  ihrer  Schönheit  und 
Größe  lebe,  —  wird  Dir,  mein  Geliebtester,  in  den  Tagen  unsers  Umgangs  vielleicht 
weniger  bemerkbar  geworden  seyn,  weil  der  Mensch,  der  reine,  edle  Mensch  und 
hauptsächlich  der  Freund  mir  doch  ohne  Vergleichung  über  alles  nahe  und  theuer 
ist,  so  daß  ich  an  Deiner  Seite  im  Leben  mit  Dir,  selbst  die  Natur  hätte  vergessen 
können.  Aber  jetzt  da  der  einzige  mit  dem  ich  hier  jetzt  eigentlich  zusammenlebe, 
unser  Eschen  Stundenweit  von  mir  entfernt  ist,  würde  ich  es  nicht  aushalten,  be- 
ständig zwischen  den  hohen  Steinmassen,  —  die  mich  wie  eine  botanische  Presse  die 
junge  Pflanze  zu  zerdrücken  drohen,  —  eingeschlossen  zu  seyn ;  während  mein  Busen 
ahndet,  welche  Herrlichkeit  draußen  lebt.  —  Deshalb  habe  ich  mir  hier  etwas  über 
die  Enge  hinaus  auf  dem  Wege  nach  Reichenbach  eine  halbe  Stunde  von  Bern, 
vielleicht  in  der  reitzensten  Gegend,  die  ganz  Bern  umgibt,  ein  kleines  Zimmer  für 
den  Sommer  gemiethet. 2)  Hier  bin  ich  nach  beyden  Seiten  hin  von  der  sich  hier 
äußerst  schön  schlängelnden  Aar  umgeben,  welches  mir  auf  den  vielen  herlichen 
Spatziergängen  und  den  romantischen  Plätzchen,  die  ich  hier  nach  allen  Seiten  hin 
finde,  die  Aussicht  auf  die  Schneeberge,  den  Jura  und  die  andern  nähern  oder 
fernem  Gebürge,  Thäler  und  Gefilde  unendlich  verschönert.  —  Hier  bringe  ich  fast 
alle  schönern  Abende,  und  bisweilen  auch  Nächte,  Morgen  und  ganze  Tage  ||  im 
stillern,  schönern  Leben  hin.  Hier  finde  ich  mich  selbst  aus  dem  Gewirr  meiner 
Arbeiten  wieder,  und  hier  suche  ich  meinen  Geist  zu  einem  höhern  Kreise  zu  er- 
heben. — 

Gestern  Abend  kam  ich  von  Burgdorf  zurück,  wo  ich  einige  Tage  mit  Pestalozzi 
ganz  allein  zugebracht  habe,  um  seinen  Plan  ganz  zu  durchdringen  und  mich  mit 
ihm  darüber  so  viel  als  möglich  zu  verständigen.  Aber  darüber  ist  Dein  Brief  bis 
jetzt  liegen  geblieben,  und  ich  fürchte  vor  der  Vollendung  noch  einige  male  so 
unterbrochen  zu  werden;  Du  magst  ihn  dafür  eben  so  stückweise  lesen,  als  ich 
ihn  schrieb. 

Pestalozzis  Ideen  zur  Verbesserung  der  Erziehung  glaube  ich  jetzt  so  ziemlich 
in  ihrem  ganzen  Umfange  und  Zusammenhange  gefaßt  zu  haben;  so  weit  er  nemlich 
selbst  schon  ist,  und  so  weit  es  ihm  möglich  war  einem  andern  verständlich  zu 
werden,  wozu  weder  er,  noch  ich  die  Mühe  gespart  haben;  und  jetzt  glaube  ich  das 

»)  6  S.  8°  mit  12  S.  8°  Einlage  und  6  S.  8°  Nachtrag  =  24  S.  8°.     H.  Wien. 
2)  Jetzt  Pension  Jolimont. 


Juni    1800.  1  cy 

herliche  Gebäude  wenigstens  in  der  Idee  ziemlich,  zur  Einheit  vollendet  vor  mir  zu 
sehen,  wovon  ich  mit  Dir  zusammen  zuerst  einige  schöne  Stücke  im  Chaos  herum- 
liegen sah.  Aber  ob  wir  hoffen  dürfen,  daß  Pestalozzi  sich  nicht  unter  der  Arbeit 
notwendiger  Weise  vor  der  Vollendung  wird  aufreiben  müssen,  oder  wenn  das 
nicht  ist,  ob  ihm  nicht  der  gänzliche  Mangel  an  Kenntnissen  diese  Vollendung  un- 
möglich machen  wird,  und  ob  es  ihm  überdem  nicht  an  Vermögen  sich  dem  Publi- 
kum verständlich  zu  machen  fehlen  wird,  weiß  ich  wahrlich  nicht.  Vielleicht  finde 
ich  bald  einmal  Gelegenheit  Dir  einiges  genaueres  von  ihm  mitzutheilen,  u.  viel- 
leicht gibt  er  selbst  bald  etwas  darüber  heraus,  wovon  ich  ihn  bis  jetzt  abhielt,  weil 
es  noch  nicht  gereift  genug  war.  || 


Deine  Idee  einer  Verbindung  von  Freunden  zu  jenem  herlichen  Würken, 
der  Erziehung  unsrer  Jüngern  Brüder,  worüber  Du  mich  und  Eschen  befragst,  hat 
uns  beyde  ergriffen,  und  volle  Zustimmung  in  uns  gefunden.  *)  Lieber,  theurer  Her- 
bart, wir  haben  uns  gefunden  und  erkannt,  unser  Ziel  ist  dasselbe,  und  unser  Eifer 
harmonisch;  sollten  wir  nicht  mit  Recht  wünschen,  unsre  Kräfte  auf  einem  Punkte 
zu  vereinigen,  um  so  in  Verbindung  und  Übereinstimmung  vielleicht  etwas  wichtiges, 
entscheidendes  zu  würken ;  anstatt  sie  wir  sonst  vielleicht  zerstreut  halb  im  Kampfe 
mit  einer  schlechten  Umgebung  und  wiederstrebenden  Einfassung  und  halb  an  — 
für  Einen  allein  —  unausführbaren  Versuchen  verlieren  könnten?  Und  wie  könnten 
wir  sonst  die  herlichen  Früchte  der  Freundschaft  so  erndten,  als  wenn  uns  unser 
Beruf  selbst  schon  Arm  in  Arm  verschlungen  fortführte?  Ich  wenigstens  wüßte 
mir  kaum  ein  schöneres  Ideal  für  mein  künftiges  Leben  zu  schaffen,  als  an  Deiner 
und  unsrer  Freunde  Seite  fortzudenken  und  kräftig  zu  würken  füi  unmittelbare 
Bildung  und  Veredlung  der  Menschheit.  Welche  Wahrheit  und  sinvolle  Bedeutung 
müßten  hier  unsre  höhern  Arbeiten  nicht  erhalten,  wozu  uns  dann  eine  Verbindung 
von  selbst  entgegenkäme,  und  wozu  äußere  Freyheit  und  ein  schöneres  Leben  uns 
aufmuntern  und  begeistern  würden?  — 

Ich  habe  so  oft  und  viel  an  diese  Ideen,  an  ihre  Eealisirbarkeit  und  die 
Besiegung  der  Hindernisse  gedacht,  daß  mir  beynahe  ||  zu  Muthe  ist,  als  wäre  unser 
Bund  dafür  schon  geschlossen;  und  daß  ich  Dir  unmöglich  jetzt  schon  davon 
schweigen  kann. 

Ich  denke,  Du  hast  die  Idee  in  ihrer  ganzen  Größe  und  in  ihrem  umfassendsten 
Umfange  im  Auge  gehabt,  als  Du  sie  uns  mittheiltest.  Du  hast  Dir  also  wahr- 
scheinlich auch,  wie  ich  gedacht,  daß  unser  Institut,  zwar  nicht  gleich  im  Entstehen, 
aber  doch  nach  einiger  Zeit,  wenn  es  in  seiner  vollen  Größe  dastände,  sich  nicht 
bloß  auf  gewisse  Jahre  der  Erziehung,  sondern  auf  die  ganze  Erziehung  von  der 
zartesten  Kindheit  an  bis  zur  vollen  Beendigung  derselben  erstrecken,  und  also 
Schule,  Gymnasium  und  Universität  zugleich  in  sich  schließen  würde.  —  Welchen 
Würkungskreis  könnten  wir  uns  dadurch  verschaffen!  und  was  könnte  auf  dieser 
AVeise  nicht  aus  der  Erziehung  werden!  —  Wir,  die  wir  uns  engei  für  diesen 
Zweck  verbänden,  würden  zuerst  selbst  im  kleinen  anfangen;  wir  würden  einige 
wenige  Knaben  selbst  gemeinschaftlich  unterrichten  und  erziehen,  wozu  unsre  jetzigen 
Zöglinge  vielleicht  am  besten  den  Grund  legen  könnten;  nach  und  nach  würden  wir 
mehrere  hinzunehmen,  sie  in  verschiedene  Abtheilungen  bringen,  und  uns  Gehülfen 

x)  Über  Th.  Ziemssen  (1777—1843)  vgl.  All.  D.  Biogr.  Bd.  45,  S.  201  ff.  Nur 
ist  dort  zu  berichtigen,  daß  H.  nicht  sechs  Jahre  als  Hauslehrer  in  der  Schweiz 
gelebt  hat.  Auch  stimmt  die  Darstellung  über  die  Errichtung  eines  pädagogischen 
Instituts  mit  dem  hier  Mitgeteilten  nicht  überein. 


158  Juni  I8°°- 

suchen,  die  mit  und  unter  uns  arbeiteten,  und  das  mehr  mechanische  besorgten, 
ohne  daß  sie  deswegen  eben  genauer  an  uns  gebunden  seyn  dürften;  wir  würden 
uns  selbst  solche  Gehülfen  bilden,  und  auch,  wo  möglich,  den  Kreis  ||  unsrer  eng- 
verbundenen Freunde  zu  vergrößern  suchen;  und  mit  der  Zeit  würden  wir  uns  von 
den  mehr  mechanisch  fortgehenden  Arbeiten  zur  unmittelbaren  Besorgung  der 
höheren  Klassen  zurückziehen ;  obgleich  die  unteren  Klassen  auch  immer  nach  unsern 
Ideen  und  gleichsam  durch  unsre  Hände,  aber  nur  mittelbar  besorgt  würden. 

Die  hiezu  enger  verbundenen  Freunde  müßten  aber  auch  alle  wahre  innige 
Freunde  unter  einander,  und  alle  voll  reinem  Enthusiasmus  und  Kraft  für  diesen 
Zweck  seyn.  Es  könnte  niemand  in  das  Bündniß  aufgenommen  werden,  der  sich 
nicht  selbst  für  alle  Mitglieder  und  für  den  nicht  wiederum  jedes  einzelne  Mitglied 
sich  innerlich  eine  auf  wahre  Überzeugung  gegründete  feste  Garantie  leisten  könnte; 
damit  keinem  diese  Verbindung  zu  lästig  würde,  damit  keiner  sie-  je  bereuen,  oder 
die  Welt  mit  Recht  über  getäuschte  Hofnungen  schreien  dürfte.  —  Alle  müßten 
für  diesen  Zweck  in  Wahrheit  nur  Eine  Seele  seyn;  alles  müßte  gemeinschaftlich 
geprüft  werden ,  und  nur  das  höchste  aus  dem  Geiste  aller  dürfte  entscheiden.  — 
Wer  zu  einer  solchen  Verbindung  zu  engherzig  wäre,  wer  nur  eignen  Ideen  folgen, 
oder  gar  nur  eignen  Ruhm  erringen  wollte,  taugte  für  uns  nicht.  Wir  wären  alle 
zusammen  nur  Eins,  und  unser  Verdienst  wäre  nur  gemeinschaftlich.  — 

Du,  theurer  Herbart,  wärst  der  Edle  und  Kraftvolle,  dem  ich  zu  einer  solchen 
Verbindung  zuerst  meine  Hand  entgegenstrecken  ||  möchte,  und  gerne  würden  wir 
gewiß  beyde  unsern  Eschen,  den  ich  täglich  mehr  liebe  und  achte,  in  unsrer  Mitte 
haben.  —  Andern,  die  sich  unserm  Kreise  nähern  möchten,  würde  ich  mit  ofner 
Unbefangenheit  entgegentreten;  aber  mit  ihnen  verbinden  würde  ich  mich  erst 
nach  genauerer  Bekanntschaft  und  Prüfung:  und  so,  hoffe  ich,  denkt  ein  jeder  von 
uns.  —  Smidt  und  Thulesius  wären,  nach  Deinem  Briefe  zu  urtheilen,  wahrschein- 
lich sehr  für  uns  geeignet.  Aber  gesezt  wir  drey  müßten  auch  zu  erst  allein  die 
Grundsteine  legen,  würdest  Du  selbst  dazu  nicht  einschlagen  ?  Denn  Du  weißt  ja, 
je  größer  man  anfängt,  desto  eher  scheitert  man.  Freylich  müßte  unser  Kreis 
nachher  größer  werden,  aber  dazu  hoffe  ich  fänden  wir  dann  unter  unsern  Freunden 
auch  wohl  Rath.  —  Doch  jetzt  endlich  wünschte  ich,  daß  wir  diese  Idee  nicht  un- 
nöthiger  Weise  sehr  weit  bekannt  machten,  weil  uns  das  theils  Hindernisse  bereiten, 
theils  allerhand  Erwartungen  erwecken  könnte.  — 

Auf  diese  Weise  könnten  wir  dann  vielleicht  vereint  in  dem  Felde  etwas 
entscheidendes  würken,  wo  die  Hülfe  am  notwendigsten  ist;  und  in  demselben  ein 
Licht  verbreiten,  das  den  Pfuschern  ihr  Handwerk  legen  und  manchen  Edlern  zum 
thätigen  und  segensvollern  Handeln  erwecken  würde.  Denn  alle  meine  Erfahrungen 
und  hauptsächlich  jetzt  noch  Pestalozzis  herliches  Würken  bestätigen  mir  es,  wie 
unendlich  viel  man  durch  Erziehung  thun  kann,  und,  ||  und  wie  unendlich  weit  man 
grade  hierin  zurück  ist.  Und  ich  fühle  das  lebendigste  Treiben  in  mir,  diesen 
drückenden  Mangel  heben  zu  helfen.  —  Durch  Pestalozzi  ist  übrigens  gewiß  ein 
entscheidender  Schritt  für  die  erste  Erziehung  gethan;  aber  er  beschränkt  sich  auf 
die  niedern  Klassen  und  ich  weiß  nicht,  ob  es  ihm  gelingen  wird,  seine  Ideen  ganz 
zu  realisiren  und  richtig  darzustellen.  Sollte  er  unsre  Verbindung  noch  erleben,  so 
schloße  er  sich  gewiß  gerne  auf  der  einen  oder  andern  Art  an  uns  an,  und  könnte 
uns  durch  seine  tiefen  psychologischen  Kenntnisse  unendlich  wichtig  werden. 

Du  siehst  aus  allem  diesen,  mein  Theurer,  daß  mich  diese  Idee  nicht  blos  auf 
den  ersten  Anblick  bezauberte,  sondern  daß  es  mir  wahrer  Ernst  damit  ist,  daß  ich 
sie  schon  von  mancherley  Seiten  durchdachte,  und  im  Ganzen  sehr  reitzend  und 
meinen  Wünschen  und  Zwecken  äußerst  angemessen  fand,  die  wenigen  individuellen 


Juni   1800.  15g 

Hindernisse,  die  mir  besonders  bey  der  Ausführung  im  Wege  stehen  würden,  hofte 
ich  auch  wohl  zu  besiegen.  —  Liegt  Dir  diese  Sache  denn  ebenso  sehr  am  Herzen, 
als  mir,  und  stimmen  Deine  Ansichten  davon  mit  den  meinigen  überein;  so  laß  uns 
diese  Idee  noch  etwas  länger  festhalten,  und  ernstlicher  und  umfassender  betrachten; 
daß  uns  unsre  Gedanken  über  dieselbe  und  die  Art  ihrer  Realisirung  einander  mit- 
theilen, und  uns  vorläufig  für  dieselbe  zu  organisiren  versuchen,  und,  so  lange  wir 
sie  noch  nicht  wieder  aufgegeben  haben,  um  die  nöthigen  ||  Kenntnisse  und  Hülfs- 
mittel  dafür  so  bemühen,  als  wenn  wir  gleichsam  schon  beschlossen  hätten,  sie  aus- 
zuführen. — 

Die  Natur  würde  unsre  Verbindung  wohl  nirgends  so  sehr  begünstigen,  als 
eben  in  der  Schweiz,  obgleich  sonst  vielleicht  auch  andre  Gründe  für  Deutschland 
seyn  würden.  Doch  müßte  es  nach  meiner  Ansicht  immer  ein  schönes,  stilles 
Plätzchen,  und  ja  keine  große  Stadt  seyn,  also  etwa  Rügen,  der  Harz,  das  Erz- 
gebirge usw.  — 

So  sitze  ich  hier  in  meiner  Gartenlaube  der  vom  dicken,  vollen  Grün  so  un- 
aussprechlich schön  begrenzten,  und  in  romantischen  Krümmungen  fortrausch enden 
Aar  gegenüber,  und  träume  mir  wenigstens  ein  herliches  Leben  und  Würken ;  und 
Du,  mein  Theurer,  nimmst  stets  die  erste  Stelle  in  diesen  Bildern  ein;  0  möchte 
das  Schicksal  mich  doch  bald  wieder  in  Deine  Arme  führen,  um  an  Deiner  Seite 
edler  und  frober  leben  zu  können!  Freilich  erlaubt  mir  die  Gegenwart,  —  obgleich 
sie  an  trüben  und  schweren  Tagen  auch  nicht  fehlen  läßt,  —  doch  auch  schon 
manches  heiliche  Blümchen  zum  Kranze  eines  schönern  Lebens,  in  der  ebenso  er- 
habenen, als  reitzenden  Natur,  in  meinen  Arbeiten  mit  meinen  Knaben  so  wohl, 
als  für  mich  allein,  und  an  der  Seite  meines  Eschen  —  zu  pflücken;  aber  deine 
Gegenwart  würde  mir  selbst  das  Schöne  noch  zum  Schönsten  erheben! 


Jetzt  endlich  auch  noch  ein  paar  Worte  über  Pestalozzi  zufolge  Deiner  be- 
stimmten Aufforderung,  denen  ich  ein  eignes  Blatt  widmen  will,  um  mich  weder  in 
dem  Faden  meines  andern  Briefes  unterbrechen,  noch  warten  zu  dürfen,  bis  darin 
die  Reihe  daran  kommen  kann. 

Zuvörderst  muß  ich  Dir  aber  sagen,  daß  ich  seit  meinem  Aufenthalte  in  Rüm- 
ligen  natürlicher  Weise  weit  weniger  um  Pestalozzis  Thun  und  Treiben  wissen  kann, 
als  ich  es  sonst  in  Bern  konnte,  theils  weil  ich  ihn  fast  nie  sehe  und  zu  entfernt 
bin,  um  ihn  in  Burgdorf  besuchen  zu  können,  theils  weil  ich  hier  zu  sehr  meinen 
eignen  Beschäftigungen  und  Angelegenheiten  nachhing,  um  ihm  unter  jenen  Hinder- 
nissen immer  mit  gleich  lebhaftem  Interesse  nachfolgen  zu  können,  was  ich  mir  bis 
künftigen  Winter  aufsparte,  wo  dann  schon  mehrere  Theile  des  Gebäudes  dastehen 
müßen,  die  man  sich  jetzt  noch  mit  vieler  Mühe  aus  dem  immer  noch  nicht  ganz 
bestimmt  abgezeichneten  Plane  —  in  der  Idee  aufführen  muß.  Doch  will  ich  ver- 
suchen Dir  vorläufig  einiges  mitzutheilen,  wovon  sich  vielleicht  in  der  Anivendung 
Gebrauch  machen  ließ;  wenn  ich  Dir  erst  einiges  im  aDgemeinen  auf  die  Äuße- 
rungen Deines  letzten  Briefes  geantwortet  habe,  um  darüber  wieder  Antwort  von 
Dir  zu  erhalten. 

Pestalozzis  Ankündigung  in  der  allgem.  Zeitung  habe  ich  nicht  gelesen;  aber 
daß  Du  Dich  verwundern  kannst,  daß  P.  |j  Dir  danach  etwas  einseitig  vorkömt,  be- 
greife ich  nicht.  — 

Lieber  Freund,  hast  Du  diese  Überzeugung  nicht  schon  von  unserm  ersten 
Besuch  bey  ihm,  und  aus  Fischers  Brief  mitgenommen  V  Wie  wäre  es  auch  mög- 
lich,  daß  ein  Mensch  wie  P.  bey  aller   seiner  Größe   unter  den  Umständen,   worin 


160  Juni  l8o°- 

er  lebte,  und  bey  der  gänzlichen  Unbekan tschaft  mit  allem,  was  vor  ihm  in  dieser 
Hinsicht  haupts.  in  neuern  Zeiten  in  Deutschland  gedacht  und  würklich  geleistet 
ist,  nicht  einseitig  in  mancher  Hinsicht  seyn  sollte ;  obgleich  er  groß  und  umfassend 
in  seiner  Einseitigkeit  ist.  —  Diese  Einseitigkeit  ist  es  eben,  wogegen  ich  so  lange 
bey  ihm  ankämpfte,  (welches  er  freylich  mit  Dauk  annahm  und  oft  benutzte,)  aber 
deren  Besiegung  ich  doch  endlich  bey  ihm  unmöglich  sah,  weil  sie  eben  sein  Wesen 
bildet.  Auch  fehlt  es  ihm  und  seinen  Gehülfen  würklich  mannigfaltig  am  Hinter- 
grunde der  nöthigen  Kenntniße,  weshalb  Du  selbst  von  dem,  was  würklich  geleistet 
werden  wird,  keine  Vollendung  erwarten  darfst.  —  Endlich  hat  er  gewiß  mehr  den 
Unterricht,  als  das  Ganze  der  Erziehung  im  Auge,  und  geht  hauptsächlich  auf  Be- 
friedigung der  Bedürfniße  des  Unterrichts  für  die  Jüngern  Kinder  und  die  niedre 
Volksklasse  aus. 

Theurer  Herbart,  das  alles  fällt  also  würklich  weg,  Du  betrogst  Dich  also  in 
der  That  in  Deinen  Erwartungen  von  dem,  was  P.  leisten  würde,  und  ich  theile 
Deine  Trauer  darüber,  obgleich  ich  mich  in  der  Nähe  weniger  täuschen  konnte. 
Aber  dafür  freue  Du  Dich  dann  auch  wieder  mit  mir,  ||  denn  es  bleibt  doch  in 
der  That  noch  immer  vieles. 

Pestalozzi  ist  ein  Mensch,  der  eben  durchs  Leben  selbst  der  Natur  manches 
ihrer  Geheimniße  entlockte,  weil  er  seinem  Wesen  nach  bey  der  reinsten,  innigsten 
Menschenliebe  und  bey  dem  unermüdeten  Streben  für  das  Wohl  seiner  Brüder  zu 
würken  fast  in  beständigen  Kampfe  mit  allen  Menschen  und  ihren  Einrichtungen 
lag.  Seine  Größe  ist  also  eigentlich  (natürlich  außer  der  Anlage  dazu),  wenn  ich 
so  sagen  darf,  erlebt,  und  selbst  seine  Principien  sind  nicht  auf  philosophischem 
Wege,  sondern  fast  blos  durch  das  Leben  selbst  in  ihm  erweckt;  weshalb  er  eigent- 
lich auch  nur  einen  A\eg  zu  ihnen  hinauf,  aber  keinen  von  ihnen  hinab  kennt.  — 
Er  sagte  mir  noch  diesen  Winter:  „Freund,  die  Sache  führt  auf  eine  Höhe  und  zu 
Resultaten,  wovon  ich  nichts  geahndet  habe;  ich  wollte  im  Anfange  nichts  weiter, 
als  etwas  besser  im  Lesen,  Schreiben  und  Rechnen  schulmeistern."  — 

Dazu  fehlt  es  ihm  ganz  an  dem  Vermögen  etwas  zu  überschauen,  und  zu  einer 
umfassenden  Vollendung  durchzuführen.  Deshalb  könnte  man  wohl  mit  Recht  von 
ihm  sagen,  was  man  von  den  Franzosen  gesagt  hat:  sie  taugen  gut  eine  Revolution 
anzufangen,  aber  damit  müßten  sie  dann  sich  begnügend  das  Werk  in  andre  Hände 
zum  Fortwachsen  und  reifen  übergeben. 

Aber  auch  selbst  in  diesen  engen  Grenzen  bleibt  dieser  edle  Kämpfer  und 
sein  erkämpftes  Gebiet  uns  gewiß  noch  sehr  wichtig.  || 

Was  sind  doch  unsre  Anfangspunkte  des  Unterrichts?  Auf  der  einen  Seite 
sinlose,  herkömliche  Pedanterie,  die  ihre  Nase  nicht  über  den  Schulstaub  hinaus- 
steckt, und  auf  der  andern  Seite  das  Produkt  unsers  schlaffen  Zeitalters  alberne 
Spielerey  ohne  Consequenz  und  festes  Ziel. 

Pestalozzi  war  doch  der  erste,  der  mit  Ernst  und  Umfassung  sinnvoll  die  Idee 
auch  für  den  allgemeinern  Unterricht,  und  selbst  für  die  niedern  Stände  auszuführen 
suchte;  wirklich  vom  Anfange  anzufangen  und  von  daraus  unsrer  Natur  gemäß 
allmählich,  aber  mit  stetem  harmonischen  Ineinandergreifen  aller  Theile  hinaufzu- 
steigen. —  Er  drängt  den  Anfang  des  Unterricht  (so  wie  es  mit  der  ganzen  Er- 
ziehung geschehen  muß,)  gleichsam  bis  zum  ersten  Erblicken  des  Tageslichtes  zurück. 
Aber  dabey  soll  nicht  blos  auf  gut  Glück  hin  ausgestreut  werden,  (wie  es  unsre 
tändelnden  Herrn  Pädagogen  doch  eigentlich  nur  im  Sinne  haben),  sondern  alles 
soll  übereinstimmend  zusammenwürken ,  um  das  große  Gebäude  um  den  Zentral- 
punkt in  uns  aufzuführen,  der  eben  hiedurch  zugleich  zur  intensiven  Kraft  und 
Größe  gelangen  soll.  —  Dabey  fängt  der  Unterricht  nach  ihm  nicht  mit  abstrakten 


Juni   1800.  l6l 

Begriffen  an,  sondern  geht  wirklich  von  der  Anschauung  (worin  alle  Anfangspunkte 
fest  und  unvergeßlich  begründet  werden  sollen)  aus,  und  steigt  erst  von  daraus  zu 
Begriffen  hinauf.  Unsere  neuern  Pädagogen  fühlten  dasselbe  Bedürfnis,  das  P. 
hierauf  leitete,  aber  sie  wußten  nicht  denselben  Weg,  ihm  abzuhelfen,  aufzufinden. 
Sie  sahen  das  ungereimte  in  der  Methode  ein,  Kinder  Dinge  zu  lehren,  wovon  sie 
gar  ||  nichts  eigentlich  verstehen  konnten,  weshalb  viele  auf  die  kluge  Idee  fielen, 
Kinder  nichts  zu  lehren,  was  nicht  vorher  bis  auf  den  kleinsten  Punkt  hin  erklärt  wäre, 
goßen  so  den  Kindern  die  sonst  kräftige  Arzeney  so  sehr  mit  Wasser  verdünnt  ein, 
daß  sie  alle  Consistenz  und  mithin  alle  Kraft  verlor,  und  den  Magen  so  sehr  über- 
schwemmte, daß  sie  nichts,  als  Ekel  zurückließ.  —  Wenn  der  Unterricht  nach 
Pestalozzis  Methode  in  allen  seinen  Anfangspunkten  von  der  Anschauung  ausgeht, 
wozu  haupts.  das  Buch  für  die  Mütter,  oder  für  die  erste  Kindheit  dienen  soll,  so 
gebraucht  es  hier  gar  keines  weitläuftigen  Erklärens,  sondern  an  dem,  was  ihnen 
vor  Äugen  liegt  wird  ihnen  blos  alles,  was  sie  würklich  sehen,  benant,  (z.  B.  Zahl, 
Form,  Lage,  Verhältniß,  Farbe  u.  s.  w.)  und  durch  öfteres  wiederhohlen  und  selbst 
nachsagen  unvergeßlich  eingeprägt.  Die  Abstraktion  des  Allgemeinen  hieraus  und 
die  Anfangspunkte  für  alles  Weitere  knüpfen  sich  hieran  gleichsam  von  selbst,  und 
die  Methode  selbst  reißt  gleichsam  schon  von  einer  Stufe  zur  andern  fort.  Es  wird 
deu  Kindern  von  allem  erst  das  Einzelne  gegeben,  und  unvergeßlich  gemacht; 
leicht  knüpft  sich  dann  an  dem  tief  eingeprägten  immer  ein  neuer  Zuwuchs  nach 
dem  andern.  Hiedurch  wird  dann  zugleich  alles  so  genannte  Sokratisiren  verbannt, 
womit  man  aus  Kindern  Ideen  hervorzulocken  suchte,  ohne  daß  dieselben  in  ihnen 
liegen  konnten,  und  oft  durch  gleiche  Freude  überrascht  wurde,  wie  die  Alchemisten, 
wenn  ihre  Composition  ihnen  das  Gold  in  ihrem  Tiegel  ausschied,  was  sie  selbst 
hineingelegt  hatten.  Und  welches  Heil  wäre  auf  diesem  Wege  je  für  Volkserziehung 
zu  hoffen  gewesen?  —  Das  Wachsen  unsrer  wirklichen  Kentniße  und  unsrer  Bil- 
dung durch  dieselben  geht  nach  P.  ||  größtentheils  einen  dem  Wachsthum  der  phy- 
sischen Natur  ähnlichen  mechanischen  Gang,  und  wenn  wir  diesem  durch  Benutzung 
der  vorhandenen  Kunstmittel  und  durch  Ordnung  unsers  ganzen  Unterrichts  zu  Hülfe 
kommen,  so  kommen  wir  wahrhaft  der  bildenden  Natur  zu  Hülfe.  Kann  man 
diesen  Mechanismus  dem  Lehrer  als  Mechanismus  in  die  Hände  legen,  wie  P.  es  zu 
thun  hofft,  so  kann  fast  jeder  Esel  unterrichten,  wenn  er  nur  will;  und  kann  nicht 
nur  nicht  schaden,  sondern  muß  nützen.  So  hängt  denn  der  Zögling  nicht  mehr 
von  der  Schiefheit  und  Einseitigkeit  des  Lehrers  ab,  und  ist  nicht  auf  dessen  Be- 
schränktheit, sondern  höchstens  nur  auf  dessen  guten  Willen  beschränkt.  Daß  P. 
hiemit  bestimmt  nur  (unmittelbar)  auf  die  Bildung  der  niedern  Volksklassen  hin- 
arbeiten wolle,  hörten  wir  ja  schon  bey  unsrer  ersten  Zusammenkunft  mit  ihm  aus 
seinem  eignen  Munde.  Popularisirung  der  Wissenschaften,  Einführung  einer  Unter- 
richtsmethode, wonach  fast  der  aller  Unwissenste  bey  etwas  gutem  Willen  unter- 
richten könne,  und  haupts.  Rückgabe  dieser  Anfangspunkte  dieses  Geschäfts  in  die 
Hände  der  Mütter  und  derer  die  ihre  Stelle  vertreten  oder  ausfüllen  helfen#  mit 
der  Möglichkeit  sie  nach  der  vorgeschriebenen  Methode  und  gelieferten  oder  zu- 
liefernden Hülfsmittel  ohne  große  Mühe  verwalten  zu  können,  —  sahen  wir  ja  damals 
selbst  als  die  Hauptzwecke  von  P.s  Bemühungen  an;  (mit  der  Hofnung  hierin  auch, 
außer  dem  allgemeinen  Interesse,  das  dieses  für  uns  haben  mußte,  auch  manche 
Belehrung  für  unsre  besondern  Plane  zu  finden,  und  vielleicht  manches  Pflänzchen 
von  hieraus  auch  auf  unsern  höhern  ||  Boden  zu  versetzen  und  einbürgern  zu  können ; 
oder  wenigstens  durch  das  Forschen  dieses  Naturmenschen  auf  manche  Punkte  auf- 
merksamer gemacht  zu  werden). 

Herbarts  Werke.     XVI.  ll 


1(5  2  Jun*  1800. 

Du  redest  in  Deinem  Briefe  von  der  ■weltbürgerlichen  Notwendigkeit  einer 
verbesserten  Erziehung,  welche,  wie  Du  sehr  richtig  hinzusetzt,  weit  mehr  die  obern 
Stände  und  die  reifern  Alter  angeht.  Diese  ist  es  eben  für  deren  Befriedigung  das 
Herz  mir  im  Busen  am  feurigsten  schlägt,  wozu  mein  ganzes  Interesse  nach  dem 
eignen  Standpunkt  sich  hinneigt,  und  welche  ich  stets  als  den  Gegenstand  unsrer 
Pläne  und  Ideen  im  Auge  hatte.  —  Aber  eben  darum  ist  mir  jede  harmonische  Be- 
mühung eines  andern  für  die  Befriedigung  der  Bedürfniße  des  Volksunterrichtes  von 
doppeltem  Werthe.  —  Die  rohen  Naturkörper  wiederstreben  in  ihrem  Umtriebe  eben 
am  empfindlichsten  und  unbesiegbarsten  dem  bildenden  Geiste.  Das  Volk  ist  noch 
ein  roher  Naturkörper,  und  ehe  es  nicht  nur  bezwungen,  sondern  über  diesen  Stand 
erhoben  ist,  sind  wir  nicht  gesichert,  daß  unser  Gebäude  nicht  mehr  oder  weniger 
auf  einen  verdächtigen  Boden  gestellt  werde,  dessen  tobende  Umwälzungen  es 
wieder  zerstören  und  verschlingen  könnten.  —  Tiefere  Einsicht  leitet,  wenn  sie 
natürlich  und  wahr  ist,  zu  höherem  Sinn*  und  umfassend'rer  Überblick  gibt  weiteres 
Interesse*  mit  beyden  geübte  können  emporheben  zu  welthürgerlicher  Thätig- 
keit.  —  Kann  P.  den  Gang  einleiten,  die  dieses  dem  Volke  verrammelnden  Schranken 
einzustürzen,  und  die  eingefallenen  Wege  wieder  aufzuräumen  und  die  neuen  anzu- 
bahnen; welch  ein  Gewinn  ||  für  die  Menschheit!  Welche  Hülfe  jedem,  der  etwas 
für  höhere  Erziehung  leistet,  die  gesegneten  Folgen  davon  zuzusichern ! 

Die  Zahl  dieser  Wege  vollzählig  zu  machen,  und  ihren  Bau  zu  vollenden, 
bleibt  das  Werk  der  Zeit,  wenn  nur  ihre  ursprüngliche  Kichtung  nicht  gleich  falsch 
ist;  und  davon  kann  ich  mich  bey  P.  nicht  überzeugen.  Ein  mehreres  hierüber, 
wenn  P.s  Bücher  in  Deinen  Händen  liegen;  und  dann  selbst  durch  Einwürfe  oder 
Nachfrage  hirzu  veranlaßen  willst. 

Daß  namentlich  das  dreyfache  ABC.  nicht  nur  Vervollkommnungen  und  viel- 
leicht gänzliche  Umarbeitungen  wird  erleiden  müßen,  sondern  auch  nicht  so  all- 
umfassend und  allbefriedigend  ist,  darüber  bin  ich  vollkommen  mit  Dir  einverstanden; 
aber  dennoch  wirst  Du  hoffentlich  bey  genauerer  Bekanntschaft  und  Überlegung 
finden,  daß  es  nicht  blos  so  ganz  kleine  Bedürfniße  im  Fundamentalunterricht 
ängstlich  befriedigt,  und  daß  die  Idee  derselben  doch  wirklich  weiter  im  ersten 
Unterricht  bringt,  und  deshalb  noch  ernstlicher  in  Verbindung  mit  dem  ganzen  Felde 
erwogen  und  benutzt  zu  werden  verdient.  —  (Daß  zum  Schall  noch  die  musikalischen 
Töne  gehörn  davon  habe  ich  P.  schon  lange  geredet  und  überzeugt,  weshalb  auch 
hierüber  wahrscheinlich  etwas  von  ihm  und  seinen  Gehülfen  ausgehen  wird.)  End- 
lich zweifelst  Du,  daß  der  Unterricht  nach  P.  nicht  in  das  gehörige  Verhältniß  zur 
Erziehung  treten  werde.  —  Ich  denke  Erziehung  hier  besonders  für  Bildung  des 
Charakters  nehmen  zu  müßen,  und  stimme  vollkommen  mit  Dir  überein  zu  ver- 
langen, daß  Unterricht  ||  und  Erziehung  fast  identisch  iverde.  Aber  wir  reden  hier 
von  der  frühen  Kindheit,  und  da  möchte  ich  denn  doch  wohl  lieber  sagen,  der 
Unterricht  müße  sich  gleichsam  unmerklich  in  den  (natürlich  zugleich  erziehenden) 
Umgang  einmischen,  als  jede  Lehrstunde  müße  zugleich  erziehen,  welches  für  spätere 
Jahre  ganz  richtig  seyn  kann. 

Das  allerwürksamste  für  Charakterbildung  der  Jugend  ist  gewiß  ein  mit  sich 
fortreißender  Enthusiasmus  derjenigen,  in  deren  Hände  diese  Bildung  ruht.  Strenge 
und  Consequenz  in  allem  was  auf  die  zu  bildenden  Kinder  Einfluß  hat  und  haupts. 
in  allem,  was  von  ihnen  verlangt  wird,  giebt  ihnen  ebenfalls  für  diese  Eigenschaften 
Sinn  und  übt  sie  ihnen  an;  aber  fehlt  dem  Erzieher  dabey  das  Herz,  so  bildet  er 
doch  nur  Krüppel;  er  hat  ihnen  die  Kräfte  gegeben,  aber  ohne  Kenntniß  ihres 
Zwecks  und  ohne  Sinn  für  ihren  Gebrauch.  Ein  Herz  nur  bildet  ein  Herz;  das 
Herz  erwärmt,   begeistert  und   bildet  in  Vereinigung   mit  jenen   angeübten  Kräften 


Juni    1800.  j6? 

den  Zögling  zum  Tugendhaften,  zum  Menschen.  Die  ersten  Jahre  der  Kindheit  sind 
hiefür  gewiß  wichtiger,  als  man  noch  immer  glauben  will;  daher  die  Wahrheit  des 
Sprichworts:  Der  Apfel  fällt  nicht  weit  vom  Stamm.  Die  Tendenz  der  ganzen  Familie 
bildet  auch  die  Tendenz  des  Kindes.  Somit  lassen  sich  hierin  mit  keiner  neuen 
Methode  Riesenschritte  thun;  aber  dennoch  ließe  sich  durch  sie  vielleicht  manches 
für  das  Festpflanzen  des  positiven  Guten  thun,  (welches  doch  schon  immer  ein 
wichtiger  Schritt  wäre),  theils  durch  ||  Verbindung  zu  jener  Strenge  und  Consequenz, 
theils  durch  manche  eigends  dafür  erdachte  Mittel  (deren  Aufsuchen  unsre  neuern 
Pädagogen  beschäftigt),  die  um  ihrer  Benutzung  gewißer  zu  seyn,  dem  Unterricht 
eingewebt  oder  zur  Sache  des  Unterrichts  gemacht  werden  müßten.  Doch  sehe  ich 
dieses  für  die  frühern  Jahre  nur  als  einen  Notbehelf  ad  interim  an,  bis  man  von 
bessern  Eltern  bessere  Erziehung  im  allgemeinen  erwarten  dürfte,  wo  dann  alles 
mehr  blos  dem  Umgange  eingewebt  werden  müßte;  für  spätere  Jahre  aber  würde 
ich  es  z.  B.  in  den  Schulen  als  etwanige  Ausfüllung  der  in  der  vorhergehenden  Er- 
ziehungsperiode gelassenen  Studien  u.  Verbesserung  der  dadurch  entstandenen  Übel; 
oder,  wenn  dieser  Mangel  nicht  Statt  gefunden,  als  wirkliches  Fortschreiten  auf  dem 
angebahnten  Wege  und  trete  es  dann  ein,  daß  jede  Lehrstunde  in  allen  Fällen,  wo 
es  möglich  wäre,  im  allereigentlichsten  Sinne  erziehend  seyn  müßte.  Aber  wie? 
Diese  Aufgabe  wirfst  Du  mir  hin  gleichsam  als  Prüfstein,  was  Du  von  mir  erwarten 
dürftest.  Theurer  Freund,  diese  Aufgabe  praktisch  zu  lösen  ist  das  Hauptziel  unsrer 
pädagogischen  Bemühungen  gewesen,  und  eben  der  Punkt,  wodurch  unsre  Weise 
sich  von  der  gemeinen  schied  (und  wie  wir  hoffen  über  sie  erhob)  lag  hierin;  und 
demnach  stelle  ich  mich  jetzt  in  meiner  ganzen  Blöße  vor  Dir,  und  gestehe,  daß 
ich  Dich  nicht  verstehe;  ||  aber  nicht  engherzig  daherstolzirend,  sondern  um  Dich 
weiter  zu  hören,  Dir  nach  zulauschen  und  dadurch  meine  Ansicht  zu  erweitern  oder 
wenigstens  zu  berichtigen.  Oft  liegt  etwas  in  einem,  und  ringt  um  die  Geburt,  das 
dann  beym  leisen  Druck  von  Freundeshand  hervorspringt;  vielleicht  geht  es  mir 
jetzt  ebenso.  Ich  sehe  nemlich  nicht,  wie  man  hier  etwas  objektives,  wie  sonst  beym 
Unterricht  festsetzen  könnte,  welches  Du  doch  zu  fordern  scheinst.  Es  ist  hier 
nicht  nur  von  bloßer  Form  die  Rede  (oder  meinst  Du  auch  die  eigentlichste 
Materie?),  wovon  eben  derjenige  Theil,  der  durchaus  in  dem  Vermögen  und  Willen 
des  lehrenden  Subjekts  begründet  seyn  muß,  hier  würken  soll,  wovon  sich  also  wohl 
Ideale  als  Aufmunterg,  aufstellen  laßen,  wofür  man  aber  nie  einen  bestimmten  Weg 
vorzeichnen  kann;  —  sondern  es  körnt  bey  der  Bildung  des  Charakters,  wie  ich 
glaube,  noch  vielmehr  auf  die  Individualität  des  zu  bildenden  Subjekts  an,  als  bey 
der  Bildung  des  Geistes  und  beym  eigentlichen  Unterricht,  der  Geist  schlägt  sich 
gewiß  viel  eher  selbstthätig  durch,  als  der  Charakter;  obgleich  man  auch  für  jenen 
haupts.  in  späteren  Jahren  mehr  auf  Individualität  sehen  sollte,  als  man  zu  thun 
gewohnt  ist.  Hilf  mir  ein,  lieber  Herbart,  wenn  Du  weiter  siehst.  Du  versprichst 
mir  ohnehin  mir  vielleicht  etwas  eignes  Pädagogisches  zu  senden;  sey  überzeugt, 
daß  ich  es  mit  dem  herzlichsten  Dank  empfangen,  und  nicht  schweigen  werde,  wenn 
ich  etwas  ||  darüber  zu  sagen  vermag. 

Was  Pestalozzi  betriff,  so  laß  uns  das  Geschenk  dieses  Greises,  der  vielleicht 
einer  der  edelsten  und  uneigennützigsten  ist,  den  die  Erde  trägt,  und  in  dem  ich 
einen  kindlich  reinen  Enthusiasmus  sehe,  wie  wohl  nur  selten  einen  unsrer  größten 
Menschen  beseite,  nicht  verachten,  weil  man  noch  ein  größeres  hätte  geben  können. 
Hätte  jedes  Land  in  jedem  Fall  nur  einen  solchen  Menschen,  unsre  Enkel  fänden 
vielleicht  den  Himmel  auf  Erden. 

Seine  Briefe  an  Geßner  werden  Dich  vielleicht  nicht  befriedigen,  aber  Dir 
doch   gewiß    manchen   schönen    Augenblick    machen,    und    auch    in    Dir   vielleicht 

n* 


164  Juni  i8°°- 

manches  tiefere  Nachdenken  über  diesen  oder  jenen  Punkt  veranlaßen.  Möchtest 
Du  mir  doch  recht  bald  Deine  Gedanken  darüber  mittheilen!  Sobald  wir  wieder  in 
Bern,  versuche  ich  mich  wieder  genauer  mit  allem  durch  einen  Besuch  bey  ihm 
in  B.  zu  unterrichten. 

Genug  endlich  einmal;  nimm  hier  nun  bis  auf  bessere  Belehrung  durch  seine 
eignen  Schriften  eine  kurze  Anzeige  dessen,  was  ich  für  die  Kinder  Deiner  Freun- 
dinnen (denen  ich  mich  gerne  bey  dieser  Gelegenheit  empfehlen  möchte)  etwa 
brauchbar  glaube.  || 

Daß  Pestalozzis  ABC  der  Anschauung,  das  eigentlich  nur  seiner  Idee  nach 
von  P.,  seiner  Ausführung  nach  aber  von  Büß  herrührt,  mich  nicht  befriedigt  hast 
Du  schon  aus  meinem  letzten  Briefe  gesehen,  desto  begieriger  bin  ich,  das  Deinige 
kennen  zu  lernen.  Wenn  Du  mir  deshalb  das  Deinige  sogleich  schickst,  ehe  das 
Pestalozzische,  wie  es  jetzt  ist,  pubiicirt  wird,  und  wenn  ich  mich,  wie  ich  nach  Deiner 
Äußerung  hoffe,  sogleich  ganz  hineinfinden  kann,  so  zweifle  ich  kaum  daß  P.  sowohl 
als  Büß  es  einer  unpartheyischen  Prüfung  unterwerfen,  und  wenn  es  nach  ihrem 
Urtheil  das  ihre  übertrifft,  es  an  der  Stelle  desselben  aufnehmen  werden.  —  Es 
freuet  mich,  daß  ich  meinem  eignen  Verlangen  danach  so  dringende  Gründe  unter- 
schieben kann;  aber  ich  hoffe,  Du  wirst  jetzt  nicht  säumen.  Ich  wünschte  Dir  auf 
eine  ähnliche  Art  Deine  andern  beyden  Aufsätze  sogleich  entlocken  zu  können, 
worauf  ich  nicht  minder  begierig  bin.  Deine  Einleitung  zu  P.s  Buch  wird  mir  auch 
deshalb  noch  wichtiger,  weil  ich  schon  seit  einiger  Zeit  eine  ähnliche  Idee  im  Kopfe 
hatte,  an  deren  Ausführung  mich  meine  Krankheit  noch  verhindert.  Doch  wollte 
ich  eigentlich  eher  eine  Anweisung,  als  eine  Einleitung  geben.  Wenige  Menschen 
haupts.  Finnen  werden  sich  so  aus  P.s  Buch  herauszufinden  wissen,  daß  sie  recht 
etwas  danach  unternehmen  könnten,  j|  da  demselben  wirklich  auch  manches  in  dieser 
Hiusicht  an  einer  vollkommnen  Darstellung  der  P.  sehen  Ideen  fehlt.  Ich  dachte 
deshalb  an  eine  eigentliche  Anleitung  für  Mütter  nach  P.s  Methode  zu  unterrichten, 
wodurch  dieser  Methode  auch  vielleicht  bey  manchen  Männern  von  gewissem  Schlage 
eher  Eingang  verschaft  würde.  Ich  würde  dieses  freylich  ganz  nach  eigner  Ansicht 
derselben  entwerfen,  es  aber  vor  der  Bekanntmachg.  P.  zur  Beurtheilung  vorlegen. 
Vielleicht  könnten  überhaupt  dem  Publikum  P.s  Ideen  dadurch  mehr  aufgehellt, 
wenigstens  bekanter  gemacht  werden. 

Noch  wichtiger  aber  würde  mir  Dein  Aufsatz  für  die  Grundideen  der  höhern 
Erziehung,  nach  dem  was  Du  mich  davon  hoffen  machst,  seyn.  —  Ich  fühlte  schon 
vor  Absendung  meines  letzten  Briefs,  daß  ich  mich  über  den  Punkt  der  Charakter- 
bildung darin  nicht  eigentlich  meinem  Endurtheile  gemäß  richtig  ausgedrückt  hatte, 
ich  wollte  ihn  umschreiben,  aber  meine  Krankheit  machte  mir  es  nicht  gut  möglich. 
Es  freut  mich  jetzt  Dich  dadurch  zur  Sprache,  wenigstens  für  mich  erst  zur  Sprache 
gebracht  zu  haben.  Ich  sehe  aus  Deinem  Briefe,  daß  wir  doch  eigentlich,  haupts. 
meinem  letzten  Nachforschen  nach,  auf  gleichem  Wege  ||  sind,  nur  daß  Du  wie 
immer  einen  großen  Vorsprung  hast,  den  ich  Dir  vielleicht  nie,  ohne  daß  Du  mir 
Deine  Hand  reichst,  nachspringen  würde.  Ich  wollte  mehr  und  bestimmter  hierüber 
reden,  aber  ich  will  lieber  schweigen  bis  Du  geredet  hast,  da  ich  ohnehin  meinen 
Brief  sonst  noch  einen  Posttag  länger  aufhalten  müßte. 

Eben  das  gegenwärtige  unmittelbare  Bedürfniß  (haupts.  für  meinen  Rudi) 
macht  es  mir  jetzt  doppelt  zur  Pflicht  diesen  Gegstd.  mit  allem  Ernst  zu  erwägen. 
Ich  weiß  nicht,  ob  ich  Dich  hiedurch  bewegen  werde,  etwas  mehr  mit  Deinen  Ideen 
herauszurücken.  — 

In  der  Hofnung,  daß  Du  diese  Zeilen,  aller  ihrer  Verworrenheit  ungeachtet, 
nicht  unbeantwortet  bey  Seite  legen  werdest,  werde  ich  Dir  so  bald  mögleh.  weiter 


Juni   1800.  165 

schreiben,  haupts.  über  mein  projektirtes  Institut.  Die  Haupteinwendung  meines 
Vaters  ist,  daß  ein  solches  Unternehmen  ohne  Unterstützung  des  Staats  sehr  wag- 
lich sey.  Aber  demungeachtet  ist  er  eigentlich  nicht  dagegen.  Nächstens  bestimmter 
und  ausführlicher  über  diesen  ganzen  Gegenstand,  wobey  ich  Deine  Frage  nach  dem 
muthmaaßlich.  Anfang  beantworten  werde.  || 

Auch  über  Homer  und  vorhomerische  Mythologie  verschiebe  ich  meine  Ant- 
wort, da  ich  auch  über  einige  verwandte  Gegenstände  mit  Dir  reden  möchte.  Mit 
meiner  Krankheit  ist  es  noch  fast  beym  alten,  mein  Kopf  ein  wenig  leichter,  aber 
desto  empfindlicher  sind  die  Rückenschmerzen.  Ich  kann  noch  immer  wenig  vor- 
nehmen. Segelken  hat  mir  diese  Zeit  einen  sehr  wichtigen  Dienst  mit  der  Ver- 
sorgung meines  Rudis  geleistet.  Er  hat  vielen  Fleiß  und  viele  Kenntniße,  und  in 
dieser  Hinsicht  sind  Steigers  gewiß  sehr  wohl  durch  ihn  versorgt.  Auch  hat  sein 
"Wesen  sich  sehr  verändert,  da  es  vorher  gewiß  aus  mancherley  Gründen  mehr  ge- 
macht als  natürlich  war. 

Erfreue  Deinen  kranken  Freund  durch  baldige  Beantwortung. 

Ganz  Dein  Th.  Z.  || 

124.    Herr  von  Steiger  und  Carl  an  H.1)      Riggisberg,  am  16*- Junius  1800. 

Insonders  zu  verehrender  Herr!  Erst  sollte  H.  Segelken  ankommen,  ehe  ich 
dero  mir  äußerst  schätzbare  Nachrichten  beantworten  wollte.  Er  traf  am  27  t-  May 
bey  uns  ein.  Darauf  schien  mir  zweckmäßig  noch  einige  Zeit  abzuwarten,  damit 
ich  Ihnen  zugleich  etwas  näheres  über  unsern  neuen  Freund  melden  könnte.  Diese 
zwey  Betrachtungen  allein  waren  vermögend,  meinen  innigen  Dank  für  dero  fort- 
gesetzte Theilnahme  an  dem  Glück  meines  Hauses  gegen  Sie  auszudrücken.  So  viel 
ich  bis  itzt  urtheilen  kann,  entspricht  H.  Segelken  recht  gut  unseren  Hoffnungen 
und  Erwartungen.  Sein  Umgang  scheint  offen,  der  Humor  heiter,  und  die  Sittlich- 
keit, wie  Sie  wißen,  mein  Bester,  das  Wesentlichste  für  mich,  ohne  Fleck  zu  seyn. 

In  Sprachen,  Geschichte  u.  Geogrph.  ist  er  fest;  nur  eines  vermiße  ich  bey 
Ihme,  die  Mathematik  für  Ludwig;  doch  hierin  will  Freund  Zimmsen  uns  ferner  bey- 
stehen,  und  für  Carl  hat  S.  noch  Zeit  vor  sich,  um  sich  bis  dahin  noch  beßer  hinein 
zu  studiren.  So  ist  mir  endlich  ums  Herz  leichter  geworden,  nachdem  eine  lange 
Ungewißheit  Centn  erschwer  darauf  gelegen  hatte  und  nun  —  erscheinen  wir  groß 
u.  klein  gerührt  vor  Ihnen  mit  der  Versicherung,  daß  wir,  für  die  Zukunft  wie  fürs 
vergangene,  Ihnen,  theuerster  ||  Freund,  das,  was  wir  unser  größtes,  unser  einiges 
Glück  nennen,  zurechnen  wollen.  Ich  weiß  es,  Sie  nehmen  diese  aus  dem  Grund 
des  Herzens  quillende  Erklärung  statt  alles  Dankes  an.  Ich- weiß  ebenfalls,  daß  Sie 
uns  auch  itzt  noch  Ihre  vortreffl.  Anweisungen  nicht  entziehn,  sondern  vermittels 
selbiger  Ihr  gutes  "Werk  an  mir  in  so  weit  vollenden  werden,  als  die  unselige 
Trennung  es  gestattet. 

Nun  noch  ein  "Wort  von  Ihnen  selbst.  Wie  befinden  Sie  sich  in  jeder  Rück- 
sicht! Sind  Sie  gesund?  Sind  Sie  glücklich.  Hier  zu  R.  sind  wir  wohl,  recht  wohl; 
ich  komme  selbst  mit  den  erklärtesten  Patrioten  gut  fort. 

Meine  Familie  hat  sich  noch  um  eine  kleine  Frederike  vermehrt.  Alte  und 
junge  vereinigen  sich  mit  mir,  um  uns  von  Ihnen  die  Fortsetzung  Ihrer  Freund- 
schaft auszubitten.  Sie  kennen  längst  die  Gesinnungen  der  reinesten  Hochschätzung 
Ihres  dankbaren  C.  F.  Steiger.  || 

(Dasselbe  Brief blatt.)  Riggisberg  am  13t.  Junius  1800. 

Lieber  Herr  Herbart!  Endlich  ist  H.  Segelken  angekommen,  nachdem  wir  uns 

lange  nach  ihm  sehnten.    Er  gefällt  uns  allen  ausnehmend  wohl,  so  viel  wir  bisher 

2)  4  S.  8°  ohne  Schluß.     H.  Wien.     Der  2.  Brief  zweifellos  von  Carl. 


166  Juli   1800. 

gesehn  haben  und  ich  kann  recht  gut  in  den  Arbeiten  mit  Ihm  fortkommen,  auch 
verstehe  ich  ihn  sehr  leicht,  als  wenn  ich  Ihn  schon  lange  gekannt  hätte.  Ich 
wurde  Ihnen,  lieber  Herr  Herbart,  schon  vorher  Ihren  Brief  beantwortet  haben,  der 
mich  sehr  freute,  aber  ich  wollte  die  Ankunft  von  Herr  Segelken  erwarten. 

Meine  Arbeiten  sind  den  vorigen  beinahe  gleich.  Vorher  übersetzte  ich  allein 
schriftlich  im  Xenophon,  Virgil  und  Sallust;  auch  trieb  ich  für  mich  Geometrie  im 
Euklid;  und  im  Wünsch  haben  wir  den  zweiten  Theil  angefangen.  Den  Xenophon 
übersetze  ich  noch  immer  für  mich,  und  ich  bin  wirklich  im  siebten  Kapitel,  auch 
den  Jugurtliinischen  Krieg.  Bey  Hern  Segelken  aber  lese  ich  in  Plutarch  den 
Theseus,  und  im  Salust  den  Catilinarischen  Krieg,  dessen  Anfang  mich  äußerst 
interessirt,  wegen  der  Kürze  der  Worte  und  der  Stärke  die  darin  liegt.  Wir  treiben 
auch  Geographie,  und  ich  fange  das  Französische  an.  Die  Mathematik  bleibt  etwas 
aus,  wie  leider  auch  Plato.  Plato  scheint  mir  aber  viel  nützlicher  zu  seyn,  als 
Xenophon  und  Plutarch,  aber  doch  interessiren  sie  mich  auch  sehr;  und  Xenophons 
Schreibart  scheint  mir  viel  Ähnliches  mit  der  des  Plato  zu  haben,  der  Einfachheit 
wegen;  so  wie  mir  Plutarch  viel  gekünstelter  scheint. 

Alle  Abend  das  Interessante  aufzuschreiben,  was  mir  den  Tag  über  auffällt, 
habe  ich  noch  nicht  gethan,  weil  ich  noch  nicht  recht  wußte,  wie  ich  es  anfangen 
sollte.     Jetzt  aber  will  ich  ein  förmliches  Tagebuch  halten. 

Auch  fragte  ich  Herrn  Segelken  um  Erlaubniß  meine  Arbeiten,  auf  die  Weise, 
die  Sie  mir  angegeben  haben,  zu  bearbeiten  und  Ihnen  dann  das,  was  mir  das 
Interessanteste  schiene,  zu  überschicken:  Herr  Segelken  erlaubt  es  ...  . 

125.  Steck  an  Zehender.  Juli  ?  1800. 
,,Ich  bin  Dein  Schuldner  für  den  Brief  von  Herbaet;   ich  theile  ihn  Dir  mit. 

Smidt's  Brief  hat  May;  Du  versprachst  mir  den  Deinigen  von  Herbart.  Gestern 
habe  ich  an  beyde  geantwortet." 

126.  An  die  Gebrüder  von  Steiger.1)  Bremen  am  iotenjuii  1800. 
Vielmal,    meine  lieben   jungen   Freunde,    bin    ich    in    diesen   Wochen 

ungeduldig  darüber  geworden,  dass  ich  von  Euch  keine  Briefe  habe.  Ich 
hätte  schöne  Gelegenheit  gehabt,  Euch  durch  Hrn.  Stolz  eine  weitläuftige 
Antwort  sicher  zu  übersenden.  Ich  schiebe  gern  die  Schuld  auf  die 
Posten.  Denn  Ihr  habt  in  der  langen  Zeit  doch  gewiss  etwas  für  mich 
geschrieben.  Dass  ich  für  mich  nichts  Künstliches  von  Euch  begehre, 
habe  ich  Euch  noch  in  meinem  langen  Briefe  vom  April,  den  Ihr  doch 
hoffentlich  erhalten  habt?  —  wiederhohlt,  nachdem  Ihr  es  ohnedies  längst 
überzeugt  seyn  konntet. 

Jetzt  kann  ich  Euch  nur  kurz  schreiben,  dass  meine  Liebe  und  mein 
Andenken  Euch  immer  bleibt  —  dass  kein  Tag  hingeht,  wo  ich  nicht 
versuche,  mir  Eure  Gestalt  und  Euer  Wesen  vorzustellen,  wo  ich  nicht 
für  Euch  wünsche  und  hoffe:  —  Nicht  wahr,  meine  Theuern,  das  ist  die 
Hauptsache,  die  meine  Briefe  Euch  sagen  sollen?  Ich  schliesse  es  wenigstens 
daraus,  weil  es  mir  selbst  so  geht,  weil  ich  es  jedesmal  wissen  möchte, 
wenn  Ihr  an  mich  denkt;  weil  ich  jetzt,  da  ein  anderer  die  Aufsicht  über 
Euch  übernommen  hat,  nicht  mehr  nöthig  finde,  viel  an  Eure  Fehler  zu 
denken,  sondern  lieber  bei  dem  Guten  verweile;  ||  —  bey  dem  Guten  das 

x)  2  S.  8°. 


August    1800.  167 

Ihr  jetzt  schon  habt,  und  das  Ihr  künftig  noch  erwerben,  und  selbst  seyn 
und  mir  irgend  einmal  entgegenbringen  werdet.  So  empfinde  ich  jetzt 
das  Vergnügen,  an  Euch  zu  denken,  wenn  nicht  lebhafter,  doch  noch 
reiner,  als  da  ich  noch  bey  Euch  war.  —  Wie  habt  Ihr  es  die  lange 
Zeit  hindurch  gemacht,  da  Ihr  auf  dem  Lande  allein  wäret?  Ziemßen 
versprach  mir,  er  würde  so  ziemlich  sorgen  können.  Das  neue  Landgut 
hat  Euch  auch  wahrscheinlich  viel  zu  thun  gemacht.  Besonders  Sie,  lieber 
Ludwig,  haben,  wenn  ich  glücklich  rathe,  dort  eine  Menge  von  Geschäften 
für  Sich  gefunden?  —  Carl  wird  mir  erzählen,  dass  er  viel  im  Plato  und 
Xenophon  gelesen  und  Rudolph,  dass  er  schon  weit  über  die  Hälfte  der 
Jliade  hinaus  ist.  Ungefähr  dasselbe  kann  ich  Euch  von  mir  erzählen, 
und  vielleicht  werde  ich  Euch  in  meinem  langen  Briefe,  an  dem  ich 
schon  manches  geschrieben  habe,  davon  noch  umständlicher  erzählen. 
Ich  lebe,  wie  Ihr  an  der  Aufschrift  seht,  noch  in  Bremen.  Meine  Adresse 
ist  also:  an  H —  abzugeben  beym  Hrn.  Professor  Smidt,  auf  dem  Abbenthors- 
walle,  in  Bremen.  Ihr  könnt  die  Briefe  nur  gerade  hieher  schicken,  denn 
ich  bleibe  fürs  Erste  hier. 

Meine  gehorsamsten  Empfehlungen  dem  Hrn.  Landvogt  und  der 
Fr.  Landvögtin.  —  Grüsst  auch  vielmals  Henriette,  Sophie,  Justine,  und 
küsst  statt  meiner  den  Franz  und  die  kleine  Josephine. 

127.  Steck  an  Zehender.  August  1800? 
„Herbakt!  wie  sehr  ich  für  ihn  traure.     Sein  Brief  sagt  mir  alles." 

128.  Ziemssen  an  Herbart.1)  Bern  d.  23.  Aug.  1800. 
Theuerster,  innigstgeliebter  Herbart.     Wenn  uns  der  tiefste  Kummer,  der  uns 

eben  treffen  kann,  trift,  so  eilen  wir  zutrauensvoll  hin  in  die  Arme  unseres  innigsten 
Freundes;  aber  wenn  auch  ihm  eben  dieser  Kummer  werden  muß,  und  wir  es  so 
gar  selbst  sind,  die  die  schreckliche  Verbindlichkeit  haben,  denselben  in  seinen 
Busen  auszugießen,  so  nahen  wir  uns  ihm  mit  bangem  Herzen  und  doppeltem 
Schmerze;  und  so  muß  ich  Dir  leider  jetzt  nahen,  und  Dir,  dem  ohnehin  jetzt  das 
bessere  Schicksal  seit  einiger  Zeit  stets  den  Kücken  wandte,  neuen  tiefen  Kummer 
verkünden;  denn  unserm  guten  Fischer  ist  der,  den  wir  so  herzlich  liebten,  mit 
dem  das  Beste  in  uns  in  einem  so  hohen  Einklänge  stand,  und  mit  dem  unser 
ganzes  Leben  und  Treiben  so  innig  verwebt  war,  —  unser  edler,  theurer  Eschen 
in  jenes  höhere  Leben  hinüber  gefolgt.  —  Ich  sehe  Schrecken  und  ßetrübniß  auf 
Deinem  Gesichte,  und  sehe  eine  heiße  Thräne  auf  den  verewigten  Freund  über 
Deine  "Wangen  herabrollen,  und  dennoch  vermagst  Du  meinen  Kummer,  ||  und  das, 
was  ich  hiebey  gelitten  habe,  nicht  zu  fassen.  Ich  schrieb  Dir  mit  Vorsatz  nicht 
gleich  in  dem  ersten  Affekte,  um  eine  ruhigere  Stimmung  zu  gewinnen,  aber  doch 
zittert  mir  noch  die  Feder  in  der  Hand,  und  kaum  vermag  ich  Dir  mit  drey  Worten 
das  traurige  Schicksal   zu   erzählen.  —  Mit  dem  höchsten  Entzücken,   das  vielleicht 

x)  3  S.  8».  H.  Wien.  —  Joh.  Rtjd.  Fischer  starb  am  4.  Mai  1800.  (S.  R.  Steck, 
Fischer  von  Bern  u.  s.  Beziehungen  zu  Pestalozzi,  Bern  1907,  S.  60.)  —  Friedr. 
Aug.  Eschen,  geb.  1776  in  Eutin,  ein  Schüler  von  Voß,  Mitarbeiter  an  Schillers 
Musenalm.  f.  d.  J.  1799,  verunglückte  am  7.  Aug.  1800  auf  dem  Gletscher  des  Mont 
Buet  (Chamonix).  (Vgl.  Schiller  an  Goethe  5.  Sept.  1800  u.  8.  Mai  1798;  ferner 
Archiv  f.  Literaturgeschichte  Bd.  11  u.  Bd.  15,  Euphorion  12.  Bd.  u.  Schillers 
Calender  v.  E.  Müller.) 


l68  September  1800. 


unsere  Seele  zu  fassen  vermochte,  lagen  wir  —  auf  unsrer  Reise,  wozu  wir  uns 
schon  bey  der  Trennung  von  Dir  freuten  —  an  den  Ufern  des  Genfersees,  wanderten 
wir  in  das  Chammounythal  und  erklätterten  einen  hohen  berühmten  Berg  dem 
Montblanc  gegenüber.  In  einer  Höhe,  wo  weder  Baum,  noch  Strauch  mehr  war, 
übernachteten  wir  in  einer  armseligen  Alphütte  auf  einem  Heuhaufen;  mit  Sonnen- 
aufgang wanderten  wir  am  andern  Morgen  der  noch  ungefähr  4  Stunden  entfernten 
Spitze  unsers  Berges  zu;  schon  hatten  wir  sie  bis  auf  eine  halbe  Stunde  erreicht, 
als  Eschen  auf  einer  Schneefläche,  wo  weder  wir,  noch  unser  Führer,  (der  sonst 
bis  jetzt  so  sorgfältig  alles  von  uns  abgewandt  hatte)  Gefahr  befürchteten,  in  eine 
mit  einer  dünnen  Schnee-  und  Eiskruste  überdeckte,  über  100  Fuß  tiefe,  enge  Eis- 
spalte stürzte,  wo  er,  wie  sich  beym  Herausziehen  des  Körpers  bestätigte,  durch 
eine  Zerquetschung  der  Brust  das  Leben  sogleich  verlor,  und  ich  konnte  auch  keine 
Spur  mehr  von  ihm  sehen  und  keinen  Ton  mehr  hören.  ||  0!  ich  vermag  es  nicht 
Dir  diese  fürchterliche  Scene  jetzt  noch  weiter  auszumahlen,  denn  es  wirbelt  mir 
noch  der  Kopf  und  drohet  "Wahnsinn,  wenn  ich  nur  daran  denke;  aber  auch  ohne- 
dem wirst  Du  ahnden  können,  in  welchem  Zustande  ich  mich  hiebey  in  dieser 
schrecklich  öden  "Wildniß,  und  während  der  fünf  fürchterlichen  Tagereisen,  die  ich 
machen  mußte,  ehe  ich  hier  wieder  zu  Menschen  kam,  die  meinen  Schmerz  ver- 
standen, und  theilten,  befunden  haben,  und  welche  Eindrücke  und  welches  Nach- 
hallen davon  unauslöschbar  meiner  Seele  eingegraben  seyn  muß.  Sanft  ruhen  jetzt 
die  Gebeine  unsers  verewigten  Bruders  bey  Servoz,  einem  Dorfe  im  Thal,  unter 
einem  Grabhügel,  auf  dem  wir  ihm  ein  kleines  Denkmal  errichten  zu  lassen  ge- 
denken. —  Rein  und  edel  eilte  gewiß  sein  höheres  "Wesen  jenen  lichten  Höhen 
entgegen,  von  denen  er  vielleicht  hofnungsvoll  und  mit  aufmuuterndem  Blicke  auf 
unser  Streben,  ihn  dort  einmal  wieder  als  würdige  Brüder  umarmen  zu  dürfen, 
herabsieht.  —  Eine  Thräne  steht  mir  im  Auge,  und  die  Feder  entfällt  mir  der 
Hand!  —  Ich  sinke  hin  an  Deinen  Busen,  mein  einziger!  — 

129.    Segelken  an  H.1)  Riggisberg,  Anf.  Septemb.  1800. 

Lieber  Herr  Herbart,  daß  ich  Ihnen  während  der  ganzen  Zeit  meines  Hier- 
seyns  noch  nichts  geschrieben  habe,  darüber  bedurfte  es  allerdings  einer  Ent- 
schuldigung von  meiner  Seite,  wenn  ich  diese  nicht  in  der  Notwendigkeit  mich 
vorläufig  mit  dem  Wirkungskreise;  in  den  ich  trat,  seinen  wichtigsten  Theilen 
nach  bekannt  zu  machen,  ehe  ich  Ihnen  meine  Gedanken  darüber  mittheilte,  zu 
finden  glaubte,  und  bey  Ihnen  aus  dieser  Rücksicht  gleichfalls  hoffen  könnte.  Ich 
fühle  es,  wie  weit  mehr  es  erfordert,  eine  Arbeit  im  Geiste  des  andern,  der  sie 
anfing,  und  zugleich  nach  eignen  Einsichten  zweckmäßig  fortzuführen,  —  als  selbst 
für  sich  allein  etwas  aufzubauen.  Hier  kann  ich  nur  nach  eigner  Erkenntniß  und 
Ueberzeugung  handeln,  und  mir  Schritt  vor  Schritt  meinen  Weg  eröfnen,  dort  muß 
ich  den  Anfang  des  andern  mit  vor  Augen  haben,  und  manchmal  auf  ihn  zurück- 
blicken, damit  nichts  Haltbares  niedergerissen,  nichts  verunstaltet  werde,  damit 
Uebereinstimmung  herrsche,  und  Anfang,  Fortgang  und  Ende  ohne  Lücke  u.  Fehler 
bestehe.  In  dem  einen  Falle  bin  ich  nur  mir  und  denen,  in  deren  Verbindung  ich 
handle,  Rechenschaft  schuldig,  im  andern  auch  dem,  der  mir  vorarbeitete.  — 

"Was  die  wesentlichsten  Gegenstände  der  Erziehung  betrifft,  so  hoffe  ich,  daß 
wir  in  dem  allgemein  anerkannten,  was  die  Sache  selbst  giebt,  nicht  sehr  abweichen; 
wenn  wir  es  uns  auch  uns  auf  verschiedene  Art  und  mit  andern  "Worten  sagen 
sollten,    so    will    ich    dennoch    ein    paar   "Worte    darüber    hersetzen.  —  Cultur    der 


a)  4  S.  4°.     H.  "Wien. 


September  1800.  160 


Humanität,  oder  Bildung  des  Menschen  zum  Menschen,  alles  Einzelnen,  Dunklen  in 
ihm  zu  einem  hellen  Ganzen,  Bildung  seiner  gesammten  Kräfte  für  innere  Stärke, 
Klarheit,  Eeinheit  und  Gewißheit  seines  ganzen  Wesens  und  alles  dessen  was  ihn 
umgiebt;  —  ist,  wie  ich  glaube,  der  Zweck  der  Erziehung.  —  Diesen  wird  der 
Erzieher  aber  immer  mit  Rücksicht  auf  den  Menschen  den  er  vor  sich  hat,  nach 
dessen  Empfänglichkeit,  nach  seinen  individuellen  Anlagen  und  Neigungen  realisiren 
müssen  —  bey  den  verschiedenen  Menschen  auch  in  verschiedenen  oft  entgegen- 
gesetzten Puncten  ankämpfen,  und  bey  dem  einen  auf  dem  directen  Wege  dahin 
kommen  können,  wo  bey  dem  andern  oft  ein  größerer  Umweg  zu  wählen  noth- 
w  endig  ist.  — 

Von  den  mannigfaltigen  Mitteln,  die  er  im  Gebiete  der  Erkenntnisse  dazu 
findet,  scheint  mir  das  Lesen  der  Alten,  und  zwar  indem  man  den  Anfang  von 
den  Griechen  macht,  eines  der  vorzüglichsten  und  fruchtbarsten  zu  seyn.  Ich 
wüßte  nichts,  das  mächtiger  auf  das  Jugendalter  des  Menschen  wirken  könnte,  als 
jene  jugendlichen  Ideale  der  Griechischen  Welt,  als  jener  kräftige,  erhabene  Geist, 
der  dort  herrschend  ist,  und  der  so  mannigfach  gelenkt  werden  kann,  um  Kräfte 
der  Seele  und  des  Lebens  im  Menschen  zu  wecken  —  um  wiederum  Geist  zu  be- 
leben. Die  Römer,  in  vielen  Stücken  [|  meistens  glückliche  Nachahmer  jener  voll 
Ernst  und  Würde  können  dann  bald  nachher  vortheilhaft  mit  ihnen  verbunden 
werden.  —  Der  große  Schauplatz  der  Geschichte  der  Menschheit  und  einzelnen 
Menschen  wird  ferner  eine  lehrreiche  und  bildende  Schule  für  das  eigentliche 
Handeln  des  Menschen,  für  Herz,  Character  und  Grundsätze,  und  daher  glaube  ich, 
ist  sie  in  ihrem  ganzen  Umfange,  oder  ältere  und  neuere  Geschichte  zusammen- 
genommen, nicht  für  den  Knaben,  sondern  vielmehr  für  den  Jüngling,  dessen  bis- 
herige Bildung  durch  die  alte  Geschichte,  und  etwa  durch  einzelne  große  Begeben- 
heiten der  neuern  bestimmt  darauf  hingeleitet  ist,  um  nachher  den  ganzen  Geist 
dieser  in  Verbindung  mit  jener  kennen  zu  lernen.  —  Physik  und  Naturgeschichte 
halte  ich  für  wesentliche  Mittel  der  Bildung;  jene  als  die  erste  Führerin  zur  ge- 
nauem Kenntniß  der  Natur  durch  Aufschlüsse  über  die  Naturgesetze,  durch  Er- 
fahrungen von  Ursachen  u.  Wirkungen,  die  auch  in  der  Einsicht  den  Verstand  viel- 
fach beschäftigt  und  übt;  diese  ihre  Schwester  in  so  fern  durch  sie  die  richtige 
Kenntniß  der  Naturgegenstände,  der  Gesetze  ihrer  Bildung,  ihre  Beziehungen  auf 
einander,  der  Vergleichung  des  Aehnlichen,  und  Unähnlichen,  und  der  Aufsuchung 
dessen  was  allgemein  zum  Grunde  liegt,  —  zur  nähern  Verfolgung  des  erhabenen 
Ganges  der  Natur  führt.  Nie  aber  darf  jenes  bloß  historische  Oberfläche  bleiben, 
noch  dieses  in  leerem  Wortkram  bestehen;  vielmehr  unterbleibe  es  ganz,  wenn  es 
nicht,  wie  alles  in  der  Bildung  des  Menschen,  zu  etwas  Reellem  führt,  nicht  seinem 
ganzen  Wesen  etwas  giebt,  wenn  es  ihn  nur  einseitig  beschäftigt.  Der  Sinn  und 
das  Interesse  dafür  muß  besonders  geweckt,  und  vereint  mit  allen  übrigen  fort- 
geführt werden.  —  Mathematik  ist  ohne  Zweifel  das  kräftigste  Mittel  zur  Schärfung 
des  Verstandes,  —  zur  Deutlichkeit  und  Bestimmtheit  der  Begriffe  zu  gelangen, 
und  muß  von  da  auch  wieder  mehr  Festigkeit  und  Gewißheit  in  den  ganzen 
Menschen  bringen,  jedoch  kann  ich  über  diesen  Theil  der  Bildung  nicht  aus  Er- 
fahrung sprechen,  weil  ich  selbst  zu  wenig  davon  verstehe,  aber  dennoch  völlig 
von  ihrem  Nutzen  überzeugt  bin.  —  Mit  neuern  Sprachen  glaube  ich  dann  nur  erst 
den  Anfang  machen  zu  dürfen,  wenn  schon  ein  guter  Grund  in  der  altern  gelegt 
ist,  und  alsdann  solche  Schriftsteller  zu  lesen,  deren  Werke  man  als  Gegenstücke 
der  Alten  ansehen  kann,  und  die  ihnen  in  ihrer  ganzen  Tendenz  am  nächsten  ge- 
kommen sind.  —  Bestimmter  Unterricht  für  Moral  und  Religion  ist  nicht  für  die 
früheren  Jahre.  —  Dies   mag   genug   seyn  hievon,  —  und  ich  wiederhole  es  noch- 


iyo  September  1800. 


mals,  daß  dies  zwar  einzeln  begründet  werden,  aber  dennoch  nicht  einzeln  und 
getrennt  fortgeführt  werden  kann,  —  sondern  daß  alles  sich  schön  und  harmonisch 
die  Hand  reichen,  —  daß  eins  dem  andern  forthelfen,  und  Mittel  und  Beförderung, 
und  Unterstützung  werden  muß  zu  Einem  großen  Ganzen  —  zur  Ausbildung  der 
Humanität.  || 

Jetzt  noch  ein   paar  Worte   über    unsre    gemeinschaftlichen   jungen  Freunde. 

—  Ludwig  hat  viel  guten  Willen  und  Kopf,  und  ist  brav  wie  alle  andern,  doch 
fehlt  es  ihm  für  sein  Alter,  wie  ich  glaube,  noch  an  Stärke  und  Festigkeit  des 
Characters,  —  mehr  Bestimmtheit  seines  ganzen  Wesens  —  handeln  nach  Grund- 
sätzen muß  in  ihn  kommen.  .  .  Was  ich  hier  kann  werde  ich  für  ihn  thun.  —  Sein 
Fehler  ist  oft  Sorglosigkeit  u.  Gleichgültigkeit,  die  ihn  in  dem  thätigen  Eifer,  der 
bey  allen  Geschäften  nothwendig  ist,  sehr  hindert.  —  In  der  Mathematik  und  im 
Lateinischen  ist  er  ziemlich  fortgerückt.  Ueber  seine  mathematischen  Arbeiten  kann 
ich  keine  Aufsicht  haben,  weil  ich  selbst  nicht  so  weit  darin  bin,  und  mich  vor 
einigen  Jahren  nur  wenig  mit  Geometrie  beschäftigt  habe.  Um  zur  sphärischen  Trigono- 
metrie vorzurücken,  dazu  ist  mir  jetzt  noch  keine  Zeit  übrig.  —  Ueberdem  wußte 
ich  nicht  das  geringste  davon,  daß  ich  hier  einen  angefangenen  Unterricht  in  der 
Mathematik  fortzusetzen  hätte,  und  ich  muß  gestehen,  ich  wurde  etwas  frappirt, 
wie  ich  von  einem  Zögling  hörte  der  schon  beträchtliche  Fortschritte  darin  gemacht 
hätte.  —  Ziemssen  hat  die  Güte,  seine  Arbeiten  von  Zeit  zu  Zeit  nachzusehen  und 
dieser  versichert,  daß  er  recht  gut  fertig  wird.  —  Im  Lateinischen  ist  Tacitus  seine 
vorzüglichste  Leetüre,  dessen  kurze  Fülle  ihm  aber  noch  einige  Mühe  machte.  In 
der  Geschichte  und  in  neuern  Sprachen  wird  er  sich  jetzt  hauptsächlich  hervor- 
arbeiten müssen.  Die  Griechische  Geschichte  ist  durchgemacht  und  jetzt  beschäftigt 
er  sich  mit  der  Eömischen,  —  um  dann  zur  neuern  Geschichte  überzugehen.  — 
Die  Englische  Sprache  haben  wir  ebenfalls  angefangen.  Carl  hat  viel  Vortreffliches, 
und  es  bedarf  oft  nur  einer  leisen  Berührung,  um  es  zum  deutlichen  Lichte  zu 
wecken;  er  ist  nachdenkend  wenn  ihm  Stoff  gegeben  wird,  hat  lebhaftes  Interesse 
für  alles,  —  viel  Sinn  fürs  Edle  und  Erhabene.  Eben  so  leicht  aber  glaube  ich 
könnte  ein  ganz  gewöhnlicher  Mensch  aus  ihm  werden,  wenn  man  jene  Keime  nicht 
sorgfältig  und  anhaltend  nährte,  denn  noch  ist  nicht  Kraft  genug  da,  um  durch  sich 
selbst  aufzublühen.  Mein  Hauptaugenmerk  ist  jetzt,  ihn  zum  eigentlichen  thätigen, 
innern  Leben  hinzuleiten,    um  ihn  selbst  handelnd,    schaffend,    bildend   zu   machen. 

—  Möchte  es  mir  gelingen,  alles  in  ihm  zur  schönen  Reife  zu  bringen.  —  Seine 
Leetüre  im  Griechischen  ist  Xenophon,  Plutarch  und  Plato.  Mit  dem  erstem  wird 
er  allein  ziemlich  fertig,  und  der  andre  wird  ihm  auch  schon  leichter.  Der  letztere 
wirkt  am  meisten  auf  ihn,  und  hebt  seinen  Geist  empor.  Er  liest  den  Phädon  jetzt 
mit  vielem  Vergnügen.  Bey  diesen  Dreyen  möchte  ich  es  für  einige  Zeit  bewenden 
lassen,  und  dann  späterhin  wenn  er  die  Sprache  etwas  mehr  in  seiner  Gewalt  hat 
einen  Dichter  hinzufügen;  etwa  einen  Tragiker.  —  Mathematik  werde  ich  nächstens 
wieder  mit  ihm  fortsetzen. 

Der  veränderliche,  flüchtige  Rudolf  liebt  Abwechselung  der  Beschäftigungen, 
und  eben  so  schnell  und  lebhaft,  wie  ihn  irgend  ein  neues  Interesse  ergreift  und 
fesselt,  ebenso  schnell  verläßt  es  ihn  auch  wieder.  So  fing  ich  bey  meiner  Ankunft 
Cyrus  Feldzug  mit  ihm  an,  weil  der  Homer,  den  er  während  der  letzten  Zeit  an- 
haltend gelesen  hatte,  ihn  nicht  lebendig  genug  beschäftigte;  wie  nun  nach  einiger 
Zeit  die  Vorliebe  ||  für  Xenophon  etwas  nachließ,  verband  ich  die  Ilias  wieder  damit, 
und  nun  liest  er  beyde  mit  Lust.  Sallusts  Catilina  hat  er  mit  anhaltendem  Interesse 
geendigt,  aber  Cäsar  ist  ihm  bey  weitem  das  nicht,  ich  werde  also  hier  wol  einmal, 
vielleicht  mit  Nepos,   wechseln  müssen.  —  Jedoch  möchte  ich  ihn  nicht  an  diesen 


September  1800.  171 


Wechsel  der  Beschäftigungen  gewöhnen,  damit  er  nicht  zu  sehr  distrahirt,  und  in 
mancherley  Gegenstände  getheilt  wird,  sondern  ihn  nach  und  nach,  auch  durch  Ver- 
einfachung der  Arbeiten,  mehr  zur  Stetigkeit  überhaupt  hinleiten. 

Was  die  Richtung  meiner  eignen  wissenschaftlichen  Beschäftigungen  betrifft, 
die  sie  zu  wissen  wünschen,  so  werde  ich  die  kurze  Zeit  die  mir  übrig  bleibt  zum 
Studium  der  Alten,  der  Naturwissenschaft,  und  vorzüglich  der  Mathematik  anwenden, 
damit  ich  denen,  für  welche  ich  jetzt  lebe,  um  so  mehr  seyn  kann.  —  Ich  fühle 
mich  froh  und  glücklich  in  dem  Cirkel  unsrer  Lieben  —  ich  finde  Befriedigung  —  ich 
hoffe  —  möge  uns  für  die  Zukunft  Freude  entgegen  blühen.  — 

Leben  Sie  wohl!  Schenken  Sie  mir  wieder  einige  Zeilen. 

Ihr  Segelken. 

130.     An   Segelken.1)  Bremen,  Mitte  Sept.   1800. 

Mit  Ihrem  Briefe,  lieber  Segelken,  ist  viel  Freude  zu  uns  kommen; 
nicht  nur  zu  Ihrem  Hrn.  Vater,  sondern  zu  allen  die  mich  hier  unter 
sich  leben  lassen,  und  vor  allen  zu  mir,  denn  wer  konnte  die  Nachricht 
über  Ihre  glückliche  Uebereinstimmung  mit  Ihren  Verhältnissen  in  St[eiger']s 
Hause,  froher  empfinden  als  ich?  Meine  Freunde  sowohl  als  ich  selbst 
haben  es  mir  stark  gesagt,  dass  ich  mir  zu  dem  Briefe  den  Ihr  Hr.  Vater 
die  Güte  hatte  uns  mitzutheilen,  Glück  wünschen  darf.  Sie  haben  mit 
wenigen  scharfen  Zügen  die  Menschen  dort  gezeichnet,  ich  erkenne  die 
ganze  Richtigkeit  dieser  Zeichnungen;  Ludwig  und  Rudi  erscheinen  mir 
selbst  verschönert,  und  doch  getroffen;  so,  wie  ich  bey  meiner  Abreise 
hoffen  konnte,  dass  sie  werden  würden.  Carl  wird  Ihnen  vielleicht  noch 
lieber  werden;  und  mit  dem  Landvogt  können  Sie  schwerlich  lange  zu- 
sammenleben, ohne  ihn  —  besonders  wenn  er  sich  Ihnen,  wie  mir,  in 
vielfachen  schwierigen  Lagen  zeigen  sollte  —  mit  immer  steigender  Hoch- 
achtung zu  betrachten,  die  nahe  an  Verehrung  und  Enthusiasmus  gränzen 
wird.  —  Ich  ||  beneide  Sie  um  die  Thätigkeit,  mit  der  Sie  Ihr  Werk  treiben; 
ich  könnte  sie  Ihnen  hier  in  dem  trüben  Klima  von  Bremen  und  bey 
meiner  gegenwärtigen  Stimmung  nicht  nachthun.  Oder  vielmehr,  wenn 
ich  etwas  beneiden  könnte,  so  wäre  es  Ihr  ganzes  Dortseyn,  an  dem 
Platze,  den  ich,  von  aussen  her  gedrängt,  verlassen  musste,  und  an  dem 
ich  sonst  wohl  sicher  mein  vorgesetztes  Jahrzehnt  durchlebt  hätte.  Wer 
mit  diesem  Platze  nicht  zufrieden  wäre  —  von  dem  wüsste  ich  nicht  was 
ich  denken  sollte;  dass  Sie  sich  dort  so  recht  wohl  fühlen,  ist  mir  ein 
glückliches  Zeichen  von  Uebereinstimmung  unter  uns.  —  Wie  willkommen 
Sie  im  Steiger'schen  Hause  waren,  habe  ich  bald  nach  Ihrer  Ankunft  schon 
in  4  Briefen  von  St[eiger']s  seinen  3  Söhnen  gelesen ;  ich  erhielt  recht 
vergnügte,  und  recht  zierliche  Danksagungen,  die  ich  meines  wenigen 
Verdienstes  eingedenk,  im  Geiste  an  Böhlendorf  überliefert  habe;  dem 
ich  noch  dankbarer  seyn  würde,  wenn  er  mich  eher,  und  persönlich  mit 
Ihnen  bekannt  gemacht  hätte.  Dann  wäre  meine  Freude  wahrscheinlich 
jetzt  ganz  rein,  statt  dass  nun  doch  noch  ein  ||  kleiner  Stachel  darin  ver- 
borgen liegt,  den  ich  eben  so  stark  empfinde,  als  ich  ihn  klein  sehe,  und 
den    ich    Ihnen    vielleicht   nur  zu  zeigen  brauche,    damit   Sie   ihn    heraus- 

*)  8  S.  8°.  H.  Wien.  Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann  Briefe  pp.  Der  Schluß 
des  Briefes  fehlt. 


\12  September  1800. 


ziehn.  Nachdem  ich  jetzt  so  gute  Nachrichten  von  beiden  Seiten  habe, 
eile  ich  ,  Sie  darum  zu  bitten.  —  Meinem  Gefühle  entspricht  hier  aber 
nur  völlige  Freimüthigkeit;  wenn  diese  Ihnen  anstössig  wird,  so  habe  ich 
zwar  viel  zu  verlieren;  aber  alsdann  muss  ich  es  verlieren  —  und  je 
eher  je  lieber! 

Zwischen  Ziemssen  und  Ihnen  ist  nicht  das  Verhältniss,  was,  so  weit 
ich  Sie  kenne,  und  so  gewiss  ich  Ziemssen  kenne,  zwischen  Ihnen  seyn 
würde,  wenn   Sie  einander  kennten. 

Sie  scheinen  mit  empfindlicher  Reizbarkeit  besorgt  zu  haben,  dass 
Ziemssens  und  meine  Theilnahme  an  Ihrem  Geschäft  Ihnen  lästig,  störend, 
seyn  werde,  dass  ein  ungerechtes  Vorurtheil  gegen  Sie  in  St[eiger']s  Hause 
durch  uns  entstanden  sey  oder  entstehen  werde. 

Vielleicht  spreche  ich  von  Dingen,  die  nie  so  schlimm  waren,  oder 
die  doch  jetzt  nicht  mehr  existiren.  Sie  haben  ||  hoffentlich  deutlich  genug 
gesehn,  wie  Sie  aufgenommen  sind.  Und  ich  konnte  Sie  wohl  nicht  ohne 
die  grösste  Ungereimtheit  so  dringend  auffordern,  auf  meine  Gefahr  ab- 
zureisen, wenn  ich  nicht  durch  Briefe  und  Nachrichten  hinlänglich  mich 
berechtigt  geglaubt  hätte,  den  mir  anvertrauten  Auftrag  so  entschieden 
auszuführen.  Wie  sehr  aber  Ziemssen  und  ich  in  dieser  Rücksicht  fast 
Eine  Person  sind  —  das,  so  wie  einige  andere  Umstände,  hat  Bohlen  - 
dorf  vielleicht  vergessen,   Ihnen  in  das  nöthige  Licht  zu  stellen. 

Sie  und  Z[iemssen]  hatten,  glaube  ich,  in  Jena  einer  gegen  den  andern 
ein  ungünstiges  Vorurtheil  gefasst. 

So  sehr  ich  Z[iemssen']s  Freund  bin,  ist  es  mir  doch  gar  nicht  un- 
begreiflich, dass  das  Ihrige  gegen  ihn,  natürlich  gewesen  seyn  kann. 
Ziemssen  ist  zuweilen  abstossend.  In  Jena  besonders  muß  er  sich  noth- 
wendig  manchmal  unangenehm  geäussert  haben,  sonst  hätten  seine  Be- 
kannte, die  ich  in  Jena  sprach,  gewiss  eine  viel  herzlichere  Anhänglichkeit 
an  ihn  geäussert.  —  Wie  leicht  ändert  sich  die  Erscheinung,  die  Manier 
eines  Menschen  unter  veränderten  Umständen,  während  der  Fond 
derselbe  bleibt!  || 

Mir  ist  er  fast  wider  meinen  Willen  Freund  geworden.  Ich  bildete 
mir  schon  ein,  die  Zeit,  wo  man  leicht  und  glücklich  neue  Herzens- 
verhältnisse knüpft,  sey  für  mich  wol  schon  verflossen,  die  glücklichen 
Weihestunden  werdender  Freundschaftsbündnisse,  deren  ich  schon  manche 
genossen  hatte,  würden  wol  nicht  mehr  widerkehren;  auf  Z[iemssen']s  Ober- 
fläche sah  ich  auch  zuerst  nicht  viel  mehr  als  etwas  gesunden  Verstand ; 
—  aber  er  fing  an  sich  einzuarbeiten  in  die  wahrlich  nicht  erfreulichen 
Aufgaben  die  sein  dunkles  Haus  ihm  anmuthete;  er  fing  an,  in  unsre 
gleichgültigen  Gespräche  die  Offenheit  und  lautere  Reinheit  seiner  Seele 
auszugiessen ;  er  Hess  mich  ganz  ohne  Hehl  in  sein  Geschäft  und  in  seine 
Art  es  zu  treiben,  hineinsehn,  —  und  wir  gehörten  bald  einander  an. 
Die  traurige  Zeit  kam,  wo  ich  vor  meinem  Abschiede  Ordnung  machen 
musste;  er  und  mein  verewigter  Eschen  nahmen  mir  die  schwerste  Sorge 
mit  einer  Bereitwilligkeit  ab,  die  ich  selbst  an  Freunden  so  sehr  bewundern 
als  ihnen  danken  musste.  Mit  völligem  Eingehn  in  meine  Wünsche  opferten 
sie  ihre  ohnehin  so  beschränkte  Müsse,  ||  um  die  Meinigen  unversehrt  und 
selbst    weiter    gebracht    —    meinem    Nachfolger    zu    übergeben.     Dadurch 


September  1800.  ij-i 


haben  sie  sich,  glaube    ich,    sehr   gerechte  Ansprüche  auch  an  den  Dank 
dieses  Nachfolgers  erworben. 

Ueberdas  kann  auch  das  Herz  unsrer  Zöglinge  schwerlich  ungerührt 
geblieben  seyn  von  dem  thätigen  Bemühn,  und  selbst  schon  von  dem 
zuvorkommenden  Wohlwollen,  mit  dem  meine  Freunde  noch  da  ich  in 
Bern  war,  sich  stets  zu  ihnen  hinneigten. 

Es  musste  also  diesen  meinen  Freunden  wol  hart  und  befremdend 
vorkommen,  wenn  es  schien  als  ob  Sie  sie  zu  umgehn  oder  abzuweisen 
wünschten. 

Dass  das  gleiche  noch  in  weit  höherm  Grade  bey  mir  selbst  statt 
findet,  werden  Sie  mir  nicht  verargen. 

Da  ich  nach  Bern  kam,  hörte  ich  Ludwig  von  allen  Seiten  tadeln, 
und  von  manchen  bittern  Argwohn  auf  ihn  werfen.  Die  Mutter  selbst 
erzählte  mir  dass  Hr.  Steiger  nicht  mehr  hätte  über  ihn  sprechen  mögen. 
Nirgends  fand  ich  einen  Punct,  wo  er  zu  fassen  war.  —  Langsame  Fort- 
schritte machten  einige  Hoffnung  —  zweymal  hat  ihn  dann  der  Gang 
der  Revolution  in  Wildheit  zurückgeworfen.  Erst  in  den  2  letzten  Monaten 
meines  dortigen  |]  Aufenthalts  fing  er  an,  die  Schilderung  zu  verdienen,  die 
Sie  in  Ihrem  ersten   Briefe  von  ihm  machen. 

Carln  hatte  man  eingebildet,  er  sey  dumm  und  tauge  nicht  zum 
lernen.  Ich  habe  ihn  lange  für  eingeschränkt  und  eigensinnig  gehalten, 
—  so  lange  nämlich  gerade,  als  ich  mit  Ludwig  zu  sehr  beschäftigt  war, 
um  ihn  mit  gehöriger  Aufmerksamkeit  zu  behandeln. 

Von  Rudolph  will  ich  nicht  sprechen;  da  ich  kam,  war  er  nichts, 
und  ich  habe  auch  nicht  viel  aus  ihm  gemacht.  Es  sollte  eben  angehn 
da  ich  weg  musste. 

Sie  fühlen  sich  wohl  in  Ihrer  Lage.  Wenn  Sie  das  alles,  was  Sie 
jetzt  im  —  zwar  gewiss  mühevollen  —  aber  doch  freudigen  Zuge  fort- 
führen, unter  Ihren  Händen  hätten  werden  sehn,  wenn  Sie  es,  grade  da 
es  eben  ganz  im  Gange  war,  hätten  verlassen  müssen,  —  würde  Ihr  Herz 
dann  ablassen  können?  —  Aber  bey  mir  finden  noch  andre  Umstände 
statt,  mir  sind  Pflichten  geblieben  die  ich  auf  keinen,  selbst  auf  den  ge- 
schätztesten Nachfolger  nicht  ganz  übertragen  kann.  Ich  hatte  es  Hrn. 
St|_eiger]  so  gut  als  versprochen^  8  bis  10  Jahr  dort  zu  bleiben.  Auch  Carln 
hatte  ich  durch  ein  ähnliches  Versprechen  seine  Anhänglichkeit  an  mich 
gelohnt.  Ich  habe  mich  losmachen  müssen;  ich  bin  ohne  Vorwurf,  mit 
allen  Beweisen  ||  des  Wohlwollens  entlassen,  aber  man  hat  mir  das  Zu- 
trauen mitgegeben,  dessen  ich  dort  genoss,  —  ein  Schatz  den  ich  nicht 
müssig  liegen  lassen  darf,  und  mit  dessen  Hülfe  ich  nachbezahlen  muss, 
was  ich  schuldig  geblieben  bin,  so  fern  es  irgend  geschehn  kann.  Noch 
die  letzten   Briefe  die  ich  erhielt,  fordern  mich  dazu  auf. 

Ich  bitte  Sie  sich  jetzt  in  meine  Stelle  zu  versetzen,  und  sich  das 
humane  Verhältniss  des  Zusammenwirkens  nach  gemeinschaftlicher  Berathung 
nun  selbst  auszumahlen,  was  Sie  einzig  wünschenswerth  finden  würden 
zwischen  sich  und  Ihrem  Nachfolger. 

Wollen  Sie  ganz  in  meine  Empfindung  eingehn,  so  bedenken  Sie 
dass  mir  —  wie  Sie  wohl  wissen  werden  —  mein  Vaterland  und  meine 
eignen    Familienverhältnisse    gänzlich   verleidet  sind.      Bern   und   in   Bern 


j  -  ,  Sepiember,  Oktober   1800. 


das  Haus  worin  Sie  diesen  Winter  wohnen  werden,  —  das  Zimmer,  die 
Meublen,  die  Geschäfte,  die  Personen,  —  diese  sind  es  allein,  wohin  ich 
bisher  einen  ganz  rein  frohen  Blick  werfen  konnte.  Dass  auch  dort  jetzt 
Missverständnisse  wohnen  sollten  —  dort,  wo  ich  zu  helfen  und  mir  helfen 
zu  lassen  wünsche,  meine  Hand  als  eine  unwillkommene  Einmengerin 
weggestossen  werden  könnte,   —  wollen  Sie  es  seyn,  der  mir    —  —    — 

131.    L.  v.  Steiger  an  H.1)  Riggisberg  d.  23t.    Septbr.  1800. 

Theuerster  Herr  Herbart!  Freylich  mein  bester  Herr  Herbart,  hätten  Sie 
Ursache  ungeduldig  zu  werden,  über  das  lange  Außbleiben  unserer  Briefe,  ich 
fürchte  nur,  es  möchten  welche  völlig  verloren  gegangen  seyn.  Ich  hoffe  Sie  aber 
durch  diesen  Brief  zu  überzeugen,  daß  ich  ihr  Andenken  immer  noch  so  theuer 
in  meinem  Herzen  aufbewahre,  welches  ihm  ihre  vortief  fliehen  Lehren,  ihre  freund- 
schaftlichen Ermahnungen  und  ihre  so  unumschränkte  Liebe,  so  tief  eingeprägt 
haben.  Worte  sind  wahrlich  zu  schwach,  um  Ihnen  für  alle  diese  Wohlthaten  zu 
danken,  mögen  Sie,  mein  Bester,  den  aufrichtigen  Antheil,  ||  den  ich  an  ihrem 
traurigen  Verlust  ihres  Freundes  Eschen,  erlitten  haben,  als  einen  Beweiß  meiner 
unveränderlichen  Liebe  und  Freundschaft  annehmen.  Sie  haben  gewiß  ein  unschätz- 
bares Gut,  auf  welches  Deutschland  und  die  Schweitz  mit  hoffnungsvollen  Blicken, 
als  ein  einst  reiche  Früchte  tragendes  Gut,  sah  und  wir  einen  werthen  Bekannten 
der  uns  vielleicht  auch  bald  seine  Freundschaft  geschenkt  hätte,  verloren.  In  der 
Blüthe  der  Jahren  fand  der  wackere  Eschen  sein  Grab  in  den  fürchterlichen 
Schlünden  eines  Gletschers,  im  Angesicht  seines  treuen  Freundes  Ziemsen.  Der 
Gedanke,  mein  theurer  H.  Herbart,  daß  ihr  Freund  nun  eine  herrlichere  Laufbahn 
angetreten  habe,  möge  Ihnen  einigen  Trost  verschaffen.  Um  aber  ||  von  diesem 
unangenehmen  Gegenstand  abzulenken,  so  will  ich  Ihnen  jetzt  einen  kurzen  Abriß 
meiner  gegenwärtigen  Beschäftigungen  geben.  Die  sphärische  Trigonometrie,  Cap.  2 ; 
mündliche  Übersetzung  des  Tacitus  lib.  3,  schriftliche  des  zweyten  punischen 
Krieges;  mündliche  und  schriftliche  Übersetzung  des  Feldzuges  des  Cyrus;  von 
Xenophon,  Cap.  5;  Goldsmiths  Geschichte  der  Römer  Tom:  I.  Anacharsis  Geschichte 
der  Griechen  Tom.  I.  pag.  336.  Geographie,  englisch  lesen  und  übersetzen,  Wünsche 
Cosmologie  und  noch  verschiedene  Übungen  im  Französischen,  sind  die  Be- 
schäftigungen, die  mich  in  den  verschiedenen  Tagen  der  Woche  theils  mit  Hülfe 
des  H.  Segelken,  theils  alleine  unterhalten.  Im  Ciavier  übe  ich  mich  in  meinen 
Freystunden.  —  Unser  Freund  Ziemsen  war  vor  8  Tagen  hier,  und  wird  in  den 
ersten  j|  Tagen  wiederkommen;  er  hält  sich  gegenwärtig  im  Gurnigel  bei  H.  Zehen- 
der  auf.  Wir  befinden  uns  insgesamt  sehr  wohl  und  sind  in  Erwartung  der  Dinge 
die  da  kommen  sollen,  in  Rücksicht  auf  Krieg  und  Frieden. 

Sie  werden,  mein  Bester,  mit  diesem  Briefe  auch  welche  von  meinen  Brüdern 
bekommen.  Behalten  Sie  doch  mein  lieber  H.  Herbart  die  Liebe  und  Freundschaft, 
gegen  mich  und  gegen  uns  alle,  mit  welcher  ich  bin  und  ewig  bleiben  werde 

Ihr  Sie  aufs  wärmste  liebende  Ludw.  Steiger. 

129.    Ziemssen  an  Herbart.2)  Bern  d.  16.  Octob.  1800. 

Endlich,  mein  Theuerster,  hoffe  ich  mich  wieder  etwas  loswinden  zu  können 

aus   dem  Strudel    von   den  heterogensten   Geschäften  und  Zerstreuungen,    die  seit 

einigen  Wochen    im   buntesten  Gewirre  auf  mich   einstürmten  und  mich  kreuselnd 

y)  41/,  S.  4°.  II.  Wien. 
2)  16 'S.  8°.     H.  Wien. 


Oktober   1800. 


175 


mit  sieh  fortrissen,  so  daß  ich.  oft  mein  eignes  Ich  nur  an  der  tiefen  Trauer,  die 
bey  alle  dein  unablässig  mein  eigentliches  Wesen  umhüllte,  —  als  das  ineinige 
wiederzuerkennen  vermochte.  Vor  allem  andern  also  Dir,  mein  Herbart,  zuerst 
meinen  Dank,  meinen  wärmsten,  innigsten  Dank,  für  den  Balsam,  womit  Du  in 
Deinen  Briefen  den  Schmerz  meiner  gefährlichen  Wunde  zu  lindern  suchst,  und 
vorzüglich  dafür,  daß  Du  mir  noch  ganz  bleibst,  und  unveränderlich  und  ewig  mit 
mir  durch  unsre  zu  erringende  Würde  verbunden  seyn,  und  mich  bewahren  willst, 
das  schon  erkämpfte  Fleckchen  Land  nicht  wieder  zu  verlieren  und  nicht  zu  der 
schlaffen,  faden  Alltagswelt  hinabzusinken.  0  wohl  bedarf  ich  jetzt  hier  einer 
solchen  Kraftstimme  von  der  Höhe  aus  der  Ferne  her,  da  ich  hier  nunmehr  selten 
etwas  anders  höre,  als  das  Jauchzen  oder  Wehklagen  der  Gewürme,  die  auf  der 
Erde  kriechen,  und  es  nicht  begreifen,  warum  ein  andrer  nicht  zufrieden  ist,  mit 
ihnen  zu  essen,  zu  trinken  und  zu  jubeln.  Zweymal  war  ich  hier  im  ||  fernen 
Lande  schon  wenigstens  bis  in  den  Vorhof  des  Himmels  auf  Erden  im  Tempel  der 
höhern,  ernstern  Freundschaft  vorgedrungen,  aber  beyde  male  ward  ich  durch  äußere 
Gewalt  wieder  herausgerissen  aus  dem  Heiligthume,  und  das  letztemal  auf  eine  so 
fürchterliche,  alle  Organe  meines  Wesens  fast  bis  zur  Vernichtung  erschütternde 
Art,  daß  ich  erst  nach  und  nach  mit  meiner  eignen  Genesung  meinen  unendlichen 
Verlust  so  recht  Stück  für  Stück  bis  auf  den  kleinsten  Punkt  durchzufühlen  be- 
komme. 0  wir  haben  die  Wonnen  der  Freundschaft  mit  einander  genossen,  wir 
haben  zusammen  gelebt  und  hatten  uns  so  in  einander  verlebt.,  daß  jene  süße  Har- 
monie der  Seelen,  worin  man  sich  über  den  wichtigsten,  höchsten  Gegenständen 
oft  durch  Bücke  und  Wink,  oder  durch  einzelne  Worte  versteht,  uns  so  an  einander 
kettete,  daß  es  mir  oft  schien,  als  sey  es  uns  nur  mit  unsern  Unterhaltungen,  und 
Äußerungen  Ernst,  wenn  ich  bey  ihm,  und  er  bey  mir  war;  wenigstens  sprach  nur 
zu  ihm  meine  volle  Seele,  denn  nur  er  verstand  mich  ganz;  die  Arbeit  und  das 
Interesse  des  einen  war  auch  das  des  andern,  und  alles,  was  in  unsern  Kreis  kam 
ergriffen  wir  gemeinschaftlich  mit  Wärme,  Kraft  und  Leben.  —  Ach  die  schönen 
Tage  sind  dahin,  entschwunden  auf  der  schrecklichsten  Art,  und  haben  nur  schmerz- 
lichen Kummer  und  tiefe,  tiefe  Trauer  hinterlassen,  womit  ich  nun  mit  meinem 
eigentlichen  Ich  wieder  so  allein  und  verlassen  da  stehe,  als  ein  armer  Bettler,  || 
der  nun  zwar  vor  mancher  Thür  anklopft,  aber  selten  einen  Almosen  mit  sich  trägt. 

—  Aber  Du,  mein  Theurer,  einzig  mit  mir  verbundener,  bleib  mir  nahe,  wenn  Du 
gleich  ferne  bist,  und  laß  mich  Dir  bisweilen  wenigstens  durch  den  hinkenden,  oft 
stotternden  oder  gar  nur  pantomimisch  redenden  Boten  der  Feder  zurufen,  wie  sehr 
ich  im  Geiste  stets  mit  Dir  lebe.  0  hätte  ich  Dich  hier  doch  wieder  umarmen 
können,  und  Arm  in  Arm  dem  höhern  Leben  und  Würken  entgegenstreben!  — 
Aber  ich  fürchte  beynahe  mir  hiebey  selbst  einen  Streich  gespielt  zu  haben,  denn 
vielleicht  hättest  Du  die  Stelle  bey  Fr[isching]  angenommen,  wenn  ich  ni^ht  zu  voreilig 
mit  meinem  Vorhaben,  im  Falle  Du  sie  nicht  nehmst,  herausgeplatzt  wäre.  Frey- 
lich glaubte  ich  wohl,  daß  Du  Dich  leicht  zu  einer  Aufopferung,  wie  die  war  meine 
Stelle  anstatt  der  bey  Fr.  zu  nehmen,  entschließen  würdest;  weil  ich  selbst 
im  gleichen  Falle  kein  Bedenken  dabey  getragen  haben  würde.  Aber  auf  der 
andern  Seite  hofte  ich  auch  von  Deiner  Gradheit,  daß  du  meine  grade  und  offene 
Bitte,  diese  Aufopferung  nicht  zu  machen,  als  Freund  verstehen  und  achten  würdest. 

—  Habe  ich  mich  geirrt?  —  Von  Deinen  und  meinen  Planen,  sowie  von  unserm 
gemeinschaftlichem  Plane,  schreibe  ich  Dir  heute  nichts  weiter,  obgleich  ich  noch 
manche  Idee  hierüber  mit  Dir  auswechseln  möchte.  Denn  theils  fühle  ich  mich 
wirklich  heute  nicht  ganz  dazu  aufgelegt,  mit  Ordnung  und  Gründlichkeit  darüber 
zu  reden,  und  doch  darf  ich  Steigers  Briefe  Dir  nicht  länger  vorenthalten;  theils 
wollte  ich  Dir  heute  ||  hauptsächlich!  nur  den  Ausgang  meiner  Unterhandlungen  mit 


jy5  Oktober  1800. 


Frischirjg  und  Sinner  mittheilen.  Aber  halte  Wort;  laß  uns  diesen  Winter  recht 
viel  miteinander  wenigstens  durch  Briefe  zusammen  conversiren,  denn  ich  habe 
noch  so  manches  auf  dem  Herzen,  was  ich  doch  keinem  andern  als  Dir  werde 
mittheilen  können;  und  der  Lauf  unsrer  Geschäfte  wird  uns  hoffentlich  auch  Stoff 
genug  darbiethen.  Über  Pestalozzi  schreibe  ich  Dir  sobald,  als  möglich  ausführlich, 
und  theile  Dir  alles  mit,  was  von  ihm  ich  mittheilen  kann.  —  Den  Bremensern, 
(der  H.  Sengsten  hatte  noch  einen  Dr.  Pavenstedt  aus  Bremen  und  einen  Dr.  Cols- 
mann  aus  Kopenhagen  bey  sich)  habe  ich  nicht  recht  viel  aufladen  mögen; 
warum  nicht  davon  ein  ander  mal,  so  wie  auch  davon,  wie  sie  mir  gefielen,  usw. 
Bey  Zehender  habe  ich  herrliche  14  Tage  auf  dem  Gurnigel  mit  seiner  ganzen 
Familie  zugebracht,  in  deren  genauem  Bekanntschaft,  ich  einen  wahren  Schatz  ge- 
funden zu  haben  glaube.  Ich  verspreche  mir  diesen  Winter  noch  schöne  Abende 
in  diesem  Kreise,  worin  ich  jezt  ganz  zu  Hause  bin,  und  als  wahrer  Hausfreund 
mit  Offenheit  und  Ungezwungenheit  behandelt  werde;  weshalb  ich  Dich  gewiß  oft 
davon  unterhalten  werde,  und  das  um  so  mehr  da  ich  in  der  That  vielmehr  in  dem- 
selben finde,  als  ich  hofte.  In  der  folgenden  Woche  kehrt  die  ganze  Familie  vom 
Gurnigel  heim,  worauf  ich  mich  deshalb  sehr  freue.  || 

Der  Hauptgrund,  warum  ich  Dir  noch  nicht  eher  geschrieben  habe,  ist,  weil 
ich  gerne  erst  den  Ausgang  der  bewußten  Sache  mit  Frisching  und  Sinner  abwarten 
wollte.  Jetzt  endlich  ist  alles  ins  Reine.  Frisching  überraschte  mein  Antrag,  wie 
es  mir  schien  und  wie  er  mir  auch  bezeugte,  aufs  angenehmste,  weil  er,  wie  er 
mir  sagte,  den  Wunsch  und  die  Hofnung  hiezu  nur  gar  nicht  hätte  in  sich  auf- 
kommen lassen  mögen,  da  ich  immer  nur  davon  geredet  hatte,  ihm  einen  andern 
jungen  Mann  aus  Deutschland  zu  verschaffen;  und  er  antwortete  mir  gleich:  es 
sey  nur  gar  nicht  möglich,  daß  irgend  jemand  gefunden  werden  könne,  dem  er  lieber 
-die  Erziehung  seines  Sohnes  anvertrauen  würde,  als  mir;  und  seiner  Frau  wolle  er 
nur  gar  nicht  davon  reden,  er  wisse  ohnehin  wiesehr  sie  hierin  mit  ihm  überein- 
stimme; und  überhaupt  hoffe  er,  mir  dieses  gar  nicht  erst  sagen  zu  dürfen,  da  die 
Bekanntschaft  von  beyden  Seiten  so  ganz  gemacht  sey:  —  es  sey  also  wohl  weiter 
nichts  übrig,  als  Hn.  S[inner]  auf  die  rechte  Art  zu  behandeln,  damit  er  ja  keinen 
falschen  Verdacht  fasse,  als  wenn  er  (Hr.  Fr,)  mich  auf  eine  hinterlistige  Weise 
hiezu  veranlaßt,  oder  gar  überredet  habe.  Worauf  ich  Hn.  S.  denn  bey  meiner 
Zurückkunft  einen  schon  vorher  verfertigten  Aufsatz  übergab,  worin  ich  ihm  mit 
aller  möglichen  Wahrheit  und  Offenheit  meine  Beweggründe  zu  diesem  Schritte 
mittheilte,  und  um  meine  Entlassung  bat.  Welchen  Aufsatz  ich  auch  dann  Hn.  Fr. 
communicirt  hatte,  um  auch  ihn  mit  den  wahren  Gründen  bekannt  zu  machen,  und 
zu  zeigen,  daß  kein  eigentliches  Mißverhältnis  mich  aus  1|  diesem  Hause  treibe.  — 
In  einer  Nachschrift  fügte  ich  noch  hinzu,  daß  dieser  Entschluß  durchaus  von  mir 
selbst  ausgehe,  und  daß  H.  Fr.  mich  weder  dazu  veranlaßt,  noch  ihn  habe  ahnden 
können;  und  daß  ich,  im  Falle  H.  S.  den  geringsten  Verdacht  hierüber  habe, 
ohne  weiters  auf  beyde  Stellen  zugleich  Verzicht  leiste.  —  Hiebey  hat  H.  S.  sich 
nun  nicht  blos  sehr  human,  sondern  wirklich  edel  bezeigt.  —  Er  sagte  mir  ein 
paar  Stunden  nach  Empfang  dieses  Aufsatzes  in  einer  Unterhaltung  hierüber:  es 
thue  ihm  sehr  leid,  daß  ich  zu  diesem  Schritt  entschlossen  sey,  er  habe  meine 
Gründe  erwogen,  und  sehe  leider,  daß  sie  durchaus  triftig  wären;  ja  so  sehr,  daß, 
so  unangenehm  und  schmerzlich  ihm  mein  Verlust  auch  sey,  er  mir  dennoch,  wenn 
ich  ihn  selbst  um  Rath  gefragt,  als  ehrliche]-  Mann  hätte  zuraten  müssen.  Überdies 
versicherte  er  mir,  daß  er  nicht  nur  nicht  den  geringsten  bösen  Verdacht  auf  Hn. 
Fr.  habe,  und  daß  er  alles  mögliche  thun  werde,  ihn  selbst  auch  davon  zu  über- 
zeugen, sondern  daß  er  Hrn.  Fr.  Glück  wünschen  und  nur  darum  bitten  werde,  alles 


Oktober  1800.  177 


mögliche  aufzubieten,  mich  noch  lange  nicht  wiederzuverlieren,  oder,  wo  möglich, 
gar  bis  zur  Vollendung  der  Erziehung  seines  Sohnes  zu  behalten.  Übrigens  wünsche 
er  auch  mir  von  Herzen  Glück,  da  das  Früschingsche  Haus  gewiß  eins  der  besten, 
und  wie  er  glaube  in  aller  Hinsicht  das  allerbeste  sey.  —  Hiemit  ging  ich  denn 
sobald  es  das  AVetter  und  andre  Umstände  erlaubten  wieder  nach  Rümligen,  wo 
ich  die  Freude  hatte,  recht  deutlich  zu  sehen,  wie  wenig  ich  mich  in  der  Hofnung, 
daß  man  mich  gerne  in  diesem  Hause  ||  aufnehmen  werde,  getäuscht  habe.  Alles 
war  in  voller  Erwartung  über  den  Ausgang  meiner  Unterredung  mit  Hn.  S.,  und 
in  dem  ganzen  häuslichen  Kreise  erwachte  eine  so  wahre,  herzliche  Fröhlichkeit 
darüber,  daß  nun  alle  Hindernisse  beseitigt  schienen,  daß  ich  selbst  aufs  angenehmste 
grührt  werden  mußte.  Wenn  nicht  durchaus  alle  Zeichen  trügen,  so  gehe  ich  hier 
dem  herlichsten  Wirkungskreise  entgegen,  den  ich  mir  je  in  dieser  Art  wünschen 
könnte;  wenn  das  Andenken  unsers  Verewigten,  das  mich  hier  fast  auf  jedem  Tritt 
umgibt,  meine  schmerzliche  Trauer  hier  nir-ht  zu  lebendig  erhalten  wird.  In  mehr 
als  einer  Rücksicht  darf  ich  dieses  ganze  Verhältniß,  worin  ich  jetzt  trete,  wohl  als 
ein  Vermächtniß  meines  theuren  Eschen  an  mich  ansehen;  denn  ihm  verdanke  ich 
die  ganze  Bekanntschaft  dieses  Hauses,  und  seiner  Liebe  die  Liebe  und.  Achtung 
dieser  ganzen  Familie  ||  in  deren  Kreise  ihn  das  liebe-  und  ehrenvollste  Andenken 
überlebte,  und  gewiß  noch  lange  überleben  wird.  Und  wenn  ich  die  ganze  Art 
bedenke,  wie  Eschen  hier  stets  in  diesem  Hause  behandelt  wurde,  wie  man  sich 
von  ihm  belehren  ließ,  und  wie  man  jeden  seiner  "Wünsche  zu  befriedigen  strebte, 
und  endlich  wie  Hr.  Fr.  jetzt  noch  jeden  Saamen,  den  Eschen  ausstreute,  nach 
seinem  Tode  mit  Achtung  für  den  Verewigten  zu  bewahren,  zu  pflegen  und  groß 
zu  ziehen  sucht,  so  darf  ich  mir  hier,  wenn  nicht  von  außenher  unerwartete  un- 
günstige Umstände  einfallen,  wohl  keinen  unfruchtbaren  Wirkungskreis  bey  dem 
liebevollen  Zutrauen  versprechen,  womit  man  mir  ||  entgegen  körnt,  und  bey  den 
Talenten,  die,  soviel  ich  bis  jetzt  sehen  kann,  aus  Rudi  sowohl,  als  aus  Sophie 
hervorleuchten.  —  So  laß  mich  denn  versuchen,  ob  ich  hier  nicht  ein  paar  junge 
Pflanzen  seiner  würdig  groß  zu  ziehen  vermag,  deren  ersten  Keimen  er  selbst  mit 
so  liebevoller  Sorgfalt  hegte  u.  pflegte! 

Daß  ich  Dir  die  genauere  Schilderung  dieses  neuen  Wirkungskreises,  so  bald 
ich  mich  selbst  ganz  hineinversetzt  habe,  und  den  steten  Fortgang  und  Erfolg  meiner 
Bemühungen  mittheilen  werde,  versteht  sich  von  selbst.  Jetzt  nur  noch  ein  paar 
Worte  von  denen,  die  ich  verlasse.  Sehr  rührend  war  mir  der  wahre  und  heftige 
Eindruck,  den  dieses  auf  meinen  Fritz  machte,  und  seyn  ganzes  Benehmen  hiebey 
hat  mir  es  noch  gewisser  verbürgt,  daß  eine  wahre  Anhänglichkeit  an  mich  in  ihm 
ist,  und  daß  meine  Bemühungen  für  ihn  nie  ganz  verloren  gehen  werden.  Das 
einzige,  wodurch  ich  ihn  zu  beruhigen  vermochte,  war  die  Vorstellung,  daß  ich 
diesen  Schritt,  so  nahe  er  meinem  Herzen  auch  in  mancher  Hinsicht  ginge,  dennoch 
für  meine  Pflicht  hielte,  und  daß  er  ihn  nicht  als  eine  Trennung  von  ihm,  sondern 
nur  als  eine  Veränderung  unsrer  äußern  Lage  ansehen  müsste,  die  uns  vielleicht 
auch  näher  verbinden  würde,  als  es  bey  unserm  sonstigen  Verhältniße  möglich  ge- 
wesen sey.  —  Ja  sollte  ich  auch  in  diesen  anderthalb  Jahren  sonst  nichts  gewürkt 
haben,  das  Bestand  hätte,  so  habe  ich  wenigstens  hier  wohl  ||  ziemlich  entscheidend 
und  bleibend  gewürkt;  und  hoff  endlich  soll  auch  jetzt  der  Faden  noch  nicht  zer- 
rissen, sondern  mein  Werk  nur  im  freyern  und  deshalb  schönern  Geiste  fortgesetzt 
werden.  --  Doch  von  allen  diesem,  von  Fritz,  was  er  ist,  und  was  er  werden  kann, 
—  so  wie  auch  davon  daß  ich  dennoch  diesen  Kreis  verlassen  mußte  (wogegen 
doch   noch   wohl  wenigstens   ein   ganz   leiser  Zweifel   in  Deinem  Briefe   zu   finden 

Herbarts  Werke.     XVI.  * 2 


17S  Oktober   1800. 


seyn  möchte,  den  ich  noch  einmal  näher  mit  Dir  beleuchten  muß)  —  ein  andermal 
ausführlicher;  jetzt  nur  von  de,  was  hier  unmittelbar  zum  Sache  gehört. 

Böhlendorf   hatte   neulich   an  Zehender  geschrieben,    und  ihn  ersucht  ihm  die 
Stelle  bey  Frisching  zu  verschaffen,  ohne  daß  er  sich  grade  dazu  anbiethen  dürfte. 

—  NB.  Dis  bitte  ich  Dich  aber  als  Geheimniß  für  Dich  zu  behalten,  wenn  Böhlen- 
dorf es  Dir  nicht  selbst  erzählt.  —  Dis  theilte  Zehender  mir  mit,  weil  er  wußte, 
theils  daß  Frisching  mir  die  ganze  Sache  übertragen  habe,  theils  daß  im  Fall  Du 
nicht  kommen  werdest,   ich   selbst   mich   um   die  Stelle  zu  bewerben  gesonnen  sey. 

—  Ich  war  im  ersten  Augenblick  wirklich  halb  und  halb  zweifelhaft,  ob  ich  daraufhin 
nicht  mit  meinen  Ansprüchen  zurücktreten  solle;  aber  Zehender  meinte  gleich  nein, 
und  daiin  mußte  ich  ihm  nach  reiflicher  Überlegung  beystimmen.  Denn  eine  große 
Aufopferung  wäre  es  von  meiner  Seite  immer  gewesen,  denn  in  S[inner]s  Hause  konnte 
und  wollte  ich  nun  einmal  nicht  bleiben,  wenn  ich  dadurch  nicht  Deine  Rückkehr 
zu  uns  erlangen  konnte,  und  in  mein  Vaterland  heimzukehren,  dagegen  waren 
tausend  ||  Gründe  für  einen;  und  nun  war  ich  Hn.  B.  in  der  That  mit  meinem  Ent- 
schluße  zuvorkommen,  und  wenn  mich  nicht  durchaus  alles  trog,  so  durfte  ich  den- 
selben nur  äußern,  um  wegen  der  einmal  gemachten  Bekanntschaft  mit  dem  ganzen 
Hause,  und  wegen  der  Anhänglichkeit  der  Kinder  einem  andern  vorgezogen  zu 
werden;  theils  hatte  ich  bey  einer  andern  Veranlassung  dem  Hr.  Fr[isching]  (der  ein 
naher  Verwandter  von  Wattenwyl  ist,  bey  dem  B.  zu  erst  war,)  schon  sehr  deutlich 
abgemerkt,  daß  er  mehr  gegen,  als  für  B.  eingenommen  sey,  und  da  ich  selbst  B. 
nicht  genug  kenne,  daß  ich  ihn  Frisch,  hätte  so  empfehlen  und  schildern  können, 
daß  ich  einmal  schon  vorhandene  Vorurtheile  dadurch  mit  einem  Schlage  zu  Boden 
hätte  schlagen  können,  so  wäre  ein  solcher  Antrag  noch  dazu  sehr  mißlich  gewesen. 
Hiezu  kamen  noch  eine  Menge  andrer  Gründe,  deren  Auseindersetzung  mich  zu 
weit  führen  würde.  Und  am  Ende  aufrichtig  gestanden  sehe  ich  mich  durch  nichts 
zu  einer  solchen  Aufopferung  verpflichtet.  Leuchtet  Dir  dieses  alles  noch  nicht 
genug  ein,  und  bleibst  Du  noch  zweifelhaft,  so  sage  es  mir  aufrichtig;  so  werde 
ich  versuchen  Dir  die  Sache  ganz  mit  den  noch  übrigen  nicht  unwichtigen  Fakten 
und  Gründen  vorzulegen,  und  Dich  dann  entscheiden  lassen;  —  aber  um  alles  in 
der  Welt  laß  uns  ohne  hinlängliche  Prüfung  an  einander  nicht  irre  werden!  —  Mit 
Einstimmung  von  Zehender,  Steck  und  May  blieb  ich  also  dabey,  die  Stelle  bey 
Frisching  selbst  anzunehmen,  und  Böhlendorf  etwa  zu  fragen,  ob  er  die  Stelle  bey 
S.  auch  vielleicht  selbst  wieder  nehmen  möge.  || 

Außerdem  hatte  nun  auch  schon  Dein  Freund  Hörn  aus  Braunschwreig  an 
mich  geschrieben,  und  mir  vorläufig  seinen  Bruder  geschildert,  der  nächstens  aus 
Leipzig  zu  ihnen  kommen  u.  dann  selbst  an  mich  schreiben,  und  mir  sagen  wrerde, 
ob  er  Lust  zu  dieser  Stelle  habe,  oder  nicht:  welches  Schreiben  ich  aber  bis  jetzt 
noch  nicht  erhalten  habe.  —  Wenn  gegen  Hörn  auch  nichts  einzuwenden  gewesen 
wäre,  so  hätte  B.  doch  hier  wohl  das  Vorrecht,  sein  angefangenes  "Werk  fortzusetzen, 
wenn  er  selbst  in  die  Verhältniße  zurücktreten  möclite,  wozu  er  nach  seinem  letzten 
Briefe  jetzt  wohl  tüchtiger,  als  je  seyn  würde;  u.  ich  mußte  nach  der  Achtung,  worin 
er  bey  Hr.  S[inner]  steht,  erwarten,  daß  dieser  ihn  lieber,  als  irgend  einen  andern 
nehmen  werde.  —  Ich  sagte  deshalb  Hn.  S.,  ohne  B.s  letzter  Äußerung  zu  erwähnen, 
ob  er  nicht  versuchen  wolle,  B.  zu  bewegen  zu  ihm  zurückzukehren?  Im  Falle  B. 
sich  hiezu  nicht  entschließen  werde,  erwähnte  ich  Horns.  —  Hierauf  antwortete  S. 
mir,  B.  sey  ihm  sehr  theuer,  und  um  Fritzens  willen  wünsche  er  seine  Rückkehr 
allerdings,  aber  für  Ludw.s  und  Ferd.s  Erziehung  halte  er  ihn  nicht  ganz  passend, 
und  ohnehin  würde  B.  sich  wohl  nicht  auf  lange  Zeit  engagiren,  wenn  man  ihn 
auch  bewegen   würde    zurückzukommen;   kurz   ich   sehe   aus  allem,    er  wünsche  B. 


Oktober    1800.  j^q 


nicht;  worauf  ich  natürlicher  "Weise  noch  dazu  ohne  B.  Auftrag  nicht  weiter  [in  ihn] 
dringen  durfte.    Und  überhaupt  hatte  Hr.  S.  den  Entschluß  gefaßt,  worüber  er  mich 
jedoch  um  Rath  fragte,  Fritz  unter  meiner  Direction  Privatunterricht  geben  und  seinem 
eignen  Fleiße  zu  überlassen;  worauf  er  sich  unter  meiner  Einwirkung  ziemlich,  und 
hoffendlich  nicht  ohne  Grund,  verlassen  zu  dürfen  glaubte ;  und  Ludw.  und  Ferdinand 
in  ein  Institut  zu  geben,  das  mit  dem  künftigen  Monate  seinen  Anfang  nimmt,  und 
von   Trechsel,    Prof.  Zeender    und  Niehans    für  25  Knaben,    die    sie    in    2  Klassen 
theilen,  errichtet  wird.     Seine  Gründe    hiefür  waren;    daß    es   schwer  fallen  werde 
jemand  zu  finden,    der   alle  JBedürfniße  seiner  Kinder  befriedigen  könne  und  wolie, 
daß,   wenn   er  einen  solchen  auch  wirklich  fände,    er  dennoch  alle  Augenblicke  ge- 
wärtig seyn  müsse,    daß  ihm  diese  wirklich  schwere  Last    zu  drückend  werde  und 
er   wieder   im    bloßen   stände,    daß   der  ewige  Wechsel  und  gar  die  zu  fürchtenden 
Intervalle  großen  Schaden  verursachten,  und  daß  er  nicht  mehr  in  dem  Vermögens- 
zustande   sey,    daß    er    die  Bedingungen  immer  von  Zeit   zu  Zeit  so   sehr  erhöhen, 
könne,   daß    er   mit  ziemliche]'  Sicherheit  hoffen  könne,   es  werde  jemand,  so  lange 
er    es    nur   wünsche,    bey    ihm    bleiben ;  —  und   wie   diese   Gründe    weiter    heißen 
mochten;  wozu  noch  kinzukam,  daß  er  Fr[itz]  im  künftigen  Sommer    nach  Genf  zu 
schicken  gedenkt,  wozu  ich  vielleicht  aus  mehreren  Gründen  einstimmen  werde.  — 
Beynahe  8  Tage  hindurch   ist  fast   nichts   anders  als  diese  Sache  in  meinem  Kopfe 
herumgegangen,  denn  in  ein  paar  Tagen  mußte   der  Entschluß  gefaßt  werden,  weil 
man  nicht  länger  mit    der  Besetzung    der    noch    übrigen  Plätze    im  Institut  warten 
wollte.     Mein  Hauptgrund   für   diese  Einrichtung   war,    daß   ich  nach  recht  genauer 
Überlegung,  es  fast  für  unmöglich  hielte,  daß  ein  Mensch  die  Stelle  in  diesem  Hause 
ganz  ausfüllen,  und  dabey  freudig  und  standhaft  bleiben  könne;  da  jetzt  sogar  noch  | 
der  vierte  bald  mit  hinzugezogen  werden  muß.     In   einem  Hause  wie  Steigers  war 
dis   eher  möglich,    weil  dort   von   außen  durch  einen    treflichen,    und    verständigen 
Vater  und  durch  das  Leben  in  einem  ganzen  Familienkreis  kräftig  mitgewürkt,  und 
im  Ganzen  alles  mit  Ordnung  und  Consequenz   durchgeführt  wird.     Aber  hier  muß 
der  Lehrer  alles  selbst  seyn  und  thun.  —  Dazu  kömmt  nun  noch  außer  einer  ganzen 
Menge  andrer  Gründe,    daß  es  für  Fr.  sehr  gefährlich   seyn  würde,    wenn  er  einen 
andern  Führer  erhalten  sollte,   der   ihn   nicht  sogleich  ganz  übersehen  könnte,    und 
seinem  Charakter  gemäß  zu   lenken  und    zu   behandeln  wüßte.  —  Dagegen  standen 
mir  auf  der  andern  Seite  die  Gefahren    und   die  Nachtheile   eines   solchen  Instituts 
auch   gar   zu  deutlich  wieder  vor  Augen,   wobey  es  doch  eigentlich  immer  fast  nur 
auf  gut  Glück  ankörnt   ob  aus  dem  Knaben  etwas  wird,    oder  nicht;    weil   dis   doch 
immer  nur  Fabrikswaare  werden  kann.    Da  mir  die  Zeit  jetzt  zu  kurz  ist,  Dir  den 
ganzen  Gang  der  Sache  zu  detailliren,   und  Du   vielleicht  auch   wenig  Unterhaltung 
daran  finden  würdest;   so  theile  ich  Dir  nur  den  Final-Entschluß  mit,   wozu  ich  es 
endlich  gebracht  habe,   und   wohin  alle,   denen  ich  die  Sache  vorlegen  konnte,   mit 
mir   übereinstimmten;    doch   muß    ich   Dir    meine    Gründe    noch    schuldig    bleiben. 
Ludwig  u.  Ferd.  gehen  vorläufig  in  das  Institut  bis  zu  Ende  des  Winters,   und  er- 
halten  im    Griechischen   noch    besonderen  Unterricht;    Fritz    arbeitet    unter  meiner 
Anleitung  ||  und    Aufsicht    für    sich    und    erhält    nach    meinem    Gutdünken    andre 
Lectionen.    Übrigens  habe  ich  den  Auftrag,  im  Fall  diese  Einrichtung  nicht  über  alle 
Erwartung  befriedigend  ausfällt,  Hn.  S[innerj  für  künftigen  Sommer  einen  Hauslehrer, 
sey  es  Hörn,  oder  ein  andrer,  zu  verschaffen,  dessen  Hauptaugenmerk  nur  auf  Ludw. 
u.  Ferd.  gerichtet  seyn  soll;   der  aber  Hofnung  machen  kann,   einige  Jahre  hier  zu 
bleiben.  —  Aber  warum  denn  nicht  gleich  nach  einem  solchen  suchen,  warum  nicht 
gleich  mit  Hörn  in  Unterhandlung  treten'?  Höre  ich  Dich  fragen.  —  Das  lange  Suchen 
nach  Segelken  hat  uns  hier  etwas  furchtsam  gemacht;   nimmt  H|err]  S[inner]  nicht 

12* 


180  November   1800. 


sogleich  ein  paar  Stellen  im  Institut,  so  erhält  er  gar  keine,  weil  sie  über  25  nicht 
hinausgehen  und  diese  Anzahl  gleich  voll  haben ;  nehme  nun  Hörn  diese  Stelle  nicht 
an,  worüber  ich  durchaus  keine  Gewißheit  habe,  indem  sein  Bruder  mir  schreibt; 
er  wisse  nicht,  ob  dieses  Engagement  mit  den  Neigungen  u.  Planen  seines  Bruders 
übereinstimme  oder  nicht:  so  wäre  zu  fürchten  daß  Hr.  S.  den  ganzen  Winter 
hindurch  im  bloßen  stände,  wobey  nicht  nur  er,  sondern  auch  H.  Fr.  und  ich  aufs 
ärgste  geprellt  wären.  Überdem  erhalten  wir  hiedurch  Zeit  uns  über  Hörn  näher 
zu  unterrichten,  einige  Bedenklichkeiten,  die  sie  finden  möchten  näher  zu  beleuchten, 
und  mit  ihm  die  nöthigen  Bedingungen  gehörig  zu  verabreden,  wenn  er  anders  Lust 
hat  diese  Stelle  anzunehmen.  Wiedrigenfalls  suchen  wir  dann  einen  andern  auf. 
Auch  kann  B.  währenddessen  benachrichtigt  werden.  |j  Übrigens  dürfte  dieses  viel- 
leicht auf  Ludw.  u.  Ferd.,  worauf  ich  noch  immer  ein  wachsames  Auge  haben 
werde,  nicht  ganz  ungünstig  würken.  —  Doch  endlich  genug  hievon,  sage  Du  mir 
auch,  was  Du  vorläufig  auf  den  ersten  Anblick  hievon  denkst;  doch  bitte  ich  Dich 
hierüber  noch  nicht  a  priori  ganz  bey  Dir  zu  entscheiden,  sondern  in  der  Folge 
etwa  noch  die  übrigen  Umstände  anzuhören.  —  Beygehend  erhältst  Du  ein  ganzes 
Pack  Briefe  von  Steigers  die  ich  gerne  noch  durch  einen  Commentar  vermehren 
möchte,  wenn  ich  Zeit  und  Laune  dazu  hätte;  aber  er  soll  Dir  nicht  entgehen. 
Segelken  ist  freylich  kein  Herbart  u.  kein  Eschen,  aber  dennoch  thut  er  mehr,  als 
ich  erwartete,  wenn  der  Schein  nicht  trügt,  denn  er  arbeitet  ungeheuer  für  die 
Kinder,  denen  er  täglich  4  Stunden  Unterricht  gibt,  und  es  scheint  ihm  an  Kennt- 
nissen nicht  zu  fehlen,  obgleich  doch  ein  gewisser  Kleinlichkeitsgeist  sich  nicht  ganz 
verbergen  kann.  Aber  ich  glaube,  daß  für  ihn  selbst  dieser  Wirkungskreis  äußerst 
wohlthätig  ist,  denn  wahrlich  er  ist  jetzt  schon  ein  andrer,  als  er  kam.  Lieben 
werde  ich  ihn  wegen  seiner  Kälte  und  Trockenheit  wahrscheinlich  nie  können,  aber 
achten  werde  ich  ihn  müssen,  wenn  er  die  Probe  aushält;  denn  diesen  Winter 
hoffe  ich  Zeit  und  Gelegenheit  zu  finden,  alles  näher  zu  beleuchten.  Er  ist  übrigens 
sehr  froh  und  zufrieden  in  diesem  Kreise,  und  auch  Steigers  sind  zufrieden;  und  | 
unsre  Pflicht  ist  es  wohl,  Steigern  zu  überzeugen,  daß  er  ihm  auch  nicht  unrecht 
thue,  und  nicht  zu  viel  verlangen  müsse.  Von  allen  diesem  im  Winter  mehr.  — 
Schreibe  mir  recht  bald  und  laß  uns  nicht  immer  erst  die  Antwort  von  einander 
abwarten;  sondern  uns  nach  Lust  u.  Trieb  einander  mittheilen. 

Ganz  der  Deine  Th.  Ziemssen. 

In  großer  Eile  u.  mit  verfrornen  Händen  u.  Füßen.  An  Hörn  schreibe  ich 
mit  nächster  Post. 

3.  Nov.:  Aus  den  Protokollen  des  Vorstands  der  Gesellschaft  Museum  in  Bremen:   „1800 
Nov  3   las  ein  Fremder,  H.  Herbart  aus  Oldenburg,  über  die  Frage,  ob  die  neuen  Zeiten 

besser,  als  ältere  gewesen."  1) 

133.     An    Carl   Steiger.2)  Bremen  am   ioten  Nov.    [800. 

Unser  Briefwechsel  geht  langsam,  theurer  Carl;  wir  haben  beyde  viel 
gegen  einander  aufzurechnen.  Ich  hatte  meine  leidigen  Ursachen,  Dirs 
nicht  zu  sagen,  wie  sehnend  ich  fast  täglich  Deiner  dachte,  —  körper- 
liche Schwäche,  die  noch  jetzt  nicht  ganz  aufhört,  war  nicht  die  kleinste 
dieser  Ursachen;  sie  machte  meine  guten  Stunden  so  selten,  dass  ich  sie 
ängstlich    zusammenhalten    musste,    —    und    böse    Launen    wollte    ich   Dir 

J)  Fr.  Mitteilung  des  Herrn  Richter  a.  D.  Dr.  Smidt  in  Bremen. 
2)   16  S.  8°. 


November  1 800.  181 


nicht  schicken.  Du  hast  dann  auch  ohne  Zweifel  Deine  Ursachen  gehabt, 
Dir  kleine  Veranlassungen  zum  Zögern  wichtig  zu  machen.  Schriebst  Du 
leichter,  —  fiele  es  Dir  ein,  wie  vieles  täglich  um  Dich  vorgeht,  das  ich 
zu  wissen  wünschte,  —  und  vor  allem  könntest  Du  begreifen,  wie  viel 
Freude  Du  mir  zu  geben  im  Stande  bist,  und  wie  viel  mir  fehlt,  da  ich 
Dich  nicht  um  mich  habe,  —  dann  sicherlich  hättest  Du  weder  auf  Hrn. 
Segelkens  Ankunft,  noch  selbst  auf  meine  Briefe  gewartet;  Du  würdest 
vielmehr  die  letzteren  herausgefordert  haben. 

Du  erinnerst  Dich  wol  nicht  mehr  eines  Nachmittages,  —  es  ist 
jetzt  über  ein  Jahr,  —  da  ich  mich  ankleidete  um  in  eine  Gesellschaft 
beym  Dr.  Herrmann  zu  gehn,  während  Du  mit  einer  mühsamen  Repe- 
tition  aus  dem  Eutyphron  glücklich  zu  Stande  kämest.  —  Die  Gesellschaft 
verlangte  mich  zum  Ciavier;  und  es  gelang  ||  mir  an  jenem  Abend,  wie 
vielleicht  niemals  vorher.  Das  machte  das  angenehme  Gefühl,  was  ich 
von  Dir  mitgenommen  hatte,  und  was  im  Geräusche  der  Fremden  mir 
immer  blieb. 

Auf  eine  ähnliche  Art  hat  mir  Dein  letzter  Brief  arbeiten  helfen. 
Ich  war  schon  im  Begriff,  Dich  kräftig  zu  mahnen;  nur  ein  Paar  Tage 
noch  musste  ich  warten,  um  erst  eine  Vorlesung  für  das  hiesige  Museum 
zu  schreiben x)  noch  eben  zu  rechter  Zeit  kam  der  Brief,  um  sich  einen 
Antheil  zu  gewinnen,  an  der  günstigen  Aufnahme,  welche  die  Vorlesung 
gefunden  hat,  —  wofür  ich,  wie  sich's  gebührt,  mich  Dir  hiermit  dank- 
barlich  verpflichtet  erkenne. 

Noch  einen  schönern  Dank  aber  würde  ich  Dir  sagen,  wenn  Du 
mich  manchmal  so  unterstützen  wolltest  bey  der  weitläuftigen  und  schweren 
Arbeit,  die  ich  für  Dich  versuche,  —  einer  Beylage  zu  Plato's  Phädon, 
zu  der  ich  schon  im  Sommer  manches  vorbereitet  habe,  die  wahrschein- 
lich schon  fertig  wäre,  hätte  ich  diesen  Sommer  so  froh  zugebracht  als 
den  vorigen,  die  aber,  ich  weiss  nicht,  wann  und  wie,  zu  Stande  kommen 
wird,  wofern  mir  nicht  der  heitre  Geist  zu  Hülfe  kommt,  der  allein  das 
Verständig-Erfreuliche  zu  schaffen  vermag.  || 

Es  ist  mir  sehr  lieb,  dass  Plato  wieder  in  Deiner  Hand  ist;  —  noch 
lieber,  dass  Du  darin  viel  Veranlassung  findest,  über  Dich  selbst  nach- 
zudenken. In  der  That  schon  von  dem  ersten  Worte  an,  das  Sokrates 
dort  spricht,  sind  die  Stellen  dicht  gesäet,  die  Dich  zum  Nachsinnen 
bringen  mussten,  wenn  sie  für  Dich  nicht  verloren  seyn  sollten.  Sehr 
geistreich  —  eine  Lehre  für  das  ganze  Leben,  und  ein  Räthsel,  wenn 
man  nach  der  Ursache  fragt,  —  ist  schon  die  erste  Bemerkung,  die 
Sokrates  aus  seinem  Bein  heraus  fühlt,  dass  Schmerz  und  Freude  immer 
so  nahe  beyeinander  zu  seyn  pflegen;  auch  was  Sokrates  Musik  nennt, 
und  warum  er  wohl  so  mancherley  verschiedene  Dinge  in  diesem  sonder- 
baren Worte  zusammenfasse,  verdient  Überlegung,  —  auch  wie  er  so  feyer- 
lich  scherzend  dem  Euenos  räth,  ihm  bald  zu  folgen,  —  und  der  Spruch, 
den  er  anführt:  dass  wir  auf  einem  Posten  seyen  und  nicht  nach  Be- 
lieben davon  laufen  dürften,  —  ist,  wie  er  hier  selbst  sagt,  nicht  leicht 
durchzusehen;   —   und  sein  bestimmtes;   Yocog  loivvv  TavTr{  ovy.  akoyov   — 


1)  Die  Vorträge  im  Bremer  Museum  s.  Bd.  I,  S.  116  ff. 


j82  November   t8oo. 


scheint  mehr  den  Leser  denken  zu  machen,  als  ihm  die  Sache  ganz  er- 
klären zu  wollen;  —  Besonders  aber  etwas  weiter  hin,  die  lange  Stelle 
von  da,  wo  er  den  Kriton  und  den  Gefangenwärter  abgewiesen  hat, 
xtrdvvevovGt  yu-Q-,  oooi  Tvyyävovaiv  cQd'Cug  anTOjuavoi  u.  s.  w.  ||  bis  ganz 
dahin,    wo  Cebes    ihn  auf  den   eigentlichen  Gegenstand    der   Schrift   führt, 

—  diese  muss  Dir  nothwendig  äusserst  merkwürdig  seyn.  Mich  dünkt, 
von  dem  allen  müsste  sich  mancherley  aufschreiben  lassen,  will  es  nicht 
gleich  gehen,  so  dürftest  Du  es  nur  auf  allerley  Art  und  zu  verschiedenen 
Zeiten  versuchen,  bald  diesen,  bald  jenen  kurzen  Satz  auf  ein  Papier  hin- 
zuwerfen, —  es  braucht  ja  nicht  gleich  Zusammenhang  zu  haben,  — 
nach  und  nach  kommen  der  Einfälle  mehrere,  und  endlich  rundet  sich 
ein   Ganzes. 

Dein  Aufsatz  über  den  Cyrus  ist  im  ganzen  recht  gut;  die  Worte 
sind  voll  Sinnes,  und,  sofern  ich  aus  der  Erinnerung  sprechen  darf,  die 
wesentlichen  Züge  mit  richtigem  Urtheile  herausgehoben.  Finde  ich  in 
diesen  Tagen  noch  Zeit,  das  Buch  zu  vergleichen,  so  schreibe  ich  Dir 
noch  mehr  darüber.  —  Wäre  diese  erste  Arbeit  Dir  misrathen,  so  müsstest 
Du  streben,  bald  eine  bessere  an  die  Stelle  zu  setzen;  jetzt  darf  der  ge- 
lungene Versuch  Dir  Muth  und  Hoffnung  machen;  heitrer  darfst  Du 
nachdenken,  und  ungezwungener  allerley  Wendungen  versuchen,  und  Dich 
nicht  viel  darum  bekümmern,  wie  ich  es  etwa  gemeint  haben  möchte. 
Denn  was  Du  selbst  klar  gedacht  und  lebhaft  empfunden  ,hast,  —  und 
was  Dir  dann,  ||  wann  Du  es  geschrieben  wieder  durchliesest,  gerade  sagt 
was  Du  hast  sagen  wollen  —  darüber  wirst  Du  meine  Meinung  immer 
nachher  noch  früh  genug  erfahren. 

Am  20  sten  Nov. 
Xenophons  Geschichte  seines  Feldzugs  liegt  vor  mir;  ich  habe  nun 
mancherley  mit  Dir  darüber  zu  reden.  Obgleich  dieser  Brief  dadurch 
noch  einige  Tage  länger  aufgehalten  ist,  so  freut  es  mich  doch,  dass  ich 
ihn  nicht  fortgesandt  habe,  ohne  vorher  jene  mir  so  willkommene  Probe 
Deiner  Arbeiten,  mit  dem  Original  zu  vergleichen.  —  Glaube  nicht,  dass 
ich  nun  zurücknehmen  wolle,  was  ich  vorhin  gutes  von  Deinem  Aufsatze 
sagte;  der  Fehler,  dessen  ich  Dich  zeihen  muss,  ist  eigentlich  nur  eine 
gewisse  Leichtgläubigkeit,  —  die  Dich  aber  wahrlich  besser  kleidet,  als 
wenn  Du  auf  der  entgegengesetzten  Seite,  mit  selbstgefälliger  Unbescheiden- 
heit  den  Sittenrichter  des  Cyrus,   —  und  was  unvermeidlich  gewesen  wäre, 

—  zugleich  Xenophons  selbst,  —  hättest  machen  wollen.  Nur  ist  eine 
solche  Leichtgläubigkeit  ein  wenig  gefährlich  für  Dich,  —  und  immer  hätte 
ich  es  gern  gesehn,  wenn  sich  in  Deinem  Aufsatze  ein  zweifelndes  Mis- 
irauen  gegen   beide   blicken  liesse. 

Doch  —  vergiss  dies  Alles;  und  schlage  unbefangen  noch  einmal 
das  Buch  mit  mir  auf.  Natürlich  nehmen  wir  zuerst  das  neunte  Capitel 
vor  uns,  wo  Xenophon  den  Cyrus  am  besten  kennen  musste,  uns  selbst 
die  Schilderung  seines  Charakters  giebt.  Nachher  vergleichen  wir  dann  I 
die  vorhergehende  Geschichte.  —  ßamXixd 'tut oq\  das  ist  das  Ankündi- 
gungswort des  Xenophon;  und  dieses  in  der  That  bewährt  sich  vortreff- 
lich.  —   Nun    führt  er  uns    in    des  Cyrus   Knabenalter   zurück,  —  Xeno- 


November   1800. 


183 


phon  fühlte  es  stark,  dass  schon  in  dem  Knaben  der  künftige  Mann  sich 
bilde  und  zeige;  man  findet  diesen  Zug  auch  in  seinen  andern  Schriften. 
—  Aber  hier  stösst  mir  eine  Stelle  auf,  die  den  Zweifel  schon  erregt 
ndvTeg  yaQ  01  tmv  uqiotmv  üegacoy  u.  s.  w.  So  nahe  ihren  Vätern,  so 
unter  den  Augen  derselben,  konnten  sich  die  persischen  Prinzen  freylich 
vortrefflich  bilden  —  wenn  die  Väter  selbst  vortreffliche  Männer  waren. 
Aber  fragen  wir  nun  die  Geschichte!  Wie  ist  denn  die  Reihe  der  persi- 
schen Könige  beschaffen?  Sieht  sie  nicht  eher  einem  vererbten  Laster, 
als  einer  vererbten  Tugend  ähnlich?  Und  gleichwohl  schreibt  Xenophon 
so  trocken,  so  ohne  Einschränkung  und  Bestimmung:  aia/Qou  d'o'idtv  olrt 
dxotoai  olrt  Idetp  tonl  So  müssen  wir  doch  wol  auf  seine  eigene  Art  zu 
denken  aufmerksam  werden,  auf  die  Stellung  seiner  Urtheile,  auf  sein 
Benehmen,  wo  er  dem  Cyrus  die  Lobrede  hält,  Ob  vielleicht  jenes 
(xio/qov  etwa  nicht  so,  wie  es  Plato  gemeint  haben  würde,  vom  Unsitt- 
lichen, —  sondern  nur  vom  Unschicklichen,  Unanständigen  zu  verstehen 
sey?  Ob  vielleicht  das:  (.lav&dvovoiv  a.Q/eiv  re  xal  aQyta&ai,  in  Xenophons 
eigenen  Augen  die  Hauptsache  gewesen  sey?  Ein  solcher  blosser  Ordmmgs- 
geisi  mochte  denn  freylich  vielleicht  in  den  ßaoikkoq  ftzyaig  gelehrt  werden, 
ohne  dass  sie  darum  etwas  besseres  zu  seyn  brauchten,  als  —  eine 
Despotenschule.  Und  selbst  in  dieser  Rücksicht  machen  die  persischen 
Regenten  ihrer  Jugendbildung  wenig  Ehre;  es  sind  unter  ihnen  gar  viele 
plumpe  Unholde.  ||  Lesen  wir  weiter!  Cyrus  ist  sehr  gelehrig,  folgsam,  — 
muthig,  in  körperlichen  Übungen  gewandt!  —  Jetzt  kommt  ein  höchst 
ehrwürdiger  Zug:  „er  lügt  nie,  hält  jedes  Versprechen  genau;  daher  ver- 
lässt  sich  auch  alles  auf  ihn."  Aber  wie?  Wie  fuhr  denn  seyn  Bruder 
dabey,  dass  er  sich  auf  ihn  verliess,  dass  er  auf  die  Aufrichtigkeit  ihrer 
Aussöhnung  baute?  Gerade  hier  wäre  der  Ort  gewesen,  uns  zu  zeigen, 
wess  Geistes  seine  Zuverlässigkeit  gegen  die  anderen  war,  ob  er  gut 
handeln,  —  oder  ob  er  nur  sichere  Freunde  erwerben  wollte  für  seine 
grosse  Unternehmung?  —  Es  würde  indessen  eine  geistlose  Beurtheilung 
verrathen,  wenn  man  annähme,  dass  nur  eins  von  beyden  seine  wahre 
Gesinnung  habe  seyn  können;  sie  war  vermuthlich  beydes  zugleich;  — 
und  gewiss  beydes  noch  nicht  allein.  Das  zeigt  das  Gebet,  was  ihm 
nachgesagt  wurde,  tooovtov  yQovov  fijj/,  wäre  x.  t.  X.  In  dieser  wahrhaft 
königlichen  Gesinnung,  durchaus  unübertroffen  seyn  zu  wollen,  zeigt  sich 
der  natürlich  starke,  klare  hohe  Geist,  der,  für  jede  Neigung  sowohl  der 
Welt  als  der  Tugend,  empfindlich,  gleichwohl  zu  gross  war,  um  in  den 
blossen  Eigennutz  hinabzusinken,  —  und  zu  unruhig  und  zu  stolz,  um  über 
die  reine  Idee  der  Pflicht  und  des  Rechts  nicht  weit  hinauszufliesen.  Er 
musste  schenken  und  liebkosen,  oder  brennen  und  verstümmeln;  der 
Thron  oder  der  Tod  musste  ihm  werden.  Viele  schöne  und  glänzende 
Thaten  erwarte  ich  von  einem  solchen  Charakter;  ||  nur  für  eine  Eigen- 
schaft, die  Du  an  ihm  lobst,  —  Strenge  gegen  sich  selbst,  —  weiß  ich  in 
einer  Seele,  wie  diese,  kaum  einen  Platz,  und  finde  in  seiner  Geschichte 
noch  weniger  ein   Beyspiel,  worin  ich  sie  erkennen  könnte. 

Ein  solcher  Mensch  lässt  sich  denn  freilich  „nicht  auslachen"  — 
aber  die  abgeschnittenen  Füsse  und  Hände,  die  man  „häufig  auf  den 
Landstrassen  sah!"  waren  doch  selbst  unter  den  Barbaren  ein  etwas  bar- 


IÖ4.  November  1800. 


barisches  Mittel,  um  gute  Polizey,  —  odetig  noQeteo&ui  —  zu  schaffen. 
Aus  dem  Bisherigen  wirst  Du  auch  errathen,  was  ich  von  seiner  gerühmten 
Gerechtigkeit  denke.  Der  Auslheiler  des  verdienten  Lohns  zu  seyn  bei 
Guten  und  Bösen,  ist  ein  für  den  Ehrgeiz  sehr  schmeichelhaftes  Amt;  er 
wird  es  gern  an  sich  reissen,  gern  mit  Wohlthat  und  Strafe  in  des  Rechts 
Namen  um  sich  werfen.  Und  es  ist  nicht  zu  leugnen,  dass,  wenn  von 
solchem  Ehrgeiz  die  Politik  sich  leiten  lässt,  sie  ein  etwas  menschlicheres 
Ansehen  annehmen  wird,  als  sie  gewöhnlich  zu  zeigen  pflegt.  Aber  eigent- 
liche Gerechtigkeit  —  besteht  doch  wol  nicht  mit  dem  „Versuche,  ver- 
borgen gehaltene  Güter  an  sich  zu  bringen."  Es  war  vernünftig,  dass  er 
ein  solches  Verbergen  nicht  gern  sah,  es  war  treffliche  Politik  und,  für 
einen  Perser,  ein  wahrhaft  edles  Benehmen,  offenen  Erwerb  lieber  durch 
Belohnungen  zu  vermehren,  als  selbst  darauf  Jagd  zu  machen;  aber  wenn 
jemand  dessen  ungeachtet  die  Grille  hatte,  lieber  heimlich  zu  thun  mit 
seinem  Vermögen  (angenommen  auch,  dass  niemand  Grund  dazu  haben 
konnte  in  des  Cyrus  Ländern)  —  gab  ihm  das  ein  Recht  auf  solche 
Güter?  Uebrigens  ist  Xenophon  hier  nicht  deutlich;  aber  gelindere  Er- 
klärungen der  Stelle,  die  sich  etwa  denken  Hessen,  würden  sich  kaum  mit 
dem  Ganzen  reimen.  || 

Denke  nur  einige  Züge  seiner  Geschichte  hinzu.  Gleich  Anfangs  — 
was  ist  es,  das  ihn  zu  seinem  Hauptplane  treibt?  Ist  es  etwa  Notwehr? 
Oder  zeigt  sich  auch  nur  in  der  Ferne  Gefahr  für  ihn  ?  —  Sein  Bruder 
lässt  ihn  nach  Belieben  mit  seinem  Neben-Statthalter  Krieg  führen;  erlaubt 
ihm,  die  diesem  weggenommenen,  Städte  zu  behalten,  —  (freylich  eine 
musterhafte  Ordnung  in  der  persischen  Monarchie!)  Aber  er  selbst  hat 
den  Groll  mitgenommen,  aus  der  frühern  Zeit,  da  Tissaphernes  ihm 
durch  seine  Verläumdungen  Gefangenschaft  und  Todesgefahr  zuzog:  und, 
was  Tissaphernes  sündigte,  das  lässt  er  seinem  Bruder  entgelten,  —  seinem 
Bruder,  seinem  König,  der  ihn  mit  sich  versöhnt  glaubte!  Du  hast  das 
gefühlt;  Du  sprichst  von  etwas  Rache  und  Herrschsucht,  —  und  brauchtest 
in  der  That  schon  dazu  etwas  Kühnheit  gegen  Deinen  Meister  Xenophon, 
der  das,  —  obgleich  Verehrer  des  Socrates,  —  gar  nicht  zu  merken 
scheint.  —  Ich  wüsste  nichts,  was  sich  hier  sonst  noch  irgend  zeigte, 
ausser  Rache  und  Herrschsucht.  Gesetzt,  er  wäre  dennoch  in  Gefahr 
gewesen,  —  konnte  die  nämliche  Macht,  mit  der  er  gegen  seinen  Bruder 
zu  Felde  ziehen  durfte,  ihn  nicht  in  seiner  eigenen  Provinz  schützen, 
wenn  er  angegriffen  wurde?  Ich  will  nicht  erwähnen,  dass  er  eigentlich 
nur  Statthalter  war,  der  sich  als  solcher  keine  gewaffnete  Vertheidigung 
gegen  seinen  König  einfallen  lassen  soll,  —  dies  war  hier  anders,  die 
Satrapen  im  Persischen  Reiche  wurden  vom  Könige  selbst  als  blos  tribu- 
täre,  sonst  aber  selbstherrschende  Fürsten  häufig  behandelt,  und  mochten 
sich    dann    allenfalls   so    ansehn,  ||  selbst  der  öffentlichen   Ordnung  wegen. 

—  Du  meinst,  das  Zeitalter  könne  ihn  etwas  entschuldigen,  „da  damals 
nahe  Verwandten  sich  nicht  viel  daraus  machten,  einander  zu  bekriegen?" 

—  Aber  die  Geschichte  würde  Mühe  haben,  Dir  irgend  ein  Zeitalter  zu 
nennen,  wo  Kriege  zwischen  nahen  Verwandten,  die  mit  irgend  einer 
Hoffnung  einander  einen  Thron  streitig  machen  konnten,  so  etwas  besonders 


November  1800.  i£>c 


ungewöhnliches  gewesen  wären.  Und  Cyrus  kannte  ja  die  Griechen  so 
gut;  musste  er  denn  eben  der  Perser  bleiben,  der  er  geboren   war? 

Er  kannte  die  Griechen  so  gut,  —  dass  er,  da  Xenias  und  Pasion 
davon  gegangen  waren,  die  schöne  Gelegenheit,  zu  thun,  als  ob  er  gross- 
müthig  jedem  seine  Freyheit  lasse,  ganz  so  trefflich  zu  ergreifen  wusste  — 
als  es  für  ihn  hohe  Zeit  war,  sich  die  entfremdeten  Gemüther  wieder  zu 
gewinnen. 

Er  kannte  den  Freyheitsdünkel  der  Griechen  so  gut,  dass  er  es 
wagte,  ihnen  kurz  vor  der  Schlacht  das  ungereimte  Compliment  zu  machen  : 
Wisst,  Ich  selbst  möchte  die  Freyheit  wählen,  statt  aller  meiner  Güter! 
So  spricht  Prinz  Cyrus  —  von  sich;  nicht  etwa  von  seinen  Barbaren,  von 
denen  er  an  einem  andern  Ort  selbst  sagt,  dass  sie  einzig  aus  bitterer 
Furcht  vor  den  Griechen,  ihm  in  den  Kampf  folgten,  —  und  von  denen  die 
Geschichte  auch  sonst  recht  deutlich  sagt,  dass  sie,  die  Unterthanen,  wol 
ein  wenig  mehr  Freyheit  hätten  haben  mögen  und  sollen.  ||  Dagegen 
nahm  er  denn  auch  Schmeicheleyen  von  den  Griechen  wieder  an.  Meinst 
du,  sagt  Clearch,  dein  Bruder  werde  es  überall  nur  wagen  mit  Dir  zu 
fechten.  Sicher,  antwortet  Cyrus,  wenn  er  irgend  mit  mir  aus  einem 
Blute  entsprossen  ist!  —  Vielleicht  verstehst  Du  diese  Stelle  in  meiner 
Uebersetzung  etwas  leichter  als  im  Griechischen,  wo  der  Schmeichler 
nicht  ganz  so  deutlich  spricht. 

Noch  eine  Geschichte  will  ich  Dir  ins  Gedächtniss  rufen,  wo  er  mir 
außerordentlich  misfällt.  Es  ist  die  vom  Orontas.  Des  Cyrus  Rede  an 
den  versammelten  Staatsrath  athmet  die  lauterste,  behutsamste,  gewissen- 
hafteste Gerechtigkeit.  Man  stimmt  zum  Tode  —  und  nun  wird  der 
Verbrecher  nicht  etwa  öffentlich,  oder  vor  Zeugen  hingerichtet,  sondern 
Cyrus  lässt  ihn  verschwinden,  niemand  weiss  sein  Grab,  —  niemand  er- 
fährt, welche  stumme  Grausamkeiten  an  ihm  verübt  sein  mögen. 

Schon  vorher  schlägt  er  ein  Paar  von  seinen  Grossen  todt,  weil  er 
sie  beschuldigt,  (aiTiaou/Litvog),  dass  sie  ihm  nachstellen.  Kein  Verhör! 
Keine  Ueberweisung.  Er  hatte  doch,  obgleich  nur  ein  Perser,  gar  wohl 
einen  Begriff  davon,  wie  die  Geschichte  mit  Orontas  zeigt. 

Was  auch  der  unschuldige  Thiergarten  ihm  gethan  haben  mochte, 
den   er  im  Vorbeigehen  umhaut,  und   den  Palast  verbrennt!   — 

Habe  ich  denn  gar  nichts  diesem  Allem  entgegenzustellen,  wobey  ich 
mich  wieder  an  ihm  freuen  könnte?  Ich  weiss  eigentlich  nur  einen  ein- 
zigen Zug,  der  mir  so  recht  wohlgefällt,  das  ist  seine  Herzlichkeit  gegen 
seine  Freunde,  von  der  ich  gern  glaube,  dass  sie  aufrichtig  war.  Er  sorgt 
so  für  jeden,  wie  ||  jeder  selbst  es  sich  wünscht;  —  eine  Weisheit,  die  nicht 
alle  Freunde  besitzen.  —  Er  thut  es  mit  Sorgfalt,  mit  ämsigem  Streben; 
tw  7iQ0&v(.ieio\rcu  yaQi£,£G&ou.  Sehr  schön  in  der  That  ist  das  rovroig 
rjG&rj  KiQog  ßovlerui  oiv,  xai   ae  tovtcou  yetoao&cu.  — 

Wir  sehn  also  in  ihm  viel  natürliche  Gutmüthigkeit  und  noch  mehr 
Klugheit,  und  eine  Fülle  von  angeborner  Kraft  aller  Art;  wir  sehn,  was 
ein  Sokrates,  wenn  das  Glück  sie  zusammengeführt  hätte,  aus  ihm  viel- 
leicht gemacht  haben  würde.  Selbst  unter  den  älteren  Römern  wäre  sein 
Character  gewiss  reiner  gebildet;  schnell  würde  er  jedes  Beyspiel  ihrer 
Tugenden    ergriffen,    und    vielleicht    zum  Muster    erhoben    haben.     So  — 


1 86  November  1800. 


blieb  er  ein  Perser.  —  Die  Natur  hat  durch  ihn  sich  gerechtfertigt;  sie 
hat  gezeigt,  dass  sie  an  jedem  Orte  grosse  Anlagen  erschafft,  —  aber 
auch  angezeigt,  wie  sehr  sie  die  Entwickelung  derselben  der  menschlichen 
Gesellschaft  überlässt,  die  so  selten  das  Ihrige  thut,  und  so  oft  den  Keim 
verderbt,  der  ihr  selbst  die  schönsten  Früchte  hätte  tragen  sollen.  Du 
hast  Recht  zu  glauben,  dass  es  für  Persien  von  grösserm  Nutzen  gewesen 
wäre,  wenn  Cyrus  den  Thron  bestiegen  hätte.  Aber  ich  hatte  noch  eine 
andere  Idee,  deren  Ausführung  dem  Cyrus  nicht  den  Vorwurf  des  ver- 
suchten Königs-  und  Brudermords  gebracht  hätte,  und  doch  vielleicht 
noch  weit  glücklicher  in  den  Gang  der  Weltgeschichte  eingegriffen  haben 
würde.  Cyrus  stand  in  Kleinasien  zwischen  Griechen  und  Persern  in 
der  Mitte;  hätte  sein  Geist  sich  ein  wenig  mehr  zu  ruhiger  Weisheit  aus- 
gebildet, so  ||  bot  sich  ihm  von  selbst  der  Gedanke  dar,  Griechen  und 
Perser  in  seinem  Staate  durch  einander  zu  mischen;  nach  den  besten 
Mustern  beyder  Nationen  seine  Staatseinrichtung  zu  bilden;  —  so  hätte 
der  männliche  Griechische  Mut  den  persischen  Gehorsam  gelernt,  und 
der  Sclavensinn  der  Barbaren  hätte  sich  ermuntert  zur  Industrie,  zu 
Künsten  und  Wissenschaften.  So  Hess  sich  ein  mächtiger  Staat  gründen, 
der  durch  sein  politisches  Verhältniss  zu  Persien  und  Griechenland  beyde 
im  Zaum  gehalten,  und  beyde  gegen  einander  geschützt  hätte.  Die 
Griechische  Geschichte  kann  Dir  mannigfaltige  Gelegenheit  darbieten,  dar- 
über nachzudenken,  wie  alsdann  alles  anders  gegangen  seyn  würde.  Nur 
diese  wenigen  Bemerkungen:  alsdann  war  Persien  der  natürliche  Bundes- 
genosse Griechenlands,  weil  jener  Mittelstaat  beyden  Gefahr  drohte;  der 
letztere  konnte  nicht  leicht  zu  weit  um  sich  greifen,  weil  er  Persisches 
Gold  und  Griechische  Tapferkeit  und  wegen  seiner  Neuheit  selbst  innere 
Schwäche  zugleich  gegen  sich  hatte;  die  Griechischen  Staaten  wurden  durch 
die  beständige  nahe  Gefahr  aufmerksam  erhalten,  und  entzweyten  sich  nicht 
so  leicht  untereinander;  —  Alexander  endlich  konnte  die  Welt  nicht  zer- 
rütten; Griechischer  Geist  hätte  ihm  in  Kleinasien  die  Spitze  geboten; 
Kleinasien  hätte  ihm  selbst  die  Eroberung  Griechenlands  gewehrt,  —  und 
seine  Talente  hätten,  in  Macedonien  eingeschlossen,  auch  hier  ein  glück- 
liches Reich  geschaffen. 

Aber  wozu  zerbreche  ich  mir  den  Kopf  über  den  Cyrus,  was  er 
war,  was  er  hätte  werden  und  thun  können!  —  Nicht  bloß,  um  Dir 
Deinen  kleinen  Aufsatz  so  weitläufig  zu  erwiedern;  sondern  um  Dich  auf 
den  Schriftsteller,  den  Du  liesest,  aufmerksam  zu  machen.  Xenophons 
Werke  pflegen  allgemein  als  sehr  ||  moralisch  gepriesen  zu  werden.  Es 
ist  auch  in  der  That  viel  treffliches  darin.  Aber  so  viel  leichter  verbirgt 
sich  eine  gewisse  Schiefheit  seines  sittlichen  Urtheils,  —  und  ich  wüsste 
in  der  That  kaum  ein  feineres  Gift  für  Dein  Herz,  als  wenn  Du  so  ohne 
genaue  Unterscheidung  Dich  von  ihm  überreden  lassen  wolltest.  —  Kindern 
verbietet  man  Messer  und  Scheeren ;  —  Dir  brauche  ich  Dein  Buch,  das 
unter  den  historischen  Werken  aller  Zeiten  eine  der  ersten  Stellen  ein- 
nimmt, nicht  aus  den  Händen  zu  winden.  Aber  da  Du  es  allein  liesest, 
—  was  auch  immer  so  fort  gehn  kann,  —  wird  eine  Warnung  Dir 
heilsam,  und  gerade  so  viel  nöthiger  seyn,  je  aufmerksamer  Du  liesest. 
Du  musst  selbst  urtheilcn  lernen\  aber  Du  wirst  wohl  thun,   Deine   Urtheile 


November  1800.  187 


einem  Lehrer  oder  Freunde  mitzutheilen,  und  das  seinige  zu  ver- 
gleichen. 

Lies  also  nun  noch  einmal  das  Ganze  genau,  und  halte  es  sorgfältig 
mit  dem  zusammen,  was  ich  Dir  geschrieben  habe.  Es  giebt  dann  noch 
manche  Züge  zu  bemerken,  die  ich  nicht  angeführt  habe.  Z.  B.  dass 
Xenophon  allenthalben,  wo  er  vom  Cyrus  etwas  Gutes  sagte,  gleich  hin- 
zusetzt, wie  das  ihm,  dem  Cyrus,  so  nützlich  gewesen  sey,  wie  es  ihm 
so  viel  Freunde  verschafft  habe,  u.  s.  w.  Darin  läge  an  sich  nichts  übles; 
aber  so  häufig  wiederhohlt  muss  es  endlich  anstössig  werden.  Lies  allen- 
falls auch  einmal  die  Platonischen  Werke,  die  Apologie  und  den  Kriton 
wieder;  so  muss  Dir  leicht  auffallen,  welch  Geist  hier  herrscht;  wie  viel 
zutrauensvoller  Du  Dein  Herz  den  darin  herrschenden  Empfindungen 
öffnen    darfst.     Xenophon    freylich    war    ein    Mann    der    die   Welt   kannte, 

—  Plato  kannte  sie  viel  weniger.  Jener  hätte  sich  nicht,  wie  dieser,  am 
Syracusanischen  Hofe  den  Spöttern  Preis  gegeben.  Aber,  wenn  es  eine 
schwere  Kunst  ist,  Weltkenntniss  mit  einem  reinen  Herzen  vereinigt  zu 
erwerben,  —  so  soll  ich  doch  Dir  wol  nicht  eine  Ermahnung  schreiben, 
was  Dir  das  erste,  und  was  Dir  das  zweyte  seyn  solle!  —  Ich  habe  Dir 
ehemals  oft  geäussert,  dass  ich  Geschichte  in  gewisser  Rücksicht  für  ein 
gefährliches  Studium  halte.  Das  Buch  von  Xenophon  ist  nun  eine  Ge- 
schichte —  als  solche  musst  Du  es  lesen,  als  solche  es  vorsichtig  anfassen^ 
und  es  als  ein  Beyspiel  betrachten,  wie  Du  jede  Geschichte  zu  lesen  habest. 

—  Ich  habe  dies  Buch  noch  nicht  weiter  gelesen;  ich  werde  aber  jetzt 
darin  fortfahren,  und  vielleicht  noch  nächstens  auch  die  andern  Xeno- 
phontischen  Werke  wieder  durchsehn;  dann  können  wir  weiter  darüber 
reden.  — 

Ich  sehe  eben  in  Deinen  Brief  wieder  hinein;  da  stehn  denn  freylich 
allerley   Geschichten    bunt  durcheinander!    Theseus,   Romulus   —    Catilina, 

—  und  Florians  Numa!  Zwischen  Livius,  Plutarch,  Sallust,  Virgil,  und 
Florian,  giebt  es  der  feineren  und  gröberen  Vergleichungen  genug  zu 
machen;  ich  wünsche  dass  Du  sie  alle  machst,  um  die  Masse  in  Deinem 
Kopfe  gehörig  zu  ordnen,  —  dann  kann  es  eine  treffliche  Uebung  geben. 
Aber  vor  -allen  Dingen  wünsche  ich,  dass  Du  Dich  nicht  vergessest,  sie 
alle  zusammen  und  jeden  einzeln  mit  Deinem  Herzen  sorgfältig  zu  ver- 
gleichen. —  Ohne  Zweifel  sorgt  Hr.  Segelken  schon  dafür;  doch  weisst 
Du  noch  von  ehemals  her,  wie  oft  ich  Dir  sagte,  dass  der  Lehrer  nur 
in  dem  Verhältniss  etwas  vermag,  wie  ihm  der  Zögling  entgegenkommt, 
Veranlassung  bietet;   das  wirst  Du  auch  jetzt  nicht  vergessen   dürfen.  || 

23sten  Nov. 
Wenn  Du  in  diesem  Briefe  nach  Nachrichten  von  mir  suchst,  Lieber, 
so  erwarte  nicht  viel.  Ich  habe  wenig  Zeit  und  habe  auch  nur  wenig 
zu  erzählen.  Ich  lebe  hier  in  Bremen  hauptsächlich  mit  meinem  Freunde 
Smidt,  der  sich  an  die  gütige  Aufnahme  Deiner  Fr.  Mutter  zu  Märchligen, 
dankbar  erinnert,  und  mir  so  eben  an  Dich  einen  Gruss  aufgetragen  hat. 
Auch  in  einigen  andern  Häusern  geniesse  ich  hier  eines  freundschaftlichen 
Umgangs.  Meine  Zeit  gebrauche  ich  hier  nicht  viel  anders  als  ehemals 
bey  Euch.    Einige  Stunden  täglich  kömmt  ein  junger  Mensch,  von  Ludwigs 


jgg  November  1800. 


Alter,  zu  mir,  der  sich  von  mir  zur  Universität  vorbereiten  lassen  will. 
Er  heisst  Walte,  ist  ein  guter,  stiller  fleissiger  Jüngling,  aber  etwas  ver- 
nachlässigt in  früherer  Zeit.  —  Meine  meisten  Stunden  sind  eignen  Arbeiten 
gewidmet.  Vorläufig,  —  das  heisst,  wahrscheinlich  für  ein  paar  Jahre,  — 
bleibe  ich  hier  in  Bremen,  Du  kannst  gerade  an  mich  Deine  Briefe 
adressiren;  ich  logire  im  Baumannischen  Hause  in  der  Jakobi- Strasse.  — 
Böhlendorf  ist  jetzt  auch  hier  und  grüsst  Dich  und  seinen  Fritz.  Bestelle 
meine  Grüsse  unter  Deinen  Brüdern  und  Schwestern  im  Hause!  Lass 
mich   nicht  lange    auf  Deinen  nächsten    Brief  warten.     Leb  wohl,   Lieber! 

Dein   Herbart. 

134.    J-  Rist  an  H.1)  Kopenhagen  d.  14.  Nov.  IgOO. 

Eigentlich  ist  es  auf  Bergers  Veranlaßung,  daß  ich,  die  für  Dich,  Theurer 
Herbart,  so  lange  schon  schweigende  Stimme  wieder  belebe,  und  wie  ein  Wesen 
aus  einer  andern  Welt  plötzlich  vor  Dich  trete.  Ich  gestehe,  mich  drückte  dis 
Schweigen  schon  lange,  weil  es  unnatürlich  und  also  eigentlich  auch  unbegreiflich 
war,  doch  hätte  ich  es  vielleicht  noch  eine  Weile  aus  denselben  Gründen  beobachtet, 
die  es  Dich  beobachten  ließen,  wenn  nicht  unser  Berger,  den  ich  nach  so  mancher 
Trennung  nun  abermal  auf  eine  Zeitlang  besitze,  des  vergeblichen  das  heißt  un- 
beantworteten Schreibens  an  Dich  müde,  darauf  dränge,  daß  nun  ich  den  Versuch 
machen  solle,  Dir  ein  Zeichen  des  Daseyns,  und  des  Daseyns  für  uns,  abzugewinnen. 

Hoffentlich  ist  Dir  bei  der  Todtenstille  doch  auch  nachgerade  etwas  unheimlich 
zu  Mute  geworden  und  der  Apfel  braucht  nur  noch  eines  Hauches  um  vom  Stamme 
zu  fallen.  Dieser  Hauch  ist  denn  vielleicht  mein  Brief.  —  Aber  selbst  auf  die  Gefahr, 
auch  diesmal  keine  Antwort  zu  erhalten,  hin,  treibt  es  mich  doch,  Dir  langentbehrter 
Freund,  einmal  wieder  ein  verti  auliches  Wort  zu  sagen.  Ich  weiß,  Du  hörst  es 
gerne;  und  wenn  Du  es  nicht  erwiederst,  so  ist  das  Nicht- Ich  schuld  daran; 
wie  ||  wir  in  Jena  zu  sagen  pflegten.  Aber,  sprechen  wir  gleich  izt  nicht  mehr  in 
Hieroglyphen,  so  wissen  wir  doch  was  es  heißt,  zu  wollen  und  nicht  zu  können, 
und  geben  der  rohen  Gewalt  nach,  bis  wir  den  Augenblick  ersehen  sie  zu  bezwingen. 

Wie  ich  mir  Dich  in  diesem  Augenblicke  denken  soll,  und  wo,  weiß  ich  nicht 
recht;  und  was  ich  von  deinem  Treiben  und  Streben  gehört,  ist  auch  so  frag- 
mentarisch, daß  es  mir  keine  Befriedigung  geben  kann.  Ich  muß  mich  also  fürs 
erste  an  den  Herbart  halten,  den  ich  in  der  Leutra  Gasse  zu  besuchen  pflegte,  und 
bei  dem  ich  ziemlich  zu  Hause  war,  weil  er  mir  gern  sein  Inneres  öffnete.  Diesen 
Herbart  mögt  ich  um  Alles  nicht  verlieren;  ich  ahnte  in  seinem  Wesen  zu  vieles 
und  Herrliches  für  die  Zukunft,  als  daß  ich  es  nicht  entfaltet  sehen  mögte ;  er  griff 
zu  tief  und  mächtig  in  meine  Gedankenkreise,  als  daß  sein  Geist  mir  je  fremd  werden 
konnte,  er  sprach  zu  manches  damals  unverstandene  Wort,  das  mich  später  die  all- 
mächtige Zeit,  die  auch  mich  zum  Manne  geschmiedet,  deuten  lehrte,  als  daß  ich 
nicht  wieder  vor  ihn  treten  sollte  und  sprechen:  Kennst  Du  mich  noch?  bist  Du 
noch  jener  Herbart,  wenn  gleich  durch  des  Lebens  Wanderung  seitdem  geprüft,  so 
sage  es  mir,  und  laß  sich  uusre  weitgetrennten  Bahnen  wieder  begegnen.  Es  ist 
ein  Theil  der  alten  Zeit  mir  wieder  aufgegangen,  seit  ich  Bergern  wieder  ||  täglich 
sehe,  und  mit  ihm  die  wunderbaren  Erscheinungen  des  Lebens,  bisweilen  zürnend, 
öfters  aber  lachend,  und  bisweilen  still  erfreut,  betrachte.  Uns  wohnt  noch  der  alte 
Mut  im  Herzen  und  die  alte  Lust,  obgleich  uns  schon  manche  harte  Lehre  gepredigt 
ward,  und  unsre  Stirn  sich  verstecken  mußte  gegen  manches  freie  Gefühl.  —  Berger 

x)  4  S.  4°.     H.  Wien. 


Dezember   1800. 


18g 


eilt  im  Frühjahr  wieder  dem  theuren  Deutschland  zu,  in  die  Arme  seiner  Anna,  und 
—  freue  Dich  mit  mir  —  0  Herbart  —  auch  ich  werde  im  dritten  Monat  des 
nächsten  Jahrs  die  eisbelegten  Belte  hinter  mir  lassen;  und  endlich  nicht  mehr 
allein  zurückbleiben  wie  Filoktet  am  verlassenen  Strande,  wenn  alle  Helden  nach 
fernen  Gegenden  gezogen  sind. 

Wäre  es  möglich,  daß  Du  in  der  Mitte  oder  gegen  das  Ende  des  März  nach 
Hamburg  kommen  könntest,  so  mögten  wir  uns  dort  umarmen;  und  ich  würde  dann 
noch  muthiger  und  fröhlicher  in  die  neuen  Lebenskreise  mich  werfen.  Kannst  Du 
aber  dis  nicht  —  was  doch  eigentlich  nicht  schwer  seyn  sollte,  so  werden  wir  uns 
so  bald  nicht  sehen.  —  Ich  werde  nämlich  dann  eine  Reise  von  wenigstens  l1/2  Jahren 
antreten,  die  die  Schweitz,  Frankreich  und  Italien  umfassen  soll.  — 

Kurz  und  trocken  stehen  die  Worte  da,  aber  ihr  Sinn  ist  unendlich,  und  ich 
gehe  den  mancherlei  herrlichen  Erscheinungen,  die  meiner  harren,  ||  mit  freude- 
klopfendem Herzen  entgegen.  Rosencrantz  den  Du  kennst,  wird  mein  Reisegefährte 
seyen.  — 

Als  Freunde,  als  Weltbürger,  und  nicht  im  Dienst  und  auf  Kosten  des  Staates 
werden  wir  reisen,  unabhängig  von  allem,  nur  nicht  von  der  Liebe  und  der  Freund- 
schaft. Ich  hoffe  um  vieles  vollendeter  oder  vollständiger  von  dieser  Reise  zurück- 
zukommen, wenn  ich  davon  zurückkomme.  Selbst  meine  bisherige  Lage  ist  mir 
schon  auf  mancherley  Weise  eine  treffliche  Vorbereitung  zu  dieser  Wanderung  ge- 
wesen, weil  ich  die  Welt  und  ihre  Verhältnisse  in  jedem  Maasstabe,  und  manches 
von  ihrer  Einrichtung  und  von  der  Organisation  des  Menschlichen  Lebens,  und  des 
politischen  Lebens  kennen  gelernt  habe,  was  mir  vorher  ein  Räthsel  war.  Und  wer 
wollte  in  seinen  grünen  Jahren  nicht  die  Welt  in  ihrer  itzigen  wunderbaren  Epoche 
rund  um  sich  her,  und  in  den  Feuerherden  ihrer  Werkstätte  betrachten! 

Beschließe  gutes,  theurer  Herbart. 

Laß  uns  einander  wiedersehn.  —  Ich  mögte  mit  Dir  rechten,  daß  Du  nicht 
einmal  hierher  gekommen  bist;  ich  glaube,  daß  manches  Dich  hier  würde  interessiert 
haben  —  aber  es  ist  zu  spät.     So  lebe  denn  Wohl.     Ich  grüße  Dich  brüderlich. 

J.  Rist. 

135.     An   Segelken.1)  Bremen  um  Weihnachten  1800. 

Ich  trage  schon  seit  einer  Reihe  von  Monaten  einen  Stein  auf  dem 
Herzen,  und  Sie,  lieber  Herr  Segelken,  ahnden  wol  nicht,  dass  Sie  es 
sind,  der  ihn  darauf  gelegt  hat.  Ich  sinne  umsonst,  wie  ich  mich  ohne 
eine  Offenheit,  zu  der  ich  mich  durch  Ihren  Brief  berechtigt  wünschte 
und  nicht  berechtigt  finde,  davon  losmachen  könne;  also  verzeihen  Sie 
und  hören  Sie  mich  an. 

Zuvörderst  glauben  Sie  nicht,  dass  ich  Ihnen  in  meinem  Herzen  die 
Achtung  versage  oder  ungern  zugestehe,  welche  Ihre  ausserordentliche 
Thätigkeit,  und  —  doch  ich  mag  Ihnen  Ihre  eignen  Verdienste  nicht 
vorzählen  —  welche  noch  insbesondre  die  Rücksichten  von  mir  erheischen, 
mit  welchen  Sie  in  meine  angefangne  Arbeit  einzugreifen  gefällig  genug 
gewesen  sind.  Es  ist  vielmehr  der  stärkste  Beweis  dieser  Achtung,  den 
ich  in  meiner  Macht  habe,  dass  ich  Ihnen,  obgleich  der  Schein  mich 
warnt,  zum  zweytenmal  mit  gleicher  Freymüthigkeit  entgegentrete,  in  der 
Hoffnung,    das  Übel    dadurch  nicht  zu  verschlimmern,    sondern  zu  heben. 

*)  6  S.  8°.     H.  Wien.     Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  pp. 


190 


Dezember    1800. 


Es  ist  das  Verhältnis,  in  das  Sie  Sich  zu  mir  und  meinen  Freunden 
setzen,   was  mich   drückt. 

Es  wäre  ohne  Zweifel  sehr  unbescheiden,  wenn  ich  für  diese  letzten, 
oder  für  mich  selbst,  einer  Zuneigung  von  Ihnen  entgegensähe,  die  nur 
Ihren  nahen  Bekannten  gehört.  Ich  habe  indessen  gehofft,  Ihnen  ||  soweit 
bekannt  zu  seyn,  dass  Sie  mich,  und  die  mir  nahe  angehören,  des  Ver- 
suchs eines  nähern  Zusammentreten  würdigen  würden.  Alsdann  kam  es 
auf  uns  an,  uns  von  Ihrer  Güte  zu  verdienen,  was  wir  freylich  kein  Recht 
hatten  zu  verlangen.  Jenes  aber  mussie  ich  von  Ihnen  hoffen,  der  Ver- 
hältnisse wegen,  die  uns  gemein  sind. 

So  wie  ich,  solange  nicht  bestimmt  war  wer  mein  Nachfolger  seyn 
würde,  fürchten  musste,  derselbe  würde  meine  müh  volle  und  noch  leicht- 
verletzliche Arbeit  zerstören;  so  muss  ich  auch  jetzt  noch,  wenn  dieser 
Nachfolger  mich  nicht  manchmal  seine  Fortschritte  ivissen  lässt  —  (erlauben 
Sie  mir  bey  dieser  Gelegenheit  das  Wort  Rechenschaft  in  Ihrem  Briefe 
durchzustreichen)  —  wenn  er  mich  besorgt  macht  meine  Bitten  um  Er- 
läuterungen über  seine  Massregeln  könnten  ihm  ungelegen  seyn;  —  das 
umgekehrte  von  dem  erstem  fürchten,  nämlich  dass  ich  ihm  entgegen 
arbeiten  werde,  wenn  ich  fortfahre  mich  schriftlich  um  die  Fortbildung 
meiner  Zöglinge  zu  bemühen. 

Das  letztre  fordert  gleichwohl  meine  Pflicht  wie  mein  Herz.  Meine 
Pflicht  so  viel  mehr,  weil  ich,  ganz  einer  frühern  Abrede  mit  Hrn.  Steiger 
entgegen,  ihn  dringender  Umstände  wegen  um  viele  Jahre  zu  früh  um 
Entlassung  gebeten  habe,  und  es  als  eine  sehr  grosse  Gefälligkeit  von 
ihm  ansehn  muss,  dass  ich  sie  ohne  Schwierigkeit  erhielt.  Selbst  Karin 
hatte  ich  mich  auf  längere  Zeit  versprochen,  und  alle  diese  Versprechungen 
konnte  ich  nur  mit  dem  neuen  Versprechen  lösen,  dass  ich  nie  ||  aufhören 
würde,  nach  meinen  Kräften  auch  aus  der  Ferne  mich  ihnen  als  Lehrer 
und  Freund  thätig  zu  zeigen. 

Ebenfalls  ist  Hr.  Steiger,  —  der  Mann,  den  ich  unter  allen  Menschen 
die  ich  bis  jetzt  kenne,  bey  weitem  am  höchsten  achte,  —  berechtigt, 
von  mir  vollkommne  Freymüthigkeit  über  alles  was  die  Seinen  betrifft, 
zu  fordern;  auch  hat  er  von  jeher  selbst  in  den  Fällen,  wo  gefährliche 
Folgen  davon  zu  besorgen  waren,  dieselbe  bey  mir  gefunden,  und  dann 
jedesmal  durch  sein  höchst  edles  Betragen  mich  noch  doppelt  und  dreyfach 
dazu  verpflichtet.  Soll  der  Gegenstand  dieser  Freymüthigkeit  ein  Miss- 
Verhältniss  zwischen  denjenigen  werden,  von  denen  er  die  Bildung  seiner 
Kinder  erwartet? 

Für  Ihre  Person  mag  Ihnen  hieran  sehr  wenig  liegen;  Sie  sind  ohne 
Zweifel  der  Mann,  der  sich  da  wo  er  steht,  bey  zuverlässigen  Menschen 
ein  vestes  Zutrauen  zu  gründen  weiss.  Aber  sollte  ich  Sie  wol  daran  er- 
innern müssen,  wieviel  Ihnen  für  Hrn.  Steiger  und  für  ihre  Zöglinge 
daran  liegen  könne?  Diese  Familie  müsste  aus  gewaltigen  Lügnern  be- 
stehn,  oder  ich  besitze  dort  auch  noch  ein  Zutrauen,  das,  wenn  es  mit 
dem  zu  Ihnen,  in  Collision  käme,  sehr  schmerzhafte  Empfindungen  er- 
regen müsste. 

Sie  wissen,  dass  mein  Briefwechsel  mit  dem  ||  St [eiger] sehen  Hause  lange 
gestockt  hat;    wenigstens    wünschte    ich    nicht,    dass  dergleichen  Ihnen  ein 


Dezember   1800.  igj 


Geheimniss  wäre.     Die   Hauptursache  davon  ist  die  Verlegenheit,  die  ich, 
sowohl  vor,  als  nach   Ihrem  Briefe  fühlte. 

Auch  nach  Ihrem  Briefe  —  ich  wäre  sehr  froh,  wenn  Sie  mir  darüber 
einen  Vorwurf  machten.  Wirklich  glaube  ich  fast  einen  zu  verdienen, 
dafür  dass  ich  der  Übeln  Stimmung  (die  bey  mir  aus  vielen  Ursachen 
lange  angehalten  hat  und  auch  jetzt  noch  mit  Rückfällen  droht,)  gestattet 
habe,  sich  in  die  Auslegung  desselben  zu  mischen.  Ich  hatte  mich  näm- 
lich gesehnt  nach  einem  Briefe,  an  dem  nichts  auszulegen  wäre,  der  mir 
entweder  den  ersten  Händedruck  des  Willkommens  in  unserm  Kreise, 
fühlbar  zurückgäbe,  —  oder  aber  auch  deutlich  sagte:  ,,ich  kenne  Euch 
noch  nicht  genug,  und  heisse  Euch,  nicht  über  Eure  Gränzen  hinaus  in 
meine  Sphäre  zu  kommen".  Auf  beyde  Fälle  hätten  wir  einander  schnell 
verstanden,  auf  beyde  Fälle  würde  ich  so  wenig  über  Sie,  als  Sie  hoffent- 
lich über  mich   zu  klagen  gefunden  haben. 

Jenen  Ihren  Brief  in  jener  meiner  Stimmung  habe  ich  aber  nun 
2  Monate  lang  für  nichts  als  eine  höfliche  Abfertigung  gehalten;  und  ich 
bekenne  Ihnen,  dass  ich  schon  angefangen  hatte,  Hrn.  Steiger  dieses  mein 
Unglück  zu  klagen.  Auch  jetzt  muss  ich  Hrn.  Steiger  etwas  hievon  er- 
wähnen —  aber  auf  eine  Weise,  von  der  ich  mich  überzeugt  halte,  dass 
Sie  damit  nicht  unzufrieden  seyn  können,  und  ihn  zu  bitten,  dass  er,  der 
Sie  besser  als  ich  kennt,  uns  befreunden  möchte:  als  ich  endlich,  —  weil 
die  Feder,  die  sich  so  lange  gesperrt  hatte,  auch  jetzt  durchaus  nicht 
weiter  schreiben  wollte,  —  Ihren  vielgelesenen  Brief  noch  einmal  zur 
Hand  nahm,  ||  und  mich  schämte,  über  das  was  ich  so  vorschnell  im  Be- 
griff gewesen  war  zu  thun.  Denn  Ihr  Brief  verschluss  mir  doch  nicht 
offenbar  den  Weg,  den  ich  jetzt  betrete;  er  scheint  mir  auch  jetzt,  es 
wenigstens  zufrieden  zu  seyn,  dass  ich  mich  mit  meinen  Anliegen  gerade 
an  Sie  wende. 

Und  wahrscheinlich  hätte  ich  ihn  nie  anders  gelesen,  ohne  das  Mis- 
verständniss,  was  Ziemssen  und  Sie  auseinander  zu  halten  scheint.  Wenn 
ich  mich  nicht  täusche,  könnten  Sie  leicht  mit  einander  aufrechnen;  Sie 
haben,  glaube  ich,  noch  in  Jena  bey  einer  entfernten  Bekanntschaft  beyde 
ein  etwas  ungerechtes,  vielleicht  in  der  Folge  noch  mehr  ungerecht  ge- 
wordenes Vorurtheil  gegen  einander  gefasst;  —  und  sind  Sich  jetzt  nahe 
genug,  um  einander  für  Ihre  eifrige  Thätigkeit,  Ihre  Geschicklichkeiten, 
Ihren  Character,  schätzen  zu  lernen.  Ich  glaube  dafür  bürgen  zu  können, 
dass,  wenn  Sie  Ziemssen  genug  kennen  lernen  zvo//en,  Sie  ihm  Ihre 
Achtung,  vielleicht  Ihre  Freundschaft,  nicht  werden  entziehen  können. 
Wenn  Sie  Sich  ihm  so  weit  nähern  wollten,  würden  Sie  Sich  einen  grossen 
Anspruch  auf  meine  Dankbarkeit  erwerben,  denn  uns  beyde  kann  schwerlich 
etwas  leichter  und    schöner  verbinden,  als    ein  gemeinschaftlicher  Freund. 

Glücklich,  wenn  ich  vielleicht  hier  von  schon  vergangenen,  von  schon 
geschehenen  Dingen  rede.  Es  ist  lange,  dass  ich  von  Ziemssen  keine 
Briefe  habe;  und  im  Sommer  werden  Sie  einander  wenig  gesehen  haben.  || 

Es  thut  mir  leid,  dass  mir  diesmal  die  Zeit  fehlt,  mich  umständlich 
in  die  Unterhaltungen  einzulassen,  zu  denen  mich  Ihr  Brief  veranlassen 
würde.  Ist  unsern  schriftlichen  Gesprächen  erst  die  fröhliche  Freyheit 
gegeben,   deren  sie  zum  Gedeihen  bedürfen,   so  wird  sich  die  Zeit  leichter 


192 


Dezember  1800. 


finden.  —  Die  allgemeinen  pädagogischen  Ideen,  wodurch  Sie  die  meinigen 
erwiedern,  sowie  auch  Ihre  Stundenordnung,  haben  mir  die  Hoffnung 
gegeben,  dass  unsre  Maximen  nicht  sehr  weit  auseinander  gehn  können; 
dass  sie  viel  näher  zusammenliegen,  als  ich  im  Voraus  mit  Recht  hätte 
erwarten  dürfen.  —  Die  kurzen  Worte,  welche  ich  Ihrer  Prüfung  hin- 
gegeben hatte,  waren  freylich  zu  kurz,  als  dass  die  genauere  Bestimmtheit 
derselben  Ihnen  nicht  vielleicht  blosse  Grille,  blosser  Einfall  scheinen 
müsste.  Dass  Ihre  Antwort  darauf  keine  Rücksicht  nimmt,  darf  ich  Ihnen 
vielleicht  als  eine  leise  Zurechtweisung  danken;  und  behalte  es  mir 
übrigens  vor,  die  Gründe,  warum  ich  das  Interesse  an  der  Natur  und  das 
am  Menschen,  das  Durcheinander  und  Nicht- durcheinander- Begründen,  so 
weit  von  einander  trennte,  —  nachzuliefern.  —  Über  Ihre  Methode,  die 
Geschichte  pädagogisch  !zu  nutzen,  freue  ich  mich  vorzüglich;  ausser- 
ordentlich zweckmässig  scheint  es  mir,  dass  Sie  bey  Ludwig  den  Tacitus 
die  Hauptlectüre  seyn  lassen.  Gerade  die  Anstrengung,  durch  die  er 
sich  diese  Schriftsteller  aneignen  muss,  wird  ihm  sehr  wohl  thun.  Wegen 
der,  mit  ihm  wieder  angefangenen  Griechischen  Sprache,  habe  ich  einige 
Zweifel. 

Wird  er  in  seinem  künftigen  Leben  sich  durch  die  Schwierigkeiten 
herdurchringen  wollen,  die  er  überwinden  muss,  um  sich  durch  den  Nutzen 
belohnt  zu  finden?  Haben  Sie  soviel  Zutrauen  zu  ihm,  so  ist  dies  ihm 
äusserst  rühmlich,  und  alsdann  hat  auch  diese  seine  Beschäftigung  meinen 
vollkommensten  Beyfall.  —  Ihre  Ideen  über  den  Plan,  der  bei  den 
Naturwissenschaften  zu  befolgen  ist,  hätte  ich  sehr  gewünscht  noch  be- 
stimmter auf  eine  Grundidee  zurückgeführt  zu  sehn.  Dies  wäre  mir  be- 
lehrend gewesen,  und  hätte  mir  etwas  gegeben,  das  ich  ohnehin  suche. 
—  Vortrefflich,  dass  Sie  beym  Anfange  in  neueren  Sprachen  sich  an  die 
alten  anschliessen  wollen.  Aber  ich  begreife  nicht  recht,  wie  Florians 
Numa  —  zwar  ein  Gegenstück,  —  aber  als  solches  gar  grell  —  Ihre 
Forderungen  befriedigen  könne.  Überhaupt  vermisse  ich  in  Karls  gegen- 
wärtigen Beschäftigungen  ein  wenig  die  Einheit  des  Plans.  Die  Eindrücke 
aus  den  vielen  Autoren  die  er  liest,  widerstreiten  einander,  fürchte  ich, 
zu  sehr.  Mein  Bestreben  ist  immer,  Ein  Gewicht  zur  Zeit  ganz  auf  die 
Seele  fallen  zu  lassen;  —  und  wo  Abwechselung  seyn  muss,  suche  ich  sie 
bey  recht  heterogenen  Beschäftigungen ,  deren  Wirkungsstrahlen  recht  weit 
voneinander  vorüber  schiessen. 

Ich  bitte  Sie,  aus  diesem  Briefe  nur  die  Sache  heraus  zu  nehmen, 
enog  d'tintQ    tl    ßeßaxTcu  duvov,    acpaQ    to    (fegoiev   avuQ7ia£,a.(jai  x^veXhail1) 

Ihr  Herbart. 

J)  Homer,  Od.  VIII,  409. 


1801. 


W. :    Jan.:    Ideen    zu    einem    pädagogischen  Lehrplan    für   höhere   Studien.     S.  Bd.  I. 

129  —  135- 

136.  Frau  Senator  Smidt  an  Julie  Jahn.  Bremen  1801,  14.  Januar. 

—  —  Recht  viel  Julie  könnte  ich  Dir  von  hier  erzählen,  was  mich  sehr  nahe 
angeht  und  sehr  glücklich  macht.  Unter  anderm,  ich  muß  nur  mit  der  lebenden 
Welt  anfangen.  Es  sind  jetzt  zwei  Menschen  hier.  Heebart  aus  Oldenburg  und 
Böhlendorf  aus  Curland,  beide  frühere  Freunde  meines  Mannes,  und  jetzt  unsers 
ganzen  Zirkels,  dem  sie  durch  sich  unendlich  viel  geben.  Herbart  hat  den  gantzen 
Sommer  fast  bey  uns  auf  dem  Lande  zugebracht,  es  ist  ein  ernster  strenger  Denker, 
dessen  Nähe  nicht  immer  anzieht,  der  aber  wenn  er  einmal  in  sein  Inneres  schauen 
läßt,  unbeschreiblich  liebenswürdig  ist.     Er  ist  hier  allgemein  geachtet.1) 

137.  Smidt  an  Justizräthin  Herbart.  Jan.  1801. 

Auf  Ihren  letzten  Brief  an  Böhlendorf,  meine  werthe  Freundin,  haben  Sie  gewiß 
schon  früher  als  heute  Antwort  erwartet,  und  das  mit  Recht.  —  Hören  Sie  indeß 
die  Ursache  der  Verzögerung.  Böhlendorf  erhielt  den  Brief  durch  den  Postbodten 
am  Sonnabend  Abend  erst  nach  Abgang  der  reitenden  (?)  Post  nach  Oldenburg.  —  Ehe 
er  den  Einschluß  an  H.  gab  wollte  er  mit  mir  erst  Rücksprache  deswegen  nehmen, 
weil  die  Verabredung  unter  uns  gilt  —  H.  keine  Oldenburgischen  Nachrichten  ohne 
Rücksicht  auf  seine  jedesmalige  körpl.  Disposition  zukommen  zu  lassen.  —  Sonntag- 
Morgen  war  ich  nicht  zu  Hause  Nachmittags  fuhr  Bohlend,  mit  mir  nach  d.  Dunge 
—  und  hier  konnte  er  erst  über  diese  Angelegenheit  mit  mir  reden.  —  Es  war 
bereits  zu  spät  wegen  der  fahrenden  Montagspost  noch  etwas  zu  verfügen.  —  Die 
Sache  mußte  also  bis  auf  Donnerstag  anstehen. 

Aber  warum  ich  Ihnen  das  grade  schreibe  —  Thls.  —  weil  ich  es  ungern  bis 
jetzt  verschieben  mußte  Sie  mal  ein  Wörtchen  wieder  von  mir  hören  zu  lassen  — 
um    mir   auf   eins  von  Ihnen    gegenseitige  Hoffnung   machen   zu  dürfen   theils  weil 

1j  Aus  den  Protokollen  der  Direktion  der  physikalischen  Gesellschaft  im  Museum  zu 
Bremen:  1801  21./1.  —  —  H.  Senator  Smidt  zu  dieser  oder  jener  Vorlesung  den 
H.  Herbart  der  (fehlen  mehrere  Worte)  mit  großem  Beifall  gelesen  hat,  zu  substituieren 
(1  unleserliches  Wort),  so  wurde  bestimmt,  daß  derselbe  ohne  jedesmalige  Anfrage  vor- 
lesen könne. 

1801  ii./i.  (?)  ward  angezeigt,  wie  H.  (fehlt  I  Wort)  Herbart  und  H.  Pastor 
Bekenn  gegen  die  Verbindlichkeit,  Vorlesungen  zu  halten,  früher  aufgenommen  zu 
werden  wünschen. 

1801  13.  Mai/ 1 801  Juni  13.  wird  beschlossen,  Herbart  gegen  die  Verpflichtung 
„auf  3  Jahre  Vorlesungen11  zu  halten,  aufzunehmen. 

Fr.    Mitteilung  des  Herrn  Richter  a.  D.  Smidt  in  Bremen. 

Herbarts  Werke.     XVI.  13 


IQ^  Januar   1801. 

meinem  Freunde  H.  ein  freundschaftlicher  Rath  in  Hinsicht  seines  gegenwärtigen 
Benehmens  nicht  ganz  gleichgültig  scheint  —  und  ich  es  mir  deswegen  zur  Pflicht 
mache  Ihnen  die  Ansichten  mitzutheilen  die  meinen  Rath  in  diesen  Angelegenheiten 
gerade  so  und  nicht  anders  ausfallen  lassen. 

Die  Gesundheit  meines  Freundes  scheint  nicht  mehr  so  fest  zu  seyn,  wie  sie 
vormals  war.  Was  sie  erschüttert  hat  wissen  Sie  so  gut  wie  ich  —  aber  daß  jede 
auch  die  leiseste  Berührung  dieser  Saiten  auf  sein  geschwächtes  Nervensystem  einen 
so  verderblichen  Einfluß  hat,  daß  die  Folgen  davon  nicht  Tage  sondern  Wochen 
lang  sichtbar  bleiben,  wissen  Sie  vielleicht  nicht  —  Seine  Eltern  scheinen  auf  alle 
Liebe  für  ihren  Sohn  Verzicht  thun  zu  wollen,  wenn  er  sich  in  ihre  Mißhelligkeiten 
nicht  auf  eine  Art  und  Weise  mische,  die  seinem  Charakter  nicht  anständig  ist  — 
er  hat  während  seiner  Anwesenheit  in  Oldenburg  gethan,  was  er  den  Umständen 
nach  thun  konnte  und  durfte  —  er  hat  erklärt  daß  seiner  Ueberzeugung  nach  die 
gerechte  Sache  die  seiner  Mutter  sey  —  er  hat  um  nicht  der  Gegenstand  des  elter- 
lichen Zwistes  zu  seyn  —  erklärt,  daß  man  auf  ihn  keine  weitere  Rücksicht  nehmen 
möge,  daß  er  auf  alle  Vortheile,  die  für  ihn  aus  diesem  Streite  erwachsen  könnten, 
resignire,  und  wie  er  sah,  daß  dessen  ungeachtet  seine  Gegenwart  in  Oldenburg 
immer  neuen  Stoff  zur  Flamme  darbot,  seinen  dortigen  Aufenthalt  vermieden.  —  Er- 
lebt hier  als  Erzieher  eines  jungen  Mannes  in  einem  Kreise  wo  er  vielfache  Ge- 
legenheit hat  nützlich  und  thätig  zu  seyn,  und  unter  Menschen  die  seinen  Werth 
zu  schätzen  wissen,  deren  Achtung  und  Liebe  er  sich  erworben  hat  und  noch  tägl. 
mehr  erwirbt. 

Seiner  übernommenen  Arbeit  muß  er  vorstehen  außerdem  ist  er  seinen  Freunden 
jetzt  der  Nächste  und  sie  sind  es  ihm  —  ihre  Pflicht  ist  es  dafür  zu  sorgen  daß 
seine  wahrlich  nicht  geringen  Kräfte  der  Wrelt  nicht  entzogen  und  ein  Opfer  un- 
seliger Verhältnisse  werden,  in  die  ihn  nur  ein  ungünstiges  Schicksal  zu  verflechten 
im  Stande  war  —  dies  würde  aber  sicher  der  Fall  seyn.  wenn  er  in  dieser  Hinsicht 
Ihren  oder  seines  Vaters  Wünschen  Gehör  gebe. 

Er  wird  demnach  seine  Ansprüche  an  den  Vater  —  die  bewußten  jährlich 
300  Rthl.  betreffend  nicht  geltend  zu  machen  suchen  —  und  sollte  er  auch,  wie 
Ihr  Brief  anzudeuten  scheint,  darüber  Gefahr  laufen  alle  elterl.  Unterstützung  dar- 
über entbehren  zu  müssen.  —  So  hart  das  auch  gewisserseits  seyn  mag,  so  sehr 
sein  uneigennütziges  Benehmen  in  dieser  ganzen  Sache  auch  das  Gegentheil  zu 
Billigkeit  machen  würde  so  halte  ich  es  auch  wenn  seine  Grundsätze  es  ihm  nicht 
schon  zur  Pflicht  machten  —  hierin  dem  in  Oldenburg  geäußerten  Entschlüsse  con- 
sequent  zu  verfahren,  doch  schon  für  ratsam,  lieber  alle  Aussichten  dieser  Art 
fahren  zu  lassen  als  im  Besitz  derselben  zugleich  der  Gefahr  eines  siechen  und  kraft- 
losen Lebens  täglich  näher  zu  rücken.  —  Was  hilft  ihm  das  Geld  ohne  Gesundheit 
und  heitern  Sinn  —  es  wird  ihn  vom  beschleunigten  Tode  nicht  erretten.  So  lange 
es  ihm  an  Kräften  nicht  fehlt  wird  er  arbeiten  können  und  seine  Arbeiten  werden 
ihm  Brod  verschaffen.  —  Sollte  er  je  in  Umstände  gerathen  die  ihm  das  unmöglich 
machten,  so  fehlt  es  ihm  hier  nicht  an  Freunden,  die  sichs  zur  Freude  machen 
werden  ihm  behülflich  zu  seyn,  wo  sie  es  können. 

Daß  er  seinen  Eltern  nicht  schreibt,  kann  sie  bey  so  bewandten  Umständen 
im  Grund  nicht  wundern.  —  Der  letzte  Brief  seines  Vaters  enthielt  Aufforderungen, 
deren  er  sich  vor  jedem  rechtlichen  Menschen  schämen  muß  —  über  Ihr  Verhältniß 
mit  ihm  habe  ich  Ihnen  ein  andermal  weitläufig  geschrieben  —  und  meine  Ansicht 
desselben  hat  sich  durch  die  Aeußerungen  und  den  Ton  dessen  Sie  sich  in  jedem 
Urtheil  über  Ihren  Sohn  bedienen  so  wenig  wie  die  Seinige  verändern  können.  — 
Der  verlangte  Schein  folgt  indeß  hierbey  wie  ich   hoffe  auf  eine  Ihnen  genügende 


Januar   1801.  ige 

Weise.  H.  sagt  mir  daß  er  das  seit  96  Empfangene  unmöglich  speeificirt  angehen 
könne,  da  er  nicht  genau  darüber  Buch  gehalten,  und  auch  gar  keinen  Grund  gehabt 
hätte  das  zu  thun.  —  Gesetzt  auch  sein  Gedächtniß  wäre  ihm  bey  der  Herzählung 
dieser  Summe  ziemlich  getreu,  so  wäre  es  doch  möglich  daß  er  in  irgend  einer 
Kleinigkeit  irren  könne  —  die  die  Advokaten  seines  Vaters  dann  mit  beyden  Händen 
ergreifen  würden  —  um  Sie  dadurch  in  neue  Weitläufigkeiten  zu  verwickein.  — 
Einliegende  Generalquittung  beugt  dem  allen  indeß  vollkommen  vor  —  daß  der 
Vater  und  sein  Anhang  es  gar  gern  sehen  würden  Sie  mit  seinem  Sohn  zu  entzweyen 
—  um  seine  Sache  dadurch  in  ein  besseres  Licht  zu  setzen  —  läßt  sich  denken, 
es  wird  ihnen  aber  sicher  nicht  gelingen.  —  Sie  haben  Ihren  Verpflichtungen  für 
Ihren  Sohn  dadurch  ein  Genüge  geleistet,  daß  Sie  seine  Ansprüche  insofern  der 
Justizrath  sich  Ihnen  deswegen  verpflichtet  halte,  geltend  zu  machen  suchten  —  will 
der  Sohn  sie  nun  von  seiner  Seite  freywillig  aufgeben,  um  dadurch  zugleich  einen 
Stein  des  Anstoßes  der  auch  die  Entscheidung  Ihrer  Sache  noch  verzögern  könnte, 
aus  d.  Wege  zu  räumen  —  so  wird  man  daraus  sehen  —  daß  er  um  die  Ruhe 
seiner  Eltern  zu  beschleunigen  die  Aufopferung  des  eignen  Interesses  nicht  scheut. 

(Zweites  Blatt) 
Was  Sie  in  dem  Briefe  an  B.  von  der  Seichtigkeit  der  Gründe  Ihrer  Gegner 
erwähnen  leuchtet  mir  nach  dem  dabey  übersandten  Probestück1)  zu  urtheilen,  voll- 

l)  In  der  von  dem  Advocaten  von  Römer  am  23ten  Dec.  eingereichten  Schrift 
steht  folgendes: 

Was  aber  das  Gesuch  um  Unterhalt  für  den  Sohn  betrifft,  so  ist  dies  vollends 
grundlos  und  unbeykommlich. 

Ersteres,  weil  der  in  wenig  Monaten  großjährige  Sohn  „sich  selbst  sein  Aus- 
kommen verschaffen  muß". 

Letzteres,  weil,  wenn  er  auch  noch  einiger  Unterstützung  bedürfen  sollte,  dies 
eine  Sache  ist,  weshalb  Supplicantin  kein  Klagrecht  hat.  Der  Sohn  melde  sich  mit  kind- 
licher Ehrfurcht  beym  Vater  und  ergreife  einen  Stand,  so  wird  es  ihm  an  Unterstützung 
nicht  fehlen  obgleich  sein  letztes  Betragen  nicht  ganz  so  war,  als  es  hätte  seyn  sollen. 

Im  Gegentheil  ist  Supplicantin  dem  Supplicaten  von  denjenigen  Geldern  Rechen- 
schaft zu  geben  schuldig,  die  Supplicat  ihr  eingehändigt  hat,  um  sie  an  den  Sohn 
wie  dieser  sich  in  der  Schweiz  aufhielt  zu  schicken.  Diese  Gelder  betragen  375  Rthlr., 
wozu  Supplicantin  der  Abrede  gemäß  125  Rthlr.  legen  mußte.  Der  Sohn  hat  diese 
500  Rthb.  bey  weitem  nicht  erhalten. 

Damals  wollte  Supplicat  mit  der  angebotenen  Summe  von  400  Rthlr. 

dem  Sohn  zugleich  eine  Unterstützung  aussetzen,  deren  jetzige  Bestimmung  nach 
dem  letzten  Betragen  desselben,  von  nicht  vorauszusehenden  Umständen  abhängt.  Jetzt 
ist  die  Sache  einmal  im  Gange,  jetzt  hat  sich  der  Sohn  vom  Supplicaten  gleichsam 
abgesagt  und  Parthei  gegen  ihn  genommen,  jetzt  findet  Supplicat  es  nicht  rathsam, 
die  künftige  Bestimmung  des  Sohnes  und  den  demselben  auszusetzenden  Zuschuß, 
der  Willkühr  der  Supplicantin  zu  überlassen,  jetzt  ist  nur,  um  aus  der  Sache  zu 
kommen  von  einem  Zuschüsse  für  die  Supplicantin  allein  die  Rede. 

— ,   da  der  Sohn   noch  Zuschuß    bedarf   „und   die   herrschaftlichen 

Diener  nach  höchsten  Landesherrlichen  Verordnungen  gar  keinen  Abzug  leiden 
dürfen.  ||  Dies  würde  zum  offenbaren  Nachtheil  des  Dienstes  gereichen.  Daher  denn 
auch  Sr.  H.  Durch!.  Sich  nur  vorbehalten  haben,  höchst  dero  Einwilligung  zur  Ver- 
abfolgung eines  Theils  des  Gehalts  zu  ertheilen,  wenn  die  Bediente  dies  wünschen. 

Ich  habe  diese  Schrift  gestern  Abend  erhalteu,  und  wünsche  am  nächsten 
Sonntage  zu  erfahren,  ob  und  welche  Worte  über  das  Gemeldete,  in  meiner  Gegen- 
erklärung bemerkt  werden  sollen?  [Frau]  Herbart 

13* 


196  Januar   1801. 

kommen  ein  —  die  Anwenduug  der  landesherrlichen  Verordnung  wegen  des  Gehalts 
der  herrschaftlichen  Diener  —  auf  eine  Unterstützung  die  der  Vater  d.  Sohn  zu- 
kommen läßt  ist  so  schief  wie  irgend  etwas  seyn  kann,  desgleichen  die  lächerliche 
Behauptung,  daß  die  künftige  Bestimmung  des  Sohnes  durch  Auszahlung  der  400  Rthl. 
auf  d.  contractmäßige  Weise  der  Willkühr  d.  Supplikantin  überlassen  werden  würde.  — 

Was  die  Aeußerung  betrifft,  daß  das  letzte  Betragen  des  Sohnes  nicht  ganz  so 
gewesen  sey  als  es  hätte  seyn  sollen  so  würde  sich  darauf  falls  es  nöthig  wäre  wohl 
ein  Wort  erwidern  lassen,  das  nicht  so  leicht  zu  beantworten  seyn  dürfte  als  jenes 
hingeschrieben  ist  —  allein  ich  sehe  die  Notwendigkeit  einer  solchen  Erwiderung 
noch  gar  nicht  ein.  Die  zu  Grunde  liegende  Absicht  ist  offenbar  keine  andere  als 
das  Geld  zu  behalten  —  dies  wird  dem  Vater  jetzt  ja  frey willig  und  unaufgefordert 
zugestanden  —  und  so  wird  er  künftig  gern  darüber  stillschweigen  —  ja  wenn  es 
verlangt  würde  um  einen  solchen  Preis  wahrscheinlich  noch  obendrein  gern  Ehren- 
erklärung in  d.  Kauf  geben,  allein  wir  finden  es  gar  nicht  einmal  nöthig  darauf  zu 
drängen.  Der  Sohn  hat  übrigens  ja  in  Oldenburg  öffentlich  erklärt  weswegen  er 
nicht  auf  des  Vaters  Seite  seyn  könne  —  und  daß  dieser  deswegen  nicht  sonderlich 
auf  ihn  halten  kann  wird  jedermann  ganz  erklärlich  finden  —  daß  man  den  Sohn 
hie  und  da  in  Oldenburg  für  ein  Kind  u.  Tollhäusler  hält  —  ist  Tollhäuslerurtheil, 
das  sich  wohl  belachen  läßt,  dem  man  aber  offenbar  zu  viel  Ehre  anthut  wenn  man 
irgend  eine  ernstliche  Notiz  davon  nehmen  wollte.  Sie  haben  diese  Maxime  in 
Ihren  eigenen  Angelegenheiten  ja  selbst  mit  dem  besten  Erfolg  erprobt.  Sollten 
übrigens  Männer  deren  Achtung  ihm  werth  ist  durch  dies  Urtheil  vornehmen  od. 
geringen  Pöbels  —  sich  soweit  verleiten  lassen  daß  sie  auf  eine  seinen  Charakter 
compromittirende  Weise  irre  an  ihm  würden  —  so  wird  es,  wenn  sich  erhebliche 
Spuren  davon  zeigen  noch  immer  Zeit  genug  seyn  einem  dadurch  veranlaßten  üblen 
Einfluß  —  auf  seinen  Credit  und  guten  Namen  vorzubeugen  und  ich  erbiete  mich 
in  diesem  Falle  gern  mit  Männern  ein  männliches  Wort  über  das  ganze  Verhältniß 
zu  wechseln  —  aber  jede  Voreiligkeit  dieser  Art  zeigt  Feigheit  und  macht  schon 
deshalb  verdächtig. 

Daß  wir  uns  übrigens  über  das  nahe  Ende  Ihres  Prozesses  und  so  viele  damit 
verbundene  Sorgen  und  kränkenden  Ansichten  der  Menschheit,  die  bey  einer  solchen 
Behandlung  von  selbst  sich  aufdrängen  müssen  herzlich  freuen,  können  Sie  leicht 
denken.  Von  ihren  Gesundheitsumständen  erwähnen  Sie  zwar  nichts  aber  aus  dem 
ganzen  Tone  Ihres  Briefes  glaube  ich  zu  meiner  Freude  schließen  zu  müssen,  daß 
sie  nicht  nachtheilig  sind.  —  Möge  der  Abend  Ihres  Lebens  so  heiter  werden,  daß 
Sie  den  schwülen  Mittag  darüber  zu  vergessen  im  Stande  sind.  Auch  das  Verhältniß 
mit  Ihrem  Sohne  wird  dann,  ich  ahnde  es,  ein  anderes  werden  wie  es  jetzt  ist. 
Wenn  seine  Grundsätze  es  ihm  nicht  erlaubten  während  der  letzten  Jahre  einen 
Weg  mit  Ihnen  zu  gehen,  so  dürfen  Sie  daraus  noch  nicht  auf  eine  gänzliche 
Trennung  schließen.  Sie  werden  sich  wieder  begegnen  und  in  ruhigen  lebensfrohen 
Stunden  wird  es  Ihnen  künftig  gewiß  nicht  an  mancher  schönen  Veranlassung  fehlen 
sich  eines  Sohnes  zu  freuen  auf  den  jede  Mutter  stolz  seyn  könnte. 

Gelegentlich  bitte  ich  um  eine  Empfehlung  an  H.  v.  Halem.  Wissen  Sie  nicht 
ob  er  in  diesem  Frühling  auch  einen  Besuch  von  Woltmann  in  Oldenburg  erwartet?  — 
Leben  Sie  herzlich  wohl  und  erfreuen  Sie  bald  mit  ein  paar  Zeilen 

Ihren  Smidt. 

(auf  der  letzten  Seite) 
Gries   hat   den   Tasso,   wie   ich   aus   seinem  Briefe  damals  selbst  gelesen  habe 
nicht  Ihnen  sondern  Ihrem  Sohne  geschenkt  und  ihm  bloß  eine  Mittheilung  desselben 
an  Sie    aufgetragen  Herbart  hatte  Böhlendorf  aufgetragen   es   mitzunehmen   der   es 


Februar   1801. 


197 


aber  vergessen  hat.  —  Er  besitzt  außer  dem  von  Gries  erhaltenen  noch  ein  Exemplar 
des  Tasso  das  er  Ihnen  nächstens  schicken  wird  —  die  Uebersetzung  ist  vor- 
trefflich —  sie  wird  Ihnen  Freude  machen. 

138.    Segelken  an  H.1)  Bern  den  4.  Febr.  1801. 

Herr  Herbart.  Ich  hoffte  Sie  würden  mir  Ihre  Gedanken,  wie  sie  auch  immer 
hätten  seyn  mögen,  über  meinen  Brief  mittheilen.  Ich  rechnete  dabey  noch  auf 
manche  Winke  und  Bemerkungen  fürs  Einzelne,  die  ich  von  Ihnen  am  besten  er- 
warten konnte;  und  ich  wurde  unruhig,  da  ich,  als  wirklich  Briefe  von  Ihnen  kamen, 
keinen  erhielt.  Sie  schrieben  an  Ludwig,  an  Karl,  —  und  manches,  z.  B.  über  die 
Arbeiten  im  Griechischen,  im  Englischen,  in  der  Geschichte  so,  daß  es  auch  mich 
anging,  aber  dennoch  kein  bestimmtes  "Wort,  keine  Frage,  keine  Aeußerung  unmittel- 
bar an  mich.  Es  war  mir  unerklärbar,  warum  Sie  mir  nicht  selbst  direct  Ihre 
Meinung  sagten.  Ich  wollte  schon  an  Sie  schreiben,  aber  da  Sie  in  einem  der  Briefe 
sagten,  Sie  würden  nächstens  mehrere  schicken,  so  vertröstete  ich  mich  noch,  und 
hoffte  von  neuem.  Nun  kam  ein  Brief  an  den  Herrn  Landvogt,  und  da  ich  noch 
in  dem  nemlichen  Zustande  war,  so  dachte  ich,  dieser  würde  mir  Aufklärung  geben; 
—  der  Herr  Landvogt  hatte  die  Güte  ihn  mir  mitzütheilen,  und  so  war  mir  das 
Rätsel  gelöset.  Jetzt  war  ich  froh,  denn  ich  sah  nun,  daß  es  nur  auf  mich  ankam, 
mich  mit  Ihnen  zu  verständigen,  und  dies  soll  hoffentlich  nicht  schwer  halten.  — 
So  will  ich  denn  ein  paar  herzliche  Worte  mit  Ihnen  reden,  so  gut  der  kleine  Baum 
eines  Briefes  sie  faßt,  und  wenn  diese  uns  nicht  näher  vereinigen,  so  wird  nie  etwas 
uns  nahe  bringen.  Nehmen  Sie  ja  nichts  als  Vorwurf,  oder  als  Entschuldigung  von 
meiner  Seite,  denn  das  eine  so  wenig  wie  das  andre  kann  unter  uns  stattfinden. 
Manche  Aeußerung  von  Ihnen  erscheint  mir  ganz  natürlich.  Nur  das  Wirkliche, 
was  ich  beym  Lesen  Ihres  Briefes  in  mir  fand,  muß  ich  Ihnen  sagen.  —  Sie  mögen 
dann  selbst  urtheilen.  || 

Es  nimmt  mich  im  geringsten  nicht  Wunder,  daß  Sie  sich  nicht  recht  in  mich 
haben  finden  können.  Wir  selbst  werden  uns  fremd.  Wie  sollte  ich  an  Sie 
schreiben,  nach  dem  Verhältnisse  worin  wir  zu  einander  standen?  Als  Freunde?  — 
Das  konnte  ich  nicht,  so  gerne  ich  es  auch  getban  hätte.  Unbescheidenheit,  Zu- 
dringlichkeit ist  mir  zuwider  am  meisten  in  diesem  Puncte!  Ich  mag  mich  nicht 
anbieten,  nicht  sogleich  damit  hervortreten,  und  warte  lieber,  bis  man  mich  erst 
etwas  kennt,  und  mir  vielleicht  entgegen  kömmt.  Daher  unterscheide  ich  dann  frey- 
lich manchmal  nicht  genug  die  Gränze,  wo  die  Zurückgezogenheit  aufhören,  und  ein 
freier  Anschluß  stattfinden  sollte,  —  warte  länger  als  es  wol  nöthig  wäre.  Im 
mündlichen  Gespräche  giebt  sich  dies  weit  eher  und  so  wenige  Menschen,  die  sich 
auch  das  erste  mal  sehen,  können  sich  bald  einander  nähern,  —  aber  wie  ganz 
anders  ist  dies  bey  einem  Briefe,  wo  so  mancherley  Rücksichten  in  Betracht  kommen, 
bey  Menschen  die  nicht  Vertraute  sind.  Versteht  man  doch  oft  im  täglichen  Um- 
gange die  Sprache,  die  jedem  besondern  Menschen  eigen  ist,  unrichtig  und  schief, 
um  wie  viel  eher  ist  dies  bey  einem  Briefe  zu  befürchten.  Der  meinige  ist  für 
uns  beyde  ein  unangenehmer  Beweis  dafür,  und  mit  Verstummen  sah  ich,  wie  un- 
begreiflich falsch  er  genommen  war.  —  Sie  legten  da  etwas  in  mich  hinein,  was 
nie  in  mir  gewesen  ist  --  von  Abfertigung  kann  gar  nicht  die  Rede  sein.  Aber 
auch  weder  Höflichkeit,  noch  vorsichtiges  Zurückhalten  mit  meiner  Freundschaft, 
war  es,  was  ich  gegen  Sie  äußerte;  und  ich  sehe  in  Beziehung  auf  das  erstere,  daß 
ich  das  bey  Ihnen  veranlaßt  habe,   was  ich  gerade  nicht  wollte.     Ich  hätte  Ihnen 

l)  12  S.  8°.     H,  Wien. 


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Februar   1801. 


manches  gern  sagen  mögen,  was  mich  freute,  da  ich  Ihren  Brief  las,  da  ich  hier  von 
Ihnen  sah  und  hörte,  ||  was  ich  aber  dennoch  nicht  gut  sagen  konnte,  aus  Besorgniß, 
daß  es  blos  Höflichkeit  oder  Worte  scheinen  möchte,  nach  dem  Verhäitniß,  worin 
wir  zu  einander  standen;  —  was  ich  Ihnen  aber,  wenn  wir  schon  vertrauter  ge- 
wesen wären,  geradezu  hätte  sagen  können,  und  so  wurde  mein  Brief  vielleicht  zu 
kalt  und  trocken;  und  hatte  daher  für  Sie  die  Miene  der  Abfertigung.  Vorsichtige 
Zurückhaltung  meiner  Freundschaft  kam  mir  nie  in  den  Sinn.  Warum  hätte  ich 
sie  doch  zurückhalten  sollen?  Ich  wünschte  herzlich  ein  engeres  Verhäitniß  mit 
Ihnen,  wozu  meine  Stelle  mich  schon  auffordern  mußte;  aber  ich  konnte  nicht 
wissen  wie  weit  Sie  gegen  mich  gehen  würden.  Halb  und  aufs  Gerathewohl  hin 
mag  ich  nichts  haben  und  geben,  —  und  so  wollte  ich  das  lieber  der  Zeit  überlassen, 
womit  ich  mich  nicht  schnell  und  voreilig  zeigen  mochte.  —  Es  hat  mich  tief  ge- 
schmerzt, daß  Sie  mir  ein  verächtliches  Ueberblicken  Ihrer  mir  geäußerten  Neigungen 
auf  eine  Zeitlang  beylegen  konnten.  So  etwas  ist  mir  durchaus  fremd,  —  ich  hasse 
es  am  meisten,  und  es  entfernt  mich  am  ersten  von  einem  Menschen,  in  dem  es 
sich  wirklich  findet.  Ich  hätte  mit  stolzer  Verachtung  Ihre  Meynung  übersehen 
können,  die  in  dem  Augenblick  wo  ich  sie  las  das  frohe  Gefühl  der  einleuchtenden 
Klarheit  in  mir  erregte,  und  die  obgleich  ich  es  mir  nie  mit  diesen  Worten  dachte 
und  es  nie  unter  dieser  Form  ausgedrückt  sah,  so  gewiß  war,  daß  ich  nicht  den 
geringsten  Zweifel  darüber  hatte?  Nein,  so  war  es  nicht,  so  etwas  konnte  nie  in 
meinen  Sinn  kommen,  nie  bey  jedem  andern  Menschen,  geschweige  denn  bey  Ihnen. 
Als  ich  es  näher  ansah,  glaubte  ich  das,  was  ich  bisher  darüber  gedacht  hatte,  und 
was  keineswegs  nun,  aber  dennoch,  wie  ich  glaube,  wahr  ist,  seinen  wesentlichsten 
Theilen  nach  wiederzufinden,  und  freute  mich  natürlich  um  so  mehr.  So  setzte  ich 
dies  her,  damit  Sie  sähen,  daß  wir  hierin  zusammenstimmten.  || 

Sie  bewiesen  Zutrauen  gegen  mich,  da  Sie  mich  werth  hielten,  an  Ihrer  Stelle 
fortzuarbeiten.  Dies  glaubte  ich  nun  dadurch  am  besten  schätzen  zu  können,  wenn 
ich  mich  bemühte,  es  auf  eine  Ihnen  ähnliche  Art  zu  thun.  Ich  wußte,  wie  viel 
Sie  den  Ihrigen  waren;  und  ich  strebte  dahin,  ihnen  nach  meinen  Kräften  das  zu 
seyn,  was  ich  Ihnen  seyn  konnte.  Mit  diesem  Vorsatz  kam  ich  her.  —  Ich  nehme  gern 
jeden  Menschen  so  wie  er  ist,  ohne  etwas  in  ihn  hineinzudenken,  ohne  etwas  bey  ihm  voraus- 
zusetzen, —  versteht  sich,  davon  abgesehen,  was  man  bey  jedem  der  irgend  einen  be- 
stimmten Schritt  thut,  wie  etwa  der  meinige  ist,  mit  vollem  Rechte  voraussetzen  kann, 
—  kurz,  jeden  in  seiner  Art,  und  so  wünsche  ich  daß  andre  auch  mich  nehmen.  Unter 
solchen  Menschen  bin  ich  am  liebsten,  und  mit  diesen  hoffe  ich  dann  leicht  auszu- 
kommen. Denkt  ein  andrer  aber  so  unbescheiden,  daß  ich  gerade  alles  das  seyn 
soll,  was  er  wünscht  und  voraussetzt,  so  muß  ich  gestehen,  daß  ich  dazu  keine  Lust 
habe,  denn  so  könnte  es  endlich  dahin  kommen,  daß  ich  weder  für  ihn,  noch  für 
mich  selbst  etwas  mehr  wäre.  —  So  kam  ich  hierher,  zuerst  abgesehen  von  allem 
andern;  weil  ich  mir  sagen  konnte:  Ich  habe  den  reinen  Willen  etwas  Gutes,  etwas 
Bleibendes  zu  bewirken,  ich  glaube  Kraft  und  Ausdauer  dazu  in  meiner  Macht  zu 
haben,  und  habe  mir  einige  Mittel  und  Kenntnisse  dafür  zu  erwerben  gesucht.  Dies 
kann  ich  mit  frohem  Muthe  noch  jetzt  sagen.  —  Wer  sich  mit  mir  zu  irgend  etwas 
Edlem  und  Bleibendem  vereinigen  will,  der  kann  auf  meine  ganze  Thätigkeit,  so  viel 
in  meinen  Kräften  steht,  fest  und  sicher  rechnen.  Selbstsucht,  Anmaßung,  Eigen- 
dünkel sind  meinem  Herzen  immer  fremd  gewesen.  Nichts  mag  ich  im  Lehen  zur 
Schau  tragen,  weil  man  leer  und  eitel  dabey  wird,  und  es  besser  ist,  den  Gang 
seines  ||  Wirkens  im  Stillen  zu  verfolgen.  Gern  will  ich  mich  selbst  unterordnen, 
wenn  das  Beßere  dadurch  befördert  wird,  aber  nie  leide  ichs  von  andern.  Mey- 
nungen  sind  mir  Meynungen,  und  Wahrheit  ist  mir  Wahrheit.  Meine  Meynung 
tausche  ich  bereitwillig  aus  gegen  die  des  andern,  sobald  sie  mir  einleuchtender  ist, 


Februar   1801. 


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aber  fest  beharre  ich  bey  der  meinigen,  wenn  ich  nicht  Ueberzeugung  fühle.  Nur 
ewige  Wahrheiten,  die  das  "Wesen  des  Menschen  ausmachen,  die  tief  in  ihm  walten 
über  alles,  die  den  Einzelnen  an  Einen,  wie  an  Alle  knüpfen,  und  ohne  die  ich  ein 
Nichts  bin,  —  die  laße  ich  nicht  um  Alles,  die  sind  mir  zu  theuer,  als  daß  ich  sie 
durch  ein  nichtiges  Bemühen  des  Verstandes  antasten  sollte.  Ich  bin  ein  abgesagter 
Feind  von  aller  Einseitigkeit  des  Denkens  und  des  Handelns,  die  jedes  Beßere  noth- 
w  endig  erstickt.  Ich  fordere  Toleranz  der  Meynungen  und  Handlungen  gegen  mich, 
nach  meinen  Vorstellungen,  Neigungen  und  Empfindungen  in  so  fern  ich  dieser  und 
kein  andrer  bin,  im  weitesten  Sinne,  so  wie  ich  sie  gegen  jeden  andern  ausübe,  er 
mag  denken  und  handeln  wie  er  will;  —  nur  da,  wo  Wahrheit  unwiderstehlich 
leuchtet,  wo  irgend  etwas,  was  dem  Menschen  heilig  und  theuer  ist,  angegriffen 
wird,  da  gebe  ich  keine,  und  da  will  ich  auch  keine  gegen  mich.  Jeder  gilt  mir 
nur  in  dem  Maaße  etwas,  als  er  edel  gesinnt  ist,  als  er  wirkt  und  nützt,  als  seine 
Gesinnungen  uneigennützig  und  lauter  im  Leben  sich  zeigen,  und  er  kein  getheiltes 
Unwesen  ist,  —  und  nur  dann  wenn  sein  Herz  einfach,  natürlich  und  wahr  zu  dem 
meinigen  spricht,  so  bin  ich  der  seinige  auf  immer,  denn  dis  ist  mein  untrügliches 
Alles. 

So  fordere  ich  Sie  denn  hiermit  auf,  mein  theurer  Herbart,  bitte  Sie  innig, 
mir  keinen  Ihrer  Wünsche  zurückzuhalten.  0  ich  sehe  diese  Liebe,  diese  Sorg- 
falt für  die  Ihrigen,   so  wie   sie  seyn  muß,   mit   einiger  Freude,    sie   ist  mir  heilig. 

—  Theilen  Sie  mir  Ihre  Gedanken  mit,  schreiben  Sie  nur  Alles,  was  Sie  wünschen, 
was  Sie  denken,  über  jedes  Einzelne;  ich  will  dann  sehen,  was  sich  thun  läßt,  und 
mir  soll  es  eine  ||  herzliche  Freude  seyn,  Ihren  Wünschen  entgegen  zu  kommen, 
Ihre  Vorschläge  auszuführen.  Ich  bin  der  Ihrige  in  Allem,  was  die  Kinder  betrifft, 
an  denen  mein  Herz  hängt,  und  wollen  Sie  hier  der  meinige  seyn,  so  kann  es  nicht 
fehlen,  daß  wir  etwas  Bleibendes  zustande  bringen.  Gern  will  ich  mit  Ihnen  ge- 
meinschaftlich arbeiten  —  denn  mit  wem  könnte  es  mir  lieber  seyn,  —  und  sobald 
ich  nur  bestimmt  weiß,  was  Sie  in  jedem  Einzelnen  beabsichtigen,  so  stehe  ich 
Ihnen  dafür,  daß  es  meiner  Seits  nicht  unausgeführt  bleiben  soll;  denn  ich  will 
jedes  Gute. 

Noch  eins  muß  ich  hier  erinnern.  Denken  Sie  ja  nicht,  —  wie  ich  wol  aus 
Ihrem  Briefe  schließen  könnte  —  als  ob  ich  es  aur  Hauptsache  machte,  meine  Zög- 
linge mit  einer  Masse  von  Kenntnissen  vollzupfropfen.  Nein,  ich  weiß  wirkliches 
Seyn,  von  bloßem  Wissen  zu  unterscheiden.  So  wie  ich  jeden  Mensch  nur  nach 
dem,  was  er  kann,  messe,  so  ists  mir  auch  das  erste,  den  Menschen  zur  eignen 
höchsten  Selbstständigkeit  seines  Daseyns  zu  erheben,  damit  er  einst  sich  und  andern 
etwas  werde,  und  nicht  einen  halbgelehrten  Halbmenschen  aus  ihm  zu  machen;  — 
und  wenn  das,  was  wir  eigentlich  lernen,  nicht  unser  eigenes  Wesen  veredelt,  nicht 
andern  wahrhaft  nützlich  wird,  kurz  nicht  in  jedem  Sinne  practisch  ist,  —  so  ist 
mir  alles  unendliche  Wissen  keinen  Heller  werth.  Ich  halte  sehr  viel  darauf, 
jungen  Leuten  einen  Umfang  von  mannigfaltigen  Kenntnißen  aller  Art  gründlich 
und  zweckmäßig  mitzutheiien,  aber  nur  in  Beziehung  und  in  Verbindung  mit  dem 
Hauptzweck  aller  Bildung.  Aber  das  erstere  hervorzubringen,  ist  bey  weitem  das 
schwerere,  und  durch  die  letztere  kann  man  dazu  gelangen.  —    Doch  nur  allmählig. 

—  Für  ||  Ludwig  kann  ich  hier  nichts  zuverlässig  sagen,  weil  von  ihm  selbst  das 
meiste  abhängt,  obgleich  ich  jetzt  mehr  Muth  habe,  wie  jemals.  Für  die  andern 
beyden  ist  meine  Hoffnung  aufs  beste  gegründet,  und  wenn  ich  nicht  zuversichtlich 
sähe,  daß  mit  diesen  einmal  alles  nach  Wunsch  gehen  wird,  so  würde  ich  mir  lieber 
gleich  jeden  andern  Wirkungskreis  wählen. 


2QO  Februar   1801. 


Den  23.  Febr. 

So  eben  zeigt  mir  Karl  einen  Brief  von  Ihnen  nnd  wir  lassen  alles  andre  seyn, 
damit  Sie  nicht  länger  in  Ungewißheit  bleiben.  Tief  gerührt  sehe  ich  Ihre  Sehn- 
sucht; —  aber  es  ist  mir  bisher  nicht  möglich  gewesen,  diesen  Brief  zu  endigen, 
weil  unvorhergesehene  Umstände  meine  Zeit  weggenommen  haben. 

Ich  wollte  Ihnen  noch  etwas  über  die  unsrigen  sagen.  Ludwig  ist  jetzt  in 
Genf.  Die  Ursachen  seines  Dortseyns  wird  Ihnen  der  Herr  Landvogt  mittheilen. 
Ich  erwarte  seinen  Briefen  zufolge  jetzt  manches  mehr  von  ihm,  als  vorher.  Er 
findet  dort  gute  Aufmunterung  an  einem  Freund,  der  in  aller  Hinsicht  ein  treff- 
liche]' junger  Mann  und  mit  ihm  im  nemlichen  Hause  ist.  Seine  Arbeiten  gehen 
in  derselben  Richtung  fort,  wie  vorher.  —  Ich  freue  mich  daß  Sie  in  Hinsicht 
seiner  Beschäftigungen  mit  mir  einig  sind.  In  Beziehung  auf  eine  Stelle  Ihres 
Briefes,  wo  es  heißt,  —  daß  Sie  nicht  zweifeln,  ich  werde  noch  manches  mehr  für 
ihn  thun,  daß  Ihre  Meynungen  über  dieses  Mehr  aber  manche  besondere  Bestim- 
mungen hätten,  die  Sie  bey  mir  nicht  voraussetzen  dürften,  und  die  sich  schwer 
aus  einer  Seele  in  die  andre  übertragen  ließen,  —  wiederhole  ich  dringend  meine 
|  obige  Bitte.  Deuten  Sie  es  mir  nur,  so  viel  es  sich  in  einem  Briefe  thun  läßt, 
in  der  Kürze  an,  geben  Sie  nur  Winke,  wenn  Sie  nicht  ausführlicher  darüber 
seyn  können,  ich  will  mich  bemühen,  darin  einzugehen,  so  viel  es  mir  mög- 
lich ist.  Schieben  Sie  nichts  auf,  besorgen  Sie  im  geringsten  nicht  Verwirrungen 
anzurichten;  —  darüber  können  Sie  ganz  ruhig  seyn,  —  und  daß  noch  keine  Zeit 
verlohren  ist,  dafür  stehe  ich  Ihnen.  Sie  sind  zweifelhaft,  wegen  des  Griechischen 
mit  Ludwig;  darüber  muß  ich  also  noch  etwas  sagen.  Der  H.  Landvogt  äußerte 
mir  den  Wunsch,  daß  Ludwig  hierin  noch  etwas  thun  möchte;  und  er  selbst  zeigt 
viel  Lust  dazu.  Folgendes  bewog  mich,  einen  Versuch  zu  machen:  Ich  glaubte,  da 
ich  ihm  diese  neue  Arbeit  gab,  mehr  seinem  Leichtsinn,  seiner  Unthätigkeit  ent- 
gegen wirken  zu  können,  indem  ich  ihm  zeigte,  wie  viel  dazu  gehörte,  um  auf  den 
Vorzug  eines  gebildeten  Menschen  Anspruch  zu  machen;  um  wie  viel  Fleiß  und 
Ausdauer  also  seiner  Seits  nöthig  wäre.  Ich  glaubte  von  einer  andern  Seite  dadurch 
etwas  in  ihm  hervorbringen  zu  können,  was  ich  von  ihm  vermißte,  —  ein  lebhaftes, 
theilnehmendes  Interesse  für  den  Menschen  überhaupt,  für  das  was  er  war,  was 
er  ist,  od.  seyn  soll,  indem  ich  in  die  bildende  Welt  der  Griechen  mit  ihm  zurück- 
ging, durch  deren  Umgang  der  Geist  emporgehoben  wird.  Dazu  kam  noch,  daß  er 
in  der  einen  Sprache  des  Alterthums  etwas  gethan  hatte;  sollte  ihm  nun  die  andre 
durchaus  verschlossen  bleiben,  da  es  noch  Zeit  war,  manche  gute  Fortschritte  drin 
zu  machen,  sobald  er  nur  ernstlich  wollte?  —  Ich  behielt  mir  vor,  nur  erst  einen 
Versuch  zu  machen,  allein  da  er  Lust  bezeigte,  und  sich  Mühe  ||  gab,  so  bewog  mich 
dies  um  so  mehr  fortzufahren.  Er  ließt  jetzt  den  Herodot  für  sich.  —  Neuere  Ge- 
schichte macht  eine  Hauptbeschäftigung  für  ihn  aus  —  er  arbeitet  vorzüglich  nach 
Condillac.  —  Ich  habe  ihm  Anleitung  gegeben,  die  sechs  ersten  Bücher  von  Tacitus 
Annalen,  die  wir  gelesen  hatten,  nach  seiner  Ansicht  mit  eignem  Urtheil  jezt  zu 
bearbeiten,  sowol  einzelnen  Theilen,  als  dem  Ganzen  nach,  da  sie  einen  bestimmten 
Zeitraum  umfassen,  wo  er  vielfach  bildende  Materie  genug  findet.  —  Dann  hört  er 
eine  Vorlesung  über  Experimental-Physik,  und  hat  Unterricht  in  der  Algebra.  — 
Die  Arbeiten,  die  Sie  von  ihm  zu  sehen  wünschen,  wird  er  liefern,  ich  habe  ihn 
in  meinem  letzten  Briefe  noch  daran  erinnert. 

Mit  Karl  geht  alles  gut,  und  wenn  gleich  etwas  langsam  und  ängstlich,  doch 
sicher.  —  Ueberhaupt  kann  man  sich  auf  ihn  schon  ziemlich  verlassen.  —  Ich  weiß 
nicht,  wie  Sie  über  seine  Beschäftigungen  denken.  Wir  lesen  Plutarch  und  Plato 
—  Livius  und  Virgil,   —  im  Französischen  Anacharsis;   —   Cyrus  Feldzug  und  die 


Februar   1801.  20 1 


Ilias  ließt  er  allein.  Mit  Mathematik  beschäftige  ich  ihn  ebenfalls.  —  Ich  bin  sehr 
für  eine  gewisse  Abwechslung  der  Beschäftigungen  bey  jungen  Leuten,  wobey  dennoch 
aber  nur  Eins  bezweckt  werden  muß,  ohne  daß  es  Wechsel  oder  Zertheilung  wird. 
—  Theils  weil  sie  durch  eine  zu  große  Vereinfachung  leicht  würden,  theils  weil  es 
hier  Gelegenheit  giebt  von  vielen  Seiten  her  etwas  anzuknüpfen,  was  sich  sonst 
nicht  so  leicht  thun  läßt;  —  am  Ende  vereinigt  sich  doch  alles.  Man  muß  alles 
zusammen  in  gleicher  Reihe  fortführen,  ohne  es  durch  etwas  anders  wieder  zu  unter- 
brechen. — 

So  viel  ich  aus  Ihrem  Brief  an  Karl  schließen  kann,  so  scheinen  Sie,  wenigstens 
für  ihn,  nicht  viel  auf  Bildung  durch  Geschichte  zu  halten.  Ich  muß  gestehen,  ich 
wüßte  vor  der  Hand  noch  nichts,  was  mir  zweckmäßiger  für  ihn  schiene,  als  dies. 
Es  muß  durchs  Sinnliche,  wie  jede  Geschichte  ist,  zum  Uebersinnlichen  ||  vorbereitet 
werden.  Plato  ist  der  einzige,  den  man  unter  gewißen  Umständen  mit  Knaben 
lesen  kann,  aber  nur  diesen  ihn  lesen  zu  lassen,  würde  zu  einförmig  seyn  und  zu 
langweilig  werden  —  der  Einseitigkeit  der  Bildung  nicht  einmal  zu  gedenken.  Man 
kann  also  etwas  damit  verbinden,  was  das  Interesse  unmittelbar  regt,  und  wodurch 
von  einer  andern  Seite  dasselbe  bewirkt  wird.  —  Für  Karl  glaube  ich  nicht  pas- 
sendere Schriftsteller  als  Plutarch  und  Livius  finden  zu  können.  Dem  vielfach 
bildenden  Nutzen  der  Biographien  des  erstem,  wüßte  ich  nicht  leicht  ein  Buch  an 
die  Seite  zu  setzen ;  und  die  Menge  der  historischen  Gegenstände  des  andern  giebt 
Stoff  —  zu  vielen  Bemerkungen.  —  Auch  hier  möchte  ich  nun  Ihre  Meynung 
wissen,  wie  wir  mit  einander  stehen.  —  Phädon  wird  bald  beendigt  weiden,  — 
welche  von  den  Platonischen  Schriften  glauben  Sie  könnten  wir  am  besten  folgen 
lassen?  —  Sie  wünschen  etwas  Eignes  von  Karl  über  Phädon  zu  sehen,  —  aber  es 
will  noch  nicht  so  ausfallen,  als  daß  ichs  Ihnen  schicken  könnte.  Er  muß  es 
schuldig  bleiben.  —  Von  andern  Arbeiten,  die  Sie  vorgeschlagen  hatten,  weiß  ich 
nichts  weiter.  Was  Sie  aber  wünschen,  dürfen  Sie  nur  sagen,  und  ich  werde  dafür 
sorgen,  daß  nichts  unterbleibt.  —  Für  die  Beantwortung  von  Karls  letztem  Auf- 
satze, danke  ich  Ihnen  aufs  wärmste. 

Rudolf  habe  ich  lange  nicht  so  fassen  können,  wie  ich  wünschte;  das  flüchtige 
Wesen  ist  mir  immer  wieder  entschlüpft.  Fast  glaube  ich  ihn  aber  auf  einem 
sichern  Wege  zu  haben;  —  er  ist  offen,  u.  sagt  mir  jede  Unbesonnenheit  die  er 
macht,  freymüthig,  wodurch  schon  sehr  viel  gewonnen  ist.  Auf  Unwahrheiten 
wobey  er  ein  paarmal  ertappt  ist,  habo  ich  das  wachsamste  Auge,  und  bin  auch 
hier  so  ziemlich  gewiß.  —  Mit  seinen  Arbeiten  bin  ich  recht  wol  zufrieden,  nur  ist 
sein  Thun  noch  immer  so  ungleich.  —  Doch  kann  man  bey  ihm  auch  noch  keine 
anhaltende  Beständigkeit  verlangen! 

Und  nun  wünsche  ich,  daß  unser  Briefwechsel  endlich  einmal  einen  glück- 
lichen Fortgang  gewinnen  möge.  Meiner  Seits  soll  es  von  jetzt  an  nicht  felüen.  — 
Uebrigens  nehmen  Sie  das  Gesagte  im  besten  Sinne,  denn  so  meyne  ichs. 

Schreiben  Sie  mir  Alles.     Ich  bin  der  Ihrige  Segelken. 

Grüßen  Sie  doch  Böhlendorf  herzlich  von  mir,  ich  werde  ihm  nächstens 
schreiben. 

N.-S.  Ich  habe  vergessen  Ihnen  vom  kleinen  Franz  etwas  zu  sagen.  Wah- 
rend Ludwigs  Abwesenheit  habe  ich  mich  bestimmter  mit  ihm  beschäftigen  können. 
Ich  suche  durch  Leseübungen,  durch  Naturgeschichte,  durch  Geographie,  überhpt. 
so  viel  als  möglich,  durch  Anschauung  seine  Vorstellungen  nach  u.  nach  zu  bilden. 
Ich  glaube,  man  muß  Kindern  für  den  ersten  Anfang  eine  Menge  von  Begriffen 
mittheilen,  und  nur  dafür  sorgen,   daß  sie  alles  deutlich  denken,   ohne  es  noch  auf 


2Q2  Februar  1801, 


irgend  eine  Art  weiter  zu  verbinden;  —  11.  alles  anschaulich.  Diesen  Sommer  will 
ich  ihn  viel  mit  Botanik  beschäftigen.  —  Ich  wünschte,  ilm  so  früh  als  es  nur  gehn 
will,  ins  Griechische  einzufühlen;  allein  noch  ist  er  nicht  so  weit,  als  daß  man  das 
Interesse  am  Menschen  in  ihm  lebhaft  genug  wecken,  u.  fortgehend  erhalten  könnte. 
Doch  lasse  ich  ihn  doch  schon  ein  wenig  hinarbeiten  durch  Lernen  der  Sprach- 
elemente, woran  er  Freude  hat.  S. 

139.     An   VOn    Halem. x)  Bremen  am  8ten  Febr.    1801. 

Werden  Sie  verzeihen,  dass  ich  durch  ein  Anliegen  bey  Ihnen  die 
unangenehme  Erinnerung  aufrege,  die  leider  schon  mit  meinem  Namen 
verknüpft  ist?   Es  soll  mit  so  wenig  Worten  als  möglich  geschehn. 

Ich  bitte  Sie,  von  der  Einlage  denjenigen  Gebrauch  zu  machen,  den 
Sie  selbst  gut  finden   werden. 

Ich  wünschte  dadurch  zur  Abkürzung  der  traurigen  Geschichte  bey- 
tragen  zu  können.  —  Ich  weiss  auch  nicht,  wie  meine  Vaterstadt  gegen- 
wärtig von  mir  denkt.  Vielleicht  ist  der  Verdacht,  den  sie  auf  mich  ge- 
worfen hat,  so  schwer,  dass  er  durch  solche  Verzichtleistungen  erleichtert 
werden  kann.  Ich  mag  nicht  sagen,  wie  mich  der  Gedanke  trifft,  dass 
auch  Ihre  Gewogenheit  gegen  mich,  verletzt  seyn  könnte.  —  Ich  hoffe, 
dass  mir  die  Zeit  Gelegenheit  zuführen  werde,  das  Verlorne  herzu- 
stellen. —  — 

Kann  es  Ihnen  angenehm  seyn,  wenn  ich  noch  ein  paar  Worte  von 
meiner  hiesigen  Lage  anhänge? 

Meine  Laune  —  das  muss  ich  mir  oft  bekennen,  ist  hier  in  der 
That  undankbar  gegen  mein  Glück.  Ich  habe  hier  einen  Freund  wieder- 
gefunden, den  ich  in  dem  Grade  nicht  mehr  zu  besitzen  hoffte ;  und  durch 
ihn  bin  ich  in  eine  Zahl  von  Familien  eingeführt  worden,  deren  inneres 
Leben  vielleicht  an  einigen  Orten  fast  idealisch  scheinen  könnte.  Wenig- 
stens fühlt  sich  jedermann  wohl  unter  den  übrigen;  und  eine  Reihe  stiller 
Familienfreuden  dreht  sich  in  einem  Kreise,  der  niemanden  ermüdet. 
Die  Noltenius  machen  den  Fond  dieses  Familienzusammenhangs  aus; 
unser  Landsmann  Thulesius  hat  sich  hineingeheyrathet;  Smidt  und  der 
Rathsherr  Kastendyk  gehören  mit  dazu.  —  Auch  beym  Eltermann  Kulen- 
kamp  geniesse  ich  viele,  sehr  angenehme  Stunden.  —  Alle  diese  sind  in 
diesem  Winter  in  eine  grössere  Gesellschaft  mit  Ewalds,  Richter  Ölrichs 
u.  a.  m.  zusammengetreten,  von  der  Sie  vielleicht  gehört  haben.  Wenigstens 
hat  dieser  neue  literarische  Cirkel  hier  in  Br.  auch  ausser  seiner  Mitte 
ziemlich  viel  zu  reden  gemacht.  In  der  That  sehn  selbst  seine  Mitglieder 
ihn  zum  Theil  nur  noch  als  einen  Versuch  an;  —  und  bis  jetzt  scheinen 
sich  noch  nicht  alle  Kräfte,  die  er  besitzt,  geregt  zu  haben.  —  Mir  ist 
es  auch  schon  jetzt  eine  Freude,  dass  man  mir  den  Zutritt  erlaubt  hat. 
Man  kömmt  um  6  Uhr  zusammen,  vor  Tisch  wird  vorgelesen,  kalt  ge- 
gessen, und  nach  Tisch  Musik  gemacht.  Ölrichs  —  in  Knigge's  ehe- 
maliger Wohnung  —  geben  beständig  den  Saal  dazu  her.  Freylich  lässt 
sich  der  Geist  des  ehemaligen  Bewohners  eben  nicht  spüren;  der  Ton 
ist  ernst  und  traulich.    —    Auch  zu  der,   Ihnen  wohlbekannten  literarischen 

l)  Außer  bei  Ziller  z.  T.  gedruckt  in  den  Oldenburgischen  Blättern  1842,  S.  372 
Anmerk. 


Februar  1801. 


203 


Männer-Geseilschaft  bin  ich  ein  paar  mal  gezogen  worden.  Aber  ich  habe 
gefühlt,  dass  es  mir  nicht  recht  glücken  wollte,  mir  die  Gesellschaft  auf- 
zuschliessen.   — 

Übrigens  liegen  auf  meinem  Schreibtische  an  der  einen  Seite  Griechische, 
an  der  andern  mathematische  Bücher;  stundenweise  sitzt  auch  ein  junger 
Mensch  daran,  der  zur  Akademie  vorbereitet  seyn  will,  und  in  dieser  Mitte 
werde  ich   wol  fürs  erste  bleiben. 

Wann  werde  ich  einmal  das  Vergnügen  haben,  Ihnen  hier  mündlich 
für  Ihre  Irene1)  zu  danken  —  und  Sie  zugleich  aufs  neue  der  Hochachtung 
zu   versichern,  mit  welcher  ich  unveränderlich  bin 

Ihr  gehorsamer 

J.  F.  Herbart. 
(Randschrift.) 

Noch  habe  ich  eine  Empfehlung  von  Smidt  zu  bestellen.  Zugleich 
soll  ich  Ihnen  melden,  er  habe  wegen  der  bewussten  Berliner  Angelegen- 
heit dem  He.  Domherrn  Meyer  in  Hamburg  geschrieben ;  —  man  sey 
aber  schon  sonst  engagirt. 

(Einlage.) 

Da  ich  befürchten  muss,  dass  mein  Interesse  noch  fortdauernd  als 
ein  Grund  bey  einem  Processe  mitwirkt,  in  dessen  Veranlassungen  ich 
zu  meinem  höchsten  Schmerze  unwillkührlich  mit  verflochten  bin:  so  er- 
kläre ich  hiemit,  dass  ich  keinen  Vortheil,  der  aus  diesem  Processe  für 
mich   entstehn  könnte,  annehmen  werde. 

Bremen  am   8ten  Febr.    1801.  Joh.   Frdr.   Herbart. 

140.    All    Carl   Steiger.2)  Bremen  am  8tenFebr.   1801. 

Ich  habe  etwas  Neues  ausgedacht,  lieber  Carl;  ein  Mittel  nämlich, 
wie  ich  Dich  zu  mir  kommen  lassen  will.  Da  es  nicht  wohl  angeht,  dass 
ich  Dich  bitte,  zu  mir  her  zu  gehn:  so  bitte  ich  Dich  gerade  um  das 
Gegen theil,  nämlich,  dass  Du  Dich  für  einige  Stunden  recht  still  und  steif 
hinsetzest;  dann  will  ich  Dich  schon  bekommen.  —  Um  das  weitere  frage 
Hrn.  Sonnenschein.  3) 

Übrigens  staune  ich  in  der  That  die  unendliche  Sorgfalt  an,  mit  der 
Du  einen  Monat  nach  dem  andern  brauchst,  um  heraus  zu  studiren, 
was  Du  mir  wol  schreiben  könnest!  —  In  diesem  studiren  will  ich 
Dich  gar  nicht  stören;  es  freut  mich  vielmehr  schon  ehe  ich  die  Früchte 
davon  gesehn  habe;  —  aber  wenn  du  mir  einen  Gefallen  thun  willst  — 
denn  ich  wünsche  auch  ausserdem  etwas  zu  bekommen  —  so  setze 
Dich  ||  gleich  in  der  ersten  gelegenen  Stunde,  nachdem  Du  dieses 
Blatt  erhalten  haben  wirst,  mit  einem  Blatt  und  einer  Feder  hin;  und 
schreibe  an  mich,  was  Dir  einfällt,  so  schnell  die  Feder  gehn  kann. 
Alle  Entschuldigungen,  die  etwa  dabey  zu  machen  seyn  möchten,  will  ich 
mir  wol  selbst  dabey  sagen.  Das  Paar  Briefe,  was  ich  längst  an  Dich 
und  Ludwig,  und  der,  welchen  ich  bald  nachher  an  Deinen  Hrn.  Vater 
gesandt  habe,    ist    doch    übergekommen?    In    dem  erstem  war    eine  weit- 

x)  Die  Zeitschrift,  die  von  Halem  herausgab. 

2)  2  S.  8°. 

8)  Maler  u.  Bildhauer  in  Bern.     S.  S.  234. 


2Q4  Februar   i8oi. 


läufige  Erwiederung  Deiner  Bemerkungen  über  den  Cyrus,  die  ich  nicht 
gern  zum  zweytenmal  schreiben  möchte.  Damit  Du  nicht  verlegen  seyest, 
wovon  Du  schreiben  sollest,  sage  ich  Dir:  Soviel  Personen  in  Eurem 
Hause  sind  —  (Dienstboten  abgerechnet)  —  von  eben  so  vielen  möchte 
ich  gern  umständlich  wissen,  wie  sie  sich  befinden,  und  was  sie  machen. 
Auch  von  der  Familie  Deines  Hrn.  Grossvaters,  von  Onkel  und  Tante 
May,  von  Hrn.  und  Frau  Meisner,  und  deren  Institut,  Hrn.  und  Fr.  v. 
Goumoens;  —  —  vom  Hauptmann  Michel,  und  von  der  Frau  Platter, 
—  —  ja  sogar  von  dem  Grund  und  Boden  zu  Riggisberg,  von  den 
Tauben  und  Ziegen,  die  ihr  dort  gehalten  habt  etc.  etc.  —  verlangt  mich 
zu  hören.   —   Viele  Grüsse  und   Empfehlungen  im   Hause. 

Dein   Herbart. 

141.  Böhlendorff  an  Heinrich  Noltenius.  Bremen,  14.  Febr.  1801. 
—  —  Ich   war   anfangs   Willens   Dir  Anchens   täglichen  Wetter   Calender  zu 

schicken,  allein  ich  finde,  daß  ich  heute  "bin,  wie  nasses  Stroh  und  den  Wetter 
Calender  nicht  machen  kann.  So  viel  kann  ich  sagen,  daß  Wolken  und  entfernte 
Gewitter,  die  aber  niemals  zum  Einschlagen  kommen  an  der  Spitze  jedes  Tages 
stehen  müssen  — übrigens  setzt  Herbart  des  Abends  ihre  Finger  zum  Spielen  zurecht, 
so  daß  Du  künftig  recht  viel  Musik  haben  wirst,  und  ich  sitz  indeß  in  der  Ecke 
des  lieben  Sophas  und  klimpere  auf  dem  verdorbenen  Instrument  meiner  Laune 

142.  Böhlendorff  an  Noltenius.  1801  (?) 


Denn  nicht  von  gewöhnlichen  Sachen 

Will  ich  dir  Die  Erzählung  machen  —  —  —  — 

Nicht  von  dem  göttlichen  Volk  der  Christen 

Welche  Tasso  nach  Jerusalem 

Führte  —  sondern  von  göttlichen  Schlamm 

Des  Senator  Smidt,  das  ihn  alle  Tage 

Nolens  volens  den  Olymp  hinauf  trage  —  —  — 

Von  Friederikens l)  klopfenden  Busen, 

Von  Mettas2)  Liebe  zu  den  Musen, 

Von  dem  Magister  Matheseos,3) 

Der  Anchen4)  und  Trinchen5)  einen  gewaltigen  Stoß 

In  der  Erziehungsmethode  giebet 

Von  der  Musik,  die  die  Erste  liebet, 

Drauf  Herbart  ihre  Finger  übet  — 

Von  des  Herbart  philosophischer  Art  — 

Er  trägt  iezt  einen  sittlichen  Bart, 

Von  Eberhards6)  herkulischen  Schwänken — 

113.    Ziemssen  an  H.7j  Bern  d.  16.  Febr.  1801. 

Ein  Sonnenstrahl  freundlich,   wie   die   Menschen,    die   mich  umgeben,    erhellt 

mein  Zimmer,    indem  ich  in  Gedanken  sehnsuchtsvoll  meine  Arme  nach  Dir,   mein 

*)  und  2)  Kohde,  Smidts  Schwägerinnen. 

3)  Herbart,  der  in  Bremen  Mathematikstunden  gab,  s.  Anm.  auf  S.  244. 

4)  Noltenius  geb.  Rohde  6)  Catharine  Castendyk  geb.  Smidt. 

6)  Noltenius. 

7)  24  S.  8°.     IL  Wien. 


Februar   1801, 


205 


theurer,  theurer  Herbart,  ausstrecke;  —  aber  nur  vom  gegenüberstehenden  Fenster 
zurückgeworfen  vermag  er  ebensowenig  meinen  Körper,  als  der  größte  Theil  dieser 
Menschen  mein  Herz  zu  erwärmen.  Mit  heiterm,  freundlichen  Gesichte  wandle  ich 
unter  ihnen  herum,  und  mische  mich  in  ihren  Taumel,  als  wäre  ich  ganz  der  Ihrigen 
einer.  Aber  den  Kummer,  die  Sehnsucht  und  das  Streben  und  Kämpfen  in  meinem 
Innern  sehen  sie  nicht,  und  können  es  nicht  sehen,  weil  sie  keine  Augen  dafür 
haben,  und  sollen  es  auch  nicht  sehen,  weil  sie  kein  Herz  dafür  haben.  Aber  Du 
kannst  es,  (wenn  es  überhaupt  wahr  ist,  daß  wir  uns  je  einmal  erkannt  haben.)  ob- 
gleich Du  es  nicht  siehst.  Selig,  himlisch  ist  das  Leben  in  den  Armen  eines  Freundes, 
wie  Du  mir  es  warst,  wie  unser  Verewigter  uns  es  war;  und  selten  wird  mir  nach  dem 
Genuße  desselben  je  wieder  etwas  so  genügen!  Aber  doch  ist  es  nicht  ||  das  einzige 
Glück  der  Freundschaft.  Der  Freund  glaubt  auch  ohne  zu  wißen,  und  weiß  selbst 
ohne  zu  sehen  und  hören;  aus  der  weitesten  Entfernung  weht  ihn  noch  der  warme 
Athem  des  Freundes  an,  belebt  ihn  im  Streben,  lohnt  ihm  beym  Vollbringen,  und 
flößt  ihm  wieder  Leben  und  Vertrauen  ein,  wo  sonst  Schmerz  und  Verzweiflung 
ihm  das  Herz  zu  erdrücken  drohen. 

0,  mein  Herbart,  eine  Thräne  steht  mir  im  Auge,  könnte  ich  Sie  an  Deiner 
Seite,  in  Deinen  Armen  verwehren,  so  würde  Sie  Dir  sagen,  was  mein  beklommenes 
Herz  Dir  nicht  durch  Worte  zu  sagen  vermöchte. 

An  jedem  Tage,  an  dem  sich  der  höhere,  heiligere  Geist  in  mir  regt,  steht  Dein 
lebendiges  Bild  mir  zur  Seite,  und  erhöhet  mein  Leben  und  Vertrauen.  So  warst 
Du  mir  auch  hauptsächlich  am  ersten  Tage  des  neuen  Jahrhunderts  näher,  als  sonst. 

Die  ganze  Natur  schien  an  diesem  Tage  die  Geburt  des  neuen  Seculums  mit 
heitrem  Blick  feyern  zu  wollen.  Am  letzten  December  verstimmte  ein  finsteres, 
trauriges  Wetter  und  der  in  düstern  Strömen  vom  Himmel  gießende  Regen  fast  alle 
Gemüther.  Doch  glich  dies  gleichsam  nur  dem  letzten  Wegwaschen  alles  Schmutzes 
des  endenden  Jahrhunderts,  ||  denn  am  folgenden  Tage  durchfuhr  Phöbus  das  neue 
Jahr  beginnend  wieder  am  hellen,  heitern  Himmel  seine  Bahn,  und  goß  durch  seine 
freudigen  Strahlen  wieder  Frohsin  und  neues  Leben  in  alle  Herzen;  weshalb  auch 
ich   hinaus   wanderte,   mich   im  Freyen   in   seinem    erwärmenden  Glänze  zu  baden. 

0!  dachte  ich,  daß  doch  dieser  herrliche  Tag  der  Menschheit  ein  bildliches 
Unterpfand  eines  ihm  ähnlichen  Jahrhunderts  seyn  möchte! 

Aber  mancherley  Gedanken  und  Empfindungen  durchkreutzten  an  diesem  Tage 
mein  Inneres.  Mit  tiefer,  kummervoller  Trauer  blickte  ich  ihm  nach,  unserm  ver- 
ewigten, innigstgeliebten  Freund;  und  fühle  dabey  wieder,  wie  immer,  seinen  Ver- 
lust so  schmerzvoll  für  mich.  Ein  sehnsuchtsvoller  Blick  gen  Himmel,  und  der  feste 
Vorsatz  mit  männlichem  Ernste  zu  streben,  Seiner  würdig  zu  bleiben,  war  das 
einzige  Todtenopfer,  daß  ich  Ihm  heute  zu  weyhen  vermochte.  »Ihm,  an  dessen 
Seite  ich  die  Götterarme  der  Freundschaft  und  des  höhern  Lebens  fühlte,  und  dessen 
Herz  dem  meinigen  so  gleich  schlug!  die  eine  Hand  streckte  ich  Ihm  zu  den  Sternen 
hinauf,  während  ich  Dir,  mein  Herbart,  mein  Einziger  unter  den  Sterblichen,  die 
andre  aus  weiter  Ferne  hinüber  reichte;  und  drückte  die  üeinige  dagegen  ||  mit 
innigster  Wärme  an  mein  sonst  so  verlassenes  Herz. 

Ich  gedachte  Deiner,  wie  Du  vor  einem  Jahre  von  uns  schiedest,  und  die 
Tage  der  Trennung  uns  noch  Tage  der  innigsten  Vereinigung  wurden ;  und  wie 
wir  noch  selbst  am  vorigen  Neujahrstage  Arm  in  Arm  zusammen  nach  Deinem 
geliebten  Märchligen  hinaus  wanderten.  Es  war  ein  Tag,  wie  dieser,  und  die  Er- 
innerung trieb  mich  auch  heute  auf  demselben  Weg  hinaus;  doch  leider  ohne  meine 
beyden  Freunde,  die  ich  in  diesen  Gefilden  gefunden  hatte.  —  Die  majestätischen 
Alpen  standen  auch  wieder  da  in  ihrer  vollen  Pracht,  wie  an  jenem  Tage;  aber  ach! 


2o6  Februar   1801. 

mit  welchen  veränderten  Empfindungen  schaue  ich  jetzt  zu  ihneu  hinauf  seit  sie 
uns  unsern  theuren  Dritten  so  mörderisch  verschlangen.  In  ihrer  unerschütterlichen 
Größe  stehen  sie  da,  und  werden  noch  manchen  Sterblichen  entzücken  und  begeistern ; 
aber  mein  Auge  wendete  sich  bald  mit  tiefer  Wehmuth  von  ihnen  weg,  —  und 
nur  —  Du  standest  im  Geiste  noch  vor  mir,  wie  Du  vor  einem  Jahre  an  meinem 
Arme  hingst.  Ja  Du,  mein  Einziger,  Du  bist  es,  den  mein  ganzes  höheres  Seyn 
glaubend  und  liebend  umschlingt,  und  auf  den  ich  auf  Erden  noch  vertraue;  und 
könntest  Du  je  diesen  Glauben  zu  Schanden  machen,  0!  so  ||  möchtest  Du  mich  zu- 
gleich dem  Lichte  der  Sonne  auf  immer  entziehen,  denn  wenn  ich  an  Dir  irre  würde, 
was  wäre  dann  noch  mein  Glaube  an  die  Menschheit  und  an  mich  selbst!  —  Aber 
nein,  das  kann  nimmer  seyn!  und  auch  Du,  —  ich  weiß  es  gewiß,  —  schlugst 
an  diesem  Tage  wieder  mit  neuem  Muthe  und  neuem  Kraftgefühl  zum  höhern 
Leben  ein! 

In  diesem  Glauben  zu  Dir  lebe  ich  hier,  und  weise  Anfechtungen,  die  mich 
an  andern  Menschen  zweifeln  machen  könnten,  bey  Dir  nur  mit  Verachtung  zurück, 
und  werde  sie  stets  so  zurückweisen,  bis  Du  mir  selbst  sagst,  ich  bin  nicht  mehr 
Herbart. 

Du  hast  mir  auf  meinen  letzten  langen  Brief  auch  keine  Sylbe  geantwortet, 
oder  antworten  lassen.  Täglich  fast  habe  ich  mit  Sehnsucht  ein  paar  liebevolle 
Zeilen  von  Dir  erwartet;  Du  hast  mehrere  male  an  Steigers  geschrieben;  aber  ich 
hofte  vergebens,  und  erhielt  nicht  einmal  einen  freundlichen  Gruß  von  Dir.  Dennoch 
denke  ich  nur  tausend  andre  Gründe,  als  daß  Du  an  mir  irre  geworden  seyst; 
denn  dazu  drücktest  Du  mich  einmal  zu  innig  an  Dein  Herz,  als  daß  Du  mich  jetzt 
davon  wegstoßen  solltest,  ohne  mich  einmal  würdig  zu  achten,  warum,  und  ohne 
von  mir  selbst  zu  hören,  ob  ich  es  wirklich  nicht  besser  verdiene.  —  || 

Wohl  schon  hundertmal  wollte  ich  Dir  wiederschreiben,  aber  außer  den  seligen 
Stunden,  die  ich  größtenteils  allein  mit  mir  selbst  verlebte,  und  in  denen  man 
nicht  auch  schon  deshalb,  weil  sie  nur  seltene  Geschenke  des  Himmels  sind,  nicht 
immer  ganz  zum  Schreiben  geschickt  und  aufgelegt  ist,  —  riß  ein  Wirwar  von 
Beschäftigungen  und  buntschäckigen  Zerstreuungen  mich  von  einem  Tage  zum  andern 
fort,  und  machte  mich  nicht  selten  zu  matt  und  schlaff,  als  daß  ich  so  vor  Dir  hätte 
hintreten  dürfen,  obgleich  ich  Dich  stets  gleich  lebendig  und  wohlthätig  für  mich  im 
Herzen  trug. 

Bern  d.  25.  Febr. 

So  weit  war  ich  grade  mit  meinem  Briefe  an  Dich,  als  ich  den  Deinigen  zu 
erhalten,  die  unverhofte  Freude  habe;  und  da  Steigers  und  Segelken  heute  Mittag 
ihre  Briefe  an  Dich  abschicken,  so  möchte  ich  den  meinigen  auch  nicht  gerne  länger 
aufhalten,  weshalb  ich  mit  fliegender  Feder  nur  noch  einige  Worte  hinzufügen  kann. 
Mit  welcher  Theilnahme  ich  die  Nachrichten  von  Deinem  kränklichen  Zustande  ge- 
lesen habe,  und  mit  welcher  Sehnsucht  ich  Deiner  völligen  Genesung  entgegensehe, 
darf  ich  Dir  wohl  nicht  erst  sagen.  Aber  der  herannahende,  alles  neu  belebende 
Frühling,  Deine  glücklichen  Verhältnisse  in  Bremen,  wo  Du  gewiß  der  wohlthätigen 
Pflege  aus  Freundes  Händen  nicht  entbehren  wirst,  und  Deine  eigne  innere  un- 
zerstörbare Kraft  machen  mir  j|  die  gegründeteste  Hofnung,  daß  Du  bald  wieder 
im  Genuße  Deiner  ganzen  Lebensfülle  seyn  und  handeln  werdest. 

Auch  mich  haben,  wie  es  mir  scheint,  die  Umstände,  die  Menschen,  die  mich 
umgeben,  und  meine  ganze  jetztige  Lebensart  wenigstens  im  Äußern  etwas  erschlaft; 
denn  wie  der  Baum  begierig  seine  Wurzel  in  die  Erde  hineindrängt,  um  Saft  und 
Nahrung  aufzusaugen,  so  drängte  auch  ich  mich  in  meiner  Armuth  und  Trauer 
wieder  in  die  Haufen  der  Menschen,  schmachtend  wieder  ein  menschliches  Herz  zu 


Februar   1801.  207 


finden,  woran  ich  leben,  lieben  und  emporstreben  könnte.  Sie  stießen  mich  nicht 
alle  zurück,  ja  viele  zogen  mich  sogar  mit  Theilnahme  näher  zu  sich  heran,  und  ich 
verlebte  wieder  meine  Tage  mehr  als  gewöhnlich  mit  ihnen;  aber  doch  fand  ich 
weder  meinen  Herbart,  noch  meinen  Eschen,  noch  irgend  einen  genügenden  Ersatz 
für  Euren  Verlust  in  ihrem  Kreise;  und  verlor  dagegen  bey  diesem  Hingeben  viel- 
leicht ein  wenig  zu  viel  von  meinem  Ernst  und  meiner  Strenge  gegen  mich  selbst. 
Aber  doch  sehe  ich  es  noch,  was  mir  fehlt,  und  fühle  noch  mein  altes  Leben  und 
meine  alte  Kraft  rege  und  ungeschwächt  in  mir,  womit  ich  mich  an  der  Seite  eines 
höher  mit  mir  vereinten  Freundes,  |  dessen  Entbehren  und  Suchen  mich  allein  in 
dieses  losere  Leben  verlieren  machte,  |  von  demselben  wieder  frey  machen  könnte, 
und  ||  womit  ich  mich  im  Genuße  der  von  neuem  wieder  auflebenden  Natur,  die  ich 
wie  einen  meiner  innigsten  Freunde  umfaße  und  liebe,  wieder  loszureißen,  und 
ganz  der  alte  zu  werden,  suchen  werde;  weshalb  ich  mit  dem  größten  Verlangen  der 
Zeit  entgegensehne,  wo  wir  aufs  Land  gehen.  Denn  eher  komme  ich  yon  diesem 
Gewirre,  worin  ich  mich  hier  verwickelt  sehe,  doch  nicht  wieder  ganz  los,  da  es 
mir  an  einem  eigentlichen  Freund  fehlt,  der  durch  seine  Theilnahme  mir  so  sehr 
alles  ersetzte,  daß  ich  auf  einmal  allem  andern  entsagen  könnte.  Aber  jetzt  da  ich 
den  Honig  zur  Labung  meines  Herzens  nicht  schon  in  Einem  Herzen  versammelt 
finde,  wie  ich  es  bey  Dir  und  unserm  Eschen  fand,  sondern  ihn  erst  wie  die  Biene 
aus  mancher  Blume  zusammentragen  muß,  —  kann  es  natürlicher  Weise  nicht 
fehlen,  daß  ich  nicht  oft  mit  langwierigem  Herumflattern  und  an  mancher  sonst 
faden  Pflanze  meine  Zeit  sollte  verlieren  müssen,  um  nur  für  dieses  oder  jenes 
Bedürfniß  einen  Tropfen  Nahrung  zu  finden. 

Aber  auf  der  andern  Seite  darf  ich  denn  doch  auch  nicht  undankbar  seyn 
für  das  Gute,  was  so  manche  Menschen  mir  die  Zeit  über  zu  beweisen,  sich  be- 
müht haben,  und  für  den  mannigfaltigen  Gewinn,  den  ich  aus  dieser  etwas  un- 
gebundneren  Lebensart  gezogen  zu  haben  hoffe.  Ich  verlebte  nach  langem  Ent- 
behren wieder  so  manche  frohe  Stunde  im  eigentlich  häuslichen  Kreise,  haupts.  || 
bey  Zehenders  und  Gessners  und  selbst  mit  Frischings,  pflückte  manches  Blümchen 
am  Altar  der  Freundschaft,  erwärmte  mein  Herz  oft  wieder  bey  Menschen,  in  denen 
ich  noch  bessere  Menschheit  fand,  bewunderte,  liebte  und  achtete;  lernte  aber  auch 
dem  engherzigen,  schwachen  thierischen  Krüppel  oder  Bösewicht  etwas  mehr  unter 
die  Maske  gucken.  —  Ich  habe  Gelegenheit  gefunden,  mich  in  den  Freuden  des 
großen  Haufens  wieder  grade  genug  herum  zu  taumeln,  auf  der  einen  Seite  nicht 
zum  Mich- verlieren  in  ihnen  herabzusinken,  und  auf  der  andern  Seite  das,  durch 
meine  ziemlich  mächtige  Sinnlichkeit  wieder  in  mir  erwachende,  Verlangen  nach 
ihnen  befriedigt,  und  mich  im  Gefühle  ihrer  Leerheit  und  Nichtbefriedigung  von 
neuem  desto  eifriger  und  bestimmter  angefeuert  zu  sehen,  einem  ganz  andern, 
höhern  unermüdet  nachzustreben.  —  Ich  habe  die  Berner  etwas  genauer  in  ihrem 
eigentlichen  Bernercharakter,  in  dem  Kreise,  worin  sie  verhärtet  sind,  und  über 
welchen  sie  keine  Revolution  (ja  selbst  ihr  eigenes  gutes  Herz  die  Beßern)  nicht 
hat  emporheben  können. 

Aber,  mein  lieber  Freund,  ich  bin  da  in  eine  Aufzählung  von  Resultaten  und 
Abstractionen  hineingerathen ,  die  Dir  ohne  Kentniß  des  Details,  worauf  sie  sich 
beziehen,  vielleicht  ebenso  wenig  ganz  verständlich  als  interessant  sind.  Laß  mich 
Dir  lieber  noch,  da  ich  doch  ||  einmal  so  viel  von  mir  zu  schwätzen  angefangen 
habe,  —  einiges  Einzelne  von  meiner  jetzigen  Lage  und  Lebensart  erzählen. 

Frisching  ist  ein  braver,  edler  Berner,  dem  es  wahrer  Ernst  mit  der  guten 
Sache  zu  seyn  scheint,  und  der  Gründe  annimmt,  und  sich  mit  Gründen  belehren 
läßt.     Der  aber   demungeachtet   noch   immer,   obgleich   weniger   als   die   mehrsten 


2q8  Februar   1801. 


andern  und  wohl  selbst  als  Steiger,  —  Berner  ist  d.  h.  über  einen  gewissen  Kreis 
schwer,  und  fast  unmöglich  hinaus  kann.  Ich  liebe  und  schätze  ihn,  aber  wenn  er 
mit  seiner  Humanität  und  Consequenz  noch  etwas  mehr  Liberalität  und  Wärme 
verbände,  so  würde  ich  ihn  ganz  außerordentlich  hochachten.  —  Gegen  mich  ist 
sein  und  des  ganzen  Hauses  Betragen  durchaus  so,  wie  ich  es  mir  im  voraus  ver- 
sprach und  Übertrift  zum  Theil  noch  meine  Erwartungen.  Als  ich  ihm  das  erste 
mal  über  meine  Einrichtungen  mit  seinen  Kindern  sprach,  sagte  er  mir:  „ich  werde 
Ihnen  jedesmal  Dank  wissen,  wenn  Sie  mich  von  Ihren  Einrichtungen  und  Ver- 
fügungen mit  meinen  Kindern  benachrichtigen  wollen,  und  werde  Ihnen  auch  so 
weit  ich  es  verstehe,  meine  Meinung  darüber  sagen;  aber  übrigens  sind  wir  in  der 
Hauptsache  genugsam  einverstanden  und  das  Vertrauen,  das  wir  alle  in  Sie  setzen 
ist  so  groß,  daß  Sie  überzeugt  seyn  dürfen,  daß  wir  alles,  was  Sie  über  unsere 
Kinder  verfügen,  für  gut  und  zweckmäßig  halten  ||  werden;  und  Sie  da,  wo  wir 
ihnen  keine  offenen  Einwendungen  machen,  auch  sicher  auf  unsre  Übereinstimmung, 
und  unser  Mitwirken  rechnen  dürfen. 

Und  sollte  dieses  Zutrauen,  was  ich  nie  glaube,  je  aufhören,  so  seyn  Sie  ver- 
sichert, daß  ich  selbst  gewiß  der  erste  seyn  werde,  der  zu  Ihnen  kommen,  und  es 
Ihnen  frey  und  offenherzig  gestehen  wird."  —  So  spricht  doch  kein  ganz  gewöhnlicher 
Mensch,  und  Er  handelt,  wie  er  spricht.  —  Dabey  ist  das  Benehmen  des  ganzen 
Hauses  gegen  mich  durchaus  von  einer  auf  Achtung  und  Wohlwollen  gegründeten 
Delikatesse  und  Auszeichnung  beselt.  Er  sagte  mir  untern  andern  an  demselben 
Morgen  |  um  Dir  ein  Beyspiel  zu  geben  |  :  »Bedienen  sie  sich  in  allem  durchaus 
aller  möglichen  Bequemlichkeit  in  meinem  Hause,  und  wenn  Ihnen  etwas  nicht  recht 
ist  oder  etwas  fehlt,  so  bitte  ich  Sie,  es  nur  zu  sagen.  Meine  Frau  und  Schwieger- 
mutter haben  mir  beyde  aufgetragen,  ihnen  zu  sagen,  daß  wenn  jemand  von  ihnen 
beyden  zu  Hause  sey,  bey  ihnen  allemal  Thee  zu  Abend  getrunken  werde,  wo  jeder- 
mann sich  freuen  werde  Sie  zu  sehen;  wenn  Sie  aber  vorziehen,  Ihren  Thee  auf  Ihrem 
Zimmer  zu  nehmen,  so  dürfen  sie  nur  sagen,  wenn  man  Ihnen  denselben  bringen 
soll;  und  Sie  werden  jedesmal  von  den  Bedienten  erfahren,  welche  Gesellschaft  da 
ist,  und  danach  urtheilen  können,  ||  ob  sie  ihnen  anstehe  oder  nicht;  kurz  machen 
Sie  es  ganz,  wie  ich  es  selbst  mache;  und  sehen  Sie  sich  nicht  anders  an,  als  ein 
Freund  des  Hauses  etz."  Auf  eben  der  Art,  und  wo  möglich  noch  höflicher  und  zuvor- 
kommender werde  ich  von  den  Frauen  behandelt.  —  Du  wirst  Dir  leicht  vorstellen, 
wie  dies  nicht  blos  meine  ganze  Lage  angenehm  macht,  sondern  mir  auch  alle  meine 
Arbeiten  erleichtert  und  mich  mit  doppeltem  Enthusiasmus  für  meinen  Wirkungs- 
kreis beselt. 

Freylich  geht  aber  demungeachtet  doch  nicht  alles  so  ganz  von  selbst,  und  ich 
finde  auch  hier  manche  trübe  Stunde  und  selbst  schlaflose  Nächte;  worüber  ich 
eben  gar  nicht  unzufrieden  bin,  da  ich  hoffe,  daß  es  auch  nicht  ohne  Würkung 
bleiben  wird.  Mein  schöner  Knabe  hat  nemlich  von  jeher  das  Glück  gehabt,  und 
hat  es  noch,  der  Liebling  seiner  schönen  Mutter  zu  seyn,  die  selbst  noch  sehr  jung 
ist,  und  stets  an  ein  vornehmes  Leben  und  an  Überfluß  aller  Art  gewöhnt,  dennoch 
ohne  besondere  Geistesgaben  die  Güte  ihres  Herzens  durchaus  nicht  verloren  zu 
haben  scheint.  Sie  liebte  Rudi,  und  hegte  und  pflegte  ihn  deshalb  aufs  sorgfältigste, 
aber,  wie  es  sich  von  selbst  versteht,  nicht  immer  mit  gehörigem  Verstände;  und 
Frischings  Ernst  und  Strenge  verhinderte  es  wohl  nur,  daß  sie  ihn  nicht  noch  mehr 
verdarb,  als  es  würklich  geschah.  Aber  dennoch  muß  ich  ihr  auch  die  Gerechtigkeit 
wiederfahren  lassen  zu  sagen,  daß  sie  doch  vernünftig  genug  ist,  ||  hierüber  gerne 
Belehrung  anzunehmen  und  besserm  Rath  zu  folgen;  welches  mir  schon  unser  selige 
Freund    versicherte,    und    welches    ich    selbst    fast   täglich    zu    sehen    Gelegenheit 


Februar   1801, 


209 


habe,  wobey  noch  Frischings  Ernst  und  ihre  Achtung  für  ihn  sehr  zu  Hülfe  komt. 
Dabey  versteht  sich  aber  freylich  wieder  von  selbst,  daß  es  nicht  möglich  ist,  mit 
einem  male  alles  entgegenrückende  und  mit  meinen  Grundsätzen  nicht  ganz 
harmonirende  zu  entfernen  und  aufzuheben;  obgleich  es  in  den  Hauptsachen  freylich 
sogleich  geschehen  mußte,  und  größtentheiis  schon  durch  Eschen  bewürkt  wurde. 
Aber  die  Kleinigkeiten,  die  dennoch  so  mächtig  würken,  sind  so  oft  so  verborgen, 
daß  man  schon  Mühe  hat  sie  nur  erst  zu  erforschen,  und  oft  so  delikat,  daß  man 
nur  durch  Umwege  ihnen  entgegenwürken,  und  sie  zernichten  darf,  wenn  man  nicht 
Mißtrauen  gegen  sich  erwecken  will.  . — 

Auf  meinen  Rudi  mußte  jene  Behandlung  seiner  Mutter  aber  nothwendig  einen 
nicht  ganz  vortheilhaften  Einfluss  haben,  dessen  Folgen  ich  jetzt-  sehr  schwer  fühle, 
und  denen  ich  mit  großer  Mühe  entgegenarbeiten  muß.  Er  verlor  im  Mutterschoße 
Trieb  und  Sinn  für  ernsthaftere,  männlichere  Beschäftigung  und  für  ein  unermüdetes, 
auf  eignen  innern  Antrieb  und  eigne  innere  Kraft  gegründetes  Ausdauern  bis  zur 
Vollendung.  Er  scheut  die  Arbeit  nicht,  aber  er  ist,  sowie  fast  bey  allem,  auch 
hiebey  nicht  mit  ganzer  hierauf  concentrirter  Seele  und  Kraft.  Er  ist  so  locker, 
weich  und  unmänlich  [|  ,  daß  seine  Lebhaftigkeit,  die  sonst  noch  seine  Retterin  zu 
seyn  scheint,  selbst  noch  von  seiner  weibischen  Energielosigkeit  und  Trägheit  be- 
herrscht wird,  und  daß  er  mehr  einem  Hängen  an  kleinlichen  Vergnügungen  und 
Bequemlichkeiten,  woran  er  sich  durch  eine  verweichlichende  Behandlung  gewöhnt, 
als  den  durch  lebhafte  Eindrücke  erregten  Begierden,  oder  dem  leidenschaftlichen 
Treiben  auf  einzelne  Punkte  hin  unterliegt.  —  Gewiß  ist  es,  daß  er  in  dem  Zwischen- 
räume von  Eschens  Tod  bis  er  in  meine  Hände  kam,  wo  er  sich  und  seiner  Mutter 
so  sehr  überlassen  war,  um  vieles,  vieles  wieder  herabgesunken  ist;  wozu  noch 
komt,  daß  es  in  Bern  war,  und  nicht  auf  dem  Lande,  wo  ich  ihn  zu  erst  unter 
meine  Aufsicht  bekam.  —  Aber  da  sein  Herz  noch  rein,  sein  Verstand  hell,  und 
sein  Wille  gut  ist,  und  da  ich  glaube,  wenn  ich  es  vernünftig  anfange,  in  dieser 
Hinsicht  auch  in  dem  Äußern,  was  auf  ihn  Einfluß  hat,  in  diesem  Hause  vieles 
bewürken  zu  können,  da  ich  ihn  liebe,  und  es  mir  heiliger  Ernst  mit  seiner  Bildung 
ist,  und  wir  bald  wieder  aufs  Land  gehen;  so  hoffe  ich  ihn  dieser  Schlaffheit  und 
Kleinlichkeit  noch  wieder  zu  entreißen,  und  nicht  blos  Kentnisse  in  ihm  zu  sammeln, 
sondern  auch  noch  einen  tüchtigen  Menschen  in  ihm  heranwachsen  zu  sehen.  —  || 

Meine  kleine  Sophie  ist  gewiß  eins  der  liebenswürdigsten  Kinder,  die  ich  je 
gesehen  habe.  Schön  wie  eine  kleine  Grazie;  von  einer  fast  mehr  als  weiblichen 
Lebhaftigkeit  und  dabey  doch  voll  der  feinsten  und  zartesten  Empfindungen,  und 
eines  reinen,  klaren  Verstandes,  wie  man  es  in  diesem  Alter  sonst  selten  findet;  so 
daß  ihr  ganzes  Wesen  nur  der  Ausdruck  der  reinsten  Güte  und  Schönheit  zu  seyn 
scheint.  Sie  hat  Trieb  zu  jeder  Art  von  Vervollkommnung  und  deshalb  auch  zur 
Beschäftigung,  und  mehr  Ausdauern  und  Sinn  dabey,  als  Rudi.  Sie  hängt  mit 
kindlicher  Herzlichkeit  an  mir,  weshalb  ich  mit  einem  liebevollen  Worte  alles  über 
sie  vermag.  Von  der  Art  wie,  und  womit  ich  sie  beschäftige,  werde  ich  Dir  ein 
andermal  vielleicht  reden. 

Überhaupt  ist  es  natürlich,  daß  bey  meinen  anhaltenden  Nachforschungen  und 
meinen  mannigfaltig  gemachten  Erfahrungen  meine  Kunst  sowohl  im  eigentlichen 
Erziehen,  als  im  Unterrichten  sich  vielfältig  verändert,  und  wie  ich  hoffe  vervoll- 
kommnet haben  muß.  Wobey  die  ununterbrochene  Wechselwirkung,  worin  ich  mit 
Pestalozzi  gestanden  habe,  mir  manches  in  mir  selbst  zum  deutlichem  und  be- 
stimmtem Bewußtseyn  biachte,  da  ich  in  vielem  mit  ihm  auf  gleichem  Wege  zu 
seyn  schien,  aber  vielleicht  in  noch  mehreren!  von  ihm  ganz  neue  obgleich  nur 
mittelbare  Winke  erhielt  die  ich  für  ||  mich  zu  benutzen  suchte.    Hienach  glaube  ich 

Herbarts  Werke.     XVI.  14 


2io  Februar   1801. 


in  manchem  jetzt  etwas  natürlicher  und  eben  deshalb  auch   sicherer  hauptsächlich 
im  Unterrichtsfachs  zu  Werke  zu  gehen. 

Pestalozzi  dringt  mit  einer  —  theils  auf  seinen  sehr  bey spiellosen  Enthusiasmus 
für  seinen  Zweck,  theils  auf  die  Wahrheit  und  Wichtigkeit  der  Sache  —  gegründeten, 
alle  Hinderniße  (die  fast  unbesiegbar  schienen,  und  die  ihn  nur  darum  nicht  ab- 
schreckten und  zu  Boden  schlugen,  weil  er  sie  theils  nicht  sah,  theils  im  festen 
Glauben  an  seine  Sache  lebte,)  überwältigenden  Gewalt  zum  Ziele.  —  Je  mehr  ich 
ihn  kennen  gelernt  habe,  desto  inniger  Hebe  und  achte  ich  ihn,  und  schätze  mich 
außerordentlich  glücklich,  ganz  sein  Freund  zu  seyn.  Der  Grund,  warum  ich  Dir 
nicht  ausführlicher  von  ihm  und  seinem  Unternehmen  geschrieben  habe,  und  schreibe, 
ist,  daß  er  an  einem  Werke  arbeitet,  das  in  Briefen  an  Geßner,  an  dem  er  mit 
ganzer  Seele  hängt,  eine  Darstellung  von  allem  enthalten  und  bis  zur  Ostermeße 
vollendet  werden  wird.  —  Was  Dir  außerdem  noch  Aufschlüße  geben,  oder  interessant 
seyn  könnte,  werde  ich  Dir  alsdann  auch  mitzutheilen  suchen,  da  fast  alles  durch 
meine  Hände  gegangen  ist.  —  Er  ist  so  glücklich,  drey  Menschen  gefunden  zu 
haben,  —  wovon  er  auch  in  jenen  Briefen  selbst  ausführlicher  redet,  —  ||  in  die 
ganz  sein  Enthusiasmus  für  diese  Sache  übergeflossen  zu  seyn  scheint,  in  deren 
Händen  jetzt  nicht  bloß  das  eigentliche  Schulhalten  liegt,  sondern  die  ihm  auch  die 
Lehrbücher  ausarbeiten  helfen,  wozu  sie  freylich  nicht  große  positive  Kentnisse, 
aber  eine  gesunde  Naturkraft  u.  den  besten  Willen  mitbrachten,  welches  ihnen 
hiezu  natürlicher  Weise  unentbehrlicher  war.  Sie  spähen  hiemit  allenthalben  nach 
Hülfe  und  Belehrung  umher,  und  sind  durch  ihre  eigne  Unwissenheit  eben  und 
den  damit  verbundenen  redlichen  Ernst  für  die  Sache  genöthigt,  desto  genauer  bis 
auf  die  ersten  Anfangspunkte  zurückzugehen,  und  im  Stande,  desto  unbefangener 
über  die  schon  sonst  eingeführten  Methoden  zu  urtheilen,  in  so  weit  sie  Notiz  davon 
bekommen.  —  Von  den  Lehrbüchern  sind  einige  schon  ganz,  andre  beynahe  fertig. 
—  Wenn  Du  es  wünschst,  so  will  ich  Dir  zur  Ostermesse  mit  den  Kaufleuten  alles 
überschicken;  auch  selbst  das,  was  erst  zum  Theil  fertig  ist,  als  Holzstiche  etz. 

Die  angenehmste  und  interessanteste  Bekanntschaft,  die  ich  hier  seit  Deiner 
Abreise  machte,  ist  gewiß  die  des  biedern,  herzlichen  Gessners,  (der  ungeachtet 
seiner  mannigfaltigen  Bildung  und  aller  seiner  Reisen  seine  reine  Natürlichkeit  und 
offene  Wahrheit  erhalten,)  und  dessen  liebenswürdigen,  verständigen  Weibes, 
(Wielands  Tochter),  die  Frau  und  Mutter  nach  ächter  deutscher  Weise  ist.  —  || 
Selten  verstreicht  ein  Tag,  an  dem  ich  nicht  wenigstens  bey  ihnen  eingucken 
sollte,  da  ich  nicht  anders,  als  ihr  leiblicher  Bruder  von  ihnen  behandelt  werde; 
und  ungerne  sehe  ich  mich  jetzt  durch  die  kürze  der  Zeit,  die  mir  noch  bis  Abgang 
der  Post  übrig  ist,  genöthigt,  Dir  für  diesmal  nicht  umständlicher  von  ihnen  reden 
zu  dürfen.  Aber  das  muß  ich  Dir  doch  noch  sagen,  daß  sie  3  allerliebste  Jungens 
haben;  von  denen  der  älteste  von  4  Jahren  schon  mit  einem  sinnvollen  Geist  und 
zartfühlenden  Herzen,  welches  ganz  auf  seinem  schönen  Gesichte  sich  abdruckt, 
alles  um  sich  her  aufgreift,  und  von  seiner  herlichen  Mutter  auf  meinen  Antrieb, 
und  unter  meiner  Anweisung  und  Hülfe  fast  ganz  nach  Pestalozzis  Methode  unter- 
richtet wird. 

Auch  mit  Zeiienders  ganzer  Familie  stehe  ich  in  einem  gleichfreundschaftlichen, 
und  fast  gleich  freyen  Verhältnisse.  Ich  habe  ihnen  den  Winter  bisweilen  chemische 
u.  physische  Vorlesungen  gehalten  u.  Experimente  gemacht,  und  Frau  Z.—  fängt 
jetzt  an  ihren  Rudi,  eben  so,  wie  Fr.  G.  ihren  Salomon  nach  Pestalozzis  Methode 
zu  unterrichten. 

Stecks  sehe  ich  öfter,  und  hänge  mit  jedem  male,  das  ich  sie  sehe,  herzlicher 
an  sie.     Wenn  es   mir   zu  enge  wird,   so   gehe  ich   zu  Steck  und    bringe  von  ihm 


Februar   1801.  2\\ 


meinen  alten  Sinn  nnd  meine  alte  Kraft  wieder  mit.  Sein  häusliches  ||  Verhältniß 
scheint  sich  immer  schöner  zu  entwickeln.  Seine  Frau  muß  bey  ihm  natürlich 
immer  an  Realität  gewinnen,  weshalb  ich  sie  auch  jedesmal  liebenswürdiger,  und 
mehr  Frau  und  Mutter  finde. 

Von  dem  Jüngern  Otth  ein  andermal.  Frau  Otth  hat  sich  hier  so  zu  benehmen 
gewußt,  daß  man  anfängt  sie  (ob  mehr  um  ihretwillen,  oder  ihres  schönen  Mannes 
wegen,  weiß  ich  nicht  ganz  genau,)  sehr  zu  fetiren.  Mir  gefällt  sie  nicht  ganz,  und 
das  noch  weniger,  wenn  ich  sie  so  im  Geiste  mit  Geßners  Frau,  und  selbst  mit 
Zehenders  Familie  vergleiche;  doch  kenne  ich  sie  auch  erst  sehr  wenig,  weshalb  ich 
mein  Urtheil  gerne  verschiebe,  und  Dir  dies  nur  unter  vier  Augen  gesagt  haben 
will.  Mit  ihrem  Manne  scheint  sie  übrigens  sehr  glücklich  und  zufiieden  zu 
leben.  Auch  May  und  der  jüngere  Otth  wissen  sich  sehr  wohl  mit  mir  zu 
finden.  — 

Jetzt  nur  noch  ein  paar  Worte  von  Steigers.     Seitdem  sie  in  der  Stadt  sind, 
scheinen  sie  sich  durchaus  nicht  mehr  um  mich  zu  bekümmern.    Schon  vorher  hat 
H.  Fr.  mir  oft  seine  Verwunderung  bezeugt,  daß  nach  Segelk.  Ankunft  bis  zu  unserer 
Unglücks.  Reise,   niemals  jemand  von  Steigers  Knaben  zu  Efschen]  gekommen  sey, 
ihm  zu  danken,  und  zu  besuchen,   wie  man  es   sonst  doch  zu  thun  pflegte.     Grade 
so  macht  man  es  jetzt  auch  mit  mir;   sobald  man  meiner  nicht  mehr  bedurfte  und 
mich  abgelehnt  hatte,  bekümmerte  man  sich  auch  ||  nicht  mehr  um  mich;  und  wenn 
ich  jemand  von  den  Knaben  sehen  will,  so  muß  ich  entweder  zu  ihnen  gehen,  oder 
sie   besonders    einladen   lassen.     "Wie  H.  St —  Ludwig    nach  Genf   schicken  wollte, 
bat  er  mich  zu  sich,  mich  um  Rath  zu  fragen,  NB.  da  er  schon  alles  beschloßen  hatte; 
doch  verabredete  er  mit  mir   u.  S[egelken]  Ludwigs  Arbeiten  in  Genf,   zu  welchem 
Behufe  ich  ihm   noch   eine  schriftliche  Nachricht  von  Ludw.  mathem.  Studien  auf- 
setzen mußte;    aber  Ludw.  ist  nicht  einmal  gekommen,  mir  zu  danken  u.  lebewohl 
zu  sagen;    welches    ich    indessen    doch    mehr  ihm,    als  dem  Vater  anrechne.     Und 
überhaupt  mag   ich   mich   auch  wohl   nicht  genug  bey  ihnen  eingedrängt  haben.  — 
Segelken  hat  mir  Deinen  Brief  an  Steiger,  der  ihn  ihm  gegeben  hatte  (was  aber  unter 
uns  bleibt,    da  ich  etwas  Indelikatesse  von  Steigers  Seite  darin  finde)  gezeigt;    und 
mir  sehr  geklagt,    daß   er  von  Dir  so   verkannt   werde,    und    dabey   doch    gestehen 
müssen,   daß  er  selbst  Veranlassung  dazu  gegeben  habe;   welches   er  aber  sehr  be- 
dauerte, und  vollkommen  wieder  durch  einen  weitläuftigen,  offenen,  und  herzlichen 
Brief  an  Dich  gut  zu  machen  wünschte.     Er  sprach  hiebey  wirklich  mit  viel  mehr 
Herzlichkeit  und  Wärme,   als  sonst;   und  zeigte  dadurch,  daß  es  ihm  Ernst  sey;  — 
weshalb  ich  mir  würklich  etwas  von  seinem  an  Dich  geschriebenen  Briefe  verspreche. 
Er   arbeitet   mit   ungeheurem   Fleiße    und  Ausdauern,    was    ihm    natürlich    Steigers 
Zufriedenheit  erwirbt.  ||  Aber   gegen   mich   ist  er  wenig  offener  und  herzlicher  ge- 
worden, und  unser  ganze  Umgang  ist  noch  nichts  weiter,  als  eine  gewöhnliche  Be- 
kanntschaft, wobey  ich  von  seinem  eigentlichen  Thun  und  Treiben  Dur  selten  einzelne 
abgebrochene  Worte  höre.     Stolze,  der  sich  seit  einiger  Zeit  hier  aufhält,  versichert 
mir  aber,   daß  dies  so  ganz  seiner  Natui  gemäß  sey,   und  daß  er  ihn  noch  nie  mit 
einem  Menschen   eigentlich   vertraut  u.  herzlich   habe   umgehen  sehen,   mit  dem  er 
nicht  von  Jugend  auf  gelebt  habe.     Doch  hoffe  ich,  daß  das  Landleben,  wo  wir  so 
zu  sagen  ganz  auf  einander  eingeschränkt  sind,  uns  vielleicht  etwas  näher  verbinden 
werde.    Ich  bin  begierig  etwas  von  Dir  über  seinen  letzten  Brief  an  Dich  zu  hören, 
den  er  mir  zwar  nicht  gezeigt,   aber   von   dessen  Absendung  er  mir  gesagt  hat.  — 
Du  siehst  endlich  aus  allem  diesem,  daß  ich  sehr  wenig  von  dem,  was  bey  Steigers 
vorgeht,  unterrichtet  bin,  und  auch  wohl  schwerlich,  solange  wir  in  Bern  sind,  Ge- 
legenheit finden  werde,  mich  genauer  davon  zu  unterrichten.    Aber  dem  ungeachtet 

14* 


2i2  Februar   1801. 


scheint  Karl  sich  noch  mit  dankbarer  Liebe  und  Achtung  unsers  vorigen  Ver- 
hältnisses zu  erinnern,  und  beträgt  sich,  wenn  er  einmal  bey  mir  ist,  auch  ganz 
diesem  gemäß,  weshalb  ich  hoffe,  auch  ihm  mich  auf  dem  Lande  mehr  nähern  zu 
können;  welches  mir  dann  auch  wohl  mehr  Bedürfniß  werden  dürfte;  und  was  daun 
unter  uns  vorgeht,  wird  Dir  natürlich  nicht  unbekannt  bleiben.  ||  Jetzt  kann  ich 
Dir  nur  soviel  von  ihm  sagen,  daß  er  mit  Sinn  und  Interesse  von  seinen  Arbeiten 
zu  reden  scheint,  wovon  Du  in  seinem  Briefe  vielleicht  noch  bessere  Beweise 
haben  kannst,  als  ich  zu  finden  Gelegenheit  hatte;  daß  er  immer  schöner  wird, 
sich  ausgezeichnet,  wohl  beträgt,  und  deshalb  allgemein  beliebt  ist.  Ludwigs 
Aufenthalt  in  Genf  sehe  ich  als  einen  Versuch  an,  auf  dessen  Gelingen  ich  begierig 
bin.  S[egelken]  schien  ihm  nicht  ganz  gewachsen,  indem  er  selbst  zu  wenig  herz- 
lich ist,  um  ihn  beym  Herzen  fassen  zu  können,  von  woraus  wohl  bey  ihm  noch 
allein  die  Umschaffung  ausgehen  konnte;  und  St.  selbst  schien  mir  ihn  ebenso 
wenig  zu  behandeln  zu  verstehen,  da  er  theils  zu  strenge,  theils  zu  nachlässig  mit 
ihm  umging,  und  ihn  überhaupt  nicht  anders  als  ein  10 jähriges  Kind  zu  behandeln 
schien,  dem  über  sich  selbst  noch  wenig  Competenz  zu  körnt.  Er  achtete  Ludwigs 
Willen  durchaus  nicht,  sondern  wollte  nur  mit  väterlicher  Autorität  mit  dem  seinigen 
über  ihn  disponiren,  dem  Ludw.  sich  deshalb,  wo  er  mußte,  anscheinend  unterwarf, 
und  bey  jeder  Gelegenheit  heimlich  zu  entschlüpfen  suchte.  So  schien  es  mir  denn 
an  dem  ersten  Erforderniß  für  eine  glückliche  Erziehung  an  Zutrauen  und  Liebe 
xtcisehen  Vater  und  Sohn  zu  fehlen.  —  Verzeihe  mir,  wenn  ich  irre,  oder  wenn 
Dir  sonst  diese  Äußerung  etwas  anstößig  seyn  sollte.  ||  Genug  in  dieser  Lage  schien 
er  haupts.  in  Bern,  und  da  S —  in  der  That  schon  ohnedem  alle  Hände  voll  hat, 
nicht  bleiben  zu  können;  und  wenn  St—  ihn  irgendwo  hin  schicken  wollte,  so  war 
Genf  noch  wohl  am  glücklichsten  gewählt,  wo  ein  sehr  schöner  Ton  herrscht,  wo 
man  Gelegenheit  für  jede  Art  von  Unteiricht  und  Umgang  findet,  und  wo  über- 
haupt vielmehr  Realität  und  Sinn  für  Wissenschaften  sowohl,  als  für  jede  Art  von 
Vervollkommnung  und  Industrie  herrscht,  als  in  der  ganzen  übrigen  Schweiz.  Von 
der  Art  und  Weise,"  wie  Ludwig  dort  lebt  oder  leben  soll,  wird  man  Dich  wahr- 
scheinlich näher  unterrichtet  haben,  als  ich  selbst  davon  unterrichtet  bin. 

Deinen  Auftrag  an  Sonnenschein  habe  ich  besorgt,  wie  Du  es  wünschtest,  und 
Sonnenschein  läßt  Dir  versichern,  daß  er  sich  eine  Freude  daraus  machen  werde, 
demselben  Genüge  zu  leisten.  Er  will  Karl  in  Oel  auf  Leinwand  mahlen  und 
nächstens  damit  anfangen. 

Jetzt  endlich,  was  soll  aus  Deinen  hier  zurückgebliebenen  Büchern  werden? 
Sie  nach  Bremen  zu  schicken,  wäre  jetzt  wohl  sehr  leicht,  aber  fürchtest  Du  die 
großen  Kosten  nicht,  die  Dir  dies  verursachen  würde?  und  solltest  Du  nicht  besser 
thuu,  wenigstens  einen  Theil  davon  hier  zu  verkaufen?  —  Hast  Du  kein  Ver- 
zeichnis davon?  Es  wäre  mir  bequemer  hierüber,  so  lange  wir  noch  in  Bern  sind, 
etwas  Deinem  Wunsche  gemäß  zu  verfügen;  doch  eilt  auch  dasselbe  nicht,  weil  der 
Platz  ihnen  nicht  fehlt.  —  ||  Deine  Freunde,  namentlich  Otths  und  Zehenders  grüßen 
Dich  herzlich;  und  werden  Dir  bald  schreiben. 

Von  Sinners  rede  ich  Dir  heute  nicht,  in  Hofnung  Dir  ein  andermal  ausführ- 
lich darüber,  so  wie  über  so  manches  andere  auch  zu  schreiben.  Aber  Du,  mein 
theurer  Freund,  vergilt  mir  denn  auch  wieder  Gleiches  mit  gleichen;  und  laß  mich 
nicht  wieder  so  lange  vergebens  ein  paar  freundliche  Zeilen  von  Dir  erwarten, 
haupts.  jetzt  da  ich  noch  Deines  Wohlseyns  wegen  besorgt  seyn  muß.  Gieb  allen, 
die  Dir  theuer  sind,  und  einen  Gruß  von  mir  annehmen  mögen,  meinen  herz- 
lichsten Gruß.  Ganz  Dein  T.  Z. 

Abgesandt  im  Anfang  des  März  1801. 

M.  Adr.  —  bleibt,  auch  wenn  wir  auf  dem  Lande  sind:  b.  Hn.  Fr.  v.  R.  in  Bern. 


März   1801. 


213 


144.     An    Steck.1)  Bremen   I  März   1801. 

Dem  Gebrauch  nach,  theurer  Steck,  war  ich  Dir  längst  einen  Brief 
schuldig;  der  Sache  nach  —  scheine  ich  mir  beynahe  noch  jetzt  etwas 
überflüßiges  zu  thun,  indem  ich  schreibe.  Andenken,  Freundschaft, 
und  Hochachtung  Dir  zu  versichern,  —  es  ist  eine  angenehme  Berührung 
des  Gefühls;  aber  fast  natürlicher  wäre  es  mir,  ganz  schweigend  das  Zu- 
trauen zu  ehren,  mit  dem  Du  Dir  selbst  sagen  kannst,  Du  hast  Dir  jenes 
alles  unverlierbar  bevestigt. 

Da  ich  Dich  nicht  nahe  sehe,  nicht  unmittelbar  in  Deine  Thätigkeit 
meine  Versuche  mengen  kann :  so  treibt  es  mich  in  die  Ferne,  um  hinzu- 
springen bis  zu  den  größten  Verkettungen,  welche  an  die  wahren  und 
eigentlichen  Gegenstände  Deines  Intereße  hinanreichen.  Und  vielleicht 
ist  es  nicht  so  gar  lange  mehr  hin,  daß  ich  so  den  Weg  zu  Deinem 
Selbst  hin  suchen  kann;  —  in  Deinen  Vorhöfen  würde  ich  nicht  gern 
verweilen. 

Du  heißest  mich  vielleicht  Umwege  meiden,  —  bescheiden  seyn  — 
das  nächste  Feld  bauen,  und  deßen  Früchte  zum  freundschaftlichen  Tausch 
Dir  bieten.  Wie  gern,  wenn  nicht  hinter  mir,  und  noch  dicht  zur  Seite, 
Wüsten  lägen,   die  meiner  Kräfte  spotten!   — 

Ich  hätte  Dich  längst  zum  Glückwunsch,  zur  Mitfreude  aufgefordert, 
könnte  ich  Dir  rühmen,  daß  ich  meinen  Eltern  —  auch  nur  einem  von 
beyden,  Hülfe  und  Freude  [2]  gebracht  hätte.  Der  Prozeß  ist  nicht  ver- 
mieden, er  dauert  noch  —  und  wer  weiß  wie  lange!  Meine  Mutter  hat, 
nach  ihren  letzten  Briefen,  den  Schein  der  Gesundheit;  nicht  die  Gesund- 
heit selbst.  Sie  schreibt  dies  einem  hiesigen  Freunde,  nicht  mir.  Unser 
Briefwechsel  ist  abgebrochen,  kein  Wort  ist  mehr  sicher,  unversehrt  zum 
Herzen  seinen  Weg  zu  finden.  —  Ich  gedenke  der  traurigen  Pflicht  gegen 
mich  selbst,  meinen  eignen  Frieden  zu  bewahren.  Die  Ueberzeugung 
habe  ich  davongetragen,  daß  weder  sie  noch  er,  mit  mir  übereinstimmen 
können.  —  Das  kleine  Blatt,  das  Du  meiner  Bitte  gewährtest,  war  unrecht 
gebeten;  meine  Mutter  sieht  es  nicht  gern,  daß  man  sie  um  Zutrauen  zu 
ihrem  Sohne  bittet.  —  Ich  wünsche  von  Dir  zu  erfahren,  ob  Du  von 
meinem  Benehmen  Nachrichten  erhalten  hast,  die  Deiner  guten  Meinung 
von  mir  nachtheilig  seyn  können;  wenn  das  ist,  so  bedarf  es,  daß  ich 
Dir  über  die  Thatsachen  schreibe;  sonst  überhebe  ich  mich  des  traurigen 
Geschäfts.  Ich  habe  so  viel  möglich  unter  Smidts  Augen  gehandelt,  und 
er  ist  mit  mir  nicht  unzufrieden.  Zuweilen  suche  ich  die  Idee  eines 
Genie's  zu  faßen,  das  in  meinem  Falle  gekonnt  hätte,  was  es  sollte; 
aber  ich  bringe   es  nicht   über  ein  dunkles  Luftbild   der  Phantasie.  —  — 

Ich  höre  Du  bist  Mitglied  der  Verwaltungskammer,2)  laß  mich  wißen 
daß  es  Dich  freut,  so  freue  ich  mich  mit  Dir.  Was  Deine  Gattin,  Deine 
Kinder,  Deine  Mutter  machen,  davon  besorge  mir  bald  umständliche 
Nachricht.      Empfiehl    mich    den    Deinen.   —    Ich    endige    hier;    —    und 

*)  Ein  Oktavblättchen,  beide  Seiten  beschrieben. 

2)  Verwechslung  mit  einem  Verwandten,  Samuel  Rudolf  Steck,  der  seit  März  1 800 
Mitglied  der  Verwaltungskammer  von  Bern,  einer  helvetischen  Behörde,  war.  [Fr.  Mit- 
teilung  von  Hrn.  Prof.  R.  Steck  in  Bern,  dem  ich  auch  die  Briefe  Herbarts  an  Steck 
verdanke.] 


2  14  April   1801. 

bitte  dich  nur  noch,  zuweilen  den  alten  Erinnerungen  an  unsre  guten 
Stunden  in  Jena  —   einen  freundlichen   Blick  zu  gönnen.   — 

Dein   Herbart. 
Böhlendorf  grüßt  herzlich. 

145.  Aus  einem  Briefe  von  Halems  an?  13.  März  1801. 
Ich    habe   in   der  Einlage    einen  Gruß   an  Sie   zu  bestellen  gebeten.     Besser, 

denke  ich  jetzt,  den  Brief  *an  Sie  einzulegen  damit  er  desto  sicherer  an  seine 
Addresse  komme.  Die  fatale  Sache,  die  des  treflichen  Jünglings  Tage  so  unangenehm 
verdüstert,  ist,  soweit  es  nach  der  Lage  der  Umstände  möglich  war,  verglichen, 
das  heißt  durch  der  Eltern  bestimmte  Trennung  geendet.  Möchte  dies  auch  Einfluß 
auf  des  Sohnes  Zufriedenheit  haben. 

146.  Steck  an  Zehender  7.  Apr.  1801. 

„Habe  tausend  Dank  für  Deine  letzten  Briefe  u.  die  Sendung  der  Beylage 
von  Herbart,  ein  "Wort  der  Erinnerung  von  ihm,  dem  Unvergeßlichen,  der  Krone 
unserer  deutschen  Freunde,  hat  mich  hoch  erfreut." 

147.  An    Steck.1)  Bremen  am   igten  Apr.  1801. 

Ich  freue  mich,  bester  Steck,  daß  ich  es  bin,  der  die  Einlage2)  be- 
sorgen soll;  bin  ich  gleich  der  bloße  Uebersender,  so  ist  es  mir  doch  ein 
innig  theures  Gefühl,  in  der  Mitte  zu  stehen  zwischen  zwey  Menschen, 
die  so  einer  des  andern  werth  sind,  wie  Du  und  Smidt.  Dieser  Freund, 
deßen  unabläßiges  Bemühn  für  das  Wohlsein  andrer,  ich  selbst  so  sehr 
erfahren  habe,  ist  seit  einigen  Monaten  an  dem  Platze,  der  ihn  berechtigt, 
die  Sorge  für  seine  Stadt  zu  der  seinigen  zu  machen.  Er  hatte  sich  auf 
den  Bürgerconventen  ein  Zutrauen  erworben,  das,  ungeachtet  des  starken 
Vorurtheils  gegen  ordinirte  Geistliche,  und  obgleich  er  noch  nicht  einmal 
30  Jahre  alt  ist,  ihn  in  den  Rath  erheben  konnte.  Unter  2  kurz  auf 
einander  gefolgten  Rathsherrnwahlen,  fiel  die  erste  auf  ihn.  Wie  er  jetzt 
jede  Kraft,  jede  Zeit,  ja  seine  Gesundheit  daran  setzt,  wie  er  jeden  Um- 
stand nützt,  wie  ihm  jeder  Wunsch  der  Mühe  werth  ist,  um  seiner  Stelle 
alles  mögliche  abzugewinnen  was  sie  leisten  kann,  —  davon  hast  du  hier 
eine  kleine  Probe.  So  wenig  ich  weiß,  in  wiefern  Du  seinen  Wunsch 
gewähren  kannst,  so  angenehm  ist  es  mir,  eine  Berührung  Eurer  Personen 
zu  sehn,  an  der  Euer  innerstes  Intereße  Theil  hat.  —  Daß  auch  diese 
gute  Stadt  eines  guten  Dienstes  werth  ist,  beweist  sie  wohl  am  besten 
durch  die  guten  Patrioten,  die  sie  zeugt;  und  wirklich  ist  hier  ein,  für 
Deutschland  gewiß  ausgezeichneter,   Bürgersinn  allgemein  merkbar. 

Ziemßen  hat  mich  erfreut  durch  die  Nachricht,  daß  [2]  er  in  Eurem 
Hause  umgeht.  Ich  danke  Euch  für  die  guten  Stunden,  die  ihr  einander 
gebt;  gedenket  zuweilen   meiner   darin! 

*)  Ein   Oktavblättchen,  auf  beiden  Seiten  beschrieben. 

2)  Ein  Brief,  in  dem  Bürgermeister  Smidt  um  Stecks  Vermittlung  bittet  zur  Ein- 
leitung einer  Bekanntschaft  zwischen  dem  Gesandten  Bremen's  in  Paris,  Senator  Gröning, 
und  dem  helvetischen  Gesandten  Glayre.  Dieser  sollte  Grönings  Bemühungen  zur  Er- 
haltung der  Unabhängigkeit  Bremens  bei  der  französischen  Regierung  und  besonders  bei 
dem  ersten  Consul  unterstützen. 


Mai   1801, 


215 


Diesen  Sommer  werde  ich  mit  Böhlendorf  eng  zusammen  wohnen. 
Möchte  mich  der  Unmuth  genug  verlaßen,  um  das   recht  zu  genießen! 

Der  Oldenburger  Prozeß  soll  beinahe  zu  Ende  seyn,  oder  ist  es  schon. 
M[ein]  V[ater]  scheint  sehr  nachgegeben  zu  haben.  Halem  soll  von  der 
dazu  niedergesetzten  Commißion  gewesen  seyn.  Dies  letztere  weiß  ich 
nicht  durch  ihn  selbst,  das  erste  aber  hat  er  mir  in  einem  sehr  freund- 
lichen Briefe  berichtet.  Ich  hätte  die  Nachricht  auf  irgend  eine  Weise 
aus  der  rechten  Quelle  gehofft,  —  aber  daher  kommt  für  mich  Nichts 
Gutes.   —   — 

Sey  glücklich  in   Deinem   Hause,  und  mache  es  glücklich! 

Lebe  wohl.  Immer  Dein   Herbart. 

148.     An    V.    Halem.  Bremen  Anfang  May   1801. 

So  sehr  ich  Ursache  hatte,  mich  über  den  Inhalt  Ihres  letzten  gütigen 
Briefes  zu  freuen,  so  bin  ich  doch  jetzt  von  neuem  unruhig.  Ich  habe 
noch  immer  keine  Nachricht  von  der  wirklich  erfolgten  Sanction  der 
Trennung  meiner  Eptern]  durch  das  Consistorium,  welche  Sie  damals 
voraussetzten.    Haben  vielleicht  neue  Schwierigkeiten  dieselbe  aufgehalten? 

Wie  gern  hätte  ich,  Ihrem  Rathe  gemäss,  die  Gelegenheit  ergriffen, 
um  zu  versuchen,  ob  ich  beytragen  könne,  die  unangenehmen  Erinnerungen 
meines  Vaters  auszulöschen.  Aber,  meinem  Gefühle  nach,  geht  es  jetzt 
nicht!  Ich  habe  lange  gezweifelt,  und  das  ist  auch  die  Ursache,  die  diesen 
Brief  so  lange  verzögerte.  —  Der  Vergleich  macht  es  mir  nicht  nur  un- 
möglich, meinen  V[ater]  um  Unterstützung  anzusprechen,  sondern  selbst  dar- 
gebotne  Geschenke  würde  ich,  wie  die  Sachen  jetzt  stehn,  von  meinen 
beyden  Eltern  kaum  annehmen  können.  Ich  kann  Ihnen  das  nicht  aus- 
einandersetzen; aber  ich  bitte  Sie,  es  nicht  schlimm  zu  deuten.  —  In 
diesem  Augenblick  würde  jeder  Brief  eine  versteckte  Bitte  zu  enthalten 
scheinen,  daher  warte  ich  noch  einige  Zeit. 

Es  ist  mir  unangenehm,  dass  ich  mir  den  Schein  gegeben  habe,  als 
ob  die  Wahl  meines  Standes  noch  unentschieden  wäre.  Der  veste 
Entschluss  ist  zwar  sehr  langsam,  aber  doch  schon  vor  Jahren  zwischen 
meinen  Eltern  und  mir  verabredet.  Nur  als  ich  Bern  verliess,  als  ich 
wider  den  Willen  meines  Vaters  nach  Oldenb.  kam,  da  glaubte  ich  zweyen 
Pflichten  auch  zwey  Opfer  darbieten  zu  müssen;  —  ich  erwartete,  dass  es 
meinem  Vater  vielleicht  noch  angenehm  seyn  könne,  wenn  ich  zu  seinem 
ursprünglichen  Wunsche  in  Ansehung  meiner,  zurückkehrte;  ich  fragte  ihn 
darum,  und  er  verwiess  mich  von  neuem  an  meine  eigne  Neigung1).  Diese 
war  sich  gleich  geblieben. 

Sollte  ich  jetzt  eine  Wissenschaft  verlassen,  in  der  ich  seit  5  Jahren 
fast  ohne  Rückschritt  gearbeitet  habe?  —  Doch  vielleicht  ist  es  eine 
scheinbare  Planlosigkeit  in  meinen  gegenwärtigen  hiesigen  Beschäftigungen, 
weshalb  Sie  nöthig  finden,  mich  von  meinem  Wege,  und  in  mein  Vater- 
land   zurückzurufen  —   dem    ich    mich    doch    wol    nur    nach    veränderten 

*)  Ziller  hat  „Wahl"  statt  „Neigung".  Das  Wort  (am  Ende  der  Zeile  am  inneren 
Rande)  läßt  sich,  ohne  die  Heftfäden  aufzutrennen,  nicht  feststellen.  Jedenfalls  muß  ein 
Wort  mit  N  beginnend  gelesen  werden. 


2i6  Juli   1801. 

Studien  anbieten  dürfte  —  ?  —  Ich  lehre  hier  meistens  dasjenige,  was  ich 
ohnehin,  aber  mühsamer  für  mich  allein,  meinem  Gedächtnisse  würde 
einprägen  müssen:  Combinationslehre,  Analysis,  vertrautere  Bekanntschaft 
mit  den  Griechen  —  diese  Hülfswissenschaften  sind  mir  unentbehrlich 
und  so  wenig  ich  das  Gewicht  unsrer  neuen  Philosophen  fühle,  so  bin 
ich  doch  in  der  höhern  Mathematik  und  in  der  Kenntniss  der  Alten 
viel  zu  lange  vernachlässigt,  als  dass  ich  darin  nicht  immer  nur  noch 
Anfänger  sein  könnte.  Überdies  habe  ich  hier  wie  in  Bern  das  Glück, 
dass  die  Zufriedenheit  der  Zöglinge,  Eltern  und  Verwandten  mir  entgegen- 
kömmt. 

Sie  möchten  wol  einen  Versuch  von  mir  darauf  ansehn,  ob  er  in 
die  Irene  passt?  Das  Thema:  Geist  der  pestalozzischen  Erziehung,  reizt 
mich  sehr,  und  mit  Hülfe  der  Nachrichten  meines  Freundes  Ziemssen 
gelänge  es  mir  vielleicht,  —  wenn  es  anders,  nach  dem  von  P.  selbst, 
jetzt  herauskommenden  Werke,  einem  Andern  noch  erlaubt  sein  kann 
seinen  Geist  darstellen  zu  wollen.  Auch  weiss  ich  kaum,  ob  ich  noch 
etwas  angreifen  darf;  ich  arbeite  ohnehin  an  einer  Einleitung  in  die  Be- 
trachtung des  Übersinnlichen,  zum  Theil  auf  dem  Wege  der  Griechen,  die 
für  meinen  Karl  in  Bern,  dringende  Eile  hat.  —  Auf  jeden  Fall,  wenn 
ich  einmal  so  dreist  bin,  Ihnen  etwas  zu  senden,  so  unterwerfe  ich  es  mit 
vollkommner   Resignation  Ihrem   Urtheil.   — 

Wie  sehr  ich  es  gefühlt  habe,  dass  Sie  mich  immer  von  neuem  ver- 
pflichten durch  Ihre  fortdauernde  Theilnahme  an  mir,  —  daran  zweifeln 
Sie  hoffentlich  nicht.  Sie  sehn  das  Zutrauen,  mit  dem  ich  es  noch  immer 
wage,  Sie  von  meinen   Angelegenheiten   zu  unterhalten. 

Ihr  gehorsamer   Herbart. 

N.  S.  Ülzen  ist  hier;  —  ich  weiss  aber  nicht,  ob  er  nach  Old. 
kommen   wird. 

149.  Smidt  an  seine  Frau.  D.  21.  Juli  [1801?] 
Herbart  [ist]  auf   8  Tage  nach   Lilieuthal  [bei  Bremen]  gezogen,  um  das  Bad 

zu  gebrauchen,  [hat]  gestern  keine  Stunde  gehalten  u.  [wird]  am  Freytag  auch 
keine  halten. 

150.  Smidt  an  seine  Frau.  23.  Juli  [1801]. 
—  —  —  —  Herbart  hält  sich  noch  zu  Lilienthal  auf. 

151.  Ziemssen  an  H.1)  Rümligen  30.  Jul.  1801. 
Theurer  Vortreflicher,  endlich  sitze  ich  denn  da  mit  dem  festen  Vorsatz,  auch 

keinen  einzigen  Posttag  wieder  vorüber  gehen  zu  lassen,  ohne  wenigstens  einige 
Zeilen,  und  sollte  es  auch  nur  als  Vorläufer  eines  ausführlichem  Briefes  seyn,  an 
Dich  abzusenden,  damit  wenigstens  der  Anfang  einmal  gemacht  ist,  denn  es  war 
nicht  Mangel,  sondern  überfließende  Menge,  was  mich  bis  jetzt  immer  von  der 
Kealisirung  dieses  meines  liebsten  Wunsches,  Dir  einmal  wieder  zu  sagen,  wo  ich 
bleibe,  was  ich  mache,  und  wohin  ich  strebe,  abhielte.  Hätte  ich  Dir  gleich  gefolgt, 
und  mich  in  der  ersten  freyen  Stunde  niedergesetzt,  Dir  mit  fliegender  Feder  zu 
schreiben,    und   der  Stimmung   nicht   geachtet,   vertrauend   der  Freund   werde   den 

l)  6  S.  8°.     ii.  Wien. 


Juli   1801.  217 

Freund  auch  selbst  im  Kittel  leicht  wieder  zu  finden  wissen,  oder  vielmehr  —  hätte 
ich  nie  aufgehört,  so  zu  thun,  so  hätte  sich  die  Masse  nicht  so  gehäuft,  Du  hättest 
aus  dem  Einzelnen  schon  das  Bild  des  Ganzen  herauszufinden  gewußt,  und  ich  wäre 
Dir  mit  meinem  Thun  und  Treiben  nicht  fremd  geworden.  —  Aber  dahin  soll  es 
jetzt,  so  lange  Du  in  mir  den  Freund  noch  liebst  und  achtest,  gewiß  nicht  wieder- 
kommen. ||  Ich  fühle  es  täglich,  wie  Deine  freundschaftliche  Theilnahme  mir  grade 
jetzt  das  dringendste  Bedürfniß  ist.  Übrigens  von  der  liebevollsten,  herzlichsten 
Freundschaft  und  Güte  von  allen  Seiten  umgeben,  stehe  ich  doch  mit  meinem 
eigentlichsten  Treiben  und  Vorhaben  hier  durchaus  allein  und  abgesondert.  Die 
Gefährlichkeit  dieser  Lage  sowohl,  als  das  so  oft  Beklemmende  derselben  begreift 
wohl  niemand,  wie  Du  es  begreifen  wirst.  Du,  der  mir  mit  seiner  meine  leisesten 
und  tiefsten  Gedanken  treffenden  Welt-Bürgersin  zurief,  wie  mir  niemand  zurufen 
wird,  und  niemand  zurufen  könnte.  Hier  liegt  der  festeste  Knoten  unsrer  unauflös^ 
lichsten  Freundschaft,  so  wie  der  tiefste  und  geheimste  Grund  unsrer  Unzufrieden- 
heit und  Disharmonie  mit  der  uns  umgebenden  Menge.  —  Nimm,  mein  theuerster 
Freund,  meinen  wärmsten,  innigsten  Dank,  daß  Du  hier  auf  der  einen  Seite  nicht 
aufhörtest  auf  mich  zu  vertrauen,  und  auch  auf  der  andern  mich  so  ganz  als 
wahrster  Freund  darauf  aufmerksam  machtest,  daß  ich  Dir  wenigstens,  in  dieser 
Hinsicht  in  Unthätigkeit  versunken  zu  seyn  schien.  —  Es  ist  leider  wahr  genug, 
ich  bin  den  Gefahren  der  Lage,  worin  ich  mich  seit  jenem  fürchterlichen  Tage  be- 
finden mußte,  nicht  ganz  entgangen,  und  welcher  Sterbliche,  der  ein  Herz  im  Busen 
trägt,  hätte  das  können!  Aber  mit  Zuversicht  darf  ich  Dir  auch  versichern,  ich 
?mferliege  ihnen  nicht;  sie  haben  den  Halm  gebogen,  ||  aber  noch  nicht  zerknickt. 
Und  doch  glaube  ich  auch  bey  alledem  nicht  so  ganz  unthätig  gewesen  zu  seyn, 
selbst  auch  für  unsre  Verbindung,  für  unsre  höhern  Zwecke  nicht,  (ich  könnte  zu 
keinem  Menschen  so  das  unser  hier  sagen,  ich  möchte  mit  keinem  hier  so  gemein 
haben  und  theilen,  als  mit  Dir,  Einzigen!).  Ob  ich  mich  hierin  irre,  darüber  erbitte 
ich  dringend  Dein  Urtheil,  so  bald  ich  Dich  davon  unterrichtet  habe.  Aber  es  ist 
dessen,  was  ich  Dir  alles  sagen  möchte  so  viel  (oder  scheint  wenigstens  in  der  Un- 
ordnung, worin  es,  wie  die  Papiere  im  Studierzimmer,  in  meinem  Kopfe  noch 
herumliegt,  so  viel,)  daß  ich  Dich  ermüden  müßte,  wenn  ich  es  der  Keine  nach  her 
schwätzen  würde,  und  deshalb  selbst  noch  nicht  weiß,  womit  anzufangen,  und  wo 
Maaß  und  Ziel  zu  setzen  sey. 

Ich  habe  grade  einen  Brief  an  meinen  Vater  geendigt,  den  ich  Dir  mit  der 
Bitte,  iha,  wenn  es  Deine  Geschäfte  Dir  erlauben,  recht  bald  zu  lesen  und  weiter 
xu  senden,  einlege.  Er  wird  Dir  vielleicht  einiges  sagen,  was  Du  wissen  mußt; 
nur  bitte  ich  Dich,  dabey  nicht  zu  vergessen,  daß  er  nicht  für  Dich,  sondern  für 
meinen  Vater  geschrieben  ward,  weshalb  in  ihm  manches  mehr  hervorgehoben 
werden  mußte,  als  es  wirklich  in  mir  (wenn  ich  mich  ganz  betrachte)  steht,  und 
dagegen  andres  nur  leise  berührt  werden  durfte,  was  sonst  obenan  gehörte.  Ich 
lege  also  in  Beziehung  auf  Dich  keinen  ||  gar  besondern  Werth  auf  diesen  Brief, 
weil  er  davon,  wovon  ich  eigentlich  mit  Dir  reden  wollte,  wenig  sagt.  Aber  dem- 
ungeachtet  wäre  mir  doch  auch  hierüber  Dein  Urtheil  sehr  wichtig.  Wie  dankbar 
würde  ich  Dir  seyn,  wenn  Du  mir  nach  Durchlesung  desselben  sogleich  eine  Stunde 
schenken  und  darin  Dein  Urtheil  mittheilen  könntest  und  möchtest.  (Du  kannst, 
wenn  es  Dich  nicht  ermüdet,  diesen  Brief  ganz  lesen,  außer  dem  Absatz,  der  unter 
der  Mitte  der  zweyten  Seite  anfängt  und  ebenda  auf  der  dritten  endigt,  welcher 
sich  blos  auf  Privatangelegenheiten  bezieht  und  Dir  deshalb  unverständlich  und  un- 
interessant seyn  müßte;    obgleich  er  sonst  auch  nichts  Geheimes  für  Dich  enthält.) 

31.  Jul.  —  Ich  hatte  gestern  den  Abend  zur  Fortsetzung  meines  Briefes  be- 
stimmt, da  aber  Steigers  kamen  und  andre  Beschäftigungen  mich  nachher  zerstreuten 


2  i  8  August   1801 


und  abhielten,  und  heute  Nachmittag  mein  Brief  abgesandt  werden  muß,  wenn  ich 
bey  meinem  Vorsatz  bleiben  will,  so  darf  ich  für  diesmal  nicht  viel  mehr  hinzu- 
fügen zu  können  hoffen,  wenn  ich  meine  Kinder  nicht  versäumen  will.  Du  magst 
also  für  heute  haben,  was  Du  aus  meinem  Briefe  an  meinen  Vater  herausnehmen 
magst;  dem  ich  in  einigen  Tagen  einen  Brief  an  Dich  folgen  lassen  zu  können  hoffe. 
Doch  bitte  ich  Dich  deshalb  Deine  Antwort  nicht  zu  verschieben,  wenn  Du  um- 
sonst eine  geben  möchtest.  ||  Ich  füge  jetzt  noch  in  aller  Eile  einige  historische 
Nachrichten  von  hier  hinzu.  Von  Steigers  und  Segelken  schreibe  ich  heute  nicht, 
weil  mich  dies  zu  weit  führen  würde.  —  Nur  das  im  Allgemeinen;  wir  sehen  uns 
ziemlich  oft;  Segelken  nimmt  zu,  und  verändert  sich,  doch  kann  er  nicht  aus  seinem 
"Wesen  heraustreten;  —  die  Kinder  zeigen  Anhänglichkeit  an  ihn,  aber  nicht  wie  an 
Herb.  Die  Kinder  scheinen  zuzunehmen,  wie  viel  kann  ich  noch  immer  nicht  genau 
sehen,  doch  hoffe  ich  Dir  auch  hierüber  vielleicht  in  kurzem  bestimmter  schreiben 
zu  können;  Karl  ist  außerordentlich  beliebt  bey  jedermann;  Rudi  scheint  mir  auch 
in  seinem  ganzen  Wesen  zu  gewinnen;  Ludwig  ist  noch  in  Genf;  Franzi  verspricht 
viel.  H.  Steiger  und  die  ganze  Familie  ist  wieder  ganz  wie  ehemals  gegen  mich. 
Sie  scheinen  aber  beynahe  empfindlich,  keine  Briefe  von  Dir  zu  haben;  H.  Steiger 
erkundigte  sich  noch  neulich  sehr  angelegen,  ob  ich  Briefe  habe  u.  s.  w. 

Zehender  liebt  und  achtet  Dich,  wie  immer.  Er  wollte  einen  Brief  einlegen, 
Du  erhältst  ihn  gewiß  mit  meinem  nächsten  Briefe.  Er  ist  mir  jedes  mal  sehr  dank- 
bar gewesen,  wenn  ich  ihm  und  den  Seinigen  aus  Deinen  Briefen  an  mich  einiges 
mitgetheilt  habe.  Deinen  Schein  über  das  zurückgesandte  Geld  (durch  Stolze)  will 
er  in  meiner  Gegenwart  zernichten.  ||  Stecks  Frau  ist,  obgleich  sie  wieder  schwanger 
ist,  mit  ihrem  ältesten  Kinde  ins  Wallisbad  gegangen.  Sie  übersetzt  einen  nach- 
gelassenen Briefwechsel  von  S.  Geßner  mit  einem  seiner  Söhne  über  Gegenstände 
der  Mahlerey,  die  auch  deutsch  herausgegeben  werden. 

Frau  Otth  erwartet  täglich  ihre  Niederkunft.  Sie  findet  sich  wie  es  scheint 
sehr  mit  den  Bernerinnen  zurecht,  und  wird  ziemlich  von  ihnen  aufgesucht.1) 

Mein  Fritz  ist  jetzt  auch  in  Genf,  und  ich  glaube  noch  immer  an  ihn,  und  möchte 
einmal  recht  ernstlich  mit  Dir  und  Böhlendorf  zu  Rath  gehen,  was  aus  ihm  zu 
machen  sey,  worüber  er  selbst  Anleitung  wünscht.  Ein  ander  mal  mehr  davon. 
Ludwig  zeichnet  sich  in  seinem  Institut  aus,  und  macht  sich  beliebt.  Ferdinand 
hat  seiner  Wildheit  und  der  Schiefheit  dieser  Menschen  wegen,  zu  einem  andern 
Privatlehrer  seine  Zuflucht  fürs  erst  nehmen  müssen. 

Mit  der  innigsten  Freundschaft  Ganz  Dein  Th.  Ziemssen. 

Ich  weiß  Deine  Adresse  nicht,  deshalb  sende  ich  Deinem  Freunde  Smidt 
Deinen  Brief  zu.     Die  meinige  bleibt  als  wenn  ich  in  Bern  wäre. 

152.    Ziemssen  an  H.2)  Rümligen,  11.  Aug.  1801.     Abends. 

Angehaucht  von  milde  kühlenden  Sommerlüften  saß  ich  mit  meiner  lieben 
kleinen  Sophie  in  einem  heimlichen  Läubchen  unter  den  Schatten  hoher  Kastanien 
in  Voßens  Homer  vertieft,  als  mein  Rudi  mit  ein  paar  Briefen  angesprungen  kam, 
worunter  ich  mit  herzlicher  Freude  einen  von  dem  weit  entfernten,  einzigen 
Freunde  erblickte,  und  zuerst  erbrach.  Theurer  Herbart,  obgleich  Du  Dich  diesmal 
doch  wirklich  in  Deiner  Vermuthung  über  die  Ursache  meines  Schweigens  ganz 
irrtest,  wie  Du  wohl  schon  aus  jenem  Blatte,  das  ich  dem  Dir  zugesandten  Briefe 
an  meinen  Vater  beylegte,  ersehen  haben  wirst;  —  so  mußte  mir  doch  dieser  neue 

*)  Die  Gattin  von  Carl  Otth  war  eine  geborne  Wiedemann,  Schwester  der  Frau 
Professorin  Hufeland  in  Jena.    [Gütige  Mitteilung  des  Hrn.  Prof.  Dr.  Steck  in  Bern.] 
2)  14  S.  8°.     H.  Wien. 


August    1801.  2  IQ 

Beweis,  den  ich  kiedurch  heute  von  Deiner  wahren  und  innigen  Freundschaft  emp- 
fange, unendlich  theuer  seyn. 

0  daß  Du  hier  wärst,  daß  ich  Dir  die  Hand  drücken  und  sagen  könnte,  wie 
ich  Dir  hiefür  dankbar  bin,  und  wie  ich  mit  meinem  ganzen  höhern  Wesen  fast 
einzig  an  Dir  hänge,  und  da  wo  die  oft  so  magere  Würklichkeit  mich  sonst  so  in 
mich  selbst  zurückgedrängt  verläßt  mit  |j  allen  meinen  liebsten  Ahndungen  |  Hof  nungen 
und  Bestrebungen  einzig  zu  Dir  mich  hinüber  versetze. 

Wenn  ich  doch  zu  den  Dir  schon  in  meinem  vorigen  Briefe  aDgegebenen 
Gründen  meines  Zögerns,  noch  einen  bey  Dir  selbst  oder  vielmehr  in  Deinen 
Briefen  aufsuchen  sollte,  so  wäre  es  wohl  eher  der,  daß  Du  in  Deinem  freundschaft- 
lichen Hindeuten  auf  eine  gewiße  Stockung  in  mir,  in  mancher  Hinsicht  nur  zu  sehr 
recht  hattest,  und  mich  deshalb  ein  wenig  schüchtern  machtest,  vor  Dir  zu  er- 
scheinen; als  daß  dieser  Freundschaftsdienst,  wozu  ich  Dich  schon  vor  langen  so 
dringend  im  voraus  aufgefordert  hatte,  den  geringsten  Unmuth  gegen  Dich  in  mir 
hätte  erzeugen  können. 

Nein,  mein  theurer  Freund,  das  ist  nur  eine  der  werthesten  Gaben  einer 
Freundschaft,  wie  mich  mit  Dir  und  sonst  Keinem  verbindet,  daß  kerne  Seite  sich 
vor  ihr  verkriechen,  oder  ihrer,  wenns  Noth  thut,  auch  züchtigenden  Hand  entziehen 
darf;  und  wer  die  liebevoll  strafende  oder  wenigstens  zu  Recht  weisende  Hand 
einer  solchen  Freundschaft  nicht  mit  dankbarer  Verehrung  ergreift  und  drückt,  ist 
ihrer  nicht  werth.  || 

Am  13.  Aug.     Abends. 

Ich  hätte  gestern  Abend  auch  wohl  an  diesem  Blatte  weiter  geschrieben,  wenn 
nicht  unser  Zehender  als  wir  hier  am  Thee  saßen  erschienen  wäre,  der  auf  einer 
Rückreise  vom  Gurnigel  bey  mir  ansprechen  wollte,  wozu  er  dringend  durch 
Frisching,  der  ihn  sehr  schätzt,  eingeladen  war.  Er  war  aber  zu  Pferde,  und  mußte 
denselben  Abend  noch  wieder  in  Bern  seyn,  sonst  hätten  wir  ihn  wohl  länger  hier 
gehabt.  Ich  ließ  mir  ein  Pferd  satteln,  (Frisching  hat  neulich  zwey  sehr  schöne 
Reitpferde  gekauft,  wovon  eins  immer  für  mich  bereit  steht,  weil  ich  sehr  gerne 
reite,)  und  begleitete  Zehender  bis  halb  nach  Bern,  wobey  ich  den  schönen  Abend 
sehr  angenehm  hinbrachte.  —  Zehender  ist  immer  derselbe;  ganz  der  edle,  biedere, 
durch  und  durch  rechtschaffene  und  im  Grunde  wirklich  herzliche  Hausvater  und 
Freund,  dessen  Sphäre  freylich  durch  seine  Lage,  worin  er  sich  als  Berner  (der  nie 
von  Hause  war)  von  Jugend  auf  befand,  und  durch  die  Fesseln  für  das  Wohl 
seiner  Familie  zu  sorgen  (die  er  sich  so  früh  anlegte)  in  mancher  Hinsicht  sehr 
beschränkt  ist;  der  aber  dafür  auch  in  seinem  eigentlichen  Kreise  mit  einer  außer- 
ordentlichen Sicherheit  und  Festigkeit  fortwandelt,  und  mit  reiner  Freude  auch  an 
allem  Höhern,  das  er  nur  irgend  zu  ahnden  vermag,  Antheil  nimmt.  — 

Solcher  Menschen  bedürfen  wir  so  zu  Freunden,  wie  Z.  es  uns  ist.  —  Er 
liebt  und  achtet  Dich  außerordentlich,  und  nimmt  den  innigsten  Antheil  an  allem, 
was  Dir  angeht.  —  Er  war  deshalb  herzlich  mit  mir  über  Dein  gutes  Verhältniss 
mit  Deiner  Mutter  erfreut,  und  theilnehmend  für  Deine  Herstellung  besorgt.  —  | 
Aus  jenem  durch  Deine  Hände  gegangenen  Briefe  an  meinen  Vater  wirst  Du 
wenigstens  im  Allgemeinen  schon  gesehen  haben,  daß  ich  so  weit  entfernt  bin,  unsre 
alten  Ideen  und  Pläne  wieder  fahren  zu  lassen  und  aufzugeben,  daß  ich  vielmehr 
jetzt  eben  dahin  arbeite,  mein  Hauptaugenmerk  fast  einzig  auf  die  Verfolgung,  Ver- 
vollkommnung und  Ausführung  derselben  richten  zu  können.  — 

Du  hast  mir  schon  vorigen  Herbst  über  unsre  Idee  eines  pädagogischen  Unter- 
nehmens manche  trefliche  und  größten theils  so  ganz  mit  meinem  eignen  Gesichts- 
punkte übereinstimmende  Gedanken  mitgetheilt,  daß  ich  mir  vor  mir  selbst  darüber 


2  20  August    1801. 

schäme,  Dicht  nur  nicht  weiter  eingetreten  zu  seyn,  sondern  das  Ganze  bis  jetzt 
durchaus  mit  Stillschweigen  in  mir  aufgenommen  zu  haben,  ohne  einmal  meinem 
theuren  Freunde  dafür  zu  danken.  Noch  mehr  aber  muß  es  Dir  aufgefallen  seyn, 
in  jenem  genannten  Briefe  manches  Deinen  Äußerungen  beynahe  ganz  entgegen- 
stehende gefunden  zu  haben,  ohne  daß  ich  Dir  die  Gründe  davon  mitgetheilt  hätte. 
Weshalb  ich  eile  dieses  vor  allem  aus  nachzuhohlen,  weil  mir  unendlich  viel  daran 
gelegen  ist,  keinen  irgend  bedeutenden  Schritt  hierin  vorwärts  zu  thun  ohne  Deine 
Gründe  dafür  oder  dawieder  mit  erwogen  zu  haben,  so  weit  Du  mir  dieselben  irgend 
mittheilen  magst.  Aber,  lieber  Herbart,  ich  sehe  es  vor,  wie  mancherley  ich  von 
hier  und  daher  zusammenschleppen  muß,  um  Dir  das  zu  sagen,  was  ich  Dir  durch 
meinen  ganzen  Brief  sagen  möchte;  und  wie  sehr  ich  dadurch  (da  ich  noch  dazu 
nicht  viel  Sorgfalt  auf  das  Zusammenhohlen  und  Verbinden  verwenden  ||  kann, 
wenn  ich  mich  nicht  aussetzen  will,  wieder  ins  Zögern  zu  gerathen)  —  Gefahr 
laufe,  Dich  durch  meine  Weitläufigkeit  zu  ermüden,  wenn  ich  auch  nicht  fürchte, 
daß  Du  nach  dem  Einzelnen  urtheilen  und  darüber  den  Gesichtspunkt  des  Ganzen 
verlieren  wirst.  Aber  da  ich  es  nun  einmal  so  weit  habe  kommen  lassen,  Dir  bis 
auf  den  Punkt  unbekannt  zu  werden;  so  muß  ich  es  selbst  unter  dieser  Gefahr 
wagen,  mich  Dir  wieder  zu  nähern:  Und  das  thue  ich  desto  leichter,  da  ich  Deine 
liebevolle  Nachsicht  in  dieser  Hinsicht  kenne.  Dies  ganze  Unternehmen  würde  auch 
für  mich  seinen  schönsten  Reitz  verlieren,  wenn  ich  dabei  nicht  etwas  weiter  als 
auf  die  nächste  (immer  doch  im  voraus  nur  zweifelhafte)  Würkung  rechnen  und 
nicht  auf  die  Begründung  etwas  allgemeiner  gültigen  und  bleibenderen  damit 
wenigstens  hinarbeiten  wollte.  Dies  bleibt  auch  mir,  so  wie  Dir  immer  letztes 
Ziel,  obgleich  es  mir  auch  nicht  weniger  Ernst  mit  dem  "Wege  dazu  selbst  ist. 

Ich  stimme  demnach  vollkommen  mit  Dir  überein,  wenn  Du  sagst:  „was  ich 
glaube,  für  Erziehung  thun  zu  können,  möchte  ich  nicht  nur  für  mein  Institut 
thun.a  Aber  wenn  Du  dann  hinzufügst:  „den  mislichen  Versuch  zu  dem  Institut, 
das  ich  mir  freylich  als  den  Gipfel  denke,  —  und  zu  einem  solchen,  wie  ich  es 
verlange,  hinzugelangen,  —  diesen  Versuch  möchte  ich  nicht  auf  einem  einzigen 
"SVege,  sondern  auf  möglichst  vielen  wagen ;"  —  so  muß  ich  darüber  doch  folgendes 
anmerken.  —  Du  wirst  gewiß  eben  so  wenig,  als  ich  glauben  können,  daß  sich  die 
Grundsätze  und  Regeln  für  die  Erziehung  blos  erphilosophiren  lassen,  ohne  den  | 
Stoff  worauf  sie  gehen  sollen,  mehr  oder  weniger  unter  Augen  zu  haben,  um  mit 
ihm  die  nöthigen  Experimente  zur  Bestätigung,  Berichtigung  und  genauem  Be- 
stimmung anstellen  zu  können;  ja  um  in  diesen  Experimenten  selbst  erst  auf  manches 
hingeleitet  zu  werden.  Pestalozzi  sagt:  ich  habe  mein  ganzes  Leben  über  Erziehung 
nachgedacht,  und  doch  habe  ich  nicht  den  zehnten  Theil  von  dem  geahndet,  was 
jetzt,  indem  ich  die  Kinder  vor  mir  habe,  unter  meinen  Händen  entsteht.  —  Dieses 
unmittelbar  oder  mittelbar  durch  Privaterziehung  herauszubringen,  oder  daran  zu 
prüfen  und  zu  bestimmen,  würde  theils  zu  weitläufig  seyn,  denn  in  wie  manchen 
Häusern  und  unter  wie  manchen  Umständen  müßten  wir  dazu  experimentiren 
können?  Theils  würde  es  aber  doch  auch  zu  wenig  bestimmtes  ausgeben,  oder 
wenigstens  dürfen  wir  nicht  mit  Sicherheit  darauf  rechnen;  weil  dabey  eine  Menge 
von  Umständen  und  Verhältnißen  miteinwürkeu,  die  ganz  zu  entfernen,  nie  in 
unserm  Vermögen  stehen  kann. 

Aber  laß  uns  einmal  den  Mittelpunkt  dieser  ganzen  Idee  etwas  genauer  ins 
Auge  fassen,  so  wird  sich  dadurch  schon  vieles  von  selbst  erhellen.  Nur  erlaube 
mir,  hiebey  für  einige  Augenblicke  alle  unsre  andern  Pläne  und  Ideen  aus  dem 
Gesichte  zu  lassen,  die  uns  hie  oder  dort  anders  bestimmen  und  die  Art  der  Aus- 
führung anders  modificiren  könnten;   und  die  deshalb   nachher  freylich  auch  mit  in 


August   1 80 1 .  2  2  1 

Erwägung  gezogen  werden  müßten.  ||  Hier  eben  in  dem  Mittelpunkte  des  ganzen 
Entwurfs  scheinen  wir  so  sehr  von  einander  abzuweichen,  daß  wir  ganz  Entgegen- 
gesetztes im  Auge  haben. 

Du  scheinst  Dir  das  projektirte  Institut  mehr  als  ein  auf  einmal  im  vollen 
Glänze  auftretendes,  und  dann  in  seiner  größten  möglichen  Vollkommenheit  und 
Vollendung  (gleichsam  als  ein  unsern  Ideen,  den  Resultaten  unsrer  Nachforschungen 
gegebener  Körper)  dastehendes  Ganze,  das  seine  "Würkungen  seinem  Zwecke  gemäß 
nach  aller  Regel  um  sich  her  verbreitet. 

Meine  Idee  hingegen  wäre,  zuerst  mit  einer  nicht  gar  großen  Anzahl  von 
Knaben  (über  deren  Alter  wir  noch  erst  Verabredungen  treffen  müßten),  und  mit 
nicht  mehr  Geräusch,  als  hiezu  eben  nöthig  wäre,  anzufangen.  Hieran  zu  erst  die 
Ausführung  unsrer  Ideen  gleichsam  zu  versuchen,  und  sie  selbst  genauer  zu  be- 
stimmen; dabey  aber  eben  so  ununterbrochen,  als  an  die  Vollenduug  dieses  Kreises, 
an  die  Erweiterung  desselben  zu  arbeiten.  Immer  mehr  Zöglinge  aufzunehmen, 
Abtheilungen  zu  machen,  Lehrer  anzustellen,  und  dabey  unserm  Zweck  gemäß  zu 
bilden;  (da  wir  wohl  lieber  junge  Pädagogen  hinzu  ziehen,  als  uns  mit  andern,  die 
schon  eigne  (gemeiniglich  eigennützige)  Pläne  mitbringen,  einlassen  würden.)  Uns 
selbst  dadurch  nach  und  nach  freyer  zu  machen  für  Bearbeitung  und  1)  Darstellung 
der  Theorie  sowohl,  als  der  anderweitigen  Anwendung  derselben  (für  Privatunterricht) ; 
und  für  Ausarbeitung  und  Herbeyschaffung  der  Hülfsmittei,  die  hauptsächlich  auch 
außerhalb  unserm  Institute  benutzt  werden  könnten,  und  wozu  wir  mancherley 
Verbindungen  aufsuchen  und  eingehen  müßten.  —  Während  dessen  könnten  uns 
noch  immer  einige  Zeit  für  andre  (philosophische)  Studien  und  Arbeiten  bleiben  — 
(man  behielte  Stunden  oder  Tage  frey,  zöge  sich  bisweilen  einen  Monat  in  die 
Einsamkeit  zurück  usw.);  je  mehr  wir  mit  der  Zeit  beym  Gelingen  die  eigentliche 
tägliche  Arbeit  in  die  Händen  der  von  uns  gebildeten  Gehülfen  niederlegen  könnten, 
desto  mehr  Zeit  erhielten  wir  auch  für  solche  Lieblingsarbeiten;  und  zuletzt  bedürfte 
es,  wenn  wir  uns  noch  zu  irgend  einem  andern  Werk  berufen  fühlten,  vielleicht 
nur  noch  unsrer  allgemeinen  Aufsicht,  oder  wir  fänden  so  gar  unter  der  Arbeit 
Freunde,  die  sich  an  uns  anschlößen  und  das  Werk  aus  unsern  Händen  in  die 
ihrigen  aufnähmen  wenn  wir  es  nicht  mehr  gemeinschaftlich  mit  ihnen  tragen 
wollten. 

Halt!  —  0  mein  theurer  Herbart,  ich  finde  hier  kein  Ende  in  den  seligen 
Aussichten,  denen  hiebey  meine  Phanthasie  den  Schleyer  aufhebt!  Aber  weil  die 
Phanthasie  es  ist,  und  weil  es  nur  Aussichten  sind,  die  wie  Schaum  zerschmelzen, 
wenn  die  ersten  Schritte  nicht  fest  und  sicher  gethan  werden,  so  halte  ich  mich 
mit  Gewalt  an,  um  mich  nicht  für  diese  ersten,  wichtigsten  Schritte  abzustumpfen 
und  unnützer  Weise  zu  ermatten.  || 

Zu  erst  dürften  wir  uns  selbst  nicht  einmal  an  einen  Ort  binden;  doch 
müßten  wir  vielleicht  in  oder  bey  einer  Stadt  anfangen,  weil  wir  zu  erst  mehr 
fremder  Hülfe  bedürfen,  was  bey  der  Erweiterung  wegfallen  würde,  wo  wir  dann 
wohl  schwerlich  den  Stadttaumel  den  Reitzen  und  Vortheilen  des  Landlebens  vor- 
ziehen würden;  da  ohne  hin  unser  Institut  doch  in  gewißer  Hinsicht  immer  eine 
fremde  Welt  bleiben  müßte.  —  Vielleicht  suchten  wir  zu  allererst  unser  Unter- 
nehmen an  irgend  eine  Familie  eines  unsrer  besten  Freunde  anzuschließen,  ohne 
daß  derselbe  eben  an  der  Hauptsache  Theil  nehmen  dürfte.  (Ich  werfe  dies  nicht 
blos  so  hin,  sondern  habe  schon  mehr  daran  gedacht,  und  wüßte  es  vielleicht  wahr 
zu  machen.)  Wir  wären  dann  mancher  Schwierigkeiten  und  Unannehmlichkeiten 
überhoben. 

Hienach  würde  dieses  Unternehmen  dabey,  womit  Du  es  anzufangen  gedenkst, 
nach  meinem  Plane   gleichsam   für  uns  endigen.     Und  ich  wäre   dann  eher  geneigt 


2  22  August    1801. 

ein  ausgebreiteres  Würken  für  PWmterziehung  darauf  folgen,  als  vorangehen  zu 
lassen.  Denn  dazu  gebraucht  es  wohl  noch  mehr  Achtung,  Zutrauen,  Hülfsmittel 
(die  von  unserm  Institute  aus  besorgt  worden  wären),  und  Beyspiel  gelungener  Ver- 
suche, als  zur  Errichtung  eines  Instituts;  und  dann  glaubte  ich  den  rechten  Zeit- 
punkt zum  Aussäen  der  bewährten  Ideen  unsrer  Methode.  Denn  man  wird  eher 
den  Versuch  uns  Kinder  anzuvertrauen,  als  selbstthätig  Versuch  nach  unsern  Ideen 
anstellen.  || 

Was  Du  übrigens  davon  sagst,  was  wir  für  die  ersten  und  für  die  letzten 
Jahre  der  Erziehung  thun  könnten,  stimmt  vollkommen  mit  meinen  eignen  Ideen 
überein.  Ich  möchte  weder  die  Kinder  aus  dem  Schooße  der  Familie  reißen,  ehe 
er  ihnen  zu  enge  ist,  noch  dem  Jünglinge  den  letzten,  wohlthätigen,  freyen  Übungs- 
platz mit  einer  einengenden  Mauer  umgeben.  —  Überhaupt  glaube  ich  müßte  nach 
meinem  Plan  der  Anfang  etwas  mehr  gegen  die  Mitte  (etwa  ums  lOte  Jahr  herum) 
zu  gemacht  werden;  erst  wenn  wir  hier  einige  feste  Punkte  hätten,  dürften  wir 
auch  die  beyden  damit  zu  verbinden  denken  ;  wozu  Pestalozzis  Ideen  uns  von  der 
größten  "Wichtigkeit  seyn  würden;  die  überhpt.  dann  noch  von  uns  eine  philo- 
sophische Prüfung  und  Bestimmung  erwarteten. 

Meine  weitern  Gedanken  über  das  Speciellere  und  über  die  Art  der  Ausführung 
behalte  ich  mir  vor,  Dir  mittheilen  zu  dürfen,  so  bald  wir  über  jene  Hauptpunkte 
im  Plane  einig  sind.  —  Aber  jetzt  nur  noch  einen  Rückblick  auf  das  Ganze  mit 
Hinsicht  auf  die  übrigen  Plane  für  unser  Leben,  die  damit  in  Verbindung  gebracht 
werden  müßen. 

Wenn  wir  uns  auch  entschließen  wollten,  dieses  als  den  Hauptpunkt  unsrer 
praktischen  Thätigkeit  zu  betrachten,  so  verbinden  wir  damit  doch  noch  immer 
andre  Plane;  ja  Du  hast  Dir  sogar  schon  einen  bestimmten  Weg  im  spekulativen  || 
Felde  vorgezeichnet,  worauf  Du  auch  mit  Deinem  Leben  fortzurücken  wünschst 
und  hoffst;  und  deshalb  sagst  Du,  mögest  Du  noch  ein  Decennium  ein  akademisches 
Lehramt  bekleiden.  Ich  sehe  Deine  Gründe  ein,  ebenso  wie  ich  einsehe,  daß  hier- 
über nicht  nur  niemand  für  Dich  entscheiden  darf,  sondern  daß  Du  hierüber  ge- 
wißer  Maßen  nicht  einmal  einen  vernünftigen  Rath  von  einem  andern  erwarten 
darfst;  da  nur  Du  es  aus  Dir  selbst  ahnden  kannst,  wie  Du  hierin  am  ehesten  zum 
Ziele  gelangen  wirst,  das  nicht  blos  erklettert  werden  will,  sondern  wozu  es  auch 
oft  eines  kühnen  Schwunges  bedarf.  —  Nur  in  Beziehung  auf  jenes  Unternehmen 
muß  ich  Dir  hiebey  einige  Bedenklichkeiten  mittheilen,  die  Du  selbst  würdigen 
magst. 

Wenn  Du  Dich  noch  10  Jahre  fast  ausschließlich  mit  philosophischen  Specu- 
lationen  beschäftigst  und  sogar  als  akademischer  Lehrer  und  Schriftsteller  darin  auf- 
tritst,  so  fürchte  ich,  daß  Du  hiebey  nicht  nur  die  Lust,  sondern  selbst  auch  den 
Sinn  für  jenes  Unternehmen  verlieren  mußt,  so  sehr  es  Dir  mit  der  Achtung  für 
den  Werth  derselben  auch  noch  immer  Ernst  bleiben  wird.  Ein  Unternehmen,  das 
selbstständig  nach  neuen  eignen  Ideen  ausgeführt  werden  soll,  dabey  einen  so  deli- 
katen und  wichtigen  Gegenstand  betrift,  wobey  man  nicht  eigennützige  Absichten 
zu  befriedigen,  sondern  höhere  Zwecke  zu  realisiren  sucht,  und  das  deshalb  mit  so 
vielen  und  mannigfaltigen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  haben  wird,  —  fordert  gewiß 
die  ganze  Leichtigkeit  und  Gewandheit,  und  den  ganzen  über  Dornen  fortschwebenden 
Enthusiasmus  der  Jugendjahre.  Ich  halte  dies  schon  ich  möchte  beynahe  sagen  | 
für  in  physischer  Hinsicht  wahr;  und  Du  wirst  mich  verstehen,  wenn  Du  Dich 
selbst  nur  um  zehn  Jahre  älter  denkst.     Oder  glaubst  Du  anders?  — 

Der  Übergang  vom  akademischen  Lehrer  zum  Schulmeister  kömmt  mir  demnach 
immer  etwas  mißlich  vor,  —  es  ist  beynahe  der  Schritt,   den  der  emporgehobene 


August   1801.  22\ 

Bettler  nicht  vom  Throne  zurück  thun  könnte,  obgleich  er  sich  in  das  Glück  seines 
Bettlerlebens  zurückwünschte;  —  der  umgekehrte  vom  Schultisch  (in  unserm  Sinn) 
zum  Katheder  deucht  mir  viel  natürlicher. 

Doch  ist  auch  dies  wieder  nicht  der  eigentliche  Fragepunkt,  denn  wenn  Du 
jene  Spekulationen  nur  auf  diesem  Wege  zu  beendigen  zu  können  hoffst,  und  dieses 
immer  noch  als  die  Hauptsache  ansiehst,  mit  der  Du  jenes  Unternehmen,  wo  mög- 
lich verbinden  willst,  so  fallen  alle  meine  Gründe  weg;  und  es  bleibt  nur  die 
Frage  übrig:  ob  ich  mit  Dir  diesen  Weg  einschlagen  möchte;  oder  ob  ich  allein 
einen  andern  Weg  wagen,  und  dazu  wenigsten  Deinen  Rath  erbitten,  und  in  der 
Folge  einmal  Dein  Eingreifen  erwarten  will,  wenn  ich  würklich  glaube,  meine 
Zwecke  auf  dieser  Art  am  besten  mit  einander  verbinden  und  ihnen  gemeinschaft- 
lich auf  diesem  Weg  nachstreben  zu  können;  —  und  dies  würde  alsdann  den 
Gegenstand  unsrer  nächsten  Berathung  ausmachen  müßen.  Doch  will  ich  hiefür 
erste  Deine  Antwort  auf  das  Berührte  erwarten.    — 

Das  wären  einige  Worte  zur  Erwiederung  auf  einen  jährigen  Brief  von  Dir. 
Jetzt  wollte  ich  auch  noch  an  die  Beantwortung  der  nachfolgenden  gehen,  und  Dir 
noch  über  tausend  andre  Dinge  reden ;  aber  um  den  einligenden  Brief  von  Zehender  1 1 
nicht  aufzuhalten,  und  desto  eher  einige  Äußerungen  von  Dir  über  diesen  uns  so 
wichtigen  Gegenstand  sowohl,  als  über  Zehenders  Anerbiethen  zu  hören;  muß  ich 
Dir  noch  einmal  ein  unbeendigtes  Fragment  statt  eines  Briefes  zuschicken. 

Was  Zehenders  Antrag  selbst  betriff,  so  habe  ich  darüber  weiter  gar  keine 
Notiz,  als  eben  durch  seinen  Brief  an  Dich,  den  Frau  Z.  mir  in  Abwesenheit  Ihres 
Mannes  mit  der  Bitte,  ihn  zu  lesen,  und  was  mir  dünkt  hinzuzufügen,  —  über- 
sendet. Gewiß  kann  wohl  schwerlich  bey  einem  Menschen  ein  solcher  Antrag  mehr 
aus  herzlichem  Wohlwollen  fließen  als  von  Z.  gegen  Dich;  und  wenn  Du  irgend 
Lust  hast  ihn  sonst  anzunehmen,  so  könnte  ich  Dir  hierüber,  nach  dem  wie  ich  Z. 
seit  der  Zeit  haben  kennen  gelernt,  die  vollste  Garantie  leisten.  —  Wie  sehr 
meine  Wünsche  dadurch  befriedigt  seyn  würden,  Dich  wieder  bey  mir  zu  haben, 
durch  Deinen  Umgang  begeistert  und  veredelt  zu  werden,  und  mit  Dir  gemein- 
schaftlich dem  Ziele  meines  Lebens  entgegenstreben  zu  können;  wenn  Du  nicht 
wüßtest,  daß  dies  allen  Worten  übersteigt,  so  müßtest  Du  mich,  meine  Achtung 
für  Dich,  und  meine  Liebe  zu  Dir  nie  gekannt  haben.  —  Willst  Du  deshalb  irgend 
genauere  Nachweisungen  in  dieser  Hinsicht  von  hier  aus,  so  deute  mir  nur  die 
Richtung  an,  und  sey  versichert,  daß  ich  es  zu  meiner  angenehmsten  Beschäftigung 
machen  werde,  Dir  dieselben  nach  besten  Kräften  zu  geben.  — 

0  mein  einziger,  theurer  Herbart  mir  schwindelt  beynahe  bey  der  Wonne  des 
Gedankens  an  die  Möglichkeit,  wieder  an  Deiner  Seite,  —  des  edelsten,  reinsten  und 
erhabensten  Menschen,  der  sich  mir  bis  jetzt  auf  meiner  Erdenwanderung  zeigte, 
—  dem  Höhern  und  Bessern  nachstreben  zu  können. 

Sage  mir  hierüber  recht  bald  Deine  Gedanken,  und  halte  Dich  stets  meiner 
innigsten  Freundschaft  versichert,  womit  ich  unveränderlich  der  Deine  bin. 

Theodor  Z. 

Nächstens  mehr  von  mir,  von  Segelken  und  Steigers,  die  alle  um  Dein  Wohl. 
seyn  herzlich  besorgt  sind.  Sonnenschein  will  nachfragen.  Ich  schreibe  Smid 
„Prof.u  —  weil  ich  nicht  weiß,  ob  man  den  Rathsherren  Titel  dort  gebraucht  und 
hoffe,  daß  ihn  unter  diesem  noch  jedermann  kennen  wird. 


224  August   1801. 

153.    Zehender  an  H.1)  18.  Aug.  1801. 

Wie  soll  ich  Dich  nach  einem  19  monatlichen  Stillschweigen  wieder  anreden, 
mein  theurer,  mir  uuvergesslicher  Herbart?  Soll  ich  Dir  Entschuldigung  darbringen 
über  ein  nicht  zu  entschuldigendes  Verhalten?  —  nein  —  es  wäre  unfreundschaft- 
licher als  das  Schweigen  selbst.  Kein  "Wort  steht  hier  besser  —  keines  fließt  so 
sehr  aus  meinem  Herzen,  als  das  des  Dankes,  des  innigsten  Dankes  für  die  Beweise 
Deiner  steten  Erinnerung  an  mich,  für  Deine  mittelbaren  und  unmittelbaren  Zu- 
schriften an  Deinen  stummen  Freund.  Ohne  diese  wäre  er  wahrscheinlich  stumm 
geblieben,  so  theur  ihm  auch  das  Andenken  an  Dich  war  und  so  wehe  es  ihm  that, 
allen  directen  Umgang  mit  Dir  abzubrechen.  Denn  das  fühlst  Du  vielleicht,  daß 
fortdauerndes  Schweigen  leichter  gewesen  wäre  als  das  Aussprechen  des  ersten 
Wortes  nach  einem  so  fürchterlich  langen  Stummseyn.  Wozu  hat  mich  falsche 
Schaam  schon  verleitet?  Nur  die  Rührung  konnte  sie  überwinden,  welche  jede  Nach- 
frage, jedes  Wort  von  Dir,  in  steigendem  Grad  bei  mir  erweckte.  Unwerth  Deiner 
Güte,  Deiner  Freundschaft,  wäre  ich  gewesen,  wenn  ich  diesen  Äußerungen  der- 
selben länger  hätte  wiederstehen  können.  Mit  meinem  herzlichsten  ||  Dank  dafür, 
und  mit  der  Versicherung,  daß  es  mich  innig  schmerzte,  Dir  so  manchen  Gedanken, 
manche  Empfindung  nicht  mitzutheilen,  wie  ich  es  gethan  hätte,  wenn  Du  hier  ge- 
wesen wärest,  —  empfange  jetzt,  mein  theurer  Herbart,  zum  erstenmale  unmittel- 
bare Nachrichten  von  mir  und  den  meinigen,  und  mit  denselben  das  heilige  Ver- 
sprechen, daß  ich  von  nun  an  solche  ohne  lange  Unterbrechung  immer  fortsetzen 
werde. 

Mehreremale  erhielt  ich  Verweise  von  meiner  Frau,  daß  ich  Dir  nicht  schriebe, 
und  oft  wünschten  wir  Dich  in  unseren  häuslichen  Kreis  zurück,  der,  dank  sey  es 
der  Vorsehung,  nicht  nur  keine  traurige  Lücke  erlitten  hat,  sondern  noch  durch 
unsern  kleinen  Bernhard  einen  interessanten  Zuwachs  erhalten  hat.  Ich  sage  interessant, 
denn  der  Knabe  neben  dem,  daß  er  so  viel  Verstandes  Anlagen  als  A[lbertine]  zeigt, 
verspricht  hingegen  unterhaltender,  aufgeweckter  und  theilnehmender  zu  werden  als 
sie.  Er  ist  ein  gutmüthiger,  fröhlicher,  großer  und  starker  Junge,  mit  einer  ange- 
nehmen Gesichtsbildung,  in  deßen  Bewegungen  schon  viel  Sinn  liegt,  der  gerade 
jetzt  allein  gehen  lernt,  ||  und  bey  Mutter,  Großmutter  und  Tanten  ihr  Augapfel  ist, 
und  von  ihnen  auch  verhätschelt  würde,  wenn  er  nicht  %u  gut  dazu  wäre.  Bis 
dahin  gebe  ich  mich  noch  sehr  wenig  mit  ihm  ab,  allein  für  die  Zukunft  verspreche 
ich  mir  viel  von  dem  Knaben;  in  dem  Unterricht  wird  er  mit  dem  älteren  ohn- 
gefehr  gleichen  Schritt  gehen  können.  Dieser  faßt  langsam,  hat  keinen  Scharfsinn, 
und  ist  so  viel  als  gantz  ohne  Imagination  und  Witz;  —  dabey  ist  er  sehr  emp- 
findlich und  jähzornig  und  --  doch  hängt  mein  gantzes  Herz  an  dem  Knaben,  weit 
mehr  als  an  den  beyden  andern.  Er  ist  so  außerordentlich  gut,  gerade  und  bieder, 
daß  wer  ihn  genau  kennt,  bald  mit  seinen  Fehlern  ausgesöhnt  ist.  Meine  besondere 
Anhänglichkeit  an  ihn,  schreibe  ich  dann  noch  dem  Umstand  zu,  daß  er  in  Tempe- 
rament und  Gemüthsfehlern  und  Eigenschaften  viel  Ähnliches  mit  mir  hat  und  ich 
mich  in  Ihm  gleichsam  wiederfinde.  Drückend  wird  es  mir  jetzt,  daß  der  Junge 
noch  gar  keinen  Unterricht  genießt;  Eingedenk  Deiner  und  anderer  meiner  Freunden 
Grundsätze  und  Unterredungen  darüber,  wollte  ich  ihn,  um  sein  Hertz  und  Charakter 
rein  zu  erhalten  in  keine  der  gewöhnlichen  zahlreichen  und  gemischten  Schulen 
schicken  und  harrte  immer  auf  eine  Gelegenheit,  wo  sich  mit  einigen  anderen  ge- 
bildeten Knaben  eine  eigene  kleine  Schule  bilden  ||  ließe;  inzwischen  hatte  zu  Hause 
niemand  Zeit  und  Geschick  sich  mit  R[udolf]  abzugeben,  und  so  ist  nicht  nur  an  der 
Entwicklung  seines  Verstandes  nicht  gearbeitet  worden,  sondern  er  kennt  nicht  ein- 

l)  8  S.  8  °.    H.  Wien. 


August   1801.  2  2^ 

mal  das  gantze  Alphabet  obschon  er  4V2  Jahr  alt  ist.  Jetzt  böte  sich  freylich  die 
Gelegenheit  dar,  aus  Pestalozzis  Schule  einen  jungen  angehenden  Schulmeister  her- 
kommen zu  lassen;  allein  dabey  trift  wieder  die  Schwierigkeit  ein,  daß  man  hier 
gegen  diese  Methode,  wenigstens  für  die  praktische  Benutzung,  noch  eingenommen 
ist,  und  sich  bloß  für  ein  paar  Kinder  zu  einem  solchen  Werk  aßocieren  könnte, 
was  denn  für  ein  solches  Alter  ziemlich  kostbar  seyn  würde.  Bey  diesem  Verhalt 
weis  ich  wirklich  nicht,  was  ich  mit  R.  künftigen  Winter  vornehmen  werde.  Ich 
denke  jetzt  schon  daran,  den  Jungen  bald,  versteht  sich  doch  erst  in  einigen  Jahren, 
einen  Hauslehrer  zu  halten  und  verlaße  mich,  was  dessen  Wahl  betrift,  schon  im 
voraus  gantz  auf  Dich.  Doch  davon  ein  andermal  mehr,  da  mir  die  Sache  sehr 
wichtig  und  es  mir  damit  völlig  Ernst  ist.  Indessen  giebst  Du  mir  einen  guten 
Rath,  was  mittlerweile  mit  dem  Knaben  anzufangen  seye.  Möchte  diß,  mein 
Theurer,  künftigen  Winter  mündlich  geschehen  können,  indem  Du  Dich  entschlößest, 
wieder  zu  uns  j|  in  die  Schweitz  zurückzukehren.  Wie  ich  von  Ziemsen  höre,  bist 
Du  körperlich  krank  und  leidest  auch  am  Gemüth;  ich  schließe  daraus.  Du  seyest 
mit  Deiner  jetzigen  Lage  nicht  gantz  zufrieden.  Auch  hier  zwar  würdest  Du  kaum 
eine  Dich  gantz  befriedigende  Thätigkeit  finden;  allein  die  Natur  und  das  Küma, 
Deine  Anhänglichkeit  an  unser  Vaterland,  würde  wahrscheinlich  Lücken  ausfüllen, 
die  in  Bremen  und  vielleicht  an  manchem  andern  Orte  Deutschlands,  unausgefüllt 
blieben.  Deine  Verhältnisse  gegen  Deine  Mutter  fesseln  Dich  auch  nicht  mehr;  Du 
kannst  wohl  in  dieser  Rücksicht  Deinen  Aufenthalt  frey  wählen.  Behalten  wir 
Frieden,  so  wird  gewiß  iu  kurzem  für  öffentlichen  Unterricht  vom  Staat  oder  Privat- 
Gesellschaften  allmählig  mehr  gethan  werden  können.  Ein  pädagog.  Unternehmen 
sollte  auch  hier,  nicht  bloß  in  Deutschland,  ausgeführt  werden  können.  Dergleichen 
Anstalten  haben  immer  bey  uns  Beyfall  erhalten  und  sind  bloß  durch  ihre  Mängel 
gesunken;  —  und  warum  sollten  die  Schriftsteller- Arbeiten  mit  denen  Du  Dich  all- 
mählig mehr  beschäftigen  wirst,  nicht  auch  in  der  Schweitz  gedeihen.  Fändest  Du 
denn  nach  einigen  Jahren  keine  Dir  angemeßne  höhere  Anstellung,  so  würden  Dich 
Deine  Schriften  von  hier  aus  so  gut  als  aus  Deutschland  |j  zu  einer  Universitäts- 
Stelle  führen.  Doch  —  ich  sollte  mir  nicht  solche  Raisonements  erlauben,  die  bei 
meiner  Unkenntniß  Deiner  eigentl.  Lage  und  Pläne,  anmaßend  scheinen  möchten. 
Sie  fließen  aber  aus  meinem  Hertzen  und  so  wird  Deine  Freundschaft  mir  solche 
zu  gut  halten.  Wer  weis  ob  sie  Dir  nicht  Anlaß  zu  Überlegungen  und  Prüfungen, 
die  Dich  vielleicht  auf  das  von  mir  gewünschte  Resultat  führen.  Solchenfalls  höre 
meinen  Vorschlag;  oder  vielmehr  meine  bestimmte  Aufforderung  an  Dich.  Du 
körnst  anfangs  —  im  Laufe  des  Winters  oder  sobald  es  Dir  gelegen  ist,  nach  Bern; 
—  nimmst  gleich  als  Hausfreund  bey  mir  den  Tisch;  —  bis  1.  Februar  beziehst 
Du  ein  Zimmer  so  nahe  als  möglich,  —  von  diesem  Zeitpunkt  an,  erhältst  Du  eines 
jn  meinem  Hause;  —  Du  arbeitest  und  lebst  gantz  frey;  —  hast  Du  zuweilen  Lust 
und  Muße,  Dich  mit  meinen  Kindern  abzugeben,  so  seye  es  immer  gantz  ungebunden. 
So  bleibst  Du  bey  mir  so  lange  es  Dir  gefällt  und  Du  nichts  bessers  vorziehest. 
Findest  Du  ||  eine  angemeßne  Anstellung  außer  dem  Hause,  so  laße  ich  Dich  jeden 
Augenblick  ausziehen.  Findst  Du  eine  Sphäre  für  Deine  Thätigkeit  sey  es  mit 
Schriftsteller  Beschäftigung  oder  sonst,  wobey  Du  bey  mir  bleiben  kannst,  so  ist 
allen  meinen  Wünschen  entsprochen,  einmal  für  so  lange,  als  ich  nicht  eines  Haus- 
lehrers bedarf,  den  ich  vor  3  Jahren  nie  anzustellen  gedachte.  Hast  Du  den  Ge. 
danken  jemals  wieder  in  die  Schweitz  zurückzukehren,  nicht  gantz  aufgegeben,  so 
schmeichle  ich  mir,  daß  der  Gedanke,  ohne  weitere  Nachfrage  und  Umstände  so- 
gleich in  ein  bekanntes  Haus  einziehen  zu  können,  von  deßen  Gesinnungen  gegen 
Dich  Du  vollkommen  überzeugt   bist  —  auch  etwas   dazu  beytragen  werde,   diesen 

Herbarts  Werke.     XVI.  15 


2  2  6  August    1801. 

Vorschlag  eher  und  besser  zu  realisiren.  Mir  würdest  Du  durch  Annahme  dieses 
Anerbietens  eine  unzuberechnende  "Wohlthat  erweisen  und  meine  Frau  würde  die 
Freude,  Deinen  täglichen  Umgang  zu  genießen,  gantz  mit  mir  theilen,  so  wie  sie 
über  meine  Aufforderung  an  Dich,  gantz  mit  mir  einverstanden  ist.  Mit  Ungeduld 
harre  ich,  mein  theurer  Herbart  ||  auf  Deine  Antwort,  ob  schon  es  eigentlich  gar 
nicht  nöthig  ist,  daß  sie  gleich  entscheidend  seyn  müßte.  Ich  sehe  nicht  vor,  daß 
sobald  in  meiner  Lage  eine  Veränderung  vorgehen  könne,  wo  mir  in  einem  Jahr 
Deine  Ankunft  nicht  eben  so  angenehm  als  jetzt  seyn  würde. 

Die  baldige  Absendung  v.  Ziemßens  Brief  und  eine  Entfernung  von  einig. 
Tagen  aus  der  Stadt  zwingt  mich  über  so  manchen  Gegenstand  worüber  ich  noch 
mit  Dir  zu  sprechen  hätte,  für  dißmal  zu  schweigen.  Nimm  unsern  hertzlichen  Gruß 
an;  richte  ihn  an  Böhlendorf  aus  und  empfiehl  mich  in  das  Andenken  v.  Smidt. 
Jezt  nur  noch  das  — ;  Du  weißt  daß  die  Worte  meinen  Gedanken  und  Gefühlen 
schlecht  zu  Geboten  stehen;  Du  mißest  also,  oder  beurtheilst  diese  nicht  nach  jenen 
—  und  somit  weist  Du  genug  um  gantz  zu  verstehen  Ewig  Deinen 

Bern,  den  18.  Aug.  1801.  Zehender. 

154.    Ziemssen  an  H.1)  Rümligen,  Aug.  1801. 

Theurer  Herbart.  Mit  unbeschreiblichem  Zauber  bekleiden  die  ersten  Tage  des 
alles  füllenden  Herbstes  diese  reitzenden  Gefilde;  aber  für  mich  liegt  ein  schwarzer 
Trauerflor  über  sie  ausgegossen;  und  die  alte  "Wunde  blutet  uud  schmerzt  wieder 
heftiger  in  den  Tagen,  die  sie  mir  schlugen. 

Fürchterlich  stürmt  das  Entsetzen  dieses  Schlages  und  der  wilde  Schmerz 
des  Verlustes  in  jenen  Tagen  mit  Zerstörung  drohenden  Händen  auf  mich  ein; 
entkräftet  erlag  ich  endlich  der  Gewalt,  und  lebte  mit  meiner  tiefen  Wunde  in 
fast  bewußtloser  Mattigkeit  dahin,  auf  festem  Boden  die  Tritte  messend,  weil  die 
emporschwingenden  Flügel  der  Jugendkraft  gelähmt  waren. 

Aber  wie  ich  allmählich  wieder  erwachte,  und  die  alten  Kräfte  nach  und  nach 
anfingen  wiederzurückkehren  und  sich  an  die  lange  geruhten  Tagewerke  mit 
Schüchternheit  zu  wagen,  wie  die  Schaafe  vom  wilden  Wolf  zerstreuet  sich  ihren 
Hürden  furchtsam  nach  einander  wieder  nahen,  —  o  da  fühlte  ich  den  Schmerz 
meines  unendlichen  Verlustes  mit  jedem  Tage  anders  und  mannigfaltiger.  Und  wie 
könnte  ich  Dir  nennen  oder  beschreiben,  was  ich  hier  empfunden  habe;  hier,  wo 
ich  die  reinste,  irdische  Götterwonne  an  seiner  Seite  genoß;  wo  wir  unsre  ||  Ge- 
danken und  Ahndungen  gemeinschaftlich  verwebten,  wo  wir  unsre  Kräfte  prüften, 
ihnen  ihr  Tagewerk  vorlegten,  und  jedes  Erstrebte  durch  Mittheilung  mit  doppelten 
Sinn  beschauten  und  beurtheilten !  —  Aber  warum  sollte  ich  Dir  es  auch  erst  be- 
schreiben ;  Dir,  der  Du  diesen  Verlust  mit  mir  theilst,  wie  Keiner,  und  dem  ebenso 
wie  mir  in  diesen  hohen,  Vortreflichen,  Unvergeßlichen  gleichsam  ein  Theil  des 
eignen  bessern  Wesens  abstarb. 

Eine  ähnliche  fürchterliche  Begebenheit  hat  in  diesen  Tagen  auch  den  ersten 
schrecklichen  Schlag  dieses  Schmerzes  in  mir  erneuert.  Ein  junger  Herr  von  Erlach 
auf  Spiez,  ehemaliger  Besitzer  von  Riggisberg,  (von  dem  Frisching  mir  schon  sonst, 
als  von  dem  liebenswürdigsten  Menschen,  den  er  kenne  geredet  hatte,)  spatziert 
am  Abend  mit  seiner  Frau,  seinen  Kindern  und  mehreren  Verwandten,  die  zum 
Besuch  bey  ihnen  sind;  man  versucht  mit  einer  Stange  reife  Birnen  abzuschlagen, 
weil  die  Stange  aber  zu  kurz  ist,  geht  der  Unglückliche  in  die  Scheuer,  um  von 
oben  eine  Leiter  zu  hohlen;  er  steigt  hinauf,  und  fällt  an  einer  Stelle,  wo  ein  Brett 


*)  14  S.  8°.     H.  Wien. 


August  1801.  22  7 

weggenommen  war,  durch  den  Boden  zwey  Stock  hoch  auf  die  Tenne  herab.  Die 
Gesellschaft  beunruhigt  über  sein  Wegbleiben  geht  zur  Scheuer,  und  trift  mit  Ent- 
setzen einen  Knecht,  der  ihn  in  seinem  Blute  schwimmend  gefunden  hat,  und  jetzt 
herauszutragen  beschäftigt  ist;  und  nach  einem  zweystündigen  blos  noch  physischen 
Lebeu  ohne  alle  Zeichen  des  Bewußtseyn  schwinden  endlich  die  letzten  Spuren  des 
Lebens  ganz.  || 

Er  war  Frischings  innigster  Freund  und  naher  Verwandter,  mit  dem  er  von 
Jugend  auf  gelebt  hatte,  und  die  ganze  Familie  hing,  wie  jeder,  der  ihn  etwas  näher 
kannte,  mit  Innigkeit  an  ihm;  weshalb  der  Schlag  sie  tief  verwundete  und  in  die 
schmerzlichste  Trauer  versetzte;  und  oft  mußten  wir  uns,  wenn  wir  so  einander  in 
Kreise  gegenüber  saßen  mit  Thränen  in  den  Augen  einer  nach  dem  andern  wegkehren, 
wie  in  jenen  Tagen  meines  unendlichen  Verlustes;  wo  eben  diese  Thränen,  die  bey 
ihnen  nur  der  hervorkämpfende  Ausbruch  der  innigsten  Empfindung  sind,  mein  Herz 
so  in  diese  guten  Menschen  knüpfte. 

Nachmittags. 
Lege  immerhin,  mein  theurer  Freund,  für  einige  Stunden  dies  Blatt  bey  der 
Seite,  wenn  auch  Dir  Theilnahme  und  traurige  Gefühle  eine  Thräne  auspreßten; 
weihe  dem  Andenken  des  Unglücklichen  und  noch  mehr  der  Trauer  und  dem 
Schmerze  der  betrübten  Zurückgelassenen  einen  sinnigen  Augenblick,  und  kehre 
dann  durch  Deine  Geschäfte  wieder  erheitert  zu  Deinem  Dich  herzlich  liebenden 
Freunde  zurück,  wie  auch  ich  heute  morgen  die  Feder  verlassen  mußte,  um  wieder 
von  neuem  Luft  zu  schöpfen. 

Die  Gegend,  worin  das  liebe  Rümligen  hegt,  das  ich  mit  diesen  guten  Leuten 
bewohne,  ist  eine  der  schönsten,  die  ich  kenne.  Den  weiten  freyen  Horizont  begrenzt 
nur  die  hohe  Alpenkette,  worin  die  Jungfrau  mit  ihren  Gefährten  prangt,  auf  der 
einen,  und  der  blaue  Jura  auf  der  andern  Seite.  ||  Gegen  uns  über  erhebt  sich  an 
dem  durch  seine  gleichmäßige  Ebene  romantisch  contrastirenden  Thale  (dessen  An- 
fang gleich  hinter  Kehrsatz  ich  noch  an  Deiner  Seite  überschauet  zu  haben  mich 
erinnere,  und  worauf  sich  das  Auge  hier  auf  der  einen  Seite  in  der  Ansicht  von 
Belp  und  auf  der  andern  im  Thuner  See  verliert)  —  links  der  schöne  Belpberg  mit 
seiner  mahlerischten  Seite,  und  rechts  eine  Menge  immer  eines  über  den  andern 
hervorragenden  Gebirges,  die  vom  schönsten  Grün  sich  zuletzt  mit  dem  Pilatus  in 
graue  Nebelgestalten  verlieren.  —  Das  Schloß  selbst  liegt,  wie  Du  Dich  vielleicht  er- 
innern magst  auf  dem  Abhänge  eines  Berges,  ganz  wie  eine  alte  romantische  Ritterburg; 
die  umgebende  reiche  und  fruchtbare  Natur  hat  eine  nachlässige  Hand  der  Kunst  nur 
grade  so  viel  nachgeholfen,  als  zum  sinvollern  Genuß  nothwendig  wor,  ohne  das  "Wesen 
der  Natur  zu  verdrängen.  Allenthalben  findet  man  ein  schönes  einladendes  Plätzchen, 
und  hauptsächlich  schön  ist  der  erhabene  Platz,  auf  dessen  Mitte  das  Schloß  liegt,  die 
sogenante  Schloßterrasse,  wo  fast  für  jede  Stunde  des  Tages  möchte  ich  sagen,  ein  andres 
Plätzchen  eigenthümliche  Reitze  darbiethet;  weshalb  wir  auch  bey  irgend  schönem 
"Wetter  fast  den  ganzen  Tag  unter  freyem  Himmel  leben;  und  es  geht  uns  in 
Wahrheit,  wie  Muhrbeck,  der  theure,  sinvolle,  mit  dem  edlen  warmen  Herzen,  — 
mir  in  einem  durchaus  freundschaftlichen  Briefe,  (womit  er  ||  meine  Grüße,  die  ich 
ihm  durch  meine  Eltern  zukommen  ließ,  liebevoll  erwiederte,)  sagt:  „es  ist  einem 
„doch  immer  so,  als  lebten  die  Menschen  in  der  Schweiz  nicht  in  Zimmern;  Euch 
„Menschen  sehe  ich  immer  unter  Blumen  in  der  herlichen  Landschaft,  und  die 
„Alpen  erheben  Eure  Blicke."  Dennoch  fehlt  es  aber  meinem  Zimmer  (das  viel- 
leicht das  schönste  im  ganzen  Schloße  ist)  nicht  an  den  Reitzen  der  ländlichen 
Wohnung.    Die  aufgehende  Sonne  weckt  mich  mit  ihren  ersten  Strahlen,  die  sie  auf 

15* 


9 -j  8  August   1801. 

mein  Lager  wirft,  und  am  Abend  kann  ich  ihren  letzten  Goldglanz  wiederscheinend 
an  den  ewigen,  ungeheuren  Schneemaßen  aus  meinem  Fenster  verbleichen  sehen; 
und  am  Tage  ruht  mein  Auge  auf  dem  schönen  Thale,  dem  Belpberg  und  den 
übrigen  Gebürgen  oder  dem  Thunersee  auf  der  einen  Seite,  während  hohe  Bäume 
mich  in  dem  andern  Fenster  mit  ihrem  dicken  Laub  anwehen.  — 

Abends. 

Indem  ich  diese  letzten  Zeilen  niederschrieb,  deuchte  mir,  ich  sehe  Dich  mit 
diesem  Blatte  in  der  Hand  vor  mir,  etwas  ungeduldig  über  das  ewige  Mahlen  fragend : 
nun  und  was  thust  Du  denn,  worin  rückst  Du  vonvärts  bey  dem  angenehmen 
Leben  in  diesen  schönen  Gefilden,  —  und  stand  mit  dem  Vorsatze  auf  (weil  ich 
zum  Thee  hinaus  mußte),  Dir  jetzt  sogleich  auch  das,  was  sich  hievon  sagen  läßt, 
(so  wenig  es  auch  seyn  mag),  mitzutheilen.  Aber  eine  andre  Gedankenreihe  operirt 
grade  jetzt  wieder  zu  lebhaft  in  mir,  als  ||  daß  ich  sie  noch  einmal  zurückdrängen 
möchte,  um  sie  zu  einer  andern  Zeit  zu  reproduciren.  Der  Punkt,  woran  diese 
Gedanken  sich  knüpfen,  oder  vielmehr,  woran  Du  sie  Dir  knüpfen  magst,  ist  Deine 
Idee  einer   Vorhomerischen  Mythologie  für  die  erwachende  Kindheit. 

Solltest  Du  mein  Schweigen  hierüber  wohl  als  einen  Beweis  haben  ansehen 
können,  daß  ich  leicht,  ohne  besondere  Aufmerksamkeit  und  Würdigung  darüber 
weggeflogen  wäre?  Theurer  Herbart,  dann  hast  auch  Du  Dich  wieder  einmal  an 
Deinem  Freunde  geirrt,  wie  so  mancher  sich  in  ihm  irrt.  Im  Gegentheil  ich 
schweige  über  manche  Dinge,  weil  sie  mir  zu  wichtig  oder  heilig  sind,  um  darüber 
in  den  Tag  hineinzuschwätzen,  wenn  Zeit  oder  Umstände  mir  nicht  erlauben  darüber 
zu  reden,  wie  ich  einzig  darüber  reden  möchte. 

Ich  habe  eine  äußerst   lebhafte  Freude   über    jenen  glücklichen  Gedanken  von 
Dir,  der  so  sehr  in  meine  Ideen  eingereiht,  daß  ich  beynahe  nicht  begreife,  warum 
er  in  mir  nicht  schon  vorher  entstand,  und  daß  ich  glaube,  daß  mir  wenigstens  ein 
ähnlicher   auch  ohne  Deine  Mittheilung  mit   der  Zeit  gekommen  wäre.  —  Ich  habe 
mit  unserm  lieben  Vater  Homer  nemlich  in  meiner  jetzigen  Lage  noch  einen  neuen  Ver- 
such gemacht.  —  Da  ich  nur  den  Rudi  allein  habe,  war  es  natürlich,  daß  ich  neben 
ihm    auch    auf    die  Bildung    der    kleinen    liebenswürdigen   Sophie  Rücksicht    nahm, 
wodurch  ich  eben  so  sehr  ||  meinen  eignen,    als  Frischings  Wunsch  befriedigte,   da 
jede  edlere  Gemeinschaft   mit   den    zarten,   und   gemeiniglich  viel  sinnvollem  weib- 
lichen Seelen  von   jeher   etwas    außerordentlich    anziehendes   für  mich  gehabt  hat; 
und   gewiß    wird   bey   mehreren  Weibern,    als  Männern    der  Sinn  des  Lebens    rein 
bewahrt  und  durchgeführt;   obgleich  es  natürlich  ist,   daß   es  in  unserm  Geschlecht 
mehr  einzelne  große,  starke  und  umfassende  Menschen  geben  muß.     Doch  ich  irre 
liier  auf   ein  altes  Lieblingsthema   ab,    wozu    ich  Dir   nächstens   einige  interessante 
Handzeichnungen  liefern  würde,  wenn  das  Abbilden   mir  so  leicht  von  Hände  ginge, 
als  da   Auffassen    nur    seltner,    hoher   Genuß    ist.     Es   machte    mir   also    herzliche 
Freude,    endlich   auch   einmal   an   der  Erziehung   eines   Mädchens,    und   noch   dazu 
eines  so  talentvollen,    und   liebenswürdigen  Mädchens  mit  Hand   anzulegen.  —  Dies 
war  hier  gewißer  Maßen  nur  Nebensache,  weil  ich  eigentlich  für  den  Rudi  da  war, 
aber  doch  griff  es  so  tief  in  meinen  Hauptplan,    daß    ich  es  wohl  mehr,    als   einen 
nicht  unwichtigen  Theil  der  Hauptsache   ansehen  durfte.     Denn  es  wäre   wohl  Zeit, 
daß  man    einmal    ernstlicher   daran   dächte,   den  Unbill,   der   in  dieser  Hinsicht  auf 
dem  andern  Geschlechte  lastet,  von  demselben  abzuwälzen.    Vielleicht  erinnerst  Du 
Dich  noch,    daß   ich  Dir  schon   in  Bern    mit    lebhaftem  Interesse    hierüber    redete, 
wozu  unter   andern    wohl   die  Ungezogenheiten   einer   gewissen  Dame  Veranlassung 
gaben;  von  der  Du  einmal  redend,  sagtest:    wenn  ||  die  Weiber  über  die  Jahre  weg 


August    l8oi.  22Q 

sind,  worin  sie  sich  durch  eine  geiviße  Schaamhaftigkeit  gefesselt  fühlen,  so  liegt 
es  in  den  Händen  des  Zufalls,  ob  ehrwürdige  Matronen  oder  alte  Katzen  aus  ihnen 
werden."  —  Sollten  wir  Männer,  die  wir  uns  doch  einmal  als  ihre  Vormünder  an- 
sehen, nicht  eben  darum  dafür  sorgen,  daß  ihnen  auch  durch  ihre  Erziehung  noch 
über  diese  Jahre  hinaus  eine  gewiße  ehrenvolle,  und  sie  selbst  befriedigende,  innere 
Selbstständigkeit  durch  tieferes,  und  mannigfaltigeres  Interesse,  das  nicht  mit  der 
schönen  Larve  und  den  Schmeicheleien  der  Männer  ins  Grab  sänke,  sondern  im 
Gegentheil  bey  dem  Hinscheiden  dieser  erst  mit  doppeltem  Feuer  erwachte,  ver- 
schafft würde.  —  Du  hast  gewiß  auch  vielfältig  schon  hierüber  nachgedacht, 
möchtest  Du  mir  einmal  hierüber  einige  Gedanken  mittheilen!  Nimm  indeß  das 
wenige,  was  ich  jetzt  von  meiner  Sophie  sagen  werde,  heute  von  mir,  und  mache 
mir  durch  eine  Beantwortung  desselben  Muth,  mich  in  der  Folgen  mit  mehreren 
an  Dich  zu  wenden. 

Obgleich  Sophie  während  unsers  winterlichen  Aufenthaltens  in  Bern  den  Unter- 
richt einer  der  verständigsten  und  gebildesten  jungen  Bernerinnen  genoß,  so  hatte 
ich  mich  doch  auch  damals  schon  mannigfaltig  mit  dem  kleinen  Wesen  beschäftigt, 
das  sich  liebevoll  an  mir  hängte.  Aber  alles  dieses  zielte  doch  (außer  dem  eigent- 
lichen Umgang  und  einiger  nicht  regelmäßiger  Unterhaltungen  beym  Vorlesen  von 
kleinren  Geschichten  und  dergleichen  ||  was  sie  sehr  liebte,)  —  eigentlich  mehr  nur 
auf  Bildung  des  Verstandes  und  Erwerbung  gewisser  Kentniße  und  Fertigkeiten,  als 
auf  Bildung  des  Herzens  und  Erhebung  des  ganzen  innern  Wesens  ab,  d.  h.  dies 
letztere  konnte  nicht  nächster  Hauptzweck  dabey  seyn,  denn  daß  es  nicht  aus- 
geschlossen war,  versteht  sich  von  selbst. 

Mit  dem  Leben  auf  dem  Lande  trat  auch  sie  mir,  wie  die  ganze  Familie,  (wie 
es  nicht  anders  seyn  konnte)  nicht  nur  einen  Schritt  näher,  sondern  sie  fiel  nun 
auch  noch  ganz  besonders  meiner  Sorgfalt  anheim.  Ich  dachte  also  sehr  ernstlich 
auch  über  die  Befriedigung  jener  Bedürfniße  schon  im  Winter  für  diese  Zeit  nach; 
fiel  auf  dieses  und  jenes,  und  blieb  endlich  beym  Homer  stehen.  Warum  sollte 
nicht  auch  derselbe  Weg,  den  wir  unsre  Knaben  mit  solchem  Interesse  führen, 
wenn  nur  etwas  anders  gepflastert  für  die  Bildung  des  Mädchens  zu  benutzen  seyn? 
dachte  ich.  Wenn  ich  so  hiedurch  einen  Anfang  machen,  und  nachher  immer 
stufenweise  weiter  fortschreiten  kann,  dies  kleine  sinnvolle  Wesen  in  die  sinnvolle 
Welt  der  Griechen  einzuführen,  und  einheimisch  zu  machen;  so  behalte  ich  dadurch 
einen  nie  abbrechenden  Faden  in  den  Händen,  woran  die  höhere  Bildung  derselben 
ungezwungen  und  unmerklich,  (ohne  die  geringste  Anmaßung  von  meiner  Seite)  und 
ohne  die  geringsten  Einwendungen  von  Seiten  derer,  die  sonst  etwa  Einspruch  zu 
thun  Lust  bekommen  könnten,)  gleichsam  von  selbst  fortlaufen  wird.  Das  Interesse 
an  dieser  hohen  (obgleich  kindlichen)  Welt,  das  sie  wirklich  schon  ergriffen  hat, 
wird  sie  am  ehesten  über  den  erbärmlichen  Kreis  der  Gewöhnlichkeit  erheben, 
einen  idealischern  Sinn  in  ihr  wecken,  und  ihr  einen  hohen  Geschmack  anbilden.  | 
Zugleich  aber  erhält  sie  hiedurch  auch  hinreichenden  Stoff,  (oder  wenigstens  den 
Zugang  dazu,)  für  manche  schöne  Stunde  auch  in  den  spätem  Jahren,  und  haupts. 
in  den  sonst  oft  so  gefährlichen  Jahren,  die  dem  Kindesalter  folgen. 

Bald  war  ich  über  den  Werth  dieser  Idee  mit  mir  im  Reinen,  nur  war  noch 
die  Frage  nach  der  Art  der  Ausführung  derselben.  Eine  Hauptschwierigkeit  war, 
daß  ich  Homer  nicht  anders  als  Deutsch  nach  Voßens  Übersetzung  mit  ihr  lesen 
konnte.  Hier  fehlte  also  das  Retardationsmittel,  was  bey  unsern  Knaben  die 
griechische  Sprache  lieferte,  um  durch  gehöriges  Verweilen  sie  nicht  nur  in  den 
wahren  Verstand  und  Zusammenhang,  so  wie  überhaupt  in  diese  ganze  Welt  einzu- 
führen, sondern  auch  um  dadurch  Zeit  und  Gelegenheit  zu  gewinnen,  zugleich  unsre 


230  August   1801. 

andern  damit  verbundenen  Zwecke  zu  erreichen.  Doch  sah  ich  bald,  daß  die  Un- 
gewöhnlichkeit  und  Eigentümlichkeit  der  Sprache  selbst  in  der  Übersetzung  uns  noch 
genug  zurückhalten  könnte,  wenn  ich  Sophie  nur  hindurch  helfen  könnte  ohne  sie 
zu  ermüden.  Wollte  ich  sie  selbst  lesen  lassen,  so  mußte  ich  fürchten,  daß  sie 
bey  der  Anstrengung,  womit  Kinder  in  ihrem  Alter  doch  noch  nur  lesen  können, 
die  Aufmerksamkeit  auf  den  Inhalt  verlöhre;  wollte  ich  hingegen  vorlesen,  so 
konnte  ich  wieder  nicht  überzeugt  seyn,  daß  sie  bey  der  Unbekanntschaft  mit  der 
Sache  nicht  über  manches  hinhörte  ohne  es  zu  verstehen,  und  mir  selbst  ward  es 
dann  schwerer  alle  Augenblicke  einzuhalten,  und  zu  erklären,  welches  ihr  dann  auch 
unnatürlicher  vorkommen,  und  sie  deshalb  eher  ermüden  mußte.  Doch  bat  sie 
immer,  ich  möge  lesen.  Ich  ließ  sie  deshalb  laut  lesen  und  laß  zugleich  laut  mit; 
so  brachte  ich  sie  ||  nicht  nur  zur  gehörigen  Aufmerksamkeit  ohne  sie  mit  dem 
bloßen  Mechanismus  zu  sehr  zu  ermüden,  sondern  auch  in  kurzem  zum  rüstigeren, 
bestimmtem  und  leichtern  Lesen,  und  erreichte  zugleich  alle  andern  Yortheile,  die 
jede  der  beyden  andern  Methoden  einzeln  gewährten.  —  Durch  die  Lebhaftigkeit, 
womit  ich  das  Ganze  trieb,  und  die  erforderlichen  Erzählungen  einmischte  erweckte 
ich  bald  ein  großes  Interesse  daran  in  ihr,  und  setzte  sie  in  kurzer  Zeit  hinein, 
indem  ich  so  oft  als  möglich  durch  unvermerkte  Wiederhohlung  des  gehabten  alles 
feste  einprägte;  und  jemehr  sie  erst  Bescheid  wußte,  desto  mehr  stieg  ihr  Interesse. 
Doch  könnte  mir  dieser  Versuch  unmöglich  so  durchaus  gelungen  seyn,  wenn 
mir  nicht  ihr  eignes  vorzügliches  Talent  so  außerordentlich  zuhülfe  gekommen 
wäre.  Sie  ist  ungemein  reich  an  Fragen,  verweilt  gerne  und  gleichsam  noth- 
gedrungen  beym  Einzelnen,  weil  sie  über  nichts  mit  Gleichgültigkeit  eilt,  obgleich 
sie  beständig  nur  fliegt,  ohne  dadurch  Sinn  und  Interesse  fürs  Ganze  und  für  das 
Fortrücken  darin  zu  verlieren;  und  dabey  fehlt  es  ihr  weder  an  Kopf,  noch,  an 
achtem   Gefühl  vollem  Herzen,  welches  mir  über  alles  theuer  ist. 

Aus  allem  diesem  siehst  Du  aber,  daß  ich  die  Idee  die  Jugend  durch  die  Alten 
zu  bilden  nicht  nur  nicht  aufgegeben,  sondern  noch  weiter  ausgedehnt  habe.  Wie 
willkommen  mußte  mir  also  Deine  Idee  einer  hiezu  vorbereitenden  Mythologie  seyn ; 
die  hienach  auch  ein  Geschenk  für  Mädchen  seyn  würde,  und  vielleicht  das  beste 
Mittel  wäre,  unsrer  Idee  Eingang  und  allgemeinere  Anwendung  zu  verschaffen.  Doch 
wir  sind  über  den  Werth  einverstanden,  ich  rede  deshalb  nur  von  der  Ausführung.  || 
Der  Styl  eines  solches  Buches  müßte  obgleich  dem  Kindersinn  und  ihrer  Faßungs- 
kraft angemessen,  doch  mehr  wirklich  poetisch,  als  tändelnd,  oder  trocken  erzählend 
seyn.  —  Das  Ganze  müßte  obgleich  in  besondere  Abschnitte  getrennt,  doch  im 
etwanigen  Zusammenhange  fortschreiten,  und  wirklich  poetische  Anfangspunkte  der 
Geschichte  liefern,  und  zwar  so  daß  Homer  auch  hierin  gleichsam  die  Fortsetzung 
desselben  wäre.  —  Aber  ob  es  dabey  nicht  besser  gethan  seyn  würde,  die,  wie  Du 
sagst,  patriotische  Benutzung  dem  historischen  gleichsam  unmerklich  einzuweben, 
und  sonach  nur  zwey  Fächer  das  patriotisch  -  historische  und  das  eigentlich  blos 
mythologische  in  einander  zu  schieben;  darüber  habe  ich  noch  nicht  unter  den 
Gründen  pro  et  contra  wählen  mögen.  Denn  ich  fürchte,  daß  bey  einer  Trennung 
der  beyden  erstem  nicht  nur,  das  Ganze  doch  etwas  zu  buntscheckig  und  dadurch 
uoch  für  unser  Zeitalter  zurückschreckend  und  für  die  Kinder  selbst  verwirrend  seyn 
möchte;  sondern,  daß  auch  der  patriotische  Theil  bey  dieser  Einrichtung  in  den 
mehrsten  Fällen  unbenutzt  bleiben  möchte;  was  überhaupt  mit  solchen  Anwendungen 
haupts.  für  das  Kindesalter  der  Fall  ist,  wenn  man  sie  ihnen  nicht  gleichsam  ein- 
gibt, wie  man  ihnen  die  Arzeney  unters  Essen  mischt;  —  auch  bringt  die  Sache 
es  mit  sich,  daß  wir  nicht  gar  zu  hoch  damit  hinauswollen  müssen,  wenn  es  nicht 
eben  zu  diesem  Zweck  den  Grund  seiner  Tüchtigkeit  dadurch  verlieren  soll,  da  wir 


September  1801.  23 1 


auf  das  vorhomerische  Gebiet  beschränkt  sind,  und  doch  eigentlich  nur  zum  Homer 
vorbereiten  und  den  Sinn  erwecken  sollen.  —  Aber  ||  für  seinen  Zweck  müßte  es 
klassisch  werden,  (ohne  dem  lohnte  es  sich  der  Mühe  kaum),  und  selbst  den  Kindern 
müßte  es  für  die  bestimmte  Periode  klassisch  und  ein  wahres  vademecum  werden, 
was  sie  lieb  gewinnen,  lesen  und  wieder  lesen  könnten.  —  Daß  Kinder  sich  wirklich 
solche  Bücher  so  zu  eigen  machen,  dafür  fehlt  es  mir  nicht  an  Beyspielen.  — 
Kupfer,  und  zwar  ausgemahlte,  würden  ihm  bey  denselben  viel  Eingang  verschaffen, 
und  könnten  demselben  gleichsam  als  ein  neuer  Theil  für  die  aller  unterste  Stufe 
anhängen;  —  wenn  man  nicht  befürchten  müßte,  daß  sie  auf  der  andern  Seite  mehr 
verderben  würden,  —  sie  hemmen  die  Phanthasie,  hindern  das  allmähliche  Aufleben 
des  rechten  Bildes,  das  hier  oft  doch  immer  mehr  oder  weniger  im  hell -dunkel 
schweben  bleiben  müßte,  hauptsächlich  bey  den  Göttern.  —  Doch  verdiente  es  noch 
wohl  Erwägung,  ob  man  sich  doch  dieses  Mittels  nicht  vielleicht  hie  und  da  bedienen 
könnte,  wo  es  weniger  schaden,  und  nicht  minder  anziehen  und  fesseln  würde,  z.  B. 
wo  bloße  Menschen  die  Sonne  betreten,  und  dieselben  noch  dazu  vielleicht  nur  dies 
einmal  vorkommen  etz.,  worüber  sich  erst  bey  der  Ausführung  entscheiden  läßt. 
Auf  jeden  Fall  aber  müßten  diese  Zeichnungen  sehr  gut  seyn. 

Ob  ich  Lust  hätte  an  der  Ausführung  eines  solchen  Planes  Theil  zu  nehmen, 
wirst  Du  hienach  nun  wohl  nicht  mehr  fragen.  Aber  ob  ich  auch  Kräfte  dazu  be- 
säße, dürfte  wohl  eher  einer  Frage  unterworfen  seyn.  —  Ich  gestehe  es  Dir  offen^ 
daß  ich  noch  immer  nicht  genug  in  der  griechischen  Welt  zu  Hause  bin,  um  diese 
Frage  zutrauensvoll  mit  einem  Ja  zu  beantworten.  —  Aber  wenn  Du  mit  der  Hülfe 
die  meine  Kräfte  zu  geben  vermögen  zufrieden  ||  seyn  willst,  so  will  ich  diese  gerne 
dazu  noch  mehr  anstrengen.  Ich  will  selbst  noch  mehr  für  diesen  Zweck  lesen 
u.  s.  w.  Am  meisten  könnte  ich  aber  vielleicht  in  der  Bearbeitung  und  Prüfung 
des  Stoffes  helfen,  wenn  Du  mir  denselben  nachweisen  möchtest.  Für  alle  Dingen 
möchte  ich  gerne  die  versprochene  Probearbeit  von  Dir  sehen;  willst  Du  mir  dann 
etwa  eine  Aufgabe  für  mich  nachweisen,  so  will  auch  ich  dagegen  auf  meiner 
Seite  einen  Versuch  machen.  Wenn  man  nur  erst  einmal  Hand  angelegt  hast,  so 
behält  man  sein  Ziel  desto  beständiger  vor  Augen  und  bringt  leicht  manche 
Materialien  selbst  von  Ohngefähr  dafür  zusammen.  Da  der  Vorschlag  aber  von  Dir 
komt,  so  geht  auch  billig  der  Anfangspunkt  von  Dir  aus;  da  sich  ohnehin  jetzt  so 
manche  Plane  in  meinem  Kopfe  herum  treiben,  wofür  ich  die  ersten  Punkte 
anknüpfe. 

Auch  könnten  wir  nachher  wohl  einiges  für  das  Lesen  unsers  Homers  selbst 
leisten,  um  andern  weniger  geschickten  die  Kunst  ihn  zweckmäßig  zu  benutzen  in 
die  Hände  zu  spielen,  und  so  unsern  Ideen  Eingang  zu  verschaffen.  —  Vielleicht 
gebe  es  eine  Anleitung  zum  ersten  Unterricht  im  Griechischen  und  zum  Lesen 
des  Homer,  —  ferner  eine  Art  von  Gommentar  zu  unserm  Zweck  etz.  —  Vor 
allem  auch  denke  ich  auf  eine  verbesserte  griechische  Grammatik,  haupts.  in  Hinsicht 
auf  die  Conjugationen,  wozu  ich  schon  einige  Versuche  gemacht  habe,  worüber  ich 
auch  gerne  einmal  mit  Dir  eintreten  möchte,  wenn  Du  Lust  dazu  hast. 

[Ohne  Unterschrift!] 

155.    Ziemssen  an  H.  Rümligen,  Sept.  1801. 

Lieber  theurer  Herbart.  So  eben  kam  ich  von  Bern  zurück,  wo  ich  einige 
schöne  Tage  mit  lieben,  edlen  Menschen  verlebte,  deren  Umgang  mir  desto  wohl- 
thätiger  war,  da  eine  unangenehme  Kränklichkeit,  mich  ein  paar  Wochen  fast  ganz 
auf  die  4  Mauern  beschränkt,  und  darin  mir  noch  dazu  alles  mit  einem  melancho- 
lischen Schleyer  überzogen  hatte,   wobey  ich  wenig  arbeiten  konnte,  welches  mich 


2*12  September  1801. 


am  raehrsten  quälte;  so  daß  ich  mich  beynahe  zerdrückt  gefühlt  hätte,  wenn  nicht 
meine  lieben,  guten  Kinder,  und  die  theilnehmende  Güte  der  ganzen  Familie  mich 
umgeben  hätte,  und  der  Gedanke  an  meine  so  innig  geliebten  Freunde,  nahe  und 
ferne,  und  meine  Hofnungen  wie  lebendig  durchdringende  Blitze  mein  Inneres  von 
Zeit  zu  Zeit  erhellt  hätten.  —  Theurer  Freund,  alle  Leiden  vermögen  wenig  über 
uns,  wenn  wir  sie  in  dem  muthvollen  Gefühl  ertragen :  „Du  stehst  doch  über  das 
alles,  und  wirst  es  alles  besiegen."  Aber  wenn  dieser  Muth  sinkt,  dann  fängt  das 
wahre  Leiden  an;  und  ich  muß  es  gestehen:  ich  konnte  diesen  Muth  diesmal  wirk- 
lich verlieren.  "Wiederfährt  uns  dies  nicht  oft  eben  im  muthigsten  Streben?  Aber 
ich  hoffe  ich  habe  ihn  wiedergefunden.  Diesen  Muth,  und  mit  ihm  auch  meinen 
heitern  Sinn;  in  Bern,  in  Seedorf,  in  Deinem  Briefe  und  in  den  Armen  meiner  | 
lieben  Kinder.  —  Aber  ich  wollte  Dir  jetzt  eben  schreiben,  was  Du  mir  in  dieser 
Stunde  für  eine  Wohlthat  erzeigt  hättest;  darum  setzte  ich  mich  zum  Pult;  meine 
Kinder  unterbrachen  mich. 

Ich  langte  hier  an,  es  war  halb  4  Uhr,  und.  traf  keine  Seele,  als  die  Dienst- 
boten, deren  gefälliges  und  gleichsam  frohes  Wesen  über  meine  Zurückkunft  mir 
schon  wohlthat.  Die  ganze  Familie  war  einige  Stunden  von  hier  zu  Mittag  gewesen 
und  noch  nicht  zurück.  Ich  war  sehr  erhitzt,  deshalb  durfte  ich  nicht  in  die 
Abendluft  und  fühlte  mich  herzlich  allein  bey  meinem  Thee;  oder  vielmehr  mancherley 
Sehnsucht  beunruhigte  meinen  Busen.  Ich  hatte  Deinen  Brief  kurz  vor  meiner 
Abreise  erhalten,  und  sogleich  die  Worte  an  mich  gelesen,  und  wie  froh  war  ich 
jetzt  die  andern  noch  nicht  gelesen  zu  haben,  doch  ahndete  ich  noch  nicht,  welche 
Freuden  sie  mir  gewähren  würden.  —  Wie  ich  Deinen  Brief  an  Zehender  gelesen 
hatte,  liefen  mir  die  Worte  über  die  Zunge,  obgleich  sie  niemand  hörte,  als  wieder 
ich  selbst:  ,,der  gute,  edle  Herbart";  und.  als  ich  den  Karls  gelesen  hatte,  lag  ich  im 
Geiste  an  Deinem  Busen,  nachdem  ich  jeden  Ort  mit  Dir  und  dem  Bilde  Deines 
Karl  besucht  hatte,  wohin  Du  es  führtest,  und  so  mich  gleichsam  auch  physisch  in 
Deiner  Nähe  fühlte.  —  Kaum  hatte  ich  angefangen,  Dir  wenigstens  zu  schreiben, 
als  meine  lieben  beyden  Kleinen  mit  frohem  Jubel  zu  mir  hinauf  gesprungen  kamen, 
voller  Freude  über  meine  Rückkunft  auf  mich  zu  eilten.  Die  reinste  Heiterkeit 
kehrte  mir  zurück,  und  eine  Thräne  stand  mir  im  Auge. 

Aber  das  muß  ich  Dir  doch  noch  sagen,  warum  ich  nicht  gleich  alles  las,  was 
Dein  Couvert  einschloß.  Du  schriebst  mir  bald  nach  Deiner  Abreise  von  hier  ein 
paar  mal,  wenn  Du  mir  offne  Briefe  einlegtest,  ich  möge  sie  lesen ;  dadurch  gewöhnte 
ich  mich  daran  zu  glauben,  offne  Briefe  von  Dir  in  einem  Couvert  an  mich  dürfe 
ich  lesen;  Du  wiederholtest  Deine  Auffordeiung  bey  einem  Briefe  an  Segeken, 
und  ich  dachte  nicht  daran,  daß  Du  es  nicht  immer  so  meinen  solltest  und  laß  alle 
offne  Brief  von  Dir  ohne  Bedenken;  bis  ich  Steck  einmal  antraf,  der  mir  sagte  er 
habe  einen  Brief  von  Dir  mit  einem  Einschluß  an  Zehender  (der  auf  dem  Gurnigel 
war)  gehabt,  mir  aus  seinem  Briefe  erzählte,  und  als  ich  nach  dem  Inhalt  des  Briefes 
an  Z.  fragte,  antwortete,  er  habe  ihn  nicht  gelesen;  als  ich  weiter  fragte,  ob  er 
nicht  offen  gewesen  sey?,  sagte  er,  ja,  aber  nicht  an  mich  adressirt.  Ich  schwieg 
und  machte  mir  im  Geheimen  Vorwürfe,  und  laß  das  nächste  mal  den  Brief  an  Z. 
und  an  Steck  nicht  eher,  als  Z.  mir  seinen  zu  lesen  gab  (Steck  sah  ich  nicht). 
Aber  mir  deucht,  es  war  unnatürlich  da  es  von  Dir  kam,  und  mir  gleichsam  be- 
stimmt zum  lesen  vorgelegt  wurde;  ich  kehrte  wieder  zu  meinem  alten  Glauben 
zurück,  und  las.  —  Sage  Du  mir  deshalb  ||  jetzt,  mein  Theurer,  wann  hatte  ich  von 
beyden  malen  recht:  Oder  vielmehr  erzeig  mir  die  Gefälligkeit  mir  von  Briefen,  die 
ich  nicht  grade  lesen  sollte,  es  dabey  zu  sagen;  oder  umgekehrt;  oder  schließe  mir 
solche  Briefe  noch  in  ein  eignes  Couvert;  wenn  ich  in  ähnliche  Fälle  kommen 
könnte,  würde  ich  Dir  dasgleiche  versprechen.  —  [Ohne  Unterschrift!] 


September  1801.  2\\ 


156.    An    Carl   Steiger.1)  Bremen  am  8ten  Sept.  [1801]. 

Ich  komme  eben  aus  dem  Bade;  —  und  nun,  mit  frischen  Kräften, 
setze  ich  mich  hin,  um  Dich,  mein  guter  Carl,  alles  Ernstes  zu  strafen 
für  Deinen  letzten,  übergelehrten  Brief,  —  worin  der  14jährige  Knabe 
über  den  alten  Lykurg  so  wider  allen  Respect  gesprochen  hatte,  — 
ferner,  um  Dich  zu  strafen,  dass  Du  auch  nachher  in  der  Ewigkeit  von 
5  oder  6  Monaten  keinen  bessern  Brief  geschrieben  hast  —  was  sage 
ich  keinen  bessern?  —  gar  nichts  hast  Du  mir  geschrieben!  —  Nun 
habe  ich  mich  vor  Dir  hingesetzt,  —  oder  vielmehr  Dich  vor  mir  hin- 
gestellt; ich  halte  Dich  in  der  Hand;  und  wie  eigensinnig  Du  immer  den 
Blick  abwenden,  und  in  eine  Stelle  sehn  magst,  es  hilft  Dir  nichts;  Du 
wirst  es  endlich  doch  lesen  müssen,  was  diese  meine  züchtigende  Hand 
und  diese  meine  scheltende  Feder  Dir  bereiten!  Die  Strafe  —  bewundre 
meine  Milde!  —  soll  darin  bestehn,  dass  ich  Dir  diesmal  kein  kluges 
Wort  schreiben  will,  geschweige  denn  ein  gelehrtes!  Nichts  anders  will 
ich  schreiben,  als  die  abentheuerlich-komisch  -  rührend  -  erbauliche  Historia 
von   der  Ankunft  Deines   Porträts.  || 

Ich  räuspre  mich,  —  und  mein  Epos  beginnt;  —  versteht  sich,  nach 
der  Melodie :  Iv&aWoi  ptv  navxhq. . . 

Schon  waren  alle  die  andern  —  Briefe  und  Malereyen,  so  viele 
ihrer  —  von  den  gefährlichen  Alpen  her  durch  so  viele  Stürme  der  un- 
sichern  Zeiten  und  Wege,  hier  in  Bremen  erwartet  wurden,  —  richtig  an- 
gekommen und  wohlbestellt.  Jenen  allein,  —  den  —  bey  meiner  Haus- 
wirthin, vielerfragten,  viereckigten,  glatten  Kasten,  schien  irgend  ein  böser 
Zauber,  oder  ein  anderer  Liebhaber,  —  oder  wenn  Du  willst,  eine  zweite 
Calypso  selber,  —  zurückgehalten,  —  wie  sehr  er,  der  besagte  Kasten, 
oder  wenigstens  das  Köpfchen  das  er  enthielt,  sich  auch  ohne  Zweifel  zu 
mir  hersehnte,  mir,  seinem  rechtmässigen  Herrn;  mir,  seinem  treuen 
Freunde!  —  Schon  sank  mir  die  Hoffnung,  schon  hatte  ich  Hrn.  Sonnen- 
schein mit  der  Bitte  beschwert,  dem  Ausbleibenden  die  gehörigen  Er- 
kundigungen nachzusenden,  wozu  ihm  Pallas  denn  nun  freylich  umsonst 
mit  ihrem  soliden  Rathe  beygestanden  haben  wird,  was  mir  recht  sehr 
leid  thut. || 

Da  kam  gestern  Morgen  Kastendyks  Mädchen  auf  meine  Stube,  — 
ganz  früh;  ich  hatte  eben  den  Kopf  voll  von  Wurzeln  und  Kegelschnitten, 
denn  meine  jungen  Herren  die  schon  vor  7  Uhr  zu  mir  kommen,  hatten 
mich  eben  verlassen;  —  da  kam  also  Kastendyks  Mädchen,  und  hielt 
mir  ein  Stück  vom  Bremer  Wochenblatt  her,  worin  eine  Knopfnadel 
steckte;  sie  sprach:  N'  Empfehlung  van  Fro  Doctrin,  und  of  s'  nich  so 
goht  sihn  wullen,  un  lesen  dat  mal.  Ich  las,  und  folgendes  stand  da  ge- 
druckt: Herr  Herbart  wird  freundlich  ersucht,  mir  sein  Logis  anzuzeigen, 
oder  wenn  er  nicht  mehr  hier  seyn  sollte,  sind  seine  Bekannten  darum 
gebeten,  da  mir  aus   Basel   etwas  für  ihn  zugesandt  ist. 

v.  Schmit,  wohnhaft  auf  der  Faulenstrasse. 

Die  unerwartete  Ehre,  im  Bremer  Wochenblatt  zu  paradieren,  und 
zwar  als  ein  Mensch    der    hier  seyn  soll    und    nicht   zu    finden    ist,    hätte 


J)  8  S.    8°. 


2\a  September  1801. 


mich  verdrieslich  machen  können,  —  wenn  ich  das  Etwas  aus  Basel  nicht 
sogleich  errathen  hätte.  Ich  warf  mich  also  in  die  Kleider,  eilte  hin,  und 
musste  nun  einige  Klagen  des  Hrn.  von  Schmit  anhören;  das  Bild  sey 
schon  vor  mehr  als  4  Wochen  in  vielen  Häusern  herumgeschickt  worden, 
|  sey  unter  andern  beim  Hrn.  Senator  Smidt  (meinem  Freunde,  an  den 
die  Briefe  für  mich  am  sichersten  adressirt  werden)  nicht  angenommen 
worden,  (weil  Name  und  Titel  falsch  geschrieben,)  endlich  habe  er,  Hr. 
von  Schmit,  es  auch  bekommen,  und  behalten  und  eröfnet,  weil  er  so 
eben  von  Paris  her,  also  auch  über  Frankfurt,  ein  Gemälde  erwarte. 
Natürlich  war  er  verdrieslich  geworden,  nur  Dich  zu  finden.  Nun  war 
er  so  gefällig  —  zu  meinem  Verdruss,  denn  ich  hätte  Dich  gern  zuerst 
unter  4  Augen  gehabt  —  mir  den  wiederverschlossenen  Kasten  auf- 
zubrechen, damit  ich  gleich  sehen  könne  wie  ich  zufrieden  sey.  Ich 
machte  mich  indess  davon  sobald  ich  konnte,  nahm  Dich  unterm  Arm, 
schleppte  Dich  gerades  Wegs  zum  Thor  hinaus  nach  Kulenkamps  Garten, 
der  mir  nahe  war  und  wo  ich  meine  Freude  mittheilen  konnte.  Da 
wurdest  Du  denn  also  der  Frau  Eltermannin  zum  Morgengruss  entgegen- 
gehalten und  von  ihr  mit  vielen  lieblichen  Worten  bewillkommt,  die  ich 
für  Dich  in  Empfang  genommen  habe  und  nicht  heraus  zu  geben 
denke.    —  || 

Ferner  machtest  Du  im  Vorbeygehen  die  Visite  beym  Hrn.  und  der 
Frau  Senatorin  Smidt,  die  alles  anwandte,  um  es  wieder  gut  zu  machen, 
dass  sie,  die  Dich  schon  vor  so  viel  Wochen  sammt  Deinem  Gefängniss 
in  Händen  gehalten,  Dich  nicht  hatte  erlösen  und  mir  zusenden  wollen; 
Darauf  hieltest  Du  nun  Deinen  Einzug  in  mein  Haus,  wo  unterdess  grosser 
Lerm  gewesen  war;  eiti  guter  Freund  über  den  andern  hatte  hergeschickt 
mit  Wochenblättern  und  Abschriften  daraus,  um  die  wichtige  Anzeige  ja 
an  mich  —  der  ich  sonst  um  das  Bremer  Wochenblatt  mich  so  wenig 
bekümmere,  als  um  das  Berner  —  sogleich  gelangen  zu  lassen.  Die 
ganze  Erwartung  meiner  alten  Wirthin  war  dadurch  gespannt;  überdas, 
sagte  sie,  ich  liefe  zwar  immer,  aber  so  hätte  sie  mich  noch  nie  laufen 
sehn,  wie  diesen  Morgen.  Diese  Erwartung  wurde  durch  Dich  schlecht 
befriedigt.  —  Nun  konntest  Du  vor  Böhlendorfs  Stube  (er  wohnt  hier 
unter  mir)  doch  unmöglich  vorbeygetragen  werden,  ohne  auch  da  erst 
guten  Morgen  zu  sagen.  Du  wurdest  denn  auch  sogleich  erkannt,  —  und 
nicht  nur  erkannt!  Nein!  Besungen!  Besungen  in  zwey  zierlichen  Sonetten 
gleich  nacheinander,  wurde  die  grosse  Kunst  des  Hrn.  Sonnenschein,  und 
also,  bey  der  Gelegenheit,  auch  Du!  —  |  der  Schluss  des  einen  von  den 
Sonetten  schwebt  mir  soeben  dunkel  wieder  vor.  Auf  diesen  Lippen, 
sagte  er  ungefähr,  die  jetzt  nach  Freude  lauschen,  wird  einst  die  Wahr- 
heit siegen. 

Das  zweyte  wollen  wir  wünschen,  —  über  das  erste  bin  ich  nicht 
seiner  Meinung.  Mir  sieht  dies  Gesicht  aus,  als  hätte  es  etwas  andres  zu 
bedenken,  als  auf  Lust  zu  sinnen;  und  darum  eben  liebe  ich  es.  Könnte 
mich  jemand  überreden,  es  überlege  wirklich,  wie  es  sich  amüsiren  wolle, 
—  wer  weiss,  ob  ich  nicht  die  Scheere  nähme,  und  Lippen,  Backen, 
Augen,  kreuz  und  quer  durchschnitte!  —  Wenigstens  möchte  so  wol 
nicht  viel  aus  der  schönen  Verheissung  werden,  mit  der  das  Gedicht 
schliesst. 


September,  Oktober  1801.  235 


Über  allem  dem  habe  ich  Dir  nun  noch  gar  nicht  gesagt,  wie  ich 
selbst  Dich  aufgenommen  habe,  und  das  willst  Du  doch  vielleicht  auch 
wissen.  —  Ja,  davon  lässt  sich  nicht  viel  reden.  Einige  kleine  Thor- 
heiten  habe  ich  getrieben  —  versteht  sich,  wie  ich  ganz  allein  war,  — 
über  die  wol  niemand  gelacht  hätte,  wenn  Du  es  nur  selbst  gewesen 
wärst.     Die  Leinwand  benahm  sich  herzig  dumm   dabey.   — 

Gleich  darauf  trat  mein  massiver  Herr  Walte  wieder  herein.  Sein 
trockenes:  das  Bild  ist  ||  recht  hübsch,  —  machte  mich  gleich  vollkommen 
verständig  und  ernsthaft,  —  so  ernsthaft,  dass  ich  gar,  bald  darauf  anfing 
zu  predigen,  über  einen  Text,  den  ich  noch  in  Bern  geschrieben  hatte 
und  der  mir  gerade  zur  Hand  lag.  Diese  Gelegenheitspredigt  gelang; 
auch  scheint  Hr.  Walte  das  Bild  seitdem  etwas  minder  gleichgültig  an- 
zusehn. 

Des  Abends  fügte  es  sich,  dass  ich  meinen  grossen  Kasten  noch 
einige  Strassen  auf  und  ab  trug.  Drey  Frauen,  denen  ich  zuweilen  vor- 
zulesen pflegte,  hatten  mich  auch  diesmal  herbeschieden;  die  eine  hatte 
ein  krankes  Kind,  und  war  zu  etwas  ernsthafterm  nicht  aufgelegt;  ich 
höhlte  also  das  Neueste  was  ich  hatte,  und  erzählte  dabey  ein  Paar  kleine 
Geschichten  von  dem  kleinen  Karl,  die  der  jetzige  grosse  Karl  vielleicht 
längst  vergessen  hat,  —  vielleicht  um  grössere  und  schönere  Geschichten 
an  deren  Stelle  zu  setzen,  und  das  wäre  dann  recht  gut.  Ich  aber,  der 
ich  leider  die  schöneren  Geschichten  bis  jetzt  nicht  weiss  und  nicht  er- 
fahre, behalte  so  lange  die  alten  kleinen  im  Gedächtniss.  —  Für  so  zarte 
sanfte  gefühlvolle  Frauen,  besonders  für  Mütter,  und  für  so  gute  ||  Mütter, 
als  diese  schon  sind,  und  noch  mehr  zu  werden  vest  entschlossen  sind, 
—  für  diese  bedarf  es  nur  wenig;  sie  sind  leicht  gerührt;  und  so  standen 
denn  auch  bey  meinen  geringen  Erzählungen  ihre  Augen  bald  in  hellen 
Thränen;  und  sie  versprachen,  Dich,  wenn  Du  einmal  nach  Bremen 
käme-t,  recht  mütterlich  zu  lieben. 

Ich  wurde  eingeladen,  zum  Nachtessen  zu  bleiben,  musste  aber  zu 
Hause  und  früh  zu  Bett  gehn,  denn  der  Tag  hatte  mich  erschöpft.  Ich 
hätte  selbst  nicht  geglaubt,  dass  meine  Gesundheit  noch  so  sehr  schwankte, 
um  von  einem  Bilde  zu  leiden.  Aber  es  ist  so!  Doch  bin  ich  diesen 
Morgen  wohl  wieder  aufgestanden.  Und  wärst  Du  selbst  hier,  so  würdest 
Du  den  Schaden,  den  Dein  Bild  mir  gethan  hat,  bald  und  leicht  wieder 
gut  machen.  Ich  würde  lachen  über  alle  Bäder  und  Brunnen;  und  ge- 
sund seyn,  das  bin  ich  überzeugt! 

Lebe  wol  mein  theurer  Karl;  ich  muss  abbrechen,  damit  ich  nicht 
uoch  mehr  unnütze  Worte  schreibe.  Dein   Herbart. 

157.  Steck  an  Zehender.  10.  Sept.  1801. 
„Ziemssen  und  Gesner  haben  mich  vorgestern  besucht,  mit  dem  Ersteren  habe 

ich  viel  von  Dir  gesprochen,  er  besucht  Dich  nächstens.    Von  ihm  erfuhr  ich  einen 
Zug  Deines  edlen  Herzens,  Deinen  Ruf  an  Herbart.  " 

158.  Ziemssen  an  H.1)  Rümligen,  Octobr.  1801. 
Mein  theurer  Herbart.     Ich   hätte  Dir   wohl  lange    nicht   mit   so   gehemmten 

Kräften    und  in  einer  so   dumpfen   und   mißmüthigen  Stimmung   schreiben   können, 


x)  4  S.  8°.     H.  Wien. 


2x6  Oktober   1801, 


als  ich  jetzt  die  Feder  ergreife  und  schon  seit  mehreren  Wochen  herumschwebe. 
Zuerst  glaubte  ich  mich  ungefähr  vor  6  Wochen  in  Gefahr,  die  hier  jetzt  epidemische 
rothe  Ruhr  zu  bekommen;  als  ich  hievon  befreyet  schien,  begab  ich  mich  auf  einige 
Tage  nach  Bern  und  Seedorf,  und  glaubt  auch  meinen  Trübsinn  dadurch  ziemlich 
wieder  verscheucht  zu  haben.  Doch  kaum  war  ich  wieder  ein  paar  Tage  in  R.,  als 
ich  wieder  von  neuem  krank  ward  und  haupts.  heftige  rheumatische  Schmerzen  an 
mehren  Theilen  des  Körpers,  und  vorzüglich  im  Rücken  spürte;  und.  dies  unter 
manche  Gestalten  erscheinende  und  mit  manchen  andern  begleitenden  Beschwerden 
vermischte  Übel  ist  es,  was  mich  noch  jetzt  auch  im  Kopfe  so  empfindlich  plagt, 
daß  an  Arbeiten  fast  nicht  zu  denken  ist,  und  ich  die  Tage  beynahe  nur  so  hin- 
schleppen muß,  um  sie  zu  Ende  zu  bringen.  Auch  H.  Frisching  hat  es  ein  paar 
Tage  auf  eine  fürchterliche  Art  im  Kopfe  gehabt.  Bey  mir  ists  nicht  so  fürchter- 
lich, aber  desto  anhaltender  und  dadurch  drückender.  || 

Du  kannst  Dich  vorstellen,  in  welcher  unglückseligen  Lage  ich  mich  dadurch 
versetzt  fühle,  da  meinem  mit  Ungeduld  weiterstrebenden  Geist  nichts  schrecklicher 
seyn  kann,  als  sich  in  einem  solchen  Kerker  eingeschlossen  zu  fühlen,  der  ihn  in 
aller  Thätigkeit  hemmt. 

So  sehe  ich  mich  durchaus  in  die  Unmöglichkeit  versetzt,  Deine  Briefe  wie 
ich  wollte,  zu  beantworten,  indem  ich  jetzt  schon  bey  diesen  wenigen  Zeilen  das 
Blut  auf  eine  empfindliche  Art  in  den  Kopf  steigen  fühle.  Zum  Beweise  aber,  daß 
ich  wirklich  daran  war  Dir  zu  schreiben,  mögen  Dir  beygehende  Anfänge  von 
Briefen  dienen,  die  ich  ungern  so  absende.  —  Den  Aufs,  über  Pestalozzi  für  Deine 
Freundinnen  habe  ich  wirklich  schon  vor  mehreren  Wochen  angefangen,  aber  ich 
kann  ihn  jetzt  leider  nicht  fortsetzen.  Indessen  ist  P.s  Schrift  wirklich  selbst  er- 
schienen und  schon  in  Leipzig  zu  haben,  unter  dem  freylich  nicht  gar  passenden 
Titel :  Wie  Gertrud  ihre  Kinder  lehrt  von  H.  Pestalozzi.  Ich  habe  eine  Anzeige 
davon  in  die  A.  L.  Z.  gegeben,  wie  sie  mir  die  Umstände  zu  erfordern  schienen.  — 
Ich  hoffe  Du  wirst  diese  Schrift  bald  lesen  und  mir  dann  darüber  schreiben;  — 
ich  habe  noch  immer  im  Sinn  Dir  so  bald  ich  etwas  besser  bin  einige  Worte  darüber 
für  Deine  Freundinnen  zum  unmittelbaren  Gebrauch  zu  senden,  welche  diese  Schrift 
vielleicht  nicht  ganz  unnöthig  macht.  || 

Anfang  Novembers. 
Wir  sind  jetzt  alle  in  Bern,  aber  ich  bin  leider  noch  immer  gleich  übel  dran 
mit  meiner  Kränklichkeit,  wobey  ich  noch  grade  alle  Geduld  verliere,  denn  wirklich 
schreibe  ich  Dir  jetzt  unter  den  empfindlichsten  Schmerzen  und  in  einer  Art  von 
Betäubung.  Ich  bin  jetzt  in  den  Händen  eines,  wie  man  sagt,  geschickten  Arztes, 
der  mir  immer  versichert,  es  werde  besser  gehen,  wovon  ich  aber  wenig  spüre. 
Ich  bin  um  seinetwillen  schon  vor  14  Tagen  hieher  gekommen,  und  wollte  damals 
einen  Brief  an  Dich  abschicken,  aber  da  ich  mich  sogleich  am  rechten  Arm  zur 
Ader  lassen  mußte,  schob  ich  es  ein  paar  Tage  auf,  und  ehe  ich  wieder  zum 
Schreiben  gelangen  konnte,  ereignete  sich  hier  eine  revolutionäre  Regierungs- 
veränderung', weshalb  ich  in  den  ersten  Tagen  keine  Briefe  absenden  mochte,  weil 
damals  wahrscheinlich  alle  erbrochen  wurden.  —  Obgleich  Frisching  (den  ich  immer 
mehr  schätzen  lerne)  jetzt  mit  an  der  Spitze  steht,  so  verspreche  ich  mir  doch  nicht 
viel  von  der  jetzigen  Lage  der  Dinge,  und  eigentlich  verspricht  sich  wohl  niemand 
eben  viel  davon.  —  Nur  mit  traurigem,  zerrissenen  Herzen  können  die  Redlichen 
aller  Partheien  auf  ihr  unglückliches  Vaterland  sehen.  Die  öffentlichen  Blätter 
werden  Dir  wohl  mehreres  sagen,  aber  doch  sind  ihre  Berichte  oft  sehr  schief.  | 
Stecks  Familie  hat  sich  um  ein  Mädchen  vermehrt,  worüber  sie  sehr  erfreut  sind; 
Otth    hat    ebenfalls    eine  Tochter.     Aber   unserm    guten  Zehender   ist   leider   sein 


November  1801.  237 


fleißigster  Sohn  an  der  rothen  Ruhr  gestorben,  worüber  sein  gefühlvolles  Weibchen 
haupts.  sehr  betrübt  ist. 

Der  zweite  Otth  hat  sich  vor  ein  paar  Tagen  mit  einer  Bernerin  verheyrathet, 
worüber  ich  Dir  in  der  Folge  einmal  bestimmter  schreibe. 

Karls  Brief  ist  noch  nicht  gar  lange  in  meinen  Händen,  weshalb  Du  den  späten 
Empfang  desselben  nicht  allein  auf  meine  Rechnung  schreiben  wirst.  So  bald  ich 
irgend  etwas  hergestellt  bin,  werde  ich  Dir  schreiben.  Ganz  Dein  Th.  Z. 

159.  Böhlendorff  an  Steck.  Bremen,  Nov.  1801. 

„Dein  Gruß  ist  durch  Heebart  an  mich  gelangt1'  .  .  .  [Übersendung  des  „Fer- 
nando'', Muhrbeck  gewidmet,  u.  Ankündigung  des  „Ugolino  Gherardesea",  den  er  Steck 
zueignen  will.] 

160.  An    Carl   Steiger.1)  Bremen  Mitte  Nov.   1801. 
Mein  theurer   Karl!    Erst  heute  erhalte   ich  Deinen  Brief,    und    setze 

mich  sogleich,  Dir  wenigstens  eine  flüchtige  Antwort  aufs  Papier  zu  werfen, 
damit  unser  Briefwechsel,  den  ich  jetzt  auf  alle  Weise  zu  beschleunigen 
wünsche,  nicht  durch  mich  aufgehalten  werde.  Fast  möchte  ich,  indem 
ich  Dir  danke,  dass  Du  mich  nicht  noch  länger  hast  warten  lassen,  so- 
gleich auch  mit  Dir  hadern,  dass  Du  einen  Brief,  der  am  16.  August  an- 
gefangen wurde,  so  zögernd  besorgtest.  Warum  nicht  gleich  mit  der 
ersten  Post  das  Geschriebene  fortgesandt?  Warum  es  darauf  ankommen 
lassen,  wann  Ziemßens  Brief  abgehen  würde?  Wie  lange  hättest  Du  schon 
meine  Antwort  gehabt  —  wie  viel  vergebliches  Verlangen  hättest  Du  mir 
erspart,  wie  viel  früher  die  Ungewissheit  abgekürzt,  mit  der  ich  nun  schon 
lange  an  Euch  alle  dachte!  Und  hättest  Du  noch  länger  gewartet,  so 
hättest  Du  —  zwar  auch  in  diesen  Tagen  einen  Brief  von  mir  bekommen, 

—  und  nicht  einen  unfreundlichen,   —  nichts  von  Schelten  oder  Zürnen, 

—  aber  doch  hätte  Dich  mein  Ton  wahrscheinlich  etwas  bestürzt  ge- 
macht.  —  [| 

Ich  war  in  der  That  ziemlich  überzeugt,  Du  müsstest  in  der  Kunst, 
mich  zu  vergessen,  rasche  Fortschritte  gemacht  haben.  Ich  war  ent- 
schlossen zu  einem  Versuch,  Dich  wieder  etwas  lebhafter  an  mich  zu 
erinnern;  die  Ueberwindung,  die  es  mich  kosten  musste,  meinen  Schmerz 
ruhig  zu  ertragen,   würdest  Du  gespürt  haben. 

Es  freut  mich  sehr,  dass  Du,  wie  Du  sagst,  eiliger  an  mich  ge- 
schrieben hast,  da  Du  erfuhrst,  dass  ich  in  des  Arztes  Händen  sey.  Es 
würde  mich  noch  mehr  freuen,  wenn  Du  deutlicher  begriffest,  was  ich 
Dir  mehrmals  gesagt  habe,  dass  es  in  Deiner  Macht  ist,  nachtheilig  oder 
vortheilhaft  auf  meine  Gesundheit  zu  wirken. 

Du  konntest  zu  meiner  Herstellung  helfen.  Das  ist  nun  versäumt; 
meine  Kräfte  kehren,  wiewohl  langsam  und  immer  noch  etwas  zweifel- 
haft, von  selbst  wieder.  Jetzt  kannst  Du  mir  für  Dich  arbeiten  helfen; 
es  wird  uns  beyden  wohlthun,  wenn  Du  das  nicht  auch  versäumst.  Hier 
gleich  eine  Frage:  Warum  ist  Deine  Vergleichung  ||  des  Numa  und  Lykurg 
nicht  mitgekommen?   Vielleicht  finde  ich   darin  etwas   besseres,  als  in  den 

*)  6  S.  8°. 


238 


November  1801, 


wenigen  flüchtigen,  und  verkehrten  Bemerkungen,  die  ich  vor  langer  Zeit 
einmal  von  Dir  über  den  Lykurg  bekam;  und  die  ich  zum  Theil  des- 
wegen so  lange  unbeantwortet  Hess,  weil  ich  nicht  sah  wo  ich  anfangen 
sollte  zu  bessern. 

Ferner:  Warum  ist  der  versprochene  Aufsatz  über  den  Phädon  nicht 
angekommen? 

Diese  beyden  Gegenstände  sind  ihrer  Natur  nach  für  Dich  so 
wichtig,  dass  ich  noch  immer  mit  Dir  über  beydes  zu  correspondiren 
denke. 

Geht  es  mit  meiner  Gesundheit  nicht  wieder  rückwärts:  so  habe  ich 
im  Sinn,  Dir  diesen  Winter  regelmässig  alle  4  oder  höchstens  6  Wochen 
—  vielleicht  öfter  —  etwas  Unterrichtendes  zu  senden,  ohne  mich  weiter 
an  das  Kommen  und  Ausbleiben  Deiner  Briefe  zu  kehren.  So  ist  es 
nöthig,  wenn  mein  Schreiben  an  Dich  im  Zusammenhang  bleiben  soll. 
Willst  Du  meinen  Wunsch  erfüllen,  so  fasse  Du  den  gleichen  Entschluss, 
von  Deiner  Seite  eben  so  regelmässig  und  beharrlich  an  mich  zu 
schreiben,  ||  ohne  Dich  nach  meinen   Briefen  irgend  aufzuhalten. 

Ich  habe  Dich  als  kaum  12  jährigen  Knaben  verlassen.  In  der  Er- 
innerung, die  ich  von  Dir  mitnahm,  lag  der  lebhafte  Wunsch,  dass  das 
sehr  ungleiche  Verhältniss  zwischen  Dir  und  mir,  sich  mit  den  Jahren 
veredeln  möge.  Dieser  Wunsch  wird  gleich  lebhaft  bleiben,  so  lange  ich 
nicht  bestimmt  erfahre,  dass  sich  in  Dir  eine  nachtheilige  Verwandlung  zu- 
trägt. —  Auch  Du  hegtest  den  Wunsch,  mit  mir  in  Verbindung  zu 
bleiben;  —  aber  so  ist  der  Unterschied  zwischen  den  Empfindungen 
eines  Knaben  und  eines  Erwachsenen,  dass  dieser  Dein  Wunsch,  —  gleich- 
viel ob  mit  oder  ohne  Dein  Wollen  und  Wissen  —  allmählig  verschwinden 
wird,  wenn  Du  unterlassest,  ihn  zu  pflegen,  zu  warten,  gleichsam  zu  er- 
ziehen und,  gerade  so  wie  alle  Deine  übrigen  Kenntnisse  und  Ideen  und 
Gefühle  und  Entschlüsse,  mit  dem  Wachsthum  Deines  Körpers  und 
Geistes  auch  ihn  der  männlichen  Stärke  und  Würde  stufenweise  anzu- 
nähern. 

Willst  Du  nun  einmal  überlegen,  wie  viel  Du  wohl  gethan  hast,  um 
nach  Verhältniss  Deiner  in  2  Jahren  gewiss  beträchtlich  erweiterten  und 
erhöheten  Fähigkeiten  mir  näher  zu  kommen?  —  || 

Ich  bemerke  mit  Vergnügen  in  Deinem  letzten  Briefe,  dass  die  Roh- 
heit Deines  schriftlichen  Ausdruckes  sich  abschleift,  dass  Dein  Stil  an- 
fängt sich  zu  bilden.  So  habe  ich  die  Nachrichten  von  Deiner  Reise, 
die  mich  ohnehin  erfreut  haben  würden,  doppelt  gern  gelesen.  Sehr  an- 
genehm hast  Du  mich  erinnert  an  die  —  freylich  sehr  verschiedenen  — 
beyden  Reisen,  die  wir  zusammen  nach  Interlaken  u.  s.  w.  gemacht 
haben.  Und  so  leicht  ich  mich  der  Naturgegenstände  erinnere,  so  klar 
sehe  ich  Dich  noch  vor  Augen,  wie  Du  mit  Deiner  Fülle  von  Frohsinn 
neben  mir  herumsprangest,  klettertest  und  mir  klettern  halfest.  Ich  habe 
Dir  es  noch  nicht  vergessen,  mit  welcher  Gutmüthigkeit  Du  mich  vom 
Gletscher  von  Grindelwald  herabführtest.  —  Dass  Du  von  Deiner  letzten 
Reise  ganz  vergnügt  zurück  gekommen  bist,  ist  mir  nun  freylich  etwas 
neues;  —  ehemals  pflegtest  Du  die  ersten  Tage  zu  Hause  mit  Thränen 
in    den  Augen,    deren   Bedeutung    man    errathen    musste,    mismuthig   und 


Dezember  1801.  2^0 


übellaunig  herumzuschleichen.  Ich  wünsche  Dir  Glück,  dass  Du  so  viel 
männlicher  geworden  bist.  ||  Und  noch  mehr  wünsche  ich  dem  Rudolph 
Glück,  dass   er  nun  auch  einer  Fussreise  mächtig  geworden  ist. 

Du   erzählst  nichts  von   Ludwig?  Er  ist  also  noch  in  Genf! 

Ich   hätte  viel  zu  fragen  —  aber  die  Post  ruft  mich  ab. 

Grüsse  das  ganze  Haus  von  mir,  und  erzähle  mir  vom  ganzen 
Hause,   —   und  bald.      Mit  aller  Liebe  Dein  Herbart. 

Siehst  Du  Ziemssen,  ehe  er  meinen  Brief  erhält;  so  sage  ihm,  dass 
ich  seiner  Krankheit  wegen  sehr  in  Unruhe  bin,  und  bessere  Nachricht 
so  bald  als  möglich  zu  haben   wünsche. 

161.    Ziemssen  an  H.1)  Bern  Decemb.  1801. 

Gestern  endlich,  mein  theurer  Herbart,  habe  ich  seit  mehr,  als  drey  Wochen 
zum  erstenmal  wieder  ausgehen  dürfen;  aber  noch  ist  mir  eigentlich  alle  Kopfarbeit 
verboten;  so  daß  ich  selbst  mit  dem  Schreiben  dieses  Briefes  eigentlich  nur  Contre- 
bande  treibe;  aber  weil  ich  Dir  einliegendes  herzliches  Briefchen  von  meinem  guten 
Vater,  das  ich  Sontag  erhielt,  nicht  länger  vorenthalten  wollte,  und  weil  hauptsäch- 
lich auch  in  dieser  Zeit,  (wo  ich  von  aller  Beschäftigung  mit  Gewalt  fortgerissen 
ganz  der  Thätigkeit  meiner  Phantasie  hingegeben  war,)  alle  meine  Gedankea  zu  Dir 
hinüber  standen ;  so  kann  ich  unmöglich  umhin,  es  zu  versuchen,  Dir  wenigstens 
einige  Zeilen  zu  schreiben,  obgleich  sie  erbärmlich  wenig  von  dem  enthalten  werden, 
worüber  ich  diese  Zeit  her   im  Geiste  mit  Dir  Unterhaltungen  gepflogen  habe.  — 

Du  siehst  hieraus,  daß  meine  Krankheit  ernsthafter  geworden  ist,  als  ich  es 
bey  Absendung  meines  letzten  Briefes  glaubte,  obgleich  sie  auch  damals  schon  für 
mich  unangenehm  genug  war.  Der  Rheumatismus  zog  sich  so  in  den  Kopf,  daß 
ich  unter  den  fürchterlichsten  Schmerzen,  wovon  ich  nur  gar  keine  Ahndung  gehabt 
hatte,  rasend  zu  werden  glaubte.  Die  strengen  Maaßregel,  die  mein  Arzt  deshalb 
zu  nehmen  sich  ||  genötigt  sah,  die  Spanische  Fliege  (oder  das  Zugpflaster)  von 
Riesengröße,  die  unaufhörlichen  Purganzen  etc.,  und  haupts.  das  starke  Fieber  dabey 
griffen  mich  so  sehr  an,  daß  ich  nicht  mehr  ohne  Führer  vom  Bett  bis  zum  Ruhe- 
bett gehen  konnte,  und  bey  der  geringsten  Bewegung  Schwindel  und  Ohnmacht  mir 
zuzog. 

Jetzt  gelange  ich  nach  und  nach  durch  China  und  dergl.  wieder  etwas  zu 
Kräften,  obgleich  Lenden  und  Waaden  noch  etwas  Rotkantiges  haben;  aber  dem- 
ungeachtet  leider  noch  nicht  wieder  zur  nöthigen  Gesundheit,  indem  meine  rheu- 
matischen Schmerzen  nicht  blos  empfindlich  im  Rücken  und  den  Gliedern  umher- 
ziehen, sondern  mein  Kopf  auch  noch  so  schwach  ist,  daß  ich  eigentlich  nichts 
damit  anzunehmen  wagen  darf,  wenn  ich  mich  nicht  der  Gefahr  aussetzen  will, 
ganz  wieder  auf  den  übelsten  Punkt  zurückzukommen;  weshalb  ich  auch  hier  für 
jetzt  enden  muß,  indem  es  mir  schon  wieder  gewaltig  im  Kopfe  umherfährt.  Diese 
Krankheit  ist  hier  jetzt  sehr  allgemein,  wozu  die  üble  Witterung  und  die  ewige 
Nässe  dieses  Jahres  sehr  viel  beyträgt,  und  die  Ärzte  behaupten,  es  sey  kein  Ort 
so  übel  dafür,  als  Bern.  — 

Donnerstag  Abend. 

Ehe  ich  heute  wieder  zum  Schreiben  gelangen  konnte,  erhielt  ich  heute  Mittag 
Deinen  freundschaftlichen  Brief,  worin  Du  so  herzlich  an  meiner  Krankheit  Theil 
nimmst.     Obgleich   mein  Übel  dem  Deinigen  wohl  sehr  verwandt  zu  seyn  scheint, 

6  S.  8°  u.  1  Beilage  (2  S.).     IL  Wien. 


2AO  Dezember  1801. 


so  ist  es  doch  nicht  ganz  demselben  gleich,  wie  Du  aus  vorstehender  treuen  Erzäh- 
lung sehen  wirst,  indem  das  meinige  ein  wirkliches  rheumatisches  Fieber  ist,  und 
also  seinen  Hauptsitz  in  den  Nerven  ||  zu  haben  scheint,  denen  am  übelsten  beyzu- 
tommen  und  mit  denen  nicht  zu  spassen  ist.  Durch  viele  China  bin  ich  wieder  zu 
Kräften  gelaugt,  und  muß  jetzt  Kampfer  und  Spießglanzmittel  gebrauchen.  Ich  habe 
schon  in  Rümligen  das  Baden  versucht,  aber  eher  nachtheilige  als  wohlthätige  Wür- 
kung  davon  verspürt ;  was  der  hiesige  Arzt  daherleitet,  weil  damals  das  Fieber 
noch  zu  stark  dafür  gewesen  sey;  auch  habe  ich  seit  der  Zeit  zur  Ader  gelassen. 
Jetzt  hat  er  würklich  wieder  von  warmen  Bädern  geredet,  wenn  das  Fieber  mich 
erst  ganz  verlassen  haben  werde;  aber  die  Jahrszeit  macht  es  sehr  beschwerlich 
und  gefährlich;  doch  werde  ich  es  vielleicht  versuchen.  —  Tausend  Dank  indessen 
für  Deine  liebevolle  Theilnahme  und  Aufmerksamkeit.  — 

Doch  mehr  als  meine  Gesundheit  geht  mir  der  übrige  Theil  Deines  Briefes  im 
Kopf  herum,  obgleich  ich  dabey  erst  recht  die  unangenehmen  Fesseln  der  Un- 
päßlichkeit fühle. 

Aber  mit  Vorsatz  enthalte  ich  mich,  Dir  jetzt  gleich  drauf  zu  antworten,  weil 
es  mich  zu  sehr  anspannen  würde,  und  mein  Kopf  schon  wieder  zu  protestiren 
anfängt.  Ich  rede  Dir  indeß  noch  von  einem  Gegenstande,  worüber  ich  schnell  Dein 
TJrtheil  hören  möchte.  —  Die  Papiere  unsers  Verewigten  [Eschen]  sind  noch  in  meinen 
Händen,  doch  werde  ich  sie  jetzt  abgeben  müßen.  Du  erinnerst  Dich  der  hier  so 
beliebten  Idyllen  die  Unter  waldner.  Eschen  ging  damit  um,  eine  kleine  Sammlung 
von  Idyllen  herauszugeben,  wovon  wirklich  11  fertig  da  sind,  obgleich  er  wenigstens 
den  mehrsten  noch  erst  die  letzte  Feile  zu  geben  gedachte,  die  Unterwaldner  zählte 
er  selbst  nicht  unter  den  besten.  ||  Die  Lehre  der  Bescheidenheit  in  Schillers  M.  A. 
verwarf  er  ganz.  —  Diese  Idyllen  dächte  ich  nun,  fast  so  wie  sie  da  sind,  aus- 
genommen kleiner  nothwendigtr  Verbesserungen  (von  denen  ich  hoffe,  daß  sie 
selten  seyn  werden),  mit  einer  Skizze  seines  Lebens  und  haupts.  mit  einer  genauen 
Erzählung  von  seinem  plötzlichen,  mir  so  fürchterlichen  Tode,  die  ich  einmal  aus- 
führlich öffentlich  zu  geben,  für  meine  Pflicht  halte,  obgleich  sie  mich  selbst  viel- 
leicht in  eine  wehmüthige,  schmerzliche  Stimmung  versetzen  wird.  Da  es  schon 
der  bloße  Gedanke  daran  thut.  —  Es  ist  gewiß,  daß  Eschen  beym  Ausfeilen  diese 
Idyllen  noch  wohl  verbessert  haben  würde;  aber  dennoch  glaube  ich  es  sey  besser, 
sie  nicht  der  freyen  Umschmelzung  eines  andern  Dichters  Preis  zu  geben,  wodurch 
sie  Gefahr  liefen  theils  an  ihrem  eigenthümlichen  Charakter,  theils  an  ihrem  Inter- 
esse zu  verlieren.  Voß  wäre  ohnehin  vielleicht  der  einzige,  der  diese  Aufgabe 
übernehmen  könnte,  aber  Voß  war  zuletzt  nicht  ganz  Eschens  Freund,  war  eifer- 
süchtig u.  s.  w.  —  Ich  wünschte  sie  deshalb  blos  eine  nothwendige  Correktur 
passiren  zu  lassen,  wozu  man  auch  vielleicht  Voß  bewegen  könnte,  und  wozu  ich 
haupts.  auch  Dich  verpflichten  würde.  —  Der  Verleger  seiner  Übersetzung  des  Horaz, 
hat  mir  einen  Akkord,  den  er  mit  E.  schon  abgeschlossen  hatte,  zu  halten  angeboten, 
wonach  das  Format  dem  des  Horaz  gleich,  nur  das  Papier  noch  besser  würde,  und 
nur  20  Zeilen,  (also  10  Hexameter,  da  sie  gebrochen  werden  müssen)  auf  jeder 
Seite  kämen;  wobey  er  für  den  Bogen  4  Laubthaler  oder  1  neuen  französ.  Louisdor 
bezahlen  will.  Es  fehlt  mir  also  nur  noch  Dein  Urtheil,  und  die  Einwilligung  des 
Vaters,  dem  ich  noch  gar  nichts  davon  geschrieben  habe;  ersteres  erwarte 
ich  sogleich  nach  Empfang  dieses  Briefes  von  Dir.  Wegen  der  biographischen 
Skizze  würde  ich  haupts.  von  Dir,  Gries  und  der  Familie  wohl  Beyträge  erbitten 
müssen,  die  ich  mir  aber  vorbehielte  nach  eignem  Willen  in  ein  Gemähide  ver- 
schmelzen zu  dürfen.    Was  sagt  man  von  E[schen]  Horaz?  || 

[Ohne  Unterschrift!] 


Dezember  1801. 


241 


162.     An   Carl   VOn   Steiger.1)  Bremen  Anfang  Dec.  1801. 

Lieber  Karl!  Hier  sind  zwey  Blätter,  denen  Du  bald  ansiehst  was 
sie  wollen.  Das  eine  will  ein  wenig  zusehen,  wie  viel  Du  wohl  seit  zwei 
Jahren  vergessen  hast;  das  andere  will  da  fortfahren  wo  wir  damals 
endigten.  Beyde  wollen  Dir  beym  Rechnen  helfen;  —  Du  weisst  wohl 
wie  viel  ich  auf  das  Rechnen  halte,  und  wie  lieb  es  mir  also  sein  musste 
zu  hören,  dass  Du  es  wieder  angefangen  hast. 

Ich  wage  es  kaum,  Deinem  Verstände  andere  Dinge,  in  denen  man 
leichter  verirrt,  anzumuthen,  bis  ich  sehe,  dass  unsere  ehemaligen  mathe- 
matischen Übungen  einige  Frucht  zurückgelassen  haben.  Ungemein  an- 
genehm würde  es  mir  seyn,  wenn  ich  Dir  zu  leichte  Sachen  angemuthet 
hätte. 

Auf  meinem  einen  Blatte  stehen  die  Formeln  für  die  Regel  detri, 
Regel  Quinque,  Kettenregel,  Gesellschaftsrechnung  (oder  Vertheilungsregel), 
und  Alligationsregel.  In  allen  diesen  Dingen  hatte  ich  Dich  viel  geübt; 
Du  wirst  mir  also  angeben,  welche  von  den  numerirten  Formeln  zu  welcher 
Regel  gehöre?  Denn  dass  ich  die  Formeln  nicht  nach  der  Ordnung  ge- 
schrieben, wie  ich  hier  die  Regeln  genannt  habe,  wirst  Du  sogleich 
sehn?  || 

Das  andere  Blatt  enthält  die  Auseinandersetzung  der  wichtigsten 
Grundbegriffe  der  mathematischen  Analysis.  Ich  wünsche,  dass  Du  die 
gegebene  Darstellung  ganz  vollkommen  fassen,  und  Dir  ganz  geläufig 
machen  möchtest.  Denn  aus  dieser  Darstellung  lässt  sich  alles  folgende 
mit  der  grössten  Leichtigkeit  ableiten.  Verstehst  Du  etwas  nicht:  so  ist 
in  Rücksicht  auf  dieses  Blatt,  das  Fragen  an  Dir;  und  ich  erwarte  Deine 
Fragen  in  Deinem  nächsten  Briefe. 

Es  versteht  sich  dass  Du  beyde  Blätter  an  Herrn  Segelken  zeigst, 
erstlich  weil  es  ihm  angenehm  seyn  kann  zu  wissen,  wie  ich  diese  Dinge 
ehemals  vorgetragen  habe,  und  zweytens,  weil  er  dadurch  veranlasst  werden 
wird.  Dir  die  Vergleichung  dieser  und  anderer  Darstellungen,  denen  er 
vielleicht  gefolgt  ist,  deutlich  zu  machen.  Solche  Vergleichungen  sind 
äusserst  nützlich,  weil  sie  die  Begriffe  geläufig  machen.  Indessen  wird 
ohne  Zweifel  H[err]  S[egelken]  die  Güte  für  mich  haben,  mit  dieser 
Vergleichung  so  lange  zu  warten,  bis  Du  mir  erst  geantwortet  hast,  und 
darauf  wird  er  ja  hoffentlich  nicht  lange  warten  müssen. 

Ludwig  hat  eine  Abschrift  von  einem  kurzen  mathematischen  Auf- 
satz von  mir,  den  ich  vor  meiner  Abreise  von  Bern  für  ihn  schrieb.  Ich 
wünsche,   dass  auch  dieser  in   H[errn]   S[egelken]s  Hände  komme. 

Rechnet  Rudolph  noch  nicht?  Ich  wünschte  auch  für  ihn  geschrieben 
zu  haben.  Grüsse  ihn  vielmals;  auch  Ludwig.  Antwortest  Du  nicht 
bald,  so  antworte  ich  mir  selber.  Ich  warte  —  höchstens  etwa  6  Wochen, 
von  heute  bis  zum  Empfang  der  Antwort  gerechnet.  Leb  wohl  lieber. 
Ich  bin  sehr  eilig.  Viele  herzliche  Empfehlungen  in  Deinem  Hause. 
Schreibe  mir  doch  vor  Allem,  wo  Deine   Eltern  Sich  befinden?  || 

x)  9  S.  8°. 

Hbrbarts  Werke.     XVI.  16 


242  Dezember   1801, 


Blatt  l. 

Die  gemeinen  Rechnungsarten  sind  Addiren,  Subtrahiren,  Multipliciren, 
und  Dividiren.  Im  gemeinen  Leben,  und  in  der  gemeinen  Rechenkunst 
beziehen  sich  dieselben  auf  Dinge.  In  der  Mathematik  aber  giebt  es 
auch  eine  Addition,  Subtrfaction],  Multpplication]  und  Division  von  Zahlen; 
das  heisst,  von  Mnltiplicationen,  denn  Zahlen  sind  eigentlich  nichts  anderes 
als  Multiplicationen. 

Wenn  man  im  gemeinen  Leben  das  Wort:  Drey,  ausspricht,  so  denkt 
man  sich  sogleich  drey  Dinge.  Eigentlich  ist  die  Zahl  3  aber  nichts  für 
sich  allein;  nichts  wirkliches;  sie  bedeutet  nur    Ver  drey  fachung. 

Drey  Dinge  und  zwey  Dinge  machen  fünf  Dinge;  darum  schreibt 
man  3  -\-  2  =  5.  Aber  wenn  die  eigentlichen  Zahlen  3  und  2  zusammen- 
kommen, d.  h.  zur  Verdreyfachung  noch  die  Verdoppelung  kommt,  — 
wenn  man  einerley  Gegenstände  zugleich  verdreyfacht  und  verdoppelt:  so 
giebt  das,  Versechsfachung.  Dies  dient  zur  Erläuterung  der  Begriffe,  ob- 
gleich   man    niemals    schreibt  3:2  =  6,    sondern  3.2  =  6.     Daraus    aber 

sieht  man,   dass,   wenn  man  so  schreibt:   3.  2.  3.  5.  9.   10.  a.  b diese 

Zahlen  eigentlich  nicht  mit  einander  multiplicirt  werden,  sondern  nur  bey 
einerley  Gegenstand  zusammentreffen,  also  im  Grunde  nur  zu  einander 
hinzugethan,  d.  h.  addirt  werden.  Die  Multiplication  der  Zahlen,  oder 
die  Multiplication  der  Multiplication,  ist  etwas  ganz  anderes. 

Soll  die  3,  viermal  multipliciren:  so  bekommen  wir  den  Gegenstand 
81  mal.  Da  multiplicirt  die  3  den  Gegenstand,  aber  die  4  multiplicirt 
die  3,  nämlich  die  Verdreyfachung.  Diese  Vervierfachung  der  Ver- 
dreyfachung nun,  ist  eine  eigentliche  Multiplication  der  Zahlen;  und  diese 
wird  durch  den  ganzen  positiven  Exponenten  bezeichnet:  34=8i.||Der 
Exponent  ist  selbst  eine  Zahl;  er  zählt  wie  oft  man  mit  einerley  Zahl 
multiplicire.  Er  könnte  aber  auch  so  gut  zählen,  wie  oft  man  einerley 
Multiplication  wegnimmt,  oder  wie  oft  man  mit  einerley  Zahl  dividirt. 
Nun  schreibt  man  jeder  Zahl,  welche  zählt,  wie  oft  etwas  weggenommen 
wird,  das  negative  Zeichen,  ( — )  vor;  sollte  also  mit  3  viermal  dividirt, 
oder    sollen    4   Multiplicationen  mit    3,    weggenommen    iverdeti,    so  schreibe 

man  3— 4,  welches  gleich  ist  — .    Dies  ist  also  eine  Multiplication  —  nicht, 

der  Multiplication,  sondern  eine  Multiplication  der  Division  und  diese  wird 
angezeigt  durch  den  ganzen  negativen  Exponenten. 

Etwas  anders  ist:  Division  der  Multiplication.  Das  ist:  Theilung  einer 
Multiplication  in  gleiche  Theile.  Die  Multiplication  mit  81,  besteht  aus 
4  gleichen  Theilen,    nämlich    aus    4   Multiplicationen    mit  3.     Folglich    ist 

die  Multiplication  mit  3,  ein  Viertel  von  der  mit  81,  oder  es  ist  81  *  =3. 
Hier  multipliciert  also  der  Exponent  nicht,  sondern  er  dividirt;  nur  das 
was  er  dividirt,  ist  nicht  etwa  ein  Ding,  sondern  eine  Multiplication.  Weil 
er  dividirt,  erscheint  er  in  Gestalt  eines  Bruches,  wie  alle  Divisoren;  weil 
das  was  er  dividirt,  eine  wirkliche  Multiplication  ist,  hat  er  das  positive 
Zeichen.     Er  ist  also  ein  geb?vche?ier  positiver  Exponent. 

Aber  es  könnte  auch  wohl  die  Wegnahme  einer  Multiplication  seyn, 
was  er  dividirte;  oder  es  könnte  auch  eine  Division  sein,  die  er  in  gleiche 


Dezember  1801, 


243 


Theile  theilte.  Dann  muss  er  das  negative  Zeichen  bekommen.  —  Sowie 
die  Multiplication  mit  81  aus  4  gleichen  Multiplicationen  mit  3,  so  be- 
steht auch  die  Division  mit  81  aus  4  gleichen  Divisionen  mit  3  oder 
die  Division  mit  3  ist  ein  Viertel  von  der  mit  81.  Aber  das  Viertel  ist 
jetzt  nicht  ein  Viertel  von  etwas  wirklichem,  sondern  von  etwas  wegzu- 
nehmendem;   denn    die  Division    ist    eine    wegzunehmende    Multiplication. 

Also  81  4~=y3.  Der  negative  gebrochene  Exponent  bedeutet  also  eine 
Division  der  Division. 

Multiplication  der  Zahlen  ist  also  Potenz- Erhebung,  Division  der 
Zahlen,  Wurzelausziehung.  Addition  der  Zahlen  wäre  eigentlich,  was  im 
gemeinen  Leben  Multiplication  heisst,  z.  B.  3.4=12,  und  was  im  ge- 
meinen Leben  Division  heisst,  könnte  man  Subtraction  der  Zahlen  nennen. 
—  Es  wäre  Thorheit,  den  gemeinen  Sprachgebrauch  meistern  zu  wollen; 
die  gemachten  Bemerkungen  können  aber  zur  Aufklärung  der  Begriffe 
dienen.  || 

Blatt  2. 

Ich  wollte  Dir  neulich  kein  leeres  Couvert  schicken,  darüber  blieb 
Alles  liegen  —  und  darüber  bekömmst  Du  nun  zwey  Briefe  in  einem 
Couvert.  Auch  hätte  ich  beynahe  Lust,  gar  noch  einmal  von  vorn  an 
alle  die  guten  Eigenschaften  Deines  letzten  Briefes,  jede  insbesondere  und 
alle  insgemein,  nach  Würden  zu  rühmen  und  zu  preisen.  Damit  würde 
ich  aber  wol  mehr  mir,  als  Dir,  Vergnügen  machen.  So  viel  sage  ich 
Dir  indess;  mein  Zutrauen  zu  Deiner  Denkkraft  ist  gewachsen  durch  Deine 
Versicherung,  auf  die  ich  mich  verlasse,  dass  Du  mein  letztes  mathe- 
matisches Blatt  wirklich  verstanden  hast.  Hier  nun  wieder  zwei  Fragen, 
auf  die  ich  eine  gescheute  Antwort  wünsche. 

Es  ist  klar,  dass,  wenn  Wurzeln  gleichförmig  wachsen,  die  Quadrate, 
die  Würfel,  und  überhaupt  alle  Potenzen,  mit  immer  grösseren  Schritten  zu 
nehmen,  oder  immer  weiter  aus  einander  liegen  müssen.  Z.  B.  die  Zahlen 
1,  2,  3,  4  ...  wachsen  gleichförmig,  denn  ihr  Unterschied  ist  immer  1 ; 
die  Quadrate  aber,  1,  4,  9,  16  .  .  .  wachsen  immer  schneller,  denn  ihre 
Unterschiede  werden  immer  grösser.  Nun  fragt  es  sich:  wenn  die  Quadrate, 
oder  überhaupt,  wenn  die  Potenzen,  gleichförmig  wachsen  sollen,  z.  B.  wenn 
man  nicht  bloss  von  1,  4,  9,  16,  .  .  .  sondern  von  allen  Zahlen  nach  der 
Reihe  1,  2,  3,  4,  5,  6,  .  .  .  die  Quadratwurzeln  wissen  will:  wie  müssen 
diese  Wurzeln  liegen  ?  Ferner :  Es  ist  klar,  dass,  wenn  die  Exponenten 
gleichförmig  wachsen,  auch  alsdann  die  Potenzen  mit  immer  grösseren 
Schritten  zunehmen,  immer  weiter  auseinander  liegen.  Z.  B.  2°,  21,  22, 
23,  24.  ..giebt,  1,  2,  4,  8,  16  .  .  .;  hier  bleibt  der  Unterschied  der  Exponenten 
immer  =  1,  aber  die  Unterschiede  der  Potenzen  werden  immer  grösser. 
Nun  fragt  sich:  wenn  die  Potenzen  gleichförmig  wachsen  sollen,  z.  B.  wenn 
man  nicht  bloss  wissen  ||  will,  dass  4  die  zweyte,  8  die  dritte  Potenz 
von  2,  —  sondern,  wenn  auch  3,  5,  6,  7,  9,  10,  11  u.  s.  w.  als  Potenzen 
von  2  angesehen  werden  sollen,  und  man  anzugeben  hat,  die  wievielste 
Potenz  von  2,  eine  jede  dieser  Zahlen  sey:  wie  iverden  alsdann  die 
Exponenten   liegen  ? 

16* 


244  Dezember   1801. 


Vergleiche  mit  diesen  Fragen  folgende  Ausdrücke,  wo  x  aber  nicht 
eine  unbekannte,  sondern  eine  ve?'änderliche,  d.  i.  eine  im  gleichförmigen 
Wachsen  oder  Abnehmen  begriffene  gleichförmig  fortfliessende  Grösse,  hin- 
gegen a  eine  beständige  Grösse  bedeutet:  xa  und  ax 

Mein  neuliches  Blatt  hast  Du  eher  begreiflich  gefunden,  als  die 
sämmtlichen  H[erren]  Primaner  auf  der  hiesigen  Domschule,  denen  ich 
die  Ehre  gehabt  habe,  die  nämlichen  Sachen  10  mal  und  10  mal  deutlicher 
als  Dir  vorzutragen;  wobey  jedoch  billigerweise  bemerkt  werden  muss, 
dass  diese  sämmtlichen  H[erren]  auch  in  der  Mathematik  früherhin  gänz- 
lich vernachlässigt  waren. 1)  —  Wer  begreift  nun  das  heutige  am  schnellsten 
und  am  vollkommensten,  der  Berner  oder  die  Bremer?  Die  letzteren 
werde  ich  zwar  nicht  bloss  fragen.  — 

Bist  Du  der  Gleichungen  vom  ersten,  und  zweyten  Grade,  mächtig? 
Wenn  nicht:  so  muss  das  das  erste  seyn,  was  Du  im  Häseler  nachsehn, 
und  bis  zur  vollkommenen  Geläufigkeit  studiren  und  üben  musst.  Die 
Hauptsache  beruht  auf  folgendem:  Bey  allen  Gleichungen,  welche  die 
Algebra  auflöst,  wird  die  unbekannte  Grösse  durch  bekannte  zwar  be- 
stimmt, aber  nicht  unmittelbar.  Wäre  das  letztere:  so  müsste  x  auf  einer 
Seite  der  Gleichungen  allein  ||  stehn;  damit  man  lesen  könnte:  x  ist  gleich 
den  bekannten  Grössen  auf  der  andern  Seite.  So  muss  auch  wirklich 
am  Ende  der  Rechnung  die  Gleichung  aussehn.  In  der  aufgegebenen 
Gleichung  aber  sieht  man  x  verhüllt  in  allerley  Verbindungen  mit  be- 
kannten Grössen.  Diese  Verbindungen  müssen  also  aufgetrennt  werden; 
indem  jede  Art  von  Verbindung  durch  ihr  Gegentheil  aufgehoben  wird, 
z.  B.  die  addirten  Grössen  durch  Subtraction  weggeschafft,  die  multiplicirten 
durch  Division  aufgehoben  werden,  und  rückwärts.  Indem  nun,  um  die 
Gleichung  nicht  zu  zerstören,  allemal  auch  auf  der  anderen  Seite  der 
Gleichung  vorgenommen  wird,  was  auf  der  ersten  geschehen  musste:  so 
erscheint  von  jeder  mit  x  verbundenen  Grösse,  auf  der  andern  Seite  der 
Gleichung  das  Gegentheil,  indem  sie  selbst  auf  der  ersten  verschwindet. 
Dies  stellt  folgende  Rechnung  dar: 

ax    1  A 

-j-  c  —  d  =  m 


b 


(m  —  c  +  d) .  b 

x  = 

a 

Dies,  nebst  einigen  kleinen  Kunstgriffen,  welche  die  Anwendung  er- 
fordert,   reicht    hin    bei    Gleichungen    vom    ersten   Grade.      Die    nämliche 

l)  Mathematik  war  in  Prima  nur  mit  2  Stunden  wöchentlich  bedacht.  Vergl. 
Noltenius,  Prof.  Sanders  und  seine  Zeit,  1902,  S.  24.)  —  Über  Herbarts  Lehrertätigkeit 
in  Bremen  wurden  (durch  gütige  Vermittelung  des  Hrn.  Schulrat  Sander  in  Bremen)  in  den 
Archiven  Nachforschungen  angestellt,  jedoch  ohne  Eifolg.  Von  maßgebender  Seite  wird 
sie  sogar  als  unwahrscheinlich  hingestellt.  Ganz  abgesehen  aber  von  der  obigen  Brief- 
stelle, die  einen  urkundlichen  Beleg  für  Herbarts  Lehrtätigkeit  an  der  Domschule  in 
Bremen  bildet,  wird  auch  durch  den  Bürgermeister  Dr.  Smidt  bezeugt,  »daß  Herbart 
während  seines  Aufenthaltes  in  Bremen  von  1800 — 1802  auch  eine  Zeitlang  an  der 
Domschule  wöchentlich  einige  Stunden  mathematischen  Unterricht  erteilt  hat«.  (Diese 
Notiz  verdanke  ich  Hrn.  Richter  Dr.  Smidt  in  Bremen,  der  auch  die  Archivakten  über 
die  Domschule  vergeblich  nach  Spuren  von  Herbart  durchsucht  hat.) 


Dezember   1801, 


245 


Rechnung  giebt,  bey  reinen  Gleichungen  vom  zweyten  Grade,  am  Ende  x2 
auf  der  einen  Seite;  da  dann  nur  noch  die  Quadratwurzel  auf  beyden 
Seiten  auszuziehen  ist.  Die  unreinen  quadratischen  Gleichungen  sind  die- 
jenigen, welche  man  nach  den  bisherigen  Regeln  nicht  weiter  bringen 
kann,  als  auf  folgende  Form:  x2-|-ax  =  b.  Hier  ist  klar,  dass  die 
Quadratwurzel  von  x2  -f-  ax  grösser  seyn  muss,  als  x,  denn  dies  wäre  die 
Wurzel  von  x2  allein,  ohne  ax.  Versucht  man  nun,  sich  zu  x  noch  ein 
Stück,  das  y  heissen  soll,  hinzuzudenken,  so  dass  x  -f-  y  zusammen  = 
]/(x2-f  ax),  so  sieht  man  bey  einiger  Ueberlegung,  dass  so  etwas  sich  gar 
nicht  denken  lässt,  man  mag  y  so  gross  oder  so  klein  annehmen,  wie 
man  will.  Denn  (x  -J-  y) 2  =  x2  -f-  2  xy-|-y2,  das  heisst,  |  wenn  x -f- y 
die  Wurzel  seyn  sollte,  so  müsste  das  Quadrat  von  dieser  Wurzel  noch 
ein  drittes  Glied  haben,  worin  der  Factor  x  gar  nicht  vorkäme,  sondern 
welches,  wie  y2,  blos  das  Quadrat  des  zweyten  Theils  der  Wurzel  wäre. 
Bei  x2  -f-  ax  aber,  findet  sich  kein  solches  Glied.  —  Gleichwohl  muss, 
um  die  Gleichung  auflösen  zu  können,  eine  Quadratwurzel  ausgezogen 
werden;  denn  wir  wollen  x  wissen,  —  wir  haben  aber  in  der  Gleichung 
x2,  wir  müssen  also  von  der  zweyten  zur  ersten  Potenz  herabsteigen. 
Um  dies  zu  verrichten  vergleichen  wir  noch  einmal  Glied  für  Glied 
x2  -j-  2  xy  -f-  y2  mit  x2 -|- ax.  Hier  ist  x2  =  x2;  sollte  ferner  2xy  =  ax 
seyn:  so  wäre  2  y  ==  a,  und  y  =  -J-a,  also  y2  =  -^a2.  Gerade  dieses  ^a2 
fehlt  also  an  x2  -f-  ax,  damit  es  ein  vollkommenes  Quadrat,  nämlich  das 
Quadrat  von  x  -J-  -|-a  sey.  Wir  dürfen  also  nur  auf  beyden  Seiten  -J-a2 
addiren,  um  die  Wurzel  ausziehn  zu  können.  Die  Rechnung  hat  also 
folgende  allgemeine  Form: 


-\-  ax 


x2  -\-  ax  -f-  ^a2  =  b  -f-  ^a2 

x  +  ja  =  +  y(b  +  ja2~r 
x  =  ±]/(b  +  i.a2)  —  }a 

Das  Zeichen  +  (P^us  oder  Minus)  vor  dem  Wurzelzeichen  ver- 
ursacht zwei  Werthe  von  x;  sein  Grund  aber  liegt  darin,  dass  jede 
Quadratwurzel  dasselbe  positive  Quadrat  giebt,  sie  selbst  sey  negativ  oder 
positiv;  z.  B.  2  .  2  ist  4;  aber — 2. — 2  ist  auch=-|~4j  wn"d  also  die 
Wurzel  von  4  gefordert,  so  lässt  sich  nicht  entscheiden,  ob  diese  Wurzel 
-f-  2   oder  —  2   sey. 

Vergleichst  Du  dies  mit  dem,  was  Häseler  von  den  Gleichungen 
sagt,  so  zweifle  ich  nicht,  dass  eins  Dir  das  andre  vollkommen  deutlich 
machen  werde. 

Endlich  empfehle  ich  Dir  noch  folgendes  Buch,  das  gleich  nach  Emp- 
fang dieses  Briefes  verschrieben  werden  muss,  wenn  es  Dein  Vater  er- 
laubt: Stahls  Grundriss  der  Combinationslehre  nebst  Anwendung  derselben 
auf  die  Analysis.  1800.  Über  dies  sehr  wichtige  Studium  werde  ich  Dir 
nähere  Anleitung  geben,  so  bald  das  Buch  in  Deinen  Händen  ist.  — 
Diesmal  schliesse  ich,  um  nicht  noch  einen  Posttag  zu  verlieren,  und 
überlasse  es  Dir,  diesen  mathematischen  Brief  —  wenigstens  nicht  für 
einen  Brief  zu  achten.  II 


246 


Dezember   1801, 


Blatt  3. 


I.) 


am 
bn 
cp 
dq 


■  =  h:  hmnpq 


II.)  ax  -\-  b  (1  —  x)  =3  c  =  ax  -f-  b  —  bx 
(a  —  b)  x  =  c —  b 


c  — b 

a  —  b 


III.)  a:  am  =  b  :bm 


IV.)  (a  +  b  +  c):g  = 


a: 


ag 


c: 


a  +  b  +  c 

bg 
a  +  b  +  c 

cg 
a  +  b  +  c 


V.)  a  :  b  =  c :  x 
d  :  x=  e  :  y 
f  :y  =  g:z 


Folglich  gleich  Anfangs 


163.  An  v.  Halem. 


adf  :  bxy  =  gec  :xyz 


bxyceg 
adf 


xyz 


bgec 


xy 


adf 


c 
:b  =  e 


=  z. 


Bremen  24  sten  December  1801. 

In  Eile  sende  ich  Ihnen,  mein  hochgeschätzter  Gönner  und  Freund, 
einen  Aufsatz,  der  in  aller  Langsamkeit  endlich  so  weit  gekommen  ist, 
Ihnen  für  die  Irene,  oder  doch  zu  Ihrer  nachsichtsvollen  Durchsicht,  vor- 
gelegt werden  zu  können.  Die  Schuld  dieser  Langsamkeit  liegt  nicht  an 
mir.  Mein  Freund  Ziemssen  in  Bern  hat  mich  von  Ostern  an  auf  nähere 
Nachricht  von  Pestalozzi  hoffen,  —  und  warten  lassen,  und  ist  endlich, 
darüber  krank  geworden;  Pestalozzi's  Schrift,  wie  Gertr.  ihre  K.  /.,  erwartete 
ich  ebenfalls  weit   früher;    als    sie    erschien    habe    ich   sie    sogleich    durch- 


Dezember  1801.  247 


gearbeitet,  unmittelbar  darauf  den  einliegenden  Aufsatz  geschrieben,  und 
ihn  die  Kritik  der  Frauen,  denen  er  gewidmet  ist,  passiren  lassen.  Darauf 
aber  bin  ich  wochenlang  von  denselben  Frauen,  die  sich  Abschriften 
davon  nehmen  lassen  wollten,  —  so  wie  diese  von  ihren  Copisten,  hin- 
gehalten; endlich  vor  einer  Stunde  kommt  mein  Exemplar  wieder  zu 
meinen  Händen;  und  nun  schreibe  ich  Ihnen  diesen  Brief,  in  Gegenwart 
des  HEn.  Walte  der  neben  mir  rechnet. 

Es  wird  mich  freuen,  wenn  Sie  meinem  Versuche  die  Aufnahme 
nicht  versagen  wollen.  Die  Pestalozzische  Unternehmung  scheint  mir 
für  Deutsche  gar  sehr  einer  eigentlich  Deutschen  Darstellung  zu  bedürfen; 
und  vielleicht  muss  sie  sich  noch  mannigfaltige  Correcturen  gefallen  lassen, 
ehe  sie,  sowohl  durch  präcis  dargestellte  Gründe  so  nothivendig,  als  auch 
durch  vollständige  Organisation  so  ausführbar  erscheinen  kann,  dass  sie 
der  Aufmerksamkeit  unserer  deutschen  Erzieher  sich  würdig  zeige.  Zwar 
nicht  dieses  kann  mein  kleiner  Aufsatz  als  seine  Aufgabe  ansehn,  hier 
war  es  nur  darum  zu  thun,  den  Leserinnen  der,  den  Müttern  etwas  un- 
behutsam gewidmeten  Pestalozzischen  Schrift  die  richtige  Ansicht  derselben 
zu  erleichtern. 

Um  diese  Ansicht  vollständig  zu  erreichen,  bedürfte  es  eigentlich 
noch  eines  zweyten  Aufsatzes,  wodurch  der  Blick  über  die  nothwendigen 
Grenzen  der  Pestalozzischen  Ansicht  erweitert  würde.  Dieses  Gegenstück 
zu  dem  vorigen,  würde  die  ästhetische  Wahrnehmung  als  den  Haupt-Nerven 
der  Erziehung  darstellen.  Ein  Wörtchen  davon  habe  ich  in  der  Einlage 
fallen  lassen.  Ob  mein  Wunsch,  zu  einer  etwas  ausgeführten  Darstellung 
meiner  Idee  in  der  Irene  künftigeinmal  Raum  zu  finden,  —  Gewährung 
hoffen  könne,  das  werden  Sie  mir  die  Güte  haben  zu  sagen,  wenn  Sie 
zuvor  Ihre  Erwartung  von  meinen  Arbeiten  nach  der  mitkommenden 
Probe  bestimmt  haben. 

So  eben  verlässt  mich  Walte;  —  hätte  ich,  weniger  zerstreut,  wol 
solange  von  andern  Dingen  schwatzen  können,  da  sich  die  angenehmen 
Erinnerungen  an  Sie,  und  an  meinen  Freund  Langreuter,  mir  jetzt  so 
froh  verbinden?  Ihre  Sophie  will  ihm  sein  Dedesdorf  reizend  machen; 
Sie  wollen  das  Glück  Ihrer  einzigen  Tochter  zu  seinem  Glück  machen! 
Ob  ich  mich  freue,  meinen  Freund  nun  so  eng  an  Sie  angeschlossen  zu 
sehn,  das  ist  Ihnen  gewiss  keine  Frage.  Nehmen  Sie  meine  Wünsche 
gütig  an;  erinnern  Sie  auch  Ihre  Tochter  dass  noch  einer  mehr  ist,  der 
ihre  Hoffnungen  und  Aussichten  mit  frohem  Herzen  theilt. 

Langreuter  lässt  mich  hoffen,  dass  ich  das  Brautpaar  bald  hier  sehn 
werde.  Kommen  Sie  nicht  einmal  mit  herüber?  Giebt  es  unter  so  vielen 
Geschäften  des  Besehens,  Wählens,  Kaufens,  nicht  eins,  wozu  das  Auge 
des  Vaters  gehört,  und  wozu,  für  die  Mannigfaltigkeit  der  Wahl,  das 
reiche  Bremen  der  bequemste  Ort  ist?  —  Man  hat  mich  seit  einiger 
Zeit  mit  allerley  Nachrichten,  als  sey  Ihnen  nicht  wohl,  geschreckt;  Lang- 
reuter versichert  mich,  dass  dies  ohne  Grund  ist;  aber  doch  möchte  ich 
mich  gar  zu  gern  mit  eignen  Augen  überzeugen,  dass  Ihre  Heiterkeit 
durch  keine  Unpässlichkeit  gestört  wird.    — 

Sehn  Sie  die  eilige  Schreiberey  mit  Nachsicht  an;  und  zweifeln  nie  an 
meiner  unveränderlichen  Hochachtung  Ihr  gehorsamer  Herbart. 


1802. 


Pestalozzis  Idee  eines  ABC  der  Anschauung.  S.  Bd.  I.  S.  151  —  274.  —  Über  Pesta- 
lozzis neueste  Schrift:  Wie  Gertrud  ihre  Kinder  lehrt.  S.  Bd.  I.  S.  139 — 150.  — 
Rez.  über  Iths  Bericht  (s.  Bd.  XII,  S.  3 — 4),  Pestalozzis  Wie  Gertrud  ihre  Kinder  lehrt 

(s.  Bd.  XII.     S.  5—8). 

164.     An   Carl   V.    Steiger.1)  Bremen  Ende  Jan.   1802. 

Ich  habe  zwar  nur  noch  einen  Augenblick,  mein  theurer  Karl,  um 
an  Dich  zu  schreiben;  doch  wenn  ich  auch  alles  andere  aufschieben 
muss,  will  ich  Dir  wenigstens  danken  für  das  Vergnügen,  was  Dein  Brief, 
Dein  Aufsatz,  Deine  glücklich  getroffene  Auflösung  der  mathematischen 
Aufgaben,  —  und  noch  ganz  besonders  die  Schnelligkeit  mir  gemacht 
hat,  mit  der  Du  diesmal  meinen  Brief  beantwortet  hast.  So  muss  es 
fortgehen  zwischen  uns;  kein  Brief  darf  eine  Reihe  von  Wochen  hindurch 
liegen  bleiben,  keine  Antwort  so  lange  verschoben  werden,  bis  der 
Schreiber  und  der  Leser  das  Interesse  daran  verlieren. 

Deine  Aufsätze  über  den  Phädon  werden  weitläuftig  werden,  und 
eine  lange  Reihe  ausmachen,  wenn  sie  so  fortgehen  sollen;  doch  das  thut 
Nichts.  Fahre  nur  so  fort;  sehe  ich,  dass  Du  Dich  kürzer  fassen  kannst, 
so  will  ich  es  Dir  schon  sagen.  Du  bist  schwerlich  im  Stande,  das  was 
ich  zu  lesen  verlange,  in  so  wenig  Worte  zu  fassen,  wie  es  freylich 
eigentlich  seyn  sollte.  Ich  habe  das,  was  ich  an  Dir  liebe,  auch  in 
Deinem  Aufsatze  gefunden,  und  darum  besonders  ist  er  mir  werth. 
Übrigens  ist  auch  der  Stil  ziemlich  gut;  dies  habe  ich  am  meisten  be- 
merkt, da  ich  ihn  in  Kulenkamps  Hause  vorlas,  und  mich  nur  an  wenigen 
Stellen  in  Verlegenheit  fühlte,  in  die  man  beym  Vorlesen  zu  gerathen 
pflegt,  wenn  etwas  schlechtgeschriebenes  vorkommt.  Nur  mit  Deinem 
Schreibmeister  möchte  ich  ein  wenig  schelten,  wenn  Du  gewöhnlich  keine 
bessere  Hand  schreibst;  —  ausdrücklich  aber  verbitte  ich  mir,  dass  Du 
um  dieser  ||  Erinnerung  willen,  Deine  Briefe  an  mich  nicht  etwa  langsamer 
pinselst;  mir  ist  es  einerley,  mit  welcher  Feder  Du  an  mich  schreibst.  — 
Ob  Du  übrigens  zu  einer  solchen  Fortsetzung  Deiner  Aufsätze,  wie  die  zu- 
nehmende Schwierigkeit  der  Sache  es  Dir  anmuthet,  fähig  seyn  wirst, 
wenn  Du  bloß  Sonntags  ein  paar  abgerissene  Stunden  dazu  anwendest, 
—  daran  zweifle  ich  sehr.  Ich  habe  Dir  längst  einen  Vorschlag  an- 
gegeben, den  ich  ungern  vergessen  sehe;   diesen  nämlich,  von  Zeit  zu  Zeit 

x)  2  S.  8°. 


März   1802. 


249 


ein  paar  Tage,  —  so  lange  Du  es  aushalten  kannst,  —  ganz  für  Dich 
zu  arbeiten,  alle  Lehrstunden  auszusetzen,  um  gewisse  Gegenstände,  die 
eines  ganz  zusammenhängenden  Nachdenkens  durchaus  bedürfen,  ungestört 
zu  verfolgen.  Hast  Du  darüber  wohl  je  mit  H[errnJ  Segelken  und  mit 
Deinem  H[errn]  Vater  gesprochen?  Den  Versuch  zu  machen,  hätten  sie 
Dir  schwerlich  abgeschlagen.  —  Von  den,  alles  überwiegenden,  und  durch 
Nichts  Anderes  zu  ersetzenden  Vortheilen  eines  solchen  Studirens  habe 
ich  Dir  schon  mündlich  gesprochen.  Ich  sehe  vorher,  dass  Du  ohne  dies 
Mittel  der  längern,  tieferen,  vollkommneren  Besinnung  und  Durchschauung 
des  Ganzen,  —  welche  die  platonischen  Schriften,  und  namentlich  der 
Phädon,  nothwendig  erfordern,  fast  unmöglich  mächtig  werden  kannst.   — 

Dass  ich  Dir  heute  nichts  eigenes  schicke,  liegt  zum  Theil  an  ge- 
häufter Arbeit,  zum  Theil  daran,  dass  ich  während  der  Zeit,  wo  die 
Zeitungen  häufig  von  erbrochenen  Briefen  sprechen,  nichts  für  Dich  arbeiten 
mochte,  ehe  ich  erfuhr,  ob  mein  Aufsatz  an  Hrn.  S[egelken]  und  ein 
anderer  an   Ziemssen  richtig  angekommen  wären. 

Entschuldige  mich  bey  Hrn.  S[egelken],  dass  ich  auf  seinen,  sehr 
verbindlichen  Brief  heute  nicht  antworten  kann.  Es  geschieht  bald.  — 
Sage  doch  Ziemssen,  dass  ich  sehr  bitte  um  Nachricht  wegen  seiner  Ge- 
sundheit.    Dich  und  alle  Deine  Geschwister  grüsst  herzlich 

Eiligst.  Dein   Herbart. 

165.    Weineke  an  H.1)  Oldenburg,  d.  5  Mertz  1802. 

Mit  inniger  Freude  über  Ew.  Hochedelgeboren  gütiges  Andenken  an  mich, 
habe  Ihren  lieben  Brief  mehreremale  gelesen,  und  bin  über  Ihr  unverdientes  Lob 
und  Zutrauen  ganz  beschämt.  Das  Sie*  mein  lieber  in  der  edlen  Musica  so  große 
Fortschritte  gemacht  haben,  ist  nicht  bloß  mein  Verdienst,  ein  Talent  wie  das  Ihre 
gedeihet  auch  ohne  einen  großen  Lehrer,  und  überträffe  ihm  vielleicht,  wenn  dies 
bloß  das  einzige  Fach  wäre,  welchem  es  sich  widmen  wollte,  solche  Genie  werden 
nur  alle  Hundert  Jahre  gebohren. 

Nun  zum  jungen  Lange,  in  Hamburg  werden  doch  große  Organisten  seyn,  (in 
Bremen  Rauschelbach  ist  sehr  geschickt,  aber  vielleicht  nicht  zum  informiren  gebohren) 
und  ist  doch  viel  gutes  zu  hören,  welches  hier  im  Sommer  nicht  der  Fall  ist.  Gerne 
möchte  ich  wißen  wie  alt  der  junge  Lange  ist,  und  ob  er  schon  Orgel  gespielt,  mit 
Chorälen  bekannt  ist,  ich  halte  es  für  schwerer,  einen  guten  Choral  zu  spielen,  als 
ein  ziemlich  schweres  Concert,  auch  wäre  es  gut,  wenn  er  etwas  Yiolin  oder  Violincell 
spielte,  es  bildet  eine  gute  Melodie. 

Nun  noch  das  Wichtigste  über  unsern  jungen  Lange,  nemlich  seinen  Vorsatz 
nach  Schmalkalden  zu  reisen.  Wißen  Sie  auch,  das  der  dortige  Organist  Vierling 
ein  Schüler  vom  seeligen  Kirnberger  ist,  der  sich  durch  verschiedene  Orgel  Sachen 
bekannt  gemacht  hat,  man  kann  doch  wohl  mit  recht  schließen,  das  er  ein  vor- 
trefflicher Organist  seyn  muß,  und  da  wäre  es  wohl  zu  überlegen,  ob  der  junge 
Lange  seinen  ersten  Plan  folgte,  oder  ob  er  sich  mir  anvertrauen  mögte,  so  viel  ist 
von  Ihren  mir  sonstigen  unverdienten  Complimenten  richtig,  was  ich  weiß,  thoile 
ich  gerne  mit  aller  Sorgfalt  mit,  aber  ob  ich  Vierling  an  Kenntnißen  gleich  komme, 
das  bezweifle  ich.  Überlegen  Sie  dieses  mit  Ihren  Freunden  und  melden  mir  Ihre 
Stimmung,  sehr  gerne  bin  ich  mit  Ihrer  Wahl  zufrieden,  da  Sie  aus  wahrer  Liebe 
zur  Kunst  das  Beste  wählen  werden. 


x)  3  S.  kl.  4°.     H.  Wien. 


2ZQ  April   1802. 

Mein  Sohn,  welcher  sich  ehestens  mit  der  Demois.  Ritscher  Nanchen  verehlicht, 
läßt  sich  Ihnen  bestens  empfehlen,  und  da  er  als  Kammermusikus  mit  nach  Eutin 
vius,  so  wird  er  nicht  verfehlen  Ihnen  bey  seiner  Durchreise  seine  Aufwartung  zu 
machen. 

Mit  vollkommenster  Hochachtung  gehorsamster  Diener 
in  Eile  Carl  Weineke. 

166.  An  Carl  v.  Steiger.1)  Bremen  1  April  1802. 
Mit  umgehender  Post  sende  ich  Dir,   mein   Geliebter,  noch  ein  paar 

Zeilen  zur  Antwort,  —  wahrscheinlich  die  letzten  die  ich  Dir  von  hier 
aus  schreibe.  Denn  meine  Abreise  nach  Göttingen  kann  nicht  mehr 
4  volle  Wochen  entfernt  seyn. 

Dein  Brief  hat  mich  erschreckt,  —  beynahe,  als  ob  Du  noch  krank 
wärest.  Aber  Dein  ländlicher  Aufenthalt  hat  Dich  hoffentlich  schon 
wieder  gestärkt,  und  ich  hüte  mich,  Dir  und  mir  durch  unnütze  Klagen 
trübe  Augenblicke  zu  machen.  —  Sorge  nur  für  Dich,  mein  Theurer, 
und  lass  keine  Kränklichkeit  zurückbleiben.  Die  abwechselnde  Witterung 
des  Frühjahrs  ist  noch  angreifend,  und  das  Klima  von  Bern  ist  etwas 
rauh.  Lass  alle  Quadratwurzeln  und  Gleichungen,  bis  Du  sie  mit  voll- 
kommener Leichtigkeit  durchdenkst.  —  Aber  was  hat  Dir  denn  Galle 
machen  können?  Ich  sinne  umsonst,  was  Du  für  Verdruss  gehabt  haben 
kannst.     Die  Galle  lass  noch  auf  lange  Zeit  den  Männern.  — 

Du  schreibst  zu  meiner  Freude  von  Franz,  aber  warum  nicht  von 
Ludwig?  Warum  nicht  von  ||  Rudolph?  Dass  ich  von  den  beyden  in  so 
langer  Zeit  nichts  erhalten  habe,  darüber  darf  ich  nun  freylich  nichts 
sagen.  Wüssten  sie  aber,  wie  oft  ich  vom  Schreiben  Kopfschmerz  und 
Schwindel  bekomme,  wie  sehr  ich  jede  Zeile  scheue,  —  sie  würden  mit 
mir  nicht  rechnen.  —  Und  wie  befindet  sich  Deine  Frau  Mutter?  —  Sie, 
und  alle  die  Deinigen,  haben  während  Deiner  Krankheit  villeicht  mehr 
gelitten  als  Du  selber,  —  so  wie  es  für  mich  eine  wahre  Wohlthat  ist, 
dass  ich  nichts  davon  gewusst  habe. 

Willst  Du  mir  noch  hierher  schreiben,  —  und  ich  hätte  sehr  gern 
wenigstens  in  ein  paar  Zeilen  noch  Nachricht  von  Deiner  Gesundheit,  — 
so  muss  es  wohl  mit  umgehender  Post  seyn.  Verspäten  sich  indess 
Briefe,  so  kommen  sie  durch  Smidt  ganz  sicher,  nur  etwas  später,  in 
meine  Hände.  Vorläufig  ist  auch  hier  eine  Adresse,  unter  der  Ihr  mir 
nach  Göttingen  schreiben  könnt:  An  H.  —  Abzugeben  an  Hrn.  Walte, 
D.  R.  B.  im   Wagemannischen   Hause  in   Göttingen. 

Thue,  was  Du  kannst,  lieber  Karl  um  wieder  recht  wohl  zu  werden. 
Empfiehl  mich  den  Deinigen. 

Eilig.  Dein  Herbart. 

167.  An   V.    Halem.  Bremen  Ende  Aprills  1802. 

Ich  nutze  noch  einige  der  letzten  Augenblicke  meines  Hierseyns,  um 
Ihnen,  mein  verehrter  Freund,  wenigstens  den  Dank  darzubringen,  zu  dem 
Sie    mich    wieder    so    mannigfaltig    verpflichtet    haben.      Obgleich    ich    ein 

x)  2  S.  8°. 


April   1802.  251 

wenig  erschrak,  da  ich  eine  Stelle  aus  dem  in  höchster  Eile  und  während 
eines  mathematischen  Unterrichts  geschriebenen  Briefe,  vor  meinem  Auf- 
satze abgedruckt  sah,  so  bin  ich  dennoch  froh,  durch  Ihre  begleitende 
gütige  Note  ein  wenig  mehr  nach  geselliger  Sitte  dem  Publicum  vorgestellt 
zu  seyn;  —  und  um  eines  so  schönen  Geleites  willen  mochte  denn  auch 
das  Begleitete  hier  Platz  finden.  Sonst  sehn  Sie  nur  zu  wohl,  wie  sehr 
ich  Ursache  habe  mich  vor  allem  zu  hüten,  was  einer  Verkündigung 
ähnlich  sieht.  Habe  ich  es  doch  nicht  dahin  bringen  können,  dasjenige 
populär  für  die  Irene  darzustellen,  was  schon  seit  einigen  Monaten  in 
einem  zu  Druck  bestimmten  Aufsatze  als  philosophische  Untersuchung 
vor  mir  liegt.  Es  waltet  ein  mürrischer  Genius  über  mir,  den  ich  nicht 
soweit  bringen  kann,  dass  er  mir  vorher  sage,  wozu  ich  im  nächsten 
Vierteljahr  taugen  soll.  Bäder  und  China,  freye  Luft  und  —  gesellige 
Heiterkeit,  —  diese  scheinen  etwas  über  ihn  zu  vermögen ;  rechne  ich 
dazu  noch  Ihre  und  so  mancher  Guten  und  Theuern,  fromme  Wünsche, 
so  denke  ich  doch,  er  soll  noch  irgend  einmal   beschworen  werden. 

Nun  muss  ich  mich  wieder  aus  Ihrer  Nähe  entfernen,  ohne  Sie,  ohne 
Ihre  Tochter  als  Braut  am  Arme  meines  Freundes  gesehn  zu  haben! 
Ich  hatte  so  sehr  darauf  gehofft!  —  Wie  lange  es  währen  wird,  ehe  ich 
mich  wieder  gegen  die  vaterländische  Gegend  hin  wende,  kann  ich  nicht 
wissen.  Meine  Pläne  gehn  nicht  über  ein  Jahr  hinaus,  das  ich  in  Gott, 
zubringe.  Die  Folge  muss  sich  finden;  —  soviel  Hoffnungen  habe  ich, 
dass  ich  eben  keine  Verlegenheit  fürchte.  —  Was  ich  in  G.  mache,  davon 
sage  ich  Ihnen  von  dort  aus  mehr.  Ich  hoffe  nämlich  und  bitte  Sie 
darum,  dass  ich  es  noch  ferner  wie  eine  Schuldigkeit  betrachten  dürfe, 
Ihnen  von  meinem  Leben  Rechenschaft  zu  geben.  Zwar  weiss  ich  nicht 
anzugeben,  wodurch  ich  es  verdient  habe,  dass  Sie  Sich  schon  so  lange 
mit  ununterbrochener  Güte  für  mich  interessiren;  aber  ich  bin  nun  einmal 
in  der  süssen  Gewohnheit.     Werden  Sie  mich  herausreissen  wollen? 

Dass  Sie  das  nie  thun,  —  darum  bittet  Sie  mit  unveränderlicher 
Hochachtung 

Ihr  gehorsamer   F.   Herbart. 

Von  meiner  Mutter  habe  ich  Ihnen  aus  einem  neulichen  Briefe 
vielen  Dank  für  Ihr,  durch  Oelsners  Hände  gesandtes  Schreiben,  und 
folgende  Nachricht  zu  überbringen,  die  ich  wörtlich  abschreibe: 

Daß  sie  von  Ö[lsner]s  Anerbieten  keinen  Gebrauch  habe  machen  mögen,  weil  sie 
schon  damals  und  jetzt  täglich  mehr  überzeugt  werde,  daß  dieser  ausgezeichnete  Mensch 
mit  starken  Schritten  dem  Grabe  zueile.  Es  sey  zwar  nicht  möglich  ihm  das  begreiflich 
zu  machen,  er  denke  und  spreche  von  nichts  als  von  sinnlich.  Genüsse,  sey  auch  noch 
nicht  den  ganzen  Tag  bettlägerig;  er  wolle  sogar  wie  weil.  Wid[ersprecher]  —  nach 
Frankfurt,  —  eine  Reise  nach  England  machen;  aber  er  werde  zusehends  abgemagerter, 
sey  fast  ganz  ohne  Schlaf,  und  wenn  sein  Freund,  Dr.  Ebell,  nicht  Wunder  thun  könne, 
so  halte  man  ihn  für  verloren. 

Es  ist  noch  eine  andre  Stelle,  die  ich  nicht  verstehe,  in  dem  Briefe.  Meine  M. 
spricht  von  einem  Pergament,  welches  die  Stadt  Frankfurt  einem  HEn.  Basse  für  er- 
hebliche, derselben  geleistete  Dienste  geschenkt ;  sie  spricht  ferner  ablehnend,  von  Ihrem 
Antrage,  sie  zur  Schriftstellerin  zu  machen;  —  und  endigt  so:  „Will  HE.  v.  Halem 
Bassens  Pergament  abdrucken  lassen?  Das  freylich  wäre  ein  andres. "  —  Ich  gebe  Ihnen, 
was  ich  habe;  und  bitte  um  Verzeihung  wegen  der  eiligen  Schreiberey.     Ihr  H. 


2^2  Msri   1802. 

168.  An  Carl  v.  Steiger.1)  Göttingen  6.  May  1802. 
Theurer  Karl.      Alles  hat  mich  hier  wohl  empfangen,  —  und  ich  habe 

keine  Briefe  von  Dir  vorgefunden,  wie  ich  doch  so  sicher  hoffte,  da  auch 
nach  Bremen  in  den  letzten  Tagen  keine  kamen.  Wie  das  zugeht?  Das 
mag  ich  nicht  überlegen.     Säume  nicht  länger! 

Was  ich  hier  mache?  davon  nächstens  mehr.  Dass  ich  mich  an  ein 
paar  Ministers  Söhnen  versuche,  —  kann  vielleicht  für  sie  und  für  mich 
seine  guten  Folgen  haben,  —  kann  auch  bald  vorbey  sein;  auf  jeden 
Fall  wirst  Du  gewiss  nicht  darüber  vergessen.  Der  eine  ist  ein  schon 
ziemlich  stark  verdorbener  schwacher  Mensch,  ein  Graf  Hollmer  aus 
Oldenburg,  der  andere  ist  ein  sehr*  feiner,  gewandter  Kopf,  und  bisher 
unschuldig,  aber  sehr  verführbar,  ein  Hr.  v.  Groote  aus  Hannover;  der 
mich  zwar  in  der  That  sehr  interessirt,  aber  auch,  ||  wenn  ich  nicht  bald 
von  ihm  getrennt  seyn  soll,  der  grossen  Versuchung  zu  widerstehen  hat, 
hier  eine  der  ersten  Rollen  unter  den  Studenten  zu  spielen,  was  sein 
Stand  ihm  gewissermassen  anmuthet,  denn  sein  Vater  ist  einer  von  den 
wirklichen  Regenten  von  Hannover.  (Der  König  von  England  unterschreibt 
nur  zu  Zeiten  seinen  Namen.) 

Diese  Verbindungen  sind  sehr  lose;  vester  die  mit  Walte;  aber  unsre, 
mein  guter  Karl,  ist  die  vesteste!  Warum  sind  wir  so  weit  von  einander, 
—   warum  können  wir  uns  so  wenig  erreichen  ? 

Ein  andermal  mehr.  Du  adressirst  an  Madame  Funke,  gegenüber 
Hrn.  Superintendenten  Wagemann.  Dein  Herbart 

169.  An   Smidt.2)  Göttingen,  am  24.  Mai  1802. 
Nicht  länger,  mein  theurer,  hochgeschätzter  Freund,  will  ich  es  Dich 

blos  voraussetzen  lassen,  dass  ich  Deiner  und  der  Deinigen  viel  und  oft 
gedenke.  Und  mit  vorzüglicher  Freude  sage  ich  Dir  heute,  an  dem 
ersten  Tage,  da  ich  mich  hier  von  körperlichem  Unbehagen  völlig  frei 
fühle  —  dass  ich  es  mehr  und  mehr  gewahr  werde,  ich  habe  bei  Dir 
und  durch  Dich  neue  Wurzeln  geschlagen  für  eine  heitere  Existenz,  zu 
der  mir  die  Hoffnung  beinahe  verloren  schien.  Mitten  unter  Bremischen 
Sachen,  Bremischen  Menschen  und  Verhältnissen,  empfinde  ich,  daß 
Göttingen  mir  leisten  kann,  was  ich  hier  suchte,  und  sehe  ich  mich  jetzt 
auf  dem  geraden  Wege  zu  meinem   Ziele. 

Und  nun  verlangt  mich  zu  wissen,  was  Ihr  macht;  mich  verlangt 
nach  den  Briefen,  die  ich  mir  hätte  verdienen  sollen  und  schon  verdient 
haben  würde,  wenn  es  nicht  so  sonderbar  in  meinem  Kopfe  umginge, 
was  ich  für  die  drei  heterogenen  Menschen,  Walte,  Grote  und  Holmer, 
und  die  drei  heterogenen  Collegien,  Pandecten,  Pindar  und  höhere  Me- 
chanik, und  für  allerlei  noch  mehr  contrastirende  Briefschreibereien  u.  s.  w. 
zu  thun  habe.  Glücklicherweise  ist  in  diesem  Wirrwarr  ein  lichter  Punkt, 
den  Du  wohl  nicht  errathen  würdest.  Oder  kannst  Du  treffen,  was  mich 
erfrischt,  wenn  ich  von  der  Jurisprudenz  —  die  trotz  aller  Vorzüge  von 
Hugo's  Vortrag  und   Methode   doch  immer    noch    die    langweilige  Alte  ist 


x)  2  S.  8°. 

2)  Nach  Zillers  Reliquien,   Original  ist  nicht  mehr  vorhanden. 


Juli   1802.  2^ 

—  eingeschläfert  und  geärgert  weggehe  und  mich  selbst  wiedersuche? 
Und  wirst  Du  mich  nicht  auslachen,  wenn  ich  Dir  sage,  aus  welcher 
Quelle  ich  begierig  die  Art  von  Verjüngung  trinke,  deren  ich  mich  be- 
dürftig fühle?  Es  ist  dies  der  ci-devant  unbändige  Grote,  an  dem  jetzt 
nicht  nur  die  Zierlichkeit  und  feine  Sitte  constant  zu  werden  scheint, 
sondern  der  auch  sein  ganzes  Betragen  so  reinlich  hält,  so  gleichförmig 
besonnen  und  gutwillig  seine  Dinge  thut,  so  ernstlich  hört  und  sich  fügt 
und  anschliesst,  und  wieder  so  freimüthig  seinen  Platz  behauptet:  dass 
ich  die  Stunden  unter  die  guten  und  schönen  Stunden  meines  Lebens 
zähle,  da  wir  das  Versprechen  einer  herzlichen  Offenheit  unter  einander 
gewechselt  haben.  —  Er  ist  von  Natur  gescheit  und  lebendig;  Alles  steht 
unverdorben  aufrecht. 

Wenn  ich  Dir  noch  erzähle,  dass  ich  Dir  zu  Deinem  Landsmann 
Gildemeister  gar  sehr  Glück  wünschen  zu  können  glaube,  dass  auch  Walte 
seine  Arbeiten  und  sein  Leben  recht  gut  begonnen  hat,  dass  Hülle,  den 
ich  noch  wenig  kenne,  wenigstens  für  unsere  neue  literarische  Gesellschaft, 
die  wir  unserer  sechs  nächstens  einzurichten  denken,  tauglich  gehalten 
wird,  so  habe  ich  Dir  die  besten  Nachrichten,  die  ich  hatte,  nun  alle 
gegeben. 

Grüsse  die  Guten  alle  —  ich  will  sie  nicht  herrechnen,  die  ich, 
näher  und  entfernter,  um  mich  sehn,  und  mit  freundlichen  Worten  möchte 
erreichen  können. 

Der  Kulenkampen  danke  ich  herzlich  für  ihren  Brief  * —  bald  danke 
ich  selber;  aber  dazu  muss  ich  mir  einen  freieren,  lieblicheren  Platz 
unter  den  Geschäften  des  Tages  heraussuchen.  —  Erzähle  mir  doch  auch 
von  unserm  Böhlendorf. 

Ganz  Dein  Herbart. 

W. :  Meldeschreiben  zur  Promotion  u.  Habilitation.     S.  Bd.  I.     S.  366. 

170.      All    Gries.  *)  Göttingen  Ende  Jul.   1802. 

Dein  Brief,  mein  theurer  Gries !  und  Dein  schönes  Geschenk2),  das 
ich  schon  unter  seiner  Hülle  im  Dunkeln  erkannte,  hat  mir  eine  heitere 
Stunde  noch  heiterer  gemacht.  Ich  sass  eben  mit  meinem  neuesten 
Lieblinge  —  (Freunde  kann  ich  nicht  wohl  sagen),  —  dem  jungen  Grote, 
einem  Jünglinge  von  17  Jahren,  —  als  Du  mich  zurückriefst  in  jene  gute 
alte  Zeit;  und  so  konnte  ich  das  Neue  mit  dem  Geiste  des  Alten  ver- 
edeln.  — 

Lassen  wir  die  Zwischenzeiten!  Ich  übe  mich  und  strenge  mich  an, 
die  schweren  Träume  der  letzten  drittehalb  Jahre  in  meinem  Gedächtnisse 
zu  vernichten.  Hast  Du  auch  zu  vergessen,  so  wünsche  ich  Dir,  wie  mir 
selber,   dass  es  gelingen   möge. 

Doch  Du  hast  diese  letzten  Jahre  ein  Gedächtniss  gestiftet ,  das 
bleiben    wird!       Sey  gewiss,    Du    hast    nicht    umsonst    gewünscht,    Deinen 

*)  Die  Briefe  an  Gries  wurden  mir  von  der  Stadtbibliothek  zu  Hamburg  freund- 
lichst zur  Verfügung  gestellt.  Vgl.  auch  [Elise  Campe]  „Aus  dem  Leben  von  Joh. 
Diedrich  Gries",    1855,  S.  71  ff. 

2)  Die  Uebersetzung  von  Tasso's  befreitem  Jerusalem.     4.  Teil. 


254  Juli  l8°2- 

Freunden  viel  heitern  Genuss  zu  bereiten.  Ich  lese  Deinen  Tasso,  lese 
ihn  wieder,  und  mag  ihn  noch  oft  lesen.  Gehe  ich  über  den  Genuss 
hinaus:  so  ist  es  nicht  zur  Kritik;  dazu  fühle  ich  mich  so  wenig  gereizt 
als  berufen,  sondern  zum  Gebrauch  nach  meiner  Art.  Er  ist  mir  ein 
späterer  Homer  für  die  spätere  Jugend.  So  habe  ich  ihn  mehrmals  in 
kleinen  Versuchen  gebraucht  und  bewährt  gefunden,  und  denke  seinen 
Beystand  noch  weiter  so  zu  benutzen.  Des  wird  er  nicht  zürnen  und  Du 
eben  so  wenig. 

Was  ich  hier  in  Göttingen  suche  ?  In  Ermanglung  meiner  verlorenen 
—  noch  oft  zurückgewünschten  Hauslehrerstelle  in  Bern  —  suche  ich  hier 
ein  Katheder.  Nicht  für  eine  neue  Philosophie  —  sondern  für  einen  — 
wo  möglich  bessern,  und  bildendem  Gebrauch  der  alten.  —  Aliter :  ich 
suche  einen  Platz,  der  mir  Erwerb  gebe,  denn  der  ist  meine  Pflicht 
wie  mein  Bedürfniss,  —  und  zugleich  eine  weitere  Mittheilung  dessen 
was  mir  am  Herzen  liegt,  und  was  ich  nicht  länger  darin  zu  verschliessen 
nöthig  finde. 

Meine  philosophische  Muse  wird  sich  zwar  wol  an  der  Leine  eben 
so  wenig  gefallen  wie  an  der  Saale  und  Weser;  sie  scheint  an  den  kleinen 
Bach  zu  Engistein,  wo  ich  ihr  im  Grunde  zuerst  begegnete,  gebannt  zu 
seyn.  Dort  werde  ich  vielleicht  irgend  einmal,  —  wer  weiss  wann  ?  — 
sie  wieder  aufsuchen  müssen.  Aber  sie  ist  auch  nicht  fürs  Volk!  Hier 
in  Göttingen  wird  sich  aus  dem  pädagogischen  Gesichtspunkt  mancher 
Versuch  machen  lassen,  —  und  Pädagogik  denke  ich  auch  künftigen 
Winter  zuerst  zu  lesen. 

Meine  Schriftstellerey  wirst  Du  um  Michaelis  ganz  von  unten  auf  dienen 
sehn;  sie  fängt  vom  ABC  an.  Nämlich  von  Pestalozzis  Idee  eines  ABC 
der  Anschauung,  die  ich  durch,  und  für  Mathematik  ausgeführt  wünsche. 
Vielleicht  hast  Du  im  Januarstück  der  Irene  einen  Aufsatz  von  mir  be- 
merkt, der  meinen  bremischen  Freundinen  zugeschrieben  ist,  und  der 
jenes  ABC  gewissermassen  ankündigt.  Findest  Du  Gelegenheit,  in  Jena 
die  Rede  hier  und  da  auf  die  Pestalozzi'sche  Angelegenheit  zu  leiten,  so 
würdest  Du  mich  verbinden. 

Gegenwärtig  gehöre  ich  hier  in  G.  dreyen  jungen  Leuten x)  an,  — 
dem  einen,  den  ich  Dir  vorhin  nannte,  aus  gegenseitiger  Wahl ;  den  andern 
beyden  bin  ich  bestellt.  Walte  aus  Bremen  war  dort  mein  Lehrling;  kann 
ich  mich  ihm  weniger  als  ich  wünschte  anschliessen,  so  gehört  dagegen 
seinem  Onkel  Kulenkamp  in  Br.  mein  ganzes  Herz.  Graf  Holmer 
aus  Oldenburg  studirte  hier  schon  seit  beynahe  2  Jahren,  braucht  aber 
eine  Art  von  Kassenführer;  und  für  dies  undankbare  Geschafft  belohnen 
mich  die  vortrefflichen  Briefe  seines  im  hohen  Grade  verehrungswürdigen 
Vaters.  Endlich  der  junge  Grote,  Sohn  des  Ministers  in  Hannover,  ist 
meine  tägliche   Gesellschaft;    er   ist    mir   selbst    und    ich  bin  ihm,    wie    es 


J)  In  Ihrem  Kreise  findet  ihn  Gries  (s.  dessen  Leben  S.  51)  auch  noch  im  Herbst, 
als  er  schon  Privatdocent  war,  ,, heiter  und  thätig,  sein  Werk  mit  Ernst  und  Eifer 
treibend".  Auch  gegen  Gries,  wird  dort  hinzugefügt,  ,,war  er  in  freundschaftlichen 
Gesinnungen  noch  derselbe;  es  waren  nur  wenige,  aber  schöne  Stunden,  die  Gries  mit 
ihm  verlebte '*  1807  schreibt  Gries  an  Berger:  „ Herbart  ist  auf  seinem  Platze  sehr 
thätig,  aber  er  äussert  sich  mehr  in  gedruckten  als  geschriebenen  Worten." 


Oktober   1802.  2^^ 


scheint,  dieses  häufigen  und  durchaus  traulichen  Umgangs  werth.  Giebt 
es  ein  lieblicheres  Schauspiel,  als  die  Entwicklung  einer  gesunden, 
frischen,   feinen,  glücklichen   Natur?   — 

Hier  hast  Du,  Lieber,  was  Du  von  mir  zu  wissen  wünschtest.  Was 
giebst  Du  mir  dafür  zurück?  —  Wie  Dich  Jena  noch  immer  halte,  — 
ob  es  Dich  noch  lange  halten  wolle?  —  Könntest  Du  dort  wirklich  froh 
werden,  so  würde  wol  niemand  etwas  einwenden,  wenn  Du,  wie  bisher, 
immer  fortführest,  uns  der  goldenen  Äpfel  aus  den  Hesperischen  Gärten 
einen  nach  dem  andern  herzulangen.  Aber  noch  sah  ich  niemanden  von 
der  Fülle  des  Lebens  wahrhaft  befriedigt,  der  ausser  unmittelbarer  Thätig- 
keit  für  und  unter  bestiiiimten  Menschen  lebte.  Und  so  wünsche  ich  mit 
Dir,  Du  möchtest  den  Weg  —  dorthin!  —  endlich  einmal  vor  Augen 
sehn.  Nimm  diesen  Wunsch  ganz  nach  Deinem  eignen  Sinn;  so  ist  er 
der  meinige. 

Dein   Herbart. 

Am  Rande:  „Wer  hat  wol  mein  Ciavier?  Ich  möchte  es  hier  haben, 
wenn  es  sicher  gepackt  und  geschickt  werden  könnte.  Gieb  mir  doch 
einige  Nachricht  davon.'1 

W:    Nach    Juli:     Thesen   zur    Promotion   u.    Habilitation.       S.  Bd.  I.      S.   277 — 278. 

22.  u.  23.  Okt.:  Anschlag  der  Thesen  zur  Erlangung  der  Dr.-Würde  u.  der  venia 
legendi.    —    Wintersemester   1802/3:    Zwei    Vorlesungen    über    Pädagogik.     S.    Bd.  1. 

S.  281 — 290. 

171.     An   V.    Halem.  Göttingen  28sten  Oct.   1802. 

Wem  anders  als  Ihnen,  mein  sehr  verehrter  Freund,  konnte  ich 
meine  Erstlinge  darbringen  ?  *)  Ich  habe  nicht  vor  dem  Publicum  mit 
Ihnen  schwatzen  wollen;  aber  nichts  desto  weniger  steht  die  ganze  Reihe 
der  Jahre  vor  mir,  worin  ich  die  Zeichen  Ihrer  Aufmerksamkeit,  die  Er- 
munterungen Ihrer  Güte,  nach  einander  empfing.  Sie  haben  mich  zwey- 
mal  dem  Publicum  vorgeführt:  Sie  sind  der  erste,  den  ich  bey  meinem 
Hervortreten   hochachtungsvoll  zu  begrüssen  habe. 

Meine  Schritte  werden  noch  immer  langsam  seyn.  Nur  darstellen  will 
ich  mich  und  meine  Gedanken  der  Prüfung.  In  diesem  Geiste  werden 
Sie  mein  Buch  geschrieben,  und  würden  Sie  meine  hiesigen  Verhältnisse, 
wenn  Sie  hier  wären,  eingeleitet  sehn.  Meine  Gewalt  wende  ich  gegen 
mich  selbst.  Ich  hätte  Stoff  im  Überfluss,  mich  ungestüm  laut  zu  machen; 
der  Philosophie  könnte  ich:  „rückwärts,"  der  Pädagogik:  „vorwärts",  und 
vielleicht  so  gar  der  Mathematik:  „grad  aufwärts",  ins  Ohr  schreyen; 
und  zugeben  müssten  sie  wohl,  dass  der  Ruf  Grund  hätte.  Aber  was 
würde  es  helfen?  Niemand  würde  mich  verstehn,  ja  ich  selbst  liefe  von 
dem  Augenblick  an  Gefahr,  mich  selbst  nicht  mehr  zu  verstehn.  —  Da- 
gegen mache  ich  mich  auch  mit  niemandem  gemein,  der  mir  nicht  an- 
gehören  kann.     Odi   profanum    vulgus,    et    arceo !     Lächeln  —  den    Kopf 

x)  Pestalozzis  Idee  eines  ABC  der  Anschauung  pp.  mit  der  Widmung:  „Dem 
Hrn.  Canzleyrath  von  Halem  zu  Oldenburg  ein  kleines  Zeichen  inniger  Ergebenheit  und 
Achtung",  s.  Bd.  I.  S.   151  ff. 


256 


November   1802. 


schütteln  werden  Sie  vielleicht  bey  diesen  Expectorationen.  Sey  es!  Sie 
mögen  es  wohl  wissen,  dass  ich  gerade  so  viel  Muth  und  Selbstvertrauen 
habe,  als  eben  nöthig  ist,  um,  nicht  ohne  Besonnenheit  und  Gewissen- 
haftigkeit, auf  ein  philosophisches   Katheder  treten  zu  können. 

Mein  Buch  möchte  ich  gern  Ihrer  Fürsorge  empfehlen.  Gern  auch 
hätte  ich  dadurch  die  HEn.  Ricklefs  und  König  wieder  an  mich  erinnert. 
Aber  unglücklicherweise  hat  der  Buchhändler,  von  dem  ich  in  allen 
Dingen  so  schlecht  als  möglich  bedacht  worden  bin,  mir  nur  12  Exem- 
plare auf  Schreibpapier  gesandt,  und,  wie  er  sagt,  dergleichen  überall 
nicht  mehr  gedruckt.  Sollte  ich  die  Unschicklichkeit  begehn,  jenen  HEn. 
ein  paar  Exemplare  auf  Druckpapier  zu  senden,  so  müsste  ich  vorher 
wissen,   dass  durch  Ihre  Güte  dies  im  Voraus  entschuldigt  wäre. 

Im  hohen  Grade  würde  ich  es  meiner  Vaterstadt  verdanken,  wenn 
sie  sich  das  Verdienst  um  mich  erwürbe,  die  ersten,  genauen  und  sorg- 
fältigen, Versuche  mit  meinem  Vorschlage  anzustellen.  —  Auf  jeden  Fall 
aber  darf  ich  annehmen,  dass  sie  Männer  besitzt,  die  Geist  und  Inter- 
esse genug  vereinigen,  um  sich  der  grossen  Pestalozzischen  Idee,  ele- 
mentarische Anschauungen  zum  Hauptfundament  des  Unterrichts  zu 
machen,  völlig  zu  bemächtigen.  Und  so  darf  ich  erwarten,  von  dort  aus 
wenigstens  durch  Urtheile  belehrt  zu  werden,  ob  ich  jene  Idee  der  Aus- 
führung näher  gebracht  oder  sie  verfehlt  habe.  — 

Ihrer  Tochter,  und  Ihrem  Sohne  bitte  ich  mich  zu  empfehlen.  Gern 
hätte  ich  meinem  Freunde  angenehme  Nachrichten  von  seinem  Eleven 
geschrieben.  Gern  hätte  ich  mich  wenigstens  gerühmt,  wie  thätig  ich  sey, 
um  seinen  Wünschen  zu  entsprechen.  Statt  dessen  habe  ich  ein  paar  Er- 
fahrungen gemacht,  wie  empfindlich  junge  Leute  auf  der  Academie  gegen 
Alles  sind,  was  wie  Aufsicht  aussieht. 

Die  angenehmsten  Nachrichten  von  meinem  Freunde  würde  ich  ge- 
wiss erhalten  haben,  wenn  er  mir  geschrieben  hätte.  Im  Geiste  war  ich 
oft  bey  ihm,  und  suchte  mir  sein  Glück  zu  denken.  Aber  er  ist  weiter 
wie  ich  —  und  ich  muss  bescheiden  warten. 

Zweifeln  Sie  nie,  dass  Ihre  Gewogenheit  unter  die  Güter  meines 
Lebens  gehört!     Darum  bittet 

gehorsamst  Ihr  Herbart. 

172.      An   Carl   V.    Steiger.1)  Göttingen   16  Nov.   1802. 

Mein  lieber  Karl!  Diesen  Mittag  hat  uns  Ludwig2)  Deinen  Brief 
vorgelesen.  So  lieb  mir  Dein  letzter  im  vorigen  Sommer  war,  sammt 
seinen  Beylagen  über  den  Phädon,  so  treibt  mich  dieser  doch  schneller 
zum  antworten,  obgleich  er  nicht  mir  gehört.  —  In  jenem  war  etwas 
Plato's  Geist;  dieser  aber  ist  fast  mit  Xenophontischem  Verstände  ge- 
schrieben. 

Wacker  genug  hielt  ich  Dich,  um  mit  den  Andern  Dich  gern  auf- 
zumachen.     Und   reif  genug  an  Charakter  und  Verstand,  um  nicht  einem 

')  4  S.  8°.  Aufschrift  von  Steigers  (?)  Hand:  „Nach  Rückkehr  aus  dem  Feldzug 
Nov.    1802. " 

2)  Zu  Besuch  in  Göttingen. 


November  1802. 


257 


Knaben-Ungestüm,    sondern    der  Sache    zu  dienen.      Aber  noch  nicht  alt 
genug,  um  zu  Hause  die  gute  Besinnung  bald  wieder  zu  finden. 

Darum  freut  mich  Dein  Brief. 

Er  nimmt  einen  Theil  der  Besorgnisse  hinweg,  die,  wie  Du  künftig 
wol  noch  mehr  begreifen  wirst,  Deine  Erzieher  für  Dich  empfinden  mussten, 
da  ||  Du  durch  die  Umstände  scheinbar  zum  Manne  wurdest,  längst  vorher, 
ehe  Deine  Bildung  geendet  war. 

So  denke  ich  wahrscheinlich  ähnlich  wie  Hr.  Segelken.  Uebrigens, 
wäre  ich  dort  gewesen,  so  hätte  ich  Dir  folgen  mögen.  Du  hättest  mich 
eilig  den  Gebrauch  des  Gewehres  gelehrt,  ich  hätte  bald  begriffen,  und 
wir  wären  zusammen  gegangen.  —  Oder  wenigstens  würde  es  mich  sehr 
tief  geschmerzt  haben,  dazu  nicht  zu  passen.   — 

Jetzt,  was  habe  ich  denn  wirklich  zu  thun?  Dich  zu  ermahnen, 
mein  lieber  Karl,  dass  Du  nun  sinnig  und  bescheiden  zurücktrittst,  in  die 
Schule,  aus  der  Du  noch  keineswegs  entlassen  sein  kannst. 

Im  Gegentheil,  Du  mußt  Deine  Alten,  Deinen  Herodot,  Xenophon, 
Plutarch,  jetzt  besser,  tiefer,  ||  gründlicher  fassen,  musst  sie  mehr  mit  Liebe, 
mehr  mit  Geschmack  lesen.  Ist  alles  in  Dir  wie  es  soll:  so  bist  Du 
ihnen  jetzt  näher,  nicht  fremder;  sie  heissen  Dich  willkommen,  —  hoffen, 
Du  seyst  würdig  von  ihnen  zu  lernen.  Fühlst  Du,  wie  sehr  ich  Dich  ehre, 
indem  ich  annehme,  jene  Alten  möchten  Dich  als  einen  Jüngling  aus 
ihrer  Mitte  gelten  lassen  können?   — 

Ich  habe  zu  thun:  nur  noch  eine  Bitte,  die  ich  längst  im  Sinne 
trug,  und  zu  der  jetzt,  da  Du  zu  militärischen  Würden  aufgestiegen  bist, 
vollends  Zeit  ist.  Heiss  mich  nicht  Herr,  sondern  nenne  mich  Du,  und 
bey  meinem  Namen.  Gefällt  Dir  der  Vorschlag,  so  ist  es  gut;  wo  nicht, 
so  wisse,  daß  ich  ohne  Dein  ausdrückliches  ||  Verlangen  Dich  nicht  anders 
wie  bisher  zu  tituliren  gedenke.  —  Und  einer  von  uns  beyden  müsste 
doch  wohl  nachgeben.   — 

Adieu,  Lieber!  Vergiss  nicht,  wer  Dir  geholfen  hat,  zu  werden,  was 
Du  bist.  Die  Wissenschaften  sind  es.  Ihr  Geist  weht  in  dem  Deinen. 
Aber  ihr  Werk  an  Dir  ist  noch  lange  nicht  fertig.  Sie  möchten  erst 
recht  beginnen.  —  Vergiss  das  nicht! 

Wann  sieht  Dich  Dein   Herbart? 

173.      An  Smidt.1)  Göttingen  —  Montags. 

Mein  theurer  Smidt!  Seit  meiner  Abreise  und  möglichst  be- 
schleunigten Hierkunft  habe  ich  still,  aber  mis vergnügt  und  unpass,  dem 
trüben  Wetter  hier  in  Göttingen  zugesehn;  der  nassen  Atmosphäre  durfte 
ich  mich  nicht  länger  aussetzen;  zur  Arbeit  unaufgelegt  warte  ich  auf  einen 
Brief  von  Karin  von  dem  ich  nicht  die  mindeste  Nachricht  habe;  und 
lasse  mir  allerlei  schlimmes  ahnden.  —  Dein  Brief  macht  mich  nicht 
heiterer.  Mein  Brief  an  Pestalozzi,  Deinem  Auftrage  gemäss,  liegt  ge- 
schrieben vor  mir,  und  geht  heute  ab;2)  aber  es  ist  hoffentlich  Deiner  Ab- 
sicht nicht  zuwider,   dass  ich  die  Anfrage  an  P.  seh   bedingt  gestellt  habe, 

x)  2  S.  4°. 

2)  Über  den  Briefwechsel  Herbarts  mit  Pestalozzi  war  nichts  zu  ermitteln. 

Herbarts  Werke.     XVI.  i; 


258 


November  1802. 


da  ich  kaum  etwas  davon  erwarten  kann.  Der  gute  Blendermann  geht 
mir  nahe,  er  wird  sehr  schwer  zu  ersetzen  seyn.  So  stark  bewegten 
Menschen  wie  Pestalozzi]  traue  ich  in  keinem  Geschafft,  keiner  Wahl, 
wobey  Critik  nöthig  ist.  Der  Methode  traue  ich  nicht  so  viel  Festigkeit 
der  For?n  zu,  dass  ein  Fremder,  ohne  andern  innern  Fond,  (über  diesen 
wird  Pestalozzi]  nie  richtig  urtheilen)  nicht  sehr  leicht  als  ein  unnützer 
Mensch  bei  Euch  da  stehen  könnte,  sobald  sich  das  Publicum  über  die 
nothwendigen  Verbesserungen  verständigt  haben  wird.  Ich  rechnete  viel 
auf  Blendermanns  eignes  Fortgehen,  Fort-Versuchen  und  Erfinden,  Emp- 
fangen und  Benutzen.  Pestalozzi  möchte  leicht  den  Einseitigsten,  am 
meisten  mit  der  Manier  Getränkten  für  den  Vorzüglichsten  halten.  Er 
wird  keinen  Pedanten  und  keinen  Schwächling,  —  aber  er  könnte  einen 
starren  Kopf  empfehlen  wollen.  —  Hätte  Dein  Auftrag  unbestimmter  ge- 
lautet, so  hätte  ich  vielleicht  diesen  Bedenklichkeiten  so  weit  nachgegeben, 
gar  nicht  zu  schreiben;  jetzt  habe  ich  gethan,  was  Du  verlangtest, 
und  das  Materielle  Deiner  Forderungen  genau  aus  Deinem  Briefe  ge- 
nommen. Empfiehlt  Pestalozzi]  jemanden  ganz  unbedenklich  und  mit 
Nachdruck,  so  werde  ich  Zutrauen  fassen;  sonst  schiene  es  mir  besser, 
es  vorläufig  mit  einem  Menschen  aus  Bremen  oder  Hannover,  den  man 
im  Fall  des  Mislingens  eher  zurückschicken  könnte,  und  der  das  wesentliche 
der  Manier  jetzt  von  Euch  muss  lernen  können,  —  zu  versuchen;  und 
unterdess  wo  möglich  einen  geborenen  und  gewählten  Bremer  wieder  nach 
Burgdorf  zu  schicken. 

Mit  Hülle  könnte  es  unmöglich  gehen.  Er  wohnt  viel  zu  tief  in 
sich  selber.     Auch  würde  ihm  der  Mechanismus  viel  zu  lästig  fallen. 

An  Kulenkamps  bitte  ich  Dich  die  herzlichsten  Grüsse  und  meine 
vielfachen  Danksagungen  zu  bestellen.  Wäre  ich  minder  verstimmt,  so 
würde  es  mein  erstes  Vergnügen  gewesen  seyn,  gleich  nach  meiner  An- 
kunft schriftlich  zur  Unterhaltung  und  Erheiterung  unseres  theuern, 
kränkelnden  Freundes  etwas  beyzutragen.  Aber  ich  konnte  nicht.  — 
Die  Arbeiten  des  Winters  liegen  mir  in  verworrener  Masse  schwer  im 
Kopfe;  und  das  ist  soviel  schlimmer,  weil  sich  einige  Zuhörer  gemeldet 
haben,  denen  nichts  Halbes  genügen  kann.  Ich  kenne  dergleichen  Zu- 
stände, und  weiss,  dass  sie  aufhören;  aber  ich  kenne  auch  die  An- 
strengung, die  dagegen  gesetzt  werden  muss.   — 

Vergesst  mich  demnach  auf  einige  Wochen,  meine  Freunde;  ich  will 
Euch  dann  wieder  an  mich  erinnern.  Habt  indess  Dank  für  die  mir  bey 
meinem  letzten  Aufenthalte  zu  Br.  bewiesene  Treue  und  Liebe! 

Dein  Herbart. 

(Randbemerkung.) 

Sehr,  sehr  gern,  mein  Bester,  hätte  ich  2  Dinge,  oder  auch  nur 
eins  von  beyden:  Einige  Bogen  von  meiner  Hand,  philosophischen]  In- 
halts, —  und  die  Kupferstiche,  die  aus  der  Schweiz  an  Dich  gesandt 
wurden,  ohne  bestellt  zu  seyn,  und  die  ein  Geschenk  von  Zehender  an 
mich  sind.  Ich  bitte  nicht  etwa  auf  Gelegenheit  zu  warten,  sondern  mit 
der  Post  die  Sachen  zu  senden. 


Dezember   1802. 


259 


174.    Steck  an  Zehender.  Ende  (?)  1802. 

„Herbart  ist  nun  endlich  da.  wohin  er  sich  schon  seit  so  langem  her  gesehnt  hatte ; 
er  wird  sich  Bahn  brechen,  wenn  er  nur  nicht  zu  sehr  in  höhere  Speculation  hin- 
geräth.  Es  scheint,  seine  Schrift  betreffe  einen  pädagogischen  Gegenstand.  —  Es 
scheint  die  Sendungen  von  Böhlendorff  u.  Herbart  seyen  beyde  gleich  unglücklich. 
Wahrscheinlich  sind  sie  wie  anderes  an  Gesner  [Buchhändler  in  Bern]  unter- 
schlagen worden." 

4.  Dez.  Herbarts  Mutter  stirbt  in  Paris.  Antoinette  Herbart,  die  als  Pflege- 
tochter mit  Herbart  erzogen  war  u.  damals  bei  ihrer  Pflegemutter  in  Paris  lebte, 
schreibt  darüber:  „O!  hätten  Sie  sie  sterben  sehen  können,  wie  schön,  wie  göttlich 
schön  sie  starb!  Dieser  Augenblick  wirä  für  mich  ewig  unvergeßlich  sein;  nicht  eine 
Miene  hat  sie  verzogen,  so  ruhig,  so  gelassen,  so  zufrieden  mit  den  Fügungen  Gottes 
kann  nur  ein  wirklich  tugendhafter  Mensch  sterben.  Hätte  sie  Gewissensbisse  gehabt, 
so  hätte  der  Tod  ihr  nicht  so  willkommen  sein  können.  Der  Gedanke  daran  war  ihr 
in  ihrer  langen  schrecklichen  Krankheit   von    10  Wochen  immer    eine    Beruhigung   und 

Aufheiterung.*' *) 

*)  Nach  Strackerjan,  Das  Leben  J.  Fr.  Herbarts,  Oldenburger  Realschulprogr. 
1875.  S.  30.  Doch  verlegt  Strackerjan  den  Tod  der  Mutter  Herbarts  ins  Jahr  i8o3. 
Ihm  schließt  sich  Kehrbach  (in  vorl.  Ausg.  Bd.  I,  S.  XXXVIII)  an.  Auch  ich  folgte 
diesen  Angaben  im  Stammbaum  (dieser  Bd.  S.  3).  Da  aber  ein  Irrtum  in  der  Datierung  des 
folgenden  Briefes  völlig  ausgeschlossen  ist,  steht  es  außer  Zweifel,  daß  Herbarts  Mutter 
1802  gestorben  ist.     Danach  sind  die  früheren  Angaben  zu  berichtigen. 


17 


1803. 


175.       All   V.    Halem.  Göttingen  Jan.    1803. 

Ein  tiefer  Schmerz  hat  die  Bezeugung  meines  Danks  für  Ihren  so 
sehr  gütigen  Brief,  zurückgehalten.  Sie  wissen  es  wahrscheinlich  schon, 
dass  ich  seit  mehrern  Wochen  den  Verlust  meiner  Mutter  betraure.  Ich 
ward  sehr  langsam  vorbereitet;  und  meine  Gesundheit  bedurfte  dessen. 

Lassen  Sie  mich  von  meinem  Schmerz  nur  das  sagen,  was  ihn  er- 
leichtert, ja  ich  möchte  sagen  versüsst.  —  Die  letzten  Wochen  ihres 
Lebens  brachte  die  Verewigte  in  der  vollkommensten  Heiterkeit  des 
Geistes  zu.  Ihre  Freunde  haben  sie  bewundert.  Sie  selbst  hat  von  mir, 
mit  sterbender  Hand,  Abschied  genommen,  —  einen  Abschied  voll  der 
reinsten  Liebe,  und  zugleich  der  reinsten  Besinnung.  Ihr  Rückblick  auf 
ihr  Leben  war  völlig  ruhig.  „Ich  that  stets,u  schreibt  sie,  „was  die  Ver- 
nunft mir  sagte." Ihr  Leben  war  grösstentheils  mir  geopfert.    Dieses 

Leben,   diesen  mir    anvertrauten    Schatz    der    Welt    würdig   zu    überliefern, 
dachte  ich  mir  längst  als  meinen  Stolz!    — 

An  die  nächsten  Geschäfte,  in  Angelegenheiten  ihres  Nachlasses,  die 
nun  meiner  warten,  denke  ich  mit  einiger  Furcht.  Ich  bin  wenig  unter- 
richtet, —  mochte  mich,  wie  Sie  leicht  denken  können,  wenig  unterrichten. 
Wahrscheinlich  hat  meine  Mutter  selbst  in  Oldenburg  gerichtliche  Dispo- 
sitionen zurückgelassen.  Diese  werden  Ihnen  am  ersten  bekannt  seyn. 
Erlauben  Sie  mir  die  Bitte,  mich  davon  baldigst  zu  benachrichtigen.  Er- 
lauben Sie  mir,  Ihnen,  mein  gütiger  und  verehrter  Freund,  jetzt  über- 
haupt das,  was  mein  Wohl  betrifft  zu  empfehlen.  Ich  bitte  Sie  um  alle 
Rathschläge,  die  Sie  dienlich  halten  möchten.  Ich  bitte  Sie,  dabey  auf 
meine  Discretion  zu  rechnen.  Insbesondre  möchte  ich  wissen,  ob  Sie 
nöthig  finden,  dass  ich  persönlich  nach  Oldenburg  komme?  Mein  Col- 
legium  bindet  mich  hier  bis  zu  den  Ferien  zu  sehr,  als  dass  ich  ohne 
grosse  Notwendigkeit  verreisen  dürfte.  Auch  nachher  könnte  es  Schwierig- 
keit haben. 

Dass  diese  meine  Erkundigungen  bey  Ihnen  ganz  im  Vertrauen  ge- 
schehn,  darf  ich  kaum  bemerken.  Sie  sehn  selbst,  wie  sehr  leicht  solche 
in  verkehrtem  Lichte  erscheinen  könnten;  —  wenn  gleich  nichts  natür- 
licher ist,  als  dass  ich  meinem  Vater  so  wenig  als  möglich  unangenehme 
Erinnerungen  aufzuregen  wünsche. 

Mit  der  Hoffnung  baldiger  gütigen  Antwort  empfiehlt  sich  Ihnen 

Ihr  gehorsamer 

Herbart. 


Februar,  August   1803.  26 1 


W. :  Curriculum  vitae.     S.  Bd.  I.     S.  366 — 367. 

176.  Böhlendorff  an  Heinrich  Noltenius.  Berlin  Febr.  1803. 
will  —  mich.  —  von  Herzen  an  Eurem  bremischen  Thun  und  Leben  er- 
freuen. Deine  Nachrichten  haben  mich  dahin  zurückversetzt,  und  mit  innigem 
"Wohlbehagen  sehe  ich  in  Eure  Theegesellschaften,  Klubbs,  in  Euer  Bostonspielen, 
Pestalozzisiren  und  Paaren,  in  den  lerm  des  kleinen  frohen  Gesindels,  und  höre 
mich  in  die  Musik  der  holden  Frauen  hinein.  Ob  für  Deinen  Hanns  die  Pesta- 
lozzische  Methode  wohl  taugen  möchte?  Ich  glaube  sie  ist  nicht  gleich  gut  an- 
wendbar auf  alle  Naturen,  zum  wenigsten  die  bisherigen  Umrisse,  die  ich  davon 
kenne  —  doch  verlasse  ich  mich  darauf,  daß  sie  von  Frau  Anna  nicht  so  gar  buch- 
stäblich wird  getrieben  werden. 

177.  '  An   Steck.1)  Göttingen  Ende  Aug.   1803. 
Einige   Augenblicke  mit  Dir,   mein  theurer  Steck,  —  welche  Wohlthat 

meinem   Herzen!     Aber   es    soll    nicht  seyn;    die   Trennung    dauert;    Ver- 
hältnisse und   Pflichten  haben  uns  Plätze  bestimmt. 

Mir  taugt  der  meinige  für  meine  Pflichten;  das  ist  Viel,  —  ist  aber 
auch  Alles.  Ich  lebe  unter  Jünglingen.  Mein  Zögling  ist  unter  bittern 
Schmerzen  wieder  auf  den  Weg  gebracht,  und  mir  jetzt  zwiefach  kostbar. 
Andre,  hauptsächlich  von  Osten,  aus  Polen,  Lief-  und  Curland,  tüchtig, 
vielleicht  Personen  von  Bedeutung  und  Wirkung,  sind  dicht  um  mich  und 
gehören  meinem  Herzen  wie  meinen  Hoffnungen.  Darüber  vergesse  ich 
so  ziemlich  die  Recensenten, 2)  und  den  seichten  Prediger  Niederer,  der 
mir  fast   —   den  geistreichen  Pestalozzi  verleidet  hat.   — 

Hier  hast  Du,  Theurer,  was  ich  mit  Wucher  ||  auszutauschen 
wünsche  gegen  Nachrichten  von  Dir,  und  den  Deinigen.  Halte  mich 
nicht  unwerth,  von  Dir  zu  hören.  Du  kennst  Dich  selbst,  und  weisst,  dass 
die  tiefe  Hochachtung  für  Dich  nicht  unter  neuen  Empfindungen  be- 
graben werden  kann. 

Was  uns  Verschiedenes  in  der  Seele  liegt,  das  wird  vielleicht  mehr 
Sprache  finden,  wenn  ich  Dir  erst  meine  praktische  Philosophie,  —  die 
mich  vorzugsweise  beschäftigt,  —  und,  ich  darf  es  sagen,  befriedigt  hat, 
werde  vorlegen  können.  Es  ist  mir  eine  aufmunternde  Erinnerung,  dass 
ehemals  eine  leichte  Spur  dieser  Arbeit  von  Dir  mit  günstigem  Blick  an- 
gesehen wurde. 

Noch  einmal,  mein  Theurer,  ich  bitte  um  wenige  Zeilen,  um  einen 
Umriss  deines  jetzigen  Seyns.  Ich  werde  mit  vollem  Herzen  verdanken, 
wenn  mein  junger  Freund  mir  etwas  von  Dir  wieder  bringt. 

Ganz  und  auf  immer  Dein  Herbart. 

*)  Ein  Oktavblättchen,  auf  beiden  Seiten  beschrieben. 

2)  Über  die  Rezensenten  klagt  H.  auch  im  Briefe  an  Gries  v.  21.  Dez.  1804. 
S.  S.  266.  Jedoch  wurden  Herbarts  „Erstlinge"  glänzend  besprochen  von  dem  scharf- 
sinnigen Systematiker  der  Philanthropisten,  E.  Chr.  Trapp.  Vgl.  darüber  Th.  Fritrsch, 
E.  Chr.  Trapp.  1900,  S.  93  fr.  —  Auch  Ernst  Tillich  hatte  Herbarts  Schrift:  „Pesta- 
lozzis Idee  eines  ABC  der  Anschauung  pp"  günstig  angezeigt  in  den  von  ihm  in 
Gemeinschaft  mit  Prof.  Chr.  Weiß  herausgegebenen  „Beiträgen  zur  Erziehungskunst 
zur  Vervollkommnung  sowohl  ihrer  Grundsätze  als  ihrer  Methode. '*  Leipzig,  1803, 
1.  Bd.  2.  Heft  S.  297 — 309. 


1804. 


W.:  Zweite  Ausgabe  der  Schrift:  Pestalozzis  Idee  eines  ABC  der  Anschauung.  S.  Bd.  I. 
S.  151 — 274.  —  Kurze  Darstellung  eines  Planes  zu  philosophischen  Vorlesungen.  S. 
Bd.  I.  S.  293 — 299.  —  Über  den  Standpunkt  der  Beurteilung  der  Pestalozzischen 
Unterrichtsmethode.  (Gastvorlesung  im  Museum  zu  Bremen.)  S.  Bd.  I.  S.  303  —  309. 
—   Rez.  über  Pestalozzis  Elementarbücher.     S.  Bd.  XII.     S.  8 — 14. 

178.     An  Smidt  in  Bremen.1)  Göttingen  i3tenFebr.  1804. 

Mein  theurer  Smidt!  Die  Einlage  an  Deine  gute  Schwester  bitte 
ich  Dich  zu  lesen  und  zu  besorgen.  Ihre  Bedenklichkeiten  thun  mir 
leid;  die  Gelegenheit,  die  sie  jetzt  scheint  aus  den  Händen  lassen  zu 
wollen,  ist  besser  als  sie  sie  wünschen  durfte,  und  wird  schwerlich  wieder- 
kehren, —  gewiß  nicht  zur  rechten  Zeit. 

Doch  weshalb  ich  mich  an  Dich  wende,  das  ist  etwas  anderes ;  ich 
bedarf  Deines  freundschaftlichen  Rathes  in  einer  sonderbaren  Verlegenheit. 
Ich  weiß  nämlich  nicht,  wie  ich  es  anfangen  soll,  in  wenigen  Wochen 
vor  Dir  und  meinen  übrigen  Bremer  Freunden  mit  gutem  Gewissen  zu 
erscheinen.  Nicht  sowohl  meiner  eignen  Person  halber,  als  wegen  der 
Lauine,  mit  der  ich  kommen  werde.  Davon  würde  ich  Dir  mit  keinem 
besseren  Gewissen  zuerstreden,  als  den  Übrigen,  wenn  ich  nicht  hoffte, 
daß  in  Dir  noch  einiges  Andenken  an  unsere  ehemalige  Jenaische  Welt  lebe, 
und  daß  Dir  demnach  wenigstens  ein  Anblick  angenehm  sagen  könne, 
der  Dir  eine  Art  von   Reminiscenz  zurückgeben   wird. 

Es  hat  sich  nämlich  unter  den  jungen  Leuten  die  mit  ||  mir  leben, 
seit  diesem  Winter  eine  etwas  mehr  als  gemeine  Göttingische  Geselligkeit 
gebildet,  und  ich  denke  aus  diesen  Knospen  noch  schöne  Blüthen  her- 
vorgehn  zu  sehn.  Nicht  nur  unsre  literarische  Gesellschaft  hat  neues 
Leben  gewonnen,  sondern  auch  Abends  sammelt  sich  wöchentl.  3  bis 
4  mal  ein  Kreis  zur  Leetüre  Göthe's  und  Schillers.  Der  Kreis  ist  soviel 
interessanter,  weil  er  zwey  warme  Freundschaften  umfaßt,  die  eine  zwischen 
Prinz  Sulkowsky  und  meinem  Steiger,  die  andre  zwischen  Grote  und  dem 
älteren  Rahden,  —  einem  von  zwey  Zwillingen,  die  um  Michaelis  von 
Kurland,  und  aus  den  Händen  des  besten  dortigen  Lehrers  gekommen 
sind.  Diesen  Lehrer  ehren  sie  so  sehr,  und  machen  ihm  soviel  Ehre, 
daß  ich  neidisch  seyn  würde,  wenn  ich  nicht  auch  in  Karin  u.  in  Grote 
ein  paar  gute  Geister  um   mich    hätte,    die    ich  durch  idealische   Wünsche 

*)  4  S.  8  °. 


Februar   1804.  263 

bey  mir  selbst  herabzusetzen  für  unrecht  halte.  —  Meine  Bekanntschaft 
mit  Sulkowsky  ist  die  Folge  seiner  außerordentlichen  Delicatesse ;  da  er 
erfuhr  daß  ich  Karin  vom  Churprinzen  zurückhielt,  kam  er  von  selbst, 
mich  aufzusuchen,  und  sich  mir  darzustellen;  seitdem  hat  er  mit  mir 
immer  genaue  Rücksprache  genommen  über  Steigern;  wir  haben  zusammen 
manchen  guten  Augenblick  genosser,  ||  und  ich  könnte  mit  ihm  vertraulich 
seyn,  wenn  ich  nicht  selbst  für  die  Aufrechthaltung  einer  gewissen  Gränze 
sorgte.  Seine  Besuche  empfange  ich  übrigens  ohne  mich  im  mindesten 
zu  geniren. 

Nun  trifft  es  sich  so  wunderbar,  daß  Sulkowsky  nach  Hamburg  pp. 
reisen  will,  daß  die  Rahden  gerade  die  nämliche  Idee  haben,  daß  Grote 
seinen  Bruder  von  Bremen  nach  Hannover  abhohlen  will,  und  daß  ich 
mit  Karin  die  schon  um  Michaelis  projectirte  Heimreise  zu  machen 
denke.  Was  ist  natürlicher  als  daß  man  unter  einander  davon  spricht, 
und  es  endlich  bequem  findet,  gemeine  Sache  zu  machen  ?  So  werde  ich 
denn  also  diesmal  mit  1  Prinzen  und  4  Baronen  zu  der  gefeyerten  Re- 
publik wallfahrten,  an  die  wir  hier  ungefähr  wie  an  das  gelobte  Land 
denken,  denn  meine  Leute  haben  alle  so  etwas  von  republicanischem 
Geiste,  wenn  auch  nicht  ganz  in  orthodoxer  Form. 

Was  ich  nun  wünsche,  erräthst  Du  leicht,  wenn  ich  Dir  sage,  daß 
die  ganze  Gesellschaft  sich  etwa  3  bis  4  Tage  in  Bremen  aufzuhalten 
denkt;  (ich  werde  länger  bleiben,  wenn  ich  mit  Steigern,  ohne  lästig  zu 
werden,  irgendwo  hausen  kann.)  Bey  Dir  möchte  ich  meinen  Cirkel  ||  zu 
einem  Thee  anmelden ;  desgleichen  bey  Hörn.  Wüßte  ich,  daß  unser 
trefflicher  Kulenkamp  alsdann  wohl  wäre,  so  bäte  ich  ihn,  uns  sämmtlich 
ins  Museum  zu  geleiten.  Die  Rahden  sind  mir  für  jede  kleine  Gefälligkeit 
so  äußerst  erkenntlich,  daß  ich  es  für  sie  vielleicht  noch  wage,  einige  meiner 
Freundinnen  um  Erlaubniß  zu  bitten,  ob  ich  sie  vorstellen  darf.  Wäre 
die  Ölrichssche  Gesellschaft,  oder  sonst  ein  geistreicher  Cirkel,  so  würden 
die  jungen  Männer  sich  dort  sehr  am  Platz  finden. 

Kotzebue's  Schwester  wird  man  natürlich  auch  aufsuchen*),  desgleichen 
den  Entdecker  der  Pallas;1)  —  und  so  hoffe  ich,  daß  sich  meine  Lauine 
doch  nicht  gar  zu  ungeschickt  auf  dem  guten  Boden  niederlassen  wird. 
Ein  Schwätzer  hängt  ihr  an,  der  gegen  keinerley  Bremische  Münze  aus- 
getauscht werden  kann,  —  der  Gouverneur  des  Prinzen,  H.  Prof.  Schmidt. 
Er  versteht,  glaube  ich,  Jurisprudenz  und  Geschichte;  und  es  wird  auch 
in  seinem  Munde  alles  zur  Geschichte.    — 

Ich  bin  eilig.     Lebe  wohl  u.  liebe  mich. 

Ganz  Dein  Herbart. 

179.     An  Smidt  in  Bremen.2)  Göttingen.    Montags.    [1804?] 

Dein  Brief,  Theurer,  erfüllte  mir  mehr  als  einen  angelegentlichen 
Wunsch;  habe  tausend  Dank!     Am  22  oder  2  3sten,  werden  wir  vielleicht 

*)  Randbemerkung:  Daß  man  ihr  das  aber  ja  nicht  vorher  sage!  denn  es  ist 
nur  so  mein  Gedanke;  es  hat  noch  niemand  davon  gesprochen. 

x)  Der  Astronom  Willi.  Olbers   (1758 — 1840),    der    als    Arzt    in    Bremen    lebte, 
hatte  1802  die  Pallas,  den  2.  Planetoiden,  entdeckt. 
a)   1  S.  80. 


2 64  Juli  l8o4- 

schon  reisen;  einen  Tag  bleibe  ich  in  Hannover,  und  dann  eilen  wir 
zu  Euch !  Du  wirst  mich  nicht  bereden  wollen,  die  Einladung  von  Kulen- 
kamps  abzulehnen;  meinen  guten  Steiger  sollst  Du  hoffentlich  nicht  lästig 
finden.  —  Günther  habe  ich  für  die  Schule  auf  den  Fall,  daß  Du  es 
verlangen  würdest  engagirt  u.  ihm  zugleich  verboten  davon  zu  sprechen. 
Er  war  sehr  bereit;  wie  billig,  da  er  sich  für  Erziehung  soviel  vollständiger 
bilden  kann.  Mündlich  erlaubst  Du  mir  übrigens  wol  noch  einige  Be- 
merkungen. Die  Einlage  wird  vielleicht  verrathen,  was  ich  am  meisten  an 
ihm  vermisse,  —  Sprache!  Doch  dieser  Mangel  ist  nur  relativ;  er  hat 
mehr  als  er  sagt.  Ich  möchte  ihn  gewissermaaßen  zwischen  Dir  und  Rump 
in  die  Mitte  stellen,  nur  hat  er  weniger  Laune  als  beyde,  —  und  ersetzt  dies 
vielleicht  wieder  durch  seinen  umfassenden  Sinn  für  Speculation.  Aber 
ich  darf  mich  in  keine  Beschreibungen  verlieren;  meine  Zeit  ist  kurz  ge- 
messen. Den  Theuern  Kulenkamps  bitte  ich  Dich  meinen  herzlichsten 
Dank  zu  bringen  —  bis  ich  ihn  selbst  bringe.  Deine  treffliche  Schwester 
entschuldigt  hoffentlich  auch  für  diesmal  mein  Schweigen. 

Ganz  Dein   Herbart.*) 

180.  Smidt  an  seine  Frau.  Pyrmont  20  Juli  1804. 

—  —  ,, Herbarts  Vater  und  den  Etatsrath  Georg  sprach  ich  auch,  häufig  in 
der  Allee.  Ersterer  sagte  mir  gestern  morgen,  er  habe  seinem  Sohn  in  Göttingen 
geschrieben,  er  möchte  mich  doch  wenn  es  irgend  möglich  wäre,  auf  einige  Tage 
in  Pyrmont  besuchen  er  glaube  indeß  nicht  daß  seine  Geschäfte  es  verstatten 
würden  —  ich  glaubte  das  auch  nicht  eher  als  bis  Herbart  gestern  um  1  Uhr  mit 
dem  ältesten  Kahden  in  unser  Zimmer  trat  —  Du  kannst  Dir  unsere  Freude 
denken  —  Morgen  reiset  er  indeß  schon  wieder  nach  Göttingen  ab.  Sulkowsky  u. 
der  Baierp rinz  werden  heute  noch  wohl  eintreffen."  —  —  — 

181.  Smidt  an  seine  Schwester  Castendyk.  20.  Juli. 
,.Daß   Du   an   unserer  Tour  nicht  Theil   nehmen   kannst  verdrießt  uns  täglich, 

liebe  Schwester,  und  jetzt  um  so  mehr  da  wir  hier  gestern  unerwartet  mit  Herbart 
zusammengetroffen  sind,  der  um  seinen  Vater,  welcher  hier  die  Cur  braucht  zu  be- 
suchen auf  ein  paar  Tage  von  Göttingen  herüber  gekommen  ist.  —  Er  rühmt  von 
Günther  aufs  neue  außerordentl.  viel  u.  hofft  er  würde  Deinen  Erwartungen  völlig 
entsprechen." 

182.  Smidt  an  seine  Frau.  21.  Juli  1804. 

—  —  „Die  Einlage  schickt  Dir  Herbart  —  und  den  Brief  an  Franciscus 
schicke  doch  gleich  an  ihn.  —  Die  anderen  grüße  herzl.  —  Hörn  reist  morgen 
früh  nach  Braunschweig  u.  Herbart  nach  Göttingen.'' 

183.  An  Herrn  von  Steiger.  ohne  Datum. 
Sie  wissen  ohne   Zweifel,    daß  der   junge  Prinz  Sulkowsky    sich    sehr 

lebhaft  von  Ihrem  Sohn  angezogen  fühlt;  und  ihm  eine  entschiedene 
Freundschaft  widmet.  Diese  Freundschaft  ist  eine  wahre  Sorgfalt  für  sein. 
Bestes ;   der  Prinz,  der  die  Welt  früh  kennen  gelernt  hat,  der  selbst  durch 


*)  Randbemerkung:  Die  kleine  Schrift,  die  ich  beylege,  wünsche  ich,  so  lange 
bis  ich  komme,  nicht  außer  dem  Kreise  der  Freunde  bekannt;  ich  möchte  sie  mehreren 
Personen  als  neu  bringen. 


September,  Dezember  1804.  265 


eine  geistreiche  Mutter  erzogen  und  rein  erhalten  worden  ist  sieht  die 
Schwächen  Ihres  Sohnes  und  die  Gefahren  denen  auszuweichen  er  noch 
lernen  muß. 

Ich  komme  auf  den  angenehmsten  Teil  meines  Schreibens.  Die 
letzten  Wochen  sind  voll  von  Beweisen,  daß  es  Ihrem  Sohn  ernst  ist,  den 
Wünschen  die  sein  Bestes  —  seinen  persönlichen  Wert  —  betreffen,  ent- 
gegenzukommen. Es  ist  jetzt  Aufmerksamkeit  in  seinem  Benehmen,  und 
Kraft  in  seiner  Anstrengung  und  heiteres  Selbstgefühl  nach  durchgesetzter 
Arbeit  giebt  ihm  seine  Liebenswürdigkeit  zurück.  In  einer  literarischen 
Gesellschaft  von  gewählten  jungen  Männern  wobei  der  Hauptzweck  Übung 
in  schriftlichen  Aufsätzen  ist  zeichnet  er  sich  vortheilhaft  aus;  und  hat 
mich  neulich  sehr  angenehm  mit  einem  Entwurf  überrascht  dessen  Gegen- 
stand das  Einheitssystem  in  Rücksicht  auf  die  Verfassung  der  Schweiz 
ist.    — 

184.  An  Herrn  von  Steiger.  Göttingen  7ten  Sept.  1804. 
Ew.   Hochwohlgeboren  bitte    ich   zuvörderst  um  Verzeihung,    daß    die 

Einlage,  welche  mir  letzten  Sonntag,  in  der  Meinung,  es  sey  Posttag,  zur 
Besorgung  übergeben  wurde,  am  wirklichen  nächsten  Posttage  über  einige 
Störungen  vergessen  worden  ist;  daher  sie  jetzt  um  ein  paar  Tage  zu 
spät  bei  Ihnen  eintrifft.  —  Ich  habe  den  Brief  verschlossen  erhalten ; 
kann  also  bloß  wünschen,  daß  derselbe  geeignet  sein  möge,  einem  Miß- 
verständnis Erleichterung  zu  geben,  dessen  gründliche  Heilung  vielleicht 
nur  von  der  Zeit  erwartet  werden  kann.  —  Wozu  müßige  Worte? 
Ich  fühle  meine  Ohnmacht;  und   muß  schweigen!   — 

Von  Karin  muß  ich  wohl  diesmal  ebenfalls  schweigen.  Ich  habe 
ihn  diese  Tage  her  bloß  gelegentlich  gesehen.  Er  war  in  Gesellschaft  — 
der  Prinzen;   Mittag  und  abends.     Morgen  verläßt  uns  der  Churprinz. 

Mit  vollkommenster   Hochachtung 

Ew.   Hochwohlgeboren  gehorsamster  H. 

185.  An    GrieS. 1)  Göttingen   2isten  Dec   1804. 

Mein  alter,  theurer  Freund!  Unter  dem  Beding,  daß  es  lauterer 
Ernst  sey  mit  dem  neulich  verkündigten  Ablaß,  erhältst  Du  hier  Alles 
auf  einmal,  was  man  von  einem  lang  abwesenden  Gefährten  früherer  Jahre 
wünschen  kann;  —  nicht  nur  die  Handschrift,  nebst  Proben  seiner  jetzigen 
Bemühungen,  sondern  auch  die  Copie  eines  Kunstwerks,  in  dessen 
Schätzung  wir  uns  begegnen,  und,  was  das  beste  ist,  Du  erhältst  den 
nächsten  Zeugen  meines  jetzigen  Lebens,  mit  dem  ich  nicht  bloß  Dach 
und  Tisch,  sondern  meine  besten  und  meine  schlimmsten  Stunden  theile, 
sammt  meinen   Gedanken,  Wünschen  und   Launen.   — 

Es  ist  der  Baron  Rahden  aus  Curland,  der  Dir  dies  Paquet  über- 
bringt. Er  kennt  Dich,  wie  Viele;  und  wünscht  und  verdient,  Dich  näher 
kennen  zu  lernen;  und  ich  bitte  darum.  Er  wird  Dir  jede  Gefälligkeit 
aufrichtig    danken.      An  Schiller,    Göthe,  u.  Voß  wird    er    vielleicht    durch 

l)  Randbemerkung  von  Gries:  „Beantwortet  d.  25.  Jan.  1805,  wieder  ge- 
schrieben d.  3.  Nov.    1805." 


2  66  Dezember   1804. 

Dich  noch  kräftiger  adressirt  werden  können,  als  er  es  durch  Sartorius 
u.  Thiebaut  schon  ist.  Ihn  selbst  brauche  ich  Dir  nicht  weiter  zu  emp- 
fehlen. Sprich  ihn  eine  halbe  Stunde;  und  Du  wirst  den  seltnen  Zög- 
ling seltner  Gelegenheiten  erkennen,  an  dem  wenig  fehlen  würde,  wenn 
er  recht  gesund  wäre!   — *) 

Mit  ihm  zurück  hoffe  ich  eine  Menge  von  Nachrichten  zu  erhalten, 
zuerst  von  Dir,  dann  von  Jena  und  Weimar.  —  Um  Eine  Gabe  soll  ich 
bitten,  wie  es  scheint;  —  es  sey  geschehn;  die  Bitte  wird  hoffentlich  Er- 
hörung finden.   — 

Zwey  Briefe,  die  ich  in  diesem  Jahre  von  Dir  erhalten  habe,  liegen 
vor  mir.  Mit  Freuden  wünsche  ich  Dir  Glück  zu  der  warmen  Erinnerung 
an  jene  über  alles  genußreiche  —  kurze  Periode  unsres  gemeinsamen 
Lebens,  —  die  Dir  immer  gleich  gegenwärtig  geblieben  ist.  Dir  mehr 
als  irgend  einem  der  andern!  Dein  Leben  war  das  ruhigste.  Mir  sind 
seit  jener  Zeit  Jahre  voll  Arbeit  und  Schmerz  verflossen;  und  durch  die 
bitteren  Erinnerungen,  denen  ich  mich  nicht  hingeben  darf,  ist  mir  sogar 
der  Platz  verleidet,  der  die  Scene  hergab  zu  den  Umtrieben  unsres 
jugendlichen  Muthes.  Auf  alle  mögliche  Weise  angespannt,  und  beynahe 
bis  zur  Vernichtung  hin  und  her  gerissen  war  ich  bis  zu  der  Zeit,  da  Du 
mich  hier  in  G.  zuletzt  besuchtest.  Seitdem  hat  mich  wenig  oder  nichts  an- 
gefochten ;  eben  so  wenig  ermuntert,  in  einer  dumpfen  Gleichförmigkeit,  dem 
einzigen,  wofür  ich  in  der  Erschöpfung,  an  der  ich  noch  leide,  empfänglich 
war,  bin  ich  fortgegangen;  —  ohne  recht  zu  wissen,  wie  es  stehe 
um  meine  höchsten  Wünsche,  und  voll  Widerwillens  gegen  den  Lauf  der 
öffentlichen  Welt,  bin  ich  den  Umständen  und  meiner  Consequenz  gefolgt. 
Die  lange  Übung  hat  mir  ausgeholfen;  und  ich  habe  erfahren,  daß  ich 
für  Andre  noch  brauchbar  bin,  wenn  mir  selbst  mein  Daseyn  eine  Last 
ist.  Wie  aus  den  Trümmern  einer  zerrütteten  Vorwelt,  ist  mir  aus  alten, 
entstellten  Reminiscenzen  nach  und  nach  ein  neues  Gedankenreich  empor- 
gestiegen. In  diesem  lebe  ich,  und  baue;  und  die  langsam  wachsende 
Gesundheit  giebt  der  Hoffnung  Raum,  daß  mir  eine  künftige  Periode 
eines  rüstigem  Eifers  vorbehalten  sey.  —  Was  der  Meßcatalog  von  mir 
weiß,  ist  sehr  unbedeutend.  Weil  ich  den  letzten  Winter,  den  ich  in 
Bremen  zubrachte,  gar  oft  nichts  besseres  vermochte,  als  Logarithmen 
addiren  u.  subtrahiren,  bequemte  ich  mich  die  Tabellen  zu  berechnen, 
zu  denen  mein  ABC  d.  Ansch.  eigentlich  nur  die  Zugabe  ist.  Der 
Grundgedanke  dieses  Buchs  war  das  Werk  einer  einzigen  heitern  Stunde; 
von  der  ich  meinen  Hrn.  Recensenten  einige  Minuten  gewünscht  hätte, 
aber  umsonst!  —  Eine  Nachschrift  zur  zweyten  Aufl.  die  mehr  werth  ist 
als  das  ganze  Buch,  sende  ich  Dir  hiebey.  Wenn  Du  den  einfachen 
Worten  dieser  wenigen  Blätter  eine  gehaltene  Aufmerksamkeit  gönnen 
willst,  so  werden  sie  Dich  so  ziemlich  in  den  Mittelpunct  meines  jetzigen 
Denkens  versetzen  können. 


*)  Randbemerkung:  „Mir  fällt  ein,  daß  ich  den  guten  Rahden  vielleicht 
gegen  einige  Th  —  tsche  Spöttereyen  in  Schutz  zu  nehmen  haben  könnte.  Darüber  in 
der  Kürze  nur  soviel:  der  hiesige  Th —  ist  ein  kranker,  der  von  Gesundheit  spricht; 
ein  Mislauniger,  der  ewig  die  „Gemüthlichkeit"  preißt. 


Dezember   1804.  267 


Die  andre  kleine  Schrift,  die  Ankündigung  meines  phil.  Cursus,  kann 
Dir  die  4  abgetrennten  Gedankenkreise  näher  bezeichnen,  in  welchen  ich 
mich  seit  ein  paar  Jahren  wechselsweise  bewegt  habe,  —  jedes  mal  bey- 
nahe  versunken  in  dem,  für  welchen  eben  jetzt  meine  Vorlesungen  die 
meiste  Anstrengung  erforderten.  Ich  hätte  es  nicht  ertragen,  Werke  der 
Noth  aus  meinen  Vorlesungen  werden  zu  lassen.  Wollte  ich  das  nicht, 
so  mußte  ich  mich  ganz  darin  erschöpfen.  Kaum  blieb  noch  einige  Be- 
sonnenheit übrig  für  die  Sorge,  die  ich  den  jungen  Männern  schuldig  war, 
die  in  meinen  Kreis  traten.  Unter  diesen  ist  mein  Carl  seit  einem  Jahre. 
Es  ist  ein  seltner  junger  Mann,  wie  er  ein  seltner  Knabe  war;  —  aber 
es  ist  viel  schwerer,  daß  ein  junger  Mann,  als  daß  ein  Knabe  sich 
seinem  altern  Freunde  recht  dicht  anschließe.  Rahden  mag  Dir  mehr 
erzählen. 

Du  fragst  nach  andern  Freunden.  Ich  weiß  wenig.  Bohlend  [orff] 
ist  der  unglücklichste  von  allen.  In  Berlin  war  er  von  wilden  Phantasien 
zerrüttet;  das  ist  leider  buchstäblich  wahr.  Damals  ist  ihm  Woltmann 
eine  Stütze  gewesen,  aber  natürlich  nicht  auf  lange.  Dann  ist  er  in  sein 
Vaterland  zurückgekehrt,  u.  das  letzte  was  ich  weiß,  ist  daß  er  dort  eine 
Hofmeisterstelle  habe.  Wie  u.  wo?  weiß  ich  nicht.  Möchte  er  nur  ganz 
hingegeben  leiden ;  so  würde  die  Zeit  ihn  wohl  heilen.  Eine  Erkundigung, 
die  ich  seinetwegen  anstellte,  war  bisher  ohne  Folgen.  Und,  die  Wahrheit 
zu  sagen,  ich  scheue  mich,  jetzt  auf  ihn  aufmerksam  zu  machen.  —  Ich 
sehe  einer  reinem  Muße  vor  Ablauf  von  höchstens  einem  Jahre  entgegen. 
Wieder-Anknüpfung  der  alten  Freundes-Verhältnisse  liegt  alsdann  wesent- 
lich in  dem  Plane  für  mein  inneres  Leben.  Ich  wünsche  alsdann  meine 
Freunde  nicht  ungeduldig  zu  finden ;  ich  hoffe  auf  entgegenkommende 
Wünsche.  Dich  bitte  ich  im  Voraus,  mir  dann  nicht  zu  fehlen.  Bis 
dahin   —   zürne  nicht!  Dein   Herbart. 


1805. 


W:  De  Platonici  systematis  fundamento  commentatio.     S.  Bd.  I.     S.  311 — 332. 

186.    Heise  an  Herbart.1)  Heidelberg  den  9ten  Januar  1805. 

Wohlgeborner,  Hochgeehrter  Herr  Doctor.  Aeußerst  angenehm  ist  es  mir,  in 
einem  erhaltenen  Auftrage  eine  Gelegenheit  zur  Erneuerung  meiner  Bekanntschaft 
mit  Ihnen  zu  finden,  die  schon  zweymal  gemacht,  und  wieder  abgebrochen  ist,  und 
welche  ich  nun  vielleicht  auf  längere  Zeit  zu  erneuern  hoffen  kann. 

Unter  den  vielen  Fächern,  die  bey  der  neuen  Organisation  der  hiesigen  Uni- 
versität, wenn  gleich  noch  ältere  Lehrer  dafür  vorhanden  sind,  doch  durchaus  neu 
besetzt  werden  müssen,  steht  das  Fach  der  speculativen  Philosophie  beynahe  oben 
an,  und  der  Geheime  Referendar  Hofer  in  Carlsruhe,  der  das  Eeferat  in  allen  Uni- 
versitäts-Angelegenheiten führt,  hat  mir  daher  den  Auftrag  gegeben,  mich  bey  Ihnen 
im  Vertrauen  zu  erkundigen,  ob,  und  unter  welchen  Bedingungen  ||  Sie  etwa  ge- 
neigt seyn  mögten,  eine  Professur  der  Philosophie  auf  der  hiesigen  Akademie  an- 
zunehmen. Ich  bitte  Sie  daher,  mir  nächstens,  und  wo  möglich  mit  umgehender 
Post  Ihre  Gesinnungen  hierüber  zu  eröffnen,  und  mir  freundschaftlich  anzuzeigen 
was  Ihre  Forderungen  in  dieser  Beziehung  seyn.  Es  wird  dabei  ganz  von  Ihnen 
abhängen,  ob  Sie  sich  darüber  allenfalls  in  einem  ostensiblen  Briefe  erklären,  oder, 
wenn  Ihnen  dies  bequemer  ist,  mir  das  Ein  belichten  Ihrer  Antwort  überlassen 
wollen. 

Da  ich  bey  dieser  Anfrage  voraussetzen  zu  können  glaube,  daß  eine  nähere 
Nachricht  über  den  hiesigen  Zustand  der  Dinge  Ihnen  angenehm  seyn  werde,  so 
erlaube  ich  mir,  noch  einige  Notizen  darüber  hinzuzufügen,  so  wie  ich  sie  der 
Wahrheit  schuldig  bin.  Die  gegenwärtige  Beschaffenheit  der  Universität  ist  freylich 
noch  äußerst  mangelhaft.  Unter  den  älteren  Professoren  ist  außer  dem  vortreflichen 
Daub  fast  kein  einziger,  der  sich  durch  höheres  wissenschaftliches  Streben  aus- 
zeichnete: und  die  Zahl  der  Studenten  ||  ist  gleichfalls  sehr  geringe,  höchstens 
zweyhundert.  Indessen  glaube  ich  nicht,  daß  man  sich  dadurch  abschrecken  lassen 
dürfe,  da  die  neue  Einrichtung  noch  erst  im  Werden  ist,  und  wenn  sie  gleich  lang- 
sam fortrückt,  doch  vielleicht  einen  desto  sicheren  Fuß  gewinnt,  zumal  da  Heidel- 
berg durch  seine  Lage,  vortrefliche  Gegend  und  manche  andere  Local-Umstände,  so 
vieles  vor  andern  Universitäten  zum  Voraus  hat.  An  neu  berufenen  Lehrern  finden 
Sie  hier  schon  den  herrlichen  Philologen,  Creuzer,  den  Theologen  Schwarz,  der 
Ihnen  aus  seinen  pädagogischen  Schriften  bekannt  seyn  wird,  und  den  Professor  Pätz 
aus  Kiel.  Mehrere  neue  Vocationen  an  bedeutende  Männer  sind  noch  im  Werke, 
und  werden  hoffentlich  nächstens  erfolgen.  Die  Zahl  der  Studierenden  wird  sich 
sicher  bedeutend   vergrößern,   indem  bis   itzt  noch  nicht  einmal  das  Verbot  an  die 

*)  6S.  4°.     H.  Wien. 


Januar   1805.  260 

Landeskinder,  auf  ausländischen  Universitäten  zu  studieren,  in  Kraft  gesetzt  ist,  und 
der  bisherige  Zustand  der  Dinge  wirklich  so  schlecht  war,  daß  man  sich  wundern 
muß,  noch  so  viele  Studenten  hier  zu  finden.  Unter  diesen  ||  wenigen  herrscht 
im  Ganzen  ein  ausgezeichneter  Fleiß  und  Eifer,  auch  besonders  für  Philosophie,  so 
schlecht  sie  auch  bisher  gelehrt  worden  ist.  Die  wissenschaftlichen  Anstalten,  be- 
sonders die  Bibliothek,  sind,  das  Kameral-Fach  ausgenommen,  äußerst  schlecht:  doch 
wird  auch  dafür  hoffentlich  gesorgt  werden,  wie  man  denn  gerade  jetzt  eifrig  be- 
schäftigt ist,  eine  bedeutende  Buchhandlung  hierher  zu  ziehen. 

"Was  das  oeconomische  betrift,  so  ist  es  hier  zwar  wohlfeiler  als  in  Göttingen, 
aber  durchaus  nicht  so  wohlfeil,  wie  man  gewöhnlich  sagt:  Die  Bedürfnisse  eines 
einzelnen  Mannes,  der  anständig  leben  will,  würde  ich  etwa  auf  1000  fl.  Reichsgeld 
anschlagen.  Die  Einnahme  von  Collegiengeldern  ist  gegenwärtig  noch  sehr  geringe, 
zumal  da  so  viele  Arme  unter  den  Studierenden  sind,  und  man  höchstens  rechnen 
kann,  daß  zwey  Drittel  der  Zuhörer  zahlen.  Doch  muß  ich.  auch  bitten  den  Belauf 
des  Honorariums  nicht  nach  dem  neueten  Organisations-Edict  zu  bemessen:  die  dort 
angesetzte  geringe  Taxe  wird  noch  nicht  beobachtet,  ||  und  höchstwahrscheinlich 
nächstens  abgeändert.  Hat  ein  Professor  zehn  Jahre  gedient,  so  erhält  seine  Wittwe 
200  fl,  hat  er  zwanzig  Jahre  gedient,  400  fl  jährlicher  Pension.  Yon  Abgaben  sind 
die  Professoren  gänzlich  frey. 

Dies  sind  ohngefähr  die  hauptsächlichsten  Notizen,  welche  Ihnen  von  Wichtig- 
keit seyn  dürften,  so  weit  meine  Zeit  solche  jetzt  zu  geben  erlaubt.  Wie  sehr 
wünschte  ich,  daß  sie  im  Stande  wären,  Sie  zu  einem  der  hiesigen  Akademie  gün- 
stigen Entschluß  zu  bestimmen,  der  auch  mir  persönlich  so  äußerst  erfreulich  seyn 
würde,  und  ich  ersuche  Sie  nochmals  sich  darüber  bald  und  bestimmt  zu  erklären. 

Uebrigens  muß  ich  endlich  noch  die  Bitte  anhängen,  diese  Anfrage  bloß  für 
eine  vorläufige  Erkundigung,  und  für  keinen  officiellen  Antrag  zu  nehmen.  Sie  ge- 
schieht zwar  auf  den  Auftrag  des  Herrn  Referendar  Hofer,  allein  bloß  in  dem  be- 
merkten Sinne,  und  ich  darf  Ihnen  im  Vertrauen  sagen,  daß  be  ||  reits  an  einen 
zweyten  geachteten  Philosophischen  Schriftsteller  eine  ähnliche  Erkundigung  er- 
gangen ist. 

Mit  der  ausgezeichnetsten  Hochachtung  verharre  ich  Ew.   Wohlgeboren   auf- 
richtigst ergebener  Arnold  Heise. 
Adr.:  Sr.  Wohlgeboren  Herrn  Doctor  Herbart    Göttingen. 

187.    An  Prof.  Heise  in  Heidelberg.1)  Göttingen,  1 8.  Januar  1805. 

Wohlgeborener,  Hochgeehrter  Herr  Professor!  Ihre  schätzbare  Mit- 
theilung wird  mir  noch  um  Vieles  schätzbarer  dadurch,  daß  Sie  an  die 
Aussicht  eines  erneuerten  Aufenthaltes  in  Ihrer  Nähe,  die  Hoffnung  einer 
näheren  persönlichen  Verbindung  mit  Ihnen,  anknüpfen.  Ihre  Güte  für 
mich  hat  schon  angefangen,  —  mit  vieler  Erkenntlichkeit  bemerke  ich  die 
Mitgabe  an  Nachrichten  über  den  dortigen  Zustand  der  Dinge,  womit  Ihre 
vorläufige   Anfrage  ausgestattet  ist. 

Von  Heidelberg  hat  mir  diese  Veranlassung  das  reizende  Bild  leb- 
haft vergegenwärtigt,    was   mir  noch   von   mehr  als    einem    halben   Dutzend 


x)  Nach  „Deutsche  Blätter  f.  erz.  Unterricht"  (1888,  No.  10  [XV.  Jahrg.], 
herausg.  von  Fr.  Mann,  Langensalza,  Hennann  Beyer  &  Söhne  [Beyer  &  Mann]): 
„Herbarts  Berufung  nach  Heidelberg'1.  Mitgeteilt  von  Dr.  E.  von  Sallwürk.  Diesem 
Auf satze  wurde  auch  der  Brief  Herbarts  an  v.  Edelsheim  v.  n.  Febr.  1805  ent- 
nommen. 


2y0  Januar   1805. 

Jahren  her,  da  ich  durchreiste,  vorschwebt.  Zugleich  gedenke  ich  der 
Schweiz,  und  meiner  Berner  Freunde,  —  die  Abkürzung  der  Reise  dorthin, 
wäre  mir  nichts  kleines. 

Sie  werden  leicht  verzeihen,  daß  ich  von  Nebendingen  anfange;  der 
Zugang  zur  Hauptsache  liegt  mir  in  der  That  nicht  offen.  Ohne  Zweifel 
erwartet  man  jetzt  in  Karlsruhe  den  Ausgang  der  zuerst  angeknüpften 
Unterhandlung;  und  es  ziemt  auch  mir,  zu  erwarten,  welche  Auskunft  Sie 
mir  zur  rechten  Zeit  darüber  geben  werden. 

Sollte  man  weiterhin  noch  meiner  gedenken:  so  darf  ]|  ich  wohl 
hoffen,  daß  Ihre  Regierung  mit  bestimmten  Anträgen  entgegenkommen, 
nicht  aber  mich  in  die  unangenehme  Verlegenheit  einklemmen  wird,  die 
Gefahr,  entweder  der  Unbescheidenheit,  oder  der  Selbst- Vernachlässigung, 
zu  laufen. 

Dies  Wenige  ist  das  Einzige  Wesentliche,  was  ich,  nebst  der  Dank- 
Bezeugung  für  die  mir  erwiesene  Ehre,  bis  jetzt  zu  erwiedern  wüßte.  In 
Ihrem  Briefe  aber  spricht  zuviel  Güte,  als  daß  ich  mich  scheuen  sollte, 
Ihnen  zu  äußern,  was  ich  übrigens  von  der  Sache  denke. 

Zuvörderst  setze  ich  voraus  (wiewohl  Sie  es  nicht  ausdrücklich  er- 
wähnen), es  sey  von  einer  ordentlichen  Professur  die  Rede.  Denn  außer- 
dem würden  Sie  mir  nicht  rathen  können,  Göttingen  für  Heidelberg  zu 
vertauschen.  —  Unter  gehörigen  Umständen  wäre  es  nun  gewiß  ein 
schöner  Beruf,  mitzuwirken  zum  Aufstreben  einer  Anstalt,  die  in  diesem 
Augenblick  einen  neuen  Schwung  nimmt  —  gewiß  reizend,  dort  Spielraum 
zu  finden,  für  Kräfte,  die  nach  mehr  als  10 jähriger  stiller  Übung  sich 
eben  jetzt  zum  öffentlichen  Hervortreten  bereiten.  Die  nächste  Frage 
für  mich  ist  nun  diese:  trifft  der  Wirkungskreis,  den  man  mir  zeigt,  zu- 
sammen mit  dem,  welchen  ich  gewählt  habe?  Sie  nennen  mir  speculative 
Philosophie.  Mit  dieser  ist  Moral  und  philosophische  Rechtslehre  (welche 
mein  Vortrag  in  ein  einziges  Collegium  zusammenfaßt)  so  eng  verbunden, 
daß  das  Ganze  Einen  Arbeiter  durchaus  fordert.  Ich  lese  noch  außer- 
dem Pädagogik.  Und  ||  ich  wüßte  von  meinen  4  bisher  in  Gang  gesetzten 
Collegien,  die  sich  zwischen  speculativer  und  practischer  Philosophie  gleich- 
theilen,  (es  sind  nämlich  allgemeine  Einleitung  in  die  Philosophie,  nebst 
Logik,  philosophische  Rechts-  und  Sittenlehre,  Metaphysik  und  Päda- 
gogik) keines  wegzunehmen,  ohne  den  Cursus  mit  seinen  mannigfaltigen 
Rücksichten  auf  die  allgemeinen  und  besonderen  Bedürfnisse  der  Zuhörer, 
ganz  zu  verderben.  Nun  würde  es  mir  zwar  ohne  Zweifel  frey  stehen, 
auch  über  jene  genannten  Fächer  der  practischen  Philosophie  zu  lesen; 
aber  es  könnten  sich  doch  unangenehme  Collisionen  ereignen,  wenn  andere 
Männer  neben  mir  stünden,  welche  dieselben  als  ihr  Gebiet  anzusehen 
autorisirt  wären.  Über  die  Pädagogik  würde  ich  mich  hoffentlich  mit 
Herrn  Schwarz  verstehen  können,  da  ich  ihn  für  einen  Mann  halte,  der 
die  Wissenschaften  mehr  liebt,  als  persönliche  Rücksichten.  In  Göttingen 
ist  meine  Sphäre  wenig  oder  gar  nicht  beschränkt.  Die  Collisionen,  welche 
möglich  waren,  sind  so  gut  als  verschwunden. 

Ferner  lege  ich  einen  großen  Werth  auf  eine  academische  Polizey, 
wie  die  hiesige ,  welche  den  gröberen  Unordnungen ,  besonders  der 
Studenten -Orden,    zuvorkommt,    und  dem   Lehrer  die  Freude  sichert,    auf 


Januar   1805.  27  I 

eine  gesittete  Jugend  zu  wirken.  —  Und  fast  unentbehrlich  scheint  es  mir 
für  den  Erfolg  der  philosophischen  Vorträge,  daß  ein  ausgezeichneter 
Lehrer  der  Mathematik  vorhanden  sey.  Ein  solcher  ist  selten;  die 
Wissenschaft  selbst  ist  zum  Theil  daran  Schuld.  Würde  ich  unseren 
Thibaut  dort  ersetzt  ||  finden?  Fände  ich  einen  Historiker  wie  Heeren? 
Wäre  ich  sicher,  nicht  die  ungestümen,  und  am  Ende  immer  nach- 
theiligen Wirkungen  hervorzubringen,  welche  die  Philosophie  da,  wo  sie 
einmal  faßt,  so  leicht  veranlaßt,  wofern  ihr  die  nöthigen  Vorübungen  und 
Gegengewichte  fehlen?  — 

Sie  wundem  Sich  vielleicht  über  eine  solche  Sprache.  Aber  ich  ge- 
stehe Ihnen:  könnte  ich  glauben,  Ihre  Regierung  wolle  ein  neues  Würz- 
burg pflanzen:  dies  würde  mich  auf  der  Stelle  abschrecken.  —  Vielleicht 
giebt  es  kein  Lehrfach,  in  welchem  es  so  wenig  gleichgültig  wäre,  wie  zu 
dem  Geiste  der  Regierung  der  Sinn  des  Lehrers  passe,  als  gerade  das 
philosophische.  Wo  es  willkommen  wäre,  wenn  ein  rüstiger  Schreyer  die 
Menge  herbeyzieht,  seine  Thätigkeit  in  wilden  Fehden  durch  jeden  Meß- 
catalog  verkündigt,  Systeme  wie  Kartenhäuser  baut  und  ändert,  sich  in 
ein  Meer  von  Unsinn  taucht,  um  seiner  Dreistigkeit  und  seinem  neu-er- 
richteten  Lehrstuhle  Ehre  zu  machen:  —  wo  so  etwas  gewünscht  würde, 
da  fände  man  in  mir  ein  mehr  als  untaugliches  —  ein  widerspenstiges 
Werkzeug. 

Meine  Beschäftigung  mit  der  Philosophie,  die  vor  meinem  I2ten  Jahre 
anfing,  sich  während  der  Ausbreitung  der  Kantischen  Lehre  erhob,  von 
Fichtens  persönlicher  Güte  in  Jena,  in  den  ersten  Jahren  seiner  dortigen 
Blüthe  unterstützt  wurde,  —  und  jetzt  seit  bald  10  Jahren  ihren  Weg 
allein  ||  macht,  langsam  aber  ohne  umzukehren:  —  hat  längst  eine  zu 
vest  bestimmte  Richtung  und  Schrittmäßigkeit  angenommen,  als  daß  sie 
sich  irgend  eine  ungestüme  Beschleunigung  ihres  gewohnten  ruhigen 
Ganges  gefallen  lassen  könnte.  Überdies  finde  ich  mich  mit  aller  Philo- 
sophie des  Tages  so  völlig  entzweyt,  besonders  gegen  die  neueste  Secte 
so  durchaus  verstimmt,  daß  ich  auf  gelehrte  Fehden,  eben  darum  weil 
sie  endlos  seyn  würden,  mich  wenig  werde  einlassen  können.  Ich  liebe 
das  stille  Wirken,  in  der  Nähe,  durch  persönlichen  Umgang,  und  ohne 
unnütze  Neuerungen.  Meine  Afe/^rphilosophie  trägt  den  veralteten  Namen 
Metaphysik,  wie  wenig  sie  auch  dem  ähnlich  ist,  was  man  vor  Kant  so 
nannte.  Meine  literarischen  Arbeiten,  die  nächstens  mit  Ernst  beginnen 
müssen,  wird  die  Regel  leiten,  geprüfte  Überzeugungen,  kurz,  klar,  ohne 
viel  Schulsprache,  und  besonders  in  solcher  Verbindung,  daß  Eines  das 
Andere  halte  und  trage,  —  nacheinander  hinzustellen,  ohne  mich  um 
Anfechtungen  viel  zu  kümmern.  Die  practische  Philosophie,  die  ich  nach 
dem  Entwürfe  jetzt  zum  drittenmale  lese,  beieitet  sich  zuerst  zum  Druck. 
Ich  denke  eben  auf  einen  Verleger,  und  Sie  sprachen  von  einer  bedeu- 
tenden Buchhandlung,  die  man  dorthin  ziehe,  —  dürfte  ich  das  etwa 
combiniren?  Möchten  Sie  Sich  des  Verlags  wegen  bemühen?  —  j  Ver- 
zeihen Sie  die  vielleicht  unbescheidene  Bitte.  Es  ist  Zeit,  daß  ich  sorge, 
Ihre  Geduld  nicht  zu  ermüden.  —  Habe  ich  bedenklich  geschienen:  so 
ist  es  nicht,  weil  ich  die  mir  gezeigte  Aussicht  wenig  schätze,  sondern 
weil  ich    für   viele  negative  Wohlthaten,    die  Göttingen    mir   erwiesen    hat, 


272  Januar   1805. 

sehr  dankbar  bin,  und  weil  ich  Hoffnung  habe,  die  bisherige  Duldung 
bald  in  Unterstützung  verwandelt  zu  sehen.  Am  wenigsten,  bitte  ich  Sie, 
einen  Hang  zu  ungebührlichen  Forderungen  versteckt  zu  glauben.  Sollte 
aus  der  Sache  etwas  werden,  so  erwarte  ich  von  Ihrer  Seite  die  Angabe 
der  Bedingungen;  und  alsdann  werde  ich  überlegen,  ob  darin  das  Aequi- 
valent  liegt  für  das,  was  ich  hier  verliere.  Meine  Einnahme  an  Honorar 
für  Collegien,  wiewohl  noch  wenig  unterstützt  von  schriftstellerischem  Ruf, 
beträgt  schon  in  diesem  Jahre  über  120  Louisd'or.  Ihre  Kenntniß  von 
Göttingen  überhebt  mich,  zu  erörtern,  wie  allein  diese  Art  von  Einnahmen, 
abgesehen  von  anderen  Erwartungen,  sich  hier,  immer  fortschreitend,  ins 
Unbestimmte  erhöhen  kann,  ein  wesentlicher  Vortheil,  der  dort,  wo  auf 
das  Honorar  so  wenig  zu  rechnen  ist,  fast  ganz  wegfallen  dürfte. 

Was  die  Art  der  Mittheilung  mit  Antwort  an  Herrn  Geh.  Referendar 
Hofer  betrifft,  so  überlasse  ich  das  ganz  Ihrem  gütigen  Ermessen.  Zwar 
habe  ich  eigentlich  nur  an  Sie  geschrieben.  Ich  wünsche  indeß  überall 
zu  erscheinen  wie  ich  bin,  und  fürchte  nicht  leicht,  anzustoßen. 

Mit  verbindlichstem  Dank  und  mit  großer  Hochachtung  Ew.  Wohl- 
geboren gehorsamer  Diener  J.   Fr.   Herbart. 

188.    Heise  an  Herbart.1)  Heidelberg  d.  23.  Januar  1805. 

Wohlgeborner  Hochgeehrter  Herr  Doctor,  Ihre  gütige  Antwort  vom  18ten 
dieses  habe  ich  gestern  erhalten,  und  gleich  heute  nach  Carlsruhe  eingeschickt,  da 
sie,  wenn  gleich  nur  für  mich  geschrieben,  doch  durchaus  so  gefaßt  ist,  um  dort 
den  vortheilhaftesten  Eindruck  machen  zu  müssen.  Bis  ich  von  daher  weitere  An- 
weisungen erhalte,  bin  ich  so  frey  Ihnen  wenigstens  für  mich  privatim  einige 
nähere  Nachrichten  und  Aufklärungen  mitzutheilen. 

Sie  scheinen  meine  vorigen  Aeußerungen  beynahe  so  verstanden  zu  haben, 
als  ob  man  eigentlich  mit  einem  Andern  in  Unterhandlung  begriffen  sey,  und  nur 
auf  den  Fall,  daß  diese  etwa  fehlschlagen  sollte,  sich  vorläufig  bei  Ihnen  habe  er- 
kundigen wollen.  Dies  scheint  Sie  wie  mich  freylich  nicht  wundert,  beleidigt  zu 
haben.  Allein  das  ist  zuverlässig  nicht  der  ||  Fall.  Es  ist  hier  ganz  gewöhnlich, 
wenn  man  dem  Kurfürsten  eine  neue  Yocation  antragen  will,  wo  möglich  zwey 
Personen  vorzuschlagen,  bey  denen  man  sich  vorläufig  nach  ihren  Bedingungen  und 
ihrer  Bereitwilligkeit  erkundiget  hat.  Deshalb  war  neben  Ihnen  noch  an  einen 
andern  bekannten  Philosophen  geschrieben,  obgleich,  wie  ich  Ihnen  itzt  zuverlässig 
sagen  kann,  der  Wunsch  des  Curatoriums  ganz  vorzüglich  auf  Sie  gerichtet  ist. 
Höchstwahrscheinlich  werde  ich  daher  in  einigen  Tagen  bestimmte  Anweisungen  zu 
Anträgen  an  Sie  erhalten,  oder  das  Curatorium  wird  sich  unmittelbar  an  Sie 
wenden.  Erfolgt  dieser  Antrag,  wie  ich  durchaus  nicht  zweifele,  so  wird  er  auf  eine 
ordentliche  Professur  der  Philosophie  mit  1000  bis  1100  fl  Reichsgeld  jährlichen 
Gehaltes,  und  einem  Aversional-Quantum  für  Transport-  und  Reise-Kosten  gerichtet 
seyn.  Spätestens  in  acht  Tagen  werde  ich  Ihnen  officielle  Nachricht  darüber  er- 
theilen  können,  und  da  der  Antrag  sobald  er  erfolgt  zuverlässig  auf  die  angegebenen 
Bedingungen  gerichtet  sein  wird,  so  bitte  ich  Sie  inständigst  indesseu  zu  über- 
legen, ||  ob  Sie  selbige  für  annehmlich  halten,  damit  Sie  alsdann  mit  umgehender 
Post  Ihre  Antwort  einsenden  können;  denn  da  das  Ende  des  halben  Jahres  heranrückt, 
so  werden  Sie  leicht  einsehen,  daß  uns  an  einer  schleunigen  Nachricht  außerordent- 
lich viel  gelegen  ist. 

l)  4  8.  4°.     H.  Wien. 


Februar  1805.  273 

Soviel  übrigens  Ihre  weiteren  Anfragen  betrift,  kann  ich  Ihnen  zu  meiner 
großen  Freude  dieselben  fast  ganz  befriedigend  beantworten.  Sie  können  nicht  nur 
Ihren  ganzen  philosophischen  Cursus  hier  unbedenklich  lesen,  sondern  das  Curatorium 
wünscht  dringend  daß  Sie  es  thun  mögen,  und  wird  Ihnen  denselben  sogar,  mit 
Ausnahme  der  Pädagogik  als  Ihr  eigentliches  Lehrfach  anweisen.  Die  Pädagogik 
aber  liest  Schwarz,  ein  herrlicher  Mann,  der  sich  freuen  wird,  mit  Ihnen  darinn 
abwechseln  zu  können.  Auch  Ihr  ganzer  philosophischer  Geist  paßt  vollkommen  zu 
den  Wünschen  des  Curatoriums,  und  ich  bin  überzeugt,  daß  die  Aeußerungen,  die 
Sie  in  Ihrem  Briefe  darüber  gethan  haben,  den  Wunsch  Sie  hierher  zu  ziehen,  noch 
außerordentlich  vermehren  werden.  Man  ist  in  Carlsruhe  der  neuesten  Philosophie 
und  besonders  ihrer  ||  polemischen  Seite  fast  ein  wenig  mehr  abhold  als  recht 
ist,  und  würde  es  höchst  ungern  sehen,  wenn  Sie  durch  Paradoxen,  Zank  und 
Lärmen  Aufsehen  zu  erregen  suchten.  —  Zwey  Männer  wie  Thibaut  und  Heeren 
finden  Sie  freylich  noch  nicht  zu  Ihrer  Seite.  Indessen  ist  Professor  Voßmann 
hier,  schon  ein  sehr  geschickter  Mathematiker,  und  ein  zweyter  ausgezeichneter 
Mann  wird  zuverlässig  sobald  als  möglich  berufen.  An  einen  bedeutenden  Histo- 
riker, freylich  kein  Heeren,  ist  gerade  itzt  eine  Vocation  erlassen,  und  an  Creuzern 
(der  dem  Rufe  nach  Landshut,  wovon  Sie  vielleicht  schon  gehört  haben,  nicht 
folgen  wird)  für  die  alte,  und  Pätz  für  die  neuere  Geschichte  finden  Sie  schon  ein 
paar  wackere  Männer.  Die  Buchhandlung  welche  wir  hierher  zu  ziehen  hoffen, 
wird  sich,  (wenn  ich  anders  diese  Ihre  Aeußerung  richtig  verstanden  habe)  dem 
Verlage  Ihrer  Arbeiten  mit  großer  Bereitwilligkeit  unterziehen.  —  Überhaupt  hoffe 
ich,  wird  es  Ihnen,  interessant  seyn,  an  der  Wiederaufnahme  einer  so  höchst  ver- 
fallenen Universität,  deren  itziger  schlechter  Zustand  eben  den  Kräften  eines  geist- 
vollen und  thätigen  Mannes  so  viel  Gelegenheit  zum  nützlichen  Wirken  darbietet, 
arbeiten  zu  können,  und  an  Eifer  im  Mitarbeiten  wollen  wir  es  wenigstens  nicht 
fehlen  lassen.  —  Mit  der  ausgezeichnetsten  Achtung  Arnold  Heise. 

Randbem. :  Noch  muß  ich  in  Ans.  der  Honorarien  bemerken,  daß  diese  künftig, 
wenn  auch  nicht  wie  in  Gott,  doch  sicher  nicht  unbedeutend  bleiben  werden.  Mein 
Coli.  Pätz  hat  schon  diesen  Winter  400  fl  eingenommen. 

189.    Freih.  v.  Edelsheim  an  Herbart. *)  1.  Febr.  1805. 

Wohlgebohrner  Insonders  Hochgeehrter  Herr  Professor!  Vermöge  der  von 
Hrn.  Professor  Heise  in  Heidelberg  eingekommenen  Nachricht  sind  Euer  Wohl- 
geborn  geneigt,  die  Stelle  eines  ordentlichen  Lehrers  der  theoretischen  und  prac- 
tische(n)  Philosophie  allda  zu  übernehmen. 

Es  gereicht  mir  zum  Vergnügen,  Ihnen  die  Eröfnung  zu  machen,  daß  Sr.  Kur- 
fürst!. Durchlaucht  auf  erstatteten  Curatel-amtlichen  Vortrag  gnädigst  geruht  haben, 
Ihnen  gedachte  Stelle  mit  einem  jährlichen  Gehalte  von 

Ein-Tausend  Gulden  an  Geld  Rheinl. 

Neun  Malter  Spelz2)  und 

Sechs  Malter  Korn 
zu  übertragen.  Da  Euer  Wohlgebohrn  die  weitere  Bedingnisse  wegen  Vergütung 
der  Reisekosten,  wie  auch  wegen  dem  Gehalt  der  ||  Witwen  der  Hrn.  Professoren 
in  Heidelberg  und  übrige  Verhältnisse  der  dortigen  Universitäts- Verfassung  durch 
Ihren  Freund  den  Hrn.  Prof.  Heise  schon  bekannt  seyn  werden,  so  habe  ich  nur 
noch  den  Wunsch  bey zufügen,   daß  Sie    so  ferne    Ihnen  wie   ich  hoffe,   obige  Be- 

*)  3  S.  40.     H.  Wien. 

2)  Weizen.  —  Herbart  schätzte  die  Einkünfte  auf  11C0  Gulden.     S.  Brief  an 
Feuerbach  S.  281. 

Herbarts  Werke.     XVI.  l8 


274  Februar   1805. 

dingnisse  annehmbar  sind,  mir  unverzüglich  Ihre  bestimmte  Erklärung  darüber  zu- 
kommen lassen  und  zugleich  an  den  akademischen  Senat  ein  Verzeichnis  Ihrer  auf 
das  künftige  Semester  vorhabenden  Vorlesungen,  von  welchen  wöchentlich  3  Stunden 
nach  der  Verfassung  publice  oder  unentgeldlich  gehalten  werden  müssen,  zur  Ein- 
verleibung in  den  Collegien-Catalog  einsenden  mögen. 

Da  die  —  Ihnen  bestimmte  Lehrstelle  vorzüglich  dasjenige  in  sich  begreift, 
was  man  sonst  unter  Logik  und  Metaphysik  auch  Natur  Recht  und  Philosophischer 
Moral  zu  verstehen  pflegt,  der  ganze  Umfang  dieser  Wissenschaften  aber  in  einem 
Halbjährigen  Semester  nicht  wohl  gelehrt  werden  kann,  so  hält  man  es  für  zweck- 
mäßig, daß  Sie  den  Entwurf  Ihrer  Vorlesungen  in  zwey  Semester  eintheilen  möchten, 
welche  Eintheilung  aber  Ihrem  ||  Gutfinden  überlassen  wird. 

Ich  schmeichle  mir,  daß  Sie  Vergnügen  daran  finden  werden,  Ihre  erprobte 
Kenntnisse  und  Talente  zu  der  Emporbringung  der  wieder  neu  aufblühenden  Uni- 
versität Heidelberg  zu  verwenden;  und  es  wird  mir  angenehm  seyn,  nach  Ihrem 
erfolgten  Eintritt  daselbst,  der  zeitlich  auf  Ostern  gewünscht  wird,  die  Bestätigung 
derjenigen  Hochachtung  wiederholen  zu  können,  in  der  ich  die  Ehre  habe  zu  seyn 
Euer  Wohlgebohren  gehorsamst  ergebener  Diener 

Karlsruhe  den  lten  Febr.  1805.  (gez-)  Frhr.  v.  Edelsheim. 

190.  Minister  Grote  an  Herbart.1)  Hannover  d.  3ten  Febr.  1805. 
Es   macht  mir   ein   unbeschreiblich   großes  Vergnügen   Ew.  Wohlgeboren   die 

Nachricht  geben  zu  können,  daß  Sie  mit  der  Erwiederung  auf  die  von  Ihnen  ge- 
machten Bedingungen  gewiß  zufrieden  seyn,  und  Sie  also  Göttingen  itzt  nicht  ver- 
lassen werden,  wesfalls  mein  ganzes  Haus  mit  mir  in  diesen  Tagen  sehr  besorgt 
war.  Die  Ausmittelung  einer  Besoldung  von  300  Rthlr.  zu  der  außerordentlichen 
Professur  hat  zwar,  eben  in  diesem  Augenblick,  mehr  Bedenken  gehabt,  als  Ew. 
Wolgeb.  sich  vorstellen  können;  unterdeß  wird  Rath  dazu  geschaft,  und  in  Ansehung 
der  beyden  Nebenbedingungen  erwarten  Ew.  Wolgeb.  ohne  Zweifel  selbst  keine  be- 
stimmte Zusicherung.  Die  Gesinnungen  des  hiesigen  Curatorii  u.  aller  derer,  welche 
bey  solchen  Gelegenheiten  Einfluß  haben,  giebt  Ihnen  ohnehin  vollkommen  hin- 
reichende Sicherheit,  daß  solche  Abwesenheiten,  wie  Sie  beabsichtigen,  Ihnen  niemals 
werden  verwehrt  werden,  die  Zusicherung  einer  obrigkeitlichen  Unterstützung  bey 
praktischen  Übungen  Ihrer  Zuhörer  in  der  Pädagogik  kann  aber  nicht  füglich  er- 
folgen, da  man,  worin  diese  Übung  und  die  Unterstützung  bestehen  würde  und 
müßte,  nicht  vorher  weiß;  aus  ||  langjähriger  Beobachtung  glaube  ich  aber  mit 
Zuversicht  hinzufügen  zu  können,  daß  jede  unbezweifelt  gute  Einrichtung  in  unserm 
Lande  Beförderung  findet,  wenn  sie  nur  nicht  Ausgaben  veranlaßet,  wozu  man  nicht 
im  Stande  zu  seyn  glaubt.  Solchem  allen  nach  rechne  ich  darauf,  daß  Ew.  Wolgeb. 
unserer  Landes-Universität  werden  erhalten,  und  meine  Söhne  ferner  das  Glück 
Ihres  näheren  Umgangs  genießen  werden.  Es  ist  noch  immer  sehr  zweifelhaft,  ob 
der  älteste  länger  als  Ostern  in  Göttingen  wird  bleiben  können;  ich  bitte  beyden, 
die  bisherige  Freundschaft  zu  erhalten,  welcher  wir  es  vorzüglich  zuschreiben,  daß 
sie  uns  bisher  fast  nur  Freude  machten.  Meine  ganze  Hausgesellschaft  empfiehlt 
sich  mit  mir  Ew.  Wolgeb.  gütigem  Andenken  auf  das  verbindlichste  und  gehorsamst 

Grote. 

191.  Herbart  an  v.  Edelsheim.  u.  Febr.  1805. 
Hochgeborener    Reichsfreyherr    und    Staatsminister,    Gnädiger    Herr! 

Ew.  Hochfreyherrlichen  Excellenz  kann  ich  nicht  ohne  einige  Verlegenheit 

*)  2  S.  4°.     H.  Wien. 


Juni   1805.  275 

melden,  daß  ich  den,  mir  heute  zugekommenen,  so  schmeichelhaften  An- 
trag einer  Lehrstelle  in  Heidelberg  abzulehnen  mich  bestimmt  finde. 
Nicht,  daß  ich  im  mindesten  unempfindlich  seyn  sollte  gegen  das  hohe 
Glück  auf  eine  so  ehrenhafte  Weise  Unterthan  einer  durch  ganz  Deutsch- 
land allgemein  verehrten  Regierung  zu  werden;  nicht,  daß  ich  irgend  an 
größere  Vortheile  denken  könnte,  als  diejenigen  sind,  welche  durch  Ihre 
gnädige  Zuschrift  meinen  öffentlich  noch  wenig  geprüften  Fähigkeiten  so 
reichlich  dargeboten  werden.  Im  Gegentheil,  ich  glaubte  schon,  hier  sey 
kaum  noch  zu  wählen:  als  die  gütigen  Aeußerungen  bedeutender  Männer 
aus  dem  Kreise  von  Göttingen  mich  fühlen  ließen,  es  seyen  schon  hier 
Verhältnisse  des  Zutrauens  angeknüpft,  die  eine  zartere  Rücksicht  als 
Berechnung  der  Einnahmen  erforderen.  Bey  halben  Vortheilen  also  bleibe 
ich  hier,  um  nicht  in  einem  Augenblicke,  wo  man  einigen  Werth  auf 
meine  Gegenwart  zu  legen  scheint,  dieser  Academie  zu  fehlen.  Und 
durch  solche  Bewahrung  älterer  Verhältnisse  möchte  ich  einigermaßen  das 
günstige  Vorurtheil  zu  verdienen  suchen,  welches  von  Seiten  Ew.  Hoch- 
freyherrlichen  Excellenz  und  der  dortigen  hohen  Regierung  mir  gnädigst 
gegönnt  war.  —  Es  kommt  hinzu,  daß  ich  von  einem  alten  Vater,  dessen 
Leben  nicht  mehr  lange  Dauer  verspricht,  mich  nicht  gerne  gar  zu  weit 
entfernen  möchte. 

In  meinem  Herzen  bleibt  auf  lange  Zeit  ein  Gefühl  des  lebhaftesten 
Dankes  zurück,  für  die  mir  gewordene  Aufmunterung;  —  und  des 
Schmerzes,  daß  ein,  sonst  vielfach  erfreulicher  Wink,  für  mich  verloren 
seyn  mußte. 

Möchte  Ew.  Excellenz  geruhen,  neben  diesen  Gesinnungen  die  des 
tiefsten  Respekts  gnädig  aufzunehmen,  womit  ich  die  Ehre  habe  mich  zu 
nennen  Ew.   Hochfreyherrlicher  Excellenz  unterthäniger  Diener 

J.   Fr.  Herbart. 

14.  Febr.    1805:    H.  wird   nach.  Ablehnung   der  Berufung   nach  Heidelberg1)  Professor 

Phiiosophiae    extraordinarius    mit   einem   jährlichen  Gehalt  von   300  Rthlr.    S.§Bd.  XV, 

S.  269.     Die  offizielle  Ernennung  erfolgte  am   28.  März   1805.  2) 

192.    Rahden  an  H.3)  Leipzig,  den  1.  Junius  1805. 

Jetzt,  da  mannigfaltige  Gegenstände  uns  seit  den  Tagen  unserer  Trennung  be- 
schäftigten, will  ich  Ihnen,  was  mich  anzog,  kurz  mittheilen.  Nichts  Neues  konnte 
ich  Ihnen  sagen,  mit  denen  ich  Gott,  verließ,  mit  denen  ich  mich  Ihres  Umgangs, 
Unterichtes  erinnerte,  und  zuletzt  das,  was  Ihnen  in  mir  gehört,  und  auch  eben  so 
gut  mein  Eignes  ist,  zu  pflegen,  zu  bewahren  mich  entschloß.  Es  forderte  auch 
einen  guten  Pinsel  und  vielleicht  können  todte  Zeichen,  auf  das  Papier  gemalt,  sie 
nie  richtig  bezeichnen.  Über  Trennung  tröstete  mich  die  Gemeinschaft  mit 
Ihnen,  nicht  allein  einzelner  Ideen,  nein,  des  Handelns  für  einen  Zweck  ohne  Ab- 
rede: ich  will  sie  so  nennen,  wie  Sie  sie  selbst  nannten  „die  Gemeinschaft  des 
Guten." 

Körperliche  Schwächen  wurden  durch  die  Anstrengungen  der  Reise  fühlbarer, 
Ruhe  wußte  sie  zu  verscheuchen.     Den  zweiten  Tag  erreichte  ich  Weimar.    Schillers 


*)  Die  Heidelberger  Professur  erhielt  Fries. 
2)  S.  Oldenburger  Blätter   1842,  S.  382. 
»)  3  S.  4°.    H.  Wien. 


276  Juni  1805, ^ 

Tod  hatte  es  verstimmt.  Man  suchte  Schillers  Andenken  durch  das  wiederholte 
Darstellen  seiner  Stücke  den  Anwesenden  noch  lebhafter  einzuprägen.  Man  gab  die 
Schillersche  Übersetzung  der  Phedra  von  Racine  und  diese  treue  fast  wörtliche 
Übersetzung  schien  bei  der  besten  Darstellung  nicht  für  die  deutsche  Bühne  ge- 
macht zu  seyn.  Göthe  hat  sich,  durch  Schillers  Tod  an  den  seinigen  gemahnt, 
zurückgezogen.  Die  Stimmung  des  dasigen  Publicums  kennen  sie,  sie  ist  dieselbe: 
feine  Genußleber.  (?)  Ich  fuhr  nach  Jena  und  sprach  dort  Gries ;  der  lebhaft  mich  mit 
Fragen  bestürmte,  warum  Sie  nicht  nach  Heidelberg  gegangen.  Voß  der  Homer 
geht  hin  und  Gries  will  auch  bald  dahin  gehen;  daß  Gries,  der  dort  schon  alles  in 
Blüthen  sieht,  und  Göttingen  für  den  unfruchtbarsten  Boden  für  philosophische 
Cultur  hält,  nicht  richtig  urtheilt,  werden  Sie  vorher  wissen.  Er  versichert  Sie 
hätten  es  ietzt  mit  ihm  verdorben;1)  es  waren  seine  schönsten  Träume  dort  Jugend- 
zeiten mit  Ihnen  zu  erneuern.  Da  er  seine  Arbeiten  nicht  vollendet,  so  geht  er  nicht 
nach  Dresden,  ihn  tröstet,  wie  er  sagt,  sein  schönes  Schomzisches  Fortepiano. 

Der  Weg  nach  Leipzig  führte  durch  schöne  Gegenden  und  wir  erreichten  es 
an  einem  Tage.  Schon  unter  Weges  wurde  der  große  Brod-Mangel  sichtbar  der  in 
Chur  Sachsen  herrscht.  Er  hat  Revolten  veranlaßt  sagt  man  und  ich  suchte  wo 
ich  Gelegenheit  fand,  daiüber  Belehrungen  einzuziehen.  —  Das  Finanz  Collegium, 
das  hier  praedominirt  soll  iezt  in  schlechten  Händen  seyn.  Mau  hat  keine  Magazine 
errichtet,  weil  man  die  Fonds  dazu  nicht  hatte  vorstrecken  wollen.  Das  Land  ist 
arm,  der  Fürst  reich.  Er  hat  einen  Privat  Schatz  von  40  Millionen  baarem  Gelde  in 
Gewölbe  gesperrt  und  giebt  nichts  her.  Eine  schlechte  Erndte  hat  den  Mangel  er- 
zeugt. Unsere  Wucherer  benutzen  die  Noth  und  geben  ihre  Vorräthe  nicht  heraus, 
um  noch  größere  Gewinnste  zu  machen.  Der  Scheffel  kostet  13  Thaler  und  oft  ist 
gar  kein  Brod  zu  haben.  Der  Pöbel  in  Dresden  hat  Gewalt  gebraucht,  mit  Gewalt 
die  Vorrathskammern  geöffnet  und  geraubt.  Vorgestern  geschab  hier  etwas  ähnliches. 
Die  Polizei  hat  unglaubliche  Nachläßigkeiten  sich  zu  Schulden  kommen  lassen,  sie 
entschuldigt  sich  damit,  man  habe  aus  dem  Finanz -Collegium  nichts  geben  wollen. 
Der  Fürst  darf,  beschränkt  durch  die  Stände,  keine  Auflagen  machen(,)  Abgaben 
erheben(.) 

Sie  werden  sich  erinnern,  daß  wir  von  Sachsens  Gerechtigkeit  sprachen.  Ge- 
wiß ist,  daß  sie  den  Ursprung  in  des  Fürsten  Privat  Tugend  hat.  Die  Gesetzbücher 
sind  schlecht,  die  Formen  unvollkommen,  die  Wahlen  unbesonnen.  Weit  entfernt 
für  Individuen  Formen  zu  bilden  müssen  alle  sich  in  dieselbe  schmiegen. 

Man  wird  nach  dem  Alter  befördert  und  nie  wird  der  gemeine  Gang  gestört 
man  muß  alle  Stufen  durchlaufen,  alle  müßen  eine  Bahn  gehen,  da  helfen  weder 
Talent  noch  Kenntniß  aber  auch  nicht  Geburt  u.  Verbindung. 

Das  neuere  Gesetzbuch  soll,  wie  hiesige  Lehrer  glauben  schlechter  als  das 
Preußische  Landrecht  seyn.  —  Wenn  man  den  Blick  nach  Baaden  wirft  man  findet 
nichts  erfreuliches,  und  wie  lange  wird  es  währen  bis  man  Ihre  Ideen  realisirt 
wiederfinden  wird.  Mit  wahrem  Mißvergnügen  sehe  ich  auch,  daß  Deutschland  noch 
nicht  in  der  drohenden  Gefahr  einen  Vereinigungspunct  gefunden.  Sachsen  kümmert 
sich  um  Deutschland  als  solches  nicht.  Es  fürchtet  für  sich  vielleicht,  denn  in 
Königstein  häuft  man  Magazine,  um  diesen  festen  Punkt  zu  schützen,  allein  Han- 
novers   Drangsale,    die    Eingriffe   in   Deutschlands  Rechte,    Schilderungen   der   Art 

*)  Zur  Ergänzung  sei  eine  Stelle  aus  Gries'  Leben  (1855)  S.  66  hinzugefügt: 
„Er  begreife  nicht,  daß  Herbart,  den  er  (Gries)  durch  einen  besonderen  Zufall  so 
glücklich  gewesen  zur  philosophischen  Professur  vorschlagen  xu  können,  nicht 
darauf  habe  eingehen  wollen,  und  zwar,  um  in  dem  abscheulichen  Gottingen  zu 
bleiben*'. 


Juni   1805.  277 

(ich  habe  es  versucht)  schlagen  umsonst  an  fühllose  Ohren.  Sie  glauben  bei  Ver- 
einigungen zu  verlieren,  weil  sie  noch  heiler  Haut  geblieben.  —  Wenn  ich  die  Leute 
recht  lebhaft  angriff,  so  sprach  man  von  Signalen  die  Österreich  und  Preußen 
geben  müße,  aber  so  als  wenn  man  hoffe  sie  blieben  aus.  Aus  Dresden  mehr 
hierüber,  da  habe  ich  mehr  Gelegenheit  zu  beobachten.  Hier  wird  alles  durch  den 
Kaufmannsgeist  besiegt,  es  fragt  sich  immer  was  gewinne  ich  wohl  dabei.  —  Ich 
Kenne  hier  mehrere  Lehrer.  Carus  sah  ich  öfterer.  Ich  bin  mit  ihm  Stundenlang 
allein  gewesen.  Sie  waren  der  Gegenstand  unserer  Gespräche  und  so  Ihr  Fach  [ein 
Wort  unleserlich]  acadernische  Wirksamkeit.  Er  läßt  sie  als  Freund  grüßen,  hat 
lebhaft  gewünscht,  Vereinigungspunkte  zu  finden,  die  die  wechselseitige  Annäherung 
befördern  konnte.  Jetzt  sey  mir  erlaubt  eine  Schilderung  des  Mannes  zu  entwerfen; 
es  versteht  sich,  ich  kann  nur  von  dem  sprechen,  wie  er  mir  erschien. 

Theoretische  Philosophie  scheint  er  nicht  zu  lieben.  —  Solchen  Gesprächen 
wich  er  aus  und  seine  Fragen  trafen  (er  wünschte  Ihre  Meinungen  zu  erfahren) 
immer  zusammen;  —  sie  waren  theils  empirische  psychologische,  theils  aus  der 
praktisch.  Philosophie.  —  Selbst  da  wußte  er  auszuweichen,  wenn  auf  Freiheit  oder 
etwas  ähnlichem  das  Gespräch  sich  wand.  Er  ist  sonst  Kantianer,  ohne  die  Kant. 
Ph.  für  die  einzig  wahre  Lehre  zu  halten.  Er  ist  mir  scheints  da  mit  sich  nicht 
einig.  Die  neueren  Systeme  wollen  ihm  nicht  genügen  und  —  —  ein  eigenes  zu 
erfinden  hatte  er  nicht  genug  Kraft.  ||  Mehr  schien  Paedagogic  ihn  zu  reizen  (er 
ist  Redacteur  der  Leipz.  All.  Zeitg.  hatte  aber  nicht  die  Recension  gemacht)  da  for- 
derte er  Erklärung  über  Vielseitigkeit  der  Interessen,  frug  ob  Sie  den  Bgf.  der  An- 
lagen entwickelt  und  fand,  daß  Sie  gleicher  Meinung  waren.  Dies  machte  viel  Freude. 
Liebenswürdig  war  er,  als  er  von  collegialisch.  Verhältniß,  academischer  Wirksam- 
keit sprach.  Viel  mußte  ich  von  den  Conversationen  u.  litterarisch  Zirkel  erzählen 
und  er  sprach  von  ähnlichen  Bemühungen,  die  er  hier  gemacht.  Besonders  gefiel 
ihm  der  Paedagogische  Gedanke,  der  ihrer  Einleitung  das  Daseyn  gab  und  der  Gang 
den  Sie  wählten.  —  Mir  war  es  aber  besonders  zu  thun  Sie  von  der  speculativen 
Seite  dem  aufmerksamen  Beobachter  zu  zeigen,  da  man  Sie  sonst  so  kennt  wie  ich 
es  wünsche  und  erzählte  von  Ihrer  Darstellung  des  platonischen  Systems.  Er 
wünschte  es  zu  lesen,  ich  versprach  es  und  er  mir,  daß  es  nächstens  in  der  Litt, 
Zeitg.  angezeigt  und  beurtheilt  werden  würde.  So  angenehm  es  mir  war,  so  ließ 
ich  es  bleiben  zu  danken,  weil,  wenn  er  es  gelesen,  es  von  selbst  geschehen. 

Sonst  ist  er  gelehrt,  spricht  gut,  deutlich,  ist  sehr  sanft  und  liebt  Unter- 
haltungen der  Art,  denn  er  ist  mir  zuvorgekommen.  Was  werden  Sie  aber  sagen, 
wenn  ich  Ihnen  schreibe,  daß  ich  hier  wieder  einen  Cursus  mache,  —  den  Gallischen 
nemlich.  Er  ist  in  8  Vorlesungen  vollendet.  Jede  währt  einige  Stunden  hinter- 
einander. Ueber  Gall,  den  hiesigen  Schulen,  dem  Buchhandel  mit  nächster  Post 
oder  aus  Dresden  mehreres.  — 

Professor  Klein,  den  ich  hier  getroffen  und  mit  dem  ich  oft  zusammen  komme 
läßt  sich  wie  Schlaberndorff,  ganz  gehorsamst  Ihnen  empfehlen.  Mein  Bruder  bittet 
um  Ihre  Gewogenheit  und  empfiehlt  sich  mit  mir  den  Sievers,  Grote  und  Steigern, 
an  den  ich  von  H.  von  Mecheln  einen  Gruß  zu  bestellen  habe. 

Was  meine  Gesundheit  betriff,  so  geht  es  ziemlich  gut  mit  der  körperlichen, 
die  geistige  soll  mit  ihr  gedeihen.  Ich  sehe  mit  Sehnsucht,  leider  aber  umsonst 
mich  um,  Sie  finde  ich  nirgends  und  fühle  es,  Sie  werde  ich  nicht  finden,  fühle  es 
und  weiß,  daß  ohne  (Sie)  ich  nie  ganz  geistig  genesen  werde.  Ferd.  Rahden. 

Menschen  sind  in  mein  Zimmer,  ich  eile  daher,  ich  bin  zerstreut. 

N.B.  Der  Recensent  ist  einer  Ihrer  Freunde,  der  Sie  in  der  Schweiz  gekannt, 
den  Namen  wollte  er  nicht  nennen,  sagte  aber  der  Recensent  habe  an  Sie  schreiben 
wollen. 


278  Juni   1805. 

193.     An    Smidt.  l)  Göttingen    iotenjun.  1805. 

Mein  bester  Smidt.  Daß  ich  noch  der  Alte  bin,  davon  brauchst 
Du  hoffentlich  kein  Zeichen.  Du  hast  mein  Zutrauen  als  Freund,  also 
auch  den  wesentlichsten  Theil  desselben,  den  nämlich,  daß  ich  Dein 
Zutrauen  ein  für  allemal  besitze. 

Drey  oder  4  Briefe  von  Dir  weiss  ich  nicht  erhalten  zu  haben;  hat 
mir  der  Zufall  etwas  von  Dir  geraubt?  —  Deine  Fragen  über  Dr —  konnte 
ich  nicht  wohl  beantworten,  zwar  Dir  wohl,  aber  nicht  zum  bestimmten 
Gebrauch,  der  mich  in  die  unangenehmste  Collision  geführt  hätte.  Jetzt 
ist  die  Gefahr,  in  der  der  junge  Mensch  mehr  oder  weniger  geschwebt 
haben  mag,  vorüber;  denn  man  hat  sich  von  der  andern  Seite  nicht  halten 
können  und  hat  sich  das  Spiel  verdorben. 

Aber  zur  Hauptsache!  Ich  schlage  Dir  statt  Deines  Kaisers  einen 
König  vor,  denselben  den  Du  kennst,  der  ehemals  in  Old.  war,  jetzt  in 
Eutin  ist.  Vorausgesetzt  die  Rede  sey  vom  Rectorat  an  der  Domschule. 
Ich  sprach  darüber  mit  Heyne,  der  beyde  kennt,  Kaisern  mäßig  lobt,  ihm 
aber  weniger  „philosoph.  Geist1'  zuschreibt  als  König,  und  vollends  meinen 
Grund  anerkennt,  den  nämlich,  daß  ||  König  nicht  bloß  trefflicher  Philolog, 
sondern  beynahe  ebenso  trefflicher  Mathematiker  ist;  u.  ich  will  [nicht]  hoffen 
daß  das  in  Bremen  nicht  geachtet  wird!  Dazu  ist  König  mir  der  Mensch, 
den  ich  für  diesen  Platz  gemacht  glaube.  Ich  kannte  ihn  als  sein  ver- 
trauter Schüler;  ich  kenne  ihn  besser  als  die  Oldenburger  alle,,  unter 
denen  sich  keiner  die  Mühe  gab,  die  Misverhältnisse  zu  heben,  von 
welchen  er  sich  gedrückt  fühlte.  Er  ist  nicht  gemacht  regiert  zu  werden, 
denn  er  hat  eine  gewisse  starre  Männlichkeit,  die  sich  sonderbar  verbiegt, 
wenn  er  versucht  sich  höflich  unterzuordnen,  aber  sich  sehr  liebenswürdig 
und  anschließend  herablassen  kann  sobald  ihm  übrigens  erträglich  wohl 
ist.  Diesen  Mann  wünsche  ich  an  diesen  Platz  wo  er  oben  ansteht.  Ob 
er  selbst  zu  regieren  versteht,  nämlich  untergeordnete  Collegen,  weiß  ich 
nicht:  es  wird  aber  schwerlich  nöthig  seyn,  da  Du  ja,  wenn  ich  nicht 
irre,  selbst  Herr  u.  Meister  bist,  dem  die  Collegen  ziemlich  in  gleicher 
Linie  untergeordnet  sind.  Du  wirst  ihn  nun  herzlicher  nehmen  wie  die 
Oldenburger,  wirst  seine  Rathschläge  nach  Möglichkeit  benutzen,  u.  so  wird 
es,  sollte  ich  glauben  sehr  gut  gehen.  Auch  mit  Bredenkamp,  wenn  der 
vielleicht  noch  Einfluß  behält,   wird   er  denk  ich  zurechtkommen. 

Zum  Conrector  —  auf  den  ziueyien  Platz  —  taugt  König  gar  nicht, 
wird  es  auch  nicht  annehmen,  da  er  Rector  in  Eutin  ||  ist,  und  es  sich 
überall  noch  fragt,  was  Ihr  anzubieten  habt,  u.  in  welchem  Verhältniß  zu 
Euren  hohen  Preisen? 

Für  die  übrigen  Stellen  weiß  ich  niemand.  Ich  danke  Dir,  daß  Du 
an  mich  denkst,  —  nachdem  ich  aber  die  herrliche  Gegend  von  Heidel- 
berg, mit  600  Rthlr.  Gehalt  u.  der  ordentl.  Professur  ausgeschlagen  habe, 
erräthst   Du  leicht  daß  ich   mich  hier  am   rechten   Platze  fühle.   — 

Deine  Schwester  mit  der  M[etta]  R[ohde] 2)  u.  Günthern  sah  ich 
zu    kurz    —    aber    zu    großer    Freude.      Sie    hat    sich    sehr    erhohlt,    mit 


l)  4  S.  8U. 

*)  Smidts  Schwägerin. 


Juli   1805.  279 

Günthern  geht  es  so  gut  es  nur  kann,  und  wird  wol  noch  besser  werden. 
Günthern  selbst  fand  ich  gehoben,  im  Äußern:  u.  im  Innern,  —  sich 
gleich ! 

Die  Doctorin  Noltenius  zürnt  mir,  wie  ich  höre?  Was  ist  zu  thun? 
—  Zu  schreiben,  sagst  Du?  —  Ja  wenn  es  damit  gethan  wäre!  Eine 
junge,  schöne  zürnende  Dame,  —  woher  nimmt  man  den  Muth  der  noch 
zu  schreiben!  Ich  ersuche  Deine  liebe  Frau  angelegentlichst,  ein  schwester- 
liches Wort  vorher  für  mich  einzulegen,  damit  ich  nicht  gar  zu  ungütig 
aufgenommen  werde,   wenn  ich  mich  nun  sehen  lasse.   — 

Bald  werde  ich  mich  Dir  etwas  breiter  und  gelehrter  vernehmen 
lassen.  —  Bis  dahin  leb  wohl.  Bring  den  theueren  Kulenkamps  meine 
herzlichsten  Grüße;  und  sage  Ihnen,  ||  daß  ich  zuerst  auf  ihre  Güte 
baue,  um   bey  ihnen   einen  Fürsprecher  bemühen  zu  wollen. 

Behalte  mich  lieb  alter  Freund!  Dein  H. 

194.  An   Smidt.1)  Göttingen  4ten  Jul.   L1805]. 
Du  erhältst  hier,    lieber  Freund,    mein   Antrittsprogramm,2)    dem   ich, 

wie  Du  aus  der  Beylage  sehn  wirst,  einen  etwas  ausgedehnteren  Wirkungs- 
kreis und  mehr  Werth  zu  geben  gesucht  habe,  als  dergleichen  Schriften 
zuweilen  sonst  haben  mögen.  Als  das  erste  deutliche  Zeichen,  wie  ich 
meine  hiesige  Aufgabe  gefaßt  habe,,  wird  es  vielleicht  Dir,  —  und  als  eine 
Summe  von  Äußerungen  über  alte  u.  neue  Philosophen  dem  Bremischen 
Gelehrten  vielleicht  eine  Neuigkeit  von  einigem  Interesse  seyn,  zudem  da 
die  philosophische  Thätigkeit  von  Göttingen  sich  jetzt  so  ziemlich  in 
meinem   Auditorium  concentrirt  zu  haben  scheint. 

Der  Einlage  an  Mad.  Noltenius  bitte  ich  gutes  Geleite  zu  geben. 
Da  ich  nicht  weiß  ob  Herr  Aldfeldts  Name  eine  hinreichende  Adresse  ist, 
so  muß  ich  sie  jetzt  noch  mit  dem  Gelde  bemühen;  das  ebenfalls  hiebey 
kömmt. 

Von  Kulenkamps  habe  ich  die  besten  Nachrichten;  hoffe  deren  Be- 
stätigung, mit  baldiger  Nachricht,  ob  König  Dir  ansteht?  —  Empfiehl 
mich  in  Deinem  Cirkel!  Dein  Herbart. 

Die  Nachricht  von  den  Bildern  hat  mich  sehr  gefreut. 

195.  An  Paul  Anselm  v.  Feuerbach  in  München. 

Göttingen  Juli  o.  August  1805. 3) 
Die  gütige  Zuschrift,  welche  von  Ihnen  zu  empfangen  mir  gegönnt 
war,  ist  an  sich  ein  köstliches  und  ganz  unerwartetes  Geschenk.  Weder 
von  Ihnen,  noch  von  dem  ehrwürdigen  Jacobi,  noch  von  der  Baierschen 
Regierung  durfte  ich  mich  bemerkt  glauben,  und  am  wenigsten  an  Aus- 
zeichnungen von  dorther  denken. 

Zweifeln  Sie  nicht,  ich  bitte  sehr  darum,  an  meiner  Empfänglichkeit 
für  die  grossen  Gedanken,  welche  dem  kühnen  und  mannigfaltigen  Streben 

*)  1  S.  8°. 

2)  De  Platonici  etc.     S.  Bd.  I.     S.  3 1 1  ff. 

3)  Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  pp.  Doch  ist  der  Brief  dort  falsch 
datiert.  Nach  dem  Inhalt  ist  er  1/2  Jahr  nach  der  Berufung  nach  Heidelberg  geschrieben. 
Text  nach  dem  Konzept  auf  der  H.  Wien. 


280  Juli  1805. 

in  jenem  Lande  zu  Grunde  liegen.  Sie  wissen  in  welcher  philosophischen 
Schule  ich  die  Jahre  der  grössten  Erregbarkeit  zubrachte,  —  eine  Zeitlang 
ist  Fichte'n   vielleicht  keiner  seiner  Schüler  näher  gewesen  als  ich. 

Aber  ich  gestehe  Ihnen  auch,  dass  ich  in  den  neueren  Ereignissen 
am  philosophischen  Horizont  mit  Verdruss  zugesehen  habe,  —  der  viel- 
leicht desto  tiefer  ging,  weil  er  still  blieb.  —  Hätte  ich  ein  Vorurtheil 
gegen  Baiern,  so  bestünde  es  darin,  dass  ich  die  neuesten  dort  ver- 
breiteten  Lehren  keineswegs  als  Vorarbeit  für  mich  ansehen  kann. 

Indessen,  ich  bin  gewohnt,  in  allerley  Feldern  zu  ackern,  und  mir 
selber  vorzuarbeiten.  Denjenigen,  welche  bey  mir  fertig  sind,  rathe  ich 
überdass,  sich  alsdann  auch  bey  andern  zu  versuchen.  Und  ich  liebe  es, 
mir  selbst  die  Sorge  für  gute  Nachbarschaft  anzumuthen  mit  denen,  welche 
neben  mir  wohnen. 

Kann  mich  also  etwas  abhalten,  Ihre  Vorschläge  mit  der  Schnellig- 
keit und  Wärme  zu  umfassen,  die  Sie  vielleicht  der  Sache  angemessen 
finden:  so  liegt  dasselbe  bloss  in  meinen  hiesigen  Verhältnissen.  Da  ich 
vor  einem  halben  Jahre  einen  Ruf  nach  Heidelberg  erhielt:  zeigten  mir 
achtungswürdige  Männer  hier  und  in  Hannover  ein  Zutrauen,  dem  ich 
glaubte  entsprechen  zu  müssen,  und  ich  blieb,  wiewohl  bey  halben  Vor- 
theilen.  Ich  habe  seitdem  nicht  Ursache  gefunden,  meine  Gesinnungen 
zu  verändern.  Eine  kleine  Vermehrung  der  äusseren  Bequemlichkeit  ist 
mir  kein  Grund,  Verhältnisse  zu  wechseln.  Dabey  ist  der  Wirkungskreis 
von  Göttingen  immer  noch  einer  der  allervorzüglichsten.  Ich  habe  hier 
Schweizer,  Schweden,  Engländer,  Holländer,  Russen,  Polen,  Ungarn,  als 
Zuhörer  vor  mir  gesehn;  ich  habe  das  Glück,  vielen  sehr  ausgezeichneten 
Männern  als  ihr  Mitarbeiter  zur  Seite  zu  stehn;  namentlich  einem  Historiker 
wie  Heeren  und  einem  Mathematiker  wie  Thibaut!  Vor  allen  unangenehmen 
Collegial- Verhältnissen  sichert  mich  das  feine  Gefühl  des  Hrn.  Bouterweck. 

—  Wie  sollte  ich  dem  Minister  Grote,  einem  der  trefflichsten  Männer 
die  Hannover  besitzt,  und  mit  dessen  Söhnen  ich  in  der  genauesten  Be- 
kanntschaft stehe,  wie  sollte  ich  es  ihm  vortragen:  dass  ich  jetzt  jene 
so  oft  anerkannten  Vorzüge  von  Göttingen  auf  einmal  minder  schätze?  — 
Bis  jetzt  habe  ich  Ihre  Vorschläge  noch  gegen  Niemand  von  hier,  er- 
wähnen mögen!   — 

Was  die  Sache  verändern  könnte,  das  darf  ich  von  Ihrer  Regierung 
nicht  erwarten;  und  die  Schuld  (wenn  es  eine  Schuld  ist)  liegt,  zunächst 
wenigstens,  in  meinem  langen  Verschliessen  meiner  Arbeiten.  —  Es  ist 
allerdings  Zeit  für  mich,  nicht  bloss  mir  als  einzelnem  Menschen  ein  Aus- 
kommen zu  sichern,  sondern  auch  an  die  Bedürfnisse  einer  Familie  zu 
denken.  Darin  ist  hier  für  mich  nicht  gesorgt;  und  es  kann  auch  für 
jetzt  schwerlich  geschehen.  Würden  mir  anderswo  Aussichten  zu  einem 
bequemen  Familienleben  versichert:  dann  freylich  hätte  ich  einen  Grund, 
Göttingen  zu  verlassen.  Sie  fordern  mich  auf,  Ihnen  meine  Bedingungen 
zu  melden.  Aber  auf  welche  öffentlichen  Verdienste  gestützt,  dürfte  ich 
Summen  ansprechen,    wie  es  Männern    von    entschiedenem   Rufe    zusteht? 

—  Eben  jetzt  bin  ich  daran,  meine  Arbeiten  dem  Publicum  in  Einem 
Buche  vorzulegen.  Was  mir  nach  zwey  Jahren,  vielleicht  nach  Einem 
Jahre    gestattet    gewesen    wäre,    ist   jetzt    noch    nicht    an    der    Zeit.      Ist 


September  1805.  281 


die  Gelegenheit  flüchtig:  so  muss  ich  sie  aus  den  Händen  lassen. 
Man  versprach  in  Heidelberg  1100  Gulden.  Dergleichen  Bedingungen 
können  mich  von  hier  nicht  entfernen;  andre  zu  nennen,  wäre  in  meinem 
Falle  eine  grosse  Indiscretion.      Verzeihen  Sie  also  dass  ich  schweige.    — 

Das  Glück,  mich  Ihnen  mittheilen  zu  dürfen,  ist  mir  indessen  ge- 
geben; und  so  erlaube  ich  mir,  Ihnen  einige  Andeutungen  aus  meinem 
Gedankenkreise  darzubringen.  Sie  finden  ein  paar  kleine  Schriften  und 
ein  Bruchstück  aus  einer  grössern  hier  beygelegt;  wahrscheinlich  hat  nichts 
davon  in  Ihre  Hände  kommen  können.  Der  Plan  zu  einer  Vorlesung 
enthält  die  Antwort  auf  Ihre  Frage,  ob  ich  Naturrecht  lese.  Die  Gegen- 
stände des  Naturrechts  werden  in  meiner  practischen  Philosophie  als  un- 
abtrennbares Glied  derselben  abgehandelt;  die  vorgebliche  Wissenschaft 
selbst  würde  ich  nur  polemisch  verfolgen  können.  Wie  erweckend  und 
belehrend  müsste  es  seyn,  mit  Ihnen  über  diese  Dinge  zu  sprechen! 
Wir  sind  zwar  nicht  ganz  einig;  aber  die  grosse  Hochachtung  für  die 
Denkkraft,  von  welcher  die  „Revision  des  peinlichen  Rechts"  der  Ausfluss 
ist,  habe  ich  mit  meinen   Zeitgenossen  gemein. 

Unserm  Plato  habe  ich  meine  Abhandlung  über  den  Plato  schon 
auf  einem  anderen  Wege  zuzusenden  die  Freyheit  genommen.  Mag  er 
die  andern  Kleinigkeiten  ansehn,  so  bitte  ich  Sie,  ihm  dieselben  gelegent- 
lich mitzutheilen.  —  Wüsste  es  der  Mann,  wie  ich  ihn  schätze!  Aber  ich 
kann  es  ihm  jetzt  nicht  sagen.  Zu  Jacobi  soll  man  mit  gesammeltem 
Sinn  sprechen;  und  mein  Kopf  ist  jetzt  durch  die  ganzen  Weiten  der 
Pädagogik  zerstreut,  die  eben  halb  geschrieben  vor  mir  liegt,  und  zu 
Neujahr  herauskommen  und  der    practischen   Philosophie  vorangehen  soll. 

Wenn  von  dieser  Zerstreuung  auch  das  gegenwärtige  Blatt  Spuren 
an  sich  trägt:  so  bitte  ich  Sie,  höchstgeschätzter  Hr.  Hofrath  daraus 
wenigstens  nicht  auch  nur  auf  den  kleinsten  Mangel  an  derjenigen  voll- 
kommensten Hochachtung  und  Ergebenheit  zu  schliessen,  mit  welcher  ich 
die  Ehre  habe  etc.  etc. 

196.    F.  A.  Carus  an  H.1)  Leipzig  am  1.  Sept.  1805. 

Für  das  reine  Vergnügen,  welches  mir  die  Durchlesung  Ihrer  mit  platonischem 
Geiste  und  doch  auch  mit  freier  Selbständigkeit  geschriebenen  Schrift  gewährte, 
empfangen  Sie,  verehrtester  Herr  Professor,  meinen  innigsten  Dank.  Eine  Anzeige 
derselben  ist  so  eben  in  unser  hiesigen  Lit.  Zeitung  abgedruckt.  Gern  hätte  ich  dort 
noch  Mehr  von  ihr  gesagt,  wenn  ich  bei  dem  vergönnten  Räume  mich  ganz  hätte 
aussprechen  dürfen.  Ich  sehne  mich,  bald  ähnliche  Früchte  Ihres  historisch-philo- 
sophischen Studiums  zu  lesen.  Ich  bin  iezt  doppelt  Ihr  Vertrauter,  da  ich  Ihre 
Ansichten  nicht  blos  verstanden  zu  haben  glaube,  sondern  mich  auch  gedrungen 
fühle,  Ihnen  zuzustimmen.  Nur  über  das,  was  Sie  hier  blos  anivinhen  wollten, 
müßte  ich  erst  Ihre  näheren  Erklärungen  abwarten.  || 

Wäre  es  nicht  möglich,  daß  wir  uns  einmal  sehen  und  sprechen  könnten? 
Sollte  Leipzig  gar  nichts  Anziehendes  für  Sie  haben?  Nur  wünschte  ich  nicht,  daß 
Sie    in    der  Michael-Messe    hieher   kämen,    in  welcher  ich  in  mein  Vaterland,   die 


x)  3  S.  8°.  H.  Wien.  —  Fr.  Aug.  Carus  (1770—1807),  seit  1805  0.  Prof.  der 
Philos.  in  Leipzig,  Verfasser  der  „Ideen  zur  Philosophie  der  Geschichte"  und  einer 
Psychologie.     S.  S.  284,  Anm.  und  Allg.  D.  Biogr. 


282  September  1805. 


Lausiz,  reise.  Da  Sie  uns  die  Freude  gemacht  haben,  uns  Ihre  Mitwirkung  zu  un- 
befangener Würdigung  der  philos.  Zeitprodukte  zuzusichern,  so  übersendet  Ihnen 
anbei  die  Kedaction  den  Contract,  von  welchem  Sie  das  eine  Exemplar  gefälligst 
unterschrieben  an  mich  zurücksenden  werden. 

Sie  sind  in  Hinsicht  auf  den  Eaum  der  Reo.  nicht  so  wie  andre  gebunden. 
Zugleich  empfangen  Sie  die  erste  Sendung  von  Büchern,  deren  combinirte  Recension 
wir  uns  von  Ihnen  erbitten.  Sie  betreffen  sämtlich,  was  Sie  sehen,  die  philos. 
Moral.  Wie  viel  läßt  sich  seit  Schleiermacher  und  schon  früherhin  nicht  für  sie 
erwarten  und  mitwirken!  Die  Stellung  dieser  Schriften  in  der  Collectiv-Recension 
ist  Ihnen  ebenso  freigestellt  als  ob  Sie  dieser  Reo.  eine  kurze  Einleitung,  welche  den 
iezzigen  Standpunkt  der  Moral  feststellt,  voransetzen  wollen.  Auch  sollen  Sie 
keineswegs  mit  vielen  Rec.  überhäuft  werden,  sondern  ganz  con  amore  arbeiten,  so 
oft  Sie  wollen.  Je  weniger  Sie  ein  Rec.  vom  gewöhnlichen  Schlage  seyn  mögen, 
wie  Sie  sagen,  desto  willkommener,   desto  erwünschter   sind   uns  Ihre  Recensionen. 

Erfreuen  Sie  mich  bald  wieder  mit  einem  geistigen  Besuche,  wenn  Sie  es  noch 
mit  keinem  persönlichen  können,  und  erhalten  Sie  mir  Ihre  Freundschaft.  Der 
Meinigen  bleiben  Sie  gewiß.     Hochachtungsvoll  der  Ihrige  Carus. 


1806. 

W. :  Allgemeine  Pädagogik.  S.  Bd.  II.  S.  I  — 139.  —  Selbstanzeige  derselben. 
S.  Bd.  II.  S.  143  — 145.  —  Selbstanzeige  der  Abhandlung:  „De  Platonici  syste- 
matis  pp.u  S.  Bd.  I.  S.  333 — 334.  —  Hauptpunkte  der  Metaphysik  u.  Hauptpunkte 
der  Logik.  (Erste,  nicht  für  den  Buchhandel  bestimmte  Ausgabe.)  S.  Bd.  II.  S.  175 
bis  226.  —  Rez.  von  Callisens  Abriß  der  Rechts-  und  Sittenlehre,  Snells  Hauptlehren 
der  Moralphilosophie,  Tieftrunks  Philosophischen  Untersuchungen.     S.  Bd.  XIII.     S.  326 

bis  334. 

197.      An   Smidt1)  Göttingen  2  Febr.   1806. 

Mein  theurer  Smidt!  Du  siehst  Dich  hier  als  Pathen  zu  einem  spät- 
gebornen  Kinde,  das  Du  schon  vor  Jahren  als  Embryo  gesehen  hast; 
und  das  wohl  noch  nicht  zur  Welt  gekommen  wäre,  wenn  nicht  der 
Wunsch,  den  Grafen  Sievers  und  Plater,  meinen  eifrigen  Schülern,  noch 
diesen  Rest  ihrer  Studien  in  ihre  Heimath  mitzugeben,  mich  vorwärts  ge- 
trieben hätte.  Eben  diese  Beschleunigung  nöthigt  mir  jetzt  die  Bitte  ab, 
Du  mögest  über  den  Mangel  der  letzten  Feile  hinwegsehen  und  vorlieb 
nehmen  mit  einer  leidlichen  Darstellung  der  Hauptbegriffe.  Etwas  vollendet 
hinstellen  zu  wollen,  darf  weder  der  Ehrgeiz  meiner  Jahre  seyn,  noch 
verträgt  es  sich  mit  der  Rücksicht  auf  die  Bedürfnisse  meiner  jetzigen 
Wirksamkeit,  und  auf  die  Menge  und  Vielartigkeit  der  Arbeiten,  welche 
vor  mir  liegen  und  gewissermassen  von  mir  gefordert  werden. 

Dich  vor  dem  Publicum  feyerlich  anzureden,  |]  wollte  mir  nicht  in 
den  Kopf;  unter  vier  Augen  mag  ich  Dich  wol  bitten,  Dir  es  gefallen 
zu  lassen,  dass  ich  nach  hergebrachter  Schriftsteller-Sitte  meine  unver- 
ändert freundschaftlichen  und  dankbaren  Gesinnungen  gegen  Dich,  an  eine 
meiner  liebsten  Gedankenparthien  öffentlich  anhefte,  als  ob  dadurch  diese 
ein  passendes  Symbol  würde,  von  jenen! 

Dir,  dem  Scholarchen,  gebührt  es  sich  übrigens,  eine  Pädagogik  zu 
widmen.  Nur  freylich  wird  der  Scholarch  nicht  viel  von  dem,  was  er  zu- 
nächst sucht,  darin  finden !  Darin  schicke  ich  mich.  —  Gebe  der  Himmel, 
dass  Du  immerfort  als  Senator  der  freyen  Reichsstadt  Br[emen]  viel  zu 
sehr  mit  öffentlichen  Geschäften  überhäuft  sein  mögest,  als  dass  Du  je- 
mals mit  mir  in  guter  Müsse  grübeln  könntest  über  die  tiefere  Philosophie 
der  Pädagogik,  oder  Theil  nehmen  an  der  Ausarbeitung  der  Mono- 
graphien, aufweichen  die  specielle  Ausführung  meines  Planes  beruhen  würde! 
Den  Wissenschaften  wird   hoffentlich    immer  irgend  eine  Freistatt  bleiben, 

x)  4  S.  8°. 


234 


Februar   1806. 


wo  sie  ihr  Geschafft  fortführen  können.  Und  einige  jüngere  Gehülfen  sehe 
ich  schon  ||  jetzt  neben  mir,  welche  meine  Hoffnung  wol  nicht  ganz  täuschen 
werden.  Die  Experimente  des  ABC  d.  A.  und  des  Homers  werden  hier 
jetzt  an  einigen  Knaben,  unter  andern  an  einem  nachgelassenen  Sohne 
von  Lichtenberg  gemacht,  der  ein  naives  Bübchen  ist  und  von  sehr 
fähigem  Kopfe. 

Was  macht  wol  Deine  gute  Schwester?  Ist  sie  noch  in  Dresden? 
Davon  hätte  ich  gern  bald  ein  paar  Worte  der  Nachricht.  Auch  ob  sie 
mit  G[ünther]  fortdauernd  zufrieden  ist?    — 

Von  den  gebundenen  Exemplaren  wirst  Du  die  Güte  haben  Eins 
mit  dem  beykommenden  Briefe  an  Kulenkamps  zu  senden.  Ich  lege 
noch  einige  andere  Exemplare  bey,  worüber  unsere  Freunde,  wie  es  ihnen 
bequem  ist,  schalten  werden.  Vor  allem  gehört  eines  unserm  Koppen. 
Dieser  würde  mich  sehr  verbinden,  wenn  er  seine  literarisch  so  wol  ge- 
übte Feder  diesmal  zu  einer  Mittheilung  seines  Urtheils,  oder  auch  dessen 
—  was  Ihr  in  pleno  über  mich  beschliessen  werdet  —  anwenden  wollte. 
Vor  allem  soll  er  dann  die  witzigen  Einfälle  nicht  weglassen!  ||  Das 
Urtheil  der  Lacher  ist  auch  etwas  werth!  Und  auf  allen  Fall  werde  ich 
mitlachen  dürfen,  und  an  den  heilsamen  Erschütterungen  des  Zwerchfells 
leide  ich  hier  gar  grossen  Mangel! 

Sonst  geht  es  mir  leidlich,  wiewohl  meine  Gesundheit  noch  immer 
ein  recht  launisches  Kind  ist. 

Leb  Wohl   mein  Theurer!      Grüsse  alle  die   Unsrigen  recht  herzlich! 

Dein  Herbart. 

198.     F.  A.  Carus  an  H.1)  Leipzig,  den  8.  Febr.  1806. 

Ich  würde  Ihnen,  verehrter  Herr  Professor,  wohl  eingedenk  Ihres  ursprüng- 
lichen Wunsches,  der  den  Umfang  Ihrer  Thätigkeit  für  die  hiesige  Zeitung  be- 
bestimmte  — ,  die  beiden  Rechenbücher  nicht  zugesendet  haben,  wenn  nicht  eben 
Ihr  trefflicher  Schüler  und  Freund  G.  Sievers,  mir  dazu  Muth  gemacht,  wenn  er 
nicht  mit  mir  zugleich  Ihr  eingreifendes  Urtheil  über  die  neue,  schon  in  der  großen, 
hiesigen  Bürgerschule  durchherrschende  Rechenmethode  oder  Manier  gewünscht 
hätte.  Hier  haben  Sie  meine  offene  Entschuldigung  wegen  meiner  Zumuthung,  eine 
Entschuldigung,  die  ich  vielleicht  bei  Ihnen  mehr  bedarf,  als  Sie  dieselbe  von  mir 
bedurften.  Wie  wir  von  keinem  unsrer  Mitarbeiter  je  mehr  forderten,  als  er  selbst 
aus  freier  Lust  und  Liebe  beitragen  wollte,  so  möchte  ich  noch  weniger  Ihre  freie 
Thätigkeit  hemmen,  je  inniger  ich  Ihre  Freiheit  und  Sie  selbst  achte.  Nur  bedauern 
darf  u.  muß  ich,  daß  Hrn.  Tillich2)  Ihre  pädagogische  Zurechtweisung  —  und  so 
vielen  diese  Methode  schon  iezt  befolgenden  Lehrern  nicht  Ihr  warnendes  Wort  zu 
seiner  Zeit  —  werden  sollte.  Gerade  aus  Ihrem  Munde  würde  der  als  Mensch  sehr 
achtungswerthe  Tillich  auch  den  stärksten  Tadel  nicht  blos  ertragen  und  gehört, 
sondern  auch  redlich  befolgt  haben.  ||  Desto  mehr  habe  ich  von  Ihrer  Eiiaubniß 
Gebrauch  gemacht  und  ihm  lhien  Wink  bereits   gestern  geschrieben.     Auch  dieser, 

J)  4S.  8".     H.  AVien. 

2)  Über  E.  Tillich  und  sein  Verhältnis  zu  Carus  und  Herbart  vgl.  Th.  Fritzsoh, 
E.  Tillich  (Langensalza,  Hermann  Beyer  &  Söhne  [Beyer  &  Mann]  1908).  Nach 
dem  hier  mitgeteilten  Material,  das  mir  bei  Abfassung  der  Abhandlung  über  Tillich 
noch  unbekannt  war,  ist  zu  berichtigen,  daß  Tillich  die  Lehre  Herbarts  vom  er- 
ziehenden Unterricht  gekannt  hat. 


Februar   t8o6.  285 


ich  weiß  es,  wird  ihn  schon  aufmerksamer  machen,  und  schon  dies  ist  mir  lieb,  da 
ich  in  seiner  Erziehungsanstalt  selbst  einen  Sohn  habe.  Schon  Ihren  Sievers  machte 
ich  auf  manche  schwache  Seite  jener  Anstalt  namentlich  auch  in  der  dort  durch 
ihre  Resultate  oft  "Wunder  scheinende,  wenigstens  Verwunderung  erregende  Rechen- 
Manier  aufmerksam  und  beschwor  ihn,  dem  dafür  empfänglichen  Tillich  jeden  Tadel 
rein  heraus  zu  sagen  und  sich  sogar  auf  diesen  meinen  ihm  gegebenen  Auftrag  zu 
berufen.  Gewiß  hat  er  es  gethan  —  denn  Tillich  ist  voll  seines  und  —  Ihres 
Lobes  in  seinem  letzten  Briefe.  Leider!  hat  Tillich  es  indessen  mit  einem  noch 
weit  größeren  Enthusiasten  zu  thun,  als  er  selber  ist,  und  dies  ist  Olivier,  der  über 
seine  Elemente  nie  hinausstreben  kann. 

Sie  wünschen  dem  Hrn.  Tillich  einen  geistreichen  Mathematiker  zum  Leiter. 
0  hätten  Sie  mir  einen  solchen  genannt  oder  nennten  Sie  mir  ihn  noch,  welcher 
durch  unsre  Zeitung  zu  dem  jungen  Manne  sprechen  mogte  —  Sie  würden  sich  zu- 
gleich unser  Institut  verpflichten.  Unser  Hindenburg  und  von  Presse  sind  zum 
Recensiren  gar  nicht  geeignet.  |j  Ihr  pädagogisch.  Werk  soll  nun,  Ihrem  Wunsche 
gemäß,  weder  T.  noch  S.  recensiren.  Indem  ich  Ihnen,  mein  verehrungswürdiger 
Ereund  —  denn  in  meinem  geheimen  Innern  gelten  Sie  mir  längst  als  solcher  und 
warum  soll  ich  meine  Gesinnung  nicht  aussprechen?  —  die  Wahl  ließ,  wünschte 
ich  Ihrem  Werke  zugleich  eine  frühere  Rec.  zu  gewinnen,  da  ich  bei  meinem 
durchaus  bis  Ostern  festgesetzten  Arbeiten  vor  dieser  Zeit  nicht  an  eine  Rec. 
kommen  kann.  Desto  mehr  freue  ich  mich  auf  Ihr  gediegenes  Wort  über  den 
großen  Gegenstand  der  neuern  Tendenz  der  Moralsysteme,  die  Sie  unsern  Blättern 
zugesagt  haben.  Mit  innigem  Vergnügen  übertrage  ich  Ihnen,  Ihrem  Wunsche  ge- 
mäß, Spinozas  Ethik  dazu,  damit  auch  dadurch  Ihre  Darstellung  und  Entwicklung 
ein  in  sich  vollständiges  Ganze  werde. 

Gewiß  wäre  es  überhaupt  kein  unzweckmäßiges  Unternehmen,  auch  noch  ältere 
Systeme  zuweilen,  und  grade  in  solchen  mehr  als  Bücher  gelesenen  Zeitschriften, 
nicht  blos  in  Erinnerung  sondern  auch  unter  dem  Gesichtspunct  des  weiterstrebenden 
Zeitalters  zu  bringen,  vollends,  wenn  es  so  tonangebende  Systeme  waren,  wie  in  der 
Moral  das  Spinozistische.  Ob  Sie  dabei  auf  die  neueste  ||  Ausgabe  von  Paulus  oder 
auch  eine  vielleicht  noch  neuere  Uebersetzung  der  Ethik  —  bei  etwa  nöthigen, 
literär.  Nachweisungen  und  Citaten  Rücksicht  nehmen  wollen,  sey  Ihnen  gänzlich 
überlassen.  Und  nun  meinen  nochmaligen  Dank  für  Ihre  nun  wirklich  erhaltene 
Pädagogik,  von  welcher  ich  die  beiden  übrigen  Exemplare  noch  Ihren  beiden  Schülern 
am  letzten  Tage  Ihres  Aufenthaltes  übergeben  konnte.  Sein  Studium  verspricht 
mir  einen  geistvollen  Genuß,  wie  mich  denn  schon  seine  nicht  compendiarische, 
von  der  gewöhnl.  trocknen  Manier  sich  entfernt  haltende  Form  nicht  wenig  anzieht. 
Sie  haben  auch  durch  die  Phantasie,  obschon  mit  voller  Besonnenheit  Ihres  Thuns 
gesprochen,  und  das  kann  dem  praktischen  Erziehungswerke  nicht  anders  als 
günstig  sein. 

Nur  eine  Nachricht  Ihres  letzten  Briefes  hat  mich  wahrhaft  bekümmert,  die 
von  dem  Schwanken  Ihrer  Gesundheit.  Geben  Sie  mir  bald  frohere  Nachrichten 
darüber,  und,  wenn  Sie  mich  mit  Ihrem  Besuche  in  Leipzig  erfreuen,  so  kommen 
Sie  nur  nicht  während  der  unruhigen  Oster-  und  Mich.  Messen,  wo  wir  Aka- 
demiker die  Handelsstadt  gewöhnlich  fliehen.  Leben  Sie  recht  wohl  und  bleiben  Sie 
meiner  wohlwollend  eingedenk  wie  Ihrer  Der  Ihrige  Carus. 

199.     All    Smidt1)  Göttingen   I3ten  Febr.    1806. 

Mein  Theurer!   Das  Versehen  der  nicht  beygelegten  Exemplare  rührt 

daher  dass  ich  nicht  selbst  gepackt  hatte.      Es  scheint   aber    dass    ich    zu 

l)  3  S.  8». 


286  März   1806. 

kurz  kommen  werde  mit  der  Anzahl,  daher  wage  ich  es  für  jetzt  nur 
noch  eins,  an  Koppen,   nachzusenden. 

Vielen  Dank  für  Deine  freundschaftliche  Aufnahme!  Verlernen  wir 
es  nie,  einander  im  Wechsel  des  traulichen  und  herzlichen  Geben  und 
Nehmen  entgegenzukommen!  Aber  wahrlich,  wir  sind  auch  längst  zu  alt, 
um  es  noch  zu  verlernen!    — 

Meinen  herzlichsten  Glückwunsch  Dir  und  Deiner  lieben  Frau  zu  der 
schönen  Gabe  die  sie  Dir  und  sich  selbst  gebracht  hat!  —  Aber  Kinder 
wollen  erzogen  seyn,  und  ein  blosses  Buch  kann  nicht  erziehen!  Ich 
dachte,  so  gewiss,  Günther  solle  den  Buchstaben  lebendig  in  Eure  Mitte 
stellen!  Indessen,  mein  Theurer,  ||  ich  sehe  in  allem  bis  jetzt  nur  ein 
verschobenes  Verhältnisse  den  Menschen  kann  ich  nicht  anders  als  früher 
hier,  beurtheilen.  Noch  jetzt  kenne  ich  Niemanden,  den  ich  mit  mehr 
Zutrauen  hätte  empfehlen  können,  und  er  selbst  hat  sich  mir  noch  in 
diesen  Tagen  durch  einen  geistreichen  Brief  empfohlen,  den  er,  eilig  u. 
flüchtig,  und  gar  nicht  in  Erwartung  der  Mittheilung  an  mich,  neulich 
hieher  schrieb.  —  Aber  —  es  muss  Stahl  auf  den  Stein  treffen  damit  er 
Funken  gebe.  —  Günther  weiss  besser,  worauf  es  beym  Erziehen  eigent- 
lich ankommt,  als  tausende,  die  den  Anfang  bey  weitem  besser  treffen 
würden.  Damit  er  es  auch  sage  und  zeige  und  zum  rechten  Anfangen 
komme,  —  wäre  es  vielleicht  sehr  zu  wünschen,  Du  thätest  einmal  irgend 
einen  männlichen  Schritt  gegen  ihn,  und  erwartetest  seine  Erwiderung. 
Unter  Frauen  fühlt  er  sich  ohne  Zweifel  verlegen;  und  ich  fürchte,  Deine 
Schwester  hat  gerade  das  von  ihm  erwartet,  was  sie  als  Mutter  ihm  ent- 
gegen bringen  musste.  || 

Heute  habe  ich  einem  Unterricht  beygewohnt,  der  mein  ABC  der 
Ansch.  ganz  trefflich  ausführt.  Ich  wünschte  sehnlichst,  Dein  Blender- 
mann könnte  auf  kurze  Zeit  hierher  kommen,  um  die  Sache  zu  lernen. 
Antworte  mir  doch,  ob  dies  ganz  unmöglich  sey.  Die  Gründe  will  ich 
Dir  ein  andermal  entwickeln. 

Dringend  bitte  ich  um  baldige  Nachricht  von  der  theueren  Kulen- 
kampen ! 

Höchst  Eilig  Dein  Herbart. 

200.    A.  H.  Niemeyer  an  H.1)  Halle,  den  6.  Märtz  1806. 

Wohlgebohrner,  Höchstgeehrter  Herr  Professor.  Ich  werde  kaum  dem  Schein 
entgehen  können,  als  ob  mir  nur  der  Eigennutz  die  Feder  in  die  Hand  geben 
könnte,  Ihnen  meine  Achtung  und  Ergebenheit  auszudrücken.  Ich  will  es  aber  doch 
darauf  wagen! 

Unbekannt  sind  Sie  hoffe  ich,  nicht  mit  meinen  Gesinnungen  gegen  Sie,  wenn 
mir  Freund  Bernoulli2),  wenn  mir  Hr.  v.  Platen,  wenn  mir  so  manche  Eeisende 
anders  Wort  gehalten,  und  meine  mündlichen  Aufträge  an  Sie  nicht  vergessen  haben. 
Ich  bin  viel  mit  Ihnen  umgegangen,  indem  ich  Sie  fleissig  gelesen  habe.  Ich  habe 
Sie  auch  hie  und  da  zu  erkennen  geglaubt,  wo  Sie  Ihr  Name  nicht  verrieth.  Uns 
verbindet  ein  grosses  Interesse,  das  Wohl  der  aufwachsenden  Generation,  und  Ihrem 

*)  4  S.  4°.     H.  Wien.     Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  pp.  S.  113  f. 
2)  Christoph  Bernoulli  (1782—1863)  war   1802—1804  Lehrer  am  Pädagogium 
in  Halle. 


April   1806.  287 

strengen  Geiste  darf  sich,  auch  ||  der  ältere  Mann  zutraulicher  nähern,  weil  Sie  noch 
kein  abgeschlossenes  System  spröde  gegen  alles  gemacht  hat,  was  nicht  zur  Schule 
gehört. 

Sie  haben  eine  Pädagogik  geschrieben.  Ich  habe  sie  nur  einen  Tag  bei  Hrn. 
v.  Platen  blättern  können  und  sie  hat  mich  sehr  angezogen.  Nun  ist  sie  aber  mit 
ihm  auf  Reisen,  und  hier  und  in  Leipzig  bemühe  ich  mich  vergebens  sie  zu  be- 
kommen. Ich  hätte  sie  sehr  gewünscht  näher  zu  kennen,  ehe  ich  meinen  3ten  Theil 
geschlossen  hätte,  was  nächstens  geschieht.  Er  wird  als  später  Dank  für  Ihr  ABC 
der  Anschauung,  nach  Ostern  in  Ihren  Händen  seyn. 

Ueber  die  neuesten  Methoden  werde  ich  offen  meine  Meinung  sagen.  Ich 
sehe  vorher,  dass  ich  vielen  missfallen  werde.  Ich  will  ja  aber  nichts  als  eine 
Stimme  geben.  Wie  es  mir  erscheint  will  ich  frey  sagen;  wie  es  sich  verhält  zu 
meinem  praktischen  Wissen.  Mehr  nicht!  Nun  mögen  auch  dies  wieder  andre 
prüfen.  So  stark  wie  H.  Ewald  (?)  kann  ich  nicht  mehr  ergriffen  werden.  ||  Ich 
mag  zu  alt  oder  zu  kalt  seyn.  Das  erste  ist  man  wohl,  wenn  die  50  zurück  sind; 
aber  ich  fühle  mich  noch  ziemlich  jung  und  kalt  bin  ich  doch  wohl  eigentlich  auch 
nicht. 

Ich  ehre  den  Geist  der  P(estalozzi'schen)  Methode.  Aber  in  der  Form  finde 
ich  noch  vielen  Anstoss,  und  ich  zweifle,  dass  sie  bestehen  kann.  Sie  werden  lesen 
und  urtheilen  und  berichtigen. 

Vielleicht  glauben  Sie,  mein  Geehrtester,  dass  der  Eigennutz  von  dem  ich  im 
Anfang  meines  Briefes  sprach,  nur  der  sey,  mir  das  Vergnügen  einer  Unterhaltung 
mit  Ihnen  zu  verschaffen.    Aber  er  ist  noch  ein  andrer.    Ich  komme  zu  einer  Bitte. 

Ich  bin  in  diesem  Augenblick  sehr  verlegen  um  einen  Lehrer  an  unserem 
Pädagogium  wo  Bernoulli  stand.  Vielleicht  kennen  Sie  durch  ihn  das  Angenehme 
und  das  Lästige  der  Lage  besonders  des  von  Ihnen  so  getadelten,  hier  noch  unver- 
meidlichen Zusammenwohnens  mit  jungen  Leuten.  Ausser  freyer  Station  ist  auf 
200  Rthlr.  zu  rechnen.  Kenntnisse,  Geschmack,  Sitten,  Charakterfestigkeit,  Geduld, 
Gewandtheit  —  das  sind  die  Erfordernisse.  Es  war  ||  überflüssig,  dass  ich  Ihnen 
diess  sagte.     Auch  wissen  Sie  wie  viel  lebendiger  Vortrag  werth  ist. 

Kennen  Sie  in  Göttingen  oder  in  irgend  einer  andern  Lage  einen  solchen 
Mann,  der  auch  geneigt  wäre  einige  Jahre  hier  zu  leben  —  so  bitte  ich  Sie  dringend, 
ihn  mir  zu  nennen;  denn  schon  Ostern  tritt  die  Vacanz  ein.  Wie  willkommen 
würde  mir  ein  Mitarbeiter  seyn,  welchen  Sie  geeignet  fanden,  in  einem  solchen 
Kreise  zu  wirken,  der  noch  manches  nothwendig  macht,  was  dem  Privatlehrer  allen- 
falls fehlen  darf. 

Mit  wahrer  Hochachtung  Ihnen  ergeben.  D.  Niemeyer. 

201.    W.  G.  Tennemann  an  H.1)  Marburg,  den  16.  April  1806. 

Wohlgeborener,  Hochgelahrter  Hochgeehrtester  Herr!  Erst  vor  Kurzem  habe 
ich  Ihre  kleine  Schrift:  de  fundamento  philosophiae  Platonicae,  die  mir  zufälliger- 
weise bisher  unbekannt  geblieben  war,  gelesen.  Ich  danke  Ihnen  für  den  geistigen 
Genuss,  welchen  Sie  auch  mir  in  derselben  bereitet  haben.  Sie  zog  mich  um  so 
mehr  an,  da  mich  diese  Untersuchungen  ehedem  sehr  interessirt  und  beschäftiget 
haben.  Als  ich  die  Grundlage  der  Platonischen  Philosophie,  mit  allem,  was  der 
geistreiche  Mann  darauf  erbauet,  und  daran  geknüpft  hatte,  zu  erforschen  strebte, 
wäre  es  mir  erwünscht  gewesen,  wenn  ich  einen  sichern  Führer,  eine  schon  ge- 
brochene Bahn  hätte  finden  können;  da  mir  aber  dieses  Glück  nicht  wurde,  so  war 

x)  4  S.  4°.  H.  Wien.  Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  pp.  S.  115  ff. 
W.  G.  Tennemann  (1761 — 1819),   der  bekannte  Geschichtschreiber  der  Philosophie. 


288  April    1806. 

ich  genöthiget,  meinen  eignen  Weg  zu  gehen,  und  mir  einen  sichern  Eingang  in  das 
verschlossene  Heiligthum  der  Platonischen  Philosophie  zu  suchen.  Sie  haben  zum 
Theil  denselben  Weg  gewählet,  wiewohl  ziemlich  abweichende  Resultate  auf  dem- 
selben gewonnen.  Es  kann  Ihnen  und  mir  nicht  anders  als  angenehm  seyn,  das 
eine  und  das  andere  Verfahren  mit  einander  zu  vergleichen.  Auch  wird  diese  Mühe 
selbst  wie  ich  mir  schmeichle,  nicht  ganz  ohne  Belohnung  bleiben,  sollte  ich  auch, 
wie  Sie  an  einem  Orte  zu  verstehen  geben,  so  unglücklich  gewesen  seyn,  das  Ziel 
ganz  verfehlt  zu  haben,  wovon  ich  mich  aber  nicht  überzeugen  kann.  Ich  für  meinen 
Theil  habe  die  Prüfung  Ihrer  Darstellung  von  dem  Fundamente  der  Platonischen 
Philosophie  in  Vergleichung  mit  der  meinigen  angestellt,  und  bin  dadurch  nicht  be- 
stimmt worden,  meine  älteren  Ueberzeugungen  aufzugeben;  ich  wünschte,  dass  Sie 
dasselbe  auch  in  Ansehung  der  meinigen  thun  möchten,  weil  dieses  der  einzige  Weg 
ist,  um  eine  feste  Ueberzeugung  zu  gewinnen,  man  habe  Piatos  Philosophie  aus 
dem  richtigen  Gesichtspunkte  angesehen. 

Erlauben  Sie,  dass  ich  zu  dem  Ende  Ihnen  mit  wenigen  Worten  darlege,  worin 
ich  mit  Ihnen  einverstanden  bin  und  worin  ich  mit  Ihnen  nicht  übereinstimmen  kann,  j  | 

Den  Hauptcharakter  der  Platonischen  Philosophie  suchen  Sie,  meines  Ermessens, 
ganz  richtig  in  den  Ideen,  welche  das  oy,  die  uoia  im  Gegensatze  der  yevsoiQ  zum 
Gegenstande  haben.  Wenn  man  daher  eine  vollständig  deutliche  Ansicht  von  dem 
ov  als  Object  und  den  Ideen  als  Inhalte  der  Philosophie  erworben  hätte,  würde  man 
auch  das  Fundament  der  Platonischen  Philosophie  gefunden  haben.  Wie  wird  man 
sich  aber  diese  Ansicht  verschaffen?  dass  uns  Plato  selbst  dazu  verhelfen  muss, 
versteht  sich  von  selbst.  Wir  müssen  ihn  selbst  befragen  und  er  muss  uns  selbst 
die  Antwort  auf  unsere  Fragen  geben.  Es  kommt  nur  auf  die  Methode  an,  durch 
welche  man  ihm  die  Erklärung  seiner  selbst  gleichsam  abnöthigt.  Es  giebt  dazu 
einen  kürzern  und  einen  längern  Weg.  Sie  haben  den  ersten  gewählt,  ich  ziehe 
den  zweiten  vor.  Wir  müssen,  glaube  ich,  den  Plato  vollständig  verhören,  alle 
Stellen,  worin  er  sich  über  das  Fundament  seiner  Philosophie  geäussert  hat,  unter- 
suchen, und  die  Hauptbegriffe  daraus  abziehen,  sie  untereinander  vergleichen,  um 
uns  der  Merkmale  derselben  in  ihrer  Vollständigkeit  zu  versichern,  alle  Verhältnisse, 
Beziehungen  und  Rücksichten  uns  klar  zu  machen;  kurz  der  Weg  der  vollständigen 
Induction.  Sie  glauben  eine  unvollständige  Induction  werde  uns  leichter  zum  Ziele 
führen.  Man  dürfe  nur  einige  wenige  Stellen,  in  denen  Plato  sich  bestimmt  aus- 
gesprochen habe,  in  Betrachtung  ziehen,  um  die  Hauptidee  seiner  Philosophie  rein 
aufzufassen.  Die  Möglichkeit  davon  zugegeben,  so  fehlet  doch  die  gewisse  Ueber- 
zeugung, dass  man  jene  in  allen  ihren  Beziehungen  sich  klar  gemacht  habe,  und 
man  steht  in  Gefahr,  durch  rasche  Folgerungen  aus  den  auf  diese  Art  gefundenen 
Begriffen  sich  vom  Geiste  der  wahren  Philosophie  zu  entfernen,  so  lange  man  nicht 
eine  vollständige  Induction  zum  Probemittel  macht.  Eben  dieses  ist  es,  wie  ich 
glaube,  was  Sie  auf  Abwege  geführet  hat. 

Das  Feld  der  Sinne  wird  aus  dem  Gebiete  der  Philosophie  ausgeschlossen,  weil 
auf  demselben  kein  philosophisches  Wissen,  sondern  nur  ein  Meinen  möglich  ist. 
Wenn  Sie  aber  hinzusetzen,  Plato  habe  allen  andern  Objecten  die  objective  Realität 
abgesprochen,  sie  als  Schein  und  Sinnentäuschung  betrachtet,  so  gehen  Sie  nach 
meinem  Dafürhalten  zu  weit,  und  machen  Ihre  eigne  Folgerung  zu  einer  Behaup- 
tung des  Plato,  die  sich  nicht  behaupten  lässt.  „Der  Begriff  eines  veränderlichen 
Dinges  ist  ja  eben  ein  Widerspruch."  Widerspruch?  Davon  finde  ich  in  Plato  nicht 
das  Geringste.  Es  ist  wie  mir  scheint,  eine  Amphibolie  der  Reflexion,  dass  man 
einen  Sinnengegenstand  als  ein  blosses  Verstandesobject  betrachtet.  Denn  da  hier- 
von der  Zeitbedingung  abstrahirt  wird,  so  können  mit  einem  Objecte  ohne  Wider- 


April    1806.  2  8ü 

Spruch  nicht  mehrere  entgegengesetzte  Bestimmungen  oder  Merkmale  verbunden 
werden.  Aber  in  dem  Kreise  der  Sinnlichkeit,  wo  die  Accidenzen  auf  einander 
folgen,  nicht  zugleich  gesetzt  werden,  da  ist  es  etwas  anders.  Plato  konnte  also 
allerdings  den  Begriff  eines  veränderlichen  Dinges  ohne  Widerspruch  denken,  und 
musste  denselben,  wenn  er  ||  aus  blossen  Begriffen  in  die  wirkliche  Welt  übergehen 
wollte,  wirklich  nicht  entbehren,  wie  die  Exposition  des  Begriffs  der  Materie  klar 
genug  zeigt,  und  er  hat  es  nicht  an  Warnungen  fehlen  lassen,  sich  jener  Ämphi- 
bolie  nicht  schuldig  zu  machen,  wie  sein  Phädo,  Parmenides  p.  136,  Protagoras 
p.  157.  158  beweiset.  —  „Die  Ideen  sind  das  einzige  objective  Wesen;  sie  sind  aber 
was  sie  sind,  für  sich,  sie  sind  in  keinem  Objecte.  Es  giebt  auch  ausser  den  Ideen 
nichts.  Wie  könnte  es  noch  Sinnenobjecte  geben.*1  Sie  wollen,  wie  es  scheint,  den 
Plato  zu  einen  blossen  Logiker  machen,  dem  es  genügt  habe,  in  den  logischen  Be- 
griffen von  dem  Guten,  Schönen,  Sittlichen  u.  s.  w.  den  letzten  Grund  alles  philo- 
sophischen Wissens  zu  finden,  und  der  nie  über  diese  Begriffe  mit  seinen 
Forschungen  hinausgegangen  sey.  Ich  zweifle,  dass  Sie  einen  unbefangenen  Denker, 
der  den  Plato  studiert  hat,  auf  Ihrer  Seite  haben  werden.  Wäre  es  so,  so  könnte  ich 
dem  Plato  kein  philosophisches  Genie  beilegen,  doch  Consequenzen  können  und  sollen 
hier  kein  deus  ex  machina  seyn.  Wir  wollen  den  Plato  selbst  hören.  Dass  sein 
forschender  Geist  einen  höhern  Elug  nahm  als  die  Begriffe  bloss  logisch  zu  ent- 
wickeln, zeigt  schon  seine  Republik,  welche  bei  Ihnen  vorzüglich  Gewicht  haben 
muss,  unwidersprechlich.  Ein  Realprincip  suchte  er,  welches  zugleich  das  Ideal- 
princip  alles  Wissens  wäre.  Die  Ideen,  als  getrennte  Einheiten,  führten  ihn  auf  ein 
Wesen,  welches  das  absoluteste,  die  absolute  Einheit  ist.  Die  Notwendigkeit  der 
Ideen  zur  Erfahrung  auf  eine  unbedingte  Ursache  des  Seyns  und  Denkens  und  der 
Uebereinstimmung  zwischen  beiden.  Durch  das  Denken  glaubte  er  das  Unbedingte  in 
dem  Seyn  zu  finden.  Daher  war  ihm  die  Logik  die  Wissenschaft  des  formalen 
und  materialen  Denkens  zugleich  und  die  Dialektik  auch  zugleich  Metaphysik.  Das 
Problem,  welches  er  der  Philosophie  am  Ende  des  6.  B.  der  Republik  gab:  durch 
Ideen  das  Unbedingte  als  letzte  Bedingung  alles  Bedingten  zu  erkennen,  und  die 
Behauptung  in  dem  10.  B.:  dass  Gott  die  Ideen  gemacht  habe  von  welchen  die 
Dinge  der  Erfahrungswelt  blosse  Nachbildungen  seyen,  ist  ein  so  stringenter  Beweis 
dafür,  dass  ich  nicht  sehe,  was  sich  dagegen  einwenden  lasse.  —  Und  wie  folgt 
denn  zweitens  daraus,  dass  die  Ideen  für  sich  sind,  was  sie  sind,  dass  es  ausser 
den  Ideen  nichts  giebt?  Oder  womit  lässt  sich  diese  Behauptung  aus  dem  Plato  be- 
weisen? Ich  sehe  keinen  Grund  für,  aber  mehrere  dagegen.  Davon  nur  einige. 
Erstens  wie  könnte  Plato  in  dem  Sophisten  den  Idealismus  eben  so  sehr  als  den 
Materialismus  bestreiten,  da  er  ja  diesem  nach  der  ärgste  Idealist  wäre.  Zweitens. 
Auf  eben  die  Art,  wie  er  die  Realität  der  Vernunftserkenntniss  und  der  Ideen  be- 
weiset, auf  eben  die  Art  beweiset  er  auch  die  Realität  der  Sinnenerkenntniss  und 
der  Sinnengegenstände.  Er  gründet  beide  auf  den  Unterschied  des  niedern  und 
obern  Erkenntnissvermögens  als  eines  Factums  des  menschlichen  Geistes.  Timaeus, 
S.  347.  Bätte  er  die  Realität  der  Sinnengegenstände  verworfen,  so  hätte  er  eben 
daduich  auch  die  Realität  der  Ideen  als  grundlos  erklären  müssen.  Drittens.  Plato 
spricht  nicht  allein  von  einer  reinen  Vernunftserkenntniss,  sondern  auch  von  einer 
sinnlichen  oder  empirischen  Erkenntniss.  De  republica  VII.  S.  152.  153.  Phile- 
bos  S.  311.  || 

Mit  einem  Worte,  Plato  wollte  nur  den  Materialismus  bestreiten  der  nur  in 
dem,  was  sich  betasten  lässt,  Realität  erkennt,  um  der  Philosophie  einen  festen 
Grund  zu  verschaffen;  Sie  machen  ihn  zn  einem  Idealisten.  Er  sagt,  die  Philo- 
sophie hat  nicht  das  Einzelne  und  Individuelle,    welches   der  gemeinen  Erkenntniss 

Herbarts  Werke.     XYI.  19 


2  00  Juni    l8°6- 

angehört,  zum  Gegenstande,  sondern  das  Allgemeine;  Sie  lassen  den  Plato  behaupten, 
es  gibt  gar  keine  gemeine  Erkenntniss,  die  Objecte  ausser  uns,  sind  nicht  einmal 
Erscheinung,  sondern  Schein.  Die  Ideen  sind  keine  Substanzen;  Sie  folgern  daraus, 
es  gibt  keine  Substanzen.  Zu  allem  diesem  fehlt  der  Beweis  aus  Plato;  es  sind 
Folgerungen,  die  Sie  aus  dem  Fundamente  seiner  Philosophie  abgeleitet  haben,  — 
Folgerungen,  denen  Plato's  Folgerungen  selbst  widersprechen. 

Ihrem  Scharfsinn  würde,  davon  bin  ich  fest  überzeugt,  dieses  nicht  entgangen 
seyn,  wenn  Sie  nicht  einige  Maximen  aufgestellt  hätten,  welche  bei  dem  Studium 
der  Geschichte  der  Philosophie  und  insbesondere  der  Platonischen  nothwendig  auf 
Abwege  führen  müssen.  ,,Man  müsse  es  nicht  zu  Herzen  nehmen,  wenn  ein 
Philosoph  etwas  Ungereimtes  behaupte.'1  Diese  Maxime  ohne  alle  Einschränkung 
hingestellt,  giebt  die  Ehre  eines  Philosophen  der  Willkür  preis,  und  thut  selbst  dem 
höchsten  Gesetze  der  historischen  Forschung  der  Wahrheit  Abbruch.  ,,Nullus  omnino 
substantiae  notioni  locus  est  in  systemate  Platonico.'1  Wie?  Sollte  Piatos  Geist  eine 
ganz  abweichende  Form  gehabt  haben,  ganz  anderen  Gesetzen  unterworfen  gewesen 
seyn,  als  jeder  andere  Verstand?  Das  müsste  man  doch  annehmen,  wenn  der  Be- 
griff der  Substanz  gar  keine  Stelle  in  seinem  Systeme  finden  sollte.  Wie  könnte 
aber  dann  Piatos  Philosophie  für  uns  noch  verständlich  seyn?  Nein  dieser  Begriff 
findet  allerdings,  wenn  man  weiter  forscht,  auch  bei  dem  Plato  seine  Anwendung. 
Dass  Sie  endlich  einen  sehr  beschränkten  Kanon  für  die  Platonischen  Dialogen  fest- 
setzen, aus  denen  die  Kenntniss  seines  philosophischen  Systems  gewonnen  werden 
kann,  dies  scheint  mir  mit  der  Beschaffenheit  seiner  Schriften  und  ihrem  Verhältniss 
zu  seiner  Philosophie  nicht  zusammen  zu  stimmen.  Da  er  mit  der  freien  Aeusserung 
seiner  Ideen  kargte  und  sie  nicht  anders  als  mit  vielen  zufälligen  Nebenvorstellungen, 
gleichsam  Arabesken  verschmolzen  vortragen  wollte,  so  müssen  wir  wünschen,  noch 
einmal  so  viele  Schriften  des  Plato  benützen  zu  können,  als  wir  wirklich  besitzen, 
in  der  Ueberzeugung,  dass  in  jeder  sein  Geist  sich  von  einer  andern  Seite  gezeigt,  und 
etwas  Neues  von  seinen  Ansichten  geoffenbart  habe.  Und  wir  wollten  uns  durch 
eine  Classification,  die  auf  keinen  festen  Grundsätzen  beruhet,  den  Gebrauch  der 
vorhandenen  erschweren,  beschränken,  verkümmern? 

Dies  ist  nur  etwas  Weniges  von  meinen  abweichenden  Ansichten,  ich  halte 
es  aber  für  hinreichend,  Sie  zu  einer  Revision  Ihrer  Ideen  zu  veranlassen.  Da  es 
mir  übrigens  nur  um  Wahrheit  zu  thun  ist,  so  würde  mich  eine  Widerlegung  der 
meinigen  nicht  betrüben,  sondern  erfreuen.  Ich  bin  überzeugt,  dass  Sie  von  der- 
selben Wahrheitsliebe  beseelt  sind.  Auf  diese  Ueberzeugung  gründet  sich  die  Frei- 
müthigkeit,  mit  welcher  ich  gesprochen  habe,  und  die  Hochachtung,  mit  welcher  ich 
verharre  Ew.  Wohlgeboren  ergebenster  Tennemann. 

202.     An  Fr.  A.  Carus  in  Leipzig.1)  Göttingen,  2.  Juni  1806. 

Ihren  letzten,  mehr  als  gütigen  Brief,  mein  innig  hochgeschätzter 
Herr  Professor,  so  lange  mit  Schweigen  zu  erwiedern,  hätte  unmöglich 
seyn  sollen;  auch  blicke  ich  mit  Unwillen  auf  die  beygeschlossenen 
Blätter,  ohne  welche  ich  mich  schämte  noch  einmal  vor  Ihnen  zu  er- 
scheinen, und  welche  zu  liefern  mich  eine  anhaltende,  körperliche  und 
geistige  Verstimmung  verhindert  hat.  Den  Beleg  hierzu  konnten  Ihnen 
die  Göttinger  Anzeigen  geben,   welche  erst  am  12.  May  die  unbedeutende 


x)  Da  die  Originale  der  Briefe  Herbarts  an  Carus  nicht  mehr  aufzufinden  waren, 
wurden  sie  gedruckt  nach  W.  Wundt,  3  Briefe  von  J.  Fr.  Herbart.  (Philosophische 
Studien,  herausg.  v.  W.  Wundt,  Leipzig   1889,   5.  Bd.     S.  321 — 326.) 


Juni  t8o6.  2QI 

Pflicht  erfüllt  haben,  meine  Schriften  mit  meinen  eigenen  Worten  dem 
Publicum  darzubieten.1)  Und  auch  das  Wenige,  was  ich  dort  gesagt  habe, 
ist  mir  schlecht  genug  gerathen.  Das  erste  vielleicht  erträgliche,  was  ich 
seit  6  Monaten  habe  schreiben  können,  und  wozu  mir  recht  eigentlich 
der  schöne  Frühling  verholfen  hat,  sind  die  Recensionen, 2)  die  ich  jetzt  so 
frey  bin,  an  Sie  zu  adressiren,  da  ich  dieselben  Ihrer  Zeitung  nicht  mehr 
unmittelbar  anzubieten  wage.  Können  sie  nicht  mehr  angenommen 
werden:  so  ist  gleichwohl  die  Mühe  reichlich  belohnt,  wenn  Sie  diese 
kleine  Arbeit  Ihres  Lesens  würdigen ,  und  sie  als  ein  Zeichen  meines 
Wunsches  ansehen  mögen,  mich  Ihnen  in  wissenschaftlicher  Rücksicht 
klärer  vor  Augen  zu  stellen.  Kann  die  Probe  Ihren  Beyfall  erhalten,  so 
wünsche  ich  mir  ferner  Aufträge,  die  mir  Gelegenheit  geben,  öfter  den 
gleichen  Ton  in  Ihrem  Blatt  vernehmen  zu  lassen.  Es  hat  mit  bey- 
getragen  zur  Verzögerung  meiner  Arbeit,  daß  ich  bey  näherer  Überlegung 
einsah,  ein  ganz  seltenes  und  abgerissenes  Recensiren  in  einem,  dem 
Publicum  unbekannten  Geiste,  sey  verlorene  Mühe;  ich  habe  mich  daher 
im  Allgemeinen  darauf  eingerichtet,  fortfahren  zu  können,  nachdem  ich 
einmal  angefangen  habe. 

Zu  spät  vielleicht  ist  mir  eingefallen,  Sie  könnten  das,  ganz  ohne 
Absicht  hingeworfene  Wort  von  einer  Recension  über  Spinoza's  Ethik, 
ernsthaft  nehmen,  und  Ernst  daraus  machen.  Daß  dies  geschehen  konnte, 
vermehrt,  ich  wage  es  zu  sagen,  meine  Achtung  für  Ihr  kritisches  Institut, 
welches  kein  Novitäten  -  Blatt  seyn  und  nicht  die  allgemeine  Zerstreuung 
vermehren,  sondern  Sammlung  bewirken  will,  wozu  ohne  Zweifel  Rück- 
weisung auf  recht  bedeutende  ältere  Werke  ein  treffliches  Mittel  wäre. 
Erlauben  Sie  mir,  zunächst  nur  mir  die  Erlaubniß  zuzueignen,  Ihnen  ge- 
legentlich einige  kurze  Bemerkungen  über  jenes  Werk  privatim  mitzutheilen, 
um  darüber  Ihren  Rath  einzuziehen.  Eine  solche  Recension  hat  gewiß 
Zeit;   aber  sie  muß  auch  gewiß  gut  seyn  oder  ganz  wegbleiben. 

Zunächst  wünschte  ich  die  Erlaubniß,  die  drey  neuen  FiCHTE'schen 
Schriften  zu  recensiren.  Ich  glaube  mich  befugt,  als  Einer  von  Fichte's 
ältesten  und  sorgfältigsten  Schülern  ein  Wort  zu  sprechen  über  die  Wen- 
dung, welche  der  ausgezeichnete  Mann  jetzt  nimmt.  Zwei  Worte  der 
baldigen  Nachricht  hierüber  wären  mir  so  viel  erwünschter,  da  ich  sonst 
versuchen  möchte,  entweder  in  den  Gott.  Anzeigen  oder  in  einer  eigenen 
Schrift  mich  darüber  auszusprechen. 

Mehrere  Mittheilungen  schätzbarer  Männer  haben  mich  seit  einiger 
Zeit  erfreut.  Herr  Tillich  hat  an  mich  geschrieben,  wie  Sie  vielleicht 
schon  wissen.  Es  ist  viel,  so  viel  Herrschaft  zu  besitzen  über  eine  natür- 
liche Empfindlichkeit.  Ich  fürchte  nur,  wie  er  für  mich  ein  wenig  zu  — 
rasch,  so  werde  ich  ihm  zu  —  langsam  und  zu  —  kalt  seyn.  Wir  werden  Zeit 
brauchen,  um  zusammen  zu  kommen.  —  Auch  Herr  Niemeyer  hat  an 
mich  geschrieben,  mit  sehr  zu  verdankender  Güte.  Wen  ich  aber  Ihnen 
zuerst  hätte  nennen  sollen  —  Herrn  Tennemann.  Mit  aller  Würde  der 
Wahrheitsliebe,   und   mit  völlig  befriedigender  Voraussetzung  derselben   von 


*)  Die  Selbstanzeige  der  Allg.  Päd. 

2)  Die  auf  S.  283   unter  W.  angegebenen  Recensionen. 


19 


2g2  Juli    1806. 

meiner  Seite,  hat  er  mir  doch  geradeheraus  gesagt:  es  werde  schwerlich 
irgend  ein  Kenner  des  Plato  mit  mir  übereinstimmen.  Sehn  Sie  nun, 
weswegen  ich  das  Ihnen  erzähle?  Sie,  mein  geehrter  Herr,  haben  mich 
so  dreist  gemacht,  daß  ich,  in  der  Einbildung,  meine  Sache  lasse  sich 
hören,  ein  paar  recht  beherzte  Worte  der  Anzeige  in  unser  Göttingisches 
Blatt  gesetzt  habe.  Mein  Unstern  hat  es  gefügt,  daß  gerade  den  Tag 
nach  Absendung  der  Handschrift  dieser  demüthigende  Brief  von  Tenne- 
mann eintrifft!  Nehmen  Sie  nun  nicht  übel,  wenn  ich  Sie  zu  Hülfe 
rufe!  —  oder  wenigstens,  wenn  ich  bitte,  mich  unter  Ihren  Augen  ver- 
theidigen  zu  dürfen.  Aber,  ganz  im  Ernst,  es  ist  mir  sehr  viel  Freude, 
zu  sehn,  daß  es  noch  wissenschaftliche  Privat- Mittheilungen  giebt,  und 
nicht  bloß  literarische  Fehden.  —  Die  Wahrheit  zu  gestehen,  so  recht 
tiefen  Eindruck  will  es  nicht  auf  mich  machen,  wenn  T.  von  meiner  , un- 
vollständigen Induction1'  aus  Plato's  Schriften,  und  von  einer  Amphibolie 
der  Reflexionsbegriffe  spricht,  deren  Aufdeckung  den  Widerspruch  des 
veränderlichen  Dinges  hinwegräume,  —  von  welchem  Widerspruch  Plato 
gar  nicht  wisse  (wol  auch  in  der  Stelle  nicht:  tan  /luv  yu.Q  ovötnor  ovdtv, 
du  de  yiyvtxv.1  u.  a.  m.).     Dann  soll  ich  PI.  zum  bloßen  Logiker  machen, 

—  und,  auf  dem  folgenden  Blatt  des  Briefes,  zum  Idealisten.  Habe  ich 
das  gethan?  —  —  Abei  diese  Vorwürfe  könnten  noch  viel  schwächer 
seyn,  und  ich  würde  doch  den  Mann  hochschätzen,  der  diesen  Weg  der 
Verständigung  wählte,  und  dem  reiferen  Mann  danken,  der  mir,  dem 
Jüngeren,  so  entgegenkommt. 

Doch  ich  komme  ins  Plaudern,  und  muß  nothwendig  gleich  schließen. 

—  Von  den  mir  zugeschickten  Büchern  habe  ich  3  recensirt;  das  vierte, 
Pfrogner  über  Selbstbeurtheilung,  paßte  nicht  in  denselben  Zusammenhang; 
der  Meßkatalog  zeigt  überdas  eine  neue  Auflage  davon  an;  ich  erwarte 
also  deshalb  erst  Nachricht,  werde  aber  alsdann  diese  Kleinigkeit  sogleich 
in  Richtigkeit  bringen,  —  denn  die  Schrift  hat  auf  umständliche  Anzeige 
keinen  Anspruch  —  wenn  meine  Rec.  noch  angenommen  werden  kann. 
Auch  warte  ich  auf  Ihr  Urtheil  über  meine  Probe,  mich  der  Redaktion 
zu  verpflichten. 

Ihre   Verzeihung  wegen   der  Säumniß  wird  sehr  erfreuen 

Ihren  hochachtungsvoll  ergebenen   Herbart. 

203.    F.  A.  Carus  an  H.1)  Leipzig,  am  10.  Jul.  1806. 

Hätte  der  innere  Drang,  Ihnen  zu  schreiben,  mein  hochgeschätzter  und  ge- 
liebter Herr  Profeßor  keine  äußeren  Hindernisse  gefunden,  so  hätten  Sie  längst 
schon  von  mir  wenigstens  einige  Zeilen  gelesen,  und  namentlich  auch  meinen 
innigsten  Dank  für  Ihre  willkommenen,  ersten,  vielversprechenden  Recensionen. 
Ich  muß  mich  begnügen,  Ihnen  durch  einen  schnellen  Abdruck  derselben  zu  danken, 
den  Sie  gefunden  haben  werden.  Ja  wohl  ist  es  sehr  passend,  in  Einem  Geiste  zu- 
sammengehörige Schriften  fortzurecensiren  und  mit  Vergnügen  biete  ich  Ihnen  dazu 
die  Hand. 

Grade  Ihr  Wunsch  nun,  die  neuen  Fichteschen  Schriften  zu  recensiren,  hielt 
meine  Antwort  auf.  Jetzt  ist  sie  mir  eher  möglich,  doch,  ich  fühle  es,  auch  mir 
dem  edlen  Freunde.     Fichte,  mit  dem  ich.  auch  als  unmittelbarer  Landsmann  (Ober- 


»)  4  S.  8°.     II.  Wien. 


Juli    1806.  2  Q3 

lausitzer)  längst  in  Bekanntschaft  stehe,  wünschte,  daß  er  —  versteht  sich  mit  Be- 
willigung der  Recensenten,  —  die  Namen  der  Recensenten  seiner  drei  ||  Bücher  er- 
führe, mögten  übrigens  die  Recensionen  ausfallen,  wie  sie  wollen,  da  er  es  gewohnt 
sey,  misverstanden  zu  werden.  Nun  war  die  Schrift:  über  das  Wesen  des  Gel., 
längst  vor  Ihrem  Briefe  einem  andern  Rec.  übergehen;  eben  so  hatte  die  über  das 
selige  Leben  früher  schon  in  dieser  Hinsicht  die  Aufmerksamkeit  Jacobis  (es  sey 
Ihnen  vertraut)  auf  sich  gezogen,  ob  er  gleich  nur  bedingungsweise  (nach  genauer 
Durchprüfimg  des  Buchs)  mir  eine  Rec.  ankündigte.  Nun  bleibt  keines  übrig  als 
das  über  die  Qrundzüge  des  gegenwärt.  Zeitalters.  Mit  Vergnügen  sey  Ihnen  die 
Rec.  dieses  Buches  überlassen,  wofern  Sie  anders  kein  Bedenken  tragen,  daß  Fichte 
Ihren  Namen  erfahre,  den  ihm  gewiß  vorher  längst  theuern  Verf.  der  Recension 
dieser  Grundzüge  des  Zeitalters.  Es  würde  mich  doppelt  freuen,  wenn  Sie  mir  in 
einer  Zeile  diese  Rec.  trotz  dieser  Bedingung  zusichern,  und  —  darf  ich  wünschen? 
—  zu  einer  baldigen  Überlieferung  zusichern  könnten.  Unstreitig  ||  haben  Sie 
schon  Schellings  starke  Rec.  der  Schrift  über  das  Grundwesen  des  Gelehrten  in  der 
Jenaischen  A.  L.  Z.  gelesen.  Es  bleibt  Ihnen  ganz  überlassen,  über  Fichte's  jezzige 
Wendung  (mit  oder  ohne  Bezug  auf  Schellings  nun  öffentl.  Kriegserklärung)  dabei 
sich  so  lang  sie  wollen,  zu  erklären.  Auch  versteht  es  sich,  daß,  falls  Sie  auf  Ver- 
schweigung Ihres  Namens  gegen  Fichte  bestehen,   Fichte   denselben  nie  erfährt.  — 

Tillich  sagte  mir  in  diesen  Tagen,  wo  er  hier  war,  von  seinem  Berichte  an 
Sie.  Er  achtet  sie  aufrichtig  hoch,  auch  Ihre  seelenvolle  Pädagogik.  Gern  läse  ich 
einmal  in  einem  Ihrer  Briefe  Ihre  Idee  von  einer  Psychologie  a  priori  —  die  Sie 
dort  andeuten  —  etwas  näher  entwickelt,  so  fern  Sie  etwas  andres  ist  als  die  An- 
wendung reinmetaphysischer  Grundsätze  auf  die  Veränderungen  unsers  Subiects. 
Des  braven  Tennemanns  Uneinigkeit  mit  Ihrer  Ansicht  des  Piaton  kommt  mir  nicht 
unerwartet.  Gewiß  lasen  Sie,  wie  er  sich  iezt  (denn  er  ists  unverkennbar)  in  der 
Hallischen  A.  L.  Z.  1806  Jul.  N.  160  über  ||  das  Verhältniß  Piatons  zum  Plotin  u. 
den  neusten  Idealisten  erklärt. 

Noch  immer  bleibt  Ihnen  eine  Wiedererweckung  (und  wenn  Sie  meinen  — 
Befreiung)  des  Geistes  des  Spinoza  in  unserer  Zeitung  mit  wahrem  Vergnügen  frei- 
gestellt. Nur  an  Eine  Bedingung  haben  uns  frühe  Gesetze  gebunden  —  an  Ver- 
bindung einer  solchen  Abh.  mit  einem  venvandten  Buche.  Höchst  willkommen  ist 
grade  iezt  eine  Uebersetzung  von  Spinoza  erschienen,  die  hier  eben  so  wie  die 
2te  Auflage  von  Pfrogner  (den  Sie  ja  kurz  anzeigen  mögen)  mit  folgt.  Kurz,  nach 
einer  Probe  wie  Sie  unsrer  Zeitung  gesendet,  lasse  ich  Sie  nicht  so  bald  von  mir 
und  unserem  einzig  für  unbefangene  Wahrheitsforschung  arbeitenden  Institut  sich 
beurlauben.  Vergelten  Sie  nur  nicht  Böses  mit  Bösen  —  oder  vielmehr  nur  mit 
einem  Uebel  —  und  schreiben  Sie  mir  recht  bald  wieder;  ich  werde  dann  Ihnen 
bald  wieder  begegnen.     Mit  herzvoller  Hochachtung 

Ihr  ergebenster  Carus, 

204.      An   Smidt.1)  Göttingen  Mitte  Jul.   1806. 

Mein  theurer  Freund!  In  der  Hoffnung,  daß  Du  geneigt  seyest,  einiges 
Interesse  für  meine  Bemühungen  auch  auf  die  Personen  zu  übertragen,  welchen 
denselben  förderlich  gewesen  sind:  adressire  ich  Hrn.  Muhlert  an  Dich,  der 
mein  ABC  d.  A.  mit  der  ausgezeichnetsten  Geschicklichkeit  in  Ausübung 
gesetzt  hat,  und  jetzt  zum  Veranlasser  seines  Versuchs,  zum  Graf  Sievers 
in  Liefland,  hinübergeht,  um  dort  eine  Anstellung  als  Lehrer  der  Mathematik 

x)  2  S.  8U. 


294  Juli  l8°6- 

zu  suchen.  Ich  wünschte,  daß  er  Dir  von  der  Sache  die  nähere  Nach- 
richt gäbe;  daß  er  Blendermann  spräche,  von  ihm  lernte  und  auch  ihm 
berichtete.  Er  ist  gebildet  genug,  für  die  ||  Umstände  unter  denen  er 
sich  bilden  konnte,  (sein  Vater  ist  hier  in  G.  Lehrer  im  Schreiben  und 
Rechnen,  dabey  ein  würdiger  alter  Mann)  und  wird  Dir  persönlich  nicht 
misfallen. 

Zugleich  bitte  ich  recht  sehr  um  einige  Nachrichten  aus  Bremen. 
Ganz  besonders  von  der  Kulenkampen,  an  die  ich  jeden  Tag  mit  Sorge 
denke,  —  außerdem   von   Dir,  und  den  befreundeten   Familien. 

Mein  Leben  geht  seinen  Gang,  —  d.  h.  meine  Untersuchungen  rücken 
vor;  u.  nähern  sich  der  Bekanntmachung.  Meine  Gesundheit  ist  leidlich. 
Aber  ich  bin  sehr  allein  seit  Steiger  in  Paris  ist,  von  wo  ich  ihn  auf  den 
Winter  zurück  erwarte.  —  Ich  bedarf  der  äußern  Erfolge  meiner  langen 
Arbeit,  wenn  ich  Kraft  behalten  soll  zum  fortarbeiten.  Ich  hoffe  mir  zu 
schaffen   was  ich   bedarf.  Ganz  Dein   Herbart. 

205.    An   Fr.    A.    CarUS.  Göttingen,  25.  Juli  1806. 

Mit  vielem  Dank  für  Ihr  schätzbares  Schreiben,  und  für  die  gütige 
Aufnahme  meiner  Recension,  melde  ich  zugleich,  daß  ich  die  mir  auf- 
getragene Arbeit  mit  Vergnügen  übernehme.  Zunächst  werde  ich  natür- 
lich Fichte  über  die  Grundzüge  des  Zeitalters  vornehmen;  (auch  Pfrogner 
nicht  vergessen);  Spinoza  aber  muß  noch  einige  Monate  warten.  Ich 
habe  viel  eigene  literarische  Arbeiten.  —  Es  ist  mir  gar  nicht  zuwider, 
daß  Fichte  meinen  Namen  erfahre,  wiewohl  ich  mich  über  eine  solche 
Erkundigung,  nach  seinen  Erklärungen  von  seiner  Seite,  einigermaßen 
wundere.  Helfen  würde  mir  die  Anonymität  nichts,  wenn  ichs  auch 
wünschte;  ich  müßte  denn  anders  sprechen,  als  mirs  ums  Herz  ist;  — 
einer  meiner  Zuhörer  hat  mich  neulich  auf  der  Stelle  erkannt. 

Herrn  Tillich  bitte  ich  mich  gelegentlich  zu  empfehlen.  Hoffent- 
lich hat  er  meine  Antwort  auf  seinen  Brief,  nebst  der  verlangten  Nach- 
richt, erhalten.  Beynahe  wäre  ich  neulich  die  Veranlassung  geworden, 
daß  ein  Herr  Muhlert,  x)  der  hier  das  ABC  der  Ansch.  sehr  geschickt 
und  glücklich  ausgeführt  hat,  sich  mit  einem  Aufsatze,  worin  davon  Nach- 
richt gegeben  wird,  an  Herrn  T.  mit  der  Anfrage  gewendet  hätte,  ob  der- 
selbe in  seinen  Beyträgen  zur  Erziehungskunst  Aufnahme  finden  könne? 
Indessen  der  Aufsatz  wurde  nicht  ganz  fertig,  Herr  M.  reiste  von  hier, 
und  vielleicht  wird  auch  Herr  T.  sich  lieber  erst  eigne  Erfahrung  hierüber 
schaffen  wollen. 

Sie  verbinden  mich  sehr  durch  Ihre  Erkundigung  nach  meiner 
Psychologie.  Vor  10  Jahren  hat  die  Untersuchung  des  Begriffes  des  Ich 
auf  die  Anfänge  geführt.  Das  Bedürfniß  der  Mathematik  wurde  dabey 
fühlbar,  und  ich  lernte  —  zu  spät  —  so  viel  ich  konnte,  von  dieser 
Wissenschaft,  bestimmt  für  diesen  Gegenstand.  Seitdem  hat  es  sehr  an 
Zeit  dafür  gefehlt.  Jedoch  sind  einige  psychologische  Gesetze  berechnet. 
Und  noch  ganz  vor  kurzem  habe  ich  Resultate  daraus  über  die  ästhetischen 
Gründe    der    specifischen  Wirkung    der   einfachen    musicalischen   Intervalle, 

x)  In  den  Phil.   Studien  steht  „Mühlert"  statt  Muhlert. 


August  180b.  295 

—  und  so  viel  andere  Spuren  gewonnen,  daß  ich  vielleicht  früher,  als  ich 
noch  vor  einiger  Zeit  dachte,  die  ersten  Elemente  werde  bekannt  machen 
können.  —  Ich  habe  diese  Anfänge  bisher  als  Geheimnisse  verwahrt, 
damit  nicht  die,  sehr  schwer  zu  entwickelnden  Keime  durch  voreilige 
Urtheile  geknickt  würden.  Ihnen  aber  mag  ich  wohl  sagen,  was  ich  im 
Auge  habe,  wiewohl  es  noch  ungewiß  ist,  wenn  ich  lauter  zu  sprechen 
mich  getrauen  werde. 

Verzeihen  Sie  meine  Eile;  ungern  trenne  ich  mich  von  Ihnen;  aber 
ich  muß  aufs  Katheder. 

Mit   Hochachtung  und  inniger  Ergebenheit  Herbart. 

206.      An    Carl    V.    Steiger.1)  Göttingen  am   23  sten  August   1806. 

Mit  wahrem  Genuss,  mein  theurer,  vielgeliebter  Karl,  kann  ich,  nach 
langem  Schweigen,  an  diesem  ruhigen  Sonntag-Nachmittag,  ein  paar  Stunden 
mit  Dir  plaudern.  Schon  dass  ich  Dir  nach  Riggisberg  schreiben  soll, 
erhöht  mir  das  Vergnügen.  Dir,  und  den  Deinigen,  wünsche  ich  Glück 
zu  dem  Wiedersehen,  das  ihr  Euch  gegenseitig  bereitet  habt.  Warum  bin 
ich  nicht  in  Eurer  Mitte!  —  Heiterer  würde  ich  jetzt  kommen,  als  Du 
mich  seit  langem  gesehen  hast.  Erlöst  von  Arbeiten,  für  die  ich  die 
Zeit,  wann  sie  fertig  seyn  würden,  noch  vor  einem  Vierteljahr  nicht  glaubte 
absehen  zu  können.  Arbeiten,  an  welchen  gleichwohl  ein  großer  Theil 
der  Ruhe  meines  Lebens  hing. 

Du  empfängst  meine  Metaphysik.  Kurz  zwar,  aber  doch  zusammen- 
gestellt. 

Du  verdienst  nicht  wenig  Dank,  mein  Theurer,  dass  Du  mir  zum 
zweitenmal  geschrieben,  und  ohne  Vorwurf  geschrieben,  und  vorausgesetzt 
hast,  ich  sey  beschäfftigt.  Diesen  Dank  haben  nicht  alle  verdienen  wollen, 
welche  mir  theuer  sind;  oft  am  wenigsten  dann,  wann  es  am  nöthigsten 
war.     Wie  viel  vergeblichen  Schmerz  hätten  sie  mir  ersparen  können!  || 

Jetzt  kann  ich  Dir  mit  frohem  Herzen  erzählen,  dass  Du  der  erste 
Abwesende  bist,  zu  dem  ich  spreche,  seitdem  das  Nothwendige  beseitigt 
ist.  Nur  heute  Mittag  erst  ist  meine  Logik  in  die  Druckerey  gegangen. 
Lachen  wirst  Du,  wenn  ich  Dir  sage,  dass  sie  erst  gestern  Mittag  an- 
gefangen wurde,  und  in  weniger  als  24  Stunden  ganz  und  gar  geschrieben 
ist.  Versteht  sich,  nach  vorgängiger  8  tägiger  Meditation;  und,  wie  Du 
weisst,  vieljähriger  Übung,  —  denn  gelernt  habe  ich  die  Logik  als  Knabe 
von  1 1  Jahren.  —  Übrigens  ist  das,  was  ich  vorhin  meine  Logik  nannte, 
freylich  nur  eine  ganz  kurze  Angabe  dessen,  was  ich  in  der  bisherigen 
Logik  zu  verbessern  nöthig  finde,  —  was  denn  so  ziemlich  alle  und  jede 
bedeutende  Puncte  der  Wissenschaft  trifft. 

Sollte  ich  Dir  erzählen,  was  ich  den  Sommer  über,  während  Du  in 
Paris  die  grosse  Welt  gesehn  hast,  gedacht,  empfunden,  gethan  und  ge- 
trieben habe:  —  es  würde  sich  so  ziemlich  auf  die  Metaphysik  con- 
centriren.      Für    diese    habe    ich    am    Morgen  Gedanken,    und    am    Mittag 


])  6  S.  8 ('.  Adr. :  Dem  Herrn  Baron  K.  Steiger  von  Riggisberg  zu  Bern.  — 
Bemerkung  des  Empfängers:  „Während  meines  kurzen  Aufenthaltes  in  Riggisberg  nach 
der   Rückkunft  von  Paris." 


2q6  August   1806. 

Zuhörer  und  verständige  Freunde  zu  gewinnen  gesucht.  Beydes  ist  gelungen. 
Zwar  der  jüngere  Gr[af]  S[iever]s,  und  Saalf[eld]  |  haben  es  mit  Über- 
windung bis  in  die  Mitte,  und  nicht  weiter,  bringen  können;  —  natürlich, 
da  sie  von  Anfang  an  lässig  waren,  und  im  Grunde  die  Sache  nur  kosten 
wollten,  ob  sie  ihnen  behagen  würde.  Vielleicht  hängt  es  ein  wenig 
damit  zusammen,  dass  S — s  auszieht.  Denn  natürlich  fühlt  er  sich  von 
dem  Verkehr  der  Gedanken  und  Worte  ein  wenig  ausgeschlossen,  welcher 
zwischen  mir,  und  Bruschius,  Ungewitter,  Tölken,  —  diese  sind  jetzt 
meine  Tischgenossen  —  immer  lebendiger  geworden  ist.  Du  wunderst 
Dich,  indem  ich  Toelken  nenne?  Er  hat  sich  sehr  zu  seinem  Vortheil 
geändert.  Du  wirst  es  finden;  und  Dich  nun  mit  mir  an  der  grossen 
Geisteskraft  freuen,  welche  er  durch  Kenntniss,  Gesundheit,  und  viel 
Sorgfalt,  um  sich  zu  massigen  und  beherrschen,  trefflich  unterstützt.  Ich 
begreife  wohl  seinen  bisherigen  Übermuth.  Theils  war  es  jugendlicher 
Trotz,  und  die  Meinung,  damit  durchdringen  zu  können,  und  Unkenntniss 
des  höhern  Ziels  seiner  Arbeiten,  —  theils  musste  er  die  Gewalt  der 
Speculation  fühlen,  alles  andre  war  ihm  zu  leicht.  —  Den  drey  letzt- 
genannten vorzugsweise,  bin  ich  es  schuldig  (ungefähr  wie  ich  Dir,  mein 
Guter,  meine  Pädagogik  verdanke,)  nicht  zwar,  dass  ich  überall  eine 
Metaphysik  zu  Stande  bringen  konnte,  aber  wohl,  dass  ich  diesen  So?nmer 
schon  Kraft  und  Munterkeit  |]  genug  fühlte,  sie  soweit  zur  Reife  zu  bringen. 
Jetzt  sende  ich  sie  Dir  nicht  ohne  Absicht,  und  nicht  ohne  allen  Anspruch 
auf  Deine  Zeit.  Ich  werde  nämlich  diesen  Winter  wieder  darüber  lesen, 
und  wünsche  Dich  zum  Zuhörer.  Damit  Dir  aber  alles  leicht  gehe,  und 
Du  nicht  nöthig  habest,  andere  Studien  darum  zu  vernachlässigen,  bitte 
ich  Dich,  in  einzelnen,  einsamen  Morgenstunden,  an  denen  es  wol  nicht 
fehlen  wird,  diese  wenigen  Blätter  durchzulesen,  und  dabey  einige  ältere 
Erinnerungen  wieder  aufzufrischen,  die  Dir  ebenfalls  nicht  fehlen  werden. 
Kein  Punct  kann  Dir  ganz  fremd  seyn.  Du  magst,  wenn  Du  willst,  gleich 
hinten  hineinblicken,  und  aus  den  Aeusserungen  über  Religion  abnehmen, 
wie  das  Nachdenken  darüber  mit  allem  und  jedem  zusammenhängt,  und 
mit  allem  und  jedem  hin  und  her  bewegt  werden  muss,  was  man  über 
Raum,  Zeit,  Bewegung,  Kraft  —  über  das  Ich  u.  s.  w.  so  oder  anders 
möchte  bestimmen  wollen.  Da  sich  das  nicht  ändern  lässt,  —  da  es 
dem  muthigen  Manne  ziemt,  der  Gefahr  gerade  entgegenzugehen,  um  sie 
zu  vernichten,  und  Sicherheit  an  ihre  Stelle  zu  setzen,  —  da  es  am 
wenigsten  dem  Staatsmanne  ziemt,  unbekannt  zu  seyn  mit  den  Quellen 
der  Meinungen,  die  in  Umlauf  kommen:  —  doch,  wir  haben  darüber 
oft  gesprochen!  Angenehm  aber  kann  es  Dir  seyn,  zu  vernehmen,  dass 
sich  meine  aufmerksamen  Zuhörer  jetzt  gänzlich  im  ||  Reinen,  und  von 
grosser  innerer  Unsicherheit  befreyt  fühlen.  Auch  vertraue  ich,  dass  jeder 
Leser,  Dich  selbst  vor  allen  Dingen  mitgerechnet,  fühlen  werde,  wie  das 
Räsonnement  mit  vestem  Schritt  auf  gebahntem  Wege  gradeaus  geht.  In 
der  That  habe  ich  das  Ganze  ohne  Absatz  noch  Anstoss  in  kaum 
3  Wochen  von  Einem  Ende  bis  zum  andern  hinschreiben  können.  Das 
giebt  Selbstvertrauen;  und   ich  bin  so  dreist,  es  Dir  offen  zu  zeigen. 

Du  magst  mir  dasselbe  so  viel  eher  zu  Gute  halten,  da  es  mit  eben 
so  grossem   Vertrauen    zu   Dir  verbunden  ist.     Du  fühlst  wohl   an  diesem 


August   1806.  207 

Briefe,  und  konntest  es  selbst  in  meinem  Schweigen  fühlen,  dass  ich 
Deinetwegen  in  gar  keiner  Art  von  pädagogischer  Sorge  mehr  schwebe. 
Ich  erwarte  Dich  als  kräftigen  jungen  Mann  zurück,  —  ich  verlange  nicht 
erst  zu  beobachten,  ob  Du  unverdorben  seyest,  —  ich  werde  sogar  die- 
selbe rüstige  Arbeitsamkeit,  die  Du  während  Deines  ganzen  hiesigen 
Aufenthaltes  trefflich  bewiesen  hast,  voraussetzen,  als  könnte  Dich  Paris 
nicht  zerstreut,  —  nur  mehr  ausgebildet  haben.  Mich  wirst  Du  zwar 
beschäfftigt,  aber  nicht  wieder  gedrückt  finden.  Was  ich  jetzt  noch  zu 
leisten  oder  ||  zu  tragen  haben  mag,  dessen  fühle  ich  mich  mächtig. 
Wenigstens  werde  ich  mich  hüten,  das  Ausserordentliche  und  Nicht-zu- 
erwartende  im  Voraus  zu  fürchten.  Meine  Gesundheit  habe  ich,  trotz 
aller  Arbeit,  sorgfältig  gepflegt,  und  glücklich  gehoben.  Auch  lagen  ihre 
eigentlichen  Feinde  von  je  her  in  der  Tiefe  des  Gemüths.  Und  von  da 
ist  nun  nicht  viel  mehr  zu  fürchten.  Ich  wüsste  nicht,  wer  mir  grossen 
Verdruss,  oder  was  mir  noch  grosse   Unruhe  machen  könnte. 

Ohne  Zweifel  also,  mein  Theurer,  'werden  wir  uns  gegenseitig  ein- 
ander den  Winter  erheitern  können!  —  Eine  kleine  literarische  Gesell- 
schaft, die  recht  gut  angefangen  hat,  wirst  Du  wieder  finden.  Du  wirst 
Ihr  viel  leisten,  —  wenn  Du  willst,  viel  erzählen  können.  Deine  Feder 
will  ohnehin  noch   Übung  haben.   — 

Sey  nur  recht  froh  unter  den  Deinigen;  und  gieb  ihnen  viel  Freude, 
—  wie  Du  gewiss  thun  wirst!  Alsdann  erwarte  ich  Dich  mit  einem  Schatz 
von  Wohlseyn  und  Kenntniss  zurück;  um  auch  selbst  —  noch  einmal  — 
Deiner  froh  zu  werden.  Ich  hoffe  mit  warmer  Theilnahme  auf  gute 
Nachrichten  von  Deinen  vortrefflichen  Eltern,  deren  Gesundheit  vor  einigen 
Monaten  sehr  scheint  angegriffen  gewesen  zu  seyn.   — 

Ganz  der  Deinige  Herbart. 

Randbem.:  Die  Einlagen  bitte  ich  in  Bern  zu  lassen,  —  wo  möglich 
bey  jemandem  dem  sie  willkommen  seyn  werden!  Ich  werde  Dir  hier 
neue  Exemplare  geben. 

207.    An  Fr.  A.  Carus.  Göttingen,  29.  Aug.  1806. 

Mein  verehrter  und  theurer  Herr  Professor!  Mit  dem  ganzen  Zu- 
trauen, welches  Sie  mir  eingeflößt  haben,  besuche  ich  Sie  jetzt  durch 
einen  der  Besten,  denen  ich  mich  bisher  mündlich  mittheilen  konnte,  — 
durch  seine  Hand  bringe  ich  Ihnen  mein  Bestes.  —  Eine  kleine  Gabe! 
Recht  klein  —  aber  doch  so,  daß  ich  kaum  wünsche,  sie  möchte  größer 
seyn.1)  Mit  Vergnügen  nehme  ich  wahr,  daß  sich  Resultate  so  langer 
Bemühung  mit    so  wenigem  Aufwand   von  Zeichen  ausdrücken  lassen.    — 

Ich  schmeichle  mir,  daß  Sie  irgend  einmal,  die  Zeit  finden  werden, 
auf  meine  Überlegungen  einzutreten;  und  dann  auch  mich  wissen  zu  lassen, 
wie  Sie  davon  denken.  Ich  habe  noch  eine  Bitte.  Es  ist  mir  sehr  viel 
daran  gelegen,  daß  meine  Metaphysik,  die  ich  der  öffentlichen  Verbreitung 
noch  entziehe,  gleich  Anfangs  in  die  besten  Hände  komme.  Dürfte  ich 
dafür  wol  auf  Ihre  gütige  Hülfe  hoffen?  —  Verzeihen  Sie  meine  Zu- 
dringlichkeit;   schon    sind    mehrere  Exemplare,  welche  Ihnen  werden   ein- 

x)  Hauptpunkte  der  Metaphysik. 


2q8  September   1806. 


gehändigt  werden,  mit  Ihrem  Namen  zum  Behuf  weiterer  Mittheilung  be- 
zeichnet. An  Tennemann,  Reinhold,  Jacobi,  Koppen,  Feies  besorge 
ich  meine   Arbeit  selbst,  oder  auf  anderen   Wegen. 

Meinem  Lehrer  Fichte  wünschte  ich  mich  diesmal  durch  Ihre  Hand 
vorgestellt.  Es  ist  gar  zu  unangenehm,  und  fast  unschicklich,  dem  wahr- 
haft geachteten  Lehrer,  dem  ich  noch  besonderen  Dank  schuldig  bin  — 
unmittelbar  entgegenzutreten  mit  Behauptungen,  welche  ihm  sein  Theuerstes 
geradezu  leugnen !  Ich  will  nicht  scheinen  Theil  zu  haben  an  der  Dreistig- 
keit dieser  Zeit,  welche  das  trotzige  Wesen  für  das  Wesen  der  Über- 
zeugung hält.  Ich  will  ebensowenig  das  Selbstgefühl  der  Überzeugung 
verleugnen.   — 

Noch  eine  Bitte!  Mein  hiesiger  Buchhändler  schmält,  daß  sich  um 
meiner  Pädagogik  „Existenz  niemand  bekümmere."  —  Ich  habe  noch  mehr 
Ursache  über  ihn  zu  schmälen,  —  und,  ihn  zu  verlassen.  Ich  muß  sehr 
wünschen,  in  eine  recht  solide  und  passende  Connexion  mit  einem 
anderen,  auswärtigen  Buchhändler  zu  kommen.  Eben  jetzt  liegt  eine 
Schrift,  deren  baldigste  Erscheinung  für  mein  hiesiges  Wirken  wesentlich 
ist  —  „über  philosophisches  Studium"  —  beynahe  fertig.  Herr  Bruschius 
sucht  mir  einen  Verleger  dafür.  Möchten  Sie  wol  durch  einige  Weisungen 
—   und  mir  allenfalls    durch   Ihre  gütige   Empfehlung  zu   Hülfe  kommen? 

Es  ist  schon  zu  viel,  viel  zu  viel,  des  Geplauders  von  meinen  An- 
gelegenheiten. Ich  kann  nur  noch  um  Verzeihung  bitten,  um  meinem 
abreisenden  Freunde  diesen  Brief  auf  der  Stelle  einzuhändigen. 

Hochachtungsvoll   Ihr   Herbart. 

Mögen  Sie  Herrn  Bruschius  über  meine  philos.  Ansichten  ins  Ge- 
spräch bringen :  so  kann  ich  ihm  bezeugen,  daß  er  mich  verstanden,  und 
zveit  tiefer  verstanden  hat,  als  die,  welche  Sie  schon  kennen,  nämlich  in 
theoretischer  Hinsicht.  In  practischer  kommt  er  jedoch  auch  den  Übrigen 
gleich. 

208.     An  Carl  v.  Steiger.1)  Göttingen  8  Sept.  1806. 

Mein  theurer  Karl!  Die  Regeln  des  guten  Tons  und  der  Welt- 
klugheit haben  mir  viel  Vorwürfe  darüber  gemacht,  dass  ich  Dir,  der  eben 
von  Paris  kam,  neulich  einen  so  ganz  metaphysischen  Brief  schrieb,  um 
Dich  damit  in  Riggisberg  zu  bewillkommen.  Aber  das  Glück  will  mir 
wohl;  es  setzt  mich  in  den  Stand,  alles  reichlich  wieder  gut  zu  machen. 
Oder  ist  etwa  ein  langer  Bnef  von  Rudolph2)  —  aus  Irland  —  nicht 
im  Stande,  meine  Metaphysik  aufzuwiegen?  und  bey  Dir  und  den  Deinigen 
die  üblen  Eindrücke,  die  sie  gemacht  haben  kann,  auszulöschen?  —  Dem 
sey,  wie  ihm  wolle:  ich  theile  Dir  hier  den  Schatz  mit  unter  der  Be- 
dingung, ||  dass  Du  mir  ihn  —  und  Dich  selbst  in  6  oder  7  Wochen 
wohlbehalten   zurückbringst! 

Hat  übrigens,  wie  ich  fürchten  muß,  meine  neuliche  Sendung  Dich 
viel  Porto  gekostet:  so  ist  das  nicht  meine  Schuld.  Hätte  ich  gewusst, 
dass  man  mein:  Franco  Basel,  nicht  annehmen  würde,  so  hätte  die  Post 
meinen   Brief  gar  nicht  bekommen. 

*)  3  S.  8°. 

2)   Rudolph  Steiger. 


September  1806.  2QQ 


Erkundige  Dich  ja  nicht  nach  Neuigkeiten!  Saalfeld  selbst  weiss 
nichts,  als  was  die  Zeitungen  sagen.  Oder  willst  Du  das  für  eine  Neuig- 
keit nehmen,  dass  vor  wenigen  Tagen,  nachdem  ich  mich  Vormittags  über 
die  lauten  Stimmen  der  Herren  gewundert  hatte,  die  mir  gegenüber  im 
Concilienhause  so  heftig  disputirten,  dass  ich  es  in  meinem  gelben  Zimmer 
hören  konnte,  —  mir  Mittags  die  [|  Nachricht  gebracht  wurde :  Wunder- 
lich habe  pro  facultate  legendi  disputirt,  Dissen  ihm  opponirt,  das  Thema 
sey  die  frühe  Leetüre  des  Homer  gewesen,  und  beyde  Herrn  haben  sich 
am  Ende,  anstatt,  wie  gewöhnlich,  sich  zu  vereinigen  u.  zu  complimentiren, 
vielmehr  einander  das  Wort  gegeben :  hierüber  einander,  so  lange  sie  lebten, 
zu  widerstreiten!  Eichhorn  und  Heyne  sind  dabey  gewesen.  —  Dissen 
kämpft  jetzt  für  seinen  eigenen  Heerd,  denn  er  ist  für  den  Homer  in 
voller   Arbeit,  und  mit  vielem   Glück. 

Komm  nur  bald,   uns  zu  helfen!     Dein   Herbart! 

Den  Deinigen  meine  angelegentlichsten  Empfehlungen.  —  Ist  gar 
keine  Hoffnung  zu  einem  Bildniss  von  Deinem  Vater?  Wäre  es  auch 
nur  eine  Silhouette! 

209.      An   Smidt.1)  Göttingen   uten  Septbr  1806. 

Mein  theurer  Smidt!  Lange  hatte  ich  vergebens  gewünscht,  unter 
Deinen  jungen  Landsleuten  einige  zu  finden,  die  mir  Gelegenheit  geben 
könnten,  Deiner  guten  Stadt  etwas  von  dem  Dank  abzutragen,  den  ich 
ihr  schuldig  bin.  Nicht  ohne  Theilnahme  für  mich,  und  vielleicht  nicht 
ohne  eignes  Vergnügen  wirst  Du  vernehmen,  dass  es  mir  diesen  Sommer 
gelungen  ist,  einen  ganzen  und  einen  halben  Landsmann  von  Dir,  ganz 
so  kennen  zu  lernen  wie  ich  es  begehrte.  Der  halbe  Landsmann,  —  der 
gewiss  einmal  ein  ganzer  Mann  werden  wird,  —  bringt  Dir  diesen  Brief. 
Es  ist  Ungewitter,  den  Du  vielleicht  schon  einigermaassen  kennst.  Nach 
dem  andern  hast  Du  Dich  wol  sonst  erkundigst,  —  Toelken.  Was  ich 
unvortheilhaftes  von  ihm  geäußert  habe,  kann  ich  jetzt  zurücknehmen.  Die 
Wildheit  bändigt  sich;  Geschmack  und  Verstand  kommen  zum  Vorschein. 
Übrigens  kennst  Du  seine  sehr  ausgezeichneten  Anlagen  und  Kenntnisse.  || 

Beyde  habe  ich  mir  gewinnen  müssen  durch  die  eigentliche  Specu- 
lation.  Und  durch  das  Vergnügen,  einige  recht  fähige  Köpfe  dahin  zu 
leiten,  bin  ich  genug  erheitert  worden,  um,  mir  selbst  unerwartet,  schon 
jetzt  das  Ganze  kurz  zusammenzustellen.  Den  Abriss  bringt  Dir  Un- 
gewitter mit.  Manche  dunkle  Stellen  der  Pädagogik  können  Licht  daraus 
erhalten,  —  wenn  jemand  die  Dunkelheit  der  Kürze  überwinden  mag. 
Koppen  wird  sich  vielleicht  daran  machen.  Auf  allen  Fall  schicke  ich 
Dir  und  ihm  u.  Thulesius  ein   Exemplar. 

Giebt  es  in  Bremen  einige  ausgezeichnete  pädagogische  Erscheinungen 
zu  beobachten,  so  wirst  Du,  wie  ich  hoffe,  Ungewittern  die  Thüre  öffnen. 
Er  hat  sich  auch  von  dieser  Seite  sehr  in  meine  Theorie  hineingeübt; 
und  meine  Praxis  wird  er,  denke  ich,  bald  übertreffen,  wenn  anders  die 
Gelegenheit,  die  ihm  Plater  dazu  dargeboten  hat,  günstig  ist,  wie  ichs  von 
Platern   erwarte.  || 

])  4  S.  80. 


?00  September  1806. 


Ich  kann  nicht  sagen,  wie  sehr  Du  mich  verbinden  würdest,  wenn 
Du  einige  Nachrichten  von  Bremen  für  mich  aufs  Papier  werfen  möchtest. 
Besonders  verlangt  mich  von  Deiner  Schwester  und  von  Kulenkamps  zu 
hören.  Über  die  letzteren  wird  sich  Ungewitter  bey  Dir  Nachricht  aus- 
bitten, ob  sie  sich  darnach  befinden,  daß  er  gerade  zu  ihnen  gehn 
könne,  um  sie  sich  in  meinem  Namen  von  ihnen  zu  erbitten,  die  er  mir 
alsdann  schreiben  wird.  Dass  ich  ihm  keinen  Brief  an  K.s  mitgebe,  liegt 
einzig  an  der  schmerzlichen  Ungewißheit,  wie  dieser  Brief  geschrieben 
seyn  müsste,  um  zu  ihrer,  vielleicht  nicht  heitern  Stimmung  zu  passen. 
Aus  solcher  Unwissenheit  habe  ich  schon  einmal  einen  grossen  Missgriff 
gemacht,  —  und  es  sehr  empfinden  müssen,  —  daß  jene  heitern  Stunden, 
die  ich  ehemals  im  K.schen  Hause  genoss,  mit  ihrem  eignen  ehemaligen 
Wohlseyn  in  naher  Verbindung  standen.  —  Soviel  ich  weiss,  ist  Olbers 
jetzt  nicht  in  Bremen.1)  Welchen  Arzt  mögen  sie  nun  haben?  Auch  das 
vermehrt  meine  Unruhe.   | 

Was  Deine  Schwester  betrifft,  so  wünschte  ich  sehr  zu  wissen,  wie 
ihr  die  Reise  bekommen  ist?  Wie  lange  Johann  im  T. —  sehen  Institut 
gewesen  ist,  und  was  sich  daraus  ergeben  hat?  Wie  sie  nun  mit  Günthern 
zurechtkommt?  —  Aber  die  Fragen  verstehn  sich  von  selbst,  —  und  es 
wäre  deren  noch  ein  ganzes  Heer,  wenn  ich  nach  Deinem  Hause,  nach 
Hörn  u.  Koppen  u.  Thulesius  mich  nur  einigermaassen  erkundigen  wollte. 
Ich  muss  von  Deiner  Güte  erwarten,  welche  u.  wieviele  Fragen  Du  mir 
beantworten  magst;  einiges  wird  Ungewitter  für  mich  niederschreiben 
können.  Dieser  mag  Dir  dann  auch  von  meiner  Lage  erzählen,  —  wenn 
etwas  davon  zu  erzählen  wäre,  u.  sich  nicht  für  das  nächste  Jahr  noch 
alles  auf  die  Schriften  reduciren  müsste,  die  ich  herauszugeben  habe, 
wofern   der  Körper  nicht  den   Geist  dran  hindert.   — 

Ganz  der  Deinige   Herbart. 

210.     An    GrieS.  Göttingen  22stenSept.  1806. 

Mein  theurer  Freund!  Durch  einen  schätzbaren  jungen  Mann,  den 
Dr.  Planck  aus  Göttingen,  habe  ich,  dankbar  für  Deine  Italienischen  Ge- 
sänge, neulich  eine  Sonate  und  eine  Fuge  an  Dich  geschickt.  Du  kannst, 
wenn  Du  willst,  mich  darin  vernehmen;  und  wenn  Du  findest,  daß  ich 
noch  den  nämlichen  Klang  von  mir  gebe,  wie  vor  Zeiten:  so  bin  ich 
zufrieden.  Denn  das  wird  die  Beste  aller  Entschuldigungen  seyn,  die  ich 
Dir  machen  könnte. 

Übrigens  habe  ich  noch  nicht  Lust  genug  gewonnen,  um  mich  für 
die  freundschaftliche  Mittheilung  frey  zu  fühlen  bis  zu  der  Behaglichkeit, 
die  der  heitere  Geist  der  Mittheilung  giebt.  Die  Zeit  thut  was  sie  nur 
kann,  um  mir  mein  Werk  zu  erschweren.  Unmöglich  kann  sie  es  nicht 
mehr  machen;  dafür  ist  jetzt,  seit  diesem  Sommer,  —  gesorgt.  Das 
wichtigste,  was  ich  menschlichen  Gemüthern,  und  dem  Papier  anzuvertrauen 
hatte,  ist  in  Sicherheit;  wiewohl  es  Anderen  scheinen  mag  als  hätte  ich 
noch    nicht    angefangen.      Übrigens    liegt    noch    viel  Arbeit  auf   mir;    aber 


*)  Über  Olbers  s.  o.  S.  263  Anm. 


November   1806.  iqi 


der  Entwickelung  derselben,  so  wie  der  äußeren  Begebenheiten,  werde  ich, 
in  meiner  tiefsten  Seele  ruhig,   zuschauen  können. 

Ob  dies  für  Dich,  mein  Freund,  auch  einen  Sinn  hat?  Für  Dich, 
der  das  Leben  stets  in  seinen  reichsten  und  ausgebildetsten  Erscheinungen 
unmittelbar  zu  fassen  suchte?  —  Wir  danken  Dir  den  lieblichen  Tasso, 
den  üppigen  Ariost.  Sey  nur  überzeugt,  daß  ich  wahrlich!  mit  zu  den 
Dankenden  gehöre,  wiewohl  freylich  nicht  mit  gleichem  Danke  für  den 
Ariost  wie  für  den  Tasso.  Ich  höre  jenen  gern  erzählen,  plaudern,  auf- 
schneiden, —  nur  nicht  gern  räsonniren.  Zuweilen  möchte  ich  wohl,  daß 
er  noch  ein  wenig  besser,  glatter,  erzählte,  und  mit  dem  Crescendo 
säuberlicher  umginge,  —  wenn  Du  willst,  die  Pauken  nicht  so  oft  an- 
brächte, —  endlich  in  der  eigentlichen  Harmonie  nicht  so  gar  unwissend 
wäre.  Lieber  in  der  That  ist  mir  Tasso,  bey  dem  ich  sicher  bin,  immer 
auf  irgend  eine  Art  erheitert  zu  werden. 

Du  hast  Dir  einen  schönen  Arbeitsplatz  gewählt;  und  beynahe!  hätte 
ich  ihn  mit  Dir  getheilt.  Es  war  dicht  daran,  —  ein  paar  herzliche 
Worte  von  Heeren  gaben  mir  eine  andre  Richtung.  Du,  mein  Theurer, 
hattest  mich  Nichts  wissen  lassen  von  der  Aussicht  auf  erneuten  Umgang. 
—  Der  Vollendung  meiner  Anlagen  war  damals  die  alte,  berühmte  Aca- 
demie,  die  meiner  nicht  bedarf,  und  mein  schwaches  Licht  verdunkelt, 
günstiger,  als  die  neue,  welche  gewissermaßen  auf  mich  hätte  mitrechnen 
müssen.  Das  hat  sich  freylich  schnell  geändert;  und  in  dem  neuen 
Glänze  könnte  ich  mich  wohl  jetzt  vollends  so  bequem  verbergen,  als 
hier  in  dem  alten.  Endlich  ist  das  Verbergen  jetzt  nicht  mehr  nöthig. 
Vielmehr  sorgen  die  Herren  Zeloten  dieser  Zeit  nur  gar  zu  gütig  dafür, 
daß  in  dem  Geräusch  ihres  Streits  meine  Stimme  nicht  zu  laut  ver- 
nommen werden  könne. 

Der  Umgang  ist  uns  nicht  geworden;  —  besuchen  aber  könnte  ich 
Dich  wohl  einmal.  Und  —  um  Dir  etwas  ins  Ohr  zu  sagen  —  am 
liebsten  möchte  ich  Dich  in  Deinem  Hause  besuchen.  Du  bist  älter  als 
ich,  und  könntest  mir  wohl  mit  gutem  Beyspiele  voran  gehn,  —  damit 
man  doch  auch  sähe,  Du  habest  von  den  Dichtern  gelernt!  —  Waffnen 
wir  uns  mit  fröhlichen  Bildern  gegen  ein  trauriges,  dessen  Mittheilung, 
so  wie  ich  es  in  diesen  Tagen  aus  guter  Hand  empfing,  die  Freundschaft 
mir  gebeut.  Unser  Freund  Böhlendorf,  nur  halb  geheilt,  irrt  umher  in 
dem  gastfreundschafilichen  Curland,  —  geschäfFtslos,  —  und  wol  meist  ge- 
dankenlos. Grote  kommt  eben  von  dort  zurück,  er  und  Rahden  haben 
ihn  da  gesehen  und  gesprochen.  Er  träumt  wie  es  scheint,  viel  von  der 
Vergangenheit,  —  eine  Zukunft  hat  der  Arme  nicht  mehr.  Daß  es  ihm 
äußerlich  fehlen  möge,  ist  wol  nicht  zu  besorgen.  Unter  andern  scheint 
Firks  sich  seiner  anzunehmen.  Nachrichten  von  Deinem  Wohlseyn  — 
innen  und  außen  —  würden  recht  herzlich  freun 

Deinen   Herbart. 

211.    Koppen  (?)  an  H.1)  Bremen,  30.  Nov.  1800. 

Erfreulich  war  mir  Dein   letzthin  mir  gewordenes  Schreiben,  lieber  Herbart, 

nebst  dem  zugleich  übersandten  Buche.    Ich  habe  es  mit  Vergnügen  gelesen  u.  mit 


')  2  S.  4°-     H.  Wien. 


*,Q2  November   1806. 


so  viel  Aufmerksamkeit,  als  mir  die  Unruhe  der  Zeit  verstattet.  Wenn  in  dieser 
nicht  alle  Philosophie  ausgienge,  würde  ich  die  Philosophie  mehr  lieben  samt  der 
Zeit.  Auch  Dich  habe  ich  auf  Deiner  philosophischen  Bahn  begleitet,  gestehe  aber, 
noch  nicht  mit  mir  selbst  darüber  in  Reine  zu  seyn,  was  Dein  System  gebe,  wovon 
es  ausgehe,  welches  sein  Vollbringen  sey.  Die  Beylage  zur  zweiten  Ausgabe  Deines 
ABC  der  Anschauung  hat  mich  nicht  aus  der  Irre  gebracht,  auch  das  jüngst 
übersandte  Buch  Deiner  Logik  u.  Metaphysik  gestehe  ich  noch  nicht  gelesen  zu 
haben,  weil  ich  es  mit  Muße  u.  Aufmerksamkeit  wollte.  Worüber  ich  mit  Dir  zu 
reden  wünschte,  wäre  z.  B.  S.  81.  der  Schrift  über  philosophisches  Studium.  Haupt- 
punkte meiner  philosophischen  Ueberzeugung  kannst  Du  in  der  Recension  des 
Fichtischen  Buches  über  das  Zeitalter  (Hall.  Litzeit.  Oct.  1806)  sehen,  weil  sie  von 
mir  herrührt.  —  Verbinden  würdest  Du  mich,  wenn  Du  mir  gelegentlich  Deine 
akademische  Abhandlung  über  den  Plato  senden  wolltest.  ||  Smidt  hat  sie  von  Dir, 
wollte  sie  mir  geben,  aber  konnte  sie  nicht  finden. 

Den  mir  eingesandten  Brief  habe  ich  nach  Lübeck  an  meinen  Bruder  geschickt, 
obgleich  das  damalige  Unglück  dieser  Stadt  es  wohl  unmöglich  machen  wird,  ihn  zu 
Wasser  zu  befördern.  Landkommunikation  ist  so  viel  ich  weiß,  noch  nicht  wieder 
offen.  Wenn  ich  von  der  Absendung  des  Briefes  Nachricht  erhalte,  schreibe 
ich  Dir. 

Wir  leben  hier  jetzt  in  Erwartung  der  Dinge,  die  da  kommen  sollen.  Die 
Truppendurchzüge  machen  es  ziemlich  unruhig.  Die  Musen  lieben  Ruhe,  u.  die 
Philosophie  Besinnung.  Deutschland  war  anders,  als  wir  uns  in  Jena  sahen.  Das 
Buchmacherwesen  wie  die  Staatsverfassungen  sind  in  sich  selbst  mürbe  geworden. 
Es  fragt  sich,  ob  eine  neugepflanzte  Litteratur  auf  dem  Schutt  so  gut  gedeiht,  als 
der  Pfirsichbaum.  —  Uebrigens  lebe  ich  hier  gesund  u.  wohl,  seit  diesem  Sommer 
verheyrathet.  —  Wenn  Du  andre  so  brave  junge  Männer  mir  adreßirst,  als  den 
jungen  Ungewitter,  so  können  sie  im  Voraus  eines  freundschaftlichen  Empfanges 
gewiß  seyn. 

Lebe  wohl,  u.  laß  mich  bald  wieder  von  Dir  hören.     Ganz  der  Deinige 

Koppen. x) 

Die  Aeltermannin  Kulenk.,  welche  Du  kennst,  ist  sehr  krank,  die  Aeizte  geben 
alle  Hoffnung  auf. 


*)  Die  Unterschrift  ist  nicht  zu  entziffern,  nach  dem  Inhalte  und  Zusammen- 
hange ist  aber  zweifellos  Koppen  der  Schreiber  des  Briefes. 


1807. 


W.:    Über   philosophisches   Studium.     S.  Bd.  II.     S.   227  —  296.   —    Entwurf   zu   Vor- 
lesungen über  die  Einleitung  in  die  Philosophie.     S.  Bd.  IL    S.  297 — 307.  —  Rez.  von 
Fichtes  Grundzüge   des    Zeitalters.     S.  Bd.  XIII.     S.  334 — 340.   —  Schemata    zu   Vor- 
lesungen über  Pädagogik  in  Göttingen   1807  — 1809.     S.  Bd.  XV.     S.  201  —  220. 

212.    Vertrag  zwischen  Herbart  u.  Danckwerts.1)  16.  Juni  1807. 

Zwischen  dem  Herrn  Professor  Herbart  und  dem  Buchhändler  Danckwerts  ist 
folgender  Contract  geschlossen  worden. 

Der  Herr  Professor  Herbart  übergiebt  dem  Buchhändler  Danckwerts  sein 
Manuscript  der  allgemeinen  praktischen  Philosophie  unter  folgender  Bedingung 
in  Verlag. 

1.  Die  Auflage  wird  1500  Exemplare  gr.  8.  mit  lateinischen  Lettern,  25  Zeilen 
auf  einer  Seite. 

2.  Der  Herr  Verfasser  erhält  für  jeden  gedruckten  Bogen  3  Frdr.d'or  in 
folgenden  Terminen. 

a)  Die  Hälfte  des  Honorars  für's  ganze  Werk  gleich  nach  Beendigung  des 
Drucks. 

b)  Die  andere  Hälfte  wird  als  Capital  angesehen,  welches  der  Verleger  so 
lange  mit  4  pr.  Ct.  verzinst,  bis  750  Exemplare  verkauft  sind,  dann  aber  werden 
keine  Interessen  mehr  bezahlt,  sondern  der  Verleger  zahlt  von  dem  Capitale  die 
Hälfte  baar  aus,  u.  die  andere  Hälfte  desselben,  oder  den  vierten  Theil  des  ganzen 
Honorar's  alsdann,  wenn  wieder  250  Exemplare,  also  im  Ganzen  1000  Exemplare 
verkauft  sind,  zu  welchem  Ende  der  Herr  Verfasser  das  Recht  hat,  Sich  jeden 
Augenblick  die  noch  übrigen  Exemplare  vorzählen  zu  lassen. 

3.  Der  Herr  Verfasser  erhält  ferner  20  Exemplaare  auf  Schreibpapier  u.  10 
auf  Druckpapier  gratis,  u.  alle  Exemplare,  die  er  mehr  gebrauchen  sollte,  mit 
7a  pr.  Ct.  Rabatt.  || 

4.  Der  Herr  Verfasser  u.  der  Verleger  machen  sich  beyde  verbindlich,  der 
Beendigung  des  Druckes  bis  zur  nächsten  Leipziger  Michaels  Messe  kein  Hinderniß 
in  den  Weg  zu  legen. 

5.  Dieser  Contract  ist  nur  für  die  erste  Auflage  gültig  u.  bey  einer  zweyten 
Auflage,  die  aber  ohne  beyderseitige  Bewilligung  nicht  vor  dem  gänzlichen  Verkaufe 
der  ersten  gemacht  werden  darf,  stehen  beyde  Contrahenten  in  gar  keiner  Verbind- 
lichkeit mit  einander. 

6.  Dieser  Contract  soll  für  immer,  auch  nach  dem  etwanigen  Absterben  des!Einen 
oder  Andren  der  Contrahenten  seine  Gültigkeit  haben,  u.   durch  nichts  gebrochen 

*)  2  S.  4°.     FT.  Wien. 


?04  September  1807. 


werden   können,   zu   welchem  Ende   er   doppelt   ausgefeitiget,   von   beyden  Contra- 
heuten unterschrieben  u.  untersiegelt  worden  ist. 

Göttingen  d.  I6ten  Juny  1807. 

gez.  Justus  Friedrich  Danckwerts  Universitäts-Buchhändler. 
Herbarts  Unterschrift  fehlt. 

213.    Gries  an  H.1)  Heidelberg,  d.  21  sten  Septbr.  1807. 

Mein  th eurer  alter  Freund.  Fast  ein  rundes  Jahr  ist  verfloßen,  seit  ich  Deinen 
letzten  freundlichen  Zuruf  erhielt,  und  jetzt  erst  antworte  ich  Dir.  Du  bist  es 
nicht  von  mir  gewohnt,  daß  ich  des  Freundes  Wort  so  spät  erwiedere ;  doch  bin  ich 
überzeugt,  daß  Du  deshalb  nicht  an  der  Fortdauer  meiner  Freundschaft  gezweifelt 
hast,  so  wenig  als  ich,  bei  manchen  früheren  Pausen  von  Deiner  Seite,  an  Deinen 
immer  herzlichen  Gesinnungen  für  mich  gezweifelt  habe.  Als  ich  Jena  verließ,  war 
ich  an  Leib  und  Seele  so  ermattet,  daß  Aufheiterung  und  Zerstreuung  im  eigent- 
lichsten Sinne  des  Wortes  mein  größtes  Bedürfniß  war.  Beides  fand  ich  in  dem 
ersten  Sommer  meines  hiesigen  Aufenthalts  in  vollem  Maaße,  und  vielleicht  gab  ich 
mich  dem  so  lange  entbehrten  fröhlichen  Genuße  damals  mit  etwas  zu  großer  Nach- 
giebigkeit hin.  Wenigstens  erhielt  ich  dadurch  meine  Gesundheit  wieder,  die  durch 
die  fortwährend  sitzende  Lebensart  in  Jena  sehr  geschwächt  worden  war.  Ich 
fühle  mich  jetzt  stärker  u.  gesünder  als  jemals,  uni  habe,  mein  altes  Gehörübel 
ausgenommen,  über  meinen  Körper  nicht  zu  klagen.  —  Im  vorigen  Winter,  und 
besonders  in  diesem  letzten  Sommer,  bin  ich  nun  wieder  sehr  fleißig  gewesen, 
wovon  Dich  der  dritte  Theil  des  Ariost,  der  in  der  Michaelismeße  erscheint,  voll- 
kommen überzeugen  wird.  Ich  hoffe,  das  Buch  wird  vor  Ende  des  nächsten  Monats 
in  Deinen  Händen  seyn,  und  empfehle  es  im  voraus  Deiner  freundlichen  Aufnahme. 

Ich  habe  Dir  noch  zu  danken  für  die  beiden  Bücher,  die  Du  mir  durch 
Dr.  Plank  übersandt  hast,  und  mehr'  noch  für  die  später  erschienene  Schrift  ,,über 
philosophisches  Studium".  In  dieser  letztern  Schrift  besonders  habe  ich  Dich  ganz 
wiedergefunden,  wie  Du  leibst  und  lebst,  auch  liegt  sie  meinem  Faßungskreise  näher, 
als  jene  früheren.  Du  weißt  von  alten  Zeiten,  daß  der  Zugang  zu  den  tiefsten 
Tiefen  der  Speculation  mir  leider  nicht  vergönnt  ist,  und  Du  wirst  Dich  nicht 
wundern,  wenn  ich  Dir  offenherzig  gestehe,  daß  mir  die  „Hauptpunkte  der  Meta- 
physik" größtenteils  unzugänglich  geblieben  sind.  Was  nun  die  Pädagogik  anbetrifft, 
so  denke  ich  darüber  wie  unser  Freund  Rist:  ich  mag  keine  andren  Kinder  erziehen, 
als  meine  eigenen;  und  wenn  sich  dazu  Gelegenheit  findet,  so  werden  gewiß  Deine 
pädagogischen  Schriften  mein  erstes  Studium  seyn. 

Leider  ist  aber  dazu  noch  keine  Außicht,  und  wird  sich  wohl  vor  der  Hand 
noch  keine  eröffnen.  Wenn  Du  mich  also  nicht  anders  besuchen  willst,  als  in 
meinem  Hause  u.  am  eignen  Herd,  so  werde  ich  wohl  noch  lange  auf  Deinen  Be- 
such Verzicht  thun  müßen.  Ueberhaupt  müßtest  Du  sehr  eilen,  wenn  Du  mich 
noch  in  Heidelberg  besuchen  wolltest;  denn  schwerlich  wird  meines  Bleibens  hier 
lange  seyn.  Wenn  ich  das  Werk  vollendet  habe,  auf  dem  meine  Seele  ruht,  so 
werde  ich  alsbald  meinen  Stab  weiter  setzen.  Ich  hoffe,  diesen  Winter  den  letzten 
Theil  des  Ariost  zu  endigen  und  mit  dem  neuen  Frühling  Heidelberg  verlaßen  zu 
können.  Meine  schönen  Hoffnungen  von  diesem  Orte  sind  sehr  getäuscht  worden. 
Ich  dachte,  hier  ein  neues,  ein  schöneres  Jena  aufblühen  zu  sehen,  und  es  ist  nicht 
einmal  ein  Göttingen  daraus  geworden.  Man  scheint  keinen  andern  Zweck  zu  haben, 
als  aus  Heidelberg   eine   tüchtige  Juristenschule   zu  machen,   und  wird  auch  diesen 

x)  H.  Wien. 


November  1807.  3  CK 


nicht  einmal  vollkommen  erreichen.  Der  einzige  Vorzug  Heidelbergs  besteht  in 
seiner  herrlichen  Lage,  in  seinen  reizenden  Umgebungen.  Dies  ist  zwar  immer  viel, 
aber  doch  nicht  genug  für  einen  Menschen,  dem  Geselligkeit  eins  der  ersten  Be- 
dürfniße  ist,  und  leider  findet  dieses  hier  gar  schlechte  Befriedigung.  Es  giebt  hier 
äußerst  wenig  Leute,  deren  Umgang  mir  Freude  machen  könnte,  und  diese  wenigen 
haben  für  nichts  Sinn,  als  für  ihr  Corpus  juris.  Für  keine  Kunst,  für  keine  Wißen- 
schaft,  außer  der  Jurisprudenz,  giebr  es  hier  irgend  ein  Intereße.  Themis  ist  die 
allein  seligmachende  Göttinn,  und  leider  ist  sie  nicht  die  meinige. 

Solltest  Du  es  glauben,  daß  ich  sogar  auf  den  Gedanken  gerathen  bin,  diesen 
Winter  in  Göttingen  zuzubringen?  Mein  Instrument,  das  ich  weder  im  Stiche  laßen, 
noch  ohne  große  Beschwerde  transportiren  konnte,  hat  mich  hauptsächlich  davon 
zurückgehalten;  dann  aber  auch  der  Umstand,  daß  ich  auf  keinen  Fall  einen  Sommer 
in  Göttingen  aushalten  könnte,  also  im  Frühling  doch  wieder  einen  andern  Aufenthalt 
suchen  müßte.  Nun  bleibe  ich  den  Winter  hier  und  denke  gewaltig  fleißig  zu  seyn. 
Gelingt  mein  Plan,  so  gehe  ich  im  Frühling  nach  der  Schweiz  und  bringe  dort 
vielleicht  den  ganzen  Sommer  zu.  Von  unsern  alten  gemeinschaftlichen  Freunden 
habe  ich  lange  keine  Nachricht.  Was  Du  mir  von  Böhlendorf  schriebst,  hat  mich 
sehr  betrübt.  Soll  denn  dies  die  ganze  Existenz  eines  Menschen  seyn,  dem  die 
Natur  so  herrliche  Anlagen  verliehen  hatte  ?  Auch  über  Berger  ist  mir  vor  kurzem 
ein  Gerücht  zu  Ohren  gekommen,  das  mich  sehr  beunruhigt.  Solltest  Du  von  diesen 
Beiden  etwas  Näheres  wißen,  so  erwarte  ich  mit  Zuversicht,  daß  Du  es  mir  mit- 
theilen wirst.  Mit  Eist  ist  seit  der  Blokade  Englands  aller  Verkehr  unterbrochen. 
Vielleicht  führt  ihn  der  Krieg  mit  Dänemark  jetzt  aufs  feste  Land  zurück.  Sein 
trefflicher  Vater  ist  zu  Anfang  dieses  Jahres  gestorben. 

Ueber  den  Vorzug,  den  Du  dem  Taßo  vor  dem  Ariost  giebst,  möchte  ich  Dir 
fast  den  Krieg  erklären,  wenn  ich  nicht  so  unglaublich  tolerant  wäre.  Aber  Du 
wirst  es  auch  mir  nicht  übel  nehmen,  wenn  ich  Dir  gestehe,  daß  Ariost,  als  Dichter, 
mir  sehr  viel  mehr  ist,  als  Taßo,  u.  daß  ich  in  diesem  letztern  eigentlich  nur  einen 
ziemlich  nüchternen  Nachahmer  andrer  Dichter  erblicken  kann.  Sein  Gedicht  ist  das 
pure  Werk  des  kalten  Verstandes  u.  läßt  mich  auch  vollkommen  kalt.  Im  Ariost 
hingegen  welche  Fülle  der  Phantasie,  welcher  Reichthum  an  Erfindung,  welche 
Wärme,  welch  üppiges  Leben!  Je  tiefer  ich  mich  in  sein  ungeheures  Werk  hinein- 
arbeite, desto  mehr  muß  ich  ihn  bewundern  und  lieben.  Man  kann  wohl  kühnlich 
behaupten,  daß  es  außer  den  homerischen  Gesängen  nichts  auf  der  Erde  giebt,  was 
diesem  nur  von  fern  verglichen  werden  könnte. 

Möchtest  Du  mich  bald  durch  Nachrichten  von  Dir  erfreuen!  Oder  noch  beßer 
wäre  es,  Du  kämest  in  den  Michaelisferien  zum  Besuch  hieher.  Was  meinst  Du 
zu  diesem  Vorschlage?  Dein  J.  D.  Gries. 

214.     An  Carl  v.  Steiger.1)  Göttingen  22  Nov  1807. 

Diese  Woche  her,  mein  Theurer,  bin  ich  mit  der  Psychologie  be- 
schäfftigt  gewesen,  dies  hat  meine  Briefe,  sowohl  an  Andere,  als  an  Dich, 
verzögert.     Du  bist  noch  der  Erste,  den  ich  schriftlich  begrüsse. 

Kurz  nach  Deiner  Abreise  machte  ich  einen  Ritt  nach  Kassel;  zur 
Probe  für  eine  weitere  Tour,  und  um  meine  nächsten  Arbeiten  zu 
mustern.  Ich  blieb  frey  von  Ermüdung  und  Erkältung,  trotz  zweyer  im 
Regen  zurückgelegter  Meilen;  aber  mein  Pferd  hielt  nicht  gut  aus,  und 
so  konnte  ich  schon  erwarten,    dass    ich    während   der  Ferien  nicht  dazu 


*)  4  S.  8°. 

Hbrbarts  Werke.     XVI.  20 


o06  Movember  1007. 


kommen  würde,  mich  weiter  von  Göttingen  zu  entfernen.  Vollends  a! 
ich  zurückkam :  vernahm  ich  Klagen  über  die  Zeiten,  ||  die  nie  so  schlimr. 
gewesen  seyen  wie  jetzt,  ,,die  Universität  selbst  sey  —  in  einer  Krise' 
u.  s.  w.  Wirklich  waren  in  Hannover  harte  Dinge  vorgefallen;  di 
Landstände  aufgelöst;  ein  paar  angesehene  Männer  nach  Hameln  gefühn 
hier  im  G[öttingen] sehen  eine  neue  Commission  niedergesetzt,  und  furcht 
bare  Steuern  sjreng  gefordert.  Da  ich  nun  bey  dem  Allen  nichts  thui 
konnte,  sonst  aber  genug  zu  thun  habe,  j|  was,  wie  es  scheint,  ausser  mi 
Niemand  thun  wird,  so  entschloss  ich  mich  sehr  leicht,  die  ängstlicher 
Gesichter  zu  meiden  und  wieder  zu  dem  Werk  meiner  Einsamkeit  zi 
greifen.  Dies  Werk  braucht  ruhige  Tage;  ein  starker  Grund,  es  nicht  bis 
auf  unruhige  zu  verschieben. 

Und  so  dienen  mir  denn  zur  Unterlage  dieses  Blattes,  —  psycho- 
logische Rechnungen ;  —  von  denen  auf  dies  Blatt  wohl  nicht  schicklicher- 
weise etwas  kommen  darf. 

Möchte  unser  Freund  G[rote]  in  H[annover],  nicht  alle  seine  Aus- 
sichten versperrt  sehn!  Dies  ist  eine  Folge  der  vorgegangenen  Ver- 
änderung. Seine  Stimmung  ist  mit  Recht  sehr  trübe.  Er  hat  indess  im 
Sinn,  Dir  zu  schreiben. 

Br[ande]s  in  Hfannover],  dem  ich  mein  Buch  geschickt  hatte,  drückt 
sich  in  der  Antwort  so  aus :  er  werde  demselben  seine  ganze  Aufmerksam- 
keit widmen,  wozu  ihn  ohnehin  seine  jetzige  Lage  hinneige,  da  ein  der 
Freyheit  Beraubter  in  der  pract[ischen]  Philosophie] 1)  natürlich  genug 
seine  bessere  Freyheit  wieder  finde.  —  Es  war  übrigens  nur  eine  Art 
von  Stadt-Arrest. 

Zu  etwas  Anderem!  —  Ich  habe  von  einer  häuslichen  Veränderung 
zu  berichten.  Nämlich,  wozu  Du  mir  gewiss  von  Herzen  Glück  wünschest 
—  statt  der  alten  Peinemann  zieht  eine  andere  Hausfrau  herein.  Die 
Sache  hängt  so  zusammen:  das  Haus  ist  endlich  verkauft;  an  einen 
Weissbinder,  dessen  Frau  eine  Garküche  hat;  diese  nun  soll  hier  unten 
angelegt  werden;  Miethhofs  also  müssen  ausziehen,  Bergmann  aber  und 
ich  bleiben  wahrscheinlich  wohnen.  Georg  mit  uns;  und  die  alte  russige 
Feuerbeherrscherinn  brauchen  wir  dann  gar  nicht  mehr.  Wie  aber  der 
Weissbinder  sich  in  diesem  Pallaste  ausnehmen  wird,  vollends  die  Gar- 
küche, —  das  wird  sich  zeigen.  Ich  hofTe,  der  Duft  der  untern  Regionen 
wird  die  obern   verschonen.   — 

Die  pädagogischen  Angelegenheiten  gehen  gut.  Ungewitter  ist  sehr 
zufrieden;  Petri  in  Bremen  desgleichen.  Günther  ist  mit  von  Rahden 
nach  Curland  gereist,  zum  Hrn.  von  (Sacken?).  Für  jetzt  ist  G.  hier, 
und  treibt  seine  Arbeiten  recht  zu  meinem  Wohlgefallen.  In  wenig 
Wochen  hat  er,  um  sich  für  den  Moriz  Sacken  vorzubereiten,  Herodot 
u.  Thucydides  und  Piatons  Republik  und  wer  weiss  wie  viel  Stücke  des 
Euripides  durchgelesen  und  ist  nun  bey  der  Mathematik.  Sein  wahr- 
haft ||  reiner  Eifer  macht  ihm  Ehre;  wiewohl  er  an  Geist  eine  kleine 
Stufe  höher  stehn  sollte.  Sein  Denken  ist  Zweifeln,  aber  sein  Gefühl  ist 
richtig.   —   Auch  nach  Bern  soll  ich  einen  Hauslehrer  schicken.      Mad[ame] 

l)  Also  schon  jetzt  erschienen,  s.  auch  den  folgenden  Brief. 


Dezember   1807.  307 


EI  über,  Heyne's  Tochter,  hat  an  mich  geschrieben;  ich  solle  an  —  Fellen- 
:>erg  Antwort  geben,  dort  wird  ihr  Sohn  erzogen.  Fürchte  Dich  nur  nicht 
/or  Commissionen.  Es  kann  aber  seyn  dass  Du  Dissen  oder  Griepenkerl 
Dald  dort  siehst.  —  Mad.  Huber  sagt,  mein  Rath  lehre  Männer  bilden. 
Das  ist  viel  gesagt;  ich  bin  indess  von  Dir  überzeugt,  dass  Du  Deine 
Landsleute  in  diesem  guten   Glauben  nicht  irre   machen  wirst. 

Hufeland  aus  Landshut  hat  an  mich  geschrieben,  und  Jacobi  mir  mit 
iinem  Grusse  einen  jungen  Mann  Namens  Unterholzner,  in  meine  Vor- 
esungen  geschickt,  der  künftig  Docent  der  Rechte  in  Landshut  seyn 
vird.  —  Die  Metaphysik  ist  eben  gedruckt,  mit  manchen  Zusätzen.  Die 
Vtichaelismesse  hat  fürs  Philosophische  wenig  geliefert;  es  scheint, 
ch  habe  am  meisten  Ruhe  gehabt  zu  arbeiten.  Und  ich  denke  diese 
^uhe  zu  behalten.  Träume  dürfen  keine  Arbeit  stören;  und  was  man 
ür  Göttingen  fürchtet,  sind  jetzt  nur  noch  Träume.  Es  ist  mir  übrigens 
ieb  den  Augenblick  glücklich  getroffen  zu  haben  wo  Andere  schweigen; 
ch  habe  das  schätzen  gelernt  seitdem  die  arme  Pädagogik  nicht  zu 
Aborte  kommen  konnte. 

Genug!  mein  Guter,  damit  Du  sehest,  dass  noch  Alles  beym  Alten 
st.  Du  hättest  ohne  Zweifel  viel  mehr,  und  viel  Neues  zu  erzählen  — 
;ofern  Du  Dir  Zeit  dazu  nehmen  kannst.  Erfreue  bald  durch  dies  Zeichen 
deiner  Freundschaft  Deinen   Herbart. 

Deinem  Hrn.  Vater  meine  Empfehlung  nebst  meinem  Dank  für  die 
chätzbaren  Zeilen  am  Ende  Deines  Briefes.  Wegen  der  Schuld  des 
Kaufmanns  in  Köthen  wird  Grote  an  Dich  geschrieben  haben.  Durch 
Detri's  Vergessenheit,  der  übernommen  hatte,  Deine  Aufträge  von  mir  noch 
:u  Ende  zu  bringen,  ist  die  Sache  verzögert,  Grote  braucht  eine  Vollmacht 
ron  Dir. 
V.dr. :    Dem  Herrn  Baron  Karl  Steiger  von  Riggisberg  Bern. 

515.     An  Carl  v.  Steiger.1)  Göttingen  7  Dec.  1807. 

Montag  6   Uhr   Abends. 

Dein  lieber  Brief  vom  2  5sten  November  hat  mich  so  herzlich  erfreut, 
nein  theurer  Karl,  dass  ich,  so  spät  es  ist,  nach  geendigter  Arbeit,  noch 
;in  halbes  Stündchen  zu  nützen  suche,  um  Dir  meinen  Dank  ganz  frisch 
;u  übersenden.  Glücklicherweise  bin  ich  durch  meinen  ersten  Brief,  der 
mn  in  Deinen  Händen  seyn  muss,  dem  Vorwurfe  zuvorgekommen,  mich 
)itten  zu  lassen  um  das,  was  ich  schuldig  war. 

Deine  Nachrichten  erfreuen  mich  alle;  die  einzige,  die  mich  minder 
reut,  nämlich  dass  Dir  Bern  noch  nicht  ganz  zu  gefallen  scheint,  be- 
mruhigt  mich  nicht,  denn  das  wird  sich  gewiß  geben.  Nur  allzufrüh 
verden  anziehende  Geschaffte  und  Verbindungen  aller  Art,  Dich  so  sehr 
essein  können,  dass  die  letzte  persönliche  Ausbildung,  die  Du  Dir  noch 
schuldig  bist,  darunter  leiden  mag.  Um  die  verlorne  Jagdlust  ist  wahrlich 
licht  Schade.  Der  Militairposten  scheint  mir  ein  sehr  schöner  Ersatz 
iafür  zu  seyn.  Ja,  mein  ||  Guter,  es  ist  mein  Ernst!  Dir,  dünkt  mich, 
st  diese  bedeutungsvolle  Gymnastik  in  so  vieler  Hinsicht  angemessen,  dass 

')  3  S.  4°- 

20  * 


ßo8  Dezember   1807. 


4  Wochen,  die  ihr  in  der  schönen  Jahreszeit  geopfert  seyn  wollen,  viel- 
leicht nicht  besser  angewandt  werden  könnten.  Wäre  es  auch  nur  die 
Berührung  mit  so  vielen  Landsleuten;  diese  Berührung  wird  dem  heran- 
gewachsenen Manne  eben  so  schätzbar  seyn,  als  sie  für  einen  unreifen 
Knaben  gefährlich  werden  kann. 

Von  Deinen  Brüdern  hätte  ich  gern  mehr  gelesen.  Sind  sie  während 
der   Belagerung  von   Kopenhagen  in   E[ngland]   geblieben? 

Von  Groten  habe  ich  Dir  schon  geschrieben;  vor  allem,  dass  August 
Gr[ote]  eine  Vollmacht  wegen  des  ihm  aufgetragenen  GeschäfTts  von  Dir 
braucht.  Er  wollte  Dir  selbst  schreiben.  Auch  Willhelm  Gr[ote]  hat 
mir  eine  Einlage  an  Dich  angekündigt.  Es  freut  mich  wenn  Du  ihrer 
gern  gedenkst.  Wenigstens  sind  sie  Dir  herzlich  gut.  Das  bist  Du  ver- 
wöhnter Mensch  aber  nur  allzusehr  gewohnt!  —  || 

Keller,  den  ich  während  der  letzten  Tage  vor  meiner  Abreise  häufig 
und  gern  sah,  soll  Dir  meine  pr.  Phil,  überbracht  haben.  Knös  hat  recht 
kräftig,  recht  gut,  recht  „freundschaftlich  geschrieben,  so  dass  mirs  lieb  war 
für  ihn  und  für  mich.  —  Toelken  ist  in  Berlin.  Wahrscheinlich  bey 
Fichte  und  Schleiermacher.  Er  lässt  noch  nichts  von  sich  hören.  Ver- 
muthlich  hat  er  mehr  Gewicht  fühlen  müssen,  als  der  junge  Mann  sich 
vorstellte.  Mit  Schleiermacher  habe  ich  Schüler  getauscht;  einer  der 
seinigen,  —  der  Sohn  des  Ministers  von  Vo — *)  hört  jetzt  bey  mir  pr.  Phil.; 
ich  habe  keine  sehr  grosse  Erwartung  von  Erfolg,  der  junge  Mann  lässt 
ein  wenig  den  Cavalier  und  zugleich  den  Ästhetiker  nach  neuestem 
Schnitt  blicken,  und  darum  pflegt  die  Philosophie  sich  nicht  viel  zu 
kümmern. 

Nun  eilig  zum  Schluss!  Sonst  geht  die  Post.  Viele  Empfehlungen 
an  die  Deinigen,  —  Leb  herzlich  wohl!  Dein   Herbart. 


x)  Vo —  wegen  des  Siegels  nicht  lesbar.     Von  Voß? 


Druck  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 


Carl   von   Steiger. 


JOH.  FRIEDR.  HERBART'S 

SÄMTLICHE    WERKE. 


JOH.  FR.  HERBART'S 

SÄMTLICHE  WERKE. 


IN  CHRONOLOGISCHER  REIHENFOLGE 


HERAUSGEGEBEN 


tKARL  KEHRBACH  und  OTTO  FLÜGEL 


SIEBZEHNTER    BAND. 


BEARBEITET 


THEODOR  FRITZSCH. 


LANGENSALZA 

HERMANN  BEYER  &  SÖHNE 

(BEYER  &  MANN) 

Herzogl.  Sachs.  Hofbuchhändlbr 

1912 


BRIEFE  VON  UND  AN 

J.  F.  HERBART. 

URKUNDEN  UND  REGESTEN  ZU  SEINEM  LEBEN 
UND  SEINEN  WERKEN. 

MIT  VIER  BILDERN. 
2.  BAND. 

(VON   1808  — 1832.) 

MIT  EINEM  BILDE  CARL  VON  STEIGERS. 


VON 


THEODOR  FRITZSCH. 


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LANGENSALZA 

HERMANN  BEYER  &  SÖHNE 

(BEYER  &  MANN) 

Herzogl.  Sachs.  Hofbuchhändler 

1912 


Alle  Rechte  vorbehalten. 


Briefe  von  und  an 

J.  F.  Herbart. 

Urkunden   und  Regesten  zu   seinem  Leben   und   seinen   Werken. 


Von 

Theodor  Fritzsch. 
II. 


Herbarts  Werke.     XVII. 


„Briefe  gehören  unter  die  wichtigsten 
Denkmäler,  die  der  Mensch  hinterlassen  kann  . . . 
Was  uns  freut  oder  schmerzt,  drückt  oder  be- 
schäftigt, löst  sich  von  dem  Herzen  los,  und 
als  dauernde  Spuren  eines  Daseins,  eines  Zu- 
standes  sind  solche  Blätter  für  die  Nachwelt 
immer  wichtiger,  je  mehr  dem  Schreibenden 
nur  der  Augenblick  vorschwebte,  je  weniger 
ihm  eine  Folgezeit  in  den  Sinn  kam.*' 

Goethe. 


1808. 


Hauptpunkte    der   Metaphysik    und    Hauptpunkte    der  Logik.     (Zweite,    für    den  Buch- 
handel bestimmte  Ausgabe.)     S.  Bd.  II.    S.  175 — 226.  —  Allgemeine  praktische  Philo- 
sophie.    S.  Bd.  II.     S.  329 — 458.  —  Replik  Herbarts  auf  Böckhs  Rezension. 

S.  Bd.  I.     S.  342—348. 

216.    An    Smidt1)  Göttingen   i7ten  Jan.    1808. 

Mein  theurer  Freund!  Seit  langem  freute  ich  mich  auf  die  guten 
Stunden  einer  reinen  Muße,  die  ich  mit  Dir  verplaudern  wollte,  indem 
ich  Dich  durch  die  Uebersendung  meiner  jetzt  fertig  gewordenen  philo- 
sophischen Arbeiten  an  unsere  alten  gemeinsamen  Studien  erinnern  würde. 
Die  Muße  ist  da;  die  reine  heitere  Stimmung,  die  man  dem  Freunde 
gern  mitzutheilen  sucht,  gleichfalls,  trotz  der  allgemeinen  Calamität,  an  der 
ich  mit  den  Übrigen  leide.  Aber  zu  meinem  Bedauern  sehe  ich  mich 
genöthigt,  Dich  mit  einer  Bitte  zu  belästigen,  die  von  eben  dieser  Calamität 
herrührt. 

Zu  der  fast  allen  Begriff  übersteigenden  Contribution ,  welche  vor- 
gestern angesagt  ward,  und  am  1  sten,  loten  und  2osten  Februar  ab- 
getragen werden  soll,  bin  ich  mit  1500,  sage  tausend  fünfhundert  Franken 
angesetzt.  —  Dass  hier,  in  diesem  Augenblicke,  selbst  gegen  die  höchsten 
Zinsen  kein  Geld  zu  haben  ist,  versteht  sich;  wie  selten  die  baare  Münze 
in  meinem  Vaterlande  ist,  habe  ich  nur  vor  kurzem  durch  sehr  verzögerte 
Zahlungen  erfahren.  Ueberdem  ist  der  Administrator  meiner  Capitalien, 
der  Assessor  Wardenburg  zu  Neuenburg,  [2]  den  seine  Amtsgeschäfte 
fast  erdrücken,  eben  jetzt  im  ersten  Genuß  der  ehelichen  Freuden.  Ich 
wende  mich  also  an  Dich  mit  der  Bitte,  mir  die  genannte  Summe  in 
Bremen  zu  schaffen.  Ich  muss  sie  auf  allen  Fall  zu  erhalten  wünschen, 
selbst  wenn  hohe  Zinsen  gefordert  würden.  Wahrscheinlich,  aber  nicht 
gewiss,  kann  ich  morgen  einen  Brief  vom  hiesigen  Kaufmann  Backhaus 
an  Dich  senden,  in  welchem  er  ein  dortiges  Handelshaus  zu  bewegen 
suchen  wird,  die  Summe  herzuleihen,  im  Fall  es  Dir  zu  lästig  seyn  sollte, 
sie  auf  andere  Weise  zu  besorgen.  Die  Rückzahlung  kann  dann  allmählig 
durch  Wardenburg  geschehen. 

—  Die  an  sich  traurige  Ueberzeugung,  dass  viele  hiesige  Familien 
durch  diesen  Schlag    noch    ungleich    härter    getroffen    werden  müssen    als 

*)  6  S.  4*. 


a  Januar   1808. 

ich,  der  ich  für  den  Augenblick  wenigstens  nur  für  mich  zu  sorgen  habe 
—  bringt  mich  dahin  dass  ich  mich  über  die  unangenehme  Empfindung 
leicht  hinwegsetze  die  von  einem  Vermögens -Verlust  bey  so  sehr  ver- 
schlimmerten Aussichten  aller  Art,  freylich  nicht  ganz  zu  trennen  ist.   —  — 

Im  Ganzen  kann  ich  sagen,  dass  ich  mich  jetzt  manchmal  mit  einem 
Ueberfluss  von  Heiterkeit  versehen  fühle,  seitdem  die  notwendigsten 
Arbeiten  geendigt  vor  mir  liegen.  Ich  habe  Sorgen  getragen  die  der  Zeit 
unmittelbar  nicht  angehörten,  und  bin  von  Aufgaben  gedrückt  gewesen, 
die  für  die  wandelbaren  Stimmungen  einer  nicht  robusten  Gesundheit  zu 
gross  schienen.  Jetzt  [3]  fehlt  mir  unter  allen  Dingen  am  meisten  der 
gleichgestimmte  Freund,  dem  ich  mein  Inneres  mittheilen  könnte.  Die 
Einsamkeit,  die  ich  liebte,  wird  mir  jetzt  oft  zur  Plage,  seit  sie  weniger 
unentbehrlich  ist.  Wie  viel  gäbe  ich  darum,  jetzt  die  müssigen  Augen- 
blicke eines  alten  Freundes  für  mich  gewinnen  zu  können!  Mit  Dir,  mein 
Theurer,  würde  ich  gewiss  manchen  öffentlichen  und  eignen  Schmerz  auf 
solche  Weise  theilen  können,  dass  das  Widrige  selbst  sich  in  den  Stoff 
eines  erfreuenden  und  stärkenden  Gesprächs  verwandeln  müsste.  Gönne 
Du,  darum  bitte  ich,  zuweilen  einen  ruhigen  Augenblick  meinen  Büchern, 
da  ich  ihn  für  mich  nicht  gewinnen  kann.  Du  findest  mich  darin.  Und 
ich  finde  Dich,  wenn  einmal  das  Wiedersehen  uns  beschieden  ist,  desto 
mehr  als  den  Vertrauten,  dem  ich  von  meiner  Seite  mich  desto  eher  und 
leichter  wieder  anfügen  kann.  Magst  Du  mir  schreiben,  so  kann  ich  auch 
jetzt  den  schriftlichen  Gruss  eher  erwiedern,  und  brauche  nicht  mehr  als 
ein   Undankbarer  zu  erscheinen. 

Diese  Zeit,  die  so  manchen  Glauben  zerstörte,  hat  mir  weder  den 
Glauben  an  edle  Herzen,  noch  an  die  Wissenschaft  geraubt.  Vielmehr, 
ich  bin  gerade  fortgeschritten  und  schreite  noch  fort  in  wissenschaftlicher 
Klarheit.  Kein  Rückschritt  ist  nöthig  gewesen.  Die  practische  Philosophie, 
auf  Göttingenschem  Boden  gewachsen,  keimte  in  Bremen;  die  Rechnungen, 
mit  denen  ich  im  Jahre  1800  als  Dein  Schützling  beschäftigt  war,  sind 
jetzt  mit  denselben  Formeln  in  meiner  [4]  Metaphysik  gedruckt,  nachdem 
sie  sich  durch  eine  Anwendung  auf  die  theoretische  Musik  auffallend  be- 
währt haben.  Freylich  die  Ausarbeitung  der  Psychologie  steht  noch  bevor; 
und  der  Winter  entzieht  mir  immer  eine  gewisse  Gunst  von  aussen,  deren 
ich  zu  feinern  Untersuchungen  bedarf.  Aber  dennoch  springen  die  Funken 
so  oft  ich  an  den  Felsen  schlage;  und  ich  weiss  aus  Erfahrung  was  dies 
Phänomen  bedeutet.  —  Einzelne  haben  sich  meiner  Grundsätze  bemächtigt, 
und  sie  mitgenommen  nach  Polen  und  Schweden  —  und  hoffentlich  darf 
ich  auch  Deutschland  noch  nennen,  —  unser  armes  Vaterland  das  freilich 
nicht  weiss  wie  lange  ihm  die  Musen  noch  hold  seyn   werden. 

Ich  hoffe  das  Angefangene  noch  zu  enden.  Meine  Gesundheit  ist 
stärker  geworden,   besonders  seit  ich  häufig  reite. 

Ich  habe  Dir  von  mir  erzählt,  weil  ich  glaube  dass  es  Dich  freut, 
und  weil  ich  mit  dieser  Freude  Dir  gern  etwas  von  dem  Dank  bringen 
möchte,  der  für  Dich,  und  für  unsern  trefflichen  Kulenkamp,  in  meiner 
Seele  auf  immer  lebendig  ist. 

Vielleicht  soll  ich  noch  etwas  von  meinem  äussern  Leben  hinzusetzen. 
Das    beschränkt    sich    nun    freylich    meist    auf    meine    3    Collegien,     unter 


Februar  1808. 


denen  wenigstens  die  philosophische  Einleitung  ordentlich  genug  besetzt 
ist.  Ohne  literarischen  Namen  in  der  philosophischen]  Welt  durfte  ich 
bisher  nicht  mehr  erwarten.  [5]  Manchmal  gehe  ich  doch  auch  aus,  um 
Heeren,  Heyne,  Blumenbach,  Plank,  Bouterweck,  Stäudlin,  zu  besuchen. 
Bouterweck  hat  sich  seit  einiger  Zeit  sehr  gefällig  gegen  mich  gezeigt. 
Nur  Schade,  der  Mann  hört  so  schwer,  dass  er  sein,  freylich  angenehmes 
und  unterrichtendes,  Gespräch  fast  allein  führen  muss.  Ueberhaupt  lässt 
man  es  an  einer  gewissen  guten  Aufnahme  gegen  mich  nicht  fehlen,  und 
dass  manches  Verhältniss  nicht  enger  geknüpft  ist,  daran  bin  ich  allein 
selbst  Schuld,  durch  die  Zurückgezogenheit  die  ich  mir  auflegte,  und  zu 
Gunsten  meiner  Psychologie  noch  eine  Zeitlang  behaupten  werde.  Am 
liebsten  sehe  ich  die  treffliche  Familie  [v.  Grote]  in  Jühnde,  die  es  diesen 
Winter  beweist,  dass  sie  die  Einsamkeit  zu  ertragen  weiss.  —  Neulich  über- 
raschte mich  Niemeyer  auf  seiner  Durchreise,  und  zwar  als  Hospitant  in 
meiner  Pädagogik.  Wir  sind  uns  so  nahe  gekommen,  dass  ich,  wenn  die 
Gelegenheit  es  herbeiführte,  mich  mit  Zutrauen  an  ihn  wenden  würde.  — 
Wie  viel  hätte  ich  nun  noch  zu  fragen!  Zuerst,  was  leider  am 
wenigsten  in  eine  kurze  Antwort  sich  einpressen  will,  wie  Du  lebst,  emp- 
findest, denkst.  Dass  Du  viel,  sehr  viel  handelst,  weiss  ich;  —  dass  Du 
auch  bauest,  und  unter  anderm  schönes  Obst  bauest,  davon  hast  Du  mich 
neulich  durch  ein  liebes  kleines  Geschenk  selbst  benachrichtigt.  Schwer- 
lich gönnst  Du  aber  dem  freundschaftlichen  Umgange  viel  Zeit,  [6]  oder 
wird  noch  häufig  zwischen  Dir  und  Hörn  jene  Masse  von  muntern  Ein- 
fällen hin  und  hergespielt,  woran  Ihr  vormals  so  reich  wart?  Koppen 
wenigstens  muss  nach  dem  was  ich  höre,  an  dieser  Gesellschaftlichkeit 
wenig  Antheil  gehabt  haben.  Thulesius  soll  sehr  still  und  ernst  geworden 
seyn.  —  Deine  Hanne  ist  nun  ohne  Zweifel  schon  ziemlich  mädchenhaft, 
und  wird  allmählig  die  Vorboten  der  Jungfräulichkeit  hervorblicken  lassen, 
—  wenn  sie  schon  zur  Jungfrau  selbst  noch  lange  Zeit  hat.  Und  Deine 
liebe  Frau?  Die  ist  gewiss  immer  thätig,  und  recht  eigentlich  häuslich. 
Und  Deine  Schwester?  Vieles  von  dem  alien  wüsste  ich,  wenn  Günther 
tiefer  in  Euer  ganzes  Leben  hätte  eingeweiht  werden  können.  Es  schmerzt 
mich  so  oft  ich  daran  denke,  dass  er  seinen  Platz  nicht  vollkommen  aus- 
gefüllt hat.  Hier  studirt  er  wacker,  was  sein  nächstes  Ziel  erheischt.  Wie 
geht's  mit  Petri?  —  Doch  ich  muss  aufhören  zu  fragen;  es  wird  Zeit  an 
die  Post  zu  denken.  Also  allen  den  Genannten  und  den  Nolteniern 
(vorzüglich  aber  der  An  Noltenius)  und  wer  sich  sonst  meiner  erinnert, 
meine  herzlichsten  Grüsse  und  die  sehr  angelegentliche  und  ernstliche 
Bitte,  dass  man  mich  nicht  vergessen  wolle.  Wie  unser  trefflicher  Kulen- 
kamp  lebt,  und  ob  er  wohl  noch  mit  alter  Zuneigung  an  mich  denkt:  — 
das  möchte  ich   besonders  gern   wissen. 

Auf  immer  Dein   H. 

217.    All    Smidt.1)  Göttingen   15.  Febr.    1808. 

Mein  theuerster  Freund !   Eine  Reihe  der  unangenehmsten  Beschaff ti- 
gungen  und  Stimmungen  ist  aufs  angenehmste  unterbrochen  worden  durch 


])  3  S.  4°.  —  Adr.:  Dem  Herrn  Senator  Smidt  zu  Bremen. 


6  April   1808. 

Deine  beyden  trefflichen,  herzlichen  und  so  ganz  freundschaftlichen  Briefe! 
Möchtest  Du  es  wissen  können,  wie  wohl  eine  solche  schnelle  Fürsorge, 
und  solche  Einladungen  einem  Herzen  thun,  das  zuweilen  sich  in  Gefahr 
glaubt,  zu  veröden!  Nimm  meinen  aufrichtigsten  Dank.  Du  bist  im  Besitz 
dessen,  mein  Wohlthäter  zu  seyn. 

Ich  hoffe  dass  nach  3  Monaten  wenigstens  ein  beträchtlicher  Theil 
der  Summe  füglich  wird  abgetragen  werden  können.  Und  sollte  es  nöthig 
seyn,  so  muss  auch  das  Ganze  geschafft  werden  können.  Darüber  haben 
wir  ferner  zu  sprechen.   [2] 

Wie  gern  ich  nach  Bremen  käme!  Aber  mein  Bester,  ist  es  nach 
so  außerordentlichen  Ausgaben  Zeit  zu  reisen? 

Alles  ist  jetzt  so  dunkel  —  dass  ich  recht  oft  daran  ernstlich  denke, 
ganz  von  diesem  Orte  wegzureisen.  Ich  habe  jetzt  Schüler  in  entlegenen 
Gegenden,  im  ganzen  Norden  und  Osten  von  Europa.  Nicht  viele  zwar, 
aber  brauche  ich  ihrer  noch  mehrere?  Dennoch,  könnte  Göttingen  seinen 
alten,  wahren  und  tiefgegründeten  Werth  als  Lehranstalt  für  Europa  be- 
haupten, so  duldete  ich  wohl  ferner  einen  untergeordneten  äussern  Rang, 
eine  schlechte  Einnahme;  und  suchte  mir  den  harten  Boden  durch  Arbeit 
vollends  weich  zu  machen.  —  — 

Ich  werfe  das  nur  hin,  um  Dir  zu  zeigen,  dass,  entschlösse  ich  mich 
in  diesem  Augenblick  zu  reisen,  ich  darin  zugleich  eine  Rückkehr  be- 
schliessen  müsste,  die  mir  [3]  widrig  werden  könnte.  Wem  zu  Hause 
nicht  wohl  ist,  dem  wird  noch  übler,  wenn  er  heim  kommt  von  einer 
Zerstreuung. 

Mehreres,  dessen  zu  erwähnen  ich  jetzt  nicht  Zeit  habe,  muss  sich 
erst  aufklären,   ehe  ich  etwas  beschliessen  kann. 

Willst  Du  wol  gelegentlich  an  Petri  meinen  herzlichsten  Dank  für 
seinen  Brief  bestellen  lassen?  Es  fehlt  mir  jetzt  an  Müsse  ihm  zu  ant- 
worten auf  das  was  er  mich  gefragt  hat,  oder  eigentlich  noch  fragen  will. 
Erwünscht  wäre  es  mir,  wenn  er  mir  den  Gegenstand  worüber  ich  meine 
Meinung  sagen  soll,  schriftlich  etwas   mehr  entwickelte. 

Meine  freundlichsten  und  dankbarsten  Grüsse  an  Alles  was  zu  Dir 
gehört  und  an   mich  denken  mag.  Ganz  der  Deine  H. 

218.   An  Carl  v.  Steiger.  Göttingen  n.  April  1808. 

Dein  Brief  aus  Nürnberg,  mein  Guter,  traf  hier  ein  zu  einer  Zeit, 
wo  eine  sehr  böse  Laune  in  Göttingen  epidemisch  war,  und  Du  musst 
nicht  zürnen  dass  ich  mich  gehütet  habe,  Dich  damit  anzustecken.  Eine 
gezwungene  Anleihe  sollte  in  sehr  kurzer  Zeit  herbeigeschafft  werden,  von 
der  Du  den  Massstab  haben  wirst,  wenn  ich  Dir  sage,  dass  ich  allein 
1500  Franken  dazu  beytrage.  Es  ist  zwar  die  Rede  von  künftiger 
Repartition  auf  das  ganze  Land,  denn  bis  jetzt  sind  nur  die  Wohlhabenden 
angesetzt  gewesen.  Aber  das  ist  weit  aussehend;  wir  haben  nur  Quitungen, 
nicht  Schuldscheine  empfangen.  —  Bald  nachdem  der  erste  Schmerz 
hierüber  verwunden  war,  traten  Studentenunruhen  ein;  die  Herren  hatten 
sich  auf  eine  sehr  gewöhnliche  Weise  entzweyt  und,  sonderbar  genug!  ihr 

*)  4  S.  4Ü.  —  Adr. :  An  Hrn.  Baron  Karl  Steiger  von  Riggisberg  zu  Bern. 


April   1808.  y 

gewöhnliches  Mittel,  alle  Knoten  zu  zerhauen,  verschmäht,  indem  sich 
zwey  Partheyen  gegenseitig  für  Satisfactionsunfähig  erklärten;  es  kam  also 
zu  Stockschlägen  auf  den  Strassen;  darüber  geriethen  unsere  neuen  Obrig- 
keiten in  Bewegung;  24  Stunden  lang  waren  die  Thore  gesperrt.  Herr 
v.  Müller,  Dein  Landsmann  und  Deines  Vaterlands  berühmter  Geschicht- 
schreiber, jetziger  Staatsrath  und  Curator  aller  Universitäten1),  ||  ward  nach 
Göttingen  bemüht;  aber  zu  der  Zeit  wurden  die  Partheyen  des  Streits 
müde,  und  verglichen  sich;  —  jetzt  sind  wir  ruhig.  —  Aber  das  Pein- 
lichste, eine  grosse  Ungewissheit  in  Ansehung  unserer  künftigen  Einrichtungen, 
dauert  noch  fort.  Dies,  verbunden  mit  der  gezwungenen  Anleihe,  macht, 
dass  ich  fürs  erste  den  Gedanken,  zu  reisen,  bey  Seite  gelegt  habe. 
Uebrigens  ist  immer  noch  zu  vermuthen,  dass  die  Academie  im  Gange 
bleiben  wird  wie  sie  war. 

Unterdess  ist  ein  Brief  von  Grote  an  Dich  in  meinem  Pulte  alt  ge- 
worden, welches  ich  zu  verzeihen  bitte.  Dieser  Brief  wird  noch  heiter 
genug  geschrieben  seyn;  möchte  unser  Freund  nur  jetzt  noch  in  der  näm- 
lichen Stimmung  schreiben  können!  Aber  ihn  und  seine  Familie  drückt 
die  tiefste  Trauer,  eine  Trauer,  die  wir  beyde,  mein  Guter,  nur  allzu 
schmerzlich  theilen  werden!  Die  schönste  Zierde  und  die  beste  Stütze 
dieses  Hauses  ist  dahin.  —  Noch  vor  ungefähr  drey  Wochen  war  der 
Minister  hier  auf  meinem  Zimmer,  er  verweilte  lange,  sprach  sehr  offen, 
sehr  freundlich,  rühmte  seine  Gesundheit,  prieß  sich  glücklich  als  Vater 
von  6  Kindern  die  alle,  alle  ohne  Ausnahme  ihm  Freude  machten.  Es 
wehte  ein  heftiger,  sehr  kalter  Wind;  ich  bat  ihn,  nicht  hinauszureiten. 
Er  verweilte  bis  zum  folgenden  Tage  in  Göttingen;  kam  gesund  an  in 
Jühnde;  exponirte  sich  aber  ||  am  folgenden  Tage  in  seinem  Garten,  wo 
er  die  Arbeiter  anwies.  Die  Folge  war  eine  Lungenentzündung;  heftiges 
Fieber,  Erneuerung  alter  Übel  des  Unterleibes.  Willhelm  musste  von 
Hannover  herübereilen.  Und  in  dessen  Armen  schloss  er  nach  wenigen 
Tagen  das  Auge. 

Wie  es  mich  schmerzt,  diesen  Winter  nicht  öfter  in  Jühnde  gewesen 
zu  seyn!  Nur  ein  einzigesmal,  zu  Neujahr,  war  ich  dort;  damals  sah  ich 
den  Mann  zum  letztenmale  unter  den  Seinen.  Jetzt  vor  einigen  Tagen 
—  sah  ich  die  Seinen  ohne  ihn.  Eins  kam  nach  dem  Andern,  mich  zu  be- 
grüssen  mit  einem  Strom  von  Thränen.  Die  Grossmutter  erzählte:  noch 
vor  14  Tagen  habe  er  seiner  Gattin  versichert,  er  liebe  sie  heute  wie  am 
Tage  ihrer  Verbindung.  Und  diese  nun  so  trostlose  Gattin  hatte  von 
ihm  gesagt:  „er  war  die  Seele  meiner  Seele1'.  Und  wir  alle  kannten  ihn 
ja  als  die  Seele  des  Hauses.  —  Auf  die  Söhne  lasten  jetzt  sehr  drückende 
Geschaffte.  —  Der  jüngere,  der  in  Cassel  sehr  hervorgezogen  worden 
war,  ist  jetzt  Präfectur  -  Rath  geworden,  eine  Stelle,  die  einiges  Ansehen 
giebt,  aber  nur  300  Thlr.  Gehalt.  Auch  so  gut  ist  es  dem  altern  noch 
nicht  geworden. 

Unter  diesen  Umständen  wirst  Du  schwerlich  fragen  ob  Deine  Voll- 
macht von  Erfolg  gewesen  ist.     Aug.  Grote  hat  an  derselben  auszusetzen, 


J)  Kohlrausch,    Erinnerungen    aus    meinem    Leben,    Hannov.    1863,    S.   112. 
Hartenstein,  Herbart's  Kl.  Sehr.,  Lpzg.   1842,  I,  S.  LXVII. 


8  April  1808. 

dass  sie  nicht  vor  einem  Notar  gemacht  ist;  er  hat  übrigens  Nachricht 
dass  Dein  Schuldner  in  sehr  üblen  Umständen,  und  schwerlich  etwas  bey 
ihm   zu  haben   ist. 

Dass  bey  der  ehemaligen  fr[eien]  Reichsstadt  Nürnberg  auch  nicht 
viel  zu  haben  ist,  ||  dies  ist  weltbekannt;  und  so  konnte  ich  nicht  in  Ge- 
fahr gerathen  mich  an  Deiner  Mission  übermäßig  zu  freuen,  als  wäre  es 
eine  sichere  Gelegenheit  für  Dich,  recht  grossen  Dank  bey  Deinen  Lands- 
leuten zu  ärndten.  Gleichwohl  wünsche  ich  Dir  herzlich  Glück  zu  dem 
Vertrauen  das  Du  gewonnen,  und  ohne  Zweifel  selbst  durch  den  unvoll- 
ständigen Erfolg  zu  bevestigen  gewusst  hast.  Möge  nur  Deinem  Hrn. 
Vater  der  Zweck  seiner  Reise  vollständig  gelingen,  und  er  bald  wieder 
in  voller  Gesundheit  zu  Dir  und  zu  seinem   Hause  zurückkehren. 

Von  München  hätte  ich  wohl  einige  Nachrichten  durch  Dich  zu  er- 
halten hoffen  können,  wovon  in  Deinem  Briefe  nichts  steht.  Vielleicht 
ersetzt  das  Sievers,  der  kürzlich  abgereist  ist,  um  über  Wien  nach  Hause 
zu  gehen  und  dem  ich  einen  Brief  an  Jakobi  mitgegeben  habe.  Im 
Moment  seiner  Abreise  machte  er  durch  Rückkehr  des  alten  herzlichen 
Vertrauens  aufs  vollständigste  wieder  gut,  was  früher  gefehlt  war.  Auch 
hat  er  mir  schon  geschrieben,  von  Heilbronn  aus.  Der  Brief  ist  sehr  ge- 
scheut, voll  von  interessanten  Nachrichten  für  mich.  Unter  anderem  dass 
Fries  in  Heidelberg  mich  angegriffen  hat.  Von  der  Seite  hatte  ich  es 
eben  nicht  erwartet.  Noch  ist  mir  nichts  zu  Gesichte  gekommen.  Der 
Schlag  wird  nicht  allzu  schwer  niederfallen;  vielleicht  ist  es  nur  eine  gute 
Gelegenheit,  einmal  öffentlich  wieder  einen  bessern  Ton  anzustimmen,  als 
der  jetzt  gewöhnliche. 

Mich  beschäfftigt  fortwährend  die  Psychologie.  Meine  Gesundheit  ist 
gut.  Im  Winter  ist  die  Musik  mit  Gewalt  über  mich  gekommen,  und 
ich  habe  ein  paar  Sonaten  —  schreiben  müssen,  von  denen  eine  wahr- 
scheinlich gestochen  wird.  Unterholzner  aus  München  und  Baron  Richt- 
hofen  aus  Schlesien  sind  gute  Zuhörer,  Toelken  hat  noch  gar  nicht  an 
mich  geschrieben.  —  Findest  Du  Muße  für  die  pract[ische]  Philosophie], 
so  soll  es  mir  lieb  seyn  davon  mehr  zu  vernehmen.  Griepenkerl  kommt 
wahrscheinlich  zu  Fellerberg.  Aber  —  nicht  wie  ich  wünschte,  nicht,  wie 
es  ihm  recht  gewesen  wäre.  Konnte  ich  auch  nicht  erwarten  dass  er 
dort  eine  Lage  finden  werde,  wie  sie  mir  einst  durch  Deinen  edeln  Vater 
gegönnt  ward,  so  hoffte  ich  doch  ein  Familienleben  für  ihn.  Das  ver- 
sprach der  Brief  der  Mad[ame]  Huber;  etwas  ganz  anderes,  —  ein  In- 
stitut, wo  es  einen  Haufen  von  Kindern,  wo  es  Collegen  giebt,  wo  fürerst 
Pestalozzische  Methode  studirt  werden  soll!  —  kündigt  der  nun  endlich 
erfolgte  Brief  des  Hrn.  Fellenberg  an.  Wie  die  Sache  vor  mir  liegt  ist 
es   eine  saubere  Inconsequenz;  ich  habe  genug  daran. 

Und  auch  Du  mein  Guter  wirst  genug  haben  an  diesem  langen 
Briefe.  Also  leb  wohl  und  empfiehl  mich  den  Deinigen.  Dasmal  ins- 
besondere dem   Franz;  ich  freue  mich,  dass   Du  ihn  rühmst. 

Dein  H. 


Juni   t8o8.  q 

219.     Griepenkerl  an  H.1)  Hofwyl,  4.  Juni  1808. 

Was  werden  Sie  von  mir  denken,  Herr  Professor,  daß  ich  nach  Hofwyl  ge- 
reist bin,  ohne  mich  Ihnen  noch  ein  Mal  zu  empfehlen,  wie  ich  versprochen  hatte? 
—  ich  habe  mich  selbst  durch  diese  unverzeihliche  Versäumniß  beraubt;  aber 
auch  einen  recht  trüben  Augenblick  habe  ich  mir  erspart.  Braunschweig  hatte  mich 
zu  lange  gefesselt,  ich  stahl  mich  dort  endlich  weg  und  kam  bei  Nacht  mit  der 
Post  nach  Göttingen.  Mit  reuigem  Herzen  bin  ich  an  Ihrer  Wohnung  vorüber  ge- 
gangen und  habe  lange  zu  dem  Zimmer  hinauf  gesehen,  wo  ich  die  schönsten 
Stunden  meines  Lebens  zubrachte.  Daß  sie  mir  ewig  unvergeßlich  bleiben  werden 
ist  wahrlich  nicht  mein  Verdienst.  Wäre  hier  nur  der  Schatten  von  dem,  was  ich 
in  Göttingen  verließ,  ich  würde  zufrieden  sein,  aber  so  ganz  ohne  alles,  ohne  jenen 
Geistesgenuß  ohne  die  herrlichen  Freunde,  ohne  alle  herzliche  Mittheilung  —  —  Es 
ist  ein  wahres  Glück,  daß  ich  nicht  Hypochonder  bin  und  daß  Herr  Fellenberg  eine 
Bibliothek  besitzt. 

Von  Hofwyl  möchte  ich  Ihnen  gern  viel  erzählen,  wenn  ich  nur  schon  viel 
davon  wüßte.  Hier  ist  ein  ökonomisches  Institut,  was  aus  lauter  erwachsenen  Zög- 
lingen besteht.  |j  Die  eigentliche  Erziehungsanstalt  ist  noch  so  sehr  im  Werden, 
daß  sie  bis  jetzt  nur  aus  Felienbergs  Kindern  und  dem  kleinen  Huber  besteht.  In 
weniger  als  6  Wochen,  spricht  man,  sollen  mehrere  kommen.  Bis  dahin  werde  ich 
in  Yverdun  Pestalozzis  Lehrmethode  studiren  und  zwar  so,  daß  ich  mich  mit  unter 
die  Kinder  setze  und  Zögling  mit  bin.  Der  Gedanke  macht  mir  viel  Scherz,  wenn 
nur  auch  die  Sache,  ich  glaube  an  keinen  Nachtheil,  den  dieser  Versuch  für  mich 
haben  könnte,  und  dann  ist  höchstens  die  Zeit  verloren  —  nicht  einmal  verloren, 
gewiß  nicht. 

Wenn  ich  die  vielen  Geschäfte  des  Herrn  Fellenberg  sehe,  wie  er  von  seinem 
ökonomischen  Institute  beständig  ganz  gefangen  genommen  ist:  so  schmeichle  ich  mir, 
daß  das  künftige  Institut  vielleicht  etwas  nach  meinem  Kopfe  geheu  mag.  Auch 
versichert  mich  Herr  Fellenberg  oft,  daß  er  bereitwillig  jede  bessere  Ansicht  auf- 
nehmen werde.  Sollte  ich  nicht,  um  mir  dadurch  mehr  Vertrauen  uud  freiere  Ein- 
wirkung zu  verschaffen,  Pestalozzis  Orakel  willig  hören?  Wollte  nur  der  Himmel, 
ich  wäre  stark  genug,  Ihre  Pädagogik  mit  eben  der  Energie  und  Umfassungskraft 
anzuwenden,  ||  als  sie  von  Ihnen  gedacht  ist!  Wäre  ein  Kräftigerer  hier  in  meiner 
Stelle,  ich  glaube,  es  könnte  viel  geschehen.  Mein  einziges  Verdienst  mag  sein,  daß 
ich  jenen  Feichthum  bei  mir  sehr  sorgfältig  unter  Schloß  und  Riegel  halte.  Je 
genauer  ich  aufmerke  auf  meine  Umgebung,  desto  fester  wird  bei  mir  der  Gedanke, 
daß  ich  nur  im  Trüben  fischen  darf,  daß  ich  nicht  vorher  sagen  darf,  daß,  und  wie, 
und  woher. 

Pestalozzis  Institut  soll  sehr  fortgerückt  sein  in  den  letztverflossenen  zwei 
drei  Jahren;  besonders  nennt  man  mir  die  Übungen  der  Anschauung.  Nach  allem, 
was  ich  darüber  habe  erhorchen  können,  scheint  es  mir,  als  habe  man  dort  Ihr 
A.  b.  c.  der  Anschauung  sehr  sorgfältig  studirt.  Nun,  ich  werde  ja  sehen.  Aber 
freuen  sollte  es  mich  außerordentlich,  Sie  dort  wiederzufinden,  wenn  auch  mit  Ver- 
schweigung des  Meisters  — :  es  fehlt  auf  so  manchem  vortrefflichen  Gemälde  der 
Name  des  vortrefflichen  Künstlers. 

Es  sind  mir  in  dieser  Zeit  viele  Werke  über  und  aus  Pestalozzis  Anstalt  in 
die  Hände  gegeben.  Alle  ereifern  sich  sehr,  daß  Pestalozzis  Gegner  die  Grundidee 
seiner  Methode  nicht  gefasst  hätten,  alle  bemühen  sieh  sehr,  diese  Idee  ans  Licht 
zu  stellen,  ich  habe  wirklich  ||  mein  eigenes  Licht  noch  mit  hinzugestellt  und  nichts 

*)  4  S.  4°.     H.  Wien. 


IO 


Juli   1808. 


gefunden,  als  Stücke,  die  kein  ganzes  geben  wollen,  am  wenigsten  eine  Grundidee, 
ich  mag  sie  drehen  und  wenden  wie  ich  will. 

Viel  "Wesens  macht  man  aus  einer  neuerfundenen  Art,  die  Musik  zu  lehren, 
ich  hoffte  Wunderdinge  zu  sehen  und  Aufschlüsse  zu  finden,  die  meiner  schwachen 
Seite  sehr  willkommen  gewesen  wären  — :  es  waren  Armseligkeiten,  durch  die  man 
den  Takt  lehrt,  und  das  Kombiniren  von  fünf  Tönen,  und  ohne  weiteres  die  Tonarten, 
obendrein  die  Moltonart  falsch. 

Noch  muß  ich  Ihnen  erzählen,  daß  H.  Zeller  ein  Schüler  Pestalozzis,  hier  in 
Hofwyl  auf  Befehl  der  Regierung  50  Schulmeister  in  der  Pestalozzischen  Lehr- 
methode unterrichtet.  Man  muß  gestehen,  mit  vielem  Erfolg.  Dieser  Mann  ist 
sehr  stolz,  begegnet  jedem  verächtlich  und  fühlt  sich  einen  Gott  im  Besitze  fremden 
Eigentums.  Das,  sagt  mir  Herr  Eellenberg  selbst,  sei  die  üble  Angewohnheit  aller 
Schüler  Pestalozzis.  Wie  wird  es  mir  Armen  ergehen!  Ein  wenig  Muth  und  ein 
wenig  Geduld,  hoffe  ich,  sollen  mir  glücklich  hindurch  helfen.  Es  bleibt  mir  jetzt 
nichts  mehr  übrig,  als  mich  Ihnen  mit  dankbarem  Herzen  und  mit  der  innigsten 
Hochachtung  gehorsamst  za  empfehlen  J.  Griepenkerl. 


220.    An  v.  Halem.  Göttingen  n.juii  1808. 

Die  in  der  Eile  geschriebenen  Zeilen,  wozu  mich  jüngsthin  der  treff- 
liche Grote  bewog,  werden  Sie,  mein  Verehrtester!  erhalten,  und  nach- 
sichtig gelesen  haben.  —  Ihr  gütiger  Brief  hatte  mir  einen  Schmerz  mit- 
getheilt,  der  mich  arm  fand  an  Trost;  ja,  mich  nur  ärmer  machte,  während 
ich  ohnehin  schon  das  Leiden  der  Grote'schen  Familie  mit  ansah.  Mit- 
gefühl habe  ich;  und,  wenn  Sie  wollen,  auch  die  Erfahrung,  dass  diese 
Leiden  noch  immer  nicht  die  bittersten  sind.  —  Endlich,  dass  der  Ver- 
lust des  Lebens  in  diesen  Zeiten  weniger  zu  bedauern  ist  als  sonst,  darin 
sind  wir  wohl  alle  einig.  Das  Leben  mit  Anstand  zu  tragen,  es  nicht 
durch  eigne  Schuld  zu  verderben,  kostet  ja  gegenwärtig  schon  so  viel 
Mühe.  Unsre  Aussichten  sind  dunkel;  unsre  alten,  erfahrenen  Männer 
sind  beschäftigt  wie  die  Rettenden  bei  einer  Feuersbrunst  (so  in  der  That 
unser  würdiger  H[eyn]ne);  die  jüngeren  wissen  nicht,  wo  sie  einen  nur  leid- 
lich gangbaren  Fusssteig  suchen  sollen.  Umsonst  belebt  man  in  Einzelnen, 
die  wohl  ursprünglich  Sinn  dafür  haben,  höhere  Ideen;  —  wenigstens 
scheint  es  manchmal  umsonst  zu  seyn,  denn  die  Jugend  will  hoffen,  und 
was  ist  jetzt  zu  hoffen?  Da  ich  studirte,  war  es  anders.   — 

Aber  wir  müssen  herdurch;  wir  haben  zu  thun.  Auch  ich  muss 
herdurch;  durch  den  Schellingianismus  und  Mysticismus  auf  der  einen 
Seite,  durch  die  Angst  vor  aller  Philosophie,  ja  vor  allem  lauteren 
Sprechen,  auf  der  andern ;  endlich  herdurch  muss  ich  durch  die  alte  platte 
Indifferenz  derer,  die  den  grossen  Haufen  ausmachen,  und  deren  von 
jeher  die  grösste  Anzahl  gewesen  ist.  Ich  kenne  aus  innerer  Erfahrung 
eine  Kraft,  die,  allem  Widerwärtigsten  zum  Trotz,  dieselbe  bleibt;  aber 
aufgehalten  kann  sie  werden,  und  wenn  sie  von  aussen  gar  zu  sehr  ge- 
hemmt wird,  wirft  sie  sich  aufs  Innere  und  zerstört  die  Gesundheit,  und 
jede  Spur  vom   Wohlgefühl  des  Lebens. 

Sie  Hessen  mich  hoffen,  die  Oldenburgische  Regierung  werde  mich 
nicht  in  Verlegenheit  setzen.  Ich  habe  gezögert;  auf  eine  Gunst  der  Um- 
stände zu   warten;    sie   ist    ausgeblieben.     Desto    noth wendiger    wird  jetzt 


Juli   1808.  II 

mein  Gesuch.  Ich  muss  freye  Hände  haben.  Sie  werden  mir  erlauben, 
mich  in  Hinsicht  der  Sache  auf  meinen  vorigen  Brief  zu  beziehen;  und 
hier  nur  noch  einmal  um  Ihre  gütige  Unterstützung  und  Beschleunigung 
aufs  dringendste  zu  bitten. 

Sollten  Sie  den  beyliegenden  Aufsatz  nicht  zweckmässig  abgefasst  — 
vielleicht  zu  kurz  —  finden:  alsdann  freylich  muss  ich  um  Rücksendung, 
und  zugleich  um  einige  Winke  bitten,  wie  ich  ihn  füglicher  einrichten 
könne.  —  In  demselben  Falle  müsste  ich  mir  auch  den  Brief  an  Herrn 
Justizrath  Scholz  zurück  erbitten.  Ausserdem  werden  Sie  ihn  diesem 
gütigst  zustellen  lassen.  Ich  hielt  es  für  nöthig  an  HEn  Scholz  zu 
schreiben,  weil  eben  Er  mich  an  die  gerichtliche  Bestellung  des 
Administrators  gemahnt  hatte,  und  wahrscheinlich  ihm  nach  der  Einrich- 
tung das  Regierungs-Collegii  die  Besorgung  meiner  Angelegenheiten  zufällt. 
Sollte  ich  darin  irren,  so  möchte  ich  gern  darüber  berichtet  seyn.   — 

Findet  sich  ein  wenig  Müsse  mit  freundlicher  Erinnerung  an  mich, 
zusammen:  so  erzählen  Sie  mir  doch  ein  wenig  mehr  von  Ihren  Kindern. 
Ich  höre  gar  zu  gern  von  Ihrem  Paradiese,  —  so  wie  überhaupt  von  den 
irdischen   Paradiesen. 

Wenn  Halems  Werke  ankommen:  sende  ich  vielleicht,  um  den  Dank 
ein  wenig  zu  verkörpern,  ein  Schriftch-en  zurück,  wozu  Niethammers  Streit 
des  Philanthropinismus  und  Humanismus  mich  nur  allzusehr  auffordert.  Das 
Buch  ist  so  voll  leerer  übler  Laune,  und  wahrer  Undankbarkeit  gegen 
eine  ganze  Reihe  von  Vorgängern,  so  voll  übel  angebrachter  Philosophie, 
um  trivialen  Dingen  einen  Schein  der  Neuheit  zu  geben;  vertheidigt  eine 
gute  Sache  so  schlecht,  verrückt  so  viele  Gesichtspuncte  —  und  lies't  sich 
gleich  wohl  so  gut,  ist  so  bequem  zum  Nachsprechen  eingerichtet,  —  dass 
ich  wohl  meine  Feder  in  Bewegung  setzen  werde,  um,  wo  möglich,  das 
Verschobene  wieder  zurecht  zu  rücken.  —  In  Oldenburg  steht  es,  wie 
es  scheint,  um  das  Pädagogische  immer  gleich  schlecht.  HE.  Ahlwardt 
kämpft  mit  Buchhändlern,  —  HE.  v.  Türk  zieht  von  dannen!  Mit  Er- 
staunen habe  ich  vernommen,  dass  letzterer  (dessen  Schriften  doch  keine 
besondere  Kraft  zu  verrathen  scheinen;)  es  Ihnen  hat  nachthun  wollen, 
neben  seinen  Regierungsgeschäften  noch  eine  andere  Wirksamkeit,  die 
sonst  ihren  Mann  ganz  fordert,  zu  betreiben.  Ich  hatte  mir  vest  ein- 
gebildet, er  sey  zum  Pestalozzischen  Versuch  gerufen,  und  das  Amt  sey 
nur  des  Titels  wegen.  —  Mit  den  hiesigen  jungen  Oldenburgern  komme 
ich  jetzt  besser  zusammen,  wie  sonst.  Starklof,  Lovzow,  Römer,  scheinen 
sich  Auszeichnung  zu  erwerben.  Doch  recht  in  der  Nähe  sehe  ich  sie 
noch  nicht. 

Was  sagen  Sie  zu  Hallers,  des  Berner  Professors,  Handbuch  der 
Staatenkunde?  Auf  den  Recensenten  in  den  hiesigen  Blättern  rathe  ich 
umsonst.     Sollte  es  wohl  HE.  Runde  in  Old.  seyn?  —   — 

Jede  Bemühung,   und  jede  Zeile   von   Ihnen  wird   herzlich  verdanken 

Ihr  gehorsamer  H. 

Unsern  Langreuter  bitte  ich  zu  grüssen.  Möchte  es  ein  heiterer 
Gruss  seyn  können!  —  Ich  wünsche  ihm  Freude  an  seinen  Kindern.  Er 
wolle  meiner  gedenken.  Wie  glücklich  wäre  ich,  lebte  jemand  hier  neben 
mir,  dem  ich  mich  so  anschliessen  könnte,  wie  ihm  in  meiner  Jugendzeit! 


12  Juli    1808. 

Noch  eins!  Die  Frau  Ministerin  Grote  wartet  posttäglich  auf  Briefe 
von  HEn  v.  Hammerstein,  dem  sie  schon  dreymal  geschrieben  hat.  Woher 
mag  die  Zögerung  rühren? 

221.     An   GrieS.1)  Göttingen,  ib.  Juli  1808.2) 

Mein  theurer  Freund!  Oefters  hatte  ich  darauf  gedacht,  wie  auf  so 
vielen  herrlichen  Gaben,  die  mir  von  Dir  geworden  waren,  ein  leidlich 
passendes  Gegengeschenk  könne  gefunden  werden  —  passend,  zwar  nicht 
der  Grösse,  doch  der  Art  nach.  In  die  Speculation  Dich  hereinziehn  zu 
wollen,  das,  begriff  ich  wohl,  gehe  nicht  so  gut,  als  mich  aus  der  Specu- 
lation in   Deine  poetische  Sphäre  herüberziehen   zu   lassen. 

Am  Ende  des  letzten  Winters  kam  die  Musik  über  mich.  Und  es 
gab  Umstände  genug  (unter  denen  ich  nur  die  gezwungene  Anleihe  nenne), 
die  es  zehnfach  erwünscht  machten,  wenn  gerade  jetzt  eine  Muse  den 
Spleen  vertreiben  wollte.  So  entstand  die  beyliegende  Sonate;  seit  meinem 
hiesigen  Aufenthalt  die  erste  Composition,  die  ich  versuchte.  Sie  fing  an 
und  rückte  vor  und  wurde  fertig  zu  meiner  eigenen  Verwunderung;  ich 
hatte  längst  den  Glauben  aufgegeben  etwas  machen  zu  können.  Da  sie 
gerathen  schien,  blieb  ich  nicht  einen  Augenblick  zweifelhaft,  wem  sie  an- 
gehören solle.  Nur  die  Correspondenz  mit  dem  hiesigen  Musikalhändler 
und  Hrn.  Kühnel,  hat  die  Herausgabe,  und  damit  zugleich  meinen  Dank 
für  den  3  ten  Band  des  Ariost,  den  mir  Frommann  zugeschickt,  verzögert. 
Ob  aber  jetzt  dieser  Brief  Dich  in  Heydelberg  treffen  wird?  Oder  ob  Du 
verreist  bist?  (welches  gewiss  für  Dein  Wohlseyn  das  erwünschteste  wäre): 
darüber  wünsche  ich  um  so  weniger  in  Ungewissheit  zu  bleiben,  weil  ich 
von  Deiner  Gefälligkeit  eine  kleine  Besorgung  hoffe,  über  deren  Erfolg 
ich  so  bald  als  möglich  berichtet  seyn  muss.  Ich  lege  nämlich  ein  Blatt 
hiebey,  das  ich,  je  nachdem  Du  es  gerathener  findest,  entweder  an  die  Hrn. 
Mohr  und  Zimmer,  oder  an  Frommann,  mit  dem  Du  ohne  Zweifel 
correspondirst,  zu  senden  bitte.  An  Frommann  auf  allen  Fall,  wenn 
Mohr  und  Z.  nicht  eintreten  wollen.  Ich  rechne  genug  auf  Deine  Güte, 
um  in  diesem  Geschafft  ein  paar  Zeilen  der  Nachricht,  mit  umgehender 
oder  doch  nächst  folgender  Post  zu  erwarten,  —  nur  damit  ich,  falls  Du 
abwesend  seyn  solltest,  andre  Maassregeln  nehmen  könne.  Und  nun  füge 
ich  noch  eine  neue  Bitte  hinzu,  —  oder  vielmehr  keine  neue,  sondern 
eine  ganz  alte:  mir  auch  bald  wiederum  von  Dir  zu  erzählen,  was  Du 
machst  und  wie  Dir  zu  Muthe  ist?  Den  grosse?z  Schicksalen  dieser  Zeit 
haben  wir  so  ziemlich  beyde  unangefochten  zuschauen  können;  hätte  nur 
nicht  Jeder  auch  sein  inneres  Schicksal  —  ihm  gleich  gross  wie  Andern 
das  Aeussere.  Die  Hauptsache  ist,  denke  ich,  immer  Etwas  im  Auge  zu 
haben,  das  dem  Geiste  die  Richtung  und  die  Spannung  erhalte.  Mir 
fehlt  es  daran  nicht,  und  wenn  mir  der  Unmuth  kommt,  so  geht  er  auch 
wieder.      Meine    Gesundheit    ist    gut;    viel  besser    als    seit  Jahren.      Mein 


*)  Nach  dem  Original,  das  von  der  Stadtbibliothek  zu  Hamburg  freundl.  zur  Ver- 
fügung gestellt  wurde. 

2)  Elise  Campe  („Aus  dem  Leben  J.  D.   Gries'",  S.   76  f.)   verlegt   den  Brief  ins 
Jahr   1807,  Zimmermann  ins  Jahr   1806. 


August   1808.  jo 

System  ist    noch    in    so    manchen  Theilen  erst    im   Werden,   —   ich  habe 
also  zu  thun. 

Leb  wohl,  mein  Theurer,  bist  Du  in  H.,  so  erfahre  ichs  bald,  und 
wir  plaudern   bald   wieder.  Dein   Herbart. 

222.  Die   Beilage  zu  vorstehendem  Brief  lautet: 

Göttingen   16  Jul   1808. 

An  Ew.  Wohlgeboren  wende  ich  mich  mit  der  Frage:  ob  Sie  geneigt 
seyn  möchten,  eine  kleine  Schrift  von  etwa  6  Bogen  von  mir  in  Verlag 
zu  nehmen,   unter  dem   Titel : 

Imiige  Verbindung  des  Philanthropinismus  mit  dem  Humanismus;  ein 
Hauptproblem  des  erziehenden  Unterrichts.  Auf  Veranlassu?ig  des  Werks  von 
Hrn.  Niethammer  über  den  Streit  des  Philanthropinismus  und  Humanismus. 

Die  Niethammersche  Schrift  wird  ohne  Zweifel  bey  Manchen  Eingang 
finden,  und  Eindruck  machen;  sie  ist  gleichwohl  so  beschaffen,  dass  ihr 
Vieles  entgegengesetzt  werden  kann,  ja  dass  ihr  Etwas  entgegengesetzt 
werden  muss.  Räsonnement  wird  sich  mit  Thatsachen  und  mit  Autori- 
täten verbinden  lassen,  um  die  ungemessenen  Behauptungen  des  Hrn.  N. 
in  ihre  wahren  Gränzen  zurückzuführen.  —  Ist  Ihnen  mein  Anerbieten 
willkommen:  so  ersuche  ich  Sie,  mir  annehmliche  Bedingungen  baldigst 
vorzulegen.  Ergebenst   Herbart. 

223.  Sonate  pour  le  Pianoforte  dediee  ä  Messieurs  J.  D.  Gries  et  Fr.  Koppen 
composee  par  J.  Fr.  Herbart.  Op.  1.  Pr.  16  Gr.  A  Leipzig  chez 
A.  Kühnel.  (Bureau  de  Musique.)  —  Als  Festgabe  zur  Herbart- Feier 
am  4.  Mai  1876  kam  sie  neu  heraus  unter  dem  Titel:  ..Friedrich  Herbart, 
Sonate  Opus  1.  Genauer  Abdruck  des  im  Jahre  1808  erschienenen 
Originals.'1  x) 

224.  An   Smidt2)  Göttingen  8  Aug.    1808. 

Du  bist  allzugütig,  theurer  Freund!  mich  an  meine  Schuld  noch 
immer  nicht  zu  erinnern.  Vergessen  ist  sie  nicht;  aber  ich  habe  Gründe 
zu  wünschen  dass  Du  die  Zahlung  noch  nicht  fordern  möchtest.  Viel- 
leicht ists  in  ein  paar  Wochen  anders,  da  ich  dann  sogleich  Nachricht 
geben  werde. 

Indessen  halte  ich  mich  verpflichtet,  Dir  wenigstens  anheim  zu  stellen, 
ob  Du  die  Zahlung  jetzt  gleich  verlangen  willst.  Deshalb  lege  ich  hiebey 
einen  Zettel,  den  Du  wirst  an  den  Assessor  Wardenburg  zu  Neuen  bürg 
senden  können,  und  auf  welchen  hin  die  Zahlung  hoffentlich  bald  erfolgen 
würde,  wenn   Du  davon   Gebrauch  machtest.   — 

Du  wirst  kürzlich  von  Hamburg  zurückgekommen  seyn;  nach  dem 
lieben  Bremen,  das  ich  so  gern  wiedersähe!  Und  um  so  lieber,  da  ich 
noch  neulich  die  freundlichste  Einladung  [2]  Deiner  trefflichen  Schwester 
erhalten  habe.  Aber  —  es  ist  nicht  Zeit  zu  reisen!  Und,  wollte  ich  reisen, 
so  gäbe  es  Gründe  genug,  um  mit  literarischen   Zwecken   mich  an   Orten, 

1)  Ein  Neudruck  der  Sonate  wird  mit  dieser  Ausgabe  im  gleichen  Verlage  er- 
scheinen. Vgl.  auch  Bagier,  Herbart  und  die  Musik.  Langensalza,  Hermann  Beyer 
&  Söhne  (Beyer  &  Mann),    191 1. 

2)  2  S.  40. 


14  September  1808. 


die  mir  noch  unbekannt  sind,  umzusehen.  —  Meine  Arbeit  wird  bis  jetzt 
so  wenig  belohnt,  wie  es  voraus  nie  zu  vermulhen  war.  Das  Publikum 
liest  höchstens  Recensionen;  und  was  Recensionen  sind,  das  muss  man 
erfahren-,   eher  weiss  man  es  nicht  und  glaubt  es  nicht. 

Ich  habe  mich  an  das  musikalische  Publikum  gewandt;  und  wiewohl 
das  Dich  selbst  nicht  interessiren  kann,  so  passt  es  sich  doch  vielleicht, 
wenn  ich  durch  Deine  Hand  der  jetzigen  oder  nächstkünftigen  Frau 
Pastorin  Bekenn  ein  kleines  Hochzeitsgeschenk  anbiete,  das  ich  mit  dem 
schönsten  Glückwunsch  und  mit  meinen  besten  Empfehlungen  an  Ihn  und 
Sie  zu  begleiten  bitte.  Du  findest  es  hiebey;  oder  es  kommt  nach,  mit 
der  fahrenden   Post. 

Deiner  Schwester  bitte  ich  zu  danken  für  ihren  gütigen  Brief;  ich 
werde  antworten,  sobald  ich  Gelegenheit  gefunden  haben  werde,  den 
Johann  im  Groteschen  Hause  ein  wenig  zu  beobachten.  Vorläufig  kann 
ich  mit  Vergnügen  melden,  dass  er  der  Ministerin  und  ihrer  Familie 
recht  wohl  behagt.     Ganz  und  immer  Dein  Herbart. 

225.     C.  L.  Reinhold  an  H.  [Kiel],  1.  September  1808. 

In  demselben  Vertrauen,  mit  welchem  ich  neulich  mit  meiner  libelx)  vor  Ihnen 
auftrat,  erscheine  ich  nun  schon  wieder  mit  dem  anliegenden  kleinen  Aufsatz,  der 
den  Hauptgedanken  von  jener  vorläufig  aufstellt,  und  das  gemeinschaftliche  Un- 
wesen des  im  Vereinigen  des  Mannigfaltigen  im  Bewusstseyn  bestehenden. 
logischen  —  und  des  in  dem  Identißciren  der  Einheit  und  des  Gegensatzes  be- 
stehenden —  speculativen  —  Indifferencirens,  in  der  Verwirrung  der  Einheit  mit 
dem  Zusammenhang  und  der  Verschiedenheit  mit  dem  Unterschiede  —  aufweiset, 
Durch  die  Enthüllung,  oder  was  dasselbe  heisst,  Aufhebung  dieser  Verwirrung  tritt 
der  nun  durch  dieselbe  unsichtbar  werdende  logische  Unterschied  in  seiner  nun 
unverkennbaren  Eigentümlichkeit,  im  Bewusstseyn  hervor,  und  das  Indifferenciren 
zeigt  sich  als  das,  was  es  ist,  nämlich  als  das  bewusstlose  Versteckenspielen  mit 
dem  Widerspruche;  —  und  mit  diesem  eigentlichen  tiqwtov  yevdos  fällt  alles  dog- 
matische und  skeptische  Identificiren  und  Diversificiren  des  Unwandelbaren  und 
des  Wandelbaren  und  des  Seyns  und  der  Erscheinung,  und  des  Objektiven  und 
Subjektiven  —  und  die  Verschiedenheit  der  logischen  und  der  metaphysischen 
Wahrheit  —  und  des  Idealen  und  des  Realen  und  wie  die  aus  dem  Ignoriren  und 
Negiren  des  logischen  Unterschiedes  hervorgehenden  Sophismen  alle  heissen  mögen 
—  von  selbst  dabin. 

Freylich  wird  durch  die  alte,  tief  eingewurzelte  und  weit  verbreitete  Gewohn- 
heit —  Verwöhnung  —  den  Unterschied  der  Einheit,  des  Zusammenhangs,  der  Ver- 
schiedenheit ||  und  des  Unterschiedes  nicht  xu  sehen  —  auch  das  nun  endlich  zur 
Sprache  gebrachte  Sehen  desselben  —  eine  Zeitlang  erschwert,  geläugnet,  bezweifelt, 
verspottet,  verschrien  und  durch  dieselbe  Verworrenheit  die  durch  dasselbe  auf- 
gehoben werden  soll  —  aber  allen  logischen  und  speculativen  formein  anhängt  — 
und  einmal  im  Besitz  ist  —  widerlegt  werden.  Aber  jener  unläugbare,  unwider- 
sprechlich  nothwendige,  aller  Bestimmtheit  zum  Grunde  liegende  —  in  der  Entwirrung 
aller  Verwirrung  bestehende  Unterschied  kann  nicht  wieder  völlig  unsichtbar  werden, 
wenn  er  erst  einmal  sichtbar  geworden.  Auch  ist  es  wohl  unmöglich  absichtlich 
nicht  zu  sehen,  was  nur  unabsichtlich  nicht  gesehen  werden  konnte.    Was  ich  sehr 


*)  Anfangsperiode  der  Erkenntnis  der  Wahrheit  in  einer  Fibel,  Kiel  1808. 


September  1808.  k 


bedauere  ist,  dass  mit  der  Enthüllung  dieses  Unterschiedes  —  mit  welchem  und 
durch  welchen  in  der  Philosophie  eine  neue  Ordnung  der  Dinge  von  Grund  aus  sich 
einfinden  muss  —  nicht  ein  Anderer  hervortritt,  der  im  Philosophischen  Publicum 
einen  unbescholtenen  Namen  hat,  und  nicht  wie  es  bey  mir  der  Fall  ist  —  schon 
durch  seinen  Namen  gegen  die  gute  Sache  einnimmt.  Dieselbe  Einfachheit,  die 
das  Gepräge  der  Wahrheit,  und  der  sich  in  der  reinen  Anaiysis  vollständig  ent- 
hüllenden logischen  Unterscheidung  ist  —  wird  anfangs  die  an  Vieldeutigkeit  und 
Doppelsinn   —    (des  zu  Tndifferencirenden)   gewohnten  Vorstellungsarten   empören; 

—  aber  in  der  Folge  desto  unvermeidlicher  und  schneller  ein  Einverständnis  herbey- 
fuhren  —  wie  es  nur  durch  den  unwandelbaren  nicht  trennenden  Unterschied  und 
nicht  mischenden  Zusammenhang  ||  der  Einheit  als  solcher  mit  der  Verschiedenheit 
als  solcher  möglich  aber  auch  nothwendig  ist.  Man  wird  erstaunen,  wie  man  Ver- 
schiedenheit mit  Unterschied,  Einheit  mit  Zusammenhang,  trennenden  Unterschied 
mit  nicht  trennendem,  mischenden  Zusammenhang  mit  nicht  mischendem  verwechseln, 
wie  man  die  Einheit  der  Verschiedenheit  gleichsetzend  entgegensetzen  —  wie  man 
die  Unwandelbarkeit  der  Einheit  und  die  Wandelbarkeit  der  Verschiedenheit  —  die 
nur  insoferne  unwandelbar  ist  als  sie  nicht  in  die  Einheit  verwandelt  werden  kann 

—  so  lang  und  so  viel  verkennen  konnte,  —  und  dass  es  um  endlich  zu  einer  nicht 
mehr  mit  der  Mode  wechselnden  Philosophie  zu  gelangen  nichts  weiter  bedurfte, 
als  auf  die  —  endlich  handgreiflich  gewordene  —  Verwirrung  der  Einheit  mit  dem 
Zusammenhang  und  der  Verschiedenheit  mit  dem  Unterschied  aufmerksam  zu  werden. 
Nahe  genug  wird  uns  (sollten  wir  glauben)  —  das  Unterscheiden  —  durch  das 
moderne  Indifferenciren  gelegt,  durch  das  glänzende  Elend  der  Fichteschen  und 
Schellingschen  Anschauungsphilosophie,  durch  die  ihre  eigene  Gehaltlosigkeit  —  in 
der  leeren  Formalität  —  aussprechende  moderne  Logik  —  und  doch  wohl  auch 
durch  deu  populären  Indifferentismus  gegen  den  Unterschied  des  Uebersinnlichen 
mit  dem  Sinnlichen,  und  durch  den  Politischen  gegen  den  Unterschied  des  Rechts 
mit  der  Gewalt  —  welche  Logik  doch  wohl  mit  dem  Logischen  und  dem  Specu- 
lativen  gegen  den  Unterschied  des  Objektiven  und  Subjektiven  —  des  Unwandel- 
baren und  des  Wandelbaren  —  des  Seyns  und  der  Erscheinung  mehr  als  den  Namen 
Indifferenz  —  gemein  haben  dürften.  —  Nein!  mein  ||  verehrter  Freund  und  Bruder 
in  der  Liebe  zur  Wahrheit!  —  das  Nichtsehen  des  logischen  Unterschiedes  ist  wirk- 
lich ein  logischer  grauer  Staar  der  im  Geiste  unsres  Zeitalters  endlich  zu  seiner 
völligen  Reife  gelangt  ist;  und  diese  Reife  in  der  Logik  dadurch  ankündigt,  dass 
sie  sich  ihre  Gehaltlosigkeit,  ihre  Gleichgiltigkeit  gegen  Wandelbares  und  Unwandel- 
bares, ihre  Indifferenz  gegen  Seyn  und  Erscheinung  und  Nichtseyn  anerkennend, 
selber  nur  ein  nichtssehendes  Denken  beylegt  —  und  in  der  Speculation  dadurch, 
dass  diese  des  Nichtssehenden  Denkens  überdrüssig,  über  alles  Denken  hinaus,  zu 
einem  nichtdenkenden  Anschauen  ihre  Zuflucht  nimmt.  —  Ich  war  lange  genug  mit 
diesem  Staar  behaftet,  um  nicht  zu  wissen,  dass  ich  vor  einigen  Jahren  —  dem  der 
mir  davon  gesagt  hätte,  nicht  ins  Gesicht  hätte  lachen  müssen  —  —  und  um  nicht 
die  Folgen  desselben  in  meinem  gegenwärtigen  Philosophiren  bey  jeder  Gelegenheit 

—  peinlich  zu  fühlen. 

Insbesondere  muss  erst  das  Verhältniss  des  Denken  zum  Sprechen  —  des 
Gedankens  zum  Worte  —  enthüllt  werden.  Dieses  ist  in  der  Hauptsache,  in  einem 
neuen  Versuch  über  das  menschliche  Erkenntnissvermögen  geschehen,  der  in  meinem 
Pulte  liegt.1)  Aber  ich  bin  zu  mittellos,  um  auch  diesen  auf  meine  Kosten  drucken 
lassen  zu  können. 


>)  Er  erschien  1816. 


j6  October   1808. 


Das  zweyte  Exemplar  des  beyliegenden  Aufsatzes  bitte  ich  dem  Herrn  Hofrath 
Bouterweck  nebst  meiner  besten  Empfehlung  zu  geben. 

Mit  Verehrung  und  Liebe  der  Ihrige  Reinhold. 

22(>.    An  Chr.  D.  Beck.1)  Göttingen  10.  Oct    1808. 

VVohlgeborner,  Höchstgeehrter  Herr  Hofrath!  Vor  allem  andern 
werden  Ew.  Wohlgeboren  meine  Entschuldigung  erwarten,  dass  ich  seit 
so  langer  Zeit  versäumt  habe,  Ihre  gütige  Zuschrift  zu  erwiedern,  worin 
Sie  mir  den  Tod  des  uns  leider  zu  früh  entrissenen  Carus  meldeten. 
Ich  kann  deshalb  nur  um  Verzerhung  bitten;  es  war  ins  Aufschieben  ge- 
rathen,  weil  ich  von  Zeit  zu  Zeit  hoffte,  mich  bald  freyer  von  Arbeiten 
zu  finden,  um  auch  über  die  mir  gestattete  Theilnahme  an  Ihrer  Literatur- 
zeitung etwas  zu  bestimmen.  Jetzt  ist  die  nächste  Veranlassung  meines 
Schreibens  eine  Bitte,  welche  die  Einlage  betrifft.  Sie  finden  nämlich 
hiebey  einen  wissenschaftlichen  Aufsatz, 2)  der  zwar  durch  eine  Recension 
in  der  J.  A.  L.  Z.  veranlasst  ist,  der  aber  gleichwohl  nicht  Antikritik, 
sondern  vielmehr  Auskunft  über  vorgelegte  Fragen  enthält,  und  dem  ich 
nur  etwas  mehr  Wortfülle  hätte  geben  dürfen,  um  eine  für  sich  bestehende 
Abhandlung  daraus  zu  machen.  Bey  aller  Gedrängtheit  ist  er  auch  so 
noch  etwas  lang  gerathen;  und  die  Insertions- Gebühren,  wenn  er  als 
Antikritik  ins  Intelligenzblatt  aufgenommen  würde,  möchten  nicht 
unbedeutend  seyn.  Ich  wünschte  ihn  ohne  diesen  Titel,  und  kostenfrey 
darin  abgedruckt  zu  sehn.  Ich  mache  mir  um  so  eher  Hoffnung  zur  Ge- 
währung dieses  Wunsches,  da  ich  für  ein  paar  gelieferte  Recensionen  das 
Honorar  noch  nicht  erhalten  habe,  wovon  ich  jedoch  die  Schuld  ganz 
allein  mir  selbst  und  meinem  Stillschweigen  zuschreibe.  Die  beyden 
Recensionen  betrafen,  eine,  mehrere  moralphilosophische  Schriften,  von 
Callisen,  Snell  und  Tieftrunk,  die  andre,  Fichte's  Grundzüge  des  Zeit- 
alters. 

Zugleich  bitte  ich,  nicht  zu  glauben,  ich  hätte  auf  die  Ehre,  Mit- 
arbeiter an  Ihrer  Literaturzeitung  zu  seyn,  Verzicht  geleistet.  Ich  habe 
zwar  nichts  Bestimmtes,  keine  regelmässigen  Leistungen  versprechen 
können;  der  Aufbau  eines  philosophischen  Systems  beschäftigt  und  fesselt 
das  Gemüth  zu  sehr,  als  dass  bedeutende  literarische  Nebenarbeiten  damit 
bestünden.  Und  besonders  fürchtete  ich,  meinen  Recensionen  nicht  Werth 
genug  geben  zu  können,  so  lange  meine  philosophischen  Grundsätze,  die 
doch  immer  wenigstens  einigen  Einfluss  auf  die  Kritik  bey  mir  haben 
würden,  dem  Publicum  nicht  einmal  bekannt  waren.  Nach  einiger  Zeit 
aber  werde  ich  von  neuem  um  die  Erlaubniss  bitten,  für  Ihr  Institut  thätig 
seyn   zu  dürfen. 

Dem,  mir  unbekannten,  Herrn  Recensenten  meiner  pract.  Philos.  in 
Ihrem  Blatt,  bitte  ich  mich  gelegentlich  zu  empfehlen.  Durch  seine  wohl- 
wollenden Aeusserungen,  und  durch  den  frühzeitig  gelieferten  Umriss 
meines   Buchs  hat  er  sich    um    mich    verdient   gemacht.      Eine    eigentliche 

J)  Aus  der  Zeitschrift  f.  päd.  Psych,  u.  Path.  1900,  Heft  3:  „Drei  ungedruckte 
Briefe  von  J  Fr.  Herbart.  Mitgeteilt  von  Hans  Zimmer11.  —  Chr.  D.  Beck  (1757 
bis    18321,   Herausgeber  der  Leipz    Lit.-Ztg. 

-)   S.   Bd.  I  dieser  Ausg.  S.  342 — 348:   „Replik  Herbarts  usw.u 


November  1808.  17 


Kritik  war  ohne  Zuziehung  meiner  Metaphysik  (die  beynahe  seit  einem 
Jahre  im  Buchhandel  ist)  nicht  wohl  möglich.  Sollte  derselbe,  oder  auch 
ein  anderer  Mann  von  Geist  und  Billigkeit,  auch  die  Recension  der  Meta- 
physik übernehmen  wollen,  —  die  sehr  gedrängt  geschrieben  ist  und 
wegen  ihrer  Kürze  Schwierigkeit  machen  wird,  —  so  wäre  es  mir  am 
willkommensten,  wenn  die  Recension  mir  eine  Reihe  von  Fragen  vorlegte, 
und  wenn  Sie  mir  alsdann  gestatten  wollten,  Ihnen  die  Antworten  für  Ihr 
Intelligenzblatt  zuzuschicken,  nur  dass  ich  frey  von  Druckkosten  bliebe. 
Ich  würde  eine  humane  Recension  so  beantworten,  dass  dem  Recensenten 
nicht  das  mindeste  Unangenehme  widerführe;  dass  nicht  der  geringste 
widrige  Streit  durch  meine  Schuld  entstünde;  dies  würde  ich  um  so  ge- 
wisser verhüten  können,  wenn  der  Recensent  sich  bloss  an  meine  eignen 
Schriften  hielte,  und  weder  fremde  Schriften  citirte,  noch  Begriffe  und 
Lehrsätze  andrer  Schulen  einmischte.  So  könnte  ein  wissenschaftliches 
Gespräch  vor  dem  Publikum  geführt  werden,  das  zugleich  angenehm  und 
nützlich,  und  der  Philosophie  würdig  wäre. 

Auf  jeden  Fall,  auch  wenn  ich  dafür  zahlen  müsste,  bitte  ich  die 
beykommende  Einlage  baldigst  zum  Druck  zu  befördern,  und  allenfalls  dem 
Corrector  einen  kleinen  Wink  zu  geben,  dass  er  doch  Druckfehler  sorg- 
fältig vermeiden   möge. 

Mit  der  vollkommensten  Ehrerbietung  unterzeichnet  sich  Ew.  Wohl- 
geboren gehorsamster  Herbart. 

24.  Okt.:  H.  nimmt  den  Ruf  nach  Königsberg  an.     S.  Bd.  XIV,  S.  7  — 10. 

227.    C.  L.  Reinhold  an  H.1)  Kiel,  1.  November  1808. 

"Wenn  mir  auch  unser  Hensler  mit  Ihrem  freundlichen  Grusse  nicht  den  er- 
wünschlichsten  Aufschluss  über  Ihr  Stillschweigen  auf  meine  wiederholten  Zu- 
muthungen  an  Ihre  kostbare  Zeit  gebracht  hätte:  so  würde  ich  denselben  in  ihrer 
geistvollen  Schrift  über  das  Studium  der  Philosophie2)  gefunden  haben,  mit  der  ich 
(seitdem  ich  eine  Recension  über  Kiesewetters  Logik,  die  im  13.  September-Stück 
der  jenaischen  L.  Z.  abgedruckt  ist,  und  eine  Andere  über  Friesens  neue  Critik  der 
Vernunft,  die  auf  dem  Wege  nach  Jena  ist,  verfertigt  habe,)  —  fast  abschliessend 
beschäftigt  bin.  Mit  unbeschreiblichen  Interesse  studiere  ich  dieses  durch  Inhalt 
und  Darstellung  gleich  merkwürdige  Werk;  und  fast  auf  jedem  Blatte  kömmt  mir 
die  Versicherung  entgegen:  der  Verfasser  desselben  sey  unter  allen  meinen  mir  be- 
kanntgewordenen Zeitgenossen  der  Einzige,  von  dem  ich  eine  belehrende  Prüfung 
meiner  Fibel  zu  erwarten  habe.  Ich  habe  mir  schon  eine  Menge  Stellen  aus- 
gezeichnet, wo  wir  uns  einstimmig,  —  und  Nicht  wenige,  wo  wir  uns  widerstreitend, 
begeynen;  und  ich  darf  hoffen,  dass  ich  Sie,  wie  schwerlich  ein  anderer  Ihrer  Leser, 
verstehen  lernen  werde.  Die  Unvollkommenheiten  der  Einkleidung  der  Gedanken 
meiner  Fibel  die  wenigstens  zum  Theil  auch  eine  Folge  der  Neuheit  derselben  ist, 
und  der  Contrast  derselben  mit  unsren  allgemein  geltenden  und  geivohnten  Ansichten, 
—  erschweren  mdess  die  Prüfung  der  Fibel  seibst  einem  Manne  vou  Ihrem  Tiefsinne; 
und  ich  bitte  mir  die  Erlaubniss  aus,  Ihnen  das  Geschäft  zu  erleichtern,  wenigstens 
durch  Zeitkürzung  bey  demselben.    Für  diesesmal  wähle  ich  unter  den  angestrichenen 


*)  6  S.  8°.  —  H.  Wien.     Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann  usw.     S.  124. 
2)  S.  Bd.  II,  S.  227  ff. 

Herbarts  Werke.     XVII.  2 


jg  November  1808. 


Stellen  Ihrer  Schrift  folgende:  S.  114  und  115,  weil  dieselbe  den  Hauptpunkt  berührt, 
von  dem  unser  Symphilosophiren  allein  ausgehen  kann. 

„Die  unüberwundenen  Schwierigkeiten  der  Metaphysik,  welche  allen  Künsten 
des  associirenden  Nachsinnens,  allen  Versuchen  des  glücklichen  Errathens  der  Auf- 
lösung seit  Jahrtausenden  trotz  biethen,  wo  anders  können  sie  ihren  Sitz  haben,  als 
in  Begriffen,  die  auf  Verbindung  Anspruch  machen,  eben  indem  Sie  einander 
icidcrsprechen.  —  Dass  nun,  so  lange  die  Widersprüche  nicht  aufgedeckt,  wohl  gar 
nicht  aufgesucht  sind,  die  Lösung  auch  nicht  angefangen  haben  könne,  ist  wohl  von 
selbst  klar.  Wie  aber  die  gefundenen  Widersprüche  zu  behandeln  sind,  auch  das 
sollte  man  nicht  lange  fragen.  Sie  müssen  gerade  verneint  werden. u  —  Vorher 
stellten  Sie  als  das  Problem  der  Probleme  auf  „Wie  ein  Begriff  verbunden  seyn 
möge  mit  dem  Andern ?"  —  In  der  Folge  S.  118  nennen  Sie  den  Stolz  der  Speku- 
lation „Die  Nachweisung  eines"  (des)  ,,nothwendigen  Zusammenhangs  unter  Be- 
griffen" —  —  und  dann  rechnen  Sie  auch  zur  Spekulation  „Die  Bemühung  zwischen 
den  Begriffen  die  gehörigen   Übergänge  zu  bahnen.1' 

Sollte  nicht  die  zu  lösende  Aufgabe  im  Aufsuchen  derjenigen  Verbindung  be- 
stehen, durch  welche  der  Widerspruch,  der  ihr  im  Wege  stand,  entdeckt  und  auf- 
gehoben wird?  Bevor  die  besagte  Verbindung  deutlich  in  das  Bewusstseyn  eintritt, 
kündigt  dieselbe  und  der  ihr  entgegenstehende  Widerspruch  sich  dadurch  an,  dass 
die  Nothwendigkeit  und  die  Unmöglichkeit  der  Verbindung  gefühlt,  undeutlich 
wahrgenommen  wird. 

Man  hat  sich  auf  die  Verbindung,  oder  wie  ichs  hier  lieber  nennen  will  auf 
die  Vereinigung,  welche  den  Widerspruch  enthüllt  und  vernichtet,  noch  nicht  ver- 
stehen gelernt;  weil  man  nur  noch  erst  eine  undeutliche  Kenntniss  vom  Unter- 
scheiden und  Vereinigen  hat,  und  weil  man  vorher  um  das  Vereinigen  als  um  das 
Unterscheiden  besorgt  war;  die  Vereinigung  dem  Unterschiede  vorhergehen  liess;  den 
Unterschied  aber  in  vorgefundenen  Trennungen,  als  gegeben  annahm,  und  nun  die 
Vereinigung  erst  —  machen,  hervorbringen,  zu  müssen  glaubte ;  den  nicht  trennenden 
Unterschied  nicht  kannte. 

Von  jeher  wurde  in  der  Vereinigung  der  Einheit  mit  der  Verschiedenheit 
undeutlich  ein  Widerspruch  wahrgenommen  —  gefühlt.  Noch  auffallender  fühlte 
man  denselben  in  der  Vereinigung  des  Absoluten  und  Eelativen  (Unendlichen  und. 
Endlichen)  und  der  Vernunft  und  der  Sinnlichkeit.  Aber  es  ist  im  Grunde  nur  Ein 
und  derselbe  Widerspruch,  der  bey  diesem  Allen  gefühlt  wurde;  und  dessen  deutliche 
WahrnehmuDg,  oder  was  dasselbe  heisst,  Aufhebung  nur  durch  Auflösung  der  Auf- 
gabe mit  der  Einheit  und  Verschiedenheit  möglich  ist. 

Man  strebt  bis  itzt  die  Einheit  und  Verschiedenheit  zu  j|  vereinigen  —  durch 
eine  Vereinigung  (Zusammenhang)  die  mit  der  Einheit  nicht  unterschieden  sondern 
vemvorren  wird.  Man  will  die  Einheit  und  die  Verschiedenheit  Eines  seyn  oder 
werden  lassen,  Es  soll  Einheit  seyn  der  Einheit  mit  der  Verschiedenheit.  Die  Einheit 
geht  sonach  in  die  Verschiedenheit  und  diese  in  die  Einheit  über,  und  man  fühlt: 
dass  man  die  Einheit  und  die  Verschiedenheit  dadurch  eingebüsst  hat,  in  einem 
Dritten,  das  Keins  von  beyden  ist.  Man  strebt  hierauf  beyde  wieder  herzustellen; 
—  aber  durch  ein  Unterscheiden,  welches  den  Unterschied  mit  der  Verschiedenheit 
nicht  unterscheidet  sondern  verwirrt,  —  Verschiedenheit  und  Unterschied  für 
einerley  annimmt  und  geltend  macht.  Indem  man  nun  durch  diesen  mit  der  Ver- 
schiedenheit gleichgeltenden,  Unterschied  die  Einheit  von  der  Verschiedenheit  unter- 
scheiden will,  macht  man  die  Einheit  selber  zu  einem  Verschiedenen  von  der  Ver- 
schiedenheit; sie  wird  selber  die  Verschiedenheit  von  —  der  Verschiedenheit  — 
nimmt   Verschiedenheit  an.     (Und   so  giebt  es  gar  mancherley  Einheiten  ohne  dass- 


November  1808. 


19 


man  irgend  einen  ivahren  Unterschied  der  Einheit  kennt.)  Da  aber  Verschiedenes 
mit  Verschiedenem,  allerdings  sowohl  trennbar  als  mischbar  ist:  —  so  wird  denn 
auch  die  auf  die  beschriebene  Weise  unterschiedene  (diversificirte)  Einheit  mit  der 
Verschiedenheit  mischbar  und  trennbar. 

In  diesem  mischenden  Trennen  und  trennenden  Mischen  besteht  unser  bis- 
heriges Denken  —  unser  Unterscheiden  und  Vereinigen  der  Einheit  und  Verschieden- 
heit; wobey  wir  den  dabey  gefühlten  Widerspruch  dadurch  aufheben,  dass  sich  das 
trennende  Mischen  hinter  das  mischende  Trennen,  und  dieses  hinter  jenes,  ab- 
wechselnd verbirgt,  wir  also  den  Widerspruch  wohl  verwahrt  aufheben,  mit  ihm 
verstecken  spielen. 

Der  versteckte  Widerspruch  xars^oxv^-,  der  Widerspruch  aller  Widersprüche, 
das  Geheimniss  der  Quelle  der  Täuschung  —  besteht  in  der  bewusstlosen  Verwirrung 
(Nichtunterscheidung,  Nichtsehen  des  Unterschiedes)  der  Einheit  mit  dem  Zusammen- 
hang und  der  Verschiedenheit  mit  dem  Unterschiede;  und  das  aus  dieser  Verwirrung 
hervorgehende  Mischen  und  Trennen  unter  dem  Scheine  des  Vereinigens  nnd  Unter- 
scheidens  ist  das  scheinbare  Denken,  und  ist  keine  blosse  Verirrung  der  Einbildungs- 
kraft, kein  sinnlicher,  thierischer,  Irrthum  der  nur  ein  Sinnenfälliges  mit  dem  Andern, 
eine  Erscheinung  mit  einer  Andern  vermengt,  sondern  Missbrauch  des  Denkens,  der 
intellektuelle  Irrthum,  der  das  Sinnliche  mit  dem  Übersinnlichen,  die  Erscheinung 
mit  ||  dem  Seyn,  das  Wandelbare  mit  dem  Unwandelbaren  verwechselt. 

Die  Aufgabe  aller  Aufgaben  der  Philosophie  als  des  Bestrebens  nach  der  Er- 
kenntniss  der  Wahrheit  ist  also  das  Denken  als  Denken  im  Bewusstseyn,  die  Ver- 
deutlichung des  Verhältnisses  der  Einheit  als  solcher  zur  Verschiedenheit  als  solcher, 
das  Unterscheiden  der  Einheit  in  ihrem  nichttrennenden  Unterschied  und  in  ihrem 
nichtmischenden  Zusammenhang  mit  der  unter  ihr  stehenden  und  durch  sie  be- 
stehenden Verschiedenheit  in  dem  derselben  eigenthümlichen  trennenden  Unterschied 
und  mischenden  Zusammenhang. 

Solange  dieses  Unterscheiden  noch  nicht  in  unser  Bewusstseyn  eingetreten  ist, 
so  lange  die  entgegenstehende  Verwirrung  in  unserm  Bewusstseyn  unbemerkt  bleibt 
und  eben  darum  herrscht:  so  lange  ist  unser  Begriff  von  der  Wahrheit  nicht  nur 
undeutlich,  —  (undeutlich  muss  er  seyn,  wenn  wir  durch  das  klare  Gefühl  der  Wahrheit 
und  die  wahrgenommene  Undeutlichkeit  des  Begrifes  auch  nur  das  Bedürfniss  haben 
sollen  nach  Verdeutlichung  desselben,  nach  dem  über  das  Glauben  hinaus  gehenden 
Wissen  was  die  Wahrheit  ist  zu  streben)  —  sondern  er  ist  mehr  als  undeutlich  er 
ist  mit  der  Verwirrung  aaib^oxrjv  behaftet,  er  ist  verworren,  und  unser  Spekuliren 
kann  so  lange  nur  in  einem  Methodisiren  der  bewusstlosen  Verwirrung  im  Be- 
wusstseyn unter  dem  Schein  der  Erforschung  der  Wahrheit  bestehen;  wobey  es 
dann  nur  auf  die  grössere  oder  geringere  Lauterkeit  Lebendigkeit  Klarheit  des  ur- 
sprünglichen Gefühls  der  Wahrheit  im  Glauben  des  Gewissens  ankörnt,  ob  der  ge- 
sunde Glauben,  oder  Aberglauben  oder  Unglauben  von  dem  Spekulirenden  methodisirt 
werde. 

Ihre  Scheidung,  mein  verehrter  Freund  und  geliebter  Bruder  im  Streben  nach 
Wahrheit !  —  des  theoretischen  und  des  praktischen  Forschens  den  Principien  nach, 
Ihr  Dafürhalten  dass  diese  Scheidung  schlechterdings  jedes  Vereinigungs-Pmz^p 
ausschlägt  —  ist  eine  sehr  natürliche  Folge  Ihres  reinen  und  kräftigen  Gefühls  der 
Wahrheit  als  solcher,  welches  durch  jeden  bisherigen  Begriff  der  Wahrheit  —  welcher 
nicht  nur  in  seiner  Undeutlichkeit  unvollständig,  sondern  auch  in  seiner  Verworren- 
heit mit  der  Verwechslung  des  Gedankens  und  des  Gefühles  behaftet  ist  —  un- 
befriedigt bleibt,  und  von  der  Philosophie  mit  Kecht  die  Unterscheidung  des  nadtifia 
von  dem  paör/fta  voi/osojs  fordert.    Allein  durch  die  durchgeführte  Analysis,  durch 


2Q  November  1808. 


die   vollständige  Verdeutlichung  des  undeutlichen  und   in   so  ferne  unvollständigen, 
aber  nicht   mehr   verworrenen,   Begriffes   der  Wahrheit,    durch  die  wirklich  durch- 
dachte  Wahrheit    ohne    Beynamen    werden   Sie    für   jedes   Ihrer   vom  Mysticismus 
wirklich   so   ganz   unangesteckten   übersinnlichen  Gefühle  auch  den  demselben  ent- 
sprechenden,  und    dasselbe   bisher  unbewusst  begründenden,    Gedanken  finden,   und 
nicht  mehr   zweifeln   können   dass    von  jedem  wahren  Genüsse  der  Wahrheit  auch 
eine   wahre  Erkenniniss   statt  finde.     Sie  werden  das  Sollen  für  Nichts  von  dem 
Seyn  der  Möglichkeit  und  der  Wirklichkeit  wie  dasselbe  der  Wahrheit  nach  bey  Gott 
und    durch   Gott,    und    unabhängig    von    unsrer   bios    individuellen    und   sinnlichen 
Ansicht  ist  —    Verschiedenes  —  sondern  die  Forderung  der  reinen  Erkenntniss  an 
unsre  Willenshandlungen  sey  die  Triebfeder  und  Richtschnur  derselben  zu  werden, 
gleich    wie   dieselbe   reine  Erkenntniss  in  dem  ihr  entsprechenden  ewigen  Seyn  die 
Regel  des  Weltalls,  die  wir  durch  unsre  reine  Erkenntniss  wissenschaftlich  erkennen, 
und   in  Kraft   dieser  Erkenntniss   auch   dort,    wo    uns  nur   empirische  Erkenntniss 
möglich  ist  —  in  allem  was  unsren  Erdball  und  unser  individuelles  Leben  auf  dem- 
selben  als  Erdbewohner   betrifft  —   zu  glauben  fortfahren  müssen,    wie   sie  schon 
vor  der  reinen  Erkenntniss,  mit  mehr  oder  weniger  Lauterkeit  und  Gewissheit  durchs 
Gewissen  geglaubt  wurde.     Das  Sollen  alles  Sollens  ist:  du  sollst  bey  allem  deinem 
Thun   und  Lassen   die   ergründete  Wahrheit,   d.  h.   die  Offenbarung  des  denkenden 
Urwesens   am  Wesen  der  Dinge  vor  Augen  haben,   sollst  lebendiger  Zeuge  des  Ur- 
wahren durch  das  Wahre  in  deinem  Erkennen,  und  durch  dein  Erkennen  in  deinem 
demselben    angemessenen  Thun  und  Lassen  seyn.     So  lange  aber  noch  das  Schein- 
denken die  Stelle  des  Denkens  als  solchen  in  unsrem  Bewusstseyn  einnimmt;  muss 
einen  Mann   von  lebendigem  Gefühle  der  Wahrheit  —  jede  angebliche  Erkenntniss 
der  Wahrheit  durch  ihren  Contrast  mit  seinem  Gefühle  nöthigen  neben  der  Ansicht 
des   Wahren  auch   noch   eine   davon   verschiedene  Ansicht  des  Guten  anzunehmen. 
Eine  reine  Moralphilosophie  ist  so  wenig  möglich  als  eine  reine  Physik;  unser 
sittliches  Handeln  ist  unser  individuelles  und  in  so  ferne  immer  empirisches  Wollen 
unter  dem  dasselbe  veredelnden  Sollen,  folglich  unter  der  Nothwendigkeit  der  reinen 
Erkenntniss  die   in   Beziehung  auf  den  Willen  die   moralische  Nothwendigkeit  ist. 
Die   reine  Philosophie   verhält   sich  wie   schon  Leibnitz  bemerkt  hat  zur  Moral  wie 
die  Mathematik  zur  Physik. 

Gäbe  es  eine  besondere  Theorie  der  Praxis,  so  müsste  diese  ja  selbst  nur  ein 
Theil  der  Theorie  überhaupt  seyn.  Mir  scheint  eine  Erkenntniss  nicht  darum  weil 
sie  ein  Handeln  zum  Gegenstand  hat,  sondern  nur  dann  wenn  sie  beim  Handeln  in 
der  Praxis  erworben  wird,  praktisch  heissen  zu  müssen,  und  diese  kann  darum 
immer  nur  zu  dem  Empirischen  gehören.  Auch  taugen  die  praktischen  Kenntnisse 
nicht  viel  wenn  ihnen  nicht  richtige  theoretische  zum  Grunde  liegen.  Praktische 
Philosophie  ist  mir  kein  Theil  der  Philosophie  als  Wissenschaft,  und  überhaupt  nicht 
Wissenschaft,  sondern  die  Anwendung  der  Wissenschaft  im  Leben,  die  Praxis  der 
Philosophie  im  Thun  und  Lassen. 

So  viel  für  heute;  und  nun  nur  noch  den  innigsten  Dank  für  die  vielen  und 
herrlichen  Aufschlüsse  die  mir  durch  Ihr  Studium  der  Philosophie  auch  für  das 
Meinige  geworden  sind  und  noch  werden  müssen.  Seitdem  ich  mich  mit  meinen 
Briefen  über  die  Kantische  Philosophie  in  meinem  28sten  Jahre  ins  Publikum  wagte, 
habe  ich  immer  sehr  viel  der  Correspondenz  mit  meinen  Lehrern  zu  verdanken 
gehabt,  zuerst  mit  Kant,  dann  mit  Fichte,  dann  mit  Bardili,  und  nun  so  Gott  will; 
auch  mit  Herbart.  —  Die  letztere  ist  mir  um  so  mehr  Bedürfniss  —  da  ich  durch 
mein  Systemwechseln,  und  durch  die  Un Verständlichkeit  meiner  späteren  Luku- 
brationen   —    endlich    um    alle    Leser   und   Theilnehmer   an    meinem   Forschen   ge- 


November  1808.  21 


kommen  bin  —  ganz  vereinzelt  bin  —  und  Niemanden  habe  außer  ein  paar  jungen 
Leuten  zu  denen  mein  ältester  Sohn1)  gehört  an  dem  ich  die  Verständlichkeit  meiner 
Darstellung  prüfen  könnte.  Die  Fibel  —  sowie  der  Versuch  einer  Critik  der  Logik, 
den  ich  weil  ihn  die  Wenigen  denen  ich  ihn  mittheilte,  nicht  verständlich  fanden 
—  in  der  ganzen  Auflage  auf  meinem  Boden  hingelegt  habe  —  ist  auf  meine  Kosten 
gedruckt,  und  da  ich  von  meiner  Besoldung  mit  meiner  Familie  leben  muss,  so  darf 
ich  diesen  Weg  zu  versuchen  ob  ich  nicht  endlich  im  Publikum  jemand  finde,  der 
sich  mit  mir  einlässt  —  nicht  weiter  einschlagen. 

Mit  Verehrung  und  Liebe  Der  Ihrige. 

228.    An  C.  L.  Reinhold  in  Kiel.2)  Nov.  1808. 

....  Nachdem  ich  von  dem  Princip  gesprochen,  sollte  ich  auf  die 
Methode  kommen.  Aber  statt  der  philosophischen  Methode,  vermöge 
welcher  neue  Begriffe  sollen  erzeugt  werden,  sehe  ich  nichts  als  eine  nette, 
reinliche  Anordnung  längst  bekannter  Gegenstände.  —  Nachdem  in  den 
ersten  4  Paragraphen  das  Princip  exponiert  war,  was  nöthigt  Sie  nun  fort- 
zufahren? Warum  endigen  Sie  nicht  sogleich?  Vollends,  wie  kommen  Sie 
im  §  5  auf  den  Wandel?  Was  führt  Ihnen  die  Zeit  herbey?  In  dem  bloßen 
Begriff  der  Verschiedenheit  liegt  nichts  davon.  Aber  freylich,  wir  erfahren 
hier  wie  Sie  die  Verschiedenheit  gleich  Anfangs  gedacht  hatten.  Und  so 
berichtet  uns  die  fernere  Exposition,  was  von  Anfang  an  gemeint  gewesen 
sey.  Wollten  Sie  nichts  anders  als  uns  eine  Ansicht  der  Welt  von  einem 
bequemen  Standpunct,  der  in  der  Mitte  liegt,  allmählig  eröffnen,  so  daß 
wir  nicht  nöthig  hätten,  selbst  Gedanken  zu  erzeugen,  sondern  nur  Ihrem 
Denken  gleichsam  zuzusehn:  ich  räume  Ihnen  alsdann  gerne  ein,  daß  Ihre 
Ansicht  wohl  so  gut  ist  wie  die  ScHELLiNG'sche;  nur  meinem  Philosophiren 
ist  mit  allen  dergleichen  Ansichten  gar  nichts  geholfen,  so  lange  noch  die 
Widersprüche  in  den   Begriffen   fortdauern. 

Hier  finde  ich  mich  zugleich  bey  dem  Anfange  Ihres  Briefes,  und 
bei  der  Untersuchung,  ob  denn  die  Grundbegriffe  Ihrer  Ansicht  auch 
denkbar  sind?  —  Sie  sprechen  von  einer  Verbindung,  durch  welche  der 
Widerspruch,  der  ihr  i?n  Wege  stand,  entdeckt  u?id  aufgehoben  wird.  Zuerst 
müßte  ich  fragen:  Welchen  Widerspruch  meinen  Sie?  Giebt  es  etwa  nur 
einen?  In  den  §§  3 ,  4  und  11  meiner  Metaphysik  finden  Sie  deren 
mehrere,  die  gleich  ursprünglich  vorliegen,  aber  eine  sehr  verschiedene 
Behandlung  erfordern.  —  Aber  zur  Hauptsache:  Ist  Ihnen  wirklich  ent- 
decken und  aufheben  eines  Widerspruchs  einerley?  Dann  bedürfen  Sie 
freylich  keiner  Methode,  um  den  entdeckten  aufzuheben.  Wissen  Sie 
etwas  von  einer  Verbindung,  wodurch  ein  Widerspruch  gehoben  werde? 
Ich    weiß,    daß  Fichte    sich    zu    solchen    heillosen  Synthesen    verirrt    hat; 


xj  Ernst  Reinhold  (1793—1855). 

2)  Aus  der  Zeitschr.  f.  exakte  Philosophie,  herausg.  von  O.  Flügel.  Bd.  XVIII, 
S.  77  ff.  Langensalza,  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann),  1891.  Nach  S.  240 
desselben  Bandes  ist  dieser  Brief  die  Antwort  Herbarts  auf  die  im  Briefe  Reinholds  auf- 
geworfene Frage:  „Sollte  nicht  die  zu  lösende  Aufgabe  im  Aufsuchen  derjenigen  Ver- 
bindung bestehen,  durch  welche  der  Widerspruch,  der  ihr  im  Wege  stand,  entdeckt 
und  aufgehoben  wird?"  S.  o.  S.  18.)  —  Der  Brief,  der  sich  im  Goethe-Schiller- Archiv 
zu  Weimar  befindet,  wurde  vor  der  Drucklegung  durch  gütige  Vermittelung  des  Herrn 
Geh.  Hofrats  Prof.  Dr.  B.  Suphan  mit  dem  Original  verglichen  und  berichtigt. 


22  November  1808. 


aber  ich  weiß  auch,  daß  zum  Widersprechen  zweyerley  gehört,  welches 
eins  des  Andern  Gegentheil  ausspricht,  und  zwar  so,  daß  dies  Zweyerley 
behauptet,  Einerley  zu  seyn;  woraus  denn  folgt,  daß  man  die  Wider- 
sprechenden trennen  muß  (nicht  aber  verbinden),  will  man  sich  überall 
nur  Rechenschaft  geben,  was  denn  in  dem,  an  sich  undenkbaren,  Wider- 
spruch, das  Denkbare  ausmache.  Das  weitere  giebt  meine  Methode  der 
Beziehungen. 

Ob  die  Grundbegriffe  Ihrer  Ansicht  denkbar  seyen?  Ob  also  diese 
Ansicht  wenigstens  für  eine  mögliche  Ansicht  gelten  könne?  Diese  Frage 
ist  noch  übrig.  —  Ich  darf  als  bekannt  voraussetzen,  daß  die  Philosophie 
von  jeher  zu  kämpfen  hatte  mit  Fragen  wie  diese:  wie  kann  eine  Kraft 
außer  sich,  wie  in  die  Ferne  wirken?  Also  seyn  wo  sie  nicht  ist?  Wie 
kann  das  Ich,  das,  als  Ich,  nur  Sich  setzen  sollte,  ein  Nicht-Ich  setzen? 
Wie  können  (in  der  Platonischen  Lehre)  die  Ideen  aus  sich  heraus  gehn, 
und  sich,  in  irgend  einem  Sinne,  der  Materie  mittheilen?  Wie  kann  (in 
der  Hypothese  vom  infl.  phys.)  die  Seele  den  fremden  Eindruck  in  sich 
nehmen,  und  ihr  Begehren  aus  sich  heraus  in  den  Körper  treten  lassen? 
—  Alle  diese  Fragen  stehen  unter  der  Formel:  wie  kann  A,  das,  durch 
seinen  Inhalt  gedacht,  nur  A  ist,  noch  jenseits  seiner  selbst,  in  B,  als  mit 
demselben  zusammenhängend,  (gleichviel  ob  passiv  oder  aktiv)  angetroffen 
werden?  Was  ist  A  außer  A?  Ein  Widerspruch  ohne  Zweifel,  denn  es 
setzt  voraus,  daß  etwas  zu  A  gehöre,  das  doch  zu  A,  als  A,  nicht  gehört. 
Wer  nun  die  Schwierigkeiten  der  Philosophie  durch  Dreistigkeit  der  Be- 
hauptungen glaubt  decken  zu  können,  für  den  ist  ohne  Zweifel  das  kürzeste, 
den  Zusammenhang,  vermöge  dessen  irgend  ein  A  sich  in  B,  einem  Andern 
als  A,  betreffen  läßt,  absolut  zu  setzen!  Das  ist  die  treffliche  Methode,  die 
Probleme  dadurch  unsichtbar  zu  machen,  daß  man  Fragepuncte  in  Be- 
hauptungen verwandelt,  die  Schwierigkeiten,  die  Undenkbarkeiten  selbst, 
triumphierend  als  veststehende  Principien  hinstellt!  Daran  kennen  wir 
Schelling;  davon  ist  Fichte  nicht  mehr  frey,  und,  ich  muß  es  sagen,  auf 
diesem  Wege  finde  ich  jetzt  auch  Reinhold!  Denn,  was  ist  dieser  Zu- 
sammenhang der  Einheit  mit  der  Verschiedenheit?  —  Soll  es  nur  ein 
leerer  Begriff'  seyn,  der  der  Untersuchung  ob  er  real  sey,  noch  entgegen- 
geht, dann  hat  man  nur  die  Klarheit  der  Exposition  zu  loben;  dann  ist 
alles  vortrefflich,  was  von  der  Unmischbarkeit  und  Untrennbarkeit  vor- 
kommt. Aber  so  tritt  dieser  Begriff  nicht  auf.  Das  klarste  Bekenntniß 
enthält  §  9.  Dort  ist  das  Seyn  nicht  etwa  das  Unwandelbare  selbst, 
sondern  sein  Verhalten  zum  Wandelbaren.  Wie,  das  Seyn  ist  ein  Ver- 
halten? Die  Sprache  muß  den  reinsten  Ausdruck  der  Absolutheit  hergeben 
zu  einer  Relation?  Freylich  muß  sie;  denn  die  Einheit  ist  ja  gleich  An- 
fangs aufgestellt  als  zusammenhängend  mit  ihrem  trtQOv.  Woraus  denn 
folgt,  daß  weder  die  Einheit  noch  die  Verschiedenheit  das  Seyn  besitzt, 
sondern  nur  der  Zusammenhang  ein  reelles  Verhalten  zweyer  nicht  realen 
Glieder!  —  Sonst  denken  wir  uns  ein  Verhältniß  als  möglich,  wenn  die 
Glieder  dazu  schon  wirklich  vorhanden  sind.  Aber  Fichte,  Schelling 
und  nun  auch  Reinhold,  setzen  mit  Winterl  das  Band  absolut.  —  Von 
dem  Tage  an,  wo  Sie  alle,  meine  Herrn,  dieses  Band  ins  Feuer  werfen, 
und    bey  Ihrer    philosophischen    Muse    geloben    werden,    dieses    sinnlosen 


November  1808. 


23 


Bandes  niemals  wieder  zu  gedenken:  von  einem  solchen  dreymal  glücklich 
zu  nennenden  Tage  an  darf  Deutschland  hoffen,  daß  Sie  ihm  Ihre  Ver- 
sprechungen halten,  daß  Sie,  unter  sich  selbst  einig,  den  Weg  der  ächten 
Forschung  wandeln  werden.  —  Denn  von  diesem  Tage  an  werden  Sie 
Sich  gedrungen  finden,  den  Zusammenhang,  der  uns  freylich  überall,  in 
der  Natur  und  im  Bewußtseyn,  gegeben  ist,  als  einen  Wegweiser  zu  ge- 
brauchen, der  uns  eben  dadurch  führt,  daß  er  uns  nöthigt,  seine  Undenk- 
barkeit methodisch  aufzuheben,  indem  wir  uns  überall  an  dem  geraden 
Gegentheil  des  Undenkbaren,  als  an  dem  Einzig-Übrigen  vesthalten. 

Sie  wollten,  daß  ich  spräche.  Ich  hätte  mit  halber  Stimme  sprechen 
können;  das  habe  ich  Ihrer  und  meiner  unwürdig  geglaubt;  auch  hätte 
es  nur  Täuschungen  unterhalten,  als  wären  wir  einander  näher  wie  wir 
sind.  Meine  große,  und  längst  entschiedene,  Verehrung,  nicht  bloß  für 
Ihre  Wahrheitsliebe,  nicht  bloß  für  die  erweckende  Kraft  Ihrer  Sprache, 
sondern  auch  für  die  Bestimmtheit  des  Denkens  und  für  das  anhaltende 
Fortschreiten  unter  scharfen  Begriffen,  wodurch  Ihre  spätem  wie  Ihre 
früheren  Schriften  charakterisirt  sind,  —  diese  Verehrung  darf  nicht  einen 
Augenblick  zweifelhaft  scheinen.  Ich  leide  am  meisten  dabey,  indem  ich 
nicht  einstimmen  kann  mit  den  ersten  Denkern  der  Nation.  Mich  trösten 
nicht  die  jungen  Leute,  die  meine  Lehre  annehmen,  weil  sie  nichts  anderes 
kennen.  Ich  erinnere  mich  wohl,  daß  ich  keinen  Freybrief  habe  gegen 
den  Irrtum.  Aber  ich  habe  von  meinen  Knabenjahren  an  gedacht,  ich 
habe  die  höchsten  Anstrengungen  und  Entsagungen  nicht  gescheut;  ich 
bin  endlich  zu  Überzeugungen  gelangt.  Ich  darf  also  sprechen;  und  zwar 
mit  mehr  Nachdruck  in  einem  Briefe,  als  ich  es  vor  dem  Publikum  thun 
würde,  denn  diesem  ist  es  schädlich,  die  Uneinigkeit  der  Philosophen 
zum  Schauspiel  zu  haben.  — 

Ich  bitte  mir  nicht  zu  zürnen,  und  mich  dem  Herrn  Professor  Hensler 
zu  empfehlen,  von  dessen  Gesundheit  bessere  Nachrichten  zu  erhalten 
mich  sehr  erfreuen   würde.     Mit  der  vollkommensten  Hochachtung 

Ihr  gehorsamer  Herbart. 

229.    Oriepenkerl  an  H.1)  Hofwyl,  14.  Nov.  1808. 

Gestern  ist  mir  von  Ihnen,  Herr  Professor  ein  freundschaftlicher  Gruß  ge- 
bracht durch  H.  Krule,  worüber  ich  eine  große  Freude  hatte,  ich  wurde  zugleich 
dadurch  erinnert,  daß  ich  sehr  Unrecht  habe,  Ihnen  in  vier  Monaten  nichts  von 
meinem  jetzigen  Geschäft  und  von  meiner  Freude  daran  mitgetheilt  zu  haben.  Ver- 
zeihen Sie  mir  die  Nachlässigkeit;  sie  hat  keinen  schlechten  Grund;  ich  kann  Sie 
und  Göttingen  niemals  vergessen. 

"Wie  werden  Sie  sich  wundern,  wenn  ich  Ihnen  schreibe,  daß  ich  hier  in 
Hofwyl  in  jeder  Rücksicht  befriedigt  bin,  daß  alle  meine  Interessen  in  lebhafter  An- 
regung sind!  —  Fellenberg  ist  ein  Mann,  aus  dem  noch  alles  zu  machen  ist.  Er 
war  in  früherer  Zeit  ein  arger  Schwärmer,  das  zog  ihm  den  Narren  zu.  Jetzt  hat 
sich  der  Schaum  gesetzt  und  es  ist  ein  reicher,  gediegener,  guter  Wille  mit  uner- 
schöpflicher Thatkraft  übrig  geblieben.  Er  kann  weder  der  Kraft  des  Gedankens, 
noch  der  Kraft  der  Begeisterung  widerstehen.  So  habe  ich  ihn  vom  Anfange  meiner 
näheren  Bekanntschaft  mit   ihm   richtig  herausgefunden  und  behandelt;   und  er  ist 


J)  3  S.  kl.  4«.  —  H.  Wien. 


2a  November  1808. 


ebenso  sehr  mein  Freund,  als  ich  der  seinige  bin.  Daß  ich  das  zum  Vortheil  der 
guten  Sache  nach  meinen  Kräften  benutze  versteht  sich;  und  so  habe  ich  die 
Freude,  einen  nicht  unbedeutenden  Theil  Ihrer  Pädagogik  hier  schon  jetzt  in 
lebendiger  Ausführung  zu  sehen;  und  zu  der  Ergänzung  des  noch  fehlenden  trägt 
jeder  Tag  das  Seinige  bei.  ||  Wir  haben  jetzt  in  unserer  Erziehungsanstalt,  die  von 
dem  ökonomischen  Institute  ganz  getrennt  ist,  11  Zöglinge  und  für  sie  4  Lehrer.  Diese 
Zöglinge  sind  und  die  künftigen  werden  nur  unter  der  Bedingung  angenommen,  daß 
sie  ihre  ganze  Elementarbildung,  d.  h.  bis  zum  18ten  Jahre  bei  uns  vollenden.  Für 
diese  ganze  Elementarbildung  habe  ich  neulich  einen  Plan  entworfen,  der  Fellen- 
bergen befriedigte  und  nach  welchem  das  Ganze  wie  das  Einzelne  jetzt  kräftig  und 
thätig  organisirt  wird.  Bei  der  Bearbeitung  dieses  Planes  ist  es  mir  aufgefallen,  wie 
sich  auch  mir  die  ganze  Pädagogik  unter  einem  anderen  Gesichtspunkte  gezeigt  hat. 
Oft  glaubte  ich  etwas  Neues  zu  haben  und  dann  war  es  doch  immer  das  wohl- 
bekannte Alte,  was  in  Ihrer  allgemeinen  Pädagogik  vor  mir  lag.  Ich  werde  Ihnen 
bald  meine  Ansicht  der  Sache,  denn  weiter  ist  sie  durchaus  nichts,  als  eine  Hülfe, 
mittheilen  und  um  Ihr  Urtheil  bitten. 

Die  Menge  von  herrlichen  Arbeiten,  die  ich  auf  diese  Weise  vor  mir  sehe 
wird  mich  gewiß  bald  zu  dem  Entschlüsse  bringen,  mein  ganzes  Leben  der  Päda- 
dagogik  zu  widmen  und  wo  möglich  in  Hofwyl  zu  bleiben,  da  mir  dieser  Platz  die 
Befriedigung  aller  meiner  Bedürfnisse  wenn  auch  nicht  schon  gewährt,  doch  ver- 
spricht. Auf  Ihren  freundschaftlichen  Eath  rechne  ich  dabei  mit  aller  Zuversicht; 
denn  ich  sehe  mein  ganzes  Treiben  in  dem  Fache  nur  als  einen  Zweig  Ihres  päda- 
gogischen Gedankenkreises  ||  an,  der  ohne  den  Stamm  sehr  bald  verdorren  würde. 
Darum  müssen  Sie  mir  auch  gleich  eine  Bitte  verzeihen,  die  sich  darauf  bezieht. 
ich  möchte  gern  den  Homer  ganz  in  Ihrem  Plane  mit  meinen  Zöglingen  lesen,  und 
da  habe  ich  den  rechten  Punct  noch  nicht  getroffen.  Widmen  Sie  mir  darüber 
doch  recht  bald  eine  Seite,  ich  bitte  dies  im  Namen  meiner  Zöglinge,  denen  die  Er- 
füllung dieser  Bitte  zu  Gute  kommen  wird.  Hat  vielleicht  Dissen  schon  etwas 
Brauchbares  darüber  gearbeitet?  —  — 

Zwei  Monate  war  ich  vergangenen  Sommer  bei  Pestalozzi.  Das  Theoretische 
seiner  Ansicht  ist  sehr  in  Unordnung.  Die  praktische  Ausführung,  ob  sie  gleich  der 
Theorie  voraus  ist,  wird  noch  lange  zu  ringen  haben,  bis  man  sie  lückenlos  nennen 
kann.  Übrigens  sind  sie  dort  so  im  Fortschreiten  begriffen,  daß  ein  Urtheil  über 
sie  nie  viel  länger  als  6  Monate  gültig  bleibt.  Schmid  und  ....  Niederer  sind  die 
besten  von  Pestalozzis  Mitarbeitern.  Schmid  ist  ein  wahrhaft  philosophischer  Kopf; 
aber  sehr  einseitig  gebildet.  Niederer  ist  es  nicht  minder;  nur  verdirbt  ihm  ein 
blind  hineingreifendes,  fast  berauschtes  Gefühl  alle  ruhige  Besinnung  und  alles  ruhige 
Denken.    Kennen  Sie  vielleicht  die  Wochenschrift  von  Pestalozzi  und  seinen  Freunden? 

Was  Fichte  in  seinen  Reden  an  die  deutsche  Nation  über  Pestalozzi  und  über- 
haupt von  Pädagogik  sagt,  hat  meine  Achtung  für  den  großen  Mann  von  der  einen 
Seite  sehr  verringert  und  von  der  anderen  gehoben.  Die  Inconsequenz  steht  dem 
ächten  Deutschen,  der  so  spricht,  gar  schlecht.  Wird  er  mit  seinem  Idealismus  nicht 
bald  zum  Plato  —  soll  ich  sagen  gestiegen  oder  gesunken  —  sein?  Ist  denn  eine 
Philosophie  etwa  nur  ||  ein  Staatskleid,  das  man  mit  dem  Alltagskleide  nun  alle  Fest- 
tage wechselt;   oder  ist  sie  nicht  vielmehr  das  Nervensystem  des  Gedankenkreises? 

Mit  großer  Sehnsucht  sehe  ich  einigen  Zeilen  von  Ihnen  entgegen  und  bin 
ewig  mit  ganzem  Herzen  der  Ihrige  F.  Griepenkerl. 


November  1808.  25 


230.    Gries  an  H.1)  Jena,  den  16ten  Novbr.  1808. 

Wenn  Du,  mein  alter,  theurer  Freund,  von  meinem  Leben  und  Treiben  in  den 
letzten  fünf  Monaten  nicht  zufällig  etwas  vernommen  hast,  so  wird  die  Ueberschrift 
dieses  Blatts  dich  nicht  wenig  in  Erstaunen  setzen.  Ja,  ich  bin  wieder  in  Jena,  auf 
dem  alten  Schauplatz  unsrer  Jugend-Freuden  und  Leiden,  an  dem  Orte,  der  uns 
beiden  durch  tausend  Erinnerungen  so  werth  ist.  "Wie  ich  hierher  gekommen  bin, 
das  laß  Dir  erzählen. 

So  sehr  es  mir  Anfangs  in  Heidelberg  gefallen  hatte,  so  wenig  wollte  es  mir 
auf  die  Länge  dort  behagen.  Heidelberg  ist  ein  Paradies;  aber  die  Menschen  darin 
sind  dieses  Paradieses  so  wenig  werth,  als  unsre  ersten  Eltern  jenes  alten.  Im 
Sommer  läßt  sich  das  allenfalls  ertragen;  aber  wie  im  Winter?  Kurz,  es  ward  mir 
immer  deutlicher,  daß,  unter  den  gegenwärtigen  Umständen  der  dortige  Aufenthalt 
für  mich  nicht  zweckmäßig  sey,  und  die  Auswanderung  ward  beschloßen.  Nur  den 
Ariost  wollte  ich  dort  noch  vollenden.  Kaum  aber  hatte  ich  den  letzten  Strich  an 
meiner  Arbeit  gethan,  so  ergriff  ich  den  Stab  und  wanderte  in  die  Schweiz. 

Drei  Monate  lang  zog  ich  in  dem  herrlichen  Lande  umher  und  schwelgte  im 
Genuß  dieser  unbeschreiblich  schönen  Natur  fast  bis  zum  Uebermaaße.  Den  größten 
Theil  der  deutschen,  französischen  und  italiänischen  Schweiz  habe  ich  durchwandert; 
ja,  bis  über  die  Gränzen  Italiens  bin  ich  vorgedrungen  und  habe  vom  Thurme  des 
Doms  zu  Mailand  die  blauen  Apenninen  wenigstens  —  liegen  sehen.  Ich  weiß  doch 
nun,  was  für  ein  Weg  nach  Rom  führt,  und  ich  hoffe  ihn  zu  seiner  Zeit  schon  zu 
finden.  Daß  ich  auch  in  Bern  gewesen  bin,  versteht  sich  von  selbst.  Ich  fand 
unsre  alten  Freunde  Otth  und  May  recht  veignügt  im  Kreise  ihrer  Familien  (denn 
auch  May  ist  nun  Gatte  und  Vater.)  Unsern  edeln  Steck  fand  ich  leider  nicht  mehr. 
Uebermäßige  Anstrengungen  haben  ihn  schon  vor  zwei  Jahren  zu  dem  guten  Fischer 
in's  Grab  gebracht;  Anstrengungen  für  ein  Vaterland,  das  ihn  im  Grunde  nicht 
einmal  zu  schätzen  wußte. 

Wie  gern  hätte  ich  mich  von  Dir  in  dieser  reizenden  Gegend  herumführen 
laßen!  Wie  oft  gedachte  ich  der  Zeit,  als  Du,  Berger,  Hülsen,  Eschen,  Böhlendorff 
und  Muhrbeck  dort  noch  weilten !  Ich  fühlte  mich  oft,  umgeben  von  allem,  was  die 
Natur  Herrliches  und  Anmuthiges  darbietet,  sehr  einsam  und  verlaßen.  Meine 
Rückreise  nahm  ich  durch  Baiern  und  Franken,  und  so  kam  ich,  am  Ende  des 
vorigen  Monats,  wieder  nach  Jena  zurück,  wo  ich  nun  vor  der  Hand  zu  bleiben 
denke. 

Warum  ich  Jena  wieder  zum  Aufenthalt  wählte?  Lieber  Freund,  da  man,  so 
lange  man  noch  in  der  Zeit  ist,  doch  auch  irgendwo  im  Räume  seyn  muß,  so  ist 
mir  Jena  noch  immer  eben  so  lieb,  als  mancher  andre  Ort,  und  in  einiger  Rücksicht 
lieber.  ||  Gut  ist  es  jetzt  nirgend;  und  hier  wußte  ich  doch  wenigstens  was  ich  finden 
würde,  und  kam  gewiß  nicht  mit  überspannten  Erwartungen  hieher,  wie  ich  nach 
Heidelberg  kam.  Es  sind  noch  immer  einige  Familien  hier,  mit  denen  ich  gern  um- 
gehe. Das  Uebrige  ignorire  ich;  und  so  hoffe  ich  hier,  eine  Zeit  lang,  wenn  nicht 
ausnehmend  vergnügt,  doch  leidlich  zufrieden  zu  leben  und  in  ungestörter  Ruhe  an 
der  zweiten  Auflage  meines  Taßo  zu  arbeiten.  Und  wer  weiß,  ob  mir  die  Musen 
hier  nicht  noch  einmal  einen  eigenen  Gaul  satteln,  da  ich  mich  bis  jetzt  immer  nur 
mit  gemietheten  beholfen  habe? 

Und  du,  lieber  Herbart,  wie  lebst,  was  treibst  Du?  Ich  habe  so  lange  nichts 
von  Dir  vernommen,  daß  ich  wohl  mit  Recht  diese  Frage  thun  kann.  Doch  ja, 
etwas  habe  ich  von  Dir  vernommen,  und  zwar  etwas  sehr  Erfreuliches.     In  Nürn- 

x)  H.  Wien. 


2  6  November  1808. 


berg  fiel  mir  zufällig  der  Meßkatalog  in  die  Hände  und  belehrte  mich,  zu  meiner 
großen  Freude,  daß  Du  dich  entschloßen  hast,  etwas  von  Deinen  musikalischen 
Arbeiten  bekannt  zu  machen.  Du  weißt,  wie  lange  ich  Dich  schon  darum  gebeten 
habe.    Ist  diese  Sonate  schon  wirklich  erschienen?  Ich  freue  mich  unendlich  darauf. 

Mir  ist  die  Musik  noch  immer,  was  sie  mir  von  jeher  war,  die  liebste  und 
anziehendste  Beschäfftigung.  Ich  weihe  ihr  täglich  mehrere  Stunden,  und  obwohl 
ich  es  nie  zu  einem  Grade  von  Virtuosität  gebracht  habe,  so  würde  ich  doch  sehr 
unglücklich  seyn,  j|  wenn  mir  dieser  Trost  einmal  geraubt  würde.  Die  Musik  war  die 
erste  Yeranlaßung  zu  unsrer  Bekanntschaft  und  sie  versiegelte  unsern  Bund.  Er- 
innerst Du  Dich  noch  daran,  wie  wir  Mozarts  herrliche  Doppelsonate  im  Concerte 
spielten? 

Ich  habe,  seit  meiner  Rückkehr,  schon  oft  mit  sehnsüchtiger  Wehmut  jener 
Zeiten  gedacht.  Sie  liegen  nun  freilich  weit  hinter  uns;  aber  —  die  Hand  auf's 
Herz  —  haben  wir  beßere  gesehen  seitdem?  Ich  wenigstens  nicht.  Und  was  mir 
das  Leben  auch  hernach  noch  Gutes  und  Erfreuliches  gewährt  hat,  ich  habe  es 
meistens  jener  Zeit  zu  danken. 

Von  Berger,  Hülsen,  Rist  und  Böhlendorff  weiß  ich  leider  wenig  oder  nichts. 
Ach,  daß  die  Zeit  ein  Band  lösen  konnte,  das  sie  immer  fester  hätte  zusammen 
ziehen  sollen!  Von  Böhlendorff  sagte  mir  der  Pfarrer  Wyttenbach  in  Bern,  er  sey 
plötzlich  aus  Curland  weg  und  nach  Petersburg  gegangen,  um  dort,  den  Wißen- 
schaften  gänzlich  absagend,  das  Buchbinderhandwerk  zu  erlernen.  Womit  wird  der 
Unglückliche  noch  enden?  Der  Tod  des  guten  Peter  Firks  ist  mir  um  seinetwillen 
doppelt  schmerzhaft.  Ich  weiß,  mein  Freund,  daß  Du  mir  bleibst,  auch  schweigend. 
Aber  doch  sehne  ich  mich  manchmal  nach  einem  sichtbaren  Zeichen  deines  An- 
denkens. Du  wirst  es  mir  nicht  versagen.  Ich  bin  genügsam  geworden;  wenige 
Zeilen  werden  mir  viel  Freude  geben. 

Leb  wohl.  Dein  J.  D.  Gries. 

Den  letzten  Theil  des  Ariost  hast  Du  doch  erhalten? 

231.     An    Carl   V.    Steiger.1)  Göttingen  2isten  Nov.   1808. 

Dein  heutiger  Brief,  mein  Theurer,  macht  es  mir  zur  Pflicht,  sogleich 
die  Feder  zum  Dank,  für  eine  so  lebhafte  Erinnerung  an  mich,  anzusetzen; 
die  mich  sehr  erfreut,  wenn  schon  es  mir  leid  thut,  die  Besorgnisse  erregt 
zu  haben.  Früher  habe  ich  von  Dir  ein  paar  recht  schätzbare  Briefe  er- 
halten, und  noch  ehe  ich  wusste  dass  Dich  mein  Buch  beschäftigt  habe, 
würde  von  mir  ein  Brief  und  ein  Aufsatz  zu  Dir  gekommen  seyn,  den 
ich  den  Zuhörern  meiner  prakt.  Phil,  und  also,  vor  allen  Andern,  Dir, 
schuldig  zu  seyn  glaubte ;  hätte  nicht  mein  Georg  die  Abschrift  so  gänzlich 
durch  Schreibfehler  verunstaltet,  dass  ich  mich  selbst  zum  copiren  ent- 
schliessen  musste,  dazu  aber  fehlte  es  an  Zeit.  An  den  Nachrichten,  die 
ich  Dir  von  mir  im  Laufe  des  Sommers  hätte  geben  können,  hast  Du 
nichts  verloren,  ich  habe  auf  meiner  alten  Stelle  mein  altes  Geschäft  fort- 
geführt, mit  etwas  mehr  Anstrengung  als  mir  gut  war,  doch  jetzt  bin  ich 
durch  anhaltendes  Reiten  völlig  hergestellt.  Vielleicht  bald  werde  ich 
Dir  eine  Nachricht  von  mir  melden  können,  die  eine  starke  und  sehr 
angenehme  Veränderung  meiner  Lage  und  meines  Aufenthaltes  betrifft. 
Jetzt    ist    es   noch    ein  Geheimniss    und    ich    fürchte,    es  könnte  etwas  da- 

')  3  S.  4°. 


November  1808.  27 


zwischen  kommen;  indessen  sage  ich  Dir  im  Vertrauen  so  viel,  dass  Du 
vielleicht  richtig  rathen  wirst;  —  es  ist  eine  Vocation  an  mich  ||  gelangt, 
weit  her,  die  mich  vielleicht  in  den  Besitz  des  ehrenhaftesten  aller  phil. 
Katheder  setzen  wird.      Kannst  Du  gut  rathen? 

Ehe  Du  von  Grote  Nachrichten  erhalten  kannst,  muss  ich  Dir  wol 
sagen,  wo  er  zu  finden  ist.  Er  hat  im  Sommer  eine  Reise  nach  Eutin 
zum  Herzog  von  Oldenburg  gemacht,  dort  sehr  gefallen,  und  jetzt  einen 
Platz  in  der  Oldenburgischen  Regierungscanzley  erhalten.  Der  Treffliche 
verdient,  dass  es  ihm  wohl  gehe,  und  auch  meinem  Vaterlande  wünsche 
ich  Glück  dazu.  Die  ganze  Familie  ist  auf  den  Winter  hier  in  Göttingen. 
Die  älteste  Tochter,  Charlotte,  ist  jetzt  Gräfin  von  Palmedo.  Sie  hat 
eine  plötzliche  Heyrath  geschlossen,  über  der  noch  jetzt  eine  Art  von 
Geheimniss  schwebt.  Der  Graf  soll  indess  reich,  und  ein  achtungswerther 
Mann  seyn.  Die  gute  Mutter  sammelt  sich  mit  Mühe,  um  wenigstens 
zuweilen  einmal  heiter  zu  seyn,  eigentlich  aber  vergisst  sie  ihren  Verlust 
nicht  einen  Augenblick.  Unbeschreiblich  rührend  ist  die  sanfte  Trauer 
bei  einer  Frau,  welcher  die  tiefsten  und  so  sehr  gehäuften  Leiden  auch 
nicht  die  mindeste  Bitterkeit  geben  konnten. 

So  schnell,  mein  Guter,  bin  ich  fertig  geworden,  die  nothwendigen 
Nachrichten  für  Dich  nachzuhohlen ;  nicht  aber  so  schnell  ||  würde  ich  Dir 
in  jenes  wissenschaftliche  Feld  folgen  können,  in  das  Du  mich  gerufen 
hast.  Das  wird  mir  Gelegenheit  zu  einem  künftigen  Briefe  geben,  für 
jetzt,  denke  ich,  ist  das  eiligste  das  beste.  Aus  Deinem  Briefe  hoffe  ich 
schliessen  zu  dürfen  dass  es  Dir  wohl  geht,  dass  auch  unter  den  Deinigen 
nichts  Unangenehmes  begegnet  ist,  hoffentlich  hat  sich  auch  Dein  Herr 
Vater  wieder  erhohlt,  den  ich  mir  während  des  Sommers  gern  auf  einer 
Reise  nach  Pyrmont  begriffen  träumte,  folglich  auch  auf  einer  Durchreise 
nach  Göttingen.  Kommt  er  künftigen  Sommer,  so  ist  es  für  mich  wahr- 
scheinlich zu  spät.     Besser  wenn  er  dessen  gar  nicht  mehr  bedarf. 

Willst  Du  noch  etwas  von  mir  hören:  so  ist  es  dies,  dass  mir  seit 
einem  Jahre  hier  in  Göttingen  manche  kleine  Höflichkeiten  öfter  als  sonst 
erwiesen  sind,  die  mir  einige  Jahre  früher  sehr  angenehm  hätten  seyn  können; 
—  dass  meine  pract.  Phil,  in  der  Leipz.  Ztg.  wohlwollend  aber  mittel- 
mässig,  meine  Abhandlung  über  Piaton  in  der  Jenaischen  und  Hallischen1) 
scharf,  aber  recht  gescheut  recensirt  sind,  dass  ich  über  letztere  mich  er- 
klärt; —  dass  Reinhold  in  Kiel  mich  zum  philosophfischen]  Briefwechsel 
wiederhohlt  und  sehr  freundschaftlich  aufgefordert  hat  u.  dgl.  m.  Alle 
diese  Dinge  machen  immer  weniger  Eindruck  auf  mich.  Sehr  angenehm 
aber  ists  mir,  den  Fortschritten  zuzusehen,  die  Dissen  und  Thiersch  als 
Docenten  der  Philologie  machen.  Toelken  ist  in  Rom  mit  Stackeiberg2); 
ich   habe   nichts    als   mündliche  Grüsse   von  ihm  so  lange  er  weg  ist.    — 

Diese  eiligen  Zeilen,  Lieber,  sind  nur  bestimmt,  meine  Schuld  gegen 
Dich  vorläufig  um  etwas  zu  vermindern.  In  Deinen  Gesinnungen  gegen 
mich    hast  Du    die  Bürgschaft  für  die  meinigen;    niemals  kann  es  mir  an 


x)  S.  Bd.  I.  S.  334  ff. 

2)  Otto  Magnus  von  Stackeiberg.     Vgl.  Hartenstein,  Herbarts  KI.  phil.  Schriften. 
Lpzg.   1842,  I,  S.  LXVII. 


28  Dezember  1808. 


Interesse  fehlen  für  Das  was  Du  machst  und  was  Dir  begegnet.  Lass 
uns  bald  von  beyden  Seiten  recht  angenehme  Nachrichten  gegen  einander 
auswechseln.  Ganz  Dein  H. 

Deinem  Herrn  Vater  bitte  ich  die  Versicherung  meiner  unwandel- 
baren  Verehrung  angelegentlich  zu  wiederhohlen. 

232.     An   Smidt.1)  Göttingen  Dec.   1808. 

Mein  theuerster  Freund! 

Mein  jetziger  Brief  hat  eine  angenehmere  Veranlassung,  denn  die 
letzten,  die  ich  an  Dich  schrieb;  es  ist  von  keiner  Anleihe,  zu  der  ich 
jetzt  noch  fürchten  müsste  gezwungen  zu  werden  die  Rede.  Ich  soll 
noch  einmal  preussischer  Unterthan  werden.  Du  erinnerst  Dich  ohne 
Zweifel  dass  wir  Göttinger  es  schon  einmal  waren;  damals  wahrlich  sehr 
wider  Willen!  Aber  jetzt  hat  Krug  in  Königsberg  die  Ehre,  nach  Leipzig 
berufen  zu  werden,  wo  man  eine  Totalreform  der  Universität  vornehmen 
will;  (vielleicht  zum  Theil  mit  Rücksicht  darauf,  dass  er  ein  geborener 
Sachse  ist):  und  mir  wird  bey  dieser  Gelegenheit  das  unverhoffte  Glück, 
jenen  Platz  zu  erlangen,  nach  welchem  ich  mich  als  Jüngling  so  oft  in 
ehrfurchtsvollen  Träumen  hinsehnte,  wenn  ich  die  Werke  des  Königs- 
bergischen Greises  studirte!  Freilich  damals  stand  es  um  die  Kantische 
Philosophie  und  um  die  Preussische  Monarchie  anders  als  jetzt;  aber  in 
beyden  ist  noch  heute  etwas,  das  mich  mächtig  anzieht,  sobald  es  mich 
so  mit  allem  Fug  und  Recht  anlockt,  wie  jetzt.  Und  gewiss  mit  höchstem 
Fug  kann  man  in  Königsberg  erwarten  dass  ich  meine  hiesige  extraordinäre 
Professur  gegen  den,  in  einem  andern  Sinne  nicht -ordinären  Lehrstuhl 
Kant's,  meine  hiesigen  300  Thlr.  gegen  die  dortigen  1200,  und  das  halbe 
Zutrauen  der  Herrn  Heyne  [2]  und  J.  v.  Müller  gegen  die  Versicherung 
des  vollen  Zutrauens  womit  H.  v.  Auerswald,  Curator  der  K — gschen  Uni- 
versität mir  entgegenkommt,  bereitwillig  umtausche.  Sehr  gern  werde  ich 
es  als  Pflicht  der  Stelle  ansehn,  das  Andenken  Kants  erhalten  zu  helfen, 
und  manches  milder  auszudrücken,  was  vielleicht  sonst  härter  wäre  gesagt 
worden.  Endlich  sehr  gern  diene  ich  dem  Könige,  der  so  vieles  über- 
standen und  noch  den  Muth  behauptet  hat,  auf  so  grosse  Veränderungen 
im  Innern  sich  einzulassen.  Ich  werde,  wenn  ich  von  hier  gehe,  nicht 
glauben  Deutschland  zu  verlassen,  sondern  eher,  nach  Deutschland  zu 
reisen.   — 

Schon  zu  der  Veränderung  als  solcher  dürftest  Du  mir  Glück 
wünschen.  Ich  bedarf  eines  neuen  Reizes  von  Aussen.  Hier  in  Göttingen 
lässt  man  mich  in  Ruhe.  Das  ist  das  Verdienst  was  Göttingen  um  mich 
hat:  mir  war  Zeit,  Müsse,  Stille  gegönnt,  dass  ich  mich,  während  sich 
Niemand  um  mich  bekümmerte,  ganz  allein  um  die  Wissenschaft  und  um 
einige  Zuhörer  bekümmern  konnte.  Seit  die  nöthigsten  Arbeiten  geendigt 
waren,  verlangte  mich  darnach,  dass  Jemand  etwas  von  mir  verlange. 
Gewiss  haben  es  Manche,  vielleicht  auch  Du,  nicht  begriffen,  wie  ich  hier 
so  lange  aushalten  konnte.  Ich  fürchte,  bliebe  ich  noch  lange,  so  würde 
ich    es    am    Ende    selbst    nicht    begreifen    können.      Denn    auch    nur    die 

x)  4  S.  4°. 


Dezember   1808.  29 


Studienweise  in  Göttingen  (die  grossetitheils  auf  Nachschreiben  gegründet 
ist)  [3]  so  weit  umzuschaffen,  als  es  nöthig  war  um  einen  weitern  Wirkungs- 
kreis zu  erlangen,  dies  liess  sich  jetzt  nicht  leicht  hoffen,  da  der  Druck 
und  die  Ungewissheit  des  Künftigen  so  sehr  zu  den  Brotstudien,  die  all- 
gemeine Abspannung  in  der  philosophischen  Welt  so  sehr  von  meiner 
Wissenschaft  hinwegtreibt,  und  da  endlich  der  Berührungspuncte  zwischen 
mir  und  dieser  heutigen  philosophischen]  Welt  so  sehr  wenige  bis  jetzt 
zu  seyn  scheinen.  —  Aus  allen  diesen  Ursachen  ist  es  mir  wirklich  in 
der  letzten  Zeit  zuweilen  vorgekommen,  als  hätte  ich  Mühe,  nicht  ein 
wenig  einzuschlafen.  Zum  Trost  dienen  mir  einige  psychologische  Arbeiten 
des  letzten  Sommers.  Auch  hätte  mich  vielleicht  Reinhold  wach  erhalten; 
der  mit  mir  eine  Correspondenz  so  tapfer  angefangen  hat,  dass  er  drey 
Briefe  schrieb,  ohne  meine  Antworten  abzuwarten.  Jetzt  neulich  habe  ich 
eine  lange,  wissenschaftliche  Antwort  mit  einer  Freimüthigkeit,  fast  derb 
zu  nennen,  darauf  erwiedert.  Es  soll  mich  verlangen  welche  Aufnahme 
sie  finden  wird.  An  Versicherungen  er  wolle  mich  verstehen  lernen  wie 
er  ehemals  Kant,  dann  Fichte,  dann  Bardili  studirt  habe  —  daran  hat 
es  nicht  gefehlt.  Aber  ich  fürchte,  meine  Censur  seiner  neuesten  Schrift 
wird  einen  sehr  entgegengesetzten  Eindruck  machen.  Merkwürdig  ist,  dass 
der  Mann  noch  immer,  nicht  nur  die  alte  rühmliche  Wahrheitsliebe, 
sondern  auch  die  alte  Zuversicht  zu  seinem  jedesmaligen  neuesten  Fund 
vollkommen  beybehalten  hat.  —  Ich  weiss  nicht  ob  Du  [4]  einen  kleinen 
Kampf  um  den  Piaton  bemerkt  hast  zwischen  meinem  Rec.  in  der  J.  A. 
L.  Z.1)  und  mir  in  der  N.  L.  L.  Z.  Der  Recensent  ist  ein  junger  Prof. 
Böckh  in  Heidelberg,  er  hat  sich  mir  neulich  in  einem  Briefe  genannt, 
der  seinem  Charakter  Ehre  macht,  sowie  die  Rec.  seinem  Geiste.  In  der 
That,  von  allen  Recensionen,  die  bisher  über  meine  Schriften  erschienen 
sind,  verdiente  diese  allein  den  Namen  einer  Recension,  so  sehr  sie  auch 
mir  widerstritt  und  mich  misdeutete,  woran  grossentheil  die  Kürze  meiner 
Schrift  schuld  war.  —  Was  sagt  Ihr  Bremer  —  Scholarch,  Schullehrer 
und  Pädagogen  aller  Classen  —  von  Niethammers  Streit  des  Philanth. 
und  H.?  Nur  nichts  Gutes,  ich  bitte;  sonst  müsste  ich  gar  zu  arg  mit 
Euch  streiten.  Ich  habe  lange  nichts  Schlechteres  bey  so  viel  Prätension 
und  selbst  gutem  Willen,  gesehen.  Ungleich  besser  sind  Fichte's  Reden 
an  d.  d.  N.,  wiewohl  man  auch  hier  zu  oft  gewahr  wird,  dass  der  wahr- 
haft grosse  Mann  sich  herablässt  von  Dingen  zu  reden  die  er  nicht 
versteht. 

Die  Rückzahlung  der  mir  freundschaftlich  vorgestreckten  Summe  hast 
Du  hoffentlich  richtig  und  gleich  nach  der  Einforderung  von  Wardenburg 
erhalten.  Die  Ursache  meiner  Zögerung  lag  darin,  dass  ich  erst  mit  Hülfe 
der  Regierung  mir  in  Hinsicht  des  Gebrauchs  meines  mütterlichen  Ver- 
mögens Luft  machen  musste,  indem  ich  an  das  Testament,  wovon  ich 
Dir,  glaube  ich,  gesagt  habe,  erinnert  wurde.  Dem  Himmel  sei  Dank! 
Der  Ruf  von  Königsberg  scheint  auch  über  Verdrieslichkeiten  dieser  Art 
mich  ein  für  allemal  hinwegzurufen.  Dir  noch  einmal  meinen  herzlichsten 
Dank  für  jene  wahrlich  große  Gefälligkeit!   Es  verstand   sich   dass  Dir  die 


x)  S.  Band  I,  S.  334  ff.  u.  342  ff. 


->q  Dezember   1808. 


Rückzahlung    nie    geweigert    werden    konnte    nur   meine    Sache    wollte   ich 
damals  nicht  gern  erschweren. 

(Randbemerkung.) 
Wann  sehen  wir  uns  wieder,  mein  theurer  Freund?  Entweder  sehr 
bald,  oder  noch  lange  nicht.  Leider  das  letzte  ist  bey  weitem  das  Wahr- 
scheinlichste, denn  es  ist  mit  Nachdruck  verlangt,  ich  solle  beym  Anfang 
der  Collegien  in  K.  seyn,  und  hier  kann  ich  vor  Mitte  März  nicht  füglich 
schliessen.  Ich  sehe  daher  durchaus  nicht  ab,  woher  die  Zeit  zur  Reise 
kommen  soll.  Hätte  ich  den  Ruf,  der  mir  eine  so  gute  Einnahme  sichert, 
6  Wochen  früher  gehabt  (er  kam  am  Ende  der  Ferien)  so  würde  ich  das 
Geld  nicht  gescheut  haben,  sondern  Dich  und  Euch  alle  um  Michaelis 
besucht  haben.  Denn  allein  die  fatale  Geld-Angelegenheit,  die  eben  da- 
mals in  01d[enburg]  entschieden  werden  musste,  war  Schuld,  dass  ich 
nicht  kam.  —  Bestelle  wenigstens  meine  herzlichsten  Grüsse  an  Deine 
liebe  Frau  und  an  alle   Freunde.  Ganz  Dein   Herbart. 

2.  Dez.   1808.     H.  bittet  Hrn.  von  Müller  um  seine  Entlassung  in  Göttingen. 

233.    An  Carl  v.  Steiger.1)  Göttingen  16.  Dec.  1808. 

Was  ich  neulich  nur  als  ein  halbes  Räthsel  andeuten  konnte,  mein 
Bester,  das  ist  jetzt  so  gut  als  gewiss,  und  wird  bald  bekannt  werden. 
Es  ist  Kants  Lehrstuhl  in  Königsberg,  den  mir  der  dortige  Curator,  Hr. 
von  Auerswald  mit  beynahe  1200  Thlr.  Gehalt  angeboten  hat.  Damit 
ist  die  Pflicht  verbunden,  zwey  publica  zu  lesen.  Es  wird  Hoffnung 
gemacht  zur  Errichtung  eines  pädagogischen  Seminars  nach  meiner  Angabe. 
Die  beyden  Briefe,  welche  ich  erhalten  habe,  drücken  ein  so  gutes  Zu- 
trauen aus  und  geben  so  gutes  Vertrauen,  dass  ich  schon  deshalb  ver- 
sucht seyn  würde,  lieber  dort  als  hier  zu  leben,  wo  ich,  nachdem  das 
Mistrauen  der  Hrn.  Heyne  und  Brandes  gegen  alle  Philosophie  etwas 
milder  geworden  zu  seyn  scheint,  mit  Hrn.  von  Müller  (Deinem  Lands- 
mann) wieder  von  vorn  anfangen  müsste.  ||  Dieser  war  in  Berlin  durch 
Fichte'n  böse  gemacht,  und  es  ist  kein  Zweifel,  dass  ich  das  in  Göttingen 
hätte  entgelten  müssen.  Meinen  hiesigen  Nachfolger,  wenigstens  in  Hin- 
sicht der  Vorlesungen,  habe  ich  mir  schon  bestellt,  ich  meine  Dissen,  den 
ich  an  Heyne  empfohlen  habe,  und  mit  so  gutem  Erfolg,  dass  ich  auf 
dessen  Aufforderung  ihn  jetzt  auch  an  Hrn.  von  Müller  empfehlen  werde, 
welchem  ich  morgen  zu  schreiben  denke  um  die  Sache  abzumachen. 
Wenn  ich  nicht  geradezu  meinen  Abschied  suche  so  ist  es  nur  um  das- 
selbe in  eine  weichere  Form  zu  fassen.  Der  König  von  Preussen  hat 
wegen  der  Bestätigung  der  Vocation  eine  förmliche  Cabinetsordre  ge- 
geben, die  ohne  Zweifel  auf  Veranlassung  einer  Stelle  in  meinem  ersten 
Briefe  nach  Königsberg,  gesucht  worden  ist.  Werde  ich  einem  Souverain 
eine  abschlägige  Antwort  geben?  Schon  um  nicht  inconsequent  zu  scheinen, 
möchte  ich  es  nicht  gern,  denn  es  scheint  dass  man  meinen  ersten  Brief 
fast  als  eine  Zusage  angesehen  hat.     Und  es  ist  gut  so.  || 


l)  6  S.  8Ü.  —  Bei  Ziller  falsch  datiert. 


Dezember  1808.  31 


Dies  zweyte  Blatt1)  gehört  vor  Allem  Deinen  philosophischen  Be- 
merkungen worauf  ich  noch  die  Erwiderung  schuldig  bin.  Du  wirst  seit- 
dem in  der  Entwickelung  Deiner  naturrechtlichen  Tdeen  vorgeschritten 
seyn,  auch  in  meinem  Buche  sehr  bald  gesehen  haben  dass  wir  nicht  so 
verschiedener  Meinung  sind  wie  Du  glaubtest.  Du  erinnerst  mich  an 
S.  171  meiner  Schrift.  Dort  beginnt  die  Untersuchung;  es  werden  noch 
keine  Lehrsätze  aufgestellt.  S.  1  J$  findet  sich  das  Naturbedürfniss,  von 
dem  Du  sehr  richtig  sagst,  dass  es  dem  Naturrecht  zu  Statten  zu  kommen 
scheine,  denn  indem  dieses  die  Grade  der  Werthe  für  mögliche  Rechts- 
verhältnisse bestimmt,  bringt  es  sie  zuweilen  so  tief  herab,  und  der  Null 
so  nahe,  dass  minder  wissenschaftliche  Köpfe  das  Sehr- Kleine  von  der 
Null  nicht  mehr  unterscheiden  und  sich  einbilden,  ein  Recht  von  sehr 
geringem,  von  unendlich  kleinem  Werthe  sey  gar  kein  Recht,  vielmehr, 
ein  solches  nur  zu  denken,  sey  von  Natur  Unrecht.  Erinnern  wir  uns 
der  Irrational -Grössen.  ]/  5  kann  streng  genommen  nicht  gefunden  werden, 
eine  Grösse  die  in  der  zweiten  Potenz  5  gäbe  ist  ganz  undenkbar.  Aber 
an  deren  Stelle  etwas  zu  setzen,  das  unendlich  nahe  kommt,  das  ist 
möglich  und  geschieht  wirklich.  Für  die  Praxis  nun  ist  dies  unendlich 
nahe  Kommende  gleich  geltend  mit  j/  5 ;  für  die  Wissenschaft  hingegen 
muss  ||  das  Rationale  vom  Irrationalen  streng  geschieden  werden,  sonst 
gerathen  alle  Begriffe  in  Verwirrung.  —  Ich  verwerfe  nicht  die  Nothwehr. 
Aber  ich  verwerfe  die  Theorie  welche  das  dingliche  Recht  auf  den  eignen 
Leib,  gleich  einer  rationalen  Grösse  mit  mathematischer  Schärfe  glaubt 
hinstellen  zu  dürfen.  Ein  Recht,  das  ich  dem  Angreifer  auf  meinen  eignen 
Leib  geben  würde,  könnte  nur  unendlich  wenig  Werth  haben,  denn  mit 
vollem  kräftigen  Wollen  könnte  ich  nicht  überlassen,  die  Ueberlassung 
würde  wenig  mehr  seyn  als  ein  leeres  Wort.  Der  Streit  misfällt  aber. 
Da  es  nun  beynahe  keinen  Sinn  hat  dass  ich  ihn  meide,  so  folgt,  der 
Andere  müsse  ihn  meiden.  Im  gemeinen  Leben  achtet  man  nicht  auf 
dies  beynahe,  das  braucht  man  auch  nicht,  denn  für  die  Praxis  hat  das 
keine  Folgen;  hingegen  in  der  Wissenschaft  —  nimm  ein  dingliches  Ur- 
recht2) an;  alsbald  wirst  Du  Dich  überschwemmt  sehn  von  allen  denen  die 
je  unter  dem  Namen  der  Freyheit  und  Gleichheit  empfohlen  wurden.  Es 
ist  allerdings  auch  da  noch  etwas  wahres,  wo  die  Naturrechte  vom  Recht 
auf  Geistescultur  u.  s.  w.  sprechen.  Nämlich  zu  einer  Zeit,  wo  Geistes- 
bedürfnisse auf  einige  lebhafte  Köpfe  wie  mit  einer  Natur-Gewalt  wirken, 
vermöge  deren  sie  ihre  geistige  Existenz  ebenso  vertheidigen  wie  jeder 
zu  jeder  Zeit  seine  physische  Existenz;  da  können  vorhandene  Rechts- 
verhältnisse, wodurch  diese  Menschen  von  den  Mitteln  und  Gelegenheiten 
der  Ausbildung  möchten  ausgeschlossen  werden,  in  Beziehung  auf  diese 
Individuen  nur  sehr  wenig  ||  Werth  haben.  Diejenigen,  welche  auch  daraus 
ein  Ur-Recht  machen,  würden  für  die  Praxis  beynahe  das  Wahre  treffen, 
wenn  wirklich  der  Drang  nach  Geistescultur  so  allgemein  und  so  dringend 
gefühlt  würde  wie  die  Liebe  zum  Leben.  —  Noch  ein  paar  Bemerkungen 
über  einzelne  Stellen  Deines  Briefes.  Du  nennst  die  Menschen  gleich 
geboren.     Gleich,    das    heisst,   ohne   alle  Rechte.     Hüte    Dich,   diese  Null 

x)  Des  Briefes. 

2)  Bei  Ziller  steht  hier  und  weiter  unten:  „Unrecht"  statt  „Urrecht". 


-?2  Dezember   1808. 


als  eine  wirkliche  Größe  in  Rechnung  zu  bringen.  Du  sagst,  der  An- 
greifer bekenne,  auch  auf  sein  Leben  kein  Recht  zu  haben.  Das  würde 
richtiger  heissen,  er  bekenne  die  Billigkeil  einer  ähnlichen  Behandlung. 
Denn  ein  Recht,  das  man  wirklich  hat,  verliert  man  nicht  wenn  man 
schon  Unrecht  thut;  es  müsste  denn  das  Recht  bey  seiner  Stiftung  mir 
unter  solcher  Bedingung  zugestanden  seyn.  Du  fürchtest  bey  der  Notwehr 
Gefahr  für  die  Idee  des  Wohlwollens.  Die  Gefahr  ist  gar  nicht  vorhanden. 
Denn  die  Idee  des  Wohlwollens  wird  nur  realisirt  durch  wirkliches  Wohl- 
wollen; ein  solches  aber  ist  unmöglich  gegen  den  Angreifer.  Ueberdies 
fängt  das  Misfallen  erst  an  beym  Übelwollen;  man  braucht  aber  nicht 
schadenfroh  zu  seyn  um  den  Angreifer  abzuwehren.  —  Du  scheinst  endlich 
gar  auf  eine  Subordination  der  Ideen  anzutragen.  Unmöglich,  mein  Guter! 
Die  Gesetze  der  Wissenschaft  müssen  in  absoluter  Strenge  aufrecht  er- 
halten werden,  oder  es  wird  da  bald  noch  viel  bunter  hergehn,  ||  als  am 
Hofe,  wo  man  die  Gesetze  den  Günstlingen  zu  Gefallen  aus  den  Augen 
setzt,  oder  im  Hause,  wenn  der  Hausvater  schwach  ist  gegen  seine  Kinder. 
Sey  nur  behutsam  in  der  Anwendung  der  Ideen,  in  der  Auffassung  der 
Umstände,  welche  auf  die  vorausgesetzten  Grundverhältnisse  einfliessen. 
So  war  es  z.  B.  leicht  zu  bemerken  dass  bey  der  ersten  Aufstellung  der 
Rechtsidee  auf  beyden  Seiten  alles  gleich  gesetzt  war,  daher  die  practische 
Weisung,  den  Streit  zu  meiden,  auch  für  beyde  Theile  gleich  lauten 
musste.  Nimm  die  Gleichheit  in  der  Voraussetzung  weg,  so  wird  ganz 
von  selbst  die  Gleichheit  im   Resultat  wegfallen.    — 

Diese  Bemerkungen  mögen  jetzt  vielleicht  viel  zu  spät  kommen, 
nachdem  Du  Dir  dies  alles  schon  selbst  gesagt  hast.  Desto  besser!  Jetzt 
ohne  Zweifel  ist  die  Zeit,  wo  Deine  Ueberzeugungen  Dich  von  allen 
Seiten  vest  bestimmen  werden.  Ich  wünsche  Dir  Glück  zu  dem  Interesse, 
womit  Du  Dir  dies  zum  Geschafft  gemacht  hast.  Ich  darf  glauben,  dass 
ein  solches  Interesse  nicht  erkalten  werde.  Höchstens  könnte  es  über- 
wogen werden  von  den  stärkern  Interessen  die  zum  thätigen  Leben  treiben, 
und  auf  die  Erwerbung  öffentlicher  Verdienste  hinausgehen.  Mich  ver- 
langt auch  in  dieser  Hinsicht  nach  dem  was  mir  Deine  fernem  Briefe 
sagen  werden.  Bis  zum  März  treffen  mich  dieselben  wahrscheinlich  noch 
in  Göttingen.     Nachher  haben  sie  ein  wenig  weiter  zu  reisen. 

Ganz  Dein   H. 

Meine  angelegentlichsten  Empfehlungen  in  Deinem  Hause.  —  Was 
machen    Deine  Brüder?   —    Hörst  Du  wol  etwas  von  Griepenkerl? 

234.     An    V.    Halem.  Göttingen  20sten  Dec.  1808. 

Mein  verehrtester  Freund! 

Viel  und  vielerley  liegt  mir  im  Kopf  und  vor  der  Feder,  seit  mir 
von  Königsberg  ein  Ruf  zu  Theil  geworden  ist,  welchem  nicht  zu  folgen 
schwerlich  vernünftig  seyn  könnte.  Der  Stimme  des  Zutrauens  folgt  man 
gern;  der  Vortheil  eines  Gehalts  von  1200  Thlrn.  ist  nicht  gering,  die 
Aussicht  auf  einen  weiten  pädagogischen  Wirkungskreis,  die  sich  hier  un- 
gesucht darbietet,  war  längst  unter  meinen   Wünschen. 

Entschuldigen  Sie  mich  also,  wenn  ich  später  als  ich  sollte,  danke 
für    Ihr    köstliches    Geschenk    und    für    Ihre   gütige  Bemühung    in    meinen 


December  t8o8.  33 


Angelegenheiten.  Mit  grösster  Freude  habe  ich  in  Ihren  Werken  so  vieles 
gefunden  das  ich  noch  nicht  kannte,  und  das  doch  so  ganz  Sie  darstellte; 
das  neueste  mit  eben  der  Kraft  wie  das  älteste,  die  jüngste  Muse  so  ganz 
ähnlich  ihren  früher  gebornen  Schwestern!  Besonders  haben  mich  manche 
Oden  angezogen,  und  darin  so  manches  tief  gefühlte,  das  man  im  Olden- 
burgischen  Lande  wenigstens  Freyheit  hat  zu  sagen  und  zu  klagen!  — 
Es  giebt  Stellen  wo  mir  Begriffe  einfallen  die  mit  den  Ihrigen  nicht  ganz 
zusammenzutreffen  scheinen,  aber  diese  Begriffe  gehören  nicht  dahin,  die 
Empfindungen  sind  einstimmig,  und  selbst  die  Erörterungen  würden  uns 
vereinigen  können.  Rousseau  ist  nicht  mein  Mann,  aber  der  Rousseau 
in  Ihrem  Gemüth  ist  ein  besserer,  ist  ein  edler  Geist:  der  wirkliche  hätte 
so  seyn  sollen.  — 

Nothgedrungen  komme  ich  jetzt  wieder  auf  den  traurigen  Gegenstand, 
der  Ihnen  nun  schon  öfter  beschwerlich  werden  musste.  Die  Forderung 
der  Regierung  anzuzeigen,  „worinn  der  Nachlass  meiner  Mutter  zur  Zeit 
ihres  Ablebens  bestanden",  setzt  mich  in  Verlegenheit.  Die  nächste  Ant- 
wort wäre,  ich  kann  es  nicht  wissen,  denn  dieser  Nachlass  ist  niemals 
ganz  mein  gewesen,  namentlich  nichts  von  dem,  was  nach  Paris  herüber- 
gezogen war.  Fragt  man  nun  ferner  nach  dem,  was  den  Namen  des 
Meinigen  getragen  hat,  so  sind  alle  Papiere  aus  denen  dies  sich  ergeben 
muss,  in  Oldenburg;  die  dürftigen  Notizen,  die  ich  mir  bey  meinem 
dortigen  Aufenthalt  zum  eignen  Gebrauch  aufzeichnete,  habe  ich,  als 
werthlos,  nicht  aufbewahrt,  da  das  zur  Geschäftsführung  Wesentliche  dort 
beysammen  war  und  bleiben  musste.  Es  belief  sich  aber  das  was  dem 
Namen  nach  mein  war,  ungefähr  auf  14000  Thlr.  Nur  —  der  erste  Blick 
auf  dies  Vermögen  musste  mir  sagen,  dass  der  wahre  Werth  desselben 
für  mich  nicht  13000  seyn  könne.  Denn  erstlich  war  ich  selbst  meinen 
Freunden  in  Bremen  verschuldet.  Nur  Ihnen  kann  ich  es  vertrauen,  dass, 
zu  der  Zeit  als  meine  Eltern  sich  die  Sorge  bestritten  mir  das  künftige 
meine  zu  erhalten,  ich  es  für  Pflicht  hielt,  von  meinen  damaligen  Be- 
dürfnissen keine  Erwähnung  laut  werden  zu  lassen;  ich  hatte  Freunde,  die 
aus  persönlichem  Zutrauen  zu  mir,  nicht  zu  meinem  Erbtheil,  mich  aus- 
rüsteten, so  dass  ich  in  Bremen  leidlich  leben,  von  dort  nach  Göttingen 
gehn,  hier  mich  versuchen  konnte.  Meine  Freunde  sind  es,  die  meine 
hiesigen  Promotionskosten  bezahlt  haben.  —  Es  verstand  sich,  dass  diese 
Auslagen,  die  sonst  wol  zu  den  Alimenten  möchten  gerechnet  werden,  wozu 
aber  freylich  meine  Eltern  nichts  hergeben  konnten,  weil  sie  nichts  von  meinen 
Bedürfnissen  vernahmen,  —  erstattet  werden  mussten,  sobald  Geld  in  meine 
Hände  kam.  600  Thlr.  waren  das  wenigste,  was  meinen  Freunden  aus- 
gezahlt werden  musste;  mein  Vater  hat  von  meinem  mütterlichen  Erbtheil 
diese  Summe  an  den  Senator  Smidt  nach  Bremen  geschickt.  —  Eine 
andre  Schuld,  die  über  400  Thlr.  in  Allem  betrug  fand  ich  vor ;  sie  war 
von  der  Art,  dass  sie  schlechterdings  sogleich  von  mir  übernommen  werden 
musste.  Auch  diese  ist  bezahlt.  —  Die  grösste  aller  Schulden  aber  hatte 
ich  bey  meiner  Gesundheit  gemacht.  Diese  war  so  zerrüttet,  dass  ich  in 
jedem  Winter  mich  eine  Reihe  von  Jahren  hindurch  am  Ende  meines 
Lebens  glaubte,  dass  ich  täglich  ein  Nervenfieber  erwartete,  was  ich  nicht 
würde  überstehen  können.    Noch   vor   3  Jahren  habe  ich,  wie  ein  Kranker, 

Hbrbarts  Werke.     XVII.  3 


34 


December  1808. 


häufig  allein  kleine  Spazierfahrten  gemacht,  weil  dies  die  einzige  mir  zu- 
trägliche Bewegung  war.  Zweymal  bin  ich  in  Pyrmont  gewesen.  Und 
was  hatte  meine  Gesundheit  zerrüttet?  —  Auf  der  Universität  war  mir 
im  Ganzen  wohl  gewesen;  in  der  Schweiz  war  ich  der  gesundeste,  robusteste 
Mensch  von  der  Welt.  Aber  ein  ganzes  Jahr  und  länger  an  den  heftigsten 
Gemüthsbewegungen  zu  leiden,  unmittelbar  nach  einer  langen  Reise  im 
Winter;  ohne  Aussichten,  in  der  Mitte  der  grössten  geistigen  Anstrengungen, 
die,  eben  weil  sie  unter  diesen  Umständen  nicht  gelingen  konnten,  auf 
den  höchsten  Grad  getrieben  wurden,  —  dann,  sobald  es  ein  wenig  besser 
wurde,  sogleich  jede  Spur  der  wiederkehrenden  Kräfte  verbrauchen  zu 
müssen,  um  nicht  etwa  bloss  versäumte  Zeit  nachzuhohlen,  sondern  eine 
Gedankenschöpfung  hervorzurufen,  an  der  nichts  Kränkliches  zu  spüren 
seyn  durfte,  —  sehn  Sie  da  die  Ursachen,  die,  nachdem  sie  meinen 
Körper  genug  geschadet  hatten,  mich  bestimmten,  und  mich  noch  be- 
stimmen, diejenigen  Ausgaben  nicht  zu  scheuen,  die  da  helfen  konnten, 
mir  ein  leidliches  Wohlseyn  des  Leibes  und  der  Seele  zu  erhalten.  — 
Nach  allen  diesen  überlasse  ich  es  Ihnen,  den  Werlh  des  ererbten  mütter- 
lichen Vermögens  zu  bestimmen,  das  meinen  Freunden,  das  mir  selbst  so 
grosse  Schulden  abzutragen  hatte. 

Ich  habe  die  Regierung  gebeten,  mit  ihrer  Autorität  der  Autorität 
meiner  Mutter  gegenüber  zu  treten.  Wenn  Hr.  Wardenburg  gefragt  wurde, 
konnte  er  freylich  als  Privatmann  nur  ein  solches  Gutachten  geben,  das 
er  mit  juristischen  Gründen  glaubte  motiviren  zu  können.  Und  auch  die 
Regierung  will  vielleicht  ihre  Autorität  nicht  gebrauchen,  um  desto  besser 
das  Ansehn  der  Testamente  aufrecht  zu  halten.  Nur,  ich  will  denn  auch 
von  meiner  Seite  nicht  länger  scheinen  als  ob  ich  wohl  gar  selbst  jene 
beschränkenden  Verfügungen  für  zweckmässig  hielte,  und  mich  deshalb 
geduldig  darein  ergäbe.  Der  Platz,  an  den  man  mich  jetzo  stellt,  erträgt 
eine  solche  Selbst -Erniedrigung  am  wenigsten.  Meine  Bitte  lautet  noch 
immer,  so  lange  nicht  die  Regierung  mich  zum  Schweigen  verurtheilt,  dahin : 
dass  es  mir  völlig  freystehn  soll,  die  Gelder  kommen  zu  lassen,  deren  ich 
werde  zu  bedürfen  glauben.  Dabey  stütze  ich  mich  auf  die  Zuversicht, 
meine  Mutter  würde  jene  Dispositionen  nie  gemacht  haben,  hätte  sie  sich 
nicht  schrecken  lassen  durch  den  Gedanken,  den  sie  so  oft,  wiewohl  zu 
spät,  äusserte:  „Philosophie  giebt  kein  Brod.kl  Die  Veränderung,  die  mir 
jetzt  bevorsteht,  ist  die  vollständigste  Widerlegung  der  Besorgniss,  aus 
welcher  das  Testament  geflossen  ist.  Dass  die  Regierung  im  Namen 
meiner  Mutter  diese  Widerlegung  anerkenne,  dies  ists,   was  ich  bitte. 

Will  man  aber  dennoch  vom  Testamente,  als  von  der  einmal  vor- 
handenen Basis  ausgehn,  so  könnte  ich  daran  erinnern,  dass  dieses  nur 
eine  Summe  von  12000  Thlrn.  zur  öffentlichen  Notiz  bringt,  und  dass, 
was  darüber  war,  wohl  kaum  in  Folge  dieses  Testaments  zum  Gegenstand 
einer  öffentlichen  Frage  gemacht  ist.  Verzeihlich  wird  man  es  in  dieser 
Hinsicht  wenigstens  finden,  wenn  ich  nicht  darauf  gefasst  bin,  von  hier 
aus  auf  die  öffentliche  Frage  eine  öffentliche  Antwort  zu  geben. 

Ihnen,  mein  Verehrtester,  habe  ich  nach  bestem  Vermögen  ge- 
antwortet; Ihnen  die  Verlegenheit  aufgedeckt,  in  welche  mich  theils  der 
Mangel   der   nöthigen   Papiere,    theils   so   viele  Umstände   setzen,    die   auf 


December  1808.  35 


den  vermuthlichen  Sinn  der  Frage  Einfluss  haben,  die  aber  nicht  laut 
heraus  gesagt  werden  können,  wenigstens  nicht  von  mir.  Ihnen  gebe  ich 
mich  in  die  Hände;  in  der  Hoffnung  dass  Sie  dem  Collegium  dem  Sie, 
vorstehn  in  meinem  Namen  antworten  werden,  soviel  nöthig  ist.  Und 
dann  muss  ich  die  baldigste  Entscheidung  gar  sehr  wünschen,  da  ich  viel- 
leicht schon  im  Anfang  des  März  von  hier  gehn  werde. 

Man  verlangt  mich  mit  Anfang  der  Collegien  in  Königsberg.  Das 
ist  das  leidigste  bey  dieser  sonst  so  angenehmen  Sache.  Es  wird  un- 
möglich seyn,  Bremen  und  Oldenburg  noch  zu  besuchen ;  unmöglich  münd- 
lich von  Ihnen  Abschied  zu  nehmen.  Aber  wozu  auch  ein  Abschied? 
Freyheit  der  Meere!  dann  komme  ich  zu  Schiffe,  dann  ist  der  Weg  nicht 
gar  weit.  Möchten  nur  die  Mören  ein  Gebet  anhören,  damit  nicht  nur 
meine  Theuern,  sondern  auch  deren  Theure  im  vollen,  blühenden  Leben 
seyen  wann  ich  komme!  Sie  wenigstens,  mein  innigst  Verehrter,  fachen 
Sie  in  Sich  selbst  auf  alle  Weise  den  Lebensfunken  an.  Die  Muse  wird 
Ihnen  helfen;  sie  wird  Ihnen  zureden,  auch  das  Ihrige  dafür  zu  thun, 
unabgeschreckt  durch  Trauerbilder,  die  einem  schwächeren  Manne  den 
Werth  dieses  zeitlichen  Lebens  zweifelhaft  machen  könnten.  Lassen  Sie 
mich  nichts  mehr  hinzusetzen,  als  nur  die  Versicherung  meiner  wärmsten 
Ergebenheit  und  meiner  vollkommensten  Hochachtung.      Gehorsamst 

Herbart. 


1809. 


Replik   gegen    die  Rezension    der   Allg.    prakt.    Philosophie.     S.  Bd.  II,  S.  513 — 515. 

—  Dissens  Anleitung  für  Erzieher,  die  Odyssee  mit  Knaben  zu  lesen.    (Herausgegeben 

und  mit  einer  Vorrede  begleitet.)     S.  Bd.  III,  S.   1  — 18. 

235.    An  v.  Halem.  ohne  Datum. 

Eine  anhaltende  Unpässlichkeit  und  tausend  Zerstreuungen  haben  es 
dahin  gebracht,  mein  Verehrtester!  dass  ich  erst  jetzt  dazu  komme  Ihnen 
mit  meinem  Danke  für  Ihren  letzten  gütigen  Brief  die  geforderte  Angabe 
zu  übersenden.  Da  Sie  gestatteten,  den  Werth  des  Nachlasses  auf  12000 
Thlr.  zu  setzen,  so  hat  mir  das  Einfachste  das  Beste  geschienen,  ich  habe 
der  Angabe  keine  neue  Bitte  hinzugefügt,  sondern  erwarte  jetzt  die  An- 
ordnung welche  von  der  Regierung  wird  gutgefunden  werden. 

Nur  wenige  Worte  kann  ich  heute  noch  schreiben.  Dass  Sie  die 
Freyheit  der  Meere  so  weit  hinaussetzen,  diese  traurige  politische  Prophe- 
zeihung  nimmt  mir  wenigstens  nicht  die  Hoffnung  des  Wiedersehens;  ich 
komme  wol  zu  Lande  wenn  es  zu  Wasser  nicht  seyn  kann,  und  Sie 
stehn  unter  dem  Schutze  der  Musen,  der  belebenden  und  erhaltenden; 
so  dass  ich  nicht  nur  Sie  zu  sehn,  sondern  Sie  heiter  und  kräftig  zu 
sehn  hoffe. 

Dass  Sie  mit  Groten  zufrieden  sind  freut  mich  sehr.  Ich  fürchte  für 
Naturen  seiner  Art  nichts,  als  dass  irgend  ein  vorgefundenes  Mistrauen 
sie  in  sich  scheuche  und  den  Menschen  entfremde.  Nur  so  glaube  ich 
wäre  es  möglich  dass  jemals  die  natürliche  Güte  des  jungen  Mannes 
leiden  könnte. 

Einem  genialischen  Sohne  des  Oldenburgischen  Bodens  soll  ich  noch 
das  Wort  reden;  ich  meine  den  Doctor  Focke,  der  sich  hier  aufhält  und 
Privatstunden  in  der  Mathematik  schon  seit  mehrern  Jahren  mit  Erfolg 
und  Beyfall  giebt.  Dieser  möchte  so  gern  einen  Platz  als  Lehrer  der 
Mathematik  an  einer  Schule  bekommen  können!  Braucht  man  in  Olden- 
burg nichts  von  der  Art?  —  Focke  war  Friseur;  die  Wissenschaft  hat 
ihn  dem  Handwerk  entrissen;  sie  hat  ihm  freylich  nicht  alle  Vortheile 
der  entbehrten  liberalen  Erziehung  nachbringen  können;  doch  glaube  ich 
dass  die  Aufmunterung  einer  bessern  Lage  noch  vieles  an  ihm  abschleifen 
würde;  und  dass  er  für  den  mathematischen  Unterricht  schon  jetzt  eine 
nicht  gemeine  Gabe  besitzt. 

Mit  Verehrung  und  Freundschaft  auf  immer  Der  Ihrige 

Herbart. 


Januar  1809.  37 

236.    An  Carl  v.  Steiger.1)  Göttingen  10  Jan.  1809. 

Mein  Theurer!  Ich  lese  heute  mit  Schrecken  in  der  Zeitung  von  den 
Unfällen,  die  Dein  geliebtes  Oberland  betroffen  haben.2)  Du  wirst  nicht 
wenig  davon  angegriffen  seyn.  Weil  ich  nun,  seitdem  mir  eine  in  tausend 
Rücksichten  willkommene  Veränderung  bevorsteht,  Ueberfluss  an  guter 
Laune  habe,  und  überdies  mich  ein  kleiner  Kitzel  sticht,  Dir  auch  einmal 
3  Briefe  nach  einander  zu  schreiben:  so  plaudere  ich  ein  Stündchen  mit 
Dir,  um  Dich  auf  einen  Augenblick  zu  zerstreuen. 

Mein  Weggehen  von  hier  ist  völlig  entschieden.  Herr  von  Müller 
schrieb  mir  einen  höflichen  Brief  zum  Abschied;  ich  nahm  mir  darauf 
gleich  vor,  ihn  in  Kassel  zu  besuchen,  theils  um  ihn  persönlich  kennen 
zu  lernen,  theils  besonders  um  Dissen  zu  empfehlen,  und  über  meinen 
Unterrichtsplan  und  über  Dissens  dahin  gehörige  Arbeiten  mit  M[üller]n 
zu  sprechen.  Ich  habe  eine  sehr  angenehme  Stunde  mit  ihm  zugebracht, 
und  die  vielleicht  nicht  ohne  Folgen  seyn  wird.  Niemals  ||  ist  jemand 
augenblicklich  so  vollkommen  auf  meine  Ideen  eingegangen  als  M.  So- 
wohl der  Sinn  als  die  Wichtigkeit  der  Sache  war  ihm  ganz  so  einleuchtend 
wie  mir,  und  er  gab  Hoffnung  nicht  nur  für  die  Ausführung  zu  wirken, 
(was  ihm,  so  fern  es  nicht  Geld  kostet,  ganz  frey  steht,  da  er  General- 
director  der  Studien  im  Königreich]  Westphalen  ist)  sondern  auch  selbst 
gewissermaassen  mitzuarbeiten.  Er  ist,  wie  Du  weist,  der  tiefste  Kenner 
der  gesammten  Geschichte  und  Literatur,  und  würde  also  als  Rathgeber 
im  höchsten  Grade  willkommen  seyn,  wäre  er  auch  blos  Privatmann.  Er 
hat  versprochen  mit  Dissen  Rücksprache  zu  nehmen.  —  Ausserdem  fand 
ich  mich  überrascht,  zu  sehen,  dass  ich,  wofern  ich  hier  bliebe,  in  sehr 
viel  angenehmem  Verhältnissen  mit  ihm  stehen  würde  als  ich  geglaubt 
hatte.  Ich  darf  glauben,  dass  mir  unter  gewissen  Umständen  der  Rückweg 
hierher  frei  stehen  würde.     Doch  dies  bleibt  ganz  unter  uns! 

Ich  empfehle  jetzt  Dissen  überall;  und  das  scheint  sehr  guten  Ein- 
gang zu  finden.  Das  wird  noch  besser  werden  durch  eine  kleine  Schrift 
über  den  Gebrauch  des  Homer,  die  ich  dem  Dissen  endlich  ||  abgedrungen 
habe.  Sie  ist  schon  fertig  zum  Druck,  und  wird  mit  einer  Vorrede  von 
mir  herauskommen.3)  Dissen  hat  sehr  hübsch  geschrieben;  er  übertrifft  überall 
meine  Erwartung.  Durch  ihn  hoffe  ich  trotz  meiner  Abreise  gewisser- 
maassen in  Göttingen  zu  bleiben.  Veranlassung  zu  der  Schrift  hat  Griepen- 
kerl  gegeben.  Dieser  bat  mich  neulich  in  einem  recht  willkommenen 
Briefe  um  etwas  der  Art.  Hörst  Du  wohl  etwas  von  Griepenkerl?  Seine 
Lage  bei  Fellenberg  ist  ihm  lieb  geworden. 

In  einem  öffentlichen  Blatte  lese  ich  neulich,  dass  Graf  Sievers  aus 
Petersburg  bey  Pestalozzi  gewesen  sey.     Ob  das  wohl  unser  Sievers  war? 

1)  4  S.    8°. 

2)  Den  12.  Dez.  1808  wurden  im  Gadmenthal  23  Personen  durch  Lauinen  ver- 
schüttet. Fr.  Mitteilung  des  Herrn  Prof.  Dr.  R.  Steck  in  Bern  nach  Durheim,  Berner 
Chronik  S.  181  und  nach  einer  Notiz  im  Berner  Staatsarchiv  vom  2.  Januar  1809: 
„Armencommission.  Zur  Untersuchung  und  Rapport  über  das  Schreiben  von  Frutigen 
und  Anzeige  von  verschiedenen  durch  Schneelauinen  verursachten  Unglücken." 

3)  S.  Bd.  III,  S.  1  — 18. 


?g  Januar  1809. 

Das  wäre  ein  Trost,  wegen  einer  andern  sehr  traurigen  Nachricht  die  ich 
neulich  durch  Heeren  von  ihm  bekam:  er  sey  gefährlich  krank;  der  Tod 
seiner  Gattin  habe  seine  Gesundheit  untergraben.  —  Solche  Dinge  er- 
innern mich  immer  an  meine  alte  Frage:  wie  ists  möglich,  dass  ich  selbst 
noch  lebe?    Aber  meine  Gesundheit  hat  sich  sehr  bevestigt. 

Sehr  angenehm  wurde  ich  gestern  überrascht  durch  einen  Brief  eines 
alten  Universitätsbekannten  (Freundes  kann  ich  eigentlich  nicht  sagen)  der 
in  Königsberg  mein  College  werden  wird.  Es  ist  Professor  Remer,  Pro- 
fessor der  Medicin  in  Helmstädt,  der  auch  einen  Ruf  dorthin  hat  und 
höchst  wahrscheinlich  gehen  wird.  Treuherziger  kann  man  nicht  schreiben,  || 
als  er  mir  schreibt  um  noch  an  die  alte  Zeit  zu  erinnern,  und  mir  gute 
Freundschaft  für  unsere  dortige  Zusammenkunft  anzubieten.  Ich  hätte 
ihm  dafür  gut  werden  müssen,  wäre  ichs  auch  nie  gewesen.  Er  ist  überall 
ein  herzensguter  Mensch,  und  sein  Anerbieten  ist  wahrlich  für  den  künf- 
tigen Aufenthalt  in  einer  wildfremden  Stadt  und  Gegend  sehr  annehmlich. 

Noch  muss  ich  Dir  jemanden  nennen,  der  Dich  kennen  zu  lernen 
wünscht,  —  und  einen  andern,  der,  wenn  Du  es  so  aufnehmen  willst, 
Dir  zuvorzukommen  im  Begriö  ist.  Genannt  habe  ich  sie  Dir  ohne  Zweifel 
schon  beyde;  es  sind  meine  besten  Zuhörer  während  dieser  Zeit  gewesen. 
Bar[on]  Richthofen  aus  Schlesien  der  eine.  Ein  äusserst  feiner  Kopf,  der 
Dich  an  Plater  und  Rahden  erinnern  kann.  Vorigen  Sommer  hörte  er 
auf  einmal  Metaphysik,  pract.  Philosophie,  Analysis  des  Endlichen  und  des 
Unendlichen;  alles  das  ohne  besondere  Beschwerde.  Dieser  spricht  von 
einer  Reise  in  die  Schweiz,  —  wann  ?  das  ist  freylich  noch  sehr  unbestimmt, 
er  wird  aber  ohne  Zweifel  dazu  kommen,  denn  er  ist  reich.  Dann  will 
er  Dich  besuchen;  und  es  wird  Dich  nicht  gereuen,  Dich  besuchen  zu 
lassen.  Der  Andere  ist  Unterholzener  aus  Baiern,  künftiger  Professor  der 
Rechte  in  Landshut;  dieser  schreibt  jetzt  über  Criminalrecht  gegen  Feuer- 
bach;1) bist  Du  etwa  auch  damit  beschäfftigt,  so  eile,  willst  Du  anders 
der  erste  seyn.   —   —   Meine  besten  Wünsche  für  Dich  und  die  Deinen. 

Ganz  Dein  Herbart. 

237.   J.  D.  Gries  an  Herbart.2)  Jena,  den  23.  Januar  1809. 

Du  hast  mir,   bester  Herbart,    durch   Deinen  Brief  und  Deine   Sonate   eine 

doppelte  Freude  gemacht.    Dass  Du  der  letztern  meinen  Namen  mit  vorgesetzt  hast, 


*)  Carl  Aug.  Dominik  Unterholzner  war  im  Herbst  1807  nach  Göttingen 
gekommen,  um  Hugo  und  Herbart  zu  hören.  Vgl.  Allg.  D.  Biogr.  39,  320.  Die 
„Juristischen  Abhandlungen",  mit  einer  Vorrede  von  P.  J.  Anselm  Feuerbach,  erschienen 
18 10  (München)  und  sind  „Carl  Freiherrn  von  Richthofen"  gewidmet.  In  der  Widmung 
heißt  es:  „Sehr  vieles  aus  den  Abhandlungen  machte  einen  Gegenstand  unserer  Unter- 
haltungen aus;  die  letzte  derselben  verdankt  ihren  Ursprung  vorzüglich  den  unvergeß- 
lichen Vorträgen  Herbarts,  die  wir  zusammen  mit  so  viel  Enthusiasmus  besuchten}'' 
Ausdrücklich  hebt  er  hervor,  wieviel  er  Herbart  verdankt,  und  in  der  letzten  Abhand- 
lung („Entwicklung  der  philosophischen  Grundsätze  eines  Straf-Systems")  sagt  er  (S.  207): 
„Ich  verweise  auf  eines  der  philosophischen  Meisterwerke  des  vortrefflichen  Herbart. 
seine  praktische  Philosophie,  wo  mit  echt  philosophischem  Geiste  die  Idee  der  Billigkeit 
wissenschaftlich  begründet  ist,  und  zuerst  begründet  ist."  —  Man  vgl.  auch  den  Brief 
Nr.  240. 

2)  4  S.   8°.    H.  Wien.    Bei  Zimmermann  S.  131. 


Januar  1809.  3  g 

dafür  muss  ich  Dir  noch  besonders  danken,  obwohl  es  mehr  ist,  als  ich  verdiene. 
Die  Leute  werden  mich  für  einen  gewaltigen  Clavierspieler  halten,  wenn  sie  glauben, 
dass  ich  eine  so  schwere  Sonate  zu  spielen  verstehe.  Bis  jetzt  wenigstens  ahne  ich 
ihre  Wirkung  mehr,  als  ich  sie  mir  darstellen  kann.  So  viel  sehe  ich  wohl,  dass 
sie  sehr  schön  ist,  und  dass  sie,  von  Dir  selbst  vorgetragen,  eine  treffliche  und 
durchaus  ganxe  Wirkung  hervorbringen  muss.  Aber  meine  ungelehrigen  Finger 
wollen  Dir  noch  immer  nicht  recht  gehorchen;  besonders  nicht  in  dem  letzten  Satz, 
der,  wie  ich  denke,  sehr  rasch  vorgetragen  werden  muss.  Indessen  gebe  ich  mir 
alle  mögliche  Mühe,  und  hoffe  sie  mit  der  Zeit  wenigstens  leidlich  herauszubringen. 
Am  besten  wär's  freilich,  wenn  ich  die  Sonate  unter  Deiner  eigenen  Leitung  ein- 
st adiren  könnte,  oder  wenn  ich  sie  nur  einmal  von  Dir  vortragen  hören  dürfte. 

Dazu  scheint  nun  aber  wenig  Hoffnung  zu  seyn,  wenn  es  anders  wahr  ist, 
was  litterärische  und  politische  Zeitungen  als  gewiss  behaupten,  und  was  eine  Stelle 
Deines  letzten  Briefes  mir  wenigstens  wahrscheinlich  macht,  dass  Du  nemlich  einen 
Ruf  nach  Königsberg  angenommen  hast.  Ich  sollte  mich  darüber  freuen;  denn  gewiss 
ist  dieser  Ruf  sehr  ehrenvoll  und  wird  vermuthlich  auch  in  andrer  Rücksicht  vor- 
theilhaft  seyn.  ||  Dennoch,  ich  läugne  es  nicht,  kann  ich  Dich  nur  mit  Schmerz  aus 
Deutschland  abscheiden  sehen.  Ich  sage  mir  alles,  was  es  Dir  zur  Pflicht  macht, 
diesen  Ruf  anzunehmen;  aber  ich  sage  mir  auch,  dass  wir  nun  weiter  als  jemals 
von  einander  entfernt  seyn  werden,  und  dass  die  Hoffnung  des  Wiedersehens  fast 
gänzlich  verschwinden  muss. 

Das  Schicksal  hat  mir  meinen  liebsten  Wunsch  nicht  gewähren  wollen,  den, 
in  der  Nähe  meiner  Freunde  die  übrigen  Tage  zu  verleben.  Manche  schon  sind 
vor  mir  dahin  gegangen,  woher  Keiner  zurückkehrt,  und  die  Uebrigen  leben  zerstreut 
auf  der  Erde,  und  nur  seltne  Zeichen  des  Daseyns  verkünden  mir,  dass  sie  noch  leben. 
Ich  sitze  hier,  wie  Ossian,  allein,  umgeben  von  den  Erinnerungen  einer  schöneren 
Vorzeit,  und  denke  mit  sinnender  Wehmuth  der  Tage,  die  nicht  mehr  sind.  Ach !  und 
oft  hallen  seine  Worte  in  meiner  Seele  wieder:  „Wie  verändert  seyd  ihr,  meine  Freunde, 
seit  den  festlichen  Tagen  auf  Selma,  da  wir  buhlten  um  die  Ehre  des  Gesangs,  wie 
Frühlingslüfte  den  Hügel  hin  wechselnd  beugen  das  schwach  lispelnde  Gras!'1 

Wie  hätte  ich  vor  allem  mein  Schicksal  segnen  wollen,  wenn  es  mir  vergönnt 
hätte,  mit  Dir  an  Einem  Orte  zu  leben!  Es  war  ein  schöner  Augenblick,  wo  ich  es 
hoffen  durfte.  Vergieb,  wenn  ich  es  noch  einmal  bedaure,  dass  Du  jenen  Ruf  nach 
Heidelberg  ausschlugst.  Die  freundlichen  Ufer  des  weinumkränzten  Neckars  wären 
auch  Dir  vielleicht  heilbringender  gewesen,  als  die  rauhen  Gestade  der  Ostsee.  Ich. 
denke  noch  immer  mit  Freuden  an  diese  liebliche  Gegend,  und  es  ist  mir  sehr 
wahrscheinlich,  dass  ich  über  kurz  oder  lang  ||  wieder  dahin  ziehen  werde.  Welche 
Freude,  wenn  ich  Dich  dort  finden  könnte!  Doch  das  sind  nun  vergebliche  Wünsche. 

Hier  will  es  mir  nun  gar  nicht  mehr  behagen.  Es  war  ein  unglücklicher 
Gedanke,  an  einen  Ort  zurückzukehren,  wo  ich  gewiss  seyn  konnte,  in  jeder  Hinsicht 
nichts  als  Ruinen  zu  finden.  Ich  könnte  mich  zwar  damit  entschuldigen,  dass  ich 
so  ruinirt  es  mir  doch  nicht  dachte;  aber  auch  die  Hälfte  wäre  schon  zu  viel.  Ich 
muss  wieder  fort,  das  fühle  ich,  wenn  ich  nicht  mit  zur  Ruine  werden  will.  Das 
Schlimmste  ist  nur,  dass  meine  Translocation  sich  jetzt  nicht  so  leicht  ausführen 
lässt,  als  vor  drei  Jahren.  Aber  wenn  ich  auch  noch  einige  Zeit  hier  aushalten 
muss,  lange  wird  es  gewiss  nicht  geschehen. 

Von  unserm  Rist  habe  ich  vor  einiger  Zeit  einen  freundlichen  Brief  erhalten. 
Es  geht  ihm  wohl,  und  er  scheint  zufrieden.  Ob  er  auf  dem  schlüpfrigen  Wege, 
den  er  gewählt  hat,  ganz  der  alte  an  Art  und  Kraft  geblieben  ist,  darüber  erlaube 
ich  mir  kein  Uitheil;  aber  es  wäre  fast  ein  Wunder. 


aq  Februar   i8oq. 

Berger  hat  mir  sein  Buch1)  gesandt.  Ich  gestehe  Dir  offenherzig,  däss  ich 
mich  in  einiger  Verlegenheit  damit  befinde.  Es  hat  mir  unbeschreibliche  Mühe 
gemacht,  mich  hindurch  zu  arbeiten,  und  am  Ende  war  mir  zu  Muthe  wie  dem 
Schüler  in  Faust: 

Mir  ward  von  allem  dem  so  dumm, 

Als  gieng  mir  ein  Mühlrad  im  Kopfe  herum. 

Ich  bin  weit  entfernt,  mir  über  den  Gehalt  des  Buchs  ein  Urtheil  anzumaassen; 
dazu  werden  Kenntnisse  und  Vorübungen  erfordert,  woran  es  mir  ganz  und  gar  ge- 
bricht. Aber  was  die  Form  betrifft,  so  darf  ich  wohl  sagen,  dass  ||  sie  einen  durch- 
aus unangenehmen  Eindruck  auf  mich  gemacht  hat.  Das  ganze  Buch  ist  nemlich 
in  jener  unseligen  Zwittersprache,  in  jener  poetischen  Prosa  geschrieben,  die  über- 
haupt nicht  zu  gestatten,  aber  gewiss  zu  ernsten  philosophischen  Untersuchungen 
am  allerunschicklichsten  ist.  Du  weisst,  wie  ich  über  die  noth wendige  Trennung 
der  Philosophie  und  Poesie  denke;  dennoch  scheint  mir  ein  poetischer  Philosoph 
noch  weit  mehr  ein  Unding,  als  ein  philosophischer  Dichter.  Ich  kann  es  Dir  nicht 
verdenken,  dass  Du  keine  Lust  hast,  das  Buch  zu  recensiren;  dies  müsste  für  eiuen 
Freund  eine  sehr  peinliche  Arbeit  seyn.  Der  hiesige  Professor  Oken,  ein  junger 
Mann  von  Kraft  und  Talent,  hat  es  in  den  Heidelb.  Jahrbüchern  recensirt.  Sein 
Urtheil  ist  nicht  schonend  ausgefallen,  doch  kann  man  wohl  schwerlich  sagen,  dass 
es  ungerecht  sey.  Ich  erfuhr  es  erst  von  ihm,  nachdem  die  Recension  schon  lange 
abgeschickt  war.  Nach  dem,  was  ich  ihm  von  dem  Verfasser  sagte,  wünschte  er 
selbst,  sie  möge  nicht  abgedruckt  werden;  aber  es  war  zu  spät.  Es  thut  mir  Leid 
um  unsern  Freund,  den  diese  Kritik  gewiss  sehr  kränken  wird. 

Ich  nehme  noch  nicht  Abschied  von  Dir,  lieber  Herbart,  denn  ich  weiss  gewiss, 
Du  wirst  mir  noch  einmal  schreiben,  ehe  Du  vom  Vaterlande  scheidest.  Wäre  es 
doch  möglich  zu  machen,  dass  wir  uns  vorher  noch  einmal  sähen!  Aber  wenigstens 
solltest  Du  uns,  als  ein  Abschiedsgeschenk,  die  vier  Sonaten  zurücklassen,  von  denen 
Du  schreibst.  Ich  fordere  Dich  im  Namen  aller  Musikfreunde  dazu  auf.  In  Deiner 
neuen  Lage  wirst  Du  schwerlich  zu  Productionen  dieser  Art  Müsse  haben;  um  so 
mehr  haben  wir  ein  Eecht,  das  einmal  Producirte  in  Anspruch  zu  nehmen. 

Dass  Du  Sieveking2)  kennst,  freut  mich  sehr.  Ich  halte  sehr  viel  von  ihm; 
er  ist  mir  von  Seiten  des  Kopfes  und  Herzens  gleich  aohtungswerth.  Grüss'  ihn 
herzlich,  wenn  Du  ihn  siehst,  und  schreibe  nur  bald.  Dein 

J.  D.  Gries. 

238.    An  Carl  v.  Steiger.3)  Göttingen  10  Febr.  1809. 

Für  heute  mein  Theurer  kann  ich  nur  in  wenig  Worten  meinen 
Dank  für  Deinen  letzten  lieben  Brief,  und  die  Nachricht  übersenden,  dass 
die  Gräfin  Palmedo  in  wenig  Wochen  in  Bern  seyn  wird,  und  Dich  dort 
zu  finden  wünscht.  Ich  werde  höchstens  noch  4  Wochen  hier  bleiben; 
in  der  noch  rauhen  Jahreszeit  muss  ich  die  rauhere  Gegend  aufsuchen; 
der  Sommer  wird  mich  lehren   ob  auch  dort  die  Sonne  scheint. 

Der  Deinige 

Herbart. 


*)  Erich  v.  Berger:  „Philosophische  Darstellung  der  Harmonieen  des  Weltalls" 
(Altona  1808). 

2)  Karl  Sieveking,  der  Hamburger  Staatsmann  (1787  —  1847),  damals  Student, 
seit  1812  Privatdozent  zu  Göttingen. 

8)   1  S.  4°. 


Februar,  März   1809.  41 


239.  Griepenkerl  an  H.1)  Hofwyl  d.  25 ten  Februar  1809. 
Ihren  langersehnten  Brief  habe  ich  mit  rechter  Freude  gelesen.    Tausend  Dank 

für  ihn   und   für  die  Blätter   von  Dissen  und  Tiersch;   sie  sollen  für  meine  braven 
Knaben  von  alle  dem  Nutzen  sein,  den  ich  ihnen  zu  geben  vermag. 

Sie  gehen  also  nach  Königsberg?  ich  wünschte  unser  Institut  zöge  Ihnen  nach! 
ich  kann  mir  in  Königsberg  kein  rechtes,  freudiges  Würken  denken.  Fichtes  Reden 
haben  dort  den  Sinn  für  Pädagogik  aufgeregt;  wie  kann  es  mehr  als  Irrlicht  sein? 
Sie  schreiben  mir  von  diesen  Reden  nichts,  habe  ich  unrecht  über  sie  geurtheilt? 
,,Das  Unheil"  —  schreibt  er  —  „sei  außen  in  der  Würklichkeit  noch  nicht  ver- 
schwunden, wenn  man  es  im  Gedanken  vertilgt  habe." 

Vor  einigen  Monaten  erhielt  ein  gewisser  Zeller  nach  Königsberg  einen  Ruf, 
den  er  ausschlug  a)  Hätte  dieser  Mensch  nur  von  Ferne  Ihre  pädagogische  Sphäre 
dort  berührt,  sie  müßte  Ihnen  dadurch  verleidet  sein. 

Über  Pestalozzi  und  seine  jetzige  Weise  will  ich  Ihnen  nach  Königsberg  einen 
langen  Brief  schreiben;  ich  glaube  das  ganze  Wesen  zu  durchschauen.  Bei  dem 
Rufe  und  dem  Zutrauen,  das  diese  Anstalt  jetzt  genießt,  müßte  dort  erstaunlich  viel 
zu  würken  sein.  ||  Von  großer  Wichtigkeit  ist  mir  jene  Anstalt,  denn  sie  hat  zuerst 
Empfänglichkeit  für  das  Bessere  bereitet,  hat  das  Lehren  zuerst  dem  Bilden  unter- 
geordnet. Daran  läßt  sich  mit  Leichtigkeit  gar  vieles  knüpfen.  Werden  Sie  mich 
tadeln,  wenn  ich  unsere  Anstalt  zwischen  Pestalozzis  Praktik  und  Ihre  Wissen- 
schaft der  Pädagogik  mitten  hinein  stelle?  Ein  solches  Ansehn  wird  mein  Plan  ge- 
winnen, mit  dem  ich  mich  vor  jedes  andere  Auge  kühn  hinstelle,  nur  vor  das  Ihrige 
mit  einiger  Furcht.  —  So  bald  die  Arbeit  den  Druck  verlassen  hat,  werde  ich  sie 
Ihnen  übersenden  und  um  strenges  Urtheil  bitten. 

Versteht  H.  v.  Müller  in  Cassel  seinen  Würkungskreis,  so  kann  es  von  großem 
Segen  für  das  Land  sein.  Nur  furcht'  ich,  der  Historiker  ist  gar  zu  sehr  gewohnt 
den  Menschen  zu  nehmen  wie  er  ist,  um  mit  den  Sorgen  des  Erziehers  sich  zu 
verständigen. 

Wären  Sie  nur  nicht  so  fern  von  hier!  Ihr  theurer  Brief,  die  Beweise  Ihrer 
Theilnahme  an  meinem  Geschäft  und  mir,  hat  mir  einen  unruhigen  Tag  gemacht, 
ich  möchte  um  alles  in  der  Welt  ein  Mal  wieder  einen  ||  Abend  bei  Ihnen  sein.  Wie 
werde  ich  je  nach  Königsberg  kommen  und  Sie  je  zu  uns!  Das  ist  das  unbehag- 
lichste an  der  Menschennatur,  daß  sie  einen  Körper  braucht,  der  sich  so  unerträg- 
lich langsam  von  einem  Ort  zum  anderen  bewegt,  ich  stehe  hier  zwar  unter  lauter 
Freunden  an  denen  ich  mit  ganzer  Seele  hänge  und  die  mir  von  Herzen  gut  sind, 
doch  wünsche  ich  mir  die  alten  Freunde  alle  noch  dazu;  denn  mit  dem  Vergessen 
will  es  mir  nicht  so  recht  gelingen.  Die  alten  Freunde  werden  mir  durch  die  Liebe 
[der  neuen]  nur  noch  theurer. 

Leben  Sie  recht  wohl;  und  [wenn]  Sie  mich  künftig  noch  zu  den  Ihr[igen] 
zählen,  so  wird  das  sehr  glücklich  [machen]  Ihren 

F.  Griepenkerl. 

240.  Unterholzner  an  H.3)  Heidelberg,  den  2.  März  1S09. 

Hochverehrter  Herr  Professor! 
Sie  werden  nicht  zweifeln,  daß  ich  an  Ihrer  vortheilhaften  Vocation  den  herz- 
lichsten Antheil  nehme.     Es  ist  zu  vermuthen,   daß  Sie  in  Königsberg  mehr  philo- 

1)  3  8.    4°.     H.  Wien. 

2)  Später  ging  er  doch  noch  hin,  hat  aber  kläglich  Fiasko  gemacht.  Vgl.  den 
Art.  „Süvern"  von  W.  Dilthey  in  der  Allg.  D.  Biogr.  —  Pestalozzis  Urteil  über  ihn 
stimmt  mit  dem  Griepenkerls  (s.  0.  S.  10)  überein. 

■)  27,  S.    8°.    H.  Wien.    Adr.:  Monsieur  le  Professeur  Herbart  a  Goettingen. 


42  März   1809. 

sophischen  Geist  finden  werden,  als  in  Göttingen  und  —  Heidelberg,  da  die  schönen 
Zeiten  höheren  wissenschaftlichen  Lebens  unter  Kant  und  Fichte  noch  nicht  aus 
dem  Andenken  werden  verschwunden  sein.  Daß  es  auch  würklich  so  sei,  haben 
einige  Studenten,  die  aus  Königsberg  hierher  gekommen  sind,  versichert.  Ich  glaube 
also  allerdings  Ursache  zu  haben,  Ihnen  Glück  zu  wünschen.  Wena  ich  freilich 
zugleich  auch  meinem  Vaterlande  und  mir  selbst  über  Ihre  Vocation  nach  Landshut 
hätte  Glück  wünschen  können,  würde»  alle  meine  Wünsche  erfüllt  gewesen  sein. 
Diese  Hoffnung  ist  aber  jetzt  so  ziemlich  verschwunden. 

Ueber  Ihren  Recensenten  in  der  Allg.  L.  Z.  habe  ich  mich  gewaltig  geärgert. 
Er  glaubt,  die  sittliche  Natur  des  Menschen  —  ein  schlechthin  psychologischer 
Gegenstand  —  müßte  in  der  praktischen  Philosophie  erklärt  werden.  Kein  Wunder, 
daß  er  Ihre  practische  Philosophie  seicht  findet,  da  er  ihre  Aufgabe  gar  nicht  richtig 
gefaßt  hat.  Mir  scheint  es,  wenn  man  von  der  practischen  Philosophie  fordert,  daß 
sie  die  sittliche  Natur  erkläre,  so  ist  es  eben  so  viel,  als  wenn  der  positive  Jurist 
als  solcher  die  practische  Gültigkeit  seines  positiven  Rechts  nachweisen  soll.  Die 
neuen  Ansichten  über  die  Idee  der  Billigkeit  scheinen  dem  Recensenten  gar  nicht 
aufgefallen  zu  sein.  |[  Was  mich  betrifft,  so  wird  Ihnen  Richthofen  schon  gesagt 
haben,  daß  ich  nicht  so  ganz  zufrieden  bin.  Noch  immer  bin  ich  nicht  so  glücklich 
gewesen,  einen  Freund  zu  finden.  Auch  unter  den  Professoren  glaube  ich  keinem 
so  ganz  trauen  zu  dürfen.  Sie  sind  ungemein  höflich  und  gefällig;  aber,  da  sie  es 
alle  im  gleichen  Maaße  sind,  so  läßt  sich  daraus  nichts  schließen.  Ich  sehne  mich  recht 
zurück  nach  meinem  Yaterlande,  wo  ich  doch  wieder  einige  wenige  finde,  von  denen 
ich  weiß,  daß  sie's  redlich  mit  mir  meinen.  Freilich  werde  ich  auch  verkappte 
Freunde  genug  finden,  und  an  offenbaren  Feinden  wird  es  vermuthlich  ebenso- 
wenig fehlen. 

Höheres  wissenschaftliches  Streben  ist  hier  noch  viel  weniger  als  in  Göttingen 
zu  Hause,  sofern  man  nicht  das  dafür  ansehen  will,  daß  vorzüglich  die  Mediciner 
von  Görres  (der  jedoch  jetzt  wieder  nach  Colin  zurückgegangen  ist)  mit  einem  Hange 
zu  philosophischen  Träumereien  angesteckt  worden  sind.  Mathematik  und  Geschichte 
werden  wenig  betrieben.  Auch  die  Philologie  verliert  jetzt  viel  durch  den  Abgang 
Creuzers  nach  Leyden.  Böckh  war  nach  Königsberg  vocirt,  wird  aber  hier  bleiben. 
Eine  Vocation  Creuzers  nach  Landshut,  die  schon  eingeleitet  war,  hatte  sich  zer- 
schlagen.    In  Leyden  hat  er  4000  fl.  Gehalt.  || 

[Meine  Abhandlungen]  fangen  an  mich  zu  drängen.  Einige  [sind]  bereits 
vollendet.1)  Der  Hauptaufsatz:  Ueber  die  philosophischen  Grundsätze  des  Strafrechts 
ist  aber  noch  großenteils  unvollendet.  Ich  hoffe,  daß  Sie  mit  der  Art,  wie  ich 
Ihre  Ansicht  weiter  durchgeführt  habe,  zufrieden  sein  werden.  Die  Begriffe  von 
dolus  und  culpa  sind  ganz  neu  bestimmt;  denn  ich  habe  gefunden,  daß  die  von 
Ihnen  aufgestellten  Begriffe  mit  dem  Unterschiede,  den  die  positiven  Juristen  da- 
durch bezeichnen  wollen,  nichts  gemein  haben. 

Sodann  sollen  die  Grundsätze  über  die  Grade  der  objectiven  und  subjectiven 
Strafbarkeit  entwickelt  werden.  Ich  hätte  sehr  gewünscht,  mich  über  manches  weit- 
läufiger mit  Ihnen  unterhalten  zu  können. 

Reisen  Sie  recht  glücklich  und  vergessen  Sie  auch  an  den  Ufern  der 
Ostsee  nicht 

Ihres  warmen  Verehrers 
Unterholzner. 


x)  S.  0.  S.  38,  Anm.  1. 


April   1809.  43 

241.    Frau  Minister  von  Grote  an  H.1)  Jühnde,  d.  13t.  April  1809. 

Noch  kein  "Wörtchen   von  Ihnen,   theurer  Freund    —   ich   suche  Sie  auf  im 
großen   unbekannten  Königsberg,   und   bitte,   einmüthig   mit  alle  denen  Sie  hier  gut 
sind   —   sagen  Sie  uns  wie  es  Ihnen  geht,  wie  Sie  Ihre  Reise  vollendeten.     Nicht 
ganz   ohne  Sorge   dachte  ich  manchmal  an  Sie,   seitdem  mir  Wilhelm  schrieb  daß 
bei  allem  Vorschub  den  er  und  seine  Reisegefährten  hatten,  dennoch  ihr  Übergang 
über  die  "Weichsel  beym  Frost  sehr  gefährlich  war.  —  "Wie  ist  es  Ihnen  wohl  dabei 
ergangen?    Daß  Ihre   neue  Laufbahn,   die  wichtigen  G-esichtspuncte  die  Ihnen  vor- 
schweben, die  vielen  neuen  und  interessanten  Gegenstände,  wohlthätig  auf  Sie  wirken 
werden,   glaube  ich  gewiß   und  möchte  dies  so  wohl  wie  die  Ansicht  Ihrer  jezigen 
Lage   von  Ihnen   selbst   erfahren.  —  "Wer   wird  treuer  theilnehmen  an  jedes  Ihrer 
Schicksale  als  ich  der  Sie  so  viel  Freundschaft  und  Zutrauen  bewiesen?  Jahre  lang 
theilten  Sie  was  uns  gutes  und  trauriges  begegnete,  schätzten  und  liebten  nach  Ver- 
dienst denjenigen  welchen  ich  bis  zum  letzten  Augenblick  meines  irdischen  Lebens 
beweinen  werde  —  schon  darum  müßte  ich  Sie  vor  tausend  andern  Menschen  meiner 
innigsten  Freundschaft  und  Hochachtung   werth  halten,   weun  nicht  ohnedem  Ihr 
ausgezeichneter  Werth,   und   so   viel  was  Sie  uns  waren  Sie  dazu  berechtigten.  — 
Nie  werde  ich  es,  nie  das  liebe  Paar  es  vergeßen,   daß  ihr  Glück  ohne  Sie  nicht 
existirte.2)  —  Nachdem  Gott  mir  das  allerbeste  [genommen]  konnte  er  mir  nichts  beßeres 
mehr  geben  als  diesen  sanften  zartfühlenden  innigen  Schwiegersohn  —  seine  Theil- 
nahme  bei  meinem  hier  so  aufgeregten  Schmerz  beschreiben  keine  Worte,  ich  freue 
mich  ihn  die  ersten  Wochen  unseres  hiesigen  Aufenthalts  zu  besitzen  um  so  mehr, 
da  mein  redlicher  guter  August  eine  nothwendige  Reise  nach  Han.  macht.    Mit  Sehn- 
sucht erwarte  ich  Briefe  von  Wilhelm;  die  letzte  Nachricht  war  aus  Ihrem  jezigen 
Wohnort  —  dort  werden  Sie  ihn  zuerst  wiedersehen  und  —  ich  hoffe  es  zu  Gott 
—  von  ihm  selbst  erfahren  daß  er  ganz  glückl.  ist  —  eine  andere  Wendung  seines 
Schicksals  kann  —  und  mag  ich  mir  nicht  denken.    Von  Lotte  bekam  ich  den  letzten 
Brief  aus  München,  wie  es  weiter  mit  ihrer  Reise  unter  den  jezigen  Zeitumständen 
gehen  wird,   weiß  ich  nicht  —  wohl  aber  daß  ihre  ganze  Lage  in  einigen  Rück- 
sichten   sehr   beunruhigend   für   eine  Mutter   ist  —  einst  werde  ich  Ihnen  meine 
Überzeugung  des  persönl.  Werthes   ihres  Mannes  mittheilen   können,   —   und  dies 
muß  mich  über  die  Hauptsache   —   ihre  steigende  moralische  Ausbildung  sehr  be- 
ruhigen,   wenn    auch    andere   Dinge  bis  jezt  nicht  so  sind   wie   ich   es   wünschte, 
ndeß   von   diesen   hängt  die  Ruhe  und  Zufriedenheit  ihrer  Seele  nicht  ab,  und  ich 
darf  auf   ihre   wahre  Geistesstärke   rechnen.     Carl  ist  seit  14  Tagen  hier,  liebens- 
würdig und  gut  so  sehr  ichs  nur  wünschen  kann.   Sie  sehen  wie  ich  darauf  rechne 
daß  Sie   für  uns   alle  sich  intereßiren,  da  ich  von  allen  Ihnen  schrieb.     Geben  Sie 
mir  eben  so  umständliche  Nachricht  von  sich  und  gedenken  Sie  oft  Ihrer  Freundin 

Grote. 

242.    Richthofen  an  H.3)  Göttingen,  d.  30sten  April  1809. 

Wenn  auch  eine  ziemliche  Zeit  verstrich,  ohne  daß  ich  Ihnen  schrieb,  mein 
theurer  Herbart,  so  darf  ich  dennoch  hoffen,  daß  Sie  darum  an  meiner  Liebe  nicht 
zweifeln  werden.  So  etwas  Freundliches  auch  die  Unterhaltung  mit  geschätzten 
Freunden  ist,  so  giebt  es  doch  kaum  etwas  widrigeres  als  Brief  schreiben,  man  fühlt 

1)  IS.    4°.     H.  Wien. 

2)  Therese  von  Grote  hatte  sich  mit  Herbarts  Schüler,  Baron  von  Richthofen, 
verlobt.     Vgl.  die  folgenden  Briefe. 

3)  4  S.    40.    H.  Wien. 


44  April   1809. 

den  Verlust  um  so  schwerer,  aber  um  so  lieber  ist  uns  auch  die  Aussicht  auch  von 
ihnen  Kunde  zu  erhalten;  möchten  Sie  doch  nicht  zu  lange  darauf  harren  lassen. 
Wahrscheinlich  beginnen  Sie  in  diesen  Tagen  Ihre  Vorlesung,  haben  bereits  die  Ver- 
hältnisse und  die  Männer  kennen  gelernt,  von  denen  wenigstens  Ihr  augenblick- 
liches Wohlseyn,  und  die  Erfüllung  so  mancher  Ihrer  Pläne  zum  Besten  der  Wissen- 
schaft und  unsrer  Mitbürger  abhängt,  —  haben  die  Zeit  der  Reise  zum  Durch- 
denken manches  interessanten  Gegenstandes  benutzt;  0  wie  viele  sind  nicht  der 
Fragen,  die  ich  Ihnen,  theurer  Freund,  vorlegen  möchte,  und  die  uns  manche  freund- 
liche Stunde  ausfüllen  würden,  wären  Sie  nicht  so  weit  von  mir  gerissen! 

Wie  erschütterte  mich  nicht  die  Nachricht  als  ich  sie  Michaelis  vernahm,  und 
0  wie  weh  that  mir  nicht  der  Abschied  von  Ihnen!  Und  wie  geht  es  Ihnen,  theurer 
Freund?  sind  Sie  wirklich  ruhiger,  als  Sie  es  vor  wenig  Monden  waren?  haben 
veränderte  Umgebungen  ein  freundlichen  oder  traurigen  Einfluß  auf  Sie  gehabt? 
Herzlich  sind  meine  Wünsche  für  Sie,  aber  trübe  sind  oft  meine  Ahndungen!  Daß 
ich  doch  bei  Ihnen  seyn  könnte,  daß  es  mir  doch  möglich  wäre  Ihnen  stets  alles 
zu  seyn,  was  Sie  von  mir  gehofft!  Mein  Herz  ist  es  in  reichlichem  Maaße.  ||  Doch 
auch  ich  will  Ihnen  schreiben,  und  da  treibt  es  mich  denn  Ihnen  das  nochmals  mit- 
zutheilen,  was  mein  Schicksal  so  freundlich  entschieden,  wiewohl  Sie  es  bereits  durch 
Theresen  und  ihre  Mutter  erfuhren.  Sie  glauben  nicht  wie  freundlich  meine  guten 
Eltern  das  herrliche  Mädchen  aufgenommen  haben,  gleich  als  kennten  sie  sie  bereits, 
und  weit  inniger  als  ich  es  je  erwarten  durfte.  Wenn  die  trüben  Ereignisse  der 
jetzigen  Zeit  manche  Thräne  auspreßten,  so  haben  sie  auf  der  andern  Seite  das  un- 
läugbare  Gute  bewirkt,  so  manche  stolzen  Pläne  herabzustimmen,  und  aufmerksam 
zu  machen  auf  das  was  wahres  Glück  gewährt.  Schwerlich  hätte  ich  3  Jahre  früher 
auf  eine  so  freundliche  Aufnahme  Theresens  hoffen  dürfen;  jetzt  war  sie  so,  daß 
ich  kein  Bedenken  trug  Mutter  und  Tochter  die  Briefe  mitzutheilen,  die  Therese 
(wie  sonderbar)  an  dem  Jahrestage  des  Todes  des  ihrigen  einen  neuen  Vater  er- 
theilten.  Uebrigens  billigten  meine  Eltern  meinen  Plan  in  einem  Jahre  zurück- 
zukehren und  mich  dann,  falls  mein  Vater  es  nicht  früher  in  meinem  Nahmen  thut, 
anzukaufen,  ganz,  und  so  gehe  ich  denn  besten  Schritts  dem  Glücke  entgegen,  das 
mich  an  meiner  heißgeliebten  Therese  Seite  erwartet.  Sie  fühlen  selbst  wie  mir 
Therese  je  mehr  ich  sie  kenne,  in  einem  immer  liebenswürdigeren  Lichte  erscheinen, 
wie  meine  Liebe  zu  ihr,  und  meine  Zuversicht  durch  sie  glücklich  zu  werden  täglich 
wachsen  muß;  und  alles  das  verdanke  ich  Ihnen,  geliebter  Freund !  ich  möchte  auf- 
springen vor  Freuden,  und  könnte  I)  zugleich  wahnsinnig  werden  vor  Schmerz!  — 
Erst  gestern  war  ich  in  Jühnde  und  habe  dort  viele  Grüße  an  Sie  erhalten.  Die 
Ministerin  ist  besorgt  ob  Sie  ihren  und  Theresens  Brief  erhalten  haben  werden,  da 
sie  nicht  wußte,  daß  auch  ein  Königsberg  in  Brandenburg  liegt,  weshalb  sie  vielleicht 
mit  den  Noten  gemeinschaftlich  irre  gegangen  sind.  Wilhelm  Grote  ist  gegenwärtig 
in  Petersburg,  und  sehr  vergnügt,  vorzüglich  über  einen  sehr  freundlichen  Brief  — 
von  Ferdinand  Raden;  er  hat  den  jüngsten  Sievers  unterwegs  getroffen,  Ihren 
Freund  den  ältesten  aber  in  Petersburg  besucht,  und  ihn  noch  sehr  trübe  gefunden 
über  den  Verlust  seiner  Frau.  Ich  freue  mich  mit  Ihnen,  daß  Ihre  Besorgnisse  um 
das  Leben  des  trefflichen  Mannes  zum  wenigsten  ungegründet  scheinen. 

Bei  Diessen  war  ich  am  Tage  nach  Ihrer  Abreise  und  hatte  damahls  ein  sehr 
interessantes  Gespräch  mit  ihm.  Von  unszer  gemeinschaftlichen  Reise  zu  Johannes 
Müller  erwähnte  er  jedoch  nichts,  so  wenig  damahls  als  später,  und  Sie  werden 
leicht  einsehen  daß  ich  mich  nicht  aufdringen  mochte.  Auch  ist  er  selbst,  wie  mir 
Kohlrausch  sagt,  nicht  in  Kassel  gewesen,  sondern  wollte  Müllern  seine  Schrift  über- 
geben,   als  er  vor  einigen  Tagen   hier  war,   ich  war  just  in  Jühnde.    —   Alle  Ihre 


Juni   1809.  4<^ 

mir  bei  Ihrer  Abreise  gegebenen  Aufträge  sind  besorgt.  Unser  Müller,  mit  dem  ich 
gemeinschaftlich  bei  Ihnen  Pädagogik  hörte,  geht  wahrscheinlich  zu  Fellenberg  in 
die  Schweiz  als  Lehrer  der  Chemie;  ein  Posten,  den  ich  ihm  beneiden  könnte,  wäre 
ich  nicht  an  Theresen  verlobt,  wie  lieb  ||  muß  es  Ihnen  nicht  seyn,  daß  sich  dort 
mehrere  Ihrer  Schüler  versammeln,  und  daß  Ihre  Pädagogik  die  Pestalozzische 
Methode  wahrscheinlich  dort  bald  verdrängen  wird.  Mein  Interesse  für  die  Wissen- 
schaft wächst  täglich,  und  wills  Gott  und  erlauben  es  meine  Verhältnisse,  so  denke 
ich  mit  der  Zeit  selbst  noch  in  meinem  Vaterlande  ein  Erziehungsinstitut  zu  er- 
richten. Ich  möchte  so  gern  nützlich  seyn,  und  aller  Ihrer  Ermahnungen  ungeachtet, 
kehrt  mir  die  Ueberzeugung  immer  wieder  zurück,  daß  zu  höhern  Forschungen 
meine  Kräfte  nicht  hinreichen  würden,  und  Sie  wissen  wohl  Pindarem  quisquis  studet 
aemulari  etc.  Auch  die  Errichtung  eines  pädagogischen  Instituts  ist  freilich  noch 
nichts  als  ein  flüchtiger  Gedanke,  dessen  Verwirklichung  noch  durch  so  manches 
verhindert  werden  kann,  denn  auch  meines  Vaters  Vorurtheile  müssen  mir  heilig 
seyn,  da  er  sich  so  liebevoll  gegen  mich  und  Theresen  bewiesen. 

Fries  habe  ich  vor  einigen  Tagen  in  Jühnde  kennen  gelernt;  freilich  schien 
er  mir  nicht  Philosoph,  (er  sagte  manches  unphilosophisches)  aber  ein  sehr  guter 
und  gelehrter  Mann.  So  besitzt  er  eine  sehr  gründliche  Kenntniß  der  Mathematik. 
Eine  Recension  von  ihm  über  Ihre  praktische  Philosophie  muß  in  den  Heidelberger 
Jahrbüchern  stehen;  leider  hatte  ich  sie  noch  nicht  gesehen,  vielleicht  hätte  ich  sonst 
so  manches  darin  widerlegen  können.1)  Der  Redakteur  hat  sie  über  ein  Jahr  liegen 
lassen,  ehe  er  sie  einrückte;  so  hat  Sievers  doch  recht  gehabt.  —  Guttentag  läßt 
Sie  grüßen! 

Vier  Seiten  habe  ich  voll  geschrieben,  alles  bunt  durcheinander  wie  es  mir 
einfiel;  (ob  Sie  es  werden  lesen  können  ist  eine  andere  Frage;)  aber  noch  nichts 
von  meiner  zeitherigen  Beschäftigung  erwähnt.  An  Philosophie  habe  ich  wenig  ge- 
dacht, um  so  mehr  an  Geschichte;  es  hat  mir  diese  Abwechslung  viel  Freude 
gemacht,  aber  merken  Sie  wohl,  nur  als  Abwechslung  und  zur  Erholung:  doch  es 
ist  Zeit  daß  ich  schließe. 

Leben  Sie  wohl  und  lieben  Sie  stets  Ihren  Freund  Richthofen. 

243.    Dissen  an  H.2)  Göttingen  d.  24.  Juni. 

Hochzuverehrender  Herr  Professor! 
Gewiß  würd'  ich  schon  viel  früher  Ihnen  geschrieben  haben,  wenn  nicht  ich 
gern  alles  das  zugleich  Ihnen  hätte  sagen  wollen,  was  Sie  wünschten.  Und  nun 
kann  ich  leider  doch  nicht  wie  ich  wollte.  Daß  Müller  todt  ist,  wissen  Sie. 8)  Da 
ich  gleich  nach  Ihrer  Abreise  krank  wurde,  so  war  es  mir  unmöglich  nach  Cassel 
zu  gehen;  ich  schickte  also  alles  vorläufig  hinüber.  Nach  Ostern  verlautete  es, 
Müller  werde  kommen,  und  das  geschah  auch  endlich  im  Mai.  Er  war  so  höflich 
selbst  mich  zu  besuchen,  ehe  ich  noch  selbst  bei  ihm  gewesen  war.  Leider  war  ich 
nicht  zu  Hause;  und  mußte  ihn  deswegen  ||  hernach  im  Wirthshause  aufsuchen.  Hier 
war  er  sehr  freundlich,  sprach  viel  von  Ihnen,  und  seinen  sonstigen  guten  Plänen. 
Als  aber  ich  ihn  bat  um  die  Beantwortung  jener  Fragen,  so  entschuldigte  er  sich 
mit  den  Zerstreuungen  in  Göttingen,  und  bat  mich  in  Cassel  ihn  bald  zu  besuchen. 
Das  hat  nun  nicht  geschehen  können,  weil  er  gestorben  ist.  Mitscherlich  hat  ein 
schlechtes  Gedicht   auf  seinen  Tod  gemacht;   Heyne  in  der  Academie  der  Wissen- 


1)  S.  0.  S.  8. 

2)  4  S.    8°.     H.  Wien.  —  Ohne  Jahr. 

3)  Joh.   von  Müller  starb   am   29.  Mai  1809  in  Kassel.     Über  sein  Verhältnis 
zu  Herbart  s.  0.  Nr.  236. 


46  Juni,  August,  September  1809. 

Schäften  eine  kräftige  Rede  vorgelesen.  Leider  scheint  man  ihn,  in  Cassel  wenigstens, 
schon  vergessen  zu  haben.  Seine  Sachen  bleiben  dem  Jüngern  Bruder  in  der  Schweitz. 
Heeren  und  Heyne  waren  untröstlich.  —  Doch  warum  fang  ich  meinen  Brief  gleich 
mit  Klagen  au  —  also  von  etwas  anderem.  Seit  Ostern  lese  ich  nun  die  Einleitung. 
Ich  habe  18  Zuhörer;  aber  alle  kommen  so  ämsig,  und  sind  so  zufrieden,  daß  ich 
nicht  nur  gebeten  bin,  von  Ihren  andern  Collegiis  einige  zu  lesen,  im  nächsten 
Winter,  sondern  ||  daß  auch  schon  zu  diesem  Collegio  viele  im  Voraus  sich  gemeldet 
haben,  wenn  ich  es  im  Winter  wieder  lesen  wollte.  Vor  der  Hand  werd'  ich  mich 
wohl  an  die  practische  Philosophie  wagen.  Mit  Buterwecks  philosophischen  Collegien 
ist  man  so  unzufrieden,  daß  es  scheint,  ich  werde  darin  ihm  wohl  bald  den  Rang 
ablaufen.  Er  ist  auch  etwas  unwillig  auf  mich,  welches  sich  auch  neulich  äußerte, 
als  man  mir  ein  Vivat  brachte  und  ihm  nicht.  Außerdem  les'  ich  noch  Pindar, 
auch  mit  Beifall.  Ich  hätte  also  in  der  Hinsicht  Ursache  zufrieden  zu  sein;  aber 
ich  muß  nur  zuviel  Privatstunden  geben,  und  kann  nicht  viel  für  mich  arbeiten. 
So  ist  es  doch  immer  etwas  ziemlich  Hoffnungsloses  mit  meiner  Lage,  da  Müller 
todt  ist;  denn  dieser  hatte  schon  als  er  hier  war  mir  von  selbst  versprochen,  mich 
nächstens  anzustellen.  Diesen  Sommer  hab'  ich  6  Privatstunden  und  2  Collegia 
täglich,  und  halte  es  doch  aus.  —  Sie  stehn  hier  allgemein  in  großer  ||  Achtung,  und 
viele  betrauern  Ihren  Verlust.  Unter  den  letzten  werden  Sie  mich  gewiß  oben  an- 
stellen; wie  oft  hätt'  ich  Sie  fragen  mögen  um  dies  und  jenes,  wie  gern  bisweilen 
von  mir  etwas  gezeigt!  Zu  denen  welche  Ihren  Abgang  von  hier  sehr  bedauern, 
gehört  auch  ein  Herr  Berg,  ein  Däne,  oder  Holsteiner,  der  Sie,  wie  er  sagt,  gut 
kennt.  Er  hat  großen  Ärger  daran  genommen,  daß  ich  der  Bewegung  Wiedersprüche 
aufgebürdet,  die  er  für  das  göttlichste  hält,  und  wiil  sich  deshalb  noch  einmanl 
ernstlich  mit  mir  verständigen.  Auch  Heeren  hat  sich  oft  nach  Ihnen  erkundigt; 
ch  mußte  dann  immer  beschämt  bekennen,  daß  ich  noch  nicht  wiße,  wie  Sie  da 
zufrieden  sind,  wie  Sie  da  leben.  Doch  auch  bin  ich  wieder  stolz  darauf,  daß  man 
sich  oft  an  mich  wendet,  wenn  von  Ihnen  geredet  wird,  und  vor  allem  daß  ich 
für  den  Depositeur  Ihrer  Weisheit  hier  gelte.  Nach  Ihrer  Abreise  erhielt  ich  einige 
Briefe,  welche  hierbei  folgen,  durch  Herrn  Petz,  den  ich  Ihnen  gehorsamst  emp- 
fehle.    Mit  steter  Hochachtung  der  Ihrige 

Dissen. 

Ihre  Bücher  werden  eben  verkauft. 

(Am  Rande  der  2.  Seite):   Mit  der  kleinen  Schrift  war  Müller  sehr  zufrieden. 

(Am  Rande  der  4.  Seite):  Einer  der  Briefe  folgt  hierbei;  der  zweite,  ein 
größeres  Packet,  nächstens  durch  andere  Gelegenheit.  —  Hers  Kästchen  ist  nicht  an- 
gekommen. 

Juni:  Entwurf  zur  Anlage  eines  pädagogischen  Seminars.     XIV.     S.  24 — 29. 
20.  Aug.    stirbt    Herbarts    Vater,   Justiz-    und    Regierungsrat    Thomas    Gerhard    Herbart, 

Mitglied  der  Regierungs-Canzlei. l) 

244.    Carl  v.  Steiger  an  H.2)  Riggisberg  d.  14t.  7ber  1809. 

Mich  scheint,  theuerster  Herbart,  leider  ein  ähnliches  Loos  treffen  zu  wollen, 
wie  Zehender  und  andere  mehr  Deiner  Freunde,  die  Du,  wenn  auch  nicht  zu  ver- 
gessen, doch  etwas  zu  vernachlässigen  scheinst.  Mein  sehnlicher  Wunsch,  von  Deiner 
jetzigen  Lage  und  Deinen  neuen  Verhältnissen  etwas  zu  erfahren  ist  noch  bis  heute 

1)  S.  Oldenburgische  Blätter,    1842.     N.  41. 

2)  3  S.    kl.  4°.     H.  Wien. 


Oktober  1809.  aj 

unerfüllt  geblieben  —  und  doch  sind  Monate  verstrichen,  wie  viele  —  mag  ich  gar 
Dicht  mehr  zählen.  Wie  sehr  mich  das  schmerzt  kann  ich  Dir  nicht  genug  sagen! 
—  Können  Deine  Gesinnungen  gegen  mich  sich  so  plötzlich  oder  vielmehr  so  all- 
mälig  diese  Zeit  über  verändert  haben?  Sollte  die  größere  Entfernung  oder  gar  der 
kalte  Norden  daran  Schuld  haben?  —  Doch  nein,  alles  dieses  und  noch  viel  anderes 
unangenehmes  kann  und  will  ich  nicht  glauben,  sondern  bis  auf  weiteres  vielmehr 
hoffen :  Du  gefallest  Dir  in  Deinem  Königsberg  so  sehr  und  befindest  Dich  so  wohl, 
daß  Du  darüber  auf  einige  Zeit  Deinen  Carl  vergessen  hast.  —  Was  mich  betrifft 
mein  Beßter,  so  sey  nicht  ähnliches  ||  zu  erfahren  erwarten,  wie  ich  meinerseits  von 
Dir.  Meine  Verhältniße  sind  noch  immer  dieselben  und  werden  wahrscheinlich  noch 
eine  Zeit  lang  dieselben  bleiben;  denn  unter  den  jetzigen  Umständen  mag  ich  noch 
immer  nicht  an  eine  Anstellung  denken.  Indeßen  ist  aber  doch  auf  der  andern 
Seite  nicht  minder  wahr,  daß  ein  gewißer  Trieb  nach  Thätigkeit  und  äußerem  Handeln 
sich  zuweilen  in  mir  regt,  dem  das  eigne  Studium  nicht  mehr  ganz  genügt,  sondern 
der  vielmehr  hervortreten  und  außer  jenem  auch  etwas  Äußeres  zu  seinem  Gegen- 
stand haben  möchte  um  sich  selbst  zu  eigen  gemachte  Ideen  darauf  angewandt  und 
realisirt  zu  sehn.  Wäre  dieser  Gegenstand  zuletzt  auch  von  geringem  Umfang,  daß 
er  nur  ein  beschränktes  Handeln  zuließe  —  es  wäre  fürs  erste  genug  um  den  Geist 
wach  zu  erhalten  und  zu  verhindern  daß  er  nicht  allmählig  erschlaffe  und  versinke 
in  ein  interesseloses  Wesen  und  gäntzliche  Gleichgültigkeit  über  alles  was  außer  ihm 
und  um  ihn  sonst  vorgeht.  Aus  diesen  und  andern  Gründen  habe  ich  mich  ent- 
schloßen,  mich  ||  mit  etwas  zu  beschäftigen,  was  mir  hier  am  nächsten  lag  und  sich 
außerdem  am  besten  mit  meinem  übrigen  Treiben  verträgt,  nemlich  mit  der  Land- 
wirtschaft, die  auch  von  Jugend  auf  immer  viel  Anziehendes  für  mich  hatte.  Zu 
dem  Ende  hat  mir  mein  Vater  seine  hiesigen  Güter  zur  freyen  Disposition  über- 
geben, wo  ich  nun  nach  Gefallen  schalten  und  walten  kann  —  ein  kleiner  Spielraum 
zwar,  jedoch  groß  genug  wie  ich  ihn  unter  der  jetzigen  Lage  der  Dinge  wünschte. 
Vor  einigen  Monaten  hatte  ich  Hoffnung  zu  einem  ungleich  größeren  und  inter- 
essantem von  ganz  anderer  Art,  die  nun  fürs  erste  verschwunden  aber  doch  nicht 
ganz  dahin  ist!  —  Von  meinen  Brüdern  sind  wir  ohne  directe  Nachrichten  seit  langer 
Zeit  schon  und  wissen  daher  in  diesem  Augenblick  nicht,  wo  sie  sich  befinden. 
Ludwig,  der  immer  zurückkommen  soll  und  nie  kommt  hat  von  der  Wintercampagne 
in  Spanien  sehr  viel  gelitten.  — 

Von  Rahden  und  dem  älteren  Grote  wünschte  ich  gerne  bald  zu  erfahren. 
Die  Meinigen  grüßen  Dich  vielmals,  auch  Zehender  der  Dir  im  Frühjahr  noch  nach 
Göttingen  geschrieben  hat.     Er  wartet  wie  ich  sehnlichst  auf  Nachrichten  von  Dir. 

Auf  immer  der  Deinige  Steiger. 

245.    Dissen  an  H.1)  Göttingen  in  der  Mitte  des  Octobers. 

Hochzuverehrender  Herr  Professor! 
Da  ich  meine  Briefe  gewöhnlich  durch  Gelegenheit  Ihnen  überschicke,  so 
könnten  Sie  leicht  auf  die  Vermuthung  kommen,  daß  alles  Schreiben  nur  gewesen 
sei,  um  solcher  Gelegenheiten  willen.  Indeßen  ist  dies  gewiß  nicht  Ursache,  wenn 
schon  es  einigemahl  Veranlaßung  war;  jetzt  aber  hätt'  ich  Ihnen  doch  geschrieben, 
wenn  auch  Herr  v.  Blankenburg  und  Hr.  Thun  nicht  abgegangen  wären.  Beide 
denken  bei  Ihnen  Weisheit  zu  hören,  und  verlaßen  die  Universität  auch  wegen 
anderer  Unfälle.  Es  ist  nämlich  diesen  Sommer  Streit  gewesen  mit  der  gens  d'armerie 
und  den  Studenten,  wo  offenbar  die  Studenten  Recht  hatten.     Daher  auch  alle  Be- 

x)  8  S.   8°. 


48  October   1809. 

hörden  sich  für  diese  verwendeten,  selbst  der  General.  Aber  die  Genugthuung 
von  Cassel  schien  ihnen  nicht  hinreichend,  zumahl  vielen  durch  einzelne  Unruh- 
stifter aufgewigelten,  und  so  ||  haben  die  Meisten  sich  durch  Unterschrift  verpflichtet 
wegzugehn.  Man  vermuthet  daher  diesen  Winter  nicht  viel.  Auch  für  mich  ist 
dies  ein  Schlag;  denn  ich  komme  nicht  recht  in  den  Zug.  Wahrscheinlich  hätt'  ich 
sonst  ein  sehr  starkes  Auditorium  diesen  Winter  gehabt;  denn  viele  hatten  sich 
bereits  gemeldet,  und  auch  öffentlich  hatte  man  mir  mehreremahl  Beweise  des 
Beifalls  gegeben.  Indessen  hab'  ich  mich  doch  vorbereitet  auf  die  practische  Philo- 
sophie. Die  Einleitung  derselben,  welche  mir  jetzt  ganz  klar  ist,  werd'  ich  recht 
ausführlich  abhandeln,  und  mit  Beispielen  deutlich  machen  aus  andern  Systemen, 
wie  überhaupt  durch  Vergleichung  fremder  Systeme  vieles  noch  würde  deutlicher 
den  Anfängern  werden  müssen.  So  denk'  ich  von  dem  alten  Naturrecht  an  seinem 
Orte  eine  Idee  zu  geben,  wenn  von  dem  Recht  die  Rede  ist.  Ich  habe  auch  Schleier- 
macher gelesen ;  anfangs  schien  er  mir  schwer,  aber  jetzt  ist  mir  das  meiste  ver- 
ständlich; es  ist  wunderbar,  daß  er  nicht  gemerkt  hat,  daß  auch  die  Dreigestalt  der 
ethischen  Ideen,  wenn  sie  nämlich  nach  Gütern,  nach  Tugenden  und  Pflichten  ab- 
gehandelt wurde,  nichts  gesundes  ergeben  müßte.  ||  Doch  ist  mir  sehr  vieles  inter- 
essant gewesen,  und  ich  habe  viel  daraus  gelernt,  auch  zur  Kenntniß  des  Systems, 
abgesehen  von  der  Beurtheilung.  —  Viel  hab'  ich  mich  umher  geworfen  mit  dem 
was  von  der  Tugend  im  zweiten  Buche  Sie  sagen.  Real  im  strengsten  Sinn  kann 
freilich  die  Tugend  nie  seyn,  weder  als  Verhältniß,  noch,  wie  man  sie  sonst  oft 
dachte,  als  eine  Kraft;  aber  auch  das  bloße  Eintreten  des  ganzen  Verhältnißes  kann 
Ihnen  nicht  für  Tugend  gelten,  wenn  es  vorübergehend,  und  also  mehr  zufällig 
wäre.  Vielmehr  die  sittlichen  Vorstellungen  müßten  eine  solche  Kraft  durch  viel- 
fache Verstärkung  im  Gemüth  erlangt  haben,  daß  dadurch  die  Sicherhett  der  Tugend 
und  die  Dauer  des  Verhältnisses  begründet  wird.  Also  die  Kraft  nicht  der  Seele, 
sondern  der  Ideen  und  die  Übung  ihnen  zu  folgen  muß  machen,  daß  das  Vernunft- 
wesen in  jedem  Augenblicke,  bei  jeder  Veranlaßung  darstelle  das  Verhältnis  der 
innern  Freiheit.  —  Ein  Anstoß  ist  mir  in  der  Idee  der  Vollkommenheit,  die 
unaufhörliche  Collision,  da  man  nach  erlangter  innerer  Vollkommenheit  sie  wieder 
aufgeben  würde  nach  Vergleichung  mit  vollendeteren  Vernunftwesen;  denn  um  die 
Strebungen  gleich  zu  bilden  stärkeren  Strebungen  anderer,  muß  man  die  eigene 
Vollkommenheit,  wenn  sie  erlangt  war,  nothwendig  aufopfern,  ||  da  ja  unmöglich  alle 
in  einer  Zeit  verhältnismäßig  fortgebildet  werden  können.  Man  will  also  die  Idee 
in  einer  Rücksicht  realisiren,  indem  man  in  anderer  geflissentlich  sie  aufopfert; 
wie  wenn  man  um  hier  Recht  zu  thun,  es  dort  überträte.  Noch  denk'  ich  Sie  zu 
fragen  um  einige  Kleinigkeiten  in  der  Metaphysik,  zumahl  auch,  da  diesen  Winter 
wieder  einige  privatissima  sie  hören  wollen.  Was  heißt  das  p.  62  oben  in  der 
Lehre  von  der  Bewegung:  Wäre  die  Unterscheidung  des  ersten,  zweiten  dritten 
untersagt,  so  würde  Ruhe  gedacht  in  einer  irrationalen  Distanz  von  einem  Andern. 
Was  heißt  es  p.  66:  Es  sitzt  gleichsam  jede  Störung  den  einander  störenden  Wesen 
unmittelbar  auf.  Überhaupt  ist  mir  hier  noch  einiges  nicht  ganz  klar.  Endlich  noch 
vom  Ich  p.  11.  Das  Ich  wird  durch  den  Schein  zum  Dinye,  inwiefern  in  der  letzten 
Setzung,  wenn  sie  erreicht  würde,  es  sich  setzen  würde  nicht  als  sich,  sondern  als 
vorstellend,  tragend  den  Schein,  und  also  in  der  letzten  Setzung  nicht  wäre  Object 
und  Subject  vereinigt.  Nicht  so?  Die  Auflöung  des  Ich  wird  angeknüpft  an  das 
was  p.  75  steht;  Woraus  folgt,  daß  Subject  und  Object  nicht  gleich  erscheinen  im 
Ich,  wie  doch  der  Begriff  des  Ich  aussagt.  Das  Erste  pag.  75  versteh'  ich  so:  Man 
kann  das  Eine  nicht  nachweisen,  worin  die  Setzungen  verbunden  wären;  ||  denn  das 
Eine,  nämlich  der  Verbindungspunct,  das  wahre  Ichsubject  wird  nicht  identisch  mit 


October  1809.  49 

der  jedesmaligen  Setzung,  d.  h.  dem  Objecte,  inwiefern  der  höchste  Act  des  Setzens 
nicht  selbst  mit  gesetzt  ist,  indem  er  setzt,  und  also  das  Subject  stets  mehr  enthält 
als  das  Object.  Möchten  Sie  sich  doch  hierüber  noch  einmahl  erklären,  und  auch 
über  die  gleich  nachfolgende  Parenthese.  Vielleicht  würden  Sie  mir  auch  noch 
etwas  hinzufügen  über  die  Aufhebung  des  Objects  im  Ich.  Endlich  pag.  39 *)  In- 
wiefern würde  zu  einer  Tendenz,  Kraft  zu  werden,  gehören  eine  in  sich  zurück 
gehende  Thätigkeit?  Weil  wenn  es  die  Tendenz  hätte  sich  selbst  zur  Kraft  zu 
machen,  allerdings  es  das  Thuende  wäre  und  das  Gethane,  also  eine  Seins-Thätigkeit. 
Nicht  so?  —  [Vgl.  Bd.  II,  S.  202,  204,  207,  194  f.  und  diesen  Band  S.  55  f.] 

Sonst  unterschieden  Sie  hier  mehrere  Fälle.  Ich  glaube  leicht,  daß  Sie  viel- 
leicht mehrere  mahl  lächeln  werden,  indem  Sie  dieses  alles  lesen ;  allein  das  will  ich 
gern  ertragen,  wenn  Sie  nur  Ihre  Belehrung  nicht  mir  versagen  wollen.  Je  sicherer 
ich  bin  in  allen  diesen  Dingen,  desto  eher  werd'  ichs  anwenden.  Wenn  Sie  dem- 
nach nicht  zu  viel  Geschäfte  haben,  so  erfreuen  Sie  mich  recht  bald  mit  einem 
Briefe;  ich  harre  mit  Sehnsucht.  —  Heeren  grüßt  herzlich  sammt  seiner  Frau;  aber 
•er  läßt  Sie  dringend  erinnern  ||  an  das  Versprechen,  auch  ihm  zu  schreiben;  er  war 
fast  ein  wenig  ungehalten,  daß  Sie  mir  geschrieben  und  nicht  auch  ihm.  —  Herrn 
Böckh  hab'  ich  jetzt  kennen  gelernt.  Er  ist  seit  14  Tagen  hier,  und  hat  vor  einigen 
Tagen  Hochzeit  gefeiert.  Er  ist  in  seinem  Wesen  keineswegs  der  Entschlossene 
Mann,  wie  er  im  Schreiben  erscheint;  vielmehr  sein  Äußeres  verspricht  wenig.  Er 
erkundigt  sich  nach  Ihnen  mit  großer  Behutsamkeit,  und  scheint  das  tiefeingehende 
Gespräch  darüber  zu  vermeiden;  wie  wohl  er  anfangs  sagte,  er  habe  noch  viel  mit 
mir  zu  sprechen.  —  Da  ich  wahrscheinlich  diesen  Winter  wenig  lese,  so  will  ich 
desto  fleißiger  studiren,  erst  die  alten,  dann  die  neueren  Philosophen;  denn  eher 
kann  man  gegen  diese  Leute  nicht  auftreten.  Aber  dann  hoff  ich  auch  meinen 
Mann  zu  stellen.  Bis  dahin  will  ich  mich  philosophisch  ruhig  halten,  und  nur  einiges 
philologische  bekannt  machen,  wie  z.  B.  meine  Ideen  über  Grammatik,  woran  ich 
doch  später  nicht  kommen  würde,  dann  Homerisches  und  dgl.  —  Aussichten  sind 
für  mich  bis  jetzt  wenig;  freylich  kennt  man  mich  auch  ||  nicht.  Aber  es  werden 
nun  bald  einige  Universitäten  eingehen,  und  die  übrigen  sind  besetzt.  Auf  allen 
Fall  kann  ich  dann  immer  noch  Schulmann  werden.  Wenn  ich  nur  nicht  so  viel 
Stunden  zu  geben  brauchte,  dann  würde  ich  Zeit  haben  zu  mehrern  Arbeiten.  Aber 
alles  zusammen  geht  nicht.  —  Herrn  Leist  kenn'  ich  nicht.  Sie  wißen  daß  Heyne 
sich  genöthigt  gesehen  seinen  Posten  fast  ganz  niederzulegen.  Leist  verlangte,  er 
solle  die  Programme  u.  dgl.  academische  Schriften  censiren  lassen;  als  Vorstellungen 
nichts  halfen,  nahm  er  seine  Dimission.  Letzthin  erhielt  er  einen  Beweis  aus- 
gezeichneter Achtung.  Es  war  sein  achzigster  Geburtstag.  Um  zehn  Uhr  des 
Morgens  wartet  der  Praefect  auf  und  der  Generalsecretair ;  dann  der  Bürgermeister 
mit  seinem  Bureau;  darauf  die  Deputirten  der  drei  Facultäten;  um  11  Uhr  die 
philosophische  Facultät  in  corpore,  und  überreicht  ein  Gedicht;  des  Nachmittags 
schickt  man  Gedichte,  Blumen,  Kränze  (wie  z.  B.  die  beiden  Töchter  v.  Eychsen  (?) 
mit  einem  dreifachen  Kranz  ihn  bekränzt  haben)  am  Abend  bringt  die  Bürgerschaft 
ein  Vivat,  nachdem  auch  die  Studenten  dasselbe  gethan.  Der  alte  Mann  war  sehr 
froh.  —  Übrigens  ist  hier  alles  beim  Alten.  In  Ihrem  Hause  ||  wohnt  jetzt  der  Praefect; 
vor  einiger  Zeit  war  ein  großer  Chor,  es  erregte  eigene  Empfindungen  in  mir,  wenn 
ich  das  Geräusch  des  Gewühls  verglich  mit  der  philosophischen  Stille.  Von  Tölken 
weiß  ich,  daß  er  noch  2  Jahre  in  Italien  bleiben,  dann  in  Göttingen  lesen  will.  Er 
selbst  hat  nicht  geschrieben,  aber  ein  vor  kurzem  daher  kommender  hat  ihn  gekannt. 

*)  Dissen  zitiert  nach  der  2.  Ausg.  der  Hauptp.  d.  Metaph.  (1808j. 

Herbarts  Werke.    XVII.  4 


cq  November  1809. 


—  Doch  ich  sehe,   daß  der  Brief  schon  zu  groß  geworden,   also  —   verbum  non 
amplius  addam.  Ihr  ergebener  Schüler  Dissen. 

246.    Therese  v.  Grote  an  H.1)  Göttingen  d.  3  Nov.  1809. 

Längst  hätte  ich  II inen,  bester  Herr  Professor  gern  für  die  große  innige  Freude 
gedankt,  die  ich  empfand,  als  mir  Mutter  die  freundlichen  Zeilen  von  Ihrer  Hand 
brachte;  nur  die  Furcht  unbescheiden  in  Ihren  Augen  zu  erscheinen,  hieß  mich 
lange  schweigen.  Jedes  Ihrer  Worte  war  mir  ein  Beweis  Ihres  mir  so  theuren  An- 
denkens, und  dies  mir  zu  erhalten,  möchte  ich  Sie  gern  recht  oft  au  Ihre  entfernten 
Freunde  erinnern.  Umgeben  von  so  vielen  neuen  Gegenständen  Ihrer  Beschäftigung 
und  von  so  manchen  interessanten  Menschen,  könnte  die  Erinnerung  an  ein  Mädchen, 
das  Ihnen  so  viel  verdankt,  und  ja  auf  ihr  "Wohlwollen  weiter  keine  Ansprüche  zu 
machen  hat,  als  die  sie  durch  ihre  Bitte  und  ihre  Anhänglichkeit  erlangt,  leicht  ver- 
schwinden, 0  lassen  Sie  [|  diese  Furcht  nie  in  Erfüllung  gehen.  Von  dem  ver- 
flossenen schönen  Sommer  möchte  ich  Ihnen  gern  viel  sagen,  aber  ich  überlasse  Ihrem 
Herzen  zu  beurtheilen,  wie  glücklich  wir  waren,  da  wir  jede  kleine  und  große 
Freude  doppelt  genossen  und  selbst  die  wehmüthigen  Augenblicke  mir  durch  meines 
Richthofens  Mitgefühl  lieb  wurden.  Wie  froh  ich  bin  den  heißen  Wunsch  Richt- 
hof en  immer  wohler  und  heiterer  zu  wissen,  ganz  erfüllt  zu  sehen,  können  Sie, 
lieber  Herr  Professor,  wohl  denken;  der  finstern  und  trüben  Augenblicke  sind  für 
ihn  immer  weniger,  aber  glauben  Sie  deshalb  nicht,  daß  er  den  schönen  Zweck, 
den  Sie  ihm  zuerst  zeigten,  aus  den  Augen  verlöhre;  wenn  er  es  könnte,  so  würde 
ich  ihn  erinnern  an  den  heiligen  Eifer,  den  Sie  ihm  einflößten;  aber  mit  allen 
schönen  Aussichten  der  Zukunft  verknüpft  er  immer  die  Erfüllung  aller  Pläne,  die 
er  mit  ||  Ihnen  entwarf.  —  Mein  Vertrauen,  meine  Liebe  zu  ihm  werden  mit  jedem 
Tage  inniger  und  fester,  und  auch  der  Wunsch  immer  größer  ihm  in  jeder  Hinsicht 
ganz  genügen  zu  können.  Mancher  schöne  Tag  wurde  diesen  Sommer  durch  mein 
vieles  Krankseyn  getrübt;  ich  finde  es  sehr  leicht,  die  Schmerzen  einer  Krankheit 
geduldig  zu  ertragen,  aber  sehr  schwer,  so  oft  denen  die  man  auf  Erden  am  innigsten 
liebt,  Kummer  und  Sorgen  machen  zu  müssen.  Nur  die  letzte  schöne  Herbstzeit 
habe  ich  ganz  ungestöhrt  genossen,  meilenweit  ist  mein  Richthofen  mit  mir  in  der 
herrlichen  Gegend  umher  gewandert,  aber  nach  jeder  kleinen  Ausflucht  so  froh,  in 
die  Arme  meiner  süßen  Mutter  und  Grosmutter  zurückzukehren,  war  ein  Glück 
was  leider  nicht  immer  so  seyn  wird.  —  Ungern  verließen  wir  Jühnde,  und  stiegen 
von  unseren  sonnigen  Höhen  in  dies  neblichte  Thal  herab,  selbst  unser  Unterricht 
kann  mich  noch  nicht  wieder  ganz  mit  diesem  [|  Auffenthalt  aussöhnen,  doch  bin  ich 
recht  fleißig  bei  Herrn  Forkel 2)  und  versäume  über  den  Bach  auch  den  Clementi  nicht. 
Könnten  Sie  nur  einen  Abend  wieder  mit  uns  seyn,  wie  viel  möchte  ich  Ihnen  er- 
zählen und  auch  eine  chromatische  Phantasie  von  Seb.  Bach  würde  ich  Ihnen  vor- 
spielen, die  gewiß  Ihren  Beifall  erhielte.  —  Wenn  unsre  Bitten  Sie  einst  vermögen 
könnten  eine  Reise  nach  Schlesien  zu  unternehmen,  dann  würden  alle  die  freund- 
lichen Bilder  meiner  Einbildungskraft  in  Wirklichkeit  übergehen,  und  Sie  ahnen  gewiß, 
mit  welcher  Dankbarkeit  und  anhänglicher  Freude  wir  Sie  unter  uns  sehen  würden. 

Richthofen  liest  mit  mir  bei  Beneke  einen  Theil  des  Schakespeare,  der  schon 
diesen  Sommer  uns  oft  beschäftigte;  auch  hören  wir  bei  Fiorelli  sehr  interessante 
Vorlesungen  über  die  Kunst  und  fingen  gestern  einen  Unterricht  in  der  spanischen 
Sprache  an  der  uns  manchen  dichterischen  Genuß  ||  gewähren  wird.    Das  sind  meine 

')  6  S.    8°-     H.  Wien. 

2)  Vgl.  Fr.  Kohlrauschs  Erinnerungen  (1863),  S.  108. 


November  1809.  cj 


hinzugekommenen  Beschäftigungen,  und  ich  rechnete  auf  Ihre  Güte,  wenn  ich  der 
lieben  Gewohnheit  Ihnen  alles  was  mich  interessiert,  mitzutheilen,  ganz  folgte. 

Meine  süße  Mutter  ist  im  Ganzen  weit  heiterer  als  im  vorigen  Jahre,  aber 
selbst  das  Glück  ihrer  Kinder  vermag  ihre  düstern  schwarzen  Ansichten  des  Lebens 
nicht  zu  ändern,  und  es  thut  uns  so  unaussprechlich  weh,  wenn  sie,  die  zu  unserm 
Glücke  so  nothwendig  ist,  sich  so  oft  von  uns  hinwegsehnt;  für  sie  sind  freilich  die 
schönsten  Blumen  im  Kranze  des  Lebens  verwelkt !  Sie  blickt  ihm  immer  mit  Thränen 
nach,  dessen  Andenken  unaufhörlich  in  unserm  Herzen  wohnt,  und  uns  Kinder  seiner 
würdig,  zum  Wiedersehen  heiligen  mag. 

Von  unserm  "Wilhelm  bekommen  wir  selten  Briefe,  und  verzeihen  ihm  gern; 
das  schöne  Wiedersehen  im  Frühling,  wenn  er  uns  seine  herrliche  Julie  ||  bringt, 
muß  uns  für  Alles  entschädigen.  Den  herzlichsten  Empfehlungen  von  Mutter  und 
Grosmutter  füge  ich  die  Bitte  hinzu  um  die  Fortdauer  Ihres  Wohlwollenden  An- 
denkens für  Therese. 

247.    Richthofen  an  H.1)  Göttingen,  d.  5ten  Nov.  1809. 

Ich  habe  Ihnen  lange  nicht  geschrieben,  mein  inniggeliebter  Lehrer  und  Freund, 
aber  glauben  Sie  darum  nicht,  daß  minder  heiß  sey  in  meiner  Brust  die  Liebe  zu 
Ihnen  und  meine  Begier  immer  weiter  fortzuschreiten  in  dem  Suchen  des  Wissens. 
Wie  wäre  es  mir  doch  möglich  den  zu  vergessen,  dem  ich  so  alles  verdanke,  der 
meinem  Leben,  meinem  ganzen  Treiben  und  Thun  erst  ein  Ziel,  und  eine  feste 
Stütze  gab;  ewig  wird  Ihnen  mein  Dank  dafür  glühen. 

Gern  hätte  ich  schon  längst  einen  Brief  an  Sie  abgesandt,  aber  ich  scheue 
mich  vor  Sie  zu  treten,  noch  immer  ohne  Ihnen  etwas  von  mir  selbst  biethen,  oder 
doch  zum  wenigsten  von  meinen  eignen  Fortschreiten  in  der  Philosophie  schreiben 
zu  können;  endlich  zog  ich  es  vor  Ihnen  zum  mindesten  einige  Worte  der  Liebe 
zu  sagen.  Nicht  von  der  Wissenschaft,  sondern  von  mir  selbst  soll  mein  heutiger 
Brief  handeln,  vielleicht  aber  kommt  auch  für  mich  dereinst  die  Zeit,  wo  auch  ich 
mich  meines  Wirkens  rühmen  kann. 

Gewiß  ich  bin  nicht  ein  Abtrünniger  von  der  göttlichsten  aller  Wissenschaften, 
die  allem  andern  erst  Werth  giebt,  und  Ihrer  Lehren,  aber  indem  ich  sie  hoch  über 
alle  andern  erhebe,  erkenne  ich  auch  die  Kraft,  die  sie  verlangt,  fühle  ich  auch  daß 
Sie,  mein  trefflicher  Herbart,  mich  oft  zu  liebevoll  beurtheilten.  Aber  es  giebt 
niedere  Kreise  in  der  Philosophie,  und  vermag  ich  es  auch  nicht  mich  in  den  höhern 
je  frei  zu  bewegen  mit  selbstständiger  Kraft,  so  hoffe  ich  doch  in  jenen  Nutzen  zu 
stiften,  und  will  ihnen  gern  mein  Leben  weihn.  Schelten  Sie  mich  nicht  des  Klein- 
muths,  theurer  Freund,  ich  rede  aus  tiefer  Ueberzeugung,  und  ist  es  nicht  auch  so 
schön  als  Erzieher  zu  wirken?  ist  nicht  meine  dereinstige  Lage  vor  allen  andern 
dazu  geschickt?  und  es  hängt  ja  so  vieles  in  der  Welt  von  äußern  Umständen  ab. 
Immer  mehr  entscheide  ich  mich  für  Pädagogik,  und  unerschütterlich  fest  steht 
mein  Entschluß,  sind  die  Umgebungen  mir  nicht  gar  zu  feindlich,  für  sie  kein  Opfer 
zu  scheuen.  Freilich  wird,  ehe  ich  dereinst  als  prakt.  Erzieher  aufzutreten  wagen 
darf,  noch  manches  Jahr  vorübergehen ;  aber  es  ist  ein  so  heiliges  Geschäft,  daß 
ich  unmöglich,  ehe  ich  meine  Kraft  dazu  gereift  und  ausgebildet  fühle,  die  Be- 
stimmung des  Glücks  und  alles  dessen  wodurch  wir  uns  und  andern  ehrwürdig 
werden,  so  vieler  jungen  Leute  auf  mich  nehmen  kann.  Auch  Sie  klagten  sonst, 
oft  wie  wenig  man  durch  Schriften  wirken  könne  in  unserm  so  papier-  und  ge- 
schreireichen Deutschland,  und  Ihre  Stimme  tönt  von  einem  Lehrstuhl  herab,  auf 


*)  2  S.    4°.     H.  Wien. 

4* 


C2  November   1809. 


den  die  Augen  aller  gerichtet  sind,  die  meine  würde  man  kaum  unter  dem  gräu- 
lichen Toben  und  Lärmen  unheiliger  Jünger  der  göttlichen  Philosophie  vernehmen 
können;  schon  deshalb  ist  es  gut,  daß  ich  Erziehung  zu  meinem  Gegenstande 
wähle,  wären  auch  meine  Kräfte  größer  als  sie  sind.  Nur  in  demjenigen  Theile  der 
Philosophie  der  sich  auf  den  Staat  bezieht,  mag  ich  außerdem  nicht  das  Selbst- 
arbeiten aufgeben,  und  so  sehen  Sie  denn  vor  sich  die  Kreise,  in  denen  ich  das 
Wort  erfüllen  will,  das  ich  einst  auf  einem  Spaziergang  Ihnen  gab,  ein  eifriger 
Jünger  Ihrer  Wissenschaft  zu  seyn.  ||  Freilich  bin  ich  seither  eben  nicht  näher  ge- 
kommen meinem  Ziele,  aber  eben  durch  meine  Liebe  muß  ich  ihm  näher  kommen. 
Therese  hebt  mich  gewaltsam  empor,  auch  lerne  ich  sie  inniger  verehren,  und  in 
mir  fühle  ich  eine  so  himmlische  Ruhe,  daß  ich  sie  Ihnen  nur  mittheilen  zu  können 
wünschte. 

Ihr  Brief,  den  ich  durch  Wilhelm  Grote  erhielt,  hat  mich  herzlich  gefreut, 
lange  hatte  ich  auf  ihn  mit  Sehnsucht  geharrt.  Hoffentlich  hat  sich  jetzt  manches 
noch  mehr  seiner  Vollendung  genaht,  vorzüglich  Ihre  Psychologie.  Es  war  mir 
lieb  später  zu  hören,  daß  Sie  Ihren  Wunsch  in  Hinsicht  eines  pädagog.  Seminars  er- 
reicht. Leider  konnte  Papa  nicht  zu  Ihnen  kommen,  wiewohl  in  meinen  Augen 
völlig  entschuldigt.  Man  muß  kennen  das  harte  Drängen  der  Außenwelt  um  manches 
gelinder  zu  beurtheilen,  und  es  thut  mir  weh,  daß  ich  es  eben  bei  Papa  oft  zu 
wenig  that;  zum  mindesten  ist  sein  Eifer  herrlich  und  lobenswerth.  —  Auch  Dissen 
gefällt  mir  jetzt  ausnehmend,  durch  griechische  Stunden,  die  er  mir  giebt,  komme 
ich  ihm  etwas  näher.  Sein  Kollegium  über  prakt.  Philosophie  hat  er  zu  Stande 
gebracht.  —  An  Kohlrausch  hat  Niemeyer  in  Halle  eine  Aufforderung  wegen  des  Buchs 
über  das  alte  Testament  ergehen  lassen,  um  es  fürs  Waisenhaus  zu  gebrauchen. 
Auch  wünschte  er  einen  Schüler  von  Ihnen  dorthin  als  Lehrer  zu  bekommen.  — 
Unterholzners  Abhandlungen  sind  wahrscheinlich  bereits  gedruckt;  ich  bin  sehr  be- 
gierig zu  sehen,  ob  wir  uns  auch  nicht  in  ihm  täuschten.  Aber  könnte  ich  doch 
auch  von  Ihnen  bald  wieder  etwas  erblicken,  es  sey  geschrieben  oder  gedruckt,  auf 
gleiche  Weise  wirds  mein  Herz  erfreuen,  weil  ich  Sie  eben  so  innig  als  Freund 
liebe,  als  als  Denker  achte.  0  daß  doch  recht  bald  in  Erfüllung  ginge  mein  sehnlicher 
Wunsch,  daß  Sie  recht  wirken  mögen  auf  Deutschland  sowohl  als  insbesondere  auf 
mein  Vaterland,  und  auch  sich  selbst  so  glücklich  fühlen,  wie  Sie  es  vor  allen  andern 
verdienen.  Hiemit  und  mit  der  Bitte  um  die  Fortdauer  Ihrer  Liebe  schließt  sich 
mein  Brief.     Ihr  Freund  A.  Fhr.  v.  Richthof en. 

248.    Griepenkerl  an  H.1)  Hofwyl  d.  16ten  9ber  1809. 

ich  bitte  um  Verzeihung,  Herr  Professor,  daß  ich  Ihren  ersten  und  letzten 
Brief  aus  Göttingen  so  lange  unbeantwortet  gelassen  habe. 

Zuerst  schmerzte  mich  Ihr  Abgang  von  Göttingen,  ich  gönnte  dem  Orte  Ihre 
Gegenwart  und  mir  die  Hoffnung,  Sie  einst  dort  wieder  zu  sehen. 

Doch  wenn  Sie  Selbst  jetzt  dort  in  Preußen  in  dem  pädagogischen  Getriebe 
der  Werkmeister  sind,  so  will  ich  nichts  gewünscht  haben,  weder  für  Göttingen 
noch  für  mich.    Doch  das  sind  Sie  wahrscheinlich  nicht,  sonst  müßte  alles  anders 

gehen.     Mich  ekelt  das  Werk  aus  der  Ferne  an.     Zeller !    Und  nun  gar  die 

hier  hergesandten  Männer,  um  bei  Pestalozzi  zu  lernen.  — 

Würden  Sie  diese  Menschen  kennen  wie  ich,  Sie  prophezeihten  dem  Werke 
das  Ende  noch  vor  dem  Anfang.  Können  Sie  nicht  eingreifen?  Ist  es  nicht  möglich, 
den  schönen  Willen  eines  Königes  mit  gediegener  Kraft,  mit  Ernst  und  Weisheit 


*)  4  S.    40.     H.  Wien. 


November  1809.  53 


zu  bewaffnen?  Zeller1)  ist  ein  armer  Gaukler,  wie  Shakespeare  sagt,  der  seine  Zeit 
sich  auf  der  Bühne  abarbeitet  und  dann  nicht  mehr  gesehn  wird.  Um  die  Männer, 
die  bei  Pestalozzi  lernen  sollen,  ist  nun  gar  ein  elend  Wesen.  Sie  kennen  das  halb- 
studirte  Volk,  dem  der  Kopf  durch  collegium  logicum  erst  noch  recht  verschroben 
ist  —  ohne  Kraft  und  That,  ohne  Erhebung  weder  des  Herzens  noch  des  Geistes. 
Ein  solche  soll  dem  künftigen  Geschlechte  der  Preußen  sein,  was  Fichte  sagte.  Es 
ist  die  ärgste  Satire  auf  Fichtes  Reden,  die  ein  Witzling  hätte  auffinden  können.  Zehn 
Jahre  später  und  ich  drängte  mich  hinein  —  jetzt  muß  ich  meiner  Sache  leben.  || 
—  Wie  es  um  Pestalozzis  Weise  steht?  0  warum  hat  der  Mann  nicht  gelernt, 
methodisch  zu  denken?  Es  fehlt  wenig,  so  wird  die  ganze  Sache  ein  Raub  eigen- 
williger, einseitiger  Gehülfen.  Wären  sie  dort  nur  mit  sich  selbst  im  Klaren  — ; 
aber  dahin  wirds  nicht  kommen,  es  kann  nicht,  so  lange  sie  sich  freuen,  daß  ihr 
Gedanke  an  alle  philosophischen  Systeme  geknüpft  werden  kann.  Niederer  hat  ein 
Herz  wie  wenige  Menschen;  aber  eben  dieses  Herz  und  eine  zügellos  irrende 
Phantasie  zerreißt  sein  Denken  und  macht  es  blos  zur  interessanten  Schwärmerei. 
Schmid  hat  philosophischen  Geist;  aber  eine  ungeheuere  Einseitigkeit.  Was  dieser 
ist  können  Sie  aus  seinen  Werken  lesen:  Formenlehre  von  Schmid,  Zeichnenlehre  von 
Schmid.  ich  muß  sein  Werk  tadeln,  indeß  ich  vor  dem  selbstständigen  Kopfe  alle 
Achtung  habe.  Regierung,  Zucht,  Charakterbildung  und  das  ganze  weite  Reich  der 
Theilnahme  ist,  was  Sie  in  Iferten  nicht  suchen  dürfen.  Die  Theilnahme  der  Er- 
zieher selbst  ist  ungeheuer  beschränkt;  sie  selbst,  bedürfte  der  Zucht  und  der  Regierung. 
Rechnen  und  jene  Formenlehre  ist  es  fast  allein,  womit  die  armen  Kinder  aus- 
gerüstet werden.  Arbeitete  ich  dort,  ich  würde  mir  vor  Herzensangst  um  die  armen 
Kinder  nicht  zu  helfen  wissen.  Die  Musik  wird  jetzt  von  Nägeli  nach  Pestalozzis 
Grundsätzen  bearbeitet,  und  daraus  wird  nichts,  das  getraue  ich  mir  zu  beweisen, 
will  es  auch  mit  meiner  eigenen  Arbeit  belegen.  Schelling  ist  dabei  im  Spiele  und 
allerlei  wunderbares  Wesen  ohne  Klarheit  und  Bestimmtheit,  ohne  Ernst  —  nur 
Schaum  und  Schein.  || 

Was  könnte  nicht  von  Iferten  ausgehen?  Aber  bei  der  glänzendsten  Auf- 
forderung von  Außen  stehen  sie  sich  selbst  im  Wege.  Und  was  dem  Inneren 
am  meisten  schadet  ist  ein  übel  verstandener  Idealismus.  Die  produktive  Phantasie 
spukt  dort  allenthalben  in  tausend  Widersprüchen  von  der  gemeinsten  Art.  Diese 
aufzulösen  bedarf  es  der  Methode  der  Beziehungen  nicht. 

Bei  dem  Allen  aber  verdient  das  ganze  Getriebe  dort  Achtung  und  Aufmerksam- 
keit. Wäre  es  auch  nur  darum,  jene  Hülsen,  die  jetzt  im  Preise  stehen,  mit  Kern 
auszufüllen.     Das  könnten  Sie  in  Preußen;  0  thun  Sie  es! 

Über  unsere  pädagogische  Werkstatt  in  Hofwyl  fälle  ich  kein  Urtheil;  aber 
das  gestehe  ich  Ihnen :  mein  ganzes  Herz  hängt  an  ihr.  Es  leben  vor  mir  die  Erfolge 
von  unserem  Fleiße,  von  unserer  Sorgfalt.  Sie  müßten  kommen  und  es  sehen.  Unter 
15  Knaben  vier,  wie  ich  keine  sah.  Zu  Leibnitzen  sind  sie  organisirt  —  und  viel- 
leicht nur  einer  von  den  übrigen  mislingt;  ich  habe  aber  auch  Mitarbeiter,  die 
brav  sind.  —  Und  alle  diese  Freuden  danke  ich  Ihnen.  —  Auch  wir  kommen  vielleicht 
einst  an  die  Reihe  in  der  pädagogischen  Welt,  wenn  unsere  stille  Werkstatt  einst 
sich  öffnet  und  dann  wollen  wir  gerüstet  sein.  Bedürfen  Sie  dann  unserer  zur 
That,  so  führen  Sie  uns  an,  doch  keinem  anderen  folge  ich  als  Ihnen  und  mir  selbst. 

Was  mag  es  wohl  auf  sich  haben,  daß  neulich  der  Preußische  Gesandte  in 
Bern  sich  im  Namen  seiner  Regierung  nach  unserer  pädagogischen  Weise  erkundigte? 
Der  Mann  ist  seicht,   und  ich  habe  fast  im  Sinne,  ihn  auf  Sie  zu  verweisen.     Wir 

x)  Über  K.  A.  Zeller  (1774—1844)  s.  0.  S.  41,  Anm.  2  und  Hunziker,  Gesch. 
d.  Schweizer  Volksschule  (1881),  II,  S.  228  ff. 


ca  November  1809. 


können  in  Preußen  nicht  helfen,  wir  haben  hier  zu  thun  —  und  der  bloßen  Neugier 
habe  ich  keine  Zeit  zu  verschwenden.  Der  Mann  ist  hier  ein  Mal  in  einen  Graben 
gefallen  und  hat  seine  sauberen  Beinkleider  beschmutzt,  darum  haßt  er  uns  und 
fragt  vielleicht  im  Dienst  der  Bern  er  —  denn  unser  pädagogisches  Treiben  ist  noch 
nicht  bis  nach  Königsberg  erschollen.  Und  wäre  es,  so  sind  Sie  der  Mann,  der 
dort  gefragt  werden  muß.  — 

Zwei  junge  Königsberger,  die  neulich  hier  durchreisten  und  nichts  als  Land- 
wirthschaft  sahen,  werden  Ihnen  im  Monat  Januar  von  mir  einen  Brief  überreichen, 
worin  ich  Ihnen  melde,  daß  ich  seit  dem  16  t.  Julius  mit  der  Schwester  des  Staats- 
rates Ribbentrop  in  Königsberg  sehr  glücklich  verheirathet  bin.  Sie  war  meine 
Herzensfreundin  seit  10  Jahren.  Sie  sehen,  daß  ich  mich  mit  allen  "Wurzeln  im  Hof- 
wyler  Boden  fest  sauge,  und  daß  ich  mich  nicht  werde  herausreißen  lassen,  bis  ich 
meine  Früchte  getragen  habe.  Tiersch  ist  Professor  in  München,  er  wird  bald  eine 
Homerische  Grammatik  herausgeben,  die  mir  sehr  willkommen  ist.  ich  stehe  mit 
ihm  in  Briefwechsel.  Düssen  antwortet  mir  nicht.  Von  Tölken  weis  ich  nichts. 
Schacht  geht  nach  Berlin,     v.  Langwerth  lebt  bei  seinem  Bruder. *) 

Erfreuen  Sie  mich  bald  mit  einem  Briefe,  ich  bin  ewig  und  unveränderlich 
der  Ihrige  F.  Griepenkerl 

Lehrer  am  Institut  zu  Hofwyl. 

x)  Griepenkerls  Studienfreunde  aus  dem  Göttinger  Kreise,  ,,dessen  Mittelpunkt 
und  Seele  Herbart  war".  Vgl.  Hartenstein,  Herbarts  kl.  phil.  Schriften,  Bd.  I, 
S.  LXV  ff.  und  den  Brief  von  Thiersch  an  H.  v.  2.  Apr.  1812. 


1810. 


249.    An  Ludolf  Dissen  in  Göttingen.1) 

(Königsberg  Januar  1810.)     Abgegangen  27.  Febr.   18 10. 

Es  seyen  in  einander,  nämlich  unvollkommen  in  einander,  geschwunden, 
die  Puncte  a  und  b\  von  b  sey  c  in  einer  beliebigen  rationalen  Distanz, 
übrigens  liege  c  in  der  Richtung  ab]  so  ist  die  Distanz  ac  eine  Summe 
ab  -f-  bc.  Diese  Summe  ist  irrational  wenn  ab  irrational  ist.  Nun  kann  zwar 
ab,  dieses  unvollkommene  In-einander,  allerdings  noch  rational  seyn.  Denken 
Sie  Sich,  um  diesen  Begriff  durch  ein  vorzüglich  passendes  Beyspiel  zu 
erläutern,  zwey  Radien  eines  Kreises,  so  zusammenfallend,  daß  die  End- 
puncte  in  der  Peripherie  an  einander  sind;  auch  sollen  die  Radien  starre 
Linien  seyn.  Verfolgen  Sie  nun  die  Radien  von  der  Peripherie  gegen  das 
Centrum.  Je  zwey  Puncte  beyder  Radien  werden  in  einander  schwinden. 
Je  weiter  gegen  das  Centrum  hin,  desto  mehr  in  einander.  Im  Centrum 
selbst  vollkommen  in  einander.  Aber  alle  diese  verschiedenen  In-einander 
sind  rational,  sowohl  unter  sich  als  gegen  das  Aneinander,  folglich  gegen 
jede  starre  Linie.  Denn  nach  der  Geometrie  verhalten  sie  sich  alle  wie 
die  Abstände  vom  Centrum,  und  diese  müssen  auf  den  Radien,  als  starren 
Linien,  rational  seyn.  —  Verschieden  hievon,  aber  auch  erläuternd,  ist 
Folgendes:  Oeffnen  Sie  den  Kreis,  so  weit,  daß  ein  Cosinus  entstehe,  der 
eine  starre  Linie,  folglich  gegen  den  starren  Radius  rational  sey;  der 
Winkel  werde  durch  den  Sinus  geschlossen.  Nun  verlassen  Sie  die  Be- 
griffe vom  Kreise;  in  dem  rechtwinklichten  Dreyeck  wachse  x  und  y,  so 
sind  wegen  der  Proportion  y :  x  = 
dx :  dy  auch  dx  und  dy  rational. 
Aber  diese  dx  und  dy  dürfen  nicht 
für  gleichartig  mit  jenen  rationalen  In- 
einander des  obigen  Beyspiels  gehalten 
werden.  Denn  die  Proportion  y :  x  ==  dx  :  dy  fordert,  daß  der  Winkel, 
um  welchen  nach  der  Zeichnung  die  Hypotenuse  fortrücken  sollte,  =  0  sey. 
Hingegen  im  obigen  Beyspiel  war  der  Winkel  nicht  =  0,  sondern  groß 
genug  damit  auf  der  Peripherie  ein  Aneinander,  und  folglich  für  verlängerte 
Radien  gar  ein  endlicher  Kreisbogen  entstehen  mußte.  —  — 

Ende  Febr.  1810.  Sie  sehn  aus  dem  vorstehenden,  daß  ich  einen 
ordentlichen  Brief  zu  schreiben  gewünscht  habe.  Diese  Hoffnung  ver- 
schwindet.    Ich   bin    die  letzten  4 — 5  Wochen  krank  gewesen,  und  noch 

1)  3  S.    4°.     H.  Wien.     Vgl.  Zimmermann,  Briefe  pp. 


x  dx 


er6  Januar   1810. 

nicht  völlig  hergestellt.  Die  Brust  leidet;  zugleich  der  Kopf;  „ich  wage  es 
indeß  auf  die  Gefahr  einer  schlaflosen  Nacht,  diesen  Abend  soviel  zu 
schreiben  als  nöthig  ist,  um  diese  Blätter  siegeln  zu  können.  Zuerst  einige 
Zeilen  des   Nachtrags  zum  vorigen. 

Das  Element  des  Weges  ist  ein  unvollkommenes  Ineirj ander.  Um 
die  Richtung  der  Bewegung  zu  bestimmen,  muß  angegeben  werden  ob 
das  Bewegte  aus  a  in  b  (welche  Puncte  unvollkommen  in  einander  seyn 
mögen)  oder  aus  b  in  a  trete.  Untersagt  man  diese  Bestimmung:  so  wird 
dadurch  Ruhe  gesetzt.  Ruhe  in  einer  irrationalen  Distanz  von  x,  welches 
entweder  von  beyden  Puncten  a  und  b,  oder  mindestens  von  einem  der 
beyden  irrational  entfernt  ist;  während  den  Bewegten  a  und  b,  als  ob  diese 
zum  Jheil  Ein  Ort  wären,  zu  seinem  Ruheplatze  angewiesen  ist.  —  p.  66  der 
[Hauptpuncte  der]  Metfaphysik].  Es  sitzt  gleichsam  jede  Störung  dem  Wesen 
unmittelbar  auf,  heißt  nichts  anderes  als:  suchet  die  Störung  nicht  außer 
den  Wesen,  noch  außer  ihrem  Zusammen;  denn  sie  ist  in  ihnen  und  nur 
sofern  sie  zusammen  sind.  Die  Bewegungen  aber  welche  das  Band  der 
Causalreihe  machen,  und  worin  das  Zeitliche  dieser  Reihe  allein  liegt;, 
diese  Bewegungen  sind  bloße  Gedanken  des  Zuschauers,  und  also  ist 
auch  nur  im  Kopfe  des  Zuschauers  eine  Reihe  vorhanden.  —  Über  das 
Ich  sage  ich  gar  nichts;  die  Entwickelung  der  Widersprüche  im  Begriff 
des  Ich  ist  so  leicht  daß  Sie  sie  nicht  verfehlen  werden;  die  Auflösung 
bleibt  der  Psychologie.  Doch  noch  dieses  einzige  Wort  wegen  der  Auf- 
lösung: Der  Begriff  des  Ich  ist  nach  der  Seite  des  Objects  hin  bodenlos; 
wenn  ich  aber  Mich  setze,  muß  ich  auf  allen  Fall  irgend  Etwas  setzen; 
Etwas  das  nicht-Ich  ist;  nach  der  Meth[ode]  d[er]  Beziehungen  ein  Mannig- 
faltiges nicht-Ich;  dieses  Mannigfaltige  darf  seine  eigenen  Objectivitäten 
nicht  ins  Ich  bringen;  die  Objectivitäten  müssen  also  eben  in  so  fern  auf- 
gehoben seyn;  —  von  diesem  Satze  ist  eine  Kluft  bis  zu  dem  zweyten: 
die  Objectivitäten  müssen  als  Bilder  gedacht  werden,  —  von  da  wieder 
eine  Kluft  bis  zum  dritten:  den  Bildern  muß  das  Seyn  zugeschrieben 
werden;  von  da  noch  eine  Kluft  bis  zum  vierten:  diesem  Seyn,  oder  dem 
Träger  der  Bilder  muß  auch  sein  eigenes  Bild  zugeschrieben  werden.  Die 
Metaphysik  soll  hier  nicht  vorgreifen,  sondern  die  Ausfüllung  dieser  Klüfte 
der  Psychologie  überlassen;  nur  die  Forderung  solcher  Ausfüllung  hat  die 
Metaphysik  auszusprechen.  || 

Nun  zu  andern  Dingen.  Ich  bin  Mitglied  einer  wissenschaftlichen 
Deputation  geworden,  deren  Wirksamkeit  sich  hauptsächlich  auf  Schulen 
erstreckt.  Eben  jetzt  sollen  die  hiesigen  Gymnasien  reformirt  werden. 
Zum  Vorsteher  eines  derselben  ist  der  Director  Gottholdt  ernannt.  Dieser 
geht  nebst  meinem  Collegen,  Prof.  Vater  aus  Halle,  genau  in  meine 
pädagogischen  Grundsätze  ein.  In  Gottholdts  Gymnasium  kann  viel  Gutes 
werden.  G[ottholdt]  hat  Ihre  Schrift  über  die  Odyssee  gelesen.  Er  hat 
selbst  den  Gedanken,  ein  Hülfsbuch  dafür  zu  schreiben.  Damit  keine 
Collision  entstehe,  trägt  er  mir  auf,  Sie  zu  fragen,  ob  Ihr  größeres  Buch 
über  die  Odyssee  bald  zu  erwarten  sey?  Ich  sagte  ihm,  Sie  würden  viel- 
leicht jetzt  mit  philos.  Arbeiten  mehr  beschäfftigt  seyn.  In  diesem  Falle 
würden  Sie  ihm  vielleicht  den  Gegenstand  überlassen.  —  Hierüber  nun  hüte 
ich    mich,    Ihnen,    mein    Theurer!    einen    Wunsch    zu   äußern.      Ich   weiß 


Januar  1810.  57 

nicht  einmal  was  ich  wünschen  soll;  und  bitte  Sie  also  bloß,  Sich  zu  er- 
klären. Auf  allen  Fall  kann,  wenn  Sie  wollen,  eine  Mittheilung  der  Pläne, 
vielleicht  der  Materialien  unter  Ihnen  beyden  Statt  finden.  Gottholdt  ist 
ein  heiterer  Mann,  von  meinen  Jahren;  lebhaften  Geistes  und  wies  scheint 
voll  Kenntnisse.  —  Was  Ihre  Collision  mit  Schulz  anlangt,  so  wünsche 
und  bitte  ich,  daß  Sie  Sich  dadurch  gar  nicht  stören  lassen.  Schulz  wird 
etwas  vor  Ihnen,  Sie  werden  etwas  vor  Seh.  voraus  haben;  geht  alles  gut, 
so  muß  dadurch  endlich  einmal!  in  Göttingen  das  philos.  Studium  belebt 
werden.  Wenn  Sie  der  Speculation  und  namentlich  der  Metaphysik  treu 
bleiben  wollen,  so  hoffe  ich  Sie  noch  mit  psychologischem  Material  ganz 
neuer  Art  zu  versorgen.  Sie  müssen  aber  schreiben.  Unterholzner  hat 
eine  gute  Bahn  gebrochen.  Ehe  ich  hier  Schriftsteller  ziehe  —  das  wird 
lange  währen!  Es  giebt  indeß  gute  Köpfe  hier.  Leben  Sie  wohl  mein 
Th eurer;  behalten  Sie  mich  lieb;  setzen  Sie  die  Reihe  Ihrer  Briefe  fort,. 
Empfehlungen  an  Richthofen,  Grote'sche  Familie,  Heeren,  Heyne,  u.  s.  w. 
(Auch  nach  einigen  Wochen  ein  Gruß  an  Herrn  Rüben  Meyer,  damit 
er  die  schuldigen  40  Thaler  zahlt.) 

XaiQe.  Herbart. 

250.    Dissen  an  H.1)  Göttingen  d.  7ten  Jan.  1810. 

Hochgeehrter  Herr  Professor! 

Die  Gelegenheit  welche  sich  darbietet  durch  Grote  einige  Zeilen  Ihnen  zu 
übersenden,  kann  ich  unmöglich  vorbei  gehn  lassen;  zwar  war  ich  lange  auch  in 
der  Hoffnung  von  Ihnen  etwas  zu  lesen,  indessen  hat  es  Ihnen  nicht  gefallen,  meine 
Bitten  zu  erfüllen.  Ebenso  auch  fragen  Groten's  und  Heeren  oft  nach  Briefen,  aber 
keine  Kunde  senden  Sie  herüber  zu  denen,  welche  so  lebhaft  sich  für  Sie  interessiren. 

Aber  wie  geht  es  doch  eigentlich  dort?  Sind  Sie  noch  immer  zufrieden  mit 
Ihren  Zuhörern?  AVerden  Sie  uns  bald  wieder  mit  einer  Schrift  beschenken?  — 
Hier  in  Göttingen  geht  alles  wie  zuvor.  Ostern,  sagt  man  ganz  gewiß,  werde 
Schulz  ||  herkommen,  weil  Helmstädt  aufgehoben  worden.  Indessen  hoff  ich  mir 
die  Einleitung  und  die  practische  Philosophie  nicht  nehmen  zu  lassen,  und  auch  nicht 
die  Paedagogik  zu  versuchen  wenigstens.  Auch  hör  ich  daß  der  skeptische  Schulz 
am  meisten  mit  Ihnen  zufrieden  ist.  Uebrigens  lese  ich  jetzt  die  practische  Philo- 
sophie, und  meine  Zuhörer  sind  ziemlich  fleißig.  Sie  bestürmen  mich  häufig  mit 
Fragen,  jedoch  so,  daß  ich  noch  nie  in  Verlegenheit  gewesen  bin;  daher  ich  auch 
bereits  eine  Unterhaltung sstunde  gehabt  habe.  Zu  meinem  Lobe  muß  ich  berichten, 
daß  ich  die  practische  Philosophie  noch  sehr  studiert  habe;  ich  pflege  deshalb  auch 
in  schwierigen  Fällen  noch  Dictate  zu  geben,  wie  z.  E.  die  Einleitung  in  die  pract. 
Philosophie  wo  ich  z.  E.  auch  das  "Wesen  eines  Gutes  und  Pflichtenlehre  u.  s.  w. 
genauer  erklärt  und  durch  Beispiele  aus  d.  Gesch.  d.  Ph.  erläutert  habe.  Die  Meta- 
physik treiben  einige  privatissime.  Ferner  habe  ich  Feuerbach's  Criminalrecht,  einige 
Naturrechte  usw.  gelesen,  und  spreche  auch  mit  Goede2)  ||  über  manches.  Dieser 
will  unter  andern  den  Satz,  daß  alles  Recht  auf  Verträgen  beruhe  deswegen  nicht 
statuiren,  weil  keins  der  Art  seine  eigne  Garantie  enthalte;  um  dessen  Übertretung 
zu  strafen  wäre   ein  neuer  Vertrag  nöthig,  der  abermals  der  Garantie  eines  neuen 


1)  4  S.    8°. 

2)  Wahrscheinlich  Chr.  Aug.  Gottl.  Göde   (1774—1812),  Rechtsgelehrter,   seit 
1807  in  Göttingen. 


58 


Februar   1810. 


bedürfe.  Ich  habe  ihm  schon  manches  darüber  gesagt;  was  würden  Sie  noch  hin- 
zusetzen ? 

Jetzt  ist  übrigens  eine  Abhandl.  über  das  Criminalrecht  edirt  von  einem  Ihrer 
Schüler;  morgen  erhalt'  ich  sie  von  Richthof en. l)  Richthofen  sehe  ich  jetzt  öfterer, 
da  wir  den  Sophocles  zusammen  lesen,  und  er  auch  mich  in  das  Grotesche  Haus 
eingeführt  hat.  Recht  oft  spreche  ich  da  mit  der  Ministerin  oder  Therese  von  Ihnen. 
—  Vor  einiger  Zeit  erhielt  ich  Briefe  von  Niemeyer  wegen  eines  Lehrers  an  das 
Paedagogium;  hierbei  muß  ich  Ihnen  herzlich  danken  für  die  gütige  Empfehlung, 
wodurch  Sie  mich  bei  Ihm  bekannt  gemacht  haben;  nächstens  wo  er  nach  Cassel 
geht,  wird  er  mich  besuchen.  In  seinem  Briefe  sprach  er  mit  viel  Freundschaft 
von  Ihnen.  —  Zufällig  erhielt  ich  ein  Heft  von  Schleiermachers  Ethik,  abgehandelt 
nach  allen  drei  Beziehungen  zugleich  als  Gutes-  Tugend-  und  Pflichten-lehre;  ohne 
daß  geahndet  worden,  wird  für  alle  nicht  taugen  zum  Anfang  (?).  Darin  ist  ein 
großer  Mangel  ||  an  scharfbestimmten  Begriffen.  Alles  soll  ausgehn  von  der  An- 
schauung: „Die  Anschauung  des  Menschen  möglichst  vollkommen  stehe  an  der 
Spitze.  Die  Ethik  ist  Wissenschaft  der  Geschichte;  und  das  sittliche  Handeln  ein 
Anknüpfen  an  dieselbe.  Das  höchste  Gut  ist  das  ganze  Resultat  der  Beseelung  der 
menschlichen  Natur  durch  die  Freiheit.  Wer  individuell  gebildet  die  Idee  der  Ge- 
schichte begreift  wird  in  ihrer  Notwendigkeit  seine  höchste  Freiheit  finden;  und 
klagen  über  die  Schlechtigkeit  des  Zeitalters  heißt  ins  leere  hinausstreben  über  die 
Geschichte;  u.  s.  w."  —  Ungefähr  wie  Sie  in  dem  kleinen  Buche  alles  prostogniren. 
Hütet  euch  vor  der  Consequenz:  Alles  soll  sein  was  ist  —  u.  s.  w. 

Wie  hat  doch  Schleiermacher  Sie  aufgenommen?  Haben  Sie  über  wichtige 
Punute  mit  ihm  gesprochen?  —  Hier  ist  gesagt,  Sie  hätten  den  König  gesprochen. 
Ist  dem  so?  Toelken  lebt  noch  immer  in  Rom;  neulich  war  Nachricht  da;  er  studirt 
das  Alterthum.  —  Thiersch  kämpft,  in  München  mit  den  Baiern  sich.  Diesen  Winter 
hab  ich  wieder  mehrere  Stunden  nehmen  müssen,  obwohl  nicht  so  viel  als  vorigen 
Sommer;  weil  nemlich  die  Collegia  überall  jezt  nicht  gut  besetzt  sind.  Doch  sind 
in  einer  Vorlesung  über  grammatische  Dinge  über  50.  So  viel  jezt;  ich  habe  lange 
geplaudert.  Darf  ich  nun  auch  auf  einige  Zeilen  rechnen,  Sie  werden  doch  die 
Idee  der  Billigkeit  nicht  ganz  hier  vergessen;  wenn  auch  ich  gern  dulde,  daß  viele 
Briefe  von  mir  durch  wenige  Zeilen  Ihrer  Hand  vergolten  werden.    Ganz  der  Ihrige 

Dissen. 

251.    Griepenkerl  an  H.2)  Hofwyl,  d.  12ten  Febr.  1810. 

Schon  seit  mehreren  Wochen  erwartete  ich  von  Ihnen,  Herr  Professor,  sehn- 
suchtsvoll eine  Antwort  auf  zwei  Briefe,  die  ich  vor  Monaten  an  Sie  abschickte. 
Höchst  interessant  ist  mir  jede  Zeile  von  Ihnen.  Sie  haben  mir  von  Dingen  zu 
schreiben,  die  mir  sehr  nahe  am  Herzen  liegen.  Sind  die  Preußen  empfänglich  für 
die  Philosophie?  Ist  mehr  Ernst  und  Würde  in  den  Studien  zu  Königsberg  als  zu 
Göttingen?  Findet  sich  dort  ein  Verein  von  jungen  Männern,  von  denen  das  Zeit- 
alter Thaten  erwarten  darf?  Bin  ich  würdig,  von  ihren  neuesten  Forschungen  etwas 

zu    erfahren?   Was  richtet  Zeller  in  Ihrer  Nähe  an? Wie  könnten  Sie 

mich  erfreuen  durch  die  Beantwortung  dieser  Fragen! 

Mit  neidischen  Augen  sehe  ich  auf  Zeiler.  In  dem  Erziehungswesen  eines 
ganzen  Königreichs  zu  herrschen  —  welch  ein  Würkungskreis !  Welche  Thaten 
ließen  sich  da  thun,   besonders  wenn  es  so  höchst  nöthig  ist,   daß  etwas  Rechtes 


>)  S.  o.  S.  38,  Anm.  1. 
*)  3  S.    4°.    H.  Wien. 


Februar  t8io.  §g 


geschehe!  Tadeln  Sie  mich,  wenn  ich  mir  nach  Jahren  bei  gereifter  Kraft  und 
Fertigkeit  ein  solches  wünsche  ?  —  Fühlen  Sie  Sich  noch  nicht  berufen,  Ihre  Freunde 
um  sich  zu  sammeln  und  mit  ihnen  ein  großes  Werk  zu  vollenden?  Ist  der  günstige 
Zeitpunkt,  ist  die  Noth  noch  nicht  gekommen? 

Es  wird  mir  bange,  wenn  ich  daran  denke,  wie  weit  die  Deutschen  mit  dem 
Gedanken  vor  der  That  voraus  sind.  Welch  einen  Reichthum  von  Ideen  hat  Deutsch- 
land gehäuft!  Wie  wenige  sind  davon  in  That  übergegangen!  Soll  die  Zeit  des 
Handelns  nie  kommen? 

Ein  —  König  und  empfängliche  Eäthe,  wie  dort  bei  Ihnen,  finden  sich  selten 
so  wieder.  Geht  diese  Zeit  ungenutzt  vorüber,  so  ist  es  auf  lange  Zeit  verloren, 
ich  hatte  schon  oft  im  Sinn,  dem  Könige  eine  Schrift  zuzuwerfen,  die  unter  ihm 
einen  Vulkan  entzünden  sollte.  Ein  freier  Mensch  aus  dieser  Ferne  dürfte  so 
etwas  wagen.  Großer  Freund,  und  ständen  dann  im  entscheidenden  Augenblicke 
alle  die  Ihrigen  um  sie  her  treu  verbunden  Hand  in  Hand  —  was  könnten  Sie 
würken!  —  Schwärme  ich,  so  ist  es  nur,  weil  ich  die  Lage  der  Dinge  nicht  genau 
kenne.  Mit  diesen  würde  sie  sich  bald  verwandeln.  ||  Es  wird  Ihnen  jetzt  scheinen, 
als  sehne  ich  mich  hier  weg,  als  genüge  mir  mein  Werk  hier  nicht  mehr,  als  suche 
ich  das  Weite.  Dem  ist  nicht  so.  Kein  König  kann  mir  geben,  was  ich  hier 
besitze,  ich  kann  nicht  wieder  dienen,  da  ich  ein  Mal  frei  gewesen,  kann  keinen 
anderen  Herrn  erkennen,  als  die  Idee.  Wie  könnte  ich  mich  von  einem  Werke 
wegsehnen,  das  kaum  angefangen  ist,  dem  ich  selbst  noch  nicht  ein  Mal  gewachsen 
bin.     Nein,  hier  vollende  ich  erst  und  dann. 

Viel  thun  wir  nicht,  aber  wir  thun  etwas.  Unsere  lieben  Knaben  empfangen  das 
Beste.  Jährlich  bilden  wir  ein  Duzend  Schulmeister,  machen  Pläne  für  Gymnasien 
u.  s.  w.     So  geschieht  für  das  Volk  auch  etwas. 

Hätten  wir  nur  Zöglinge  genug,  um  mehrere  Lehrer  besolden  zu  können;  und 
wäre  dieses,  fänden  wir  dann  nur  immer  die  rechten  Männer.  Gewöhnliche  Hofmeister 
können  wir  nun  gar  nicht  mehr  gebrauchen.  Andere  können  wir  nicht  bezahlen. 
Kennen  Sie  denn  gar  keinen  Menschen,  der  um  der  guten  Sache  willen  etwas  opfert 
und  mit  30  Carolins  jährlich  zufrieden  ist?  Naturforscher  müste  er  sein  und  Philosoph 
und  Pädagog.  Für  jetzt  ist  es  uns  noch  unmöglich,  ihn  aufzunehmen,  aber  kennen 
müssen  wir  solche  Männer,  um  sie  gleich  mit  uns  vereinigen  zu  können,  wenn  wir 
irgend  so  viel  erübrigen.  Sie  sagten  mir  in  Ihrem  einzigen  Briefe,  daß  Sie  Theil 
an  unserer  Sache  nähmen ;  erzeigen  Sie  uns  jetzt  die  Wohlthat  und  suchen  Sie  uns 
einen  Mann,  der  uns  mit  treuem  Herzen  unsere  Zwecke  erreichen  hilft.  Ist  er  mit 
wenigem  zufrieden,  so  findet  er  hier  ein  Leben  und  ein  Würken,  das  jeden  Menschen, 
der  etwas  Gutes  will  in  dieser  Welt  erfreuen  muß.  Doch  eine  Bedingung  ist  noch 
übrig:  er  muß  seinen  Aufenthalt  bei  uns  nicht  als  Zwischenzeit  betrachten,  er  muß 
Neigung  in  sich  fühlen,  lange  bei  uns  zu  bleiben.  Ich  wünsche  von  Herzen,  daß 
wir  bald  im  Stande  sein  mögen,  jährlich  30  Carolins  zu  erübrigen,  um  den  Mann, 
-den  Sie  wählen  werden,  zu  besitzen.  ||  Mit  meinen  literarischen  Arbeiten  zieht  es 
sich  sehr  in  die  Länge.  Kein  Wunder  bei  abwechselnd  täglich  9  und  5  Unterrichts- 
stunden. Zudem  bin  ich  der  einzige,  gesunde  Mensch  hier,  die  anderen  sind  alle 
Augenblicke  krank  und  da  muß  man  für  sie  mitarbeiten.  Doch  wird  zur  Ostermesse 
höchst  wahrscheinlich  bei  Cotta  ein  Plan  unserer  Erziehungsweise  erscheinen.  Ihm 
sollen  dann  in  einzelnen  Blättern  unsere  Erfahrungen  und  bearbeitete  Unterrichtsfächer 
folgen.  So  kommt  von  einer  Seite  wenigstens  doch  nach  und  nach  ein  pädagogisches 
Ganzes  konsequent  zu  Stande.  Die  Musik  als  erstes  ästhetisches  Bildungsmittel  wird 
dann  wohl  zuerst  erscheinen,  ich  bin  schon  ziemlich  damit  fertig  und  in  lebhafter 
Ausübung  begriffen.    Es  soll  mich  wundern,  wie  Sie  von  meinen  Gedanken  über  die 


6o  Februar   1810. 


Lehrart  der  Naturkunde  und  über  die  der  Geschichte  und  der  Sprache  urtheilen. 
Die  Odyssee  wird  von  sechs  herrlichen  Knaben  jetzt  verschlungen.  Der  Tischbein1) 
thut  dabei  die  besten  Dienste. 

Könnten  Sie  etwa  in  zwei  Jahren  ein  Mal  zu  uns  reisen,  Sie  würden  eine 
kleine  Freude  haben  und  welch  eine  große  Freude  würden  Sie  uns  allen  und  be- 
sonders dadurch  mir  bereiten! 

Bin  ich  Ihnen  noch  ein  wenig  lieb  und  war  ich  es  jemals,  so  schreiben  Sie 
an  mich.  Es  erhöht  meine  Kraft  und  meine  Lust,  wenn  ich  mich  mit  Ihnen  ver- 
bunden fühle:  Sie  müssen  mir  diese  Wohlthat  erzeigen. 

Leben  Sie  wohl  und  vergessen  Sie  den  nicht,  der  durch  das  Beste,  was 
Menschen  besitzen  an  Sie  gefesselt  ist  und  Sie  nie  vergessen,  nie  entbehren  kann. 

F.  Griepenkerl 
Lehrer  am  Institut  zu  Hofwryl. 

252.    Richthofen  an  H.2)  Göttingen,  d.  19ten  Febr.  1810. 

Ein  freundlicher  Gruß,  den  ich  von  Ihnen,  theurer  Freund,  jüngst  erhielt, 
begleitet  von  dem  Versprechen  mir  Ihre  Psychologie  zu  senden,  ward  die  besondere 
Veranlassung  dieses  Briefes,  der  Sie  um  Beschleunigung  Ihres  löblichen  Vorhabens 
bitten  soll.  Aeußerst  begierig  bin  ich  zu  sehen,  wie  weit  Sie  die  neue  Schöpfung 
seit  unserer  Trennung  förderten,  und  mich  mit  Ihnen  so  viel  nur  immer  möglich 
wieder  auf  denselben  Standpunkt  zu  versetzen.  Gewiß  ich  verspreche  mir  bei  dem 
Durchdenken  derselben  einen  hohen  Genuß,  wenn  es  mir  auch  leider  nicht  mehr 
vergönnt  ist  es  mit  Ihnen  gemeinsam  zu  thun,  und  auf  dem  lebendigeren  Wege  des 
Gesprächs  Ihre  Lehren  von  Ihnen  selbst  zu  empfangen.  Aber  noch  in  anderer 
Hinsicht  war  mir  die  Nachricht  lieb;  Sie  sind  so  fleißig  gewesen,  daß  ich  glaube 
mit  Recht  auf  Ihre  Gesundheit,  und  wenigstens  leidliche  Heiterkeit  schließen  zu 
dürfen.  Ich  kenne  ja  Ihre  Eeizbarkeit,  und  so  mag  mir  dießmahl  zum  Trost  dienen, 
was  mich  so  oft  schon  bekümmerte.  0  daß  ich  Ihnen  doch  zeigen  könnte,  wie  ich 
so  innig  an  Ihnen  hänge,  so  gern  alles  hingeben  möchte  für  Ihr  Glück!  Ihnen  ver- 
danke ich  alles,  daß  ich  meine  geliebte  Therese  erhielt  und  sie  verdiene;  ja  vielleicht 
wirken  Ihre  Lehren  noch  auf  niemand  so,  wie  auf  mich.  Allein  auch  Sie  vergessen 
uns  doch  wohl  nicht  ganz,  bester  Herbart?  ich  möchte  Sie  so  ungern  mit  Bitten 
bestürmen. 

Was  mein  eigenes  Selbst  anbetrifft,  so  stehe  ich  noch  so  ziemlich  auf  dem- 
selben Punkt,  als  den  ich  Ihnen  das  letzte  Mahl  schrieb,  nur  wird  mein  Entschluß 
in  Hinsicht  einer  Erziehungsanstalt  mit  jedem  Tage  fester,  und  meine  Liebe  zur 
Philosophie  immer  inniger;  auch  mein  Muth  hebt  sich  allmählig  und  ich  denke  wohl 
jetzt  zuweilen  im  Ernst  an  manches  zu  unternehmende  Werk,  wozu  ich  nur  auf 
Muße  warte.  Jetzt  treibe  ich  das  Studium  verschiedener  Systeme,  Astronomie  und 
mancherlei  Sprachen,  um  mich  durch  ihre  vorzüglichsten  Gedichte  immer  vielseitiger 
auszubilden;  so  ist  z.  B.  das  Spanische  und  Altdeutsche  auch  nicht  unwichtig  wegen 
der  leidigen  Naturphilosophen  und  ihrer  Anhänger  in  Poesie  und  Pädagogik.  || 

Jenes  obengenannte  Vorhaben  aber  habe  ich  bereits  meinen  Eltern  mitgetheilt 
und  natürlich  eine  abrathende  Antwort  erhalten;  dennoch  war  es  mir  unmöglich 
was  mir  so  nahe  am  Herzen  liegt  ihnen  länger  zu  verbergen.  Schon  diesen  Sommer 
wollte   ich  ferner  mit  Therese  nach  der  Schweiz  reisen  und  dann  mit  einer  Schrift 

*)  Joh.  Heinr.  Willi.  Tischbein  (1751—1829),  Homer  nach  Antiken  gezeichnet, 
mit  Erläuterungen  von  Chr.  G.  Heyne.     Göttingen  1801. 
2)  3  S.    4°.    H.  Wien. 


Februar  1810.  5j 


über  den  gegenwärtigen  Zustand  deutscher  Erziehungskunst  in  ihren  verschiedenen 
Nuancen  meine  schriftstellerische  Laufbahn  eröffnen,  wobei  ich  die  Absicht  hatte 
durch  Auf  Weisung  der  Mängel  auf  Ihre  Pädagogik  hinzuführen,  was  wie  ich  glaube 
Noth  thut.  Die  allgemeine  Aufmerksamkeit  ist  das  wichtigste  was  Sie  bedürfen, 
und  es  würde  mich  freuen  könnte  ich  dazu  mit  der  Zeit  sey  es  nun  auf  welche 
Art  es  wolle  einiges  beitragen.  Außerdem  aber  wollte  ich  auch  mir  dadurch  den 
Weg  bahnen  zur  Errichtung  meines  Instituts,  das,  tritt  es  ohne  weiteres  hervor, 
wohl  bald  wieder  verschwinden  dürfte,  und  doch  verspreche  ich  mir  so  viel  davon. 
Jetzt  ist  die  Reise  noch  auf  zwei  Jahre  verschoben,  denn  ich  hänge  in  diesem 
Augenblicke  zu  sehr  von  meinen  Eltern  ab,  um  etwas  zu  thun,  was  sie  gar  nicht 
begreifen  können,  da  alle  meine  Vorfahren  fein  säuberlich  nach  dem  sie  sich  eine 
Frau  zugelegt  auf  ihrer  Hufe  blieben.  Ueberhaupt  ist  noch  vieles  wegen  mir  sehr 
unbestimmt;  noch  weiß  ich  nicht  den  Ort,  wo  ich  mit  meiner  Geliebten  das  Leben 
genießen  werde,  sondern  ahnde  ihn  höchstens;  aufs  Frühjahr  reise  ich  noch  allein 
nach  Hause,  um  alles  anzuordnen;  dann  folgt  unsere  Verbindung  hoffentlich  bald 
nach.  Wäre  nur  Therese  diesen  Winter  nicht  kränklicher  denn  je!  auch  ihre  Mutter 
war  seither  mehrmahls  bettlägerig,  alle  aber  sehnen  sich  nach  Briefen  von  Ihnen ;  Heeren 
und  Dissen  mit  eingeschlossen.  Ich  habe  diese  beiden  in  unserer  Familie  bekannt 
gemacht,  allein  wer  vermöchte  uns  wohl  unseren  lieben  Professor  vom  vorigen 
Jahr  zu  ersetzen?  ||  Dissen  vereinigt  seine  Bitten  wegen  der  versprochenen  Mit- 
theilung Ihres  Buches  mit  den  meinigen;  kommt  es  zeitig  genug  an,  so  lesen  wir 
es  vielleicht  gemeinschaftlich,  da  zwei  mehr  sehen  denn  einer,  ich  ihm  auch  viel- 
leicht mit  der  Mathematik  aushelfen  kann.  —  Die  Schrift  von  Unterholzner  werden 
Sie  wahrscheinlich  erhalten  haben;  er  hat  sie  mir  zugeeignet,  aber  deshalb  kann 
ich  ihm  doch  nicht  überall  Recht  geben.  Die  Begriffe  von  dolus  und  culpa  hat  er 
erst  recht  verworren,  und  überhaupt  zu  flüchtig  gearbeitet.  Ich  habe  ihm  sehr 
umständlich  darüber  geschrieben.  Hoffentlich  [wird]  man  wenigstens  dieß  nicht  von 
mir  sagen  wenn  ich  dereinst  auftrete! 

Ihr  Freund  Richthof en. 

Wenn  Sie  Thune  den  Dänen  [über  ihn  s.  Bd.  III,  S.  XI]  sehen  so  sagen  Sie 
doch  ihm  daß  seine  Freunde  sehr  um  ihn  besorgt  sind. 

Für  ihren  freundlichen  Gruß  muß  ich  Ihnen,  lieber  Herr  Professor  recht 
innig  danken,  und  Sie  versichern,  daß  jedes  Zeichen  Ihres  Andenkens  uns  immer 
herzlich  erfreut.  Therese. 

253.    An    Carl   V.    Steiger.1)  Königsberg  27Sten  Febr.   1810. 

Eben  bin  ich  in  der  Genesung  begriffen,  Lieber,  von  einer  ziemlich 
anhaltenden  Brustkrankheit,  durch  die  ich  dem  hiesigen  Klima  meinen 
Zoll  habe  entrichten  müssen.  Die  Brustübel  waren  diesen  Winter  all- 
gemein, und  der  Arzt  meint,  es  habe  mit  mir  weiter  nichts  zu  sagen.  Es 
ist  am  besten,  ich  überlasse  es  Dir  selbst,  die  Ursachen  der  Verzögerung 
dieses  Briefes  herauszufinden,  und  mich  so  gut  Du  kannst  zu  entschuldigen. 

Den  Sommer  über  war  ich  erst  durch  Besuche  und  Einladungen, 
—  dann  ganz  auf  meine  alte  Weise  mit  der  Speculation  beschäfftigt,  nur 
ernstlicher,  wo  möglich,  als  seit  Jahren;  weil  viel  daran  lag,  in  der  Psycho- 
logie endlich  durchzugreifen.  Etwas  mußte  schon  darum  geschehen,  um 
mich  an  diesem  neuen  Platze  gehörig  zu  bevestigen.  Der  Chef  des 
preußpschen]   Studien wesens ,    der   geh.    Staatsrath    v.  Humboldt,    kannte 


x)  8  S.    8°. 


6  2  Februar   1810. 


mich  bis  dahin  gar  nicht,  wußte  nicht  einmal  von  meiner  Berufung  hierher, 
denn  diese  war  erfolgt,  noch  ehe  er  seinen  Posten  antrat.  Während  des 
Sommers  hielt  er  sich  hier  auf;  ich  traf  ihn  oft  in  Gesellschaften,  lernte 
ihn  ||  ziemlich  nahe  kennen;  er  ist  ein  feiner,  sehr  humaner,  sehr  gelehrter 
Mann;  in  der  Philosophie  nicht  ungeübt,  so  daß  ich  stundenlang  mit  ihm 
metaphysische  Gespräche  geführt  habe;  fürs  Schulwesen  ist  er  thätig,  und 
hier  berührten  wir  uns  noch  öfter.  Als  Zeichen  des  gewonnenen  Ver- 
trauens darf  ich  es  ansehen,  daß  er  mich  zum  Mitgliede  der  hier  er- 
richteten wissenschaftlichen  Deputation,  mit  einer  Gehaltserhöhung,  ernannt 
hat.  —  Neben  ihm  stehen  die  Staatsräthe  Nicolovius  und  Süvern;  diese, 
besonders  der  erste,  sind  es  eigentlich,  die  mich  hierher  riefen.  Nicolovius 
ist  ein  kluger  und  braver,  charaktervoller,  dabey  religiöser  Mann;  der- 
jenige, auf  den  eigentlich  mein  Zutrauen  gerichtet  ist.  Diese  Männer 
haben  mir  aufgetragen,  ein  pädagogisches  Seminarium  zu  errichten,  leider 
hat  dafür  noch  nichts  gethan  werden  können,  weil  Pape,  mein  alter  treuer 
Göttingischer  Zuhörer,  eine  andere  Versorgung  angenommen  hat,  und 
meine  Anträge  deshalb  ablehnte. 

Im  Anfange  des  Winters  wurde  ich  genau  bekannt  mit  Delbrück, 
dem  Erzieher  des  Kronprinzen. x)  Schon  gleich  nach  unserer  Ankunft  waren 
Remer  (mein  ||  College,  der  mit  mir  zugleich  hierher  gerufen  ward),  und 
ich  zum  Kronprinzen  eingeladen;  dies  wiederhohlte  sich  öfter,  mit  der, 
für  uns  etwas  drückenden  Auszeichnung,  daß  immer  nur  wir,  und  Hüll- 
mann (Prof.  der  Geschichte,  kurz  vor  uns  hergerufen),  niemals  aber  die 
älteren  Professoren  zu  den  Versammlungen  beym  Prinzen  gezogen  wurden. 
Während  des  Sommers  wurden  wir  dort  auch  dem  König  und  der  Königin 

x)  Zur  Ergänzung  der  Mitteilungen  Herbarts  sei  einiges  aus  den  Tagebuchblättern 
Fr.  Delbrücks  (über  ihn  s.  u.  Brief  v.  16.  Juni  181 1),  die  durch  Georg  Schuster  in 
den  Monum.  Germ.  paed.  (Bd.  XXXVI,  XXXVII,  XL:  Die  Jugend  Königs  Friedrich 
Wilhelm  IV.  von  Preußen  und  des  Kaisers  und  Königs  Wilhelm  I.,  Berlin  1907)  ver- 
öffentlicht worden  sind,  angeführt:  22.  April  1809:  ,,Ich  verfügte  mich  in  das  deutsche 
Haus,  wo  die  ehemaligen  Tischfreunde  Kants  zu  seinem  Gedächtniße  .  .  ein  Mittagsmahl 
angeordnet  hatten.  Zwischen  Scheffner  und  Herbart  ...  25.  Apr.  Theegesellschaft 
bey  uns.  Humboldt,  Hüllmann,  Herbart,  Remer  und  Aueiswald  .  .  ."  (14.  Aug.: 
Schilderung  einer  Hofgesellschaft,  bei  der  Herbart  dem  Könige  vorgestellt  wurde.) 
27.  Sept.:  „Herbarts  Spiel  auf  dem  Ciavier  sehr  gut.  Bey  Tafel  führte  Haack  und 
Herbart  am  meisten  das  Wort.  Letztrer  gedachte  rühmlichst  des  Pestalozzianismus. 
Meinem  Bruder  sah  ich  an  den  Augen  an,  daß  ihm  dieß  nicht  recht  war."  16.  Okt.: 
„Im  Conferenzzimmer  vertraute  ich  dem  Herbart  den  Bericht,  d.  d.  17.  Okt.  08. 
Er  beruhigte  mich  über  die  Ansicht,  die  ich  von  der  Sonnabendsfeyer  aufgefaßt  hatte, 
durch  die  seinige  u.  s.  w."  18.  Okt.:  „Herbart  rieth  an,  Piatons  Republik  mit  dem 
Kronprinzen  zu  lesen  um  daran  eine  Übersicht  der  Verfassung  von  Großbrittannien  zu 
knüpfen."  20.  Okt.  1809:  „Herbarts  Besuch  erst  für  mich  allein.  Seine  mathe- 
mathische  Instrumente.  Philosophische  Untersuchungen.  U.  a.  behauptet  er,  die  Sprache 
sey  zum  Denken  entbehrlich.  Er  billigte  meine  Methode  beym  Unterricht  des  Lateinischen. 
Dem  Kronprinzen  erklärte  er  seine  Instrumente,  spielte  Ciavier,  speiste  bey  uns  und 
erhielt  auf  den  Weg  5  —  6  Aufsätze  des  Kronprinzen,  die  er  voll  Begierde  mitnahm  .  .  ." 
2 1 .  Okt. :  „Erst  las  ich  Herbart  das  heimlich  weggenommene  Manuskript  des  Kron- 
prinzen, worauf  er  „Fingal,  ein  Trauerspiel'1  angefangen  hat.  Wie  bewunderten  beyde 
die  unverkennbare  Genialität.  Er  bezeugte  mir  sein  Wohlgefallen  an  den  Aufsätzen  .  . 
und  fragte,  ob  er  nicht  Eins  UDd  das  Andere  auch  seinen  Freunden  in  Deutschland 
mittheilen  dürfte.  Wir  schieden  um  9  Uhr  als  wahre  Freunde  aus  einander."  23.  Okt.: 
„Herbart  nahm  thätigen  Theil  zu  Unser  Aller  Erbauung"  u.  s.  w.  (S.  Bd.  XL,  S.  197, 
259,   275,   282,   285,   286,   288.) 


Februar   1810.  63 


vorgestellt;  sonst  interessirten  mich  diese  Gesellschaften  wenig;  der  Kron- 
prinz schien  mir  ein  Knabe  wie  alle  andern  Knaben,  etwas  wild,  glück- 
licherweise ohne  alle  Ziererey  und  Hofmanier.  In  den  letzten  Monaten 
seines  Hierseyns  aber  lernte  ich  ihn  näher  kennen.  Delbrück  zog  uns  zu 
den  wöchentlichen  Sonnabends-Übungen,  die  der  Prinz,  mit  einigen  andern 
jungen  Leuten,  im  Reden,  im  Stil  u.  s.  w.  anzustellen  hatte.  Bald  führte 
mich  Delbrücks  Vertrauen  auch  ganz  allein  zum  Prinzen ;  so  daß  wir  mehrmals 
unsrer  drey  an  einem  kleinen  runden  Tisch  zu  Abend  gegessen  haben. 
Ich  hatte  also  volle  Gelegenheit,  mich  an  manchem  Talent,  mancher  wenig 
bekannten,  schönen  Seite  des  rüstigen,  vierzehnjährigen  Knaben  zu  freuen. 
Unglaublich  ist  sein  Genie  fürs  Zeichnen. *)  Er  wirft  jeden  ||  Augenblick, 
wenn  er  frey  ist,  und  sich  sitzend  beschaff tigen  will,  Zeichnungen  aufs 
Papier;  Entwürfe  zu  großen  historischen  Stücken,  welche  beweisen,  wie 
lebhaft  in  seiner  Phantasie  die  Bilder  sind  von  Troja,  Athen,  und  Rom; 
von  Personen  und  Sachen,  die  er  auf  Reisen  gesehn  hat;  von  mythischen 
und  allegorischen  Gegenständen.  Er  mahlt  selbst  Himmel  und  Hölle;  und 
oft  an  kirchlichen  Festtagen  besonders,  biblische  Dinge.  Ich  habe  von 
ihm  die  Sündfluth  erhascht,  die  in  meiner  Gegenwart  in  Zeit  von  nicht 
vollends  anderthalb  Stunden  angefangen  und  vollendet  wurde.  Darauf 
sind  über  20  lebende  Figuren  in  den  mannigfaltigsten  Stellungen;  er 
zeichnete  (versteht  sich  aus  dem  Kopfe)  während  ich  vorlas  und  mit  ihm 
und  Delbrück  lebhaft  sprach.  —  Nie  aber  ist  er  mir  interessanter  gewesen, 
als  in  den  letzten  14  Tagen  seines  Hierseyns.  Eines  Abends  waren  wir 
recht  heiter  gewesen  in  seinen  Zimmern,  der  Fürst  Radzivil  sang  aus 
voller  Brust,  während  ich  am  Piano  saß;  Delbrück  und  der  Kronprinz 
hatten  beyde  trefflich  geredet;  eine  Menge  herrlicher  ||  Kupferstiche  lagen 
ausgebreitet,  an  denen  wir  herumgingen  und  sie  besprachen,  —  so  heitei 
schloß  der  Abend;  und  am  folgenden  Tage  kommt  plötzlich,  ganz  un- 
vorbereitet, sowie  unerwartet,  eine  Cabinetsordre  des  Königs,  des  Inhalts: 
Delbrück  sey  zum  geheimen  Rath  ernannt,  mit  1800  Thaler  Gehalt,  und 
sey  bestimmt,  in  Königsberg  zu  bleiben,  —  während  der  Hof,  während 
der  Prinz  nach  Berlin  zu  gehen  sich  anschicken.  Dieser  Donnerschlag 
machte  den  Prinzen  auf  der  Stelle  krank.  Mehrere  Tage  vergingen;  er 
blieb  krank.  Ich  weiß  manches,  was  er  gesagt,  was  er  gethan  hat;  es 
war  der  reinste,  und  zugleich  der  stärkste  Ausdruck  seiner  Anhänglichkeit 
an  Delbrück;  das  stärkste  und  nachdrücklichste,  was  ihm  möglich  war  und 
was  ihm  ziemte.  Ich  wurde,  indem  ich  ihn  und  Delbrück  leiden  sah, 
lebhaft  erinnert  an  eine  frühere  Zeit,  die  auch  Dir,  mein  Guter,  vielleicht 
noch  einfällt.  —  Nach  8  Tagen  kam  die  Königin,  ihren  kranken  Sohn 
zu  besuchen.  Es  muß  ihr  unmöglich  gewesen  seyn,  das  reine  Gefühl  für 
Trotz  zu  halten.  Tags  darauf,  —  gerade  während  ich  mit  einem  Auftrage 
von  Seiten  der  Universität  dort  war  —  kommt  der  König.  Nachmittags 
erfuhren  wir,  daß  Delbrück  mit  nach  Berlin  reisen  werde.  —  Sie  sind 
gereist.      Sie  ||  sehen    sich    täglich.2)     Mir   aber    ist    ein  anderer  Delbrück 

*)  Man  vgl.  dazu  G.  Schusters  interessante  Ausführungen  in  der  Einleitung  der 
zitierten  Tagebuchblätter,   I.  Teil,  XLIV. 

2)  Vgl.  G.  Schuster,  ebenda  S.  XIV,  dort  auch  das  Handschreiben  der  Königin 
Luise  an  Delbrück. 


64  Februar  18 10. 


zurück  geblieben;  ein  Bruder  von  jenem,  der  unaufhörlich  in  Schul- 
angelegenheiten gegen  mich  disputiert,  und  dem  ich  eben  so  sehr,  als  er 
mir,  im  Wege  bin,  indem  ich  meine  Gedanken  gelten  zu  machen  suche. 
Wir  treffen  uns  nämlich  in  der  wissenschaftlichen  Deputation,  wo  wir,  in 
jedem  Sinn,  gerade  gleichviel  Stimmen  haben.1)  An  einigen  meiner  andern 
Collegen  habe  ich  indeß  meine  Freude.  Da  ist  der  alte  Caspari,  — 
derselbe  aus  dem  wir  ehemals  zusammen  Geographie  gelernt  haben;  dieser, 
hoffe  ich,  soll  mir  jetzt  helfen,  das  ABC  der  Anschauung  auf  Geographie 
zu  übertragen.  Wenigstens  hat  er  es  aufs  erste  Wort,  was  er  davon  hörte, 
für  „sehr  nützlich"  erklärt.  Auch  sonst  pflegt  er  mir  beyzustimmen.  Da 
ist  ferner  mein  guter  College,  der  Professor  Vater  aus  Halle;  dieser  hat 
neulich,  als  meine  Brust  mir  nicht  erlaubte  zu  sprechen,  mir  seine  Lunge 
und  Zunge  geliehen,  indem  er  meine  Gedanken,  zugleich  als  die  seinigen, 
vortrug.  Da  ist  ein  Director  Gottholdt,  ein  lebhafter  Mann  ungefähr  in 
meinen  Jahren,  dieser  vertheidigt  den  Homer  und  den  Herodot  so  stand- 
haft wie  ich,  und  das  ist  um  so  besser,  da  er  ||  als  Director  eines  Gym- 
nasiums hierher  berufen  ist.  Uebrigens  läßt  schon  seit  längerer  Zeit  der 
Staatsrath  Nicolovius  seinen  Sohn  durch  einen  meiner  Zuhörer  im  Griechi- 
schen unterrichten;  auch  das  ABC  der  Anschauung  ist  im  Gange  und 
scheint  gut  zu  gehen. 

Mit  der  Universität  wird  es  hier  ungefähr  gehen  wie  in  Heidelberg. 
Sie  hatte  außer  Kant  noch  ein  paar  treffliche  Männer,  die  ungefähr  zu- 
gleich mit  jenem  gestorben  sind.  Einen  davon,  Krause,  will  ich  Dir 
doch  nennen;  seine  sehr  geschätzte  Slaatswirthschaftslehre  giebt  jetzt  nach 
seinem  Tode  sein  treuer  Freund,  der  geh.  Staatsrath  v.  Auerswald  (jetzt 
hier  in  K.  eine  der  höchsten  Personen,  zugleich  Curator  der  Universität) 
im  Druck  heraus.  —  Jetzt,  da  so  viele  auswärtige  Professoren  zugleich 
hierher  gerufen  sind  und  noch  gerufen  werden,  hört  man  hier  schon  von 
alten  und  neuen  Professoren  reden,  und  ich  fürchte  sehr,  diese  Spalte 
wird  sich  nicht  ausfüllen.  Die  alten  suchen  sich  zu  helfen  durch  starren 
Eigensinn,  und  das  ist  wahrlich  die  schlechteste  Stütze  für  solche,  denen 
die  Zeit  nicht  günstig  ist,  und  die  sich  nicht  mit  Nachdruck  auf  alte 
Verdienste  berufen  können.  Was  urtheilst  ||  Du,  der  Du  Göttingen  kennst, 
von  Professoren,  die,  nachdem  sie  mit  schlechter  Besoldung  vorlieb  ge- 
nommen haben,  nun  ihr  Brod  durch  Neben-Ämter  suchen;  so  daß  Einer 
neben  einer  theologischen  und  philosophischen  Professur  noch  Prediger 
und  noch  Director  eines  großen  Gymnasiums  ist?  ein  Anderer  neben  einer 
juristischen  Professur  noch  Mitglied  eines  Justiz  -  Tribunals  ist?  u.  dergl. 
Von  den  Schriften  dieser  Männer  hört  und  liest  man  nun  freylich  desto 
weniger.  —  So  sieht  es  mit  manchem  in  Königsberg  aus.  Die  Studenten 
müssen  erst  lernen  fleißig  seyn,  die  Handwerker  müssen  allesammt  wenigstens 
30  versäumte  Jahre  nachhohlen,  so  weit  sind  sie  zurück,  und  die  alten 
Weiber  in  dieser  großen  Stadt  müssen  sich  das  Klatschen  abgewöhnen. 
Ich  aber  fühle  mich  hier  wenigstens  auf  deutschem  Boden.  — 

Neulich  reisten  hier  die  Brüder  Grote  durch;  der  älteste  höhlt  seine 
Braut,  Fräulein  Rahden.  Im  Frühling  hoffe  ich  das  Paar,  und  auch 
Ferdinand  R.  hier  zu  sehen. 


x)  Über  Ferdinand  Delbrück  (1772 — 1848)  vgl.  G.  Schuster,   ebenda  S.  X  u.  ö. 


März,  April   1810.  65 


Dir,  mein  Guter,  mögen  Deine  Felder  gute  Früchte  tragen.  Soll 
ich  Dir  mehr  Gutes  wünschen,  so  muß  ich  erst  mehr  hören  von  dem, 
was  Du  treibst  und  willst.  Nachrichten  davon  möchte  ich  gern  durch 
diesen  meinen  Brief  verdient  haben.  Giebt  es  Gelegenheit,  so  grüße 
Deine  Brüder  herzlich  von  mir.  Was  macht  der  Franz?  Was  will  er 
werden?  Ganz  Dein  H. 

254.  Nicolovius  an  H.1)  Berlin,  d.  29.  März  1810. 

H.  v.  Grote,  der  mir  Ihr  gütiges  Schreiben  überbrachte  und  sich  hier  zwey 
Tage  aufgehalten  hat,  giebt  mir  Anlaß,  Ihnen  so  geschwind  meinen  Dank  für  Ihren 
Brief  abzustatten,  da  er  mir  von  einem  aus  Curland  nach  Königsberg  gekommenen 
Manne,  Namens  Preuß,  erzählt  hat,  dessen  Schicksal  ihm  am  Herzen  liegt  und  auch 
Sie  interessiren  soll.  Er  wünschte  eine  Schulstelle  für  ihn  in  Königsberg.  Ich  habe 
Hr.  v.  Gr.  versprochen,  Ihnen  darüber  zu  schreiben.  Sie  wissen  als  Mitglied  der 
wissenschaftl.  Deputation,  daß  für  die  Besetzung  der  dortigen  Schulstellen  mehr  in 
Königsberg  als  von  hier  aus  geschehen  kann.  Glauben  Sie,  daß  Hr.  Pr.  für  eine  Stelle 
an  einer  dortigen  Schule  paße,  so  wäre  gewiß  das  Beste,  Sie  veranlaßten  ihn  sich 
zur  Prüfung  zu  stellen,  und  dadurch  der  Regierung  und  wissenschaftl.  Deputation 
Grund  an  die  Hand  zu  geben,  ihn  bey  der  Section  in  Vorschlag  zu  bringen.  Daß  auf 
diesen  Vorschlag  geachtet  werden  soll,  könnten  Sie  versichert  seyn.  Von  hier  aus 
etwas  gerade  für  Hr.  Pr.  zu  thun,  scheint  mir  nicht  wohl  möglich.  — 

Haben  Sie  Dank  für  alles,  was  Sie  mir  melden,  und  leben  Sie  im  Glauben  an 
eine  immer  bessere  Zukunft,  auch  in  Ihrem  Professor-Amt.  "Was  Hr.  v.  Grote  mir 
von  Ihrer  Anerkennung  der  Bemühungen  des  Staats  um  Unterricht  und  Erziehung 
erzählt  hat,  ist  mir  Labsal  gewesen.  Wollten  Sie  sich  bey  Heeren  nach  Dr.  Mayer 
erkundigen,  so  würde  ich  es  Ihnen  herzlich  danken.  Ihre  Grüße  sind  bestellt. 
Wandeln  Sie  freudig  Ihre  Bahn  in  der  Zuversicht,  daß  sie  immer  leuchtender  werde. 
Meine  Theilnahme  und  meine  Hochachtung  begleiten  Sie. 

Nicolovius. 

255.  Graf  Sievers  an  H.2)  St.  Petersburg  d.  2.  April  1810. 

In  der  Überzeugung,  innigstgeliebter  Lehrer  und  Freund,  aller  Entfernung 
ohngeachtet,  noch  in  Ihrem  Andenken  zu  stehen,  gehe  ich  mit  dem  größten  Ver- 
gnügen daran  Ihnen  einige  Nachrichten  von  uns  mitzutheilen.  Von  der  Fortdauer 
unserer  Gesinnungen  gegen  Sie  bedarf  es  keiner  Versicherungen,  keiner  Betheuerungen : 
Männer,  wie  Sie,  die  im  Jahre  langen  vertrauten  Umgange  mit  dem  größten  Wohl- 
wollen empfänglichen  Herzen  ihr  Innerstes  auf  schloßen,  können  sicher  überzeugt 
seyn  hier  fortdauernd  zu  leben. 

Zwar  beschäftigen  uns  nicht  mehr,  wie  sonst,  die  einzelnen  Sätze,  ich  möchte 
beinahe  sagen  die  einzelnen  Buchstaben  Ihrer  herrlichen  Ideen,  allein  das  Ganze 
derselben  hat  sich  mit  unserm  Gemüthe  so  innig  verwebt,  daß  der  Charakter  ||  hier 
für  jede  Handlung,  ihren  Grund,  der  Geist  für  jede  Überlegung  hier  ihren  Richtweg 
findet.  Bei  Gelegenheit  meines  Examens  wurde  ich  indeß  doch  im  vorigen  Sommer 
zu  einer  lebhaften  Rückerinnerung  an  Ihre  praktische  Philosophie  geführt;  indem 
man  mir  nämlich  die  Wahl  des  Gegenstandes  zu  meiner  Dissertation  frei  gestellt 
hatte,  konnte  ich  wohl  nicht  anders,  als  wie  auf  die  Auseinandersetzung  der  5  Ideen 
zu  nächst  fallen.     Auf  meinen    einsamen  Spaziergängen  versetzte  ich  mich  daher 

')  IS.    4U.     H.  Wien. 

2)  11  S.    8°.     H.  Wien.  —  Über  Nicolovius  s.  u.  S.  101  Anm. 

Hbrbarts  Werke.     XVII.  5 


55  April   1810. 

nicht  nur  wieder  in  die  schöne  Verkettung  dieser  für  den  Menschen  wichtigsten 
Begriffe,  sondern  auch  jener  freundschaftliche,  philosophische  Kreis,  dessen  Mittel- 
punkt Sie  waren,  trat  um  so  lebhafter,  je  mehr  ich  ihn  jetzt  entbehrte,  vor  meine 
Seele,  und  wenn  jene  Rückerinnerung  meine  ganze  Denkkraft  spannte,  so  gab  hin- 
gegen ||  diese  meiner  Stimmung  eine  solche  Innigkeit  und  Wärme,  daß  ich  wohl  glaube 
der  wahre  Kenner  werde  es  meinem  Aufsatze  ansehen,  wie  sehr  er  recht  eigentlich 
aus  dem  Herzen  geschrieben  ist.  —  Die  weise  Facultät,  —  der  Philosophie  in 
Dorpat,  —  fand  indeß  für  nothwendig  nach  reiferer  Überlegung,  ohngeachtet  meine 
Arbeit  fast  vollendet  war,  nicht  eine  philosophische  sondern  eine  historische  Disser- 
tation von  mir  zu  verlangen  und  damit  auch  diese  ihrer  Weisheit  theilhaftig  würde, 
mußte  der  berühmte  Professor  Pöschmann  nicht  nur  sein  Latein,  sondern  auch  seinen 
Senf  und  seine  gelehrten  Citate,  (die  unter  uns  gesagt,  wenn  sie  richtig  sind,  aus 
dem  Gognetius  [?]  genommen  wurden)  hergeben.  ||  Was  ich  bei  der  Verstümmelung 
meiner  Ideen  gelitten  hahe  läßt  sich  gar  nicht  beschreiben;  allein,  um  doch  endlich 
zu  Ende  zu  kommen  und  mich  doch  endlich,  nach  6  Monat,  von  der  Folter  zu  be- 
freien, mußte  ich  den  Bastard  adoptiren;  jedoch  meiner  Ehre  glaubte  ich  es  schuldig 
zu  seyn  nur  100  Exemplare  von  dieser  Dissertation  drucken  zu  lassen  und  im 
Gespräche  mit  einzelnen,  wie  öffentlich  durch  meine  Disputation  zu  zeigen,  daß 
nicht  alle  falschen  Ideen,  die  sie  enthält,  aus  meinem  Kopfe  entsprungen  sind.  Pour 
la  rarite  du  fait  schicke  ich  sie  Ihnen.  Sie  werden  sie  vielleicht  mit  einiger  Auf- 
merksamkeit durchlesen  und,  nachdem  Sie  erfahren,  wie  sie  entstanden  ist,  gewiß 
mit  der  gehörigen  Schonung  beurtheilen.  Allein  mit  welch  einem  andern  Gefühle  || 
hätte  ich  Ihnen  meine  erste  Dissertation  überschickt  und  mir  Ihre  Meinung  über 
sie  erbeten.  Jetzt  liegt  sie  unnütz  da,  —  doch  nicht  ganz  unnütz  für  mich!  Als 
ich  sie  schrieb  war  ich  Ihrem  Geiste  näher  gerückt;  seine  wärmenden  Strahlen 
haben  in  mir  ein  beseeligendes  Wonnegefühl  erzeugt,  das  mir  auf  der  trockenen 
Geschäftsbahn,  nachdem  ich  eigentlich  philosophischen  Speculationen  auf  lange  Zeit 
habe  Lebewohl  sagen  müssen,  wohlthätig  begleiten  und  sich  gewiß  jedesmal  bei 
Empfang  eines  Briefs  von  Ihnen  aufs  angenehmste  erneuern  wird.  Hierin,  glaube 
ich,  liegt  die  dringendste  Bitte  uns  von  Zeit  zu  Zeit  durch  einige  Zeilen  zu  erfreuen.  || 

Ich  sage  Ihnen  weiter  nichts  über  meinen  Aufenthalt  in  Dorpat.  Diese  Er- 
innerung ist  für  mich  nicht  angenehm  und  die  süßen  Stunden  der  Unterhaltung  mit 
Ihnen,  mag  ich  nicht  verbittern.  Sie  haben  auch  vielleicht  schon  von  dem  würdigen 
H.  Professor  Gaspari,  dem  ich  meine  ganze  Hochachtung  zu  versichern  bitte,  aus- 
führlich über  mein  Examen  Nachricht  erhalten. 

In  Petersburg  habe  ich  meinen  Bruder  Georg  wieder  gefunden.  Wie  sehr  der 
Umgang  mit  ihm  zu  meinem  Glücke  mit  beiträgt,  stellen  Sie  sich  leicht  vor.  Doch 
muß  ich  noch  um  Sie  ganz  in  dieß  Verhältniß  einzuführen,  hinzusetzen,  daß  seine 
Gesundheitsumstände  sich  außerordentlich  verbessert  haben  und  er  dadurch  immer 
empfänglicher  für  Frohsinn  wird,  was  ihm  meinem  Alter,  meinem  Charakter  immer 
näher  bringt;  von  Seiten  des  Verstandes  l|  trägt  die,  durch  den  Umgang  mit  Menschen, 
in  uns  zunehmende  Überzeugung,  von  der  großen  Verschiedenartigkeit  der  Meinungen 
in  der  Welt,  sehr  dazu  bei  die  Notwendigkeit  der  Toleranz  einzusehen  und  das 
angenehme  Gefühl,  das  im  Gegentheil  die  Harmonie  derselben  in  uns  erzeugt,  zu 
erhöhen.  Unter  Menschen  schleifen  sich  die  Ecken,  die  die  Geselligkeit  hindern, 
bald  ab;  die  Menschen  in  der  Gesellschaft  sind  sich  mehr  gleich,  und  passen  mit 
ihren  abgeglätteten  Flächen  mehr  für  einander. 

Meine  praktische  Laufbahn  habe  ich  bereits  angetreten,  zwar  habe  ich  mir 
wegen  der  Weitläuftigkeit  des  hiesigen  Geschäftsganges  noch  nicht  den  Collegien- 
assessortitel   erschwingen  können,  allein  durch  die  Bekanntschaft  mit  dem  Reichs- 


April   1810.  67 

Schatzmeister  Baron  von  Campenhausen  habe  ich  die  Stelle  als  Secretair  bei1)  ||  erhalten 
und  bin  zugleich  beim  Finanzdepartement  in  der  Buchhalterei  angestellt  worden. 
Die  Finanzen,  der  wichtigste  Zweig  der  Staatsadministration,  hat  jetzt  die  ganze  Auf- 
merksamkeit der  Regierung  auf  sich  gezogen,  zwar  nicht,  weil  das  Glück  des  Volkes 
davon  abhängt,  sondern  weil  der  Beutel  von  Gelde  leer  und  die  Banken  zwar  mit 
Zettel  gefüllt,  allein  die  Fabrication  derselben,  da  sie  auf  der  Börse  immer  mehr 
sinken,  hat  eingestellt  weiden  müssen.  Jetzt  ist  ein  silb.  Eubl.,  der  in  den  ersten 
Jahren  von  Alexanders  Regierung  zu  1  Rubl.  25  Kop.  stand,  3  Rubl.  13  K. 

Man  denkt  jetzt  ernstlich  daran,  die  Finanzen  zu  verbessern,  d.  h.  (aus  dem 
russischen  übersetzt)  sich  Geld  zu  verschaffen.  Man  wählt  aber  dazu  Mittel 
durch  welche,  wenn  auch  j|  dieser  Zweck  erreicht  wird,  die  Finanzen,  im  eigentlichen 
Sinne,  verschlimmert  werden,  denn  das  Volk  wird  ruinirt  und  seine  Industrie  völlig 
gelähmt.  —  Alle  die  Gelehrten,  die  man  als  große  theoretische  Staatswirthe  consultirt, 
kennen  Rußland  nicht,  wollen  einführen,  was  in  ihren  (gewöhnlich  einseitigen) 
Theorien  ziemlich  richtig  seyn  mag,  aber  bei  uns  gar  nicht  anwendbar  und  höchst 
verderblich  ist;  endlich  gehen  sie,  —  ohne  allen  Patriotismus,  der  nur  einzig  einen 
Staat  aus  seiner  critischen  Lagen  retten  kann  —  dem  Braten  nach!  (Bezieht  sich 
auf  ein  bestimmtes  Faktum  in  einer  Gesellschaft.)  — 

Die  große  Veränderung  durch  welche  ein  höchstes  Reichs  Conseil  formirt 
worden,  war,  wie  die  Folge  deutlich  zeigt,  nur  eine  Hofs  ||  Intrigue,  durch  welche 
die  alten  Minister  gestürtzt  worden  sind,  um  Einen  Mann,  den  Reichssekretair 
Speransky  zum  allmächtigen  Minister  zu  machen.  Er  thut  jetzt  alles  und  die  hohen 
Reichsräthe  nichts.  Unsere  Lage  ist  höchst  bedenklich :  im  Innern  alles  in  Zer- 
rüttung, die  stärksten  Bande  fangen  an  sich  zu  lösen,  und  von  außen  werden  wir 
von  einem  verheerenden  Gewitter  bedroht. 

Meine  praktischen  Arbeiten  sind  durch  meine  mangelhafte  Kenntniß  der 
russischen  Sprache  sehr  beschränkt;  ich  muß  mich  gegenwärtig  ganz  mit  ihr  be- 
schäftigen und  zugleich  mit  dem  interessanten  Studio  des  hiesigen  Geschäftsganges. 
Erst,  wenn  ich  das  etwas  hinter  mir  habe,  gehe  ich  mit  allem  Ernste  ans  Studium 
des  Finanz  Wesens  und  vorzüglich  an  die  politische  Arithmetik.  ||  Einer  von  den 
3  Männern,  Herbart,  Heeren  oder  Thibaut  muß  mich  daher  immer  Wechselsweise 
beschäftigen.  Mögte  ich  doch  bald  von  Taxen  und  Rechnungen  zur  goldenen  Philo- 
sophie zurückkehren.  Leben  Sie  unterdeß  stets  heiter  und  in  einer  Wirksamkeit, 
die  Ihrem  Geiste,  Ihrem  Eifer  fürs  Gute  sich  immer  mehr  erweitern  möge.  Schenken 
Sie  die  Fortdauer  Ihres  Andenkens  Ihrem 

Alex.  Sievers. 

Mein  Bruder  ist  vor  einigen  Tagen  nach  Lievland  gereist.  — 

Casimir  C.  legt  einen  Brief  an  Sie  mit  bei,  und  ich  bitte  um  die  baldige  und 
sichere  Besorgung  des  Briefes  an  Heeren  wodurch  Sie  mich  außerordentlich  ver- 
binden. 

256.    Dissen  an  H.2)  Göttingen  am  löten  Apr.  1810. 

Hochgeehrter  Herr  Professor! 
Zuvörderst  meinen  herzlichen  Dank  für  Ihre  doppelte  Zuschrift,  die  beidemahl 
mit   so   viel  Belehrungen  beschwert  war.     Einiges   von  dem,   weshalb  ich  in  dem 
früheren  Briefe  gefragt  hatte,  war  mir  selbst  nachher  klar  geworden,  wie  über  die 
Tugend,   über  das  Ich,  was  nun  Ihre  Antworten  bestätigen.     Die  Psychologie  les' 


1)  Der  Name  fehlt  im  Original. 

2)  3  S.    8°.    H.  Wien. 


58  April   1810. 

ich  jetzt  mit  Richthofen  durch ;  es  ist  aber  in  dem  Gedruckten  Exemplar  von  p.  93 
an  für  mich  noch  Dunkelheit;   auch  Richthofen  konnte   mir  keinen  vollkommenen 
Aufschluß   geben.     Unter  den   modificirten  Vorstellungen  denk'   ich  mir  z.  B.  das 
Zusammenklingen  zweier  Töne,  während  jeder  für  sich  der  reine  wäre.    Es  ist  nun 
die  Frage,  wann  wird  man  sie  als  zwei  verschiedene  unterscheiden?  Natürlich  wenn 
im  Zusammenklingen  sie   nicht  in  einander  laufen,   sondern  als  verschiedene  hörbar 
sind.    Nicht  so  ?  Nun  wird  auf  sie,  die  sich  selber  halten  können  im  Bewußtsein,  die 
Formel  angewendet,  welche  dem  gilt,  was  unter  der  Schwelle  ist.     "Wie  das?    Im 
übrigen  versteh'  ich  alle  Rechnung  sehr  wohl.   —   Eine   zweite  Bitte  ist,  daß  Sie 
mir  doch  gütigst  einiges  über  die  Fichtesche  |l  und  Kantsche  transcen dentale  Freiheit 
sagen  möchten;  ich  erinnere  mich,  daß  Sie  einmahl  im  Collegio  von  einem   Unter- 
schiede in  den  Vorstellungsarten  beider  sprachen.     Die  Kantsche  denk  ich  umfaßt 
zweierlei,   absolutes  Produciren   der   moralischen  Einsicht  (Selbstgesetzgebung)  und 
absolutes  Produciren  des  "Willens   (Selbstbestimmung),  also  die  Kraft,  das  Princip, 
worin  Einsicht  und  Folgsamkeit  eins  sind.    Wie  nun  Fichte?  Es  thut  mir  leid,  daß 
ich  nicht  schon  als  Sie  hier  waren  darnach  gefragt.    Aber  so  geht  es;  man  achtet  die 
Kostbarkeit  des  Diamants   nie   mehr,   als   wenn  man  ihn  verliehrt.     Es  steht  aber 
fest  bei  mir,  daß  ich  Sie  einmahl  besuche.    Von  Tölken  sind  Nachrichten  aus  Rom ; 
er  studirt  mit  ungeheurem   Fleis  Kunst  und  Alterthum.     Auch  Bruschius   hat  ge- 
schrieben.   Sein  Erziehungsgeschäft  geht  so  gut,  daß  er  erst  kürzlich  eine  annehm- 
liche Stelle  in  seinem  Vaterlande  ausgeschlagen  hat.  —  Sie  schreiben  mir  von  einem 
Plan  des  Herrn  Gottholdt  in  Rücksicht  der  Odyssee.     Die  Wahrheit  zu  sagen  finde 
ich  es  höchst  indiscret,  daß  derselbe  sich  in  etwas  eindrängen  will,  was  längst  unter 
uns  abgemacht  war,  und  was  öffentlich  schon  angezeigt  worden.    Zwar  das  Interesse, 
das  Sie  an  der  Sache  nehmen,  und  dieses,  daß  Sie  schwanken,  wen  Sie  als   Be- 
arbeiter wünschen  sollen,  ist  für  mich  kein  günstiges  Urtheil.     Nichts  destoweniger 
kann  ich,  wenn  anders  Sie  mich  nicht  ganz  untüchtig  glauben,  von  meinem  Recht 
nicht  abstehn,  ||  und  ich  hoffe  nicht,  daß  Herr  Gotth.  wiid  den  Streit  erheben  wollen. 
Himmel   das  Feld  der  Paedagogik  ist  ja  so  groß,  daß  er  Raum  genug  finden  wird; 
warum   nimmt  er  nicht  den  Herodot?    Weil   ich  aber  so  bestimmt  gezwungen  bin, 
mich   zu  erklären,  so   erklär  ich  daß  diesen  Sommer  ich  das  Buch  nicht  schreiben 
kann,  weil  ich  eine  Homerische  Grammatik  vorhabe,  und  ich  zunächst  durch  Philo- 
logie mir  eine  Existenz  verschaffen  muß.    Dieses  fesselt  mich  aber  an  das  Studium 
des  Homer,  daher  weid'   ich  dann  erstlich  für  den  Paedagogischen  Unterricht  eine 
Gr.  schreiben  können,  zweitens,  weil  ich  mehrere  Collegien  jetzt  ausgearbeitet  habe, 
die  paedagogische  Arbeit  selbst  bequemer  vornehmen  können,  was  denn  auch  sofort 
geschehn  wird.     Wollen  Sie  indeß,  daß   es  anders  sei,   so  fürchten  Sie  nichts,   Sie 
wissen,  daß  ich  nie  mich  her  vorgedrängt  habe;  am  allerwenigsten  werde  ich  gegen 
Ihren  Willen  etwas  unternehmen.  —  Über  alles  dieses  hab'  ich  auch  mit  Richthofen 
gesprochen.   —  Diesen  Sommer  les'  ich  wieder  alte  Philosophie  und  Logik;  ich  bin 
neugierig,  wie  weit  Hr.  Schulze  mich  erdrücken  wird.    Butterwek  hat  Naturphilosophie 
angekündigt. 

Mit  inniger  Hochachung  und  Dankbarkeit  Der  Ihrige 

Dissen. 

Herr  Mayer  hat  versprochen,  nächstens  zu  zahlen;  dann  werd'  ich  Ihnen  auch 
das  Geld  für  die  Bücher  übersenden. 


August  —  Oktober   1810.  6g 


22.  Apr.  Rede  an  Kants  Geburtstag.     S.  Bd.  III.     S.  50 — 71. 

7.  Aug. :    Gesuch   wegen    der  Auctorisirung   eines  didaktischen  Instituts  zu  Königsberg. 

S.  Bd.  XIV.     S.  29—32. 

257.  Griepenkerl  an  H.1)  Hofwyl,  d.  28ten  August  1810. 

Einem  langen  Briefe  schicke  ich  dieses  Blättchen  nach,  damit  Sie,  wenn  etwa 
jener  Brief  verloren  ginge,  doch  wenigstens  erfahren,  daß  ich  schrieb.  Die  Ge- 
schichte mit  Dyssen  und  dem  kleinen  Werke  hat  mich  besorgt  gemacht. 

Damit  doch  aber  dieses  Blättchen  nicht  ganz  umsonst  die  weite  Reise  macht, 
so  will  ich  Ihnen  melden,  daß  ich  gestern  von  einem  verständigen  Manne  erfuhr, 
die  meisten  der  von  der  Preußischen  Regierung  nach  Iferten  geschickten,  jungen 
Männer  seien  wacker.  Werden  Sie  auf  diese  Männer  zählen?  Soll  ich  sie  näher 
kennen  zu  lernen  suchen?  Können  Sie  mir  zu  ihrer  Vorbereitung  Aufträge  geben? 
—  Soviel  versichere  ich,  daß  der  Aufenthalt  in  Iferten  einem  gesunden  Kopfe  nicht 
nachtheilig,  sondern  höchst  zuträglich  ist.  Der  dort  herrschende  Geist  feuert  un- 
gemein an  und  macht  berufsfähig. 

Sollte  man  nicht  an  den  analytischen  Unterricht  für  Volksschulen  vor  allen 
Dingen  denken  ?  Er  ist  das  einzige  Mittel,  die  Kinder  den  schädlichen  Einflüssen 
der  häuslichen  Erziehung  zu  entwinden.  Kann  man  der  Schule  nicht  eine  über- 
wiegende Kraft  gegen  die  Mängel  der  häuslichen  Erziehung  geben,  so  wird  man 
immer  noch  nicht  viel  ausrichten.  —  Wie  weit  ist  die  Psychologie?  Sie  wissen,  wie 
diese  mich  interessierte.  —  Was  fangen  Sie  mit  der  Naturphilosophie  an?  Sagen  Sie 
mir  nur  ein  paar  Worte  darüber.  —  Die  Idee  der  Vollkommenheit  macht  mir  viel 
zu  schaffen,  weil  sie  mir  in  den  Künsten  das  meiste  zu  erklären  scheint  und  mich 
mit  dem  Gedanken  immer  plagt.  Symmetrie  und  die  sogenannte  [Einheit]  stören 
mich  auch  immer.  Ewig  der  Ihrige 

F.  Griepenkerl. 
(Nachschrift  an  den  Briefrändern,  auch  der  Adreßseite.) 

Sind  Sie  nicht  dafür,  daß  vor  allem  ein  Central-Seminarium  angelegt  werden  muß, 
wo  Sie  selbst  mit  einigen  Gehilfen  die  Leute  bilden,  welche  nachher  andere  Seminarien 
dirigiren  sollen?  —  Schweins'  System  der  Geometrie  kann  ich  Ihnen  nicht  genug 
rühmen,  ich  bin  ungemein  verblendet,  aber  das  Buch  ist  ganz  aus  achtem  mathe- 
matischem Geiste  hervorgegangen.  Schmids  Einfall,  die  Algebra  nach  Pestalozzis 
Grundsätzen  zu  bearbeiten  ist  so  toll  nicht,  wenn  man  nur  weiß,  daß  die  alten 
Grundsätze  Pestalozzis  dort  untergeschlagen  sind.  Synthesis  ist  Pestalozzis  Methode 
und  synthetisch  kann  die  Algebra  allerdings  bearbeitet  werden.  Schweins  hat  im 
Großen  so  etwas  vor:  er  will  nämlich  die  ganze  Größenlehre  mit  allen  ihren  Zweigen 
als  eine  Wissenschaft  bearbeiten,  der  die  bloße  Zahlenreihe  zu  Grunde  liegt. 2)  Es 
scheint  mir  begreiflich  und  möglich,  ich  möchte  Ihr  Urtheil  darüber  hören. 

In  Ihrer  Pädagogik  S.  17  steht  unten :  aus  Gedanken  werden  Empfindungen  etc. 
wie  geht  das  zu?  Es  scheint  mir,  als  würden  aus  Empfindungen  Gedanken.  Er- 
klären Sie  mir  doch  das  gelegentlich.  Vielleicht  verstehen  wir  das  Wort  Empfindung 
auf  verschiedene  Weise.  Auf  einer  der  letzten  Seiten  Ihrer  Metaphysik  steht: 
Denken  sei  eine  Empfindung  — ,  so  verstehe  ich  es. 

258.  Griepenkerl  an  H.3)  Hofwyl  d.  lten  Oktober  1810. 

Sie  schreiben  mir  in  Ihrem  letzten  Briefe,  daß  Sie  jetzt  Sich  mit  Natur- 
philosophie beschäftigen.    Dies  ist  mir  völlig  unverständlich.    Ihr  System  ist  realistisch 

*)  2  S.    4°.     H.  Wien. 

2)  Franz  Ferd.  Schweins  (1780—1856),  vgl.  Allg.  D.  Biogr.     Bd.  33,  S.  364- 

3)  4  S.    4°.     H.  Wien. 


7o 


Oktober   1810. 


und  razional.  Giebt  es  außer  dem  Realismus  noch  sonst  eine  Naturphilosophie? 
Mir  scheint,  als  dürften  Sie  zwar  in  Ihre  Metaphysik  noch  so  viele  Probleme  auf- 
nehmen, als  sich  geben;  aber  außer  der  Metaphysik  und  der  praktischen  Philo- 
sophie muß  Ihnen  ein  Drittes  neues  völlig  fremd  sein.  Was  diese  Ihre  beiden 
Systeme  nicht  umfassen,  das  —  so  scheint  es  mir  —  könne  füglich  dem  Meinen, 
Glauben  oder  Hoffen  überlassen  bleiben.  Eine  Lehre  aber,  wie  man. Meinen, 
Glauben  oder  Hoffen  dürfe,  scheint  mir  eine  misliche  Sache,  wenigstens  möchte 
ich  nicht,  daß  sich  ein  Philosoph  daran  machte;  denn  der  soll  das  Wissen  lieben. 
Ärmlich  und  klein  muß  stets  jede  Metaphysik  dastehen;  aber  ich  für  mein  Theil 
bin  gern  mit  diesem  Wenigen  zufrieden,  weil  ich  nicht  gern  die  Gesundheit  und 
Gediegenheit  des  Denkens  um  einen  größeren  Besitz,  der  doch  nur  Täuschung  sein 
könnte,  aufgeben  möchte.  Es  bleibt  der  Phantasie  noch  so  unendlich  viel,  zwar 
Täuschung,  doch  ein  erfreulicher  Besitz,  den  das  Unsichere,  ist  es  erkannt,  wenig 
verkümmert.  Mir  wenigstens  würde  ihn  nie  eine  menschliche  Metaphysik  rauben 
können,  sei  sie  auch  die  menschlich  vollkommenste.  Zu  dem  Meisten  in  der  Natur 
giebt  die  Erfahrung  nicht  die  hinreichenden  Vordersätze,  woher  sollen  die  Schlüsse 
kommen?  Konnte  auch  Gaus  gegen  alle  hergebrachte  Regel  eine  Methode  erfinden, 
nach  welcher  der  Standpunkt  eines  Himmelskörpers  berechnet  werden  konnte,  ohne 
daß  man  alles  gegebene,  wie  man  es  sonst  zu  solchen  Rechnungen  bedurfte,  bei- 
sammen hatte  — :  so  wird  doch  der  Metaphysik  in  ihrem  Reiche  dergleichen  nie 
gelingen.  —  Sie  sehen  jetzt  deutlich,  wo  ich  stehe  und  ich  bitte  Sie  nun,  mich 
darüber  aufzuklären.  Daß  ich  irre,  glaube  ich;  aber  ich  möchte  es  gern  wissen 
und  zwar  durch  Sie,  weil  ich  nicht  selbst  Zeit  habe  es  klar  zu  denken. 

Noch  einige  Einfälle  will  ich  hersetzen,  woraus  Sie  sehen  werden,  in  welchem 
Verhältniß  ich  jetzt  zu  der  Metaphysik  stehe.  ||  z.  B.  a)  Wäre  ich  Ihr  Gegner,  so 
würde  ich  Sie  bei  den  zufälligen  Ansichten  angreifen.  Ihre  angeführten  Beispiele 
würde  ich  alle  gelten  lassen,  würde  mich  anheischig  machen,  noch  eine  ungezählte 
Menge  anderer  hinzuzufinden ;  würde  aber  diese  Art  der  Werdung  und  Verwand- 
lung des  gleichen  Gedankens  aus  anders  und  anders  zusammengesetzten  Vorstellungen 
völlig  von  der  Metaphysik,  als  ein  außer  wesentliches,  von  außen  angepasstes  Glied, 
zu  trennen  suchen  und  in  Ihr  Gebäude  dadurch  eine  Lücke  reißen,  in  welche 
manches  andere  Benachbarte  dann  auch  hineinstürzen  müßte,  ich  sage,  dies  würde 
ich  thun,  wenn  ioh  Ihr  Gegner  wirklich  wäre  oder  es  aus  Laune  gerade  sein  wollte. 

b)  Die  Methode  der  Beziehungen  lasse  ich  unangerührt;  aber  was  würden  Sie 
zu  einem  Menschen  sagen,  der  den  anscheinend  unsinnigen  Einfall  hätte,  die 
Abstrakzion  der  höchsten  Begriffe  also  vorzunehmen,  daß  er  während  des  Ab- 
strahirens  alle  Beziehungen  mit  dächte,  und  also  die  Methode  überflüssig  machte? 
—  Wie?  wenn  eine  Pädagogik  im  Reich  der  Erkenntniß  sich  solche  Zwecke  vor- 
setzte? Ob  das  möglich  wäre?  Nachdem  die  Beziehungen  ein  Mal  gefunden  sind,  ist 
es  sicher  möglich.  —  —  ich  muß  gestehen,  daß,  wenn  jemand  sich  etwa  so  über 
Ihre  Metaphysik  äußerte,  ich  nicht  im  Stande  wäre,  ihm  mit  völligem  Bewusstsein 
zu  antworten ;  es  würde  ein  für  mich  mißlicher  Streit.  —  —  Hat  sich  der  Skeptiker- 
Schulz  noch  nicht  gegen  Sie  gestellt?  Eine  Recension  Ihrer  Systeme,  die  mir  zu 
Gesicht  kam,  war  höchst  elend.  Eine  andere  Recension  Ihrer  Pädagogik  —  Pictet 
hatte  sie  im  Julius -Hefte  seiner  Bibl.  Britann.  aus  einem  Londoner  Blatte  ins 
Französische  übersetzt  —  war  nicht  minder  ohne  alle  Besinnung.  Es  hieß  darin, 
daß  Sie  zwei  Haupttheile  der  Pädagogik,  nämlich :  die  Bildung  des  Gedächtnisses  und 
der  Phantasie  völlig  übersehen  hätten.  Ferner  meinte  er,  man  könne  die  Pädagogik 
nicht  tiefer  hinuntersetzen,  als  wenn  man  ihr  die  Zwecke  des  künftigen  Mannes  im  || 
Kinde  vorsetzte,  die  Erziehung  vermöge  etwas  mehr  als  das  —  und  was  dergleichen 


Oktober  1810.  71 


sinnloses  Geschwätz  mehr  war.  Zuletzt  sagt  er,  man  würde  finden,  daß  er  trop 
comun  über  den  Gegenstand  gesprochen  habe,  dieser  aber  wäre  encore  plus 
comun.  —  —  — 

Erwarten  Sie  noch  etwas  Rechtes  von  dem  Verstände  Ihrer  Zeitgenossen  in 
Europa?  —  ich  muß  gestehen,  daß  ich  bei  weitem  mehr  von  der  Willenlosigkeit 
derselben  erwarte,  und  von  der  Noth,  die  nach  und  nach  gräslich  hereindringt.  Wer 
da  Willen  hat  für  alle,  wer  da  helfen  kann,  der  ist  willkommen,  der  kann  würken; 
denn  in  seiner  Hand  hat  er  den  ganzen  Haufen  mit  seinen  angebor nen  Führern. 

Meine  Achtung  für  Fichte  war  immer  noch  sehr  groß,  bis  ich  neulich  erfuhr, 
daß  er  ein  Buch  geschrieben  hat,  in  welchem  er  sein  System  aus  der  Bibel  ableitet. 
Aber  so  ist  es  von  jeher  in  der  Welt  gewesen,  daß  der  Mensch  es  mit  der  Narrheit 
versucht,  wenn  er  mit  der  Vernunft  nicht  mehr  durchkommt.  —  Diese  ungeheuer 
egoistische  Philosophie  bestätigt  sich  nun  ganz  in  ihrem  Charakter. 

Wolf  ist  ja  nun  aus  Berlin  vertrieben  und  Sie  haben  einen  Gegner  weniger. 
Der  Grund  übrigens,  welcher  in  der  allgemeinen  Zeitung  dafür  angeführt  wurde,  ist 
ein  leidiger  Grund  und  wird  gewiß  alle  rechtlichen  Männer  abhalten,  nach  Berlin 
zu  gehen.  Auf  die  Weise  müsten  Sie  jetzt  auch  verbannt  werden,  weil  Sie  mir 
schreiben,  daß  an  der  Universität  in  Königsberg  nichts  sei. 

So  richtet  man  das  Bischen  gute  Meinung,  welches  noch  übrig  war,  auch  zu 
Grunde  und  macht,  daß  die  warm©  Theilnahme,  mit  welcher  so  viele  erfüllt  sind, 
scheu  zurückbebt.  Aber  vielleicht  bindet  Wolf  selbst  den  armen  lesenden  Menschen 
dergleichen  Possen  auf.  —  —  Tölken  war  vor  ein  Paar  Tagen  bei  mir.  Er  hat 
durch  seinen  zweijährigen  Aufenthalt  in  Rom  gewonnen  und  verloren.  Gewonnen 
an  mancherlei  Kenntniß,  verloren  an  philosophischem  Ernst  —  er  ist  noch  nicht 
Mann,  weniger  als  ers  vorhin  war.  [|  Vielleicht  werden  wir  ihn  als  Lehrer  der  neueren 
Geschichte,  der  neueren  Litteratur  und  der  neueren  Sprachen  bei  uns  anstellen, 
wenn  er  vorher  sich  noch  eine  Weile  in  Paris  aufgehalten  hat.  Jetzt  reiset  er  für's 
erste  nach  Bremen.  Langwerth  soll  sehr  in  Noth  sein  —  wissen  Sie  etwas  von 
ihm?  Können  Sie  ihm  nicht  etwa  helfen?  Ich  weis  durchaus  nichts  von  ihm.  Be- 
komme ich  noch  den  Tölken,  so  habe  ich  dann  schon  drei  Menschen  in  meiner 
Nähe,  mit  denen  ein  Mal  etwas  Außerordentliches  anzufangen  und  auszuführen  ist. 
Machen  Sie,  daß  wir  Ihnen  nicht  zuvorkommen.  —  —  —  Untersuchen  Sie  doch, 
was  ich  Ihnen  neulich  von  der  Anwendung  der  Gesetze  des  Geschmacksurtheile  auf 
die  Vorstellung  der  krummen  Linie  schrieb.  Die  ästhetik  der  Formen  gewönne  da- 
durch ihren  ersten  Satz. 

S.  85  der  Metaphysik,  wo  gefragt  wird,  in  welchem  Verhältniß  sich  die  Thätig- 
keiten  hemmen  werden,  kann  ich  nicht  begreifen,  woher  die  unten  angegebenen 
Veihältnißzahlen  kommen  — ;  sagen  Sie  mir  doch  das  gelegentlich.  Sie  wissen,  ich 
verstand  damals  nichts  davon,  weil  ich  keine  Mathematik  wüste  —  jetzt  werde  ichs 
verstehen.  Lesen  Sie  doch  das  Buch:  Fragmente  aus  dem  Nachlasse  eines  jungen 
Physikers,  herausgegeben  von  J.  W.  Ritter  Heidelberg  bei  Mohr  und  Zimmer  1810. 
8.  2  B.  Viel  Halbes  und  viel  Herrliches  ist  darin.  Herders  Tochter  habe  ich  diesen 
Sommer  kennen  gelernt.  Sie  ist  die  liebenswürdige  Frau  eines  achtungswerthen 
Mannes  und  gleicht  sehr  der  Herderschen  Poesie.  —  —  — 

Kürzlich  ist  einer  von  den  nach  Pestalozzi  gesandten  Preußen,  ein  gewisser 
Braun,  schleunig  nach  Berlin  zurückgerufen  worden.  Noch  ist  er  nicht  abgereist, 
ich  habe  ihn  einladen  lassen,  mich  vorher  zu  besuchen.  Ist  er  der  Mensch  danach, 
so  werde  ich  ihm  manches  sagen,  ist  er  nicht,  wie  er  sein  muß,  so  laße  ich  ihn 
ziehen. 

Dies  ist  der  fünfte  Brief,  den  ich  Ihnen  schicke   —   ich  hoffe,  Sie  werden 


y  2  Oktober   1810. 


meine  Beharrlichkeit  nun   nicht  wieder  so  lange  erproben  wollen,   es  möchte  mich 
sonst  bös  machen  und  meiner  Beharrlichkeit  eine  andere  Richtung  geben. 
Von  ganzem  Herzen  grüßt  Sie  Ihr  treuer 

F.  Gpkl. 

259.     Griepenkerl  an  H.1)  Hofwyl,  19 ten  Oktober  1810. 

Ihre  Freimüthigkeit  kann  ich  wohl  ertragen,  ich  bin  selbst  gern  freimüthig 
und  muß  wünschen,  daß  jeder,  der  mit  mir  in  ein  näheres  Verhältniß  tritt,  sie  auch 
von  mir  ertragen  könne.  Nehmen  Sie  meinen  wärmsten  Dank  für  Ihren  Brief  und 
möge  Sie  niemals  irgend  etwas  abhalten,  freimüthig  mir  zuzureden,  ich  werde  es 
als  einen  Beweis  der  Achtung  von  Ihnen  aufnehmen.  Kein  Verhältniß  ist  rein, 
nach  meiner  innigsten  Überzeugung,  in  welchem  nicht  von  beiden  Seiten  die  heiterste 
und  freiste  Offenheit  herrscht,  ich  war  schon  in  mancherlei  Verhältnissen,  deren 
Innigkeit  stets  daran  scheiterte,  daß  die  andere  Parthei  die  streitigen  Punkte  um- 
ging, aus  Furcht,  die  äußere  gute  Form  des  Umgangs  zu  verletzen.  Mir  liegt  nichts 
mehr  an  der  äußeren  guten  Gestalt,  wenn  die  innere  Harmonie  in  Gefahr  ist;  diese 
zu  retten,  ist  mein  erster  Gedanke,  und  da  bedarfs  der  Freimüthigkeit  und  Offenheit. 
Wollen  wir  es  so  miteinander  halten?  Sie  werden  diese  Wohlthat  mir  nicht  weigern, 
so  wahr  Sie  ein  ächter  deutscher  Mann  sind.  Sie  sagen  in  Ihrem  Briefe:  „Über- 
einstimmung zwischen  uns  beiden  müsse  bleiben"  —  jene  Freimüthigkeit  von  beiden 
Seiten  wird  die  Hauptbedingung  ihrer  Befestigung  und  Erhaltung.  Wir  würden 
bald  selbst  in  bedeutenderen  Dingen  nicht  mehr  übereinstimmen,  wenn  wir  einander 
den  Mangel  daran  in  unbedeutenderen  Angelegenheiten  verbergen  wollten.  Mis- 
verständnisse  unaufgeklärt  auf  sich  beruhen  zu  lassen,  wäre  mir  nun  gar  ein  un- 
erträglicher Gedanke,  deshalb  müssen  Sie  mir  es  verzeihen,  wenn  ich  sogleich  mit 
der  Aufhellung  von  einigen  anfange. 

Die  pädagogische  Zeitschrift  unseres  Institutes  war  dem  Publicum  schon  einige 
Monate  früher  verheißeu,  als  ich  von  Ihnen  erfuhr,  daß  Sie  auch  dergleichen  unter- 
nehmen wollten.  Sie  hat  zum  Zweck,  nach  und  nach  die  einzelnen  großen  Parthien 
der  Erziehung  und  des  Unterrichts  nach  einem  Plane  ausgearbeitet  zu  liefern.  Die 
Zwischenräume  von  einem  Heft  zum  andern  können  leicht  Jahre  groß  sein.  ||  Es 
wäre  unverzeihliche  Vernachlässigung,  wenn  wir  nicht  einen  Verein  von  Kräften, 
wie  er  hier  statt  findet  und  noch  geschaffen  werden  soll,  zu  solchen  Arbeiten  be- 
nutzen wollten.  Übernimmt  jeder  von  uns  hier  ein  einzelnes  Fach,  so  sind  wir 
entweder  sehr  faul  und  untauglich  zu  dergleichen  Arbeiten,  oder  wir  sind  in  */4  Jahr- 
hundert damit  fertig.  Indeß  aber  werden  sich  Erfahrungen  genug  bei  uns  sammeln, 
welche  gerade  nicht  geeignet  sind,  mit  jenen  großen  Arbeiten  vereinigt  zu  werden, 
es  wird  das  Interesse  der  Erziehungsanstalt,  der  Schullehrerbildungsanstalt  und 
der  Armenschule  es  erheischen,  daß  wir  diese  nicht  auf  dem  weitesten  Wege  dem 
Publicum  bekannt  machen  — :  und  dazu  haben  wir  gewisse  Zwischenblätter  bestimmt, 
welche  den  Raum  von  einem  großen  Hefte  zum  andern  in  unbestimmter  Zeit  füllen 
sollen.  Wir  sind  von  keinem  Staate  begünstigt,  unsere  ganze  Würksamkeit  hängt 
an  dem  Zutrauen  des  Publikums,  dieses  uns  zu  erhalten  und  es  noch  fester  zu  be- 
gründen, müssen  wir  manche  Schritte  thun,  welche  wir  sonst  wohl  ungethan  lassen 
würden. 

An  diesen  Vorsätzen  kann  ich  nun  gar  für  mich  allein  nichts  mehr  ändern.  Die 
Vorschläge  dazu,  die  Gedanken  dazu  u.  s.  w.  rühren  allerdings  von  mir  her;  jetzt 
aber  sind   sie  gemeinschaftlicher  Beschluß  des  Institutes;  als  solcher  sind  sie  dem 

a)  8S.    kl.  4°.    H.  Wien. 


Oktober  1810.  73 


Publikum  schon  vor  einigen  Monaten  vorläufig  verheißen,  ich  also  kann  Ihnen  nicht 
weichen,  so  sehr  ich  mich  auch  von  Achtung  für  Ihre  Absichten  und  für  Ihre  Person 
dazu  gedrungen  fühle.  Dem  Verdachte  der  Vielschreiberei  aber  hoffte  ich  mich 
nicht  auszusetzen,  als  ich  Ihrer  Aufforderung,  an  Ihrem  Journal  mitzuarbeiten,  zu 
folgen  versprach;  denn  damit  war  nicht  gesagt,  daß  ich  nun  alle  Monate  mit  einem 
weitläufigen  Aufsatze  hervortreten  wolle.  Jene  pädagogischen  Miscellen  werden  mich 
nicht  viel  Mühe  und  nicht  viel  Zeit  kosten,  indem  ich  blos  die  Redakzion  |j  über- 
nommen habe  und  zu  nichts  weiterem  verpflichtet  bin,  als  zu  einem  Aufsatze 
höchstens  alle  halbe  Jahr.  Ihnen  würde  ich  auch  halbjährlich  einen  solchen  ge- 
liefert haben,  würde  mich  vielleicht  verbindlich  gemacht  haben,  meine  Erfahrungen 
über  ein  einzelnes  Unterrichtsfach  in  einem  fortlaufenden  Zusammenhang  halb- 
jährlich zu  liefern.  Unserem  pädagogischen  Blatte  hätte  ich  das  ohne  Umstände 
entziehen  können.  Da  Sie  aber  mit  Recht  vermuthen,  daß  zwei  pädagogische  Zeit- 
schriften, die  ohne  das  viel  Ähnliches  haben  müßten,  nicht  neben  einander  bestehen 
können;  und  wir  aus  den  oben  angeführten  Gründen,  unsere  Zeitschrift  mit  ihrem 
doppelten  Zwecke  nicht  aufgeben  können :  so  scheint  mir  Ihr  Vorschlag  sehr  annehmlich 
und  alles  Dankes  werth.  Nur  weiß  ich  nicht,  ob  noch  Zeit  genug  zu  der  Prüfung  übrig 
ist,  welche  Sie  vorschlagen.  Die  Stimme  des  Publicum s,  wie  Sie  aus  eigner  Erfahrung 
wissen,  entscheidet  wohl  für  den  Erfolg:  aber  für  den  Werth  der  Sache  sehr  wenig; 
und  wie  spät  entscheidet  sie?  Der  Beifall  Ihrer  Freunde  ist,  wie  ich  Ihnen  aufs 
"Wort  glaube,  entscheidend.  Stellten  Sie  hingegen  den  Beifall  derselben  in  Ihrem 
sehr  geschätzten  Briefe  nicht  als  entscheidend  auf,  so  würde  ich  nicht  umhin 
können,  mich  an  einem  Aufsatz  von  Bissen  über  Geschichte  zu  erinnern,  an  die  Rolle, 
welche  Thiersch  in  unserer  Privatsocietät x)  und  in  Ihrer  Metaphysik  spielte,  auch 
daran,  daß  Sie  mir  einst  bestimmt  sagten,  Kohlrausch  sei  ein  Fichteaner.  Was 
sagen  Sie  zu  folgendem  Vorschlage?  Sie  Selbst  verantworten,  was  Sie  einsenden, 
ich  verantworte  (oder  vielmehr  das  hiesige  Institut)  was  ich  einrücken  lasse,  ich 
werde  alle  Kräfte  aufbieten,  um  solche  Arbeiten  zu  liefern,  in  deren  Gesellschaft 
aufzutreten  weder  die  Ihrigen  noch  die  Ihrer  Freunde,  sich  zu  schämen  Ursache 
haben  sollen,  wenn  sie  auch  hinter  den  Ihrigen  weit  zurückstehen.  || 

Darüber  bitte  ich  Sie  dringend,  mir  gleich  zu  schreiben.  Werden  wir  einig, 
so  übergebe  ich  dann  dem  Publikum  eine  vollständige  Ankündigung  worin  auch  von 
Ihren  Beiträgen  und  von  denen  des  didaktischen  Institutes  die  Rede  sein  wird.  Eine 
Abschrift  davon  übersende  ich  dann  Ihnen  mit  der  Bitte,  es  in  die  bei  Ihnen  ge- 
lesenen Blätter  zu  befördern.  —  Sauerländer  in  Aarau  hat  sich  endlich  entschlossen, 
den  Verlag  zu  besorgen,  sich  aber  vor  der  Hand  auf  kein  Honorar  eingelassen,  also 
kann  auch  ich  vor  der  Hand  noch  keins  versprechen,  sobald  aber  dergleichen  sich 
bietet,  werde  ichs  gewissenhaft  vertheilen.  Die  würdigen  Lehrer  an  Ihrem  didak- 
tischen Institut  bitte  ich  von  mir  herzlich  zu  grüßen,  sie  meiner  Theilnahme  an 
ihrem  Geschäfte  zu  versichern,  und  daß  ich  mit  nicht  geringer  Erwartung  ihren  Arbeiten 
entgegen  sehe.  Ich  freue  mich  außerordentlich  auf  die  Verbindung,  der  wir  ent- 
gegensehen und  verspreche  mir  die  herrlichsten  Erfolge  davon.  Noch  ein  Mis- 
verständniß  habe  ich  aufzuhellen.  Stets  bildete  ich  mir  ein,  Sie  wünschten  in  ganz 
Preußen  ein  pädagogisches  Oanxes  zu  schaffen,  bis  Sie  mir  den  Wahn  durch  Ihren 
letzten  Brief  nahmen.     In  meiner  Phantasie   sah  ich  Sie  dahin  streben  und  fragte 


J)  Eine  ,, Unterhaltungsstunde" ,  die  Herbart  mit  seinen  Vorlesungen  über 
Pädagogik  zu  verbinden  pflegte.  Vgl.  Zillers  Reliquien  usw.,  S.  162,  Anm.  1; 
Dissens  Kl.  Schriften,  S.  73,  Kohlrauschs  Erinnerungen,  S.  109  und  0.  \Villma.nn, 
Herbarts  päd.  Schriften  (Leipzig  1880)  I.  Bd.,  S.  567  ff.  S.  ferner  den  Brief  Thierschs 
an  H.  v.  2.  Apr.  1812,  S.  88. 


74 


Oktober   1810. 


sorglich:  Ei,  ei,  sind  denn  zu  solch,  einer  Unternehmung  die  Menschen  hei  der 
Hand?  Sind  die  nöthigen  Unterrichtsfächer  ausgearbeitet?  —  Tragen  die  Worte 
in  meinem  Briefe  den  Charakter  nicht  bestimmt  in  sich,  so  habe  ich  in  der  Dar- 
stellung gefehlt,  in  meinem  Sinne  war  nichts  von  der  Frage,  wie  Sie  sie  verstanden. 
Doch,  ich  muß  mich  auch  darin  rechtfertigen,  daß  ich  Ihnen  ein  solches  Streben 
unterschieben  konnte,  wogegen  Sie  Sich  so  streng  erklären,  ich  muß  bestimmt  sagen, 
wie  ich  mirs  dachte.  ||  Es  scheint  mir  nämlich  eines  Philosophen  vollkommen  würdig, 
sich  unter  den  Zeitgenossen  eine  Stelle  zu  wünschen,  wie  ich  sie  jetzt  beschreiben 
will.  Nichts  von,  einem  Centrum,  aus  welchem  Befehle,  Normen  des  Unterrichts, 
welche  aufgedrungen  werden,  hervorgehen;  sondern  eine  freie  Gesellschaft  und  Sie 
an  der  Spitze  derselben  mit  völliger  Freiheit,  eine  Pädagogik  in  Ausübung  zu  bringeu, 
welche  von  Ihnen  vorgetragen  und  von  jener  Gesellschaft  gebilligt  würde.  Sie 
würden  dann  ein  Seminarium  errichten,  in  welchem  Männer  gebildet  werden  sollten, 
die  künftig  den  einzelnen  Seminarien  in  den  verschiedenen  Kreisen  des  Königreiches 
vorzustehen  bestimmt  wären.  Aus  diesen  Seminarien  endlich  würden  nach  und  nach 
die  erledigten  Schullehrerstellen  besetzt  werden.  So  würde  das  Ganze  nach  einem 
Geiste  nach  und  nach,  vielleicht  erst  in  30  Jahren  organisirt  sein,  und  nicht  auf 
Befehlen  und  aufgedrungenen  Normen,  sondern  auf  geistiger  Übereinstimmung  be- 
juhen.  Jene  Gesellschaft,  deren  beständige  Fortdauer  der  Staat  sichert,  würde  ge- 
halten sein,  über  das  Bestehen  des  Ganzen  zu  wachen.  Die  Grundgedanken  müßten 
unwandelbar  fest  stehen,  die  Maniren  der  Ausübung  möchten  sich  ändern. 

Erinnern  Sie  Sich,  daß  ich  in  einem  meiner  letzten  Briefe  darauf  hindeutete? 
Verwerfen  Sie  die  Ausführung  dieses  Traumes  auch?  —  Ob  ich  dadurch,  daß  ich 
diesen  Traum  liebe,  zu  den  seichten  Reformatoren  gehöre?  —  Ob  ich  wohl  über 
dem  pädagogischen  Würken  die  Pädagogik  vergaß?  —  —  —  —  Vom  analytischen 
Unterrichte  könnte  ich  manches  sagen,  es  ist  aber  für  einen  Brief  zu  wTeitläuftig,  in 
meinem  Buche  ist  etwas  davon  vorhanden.  Sehr  schwer  ist  die  Ausführung;  jeder 
ungeübte  muß  vor  den  Kindern  sehr  häufig  in  Verlegenheit  kommen,  wenn  er  nicht 
||  schwatzen  will.  Der  Erfolg  ist  augenscheinlich  groß.  Gerade  durch  den  analytischen 
Unterricht  kann  man  bewürken,  was  Sie  vielleicht  leugnen,  daß  das  Kind  in  seinem 
geistigen  Heranwachsen,  beständig  geistig  gesund  bleibe.  Der  synthetische  Unterricht 
bleibt  dessen  ungeachtet  in  seinen  Ehren.  —  Dem  analytischen  Unterrichte  ver- 
danken wir  allein  die  Heilung  unserer  Zöglinge,  die  wir  alle  verzogen  und  ver- 
schroben erhielten.  Lange  wollte  die  Synthesis  nicht  wurzeln,  natürlich,  denn  die 
Phantasie  war  verwildert  und  an  unstätes,  unklares  Schwärmen  über  der  Um- 
gebung gewöhnt.  Der  Analysis  gelang  es,  den  Blick  zu  fesseln,  nach  und  nach  den 
trüben  Vorstellungskreis  zu  erhellen  und  gewisse  Bedürfnisse  zu  erregen,  welche 
die  Synthesis  zu  befriedigen  versprach.  So  war  Interesse  für  sie  gewonnen,  denn 
auch  das  Abstrakte,  womit  sie  jedes  Mal  anfängt,  war  vorher  durch  Analyse  gefunden. 
In  Sachen  der  Theilnahme  lieferte  uns  die  kindliche  Gesellschaft  für  die  Analysis 
den  ersten  Stoff  reichlich.  Über  diese  ließe  sich  vieles  sagen  —  ich  verstehe  ohne 
sie  nicht  zu  erziehen.     Ein  ander  Mal  schreibe  ich  mehr  darüber. 

Nun  noch  etwas  von  meinen  Versuchen  mit  den  krummen  Linien  für  Form- 
ästhetik. Die  Symmetrie  bei  Seit,  denn  die  Gesetze  derselben  scheinen  mir  klar  zu 
sein,  wie  es  der  Rhytmus  in  Musik  und  Poesie  ist.  Bald  nachdem  ich  Ihnen  zum 
letzten  Male  von  der  Ellipse  schrieb,  wurde  ich  gezwungen,  meine  Versuche  mit 
ihr  aufzugeben,  weil  ich  eben  nichts  fand.  Endlich  fiel  mir  ein,  daß  jede  krumme 
Linie  ein  solches  Kurtinum  [?]  von  Vorstellungen  sei,  worin  der  Gegensatz  allmälig 
wächst  (wenn  auch  nicht  gleichmäß)  ich  dachte  also  darauf,  ob  man  nicht  in  ihr  die 
Punkte  nach  demselben  Gesetze  finden  könne,  welches  Sie  in  Ihrer  ||  Metaphysik  ent- 


Oktober  1810. 


75 


wickeln  und  nach  welchem  die  Punkte  auf  der  Tonlinie  hervortreten.  Der  Kürze 
wegen  nahm  ich  die  schon  vorhandenen  Zahlen  der  Tonverhältnisse,  machte  sie  zu 
Ordinaten  und  suchte  zu  ihnen  die  Abscissen,  und  dann  die  gesuchten  Punkte  in 
der  krummen  Linie  zu  finden.  Von  der  längsten  Ordinate  im  Kreise  fing  ich  an, 
setzte  den  Durchmesser  =  a  =  2  also  die  längste  Ordinate  =  y  =  1.  Nachher  setzte 
ich  die  Verhältnißzahlen  der  Sekunde,  Terz  u.  s.  w.  für  y  und  löste  danach  folgende 
Aufgaben. 

Die  Gleichung  für  den  Kreis  ist:  y2  —  x  (a  —  x) 
Für  die  Sekunde 


l|)2  =  x  (2  -  x) 
x  =  1,458122  .  . 

Für  die  kleine  Terz 

m?  =  x(2-x) 

x  =  1,536736  .  . 
Für  die  große  Terz 

(| )2  =  x  (2  -  x) 

x  =  1,6 

Für  die  Quarte 

(|-)2  =  x  (2  -  x) 
x  =  1,661437  .  . 


lür  die  Quinte 

(f)2  =  x  (2  -  x) 
x  =  1,745357  .  . 

Für  die  Sexte 

(in)2 =x(2-x) 

x  =  1,802764  . 
Für  die  Septime 

(A)»  =  x  (2  -  x) 

x  =  1,845905  .  . 

Für  die  Oktave 

(-i)2  =  x  (2  -  x) 
x  =  1,866025  .  . 


Da  ich  nun  einmal  im  Rechnen  war,  so  suchte  ich  in  der  Ellipse  die  gleichen 
Größen,  indem  ich  die  große  Axe  =  a  =  4  setzte,  die  kleine  Axe  =  c  =  2,  den 

c'      22 
Parameter  =  b  =  —  =  -j-=  1,   die   längste   Ordinate  =  y  =  1.     Da   nun   die 

Gleichung  für  die  Ellipse  ist:  y2  =  bx  —  —  x2,    so    entstehen   daraus,    wenn  ich 
für  y  nacheinander  die  Verhältnißzahlen  der  Intervalle  setze,  folgende  Aufgaben: 


Sekunde 

(t)2  =  *-T 

x  =  2,916244  . 

Kleine  Terz 
x2 

X~T 

3,073473 
Große  Terz 


mv 


X 


x  =  3,2 
Quarte 

(i)2  =  *~T 
x  =  3,322498 


Quinte 

(»*  =  *  - 


x 


(1  6  1\2  —  r 
\  2"  7  0  /     —  X 


4 

x  =  3,490713 

Sexte 

T 
x  =  3,605529 

Septime 

(tV)2=^-|> 

x  =  3,691810 
Oktav 


(i)2  =  *  - 


x 


x  =  3,732050  =  2  +  V3 

Darauf  zeichnete   ich  mir  einen  Kreis  und   eine  Ellipse  mit  den  gefundenen 

Abscissen  und  Ordinaten,  verband  dann  nach  der  musikalischen  Harmonie  zuerst  im 

Kreise,  dann  in  der  Ellipse  die  Punkte  in  der  Curve,  welche  mir  die  Ordinaten  zeigten 

und  fand  —  lauter  gefallende  Verhältnisse.     Die   Schönheitslinie,  welche  Hogarth 


76 


Oktober   1810. 


•wahrscheinlich  ohne  tiefere  Besinnung  gemacht  hat,  läßt  sich  auf  gar  verschiedene 
Weise  daraus  darstellen  u.  s.  w.  Auch  die  gradlinichten  Figuren,  welche  im  Kreise 
und  in  der  Ellipse  liegen  mögen  zeichnete  ich,  und  fand  die  in  der  Baukunst  an- 
gegebenen Säulen  Verhältnisse,  die  aber  auf  tausend  verschiedene  Weise  noch  anders 
möglich  sind,  richtig.  Leicht  läßt  sichs  nach  Anleitung  der  musikalischen  Harmonie 
noch  weiter  fortsetzen,  schwer  aber  sind  die  Gründe  dafür  anzugeben. 

Warnen  Sie  mich  nicht  bestimmt  davor,  so  theile  ich  diesen  Versuch  als 
solchen,  der  sich  noch  zu  keiner  Anwendung  und  Ausführung  schickt,  dem  Publicum 
mit.  Nun  darf  ich  Sie  nur  noch  bitten,  mir  über  alles  dieses  sogleich  zu  schreiben 
der  Druck  meiner  Schrift  beginnt  in  den  nächsten  Wochen.  Die  Ankündigung  darf 
also  nicht  länger  aufgeschoben  werden,  als  ein  Brief  nach  Königsberg  gehen  und 
wieder  zurückkommen  kann. 

Thun  Sie  es  gern  und  ist  es  in  der  Kürze  möglich,  so  theilen  Sie  mir  über 
Ihre  Entdeckungen  in  Naturphilosophie  und  Psychologie  etwas  mit. 

Wie  steht  es  jetzt  mit  Zeller? 

Vor  dem  unanständigen  Parteiwesen  sind  Sie  von  meiner  Seite  sicher. 

Stets  der  Ihrige  F.  Griepenkerl. 

W.:  5.  Dez.  Über  Erziehung  unter  öffentlicher  Mitwirkung.     Vorgelesen  in  der  K.  D. 
Gesellschaft  zu  Königsberg.     S.  Bd.  III.     S.  73— 82. 


1811. 

W.:  Psychologische  Bemerkungen  zur  Tonlehre.    S.  Bd.  III.    S.  07 — 118.  —  Berichte 

über    die    Sitzungen    der    "Wissenschaftlichen   Deputation.      S.  Bd.  XV.      S.  242 — 247. 

18.  Jan.     Über  die  Philosophie   des  Cicero.    —    (Vorgelesen   in   der   k.    d.  Gesellschaft 

zu  Königsberg  am  Krönungstage.)     S.  Bd.  III.     S.  83 — 95. 

260.     Griepenkerl  an  H.1)  Hofwyl  am  löten  März  1811. 

ich  hatte  im  Sinne,  mein  verehrter  Freund,  Ihnen  einen  langen  Brief  voll 
Metaphysik  zu  schreiben  und  wurde  stets  durch  meine  Geschäfte  daran  verhindert, 
ich  kann  es  auch  jetzt  noch  nicht;  aber  die  Pflicht,  Ihnen  für  Thr  ehrenvolles  An- 
erbieten zu  danken,  darf  ich  nicht  länger  verschieben,  ich  wünsche  nur,  daß  unsere 
Zeitschrift  Ihrer  Beiträge  stets  würdig  sein  möge.  Leider  verzögert  sich  die  Heraus- 
gabe meiner  Schrift  noch  ein  wenig,  weil  ich  hin  und  wieder  Schwierigkeiten  finde, 
die  ich  nicht  leicht  und  schnell  zu  besiegen  vermag.  Doch  sehe  ich  das  Ziel  schon 
sehr  nahe.  Sobald  das  "Werk  abgeschlossen  ist,  werde  ich  eine  weitläuftige  An- 
kündigung machen  und  Sie,  nach  Ihrer  gütigen  Erlaubniß  als  Mitarbeiter  nennen, 
ich  danke  Ihnen  herzlich  für  Ihre  "Warnung  in  Beziehung  auf  meine  Versuche 
mit  den  Formen.  Sie  sind  mir  seither  auch  noch  verdächtig  geworden,  indem  ich 
andere  Wendungen  wagte,  die  aber  vom  endlichen  Resultate  und  der  Gewißlieit 
desselben  noch  weiter  entfernten.  Unter  anderen  stellte  ich  Ordinaten  nach  den 
Tonverhältnissen  in  gleichen  Entfernungen,  so  daß  also  die  Abscissen  gleichmäßig 
wuchsen,  rechtwinklicht  auf  eine  gerade  Linie  und  zog  eine  Curve  durch  die  End- 
punkte der  Ordinaten.  Um  die  Eigenheiten  derselben  zu  finden  setzte  ich  dasselbe 
Verfahren  durch  mehrere  Oktaven  fort,  und  so  entstand  dann  unverkennbar  die 
transcendentale  Curve,  welche  Euler  die  logarithmische  oder  Exponen-  ||  tial- Curve 
nennt.  Anfangs  glaubte  ich  wirklich  einen  großen  Fund  gethan  zu  haben;  denn 
diese  Curve  mit  ihren  wunderbaren  Eigenschaften  war  mir  bis  dahin  noch  nicht 
bekannt.  Euler  mäßigte  diese  voreilige  Freude.  Auch  zeigte  es  sich  zuletzt,  daß 
an  der  ganzen  Beugung  nichts  Schönes  war,  so  kühn  sie  auch  von  ihrer  einen  Seite 
ins  Unendliche  hinausschweifte. 

Von  den  Linien  des  dritten  Grades  scheint  keine  so  sehr  zu  gefallen  als  die 
fünfte  nach  Eulers  Eintheilung,  welche  drei  Diameter  hat  und  durch  folgende 
Gleichung  bestimmt  ist: 

xz  —  3  xy2  =  ax2  -{-  ay2  -\-  b3. 
Sie  entspricht  dem  gleichseitigen  Dreiecke  und  kann  in  allen  Verhältnissen  richtig 
gezeichnet  werden,  wenn  man  in  die  drei  Winkelpunkte  desselben  Nadeln  schlägt, 
einen  Faden  herumlegt,  denselben  mit  einem  Bleistifte  anspannt  und  nun  rund  herum 

x)  4  S.    kl.  40.    H.  Wien. 


78  März  1811. 

mit  ihm  die  Curve  beschreibt.  Doch  in  diesen  Verhältnissen  hat  sie  nicht  viel 
Reizendes,  ich  ging  darum  einen  Schritt  weiter  und  bildete  sie  nach  dem  gleich- 
schenklichten  Dreiecke,  wo  sich  dann  in  gewissen  Verhältnissen  die  schönsten  Figuren 
zeigten.  Könnte  ich  diese  Verhältnisse  schon  bestimmt  in  Größen  begriffen  angeben, 
vielleicht  daß  sich  etwas  Brauchbares  fände;  aber  dergleichen  geht  bei  meinen  ge- 
ringen Kenntnissen  von  der  höheren  Mathematik  sehr  langsam.  —  — 

Die  Idee  der  Vollkommenheit  finde  ich  wieder  in  dem  Rhytmus,  in  dem  f. 
und  p.  in  dem  crescendo  und  decrescendo  in  der  Musik  —  in  den  Verhältnissen  |j 
des  Helleren  zu  dem  Dunkleren  bei  den  Farben  u.  s.  w.  Ist  es  nicht  so?  Praktische 
Philosophie  S.  90 l)  steht:  „daß  nun  diese  Vergleichung  (die  ästhetische  Vergleichung 
des  Stärkeren  mit  dem  Schwächeren  nämlich)  eine  sehr  viel  weitere  Sphäre  hat, 
als  die  Betrachtung  der  Willen  ihr  darbietet"  u.  s.  w.  —  Es  ist  wahr,  sie  erklärt 
in  den  Künsten  weiter  nichts,  herrscht  aber  in  den  roheren  Verhältnissen  derselben, 
so  wie  sie  die  erste  Idee  ist,  welche  in  dem  roheren  Menschen  ihre  Würksamkeit 
zeigt.  Das  wachsende  Anstreben  der  Kraft  gegen  die  Kraft  wird  das  erste  Ideal 
roher  Naturen.  Ists  nicht  bei  den  Kindern  das  Gleiche  ?  In  allen  diesen  Beziehungen 
ist  mir  die  Idee  der  Vollkommenheit  von  großer  "Wichtigkeit.  —  —  — 

Von  den  zufälligen  Ansichten,  vom  intelligiblen  Räume,  vom  allgemeinen 
Räume,  von  der  Bewegung  hätte  ich  Ihnen  gern  eine  Reihe  von  Gedanken  zur 
Prüfung  vorgelegt;  aber  ich  habe  in  der  That  jetzt  nicht  Muße,  sie  wieder  zu 
sammeln.  Meinen  Einwurf  gegen  die  zufälligen  Ansichten  haben  Sie  etwas  zu  rasch 
beiseit  geschoben,  wie  ich  ihn  ohne  Weiteres  aufstellte.  Es  ist  eben  schlimm,  daß 
die  Erfahrung  kommen  muß,  um  sie  wieder  hineinzuführen,  wenn  sie  etwa,  als 
nicht  streng  aus  dem  Probleme  sich  ergebend,  beiseit  geschoben  wären,  ich  kann 
nicht  umhin,  mich  dabei  an  alle  die  Sätze  zu  erinnern,  welche  durch  ein  Hinaus- 
treten aus  dem  angefangenen,  strengen  Gedankengang  bei  Rückblicken  auf  die  doch 
eben  verlassene  Natur  und  Erfahrung  nebenher  noch  mit  aufgenommen  wurden; 
z.  B.  Heraklit  wenn  er  das  Vorstellen  erklären  ||  will,  Leukipp  an  derselben  Klippe, 
Platon  wenn  er  ein  wahrscheinliches  Meinen  annimmt,  und  später,  wenn  er  die 
Idee  des  Guten  sich  Beschauer  schaffen  lässt  u.  s.  w.  Sollten  nicht  die  zufälligen 
Ansichten,  da  sie  doch  an  der  Eigenheit  der  Wesen  (sie  haben  ja  keine  andere,  als 
die,  daß  sie  sind)  nichts  ändern,  sondern  nur  eine  Art  des  Vorstellens  sind,  sich  um- 
gehen lassen  durch  die  Annahme  verschiedenartiger  Wesen?  Sie  lächeln.  Doch,  wie 
der  Begriff  des  Sein  die  Vielheit  zuläßt,  so  gestattet  er  auch,  die  Verschieden- 
artigkeit. Daß  ein  Wesen  nicht  ist  was  das  andere  ist,  bringt  in  die  einfache  Be- 
ziehung des  Begriffes  keinen  Gegensatz;  denn  das  eine  wird  nicht  dem  anderen  ent- 
gegengesetzt, indem  es  schlechthin  gesetzt  wild  —  und  somit  jedem.  Das  eine  Setzen 
hat  mit  dem  andern  Setzen  gar  nichts  gemein,  beide  sind  unabhängig  von  einander, 
sei  das  Gesetzte  auch  verschiedenartig.  —  Bringen  Sie  mich  nur  recht  in  Verlegen- 
heit mit  meiner  Verschiedenartigkeit  der  Wesen.  —  — 

Mathematik  und  Philosophie  werden  fleißig  getrieben.  Unser  Lehrer  der 
Mathematik  am  landwirtschaftlichen  Institute,  Heße  aus  Darmstadt,  ein  Verwandter 
von  Herder  ist  durch  mich  ein  geistreicher  Anhänger  Ihres  Systems  geworden.  Wir 
treiben  Mathematik  und  Philosophie  miteinander. 2) 

Schreiben  Sie  mir  doch  von  Ihrem  didaktischen  Institute  und  von  Ihren  Ge- 
hülfen. Sagen  Sie  mir  auch,  wie  es  jetzt  mit  der  pädagogischen  Unternehmung 
in  Preußen  steht. 

')  Bd.  II,  S   359. 

2)  Vgl.  den  Brief  Heßes  an  Herbart  v.  14.  Aug.  1823  und  die  Fußnote  dazu, 
ferner  Brief  Griepenkerls  an  H.  v.  14.  Juni  1811. 


April   1 8 1 1 .  y  q, 

Tölken  sollte  Pfarrer  werden,  hat  sich  aber  bedankt  und  ist  darauf  in  der 
letzteren  Angelegenheit  der  Hanse-Städte  Gesandter  seiner  Vaterstadt  in  Hamburg  ge- 
worden. Schacht  ist  jetzt  ein  leidenschaftlicher  Lehrer.  Pestalozzi  schreibt  jetzt 
ein  Buch  über  seine  eigene  Methode  im  Gegensatze  gegen  die  der  Pestalozzianer. 

ich  empfehle  mich  Ihnen  bestens  und  bitte  um  eine  baldige  Antwort. 

Unveränderlich  der  Ihrige  F.  Griepenkerl. 

261.     Kohlrausch  an  H.1)    Barmen  im  Großherzogthum  Berg.    April  12.    1811. 

Viel  später,  als  ich  beabsichtigte  und  wünschte,  Hochzuverehrender  Herr 
Professor,  kann  ich  Ihnen  die  Arbeit  überreichen,  deren  Grundidee  in  der  Mittheilung 
mit  Ihnen  und  durch  das  Studium  Ihrer  allgemeinen  Pädagogik,  entstand.2)  Sie  ist 
ausgedehnter  geworden,  als  unser  gemeinsamer  Plan  war.  Ich  wollte  damahls  nur 
die  ersten  historischen  Bücher  des  A.  Testaments  bearbeiten,  welche,  als  älteste 
Denkmahle  der  Menschengeschichte  und  als  anschauliche  Darstellung  des  ersten  Cultur- 
zustandes,  den  historischen  Unterricht,  noch  vor  dem  Homer,  beginnen  möchten; 
also  ein  Unterrichtsmittel  für  das  Bedürfniß  höherer  Schulen  und  Stände.  Ich  fand 
für  meine  Arbeit  keinen  Verleger;  die  Waisenhausbuchhandlung  in  Halle  erbot  sich, 
durch  Niemeyer,  es  unter  der  Bedingung  zu  übernehmen,  daß  ich  das  Werk  über 
die  ganze  Bibel,  und  für  alle  Arten  der  Schulen,  ausdehne.  Bei  genauerer  Er- 
wägung schien  mir  dieses  meinem  ersten  Zwrecke  nicht  nur  vereinbar,  sondern  sogar 
förderlich  zu  seyn;  denn  wenn  auch  die  späteren  biblischen  Historien,  nicht  mehr 
unmittelbar  in  die  Reihe  der  Bildung  für  Theilnahme  am  Menschen  und  an  der 
Gesellschaft  eingreifen,  wenn  sie  schon  durch  den  Homer  verdrängt  sind,  so  können 
sie  doch  immer  noch  in  der  religiösen  Reihe  gebraucht  werden.  Ich  übernahm  es 
daher,  das  Lesebuch  für  Kinder  durch  die  ganze  Bibel  zu  führen,  und,  um  ihm  die 
ausgedehnteste  Brauchbarkeit  zu  geben,  zwei  Commentare  dazu  zu  liefern ;  einen  für 
Volksschullehrer,  welche  die  biblischen  Geschichten  vorzüglich  nur  zur  moralisch- 
religiösen Bildung  benutzen  können;  einen  zweiten  für  Lehrer  höherer  Stände,  in 
welchem  auf  alle  Zweige  der  Bildung  Rücksicht  genommen  ist,  welche  nur  durch 
unsern  Gegenstand  berührt  werden  mögen.  In  der  Einleitung  dieses  letzten  Hand- 
buches habe  ich  alle  diese  Rücksichten,  den  Staudpunkt  der  ganzen  Arbeit,  und  || 
manche  weitere  Ausführung  des,  unter  Ihrer  Leitung  entworfenen  Planes  historischer 
Bildung,  dargelegt.  Die  Vereinigung  der  mannigfachen  Zwecke  bei  dieser  Arbeit  ist 
mir,  glaube  ich,  in  so  weit  gelungen,  daß  die  höheren  Classen  mit  dem  Lesebuche 
und  dem  Handbuche  ein  hinreichendes  Hülfsmittel  in  Händen  haben  möchten,  so 
wie  die  mittleren  Classen  der  Volksschule  an  dem  Lesebuch  mit  der  Anleitung.  Ob 
es  für  die  niedrigsten  Classen  populär  genug  sey,  kann  ich  nicht  entscheiden,  doch 
ist  das  Lesebuch  wenigstens  immer  um  etwas  verständlicher,  als  die  Bibel  selbst. 
—  Sollten  Sie,  hochgeehrter  Herr  Professor,  zur  größeren  Verbreitung  des  Buches 
Gelegenheit  haben,  wie  ich  nicht  zweifle,  so  darf  ich  von  Ihrer  Güte  hoffen,  daß 
Sie  sie  benutzen  werden.  Zu  dem  Ende  melde  ich  Ihnen  die  Bedingungen,  zu 
welchen  ich  die  Buchhandlung  verpflichtet  habe:  das  Lesebuch  kostet  im  Laden 
16  g.  Gr.,  aber,  wenn  ein  Schulmann,  oder  anderer,  eine  größere  Anzahl  Exemplare 

*)  3  S.    4°.     H.  Wien. 

2)  Fr.  Kohlrausch  (1780 — 1865),  Die  Geschichten  und  Lehren  der  heiligen 
Schrift  Alten  und  Neuen  Testaments  zum  Gebrauch  der  Schulen  und  des  Privat- 
unterrichts. Mit  einer  Vorrede  von  A.  H.  Niemeyer  (30.  Aufl.  1885)  und  einer 
,, Anleitung  für  Volksschullehrer"  (4.  Aufl.  1837).  Über  die  Entstehung  dieser  Bücher 
und  Herbarts  Anteil  daran  vgl.  Fr.  Kohlrausch,  Erinnerungen  aus  meinem  Leben 
(Hannover  1863),  S.  109  ff.  und  0.  Willmann,  Herbarts  päd!  Schriften  (1880),  Bd.  I, 
S.  567  ff.,  s.  auch  diese  Ausg.  Bd.  III. 


80  April   1811. 

nimmt,   und   baar  bezahlt,   so   bekömmt  er  den  gewöhnlichen  Buchhändler-Rabbat, 
also  das  Buch  für  10  g.  Gr.  8  ^;  derselbe  Fall  ist  mit  der  Anleitung. 

Ich  habe  mich  vor  einem  Jahr,  wie  Sie  vielleicht  durch  die  Grotesche  Familie 
erfahren  haben,  hierher  gewendet,  um  praktisch  pädagogische  Zwecke  zu  verfolgen. 
Die  Gegend  ist  wohlhabend,  an  guten  Anstalten  dürftig,  und  es  scheint,  als  werde 
mir  eine  gedeihliche  Würksamkeit  gelingen;  ich  habe  einige  Zöglinge  im  Hause, 
und  dazu  eine  beträchtliche  Anzahl  Schüler  aus  dem  Orte.  Das  äußere  Leben  wäre 
ziemlich  gesichert,  das  innere  muß  sich  aus  sich  selbst  entwickeln.  Aller  Anfang 
ist  Stückwerk;  was  ich  jetzt  leisten  kann,  reicht  bei  weitem  nicht  an  das,  was  ich 
im  Sinne  trage;  ob  ich  es  hier,  ob  ich  es  je  erreiche,  hängt  viel  von  Begünstigung 
des  Schicksals  ab.  || 

An  literarischen  Arbeiten  möchte  ich  wohl,  wenn  mir  irgend  die  Muße  zu 
Theil  würde,  eine  theils  berichtigende,  theils  bestätigende  Antwort  auf  Jos.  Schmid's 
Ansichten  und  Erfahrungen  über  Erziehung  u.  s.  w.  unternehmen.  Das  Buch  macht 
zum  Theil  unverdientes  Aufsehen,  doch  verdient  es  wohl,  daß  gezeigt  werde,  wie 
das  Wahre,  das  darin  ist,  von  einem  viel  höheren  Standpunkte  aus  begründet  werden 
müsse,  als  es  hier  erscheint.  Der  Mann  scheint  größtentheils  nicht  zu  kennen,  was 
auf  dem  großen  Gebiete  Ruhe  und  Sicherheit  geben  mag;  unter  andern  hat  er  Ihre 
Pädagogik  gewiß  nicht  gesehen.  Vielleicht  gewährt  mir  der  Sommer  einige  ruhige 
Morgenstunden  zu  dieser  Arbeit. 

Von  Ihnen,  hochzuverehrender  Herr  Professor,  weiß  ich  nichts,  als  die  all- 
gemeine Nachricht,  daß  es  Ihnen,  wenigstens  noch  vor  einigen  Monaten,  wohl  ging, 
und  daß  Sie  im  Begriff  waren,  Sich  zu  verheirathen. x)  Nach  den  wenigen  Blicken, 
die  ich  in  Ihr  individuelles  Leben  thun  durfte,  erscheint  mir  dieses  als  ein  großes 
Glück  für  Sie;  und  ich  wünsche  von  ganzem  Herzen,  daß  es  so  sey.  Mit  der 
innigsten  Hochachtung,  und,  Sie  verwerfen  es  nicht,  wenn  ich  so  sage,  mit  wahrer 
Liebe,  gedenke  ich  Ihrer,  und  der  kurzen  Zeit,  da  ich  Ihres  näheren  Umganges  genoß ; 
es  wäre  mir  sehr  wichtig  gewesen,  wenn  ich  ihn  länger  genossen  hätte.  Ich  würde 
es  für  ein  großes  Glück  halten,  wieder  in  Ihrer  Nähe  leben  zu  können.  Wäre  es 
Ihnen  möglich,  mir,  auch  nur  einige,  Nachricht  über  Ihre  Lage  und  Zufriedenheit 
zu  geben ;  es  würde  mir,  in  meiner  jetzigen  Abgeschiedenheit  von  meinen  Freunden, 
eine  große  Freude  seya.  Aber  ich  darf  eine  solche  Güte  um  so  weniger  fordern, 
da  Sie  Ihren  näheren  Freunden  nicht  häufig  schreiben. 

Wenigstens  bitte  ich  auf  das  angelegentlichste  um  die  Fortdauer  Ihrer  wohl- 
wollenden Gesinnung  gegen  mich. 

F.  Kohlrausch  Dr. 

262.     Richthof en  an  H,2) 

Dammsdorf  bei  Jauer  in  Schlesien,  den  24ten  April  1811. 

Es  ist  ein  großes  Glück,  daß  die  Überzeugung  unwandelbarer  Freundschaft 
auch  ohne  schriftliche  Versicherung  der  alten  Liebe  bestehen  mag;  darum  ist  es  mir 
auch  nicht  im  mindesten  eingefallen  zu  murren,  wenn  wir  auch  seit  geraumer  Zeit 

a)  Als  Tag  der  Trauung  Herbarts  mit  M.  Drake  gibt  Hartenstein  (a.  a.  0., 
S.  LXXIII)  den  13.  Jan.  1811  an.  Urkundliche  Belege  dafür  waren  trotz  vieler 
Nachforschungen  in  den  Kirchenbüchern  Königsbergs,  die  u.  a.  auch  durch  gütige  Ver- 
mittelung  der  Superintendentur  angestellt  wurden,  nicht  zu  erlangen.  Da  Herbarts 
Frau  eine  Ausländerin  war,  ist  es  möglich,  daß  die  Trauung  auf  einem  Konsulat  statt- 
gefunden hat.  Über  Herbarts  Frau  vgl.  man  die  Mitteilungen,  die  der  Philosoph  an 
C.  von  Steiger  in  den  Briefen  vom  29.  Juli  1812,  Abs.  2  und  vom  15.  Juli  1817 
macht,  und  die  zum  Teil  hier  zum  ersten  Male  veröffentlicht  werden. 

2)  4  S.    4°.     H.  Wien. 


April   1811.  8l 

nichts  von  Ihnen  gehört.  Sie  waren  früherhin  so  gütig  in  uns  beiden  manche 
Aehnlichkeit  zu  finden;  so  mag  sie  mir  denn  jetzt  zu  gleicher  Entschuldigung  gereichen, 
wie  ich  sie  Ihnen  aus  vollem  Herzen  immer  gewährt,  wenn  andere  über  Ihr  Still- 
schweigen geklagt.  Wenn  ich  Ihnen  aber  auch  nicht  schrieb,  so  seyn  Sie  doch 
darum  nicht  minder  von  meiner  innigsten  Theilnahme  an  allem  was  Ihnen  begegnet 
überzeugt;  es  hat  sich  wohl  niemand  so  wie  Therese  und  ich  über  die  neuen  Bande 
gefreut,  die  Sie  indeß  geknüpft !  Es  ist  meine  feste  Hoffnung  daß  Sie  dadurch  ganz 
glücklich  werden  mußten,  daß  Sie  eine  gute  Wahl  thaten;  nur  meine  Wünsche  für 
Ihr  Wohl,  für  Ihr  zeitliches  und  ewiges  Glück  sind  noch  lebendiger.  Grüßen  Sie 
Ihre  Freundin  von  mir  aufs  herzlichste;  ich  kann  nicht  daran  zweifeln  und  doch  ist 
es  mein  Wunsch,  daß  ihr  Ihr  Wohl  so  theuer  sey  als  mir.  |j  Es  geht  kein  Tag,  keine 
Stunde  vorbei  daß  ich  nicht  fühlte,  daß  ich  Ihnen  alles  verdanke,  und  es  ist  nicht 
leicht  für  ein  solches  Glück  zu  danken,  wie  mir  zu  Theil  geworden.  Wer  kann 
Theresen  immer  näher  kennen  lernen,  ohne  sie  immer  inniger  zu  achten  und  zu 
lieben?  Leider  ward  sie  nur  diesen  Winter  durch  viel  körperliche  Leiden  häufig  im 
eigenen  Genuß  gestört.  Bisher  ist  es  ihr,  seitdem  Sie  uns  verließen,  immer  übler 
gegangen,  aber  vielleicht  ändert  es  sich  jetzt,  da  wir  in  wenig  Wochen  ihre  Ent- 
bindung erwarten.  Sie  werden  leicht  glauben  wie  sehr  ich  dabei  fürchte,  aber  die 
Erfahrenen  machen  mir  die  besten  Hoffnungen  und  ihnen  muß  man  ja  wohl  glauben. 
Wenn  es  ein  Knabe  ist,  so  erlauben  Sie  wohl,  theurer  Freund,  daß  durch  Beilegung 
Ihres  Nahmens,  ich  ihm  zugleich  sein  Ziel  stecke? 

Gewiß  haben  Sie  mit  uns  über  den  Tod  unsrer  iniggeliebten  Tante  Mina  ge- 
trauert; es  giebt  wenig  solche  Wesen  auf  der  Welt,  um  so  bittrer  ist's  von  ihnen 
getrennt  zu  werden;  es  war  mir  als  wäre  meine  zweite  Mutter  gestorben.  Auch 
Ihre  Freundin  war  sie.  Es  war  überhaupt  ihre  Weise  tief  zu  fühlen,  und  wenig  zu 
reden.  Sehen  sollten  Sie  wie  dabei  sich  ||  die  herrliche  Großmutter  benommen;  ich 
bin  gewiß  Ihre  Meinung  über  sie,  würde  sich  in  die  innigste  Verehrung  umwandeln ; 
nie  sah  ich  ein  so  hohes  Muster  der  schönsten  Religiosität.  Sie  und  Mutter  sind 
gegenwärtig  bei  uns. 

Eine  meiner  Hauptbeschäftigungen  diesen  Winter  war  Pädagogik.  Mein  Bruder 
hatte  durch  eine  glücklicherweise  etwas  verspätete  Kindheit  11  Jahre  unverdorben 
unter  der  Leitung  der  verdorbensten  Menschen  zugebracht,  als  ich  ihn  vergangenen 
Herbst  zu  mir  nahm,  und  gegenwärtig  wächst  er  zu  meiner  Freude  heran;  wie  lieb 
habe  ich  nicht  durch  ihn  den  Homer  gewonnen;  die  erste  Hälfte  der  Odyssee  ist 
glücklich  beendigt.  Von  Ihrer  Pädagogik  verspreche  ich  mir  nachdem  die  Erfahrung 
angefangen  hinzuzutreten,  fast  noch  mehr  als  vorher.  Weniger  glückt  es  mir  bei 
einer  Schwester,  die  schon  etwas  zu  alt  war. 

Über  meinen  dereinstigen  Wirkungskreis  bin  ich  nunmehr  völlig  entschieden; 
für  mich  Philosophie,  für  die  Mitwelt  ihre  Früchte,  in  einer  möglichst  vollendeten 
Erziehungsweise;  und  erzieht  man  sich  nicht  selbst  zu  gleicher  Zeit?  || 

In  pädagogischer  Hinsicht  habe  ich  auch  dießmahl  eine  ganz  eigenthümliche 
Frage  und  Bitte  an  Sie.  Ein  Klostergut  mit  unermeßlichen  Gebäuden,  ganz  zu  meinen 
einstigen  Plänen  geeignet,  wird  d.  14ten  Mai  an  den  Meistbiethenden  versteigert, 
und  da  dieß  fast  der  einzige  Ort  ist  der  in  der  hiesigen  Gegend  meinen  Zwecken 
entgegenkömmt,  so  wünschte  ich  ihn  zu  kaufen.  Da  aber  mein  eigen  Vermögen 
nicht  hinreicht,  und  in  diesem  Augenblicke  wegen  des  Moratoriums,  das  alle  alten 
Zahlungen  verschoben,  kein  Geld  zu  haben  ist,  so  habe  ich  beschlossen,  mich  an 
meine  Freunde  zu  wenden,  und  zufällig  höre  ich  daß  Sie  gesonnen  waren  Ihr  Vermögen 
aus  Oldenburg  zu  ziehen.  Wenn  dieß  angegangen,  so  würde  ich  Sie  also  es  sey 
nun  so  viel  oder  so  wenig  als  es  wolle,   mir  es  zu  leihen  bitten,   indem   ich  nicht 

Herbarts  Werke.     XVII.  6 


82  Juni  1811. 

glauben  kann,  daß  Sie  mir  mißtrauen  dürften.  Dabei  wäre  es  aber  nöthig,  daß 
Sie  mir  sogleich  mit  umgehender  Post  schrieben,  weil  sonst  der  Brief  zu  spät 
kommen  dürfte,  und  ich  nicht  mehr  darauf  rechnen  könnte;  auch  würde  ich  Sie 
bitten  zu  bemerken  wie  viel  es  sey,  und  wann  das  Geld  zahlbar  ist.  Sie  würden 
mich  dadurch  aufs  Neue  sehr  verbinden.  Eine  Gefahr  dabei  giebt  es  nicht,  und 
sobald  Sie  Geld  wünschen,  sollen  Sie  es  immer  zurückhaben.  Doch  dießmahl  nicht 
weiter;  über  alle  Nebendinge  werden  wir  uns  leicht  verständigen. 

Ihr  Freund  A.  Frh.  v.  Richthof en. 

263.  Griepenkerl  an  H.1)  Hofwyl,  am  Uten  Juni  1811 

Neulich,  mein  verehrter  Freund,  schrieb  ich  Ihnen  über  die  zufälligen  An- 
sichten unhaltbare  Dinge.  Die  Metaphysik  gestattet.  Wesen  verschiedener  Art  jedes 
einzeln  zu  setzen;  aber  mit  diesen  ist  Kraft  nicht  zu  erklären.  Woher  soll  die 
Verneinung  kommen  in  dem  Zusammen  der  Wesen,  ohne  welche  Kraft  nicht  gedacht 
werden  kann  und  die  unfehlbar  die  zufälligen  Ansichten  herbei  ruft.  Begründet 
sind  sie  durch  den  Begriff  Bild  hinlänglich :  also  fällt  auch  mein  Einwurf  weg,  daß 
sie  von  außen  angepaßt  seien.  Soll  von  ihnen  aus  die  Metaphysik  angegriffen 
werden,  so  muß  man  den  Faden  weit  tiefer  aufnehmen,  als  ich  es  that.  Daß  ich 
gern  alles  aus  dem  Wesen  hätte  erklärt  gesehen  ohne  das  Bild  zu  Hülfe  zu  rufen, 
dies  mag  meine  Übereilung  entschuldigen,  die  ich  Sie  bitte  dem  Feuer  zu  übergeben. 
Mein  Studium  der  Metaphysik  mit  Heße,  wovon  ich  Ihnen  schrieb,  geht  herr- 
lich, ich  wünsche  jedem  Ihrer  Schüler  wieder  einen  solchen  Schüler 

Daß  die  zufälligen  Ansichten  nicht  von  den  Wesen,  nicht  ein  Mal  von  den 
einfachen  Empfindungen,  wirklich  aufzustellen  sind,  stört  uns  oft.  Geben  Sie  mir, 
zu  denen  die  ich  schon  habe,  einige  bedeutende  Gründe.  Zugleich  bitte  ich  Sie, 
mir  ein  Beispiel  zu  geben  für  die  Form  der  Kombinazionen,  welche  in  Ihrer  Logik 
in  der  Anmerkung  zu  den  Begriffen  mitgetheilt  ist. 

Dissens  Buch  erhielt  ich  vor  einigen  Wochen  durch  die  Buchhandlung.     Es  ist 
sogar  zu  spät,  mich  dafür  zu  bedanken.  — 

Manches  habe  ich  im  gleichen  Sinne  angestellt,  manches  habe  ich  übersehen, 
manches  kann  ich  noch  jetzt  vortrefflich  nutzen.  Aus  der  Ilias  theilte  ich  zu  viel 
mit,  auch  die  Geographie  habe  ich  zu  ängstlich  und  zu  genau  behandelt,  doch  nur 
mit  den  größeren  Knaben.  Die  Kleineren,  die,  für  welche  der  Homer  gerade  paßt, 
sind  von  diesen  Fehlgriffen  verschont  geblieben,  ich  begreife  nicht,  wie  Dissen  es 
angefangen  hat,  in  vier  Wochen  seinen  8jährigen  Knaben  das  Lesen,  das  Paradigma, 
das  Historische,  das  geograjihische  u.  s.  w.  einzuüben.  Vier  Monate  waren  mir  fast 
zu  wenig  dazu.  —  Mit  Kohlrausch  bin  ich  nicht  einverstanden,  wenn  er  darauf  be- 
steht, das  alte  Testament  vor  dem  Homer  zu  gebrauchen.  Bei  unseren  älteren 
Knaben  veranlaßte  ein  Misverständniß  eines  Lehrers  das  Umgekehrte :  das  alte  Testa- 
ment wurde  ihnen  nach  dem  Homer  zur  Vorbereitung  auf  die  christliche  Religion 
gegeben  —  und  beides  mengte  sich  in  ihren  Köpfen  untereinander.  Wenn  erst  der 
ganze  griechische  Geist  in  dem  13  bis  15jährigen  Knaben  herrscht  und  in  der  Ge- 
schichte die  christliche  Epoche  kommt,  dann  kann  und  muß  alles  das  nachgeholt 
werden.  Für  das  Volk  aber,  das  zur  Theilnahme  nichts  hat  als  seine  Geschichte 
und  seine  Religion,  hat  Kohlrausch  vortrefflich  gearbeitet.  —  Schacht  wird  sich  wohl 
entschließen,  den  Deutschen  ihre  Geschichte  zu  diesem  Zwecke  zu  bearbeiten.  Er 
thut  viel  bei  Pestalozzi,  und  es  wird  erkannt,  ohne  daß  man  ahndet,  wie  bald  da- 
durch  eine  Revoluzion  in  jener  Methode  bewürkt  werden  muß.  ||  Es  führt  zur  be- 


')  4  S.  kl.  4°.     11.   Wien. 


Juni  1811.  83 

schränktesten  Einseitigkeit,  wenn  man  Mathematik  zum  Hauptgegenstande  des  Unter- 
richts macht.  In  Ifferten  geschieht  das  und  einige  andere  Unterrichtsfächer  gehen 
nur  so  beiher.  Diese  Verwirrung  entstand  noch  vor  drei  Jahren  aus  der  Meinung: 
man  bilde  zur  Sittlichkeit  wenn  man  den  Geist  zur  Forschung  nach  Wahrheit  bilde. 
Später  siegte  wieder  Pestalozzis  frühere  Meinung :  in  der  Bildung  zur  Liebe  liege  die 
Bildung  zur  Sittlichkeit.  Und  diese  Erziehung  wurde  einzig  von  der  Mutter  und 
der  Religion  erwartet.  Da  nun  die  Mütter  meistens  schlechte  Erzieherinnen  sind 
und  Eeligion  leer  ist  ohne  das  Gefühl  der  Schranken  unseres  "Wissens  und  Könnens, 
ohne  Theilnahme  an  der  Menschheit  und  ohne  Klarheit  der  sittlichen  Ideen  in  ihrer 
unerreichbaren  Höhe:  so  mußte  wohl  das  ganze  Projekt  bis  auf  einen  gewissen  Grad 
mislingen.  Jenes  Gefühl  der  Schranken  unseres  Wissens  und  Könnens  ist  in  doppelter 
Beziehung  höchst  wichtig,  ein  Mal  in  der  genannten,  und  zum  anderen,  indem  es 
zum  beständigen  Weiterforschen  anreizt.  Durch  Mathematik  kann  es  nicht  gewonnen 
werden,  überhaupt  durch  nichts  Formales.  Eine  Naturkunde  hingegen,  die  nach  einer 
eigenen  Einrichtung  Naturgeschichte,  Anatomie,  Chemie  und  Physik  in  ein^r  richtigen 
Folge  eng  verbände  und  den  Unterricht  wie  das  Leben  des  Kindes,  des  Knaben,  des 
Jünglings  stets  voll  Würde  und  Ernst  begleitete,  —  möchte  wohl  am  sichersten  und 
gesundesten  dazu  führen,  möchte  wohl  die  beste  Vorbereitung  zur  Spekulazion  sein. 
Bei  Pestalozzi  findet  sich  davon  keine  Spur;  auch  hat  die  Geschichte  erst  seit  einem 
Jahre  durch  Schacht  einiges  Leben  erhalten.   Vorher  plagte  man  sich  mit  Methoden, 

Namen  und  Jahreszahlen  zu  behalten. 

ich  schrieb  Ihnen  ein  Mal,  daß  ich  für  ästhetische  Bildung  von  der  Musik  am 
meisten  erwarte;  aber  von  meiner  Ansicht  der  Behandlung  derselben  theilte  ich 
Ihnen  nichts  mit;  auch  kann  das  in  einem  Briefe  nicht  füglich  geschehen.  Nur 
einen  Hauptpunkt,  in  dem  ich  von  allen  bisherigen  musikalischen  Ästhetikern  ab- 
zuweichen gezwungen  war:  die  gefallenden  Grundverhältnisse  aller  Melodie  sind 


i 


^r-r 


^     0    b* — g-JI    ^   t^=P» 


Sie  finden  sich  in  jeder  Durtonleiter   nahe  beisammen ,   und  es  wundert  mich,  daß 
sie  noch  niemand  entdeckte. 


-  m      0 — I      _      m      •      m     I     m      m      0 

9 0 x 9 0 0 


Durch  sie  sind  sowohl  die  neuen  als  die  alten  Tonarten  erklärt.  Zugleich  ent- 
halten sie  die  Hauptaffekte  aller  musikalischen  Darstellung. 

Zur  Ästhetik  der  Formen  ist  noch  kein  Schritt  weiter  geschehen. 

Daß  wir  wahrscheinlich  Tölken  als  Lehrer  der  neueren  Geschichte  und  der 
neueren  Sprachen  hier  anstellen  werden,  meldete  ich  Ihnen  noch  nicht.  Er  selbst 
bot  sich  mir  mündlich  dazu  an,  als  er  hier  war  und  unsere  Art  sah.  Seit  dem 
mislang  ihm  ein  bedeutendes  Geschäft  in  Hamburg  (er  war  Gesandter  von  Bremen 
in  der  letzten  Angelegenheit  beider  Städte);  und  dies  befestigte  seinen  Entschluß, 
Erzieher  zu  werden.  Hätten  Sie  das  vernmthet?  Mit  ihm  wären  dann  hier  drei  von 
Ihren  Schülern  (ich  zähle  Heße  mit)  und  Sie  dürften  Hofwyl  dann  mit  einiger 
Sicherheit  als  Ihre  Kolonie  ansehen. 

Der  Buchhandel  ist  jetzt  in  einem  so  elenden  Zustande,  daß  ich  noch  nicht 
weis,  wann  unsere  Zeitschrift  in  den  Gang  kommen  wird.  Kaum  wagt  es  ein  Buch- 
händler, sie  in  Kommission  zu  nehmen.  Diese  Verzögerung  ist  mir  sehr  leid,  weil 
ich  dadurch  verhindert  werde,  Ihnen  mein  Wort  zu  halten.  Denn  ich  versprach, 
die  Sache  zu  beschleunigen. 


84 Junyj8ii. 

Neulich  vernahm  ich  auf  weitem  Umwege,  Sie  hätten  Sich  mit  Miss  Drake 
vermählt.  Ist  dies  Gerücht  gegründet,  so  empfangen  Sie  hiermit  meinen  herzlichsten 
Glückwunsch. 

Schreiben  Sie  mir  doch  recht  bald.  Suchen  Sie  die  zufälligen  Ansichten  bei 
mir  wieder  zu  befestigen.  Heße  merkt  noch  nichts  von  meiner  Unruhe  darüber 
Nächsten  Winter  werden  wir  beiden  die  praktische  Philosophie  und  die  Pädagogik 
studiren. 

Mit  der  größten  Hochachtung  und  Freundschaft  der  Ihrige 

F.  Griepenkerl. 

264.   Delbrück  an  H.1)  Magdeburg,  d.  16.  Juny  1811. 

Früher  als  irgend  Jemand  in  Königsberg  erhalten  Sie,  Theurer,  Hochgeehrter 
Freund,  einliegendes  Buch.2)  Sie  werden  es  mit  Aufmerksamkeit  lesen,  mit  Strenge 
richten.  Beydes  wünsche  und  bitte  ich  in  gleichem  Grade;  und  am  liebsten  ver- 
nähme ich  Ihr  Wort  aus  Ihres  Freundes  Heeren  Munde  oder  empfange  die  Zeilen, 
die  Sie  mir  schreiben  werden,  aus  seiner  Hand.  Dieß  aber  wird  unmöglich  seyn; 
denn  schon  heute  über  14  Tage,  wenn  Sie  dieß  kaum  erhalten  haben  werden,  ge- 
denke ich  in  Göttingen  zu  seyn.  Richten  Sie  aber  immer  ihre  Antwort  an  Heeren, 
dem  ich  hinterlassen  will,  wo  Ihr  theures  Geschenk  mich  erreichen  könne. 

Bey  manchem  der  Aufsätze,  besonders  S.  53—65  werden  Sie  sich  unserer 
Zusammenkünfte  in  Königsberg  erinnern,  mit  Wehmuth  und  Freude.  Oh  sagen  Sie 
mir  viel  Lehrreiches  über  den  Plan,  den  ich  dem  Buche  einverleibt  habe.  Es  ist 
wirklich  nur  Ankündigung.  Ich  könnte  sechs  Bände  geben,  wie  dieser;  aber  ich 
will  erst  der  sachkundigen  Stimme  hören  und  die  Erfahrungen,  die  sich  darbieten 
werden,  benutzen. 

Wie  viel  liegt  zwischen  dem  12  t.  December  1809,  wo  wir  uns  zum  letzten 
Male  sahen  und  heute  dem  16t.  Juny  1811,  wo  meine  Sehnsucht  vergebens,  ver- 
gebens Sie  zu  mir  herzaubern  möchte,  Sie,  theurer  Freund,  dessen  ernstes  und 
heiteres  Gemüth,  worinn  die  unzertrennliche  Liebe  der  unzertrennlichen  Natur  und 
Kunst  auch  so  enge  wirkt,  mich  gleich  vom  Anfang  so  angezogen  hat.  Mein  bis- 
heriges Stillschweigen  könnte  damit  in  Widerspruch  zu  stehen  scheinen.  Aber  was 
soll  man  ||  den  Gemüthsverwandten  denen  man  alle  Tage  Etwas  mitzutheilen  hätte, 
an  einzelnen  Tagen  eröffnen  ?  wenn  man  nicht  Muße  hat  Bogen  [?J  voll  zu  schreiben  ? 
Jedoch  um  einen  großen  Genuß  bringt  man  sich;  und  Sie  sollen  während  meiner 
Reise  von  Zeit  zu  Zeit  Nachricht  erhalten,  die  erste  aus  Göttingen,  aus  Ihres  Freundes 
Hause.     Möge  ich  ihn  nur  finden!    — 

An  unsere  Abreise  aus  Königsberg  kann  ich  immer  noch  nicht  denken,  ohne 
mir  Vorwürfe  darüber  zu  machen,  daß  ich  von  Ihnen  nicht  Abschied  genommen. 
Seltsame  und  meistens  verdrießliche  Umstände  hielten  mich  bis  nach  12  Uhr  von 
Hause  entfernt.  Und  ich  kam  so  verstimmt  zurück,  so  verstimmt!  Jeder  der  acht- 
zehn Monate,  welche  seitdem  verflossen,  hat  eine  eigenthümliche  Denkwürdigkeit. 
Wann,  wann  werden  wir  dieselben  mündlich  durchgehen  können  ?  Wann  und  wo?  — 
Mir  ahndet,  hienieden  nicht.  —  Während  der  letzten  sechs  Monate  habe  ich  in  den 
heitersten  Stunden  und  wo  die  Seele  am  unbefangensten  war,  für  mein  Buch  gelebt, 


1)  4  S.  4°.  H.  Wien.  —  S.  o.  S.  62.  Friedrich  Delbrück  (1768-1830),  der 
von  1800 — 1809  die  Erziehung  Friedrich  Wilhelms  IV.  und  Wilhelms  I.  (übrigens 
nach  philanthropistischen  Grundsätzen)  leitete.  Auf  die  Bedeutung  dieses  mit  Unrecht 
in  Vergessenheit  geratenen  Pädagogen  hat  G.  Schuster  in  der  Einleitung  zu  den  oben 
zitierten  Tagebuchblättern  (Monum.  Germ,  paed.,  Bd.  36)  hingewiesen. 

2)  Ansichten  der  Gemütswelt,  Magdeburg  1811. 


Tuny   1 8 1 1 .  85 

das  mich  aber  manche  Wochen  fast  um  allen  Schlaf  gebracht  hat,  weil  ich  über 
die  Auswahl  nicht  leicht  mit  mir  einig  wurde.  Manche  Aufsätze  habe  ich  zwei  drei 
Mal  umgearbeitet.  Keiner  ist  so  gelungen  wie  ich  gewünscht:  aber  auf  keiner  Seite 
steht  ein  Wort,  das  nicht  im  Innern  stände.  Die  Erholungsstunden  brachte  ich  im 
Umgang  mit  meiner  Mutter  und  meinen  Geschwistern  und  Freunden  zu.  Ab  und 
zu  war  ich  auf  dem  Lande,  im  Kreise  trefflicher  Familien,  denen  ich  Theile  der 
Handschrift  vor  dem  Druck  vorlas,  ||  und  dafür  Bemerkungen  hörte,  die  mich  be- 
stimmten, vieles  umzuarbeiten. 

Den  26  t.  December  10.  schrieb  ich  die  ersten,  den  6t.  Juny  die  letzten  Worte. 
Als  ich  den  ersten  Bogen  zur  Correctur  vor  mir  hatte,  bekam  ich  einen  Ober- Vor- 
mundlichen Brief  von  Scheffner1)  worin  er  mich  mehr  als  dringend  ermahnte,  mein 
Heil  zu  bedenken,  und  mein  Buch  nicht  drukken  zu  lassen,  welches  seiner  Natur 
nach  erst  nach  der  Reise  erscheinen  müßte.  Er  muß  eine  eigene  Erwartung  gehegt 
haben,  denn  wie  es  auch  sey,  vor  der  Reise,  denk'  ich,  konnte  es  wohl  erscheinen. 
Ich  ließ  mich  daher  durch  sein  Wort,  so  wenig  aufmunternd  es  war,  auch  durchaus 
nicht  irre  machen;  habe  ihm  auch  noch  nicht  geantwortet;  das  Buch  selbst  mag  die 
Antwort  seyn.  Er  wird  es  mit  Vorurtheil  in  die  Hand  nehmen  und  viel  daran  zu 
tadeln  finden,  wie  denn  überhaupt  viele  ein  Buch  schon  deshalb  verwerfen,  weil 
sie  selbst  es  gar  nicht,  oder  anders  geschrieben  haben  würden.  Jeder  folge  sich; 
ich  habe  keinen  Begriff  davon  und  keinen  Sinn  dafür,  wie  man,  wenn  man  einmal 
schreibt,  nur  noch  an  etwas  anderes  denken  kann,  als  an  die  Sache;  sich  ängstlich 
befragen  kann,  was  Hinz  und  Kunz  bey  dieser  und  jener  Stelle  sagen  möchten;  und 
daß  man  die  günstige  Meinung,  die  Andre  von  unserm  Verstände  und  unserm  Ge- 
schmacke  haben,  zerstören  könne.  Alle  günstigen  Vorurtheile,  die  ich  nicht  ver- 
diene, möchte  ich  immer  viel  lieber  zerstören,  als  die  ungünstigen,  die  ich  auch 
nicht  verdiene;  und  mir  scheint  es  ganz  einerley,  für  besser  und  für  schlechter 
gehalten  ||  zu  werden,  als  man  ist. 

Aus  wahrem  Trotz  gegen  Scheffner  bin  ich  standhafter  bei  der  Arbeit  geblieben, 
als  ich  vielleicht  sonst  gewesen  wäre.  —  Doch  schon  zu  lange  halte  ich  Sie  auf.  — 
Leben  sie  wohl  theurer  Freund;  und  lassen  Sie  mich  so  bald  als  möglich  in  den 
bekannten  Zügen  Ihrer  Hand  die  Züge  ihres  Geistes,  Ihrer  Sinnesart,  Ihrer  Freund- 
schaft wiedersehen.     Aus  Göttingen  mehr. 

Friedrich  Delbrück. 

M.  d.  17  t.  Juny  c. 

Bei  näherem  Ermessen  halte  ich  für  rathsam,  die  Bücher,  welche  außer  dem 
Ihnen  bestimmten  nacn  Königberg  sollen,  durch  Ihre  Hände  gehen  zu  lassen.  Haben 
Sie  die  Güte,  dieselben  zu  vertheilen.  Vielleicht  erfahre  ich  schon  durch  Sie,  was 
mancher  der  andern  Empfänger  geurtheilt  habe. 

Meinem  Bruder  herzliche  Grüße;  auch  allen  andern  Freunden.  Ich  bin  im 
Begriffe,  das  Pferd  zu  besteigen,  um  drey  Tage  auf  dem  Lande  zuzubringen,  theuren 
Freunden  Lebewohl  zu  sagen. 

Ein  fürchterliches  Gewitter  tobt  um  mich  her!  — 


*)  J.  G.  Scheffner,  Kriegs-  und  Steuerrat  in  Königsberg.  Vgl.  Allg.  D.  Biogr. 
und  G.  Schuster  a.  a.  0.,  S.  XXXVI  u.  ö.  Dort  auch  Näheres  über  die  zweideutige 
Haltung  Scheffners  bei  der  Entlassung  Delbrücks,  die  Scheffner  bei  der  Königin 
Luise  in  Anregung  gebracht  hatte. 


1812/13. 


1812.  W.:  Psychologische  Untersuchungen  über  die  Stärke  einer  gegebenen  Vorstellung  als 
Funktion  ihrer  Dauer  betrachtet.  S.  Bd.  III.  S.  119— 145.  —  Über  die  dunkle  Seite  der 
Pädagogik.  S.  Bd.  III.  S.  147  — 154.  —  Theoriae  de  attractione  elementorum  principia 
methaphysica.  S.  Bd.  III.  S.  154 — 200.  —  Philosophische  Aphorismen.  S.  Bd.  III. 
S.  201  —  214.  —  Über  den  Unterschied  zwischen  idealischer  und  wahrer  Geistesgröße. 
S.  Bd.  III.  S.  215 — 222.  —  Bemerkungen  über  die  Ursachen,  welche  das  Einverständnis 
über  die  ersten  Gründe  der  praktischen  Philosophie  erschweren.  S.  Bd.  III.  S.  223 
bis  246.    —    Über   die   allgemeine  Form  einer  Lehranstalt.     S.  Bd.  III.     S.  299 — 304. 

265.    Richthof en  an  H.1)  Jühnde,  d.  6ten  Jännei  1812. 

Sie  haben  recht  geweissagt,  mein  verehrter  Freund;  kaum  war  ich  von  dem 
Kreise  der  mir  noch  übrigen  Lieben  entfernt,  so  fühlte  ich  meinen  Schmerz  nur 
noch  heftiger.  Nirgends  ist  der  betrübte  leicht  einsamer  als  auf  Reisen,  denn  er 
vermag  nicht  sich  mit  gewohnter  Leichtigkeit  anzuschließen,  und  das  Gefühl  der 
Verlassenheit,  das  den  Traurigen  so  sehr  drückt,  muß  nothwendig  wachsen.  An 
Orten,  die  ich  mich  früher  zu  sehen  gesehnt,  habe  ich  oft  den  ersten  Tag  nicht  ein- 
mahl  das  Zimmer  verlassen ;  man  findet  außer  wenigen  Edlen  und  den  Werken  der 
Kunst  ohngefähr  überall  dasselbe  wieder,  deshalb  bin  ich  bei  Annäherung  der  Winter- 
kälte, die  mich  von  den  Alpen  trieb,  nicht  auf  Rom  sondern  aufs  erste  nach  Jühnde 
gegangen,  wo  zwar  nicht  mehr  Therese  nur  für  mich  lebt,  wo  mich  nicht  mehr  der 
liebende  Arm  des  herrlichen  Weibes  wie  in  glücklichen  Zeiten  umfängt,  wo  mir  aber 
doch  ihr  Kind  lacht,  das  holder  ist  denn  ich  je  eins  sah,  und  wo  mir  ihre  trefflichen 
Verwandten  Freundlichkeit  und  Liebe  zeigen. 2) 

Arbeiten  kann  ich  zwar  wenig;  ich  pflege  meine  unheilbaren  Wunden  mit 
Liebe.  Aber  wie?  genießen  nicht  auch  Sie  Theurer  vielleicht  bereits  der  Vater- 
freuden? Ich  wünsche  es  Ihnen  als  ein  unschätzbares  Gut! 

Sie  wünschten  in  Ihrem  letzten,  Nachrichten  von  mir  über  Hofwyl  und  Ifferten. 
Was  soll  ich  Ihnen  schreiben  über  das  letztere?  Sie  kennen  Pestalozzi  zwar  ||  wenig, 
aber  doch  genug  um  selbst  zu  wissen,  daß  wohl  wenig  Menschen  mit  einem  solchen 
Talent  begabt  sind  als  er;  Sie  wissen  selbst  und  haben  selbst  geäußert  wie  viel 
herrliches  aus  ihm  bei  gehöriger  Bildung  hätte  werden  können.  Herumschwirrend 
und  nach  einer  Art  von  System  vergeblich  haschend,  hat  er  überall  in  seinen  Schriften 
die  herrlichsten  Gedanken  an  den  Tag  gelegt,  und  wenn  ich  an  seine  Methode  auch 
nicht  glaube,  wenn  ich  auch  mehr  verlange,  als  den  Befehl  mich  von  der  Natur 
forttreiben  zu  lassen,  so  enthielt  sie  in  Hinsicht  trefflicher  einzelner  Blicke  doch 
gewiß   (wenn  Sie  nicht  wissenschaftlich  streng  seyn  wollen)  eine  treffliche  Propä- 


x)  4  S.   4°.     H.  Wien. 

2)  Therese  v.  ß.  starb  im  ersten  Wochenbett.  (Vgl.  Kohlrauschs  Erinnerungen 
[1863],  S.  122  f.)  Der  Sohn  ist  der  spätere  Germanist  und  Kechtshistoriker  Karl 
von  Richthof  en,  geb.  30.  Mai  1811,  gest.  6.  März  1888.  (S.  Allg.  d.  Biogr.,  Nach- 
träge. 53,  346  ff.). 


Januar   T812.  87 

deutik  zu  jedem  andern  System.  Er  hat  so  vieles  einzeln  durchdacht,  so  vieles 
versucht,  und  dort  erhält  manches  einen  andern  Schein.  Jene  drei  Worte  hört  man 
bekanntlich  schon  längst  nicht  mehr;  die  Formenlehre  ist  der  Scheidtschen  Linien- 
zusammensetzung gewichen,  und  soll  nun  wieder  hervortreten.  Interessanter  denn 
alles  ist  Pestalozzis  Lebendigkeit.  Es  wurde  auf  eine  ziemlich  unpädagogische  Weise  die 
griechische  Sprache  eben  begonnen;  da  saß  er  bei  den  Leseübungen  4  Stunden  den 
Tag,  wachte  darüber  und  schlief  damit  ein.  Von  dem  Gedanken  Ihrer  Psychologie 
war  er  so  sehr  entzückt,  daß  ich  ihm  versprechen  müssen  ihm  deshalb  zu  schreiben, 
und  er  Sie  auf  das  herzlichste  grüßen  läßt.  Sonst  hielt  er  Sie  für  einen  Bücher- 
philosophen. ||  Schade  daß  er  nicht  mit  einem  Ihrer  Schüler  zusammengetroffen; 
Niederer  verwirrt  und  verphantasirt  alles,  aber  er  steht  so  fern  vom  Institut,  daß 
er  der  Sache  weniger  in  der  Wirklichkeit  schadet.  Der  Mann  erkennt  alles  was  er 
nicht  versteht  willig  für  einen  Gott;  es  darf  nur  dunkel  seyn,  so  ist  es  heilig 
und  schön. 

Pestalozzi  erklärte  häufig  daß  er  Niederer  bis  auf  seine  letzte  Streitschrift  (die 
zweite  Ausgabe  ist  besser)  nie  habe  verstehen  können.  Traurig  sieht  es  aus  mit 
den  andern  Lehrern;  sonderbar,  eben  die  Schule  die  so  laut  gegen  den  Pedantismus 
ankämpft,  hat  meist  nur  Pedanten  zu  Lehrern  gebildet;  einige  andere  stehen  fremd 
da  und  geben  nur  Unterricht.  Am  ausgezeichnetsten  sind  etliche  junge  Preußen 
von  denen  sich  viel  erwarten  läßt.  Um  so  mehr  ist  zu  bewundern,  daß  der  Geist 
unter  den  Zöglingen  so  gut  ist;  das  kommt  daher  weil  man  sie  auszufüllen  weiß, 
wie  man  es  noch  sonst  nirgends  gethan.  Mögen  die  Knaben  dafür  immer  etwas 
roh  bleiben.     Vor  einem  Pestalozzianer  aber  möge  mich  Gott  bewahren. 

Bei  Fellenberg  fühlt  man  sich  in  eine  ganz  andere  Sphäre  versetzt.  Wenn 
ich  das  daßige  Institut  loben  wollte  würde  ich  Sie  loben;  ich  will  daher  nur  be- 
merken was  mir  weniger  gut  scheint.  Griepenkerl  ist  der  ßaGiXtvg,  und  paßt 
sich  gut  dazu;  seine  Verehrung  gegen  Sie  ist  unbegrenzt;  aber  weshalb  ||  ist  er  gegen 
Pestalozzi  erbittert?  Fellenberg,  zwar  etwas  steif  aber  ein  vortrefflicher  Mann,  der 
Ihre  Achtung  verdient,  spricht  zum  wenigsten  in  Ihren  Worten,  und  erwirbt  sich 
gegenwärtig  durch  eine  vortreffliche  Armenschule  neue  Verdienste.  Schade  daß 
Griepenkerl  von  den  Kindern  so  weit  entfernt  steht,  er  ist  mehr  Direktor  als  Er- 
zieher; Schade  daß  man  Kinder  von  verschiedenem  Alter  genommen,  und  nunmehr 
wegen  der  Zeit  alles  in  Verwirrung  geräth.  Bedeutender  scheint  mir  aber  daß  man 
vielleicht  auch  jetzt  noch  nicht  die  Kinder  hinlänglich  beschäftigt.  Es  wird  dieß  un- 
umgänglich erfordert;  allein  wie  ist  es  da  möglich  wo  so  viel  Klassen  als  Lehrer  sind? 

Nun  noch  eine  Geld  Angelegenheit.  Vor  einigen  Tagen  schreibt  mir  mein 
Vater  plötzlich,  daß  er  für  mich  ein  Gut  um  116000  Thlr.  gekauft;  so  wenig  mir 
auch  jetzt  daran  liegt,  ist  der  Gewinn  doch  so  bedeutend,  daß  ich  ihn  nicht  aus  den 
Augen  setzen  darf.  Haben  Sie,  verehrter  Freund,  daher  noch  zufällig  Geld  zu  ver- 
leihen oder  macht  es  Ihnen  nicht  zuviel  Mühe,  so  würden  Sie  mich  sehr  verbinden. 
Es  treibt  mich  dieses  Geschäft  gegenwärtig  von  hier.  Ihre  Briefe  finden  mich  unter 
der  Aufschrift  B.  v.  R.  auf  Brecheishof  zu  Barzdorf  bei  Strigau  in  Schlesien. x)  Bitte 
schicken  Sie  mir  so  viel  Sie  können  und  so  bald  als  irgend  möglich,  es  liegt  mir 
daran,  und  Sie  haben  nichts  zu  fürchten. 

Leben  Sie  wohl,   und  grüßen  Sie  Ihre  Gattin  von  Ihrem  herzlichen  Freunde 

C.  v.  Richthofen. 

In  der  Familie  spricht  man  wie  immer  nur  Gutes  von  Ihnen,  liebt  Sie  und 
grüßt.  Sie! 

J)  Auf  diesem  Gute  hatte  Blücher  sein  Hauptquartier  am  Tage  vor  der  Schlacht 
an  der  Katzbach.     Vgl.  Kohlrauschs  Erinnerungen,  S.  122,  Anm. 


88  April   1812. 

266.    Friedrich  Thiersch  an  H.1)  München  d.  2.  April  1812. 

Wohlgeborner  Herr,  Hochzuverehrender  Herr  Professor! 

Die  Erinnerungen  an  die  Stunden,  welche  ich  zu  Göttingen  in  Ihrem  be- 
lehrenden und  vielfach  erregenden  Umgange  hingebracht  habe,  gehören  zu  den  er- 
freulichsten meiner  Vergangenheit.  Manches,  was  wir  und  Dissen,  Griepenkerl, 
Kohl  rausch  etc.  gemeinsam  besprachen  zur  Förderung  und  Verbreitung  richtiger  pädagog. 
Ansichten,  ist  in  dieser  Zeit,  obwohl  sie  dem  Neuen  gleichgültig  und  dem  Großen  und 
Würdigen  feindselig  entgegengeht,  mehr  durch  "Wort  und  Beyspiel,  als  durch  Schrift 
und  Gepränge,  aber  eben  deshalb  um  so  gedeihlicher  und  bleibender  gepflanzt  und 
verbreitet  worden.  Kohlrausch  steht  rühmlich  einer  nach  seinen  und  Ihren  An- 
sichten neugeschaffenen  Lehranstalt  vor,  so  auch  Griepenkerl  in  Hofwyl,  dessen 
Knaben  mit  großer  Leichtigkeit  und  Freude  den  Homer  lesen,  und  der  gerade  dort, 
an  dem  Zusammenflusse  der  vielen  Fremden,  wo  sich  soviele  Ansichten  brechen  und 
ausgleichen,  zur  Verbreitung  der  richtigen  sehr  vieles  beytragen  kann.  Dissen  lehrte 
(künftig  in  Marburg),  mit  großem  Beyfall  in  Ihrem  Geiste  und  ich,  dem  die  Ver- 
einfachung des  griechischen  Sprachunterrichtes  als  einer  keines  "Wegs  unbedeutenden 
Provinz  zugefallen  ist,  habe  mich  fortdauernd  bemüht,  die  Sache  weiter  und  in 
Ordnung  zu  bringen.  Was  ich  bis  jetzt  zu  Stande  gebracht  habe,  lege  ich  Ihnen 
*n  der  Grammatik  des  gemeinen  und  homerischen  Dialects2)  vor  und  bitte  Sie,  es 
einer  genauen  Durchsicht  zu  unterwerfen  und  mir  besonders  über  die  Syntax  Ihre 
Ansichten  und  Bemerkungen  mitzutheilen,  da  es  mir  in  derselben  hauptsächlich  um 
philosophische  Begründung  des  Verhältnisses  zwischen  Begriffen  und  Sätzen,  also 
um  Aufstellung  eines  Systems  in  dem  Chaos  der  Sprachregeln  zu  thun  war.  — 

Daß  die  Verbreitung  eines  wissenschaftlichen  Unterrichts,  besonders  im  Gebiet 
der  Philologie,  hier  ||  in  Baiern  großen  Schwierigkeiten  unterworfen  war,  daß  ich,  be- 
sonders nach  Jacobs  Abgange  mancherley  Kämpfe  zu  bestehen  und  am  Ende  die 
Dolche  von  Meuchelmördern  auszustehen  gehabt  habe,3)  wird  Ihnen  wahrscheinlich 
durch  das  Gerücht  seyn  gemeldet  worden,  auch  daß  ich  mich  nicht  habe  einschüchtern 
oder  von  meinem  Posten  vertreiben  lassen.  Ich  finde  keinen  Grund,  keinen 
wesentlichen  zum  wenigsten  meinen  Entschluß  zu  bleiben  jetzt  zu  bereuen,  zumal 
da  wir  nach  der  Zeit  in  eine  glückliche  Ruhe  gekommen  sind  und  von  Befehedungen 
unserer  Gegner  wenig  mehr  vernommen  wird,  während  der  Unterricht  in  den  Sprachen 
des  Alterthums  und  den  damit  verbundenen  Kenntnissen  immer  mehr  um  sich  greift 
und  erfreuliche  Früchte  zu  versprechen  scheint. 

Jetzt  ist  der  Streit  in  die  Philosophie  gefahren  und  nach  der  neuesten  Schrift 
von  Schilling]  gegen  J[acobi]4)  ist  es  kaum  mehr  zweifelhaft,  daß  man  künftig  nicht 
mehr  als  Muster  literarischer  Grobheit  Philologen  als  Bergler,  Paw5)  u.a.,  sondern  Natur- 
philosophen aufführen  wird.  Diese  unselige  Geschichte  hat  auch  auf  die  Akademie  ihren 
nachtheiligen  Einfluß,  indem  nun  Jacobi,  um  die  Gemeinschaft  mit  Schelling  zu  ver- 
meiden, sich  von  der  philologisch-philosophischen  Classe  ganz  zurückzieht  und  diese 
nun  ein  erstorbenes  Glied  an  einem  ohnehin  lebenarmen  Körper  noch  mehr  ge- 
worden ist,  als  sie  schon  zuvor  war.  —  Der  Aufsatz  von  Herrn  Dr.  Krause  in  dem 
Königsberger  Archiv   über  die  Schellingsche  Lehre   von  Gott   kam  gerade   mit  der 

*)  2  S.   4°.   H.  Wien.    Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  usw.,  S.  136  ff. 

2)  Griechische  Grammatik,  des  gemeinen  ü.  homerischen  Dialekts,  Leipzig  1812. 

3)  Bezieht  sich  auf  den  Mordanfall  auf  Thiersch  am  28.  Febr.  1811. 

4)  Denkmal  der  Schrift  von  den  göttlichen  Dingen  usw.,  1812. 

5)  Die  unleserlichen  Namen  fehlen  bei  Zimmermann.  Doch  dürfte  Thiersch 
den  durch  Rohheit  und  Cynismus  berüchtigten  Hellenisten  St.  Bergler  (1680 — ?), 
s.  Allg.  d  Biogr.  II,  391)  und  den  holländischen  Philologen  K.  von  Pauw  (f  1799T 
s.  Engelmann,  Bibl.  Script,  class.  vol.  I.  566)  meinen. 


i8i2.  89 

Scheliingschen  Schrift  zu  gleicher  Zeit  an  und  dem  Hrn.  Präsident  Jacobi  sehr  er- 
wünscht. "Weiller, 1)  der  ein  sehr  besonnener  und  billiger  Mann  ist,  war  der  Meinung, 
man  müsse  ihn  ohne  weiteres  als  Widerlegung  der  Scheliingschen  Schrift  abdrucken 
und  verbreiten  lassen.  — 

Ich  habe  noch  Grüße  des  Präsidenten  [Jacobi]  Ihnen  beyzufügen.  Die  Heraus- 
gabe seiner  Schriften  hält  den  übrigens  kränklichen  Mann  noch  in  Leben  und  Thätgkeit, 
hat  auch  gemacht,  daß  er  die  Schelling'schen  Invectiven  leichter  genommen  und 
ohne  dauernde  Unterbrechung  seiner  Ruhe  an  sich  vorüber  gelassen  hat. 

Mit  vorzüglichster  Verehrung  verharre  ich  Ew.  Wohlgeboren  gehors.  Diener 

Friedrich  Thiersch. 

267.    Richthofen  an  H.2)  Ohne  Datum. 

.  .  .  würden  hinreichen  einige  Stunden  für  meinen  bei  mir  lebenden  kleinen 
Bruder  zu  erübrigen,  denn  unser  Plan  scheint  mir  nur  dann  möglich,  wenn  alle 
Knaben  fast  gleichen  Alters  sind. 

Was  die  Zeit  anbetrifft,  so  ist  diesen  Sommer  wohl  kaum  mehr  daran  zu 
denken  eine  hinlängliche  Zahl  zusammenzubringen;  ich  möchte  aber  nicht  rathen 
ein  Knabeninstitut  mit  dem  Winter  zu  beginnen;  wenn  der  kömmt,  muß  schon  für 
manches  andere  als  das  Umherlaufen  Interesse  in  ihnen  geweckt  seyn.  Ueberdieß 
ist  mein  Vater,  beständig  von  Vertheilung  der  Arbeit  redend,  gegen  meinen  Plan; 
sein  Unwille  wird  sich  zwar  geben,  aber  ich  bedarf  Weyhnachten  seiner  Hülfe  zu 
nöthig,  um  auf  diese  Brücke  zu  treten.  Ein  nothwendig  vorzunehmender  Bau  er- 
fordert auch  Zeit,  darum  würde  unser  Beginnen  vor  dem  Frühjahr  nicht  wohl 
thunlich  seyn,  wenn  auch  Sie  jeder  Zeit  bei  mir  freundliche  Aufnahme  finden 
würden. 

Von  unserer  Regierung  ist  wahrscheinlich  nur  insofern  Hülfe  zu  erwarten, 
wenn  nicht  nur  das  wissenschaftliche  Interesse  sondern  auch  Liebe  zum  Vaterlande 
hervortritt;  um  gute  Soldaten  zu  haben,  schickte  der  König  junge  Leute  zu  Pestalozzi. 
Ueberdieß  hat  die  Schilderung  Ihrer  Frau  eine  alte  Idee  in  mir  wieder  erweckt. 
Lassen  Sie  uns  einen  allgemeinern  Standpunkt  fassen,  lassen  Sie  uns  einen  ||  Versuch 
machen  die  möglichst  vollkommene  Erziehung  bei  beiden  Geschlechtern  bei  Armen 
und  Reichen  darzustellen !  Theresen  beobachtend  habe  ich  mich  viel  und  gern  mit 
weiblicher  Erziehung  eine  Zeit  lang  beschäftigt;  wenn  unser  hauptsächlichstes  Werk 
im  Gange  wäre,  bäten  wir  Ihre  Frau  etwas  Ähnliches  zu  versuchen,  und  stehn  ihr 
mit  unserm  Rath  und  Kenntnissen  bei ;  eine  Armenschule  findet  sich  von  selbst. 
Von  der  Regierung  würde  ich  nichts  weiter  wünschen,  als  ein  hinlängliches  Gehalt 
für  Sie,  und  so  unabhängig  zu  seyn,  als  ich  es  bin.  Für  die  übrigen  Lehrer  etwas 
zu  erlangen  würde  schwerer  seyn,  vielleicht  aber  eine  Unterstützung  der  Armen- 
schule. Dinge  die  dem  Staate  nichts  kosteten,  wären  eine  Aufforderung  an  Vor- 
münder uns  ihre  Mündel  zu  vertrauen,  und  Befreiung  von  der  damit  nicht  wohl 
verträglichen  Personalein  quartierung.  Mein  Hof  liegt  einzeln,  so  daß  ich  Herr  bin 
über  alle  Umgebungen;  Platz  habe  ich  fürs  erste  hinlänglich;  einige  kleine  Gebäude 
lassen  sich  zurecht  bauen;  noch  größere  würden  sich  gliedern,  sobald  wir  ihrer  be- 
dürften. Die  Lage  ist  nicht  wild,  aber  freundlich;  kleine  Hügel;  Bäume  und  Wiesen 
in  Menge;  in  der  Ferne  das  Gebirge.  Gewinnen  will  ich  nichts;  wenn  Sie  Gehalt 
erlangen,  so  geben  wir  beide  unser  Theil  zum  gemeinschaftlichen  Haushalt.  ||  Ist 
Ihnen  geliebtester  Freund  dieß  alles  recht  (über  Kleinigkeiten  verständigen  wir  uns 
später)  glauben  Sie  dabei  mit  wenigen  glücklich  leben  zu  können,  und  daß  dies  für 

')  Der  kath.  Theolog  Cajetan  von  Weiller,  1761—1826,  s.  Allg.  d.  Biogr.  41,  494. 
2)4S.    4°.     H.Wien.     Ohne  Überschrift,  Datum  und  Anfang. 


go  Juni   1812. 

Sie  ein  genügendes  Geschäft  sey,  um  hinlängliche  Zeit  dabei  zu  bleiben  und  wirklich 
Erfahrungen  zu  machen  (mit  jedem  Jahr  steigt  fast  die  Schwierigkeit)  so  lassen  Sie 
uns  voll  freudiger  Hoffnung  hiezu  einen  Bund  schließen;  Freunde  bleiben  wir  auf 
jeden  Fall.  Voraus  sage  ich  Ihnen,  daß  ich  noch  zu  unbekannt  bin,  um  auf  Knaben 
in  Schlesien  große  Rechnung  zu  machen;  aber  vielleicht  daß  Ihre  Bekanntschaft  in 
Bremen,  Königsberg,  Ihre  Freunde  in  Curland,  die  Männer  die  in  Berlin  an  der  Spitze 
stehen,  ja  vielleicht  selbst  die  Schweiz,  wo  [man  Fellenberg  und  Pestalozzi  haßt, 
uns  eine  hinlängliche  Zahl  6  bis  höchstens  9 jähriger  Knaben  verschaffen;  Sie  würden 
gut  thun  deshalb  Erkundigungen  vorläufig  einzuziehen,  und  einstweilen  an  eine 
Schrift  zu  denken,  die  gemeinsam  überlegt  die  Aufmerksamkeit  Deutschlands,  sobald 
ich  frei  bin,  auf  uns  zöge!1) 

Ihre  privat.  Mißfälle  dauern  mich;  ich  wollte  ich  wäre  bey  Ihnen,  um  die 
Sache  für  Sie  durchzuarbeiten;  machen  Sie  doch  so  schnell  als  möglich  von  dieser 
Vormundschaft  sich  los.  Schreiben  Sie  mir  doch  ob  Sie  Johannis  Ihre  Interessen  haben 
wollen,  oder  ob  weil  das  Kapital  eine  so  ungleiche  Summe  (3900)  beträgt,  ich  sie 
dazufügen  soll,  so  daß  ||  es  dann  4000  betrüge;  es  hängt  dieß  jedoch  ganz  von  Ihnen 
ab  und  Ihren  Bedürfnissen.     Dann  schicke  ich  Ihnen  sogleich  die  Obligation. 

Leben  Sie  wohl,  theurer  Freund!  grüßen  Sie  Ihre  brave  Frau,  es  möge  Ihnen 
mein  Brief  den  lOten  Theil.der  Freude  gewähren,  die  mir  der  Ihrige.  Sollte  ein 
Wort  Ihnen  darin  unangenehm  seyn,  so  glauben  Sie,  es  sey  nicht  geschrieben,  denn 
wahrlich  ich  meine  es  gut! 

Es  kömmt  alles  auf  Sie  an.  Ihr  Freund  Richthofen. 

Recht  herzliche  Bitte  um  baldige  Erwiederung. 

268.    Richthofen  an  H.2)  Brecheishof  d.  23sten  Juni  1812. 

Vor  wenig  Augenblicken  erhielt  ich  Ihren  meine  schönsten  Hoffnungen  zer- 
schmetternden Brief,  verehrtester  Freund,  und  ich  vermag  nicht  Ihnen  meine  Be- 
trübniß  darüber  auszudrücken,  wenn  ich  auch  vielleicht  Unrecht  habe,  wenn  auch 
Ihr  Bestes  mich  alles  andere  vergessen  machen  sollte.  Eine  pädagogische  mit  Ihnen 
gemeinsam  begonnene  Unternehmung  schien  mir  für  die  verlohrenen  Freuden  häus- 
lichen Glücks,  die  nie  so  wiederkehren  können,  die  schönste  mögliche  Entschädigung, 
und  verzeihen  Sie  es  der  im  Menschen  nie  ganz  zu  unterdrückenden  Sehnsucht 
nach  eigenem  Glück,  wenn  leichten  Sinnes  ich  über  alle  andern  Schwierigkeiten 
sprang.  Aber  wahrlich  ich  will  Sie  darum  nicht  zu  etwas  bereden,  was  Ihnen  Ihr 
Genius  widerräth,  wogegen  ich  selbst  manchen  Grund  aufstellen  mußte ;  wenn  ich 
auch  noch  nicht  ganz  die  Hoffnungen  aufgeben  mag,  von  denen  ich  die  letzten 
Wochen  gelebt.  Das  ist  die  Hauptsache  ob  ein  dergestalt  veränderter  Wirkungskreis 
Ihren  Wünschen  und  Ihrer  Zufriedenheit  entsprechen  würde  oder  nicht;  die 
pekuniairen  Schwierigkeiten  würden  sich  geben.  Es  ist  mir  unausstehlich  widrig  von 
dergleichen  Dingen  mit  Ihnen  |j  zu  reden,  allein  ich  muß  dessen  erwähnen.  Die 
Summe  von  der  ich  Ihnen  neulich  schrieb  ist  keine  um  etwas  größeres  damit  zu  unter- 
nehmen; meine  Aussichten  auf  Reichthümer  (ich  kann  wenigstens  auf  200000  Thlr. 
rechnen)  sind  wie  ichs  als  Sohn  und  ehrlicher  Mann  hoffen  muß  fern,  aber  dennoch 
bin  ich  vielleicht  wohlhabender  als  ich  scheine.    Benachbarte  Güter  mit  Brecheishof 


*)  Schon  in  Göttingen  hatte  Richthofen  mit  Kohlrausch  den  Plan  gefaßt,  auf 
seinen  Gütern  eine  Mustererziehungsanstalt  nach  Herbartschen  Ideen  anzulegen.  Der 
Plan  kam  nicht  zur  Ausführung.  Aber  ein  Sohn  des  Freiherrn  gründete  spätor  eine 
Anstalt  für  verwahrloste  Kinder,  die  heute  noch  —  sehr  vergrößert  —  blüht.  Nach 
Kohlrauschs  Erinnerungen  und  nach  brieflichen  Mitteilungen  des  Hrn.  Karl  Frh. 
von  Richthofen-Damsdorf. 

')  4  S.    4°.     H.  Wien. 


Juli    1812.  QI 

von  gleicher  Größe,  galten  vor  dem  Kriege  60000  Thlr.  mehr  als  ich  jetzt  dafür 
gegeben,  im  letzten  halben  Jahre  habe  ich  vielleicht  an  dem  Sinken  der  preußischen 
Papiere  allein  10000  gewonnen,  und  gewinne  vielleicht  noch  mehr.  Bis  "Weyh- 
nachten  kann  ich  zwar  durchaus  nichts  über  mein  Vermögen  bestimmen,  weil  es  bis 
dahin  mit  dem  Wohl  des  preuß.  Staats  im  umgekehrten  Verhältniß  steht;  (eine 
sonderbare  Lage  für  den  der  sein  Vaterlaod  hebt;)  mit  jedem  Jahre  kommt  aber 
überdieß  noch  mein  Gut  in  bessere  Ordnung,  nähern  sich  nachtheilige  Kontrakte 
ihrem  Ende;  ist  dieß  alles  nicht  etwas?  Aber  um  so  größer  sind  jetzt  die  Ausgaben.  || 
Dem  gemäß  liebster  Freund  sehe  ich  mich  nach  reiflicher  Ueberlegung  wahr- 
scheinlich bald  in  der  Lage  für  mein,  könnte  ich  sagen  für  unser  Institut  keine 
Opfer  zu  scheuen ;  könnten  wir  nur  auf  einige  Zeit  auf  Unterstützung  der  Regierung 
bauen,  so  könnten  wir  sie  dann  vielleicht  entbehren;  auch  das  ist  nicht  außer  Acht 
zu  lassen,  daß  auf  dem  Lande  manches  weniger  kostspielig  ist.  Ueberlegen  Sie 
alles  nochmahls,  und  lassen  Sie  sich  einen  abermahligen  Brief  nicht  reuen. 

Für  mich  will  ich  nichts,  einzig  das  Gute,  und  das  Bewußtseyn  pro  virili  parte 
es  befördert  zu  haben.  Sehr  glücklich  würde  es  mich  machen  in  belehrendem  Um- 
gang mit  Ihnen  in  gemeinsamer  Thätigkeit  zu  leben;  ich  hoffe  Sie  sollten  über  mich 
keine  Klage  haben. 

Ihre  finanziellen  Besorgnisse  waren,  wie  ich  Ihnen  schon  jüngst  schrieb,  wohl 
etwas  vorschnell,  aber  Heimat  [?],  literarische  Muße,  pädagogische  Erfahrungen,  größere 
Wirksamkeit  rufen  Sie  noch  eben  so  mächtig.  [|  In  die  Direktion  würden  wir  uns 
leicht  theilen,  ich  würde  dem  eigenen  Lehrer,  dem  älteren  Freunde,  wo  verschiedene 
Meinungen  (doch  wohl  nur  in  Kleinigkeiten)  sich  nicht  vereinigen  ließen,  gern  nach- 
geben. Ja  ich  kann  nicht  läugnen  daß  der  Gedanke  alle  diese  schönen  Hoffnungen 
seyen  nur  ein  aus  geldlichen  Rücksichten  entsprungener  Traum  gewesen,  mich  mit 
Wehmuth  erfüllt! 

In  Breslau  hat  sich  das  Ansehen  Steffens,  das  vorigen  Winter  so  groß  schien, 
sehr  gemindert;  man  sucht  einen  Lehrer  der  Philosophie,  und  war  sogar  auf  Koppen 
gefallen.  Thil  aus  Frankfurth  dürfte  niemand  den  Rang  streitig  machen.  Wollen 
Sie  hin  so  läßt  es  sich  gewiß  machen,  aber  wird  sich  auch  Ihr  didaktisches  Institut 
versetzen  lassen?  Mit  Recht  klagen  Sie  über  Ihre  Freunde,  vielleicht  auch  über 
mich,  aber  ach  mir  ist  meine  Kraft  gebrochen,  ich  lebe  nur  noch  in  Träumen! 

Grüßen  Sie  Ihre  Frau,  seyn  Sie  glücklich,  und  lieben  Sie  mich. 

Ihr  Fr.  Richthofen. 

Ueber  Ihren  Vorschlag  wegen  eines  Erziehers  für  meinen  Bruder,  folgendes: 
daß  mein  Vater  sich  nur  dadurch  bewegen  ließ  mir  meinen  Bruder  zu  geben,  meine 
pädagog.  Absichten  gleichsam  selbst  zu  befördern,  daß  er  niemand  sonst  wußte,  dem 
er  seinen  Sohn  anvertrauen  gewagt  hätte;  nähme  er  einen  Lehrer  an,  so  würde  er 
ihn  bei  sich  haben  wollen,  und  wir  leben  3  Meilen  weit  auseinander. 

W.i  Juli:  Jahresbericht  über  das  didaktische  Institut.     S.  Bd.  XIV.     S.  35 — 38. 
269.     An   L.    Dissen.1)  Königsberg  29.  Jul   1812. 

Während  Sie  vielleicht  beschäfftigt  sind,  mein  Theurer,  mich  gegen 
Hrn.  Jachmanns  Zorn 2)  zu  retten,  mache  ich  mich  an  das  fröhliche  Ge- 
schafft, Ihnen  zu  Ihrer  Professur  Glück  zu  wünschen.  Marburg  liegt 
hübsch;    möge    es    Ihnen  auch  angenehm    seyn;    und    Ihre    Bemühungen 

!)  4  S.  8°.  H.  Wien.  Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  usw.,  S.  45  ff. 
Die  Randbemerkungen  wurden  hier  in  (  )  gesetzt. 

2)  Jachmanns  Rezension  der  Allg.  Päd.  betr.  S.  Bd.  II,  S.  IX  ff.  und  den 
folgenden  Brief. 


92 Juli   1812. 

lohnen.  Eben  heute  bekomme  ich  einen  Brief  von  Steigern  aus  Holland 
(wo  er  verheyrathet  ist),  mit  der  Erzählung,  Sie  seyen  in  Göttingen  der 
geschätzteste  unter  den  philosophischen  Docenten.  Da  Sie  das  in  Göttingen 
nun  nicht  mehr  sind,  so  hoffe  ich  dagegen,  Sie  werden  es  in  M[arburg] 
abermals  werden,  und  sich  nicht  ganz  aufs  Griechische  beschränken. 
Wie  stehn  Sie  mit  Tennemann? 

Meinen  Dank  für  Ihr  schnelles  Eingreifen  bei  dem  Jachmannschen 
Lärm  werden  Sie  wohl  im  Königsberger  Archiv  (im  ßten  Stück)  in  der 
Note  erkannt  haben,  worin  ich  dem  J  [achmann]  das  Nöthige  gesagt  habe. 
Mehr  halte  ich  eigentlich  nicht  nöthig  ||  und  Sie  werden  ohne  Zweifel  sorgen, 
daß  Ihre  Schrift  die  nicht  ausbleiben  darf,  nachdem  sie  einmal  angekündigt 
ist,  einen  selbstständigen,  nicht  bloß  polemischen  Werth  erhalte.  Übrigens 
wissen  Sie  hoffentlich,  was  hier  in  Königsberg]  ganz  bekannt  ist,  und  was 
Hr.  J [achmann]  selbst  im  Intelligenzbl.  d.  B.  Z.  deutlich  genu  gerzählt  hat, 
da  er  sich  lossagte  von  der  Redaction  von  Krausens  philosoph.  Nachlaß, 
—  dieser  Nachlaß  nämlich  war  über  ein  Jahr  früher  durch  Hrn.  v.  Auers- 
wald  mir  übergeben  worden,  zu  des  Hrn.  Jachmann  großer  Empfindlich- 
keit; wovon  seine  Briefe  an  Auersw[ald]  die  offenbaren  Bekenntnisse  liefern. 
Eben  weil  dies  hier  jeder  weiß,  hat  der  Schlag  gar  nichts  in  meiner  Nähe 
bewirkt,  außer  daß  in  meine  Pädagogik,  die  eben  vorigen  Winter  recht 
gut  besucht  war,  noch  zwei  Zuhörer  mehr  hineinkamen. 

Wer  aber  ist  E.  H.  T.?  Ich  habe  die  ganze  Zeit  auf  Tölken  ge- 
rathen;  Steiger  schreibt  heute  Thiersch,  der  aber  Friedrich  heißt. 
Possirlich  genug  daß  ich  meinen  Beschützer  nicht  einmal  kenne!  (Hr.  Jach- 
mann ist  übrigens  in  Königsberg  persönlich  sehr  bekannt,  aber  nicht  ge- 
liebt. Wo  ich  hinhörte,  beschrieb  man  mir  einen,  von  außen  glänzenden, 
aber  anspruchvollen,  und  innerlich  hohlen  Menschen.  Wie  lange  wird 
seine  Freundschaft  mit  Passow  bestehn?  der  auch  ein  Virtuos  in  der 
Keckheit  ist,  und  dabei  offenbar  mehr  geistiges  Vermögen  hat  als  Jener.) 
Es  ist  übrigens  nicht  Pädagogik,  was  mich  jetzt  beschäftigt.  Die  Thätig- 
keit  der  wissensch.  Deputation,  und  mein  Antheil  daran,  der  einst  so 
lebhaft  war,  ist  jetzt  ganz  ohne  Bedeutung.  Die  Hrn.  in  Berlin  ließen 
immer  Pläne  machen,  und  führten  nichts  aus.  Ein  paar  Starrköpfe  hier 
in  Königsberg  machten  die  Discussionen  ganz  und  gar  widrig.  Jetzt  habe 
ich  mich  in  dieser  Hinsicht  völlig  zurückgezogen,  und  ich  kann  Ihnen 
nicht  bergen,  daß  Ihre  Hülfe,  die  mir  noch  vor  einem  Jahre  höchst 
wünschenswerth  war,  jetzt  in   dieser  Hinsicht  zu  spät  kommen  wird. 

Vor  kurzem  endlich!  habe  ich  pro  receptione  und  pro  loco  disputirt.  *) 
Die  Dissertation  mag  den  Aufschub  rechtfertigen.  Sie  enthält  die  Aus- 
führung des  naturphilos.  Thema  wovon  ich  Ihnen  einst  schrieb.  Vielleicht 
kann  ich  Ihnen  dieselbe  durch  Buchhändler -Gelegenheit  senden.  Sie 
werden  darin  so  ziemlich  den  ganzen  Stoff  durchgearbeitet,  und  selbst 
weiter  verarbeitet  finden,  mit  welchem  Kant  sich  in  seinen  metaph[ysischen] 
Anfangsgründen]  d.  Naturwissenschaft  beschäftigte.  —  Wollen  Sie  mein 
Buch  in  den  Götting.  Anz.  recensirn?  Ich  habe  im  Sinn.  Heeren  diesen 
Vorschlag  zu  machen,    aber   aus  Gründen    und    unter  andern  Vorschlägen. 


')  Am    19.  Juni   1812,  s.  Bd.  III,  S.    156  ff. 


Juli  1812.  93 

(Ich  will  nämlich  nicht  den  Schein  haben,  als  bäte  ich  um  eine  Recension, 
die  vielleicht  als  für  mich  partheyisch  angesehn  würde.  Wollen  Sie  so 
schreiben  Sie  doch  an  Heeren  ein  paar  Worte.  Wo  nicht:  so  werde  ich 
ein  paar  Misverständnisse  mehr  oder  weniger  nicht  achten.  ||  ) 

Ich  bin  dem  Entschluß  nahe,  bald  zu  einer  „Grundlegung  zur  specu- 
lativen  Psychologie"  die  Feder  anzusetzen.  Beynahe  habe  ich  im  Königs- 
berger Archive  schon  zu  viel  gesagt  um  nicht  bald  mit  der  gehörigen 
Begründung,  und  mit  etwas  vollständigerem  hervortreten  zu  müssen. 

Daß  ich  nun  mit  gespannter  Erwartung  dem  entgegensehe,  wodurch 
Sie  Sich  zeigen  werden  brauche  ich  Ihnen  nicht  zu  sagen.  Nur  nicht  zu- 
viel Pädagogik!  (Ich  halte  mich  überzeugt,  daß  Pädagogik,  eben  weil  sie 
eine  abgeleitete  Wissenschaft  ist,  sich  immer  in  Jedem  Kopfe  nach  eigen- 
thümlichen  philosoph.  Ansichten  formen  wird.  Niemand  mag  Pädagogik 
lernen;  alle  wollen  sie  lehren.  Was  hilft  es  uns  denn,  darüber  zu  schreiben? 
Die  philosoph.  Grundlage  müssen  wir  bessern,  dann  bessert  sich  jeder 
selbst  seine  Pädagogik.)  Sie  haben  viel  mehr  Beruf,  sich  mit  Metaphysik 
zu  beschäfftigen.  Sind  Sie  wohl  in  Göttingen  dazu  gekommen,  Metaphysik 
zu  lesen?  Wenn  nicht,  so  ist  daran  wohl  nur  die  Unempfänglichkeit  der 
Göttinger  Schuld. 

Wenn  Sie  mir  antworten,  was  hoffentlich  bald  geschieht,  so  bitte  ich 
besonders  um  Nachrichten  von  Tölken.  Aus  diesem  Kopfe  muß  doch 
etwas  Tüchtiges  geworden  sein;    wie  kann  er  sich  so  lange  zurückhalten? 

Ganz  Ihr  Herbart. 

270.    An  Carl  v.  Steiger.1)  Königsberg  29.  jul.  1812. 

Ich  müßte  wohl  sehr  undankbar  seyn,  mein  Guter,  wenn  ich  nicht 
jetzt  wenigstens  augenblicklich  nach  Empfang  Deines  lieben  Briefes  die 
Feder  ergriffe,  um  Dir  zu  antworten.  Auch  hast  Du  Recht  zu  vermuthen, 
daß  mein  Brief  eher  den  Weg  in  die  Schweiz  als  nach  Holland  finden 
wird,  denn  nachdem  einmal  Dein  letzter,  gedrängter  Geschaffte  halber, 
eine  Zeit  lang  unbeantwortet  geblieben  war,  wohin  sollte  die  Antwort 
gehen?  Ueberdies  irrst  Du  Dich  nicht,  wenn  Du  ahndest,  daß  ein  alter 
Lehrer,  ehe  er  seinen  alten  Schüler  an  sich  erinnert,  sich  zuvor  gern  recht 
vest  überzeugt,  die  Erinnerung  werde  willkommen  seyn. 

Die  Nachrichten  von  Dir  und  den  Deinigen  sind  mir  äußerst  an- 
genehm. Wenn  Complimente  am  Platze  wären,  so  müßte  ich  mich  ent- 
schuldigen, daß  ich  mich  verheyrathet  habe,  und  zwar  vor  mehr  als 
einem  Jahre,  ohne  Dir  davon  Nachricht  zu  geben.  Meine  jetzige  Frau 
war  eine  ||  meiner  ersten  Bekanntschaften  in  Königsberg.  Sie  war  in 
Pension  in  dem  Hause  wo  ich  zuerst  wohnte.  Sie  gefiel  mir  in  den 
ersten  sechs  Wochen,  und  es  verrieth  sich  bald,  ohne  Absicht,  oder  viel- 
mehr wider  Willen,  daß  ich  ihre  Neigung  besaß.  Dies  letztere,  nachdem 
ichs  beynahe  ein  Jahr  lang  beobachtet  hatte,  bestimmte  mich  endlich, 
einem  jungen  Mädchen  von  damals  1 8  Jahren  meine  Hand  zu  bieten.  — 
Ich  schweige  von  den  Zögerungen  durch  den  Vormund  in  Memel,  und 
den  Vater  in  England  (Mr.  James  Lawrence  Drake,   ehemals  erster   Kauf- 

*)  4  S.  40.  —  Bei  Ziller  falsch  datiert. 


04  Juli   1812. 

mann  in  Memel,  durch  den  vorigen  Krieg  ruinirt,  und  nach  England  zu- 
rückgekehrt), und  sage  Dir  nur,  daß  ich  mit  meiner  Frau  glücklich  lebe, 
obgleich  ein  mäßiges  für  sie  zurückgebliebenes  Vermögen,  was  jetzt  schlecht 
verwaltet  wird,   mich    schon  genöthigt  hat,    bey  zwei  Gerichten  zu  klagen. 

—  Dies  wird  sich  wohl  endlich  einmal  einrichten;  ich  wünsche  nur  daß 
die  Gesundheit  meiner  guten  Marie  sich  vollends  bevestige;  wofür  in  ihrer 
Jugend  nicht  gehörig  gesorgt  war.  Sie  ist  nämlich  aus  einer  Pension  in 
die  andere  gekommen,  weil  sie  eine  Mutter  und  Stiefmutter  frühzeitig 
verlor.  Die  Stärke  ihrer  guten  Natur  und  ihres  richtigen  Gefühls  bewährt 
sich  durch  das  was  sie  ist  trotz  allen  diesen  Pensionen,  worin  ein  Andere 
hätte  verderben  müssen.  | 

Daß  man  Dir  auch  von  meinen  Gegnern,  im  pluralis,  erzählt  hat,  ist 
viel  Ehre  für  Hrn.  Dr.  Jachmann,  Director  einer  Schule  bey  Danzig,  der 
wohl  allein  gemeint  seyn  kann;  und  der  bös  darüber  ist,  daß  die  hinter- 
lassenen  Schriften  des  ehemaligen  hiesigen  Professor  Kraus,  deren  Heraus- 
gabe ihm  schon  übertragen  war,  ihm  durch  unsern  Curator,  Hrn.  v.  Auers- 
wald,  gewissermaaßen  aus  den  Händen  gewunden  und  mir  übergeben 
wurden.  Eine  Recension,  von  solcher  Leidenschaftlichkeit  eingegeben,  ist 
von  der  gemeinsten  Art;  ich  habe  sie  kurz  abgefertigt,  und  will  nicht 
hoffen  daß  sich  Dissen  und  Thiersch  noch  große  Mühe  damit  geben 
werden.  Lachen  würdest  Du,  wenn  Du  wüßtest,  wie  viel  Redens  und 
Disputirens  hier  in  K.  über  den  Homer  entstanden  ist,  (den  übrigens  die 
Königsberger  Knaben  mit  eben  so  viel  Vergnügen  lesen  als  ehemals  die 
Berner)  ich  bin  des  Redens  längst  müde,  und  beschäßtige  mich  mit  Psy- 
chologie und  Naturphilosophie;  natürlich  nicht  auf  Schellingische,  sondern 
auf  mathematische  Weise.  — 

Du  weißt  noch  nichts  von  allem,  wie  es  scheint,  was  mit  der  Grote- 
schen  Familie  seit  dem  Tode  des  trefflichen  Vaters  vorgegangen?  Nicht 
weniger  als  vier  Heyrathen  und  zwey  traurige  Sterbefälle.  ||  Das  älteste 
Fräulein  hat  längstens  einen  geheimnißvollen  Grafen  von  Palmedo  ge- 
heyrathet  und  ist  mit  ihm  nach  Italien  gereist.  Wilhelm  ist  Rahdens 
Schwager  geworden,  wie  Du  schon  in  Göttingen  vermuthen  konntest;  die 
Familie  reiste  hier  durch.  August  hat  eine  Freundin  von  Theresen  aus 
Hannover,  die  Du  gesehen  hast,  zur  Frau  genommen.      Die  gute  Therese 

—  war  Frau  von  Richthofen,  —  und  ist  jetzt  todt.  Sie  starb  im  Wochen- 
bette, und  hinterließ  ein  Kind.  Richthofen  habe  ich  Dir  sonst  schon 
genannt:  er  ist  Gutsbesitzer  in  Schlesien,  und  ich  zähle  ihn  zu  meinen 
Freunden.  Willst  Du  einen  Brief  nach  Jühnde  schreiben,  an  Wilhelm, 
oder  nach  Göttingen  an  den  Präfectur-Rath  Aug.  Grote,  so  wirst  Du 
ohne  Zweifel  nähere  Nachricht  erhalten.  Die  jüngste  der  Tanten  ist  auch 
gestorben,  und  unendlich  fürchtet  man,  wie  mir  Richthofen  schreibt,  für 
die  Großmutter. 

Von  Tölken  weiß  ich  nichts,  und  wundre  mich  wie  Du.  —  Meine 
hiesigen  Verhältnisse  sind  vollständig  die  eines  Professors,  der  im  Senat, 
in  der  Facultät,  in  der  wissenschaftlichen  Deputation  u.  s.  w.  seinen  Platz 
und  seine  Geschaffte  hat.  Die  Direction  der  letztern  war  mir  im  vorigen 
Jahre  übergeben,  und  ward  Schuld  am  gänzlichen  Stocken  meines  Brief- 
wechsels. 


September  1812.  gc 

Werde  ich  Dich  noch  einmal  wieder  sehn?  sammt  dem  ganzen 
großen  Kreise  der  Deinen?  Ich  weiß  es  nicht!  Die  jetzigen  Zeiten  drücken 
dergestalt  auf  den  Beutel,  daß  man  keine  Reisepläne  machen  darf.  Em- 
pfiehl mich  den  Deinigen,  und  behalte  mich  lieb ! 

Dein  Herbart. 

Eben  vor  dem  Siegeln  erhalte  ich  einen  Brief  von  Tölken  aus 
Göttingen;  seit  5  Jahren  den  ersten.  Er  hat  dort  angefangen,  über 
Archäologie  zu  lesen  und  denkt  mit  praktischer  Philosophie  fortzufahren. 
An  Rahden  denke  ich  oft  in  diesen  Zeiten  und  mit  nicht  wenig  Besorg- 
nissen. Vor  ein  paar  Jahren  war  er  hier,  gesund  und  stark,  aber  der 
Proceß,  mit  welchem  er  und  sein  Vater  von  dem  altern  Bruder  gedrückt 
werden,  und  der  für  unsern  Rahden  zwischen  Armuth  und  Reichthum  ent- 
scheiden muß,  war  noch  nicht  zu  Ende,  obgleich  er  sich  günstig  für 
unsern  Freund  zu  wenden  schien. 

Dissen  ist  jetzt  Professor  der  Griechischen  Sprache  in  Marburg.  Ein 
anderer  von  meinen  Zuhörern,  Unterholzner,  den  ich  sehr  schätze,  und 
der  über  das  Criminalrecht  nach  meinen  Grundsätzen  geschrieben  hat, 
verläßt  in  diesem  Augenblick  seine  juristische  Professur  in  Landshut,  weil 
er  an  die  neue  Universität  nach  Breslau  gerufen  ist. 

271.    Tölken  an  H.1)  Göttingen  d.  9.  Septbr.  1812. 

Herzlich  geliebter  Lehrer. 

Erst  vor  zwei  Tagen  habe  ich  einen  Brief  an  Sie  auf  die  Post  gegeben;  allein 
unerwartet  bietet  sich  mir  jetzt  eine  so  schöne  Gelegenheit,  Ihnen  noch  einmal  zu 
schreiben,  daß  ich  in  der  That  sie  nicht  unbenutzt  lassen  darf.  An  Materie  fehlt 
es  ja  nicht,  und  jenen  Brief  werden  Sie  schon  vergessen  haben,  wenn  Sie  diesen 
erhalten.  Der  Herr  v.  Heiden  aus  Königsberg,  früher  Ihr  Zuhörer  und  vielleicht 
bald  Ihr  College,  ist  der  Überbringer.  Ein  recht  lieber  Freund  von  mir,  dessen 
Abschied  mir  sehr  leid  thut.  Von  seinem  lebhaften  Sinn  und  Eifer  für  historische 
Studien  erwarte  ich  die  schönsten  Früchte. 

Gewiß  wird  es  Ihnen  lieb  seyn,  einmal  wieder  etwas  zu  hören  von  dem  Leben 
der  Familie  eines  Ihnen  sehr  theuren  Freundes,  des  Herrn  von  Grote ;  dessen  in 
meinem  letzten  Briefe  zu  erwähnen,  ich  nicht  mehr  Zeit  hatte.  Jühnde  bietet  noch 
immer  das  Bild  der  glücklichsten  Familie;  fast  in  idealischen  Verhältnissen.  Der 
Minister  freilich  ist  nicht  mehr;  jenes  edle  Beispiel  männlicher  Milde,  das  so  oft 
ich  Jühnde  besuche  mir  wieder  lebendig  wird.  Auch  die  ehrwürdige  Matrone,  die 
alte  Grosmutter,  ist  diesen  Frühling  gestorben.  Aber  zum  Ersatz  macht  eine  ganze 
Schaar  ||  munterer  Kinder  jetzt  Haus  und  Hof  lebendig.  T)er  eigentliche  Hausherr 
ist  August,  der  zweite  Bruder,  dem,  so  wie  seiner  höchst  sanften  Frau,  nichts  zu 
wünschen  wäre  als  bessere  Gesundheit.  Sie  haben  ein  feistes,  tüchtiges  Söhnlein 
einen  wahren  Kraftmenschen,  das  nicht  müde  wird  zu  rennen  und  Getöse  zu  treiben. 
Er  ist  etwas  über  ein  Jahr.  Wilhelm  ist  noch  alles,  warum  Sie  einst  ihn  so  sehr 
schätzten,  nur  vollendeter,  männlicher  und  milder.  Der  Genius  oder  die  Vesta  des 
ganzen  Haushaltes  ist  aber  seine  Frau,  von  deren  Liebenswürdigkeit,  Bildung  und 
edlem  Sinn,  ich  Ihnen  ein  langes  Lob  senden  mögte.  Ueber  alles  glücklich  sind  sie 
durch  zwei  Töchterchen,  von  denen  die  älteste,  von  l3/4  Jahren  etwa,  schon  höchst 
manierlich,  zierlich  und  klug  ist.    Das  zarteste  Kind,  das  ich  je  gesehen.    Als  vierter 


l)  3  S.    4°.    H.  Wien. 


q5  September  1812 — 18 13. 


Spielgeselle  wächst  mit  ihnen  der  junge  Richthoven  auf,  dessen  Anblick,  als  Waise 
von  kaum  einem  Jahr,  manche  bittere  Erinnerungen  aufregt.  Der  Knabe  ist  höchst 
scheu  und  blöde,  aber  seinem  Körperbau  nach  ein  wahrer  Riese,  der  im  Wachsen 
und  Zunehmen  alle  überwindet.  Das  noch  unverheiratete  Fräulein  weiß  sich  aufs 
artigste  mit  den  Kindern  zu  beschäftigen;  und  der  dritte  Bruder,  Carl,  studirt  jetzt 
hier.  Ein  vortrefflicher  junger  Mensch;  er  ist  kleiner  und  zarter  gebaut  als  sein 
Bruder,  aber  weit  ernster  und  gesetzter,  jj  als  jene  in  demselben  Alter  waren.  Die 
Frau  Ministerin  sorgt  als  unübertreffliche  Mutter  für  alle,  Kinder  und  Enkel.  Ich 
habe  sie  stets  schwarz  gekleidet  gefunden,  und  man  sagt,  daß  der  Schmerz  über 
den  Verlust  ihrer  Tochter,  sie  zu  diesem  Entschluß  gebracht  hat.  Ich  kann  Ihnen 
nicht  sagen,  wie  ehrwürdig  und  rührend  mir,  seit  ich  dieses  weiß,  diese  schwarzen 
Kleider  sind.  —  Haus  und  Garten  sind  bei  weitem  schöner,  als  ich  früher  sie  ge- 
kannt habe. 

Jetzt  wünsche  ich  nur,  daß  diese  Schilderung  Ihnen  so  viel  Freude  machen 
möge  zu  lesen,  als  mir,  sie  zu  schreiben.  Billigerweise  hätte  ich  freilich  nicht  einen 
ganzen  Brief  damit  anfüllen  sollen.  Ich  gestehe  Ihnen,  daß  oft,  wenn  mir  finster 
und  trübe  zu  Sinne  ist,  ich  nur  das  friedliche  Bild  von  Jühnde  in  mir  zu  erwecken 
brauche,  und  gleich  beruhigt  bin.  — 

In  meinem  letzten  Briefe  schrieb  ich  Ihnen,  in  welcher  Absicht  ich  hier  Mythologie 
und  Archäologie  zu  lesen  denke.  Jetzt  will  der  Herr  von  Heyden  so  gefällig  seyn, 
Ihnen  ein  Exemplar  von  einer  Ankündigung  meines  Curses  über  die  Mythologie 
mitzutheilen.  Es  ist  mir  in  so  fern  angenehm,  weil  ich  hoffe,  daß  Sie  daraus  sehen 
werden,  wie  ich  auch  diese  Studien  aus  einem  philosophischen,  rein  menschlichen 
Gesichtspunkt  zu  nehmen  suche,  wodurch  sie  nicht  unwürdige  Theile  eines  größern 
Gedankenkreises  werden. 

Ich  empfehle  mich  Ihrem  Andenken  und  Ihrer  Freundschaft  und  bin  mit 
herzlicher  Verehrung  Ihr  ergebenster 

E.  H.  Toelken. 

W.:  26.  Sept.     Prüfungsbericht.     S.  Bd.  XV.     S.  247—248. 

1813.    W.:  Lehrbuch  zur  Einleitung  in  die  Philosophie.    (1.  Aufl.)    S.  Bd.  IV.    S.  1  bis 

275.  —  Über  die   Unangreifbarkeit  der  Schellingschen  Lehre.    S.  Bd.  III.    S.  247 — 258. 

Berichte  der  Wissenschaftlichen  Deputation.     S.  Bd.  XV.    S.   248 — 252. 
18.   Okt.:  Bericht  über  das  didaktische  Institut.     S.  Bd.  XIV.    S.  63—67. 
Nov. :  Bericht  über  die  öffentliche  Prüfung  im  Königsberger  Waisenhaus.    S.  Bd.  XIV. 

S.  69—76. 


1814/15. 

1814.  W.:  Politische  Briefe.  S.  Bd.  III.  S.  269—287.  —  Über  meinen  Streit  mit  der 
Modephilosophie  dieser  Zeit.  S.  Bd.  III.  S.  317 — 351.  —  Rez.  über  Bachmanns  Philo- 
sophie  und  Kunst,    s.  Bd.  XII.    S.  14 — 18,    Ehrenbergs    Seelengemälde,    s.  Bd.  XII. 

S.   19,  Müller,   Vermischte  Schriften,  s.  Bd.  XII.    S.  19 — 23. 
18.  Jan.:    Über   den    freiwilligen    Gehorsam    als   Grundzug    des   echten   Bürgersinnes   in 
Monarchien.     (Rede   am  Krönungstage  in  der  Universität.)     S.  Bd.  III.    S.   259 — 268. 
Febr.:    Vortrag    in    der    Wissenschaftlichen    Deputation    zu    Königsberg.     S.  Bd.  XV. 

S.   169 — 172. 
Juni:  Über  Herrn  Prediger  Zippeis  Aufsatz,  der  vorgelesen  wurde  in  der  pädagogischen 

Societät.     S.  Bd.  III.    S.   289—  298. x) 
3.  Aug.:    Über   Fichtes   Ansicnt   der  Weltgeschichte.     (Rede   in  der  Deutschen  Gesell- 
schaft am  Geburtstage  des  Königs.)     S.  Bd.  III.     S.  305 — 316. 
25.  Nov.:  Bericht  über  den  Fortgang  des  didaktischen  Instituts.    S.  Bd.  XIV.    S.  76 — 78. 

1815.  Herbarts  Entgegnung  auf  eine  Rezension  seines  Buches :  „Theoriae  de  attractione  — " 
S.  Bd.  III.    S.  355 — 356.  —  Rez.  von  Kaysslers  Grundsätzen.    S.  Bd.  XII.    S.  24 — 35. 

—  Eintritt  Herbarts  in  die  Prüfungs-Commission  des  Stadt-Gymnasiums.     S.  Bd.  XV. 

S.  263  ff. 

212.    George  Sievers  an  H.2)  Warschau,  d.  8/20.  April  XV. 

Ich  schreibe  Ihnen,  theurer  verehrter  Freund,  in  dem  Augenblick  meiner  Abreise 

—  mit  zerissenem  Herzen.  Statt  von  hier  aus,  wie  ich  mit  Ungeduld  erwartete, 
in  mein  Vaterland  zurückzukehren  um  dort  mich  ganz,  meiner  Neigung  und  Ueber- 
zeugung  gemäß,  einer  wohlthätigen  und  in  ihren  Folgen  unendlich  segensreichen 
Wirksamkeit  zu  widmen,  muß  ich  aufs  neue  einem  blutigen,  verheerenden  und  viel- 
leicht sehr  langwierigen  Kriege,  allen  damit  verknüpften  Greueln  und  Gefahren,  — 
entgegengehn.  „Was  sind  Hoffnungen,  was  sind  Entwürfe,  die  der  Mensch,  der 
vergängliche,  baut."  In  Ihre  Hände  lege  ich  aber  das  heilige  Versprechen,  wenn 
mich  die  Vorsehung  aus  diesem  neuen  Krieg  wieder  gesund  in  mein  Vaterland  zu- 
rückführt, ich  den  vorgefaßten  Zweck  nicht  aus  den  Augen  lassen,  sondern  mit 
ganzer  Energie  ihn  verfolgen  und  mein  Leben  demselben  widmen  werde.  Bewahre 
mich  nur  der  Himmel,  daß  diese  Rückkehr  eher  statt  finde,  als  bis  der  wieder 
hervorgetretene  Genius  des  Bösen  völlig  bekämpft  ist.  Mit  Bonaparte  darf  kein 
Friede  geschlossen  werden.  Mehr  als  jemals  ist  es  nöthig  alles  aufzubiethen  um  || 
mit  vereinten  Kräften   die  Werkstatt  der  Hölle,   aus   welcher  endloses  Verderben 


*)  Ein  Brief  Zippeis  an  Herbart  (datiert  „Fort  Friedrichsburg  d.  8.  Juli  1814", 
2  Bl.  2°),  der  sich  auf  Herbarts  Bemerkungen  über  Zippeis  Aufsatz  bezieht,  befindet 
sich  auf  der  Königsberger  Universitäts-Bibliothek. 

2)  3  S.  4°.  H.  Wien.  —  Schreiber  des  Briefes  ist  jedenfalls  der  oben  (S.  66) 
erwähnte  Bruder  Georg  des  Grafen  A.  Sievers. 


Herbarts  Werke.     XVII. 


98  August  1815. 

über  Europa  auszuströmen  droht,  Bonapartes  Kopf,  zu  vernichten.  Es  gilt  in  diesem 
Kampfe,  nicht  minder  als  in  dem  eben  erst  beendigten,  die  Erhaltung  des  Heiligsten 
für  den  Menschen,  die  Religion,  Moralität  und  vernünftige  politische  Freiheit.  Siegt 
Bonaparte  so  thront  die  abscheulichste  Irreligiosität,  moralische  Verderbtheit  und 
militairischer  Despotismus,  gepaart  mit  dem  zügellosesten  Jacobinismus,  und  unsre 
Cultur  geht  verlohren.  Doch  dahin  wird  es  die  Vorsehung  nicht  kommen  lassen. 
Nach  den  zuverläßigsten  Nachrichten  scheint  die  in  Frankreich  vorgegangene  Um- 
wälzung bloß  eine  Wirkung  der  Unzufriedenheit,  des  im  Rauben  und  Morden  be- 
hinderten Militairs  einerseits,  so  wie  der  Ueberraschung,  Bestürzung  und  der  daher 
entstandenen  Lähmung,  zu  seyn.  Die  französische  Nation  scheint  keinen  Theil  daran 
zu  haben.  Ist  das,  so  versäume  man  doch  ja  nicht  diesem  Umstand  zu  benutzen, 
und  recht  bestimmt  zu  erklären,  daß  man  nur  Bonaparte  und  seinen  Leuten,  nicht 
der  Nation  den  Krieg  zu  machen  willens  ist.  Man  muß  vorbeugen  ||  daß  es  dem 
Unholde  nicht  gelinge,  die  Franzosen  zu  einem  National  Krieg  zu  entflammen,  der 
Furcht  vor  der  gegenwärtigen  Gefahr  einer  feindlichen  Invasion,  über  die,  viel  ärgere, 
eines  endlosen  Krieges  und  der  Soldatenherrschaft,  die  Oberhand,  in  dem  Gemüthe 
der  Franzosen  zu  verschaffen.  Beugt  man  dem  vor,  hält  man  fest  zusammen  und 
geht  mit  imponierender  und  Vertrauen  erweckender  Energie  zu  Werke,  so  scheint 
mir  der  Erfolg  nicht  zweifelhaft. 

Geben  Sie  mir  doch  zuweilen  Nachricht  von  Sich,  Ihrer  würdigen  Gattin  und 
Ihren  Freunden,  deren  Andenken  ich  mich  bestens  zu  empfehlen  bitte.  Um  sicherer 
zu  gehen,  adreßiren  Sie  gefälligst  Ihre  Briefe  an  den  Buchhändler  Kummer  nach 
Leipzig.  Ein  von  Hagenauer  erhaltenes  Werk  von  St.  Jullien  über  Pestalozzi  und 
seine  Methode  in  2  Bänden1)  habe  ich  einem  Kaufmann  aus  Riga,  Wolmerange,  der 
von  hier  über  Bromberg  nach  Koenigsberg  geht,  wo  er  mit  mehreren,  unter  andern 
vorzüglich  mit  Deetz,  sehr  gut  bekannt  ist,  zur  Bestellung  mitgegeben.  Leben  Sie 
wohl.  Der  Himmel  schenke  uns  ein  freudiges  Wiedersehen.  Erhalten  Sie  mich  in 
Ihrem  Herzen;  dem  meinigen  ist  das  Andenken  an  Sie  wohlthätiger  Nahrungsstoff. 
Meine  schönsten  Gefühle  stehen  mit  diesem  in  inniger  Verbindung.  Ihr  mit  ganzer 
Seele  ergebener  Freund  George  Sievers. 

273.    Dissen  an  H.2)  Göttingen  26ten  August  1815. 

Vielgeehrter  Herr  Professor! 

Wenn  Sie  von  meiner  Nachläßigkeit  im  Schreiben  auf  meine  Gesinnung 
schloßen,  so  müßte  ich  Ihnen  freylich  als  der  undankbarste  Mensch  erscheinen; 
denn  ich  betrachte  mit  Schrecken,  daß  ich  vielleicht  4  Jahre  geschwiegen  habe.  Auch 
will  ich  offen  gestehen,  daß  gerade  diese  Furcht,  Ihren  Zorn  wirklich  auf  mich  geladen 
zu  haben,  mich  in  der  letzten  Zeit  stark  darnieder  drückte,  so  daß  ich  nicht  wußte, 
wie  ich  mich  Ihnen  wieder  nähern  sollte.  Sehr  groß  war  daher  meine  Freude,  als 
ich  vor  14  Tagen  Ihre  letzte  kleine  Schrift  erhielt  und  so  zu  der  Gewißheit  kamT 
daß  Sie  in  Ihrer  Langmuth  dem  Sünder  noch  immer  Ihre  Güte  erhalten  haben.  Ich 
hörte  Ihre  mahnende  Stimme  und  eine  tiefe  Wehmuth  kam  über  mich  mit  allen 
Bildern  der  Vergangenheit.  Und  so  nehmen  ||  Sie  denn  meinen  vollen  herzlichen 
Dank  für  Ihre  sanfte  Ermahnung  und  die  reuige  Abbitte  meiner  Schuld. 

Ich  darf  Ihnen  nun  wieder  sagen,  daß  meine  Gesinnung  durch  alle  Jahre  der 
Trennung  von  Ihnen  und  des  Leidens  unverändert  dieselbe  geblieben  ist  und  bleiben 
wird  bis  in  den  Tod;  daß  ich  noch  immer  glaube,  daß  [ich]  glaube  an  Ihre  Wahrheit, 

x)  Vgl.  Israel,  Pestalozzi  -  Biographie  (Monum.  Germ,  paed.,  Bd.  31),  II.  Bd., 
S.  91  ff. 

2)  6S.    8°.    H.  Wien. 


August   1815.  99 

und   daß   das   einzige   was  ich  weiß   dasjenige  ist  was  ich  durch  Sie  weiß.    Nach 
[hrem  Abgänge  von  hier  übernahm  ich  wie  Sie  wissen   die  praktische  Philosophie 
zu  lesen,  und  es  gelang  mir  auch;  allein  die  öffentliche  Noth  wurde  immer  größer, 
und  die  Liebe  zu  lehren  und  zu  lernen  wurde  in  gleichem  Grade  verringert.     Nur 
die  Nothdurft  schrieb  Gesetze  vor,  ich  mußte  mich  also  ganz  auf  die  alten  Sprachen 
zuriickziehn,  erwartend  wie  lange  auch  sie  noch  bestehen  würden.   Um  diese  Zeit  wurde 
ich  nach   dem   armseligen  Marburg   versetzt  die  alten  Sprachen  zu  lehren,  wo  ich 
anderthalb   Jahr  mit  wenigen  litterarischen   und   oekonomischen  Hülfsmitteln  gelebt 
habe.    Endlich  hier  her  zurück  versetzt  trat  bald  darauf  neue  Ungewißheit  ein  für 
mich,  ob  wir  von  der  vorigen  Eegierung  eingesetzten  auch  würden  bestätigt  werden 
oder  nicht,  und  wie  ich  dann  meine  Lage   sichern  sollte.     Daß  ||  durch  alles  dieses 
meine  innern  und  äußern  Angelegenheiten   sehr  gelitten,  werden  Sie  glauben,  und 
erst  nachdem  alles  in  Ordnung  gekommen,  fange  ich  an  freier  zu  athmen.     Mein 
Wirkungskreis   ist  hier   zunächst   auf  Philologie   beschränkt  und  der  Plan  mit  dem 
Professor  Wunderlich  gemeinschaftlich  alle  Hauptzweige  der  alterthümlichen  Wissen- 
schaft vorzutragen  in  einem  dreijährigen  Cursus  hat  mich  in  mannigfaltige  Studien 
hineingezogen  und  bisher  wenig  Zeit  zu  andern  Dingen  mir  gestattet.    Philosophisches 
lehre  ich  also  nichts  als  die  Geschichte  der  griechischen  Philosophie,  denn  so  habe 
ich  nun  den  Plan  ausdehnen  müssen;  es  ist  also  nun  auch  die  Logik  weggeblieben 
und  alles  hat  einen  mehr  philologischen  Anstrich  erhalten,  ohne   daß   jedoch   die 
Grundideen  weggefallen  wären  die  Sie  mich  gelehrt  haben.     Was  den  Piaton  anlangt 
den  ich  auch  in  meinen  Vorlesungen  erkläre,  so  habe  ich  mich  überzeugt,  daß  Sie 
sein  Moral-System  einzig  richtig  aufgestellt  haben  wie  es  auch  zu  erwarten  war  von 
dem,  der  in  dieser  Hinsicht  selbst  so  platonisch  denkt,  aber  wegen  des  theoretischen 
Systems  bin  ich  doch  anderer  Meinung;  er  gebraucht  das  Wort  tivai  tö  oV,  r«  ovza 
von  den  Ideen  als  den  unwandelbaren  Muster  ||  bildern  weil  ihm  das  Werdende  eben 
nicht  das  Wahrhaft-Seiende  ist,  wie  Sie   auch  so  bestimmt  gesehen  haben,  aber  er 
faßt  den  Begriff   des  Seins  noch   nicht  so  scharf  wie  Sie.     Daher  seine  Ideen  nicht 
besondere  Wesen  sind,   sondern   nur   in  der   Gottheit.     Unwandelbarkeit  dergestalt 
daß  kein  Übergehen  stattfinde  in  das  Entgegengesetzte,  und  Ewigkeit  d.  h.  vorwelt- 
liches Vorhandensein  —  dieses  ist  der  platonische  Begriff  des  Seins;  Sie  haben  den 
Begriff   des   Seins   schärfer   entwickelt   als  je   ein  Philosoph,   darum   ist  Ihnen  das 
Sein   nothwendig   das   eines  Wesens.  —  In  der  Folge   denk'  ich  einmahl  über  die 
platonische  Dialectik  zu  schreiben,  wo  sich  hoffentlich  zeigen  wird  in  welchem  Um- 
fange Piaton  diese  Kunst  ausübte,  und   wie  äußerst  bildend  seine  reiche  Methodik 
sei,  ein  Punct  auf  den  Sie  mich  zuerst  recht  aufmerksam  gemacht  haben.     So  ziehe 
ich  also  noch  immer  von  Ihrem  unvergeßlichen  Unterrichte  vielfachen  Nutzen,  ohne 
auf  der  andern  Seite  die  practische  Philosophie  und  die  Metaphysik  vergessen  zu 
haben.     Nahmentlich  hab'  ich  in  der  ersten  mehr  den  zehn  in  Privat-Gesprächen 
unterwiesen,   seitdem  ich  sie  nicht  mehr  öffentlich  lehren  kann,  und  alle  sind  mit 
Liebe  gegen  den  Meister  durchdrungen  worden.     Unmittelbarer  kann  ||  ich  in  diesem 
Augenblick  nicht  in  dieser  Hinsicht  wirken,   da  die  Menge  der  philologischen  Ge- 
schäfte mich   zu   sehr   occupirt,   ich  auch   zweitens    nicht  mich  den  beiden  andern 
hiesigen  Lehrern  der  Philosphie  entgegenstellen  mag;  denn  Gemeinschaft  der  Über- 
zeugung kann  ich  nun  doch  nicht  mit  ihnen  haben.     An  den  wunderlichen  Anzeigen 
Ihrer  Bücher,  wie  noch  die  letzte  war  über  Ihre  Einleitung,  habe  ich  also  keinen 
Antheil,  kann  sie  aber  auch  nicht  verhindern,  da  mir  keine  Stimme  deshalb  erstattet 
ist.     Wie   es   zugeht,   daß   die  Leute   auch   ganz  und  gar  nichts  von  Ihren  Sätzen 
begreifen,  ist  mir  ein  Räthsel;   aber  natürlich  finde  ich  ihre  Keckheit,  denn  das  ist 
allen  Dummen  eigen.     Was  hier  in  dem   berühmten  Göttingen   für  ungewaschenes 

7* 


jOO  August — Dezember   1815. 


Zeug  von  den  philosophischen  Cathedern  gesagt  wird,  davon  haben  Sie  keinen  Be- 
griff. Mannigmahl  werde  ich  von  Studenten  um  Rath  gefragt,  ;bei  welchem  der 
beiden  Herrn  sie  hören  sollen,  und  ich  bin  jedesmahl  in  Verlegenheit;  eben  so 
wenn  sie  meine  Meinung  wissen  wollen  über  dieses  oder  jenes  in  den  Hörsäälen 
derselben  vorgekommenes.  Denn  wie  diese  Herrn  in  ihrem  eigenen  Wesen  ver- 
worren sind,  so  haben  sie  auch  keine  Kenntnis  des  Geschichtlichen.  So  z.  B.  hat 
H.  Schulz  vorigen  Winter  ganz  ernsthaft  vorgetragen,  Heraclit  und  Piaton  hätten 
das  Werden  gelehrt.  —  Von  Tölken  kann  ich  Ihnen  ||  wenig  sagen,  außer  daß  er 
jetzt  in  Berlin  als  Privatdocent  sich  befindet;  da  er  hier  durch  mancherlei  Verstöße 
die  Studirenden  von  sich  abgewendet  hatte,  auch  zu  unruhig  auf  einer  baldigen 
Anstellung  bestand,  so  mußte  er  sich  endlich  nach  fehlgeschlagenen  Hoffnungen 
weg  begeben.  Seine  Unruhe  hindert  ihn  noch  immer  eine  feste  Überzeugung  sich 
zu  bilden;  und  sein  zu  großes  Selbst- Vertrauen  wird  ihm  noch  mannigmahl  schaden. 
Doch  ich  halte  Sie  zu  lange  mit  meinen  Reden  fest;  leben  Sie  herzlich  recht  herz- 
lich wohl.     Stets  der  Ihrige 

G.  L.  Dissen. 

Nach  Michaelis:  Jahresbericht  über  das  didaktische  Institut.  S.  Bd.  XIV.  S.  83—86. 
4.  Dez.:  Vorschlag  zu  einem  pädagogischen  Institut.     S.  Bd.  XIV.    S.   79 — 83. 


1816. 


W. :  Lehrbuch  zur  Psychologie.    S.  Bd.  IV.    S.  295 — 436.    Rez.  von  Sinclairs  Versuch 

(S.  Bd.  XII.     S.  35-43). 

März,    April,  Juni,   Aug.,   Okt. :   Monatsberichte   der   Wissenschaftlichen   Deputation  zu 

Königsberg.     S.  Bd.  XV.     S.   177—179,   185,   186,   188. 

274.    Nicolovius  an  H.1)  Berlin,  d.  24.  September  1816. 

Wohlgeborner  Herr!     Hochgeehrter  Herr  Professor! 

Ew.  Wohlgeboren  kann  ich  auf  Ihr  gefälliges  Schreiben  die  gute  Nachricht 
mittheilen,  daß  bey  Gelegenheit  des  neuesten  Etats  des  didactischen  Instituts  alle 
von  Ihnen  gewünschten  Zuschüße  ganz  in  der  von  Ihnen  vorgeschlagenen  Aus- 
dehnung bewilligt  sind.  Darunter  ist  namentlich  Hausmiethe  und  das  Gehalt  des 
ersten  Aufsehers.  Wahrscheinlich  ist,  oder  wird  in  kurzem,  Ihnen  vom  Curatorio 
Alles  bekannt  gemacht,  und  Sie  können  darnach  wegen  Hauskaufs  pp  Ihre  Ent- 
schlüße  faßen. 

Ich  kann  und  darf  es  uns  hier  nicht  zu  einem  Verdienst  anrechnen,  daß 
Ew.  Wohlgeboren  solche  Beweise  von  Vertrauen  empfangen,  da  Sie  solches  so  sehr 
verdienen.  Das  aber  ||  sey  mir,  der  ich  an  Ihrer  Verpflanzung  nach  Preußen  nicht 
ganz  unschuldig  bin,  erlaubt  zu  sagen,  daß  es  mich  sehr  freut,  Sie  in  Ihrem  ganzen 
Seyn  und  Wirken  hier  so  ganz  nach  Verdienst  erkannt  zu  sehen. 

Möge  Gesundheit  und  Muth  nicht  von  Ihnen  weichen,  Ihr  Vertrauen  zu  uns 
fest  stehen,  und  wir  desselben  immer  werth  bleiben! 

Mit  herzlicher  Hochachtung  Ew.  Wohlgeboren  ganz  ergebenster  Diener 

Nicolovius. 

!)  2  S.  4°.  H.  Wien.  —  G.  H.  L.  Nicolovius  (1767—1839),  erst  Kurator  der 
Universität  Königsberg,  dann  Staatsrat  in  Berlin.  S.  G.  Schuster  a.  a.  0.  (Monum. 
Germ,  paed.,   Bd.  37),  S.  34  Anm.  und  Bd.  15  dieser  Ausgabe. 


1817. 


W. :  Gespräche   über   das    Böse.     S.  Bd.  IV.     S.  449 — 510.     Rez.  von  Apels  Grund- 
sätzen der  Metrik.    S.  Bd.  XII.     S.  43—56. 

275.    Nicolovius  an  H.1)  Berlin  d.  5.  Jan.  1817. 

Ew.  Wohlgeboren  kennen  die  Achtung  und  das  Vertrauen,  womit  ich  auch 
schon  vor  der  persönlichen  Bekanntschaft  Ihnen  ergeben  war,  und  werden  daher 
auch  diese  Mittheilung  mit  Güte  und  Theilnahme  ansehen.  — 

Der  traurige  Zustand  des  Studiums  der  Philosophie  auf  unsern  hohen  Schulen 
muß  wohl  jeden,  der  mit  Ernst  über  den  Gang  der  Bildung  der  vaterländischen 
Jugend  und  dessen  Folgen  für  die  Zukunft  nachdenkt,  beunruhigen,  insonderheit 
wenn  er  Amtshalber  einer  Theilnahme  an  der  Leitung  deßelben  sich  nicht  entziehen 
kann,  mehr  noch,  wenn  er  selbst  Vater  ist,  und  wackere  Söhne  in  die  höheren 
Bildungsschulen  eintreten  lassen  soll.  Alles  dieses  ist  mein  Fall,  und  wenn  ich  mit 
Besorgniß  und  Schmerz  auf  unsere  und  die  benachbarten  Universitäten  sehe,  so  kann 
mein  Blick  nur  gern  und  erheitert  bey  Ihrem  Hörsaale  verweilen.  Es  kann  hier 
nicht  von  diesem  oder  jenem  Systeme  die  Rede  seyn,  sondern  von  dem  Ernst,  ||  wo- 
mit die  Wissenschaft  vorgetragen,  von  der  Kraft  und  Kunst,  womit  junge  Köpfe 
geweckt,  für  die  Wissenschaft  gewonnen,  zum  Verständniß  der  größesten  Geister 
unseres  Geschlechts  erhoben,  zu  einem  hohen  Streben  begeistert,  und,  wo  die  Natur 
Neigung  und  Talent  für  die  Speculation  versagt  hat,  doch  mit  Achtung  und  Ehrfurcht 
für  die  Wissenschaft  erfüllt,  und  so  doch  mit  einigem  Salz  gegen  unwürdiges, 
schales  Treiben  der  für  Aemter  vorbereitenden  Studien  ausgerüstet  werden.  Welche 
Kraft  des  Gedankens,  welche  Gabe  der  Sprache,  welche  hohe  pädagogische  Kunst 
Ihnen  verliehen  ist,  davon  zeugen  außer  Ihren  Schriften  die  dankbaren  Schüler,  die 
durch  Sie  eines  höheren,  geistigen  Lebens  Theilhaftig  geworden  sind.  Schon  meinen 
ältesten  Sohn  wollte  ich  im  vorigen  Jahre  sein  akademisches  Studium  in  Kbg.  an- 
fangen lassen ;  die  Umstände  nöthigten  aber  ihn  hier  zu  bleiben.  || 

Um  desto  mehr  wünsche  ich  den  zweyten,  der  auf  Ostern  die  Schule  verläßt, 
ein  Jahr  und  bis  zu  Anfang  seines  juristischen  Studiums  auf  Ihrer  Universität 
studiren  zu  laßen.  Ein  Bedenken  steht  mir  noch  im  Wege.  Sie  fangen  Ihren 
Cursus  mit  dem  Winter- Semester  an.  Wie  kann  der  Ankömmling  Sie  von  Ostern 
bis  Michaelis  benutzen? 

Hierauf  erbitte  ich  mir  Ihre  gütige  belehrende  Antwort.  Nicht  darf  ich  hoffen, 
Ihnen  einen  würdigen  Schüler  zu  senden;  nur  einen,  so  wie  die  Gymnasien  solches 
leisten,  klassisch  vorbereiteten,  an  Fleiß  gewöhnten,  und  körperlich  und  geistig  wacker 
geübten  Jüngling,  der  wohl  nicht  für  die  Wissenschaft,  hoffentlich  aber  doch  für 
ein  durch  Ernst,  Nachdenken  und   höhere  Richtung  ausgezeichnetes  Geschäftsleben 


*)  3  S.    4°.     H.  Wien. 


Juli   1817. 103 

von  der  Natur  bestimmt  ist,  und  der,  ich  mag  es  nicht  anders  glauben,  Ihnen  immer 
Dank  schuldig  zu  seyn  und  Dank  zu  wissen  fähig  seyn  wird. 

Möge  Ihre  Güte  diese  Zeilen  entschuldigen,  und  nicht  die  innige  Achtung  ver- 
kennen, die  mich  zu  Ihnen  treibt! 

Ew.  Wohlgeboren  ganz  ergebenster  Diener 

Nicolovius. 

W.:/a«.     Bericht  über  das  didaktische  Institut.     S.  Bd.  XIV.     S.  89—93. 
75.  März.     Schreiben  an  Hrn.  von  Auerswald.     S.  Bd.  XIV.     S.  98  — 100. 

276.    An  Carl  v.  Steiger.1)  Königsberg  15  jul.  1817. 

Ein  sehr  angenehmes  Geschenk,  mein  Theurer!  hast  Du  mir  vor 
ein  paar  Monaten  mit  Deinem  Briefe  gemacht;  und  mit  so  vielen  er- 
wünschten Nachrichten  von  Dir  und  den  Deinigen.  Während  des  Laufs 
der  letzten  Jahre  habe  ich  öfter  an  Dich  schreiben,  und  Dir  zu  der  un- 
verhofft schnellen  Umkehrung  des  Bonapartismus  Glück  wünschen  wollen; 
allein  ich  sah  aus  den  öffentlichen  Nachrichten  nichts  Deutliches  über  die 
Schweiz,  und  fürchtete  Dein  Gefühl  irgendwie  zu  verletzen,  das,  wie  ich 
wohl  weiß,  gar  sehr  am  Politischen  hängt. 

Jetzt  eben  geht  ein  junger  Mann,  der  sich  auf  unserer  Universität 
gebildet  hat,  und  auch  nicht  ohne  Verbindung  mit  mir  geblieben  ist,  zum 
Herrn  v.  Fellenberg.  Bey  dieser  Gelegenheit  läßt  sich  ein  Brief  im  Noth- 
falle  durch  mündliche  Nachrichten  ergänzen;  und  so  paßt  es  sich  recht 
gut,  eine  seit  Jahren  unterbrochene  Correspondenz  wieder  anzuknüpfen. 
Mag  also  Herr  Lottermoser  (so  heißt  der  Ueberbringer  dieses  Blattes) 
Dir  Königsberg  beschreiben;  mit  dem  was  ich  von  mir  zu  erzählen  habe, 
werde  ich  bald  fertig  werden;  es  läuft  alles  darauf  hinaus,  daß  ich  ganz 
ruhig  in  meiner  Lage  fortlebe,  die  man  weder  als  unglücklich  beklagen, 
noch  besonders  glücklich  preisen  kann.  —  Das  Zeitalter,  welches  wir 
durchleben  mußten,  hat  auf  Alle  gedrückt,  die  nicht  gerade  Gelegenheit 
hatten,  sich  militärisch  oder  politisch  ||  hervorzuthun.  Dein  Bruder  Rudolph 
ist  vermuthlich  thätiger  gewesen,  als  wir  beyde,  der  Wellingtonsche  Dienst 
wird  genug  dazu  aufgefordert  haben.  Hier  in  Königsberg  beugte  man 
sich  unter  dem  Sturm,  so  lange  nöthig  war;  nach  dem  Rückzuge  der 
Franzosen  erhob  sich  hier  zuerst  die  Thatkraft;  jedoch  meine  Verhältnisse 
beschränkten  mich  auf  das  geduldige  Mit-Tragen  einiger  öffentlichen  Lasten. 
Unsere  Universität  wurde  vollends  leer;  die  kleine  Zahl  unserer  Studiren- 
den  eilte  zu  den  Waffen.  Bey  ihrer  Rückkehr  bewährte  sich  von  neuem, 
was  ich  in  der  Schweiz  zuerst  erfahren  habe;  daß  ein  ernstlicher  Kriegs- 
dienst, für  die  Sache  des  Vaterlandes,  die  jungen  Leute  eher  veredelt  als 
verwildern  macht.  In  der  That  ist  seitdem  ein  besserer  Ton  unter  diesem 
Häuflein,  an  dessen  Bildung  mitzuarbeiten,  nun  einmal  das  Hauptgeschäfft 
meines  Lebens  ausmacht.  Und  da  auch  unsere  neuerlich  verbesserten 
Schulen  uns  jetzt  viele  wohl  unterrichtete  Jünglinge  zur  Universität  ent- 
lassen; so  liegt  in  der  Tüchtigkeit  derselben  einiger  Ersatz  für  ihre  geringe 
Anzahl.      Freylich    erräthst    Du    leicht,    daß    mich    wohl    eine    Sehnsucht 


1)  4  S.  40.  —  Wie  schon  im  vorhergehenden  Band  bemerkt  wurde,  gelangen  die  Briefe 
Herbarts  an  Steiger  zum  ersten  Male  ungekürzt  und  diplomatisch  genau  zum  Abdruck. 


104  Juli  l8l7- 

nach  Göttingen  anwandeln  kann,  wenn  Du  den  Unterschied  bemerkst, 
daß  dort  jetzt  1300,  hier  200  Studirende  gezählt  werden.  Das  König- 
reich Westphalen  hat  mich  vertrieben;  sonst  wäre  ich  noch  dort. 
Einige  Vortheile  hat  meine  hiesige  Lage  theils  ||  darin,  daß  ich  mich  hier 
mehr  unter  meines  Gleichen  befinde,  ich  meine  unter  Jüngern  Collegen, 
und  nicht  neben  so  vielen  alten  Senatoren,  die  sich  als  die  Stützen  des 
Ruhms  von  Göttingen  betrachten.  Hier  bin  ich  selbst  seit  einer  Reihe 
von  Jahren  Senator;  ich  führte  vor  einem  Jahre  das  Prorectorat,  und 
selten  vergeht  ein  Halbjahr,  wo  nicht  entweder  das  Decanat  der  philos. 
Facultät,  oder  die  Direction  der  wissenschaftlichen  Prüfungscommission, 
mich  an  die  Spitze  eines  kleinen  Collegiums  stellt.  Allein  diese  kleinen 
Ehrenposten  machen  sich  auch  wieder  lästig  durch  allerley  kleine  Ge- 
schaffte, welche  die  Zeit  nicht  werth  sind,  die  sie  kosten.  Bedeutender 
ist  die  Annehmlichkeit,  mit  dem  Preußischen  Ministerium  des  Innern  im 
Verhältniß,  und  zuweilen  Geschäffts-halber  im  Briefwechsel  zu  stehen. 
Man  darf  wohl  sagen,  daß  schwerlich  anderwärts  eine  hohe  Behörde  mag 
gefunden  werden,  die  mit  so  viel  Humanität,  und  mit  so  entschieden 
gutem  Willen,  es  ihren  Untergebenen  angenehm  macht,  an  sie  zu  schreiben. 
Der  hannoversche  Stolz  würde  sich  nie  so  weit  herablassen.  —  Für  jetzt 
bin  ich  indessen  doch  auf  unser  Ministerium  ein  wenig  verdrießlich.  Ich 
dirigire  seit  Jahren  ein  pädagogisches  Seminar;  jetzt  soll  es  erweitert 
werden;  dazu  bin  ich  erbötig,  ein  Haus  zu  [|  kaufen,  falls  gewisse  Be- 
dingungen erfüllt  werden;  nun  hält  mich  das  Ministerium  schon  seit  Jahren 
hin,  indem  es  weder  rund  abschlägt,  noch  bestimmt  bewilligt  was  ich  ver- 
lange, sondern  allerley  in  die  Quere  mit  hereinzieht,  wodurch  meine  öko- 
nomischen Einrichtungen  in  einen  Zustand  von  peinlicher  Ungewißheit  ver- 
setzt sind.  Besonders  leidet  meine  Frau  darunter,  die  für  ihr  Leben  gern 
ein  wohnliches  Haus  mit  einem  Garten  hätte,  —  was  auch  geschehen 
könnte,  wenn  nicht  auf  den  möglichen  Fall,  daß  ich  einmal  Königsberg 
verlassen  könnte,  für  einige  Erleichterungen  des  alsdann  zu  fürchtenden 
Verlustes  gesorgt  werden  müßte.  Uebrigens  hängt  meine  Frau  selbst  sehr 
an  Königsberg,  obgleich  sie  hier  gar  keine  Verwandte  hat.  Ich  habe  Dir 
früher  geschrieben,  daß  sie  in  Memel  geboren  ist,  und  zwar  von  englischen 
Eltern,  die  sie  in  England  erziehen  ließen.  Ihr  Vater,  ein  wunderlicher 
Mann,  der  durch  allerley  seltsame  Speculationen  wieder  eben  so  reich 
werden  möchte,  als  er  gewesen  ist,  und  der  gerne  dazu  das  kleine  mütter- 
liche Erbtheil  meiner  Frau  verbrauchen  würde,  wenn  wir  es  gestatteten, 
lebt  in  Memel,  und  ist  so  böse  auf  uns,  daß  er  uns  nicht  incommodirt. 
Meine  Frau  empfindet  das  tief;  aber  sie  hat  Charakter  genug,  und  gehört 
mir  so  ganz,  daß  sie  sich  wenigstens  mit  Ruhe  in  das,  durch  uns  nicht 
verschuldete  Misverhältniß,  zu  schicken  weiß.  || 

Soll  ich  nun  noch  erzählen,  daß  in  meinem  Pulte  eine  weitläufige 
psychologische  Arbeit1)  auf  bessere  Zeiten  des  Buchhandels  wartet?  daß 
ich  mich  eben  jetzt  mit  Naturphilosophie  (freylich  nicht  mit  Schellingischer) 
beschäfTtige ?  So  etwas,  denke  ich,  versteht  sich  von  selbst.  —  Also  nur 
noch  die  besten  Wünsche  für  Dich,   für  Dein  Haus,   für  Deine  politische 


x)  S.  u.  Brief  an  Brockhaus  v.  7.  Okt.   18 19. 


Juli — September  1817.  105 


Laufbahn,  für  Deine  Brüder,  und  für  ein  langes  Leben  Deines  trefflichen 
Vaters.  Auch  Deinem  Vaterland  wünsche  ich  alles  Heil.  Wäre  es  nur 
nicht  eine  so  misliche  Sache  um  jeden  Staatenbund!  — 

Ganz  Dein  Herbart. 
Vielleicht  ist  es  Dir  angenehm,  noch  zu  erfahren,  daß  der  älteste 
Grote,  jetzt  Regierungsrath  in  Oldenburgischen  Diensten,  kürzlich  mit 
seiner  Frau,  einer  Schwester  von  Rahden,  hier  durch  nach  Curland  gereist 
ist.  Auch  den  ältesten  Grafen  Sievers  habe  ich  während  der  Kriegs- 
periode  mehrmals  hier  gesprochen.  Er  ist  General,  und  Chef  der  Ingenieurs; 
als  solcher  lebt  er  in  Petersburg.  Sein  Bruder  Alexander  ist  vor  mehrern 
Jahren  gestorben.  —  Grote  sowohl  als  Sievers  haben  an  Heiterkeit  etwas 
verloren,  sonst  sind  sie  noch  die  Alten. 

W. :  3.  Aug.    Über  den  Hang  des  Menschen  zum  Wunderbaren.    (Königs  Geburtstags- 
rede.)    S.  Bd.  IV.     S.  437—447. 
16.  Aug.   u.   2g.  Sept.:  Schreiben   über   die   Beschaffung   eines  Lokals   für   das  Institut. 

S.  Bd.  XIV.     S.   103  —  109. 


1818. 


W:  Über    das  Verhältnis   der  Schule   zum   Leben.     S.  Bd.  IV.     S.  511  —  518.     Päda- 
gogisches  Gutachten   über  Schulklassen.      S.  Bd.  IV.     S.  519 — 556.     Rez,  über  Graffs 
Umwandlung  der  Schulen.     S.  Bd.  XII.     S.  56. 

Jan. :  Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar.     S.  Bd.  XIV.     S.   117 — 123. 

277.  An  Brockhaus  in  Leipzig.1)  Königsberg  13  jui.  1818. 
Ew.  Wohlgeboren  gütige  Einladung  zur  Theilnahme  an  Ihrem  Hermes 

ganz  ergebenst  verdankend,  übernehme  ich  die  Anzeige  der  mir  unterm 
24.  Jun.  nahmhaft  gemachten  drey  Bücher;  jedoch  in  der  Voraussetzung, 
daß,  falls  ich  etwa  eins  oder  das  andere  darunter  zu  geringfügig  für  Ihre, 
auf  dauernden  Werth  hinarbeitende,  Zeitschrift,  zu  finden  glauben  sollte, 
eine  bloße  Privat- An  zeige  an  Sie  hinreichen  werde. 

Mit  der  ausgezeichnetsten  Hochachtung  Ew.  Wohlgeboren  er- 
gebenster Herbart. 

278.  An  Krug  in  Leipzig.2)  Königsberg  26  Aug.  18. 
Ew.  Wohlgeboren  muß  ich  mit  Bedauern  melden,  daß  von  den  drey 

zur  Anzeige  im  Hermes  mir  zugesandten  Schriften  auch  nicht  Eine  be- 
deutend ist.     Meine  kurze  Relation  darüber  an  Sie,  ist  folgende: 

1.  Die  Schrift:  Pestalozzis  neue  Methode  alte  Sprachen  zu  lehren, 
enthält  nicht  volle  6  Octavseiten  die  zur  Sache  gehören,  und  auf  diesen 
Seiten  treiben  sich  ein  paar  bekannte  Gedanken  herum,  die  von  offenbarer 
Unkunde  der  eigentlichen  Schwierigkeiten  zeugen. 

2.  Herr  Kniewel  ist  Schellingianer  und  Pestalozzianer  vom  derbsten 
Schlage;  und  mit  allen  bekannten  Fehlern  dieser  Art  von  Menschen. 
Merkt  man  auf  ihn,  so  wird  er  noch  lauter  schreyen.  Es  ist  besser  ihn 
zu  ignoriren.     Dennoch  hatte    ich    eine    Recension    angefangen,  allein  ich 

*)  Dieses  Schreiben  wurde  mir  von  der  Handschriften  -  Abteilung  der  Königl. 
Bibliothek  zu  Berlin  gütigst  zum  Abdruck  überlassen. 

2)  Wilh.  Traug.  Krug  (1770 — 1842),  Nachfolger  Kants  und  Vorgänger  Herbarts 
in  Königsberg,  damals  Professor  in  Leipzig  und  Redakteur  des  „Hermes",  einer  kritisch- 
literarischen Viertelsjahrsschrift,  die  F.  A.  Brockhaus  18 18  gegründet  hatte  (vgl.  H.  E. 
Brockhaus,  F.  A.  Brockhaus'  Leben,  Leipzig  1872  ff.).  —  Die  folgenden  Briefe  ver- 
danke ich  der  Firma  F.  A.  Brockhaus  in  Leipzig,  die  die  Freundlichkeit  hatte,  mich 
nicht  nur  ihre  Kopierbücher  einsehen  zu  lassen,  sondern  mir  auch  mehrere  Briefe  Herbarts 
zur  Verfügung  zu  stellen. 


August   1818.  I07 

legte  die  Feder  weg,  da  ich  sah,  daß  hier  nur  Derbheit  mit  Derbheit  zu 
erwiedern  sey;  das  [|  Publicum  aber  dabey  nichts  lernen,  auch  nichts  An- 
genehmes über  Pestalozzi  hören  werde.  Fänden  Sie  übrigens,  daß  Hrn. 
Kniewels  Ansicht  von  der  „electrischen  und  magnetischen  Seite  der  — 
Geschichte",  im  Hermes  erwähnt  werden  müsse,  —  so  würde  ich  bitten, 
einem  andern  Mitarbeiter  deshalb  ihre  Aufträge  zu  ertheilen. 

3.  Hr.  Pustkuchen  ist  vollends  eine  schwache  Person,  obgleich  hie 
und  da  ein  Gedanke,  und  durchweg  die  Fertigkeit,  sich  in  Worten  auf- 
zublähen, zu  verspüren  ist.  Aber  keine  Ahndung  von  Gründlichkeit; 
nicht  die  mindeste  Überlegung  der  Bedingungen,  unter  denen  die  Unter- 
suchung hätte  anfangen  und  fortgehen  können!  —  Wozu  soll  man  der- 
gleichen recensiren? 

Diese  drey  Schriften  werde  ich,  um  Ihnen  nicht  unnütze  Kosten  zu 
verursachen,  an  Hrn.  Unger  abgeben,  der  hoffentlich  so  gefällig  seyn  wird, 
weitere  Vorschrift  des  Hrn.  Brockhaus  zu  erwarten  und  die  Besorgung 
zu  übernehmen. 

Da  Sie  mich  aber  auffordern,  selbst  Vorschläge  zu  machen,  so  frage 
ich  an,  ob  Sie  für  Eschenmayers  Religions  -  Philos.  ||  schon  den  Recens. 
bestimmt  haben?  Oder  ob  Sie  desselben  Psychologie  noch  nicht  zu  alt 
finden,  um  im  Hermes  recensirt  zu  werden?  —  Der  Recensent  der 
Religions-philosophie  wird  ein  bedeutendes  Geschafft  haben,  besonders 
weil  E.  selbst  die  Fehler  Schellings  —  die  freylich  uns  Andern  kein 
Geheimniß  waren,  —  nun  auch  den  Schellingianern  selbst,  zum  Theil 
enthüllt,  wiewohl  er  selbst  noch  größtentheils  darin  befangen  ist. 

Ein  interessantes  pädagogisches  Schriftchen  ist  das  von  Regier.  R. 
Graft :  „Die  für  die  Einführung  eines  erziehenden  [Unterrichts]  nothwendige 
Umwandlung  der  Schulen;  bey  Steinacker.  1818.  Nur  kann  ich  mich 
nicht  zum  Recens.  anbieten,  weil  ich  selbst  dabey  interessirt  bin.1)  Aber 
nennen  darf  ich  es  Ihnen,  zu  beliebigem  Auftrage  an  einen  andern  Mit- 
arbeiter. 

Meiner  Eile  wegen  sehr  um  Entschuldigung  bittend  verharre  ich  mit 
der  vorzüglichsten  Hochachtung  als  Ew.  Wohlgeboren  ganz  ergebenster 

Herbart. 

x)  Vgl.  Bd.  IV,  S.  XI  ff.  und  O.  Willmann,  Herbarts  päd.  Schriften  (1880),  2.  Bd., 
S.  69  ff. 


1819. 


W.:  Rez.  über  Eschenmayers  Religionsphilosophie  (S.  Bd.  XII.     S.  297 — 307),  Guts 

Muth's   Abriß   der  Gymnastik,    Kayßlers  Würdigung  der  Turnkunst,  Steffens  Turnziel, 

Passows  Turnziel,  Passows  Turnleben  (S.  Bd.  XIII.     S.  340 — 351). 

Jan.:   Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar.     S.  Bd.  XIV.     S.    129 — 141. 

279.  Brockhaus  an  H.1)  Leipzig  5.  April  1819. 

Die  Rez.  über  das  Turnwesen  konnte  noch  ins  2te  Heft  des  Hermes;  die  über 
Eschenmayers  Werk  ins  3te  Heft.  Schlagen  Sie  uns  vor,  was  Ihnen  in  dieser  Hin- 
sicht weiter  zu  beurtheilen  zweckmäßig  dünkt.  An  dem  Ton  finden  wir  nichts  aus- 
zusetzen. 

Im  Verlag  des  Verlegers  vom  Hermes  ist  vor  einigen  Monaten  ein  philoso- 
phisches Werk  von  D.  Arthur  Schopenhauer, 2)  (einem  Sohne  der  Reisebeschreiberin) 
jetzt  in  Rom,  erschienen,  über  welche  eine  ausgearbeitete  Rezension  uns  sehr  am 
Herzen  liegt.  Wir  rechnen  dabey  auf  Ew.  W.  und  hoffen,  Sie  werden  solche  über- 
nehmen und  uns  solche  baldigst  einsenden.  Der  Umstand,  daß  Schreiber  dieses 
solche  verlegt  hat,  muß  Ew.  Wohlgeb.  nicht  im  geringsten  stören,  sie  der  strengsten 
Prüfung  und  Analyse  zu  unterwerfen. 

Inliegend  erfolgt  zugleich  eine  Anweis,  auf  dies  Werk,  um  dasselbe  von  den 
Hrn.  Gebr.  Bornträger  dort  beziehen  zu  können. 

280.  Brockhaus  an  H.  Leipzig  10.  Mai  (19). 

Ew.  W.  ersehen  aus  inliegender  Anzeige,  daß  Ihre  kleine  Schrift  gegen  Steffens 
die  Presse  bereits  verlassen  und  ausgegeben  worden  ist. 

Die  bedungenen  20  Ex.  fein  Papier,  sind  heute  an  Hrn.  Unzer  zur  baldigen 
Besorgung  an  Sie  abgegeben  worden  und  wahrscheinlich  in  kurzer  Zeit  in  Ihren 
Händen.  Ich  hoffe,  daß  Ew.  W.  mit  dem  äußeren  Gewände  dieses  Schriftchens 
werden  zufrieden  seyn. 

W.:   Mai:    Über   die   gute   Sache.     Gegen  Prof.  Steffens.     S.  Bd.  IV.     S.  557  —  570. 
Sommer:  Erste  Vorlesung  über  praktische  Philosophie.     S.  Bd.  V.     S.    I  — 10. 

281.  Brockhaus  an  H.  Leipzig  14.  July  (1819). 
Ew.  W.  haben  für  die  zum  2ten  Hefte  des  Hermes  gelieferten  Recensionen 

betragend    1  Bogen,   9  S.  in  3  Carolin  oder  18  Thler  pr  Bogen,  Rth  28.  3  gr.  von 


x)  Nr.  279-281,  285,  290  aus  den  Kopierbüchern  der  Firma  F.  A.  Brockhaus 
in  Leipzig. 

2)  Man  vgl.  zu  dem  Folgenden  Th.  Feitzsch,  „Herbart  und  Schopenhauer1'  in 
der  Zeitschr.  f.  Phil.  u.  Päd.  (Langensalza,  Hermann  Beyer  k  Söhne  [Beyer  &  Mann]). 
18.  Jahrg.,  S.  257—265. 


August  1819.  10q 

mir  zu  erhalten,  welche  beigehend  in  einer  Anweisung  auf  Herrn  A.  W.  Unzer 
erfolgen  und  womit  ich  diesen  Gegenstand  auszugleichen  bitte. 

In  Erwiederung  Ew.  W.  Schreiben  vom  30.  May  habe  ich  die  beiden  kleineren 
Schriften  des  Dr.  S[chopenhaue]r  Ueber  die  4  fache  "Wurzel  pp  und  Ueber  das 
Sehen,  sofort  verschrieben  und  vor  etwa  8  Tagen  durch  die  Herren  Gebr.  Born- 
träger dort  an  dieselben  abgesandt. 

Ich  sehe  nun  recht  bald  der  gütigst  zugedachten  umständlichen  Beurtheilung 
entgegen,  und  wollen  Ew.  "W.  dieselbe  direct  an  mich  addreßiren,  mir  auch  gefälligst 
melden,  welche  Beurtheilung  dann  folgen  soll.  —  Unser  Wunsch  wäre,  daß  Ew.  W. 
sich  so  einrichteten  um  in  jedem  Stück  des  Hermes  jedesmal  eine  Abhandlung 
zu  liefern. 

Es  wird  künftig  noch  mehr  als  seithero  die  strengste  Wahl  sowohl  in  der 
Bestimmung  der  zu  beurtheilenden  Schriften,  als  auch  der  Mitarbeiter  selbst  statt 
finden.  —  Übrigens  ist  nie  zu  vergeßen,  wie  es  in  der  Idee  des  Hermes  liegt,  daß 
über  die  Punkte,  die  einmahl  zur  Betrachtung  ausgewählt  sind,  so  genau  und  voll- 
ständig als  die  Kräfte  gestatten,  Auskunft  gegeben  werde,  und  gewöhnliche  bloße 
Recensionen  hier  gar  nicht  genügen. 

Was  Ew.  W.  für  dies  Institut  einsenden,  wollen  Sie  unmittelbar  an  mich 
addreßiren. 

282.    Krause  an  H.1)  Weimar  den  18ten  Aug.  1819. 

Endlich  kann  ich  den  längst  tief  gefühlten  Wunsch  meines  Herzens  erfüllen, 
und  Ihnen,  Hochverehrter,  theuerster  Freund  von  hier  aus  schriftlich  meine  Hoch- 
achtung und  Ergebenheit  versichern.  Sie  werden  schon  gehört  haben,  daß  ich  lange 
an  dem  Rande  des  Grabes  stand;  und  inwiefern  ich  mich  jetzt  gerettet  zu  sehen 
glaube,  werden  Sie  in  meinem  Brief  an  den  Herrn  Archidiaconus  Werner  lesen,  der 
Ihnen  denselben  gern  mittheilen  wird.  Ich  will  also  meine  Krankheits  und  Ge- 
nesungsgeschichte nicht  wiederholen.  Jetzt  scheint  mein  Körper  ganz  gereinigt  zu 
seyn,  und  es  wird  mir  die  Hoffnung  gemacht,  daß  ich  künftig  auf  eine  festere  Ge- 
sundheit rechnen  könne,  als  früher.  Auch  an  Arbeit  fehlt  es  mir  hier  nicht. 
Außer  meinen  ||  gewöhnlichen  Geschäften  habe  ich  in  dieser  Woche  ein  Colloquium 
gehalten,  einen  jungen  Prediger  ordinirt  und  einen  Abiturienten  geprüft  (denn  hier 
mache  ich  die  ganze  Prüfungscommission  aus,  welches  freilich  etwas  zu  viel  ist). 

Es  würde  mir  indessen  sehr  angenehm  seyn,  wenn  Sie  mir  von  der  Ihrigen 
etwas  Näheres  mittheilen  wollten.  Aber  vor  allem  bitte  ich  mit  meiner  Frau  um 
Nachricht  von  Ihrem  und  Ihrer  Frau  Gemahlin  Befinden.  Wir  sehnen  uns  darnach,  von 
Ihnen  selbst  etwas  zu  hören.  Meine  Frau  wünscht  auch  zu  wissen,  wie  es  mit  ihrem 
Garten  steht,  ob  Sie  mit  dem  Ertrag  bis  ietzt  zufrieden  sind,  welche  Früchte  vor- 
züglich in  diesem  Sommer  geraten  sind  ct.  Seitdem  sie  nicht  mehr  auf  der  Kranken- 
stube seyn  darf,  ist  sie  fast  täglich  (so  weit  ||  es  die  vielen  Besuche  erlauben)  mit 
unserem  Garten  beschäftigt,  und  treibt  sogar  mit  dessen  Erzeugnissen  einen 
Handel.  Vermuthlich  rechnet  sie  darauf,  daß  ich  in  Sachsen  Magister  geworden  bin, 
wo  den  Magistris  das  Handels-Recht  gebührt.  Ihre  Aufträge  habe  ich  bis  ietzt  nur 
zum  Theil  besorgen  können.   Die  Schrift  über  die  gute  Sache  etc.  nahm  sogleich  Herr 

x)  4  S.  8°.  H.  Wien.  —  Die  Unterschrift  konnte  trotz  fr.  Mithilfe  kundiger 
Herren  aus  Weimar  nicht  entziffert  werden.  Es  unterliegt  aber  nach  dem  Inhalte 
keinem  Zweifel,  daß  der  Schreiber  des  Briefes  der  Generalsuperintendeut  J.  F.  Krause, 
(1770—1820)  ist.  Ihm  hat  Herbart  sein  Lehrbuch  pp.  gewidmetes.  Bd.  IV,  S.  2). 
Er  war  um  die  Osterzeit  1819  nach  Weimar  übergesiedelt.  Über  Krause  vgl. 
Scheffner,  Nachlieferungen  z.  m.  Leben,  Lpzg.  1884. 


j  IO  August   1819. 

Professor  Krug  an  sich,  und  ohne  Zweifel  ist  sie  schon  längst  gedruckt.  Über  die 
Psychologie  sprach  ich  mit  Fleischer,  er  aber  meinte,  für  gründliche  und  tiefe  philo- 
sophische Werke,  wie  Sie  zu  liefern  pflegten,  gäbe  es  ietzt  wenig  Käufer,  und  darum 
wagte  er  es  nicht,  solche  zum  Verlag  zu  übernehmen.  Mehrere  Buchhändler  konnte 
ich  in  Leipzig  nicht  sprechen,  weil  ich  schon  dort  sehr  krank  war.  In  Jena  bin 
ich  nur  zwei  Tage  gewesen,  ||  und  zwar  nur  im  Anfang  meiner  Genesung,  wo  ich 
noch  nicht  ausgehen  konnte,  aber  ich  werde  nächstens  in  Amtsgeschäften  dahin 
reisen,  wo  ich  mehr  thun  werde.  Denn  dort  habe  ich  Hoffnung.  Es  liegt  mir 
selbst  daran,  daß  der  "Welt  eine  Schrift  nicht  vorenthalten  wird,  die  gewiß  für  die 
Wissenschaft  von  hoher  Bedeutung  ist.  Auch  Professor  Fries  sprach  von  Ihnen  mit 
Hochachtung  nicht  nur,  sondern  ich  darf  hinzusetzen,  mit  wahrer  Liebe.  Ich.  bin 
wenigstens  überzeugt,  daß  er  es  aufrichtig  meinte.  In  H.  Kahler  haben  Sie  einen 
recht  philosophisch  gebildeten  Mann  erhalten,  und  den  Damens  soll  er  auch  sehr 
wohl  gefallen.  Geht  Ihre  Frau  Gemahlin  noch  fleißig  in  die  Löbenichtische  Kirche. 
Empfehlen  Sie  Ihr  mich  und  meine  Frau  recht  herzlich,  wir  verehren  sie  beyde 
mit  ganzer  Seele  und  ich  werde  nie  aufhören,  mit  der  achtungsvollsten  Freund- 
schaft zu  seyn  ganz  der  Ihrige  Krause. 

283.    An  Oberlehrer  Heydenreich  in  Tilsit1) 

Königsberg  25.   Aug.    18 19. 

Sie  haben  mir  ein  angenehmes  Geschenk  mit  Ihrer  kleinen  Schrift 
gemacht,  die  mir  einen  Blick  in  Ihre  geistigen  Beschäftigungen  erlaubt, 
und  es  mir  bestätigt;  daß  Sie  Ihr  Werk  fortwährend  mit  Wärme  und 
Liebe  treiben.  Hrn.  Glöckner  habe  ich  nicht  gesprochen;  er  hat  keine 
Nachricht  von  sich  gegeben.  Der  Gedanke  eines  pädagogischen  Journals 
würde  wohl  etwas  gewagt  seyn,  wenn  Sie  nicht,  wie  ich  bey  Ihrer  Vor- 
sicht voraussetze,  Sich  nach  tüchtigen  und  zahlreichen  Mitarbeitern  um- 
gesehen hätten.  In  der  That  dürfte  es  nöthig  seyn,  allen  bedeutenden 
Schulmännern  unserer  ganzen  Umgegend  Ihr  Unternehmen  im  Voraus 
zu  empfehlen.  An  Stiemern  und  Diekmann,  an  Clemens,  Mundt  (in 
Elbing),  Buchner  (ebendaselbst),  an  Reichhelm,  der  jetzt  Regier ungsrath 
in  ßromberg  ist,  an  Grolp,  jetzt  Director  in  Danzig,  werden  Sie  wohl 
schon  gedacht  haben;  aber  auch  mit  Gotthold  und  St  .  .  .  (Struwe?)  hier 
in  Königsberg  möchten  Sie  wohl  Ursache  haben  eine  Verbindung  an- 
zuknüpfen. 

Daß  Sie  mit  Ihrem  dortigen  Hrn.  Director  und  Ihren  Collegen  im 
Einverständniß  sind,  setze  ich  voraus;  Hr.  Director  Körber  wird  Ihnen 
vielleicht  zu  manchen  Verhältnissen  behülflich  seyn,  die  bey  einem  solchen 
Unternehmen  nicht  gering  geschätzt  werden  dürfen.  —  Eine  Vierteljahres- 
schrift möchte  übrigens  sicherer  seyn  als  eine  Monatsschrift;  denn  bey 
den  letztern  ist  strenge  Auswahl  ganz  unmöglich.  Sie  selbst,  als  Unter- 
nehmer, werden  viele  Aufsätze  im  Voraus  fertig  machen  müssen.  Ich 
werde  mir  das  Vergnügen  nicht  versagen  zuweilen  einen  Beytrag  ein- 
zusenden, wenn  es  auch  nicht  oft  kommt,  welches  ich  nicht  versprechen 
kann.      Aber  vor  dem  Anfang  des  Journals  wünschte  ich  wohl  eine  nähere 

l)  Veröffentlicht  von  H.  Wendt  in  Justs  Praxis  der  Erziehungsschule,  Altenburg 
1891,  5.  Bd.  S.  uif.  Wendt  erhielt  den  Brief  durch  den  Sohn  des  Empfängers, 
Oberlehrers  am  Realgymnasium  in  Elberfeld. 


Oktober  1819.  III 

Nachricht  von  den  Gegenständen,  welche  die  ersten  Hefte  behandeln 
sollen.  —  Herzlich  dankbar  für  Ihre  fortdauernde  Zuneigung  unter- 
zeichnet Herbart. 

284.    An    BrockhaUS.1)  Königsberg  7.  Oct.   1819. 

Ew.  Wohlgeboren  empfangen  hiemit  die  bewußte  Recension, 2)  von 
der  ich  wünsche,  daß  Sie  dieselbe  nicht  zu  lang  finden  mögen;  wenigstens 
kann  ich  versichern,  daß  sie  im  Verhältniß  zum  Gegenstande,  und  zu  der 
Noth wendigkeit,  im  Hermes  so  ausführlich  zu  schreiben  als  die  Deutlich- 
keit es  erfordert,  —  möglichst  kurz  gefaßt  ist.  Sollte  die  etwas  scharfe 
Beurteilung,  zu  welcher  die  nicht  geringe  Meinung  des  Verfassers  von 
sich  selbst,  Anlaß  gab,  Anstoß  erregen;  und  sollte  Jemand  deshalb  ernstlich 
nach  meinem  Namen  fragen,  so  braucht  derselbe  kein  Geheimniß  zu 
bleiben,  vielmehr  ersuche  ich  Sie  auf  diesen  Fall,  mich  zu  nennen.  Außer- 
dem aber  ist  es  mir  lieber,  nur  von  denen  errathen  zu  werden,  die  meine 
Schriften  kennen.  — 

Jetzt  habe  ich  noch  eine  andere  Angelegenheit,  für  die  ich  mir  auf 
einige  Augenblicke  die  Aufmerksamkeit  Ew.  Wohlgeboren  erbitte;  und 
nötigenfalls  Ihren  guten  Rath! 

Ein  Manuscript,  welches  das  Werk  eines  Vierteljahrhunderts  und 
meiner  besten  Kräfte  ist,  liegt  seit  5  Jahren  druckfertig.  ||  Dieselben  Ur- 
sachen, welche  die  Arbeit  mühevoll  machten,  erschweren  die  Herausgabe. 
Schon  der  Titel:  „Grundlegung  zur  speculativen  Psychologie",  sagt  aus, 
daß  von  Speculation  die  Rede  ist;  überdies  setzt  ein  Theil  des  Buchs 
höhere  Mathematik  und  Mechanik  voraus;  endlich  verursachen  150  Bogen 
Handschrift,    die    wohl    zwischen  50   und  60    Druckbogen    geben    können, 

—  vielleicht  selbst  etwas  mehr  —  schon  bedeutende  Druckkosten,  und 
an  Honorar  habe  ich  bisher  von  den  Buchhändlern,  denen  davon  Nach- 
richt gegeben  wurde,  2  Friedr.  dor  für  den  gedruckten  Bogen  verlangt.  — 
Daß  man  in  den  Jahren  1 8 1 4  und  1 5  auf  einen  solchen  Vorschlag  nicht 
einging,  war  schon  der  Zeitumstände  wegen  natürlich;  und  ich  habe  recht 
gern  bis  jetzt  gewartet,  weil  mir  nichts  mit  dem  bloßen  Honorar  gedient 
ist,  sondern  ich  dem  Buche,  welches  der  Wissenschaft  zu  Liebe  aus- 
gearbeitet wurde,  jetzt  auch  Leser  wünsche. 

Nun  aber'  scheinen  sich  die  Zeiten  geändert  zu  haben.  Daß  in 
Ihrem  Verlage  das  weitläuftige  Buch  von  Schopenhauer  erscheinen  konnte, 

—  welches  übrigens  allem  Anschein  nach  nicht  den  zehnten  Theil  der 
Arbeit  gekostet  hat  wie  das  meinige,  —  dies  dünkt  mich  ein  Zeichen, 
es  sey  nicht  mehr  ganz  unmöglich,  von  Speculation  mit  dem  Publicum 
ausführlich  zu  reden.  —  Hiezu  kommt,  daß  die  ganz  vorzüglichen  Ver- 
bindungen, welche  Ew.  Wohlgeboren  Sich  verschafft  haben,  Ihnen  möglich 
machen  können,  was  Andern  unmöglich  ist.     Daher  wende  ich  mich  jetzt 

x)  3  S.  4°.  —  Der  Brief  ist  aus  dem  Besitz  des  Herausgebers  in  den  der 
Herren  Verleger  dieser  Bände,  Herren  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann),  in 
Langensalza,  übergegangen. 

2)  Über  Schopenhauers  „Welt  als  Wille"  usw.,  s.  Hermes  oder  kritisches  Jahr- 
buch der  Literatur.  Drittes  Stück  für  das  Jahr  1820.  Nr.  VII  der  ganzen  Folge. 
Amsterdam   1820,  S.  131  — 149.  —  Vgl.  Bd.  XH  dieser  Ausg.  S.  56  ff. 


I[2  Oktober,  November   1819. 


an  Sie;  nicht  bloß,  um  Ihnen  ||  das  Manuscript  zum  Verlage  anzubieten, 
sondern  mit  dem  Wunsche,  in  jedem  Falle  von  Ihnen  eine  besondere 
Antwort  zu  erhalten,  was  nach  den  jetzigen  Verhältnissen,  und  nach  wahr- 
scheinlichen Aussichten  in  die  Zukunft,  für  mich  thunlich  und  räthlich 
seyn  möge?  —  Meine  Lage  versetzt  mich  eben  so  wenig  in  die  Zahl 
der  hungrigen  Scribenten,  die  ihre  Manuscripte  um  jeden  Preis  verschleudern 
um  zu  leben;  als  unter  die  Reichen,  die  das,  was  ihnen  gebührt,  ver- 
schenken können,  ohne  einen  Mangel  zu  empfinden.  —  Allein  in  kurzem 
wird  die  zweyte  Auflage  meiner  Einleitung  in  die  Philosophie  gedruckt; 
überdies  haben  Ew.  Wohlgeboren  mich  zu  regelmäßiger  Mitarbeit  am 
Hermes  aufgefordert;  —  alle  diese  meine  kleine  literarischen  Arbeiten, 
sind  ewigen  Misverständnissen  ausgesetzt,  wenn  ich  nicht  ein  größeres, 
ausführliches  Werk  bekannt  mache.  Dies  ist  ein  Hauptgrund,  weshalb 
ich  mit  der  Herausgabe  jenes  Buchs,  —  nachdem  ich  es  diesen  Sommer 
sorgfältig  revidirt   habe,  —  nicht    gern   länger  zögern  möchte. 

Sollten  Ew.  Wohlgeb.  sich  auf  eine  Mittheilung  einlassen  wollen,  und 
vielleicht  noch  nähere  Nachricht  wünschen:  so  bitte  ich  mir  dieses  zu 
melden. 

Ihnen  und  Herrn  Professor  Krug  empfiehlt  sich  hochachtungsvoll 

Her  bar  t. 

285.  Brockhaus  an  H.  Leipzig  25.  Okt.  (19). 
Ich.   erlaube   mir  Ew.  W.  freundlich,   zu   bitten  mir  mit  ein  paar  Worten  zu 

sagen,  bis  wann  ich.  die  versprochene  Recension  über  Schopenhauers  "Welt  erhalten 
dürfte  und  es  würde  mir  zugleich  angenehm  seyn  wenn  Sie  mir  dabei  sagen  wollten, 
womit  Sie  sich  nach  Ablieferung  derselben  für  den  Hermes  zu  beschäftigen  gedenken, 
indem  ich  mir  schmeichle  Ew.  W.  als  einen  festen  Mitarbeiter  an  dem  Institut 
betrachten  zu  dürfen,  da  eine  Fortsetzung  desselben  keinen  Zweifel  unterliegt,  das 
4te  Stück  wird  in  etwa  14  Tagen  und  das  5te  ebenfalls  noch  in  diesem  Jahre 
erscheinen. 

Mit  der  vollkommensten  Ergebenheit  etc. 

286.  All   Brockhaus.  Königsberg  4.  Nov.   18 19. 
Ew.   Wohlgeboren  habe  ich  in   Beziehung  auf  Ihr  jüngstes  Schreiben 

vom  25.  Oct.  die  Ehre  zu  melden:  daß  ich  schon  vor  -etwa  3  oder  4 
Wochen  meine  Recension  über  Schopenhauers  Werk  fertig  gemacht,  und, 
um  Ihnen  das  Postgeld  zu  ersparen,  an  Herrn  Unzer  gesendet  habe,  der 
gütig  versprach,  dieselbe  bald  an  Sie  zu  besorgen.  Wahrscheinlich  kommt 
sie  eher  zu  Ihnen  als  dieser  Brief. 

Da  ich  nicht  im  Mittelpunkte  der  Literatur  wohne,  so  erwarte  ich 
am  liebsten  Ihre  Aufträge  in  Ansehung  der  von  mir  zu  beurtheilenden 
Schriften;  unter  der  Voraussetzung,  daß  ich  hiebey  nicht  Gefahr  laufe  mit 
unbedeutenden  Schriften  behelligt  zu  werden. 

Was  ist  aber  aus  meiner  schon  längst  eingesandten  Recension  von 
Eschenmayers  Religionsphilosophie  geworden?  Ich  besinne  mich  nicht,  die- 
selbe abgedruckt  gesehen  zu  haben;  es  würde  mir  angenehm  seyn  zu 
wissen  in  welchem  Stück  des  Hermes  sie  Platz  finden  soll.  —  Der  gute 
Fortgang    dieser    Zeitschrift    ist    mir    erfreulich,    und    ich    finde   mich   ge- 


Dezember  1819.  j  j  -> 


schmeichelt  dadurch,  daß  Ew.  Wohlgeboren  auf  mich  als  auf  einen  vesten 
Mitarbeiter  rechnen.  Allein  ob  meine  Recensionen  verstanden  werden? 
ob  sie  zu  etwas  nutzen  ?  daran  zu  zweifeln  bin  ich  fast  genöthigt,  solange 
meine  größeren  Arbeiten  nicht  genug  gekannt  sind.  Dies  erinnert  mich 
an  die  Angelegenheit,  wovon  ich  Ew.  Wohlgeboren  in  dem  Briefe  Nach- 
richt gab,  der  meiner  Recension  über  Schopenhauer  beyliegt.  Diese  An- 
gelegenheit bin  ich  so  frey  Ihnen  nochmals  bestens  zu  empfehlen.  Ver- 
zeihen Sie  meine  Eile! 

Herbart. 

287.    Brockhaus  an  H.1)  Leipzig  d.  24.  Dec.  1819. 

Ew.  "Wohlgeboren  geehrte  Schreiben  vom  7  t.  Octr.  und  4  t.  Nov.  sind  mir 
richtig  zugekommen,  ersteres,  mit  der  Recension  von  Schopenhauer  übrigens  ganz 
späte,  so  daß  die  Recension  nicht  mehr  ins  5te  Stück  des  Hermes  aufgenommen 
werden  konnte,  weshalb  ich  Ew.  Wohlgebohren  wiederholt  ersuche  mir  Nichts  mehr 
durch  Einschluß  sondern  bloß  directe,  einzusenden. 

Die  Recension  von  Eschenmayers  Religionsphilosophie  befindet  sich  im  4ten 
Stücke  des  Hermes.  Das  Honorar  dafür  pr  13  Seiten,  d.  Bogen  3  Carolin,  Rthl.  14. 
15  gr.,  übermache  in  beiliegender  Anweisung  auf  Hrn.  Unzer. 

Ew.  Wohlgebohren  gütigen  Antrag  zum  Verlage  Ihrer  „Grundlage  zur  Psycho- 
logie1' betreffend,  so  bedaure  ich  sehr  denselben  ablehnen  zu  müssen,  da  ich  einer- 
seits bereits  hinreichend  mit  Verlags-Unternehmungen  beschäftigt  bin,  und  anderseits 
es  mir  scheint,  daß  Schriften  wie  die  gedachte  in  gegenwärtiger  Zeit  kein  großes 
Interesse  erregen,  ihrem  absolutem  Werthe  unbeschadet.  "Was  Schopenhauers  Werk 
betrifft,  so  habe  ich  dafür  gar  kein  Honorar  bezahlt, 2)  und  muß  dennoch  bedauern  es 
gedruckt  zu  haben,  da  die  Auflage  höchst  wahrscheinlich  Maculatur  wird.3)  Ich 
möchte  Ew.  Wohlgeboren  rathen  bey  Ihrem  Werke  lieber  auf  Honorar  zu  ver- 
zichten und  es  etwa  Buchhandlungen  die  Ihnen  naheliegen  anzubieten,  da  es  mir 
wie  gesagt  leid  thut  es  nicht  übernehmen  zu  können. 

Ich  werde  so  frey  seyn  Ew.  Wohlgebohren  Aufträge  für  den  Hermes  zu  er- 
theilen,  doch  wird  es  mir  angenehm  seyn  von  Ihnen  selbst  auch  aufmerksam  ge- 
macht zu  werden,  auf  Werke  die  aus  Ihrem  Fache  für  das  Institut  passen  und  von 
Ihnen  zu  recensiren  wären.  Wichtiges  und  Bedeutendes  was  in  Ew.  Wohlgebohren 
Fache  erscheint  wird  Ihnen  wie  ich  vermuthe  doch  nicht  entgehen. 

Genehmigen  Sie  indessen  meine  vollkommene  Hochachtung  Ew.  Wohlgebohren 
ergebenster 

gez.:  F.  A.  Brockhaus. 

x)  Zuerst  gedruckt  in:  Altpreußische  Monatsschrift.  Herausgegeb.  v.  R.  Reicke 
u.  Ernst  Wiehert.     20.  Bd.     Königsberg  1883.     S.  662—63. 

2)  Diese  Angabe  stimmt  nicht.  Schopenhauer  hat  für  die  erste  Auflage  seines 
Werkes  „Die  Welt  als  Wille'-  usw.  40  Dukaten  Honorar  erhalten.  Vgl.  F.  A.  Brockhaus, 
Sein  Leben  und  Wirken,  von  seinem  Enkel  H.  Ed.  Brockhaus,  Leipzig  1876,  II.  Bd. 
u.  W.  von  Gwinner,  Schopenhauers  Leben,  1910,  S.  128. 

3)  Vgl.  Bd.  IV,  S.  13.  Dort  zitiert  Herbart  diesen  Satz  und  fügt  hinzu:  »Hier 
ist  die  Rede  von  einem  gelehrten,  geistreichen,  vortrefflich  geschriebenen,  und  mit 
den  herrschenden  Meinungen  nicht  gerade  im  Widerspruche  stehenden  Werke.« 


Herbarts  Werke.    XVII. 


1820. 


W.:    Rez.   über  Schopenhauers  Welt   als  Wille   und   Vorstellung    (S.  Bd.  XII,   S.  56 
bis  75)  u.  über  Sigwarts  Handbuch  der  Philosophie.    (S.  Bd.  XII.    S.  75 — 82.) 

288»    An   BroCkhaUS.  Königsberg  6.  Jan.   1820. 

[Poststempel  Königsberg  Pr.  7.  Jan.} 

Ew.  Wohlgeboren  haben  mir  in  Ihrem  letzten  Briefe  sehr  deutlich 
gezeigt,  daß  für  meine  langjährige  Arbeit  der  Augenblick  der  Herausgabe 
noch  nicht  gekommen  ist.  Wenn  Sie  nur  im  mindesten  besorgen  können, 
daß  Schopenhauers  Werk  Makulatur  werden  möchte,  so  muß  der  Zustand 
des  heutigen  philos.  Publicums  in  einem  kaum  denkbaren  Grade  erbärm- 
lich seyn!  Daher  sende  ich  hier  ein  paar  Zeilen,  die  ich  meiner  Rezension 
von  Schopenhauers  Werk  am  Ende  beyzufügen  bitte,  wenn  es  früh 
genug  ist. 

Sie  würden  mich  sehr  verbinden,  wenn  Sie  mir  nach  einiger  Zeit 
melden  möchten,  ob  das  erwähnte  Werk  guten  Absatz  gefunden  hat,  oder 
nicht.  Es  ist  mir  sehr  daran  gelegen,  eine  Art  von  Thermometer  für  die 
Wärme  oder  Kälte  im  philos.  Publicum  zu  haben.  Denn  leider!  ist  es 
meine  Pflicht,  noch  einiges   herauszugeben.  Hochachtungsvoll 

Herbart. 

289.    Griepenkerl  an  H.1)  Ohne  Datum. 

Der  Gedanke,  eine  lebendige  Darstellung  von  den  Geschichten  derjenigen  VölkerT 
welche  sich  in  Wissenschaft  und  Kunst  und  Bildung  des  geselligen  Lebens  aus- 
gezeichnet haben,  mit  dem  Studium  ihrer  Sprachen  zu  verbinden  und  eins  an  dem 
andern  fortzuleiten,  ist  vortrefflich:  nur  möchte  die  Ausführung  im  Einzelnen  manche 
Schwierigkeit  darbieten. 

Die  Griechische,  Lateinische  und  Deutsche  Sprache  gehören  sämmtlich  zu  dem- 
selben Stamme,  dessen  Wurzel  neuerdings  in  der  Sanskritanischen  wiedergefunden  ist. 

Alle  neulateinischen  Sprachen:  das  Italienische,  Spanische,  Portugiesische  und 
Französische  in  den  Unterricht  mit  aufzunehmen,  ist  vielleicht  nicht  so  schwer,  als 
es  auf  den  ersten  Blick  scheinen  dürfte.  Denn  eigentlich  sind  diese  Sprachen  nur 
verschiedene  Mundarten  einer  und  derselben  Sprache,  und  die  Kenntniß  einer  jeden 
von  ihnen  muß  die  der  übrigen  erleichtern  und  fördern  helfen. 

*)  5  S.    kl.  4°.      JB.  Wien. 


I820. 


"5 


Der  Stoff  in  diesen  Sprachen  ist  lateinisch,  die  Form  deutsch.  Versteht  sich, 
im  Ganzen;  denn  allerdings  sind  manche  Eigenheiten  der  lateinischen  Grammatik  in 
sie  übergegangen,  und  jede  enthält  einige  tausend  deutsche  Wörter. 

Für  die  gründlichste  d.  h.  die  genetische  Erklärung  dieser  Sprachen  ist  noch 
wenig  geschehen.  Dies  Unternehmen  bleibt  dem  Fleiße  deutscher  Gelehrten  vor- 
behalten. Es  kommt  darauf  an  die  Ummodelung  der  lateinischen  Wörter  in  einer 
jeden  auf  Grundsätze  zurück  zu  fuhren,  und  dann  die  Art  zu  zeigen,  wie  die  deutsche 
Grammatik  einer  jeden  angepasst  worden. 

Da  diese  Sprachen  sämmtlich  in  dem  Zeitraum  der  Völkerwanderung  bis  zum 
12ten  Jahrhundert  entstanden  sind,  so  dienen  hauptsächlich  zwei  Sprachen  zur  Ein- 
leitung und  Vorbereitung:  das  Lateinische  der  späteren  und  das  Deutsche  der 
früheren  Zeit. 

Im  Latein  des  Mittelalters  ist  weniges  für  die  Jugend  erfreuliche  und  ersprieß- 
liche geschrieben.  Wollte  der  Lehrer  es  dennoch  nicht  ganz  übergehen,  so  würde 
ich  rathen  ,  Bruchstücke  aus  den  Lateinisch  abgefassten  Gesetzen  der  Burgunder, 
Allemannen,  Langobarden  und  Franken  zu  erklären.  Das  bisher  ganz  vernachlässigte 
Altdeutsche  ist  hingegen  für  die  Erkenntniß  der  deutschen  Bildung  in  ihren  Quellen 
wie  auch  für  die  Gründung  wahrhaft  vaterländischer  Gesinnungen  unendlich  wichtig.  || 

Gäbe  es  ein  Buch,  welches  in  der  Dichtung  die  ursprüngliche  Sinnesart  der 
deutschen  Völker  ausdrückte,  zugleich  aber  unverfälschte  Sagen  aus  jener  Vorzeit 
enthielte,  wo  sie  zuerst  auf  den  Schauplatz  der  Weltgeschichte  traten,  so  würde 
es  die  angemessenste  Grundlage  beim  Unterrichte  über  das  gesammte  Mittelalter 
abgeben  können. 

Ein  solches  Buch  ist  vorhanden:  es  ist  das  Lied  der  Nibelungen.  In  einer 
historischen  Untersuchung  darüber,  woran  ich  arbeite,  schlage  ich  vor,  es  in  allen, 
nicht  auf  das  Notdürftige  beschränkten  Schulen  zu  lesen  und  zu  erklären.  Die 
Lehrer,  welche  hierin  mit  ihrem  Beispiel  vorgehen,  werden  sich  gewiß  ein  großes 
Verdienst  erwerben. 

Dies  Gedicht  maß  bei  der  Jugend  wenigstens  eben  so  lebhafte  Theilnahme 
erwecken,  als  Homer.  Es  athmet  den  biedersten  Heldengeist.  Die  Sprache  ist  im 
Verhältniß  zu  dem  großen  Abstände  der  Zeiten  (sechs  Jahrhunderte)  sehr  leicht  und 
wird  es  noch  mehr  werden,  wenn  erst  alles  nöthige  zur  Reinigung  des  Textes  und 
zur  Wort-  und  Sacherklärung  geschehen  sein  wird.  Doch  ist  die  neueste  Ausgabe 
des  Hr.  von  der  Hagen  schon  ziemlich  brauchbar. 

In  diesem  Gedichte  wird  Attila  und  sein  Verhältniß  zu  den  Deutschen  wahr- 
hafter geschildert,  als  von  den  Römischen  Geschichtschreibern.  Gothen,  Burgunden, 
Sachsen  und  Dänen  treten  auf  den  Schauplatz,  der  ganze  Unterricht  über  die  Völker- 
wanderung und  die  Gründung  der  deutschen  Reiche  nach  Umsturz  des  Römischen, 
bis  auf  Carl  den  Großen  kann  sich  daran  knüpfen.  Selbst  die  Anachronismen  des 
Gedichts  z.  B.  die  Erwähnung  der  Markgrafschaft  Österreich,  können  zu  historischer 
Belehrung  benutzt  werden.  Man  sieht  hier  die  ursprüngliche  Verfassung  der 
Deutschen,  das  Verhältniß  der  Fürsten,  Ritter  und  Freien,  den  Ursprung  des  Lehns- 
rechts und  des  Ritterthums,  die  Kriegsmanier,  den  Einfluß  des  Christenthums,  mit 
einem  Wort:  alle  Elemente  der  deutschen  Geschichte. 

Die  Hauptmomente  der  mittleren  und  neueren  Geschichte  sind:  die  Völker- 
wanderung, Carl  der  Große,  die  Kreuzzüge  und  die  damit  verbundene  höchste  Aus- 
büdung  des  Ritterthums,  die  Erfindung  des  Schießpulvers  und  der  Buchdruckerei, 
die  Wiederbelebung  der  klassischen  Literatur,  die  Entdeckung  von  Indien  und  Amerika, 
endlich  die  Reformazion.  Die  letzten  Begebenheiten  ausgenommen,  welche  den 
Uebergang  zur  neueren  Zeit  machen,  können  die  Dichtungen  jedes  Zeitalters  (welche 

8* 


ij6 l82^ 

insofern  Wahrheit  enthalten,  als  sie  dessen  Geist  in  sich  abspiegeln)  dazu  benutzt 
werden,  der  Geschichte  einen  poetischen  Hintergrund  zu  geben,  und  die  Begeben- 
heiten in  der  Einbildungskraft  der  Zöglinge  auf  das  anschaulichste  zu  beleben.  || 

Um  dies  durch  ein  Beispiel  deutlich  zu  machen,  so  ließe  sich  der  historische 
Unterricht  über  die  Kreuzzüge  an  die  Lesung  von  Tassos  befreitem  Jerusalem  an- 
knüpfen. Der  eigentliche  Mangel  dieses  Gedichts  ist  zwar  eben,  nicht  welthistorisch 
genug  zu  sein,  dies  kann  aber  der  Lehrer  ergänzen,  indem  er  eine  Darstellung  von 
der  Entstehung  des  Mohamedanismus,  von  den  Eroberungen  der  Araber  und  den 
früheren  Kriegen  mit  ihnen,  dann  von  den  ferneren  Kreuzzügen  und  ihren  Folgen 
in  und  außer  Europa  hinzufügte.  Kenntnisse,  welche  sämmtlich  von  dem  Dichter 
schon  vorausgesetzt  werden.  Vielleicht  ließe  sich  damit  Joinvilles  Schilderung  eines 
späteren  Kreuzzuges  verbinden:  an  diesem  Buche  würden  die  Schüler  zugleich  die 
ältere  Form  der  französischen  Sprache  kennen  lernen. 

Ich  komme  auf  die  neulateinischen  Sprachen  zurück.  Allen  ist  ein  chaotischer 
Zustand  vorhergegangen,  ehe  sich  die  deutschen  Elemente  und  das  verderbte  Latein 
ins  Gleichgewicht  gesetzt  und  aus  ihrer  Verschmelzung  sich  eine  neue  Harmonie 
entfaltet  hatte.  Nur  für  den  Sprachforscher  kann  es  wichtig  sein,  auf  die  schrift- 
lichen Denkmale  dieser  Epoche  zurück  zu  sehen :  die  Schüler  haben  genug  zu  thun, 
sie  nur  in  ihrer  gebildeten  Gestalt  kennen  zu  lernen. 

Sie  sind  in  folgender  Ordnung  zur  höchsten  Blüte  und  Reife  gelangt. 

Das  Provenzalische,  Italienische.  Spanische,  Portugiesische  und  endlich  das 
Französische. 

Das  Provenzalische  ist  bis  jetzt  unzugänglich.  Die  Poesien  der  Provenzalischen 
Troubadours  liegen  in  den  Bibliotheken  vergraben,  sie  sind  nicht  einmal  gedruckt, 
geschweige  denn  kritisch  und  philologisch  bearbeitet.  Auch  dürfte  es  nicht  rathsam 
sein,  sich  so  weit  zu  versteigen,  da  uns  die  deutschen  Dichter  desselben  Zeitraums 
näher  stehen. 

Im  Italienischen  würde  ich  mit  den  Geschichten  des  Giovanni  Villani  anfangen. 
Es  ist  die  leichteste,  älteste  und  reinste  Prosa,  zugleich  hat  seine  Erzählungsweise 
viel  von  der  Herodotischen  Manier  an  sich.  Auf  diese  könnte  dann  Machiavellis 
Florentinische  Geschichte  folgen.  Da  uns  Italien  besonders  von  Seiten  der  schönen 
Künste  bedeutend  ist,  so  könnten  einige  Lebensbeschreibungen  der  großen  Künstler 
von  Vasari  zu  empfehlen  sein.  Aber  es  gehört  schon  viel  Kunstanschauung  dazu, 
um  sie  gehörig  zu  verstehen. 

In  der  Italienischen  Poesie  ist  Dantes  göttliche  Komödie  das  originellste  und 
umfassendste  Werk.  Es  ist  eine  vollständige  Encyklopädie  alles  damaligen  Wissens 
und  kann  den  besten  Text  zu  Vorlesungen  über  die  theologischen,  philosophischen, 
physischen,  astronomischen,  politischen  Ideen  des  Mittelalters  mehr  oder  weniger 
auch  über  dessen  Geschichte  abgeben.  Allein  es  gehörig  zu  verstehen  und  zu 
würdigen  erfordert  schon  eine  große  Reife  des  Geistes.  Ich  würde  daher  in  der 
italienischen  Poesie  lieber  mit  dem  Tasso  anfangen  und  dabei  auf  den  oben  an- 
gedeuteten ||  Zweck  hinarbeiten. 

Das  phantastische  Gedicht  des  Ariost  ist  nur  Stellenweise  zu  empfehlen,  wo 
er  mit  wahrer  Tiefe  von  dem  Geiste  des  Ritterthums,  den  Sarazenenkriegen,  oder 
auch  den  Begebenheiten  seiner  Zeit  redet.  Ich  meine  z.  B.  solche  Stellen,  wie  die 
herrliche  im  Uten  Gesänge  über  den  Verfall  des  Ritterthums  durch  die  Erfindung 
des  Schießpulvers  und  die  veränderte  Kriegsmanier.  Petrarca  ist  für  die  Jugend 
zu  contemplativ,  ich  würde  mich  bei  ihm  auf  einige  politische  und  religiöse  Gedichte 
beschränken. 


IÖ20.  117 

Warum  ich  den  Boccaz  ausschließe,  leuchtet  von  selbst  ein:  doch  dürfte  man 
einige  ernsthafte  und  unanstößige  Geschichten  aus  seinem  Decamerone  als  Beitrag 
zur  Sittengeschichte  auswählen. 

Mit  diesen  wenigen  Büchern,  recht  gründlich  verstanden,  wäre  nun  schon  der 
wesentliche  Begriff  der  Italienischen  Literatur  erschöpft. 

Im  Spanischen  würde  ich  mit  den  alten,  historischen  Romanzen,  z.  B.  denen 
vom  Cid,  anfangen,  worin  sich  der  Nazionalcharakter  vortrefflich  ausspricht.  Die 
halb  romanhafte  Geschichte  vom  Untergänge  des  Königreichs  Granada,  mit  Romanzen 
untermischt,  hat  denselben  Vorzug  und  ist  ein  sehr  leichtes  Buch.  Don  Quixote 
stellt  ein  lebendiges  Sittengemälde  des  sechszehnten  Jahrhunderts  auf  und.  ist  zu- 
gleich für  die  Prosa  und  Erzählungskunst  musterhaft.  Ich  kenne  kein  Spanisches 
Werk,  welches  die  gesammte  Spanische  Geschichte  auf  eine  befriedigende  Art  be- 
handelte. Mariana  ist  geistlos  und  trocken.  Dagegen  giebt  es  eine  Menge  vor- 
trefflicher Werke  über  einzelne  Gegenstände,  nur  sind  sie  im  Auslande  selten  zu 
finden. 

Am  häufigsten  kommt  noch  des  Bon  Antonio  da  Solis  Geschichte  der  Er- 
oberung von  Mexico  vor:  in  jeder  Hinsicht  ein  historisches  Meisterwerk,  dergleichen 
die  neuere  Zeit  wenige  aufzuweisen  hat.  Die  beiden  Hauptbegebenheiten  der 
Spanischen  Geschichte  bleiben  immer  die  Mohrenkriege  in  Spanien  und  Africa,  und 
dann  die  Entdeckung  und  Eroberung  der  neuen  Welt.  Sie  sprechen  die  Einbildungs- 
kraft lebhaft  an  und  gleichen  dem  anziehendsten  Roman. 

Als  leichte  Poesie  ist  die  Araucana  besonders  zu  empfehlen.  Dieses  kriegerische 
Heldengedicht  schildert  die  Sitten  der  südamerikanischen  Wilden  und  die  Kämpfe 
der  Spanier  mit  ihnen  sehr  anschaulich. 

Die  glänzendste  Seite  der  Spanischen  Literatur  ist  das  Theater.  In  Hinsicht 
auf  den  vorgelegten  Plan  wäre  es  dann  wohl  das  zweckmäßigste,  aus  den  unzählige, 
Schauspielen  der  Spanier  einige  heroische  auszuwählen,  worin  einheimische  Ge- 
schichte behandelt  wird.  So  umfaßt  z.  B.  Calderons  Aurora  in  Capacavana  die 
ganze  Eroberung  von  Peru,  ein  anderes  Stück  schildert  die  Empörung  der  Mohren 
in  den  Alpujarras,  der  standhafte  Prinz,  Kriege  der  Portugiesen  in  Africa  u.  s.  w. 
Diese  Werke  wären  für  den  Beschluß  aufzubewahren.  || 

Denn  sie  sind  der  Gipfel  der  Spanischen  Poesie,  aber  auch  sehr  schwer. 

In  der  Portugiesischen  Literatur  giebt  es  nur  ein  einziges  Hauptbuch  für  unseren 
Zweck:  Dieses  Buchs  willen  allein  verlohnt  es  sich  aber  der  Mühe,  die  Portu- 
giesische Sprache  zu  erlernen,  die  wenig  Schwierigkeiten  macht,  wenn  man  von  der 
Spanischen  hinzu  kommt.  Dies  Werk  ist  die  Lusiade  von  Camoens.  Es  besitzt 
gerade  alle  Vorzüge,  die  dem  befreiten  Jerusalem  mangeln.  Es  verspricht  nur  von 
der  Entdeckung  Indiens  zu  reden,  besingt  aber  in  Wahrheit  die  sämmtlichen  Thaten 
und  den  Ruhm  der  Portugiesischen  Nazion  von  ihrem  Ursprünge  an  bis  auf  den 
König  Sebastian,  mit  dessen  Fall  sie  vom  Schauplatz  abtritt.  Alles,  was  Portugal 
welthistorisch  wichtig  macht,  läßt  sich  an  diesem  Gedicht  von  nur  zehn  Gesängen 
entwickeln.  Es  ist  wohl  nicht  rathsam,  die  Englische  Sprache  vor  der  Französischen 
vorzunehmen,  weil  diese  auf  jene  ein  großes  Licht  wirft. 

Ich  würde  beim  Studium  der  Englischen  Literatur  nach  Lesung  eines  leichten 
Geschichtsbuches  sogleich  zum  Shakespeare  fortgehen,  und  an  dessen  historische 
Dramen  den  Unterricht  über  die  gesammte  Englische  Geschichte  anknüpfen. 

Bei  der  neueren  Französischen  Literatur  wird  es  schwer  halten,  den  vor- 
gezeichneten Plan  zu  befolgen,  es  finden  sich  keine  originalen  Geschichtsschreiber, 
sondern  blos  Memoirs:  ein  unübersehliches  Fach,  aus  welchem  die  Jugend  blos  die 
kleinliche  Verderbniß  der  neueren  Zeit  würde  kennen  lernen. 


1 1 8  l82°- 

Auch  haben  sie  keine  wahrhaft  nazionalen  Heldengedichte:  die  schönsten  Stoffe 
dazu,  den  heiligen  Ludwig,  die  Jungfrau  von  Orleans,  haben  sie  entweder  ganz  ver- 
wahrlost oder  verkehrt  behandelt.  Wer  wird  z.  B.  aus  Voltairs  Henriade  die  Ge- 
schichte der  damaligen  Zeit  verstehen,  wenn  er  sie  nicht  schon  zuvor  weis? 

Wenn  die  Schüler  von  der  südeuropäischen  Poesie  zu  den  klassischen  Dichtern 
der  Frauzosen  kommen,  so  werden  sie  schon  vor  ungebührlicher  Vorliebe  gesichert 
sein  und  von  selbst  fühlen  wo  es  ihnen  fehlt.  Dagegen  können  sie  an  den  großen 
Prosaikern,  einem  Bossuet,  Montesquieu,  Buffon  und  Rousseau,  die  Vorzüge  studiren, 
welche  den  deutschen  Schriftstellern  nur  zu  oft  abgehen. 

W.:  //.  März:  Bericht  über  das  pädagogische  Seminar.     XIV.     S.   159 — 174. 
30.  D*>».:  Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar.     XIV.     S.   179 — 186. 


1821. 


W.:  Zweite  Ausgabe  des  Lehrbuchs  zur  Einleitung  in  die  Philosophie.  S.  Bd.  IV. 
S.  i — 275.  —  Über  einige  Beziehungen  zwischen  Psychologie  und  Staatswissenschaft. 
S.  Bd.  V.  S.  25 — 40.  —  Rez.  über  Wagners  Religion,  Wissenschaft  (s.  Bd.  Xu, 
S.  82 — 90),  Lindners  Ansichten  (s.  Bd.  XII,  S.  90 — 92),  Maiers  Versuch  (s.  Bd.  Xu, 
S.  92 — 94),  Bachmanns  Philosophie  (s.  Bd.  XII,  S.  94 — 103). 

290.  Brockhaus  an  H.  6.  Febr.  1821. 
[Anbei  die]  Berechnung,   welche  er  untersuchen,    mir   das   richtig   befunden 

melden,  worauf  ich  den  Betrag  sogleich  anweisen  würde. 

7.  März:    Schreiben  an  den  Minister,  Überreichung   der  Einleitung  in   die  Philosophie. 

S.  Bd.  XIV.     S.   188—190. 

291.  Minister  von  Altenstein  an  H.  u.  Bessel.1)     Berlin  d.  22sten  Juli  1821. 
Der  Herr  Ober-Präsident  von  Vincke  in  Münster  hat  mir  in  dem  nebst  Anlagen 

abschriftlich  anliegenden  Berichte  vom  14ten  Januar  c.  von  den  Forschungen  des 
Kreis-Einnehmers  Thilo  zu  Wiedenbrück,  der  früher  zur  gelehrten  Laufbahn  be- 
stimmt, während  der  westphälischen  Regierung  im  praktischen  Staatsdienst  angestellt 
wurde,  —  im  Gebiete  der  höheren  Astronomie  und  Natur-Lehre,  Kenntniß  gegeben. 
Der  Herr  Professor  Hegel  hat  über  den  Versuch  des  p.  Thilo  unterm  9ten  Februar  c. 
das  gleichfalls  in  Abschrift  anliegende  Gutachten  erstattet.  - —  Auf  den  Grund  dieses 
Gutachtens  habe  ich  den  Herrn  Ober-Präsidenten  von  Vincke  veranlaßt,  dahin  zu 
wirken,  daß  der  p.  Thilo  in  seinen  Amtsverhältnissen  die  nöthige  Muße  erhalte, 
seine  Forschungen  fortzusetzen.  Der  p.  Thilo  hat  hierauf  nach  dem  abschriftlich 
beifolgendem  Schreiben  des  Herrn  Ober-Präsidenten  von  Vincke  vom  Uten  vor. 
Mts.  das  anliegende  Manuscript  unter  dem  Titel: 

„Entwickelung  der  ursprünglichen  Anordnung,  späteren  Umformung  und  end- 
lichen Vollendung  und  Ausbildung  der  Planeten  und  Trabanten-Systeme  aus 
der  jetzt  bestehenden  Einrichtung  derselben. u 
überreicht. 

Ich  fordere  Sie  auf,  diese  Schrift  einer  genauen  Prüfung  zu  unterwerfen  und 
Ihr  Gutachten  darüber  mittelst  gemeinschaftlichen  Berichts  mir  einzureichen.2) 
Der  Minister  der  Geistlichen,  Unterrichts  und  Medizinal-Angelegenheiten 

Altenstein. 

3.  Aug.:  Königsgeburtsrede  in  der  deutschen  Gesellschaft  zu  Königsberg:  ,,Über  Menschen- 
kenntnisse in  ihrem  Verhältnis  zu  den  politischen  Meinungen."    S.  Bd.  V.    S.  11 — 24. 

!)  1  S.    2°.    H.  Wien. 

2)  Ob  das  Gutachten  Herbarts  noch  vorhanden  ist,  war  nicht  festzustellen. 


1822/23. 


1822.  W. :  De  attentionis  mensura  causisque  primariis.  S.  Bd.  V.  S.  41 — 89.  — 
Rez.  über  Fries  Handbuch  (s.  Bd.  XII,  S.  103— 116),  Calkers  Urgesetzlehre  (s.  Bd.  XII, 
S.  116— 127).  Krugs  Handbuch  (s.  Bd.  XII,  S.  127  —  138),  Hegels  Naturrecht  (s. 
Bd.  XII,  S.  140 — 154),  Benekes  Erfahrungsseelenlehre  (s.  Bd.  XII,  S.  154—157), 
Becks  Lehrbuch  (s.  Bd.  XII,  S.  157—160),  Hildebrands  Grundriß  (s.  Bd.  XII,  S.  160 
bis  168),  Sigwarts  Antwort  (s.  Bd.  XII,  S.  169— 171),  Benekes  Grundlegung  (s.  Bd.  XII, 

S.  171  — 189). 
18.  April:    Vortrag  in  der  K.  Deutschen  Gesellschaft  zu  Königsberg:    „Über  die  Mög- 
lichkeit   und    Notwendigkeit,    Mathematik    auf    Psychologie    anzuwenden.      S.    Bd.    V. 

S.  91  — 122. 

1823.  Rez.  über  Steffens  Anthropologie  (s.  Bd.  XII,  S.   189 — 211),  Schmids  Denken 
(s.  Bd.  XII,  S.  212—215),  Benekes  Schutzschrift  (s.  Bd.  XII,  S.  215—222). 

22.  Apr.:   Rede  am  Geburtstage  Kants,  gehalten  in  der  Königsberger  Kant-Gesellschaft. 

S.  Bd.  V.     S.   123  —  126. 
24.  Apr.:  Vorlesung  in  der  K.  Deutschen  Gesellschaft  zu  Königsberg:    ,,Über  die  ver- 
schiedenen Hauptansichten  der  Naturphilosophie.''     S.  Bd.   V.     S.    127 — 140. 
ig.  Mai:   Bericht  über  das  pädagogische  Seminar.     S.  Bd.  XIV.     S.   198 — 216. 
22.  Nov.:   Bericht  über  das  Seminar.     S.   Bd.  XIV.     S.   220  —  222. 

292.    Hesse  an  H.1)  Mainz  d.  I9ten  August  1823. 

Verehrtester  Herr  Professor! 

Durch  meinen  Freund  Griepenkerl  zu  Hofwyl  vor  12  Jahren  in  Ihr  System 
der  Philosophie  eingeführt,  widmete  ich  diesem  während  meines  Aufenthalts  in  der 
Schweiz  mein  ernstes  Studium.  Im  Jahr  1815  kehrte  ich  in  meine  Geburtsstadt 
Darmstadt  zurück.  Ein  thätiges  Geschäftsleben  und  das  von  mir  früher  versäumte 
Studium  der  Geschichte  zwangen  mich  bis  dahin  Philosophie  und  Mathematik  bei 
Seite  liegen  zu  lassen.  Doch  war  Ihre  praktische  Philosophie  stets  die  Grundlage 
für  meine  sittliche  Weltansicht,  sie  hat  mir  einen  klaren  Blick  in  verwirrenden 
Verhältnissen  eröffnet;  ihr  danke  ich  in  schweren  Entsagungen  der  liebsten  Wünsche 
mich  aufrecht  erhalten  zu  haben. 

Als  Mitglied  der  hiesigen  Regierung  ist  mir  seit  1816  die  Leitung  des  im 
tiefsten  Verfall  befindlichen  Schulwesens  von  Rheinhessen  anvertraut.    Obgleich  ich 


l)  4  S.  4°.  —  Vgl.  dazu  Hans  Zimmermanns  interessanten  Aufsatz:  ,, Der  Ein- 
fluß Herbarts  auf  die  Gestaltung  des  Hessischen  Volksschulwesens  im  Anfange  des 
19.  Jahrh.u  (Zeitschr.  f.  Phil.  u.  Päd.,  Langensalza,  Hermann  Beyer  &  Söhne 
(Beyer  &  Mann),  17.  Jahrg.  S.  449—461)  und  die  Briefe  Griepenkerls  an  H.  vom 
15.  März  u.  vom  14.  Juni  1811. 


August   1823.  12  1 

bei  dem  Versuch  eine  Änderung  desselben  herbeizuführen,  oft  an  unübersteiglichen 
Hindernissen  scheiterte  und  in  manchen  Stunden  beinah  muthlos  wurde,  so  hielt  mich 
doch  eine  höhere  Ansicht  meiner  Bestimmung  und  die  treue  Mitwirkung  eines  edlen 
Freundes,  des  Eegierungspräsidenten  Freiherrn  von  Lichtenberg,  aufrecht.  Ich  darf 
es  behaupten,  Viel  ist  bis  dahin  gelungen,  und  die  Hoffnung  in  der  Folge  noch  Mehr 
zu  erreichen,  liegt  mir  nicht  fern. 

Die  Errichtung  der  Schullehrerschule  zu  Friedberg  gab  mir  zu  dem  Versuch 
die  Veranlassung,  Ihre  wissenschaftliche  Begründung  der  Erziehung  für  die  Volks- 
schulen anzuwenden.  || 

Meine  Collegen,  welche  ich  für  diese  Ansichten  zu  gewinnen  das  Glück  hatte, 
gestatteten  mir  freien  Spielraum,  und  der  treffliche  Direktor  der  Anstalt,  Hr.  Roth, 
obgleich  mit  Ihrem  System  unbekannt,  und  in  entgegengesetzten  Ansichten  zum 
Theil  befangen,  war  vorurtheilsfrei  genug,  seine  Überzeugung  einer  besseren  zu 
unterwerfen. 

So  wurde  mir  die  reine  Freude,  eine  wichtige  Erziehungsanstalt  nach  Ihrer 
Lehre  zu  gründen;  mit  froher  Hoffnung  gab  ich  mich  dem  Gedanken  hin,  wenn 
dieß  Institut  einst  sichere  Resultate  liefern  würde,  Sie  verehrtester  Herr  Professor  da- 
von in  Kenntniß  zu  setzen,  und  Ihnen  durch  die  That  für  die  Richtung,  welche 
Ihre  Schriften  meiner  Bildung  gegeben  haben,  dann  zu  danken. 

Diesen  Zeitpunkt  setzte  ich  um  mehrere  Jahre  noch  weiter  hinaus.  Allein 
da  das  Seminar  von  vielen  Geistlichen  des  Landes  unverdienter  Weise  angefochten 
wurde,  so  mußte  ich  bei  dem  bevorstehenden  Landtag  mit  dessen  Darstellung  gegen 
Willen  öffentlich  auftreten,  und  ich  erlaube  mir,  Ihnen  hier  ein  Exemplar  dieser 
Beschreibung  zu  überreichen. *)  Sie  werden  es  nicht  tadeln,  daß  ich  bei  dem  Zweck 
für  die  Menge  zu  schreiben,  mich  von  den  scharf  bestimmten  Begriffen  und  der 
dafür  geeigneten  reinen  Sprache  oft  entfernen  mußte.  Ich  hätte  sonst  manchen 
Misverständnißen  nicht  vorbeugen  können. 

Die  zweite  Abhandlung  mußte  aus  den  oben  angegebenen  Gründen  sich  an 
die  erste  anschließen,  um  den  angeblichen  Dienern  des  Herrn  zu  zeigen,  daß  man 
sie  nicht  fürchte,  und  ihnen  offen  entgegen  zu  treten  sich  nicht  scheue.  — 

In  diesem  Augenblick  lese  ich  Ihre  neuste  Schrift  über  die  Nothwendigkeit  die 
Mathematik  auf  Psychologie  anzuwenden.  Sie  ist  in  allen  ||  Beziehungen  höchst  be- 
lehrend für  mich.  Die  Andeutungen  über  die  flache  erbärmliche  Richtung  unserer 
sogenannten  Philosophen,  die  keine  sind,  sprechen  meine  innigste  Überzeugung  über 
die  Gefahr  drohende  Richtung  dieser  Wissenschaft  aus.  Fichtes  Wissenschaftslehre 
hat  zum  letzten  mal  zum  ernsten  Studium  aufgefordert.  Von  da  hat  man  den  be- 
quemeren Weg  der  Träumerei  eingeschlagen  und  sich  in  einen  unsinnigen  Wort- 
schwall eingehüllt,  um  die  Schwäche  damit  zuzudecken.  Man  meidet  Ihre  tiefen 
Forschungen,  weil  man  um  sie  zu  begreifen,  denken  soll  und  Mathematik  verstehen 
muß,  wenn  man  Ihren  psychologischen  Untersuchungen  folgen  will. 

Hätten  die  Mathematiker  mehr  philosophisches  Interesse,  so  würden  sie  bei 
dem  von  Ihnen  vorgezeichneten  Weg  sich  der  Philosophie  leicht  bemächtigen,  und 
dann  unsre  Herren  Philosophen  bald  zu  Schanden  machen  können.  Allein  erstere 
unterliegen  dem  seit  30  Jahren  angehäuften  ungeheuren  Stoff,  besonders  in  der  An- 
wendung der  Mathematik  auf  Naturwissenschaft.  Dann  sehen  sie  aus  ihrer  festen 
Burg  auf  das  philosophische  Forschen  mit  Bedauern  und  Vornehmigkeit  herab,  ohne 
den  Waizen  von  der  Spreu  zu  unterscheiden. 

x)  ,,Die  Großherzogl.  Schullehrerbildungsanstalt  zu  Friedberg  nach  ihrer  Ent- 
stehung und  Entwicklung  dargestellt,  mit  einem  Anhang  über  das  Verhältniß  des 
Geistlichen  zu  dem  Schullehrer.u  Von  W.  Heße,  Großh.  Hess.  Regierungsrath. 
Mainz  1823.     (Großh.  Hofbibl.  zu  Darmstadt.) 


122  December   1823. 

Ein  rein  wissenschaftliches  Streben  in  der  Mathematik,  wie  zu  Leibnitz  und 
Eulers  Zeiten  ist  heut  zu  Tage  beinahe  allen  Mathematikern  fremd. 

Doch  hoffe  ich  mit  Zuversicht,  daß  Ihre  Entdeckungen,  welche  nach  meiner 
Überzeugung  einen  nicht  minder  wichtigen,  vielleicht  noch  ||  bedeutenderen  Abschnitt 
in  der  Wissenschaft,  als  die  Erfindung  der  Rechnung  des  Unendlichen  bezeichnen 
werden,  wenn  auch  nicht  jetzt,  doch  in  der  Folge  von  tüchtigen  Männern  aufgefaßt 
und  weiter  geführt,  unseren  deutschen  Vaterland  zur  Ehre  gereichen  werden. 

Es  dürfte  aber  nöthig  seyn,  so  streng  geistige  Untersuchungen,  welche  der 
Phantasie  die  Thüre  verschließen,  bei  der  vorherrschenden  Geistesschwächlichkeit 
und  Bequemlichkeit  in  ein  weniger  ernstes  Gewand  als  die  früheren  Schriften  ein- 
zukleiden. Die  neuste  Abhandlung  wird  in  dieser  Hinsicht  mehr  anziehen,  als  die 
Hauptpunkte  der  Metaphysik,  die  bei  der  kurzen  gedrängten  Darstellung  äußerst 
schwer  zu  studiren  sind. 

Mit  Vergnügen  sehe  ich  dem  kommenden  Winter  entgegen,  weil  er  mir 
hoffentlich  freie  Zeit  geben  wird,  dem  Stadium  Ihrer  Werke  ohne  Störung  von 
Neuem  mich  zu  widmen. 

Genehmigen  Sie,  Verehrtester  Herr  Professor  die  Versicherung  der  reinsten 
Verehrung,  und  entschuldigen  Sie  meine  Dreistigkeit  durch  einen  so  langen  Brief 
Ihre  kostbare  Zeit  Ihnen  geraubt  zu  haben.  Ihr  ergebenster  Diener 

Hesse. 

293.    Richthofen  an  H.1)  Brecheishof,  d.  21sten  Dec.  1823. 

Beigehend  erhalten  Sie,  mein  verehrter  Freund,  die  fälligen  Weihnachtszinsen 
mit  100  Thlr.  Gold;  wie  Sie  denn  auch  die  Johanniszinsen  vermuthlich  richtig  emp- 
fangen haben  werden,  wenn  dieselben  auch  dießmahl  Ihnen  keine  Veranlassung 
gaben,  Ihren  alten  Freund  mit  einigen  Zeilen  zu  erfreuen. 

In  eiligem  Fluge  habe  ich  diesen  Sommer  und  Herbst  einen  bedeutenden 
Theil  Deutschlands,  der  Schweiz,  Frankreichs  und  Hollands  durchstrichen;  noch  fühle 
ich  mich  fast  etwas  fremd  zu  hause.  Dissen  trug  mir  als  ich  ihn  in  Göttingen 
besuchte  viel  Herzliches  für  Sie  auf;  er  fürchtete  Sie  seyen  ihm  böse,  daß  er  nicht 
mehr  über  Philosophie  lese,  er  aber  versicherte  es  unmöglich  zu  können;  doch 
nehme  er  aus  Ihrer  Pädagogik  möglichst  viel  in  seine  Encyklopädie  der  Philologie 
auf;  leider  war  er  sehr  krank.  Mein  Schwager  Wilhelm  befindet  sich  in  einer 
gemüthlichen  Lage  und  ist  mit  seinem  Herzog  zufrieden,  und  vermuthlich  dieser 
mit  ihm.  August  leidet  sehr  an  der  Brust  und  ist  diesen  Winter  in  Rom.  Auch 
Kohlrausch  sah  ich  und  freute  mich  des  trefflichen  Wirkungskreises,  der  ihm  in 
Münster  geworden;2)  der  Mann  scheint  für  die  Praxis  gemacht,  und  der  Himmel  hat 
ihn  mit  einem  Präsidenten  wie  Vincke*)  beglückt.  Kaum  glaube  ich  daß  der  Posten 
eines  Schulraths  in  irgend  einem  Departement  glücklicher  besetzt  ist,  und  dieß 
mitten  in  dem  katholischen  Münster,  dem  verrufenen  Brennpunkt  der  Finsterniß; 
finden  Sie  das  Gleichnis  vielleicht  kühn,  so  glaube  ich  es  doch  mit  ||  manchen  Er- 
scheinungen unserer  Zeit  vertheidigen  zu  können. 

Wie  traurig  daß  Ihr  Königsberg  so  entfernt  vom  übrigen  Deutschland  liegt, 
mit  Ausnahme  der  Universitäten  an  der  Ostsee  und  in  Baiern  habe  ich  dieß  Jahr 
alle  deutschen  Akademien  berührt,  aber  mein  unglückliches  Gestirn  mußte  meinen 
unvergeßlichen  Lehrer  und  Freund  just  an  den  entferntesten  Punkt  führen.    Haben 

»)  2  S.    4°.    H.  Wien. 

2)  Vgl.  Kohlrauschs  Erinnerungen  (1863)  S.  184  ff. 

8)  Über  den  Oberpräsidenten  v.  Vincke  ebenda  S.  201  ff. 


Dezember  1823.  123 

Sie  denn  nicht  einmahl  die  Absicht  wenigstens  besuchsweise  Deutschland  wiederzu- 
sehen, es  Ihrer  Frau  zu  zeigen,  die  Deutsche  und  Engländerin  vielleicht  weder 
Deutschland  noch  England  kennt? 

Wie  lebhaft  habe  ich  nicht  Ihrer  und  unseres  Zusammenseyns  in  Göttingen 
gedacht,  und  wie  war  mir  dort  jetzt  alles  so  fremd  und  kalt;  —  ich  bin  zufrieden 
und  glücklich,  habe  einen  lieben  Kreis  eine  gute  Familie  um  mich,  aber  die  Blüthen 
jener  Zeit  sind  durch  manche  Stürme  abgestreift  und  kehren  nicht  wieder.  Aber 
auch  die  Erinnerung  ist  von  großem  "Werth,  und  das  Bewußtseyn  und  der  Besitz 
Ihrer  Freundschaft  eines  meinerj  köstlichsten  Güter!  Leben  Sie  wohl  und  lieben 
Sie  ferner  den  Ihrigen.  Richthofen. 


1824. 


W.:  Zwei  Promotionsreden.     S.  Bd.  V.    S.  170 — 176.  —  Psychologie  als  Wissenschaft 
neu  gegründet   auf  Erfahrung,    Metaphysik   und  Mathematik.      Erster  Teil.     S.  Bd.   V. 

S.   177—434. 
23.  Jan.:  Vorlesung  in  der  physikalisch-ökonomischen  Gesellschaft  zu  Königsberg:  Ver- 
suche und  Betrachtungen  über  den  Gegensatz  der  beiden  Elektricitäten.     (Zeit  und  Ort 
der  andern  Vorlesung  „über  den  Gegensatz  der  beiden  Elektricitäten1-'  ist  nicht  bestimmt.) 

S.  Bd.  V.     S.   147— 161. 
7.  März  1824:  Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar.    S.  Bd.  XIV.    S.  223—228. 

294.    Studenroth  an  H.1)  Berlin,  am  13.  Mai  1824. 

Wohlgeborner  Herr  Hochverehrtester  Herr  Professor. 

Bisher  habe  ich  nicht  die  Ehre  gehabt,  Ihnen,  hochverehrtester  Herr,  bekannt 
zu  seyn,  wiewohl  meine  wissenschaftliche  Richtung,  die  mit  der  Ihrigen  mehr  als 
mit  irgend  einer  andern  übereinstimmt,  mich  dieses  schon  lange  wünschen  ließ :  die 
Herausgabe  des  ersten  Theils  der  Psychologie,  den  ich  gütigst  von  mir  anzunehmen 
bitte,  bietet  mir  endlich  die  Gelegenheit  dar,  mich  Ihnen  zu  nähern.  Ihr  Urtheil 
über  dieses  Buch  würde  mir  unter  allen  das  wichtigste  seyn,  und  wenn  es  nicht 
etwa  ein  unbilliger  Anspruch  an  Ihre  Zeit  wäre,  so  möchte  ich  Sie  bitten,  mich  aufs 
ausführlichste  damit  bekannt  zu  machen.  Auf  welche  Weise  kann  ich  auch  wohl 
anders  auf  Erwiderung  hoffen,  als  durch  Privatmittheilungen;  denn  die  öffentlichen 
Urtheile,  welche  die  Literaturzeitungen  ausspenden,  können  der  Regel  nach  einem 
Verfasser  nur  insofern  wichtig  seyn,  als  Unerfahrene  die  nach  Bildung  streben,  da- 
durch entweder  zu  einem  Buch  hingezogen,  oder  von  ihm  abgeschreckt  werden.  Mir 
sind,  mit  wenigen  Ausnahmen,  alle  philosophischen  Recensionen,  die  ich  gelesen  habe, 
ärgerlich  gewesen. 

Die  Art  zu  philosophiren,  der  ich  ergeben  bin  —  und  vielleicht  hat  mein 
Vaterland,  Hannover,  welches  von  absurden  Richtungen  freier  geblieben  ist,  als 
andere  Länder,  keinen  unvortheilhaften  Einfluß  darauf  gehabt  —  ist  im  Allgemeinen 
jetzt  nichts  weniger  als  aufmunternd;  vielmehr,  wer  die  Wahrheit  weniger  liebt, 
als  den  äußeren  Vortheil,  der  mag  aus  allen  Kräften  versuchen  sich  in  entgegen- 
gesetzte Richtungen  zu  schieben.  Namentlich  ist  hier  beinahe  ||  kein  Heil  ohne 
Hegels  Philosophie.  Der  Minister,  ein  eben  so  schwacher  als  beschränkter  Mann, 
ist  vom  Anfang  her  für  sie  eingenommen  gewesen  und  hat  sich  deshalb  der  ferneren 
Beschwatzung  durch  ihren  Urheber,  der  vor  Schulwuth  gar  keine  wahre  Größe  und 
Würde  mehr  kennt,  bereitwillig  hingegeben.  —  Ein  Rath,  der  in  Weimar  als  Gymnasial- 
lehrer allgemein  für  einen  Narren  gehalten  ist,  so  daß  man  sich  dort  einander  an- 
lacht, wenn  man  hört,  daß  er  hier  von  Einfluß  sey,  hat  sich,  um  seine  Wichtigkeit 

l)  4  8.    4°.     H.  Wien. 


Mai  1824.  125 

zu  mehren,  zu  dem  Vorurtheil  des  Ministers  hingefunden,  ist  Hegels  Schüler  und 
leidenschaftlicher  Partheigänger  geworden.  Diese  drey  leiten  jetzt  die  philosophischen 
Angelegenheiten  ausschlüßlich,  und  wenn  sie  nicht  etwa  einmal  gezwungen  werden, 
oder  sich  vor  größeren  Uebeln  fürchten,  driDgt  nichts  andres  durch.  Ja  auch  die 
Schulen  suchen  sie  schon  zu  Verbreitungsanstalten  für  Hegeische  Philosophie  zu  machen, 
und  Hegels  Schüler  empfehlen  sich  vor  andern.  Das  Marheinecke'sche1)  Lehrbuch 
zielt  eben  dahin.  Die  Directoren,  welche  diese  Einseitigkeiten  beklagen,  werden  als 
Männer  angesehn,  die  von  der  Philosophie  nichts  verstehn.  Süvern  hat  mir  selbst 
gesagt:  Der  Minister  will  einmal  nichts  anderes,  als  Hegeische  Philosophie;  alles 
was  dagegen  gesagt  werden  kann,  ist  ohne  Erfolg  gesagt.  Ich  erwiderte  darauf: 
selbst  dann,  wenn  er  die  Hegeische  Philosophie  für  die  wahre  halte,  möchte  er  doch 
gerade  bey  einer  solchen,  nur  dogmatisch  in  sich  anspinnenden  und  so  vornehm  ver- 
achtenden Philosophie,  Gegensätze  dulden,  damit  Ueberzeugung  möglich  sey,  und 
nicht  blinde  Nachbetung  werde,  die  von  Kant  an  alles  Unheil  hervorgebracht  habe, 
weil  man,  ohne  die  ganze  Philosophie  zu  prüfen,  sich  nur  aus  ihr  selbst  fortgewickelt 
habe.  Er  rieth  mir,  diese  Ansicht  dem  Minister  mitzutheilen ;  eine  Mittheilung,  die 
nur  den  Erfolg  hatte,  daß  mir  am  folgenden  Tage  gerathen  wurde,  das  Philosophiren 
zu  lassen,  und  etwas  anderes  zu  thun,  und  dieses,  nachdem  ich  1822  für  die  hiesige 
Universität  vorgeschlagen,  und  1822  beinahe  schon  zum  Professor  zu  Breslau  be- 
stimmt war  —  wohin  jedoch  durch  die  Hegeische  Cabale  ein  Hegelianer  aus  Heidel- 
berg gesetzt  wurde,  der  sich  bald  lächerlich  machte.  Unter  solchen  Umständen 
kann  mir  mein  hiesiges  Leben  ||  nicht  anders  als  lästig  seyn,  und  ich  sehne  mich  nach 
dem  Augenblicke,  der  mich  in  Freiheit  setzt.  Die  Verderblichkeit  des  ministeriellen 
Verstehens  kann  sich  hier  noch  eine  gute  Weile  erhalten,  und  von  dem  Haufen 
auch  gebilligt  werden.  Deutschland  ist  das  Land  der  wissenschaftlichen  Marktschreier. 
Die  völlig  unberathene,  aller  Vorbildung  entbehrende  Jugend  ist  enthusiastisch  und  er- 
greift das  Abentheuerlichste  am  liebsten,  um  damit  zu  prunken.  Das  spätere  Alter  aber 
ist  bey  uns,  vielleicht  eben  jener  frühen  Hitze  wegen,  phlegmatisch  und  sieht  ganz 
ruhig  zu,  oder  nimmt  keine  Notiz,  statt  daß  es  die  absurden  Wahrheits-  und  Ge- 
schmacksverderber  von  den  Büchern  wegzischen  sollte.  Hier  in  Berlin,  wohin  so 
viele  Augen  wie  auf  den  wahren  Sitz  aller  Cultur  sehen,  ist  der  eigentliche  Heerd 
aller  Einseitigkeit  und  Verbohrtheit,  und  nur  die  Eitelkeit  und  Aufgeblasenheit, 
mit  der  sie  der  Weisheit  angepriesen  und  dem  übrigen  Deutschland  vorgehalten 
wird,  steigt  zu  ihm  hinan.  Es  scheint,  daß  nur  ein  ernstes,  von  Wahrheit  und 
großen  Ideen  beseeltes,  öffentliches  Leben,  wie  in  England,  den  Sinn  für  einfache 
Wahrheit  überhaupt  erklärt  und  daß  die  Literaturen  aller  Nationen,  die  sich  nicht 
eines  solchen  Haltungspunktes  erfreuen,  notbwendig  in  Absurdität  ausarten.  Denn, 
um  nur  neu  zu  seyn,  und  zu  glänzen,  strebt  jeder  den  anderen  zu  überbieten,  und 
da  das  Ueberbieten  im  Wahren  und  Schönen  so  leicht  nicht  ist,  so  kommt  bald  der 
splendide  Irrthum,  der  Gegensatz  gegen  alles  für  wahr  Gehaltene,  oder  die  bloße 
bunte  Verzierung  und  der  Kling -Klang  an  die  Eeihe.  In  Deutschland  ist  zwar 
literarisches  Leben,  aber  man  kann  sich  nicht  verhehlen,  daß  nur  dasjenige  gefördert 
ist,  was  von  Ansichten  nicht  oder  doch  weniger  leidet;  was  dagegen  von  diesen 
leiden  kann,  das  ist  auch  alles  in  tiefem  Verfall.  Diejenigen,  die  es  leiten  sollen 
sind  gewöhnlich  die  Beschränktesten,  die  der  ganze  Staat  aufzuweisen  hat,  denn  wer 
für  etwas  anderes,  worüber  der  Erfolg  schneller  spricht  nicht  taugt,  der  ist  noch 
immer  gut  genug,  dem  Cultus  und  dem  öffentlichen  Unterricht  vorzustehn.    Man 


x)  Jedenfalls  ist  gemeint:  Marheinecke,  Lehrbuch  d.  christl.  Glaubens  u.  Lebens, 
z.  Gebrauch  in  den  oberen  Klassen  an  den  Gymnasien.     Berl.  1823. 


I2Ö  Mai   1824. 

muß  es  in  der  That  zuweilen  wünschenswerte  finden,  von  der  "Welt  völlig  ab- 
geschieden zu  leben,  um  von  dem  ganzen  Treiben  nichts  zu  erfahren,  und  in  Privat- 
verhältnissen noch  inniges  reines  ||  ungeteiltes  Glück  zu  genießen.  Doch  muß  man 
freilich  so  lange  stehn,  als  man  die  Hoffnung,  zum  Besten  zu  wirken,  nicht  völlig 
aufgeben  darf. 

Verzeihen  Sie,  hochverehrtester  Herr,  diesen  Erguß,  der  um  so  unwillkürlicher 
war,  je  mehr  ich  in  manchen  Dingen  Ihre  Uebereinstimmung  annehmen  darf,  und 
je  mehr  ich  hier  alle  diese  Gedanken  in  mich  selbst  zurückdrängen  muß.  Es  war 
ehemals  Sitte,  daß  die  Gleichdenkenden  sich  aufsuchten,  und  die  Annalen  unserer 
Literatur  zeigen  uns  in  dem  vorletzten  Decennium  des  verflossenen  Jahrhunderts 
einen  herrlichen  Kranz  vereinter  Talente.  Auch  Schwächere  wurden  von  den 
Stärkeren  wohlwollend  aufgenommen,  wenn  sie  nur  der  bessern  Richtung  folgten, 
und  nach  ihrer  Kraft  zum  Ganzen  hinarbeiteten.  Indem  ich  mich  mit  diesen  ver- 
gleiche, darf  ich  hoffen,  daß  Sie,  vereintester  Herr,  mit  Güte  und  Nachsicht 
empfangen  werden  Ihren  gehorsamsten  Freund  und  Diener 

Dr.  Ernst  Studenroth. 

295.    Fr.  Ed.  Beneke  an  H.1)  Göttingen,  22.  Mai  1824. 

Sie  werden,  hochzuverehrender  Herr  Professor,  bei'm  Empfange  dieses  Briefes 
hoffentlich  schon  meiue  „Beiträge  zu  einer  reinseelen wissenschaftlichen  Bearbeitung 
der  Seelenkrankheitkunde"  erhalten  haben,  von  denen  ich  dem  Verleger  aufgetragen 
habe,  Ihnen,  durch  die  Unzersche  Buchhandlung,  in  meinem  Namen  ein  Exemplar  zu 
überschicken.  Schon  lange  Zeit  vor  der  Abfassung  dieses  Buches,  und  also  noch 
mehr  vor  der  des  diesem  Buche  vorangeschickten,  an  Sie  gerichteten  Briefes,2)  fühlte 
ich  einen  Drang,  Ihnen  zu  schreiben,  theils  um  Ihnen,  wie  ich  schon  öffentlich  bei 
den  Anzeigen  Ihrer  Schriften  gethan,  so  auch  privatim  die  Versicherung  meiner 
innigsten  Hochachtung  zu  geben,  theils  um  über  manche  Differenzen  unserer  An- 
sichten eine  vielleicht  auf  diesem  Wege  leichtere  Verständigung  zu  versuchen.  Was 
mich  abhielt,  waren  theils  mancherlei  kleine  Umstände,  theils  und  besonders  das 
Verlangen,  Ihnen  das  genannte  Buch  vollendet  überschicken  zu  können,  welches, 
wie  ich  hoffete,  nicht  wenig  zu  dieser  Verständigung  beitragen  sollte.  Unmöglich 
konnte  ich  voraussehn,  daß  sich  die  Vollendung  des  Drucks,  nach  der  Uebergabe 
des  fertigen  Manuskriptes,  über  ein  Jahr  hinziehn  werde:  in  wenigen  Monaten  glaubte 
ich  ihn  vollendet.  Unter  diesen  Umständen  hoffe  ich  daher  Ihre  Veizeihung  wegen 
der  Verzögerung  meines  Entschlusses  nicht  vergebens  in  Anspruch  zu  nehmen.  || 

Wie  sehr  ich,  hochzuverehrender  Herr  Professor,  Ihre  Bemühungen  für  die 
Aufklärung  und  Vervollkommnung  der  philosophischen  Erkenntniß,  und  vor  Allem 
der  Psychologie,  hochschätze,  finden  Sie  in  mehreren  Stellen  des  an  Sie  gerichteten 
Schreibens,  finden  Sie  in  dem  ganzen  Charakter  meiner  eigenen  wissenschaftlichen 
Bestrebungen  so  deutlich  ausgesprochen,  daß  ich  hier  nichts  mehr  hinzuzufügen 
wüßte.  Unabhängig  von  einander  sind  wir  zu  der  Ueberzeugung  gelangt,  daß  der 
Psychologie,  wenn  sie  die  ihr  vorliegende  Aufgabe  lösen  solle,  einer  durchgreifenden 
Reform  bedürfe;  und  unsere  Ansichten  über  dieselbe,  wie  verschieden  sie  auch  in 
manchen  Punkten  sein  mögen,  treffen  doch  in  anderen,  und,  wie  ich  glaube,  in  den 
wichtigsten,  so  zusammen,  daß  beide  gewiß  mit  den  Ansichten  keines  anderen  philo- 

x)  3  S.  4Ü.  H.  Wien.  —  Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann,  Briefe  pp. 
S.  138  ff.  —  Fr.  E.  Beneke  (1798—1854),  der  Philosoph. 

2)  Dieses  Schreiben  (vom  März  1823)  wird  hier  nicht  mit  abgedruckt.  Es  steht 
S.  V— L  des  Buches  und  beantwortet  die  Frage :  „Soll  die  Psychologie  metaphysisch 
oder  physisch  begründet  werden?" 


November  1824.  127 


sophischen  Forschers  in  Deutschland  in  höherem  Maße  übereinstimmen.  Lassen  Sie 
uns  also,  von  jenen  Verschiedenheiten,  so  weit  es  irgend  ihre  Natur  erlaubt,  ab- 
sehend, mit  vereinten  Kräften  zu  unserem  gemeinsamen  großen  Ziele  hin-,  und  den 
Verirrungen  entgegenarbeiten,  welche  die  Vervollkommnung  jener  so  herrlichen 
Wissenschaft  in  unserer  Zeit  hemmen,  und  noch,  lange  zu  hemmen  dröhn.  Vieles, 
sehr  Vieles  habe  ich  auf  dem  Herzen,  Ihnen  vorzutragen  in  Bezug  auf  die  in  Ihren 
Beurtheilungen  meiner  Schriften  aufgestellten  Sätze;  aber  da  ich  wohl  nicht  mit 
Unrecht  hoffen  kann,  daß  das  erwähnte  Buch  Manches  in  Ihren  Ansichten  von 
meiner  Philosophie  ändern  wird,  so  scheint  es  mir  zweckmäßiger,  mit  meinen  weiteren 
Mittheilungen  zu  warten,  bis  ich  Ihr  Urtheil  darüber  vernommen  habe.  Welchen 
meiner  Briefe  Sie  auch  beantworten  mögen,  diesen  Privatbrief,  oder  den  Öffentlichen, 
oder  beide,  und  ob  privatim,  oder  öffentlich:  gewiß,  davon  bin  ich  überzeugt,  wird 
Ihre  Antwort  nicht  ohne  Früchte  für  meine  Belehrung  und  für  die  Förderung  der- 
jenigen Wissenschaft  sein,  welcher  wir  beide  den  größten  Theil  unserer  Geistes- 
anspannung gewidmet  haben.  [| 

Ihrem  edlen  Herzen  wird  die  Nachricht  wohlthun,  daß  nun  endlich  die  mir 
aus  meiner  Grundlegung  zur  Physik  der  Sitten  hervorgegangenen  Verfolgungen  ihr 
Ende  erreicht  zu  haben  scheinen.  Im  Januar  dieses  Jahres  hier  angelangt,  bin  ich 
sowohl  von  der  Fakultät,  als  von  dem  Regierungbevollmächtigten,  Herrn  Legations- 
rath  von  Lassert,  mit  einer  Theilnahme  und  einem  Vertrauen  aufgenommen  worden, 
welche  mir  nichts  zu  wünschen  übrig  lassen.  In  den  letzten  Monaten  des  vorigen 
Halbjahres  habe  ich  noch  zwei  öffentliche  Vorlesungen  „über  die  Principien  der 
Metaphysik"  nach  meinem  Programme,  und  „über  die  Erhaltung  der  Seelengesund- 
heit"  gehalten;  und  seit  einigen  Tagen  bin  ich  wieder  in  voller  Thätigkeit,  indem 
ich  öffentlich  „über  das  akademische  Studium",  privatim  über  „die  Logik  als  Kunst 
zu  denken",  „die  Psychologie"  und  „die  Moral  in  Verbindung  mit  einer  allgemeinen 
Einleitung  in  die  praktische  Philosophie"  lese.  So  ist  denn  endlich  meine  so  lange 
vergebens  genährte  Sehnsucht  nach  einer  akademischen  Thätigkeit  befriedigt. 
Mit  der  innigsten  Hochachtung  Ihr  ergebenster 

F.  E.  Beneke, 
Doktor  und  Privatdocent  der  Philosophie  an  der  Universität  zu  Göttingen. 

(Neue  Straße  Nr.  164). 

W.:  Juni:  Mathematischer  Lehrplan  für  die  Realschulen.     S.  Bd.  V.     S.   163 — 170. 
22.  Sept.:  Herbarts  Urteil  über  den  Entwurf  der  Statuten  des  Collegiums  Fridericianum. 

S.  Bd.  XV.     S.   165  —  166. 

296.    Füessli  an  H.1)  Berlin,  den  18ten  Nov.  1824. 

Theuerster  Lehrer  und  Freund,  Sie  werden  nun  hoffentlich  schon  das  Lebens- 
zeichen von  mir,  das  ich  Ihnen  vergangene  Woche  durch  H.  Profeßor  Lachmann 
überschickte,  in  Händen  haben.  Nun  erfolgt,  wie  ich  es  versprochen  habe,  der 
schriftliche  Commentar  dazu,  durch  die  Post.  Neunzehn  Jahre  lang  bin  ich  in  päda- 
gogischen Geschäften  in  Paris  hängen  geblieben;  beyliegender  Auszug  eines  Briefes 

x)  5  S.  u.  Beilage  4°.  H.  Wien.  —  „Füßli,  Johann,  Dr.  phih,  Dilettant,  in 
Zürich,  geb.  1784.  Er  studierte  Theologie  daselbst  und  in  Göttingen,  ward  Haus- 
lehrer in  Paris  und  verbrachte  dort,  nach  kurzem  Dienst  (1812)  als  Pfarrer  der 
Gemeinde  Wollishofen  (bei  Zürich),  auch  den  übrigen  Teil  seines  Lebens  (gest.  1844). 
Er  hat  zu  wiederholten  Malen  in  Zürich  Zeichnungen  ausgestellt  und  mehrere 
Skizzenbücher,  meist  mit  Pariser  Straßenscenen,  hinterlassen,  wovon  eines  im  Be- 
sitze der  Züricher  Kunstgesellschaft."  (Artikel  des  Schweizerischen  Künstlerlexikons, 
1905.  I.  522,  von  F.  0.  Pestalozzi.)    Die  Beilage  des  Briefs  wurde  nicht  abgedruckt. 


J28  November  1824. 


an  H.  Henri  Meister  de  Zürich,  der  mir  die  Stelle  verschafft  hatte,  kann  dazu 
dienen,  auch  Ihnen,  verehrtester  Freund,  von  diesem  meinem  pädagogischen  Wirken 
Eechenschaft  abzulegen.  In  dem  langen  Zeitraum  gieng  selten  ein  Tag  hin,  wo 
nicht  die  immer  fortwürkende  Kraft  der  Grundsätze,  die  Sie  in  mich  gelegt,  Sie  mir 
in  lieber  Erinnerung  erhalten  hätte. 

Überdieß  liess  ich  mir,  sobald  sie  in  den  Meßkatalogen  angezeigt  waren,  Ihre 
Pädagogik  und  praktische  Philosophie  nach  Paris  kommen.  Wenn  Jemand  aus  Ihrer 
Gegend  kam,  wurde  er  nach  Ihnen  befragt;  so  schon  vor  langer  Zeit  Dr.  Barbauer. 
Mit  den  Rougemonts,  die  ein  lieblich  gelegenes  Gut  Löwenberg  am  Murtensee  besitzen, 
gieng  ich  häufig  auf  den  Sommer  dahin,  bekam  dann  Carl  Steiger  zu  sehen;  Sie 
können  sich  denken,  wie  oft  dann  Herbart  in  unserem  Gespräche  vorkam.  Dann 
brauchte  ich  nur  von  Löwenberg  nach  dem  daran  stoßenden  Monthilier  zu  gehen, 
um  wieder  an  Herbart  zu  denken.  Hier  besuchte  er  seinen  theuren  Freund  Eschen, 
hier  erfreute  er  sich  mit  ihm  an  der  schönen  Schweizernatur,  und  üeß  sich  mit 
ihm  in  die  tiefen  ||  Untersuchungen  über  das  Wahre  und  Schöne  ein,  in  die  ich 
später  auch  von  ihm  eingeweiht  wurde.  So  waren  Sie  mir  immer  gegenwärtig.  Nun 
mußte  ich  im  April  dieses  Jahres  meinen  jüngsten  Zögling,  der  sich  als  geborner 
Neuchateier  dem  preußischen  Dienst  im  diplomatischen  Fach  widmen  will,  nach 
Göttingen  begleiten.  Ich  fand  da  Dissen,  er  konnte  mir  am  besten  von  Ihrem 
dortigen  Wirken  als  öffentlicher  Lehrer  Bericht  abstatten,  da  er  lange  Ihr  Schüler 
gewesen,  und  bey  Ihrem  Abgange  von  Ihnen  den  ehrenvollen  Auftrag  erhalten,  Ihre 
Philosophie  vorzutragen,  was  er  auch  mit  glücklichem  Erfolg,  der  ihm,  als  Nachhall 
von  Ihnen,  zutheil  wurde,  that,  bis  seine  damahligen  Verhältnisse  ihn  nöthigten,  eine 
Stelle  als  Professor  der  Philologie  in  Marburg  anzunehmen.  Auch  da  verlangten 
einmal  einige  Studenten  von  ihm  ein  privatissimum  über  Ihre  praktische  Philosophie. 
Jetzt  ist  er  wieder  in  Göttingen  als  Professor  der  Philologie,  hat  aber  leider  eine 
schwächliche  Gesundheit.  Wie  sehr  bedauerten  wir  es  miteinander,  verehrtester 
Freund,  daß  Sie  sich  nicht  mehr  im  Mittelpunkte  Deutschlands  befinden,  um  da  durch 
Ihren  mündlichen  Vortrag  Ihre  tiefen,  gediegenen  Forschungen  mitzutheilen.  Freilich 
auch  da,  wo  Sie  sind,  machen  Sie  sich  rastlos  gemeinnützig;  auch  von  der  schönen 
Anstalt,  die  Sie  gegründet  haben,  ist  mir  erzählt  worden.  Jetzt  eine  Frage  und  eine 
Bitte.  Kaum  hatte  ich  nach  neunzehn  Jahren  den  deutschen  Boden  wieder  betreten, 
merkte  ich  bald,  daß  ich  ins  Land  der  Titel  gekommen  sey.  Man  muß  in  gesell- 
schaftlichen Verhältnißen  durchaus  seinem  Nahmen  etwas  vorhängen,  um  Etwas  zu 
gelten.  Diese  Erfahrung  hatten  Sie  selbst  mir  zu  Ihrer  Zeit  mitgetheilt.  Ao.  1811 
hatte  ich  nach  Beendigung  der  Erziehung  meines  ältesten  Zöglings  ||  das  Haus  Rgt. 
auf  einige  Zeit  verlassen,  weil  es  mir  zu  mühsam  schien,  einen  Knaben  von  8 
und  einen  von  5  Jahren  zu  übernehmen.  Der  Verlust  eines  hoffnungsvollen  Zög- 
lings von  12  Jahren  hatte  mir  auch  das  Geschäft  verleidet.  Ein  Mahler,  der  mir 
damahls  empfohlen  war,  Hr.  Runike  aus  der  Insel  Rügen,  jetzt  Direktor  eines  schön 
gedeihenden  lithographischen  Instituts  in  Wien,  und  mich  immer  über  dem  Zeichnen 
und  Mahlen  sah,  rief  mir  zu:  Füßli,  Sie  müssen  das  Dilettantentreiben  lassen  und 
die  Kunst  ernsthaft  ergreifen,  Sie  haben  Talent,  Sie  müssen  sich  der  Historien- 
mahlerei  widmen ;  ich  folgte  dieser  Stimme,  die  mir  vom  Himmel  zu  kommen  schien, 
begab  mich  in  die  Schule  von  David  und  Gerard,  strengte  mich  aber  so  ungeheuer  an, 
oft  von  vier  Uhr  des  Morgens  bis  um  Mitternacht,  daß  ich  nach  einem  halben  Jahr 
erkrankte,  muthlos  alles  im  Stiche  ließ,  und  auf  die  Einladung  meines  sei.  Vaters 
nach  Zürich  gieng,  um  da  irgend  eine  Anstellung  im  Lehrerfach  zu  erhalten.  Darin 
war  aber  alles  besetzt,  und  um  nicht  müßig  zu  seyn,  ließ  ich  mich  von  meiner 
Familie  bereden,  eine  der  Saiten  meines  Bogens,  die  ich  noch  nie  angezogen,  hervor- 


November  1824.  j2Q 


zuhohlen  und  nahm  eine  erledigte  Pfarrerstelle  an.  Aber  der  Hang  nach.  Paris 
überwog;  und  ich  folgte  bald  Oct.  1812  einem  vortheilhaften  Ruf  des  Vater  Rouge- 
nionts  für  die  Erziehung  seiner  beyden  jüngsten  Söhne.  Ao.  17  war  ich  im  Fall 
von  meinen  praktisch  theologischen  Kenntnissen  einen  gemeinnützigen  Gebrauch  zu 
machen,  wovon  ich  so  frey  war,  Ihnen  einen  Meinen  Beweis  zu  schicken.1)  Immer 
aber  ist  theologische  "Wirksamkeit,  so  ehrwürdig  sie  auch  seyn  kann,  nie  mein  Haupt- 
zweig gewesen,  sondern  vorzüglich  belletristische  und  artistische.  Ich  mag  also 
meinen  Pfarrertitel,  den  ich  unter  meinen  Schweizergarden  zur  |j  Beglaubigung,  daß 
ich  ein  Recht  habe,  ein  Wort  zur  Zeit  an  sie  zu  richten,  brauchte,  nicht  in  der 
•deutschen  "Welt  produciren.  Es  ist  ein  falscher  Titel  für  das  Buch.  Doctor  phil. 
ist  der  passendste,  und  zeigt  sogleich  an,  was  man  von  ihm  zu  verlangen  hat.  Nun 
habe  ich  auch  sogleich  nach  meiner  Ankunft  in  Zürich  von  Göttingen  aus  Feb.  1805  für 
die  dortige  Akademie  eine  Dissertation  de  ingenio  carminum  Pindari  drucken  lassen, 
und  nebst  Thesen  öffentlich  vertheidigt  sub  praesidio  ven.  D.  med.  Rahn  „Canonic.  und 
Comipalat." 2)  und  gewissermaßen  dadurch  das  Recht  erlangt,  mich  Doctor  tituliren  zu 
lassen;  ich  reiste  aber  darauf  sogleich  nach  Paris,  wo  man  so  etwas  nicht  braucht, 
er  starb  darüber  weg  und  so  habe  ich  kein  Dokument  von  ihm,  wodurch  ich  mich 
legitimiren  kann.  Nun  geht  meine  Bitte  an  Sie,  theuerster  Lehrer,  dahin,  ob  ich 
aus  Ihrer  Hand  eine  solche  Legitimation  erhalten  könnte;  ich  würde  es  für  mein 
ganzes  übriges  Leben  als  das  theuerste  Geschenk  von  Ihnen,  und  das  schönste 
Andenken  an  Sie,  dem  ich  so  Vieles  verdanke,  verehren  und  bewahren.  Ich  bleibe 
noch  den  Winter  über  hier  bey  meinem  Zögling,  der  nun  unter  S.  E.  dem  Grafen 
von  Bernstorf  seine  Laufbahn  antritt.  Dann  gehe  ich  über  Dresden  und  Wien  im 
Frühjahr,  wo  ich  meinen  jungen  Freund  auf  eignen  Füßen  stehend  zurücklasse, 
nach  Italien,  und  da  man  doch  suchen  muß,  seine  Kräfte  auf  ein  Hauptfach  zu 
concentriren,  so  soll  Studium  der  Kunstgeschichte,  die  mich  seit  meiner  Ankunft  in 
Paris  und  schon  vorher  immer  beschäftigte,  in  ihrem  ausgedehntesten  Umfang  mein 
Hauptstudium  seyn,  und:  wer  weiß,  da  Deutschland  mich  jetzt  wieder  so  anspricht 
werde  ich  vielleicht  nach  geendigten  Reisen  suchen,  als  Lehrer  derselben  auf  einer 
seiner  größern  Universitäten  angestellt  zu  werden.  Die  Umstände  haben  immer 
sehr  viel,  vielleicht  zu  viel  auf  mein  Schicksal  gewürkt,  seit  der  sei.  Tomman  mich 
während  der  Stürme  meines  Vaterlands  als  einen  13jährigen  Knaben  meinem  Vater 
abnahm,  und  mich  sogleich  nach  Varel  an  die  Ufer  ||  der  Nordsee  brachte.  Ich 
muthe  Ihnen  sehr  viel  zu,  so  Vieles  zu  lesen.  Auch  will  ich  jetzt  enden.  Bios 
muß  ich  Ihnen  noch  sagen,  wie  ungemein  es  mich  interessirte ,  als  ich  in  einem 
der  ersten  literarischen  Blätter,  das  mir  in  Göttingen  in  die  Hände  fiel,  (es  war  die 
Jenaische  Lit.  Zeitung,  wenn  ich  nicht  irre)  die  Anzeige  Ihrer  Psychologie  auf 
Mathematik  gegründet  und  der  Vorlesung,  die  Sie  früher  darüber  gehalten,  las.  So 
bringt  also  dieser  tiefe  Forscher,  sagte  ich  mir,  diese  Wissenschaft,  der  er  seit  bey- 
nahe  dreißig  Jahren  auf  der  Spur  war,  und  die  er  nur  unter  dem  Nahmen  einer 
Mechanik  des  menschlichen  Geistes  ankündigte,  endlich  vor  die  Augen  des  Publikums. 
Wie  oft  hatte  ich,  wenn  ich  das  Auf-  und  Abnehmen  der  Ideen  im  Bewußtseyn 
an  mir  und  andern  wahrnahm,  an  Sie  gedacht.  Im  September  machte  ich  mit 
meinem  Zögling  eine  prächtige  Rheinreise  von  Mainz  bis  Düsseldorf,  kam  dann  nach 
Bremen,  wo  ich  mich  mit  unsern  dortigen  Freunden,   Smidt,  Rump,   den  Grote  aus 

x)  Predigt  vor  den  Schweizertruppen  in  Paris,  die  gedruckt  wurde.  Wiez, 
Etat  des  Züricher  Ministeriums  216. 

2)  „Comes  palatinusu,  Pfalzgraf,  hatte  das  Recht  zur  Promotion.  Die  Notizen 
zu  diesem  Briefe  sowohl  wie  die  Feststellung  des  Schreibers  verdanke  ich  Hrn.  Prof. 
Dr.  Steck  in  Bern. 

Hbrbarts  Werke.     XVII.  9 


I?q  November  1824. 


Delmenhorst  u.  s.  w.  zusammen  fand.  Schöne  Tage  des  Wiedersehens,  theurer 
Erinnerungen!  Sie  bedauerten  es  alle,  daß  Sie  auch  gar  nie  mehr  in  jene  Gegenden, 
wo  doch  ihr  Geburthsort  ist,  gekommenfseyen.  "Wie  sehr  sollte  es  mich  freuen,  wenn 
Ihre  nächste  Ferienreise  Sie  nach  Berlin  führte !  Mit  der  zärtlichsten  Anhänglichkeit 
hat  Frau  von  Grote,  die  Schwester  unseres  theuern  Ferdinand  Rhaden,  mit  mir  von 
Ihnen  gesprochen.  August  Grote,  der  an  der  Brust  litt,  ist  voriges  Jahr  von  seinen 
Ärzten  nach  Rom  geschickt  worden,  er  kam  im  Mai  recht  ordentlich  hergestellt  zurück, 
ich  sah  ihn  in  Jühnde,  und  verlebte  einige  schöne  Tage  mit  ihm  und  seiner  Familie. 
Meine  Zeit  vertrieb  ich  mir  in  Göttingen  außer  Benutzung  der  Bibliothek  mit  Ver- 
fertigung von  Artikeln  für  die  gelehrten  Anzeigen;  was  sich  auf  Paris  und  die  Kunst 
bezog,  wurde  mir  angewiesen,  so  bekam  ich  manches  für  die  Bibliothek  bestimmte 
Buch  noch  brochirt  zur  Hand.  Nun  leben  Sie  wohl,  verehrtester  Lehrer,  und  geben 
Sie  gütigst  bald  Nachricht  von  Ihrem  Befinden 

Ihrem  Sie  hochverehrenden  3oh.  Füessli. 

Meine  Adresse  ist:    Bey  Herrn  Adolf  von  Rougemont  pr.  adr.  Hrn.  Gebr.  Benecke 
in  Berlin. 


1825. 


Psychologie  als  Wissenschaft.  Zweiter  Teil.  S.  Bd.  VI.  S.  i — 338.  —  Rez.  über 
Calkers  Propädeutik  der  Philosophie  (S.  Bd.  XII.  S.  223 — 232.)  Fries'  Schönheit 
der  Seele  (S.  Bd.  XII.  S.  233—246.)  Fries'  System  der  Metaphysik  (S.  Bd.  XII. 
S.  246 — 247.)  Bouterwecks  Religion  der  Vernunft  (S.  Bd.  XII.  S.  268 — 282.)  Eschen- 
mayers Religionsphilosophie  (S.  Bd.  XII.  S.  282 — 297.)  Simons  Einleitung  (S.  Bd.  XII. 
S.  307 — 310.)    Fries'  Naturphilosophie  (S.  Bd.  XII.    S.  310 — 325.) 

297.    An  Eichstädt  in  Jena.1)  Königsberg  3.  Febr.  1825. 

Ew.  Wohlgeboren  empfangen  hiebey  die  längst  rückständige  Rec. 
von  Calkers  Methodologie  d.  Phil.;  und  werden  wohl  aus  dem  Inhalte 
ersehen,  daß  diesmal  nicht  viel  Anziehendes  in  der  Arbeit  lag,  wodurch 
sie  hätte  können  beschleunigt  werden.  ■ — 

Was  die  mir  zur  Recension  angetragenen  Bücher  anlangt:  so  kann  ich 
Eschenmayers  Religionsphilos. 
nicht  annehmen ;  weil  ich  den  ersten  Band  davon  längst  anderwärts  recensirt 
habe,    auch   ohnehin   mit   den   folgenden    Bänden    dieses   schwärmerischen 
Buchs  mich  nicht  befassen  möchte. 

Calkers  Methodologie  ist  durch  Beyliegendes  erledigt.  —  Siegwarts 
Logik  bitte  ich  einem  andern  Recensenten  zuzutheilen.     Es  bleiben  also: 

Ehrhardts  Einleitung;  Ihre  Num.  31Q88  v   1015 

Kiesewetters  Versuch  pp    .     .     .31580 

Salat  Handb.  pp 32459 

und  Tennemanns  Abriß  der  Gesch.  d.  Philos.  v.  Wendt,  welches  Sie  nicht 
numerirt  haben. 

Diese  vier  Bücher  bitte  ich  mir  durch  H.  Unzer  baldigst  zukommen 
zu  lassen,  indem  ich  deren  Beurtheilung  übernehme.  Die  Rechnung  wird 
sich  wohl  finden. 

Ihre  Literat.  Zeitung  hat  mir  durch  die  gefällige  und  vollkommen 
richtige  Relation  aus  meiner  kleinen  Schrift  über  Anwendung  der  Mathe- 
matik auf  Psychologie,  ein  angenehmes  Geschenk  gemacht.  Allein  ich 
hoffe  weit  mehr  noch  auf  eine  gründliche  Beurtheilung  meiner  Abhand- 
lung de  attentionis  mensura;  an  welche  zu  erinnern  ich  mir  erlaube.  Jetzt 
ist  mein  größeres  psychologisches  Werk  hinzu  gekommen,  dessen  zweyter 
Theil  bald  die  Presse  verlassen  wird;  ein  Werk  vieljähriger  und  für  mich 


x)  Bereits  gedruckt:  Zt.  f.  päd.  Psych,  u.  Path.,  1900,  Heft  3.  Vgl.  o.  S.  16 
Anm.  1.  —  Der  Philolog  H.  K.  A.  Eichstädt  (1772 — 1848),  Begründer  und  Heraus- 
geber der  neuen  Jenaischen  Lit.-Ztg.     S.  Allg.  d.  Biogr.   5,  742  f. 


j72  April   1825. 

sehr   mühsamer   Arbeit;    welches   Ihrer   Aufmerksamkeit   angelegentlich   zu 
empfehlen  ich  hiemit  die  Freyheit  nehme.  Hochachtungsvoll 

Herbart. 

298.    An   Eichstädt1)  Königsberg  14  April  1825. 

Ew.  Wohlgeboren  haben  mich  mit  einem  gütigen,  sehr  zu  ver- 
dankenden Briefe  erfreut,  der  jedoch  erst  vorgestern  mit  dem  Paquet  in 
meine  Hände  gekommen  ist;  sonst  würde  ich  denselben  auf  der  Stelle 
beantwortet  haben. 

Da  Sie  das  von  Ihnen  gegebene  Gesetz,  nicht  in  zwey  kritischen 
Blättern  einerley  Buch  von  einerley  Feder  beurtheilen  zu  lassen,  für  den 
Fall  der  Eschenmayerschen  Relig.  -  Philos.  Selbst  suspendiren:  so  darf  ich 
hinzufügen,  daß  auch  in  meinen  Augen  diese  sonst  nöthige  Regel  wenig 
Gewicht  hat;  denn  nicht  ich  allein  werde  vergessen  haben,  was  ich  in 
einem  der  ersten  Hefte  des  Hermes,  vor  einer  guten  Reihe  von  Jahren, 
über  den  ersten  Theil  jenes  Werks  gesagt  habe.  Es  wird  sehr  leicht  seyn, 
und  zu  der  Absicht  des  Werkes  selbst  recht  gut  passen,  den  Standpunct 
der  Beurtheilung  des  Ganzen  jetzt  in  dem  zweyten  Theile  aufzusuchen; 
die  Recension  wird  alsdann  kaum  den  Buchstaben  des  Gesetzes  verletzen, 
daher  bin  ich  bereit  dieselbe  zu  übernehmen;  wenn  nicht  Ihr  Ausdruck 
,,eine  baldige  wenn  auch  nicht  weitläuftige  Rec."  den  Wunsch  einer  kurzen 
Recension  bezeichnet.  Kurz  werde  ich  mich  nicht  fassen  dürfen;  ich 
weiß  aus  Erfahrung,  daß  es  schwer  ist,  einer  philos.  Recension  Gewicht 
genug  zu  geben,  um  gegen  Antikritiken  sicher  zu  seyn;  indessen  bitte  ich 
nur  um  so  viel  Raum  in  Ihren  Blättern,  als  ich  auch  sonst  gewöhnlich 
bey  bedeutendem  Schriften  zu  gebrauchen  pflege.  Das  Buch  habe  ich 
schon  in  Händen.  || 

Lebhaft  verdanke  ich  die  Ehre,  welche  die  dortige  hochlöbl.  philos. 
Facultät  mir  erwiesen  hat;  obgleich  die  Ausführung  des  Wunsches,  für 
Jena,  welches  mich  bildete,  zu  wirken,  doch  auch  von  meiner  Seite 
Schwierigkeit  möchte  gefunden  haben.2)  Denn  das  pädagog.  Seminar,  welches 
ich  nicht  bloß  dem  Namen  nach  dirigiren  wollte  (besonders  hier,  wo  ein 
Lobeck  und  ein  Bessel  an  den  Seminaristen  mit  bilden,)  zwang  mich  schon 
vor  Jahren,  praktischer  Erzieher,  und  deshalb  zugleich  Eigenthümer  von 
Haus  und  Hof  zu  werden;  so  daß  ich  wirklich  stärker,  als  mir  lieb  ist, 
an  die  Scholle  gebunden,  und  nicht  leicht  davon  loszureißen  bin. 

Die  Recension  des  Schriftchens  de  attentionis  mensura  ist  von  dreyen 
Mitarbeitern  abgelehnt  worden?  Und  doch  hatte  ich  die  Abhandlung  ganz 
eigends  darauf  eingerichtet,  zu  den  Mathematikern  zu  sprechen!  Und  so 
lange  Bedenkzeit  nahmen  sich  die  Herrn?  Anfangs  1822  kam  die  Schrift 
heraus!  —  Was  soll  ich  denn  für  mein  größeres  psycholog.  Werk  er- 
warten,   welches    eben    so    viel    Mathematik    und    ohne    Vergleich    mehr 

x)  4  S.  gr.  40.  —  Original  in  der  Großh.  öff.  Bibl.  zu  Eutin,  gütigst  zur  Ver- 
fügung gestellt  durch  Hrn.  Prof.  G.  Eilers  in  Eutin. 

2)  Danach  scheint  von  Jena  aus  eine  Anfrage  wegen  Übernahme  einer  Professur 
in  Jena  an  Herbart  ergangen  zu  sein.  Doch  findet  sich  darüber  in  den  Akten  der 
philosophischen  Fakultät  nichts,  wie  mir  vom  derzeitigen  Hrn.  Dekan  freundlichst  mit- 
geteilt wurde. 


April   J825. 133 

philos.  Übung  bey  dem  Beurtheiler  voraussetzt!  Ew.  Wohlgeboren  kann  | 
ich  um  keine  größere  Güte  bitten,  als  die  Sie  mir  schon  erweisen,  indem 
Sie  mir  erlauben,  Ihnen  Personen  zu  nennen,  von  denen  ich  glaube  ver- 
standen zu  werden.  Allein  wie  klein  ist  deren  Zahl!  Besonders  da  es 
hier  auf  Mathematik  mit  ankommt.  Fries  hat  sich,  glaube  ich,  nie  die 
Mühe  gegeben,  mich  verstehn  zu  wollen;  sein  Kantianismus  genügt  ihm. 
Der  Graf  Buquoi  scheint  ganz  Schellingianer  zu  seyn.  Von  diesen  Herrn 
muß  ich  ein  Urtheil  erwarten;  aber  keinen  von  beyden  könnte  ich  darum 
bitten!  Mellin  bildet  sich  ein,  Mathematiker  zu  seyn,  aber  er  macht  sich 
in  dieser  Hinsicht  geradezu  lächerlich.  Von  Wagnern,  der  zwar  eine 
„mathematische  Philos."  geschrieben  hat,  kann  gar  nicht  die  Rede  seyn. 
Andre  bekannte  Schriftsteller  fallen  mir  nicht  ein.  —  Daher  muß  ich 
mir  die  Freyheit  nehmen,  Ihnen  Personen  zu  nennen,  die  Sie  wahr- 
scheinlich nicht  kennen.    Zuerst  und  vorzüglich  den  Freyherrn  von  Richt- 

hofen,    auf    Brecheishof    bei    Jauer    in    Schlesien.      Dieser    war    noch    in 

Göttingen,  vor  1809,  mein  Zuhörer;  und  ich  weiß,  daß  er  die  Abhand- 
lung de  attent.  mens,  gelesen  hat.  Er  ist  einer  der  feinsten  kritischen 
Köpfe,  die  ich  je  kennen  lernte,  und  würde  ohne  Zweifel  ein  berühmter 
Gelehrter  seyn,  besäße  er  nicht  Stand  und  Vermögen  im  vollen  Maaße. 
Vielleicht  entschließt  er  sich  aus  Freundschaft  für  mich,  die  Feder  an- 
zusetzen; sicher  bin  ich  in  diesem  Falle,  daß  ein  solcher  Kopf  keine 
leere  Lobrede  niederschreibt;  sollte  an  dem  üblichen  Recensionsstyl  etwas 
fehlen,  so  würden  Ew.  Wohlgeboren  vielleicht  nachhelfen.  —  Außer  ihm 
kann  ich  Ihnen  nur  hiesige,  jüngere  Gelehrte  nennen.  Herr  Oberlehrer 
Stiemer1),   hier   am    altstädtschen  Gymnasium  angestellt,    ist  Mathematiker 

von    Profession.      Herr    Director    Diekmann,    hier    an    der   Kneiphöffschen 

Schule,  ist  ebenfalls  Mathematiker,  obgleich  mehr  Pädagog.  Herr  Fröhlich 
ein  ||  noch  nicht  angestellter,  aber  sehr  ausgezeichneter  junger  Gelehrter, 
verdient  ebenfalls,  daß  ich  ihn  nenne.  Jeder  von  diesen  dreyen  kann 
wenigstens  einen  verständigen  Bericht  über  die  Schrift  abfassen,  und  mehr 
braucht  es  ja  eigentlich  nicht.  Die  kritische  Laune,  welche  zu  kommen 
pflegt,  wenn  man  sie  verlangt,  wird  bei  diesen  Herrn  wenigstens  nicht  so 
viel  Übles  stiften,  als  ich  seit  vollen  zwanzig  Jahren  von  Recensenten  zu 
erdulden  hatte,  die  durchaus  nicht  wußten  wovon  sie  sprachen.  Keiner 
der  Genannten  jedoch  ist  in  allen  seinen  Verhältnissen  so  unabhängig  als 
der  Freyherr  von  Richthofen,  daher  Ew.  Wohlgeboren  diesem,  den  ich 
überdies  seit  1809  nicht  wieder  gesprochen  habe,  wohl  am  ersten  das 
gute  Vorurtheil  der  Unpartheilichkeit  zuwenden  werden. 

Mit  der  vollkommensten  Hochachtung  empfiehlt  sich  Herbart. 

Juni:  Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar.     S.  Bd.  XIV.     S.  232 — 242. 

x)  Randbemerkung    Eichstädts:    ,,Die    unterstrichenen   drey   [Richthofen,   Stiemer, 
Diekmann]  eingeladen  3.  Mai   1825." 


134  Juli  l825- 

299.    Reichhelm  an  H.1)  Bromberg  den  11.  Juli  1825. 

Jetzt  habe  ich,  mein  hochverehrter  Gönner  und  Freund!  einen  vierwöchent- 
lichen Urlaub  zu  meiner  beabsichtigten  Reise  nach  Danzig,  Königsberg  und  Tilsit 
erhalten ! 

So  wir  gesund  bleiben,  wollen  wir  d.  22.  d.  nach  Danzig  abreisen  und  dort 
bis  zum  29.  d.  verweilen.  Amalie  freilich  wünscht  je  eher,  je  lieber  mit  unsern 
zwei  Sprößlingen  von  Danzig  aus  Stolpe  und  die  Aeltern  heimsuchen  zu  können. 
Allein  wenn  Sie  und  Ihre  liebe  Gattin  an  demselben  Tage,  wie  wir  von  hier,  von 
Königsberg  abreisen,  und  auch  —  wie  Grolp  mir  schreibt  —  in  Elbing  und  Marien- 
burg etwas  verweilen,  so  werden  Sie  doch  spätestens  d.  25.  d.  in  Danzig  eintreffen. 
Wie  freue  ich  mich  im  voraus,  Sie  wieder  zu  sehen;  ||  Sie,  dem  ich  das  Meiste 
dessen  verdanke,  was  ich  bin ! 

Die  Hoffnung  auf  den  Genuß  des  Zusammenseyns  mit  Ihnen  ist  die  schönste 
Aussicht,  welche  ich  dieser  Reise  abgewinnen  kann.  Das  Reisen  an  sich  ist  mir 
nöthig,  da  ich  der  ungeheuren  und  so  verschiedenartigen  Masse  von  Arbeiten,  die 
man  mir  nach  und  nach  unter  allerlei  schmeichlerischen  Ausflüchten  aufgebürdet 
hat,  fast  erliege. 

Die  hämorrhoidalischen  und  rheumatischen  Übel,  die  mich  quälen,  sind  theil- 
weise  durch  Dienst-Anstrengungen  herbeigeführt.  Den  Urlaub  hat  man  also  nicht 
füglich  verweigern  können.  Allein  es  lag  Anfangs  in  meinen  "Wünschen,  ähnlich 
wie  ich  vor  2  Jahren  Schlesien,  einen  Theil  Böhmens  und  Berlin  gesehen  habe, 
dieses  Mal  Dresden  und  Sachsen  überhaupt  zu  besuchen.  Da  stemmten  sich  die 
Wünsche  meiner  Schwieger  ||  Aeltern,  die  Bitten  meiner  Frau,  meiner  Schwäger  in 
Danzig  und  Tilsit.  Was  thut  man  nicht  um  des  lieben  Friedens  willen?  Aus  Halle, 
Leipzig  und  Dresden  wurden  Danzig,  Königsberg  und  Tilsit!  Nun  traten  Sie,  mein 
lieber,  würdiger  Lehrer,  als  Vermittler  mit  der  Entschädigung  hervor.  Als  Grolps 
Brief  mich  von  Ihrem  Wunsche  unterrichtete,  waren  meine  eigenen  Wünsche  zu- 
friedengestellt. 

So  lassen  Sie  uns  denn  zusammen  kommen.  Wie  viel  ist  verfloßen,  was  ich 
Ihnen  über  Personen  und  Sachen  mitzutheilen  habe,  seit  ich  Sie  nicht  gesprochen! 
Brieflich  konnte  das  nicht  geschehen.  Sie  schreiben  nicht  gern;  ich  bin  seit  den 
letzten  Jahren  mit  Schreibereien  dergestalt  gedrückt,  daß  ich  frei  aufathme,  wenn 
ich  eine  Stunde  dem  Lesen  widmen  kann.     Also  mündlich!  || 

Schließlich  muß  ich  Ihnen  mein  Reise-Konto  mittheilen,  um  zu  hören,  ob  ich 
Sie  auf  meiner  Rückkehr  in  Königsberg  wieder  finde? 

Den  30.  Juli  von  Danzig  nach  Elbing;  d.  1.  u.  2.  Aug.  von  Elbing  nach 
Koenigsberg.  d.  6.  u.  7.  August  von  Königsberg  nach  Tilsit;  d.  13.  u.  14.  von  Tilsit 
nach  Königsberg;  d.  17.  bis  20.  von  Königsberg  nach  Bromberg:  die  zwischen 
liegenden  Tage  sollen  meine  Feiertage  seyn. 

Meine  Frau  empfiehlt  sich  mit  mir  Ihnen  und  Ihrer  Gattin  auf  das  Herz- 
lichste, und  ich  bitte  in  unserer  beider  Namen  um  die  Fortdauer  Ihres  freund- 
schaftlichen Wohlwollens  Ganz  Ihr  Reichhelm. 

Die  Einlage  schicken  Sie  wohl  an  Bertheau?  Ct.  Viehes  aus  Elbing  bewirbt  sich 
bey  mir  um  das  Rectorat  der  hiesigen  Stadtschule.  Sagen  Sie  mir  doch  unverhüllt, 
was  an  dem  Manne  ist. 

4.  Sept.  1825:  Schreiben  an  den  Minister,  Überreichung  der  Psychologie.    S.  Bd.  XIV. 

S.   244. 

*)  3  S.  8°.  H.  Wien.  —  Reichhelm,  später  Regierungsrat  in  Berlin,  einst 
Hörer  bei  Herbart.     S.  u.  Brief  Herbarts  an  K.  Reichhelm  v.  8.  Febr.  1835. 


Oktober  1825.  135 

300.    L-  Sachs  an  H.1)  Königsberg  10.  October  25. 

Sehr  verehrter  Herr  Professor! 

Zuvörderst  danke  ich  Ihnen  aufrichtig  für  die  Bereitwilligkeit,  mit  welcher 
Sie  neulich  meine  Bitte  aufgenommen  und  benuze  die  mir  gegebene  Erlaubniß, 
Ihnen  das  in  Rede  gestellte  Buch  zur  An-  und  Durchsicht  zuzuschicken.  Gestatten 
Sie  mir  es  nur  noch,  daß  ich  einige  Worte  hinzufüge,  um  Ihnen  den  Beweggrund 
und  Zweck  meines  Anliegens  an  Sie  zur  Prüfung  vorzulegen,  da  nur  diese  mich  bei 
Ihnen  rechtfertigen,  wenigstens  entschuldigen  können. 

Jede  nur  einigermaßen  sittlich  begründete  Verbindung  mit  der  "Wissenschaft 
versezt  uns  in  eine  doppelte  Sorge,  in  die  um  unser  eigenes  Verhalten  zu  ihr,  und 
in  die  um  die  Schicksale,  die  wir  sie  erfahren,  oder  von  denen  wir  sie  bedroht 
sehen;  jene  setzt  uns  in  Kampf  und  Wachsamkeit  gegen  uns  selbst,  läßt  uns  auf 
der  Hut  sein  gegen  heimliche,  verdeckte  Irrthümer,  gegen  Voreiligkeit,  Dogmatismus, 
Trägheit,  Sicherheit,  und  wie  sonst  noch  die  innern  Feinde  der  Wahrheit  heißen. 
Die  zweite  kann  uns  zum  Kampfe  gegen  Andere  führen,  ja  wohl  dazu  nöthigen. 
Kann  man  denn  dem  Gegenstande  seiner  innigsten  und  geheiligsten  Liebe  übel  be- 
gegnen laßen,  ohne  sich  zur  Vertheidigung  zu  regen?  Die  vornehm  beruhigende 
Rede:  die  Wahrheit  werde  schon  selbst  sich  vertheidigen  und  vertreten,  scheint  mir 
eine  nur  thörichte  und  indolente.  Thäte  dies  die  Wahrheit  wirklich,  so  hätte  ja 
wohl  niemals  ein  Irrthum  in  die  Welt  kommen,  wenigstens  sich  nicht  ausbreiten 
und  ganz  bequem  Wohnung  nehmen  können.  Es  bedarf  aber  in  der  That  nur  einer 
sehr  mäßigen  ||  Vertrautheit  mit  der  Entwickelungsgeschichte  einer  jeden  Wissen- 
schaft, um  zu  der  Überzeugung  zu  gelangen,  daß  jede  kleine  Eroberung  der  Wahr- 
heit erstritten  und  oft  theuer  erkauft  werden  muß.  Niederschlagend  wäre  diese 
Überzeugung,  wenn  sie  nicht  zugleich  den  edelsten  menschlichen  Beruf:  lebendiges 
Werkzeug  der  Wahrheit  zu  sein,  verbürgte.  Diese  Überzeugung  auch  ist's,  welche 
allen  leeren  Streit,  alle  Mikrologie,  alles  uninteressirte  Messen  discreter  Meinungen 
völlig  aufhebt,  alle  Autoritäten  beseitigt  und  den  Geist  lediglich  auf  die  Untersuchung 
des  Wahren  rüstet.  Und  eben  darum  ist  sie  es  auch,  die  den  Menschen  im  tiefsten 
Grunde  des  Gemüths  demüthig  und  in  seinem  Thun  selbstverleugnend  macht.  Er 
will  nichts  für  sich  und  liebt  sich  nur  in  der  Wahrheit,  darum  führt  er  auch  so 
lange  gegen  sich  selbst  einen  Vertilgungskrieg,  bis  er  sich  selbst  in  der  Wahrheit 
wieder  gewonnen  hat.  —  Ich  darf  so  zu  Ihnen  reden,  mein  verehrtester  Herr  Professor, 
weil  ich  Sie  durch  lange  fortgesezte  Beobachtung  als  einen  solchen  gefunden  zu 
haben  glaube.  Seit  vielen  Jahren  schon  begleite  ich  Sie  mit  stiller  Beobachtung 
in  Ihrem  Streit  gegen  alles,  was  in  der  Zeit  als  Philosophie  sich  hat  geltend  machen 
wollen,  und  immer  fand  ich  Ihre  Waffen  treffend  und  Ihre  Kunst  rein  und  ehrlich. 
Nicht  mit  einer  Philosophie  traten  Sie  den  Philosophen  entgegen,  sondern  mit  der 
billigsten  und  lautersten  Anmuthung  zur  Verständigung;  zuvörderst  wurde  jeder 
sich  selbst  zu  verstehen  eingeladen  und  dadurch  dann  seinen  Irrthum  inne  zu  werden. 
Den  Bestrittenen  wurde  nicht  nur  das  Beste  zugetraut  — :  das  Bestreben  nach 
Wahrheit;  sondern  auch  noch  möglichst  viel  Gutes  geliehen,  manchen,  sogar  — 
vielleicht  Ihnen  selbst  unbewußt  —  geschenkt.  Kurz,  ich  fand  Sie  überall  mit  solcher 
Unbefangenheit  und  solcher  Entfernung  von  allem  Dogmatismus  zu  Werke  gehen,  daß 
ich  nicht  nur  von  der  aufrichtigsten  und  innigsten  j|  Hochachtung  für  Sie  durchdrungen 
wurde,  sondern  auch  dahin  gelangen  konnte,  den  Philosophen  von  der  Philosophie 
trennen  zu  können.    Und  dies  eben  war  für  mich  eine  große  Wohlthat  und  ein  sehr 

x)  16  S.  4°.  H.  Wien.  —  L.  W.  Sachs,  Arzt  u.  Prof.  d.  Medizin  in  Königs- 
berg (1787—1848).    S.  Allg.  D.  Biogr.  30,  128  f. 


136  Oktober  1825. 

fördernder  Fund.  Ich  kann  mich  nemlich  keineswegs  rühmen  Ihre  Philosophie  ver- 
standen zu  haben,  ja,  ich  muß  es  auch  bekennen  nicht  einmal  die  von  Ihnen  selbst 
gestellten  Bedingungen  zu  einem  wahren  Verständniß  Ihrer  Philosophie  erfüllen  zu 
können.  Völlig  geschieden  also  hätte  ich  von  einem  Geiste  bleiben  müssen,  zu  dem  ich 
gleichwohl,  und,  wie  ich  mir  selbst  gestehen  durfte,  auf  gerechte  Weise,  hingezogen 
war.  Nun  aber  hatte  ich  den  Philosophen  gefunden  und  hiemit  einen  unverwerflichen 
Inductionsschluß  auf  die  Philosophie  selbst.  Bei  solchem  Gewinn  konnte  mir  die 
Demüthigung  zur  Philosophie  selbst  untüchtig  zu  sein,  nicht  zu  schwer  werden;  ja 
es  ergab  sich  mir  selbst  hieraus  ein  gutes  Anspruchsrecht  an  den  Philosophen. 
Und  dies  eben,  verehrtester  Herr  Professor,  ist  der  Punkt,  auf  welchem  meine 
Bitte  und  mein  Antrag  beruht.  Es  ist  keineswegs  nemlich  mein  Wunsch  Sie  zur 
Beurtheilung  einer  einzelnen  Schrift,  wie  richtig  sie  auch  im  Ganzen  sein  möchte, 
(was  die  in  Eede  stehende  nicht  einmal  ist)  zu  bewegen,  sondern  bestimmen  möchte 
ich  Sie  eine  Schuld  an  die  Medizin,  insofern  diese  von  der  Philosophie  grundsäzlich 
und  methodisch  für  das  Bewußtsein  geordnet  und  geregelt  werden  muß,  abzutragen. 
Hiezu  aber  schien  mir  diese  Schrift,  ihrer  Mängel  nicht  weniger  als  ihrer  Vorzüge 
wegen,  eine  geschikte  Veranlassung  zu  geben. 

Nicht  anfangen  entweder  hätte  ich  dürfen  zu  Ihnen  zu  sprechen,  oder  ich  muß 
es  zu  Ende.  Nun  kann  ich  nicht  zurük,  auch  möchte  ich's  nicht.  Ich  finde  nicht,  || 
daß  ich  etwas  zu  befürchten  habe,  da  ich  alles  Ihrer  freien  Entscheidung  unter- 
werfen will  und  auch  Ihre  Abweisung  mir  belehrend  sein  wird,  da  Sie  es  nicht 
ohne  Grund  thun  würden.  Meine  Absicht  aber  können  Sie  nicht  verkennen.  Er- 
lauben Sie  mir  also  fortzufahren  und  helfen  Sie  selbst  mir  nach,  wo  ich,  von  Un- 
klarheit gedrückt,  im  Ausdruck  zu  unterliegen  Gefahr  laufe.  Üben  Sie  ganz  getrost 
an  mir  des  Sokrates  weise  Hebammenkunst,  das  Kindlein  wird  Ihnen  willig  folgen. 

Ich  kann  nun  nicht  weiter  vorschreiten,  ohne  zuvor  ein  Bild  von  der  heutigen 
Medizin  zu  entwerfen.  Zuvörderst  weiß  sie,  insofern  sie  Wissenschaft  sein  soll  oder 
will,  ihres  Bleibens  nicht  zu  finden.  Vor  Kant  hatte  sie  eine  ganz  bequeme  Lage. 
Die  Gewalttätigkeit  die  ihr,  zum  Theil  wenigstens,  Cartesius  hat  aufdringen  wollen, 
war  verschmerzt,  auch  das  Lob,  welches  C.  F.  Wolff  in  seinem  trefflichen  Werke 
de  generatione  noch  dem  Cartesius  ertheilt,  daß  er  der  einzige  gewesen  sei,  der  von 
der  Zeugung  eine  —  falsche  Erklärung  gegeben,  während  alle  übrigen  nicht  einmal 
soviel  gethan,  auch  dies,  obwohl  ganz  ernst  gemeinte  dennoch  bedenkliche  Lob,  war 
vergeßen.  Einige  große  Aerzte  im  Anfange  des  18ten  Jahrhunderts  hatten  ein  ge- 
deihliches empirisches  Studium  angeregt;  davon  zehrte  man  später;  der  geistvolle 
Stahl  blieb  völlig  unverstanden;  Hallers  Untersuchungen  gingen  nur  bis  an  die 
Grenze  der  eigentlichen  Medizin.  Angezogen  von  dem  großen  Erfolge  der  Linn eischen 
Systematik  wurden  nun  auch  künstliche  Systeme  in  der  Medizin  angefertigt  und  es 
entstand  die  Überzeugung  eines  wißenschaftlichen  Geborgenseins.  Nun  aber  begannen 
die  Bemühungen  die  krit.  Philosophie  wirksam  in  die  Medizin  einzuführen.  Was  bei 
dieser  Gelegenheit  geschah  gibt  völlig  freie  Wahl  zur  Betrübniß  oder  zum  Lachen. 
Was  soll  man  dazu  sagen,  wenn  man  einen  Arzt  mit  Aengstlichkeit  an  die  Unter- 
suchung z.  E.  der  ||  Fieber  gehen  sieht,  weil  man  sich,  gegen  das  Verbot,  von  einem 
Ding  an  sich  zu  sprechen  fürchtet?  Mit  der  Kategorientafel  —  dem  damaligen 
philosophischen  Waffeleisen  —  war  in  der  Medizin  nicht  viel  auszurichten  und  so 
entstand  denn  eigentlich  nur  eine  Verlegenheit,  wie  man  es  denn  anfangen  solle, 
um  eine  kantische  Medizin  zu  Stande  zu  bringen.  In  der  Physiologie  nur  wurde 
es  entschieden,  daß  man  vom  Leben  selbst  nichts  wissen  könne,  weil  das  transcendent 
sein  hieße,  und  dies  gab  dann  die  Beruhigung,  daß  man  gehörig  transcendental  sei. 
Gewiß   trägt  Kant   selbst  nicht  die  Schuld  dieses   thörichten  Beginnens;   bekennen 


Oktober  1825.  137 

aber  muß  man  auch,  daß  er  nichts  für  die  Medizin  gethan  hat.  Sein  Brief  an 
Hufeland  (über  Makrobiotik)  scheint  mir  Ironie  über  die  ganze  "Wissenschaft  zu  ent- 
halten, obwohl  er  mit  großem  Dank  und  tiefer  Ehrfurcht  aufgenommen  wurde.  Da 
er  überall  der  gesammten  Naturwissenschaft  nur  soviel  wissenschaftliche  Evidenz 
zuschrieb,  als  sie  Mathematik  enthält,  so  war  es  schon  entschieden,  daß  die  Medizin, 
die  in  ihren  lezten  Gründen  weder  auf  räumlichen  noch  zeitlichen  Ausdehnungen, 
überall  nicht  auf  lediglich  formellen  und  Verhältnisbegriffen  beruhen  kann,  durch 
ihn  keine  Palingenesie  erfahren  werde.  Doch  alles  dies  weiß  Niemand  besser  und 
gründlicher  als  Sie.  Dem  Andenken  des  erhabenen  Mannes  aber  bin  ich  das  Be- 
kenntniß  noch  schuldig,  daß  er  der  Medizin  wenigstens  nicht  geschadet  habe.  — 
Die  Verlegenheit  der  Aerzte  in  Beziehung  auf  den  Kritizismus  dauerte  nicht  lange ; 
denn  um  dieselbe  Zeit  etwa  geschah  die  Invasion  des  Brownianismus.  Dies  ist  ein 
so  abentheuerliches  Ding,  daß  man  sichs  kaum  als  möglich  denken  kann,  wie  nur 
außer  seinem  Erfinder  (denn  von  Entdeckung  kann  hiebei  gar  nicht  die  Rede 
sein)  noch  irgend  ein  anderer  Mensch  sich  davon  sollte  gefangen  nehmen  lassen. 
Gleichwohl  gewann  aber  dieser  Brownianismus  in  kurzer  Zeit  fast  allgemeine  Herr- 
schaft. Und  sieht  man  etwas  genauer  hin,  so  erklärt  sich  das  Phänomen  sehr 
wohl  dadurch  ||  daß  diese  Pseudolehre  einer  Cardinaltugend  und  einem  Cardinallaster 
des  Menschen  auf  die  gleiche  Weise  und  gleichzeitig  schmeichelt,  dem  Verlangen 
nach  Einsicht  und  der  Trägheit.  Alles  was  bis  dahin  in  der  Medizin  gelehrt  worden 
war,  bezog  sich  auf  Qualitäten,  selbst  die  Jatromathematici  wollten  mit  der  Mathe- 
matik nicht  eigentlich  erklären,  sondern  nur  die  innere  Ordnung  des  Gesetzes  aus- 
sprechen; die  Corpusculartheorie  brachte  eben  die  corpuscula  sammt  ihrem  Concursus 
schon  als  Qualitäten  mit,  ebenso  der  influxus  physicus  u.  s.  w.  Völlig  also  auf 
qualitativem  Grunde  stand  alles,  was  seit  Hippokrates  über  Medizin  vorgetragen 
worden  ist.  Aber  diese  Qualitäten  waren  auch  alle,  mehr  oder  minder,  qualitates 
occultae,  und  als  solche  gewährten  sie  einerseits  keine  befriedigende  Einsicht  und 
geboten  andererseits  tiefere,  mühsame  Untersuchung.  Befreiung  aus  dieser  doppelten 
Noth  versprach  Brown.  Nach  Qualitäten  solle  man  nicht  fragen,  dies  sei  eine  Ein- 
flüsterung „der  Philosophie,  der  Schlange1-'';  nur  ein  quantitatives  Verhältniß  gebe 
es  und  selbst  dies  ist  nur  ein  sehr  einfaches;  das  Leben  —  keineswegs  ein  selbst- 
ständiges, ursprüngliches  Quäle  —  „sei  ein  bloß  erzwungener  Zustand;1'  jenes  quanti- 
tativen Verhältnisses;  alles  also  was  in  der  Medizin  zu  erforschen  und  zu  thun  sei, 
bestände  in  der  Auffindung  und  Eeglung  jenes  Verhältnisses;  niemals  also  kann  es 
etwas  anders  zu  thun  geben,  als  es  entweder  zu  steigern,  oder  zu  vermindern,  da  es 
auch  nur  in  diesen  beiden  Beziehungen  alterirt  (krankhaft)  sein  kann.  Etwas  betroffen 
freilich  stand  man  anfänglich  da,  sich  gegenseitig  gleichsam  fragend:  ob  denn  nun 
dies  alles,  und  alles  dies  wahr  sei?  Bald  jedoch  wurde  der  Beifalls-Lärm  und  der 
Freudentaumel  so  groß,  daß  keinem  Zweifel  Raum  blieb.  Wenige  nur  konnten  so 
großer  Bequemlichkeit  und  so  wohlfeiler  Einsicht  widerstehen.  Gern  lasse  ich  hier 
den  ungeheuren  Unfug,  der  nun  mit  bachantischer  Wuth  getrieben  wurde,  unerwähnt. 
Eines  andern,  meinem  damaligen  Zwecke  näher  liegenden  Punktes  aber  muß  ich  ge- 
denken. Während  nemlich  diese  neue  Lehre  aus  Schottland  (wo  sie  keinen  Augenblick 
Aufnahme  gefunden  ||  hat)  über  Italien  nach  Deutschland  gekommen  war  und  hier 
auf  epidemische  Weise  sich  verbreitet  hatte,  war  auch  die  Naturphilosophie  ent- 
standen und  schnell  zu  großen  Ehren  gelangt.  Es  liegt  aber  in  ihrer  Art  nichts 
wahr  sein  zu  lassen,  als  in  sofern  sie  es  deducirt  hat.  Bei  diesem  Geschäft  jedoch 
zeigt  sie  die  Vorsicht:  nicht  vor-  sondern  nur  nac/mideduciren.  —  Der  Brownianismus 
also  wurde  erwiesen  als  den  höchsten  Grundsäzen  entsprechend,  und  Brown  als  ein 
„Schöpfer  in  diesem  Gebiet  des  Wissens"  von  der  höchsten  Instanz  (Schelling,  1803) 


1^8  Oktober  1825. 

erklärt.  Diese  Deduction  indessen  kam  fast  zu  spät;  denn  eben  um  diese  Zeit  be- 
gann der  Brownianismus,  durch  seine  eigene  Leerheit  und  Nichtigkeit  mehr  als 
durch  wissenschaftliche  Widerlegung,  in  Verfall  zu  gerathen.  Diesem  Übelstande 
begegnete  nun  die  Naturphilosophie  dadurch,  daß  sie  tamquam  re  bene  gesta,  mit- 
sprach, wie  es  sich  eben  ergab,  und  damit  schloß,  daß  sie  den  Brownianismus  als 
—  „den  höchsten  Unsinn"  deducirte  und  mit  einer  unglaublichen  Naivität  sich  die 
Befreierin  vom  Brownischen  Joche  nannte!  So  dreist  und  so  oft  ist  dies  von  Natur- 
philosophen behauptet  worden,  daß  es  endlich  gläubig  auch  von  Nichtnaturphilosophen 
nacherzählt  wird. 

Nun  auch  hielt  es  die  Naturphilosophie  für  gerathen  die  Bearbeitung  der 
Medizin  nur  selbst  zu  übernehmen.  Sie  hat  es  gethan.  Von  der  Anatomie  an  bis 
zur  Therapie  hin  ist  alles  naturphilosophisch  geformt  worden,  und  ohne  große 
Schwierigkeit.  Alles,  was  sonst  eine  wissenschaftliche  Bearbeitung  Schwieriges  und 
Anstrengendes  erfordern  mochte,  konnte  man  nun  leicht  entbehren  ja,  selbst  der 
Logik  entzog  man  sich  durch  vornehme  Verachtung,  nicht  fürchtend  ihre  unaus- 
bleibliche Eache.  Kenntniß  des  Gegenstandes  selbst  schien  am  wenigsten  erforder- 
lich; etwas  Phantasie  —  deren  wunderliche  Gestaltungen  man  Ideen  nannte  — 
leichtfertige  Combinationen,  willkührliche,  aber  desto  zuversichtlichere  Behauptungen,  || 
kekes  Meinen,  un verlegenes  Weiterreden  bei  entschiedenem  Widerspruch  durch  That- 
sachen,  die  glükliche  Überzeugung,  daß  sich  unter  dem  Eeden  schon  ein  Wißen 
davon  und  darüber  einstellen  werde  — ;  solche  Elemente  waren  es,  die  die  ernste 
Sache  in  ein  lustiges  Spiel  verwandlen  mußten.  Festgehalten  durfte  nur  werden 
die  absolute  Identität  des  Idealen  und  Realen;  ferner,  daß  die  erscheinende 
Natur  ihr  allgemeines  Leben  von  seiner  idealen  Seite  als  leicht,  von  seiner  realen 
Seite  als  Schwere  offenbare;  indem  aber  die  ursprüngliche  Einheit,  das  Absolute 
sich  entzweit,  das  Entzweite  wiederum  zur  Einheit  zurückstrebt,  so  offenbaren  sich 
die  3  Formen  des  dynamischen  Prozeßes :  Magnetismus,  Elektrizität  und  Chemismus. 
Dasselbe  Leben  waltet  auch  in  der  organischen  Natur,  aber  zu  einer  höheren  Stufe 
erhoben  und  sich  in  dem  Streben  nach  Indifferenziirung  dem  Urleben  mehr  an- 
nähernd; es  manifestirt  sich  in  den  Formen  der  Produktivität,  Irritabilität  und  Sensi- 
bilität. Blieben  diese  weitsichtigen  naturphilosophischen  Säze  nur  unveriezt,  so 
durfte  man  innerhalb  derselben  vornehmen,  was  man  wollte.  Jede  Frage  wurde 
leichtlich  beantwortet,  wenn  auch  in  der  Antwort  gar  keine  Beziehung  zur  Frage 
lag:  Die  Zirbeldrüse  z.  E.  wurde  immer  als  ein  rätselhaftes  Gebilde  betrachtet, 
Cartesius  meinte  sie  sei  der  Siz  der  Seele;  diese  Annahme  kann  man  vielleicht  mit 
der  Correspondenz  des  Rätselhaften  der  Bewohnerin  und  der  Wohnung  entschuldigen; 
die  Naturphilosophie  erklärte  aber  die  Zirbeldrüse  als  die  —  Nebenniere  des  Gehirns! 
Man  frage  ja  nicht:  was  denn  das  Gehirn,  das  nicht  harnen  darf,  mit  einer  Neben- 
niere soll?  was  überall  für  eine  Aehnlichkeit  zwischen  Gehirn  und  Niere,  zwischen 
glandula  pinealis  und  Nebenniere  —  wo  das  tertium  comparationis  zu  finden  sei? 
Solche  Gegenreden  würdeu  schon  als  das  Schandmai  des  untergeordneten  Stand- 
punkts, des  geistlosen,  logischen  Wesens  betrachtet  worden  sein.  Wir  besitzen  ein 
vollständiges  naturphilosophisches  System  der  Medizin  ||  (von  Kilian),  in  welchem  es 
durchweg  so  zugeht  und  es  deshalb  auch  am  Abenteuerlichsten  nicht  fehlt;  so 
z.  B.  wird  bona  fide  der  schwarze  Staar  (eine  Krankheit  der  optischen  Nerven  und 
der  Nezhaut)  für  eine  Varietät  des  grauen  Staars  (eine  Krankheit  der  Linse  und 
ihrer  Kapsel)  gehalten,  und  dem  gemäß  die  Behandlung  gelehrt.  Solche  Unbilden 
wurden  ungemein  häufig  verübt  und  zwar  ohne  durch  irgend  andere,  die  Wissen- 
schaft und  Wahrheit  fördernde  Leistungen  versöhnt  zu  werden.  Ich  wenigstens 
vermag  auch   nicht  Ein   günstiges  Resultat   naturphilosophischer  Untersuchung   auf 


Oktober   1825.  13g 

medizinischem  Gebiet  anzugeben,  obwohl  ich  mit  Verlangen  danach  gesucht  habe. 
Und  was  man  noch  irgend  nennen  könnte:  Okens  Theorie  von  den  Wirbeln  und 
den  Nabelbläschen  —  das  ist  einmal  gar  nicht  aus  naturphilosophischen  Prinzipien, 
sondern  durch  rein  empirische  Forschung  gefunden;  dann  aber  auf  eine  der  "Wahrheit 
selbst  so  widerwärtige  und  dieselbe  entstellende  Weise  vorgetragen  worden,  daß  es 
einer  neuen  Untersuchung  und  einer  andern,  mehr  Vertrauen  einflößenden  Mit- 
theilung bedurfte,  um  dem  Wahren  jener  Theorien  Eingang  zu  verschaffen  und  von 
seinen  tollen  Auswüchsen  zu  befreien.  Überall  aber  ist's  freilich  wohl  Oken,  dem 
unter  allen  Naturphilosopher  noch  die  größte  Tüchtigkeit  in  empirischer  Beziehung 
zukommt  und  der  gewiß  höchst  Erfreuliches  geleistet  hätte,  wenn  er  sich  hätte  ent- 
schließen mögen  schlichte  Besonnenheit  statt  des  naturphilosophischen  Sansculottismus 
zu  erwählen.  Was  jedoch  vermag  das  harmlose  Wesen  lauterer  Naturforschung  mehr 
zu  trüben  und  zu  verbittern,  als  die  Grimasse  des  Kraftgenies? 

Nun,  nachdem  mehr  als  ein  Jahrzend  in  solchen  Verkehrtheiten  vertaumelt 
worden  und  der  Unsinn  in  seiner  traurigen  Gestalt  völlig  am  Tage  lag,  traten  die- 
jenigen lehrend  und  redend  auf,  denen  es  selbst  beßer  gewesen  wäre  zu  schweigen 
und  die  auch  zum  Reden  ohne  Versuchung  geblieben  wären,  wenn  nicht  alle  gute 
Ordnung  sich  so  völlig  aufgelöst  hätte.  Ohne  Zweifei  gibt  es  auch  unter  denen, 
die  mit  der  Wissenschaft  sich  praktisch  beschäftigen,  sehr  Viele,  die,  vermöge  ihrer 
geistigen  Organisation  eines  vollständigen,  selbstständigen  Bewußtseins  völlig  unfähig 
sind.  Sie  hängen  in  ihren  Einsichten  von  bestimmten  geistigen  Auctoritäten  wesentlich 
ab,  ohne  selbst  dieser  Abhängigkeit  sich  frei  bewußt  zu  werden  und  halten,  eben 
unter  dem  sie  bedingenden  Einfluß  stehend,  sich  für  durchaus  frei.  Fehlt  es  nun 
an  solchen  Einflüßen  nicht,  sind  diese  selbst  wohl  geordnet,  so  bilden  sich,  mit 
Notwendigkeit,  viele  belebte  Werkzeuge,  die,  aller  genetischen  Erkenntniß  ihrer 
selbst  sowohl  als  der  sie  beschäftigenden  Gegenstände  und  Wirkungssphären  er- 
mangelnd, dennoch  erkenntnißgemäß  wirken.  Sobald  es  aber  an  den  Belebungen 
oder  Erregungen  sammt  dem  durch  diese  eingeleiteten  Gesez  fehlt,  so  verwandelt 
sich  jene  Unbewußtheit  in  Bewußtlosigkeit  und  bricht  mit  ihrer  Eohheit  durch.  Die 
unerfüllte  Eeceptivität  tritt  wie  Wirkungsvermögen  auf  und  sezt  lauter  Leerheiten. 
—  Ein  solcher  Zustand  ist  in  die  Medizin  dermalen  eingetreten.  Das  Wort  führen 
eben  jene  bedingten  Naturen,  zu  denen  die  belebenden  und  in  die  rechte  Stelle  und 
geeignete  Wirksamkeit  einsezenden  Bestimmungen  nicht  gelangt  sind,  weil  sie  nicht 
da  waren:  auch  vermißen  sie  diese,  weil  sie  ihr  wahres  Bedürfniß  erst  in  der  teil- 
weisen Befriedigung  inne  werden  können,  keinesweges.  Dies  nun  macht  sie  vollends 
zu  reinen  Negationen,  die  sie,  projicirend,  als  Positionen  sezen.  Sie  sind  leer  und 
fordern  deshalb  mit  natürlichem  Ungestüm  Leerheiten.  In  der  heutigen  Medizin 
gestaltet  sich  dies  so:  weil  der  Brownianismus  durch  seine  eigene  Nichtigkeit  in 
sich  selbst  zusammengestürzt  und  dadurch  die  Frechheit,  mit  welcher  er  sich  als 
Theorie  gebährden  wollte,  offenkundig  geworden  ist;  weil  die  Naturphilosophie  durch 
ihre  innere  Unwahrheit  sich  auch  äußerlich  geächtet  hat,  so  halten  sie  die  Theorie 
für  die  Quelle  alles  Übels,  und  weil  sie,  um  ihrer  Rezeptivität  willen,  es  instinctartig 
durchfühlen,  daß  alle  Theorie  in  der  Philosophie  ruhe,  so  trägt  ihnen  diese  ||  alle 
Schuld  und  deshalb  fordern  sie,  als  Bedingung  alles  Heils,  strenge  Enthaltung  von 
aller  Theorie,  aller  Philosophie.  Offenbar  aber  ist  dies  eine  pure  Negation  und  an 
sich  etwas  Leeres;  um  ihres  Unvermögens  jedoch  dies  zu  erkennen  und  wegen  der 
psychologischen  Täuschung,  in  welcher  sie  sich  befinden,  stellt  sich  ihnen  die  Negation 
als  etwas  Positives  dar,  und  so  auch  treten  sie  selbst  damit  hervor.  Beobachtung 
nemlich,  und  nur  Beobachtung  fordern  sie,  nicht  wißend,  noch  ahnend  wie  viel  und 
wie  Großes  damit  gefordert  sei,   daß  hiemit  die  Theorie  und  Philosophie  so  wenig 


jaq  Oktober   1825. 

ausgeschlossen  werden,  daß  diese  vielmehr  in  ihrer  höchsten  Vollendung  nur  Be- 
obachtung sind.  Sie  stehen  in  der  Voraussezung  daß  die  Beobachtung  in  dem 
zwischen  Auge  und  Gegenstand  befindlichen  Räume  liege  oder  wenigstens  von  selbst 
sich  da  bilde  und  auch  ganz  von  selbst  übertrete.  Sie  haben  keine  Anforderungen 
an  die  Beobachtung  zu  machen,  kein  Gesez  in  ihr  zu  suchen,  nach  keinem  Gesez 
sie  zu  prüfen;  alle  auch  die  sich  widersprechenden,  haben  ein  gleiches  Recht  für 
wahr  gehalten  zu  werden;  das  Beobachten  selbst  ist  ein  Geschäft  das  aus  dem  Stegereif 
zu  vollziehen  ist.  Welch  ein  Chaos  von  Irrthümern  sich  unter  solchen  Umständen 
bilden  muß,  darf  nicht  erinnert  werden;  gleichwohl  ist  mit  den  Irrenden  selbst 
weder  zu  rechten,  noch,  wie  es  dermalen  steht,  zu  sprechen;  jenes  nicht,  weil  sie 
selbst  fast  schuldlos  sind;  dies  nicht,  weil  sie  völlig  aus  der  Richtung  Gründe  zu 
vernehmen  gewichen  sind.  Unterdessen  aber  geschiehts,  daß  eben  sie,  deren  Losungs- 
wort und  Feldgeschrei:  Beobachtung  ist,  nicht  nur  nicht  beobachten  —  was  sich 
freilich  von  selbst  versteht  —  sondern  auch  daß  sie  etwas  anderes  thun,  das  sie 
ganz  auf  den  Kopf  stellt.  Sie  nemlich  theoretisiren,  und  in  der  übelsten  Art.  Ohne 
es  zu  wollen,  ja  völlig  gegen  ihren  Willen  treibt  sie  der  dem  menschlichen  Geiste 
unablösliche  Trieb:  die  Gründe  der  Dinge  zu  erkennen  und  den  Causalnexus  der 
Erscheinungen  zu  erfaßen  zu  Annahmen  über  beide.  Unbewacht  wie  ||  sie  sind 
und  ungeschüzt  durch  den  Act  wahrer,  stetig  fortgesezter  Beobachtung,  welcher 
vorzugsweise  gegen  voreilige  Annahmen  und  unglückliche  Verbindungen  in  jenen 
Beziehungen  zu  bewahren  vermag,  stürzen  sie  aus  Wahn  in  Wahn  und  wegstolpernd 
über  das  Vorhandene,  wissen  sie  auch  die  Gründe  für  das  Nichtvorhandene.  Wenn 
es  vielleicht  als  charakteristisches  Merkmal  der  Seichtigkeit  angesehen  werden  darf 
schnell  mit  dem  Causalitätsbegriff  und  praktischer  Untüchtigkeit:  schnell  mit  der 
Erfaßung  des  Causalnexus  fertig  zu  werden,  so  wäre  schon  hiedurch  die  wissen- 
schaftliche Insolvenz  und  praktische  Impotenz  der  Mehrzahl  heutiger  Aerzte  ent- 
schieden. Vielleicht  verbreitet  sich  das  Übel  aber  auch  über  die  ganze  Zeit, 
wenigstens  scheint  es  selbst  mit  dem  allgemeinen  Hang  zur  Superstition  ursächlich 
zusammenzuhängen. 

Doch  ich  breche  diese  Schilderung  ab,  da  mir  kein  aus  der  Familiarität 
stammendes  Recht:  die  Noth  vorzuklagen,  zustehet,  sondern  ich  bloß  die  Befugnis 
Unterstüzung  zu  fordern  mir  erwerben  wollte;  diese  aber  werden  Sie,  mein  sehr 
verehrter  Herr  Professor,  nachdem  ich  Ihnen  das  Signum  paupertatis  vorgelegt  habe, 
wohl  nicht  versagen  können.  Da  das  Übel  in  den  Prinzipien  und  in  den  ergriffenen 
falschen  Wegen  liegt,  so  scheint  mir  die  Appellation  an  den  Philosophen  ganz  gerecht,. 
und  ich  frage  Sie  deshalb:  was  ist  unter  solchen  Umständen  zu  thun?  Sie  werden 
mich  mit  jenem  Zuruf:  Arzt  hilf  Dir  selbst!  nicht  abweisen  wollen;  denn  theils  ist 
er  hart  und  ungerecht,  theils  auch  ist  der  kranke  Arzt  eben  kein  vollständiger  Arzt 
mehr,  sondern  ein  vielleicht  hülfloser  —  Kranker.  Ich  übrigens  habe  an  meinem 
Theil  gethan,  was  ich  vermocht,  und  werde  auch  damit  fortfahren.  Vor  beinahe 
4  Jahren  schon  habe  ich  den  ersten  Theil  eines  natürlichen  Systems  der  Medizin 
drucken  lassen.  Über  die  Annahme  oder  Verwerfung  eines  natürlichen  Systems 
kann  es  eigentlich  kein  Schwanken  geben,  denn  insofern  es  natürlich  ist,  ist's  noth- 
wendig  auch  wahr  und  dann  darf  man  sich  ihm  nicht  entziehen ;  ließe  es  sich  aber 
erweisen,  daß  es  nicht  natürlich  sei,  dann  wäre  es  wenigstens  kein  System  mehr  j| 
könnte  auch  von  wesentlichen  Irrthümern  nicht  frei  sein  und  müßte  dieses  doppelten 
Gebrechens  wegen  fallen.  Von  diesem  ganz  richtigen  Dilemma  aber  hat  unsere 
Zeit  nichts  gemerkt  und  sie  entweicht  durch  ihre  Indolenz.  Was  darüber  öffentlich 
zur  Sprache  gekommen  ist,  zeigt  auch  nicht  eine  entfernte  Spur  des  Verstehens; 
der  Tadel  ist  nichtig  und  das  Lob?  —   „ach!   ihr  Beifall  selbst  macht  dem  Herzen 


Oktober   1825.  141 

bange!"  Mir  war  in  der  That  auch  Muth  und  Freudigkeit  sehr  gesunken  mein 
Werk  durch  den  Druck  ferner  bekannt  zu  machen,  weil  die  Hoffnung  auf  ein  ent- 
schiedenes Durchwirken  zur  Besonnenheit  —  Ihrer  schonenden  Beurtheilung  bekenne 
ich  willig  solche  Schwachheit!  —  so  gescheitert  war.  Doch  werde  ich  das  Be- 
gonnene fortsezen,  nachdem  erst  ein  anderes  "Werk  („Über  Wissen  und  Gewissen, 
Reden  an  Aerzte"),  das  jezt  im  Druck  ist,  hervorgetreten  sein  wird.  In  diesen 
Reden  suche  ich,  so  gut  ich  kann,  die  Lage  und  die  Noth  der  Sache  genetisch  vor 
Augen  zu  legen  und  den  Weg  zur  Hülfe  zu  bezeichnen.  So  gut  ich  kann  thue  ich 
dies;  aber  ich  bin  auch  innigst  überzengt,  daß  ich  es  nicht  vollständig  vermag. 

Alles,  wie  ich  es  immer  mehr  inne  werde,  kommt  darauf  an,  daß  die  Leute 
von  dem  Wahn  befreit  werden,  der  sie  nicht  sowohl  in  der  Untersuchung  berückt, 
sondern  die  Untersuchung  selbst  ihnen  wegrükt,  ich  meine  den  Wahn:  als  stünden 
sie  in  der  Beobachtung.  Der  Versicherung,  daß  sie  nicht  beobachten,  würden  und 
können  sie  nicht  glauben;  führt  man  ihnen  wahre  Beobachtungen  vor,  so  erkennen 
sie  sie  nicht  als  solche  und  verwerfen  sie  als  falsche,  eben  weil  sie  wahre  ist.  Nur 
eine  deutliche  Erkenntniß,  eine  innere  Geschichte  von  dem  Wesen  und  organischen 
Bau  der  Beobachtung  könnte  sie  zur  Besinnung  bringen.  Ist  aber  nicht  jene 
Erkenntniß  zu  fördern  die  Aufgabe  des  Philosophen?  und  diese  Geschichte  zugeben 
die  des  wahren  Psychologen  ?  Wohl  ohne  Zweifel !  Und  dies  eben,  mein  verehrtester 
Herr  Professor  ist  der  Punkt,  wo  ich  Sie  faßen  und  nicht  loslassen  möchte,  ja  wo  ich 
mich  auch  nicht  scheuen  würde  Ihnen  wie  ||  dem  alten  Proteus,  wehe  zu  thun  und  auf 
alle  Weise  zu  nöthigen,  bis  Sie  wahrgesagt  und  aushelfen,  den  Rath  gegeben.  Hier  ist, 
wie  mir  scheint,  derjenige  Knoten,  durch  dessen  Lösung  sowohl  die  Gefahren  eines 
einseitigen  Idealismus  als  des  hohlen  Spiritualismus  und  nichtigen  Materialismus  auf- 
gedeckt, aber  auch  gehoben  werden,  und  dagegen  andererseits  ein  Realismus  —  nicht 
sowohl  künstlich  aufgebaut,  oder  vorausgesezt,  oder  erschlossen,  als  vielmehr  thatsäch- 
lich  innerhalb  seiner  Gesezlichkeit  erfaßt  wird  — :  eine  unmittelbare  Evidenz,  beruhend 
darauf:  quod  factum  infectum  fieri  nequeat!  Es  muß  mit  Einem  Worte,  eine  Natur- 
philosophie gefunden  werden  können,  welche  das  Wie  von  dem  in  objectiver  Be- 
obachtung gefundenen  Was  in  ein  höheres  Was  des  Bewußtseins  selbst  verwandelt, 
womit  dann  allem  gewöhnlichen  Zerfallen  entweder  der  Reflexion  mit  der  Be- 
obachtung, oder  dem  inhaltlosen,  sich  selbst  vergeblich  zusezenden  Wissen,  sowie 
auch  dem  innern  Widerspruch  und  der  Wortbrüchigkeit  der  Verzichtung  auf  das 
Wissen  ein  Ende  gemacht  wäre.  Eine  solche  Naturphilosophie  muß  auf  dem  Wege 
derjenigen  Philosophie  liegen,  die  die  Psychologie  nicht  blos  als  ihren  integrirenden 
Theil  erkennt,  sondern  auch  aus  derselben  ihre  Geburtsstätte  frei  nimmt,  von  der 
Beobachtung  also  nicht  blos  ausgeht,  sondern  auch  nie  sich  davon  trennt  und  immer 
inniger,  scheinbar  scheidend,  darauf  eingeht,  und  nicht  jenseits  des  Objects  ein  Be- 
wußtsein davon,  sondern  innerhalb  desselben  sucht.  Sie  thäten  mir  nicht  das  ge- 
ringste Unrecht,  wenn  Sie  das  eben  Gesagte  dunkel,  unbeholfen  und  mehr  zum 
Ausdruck  sich  drängend  als  dazu  reif  fänden;  ich  selbst  weiß  es  sehr  wohl,  daß  ich 
hier  nur  lalle.  Aber  ich  weiß  auch,  daß  ich  ein  Ziel  im  Auge  habe,  und  nicht  ein 
beliebig  geseztes,  sondern  vorhandenes,  nothwendig  zu  erreichendes.  Soll  ich  es 
nennen?  mir  heißt  es:  Orientiren  in  der  Erfahrung  und  erfahrend  sich  orientiren 
als  Ein  Act.  Ich  glaube  sagen  zu  dürfen,  daß  ich  für  meine  Person,  für  meine 
Wrirkungs-  und  Forschungssphäre  einige  Fertigkeit  in  der  Fixirung  (Synthesis)  sowohl 
dieses  Acts  als  in  der  Zerlegung  desselben  in  seine  Elemente  mir  erkämpft  und  er- 
rungen habe.  Aber  ich  weiß  auch  ferner,  daß  meine  Erfahrungen  noch  gar  nicht 
bis  in  den  Grund  (in  die  Prinzipien)  gedrungen  sind,  ja  ich  ||  finde  überall  in  mir 
hiezu  nicht  das  schöpferische  Vermögen,   kurz,  nur  in  den  Prozeß  der  Erfahrung 


142  November  1825. 


einzugehen  und  denselben  bewußt  zu  bestehen  glaub  ich  zu  vermögen,  nicht  aber 
das  die  Erfahrung  bedingende,  reale  Bildungsgesez  zu  erfaßen,  noch  weniger  das- 
selbe zu  entwickeln  und  im  Wort  auszusprechen.  Gleichwohl  thut  eben  dies 
letztere  Noth,  wenn  der  Irrtum  in  seiner  Wurzel  aufgehoben  und  der  Wahrheit 
Bahn  gemacht  werden  soll.  Es  bedarf  vor  allem  einer  gründlichen  Belehrung  sich 
%ur  Erfahrung  zu  orientiren.  In  Ihren  Schriften,  soweit  ich  sie  kenne,  finde  ich  An- 
deutungen zu  einer  Naturphilosophie;  ich  darf  mir  jedoch  nicht  zutrauen  den  tiefern 
und  vollkommenen  Sinn  dieser  Andeutungen  erfaßt  zu  haben;  in  jedem  Falle  aber 
bedürfen  sie  der  Ausführung  und  vor  allem,  der  Anwendung.  Dazu  nun  würde 
Ihnen  eine  reiche  Gelegenheit  gegeben  sein,  wenn  Sie  die  beikommende  Schrift  zu 
prüfen  und  zu  beurtheilen  sich  entschließen  könnten.  Hiebei  würde  es,  wie  mir 
scheint,  viel  weniger  auf  Berichtigung,  Zurechtstellung,  Abweisung  der  vorgetragenen 
Sachen,  als  auf  die  Beleuchtung  der  Art  der  Untersuchung  und  des  dabei  ein- 
geschlagenen Weges  ankommen,  obwohl  gewiß  auch  jene  Belehrungen  von  Ihnen 
zum  Dank  verpflichten  würden.  Ihnen  nemlich  würde  die  völlige  Zerfallenheit  der 
Untersuchung  in  sich  selbst  und  die  trübselige,  bewußtlose  Umschleichung  des 
Prinzips  auf's  deutlichste  vortreten  und  Sie,  ich  glaube:  nur  Sie,  würden  die  leeren 
Stellen  sichtbar  machen,  die  Dunkelheiten  ans  Licht  bringen  und  die  Bewußtlosigkeit 
selbst  ins  Bewußtsein  heben.  Kurz,  Sie  würden  bei  der  Schärfe  Ihres  Geistes,  bei 
der  Präcision  Ihres  Denkens  wie  Ihrer  Rede,  sofort  und  unmittelbar  in  medias  res 
eintreten.  Dies  wäre  aber  hier  um  so  mehr  das  Heilsame,  als  auch  diese  Schrift 
eigentlich  die  medias  res  zum  Gegenstande  hat.  Das  Causalverhältniß  zwischen 
Seele  und  Leib  soll  hier  zur  Begründung  einer  Psychiatrie  untersucht  werden,  nun 
aber  erweist  sich  der  Verfaßer  von  der  einen  Seite  als  Materialist  und  von  der 
andern  als  supernaturalistischen  ||  Ideologen  und  den  hiatus  nicht  bemerkend,  trachtet 
er  diesen  selbst  zum  Kitt  für  die  membra  disjecta  zu  machen.  Dabei  ist  die 
Täuschung  hier  um  so  tiefer  und  verwikelter,  als  der  Verfaßer  offenbar  ein  Be- 
streben zur  Besonnenheit  hat  und  sich  dessen  auch  bewußt  ist,  aber  in  diesem  Be- 
wußtsein ausruhend  in  sein  eigenes  Widerspiel  geräth  und,  ganz  unbesonnen,  die 
gewollte  Besonnenheit  für  die  wirkliche  und  vollzogene  hält.  Darum  schließt  auch 
seine  Untersuchung,  wo  sie  eben  erst  beginnen  sollte,  und  seine  Lösung  ist  das 
Problem.  Ebenso  beurkundet  er  im  Allgemeinen  eine  edle  Gesinnung,  in  dieser  aber 
sich  wiegend,   hat  er  sie   durch  Treue   der  Untersuchung  zu   bewähren   unterlaßen. 

Doch  ist  es  gewiß  Zeit,  daß  ich  diesen  Brief  schließe.  Leben  Sie  wohl!  ver- 
geben Sie  in  jedem  Fall  meine  Bitte  und  erfüllen  Sie  sie,  wenn  sie  Ihnen  gerecht 
scheint. 

Mit  inniger  und  aufrichtiger  Hochachtung 

der  Ihrige  Lud.  Sachs  m.  p. 

301.    Griepenkerl  an  H.1)  1.  Nov.  25. 

Wohlgeborener  Hochgeehrter  Herr  Professor,  zum  Beweise,  daß  Sie  noch  immer 
mein  philosophischer  König  sind,  überreiche  ich  Ihnen  einliegend  mein  eben  heraus- 
gekommenes Lehrbuch  der  Ästhetik.  Ihre  Forderungen  an  eine  Ästhetik  erfüllt 
mein  Buch  zwar  nur  in  geringem  Grade,  obgleich  viele  von  Ihren  Gedanken  mit 
Ihrem  Namen  darin  aufgenommen  werden  müßen;  doch  steht  es  nach  meiner  wohl- 
begründeten  Überzeugimg  der  Wahrheit  näher,  als  alle  übrigen  Bearbeitungen  dieser 
Wissenschaft.  Mag  also  diese  mangelhafte  Ästhetik  einmal  versuchen,  wie  viele 
Freunde  sie  der  künftigen   besseren   gewinnen   kann,    der  ich   einen  Schritt   näher 


')  kl.  4.    4  S.     H.  Wien. 


November  1825.  143 


treten  werde,  sobald  diese  erste  Ausgabe  vergriffen  ist,  wozu  in  einigen  Jahren  Rath 
werden  kann.  Mein  Verleger,  der  ein  gewiegter  Kaufmann  ist,  hat  dazu  guten 
Glauben;  denn  er  wagt  drei  verschiedene  Ausgaben,  eine  auf  gewöhnlichem,  eine 
zweite  auf  velin  Druckpapier  und  eine  3te  auf  velin  Schreibpapier.  Die  mittlere, 
weil  sie  den  geringsten  Umfang  hat,  ist  ||  für  Sie  eingelegt  worden.  Auch  ich  lasse 
es  an  guten  Mitteln  zur  Verbreitung  nicht  fehlen.  Meine  Vorlesungen  verzehren 
halbjährig  eine  nicht  unbedeutende  Anzahl  von  Exemplaren;  an  Göthe,  Jean  Paul, 
Bouterweck,  Tölken,  Müllner  und  mehrere  andere  habe  ich  Frei-Exemplare  geschickt 
usw.  Es  müßte  sonderbar  zugehen,  wenn  meine  Halbwahrheiten  den  halben  Denkern 
nicht  von  mehreren  Seiten  zusagten.  Ich  kann  übrigens  ein  Mislingen  in  solchen 
Angelegenheiten  recht  wohl  ertragen. 

Nur  mit  Ihnen  möchte  ich  nicht  gerne,  daß  es  mir  mislänge.  Ich  habe  mir 
nämlich  fest  in  den  Kopf  gesetzt,  Sie  durch  mein  Buch  wieder  zu  gewinnen  und 
die  früheren  Mishelligkeiten  vergessen  zu  machen.  „Vergieb  uns  unsere  Schuld"  etc. 
ist  ein  gutes  Gebet  —  darum  reiche  ich  Ihnen  jetzt  meine  Hand  hin  und  spreche: 
Vergieb  uns!  Ergreifen  Sie  die  Hand,  sie  meint  es  ehrlich. 

Der  erste  Beweis  Ihres  wiederkehrenden  Wohlwollens  würde  mir  sein,  wenn 
Sie  mit  Ihrer  ganzen  Strenge  über  mein  Buch  herfielen  und  mir  alle  seine 
Mängel  mit  scharfen  Linien  bezeichneten.  Was  Sie  nicht  rügten,  würde  ich  für 
gelungen  halten.  Doch  nicht  öffentlich,  sondern  nur  in  einem  Privat-Schreiben.  Ich 
stehe  nicht  an,  Sie  um  diese  ||  Wohlthat  zu  bitten,  weil  ich  sie  noch  zu  verdienen 
glaube,  doch  zum  Fordern  habe  ich  keine  Rechte.  —  Beide  Theiie  Ihrer  Psychologie 
als  Wissenschaft  etc.  sind  in  meinen  Händen  und  ein  brauchbares  neueres  Werk  zur 
Wiederholung  der  Differenzial-  und  Integralrechnung  ist  angeschafft.  Das  gründ- 
liehe Studium  dieses  größten  philosophischen  Werkes,  so  lange  die  Menschheit  denkt, 
hat  schon  einen  Anfang  genommen;  bei  meinen  überhäuften  Amtsgeschäften  aber 
möchten  wohl  ein  Paar  Jahre  darüber  hingehen,  bis  die  schwere  Arbeit  würdig 
vollendet  ist.  Wie  man  es  wagen  konnte,  über  dieses  Werk  schon  jetzt  öffent- 
liche Urtheile  zu  fällen,  ist  mir  vernünftiger  Weise  unbegreiflich.  Nun,  die  Recen- 
sionen  sind  auch  darnach.  Lieber  will  ich  noch  fünfzehn  Jahre  gescholten  und  ver- 
schmäht sein,  als  dergleichen  in  die  Welt  fördern. 

Mit  der  ganzen  ehemaligen  Verehrung,  Liebe  und  Dankbarkeit  der  Ihrige 

Griepenkerl. 

||  NB.  J.  P.  Fr.  Richter  in  seiner  kleinen  Bücherschau,  die  kürzlich  heraus- 
gekommen ist,  erwähnt  Ihrer  mit  einem  ehrenden  Zusätze  indem  er  von  Mitleid 
und  Mitfreude  spricht.1)  Er  hat  Sie  leider  misverstanden,  wie  auch  Ihr  Name  ver- 
druckt ist;  statt  Herbart  steht  Herbert.  Wenn  ein  Mann  von  allgemeinem  lite- 
rarischen Ansehen  in  Deutschland  Sie  verstehen  lernen  könnte,  so  wäre  es  J.  Paul, 
wollte  er  sich  die  Mühe  darum  geben,  und  wäre  er  nicht  zu  alt.  Mein  Lehrbuch 
wird  sein  beginnendes  Interesse  noch  etwas  mehr  beleben,  wie  ich  hoffe. 

Ein  Grund,  weshalb  die  sogenannte  Naturphilosophie  in  Deutschland  noch 
immer  mehr  Freunde  hat,  als  Ihre  Lehre,  ist  dieser,  daß  Ihre  Philosophie  bei  weitem 
den  meisten  zu  schwer  ist.  Nicht  bloß  Trägheit  hält  die  Leute  ab,  sondern  Un- 
fähigkeit wegen  gänzlichen  Mangels  an  guter  Vorbereitung  auf  den  Gymnasien.    Ich 

*)  In  Jean  Pauls  kleiner  Bücherschau  (Breslau  1825)  heißt  es:  »Rührung  ist 
nur  Mitleiden  bei  einem  fremden  Schmerze.  »Aber,  sagt  der  scharfsinnige  Herbert, 
an  sich  ist  ja  das  Mitleiden  nichts  als  eine  Verdoppelung  der  Leiden,  indem  die 
fremden  auch  zu  meinen  werden.«  Allein  es  gibt  nur  ein  Mitleiden,  hingegen  viel- 
artige Leiden;  und  in  jenem  kommt  nicht  der  fremde  Schmerz  in  Gestalt  eines 
eignen  vor.« 


jaa  November  1825. 


mache  es  zwar  hier  etwas  besser  und  liefere  manchen  Zögling  nach  der  Universität, 
der  sich  auch  in  Ihrem  Sinne  sehen  lassen  kann;  doch  findet  die  Sache  in  der 
ganzen  Einrichtung  unserer  Lehranstalten  zu  viel  Hindernisse.  Der  talentvollste, 
den  ich  vorige  Ostern  nach  der  Universität  entlassen  habe,  heißt  Röer.  In  dem 
ersten  philosophischen  Disputatorium,  das  Krause  (er  hat  Sie  manchmal  recensirt) 
in  Göttingen  hielt,  trieb  Röer  diesen  so  in  die  Enge,  daß  um  a/4  die  Stunde  ge- 
schlossen war  und  alle  Zuhörer  davon  gingen,  um  nie  wieder  zu  kommen.  Röer 
wird  in  Jahresfrist  nach  Königsberg  kommen,  um  Sie  zu  hören.  Es  fehlt  ihm  noch 
sehr  viel,  aber  er  kann  ein  guter  Schüler  werden  und  vielleicht  später  ein  guter 
Lehrer.     Gelegentlich  mehr  über  ihn.  t  Griepenkerl. 

[Randbemerkung.]  Sie  haben  in  Deutschland  viel  mehr  Freunde,  als  Sie  wissen; 
aber  keiner  wagt  es,  öffentlich  für  Ihre  Lehre  aufzutreten,  aus  Furcht,  der  An- 
gelegenheit nicht  ganz  gewachsen  zu  sein,  oder  aus  Dünkel,  nichts  Neues  hinzusetzen 
zu  können.  Nach  meiner  Berechnung  kann  übrigens  dieser  Zustand  nicht  mehr 
lange  dauern,  und  Sie  werden  seine  große  Umwandlung  noch  mit  Augen  sehen. 


1826. 


W.:  Rez.  über  Zöllichs  Versuch  (S.  Bd.  XII.  S.  325 — 332),  Baaders  Bemerkungen 
(S.  Bd.  XII.  S.  332  —  334),  Tennemanns  Grundriß  (S.  Bd.  XII.  S.  335  —  339), 
Seidels  Beiträge  (S.  Bd.  XII.  S.  339—346),  Fritzes  Grundlegung  (S.  Bd.  XII.  S.  346 
bis  — 350),  Der  Adel  und  der  Bürgerstand  (S.  Bd.  XII.    S.  351—353),  Ohlerts  Schule 

(S.  Bd.  XIII.     S.   15  —  16). 

302.     An  den  Vorstand  der  Schul- Deputation  zu  Königsberg.1) 

Königsberg,  31.  Januar  1826. 
Ew.  Hochwohlgeboren  gütiges  Vertrauen  hat  mir  die  Jahre,  auf  welche 
ich  zur  hochlöbl.  Stadtschuldeputation  war  gewählt  worden,  von  einer  Zeit 
zur  andern  verlängert.  Ohne  mir  zu  schmeicheln,  daß  ich  unter  Umständen, 
die  meinen  pädagogischen  Ueberzeugungen  nicht  günstig  waren,  etwas  be- 
sonderes nützen  könne,  glaubte  ich  doch  schon  als  Bürger  dieser  Stadt 
meine  Bereitwilligkeit  zeigen  zu  müssen,  dem  an  sich  ehrenvollen  Ver- 
trauen meinerseits  entgegen  zu  kommen.  Dies  war  namentlich  auch  in 
Ansehung  des  Ephorats  über  das  Stadtgymnasium  der  Fall;  Ew.  Hoch- 
wohlgeboren  werden  Sich  noch  erinnern,  daß  ich  Ihnen  meine  Bedenk- 
lichkeiten aufopferte.  Als  im  Spätherbst  des  verflossenen  Jahrs  das  Ephorat 
seine  Thätigkeit  ohne  die  mindeste  äußere  Veranlassung  erneuerte,  glaubte 
es  nur  eine  Versäumniß,  die  ihm  vielleicht  zur  Last  gelegt  werden  konnte, 
wieder  gut  zu  machen.  Es  sollte  ja,  seiner  Benennung  gemäß,  sehen, 
was  im  Gymnasio  vorgehe;  es  sollte  der  vorgeordneten  Behörde  auf 
etwaige  Fragen  Antwort  geben  können.  Wäre  das  Ephorat  ungestört  ge- 
blieben, so  würde  es  sich  allmählig  von  der  ganzen  Lage  des  Gymnasii 
in  Kenntniß  gesetzt,  und  darin  erhalten  haben.  Dies  war  ohne  Zweifel 
das,  was  Ew.  Hochwohlgeboren  beabsichtigten;  meinerseits  verlangte  ich, 
um  dazu  mitwirken  zu  können,  keine  Spur  von  gebietender  Auctorität, 
wohl  aber  unbedingte  Befugnis,  nach  Allem  zu  fragen,  was  im  Gymnasio 
vorgehe,  und  ein  volhtä?idiges  Recht  der  Prüfung  in  jeder  Form,  die  meine 
Herrn  Collegen  und  ich  für  zweckmäßig  erachten  würden,  um  uns  die 
Kenntniß,    die  man  von    uns  ||  forderte,    zu    verschaffen.     Die  Instruction, 

*)  2  S.  2  °.  H.  Wien.  Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann  pp.  S.  62  f.  —  Ein 
Brief  ohne  Datum  und  Adresse,  in  dem  Herbart  rät,  die  Schuldeputation  zu  einer  Be- 
ratung über  einen  »für  das  Wohl  des  Instituts  (des  Colleg.  Friederic.)  nicht  ersprieß- 
lichen Vorfall«  einzuladen,  befindet  sich  in  der  Stadtbibliothek  zu  Königsberg  u.  kommt 
hier  nicht  mit  zum  Abdruck.  —  Man  vgl.  auch  die  im  15.  Bde.  S.  153  ff.  mitgeteilten 
Aktenstücke. 

Herbarts  Werke.    XVII.  IO 


146  April   1826. 

welche  uns  erst  vor  ein  paar  Monaten  ertheilt  wurde,  schien  zwar  mit 
jener  unbedingten  Befugnis  nicht  recht  zusammen  zu  stimmen;  indessen 
enthielt  sie  wenigstens  keine  dringenden  Gründe  zu  Gegen- Vorstellungen; 
und  Alles  kam  darauf  an,  zu  erfahren,  welche  Auslegung  sie  erhalten  solle. 

Dies  hat  sich  nunmehr  gezeigt.  —  Durch  die  neuesten,  das  Ephorat 
betreffenden,  Verfügungen  des  hochwürdigen  Consistorii  an  die  hochlöbl. 
Stadtschuldeputation,  habe  ich  das  Verhältniß  dieser  hochverordneten  Be- 
hörden auf  eine  Weise  kennen  gelernt,  bey  welcher  ich  es  meinen  Ver- 
hältnissen als  akademischer  Lehrer,  nicht  länger  angemessen  erachte,  in 
einer  solchen  Stellung  gegen  das  hochwürdige  Consistorium  zu  bleiben. 
Da  hier  auf  mein  Urtheil  weiter  Nichts  ankommt,  als  in  so  fern  es  meinen 
Willen  bestimmt,  so  enthalte  ich  mich  aller  Auseinandersetzung.  Es  wird 
genug  seyn,  daß  ich  meinen  Entschluß  erkläre,  nicht  länger,  als  rechtlich 
von  mir  gefordert  werden  kann,  Mitglied  der  hochlöbl.  Stadtschuldeputation 
bleiben  zu  wollen. 

Von  der  Güte  Ew.  Hochwohlgeboren  aber  hoffe  ich  die  Bewilligung, 
mich  gleich  jetzt  beurlauben  zu  dürfen.  In  dieser  Voraussetzung  empfehle 
ich  mich  Ew.  Hochwohlgeboren  und  den  sämmtlichen  Herrn  Mitgliedern 
des  hochlöbl.  Collegii  zu  geneigtem  Andenken;  und  dankbar  für  das  mir 
geschenkte  Vertrauen,  unterzeiche  ich  ehrerbietig  als 

Ew.  Hochwohlgeboren  gehorsamer 

Herbart. 

303.    Dissen  an  H.1)  Göttingen  den  30ten  April  1826. 

Wohlgeborner,  Hochgeehrtester  Herr  Professor!  Als  ich  im  vergangenen  Winter 
Ihre  Psychologie  erhielt,  von  dem  Buchhändler  in  Ihrem  Namen  zugeschickt,  welche 
ungemeine  Freude  war  das  für  mich!  Denn  seitdem  Sie  von  hier  gegangen  sind, 
ewig  unvergeßlicher  Mann,  ist  die  Liebe  und  Begeisterung  für  die  "Wahrheiten  der 
Philosophie,  welche  Sie  mich  gelehrt,  womöglich  noch  fester  und  gründlicher  ge- 
worden und  Ihre  Philosophie  wird  stets  die  Grundlage  meiner  Überzeugungen  seyn; 
ich  gedenke  mit  inniger  Dankbarkeit  der  vielen  anregenden  und  belehrenden  Ge- 
spräche so  mancher  herrlichen  Stunde  die  ich  in  Ihrer  Nähe  zugebracht,  und  meine 
wärmste  Anhänglichkeit  und  Bewunderung  ist  Ihnen  durch  alle  diese  Jahre  gefolgt 
obgleich  ich  solange  keine  Worte  mit  Ihnen  gewechselt  habe.  Wie  groß  war  daher 
meine  Freude,  als  Ihr  Geschenk  mir  sagte,  auch  Sie  hätten  meiner  noch  ||  nicht  ver- 
gessen, obgleich  ich  so  wenig  Ihrer  Hoffnungen  würdig  geworden  bin.  Durch  die 
Umstände  bestimmt,  warf  ich  mich  zuerst  mit  allem  Eifer  auf  die  Philologie,  um 
eine  Professur  zu  erhalten,  und  kaum  zu  einer  festen  Existenz  gelangt,  sah  ich. 
meine  Gesundheit  auffallend  schwächer  werden,  die  freylich  nie  sehr  stark  war, 
ungeachtet  großer  Sorgfalt  und  mancher  Badekur  kam  ich  vor  vier  Jahren  dem  Tode 
nahe,  und  nach  einem  halbjährigen  Krankenlager  endlich  wieder  aufgestanden,  bin 
ich  seitdem  zwar  weniger  unwohl  als  kurz  vorher,  aber  doch  immerfort  vielen  Zu- 
fälligkeiten unterworfen,  und  nur  durch  große  Regelmäßigkeit  des  Lebens  im  Stande, 
meinen  academischen  Wirkungskreis  zu  erfüllen  und  hier  und  da  etwas  philo- 
logisches zu  schreiben,  was  Sie  nicht  interessieren  kann.  Dennoch  habe  ich  während 
der  ganzen  Zeit  manchen  Jünger  im  Stillen  Ihren  Lehren  zugewandt,  und  manche 
hohe  Überzeugung  durch  Sie  gegründet;  in  meinen  Vorlesungen  über  die  Geschichte- 

')  4  S.    8°-     H.  Wien. 


August  1826.  147 

der  alten  Philosophie  ist  noch  gar  vieles  Ihr  Eigenthum,  in  meiner  philosophischen 
Encyklopädie  steht  das  Kapitel  der  Pädagogik  von  den  sechs  Hauptinteressen  der 
Bildung,  und  anderes  vieles  wird  herangezogen  wenn  ich  über  den  Piaton  lese; 
kurz,  was  Sie  mich  gelehrt,  ist  so  tief  in  meinen  Gedankenkreis  eingedrungen,  hat 
sich  so  mit  allen  meinen  philologischen  Gedan  ||  ken  assimilirt,  daß  ich  wohl  kaum 
einen  Vortrag  halte,  worin  nicht  ein  Gedanke  von  Ihnen  wäre,  oder  etwas  das  ich 
durch  Ihre  Gedanken  gefunden:  denn  auch  meine  hermeneutischen  Grundsätze,  die 
Zerlegung  der  Gedanken,  die  scharfe  Auffassung  des  Einzelnen,  die  Zusammenfassung 
des  Ganzen  —  ja  fast  die  ganze  Methodik  der  Behandlung,  wie  ich  sie  ausübe  und 
lehre,  verdanke  ich  Ihren  Lehrsätzen.  Mein  academischer  Wirkungskreis  ist  nicht 
gering,  da  ich  unter  meinen  Collegen  das  größte  Auditorium  habe,  und  schon  zähle 
ich  viele  Schulmänner  unter  meinen  Schülern,  die  mit  Eifer  und  Geist,  was  sie  bei 
mir  gelernt,  anwenden  und  verbreiten  und  mir  Ihre  Zöglinge  schicken;  daß  dies  so 
ist,  kann  ich  auch  nur  Ihnen  beimessen.  Sie  sehen,  verehrtester  Herr,  und  des- 
wegen schreibe  ich  dieses,  daß  mir  nichts  verlohren  gegangen  von  Ihren  Lehren, 
und  daß  sie  wirklich  hier  durch  mich  auf  mannigfache  Weise  fortleben  und  Früchte 
tragen,  daß  ich  das  geliehene  Pfund  redlich  gebrauche  und  in  nichts  abgefallen  bin 
von  dem  Meister.  —  Gewiß  würde  ich  nun  gleich  diesen  Winter  Ihnen  geschrieben 
haben,  aber  nothwendig  mußte  ich  doch  mich  erst  etwas  näher  mit  dem  neuen 
Werke  bekannt  machen,  und  leider  bin  ich  abermahls  einige  Zeit  krank  gewesen, 
so  daß  ich  nun  erst  dazu  komme  zu  schreiben.  Durch  die  Psychologie  setzen  Sie 
allen  Ihren  Forschungen  die  Krone  auf;  ich  bin  erstaunt  über  den  Reichtum  ||  tief- 
sinniger Entwicklungen  und  neuer  Aufschlüsse,  die  Sie  mit  der  ganzen  Schärfe  Ihrer 
beispiellosen  Denkkraft  vorlegen,  und  ich  lese  und  lerne  mit  dem  größten  Entzücken. 
Aber  leider  nur  Wenige  werden  ganz  verstehn,  denn  die  meisten  sind  auf  den  Kopf 
gefallen.  Indessen  haben  Sie  doch  durch  unermüdete  Thätigkeit  und  nahm  entlich 
auch  durch  viele  gediegene  Recensionen  bisher  schon  manchen  aufgerüttelt  und  Ihren 
Lehren  mehr  Eingang  verschafft,  selbst  der  alte  Schulz1)  findet  ja  manches  in  Ihrer 
Psychologie  tröstlich;  daher  bin  ich  fest  überzeugt,  daß  die  Wirkung  nicht  aus- 
bleiben, vielmehr  dereinst  bedeutend  seyn  wird ;  Möchten  Sie  nicht  übeldeuten,  wenn 
ich  meine,  Sie  sollten  jetzt  auch,  wo  es  Ihnen  ein  Spiel  ist,  ein  Buch  schreiben 
über  die  Geschichte  der  neuern  Philosophie,  über  Kant,  Fichte,  Schelling  und  was 
damit  zusammenhängt;  denn  obgleich  Sie  in  Ihren  Schriften  vielfach  darauf  Bezug 
nehmen  und  so  auch  wieder  in  der  Psychologie,  so  würde  doch  ein  besonderes  Buch, 
was  mit  einem  gewißen  Detail  den  Zusammenhang  und  die  Verirrungen  dieser 
Philosophien  entwickelte  —  wenn  auch  Sie  manches  anderwärts  gesagte  dabei  wieder- 
hohlen müßten,  sicher  von  großer  Wirkung  auf  das  gute  Publicum  seyn  und  der 
guten  Sache  bedeutend  helfen.  —  Der  Überbringer  dieses  Briefs  ist  Herr  Professor 
Meyer,  ein  geschickter  Botaniker  und  höchst  braver  Mann,  der  Ihnen  manches  von 
Göttingen  erzählen  wird.  Nehmen  Sie  ihn  gut  auf.  Mit  der  innigsten  Dankbarkeit 
und  Verehrung 

Ihr  treuester  Schüler  L.  Dissen. 

17.  Mai;   Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar.    S.  Bd.  XIV,  S.  246 — 252. 

304.    Richthof en  an  H.2)  Adelsbach,  d.  2ten  Aug.  26. 

Sie  sind  mir,  mein  verehrter  Freund,  mit  einem  2ten  Briefe  zuvorgekommen, 

während  ich  im  Begriff  war,  auf  Ihren  ersten  zu  antworten,  und  in  der  Seienschen 


)  G.  E.  Schulze,  1761—1833  (Anesidemus),  dessen  Nachfolger  Herbart  wurde. 
)  4  S.    4°.     H.  Wien. 

10* 


148 


August   1826. 


Angelegenheit  Irrthümer  zu  vermeiden.  Als  Sie  mich  vor  einem  Jahre  dazu  auf- 
forderten, war  ich  gern  zur  Erfüllung  Ihres  Begehrens,  so  viel  ich  vermag,  bereit, 
erwartete  aber  vergeblich  eine  Aufforderung  Eichstädts.  Endlich  kriegte  ich  im 
Winter  eine  von  der  Redaktion  unterzeichnete  Anfrage,  die  von  einem  Briefe  Eich- 
städts sprach,  der  an  mich  mit  Gelegenheit  geschickt  seyn  sollte,  den  ich  aber  nie 
erhalten  hatte. x)  Ich  versprach  zu  thun,  was  ich  könne,  wenn  ich  einer  Schrift,  auf 
die  Sie  sich  in  jenem  Aufsatze  beziehen  (nähmlich  das  Königsberger  Archiv,  das 
mir  durch  Verleihen  verlohren  gegangen  war),  wieder  habhaft  geworden  wäre. 
Unterdeß  verstrich  diejenige  Zeit,  die  mir  zu  solchen  Arbeiten  Muße  gestattet,  aber 
sobald  ich  nach  Brechelsdorf  zurückkomme,  will  ich  Hand  ans  Werk  legen,  und 
dieß  werde  ich  Eichstädt  vorläufig  anzeigen.  Diese  Weitschweifigkeit  mag  Ihnen 
lächerlich  vorkommen,  aber  bedenken  Sie,  Lieber,  daß  ich  nicht  Schriftsteller  bin, 
und  auch  nicht  täglich  philosophire,  sondern  in  der  That  ein  Gewerbe  treibe.  Der 
Gedanke,  Ihnen  an  die  Seite  zu  treten  ist  mir  daher,  so  sehr  dieses  auch  nur  von 
fern  gelten  mag,  ein  kecker  und  kühner.  Endlich  scheint  mir  Ihre  Denkweise, 
wenn  auch  nicht  Ihr  ganzes  System,  sich  allmählig  von  selbst  Weg  zu  bahnen. 
Soll  ich  Sie  an  ||  die  Odyssee,  an  das  Klassen-System  erinnern?  Wird  nicht  in  der 
neuern  Psychologie  jene  Vielheit  der  Seele  wenigstens  zu  umgehen  gesucht,  und 
gehen  nicht  allmählig  die  Kräfte  von  ihr  auf  die  Vorstellungen  über?  Daß  dabei 
überall  Mißverständnisse  obwalten,  ist  leider  wahr;  erst  jüngst  hörte  ich  als  Haupt- 
eigenthümlichkeit  des  Klassensystems  darstellen,  daß  jeder  Lehrer  eine  Klasse  leite, 
aber  lassen  Sie  uns  dabei  eingedenk  seyn,  daß  die  Vernichtung  allgemein  verbreiteter 
irriger  Ansichten,  und  die  allmählige  Verbreitung  einzelner  Wahrheiten,  vielleicht 
mehr  geeignet  seyn  dürfte  philosophischen  Sinn,  ein  übereinstimmendes  Bearbeiten 
einer  Wissenschaft  zu  erzeugen,  als  die  Ausbreitung  eines  Systems.  Senden  Sie 
doch  selbst  den  Vorträgen  über  Ihre  Philosophie  ein  Kollegium  voran,  Ihre  Ein- 
leitung, das  ungefähr  ähnliches  bezweckt. 

Uebrigens  gestehe  ich  allerdings  ein,  alles  gethan  zu  haben,  um  Ihre  Geduld 
in  Ungeduld  zu  verwandeln;  möge  ich  dieß  nur  nicht  in  noch  höherem  Grade  ver- 
schulden, wenn  ich  endlich  zur  Sache  komme.  Meine  Freunde  haben  oft  von  mir 
eine  zu  gute  Meinung  gehegt;  noch  vor  einigen  Jahren  wollte  mich  Dissen  zu  einem 
Docenten  bekehren,  und  doch  ist  es  kaum  möglich,  sich  so  viel  mit  andern  Dingen 
zu  beschäftigen,  als  meine  Verhältnisse  mit  sich  gebracht,  ohne  daß  der  wissen- 
schaftliche Sinn  darunter  leide.  Gelingt  es  mir  dennoch,  Ihnen  nur  einigermaßen 
zu  genügen,  so  will  ich  dann  wahrlich  nicht  den  Spröden  spielen.  || 

Seit  einigen  Wochen  halte  ich  mich  hier  auf,  um  theils  meine  hiesige  Oeko- 
nomie  und  Forsten  nach  meiner  Weise  zu  ordnen,  da  ich  diese  Güter  erst  vor 
einem  Jahre  von  meinen  noch  lebenden  Eltern  übernommen  habe,  theils  das  nur 
eine  Viertel  Meile  entlegene  Salzbrunn,  eine  jetzt  sehr  besuchte  mineralische  Quelle 
zu  gebrauchen.  Während  Sie  also  die  Ost-See  umflutet,  lasse  ich  mir  das  Salz  in 
einzelnen  Bechern  aus  der  Quelle  schöpfen;  welches  Bild  unseres  wechselseitigen 
Seyns!  Im  September  kehre  ich  wahrscheinlich  wieder  nach  Brecheishof  zurück; 
Briefe  treffen  mich   auch  jetzt  unter  meiner  gewöhnlichen  Adresse  am  sichersten. 

Sie  fragen  nach  meinen  Verwandten,  und  meinen  hiesigen  Freunden?  Wilhelm 
Grote  ist  noch  in  Delmhorst,  wiewohl  er  von  einem  Verwandten  Güter  aus  Braun- 
schweig ererbt;  er  ist  in  einer  sehr  glücklichen  Lage  und  tüchtiger  Geschäftsmann ; 
wahrscheinlich  erhält  er  im  Kurzen  die  Präsidenten-Stelle  in  Eutin,  die  einst  Stoll- 
berg bekleidete.     August  ist   einer  der  bedeutendsten  hannövrischen  Beamten,  jetzt 


v)  S.  0.  S.  133. 


I 


August   1826.  14g 

Direktor  der  Kriegskanzlei  und  der  Zölle;  aber  häufig  mit  außerordentlichen  Auf- 
trägen versehen ;  er  scheint  sich  besonders  durch  eine  große  Leichtigkeit  im  Arbeiten 
auszuzeichnen.  Karl  ist  Oberbergrath ;  ein  ganz  trefflicher  Mensch,  dem  nur  eine 
tüchtige  philosophische  Bildung  fehlt;  er  schafft  sich  daher  selbst  eine  Art  von 
Lebensphilosophie,  ist  sehr  religiös  und  macht  sich  über  alles  Gewissensbisse,  wie- 
wohl er  nie  irgend  ein  Unrecht  gethan.  Leider  leidet  er  an  einem  kranken  Fuß, 
wird  vermuthlich  ||  nie  heirathen,  und  widmet  daher  sein  bedeutendes  Vermögen  und 
seine  Kräfte  allerhand  Industrie -Schulen,  Ausfindung  neuer  Hilfsquellen  für  seine 
Hürzner-Bergleute  und  dergleichen.  Petri  ist  fortdauernd  Konsul  in  Korsika,  ein 
genialischer  Mensch,  der  aber  durch  falsche  Wege  wohl  von  seinem  wahren  Lebens- 
pfad verlockt  worden. 

Unterholzner  besucht  mich  wahrscheinlich  noch  heute;  ich  fürchte  aber  er 
wird  Schlesien  verlassen,  und  nach  München  gehen,  wenn  nicht  etwa  Savigny  diesen 
Platz  annimmt,  der  wie  man  sagt  dorthin  gerufen  seyn  soll.  Auch  dieß  würde 
mir  sehr  leid  thun,  aber  allerdings  steht  mir  Unterholzner  ungleich  näher  als 
Savigny.  Guttentag  ist  ein  sehr  ausgezeichneter  Arzt,  aber  leider  etwas  zu  sehr 
mit  Praxis  überhäuft,  so  daß  man  seiner  ohne  Krankheit  kaum  habhaft  werden  kann. 
Wegen  eines  sehr  leidenden  gemeinsamen  Freundes,  Professor  Förster,  war  jedoch 
Guttentag  in  den  letzten  Wochen  mehrmahls  in  Salzbrunn,  und  auch  hier.  Auch 
Wachler  war  gestern  auf  der  Durchreise  nach  Marienbad  bei  mir.  Sie  sehen  Adels- 
bach liegt  noch  diesseits  des  Oceans,  nur  Sie  werden  von  Ihrem  Freunde  durch  eine 
weite  Wüste  getrennt.  Ueberschreiten  Sie  diese  denn  nie?  Dennoch  denke  ich 
manchmal  daran,  sobald  die  Zeit  der  Reife  da  seyn  wird,  Ihnen  meinen  ältesten 
Knaben  auf  Ihre  nordische  Universität,  oder  vielmehr  in  die  Herbartische  Akademie 
zu  bringen,  wenn  ich  ihn  nicht  etwa  selbst  in  Ihre  Philosophie  einführe.  Diese 
Aeußerung  mag  Ihnen  beweisen,  wie  ich  Ihre  Lehren  fortwährend  als  die  beste 
Schule  der  Weisheit  betrachte! 

Der  Ihrige  Richthofen. 

Unterholzner  grüßt,  was  ich  über  ihn  gesagt  bleibt  unter  uns.  Wie  hat  Ihnen 
Harnisch1)  gefallen?  ich  habe  mich  mit  ihm  nie  schicken  können,  so  sehr  ich  ihn  als 
Lehrer  und  Vorsteher  eines  Seminars  achte.  Er  ist  überaus  wirksam  und  thätig, 
aber  seine  Arroganz  ist  ansteckend;  dennoch  ist  er  im  thätigen  Leben  besser  als 
seine  Bücher,  z.  B.  jene  nichtswürdige  Lebensbeschreibung  eines  Hofmeisters.2)  Diese 
Halbphilosophen  und  ihre  vornehm  klingenden  Lehren  ven  Natur-Gemäßheit  et  cetera 
sind  mir  in  den  Tod  zuwider.  Möchten  doch  solche  Männer  recht  Pestalozzis  letztes 
Buch  beherzigen.  Es  hat  uns  freilich  schwerlich  Neues  gelehrt;  schon  vor  15  Jahren 
habe  ich  alles  mit  Augen  gesehen ;  aber  so  sehr  ich  seinen  Schmerz  mitfühle,  so  ist 
es  doch  gut,  daß  er  selbst  gesagt,  wie  jene  untergeschobenen  Philosopheme  nicht  die 
seinigen  waren.     [Randbemerkung:] 

Aber  kennen  Sie  wohl  den  Breslauer  Philosophen  Thilo  und  seine  Eintheilung 
der  Logik  in  Sommer-  und  Winterlogik?  Die  erstere  ist  natürlich  kürzer,  und  wohl- 
feiler, und  wer  kann  daher  seinen  Zuhörern  den  Wunsch  verargen,  daß  er  auch  im 
Winter  die  Sommerlogik  lesen  möge?  Doch  genug  für  heute.     Vale. 


*)  Chr.  W.  Harnisch,  1787  —  1864,  damals  Seminardirektor  in  Weißenfels. 
2)  Harnisch,   das  Leben  des  50  jähr.  Hauslehrers  Felix  Kaskorbi  oder  die  Er- 
ziehung in  Staaten,  Ständen  u.  Lebensverhältnissen.     2  Bde.     Breslau  1817. 


150 


Dezember  1826. 


305.    Richthof en  an  H.1)  Brecheishof,  d.  17ten  Dec.  26. 

Indem  ich,  mein  verehrter  Freund,  Ihnen  dießmal  die  schuldigen  Zinsen  sende, 
füge  ich  die  Nachricht  hinzu,  daß  ich  endlich  meinem  Worte  wegen  Ihrer  kleinen 
Schrift  de  attent.  mensura  Genüge  geleistet  habe.  Es  hat  freilich  lange  gewährt 
und  jetzt  schäme  ich  mich  dessen.  Ich  hätte  endlich  gern  mehr  geleistet,  wäre 
gern  tiefer  in  Ihre  Psychologie  eingegangen,  hielt  es  aber  zuletzt  für  zweckwidrig, 
und  so  bleibt  dieß  denn,  wenn  Sie  es  wünschen  sollten,  für  eine  andere  Zeit. 
Möchten  Ihnen  einige  Bemerkungen,  die  ich  hin  und  wieder  gemacht  nicht  mis- 
fallen,  aber  Sie  wünschten  ja  selbst,  daß  ich  nicht  alles  lobe.  Ueber  Ihren  pag.  25 
angegebenen  Grund  weshalb  x  nicht  gleich  z  bin  ich  verschiedener  Meinung;  viel- 
leicht belehren  Sie  mich  gelegentlich  darüber.  Wären  nur  2  Vorstellungen  im  Be- 
wußtseyn  so  würde  die  erlittene  Reaktion  und  der  ausgeübte  Druck  im  Yerhältniß 
stehen;  aber  nach  Ihren  Lehren  tritt  bei  mehreren  Vorstellungen  ja  die  Schwelle 
ein,  wo  also  kleine  Vorstellungen  ganz  unterdrückt  werden.  Ich  habe  es  dadurch 
zu  erklären  versucht,  daß  die  Hemmung  Zeit  erfordere;  tritt  also  vor  vollendeter 
Hemmung  ein  neues  Element  hinzu,  so  entsteht  eine  allmählige  Zunahme.  Hoffent- 
lich habe  ich  übrigens  Ihre  Ansicht  nicht  verfehlt,  wenn  ich  die  ||  ohne  meta- 
physischen Beweis  hier  aufgestellten  Lehrsätze  als  möglichst  begründete  Hypothesen 
betrachtete,  die  erst  durch  die  Erscheinungen  bestätigt  werden  müßten.  Ich  habe 
deshalb  gegen  die  Berechnung  der  Hemmungssumme  eine  Erinnerung  gemacht; 
manches  als  möglich  und  wahrscheinlich  zugegeben,  aber  auf  die  Noth wendigkeit 
einer  allgemeinen  Beobachtung  und  Prüfung  verwiesen;  die  Anzeige  wird  etwas 
über  eine  Nummer  füllen. 

Noch  muß  ich  Ihnen,  mein  verehrter  Freund,  meine  besondere  Achtung  vor 
Ihren  ausgezeichneten  mathematischen  Kenntnissen  und  Talenten  bezeugen. 

Sollte  Ihnen  endlich  meine  Anzeige  misfallen,  so  bitte  seyn  Sie  eingedenk,  daß 
nur  Ihre  günstige  Meinung  von  mir  die  Veranlaßung  war,  und  Sie  sich  vor  einigen 
Jahren  ja  selbst  wunderten,  daß  meine  Land -Junkerschaft  noch  nicht  in  mir  die 
Fähigkeit  ausgerottet,  Ihr  Integral  auf  eine  einfachere  Form  zu  reduciren.  Einzel- 
heiten abgerechnet  geht  es  mir  und  den  Meinigen  leidlich;  meine  Kinder  wachsen 
zu  meiner  Freude  heran.  Karl  ist  schon  einen  Kopf  größer  als  ich  und  für  seine 
15  Jahr  recht  verständig  und  ernst.  Noch  weiß  ich  nicht  was  ich  später  mit  ihm 
beginnen  werde;  gern  möchte  ich  seine  Erziehung  so  viel  mir  möglich  in  Ihrem 
Sinne  vollenden,  und  das  schließt  das  Leben  auf  der  Schule  aus.  Ich  fürchte  aber 
doch  bisweilen  daß  ein  plötzlicher  Uebergang  ||  auf  die  Universität  ihm  schaden 
könnte.     Vielleicht  ziehe  ich  aber  später  selbst  in  eine  größere  Stadt. 

Einen  bittern  Verlust  habe  ich  jüngst  durch  den  Tod  meines  lieben  Freundes 
Professor  Förster  erlitten;  meine  Frau  verlohr  gleichzeitig  an  Wachlers  Tochter 
ihre  vertraute  Freundin,  die  sehr  viel  in  unserm  Hause  lebte.  —  Könnte  ich  doch 
Sie  einmahl  wiedersehen!  Ich  verlaße  ungern  meine  Familie  auf  längere  Zeit,  sonst 
käme  ich  einmahl  auf  kurze  Zeit  nach  Königsberg,  und  wer  weiß  was  geschieht.  — 
Wird  Ihre  Metaphysik  noch  nicht  gedruckt? 

Leben  Sie  wohl,  Lieber,  und  bleiben  Sie  mein  Freund! 

Richthofen. 


x)  3  S.    4».     H.  Wien. 


1827. 


W. :  Rez.  von  Salats  Handbuch  (S.  Bd.  XIII.  S.  3  — 14),  von  Ficks  Vergleichender 
Darstellung  der  philosophischen  Systeme  (S.  Bd.  XIII.  S.  16 — 27),  von  Jäsches  Sitten- 
lehre u.  Jäsches  Pantheismus  (S.  Bd.  XIII.  S.  27 — 40),  Kiesewetters  Darstellung  der 
wichtigsten  Wahrheiten  der  kritischen  Philosophie  (S.  Bd.  XIII.  S.  40 — 42),  Rük- 
kerts  Philosophie  (S.  Bd.  XIII.    S.  43—53),  Reinholds  Leben  (S.  Bd.  XIII.  S.  53-63). 

306.    Griepenkerl  an  H.1)  Braunschweig,  d.  20sten  April  1827. 

Mein  hochverehrter  Lehrer  und  Freund!  Ihr  freundl.  Brief  vom  Februar  des  vorigen 
Jahres  hat  mich  wahrhaft  erfreut  und  mich  das  Glück  fühlen  lassen,  zu  den  Ihrigen 
zu  gehören.  Haben  Sie  den  herzlichsten  Dank  dafür,  und  lassen  Sie  uns  nun  niemals 
den  begonnenen  Verkehr  wieder  unterbrechen.  Mich  mit  Ihnen  verbunden  zu 
wissen,  gehört  zu  der  Zufriedenheit  meines  Lebens.  Meine  hiesige  Wirksamkeit  ist 
zu  ausgedehnt  und  leider  zu  zerstreut,  als  daß  ich  durch  That  oder  Schrift  viel 
leisten  könnte.  Nur  meiner  unverwüstlichen  leiblichen  und  geistigen  Gesundheit, 
welche  letztere  ich  Ihnen  ganz  allein  verdanke,  wird  eine  solche  Lebensart  möglich. 
Am  Kollegium  Karolinum  bin  ich  ordentlicher  Professor  und  habe  von  jetzt  an  vier- 
zehn Stunden  wöchentlich  zu  lesen  über  Logik,  Psychologie,  Geschichte  der  Philo- 
sophie, Ästhetik,  Geschichte  der  deutschen  schönen  Literatur,  deutschen  Styl  und 
über  Mythologie  und  Kunst  des  Alterthums;  am  hiesigen  Katharinen-Gymnasium  bin 
ich,  was  man  im  Preußischen  einen  Oberlehrer  nennt,  und  habe  wöchentlich  zwei 
und  zwanzig  Stunden  zu  geben,  in  V*a  und  IV  ta  deutsche  Sprache,  in  III a  und  II d» 
Arithmetik  und  Geometrie,  in  Ima  Arithmetik  und  deutsche  Sprache  und  in  Ober  Ima 
Logik,  Psychologie,  Literaturgeschichte,  deutsche  Sprache  und  Arithmetik.  Von 
meiner  von  Ihnen  gelernten  und  in  Hofwyl  acht  Jahre  hindurch  geübten  päda- 
gogischen Wissenschaft  und  Kunst  kann  ich  nur  sehr  wenig  in  Anwendung  bringen, 
weil  keiner  meiner  Kollegen  Sinn  dafür  hat.  Allen  meinen  Schülern,  den  größten 
wie  den  kleinsten,  bin  ich  der  liebste  Lehrer,  und  sie  lernen  etwas  bei  mir.  Dies 
weis  die  Regierung  und  ganz  Braunschweig;  aber  ||  dennoch  spiele  ich  hier  in  dem 
eigentlich  Pädagogischen  eine  sehr  untergeordnete  Rolle.  Vorige  Weihnachten  faßte 
man  endlich  den  Gedanken,  das  ganze  Schulwesen  der  Stadt  zu  ordnen.  Es  wurde 
eine  Deputazion  niedergesetzt,  um  den  Plan  zu  entwerfen;  niemand  dachte  dabei  an 
mich,  ja,  ich  bin  nicht  einmal  um  Rath  gefragt,  obgleich  der  Stadtdirektor  mein 
vertrauter  Freund  ist.  Erst  jetzt,  nachdem  alles  fertig  und  der  Regierung  ein- 
gesandt ist,  soll  ich  erfahren,  was  man  beschlossen  hat.  Sie  werden  denken,  das 
liegt  an  meiner  widerwärtigen  Persönlichkeit  etc.,  aber  nein,  sie  gehen  alle  wissen- 
schaftlich und  gesellschaftlich  sehr  gern  mit  mir  um.     Der  einzige  Grund  liegt  in 

!)  7lU  S.    4<\     H.  Wien. 


I52  April   1827. 

der  Unfähigkeit,  einen  Znsammenhang  mehrerer  Gedanken  festzuhalten,  Überzeugungen 
daraus  zu  bilden  und  nach  diesen  Überzeugungen  zu  handeln.  Noch  mehr:  der 
Stadtdirektor  bat  mich  vor  einigen  Wochen  auf  das  Angelegentlichste,  doch  in 
meinem  ausgebreiteten  Gesellschaftskreise  nicht  nachtheilig  von  der  neuen  Schul- 
einrichtung zu  sprechen,  weil  mein  Urtheil  zu  viel  Autorität  habe.  Was  heißt  das 
und  wie  reimt  sich  das?  —  Daraus  ersehen  Sie  nun,  was  man  sich  in  pädagogischer 
Hinsicht  von  mir  noch  zu  versprechen  habe.  Komme  ich  aber  ganz  ans  Karolinumy 
dann  schreibe  ich  ein  Buch  über  Schulpläne,  worin  die  preußischen,  bayrischen  und 
braun schweigischen  nicht  übergangen  werden  sollen.  Gott  gebe,  daß  es  etwas 
fruchtet!  — 

Von  der  Wirkung  meiner  Ästhetik  habe  ich  mir  zu  viel  versprochen;  es  liest 
sie  niemand.  Oder  wer  sie  noch  liest,  der  versteht  sie  falsch,  die  unverbildeten 
Frauen  meiner  Bekanntschaft  ausgenommen.  Müllner  hat  sie  im  Mitternachtsblatt 
recensirt.  Er  hat  gelobt  und  getadelt;  aber  durchaus  alles  mis verstanden,  so  daß 
er  mich  zum  Lachen  reizte.  Klarer  und  deutlicher  aber  kann  ich  nicht  schreiben^ 
als  das  ||  Buch  geschrieben  ist.  Müllner  meint,  die  Prinzipien  seien  unrichtig,  man 
müsse  die  Ästhetik  nicht  aus  der  Schönheit,  sondern  aus  der  Freiheit  (!)  herleiten. 
Von  Ihnen  ist  in  der  Recension  gar  die  Rede  nicht,  und  ich  werde  ein  philosophischer 
Kopf  genannt,  der  ein  kunstsinniges  Gemüth  habe.  —  Ich  warte  nur  auf  eine 
Recension,  die  mich  darum  tadelt,  daß  ich  mich  Ihnen  angeschlossen  habe,  um 
sodann  mein  Herz  einmal  ausschütten  zu  können;  Müllners  Geschreibsel  kann  ich 
nicht  beachten.  Es  ist  ein  wahres  Unglück,  daß  ich  damals  zu  einfältig  war,  Ihren 
Wunsch  und  die  Lage  der  Dinge  zu  begreifen,  wie  Sie  mir  nach  Hofwyl  schrieben. 
Erst  später,  erst  hier,  wie  Sie  richtig  vermuthen,  habe  ich  alles  eingesehen.  Aber 
gesetzt  auch,  ich  hätte  Sie  damals  verstanden,  so  war  ich  dennoch  viel  zu  schwachr 
um  von  Hofwyl  aus  Hilfe  zu  leisten;  ich  hatte  damals  meine  ganze  Kraft  nöthig, 
um  Fellenberg  und  die  übrigen  Lehrer  für  die  Ausführung  Ihrer  Pädagogik  zu  ge- 
winnen, was  doch  nur  bis  auf  einen  gewissen  Punkt  gelang.  Fellenbergs  päda- 
gogischen Verstand  beurtheilen  Sie  am  richtigsten,  wenn  ich  Ihnen  sage,  daß  er  für 
Zeller,  der  einen  Sommer  in  Hofwyl  zubrachte,  ehe  er  nach  Preußen  ging,  ganz 
begeistert  war.  Nun  ermessen  Sie  die  Kluft  zwischen  Zeilers  Pädagogik  und  der 
Ihrigen!  Mein  Geschäft  war  eine  Brücke  hinüber  zu  bauen  und  den  dünkelhaften, 
schwärmerischen,  prahlerischen,  mistrauischen,  thatkräftigen  Fellenberg,  der  bei  zwei 
Schritten  vorwärts  immer  einen  wieder  zurück  that,  darauf  weiter  zu  führen.  Alles 
was  Sie  in  jener  Zeit  von  mir  gelesen  und  gehört  haben,  muß  von  dieser  Seite  be- 
urtheilt  werden;  denn  an  sich  taugt  es  nichts.  Sie  hielten  mich  auch  wohl  nach 
meinen  etwas  begeisterten  Briefen  für  stärker  als  ich  war.  Was  nach  meinem  Ab- 
gange von  Hofwyl  in  öffentlichen  Blättern  über  das  Lesen  des  Homer  stand,  galt 
nur  den  hofwylischen  Philologen,  nicht  mir;  ich  hatte  nicht  ungebührlich  lange  Zeit 
darauf  verwandt,  besonders  ||  beim  dritten  Versuche,  der  am  besten  gelang,  weil 
er  eigentlich  kein  Versuch  mehr  war.  Mein  Leben  in  Hofwyl  war  ein  beständiger 
Kampf  gegen  Prahlerei,  Schwärmerei,  Denkträgheit,  vorgefaßte  Meinungen  u.  s.  w.,  so 
daß  zuweilen  die  Sonne  bei  unseren  Kämpfen  unter  und  wieder  aufging.  Das  wird  man 
endlich  müde,  wenn  wenig  oder  nichts  dabei  herauskommt  und  wenn  auch  die  äußere 
Lage  immer  drückender  wird.  Wie  Fellenberg  in  Geldangelegenheiten  gegen  mich 
gehandelt  hat,  das  beweist  folgende  buchstäblich  wahre  Thatsache.  Ich  war  ihm 
Geld  schuldig  geworden,  weil  ich  mehrere  Jahre  mit  Frau  und  Kindern  nur  30  Karolin 
Gehalt  bezog.  Bei  meinem  Abgange  erhielt  ich  darüber  eine  Berechnung  des  Kapital» 
und  der  Zinsen  von  den  Zinsen  der  Zinsen.  Diese  letzteren  betrugen  gerade 
300  Schweizer  Franken  und  wurden  mir  wegen  meiner  Verdienste  ums  Institut  zum 


April  1827. IJ53 

Geschenk  gemacht.  Doch  behalten  Sie  dies  für  sich;  ich  mag  mit  Wellenberg  im 
Unguten  nichts  mehr  zu  thun  haben.  — 

Ihre  Psychologie  macht  in  den  wenigen  Freistunden,  die  ich  erübrige,  mein 
Hauptstudium  aus.  So  lange  man  über  philosophische  Gegenstände  schreibt,  ist  kein 
Buch  geschrieben,  wie  dieses,  und  ich  danke  Gott,  daß  er  mich  in  der  Zeit  leben 
läßt,  wo  eine  solche  Arbeit  hervortrat.  Weiter  schreibe  ich  jetzt  nichts  darüber; 
aber  wenn  wir  uns  jenseits  wiedersehen ,  dann  sollen  Sie  fortfahren,  mich  zu  be- 
lehren. 

Haben  sich  Tölken,  Dyssen  und  v.  Langwerth  nicht  wieder  bei  Ihnen  ge- 
meldet? dem  Tölken  schickte  ich  meine  Ästhetik,  er  hat  mir  aber  kaum  geantwortet. 
Schacht  muß  wohl  gestorben  sein. *)  Der  letzte  Brief  von  ihm  an  mich  ist  anderthalb 
Jahre  alt,  und  damals  war  er  schon  sehr  krank. 

Mit  Sehnsucht  sehe  ich  Ihrer  ausführlicheren  Metaphysik  entgegen;  aber  es 
ist  entsetzlich,  daß  Sie  stets  mit  eigenen  großen  Kosten  solche  Werke  herausgeben 
müssen.  ||  Habe  ich  doch  mit  meinem  elenden  Buche  die  Bücherrechnung  beim  Ver- 
leger bezahlen  können.  Jetzt  eben  kommt  wieder  ein  ganz  kurzes  Lehrbuch  der 
Logik  von  mir  heraus,  worin  ich  Ihnen  ganz  gefolgt  bin,  und  nur  in  der  äußeren 
Form  die  besonderen  Bedürfnisse  des  Gebrauchs  bei  meinen  Vorlesungen  berück- 
sichtigt habe.  Von  der  pädagogischen  Seite  wird  es  beurtheilt  werden  müssen.  Ich 
würde  es  Ihnen  schicken,  wenn  es  sich  der  Mühe  lohnte;  aber  Sie  würden  auch 
nicht  einen  einzigen  neuen  Gedanken  finden. 

Eschenburgs  Platz2)  habe  ich  allerdings,  und  noch  dazu  Buhle's,  Seckendorf's 
und  Wolfs  Platz,  versteht  sich  ohne  das  wenige  Philologische  und  Juristische  und 
Theologische;  aber  den  Gehalt  dieser  Männer  beziehe  ich  nicht,  und  die  Eegierung 
erspart  an  mir  beinahe  3000  ßthlr.  Neulich  wäre  ich  beinahe  Direktor  des  herzog- 
lichen Museums  geworden,  weil  man  dann  noch  250  Kthlr.  gespart  hätte;  aber  es 
gab  einen  pensionirten  Officier,  an  dem  man  800  Rthlr.  ersparte,  darum  wurde  er 
es.  Das  sind  heiße  Sachen,  und  ich  wage  etwas,  indem  ichs  niederschreibe.  Ist  es 
Vorsehung,  daß  unsere  jungen  deutschen  Fürsten  fast  sämmtlich  die  erbärmlichsten 
Erzieher  gehabt  haben,  die  nur  zu  finden  waren?  Unser  Herzog  wenigstens  haßt 
und  verfolgt  den  seinigen  wie  einen  Verbrecher.  Er  mag  es  einigermaßen  ver- 
dienen, aber  Gott  sei  uns  gnädig,  wenn  das  schönste  Verhältniß  sich  in  das  ab- 
scheulichste verwandelt!  Sie  haben  einmal  Vorlesungen  über  Mathematik  gehalten. 
Es  würde  mich  höchlich  interessieren,  Ihre  Diktate  oder  auch  nur  das  Heft  eines 
fleißigen  Schülers  zu  besitzen.  Wollten  Sie  mir  wohl  dazu  verhelfen?  Auch  sehne 
ich  mich  schon  seit  langen  Jahren,  ein  ähnliches  Bild  von  Ihnen  zu  besitzen,  wär's 
auch  nur  eine  Bleistift-  oder  Schwarzkreide  -  Zeichnung.  Doch,  verzeihen  Sie,  es 
müste  das  ganze,  erhabene  Haupt  darauf  sichtbar  sein,  was  sich  nur  erreichen 
läßt,  wenn  die  Ansicht  halb  en  face  ]|  genommen  wird.  Sie  wurden  schon  in 
Göttingen  gezwungen  der  Gesundheit  wegen  fremdes  Haar  zu  tragen  —  dieses  sähe 
ich  nicht  gern  auf  dem  Bilde,  weil  es  die  schönsten  Theile  des  Hauptes  verdeckt. 
Die  verschollenen  Lehren  des  Dr.  Gall  sind  mir  lächerlich,  und  waren  es,  ehe  ich 
Ihre  Psychologie  las;  aber  die  Erfahrung  zeigt  zu  oft  eine  gewisse  Harmonie 
zwischen  den  äußeren  Formen  und  den  inneren,  was  auch  der  Grund  davon  sein 
möge,  —  als  daß  man  sie  ganz  vernachlässigen  dürfte.    Ein  solches  Bild  von  Ihnen 


*)  Der  Geogr.  und  Schulmann  Schacht,  Griepenkerls  Freund,  geb.  1786,  starb 
erst  1870.  S.  Allg.  d.  Biogr.  30,  774  f.  u.  W.  Kohmeder,  Th.  Schacht,  Pädagogium 
von  Dittes  1877,  419  ff. 

2)  Am  Karolinum  zu  Braunschweig,  an  dem  Gr.  erst  ao.,  dann  seit  1825  0. 
Prof.  war. 


154  Juni  l827' 

würde  mir  der  liebste  Besitz  sein,  und  ich  bitte  Sie  um  Ihre  freundliche  Einwilligung, 
wenn  etwa  einmal  ein  geschickter  Zeichner  oder  Maler  zu  Ihnen  kommt,  um  es  für 
mich  zu  entwerfen. 

Sollten  Sie  denn  nicht  die  Zeit  finden,  mir  schon  jetzt  die  Hauptfehler  meines 
Buches  zu  nennen?  Nur  mit  kurzen  "Worten  —  ich  werde  schon  verstehen;  denn  ich 
komme  Ihnen  auf  halbem  Wege  entgegen.    Nun  der  zerstreuten  Bemerkungen  genug! 

Mein  junger  Freund  Röer  hat  es  jetzt  möglich  gemacht,  zu  Ihnen  nach  Königs- 
berg zu  kommen  und  er  wird  bald  nach  diesem  Briefe  bei  Ihnen  eintreffen.  Seine 
Hauptabsicht  ist,  unter  Ihnen  Philosophie  zu  studiren  und  kein  Lobeck  oder  Bessel 
wird  ihn  davon  abhalten.  Ich  glaube  richtig  zu  urtheilen,  wenn  ich  in  ihm  Ihnen 
einen  jungen  Mann  ankündige,  der  alles  dazu  besitzt,  um  einst  mit  Ehren  den  philo- 
sophischen Lehrstuhl  auf  einer  Universität  zu  besteigen.  Sogar  die  äußeren  Um- 
stände sind  ihm  günstig;  denn  er  wird  einmal  ein  ihn  unabhängig  machendes  Ver- 
mögen besitzen,  und  so  lange  der  Vater  lebt,  wird  der  mit  Vergnügen  das  Nöthige 
hergeben.  Mit  seinem  geistigen  Kapitale  bin  ich  noch  nicht  so  ganz  zufrieden;  es 
fehlt  ||  ihm  z.  B.  an  Interesse  für  Mathematik  und  ich  habe  es  ihm  nicht  zu  geben 
vermocht.  Dies  Verdienst  können  Sie  Sich  um  ihn  erwerben.  Philologie  hat  er 
nicht  ohne  Erfolg  getrieben,  und  er  mag  so  viel  davon  wissen,  als  dem  Philosophen 
nöthig  ist.  Für  Naturwissenschaften  wünschte  ich  ihm  ein  lebhafteres  Interesse. 
Poesie  und  Musik  sind  ihm  nicht  fremd;  er  ist  selbst  Dichter  und  hat  die  Odysee 
in  Hexametern  übersetzt.  Dies  Werk  sollte  jetzt  hier  gedruckt  werden,  weil  es 
Werth  hat;  aber  Vieweg  machte  Schwierigkeiten,  und  das  war  unserem  Röer  schon 
recht.  Für  Ihre  philosophischen  Vorlesungen  ist  er  besser  vorbereitet,  als  Sie  viel- 
leicht jemals  einen  Zuhörer  gehabt  haben.  Eben  darum  aber  bitte  ich  für  ihn  um 
persönlichen  Umgang  mit  Ihnen.  Sie  haben  dabei  nichts  zu  besorgen,  er  ist  ein 
sittlich  guter  und  gesitteter  junger  Mann,  ich  habe  ihn  immer  als  einen  solchen  ge- 
funden und  kenne  ihn  seit  10  Jahren,  von  seinem  Knabenalter  an.  Der  persönliche 
Verkehr  mit  Ihnen  wird  ihm  deshalb  von  unschätzbarem  Nutzen  sein,  weil  er  zu 
oft  im  philosophischen  Disput  den  Sieg  davongetragen  hat,  ohne  gerade  in  ge- 
diegener Dialektik  sehr  geübt  zu  sein.  Es  wird  ihm  wohlthun,  Ihre  schwere  Hand 
zu  fühlen.  Mir  gab  er  immer  zu  schnell  nach,  oft  ohne  völlig  überzeugt  zu  sein. 
Der  Grund  davon  war  nicht  Schwäche,  sondern  vielleicht  das  Gefühl  eines  lang- 
jährigen Schülers,  der  mit  seinem  Meister  nicht  scharf  kämpfen  kann.  —  Gott  gebe 
seinen  Segen  zu  dieser  neuen  Verbindung  und  mache  sie  Ihnen  so  angenehm,  als 
sie  mir  gewesen  ist  und  bleiben  wird;  denn  ich  liebe  diesen  Röer,  wie  meinen  Sohn. 
Noch  eins :  er  ist  nicht  verzogen  und  verträgt  Freimüthigkeit  und  begründeten  Tadel, 
wie  wohlwollende  Zurechtweisung,  viel  besser,  als  ich  sie  in  seinen  Jahren  vertrug. 
Jetzt  würde  auch  mit  mir  die  Sache  anders  sein.  Die  äußere  Welt  hat  diese  größere 
Empfänglichkeit  in  mir  nicht  hervorgebracht,  sondern  innere  Bildung  ||  deren  Haupt- 
nerv wieder  mit  Ihnen  zusammenhängt. 

Und  somit  empfehle  ich  mich  Ihnen  auf  das  Freundschaftlichste  und  Herz- 
lichste und  bin  mit  wahrer  Dankbarkeit  unveränderlich  der  Ihrige 

Griepenkerl. 

21.  Mai:  Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar.     XIV.     S.  254 — 262. 

307.    Richthofen  an  H.1)  Brecheishof,  9.  Juni  27. 

Mein   verehrter  Freund!    Vor  einigen  Tagen  erzählte  mir  mein  Buchhändler, 

daß   ihm  von  Wagner  in  Erlangen   ein   philosophisches  Werk   zum  Druck  offerirt 

!)  3  S.    4°.    H.  Wien. 


September  1827.  15  c 


worden,  daß  er  aber  abgelehnt,  weil  er  ein  zu  hohes  Honorar  verlangt  habe.  Dieß 
gab  zur  Frage  Anlaß,  ob  er  vielleicht  Ihre  fertig  liegende  Metaphysik  drucken  wolle, 
wenn  er  Ihnen  als  Verleger  recht  sey,  was  ich  aber  nicht  bezweifeln  könne,  da  Sie 
mein  Freund  seyn,  und  die  Handlung  Joh.  Max  et  Comp,  sich  durch  Thätigkeit  und 
besonders  gutes  Papier  und  Druck  auszeichnet.  Er  war  dazu  bereit,  uad  will  wenn 
das  Werk  nicht  zu  stark  ist,  es  bis  Mich,  oder  doch  bis  Ostern  fertig  liefern,  aber 
er  läßt  Sie  durch  mich  bitten,  offen  zu  erklären  (im  Fall  Sie  ihm  nämlich  den  Verlag 
übertragen  wollen),  was  Sie  für  einen  Absatz  erwarten,  vorzüglich  ob  darnach  ge- 
lesen ||  wird,  und  wie  stark  das  Buch  werden  würde.  Wollen  Sie  darauf  eingehen, 
so  bitte  ich  Sie  überzeugt  zu  seyn,  daß  ich  für  Ihr  Interesse  möglichst  sorgen 
werde,  aber  noch  mehr  liegt  mir  daran,  daß  das  Buch  bald  erscheine;  denn  es  ist 
ja  doch  der  Grundpfeiler  Ihres  Systems,  mit  dem  auch  Ihre  Psychologie  begründet 
wird.  Wie  ist  die  Art  der  Bearbeitung?  vergleichen  Sie  es  doch  mit  einem  andern 
Ihrer  Bücher.  Nach  Ihrem  Briefe  zu  urtheilen,  so  verlangen  Sie  vielleicht  gar  kein 
Honorar,  wenn  für  anständigen  Druck  gesorgt  wird,  und  dann  ist  die  Sache  schnell 
abgemacht.  Leider  haben  Philosophika  schlechten  Absatz,  und  alle  Buchhändler 
sind  darum  ängstlich,  aber  vielleicht  ließe  sich  ein  Arrangement  treffen,  daß  im  Fall 
irgend  eines  gewißen  Absatzes,  ein  bestimmtes  Honorar  eintrete. 

Kommt  Ihre  Metaphysik  bald  in  Druck,  so  zeige  ich  sie  sogleich  an;  und  ist 
•das  schon  bis  Michaelis  möglich,  so  könnte  man  vielleicht  die  Anzeigen  Ihrer  beiden 
Werke  verbinden.  Ich  danke  Ihnen  für  das  viele  freundliche  was  Sie  mir  schrieben; 
aber  bei  manchen  Lobes-Erhebungen,  ist  es  ein  gar  drückendes  Gefühl,  sie  nicht  zu 
verdienen.  Meine  Freundschaft  für  Sie  ist  aber  wenigstens  wahrhaft.  ||  Sie  fragen 
nach  Grotens!  Wilhelm  wartet  seit  lange  auf  die  ihm  wahrscheinlich  nicht  ent- 
gehende Präsidenten-Stelle  in  Eutin;  er  ist  Günstling  des  Herzogs,  aber  der  Herzog 
zieht  möglichst  lange  die  erledigten  Gehalte  ein,  ehe  er  sie  wieder  vergiebt.  August 
ist  eben  Geheimer  Rath  und  Excellenz  geworden;  Karl  ist  Oberbergrath ;  alle  3  sind 
in  einer  glücklichen  Lage,  nur  kann  sich  der  letzte  nicht  entschließen  zu  heirathen. 

Mein  ältester  Sohn  ist  jetzt  in  Lignitz  Primaner;  er  ist  mir  so  nahe,  daß  ich 
ihn  wöchentlich  sehe.    Ich  habe  gute  Hoffnungen  mit  ihm  und  allen  meinen  Kindern. 

Leben  Sie  wohl  und  bleiben  Sie  mein  Freund!  Richthofen. 

Da  Johannis  herannaht,  so  schicke  ich  die  Zinsen  mit.  Wollen  Sie  nicht 
einmahl  meinetwegen  an  Eichstädt  schreiben,  d.  h.  gelegentlich.  Wie  ich  ihm  Ihre 
Recension  schickte,  both  ich  ihm  die  Anzeige  von  noch  ein  paar  Schriften  an,  ohne 
Antwort  zu  erhalten.  Dieß  macht  natürlich  wenig  Lust,  da  er  mir  überhaupt  nie 
selbst  geschrieben;  einen  Brief  erhielt  ich  von  der  Redaktion,  als  ich  Ihr  Buch  an- 
zeigen sollte,  und  da  hieß  es,  Eichstädt  habe  mir  geschrieben ;  ich  hatte  aber  nichts 
erhalten. 

308.    An  Professor  Griepenkerl  in  Braunschweig.1) 

Königsberg,  24.  Septbr.   1827. 

Auf  Ihren  sehr  gefälligen  Brief  vom  4.  d.  kann  jetzt,  mein  geehrtester 

Freund,  noch  keine  ganz  bestimmte  Antwort  erfolgen.     In  gewissem  Sinne 

ist  Ihnen   Herr  Richthofen  schon   zuvor  gekommen,    der   mir   vor   einigen 


x)  Gedruckt  nach  Ziller,  Reliquien  S.  209.  —  Die  Briefe  Herbarts  an  Griepenkerl 
wurden  nach  einer  Mitteilung,  die  Prof.  Lazarus,  Griepenkerls  Schüler,  im  Jaüre  1902 
dem  Herausgeber  der  Briefbände  in  Meran  machte,  zum  größten  Teil  vernichtet. 
Lazarus  war  von  Griepenkerl  beauftragt  worden,  den  Nachlaß  zu  sichten  und  nur  wirk- 
lich Wertvolles  aufzubewahren.  Vgl.  auch  Lazarus  Lebenserinnerungen.  Berl.  1906. 
S.  476  f. 


tc6  September  1827. 


Monaten  einen  ähnlichen  Antrag  machte,  und  von  dem  ich  in  diesen 
Tagen  wieder  einen  Brief  erwarte,  ohne  dessen  Berücksichtigung  ich  nicht 
füglich  einen  Entschluß  wegen  meines  Manuscripts  fassen  kann.  Sehr 
möglich  ist  es  jedoch,  daß  jene  Unterhandlung  sich  zerschlägt,  und  auf 
diesen   Fall  muß  ich  mit  Ihnen  nähere  Rücksprache  nehmen. 

Meine  Handschrift  —  allgemeine  Metaphysik  nebst  den  Elementen 
der  philosoph.  Naturlehre  betitelt  —  zerfällt  in  zwei  verschiedene  Theile, 
wovon  der  erste  unter  dem  besondern  Titel:  Ueber  Metaphysik  als 
historische  Thatsache,  kann  verkauft  werden.  Jeder  Theil  wird  etwa 
30  Druckbogen  stark  werden.  Daß  ich  einen  sehr  säubern  Druck  ver- 
lange, wird  ihnen  hoffentlich  meine  Psychologie  gezeigt  haben.  Ihr  An- 
trag, die  letzte  Correctur  zu  übernehmen,  ist  mir  allerdings  höchst  be- 
deutend, und  kann  mich  leicht  entscheiden,  die  von  Ihnen  dargebotene 
Gelegenheit  zu  benutzen;  um  so  mehr,  da  ich  hier  gegen  hundert  Meilen 
vom  Druckorte  in  jedem  Falle  entfernt  lebe.  —  Es  ist  mir  aber  nicht 
anständig,  mich  ohne  Honorar  einem  Buchhändler  in  die  Hände  zu  geben. 
Er  mag  eine  Summe  nennen,  die  schicklich  sei;  alsdann  bin  ich  bereit, 
mich  gleich  nach  Ablieferung  des  Manuscripts  mit  der  Hälfte  des  Honorars 
zu  begnügen,  und  die  andere  Hälfte  erst  bei  Herausgabe  des  zweiten 
Theils,  falls  der  Buchhändler  diesen  überhaupt  verlangt,  zu  beziehen;  so 
daß  nur  die  erste  Hälfte  eigentlich  die  zu  übernehmende  Schuld  des  Ver- 
legers würde.  Solche  Vorschläge  habe  ich  Herrn  v.  Richthofen  auch  mit- 
getheilt.  Ohne  alles  Honorar  das  Manuscript  wegzugeben,  ist  nachtheiliger, 
wie  ich  glaube,  als  den  Druck  auf  eigene  Kosten  zu  wagen.  Jedenfalls 
müßte  sich  der  Contract  nur  auf  die  erste  Auflage  beziehen,  und  die  Zahl 
der  Exemplare  bestimmt  werden. 

Dabei  fragt  sich  noch,  ob  sich  Herr  H.,  den  Sie  mir  nennen,  Ihnen 
als  einen  ganz  zuverlässigen  Mann  bekannt  gemacht  hat?  Da  er  in  der 
Buchhändlerwelt  noch  neu  ist,  und  da  ich  meine  Handschrift  (welche  von 
neuem  anzufertigen  mir  bei  meinem  jetzt  wankenden  Gesundheitszustande 
unmöglich  sein  würde)  nur  einem  durchaus  sichern  Mann  anvertrauen 
kann,  so  wird  meine  Frage  Sie  nicht  wundern. 

Auf  den  Fall,  daß  mein  Manuscript  in  Breslau  gedruckt  würde,  kann 
ich  Ihnen  meinerseits  einen  andern  Vorschlag  mittheilen.  Der  Doctor 
Gregor,  Privatdozent  an  unserer  Universität  und  Prediger  in  der  Stadt, 
hat  im  Sinne,  die  Meditationen  des  Des-Cartes  mit  Anmerkungen  heraus- 
zugeben, worin  auf  meine  Einleitung  in  der  Philosophie  häufig  hingewiesen 
wird.  Die  Veranlassung  liegt  darin,  daß  ich  vor  Jahren  mit  einem  meiner 
Zöglinge  den  größern  Theil  dieser  Meditationen  las,  um  ihn  zum  Uni- 
versitätsstudium der  Philosophie  vorzubereiten,  und  mich  überzeugte,  man 
könne  kaum  hoffen,  etwas  Zweckmäßigeres  für  Anfänger  zu  finden. 
Gregor  faßte  meine  Aeußerungen  darüber  auf  und  hat  sogar  versucht, 
akademische  Vorlesungen  über  jenes  Buch  zu  halten;  woraus  denn  seine 
schriftlichen  Anmerkungen  entstanden  sind.  Er  verlangt  kein  Honorar, 
und  die  ganze  Schrift,  wovon  die  Anmerkungen  etwa  die  Hälfte  betragen, 
während  der  Name  des  Des-Cartes  das  Buch  verkäuflich  machen  wird  — 
schätze  ich  auf  etwa  12  Druckbogen.  Dabei  ist  nicht  viel  zu  wagen.  Mir 
wäre  es  aus  mehreren  Gründen  selbst  persönlich  lieb,  wenn  das  Büchlein 


September  1827.  157 


erschiene.      Sie    finden    ein    Blättchen    von    Gregor's    Hand    hierbei.      Die 
Vorrede  habe  ich  gelesen,  und  sie  scheint  mir  sehr  gut  geschrieben. 

Roer  hat  den  Sommer  über  bei  mir  fleißig  gehört.  Mit  den  Zeichen 
seines  Verstehens  kann  ich  wohl  zufrieden  sein.  —  —  —  Auf  meinen 
Rath  lieset  er  den  Plato,  Spinoza  und  Kant. 

Die  kritischen  Blätter,  an  denen  ich  gelegentlich  arbeite,  soll  ich  Ihnen 
nennen?  Nun  wohl,  es  sind  die  Leipziger  Lit.-Ztg.  und  die  Jenaische. 
Aber  die  Nummern?  Theils  weiß  ich  sie  nicht  mehr,  und  Sie  werden 
nicht  frühere  Jahrgänge  nachschlagen  wollen,  theils  steht  in  der  Jenaischen 
Lit.-Ztg.  gewöhnlich  sogar  mein  J.  F.  H.  deutlich  darunter.  In  der  Leip- 
ziger Zeitung  habe  ich  vor  ein  paar  Jahren  die  bedeutenderen  Werke  von 
Fries  nach  einander  recensirt,  namentlich  den  Evagoras,  die  Metaphysik 
und  die  Naturphilosophie.  Aber  Recensionen  sind  Eintagsfliegen;  wer 
wird  sie  haschen,  wenn  sie  vorüber  sind? 

Haben  Sie  ja  die  Güte,  mir  so  bald  als  möglich  zu  antworten. 
Dann  werde  ich  auch  bestimmter  schreiben  können. 

Ganz  Ihr  Herbart. 

309.    Brandis  an  H.1)  Bonn,  26.  Sept.  1827. 

Wohlgeboren  Hochzu verehrender  Herr  Professor!  Erlauben  Sie  mir  Ihnen  eine 
Ankündigung  der  Fortsetzung  des  Rheinischen  Museums  als  ergebenste  Einladung 
zu  gütiger  Theilnahme  an  dieser  Zeitschrift  zu  übersenden.  Ausführlichere  Unter- 
suchungen im  Gebiete  der  Geschichte  der  griechischen  Philosophie  darf  zwar  kaum 
von  Ihnen  zu  erhalten  wünschen,  wer,  wie  ich,  lebhaft  davon  durchdrungen  ist,  daß 
nach  allen  Richtungen  hin  durchgeführte  Darstellung  Ihres  eignen  tiefsinnigen  Systems 
für  die  jetzige,  wie  für  die  folgende  Zeit  von  höchster  Wichtigkeit  ist,  aber  da  Sie 
immer  von  neuem  auf  die  Griechischen  Philosophen  zurückgehen,  so  werden  sich 
Ihnen  ohne  Zweifel  von  Zeit  zu  Zeit  Bemerkungen  und  Ansichten  ergeben,  deren 
Mittheilung  Ihnen  leicht  und  denen,  die  sich  ernstlich  mit  dem  Alterthume  be- 
schäftigen, wichtig  werden  würden.  Sie  haben  hin  und  wieder  Trübung  alter  Lehren 
durch  neue  Ansichten  gerügt,  und  solche  Rüge  thut  noch  immer  Noth:  sie  hat  auch, 
wie  ich  dankbar  anerkenne,  eine  Jugendarbeit  von  mir  getroffen  und  würde  bey 
Umarbeitung  derselben  sorgfältig  benutzt  werden.  Solche  Bemerkungen  und  An- 
sichten aber  mir  für  das  Rheinische  Museum  zu  erbitten,  ermuthigt  mich  Niebuhrs 
Name,  dem  den  Ihrigen  beyzugesellen  Sie  gewiß  nicht  verschmähen  werden. 

Ich  wage  diese  Bitte  um  so  lieber,  da  sie  mir  eine  Gelegenheit  verschafft,  Ihnen  die 
Gesinnungen  der  innigsten  Verehrung  und  aufrichtigsten  Dankbarkeit  auszusprechen, 
die  das  Studium  Ihrer  Schriften  in  mir  hervorgerufen  hat  und  fortwährend  nährt. 
Ohne  mir  Ihr  Lehrgebäude  als  Überzeugung  ganz  aneignen  zu  können,  verdanke  ich 
ihm  größentheils  den  Grund  und  Boden  der  Untersuchung  und  Anleitung  zu 
Lösungsversuchen  der  wichtigsten  ||  und  schwierigsten  philosophischen  Probleme,  wie 
ich  sie  in  keinem  andern,  neueren  System  gefunden  habe.  Möge  der  Himmel  Ihnen 
Gesundheit  und  Heiterkeit  schenken,  das  so  herrlich  begonnene  Werk  zu  vollenden! 
—  Sollten  meine  philosophischen  Untersuchungen  die  Reife  gewinnen,  die  ich  fordere 
um   sie   öffentlicher   Bekanntmachung  werth   zu   achten,   so   würde   Ihre   Billigung 

x)  lVa  S.  kl.  40.  H.  Wien.  —  Chr.  Aug.  Brandis,  1790—1867,  Philolog  und 
Philosoph,  Verfasser  des  »Handbuchs  der  Geschichte  der  griech.-römischen  Philo- 
sophie«.    Vgl.  Bd.  VIII,  S.  VIII  f. 


158  Oktober  1827. 

wenigstens  der  Methode  und  Ihre  Anerkennung,   daß  ich  nicht  erfolglos   mich  mit 
Ihren  Schriften  beschäftigt,  zu  verdienen,  ein  Ziel  meines  Strebens  seyn. 

Genehmigen  Sie.  verehrtester  Herr  Professor,  den  Ausdruck  dieser  meiner  Emp- 
findungen, mit  denen  ich  die  Ehre  habe  mich  zu  nennen 

Ew.  Wohlgeboren  ergebenster 
Ch.  A.  Brandis. 
Das  Honorar  für  Beyträge  zum  Rh.  M.  hat  der  Verleger  vorläufig  auf  10  Rthlr. 
festgesetzt,  hoffte  es  aber  steigern  zu  können  in  der  Folge. 

310.    Richthofen  an  H.1)  Brecheishof,  d.  4ten  Oct.  1827. 

Mein  verehrter  Freund !  Entschuldigen  Sie,  wenn  dießmal  meine  Antwort  länger 
ausblieb  als  gewöhnlich;  Herr  Max  ist  schuld  daran.  Ich  glaubte  nähmlich,  daß  es 
besser  sey,  ihn  über  jene  Sache  zu  sprechen,  als  ihm  zu  schreiben,  da  Sie  ohnehin 
keine  Beschleunigung  zu  wünschen  schienen.  Das  erste  Mahl,  daß  ich  in  Breslau 
war,  war  aber  derselbe  verreist;  und  als  ich  später  wieder  hinkam,  wünschte  er 
erst  den  2ten  Bd.  Ihrer  Psychologie  einzusehen,  auf  den  Sie  sich  beriefen,  und  den 
ich  ihm  deshalb  zusandte.  Erst  gestern  erhielt  ich  endlich  die  beiliegende  Antwort, 
die  leider  meinen  Hoffnungen  nicht  entspricht.  Im  Sommer  hatte  er  Lust,  aber 
wohl  möglich,  daß  er  jemand,  um  Rath  gefragt  hat,  dem  Ihre  Philosophie  nicht  die 
rechte  scheint,  oder  daß  er  sich  in  eine  andere  Unternehmung  eingelassen  hat,  was 
er  freilich  mir  auch  vor  einigen  "Wochen  sagen  konnte;  vielleicht  wollte  er  aber 
noch  Zeit  gewinnen. 

Auf  jeden  Fall  sollen  Sie  Ihre  Metaphysik  baldigst  drucken  lassen;  sie  ist  die 
Basis  aller  Philosophien,  und  ich  bin  auf  die  jetzige  Gestalt  ||  derselben  überaus  be- 
gierig. Keines  Ihrer  Werke,  keine  Ihrer  Vorlesungen  hat  mir  so  zugesagt;  durch 
sie  habe  ich  vorzüglich  Denken  gelernt. 

Allerdings  erregt  noch  jetzt  einiges  meine  Skepsis,  wie  damahls  in  Göttingen 
z.  B.  die  Selbst-Erhaltung.  Ich  sehe  zwar  den  nothw endigen  Uebergang,  aber  mir 
fehlt  das  philosophische  Vertrauen,  die  Kluft  zu  überspringen.  —  Allein  ich  höre 
Sie  wiederhohlen,  daß  das  meine  Schuld  sey,  weil  ich  nicht  genug  philosophiere- 
das  mag  seyn ;  es  mag  durch  die  tägliche  Beschäftigung  der  Glaube  steigen,  daß  das 
erwünschte  Ziel  nothwendig  erreicht  werden  müsse,  aber  kann  uns  dies  Gefühl  nicht 
irre  leiten?  Zum  Glück  sind  dieser  Punkte  nur  wenige;  fast  nur  jenen  einen,  und 
ich  ehre  Sie  und  Ihr  Werk  darum  nicht  minder. 

Von  Eichstädt  habe  ich  noch  immer  nichts  erhalten;  es  geht  daher  heute  auch 
ein  Brief  an  ihn  ab;  will  er  meine  Arbeiten  nicht,  so  mag  er  es  Ihnen  selbst  sagen; 
außerdem  weiß  ich  nur  noch  einen  Ausweg,  daß  er  jemand  als  Mittelsperson  der 
Uebersendung  benutzt,  der  die  Briefe  regelmäßig  liegen  läßt.  Noch  habe  ich  keine 
Antwort  |j  von  ihm  auf  meine  Beurtheilung  de  attent.  mens.,  und  doch  both  ich  ihm 
damahls  zugleich  2  andere  an. 

Was  den  dritten  Punkt  anbetrifft,  so  sind  Ihre  Mittheilungen  noch  so  unbestimmt, 
daß  ich  für  jetzt  nur  folgendes  darauf  antworten  kann.  Es  liegt  mir  daran,  daß 
Sie,  mein  alter  Freund,  in  keine  Verlegenheit  kommen,  allein  wiewohl  ich  Ihnen 
früher  kleine  Summen  außer  der  Zeit  gezahlt,  so  kann  ich  doch  nicht  versprechen, 
das  bei  einer  größern  immer  zu  können.  In  Schlesien  sind  fast  nur  2  Zahlungs- 
termine Johannis  und  Weihnachten  üblich,  und  da  allgemein  halbjährige  Kündigung 
eingeführt  ist,  so  werden  alle  Zahlungen  ein  halb  Jahr  im  Voraus  arrangiert,  wie 
dieß  auch  in  Ihrem  Schuldschein  bemerkt  ist.     Auf  Weihnachten  habe  ich  mehrere 


')  3  S.    4°.     H.  AVien. 


Oktober  1827.  159 

Zahlungen  zu  leisten  und  zu  erhalten,  und  kann  jetzt  nicht  noch  mehreren  ver- 
sprechen. Sind  wir  Schlesier  endlich  auch  nicht  ganz  so  übel  daran,  als  die  Preuß. 
Gutsbesitzer,  so  drücken  die  Zeit-Verhältniße  doch  auch  uns,  selbst  denjenigen,  der 
eines  guten  Kredites  genießt,  was  ich  wohl  von  mir  sagen  kann.  Aber  es  ist  mir 
schon  wiederholt  begegnet,  daß  mir,  meiner  Ordnung  in  den  Zinsen  wegen,  Leute 
Geld  offerirten,  mich  baten  es  zu  nehmen,  und  dann  nicht  Wort  halten  konnten, 
weil  Ihnen  nicht  Wort  gehalten  wurde.  Deshalb  wäre  mir  lieb,  wenn  sich,  wie 
Sie  ja  meinen,  die  Sache  sonst  arrangirte.  Bedürfen  Sie  aber  einen  Theil  Ihres 
Kapitals,  so  werde  ich  es  natürlich  zahlen,  bitte  Sie  aber  es  mich  dann  zu  gehöriger 
Zeit  im  Voraus  wissen,  zu  lassen.  — 

Und  somit  Gott  befohlen;  Leben  Sie  wohl;  und  bleiben  Sie  mein  Freund. 

Kichthofen. 

311.    Griepenkerl  an  H.1)  Braunschweig,  d.  I9ten  8br  1827. 

Recht  sehr  bedaure  ich,  mein  hochgeehrtester  Freund,  nicht  der  erste  gewesen 
zu  sein,  der  Ihnen  eine  vortheilhaftere  Gelegenheit  zur  Herausgabe  Ihrer  Metaphysik 
darbieten  konnte.  Doch  soll  es  mir  einerlei  sein,  wenn  sie  nur  und  unter  nicht  zu 
ungünstigen  Bedingungen  für  Sie  erscheint.  Der  junge  Buchhändler  Horneyer  ist 
ein  durchaus  zuverlässiger  Mann,  dem  Sie  ohne  die  mindeste  Gefahr  Ihr  Manuscript 
vertrauen  können.  Er  hat  alles  auf  das  sorgfältigste  berechnet  und  gefunden,  daß 
er  Ihnen  für  die  erste  Auflage  beider  Theile  nicht  mehr  als  40  L[ouisd'or]  Honorar 
anbieten  kann.  Sollten  sich  die  Umstände  dem  Werke  günstiger  zeigen,  als  in 
diesem  Augenblicke  zu  vermuthen  ist,  so  will  er  gern  nachzahlen.  Übrigens  geht 
er  daneben  alle  Ihre  Bedingungen  ein.  Er  will  Druck  und  Papier  liefern,  wie  Ihre 
Psychologie,  die  Hälfte  des  Honorars  gleich  nach  Ablieferung  des  Manuscripts  und 
die  andere  Hälfte  bei  Herausgabe  des  zweiten  Theils  zahlen,  denn  er  verlangt  beide 
Theile.  Der  Kontrakt  soll  sich  nur  auf  die  erste  Auflage  beziehen,  die  nur 
750  Exemplare  stark  sein  soll.  Mein  Versprechen,  die  letzte  Korrektur  zu  über- 
nehmen, wiederhole  ich  hiermit,  und  ich  will  sie  mit  der  möglichsten  Sorgfalt  machen. 
Doch  soll  Ihnen  zu  größerer  Sicherheit  ein  Exemplar  zugesandt  werden,  um  die 
etwa  stehen  gebliebenen  Druckfehler  besonders  anzugeben.  Der  Druck  würde 
spätestens  Ostern  1828  beginnen  und  zur  Michaelis-Messe  könnte  zum  wenigsten  der 
erste  Theil  versandt  werden,  wenn  nicht  beide.  Zu  größerer  Sicherheit  wünscht  der 
Verleger,  daß  Sie  einen  rohen,  unplanirten  Bogen  des  Papiers  von  Ihrer  Psychologie 
durch  Buchhändlergelegenheit  über  Leipzig  an  mich  senden  möchten,  wonach  er 
sich  beim  Ankauf  des  Papiers  zur  Metaphysik  richten  könne.  Er  bittet  Sie  endlich, 
den  Kontrakt  aufzusetzen  und  ihn  zur  Unterschrift  hieher  zu  senden;  freilich  in  dem 
Falle,  daß  Ihr  Ms.  nicht  nach  Breslau  geht.  || 

Alle  Sendungen  von  Ihnen  müssen  deswegen  noch  unter  meiner  Adresse  ge- 
macht werden,  weil  Horneyer  hier  erst  mit  der  Anlage  seines  Handelshauses  be- 
schäftigt ist  und  auf  der  hiesigen  Post  noch  nicht  gern  für  einen  Verleger  und 
Buchhändler  gelten  möchte,  der  Sendungen  von  Manuscripten  u.  s.  w.  erhält. 

Die  Meditationen  des  Des-Cartes  mit  Anmerkungen  von  H.  Dr.  Gregor  bittet 
sich  Horneyer  ebenfalls  zum  Verlag  aus.  Sobald  sie  erschienen  sind,  werde  ich  hier 
auf  dem  Kollegium  darüber  lesen,  wodurch  der  Absatz  der  kleinen  Schrift  ohne 
Zweifel  befördert  und  bald  eine  zweite  Auflage  möglich  gemacht  wird,  die  dem 
H.  Verfasser  der  Anmerkungen  ein  Honorar  zu  Wege  bringen  soll.  —  Sie  sagen 
mir,  daß  Sie  die  Vorrede  gelesen  und  sie  gut  gefunden  hätten.     Wie  sind  denn  die 

2)  3  S.   4°.     H.  Wien. 


IÖo  Oktober   1827. 

Anmerkimgen?  Auch  über  diese  hörte  ich  gern  Ihr  Urtheil,  ehe  ich  mich  bestimmt 
erklärte,  darüber  zu  lesen.  Horneyer  nimmt  das  Werkchen  hauptsächlich  deswegen 
in  Verlag,  weil  ich  ihm  sagte,  ich  würde  hier  Vorlesungen  darüber  halten.  Herr 
Dr.  Gregor,  den  ich  übrigens  unbekannter  Weise  Ihrer  Empfehlung  wegen  sehr 
hoch  achte,  braucht  diese  meine  Sorglichkeit  nicht  zu  erfahren. 

Zur  Antwort  auf  Ihre  Einwürfe  gegen  die  wissenschaftliche  Grundlage  meiner 
Ästhetik  bemerke  ich  jetzt  nur  folgendes.  Die  besondere  Art  des  Verhältnisses 
macht  die  ästhetische  Wirkung,  nicht  der  Stoff,  woraus  die  Glieder  eines  solchen 
Verhältnisses  bestehen,  dieser  letztere  ist  also  dem  gefallenden  Verhältnisse  gleich- 
giltig,  und  es  ist  ganz  einerlei,  von  welcher  Art  er  für  sich  ist,  ob  Willen,  Töne, 
Formen,  Farben  u.  s.  w.  Man  darf  also  die  Abstrakzion  so  weit  fortsetzen,  als  man 
das  Verhältniß  nicht  zerstört.  Hat  die  Idee  der  Vollkommenheit  eine  weitere  Sphäre, 
als  ihr  die  praktische  Philosophie  anweist,  warum  die  übrigen  Ideen  nicht  auch? 
Sie  kann  ja  die  weitere  Sphäre  doch  nur  durch  Abstrakzion  von  der  Eigen thümlich- 
keit  ||  der  Glieder  des  Verhältnisses,  hier  von  den  Willen,  erhalten.  Schönheit  und 
Einklang  (oder  Harmonie)  sind  ebenso  wesentlich  von  einander  verschieden,  als 
innere  Freiheit  und  Wohlwollen.  Überhaupt  stimmen  die  moralischen  Ideen  mit 
den  ästhetischen  überein,  wie  sie  hier  untereinander  geschrieben  sind: 


Tnnnere  Freiheit 
Schönheit 


Vollkommenheit  Wohlwollen 

Vollkommenheit  Einklang 

Recht  Billigkeit 


Dissonanz 

Es  ist  auch  ein  großer  Unterschied  zwischen  dem  simultanen  und  successiven 
Schönen  in  meiner  Ästhetik;  nur  liefert  die  psychologische  Untersuchung  dasselbe 
Resultat  in  ganz  anderer  Form,  wie  die  ästhetische  Erfahrung,  wenn  ich  so  sagen 
darf.  —  Daß  endlich  die  besondere  Art  des  Stoffes  der  Glieder  der  Verhältnisse 
noch  zu  besonderen  Nebenauffassungen  Veranlassung  giebt,  die  bei  der  ästhetischen 
Ausführung  dieser  eigenen  Stoffe  zu  besonderen  Determinazionen  veranlassen,  ist 
nicht  zu  läugnen,  wie  ich  es  auch  im  Buche  durchgeführt  habe. 

Dies  sind  die  Gedanken,  die  mich  bei  der  wissenschaftlichen  Begründung  der 
Ästhetik  geleitet  haben,  und  um  deren  Widerlegung  ich  Sie  dringend  bitte.  So 
viel  ich  mich  besinne,  habe  ich  Ihnen  auch  bei  der  Übersendung  des  Buchs  ge- 
schrieben, daß  ich  mich  nach  einer  zweiten  Bearbeitung  sehne;  denn  ich  ahnete 
damals  schon,  daß  Manches  ganz  anders  dargestellt  und  begründet  werden  müsse. 
Ihre  Einwendungen  mußte  ich  natürlich  vorher  wissen,  weil  ich  Ihre  Überzeugungen 
kannte;  aber  ich  mußte  es  darauf  wagen,  oder  jetzt  keine  Ästhetik  schreiben.  Eine 
Wissenschaft,  die  zum  ersten  Male  in  höherem  Geiste  bearbeitet  wird,  darf  auch 
wohl  das  Schicksal  menschlicher  Werke  theilen. 

Unverändert  der  Ihrige  Giiepenkerl. 

[Am  Rande.]  Tölken  ist  diese  Michaelis  bei  mir  gewesen  und  ich  bin  sonderbar 
von  ihm  berührt  worden.  Es  kommt  mir  nämlich  vor,  als  habe  er  seit  der  Universität 
keine  Fortschritte,  sondern  nur  Rückschritte  gemacht.  Übrigens  ist  er  noch  der- 
selbe, nur  daß  seine  Frau  die  Hosen  an  hat  und  er  den  Rock.  —  In  Göttingen  ist 
Röer  zurückgekommen,  darum  sandte  ich  ihn  nach  Königsberg,  bitte  nehmen  Sie 
Sich  seiner  an. 


November — December   1827.  l6l 

312.  All   Drobisch.1)  Königsberg,  22  Nov.   1827. 

Verehrtester!  Ohne  Ihr  Incognito  zu  verletzen,  welches  Sie  vielleicht 
selbst  aufzuheben  die  Güte  haben  werden,  bringe  ich  Ihnen  meinen 
großen  und  aufrichtigen  Dank  für  Ihren  trefflichen  Bericht2)  über  meinen 
mathematisch  psychologischen  Versuch;  und  dies  wäre  längst  geschehen, 
wenn  nicht  zufällige  Umstände  mir  das  Vergnügen,  das  Stück  der  Leipz. 
Zeit,   vom  4.  Jun.   zu  lesen,  bis  jetzt  versagt  hätten. 

Nachdem  Sie  von  Ihrer  kostbaren  Muße  einmal  so  viel  aufgewendet 
haben,  als  nöthig  war,  um  sich  in  die  Anfänge  jener  Rechnungen  hinein- 
zudenken, ist  es  für  Sie  eine  Kleinigkeit,  die  von  mir  gelieferten  Grund- 
linien der  [Statik]  u.  Mech.  des  Geistes  vollends  mit  Ihrem  Urtheile  zu 
begleiten;  [sofern]  Ihr  Interesse  für  den  Gegenstand  dazu  hinreicht.3) 
Wenn  Sie  meine  Psychologie  nicht  schon  haben,  so  erlauben  Sie  der 
Expedition  der  Leipz.  L.  Zeitung,  Ihnen  das  Buch  in  meinem  Namen  zu 
überreichen. 

Der  Herr  Wahnig,  welcher  nach  Ihnen  in  der  Zeitung  aufgetreten 
ist,  wird  Ihnen  sehr  anschaulich  gezeigt  haben,  wie  wenig  Hoffnung  ich 
habe,  irgend  ein  vernünftiges  Wort  über  meine  Arbeiten  zu  lesen.4)  Urtheilen 
Sie  nun,  wie  sehr  ich  Ihnen  für  kritische  Bemerkungen  verbunden  seyn 
würde,  falls  Sie  die  Güte  hätten,  mir  solche  auf  irgend  einem  Ihnen  be- 
liebigen Wege  zukommen  zu  lassen.  Sie  dürfen  mir  soviel  Wahrheitsliebe 
zutrauen,  als  zur  dankbaren  Annahme   wahrer  Kritik  nöthig  ist. 

Mit  großer  Hochachtung  Herbart. 

Adresse:  An  den  Herrn  Recensenten  der  Abhandlung  de  attentionis 
mensura  in  der  Leipziger  Literaturzeitung. 

313.  Drobisch  an  H.5)  Leipzig  d.  23.  December  1827. 

Hochverehrter  Herr  Professor!  Sie  würden  mir  ohnstreitig  Ziererei  zum  Vor- 
wurfe machen  können,    wenn  ich  nach  so   freundlicher  Veranlassung  wie  die  Ihrer 

1)  Die  Briefe  Herbarts  an  den  Leipziger  Mathematiker  und  Philosophen  Moritz 
Wilhelm  Drobisch  (1802 — 1896)  befinden  sich  in  der  Leipziger  Universitäts-Bibliothek. 
Sie  wurden  von  dem  Herausgeber  dieser  Bände  zuerst  veröffentlicht  in  den  Jahrbüchern 
des  Vereins  für  wissenschaftliche  Pädagogik,  Dresden  1902,  1903  u.  1905  (Bd.  34  ff. 
Vgl.  auch  die  Erläuterungen  zu  diesen  Jahrbüchern).  Da  es  dem  Herausgeber  mög- 
lich ist,  in  den  vorliegenden  Bänden  auch  die  Briefe  Drobischs  mitzuteilen,  so  wird  das 
Verhältnis  der  beiden  Gelehrten  zueinander  jetzt  erst  aufgehellt  werden  können.  Man 
vgl.  die  Biographie  Drobischs  von  einem  Enkel  des  Gelehrten,  W.  Neubert-Drobisch 
(Leipzig  1902).  Sie  bringt  zu  dem  hier  veröffentlichten  Briefwechsel  eine  Anzahl 
interessanter  Aufzeichnungen  Drobischs  über  Herbart. 

2)  Diese  wichtige  Rezension  der  Abhandlung  Herbarts  De  attentionis  mensura 
causisque  primariis  v.  J.  1822  in  der  L.  L.  Ztg.  No-  142  (4.  Juni  1827)  fehlt  sowohl 
in  der  von  Allihn  zusammengestellten  Litteratur  der  Herbartschen  Schule  (Zeitschr.  f. 
exakte  Phil.,  1.  Bd.,  S.  83),  wie  auch  in  Ueberwegs  Grundriss  und  in  Reins  Hand- 
buch III,  490. 

3)  Aehnlich  äußert  sich  Herbart  öffentlich  in  der  L.  L.  Ztg.  1827,  No.  335,  ab- 
gedruckt bei  Hartenstein,  Herbarts  S.  W.  XIII,  S.  48  f. 

4)  In  den  folgenden  Nummern  der  L.  L.  Ztg.  (1827,  No.  143  — 146)  befindet  sich 
eine  anonyme  Rezension  von  Herbarts  Psychologie  als  Wissenschaft.  Darin  heißt  es: 
Das  Werk  beruht  »seinen  wesentlichen  Inhalt  und  seine  eigentümliche  Tendenz  an- 
langend, auf  einem  Irrtum.« 

5)  1  S.    4°.     H.  Wien. 

Herbarts  Werke.     XVII.  II 


162  December   1827. 


werthen  Zuschrift  vom  22.  Novbr.  (die  ich  aber  erst  vor  ein  paar  Tagen  erhielt) 
Anstand  Dähme,  mich  zu  der  Recension  Ihrer  so  vorzüglichen  Abhandlung  de  attent. 
mens,  zu  bekennen.  Nur  bedauere  ich,  mir  wenig  mehr  als  das  Zeugniß  geben  zu 
können,  daß  ich  bemüht  war,  in  den  Geist  Ihrer  Schrift,  sowie  Ihrer  Psychologie 
überhaupt,  deren  Grundidee  mich  gleich  vom  Anfange  seit  ich  sie  kennen  lernte 
sehr  anzog,  und  eine  von  mir  längst  gewünschte  Verbindung  von  Mathematik  und 
Philosophie  verwirklichte,  einzudringen.  Ich  kann  mir  daher  eigentlich  nicht 
denken,  daß  meine  etwanigen  Bemerkungen  über  Ihre  gesammte  Psychologie  Ihnen 
von  einigem  Nutzen  seyn  könnten.  Jahrelang  mit  Mathematik]  u.Philos.  gleich  vertraut,, 
haben  Sie  ein  Gebäude  aufgeführt,  das  schon  jetzt  Bewunderung  verdient,  an  dem 
aber  nicht  gleich  jeder  Vorübergehende  kritteln  sollte,  wenn  er  nicht  eine  Zeitlang 
darin  gewohnt  hat.  Sie  werden  gegenwärtig  nicht  leicht  einen  competenten  Richter 
finden,  denn  die  Mathematiker  rechnen  es  sich  jetzt,  wie  Ihnen  bekannt,  zur  Ehre, 
in  Philosophie  unwissend  zu  seyn,  und  unter  den  Philosophen  wüßte  ich  keinen 
Namhaften,  der  viel  mehr  als  bloße  Begriffe  von  Mathematik  besäße,  außer  etwa 
Fries,  der  aber  wol  zu  sehr  in  seiner  Philosophie  befangen  ist,  als  daß  er  hier  Ge- 
rechtigkeit wiederfahren  lassen  sollte.  Was  nun  Ihre  schmeichelhafte  Aufforderung 
an  mich  betrifft,  so  gestehe  ich  frei,  daß  ich  nur  ein  Liebhaber  der  Philosophie  binT 
welcher  aber  doch  schon  einige  Jahre  diese  Studien  fast  gänzlich  bei  Seite  gelegt 
hat,  aber  mit  vielem  Interesse  Theil  nimmt,  wenn  eine  Erscheinung  sich  zeigt,  die 
Epoche  zu  machen  verspricht.  Meine  bisherigen,  schriftstellerischen  Bestrebungen 
waren  nur  mathematisch  oder  astronomisch,  ein  einziges  in  diesem  Jahre  ge- 
schriebenes Programm  de  calculo  logico *)  ausgenommen,  das  Sie  leicht  für  Spielerei 
zu  erklären  geneigt  seyn  dürften.  Die  Hauptzüge  Ihrer  Philosophie  sind  mir  be- 
kannt und  ich  weiß  es  Ihnen  großen  Dank,  mich  von  vielen  Vorurtheilen  der 
Kant'schen  Schule  befreit  zu  haben;  allein  für  einen  Kenner  der  Philosophie  alter 
und  neuer  Zeit  kann  ich  mich  nicht  ausgeben.  Scheint  es  Ihnen  daher  nach,  dieser 
offenen  Erklärung  noch  wünschenswerth,  daß  ich  mich  dem  Studium  Ihrer  größeren 
Psychologie  unterziehe  (interessant  und  belehrend  wird  es  mir  in  jedem  Falle  seyn) 
so  werde  ich  es  nur  als  Mathematiker  thun  können.  Es  könnte  seyn,  daß  mir  die 
Lesung  dieses  Werkes  (das  ich  allerdings  seit  einiger  Zeit  besitze,  daher  ich  für 
Ihr  geneigtes  Anerbieten  verbindlichst  danke)  Veranlassung  zu  einer  eigenen,  kleinen 
Schrift,  einer  Analyse  desselben  gäbe,  wodurch  ich  dann  vielleicht  wenigstens  die 
Verbreitung  der  neuen  Lehre  unter  den  Mathemalikern  fördern  könnte.  Sollte  ich 
aber  bei  näherer  Betrachtung  mich  der  Sache  nicht  gewachsen  fühlen,  so  werde  ich 
mich  Ihnen  privatim  mittheilen.  Sobald  als  eine  bereits  übernommene  literarische 
Arbeit  beseitigt  seyn  wird,  gedenke  ich,  da  mich  jetzt  eben  keine  weit  aussehenden 
Untersuchungen  beschäftigen,  einen  Versuch  zu  machen,  Ihrem  Verlangen  zu  ent- 
sprechen. Wie  dieser  auch  ausfallen  möge,  so  soll  er  doch  hoffentlich  von  einem 
Fehler  mehrerer  Ihrer  Recensenten  frei  seyn,  von  dem  nämlich,  die  Vorurtheile 
einer  Schule  oder  einer  Individualität  zum  Maßstab  bei  der  Werthbestimmung  des  zu. 
beurtheilenden  Werkes  stempeln  zu  wollen. 

Mit  größter  und  aufrichtigster  Hochachtung  Ihr  ergebenster 

M.  W.  Drobisch 
Professor  der  Mathem. 


l)  Vgl.  Neubert-Drobisch  a.  a.  0.  S.  24. 


1828. 


W.:  Allgemeine  Metaphysik  nebst  den  Anfängen  der  philosophischen  Naturlehre.  Erster 
Teil.  S.  Bd.  VII.  S.  i — 346.  —  Rez.  von  Fichtes  Vorschule  der  Theologie 
(S.  Bd.  XIII.  S.  64 — 67),  Schlegels  Ersten  Vorlesungen  u.  Schlegels  Philosophie  des 
Lebens  (S.  Bd.  XIII.  S.  67 — y/\  Krugs  Handwörterbuch  der  philosophischen  Wissen- 
schaft (S.  Bd.  XHI.     S.  77—83.) 

314.   J.  G.  Ungewitter  an  H.1) 

Theuerster  Herr  Professor!  Schon  über  18  Jahre  sind  es,  als  ich  auf  meiner 
Rückreise  von  Rußland  nach  Deutschland  bei  Ihnen  vorsprach.  So  oft  ich  auch  seit 
der  Zeit  an  Sie  gedacht  habe,  so  war  ich  doch  wie  durch  eine  Kluft  von  Ihnen 
getrennt,  bis  seit  einigen  Tagen  durch  das  Lesen  Ihres  neuesten  Werkes  eine  neue 
innige  Gemeinschaft  mit  Ihnen  eingetreten  ist,  die  es  mir  zum  Bedürfniß  macht, 
mich  schriftlich  an  Sie  zu  wenden.  Ich  habe  Ihren  Namen  immer  mit  Interesse  im 
Büchercatalog  gelesen,  Ihre  frühere  Psychologie  und  die  Einleitung  in  die  Philo- 
sophie mir  bekannt  gemacht,  darauf  die  größere  Psychologie  ruhen  lassen,  und  zu- 
letzt mit  besonderem  Verlangen  den  lten  Theil  Ihrer  Metaphysik  aufgesucht  — 
und  mit  einem  ganz  neuen  Gefühl  fast  ohne  Aufhören  durchgelesen.  Hier  war  mir 
zum  erstenmale  zu  Muthe,  als  ob  ich  Sie  persönlich  vor  mir  sähe  und  Ihre  lebendigen 
Worte  vernähme.  Dieses  völlig  losgebundene  und  doch  so  ruhige,  innige  und  klare 
Vortragen  einer  Sache  mit  dem  sicheren  Spiel  des  Meisters :  es  war  mir,  wie  wenn 
Ihr  Vortrag  ein  breiter  Strom  wäre,  der  allen  Widerstand  überwunden  hat  und  ruhig 
dahinfließt.  Immer  ins  Herz  der  Sache  hinein,  mit  scheinbarer  Unordnung,  und 
doch  so  wie  es  gerade  am  leichtesten  sich  darstellt.  —  Ich  habe  Sie  früher  oft  be- 
dauert mit  Ihrem  Alleinstehen  ||  und  Reden  in  die  Wüste;  und  es  ging  mir  nahe, 
als  ich  in  einer  Recension  über  Ihre  Psychologie  die  Worte  von  Ihnen  beiläufig 
angezogen  fand,  daß  Sie  das  fortdauernde  Verkennen  Ihrer  Lehre  nicht  hätten  er- 
tragen können,  wenn  Sie  nicht  durch  die  Mathematik  und  deren  Bestätigung  der- 
selben gestärkt  worden  wären,  wenn  gleich  diese  Erklärung  viel  tröstliches  enthielt. 
Es  kam  mir  mit  Ihnen  immer  vor  wie  mit  Kant,  dessen  Schriften  anfangs  auch 
keine  Beachtung  fanden,  bis  das  Zeitalter  ihm  nachgekommen  war,  oder  mehr  noch 

*)  4  S.  4°.  H.  Wien.  —  Der  unvollendete  Brief  trägt  kein  Datum  und  keine 
Unterschrift.  Durch  Schriftenvergleichung  wurde  J.  G.  Ungewitter  als  Schreiber 
ermittelt.  Von  ihm  liegt  noch  ein  Brief  an  Herbart  (aus  Scheessel  d.  25.  Febr.  1841 
geschrieben)  in  Wien,  der  nicht  mit  abgedruckt  wird.  Wie  mir  Herr  Richter 
Dr.  Smidt  in  Bremen  mitteilt,  ist  J.  G.  Ungewitter  1785  geb.  als  Sohn  von  J.  Heinr. 
Chr.  Ungewitter,  der  damals  Rektor  der  Domschule  in  Bremen,  später  Pastor  zu 
Scheessel  war.  Er  studierte  in  Göttingen  Theologie  und  Philologie,  hörte  wohl,  wie 
aus  den  Briefen  hervorgeht,  auch  bei  Herbart.  1807 — 1810  war  er  Hauslehrer  in 
Livland,  später  wurde  er  Geistlicher  in  Scheessel.  Die  Datierung  des  Briefes  dürfte 
nach  diesen  Angaben  richtig  sein. 

11* 


164  i828- 

wie  mit  dem  großen  Kepler  (mit  dem  Sie  so  herrlich  Ihr  Buch  geschlossen  haben).1) 
Doch  wie  wurde  ich  nun  überrascht,  als  ich  dieses  letzte  Werk  las! 

Sehr  interessant  war  mir  insbesondere  das,  was  Sie  darin  von  Leibnitz  anführen. 
Schon  vor  längerer  Zeit  fiel  mir  zufällig  eine  sehr  gute  Darstellung  der  Leibnitzischen 
Monadenlehre  in  die  Hände,  und  mit  dem  größten  Interesse  las  ich  diese  mir  bis 
dahin  so  gut  als  unbekannt  gebliebene  Lehre.  Ich  erstaunte  über  die  große  Ver- 
wandtschaft mit  Ihrem  System,  wenn  gleich  das  Starre  der  prästabilirten  Harmonie 
mir  fremd  war. 

Ich  fand  in  Ihnen  einen  Neubeieber  dieser  Monadenlehre,  durch  den  sie  zu 
einer  neuen  Verklärung  kommen  würde.  —  Wie  angenehm  war  es  mir  nun  in  Ihrem 
Buche  die  Bestätigung  dieser  Vermuthung,  und  zugleich  Aufhellung  über  manches, 
was  mir  dabey  dunkel  geblieben  war,  zu  finden.  Ich  bedauerte  es,  daß  Sie  uns 
nicht  schon  in  Göttingen  auf  diesen  Mann  aufmerksam  gemacht  hatten,  der  weit 
besser  als  Leucipp  auf  Ihre  ||  Lehre  vorbereitet.  — 

Noch  muß  ich  bemerken,  daß  Ihr  Werk  mir  noch  großes  Licht  über  die  Lehre 
von  den  Beziehungen  gegeben  hat,  und  daß  diese  Lehre  dadurch  für  mich  eine  eigene 
Lebendigkeit  und  freie  Anwendbarkeit  bekommen  hat,  die  ich  ihr  vorher  nicht  ab- 
gewinnen konnte.  Ich  hätte  Sie  noch  ausführlicher  darüber  reden  hören  mögen.  Schade, 
daß  Sie  nicht  geneigt  sind,  über  Ihre  practische  Philosophie  sich  noch  ausführlicher 
vernehmen  zu  lassen.  Mir  däucht,  wenn  auch  sie  in  so  lebendigem  historischen 
Zusammenhange  dargestellt  würde,  wie  es  jetzt  mit  Ihrer  Metaphysik  geschehen  ist, 
es  müßte  ihre  Zugänglichkeit  um  vieles  vermehrt  werden.  Denn  dem,  was  Sie  in 
diesem  neuesten  Buche  darüber  gesagt  haben,  merkt  man  zu  sehr  an,  daß  es  nur 
als  Nebensache  behandelt  wird.  Man  wird  nicht  davon  überwältigt,  wie  von  dem 
metaphysischen  Theil.  Doch  vielleicht  wird  eine  nachkommende,  ausführliche 
Aesthetik  das  noch  Mangelnde  ersetzen.  —  Auf  jeden  Fall  haben  diejenigen,  die  Sie 
selbst  gesehen  und  Ihre  mündlichen  Worte  vernommen  haben,  ein  Großes  vor  allen 
bloßen  Lesern  voraus,  die,  wenn  sie  nicht  selbst  schon  ein  Vorgefühl  Ihrer  Lehren 
haben,  aus  der  jetzigen  Zeit  heraus  nur  mit  Mühe  sich  in  Ihr  System  hineinarbeiten 
werden.  Dieses  Ineinandergewebte  erfordert  zu  viel  Eifer  und  zu  viel  Sinnigkeit 
zu  gleicher  Zeit,  als  daß  ein  träger  oder  flüchtiger  Geist  damit  fertig  werden  könnte. 
Aber  wird  denn  aus  dem  Winterschlafe,  der  auf  das  Aufbrausen  gefolgt  ist,  nicht 
der  sinnige  deutsche  Geist  wieder  erwachen  und  mit  heiterem  Ernst  ||  sich  zurecht 
finden  lernen?  Ich  erinnere  mich  noch  mit  einem  besonderen  Wohlgefühl  des 
schönen  Sommers  in  Göttingen,  als  Sie  Ihre  Einleitung  in  die  Philosophie  zuerst 
vortrugen.  Da  empfand  ich  zum  erstenmal  (denn  die  durch  Hüllmanns  Wohlmeinen 
mir  vorausgenommene  Pädagogik  kostete  mir  zu  viel  Anstrengung,  wiewohl  sie  mich 
mit  Ahnungen  füllte  und  den  Boden  auflockerte)  das  süße  Gefühl  des  sinnigen, 
heiteren  und  ernsten  Forschens.  —  Noch  jetzt  erkenne  ich  es  dankbar  an,  daß  ich 
in  Ihre  Schule  gekommen  bin,  und  wie  viele  Menschen  auch  auf  mich  eingewirkt 
haben,  so  ist  doch  keiner,  von  dem  ich  eigentlich  sagen  kann,  er  habe  mich  aus- 
gebildet, wie  ich  es  von  Ihnen  sagen  muß.  Außerdem  kann  ich  nur  sagen,  ich 
habe  mich  selbst  ausgebildet  mit  Hülfe  anderer  Menschen  und  der  Umstände. 

Doch  Sie  werden  allmählich  fragen,  wie  es  denn  jetzt  mit  mir  stehe,  und  in 
welchem  Felde  meine  Thätigkeit  sich  versuche.  Beinahe  möchte  ich  scherzhaft  ant- 
worten, daß  die  Methode  der  Beziehungen  ihre  große  Gewalt,  die  sie  über  jeden 
Unbefangenen  früher  oder  später  ausüben  muß,  auch  an  mir  bewiesen  habe,  anfangs 
unscheinbar,  aber  in  immer  verstärkterem  Grade,  und  daß  es  jetzt  mir  eine  Freude 


J)  S.  Bd.  VII.     S.  346. 


Februar  T828.  165 


ist,  die  Sammlung  des  Geistes  fast  vor  meinen  Augen  sich  immer  mehr  bilden  zu 
sehen,  und  damit  den  zunehmenden  Genuß  einer  klaren  Innigkeit  zu  haben. 

Ich  bin  kein  Philosoph,  dazu  ist  die  Tendenz  zu  practisch  bey  mir;  aber  || 

315.     An   Drobisch.1)  Königsberg,  6  Febr  1828. 

Wohlgeborner,  hochgeehrter  Herr  Professor!  Vor  wenigen  Stunden 
empfing  ich  das  Schreiben,  durch  welches  Sie  so  gütig  sind,  mir  Ihre  Be- 
kanntschaft zu  gönnen.  Diesmal  verliere  ich  Nichts,  indem  ich  einen 
Irrthum  aufgebe.  Es  war  Brandes,2)  dem  ich  Ihre  Rec.  zuschrieb;  ich 
wußte  in  der  That  nicht,  daß  ein  Mathematiker,  ihm  ähnlich  am  Gefälligen 
und  Treffenden  des  Ausdrucks,  sowie  der  Geschmeidigkeit  der  Gedanken, 
ihm  so  nahe  stehe.  Wenn  jemals  ein  Autor  sich  erlauben  darf,  seinen 
Beurtheiler  wieder  zu  beurtheilen,  so  muß  es  mir  erlaubt  seyn,  zu  sagen, 
daß,  nachdem  ich  seit  fünf  und  zwanzig  Jahren  eine  Masse  von  Recen- 
senten- Unsinn  verachten  gelernt  habe,  die  einen  mäßigen  Band  füllen 
könnte,  ich  die  Genauigkeit  und  Sicherheit  zu  schätzen  weiß,  womit  Sie 
mehr  als  Eine  schlüpfrige  Stelle  betreten  haben,  an  welcher  die  Philo- 
sophen, wie  sie  heute  zu  seyn  pflegen,  in  die  lächerlichsten  Misverständnisse 
würden  verfallen  seyn. 

Die  Hoffnung,  welche  Sie  geben,  daß  meine  Psychologie  Sie  noch 
länger  werde  beschäftigen]  können,  ist  mir  daher  eine  höchst  willkommne 
Beruhigung  wegen  der  Frage,  ob  meine  Arbeit  im  Andenken  bleiben 
werde,  oder  der  Vergessenheit  entgegen  gehe.  Öffentlich,  oder  privatim, 
wie  Sie  wollen!  Die  einzelnen  Formen  sind  für  mich  kein  Gegenstand  des 
literarischen  Ehrgeizes.  Jede  Mittheilung  von  Ihnen  werde  ich  verdanken; 
nur  müssen  Sie  wissen,  daß  ich  meinerseits  schwerlich  je  wieder  zu  an- 
haltenden mathematischen  Beschäftigungen  zurückkehren  werde.  Der  erste 
Band  meiner  ausführlichen  Metaphysik  (nebst  den  Anfängen  der  Natur- 
philosophie) soll  nächste  Ostern  (wenn  der  Buchhändler  Wort  hält,)  er- 
scheinen. In  der  Vorrede  wird  Ihrer  Recension  gebührend  gedacht 
werden. 3)  Wollen  Sie  mir  einen  Wunsch  erfüllen,  so  sey  es  die  Erlaubniß, 
daß  ich  Sie  in  der  Vorrede  öffentlich  nennen  dürfe.  Dazu  bedarf  es 
nur  weniger  Zeilen  von  Ihnen,  die  in  den  ersten  Tagen  des  nächsten 
Monats  noch  früh  genug  eintreffen  würden.  —  Bleiben  Sie  ja  der  Philo- 
sophie hold!  Vielleicht  gelingt  es  mir,  Sie  zu  überzeugen,  daß  anstatt  der 
eingebildeten  Urkräfte  der  Materie  (Attraction,  Repulsion  pp.  die  eben 
solche  fabelhafte  Wesen  sind  wie  die  Seelenvermögen)  es  auch  hier  etwas 
zu  berechnen  giebt,  nämlich  ursprüngliche  Verhältnisse  der  Elemente,  aus 
denen  erst  die  Moleculen  entstehen,  sammt  allen  Kräften,  wovon  Astro- 
nomie,  Chemie  pp.   zu  reden  haben. 

Hochachtungsvoll      Herbart. 


*)  1  S.    2°.     Adr.:  Herrn  Professor  Drobisch  Wohlgeboren  zu  Leipzig. 

2)  H.  W.  Brandes,    1777  — 1834,  damals  Prof.  der  Physik  in  Leipzig,  gehörte  zur 
Redaktion  der  Leipz.  Lit.  Ztg. 

3)  S.  Bd.  VII      S.  4  ff. 


x66  Februar   1828. 


316.  Drobisch  an  H.1)  Leipzig  d.  13.  Februar  1828. 
Wohlgeborner,  Hochverehrter  Herr  Prof essor !  Ihre  gütige  Zuschrift  vom  6teu  d. 

war  mir  nicht  blos  überaus  angenehm,  sondern  gewährte  mir  wirklich  eine  große 
Beruhigung.  Denn  als  mir  wenige  Tage  nach  Absendung  meines  Briefes  Ihre  An- 
zeige in  der  Leipz.  Litz.  in  die  Hände  fiel,  sah  ich  freilich  gleich,  daß  Sie  Brandes 
für  Ihren  Rec.  gehalten  hatten,  und  nun  konnte  ich  mir  Ihr  Verlangen,  die  weitere 
Analyse  Ihres  Hauptwerks  von  derselben  Hand  zu  sehen,  wohl  erklären;  und  es 
fing  mich  zu  reuen  an,  mit  der  Antwort  so  vorschnell  gewesen  zu  seyn.  Mit  Ver- 
gnügen bemerke  ich  daher,  daß  die  unerwartete  Entdeckung  eines  weniger  er- 
wünschten Recens.  doch  keinen  Übeln  Eindruck  auf  Sie  gemacht  hat,  und  daß  Sie 
auch  nach  Beseitigung  der  vorgefaßten  Meinung,  von  der  Anzeige  noch  eben  so 
günstig  urtheilen  —  was  freilich  von  einem  solchen  Philosophen  nicht  anders  zu  er- 
warten war.  Wahrhaftig,  ich  wünschte  es  Ihrem  trefflichen  Unternehmen  von 
Herzen,  daß  Männer  wie  Brandes,  oder  noch  lieber  wie  Bessel  und  Gauß  lebhaften 
Antheil  daran  nähmen;  allein  ich  verzweifle  daran.  Die  Kluft  zwischen  Mathematik 
und  Philosophie  ist  jetzt  zu  groß  geworden;  das  Mißtrauen  der  Mathematiker  zu 
aller  Philosophie  ist  fast  unbegrenzt,  und  man  läuft  Gefahr,  seinen  Ruf  als  Mathe- 
matiker in  ein  zweideutiges  Licht  zu  stellen,  wenn  man  sich  zugleich  mit  Philosophie 
beschäftigt.  Diese  feste  Überzeugung  und  Ihre  Aufmunterungen  regen  mich  aber 
eben  an,  da  wenig  Theilnehmer  sich  finden  werden,  nun  meine  Kräfte  zu  versuchen. 
Ich  muß  Ihnen  sagen,  daß  ich  ehemals  sehr  zwischen  Philosophie  und  Mathematik 
schwankte  und  daß  ich  endlich  beschloß,  als  eine  recht  würdige  Vorbereitung  zur 
Philosophie,  Mathematik  in  möglichst  weitestem  Umfange  zu  studiren.  Hier  hat 
mich  nua,  nach  meiner  äußern  Stellung,  mein  Geschick  fest  gehalten;  indeß  noch 
heute  ist  mir  Mathematik  nur  Philosophie  der  Größen  und  ich  werde  schwerlich  je 
aufhören,  wenn  auch  nur  stillen,  fast  möchte  ich  sagen  verstohlnen,  Antheil  an  dem 
Schicksal  der  Philosophie  zu  nehmen.  Höchst  interessant  wird  mir  daher  Ihre  Meta- 
physik seyn;  denn  ich  bekenne,  daß  mir  die  Hauptpuncte  d.  Met.  öfter  wenigstens 
zu  kurz  waren.  Nur  mit  Bedauern  aber  muß  ich  hören,  daß  Sie  nicht  leicht  zu 
anhaltenden  mathematischen  Arbeiten  zurückzukehren  gedenken. 

"Wer  wird  die  Brücke,  die  Sie  so  eben  zwischen  den  beiden  rationalen  Wissen- 
schaften geschlagen  haben,  im  Stande  erhalten,  wenn  Sie  Ihre  Hand  abziehen?  Es 
ist  nicht  leicht,  auf  Ihre  Schultern  zu  treten,  und  der  Scrupel  (wie  z.  B.  bei  der 
Freiheitslehre)  sind  gar  zu  viele,  die  so  manchen  an  erwünschten  Erfolgen  im  Voraus 
verzweifeln  lassen!  —  Was  nun  Ihren  wohlwollenden  Antrag  betrifft,  mich  in  der 
Vorrede  zu  Ihrer  Met.  zu  nennen,  so  ist  er  mir  zu  schmeichelhaft,  als  daß  ich  ihn 
im  Ernste  ablehnen  möchte.  Sie  sitzen  auf  Kant's  Lehrstuhl.  Wäre  aus  mir  ein 
Philosoph  geworden,  wie  gerne  möchte  ich  Ihr  Schultz,  Ihr  Reinhold  seyn. 

Mit  größter  Hochachtung  Ihr  ergebenster 

M.  W.  Drobisch. 

317.  Griepenkerl  an  H.2)  Braunschweig,  d.  20.  Febr.  1828. 
Mein  hochverehrter  Freund,  haben  Sie  die  Güte,  mir  Des-Cartes  Meditationen 

mit  Gregors  Anmerkungen  sogleich  zu  schicken  das  Buch  soll  so  schnell  wie  mög- 
lich gedruckt  werden.  —  Daß  Unzer  Ihre  Metaphysik  erhielt,  erfuhr  ich  durch 
Röer,  doch  in  ungewissen  Ausdrücken,  und  ich  war  damit  sehr  wohl  zufrieden,  weil 
Hörn ey er  noch  bis  diesen  Augenblick  die  Erlaubniß  nicht  hat,  einen  Buchhandel  an- 


*)  1  S.    4°.     H.  Wien. 
2)  3  S.    4°.    H.  Wien. 


Februar  1828.  167 


zulegen,  wodurch  die  Herausgabe  des  Buchs  verspätet  worden  wäre,  wenn  er  es 
erhalten  hätte.  Was  Sie  mir  von  Ihrer  gegenwärtigen  Stimmung  schreiben,  finde 
ich  so  natürlich,  daß  ich  Ihnen  göttliche  Kräfte  zutrauen  müßte,  wenn  ich  es  anders 
finden  sollte,  obgleich  ich  Ihnen  schon  übermenschliche  zutraue.  Hätte  ich  die 
Musik  nicht,  mein  Meines  Licht,  das  noch  dazu  von  Ihrem  Öl  sich  nährt,  wäre  längst 
erloschen ;  doch  diese  Kunst  und  ein  unverwüstliches  Vertrauen  zu  der  Menschheit, 
was  eigentlich  ein  Vertrauen  ist  zu  dem  Plane  der  Gottheit  mit  der  Erziehung  des 
Menschengeschlechtes  —  giebt  mir  immer  neuen  Muth  und  Heiterkeit.  Dazu  kommt 
die  Liebe  für  drei  bis  vierhundert  junge  Leute,  auf  die  ich  Einfluß  habe  durch 
meinen  Unterricht,  und  die  mich  wieder  lieben  —  und  so  gehts  denn  einigermaßen 
in  Gesellschaft  des  unverwüstlichen  Körpers,  den  ich  um  habe,  den  einzigen  Freitag 
ausgenommen,  wo  ich  nach  sieben  Vorlesungen  und  fünf  Arbeitsstunden  herzlich 
müde  bin.  Montag  und  Donnerstag  Nachmittag  von  4  Uhr  an  tröste  ich  mich  da- 
gegen bei  der  Frau  von  Bülow,  einer  seit  neun  Jahren  von  mir  selbst  gezogenen, 
trefflichen  Sängerinn,  die  mein  schwer  zu  befriedigendes  Urtheil  doch  gar  manchmal 
übersteigt  und  mich  mit  der  Wirklichkeit  ||  idealer  Kunstdarstellung  täuscht.  Diese 
Frau  von  Bülow  ist  eine  Schwägerin  des  Preußischen  Geheimraths  von  Kamptz,  den 
ich  vor  ein  Paar  Jahren  hier  kennen  gelernt  habe.  Zuweilen  versuche  ich  selbst 
eine  Komposition  bald  in  dieser,  bald  in  jener  Stylart  bis  sogar  zum  Liede  herab.  Die 
letzte  Komposition,  die  mir  am  gelungensten  schien,  war  ein  Miserere,  womit  wir 
unseren  Kapellmeister  vollständig  täuschten,  der  es  für  acht  italische  Arbeit  aus 
den  früheren  glänzenden  Zeiten  hielt.  Wüste  ich,  daß  Ihnen  dergleichen  Freude 
machte,  so  würde  ich  irgend  eine  Buchhändlergelegenheit  benutzen,  um  Ihnen  eine 
Abschrift  zu  senden. 

Über  dieser  Kunst  und  über  der  Freude  an  meiner  Familie;  denn  ich  habe 
eine  treffliche  Frau  und  gute,  talentvolle  Kinder  —  vergesse  ich  gar  oft  den  'Druck 
der  Zeiten  und  die  unsägliche  Verblendung,  die  fast  allenthalben  herrscht.  Wann 
wird  sich  das  ändern?  Hätten  Sie,  hätte  ich  das  Bessere  beschleunigen  können?  Ich 
muß  es  bezweifeln.  [Künftige  Zeiten  werden  anerkennen,  was  die  jetzigen  ver- 
schmähen, und  daß  wir  dann  nicht  mehr  sind,  wird  wohl  nicht  sehr  viel  zu  be- 
deuten haben. 

Ich  sehe  größtentheils  mit  Ihren  Augen  in  das  wissenschaftliche  Getreibe  der 
gegenwärtigen  Welt  und  darnach  können  Sie  beurtheilen,  welchen  Eindruck  es  auf 
mich  macht.  Hat  doch  sogar  der  liebe,  Ihnen  wohlwollende  Jean  Paul  in  der 
Seiina  Sie  ganz  misverstanden.1)  Können  Sie  eine  tüchtige  Recension  meiner  Ästhetik 
veranlassen,  so  werde  ich  es  dankbar  erkennen.  Ich  wundere  mich  doch  einiger- 
maßen ||  darüber,  daß  das  Buch  jetzt  schon  vergessen  scheint;  es  steht  doch  wahr- 
lich nicht  hoch  genug  dazu.  Röer  schreibt  mir  in  seinem  einzigen  Briefe  aus 
Königsberg  etwas  ausführlicher  Ihr  Urtheil  über  mein  Buch;  aber  trotz  dem  wünsche 
ich  Sie  Selbst  zu  hören  über  meine  letzten  Einwürfe.  Ich  meinte  nämlich,  wenn 
man  sich  gar  keinen  allgemeinen  Begriff  von  einer  Idee  bilden  dürfe,  so  müsten  die 
Verhältnißglieder  Einzelvorst eilungen  sein,  und  es  gäbe  als  dann  z.  B.  keine  all- 
gemeine Idee  des  reinen  Dreiklangs,  die  in  allen  Tonhöhen  giltig  sei  u.  s.  w.  Erzeigen 
Sie  mir  die  Wohlthat,  mich  von  dem  Irrthume  zu  heilen,  wenn  einer  darin  ist.    In 

*)  In  „Seiina,  oder  über  die  Unsterblichkeit  der  Seele"  von  Jean  Paul  findet 
sich  folgende  Stelle:  „Herbart  und  andere  lassen  dem  Ich  keine  Verschiedenheit  der 
Seelenvermögen  zu;  aber  ist  bei  einem  einfachen  Wesen  oder  einer  Kraft  denn 
Verschiedenheit  der  Zustände  gedenklicher?  Oder  auch  bei  verschiedenen  Wesen 
Unterschiede  ihrer  Kräfte  selber?  Und  wohnet  nicht  in  der  Einfachheit  des  höchsten 
Wesens  die  ganze  Unermeßlichkeit  aller  Kräfte  und  Zeiten,  wogegen  das  All  zur 
Endlichkeit  einschwindet ?" 


i68  Mai  l828- 

meinem  vorigen  Briefe  war  ich  darüber  etwas  weitläufiger.  Daß  Röer  kränkelt,  ist 
mir  sehr  leid,  weil  er  nun  Sie  und  Ihre  Vorträge  nicht  gehörig  wird  benutzen 
können.  Doch  wird  ihn  sein  Vater  nun  wohl  noch  länger  als  bis  Ostern  da  lassen. 
"Wenn  Sie  ihn  sehen,  so  sagen  Sie  ihm  ein  freundliches  Wort  von  mir.  Zum 
Schreiben  habe  ich  heut  keine  Zeit  mehr,  aber  nächstens  soll  er  auch  einen  Brief 
haben.     Noch  eins: 

Röer  schreibt  mir  unter  anderem,  daß  Sie  jetzt  den  J.  S.  Bach  hoch  halten  || 
höher  als  sonst.  Wäre  ich  bei  Ihnen,  ich  dürfte  hoffen,  Ihnen  zuweilen  Freude  zu 
machen  durch  den  Vortrag  seiner  Komposizionen  für  die  Orgel  auf  diesem  Instru- 
mente selbst.  Alle  diese  erhabenen  Werke  sind  nie  gedruckt  und  nur  von  sehr 
wenigen  gekannt. 

Schreiben  Sie  mir  recht  bald  wieder.  Ein  Brief  von  Ihnen  macht  den  Tag, 
an  dem  ich  ihn  erhalte,  zum  Festtage.  Mit  der  größten  Hochachtung  und  Dank- 
barkeit Ihr  Griepenkerl. 

22. — 24.  März:  Bericht  über  das  Seminar.     S.  Bd.  XIV.     S.   266 — 271. 

20.  April:  Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar.     S.  Bd.  XIV.     S.  273 — 279. 

318.    Jäsche  an  H.1)  Dorpat  den  3ten  May  1828. 

Hochzuverehrender  Herr  Professor! 
Welche  Freude  die  Leipziger  Becension  meiner  beyden  letztern  Schriften  mir 
gemacht,  und  wie  sehr  ich  mich  für  das  viele  darin  gefundene  Belehrende  und  Er- 
munternde gegen  den  Verfaßer  derselben  zu  dem  achtungsvollsten  und  aufrichtigsten 
Danke  verpflichtet  fühle,  hatte  ich  Ihnen,  Verehrtester  Herr  Profeßor,  als  dem  von 
mir  sogleich  erkannten  Verfaßer,  bald  darauf,  nachdem  ich  die  gedachte  Recension 
zu  Gesichte  bekommen,  mit  aller  ihr  gebührenden  Aufmerksamkeit  gelesen,  und  nach 
ihrem  gediegenen  Inhalte  erwogen,  durch  den  Herrn  Schuldirector  Struve  bezeugen 
lassen.  Diese,  privatim  gegen  Sie  selbst  geäußerten  Gesinnungen  habe  ich  nun  auch 
öffentlich  in  der  Vorrede  zu  dem  2ten  so  eben  erschienenen  Bande  vor  dem 
Publicum  meiner  Leser  bekannt,  wo  Sie  denn  auch  finden  werden,  daß  ich  die  in 
der  Recension  für  mich  enthaltenen  Belehrungen,  Winke  und  Fingerzeige  zum  Theil 
jetzt  schon  beachtet  und  benutzt  habe. 2)  Zu  noch  sorgfältigerer  und  ausführlicherer 
Berücksichtigung  und  Benutzung  werde  ich  indeßen  noch  mehr  Anlaß  und  Auf- 
forderung im  3ten  das  Werk  erst  beschließenden  Bande  finden,  welcher  mit  der  Ge- 
schichte unsrer  modernen,  idealistisch  pantheistischen  Speculationen  beginnen,  und 
mit  dem  Versuche  einer  Würdigung  ihres  theoret.  und  praktischen  Weithes  endigen 
wird.3)  Nach  meinem  Anfangs  gefaßten  Vorsatze  und  vorläufig  auch  schon  ent- 
worfenen Plane  sollte  mit  dem  2ten  Bande  das  Ganze  bereits  geschloßen  seyn.  Aber 
ich  hatte  diesen  Vorsatz  bald  nach  Erscheinung  des  ersten  Bandes  wieder  aufgegeben. 
In  diesem  veränderten  Entschluße  haben  mich  die  bedeutenden,  gar  sehr  zu  be- 
achtenden Belehrungen  und  Zurechtweisungen  die  Ihre  Recension  von  so  gediegenem 
Inhalte  für  mich  enthält,  nicht  wenig  bestärken  müßen.    Auch  möchte  ich  doch  eine 

x)  4  S.  4°.  H.  Wien.  —  G.  B.  Jäsche  (1762—1842),  Prof.  der  Philosophie'  in 
Doipat,  vgl.  Allg.  d.  Biogr.  13,  S.  730.  —  Wegen  der  Briefe  Herbarts  an  Jäsche 
hatte  ich  mich  an  Hrn.  Prof.  Kvaöala  in  Dorpat  gewandt.  Er  hatte  die  Güte,  beim 
noch  lebenden  Sohne  des  Staatsrats  Jäsche  Nachfrage  zu  halten,  leider  vergeblich, 
so  daß  man  annehmen  muß,  daß  die  Briefe  Herbarts  an  Jäsche  nicht  mehr  vor- 
handen sind. 

2)  Der  Pantheismus  nach  seinen  verschiedenen  Hauptformen,  seinem  Ursprünge 
u.  Fortgange,  seinem  speculativen  u.  praktischen  Wert  u.  Gehalt  von  G.  B.  Jäsche, 
2.  Bd.,  Berlin  1828.  S.  VI  u.  ö. 

8)  Ebenda  3.  Bd.,  Berlin  1832,  S.  XVIII  u.  ö. 


Mai   1828.  169 

Weile  noch  gern  zusehen,  wie  sich  die  Modephilosophie  unsrer  Zeit  in  der  Schule 
der  Hegel'schen  logischen  Metaphysik  oder  metaphys.  Logik  noch  weiter  gestalten,  und 
wohin  ihre  Herrschaft  sich  noch  wird  erstrecken  wollen.  Die  phantastische  Idee  der 
absoluten  Identität  scheint  ihre  Rolle  nun  wohl  bald  ausgespielt  zu  haben;  wenigstens 
sollte  man  denken:  es  könne  das  Spiel  damit  nicht  noch  weiter  getrieben  werden, 
sondern  die  Hegeische  objective  Logik  bilde  bereits  das  letzte  Glied  in  der  neuen 
goldenen  Kette,  welche  wie  sich  Bouterwek  in  einem  neuerlichen  Schreiben  an  mich 
so  tröstend  ausdrückte  ,.die  schwärmenden  Sophisten,  deren  neuestes  Oberhaupt  von 
Berlin  aus  glänzt,  gleich  den  alexandrinischen  Neuplatonikern,  vorstellen  wollen,  in 
welcher  der  Nachfolger  nur  die  Vorgänger  übertreffen  und  berichtigen  will."  Be- 
sonders begierig  bin  ich  indessen  doch,  welche  Wendung  nunmehr  Schelling  seinem 
System  noch  geben  werde.  Daß  er  es  im  Wesentlichen,  dem  Inhalte  und  der  Sache, 
wie  der  Form  nach,  geändert,  und  daß  er  auch  bald  damit  vor  dem  philosophischen 
Publicum  öffentlich  auftreten  wird,  darüber  habe  ich  soeben  eine  authentische  Ver- 
sicherung von  ihm  selbst  erhalten,  da  Er  mir  durch  meinen  Freund  und  Collegen 
Morgenstern,  welcher  bey  seynem  Aufenthalte  in  München  ihn  besuchte  hat  sagen 
lassen:  Er  wünsche,  ich  möge  mit  der  Herausgabe  des  2ten  Bandes  so  lange  noch 
warten,  bis  Er  sein  im  Wesentlichen  verändertes  System  bekannt  gemacht  habe. 
Ich  muß  also  doch  wohl  die  angekündigte  neue  merkwürdige  Erscheinung  am  Himmel 
unserer  deutschen  speculativen  Philosophie  abwarten,  um  zu  sehen,  wo  unser  Natur- 
philosoph jetzt  seine  neue  bleibende  Wohnung  wird  aufgeschlagen  haben,  nachdem 
er  selbst  wohl  irme  geworden  seyn  muß,  ,,daß  er  seine  alte  verlassene  Wohnung  — 
wie  Sie  sich  so  wahr  und  tröstend  ausdrücken  —  gerade  in  der  Mitte  des  Labyrinths 
aller  Widersprüche,  aus  welchem  die  Metaphysik  herausführen  soll,  aufgeschlagen 
habe,  da  die  mit  Spinoza  von  ihm  angenommene  Universal -Substanz  das  Centrum 
aller  Widersprüche  sey.u  —  Daß  auch  ich  eine  solche  Universal- Substanz  für  das 
Centrum  aller  Widersprüche  halte,  darüber  habe  ich  meine  Meinung  bey  Beurtheilung 
der,  von  mir  ihren  wesentlichen  Hauptstücken  nach  dargestellten,  metaphysischen 
Lehre  des  Spinoza  deutlich  und  nachdrücklich  genug,  wie  ich  glaube,  aus  ||  gesprochen.  — 
Gilt  es  demnach  nur  einen  zu  bestehenden  Kampf  gegen  die  erwähnte,  nur  dem 
äußern  Anschein  nach  furchtbare  Riesengestalt  der  Speculation:  so  stehe  ich  Ihnen 
als  Streitgenoße  getreulich  zur  Seite,  und  mache  mit  Ihnen  gemeinschaftliche  Sache 
gegen  ein  Philosophem,  welches  in  directer  Opposition  auch  gegen  die  Grundlehren 
des  kritischen  Idealismus  und  die  demselben  eigene  Methode  des  Philosophirens 
steht,  indem  ich  Ihnen  aus  voller  Ueberzeugung  das  in  Ihrer  Recension  meines 
Buchs  gefällte  Urtheil  nachspreche;  „daß  die  Art  von  Totalität,  welche  die  Philo- 
sophie nur  durch  Pantheismus  erreichen  könnte,  ein  ganz  falsches  Ideal  sey,  weil  hier 
die  Philosophie  das  an  sich  Ungleichartige,  welches  gesondert  einander  gegenüber 
zu  stellen,  ihr  obliegt,  in  eine  chaotische  Masse  zusammenzwängt,  wodurch  alle 
wahre  Erkenntniß  verloren  geht."  —  Mit  dem  Ausspruche  von  der  Verwerflich- 
keit jeder  auf  Einheit  und  Ganzheit  Anspiuch  machenden  Philosophie  sollte  daher 
auch  wirklich  mehr  nicht  als  nur  meine  kategorische  Protestation  gegen  jede  posi- 
tive Wissenschaft  und  Theorie  der  AllEinheit  oder  absoluten  Identitätslehre,  erklärt 
seyn,  welche  Erklärung  in  dieser  bestimmten  Bedeutung  und  Beziehung,  dann  auch 
mit  der,  am  Schluße  des  ersten  Abschnittes  vorläufig  angedeuteten  Absicht  und 
Tendenz  meines  Unternehmens  in  vollkommenem  Einklang  steht.  Bey  dieser 
Protestation  werde  ich  freilich ,  auch  Ihrer  dankenswerthen  Warnungen  eingedenk 
und  dieselben  beachtend,  mich  wohl  vorzusehen  haben,  durch  unbehutsame  Äusse- 
rungen und  Behauptungen  den  Gegnern  nicht  so  weit  mich  hinzugeben,  um  ihnen 
gewonnenes  Spiel  zugestehen  zu  müssen,    denn  ich  sehe  mit  Ihnen  gar  wohl  ein, 


i7o 


Mai   1828. 


daß  zu  Ueberwältigung  des  Pantheismus,  da  derselbe  sich  keineswegs  damit  be- 
gnügt, wie  Sie  so  richtig  bemerken,  bloß  eine  Lücke  des  Wissens  zu  bezeichnen, 
sondern  in  ihm  vielmehr  die  Behauptung  eines  positiven  Wissens  liegt,  Wissen  gegen 
Wissen  auftreten  muß;  Dämlich  ein,  seine  Lücken  und  Gränzen  anerkennendes,  der 
Ergänzung  seiner  Mängel  durch  einen  vernünftigen  Glauben  nothwendig  bedürfendes 
Wissen,  gegen  ein  positives,  unbeschränktes  All  wissen,  das  jede  Ergänzung  durch 
einen  vernünftigen  Glauben  verschmäht.  Durch  die  erklärte  Notwendigkeit  der 
Aufhebung  eines  solchen  grundlosen  und  gehaltleeren  Wissens  soll  nun  aber,  auch 
nach  Kants  Absicht,  dem  unabläßigen  Wahrheitsforscher  keineswegs  die  Aussicht  auf 
die  (wie  Sie  in  Ihrem  Lehr  B.  z.  Einl.  sich  erklären)  in  der  That  unermeßlichen 
Erweiterungen,  welche  dem  speculativen  Wissen  noch  bevorstehen,  verschloßen  werden, 
weil  ja  durch  das  Fortschreiten  in  dem  auf  den  Feldern  der  Psychologie  und  Natur- 
philosophie erreichbaren  Wissen  der  Gegensatz  zwischen  dem  ins  Unendliche  hinaus 
mehr  und  mehr  Erklärbaren,  und  dem  stets  auf  gleiche  Weise  Unerklärlichen,  nicht 
nur  nicht  aufgehoben,  sondern  vielmehr  Ihrer  in  der  angeführten  Stelle  aus- 
gesprochenen Ueberzeugung  zu  Folge,  in  seiner  Erhabenheit  empfunden  wird. 
Darum  kann  und  darf  ich  auch  die  grundlosen  Besorgniße  über  Verminderung  des 
Glaubens  durch  Fortschreiten  des  Wissens  mit  dem  vortrefflichen  Jacobi  nicht  theilen ; 
wiewohl  derselbe  Jacobi,  welcher  in  Einstimmung  mit  Kant  sich  wieder  zum  Theis- 
mus, der  die  Vernunft  faul  und  verkehrt  macht,  und  dagegen  für  den  ächten,  den 
Platonischen  Theismus  erklärte,  welcher  mit  nichten  ein  solcher  Verführer  ist, 
sondern  im  Gegentheil  im  strengsten  Verstände  und  ohne  irgend  einen  Abbruch  der 
Wissenschaft  gibt,  was  der  Wissenschaft,  und  Gott  oder  dem  Geiste,  was  Gottes 
und  des  Geistes  ist,  durch  dieses  Bekenntuiß  auf  dasjenige  Wissen  hindeuten  wollte, 
gegen  welches  allein  nur  eine  paradoxe  misologische  Behauptung  von  einem,  dem 
religiösen  Glauben  feindseligen  Interesse  der  Wissenschaft  gerichtet  seyn  solle. 

Wie  ich  nun  hiernach  in  Anerkennung  der  Unvertilgbarbeit  des  Gegensatzes 
zwischen  ||  Wissen  und  Glauben  meine  Ansichten  und  Ueberzeugungen  mit  den  Ihrigen 
übereinstimmend  finde:  so  ist  dieses  auch  der  Fall  in  Anschauung  der  anzu- 
erkennenden Nothwendigkeit  den  theoretischen  Theil  des  Systems  von  seinem  prak- 
tischen scharf  und  bestimmt  zu  sondern.  Ich  hatte  mich  über  diesen  Punct  bereits 
in  meiner  Ethik  in  dem  von  Ihnen  citirten  §  58  auf  eine  Weise  erklärt,  die  Ihren 
Beyfall  erhalten  hat,  da  auch  ich  die,  der  praktischen  Philosophie  eigenthümlichen 
Ideen  von  Werth  und  moralischem  Zweck  in  ihrer  Unabhängigkeit  von  jeder  bloß 
theoretischen  Speculation,  welcher  diese  Ideen  gänzlich  fremd  sind,  anerkenne,  und, 
gleich  Ihnen,  die  Idee  der  Würde  der  Persönlichkeit,  die  Ihre  Sprache  den  ächten 
aesthetischen  Begriff  nennt,  für  den  Grundgedanken  und  das  höchste  Axiom  aller 
ethischen  Lehre  von  Seiten  ihres  Gehaltes  erkläre:  so  würden  wir  uns,  wie  Sie 
selbst  auch  voraussetzen,  über  die  eigentlichen  Werthbestimmungen,  wohl  ziemlich 
leicht,  wenigstens  in  gewissem  Betracht,  vereinigen.  —  Wegen  der,  durch  allerley 
Winkelzüge  und  Windungen  hin  und  her,  doch  nicht  zu  verbergenden  feindlichen 
Stellung,  welche  der  Pantheismus  gegen  eine  Ethik  nimmt,  die  sich  nicht  in  eine 
bloß  speculative  Lehre  will  umschaffen  lassen,  wird  nun  allerdings  wohl  mein  ernst- 
liches Bestreben  darauf  gerichtet  seyn  müssen,  für  den  Zweck  der  Würdigung,  auch 
des  praktischen  Gehalts  der  verschiedenen  pantheistischen  Systeme,  die  nöthige  Um- 
sicht auf  den  verschiedenen  Feldern  der  Systeme  der  praktischen  Philosophie  an  den 
Tag  zu  legen,  und  dergestalt  Ihrem  gerechten  Wunsche  auch  in  diesem  Betracht 
ein  Genüge  zu  leisten.  In  wie  weit  ich  nun  aber  überhaupt  in  meiner,  vom 
theoretischen  und  praktischen  Standpuncte  zu  versuchenden  Kritik  des  Pantheismus 
Ihre  Forderungen  und  Erwartungen  theils  nach  dem  Maaße  meiner  Kräfte  und  Ein- 


Mai   1828.  iyi 

sichten,  theils  in  Angemessenheit  mit  meinen  eigenen  philosophischen  Ansichten  und 
Ueberzeugungen  werde  befriedigen  können,  muß  ich  nun  Ihrem  competenten  Urtheile 
darüber,  auf  dessen  Billigkeit  und  Partheylosigkeit  ich  mit  Zuversicht  rechne,  für 
die  Zukunft  überlassen.  Freilich  werden  Sie  bey  mir  immer  noch  fortwährend  ein 
merkliches  Uebergewicht  der  Kantischen  Vorstellungsarten  antreffen,  die  mich  dem 
Tadel  der  Befangenheit  aussetzen,  wo  es  darauf  ankommt,  andere  Ansichten  vor- 
urtheilsfrey  zu  prüfen.  Vielleicht  hindern  mich  sogar  jene  mir  angeeigneten  und 
mit  meinem  Gedankensystem  innig  verwebten  Vorstellungsarten,  wie  ich  besorge,  an 
der  klaren  und  richtigen  Auffassung  so  mancher  neuern,  von  denselben  in  mehr 
denn  Einem  wesentlichen  Puncte  abweichenden  Ansichten.  So  muß  ich  dem,  in 
meinen  Augen  höchst  achtungswerthen  und  verdienstvollen  philosophischen  Denker 
und  Schriftsteller,  vor  dessen  Scharfsinne  und  Energie  der  Denkkraft  ich  mich  beuge, 
diesem  philosophischen  Originaldenker  selbst,  den  ich  in  Ihrer  Person,  Hoch- 
zuehrender Herr  Professor  verehre,  muß  ich  das  aufrichtige  Geständniß  ablegen, 
daß  ich  Ihm  auf  dem,  zu  tieferer  Begründung  und  fortschreitender  Erweiterung  des 
Wissens  in  den  Gebieten  der  Psychologie  und  Naturphilosophie  betretenem  "Wege 
nicht  folgen  kann.  Auf  diesem  Wege  dem  Führer  nachzugehen,  in  so  weit  dieser 
Weg  unter  Vermittelung  einer  mathematischen  Behandlungsweise  psychologischer 
Begriffe  zu  einer  Statik  und  Mechanik  des  menschlichen  Geistes,  als  evidenter 
Wissenschaft,  führen  soll,  davon  hält  außer  dem  Gefühl  des  eigenen  Unvermögens 
zu  dem  dazu  erforderlichem  Scharf-  und  Tiefsinne,  so  wie  des  Mangels  an  tiefern 
dazu  nöthigen  mathematischen  Einsichten,  auch  noch  eine  gewisse  Scheu  und  Furcht 
mich  zurück,  von  der  Sie  die  hauptsächlichste  Ursache  bald  errathen  werden,  wenn 
Sie  sich  hier  an  die  eine  Ihrer  im  Lehrb.  z.  Einl.  pp.  gemachten  Bemerkungen  er- 
innern: „„es  schwebe  die  Freyheit  in  Kants  Sinne  so  sehr  ||  auf  der  Spitze  des 
ganzen  Kantischen  Systems,  daß  diejenigen  sich  sehr  hüten  mögen,  sie  nicht  zu  ver- 
lieren, die  auch  nur  im  mindesten  von  Kant  abweichen.  ||  ||  Zwar  soll  ich  von  Kant 
hier  und  da  wirklich  abgewichen  seyn,  und  mich  durch  Jacobi  zu  einem  Pseudo- 
oder  Halb-Kantianer  haben  umtaufen  lassen,  wie  die  gegen  die  sogenannten  Halb- 
Kantianer,  und  namentlich  gegen  mich,  als  den  Vf.  d.  G.  d.  Panth.  gerichtete  Streit- 
schrift des  Prof.  Ritter  unserm  philosoph.  Publicum  mich  denuncirt.  —  Dem  sey 
indessen,  wie  ihm  immer  wolle;  —  diese  Abweichung  ist  doch  sicherlich  nicht  so 
weit  gegangen,  daß  ich  die  Freyheit  in  Kants  Sinne  darüber  verloren  hätte;  so  wenig 
als  ich  dadurch  mich  genöthiget  gesehen  habe,  den  anthropologischen  Standpunct  zu 
verlassen,  welchen  Kant  für  den  nach  kritischer  Methode  Philosophierenden  ge- 
nommen wissen  will.  In  der  bey  mir  immer  noch  unerschütterlich  feststehenden 
Ueberzeugung:  es  müsse  die  Philosophie  die  psychologische  Richtung  nicht  wieder 
verlassen,  stimmt  vielmehr  unverändert  mein  philosophisches  Credo  immer  noch  in 
den  Chor  meiner  Schule  ein;  und  es  steht  meine  Stimme  im  Einklänge  mit  den 
lauten  Stimmen  mehrerer  achtungs weither  Denker  aus  jener  Schule,  namentlich 
und  vornehmlich  des  verewigten  L.  L.  E.  Schmids,  sowie  Krugs,  Fries,  Bouter- 
weks,  von  welchen  die  anthropologische  Methode  als  das  Jos  fioi  tiov  axw  für  die 
Kunst  des  Philosophirens  gepriesen  wird.  —  Diese  meine  fortdauernde  Anhänglich- 
keit an  die  gedachte  Methode  und  die  ihr  gemäß  zu  nehmende  Richtung  des  Philo- 
sophirens kann  und  soll  mich  indessen  doch  nicht  abhalten,  bey  meinem  versuchten 
Angriffe  auf  die  Burg  des  Pantheismus  (nach  einem  von  Ihnen  gebrauchten  Bilde) 
den  Standort  zu  wählen,  den  Sie  mir  in  der  Recension  als  vortheilhaft  empfehlen 
und  anweisen;  auch  in  diesem  Kampfe  mit  unserm  gemeinschaftlichen  Feinde 
hauptsächlich   der  Waffen  mich   zu   bedienen,   deren  Gebrauch   Sie    mir   anrathen, 

J)  A.  H.  Ritter,  Die  Halbkantianer  u.  der  Pantheismus  1827. 


172  Juli   1828. 

indem  Sie  mir  die  Rüstkammer  zeigen,  wo  diese  Waffen  zu  finden  sind.  Die  Stärke 
der  von  Ihnen  bezeichneten  Waffen,  welche  die  Kantische  Kritik  der  speculativen 
Theologie  zu  Besiegung  des  Pantheismus  mit  ihrem  richtigen  Begriffe  vom  Seyn, 
und  einer  wahren  darauf  sich  gründenden  Ontologie  darbietet;  einer  Seynslehre,  die 
allerdings  mit  keinem  Pantheismus  sich  verträgt,  habe  ich  durch  unsern  Tiefdenker 
Krause,  sowie  durch  Ihre  klare  Darstellung  und  gründliche  Beurtheilung  der 
Eleatischen  Lehre  vom  Seyn  nun  erst  recht  kennen  gelernt.  So  will  ich  denn  auch 
diese  Waffen  mit  so  viel  Geschicklichkeit  und  Gewandtheit  und  so  viel  Aufwände 
von  Kraft  zu  handhaben  suchen,  als  es  mir  in  meinem,  bereits  über  die  Mitte 
zwischen  dem  6ten  u.  7teu  Jahrzehend  hinausgehenden  Lebensalter,  nur  immer 
noch  vergönnt  sein  wird. 

Gern  möchte  ich  noch  eines  und  des  anderen  Punctes  gedenken,  den  ich  für 
meinen  auszuführenden  Zweck  von  vorzüglicher  Bedeutung  und  Wichtigkeit  in  Ihrer 
Recension  gefunden;  besonders  was  Sie  an  einer  Stelle  von  einem  gewissen  Vor- 
zuge des  Panth.  in  Beziehung  auf  das  Räthsel  vom  Ursprünge  des  Bösen  erwähnen; 
worüber  Sie  selbst  uns  eine  sehr  beachten  swerthe  und  intereßante  Ansicht  gegeben 
haben.  Abei  ich  will  mir  dies  nebst  allem  dem  Uebrigen,  worüber  ich  Ihnen  noch 
Rechenschaft  zu  geben  schuldig  bin,  lieber  für  den  Schluß  meines  Werkes  vor- 
behalten. Sollte  es  Ihnen  gefallen,  wie  ich  nicht  nur  wünsche,  sondern  auch  zu 
hoffen  geneigt  bin,  auch  den  2ten  Band  meines  Buchs  vor  Ihren  Richterstuhl  zu 
ziehen  durch  eine  öffentliche  Anzeige  und  Beurtheilung:  so  werde  ich  gewiß  alle 
Ihre  Bemerkungen,  Erinnerungen  und  Zurechtweisungen,  die  ich  darin  für  mich 
finde,  eben  so  dankbar  wie  die  in  der  Reo.  des  ersten  Bandes  aufnehmen,  und 
Ihnen,  Hochgeehrter  Herr  Professor!  dadurch  einen  Beweis  von  den  Gesinnungen 
hoher  und  gerechter  Achtung  geben,  mit  welchen  ich  die  Ehre  und  das  Glück  habe 
mich  zu  unterzeichnen  als  Ihren  aufrichtigen  Verehrer 

Jäsche. 

319.     An    Drobisch.1)  Königsberg  24  Juli  1828. 

Wohlgeborner,  hochgeehrter  Herr  Professor!  So  kurz  und  beschränkt 
auch  die  Bekanntschaft  ist,  welche  mit  Ihnen  zu  machen  Sie  mir  gönnten, 
so  darf  ich  doch  nicht  bloß,  sondern  ich  muß  Ihnen  den  ersten  Band 
meiner  Metaphysik  zuschicken,  damit  Sie  nachsehen,  ob  das  Dortige  Sie 
Betreffende  Ihnen  genehm  ist. 2)  Durch  Hrn.  Unzer  werden  Sie  das  Buch 
bald  erhalten.  Sie  werden  es  schwerlich  durchlesen;  zu  viel  nothwendiges 
Uebel  ist  darin.  Eher  mag  der  zweyte  Theil,  den  ich,  so  gut  es  [gehen] 
wollte,  von  Polemik  rein  zu  halten  suchte,  lesbar  seyn.  Wollen  Sie  [aber] 
Sich  auf  die  Kritik  bisheriger  Naturphilosophie,  welche  sich  im  ersten 
[Buch  be] findet,  einlassen:  so  werden  Sie  mir  bei  genauerer  Ansicht 
vielleicht  einräumen,  daß  dies  das  Minimum  dessen  war,  was  gegen  die 
Dreistigkeit  so  weit   [greifender  Irrthümer  mußte  gesagt  werden. 

Kämen  Sie  zum  naturwissenschaftlichen  Convent  nach  Berlin:  so  hätte 
ich  vielleicht  bald  die  Freude  Ihrer  persönlichen  Bekanntschaft;  da  es 
nicht  unmöglich  ist,  daß  eine  Gesundheitsreise  mich  ungefähr  um  die  Zeit 
jener  Versammlung  an  denselben  Ort  hinführt.    Mit  größter  Hochachtung 

Ew.  Wohlgeboren   ergebenster     Herbart. 

5)   1   S.    2°. 

2)  S.  Bd.  VII,  S.  4  ff. 


August   1828.  173 

3.  Aug.:  Königsgeburtstagsrede  in  der  k.  deutschen  Gesellschaft  zu  Königsberg:  „Über 
die  allgemeinsten  Verhältnisse  der  Natur1'.     S.  Bd.  VI.     S.  341 — 35 r • 

320.    Studenroth  an  H.1)  Greifswald  am  5.  Aug.  1828. 

Wohlgeborner  Herr  hochzuehrender  Herr  Professor!  Als  ich  vorgestern  Abends 
nach  10  Uhr  von  einer  WasseTfarth  zurückkehrte,  fand  ich  den  zweiten  Theil  Ihrer 
Psychologie  vor.  Ich  las  noch  die  Vorrede.  Bey  Ihrer  Herzählung  der  Psychologie 
kam  ich.  auch  auf  die  achte,2)  die  mich  aber  nur  in  sofern  anstehen  ließ,  als  ich 
mich  auf  eine  solche  nicht  besinnen  konnte.  Ich  las  weiter,  und  erst  dann,  als  ich 
nichts  über  mich  fand,  —  denn  Ihr  Schweigen  auf  meinen  Wunsch  um  Ihre  Be- 
merkungen über  mein  Buch  haben  mich  ehrlicherweise  auf  die  Vermuthung  geführt, 
daß  Sie  vielleicht  im  2ten  Theil  etwas  über  sie  sagen  würden,  und  daß  der  ander- 
weitige sonstige  Inhalt  meines  Briefs  Ihnen  Besorgtheit  und  Antwort  unmöglich  ge- 
macht hätte  —  kehrte  ich  zu  jener  Stelle  zurück  und  fragte  mich,  ob  sie  viel- 
leicht gegen  mich  gerichtet  sey.  Gerade  der  Umstand,  daß  ich  kein  Buch  kannte, 
auf  welches  sie  auch  nur  mißbräulich  gehn  könnte,  machte  mir  die  Beziehung  auf 
mich  wahrscheinlicher  und  ich  nahm  sie  als  eine  solche  an.  Sie  ließ  mich  indeß 
ruhig,  und  ich  wollte  die  ganze  Sache  ruhen  lassen,  obgleich  in  ihr  zugleich  ein 
Vorwurf  gegen  die  Gesinnung  liegt,  über  dessen  Gültigkeit  Sie  vor  dem  Nieder- 
schreiben wohl  einige  nähere  Erkundigung  hätten  einziehen  können.  Da  ich  indeß 
von  anderen  die  Sie  in  Ihrer  Jugend  gekannt  haben,  über  Ihre  eigne  Gesinnung 
und  Strenge  gegen  sich  selbst  unterrichtet  worden  bin,  so  habe  ich  geglaubt,  Ihnen 
selbst  einen  Gefallen  zu  thun,  wenn  ich  Sie  über  die  Entstehung  meines  Buchs 
unterrichtete.  Sie  werden  alsdann  über  die  Nachahmung,  die  Entstellung  und  die 
Nichtanführung  Ihres  Lehrbuches  entscheiden  können. 

Zu  thun,  als  hätte  ich  Ihr  Buch  nicht  gelesen,  ist  mir  niemals  in  den  Sinn 
gekommen.  Habe  ich  es  nicht  genannt,  so  ist  es  geschehen,  weil  ich,  so  viel  ich 
weiß  und  wollte,  keine  Lebenden  genannt  habe.  Uebrigens  ist  schon  in  der  Vor- 
rede, da,  wo  von  ausdrücklicher  Anfechtung  der  Vermögenssysteme  die  Rede  ist,  auf 
Ihre  Verdienste  um  die  Psychologie  hingedeutet;  denn  auf  wen  konnte  man  dieses 
beziehen,  als  auf  Sie?  Eben  so  findet  sich  im  Buch  selbst  solcher  Beziehungen  und 
ausdrücklicher  Anführungen  Ihrer  Behauptungen  die  Menge.  Ihr  Buch  existirte 
seit  8  Jahren  und  jeder  bemerkte  selbst  schon,  ob  es  Einfluß  auf  mich  gehabt  hatte, 
oder  nicht.  Hätte  es  aber  auch  noch  größeren  Einfluß  auf  mich  gehabt,  als  es 
wirklich  gehabt  hat,  so  haben  Sie  mir  dennoch  aus  der  Nichtanführung  keinen  Vor- 
wurf ||  machen  können,  da  es  in  der  Philosophie  gar  nicht  Sitte  ist,  zu  sagen,  ich 
habe  dieses  von  dem,  und  jenes  von  jenem,  Dinge,  die  sich,  wenn  sie  wirklich  so 
anzusehn  sind,  von  selbst  offenbaren.  Jetzt  aber  zu  jenem  Einfluß  selbst.  Noch 
auf  der  Universität  war  das  Vermögensystem  durch  den  Streit  über  Verstand  und 
Vernunft,  in  welchem  ich  groß  gezogen  war,  mir  verdächtig  geworden,  und  ich  war 
bereits  zu  der  Ansicht  gelangt,  daß  man  gewisse  Richtungen  mit  ursprünglichem 
Vermögen  verwechsle,  daher  denn  der  eine  diese,  der  andre  jene  Richtung  mit  der 
wesentlichen  Function  eines  Vermögens  zu  erheben  oder  mißzudeuten  trachte,  und 
solches  Vermögen  selbst  in  seiner  wesentlichen  Bestimmtheit  aber  sich  keineswegs 
anstreben.  [?]  Als  ich  die  Universität  eben  verlassen  hatte,  erschien  Ihre  Psychologie, 
die  ich  noch  im  Sommer  1816  las.     Daß   mir  die  Kritik  der  Vermögen  erwünscht 


x)  3  S.  4°.     H.  Wien. 

8)  Die  Stelle,  durch  die  sich  Studenroth  durch  Herbart  verletzt  fühlte,  lautet: 
.,Und  ein  achtes  [Buch],  worin  mein  Lehrbuch  der  Psychologie  nachgeahmt  und 
entstellt,  aber  nicht  angeführt  wird.tv     S.  Bd.  VI,  S.  8. 


174  August   1828. 

war,  und  daß  sie  entscheidend  auf  mich  wirkte,  werden  Sie  nach  dem  eben  Ge- 
sagten leicht  selbst  erkennen.  Ob  aber  das  Positive  gleicherweise  auf  mich  gewirkt 
hatte,  ersehen  Sie  aus  der  3  Jahre  später  erschienen  sogenannten  Theorie  des 
Wissens,  in  welcher  S.  162—168  von  der  Psychologie  die  Eede  ist.  Was  mir  ge- 
wiß war,  war  daß  man  von  den  Vermögen  zu  abstrahieren  und  die  Erscheinungen  selbst 
nach  Wesen  und  Ursache  zu  untersuchen  habe.  Wie  dieses  geschehn  sollte,  darüber 
war  ich,  wie  jenes  Buch  lehrt,  gleichfalls  noch  nicht  im  Klaren.  Im  Sommer  1820 
fing  ich  in  Berlin  Psychologie  zu  lesen  an.  Ueber  die  analytische  Methode  war  ich 
mit  mir  eins.  Der  Gang  der  Vorlesung  aber  war  folgender:  Im  ersten  Abschnitt 
trug  ich  die  Anschauung,  sofern  sie  sich  psychisch  bildet  vor.  Dann  fing  ich  sogleich 
mit  der  Reproduction  an,  in  der  Ansicht,  daß  es  bey  einem  continuirlichen  Fluß  der 
Vorstellungen  keine  innere  Bildung  geben  könne  und  daß  daher  die  Reproduction, 
als  das  Fundament  aller  innern  Bildung  zuerst  analysirt  werden  müßte.  Ich  brauche 
nicht  zu  sagen,  daß  dieses  nichts  geben  konnte,  und  daß  ich  durch  die  Vorlesung 
selbst  aufmerksam  werden  mußte,  daß  ich  mehr  von  vorn  anzufangen  hätte.  Auch 
alles  Uebrige  war,  wie  es  sich  von  selbst  versteht,  unglaublich  schwach,  und  es  war 
schwach,  weil  ich  es  nach  meiner  Methode  zu  meiner  eignen  Ueberzeugung  selbst 
leisten,  nicht  aber  andern  r achbilden  wollte,  deshalb  blieb  auch  Ihre  Psychologie 
völlig  liegen,  wie  ich  überhaupt  immer  dann  aufhörte,  über  etwas  zu  lesen,  wenn 
ich  an  die  eigne  Traduction  ging.  An  eine  neue  Vorlesung  über  die  Psychologie 
kam  ich  erst  im  Sommer  1822,  denn  21  war  sie  zwar  angekündigt,  aber  bei  meiner 
Collision  mit  Schleiermacher  nicht  ||  zu  Stande  gekommen  und  in  der  Zwischenzeit 
war  ich  mit  der  Ausbildung  anderer  Vorlesungen  beschäftigt.  Jetzt  war  mein  Be- 
mühn,  die  Mängel  zu  ergänzen,  die  mir  früher  aufgefallen  waren.  Indem  ich  zu 
einfacheren  Erscheinungen,  zu  dem  was  bey  der  Reproduction  schon  vorausgesetzt 
wird,  zurückging,  fragte  ich  mich  welche  Erscheinung  die  einfachste  und  die  Be- 
dingung für  alle  andern  sey.  So  kam  ich  auf  das  Bewußtseyn.  Und  die  Unter- 
suchung über  dieses  änderte  im  Wesentlichen  alles  und  gewann  auf  die  ganze  An- 
sicht den  größten  Einfluß.  Die  Bewußtlosigkeit,  die  sich  in  der  Ohnmacht  und  in. 
anderen  Zuständen  zeigt,  führte  mich  zu  der  theilweisen  Bewußtlosigkeit,  die  sich 
im  Fortschreiten  des  Vorstellens  zeigt,  also  zu  der  Bewegung  der  Vorstellungen. 
Auf  die  Verbindung  und  Spannung  war  ich  durch  die  Reproduction  und  das  Denken 
aufmerksam  geworden,  daher  schlössen  sich  diese  Bestimmungen  als  nothwendig  voraus  zu 
betrachtende  an.  Als  ich  diesen  Abschnitt  gemacht  hatte,  las  ich  die  ersten  Capitel  in 
Ihrem  positiven  Theil  wieder,  nicht  um  sie  nachzuahmen,  denn  ich  hatte  meine  Forschung 
gemacht,  sondern  um  zu  sehen,  ob  ich  auch  alles  einfachere  beleuchtet  hätte,  wie  es 
meine  Absicht  war,  oder  ob  etwas  weggeblieben  war.  Weiter  habe  ich  Ihre  Psychologie 
weder  damals  noch  nachher  angesehn,  und  selbst  vom  1  sten  Theil  Ihrer  neuen  Psycho- 
logie habe  ich  nur  die  Einleitung  gelesen,  um  mir  für  den  zweiten  Theil  nicht  den  freien 
Blick  und  das  eigne  Sehen  zu  verderben.  Indem  ich  also  jene  Capitel  las,  fand  ich 
theils  einige  Folgen,  die  auch  aus  dem  meinigen  hervorgingen,  theils  einiges,  welches 
ich  noch  nach  meiner  Ansicht  zu  erwägen  hatte.  So  bildeten  sich  kleine  Einschiebsel, 
welche  Sie  als  solche  von  dem  lebendigen  Gange  des  Uebrigen  leicht  unterscheiden 
können.  Von  Reminiscenzen  aus  jener  ersten  Leetüre  erinnere  ich  mich  nur  Ihrer 
Ansicht  von  der  durch  die  Seele  dirigirten  bestimmten  Körperbewegung,  die  ich  um 
so  leichter  benutzt  habe,  ohne  sie  als  ein  fremdes  anzuzeigen,  als  sie  sich  im  Lauf 
der  Untersuchung  auch  hätte  ergeben  müssen.  Aus  dem  critischen  Theile  aber  ist  einiges 
auf  die  Zustände  eingeflossen.  Ob  dieses  alles  nun  hinreichte,  meine  Arbeit  für  eine 
fremde  zu  erklären,  ja  ob  überhaupt  unsre  Arbeiten  mehr  als  scheinbare  Zusammen- 
stimmung haben,   und  vielmehr  wesentlich  verschieden  sind,   wie  Sie  daraus  sehen 


September  1828.  175 


können,  daß  nach  Ihnen  die  Seele  nach  dem  Tode  in  Astra[?]  geräth,  nach  mir  aber 
ohne  neue  Verkörperung  gar  nichts  vorstellt,  das  überlasse  ich  Ihrem  Ermessen,  und. 
eben  so,   ob   der  Vorwurf  einer  Nachahmung  und  Entstellung  gerecht  ist.     Da  ich 
dieser  Auseinandersetzung  nichts  weiter  hinzuzufügen  habe,  so  schließe  ich  als 
Ew.  Wohlgeboren  gehorsamer  Diener  Prof.  Dr.  Studenroth. 

321.    Drobisch  an  H.1)  Leipzig  d.  9.  Septbr.  1828. 

Wohlgeborener  Hochgeehrter  Herr  Professor!  Die  höchst  ehrenvolle  Erwähnung 
meines  Namens  in  der  Vorrede  zu  Ihrer  Metaphysik  (welches  schätzbare  Geschenk 
ich  so  eben  erhalten  habe)  fordert  mich  auf  das  Stärkste  auf,  Ihnen  entweder  ver- 
bindlichst zu  danken  —  oder  freundschaftliche  Vorwürfe  zu  machen,  daß  Sie  mich 
mit  einem  so  'geringen  Verdienst  deu  Augen  der  Welt  biosstellen.  In  der  Thatr 
verehrter  Herr  Profeßor,  weiß  ich  nicht,  ob  Sie  diese  Lobsprüche  werden  vertreten 
können.  Es  bedurfte  für  Ihre  Abhandlung  weiter  nichts  als  offner  Augen  und  offnen 
Sinns  und  allenfalls  ein  wenig  Wohlwollens,  um,  wo  man  auf  die  erste  Ansicht  deu 
Sinn  nicht  gleich  recht  durchschaute,  zu  überlegen,  was  der  Verfasser  wohl  habe 
sagen  wollen.  Es  ist  sehr  traurig,  wenn  es  in  der  Philosophie  so  weit  gekommen 
ist,  daß  die  Recensenten  nicht  mehr  fähig  sind,  sich  den  Autoren  für  die  Zeit  der 
Leetüre  hinzugeben,  was  dem  Mathematiker  gar  nicht  anders  einfällt.  Man  kennt 
die  Schwächen  des  Feindes  doch  am  besten,  wenn  man  in  seinen  Reihen  gedient 
hat!  Möchte  ich  mir  nur  größere  Verdienste  um  Ihre  Psychologie  erwerben  können!  — 
Unterdessen  habe  ich  Ihre  Abhandlung  über  die  psychologische  Theorie  der  Ton- 
verhältnisse gelesen,  und  darüber  einen  Vortrag  in  unsrer  naturforschenden  Gesell- 
schaft gehalten,  der  wieder  mit  der  größten  Aufmerksamkeit  angehört  wurde  und 
eine  lebhafte  Discussion  veranlaßte,  an  der  unter  andern  Brandes  opponirend  An- 
theil  nahm;  ich  habe  aber  nicht  nöthig  gehabt  das  Feld  zu  räumen.  Jedoch  erlauben 
Sie  mir  ein  paar  Bemerkungen,  wie  sie  mir  eben  einfallen,  die  sich  mir  beim  Studium 
des  Aufsatzes,  welcher  mir  wirklich  recht  viel  Anstrengung  gekostet  hat  (mehr  als 
irgend  ein  Theil  Ihrer  Psychologie),  aufdrängten.  ||  Das,  was  ich  Ihrer  Psychologie 
gern  wünschen  möchte,  wo  nicht  um  ihrer  selbst,  doch  um  ihres  Ansehens  willen 
namentlich  bei  den  Mathematikern  —  physikalisch  pünetliche  Vergleichung  mit  der 
Erfahrung,  wird  doch  auch  nicht  durch  diese  sinnreiche  Theorie  der  Tonverhältnisse 
so  ganz  erzielt.  Es  ist  wahr  in  dem  grellen  Streit  zwischen  der  Einigungskraft  und 
dem  Gegensatz  erkennt  man  recht  klar  die  falsche  Quinte,  so  wie  in  der  vollständigen 
und  doch  nur  eben  zureichenden  Überwindung  dieses  Streites  die  reine  Quinte.  Die 
übrigen  Ton  Verhältnisse  lassen  sich  aber  weit  schwerer  erkennen,  selbst  die  Octave 
nicht  ausgenommen.  Denn  wiewohl  ich  einsehe,  daß  zwei  Töne,  in  denen  der 
Gegensatz  der  Gleichheit  mehr  als  völlig  unterliegt  (ich  weiß :  es  ist  nicht  ganz  genau 
gesprochen)  kein  effectvolles  Intervall  geben  können,  was  mit  dem  Wesen  der  Octave 
gut  stimmt,  so  widerstrebt  es  mir  doch  auf  der  andern  Seite  zuzugeben,  daß  c  und  <> 
im  vollen  Gegensatz  stehen  sollen,  da  sie  doch  so  einstimmig  sind.  Doch  vielleicht 
schreckt  mich  nur  das  Wort.  Denn  da  die  Octave  das  am  leichtesten  unterscheid- 
bare Intervall  ist,  so  muß  allerdings  das  Ungleiche  in  beiden  Tönen  das  Maximum 
erreichen.  Dies  eben  bei  Seite  gesetzt,  so  stoße  ich  auch  bei  Ihrer  Ableitung  der 
Secunde  mittels  der  Modification  durch  Verstärkung  an.  Die  Modificarion  selbst 
gebe  ich  zu,  aber  daß  ihr  Effect  auf  die  Höhe  des  Tones  auf  seine  Qualität  Einfluß 
haben  soll,  will  mir  nicht  einleuchten.  Endlich  muß  ich  gestehen,  überraschte  mich 
die  ganze  Anlage  der  Rechnung.     Töne  sind  einfache  Vorstellungen,   das  geben  Sie 

2)  4  S.    4°.    H.  Wien. 


iy5  September  1828. 


zu.  Gleichwohl  zerlegen  Sie  diese  einfachen  Vorstellungen  noch  einmal.  Ich  habe 
gegen  diese  Operation  gerade  nichts  einzuwenden,  da  Sie  dieselbe  nur  für  „eine  zu- 
fällige Ansicht'*  ausgeben;  allein  ich  kann  sie  nur  mit  zweierlei  Arten  von  mathe- 
matischen Verfahrungsweisen  vergleichen;  entweder  mit  der  Zerlegung  einer  ge- 
gebenen Kraft  in  andere  nach  beliebigen  Richtungen:  dann  ist  die  Ansicht  zwar 
auch  zufällig,  aber  die  Kräfte  sind  doch  angeblieh  nach  Stärke  und  Richtung,  nach 
Größe  und  Art:  sie  könnten  beide  wirklich  seyn:  ||  denn  wirkliche  Kräfte  lassen  sich 
in  der  That  zu  Einer  Kraft  zusammensetzen.  Die  Kräfte  der  Gleichheit  und  des 
Gegensatzes  im  einfachen  Ton  aber  sind  gar  nicht  wirklich:  denn  die  Töne  sind  ja 
schon  einfach.  Ich  kann  also  diese  Zerlegung  nur  mit  der  Zerfällung  eines 
algebraischen  Ausdrucks  in  zwei  unmögliche  Factoren  vergleichen  und  annehmen, 
daß  jene  Theile  als  Denkhülfen,  wie  jene  Factoren  als  Rechnungshülfen  zu  betrachten 
sind.  Dann  aber  wende  ich  ein:  Ihre  psychologische  Theorie  kennt  nichts  ein- 
facheres als  einfache  Vorstellungen:  wie  kommt  sie  dazu  unmögliche  Kräfte  zu  be- 
rechnen? —  Finden  Sie  diese  Bemerkungen  nicht  gar  zu  unbedeutend,  so  würde  es 
mir  sehr  belehrend  seyn,  wenn  Sie  mir  Aufklärung  darüber  gäben.  Meinten  Sie 
aber  gar,  daß  sie  eine  Gelegenheit  darböten,  auch  andere  über  das  "Wesen  Ihrer 
Psychologie  zu  unterrichten,  so  bin  ich  gern  bereit  über  Ihre  Theorie  der  Töne 
einen  kleinen  Aufsatz  zu  liefern,  wenn  Sie  mir  nur  anders  einen  schicklichen  Platz 
vorschlagen  können,  wo  die  Sache  Öif entlich  zur  Sprache  gebracht  werden  kann; 
wo  sie  dann  natürlich  Ihre  Erläuterungen  und  Widerlegungen  gleich  beifügten. 

Daß  Sie  meine  Zweifel  mit  Nachsicht  aufnehmen  werden,  glaube  ich  mit 
Zuversicht,  denn  Sie  forschen  nur  nach  Wahrheit;  meine  Bemerkungen  für  richtig 
zu  halten  bin  ich.  nicht  eitel  genug;  aber  das  kann  ich  mir  als  möglich  denken,  daß 
durch  ein  öffentlich  verhandeltes  pro  u.  contra,  selbst  wenn  das  letztere  schwach, 
ist,  das  Publicum  für  die  Sache  interessirt  wird,  und  die  Hauptansichten  in  besten 
Umlauf  kommen.  Vielleicht  entstünde  so  nach  und  nach  ein  Ganzes:  ein  commer- 
cium epistolicum  über  mathem.  Psychol.  Erlauben  Sie  nur  ooch,  daß  ich  Ihnen 
folgenden  Gedanken  vorlege:  Wenn  wir  Töne  anschlagen,  Lichtblitze  hervorbringen 
u.  dgl.  m.  so  erzeugen  wir  nach  Willkür  Vorstellungen  von  bestimmter  sogar  be- 
liebiger Stärke  und  wohlbekanntem  Gegensatz  (wenigstens  bei  den  Tönen).  Hören 
wir  dann  einen  schwachen  Ton  neben  zwei  starken  nicht,  so  drängen,  wie  ich  meine, 
die  letzteren  jenen  zur  Schwelle.  Sey  die  Stärke  der  Töne  a,  b,  c\  sey  a  =  b, 
c  =  t  Hemmungsgrad  zwischen  a  u.  b  =  p\  zwischen  a  u.  e  . .  .==«;  zwischen 
b  u.  c . . .  =  m,  so  ist  die  Hemmungssumme  —  pb-\-  ne;  ferner  in  der  Formel  (A) 
Psych.  I.   S.  192  *)  o  —  p;  t  =  n;    e  =  p  -\-  n;    rj  =  p  -\-  m\    &  —  ni  -f-  n  daher 


,  1  —  n   \_i  f\ß  —  n)2  j_  2  p  -\-m-\-n 

2  p  1/        4  p*  p(m-\-n) 

Gehöre  a  dem  Tone  c,  b  dem  Tone  g,  c  dem  Tone  e,  so  ist  ohngef ähr  p  =  -^, 
n  =  -^j-,  m  =  y7-^,  so  folgt  a  =  b  =  4,15;  also  e  u.  g  4  mal  so  stark  angeschlagen  als  c 
müßte  der  letztere  stets  unhörbar  werden.  Es  würde  sich  nun  wol  eine  Vorrichtung 
angeben  lassen,  wodurch  man  die  Stärke  der  Töne  so  ziemlich  in  die  Gewalt  bekäme, 
und  so  hätte  man  ja  Gelegenheit,  die  psychologische  Theorie  gleichsam  physikalisch 
zu  prüfen.     Vielleicht  ließe  sich  bei  Lichtkerzen  etwas  ähnliches  ausführen. 

Mögen  Sie  nun  veranlaßt  seyn,  meine  Gedanken  der  Beachtung  werth  zu  halten 
oder  zu  belächeln,  so  viel  werden  Sie  doch  wahrnehmen,  daß  ich  mich  für  den 
Gegenstand  aufrichtig  interessiere.  Vielleicht  bekomme  ich  künftig  noch  mehr  Muße 
dazu  als  ich  jetzt  habe,  wo  ich,  gleichsam  meine  hiesige  Anstellung  als  Lehrer  zu 

j)  S.  Bd.  V,  S.  303. 


September  1828.  177 


rechtfertigen,  im  Begriff  bin,  ein  Handbuch,  der  höheren  Analysis  auszuarbeiten,  und 
wo  mir  meine  Vorlesungen,  durch  die  ich  nach  Kräften  das  Studium  der  höhern 
Mathematik  zu  erheben  und  zu  beleben  suche  (es  lag  unter  dem  sonst  höchst  gründ- 
lichen und  gelehrten  Mollweide1)  fast  ganz)  nicht  wenig  Zeit  wegnehmen.  Doch  gebe 
ich  es  noch  nicht  auf,  über  mathematische  Psychologie  zu  lesen.  Ob  ich  ihr  jemals 
weide  intensiv  nützen  können,  wage  ich  nicht  zu  hoffen. 

Entschuldigen  Sie  den  langen  Brief  und  erlauben  Sie  mir,  mich  mit  aufrichtiger 
Verehrung  zu  nennen 

Ihren  ergebensten     M.  "W*.  Drobisch. 

N.  S.  Noch  an  dem  heutigen  Tage  habe  ich  von  der  Jen.  Lt.  Zeit,  eine  Ein- 
ladung erhalten,  für  Philosophie  theilzunehmen  u.  Ihre  Psychologie  zu  recensiren. 
Die  Veranlassung  haben  Sie  wohl  gegeben.  Ich  bedaure,  daß  ich  Ihr  Werk  nun 
schon  für  die  Leipz.  L.  Ztg.  angezeigt  habe,  wo  ich  freilich  den  Raum  sehr  habe 
schonen  müssen.  Jener  Antrag  enthielt  aber  in  seiner  Allgemeinheit  zu  viel  Ehre: 
ich  habe  ihn  sehr  beschränken  und  größtentheils  auf  Mathematik  übertragen  müssen. 
Ich  bin  zu  sehr  Laie  in  der  Philosophie.  D. 

322.    An   DrobiSCh.2)  Königsberg  2oSept  1828. 

Meinen  besten  Dank,  hochveehrter  Hr.  Professor,  für  Ihre  Briefe  vom 
30  Jul.  u.  vom  9  d.M.!  Ihren  Aufsatz3)  erwarte  ich  mit  Ungeduld,  aber 
wo  steht  er  gedruckt?  Hat  die  dortige  Redaktion  sich  wirklich  entschlossen, 
ein  schon  recensirtes  Buch  nochmals  vornehmen  zu  lassen?  Die  Hefte 
der  L.  Z.  vom  Jul.  u.  Aug.  liegen  vor  mir,  einzelne  Stücke  vom  Sept. 
habe  ich  ebenfalls  gesehen.  Wenn  der  Abdruck  Ihres  Aufsatzes  über 
meine  Psych,  wirklich  existirt,  so  bitte  ich  Sie  mit  erster  Gelegenheit  die 
Expedition  der  L.  L.  Z.  zu  ersuchen,  daß  mir  derselbe  eben  so  wie  sonst 
meine  eigenen  Recensionen  in  so  viel  Blättern  als  er  einnimmt  zugeschickt 
und  berechnet  werde.  Hat  aber  der  Abdruck  dort  Schwierigkeit  gefunden, 
so  wäre,  dünkt  mich,  der  Ausweg  nach  Jena  sehr  gut;  nicht  bloß  für 
diesen,  sondern  auch  noch  für  einen  künftigen  Fall.  Uebrigens  können 
schwerlich  bloß  meine  Mittheilungen  an  Eichstädt  den  ganzen  Grund  des 
Ihnen  gemachten  Antrages  enthalten,  sondern  der  Ruf  Ihrer  in  der  Ver- 
sammlung der  Naturforscher  gehaltenen  Vorlesungen  mag  sich  vielleicht 
nach  Jena  verbreitet  haben. 

Indem  Sie  über  den  Begriff  der  zufälligen  Ansichten  Frage  erheben, 
versetzen  Sie  Sich  meines  Erachtens  gerade  in  die  gesammte  Speculation 
hinein;  hier  ist  der  wahre  Angelpunct  für  Metaphysik- und  Naturphilosophie. 
Allein  bevor  Sie  den  zweyten  Theil  meiner  Metaphysik  in  Händen  haben, 
kann  es  nicht  helfen,  daß  ich  viel  darüber  sage.  Nur  soviel  für  jetzt: 
So  wenig  der  Mathematiker  die  Zerlegung  der  Kräfte  modelt  nach  einer 
Vergleichung  mit  der  Zerlegung  in  unmögliche  Factoren;  wie  vielmehr 
jeder  dieser  Gegenstände  als  für  sich  bestehend  aus  sich  selbst  will  ver- 
standen seyn:  so  ist  es  auch  erstens  mit  der  Zerlegung  der  einfachen 
Empfindungen  in  der  Psychologie,  zweytens  mit  der  Zerlegung  der  ein- 
fachen   Qualität  jedes    realen   Elements   in    der    Metaphysik;    drittens    mit 

x)  Drobischs  Lehrer  u.  Vorgänger,  vgl.  "W.  Neubert-Drobisch  S.  24  u.  ö. 

2)  1   S.    2°. 

3)  S.  Brief  Herbarts  an  Drobisch  v.   26.  Nov.    1828. 

Herbarts  Werke.     XVII.  12 


178  September  1828. 


der  Zerlegung  der  Puncte,  als  ob  sie  theilbar  wären,  in  der  Naturphilo- 
sophie. Die  Vergleichung  der  unmöglichen  Factoren,  und  die  der  Punctey 
ist  jedoch  in  so  fern  statthaft,  als  hier  die  Begriffe  der  Theile  selbst  in 
sich  widersprechend  sind.  Hingegen  die  Zerlegung  der  einfachen  Töne, 
Farben,  u.  s.  w.  ist  bloß  unausführbar.  Die  Theile  lassen  sich  nicht  an- 
geben. Statt  dessen  läßt  sich  cos  (p  -f-  sin  cp  ]/-i  u.  cos  (f  —  sin  (p  |/-i 
nicht  bloß  angeben,  sondern  auch  ganz  deutlich  zusammensetzen;  und 
eben  die  klare  Zusammensetzung  ists,  was  der  Rechnung  den  Ursprung 
giebt.  Bey  Tönen,  Farben  u.  s.  w.  ist  die  Zerlegung  uns  nicht  möglich; 
aber  das  ist  etwas  ganz  anderes,  als  das  vollkommen  wohl  mögliche, 
dem  Mathematiker  sehr  gut  gelingende  Zerlegen  in  Factoren,  die,  ah 
Factoren  (oder  als  Wurzeln  einer  Gleichung)  genau  das  leisten  was  sie 
sollen,  während  die  Begriffe  der  einzelnen  Factoren  klare  Widersprüche 
enthalten.  —  Auch  ist  der  Ursprung  der  Zerlegung  der  einfachen  Emp- 
findungen von  ganz  besonderer  Art.  Die  Töne  bilden  ein  Continuum! 
Darum  giebt  es  unendlich  nahe  Töne;  das  heißt,  Töne,  die  unendlich 
nahe  gleich  sind.  Ihre  unendlich  kleine  Differenz  kann  aber  wachsen, 
und  zwar  ohne  Sprung;  während  die  Gleichheit  abnimmt;  so  geschiehts 
beym  Fortschreiten  in  der  Tonlinie.  Jeder  Ton,  weil  er  eine  bestimmte 
Stelle  in  der  Tonlinie  hat,  ist  (nicht  an  sich,  sondern)  in  Hinsicht  seiner 
Relation  zu  anderen  Tönen,  in  wie  fern  er  von  diesen  um  eine  bestimmte 
Distanz  absteht,  zerlegbar  in  Theile,  die  in  der  Empfindung  gar  nicht  vor- 
kommen können,  und  darin  nicht  einmal  gesucht  werden  dürfen,  weil  die 
Empfindujig  keine  Relation  und  keine  Stelle  ist.  —  Von  der  Sekunde  wollen 
Sie  nicht  zugeben,  ,,daß  der  Effect  der  Modification  auf  die  Höhe  des  Tonsr 
auf  seine  Qualität  Einfluß  habe."  Gewiß  mit  Recht!  Aber  das  habe  ich 
gar  nicht  behauptet.  Die  Rede  ist  nur  von  reiner  Unterscheidbarkeit  des 
d  von  c,  während  eis  noch  als  erhöhtes  c,  des  noch  als  erniedrigtes  d 
gehört  wird;  vermöge  des  Uebergewichts  der  Töne,  so  fern  sie  die  Ver- 
schmelzung erlitten  haben,  über  eben  dieselben  Töne,  so  fern  sie  rein 
gegeben  werden.  Das  Experiment  was  Sie  vorschlagen,  wäre  interessant; 
aber  es  erfordert  ganz  andre  Berechnung,  und  wird  ein  ganz  anderes  Resultat 
geben,  wenn  die  Empfindungen  irgend  eine  Dauer  haben,  und  zwar  des- 
halb weil  die  abnehmende  Empfänglichkeit  das  Verhältniß  der  momentanen 
Auffassungen  jeden  Augenblick  verändert;  nämlich  zum  Nachtheil  der 
stärkeren  Empfindungen.  Vergleichen  Sie  beliebig  Psychologie  II,  S.  204. 1) 
—  Nehmen  Sie  für  diesmal  gütig  vorlieb  mit  diesen  wenigen  Zeilen;  es 
wird  mir  bei  mehr  Muße  das  größte  Vergnügen  machen,  einen  ausführ- 
lichen wissenschaftlichen  Briefwechsel,  ohne  bestimmte  weitere  Absicht  mit 
Ihnen  zu  unterhalten.  Sie  werden  mich  vielleicht  anspruchsloser  finden 
als  ich  in  Schriften  für  eine  leider  höchst  einfältige  Menge  erscheine. 
Ihre  gütige  Theilnahme  an  meinen  Arbeiten  verdanke  ich  herzlich. 

Hochachtungsvoll      Herbart. 


x)  S.  Bd.  VI,  S.  136  ff. 


November  1827.  jyg 


323.    Jäsche  an  H.1)  Dorpat  den  22.  Novbr.  1828. 

Hochwohlgeborner,  Besonders  Hochzuehrender  Herr  Professor !  Sie  haben  mich, 
Verehrungswerthester !  durch  Ihr  mir  überaus  werthes  und  willkommenes  Schreiben, 
zu  dessen  Empfang  mir  bereits  mein  alter  Freund  und  College  Morgenstern  Hof- 
nung  gemacht  hatte,  so  sehr  erfreut  und  geehrt,  und  zugleich  auf's  Neue  wieder 
unter  Bezeigung  Ihres  besondern  Zutrauens  zu  dem  Werthe  meines  jüngsten 
schriftstellerischen  Versuchs  und  dessen  fruchtbringendem  Erfolg,  so  kräftig  zur  Be- 
harrlichkeit in  Ausführung  des  von  mir  begonnenen  Bestrebens  ermuntert,  daß  ich 
mich  schon  dadurch  wohl  genug  aufgefordert  fühlen  konnte,  Ihnen  für  diese  wieder- 
holten Äußerungen  eines  besondern  Wohlwollens  und  achtungsvollen  Vertrauens  zu 
mir  meinen  verbindlichsten  Dank  sogleich  schriftlich  zu  erwidern.  Auch  würde  ich 
gewiß  der  Aufforderung  meines  Herzens  in  unverzüglicher  Beantwortung  Ihrer 
geehrten  Zuschrift  gefolgt  seyn,  hätte  ich  nicht  zuvor  erst  noch  den  Empfang  des 
mir  gütigst  von  Ihnen  zugedachten,  soeben  erschienenen  ersten  Bandes  Ihrer  Meta- 
physik abwarten  wollen,  um  Ihnen  sodann  von  meinem  ernsten  und  eindringenden 
Studium  derselben  Rechenschaft  ablegen,  und  Ihnen  eben  damit  zugleich  einen  Be- 
weis geben  zu  können,  daß  ich  mich  keinesweges  damit  begnügen  möge,  etwa  nur 
Einzelnes  aus  den  gehaltvollen  Werken  Ihres  philosophischen  Genius  erfaßt  und 
beachtet  zu  haben,  sondern  gern  in  das  Innerste  Ihres  Systems  eindringen  und 
Ihrem  philosophischen  Genius,  soweit  nur  immer  die  eigene  Geisteskraft  und  Geistes- 
gewandheit  es  wird  verstatten  mögen,  folgen  wolle,  um  das  systematische  Ganze,  der 
auf  dem  Wege  Ihrer  eigenen  Methode  gewonnenen  Ansichten  des  philosophischen 
Wissens  und  Glaubens  sodann  klarer  und  vollständiger  überschauen  zu  können.  Um 
mir  nun  recht  bald  den  Besitz  des  Werts  als  eines  von  der  Güte  seines  würdigen 
Autors  selbst  mir  dargebotenen  kostbaren  Geschenks,  zu  verschaffen,  hatte  ich  auf 
der  Stelle  mit  umgehender  Post  von  Hn.  Buchhändler  Unzer  durch  unsre  Hart- 
mannsche  Buchhandlung  in  Riga  mir,  das  ||  Ihrer  Veranstaltung  zu  folge,  für  mich 
bereit  liegende  Exemplar  ausgebeten.  Daß  ich  es  jedoch  bis  jetzt  noch  nicht  er- 
halten, davon  muß  ohne  Zweifel  der  Grund  in  den  Schwierigkeiten  und  Hindernissen 
liegen,  welche  leider!  immer  noch  der  sichern  und  schnellen  Passage  ausländischer 
litterar.  Producte,  wofern  sie  nicht  an  unsre  Univ.  Bibl.  selbst  addreßirt  sind,  an 
unsrer  Zollgränze  gesetzt  werden.  Um  so  erwünschter  muß  es  mir  demnach  seyn, 
daß  sich  aber  jetzt  eine  so  vortheilhafte  Gelegenheit  mir  darbietet,  mein  Verlangen 
nach  dem  baldigen  Besitz  Ihrer  Metaphysik  zu  befriedigen.  Der  bisherige  Privat 
Docent  an  Ihrer  Universität,  von  der  unsrigen  so  eben  zu  einer  Professur  berufen.  Herr 
Friedländer,  tritt  noch  zu  Ausgange  dieses  Jahres  seine  Reise  von  Königsberg  zu 
seiner  neuen  akademischen  Bestimmung  bey  uns  an;  und  ich  ergreife  daher  begierig 
die  willkommene  Gelegenheit  mir  durch  ihn  das  Ex.  bringen  zu  lassen,  indem  ich 
die  Dienstgefälligkeit  eines  künftigen  Collegen  dazu  in  Anspruch  nehme,  den  ich  da- 
bey  zugleich  in  einem  Schreiben  ersuche,  Ihnen,  mein  Verehrtester!  in  Person 
meinen  Brief  einzuhändigen,  damit  er  mir  gleich  nach  seiner  Ankunft  bey  uns  eine 
authentische  Kunde  von  Ihrem  Wohlseyn,  und  auch,  wie  ich  hoffe,  von  der  Fort- 
dauer Ihres  mir  höchst  schätzbaren  geneigten  Andenkens  an  mich  hinterbringen 
könne. 

Mit  besonderem  Intereße  wird  gleich  beim  ersten  Studium  Ihrer  Metaphysik 
mein  Augenmerk  auf  die  Puncte  gerichtet  seyn,  auf  welche  Sie  im  voraus  meine 
Aufmerksamkeit  hinlenken;  ich  meine  auf  Ihre  Polemik  gegen  die  Kantische  Lehre 
als  System,  deßgleichen  auch  auf  Fries  eigene  Behandlungs-  und  Darstellungsweise 
des  Kriticismus.     Was  diese  Hauptpuncte   betrifft:   so   kann    ich   selbst  Ihnen   zum 

*)  3  S.    4°.     H.  Wien. 

12* 


igo  November  1828. 


voraus  das  aufrichtige  Bekenntniß  ablegen,  daß  meine  Absicht  keineswegs  dahin  geht, 
die  Kantische  Lehre  als  System  aufrecht  zu  erhalten.  Dann  wohl  glaube  ich  mit 
Ihnen,  daß  wir  wenigstens  meinen  Gegnern  Triumphe  zu  bereiten  und  ihnen  Blößen 
zeigen,  die  sie  nicht  ermangeln  würden,  zu  ihrem  Vortheile  zu  benutzen.  Sie 
rathen  mir,  mich  nicht  auf  Andre  aus  der  Kantischen  Schule,  sondern  doch  lieber 
auf  mich  selbst  mich  zu  verlassen.  Ich  will  diesem  Rathe  folgen,  durch  welchen 
Sie  ein  Vertrauen  zu  meiner  philosophischen  Denkweise  und  Prüfungsgabe  an  den 
Tag  legen,  welches  mein  Selbstgefühl  steigern  und  das  selbsteigene  Zutrauen  zu 
meiner  Beurtheilungskraft  verstärken  kann.  "Wohl  habe  ich  wenigstens  durch  die 
auch  von  mir  nicht  übersehenen  und  von  Ihnen  hie  und  da  schon  gerügten  Fehler, 
die  Feies  u.  Andre  theils  aus  Unbedachtsamkeit  und  Uebereilung,  theils  aus  Be- 
fangenheit und  blindem  Vertrauen  zur  Unfehlbarkeit  einmal  sich  angeeigneter 
Ideen  und  Grundsätze  begnügen,  ||  leichter  lernen  können,  bey  meinen  Unter- 
suchungen auf  denselben  Feldern  der  Spekulation  mit  mehr  Umsicht  und  Bedacht- 
samkeit zu  Werke  zu  gehen.  Ueberdies  scheint  es  mir  nun  auch,  je  länger  ich 
mein  Nachdenken  darauf  gerichtet,  um  so  klarer  und  gewißer  zu  werden,  daß  zu 
Sicherstellung  und  Durchführung  einer  wissenschaftlichen,  von  der  theoretischen 
wie  von  der  praktischen  Seite  ausgehenden  Polemik  gegen  die  eiteln  Anmaßungen 
der  transcendenten  Spekulationen,  welche  namentlich  die  Schellingsche  und  Hegeische 
Schule  bis  jetzt  ans  Tageslicht  gebracht,  der  Gebrauch  der  Waffen  allein  tauglich 
und  auch  zureichend  sey,  welche  die  Kantische  Lehre  als  bloße  Kritik  darbietet. 
Ganz  besonders  bin  ich  in  diesem  Betracht  mit  Ihnen  einverstanden  in  der,  in  Ihrer 
Recension  meiner  Schrift  ausgesprochenen  Behauptung  von  der  feindseligen  Stellung 
der  Kant.  Kritik  der  rationalen  Theologie  gegen  alle  und  jede  pantheistische  Tendenz 
der  Speculation,  womit  sich  auch,  wie  Sie  ferner  in  der  gedachten  Rec.  bemerken, 
überall  keine  Ontologie  verträgt,  wie  sie  Kant  selbst  als  Kritiker,  der  Consequenz 
seiner  kritischen  Grundlehren  gemäß,  würde  begründet  und  ausgebildet  haben 
müssen.  Daß  Sie  vereintester  Herr  Professor!  meinen  Wunsch,  auch  den  2ten  Band 
meines  Buches l)  Ihrer  öffentlichen  Anzeige  und  Beurtheilung  zu  würdigen,  bereits  er- 
füllt, macht  mir  ungemeine  Freude;  auch  können  Sie  es  gewiß  meiner  von  Ihnen  an- 
erkannten und  geschätzten  Wahrheitsliebe  zutrauen,  daß  ich  ein  gründliches,  mit 
Schärfe  und  Freymüthigkeit  auch  über  diesen  Theil  des  Ganzen  gefälltes  Urtheil, 
wie  ich  es  von  Ihnen  nicht  anders  erwarten  kann,  gleichfalls  mit  dem  achtungs- 
vollsten und  verbindlichsten  Danke  aufnehmen  werde.  Lieb  ist's  mir  auch,  daß 
Sie  die  Gegenschrift  Ritters,  welche,  wie  Sie  erwähnen,  sogleich  einen  widrigen, 
mir  leicht  erklärbaren  Eindruck  auf  Sie  gemacht,  zugleich  mit  berücksichtiget  haben. 2) 
Gewiß  werden  auch  Sie,  wie  schon  der  verewigte  Bouterwek  in  seiner  Recension 
gethan,  den  mißfälligen  Ton  rügen,  in  welchem  die  polemische  Schrift  abgefaßt  ist. 
Aber  das  scheint  ja  in  unseren  Tagen  der  herrschende  Ton  unsrer  deutschen  philo- 
soph.  Mode  Welt  mehr  u.  mehr  zu  werden.  Seltsam  genug  jedoch,  daß  der  Vor- 
wurf einer  ungerechten,  wegwerfenden  und  schonungslosen  Beurtheilung  Anderer, 
Männern  gemacht,  die  in  keinem  Betracht  ihn  verdienen,  nicht  selten  gerade  aus 
dem  Munde  Solcher  vernommen  wird,  die  einer  Beurtheilung  dieser  Art  sich 
schuldig  machen;  wie  dies  unter  anderen  auch  bey  dem  etwas  gar  zu  sehr  renommiren- 
den  Bachmann  in  Jena  der  Fall  zu  seyn  scheint.  —  Ueber  einen  und  den  andern 
für  mich  bedeutenden  und  intereßanten  Punkt  in  Ihrem  geehrten  Schreiben  behalte 
ich  mir  vor,  mich  künftig  noch  zu  äussern,  wenn  ich  erst  mit  Ihrer  Metaphysik 
mich  werde  vertrauter  gemacht  haben.     Indem  ich  Ihnen  schließlich  meine  Freude 

*)  S.  Bd.  XIII,  S.  113  ff. 
2)  Ebenda. 


November,  Dezember  1828.  18  T 


über  die  für  mich  so  intereßante  Aussicht  bezeige,  die  Sie  mir  mit  den  "Worten  er- 
öfnen:  „„Wir  werden  hoffentlich  noch  lange  gemeinsam  wirken""  eine  Aussicht, 
die  meinen  Muth  zu  wirken  nicht  wenig  zu  beleben  u.  zu  befestigen  vermag,  emp- 
fehle auch  ich  mich  zutrauungsvoll  Ihrem  fortdauernden  geneigten  Andenken. 
N.  S.  Mein  theurer  Freund  u.  College  Moier  mit  Ihnen  von  Göttingen  als  Ihr  auf- 
richtiger Verehrer  her  als  akadem.  Zeitgenoße  befreundet,  empfiehlt  sich  auch  Ihrem 
Andenken.  Jäsche. 

824.     An   Drobisch.1)  Königsberg  26  November   1828. 

Unmöglich  kann  ich  diesen  Posttag  hingehen  lassen,  ohne  Ihnen, 
hochgeehrter  Herr  Professor!  meinen  unbegränzten  Dank  für  Ihre  ganz 
vortreffliche  Rec.  meines  Buches2)  darzubringen,  wenn  auch  nur  mit  den 
flüchtigsten  Federzügen.  Zwar  ist  Alles  gesagt,  wenn  man  ausspricht: 
Diese  Recension  steht  jener  Ihrer  ersten  vollkommen  würdig  zur  Seite; 
und  dennoch  wünschte  ich  mehr  sagen  zu  können.  Wohl  habe  ich  selbst 
manchmal  mit  Sorgfalt  recensirt;  aber,  indem  ich  mein  Gedächtniß  an- 
strenge, kann  ich  kaum  ein  Beyspiel  finden,  wo  ich  mit  aller  meiner 
Eigenliebe  mir  selber  im  Stillen  zu  sagen  getraute,  ich  hätte  eine  Recension 
von  so  ausgesuchter  Zweckmäßigkeit  zu  Stande  gebracht.   — 

Man  erkennt  in  der  Ihrigen  den  Mathematiker,  und  seinen  Tact, 
gerade  das  Rechte  zu  treffen,  aber  man  erkennt  noch  mehr.  Man  erkennt 
einen  Mann,  den  man  durchaus  wünschen  muß  persönlich  kennen  zu 
lernen.  — 

Für  jetzt  leben  Sie  wohl!  Möge  es  Sie  niemals  gereuen,  mir  eine 
langentbehrte  literarische   Hülfe  geleistet  zu  haben  Herbart. 

325.    An  die  Redaktion  der  Hallischen  Literatur-Zeitung.3) 

Königsberg  21    Dezember   1828. 

Ew.  Wohlgeboren  werden  vor  einigen  Wochen  einen  Brief  von  mir 
empfangen  haben,  worin  ich  Ihnen  Troxlers  Metaphysik  vorschlug  als 
ein  Buch,  dessen  Recension  ich  für  Ihre  A.  L.  Z.  übernehmen  möchte. 
Ihr  Stillschweigen  habe  ich  für  Zustimmung  genommen,  und  sende  Ihnen 
die  Recension  hiebey. 4)  Wenn  es  Ihre  Einrichtungen  erlauben,  so  würde 
ich  den  baldigsten  Abdruck,  und  von  dem  Stück  der  L.  Z.  worin  derselbe 
sich  befindet,  ein  Exemplar  für  mich  erbitten,  das  mir  unter  Kreuz-  Couvert, 
mit  der  Reitpost  auf  meine  Kosten,  wie  ich  es  von  der  Leipziger  Ex- 
pedition gewohnt  bin,  könnte  zugesendet  werden.  Wollen  Sie  aber  die 
Rec.  nicht  aufnehmen,  so  erbitte  ich  dieselbe  sogleich  zurück,  damit  ich 
sie  anderwärts  abdrucken  lasse. 

Für  die  Folge  wäre  es  mir  angenehm,  wegen  der  Bücher  die  zur 
Recension  bestimmt  sind,  Ihre  Wünsche  und  Vorschläge  zu  vernehmen, 
wie  ich  dies  ebenfalls  in  Leipzig  gewohnt  bin.  Hier  in  Königsberg  kommt 
uns  nicht  Alles  was  herausgegeben   wird,  zu  Gesicht. 

')  1  S.    40. 

2)  In  No.  282  f.  des  Jahrg.  1828  der  Leipz.  Lit.  Ztg.  findet  sich  eine  zweite 
Anzeige  von  Herbarts  Psychologie,  die  von  Drobisch  geschrieben  und  mit  vollem  Namen 
unterzeichnet  ist. 

8)  2  S.    8°.     Ohne  Adresse.  —  Im  Besitz  des  Herausgebers. 

4)  S.  Bd.  XIII.     S.  83—97. 


j82  December   1828. 

Zugleich  empfehle  ich  Ihrer  Fürsorge  meine  eigenen  Angelegenheiten. 
Meine  Abhandlung  de  attentionis  mensura  ist  meines  Wissens  bey  Ihnen 
gar  nicht  recensiert;  und  meine  Psychologie,  deren  erster  Band  durchaus 
von  einem  Mathematiker  beurtheilt  werden  müßte,  ehe  sich  Jemand  ein- 
fallen lassen  dürfte,  den  zweyten  auch  nur  zu  berühren,  ist  bey  Ihnen, 
wie  anderwärts,  in  unrechte  Hände  gefallen.  Die  Leipziger  L.  Z.  hat 
den  Fehler  aufs  schönste  wieder  gut  gemacht,  durch  die  höchst  vortreff- 
liche Recension  vom  10  und  11  November  dieses  Jahrs.  Ihnen  könnte 
die  Abhandlung  de  attentionis  mensura  Gelegenheit  geben,  mir  ähnlichen 
Ersatz  zu  schaffen,  wenn  man  sich  nicht  entschließen  will,  die  Psychologie 
von  neuem  recensieren  zu  lassen,   wie  es  in  Leipzig  geschehen  ist. 

Besonders  aber  wünsche  ich  nun  meiner  Metaphysik  mehr  Sorgfalt. 
Der  zweyte  Band  derselben  erfordert  theils  einen  Mathematiker,  theils 
einen  Mann,  der  meine  früheren  Schriften  aufs  genaueste  kennen  muß. 
Der  erste  Band  verlangt  einen  Kenner  der  Geschichte  der  Philosophie.  — 
Endlich  nehme  ich  mir  die  Freyheit,  Ihnen  meines  Freundes  Griepenkerl, 
Lehrbuch  der  Ästhetik  zu  empfehlen;  ich  selbst  kann  das  Buch  nicht  re- 
censieren,   weil  ich   Parthey  sein  würde. 

Hochachtungsvoll  empfiehlt  sich  Ew.   Wohlgeboren  ganz  ergebener 

Herbart. 

[Randbemerkung:]  Wenn  Ew.  Wohlgeboren  es  genehmigen,  so  werde 
ich  Ihnen  bald  eine  Recension  über  eine  kleine,  aber  gelehrte  und  sehr 
gut  abgefaßte  kleine  Schrift  unter  dem  Titel,  „über  philosophische  Kunst, 
von  Mehring,  erstes  Heft  Stuttgard  bey  Frankh"  einsenden.1) 

Dez.:    Verhandlungen    wegen    einer    Berufung    Herbarts    nach    Göttingen.      S.  Bd.  XV. 

S.  271 — 272. 

*)  S.  Bd.  xin.     S.  196  f. 


1829. 


"W.:  Allgemeine  Metaphysik  nebst  den  Anfängen  der  philosophischen  Naturlehre. 
Zweiter  Teil.  S.  Bd.  VIII.  S.  1—388.  Rez.  von  Troxlers  Naturlehre  (S.  Bd.  XIII. 
S.  83 — 97),  Buquoys  Anregungen  für  philosoph. -wissenschaftliche  Forschung  (S.  Bd.  XIII. 
S.  97  — 103),  Drozs  Anwendung  der  Moral  auf  die  Politik  (S.  Bd.  XIII.  S.  104 — 113), 
Ritters  Halbkantianer  (S.  Bd.  XIII.     S.   113  — 121),  Jäsches  Pantheismus.     2.  Bd. 

(S.  Bd.  XIII,  ebenda). 

326.    Richthof en  an  H.1)  Brecheishof,  d.  21sten  Jan.  29. 

Mein  verehrter  Freund!  In  Folge  Ihres  letzten  Schreibens  habe  ich  sogleich 
einen  Brief  an  Eichstädt  gesandt,  und  ihn  gefragt,  ob  er  eine  Recension  von  mir 
aufnehmen  wolle,  und  bis  wann  sie  fertig  seyn  müße,  um  Ihren  Wünschen  gemäß 
im  März  zu  erscheinen;  zugleich  aber  gebeten,  mich  wissen  zu  lassen,  an  wen  er 
frühere  Briefe  an  mich  gesandt,  und  weil  ich  solche  nicht  erhalten,  doch  lieber  den 
"Weg  der  Post  zu  wählen.  Da  ich  ihm  immer  franco  geschrieben,  ist  diese  Sparsam- 
keit um  so  lächerlicher. 

Über  die  Wirkung  der  Recensionen  habe  ich  jedoch  allerdings  eine  weniger 
günstige  Meinung;  mir  scheint  als  wäre  die  Zeit  der  Iitteratur-Zeitungen  vorüber; 
seitdem  der  Buchhandel  einen  raschern  Gang  genommen,  als  da  er  noch  an  Messen 
nnd  langsame  Fracht  gebunden  war;  seitdem  das  Band  der  einzelnen  Wissen- 
schaften immer  loser  geworden,  und  sich  jeder,  der  etwas  leisten  will  ||  ,  in  den  ab- 
gelegenem Theiien  seiner  Wissenschaft  abmüht,  wie  etwa  niemand  in  der  viel  be- 
tretenen Schweiz  neue  Thäler  zu  finden  hofft;  seitdem  kommen  die  meisten  Kritiken 
entweder  zu  spät,  oder  finden  doch  nur  wenig  theilnehmende  Leser.  Und  nun  die 
Menge  der  kritischen  Blätter,  das  durcheinander  schwirrende  Scholien-Gezisch ; 
wessen  Stimme  da  noch  gehört  werden  soll,  müßte  lauter  schreien  als  10000  Griechen, 
während  Nikolai,  den  ich  als  keuchenden  und  blödsichtigen  Alten  gekannt,  durch  ganz 
Teutschland  vernommen  ward.  Vor  allem  aber  ist  in  der  Philosophie,  wo  Kant  einst 
wie  ein  gewaltiger  Strom  alles  mit  sich  fortriß,  und  selbst  Steine  schwimmen  machte, 
die  Sage  verbreitet,  der  Rhein  habe  sich  im  Sande  verlohren,  und  nur  wenige  Leute 
wissen,  daß  die  Waal  eben  nichts  anderes  ist,  als  der  Rhein,  wiewohl  er  unter  dem 
neuen  Nahmen  Flotten  trägt,  und  den  Nahmen  eines  Stroms  mehr  als  bei  Schaff- 
hausen verdient. 

Also  Sie  beabsichtigen  eine  Reise  nach  Berlin!  Geht  es  Ihnen  auch  wie  mir, 
kein  Buch  von  Hegel  lesen,  geschweige  verdauen  zu  können!  oder  wenn  Sie  ein 
lesbares  wissen,  bitte  so  nennen  Sie  mir  es.  ||  Ein  ipaar  Mal  habe  ich  vergeblich 
.angesetzt,  und  fast  schäme  ich  mich  meiner  Unkunde  der  weltberühmten  Lehre. 
Ich  wollte  Sie  könnten  mit  ihm  Königsberg  gegen  Berlin  vertauschen,  denn  weil  Bücher 

*)  3  S.  4°.     H.  Wien. 


184.  Februar   1829. 

und  Recensionen  wenig  gelesen  werden,  so  halte  ich  ein  besuchtes  Auditorium  und 
eine  große  Universität,  für  das  einzige  Mittel  der  Ausbreitung  einer  Lehre,  durch 
das  zugleich  Misverständnisse  am  besten  vermieden  werden,  und  für  das  die  Ge- 
schichte spricht.    Endlich  kriegte  ich  Sie  dadurch  näher. 

Auch  Bouterwek  ist  ja  gestorben!  Aber  vielleicht  sind  kleine  Universitäten 
dem  philosoph.  Studien  günstiger  als  große;  vielleicht  ist  dessen  Verbreitung  nichts 
schädlicher,  als  wenn  der  Student  in  seiner  Brodtwissenschaft  ein  Sourrogat  vor- 
findet, und  er  die  künstlich  geschnitzte  gebrannte  und  parfümierte  Rübe  für  ächten 
Mokka-Kaffee  hielt. 

Doch  ich  verliehre  mich  in  ausgetretenen  Gleichnissen  und  sehe  Sie  lächeln. 
Also  manum  de  tabula,  und  nur  noch  die  Bemerkung  daß  sich  unsere  letzten  Briefe 
wahrscheinlich  gekreuzt,  und  Sie  hoffentlich  mein  letztes  Schreiben  und  dessen 
Beilage  erhalten  haben. 

Bleiben  Sie  ferner  mein  Freund!  Richthofen. 

Soeben  erhalte  ich  einen  Brief  von  Eichstaedt,  wiewohl  noch  keine  Antwort  auf 
meine  Frage,  indem  sich  die  Briefe  gekreuzt  haben.  Ich  werde  also  anfangen  so- 
bald einige  drängende  Geschäfte  es  erlauben;  freilich  wohl  oft  unterbrechen? 

327.    Brandis  an  H.ij  Bonn,  12.  Febr.  1829. 

Hochzuverehrender  Herr  Professor.  Erst  bey  verspäteter  Rückkehr  aus  den 
Böhmischen  Bädern  ward  ich  durch  Ihre  sehr  gütigen  Zeilen  erfreut,  denen  dann 
im  November  Ihr  schönes  Geschenk  folgte. 

Ihnen  dafür  meinen  innigen  Dank  zu  sagen,  konnte  ich  mich  nicht  ent- 
schließen, bevor  ich  nicht  wenigstens  angefangen  mir  es  durch  ernstliches  Studium 
zu  eigen  zu  machen  u.  dazu  fand  ich  erst  Zeit  nachdem  mancherley  Geschäfte  u. 
Arbeiten  beseitigt,  die  sich  während  zweymonatlicher  Abwesenheit  sehr  gehäuft  hatten. 
Auch  jetzt  muß  ich  mich  noch  begnügen,  theilweise  zu  lesen  u.  zu  durchdenken, 
und  werde  wohl  kaum  vor  den  Osterferien  mir  den  Genuß  verstatten  dürfen  das 
Ganze  ununterbrochen  u.  als  Ganzes  zu  studiren.  Meiner  innigsten  Verehrung  u. 
Dankbarkeit  kann  ich  aber  nicht  länger  anstehen  Sie  zu  versichern,  u.  daß  ich  nie 
das  Buch  zur  Hand  nehme  ohne  aufs  lebhafteste  anzuerkennen  den  Geist  der  Tiefe, 
der  in  der  That  auch  nur  befangenen  oder  gedankenlosen  Lesern  verborgen  bleiben 
kann.  Wenn  einem  bey  der  philosophischen  Tageslitteratur  im  ganzen  wie  in  einem 
sinn-  u.  leblosen  Schattenreiche  zu  Muth  wird,  so  fühlt  man  sich  durch  die  Eigen- 
tümlichkeit, Consequenz  u.  Lebendigkeit  Ihrer  Speculation  wie  neu  gestärkt  u.  be- 
greift kaum,  wie  neben  ihr  die  auf  einem  grund-  u.  bodenlosen  Mittelgebiet  hin  u. 
herredende  Dialektik  der  (ScoVtcs  unsrer  Tage,  theils  durch  eine  gewisse  äußere 
Fertigkeit  theils  durch  ungemessene  Verheißungen  hier  noch  immer  geltend  zu 
machen  weiß. 

Zwar  ist  die  Kunst,  Schein  zu  erregen,  mit  mehr  oder  weniger  Glück  in  der 
Philosophie  von  jeher  geübt  worden,  aber  ob  jemahls  auf  so  mannichfaltige  und  schein- 
bar einander  entgegengesetzte  Weise  ?  ist  einem  von  der  einen  Seite  das  Hegeische 
Spiel  mit  leeren,  willkührlichen  Abstractionen  höchst  unerfreulich  u.  der  Ton  un- 
berechtigter Anmaßung  widerwärtig,  in  dem  es  die  subjectiveste  Willkühr  für  objective 
Notwendigkeit  ausgiebt,  so  kann  man  auf  der  andern  Seite  an  den  theils  stumpfen 
u.  platten,  theils  mit  einiger  Gewandtheit  aus  ähnlichen  intermundiis  geschöpften 
directen  und  indirecten  Gegenreden  ebenso  wenig  Gefallen  haben.  Wie  ganz  anders 
wird    einem   zu  Muth,   wenn   man  mit  Ihnen,   hochverehrter  Mann,    zu   den  weder 

*)  23/4  S.  4°.     H.  Wien. 


Februar   1829.  185 

bemäntelten,   noch   verkannten  Schwierigkeiten   der  Probleme   zurückkehrt   und   mit 
Ihnen  sich  an  einer  Lösung  versucht,  die  nach  den  Hauptrichtungen  hin  mit  ||  gleichem 
Ernst  u.  gleicher  Gründlichkeit  durchgeführt,  so  durchaus  auf  realem  Grund  u.  Boden 
ruht  u.  auf  einem  Grund  u.  Boden,  der  als  das  non  plus  ultra,  als  letzter  möglicher 
Grund-Boden  nothwendig  anerkannt  werden   muß.     Ob   ich   auf  ihm   mich  jemahls 
mit  Ihnen  werde  ansiedeln  können,  ob  der  zweyte  Theil  der  Metaphysik  mich  über- 
zeugen   wird,    daß   die    scharfsinnige  Theorie   der   Selbsterhaltung   einfacher  Wesen 
gegen  Störungen,  auch  immanente  Kraftthätigkeit  abzuleiten  im  Stande  sey,  sie  nicht 
schon   voraussetze;    ob    ich   jemals   einsehen   werde,  wie   aus  der  Mannichfaltigkeit 
einander  qualitativ  entgegengesetzter,  einfacher  Wesen  eine  Mannichfaltigkeit  der  Vor- 
stellungen u.  wenn  so  wie  aus  ihrem  Zusammentreffen  ein  Zusammenfassen  in  Ein 
"Vorstellen  u.  so  ein  Vorstellendes  entstehe,  wie  ferner  bey  dem  stetigen  Zuströmen 
neuer  Vorstellungen  irgend  eine  Vorstellungsmasse  Festigkeit  genug  erlange  um  als 
innere   den   äußeren   entgegenzukommen  u.    auf   die  Weise   alle  Erscheinungen   des 
inneren  Sinnes  u.  des  Selbstbewußtseyns  zu  erzeugen,  und  wiederum  wenn  so,  wie 
nicht  ins  unendliche  hin   eine  Vorstellungsmasse  der  andern  sich  überordne  u.  bey 
solchem  progressus  in  infinitum  das  appercipirende  Subject  gänzlich  verschwinde,  u. 
endlich  wie  die  Thatsachen  der  sittlichen  Zurechnung  sich  mit  Ihrer  Theorie  völlig 
vereinigen  lassen    —   darüber  kann  u.    will  ich  noch  nicht  entscheiden;    wohl    aber 
dafür  einstehen,  daß  ich  nie  aufhören  werde,  Ihr  System  als  eins  der  vorzüglichsten 
Denkmäler   der   philosophirenden  Intelligenz    zu    bewundern   u.   wenigstens   dadurch 
mir    anzueignen,    daß    ich    meine    eignen    Lösungsversuche    der    in    ihm    mit   so 
unvergleichlicher  Schärfe  u.  Tiefe  entwickelten  Probleme  immer  von  neuem  an  ihm 
messen  u.  nach  ihm  rectificiren  werde.    Meine  Versuche  würde  ich  auch  schon  jetzt 
in  ihren  Anfängen  Ihrer  Prüfung   vorzulegen   mich   durch   meine   innige  Verehrung 
für  Sie  ermuthigt  fühlen,  wenn  ich  zugleich  im  einzelnen  zu  entwickeln  Muße  hätte, 
wie  und  warum  ich  bey  jener  lebhaften  Anerkennung  mich  von  den  Eesultaten  Ihrer 
Forschung  zu  entfernen  genöthigt  sehe.    Vorläufig  bitte  ich  nicht  den  Stab  über  mich 
zu  brechen,  wenn  ich  bekenne,  insofern  auf  Kant  zurückzugehen,   daß  ich  Grenzen 
der  Erkennbarkeit  der  Objecte  anerkenne,  indem  ich  das  Vorstellbare  vom  Denkbaren 
sondere   u.   in  Bezug   auf   letzteres   nothwendige   und   allgemeingültige  Hülfsbegriffe 
annehme,  die  der  metaphysischen  Entwicklung  im  Verhäitniß  zu  einander  u.  zu  dem 
durch  sie  aufgefaßten,  fähig  u.  bedürftig,  mir  weder  bestimmt,  noch  geeignet  scheinen 
uns  Aufschluß  über  die  letzten,  einfachen  Träger  der  Dinge  zu  gewähren.    So  wenig 
ich  mir  auch  schmeicheln  dürfte,  daß  Sie  den  Resultaten  meiner  Untersuchung  bey- 
stimmen  würden,  die  übrigens  weder  auf-  bloß  logischem,  noch  bloß  psychologischem 
Wege  mir  zu  Stande  gekommen,  —  davon  dürfte  ich  vielleicht  hoffen,  Sie  zu  über- 
zeugen, zumahl  wenn  mir's  vergönnt  wäre,  mündlich  mitzutheilen  u.  das  mitgetheilte 
zu  vertreten,  daß  das  Studium  Ihrer  Werke,  wie  wenig  ich  auch  ihren  ||  Resultaten 
mich  habe  anschließen  können  —  nicht  ohne  Frucht  geblieben  u.  daß  ich  mit  Ernst 
bestrebt  bin,  nicht  selber  dem  Schaukel-  u.  Scheindenken  anheim  zu  fallen,  das  mir 
in  den  meisten  neueren  Erscheinungen  auf  dem  philosoph.  Gebiet  sehr  zuwider  ist. 
Eine  Anzeige  Ihrer  Metaphysik  zu  versuchen  reizt  mich  mein  Verlangen  öffent- 
lich  zu  bekennen   daß   u.   warum   ich   in   dieser    wie   in  Ihren    übrigen   Schriften 
Flüchte  des  wahren,  philosophischen  Genius  hochhaltend  anerkenne,  wie  sie  uns  im 
letzten  Decennium   nicht  weiter   zu  Theil  geworden.     Eine  solche,  vielleicht,  durch 
Vergleichung    durchgeführte    oder    veranschaulichte    Erklärung    würde    da    wo    ich 
Zweifel  gegen  die  Resultate  Ihrer  Untersuchungen  zu  äußern  hätte,  auch  den  Schein 
anmaßlicher  Polemik  in  Ihren  wie  in  des  Dritten  Augen  entfernen  u.  mich  zu  frey- 
müthiger  Äußerung  derselben  ermuthigen.     Aber  ob  es  geiathen  sein  möchte,  den 


I  86  Februar   1829. 

ersten  Theil  der  Metaphysik  vorläufig  anzuzeigen  oder  besser  den  zweyten  zu  er- 
warten? Vorläufig  werde  ich  einen  Entwurf  zur  Anzeige  des  ersten  Theils,  wahr- 
scheinlich für  die  Haller  L.  Z.  in  den  nächsten  Ferien  ausarbeiten:  inzwischen  erfahre 
ich  vielleicht,  ob  wir  hoffen  dürfen,  den  zweyten  in  kurzem  folgen  zu  sehn 
oder  nicht. 

Vom  Rheinisch.  Mus.  habe  ich  mir  die  Freyheit  genommen,  die  beiden  letzten 
Hefte  an  Sie  abzusenden.  Zwar  tragen  wir  noch  Bedenken  den  Bereich  desselben 
auch  auf  Geschichte  der  neueren  Philosophie  auszudehnen  —  um  nicht  gegen  eine 
Flut  unberufener  Beyträge  ankämpfen  zu  dürfen  —  aber  für  Beyträge  von  Ihnen, 
welchem  Gebiet  der  Gesch.  der  Philosophie  sie  auch  angehören  möchten  —  öffnen 
sich  unsere  Schranken:  möchten  sie  uns  zu  Theil  werden!  Woile  der  Himmel  Ihnen 
Gesundheit  u.  frohen  Muth  verleihen,  das  wünscht  vom  Grund  seiner  Seele 

Ihr  mit  innigster  Verehrung  Ihnen  ergebener     Ch.  A.  Brandis. 

328.     An   Brandis.1)  Königsberg,  27  Febr.   1829. 

Hochzuverehrender  Herr  Professor! 

Nicht  bloß  für  das  gütig  übersandte  Rheinische  Museum,  für  Ihren 
äußerst  schätzbaren  Brief  vom  12.  d.  M.,  und  für  das  Versprechen  einer 
baldigen  Recension  meiner  Arbeit,  (deren  zweyter  Theil  schon  beynahe 
vollständig  gedruckt  ist)  habe  ich  meinen  besten  Dank  darzubringen: 
sondern  ich  finde  auch  ein  Wörtchen  in  Ihrem  Brief,  das  mich  mehr, 
als  alles  Andre  treibt,  sogleich  zu  antworten,  ja  sogar  auf  schnelle  Er- 
wiederung von  Ihrer  Seite  mir  einige  Hoffnung  zu  erlauben.  Sie  sprechen 
von  mündlicher  Mittheilung!  Haben  wir  hier  in  Königsberg  —  Lobeck2) 
an  der  Spitze,  —  etwan  das  seltne  Glück  eines  Besuches  vom  Rheine 
her  zu  erwarten?  Das  ist  fast  zu  neu  um  ernstlich  daran  zu  denken. 
Allein  ich  bin  von  der  Noth wendigkeit  mündlicher  Mittheilungen  unter 
wahrheitliebenden  Männern,  vollends  bey  dem  jetzigen  kläglichen  Sinken 
der  Philosophie,  so  vest  überzeugt,  daß  ich  dennoch  Ihre  Äußerung,  so 
leicht  hingeworfen  sie  auch  seyn  mag,  aufgreife,  um  Ihnen  die  Frage  vor- 
zulegen,  ob  wir  irgendwo  zusammentreffen  könnten?  In  wenigen  Wochen 
reise  ich  auf  etwa  14  Tage  nach  Berlin,  so,  daß  ich  sehr  wahrscheinlich 
in  der  Mitte  des  April  dort  seyn  werde.  Aber  gesetzt  auch,  daß  ich 
nicht  Hoffnung  habe,  Sie  alsdann  dort  zu  finden,  so  ist  es  nicht  ganz 
unmöglich,  daß  ich  in  den  Hundstagen  oder  im  Herbst  eine  Reise  nach 
Leipzig  mache,  wozu  ich  jedoch  schon  bald  die  Vorbereitungen  treffen 
müßte.  Hierzu  würde  ich  mich  leichter  entschließen,  wenn  ich  von  Ihnen 
entweder  nach  hier  oder  in  Berlin  die  erwünschte  Nachricht  bekäme,  daß 
Sie  dort  anzutreffen  seyn  und  einige  Zeit  für    mich    übrig   haben    würden. 

Mögen  diese  wenigen  Zeilen  Ihnen  bezeugen,  wie  sehr  es  mich  er- 
freuen würde,  ein  genaueres  Einverständniß  mit  Ihnen  zu  erreichen! 
Hochachtungsvoll  empfiehlt  sich  Herbart. 

*)  Die  Briefe  an  Chr.  A.  Brandis  in  Bonn  wurden  zuerst  veröffentlicht  von 
K.  G.  Brandis  in  den  Päd.  Blättern  für  Lehrerbildung  1898  (auch  als  Sonderdruck 
im  6.  Hefte  der  Beiträge  zur  Lehrerbildung  und  Lehrerfortbildung,  herausgegeben  von 
Muthesius,  Gotha,  E.  F.  Thienemann).  Sie  gelangen  hier  mit  gütiger  Erlaubnis  des  Be- 
sitzers der  Briefe,  Herrn  Dr.  K.  G.  Brandis,  Direktors  der  Universitäts-Bibliothek  in 
Jena,  der  auch  die  Originale  zur  Collationierung  fr.  zur  Verfügung  stellte,  u.  des  Heraus- 
gebers der  Päd.  Blätter.  Herrn  Schulrat  K.  Muthesius  in  Weimar,  zum  Abdruck. 

2)  Chr.  Aug.  Lobeck,    1781  — 1860,'  der  berühmte  Philolog.     S.  Allg.  d.  Biogr. 


März    1829.  187 

329.    Richthofen  an  H.1)  Brecheishof,  9ten  Maerz  29. 

Mein  verehrter  Freund!  Es  ist  die  Bestimmung  dieses  Briefes  Ihnen  zu  sagen  daß 
ich  mich  endlich  meines  Versprechens2)  und  jüngst  die  bewußte  Anzeige  an  Hn.  Eich- 
städt  gesandt  habe,  der  sie  hoffentlich  meiner  wiederhohlten  Bitte  gemäß  noch  in 
•den  Monath  März  aufnehmen  wird.  Ich  kann  den  Einfluß  unserer  kritischen  Blätter 
unmöglich  hoch  anschlagen,  und  wer  giebt  sich  gern  vergebliche  Mühe,  besonders 
in  einer  Sache  der  man  sich  nicht  vollkommen  gewachsen  fühlt,  aber  ich  hoffe 
meine  Anzeige  soll  Ihnen  meine  Achtung  und  meinen  Eifer  für  Wahrheit  beweisen. 
Dabei  gebe  ich  Ihnen  vorweg  zu,  daß  ich  hin  und  wieder  geirrt  habe,  und  habe 
keineswegs  die  Anmaßung  die  Sache  besser  durchdacht  zu  haben  als  Sie,  im  Gegen- 
theil;  aber  Recensionen  sollen  nicht  nur  Auszüge  seyn,  sondern  selbst  aus  dem  Ge- 
sichtspunkt der  Relation  betrachtet,  womit  der  Referent  übereinstimmt  oder  nicht, 
bezeichnen  und  das  ihm  wichtig  Scheinende  hervorheben. 

Völlige  Uebereinstimmung  ist  endlich  kaum  denkbar,  und  erweckt  daher  den 
Verdacht  entweder  der  Unfähigkeit  oder  der  Verabredung.  Sie  selbst  haben  es 
übrigens  zu  verantworten,  wenn  ich  mich  in  eine  fremde  Provinz  gewagt.  Irrthümer 
können  Sie  ja  gelegentlich  widerlegen!  ||  Mir  schien  vorzüglich  wichtig,  daß  nicht 
-der  Lehrer  um  einzelner  Meinungen  wegen  das  Ganze  aufgebe;  darum  habe  ich 
wiederhohlt  erinnert,  daß  (außer  daß  nichts  verkehrter  seyn  kann  als  deshalb  die 
Untersuchung  bei  den  mehreren  möglichen  Wegen  immer,  von  neuem  zu  beginnen;) 
Ihre  Psychologie  nicht  nur  auf  einer  streng  philosophischen  Deduktion  beruht. 
Mir  däuchte  endlich  zweckmäßig  mathematische  Formeln,  die  auch  von  dem  Lesen 
einer  Recension  abschrecken,  zu  vermeiden.  Darum  habe  ich  zwar  vorzüglich  die  Ent- 
wicklung des  Ichs  verfolgt,  aber  auch  gezeigt,  daß  wenn  die  Selbsterhaltungen  viel- 
leicht noch  Gegenstand  fernerer  Untersuchung  scheinen  dürften,  darum  diese  ernstlich 
doch  nicht  aufzugeben  sey,  die  Erfahrung  uns  aber  da  entgegenkomme,  wo  vielleicht 
die  philos.  Ansichten  divergieren.  Ich  habe  die  Anzeige  bis  dahin  fortgeführt,  wo  das 
Selbstbewußtseyn  entwickelt,  die  Abstraktion  des  Ichs  nachgewiesen  und  der  eigent- 
liche Kreislauf  der  Untersuchung  abgeschlossen  ist.  Die  Anzeige  wird  wohl  durch 
•einige  Nummern  laufen.  Mit  Bewunderung  haben  mich  vorzüglich  einige  analytische 
Deduktionen  z.  B.  die  des  innern  Sinns  erfüllt.3) 

Reisen  Sie  noch  nach  Berlin?  Dann  besuchen  Sie  vielleicht  auch  mich;  von 
Frankfurth  wo  Sie  wohlidurchkommen  sind  bis  hierher  auf  guten  Chausseen  28  Meileu  ; 
•die  Schnellpost  geht  bis  Lüben  5  Meilen  entfernt!  Der  Weg  von  dort  über  Lignitz 
unmittelbar  nach  Brecheishof.  Sie  könnten  dann  über  ||  Breslau,  wohin  ich  Sie  be- 
gleitete, zurückreisen.  In  Berlin  bin  ich  eigentlich  wenig  bekannt;  auch  bedürfen 
•Sie  wohl  keiner  Empfehlungen.  Kennen  Sie  den  trefflichen  Savigny?  Nicolovius,  der 
Sie  mir  einmal  rühmte,  ist  jetzt  von  den  Geschäften  wohl  ziemlich  entfernt. 

Leben  Sie  wohl,  und  bedenken  Sie  daß  ich  kein  Philosoph  aber  Ihr  Freund 
bin  und  zugleich  ein  Wahrheit  liebender  Mann. 

Der  Ihrige    Richthofen. 

3.  April  (Berlin):    Schreiben    an    den    Minister,    die    Zusammenkunft    mit   Brandis    und 
Drobisch  betr.     S.  Bd.  XIV.     S.  282  —  285. 

x)  3  S.    4°.     H.  Wien. 

2)  Hier  fehlt  im  Original  ein  Wort,  etwa  „erinnerte"  oder  „entledigte''. 

3)  Die  Recension  befindet,  sich  in  der  Jen.  Allg.  Lit.-Zeitung,  April  1829, 
Nr.  68 — 71,  sie  ist  unterzeichnet:  R. 


l88  April   1829. 

330.  An    DrODisch.1)  Berlin  8  April   182$. 
Hochgeehrter   Herr   Professor!    Nicht   blos   der  Entfernung   nach    bin 

ich  Ihnen  jetzt  um  beynahe  80  Meilen  näher  als  sonst,  sondern  auch  in 
Gedanken  fast  stets  bey  Ihnen.  Mein  Wunsch,  mit  Ihnen  persönlich 
über  mehrere  wissenschaftliche  Gegenstände  Rücksprache  zu  nehmen,  hat 
sich  beynahe  schon  in  einen  Plan  verwandelt,  und  es  ist  nicht  ganz  un- 
wahrscheinlich, daß  dieser  Plan  sich  sogar  mit  Begünstigung  von  Seiten 
des  preußischen  Ministeriums  der  geistl.  und  Unterrichts-Angelegenheiten 
wird  ausführen  lassen.  Aber  mancherley  vorgängige  Verabredungen  würden 
nöthig  seyn,  wenn  alles  gehörig  zur  Reife  kommen  sollte.  —  Ich  habe 
vom  Hr.  Prof.  Brandis  in  Bonn  kürzlich  einen  so  verbindlichen  Brief  er- 
halten, daß  ich  auch  diesen  zu  sehen  wünsche;  —  und  zwar,  wenn  es- 
seyn  könnte,  mit  Ihnen  zugleich!  Denn  die  große  Angelegenheit,  Philo- 
sophie und  Mathematik  wieder  in  gehörige  Verbindung  zu  setzen  — ,  er- 
fordert durchaus,  daß  sich  Mathematiker  mit  solchen  Philosophen,  welche 
ihre  Wissenschaft  erstlich  historisch  sehr  genau  kennen,  und  zweytens  von 
der  reinsten  Wahrheitsliebe  ||  beseelt  sind,  so  genau  als  möglich  zu  ver- 
einigen ;  solche  Vereinigung  aber  läßt  sich  ganz  ohne  persönliche  Bekannt- 
schaft nicht  bewerkstelligen.  Was  Einer  einmal  als  Schriftsteller  gesagt 
hat,  das  will  er  meistens  hintennach  behaupten  und  verfechten;  darum 
muß  man   erst  mündlich  anfangen  sich  zu  verstehen. 

Meine  Vorfrage  an  Sie  ist  nun,  ob  Sie  in  den  Hundstagen,  also  Ende 
Juli  oder  Anfangs  Augusts,  in  Leipzig  seyn  und  Muße  haben  werden? 
Oder  ob  Sie  (was  mir  viel  lieber  wäre,)  vielleicht  Sich  bewogen  finden 
könnten,  hierher  nach  Berlin  eine  Reise  zu  machen,  die  sich  Ihnen,  falls 
Sie  Berlin  noch  nicht  kennen,  vielfach  belohnen  würde;  wenigstens  macht 
Berlin  auf  mich  einen  ganz  unerwartet  großen  und  heiteren  Eindruck. 
Oder  ob  es  vielleicht  am  Ende  des  Septembers  eher  möglich  wäre,  unsere 
Zusammenkunft  zu  veranstalten? 

Nach  Ihrer  Antwort  müssen  sich  meine  Vorschläge  an  Brandis  in 
Bonn  richten.  Sie  werden  aber  die  Güte  haben,  noch  nicht  laut  hievon 
in  Leipzig  zu  reden,  da  noch  manche  Ungewißheit  über  der  Sache  schwebt. 
Können  Sie  mir  gleich  antworten,  so  trifft  mich  Ihr  Brief  noch  hier,  und 
das  wäre  sehr  erwünscht;  ich  bleibe  noch  etwa  8  Tage  hier:  Adressiren 
Sie :  abzugeben  an  Hrn.  Regierwigsrath  Reichhelm^  Oranienburger  Straße  No.  17. 

Hochachtungsvoll      Herbart. 

331.  Drobisch  an  H.2)  Leipzig,  d.  10.  April  1829. 

Verehrtester  Herr  Professor!  Durch  Ihre  gütige  Zuschrift  von  Berlin  haben 
Sie  mir  eine  neue  Ehre  erwiesen,  die  zu  verdienen  ich  mir  so  wenig  bewußt  bin 
wie  die  andern  Lobsprüche,  mit  denen  Sie  nun  schon  bei  einigen  Gelegenheiten  die 
Augen  derer,  die  sich  für  Philosophie  interessiren,  auf  mich  gerichtet  haben,  ohne 
daß  ich  den  Schauenden  etwas  Sehenswerthes  darzubieten  vermag;  und  auf  welche 
ich  längst  mit  einem  Dank-  auch  ein  Bitt-Schreiben  Ihnen  hätte  übergeben  sollen. 
Sich  selbst  und  die  andern  Philosophen  nicht  über  mich  zu  täuschen.  Sie  haben, 
wie  es  scheint,   eine  überaus  günstige  Meinung  von  mir  gefaßt,   weil  es  mir,   nach 

1)  2   S.     2°. 

2)  28/4'  S.  4  °.    H.  Wien. 


April   1829.  189 

Ihrem  eigenen  Urtheil,  gelungen  ist  Sie  zu  verstehen.  Mehr  läßt  sich  aber  auch 
nicht  sagen.  Ich  bin  Laie  in  der  Philosophie,  mein  philosophisches  Wissen  ist 
Stückwerk.  Mathematik,  Physik,  Astronomie  haben  mich  mit  der  Philosophie  zugleich 
•angezogen  und  leider  keine  mit  überwiegender  Stärke,  bis  denn  nun  meine  äußere 
Stellung  wenigstens  vor  der  Hand  der  ersten  den  Vorzug  gegeben  hat.  Wüßten 
Sie  nun  noch  überdies,  was  Sie  wol  nicht  gedacht  haben,  daß  ich  noch  nicht  einmal 
so  alt  bin  wie  die  Jahrzahl,  so  hoffe  ich  werden  Sie  Ihre  günstige  Meinung  etwas 
herabspannen  und  sich  von  mir,  wenigstens  jetzt  nicht  versprechen,  daß  ich  so  viel 
zur  Förderung  eines  großen  Zwecks  zu  leisten  vermag  als  Sie  zu  erwarten  scheinen.1) 
Der  Belehrung  werden  Sie  mich  immer  zugänglich  finden,  wo  sie  in  mir  Über- 
zeugung hervorzubringen  vermag:  und  die  letztere  wird  immer  mit  durch  ein  im 
Studium  der  Mathematik  erworbenes  Gefühl  der  vollen  Befriedigung  motivirt,  das 
Sie  wohl  als  richtigen  Tact  rühmen  mögen;  aber  eben  in  diesem  Vorherrschen  der 
Empfänglichkeit  und  in  dem  großen  Mangel  an  historischer  Gelehrsamkeit  in  der 
Philosophie,  dem  zu  begegnen  mir  vor  der  Hand  nicht  erlaubt  ist,  liegt  gewiß  ein 
vollgültiger  Grund,  mich  zu  erfolgreichem  Mitwirken  bei  einem  bedeutenden  Zwecke 
für  untauglich  zu  halten.  Nach  dieser  aufrichtigen  Beichte,  die  mir  schon  seit 
längerer  Zeit  auf  dem  Herzen  gelegen  hat,  kann  ich  um  so  offener  bekennen,  daß  es 
mir  höchst  interessant  seyn  ||  würde,  Ihre  persönliche  Bekanntschaft  zu  machen,  und 
daß  ich  Ihrem  gütigen  Vorschlage  dazu,  wenn  Sie  nun,  nach  meiner  Darlegung,  es  noch 
wünschenswerth  finden,  mit  Vergnügen  entgegen  kommen  werde.  In  den  Hunds- 
tagen bin  ich  allerdings  hier  in  Leipzig  und  könnte  mich  wohl,  so  weit  es  die  Vor- 
lesungen und  die  Vorbereitungen  erlauben,  von  andern  Geschäften  frei  machen  (die 
Collegien  für  einige  Tage  auszusetzen  ist  bei  der  Kürze  des  diesjährigen  Sommers 
unerwünscht);  ich  würde  aber  doch  die  zweite  Hälfte  des  Septembers  vorziehen  und. 
wäre  sehr  geneigt,  nach  Berlin  zu  kommen,  was  ich  ohnehin  noch  nicht  sah  — 
wenn  nicht  Veränderungen  in  meiner  Familie,  die  mir  bis  dahin  bevorstehen  und 
deren  Folgen  ich  jetzt  noch  nicht  übersehen  kann,  gegen  meinen  Wunsch  und 
Willen  mir  Hindernisse  in  den  Weg  legen.  Ihren  Wunsch,  vor  der  Hand  von  Ihrer 
Einladung  noch  nicht  laut  zu  sprechen,  erfülle  ich  herzlich  gern,  denn  ich  spreche 
lieber  von  Dingen,  die  geschehen  sind,  als  von  solchen,  die  geschehen  sollen. 
Sollten  Sie  nun  wol  gar  beabsichtigen,  eine  kleine  Gesellschaft  von  Philosophen  und 
Mathematikern  zu  einer  Zusammenkunft  einzuladen,  so  dürfte  es  meiner  Meinung 
nach,  bei  dem  so  sehr  gesunkenen  Ansehen  der  Philosophie,  wohl  gethan  seyn,  alles 
Aufsehen  zu  vermeiden;  singen  doch  jetzt  selbst  von  der  Zusammenkunft  deutscher 
Naturforscher  schon  manche  Stimmen:  parturiunt  montes  etc.  Überhaupt  möchte 
ich  wol  im  Voraus  wissen,  ob  Sie  Sich  außer  dem  allgemeinen  Nutzen  des  persön- 
lichen Bekanntwerdens  und  des  dadurch  möglichen  schnellen  Idee?mmsatzes.  noch 
einen  besonderen  als  erzielbar  denken:  ob  sie  eine  mündliche  Ausgleichung  der 
Meinungen  oder  eine  Verabredung  zur  Förderung  des  Studiums  oder  irgend  eine  ge- 
meinschaftliche Unternehmung  beabsichtigen  u.  dgl.  m.  Daß  Sie  Philosophen  fordern, 
die  ihre  Wissenschaft  genau  historisch  kennen,  finde  ich  höchst  treffend.  Sollte  es 
noch  einmal  zu  einem  ||  Gemeingute  in  der  Philosophie  kommen,  so  kann  ich  mir 
nur  die  historische  und  die  mathematische  Basis  als  die  einzigen  reellen  Stützpunkte 
denken,  von  denen  man  ausgehen  müßte.  Ohnstreitig  ist  aber  unsre  praktische  Zeit 
der  philosophischen  Speculation  sehr  ungünstig.  Eher,  so  scheint  es,  will  man  in 
den  Wissenschaften  überein  kommen,  gewisse  Grundfragen  unentschieden  zu  lassen, 
als  die  Antwort  einer  schwankenden  Metaphysik  zu  erwarten.     Hierzu  kommt  noch 


l)  Drobisch,    1802   geb.,   war   schon    1826  0.  Prof.   der  Math,   in  Leipzig  ge- 
worden.    S.  W.  Neubert-Drobisch,  1902,  S.  24. 


IQO  April    1829. 

dies,  daß  das  gemeinste  Interesse  der  Philosophie  nicht,  wie  in  Mathematik,  Natur- 
wissenschaften und  zum  Theil  auch  Geschichte  an  der  Entdeckung  neuer  über- 
raschender Thatsachen,  sondern  vielmehr  an  mehr  oder  wenig  sicherer  Entscheidung 
uralter  Fragen  (Gott,  Freiheit,  Unsterblichkeit  etc.)  geknüpft  ist,  welche  man  nun, 
nachdem  die  Speculation  nur  ermüdet  hat  ohne  durchgreifend  zu  überzeugen,  be- 
quemer findet,  jeder  für  sich,  subjektiv  nach  "Wahrscheinlichkeitsgründen  zu  ent- 
scheiden als  von  den  Dogmen  der  Schulen  abhängig  zu  machen. 

Sie  sehen,  Yerehrtester,  ich  bin  ein  wenig  Hypochonder  in  der  Philosophie. 
Über  wie  vieles  würden  Sie  mich  da  des  bessern  belehren  können!  Aber  wie  Sie 
dann  noch  Vortheil  von  mir  zu  ziehen  hoffen?  Dies,  bitte  ich,  wollen  Sie  gefälligst 
überlegen.  Entschuldigen  Sie  gütigst  meine  Offenheit  und  Freimüthigkeit  und  erhalten 
Sie  mir  auch  für  die  Zukunft  Ihr  so  schätzbares  Wohlwollen.     Der  Ihrige     Dr. 

N.  S.  Sie  haben  doch  wol  am  Ende  Ihrer  Eecens.  von  Buquoy  gelesen,  daß 
die  mathem.  Psych,  ein  Ding  ist,  worüber  keiner  den  andern  versteht?  Da  haben 
Sie's  ja,  daß  ich  vor  Heinroth  =  0  bin.1) 

332.    An  Drobisch.2)  Berlin  18  April  1829. 

Veehrtester  Herr  Professor!  Aus  Ihrem  gütigen  Schreiben  vom 
10  d.  M.  nehme  ich  vor  Allem  die  Versicherung  heraus,  daß  Sie  meinem 
Vorschlage  entgegen  zu  kommen  geneigt  sind.  An  dem  Übrigen  Ihres 
Briefes  darf  ich  nicht  viel  deuten  und  auslegen,  sonst  fände  ich  am  Ende 
wohl  gar  einen  Sinn  darin,  welchen  nicht  zu  finden  jetzt  doppelt  für  mich 
Pflicht  ist.  Denn  reisen  muß  ich  nun  schon,  und  zwar,  um  Sie  und 
Brandis  aufzusuchen,  wo  und  wie  ich  Sie  auch  finden  möge.  Vernehmen 
Sie,  um  Sich  davon  zu  überzeugen,  folgende  Worte  aus  einer  Verfügung 
des  Herrn   Ministers  von  Altenstein  an  mich,  vom   7.  d.  M. 

,, Damit    Sie    in    den    Stand    gesetzt   werden,    in    Bezug   auf   Ihre 
„wissenschaftlichen  Bestrebungen  sich  mit  den  Professoren  Brandis 
„in   Bonn  und  Drobisch   in   Leipzig   persönlich    zu    berathen,    er- 
„theilt  Ihnen  das  Ministerium    hiedurch   nicht    nur   den   erforder- 
lichen  Urlaub,    sondern  bewilligt  Ihnen  auch    eine    außerordent- 
liche Remuneration  von  300  Thalern."3} 
Diese  Summe    ist    mir    sogar    schon    ausgezahlt,    weil    man    aus  Mis- 
verstand   glaubte,    ich    wünschte    meine   Reise    gleich   jetzt    zu    verlängern, 
welches  nicht  möglich  ist.    Denn  auf  den  Empfang  so  vieler  Gunst,  als  ich 
hier  gefunden,  mich  vorzubereiten,  konnte  mir  in  Königsberg  nicht  einfallen. 
Möchte  es  mir  nun  gelingen,    die  unangenehmen   Eindrücke    zu    ent- 
fernen, welche  Sie  gefaßt  zu  haben  scheinen!    Einverstanden    bin    ich  mit 
Ihnen  darin,  daß  wir  kein  öffentliches  Aufsehen  machen  müssen.     Gleich- 
wohl   wird   die    mir    erwiesene   Gunst    des   Ministers    ohne  Zweifel   bekannt 
werden,   —  und   am   Ende  der  Reise  muß  ich   ihm    natürlich   Bericht   er- 
statten;    wie    gering    auch    der    Erfolg    seyn    möge.     —     Hingegen    das 
literarische  Publicum    braucht    von    unserm   Zusammenkommen   gar  Nichts 

x)  Bd.  XUi,  S.  103  schreibt  Herbart  am  Schlüsse  der  erwähnten  Rezension, 
math.  Psych,  sei  „ein  Gegenstand,  worüber  einer  den  andern  versteht"  (d.  h.  worüber 
Herb,  den  Drobisch  versteht).  Die  Red.  der  Lpz.  Lit.  Ztg.  (Heinroth,  s.  Anm.  1  zur 
folg.  Seite)  setzt  zu  „einer"  die  Fußnote:  „soll  wohl  heißen:  Keiner."  Auf  diese 
Korrektur  bezieht  sich  Drobischs  Äußerung. 

2)  2  S.    20.  -    3)  Vgl.  Bd.  XIV.     S.  286  f. 


April   1829.  IQI 

zu  erfahren;  oder  erfährt  es  etwas  durch  irgend  einen  Dienstfertigen,  so 
kümmert  uns  das  nicht,  —  so  wenig  als  mich  Hr.  Heinroth1)  kümmern 
würde,  wenn  nicht  die  Redaction  der  Leipz.  L.  Z.  für  gut  gefunden  hätte, 
quasi  re  bene  gesta  noch  neue  Recensionen  von  mir  zu  verlangen;  dieser 
Umstand  wird  mich  am  Ende  wohl  noch  dahin  bringen,  ein  Wörtchen 
drein  zu  reden,  wenn  nicht  Krug2)  schon  vorgebeugt  hat.  —  Ihnen  steht 
leider!  Heinroth  näher!  Deshalb  wünschte  ich  von  Ihnen  zu  erfahren, 
was  Ihnen  lieber  seyn  wird,  ob  eine  öffentliche  Rüge  meinerseits,  oder 
möglichste  Vermeidung  des  ferneren  Redens.  Wenn  Sie  mir  gleich  ant- 
worteten, könnte  mich  vielleicht  Ihr   Brief  noch  hier  in   Berlin  finden. 

Von  hier  aus  schreibe  ich  noch  an  Brandis;  dessen  Entschluß  ich 
vor  allen  Dingen  wissen  muß,  ehe  ich  meinen  Reiseplan  entwerfen  kann. 
Nachdem  ich  von  ihm  Antwort  haben  werde,  erfahren  Sie  mehr  von  mir. 
Bis  dahin  begnüge  ich  mich,  um   Ihr  geneigtes  Andenken  zu  bitten. 

Hochachtungsvoll      Herbart. 

333.    Drobisch  an  H.3)  Leipzig,  d.  20.  April  1829. 

Hochverehrter  Herr  Professor!  Ich  säume  nicht,  Ihnen  auf  Ihre,  mir  wieder 
sehr  angenehme  Zuschrift,  augenblicklich  zu  antworten.  Um  alle  Zweideutigkeiten 
zu  entfernen,  die  etwa  in  meinem  Briefe  zu  finden  gewesen  seyn  könnten,  nehmen 
Sie  die  Versicherung,  daß  es  an  meinem  guten  Willen,  einen  großen  Zweck  nach 
Kräften  fördern  zu  helfen,  nie  fehlen  soll,  so  bald  ich  nur  über  Mittel  und  Wege 
die  nöthigen  Belehrungen  von  Ihnen  erhalten  haben  werde;  daß  ich  es  aber  für 
Pflicht  hielt,  Sie  auf  das  Maß  meiner  Kräfte  u.  s.  w.  aufmerksam  zu  machen. 

Was  die  Freigebigkeit  Ihres  Ministeriums  betrifft,  so  äußert  sie  sich  zwar  oft 
und  glänzend  genug;  daß  man  aber  einem  Philosophen,  der  kein  Anhänger  Hegels 
ist,  eine  solche  Unterstützung  zu  einem  wirklich  rein  wissenschaftlichem  Zwecke  zu- 
kommen läßt,  kommt  mir  unerwartet  und  kann  ich  mir  nur  aus  dem  höchst  vor- 
theilhaften  Eindruck  erklären,  den  Ihre  Persönlichkeit  gemacht  haben  muß. 

Im  Bezug  auf  Heinroths  Note  hat  Krug  im  Intelligenzblatt  erklärt,  daß  er 
nicht  der  Urheber  ist  und  er  sie  dem  Sinne  des  Hrn.  Rec.  für  unangemessen  finde; 
unwilliger  noch  äußerte  er  sich  hierüber  mündlich  gegen  mich.  Dies  ist  mir  für 
meinen  Theil  völlig  genug.  Aus  Heinroths  Urtheil,  das  hier  gänzlich  incompetent 
ist,  mache  ich  mir  nicht  das  Geringste;  daher  bitte  ich,  meinetivegen  die  Sache  nicht 
weiter  öffentlich  zu  berühren. 

Übrigens  steht  mir  gewissermaßen  Heinroth  nur  scheinbar  nahe:  denn  obgleich 
Professoren  an  Einer  Universität  haben  wir  doch  nie  zwei  Worte  mit  einander 
gesprochen. 

Die  Anzeige  in  der  Jen.  Litz.  von  Ihrer  Psychologie  ist  wol  von  Brandis? 
Eben  war  ich  im  Begriffe,  sie  zu  lesen  und  habe  wenigstens  gesehen,  daß  dieser 
Rec.  doch  auch  willig  auf  Ihre  Ansichten  eingeht. 

Mit  großem  Verlangen  sehe  ich  Ihrem  nächsten  Briefe  entgegen,  der  mir  Ihre 
weitere  Entschließungen,  ja  vielleicht  sogar  einige  vorläufige  Andeutungen  über  die 

x)  Heinroth,  1773 — 1843,  suchte  die  Psychiatrie  psychologisch  zu  begründen, 
gehörte  zur  Redaktion  der  Leip^.  Lit.-Ztg.  und  veröffentlichte  Werke  über  Seelen- 
störungen, über  ,, psychisch  gerichtliche  Medicin"  u.  viele  a.  Herbart  hatte  über 
Heinroths  „Hypothese  der  Materie"  eine  sehr  eingehende  vernichtende  Kritik  ge- 
schrieben.    S.  Bd.  XIII,  S.   171  ff. 

2)  Krug,  Wilh.  Traugott,  1770 — 1842,  der  Nachfolger  Kants  und  Vorgänger 
Herbarts  in  Königsberg,  seit   1809  o.  Prof.  d.  Philos.  in  Leipzig. 

3)  IS.   4°.     H.  Wien. 


ig2  Mai   1829. 

besonderen  Pläne,  bringen  wird,  deren  Ausführung  Sie  etwa  nach  mündlicher  Über- 
einkunft hoffen. 

Mit  Hochachtung  und  Ergebenheit  Drobisch. 

334.    Brandis  an  H.1)  Bonn,  2.  Mai  1829. 

Hochverehrter  Herr  Professor!  Ihnen  meinen  herzlichsten  Dank  für  Ihren  mir 
höchst  erfreulichen  Brief  vom  17ten  v.  M.  früher  zu  sagen,  bin  ich  durch  eine 
kleine  Geschäftsreise  verhindert  worden.  Inzwischen  werden  Sie  aus  meinen  leider 
nicht  mehr  vor  Ihrer  Abreise  in  Königsberg  eingetroffenen  Zeilen  v.  E.  März  vor- 
läufig ersehen  haben,  mit  welcher  Freude  ich  Ihrem  schönen  Vorschlage  entgegen- 
komme, u.  wie  nur  unabwendbare  Verhältnisse  mich  bestimmen  können  auf  einige 
Modification  dabey  anzutragen.  Im  July  oder  August  Ihnen  bis  Leipzig  entgegen  zu 
kommen  ist  mir  leider  in  diesem  Jahre  schlechthin  ohnmöglich:  vor  dem  14t.  d. 
nämlich  wird  es  hier  schwerlich  zu  Vorlesungen  kommen,  u.  mit  Anfang  September 
muß  ich  schließen  um  eine  Badereise  zu  unternehmen,  zu  der  ich  mich  wohl  ent- 
schließen muß,  will  ich  die  Früchte  der  vorjährigen  nicht  gänzlich  aufopfern  u. 
einen  schlimmen  Winter  entgegensehen:  so  werde  ich  daher  keinen  Tag  aussetzen 
dürfen  u.  im  August  die  Vorlesungen  verdoppeln  müssen,  um  einigermaßen  mein 
Ziel  zu  erreichen;  wenn  ich  nicht  etwa  das  Ministerium  bitten  will,  mich  für  diesen 
Sommer  von  Vorlesungen  zu  dispensiren,  was  in  mehr  als  einer  Rücksicht  unthun- 
lich  ist.  Es  bleibt'  mir  daher  nur  übrig  entweder  Sie  zu  bitten  mir  im  July  oder 
August  die  Freude  Ihres  Besuches  zu  gönnen,  oder  mich  zu  erbieten  gegen  den 
6ten  od.  9ten  Oct.  nach  beendigter  Badecur  an  einem  Mittelorte  mit  Ihnen  zu- 
sammenzutreffen. Jenes  würde  ich  unbedingt  vorziehen,  müßte  ich  nicht  fürchten, 
daß  mir  durch  Verdopplung  m.  Vorlesungen  u.  die  mir  im  August  bevorstehenden, 
sehr  langwierigen  Prüfungen  bey  der  Wissenschaft.  Pr.  C,  die  vom  Zusammenseyn 
mit  Ihnen  gehofften  Früchte  in  hohem  ürade  verkümmert  wenn  nicht  gar  geraubt 
werden  würden.  Zu  einer  Zusammenkunft  im  October  erlaube  ich  mir  vorzugsweise 
Frankfurt  a/M.  oder,  sollte  Ihnen  die  Entfernung  zu  weit  seyn,  Gotha  od.  Eisenach 
vorzuschlagen:  nicht  Leipzig,  weil  ich  es  von  Baden-Baden,  wohin  ich  mich  zur 
Badecur  wohl  wenden  werde,  da  Carlsbad  für  die  mir  knapp  zugemessene  Zeit  zu 
fern  seyn  möchte,  nicht  in  kurzer  Zeit  u.  ohne  den  Erfolg  der  Cur  aufs  Spiel  zu 
setzen  erreichen  könnte.  Doch  behalte  ich  mir  vor  bis  Leipzig  zu  kommen,  falls 
mein  Arzt  mir  den  Gebrauch  des  Carlsbads  verordnet.  ||  Nur  in  letzterem,  unwahr- 
scheinlichem Falle  würde  ich  das  Vergnügen  haben,  Herrn  Prof.  Drobisch  Bekannt- 
schaft zu  machen,  die  mir  allerdings  sehr  erfreulich,  aber  für  jetzt  nicht  so  wichtig 
wie  dann  wäre,  wenn  mir  es  gelungen  seyn  wird,  frühere  mathematische  Studien 
aufzufrischen  u.  durch  neue  zu  ergänzen;  woran  ich  zu  meinem  Kummer,  solange 
die  Aristotelier  mich  in  Anspruch  nehmen,  d.  h.  in  den  nächsten  zwey  bis  drey 
Jahren  nicht  denken  darf.  Ich  muß  daher  auch  bitten  für  Verständigung  mit  jenem 
ausgezeichneten  Manne  auf  mich  nicht  zu  rechnen:  soweit  sie  Mathematik  betrifft, 
könnte  ich  nur  zu  eigener  Belehrung  daran  Theil  nehmen,  u.  auch  das  für  jetzt  nur 
sehr  unvollkommen.  Seit  mehreren  Jahren  fühle  ich  ein  dringendes  Bedürfniß  mich 
von  neuem  mit  der  Mathematik  zu  befreunden,  aber  bis  jetzt  haben  Arbeiten  es 
unmöglich  gemacht,  zu  denen  ich  vor  fast  10  Jahren  mich  verbindlich  gemacht  habe, 
ohne  die  ungeheure  Masse  derselben  zu  überschlagen  u.  die  ich  nicht  von  mir  ab- 
wälzen kann,  ohne  Verbindlichkeiten  zu  verletzen  u.  bedeutende  Vorarbeiten  halb 
im  Stiche  zu  lassen.     Erwägen  Sie,  hochverehrter  Herr  Professor,  die  aus  dieser 


x)  2V4  S.    4°.     H.  Wien. 


Mai   1829.  IQ3 

Obliegenheit  sich  ergebende  Gebundenheit,  erwägen  Sie  ferner,  daß  ich  seit  9  bis 
10  Jahren  leidend  an  Unordnung  im  Blutumlauf,  die  an  die  Stelle  eines  gefährlichen 
Brustübels  getreten,  erst  im  vorigen  Jahr  mich  zu  ernstlicher  Cur  entschlossen  u. 
sie  in  diesem  fortsetzen  muß,  um  nicht  Gefahr  zu  laufen  das  Übel  zur  Unheilbarkeit 
heranwachsen  zu  sehn  —  so  wird  mein  Wunsch  Sie  möchten  zuerst  mit  Prof.  Drobisch 
verhandeln  u.  demnächst  mit  mir  gegen  den  6t.  oder  7  t.  October  wo  möglich  in 
Frankfurt  zusammentreffen  wollen,  keiner  weiteren  Entschuldigung  bedürfen.  Noch 
schöner  freilich  Sie  entschlössen  sich  dann,  mich  bis  Bonn  zu  begleiten  u.  noch 
einige  Zeit  in  meinem  Rheinhäuschen  zuzubringen:  wie  mancherley  u.  wie  ungestört 
ließe  sich  da  zuerst  auf  der  Reise  u.  demnächst  in  häuslicher  Ruhe  verhandeln  u. 
wäre  ich  auch  im  voraus  versichert,  Sie  hier  bey  mir  zu  sehen,  bis  Frankfurt  würde 
ich  Ihnen  entgegenkommen,  vorausgesetzt  daß  Sie  im  Octob.  einträfen,  um  die  Reise- 
tage nicht  zu  verlieren.  || 

Ich  schreibe  Ihnen,  um  längeren  Verzug  zu  vermeiden,  an  heftiger  Erkältung 
leidend,  daher  kurz  u.  vielleicht  etwas  verwirrt. 

Leben  Sie  wohl,  hochverehrter  Herr  Professor  u.  erhalten  Sie  mir  Ihre  mich 
beglückende  Geneigtheit. 

Mit  inniger  Verehrung  Ihr  Ch.  A.  Brandis. 

335.    Jäsche  an  H.1)  Dorpat  den  lOten  May  1829. 

Hochwohlgeborner,  Besonders  Hochzuehrender  Herr  Professor !  Sie  haben  mich, 
verehrtester  Herr  Professor!  auf's  Neue  wieder  zu  dem  achtungsvollsten  und  auf- 
richtigsten Danke  gegen  Sie  verpflichtet,  theils  durch  das  mit  dem  ersten  Bande 
Ihrer  Metaphysik  mir  gemachte  kostbare  Geschenk,  theils  durch  Ihre  Recension  des 
2ten  Bandes  meiner  Schrift  über  den  Panth.,  welche  ich  soeben  in  den,  vor  wenigen 
Tagen  für  unsre  Univ. -Bibliothek  angekommenen  Blättern  der  Leipz.  L.  Z.  erblickt, 
mit  aller,  in  jedem  Betracht,  wie  von  Seiten  ihres  gediegenen  und  belehrenden  In- 
halts, so  auch  von  Seiten  ihres  liberalen  und  humanen  Tons,  ihr  gebührenden  Auf- 
merksamkeit und  Achtung  gelesen,  und  so  erwogen  habe,  daß  die  für  mich  darin 
enthaltenen  Belehrungen  und  Zurechtweisungen  auch  nicht  unbeachtet  von  mir  und 
unbenutzt  sollen  gelassen  weiden.  Das  kann  auch  wohl  um  so  weniger  der  Fall 
seyn,  je  mehr  Anregung  und  Aufforderung  zum  ernsten  und  unbefangenen,  auf  eine 
Revision  meiner  philosophischen  Grundansichten  und  Ueberzeugungen  gerichteten 
Nachdenken  ich  schon  jetzt  bey  dem  ersten  vorläufigen  cursorischen  Studium  des 
historisch -kritischen  Theils  Ihrer  Metaphysik  gefunden  habe.  Welche  gesunde, 
frische  und  kräftige  Nahrung  reichen  Sie  hier  jedem  nüchternen,  besonnenen  und 
wahrheitsliebenden  Denker  dar!  Und  es  ist  gewiß  auch  als  eine  wahrhaft  heilsame 
und  stärkende  medicina  mentis  zum  Gebrauch  für  die  Alle  insbesondre  zu  emp- 
fehlen, welche  sich  an  den  phantastischen  Speculationen  unserer  modernen  meta- 
physischen Mystiker  und  Schwärmer  ||  berauscht,  oder  durch  den  Genuß  der 
unverdaulichen  Speisen  einer  hyperscholastischen  Dialektik,  so  wie  in  unsern  Tagen 
ganz  besonders  die  Hegel'sche  Schule  dergleichen  Un Verdaulichkeiten  zuzubereiten 
und  aufzutischen  pflegt,  den  geistigen  Magen  sich  überladen  und  verdorben  haben. 
Darum  glaube  ich  auch  nicht  ohne  Grund  hoffen  zu  dürfen,  daß  eine  metaphysische 
Kritik  von  dieser  Schärfe  und  Strenge,  dieser  Gediegenheit  und  Gründlichkeit,  als 
eine  wohlthätige  Reaction  nicht  ohne  den  beabsichtigten  heilsamen  Erfolg  bleiben, 
sondern  so  manchen  in  dem  labyrinthischen  Gebiete  metaphysischer  Speculationen 
Umherirrenden    zu   einem  Ariadnischen  Leitfaden   dienen  wird,  der  ihn  sicher  aus 

])  3  S.    4°.     H.  Wien. 

Herbarts  Werke.     XVII.  13 


ig4  ^a*  T^29- 

diesem  Labyrinthe  herausführen  kann.  Welchen  Gewinn  für  die  Befriedigung  meines 
eigenen  metaphysischen  Intereßes  und  Bedürfnißes,  theils  durch  Läuterung  und 
Berichtigung,  theils  durch  weitere  Aufklärung  und  festere  Begründung  meines  philo- 
sophischen "Wissens  und  Glaubens,  Ihre  historisch -kritischen  Nachforschungen  auf 
dem  Felde  der  Metaphysik  mir  bereits  eingebracht,  und  wie  insbesondere  auch  der 
scharfe  und  ernste,  und  in  die  Tiefe  eindringende  kritische  Forschergeist,  welcher 
in  dem  gedachten  Werke  dem  Aufmerksamen  und  Unbefangenen  überall  begegnet, 
meinen  eigenen  Blick  für  unbefangene  Beurtheilung  der  schwachen  Seiten  und 
Parthien  des  Kriticismus,  als  Systems,  nicht  wenig  geschärft,  davon  sollen  Sie  die 
Früchte  meiner  schon  gemachten  und  noch  zu  machenden  genauem  und  voll- 
ständigeren Bekanntschaft  mit  Ihren  so  verdienstlichen  Arbeiten  in  der  Art  und 
Weise  meiner  weiteren,  gegen  die  transscendenten  Speculationen  unserer  modernen 
Lehrer  des  Pantheismus  gerichteten  Polemik  erkennen.  Wohl  hätte  überhaupt,  wie 
Sie  mit  Recht  in  Ihrer  2ten  Recension  gegen  mich  erinnern,  meine  Polemik  nament- 
lich in  Beziehung  auf  Spinoza,  noch  sehr  viel  schärfer  seyn  sollen  und  können. 
Ich  sehe  das  nun  auch  selbst  beßer  ein;  und  Ihre  kritische  Darlegung  und  Aus- 
stellung der  vielen  und  groben  Gebrechen  und  Verkehrtheiten  des  Spinozismus, 
worüber  mir  Ihre  Metaphysik  noch  mehr  die  Augen  geöfnet,  hat  mich  darum  auch 
deutlich  genug  davon  ||  überführen  müssen,  daß  ich  mit  dem  alten  Verführer  der 
Neuern  immer  noch  viel  zu  säuberlich  umgegangen  bin.  Bey  einer  im  3ten  Bande 
zu  versuchenden  Zusammenstellung  und  Vergleichung  des  Alten  und  Neuen  aller 
pantheistischen  Speculation  in  Rücksicht  auf  Materie  und  Form,  Vorstellungsart  und 
Ausdrucksweise,  wird  sich  das  von  mir  bis  jetzt  Versäumte,  Ihren  Erwartungen  und 
Forderungen  gemäß,  noch  nachholen;  das  noch  nicht  genau  genug  Beachtete,  deut- 
licher und  vollständiger  auffassen,  und  das  nicht  scharf  genug  Geprüfte,  nachdrucks- 
voller noch  rügen  lassen.  Wenn  ich  nun  überhaupt  Ihnen,  Verehrtester  Herr 
Professor!  dessen  Werth  und  dessen  Verdienste  als  philosophischen  Denkers  und 
Schriftstellers  um  Beförderung  und  Verbreitung  der  Zwecke  der  Wahrheit  und 
Wissenschaft  ich  anerkenne  und  zu  schätzen  weiß,  hiermit  das  Wort  gebe,  daß  bey 
dem  noch  vorhabenden  Geschäfte  der  Vollendung  dessen,  was  ich  begonnen,  und 
auch  schon  weiter  fortgeführt,  mein  eifriges  Bestreben  darauf  gerichtet  seyn  soll,  all 
die  bedeutungsvollen  und  wichtigen  Winke  und  Fingerzeige  und  Andeutungen, 
welche  ich  in  Ihren  beyden  Recensionen,  desgleichen  in  Ihrer  Metaph.  zu  meiner 
Belehrung  und  Zurechtweisung  gefunden,  mit  Sorgfalt  zu  beachten  und  zu  benutzen: 
so  glaube  ich  auch  durch  gewissenhafte  Erfüllung  dieser  Zusage  Ihnen  auf  die 
würdigste  und  annehmlichste  Weise  den  Dank  darbringen  und  ausdrücken  zu  können, 
auf  welchen  Sie  sich  durch  Ihre  öffentliche  Beurtheilung  meiner  Schrift,  die  für 
meine  philosophischen  Bestrebungen  und  deren  Absichten  so  ehrenvoll  und  auf- 
munternd ist;  so  wie  zugleich  durch  die  ernste  und  nachdrucksvolle  Zurückweisung 
eines  Gegners,  wie  der  Vf.  der  von  Ihnen  gerügten  Streitschrift  gegen  mich  auf- 
getreten ist,  die  gerechtesten  Ansprüche  erworben  haben. 

Mit  dieser  aufrichtigen  Versicherung,  und  unter  Bezeigung  meiner  hohen 
Achtung  für  ihren  philosophischen  und  persönlichen  Charakter  empfehle  ich  mich 
Ihrem  fortdauernden  mir  überaus  schätzenswerthen  freundlichem  und  freundschaft- 
lichem Andenken  als 

Ihr  aufrichtiger  Verehrer     Jäsche. 

15.   Juni:  Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar.     S.  Bd.  XV.     S.  4 — 9» 


Juli   1829.  iq$ 

336.     An   Brandis.  Königsberg,   1  Juli  1829. 

Hochverehrter  Herr  Professor!  Ihr  Arzt,  unter  dessen  Gebot  Sie 
leider  stehen,  wird  wahrscheinlich  jetzt  entschieden  haben,  ob  Sie  die 
Badekur  im  Karlsbade,  oder,  welches  nach  Ihrem  letzten  gütigen  Schreiben 
wahrscheinlich  ist,  in  Badenbaden  machen  werden.  Im  letzten  Falle  muß 
ich  für  diesen  Herbst  wohl  Verzicht  darauf  thun,  Sie  persönlich  zu  begrüßen. 
Meine  Gesundheit  würde  eine  Reise,  von  der  ich  erst  im  November 
hierher  zurückkäme,  nicht  ertragen.  Eher  noch  ließe  sich  ein  Zusammen- 
treffen denken,  wenn  der  erstere  Fall  einträte,  und  Sie  alsdann  geneigt 
wären,  über  Leipzig  Ihren  Weg  zu  nehmen.  Es  ist  unvermeidlich,  daß 
ich  Sie  mit  der  Bitte  beschwere,  mich  jetzt  baldigst  über  ihren  Reiseplan 
zu  benachrichtigen;  weil  ich  nur  dadurch  beym  Herrn  Minister  von  Alten- 
stein entschuldigt  seyn  kann,  wenn  ich  meiner  Reise  entweder  eine  andere 
Richtung  gebe,  oder  sie  bis  nächstes  Frühjahr  aufschiebe.  Was  würde 
auch  die  Metaphysik  für  eine  lästige  Person  werden,  wenn  sie  sich  Ihnen 
unmittelbar  nach  einer  angreifenden  Badekur  aufzudringen  versuchte!  Und 
wie  wenig  Gewinn  möchten  wir  dadurch  erreichen! 

Ein  anderer  Umstand  verspricht  mir  eine  Art  von  Surrogat;  falls  Ihre 
Güte  für  mich  groß  genug  ist,  um  sich  auf  einen  jungen  Mann  ausdehnen 
zu  wollen,  der  lange  mein  Zuhörer  war,  und  der  jetzt,  um  als  akademischer 
Dozent  aufzutreten,  Bonn  zum  Schauplatze  seiner  ersten  Versuche  zu 
wählen  gedenkt.  Der  Doctör  Bobrick, x)  dessen  Studien  hier  und  in  Berlin 
(bey  Hegeln,  welchem  er  jedoch  nicht  anhängt)  geendigt  sind,  und  den  wir 
gestern  promovirt  haben,  wünscht  Ihnen  durch  mich  empfohlen  zu  seyn. 
Von  seiner  Darstellungsgabe  läßt  sich  etwas  Gutes  hoffen,  über  seine  Art 
zu  philosophiren  würde  ich  nur  ein  partheyisches  Urtheil  haben;  soviel 
kann  ich  sagen,  daß  ich  mit  seinem  Examen  in  Logik,  praktischer  Philo- 
sophie, Psychologie  und  Metaphysik  sehr  wohl  zufrieden  war.  Ueberdies 
wird  er  Pädagogik  vortragen  können,  worin  er  sich  unter  meiner  An- 
leitung praktisch  geübt  hat.  —  Er  wünscht  zu  wissen,  ob,  wenn  er  gegen 
Michael  nach  Bonn  kommt,  er  sich  dort  habilitiren  muß,  oder  ob  er  die 
Erlaubniß,  dort  zu  lesen,  auch  dadurch  gewinnen  kann,  daß  er  hier  den 
Habilitations-Actus  vollzieht;  welches  letztere  ihm  in  mancher  Hinsicht 
bequemer  wäre.  Seine  Dissertation  de  ideis  innatis  pro  principiis  habitis 
(die  mehr  metaphysisch  als  psychologisch  ist)  wird  er  wohl  gedruckt  mit- 
bringen, und  sie  wird,  glaube  ich,  die  Nachsicht  verdienen,  welche  man 
Anfängern  nicht  zu  versagen  pflegt.  Er  wird  ein  Mittelglied  zwischen 
Ihnen  und  mir  abgeben  können,  wenn  Sie  es  erlauben,  wenigstens  bis  wir 
uns  selbst  sprechen. 

Um  baldige  Nachricht  möchte  ich  wohl  auch  so  dreist  seyn  noch 
über  einen  dritten  Punkt  zu  bitten.  Wird  Ihre  Recension  des  ersten 
Bandes  meiner  Metaphysik  (der  zweyte  muß  jetzt  auch  in  Ihren  Händen 
seyn)  bald  erscheinen?  Dies  ist  mir  wichtig  zu  wissen,  denn  mir  ist  zu 
Ohren  gekommen,  daß  Jemand  schon  vor  Erscheinung  des  zweyten  Theils 
so   eilig  gewesen  seyn  soll,    eine  Recension   des    ersten    niederzuschreiben; 

*)  Eduard  Bobrick,  bis  1834  in  Bonn,  dann  Prof.  d.  Phil,  in  Zürich,  seit  1857 
einer  andern  Lebensspbäre  angehörend.     Vgl.  Allihn,   Ztschr.  f.  ex.  Phil.   I,  S.  84. 

13' 


iq6  Juli  1829. 

und  es  kann  sich  fügen,  daß  eine  solche  Vorschnelligkeit  mich  zwingen 
würde ,  mich  etwas  minder  geduldig,  als  früherhin,  zu  zeigen,  falls  nicht 
durch  Sie  baldige  Abhülfe  des  zu   erwartenden   Übels  nachkäme. 

In   Hoffnung  erfreulicher  Nachrichten,    besonders   über  Ihre  Gesund- 
heit, empfiehlt  sich   Ihnen  mit  der  größten  Hochachtung 

Herbart. 

337.    Brandts  an  H.1)  Bonn,  17.  July  1829. 

Hochverehrter  Herr  Professor!  Erst  seit  wenigen  Tagen  bin  ich  im  Besitze  Ihres 
mir  sehr  theuren  Briefes  und  eile,  nachdem  ich  mit  mehreren  meiner  Collegen  Rück- 
sprache genommen,  Ihnen  zu  sagen,  daß  Herr  Dr.  Bobrick  sich  wohl  wird  ent- 
schließen müßen,  den  Habilitations-Förmlichkeiten  bey  uns  sich  zu  unterziehen.  Sie 
bestehen  in  einer  Vorlesung  vor  der  Facultät  in  Lateinischer  Sprache,  einer  zweyten 
Deutschen  0.  Lateinischen  im  großen  Hörsaal,  u.  in  der  Erlegung  von  fünf  Friedrichsd'or, 
die  der  Facultätskasse  zur  Bestreitung  ihrer  Ausgaben,  wie  copialia  u.  dgl.  anheim 
fallen.  Der  Regel  nach  soll  erstere  Vorlesung  über  einen  von  der  Facultät  auf- 
gegebenen Gegenstand  gehalten  werden  und  ein  colloquium  sich  daran  knüpfen;  doch 
kann  auch  ausnahmsweise  das  Thema  vom  Candidaten  in  Vorschlag  gebracht  werden. 
Ich  möchte  daher  Herrn  Dr.  Bobrick  vorschlagen  sich  baldigst  an  die  hiesige  Facultät 
zu  wenden,  sie  zu  ersuchen,  entweder  einen  Gegenstand,  worüber  er  vorzugsweise 
seinen  Vortrag  zu  halten  wünschte,  zu  genehmigen,  oder  zur  Vermeidung  des  Zeit- 
verlustes, ihm  baldigst  einen  andern  zu  geben  und  zu  verstatten,  daß  er  unmittelbar 
nach  dem  18.  Octob.,  dem  Wiederanfang  der  akademischen  Arbeiten,  darüber  seinen 
Vortrag  halte.  Bey  zulegen  wären  1)  Zeugnisse  über  sein  akademisches  Studium  und 
die  gesetzliche  Frist  desselben  2)  Doctordiplom ,  Dissertation  (Inaugurale)  nebst 
curricul.  vitae.  Ich  meines  Theils  würde  eine  in  Königsberg  stattgefundene  Habili- 
tation für  völlig  genügend  halten,  darf  aber  nach  dem  was  ich  mit  Collegen  darüber 
verhandelt  ihre  Zustimmung  mir  nicht  versprechen:  und  gesetzliche  Bestimmung 
würden  einem  solchen  Wunsche  leider  nicht  zu  statt  kommen.  Anders  vielleicht, 
wenn  Herr  Dr.  B.  schon  einige  Zeit  bey  Ihnen  in  Königsberg  docirt  hätte.  Im 
übrigen  darf  er  sich  aller  Freundlichkeit  versehen  und  der  nicht  geringen  Anzahl 
philosophischer  Docenten  ohngeachtet,  Theilnahme  für  seine  Vorlesungen  zu  finden 
hoffen.  Daß  er  ||  Ihr  Schüler  und  als  solcher  Ihren  Beifall  sich  verdient,  wird  gewiß 
nicht  bloß  bey  mir  ein  günstiges  Vorurtheil  für  den  jungen  Mann  erregen.  Recht 
sehr  freue  ich  mich  auf  seinen  Umgang  und  auf  die  Gelegenheit  über  Ihr  System 
mit  einem  bewährten  Anhänger  desselben  zu  verhandeln. 

Doch  wünsche  ich  mir  darum  nicht  weniger  lebhaft  Ihre  persönliche  Bekannt- 
schaft und  werde  was  irgend  meine  Verhältnisse  mir  erlauben,  thun,  sie  mir  zu 
verschaffen.  Da  mir  es  ohnmöglich  ist,  vor  dem  6ten  od.  8ten  Sept.  Bonn  zu  ver- 
lassen, daher  auch  das  Carlsbad  zu  gebrauchen,  so  hat  Herr  v.  Walther  für  dies 
Jahr  mich  von  dem  Besuche  eines  Bades  dispensirt,  dringt  dagegen  auf  eine  Er- 
holungsreise zu  Fuß  (Reisen  zu  Wagen  sind  mir  sehr  nachtheilig).  Bis  Göttingen 
oder  Gotha  würde  ich  die  nun  wohl  ausdehnen  können,  bis  Leipzig  schwerlich  ohne 
die  Vortheile  für  Gesundheit  aufs  Spiel  zu  setzen;  und  leider  muß  ich  ihnen  große 
Opfer  zu  bringen  mich  entschließen,  will  ich  eines  einigermaßen  erträglichen  Winters 
mich  zu  getrösten  haben:  in  dem  letzten  Monat  hat  mir  wiederum  mein  schlimmer 
Kopfschmerz  hart  zugesetzt.  Wäre  es  Ihnen  daher  möglich  zu  Mitte  September  an 
einem  jener  beiden   oder  irgend   einem   andren   von  Bonn  nicht   entfernteren  Orte 

l)  2l/9  S.  4°.     H.  Wien. 


Oktober   1829.  jqj 

mit  mir  zusammenzutreffen,  so  würde  ich  mit  Freuden  mich  einstellen.  Wo  nicht, 
vom  nächsten  Frühling  Erfüllung  meines  Wunsches  erwarten  müßen.  Ich  nenne 
Göttingen,  weiJ  wir  dort  einen  gemeinschaftlichen  Freund,  Dissen,  treffen  würden. 
Ihrer  gütigen  Entscheidung  sehe  ich  mit  Sehnsucht  entgegen,  und  wünsche  mir  schon 
im  voraus  für  die  Zeit,  die  mir  in  diesem  oder  nächsten  Jahre  mit  Ihnen  zuzubringen 
verstattet  seyn  möchte,  ein  Gefühl  von  Gesundheit,  wie  es  mir  leider  nur  hin  und 
wieder  zu  Theil  wird. 

Der  zweyte  Theil  Ihrer  Metaphysik  ist  erst  seit  einigen  Tagen  hier  im  Buch- 
handel, das  Exemplar,  worauf  eine  gütige  Äußerung  in  Ihrem  Briefe  mich  hoffen 
läßt,  noch  nicht  angelangt.  ||  Meine  Anzeige  des  ersten  Theils  glaube  ich  der  des 
zweyten  vorangehen  lassen  zu  können,  da  sie  wie  der  erste  Theil  selber,  ganz  wohl 
als  für  sich  bestehend  betrachtet  werden  kann;  ich  glaubte  mich  in  ihr  größtentheils 
auf  Charakteristik  beschränken  zu  müßen.  Recht  bald  werde  ich  sie  absenden  und 
wünschte  lebhaft,  daß  sie  Ihnen  —  eben  als  Charakteristik  —  nicht  mißfallen  möge. 
Auch  ein  neues  Heft  des  Rhein.  Mus.  das  bald  an  Sie  abgehen  wird,  empfehle  ich, 
in  Bezug  auf  einen  Aufsatz  von  mir,  über  die  Reihenfolge  der  Ionischen  Physiker 
Ihrer  gütigen  Nachsicht. 

Darf  ich  noch  bitten  auch  im  Fall  ich  nicht  das  Glück  haben  soll  Sie  auf  die 
in  Vorschlag  gebrachte  Weise  zu  sehen,  mir  zu  sagen,  ob  und  wohin  Sie  in  diesem 
Herbste  eine  Reise  unternehmen  werden?  Vielleicht  daß  dann  doch  meine  Kräfte 
weiter  reichten,  als  ich  mit  Bestimmtheit  zu  hoffen  wagen  darf. 

Leben  Sie  wohl,  verehrtester  Herr  Professor,  und  erhalten  Sie  Ihr  Wohlwollen 

Ihrem  aufrichtigen  Verehrer     Ch.  A.  Brandis. 
23.  Juli:  Herbart  wird  Schulrat.     S.  Bd.  VI,  S.    10  f. 

338.    J    D.  Gries  an  H.1)  Jena,  6.  October  1829. 

Mein  alter,  theurer  Freund!  Nach  so  langer,  und  nicht  von  meiner  Seite  ver- 
anlaßter,  Unterbrechung  unsers  Briefwechsels  und  aller  äußeren  Verbindung,  würde 
ich  kaum  wissen,  ob  ich  Dich  so  noch  nennen  darf,  wenn  ich  nicht  durch  eine  An- 
merkung in  einem  Deiner  neuern  Werke  erfahren  hätte,  daß  Du  mich  noch  zu 
Deinen  alten  Freunden  rechnest.  Vergieb  denn,  daß  ich  Dich  nun  auch  als  solchen 
behandle  und  Dir  diese  Sammlung  meiner  Gedichte  zusende,  die  großentheils  nur  für 
meine  Freunde  ein  Interesse  haben  können.  Ich  hoffe,  Dein  Herz  wird  Dir  sagen, 
daß  Du  zu  den  „Genossen  meiner  schönsten  Stunden"  gehörst.  Nie  kann  ich  jener 
Blüthezeit  meines  Lebens  gedenken,  ohne  mir  Dein  Bild  zurückzurufen. 

Wirst  Du  denn  nicht  einmal,  wenn  auch  nur  zum  Besuch,  nach  Deutschland 
zurückkehren  ?  Wie  sehr  würde  ich  mich  freuen,  den  Freund  meiner  Jugend  wieder 
zu  umarmen!  Von  Deinem  äußeren  Leben  weiß  ich  fast  nichts;  nur  daß  Du  ge- 
heurathet  hast,  ist  mir  zur  Kunde  gekommen.  Ich  lebe  noch  immer,  oder  vielmehr 
wieder,  in  unserm  alten  Jena,  ziemlich  einsam,  doch  in  einer  äußerlich  nicht  ganz 
ungünstigen  Lage.  Mein  größtes  LTngemach  ist  der  alte  Gehörfehler,  der  freilich 
mit  den  Jahren  sich  etwas  verschlimmert  hat.  Im  Sommer  1824  faßte  ich  den 
Entschluß,  nach  Stuttgart  zu  ziehen,  und  verlebte  drei  Jahre  in  dieser  freundlichen 
Stadt.  Aber  die  schwäbische  Luft  bekam  mir  schlecht.  Meine  bis  dahin  sehr  feste 
Gesundheit  fing  an  zu  wanken,  und  auf  den  Rath  des  Arztes  mußte  ich  mich  ent- 
schließen, nach  Jena  zurückzukehren,  das  freilich  nicht  mehr  das  alte  ist.  Stat  magni 
nominis  umbra! 

*)  1  S.    4°.     H.  Wien.     Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann  a.  a.  0.  S.  134  f. 


jq3  Oktober    1829. 

Daß  ich  Dein  Urtheil  über  den  Ariost  und  Calderon1)  nicht  unterschreibe, 
wirst  Du  mir  wohl  nicht  verargen.  Ich  müßte  damit  die  Verdammung  fast  meines 
ganzen  Strebens  uud  Vollbringens  aussprechen,  und  dies  läßt  sich  billiger  Weise 
nicht  verlangen.  Dir  sagen  diese  Dichter  nicht  zu,  mir  sind  sie  sehr  werth.  Eine 
Meinungsverschiedenheit  soll  mich  nie  von  meinen  Freunden  trennen. 

Lebe  wohl,  mein  alter,  theurer  Freund!  Mögten  diese  Zeilen  Dich  veranlassen, 
mir  auch  von  Dir  einmal  Kunde  zu  geben. 

Unveränderlich  Dein  J.  D.  Gries. 

339.     Bobrick  an  H.2)  Bonn,  den  31  October  1829. 

Verehrtester  Herr  Professor!  Zuerst  habe  ich  meinen  ergebensten  und 
innigsten  Glückwunsch  zu  der  neuerlich  erhaltenen  Standesauszeichnung3)  zu  sagen, 
wie  mich,  so  hat  sie  auch  viele  Ihrer  hiesigen  Verehrer  mit  der  herzlichsten  Freude 
erfüllt.  — 

Daß  ich  noch  nicht  eher  meinen  schuldigen  Bericht  abstattete,  lag  daran,  daß 
ich  mit  meinen  Angelegenheiton  erst  bis  zu  einem  merklichen  Abschnitte  kommen 
wollte,  ehe  ich  darüber  zu  Ihnen  spräche.  Von  meiner  Herreise  kann  ich  hinsicht- 
lich meiner  Besuche  wenig  Bedeutendes  sagen.  In  Leipzig  sprach  ich  Krug  und 
Drobisch.  Der  erstere  machte,  trotz  allen  vorher  erfahrenen  Gegenurtheilen,  einen 
sehr  angenehmen  Eindruck  auf  mich;  nach  einer  etwa  halbstündigen  Unterredung, 
meistens  über  und  gegen  Hegel,  gab  er  mir  eine  Empfehlung  an  Hüllmann  mit. 
Drobisch  war,  wie  es  mir  scheinen  wollte,  trotz  aller  Freundlichkeit  und  inniger 
Verehrung  gegen  Sie,  ein  wenig  von  dem  philosophischen  Eifer,  wieder  in  den  rein 
mathematischen  Standpunkt  und  Arbeitskreis  hineingetreten,  verlangte  eine  Aus- 
einandersetzung und  Nutzennachweisung  der  Methode  der  Beziehungen,  konnte  sich 
noch  keinen  Weg  des  Fortarbeitens  in  der  Psychologie  denken,  und  hatte  die  Synecho- 
logie  noch  nicht,  wie  er  sagte,  tief  genug  aufgefaßt.  Einige  Hinneigung  zu  Fries 
blieb  unverkennbar.  In  Jena  sprach  ich  Fries  und  Reinhold.  Der  letztere  war 
äußerst  freundlich  und  offen,  und  empfiehlt  sich  durch  mich  aufs  herzlichste,  gab 
mir  auch  an  Brandis  Grüße.  Fries  schien  anfangs  etwas  wortarm,  ward  aber 
allmählig  gesprächig,  und  entschuldigte  sich  über  sein  Nichtwiederschreiben,  trug 
mir  eine  Empfehlung  an  Sie,  und  eine  an  den  hiesigen  Kalker  auf.  Drobisch  lobte 
er  wegen  seiner  mathematischen  Arbeiten,  verdachte  ihm  aber  die  Einmischung  in 
die  Philosophie,  und  tadelte  sein  Programm  de  calculo  logico,  von  dem  mir  Drobisch 
ein  Exemplar  verehrt  hatte.  In  Halle  traf  ich  Niemand  anwesend,  alles  war,  wie 
auch  Eichstädt  in  Jena,  verreist.  Bei  letzterem  habe  ich  mit  meiner  Visitenkarte 
meine  Dissertation  eingereicht,  auch  Krug  überreichte  ich  ein  Exemplar. 

Den  11.  dies.  Monats  kam  ich  hier  an,  fing  meine  Besuche  an,  und  habe  von 
Naße,  Delbrück,  Brandis,  Kalker,  und  Einigen  andern  Gegenbesuche  erhalten.  Kalker 
ist  äußerst  bieder  und  steht  in  allgemeiner  Achtung  seines  Charakters  wegen.  Brandis 
war  äußerst  gütig  und  zuvorkommend.  Hüllmann  läßt  sich  Ihnen  herzlichst  emp- 
fehlen. (Sein  Familienunglück  —  Trennung  von  der  Frau  —  ist  Ihnen  vielleicht 
bekannt.) 

Den  21.  dies.  M.  nachmittags  vier  Uhr  hielt  ich  meine  lateinische  Probevorlesung 
vor  der  Facultät.  Man  überließ  mir  das  Thema  dazu,  wie  zu  der  öffentlichen,  selbst 
zu  wählen.  Ich  nehme  mir  die  Freiheit  die  lateinische  Probevorlesung  im  Originale 
beizulegen,  damit  Sie  eine  Probe  hätten,  wie  ich  das  mir  anvertraute  Gut  zu  verwalten 
gedenke,  oder  gedachte.  Man  schien  damit  zufrieden,  und  machte  mir  Complimente.  — 

1)  In  der  Psychologie,  s.  Bd.  VI,  S.  274.   Vgl.  Herbarts  Antwort  v.  2.  Dez.  1829. 

2)  3  S.    4°.     H.  Wien. 

3)  „Schulrat". 


Oktober   1829.  igg 

Gegenwärtig  waren:  Brandis  als  Decan,  Windischmann,  Schlegel,  Delbrück,  v.  Münchow 
(Mathematiker  und  Physiker)  Heinrich  (Philologe)  Welcker  (Philologe)  Strahl  (neuere 
Sprachen).  Windischmann,  der  bei  meinem  Besuch  sehr  freundlich  und  gutmiithig 
gewesen  ||  sprach  mich  zuerst  an,  und  zwar  deutsch,  und  wollte,  was  ich  ihm  gern 
zugestand,  daß  die  Logik  nicht  hinreiche  zur  Metaphysischen  Arbeit.  Darauf  kam 
Delbrück  mit  zierlichem  Latein  und  mit  dem  Baumgartenschen  princ.  rationis  und 
causae  sufficientis.  Wie  leid  es  mir  that,  so  war  es  mir  doch  eben  so  unvermeid- 
lich als  leicht,  ihn  drei  bis  viermal  ad  absurdum  zu  führen,  so  daß  es  zum  spaß- 
haften Unterhaltungsgespräch  bei  den  nächsten  Besuchen  der  Uebrigen  war,  die  ihre 
Freude  daran  zu  haben  schienen,  daß  Delbrück  mit  seiner  altfränkischen  Philosophie 
nicht  durchgekommen  sei.  Er  selbst  scheint  durchaus  nichts  übel  genommen  zu 
haben,  sondern  ist  herzlich  freundlich.  Darauf  kam  Münchow  deutsch,  aber  de 
Omnibus  rebus  et  quibusdam  aliis,  drehte  sich  über  eine  Stunde  in  den  oberfläch- 
lichsten Behauptungen  umher,  die  ich  mit  den  skeptischen  Anfängen  abwies,  und  er 
endlich  stets  verlangte,  ich  sollte  einmal  von  metaphysischer  Betrachtungart  ab- 
strahiren,  was  ich  weder  durfte  noch  wollte.  Ruhig  stellte  ich  meine  Sätze  hin, 
ließ  das  Wasser  seiner  Suade  drüber  hingehen  und  zeigte  immer  nachher  daß  sie 
eben  so  fest  noch  ständen  als  zuvor.  Fand  es  aber  endlich  gerathen  meine  ruhige 
Hartnäckigkeit  mit  der  Erklärung  zu  entschuldigen,  daß  ich  ein  liebevoll  anvertrautes 
Gut  zu  vertheidigen  hätte,  und  nicht  meine  subjektive  Meinung.  Herr  v.  Münchow 
ward  endlich  müde,  und  Brandis  fand  es  zu  spät  noch  selbst  anzufangen,  man  gratu- 
lirte  mir  schmeichelhaft  und  erlaubte  mir  sogleich  folgenden  Tag  die  Vorlesungen 
anzuzeigen.     Ich  that  es: 

a.  Einleitung  in  die  Philosophie,  nach  Ihrem  Lehrbuch,  vier  Stunden  wöchent- 
lich, des  Abends  von  6 — 7  (warum  so  spät,  nachher)  gratis. 

b.  Logik  nach  Twesten,  vier  Stunden,  Morgens  8 — 9,  privatim. 

Zur.  öffentlichen  Vorlesung  wählte  ich  das  Trilemma  der  \  eränderung,  hatte 
ein  ziemlich  zahlreiches  Auditorium.  Der  völlig  freie  Vortrag,  ohne  eine  Spur 
schriftlicher  Hülfe,  gelang  mir  nach  Wunsch,  und  erwarb  mir  manche  Elogen,  denn 
man  scheint  hier  keinen  Begriff  zu  haben,  daß  dergleichen  möglich  sei.  Es  war 
den  28.  d.  M.  Der  Regierungs-Bevollm.  Herr  v.  Rehfus  ist  theils  durch  eine  Emp- 
fehlung, die  mir  Herr  v.  Kamptz  mitgab,  und  durch  mein  curriculum  vitae  für  mich 
gestimmt,  was  mir  gar  nicht  unangenehm  ist,  doch  wenig  erheblich  scheint. 

Bis  dahin,  wo  ich  dies  schreibe  haben  sich  zur  Einleitung  gemeldet,  fünf 
Studenten  und  zwei  Rittmeister;  bis  Mittwoch  den  4,  wo  erst  die  mehrsten  Collegia 
angehen,  hoffe  ich  noch  mehr  zu  haben,  und  so  wäre  der  eigentlichen  Sache  nach 
die  Hauptsache  geschehen.  Zur  Logik,  die  auch  Kalka  und  Brandis  liest,  ist  noch 
keiner  da.  In  pecuniärer  Hinsicht  schlimm,  in  eigentlicher,  weniger  bedeutsam,  ich 
will  schon  in  der  Einleitung  mir  Namen  und  Zuhörer  machen. 

Naße,  als  er  bei  mir  war,  ließ  sich  Ihnen  empfehlen;  als  ich  ihm  den  Natur- 
philosophischen Theil  der  Metaphysik  empfahl,  klagte  er  noch  nichts  darüber  sagen 
zu  können,  da  er  das  Buch  erst  wenige  Tage  vor  meiner  Ankunft  erhalten.  ||  Er 
wünscht  und  freut  sich,  daß  nun  seine  Mediciner  endlich  eine  ordentliche  Metaphysik 
und  Psychologie  werden  zu  hören  bekommen,  und  verspricht  alle  Mediciner  über 
die  er  disponiren  könne  in  meine  Einleitung  zu  schicken,  und  hat  schon  mit  dreien 
Wort  gehalten,  vielleicht  bekomme  ich  auf  die  Art  die  Einleitung  zahlreich. 

Für  den  Sommer  habe  ich  vor  zu  lesen:  Logik  (welches  hier  als  Goldacker 
angesehen,  wird)  Psychologie,  Metaphysik,  u.  Paedagogik.  Zu  den  mittleren  treibt  mich 
Naße  und  animirt  mich  Brandis,   zur  Pädagogik  muntert  mich  Brandis  sehr  auf.  — 

Die  Lebensbedürfniße  sind  hier  entsetzlich  theuer,  die  Leute  sehen  hier  jeden 
der  zur  Universität  gehört,   als  einen  vollkommen  zu  ihrem  Erwerb  gehörigen  dis- 


2oO  November  1829. 


poniblen  Gegenstand  an,  so  daß  das  Leben  bei  weitem  theurer  als  in  Berlin  ist.  — 
So  weit  habe  ich  heute  zu  berichten,  und  hoffe  um  Weihnachten  damit  fortzufahren 
oder  eigentlich  hoffte  es,  denn  trostlos  stehe  ich  in  diesem  Augenblicke  innerlich  und 
äußerlich  da.  Das  Innere  habe  ich  zu  bekämpfen  gesucht,  und  während  der  Arbeit 
fühle  ich  nichts  davon.  Gegen  das  Äußere  kann  ich  nichts  thun.  Um  kurz  zu  sein 
in  dem  was  ich  gerne  verschwiegen  hätte,  was  ich  aber  Ihnen,  dem  ich  mit  meinem 
Würken  dankbar  sein  wollte,  nicht  verschweigen  darf,  damit  ich  mich  gerechtfertigt 
weiß,  wenn  ich  dem  Anschein  nach  unerwartete  Schritte  thue.  — 

Man  hatte  mir  von  Seiten  der  Verwandten  dreihundert  Thaler  versprochen» 
mit  denen  hätte  ich  mich  ein  Jahr  gehalten;  in  Berlin  erfuhr  ich  schon,  ich  würde 
sie  nicht  erhalten.  Für  meine  Schwester,  die  seit  zehn  Jahren  vergebens  gesucht 
wird,  liegen  150  Thaler  bei  dem  Danziger  Stadtgericht;  ich  kann  sie  erhalten,  aber 
dem  Gerichtsgange  gemäß  erst  innerhalb  sechs  bis  sieben  Monaten.  —  Die  Reise,, 
das  Postgeld  meines  Koffers,  die  hiesigen  Habilitationskosten,  die  allein  30  Thaler 
betragen,  haben  mich  in  Verbindung  mit  dem  theuren  Leben  völlig  entblößt.  Mit 
meinen  geringen  Effecten,  Uhr  u.  dergl.  kann  ich  mich  bis  zum  1  Dcb.  halten. 
Was  dann?  —  Ein  Glück  ists  noch  daß  ich  hier  nicht  zu  disputiren  brauche,  welches 
nach  hiesigen  Gesetzen  nur  vor  der  Promotion  nöthig  ist,  aber  die  Exemplare,  die 
ich  in  Leipzig  schon  bezahlt,  kann  ich  jetzt  nicht  herkommen  lassen,  wie  ich  es 
wünschte.  —  Was  ich  zu  thun  hatte  habe  ich  nun  gethan,  und  werde  in  starrem 
Schweigen  bis  zum  1  Dcbr.  meinem  innigsten  Berufe  getreu  bleiben.  Höre  ich 
dann  auf,  so  kennen  Sie  den  Grund  und  bedauern  mich  vielleicht  mit  väterlicher 
Nachsicht.     Bei  Gott,  mir  thut  es  weh,  den  Brief  so  enden  zu  müßen. 

Mit  der  innigsten  Verehrung  zeichne  ich  mich  als  Ihren 

kindlich  Ergebnen  Bobrick. 

Um  gütige  Besorguug  des  einliegenden  Briefes  bitte  ich  ergebenst.  Dr.  Sanio 
wohnt  an  der  Tränke  in  dem  Schmiedehause  eine  Treppe  hoch.  —  B. 

340.     An    Brandis.  Königsberg,   26  Nov.    1829. 

Wohlgeborener,  höchstgeehrter  Herr  Professor!  Durch  Ihre  höchst 
gütige  Recension  des  ersten  Bandes  meiner  Metaphysik  in  der  Hallischen 
Literaturzeitung  haben  Sie  Sich  ein  so  wesentliches  Verdienst  um  mich 
erworben,  daß  es  mir  das  größte  Vergnügen  machen  würde.  Ihnen,  ins 
Einzelne  gehend,  meinen  Dank  dafür  zu  bezeugen,  wenn  nicht  etwas 
Anderes  mir  im  Gemüthe  läge,  was  ich  so  dreist  seyn  muß,  Ihnen  an- 
zuvertrauen, wie  sehr  auch  meine  Zudringlichkeit  mich  selbst  verwundet. 
Als  ich  den  Dr.  Bobrick  veranlaßte,  sich  lieber  in  Bonn  als  in  Halle  zu 
habitiliren,  —  weil  er  sich  doch  einmal  habilitiren  wollte,  und  mit  den 
nöthigen  Mitteln  hinreichend  schien  versehen  zu  seyn,  —  fiel  es  mir 
nicht  ein,  daß  ich  Ihnen  damit  eine  wesentliche  Beschwerde  veranlaßen 
könnte.  Jetzt  aber  erhalte  ich  von  Bobrick  aus  Bonn  zwey  Briefe  nach 
einander,  die  völlig  ruhig  und  klar,  und  dennoch  wie  von  einem  ganz 
Hülflosen  geschrieben  sind,  der  nothwendig  verzweifeln  muß,  weil  er  sich 
Niemandem  entdecken  will.  Schon  der  erste  dieser  Briefe  bewog  mich, 
an  einen  ehemaligen  Collegen  Hüllmann1)  zu  schreiben;  mit  der  Bitte,  dem 
Bobrick  Rath  zu  ertheilen,  und  zugleich  ihm  zu  sagen,  daß  ich  bereit  bin 


*)  Carl  Dietrich  Hüllmann,    1765  — 1840,  Professor  der  Geschichte,  erst  in  Königs- 
berg, seit   18 18  in  Bonn. 


Dezember  1829.  201 


ihm  dreyßig,  und  nöthigenfalls  bis  fünfzig  Thaler  sogleich  zu  schicken,  oder 
den  Vorschuß  zu  ersetzen,  wenn  damit  solange,  bis  er  ein  Unterkommen 
findet,  kann  geholfen  werden.  Aber  Hüllmann  soll  —  nicht  wohl  seyn; 
und  könnte  leicht  irgendwie  verhindert  werden,  sich  um  Bobrick  zu  be- 
kümmern. Alle  Umstände  erwägend,  achte  ich  mich  durchaus  verpflichtet, 
Ihnen  diese  Lage  des  jungen  Mannes,  die  höchst  dringend  scheint,  eben- 
falls vorzulegen,  mit  der  Bitte,  ihn  sogleich  rufen  zu  lassen,  um  ihn  vor 
übereilten  Schritten  zu  warnen.  Alles  Übrige  Ihrer  Menschenliebe  und 
Beobachtung  überlassend,  bitte  ich  für  den  Fall,  daß  Hüllmann  mir  nicht 
früher  antwortet,  um  Erlaubniß,  das  Geld,  was  ich  auf  nähere  Nachricht 
gleich  schicken  werde,  an  Sie  adressiren  zu  dürfen.     Hochachtungsvoll 

Herbart. 

341.     An   GHes.  r)  Königsberg  2  Dec.   1829. 

So  herzlich  und  gütig  von  Dir,  mein  theurer  Freund !  begrüßt  und 
beschenkt  zu  werden,  hat  mir  wahrhaft  wohlgethan.  Die  Jahre  haben 
uns  über  die  Mitte  des  Lebens  hin  weggeführt,  sie  haben  uns  auch  ge- 
holfen auszuführen,  was  wir  wollten ;  endlich  sollten  wir  denn  wohl  einmal 
für  einander,  das  heißt,  für  uns  selbst,  Zeit  übrig  haben.  Aber  auch 
gute  Laune?  —  Meine  prosaische  Natur  hat  Deine  Gedichte  vor  Allem 
darauf  angesehen,  ob  sie  bezeugen  würden,  Du  habest  glücklich  gelebt. 
Allein  in  dieser  Hinsicht  vermisse  ich  etwas  darin.  Auch  Du,  glaube  ich, 
hast  die  Last  des  Lebens  gefühlt,  und  die  Runzeln  werden  wohl  nicht 
ausgeblieben  seyn.  Meine  gute  Frau  hat  mit  mir  gelebt  —  das  heißt, 
wie  wir  Alle  wissen,  bald  genossen  bald  gelitten,  und  ich  kann  hinzusetzen: 
mit  mir  gearbeitet;  wiewohl  nicht  in  philosophicis,  die  ihr  völlig  fremd 
sind,  wie  es  seyn  muß.  Du  hast,  wie  es  scheint,  die  Ehe  nicht  gesucht. 
Möge  Dir,  besonders  jetzt,  nicht  zu  viel  fehlen,  was  die  Dichter  ebenso- 
wenig als  die  Denker  geben  können.  —  Die  magische  Kraft,  womit  Jena 
Dich,  den  Hamburger!  anzieht,  möchte  der  Wohnsitz  der  Hrn.  Fries  und 
Bachmann  bey  mir  nun  wohl  nicht  ausüben  können;  in  meinem  hiesigen 
Exil  findet  sich  nicht  so  leicht  Einer,  der  Lust  hätte,  mit  mir  zu  dis- 
putiren,  —  es  wäre  denn  Burdach,  oder  Lehnerdt  (ein  junger,  aber 
achtungswerther  Schüler  Hegels.)  Solltest  Du  mich  bald  öffentlich  etwas 
laut  reden  hören,  so  sey  überzeugt,  daß  sich  meine  Brust  dabey  nicht 
besonders  anzustrengen  nöthig  hat.  Mein  Werk  ist  gethan;  und  was  noch 
darüber  zu  reden  ist,  wird  mich  —  falls  meine  wankende  Gesundheit 
sich  wieder  bevestigt,  wie  der  Arzt  hofft,  wenig  Mühe  kosten.  —  Siehst 
Du  Reinhold  oder  Eichstädt,  so  bitte  ich  meine  Empfehlung  zu  bestellen; 
an  Eichstädt  schreibe  ich  nächstens.  Aber  wer  hat  mir  den  zweydeutigen 
Dienst  geleistet,  Dir  meine  Psychologie  aufzublättern?2)  Wozu  verrieth 
man  Dir  meine  Geheimnisse?  —  Wie  dem  auch  sey,  ich  wünsche  mir 
Glück,  daß  Du  nicht  böse  geworden  bist. 

Unverändert  Dein   Herbart. 


*)  Stadt-Bibl.  zu  Hamburg.  —  Vgl.  E.  Campe,  ,,Aus  dem  Leben  von  J.  D.  Gries'', 
1855,  S.    158  f.  u.  Zillers  Reliquien. 

2)  Bezieht  sich  auf  Herbart's  Urtheil  über  Ariost  u.  Calderon.  das  Gries  miß- 
fallen hatte.     S.  o.  S.  iq8. 


2Q2  Dezember   1829. 


12.  Dez.:  Literarischer  Wunsch  u.  Vorschlag  zu  einer  Preisfrage.  S.  Bd.  VII.  S.  351 — 354. 

342.     An    Eichstädt.1)  Königsberg   12  Dec.   1829. 

Ew.  Wohlgeboren,  empfangen  hier  einmal  wieder  eine  der  von  mir 
verlangten  Recensionen.  Meine  Gesundheit  scheint  jetzt  soweit  hergestellt, 
daß  ich  wieder  zusammenhängend  arbeiten  kann. 

Der  zweyte  Band  von  Benekes  Skizzen  ist  mir  in  diesem  Augen- 
blicke nicht  zur  Hand;  daher  muß  ich  wohl  bemerken,  daß  Jahreszahl 
und  Seitenzahl  desselben  nachzutragen  seyn  dürfte.  Die  Rec.  des  Buchs 
über  das  Verhältniß  zwischen  Leib  und  Seele  haben  Sie  nicht  verlangt, 
allein  ich  glaubte  Sie  Ihnen  des  Zusammenhangs  wegen  anbieten  zu 
dürfen. 

Da  Sie  Ihre  frühern  Aufträge  vielleicht  schon  als  veraltet  betrachten, 
so  bitte  ich  deshalb  um  erneuerte  Bestimmung.  An  meine  Metaphysik 
nehme  ich  die   Freyheit  zu  erinnern.      Mit  vollkommener  Hochachtung 

Euer  Wohlgeboren  ganz  ergebener  Herbart. 

l)  Im  Besitze  des  Herausgebers.  —  Ohne  Adresse,  zweifellos  aber  an  Eichstädt 
gerichtet. 


1830. 


AV.:  Rez.  von  Benekes  Psychologischen  Skizzen  u.  Benekes  Seele  u.  Leib  (S.  Bd.  XIII. 
S.  121  — 132),  Hillebrands  Lehrbuch  der  Philosophie  (S.  Bd.  XIII.  S.  132  — 144), 
Krauses  Vorlesungen  (S.  Bd.  XIII.  S.  144 — 164),  Schubarths  u.  Carganicos  3  Schriften 
gegen  Hegel  (S.  Bd.  XIII.  S.  164 — 176),  Metzs  Begriff  der  Naturphilosophie 
(S.  Bd.  XIII.  S.  170— 171),  Heinroth  Hypothese  der  Materie  (S.  Bd.  XIII.  S.  17 1 
bis   195),  Mehrings  Philosophische  Kunst  (S.  Bd.  XIII.    S.  196—197). 

343.     An    Drobisch.1)  Königsberg   17  Januar   1830. 

Hochgeehrter  Herr  Professor!  Sie  haben  mich  im  letzten  Herbste 
hoffentlich  nicht  vergebens  erwartet,  da  statt  meiner  der  Dr.  Bobrick  bey 
Ihnen  war.  Seine  briefliche  Andeutung  von  Ihrer  Unterredung  mit  ihm 
ist  zwar  nicht  geeignet,  meine  Hoffnung  einer  fernem  wissenschaftlichen 
Einstimmung  mit  Ihnen  zu  verstärken;  überdies  ist  der  Wunsch,  Sie  und 
Brandis  auf  Einem  Puncte  beysammen  zu  sehn,  unerfüllt  geblieben;  und 
meine  Gesundheits-Umstände  erlauben  mir  nicht,  an  bedeutende  Arbeiten 
noch  zu  denken.  Indessen  macht  mein  Arzt  mir  Hoffnung,  daß  ich  im 
April  werde  reisen  können.  Nicht  unmöglich  scheint  es  auch,  daß  ich 
irgendwo  mit  meinem  alten  Freunde,  dem  Baron  von  Richthofen  (dessen 
Recens.  meiner  Psychol.  Sie  in  der  Jenaischen  L.  Z.  gelesen  haben)  zu- 
sammentreffe. Nun  möchte  ich  gern  bald  wissen,  um  welche  Zeit  ich 
Ihnen  in  Leipzig  gelegen  wäre,  da  ich  nicht  erwarten  darf  Sie  in  Berlin 
zu  sehn  falls  Sie  nicht  gerade  dorthin  eine  Reise  vorhaben.  Gesetzt 
auch,  daß  ich  von  Ihnen  in  Ansehung  meiner  Arbeiten  nur  noch  Einwürfe 
zu  hören  habe:  so  sollen  diese  mir  schätzbar  seyn.  Mein  vorrückendes 
Alter  bringt  mich  vielleicht  bald  dahin,  ein  ruhiger  Zuschauer  dessen  zu 
seyn,  was  aus  meinem  Thun  wird  oder  nicht  wird.  —  Wollen  Sie  mich 
mit  ein  paar  Zeilen  erfreuen,  so  können  diese  Einfluß  auf  die  Anordnung 
meiner  Reise  haben,  die  ich  sobald  als  möglich  treffen  und  veranstalten 
muß.  Wollen  Sie  mir  zugleich  sagen,  ob  Sie  dem  naturphilosophischem 
Teile  meiner  Metaphysik  einige  Muße  gegönnt  haben,  so  werden  Sie  mich 
desto    mehr    erfreuen.      Mit    einem    längeren    Briefe    will    ich    Sie    diesmal 

nicht  aufhalten. 

Hochachtungsvoll     Herbart. 

*)   1  S.    2°. 


204  Januar   1830. 

344.     Drobisch  an  H.1)  Leipzig  den  24.  Januar  1830. 

Hochverehrter  Herr  Professor!  Zu  meiner  Beschämung  kommt  Ihr,  mir  sehr 
weither,  Brief  meinem  ernstlich  gefaßten  Vorsatze,  Ihnen  nächstens  zu  schreiben, 
zuvor.  Mit  innigem  Bedauern  erfuhr  ich  daraus  den  gestörten  Zustand  Ihrer  Ge- 
sundheit, deren  völlige  Wiederherstellung  ich  daher  von  Herzen  wünsche.  Zugleich 
glaube  ich  aber  auch  darin  einen  gewissen  Mißmuth  über  den  bisherigen  Erfolg  Ihrer 
so  angestrengten  und  scharfsinnigen  Arbeiten  zu  bemerken,  an  dem  ich  selbst  viel- 
leicht Mitveranlassung  zu  seyn  scheine.  Zwar  weiß  ich  in  der  That  nicht,  was  in 
der  Unterredung  mit  H.  Dr.  Bobrick  geeignet  gewesen  seyn  sollte,  ,,die  Hoffnung 
auf  fernere  wissenschaftliche  Einstimmung"  nicht  zu  verstärken.  Ich  habe  vielleicht 
manchen  ungeschickten  Einwurf  gemacht,  allein  meine  Vorliebe  für  Ihr  System  hat 
sich  nicht  verändert,  wenn  gleich  ich  vielleicht  jetzt  nicht  so  thätig  dafür  seyn  kann, 
als  Sie  und  ich  wol  wünschten,  da  nun  einmal  mein  Amt  ein  mathematisches  ist 
und  ich  selbst  noch  Ursache  genug  habe,  für  einige  Empfehlung  meines  Namens 
bei  Mathematikern  durch  eigentliche  mathematische  Arbeiten  zu  sorgen,  bevor  ich 
es  ferner  wage,  für  Philosophie  zu  sprechen,  die  jene  nur  mit  Mißtrauen  anzusehen 
gewohnt  sind.  Ich  schreibe  über  alles  dieses  weiter  kein  Wort,  da  Sie  so  gewisse 
Aussicht  zu  einer  Zusammenkunft  machen.  Wo  diese  stattfinden  soll,  mache  ich 
ganz  von  Ihnen  abhängig.  Kommen  Sie,  wie  Sie  bis  jetzt  vorläufig  bestimmt  haben, 
nach  Leipzig  und  Sie  wollen  es  Sich  in  meinen  kleinen  Stuben  und  bei  meiner  ein- 
fachen häuslichen  Einrichtung  gefallen  lassen,  so  wird  es  mir  überaus  erfreulich 
seyn,  und  ich  werde  mich  bemühen,  Sie  in  den  Stunden,  die  unser  Hauptzweck 
übrig  lassen  wird,  mit  dem  bekannt  zu  machen,  was  einem  Fremden  in  Leipzig  etwa 
interessant  seyn  kann.  Ist  es  Ihnen  aber  lieber,  wenn  ich  nach  Berlin  komme,  so 
bin  ich  auch  dazu  bereit.  Was  die  Zeit  betrifft,  so  kann  ich  die  5  Wochen  nach 
Ostern  ganz  frei  über  dieselbe  verfügen.  Es  kommt  nun  also  nur  noch  auf  Ihren  be- 
stimmten Entschluß  an,  den  Sie  mir  zu  seiner  Zeit  gütigst  zu  wissen  thun  werden. 

Was  nun  Ihre  Metaphysik  betrifft,  so  hat  mich  die  Lesung  dieses  Werks 
schon  einige  Zeit,  wiewohl  nur  unterbrochen  und  nicht  ohne  Anstrengung  be- 
schäftigt. Ich  lese  nämlich  ||  den  zweiten  Band,  diesen  aber  ganz,  obgleich  Sie  .mich 
nur  zur  Synechologie  und  Naturphilosophie  zu  Gaste  gebeten  haben.  Ich  kann  natür- 
lich von  weiter  nichts  als  dem  Eindruck  sprechen,  den  das  Werk  bis  jetzt  auf  mich 
gemacht  hat.  Habe  ich  das  Einzelne  mit  Aufmerksamkeit  durchlesen,  so  werde  ich 
das  Buch  noch  einmal  durchlaufen,  um  wo  möglich  die  Hauptsätze  zusammenzufassen, 
und  dann  erst  werde  ich  entscheiden  können,  ob  ich  mir  ein  Miniaturgemälde  davon 
für  eine  Literaturzeitung  zu  geben  getraue.  Für  jetzt  erlaube  ich  mir  nur  folgende, 
allgemeine  Bemerkungen:  Die  Metaphysik  ist  ein  Werk,  das  dem  Laien  mehr 
Schwierigkeit  macht  als  Ihre  Psychologie,  wenigstens  wie  mir  es  scheint  eine  viel 
längere  und  vertrautere  Bekanntschaft  erfordert.  Die  Ps.  spricht  den  Unbefangenen, 
der  einige,  mathematische  Vorschule  hat,  sogleich  an;  man  darf  sich  da  allenfalls 
erlauben,  das  ganze  Fundament  für  Hypothese  zu  nehmen,  man  findet  eine  Menge 
Analogien  und  Gegensätze  zu  anderen  Zweigen  der  Mathematik,  man  hat  also  Ge- 
legenheit zu  Vergleichungen  und  kann  sich  so  auf  diesem  Felde  leichter  orientiren. 
Ganz  anders  in  der  Metaphysik.  Alles  Hypothetische  ist  verboten,  man  will  recht 
eigentlich  dem  nervus  rerum  nachforschen.  Erfahrung  und  Mathematik  können  nur 
als  entferntere  und  daher  matter  leuchtende  Leitsterne  betrachtet  werden,  obgleich 
alle  metaphysischen  Resultate  nach  Ihnen  am  Ende  wieder  mit  beiden  zusammen- 
stimmen müssen.     Sie  philosophiren  überall  höchst  geistreich  über  Mathematik.    Es 


x)  3  S.    4°.     H.  Wien. 


Januar   1830.  205 

ist  Ihnen  z.  B.  nicht  entgangen,  was  sie  mit  paradoxen  oder  gar  widersprechenden 
Begriffen  anzufangen  weiß.  Sie  fordern  häufig  theils  in  ähnlichem,  theils  in  anderem 
Sinne  ein  gleiches  Zugeständniß  für  die  Metaphysik.  Ich  gebe  es  Ihnen  willig,  denn 
ich  habe  keinen  Grund  es  zu  verweigern;  aber  Sie  werden  dafür  auch  Ihrem  Leser 
erlauben  müssen,  daß  er  eine  Zeitlang  das,  wenigstens  scheinbar,  oft  kühn  auf- 
geführte, sinnige  Gebäude,  ich  will  nicht  sagen,  mit  Mißtrauen,  aber  doch  mit  der 
Behutsamkeit  betrachte,  zu  der  die  Geschichte  der  Speculation  so  ernst  auffordert. 
Für  die  eigentlichen  Philosophen  ist  gewiß  die  Metaphysik  ein  viel  willkommenerer 
Schmauß  ||  als  die  Psychologie,  denn  sie  hat  ja  keine  Formeln!  Wenn  sie  nur  aber 
auch  genug  Mathematik  gelernt  hätten,  um  Ihre  feinen  Bemerkungen  von  daher 
völlig  zu  fassen.  Die  Anerkennung  Ihrer  Philosophie  muß,  glaub'  ich,  a  posteriori 
kommen,  d.  h.  Ihre  Psychologie  und  Naturphilosophie  muß  der  eigentlichen  Meta- 
physik Bahn  machen.  Gewiß  auch  die  Mathematik  wäre  nicht  zu  dem  Ansehn  und 
Vertrauen  gelangt,  dessen  sie  genießt,  wenn  sie  nicht  theils  in  den  vielseitigen 
Controllen  Ihrer  Methoden,  theils  in  der  Übereinstimmung  mit  der  Erfahrung  so 
zahlreiche  und  mächtige  Stützpuncte  gefunden  hätte.  Liegt  doch  eigentlich  so  viel 
Philosophisches  an  der  Mathematik  noch  immer  im  Streite,  unbeschadet  dem  unauf- 
haltsamen Fortgange  der  Wissenschaft  selbst.  Wäre  also  nicht  auch  denkbar,  daß 
man  über  angewandte  Philosophie  eher  zu  einer  Vereinigung  kommen  könnte,  als 
über  die  eigentliche  Metaphysik?  —  Doch  ich  muß  mir  vorbehalten,  über  diese 
Gegenstände  mit  mehr  Zusammenhang  mich  mit  Ihnen  zu  unterhalten.  Zur  Psycho- 
logie wünsche  ich  ernstlich  einmal  wieder  zurückzukehren,  um,  wenn  meine  Kräfte 
mehr  erstarkt  seyn  werden,  zu  versuchen,  ob  ich  fähig  bin  wenigstens  ein  Jota 
zuzusetzen.  Meine  Analyse  dieser  Schrift  haben  Sie  nur  zu  sehr  gepriesen.  Lesen 
und  Commentiren  ist  leicht  genug,  aber  der  kleinste  Fortschritt  dem  Individuum  oft 
unendlich  schwer.  Doch  glaube  ich  jetzt  zuweilen,  es  komme  vielleicht  vor  der 
Hand  noch  mehr  darauf  an,  Ihre  Philosophie,  wie  sie  eben  ist,  nur  zu  verbreiten, 
aufzuklären,  für  wen  es  nöthig  ist,  und  überhaupt  gelten  zu  machen,  kurz  eine 
Schule  zu  stiften,  die  sie  erhalte  und  dann  fortbilde.  Längst  wäre  dies  wahrschein- 
lich geschehen,  wenn  theils  Ihre  Philosophie  weniger  Mathematik  voraussetzte,  theils 
Sie  selbst  auf  einer  der  größeren  Universitäten  in  der  Mitte  Deutschlands  wirkten. 
Auch  darüber  können  wir  wol  weiter  mündlich  berathschlagen. 

—  —  Ich  werde  nun  die  Muße,  die  ich  bis  zu  der  mir  so  erfreulichen  Zu- 
sammenkunft noch  auf  das  Allotrion  der  Philosophie  wenden  kann,  dem  weiteien 
Studium  Ihrer  Metaphysik  und  der  Vergegenwärtigung  Ihrer  andern  Lehren  widmen. 
Vielleicht  klärt  sich  mir  da  doch  so  manches  auf.  Bis  dahin  empfehle  ich  mich  Ihrem 
gütigen  Wohlwollen. 

Mit  aufrichtiger  Hochachtung  M.  W.  Drobisch. 

345.     An   DrobiSCh.1)  Königsberg  3 1  Januar  1830. 

Haben  Sie  den  innigsten  Dank,  Veehrtester!  für  den  Brief  vom 
24.  d.  M.,  der  mir  noch  für  einen  halben  Krankenbesuch  gilt,  und  zwar 
für  den  schätzbarsten  der  sich  nur  wünschen  ließ.  Daß  ich  in  höchster 
Eile  sogleich  ein  paar  Zeilen  erwiedere,  scheint  mir  der  Abrede  wegen 
nöthig.  Erlauben  Sie  daß  ich  Ihre  gütige  Bereitwilligkeit  nach  Berlin  zu 
kommen,  dankbar  annehme,  da  es  manche  Gründe  giebt,  derentwegen  mir 
dieser  Ort  zu  unserer  Besprechung  gelegener  scheint  als  Leipzig,  —  welches 
ich  mir  gleich  nach  Ostern  der  Messe  wegen  als  sehr  geräuschvoll  denke. 

J)    1    S.     2°. 


2o6  Februar   1830. 

Sollten  Sie  freylich  auf  unerwartete  Hindernisse  stoßen,  so  müßte  mich  die 
Schnellpost  von  Berlin  nach  Leipzig  transportiren ;  allein  sonst,  denke  ich, 
wird  sich  Ihnen  Berlin  wohl  empfehlen;  meine  Frau,  die  mit  mir  reiset, 
hat  auch  in  Berlin  eine  nahe  Freundin,  welche  auf  die  Verlängerung 
meines  Dortseyns  Einfluß  haben  könnte.  Meiner  Rechnung  nach  müßte 
ich  um  Ostern  schon  in  Berlin  seyn;  und  alsdann  entweder  14  Tage 
dort  bleiben,  oder  weiter  reisen,  namentlich  nach  Bonn;  das  kann  aber 
leicht  Hindernisse  finden.  Gleich  die  nächsten  Tage  nach  Ostern  sind 
also  diejenigen,  wo  ich  Sie,  wenn  nichts  dazwischen  kommt,  persönlich  zu 
begrüßen  hoffe.  Inzwischen  schreibe  ich  heute,  gleichfalls,  in  Folge  Ihres 
eben  empfangenen  Briefes  an  Hrn.  v.  Richthofen,  um  womöglich  auch  ihn 
in  Berlin  zu  sehn.  —  Eins,  was  sich  von  selbst  versteht,  lassen  Sie  Sich 
nur  immerhin  gefallen,  noch  ausdrücklich  zu  lesen,  nämlich  daß  ich  große 
Lust  habe,  Ihre  Erwähnung  einer  Recension  meiner  Metaphysik  als  ein 
vestes  und  schlechterdings  nicht  mehr  zurückzunehmendes  Versprechen 
auszulegen.  Mögen  Sie  nun  immerhin  auch  mich  der  Deuteley  beschul- 
digen, die  Sache  selbst  spricht  deutlich,  und  wird  mich  schon  entschuldigen^ 
sobald  Sie  bedenken,  was  wohl  für  Tinte  diesen  und  jenen  anderen 
Federn    entströmen    wird.    —    Mit   größter  Hochachtung    ganz    der  Ihrige 

Herbart. 

346.    An  Eichstädt  in  Jena.1)  Königsberg  7  Febr.  1830. 

Wohlgeborener  höchstgeehrter  Herr  geheimer  Hofrath!  Inliegendes 
Blättchen  wird  hoffentlich  mit  einer  Antikritik  so  wenig  Ähnlichkeit  haben, 
daß  ich  füglich  um  Abdruck  desselben  in  Ihrem  Intelligenzblatt2)  bitten  kann. 

x)   1   S.    20.     Im  Besitz  des  Herausgebers. 

2)  Im  Intelligenzblatt  der  Jen.  Allg,  Lit.-Zeitg.  v.  März  1830,  S.  88,  findet  sich 
folgende  ^Erwiederung1-1* ■,  die  bisher  noch  nicht  wieder  veröffentlicht  ist:  „Erst  jetzt  auf- 
merksam gemacht,  daß  mir  das  Juniheft  der  vorjährigen  J.  A.  L.  Z.  entgangen  war, 
finde  ich  darin  eine  Anzeige  des  ersten  Bandes  meiner  Metaphysik,  die  eher  einem  wohl- 
gemeinten Sendschreiben,  als  einer  Recension  ähnlich  sieht.  Zum  Antworten  ist  es  zu 
spät;  allein  aus  wenigen  kurzen  Sätzen,  wenn  sie  geneigtes  Gehör  finden,  läßt  sich  die 
Antwort  errathen. 

1)  Wer  von  dem  Vorurtheil  der  Seelenvermögen  und  der  Kategorien- Tafel  sich 
losmacht,  wolle  nicht  Wahres  mit  dem  Falschen  verwerfen.  Seelenvermögen  giebt  es 
nicht;  allein  der  Annahme  derselben  liegt  eine  Classification  der  Thatsachen  zum  Grunde, 
die  wir  in  uns  wahrnehmen,  und  diese  Classification  ist  im  Ganzen  richtig,  nur  lehrt 
sie  von  dem  wahren  Causal-Zusammenhange  dessen,  was  in  uns  vorgeht,  nicht  das 
Mindeste. 

2)  Wegen  der  Kategorien  muß  die  Psychologie  verglichen  werden,  ganz  besonders 
aber  die  Geschichte  der  Philosophie.  Die  letzte  zeigt  die  wichtigsten  Begriffe,  welche 
für  Kategorien,  und  hiemit  für  starke  Typen  des  Denkens  gehalten  werden,  als  unter- 
worfen einer  beständigen  Bildung  und  Umbildung.  Man  verehre  Kant,  wie  sich  ge- 
bührt; allein  man  vergesse  nicht,  daß  es  zu  seiner  Zeit  noch  keine  brauchbare  Geschichte 
der  Philosophie  gab.  Heutiges  Tages  darf  man  Jeden,  der  etwan  ohne  Bedenken  spricht: 
alle  Veränderungen  haben  ihre  Ursache ,  ersuchen ,  sich  erst  in  den  Vorschulen  des 
Heraklit  und  Parmenides  einheimisch  zu  machen,  damit  er  die  Schwierigkeit  des  Gegen- 
standes kennen  und  die  Dreistigkeit  der  Kategorien  scheuen  lerne.  Zu  Kants  Zeiten 
dagegen  behalf  man  sich  mit  Hume^  denn  Heraklit  und  Parmenides  waren  verschollen. 

3)  Alle  Formen  der  Erfahrung  (Raum,  Zeit,  Kategorien)  bedürfen  einer  doppelten 
Untersuchung.  Denn  die  psychologische  Frage:  wie  kommen  wir  dazu?  ist  völlig  ver- 
schieden von  der  metaphysischen:   was  gelten  sie  im  Gebrauche?  Diese  Fragen  hat  aber 


März   1830.  207 

—  Wenn  ich  schnell  genug  erführe,  ob  Sie  noch  eine  Recension  von 
Bachmanns  Logik  von  mir  wünschen,  oder  ob  dieselbe  schon  einem 
Andern  übertragen  ist:  so  würde  ich  im  ersten  Falle  jetzt  dazu  bereit 
seyn.     Auch  andre  Aufträge  wären  mir  je  eher  desto  willkommner.  — 

Die  Zahl  Ihrer  Mitarbeiter  im  philosoph.  Fache  scheint  klein  zu  seyn. 
Dies  veranlaßt  mich  zu  einer  Bemerkung,  welche  natürlich  nicht  mehr  gilt 
als  Sie  [für]  gut  finden.  Einer  unserer  hiesigen  Privatdocenten,  Dr.  Taute, 
gehört  zu  denjenigen,  nicht  mehr  jungen  Gelehrten,  die  wenig  oder  Nichts 
von  sich  laut  werden  lassen,  desto  mehr  aber  für  sich  arbeiten.  Taute 
war  vor  etwa  zwölf  Jahren  noch  mein  Zuhörer;  er  ist  seitdem  in  meiner 
Bahn  geblieben.  Wenn  Sie  ihm  einmal  eine  Recension  zur  Probe  über- 
tragen wollten,  so  würden  Sie  vielleicht  seine  sehr  ruhige,  bescheidene, 
aber  dennoch  treffende  und  von  ausgebreiteten  Kenntnissen  unterstützte 
Fähigkeit  und  Art  zu  urtheilen,  Ihrer  Zufriedenheit  werth  achten.  *)  —  — 
Meine  Rec.  über  Benekes  Skizzen  pp.  werden  Sie  längst  erhalten  haben. 
Für  mich  giebts  keinen  bessern  Recensenten  als  Drobisch,  von  dem  ich 
zu  meiner  großen  Freude  erfahre,  daß  er  sich  wirklich  mit  meiner  Meta- 
physik beschäfTtigt,  und  den  ich  wahrscheinlich  in  wenigen  Monaten  per- 
sönlich kennen  lernen  werde.  Ew.  Wohlgeboren  wollten  ihm  die  Be- 
urtheilung  des  zweyten  Bandes  meiner  Metaphysik,  das  heißt  eigentlich 
des  Haupttheils,   übertragen,   möge  es  dabey  bleiben!   Mir  liegt  viel  daran. 

Hochachtungsvoll  empfiehlt  sich      Herbart. 

Adresse:     Herrn    geheimen    Hofrath    Eichstädt    Wohlgeboren    in    Jena    in 
Sachsen. 

347.     All    Drobisch.2)  Königsberg   1  März   1830. 

Hochgeehrter  Herr  Professor!  Heute  muß  ich  gesund  seyn;  denn  es 
ist  die  höchste  Zeit,  daß  ich,  um  unserer  Zusammenkunft  vorzuarbeiten, 
und  den  Verlust  meiner  kostbaren  Zeit  zu  verhüten,  einen  Brief  schreibe, 
den  ein  Kranker  nicht  schreiben  kann.  Bemerken  Sie  dennoch,  daß  mir  die 
Feder  nicht  zu  Dienste  steht,  so  entschuldigen  Sie  mich  mit  dem  guten 
Willen. 

Ihr  Brief  vom  24  Januar  setzte  mich  wieder  in  den  Besitz  meiner 
frühern  Hoffnung,  daß  Sie  meine  Metaphysik  ernstlich  lesen  würden;  dies 
entschied  sogleich  meinen  Entschluß,  die  längst  beschlossene  Reise,  von 
der  ich  mich  sonst  irgendwie  hätte  losmachen,  oder  den  Plan  verändern 
können,  sobald  als  möglich  anzutreten.  Immerhin  mag  es  Ihnen  sonderbar 
vorkommen,  daß  ich  auf  Dinge,  die  für  Sie  Nebensachen  sind,  soviel  Ge- 
wicht lege.      Wüßten  Sie,    mit  was  für  Menschen    ich    zu    thun    habe,    Sie 

Kant  zu  wenig  gesondert.  Was  man  nicht  gehörig  sondert,  kann  man  auch  nicht  ge- 
hörig verbinden.  Psychologie  und  Metaphysik  müssen  aufs  genaueste  und  bestimmteste 
verbunden  werden;  denn  nur  zusammen  genommen  können  sie  das  Feld  menschlicher 
Erfahrung  gehörig  beleuchten. 

Königsberg,  d.  3   Febr.    1830.  Herbart.'1 

2)  Gottfr.  Fr.  Taute,  1794 — 1862,  seit  1825  Privatdozent,  seit  1841  a.  o.  Prof. 
in  Königsberg.  S.  Nr.  353,  Brief  Herbarts  an  Eichstädt  u.  Reins  Aufs,  über  Taute 
in  d.  Allg.  D.   Biogr.  37,  S.  474  ff. 

2)  6  S.    2°. 


2o8  März   1830. 

würden  Sich  nicht  wundern.  Ihnen  war  es  höchst  leicht,  natürlich,  und 
nichts  besonderes,  daß  Sie  über  meine  psychol.  Schriften  ein  paar  klare 
Berichte  schrieben;  so  sagen  Sie  denn  auch  Selbst  in  Ihrem  letzten  Briefe: 
die  Psychol.  spreche  den  Unbefangenen  sogleich  an,  mit  dem  Vorbehalt, 
das  Fundament  als  Hypothese  zu  betrachten.  Aber  schauen  Sie  umher: 
Sie  werden  Niemande?i  finden,  den  meine  Psychol.  anspricht!  Selbst  nicht 
einmal  Brandis,  dessen  Rec.  des  ersten  Bandes  der  Metaphysik  in  der 
Halleschen  L.  Z.  deutlich  zeigt,  daß  er  mit  mir  über  die  Haupt-  und 
Grund- Probleme  der  Metaphysik  trefflich  zusammenstimmt,  —  selbst  dieser 
kann  sich,  wie  ich  aus  seinen  Briefen  weiß,  in  die  Psychologie  nicht 
finden,  welches  dennoch  —  ich  wage  es  zu  sagen,  —  für  alles  Weitere 
in  der  gesammten  Philosophie,  die  erste  Bedingung  ist.  Der  Berg  von 
Vorurtheilen,  die  Masse  der  durchaus  falschen  Gewöhnungen,  ist  zu  groß, 
so  lange  das  Alles,  was  man  längst  an  den  Seelenvermögen  als  an  durchaus 
vesten  Punkten  aufgehängt  hat,  nicht  mit  ihnen  selbst  verschwindet.  — 
Nun  denken  Sie  Sich  eine  Reihe  zagender  Jünger,  wie  ein  akademischer 
Lehrer  sie  unvermeidlich  um  sich  versammelt.  Diese  Menschen  haben 
gehört,  gelernt,  selbst  verstanden;  aber  nicht  einmal  sich  selbst,  viel  weniger 
der  Welt,  wagen  sie  zu  sagen,  daß  sie  etwas  verstanden  haben.  ||  Solcher 
Menschen  ziehe  ich  alle  Jahre  einige;  manche  davon  sind  jetzt  in  allerley 
Aemtern  um  mich  her;  —  aber  kaum  Einer  kann  dem  Strome  der  Zeit 
widerstehn.  In  Preußen  vollends  geht  Alles  von  der  Regierung  aus. 
Der  Minister  ist  für  Hegeln,  folglich  darf  Niemand  laut  sagen,  daß  er 
wider  ihn  ist.  Der  lächerlichste  Unglaube  empfing  mich  im  vorigen  Jahr, 
als  ich  von  Berlin  kommend,  bemerklich  machte,  ich  hätte  auch  einige 
Gunst  vom  Minister  empfangen;  —  und  wie  weit  über  die  Preußische 
Gränze  hinaus  gilt  unser  Ministerium  als  Auctorität! 

Weshalb  ich  Ihnen  dies  schreibe?  —  Deshalb,  damit  Sie  meine 
Wünsche  richtig  auslegen  mögen.  Nichts  Anderes  wünsche  ich  ferner  von 
Ihnen,  als  etwas  Solches,  das  Ihnen  gerade  so  leicht  und  natürlich  seyn 
muß  —  ja  vielleicht  in  Ihre?i  Augen  nicht  viel  verdienstlicher  seyn  wird, 
als  jenes,  was  Sie  mir  schon  geleistet  haben.  Die  Wirkung  davon  ist 
sehr  viel  größer,  als  Sie,  wenn  Sie  Sich  nicht  ganz  in  meine  Lage  ver- 
setzen, irgend  vermuthen  können.  Seit  Ihren  Recensionen  fängt  meine 
Psychol.  an,  Glauben  zu  finden;  und  zwar  gerade  in  dem  Kreise  derer, 
unter  deren  beständigem  Einfluß  ich  unvermeidlich  stehe.  Denn  soviel 
Unterscheidungskraft  haben  Viele,  um  das,  was  Sie  schreiben,  nicht  mit 
dem  gemeinen  Wüste  der  Recensionen  zu  verwechseln.  Ohne  Sie  würden 
meine  Rechnungen  noch  heute  für  Alles  in  der  Welt  eher  gelten,  als  für 
mathematische  Arbeiten;  freylich  hätte  es  nicht  auf  Sie  ankommen  sollen, 
sondern  Fries1)  war  es,  der  bezeugen  mußte  was  Sie  bezeugt  haben;  — 
aber  die  Dinge  in   der  Welt  sind  nun  einmal  wie  sie  sind. 

l)  Jakob  Friedr.  Fries,  1773  — 1843,  war  nicht  nur  Philosoph,  sondern  auch 
Mathematiker  und  Physiker.  Nach  seiner  Rehabilitierung  im  Jahre  1824  (er  war  1819 
auf  Grund  seiner  Beziehungen  zu  den  „Freunden  von  der  Wartburg"  aus  Jena  ver- 
bannt worden)  erhielt  er  in  Jena  die  Protessur  für  Mathematik  und  Physik.  Bis  1838 
durfte  er  philosophische  Vorträge  nur  auf  seinem  Zimmer  vor  einer  beschränkten  Zahl 
von  Zuhörern  halten.  Man  vgl.  den  Brief  von  Fries  an  Drobisch  über  Herbart  vom 
14.  Juni   1836  im  3.  Bande  dieser  Briefe. 


März   1830.  209 

Was  ohne  Sie  aus  meiner  Metaphysik  werden  wird,  läßt  sich  voraus 
sehn.  Man  wird  sagen,  ich  hätte  in  der  Rechnung  meine  Stütze  gesucht; 
aber  die  einfachste  Geometrie  stoße  mich  zurück.  Hier  liegt  der  Punct, 
wo  ich  eines  zweyten,  öffentlichen  Zeugnisses  von  Ihnen  bedarf.  Daß 
Sie  mich  genug  verstehen  um  es  ablegen  zu  können,  schließe  ich  aus 
Ihrem  Brief,  worin  Sie  von  den  widersprechenden  Begriffen  reden,  deren 
Gebrauch  ich  für  Metaphysik  wie  für  Mathematik  fordere.  Stünde  das 
gedruckt,  was  Sie  geschrieben  haben,  —  nämlich  daß  Sie  keinen  Grund 
finden,  mir  das  verlangte  Zugeständniß  jenes  Gebrauchs  zu  verweigern,  — 
so  wäre  ich  an  der  gefährlichsten  Stelle  gedeckt.  || 

Aber  Ihr  Brief  geht  viel  weiter.  Sie  wollen  zur  Psychologie  ernstlich 
zurückkehren,  um  sie  zu  erweitern.  Hier  ist  ein  Gegenstand  für  weit- 
aussehende Gespräche.  Deshalb  zeige  ich  Ihnen  im  Voraus  meine  Ge- 
danken an.  Die  Stelle,  wo  fernere  Untersuchung  höchst  notwendig  ist 
und  von  mir  gar  sehr  vermißt  wird,  ist  §  93  im  ersten  Bande  der  Ps. 
Die  zugleich  steigenden  Vorstellungen  habe  ich  dort  kaum  berührt;  es 
kommt  darauf  an,  hier  die  möglichen  Fälle  und  deren  Erfolge  durch 
Rechnung  zu  verfolgen  und  zu  sondern.  Denn  hierauf  muß  hauptsächlich 
die  eigene,  schaffende  Thätigkeit  des  Geistes  zurückgeführt  werden.  Die 
Pädagogik  mahnt  mich  dringend,  aber  umsonst;  meine  Kräfte  reichen  nicht 
mehr  soweit.  Aber  kämen  Sie  mir  zu  Hülfe,  so  würde  der  Weg  zur 
Unterscheidung  der  verschiedenen  menschlichen  Individualitäten  gebahnt 
seyn,  indem  man  weiter  die  geistige  Thätigkeit  in  Hinsicht  aller  der  Arten 
und  der  Puncte  durchforschte,  wie  und  wo  sie  unter  physiologischen 
Hindernissen,  —  gleichsam  in  widerstehenden  Mitteln,  —  sich  bewegen 
mag.  Sie  sehen  leicht,  daß  hier  schon  einige  Uebersicht  dessen,  was  zu 
berechnen  vorkommen  könne,  vom  größten  Nutzen  seyn  würde,  um  grobe 
Vorurtheile  zu  beseitigen,  die  sich  jetzt  überall,  in  Pädagogik,  in  Philo- 
sophie der  Geschichte,  in  allem  praktisch  seyn  sollenden  Moralisiren,  im 
Criminal-Verfahren  sogar  (wo  neulich  Heinroth  seine  losen  Einfälle  an- 
bringen wollte)  gelten  machen.  —  Begreiflich  müssen  die  zugleich  steigenden 
Vorstellungen  als  Anfangspuncte  ablaufender  Vorstellungsreihen,  —  oder 
auch  als  eingreifend  in  solche,  angesehen  werden.  Aber  um  einem  deut- 
lichen Gemälde  dessen,  was  der  Gebildete  in  sich  beobachtet,  näher  zu 
kommen,  ist  nun  vor  allem  ferner  das  Zusammenwirken  mehrerer  Vor- 
stellungsmassen, wovon  innerer  Sinn  und  Reflexion,  sammt  allem  Höheren, 
abhängt,  zu  untersuchen;  besonders  auch  mit  Rücksicht  auf  möglichen 
Widerstand.  Die  Aufgabe,  dafür  die  einfachsten  Formen  der  denkbaren 
Voraussetzungen  hervorzuheben,  und  sie  der  Rechnung  zugänglich  zu 
machen,  so  daß  für  verwickeitere  Formen  wenigstens  Analogien  und 
ungefähre  Schätzungen  möglich  würden,  —  diese  Aufgabe  sollte  mit  dem 
höchsten  Preise  verknüpft  werden,  der  jemals  ist  ausgesetzt  worden. 
Glauben  Sie  nicht,  daß  in  diesen  Gegenden  Theorie  und  ||  Erfahrung  gar 
zu  lange  getrennt  zu  gehn  nötig  hätten;  ich  lese  seit  einiger  Zeit  zuweilen 
Criminal-Fälle,  und  sehe  schon  hier,  daß  eine  psychologische  Analyse 
daran  geheftet  werden  kann,  worin  sich  zum  Theil  recht  auffallend  die 
verschiedene  Construction  und  Zusammenwirkung  der  Vorstellungsreihen 
würde    zeigen    lassen.        Die    Monstra    haben    in    sittlicher    wie    in    andrer 

Herbarts  Werke.     XVII.  14 


2io  März    l83°- 

Hinsicht  den  Vortheil,  den  der  Name  ankündigt,  daß  sie  zum  Vorzeigen 
gute  Dienste  leisten.  —  Die  meisten  Zerrbilder  aber,  welche  der  Wahn- 
sinn oder  auch  das  Verbrechen  darstellt,  entstehen,  indem  die  Zusammen- 
wirkung der  verschiedenen  Vorstellungsmassen  irgendwie  gehindert  ist. 
Und  hier  ist  gerade  die  empfindliche  und  schwache  Seite  aller  geistigen 
Thätigkeit.  Die  Musik,  die  mir  manchen  guten  Dienst  geleistet  hat,  ver- 
sorgt mich  auch  hier  mit  einem  Beyspiele.  Es  ist  dem  Anfänger  schwerr 
zwey  Stimmen  mit  zwey  Händen  vorzutragen;  die  Schwierigkeit  steigt 
augenblicklich  um  sehr  viel  höher,  wenn  man  einen  regelmäßigen  drey- 
stimmigen  Satz  spielen  will,  und  zwar  gar  nicht  bloß  durch  Schwierigkeit 
des  Fingersatzes,  sondern  schon  darum,  weil  hier  drey  musicalische  Ge- 
dankenreihen zugleich  die  Finger  in  Bewegung  setzen  sollen.  Jede  Fuge 
läßt  das  fühlen,  sey  sie  noch  so  leicht.  Die  Schwierigkeit  ist  hier  um 
desto  größer,  weil  dabey  keine  der  Vorstellungsreihen  eigentlich  herrschen 
darf,  indem  die  Stimmen  gleiches  Gewicht  haben;  dagegen  ohne  Vergleich 
leichter  faßt  und  spielt  man  solche  Musik,  die  in  Hauptstimmen  und  Be- 
gleitung zerfällt.  Ließe  sich  der  Geist  so  üben  wie  die  Muskeln  des 
Leibes:  so  müßten  Musiker,  die  den  strengen  Satz  sich  geläufig  gemacht 
haben,  die  allergeschicktesten  zu  jeder  verwickelten  Geschäfftsführung  seyn; 
aber  daran  ist  nicht  zu  denken,  weil  es  keine  Seelenvermögen  giebt,  die 
man  gleich  Muskeln  üben  könnte,  vielmehr  jede  Uebung  auf  diejenige 
Vorstellungsreihen  begränzt  bleibt  in  denen  sie  ihren  Sitz  hat. 

Soviel  über  Psychologie.  Ihr  Brief  führt  mich  noch  weiter.  Sie 
bemerken  ganz  meiner  Meinung  gemäß,  daß  man  über  angewandte  Philo- 
sophie leichter  als  über  Metaphysik  ins  Reine  kommen  werde.  Darum 
gerade  habe  ich  so  lange  gezögert,  die  Metaphysik  ausführlich  ||  bekannt  zu 
machen;  erst  mußte  die  Naturphilosophie  dazu  kommen,  und  diese  hat 
mich  die  besten  Stunden  vieler  Jahre  gekostet,  ehe  auch  nur  die  Haupt- 
gedanken Vestigkeit  genug  bekamen.  Aber  es  ist  mir  eine  angenehme 
Ueberraschung,  daß  sowohl  Sie  als  mein  College  Sachs,  den  ich  nur  auf 
das  Physiologische  hinwies,  die  Metaphysik  ganz,  und  von  vorn  an  gelesen 
haben.  Meine  Meinung  war,  Sie  würden,  wenn  das  Glück  gut  wäre,  von 
hinten  an  allmählich  rückwärts  lesen.  Aber  Sie  haben  hier  Selbst  die 
hypothetische  Auffassung  verschmäht,  und  das  ist  mir  ein  sehr  gutes 
Zeichen.  Doch  möchte  ich  gern,  daß  Sie  vor  unserer  Zusammenkunft 
einmal  versuchten,  wie  sich  das  Buch  von  hinten  her  ausnimmt.  Die 
Betrachtungen  der  Wärme,  der  Electricität,  der  chemischen  Proportionen, 
der  Biologie  scheinen  mir  nicht  übel  geeignet,  auch  rückwärts  auf  den 
richtigen  Standpunct  von  verschiedenen  Seiten  her  zusammenzuführen; 
und  so  muß  es  seyn,  wenn  die  Hoffnung,  die  Sie  Selbst  äußern,  man 
werde  aus  den  Anwendungen  die  Hauptsache  verstehen  (wie  es  den 
höhern  Rechnungsformen  in  der  gelehrten  Welt  ja  auch  gegangen  ist) 
nicht  täuschen  soll.  Leider  muß  hier  der  Boden,  den  Schelling  verdorben 
hat,  wieder  urbar  gemacht  werden.  Von  dem,  was  ich  durch  Ihre  Feder 
dem  Publicum  gesagt  wünschte,  kann  hier  gar  noch  nicht  die  Rede  seyn. 
Erst  müssen  wir  wissenschaftlich  übereinkommen,  und  ich  bitte  Sie  ganz 
ausdrücklich,  vest  vorauszusetzen,  daß,  so  sehr  auch  die  äußern  Rück- 
sichten   mich    wirklich    drängen    und  fast    bedrängen,    dennoch    die  Sache 


März   1830.  2  11 

selbst  nur  für  unsere  Zusammenkunft  durchaus  die  Hauptsache  seyn  wird. 
In  der  Naturphilosophie  werden  Sie  mich,  falls  es  nöthig  ist,  sehr  nach- 
giebig finden;  ich  wünschte  nur,  hierin  einen  recht  scharfen  Kritiker  zu 
finden;  es  ist  fast  undenkbar,  daß  ich  darin  ohne  bedeutende  Mißgriffe 
sollte  durchgekommen  seyn.  Besonders  gebe  ich  Ihnen  alles  Preis,  was 
ich  von  Schwere  und  Licht  gewagt  habe  zu  sagen,  —  jedoch  möchte  es 
schwer  seyn,  das  Bessere  zu  entdecken.  Allein  das  ist  für  den  Augen- 
blick nicht  das  Nöthigste.  Das  Unentbehrliche  liegt  in  der  Synechologie. 
|  So  weit  hatte  ich  geschrieben;  da  kommt  ein  Brief  von  Eichstädt 
aus  Jena,  worin  es  heißt:  „Möge  nur  Hr.  P.  Drobisch  wegen  der  Meta- 
physik Wort  halten.''  Ja  wohl!  Und  so  wenig  mir  einfallen  darf,  wegen 
der  zu  wählenden  Lit.-Zeitung  einen  Wunsch  zu  äußern,  so  möchte  doch 
einen  Umstand  zu  erwähnen  erlaubt  seyn:  diesen  nämlich,  daß  Eichstädt 
schwerlich  irgend  ein  Maaß  der  Länge  verschmähen  wird,  und  daß  also 
von  Beschränkung  des  Raumes  dort  wohl  gar  nicht  die  Rede  seyn  kann. 
Ihre  Leipziger  Recensionen  hatten  aber  offenbar  einen  sehr  großen  Fehler: 
sie  hätten  über  doppelt  so  lang  seyn  sollen.  Wüßten  Sie  nur  selbst,  wie 
sehr  die  Sauberkeit  und  das  Treffende  dessen  was  Sie  schreiben,  neben 
den  gewöhnlichen  Sudeleyen  absticht! 

Jetzt  noch  einige  externa!  Der  Baron  v.  Richthofen  will  nach  Berlin 
kommen,  und  nur  kurze  Zeit  bleiben.  Er  gedenkt  am  Charfreitage  dort 
zu  seyn,  und  bis  Ende  der  Festwoche  zu  verweilen.  Dies  bestimmt  nun 
auch  die  Zeit  meines  Aufenthalts,  um  so  mehr  da  ich,  wenn  Nichts  da- 
zwischen kommt,  mich  an  mein  vor  einem  Jahre  empfangenes  Ministeiial- 
Rescript  halten,  und  von  Berlin  nach  Bonn  zu  Brandis  reisen  werde. 
Noch  ein  Umstand,  den  ich  Ihnen  melden  muß,  ist  dieser:  ich  muß  in 
der  Nähe  meines  Freundes,  des  Regierungs-  und  Schulrath  Reichhelm 
wohnen;  dazu  war  mir  schon  im  vorigen  Jahre  der  Gasthof  zum  Groß- 
fürsten Alexander,  in  der  Gegend  der  neuen  Friedrichsstraße,  wo  diese  an 
die  Spree  geht  und  die  Burgstraße  schneidet,  sehr  passend:  Der  Gasthof 
ist  nicht  gerade  vorzüglich,  doch  auch  nicht  schlecht;  und  ich  werde  mit 
meiner  Frau  wo  möglich  wieder  dort  wohnen.  Sehr  bequem  wäre  es, 
wenn  Sie  dort,  oder  ganz  nahe  (etwa  in  dem  König  von  Portugal,  wenn 
Sie  schöner  wohnen  wollen)  ebenfalls  Quartier  nähmen.  Denn  uns  muß 
glaube  ich,  an  den  Morgenstunden  am  meisten  gelegen  seyn,  da  eine 
Menge  von  Besuchen  nicht  zu  vermeiden  ist.  Halten  wir  uns  nicht  nahe 
beysammen,  so  wird  die  große  Stadt  uns  sehr  zerstreuen.  Wahrscheinlich 
reise  ich  etwa  den  4  April  hier  ab.  Könnte  ich  vorher  noch  ein  paar 
Zeilen  von  Ihnen  empfangen,  so  würde  ich  dieselben  verdanken:  besonders 
wenn  Ihre  Muße  erlauben  würde,  mir  die  wissenschaftlichen  Puncte  im 
Voraus  zu  bezeichnen,  über  die  ich  nachdenken  soll. 

Hochachtungsvoll      Herbart. 

348.    An   Drobisch.1)  Königsberg  9  März  30. 

Sie  haben  schon  viel  Güte  für  mich  gehabt,  mein  hochgeehrter  Herr 

Professor!  und  die  größte  vielleicht,  indem  Sie  mir  ausführlich  die  Gründe 

l)  3  S.    20. 

14* 


212  März    1830. 

angaben,  derentwegen  Sie  meine  Metaphysik  nicht  in  die  Welt  einführen 
wollen;  entschuldigen  Sie  mich  nun,  wenn  ich  eben  aus  diesen  Gründen, 
die  unstreitig  vollkommen  Ihrer  würdig  sind,  die  Hoffnung  und  die  Er- 
wartung schöpfe,  daß  Sie  meinen  Bitten,  deren  Motive  Sie  wohl  nicht 
verwerflich  finden  können,  dennoch  nachgeben  werden.  Gesetzt  aber,  Sie 
beharren  bei  Ihrem  Nichtwollen:  so  soll  uns  dies  keinesweg  hindern,  die 
bevorstehende  Zusammenkunft    in   Berlin  mit    voller  Heiterkeit    zu  nutzen. 

Sie  wissen,  meine  Metaphysik  ist  ein  Gewächs  langer  Jahre;  von 
1798  bis  1828.  Kann  denn  Jemand  verlangen,  darüber  solle  eine  Recension 
geschrieben  werden,  welche  demselben  in  allen  Theilen  gleichmäßig  ent- 
spreche? Niemand  denkt  daran;  Sie  ganz  allein  machen  eine  Ausnahme. 
Andre  recensiren,  wenn  sie  zehn  bis  zwanzig  Seiten  auf  gut  Glück  heraus- 
gelesen, und  das  Buch  im  eigentlichsten  Wortverstande  durchblätteit  haben. 
Dies  könnte  ich,  eines  nahe  liegenden  Beyspiels  wegen,  Ihnen  sogleich 
an  der  letzten  Jenaischen  Rec. x)  des  ersten  Bandes  meiner  Metaph.  nach- 
weisen; der  Hauptinhalt  derselben  bezieht  sich  auf  meine  Umstellung  der 
Kantischen  Kategorien,  die  man  ernsthaft  genommen  hat,  während  ich 
bloß  zeigen  wollte,  daß  man  mit  diesen  berühmten  Kategorien  eine  Art 
Würfelspiel  treiben  kann.  Von  den  Forderungen,  die  Sie  an  eine 
Recension  machen,  ist  dort  nicht  Ein  Gedanke,  und,  was  mehr  ist,  die 
Recension  gehört  noch  lange  nicht  zu  den  schlechtesten.  —  Sie  haben  mir 
einmal  geschrieben,  Sie  seyen  noch  jung;  das  sieht  man  Ihrer  Feder  wahr- 
lich nicht  an;  aber  die  Welt  hat,  glaube  ich,  Ihre  Stirn  noch  nicht  ge- 
runzelt.    Davon  hoffe  ich  mich  bald  zu  überzeugen. 

Anstatt  nun  zu  überlegen,  ob  Sie  meine  Metaphysik  in  allen  Theilen 
beleuchten  ||  können,  lassen  Sie  uns  einmal  fragen,  ob  in  dem  Buche  irgend 
etwas  vorkomme,  das  in  Ihr  Fach  schlägt,  und  worüber  Sie  ein  Wort  mit 
Ueberzeugung  sprechen  können?  Was  das  sey,  liegt  am  Tage.  Mir  nun 
ist  es  von  der  allergrößten  Wichtigkeit,  daß  über  mein  Buch  Etwas  Ver- 
nünftiges, von  irgend  einer  Seite,  sobald  als  möglich  öffentlich  gesagt 
werde.  Als  Zugabe  von  großem  Werthe  werde  ich  es  annehmen,  wenn 
nebenbey  von  den  sämmtlichen  übrigen  Theilen  eine  Uebersicht  gegeben 
wird,  die  nicht  ganz  und  gar,  wie  es  bey  den  bessern  und  gewissenhaftem 
Recensenten  vorzukommen  pflegt,  nur  ipsissima  verba,  und  folglich  ab- 
gerissene Lappen  ohne  allen  Sinn  und  Zusammenhang  herbeybringt. 
Solches  ist  mir  auch  begegnet;  —  der  Recensent  scheint  alsdann  mit 
feiner  Manier  das  Publicum  zu  fragen:  versteht  Ihr  das?  ich  verstehe 
es  nicht! 

Wollen  Sie  mir  aber  einen  recht  sehr  großen  Dienst  leisten,  so 
sprechen  Sie  von  dem,  was  Einer  ungefähr  gelernt  haben  müßte,  um  die 
ganze  Arbeit,  höher  stehend  als  der  Verfasser,  von  oben  herab  entweder 
loben  oder  tadeln  zu  können.  Bemerken  Sie  dabey,  daß  diese  Kenntnisse 
allerdings  in  der  heutigen  Welt  vorhanden  sind,  und  daß  eben  deshalb 
das  Buch  nur  in  dem  einen,  sehr  möglichen  Falle  unbeurtheilt  bleiben 
wird,  wenn   es  in  Vergessenheit  geräth. 

l)  Jenaische  Allg.  Lit.-Ztg.  No.  112  (Juni  1829),  G.  unterzeichnet.  Man  vgl.  die 
oben  auf  S.   206  Anm.  2  mitgeteilte  „Erwiederung"  Herbarts. 


Mai   1830.  213 

Die  Schwierigkeit,  woran  Sie  stoßen,  ist  offenbar  nur  die,  daß  Sie 
scheinen  könnten,  Sich  außerhalb  Ihrer  Gränzen  zu  bewegen.  Dieses  er- 
kenne ich  vollkommen,  und  wünsche  wahrlich  nicht,  daß  Sie  Sich  leicht 
darüber  hinwegsetzen;  noch  weniger  daß  Sie  Sich  Verlegenheiten  zuziehn. 
Aber  Sie  brauchen  lediglich  die  Sache  zu  zeigen  wie  sie  ist.  Schieben 
Sie  die  Schuld  auf  mich;  ich  bin  in  Ihre  Gränzen  gekommen;  ich  habe 
behauptet,  daß  Mathematik  in  Psychol.  und  Metaph.  eingreifen  müsse;  noch 
mehr,  ich  habe  behauptet,  Sie  seyen  derjenige,  welcher  in  meinen  Arbeiten 
gerade  ||  das  verstehe,  was  Andern  unbegreiflich  vorkomme;  Sie  seyen  aufs 
dringendste  aufgefordert,  hierüber  ein  Zeugniß  abzulegen;  und  es  sey  für 
Sie  kein  hinreichender  Grund  vorhanden,  dies  zu  verweigern.  Uebrigens 
verwahren  Sie  Sich  mit  allen  möglichen  Clausein,  um  jedem  denkbaren 
Vorwurf  wegen  Ueberschreitung  Ihrer  Befugnisse  zuvorzukommen.  Das 
wird  eine  treffliche  Lection  für  Andre  werden,  die  von  solchen  Vorwürfen 
keinen  Begriff  haben,  und  von  Ihrer  hochachtungswerthen  Scheu  nichts 
wissen  noch  ahnen.  —  Eichstädt  pflegt  bekanntlich  zuweilen  mehrere 
Recensionen  über  ein  Buch  zusammenzustellen.  Sie  könnten  allenfalls, 
um  Sich  jedes  Bedenken  zu  erleichtern,  ihm  ein  bloßes  Bruchstück  einer 
Recension  einsenden,  und  ihm  überlassen,  dies  neben  eine  andre  zu  stellen. 
Allein  das  wünsche  ich  nicht;  und  es  ist  auch  gar  nicht  nöthig.  Ihre 
Rec.  meiner  Psychologie  ist  in  Hinsicht  des  Buches  nur  ein  Bruch  [stück] 
doch  an  sich  ein  Ganzes,  das,  lange  noch,  Niemand  entbehrlich  machen 
wird.      Und  jetzt  adieu  bis  zum   Charfreitag  in  Berlin! 

Hochachtungsvoll      Herbart. 

Apr.:  Urlaub  für  Mitte  Juni   1830  zu  einer  Reise  nach  Leipzig  u.  Bonn.    XV.     S.  17. 
Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar.     XV.     S.    18  —  21. 

349.     An    Dissen.1)  Coblenz   15.  May   1830. 

Dankbar  wende  ich  mich  nach  Göttingen  und  zu  Ihnen,  mein 
Theurer,  der  Sie  für  mich  wieder  jung  und  frisch  geworden  sind,  möchten 
Sie  aber  so  frisch  für  Sich  Selbst  seyn!  Brandis  gedenkt  Ihrer  mit  der 
freundlichsten  Theilnahme;  er  selbst  ist  ziemlich  wohl,  doch  nicht  stark. 
Sie  können  alle  Sorgen  wegen  der  Uebereinstimmung  zwischen  ihm  und 
mir  ganz  fahren  lassen;  selbst  in  meinen  Jüngern  Jahren  habe  ich  nicht 
schneller  Freundschaft  geschlossen,  als  diesmal  mit  Brandis;  denn  anders 
als  Freundschaft  kann  ich  dies  Verhältniß  nicht  benennen.  Ueber  Plato 
und  Aristoteles  mögen  Sie  mit  ihm  disputiren,  oder  vielmehr  sich  ver- 
ständigen: ich  bin  ihm  darin  nicht  gewachsen;  und  er  tadelt  auch  nicht 
meine  Ansicht  als  falsch  sondern  nur  als  einseitig.  Von  Ihnen  wünsche 
ich  zu  erfahren  wie  weit  er  Recht  hat.  In  allen  Hauptsachen  finde  ich, 
daß  er  mir  eigentlich  nichts  bestimmt  entgegen  setzt,  sondern  nur  noch 
für  jetzt  in  vielen  Puncten  seine  Zustimmung  zurück  hält.  Natürlich  war 
im  Gespräch  an  kein  Abschließen  zu  denken,  sondern  nur  an  Mittheilung, 
zu  künftiger  leichterer  Verständigung. 


J)   1   S.    40.     H.  Wien.     Bereits  gedruckt  bei  Zimmermann  pp.  S.  48,   dort  aber 
falsch  datiert. 


214  Juni  l83°- 

Meine  beste  Empfehlung  an  Wendt.  Meine  herzliche  und  hoch- 
achtungsvollste Danksagung  an  Heeren,  Schulz  —  und  Hugo,  der  mich 
bis  Dransfeld  begleitete!  Leben  Sie  recht  wohl,  mein  Theurer;  sorgen  Sie 
für  Ihre  Gesundheit.      Aus   Königsberg  Mehr!  Herbart. 

350.  All   Drobisch.1)  Coblenz   15  May   1830. 
Mit  fliegender  Feder  sage  ich  Ihnen,   daß  ich  in  etwa  acht  Tagen,  wo 

nicht  früher,  in  Leipzig  zu  seyn  hoffe.  Was  Sie  mir  dort  noch  sagen, 
vorlegen,  einwenden  werden,  —  Alles  soll  mit  größtem  Danke  aufgenommen 
werden ;  und  mit  desto  größerem  Interesse,  da  mir  meine  eignen  Arbeiten 
durch  die  Aufmerksamkeit,  welche  Brandis  darauf  richtet,  noch  interessanter 
geworden  sind.  Dieser  große  Gelehrte  ist  ein  ebenso  weltkundiger  Mann; 
viel  gereiset,  mit  den  bedeutendsten  Zeitgenossen  bekannt,  —  und  für 
mich  höchst  gefällig,  ja  wahrhaft  freundschaftlich. 

Entschuldigen  Sie  diese  höchst  eiligen  Zeilen,  und  empfehlen  Sie 
mich   Hrn.   Prof.   Krug  im  Voraus. 

Hochachtungsvoll  und  von  ganzem  Herzen 

der  Ihrige   Herbart. 

351.  An    Brandis.  Treuenbrietzen  7  Juni  30. 

Noch  bin  ich  nicht  einmal  in  Berlin  angelangt;  allein  die  dankbarsten 
Erinnerungen  an  Bonn,  und  der  Wunsch,  mich  Ihnen,  mein  Hochverehrter! 
mitzutheilen,  drängen  mich,  den  ruhigen  Augenblick,  den  ich  hier  zubringen 
muß,  zu  einem  Briefe  an  Sie  zu  benutzen.  Von  den  Briefen,  die  Sie 
mir  so  gütig  mitgaben,  ist  einer  ungenutzt  geblieben,  wiewohl  (wenn  mein 
Auftrag  gehörig  ausgerichtet  worden)  am  bestimmten  Orte  abgegeben ; 
Hr.  Hofr.  Hase2)  nämlich  war  verreiset.  Die  beyden  Herrn  in  Gotha 
kamen  mir  gleich  nach  Empfang  der  Addressen  mit  ihren  Besuchen  zuvor; 
mit  Hrn.  Hofpr.  Hey3)  brachte  ich  ein  Stündchen  im  angenehmen  Ge- 
spräche zu;  weit  mittheilender  aber,  und  im  hohen  Grade  interessant, 
habe  ich  den   Buchh.  Perthes4)  gefunden.     Dieser  weltkundige  Mann  hielt 

*)  1  S.  2°.  Ein  Faksimile  dieses  Briefes  findet  sich  in  Heft  I  der  Sammlung 
„Männer  der  Wissenschaf Lu :   „Herbarf  von  O.  Flügel.     Leipzig,  W.  Weicher,    1905. 

2)  Heinr.  Hase,  1789  — 1842,  war  seit  1820  in  Dresden,  zuletzt  Oberinspektor 
der  dortigen  Antikensammlung.     S.   Allg.  D.   Biogr.    10,   724. 

3)  Joh.  Wilhelm  Hey,  1767  — 1845,  der  bekannte  Fabeldichter.  S.  Allg.  D. 
Biogr.    12,  344  f. 

4)  Über  den  Eindruck,  den  der  Buchhändler  Perthes  von  Herbart  hatte,  gibt  ein 
Brief  Aufschluß,  den  Perthes  an  seinen  Freund  Rist  schrieb:  „Ihr  alter  Jugendfreund 
Herbart  aus  Königsberg  war  im  Mai  bei  mir,  ich  brachte  einen  sehr  interessanten  Tag 
mit  ihm  zu.  Er  hatte  sich  im  Kopf  eine  Art  Gedankenzettel  gemacht,  um  von  mir 
über  Vieles,  was  er  in  Deutschland  gefunden,  Auskunft  zu  erhalten.  Befremdet  und 
erstaunt  war  er,  so  wenig  Interesse  für  Philosophie  auf  seiner  Reise  gefunden  zu  haben. 
Nicht  allein  die  nur  allgemein  gebildeten  Männer,  sondern  auch  Gelehrte,  ja  Philo- 
sophen von  Fach  hätten  Gleichgiltigkeit  und  Abneigung,  über  Philosophie  zu  reden, 
gezeigt.  Er  hätte  sehr  oft  das  Gefühl  gehabt,  lästig  zu  werden,  wenn  er  in  das  Wesen 
philosophischer  Fragen  tiefer  hätte  eindringen  wollen;  wunderbar  sei  ihm  dagegen  das 
Interesse  aufgefallen,  was  überall  für  Religion,  Kirche  und  religiöse  Parteiungen  hervor- 
trete. Als  ich  ihm  dagegen  mein  Erstaunen  darüber  aussprach,  daß  Königsberg  dem 
deutschen  Leben  so  fern  stehe,  daß  es  seinen  Gelehrten  die  jetzt  in  Deutschland 
herrschenden  Bewegungen  verborgen  halten  könne,  ward  er  sehr  lebhaft  und  setzte  sich 


Juni  1830.  215 

mich  selbst  am  andern  Morgen,  weit  über  die  Zeit,  die  zur  Abreise  vest- 
gesetzt  war,  bey  sich  auf.  Wenn  ein  Supernaturalist  wie  Er,  und  ein 
Rationalist  von  meiner  Sinnesart,  länger  bey  einander  verweilten,  sie  würden 
sich,  glaube  ich,  nicht  bloß  dulden,  sondern  bald  auch  in  ihrer  Meinung 
näher  zusammenrücken.  Sie  werden  mir  einen  Gefallen  erzeigen,  wenn 
Sie  der  zwischen  ihm  und  mir  gestifteten  Bekanntschaft  gelegentlich  neue 
Nahrung  zuführen,  und  mich  ihm  ins  Andenken  zurückzurufen  die  Güte 
haben  wollen;  vielleicht  kommt  auf  diese  Weise  selbst  in  einige  meiner 
älteren  Verbindungen  neues  Leben;  und  ich  habe  es  nur  zu  schmerzlich 
und  zu  lange  empfunden,  was  das  heißt,  isolirt  zu  stehen.  —  Die  an- 
genehmsten Abende  endlich  hat  uns  Ihre  Frau  Gemahlin  durch  den  Brief 
in's  Tieksche  Haus  geschafft.1)  Höchst  unerwartet  bin  ich  vom  Hofrath 
Tiek  äußerst  freundlich  aufgenommen;  hier  hatte  mich  noch  überdies  ein 
Verstorbener  —  Jean  Paul  —  im  Voraus  eingeführt.  —  Eben  so  offen, 
eben  so  voll  ruhigen  Verstandes,  als  geistvoll,  habe  ich  Tieks  Gespräch 
gefunden.  Es  scheint  nicht,  daß  er  an  Schelling  oder  Hegeln  hänge. 
Dagegen  fragte  er  gleich  nach  Herrn  v.  Schlegel, 2)  welchen  in  Bonn  nicht 
besucht  zu  haben  ich  in  der  That  bereue.  Ganz  vorzüglich  empfahl  er 
mir  Solgers^)  Schriften.  Vermuthlich  sind  Sie  mit  diesem  bekannt;  wie 
schön  wäre  es,  wenn  Sie  durch  einige  Winke  mir  es  erleichtern  wollten, 
mich  nach  meiner,  Ihnen  bekannten,  Art  darin  zu  orientieren!  Wunderbar 
ist  Tieks  Talent  zum  Vorlesen!  In  Einem  Zuge  hat  er  mir  und  ein  paar 
Freunden  Shakespeares  Romeo  und  Julia,  —  an  einem  zweyten  Abende 
die  Antigone  nach  Solgers  Übersetzung  vorgelesen ;  mit  solchem  Feuer 
und  solcher  Kunst,  daß  die  Vorlesung  den  Werth  einer  selbst  vortrefflichen 
Aufführung  überbieten  konnte.  —  Die  Bildergallerie  selbst  hat  kaum 
stärkeren  Eindruck  zurückgelassen.  Auch  habe  ich  Erlaubniß,  an  Tiek 
zu  schreiben.      Möchte  ich  dieselbe  für  Ästhetik  benutzen  können! 


auf  das  philosophische  Pferd.  Ich  erklärte  ihm  alsbald,  daß  ich  als  Buchhändler  keine 
Verpflichtung  habe,  seine  philosophische  Sprache  zu  verstehen,  und  bat  ihn  mir  dieselbe 
in  gut  Deutsch  zu  übersetzen.  Da  kamen  denn  ganz  wundersame  Aussprüche  zu  Tage 
und  der  Mann  stand  eine  wahre  Pein  aus,  in  einer  fremden  Sprache  reden  zu  müssen. 
Herbart  hat  mich  mit  Achtung  und  Vertrauen  erfüllt;  er  ist  gewiß  ein  weicher  Mensch, 
so  eisern  auch  der  Harnisch  ist,  den  er  umgethan  hat:  versteift,  wie  man  mir  gesagt 
hatte,  ist  er  in  keiner  Weise,  aber  er  scheint  mir  einer  vergangenen  Zeit  anzugehören 
und  ist,  da  er  auf  dem  entfernten  Flügel  des  Vaterlandes  nicht  wie  die  anderen  von 
der  Zeit  gedrängt,  gerieben,  verarbeitet  wird,  in  Befangenheit  der  Anschauung  über  Welt, 
Leben  und  Wissenschaft  geraten;  mit  seinen  Zeitgenossen  wird  er  sich  schwerlich  in 
Einklang  setzen  können,  besonders  weil  er  verlangt,  daß  sie  sich  mit  ihm  in  Einklang 
setzen  sollen.  An  Scharfsinn  und  formeller  Durchbildung  fehlt  es  ihm  gewiß  nicht,  ob 
er  aber  Tiefsinn  genug  besitzt,  um  in  das  Wesen  der  Dinge  einzudringen,  lasse  ich 
dahingestellt.  Mangel  an  Phantasie  oder  wenigstens  an  Ausbildung  derselben  zum  Ge- 
brauch glaubte  ich  zu  bemerken.  Wir  schieden  sehr  befriedigt  von  einander;  gewiß, 
wenn  Sie  mit  dem  alten  Universitätsbruder  philosophirten  und  ich  als  Naturalist  zuweilen 
einen  S — hieb  anbrächte,  so  würde  das  für  uns  alle  ein  belebter  Abend  werden."  Vgl. 
C.  Th.  Perthes,  Fr.  Perthes'  Leben,  Gotha  1855,  III.  Bd.,  S.   144  f. 

1)  J.  L.  Tieck,  der  seit   1825   als  Dramaturg  am  Dresdner  Hoftheater  wirkte. 

2)  Aug.  Wilh.  Schlegel,  1767  — 1845,  Prof.  in  Bonn,  s.  Allg.  D.  Biogr.  31,  354  ff. 
a)  C.  W.  F.  Solger,    1780 — 18 iq.      Seine   kleinen  Schriften  gaben  L.  Tieck  u. 

Fr.  Raumer  heraus.     (Anm.  von  K.  G.  Brandis.) 


2l6 Juni   1830. 

In  Leipzig  hat  mir  Drobisch  einige  bestimmte,  im  Voraus  nieder- 
geschriebene, wissenschaftliche  Fragen  vorgelegt;  er  schien  mit  meinen 
Antworten  zufrieden;  an  Streit  war  nicht  zu  denken.  Seine  Recension 
meiner  Metaphysik  wird  hoffentlich  bald,  und  zwar  in  der  Jenaischen  L.  Z. 
erscheinen,  sie  wird  sehr  ausführlich  seyn. x)  Die  Bekanntschaft  mit  Drobisch 
ist  mir  lieber  geworden  als  je  zuvor;  er  ist  ein  äußerst  lebhafter,  sehr 
schnell  und  scharf  eindringender  Mann;  und  ich  kann  kaum  noch  zweifeln, 
daß  er  sich  tief  und  tiefer  in  die  Philosophie,  selbst  öffentlich,  einlassen 
wird.  Eine  sehr  weitläufige  Recension  meiner  Psychologie  soll,  wie  ich 
in  Halle  hörte,  in  der  dortigen  L.  Z.  bevorstehen,  —  von  einem  meiner 
alten  Freunde,2)  den  Sie  vielleicht  kennen.  —  Noch  bitte  ich  Sie,  auf 
Reinhold3)  in  Jena  eine  fernere  Aufmerksamkeit  zu  richten.  Der  Mann 
ist  mir  persönlich  werth  geworden;  ich  habe  ihn  auf  Sie  hingewiesen,  — 
um  so  mehr,  da  ich  unmittelbar  seine  Meinungen  wohl  nicht  genau  genug 
berühren  kann.  Wenn  doch  die  Menschen  sich  nicht  länger  absichtlich  isoliren 
möchten!  Die  Philosophie  hat  im  Publicum  schrecklich  dadurch  verloren; 
das  ist  mir  auf  meiner  Reise  überall  aufs  neue  ins  Auge  gesprungen.  Und 
auch  wir  Einzelnen,  —  verlieren  Alle  und  Jeder  dadurch.  —  Fries  — 
hat  mich  nicht  sehen  wollen.4)  —  Daß  ich  in  Weimar  Göthe5)  und  Röhr,6) 
in  Jena  Martin7)  (den  Criminalisten  und  meinen  ehemaligen  Collegen/ 
und  Gries,  in  Halle  Wegscheidern8)  und  Grubern,9)  in  Leipzig  Krug 
und  Brandes  besucht,  in  Dresden  den  Baron  Stackeiberg10)  (den  be- 
rühmten Reisenden)  angetroffen,  kann  ich  nur  ganz  dürr  hinzusetzen,  denn 
mein  Reisebericht  muß  enden.  Krug  war  freundlich  aber  nicht  eingehend. 
Wegscheider  verlangte  sua  sponte  eine  Encyklopädie  von  mir,  gleich  Ihnen, 
Drobisch  billigt  es;  und  so  werde  ich  recht  bald  die  Feder  ansetzen; 
wenn  Sie,  der  erste  Anreger,  eine  Seite  eines  Briefes,  —  so  bald  als 
möglich  —  daran  wenden  wollen,  mir  recht  deutlich  die  Puncte  zu  nennen, 
die  Sie  verlangen.  —  Erwarten  Sie  keine  weitläufigen  Darlegungen  des 
hohen  Werths,   den  ich,  noch  über  die  Erwartung,    auf  Ihre  freundschaft- 

1)  Sie  findet  sich  in  der  Jenaischen  Allg.  Lit.  Ztg.  1830,  Nr.  144 — 149,  und  ist 
M.  W.  D.  unterzeichnet. 

2)  Erich  von  Berger,  vgl.  S.  224,  Anm.  2. 

3)  Ernst  Christ.  Gottl.  Reinhold,  1793  — 1855,  Professor  der  Philosophie  in  Jena, 
der  Sohn  von  Karl  Leonhard  Reinhold,  von  dem  im  vorhergehenden  Bande  unter 
Nr.  225  u.   227   zwei  Briefe  mitgeteilt  sind.     S.  Allg.  D.  Biogr.  28,    79. 

4)  Über  die  Gründe  der  Ablehnung  s.  Bd.  3  dieser  Briefe:  Brief  von  Fries  an 
Drobisch  v.    14.  Juni   1836. 

5)  Herr  Geheimrat  Suphan  hatte  die  Güte,  mir  mitzuteilen,  daß  sich  im  Goethe- 
Archiv  über  den  Besuch  Herbarts  bei  Goethe  keinerlei  Aufzeichnung  befänden,  und  daß 
das  Tagebuch  Goethes  diesen  Besuch  nicht  erwähne. 

8)  Joh.  Friedr.  RÖHR,  Oberhofprediger  in  Weimar. 

7)  Ch.  B.  D.  Martin,  1772 — 1857,  Rat  am  Oberappellationsgericht  in  Jena.  S. 
Allg.  D.  Biogr.   20,  485  ff. 

8)  J.  A.  Ludw.  Wegscheider,  1 771  — 1849,  Prof.  in  Halle,  Dogmatiker  des 
Rationalismus.     S.  Allg.   D.   Biogr.  4],  427  ff. 

9)  J.  G.  Gruber,  1774 — 1851,  der  Begründer  der  ..Allgemeinen  Encyklopädie  der 
Wissenschaften  u.  der  Künste".     Vgl.  Allg.  D.  Biogr.    10.    1  ff. 

10)  Der  Kunstforscher  und  Maler  Otto  Magnus  Freiherr  von  Stackelberg,  1787 
bis  1837,  Herbarts  Schüler  in  Göttingen.  Vgl.  Hartenstein,  Herbarts  kl.  Schriften  I, 
S.  LXVI1  u.  Allg.  D.  Biogr.  35,  340  ff. 


Juni   1830.  217 

liehen   Gesinnungen    zu    legen    gelernt  habe!    Ich  hoffe,    Sie   kennen  mich. 
Mit  innigster  Hochachtung  Ihr  Herbart. 

An  Ihre  Frau  Gemahlin  Dank  und  Gruß  und  Ehrerbietung  von  uns 
Beyden!   Meine  Frau  ist  wohl. 

352.     An   Drobisch. x)  Potsdam  8  Juni  30. 

Hochgeehrter  Herr  Professor!    Noch    bin    ich    nicht   in   Berlin.      Dort 

werde   ich  Sie    vermissen;    hier   gönne    ich    der    Freude   Raum,    daß    unsre 

x)  2  S.  20.  —  In  W.  Neubert -Drobisch  heißt  es  a.  o.  O.  S.  27:  „Besonders 
interessant  aber  ist  Drobisch'  erste  persönliche  Begegnung  mit  Herbart,  den  er  im 
Alter  gern  seinen  geistigen  Vater  nannte,  wie  er  auch  Kant  als  seinen  geistigen  Groß- 
vater bezeichnete.  Er  schreibt  darüber:  ,, Herbart  endlich,  ich  konnte  ihn  in  Berlin  nicht 
ganz  fassen :  wir  waren  beide  zu  zerstreut,  hauptsächlich  durch  die  Neuheit  des  Orts, 
auch  war  ich  noch  nicht  genug  vorbereitet,  denn  ich  hatte  seine  Metaphysik  erst  gelesen, 
noch  nicht  mit  der  Feder  studiert,  sah  sie  doch  eigentlich  auch  als  etwas  mir  Fremdes, 
Aufgenötigtes  an,  das  ich  mir  noch  keineswegs  hatte  aneignen  können,  dem  ich  aber 
doch  auch  nichts  Treffendes  entgegenzusetzen  wußte.  Das  Werk  war  mir  ein  harter 
Edelstein,  an  dem  keine  meiner  Feilen  greifen  wollte.  Unsere  Unterhaltungen  waren 
daher  auch  meist  sehr  allgemein  und  formal.  Er  suchte  mich  überhaupt  für  Philosophie 
mehr  zu  gewinnen.  Ich  erklärte,  wie  mich  diese  Zweiheit  des  philosophischen  und 
mathematischen  Studiums  drücke  und  wie  unbehaglich  mir  das  sei,  was  er  gern  glaubte, 
ohne  jedoch  abzugehen.  Er  sagte  mir  Dinge  über  mein  philosophisches  Talent,  an  die 
ich  nicht  glauben  konnte,  er  traute  mir  zu,  Effekte  hervorzubringen,  zu  denen  ich  mich 
viel  zu  schwach  fühlte.  Er  fand  in  der  Vereinigung  von  philosophischem  und  mathe- 
matischem Talent  in  mir  etwas  Seltenes  und  Eigentümliches,  das  ich  zur  Ausbildung 
bringen  müsse,  indem  es  mir  sicher  großen  Ruhm  bereiten  werde  u.  s.  w.  Er  suchte 
mich  zu  überzeugen,  daß  ihm  schon  meine  beiden  Recensionen  von  wesentlichem 
Nutzen  gewesen  wären,  indem  viele  sich  dadurch  zum  Studium  seiner  Schriften  veranlaßt 
gesehen  hätten,  seitdem  sich  gezeigt  habe,  daß  es  wenigstens  einem  gelungen  sei,  in 
ihren  Sinn  und  Geist  einzudringen.  Wir  kamen  endlich  überein,  nach  einigen  Wochen 
in  Leipzig  noch  einmal  eine  philosophische  Konferenz  zu  halten,  wo  ich  hoffte,  daß 
dann  in  meinem  Kopfe  manches  noch  Unverbundene  Zusammenhang  gefunden  haben 
würde'1.  Diese  fand  auch  am  27.  Mai  in  Leipzig  statt,  „durch  ausgeschriebene  Fragen 
besser  vorbereitet".  .  .  Am  29.  nach  Herbarts  Abreise  resümiert  Drobisch  die  gehabten 
Eindrücke  und  Ergebnisse  der  Konferenz  folgendermaßen:  „Herbarts  reges,  gewaltiges 
inneres  Leben  giebt  ihm  oft  den  Schein  des  Egoismus.  Er  kann  nicht  kindlich  sein; 
und  doch  ist  er  oft  hingebend,  und  doch  zu  wenig  mißtrauisch,  zu  sehr  empfänglich 
für  bloß  höfliche  Freundlichkeit.  —  Diesmal  hatte  er  mich  in  Schwung  gesetzt.  Es 
wurde  wirklich  in  mir  die  Überzeugung  lebendig,  als  komme  es  nur  darauf  an,  in  der 
Philosophie  wieder  genaue,  gründliche  Untersuchungen  in  Gang  zu  bringen,  nur  alles 
recht  scharf  zu  nehmen,  und  so  aus  sich  etwas  zu  machen,  um  diese  Wissenschaft  und 
ihre  Priester  bei  den  anderen  und  im  Staate  wieder  zu  Ansehen  zu  bringen.  Er  bat 
mich  dringend,  mich  nicht  zu  quälen  und  bloß  Mathematiker  sein  zu  wollen,  da  meine 
Natur  mich  wenigstens  gleichmäßig  zur  Philosophie  rufe.  Zunächst  wünschte  er,  daß 
ich  bald  ein  philosophisches  Kollegium  lesen  möge.  Videamus !  Ich  konnte  mir  ziemlich 
klar  die  Möglichkeit  denken,  daß  an  die  Stelle  der  populären  Astronomie  nach  einigen 
Jahren  ein  philosophisches  Kollegium  treten  dürfe.  Aber  vorher  gründliche  Studien: 
Kant,  Spinoza  pp.,  wohin  wird  das  führen?  Auf  jeden  P'all  muß  ich  meine  Natur  zu 
entwickeln  suchen.  Was  angefangen  muß  ich  enden:  Herbarts  gesamte  Philosophie  mit 
der  P'eder  studieren,  sonst  ist  die  bisher  ihr  gewidmete  Zeit  verloren.  Ich  muß  ohne 
Zweifel  die  äußere  Lage  der  Philosophie  ganz  vergessen  und  rein  innerlich  leben,  werde 
daraus  was  wolle"!  Und  nun  vertieft  sich  Drobisch  mit  Feuereifer  in  Herbartsche 
Schriften,  zunächst  in  seine  Metaphysik.  Gelegentlich  der  Anwesenheit  von  Herbart 
und  seiner  Frau  in  Leipzig,  die  übrigens  am  28.  V.  bei  Drobisch  zum  Mittagessen  gewesen 
waren,  verleiht  Drobisch  seinem  Unmut  darüber  Ausdruck,  daß  Herbart  und  Frau  sich 
gegen  Leipzig  so  indifferent  gehalten  hätten;  er,  weil  seine  innere  Welt  fast  die  äußere 
vernichte,  sie,  weil  die  Liebe  zu  Königsberg  alles  andere  verschlinge.  Für  seine  Vater- 
stadt aber  schlug  Drobisch'  Herz  warm." 


2  l8  August   1830. 

persönliche  Bekanntschaft  nicht  auf  die  ersten  schwankenden  Eindrücke 
beschränkt  geblieben,  sondern  in  Leipzig  so  merklich  fortgeschritten  ist. 
Empfangen  Sie  meinen  vollen  und  innigen  Dank  für  die  gefällige  Auf- 
nahme, die  mir  dort  bey  Ihnen  bereitet  war!  Und  lassen  Sie  mir  die 
Hoffnung,  daß  bey  Ihrer  wissenschaftlichen  Genauigkeit  Schutz  für  die 
sorgfältigsten  Arbeiten,  und  für  die  verletzbarsten  Theile  meiner  Unter- 
suchungen dann  zu  finden  sey,  wann  man  nach  allen  Seiten  mit  unreifen 
Versuchen  daran  zerren  und  ziehen  wird.  Daß  mir  eine  mehr  aufs 
Praktische  gerichtete  Bemühung  wird  abgefordert  werden,  daran  bin  ich 
noch  neulich  in  Dresden  erinnert  worden,  wo  ich  mit  Tiek  und  dem 
Baron  Stackeiberg  über  Kunst  zu  reden  hatte,  und  auf  einige  mir  früher 
mehr  geläufige,  jetzt  fast  entfremdete  Gegenstände  zurück  gewiesen  wurde. 
Tieks  Bekanntschaft  ist  höchst  interessant,  und  seine  Gefälligkeit  für  mich 
überstieg  alle  Erwartung.  Sie  wohnen  ihm  so  ||  nahe,  daß  Sie  vielleicht 
Gelegenheit  finden  werden,  ihm  meine  lebhaften  und  wahrlich  recht  eigent- 
lich schuldigen  Danksagungen   zu  erneuern. 

Ganz  besonders  verpflichtet  aber  sind  wir  beyde  Ihrer  Frau  Gemahlin, 
die,  so  fürchte  ich,  mit  zu  vieler  Aufopferung  dafür  gesorgt  hat  uns  an- 
genehme Stunden  zu  schaffen.  Der  Ausdruck  des  Leidens  in  ihren  Augen 
ist  mir  im  Gedächtnis  geblieben  als  ob  ich  ihn  sähe.  Meine  guten  Wünsche 
bedürfen  nicht  der  Worte.  Meine  Frau  hofft,  nicht  ganz  vergessen  zu 
werden. 

Sobald  Sie  Zeit  haben,  bitte  ich  um  einige  wenige  Zeilen  nach 
Königsberg;  dann  schreibe  ich  von  dort  ausführlicher.  Empfehlen  Sie 
mich  aufs  Beste  den  Herrn  die  ich  bey  Ihnen  sah;  auch  bey  Krug. 
Und  leben  Sie  recht,  recht  wohl,  sammt  Ihrer  Frau  und  dem  allzuzarten 
Kinde!  Herbart. 

Berlin  14  Jun.  Ihr  persönliches  Erscheinen  hier  in  Berlin  scheint 
nicht  ohne  gute  Früchte  geblieben  zu  seyn.  Eine  lebhafte  Anerkennung 
Ihrer  mathematischen  Einsichten  leuchtet  aus  Idelers 1)  wiederhohlten  Aeuße- 
rungen  hervor,  obgleich  er  selbst,  wenn  ich  recht  verstand,  Sie  nicht  ge- 
sprochen hat,  meinerseits  habe  ich  hier  noch  Lichtenstein,  Mitscherlich, 
und  Savigny  kennen  gelernt. 

353.     An   Brandis.  Königsberg,  30.  Aug.  30. 

Nach  so  heitern  Tagen  in  Bonn  zwey  so  traurige  Nachrichten  auf 
einmal  von  Ihnen?  —  Die  erste  wage  ich  gar  nicht  zu  berühren.2)  Sie, 
mein  hochverehrter  Herr!  haben  die  Quelle  der  Beruhigung  und  die 
Unterstützung  von  Außen  in  Sich  und  in  Ihrem  Hause.  Die  zweyte  üble 
Nachricht  berührt  leider  mein  Brief,  indem  er  nach  Carlsbad  wandern 
muß.  Wozu  das?  Unsere  Ärzte  rühmen  sehr  das  künstliche  Carlsbad; 
das  konnten  Sie,  wenn  nicht  näher,  doch  gewiß  in  Dresden  haben;  und 
wie  Vieles    hätte    dort    zu  Ihrer  Erheiterung,    folglich  auch    zu  Ihrer  Ge- 


*)  K.  W.  Ideler,  17Q5-  1860,  Irrenarzt,  später  Direktor  der  psychiatrischen  Klinik 
in  Berlin.     S.   Allg.  D.  Biogr.    13,   746  f. 

2)  Die  erste  dieser  Nachrichten  betraf  den  Tod  eines  Kindes  von  Brandis.  (Anm. 
von  K.  G.  Brandis.) 


August  1830.  219 

sundheit  beygetragen.  Jetzt  bleibt  mir  noch  die  Hoffnung,  daß  Sie  Sich 
wenigstens  eine  angenehme  Rückreise  schaffen  werden.  Vielleicht  sehen 
Sie  Tiek;  dann  bitte  ich  um  die  Versicherung  meiner  Hochachtung  und 
dankbarsten  Erinnerung.  Daß  ich  von  der  Erlaubniß,  an  Tiek  schreiben 
zu  dürfen,  noch  nicht  Gebrauch  gemacht  habe,  daran  sind  Sie  die 
unwillkürliche  Veranlassung.  Meine  Zeit  ging  nach  Endigung  meiner 
Recension  über  Hegels  Encyklopädie,  die  in  Halle  verlangt  wurde,  ganz 
auf  den  Beginn  der  von  Ihnen  verlangten  Encyklopädie,  die  freylich 
keineswegs  ein  Gegenstück  jener  Hegeischen,  sondern  etwas  ganz  Disparates 
werden  wird.  Denn  der  Gesammteindruck  meiner  Reise,  nachdem  ich  alle 
Wahrnehmungen  zusammenfasse,  ist  dieser,  daß  ein  populäres,  aber  mög- 
lichst unterrichtendes  und  möglichst  umfassendes  Buch  über  die  gesammte 
Philosophie  Noth  thut.  Sonst  laufen  wir  Gefahr,  in  Zeit  von  zehn  Jahren 
kein  philosophisches  Publicum  mehr  zu  haben.  Fichte,  Schelling,  und 
Hegel  haben  schon  längst  daran  gearbeitet,  das  Publicum  unserer  Wissen- 
schaft zu  tödten;  und  der  Erfolg  liegt  jetzt  am  Tage,  wohin  ich  auch 
komme  und  blicke.  In  meinem  neuen  Buche  kehre  ich  mein  System 
rund  um;  das  Hinterste  vorn,  das  Oberste  unten.  Gegen  das  Ende  erst 
soll  die  Architektonik  als  nöthiges  Correctiv  dazu  kommen,  und  dort 
werde  ich  noch  Gelegenheit  zu  einigen  wissenschaftlichen  Bemerkungen 
finden.  Drobisch  schreibt,  er  habe  seine  Recension  meiner  Metaph.  nach 
Jena  abgeschickt;  diese  Arbeit  sev  für  eine  Recension  von  ganz  außer- 
gewöhnlicher Länge.  Der  Fleiß,  den  er  angewendet  hat,  übertrifft  alle 
meine  Erwartung.  Unmöglich  aber  kann  der  Mathematiker,  selbst  Drobisch 
mit  seinem  trefflichen  philosophischen  Geiste,  sich  auf  einmal  ganz  und 
in  alle  Falten  der  faltigsten  aller  Wissenschaften  hineingefunden  haben. 
Ihnen  Vommt  es  zu,  als  Kenner  zusprechen.  Möchte  das  bald  geschehen ! 
Mein  Buch  ist  schon  beynahe  halb  fertig;  und  wiewohl  die  zweyte  Hälfte 
langsamer  geschrieben  werden  wird,  so  wünschte  ich  doch  so  bald  als 
möglich  von  Ihnen  die  mir  nöthigen  Winke  durch  die  versprochene 
Recension  zu  erhalten.  Lobeck  fragt  mich  nach  Aufträgen,  die  Niebuhr 
mir  soll  mitgegeben  haben?  Mein  Gedächtnis  muß  in  diesem  Falle  von 
den  Eindrücken  und  Interessen  meiner  Reise  ganz  überschüttet  seyn; 
denn  ich  weiß  nichts  davon,  und  ich  muß  mich  bittend  an  Sie  wenden, 
meinen  Fehler  gütigst  verbessern  zu  wollen.  Es  ist  ja  nur  ein  Fehler 
mehr  zu  andern,  die  Sie  finden  werden!  Thun  Sie  was  Sie  können,  um 
der  Philosophie  neues  Leben  zu  schaffen,  gleichviel  wie  und  von  welcher 
Seite.  Die  Zeit  drängt.  Die  Noth  ist  da.  Neue  Stürme  von  Westen 
könnten  dazu  kommen.  Der  Himmel  bewahre  uns  vor  neuen  Über- 
schwemmungen, was  hülfe  denn  unsere  sorgfältigste  Arbeit?  Giebts  Lärm, 
so  ist  unser  stilles  Wirken  vorbey.  —  In  Gedanken  drücke  ich  Ihnen 
die  Hand!  Herbart. 

354.     An    Eichstädt.1)  Königsberg  30.  Aug.  30. 

Ew.   Wohlgeboren  bey  meinem   kurzen  Besuch  in  Jena  verfehlt,    und 

in  der  Hoffnung  auf  eine  so  höchst  schätzbare    persönliche  Bekanntschaft 

*)  Zuerst  veröffentlicht  durch  H.  Zimmer  in  der  Zeitschr.  f.  Päd.  Psych,  u.  Path.  1900, 
Heft  3. 


2  20  August   1830. 

mich  getäuscht  zu  haben,  dies  ist  mir  ein  Gegenstand  des  lebhaften  Be- 
dauerns. —  Sie  empfangen  hier  einige  der  verlangten  Recensionen,  die 
freylich  Hrn.  Prof.  Drobisch  nicht  in  den  Weg  treten  sollen;  und  [aus- 
gestrichen] ich  habe  mich  diesmal  um  desto  notwendiger  kurz  fassen 
müssen  (obgleich  die  Hrn.  Schubarth  u.  Carganico  Stoff  genug  darboten), 
weil  Ihren  Blättern  auf  meine  Veranlassung  noch  eine  andre  Zumuthung 
bevorsteht,  reichlichen  Platz  zu  vergönnen.  Sie  gestatten  mir,  Hrn.  Dr.  Taute 
bey  Ihnen  einzuführen.  Er  hat  nun  recht  sorgfältig  eine  Recension  über 
Bachmanns  Logik  niedergeschrieben;  aber  ich  stehe  nicht  dafür,  daß  vier 
Nummern  der  I.  A.  L.  Z.  Raum  genug  dafür  haben  werden.1)  Zu  ver- 
kürzen, meint  er,  sey  gerade  bey  einer  Logik,  die  aus  vielen  Einzelnheiten 
bestehe,  nicht  gut  möglich.  Und  ich  muß  hinzufügen,  daß  ein  Recensent 
in  philosophischen  Fache  sich  gegen  den  Autor  in  desto  größere  Gefahr 
setzt,  je  knapper  er  sich  auf  Aeußerungen  des  Tadels  ohne  hinlängliche 
Belege  und  Beweise  beschränkt.  Taute  ist  noch  unbekannt  als  Schrift- 
steller; und  würde  desto  mehr  in  Gefahr  gerathen,  wenn  er  verkürzen 
sollte.  Sein  Ausdruck  ist  übrigens  rein  wissenschaftlich,  und  von  Ausfällen 
durchaus  frey;  so  wie  sein  ganzes  Wesen  abgemessen  pünctlich,  und  zwar 
scharf  aber  niemals  bitter  ist.  —  Wenn  ich  keine  baldige  Nachricht  von 
Ihnen  erhalte,  so  werde  ich  mir  erlauben  anzunehmen,  daß  Sie  Tautes 
Recension,  lang  wie  sie  ist,  zu  empfangen  bereit  sind;  ich  glaube  in  der 
That,  Sie  werden  damit  nicht  unzufrieden  seyn. 

Mit  der  vollkommensten   Hochachtung  empfiehlt  sich 

Ew.   Wohlgeboren  gehorsamer     Herbart. 

355.     An   Drobisch.2)  Königsberg  30  Aug.  30.. 

Wochenlang  und  monatelang  vielleicht  werde  ich  noch  Geduld  haben 
müssen,  bis  ich  in  den  Besitz  ihrer  Recension  komme.  Darum,  mein 
theurer  Herr  und  Freund!  will  ich  den  Dank  für  Ihren  Brief  nicht  länger 
aufschieben.  Soviel  Sorgfalt,  Mühe,  Aufopferung  Ihrer  Zeit,  Störung  in 
Ihrer  eignen  Arbeit,  wie  dieser  Brief  mir  ankündigt,  hatte  ich  nicht  er- 
wartet. Besäßen  Sie  noch  nicht  meine  Hochachtung,  Sie  hätten  Sich 
dieselbe  nun  erworben!  Was  Sie  geschrieben  haben,  kann  nicht  viel  mehr 
hinzuthun.  Ihren  Geist  kenne  ich.  Ihr  Wirken  wird  dem  meinigen 
aufs  schönste  förderlich  seyn,  selbst  wenn  Sie  in  wesentlichen  Dingen  von 
mir  abweichen  sollten.  Meine  Freymüthigkeit  werden  Sie  in  solchem 
[Falle]  ertragen,  wie  ich  die  Ihrige.  Hätte  ich  Lohn  gesucht,  so  hätte  ich 
auch  ohnehin  [mich]  verrechnet,  denn  die  beste  Zeit  meines  Lebens  ist 
dahin,  und  was  ich  aufgeopfert  habe,  wird  Niemand  ersetzen  können, 
wenn  man  auch  wollte.  Nur  die  Wissenschaft  muß  vom  drohenden 
Untergange  gerettet  werden.  Mit  fortwährender  Anstrengung  habe  ich  an 
meinem  neuen  Buche3)  gearbeitet;  es  liegt  halb  niedergeschrieben  vor  mirr 
und  muß  in  wenigen  Monaten  geendigt  seyn,  um  später  noch  als  ein 
fremdes    angesehen    und    ausgefeilt    zu    werden.  —   Irgend    einmal,    wenn 

x)  S.  Jen.  Allg.  Lit.  Ztg.  1830.  4.  Unterzeichnet  F.  T.  K.  [F.  Taute,  Königsberg?]. 

2)  1  S.     2°. 

3)  Kurze  Encyklopädie  der  Philosophie,   1831.     S.  Bd.  IX. 


Oktober   1830.  22  1 

auch  nach  Jahren,  kommt  Ihnen  hoffentlich  Lust  und  Zeit,  Sich  den 
zweyten  Theil  meiner  Psychologie  ernstlich  anzusehn.  Die  Philosophie 
rechnet  auf  Sie.  Das  sage  ich,  wenn  ich  im  Namen  der  Wissenschaft 
irgend  etwas  sagen  darf.  Sie  werden  in  späterer  Zeit  noch  mehr  leisten, 
als  jetzt  möglich  ist!   Gedanken  kommen  allmählich. 

Mit  vollem   Herzen  grüße  ich  Sie  und   Ihr   Haus! 

H [erbart] 

356.     An   DrotUSCh.1)  Königsberg  6  Oct.   1830. 

Mit  mancher  Besorgniß,  mein  hochgeehrter  Herr  und  Freund,  habe 
ich  bey  den  bösen  Zeitungsnachrichten  Ihrer  und  der  Ihrigen  gedacht. 
Die  kleine   Feuerkugel  ist  doch  unberührt  geblieben?2) 

Ihre  Recension  ist  durch  meinen  Lesecirkel  gegangen.  So  pünktlich, 
wie  Sie  schreiben,  konnte  ich  noch  nicht  lesen.  Ihre  Perlschrift  —  und 
Ihre  diplomatische  Feinheit  (als  wollten  Sie  bald  Minister  werden!)  habe 
ich  bewundert.  Ihre  Beurteilung  meiner  Naturphilosophie  habe  ich  noch 
zu  Gute.  Denn  hoffentlich  werden  Sie  mir  wenigstens  brieflich,  und  bey 
guter  Muße,  nach  Erledigung  näher  liegender  Arbeiten,  etwas  darüber 
sagen.  Wer  sonst,  wenn  nicht  Sie?  —  Daß  Sie  der  Philosophie  ge- 
wonnen sind,  (doch  ohne  Schaden  der  Mathematik)  setze  ich  nun  schon 
voraus;  und  in  mancher  trüben  Stunde  noch  wird  es  mich  trösten,  daß 
Sie  Sich  meiner  Untersuchungen  annehmen.  Etwas  problematisch  sieht 
Ihnen  die  Metaphysik  noch  aus.  Was  dabey  zu  thun  ist,  weiß  ich  wohl; 
und  verzeihen  Sie  meiner  Dreistigkeit,  daß  ichs  Ihnen  kurz  sage.  Wenn 
die  Mathematik  einige  Pausen  verträgt:  dann  —  wenden  Sie  14  Tage  an 
Des-Cartes  meditationes  in  primam  philosophiam ;  in  der  zweyten  Pause 
14  Tage  an  die  ersten  zwey  Bücher  von  Spinozas  Ethik;  in  der  dritten 
Pause  14  Tage  an  Kant,  besonders  an  die  metaphysischen  Anfangsgr.  d. 
Naturwissenschaft;  in  der  vierten  —  3  Wochen  an  Fichtes  Bestimmung 
des  Mensch.,  dessen  Sittenlehre,  und  Schellings  Naturphilos.  —  und  dann  ? 
Ja  nun,  wenn  Sie  soweit  sind,  dann  kommt  hoffentlich  einmal  wieder  die 
Reihe  an  mich.  —  Jetzt  drängt  mich  der  Wunsch,  mein  Manuscript  bald 
los  zu  werden.  Kein  anderes,  als  das  von  Brandis  und  Wegscheider 
verlangte,  die  Encyklopädie ;  sie  liegt  beynahe  fertig  vor  mir;  ich  hatte 
Muße  und  Laune,  und  habe  unablässig  daran  gearbeitet.  Hier  schicke 
ich  Ihnen  die  Inhalts-Anzeige,  in  der  Meinung,  Sie  werden  mir  bald  etwas 
darüber  sagen,  und  auch  darüber,  ob  ich  einen  Verleger  in  Leipzig 
möchte  finden  können,  und  unter  welchen  wahrscheinlichen  Bedingungen  ? 
Zwar  kann  ich  mich  auch  nach  Berlin  wenden;  aber  Sie  wohnen  im  Sitze 
des  Buchhandels;  und  ehe  ich  Forderungen  an  Vorschläge  knüpfe,  will 
ich  gern  zuvor  ein  Wort  des  guten  Rathes  von  Ihnen  einhohlen.  Machen 
Sie  Sich  indessen  ja  keine   Mühe  mit  schwierigen  Erkundigungen;    so  gar 

1)  I    S.      2°. 

2)  Bezieht  sich  auf  den  Leipziger  Septemberaufstand.  Das  Volk  hatte  die  Häuser 
mißliebiger  Beamten  gestürmt,  war  aber  auch  in  die  Brockhaussche  Buchdruckerei  ein- 
gedrungen, um  die  neuen  Schnellpressen  zu  zerstören.  Vergl.  Kneschke,  Leipzig  seit 
100  Jahren  (1870)  und  Beier  und  Drobitzsch,  1000  Jahre  deutscher  Vergangenheit  in 
Quellen  heimatlicher  Geschichte.     Leipzig,    191 1,  Ernst  Wiegandt,  Bd.  2. 


222  Oktober   1830. 

eilig  bin  ich  nicht;  ein  paar  Zeilen  von  Ihnen  werden  mich  unterrichten 
ob  sich  gerade  gute  Gelegenheit  darbietet,  und  was  im  Allgemeinen  zu 
erwarten  ist.  Entschuldigen  Sie  meine  Eile;  eben  schicke  ich  die  Rec. 
über  Hegeln  fort.  H. 

357.     An   Brandis.  Königsberg,   17  Octob.   1830. 

Zu  lange,  mein  hochverehrter  Herr  und  Freund!  habe  ich  nichts  von 
Ihnen  vernommen.  Weiß  ich  doch  nicht  einmal,  ob  Sie  noch  unterwegs 
irgendwo,  oder  schon  wieder  zu  Hause,  ja  vielleicht  durch  irgend  welche 
Besorgnisse  wegen  der  Gränznachbarn  früher  als  Sie  wollten,  nach  Haus 
zurückgerufen  sind.  Noch  weniger  weiß  ich,  ob  der  nasse  Herbst  dem 
Carlsbad  erlaubt  hat,  Ihrer  Gesundheit  zu  Hülfe  zu  kommen.  Zu  Ihrem 
Stillschweigen  kann  ich  mir  alle  möglichen  auch  unangenehmsten  Ursachen 
hinzudenken.  Die  geringfügigste  wäre,  wenn  Sie  die  wenigen  Zeilen,  die 
ich  Ihnen  nach  Carlsbad  schrieb,  etwa  nicht  bekommen  hätten,  sondern 
vor  deren  Empfang  zurückgereiset  wären.1) 

Wieviel  hätten  wir  uns  jetzt  mündlich  zu  sagen!  —  Mir  erscheint  in 
diesen  Zeiten  Alles  an  sich  Wichtige  noch  weit  wichtiger.  Was  jetzt  sich 
erzeugen,  sich  fixiren  kann,  das  greift  weiter  und  vielleicht  selbst  tiefer 
als  je  zuvor.  Aber  wie  manches  wird  schnell  verschwinden,  dem  noch 
eine  lange  Dauer  schien   beschieden  zu  seyn! 

Um  von  dem  zu  sprechen  was  mir  zunächst  liegt  —  Sie  haben  mich 
in  Arbeit  gesetzt  bis  jetzt,  und  jetzt  bin  ich,  dem  Anscheine  nach,  fertig. 
Das  Manuscript  meiner  „kurzen  encyklopädischen  Darstellung  der  Philo- 
sophie aus  praktischen  Gesichtspunkten"2)  giebt  ein  Buch  von  ungefähr 
einem  Alphabet  bei  gewöhnlichem  Drucke.  Es  zerfällt  in  Elementarlehre 
und  Methodenlehre.  Jene  behandelt  in  16  Capiteln  1.)  das  praktische 
Bedürfniß  der  Philos.  2.)  den  Menschen  in  seiner  Gebundenheit  an  Natur, 
Staat,  und  Kirche;  3.)  die  Begriffe  der  Güter,  Tugenden  und  Pflichten, 
4.)  das  Bedürfniß  der  Religion,  5.)  den  Unterschied  des  moralischen  und 
ästhetischen  Urtheils,  6 )  den  Unterschied  der  ästhetischen  und  theoretischen 
Ansicht,  7.)  die  Kunst  und  den  Künstler,  8.)  die  nützliche  Kunst,  9.)  die 
schöne  Kunst,  10.)  die  gelehrte  Kunst,  11.)  die  Staatskunst,  12.)  die  Er- 
ziehungskunst, 13.)  die  geistige  Regsamkeit,  14.)  das  Leben,  15.)  die  Materie, 
16.)  Seele  und  Ich.  Die  Methodenlehre  umfaßt  8  Capitel  1.)  von  der 
Logik,  2.)  Vernunftkritik,  3.)  Fundamentalphilosophie,  4.)  System  der  Philos. 
im  Allgemeinen,  5.)  Von  der  Metaphysik,  6.)  Vom  Verhältniß  der  Meta- 
physik zu  den  übrigen  philos.  Wissenschaften,  7.)  Von  der  Psychologie, 
8.)  von  der  praktischen  Philosophie.3)  —   Sie  erkennen  hier  den  Plan  eines 

x)  In  der  That  bekam  Brandis  Herbarts  Brief  vom  30.  August  nicht  in  Karlsbad, 
wie  aus  dem  Postvermerk  der  Aufschrift  hervorgeht.  Br.  hatte  auf  der  Reise  nach 
Karlsbad  die  Nachricht  von  dem  Tode  seines  Schwagers  erhalten,  der  mit  seinem  er- 
wachsenen Sohne  bei  dem  Brande  seiner  Fabrik  umgekommen  war,  und  war  sofort 
nach  Kiel  zu  seiner  Schwester  gereist.  Hierauf  bezieht  sich  Herbarts  Nachschrift  vom 
27.   Oktober.     (Anm.  von  K.  G.  Brandis.)  —   Vgl.  auch  Nr.  359. 

2)  Im  Druck  lautet  der  Titel:  Kurze  Encyklopädie  der  Philosophie  aus  prak- 
tischen  Gesichtspunkten   entworfen. 

3)  Weshalb  Herbart  ein  neuntes  Kapitel  (,, Rückblicke  und  Bemerkungen  über  die 
Form  der  Philosophie")  hinzugefügt  hat,  ersehe  man  aus  seinem  Briefe  an  Drobisch  v. 
14.  Nov.  30! 


Oktober   1830.  223 

„Berichts  an  Männer  von  gelehrter  Bildung  ohne  weitern  Unterschied,  die 
nur  überhaupt  von  Philos.  etwas  hören  mögen,  und  nach  dem  Standpuncte 
derselben  sich  von  Zeit  zu  Zeit  umzusehen  pflegen."  Dieser  Plan  hat 
mich  nicht  gehindert,  manches  Psychologische,  das  schwierig  scheinen 
kann,  ins  Licht  zu  setzen.  So  ist  z.  B.  die  Schwierigkeit,  mehrere  Vor- 
stellungsmassen zusammen  im  Bewußtseyn  wirken  zu  lassen,  und  dennoch 
die  Nothwendigkeit  hiervon  für  jedes  höhere  geistige  Erzeugniß,  sehr  be- 
stimmt, wie  ich  glaube,  in  moralischer,  religiöser,  künstlerischer  Hinsicht 
ins  Licht  getreten.  Nicht  die  allgemeine  Theorie,  aber  ihre  Anwendungen 
sind  vor  Augen  gestellt.  Am  meisten  aber  durchdringt  die  Auseinander- 
setzung der  fünf  praktischen  Ideen  das  ganze  Buch.  Am  wenigsten  tritt 
die  Metaphysik  hervor.  Die  Synechologie  und  Eidolologie  kommen  fast 
nur  dem  Namen  nach  vor.  Folgende  sehr  compendiöse  Darstellung  der 
Methode  der  Beziehungen  schreibe  ich  ab: 

Wenn  aufgegeben  ist,  Eins  zu  setzen,  das  man  ebenso  wenig  einfach 
setzen  als  wegwerfen  kann:  so  setzet  es  vielfach.  Alsdann  aber  hütet 
Euch,  das  Viele  zu  vereinzeln,  denn  dadurch  würde  die  vorige  Schwierig- 
keit zurückkehren.  Sondern  begreifet,  daß  von  dem  Vielen,  sofern  es  in 
gegenseitiger  Verbindung  steht,  möglicherweise  etwas  gelten  kann,  was  von 
dem   Einzelnen  ungereimt  seyn  würde. 

Unmittelbar  vorher  ist  die  Thatsache  der  in  den  Erfahrungsformen 
gegebenen  Widersprüche,  an  Hegels  Logik  nachgewiesen,  die  außerdem 
nicht  hätte  in  die  Geschichte  der  Philos.  eintreten  können.  Bey  Gelegen- 
heit der  Vernunftkritik  dagegen  ist  am  Beispiele  des  Begriffs  der  Substanz 
die  Nothwendigkeit  der  psychologischen  Untersuchung,  wie  der  Begriff  ent- 
standen und  allmählig  gebildet  sey,  —  und  des  andern  davon  ganz  ver- 
schiedenen metaphysischen,  wie  der  Begriff  nun  weiter  zum  Behuf  der 
Erkenntniß  zu  behandeln  sey,  nachgewiesen.  Demnach  ist  immer  noch 
des  speculativen  Gehalts,  wie  es  mir  scheint,  genug  in  dem  Buche  an- 
zutreffen. 

Was  macht  doch  Bobrick?  —  Wunderliche  Gerüchte,  als  wolle  er 
Bonn  verlassen,  haben  mir  weh  gethan.  Kann  er  sich  denn  auf  keine 
Weise  dort  den  nöthigen  Unterhalt  schaffen?  Oder  sich  immer  noch  nicht 
dazu  entschließen?  Es  wäre  doch  schade  um  seine  Talente,  wenn  sie 
untergingen!  —  Und  wie  trägt  Hüllmann  seinen  Gram?  —  Hoffentlich 
doch  als  ein  Mann;  und  als  ein  geehrter,  in  allen  Lebensverhältnissen 
des  Umgangs  hoch  willkommener  Mann.  Meine  Empfehlungen  an  die,, 
welche  an  mich  erinnert  seyn  mögen.  Hrn.  Staatsrat]  Npebuhr]  macht 
das  Gerücht  bey  uns  zum  Minister  in  spe.  Vielen  Dank  für  Ihre  Nach- 
hülfe wegen  seines  Auftrags  an  Lobeck. 
Am   27.   October. 

Die  erste  Erschütterung  ist  vorüber!  Jetzt  nehme  ich  die  Feder,  um 
Ihnen,  mein  hochverehrter  Freund!  zu  sagen,  daß  ich  in  meinem  Leben 
auch  Leiden  erfahren  habe,  von  denen  ich  glaubte  vernichtet  zu  werden. 
Aber  ich  habe  die  heilende  Kraft  der  Zeit  auch,  wie  so  Viele,  in  einem 
fast  unbegreiflichen  Grade  kennen  gelernt.  Die  Blätter  fallen;  der  alte 
Baum  schlägt  wieder  aus.  So  lange  er  gesund  ist!  Ihre  Gesundheit  — 
das    verhehle   ich  nicht!   —   macht   mir    Sorge.     Ihre   ganze   Natur   gehört 


224  Oktober  1830. 

zu  den  zarten  und  feinen.  Thun  Sie  alles,  was  Sie  irgend  ersinnen 
können,  um  in  Ihrer  Zeiteintheilung,  Ihren  Erhohlungen,  Lebensgewohn- 
heiten,  Ihrer  Diät,   —   Hülfe  und  Stärkung  zu  finden. 

So  war  also  doch  meine  Unglücks- Ahnung  nicht  ohne  Grund!  Bey- 
nahe  täglich  habe  ich  meiner  Frau  geklagt,  daß  ich  von  Ihnen  nichts 
erfuhr.  —   Lassen  wir  das! 

Möchten  Sie  nur  Ihren  Aristoteles  aufschieben  können!  Wer  wartet 
denn  so  dringend?  Wer  es  auch  sey,  er  muß  hören,  daß  Sie  jetzt,  bey 
solchen  Leiden,  nicht  viel  arbeiten  dürfen.  —  Meine  Metaphysik  hat  Zeit. 
Diese  wenigstens  darf  Ihnen  nicht  im  Wege  liegen.  —  Aber  viel  Hülfe 
braucht  sie  freilich  noch;  auch  nach  der  meisterhaften  Arbeit,  die  unter 
den  Recensionen  wohl  ihres  Gleichen  sucht,  worin  Drobisch  seinen 
Character,  seine  Klugheit,  seinen  Scharfsinn  auf  einmal  an  den  Tag  ge- 
legt hat.  Seinen  Character!  Denn  diese  Arbeit  lag  wahrlich  nicht  auf 
der  Bahn,  wohin  sein  literarischer  Ehrgeiz  hätte  führen  können.  Und 
auf  diesem  Puncte  verweile  ich  mit  meiner  Betrachtung  am  liebsten.  — 
Haben  Sie  denn  aber  auch  die  tolle  Antikritik  gegen  mich  im  Hesperus 
gelesen?  —  Lesen  Sie  doch!  Es  wird  Sie  einen  Augenblick  zerstreuen.  — 
Bergern1)  haben  Sie  wohl  in  Kiel  nicht  gesprochen?  Schade,  wenn  Sie 
meinen  alten  Freund  nicht  kennen.  In  seiner  Recension  meiner  Psych.2) 
hat  die  alte  Freundschaft  ein  Wunder,  gethan;  denn  sie  hütet  ihn  fort- 
während, seinen  Mißverständnissen  nachzuhängen,  und  führt  ihn  auf  das 
Buch  zurück.  —  Die  Encyklopädie  liegt  zwar  fertig,  aber  wie  nöthig 
wären  Sie  nun,  wenn  ich  Ihnen  nur  daraus  vorlesen  könnte.  Das  Buch 
ist  immer  nur  halb  mein  Eigenthum;  es  ist  ein  sehr  loses  Gewebe,  weil 
der  Gedanke  nicht  in  meinem  Kopfe  entsprang.  Doch  muß  es  nun  bald 
in  die  Presse;  wahrscheinlich  in  Halle,  wo  Schwetschke  sich  zum  Verlag 
erbietet.  Ich  kann  im  Winter  nie  etwas  Tüchtiges  arbeiten,  und  den 
nächsten  Sommer  muß  ich  andern  Dingen  aufbehalten.  Der  Winter  ist 
meine  Leidenszeit.  Wollen  wir  nicht  einander  manchmal  durch  Briefe 
trösten?  —  Ein  Seufzer  entfährt  mir,  indem  ich  Abschied  nehme.  Sagen 
Sie  Ihrer  Frau  Gemahlin,  daß  ich  mit  meiner  Frau  fast  täglich  in  Ge- 
danken aus  Ihren  Fenstern  den  Rhein  sehe;  wohl  wissend,  wem  wir  das 
verdanken.  Herbart. 

358.     An   Hende Werk. 3)  Königsberg,  den  20.  Octbr.   1830. 

Ihr  Brief   vom    13.  d.   M.,  mein    theurer  Herr!    macht    mir    eben    so 

große  als  unerwartete  Freude.  So  hatte  ich  Sie  nicht  gekannt,  wie  Sie 
sich  in  diesem   Briefe  zeigen. 

L)  Erich  v.  Berger,  Herbarts  Studienfreund  in  Jena,  damals  Professor  in  Kiel, 
■j*   1835.     Vgl-  den  vorhergehenden  Band. 

2)  In  E.  Campe  „Aus  dem  Leben  von  J.  D.  Griesu,  1855,  S.  163,  wird  aus  einem 
Briefe  v.  Gries  an  Rist  mitgeteilt:  „Dann  spricht  er  von  Herbart,  dessen  , Psychologie' 
von  Berger  in  der  ,Allg.  Lit.-Ztg/  recensirt  worden  war,  ohne  daß  Herbart  gewußt,  von 
wem  die  Recension  herrühre,  daß  sie  aber  die  erste  gewesen,  mit  welcher  Herbart  sich 
einmal  zufrieden  erklärt  habe.  Warum  sie  aber  nicht  in  den  , Berliner  Jahrbüchern'  er- 
schienen sei.  Ob  Hegel  etwa  nicht  wolle,  daß  man  in  Berlin  einen  andern  Philosophen 
loben  dürfe  als  nur  den  Einen  ?" 

8)  Gedruckt  bei  K.  H.  Hendewerk,  Herbart  u.  die  Bibel  („den  Manen  Herbarts 
in    reinster   Liebe    und    Dankbarkeit    gewidmet").      Königsberg   1858,    S.   2  ff.    und    im 


Oktober  1830.  225 

Wohlan  denn,  frisch  ans  Werk!  Principia  ethica,  a  priori  reperta,  in 
libris  sacris  V.  et.  N.  T.  obvia.  —  Das  gerade  ist's,  was  ich  seit  mehreren 
Decennien  schon  von  meinen  Zuhörern  vergebens  erwartete.  Denn  so  wie 
meine  praktische  Philosophie  schon  im  Jahre  1803,  als  ich  sie  zum  ersten 
Male  in  Göttingen  las,  dieselbe  war,  die  sie  heute  ist,  wenn  auch  nicht 
ganz  so  ausgeführt,  und  noch  weniger  von  allen  Seiten  durch  Speculationen 
gedeckt  —  so  hoffte  ich  gleich  damals,  man  werde  bei  gehöriger  Prüfung 
rinden,  daß  sie  pünktlich  mit  den  wesentlichen  Religionslehren,  mit  den 
erhabenen  Aussprüchen  der  Bibel,  zusammenstimme.  Und  wer  es  fände, 
der,  dachte  ich,  würde  sich  gedrungen  finden,  es  so  laut  als  möglich  zu 
verkündigen. 

Wollen  Sie  der  sein,  der  es  verkündet?  Sie  werden  nur  eine  alte 
Schuld  bezahlen,  die  Sie  freilich  nicht  gemacht  haben.  Wenigstens  habe 
ich  Ihren  Brief  so  verstanden. 

In  diesem  Glauben  will  ich  mich  Ihnen  nun  weiter  eröffnen.  Ein 
Manuscript  liegt  fertig,  unter  dem  Titel :  Kurze  encyklopädische  Darstellung 
der  Philosophie  aus  praktischen  Gesichtspunkten.  Es  ist  das  Werk  dieses 
Sommers;  der  Plan  entstand  auf  der  Reise,  den  Antrieb  dazu  gab  Brandis 
in  Bonn  und  unabhängig  von  ihm  ein  paar  Wochen  später  Wegscheider 
in  Halle.  Während  des  Schreibens  bemerkte  ich  mehr  und  mehr,  daß 
ich  einige  Ursache  habe,  mich  über  Religion  deutlicher  als  bisher  zu 
äußern,  wiewohl  unter  den  gelehrten  Theologen  mein  Platz  nicht  ist.  Aber 
es  fiel  mir  auf,  wie  sehr  die  rationalistischen  Theologen  unwillkührlich  von 
der  Flachheit  der  empirischen  Psychologie  gedrückt  werden,  welche,  wie 
Sie  wissen,  selbst  dem  Kantianismus  zum  Grunde  liegt.  Auf  der  andern 
Seite  erheben  sich  zwar  die  Supranaturalisten  (welche  zu  unterstützen  mir 
eben  so  wenig  zukommt,  als  ihnen  zu  widerstreiten);  allein  ihre  ganze 
Theologie  betrifft  eine  göttliche  Veranstaltung  für  das  Menschengeschlecht 
und  hängt  an  historischen  Thatsachen,  die  sich  auf  der  Erde  ereignet 
haben.  Jede  philosophische  Betrachtung  der  Religion  überschreitet  unfehl- 
bar diesen  Kreis  der  Verhältnisse  zwischen  Gott  und  den  Erdenbürgern. 
Und  nun  findet  ein  ähnlicher  Unterschied,  wie  zwischen  Rationalisten  und 
Supranaturalisten,  sich  in  einer  viel  weiteren  Sphäre.  Fragt  man  mich 
in  dieser  Sphäre,  zu  welcher  Partei  ich  gehöre?  so  kann  ich  mitreden. 
Meine  Antwort  aber  kann  nur  so  lauten:  Ich  zähle  mich  zu  den  Supra- 
naturalisten, nämlich  in  folgendem  doppeltem  Sinne.  Erstlich:  meine  Unter- 
suchung läßt  nicht  den  Menschen  aus  der  Erde  wachsen,  als  wäre  er  nur 
eine  Ergänzung  der  Erde.  Sondern  seine  Existenz  erfordert  eine  göttliche 
That,  denn  er  ist  durchaus  ein  Fremdling  auf  der  Erde.  Zweitens:  Meine 
Psychologie  erlaubt  nicht,  an  eine  eigentliche  Erkenntniß  Gottes  aus  reiner 
Vernunft  zu  glauben.  Sondern  von  Außen  her  muß  das  theoretische  Ele- 
ment des  Glaubens,  welches  die  bloße  Idee  von  Gott  übersteigt,  gegeben 
werden.  Daß  es  in  christlicher  Offenbarung  gegeben  sei,  kann  ich  mir 
gefallen  lassen,  doch  hier  habe  ich  keine  Stimme,  daß  es  aber  durch  die 
Zweckmäßigkeit  der  Natur  gegeben  wird,  dies  behaupte  ich,  wie  Sie  wissen, 

Jahrbuch  des  Vereins  für  wissenschaftl.  Päd.,  Bd.  14,  S.  290  f.,  Langensalza,  Hermann 
Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann),   1882. 

Herbarts  Werke.     XVII.  15 


2  26  November  1830. 


aufs  Bestimmteste.  Jedenfalls  also  ist  die  eigentliche  rationalistische  Be- 
hauptung, die  Vernunft  sei  die  Erkenntnißquelle  der  Religion,  mir  fremd. 
Sie  kennen  meine  Untersuchungen  genug,  um  zu  wissen,  daß  ich 
Ihnen  nicht  etwa  beliebige  Ansichten  schreibe,  die  ich  nach  Umständen 
verändern  könnte.  Die  Frage,  wie  deutlich  ich  mich  aussprechen  soll,  ist 
bei  mir  selbst  noch  nicht  ganz  entschieden.  Wegscheider  achte  ich  per- 
sönlich sehr;  und  Sie  werden  ihn  auch  achten,  sobald  Sie  ihn,  wie  ich 
wünsche,  kennen  lernen.  Mit  ihm  streiten  möchte  ich  keineswegs,  über- 
haupt nicht  Oel  ins  Feuer  gießen.  Sie  wissen  aus  dem  ersten  Bande 
meiner  Metaphysik,  daß  meine  Polemik  sich  nicht  über  das  erste  Beste 
ergießt,  sondern  in  der  Sphäre  der  gleichgültigen  theoretischen  Dinge  bleibt, 
wovon  die  Folge  ist,  daß  Manche  mich  für  einen  bloßen  Theoretiker 
halten,  was  ich  in  meinem  Leben  nie  gewesen  bin.  —  Sie  mein  geehrter 
Herr!  können,  wenn  Sie  das  angekündigte  Buch  mit  gutem  Glück  zu 
Stande  bringen,  vielleicht  Einfluß  auf  die  Art  haben,  wie  ich  in  der  Folge 
mich  äußern  werde.  Vielleicht  aber  wollen  Sie  meine  Encyklopädie  ab- 
warten. Darin  steht  allerdings  Manches,  das  wohl  zur  Sache  gehören 
möchte.  —  —  Jedenfalls  sehe  ich  einem  neuen  Briefe  von  Ihnen  mit 
Vergnügen  entgegen,  da  Sie  noch  weitere  Rücksprache  mit  mir  nehmen 
wollen.  Ergebenst     Herbart. 

359.    All   Drobisch.1)  Königsberg  14  Nov.  30. 

Es  darf  nicht  einen  Augenblick  zweifelhaft  scheinen,  mein  hoch- 
verehrter Freund!  daß  selbst,  wenn  Sie  mir  etwas  nicht  ganz  Behagliches 
sagen,  —  ja,  wenn  etwas  Fremdes  zwischen  uns  trit,  meine  Dankbarkeit 
und  Hochachtung  für  Sie  völlig  unverändert  bleibt.  Deshalb  schreibe  ich 
Ihnen  mit  der  nämlichen  Feder,  die  Sie  seit  acht  Tagen  in  Bewegung 
gesetzt  haben.  Doch  vor  allem  andern  schreibe  ich  folgende  Worte  aus 
einem  Briefe  von  Brandis  ab,  die  sicher  nicht  zur  Mittheilung  bestimmt 
waren : 

„D  —  s  Anzeige  Ihrer  Metaph.  erhalte  ich  eben  heute,  und  freue 
„mich  zuerst  der  überaus  klaren  Uebersicht,  die  in  ganz  vorzüg- 
lichem Grade  geeignet  seyn  muß  Mathematiker  und  Physiker 
„für  Ihre  Speculation,  —  und  damit  für  die  Philosophie  wieder 
„zu  gewinnen.  Anschaulicher  wenigstens  läßt  sichs  nicht  machen, 
,,wie  mathematische  und  physische  Wissenschaft  theils,  mag  sie 
„wollen  oder  nicht,  auf  metaphysischem  Gebiet  sich  vestsetzenr 
„oder  umherschweifen  muß;  theils  Ihrem  philos.  Verfahren,  wenn 
„irgend  einem,  sich  befreundet  finden  sollte.  Einen  solchen  Mann 
„für  Ihre  Untersuchungen  gewonnen  zu  haben,  dazu  darf  man 
„Ihnen  wohl  Glück  wünschen.  In  Bezug  auf  Analyse  hat  er 
„mir  manches  vorweggenommen;  und  schwerlich  werde  ich  im 
„Stande  seyn,  in  gleichem  Maße  wie  er,  Ihren  Erwartungen  zu 
„entsprechen;  besonders  in  meiner  jetzigen  Stimmung!" 
Letzteres  bezieht  sich  auf  ein  furchtbares  Unglück,  das  den  ohnehin 
kränklichen  und  sehr  zartfühlenden   Mann  tief  erschüttern  mußte.    Es  hat 

J)   1   S.    2". 


November  1830.  227 


ein  Brandschaden  seine  Schwester  in  Kiel  betroffen;  nicht  bloß  Güter, 
sondern  —   Mann  und  Sohn  sind  in  den  Flammen  umgekommen! 

Wo  meine  letzten  acht  Tage  geblieben  sind,  muß  ich  nun  sagen.  In 
Folge  Ihres  Briefes,  und  des  Tadels  meiner  Systematik,  ist  zu  meinem 
Manuscript  ein  Schlußcapitel  hinzugekommen.  Denen,  die  einen  solchen 
Tadel  auszusprechen  für  gut  fanden,  wird  es  nicht  sonderlich  gefallen. 
Was  aber  Sie  anlangt,  mein  hochverehrter  Freund,  dessen  Worte  mir  so- 
viel gelten,  so  wünschte  ich  immer  Ihr  eignes  Urtheil  so  kennen  zu  lernen, 
daß  ich  es  von  fremden  Einflüssen  rein  abscheiden  könne.  Mit  welcher 
Eleganz  Sie  schreiben  würden,  wenn  Sie  Sich  einige  Jahre  mit  Philosophie 
beschäftigten,  davon  haben  wir  die  glänzenden  Proben;  aber  ich  fürchte,  — 
sowie  ich  die  Menschen  leider!  kenne,  —  jene  Tadler  würden  die  letzten 
seyn,  den  Wert  ihrer  Eleganz  richtig  zu  schätzen.  Mir  Nachgiebigkeit 
gegen  den  Genius  der  Zeit  anzumuthen  —  war  das  Ernst?  Ich  fürchte, 
es  war  nur  ein  gemilderter  Ausdruck. 

Herzlichen  Dank  für  Ihre  gütige  Verwendung  wegen  des  Buchhändlers. 
Noch  kann  ich  das  Anerbieten  des  Herrn  Cnobloch  nicht  ganz  ab- 
lehnen; Gruber  in  Halle  hat  die  dortige  Buchhandlung  des  Hr.  Schwetschke 
aufmerksam  gemacht,  deren  nähere  Erklärung  ich  erwarte.  —  Viele,  recht 
herzliche  Glückwünsche  für  Sie  und  und  Ihre  Frau  Gemahlin,  die  sich 
doch  hoffentlich  wohl  befindet?  —  zu  der  Kleinen,  die  Ihre  häuslichen 
Freuden  vermehrt  hat.  Möge  sie  nur  nachts  weniger  schreien  und  nicht 
schlaflose  Nächte  verursachen.  Das  habe  ich  der  altern  Schwester  noch 
nicht  ganz  vergeben.     Desto  artiger  muß  sie  nun  werden. 

Mit  der  vollsten  Hochachtung  der  Ihrige!  Herbart. 


15* 


1831 


W. :   Kurze  Encyklopädie  der  Philosophie.     Erste  Ausgabe  (S.  Bd.  IX.     S.  17 — 338). 

—  Über  das  Verhältnis    des  Idealismus  zur  Pädagogik  (S.  Bd.   VIII.     S.  420—438  u. 
Bd.  X.     S.   1—20).  —  Rez.    von  Hegels   Encyklopädie  (S.  Bd.  XIII.     S.   198—216). 

—  Bemerkungen  und  Abfertigung  zu  seiner  Psychologie  (S.  Bd.  VI.     S.  339 — 340).  — 

18.  Jan.:  Rede  am  Krönungstage  in  der  k.  deutschen  Gesellschaft  zu  Königsberg:  Über 
die  Unmöglichkeit,  persönliches  Vertrauen  im  Staate  durch  künstliche  Formen  entbehrlich 

zu  machen  (S.  Bd.  IX.     S.   1  — 15). 

360.  An  Schubert.1) 

Herrn  Professor  Schubert  Wohlgeboren  hier.  Verehrtester  Herr 
College!  Gestern  erwartete  ich  Sie  bei  Hrn.  v.  Meding  zu  finden,  sonst 
hätte  ich  wenigstens  gestern  früh  auf  Ihre  mich  zu  sehr  ehrende  Aufforde- 
rung geantwortet;  —  wohl  wissend,  daß  es  schon  gestern  zu  spät  war,  sie 
noch  abzulehnen.  Zwar  weder  Stimmung  noch  Gesundheit  stehn  bey  mir 
jetzt  so,  daß  ich  mir  Hoffnung  machen  könnte,  eine  Festrede  mit  Erfolg 
zu  halten;  dennoch  muß  ich  nun  schon  mich  dran  machen,  vorausgesetzt, 
daß  Sie  nicht  schon  eine  andre  Wahl  getroffen  haben;  wovon  Sie  mich 
ohne  Zweifel  durch  den  Überbringer,  der  auf  Ihre  Antwort  warten  soll, 
benachrichtigen  werden. 

Mit  größter  Hochachtung     Herbart. 

361.  An  Schubert. 

Herrn  Professor  Schubert  Wohlgeboren  hier.  Höchstgeehrter  Herr 
College!  Nachdem  wir  beyde  einmal  öffentlich  in  der  Zeitung  sind  auf- 
gefordert worden,  unsre  Reden  drucken  zu  lassen,  wird  es  zur  Ehren- 
sache, es  wirklich  zu  thun. 2)  Und  zwar  muß  der  Weg  des  offenen  Buch- 
handels dazu  benutzt  werden;  denn  wollten  wir  uns  mit  einem  Druck 
hier  in  der  Provinz  begnügen,  so  könnten  einzelne  Exemplare  dennoch 
nach  Berlin  und  weiterhin  gelangen;  dann  aber  würde  es  scheinen,  als 
hätten  wir  gescheut,  uns  den  Kritiken  der  Literaturzeitungen  darzubieten, 
und  bloß  für  den  Effect  des  Augenblicks  sprechen  wollen.  Dies  wenigstens 
meine   Ansicht!   ich  hoffe,  Sie  werden  mit  mir  darin  übereinstimmen. 

*)  Die  Briefe  an  Prof.  Fr.  W.  Schubert  in  Königsberg,  der  die  Biographie  und 
die  Werke  Kants  herausgab,  befinden  sich  in  der  Stadtbibliothek  zu  Königsberg.  Sie 
wurden  Herrn  O.  Flügel  zur  Veröffentlichung  überlassen.  Er  hatte  die  Güte,  sie  mir 
für  diese  Briefbände  zur  Verfügung  zu  stellen. 

2)  Bezieht  sich  auf  ein  Bändchen:  „Krönungsfest  pp.u,  das  Herbart  mit  Schubert 
herausgab.     Vgl.  diese  Ausg.  Bd.  IX.     S.  VII  f. 


1831.  229 

Das  Schicklichste  ist  nun  meines  Erachtens,  daß  Sie,  als  Director 
der  Deutschen  Gesellschaft,  die  Reden  mit  Ihrem  Vorworte  herausgeben; 
und  sie  dem  Herrn  Protector,  unserm  trefflichen  Hrn.  v.  Wegnern,  förm- 
lich dediciren. 

Auch  möchte  ich  vorschlagen,  Hrn.  Director  Struve  zu  ersuchen,  zur 
Zierde  des  Büchleins  ein  paar  von  seinen  Gedichten,  (denn  ohne  Zweifel 
ist  er  der  Verfasser  der  an  unsern  Festtagen  in  unsrer  Zeitung  erschiene- 
nen Gedichte)  als  Prolog  und  Epilog  mit  abdrucken   zu  lassen. 

Wollen  Sie  mit  Unzern  sprechen,  und  ihn  in  meinem  Namen  er- 
suchen, er  möge  für  Papier,  Druck,  und  (was  die  Hauptsache  ist)  für 
Correctur  eben  so  genaue  Sorge  tragen,  wie  beym  Druck  meiner  Meta- 
physik? Denn  hier  ist  wirklich  alles  Wünschenswerthe  geleistet.  — 
Natürlich  aber  muß  das  Format  kleiner,  und  die  Lettern  müssen  groß 
seyn,  damit  das  Ganze  ein  gehöriges  Äußere  bekomme.  Festreden  müssen 
festlich  gedruckt  werden;  und  einige  Exemplare  müssen  uns  zu  Gebote 
stehn.      Weiter  mache  ich  meinerseits  keine  Ansprüche. 

Ob  Sie  nun  der  nämlichen  Meinung  seyen,  und  ob  Sie  die  Güte 
haben  wollen,  die  ganze  Sache  zu  übernehmen  (in  welchem  Falle  mein 
Manuscript  Ihnen  so  bald  es  nöthig  ist  kann  übersendet  werden,)  hierüber 
bitte  ich  um  gefällige  Antwort. 

Mit  vollkommener  Hochachtung     Herbart. 

362.  An  Schubert. 

Herrn  Professor  Schubert  Wohlgeboren  hier.  Da  Sie,  mein  Ver- 
ehrtester! in  der  Hauptsache  mit  mir  einverstanden  sind,  warum  wollen 
Sie,  als  Herausgebet,  und  als  derjenige,  der  zwey  Drittel  des  Manu- 
scripts  liefern  wird,  nicht  auch  durch  die  Hrn.  Bornträger  den  Verlag 
bewirken?  Mir  liegt  nichts  daran,  gerade  durch  Unzer  den  Druck  be- 
sorgen zu  lassen.  Vielleicht  erhalten  Sie  sogar  durch  die  Hrn.  Born- 
träger noch  ein  angemessenes  Honorar,  was  ich  von  Unzern  nicht  ver- 
sprechen kann.  Meine  Gedanken  waren  nur  darauf  gerichtet,  daß  nicht 
etwa  ein  hiesiger  Buchdrucker,  der  keinen  Verkehr  als  Buchhändler  hat, 
die   Sache  in   die   Hände  bekommen  solle. 

Um  ein  paar  Zeilen  der  Antwort  bittet  ergebenst  Herbart. 

363.  An  Schubert. 

Verehrtester  Herr  College!  Mit  vielem  Danke  für  gütige  Mittheilung 
empfangen  Sie  hiebey 

Titel,  Dedication,  Vorrede,  und  beyde  Gedichte  zurück; 
desgleichen:  mein  Vorwort,  und  meinen   Aufsatz, 
für  den  Fall,   daß  Sie  die  Mühe  anwenden  mögen,  letztern  zu  paginieren; 
sonst  erbitte  ich  mir  Ihre  letzte  Seitenzahl. 

Fragen  möchte  ich  doch,  ob  nicht  die  Dedication  gerichtet  werden 
müsse  an  den  höchst  verehrten  Protector;  desgleichen  ob  die  Unterzeich- 
nung nicht  anstatt  ergebe?ist  vielmehr  geho?samst  verpflichtete  erfordere? 

Meine  Zögerung  entstand  durch  Umschreiben  des  Vorworts,  nachdem 
ich  Ihre  Vorrede  gelesen  hatte.  Unzer  wird  nun  schon  lange  warten; 
—   und    die    Censur   wird    noch    länger   aufhalten!      Umsomehr   hoffe   ich, 


2^o  Februar   1831. 

daß    Sie    nun    nach  Möglichkeit    die  jetzt  ganz    in    Ihre    Hände   gegebene 
Angelegenheit  gefälligst  befördern  werden. 

Hochachtungsvoll     Herbart. 

364.    Drobisch  an  H.1)  Leipzig  d.  11  Februar  1831. 

Hochverehrter  Gönner  und  Freund!  Wie  ich  mit  Schrecken  sehe,  sind  es 
schon  3  Monate,  daß  ich  Ihren  letzten  Brief  erhielt.  Kann  ich  für  so  späte  Ant- 
wort Entschuldigung  finden,  so  mag  sie  Ihre  Güte  wenigstens  theilweise  in  vielfach 
zerstreuenden  Dekanatsgeschäften  und  in  mancherlei  häuslicher  Sorge  u.  Unruhe  — 
wozu  ich  besonders  einen  lebensgefährlichen  Anfall  von  häutiger  Bräune,  der  unsre 
kleine  Eugenie  bedrohte,  und,  als  er  durch  Blutegel  abgewendet  werden  sollte,  fast 
die  Verblutung  des  Kindes  nach  sich  gezogen  hätte,  rechnen  darf  —  finden.  Jetzt 
ist  unser  Gesundheitszustand  ziemlich  befriedigend,  wie  wol  meine  Frau,  nach  deren 
Befinden  Sie  sich  wohlwollend  erkundigten,  etwas  angegriffen  ist,  was  daher  rühren 
mag,  daß  sie  das  kleine  Töchterchen  selbst  stillt.  Doch  hoffentlich  wird  uns  der  bald 
herannahende  Frühling  über  alle  diese  kleinen  Erbärmlichkeiten  unsrer  irdischen  Hülle 
wieder  einmal  auf  einige  Monate  erheben.  Gebe  nur  der  Himmel,  daß  wir  dann 
vor  größeren  äußern  Drangsalen  bewahrt  bleiben.  Doch  wie  Gott  will!  —  Ich  wende 
mich  zu  Ihrem  mir  sehr  werthen  Briefe  und  spreche  vor  allen  Dingen  die  zu- 
versichtliche Hoffnung  aus,  daß  seit  der  Absendung  desselben  Sie  und  Ihre  werthe 
Frau  Gemahlin  keine  unangenehmen  Veränderungen  betroffen  haben  werden,  und 
ich  erwarte,  daß  es  sich  in  dieser  Beziehung  noch  einmal  wiederholen  wird:  dies 
nämlich,  daß  ich  Ihnen  unangenehme  Dinge,  und  Sie  mir  dafür  angenehme  schreiben. 
Ja  wahrhaftig  Sie  haben  auf  eine  sehr  edelmüthige  Weise  mir  meine  Übereilung  ver- 
golten, in  der  ich  Ihnen  ein  paar  Conversationsäußerungen  mittheilte:  Sie  gaben  mir 
dafür  die  vortheilhaften  Äußerungen  eines  gewiegten  Mannes  über  mich  anzuhören. 
Ich  sage  Ihnen  meinen  herzlichsten  Dank  und  gestehe  Ihnen  ganz  offen,  daß  ich 
auf  diese  Äußerung  eines  parteilosen  Dritten  viel  Werth  lege,  in  ihr  viel  Auf- 
muntrung  finde.  Leider  kann  ich  Ihnen  nichts  von  philosophischen  Studien  melden, 
die  mich  etwa  beschäftigt  hätten;  ich  bin  dazu  nicht  gekommen,  und  ich  muß  mir 
durchaus  erst  die  Mathematik  noch  etwas  mehr  vom  Halse  schaffen.  Geben  Sie  mir 
noch  Frist  bis  Ende  des  Jahres  1832.  Im  August  desselben  werde  ich  30  Jahre. 
Bis  dahin  soll  mein  Leben,  Denken.  Arbeiten  nur  Vorschule  zur  Philosophie  ge- 
wesen seyn.  (Plato  sagt  ja,  wie  ich  glaube,  gar  viel  vortheilhaftes  vom  30sten  Jahre 
und  denen  die  nachkommen ;  doch  soll  man,  wenn  ich  nicht  irre,  nach  ihm,  dann 
auch  erst  heirathen  und  da  habe  ich  nun  freilich  schon  einen  derben  Fehler  ge- 
macht.) Obgleich  Philosophie  gar  nicht  betreibend,  denke  ich  doch  fast  täglich  an 
Philosophie;  und  ich  werde  doch  noch  einmal  ganz  zu  ihr  zurückkommen.  Zieht 
mich  an  der  Mathematik  die  Sicherheit  ihres  Grundes  und  ihres  Baues  an;  ist  es 
dankbar,  für  sie  thätig  zu  seyn,  weil  die  Beschäftigung  mit  ihr  nie  Zeitverlust  ist, 
und  man,  wenn  nicht  neue  Methoden  erfinden,  doch  mancherlei  Probleme  lösen, 
manche  Theorien  entdecken  kann,  ja  selbst  schon  gute  Lehrbücher  schreibend,  auf 
Dank  Anspruch  hat  —  so  ist  mir  doch  Philosophie  ein  innerliches  Bedürfniß,  ein 
so  innerliches,  daß  wenn  ich  wieder  aus  ihr  ein  Studium  machen  werde,  es  außer 
Ihnen  kein  Mensch  erfahren  soll :  denn  fasse  ich  diesen  Entschluß,  so  gehe  ich  nicht 
des  Ruhmes  wegen  daran,  sondern  um  einmal  nach  Kräften  in  meinem  Gedanken- 
kreise aufzuräumen;  und  denke  übrigens:  gloria  ||  sequi  non  oppeti  debet.  Sie  sehen, 
verehrtester  Herr  Consistorialrath,   mich  jetzt  in  Beziehung  auf  das  Verhältniß  des 

')2S.4  °.     H.  Wien. 


Februar  1831.  23  I 

Philosophen  zum  Publicum  beruhigter:  ich  bringe  nämlich  für  die  künftige,  philo- 
sophische Laufbahn  so  viel  Resignation  mit,  daß  ich  kein  Publicum  verlange,  und 
das  ist  wol  vor  allen  Dingen  das  rathsamste,  besonders  in  dieser  Zeit,  wo  nun  leider 
die  Politik  und  am  Ende  der  Krieg  das  speculative  Interesse  für  lange  Zeit  ver- 
schlingen werden.  Hätte  nicht,  so  kann  man  fragen,  in  13  Friedensjahren  die 
Speculation  mehr  gedeihen  sollen  als  sie  gedieh?  Doch  wer  weiß,  vielleicht  gehen 
wir  einer  Periode  entgegen,  die  wenn  sie  vorüber  seyn  wird,  uns  mit  Sehnsucht 
erfüllt,  unsre  Aufmerksamkeit  einmal  wieder  beharrlich  dem  inneren  Leben  zuzu- 
wenden. 

Indessen  habe  ich  zweierlei  vergeblich  erwartet:  1)  eine  Recension  Ihrer 
Metaphysik  von  dem,  wahrlich  hart  geprüften  Brandis,  die  mir  wenigstens  in  den 
Blättern,  die  ich  lese  oder  durchblättere,  nicht  vorgekommen  ist,  und  dann 
2)  Manuscript  zu  ihrer  Encyklopädie,  oder  doch  sonst  eine  zufällige  Nachricht  vom 
Schicksal  derselben.  Ich  vermuthe,  daß  es  sich  nun  wohl  unter  einer  Hallischen 
Presse  befinden  wird,  da  Sie  von  Schwetschke  schreiben.  Ich  bin  sehr  gespannt 
auf  dies  "Werk.  —  Ihre  Recension  von  Hegel  habe  ich  mit  vielem  Vergnügen  ge- 
lesen. Sie  lassen  ihm  als  speculativen  Denker  Gerechtigkeit  widerfahren  und 
greifen  ihn  im  Herzen  an  und  nicht  wie  Krag  an  seinem  Kleide. 

Vielleicht  werden  Sie  in  einigen  Tagen  auf  dem  Wege  des  Buchhandels  eine 
kleine,  akademische  Gelegenheitsschrift,  die  ich  in  diesen  Tagen  ausgebe,  erhalten. 
Sie  handelt  de  horizontibus  sphaeroidum,  ist  nichts  als  ein  geometrisches 
Exercice,  enthält  aber  einige  vielleicht  nicht  uninteressante,  obwohl  nur  specielle 
Sätze,  von  denen  ich  glaube,  daß  sie  neu  sind,  obwohl  man,  bei  der  Masse  von 
schon  zu  Tage  geförderten  Details,  mit  Zuversicht  dies  fast  nie  aussprechen  darf. 
Diese  wenigen  Blätter  haben  mich  mehr  Zeit  gekostet  als  man  ihnen  ansehen  wird, 
theils  weil  ich  mancherlei  Untersuchungen  die  zu  nichts  führten,  anstellte,  theils 
weil  ich  das  Schriftchen  wegen  der  Form  ein  paar  mal  umarbeitete.  Da  es  ohne 
Zweifel  nur  in  oblivionem  geschrieben  ist,  so  war  der  Zweck  die  Mühe  nicht 
werth,  allein  mich  dünkt,  wenn  ich  mich  in  Kleinigkeiten  gehen  lasse,  komme  ich 
leicht  in  Gefahr  bei  wichtigen  Untersuchungen  nachlässig  zu  werden.  Doch  genug 
und  schon  zu  viel  von  mir  und  meinen  Dingen.  Empfehlen  Sie  Ihrer  Frau  Ge- 
mahlin mich  und  meine  Frau  ganz  ergebenst,  mir  aber  erhalten  Sie  ferner  Ihr  mir 
überaus  schätzbares  Wohlwollen. 

Mit  aufrichtigster  Verehrung 

Ihr  ganz  ergebener    Drobisch 

Adresse:  Herrn  Consistorialrath  u.  Professor  Herbart. 

365.     All   Drobisch.1)  Königsberg  20  Febr.   1831. 

So  sehr  gestern  Ihr  gütiger  Brief,  mein  verehrtester  Freund!  mich 
erheiterte,  so  muß  ich  Sie  doch  heute  im  Voraus  um  Geduld  bitten 
wegen  der  Spuren  von  Unpäßlichkeit  und  Verstimmung.  Denn  länger 
säumen  darf  ich  nicht,  Ihnen,  da  Sie  Sich  meiner  Encyklopädie  so  freund- 
lich erinnern,  anzuzeigen,  (was  schon  vor  ein  paar  Wochen  hätte  ge- 
schehe, sollen)  daß  ich  von  der  Ankunft  meines  Manuscripts  in  Halle  bei 
Schwetschke  Nachricht  erhalten  habe.  Die  Unterhandlung  wurde  mit 
aller  Vorsicht  des  Buchhändlers  geführt,  bis  sie  zu  Stande  kam;  daher 
die  Zögerung.      In    der  That    glaubte   ich,    Sie    würden  nicht  mehr  daran 

*)    2    S.      2°. 


232  Februar   1831. 

denken;  und  noch  jetzt  zweifle  ich,  ob  ein  so  leicht  gearbeitetes  Buch, 
dessen  nothwendiger  Hauptzweck  Annäherung  der  Philosophie  an  das 
Publicum  ist,    Sie    in   Ihren  mathematischen  Arbeiten    wird    stören  dürfen. 

Aber  im  hohen  Grade  hat  es  mich  erfreut  zu  lesen:  daß  Sie  den 
Gedanken,  Sich  künftighin  ernstlich  mit  Philosophie  zu  beschäfftigen, 
wieder  ergriffen  haben!  Wahrlich  es  thut  Noth,  daß  ein  Mann  wie  Sie, 
der  gemißhandelten  Wissenschaft  nicht  den  Rücken  zuwende.  Und  ge- 
rade die  Bedingung,  die  man  erfüllen  muß  um  jenen  Vorsatz  durchführen 
zu  können  —  Resignation  —  haben  Sie  ausgesprochen.  So  gewaffnet, 
können  Sie  dereinst  bessere  Zeiten  herbeyführen. 

Die  Rec.  von  Brandis,  welche  in  der  Halleschen  Zeitung  zu  erwarten 
ist,  kann  leicht  noch  ein  Weilchen  ausbleiben.  Wahrscheinlich  hat  Brandis 
einen  neuen  harten  Stoß  durch  den  Tod  Niebuhrs  erlitten.  Ueberdies 
besorge  ich,  die  Metaphystik  wird  ihm.  bey  nicht  heiterer  Stimmung,  eine 
lästige  Gesellschaft  seyn;  denn  sicher  wird  er,  bey  seiner  gewissenhaften 
Sorgfalt,  Manches  hin  und  her  überlegen,  und  früher  angewohnte  Vor- 
stellungsarten nicht  ganz  leicht  beseitigen.  Dazu  kommt  die  leidige  Nähe 
Belgiens!  Sie  Selbst  reden  vom  Kriege,  —  was  ich  eigentlich  nicht  er- 
wartete, denn  uns  scheint  die  Aussicht  eher  friedlich;  vorausgesetzt,  daß 
in  unsrer  Nähe  die  Unruhe  nicht  lange  dauern  könne.  —  Vielleicht  hat 
jedoch  Hr.  Hinrichs1)  mir  noch  einmal  den  Dienst  geleistet,  auf  Brandis 
anspornend  zu  wirken.  —  Daß  meine  Art,  über  Hegeln  zu  sprechen, 
Ihren   Beyfall  hat,  dient  sehr,  mich  für  mögliche  Fälle  zu  beruhigen! 

Ihre  Horizonte  der  Sphäroiden  werden  über  meinem  Horizonte  seyn; 
dennoch  wird  es  mich  freuen,  etwas  Neues  von  Ihnen  zu  sehen.  Könnte 
man  die  mathematische  Kenntniß  und  Uebung  borgen,  so  würde  ich  bitten, 
daß  Sie  in  Ihrem  Ueberfluß  etwas  auf  kurze  Frist  zum  Gebrauche  leihen 
möchten ;  denn  ich  muß  wieder  an  Psychologie,  und  deren  Anwendung 
auf  Pädagogik.  —  Unsere  hiesigen  Mathematiker2)  sehe  ich  fast  nicht, 
indessen  wenn  es  Ihnen  gelegen  wäre,  durch  meine  Hände  etwas  zu 
Besseln  oder  Jakobi  gehen  zu  lassen,  so  ist  das  immer  thunlich;  und  ich 
erwarte  in  dieser  Hinsicht  Ihre  Ordre. 

Sollte  Ihnen  zufällig  der  letzte  Band  von  des  Jüngern  Reinholds  Ge- 
schichte der  Philosophie  in  die  Hände  fallen,  so  würden  Sie  mich  darin 
dicht  neben  Hegein  finden.  Bis  jetzt  habe  ich  die  dortige  Relation  nur 
obenhin  angesehen;  sie  scheint  nicht  übel.  Wohl  möchte  ich  von  fremden 
mündlichen  Urteilen,  die  nicht  gedruckt  paradiren  wollen,  etwas  darüber 
hören.  —  Daß  Sie  mir  von  dem  Tadel  meiner  Systematik  schrieben, 
lassen  Sie  Sich  nicht  leid  seyn;  es  kam  gerade  zur  rechten  Zeit,  um  mich 
aus  der  Abspannung  nach  langem  Schreiben  wieder  in  die  nöthige  Be- 
wegung zu  bringen.  Auch  glaube  ich  versichern  zu  dürfen,  daß  Niemand 
in  dem,  was  ich  aus  diesem  Anlaß  schrieb,  auf  sich  gedeutet  sehen 
könne. 

Ein  junger  Candidat  der  Theologie,  Namens  Hendewerk,  der  meine 
Schriften   sehr  genau  kennt,  studirt  jetzt  im  Seminar  zu  Wittenberg.     Führt 

*)  H.  F.  W.  Hinrichs,   1794  — 1861,  o.  Prof.  d.  Philosophie  in  Halle,  Hegelianer. 
2)  BESSEL,    der   berühmte   Astronom,    Jacobi,  der  Mathematiker   an  der  Königs- 
berger Hochschule. 


März   183 1.  233 

ihn  der  Weg  nach  Leipzig,  so  wird  er  wohl  nicht  unterlassen,  meinem 
Jenaischen  Recensenten  sich  vorzustellen.  Trifft  er  glücklich  einen  Augen- 
blick, wo  Sie  ihm  eine  belehrende  Unterhaltung  schenken  können,  so 
wird  das  wohl  nicht  verloren  seyn.  Der  junge  Mann  hat  viel  Eifer;  und 
will   eben  die  Feder  probiren. 

Sehen  Sie  Krug:  so  können  Sie  ihn  aufrichtig  versichern,  daß  ich 
für  ihn  eine  Hochachtung  hege,  die  von  Systemen  unabhängig  ist.  Gut 
wäre  es  freylich,  wenn  die  Kantianer  schon  vor  zwanzig  Jahren  hätten 
bemerken  wollen,  daß  ich  in  sofern  zu  ihnen  gehöre,  als  Kants  eigent- 
licher Hauptzweck,  moralische  Religion,  ohne  das  Glatteis  der  speculativen 
Theologie  —  gerade  auch  mein  Zweck  ist.  Daher  stehe  ich  mit  dem 
Staatsrath  Jäsche  zu  Dorpat,  einem  unmittelbaren  Schüler  Kants,  im  freund- 
schaftlichsten Briefwechsel.  —  Meine  Encyklopädie  wird  über  Religion 
mehr  sagen. 

Daß  ein  so  böser  Feind  wie  die  Bräune  hat  in  Ihr  Haus  dringen 
können,  ist  zu  bedauern;  besondes  wegen  des  Schrecks,  den  er  natürlich 
wird  zurückgelassen  haben.  Aber  was  für  Bestien  von  Blutigeln  sind  denn 
dazu  gekommen?  Diese  wenigstens  werden  doch  nicht  noch  einmal  in 
Ihrer  Apotheke  lauern.  —  Ihre  Frau  Gemahlin  steht  meiner  Frau  und 
mir  noch  so  lebhaft  vor  Augen,  als  sähen  wir  sie  jetzt.  Dürfen  wir  ein 
so  zartes  Wesen  um  Vorsicht,  um  Schonung  ihrer  selbst  bitten?  Wenigstens 
wollen  wir  um  geneigtes  Andenken  bitten! 

Ganz  Ihr     Herbart. 

366.     An    Brandis.  !)  Königsberg    10  März   1831. 

Mein  hochverehrter  Freund !  Haben  Sie  Dank  für  das  mir  soeben 
zugekommene  Zeichen  Ihres  Lebens  und  hoffentlich  Ihrer  Gesundheit! 
Seit  Niebuhrs  Tod  hier  bekannt  wurde,  sah  ich  voraus,  daß  ich  die 
Nachricht,  Sie  seyen  sehr  angegriffen,  würde  erwarten  müssen;  und  ich 
besorgte,  der  Winter  möchte  nun  eine  schwache  Seite  an  Ihrem  Körper 
finden,  nachdem  der  Geist  so  Vieles  zu  tragen  und  zu  verschmerzen  be- 
kommen hatte.  Auch  ich  fühle  die  Folgen  der  rauhen  Jahreszeit;  meine 
Frau  desgleichen;  und  das  Frühjahr  verspricht  uns  keine  solche  Erhohlung, 
wie  jene,  die  mir  Ihre  persönliche  Bekanntschaft  gewährte.   — 

Über  meiner  Metaphysik,  —  und  folglich  über  meiner  ganzen  ferneren 
literarischen  Thätigkeit  —  schwebt,  wie  ich  sehe,  eine  Wolke.  In  der  That 
hatte  ich  erwartet,  Hinrichs  werde  auch  diesmal,  wie  das  erstemal  durch 
Ihre  Güte,  eine  Antwort  bekommen.  Statt  dessen  sagt  mir  Ihr  Brief, 
daß  Sie  Sich  mir  in  dem  Hauptpuncte  nicht  anschließen  können.  Begreif- 
lich würde  eine  Differenz  unter  uns  ein  längeres  gemeinschaftliches 
Untersuchen  erfordern;  dazu  wäre  Briefwechsel,  und  vielleicht  die  Zusammen- 
kunft in  Berlin  nöthig.  Allein  wie  die  Sache  jetzt  liegt,  wird  Ihre  Re- 
cension  einen  lang  dauernden  Einfluß  auf  das  Publicum  äußern;  und 
Sie  werden  wahrscheinlich  mehr  entscheiden  als  Sie  wollen.  Wie  könnte 
ich  unter  solchen  Umständen  daran  denken,  zu  leisten  was  Sie  von  mir 
wünschen,  nämlich  durchgreifende  Kritik  der  Hegeischen  Lehre?   - —    Wäre 

a)  i  S.    20. 


2  ja  März    1831. 

Ihnen  eine  heitere  Stimmung  seit  unsrer  Zusammenkunft  zu  Theil  ge- 
worden: dann  hätten  wir  zusammenwirken  können.  Jetzt  wird  die  Hegel- 
sche  Parthey  sich  eines  Sieges  rühmen.  Denn  meine  Rec.  der  H[egel]- 
schen  Encyklopädie,  (im  Anfang  des  Januar- Heftes  der  Hallischen  L.  Z.) 
wird  wenig  wirken;  was  vermag  in  diesem  Verhältniß  eine  einzelne,  noch 
dazu  absichtlich  schonende  Recersion?    — 

Der  Zufall  fügt  es,  daß  ich  eben  heute  der  Verlags- Buchhandlung 
in  Halle  schreiben  muß,  weil  sie  mir  den  ersten  gedruckten  Bogen  meiner 
Encyklopädie  als  Probe  zugeschickt  hat,  und  über  das  Typographische 
mein  Urtheil  verlangt.  Die  Hallische  Redaction  (wahrscheinlich  mit  Ma- 
terial stets  reichlich  versehen)  pflegt  Eingesandtes  spät  abdrucken  zu 
lassen;  meine  Rec[ension]  lag  ein  paar  Monate  ungedruckt;  vielleicht  ist 
auch  die  Ihrige  noch  nicht  unter  der  Presse.  Daher  werde  ich  Ihre  Äußerung, 
daß  Sie  in  Folge  einer  späteren  Veranlassung  Ihrer  Rec.  noch  einen  Zu- 
satz zu  geben  gewünscht  hätten,  dorthin  melden;  und  anheim  stellen, 
Ihnen  das  letzte  Blatt  Ihrer  Rec.  noch  einmal  zurückzusenden,  falls  die- 
selbe noch  nicht  gedruckt  wäre.  Sie,  mein  hochverehrter  Freund!  werden 
mir  dies  aber  nicht  als  Zudringlichkeit  ausdeuten;  sondern  geradezu  ab- 
schlagen, was  Ihnen  ungelegen  ist;  und  vest  voraussetzen,  daß  Sie 
meinerseits  keine  Empfindlichkeit  zu  erwarten  haben,  auch  wenn  meine 
unvermeidlichen  Wünsche  unerfüllt  bleiben.  Sie  sehen  ja,  wie  sehr  ich 
Ihnen  vertraue!  Und  Sie  begreifen  gewiß,  daß  mein  Alter  keine  litera- 
rische Streitigkeit  von  unsicherem  Erfolge  mehr  erträgt. 

Unverändert     Ihr  H. 

367.    Jäsche  an  H.1)  Doipat  den  29.  März  1831. 

Hoch  wohlgeborener  Verehrtester  Herr  Professor!  Nicht  lange  zuvor,  ehe  ich 
abermals  durch  den  Empfang  eines  gütigen  Schreibens  von  Ihnen  erfreut  wurde, 
hatte  ich  in  dem  Lese  Institute  unserer  akademischen  Müsse  die  ersten  Blätter  der 
Hallischen  allg.  L.  Z.  von  diesem  Jahrg.  mit  dem  lebhaftesten  Gefühl  der  Theil- 
nehmung  erblickt,  indem  ich  auf  diesen  Blättern  zu  meiner  freudigen  Ueberraschung 
Ihre  Recension  der  Hegel'schen  Enc.  d.  Philos.  fand;  eine  Kritik,  von  deren  an 
Ihnen  schon  gewohnten  Klarheit  und  durchdringenden  Schärfe  mich  sogleich  die 
erste  flüchtige  Uebersicht  des  Ganzen  überzeugen  konnte.  Um  nun  aber  diese  ge- 
haltvolle und  gründliche  Kritik  mit  aller  ihr  gebührenden  Sorgfalt  in  Müsse  un- 
gestört und  ununterbrochen  studiren  zu  können,  behielt  ich  es  mir  vor,  die  4 
Nummern,  welche  sie  größtenteils  ausfüllt,  zu  meinem  Privatgebrauche  mir  nach 
Hause  geben  zu  lassen,  nachdem  sie  die  erste  Zeit  über  zum  öffentlichen  Gebrauche 
in  unserem  Lese  Cabinette  gelegen.  Mittlerweile  ward  ich  durch  Ihre  überaus  lehr- 
reiche und  interessante  Zuschrift  vom  30ten  Januar  auf  die  angenehmste  "Weise 
überrascht,  und  war  nun  auch  auf  der  Stelle  entschloßen,  Ihnen  mein  Verehrtester! 
in  einer  Beantwortung  dieses  Schreibens  den  achtungsvollsten  und  verbindlichsten 
Dank  für  meine  Person  nicht  nur,  sondern  zugleich  im  Namen  aller  Freunde  einer 
gesunden  Philosophie,  Ihnen,  dem  kräftigen  und  scharfsichtigen  wissenschaftlichen 
Kenner  und  Vertheidiger  derselben  zu  bezeugen.  Ein  heftiges  katarrhalisches 
Fieber,  begleitet  mit  Affectionen  der  Brust,  mit  welchem  ich  vor  einem  Monathe 
befallen   worden,    und  das  mich    zu  aller   geistigen  Thätigkeit  eine  Zeitlang  unfähig 

*)  8  S.    4°.     H.  Wien. 


März   1831.  235 

gemacht,  hat  die  Ausführung  meines  Vorsatzes  verzögert,  so  daß  ich  jetzt  erst  zur 
Beantwortung  Ihres  gütigen  Schreibens  mich  anschicken  kann.  Zu  dieser  erneuerten 
schriftlichen  Unterhaltung  haben  Sie  mir  dieses  Mal  einen  recht  reichhaltigen  Stoff 
dargeboten,  theils  mit  dem  Inhalte  Ihres  interessanten  Schreibens  selbst,  theils  mit 
Ihrer  Kritik  der  Hegel'schen  Philosophie,  womit  ich  mich  nun  auch  durch  eine  sorg- 
fältige Leetüre  derselben  genauer  bekannt  gemacht,  um  sie  nach  ihrem  ganzen  ge- 
diegenen Gehalte  schätzen  zu  können.  Aber  zuvor  möchte  ich  Sie,  mein  Verehr- 
tester, noch  erst  gern  auf  Ihrem  philosophischen  Durchfluge  durch  einige  berühmte 
Oerter  unseres  gelehrten  Deutschlands  begleiten  zu  den  würdigen  und  verdienten 
selbstdenkenden  Gelehrten  und  Schriftstellern,  mit  denen  Sie  auf  dieser  Reise  per- 
sönliche Bekanntschaft  gemacht.  Sie  erwähnen  zuerst  des  Prof.  Brandis  in  Bonn; 
ich  freue  mich  in  der  Person  des  Verfassers  der  gelehrten,  mit  vieler  genauen 
Kritik  bearbeiteten  Eleatischen  Commentationen  zugleich  den  scharfsinnigen  und 
liberalen  Recensenten  des  ersten  Bandes  Ihrer  Metaphysik  kennen  zu  lernen.  Die 
Recension  des  2ten  Bandes  Ihrer  Met.  von  dem  gründlichen,  und  in  die  tiefen 
mathemat.  und  metaphys.  Untersuchungen  eindringenden  Denker,  mit  welchem  Sie 
uns  bereits  in  den  Vorreden  zu  Ihrer  Met.  bekannt  gemacht,  habe  ich  zu  seiner 
Zeit  bereits  mit  hohem  Intereße  gelesen,  und  war  dem  Recensenten  ||  insbesondere 
auch  in  seiner  Prüfung  der  naturphilosoph.  Parthien  des  beurtheilten  Werkes  ge- 
folgt, so  weit  ich  dem  in's  Einzelne  so  genau  und  tief  eindringenden  Kritiker  zu  folgen 
vermochte.  —  Daß  Krug  in  kein  wissenschaftliches  Gespräch  mit  Ihnen  sich  ein- 
gelassen, befremdet  mich  nicht.  Er  hat  seine  speculative  Philosophie  mit  seinem  so- 
genannten Synthetism  ein  für  alle  Mal  abgeschloßen,  und  sich  damit  begnügt,  die  Grund- 
gedanken des  Kriticismus  zur  logischen  Form  eines  Systems  ausgebildet  zu  haben. 
Dafür  ist  aber  auch  wiederum  das  Verdienst  des  wackern,  mit  scharfen  und  kräftigen 
Waffen  versehenen  Streiters  für  religiöse  und  politische  Denk-  und  Glaubensfrey- 
heit  nicht  hoch  genug  zu  schätzen;  —  wie  redlich  und  mit  unablässigem  Eifer  ist 
■er  bemüht,  die  lichtscheuen  Nachtvögel  aus  den  politischen  und  religiösen  Gebieten, 
wo  sie  ihr  Unwesen  treiben,  zu  verscheuchen.  Den  jüngsten  Reinhold,  dessen  per- 
sönliche Bekanntschaft  Ihnen  angenehm  gewesen,  habe  auch  ich  bereits  aus 
mehreren  seiner  Schriften  kennen  gelernt,  namentlich  aus  der  lehrreichen  und  in- 
teressanten Biographie,  die  er  von  seinem  würdigen  Vater  gezeichnet;  so  dann  aus 
einem,  in  die  Oppositions  Sehr,  für  Theol.  und  Philos.  eingerückten  Aufsatze:  die 
Nichtigkeit  der  Hegel'schen  Dialektik  darlegend  und  mit  scharfer  Kritik  beurtheilendt; 
und  ganz  neuerdings  aus  seinem ,  in  vielen  Stücken ,  wohl  recht  schätzenswerthen 
und  verdienstlichen  Versuch  einer  allg.  Geschichte  der  Philosophie  über  deren  Be- 
handlungsweise  in  Beziehung  auf  manche  Systeme  alter  und  neuerer  Philosophie, 
namentlich  der  Pythagoreischen  und  Platonischen,  Ihr  über  ihn  gefälltes  Urtheil  mir 
bestätigen  konnte,  daß  er  doch  noch  zu  sehr  der  speculativen  Theologie  geneigt  sey. 
—  Daß  Fries  das  Anerbieten  Ihres  Besuchs  nicht  angenommen,  thut  mir  leid;  ich 
hätte  wohl  gewünscht,  Sie  möchten  sich  einander  persönlich  kennen  gelernt  haben. 
Denn  vielleicht  würde  eine  freundliche,  von  beyden  Seiten  durch  gegenseitige  Achtung, 
wie  durch  gemeinschaftliches  Intereße  für  Wahrheit  und  Wissenschaft  geleitete 
Unterhaltung  eine  Annäherung  in  manchen  wesentlichen  Puncten  zwischen  Ihrer 
verschiedenen  philosophischen  Denkart  und  Methode  herbeygeführt  haben.  In  An- 
erkennung der  Hauptabsichten  Kants:  das  speculative  Wissen  zu  beschränken,  um 
dem  moralisch  nothwendigen  Glauben  Platz  zu  machen,  würden  Beyde  ja  doch  un- 
fehlbar zusammengetroffen  seyn,  und  sich  als  erklärte  Gegner  aller  antikritischen 
absoluten  Allwissens  Lehrer  freundlich  einander  die  Hände  geboten  haben.  Denn 
daß  auch  der  besonnene   und  gründliche  mathemat.  und  philos.  Denker  Fries,  dem 


236  März   1831. 

gleichfalls  alle  Schwärmerey  höchst  zuwidei  ist,  es  eben  darum  auch  für  das  "Wich- 
tigste und  Nöthigste  hält,  die  höhere  und  reinere  "Wahrheit  des  Glaubens  gegen  die 
Vumaßungen  eines  leeren  und  eingebildeten  Wissens  geltend  zu  machen,  das  weiß 
ich  wenigstens  auch  aus  der  Art,  wie  er  sich  über  diesen  Punct  in  ein  Paar  an 
mich  erlassenen  Schreiben  ausgesprochen  hat.  Der  Eigensinn,  mit  welchem  der 
sonst  liberale  Denker  auf  manchen  ihm  eigenen  Ansichten  und  Vorstellungsarten 
beharrt,  möchte  wohl  großentheils  von  einem  gewissen  "Widerwillen  herrühren,  sich 
noch  fernerhin,  wie  er  es  sonst  wohl  gethan.  in  einem  speculativen  Streit  einzu- 
lassen; und  dieser  Widerwille  selber  scheint  mir  in  ihm  ganz  natürlich  erzeugt 
und  genährt  worden  zu  seyn,  durch  die  unverdienten  und  so  unwürdigen  Kränkungen, 
die  ihm  seine  liberale  Denkungsart  und  sein  Eifer  für  die  gute  Sache  einer  ver- 
nunftgemäßen politischen  und  religiösen  Ereyheit  zugezogen  hat.  Wie  konnte  sich 
doch  der  Hochmuth  Hegels  soweit  gegen  den  achtungswerthen,  durch  Verdienste 
um  die  Wissenschaft  als  Lehrer  und  Schriftsteller  ausgezeichneten,  gelehrten  Denker 
vergessen,  daß  er  ihn  für  den  Heerführer  aller  Seichtigkeit  in  der  Philosophie,  und 
sein,  in  Ansehung  so  mancher  Parthien  gewiß  recht  schätzenswertes  Handbuch  der 
Logik  für  eine  bedeutungslose  Erscheinung  erklärt.  Der  durch  solche  Schmähungen 
gekränkte  und  verunglimpfte  Mann  ist  dadurch  zu  reizbar  und  mißmuthig  gemacht 
worden,  und  in  dieser  gereizten  Stimmung,  wozu  noch  körperliches  Unwohlsein  sich 
gesellt,  worüber  er  sich  auch  in  einem  Schreiben  an  mich  im  Herbst  d.  J.  1829 
beklagte,  mag  jedes  Zusammenstoßen  mit  entgegengesetzten  Behauptungen  zu  emp- 
findlich seyn.  —  Aber  genug;  er  ist  und  bleibt  doch  immer  mit  uns  verbündet 
durch  denselben  Zweck  und  dasselbe  Bestreben,  um  dessentwillen  auch  Sie  selber 
sich  einen  Kantianer  nennen.  Einen  wackeren  und  in  seinem  hohen  Alter  immer 
noch  rüstigen  Genossen  haben  wir  an  dem  klaren,  nüchternen  und  besonnenen 
Denker  Schulz  in  Göttingen,  diesem  erklärten  Feinde  alles  Excentrischen,  jeder  Art 
von  Schwärmerey,  sowie  aller  sterilen,  scholastischen  Dialektik.  Auf  die  Ver- 
änderung seiner  philosophischen  Denkart,  indem  er  sich  von  seiner  früheren  skep- 
tischen Methode  des  Philosophirens  mehr  ab-  und  einem  gewissen  Dogmatismus  in 
Anerkennung  eines  unmittelbaren  real -rationalistischen  Wissens  oder  vielmehr 
Glaubens  zugewandt,  hat  ohnstreitig  eine  mit  Jacobis  Philosophie  gemachte  ver- 
trautere Bekanntschaft  einen  entschiedenen  Einfluß  geäussert,  so  wie  auch  auf 
seinen  verewigten  Collegen  Bouterwek,  diesen  philos.  Denker  und  Schriftsteller  von 
Geist  und  Geschmack.  —  Für  meine  öffentlichen  Vorträge  über  die  Encyklop.  der  philo- 
sophischen Wissenschaften,  die  ich  von  Zeit  zu  Zeit  zu  halten  pflege,  habe  ich  mich 
bis  jetzt  des  Schulzschen  Lehrbuches  als  Leitfadens  bedient,  weil  ich  denn  doch  in 
der  hier  gegebenen  encyklop.  Übersicht  den  philos.  Hauptdisciplinen,  so  wie  über- 
haupt in  den  daselbst  aufgestellten  allg.  Ansichten  von  der  Philosophie,  deien  Zweck 
u.  s.  w.  meine  eigenen  im  Ganzen  genommen  und  in  Beziehung  auf  die  wesent- 
lichsten Hauptpuncte  wieder  fand,  so  wenig  ich  auch,  mit  seinen  über  Kants  specu- 
lative  und  praktische  Philosophie  geäußerten  Meinungen  und  Urtheilen  durchgängig 
übereinstimmen  kann.  Je  mehr  indessen  in  dieser  encyklop.  Darstellung  doch  immer 
noch  so  Vieles  von  dem  vermißt  wird,  was  heutiges  Tages  der  Philosophie  Noth 
thut  und  was  zu  gründlicher  Hebung  der  Mißverständniße  und  zu  Entwirrung  der 
Verirrungen  in  dem  Gebiete  der  Speculation  bey  den  verschiedenen  Tendenzen  der- 
selben, beytragen  könnte ;  um  so  erwünschter  und  willkommener  mußte  mir  die  in 
Ihrem  Schreiben  mir  bereits  angekündigte  Encyklopädie  der  Philosophie  seyn,  die 
Sie  auf  Aufforderung  Ihrer  philosoph.  Freuude  so  eben  bearbeitet  haben.  Mit  großer 
Erwartung  und  dem  lebhaftesten  Intereße  sehe  ich  der  baldigen  öffentlichen  Er- 
scheinung dieses  neuen  Productes  Ihres  ernsten,  besonnenen  und  in  die  Tiefen  der 


März   183 1.  237 

speculativen  Probleme  und  ihrer  gründlichen  Lösung  eindringenden  Philosophirens 
entgegen,  um  das,  was  die  Philosophie  in  ihrem  jetzigen  Zustande  zu  ihrem  Heile 
bedarf,  in  ein  klares  Licht  zu  setzen,  und  mit  diesem  Lichte  die  heillosen  Fehltritte 
und  Gebrechen  unserer  transcendenten  .Modephilosophien  zu  beleuchten.  Daß 
dieses  Ihr  neuestes  Werk  bereits  unter  der  Preße  ist,  und  daher  hoffentlich 
in  kurzem  den  Freunden  eines  gründlichen  und  nüchternen  philosoph.  Studiums 
zugänglich  seyn  wird,  mußte  mir  insbesondere  darum  auch  ungemein  will- 
kommen seyn',  weil  ich  dasselbe  noch  werde  benutzen  können  für  meine,  gegen 
unsre  Gegner,  die  Wissenschaftslehrer  der  Allheit  und  Absolutheit,  gerichtete 
Polemik  im  letzten  Bande  meiner  Schrift,  noch  kurz  vor  Herausgabe  desselben.  Aus 
dem,  was  Sie  mir  vorläufig  schon  von  dem  Plane  des  Buchs,  und  der  dabey  zum 
Grunde  liegenden  praktischen  Tendenz  und  Absicht  mitzutheilen  die  Güte  haben, 
glaube  ich  schon  mit  Zuversicht  voraussehen  zu  können,  daß  gerade  dieses  Werk 
mir  die  Gelegenheit  und  Aufforderung  darbieten  wird,  mich  an  Ihre  Untersuchungen 
anzuschließen,  und  meine  Bemühungen  mit  den  Ihrigen  zu  vereinigen.  Denn  da 
Sie  sich  in  dieser  Schrift,  wie  Sie  mir  versichern,  ausdrücklich  für  Kants  Haupt- 
absicht erklärt,  aller  speculativen  Theologie  ein  Ende  zu  machen,  und  dagegen  den 
praktisch  nothwendigen  Glauben  zu  bevestigen;  so  liegt  ja  gerade  hier  der  ent- 
scheidende Punct,  der,  in  vollkommenem  Einverständniß  mit  unserm  speculativen 
Kritiker,  unsre  Stellung  gegen  alle  antiken  und  modernen  speculativen  Theologen,  auf 
eine  so  entschiedene  Weise  bestimmt,  daß  an  eine  Ausgleichung  so  entgegengesetzter 
Grundansichten  und  Überzeugungen  ganz  und  gar  nicht  zu  denken  ist.  Erklärt  ja  doch 
auch  selbst  Fries  an  einer  Stelle  in  seiner  Metaphysik  (S.  142)  seine  Verträglich- 
keit mit  allen  anderen  Metaphysikern,  nur  nicht  mit  denen,  die  auch  Wir  für  unsre 
unversöhnlichen  Gegner  ansehen  müssen.  Was  nach  Fries'  Ausdruck  von  der 
Schellingschen  mystischen  Abstraction  gilt,  das  gilt  auf  die  gleiche  Weise  von  der 
Hegel'schen  scholastisch  dialektischen  Methode  und  Ausbildung,  diesem  bloßen  Nach- 
klange der  Fichtisch-Schellingschen  Philosopherei,  wie  es  denn  auch  überhaupt  von 
Allen  gilt,  welche  die  Scheidewand  zwischen  Wissen  und  Glauben  in  der  Phil, 
niederreißen  wollen.  Sie,  mein  philos.  Wissens-  und  Glaubens  Genoße  in  Be- 
ziehung auf  die  Grenzbestimmung  beyder  Gebiete,  wehren  Ihrer  Seits  mit  Kraft 
und  Nachdruck  diesem  Niederreißen,  indem  Sie  im  Geiste  unseres  Kant,  ganz  ein- 
verstanden mit  seiner  erklärten  Absicht,  den  Primat  der  praktischen  Vernunft  vor 
der  theoretischen,  und  darum  die  Unabhängigkeit  der  Aussprüche  und  Forderungen 
der  sittlichen  Gesetzgebung  vou  aller  Speculation  und  aller  speculativen  Theologie 
anerkennen  und  die  religiösen  Glaubensartikel  einzig  und  allein  aus  jener  praktischen 
Quelle  ableiten.  In  diesem  so  wichtigen  und  so  viel  bedeutenden  Punct,  erkenne 
ich  unsre  gemeinschaftliche  wesentliche  Verwandtschaft  mit  Kant's  acht  sokratischem 
praktischen  Geiste,  sowie  nicht  minder  auch  in  einem  andeien,  ebenso  wesentlichen 
und  bedeutungsvollen  Hauptpuncte,  ich  meine  den,  in  Ansehung  dessen  Sie  selbst 
sich  in  der  Vorrede  zürn  lten  Bande  Ihrer  Metaphysik  mit  aller  Aufrichtigkeit  zu 
einem  Kantianer  bekennen.  Und  darum  muß  es  mir  denn  auch  an  Ihrem,  für  die 
encyklop.  Darstellung  der  Philosophie  gewähltem  Plane  ganz  besonders  gefallen,  daß 
Sie  diese  Darstellung  aus  practischen  Gesichtspuncten  unternommen,  um  Ihre  prak- 
tische Philosophie  in  ein  noch  helleres  Licht  als  je  zuvor  zu  setzen  und  Ihre  Leser 
noch  deutlicher  und  bestimmter  und  gewisser  bemerken  zu  lassen,  daß  auch  bey 
Ihrem  philosophischen  Streben  und  Forschen  nach  Wahrheit  und  Wissenschaft  das 
moralische  Intereße  die  eigentliche  Triebfeder  zu  den  abgezogensten  Speculationen 
gewesen  sey,  denen  ja  eben  auch  nur  jenes  höhere  moralische  Intereße  ein  Maaß 
und  Ziel  innerhalb  der  Grenzen   unsers  möglichen,   und   für  unsre  moralische  Be- 


238  März    1831. 

Stimmung  zugleich  fruchtbringenden  und  zweckdienlichen  Wissens  setzen  konnte.  — 
Ihrer  entschiedensten  Überzeugung  nach  kann  also  aus  aller  speculativen  Theologie 
nie  etwas  Gutes  werden!  Diese  Ueberzeugung  ist  ganz  und  durchaus  auch  die  meinige. 
Wir  sehen  ja  wohl  was  aus  allen  bisherigen  Versuchen,  solche  überschwengliche, 
die  Schranken  der  menschlichen  Vernunft  überschreitende  Gottes-  und  Weltlehren 
zu  begründen  und  auszubilden,  herausgekommen  ist.  Wir  dürfen  uns  nur  die 
neuesten  idealistisch  speculativen  Theosophien  Schellings ,  Fichtes  und  Hegels  vor- 
führen, um  zu  erfahren,  von  welcher  Art  und  Beschaffenheit  das  Positive  in  einer 
sogenannten  Religionsphilosophie  sey,  wonach  wie  Schelling  (in  seinem  Briefe  an 
Eschenmayer)  ||  uns  versichern  will,  die  Menschheit  unsrer  Zeit  verlangen  soll, 
und  das  ihr  nur  ein  kräftiger,  der  wahren  Ideen  mächtiger  Verstand  wieder  geben 
könne.  Da«  reine  moralisch  religiöse  Intereße  wird  sich,  unterstützt  von  einer 
nüchternen  und  besonnenen,  ihrer  Schranken  sich  bewusten  Speculation  wohl  be- 
danken für  das  Geschenk,  welches  ihr  ein  Verstand  von  der  hochgepriesenen 
Art  mit  einer  Theologie  machen  will,  die  auf  einen  crassen  und  unbeschränkten 
Anthropomorphismus,  als  eine  durchgängige,  und  (den  einzigen  Punct  des  not- 
wendigen Seyns  ausgenommen)  totale  Vermenschlichung  Gottes  hinausläuft.  Mit  ge- 
rechter Indignation  eine  solche  Gabe  verschmähend,  werden  wir  uns  wohl  an  der 
sokratischen  Weisheit  unsers  großen  Kritikers  genügen  lassen,  und  an  die  goldene 
Wahrheit  halten,  welche  er  in  seiner  Kritik  aller  speculativen  Theologie  in  den 
Worten  niederschrieb:  „Das  höchste  Wesen  bleibt  für  den  bloß  speculativen  Ge- 
brauch unsrer  Vernunft  ein  bloßes,  aber  doch  fehlerfreyes  Ideal,  deßen  gereinigter, 
aus  lauter  transscendentalen  Prädicaten  bestehender  Begriff,  wie  ihn  jede  Iheologie 
so  sehr  nötig  hat,  nur  aus  der  transscendentalen  kann  gezogen  werden.1'  In  welch' 
einem  Contraste  mit  diesem  hohen  und  reinen,  fehlerfreyen  Ideal  steht  das  Idol, 
welches  uns  in  der  Hegeischen  logisch-speculativen  Theologie  hingestellt  wird!  Wie 
der  Pontifex  maximus  der  allein  rechtgläubigen  und  allein  seligmachenden  Kirche 
für  den  sichtbaren  Stellvertreter  und  Repräsentanten  des  göttlichen  Hauptes  der 
Christenheit,  so  scheint  der  Herr  und  Meister  der  neuesten  Philosophischen  Schule 
in  Deutschland  für  den  sichtbaren  Repräsentanten  und  Inhaber  der  Gottheit  selber 
sich  ausgeben  zu  wollen.  Ist  nämlich  nach  seinem  Vorgeben  (Phänomenol.  S.  712  etc.) 
Gott  allein  im  reinen  speculativen  Wissen  erreichbar,  und  ist  nur  in  ihm,  und  nur 
es  selbst  (dieses  Wissen):  so  wohnt  ja  die  leibhafte  Fülle  der  Gottheit  in  allen 
den  Inhabern  dieses  Wissens ,  welche  den  Culminationspunct  desselben  bereits  er- 
reicht zu  haben  wähnen.  An  dieser,  in  Theosophie  und  Dämonologie  ausgearteten 
speculativen  Theologie  mit  ihren  natürlichen  Begleiterinnen,  der  Idololatrie  und  eines 
ganz  eigenen  logisch  metaphysischen  Fetissendienstes  sehen  wir  also  schon  die  heil- 
losen Früchte,  die  die  Tendenz  des  Philosophirens  in  denjenigen  speculativen  Köpfen 
bereits  getragen  hat,  an  welche  die  Belehrungen  und  Warnungen  unsers  Kant  ver- 
geblich angebracht  worden,  da  sie  es  sogar  nicht  bedacht  und  beherzigt  haben,  was 
der  weise  Mann  unter  andern  in  seiner  Kritik  der  Urtheilskraft  (§  89.  S.  439  und 
440)  zu  Würdigung  des  Werths  und  unverkennbaren  Nutzens  des  moralischen  Ar- 
guments für  das  Daseyn  Gottes  so  wahr  gesprochen  und  mit  Nachdruck  eingeschärft 
hat.  —  Bey  solchen  Extravaganzen  und  solch  einer  Transscendenz  in  der  Phüo- 
sophie  in  Ansehung  ihrer  höchsten  und  wichtigsten  Gegenstände,  muß  es  tröstlich 
seyn  zu  hören,  was  Sie  mir  von  der  Unbedeutsamkeit  und  dem  Nichtbeachten  und 
Nichtachten  der  Hegel'schen  scholastisch  dialektischen  Muse  ausserhalb  eines  ge- 
wissen Bezirks  schreiben;  wiewohl  ich  es  andrerseits  doch  auch  nicht  genug  mit 
Ihnen  und  allen  Freunden  einer  gesunden  Philosophie  bedauern  muß,  daß  gerade 
die  Tendenzen  unserer  deutschen  Modephilosophen   zu    einer  schwärmerischen,  in 


März   1831.  239 

Mythen  sich  verlierenden  Mystik,  oder  einer  mikrologischen  und  corrupten  scholast- 
ischen Dialektik  nach  der  Manier  der  Duns-Scotusse;  oder  auch  endlich  zu  einem 
rohen,  unphilosophischen  Empirismus  die  Philosophie  in  den  Augen  des  gebildeten 
Publicums  je  länger  je  mehr  um  den  Credit  bringen  muß,  so  daß,  auch  dem  Resul- 
tate Ihrer  Reisebeobachtungen  zufolge,  das  Studium  dieser  Wissenschaft  nun  mehr 
auf  die  bedenklichste  Weise  im  Sinken  begriffen,  und  dergestalt  die,  während  der 
Periode  des  neuerwachten,  frischen  und  gesteigerten  Lebens  derselben,  unter  dem 
Einfluße  des  Geistes  der  Kritik  eingetretene  schöne  Blüthezeit  ihres  Studiums  nur 
zu  bald  wieder  vorüber,  gegangen  ist.  Philosophia  jacet!  —  müssen  auch  wir  also 
in  unserm  unphilosophischen  Zeitalter,  wie  einst  Cicero  in  dem  seinigen  ausrufen; 
wollen  dabey  aber  doch  dem  Trostspruche  unsers  philosoph.  Dichters  vertrauen: 
»Aber  die  Philosophie,  hoff  ich,  soll  ewig  bestehn« Um  Hegeln,  diesen  Philo- 
sophen des  Tages  bekümmert  man  sich  also  wirklich  fast  gar  nicht  außerhalb 
Preußen,  in  dessen  Bezirk  seine  künstliche  Existenz  nur  von  einer  höheren  Aegide 
erhalten  und  beschirmt  wird.  Daß  sich,  wie  Sie  mir  versichern,  anderwärts  mehr 
und  mehr  das  Urtheil  gegen  den  scholastischen  Dialektiker  (welcher  nach  einem 
von  Schelling  über  seinen  ehemaligen  Compagnon  ausgesprochenen  Spotte  aus  der 
Philosophie  eine  Philigran  -  Arbeit  macht)  erkläre,  haben  mir  auch  wohl  schon  so 
manche  von  mir  an  unserem  philosoph.  .Firmament  beobachtete  Zeichen  angedeutet. 
Denn  gar  viele  Stimmen  habe  ich  bereits  von  mehreren  Seiten  her  vernehmen 
können,  die  sich  gegen  den  Dünkel  einer  angemaßten  Allwissenheit  erhoben  haben. 
So  las  ich  noch  neuerlich  erst  in  einer  Beylage  zu  den  Blättern  f.  litt.  Unter- 
haltungen (von  Januar  1830)  ein  strenges  aber  gerechtes  V erwerf ungsurtheil  über 
die  Hegel'sche  absolute  Allwissenheitslehre,  von  welcher  unter  anderen  gesagt  wurde, 
daß  uns,  die  wir  nicht  von  einem  göttl,  sondern  menschlichen  Verstände  im  Menschen 
etwas  wissen,  zugleich  und  sogleich  die  ungeheuere  Anmaßung  oder  Verblendung,  wo 
nicht  Beydes,  entgegenträte,  damit  ein  Schul-  und  Weltweiser,  sich  auf  die  Schultern 
seiner  Vorgänger  stellend,  das  All  und  das  Eine,  (die  Schöpfung  und  den  Schöpfer) 
nicht  bloß  klaren  Blicks  zu  überschauen,  sondern  auch  in  sich  selbst  zu  beherbergen 
und  aus  sich  heraus  zu  offenbaren  wähne  etc.  etc.  etc.  —  Wem  es  —  wie  im  Tone  so- 
matischer Ironie  noch  hinzugefügt  wird  —  unter  den  Wißbegierigen  nach  Allwissen- 
heit gelüstet,  weiß  wo  dieselbe  zu  holen  ist.  In  einem  andern  Blatte  derselben  Zeit- 
schrift wird  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  der  Hegeische  Pantheismus  eine  Hülfs- 
macht  zur  Vertheidigung  der  Ansichten  des  Mittelalters  werden  soll.  Ja,  in  einem 
Stücke  der  allg.  Kirchenzeituug ,  dieser  wackern,  freysinnigen  Antipodin  der  fälsch- 
lich sich  so  nennenden  evangelischen  Kirchenzeitung,  wird  sogar  die  Hegeische 
Philosophie  als  eine  solche  denuncirt,  welche  durch  ihren  dialektischen  Sophismus, 
zur  wahren  Schirmvoigtin  des  Katholicismus  sich  darbiete.  Freilich  kann  es  an  der- 
gleichen Nutzanwendungen  und  Appellationen  an  das  Orakel  einer  Philosophie  nicht 
fehlen ,  deren  Meister  selbst  seine  feindselige  Gesinnung  gegen  den  theologischen 
Rationalismus  offen  kund  gethan  hat.  Um  so  nöthiger  und  verdienstlicher  müssen 
darum  aber  auch  solche  auf  die  Grundirrthümer  dieser  Pseudophilosophie  gerichtete 
Angriffe  seyn,  wie  ich  kurz  zuvor,  ehe  mir  Ihre  scharf  und  tief  eindringende  Kritik 
zu  Gesichte  kam,  im  Hermes  (Bd.  XXXIV  H.  2)  eine  Kritik  gedachter  Philosophie 
gelesen  hatte ,  deren  bis  jetzt  noch  nicht  sich  genannter  Vf.  meinem  Urtheile 
nach  das  ganze  Philosophem  in  seinen  Hauptpuncten  richtig  aufgefaßt  und  seine 
Blößen  und  Hauptgebrechen  mit  genügender  Klarheit  und  Gründlichkeit  aufgedeckt 
hat.  Was  dieser  Kritiker  schon  vorläufig  zum  Behuf  einer  allgemeinen  Charakte- 
ristik der  Hegeischen  Lehre  bemerkt,  ist  ganz  aus  meiner  Seele  geschrieben,  als 
vollkommen    übereinstimmend   mit  meiner  eigenen  Ansicht.   —   In   Ihrer  früheren 


240  März   1831. 

Eecension  einiger  über  und  gegen  Hegel  erschienenen  Schriften  hatten  Sie ,  mein 
Verehrtester!  den  modernen  Scholastiker  nur  den  Nachklang  von  Schelling  genannt. 
Und  an  Ihrer  mit  aller  Schärfe  und  Strenge  der  Kritik  angestellten  und  durch- 
geführten ßeurtheilung  der  Hegeischen  Encyklop.  der  philos.  Wiss.  wiesen  Sie  an 
mehreren  Stellen,  namentlich  S.  9.  11.  12  u.  15  die  frappanten  Aehnlichkeiten  nach, 
welche  zwischen  dem  antiquirten  subjectiven  Idealismus  Fichtes  und  Hegels  neuestem 
sich  so  nennenden  absoluten  Idealismus  sich  aufspüren  lassen.  So  wäre  denn  Hegel 
auch  nach  Ihrem  Urtheile  ein  Nachklang  zugleich  von  Fichte  und  Schelling.  Und 
so  meine  ichs  auch,  und  mit  uns  der  gedachte  Recensent  im  Hermes,  wenn  er  die 
Hegeische  Lehre  geradezu  für  eine  Composition  oder  Confusion  der  Fichteschen  und 
Schelli ngschen  Philosophie  erklärt.  Dieser  anerkannten  genauen  Verwandschaft  ohn- 
geachtet,  bemerken  Sie  jedoch  (S.  12)  daß,  so  wichtig  auch  die  Einwirkungen  Fichtes 
auf  Hegeln  seyen:  so  gäben  sie  uns  doch  nicht  allein  den  zulänglichen  Schlüßel  zur 
Lehre  des  Letztern.  Das  ist  freilich  wahr.  Aber  darum  glaube  ich  auch  diesen 
zugänglichen  Schlüßel  in  der  künstlichen  Composition  und  Complication  der  F.  und 
S.  Philosophie  zu  finden,  woraus  eine  wahre  Confusion  geworden  ist  durch  Zu- 
sammenmischen beyder  in  dem  Schmelztigel  einer  metaphysischen  Logik  und 
scholastischen  Dialektik.  Sie,  mein  Theuester!  dringen  jedoch  in  die  Genesis  der 
H.  Lehre  noch  tiefer  ein  zum  Behuf  eines  richtigen,  mit  großen,  nicht  zu  verkennen- 
den Schwierigkeiten,  die  auch  ich  nur  allzu  deutlich  gefühlt,  verbundenen  Ver- 
stehens,  in  dem  Sie  das  Verwickelte,  was  in  jener  bey  Fichte  sich  findenden  und 
in  der  Hegeischen  Lehre  wiederkehrenden  Trichotomie  liegt,  durch  historische,  noch 
über  Fichten  hinausführende  Bemerkungen  aufzuklären  versuchen.  —  "Was  Sie  da 
S.  12.  13  und  14  in  dieser  Absicht  anführen,  verdient  gewiß  die  sorgfältigste  Be- 
achtung. Wenn  Sie  jedoch  das  Fordern  und  Setzen  Eines  Princips,  welches  zu- 
gleich Spinozas  Substanz,  ein  Platonisches  Allgemeines,  und  ein  Kantischer,  gemein- 
samer Ursprung,  der  sowohl  mechanischen  als  zweckmäßigen  Technik  der  Natur 
seyn  sollte,  zum  Theil  für  die  Folge  des  verführerischen  Beyspiels  ansehen,  welches 
Kant  selbst  mit  seiner  in  der  Kr.  d.  V.  aufgestellten  Idee  eines  intellectuell  an- 
schauenden Verstandes  gegeben;  so  möchte  ich  doch  hier  die  Frage  an  Sie  thun, 
was  denn  wohl  Kant  dafür  konnte,  daß  mit  jener  Idee  in  der  Folge  ein  solcher 
Mißbrauch  getrieben  wurde  durch  Verwandlung  der  bloßen  Negative  in  die  Affir- 
mative eines  in  seiner  Positivität  theoretisch  gültigen  Begriffs.  Um  ein  fehlerfreies, 
jeder  Theologie  so  sehr  nöthiges  Ideal  von  allen  Seiten  gegen  jede  Verfälschung- 
sicher  zu  stellen,  bedurfte  es  freilich  nicht  des  Gegensatzes  mit  unserm  mensch- 
lichen, als  einem  vermeintlich  ganz  besonders  eingerichtetem  Verstände.  Genug,  wenn 
nur  eine  scharfe  Grenzlinie  gezogen  wurde  zwischen  dem  Verstände  endlicher  Wesen, 
welche  notwendig  gebunden  sind  an  die  Bedingungen  des  zusammenfaßenden  Denkens 
nach  Gesetzen  des  Raumes  und  der  Zeit,  und  dem  Verstände  eines  rein  intelligiblen 
Wesens,  den  wir  uns  aber  auch  um  unsrer  moralischen  Zwecke  willen  als  erhaben 
über  alle  Prädicate  und  Bestimmungen  endlicher  Intelligenzen,  also  auch  nicht  etwa 
bloß  dem  Grade,  sondern  der  Art  nach  verschieden  denken  müssen.  Was  Sie  üb- 
rigens bey  unvermeidlicher  Vergleichung  Hegels  mit  Spinoza  von  des  ersten  Un- 
didationstheone ,  womit  Sie  das  ganze  dialektische  Taschenspieler  Kunststück  der 
Reflexion  des  Scheinens  in  sich  und  in  Anderes  bezeichnen,  mit  Grunde  der  Wahr- 
heit bewirken,  daß  dieselbe  viel  bunter,  verwickelter  und  schwerer  zu  fassen  sey, 
als  Spinozas  ruhig  liegende  Substanz  u.  s.  w.,  dessen  bin  auch  ich  bey  meinen  be- 
gonnenen und  wiederholt  fortgesetzten  Studien  dieser  bunten  und  complicirten 
Theorie  nur  zu  oft  und  zu  deutlich  inne  geworden.  Möchte  Hegel  einem,  ihm  von 
Ihnen  gegebenen  Winke  folgend,  künftig  nur  die  allgemeine  Sprache  reden;  es  würde 


Juni  1831.  241 

daraus  gewiß  kein  kleiner  Gewinn  für  leichteres  Verständniß  des  Systems,  andrer- 
seits aber  auch  wohl  Verlust  am  Ruhm  der  Originalität,  erwachsen.  —  Dieses  Wenige, 
meine  Bemerkungen  und  Urtheile  über  Ihre  Kritik  betreffend,  möge  Ihnen  mein 
Verehrter  die  Sorgfalt  und  Aufmerksamkeit  beweisen,  womit  ich  diese  Prüfung  auf- 
gefaßt und  erwogen  habe ;  ich  finde,  daß  Sie  damit  recht  viel  frisches  und  kräftiges 
Wasser  auf  meine  Mühb  geleitet  haben.  Denn  Sie  sollen  schon  sehen,  welche  Vor- 
theile  ich  aus  der  Benutzung  Ihrer  Kritik  in  Verbindung  mit  dem  Studium  Ihrer 
Metaphysik  und  Ihrer  bald  zu  erwartenden  Encyclopädie,  die  ich  mir  sogleich  nach 
ihrer  Erscheinung,  durch  eine  hiesige  Buchhandlung  werde  kommen  lassen,  für  meine 
eigene  Beurtheilung  des  Hegeischen  Philosophems  und  seiner  matrix,  der  Fichtisch- 
Schellingschen  Speculation  werde  ziehen  können.  Der  letzte  Theü  meiner  Schrift, 
den  ich  unserm  philosoph.  Publicum  bis  jetzt  noch  schuldig  bin,  soll  sich  dann  auch 
auf  die  Länge  hin  nicht  verspäten,  damit  die  Hofnung,  welche  Sie  mir  in  Ansehung 
des  beabsichtigten  Erfolges  der  Arbeit  geben,  nicht  vereitelt  werden  möge.  Da  ich 
mit  der  Bearbeitung  schon  weit  genug  fortgerückt  bin,  so  denke  ich  wohl  daß  der 
Druck  in  diesem  Jahre  noch  beginnen  und  vielleicht  auch  schon  bis  zu  Ausgange 
desselben  werde  vollendet  sein  können,  wofern  anders  die  Sorge  für  eine  reine  und 
correcte  Abschrift,  sowie  das  Versenden  von  hier  an  eine  ausländische  Verlagshand- 
lung der  Beschleunigung  keine  Hinderniße  in  den  Weg  stellt.  Da  ich  die  Absicht 
habe,  diesen  Theü  einer  andern  Veriagshandlung  anzuvertrauen:  so  habe  ich  auch 
deshalb  eine  Abänderung  in  Ansehung  der  äussern  Form  des  Buches  für  nöthig  er- 
achtet. Es  soll  nämlich  als  ein ,  in  gewissem  Betracht  neues  Werk  unter  einem 
neuen  Titel  erscheinen,  neben  welchem  jedoch  auch  der  alte  Titel  noch,  wie  ge- 
bräuchlich in  solchen  Fällen ,  und  auch  nöthig  und  natürlich ,  beybehalten  werden 
soll.  Zu  dem  neu  zu  wählenden  Titel  haben  Sie  selbst  mir  den  Hauptgedanken 
suppeditirt  Allheit  und  Absolutheit;  oder  die  alte  Lehre  des  tv  nai  nav  in  ihren 
modernsten  idealistischen  Hauptformen  und  Ausbildungsweisen.  —  Das  soll  das  neue 
Aushängeschild  von  meiner,  gegen  die  Scholastik  und  Mystik  unsers  Zeitalters  ge- 
richteten Polemik  werden. 

Dürfte  ich  nun  am  Schluße  dieses  Schreibens  noch  eine  Bitte  an  Sie,  Ver- 
ehrtester! thun,  so  wäre  es  die,  mir  gütigst  ein  Exemplar  Ihrer  am  Krönungstage 
gehaltenen  und  zum  Druck  beförderten  Rede  durch  einen  Buchhändler-  oder  auch 
eine  andre  sich  darbietende  Gelegenheit  zu  übersenden,  und  mir  mit  diesem  Besitze 
eine  Leetüre  zu  verschaffen ,  die  für  mich  gewiß  doppelt  lehrreich  und  interessant 
seyn  wird,  theils  wegen  des  wichtigen  und  fruchtbaren  Themas  selbst,  theils  wegen 
des  Zusammenhangs  seiner  Ausführung  mit  den  Grundlehren  Ihrer  praktischen  Philo- 
sophie. —  Leben  Sie  wohl!  und  empfangen  Sie  auch  meiner  Seits  die  Versicherung 
von  der  größten  Verehrung,  mit  welcher  ich  mich  unterzeichne  als  den  Ihrigen. 

Jäsche. 

28.  April  u.  /.  Mai:   Jahresbericht    über   das    pädagogische  Seminar.     XV,    S.  31 — 38. 

368.    Drobisch  an  H.])  Leipzig  d.  17  Juni  1831. 

Hochverehrter  Herr  Professor!  Lange  genug  habe  ich  mir  das  Vergnügen 
versagt,  mit  der  Feder  die  100  Meilen,  die  uns  trennen,  zu  überspringen  und  mit 
Ihnen  wenigstens  einseitig  ein  Gespräch  anzuknüpfen.  In  der  That  es  bot  sich  mir 
des  Erfreulichen  zu  wenig  dar,  und  meine  sonst  immer  heitere  Stimmung  ward  zu 
häufig  niedergedrückt,  als  daß  ich  hätte  so  schonungslos  seyn  können,  Ihnen  diese 
Hypochondrie  mitzutheilen.     Zum  Glück  waren  die  Ursachen  der  letzteren  äußerer 

x)  23/4  S.  4  °.     H.  Wien. 

Herbarts  Werke.    XVII.  l6 


242  Juni  l83!- 

Natur.  Krankheit  hat  unser  Haus  heimgesucht.  Erst  litt  ich  an  einem  sehr 
schmerzhaften,  gichtischen  Kopfreißen,  so  daß  ich  5  Tage  und  Nächte  kein  Auge 
schließen  konnte.  Dann  verletzte  ich  mir  das  linke  Auge  so  gefährlich,  daß  ich. 
bereits  gänzlich  des  Sehvermögens  beraubt  war  und  eine  lange  Cur  von  problema- 
tischem Erfolg  zur  Wiederherstellung  nöthig  schien.  Nun  kam  ich  zwar  schon  mit 
14  Tagen  der  geisttödtendsten  langen  Weile  davon,  aber  in  dieser  Zeit  erkrankte 
meine  Frau,  in  Folge  heftiger  Alteration,  so  daß  ich  ein  Nervenfieber  befürchtete. 
Es  ward  nun  zwar  blos  ein  katarrhalisches  Fieber,  die  sogenannte  Berliner  Influenza 
daraus,  die  nun  auch  mich  anpackte.  Das  eine  unserer  Dienstmädchen  war  erst 
kurz  vorher  vom  Fieber  hergestellt ;  jetzt  wurde  das  andre  krank,  und  zwar  so  schwer 
und  chronisch,  daß  ich  genöthigt  war,  sie  meines  Dienstes  zu  entlassen.  Endlich 
staib  auch  noch  in  diesen  Tagen  der  einzige  Knabe  meiner  Schwester,  die  in  der 
Nachbarschaft  von  Leipzig  verheirathet  ist.  Bei  so  vielfach  gestörter  häuslicher  Ruhe 
werden  Sie  wol  natürlich  finden,  daß  das  wissenschaftliche  Geistesleben  eine  em- 
pfindliche Unterbrechung  leiden  musste.  Von  Ihnen,  verehrter  Gönner  und  Freund, 
und  von  Ihrer  Frau  Gemahlin  hoffe  ich  tröstlichere  Nachrichten  zu  vernehmen, 
wenn  gleich  die  Besorgniß  vor  der  Cholera,  die  ja  das  benachbarte  Danzig  ergriffen 
hat,  und  vor  der  dort  mir  schon  bange  zu  werden  anfängt  und  gegen  die  man 
hier  bereits  die  kräftigsten  Gegenrüstungen  vornimmt,  eben  nicht  geeignet  seyn 
kann,  zur  Heiterkeit  zu  stimmen.  Daß  Sie  sich  vor  kurzem  noch  wohl  befunden 
haben,  hörte  ich  wenigstens  mit  Vergnügen  von  H.  Kand.  Hendewerk,  Ihrem  be- 
geisterten Schüler,  der  mich  an  Pfingsten  besuchte  und  mit  dem  ich  ein  paar  in- 
teressante Unterhaltungen  hatte,  obgleich  meine  Augenmaladie  mich  verhindert  hat, 
ihm  die  Aufmerksamkeit  zu  schenken,  die  ich  ihm  wohl  schuldig  gewesen  wäre. 
Da  haben  Sie  ja  wieder  einen  Jünger,  der  pro  aris  et  focis  zu  kämpfen  bereit  ist 
und  Ihr  Evangelium  aller  Welt  zu  verkünden  wünscht.  Auch  der  Dr.  Brzoska,1} 
der  sich  bei  uns  vor  Kurzem  habilitirt  hat,  Ihr  mehrjähriger  Hausgenosse,  ist  offen- 
bar von  warmer  Liebe  zu  Ihrer  Philosophie  durchdrangen  und  weiß  ihren  Werth 
selbst  für  seine  mythologisch  -  philologischen  Forschungen  zu  schätzen.  Ich  bin 
überzeugt,  wenn  nicht  Krieg,  Seuche,  Aufruhr  etc.  nach  Niebuhrscher  melancho- 
lischer Ansicht  uns  einem  zweiten  Zeitalter  der  Barbarei  und  des  Vandalismus 
wieder  zuführen,  Ihre  Philosophie  wird  nicht  so  wenig  beachtet  bleiben  wie  bisher. 
Unverkennbar  wird  jetzt  Ihr  Name  in  Zeitschriften  und  in  der  gelehrten  Con- 
versation  weit  öfter  genannt.  Denken  Sie  nur,  Ihre  Metaphysik  ist  in  einer  hiesigen 
Leihbibliothek  zu  erhalten,  denn  vor  einigen  Tagen  forderte  der  Besitzer  einen 
Studenten  M.  .  A  .  .  s  im  Tageblatt  öffentlich  auf,  das  Buch,  das  er  nun  schon  so 
lange  geliehen,  ihm  nächstens  wieder  zuzustellen.  Freilich  so  schnell  wie  Walter 
Scott  und  Clauren  liest  sich's  nicht.  —  Eben  habe  ich  den  Prospectus  einer  neuen 
encyklopädisch  wissenschaftlichen  Zeitschrift  erhalten,  worin  unter  dem  Artikel 
Philosophie  Ihrer  »zufälligen  Ansichten«  mit  Auszeichnung  gedacht  wird.  Sind  das 
nun  gleich  Kleinigkeiten  und  Äußerlichkeiten,  so  sind  sie  doch  vielleicht  Zeichen 
einer  bedeutenden  innern  Bewegung,  die  zu  Gunsten  philosophischer  Forschung  in 
den  Geistern  vor  sich  geht.  Lange  schon  liegt,  wie  ich  höre,  eine  Eecens.  Ihrer 
Metaphysik  von  einem  berühmten  Gelehrten  für  die  hiesige  Literaturzeitung  be- 
stimmt, bereit;  der  Vfs.  derselben,  dem  unbekannt  seyn  muß,  daß  ich  der  Jenaische 
Eecensent  bin,  hat  der  Expedition  unter  der  Hand  geschrieben,  er  wünsche,  daß  vor 

l)  H.  G.  Brzoska,  1807—1839,  hatte  sich  1831  in  Leipzig  habilitiert  mit  der 
Schrift:  „De  geographia  mythica  etc.",  ging  aber  dann  nach  Jena.  Vgl.  Allg.  D. 
Biogr.  3,  458  f.  u.  W.  Rein  in  der  Vorrede  zur  Neuausg.  von  Brzoskas  „Notwendig- 
keit päd.  Seminare"  pp.,  Lpzg.  1887. 


Juli  1831. 243 

dem  Abdruck  derselben,  ich.  mich,  erst  über  Ihr  Werk  aussprechen  möge.  Ich  habe 
hierauf  meine  Autorschaft  an  der  Jen.  Recension  bekannt  und  den  lebhaften  Wunsch 
ausgedrückt,  daß  der  Abdruck  jener  Recension  bald  erfolgen  möge.  Ich  denke, 
es  soll  auch  bald  geschehen;  denn  da  Sie  sehr  lange  keinen  Beitrag  geliefert  haben, 
so  hält  man  Sie  von  irgend  einer  Seite  für  verletzt,  von  welcher  weiß  man  nicht. 
Dieses  »man«  ist  nun  nicht  etwa  Krug,  mit  dem  von  Allerlei  nur  nicht  von 
Philosophie  zu  reden  ist,  noch  auch  sonst  jemand  von  der  Redaction,  sondern  der 
Expedient  der  L.  Z.,  der  mehr  zu  vermögen  scheint  als  die  Redactoren.  Ihre 
Recens.  Hegels,  womit  das  neue  Jahr  bei  der  Hall.  L.  Z.  gefeiert  wurde,  scheint 
Aufsehen  gemacht  zu  haben  und  ich  habe  sehr  rühmende  Urtheile  darüber  ver- 
nommen. —  Wenn  sich  das  heillos  schlechte  Wetter,  das  uns  schon  seit  einigen 
Wochen  plagt,  aber  doch  Gott  sey  Dank  fruchtbar  seyn  soll,  bessert,  gedenke  ich 
mit  meiner  Familie  zu  unser  aller  Restauration  aufs  ||  Land  zu  ziehen.  Wiewohl 
ich  nun  täglich  zu  meinen  Vorlesungen  in  die  Stadt  wandern  werde,  so  hoffe  ich 
doch  wöchentlich  2  Tage  in  ländlicher  Einsamkeit  leben  und  einen  Tbeil  dieser 
Muße  dem  lsten  Band  Ihrer  Metaphysik  u.  dem  2ten  der  Psychologie  widmen  zu 
können.  Ich  freue  mich  schon  auf  die  genußreichen  Stunden  dieser  heimlichen 
Liebe.  Indessen  versäume  ich.  nicht,  junge  Leute  von  Kopf,  die  sich  für  Mathe- 
matik und  Philosophie  zugleich  interessieren,  auf  Ihre  Schriften  aufmerksam  zu 
machen.  Erst  heute  hab  ich.  Einem  Ihre  Einleitung  geliehen,  als  er  sich,  wie  jetzt 
häufig  geschieht,  über  die  Geistlosigkeit  und  Oberflächlichkeit  Krugs  beklagte. 
Dennoch  «ieht  dieser  Name  manchen  auf  unsre  Universität.  Dieser  eben  erwähnte 
und  noch  ein  andrer  unter  den  wenigen  Studierenden,  die  ich  kenne,  sind,  der  eine 
aus  Düsseldorf,  der  andre  aus  Cöln,  einzig  wegen  Krug  zu  uns  gekommen,  finden 
sich  aber  beide  in  ihren  Erwartungen  betrogen. 

Möge  der  Himmel  bald  den  jetzigen  Zustand  der  fürchterlichen  Windstille  im 
Verkehr,  der  jeder  wissenschaftlichen  Unternehmung  so  verderblich  wird,  entfernen 
und  uns  noch  eine  Reihe  von  Friedensjahren  geben,  in  denen  die  reine  Wissenschaft 
zu  neuem  Leben  erwachen  kann.  Vielleicht  will  aber  die  Vorsehung  das  Interesse 
an  dem  Reinsten  und  Edelsten  durch  politische  Stürme  vorbereiten,  vielleicht  soll 
der  Überdruß  an  verkehrten  Bestrebungen  endlich  wieder  die  Besseren  zum  stillen 
Heiligthum  der  Wissenschaften  zurückführen.     Wir  wollen  es  wenigstens  hoffen. 

Erlauben  Sie  mir  noch  schließlich  mich  und  meine  Frau  Ihrem  und  Ihrer 
Frau  Gemahlin  fernerem  Wohlwollen  angelegentlich  zu  empfehlen  und  seyn  Sie 
versichert,  daß  ich  stets  mit  der  innigsten  Verehrung  seyn  werde        Ihr  erg.  D. 

369.  Herbarts  Teilnahme  an  der  1.  ostpreußischen  Direktoren-Kon- 
ferenz. 30.  Juni  bis  2.  Juli. 
Herbart  nimmt  an  der  ersten  ostpreußischen  Direktorenkonferenz  in  Königs- 
berg teil.  Er  hatte  es  dabei  übernommen,  über  die  Verbindung  der  philosophischen 
Propädeutik  mit  dem  deutschen  Unterricht,  in  ausführlichem  Vortrag  zu  sprechen. 
Leider  ist  der  Vortrag  nur  in  kurzem  Auszug  im  Protokoll  mitgeteilt.  , .Herbart 
sieht  die  Hauptschwierigkeit  dieses  Unterrichts  nicht  in  der  Sache,  sondern  in  den 
Lehrern;  denn  die  Philosophie  sei  1.  in  einen  Gegensatz  mit  den  empirischen  Kennt- 
nissen getreten  und  daher  könnten  die  Lehrer  den  Übergang  nicht  leicht  finden,  — 
2.  die  Philosophie  habe  sich  von  dem  praktischen  Menschen  entfernt;  eine  Ver- 
bindung sei  notwendig.  Er  macht  darauf  Mitteilung  von  seiner  jetzt  erscheinenden 
Enzyklopädie  der  Philosophie,  die  dem  Lehrer  zur  Überbrückung  der  Gegensätze  in 
die  Hand  gegeben  werden  könne.  Der  Vorsitzende  dankt  Herbart  für  seinen  Vor- 
trag, und  die  Konferenz  behandelt  offenbar  ohne  recht  warmes  Interesse  die  Ver- 

16' 


244  Juli  l83x- 

bindung  von  Philosophie  mit  Deutsch,  besonders  mit  den  deutschen  Aufsätzen.  Auch 
in  der  Debatte  scheint  Herbart  fast  allein  das  "Wort  geführt  zu  haben.  Er  verweist 
vor  allem  auf  Ciceros  Offizien  und  hier  besonders  auf  das  I.  Buch,  in  dem  reicher 
Stoff  für  Aufgaben  geboten  sei.  Diese  Schrift  sei  darum  besonders  wichtig,  weil 
hier  die  Elemente  der  praktischen  Philosophie  auf  einfache  Weise  gefunden  werden 
könnten.  Die  Ausführungen  Garves  könnten  dabei  benutzt  werden.  Weiter  meint 
er,  den  Mittelpunkt  der  Propädeutik  bilde  die  Psychologie  und  Logik,  deren  Umfang 
sich  sehr  beschränken  lasse,  besonders  der  der  Logik  nach  der  in  II  gegebenen 
Unterweisung  in  Rhetorik. 

Die  Behandlung  der  Geschichte  der  Philosophie  dürfe  nur  die  wichtigsten 
Momente  berühren,  sie  sei  nach  ihren  2  Hauptteilen  zu  behandeln,  als  Geschichte 
der  praktischen  und  theoretischen  Philosophie.  Der  Gymnasialunterricht  solle  nur 
eine  Grundlage  für  die  Darstellung  auf  der  Universität  bilden.  Dem  Lehier  emp- 
fiehlt Herbart  das  Studium  der  Meditationen  Deseartes."1) 

370.     An    Drobisch.2)  Königsberg  15  Jul.  31. 

Nun,  mein  hochgeehrter  Herr  und  Freund!  sehen  Sie  es  doch  vor 
Augen,  was  herauskommt,  wenn  Sie,  anstatt  selbst  über  meine  Naturphilos. 
zu  sprechen,  es  einem  ,, berühmten  Gelehrten''  überlassen;  dem  großen 
Unbekannten,  der  mich  schon  früher  um  die  Wette  mit  Ihnen  recensirte! 
In  der  That,  ich  möchte  Ihre  Mienen  beobachtet  haben,  als  Ihnen  die 
neue  Leipz.  Rec. 3)  —  wohlgezogen  wie  sie  ist,  —  zu  Gesicht  kam.  Sie 
werden  Sich  doch  ein  wenig  geärgert  haben,  daß  nach  der  Jenaischen 
Rec.  noch  so  etwas  in  L.  konnte  gleichsam  unter  Ihren  Augen  gedruckt 
werden.  —  Ich  dagegen  bin  natürlich  wohl  zufrieden;  die  wichtige  Frage,  ob 
ich  ein  Kantianer  zu  heißen  verdiene  oder  nicht,  wird  mich  und  mein  Buch 
eher  unter  die  Leute  bringen  —  gleichviel  wie  sie  mag  entschieden  werden, 
—  als  Ihr  feines  Jenaisches  Augenpulver,  von  dem  mir  selbst  beym 
ersten  Lesen  fast  die  Augen  schmerzten.  Sie  aber  haben  nun  Unterricht 
bekommen,  wie  man  recensiren  muß;  erstlich  sorgend,  daß  der  Verfasser 
keine  Antikritik  schreiben  könne;  zweytens  die  schwarze  und  weiße  Kreide 
tüchtig  handhabend  —  —   u.  s.  w. 

Diese  wenigen  Zeilen  werfe  ich  eiligst  hin,  —  eigentlich  nur  um 
Ihnen  zu  sagen,  daß  wir  die  Cholera  hier  in  K.  noch  nicht  haben;  dann 
um  Sie  inständig  zu  bitten,  daß  Sie  mir  bald  wieder  Nachricht  von  Ihrem 
und  Ihrer  lieben  Frau  Wohlseyn  geben,  denn  Ihre  letzten  Nachrichten 
haben  mich  wahrscheinlich  mehr  als  nöthig  erschreckt,  da  Augenübel  und 
gichtischer  Kopfschmerz  im  Allgemeinen  leicht  zu  den  wiederkehrenden 
Krankheiten  gehören  möchten.  —  Das  sey  ferne  von  Ihnen!  Mit  dem 
lebhaftesten  Wünschen  für  Ihr  Wohlsein  der  Ihrige  H. 

Einen  kleinen  Glückwunsch  von  Ihnen  kann  ich  mir  in  Gedanken 
wohl  dafür  zueignen,  daß  diesen  Sommer  zum  erstenmale  meine  psycho- 
logischen   Vorlesungen    ein    leidliches    Auditorium   haben.      Es  sind    einige 

*)  Ph.  Wegener,  Zur  Geschichte  des  deutschen  Unterrichts.  Beil.  zum  Jahres- 
bericht des  Gymn.  u.  der  Realsch.  zu  Greifswald,  1906,  (Progr.  Nr.  173),  S.  23  ff. 

2)  1  S.  20. 

3)  Leipz.  Lit.-Ztg.  1831,  Nr.  150—156.  Der  ungenannte  Verfasser  gesteht  zu, 
weder  Mathematiker  noch  Physiker  zu  sein  und  bekennt,  .  auch  die  erste  Rec.  der 
Herbartschen  Psychologie  (s.  o.)  verfaßt  zu  haben. 


Juli   183 1. 245 

von  Bessels  tüchtigen  Mathematikern  drin.  Ich  selbst  sitze  in  allen 
Mußestunden  an  der  Psychol.  um  aus  meinen  alten  Formeln  etwas  Päda- 
gogisches zu  destilliren.  Vielen  Dank  für  Ihre  Abhandlung  von  dem 
Horizonte;  sie  ist  mir  leider!  zu  fremd.      [Randbemerkung.] 

371.     An    DrODisch.1)  Königsberg  16  Jul.   1831. 

Meine  gestrige  scherzhafte  Laune,  angeregt  durch  die  naturphilo- 
sophische Dummdreistigkeit,  die  mit  Ihrer  Vorsicht  so  wunderlich  con- 
trastirt,  —  ist  mir  schnell  ausgetrieben  worden.  Gleich  nach  Absendung 
des  Briefes  erhielt  ich  die  bestimmte  Nachricht,  daß  die.  Cholera  bereits 
in  Elbing  ausgebrochen  ist,  und  wahrscheinlich  auch  auf  der  nordöstlichen 
Seite  näher  gegen  uns  anrückt. 

Als  die  Cholera  in  Danzig  auftrat,  machte  ich  mein  Testament. 
Gestern  fiel  mir  ein,  jetzt  noch  ein  zweytes  Testament  folgen  zu  lassen, 
nämlich  Ihnen  meine  philosophischen  Angelegenheiten  zu  vermachen.  Das 
unterlasse  ich  jedoch;  und  zwar  aus  dem  einzigen  Grunde,  weil  es  noch 
zweifelhaft  ist,  ob  die  Erbschaft  willkommen  seyn  würde,  die  gewiß  mehr 
abschreckend  als  einladend  aussieht.  Aber  etwas  Anderes  soll  geschehn. 
Es  ist  Zeit  Ihnen  zu  sagen,  daß  ich  meinen  Dank  für  Ihre  Jenaische 
Recension  Ihnen  nicht  ausgeschüttet,  sondern  absichtlich  bisher  größten- 
theils  verhehlt  habe,  und  zwar  aus  zwey  Gründen. 

Erstlich  fürchtete  ich  Sie  durch  vieles  Reden  zu  ermüden.  Es  lag 
aber  am  Tage,  daß  eine  so  meisterhafte  Arbeit  schlechterdings  eine  öffent- 
liche Danksagung  bey  der  ersten  sich  darbietenden  Gelegenheit  erforderte. 
Diese  werden  Sie  in  der  Vorrede  zu  meiner  Encyklopädie 2)  finden,  welche 
Ihnen  von  Halle  zu  senden  ich  bereits  Auftrag  an  die  Buchhandlung  des 
Hrn.  Schwetschke  in  H.  gegeben  habe.  Mein  lebhafter  Wunsch  ist,  daß 
Sie  darin  die  gehörige  Rücksicht  auf  Ihre  öffentliche  Stellung,  so  wie 
Sie  dieselbe  zu  wünschen  schienen,  beobachtet  ||  und  Alles,  was  einem 
Dritten  übertrieben  scheinen  könnte,  vermieden  finden  mögen.  Auch  hier 
also  ist  noch  Zurückhaltung  in  den  Worten,  deren  Sinn  nicht,  wie  bey 
Höflichkeiten,  herabgesetzt,  sondern  vielfach  verstärkt  seyn  will. 

Zweytens  besorgte  ich,  ein  unangenehmer  Nachklang  würde  Ihnen 
desto  auffallender  werden,  je  mehr  mein  Dank,  der  sich  von  selbst  ver- 
stand, und  an  dem  Ihnen  nichts  gelegen  war,  sich  hervorstellte.  Sie  wollten 
durch  Ihre  Recension  auf  die  Leser  wirken;  und  dies  —  so  schien  es 
mir  Anfangs,  —  konnte  leicht  ausbleiben.  Denn  die  wundervolle  Präcision 
Ihrer  Darstellung  hat  eine  mikroskopische  Feinheit;  die  philosophischen 
Augen  gewöhnlicher  Leser  sind  aber  durch  das  gewaltige  Streben,  sich 
deutlich  zu  machen,  was  seit  dreyßig  Jahren  in  allen  Büchern  dieser  Art 
herrscht,  an  die  allergröbste  Schrift  gewöhnt.  Und  während  ich  meine 
Metaphysik  um  zehn  Jahre  zurückgehalten  hatte,  um  sie  in  Begleitung  der 
Naturphilosophie,  ohne  welche  ich  ihr  gar  kein  Interesse  zutraute,  er- 
scheinen zu  lassen:  fehlte  in  Ihrer  Recension  gerade  dieser  Hebel  des 
Interesse;  daher  ich  mich  fragen  konnte,  ob  Ihnen  gelingen  würde,  was 
ich  für  waglich  gehalten  hatte? 

1)  3  S.    2". 

2)  S.  Bd.  IX.    S.  20. 


246  Juli  1831. 

Diese  Besorgnis  ist  wohl  einigermaßen  gehoben.  In  den  langen  Re- 
censionen,  die  wir  gelesen  haben,  ist  Ihr  Name  genannt.  Daß  man  die 
Uebersicht  meiner  Metaphysik  bei  Ihnen  suchen  soll,  habe  ich  in  meiner 
Vorrede  zur  Encykl.  gesagt;  und  in  diesem  Puncte  wird  man  mir  nun 
wohl  folgen,  sofern  man  überhaupt  ||  von  mir  Notiz  nimmt.  Die  Anregung 
dazu  wird  durch  meine  Encykl.  —  die  so  leicht  geschrieben  ist,  daß  man 
sie  in  ein  paar  Nachmittagen  bequem  durchlesen  kann,  —  noch  merklich 
verstärkt  werden.  Selbst  das  schlechte  Volk,  was  nämlich  meinen  trefflichen 
sehr  geistreichen  Collegen  Sachs  mit  mir  entzweyen  wollte  —  Sie  werden 
davon  im  Intell.  blatt  der  Hall.  Z.  lesen,  —  trägt,  ohne  es  zu  wollen, 
dazu  bey,  eine  mir  günstige  Publicität  zu  bewirken.  Unter  solchen  Um- 
ständen wird  hoffentlich  Ihre  Recension  nicht  verloren  seyn;  und  dann 
ist  auch  meine  Metaphysik  vor  dem  Vergessen  geschützt,  die,  ginge  sie 
verloren,  in  den  Hauptzügen  aus  jener  Recension  könnte  wiederhergestellt 
werden. 

Vor  der  Cholera,  die  ohne  Zweifel  nach  der  Meinung  hiesiger  Aerzte, 
sowohl  Königsberg  als  Leipzig,  und  jeden  andern  Ort  bis  Lissabon  er- 
reichen wird  —  und  die  leider!  in  Polen  ihre  ganz[e]  furchtbare  Intensität, 
wie  in  Ostindien,  wieder  erlangt  zu  haben  schein[tj  sind  Sie  hoffentlich 
persönlich  sicher,  durch  Jugend,  Gesundheit  und  Leb[ensordnung].  Was 
mich  betrifft:  so  wohne  ich  hoch,  und  geräumig;  und  der  hiesige  Chef 
der  Gensd'armerie  ist  mein  Miethsmann,  so  daß  mein  Haus  den  mög- 
lichsten Schutz  genießt.  Aber  meine  Gesundheit  zeigt  sich  diesen  Sommer 
auffallend  schwächer  als  sonst;  und  es  bedarf  gar  keines  heftigen  Stoßes, 
mich  umzuwerfen.  Jedenfalls  steht  eine  traurige  Zeit  bevor,  wegen  der 
Sperrung  und  der  großen  Theurung.  —  Um  darüber  nicht  tiefer  als  nötig, 
in  den  Text  zu  gerathen,  will  ich  mit  etwas  mehr  Lustigem  schließen;  wovon 
ich  jedoch  weiter  Niemandem  zu  erzählen  bitte.  Vor  ein  paar  Tagen 
schickt  mir  einer  meiner  Collegen,  der  die  Litteraturzeitungen  zuerst  empfängt, 
mit  der  neuen  Leipz.  Rec.  zugleich  ein  paar  Berliner  Blätter.  Er  selbst 
hatte  ein  Blatt  mit  folgenden  lakonischen  Worten  beigefügt:  Gegenpulver 
gegen  Brandis  „über  Herb,  recipe  Hegel  über  Ordert.'*  Dieser  Ohlert  ist 
nämlich  ehemals  mein  Zuhörer  gewesen1),  ist  jetzt  außer  einem  Schulamte 
noch  doctor  legens,  hat  neben  mir  einen  mäßigen  applausus;  hat  kürzlich 
ein  Buch,  betitelt  Idealrealismus,  im  Wesentlichen  gegen  mich  geschrieben. 
Dies  Buch  findet  nun  Hegel  für  gut,  selbst,  und  vielfach  lobend,  zu  recen- 
siren.  Ich  habe  das  Buch  nicht  gelesen;  aber  ein  paar  andre  Docenten, 
beyde  ehedem  auch  meine  Zuhörer,  übrigens  sehr  ruhige  Köpfe,  versichern, 
das  Buch  sey  völlig  gehaltlos;  und  könne  nicht  einmal  für  irgend  be- 
deutend selbst  im  Dienste  Hegels,  angesehen  werden.  Hat  Hegel  mich 
wirklich  auf  diesem  Wege  treffen  wollen,  so  ists  ein  Misgriff,  was  auch 
weiter  erfolgen  möge.  —  Mich  werden  Sie,  wenn  ich  leben  bleibe,  all- 
mählich zur  Pädagogik  zurückkehren  sehn.  Da  habe  ich  noch  große  Arbeit 
zu  verrichten,  nämlich  von  der  psychologischen  Seite.  Aber  während  ich 
mich  zum  Arbeiten  jetzt  leidlich  aufgelegt  finde,  fällt  mir  doch  ein  großes 

])  Vgl.  den  Bericht  Dinters:  „das  didaktische  Institut  bey  Herrn  Prof.  Herbart 
betr."     30.  Jahrb.  d.  V.  f.  w.  P.  S.  190,  in  dieser  Ausg.  Bd.  15,  S.  145. 


Juli    1831.  2.1  7 

Werk  zu  schwer;  und  nichts  weiter  als  ein  Fragment  wird  hei  auskommen. 
■ —  Erfreuen  Sie  mich  bald  durch  einen  Brief;  nichts  Angenehmeres  kann 
mir  überbracht  werden.  H. 

[Randbemerkung:]  Ein  Geistlicher,  der  mich  gestern  besuchte,  um, 
wie  er  sagte,  sichs  gewiß  zu  nehmen,  daß  er  mich  noch  einmal  sähe,  be- 
vor ihn  vielleicht  sein  Amt  zu  gefährlichen  Tröstungen  berufe:  erzählte 
mir,  die  Cholera  sei  in  Riga,  von  wo  sie  nach  Danzig  kam,  wochenlang 
aus  Gewinnsucht  verheimlicht  worden!  —  Man  trägt  sich  aber  mit  einem 
Gerücht,  als  hätte  Oestreich,  veranlaßt  durch  die  Gefahr  der  Cholera,  die 
offenbar  durch  den  polnischen  Krieg  immer  furchtbarer  wird,  auf  Ver- 
mittelungen  angetragen,  die  (so  heißt  es)  insbesondre  von  unserm  Könige 
sollten  unternommen,    wenigstens   ihm    übertragen    werden.      Relata  refero. 

372.    Drobisch  an  H.1)  Leipzig  d.  29.  Juli  1831. 

Hochverehrter  Gönner  und  Freund!  Zwei,  Gott  sey  Dank,  noch  nicht  durch- 
stochene und  durchräucherte  Briefe  Ihrer  werthen  Hand  liegen  vor  mir,  ein  kurzer 
heiterer  und  ein  längerer  mit.  etwas  Cholerageruch.  In  der  That  ich  kann  mir  Ihre 
gerechte  Besorgniß  wohl  denken,  fühlen  doch  wir  in  Leipzig  sie  schon,  wenn  auch 
in  minderem  Grade.  Posen  ist  schon  nahe  genug,  Frankfurth,  wo  sie,  nach  gestrigen 
Privatnachrichten,  ausgebrochen  seyn  soll,  Hegt  noch  näher;  Prädisposition  scheint 
genug  vor  Händen  zu  seyn,  denn  vor  6  Tagen  ist  in  Alt-Jaßnitz  bei  Düben,  also 
etwa  4  Meilen  von  hier,  ein  Schenkwirth  unter  Symptomen  nach  kurzem  Erkranken 
gestorben,  die  der  asiatischen  Cholera  sehr  ähnlich  sind.  Übrigens  schleppen  sie  uns 
unsre  Messen  früher  oder  später  sicher  zu :  denn  die  Vorsichtsmaßregeln  lassen 
sich  nicht  aufs  Einzelne  ausdehnen.  Leipzig  ist  dicht  bevölkert,  hat  manche  enge 
Straßen  und  Gäßchen,  kellerartige  Höfe,  in  den  Vorstädten  zumal  viel  armes  Volk; 
die  Lage  ist  etwas  sumpfig,  die  Gefahr  also  nicht  unbedeutend.  Ich  selbst  wohne 
zwar  im  3ten  Stocke,  aber  nicht  im  höchsten  Stadttbeil,  das  Haus,  das  ich  bewohne, 
hat  in  seinen  weitläufigen  Hintergebäuden  viel  arme  Familien ;  in  den  Messen  kehren 
in  unsrer  Straße  viel  Juden  ein,  das  sind  bedenkliche  Umstände.  Der  Unterleib  ist 
übrigens  meine  schwache  Seite,  ich  habe  schon  mehrere  Jahre  Mineralwasser  brauchen 
müssen,  ich  leide  an  Leberbeschwerden  und  bin  schon  zu  den  Zufällen  der  europä- 
ischen Cholera  geneigt:  ich  bin  also  keineswegs  vorderasiatischen  sicher  —  und  dann 
Gott  befohlen !  Indeß  fürchte  ich  mich  nicht  und  beängstige  mich  nicht  durch  un- 
zeitige Phantasien.  Ein  mäßiges  Leben,  das  ich  stets  geführt  habe,  soll  ein  gutes 
Schutzmittel  seyn.  An  Anstalten  aller  Art  wird  es  hier  nicht  fehlen,  nur  vor  dem 
Sperren  der  Häuser  fürchte  ich  mich,  da  ich  tägliche  Bewegung  in  freier  Luft  ge- 
wohnt bin  und  leicht  dadurch  krank  werden  könnte.  —  Doch  hinweg  mit  diesen 
Möglichkeiten,  lassen  Sie,  Verehrtester,  uns  alles  ruhig  abwarten,  da  einmal  zu 
handeln  nicht  vergönnt  ist.  Wo  dies  letztere  statt  findet,  da  müssen  wir,  dünkt  mich, 
unsre  Schicksale  der  Vorsehung  ganz  anheim  stellen. 

Sie  fürchten,  die  oberflächliche  Recension  in  der  Leipziger  Lit.  Zeit,  müsste 
mich  verdrossen  haben;  ich  habe  sie  belacht,  oberflächlich,  wie  sie's  verdiente,  ge- 
lesen, diese  Papelei  verachtet  und  auf  die  Seite  geworfen.  Dieses  Reden  von  un- 
bedeutenden Nebenumständen,  diese  Klatscherei,  hat  die  Philosophie  herunter  und 
in  Mißcredit  gebracht.  Wer  aber  Ihre  Schriften  lesen  kann,  der  weiß,  daß  es  etwas 
Besseres  giebt.    Mich  soll  dios  nicht  anfechten.    Seit  dem  ich  Ihre  Metaphysik  studirt 

l)  2l/2  S.    4».    H.  Wien. 


248  Juli   183 1. 

habe,  bin  ich  wieder  gläubig,  d.  h.  ich  habe  wieder  lebendige  Hoffnung,  daß  durch 
Gründlichkeit  in  philosophischen  Dingen  auch  Gewißheit  zu  erlangen  ist,  ich  glaube 
auch  nun  eher  etwas  an  mich  selbst,  nämlich  daß  ich  nicht  unberufen  bin,  mich 
mit  diesen  Forschungen  zu  beschäftigen.  Nur  meine  äußere,  auch  von  Ihnen  er- 
wähnte, Stellung  veranlaßt  mich,  der  Mathematik  mehr  Zeit  und  —  leider  oft  frucht- 
lose —  Bemühung  zuzuwenden,  als  ohne  diese  Umstände  geschehen  könnte.  Ohne 
mir  es  möglich  denken  ||  zu  können,  daß  es  Gottes  Wille  seyn  sollte,  in  der  heran- 
nahenden Gefahr  Sie  von  dieser  Welt  abzurufen ,  von  dessen  Stehen  und  Fallen 
jetzt  so  viel  abhängt;  so  gebe  ich  Ihnen  doch  hiermit  mein  treues,  redliches  Wort: 
Sollte  ich  jemals  Sie  überleben  und  bis  dahin  kein  Stärkerer  als  ich  aufgetreten  seyn, 
der  Ihre  Forschungen  zu  erläutern,  zu  prüfen,  fortzuführen  Hoffnung  machte,  so 
wird  es  mir  heilige  Gewissenssache  seyn,  mich  Ihrer  Angelegenheit  mit  aller  Kraft 
anzunehmen,  Ihre  Lehre  schriftlich  und  mündlich  zu  fördern  und  weiter  zu  über- 
liefern und  das  Geschmeiß  zu  verjagen,  das  Ihren  Namen  zu  verunreinigen  Lust  be- 
zeugen möchte.  Ich  schlage  also  ein  auf  die  mir  zugedachte  Erbschaft;  wolle  Gott, 
daß  noch  viele  Jahre  vergehen,  bevor  sie  mir  zufällt,  wenn  anders  ich  Sie  über- 
lebe. Daß,  wenn  nur  einigermaßen  die  Umstände  günstig  sind,  künftig  Philosophie 
meine  Hauptbeschäftigung  werden  wird,  daran  glaube  ich  täglich  mehr. 

Was  Sie  mir  dankend  über  die  Jen.  Recension  sagen,  ist  mir  zwar  ein  höchst 
schätzbares  Zeugniß  Ihrer  Zufriedenheit,  doch  waren  die  kurzen  Äußerungen  über 
jenen  Versuch  in  Ihren  früheren  Briefen  mir  schon  völlig  genügend,  da  ich  daraus 
erkannte,  daß  ich  Sie  einigermaßen  zufrieden  gestellt  hatte.  Sie  thun  mir  aber  Un- 
recht, wenn  Sie  hinweisen,  daß  mir  an  Ihrem  Danke  oder  öffentlichem  Lobe  meiner 
Bestrebungen  nichts  gelegen  sey,  wie  wenig  müsste  ich  Sie  dann  schätzen.  Doch 
es  bedarf  kaum  einer  Entschuldigung  von  meiner  Seite ,  da  das  Nachfolgende  deut- 
lich zeigt,  daß  ich  von  Ihnen  nicht  mißverstanden  worden  bin.  Ich  freue  mich 
daher  auch  um  dieser  Vorrede  willen  auf  Ihre  Encyklopädie. 

Sie  scheinen  einer  Recens.  Brandis  von  Ihrer  Metaphysik  zu  erwähnen.  Wo 
steht  denn  diese?  Sollte  ich  sie  übersehen  haben?  Über  Philosophie  rede  ich  frei- 
lich fast  mit  Niemand,  auch  lese  ich  nicht  alle  literarische  Blätter.  —  Ihre  Paraden 
in  der  Hall.  Lit.  Zeit,  habe  ich  gelesen. 

Mein  und  meiner  Familie  Befinden  ist  jetzt  ganz  erwünscht.  Wir  wohnen  auf 
dem  Lande,  3/4  Stunden  von  der  Stadt.  Dies  hat  auf  Frau  und  Kinder  vorteil- 
haften Einfluß.  Auch  mir  bekommt  die  4 malige  starke  Bewegung,  die  durch  den 
Weg  nach  der  Stadt  wöchentlich  zu  machen  ich  genöthigt  bin,  recht  gut.  Kommt 
nun  die  Cholera,  so  kann"  ich  mir  wenigstens  sagen,  für  mich  und  die  Meinigen  zur 
Stärkung  der  Gesundheit  auch  noch  diese  Vorkehrung  getroffen  zu  haben.  Eben 
als  ich  im  Begiiffe  bin,  diesen  Brief  zu  schließen,  erhalte  ich  die  Nachricht,  daß 
der  furchtbare,  asiatische  Gast  nun  auch  bei  Ihnen  in  Königsberg  eingerückt  ist. 
Der  ||  Himmel  nehme  Sie  und  Ihre  verehrte  Frau  Gemahlin  in  seinen  Schutz.  Möge 
mir  bald  ein  Brief  Ihr  ferneres  Wohlbefinden  melden.  Versichern  Sie  Ihrer  Frau 
Gemahlin  meiner  und  meiner  Frau  aufrichtigste  Hochachtung  und  erfreuen  Sie  ferner 
mit  Ihrem  Vertrauen  und  Ihrer  Freundschaft 

Ihren  wahren  Verehrer     Drobisch. 

N.  S.  Die  Abhandlung  de  horiz.  sphaeroid.  lag  Ihnen  zu  weit,  als  daß  Sie  sich 
näher  damit  hätten  bekannt  machen  sollen,  das  sah  ich  wol  voraus.  Jetzt  aber 
schreibe  ich  eine  kleine  Flugschrift  betitelt:  Philologie  und  Mathematik  als  Gegen- 
stände des  Gymnasialunterrichts  betrachtet,  mit  besonderer  Beziehung  auf  Sachsens 
Gymnasien  und  deren  nothwendigen  Reformen. 


August  1831.  249 

Davon  werde  ich  mir  eine  Recension  ergebenst  ausbitten;  es  ist  ein  Schrei, 
ein  Notschuß.  Wird  jetzt,  wo  Lindenau  an  der  Spitze  unseres  Ministeriums  steht, 
nichts  für  das  ernste  Studium  gethan,  so  geschieht  niemals  etwas.  Eine  tiefsinnige 
Denkschrift]  werden  sie  nicht  erwarten;  es  ist  leichte  Waare,  berechnet  bei  Welt- 
leuten Absatz  zu  finden,  Staatsmänner  und  Stände  für  die  Sache  zu  gewinnen. 
Die  Absicht  findet  gewiß  Ihren  Beifall,  ich  rechne  auch  auf  Ihre  öffentliche  ge- 
neigte Unterstützung  derselben,  sollten  Sie  auch  im  Einzelnen  noch  soviel  zu  tadeln 
für  nöthig  finden.  Dr. 

373.    Jäsche  an  H  x)  Dorpat  den  10/22 1.  August  1831. 

Verehrungswerthester  Herr  Professor!  Mit  Vergnügen  benutze  ich  eine  sich 
mir  soeben  darbietende  Gelegenheit,  da  ein  bisheriger  Studiosus  der  Medicin,  welcher 
unsere  Universität  frequentiert,  über  Königsberg  nach  Berlin  an  die  dortige  Hoch- 
schule sich  begibt,  um  durch  denselben  Ihnen,  mein  Verehrtester!  diese  kurze  Zu- 
schrift zu  überreichen,  welche  Ihnen  zugleich  meinen  verbindlichsten,  bis  jetzt  noch 
immer  schuldig  gebliebenen  Dank  für  die  Belehrungen  bezeigen  soll,  welche  Sie  mir 
vorläufig  in  Ihrem  letzten  geneigten  Schreiben  über  einige  wichtige  praktische 
Hauptpuncte  mitzutheilen  die  Güte  gehabt  haben.  Noch  bin  ich  nicht  zum  Besitze 
Ihrer  Encyklopädie  gekommen,  woran  wohl  die  derzeitige  Störung  und  Hemmung 
des  litterarischen  Verkehrs  durch  die  Buchhandlungen  die  Schuld  tragen  mag.  In- 
zwischen sind  unsre  akademischen  Sommerferien  zur  Fortsetzung  und  zugleich  zur 
Revision  meiner  unter  den  Händen  habenden  schriftstellerischen  Arbeit  bestmöglichst 
von  mir  benutzt  worden,  so  daß  ich  damit  nun  bald  zum  Schlüsse  gekommen  seyn 
werde.  Nur  treten  jetzt  leider!  der  öffentlichen  baldigen  Erscheinung  des  Buchs 
Hinderniße  in  den  Weg,  die  mich  wider  mein  Vorherwissen  und  Wollen  nöthigen, 
das  Mscr.  so  lange  noch  zurückzuhalten,  bis  es  mir  nach  hoff  entlichem  Wieder- 
eintreten günstigerer  Zeitumstände  gelingen  wird,  einen  Verleger  ausfindig  zu 
machen.  Auf  meine  dieserhalb  zuerst  an  Perthes  in  Hamburg,  hierauf  an  einen  und 
den  andern  Breßlauer  Buchhändler  ergangene  Anfiage,  ist  mir  eine  abschlägige 
Antwort  ertheilt  worden,  aus  solchen  von  ihnen  angeführten  Gründen,  die  gerade 
sich  auf  die  dermaligen,  für  den  litterarischen  Handel  und  Verkehr  so  nachtheiligen 
Zeitereigniße  und  Verhältniße  beziehen  ||.  Hierzu  kommt  nun  noch  die  zu  Ver- 
hütung weiterer  Verbreitung  der  Cholera,  jeder  Sendung,  auch  von  Mscr.,  an  aus- 
ländische Buchhandlungen,  aus  hiesigen  Gegenden  gemachte  Schwierigkeit.  —  Sie 
sehen  hieraus,  Verehrtester  Herr  Professor!  daß  es  nicht  an  mir  liegt,  wenn  durch 
die  Ungunst  derzeitiger  Umstände  die  Erscheinung  einer  Schrift  verzögert  wird,  von 
welcher  ich  recht  sehr  wünschen  muß,  daß  sie  nur  nicht  ganz  hinter  Ihrer  im 
Voraus  davon  gefaßten  günstigen  Meinung  und  Erwartung  zurückstehen  möge.  An 
meinem  redlichen  Bestreben  habe  ich  es  wohl  freilich  nicht  fehlen  laßen,  um  auch 
meinerseits,  so  viel  meine  Kräfte  und  Einsichten  es  vermögen,  zur  Aufhellung  und 
Entkräftung  des  über  Hand  nehmenden  speculativen  Grundirrthums  etwas  beyzu- 
tragen.  Und  zu  diesem  Zweck  sind  mir  —  ich  kann  es  Ihnen  nicht  oft  und  dankbar 
genug  wiederholen  —  die  Resultate  Ihrer  ernsten  und  sorgfältigen,  mit  so  seltenem 
Scharf-  und  Tiefsinne  angestellten  und  mit  aller  Klarheit  durchgeführten  Unter- 
suchungen ungemein  nützlich  und  belehrend  geworden,  ganz  besonders  in  Beziehung 
auf  diejenigen  wichtigen  Hauptpuncte,  worüber  wir  gleich  Anfangs  mit  einander  ein- 
verstanden waren.  Was  Sie  mir,  verehrtester  Herr  Professor,  neuerdings  in  Ihrem 
letzten  geneigten  Schreiben  über  einige  Hauptgedanken  aus  dem  Inhalte  Ihrer  Ency- 

*)  3  S.    4°.     H.  Wien. 


2  SO  August   183  I. 

klopädie  mitgetheilt.  hat  mein  ganzes  Nachdenken  in  Anspruch  genommen  und  mich 
lebhaft  angezogen;  und  ich  warte  nur  Ihre  Encyklopädie  ab,  um  nach  erlangter 
näherer  Bekanntschaft  mit  der  darin  enthaltenen  weitern  Ausführung  jener  wichtigen 
praktischen  Hauptsätze,  meine,  das  Wesentliche  betreffende  beyfällige  Ansicht  und 
Ueberzeugung  zu  Ihrer  Beprüf ung,  ob  ich  Sie  auch  überall  und  ganz  richtig  ver- 
standen, darlegen  zu  können.  So  viel  ist  mir  nun  wohl  bey  dem  öfter  und  mit  er- 
neuerter Schärfe  gerichteteu  Blicke  auf  die  mancherley  verkehrten  speculativen 
Tendenzen  unsrer  modernen  Afterphilosophie  nunmehr  vollkommen  klar  und  auf 
entschiedene  Weise  gewiß  geworden,  daß  eine  jede  sogenannte  philosophische  || 
Sitten-  und  Religionslehre,  welche  nicht  die,  von  aller  bloßen  theoretischen  Specu- 
lation  unabhängigen,  wahrhaft  praktischen  Ideen  und  Urtheile  über  die  Werth- 
bestimmimgen  zu  ihrer  festen  Basis  hat,  und  als  ihre  unbedingt  gültige  Norm  an- 
erkennt, von  ihrem  genommenen  Standpuncte  der  Speculation  als  dem  angeblich 
höchsten  und  einzig  gültigen,  unvermeidlich  in  Mystik,  oder  bloße  speculative  Physik, 
oder  endlich  in  bloße  speculative  Logik  sich  verkehren  und  ausarten  muß;  wie  wir 
dieses  ja  auch  an  Fichte,  Schelling  und  Hegel  bereits  erlebt  haben.  Diesen  heil- 
losen Verderbnißen  des  acht  Sittlichen  und  Heiligen  muß  gesteuert  werden,  so  wenig 
sich  auch  für  den  Augenblick  hoffen  läßt,  die  verblendeten  und  verstockten  Köpfe 
alle  von  ihrem  speculativen  fixen  Wahn  heilen  zu  können. 

Mit  dem  Vorbehalte  einer  nächstkünftigen  ausführlichen  schriftlichen  Unter- 
haltung mit  Ihnen,  wozu  ich  mir  schon  im  Voraus  die  Erlaubniß  ausbitte,  schließe 
ich  für  dieses  Mal  mit  dem  innigsten  Wunsche  meines  Herzens,  daß  diese  Zuschrift 
Sie  wiederum  in  dem  Zustande  einer  vollkommen  hergestellten  Gesundheit,  und  der 
wiedergekehrten  und  neuerstarkten  Lebenskraft  und  Rüstigkeit  antreffen;  und  daß  die 
Vorsehung  Sie  nun  insbesondre  auch  vor  den  Angriffen  des  feindseligen  Dämons  der 
Cholera  glücklich  bewahren  möge,  welche  ja  auch  schon,  wie  wir  aus  den  Zeitungen 
und  Privatbriefen  vernommen,  in  Ihrem  Königsberg  erschienen  ist.  Bis  jetzt  sind 
wir  hier  in  unserm  kleinen  und  offen  liegenden  Städtchen  noch  ganz  von  der  Seuche 
verschont  geblieben,  die  in  Riga  und  Petersburg  eine  Zeitlang  nicht  geringe  Ver- 
wüstungen angerichtet  hat.  Leben  Sie  also,  Verehrtester!  recht  wohl  und  in 
ungestörter  Geistes-  und  Gemüthsheiterkeit,  unterstützt  durch  das  wohlthätige  Ge- 
fühl unverminderten  physischen  Wohlseyns,  zum  Heil  und  Segen  für  die  Wissen- 
schaft in  Ihrem  weitern  und  nähern  Wirkungskreise. 

Mit  der  vollkommensten  Hochachtung  Der  Ihrige     Jäsche. 

374.     An    Drobisch. l)  Königsberg  26  Aug  31. 

Die  Furie  wüthet  fortdauernd;  in  vier  Wochen  hat  sie  ein  Hundert- 
theil  unserer  Bevölkerung  ins  Grab  gestürzt.  Auf  die  geringste  Vernach- 
lässigung in  der  Lebensordnung  steht  Todesstrafe.  Häufige  kleine  Un- 
päßlichkeiten treffen  auch  den  Vorsichtigsten;  ich  bemerke  manchmal 
Säure  im  Magen.  Dagegen  sogleich  Grütze,  Kaffee,  Camillenthee,  etwas 
Pommeranzenextract  mit  Wein,  Vermeidung  der  Abendluft,  —  das  hat 
bisher  mich  und  meine  Hausgenossen  erhalten.  Mein  Miether,  Oberst 
Zielinski,  hatte  schon  einen  Anfall,  doch  nicht  deutlich;  und  in  wenig 
Tagen  durch  die  gewöhnliche  Schwitzkur  überstanden.  —  Ihre  zahlreiche, 
dicht    gedrängte  Bevölkerung    in  Leipz.    macht    mir    Sorge.   —   Die    ersten 

l)  3  S.  4°.  Mehrfach  stark  beschädigt.  Als  Vorsichtsmaßregel  gegen  Ansteckung 
durch  die  Cholera  wurden  die  Briefe  durchstochen  und  geräuchert,  vgl.  Anfang  des 
Briefes  Nr.  372. 


August   183 1.  251 

Tage  sind  die  schlimmsten.  Volksauflauf  wegen  der  ungewohnten 
Sperrungen  pp.  verbreiteten  hier  das  Uebel.  Wenig  discret  hatte  man 
verbreitet,  die  Krankheit  treffe  meist  die  niederen  Klassen;  das  ist  wahr, 
aber  was  war  natürlicher,  als  daß  nun  eben  diese  niedern  Klassen  sich 
eine  teuflische  Erfindung  dachten,  die  gegen  sie  gerichtet  sey?   — 

Möge  Ihr  Wort  zur  rechten  Zeit  für  die  Mathematik  auf  Gymnasien  *) 
nur  bald  erscheinen,  und  möchten  Sie  besonders  der  Bürgerschulen  er- 
wähnen, deren  Erhebung  zu  eigentlichen  hohen  Volksschule?!  unsern  Ober- 
präsidenten sehr  stark  beschäfftigt,  und  mit  ihm  auch  mich!  Wo  soll  ich 
das  Buch  recensiren?  Wählen  Sie;  und  verlangen  Sie  nur  von  derjenigen 
Redaction,  die  Sie  passend  erachten,  man  solle  das  Buch  sogleich  mir  zur 
Rec.  übertragen.  Ich  denke,  Ihre  Leipziger  Zeitung  wäre  in  Bezug  auf 
das  Sächsische  Ministerium  die  geeignetste.  Sollte  bey  dieser  oder  einer 
andern  Gelegenheit  die  Rede  davon  seyn,  wie  ich  die  Leipziger  Rec. 
meiner  Metaph.  aufgenommen  habe,  so  ersuche  ich  Sie,  zwar  Ihr  und 
mein  Urtheil  darüber  nicht  zu  verhehlen,  aber  auch  bemerklich  zu  machen, 
daß  ich  darüber  keineswegs  empfindlich  bin  (ich  bin  es  wirklich  nicht, 
sondern  entschuldige  das  Zeitproduct  mit  der  Zeit),  vielmehr  vollkommen 
anerkenne,  daß  die  Leipz.  Redaction  sich  unpartheyisch  zeigen  muß,  und 
daß  der  Rec.  immerhin  es  herzlich  gut  meinen  kann.  Gut  wäre  es  viel- 
leicht, wenn  er  sich  mir  freywillig  und  privatim  nennte;  ich  würde  einer 
Annäherung  der  Gesinnungen,  wenn  auch  nicht  der  Meinungen,  gern  ent- 
gegenkommen. Die  lang  vestgehaltene  Anonymität  paßt  nicht  sonderlich 
zur  heutigen  Sitte;  und  sie  könnte  mich  bey  einem  Manne,  der  doch 
ohne  Zweifel  ein  Ehrenmann  seyn  wird,  fast  befremden.  || 

Daß  bey  mir  die  Psychologie  wieder  an  der  Tagesordnung  ist,  wissen 
Sie  schon.  Die  Rechnung  über  die  zugleich  steigenden  Vorstellungen 
(§  93  meiner  Psych)  ist  mir,  was  das  Elementarische  anlangt,  leicht  ge- 
lungen; zur  Untersuchung  der  Reihen  habe  ich  einige  abgekürzte  Aus- 
drücke für  besondere  Fälle  gefunden;  doch  ist  meine  Untersuchung  jetzt 
■eigentlich  nicht  mathematisch,  denn  selbst  für  logische  Analyse  der  großen 
Mannigfaltigkeit  vorkommender  Fälle  ist  in  der  Psych,  noch  sehr  viel  zu 
thun,  was  nicht  leicht  auf  der  Oberfläche  gesehen  wird,  wenn  es  auch 
nicht  gerade  feine   Methoden  erfordert. 

Ein  junger  Mathematiker,  Haedenkamp,*)  hat  sich  in  Arbeit  gesetzt, 
die  Untersuchung  der  Reihen,  oder  eigentlich  der  mittelbaren  Reproduction, 
wo  ich  nur  das  dritte  Differential  in  Rechnung  genommen  hatte,  bis  auf 
Zuziehung  des  vierten  zu  erweitern.2)  Er  und  der  Braunschweiger 
Strümpel  kommen  mir  vor  wie  der  Blinde  und  der  Lahme  in  der  Fabel, 


*> 


*)  Randbemerkung  Herbarts:  Haedenkamp  —  zu  seyner  Ehre  sey  es  gesagt,  — 
hat  von  Ihrer  Abhandlung  mit  großer  Achtung  gesprochen.  Einen  Lehrsatz,  den  Sie 
über  das  Ellipsoid  aufstellen,  will  er  kürzlich  gelegentlich  auch  gefunden  haben,  auf 
Anlaß  einer  andern,  ihm  von  unserm  Prof.  Jacobi  gestellten  Aufgabe. 


*)  Philologie  und  Mathematik,  als  Gegenstände  des  Gymnasial-Unterrichts  betrachtet 
—  Leipzig  1832.  Vgl.  Herbarts  Kritik  i.  d.  Hall.  L.  Z.  1832,  150  f.  In  dieser  Ausg. 
Bd.  13,  S.  242  ff. 

2)  Haedenkamp,  Herrn.,  1809 — 1860,  machte  sich  später  einen  Namen  als  Mathe- 
matiker und  Physiker.     Vgl.  Allg.  D.  Biogr.   10,  310. 


2K2  August    1831. 

—  doch  hoffentlich  sollen  beyde  sowohl  sehend  als  gehend  werden,  — 
bis  jetzt  aber  treibt  Strümpel,  der  ein  philosophischer  Kopf  ist,  den  Häden- 
kamp  zum  Rechnen,  was  Str.  selbst  nun  erst  lernen  muß;  und  so  ver- 
bunden pflegen  sie  mich  zu  besuchen,  und  hören  auch  jetzt  in  der  Cholera- 
zeit meine  psychol.  Vorlesungen,  die  ich  für  4  fortsetzte,  obgleich  die 
Vorlesungen .  eigentlich  geschlossen  sind.  —  Sie  stehen  dabey  im  Hinter- 
grunde, als  derjenige,  an  den  man  sich  in  Gedanken  anlehnt.  —  Sehr 
gut  wäre  es,  wenn  die  Frage  wegen  der  Oscillation  (in  meinem  §.  92) 
einmal  ernstlich  und  ohne  Zeitungsgeschwätz  könnte  vorgenommen  werden. 
Haedenkamp  ist  schwerlich  orientirt  genug,  um  sie  jetzt  schon  anzu- 
greifen; und  ich,  —  in  dieser  verstimmten  Zeit,  —  traue  mir  auch  nicht  so- 
viel, und  habe  Nöthigeres  zu  thun.  Fährt  aber  der  Haedenkamp  fort, 
wie  er  anfing,  so  möchte  er  wohl  das  Zeug  dazu  bald  haben;  und  in 
mathematischer  Hinsicht  hat  er  es,  glaube  ich,  schon  jetzt.  (Ihre  Ab- 
handlung über  die  Horizonte  habe  ich  ihm  gegeben.)  Irgendeinmal  würden 
wir  dann  um  Ihre  Revision  bitten.  In  pädagogischer  Hinsicht  geht  mein 
Zweck  eigentlich  dahin,  die  mancherley  Hinderungen  zu  untersuchen, 
welche  der  psychologische  Mechanismus  dergestalt  erleiden  kann,  daß  er 
an  seiner  ||  zweckmäßigen  Ausbildung  so  oder  anders  verliert;  denn  unter 
Voraussetzung  einer  vollständig  richtigen  Erziehung  bleibt  jeder  Zögling 
irgendwie  hinter  den  erwarteten  Erfolgen  zurück;  und  es  kommt  darauf 
an,  die  natürliche  Verschiedenheit  der  Köpfe  hinreichend  zu  erkenneny 
um  sich  darnach  zu  richten.  Zu  diesem  Behuf  muß  die  ganze  Psycho- 
logie, soweit  sie  bis  jetzt  da  ist,  von  neuem  durchsucht  werden;  um  selbst 
in  mathematischer  Hinsicht  die  wichtigsten  Fragepuncte  heraus  zu  finden. 

Haben  Sie  meine  Encyklop.  bekommen?  Mich  läßt  man  von  Halle 
aus  nicht  blos  auf  die  auszugebenden  Exemplare  des  Buches  warten  (ob- 
gleich die  Aushängebogen  nun  bald  ein  paar  Monate  lang  in  meinen 
Händen  sind,)  sondern  auch  die  längst  erwartete  Rec.  von  Brandis  bleibt 
aus.  —  Ueber  die  Encyklopädie  werde  ich  Sie  zwar  nicht  mit  der  Bitte 
um  eine  Recension  plagen,  (so  lieb  es  mir  auch  wäre,  wenn  irgend 
eine  Redaction  Sie  dazu  vermöchte)  aber  Ihr  Privat -Urtheil  wünsche 
ich,  ganz  unumwunden,  zu  erfahren.  Nicht  die  geringste  Empfindlichkeit 
ist  hier  bey  mir  zu  schonen;  das  ganze  Ding  ist  Oberfläche;  und  eine 
Tonne  für  die  Wallfische  um  damit  zu  spielen. 

Was  soll  ich  doch  von  der  ^Pallas"  denken,  die  in  Leipz.  erscheint? 
Kennen  Sie  den  Herausgeber  [ — ]  und  den  Verleger  Klein?  Jener  hat 
mich  in  Berlin  besucht,  und  jetzt  mit  einem  höflichen  Briefe  [beehrt,  ich]  mag 
ihn  aber  weder  aus  dem  Besuch  noch  aus  dem  Briefe  beurtheilen;  in- 
dessen scheints,  als  ob  man  [ — ]  auf  mich  rechne.  Ich  weiß  nichts  klügeres 
zu  thun,  als  beyliegendes  Blättchen  dergestalt  zu  Ihrer  [Disposition  zu] 
stellen,  daß  Sie  es  geradezu  zerreißen,  falls  Ihnen  der  Buchhändler  Klein 
mit  seinem  literarischen  Comptoir  als  ein  Schwindler  bekannt  wäre;  ver- 
dient aber  der  Mann  einiges  Zutrauen,  und  muß  ich  nicht  fürchten,  mich 
durch  die  Einlage  zu  compromittiren:  dann  würde  ich  bitten,  es  entweder 
gelegentlich  so  wie  es  ist,  an  den  Buchhändler  zu  weiterer  Besorgung 
abzusenden,  oder  mir  zuvor  einen  Wink  zu  geben,  was  zu  thun 
sey.  —   — 


August  1831.  253 

So  eben  empfange  ich  Brandis  Rec.  meiner  Metaphysik.1)  Sie  ist  un- 
streitig seiner  würdig;  so  wie  ich  ihn  kenne;  —  und  günstiger  durfte  ich 
sie  von  ihm  nicht  erwarten.  Nun  —  was  urtheilen  Sie  über  seine  und 
meine  Arbeit?  Wo  bin  ich  mit  stark  scheinenden,  —  oder  wenn  Sie  wollen, 
mit  starken  Gründen  getroffen?  —  Diese  Frage  ist  nun  ernsthaft,  denn 
eine  solche  Recension  darf  nicht  gering  geschätzt  —  sie  muß  irgendwie 
berücksichtigt  werden.  Hier  wäre  es  mir  eine  große  Hülfe,  von  Ihnen 
aufmerksam  gemacht  zu  werden,  um  nicht  viele  Worte  zu  machen,  wo 
wenige  hinreichen;  oder  umgekehrt,  übermäßig  kurz  zu  scheinen,  wo  man 
ausführliche  Entwickelungen  verlangen  kann.  Es  fragt  sich  auch  noch,  ob 
ich  wohlthue,  bald  zu  antworten,  oder  ob  es  besser  ist,  Andere  reden  zu 
lassen.  Gäbe  es  nur  Andere  Solche  wie  Sie  und  Brandis!  Dann  möchte 
immerhin  über  meine  Arbeit  abgestimmt  werden ;  die  Wahrheit  würde  sich 
Bahn  machen.     Aber  in  diesen  Zeiten,  und  vor  diesem  Publicum! 

Der  übelste  Umstand  für  mich  liegt  darin,  daß  mir  [  ]  Metaphysik 
schon  längst  sehr  langweilig  ist,  so  daß  ich,  ohnehin  der  Ruhe  bedürftig, 
mit   Metaphysik    mich  gerade  am  wenigsten  gern  beschäfftige.      Selbst  das 

[ ]  war    mir  langweilig.     Ja,    hätten    die    Herren    meine    Naturphilos. 

angefaßt!  Aber  gerade  die  Besten  ziehen  sich  hier,  leider!  zurück.  — 
Doch  bis  jetzt  konnte  ich   [ — ]   nur  sehr  flüchtig  ansehen.    Ungenauigkeit 

und  Misverständnisse  scheinen  auch  nicht  zu  fehlen. Diese   Striche 

bedeuten  einen  ganzen  langen  Brief,  den  ich  indessen  an  Brandis  ge- 
schrieben habe,  unter  anderem  über  das  Fichtesche  Ich,  was  bey  ihm 
nachspukt.  Nun  verdoppele  ich  meine  Bitte  um  ihr  Urtheil.  Am  Ende, 
fürchte  ich,  wird  es  bey  dem  Resultate  bleiben,  daß  nur  die  Mathematiker 
helfen  können;  nämlich  positiv.  Aber  um  die  negative  Hegel'sche  Seite 
im  Auge  zu  behalten,  dazu  bietet  Brandis  ein  unschätzbares  Mittelglied. 
Und  wenn  Sie  mir  helfen,  —  [wer]  weiß,  ob  der  durchaus  redliche 
Brandis  nicht  noch  andres  Sinnes  wird?  —  Mit  den  besten  Wünschen 
für  Sie  und  Ihre  Frau  Gemahlin 

Hochachtungsvoll     Ihr  Herbart. 

375.     An    Brandis.2)  Königsberg  29  Aug.   1831. 

Endlich,  mein  hochverehrter  Freund!  ist  die  lang  erwartete  Recension 
in  meinen  Händen;  und  mir  fällt  ein  Stein  vom  Herzen.  Denn  ich  darf 
doch  nun  wiederum  an  Sie  schreiben;  und  brauche  nicht  mehr  den  Schein 
einer  unerträglichen  Zudringlichkeit  zu  fürchten  und  zu  vermeiden.  Wahr- 
lich; wenn  diese  Recension  viel  weniger  gütig,  viel  weniger  gehaltvoll 
wäre,  als  sie  wirklich  ist,  so  würde  dennoch  das  Gefühl  der  Dankbarkeit 
für  Ihre  mir  gegönnte  Aufnahme  in  Bonn,  und  die  Erquickung  meines 
innersten  Herzens ,  die  mir  damals  durch  Ihre  persönliche  Bekanntschaft 
zu  Theil  wurde,  zu  mächtig  seyn,  als  daß  ich  länger  die  Frage  zurück- 
halten könnte:  wie  gehts  Ihnen?  Wie  tragen  Sie  das  Leben?  —  Sie 
haben  gelitten;   ich  möchte  kommen  und  sehen,   ob  Sie  Sich  erhohlt  haben? 

x)  Hallische  Lit.  Ztg.,  Aug.  1831,  N.  141  — 145,  abgedruckt  in  dieser  Ausgabe 
Bd.  8,  S.  394  ff.  Nur  muß  es  in  der  Ueberschrift  immer  heißen:  Prof.  B.  „in  Bonnu, 
statt:  in  Breslau. 

2)  4  S.    4°. 


254  August   1831. 

—  Nur  auf  eine  Stunde  möchte  ich  in  Ihrer  noch  reinen  Atmosphäre 
mich  selbst  erhohlen  können  von  dieser  Luft,  die  man  beym  schönsten 
Wetter  drückend  fühlt,  von  diesen  ewig  wiederkehrenden  kleinen  Unpäß- 
lichkeiten, die  selbst  dem  Gesunden  die  Cholera  anzukündigen  scheinen; 
von  diesen  Trauer-Nachrichten  und  Kranken-  und  Todtenlisten,  die  uns 
den  besten  Theil  des  Sommers  ungenießbar  machen.  Möchte  nur  die 
Furie  nicht  unaufhaltsam  westwärts  wandern;  sie  droht  auch  Ihnen;  und 
dann ,  mein  theurer  Freund !  werden  Sie  ein  ängstliches  Leben  führen, 
wenn  Sie  für  Sich  und  die  Ihrigen  jeden  Morgen  und  jeden  Abend  gegen 
die  kleinsten  Unordnungen  der  Verdauung,  und  gegen  die  geringsten  Er- 
kältungen Wache  stehen  müssen!  Möchte  dieser  Kelch  an  Ihnen  vorüber 
gehen!  —  Meine  vorjährige  Reise  verjüngte  mich;  meine  jetzige  Existenz 
macht  mich  älter  als  ich  bin.  Mir  und  meiner  Frau  und  Allen  die  uns 
hier  werth  sind,  hängt  fortwährend  das  Schwerdt  an  einem  seidnen  Faden 
über  dem  Haupte.  Doch  muß  ich  noch  arbeiten,  —  so  gut  die  sehr 
verdorbene  Laune  es  erlaubt,  —  arbeiten,  als  hätte  ich  noch  lange  zu 
leben! 

Arbeit  scheint  auch  Ihre  Recension  von  mir  zu  fordern.  Schweige 
ich,  so  scheine  ich  entweder  schwach  oder  übermüthig.  Das  erste  wäre 
die  geringere  Gefahr,  und  vielleicht  ist  sie  nicht  zu  vermeiden,  Das 
zweyte  aber  liegt  ganz  nahe,  muß  man  auf  so  viele  schlechte  Recensionen 
schweigen,  so  ist  um  so  mehr  das  Publicum  berechtigt,  zu  verlangen,  daß 
einer  sichtbar  starken  und  gewichtigen,  ||  mit  der  gar  manche  andre 
Stimmen  sich  vereinigen  werden,  die  gebührende  Aufmerksamkeit  öffentlich 
entgegen  komme.  —  Noch  kann  ich  keinen  Entschluß  hierüber  fassen. 
Ihre  Recension  ist  erst  seit  wenigen  Stunden  in  meinen  Händen;  ich 
muß  sie  sogleich  zurückschicken,  denn  nur  der  gefällige  Vorsteher  meines 
Journal- Cirkels  hat  sie  mir  zum  ersten  Ansehen  vor  dem  Umlaufe,  zuge- 
sendet. Das  Erste  was  mir  auffiel,  war,  daß  Sie,  wie  Drobisch,  die 
Naturphilosophie  zur  Seite  gelassen  haben.  Weit  entfernt,  Ihnen  das 
zu  verdenken,  finde  ich  gleichwohl  darin  einen  Umstand,  der  mir  sehr  im 
Wege  ist.  Über  zehn  Jahre  lang  hatte  ich  die  ausführliche  Bekanntmachung 
meiner  allgemeinen  Metaphysik  bloß  deshalb  verschoben,  weil  ich  meine 
Arbeit  an  der  Naturlehre  von  allen  Seiten  erproben  —  und  weil  ich  auch 
öffentlich  nicht  wie  über  theses  disputiren,  sondern  die  Gesammt- Auf- 
fassung unseres  ganzen  Erfahrungskreises  in  Anspruch  nehmen  wollte. 
Hierzu  kommt,  daß  ich  eben  jetzt,  seit  dem  Frühjahr,  mit  der  Psychologie 
von  neuem  beschäfftigt  bin,  und  zwar  in  Bezug  auf  Pädagogik,  die,  wie 
Sie  wissen,  praktisch  und  theoretisch  zu  meinem  Handwerk  gehört. *)  Daß 
darin  ein  großer  Reichthum  an  neuen  Hülfsmitteln  des  Erprobens,  Er- 
weiterns  und  Darstellen?  liegt  —  wenn  meine  geschwächten  Kräfte  jetzt 
auch  nur  eine  Summe  von  Einzelheiten  erreichen,  die  sich  aber  von  selbst 
in  das  längst  fertige  Ganze  einfügen,  —  brauche  ich  kaum  zu  sagen. 
Es  kommt  hinzu,  daß  ich  endlich  einige  tüchtige  Zuhörer,  insbesondere 
einen  jungen  Mathematiker  gefunden  habe,  der  mir  hilft. 

2)  Bezieht  sich  auf  die  ,, Briefe  ü.  d.  Anwendung  der  Psychol.  auf  die  Päd.", 
Bd.  IX,  S.  339  ff. 


August  1831.  255 

Wundern  Sie  Sich  unter  diesen  Umständen  nicht,  wenn  ich  vielleicht 
noch  längere  Zeit  unschlüssig  vor  der  Kluft  stehen  werde,  die  uns  trennt. 
Was  ist  diese  Kluft?  Ist  es  etwas  anderes,  als  ein  zauberischer 
Schatten?  —  Das  Vorstellende  und  Empfindende,  was  Sie  bey  mir  ver- 
missen, ist  es  ein  Anderes  als  ein  Riesenschatten  des  idealistischen  Ich, 
mit  seiner  FiCHTEschen  reinen  und  unreinen  Thätigkeit  und  seinem  gesetz- 
losen Umhertanzen,  unter  hundert  verschiedenen  Reflexionspuncten ?  — 
Sie  vermissen  Übergänge,  wo  ich  nicht  das  Geringste  einschieben  kann. 
Wie  ist  es  Ihnen  möglich  geworden,  sovieles  treffend  darzustellen,  ja  so 
Viel  gelten  zu  lassen,  wenn  hier,  wo  meine  ältesten ,  all  ersorgfältigsten 
Untersuchungen  mit  dem  Detail,  was  mich  jetzt  ganz  neuerdings  beschäftigt, 
genau  zusammenpassen,  bey  Ihnen  von  einem  Mittelpunct  die  Rede  ist,, 
der  höchstens  von  der  stärkeren  Vorstellungsmasse  könnte  ||  überwältigt 
werden.  —  Kann  denn  die  Substanz  von  ihren  Accidenzen  überwältigt 
werden?  Ist  hier  irgend  ein  Verhältniß  wie  zwischen  Gegnern  denkbar? 
Lassen  wir  doch  die  Vorstellungsmassen  allein  in  ihrer  Wechselwirkung. 
Sie  werden  sich  schon  verbinden  oder  hemmen;  aber  setzen  wir  doch  ja 
nicht  wieder  das  alte  Fichtesche  Ich,  als  ob  sein  Thun  noch  irgendwie 
dazwischen  kommen  könnte,  in  die  Stelle  der  Seele.  Allerdings  ist  die 
Seele  thätig,  und  mannigfaltig  thätig;  aber  diese  Thätigkeit  —  ist  ein  viel- 
deutiges Wort.  Sondern  wir  doch  zuvörderst,  wenn  auch  nur  versuchs- 
weise, —  erst  einmal  als  Irrthum  diejenige  vermeinte  Thätigkeit  rein  abr 
welche  aus  dem  Grunde  der  Seele  etwa  noch  neben  und  außer  den  Vor- 
stellungen hervorschießen  soll ;  denn  so  lange  meiner  Psychologie  die  Ehre 
erwiesen  wird,  daß  von  Ihr  die  Rede  ist,  giebt  es  in  ihr  schlechterdings 
nichts  Thätiges  in  der  Seele  außer  ihren  Vorstellungen.  Dann  aber  wird 
die  Thätigkeit  der  Seele  in  ihren  Vorstellungen  noch  immer  ein  ver- 
führerisches Wort  bleiben,  solange  wir  diesem  Worte  nur  Einerley  Sinn 
geben,  oder  solange  wir  mit  bloßem  Coordiniren  mehrerer  Thätigkeiten 
fertig  zu  werden  glauben.  Die  Seele  stellt  vor;  aber  die  Vorstellungen 
sind  nun  da,  sie  sind  einander  in  der  einen  Seele  unmittelbar  gegen- 
wärtig, sie  brauchen  keinen  Zwischenraum  mehr  zu  durchlaufen,  um  ein- 
ander zu  erreichen.  Sie  greifen  also  schlechthin  ohne  weitere  Vermittelung 
in  einander  ein;  —  aber  auf  die  mannigfaltigste  Weise,  weil  ihre  eigene 
gegenseitige  Hemmmung  nur  partielle  Verbindungen  zuläßt.  Dadurch 
kommen  sehr  verschiedenartige  Producte  zu  Stande,  deren  Grund  anzu- 
geben uns  das  Wort  Thätigkeit  gerade  so  wenig  hilft,  als  das  vieldeutige 
Wort  Leben,  welches  hier  einer  Pflanze,  dort  einem  Elephanten,  dort 
einem  sittlichen  Gefühl  zugeschrieben  wird,  zum  Zeichen,  daß  es  nichts 
ist  als  ein  weiter  Sack,  der  auch  das  verschiedenartigste  in  sich  aufnimmt. 
—  Daß  ich  in  dem  eben  Gesagten  den  Streitpunct  treffe,  bezeugen  mir 
Ihre  Worte:  —  —  ,, könnten  wir  uns  gefallen  lassen,  wenn  nur  der 
Träger  der  verschiedenen  Massen  mehr  als  ein  bloßer  Mittelpunct  war."1) 
Was  soll  ich  nun  bitten?  was  rathen?  Erlauben  Sie  folgende  Bitte:  da 
Ihnen  der  bloße  Mittelpunct  lästig  ist,  so  schieben  Sie  diesen  Punct  ganz 
aus    der  Mitte    heraus.     Machen    Sie    ihn    zu    einem    Grunde,   —   meinet- 

l)  Vgl.  Bd.  VIII,  S.  410. 


2$b  August   1831. 

halben  fürs  erste  zu  einem  bloßen  Grund-  und  Boden.  So  wird  doch 
dieser  Erdboden  sich  nicht  selbst  in  die  Mitte  der  Pflanzen  stellen  können, 
die  auf  ihm  wachsen  sollen.  Sie  werden  ihn  also  auch  nicht  mehr  be- 
schuldigen, daß  er  hier,  wo  er  nicht  ist,  eine  schlechte  Rolle  spiele. 
Freylich  würde  er  sie  spielen,  wenn  er  da  wäre.  Aber  er  leistet  genug, 
indem  er  die  Pflanzen,  die  in  ihm  wurzeln,  jede  nach  ihrer  Art  wachsen 
läßt;  mögen  sie  sich  dann  ineinander  verschlingen,  wie  sie  selbst,  ihrer 
Natur  nach  können.  Daß  sie  sich  verschlingen,  wird  nur  möglich  durch 
den  Boden  worin  sie  stehen,  denn  ohne  ihn  würden  sie  welken;  aber  um  die 
Art  des  Verschlingens,  Rankens,  Stutzens,  Erdrückens,  kümmert  der  Boden 
sich  nicht  weiter.  ||  Hier  sprach  ich  von  der  Seele,  also  der  Substanz. 
Hingegen  vom  Ich  würde  ich  mit  Ihnen  sagen,  es  sey  ein  Mittelpunct, 
der  sich  oft  von  Vorstellungen  überwältigen  lasse  (in  Vertiefungen  des  An- 
schauens  und  Denkens);  eben  weil  er  selbst  nichts  weiter  als  Product  aus 
Vorstellungen  ist.  Darf  ich  noch  etwas  hinzusetzen,  so  ist  es  dies,  daß  ich 
aus  langer  Erfahrung  die  Arbeit  kenne,  die  es  kostet,  sich  von  dem  alten 
Vorurtheil  des  Seyenden  als  einer  Kraft,  welche  unwillkührlich  auf  die 
Seele  übertragen,  und  durch  alle  mühsam  gewonnenen,  daher  schwer  zu 
verlassenden,  idealistischen  Übungen  verstärkt  wird,  dergestalt  loszureißen, 
daß  man  inne  werde,  wie  frey  man  sich  im  Denken  bewegen  kann,  wenn 
man  es  erst  losgeworden  ist.  Die  Kraft  würde  ewig  mit  sich  selbst  im 
Streit  liegen;  die  verschiedenen  Vorstellungsmassen  streiten  höchstens 
unier  einander',  wie  es  der  Erfahrung  gemäß  ist;  und  sie  streiten  mit 
wechselnden  Erfolgen,  während  jene  Kraft  stets  sich  selbst  gleich,  und 
entweder  eine  ewige  Harmonie  mit  sich  selbst,  oder  ein  ewiger  Wider- 
spruch seyn  müßte.  Aber  wir  leben  weder  im  Himmel  noch  in  der 
Hölle,  sondern  auf  der  Erde;  und  da  geht  es  bekanntlich  bunt  zu.  Für 
all  dies  Bunte  muß  in  der  Psychologie  Platz  seyn. 

Sehr  aufgefallen  ist  mir  Ihr  „fremder  Vorgänger  in  der  Amtsführung".  *■) 
Ey  wie,  wenn  er  nicht  fremd  ist?  Ihr  eignes  Beyspiel  könnte  zurück- 
schlagen: oder  besser,  es  erläutert  mehr  als  sie  wollen.  Haben  Sie  die 
Güte,  einmal  bey  guter  Muße  neben  das  Ich  einen  nahen  Verwandten  zu 
stellen,  nämlich  das  Wir.  Sie  werden  da  einen  reichen  Stoff  zu  Be- 
trachtungen finden.  Die  Fichtesche  Einseitigkeit  kannte  kein  Wir.  Aber 
Patriotismus,  Familienliebe,  Freundschaft,  kennen  das  Wir  bis  zum  Ver- 
gessen des  Ich;  und  darin  liegen  sehr  wichtige  psychologische  Thatsachen 
verborgen,  welche  bezeugen,  daß  nicht  um  jedes  Ich  eine  Rinde  ge- 
wachsen ist,  —  so  wenig  eine,  als  einerley.  Lessing  sagte  mit  Recht:  ich 
verlange  nicht,  daß  allen  Bäumen  Eine  Rinde  wachse.  Auch  das  Wir 
ist  vielförmig;  und  bildet  sich  nach  den  Lebensumständen. 

Eben  mußte  ich  das  Journal  fortschicken,  und  nun  sind  Sie  sicher, 
daß  ich  nicht  fortplaudere,  das  erste  beste  was  mir  einfällt,  wie  bisher. 
Die  Hauptsache  ist:  Sie  haben  Sich  um  mich  ein  großes  Verdienst  er- 
worben, indem  Sie  meine  Arbeit  mit  einer  höchst  anständigen  Opposition 
ins  Publicum  geleiteten.  Mehr  kann  eine  Metaphysik  heutiges  Tages 
nicht  verlangen.    Ja  für  die  Publicität  ist  kaum  mehr  zu  wünschen;  denn 


*)  S.  Bd.  VIII,  S.  411,  ZI.  6.  v.  o. 


Oktober  183 1.  257 

ein  beyfälligeres  Urtheil  würde  den  prüfenden  Recensenten  vermissen  lassen. 
Sie  haben  mir  ein  Geschenk  von  höchstbedeutendem  Werthe  gemacht,  das 
um  desto  mehr  zu  schätzen  ist,  je  mehr  Überwindung  es  kostet,  über 
eine  Arbeit,  die  man  im  Grunde  misbilligt,  so  ausführlich  und  doch  so 
gefällig  zu  sprechen.  Sie  haben  das  große  Gewicht  Ihrer  historischen 
Gelehrsamkeit  gar  nicht  in  die  Wagschale  geworfen;  Sie  haben  jede  Ab- 
schweifung ins  Praktische,  rein  vermieden;  Sie  haben  dagegen  die  wesent- 
liche Verbindung  der  Metaph.  und  Psychologie  berücksichtigt;  und  Streit- 
puncte  hervorgehoben,  die  Jedermann  als  Hauptmomente  anerkennen 
muß.  Nach  vielen  schlechten  Beyspielen  haben  Sie  ein  Muster  aufgestellt, 
das  nicht  bloß  für  Andre  schwer  zu  erreichen  ist,  sondern  auch  für  mich! 
Helfen  Sie  mir  nun  noch,  die  rechte  Form  der  öffentlichen  Erwiederung 
zu  finden.  Darum  bitte  ich,  aber  ganz  besonders  um  Nachrichten  von 
Ihnen  Selbst  und  von   Ihrer  Frau  Gemahlin. 

Herbart. 

Ihrer  Frau  Gemahlin  bitte  ich  mich  angelegentlichst  zu  empfehlen. 
—  Da  begegnet  mir  noch  einmal  ein  höchst  ehrwürdiges  Wir.  Und 
Ihren  Kindern  wünsche  ich  kein  abgesondertes  Ich;  Sie  Selbst  werden 
tagtäglich  dagegen  arbeiten;  was  auch  die  Theorie  dazu  sage.  Meine 
Frau  würde  ohne  mich  zwar  fortleben;  aber  mit  zerrissenem  Gemüthe. 
Ergreift  mich  die  Cholera,  so  seyen  meine  Untersuchungen  mit  altem 
Vertrauen  Ihnen  empfohlen,  wenn  sie  auch  für  Sie  nur  eine  historische 
Existenz  haben.      [Am   Rande.] 

376.    An   Naße.  x)  Königsberg  24  Octob.  31. 

Hochwohlgeborener  Höchstgeehrter  Herr  geheimer  Rath!  Sie  werden 
zwar  dies  Blatt  ohne  Zweifel  durchstochen  finden,  doch  hoffentlich  nichts 
von  giftigem  Dunste  darin  fürchten.  Denn  als  Arzt  werden  Sie  hin- 
reichend berichtet  seyn,  daß  die  Cholera,  wenn  ja  zuweilen  ansteckend 
am  Krankenbette,  doch  von  pestartiger  Ansteckung  durch  Papiere  aus  ge- 
sunden  Händen  durchaus  nichts  weiß.  — 

Aus  den  beyden  Nachbarhäusern  am  Rhein,  wohin  meine  Erinnerung 
so  gern  zurückkehrt,  sind  mir  kurz  nacheinander  literarische  Geschenke 
zu  Theil  geworden,  die  ich  beyde  lebhaft  und  aufrichtig  verdanke,  jedoch 
nicht  ganz  auf  gleiche  Weise.  Denn  der  eine  Dank  ist  rein,  der  andre 
etwas  getrübt.  Und  ich  bin  ganz  nahe  veranlaßt,  beyder  zugleich  zu  ge- 
denken, da  die  Puncte,  über  welche  zwischen  Hr.  Pr[ofessor]  Brandis  und 
mir  Mishelligkeit  ist,  fast  ganz  zusammentreffen  mit  dem,  worüber  Sie  und 
ich  übereinstimmen. 

Diese  Übereinstimmung  darf  ich  Ihnen,  in  Beziehung  auf  Ihren  mir 
gütigst    zugesendeten   Aufsatz,    den   Beyträgen  pp.    aus   Henkes    Zeitschrift, 

x)  4  S.  40.  Der  Adressat  dieses  Briefes  ist  der  auch  im  Brief  v.  13.  Febr.  32 
genannte  Professor  der  Medicin  Fr.  Naße  in  Bonn.  Das  geht  unzweifelhaft  aus  dem 
Folgenden  hervor,  wo  H.  sich  auf  den  in  Henkes  Zeitschrift  für  Staatsarzneikunde 
Bd.  XXII,  S.  1  abgedruckten  Aufsatz  von  Naße  bezieht.  Derselbe  ist  betitelt:  Bei- 
träge zur  gerichtsärztlichen  Begutachtung  zweifelhafter  psychischer  Zustände.  Anm.  von 
K.  G.  Brandis. 

Herbarts  Werke.     XVII.  17 


258  Oktober  183 1. 

um  desto  bestimmter  bezeugen,  da  ich  während  der  unfreiwilligen,  langen 
Sommerferien,  welche  die  Cholera  veranlaßte,  meine  Psychologie  von  neuem 
revidirt,  bestätigt  und  einigermaßen  erweitert  habe.  Sie  durften  meines 
Erachtens  sogar  noch  vester  auftreten.  Nicht  bloß  die  Affection  des 
Willens  ist  secundär,  sondern  der  Wille  selbst.  Nicht  bloß  die  Compli- 
cation,  in  der  wir  unseres  Ichs  uns  bewußt  sind,  ist  wechselnd,  sondern  II 
die  ganze  Ichheit  ist  eben  nichts  anderes  als  Complication  und  Product 
aus  Vorstellungen.  Was  den  Willen  anlangt,  so  können  wir  ihn  der 
Spannung  eines  ßogens  vergleichen;  folgender  Parallelismus  bietet  sich  dar: 

Substanz  der  Seele  Vorstellung  Wille. 

Kohlenstoff  u.  s.  w.  Holzfasern  Spannung  des  Bogens. 

Wenn  nun  die  Spannung  des  Bogens  leiden  soll,  so  haben  die  Holzfasern 
oder  deren  Construction  gelitten;  der  Kohlenstoff  u.  s.  w.  woraus  das 
Holz  besteht,  ist  aber  die  nämliche  Substanz  geblieben.  Aber  von  einer 
kranken  Spannung  des  Bogens  zu  reden,  die  etwas  für  sich  seyn  sollte, 
das  nicht  irgendwie  in  den  Holzfasern  läge,  ist  thöricht;  und  ebenso  wenig 
giebt  es  Krankheiten  des  Willens,  oder  Atonie  des  Willens,  für  sich  allein, 
als  ob  der  Wille  noch  etwas  anderes  wäre,  als  eine  Spannung  in  den 
Vorstellungen.  Leider  aber  können  Manche,  wie  es  scheint,  gar  nicht  dar- 
über hinaus,  sich  die  Vorstellungen  zu  denken  als  Bilder.  Sie  vergessen 
das  Vorstellen,  sie  vergessen  die  Beharrlichkeit  und  Energie  der  Kennt- 
nisse, Meinungen,  Überzeugungen,  die  eben  nichts  andres  sind  als  ver- 
knüpfte und  in  der  Verknüpfung  von  früher  Jugend  bis  zum  späten  Alter 
beharrende,  anwachsende,  wirkende  Vorstellungen. 

Sie,  verehrtester  Herr  geheimer  Rath,  werden  Sich  das  größte  Ver- 
dienst um  die  gesammte  Philosophie  erwerben,  wenn  Sie  vermöge  Ihres 
reichen  Schatzes  von  Erfahrungen  die  alte  Psychologie  berichtigen.  Ihnen 
hat  der  Wahnsinn  gesagt,  was  mir  die  Speculation  über  den  gesunden 
Menschen.  Sie  bemerken  ganz  treffend,  der  Irre  könne  Schaam,  Ehr- 
furcht, Gewissen,  Religion  zeigen.  Sie  konnten  hinzufügen,  ||  daß  der  Irre, 
wenn  er  Logik  gelernt  hat,  selbst  diese  nicht  vergißt,  sondern  Schlüsse  in 
optima  forma  vorträgt,  um  seinen  Irrwahn   zu  vertheidigen. 

Möchte  Ihr  trefflicher  Aufsatz  von  Brandis  gelesen  werden,  der  mich 
wirklich  in  Verlegenheit  setzt.  Seine  Rec.  meiner  Metaphysik  in  der 
Hallesch.  L.  Zeitung  regt  alle  meine  näheren  Bekannten  auf;  eben  weil 
sie  bey  allen  Kennzeichen  einer  höchst  ausgezeichneten  Recension  doch 
die  offenbarsten  Misverständnisse  enthält.  Einer  kommt  nach  dem  andern, 
mir  zu  sagen:  „Sie  müssen  antworten".  Das  Antworten  ist  leicht;  aber 
auch  das  Auftreten  gegen  den  Mann,  der  mich  persönlich  mit  größter 
Güte  in  Bonn  aufnahm?  —  Er  selbst,  als  höchst  geübter  Historiker,  wird  ein- 
sehen müssen,  daß  er  in  meine  Metaphysik  einen  Idealismus  hineingetragen 
hat,  der  mir  völlig  fremd  ist;  und  daß  er  die  Vorstellungsmassen,  von 
denen  ich  rede,  getrennt  hat,  als  lägen  dieselben  in  verschiedenen  Seelen,, 
oder  als  wäre  die  Seele  ein  Gebäude  mit  undurchdringlichen  Zwischen- 
wänden. Und  das  schlimmste  ist,  daß  er  eine  Verständigung  privatim 
durch  Briefe  zu  verschmähen  scheint.  Doch  an  diesem  Scheine  ist  viel- 
leicht die  Cholera  Schuld;  er  schreibt  vielleicht  nur  darum  nicht,  um  nicht 
Antwort  aus  einer  inficirten  Stadt  zu  bekommen.    Kein  Wunder  bey  ihm, 


Oktober  1831.  25Q 

der  nicht  Arzt  ist.  Aber  in  diesem  Augenblick  ists  ein  übler  Umstand. 
Lange  warten  darf  ich  nicht;  und  eine  Form  der  Antwort  zu  finden,  die 
einerseits  der  Sache,  andrerseits  den  freundschaftlichen  Rücksichten  genüge, 
ist  schwer. 

Möchten  Sie  beyde,  die  nächsten  Nachbarn,  Sich  unter  einander  ver- 
ständigen! Wäre  Br.  ein  steifer  Systematiker,  so  würde  ich  nichts  hoffen; 
aber  er  ist  der  redlichste  und  ein  höchst  gebildeter  Mann;  er  wird  nicht 
taub  seyn  gegen  die  Stimme  Ihrer  Erfahrung,  Mit  Herrn  Hitzig1)  in 
Berlin,  durch  dessen  Hände,  wenn  ich  nicht  irre,  Ihr  Aufsatz  gegangen 
ist,  ||  steht  die  Sache  etwas  schlimmer.  Diesen  Herrn  besuchte  ich  in 
Berlin,  aber  er  schien  es  eben  nicht  der  Mühe  werth  zu  finden,  auf  mich 
zu  hören.  In  meiner  Encyklopädie  habe  ich  ein  Heft  seines  Journals  an- 
geführt; er  wird,  wenn  ihm  das  Buch  in  die  Hände  kommt,  nicht  sonder- 
lich mit  mir  zufrieden  seyn;  allein  ich  fand  hier  auch  keine  besonderen 
Rücksichten  zu  beachten.  Meine  Jahre  erlauben  mir  nicht,  jetzt  noch  viel 
Umstände  zu  machen;  was  ich  zu  sagen  habe,  muß  heraus  gesagt  werden, 
solange  es  für  mich  noch  Tag  ist. 

Ihnen  meine  Encyklopädie  zu  schicken,  habe  ich  nicht  gewagt;  sie 
ist  für  Sie  zu  populär,  und  kann  eher  den  Theologen  und  Erzieher  inter- 
essiren,  als  den  Physiologen.  Vielleicht  wird  sie  dennoch,  um  als  Gegen- 
geschenk meinen  Dank  zu  bezeugen,  um  gütige  Aufnahme  bitten,  wenn 
sie  sich  auch  etwas  verspätet  hat. 

Wollen  Sie  diesen  Brief  einer  Antwort  würdigen,  wodurch  Sie  mich 
ungemein  verbinden  würden,  so  bitte  ich  zugleich  um  einige  Nachricht 
von  Hüllmann  und  Delbrück,2)  —  auch  von  Bobrick,  von  dem  ich  fast 
so  lange,  als  ich  von  Bonn  abreisete,  gar  keine  Nachricht  habe.  Meiner- 
seits mag  ich  nicht  fragen,  was  mein  ehemaliger  Zuhörer  jetzt  treibt,  da 
ein  solcher  gewöhnlich  seinen  eigenen  Weg  gehen  will,  worin  ich  mich 
nicht  mengen  darf. 

Meine  Frau  und  ich  haben  noch  eine  bittersüße  Erinnerung  an  den 
Abend,  den  wir  bey  Ihnen  froh  zubringen  —  sollten,  und  leider  nicht 
konnten.  Denn  das  Unglück  wollte,  daß  meine  Frau  krank  war,  und  ich 
an  heftigen  Augenschmerzen  litt.  Der  Abend  ist  uns  mehr  als  alles  Andere 
auf  unserer  Reise  verunglückt;  ohne  irgend  Jemandes  Zuthun.  Haben 
wir  undankbar  geschienen,  so  waren  wir  es  doch  keinesweges;  vielmehr 
kann  ich  mit  größter  Aufrichtigkeit  Sie  und  Ihre  Frau  Gemahlin  bitten, 
noch  jetzt  die  Bezeugung  unsres  dankvollsten  Andenkens  gütig  entgegen- 
nehmen zu  wollen.      Mit  vollkommenster  Hochachtung  der  Ihrige. 

Her  bar  t. 

18.  Nov.:  Bericht  über  das  Seminar.     XV,  S.  70 — 72. 

*)  Hitzig,  Julius  Eduard,  geb.  1780,  -j-  1849,  berühmter  Kriminalist  und  in 
weitesten  Kreisen  bekannt  als  Freund  von  E.  T.  A.  Hoffmann,  Zacharias  Werner  und 
Ad.  v.  Chamisso,  deren  Lebensbeschreibung  man  Hitzig  verdankt.  Die  von  Herb,  an- 
gezogene Stelle  seiner  Encyklopädie  gegen  einen  Aufsatz  in  Hitzigs  Zeitschrift  für 
preuß.  Kriminalrechtspflege  findet  sich  in  Bd.  IX,  159  als  Zusatz  zum  §  122  der  Ausg. 
von   1831.     Anm.  von  K.  G.  Brandis. 

2)  Die  bereits  erwähnten  früheren  Kollegen  Herbarts,  die  von  Königsberg  nach 
Bonn  berufen  worden  waren. 

17* 


25o  November  1831. 


377.    Reichhelm  an  H.1)  Berlin  den  16  Novbr.  1831. 

Mein  sehr  verehrter  Freund!  Wenn  Sie  diese  Zeilen  erhalten,  werden  Sie  aus 
den  Zeitungen  bereits  wissen,  daß  Hegel  todt  ist.  Das  unerwartete  Ereigniß  hat 
selbst  seine  wissenschaftlichen  Gegner  schmerzlich  berührt,  da  eine  gewisse  Seite 
des  Verdienstes  allgemein  anerkannt  werden  mußte,  und  der  Verstorbene  als  Mensch 
und  im  geselligen  Umgang  geliebt  wurde.  Die  Bestürzung  seiner  Gönner,  seiner 
Freunde  und  seiner  Schüler  ist  groß  und  begreiflich! 

Am  Sonnabend  war  der  Hingeschiedene  noch  frisch  und  munter  bey  Stuerkes  (?) 
mit  welchem  er  durch  Schulze's  Vermittlung  neuerlichst  in  literarischen  und  dem 
zufolge  auch  in  häuslichen  Verkehr  getreten  war. 

Sonntag  soll  er  sich  geärgert,  erkältet  und  unwohl  gefühlt  haben.  Montag 
Nachmittags  5  Uhr  endete  er.  Ob  an  der  eigentlichen  asiatischen  Cholera,  oder 
an  gewöhnlicher  Magen-Entzündung,  darüber  streiten  unsere  Ärzte  —  wie  gewöhn- 
lich, umsonst.     Leicht  sei  ihm  die  Erde! 

"Was  werden  der  Minister  und  seine  Räthe  thun?  Die  Frage  bewegt,  bey  der 
Wichtigkeit  der  Stellung,  alle  denkenden  Köpfe;  sie  beunruhigt  die  Parteien.  Man 
nennt  Ihren  Namen,  und  fragt  mich.  Die  Wünsche  meines  Herzens  einigen  sich 
mit  dem,  was  ich  für  die  Wissenschaft  frommend,  für  die  schuldigsten,  persönlichen 
Rücksichten  nur  sehr  gebührend  anerkennen  muß.  Auch  darf  ich  muthmaßen,  daß 
Sie  einen  Ruf  an  Hegels  Stelle  nur  wünschen  können.  Aber  um  so  unumwundener,  |j 
und  in  altem  herzlichen  Vertrauen,  muß  ich  armer  Ihnen  bekennen,  daß  ich, 
wenigstens  hiero  für  die  Sache  nicht  einwirken  kann,  vielmehr  begründete  Ursache 
habe,  eine  solche  Einmischung  meiner  Seits,  nach  Lage  der  bestehenden  Verhältnisse, 
bedenklich,  wohl  gar  nachtheilig  zu  erachten.  Ohne  Zaudern  bringe  ich  bey  dieser 
wichtigen  Veranlassung,  der  Dankbarkeit  und  der  Freundschaft  das  Opfer  eines  Frei- 
muths,  der  ohne  solche  Materie  ungeschickt  seyn  würde.  Vor  zwei  Jahren  habe 
ich  Ihren  Minister  zuletzt  gesprochen.  Das  Gespräch  war,  trotz  seiner  feinen  Un- 
bestimmtheit, für  mich  entscheidend.  Ich  konnte  nicht  verkennen,  daß  Gegner,  in 
der  Nähe  des  Chefs,  die  Erfüllung  früherer  Versicherungen  aufs  neue  wankend  ge- 
macht, und  andere  Abfindungs-Mittel  in  Vorschlag  gebracht  hatten.  Meine  Ehre 
mußte  die  letzteren  (mit  der  einzigen  Ausnahme  einer  bald  darauf  mir  zugegangenen 
anerkennenden  Cabinets  -  Ordre  über  den  bisherigen  Erfolg  meiner  hiesigen  Wirk- 
samkeit) ablehnen;  ich  zog  mich  von  da  ab  in  meine  Stellung  zurück,  und  ein  Jahr 
später  wurde  Hr.  Geh.  Rath  Dr.  Korthaus  berufen. 

Personen,  welche  höchst  wahrscheinlich  diese  Berufung  veranlaßt  haben,  ver- 
wahren seitdem  ihre  äußerlichen  Freundschaftsbezeigungen,  und  ich  nehme  das,  wie 
es  gegeben  wird. 

Aber,  wo  es  gilt,  darf  ich  mich  nicht  zum  zweiten  Male  täuschen.  Und  so 
erschien  mir  diese  vertrauliche  Eröffnung  eine  Pflicht  gegen  Sie.  Es  leuchtet  ein, 
daß  die  im  Ministerium  herrschende  Partei,  wenn  anders  ein  Mann  dazu  vorhanden 
ist,  einen  Freund  und  Schüler  Hegels  wünschen  muß.  Allein  es  sind  auch  Rück- 
sichten auf  die  Stimmung  des  Hofes,  ||  sowie  auf  die  öffentliche  Meinung  zu  nehmen. 
Wie  und  wo  ich  in  dieser  Sphäre  mitwirken  kann,  werde  ich  es  mit  der  Über- 
zeugung und  der  Liebe  thun,  welche  beide  ich  Ihnen  widme.  Überlegen  Sie  nur 
Selbst,  ob  Sie  gerathener  finden,  der  Sache  freien  Lauf  zu  lassen,  auf  jede  Gefahr 
hin;  oder  ob  Einleitungen  Ihrer  Seits  Ihnen  zweckentsprechend  erscheinen?  Ich 
selbst  bin  darüber  ganz  zweifelhaft.  Bei  völligem  Schweigen  ist  zwar  jeder  mög- 
lichen Compression  vorgebeugt,   aber  wie  ich  die  Leute  kenne,  kann  uns  auch  bald 


x)  3  S.    4°.     H.  Wien. 


November  1831.  26 1 


die  Ernennung  eines  Ritter  überraschen.  Äußern  Sie  "Wünsche,  so  ist  freilich  die 
mögliche  Nicht-Erfüllung  zweifach  schmerzlich.  Entscheiden  Sie  Sich  dessen  un- 
geachtet dafür,  so  müßte  ich  rathen,  durch  vertrauliche  Briefe  an  die  Herren 
Nicolovius  und  Schulze  Sich  Herrn  Minister  zu  nähern.  Vielleicht  möchte  auch 
[ein]  Schreiben  an  Herrn  Ancillon1)  die  Sache  dem  Inte[resse]  des  Kronprinzen  näher 
führen. 

"Welchen  Entschluß  Sie  faßen,  darüber  erbitte  ich  Ihre  gefällige  Äußerung. 
Überhaupt  muß  ich,  um  vor  Fehlgriffen  gesichert  zu  bleiben,  dringend  wünschen, 
wenn  Sie  die  Angelegenheit  an  sich  ziehen  und  Sie  daran  irgend  wie  Theil  nehmen 
sollten,  von  dem  jedesmaligen  Standpunkt  durch  Sie  unterrichtet  zu  werden.  Wir 
sind  gesund,  und  das  ist  fast  das  Beste,  was  ich  rühmen  kann.  Die  Seuche  verzehrt 
die  letzten  Geldmittel  der  Stadt,  und  ich  muß  schon  jetzt,  statt  für  den  Fortgang, 
um  die  Erhaltung  des  Geschaffenen  zu  kämpfen.  Dazu  kommen  die  pädagogischen 
Streitfragen  mit  H.  v.  Baerensprung,  der  wahrscheinlich  unser  Ober-Bürgermeister 
wird.  Das  Ministerium  sieht  das  alles  und  lobt  die  Kraft,  die  ich  unter  solchen 
Verhältnissen  entwickle!  Meine  Kinder  machen  mir  Freude,  meine  Brüder  Schmerz. 
Julius  ist  Hauslehrer  und  braucht  alle  Augenblick  Geld  und  Bücher.  Gustav  sitzt 
auf  der  Citadelle  in  Magdeburg,  wegen  Studenten- Unfugs. 

Gott  bessre  es!  Die  treuesten  Grüße  von  Amalie  und  mir  an  Ihre  liebe  Gattin. 

Voll  Verehrung  der  Ihrige 

Reichhelm. 
[Nachschrift  an  der  Seite  des  Briefes:] 

Den  schönsten  Dank  für  Ihre  Encyklopädie.  Kaum  hatte  ich  selber  gehofft, 
daß  diese  Arbeit  Ihnen  so  gelingen  werde.  Das  Buch  kömmt  nicht  von  meinem 
Tische.  R. 

378.    An  Brandis.2)  Königsberg  21  Nov  31. 

Nur  eilig,  mein  theurer  Freund,  einen  vorläufigen,  aber  warmen  Dank 
für  Ihren  schönen  Brief.  Solche  Gesinnung  wird  uns  einig  erhalten,  selbst 
wenn  wir  streiten,  und  dem  Publicum  selbst  ist  nichts  heilsamer  als 
Streiter  zu  sehen,  die  einig  bleiben.  Und  noch  mehr!  ich  sage  Ihnen  keck, 
daß  ich  die  Hoffnung,  Sie  für  meine  Lehre  zu  gewinnen,  gar  nicht  auf- 
gebe; das  mag  Ihnen  nun  so  sonderbar  klingen  wie  es  will.  Zuvörderst 
rechne  ich  auf  Ihren  historischen  Scharfblick;  dieser  kann  nicht  in  Mis- 
verständnissen  stecken  bleiben.  Ein  solches  aber  werden  Sie  wohl  nicht 
leugnen.  Daß  ich  gleich  die  schlimmsten  Stellen  Ihrer  Rec.  angebe:  — 
Sie  finden  eine,  und  zwar  die  auffallendste  S.  509  wo  es  heißt:3) 

in  erstem  Falle  müßte  der  Wechsel  unter  den  einfachen  Wesen 
stattfinden,   noch  ehe   ein  Zuschauer  vorhanden  wäre,   was  gegen 
die  Voraussetzung  ist. 
Gegen  ?  —   Gegen  meine  Voraussetzung?    Wie    sollte   mir  solcher  Idealis- 
mus in  den  Sinn  kommen?   Ohne  alle  Fragen  findet  der  Wechsel   wirklich 
ohne  Zuschauer  in  der  unendlichen  Mehrzahl  der  Fälle  jeden  Augenblick 

*)  J.  P.  Fr.  Ancillon  (1767—1837),  Nachfolger  Delbrücks  in  der  Erziehung 
des  Kronprinzen,  nachmaligen  Königs  Friedr.  Wilh.  IV.,  auf  den  er  außerordentlich 
großen  Einfluß  hatte.  Herbart  kannte  ihn  von  seinem  Aufenthalte  in  Königsberg 
her.     Vgl.  Allg.  D.  Biogr.  1,  420  ff. 

2)  3  S.    4°. 

8)  S.  Bd.  VIII,  S.  409  oben. 


2  62  November  183 1. 


statt.  Aber  der  Wechsel  zwischen  a  u.  b  ist  freylich  keine  Eigenschaft 
des  a  oder  des  b;  das  versteht  sich  von  selbst;  und  meine  Erinnerungen 
hieran  mögen  das   Misverständniß  veranlaßt  haben. 

Ferner  S.  508.  r1)  an  ihm,  dem  Ich  als  Zuschauer,  bleibt  der  Wechsel 
haften.  —  Bewahre  der  Himmel!  So  möchten  Sie  mit  Fichten  reden,  aber 
nicht  mit  mir.  Und  Sie  werden  mir  meinen  ehrlichen  Realismus  schon 
lassen.     Dafür  bürgt  mir  ihr  historisches  Gewissen.  || 

Ferner  wird  Ihre  historische  Kenntniß  mir  zu  Hülfe  kommen.  Das 
vorstellende  Subject,  wonach  Sie  suchen,  ist  ein  Hirngespinst,  das  jedem 
Denker  eine  Zeitlang  vorschwebt.  Sie  aber  wissen,  daß,  als  Kant  in  seiner 
Transscfendentalen]  Logik  u.  Ästhetik  Materie  der  Erfahrung  (d.  h.  Em- 
pfindung,) von  der  Form  des  Anschauens  und  Denkens  schied,  die  Form 
den  Fragepunct  ausmachte.  Ich  sage,  den  Fragepunct;  denn  so  sollte  es 
seyn.  Es  wurde  anders  durch  die  Verkehrtheit  der  Nachfolger.  Diese 
nehmen  die  Frage:  Woher  die  Form?  für  entschieden  durch  die  Antwort: 
aus  Uns.  Lassen  Sie  nun,  zuvörderst  nur  als  Historiker,  einmal  los  von 
den  Verkehrtheiten  Reinholds  u.  s.  w.  so  bleibt  der  Ursprung  der  Form 
einstweilen  in  Frage.  Was  behalten  Sie  nun  als  Gewisses!  —  Nicht 
Vorstellungen,  im  gewöhnlichen  Sinne,  da  es  Vorstellungen  von  Objecten, 
Bilder  von  Dingen  seyn  sollen,  —  sondern  Empfindungen;  des  Blauen, 
Weißen,  Kalten,  Warmen  pp.  Also  haben  Sie  auch  kein  vorstellendes 
Subject,  sondern  nur  —  eine  empfindende  Seele.  Und  die  Empfindungen 
der  Seele  nehme  ich  als  deren  Selbsterhaltungen  in  Anspruch.  Vom  Ur- 
sprünge der  Form  reden  wir  ein  andermal  weiter.  Nicht  eher,  als  bis 
wir  zur  Form  kommen,  kann  von  einem  vorstellenden  Subjecte  die  Rede 
seyn.  Unterdessen  aber  wird  Ihnen  das  ursßrünglich-vorsteWende  Subject, 
—  dessen  Qualität  im  Vorstellen  bestehen  sollte,  —  unter  den  Händen 
verschwunden  seyn.  Das  Hirngespinst  hätte  gar  nicht  da  seyn  sollen;  es 
gaukelt  aber  uns  Allen  vor,  weil  wir  an  die  formlosen  Empfindungen  nicht 
denken,  und  immer  den  jetzigen  Zustand  unseres  Bewußtseyns  für  den 
primitiven  halten.  Das  ist  das  alte  Reinholdische  Vorurtheil,  welches  nicht 
begriff,  daß  die  Vorstellungen  als  Bilder  von  Dingen  nur  neue  Editionen 
der  Empfindungen  sind;  geformt  durch  ihr  i?<?productionsgesetz.  ||  [Alle 
Elemente,  Sauerstoff  meinethalben  oder  Wasserstoff,  oder  was  Sie  wollen, 
könnten  vorstellende  Wesen  werden,  wenn  die  Bedingungen  der  geordneten 
Verbindung  und  hiervon  abhängenden  geordneten  Reproduction,  bey  ihnen 
zuträfen.  Aber  uns  sind  diese  Bedingungen  verliehen  durch  die  Vor- 
sehung, vermöge  unserer  beweglichen  Sinnes-Organe.  So  springt  etwas 
Teleologisches  in  der  Erklärung  unserer  Art  von  Vorstellungen  ein.  Das 
Teleologische  aber  liegt  über  jeden  Begriff  hinaus.  Nur  die  Möglichkeit 
unserer  Vorstellungen  haben  wir  zu  erklären.  Möglich  waren  unsere  Sinnes- 
organe; nur  wie  sie  wirklich  wurden,  begreifen  wir  nicht;  und  brauchen 
es  nicht  zu  begreifen,  weder  für  Metaph.  noch  für  Psychologie.]  2) 

Diese  Dinge,  mein  theurer  Freund,  schreibe  ich  Ihnen  privatim.  Viel- 
leicht können  wir  dergleichen   wenigstens   zum    Theil  im  Stillen    abmachen; 

!)  S.  Bd.  VIII,  S.  408,  ZI.   t6  v.  o. 

2)  Das  Eingeklammerte  ist  Randbemerkung. 


November  1831.  263 


dann  läßt  sich  das  öffentliche  Verhältniß  sehr  schonen.  Nächstens  schreibe 
ich  Ihnen  wieder,  und  wahrscheinlich  lege  ich  alsdann  den  Aufsatz  eines 
jungen  Mannes  vor,  den  ich  Ihnen,  wenn  auch  als  Ihren  jugendlichen 
Gegner,  persönlich  empfehlen  möchte. x)  Gesetzt,  es  müßte  zum  öffentlichen 
Streit  über  eigentliche  Metaphysik  kommen,  so  mag  der  junge  Herr  fürs 
erste  die  Feder  führen.  Das  läßt  Ihnen  die  freyeste  Wahl,  ob  und  wie- 
viel ihm  zu  erwiedern,  Sie  ihm  die  Ehre  erweisen  wollen;  wird  er  im  Ge- 
ringsten unbescheiden,  gegen  meine  stets  wiederhohlte  Warnung,  —  so 
strafen  Sie  ihn  durch  Schweigen.  Und  bevor  er  drucken  läßt,  mag  er 
sich  Ihnen  brieflich  zeigen;  dann  können  Sie  ihn,  wenn  Sie  wollen,  ab- 
schrecken, daß  er  sich  nicht  her  vorwage.  Aber  ich  habe  auch  etwas  ge- 
schrieben, und  in  der  hiesigen  deutschen  Gesellschaft  vorgelesen ;  ein  Send- 
schreiben an  Sie  über  —  Fichtes  pädagogische  Ansichten. 2)  Der  Gegen- 
stand soll,  denke  ich,  weit  genug  abliegen,  damit  der  Ton  der  freund- 
schaftlichen Unterhaltung  über  ein  Drittes,  verhüte,  daß  nichts  von  ge- 
meiner Polemik  durchklinge.  So,  mein  theurer  Freund  werden  wir  hoffent- 
lich ohne  allen  Verdruß  zurechtkommen.  Finden  Sie  aber  daran  etwas 
auszusetzen,  so  bitte  ich  um  schleunige  Antwort. 

Meine  hiesigen  Freunde,  voll  reinster  Hochachtung  für  die  Gesinnung, 
die  sich  in  Ihrer  Recension  und  vollends  in  Ihrem  letzten  Briefe  ausspricht; 
—  welche  Hochachtung  ich  alsdann  aus  persönlicher  Bekanntschaft  zu 
bekräftigen  die  Freude  habe,  —  sind  mit  mir  der  Meinung,  daß  Ihnen 
meine  Untersuchung  einst  besser  gefallen  werde.  „Möchte  nur  Br.  (sagte 
jüngst  Einer)  sich  einmal  entschließen,  den  ganz  verschiedenen  Character 
der  Psychologie  und  der  Metaphysik  genau  ins  Auge  zu  fassen!*'  Und  das 
ist  auch  mein  Wunsch  und  meine   Hoffnung. 

Bedenken  Sie  dabey,  theurer  Freund!  daß  jetzt,  nach  Hegels  Tode 
{die  Cholera  scheint  ihn  zu  ihrer  Beute  gemacht  zu  haben,  denn  Sonn- 
abends war  er  froh  in  Gesellschaft,  Sonntags  ärgert  er  sich  und  erkältet 
sich,  Montags  Abends  ist  er  todt!)  daß  jetzt,  sage  ich,  alle  Verhältnisse 
bedeutender  werden.  Man  mag  Hegeln  zu  ersetzen  suchen  wie  man  will, 
so  wird  ein  freundschaftlicher  Streit  zwischen  uns  beyden  jedenfalls  ein 
Schauspiel  für  eine  minder  getheilte  Aufmerksamkeit.  Lassen  Sie  uns  aber 
alle  factischen  Misverständnisse  in  Stillen  abthun.  soweit  das  möglich  ist. 
Um  Ihre  Privat- Erklärungen  bitte  ich  auch  für  den  Fall,  daß  ich  Sie  mis- 
versteheu  sollte. 

Die  letzte  Hälfte  meiner  Encyklopädie  kann,  wenn  Sie  eine  gütige 
Aufmerksamkeit  daran  wenden  wollen,  schon  Vieles  ins  Reine  bringen. 
Ich  bitte  aber  das  Buch  von  hinten  zu  lesen.  Sonst  fällt  Ihre  Aufmerksam- 
keit nicht  auf  das,  was  eigentlich  für  Sie  geschrieben  ist.  Es  ist  eine 
arge  Nachlässigkeit  in  Halle  begangen,  daß  man  Ihnen  das  Buch  nicht 
längst  geschickt  hat.  Möchten  Sie  es  vor  der  Recension  gelesen  haben! 
Das    hätte    uns    Vieles    jetzt    Unvermeidliche    erspart.      Aber    lassen    Sie 


1)  Strümpell,  s.  Anfang  des  nächsten  Briefes. 

2)  Ist  der  zuerst  von  Hartenstein  herausgegebene  und  von  ihm  ,,Über  das  Ver- 
hältnis des  Idealismus  zur  Pädagogik"  benannte  Aufsatz;  s.  Bd.  VIII,  S.  420.  Nach 
unserer  Brief  stelle  ist  der  Titel  dieses  Aufsatzes  wohl  künftig  zu  ändern.  Anm.  v. 
K.  G.  Brandis. 


264  l83J- 

uns  nur  die   gute  Laune    nicht   verlieren.      Wir   müssen  beym  Streit  beyde 
gewinnen. 

Mit  aufrichtiger  Freundschaft  Ihr  H. 

379.    Brandis  an  H.1) 

Zuerst  nun  begreife  ich.  vollkommen,  wie  man  frei  im  Denken  aufathmen  muß, 
wenn  mau  die  Annahme  des  Seyenden  als  einer  Kraft  ein  für  allemal  beseitigt  hat; 
nur  vermag  ich  sie  nicht  nur  nicht  selber  zu  beseitigen,  sondern  auch  mich  nicht 
zu  überzeugen,  daß  sie  von  Ihnen  in  der  That  beseitigt  worden;  meine  vielmehr, 
daß  Sie  sie  nur  weiter,  ja  soweit,  wie  irgend  möglich  zurückgeschoben  u,  daher 
ihren  Druck  nicht  mehr  empfinden.  Vorzüglich  von  2  Punkten  aus  scheint  sie  sich 
mir  fortwährend  wirksam  zu  erweisen  :  zuerst  in  der  Lehre  von  der  Bewegung  u. 
demnächst  in  der  Voraussetzung,  die  Seele  stelle  vor.  Lassen  wir  jenen  ersten 
Punkt  vorerst  bei  Seite  liegen  u.  wenden  uns  zu  dem  zweiten,  in  Bezug  auf  Ihren 
Brief.  „Die  Seele  stellt  vor,  sagen  Sie,  die  Vorstellungen  sind  nun  da;  sie  sind 
einander  in  der  einen  Seele  gegenwärtig,  sie  brauchen  keinen  Zwischenraum  mehr 
zu  durchlaufen,  um  einander  zu  erreichen,  greifen  vielmehr  schlechthin  ohne  weitere 
Vermittlung  in  einander  ein.«  Aber  ursprünglich  u.  an  sich  sind  doch  nur  ein- 
fache und  qualitativ  bestimmte  Wesen  vorhanden;  wie  werden  Vorstellungen  dar- 
aus? Dadurch,  daß  diejenige  einfache  "Wesenheit,  die  sich  zum  Ich  entwickeln  soll, 
eine  vorstellende  ist  oder  wird  ?  Mag  ich  das  eine  oder  andere  voraussetzen,  immer 
sehe  ich  mich  genöthigt,  die  vorausgesetzte  Einfachheit  der  vorstellenden  Wesenheit 
zu  trüben,  ||  soll  sie  kein  bloßer  lebloser  Spiegel  für  andere  Wesenheiten  u.  ihre 
Beziehungen,  sondern  ein  bewußtes,  vor  sich  hinstellendes  Subject  seyn.  Darüber 
vermisse  ich  die  Erklärung,  wie  es  von  einer  bloßen  Abspiegelung,  (wiewohl  genau 
genommen  ich  die  kaum  einmahl  zugeben  dürfte)  zur  Apperzeption  kommen  könne, 
ohne  daß  die  appercipirende  Wesenheit  als  solche  kraftthätig  gesetzt  werde.  Gesetzt 
auch,  es  gebe  in  der  Seele  schlechterdings  nichts  Thätiges,  außer  ihren  Vorstel- 
lungen (wiewohl  ich  meines  Theils  den  Vorstellungen  immer  noch  Affektionen  des 
unmittelbaren  Bewußtseins  voraussetzen  muß)  wie  entstehen  oder  bestehen  Vor- 
stellungen bevor  noch  ein  Vorstellendes  vorhanden?  wie  erweisen  sie  sich  thätig? 
wie  kommt  es  vermittelst  ihrer  Thätigkeit  zu  einem  verneinenden  und  trennenden 
Bewußtsein  der  Seele?  Damit  die  in  der  Seele  unmittelbar  gegenwärtigen  Vorstel- 
lungen schlechthin  ohne  weitere  Vermittlung  ia  einander  eingreifen,  bedarf  es 
nicht  nur  eines  Wechsels,  den  Sie  aus  gegenseitigen  Hemmungen  ableiten,  die 
wiederum  eines  Wechsels  bedürfen,  sondern  die  Seele  muß  die  ihr  unmittelbar 
gegenwärtigen  Vorstellungen  und  ihren  Wechsel  bewußtseyend,  mindestens  be- 
gleiten, auch  wenn  wir  ihr  nicht  das  Vermögen  beilegen,  durch  freie  Selbst- 
bestimmung denkend  einzugreifen.  ||  Das  begleitende  Bewußtsein  aber  setzt  gleich- 
falls eine,  von  einem  zum  andern  übergehende  Tätigkeit  voraus,  u.  wie  sollen  wir  das 
anders  bezeichnen,  als  durch  den  Ausdruck  eines  thätigen  Princips,  wie  vieldeutig 
der  Ausdruck  auch  seyn  mag?    Ich  soll  den  Träger  des  Bewußtseins  aus  der  Mitte 


!)  4  S.  4°.  Unter  den  Papieren,  die  mir  Hr.  Bibl.-Dir.  Dr.  Brandis  in  Jena 
gütigst  zur  Verfügung  stellte,  finden  sich  auch  2  Schriftstücke  ohne  Datum  u.  Unter- 
schrift. Sie  rühren  von  dem  Vater  des  Hrn.  Dr.  Brandis  her,  von  Chr.  Wilh.  Br., 
der  1830—32  Student  in  Bonn  war.  Offenbar  sind  es  Rein-  bez.  Abschriften  von 
Briefen,  die  Chr.  A.  Brandis  an  Herbart  gerichtet  hat.  Der  obige  Abdruck  des 
einen  Briefes  wird  vor  die  Antwort  Herbarts  gesetzt,  das  andere  Schriftstück  steht 
unter  Nr.  386.  Auch  an  dieser  Stelle  sei  Hrn.  Bibl.-Dir.  Dr.  Brandis,  der  die  erst- 
malige Veröffentlichung  der  beiden  wichtigen  Briefe  gestattete,   herzlichst  gedankt. 


November  1831.  265 


herausschieben  u.  zu  einem  bloßen  Grunde  u.  Boden  machen;  aber  komme  ich 
damit  weiter?  wie  wächst  auf  diesem  Grund  u.  Boden,  muß  ich  immer  wiederum 
frageD,  ein  Bewußtsein,  das  in  allen  seinen  Modifikationen  eine  Zweiheit,  Bewußtes 
und  Bewissendes  voraussetzt,  ebensowenig  als  bloßes  Object,  wie  als  bloße  Agilität 
gedacht  werden  kann.  Sie  bieten  mir,  wenn  ich  nach  dem  Bewissenden,  dem  Sub- 
jecte  frage,  immer  wiederum  Objecte;  wie  aber  aus  dem  Objecte  das  Subject  ent- 
stehe, darüber  finde  ich  keine  Aufschlüsse.  Wie  das  Ich  als  Mittelpunkt  sich  oft 
von  Vorstellungen  überwältigen  lasse,  begreife  ich  wohl  (u.  weiß  es  Ihnen  nicht 
genug  zu  danken,  daß  Sie  auf  diesen  dunkeln  u.  übersehenen  Punkt  in  Ihrer  Psycho- 
logie so  helles  Licht  verbreitet  haben),  aber  wie  es  darum  nichts  weiter,  als  Produkt 
aus  Vorstellungen  seyn  soll,  begreife  ich  durchaus  nicht  u.  noch  weniger,  wie  über- 
haupt. Vorstellungen  vor  einem  Vorstellenden  u.  unabhängig  von  ihm  denkbar  sind. 
So  werde  ich  denn  auf  den  Begriff  einer  mit  sich  selber  streitenden  Kraft  zurück- 
gewiesen, wie  gerne  ich  ihn  auch  vermiede,  u.  muß  schon  bemüht  seyn,  jenen 
innern  Streit  anderweitig  zu  vermitteln.  Im  Nothfall  muß  ich  ||  mich  entschließen, 
ihn  in  seiner  Sonderung  vom  Begriff  des  Seyens  als  Endpunkt  des  Denkens  fest- 
zuhalten, der  sich  nicht  vorstellen  läßt:  nach  einer  Unterscheidung  von  Denken 
u.  Vorstellen,  die  ich  nicht  aufzugeben  vermag,  wiewohl  sie  vor  Ihren  Augen  un- 
möglich Gnade  finden  kann.  Was  nun  schließlich  das  Wie  betrifft,  (denn  leider  bin 
ich  genöthigt,  damit  für  heute  zu  schließen,  um  den  Brief  nicht  noch  länger  hin- 
zuhalten), so  erkenne  ich  wiederum  aufs  freudigste  u.  dankbarste  an,  daß  Sie  durch 
Ihre  Erörterungen  darüber  eine  schlimme  Lücke  in  der  Spekulation  ausgefüllt  haben, 
nur  will  mirs  scheinen,  daß  Sie  über  dem  Wir  das  Ich  halb  vergessen  u.  nicht 
hinlänglich  anerkennen,  daß,  sowie  ohne  Du  u.  Wir  kein  Ich,  so  auch  ohne  Ich 
kein  Du  u.  Wir.  Ich  glaube  einigermaßen  vorherzusehen,  was  Sie  mir  erwiedern 
werden  —  daß  eben  das  eine  wie  das  andere  nicht  Primäres  sey,  komme  dann  aber 
auf  die  vorher  berührten  Fragen  u.  Bedenken  über  die  Bildung  eines  Subj.  oder 
Vorstellenden  zurück.  — 

380.    An    BrandiS.1)  Königsberg  25   Nov  31. 

Hier,  mein  verehrtester  Freund!  stelle  ich  Ihnen  Herrn  Strümpel2)  aus 
Braunschweig  vor,  der  schon  dort  durch  Griepenkerl  (vor  langen  Jahren 
mein  Zuhörer  in  Göttingen)  angeleitet,  meine  Metaphysik  früher  gelesen 
als  gehört,  im  vorigen  Sommer  aber  bey  mir  die  Psychologie  fleißig  be- 
sucht und  durchdacht  hat.  Möge  er  Ihnen  nicht  misfallen!  Sein  Schreiben 
ist  vielleicht  zu  schüchtern,  und  deshalb  weniger  deutlich;  aber  das  mag 
seyn,  wenn  er  nur  nicht  bei  Ihnen  anstößt;  und  in  der  That,  seinem 
Wagstück,  sich  Ihnen  als  Gegner  zu  empfehlen,  ist  kaum  ein  reifer  Mann 
gewachsen,   wieviel  weniger  ein  Jüngling. 

Wären  nicht  bey  mir  die  Winter-Übel  schon  eingetreten,  die  mich 
nun  reichlich  ein  halbes  Jahr  lang  zu  feineren  Arbeiten  untüchtig  machen 
werden,  so  versuchte  ich  gern,  Ihnen  etwas  von  den  neuern  Untersuchungen 
des  letzten  Sommers  vorzulegen,  welche  besonders  auch  die  Frage  be- 
treffen, wie  in  uns  die  Vorstellung  des  Subjects  sich  bilde.  Denn  dies, 
wie  so  Manches  in  meiner  Psychologie,  ist  noch  so  wenig  ausgeführt,  daß 
die  Unvollständigkeit  meiner  Arbeit  gewiß  einen  großen  Theil  der  Schuld  trägt, 

*)  4  S.    80. 

2)  Über  die  hier  in  Frage  stehende  Entgegnung  Strümpells  auf  Brandis'  Rezension 
s.  Bd.  VIII,    S.  IX. 


266  November  1831, 


weshalb  sie  von  unserm  geistigen  Innern  kein  hinreichend  beleuchtetes 
Bild  gewährt.  Wüßten  Sie,  unter  welchen  Schwierigkeiten  ich  gearbeitet 
habe,  —  und  welchen  ich  noch  entgegensehe,  —  doch  für  jetzt  Nichts 
davon. 

Der  letzte  Brief,  den  ich  Ihnen  vorigen  Posttag  schrieb,  wird  Ihnen 
durch  einen  wunderlich  rauhen  Ton  aufgefallen  seyn,  welchen  selbst  die 
Eile  nicht  zu  entschuldigen  vermag.  Am  besten  ists,  ich  zeige  die  Ver- 
anlassung offen  an;  sie  liegt  im  Zufall.  Ein  früher  an  Sie  geschriebener 
Brief  sollte  gesiegelt  werden,  und  ist  statt  dessen  zerrissen,  und  eilig  er- 
setzt worden,  so  gut  es  ging.1)  Die  Nachricht  von  Hegels  Tode  war 
zwischen  Schreiben  und  Siegeln  mitten  hinein  gekommen;  das  Geschriebene 
erschien  nun  ||  in  einem  falschen  Lichte,  und  wurde  deshalb  verworfen; 
aber  mit  Verdruß;  und  davon  kamen  die  Spuren  in  den  neu  ergriffnen 
Papierbogen  hinein.  Ist  es  Ihnen  indessen  nicht  zuwider,  den  ange- 
gebenen Kantischen  Standpunct  Sich  auf  einen  Augenblick  gefallen  zu 
lassen,  so  möchte  wohl  meine  vorläufige  Trennung  der  empfindenden  Seele 
von  dem  vorstellenden  Subject  —  da  bey  jener  noch  keine  Formen  der 
Erfahrung  nöthig  sind,  —  zur  Verständigung  behülflich  seyn.  Daß  Em- 
pfindungen nichts  andres  sind,  als  Selbsterhaltungen  der  Seele  gegen  das 
von  außen  afficirte  Gehirn  und  Nervensystem,  —  dies  wird  nicht  leicht 
ein  Misverständniß  erregen.  Daß  aber  diese  Empfindungen,  Farben,  Töne 
Gerüche,  Geschmäcke  pp.  noch  nicht  Bilder  darbieten,  durch  welche  wir 
Dinge  zu  erkennen  glauben  möchten,  ist  klar.  Andrerseits  sind  es  aber 
doch  eben  diese  Empfindungen,  welche  den  Bildern  —  oder  Vorstellungen 
im  gewöhnlichen  Sinne,  zu  Bestandtheilen  dienen.  Jetzt  blicke  ich  in 
Ihren  Brief. 

„immer  sehe  ich  mich  genöthigt  (sagen  Sie)  die  vorausgesetzte 
Einfachheit  der  vorstellenden  Wesenheit  zu  trüben.a 
Ja,  schon  die  empfindende  Seele  hat  sich  selbst  erhalten  gegen  das,  was 
laut  der  Metaphysik  Störwig  werden  würde,  —  und  die  Selbsterhaltungen 
waren  mannigfaltig  gemäß  den  Störungen.  Hierüber  muß  die  Metaphysik 
die  Verantwortung  übernehmen,  die  ich  als  bekannt  voraussetze.  Wollen 
Sie  dennoch  den  Ausdruck  ttüben  gebrauchen,  so  erinnere  ich  bloß,  daß 
man  wohl  schwerlich  sagen  würde,  ein  Begriff  könne  durch  die  Ver- 
schiedenheit der  Worte,  die  ihn  in  mehreren  Sprachen  bezeichnen,  getrübt 
werden;  das  Gleichniß  wird  klar  seyn  durch  die  Theorie  der  Selbst- 
erhaltungen.    Sie  setzen  Ihre  Rede  fort: 

„ —  der  vorstellenden  Wesenheit,  soll  sie  kein  bloßer  lebloser 
„Spiegel  für  andre  Wesenheiten  in  ihren  Beziehungen,  sondern 
„ein  bewußtes  vor  sich  hinstellendes  Subject  seyn. 
Hier  bitte  ich  um  die  Gunst,  die  bloß  empfindende  Seele  noch  nicht 
vor  sich  hinstellend  nennen  zu  dürfen.  Das  vor  sich  Hinstellen  ist  von 
weit  späterem  Datum.  Bedenken  wir  nur  zuvörderst,  daß  die  Seele  gar  || 
kein  Spiegel,  —  also  doch  gewiß  kein  bloßer,  und  noch  weniger  ein  leb- 
loser Spiegel  ist.     Nicht  in  dem  Sinne  bin  ich  Realist,  als  ob  die  wahren 


3)  Es  ist  nicht  ausgeschlossen,    daß  einer  der  „Entwürfe    zu  einem  Sendschreiben 
an  Brandisu  in  Bd.  VIII,  S.  412  ff.  dieser  nicht  abgesandte  Brief  Herbarts  ist. 


November  1831.  267 


Qualitäten  der  Dinge  in  der  Seele  sich  spiegeln  könnten.  [Erkennten  wir 
die  Dinge  an  sich,  so  wäre  Reinholds  Satz  des  Bewußtseyns,  worin  Vor- 
stellung auf  Vorstellendes  und  Vorgestelltes  bezogen  wird,  mehr  als  eine 
gemeine  Täuschung.  Aber  so  gewiß  Farben,  Töne,  Geschmäcke,  keine 
Eigenschaften  der  Dinge,  sondern  nur  Empfindungen,  innere  Zustände 
der  Seele  sind,  eben  so  gewiß  steht  ^.uch  den  Dingen  kein  Spiegel  gegen- 
über, den  wir  das  Subject  nennen  dürften.  Die  gemeine  Täuschung 
schafft  Subject  und  Object  zugleich.]1)  Daß  aber  die  Verbindung  der 
Empfindungen  analog  wird  der  Verbindung  unter  den  Dingen,  —  war  es 
dies,  was  Sie  ein  lebloses  Spiegeln  nannten?  Ja,  dazu  würde  ich  mich 
bekennen,  wenn  diese  Verbindungen  nicht  augenblicklich  in  diejenigen 
Spannungen  versetzt  würden,  die  wir  Gefühle  und  Begierden  nennen. 
Da  ist  eben  der  vereinigte  Ursprung  des  Vorstellens,  Fühlens  und  Be- 
gehrens. Und  was  sonst  ist  das  erste,  rohe  geistige  Leben  des  noch 
thierähnlichen  Kindes? 

„Wie  es  von  einer  bloßen  Anspiegelung  zur  Apperception  komme, 

„ohne    daß    die    appercipirende  Wesenheit    als    solche   kraftthätig 

„gesetzt  werde." 
Sind  wir  nicht  vielleicht  hier  einiger  als  wir  scheinen?  —  Gegen 
andre  Psychologen,  die  einen  innern  Sinn,  als  bloßen  Zuschauer  an- 
nehmen, habe  ich  nachgewiesen,  daß  dies  Zuschauen  fast  immer  ins  Ein- 
greifen übergeht.  Warum?  Weil  die  Apperception  in  den  dazu  geeig- 
neten Vorstellungsmassen  geschieht,  deren  eigenthümliches  Leben  das 
Appercipirte  nach  sich  formt.  Ist  das  nicht  die  wahre  Kraftthätigkeit  ? 
—  Denken  Sie  doch  hier  an  das  Kind,  welches  aufjauchzt,  wenn  es 
mitten  unter  den,  ihm  noch  unverständlichen  Worten  des  Erwachsnen  auf 
einmal  etwas  Verständliches  auffängt.  Da  ist  die  Apperception,  in  aller 
Kraft  der  kindlichen  Seele  — ,  aber  sie  liegt  in  den  älteren  gleichartigen 
Vorstellungen.  Diese  springen  von  selbst,  aus  eigner  Macht,  hervor,  und 
wirken!  Denn  für  sie  verschwand  die  sonstige  Hemmung;  in  dem  Augen- 
blicke, da  das  Gleichartige  gehört  wurde. 

„Die  Seele  muß  die  ihr  unmittelbar  gegenwärtigen  Vorstellungen 

„bewußtseyend  wenigstens  begleiten. u 
[Kant  begnügte  sich  mit  dem:  Begleiten- Können /]  2)  Warum  denn  das?  — 
Etwa  damit  der  Wachende  nicht  dem  Mondsüchtigen  ||  gleiche?  —  Umge- 
kehrt! Es  liegt  ein  Vortheil  darin,  daß  uns  der  Mondsüchtge,  der  Schlaf- 
wandler, u.  s.  w.  leichter  begreiflich  werden,  denn  diese  kommen  ja  auch 
in  der  Erfahrung  vor;  samt  allen  unsren  Zuständen  der  Abspannung,  die 
wir  nur  zu  gut  kennen.  Aber  beym  vollen  Wachen  sind  immer  viele 
Vorstellungsmassen  zugleich  im  Bewußtseyn.  [Auf  die  höchst  mannig- 
faltigen Verschiedenheiten  der  Geschwindigkeit  oder  Stetigkeit  in  den  ver- 
schiedenen Vorstellungsmassen  kommt  Alles  an.  Einige  wechseln  oft  und 
schnell,  andre  langsam;  einige  kehren  unverändert  wieder;  andre  in  neuer 
Form;   —   diejenigen,    worin  das  Ich  liegt,  (beym  Ungebildeten    die  Vor- 

J)  Das  in  Klammern  Gesetzte  ist  von  Herbart  auf  den  inneren  Rand  des  Briefes 
geschrieben  —  offenbar  nach  Abschluß  desselben,  beim  Wiederdurchlesen  — ,  aber  durch 
ein  Zeichen  mit  ,, wahren  Qualitäten"  verbunden. 

2)  Das  Eingeklammerte  ist  nachträglich  von  Herbart  eingefügt. 


2  68  November   1831. 


Stellungen  des  Leibes  und  seines  Bedürfens,  beym  Gebildeten  die  Haupt- 
Maximen  und  Pläne,  der  Sitz  des  Wollens)  verändern  sich  in  ihren  Grund- 
bestimmungen am  langsamsten.  Und  doch  geschiehts.  Man  erkennt  sich 
kaum  noch  in  dem,  was  man  in  den  Studentenjahren  gethan  u.  ge- 
trieben hat.] *)  Denken  Sie  doch  nur  an  das,  was  Jeder  in  sich  findet,  der 
im  geselligen  Umgange  Rücksichten  der  Klugkeit,  Schonung,  Sitte,  pp. 
beym  Sprechen  und  Schweigen  beobachtet.  Man  kann,  wenn  man  die 
Gesellschaft  verläßt,  die  verschiedenen  Vorstellungsmassen  fast  einzeln 
nachzählen,  welche  zusammenwirkten.  Man  kann,  wo  etwas  verfehlt  warr 
diejenige  Vorstellungsmasse  beschuldigen,  welche  fehlte.  Ihnen,  Verehrtester! 
ist  das  vermuthlich  besser  bekannt  als  mir;  Sie  brauchen  nur  darauf  zu 
achten.  Eine  besondere  bewußtseyende  Seele  noch  außer  den  Vor- 
stellungen ist  völlig  entbehrlich;  und  Sie  werden  sie  verwerfen,  sobald  es 
Ihnen  beliebt,  ohne  Verlust. 

,,Ein    Bewußtseyn,    das    in    allen    Modificationen    eine    Zweyheit, 

„Bewußtes  und  Bewissendes  voraussetzt." 
Hineinsetzt,    nicht  aber  voraussetzt!    Hineinsetzt,    durch  nachfolgende  un- 
richtige Erklärung,  die  man  Erschleichung  nennen  darf. 

„Wie  aus  den   Objecten   das  Subject   entstehe,    darüber  fehlt  die 

„Erklärung."    (Nämlich  unsre  Vorstellung  vom  Subjecte,  als   wäre 

es  ein  Spiegel). 
Ich  habe  eingestanden,  daß  diese,  zwar  in  der  Psychologie  gelieferte 
Erklärung  noch  lichtvoller  seyn  sollte.  Aber  die  Stelle  von  den  Kategorien 
der  innern  Erfahrung  bedarf  nur  weiterer  Ausführung.  Soviel  heute!  — 
Nächstens,  wenn  ich  kann,  Mehr!  Sollte  ich  mich  wieder  im  Disputiren 
erhitzen,  so  schelten  Sie  mich  derb  aus,  und  dann  verzeihen  Sie!  Auf 
immer  der  Ihrige! 

H. 

Von  Ihrer  gütigen  Aufmerksamkeit  für  die  von  Ihnen  veranlaßte 
Encyklopädie,  hoffe  ich  vor  allem,  daß  Sie  das,  was  ich  von  Anfang  bis 
zu  Ende  des  Buchs  über  die  verschiedenen  Vorstellungsmassen  gesagt  — 
und  absichtlich  umhergestreut  habe,  weil  gewöhnliche  Leser  es  nicht  auf 
einmal  fassen  können;  —  sammeln,  vergleichen,  beliebig  ordnen,  und  mit 
eigner  Selbstbeobachtung,  die  hier  sehr  viel  leisten  kann,  auf  die  Psycho- 
logie beziehen  mögen!  Vieles  wird  sich  Ihnen  dann  noch  von  selbst 
darbieten.  Die  empirische  Psychologie  wird  sich  dann  in  sehr  verändertem 
Lichte  zeigen,  und  zwar  ohne  große  Mühe;  und  ohne  besonderen  Zeit- 
aufwand.     [Am  Rande.] 

381.    An  Brandis.2)  Königsberg  28  Nov  31.. 

Verehrtester  Freund! 
Aristoteles  mag  zürnen,  daß  in  einem  Hause,  worin  er  sich  wohl  be- 
findet,  ich  öfter  aus  und  einzugehn  nicht  unterlasse.      Doch  ich  weiß  ein- 
mal,   daß    die  Gesellschaft,    die   er    mit    sich    führt,    Ihnen    nicht    die   an- 
genehmste ist;   und   ich  rechne  etwas  darauf,    daß  ein  Brief,    der  sich  zur 

*)  Randbemerkung. 
2)  3  S.  4°. 


November  1831.  269 


Seite  schieben  läßt,  nicht  so  schlimm  ist,  wie  ein  Besuch,  den  man  nicht 
fortschicken  kann.  Und  Briefe  an  Sie  zu  schreiben,  ist  doch  immer 
sicherer,  als  Briefe  gegen  Sie  drucken  zu  lassen.     Störe  ich:  so  warte  ich. 

Wie  wäre  es  wenn  wir  heute  einmal  bis  zu  den  Leukippischen 
Atomen  zurückgingen  ? x)  Meinerseits  hätte  ich,  was  den  Streitpunct  der 
Bewegung  anlangt,  nichts  dagegen,  meine  einfachen  Wesen  insofern  mit 
jenen  verglichen  zu  sehn,  wiefern  sie  im  Raum  vorhanden  sind  ohne  ein 
Gesetz  der  gegenseitigen  Ruhe  —  folglich  in  ursprünglicher  Bewegung. 
Der  Grund,  weshalb  ich  dieser  Sache  erwähne,  liegt  in  der  Besorgniß, 
durch  die  Benennung:  intelligibler  Raum,  ein  idealistisches  Misverständniß 
zu  veranlassen.  Aber  ich  bin  so  sehr  Realist,  daß  es  Sie  nur  gar  nicht 
wundern  darf,  wenn  Sie  mich  etwa  einmal  von  einem  wirklichen  Räume 
sprechen  hören.  Denn  was  Andre  den  wirklichen  Raum  nennen,  —  etwa 
die  Astronomen,  —  grade  das  ist  mir  der  intelligible  Raum.  Der  Gegen- 
satz liegt  in  dem  sinnlichen  Räume  für  das  Gefärbte  und  als  tastbar  be- 
trachtete, welchen  die  Kantianer  für  bloße  Form  der  Anschauung,  mithin 
für  nicht-wirklich,  erklärten,  und  dessen  Ursprung  ich  in  der  Psychologie 
untersuchen  mußte.  Nun  ist  zwar  auch  der  Fixstern-Himmel  ein  sinn- 
licher Gegenstand.  Aber  die  erhabene  Ruhe  desselben  ||  (sey  sie  auch 
nicht  vollkommen),  versetze  ich  aus  dem  sinnlichen  in  den  intelligiblen 
Raum,  überzeugt,  daß  uns  keine  Ruhe  erscheinen  würde,  wenn  sie  nicht 
wirklich  wäre.  Und  warum  nun  unterscheidet  sich  der  Fixsternhimmel 
von  den  alten  Atomen?  Zwey  Gründe  habe  ich  anzuführen;  einen  be- 
greiflichen, einen  andren  unbegreiflichen,  dessen  ich  mich  durchaus  nicht 
schäme,  da  ich  die  Forderung  des  welt-umspannenden  Wissens  ausdrücklich 
ablehne.  —  Der  begreifliche  Grund  liegt  in  den  Gesetzen  der  Attraction, 
(die  ich,  wie  Sie  wissen,  bis  in  deren  Ursprung,  —  die  innern  Zustände, 
wornach  die  äußere  Lage  sich  richtet,  —  zu  verfolgen  suchte.)  Daher 
formten  sich  Weltkörper.  Aber  diese  würden  noch  immer  kreuz  und  quer 
durch  einander  fahren,  und  nach  den  Attractions- Gesetzen  die  wunder- 
lichsten Bogen  um  einander  herum  beschreiben,  wenn  nicht  der  unbegreif- 
liche Grund  hinzukäme,  —  die  Vorsehung.  Schreiben  wir  dieser  die 
hinreichende  Ruhe  des  Himmels  zu,  so  haben  wir  etwas  Kosmisches,  das 
uns  besser  befriedigen  kann,  als  wenn  die  Theologen  ihre  an  irdische  Zeit- 
Begebenheiten  weniger  Jahrtausende  geknüpfte  Lehre  allgemein  zu  machen 
suchen,  ohne  nur  an  den  Jupiter,  geschweige  an  die  Fixsterne  zu  denken. 
Mögen  diese  Theologen  vorläufig  einmal  durch  Missionäre  die  Heiden  im 
Monde  bekehren! 

Das  Vorstehende  nun  lautet  nicht  bloß,  sondern  es  ist  vollkommen 
realistisch;    und  als  solches  meine  wahre,    definitive  Meinung.     Wer  mich 

*)  Hierzu  vergleiche  den  Brief  in  Band  VIII,  S.  418  u.  X  der  Vorrede  von 
demselben  Tage;  beide  Briefe,  oft  in  einzelnen  Wendungen  übereinstimmend,  weichen 
doch  im  Ganzen  sehr  von  einander  ab.  Mir  scneint,  daß  der  von  Kehrbach  u.  a. 
publizierte  Brief  nicht  so  sehr  der  Entwurf  zu  einem  öffentlichen  Sendschreiben,  als 
vielmehr  ein  aus  irgend  einem  Grunde  verworfener  Privatbrief  an  Br.  ist,  an  dessen 
Stelle  eben  der  hier  veröffentlichte  trat,  worauf  schon  die  Bezugnahme  auf  eine  briefliche 
Äußerung  von  Br.  deutet.  Hartenstein,  der  im  XIII.  (ErgänzungS-)  Band  seiner  Herbart- 
Ausgabe  den  Brief  in  der  gleichen  Fassung  wie  Kehrbach  mitteilt,  bezeichnet  ihn  fälsch- 
lich als  an  Drobisch  gerichtet.     Anm.  von  K.  G.  Brandis. 


270  November  1831. 


zu  verstehen  wünscht,  muß  sich  hieran  tapfer  vesthalten,  was  auch  von 
Untersuchungen,  welche  idealistisch  klingen,  in  meinen  Schriften  vorkomme. 
Selbst  wenn  Sie  irgendwo  lesen,  der  ganze  Realism  werde  die  unvermeid- 
liche Beute  des  Idealism  —  so  belieben  Sie  etwas  weiter  lesend  zu  be- 
merken: „den  Idealism  machen  seine  innern  Widersprüche  platzen.''  Das 
heißt,  er  muß  die  verschluckte   Beute  wieder  herausgeben. 

Alles  dies,  Verehrtester!  würde  ich  an  Sie  nicht  geschrieben,  sondern 
als  bekannt  ||  vorausgesetzt  haben,  wenn  nicht  selbst  noch  in  Ihrem  Briefe 
die  Frage  stünde;  „An  sich  sind  nur  einfache  Wesen  vorhanden;  wie 
werden  Vorstellungen  daraus ?u  Die  Frage  scheint  absichtlich  sonderbar  ge- 
stellt; da  ich  aber  die  Absicht  nicht  errathe,  so  nehme  ich  die  Frage  buch- 
stäblich;  und  antworte  folgendes: 

1)  Aus  einfachen  Wesen  wird  gar  Nichts,  Sie  bleiben  lediglich  was 
sie  sind. 

2)  Vorstellungen  werden  nicht  aus  Wesen,  sondern  aus  Empfin- 
dungen. 

3)  Die  Empfindungen  sind  innere  Zustände  einfacher  Wesen.  Jedes 
Wesen  ist  und  bleibt  in  jeder  seiner  Empfindungen  sich  selbst  gleich; 
denn  Empfinden  ist  nichts  Anderes  als  sich  selbst  erhalten. 

4)  Jede  einfache  Empfindung  ist  so  einfach,  wie  das  Wesen,  das  sich 
erhält. 

5)  Jede  Empfindung,  bliebe  sie  sich  selbst  allein  überlassen,  würde 
als  innerer  Zustand  ewig  fortdauern;  (und  zwar  ungehemmt.  Denn  jede 
Hemmung  ist  ihr  zufällig.)     Daher   braucht   ihr  Anlaß   nicht  fortzudauern. 

6)  Keine  Empfindung  ist  an  sich  eine  Vorstellung  von  irgend  etwas; 
am  wenigsten  Bild  eines  Dinges  außer  uns.  Nur  aus  Mangel  an  Sprache 
sind  in  der  Psychologie  die  einfachen  Empfindungen,  sofern  sie  von  selbst 
fortdauern,  auch  Vorstellungen  genannt  worden.  Denn  die  Sprache  ge- 
braucht das  Wort  Empfindung  nur  für  die  Zeit,  während  welcher  das 
Empfinden  äußerlich  veranlaßt  wird;  daher  war  dies  Wort  für  die  psycho- 
logischen] Rechnungen  nicht  brauchbar  in  den  Fällen,  wo  der  Anlaß  nicht 
fortdauert. 

7)  Was  aus  mehrern  Empfindungen  Eines  Wesens  weiter  werde,  das 
hängt  von  den  Empfindungen  nur  in  so  fern  ab,  als  es  unter  ihnen  Ver- 
hältnisse  und   Verbindungen  giebt. 

8)  Gefühle  und  Begierden  sind  Producte  der  Empfindungen  von  ein- 
facherer Art  und  von  früherem  Datum,  als  Vorstellungen  im  eigentlichen 
Sinne,  —   Bilder  von  Dingen;   Objecten. 

9)  Diese  eigentlichen  Vorstellungen  kommen  erst  in  so  fern  zum 
Vorschein,  als  die  Verbindung  der  Empfindungen  bestimmte  Formen  ge- 
winnt. 

10)  Damit  von  einem  Subjecte  die  Rede  sein  könne,  müssen  nicht 
bloß  Objecte  vorausgesetzt,  sondern  es  muß  auch  das  Vorstellen  der  Ob- 
jecte,  von  ihnen  selbst  unterschieden,  in  irgend  einen  Punct  hin  eingesetzt 
werden;  als  in  den   vorstellenden,   Bilder  enthaltenden  Punct. 

11)  Indem  wir  also  uns  selbst  als  Subjecte  betrachten,  stellen  wir 
schon  die  Vorstellungen  selbst  vor.  Die  Frage,  wie  dies  geschehe,  ist 
nichts  weniger  als  elementarisch. 


November  1831.  27  I 


12)  Die  wirkliche  Seele  ist  nicht  unmittelbar  Subject.  Vorstellend 
ist  sie  nur  mittelbar,  und  nachdem  die  Empfindungen  Form  der  Ver- 
bindung gewonnen,  hiernach  sich  reproducirt,  und  vermöge  der  Repro- 
ductionsgesetze  Bilder  erzeugt  haben.  Aber  vielfach  wiederhohlte,  stets  neue 
Ausbildung  veranlassende  Reproduction  ist  nöthig,  ehe  ein  vorgestelltes  Sub- 
ject, und  in  Verbindung  hiemit  das  Ich  zu   Stande  kommt. 

Zeit  und  Papier  sind  am  Ende.  Das  Abbrechen  wird  Ihnen  am 
Ende  eben  so  wenig  gefallen  wie  das  Anfangen.  Was  ist  zu  machen? 
Jedenfalls  habe  ich  nur  einige  Erklärungen  in  Ihre  Hände  niedergelegt, 
die  irgend  einmal  nützlich  seyn  können.  —  Um  mit  etwas  Lustigem  zu 
schließen,  erzähle  ich  Ihnen,  daß  hier  in  Königsb.  Leute,  die  sich  klug 
dünken,  entweder  Sie  oder  mich  nach  Berlin  schicken !  Warum  nicht  lieber 
Sie  und  mich?  —  So  wenig  Glauben  finden  hier  bis  jetzt  Hr.  Hinrichs 
und  Consorten.  —  Mit  den  besten  Wünschen  für  Ihr  und  der  Ihrigen 
Wohlseyn  in  vertrauensvoller  Freundschaft  Herbart. 

P.  S.  Frage:  giebt  es  etwa  für  Sie  und  mich  ein  ideales  Berlin? 
Und  eine  Zurechnung  zum   Wir? 

382.    Drobisch  an  H.1)  Leipzig,  d.  30.  November  31. 

Hochverehrter  Gönner!  Einer  alten  Briefscliuld  war  ich  mir  bewußt,  daß  sie 
aber  bis  auf  3  Monate  herangestiegen  ist,  bemerke  ich  mit  Schrecken.  Uns  hat  hier 
einige  Zeit  die  Cholerafurcht  beschäftigt!  Da  wir  aber  von  Berlin  sehr  beruhigende 
Nachrichten  erhielten,  da  sie  in  England  ist  und  noch  nicht  bei  uns,  da  die  Messe 
vorübergegangen  ist  ohne  Spur  einer  Seuche,  so  sind  wir  wieder  gutes  Muthes  und 
denken  wenigstens  während  des  Winters  von  dem  bösen  Gaste  verschont  zu  werden. 
Leider  haust  sie  in  Königsberg  immer  noch.  Hoffentlich  ist  aber  Ihr  ganzes  Haus 
von  jedem,  selbst  flüchtigen  Anfall  verschont  geblieben.  Zu  den  merkwürdigsten 
Opfern,  die  diese  Seuche  gefordert  hat,  gehört  gewiß  auch  Hegel,  und  wenn  sich 
nicht  bezweifeln  läßt,  daß  dieser  Todesfall  für  die  Wissenschaften  und  für  die  Philo- 
sophie insbesondere  von  höchst  bedeutendem  Einfluß  ist,  so  gilt,  wie  mich  dünkt, 
dies  namentlich  für  Ihren  philosophischen  Wirkungskreis.  Ich  gehöre  nicht  zu  denen, 
die  Hegeln  geradezu  für  einen  Wahnsinnigen  hielten,  und  nun  laut  oder  im  Kämmer- 
lein ein  Triumphlied  anstimmen  mögen,  weil  der  Fürst  der  Finsterniß  abberufen 
worden.  Zwar  habe  ich  Hegeln  kein  Studium  gewidmet,  aber  ich  habe  bemerkt,, 
daß  Sie  ihn  immer  wie  einen  selbstständigen  Denker  behandelt,  daß  Sie  ihn  in  der 
Geschichte  der  Metaphysik  immer  so  zu  sagen  als  eine  durchgehende  Note  geschätzt 
haben,  und  daß,  weil  er  doch  Widersprüche  anerkannte,  er  Ihnen  in  gewisser  Hin- 
sicht den  Boden  zum  Bau  vorbereitete.  Da  aber  nun  dieser  so  einflußreiche  Mann 
vom  Schauplatz  abgetreten  ist,  so  hoffe  ich  wird  nun  im  preußischen  Staate  für  Sie 
etwas  mehr  Platz  werden,  ja  ich  läugne  nicht:  ich  hoffe  Sie  in  Berlin  zu  sehen. 
Wen  sollen  sie  berufen?  Einen  Hegelianer  doch  wahrlich  nicht;  denn  dies  scheinen 
sehr  unbedeutende  Menschen.  Auf  eine  etwas  pikante  Philosophie  scheint  das 
Ministerium  zu  halten ;  an  einen  Kantianer  oder  Eklektiker  ist  also  nicht  zu  denken. 
Schelling,  an  den  man  vielleicht  dächte,  zumal  er  jetzt  ein  bischen  mystisch  werden 
soll,  scheint  mir  zu  sehr  an  München  gefesselt,  wo  ist  denn  nun  noch  außer  Ihnen 
ein  selbstständiger,  origineller  Denker?  Ihre  Philosophie  hat  eben  angefangen  Be- 
achtung  zu  finden;   sie   reibt   sich   an   den   bestehenden   Systemen.     Hat  es  damit 

J)  3  S.    40.     H.  Wien. 


272  November  1831, 


guten  Fortgang  und  hebt  sich  das  Interesse  für  Ihre  Lehren  noch  mehr,  so  kann 
man  kaum  zweifeln,  daß  man  Sie  in  das  Centrum  versetzt,  da  die  Gelegenheit  so 
günstig  ist. 

Was  Sie  mir  von  Ihren  fortgesetzten  psychologischen  Forschungen  und  von  der 
Unterstützung  schreiben,  die  Sie  wenigstens  für  die  Folge  von  einigen  Zuhörern  zu 
erwarten  haben,  ist  mir  im  hohen  Grade  interessant  und  erfreulich.  Leider  fühle 
ich  das  Lückenhafte  meines  psychologischen  Wissens  zu  sehr  als  daß  ich  Ihren  Zu- 
hörern als  „derjenige,  an  den  man  sich  in  Gedanken  anlehnt,  im  Hintergrunde 
stehen'1  könnte;  aber  was  Sie  mir  von  Ihren  Forschungen  künftig  mittheilen  wollen, 
werde  ich  mich  bemühen,  mir  anzueignen. 

Einige  Wochen  nach  Empfang  Ihres  Briefes  erhielt  ich  nun  auch  Ihre  Ency- 
klopädie.  Erlauben  Sie  mir  vor  allen  Dingen,  meinen  recht  aufrichtigen  und  innig 
gefühlten  Dank  für  das  Lob  abzustatten,  das  mir  die  Vorrede  ertheilt.  Ich  gestehe 
Ihnen  offen,  von  den  vielen  Lobsprüchen,  mit  denen  Ihre  Güte  mich  bis  jetzt  über- 
häuft hat,  hat  mich  keines  so  erfreut,  ||  als  dieses;  denn  das  zu  leisten,  was  Sie  viel- 
leicht zu  freigebig  rühmen,  strebte  ich,  und  vielleicht  sind  auch  andre  geneigt. 
Einiges  davon  anzuerkennen.  Es  stellt  mich  in  das  rechte  Licht  als  dasjenige,  was 
ich  bin,  als  philosophischen  Dilettanten.  Über  den  Inhalt  des  Buchs  verlangen  Sie 
mein  Privaturtheil  und  ganz  unumwunden;  von  einem  Urtheil  kann  nicht  die  Rede 
seyn,  denn  ich  habe  das  Buch  nicht  in  succurn  et  sanguine  verwandelt,  sondern 
nur  von  einer  Privatmeinung.  Daß  es  ein  geistreiches  Buch  im  besten  Sinne  des 
Worts  ist,  versteht  sich  bei  einer  Schrift,  deren  Verf.  Sie  sind,  von  selbst.  Gestehen 
will  ich,  daß  ich  mir  unter  einer  Encyklopädie  etwas  anderes  gedacht  hatte:  ein 
mageres  Paragraphenwerk,  das  das  Skelett  der  gesammten,  philosophischen  Wissen- 
schaften darstellte,  nicht  gerade  zu  akademischen  Vorlesungen  bestimmt,  denn  bei 
diesen  könnte  die  Anordnung  nach  dem  Übergang  vom  Leichteren  zum  Schwereren 
berechnet  seyn;  sondern  um  als  formaler  Schlußstein  des  philosophischen  Studiums 
zu  dienen,  den  Zusammenhang  und  Beziehungen  der  einzelnen  Wissenschaften  in 
ein  recht  helles  Licht  zu  setzen  und  einen  architektonischen  Schematismus  derselben 
aufzustellen.  Doch  auf  diese  Ansprüche  antwortet  das  Schluß kapitel.  Auch  sagt 
mir  meine  Mathematik  deutlich  genug,  daß  die  steife  Schnürbrust  eines  symmetri- 
schen Systems  ein  Unding  ist,  daß  die  Wissenschaft  in  der  unaufhörlich  sich  fort- 
bewegenden Forschung  besteht,  die  ohne  viel  zu  fragen,  wenn  es  ihr  nützlich  scheint, 
das,  was  man  bisher  zum  Grunde  legte,  zum  Schlußstein  macht  und  umgekehrt,  und 
daß  es  nur  eine  für  bestimmte  Zwecke  mehr  oder  weniger  vortheilhafte  Anordnung 
der  Materialien  giebt.  Indeß  leugne  ich  nicht,  eine  Anordnung  und  Vertheilung  wie 
sie  S.  406  Nr.  226  beschrieben  ist,  wäre  mir  eben  recht  gewesen,  und  komme  ich 
noch  einmal  zu  einem  recht  zusammenhängenden,  durchgreifenden,  umfassenden 
Studium  Ihrer  Werke,  so  werde  ich  mir  unfehlbar  zu  meinem  Privatgebrauch  einen 
solchen  Auszug  ausarbeiten.  — 

Indeß  die  „praktischen  Gesichtspunkte«  sind  nicht  zu  vergessen,  die  man  überall 
festgehalten  findet,  und  die  einerseits  dem  Buche  ein  besonders  lebendiges  Interesse 
.geben,  wie  wohl  auch  die  Aufgabe  allemal  da  sehr  erschweren,  wo  von  Theoretischem 
die  Rede  ist,  und  wo  an  die  Stelle  der  wissenschaftlichen  Erörterung  zuweilen  blose 
Erzählung  treten  muß,  was  doch  kaum  befriedigen  kann.  Nun  verweisen  Sie  zwar 
auf  ihre  Werke  und  wollen  diese  durch  die  Encyklopädie  keineswegs  entbehrlich 
machen.  Dies  versteht  sich  für  Männer  von  Fach  als  ganz  unbestreitbar  von  selbst, 
aber  würde  auch  bei  jenen  praktischen  Männern,  für  welche  Sie  hauptsächlich 
schreiben,  auf  ein  weiteres  Studium  zu  rechnen  seyn  und  sollten  diese  nicht  manch- 
mal statt  eines  Citats  lieber  an  Ort  und  Stelle  noch  einige  Erläuterungen  und  Aus- 


Dezember  1831.  273 

führungen  wünschen?  Mit  Vergnügen  habe  ich  aber  bemerkt,  daß  Sie  Sich  diesmal 
über  Religionslehre  etwas  ausführlicher  erklärt  haben,  als  es  mir  sonst  vorgekommen 
ist;  indeß  sucht  doch  vielleicht  wenigstens  mancher  Theolog  noch  nach  einer  || 
„Kritik  der  Offenbarung"?  Was  ich  über  die  Abhängigkeit  des  Menschen  nicht  blos 
von  der  Natur,  sondern  auch  vom  Staat  und  der  Kirche  las,  war  mir  um  so  interes- 
santer als,  wie  es  mir  scheint,  manche  Philosophie  dieses  Gegebne  als  solches  ganz 
ignorirt,  uns  vielmehr  häufig  ä  la  Rousseau  wieder  in  den  Naturzustand  zurück  zu 
versetzen  sucht  und  uns  beide,  Kirche  und  Staat,  gleichsam  als  große  Verirrungen 
der  Civilisation  darstellt.  —  Doch  ich  muß  mich  beschränken.  Der  Anregung  und 
des  Genusses  hat  mir  dies  neue  Werk  schon  genug  geboten  und  mich  von  Neuem 
das  Bedürfniß  einer  genaueren  Orientirung  in  der  Philosophie,  als  mir  bis  jetzt 
möglich  wurde,  fühlen  lassen.  Ich  muß  sehen  wie  ich  Zwittergeschöpf,  das  immer 
dazu  bestimmt  seyn  wird  in  der  Mathematik  wie  in  der  Philosophie,  wenn  das 
Glück  gut  ist,  in  der  zweiten  Linie  zu  stehen,  damit  fertig  werde.  Ich  fühle  es 
wohl,  es  ist  nicht  gut,  zwei  Göttern  zu  dienen,  aber  —  dies  Verhältniß  ist  gegeben 
und  so  müssen  wir  die  Widersprüche  zu  bearbeiten  suchen. 

Von  der  Pallas  und  ihrem  Verleger  denke  ich  nichts  Gutes,  wie  sehr  viele 
Leute  hier.  Es  ist  ein  Schwindler.  Ich  habe  daher  Ihr  Billetchen,  der  gegebenen 
Vollmacht  gemäß,  zurückbehalten.  Leider  kann  ich  Ihnen  heute  über  Brandis  Rec. 
noch  nichts  schreiben.  Ich  muß  sie  ganz  übersehen  haben,  oder  sie  ist,  als  ich 
einige  Tage  verreist  war,  vorübergegangen.  Da  er  nicht  unterzeichnet  haben  mag, 
so  habe  ich  auch  keine  Auskunft  erhalten  können.  Ich  bitte  sehr,  geben  Sie  mir 
das  nächstemal,  wenn  Sie  mich  mit  einem  Brief  che  n  beehren,  an,  wo  sie  zu  finden 
ist.  Es  muß  wunderlich  aussehen,  eine  solche  Notiz  100  Meilen  weit  her  zu  er- 
bitten, aber  die  Leipziger  Philosophen  poiitisiren  oder  poetisiren  oder  beten  andre 
Götter  an  als  welche  wir  verehren,  daher  spreche  ich  mit  keinem  gern  von  Ihrer 
Philosophie,  denn  wir  reden  fremde  Sprachen  für  einander.  Möglich  ist  es  auch, 
daß  Brandis  Rec.  durch  meine  Hände  gegangen  ist,  daß  ich  aber  gleich  von  vorn 
herein  einige  Mißverständnisse  oder  Mißgriffe  bemerkt  und  sie  dann  bei  Seite  gelegt 
habe.  Von  einer  Rec.  in  der  Hall.  L.  Z.  erinnere  ich  mich  in  der  That  gegen  einen 
Freund  geäußert  zu  haben,  man  sehe  aus  den  ersten  Zeilen,  daß  der  Mann  in  seinem 
Leben  nicht  die  kleinste  mathematische  Untersuchung  geführt  habe.  So  ist  es  mir 
auch  neulich  bei  einem  Bericht  vom  jungen  Fichte  über  Ihre  Philosophie  im 
Literaturblatte  des  Morgenblattes  sehr  übel  geworden. 

Meine  kleine  Schrift  haben  Sie  vielleicht  nun  erhalten.  Es  ist  leichte  Waare 
und  in  sofern  Ihrer  Aufmerksamkeit  nicht  würdig,  aber  sie  ist  ein  Nothschuß  hier 
bei  uns  in  Sachsen.  Für  die  Leipz.  Litz.  hat  Brandes,  wie  er  mir  sagt,  schon 
eine  Anzeige  besorgt,  vielleicht  erlaube  ich  mir  aber  Ihre  Güte  für  die  Jenaische 
noch  in  Anspruch  zu  nehmen.  Vergeben  Sie  mir  meine  Nachlässigkeit  in  der  Be- 
antwortung Ihres  so  interessanten  Briefes,  die  da  Sie  mich  unterdessen  wieder  mit 
einem  Geschenk  Ihrer  Feder  erfreuten,  ja  als  Undankbarkeit  erscheint.  Noch  trägt 
mir  meine  Frau  auf,  Ihnen  und  Ihrer  Frau  Gemahlin  sie  ehrerbietigst  zu  empfehlen, 
auch  ich  wünsche  Ihrer  verehrten  Frau  Gemahlin  empfohlen  zu  seyn  und  bitte  um 
Ihr  ferneres  freundschaftliches  Wohlwollen 

ganz  der  Ihrige     Drobisch. 

383.   An  Drobisch.1)  Kgb.  8  Dec  31. 

Heute    nur    ein    Wort,    Verehrtester!      Ihre    Schrift    habe    ich    noch 

nicht;  aber  die  Briefe  gehn  so  schnell,   daß  ich  füglich   noch  etwas   fragen 

*)  1  S.    40. 

Hvrbarts  Werke.     XVII.  18 


274  Dezember   1831. 

kann.  Sie  wollen  meine  Rec.  in  der  Jenaischen  Z.  sehen.  Wäre  die 
Hallische  nicht  besser?  oder  haben  Sie  dort  schon  Ihren  Mann?  —  In 
Jena  speit  man  Feuer  gegen  mich.  Eichstädt  könnte  gegen  mich  ein- 
genommen seyn.  Der  Redacteur  könnte  erwachen.  Man  könnte  sagen: 
wartet,  bis  wir  Euch  auffordern.  —  Oder  wollen  Sie  ihm  schreiben  (falls 
Sie  Ihres  dortigen  Verhältnisses  gewiss  sind)  —  wollen  Sie  ihm  sagen: 
ich  sey  bereit;  man  möge  mich  nur  auffordern.  —  ?  Doch  wie  Sie 
wünschen.  Mir  gilts  völlig  gleich.  Nur  bitte  ich  um  baldigste  Antwort. 
Vielleicht  wünscht  auch  Eichst,  sich  mir  gelegentlich  wieder  anzunähern; 
u.   ich  bins  zufrieden. 

Die  Rec.  von  Brandis  steht  im  August  der  Hallischen  Zeitung. 
Wahrscheinlich  war  sie  schon  in  Ihren  Händen.  Aber  Ihr  Urtheil  ist 
hart  —  und  dafür,  daß  Sie  mich  in  einem  so  kritischen  Augenblick  so 
lange  rathen  ließen,  warum  Sie,  —  meine  beste  Stütze  —  sich  mir  ent- 
zogen, —  könnte  Ihnen  wohl  Jemand  eine  kleine  Buße  auferlegen. 
Dieser  Jemand  ist  kein  andrer  als  Herr  Professor  Drobisch.  Er  wird 
Ihnen  etwa  sagen,  er  habe  ein  schönes  Werk  für  mich  begonnen;  und 
Sie  sollen  es  nun  nicht  sinken  lassen.  Die  Buße  aber  möchte  etwa 
darin  bestehen,  daß  Sie  die  schon  beseitigte  Rec.  doch  einmal  —  bey 
guter  Muße  —  wieder  ansähen.  Denn  sie  hat  sehr  viel  Gewicht  für 
den  literarischen  Markt!  Und  mir  liegt  sehr  an  Ihrem  Urtheil  —  nach- 
dem Sie  dieselbe  werden  gelesen  haben. 

Wenn  die  Königsberger  mit  ihrem  Gerede  mich  wegblasen  könnten, 
so  wäre  ich  schon  in  B.  Wäre  ich  dort,  so  säße  ich  bei  erster  Muße 
auf  der  Schnellpost,  nach  Leipzig.  Für  jetzt  müssen  diese  Zeilen 
genügen. 

Doch  noch  eine  Probe  von  einem  hiesigen  Mathematiker  J[acob]i.  In 
meiner  Psychol.  sollte  billig  keine  Quadratwurzel  vorkommen.  Denn  — 
die  bey  den  Werthe  passen  ja  alle  bey  de  nicht  in  die  Psychol.  Solche 
Dinge  redet  man  zu  unsern  jungen  Mathematikern;  diese  haben  aber  bey 
mir  etwas  Logik  gelernt  u.  wissen,  daß  nicht  aus  dem  Gattungsbegriffe 
eine  Forderung  aller  species  abzuleiten  ist.  Also  —  man  lacht!  Wie 
immer  der  Ihrige  H. 

[Randbemerkung:]  B[essel]  machts  etwas  klüger,  doch  nicht  besser. 
Aber  in  diesem  Augenblicke  gelten  Sie  im  Puncte  der  Psychol.  ungleich 
mehr  als  J.  u.   B.,  und  diese  Hrn.  verlieren  ihre  Worte  umsonst. 

384.    J-  G»  Gruber  an  H.1)  Halle,  am  kürzesten  Tage  1831. 

Hochverehrter  Herr  Kollege !  Ich  ergreife  den  Augenblick ,  wo  zwei  meiner 
jüngeren  Freunde,  die  Professoren  Beßer,  der  Überbringer  dieses  Blattes,  und  Lorenz 
von  hier  nach  Petersburg  abgehn,  um  Ihnen  wenigstens  einige  Zeilen  zu  schreiben. 
Vor  allen  Dingen  meinen  herzlichsten  Dank  für  Ihre  Encyklopädie ,  die  ich  mir  zu 
meinem  köstlichsten  Weihnachtsgenusse  aufgespart  habe,  weil  ich  ungestört  dabei 
seyn  wollte.  An  Brandis  habe  ich  wegen  der  Recension  geschrieben,  und  er  ant- 
wortete mir:  »Unseres  Herbarts  Encyklopädie  möchte  ich  allerdings  sehr  gern  an- 
zeigen, jedoch  nicht  bevor  ich  mich  mit  dem  trefflichen  Manne  über  einige   Haupt- 


')  1  S.  4°.    H.  Wien.  -    J.  G.  Gruber,  1774—1851,  s.  Allg.  D.  ßiogr.  10,  1  ff. 


Dezember   183T.  275 

punkte  unsrer  Differenzen  brieflich  werde  verständigt  haben,  oder  bis  er  sich  über 
meine  Recension  seiner  Metaphysik  öffentlich  geäußert  haben  wird.u  Sie  haben  dies 
in  einer  besonderen  kleinen  Schrift  thun  wollen ,  über  deren  Verlag  Schwetschke 
bedenklich  war,  weil  es  eben  eine  kleine  Schrift  seyn  sollte.  Wenn  Sie  diese  nun 
nicht  anderwärts  herausgeben,  wollen  Sie  dann  nicht  die  A.  L.  Z.  dazu  benutzen? 
Sie  wissen,  wie  gern  ich  Ihnen  die  Schranken  eröfne. 

Meinen  zweiten  Dank  bringe  ich  Ihnen  für  Ihre  herrliche  Eecension  der  Er- 
ziehungslehre von  Schwarz.  Sie  erscheint  im  Januar.  Ist  Ihnen  nichts  vorgekommen, 
was  Sie  zu  recensiren  wünschten? 

Hegel  ist  nun  dahin,  wo  ihm  ein  neues  Licht  aufgegangen  seyn  wird.  Mein 
erster  Gedanke  bei  der  Nachricht  von  »seinem  Tode  war :  Herbart  in  Berlin !  Wie 
sehr  wünsche  ich  dies,  gewiß  zuerst  Ihrer  wegen,  dann  aber  doch  ein  wenig  eigen- 
nützig, weil  uns  dann  keine  so  weite  Entfernung  mehr  trennt.  Vor  der  Hand  danke 
ich  Gott,  daß  er  Sie  vor  der  Cholera  bewahrt  hat.  Er  schütze  Sie  und  Ihre  treff- 
liche Gemahlin  ferner !     Dies  ist  zum  neuen  Jahr  der  herzlichste  Wunsch 

Ihres  Ihnen  innigst  ergebenen     Gruber. 

385.    Drobisch  an  H.1)  Leipzig,  d.  27  December  1831. 

Mein  sehr  verehrter  Gönner  und  Freund!  Ich  bin  Ihnen  für  Ihre  so  schnelle 
Antwort  doppelt  und  dreifach  verbunden:  denn  1.  war  ein  so  saumseliger  Corres- 
pondent  wie  ich  eine  solche  nicht  werth,  2.  schrieben  Sie  obendrein  zum  Theil  nur 
in  meinen  Angelegenheiten,  und  3.  haben  Sie  mir  damit  eine  höchst  wohlthätige  philo- 
sophische Anregung  gegeben.  Ihrem  Wunsche  gemäß  habe  ich  mich  gestern  an  die 
Hall.  L.  Z.  gewendet.  Es  ist  noch  Zeit  genug,  denn  die  Schrift  wird  erst  im  neuen 
Jahre  versendet.  Mit  Jena  bin  eigentlich  auch  ich  zerfallen.  Er  hat  mir  —  Eich- 
städt  —  mehrere  Recensionen  verstümmelt,  unter  andern  auch  die  von  Ihrer 
Metaphysik,  wo  er  die  Einleitung  zum  Theil  gestrichen  hat.  Das  war  ich  endlich 
müde  und  schrieb  einen  derben  Brief,  seitdem  sind  wir  auseinander;  das  wird  nun 
bald  ein  Jahr  seyn.  —  Mein  innigster  Wunsch  ist  jetzt,  Sie  in  Berlin  fixirt  zu  sehen; 
dann  kommen  Ihre  Anregungen  öfter  und  ich  habe  einen  Hebel  mehr,  von  der  ver- 
botenen Frucht  zu  essen.  Die  Journale  kannegießern  schon  frisch  weg  über  die 
Besetzung  von  Hegel's  Stelle.  Man  versäumt  nie,  Sie  unter  den  Candidaten  mit  auf- 
zuzählen, man  scheint  aber  von  Ihren  Äußerungen  keine  begriffen  zu  haben  als  dier 
Sie  seyen  ein  Kantianer,  aber  von  1830;  ich  will  wünschen,  daß  im  Ministerium 
Leute  sich  befinden,  die  selbst  urtheilen,  damit  man  Sie  nicht  mit  Krug  und  selbst 
nicht  mit  Fries  zusammenwerfe,  die  so  wenig  von  der  alten  Stelle  gekommen  sind. 
—  —  Über  Ihren  J[acob]i  kann  ich  mich  nicht  genug  wundern.  Es  ist  ein  wahr- 
haft hämisches  Urtheil.  Die  Malice  der  Kinder  Israel  (er  ist  ja  wol  aus  diesem  Stamme) 
steckt  doch  noch  in  ihm!  Ich  muß  ihn  als  mathematisches  Genie  höchlich  respec- 
tiren,  aber  es  ist  mir  unbegreiflich,  wie  ein  Mathematiker  sich  nicht  freuen  kann 
über  ernste  und  gründliche  Bemühungen,  seiner  Wissenschaft  ein  neue  Provinz 
zu  erobern.  Ich  zweifle  nicht,  daß  wäre  H.  J.  ein  Zeitgenosse  Gallilei's  oder  New- 
ton's  gewesen,  er  zu  den  hartneckigen  Gegnern  dieser  großen  Männer  gehört  haben 
würde.  Doch  ist  es  vielleicht  mehr  Mangel  an  Wohlwollen  denn  an  Einsicht,  Mangel 
an  jenem  Wohlwollen,  das  Leibnitz  in  so  hohem  Grade  besaß,  welches  selbst  aus 
dem  Unwahren  und  Verfehlten  das  Richtige  herauszufinden  sucht,  und  das  nicht  zu 
vernichten,  sondern  zu  ergänzen   strebt.     Den  andern  berühmten  Mann,2)  der  sonst 


x)  3  S.  4°.     H.  Wien. 
2)  Bessel. 


2  76  Dezember   183 1. 

höchst  liebenswürdig  seyn  soll,   halte  ich  aber  für  zu  einseitig  ausgebildet,  als  daß 
ch  mich  wundern  sollte,  wenn  er  Ihnen  durch  seine  Zweifel  hinderlich  ist.     Er  ge- 
hört ganz  zu   der   zahlreichen  Classe   derer,  die  alle  Metaphysik  fliehen,  verachten, 
weil  sie  darunter  nur  Träumereien  verstehen,  und  in  der  That,  sie  haben  Grund  sich 
zu  scheuen;  wären  nicht  Ihre  Schriften  mir  in  die  Hände  gekommen,  ich  hätte  mich 
im  Leben  nicht  wieder  um  ein  philosophisches  Blatt  bekümmert;  und  hätte  ich  von 
Ihrer  Metaphysik  nicht  eine  Recension  machen  wollen,  ich  gestehe  es  Ihnen  offen: 
das  Blättern   darin  ||  würde   mich   abgestoßen   haben.      Nun   komme   ich   eben   auf 
den  rechten  Punct:  die  Reoens.  v.  Brandis.    Nein  diese,  Verehrtester,  ist  mir  noch 
nicht   vorgekommen;   ich   habe    sie   übersehen.     Ich  vermuthe,    daß  mein  ., hartes*' 
Urtheil  sich  auf  v.  Berger  über  die  Psychologie  bezog.    Brandis  Rec.  erscheint  mir 
sehr  schätzbar.     Man  sieht  ihr  Vfs.  ist  ein  redlicher  Mann,  der  reines  Interesse  an 
der  Wahrheit  hat.     Er  läßt  Ihnen  im  Allgemeinen   viel  Gerechtigkeit  widerfahren. 
Er  sagt  ehrlich,  wo  er  im  Einzelnen  Sie  nicht  begreift,  Ihre  Lehren  sich  nicht  an- 
eignen kann.     Aber  die  Resultate,   die  er  am  Ende  zieht,  können  Ihnen  und  Ihrer 
Philosophie  nur  vortheilhaft  seyn.    Ich  habe  diese  Rec.  nicht  nur  mehrmals  gelesen, 
ich  habe  sie  excerpirt  und  mir  vielerlei  dabei  niedergeschrieben.    Ich  habe  da  klar 
das  Bedürfniß  gefühlt,  mir  einmal,  wie   ich  es  in  meinem  letzten  Briefe  andeutete, 
einen  vollständigen  Auszug   aus  Ihren  Hauptwerken   anzufertigen:  so  in  der  Weise 
der  Jen.  Recension;  denn  jetzt  ist  gar  Vieles  noch  nicht  verbunden.    Leider  ist  auch 
ein  langer  Brief  ein  zu  euger  Raum  zu  wissenschaftlichen  Mittheilungen  von  einiger 
Ausführlichkeit;  daher  nur  einiges  Wenige.    Die  Darstellung,  die  Reproduction  Ihrer 
Ansichten  ist  wol  größtenteils  richtig  und  für  den,  der  Ihre  Schriften  schon  kennt, 
verständlich,   jedoch   nicht    ohne  Mißverständnisse,   die   denn  natürlich  auf  die  bei- 
gefügten Bemerkungen   Einfluß    haben;    vielleicht   hielt  B.  aber  die  Ausführlichkeit 
der  Jen.  Rec.  in  der  Darlegung  Ihrer  Forschungen  ab,  mehr  Raum  darauf  zu  ver- 
wenden; seine  Recens.  ist  daher  auch  weit  mehr  Beurtheilung  als  die  meinige,  aber 
ich  glaube:  manche  Zweifel  und  Fragen  hätte  er  sich  selbst  beseitigen  können,  wenn 
es   ihm   anders   möglich  war,    noch   etwas  mehr  aus  sich   herauszutreten.     Einiges 
Einzelne,  aber  ohne  Ordnung.    B.  giebt  die  hypothetischen  und  disjunctiven  Urtheils- 
formen  nicht  auf,  verschweigt  aber  die  Gründe,  mit  denen  er  sie  noch  stützt.    Ich 
habe   selbst  hier   noch   einige  Zweifel.     Ihre   Behauptung,  daß  alle  Urtheile  hypo- 
thetischer Natur,  ist  mir  ganz  einleuchtend.    Nun  kann  man  aber,  wie  es  mir  scheint, 
hier  drei  Formen  unterscheiden  1.  Wenn  A  ist,  so  ist  A  =  B;  2.    Wenn  A  =  C  ist, 
so  ist  A  =  B;  3.  Wenn  A  =  C  ist,  so  ist  B  =  D.    Die  beiden  ersten  sind  kategorische 
Urtheile :  es  bleibt  bei  dem  Subject  A  entweder  schlechthin  oder  determinirt  durch 
C,  und   dies   ist  enthalten  unter  B,  im  Umfang  von  B;    im  3ten  aber  verläßt  man 
das  Subject  A  und    sagt   etwas  über  das   neue  Subject  B  aus,  das  dem  Subject  A 
ganz  fremd  seyn  kann.    Ich  kann  hier  doch  nicht  alles  auf  blose  Sprachform  redu- 
ciren.     Daß  das  disjunctive  Urtheil  ein  zusammengesetztes,    ist  mir  sehr  klar,   also 
kann  es  nicht  mit  dem  kategorischen   rangiren.  —  In   der  Theorie   von  Grund  und 
Folge  hat  B.  auch  noch  eine  Dunkelheit,  vielleicht  mehr  wie  ich.    Ich  glaube  jedoch 
heraus   zu   seyn  und  habe   mir   den  Gegenstand   nach  meiner  Weise  geformt.     B. 
glaubt   die  Methode  der  Beziehungen  aus  der  Mathematik  gewonnen,  das  ist  meine 
Meinung  nicht!  Aber  worauf  beruht  die  Synthesis  der  Mathematik?  möchte  ich  bei- 
nahe auch  fragen.    Sie  erklären  die  logischen  Formen  für  die  einfachste  Substitution 
für  zu  dürftig,   aber  gleichwohl   kann  doch  die  Meth.   der  Beziehungen  nicht  statt 
finden.     Mir  scheint  es  doch,  daß  die  math.  Synthesis  sich  durch  logische  Formen 
darstellen   laßt.     Sie  Selbst  unterscheiden  Subsumtions-  und   Substitutionsschlüsse: 
die  letzteren,  mein'  ich,  kommen  in  d.  Mathem.  ||  unzählig  oft  vor.     Die  allgemeine 


1831. 277 

Logik  hat  freilich  keinen  großen  Reichthum  an  Formen,  die  sie  substituiren  kann, 
vielleicht  zum  Theil  weil  sie  keine  Zeichensprache  hat.  Diese  Zeichensprache  kommt 
nun  in  der  Mathmk.  zu  Logik  hinzu;  aber  logische  Formen  scheinen  mir  doch  zum 
Grunde  zu  liegen;  die  wahre  mathematische  Synthesis  beruht,  soviel  ich  einsehe, 
auf  der  Ergänzung  des  Grundes  oder  auf  der  Bildung  fruchtbarer,  zufälliger  An- 
sichten. Der  Hauptunterschied  mit  d.  Metaphysik  ist  also  vielleicht  der,  daß  die 
Bildung  solcher  Ansichten  in  d.  Mathematik  oft  nur  zufällig  ist,  in  der  Metaphysik 
aber  das  Gegebene  mit  seinen  Widersprüchen  treibt;  und  doch  finde  ich  in  der 
Geschichte  der  Mathem.  auch  solche  treibende  Kräfte!  —  Unter  die  Mißgriffe  v.  B. 
gehört  wol  auch  mit,  daß  er  sagt:  „das  der  Einheit  der  Substanz  gleichgeltende 
Mannigfaltige  bilde  eine  zufällige  Ansicht.1'  Da  müßten  die  widersprechenden  Merk- 
male doch  zur  Vereinigung!  Ich  glaube  dies  in  meiner  Anzeige  richtig  unterschieden 
zu  haben.  Auch  darin  fehlt  er,  daß  er  die  zuf.  Ansicht  für  eine  Hypothese  nimmt. 
—  In  der  Synechoiogie  kann  sich  B.  nicht  von  dem  Begriffe  der  Lage  trennen, 
wenn  gleich  noch  weder  Raum  noch  also  Lage  vorhanden  ist.  Überhaupt  halte  ich 
es  für  einen  Hauptfehler  seiner  Auffassung,  daß  er  Metaphysik  und  Psychologie 
nicht  genug  oder  vielmehr  gar  nicht  hinlänglich  scheidet.  Daher  denkt  er  auch  in 
der  Metaphysik  gern  wie  man  zu  denken  gewohnt  ist,  nicht  wie  man  denken  soll, 
wie  es  die  Probleme  fordern,  mag  es  leicht  oder  schwer  werden.  So  ist  woi  auch 
die  Herbeiziehung  der  psychologischen  Deduction  des  Räumlichen  nicht  am  Platze: 
es  ist  ja  von  der  Construktion  des  intellectuellen  Raumes,  nicht  von  dem  zeitlichen, 
natürlichen  Entstehen  räum-]licher  Formen  die  Rede.  Die  Einwürfe  gegen  die  Con- 
struction  des  Stetigen  sind  für  .  .  .  ohne  Gewicht.  Den  Grund,  warum  Wesen  im 
unvollkommenen  Zusammenseyn  können  ....  ganz  falsch  aufgefasst;  ebenso  das 
Mißlingen  des  räumlichen  Zusammenstoßes  zweier  Wesen  ganz  gegen  Ihre  Meinung 
dem  Subject  zugeschoben  u.  s.  f.  In  der  Eidolologie  bin  ich  selbst  noch  nicht  so 
sattelfest,  daß  ich  eine,  wenn  auch  nur  fragmentarische,  Metakritik  geben  wollte. 
Dies  kommt  daher,  daß  ich  Ihre  Psychologie  anfangs  nur  hypothetisch  auffasste  und 
vor  der  Erscheinung  der  Metaphysik  die  Methode  der  Beziehungen  nicht  verstehen 
konnte.  Diese  Lücke  muß  also  bald  einmal  ergänzt  werden.  Es  wäre  längst  geschehen, 
wenn  ich  nicht  Philosophie  immer  als  eine  halbverbotene  Frucht  ansehen  müsste. 
Mit  dem  lebhaften  Wunsche,  Sie  bald  78  Meilen  näher  zu  wissen  und  den  ehrer- 
bietigsten Grüßen  an  Ihre  Frau  Gemahlin  von  mir  und  meiner  Frau,  mit  inniger 
Verehrung  Ihr  ganz  ergebener  Drobisch 

N.  S.  Einen   glücklichen ,    frohen    Antritt   des    Neujahrs.      Möge   es   für   Ihre 

Philosophie  heilbringend  seyn.     Berlin  die  Losung! 

Adr.:  Herrn  Consistorialrath  und  Professor  Herbart  Wohlgeboren  in  Königsberg 
frei. 

386.    Brandis  an  H.1) 

Ich  soll  Empfinden  u.  Vorstellen  auseinanderhalten  u.  bin  in  der  That  durch 
meine  eignen  Ueberzeugungen  nicht  veranlaßt,  das  eine  dem  andern  unterzuschieben, 
wenn  ich  nur  durch  solche,  mir  sehr  geläufige  Distinction  das  Ziel  der  Verständigung 
zu  erreichen  vermöchte!  Pressen  Sie  nicht  etwas  meine  Worte,  wenn  Sie  auf  die 
Frage:  an  sich  sind  einfache  Wesen;  wie  werden  Vorstellungen  daraus?  —  er- 
widern: aus  einfachen  Wesen  wird  gar  nichts;  Vorstellungen  werden  nicht  aus 
AVesen,  sondern  aus  Empfindungen  u.  die  Empfindungen  sind  immer  Zustände  ein- 
facher Wesen?    Sie  scheinen  mir  nämlich  theils  das  daraus,   theils  das  Wort  Vor- 

x)  6  S.    gr.  4°.     S.  0.  Anm.  zu  S.  264. 


278  1831. 

Stellung  zu  pressiren,  welches  ich  nach  ihrem  Vorgange  für  Empfindung  gebraucht 
habe.  Doch  streiten  wir  nicht  um  Worte:  ich  setze  sehr  gern  an  die  Stelle 
obiger  Frage  eine  andere:  wie  werden  innere  Zustände  empfunden?  wie  ist  das  sich 
selbsterhalten  nicht  ein  bloßes  sich  verhalten,  sondern  ein  Empfinden?  Dies  eben 
ist  einer  der  Punkte,  an  welchen  die  Scheidewand  nicht  fallen  will.  Sie  lassen  das 
Bewußtsein  aus  der  Empfindung  allmählig  sich  entwickeln  u.  ich  gebe  ihnen  zwar 
allerdings  zu,  daß  das  Bewußtsein  ein  sich  allmählig  entwickelndes,  zu  größerer 
Bestimmtheit  fortschreitendes  ist,  bin  Ihnen  im  hohen  Grade  dankbar  für  Ihre 
schönen  Untersuchungen  über  diese  fortschreitende  Entfaltung  desselben  u.  sehe  der 
Fortsetzung  Ihrer  Untersuchungen  mit  Verlangen  entgegen ;  kann  Ihnen  aber  weder 
zugeben,  daß  schlechthin  bewußtlose  Empfindung  ||  denkbar  sey,  noch,  daß  Sie  den 
Uebergang  von  bewußtlosen  zu  bewußten  Zuständen,  von  0  zu  1  nachgewiesen.  In 
ersterer  Beziehung  sehe  ich  nämlich  durchaus  nicht  ein,  wie  schlechthin  bewußtlose 
Empfindung  von  andern  bewußtlosen  Zuständen  (die  doch  gleichfalls  auf  Selbst- 
erhaltung gegen  mögliche  Störungen  zurückzuführen)  zu  unterscheiden;  worin  das 
spezifische  Merkmal  bewußtloser  Empfindungen  zu  setzen.  Nähern  Sie  Sich  durch 
Voraussetzung  solcher  Empfindung  nicht  unvermerkt  der  Annahme  älterer  Natur- 
philosophie des  Telisio,  Campanella  usw.,  daß  auch  die  Pflanze  empfinde  usw.  ?  — 
In  zweiter  Rücksicht  begreife  ich  sehr  wohl,  daß  eine  einzelne  Empfindung  an  sich 
nicht  Vorstellung  von  irgend  etwas,  am  wenigsten  Bild  eines  Dinges  seyn  könne; 
zur  Bildung  von  Vorstellungen  vielmehr  erst  die  Verbindung  von  Empfindungen  be- 
stimmtere Form  gewinnen  müsse;  aber  keineswegs,  wie  durch  Verbindung  bewußt- 
loser Elemente  Bewußtsein  entstehen  solle.  Vorstellen  nämlich  ist  doch  wohl  mit 
nichten  dem  Bewußtsein  gleich  zu  setzen,  vielmehr  für  eine  einzelne  Modification 
desselben  für  Bewußtsein  auf  der  ersten  Stufe  der  Vermittlung  zu  halten.  —  Ebenso 
gebe  ich  Ihnen  zu,  daß  damit  von  einem  Subjecte  die  Rede  seyn  könne,  nicht  bloß 
Objecte  vorausgesetzt,  sondern  auch  das  Vorstellen  der  Objecte  von  ihnen  selbst 
unterschieden  werden  müsse;  daher  vielfach  wiederholt,  stets  eine  Ausbildung  ver- 
anlassende Reproduction  nöthig  sey,  ehe  ein  vorgestelltes  Subject  u.  in  Verbindung 
hiemit  das  Ich  zu  Stande  käme;  aber  bin  zugleich  überzeugt,  daß  dem  Vorstellen 
und  Empfinden  schon  ein  Subject  zu  Grunde  liegen  mußte,  welches  gleichwie  der 
Causalitätsbegriff  sich  längst  wirksam  ||  in  uns  erwiesen,  bevor  es  durch  Reflexion 
zur  Bestimmtheit  des  Bewußtseins  gelangen  konnte.  Nun  wollen  allerdings  auch 
Sie  aus  einfachen  Wesen  gar  nichts  erst  werden  lassen;  betrachten  jedoch  das  Subject 
als  das  posterius*  Empfindung  u.  Vorstellung  als  das  prius,  an  sich,  nicht  bloß 
unserer  Auffassung  nach;  wogegen  ich  behaupte,  xad*  r/fias  seyen  Empfindung  u. 
Vorstellung,  das  prius,  ttard  xt)v  (pvoiv  dagegen  umgekehrt,  Empfindung  u.  Vor- 
stellung undenkbar,  ohne  an  oder  in  einem  Subject.  Wie  in  uns  die  Vorstellung 
des  Subjects  sich  allmählig  ausbilde,  darüber  verdanke  ich  ihnen  schon  manche  Be- 
lehrung u.  werde  ohne  Zweifel  Ihren  ferneren  Untersuchungen  darin  noch  mehr 
verdanken ;  aber  schwerlich  je  begreifen,  wie  das  sich  selbsterhalten  gegen  das,  was 
Störung  seyn  würde,  schon  an  sich  Empfindung  u.  diese  ohne  die  Zweiheit  des 
Empfundenen  u.  Empfindenden  (Object  u.  Subject)  denkbar  sey.  Sie  behaupten. 
Die  wirkliche  Seele  ist  nicht  unmittelbar  Subject ;  ich  dagegen,  sie  ist  Subject  ebenso 
unmittelbar,  wie  sie  empfindend  ist,  nur  bedarf  es  der  Vermittlungen,  auf  daß  sie 
sich  selber  als  Subject  betrachte  u.  vorstelle.  So  kann  ich  denn  die  Annahme  eines 
ursprünglich  (zwar  nichtvorstellenden ,  wohl  aber)  empfindenden  Subjects  keines- 
wegs als  ein  Hirngespinst,  was  uns  bloß  vorgaukele,  fahren  lassen  u.  zwar  darum 
nicht  fahren  lassen,  weil  auch  die  formlose  Empfindung  ohne  Bewußtsein,  gar  nicht 
festzuhalten,    von  Zuständen  des  Nichtempfindenden,   Leblosen  gar  nicht  zu  unter- 


1831.  i»79 

scheiden  ist.  Von  Vorurteil  werde  ich  dabei  keineswegs  geleitet  u.  erkenne  völlig 
an,  daß  er  (?)  nicht  weit  genug  zurückgegangen  ist.  Ihre  Behauptung,  alle  Elemente 
könnten  vorstellende  "Wesen  werden,  wenn  die  Bedingungen  der  geordneten  Ver- 
bindung u.  hiervon  abhängenden  ||  geordneten  Eeproduction  bei  ihnen  zuträfe,  kann 
ich  selbst  nur  hypothetisch  gelten  lassen,  wenn  Sie  mir  verstatten,  ihnen  Empfindung 
u.  Bewußtsein,  wenigstens  der  Möglichkeit  nach,  als  Bedingung  geordneter  Repro- 
duction,  beizulegen.  Daß  die  hier  zwischen  uns  noch  stattfindende  Differenz  sich 
nicht  durch  gehörige  Sonderung  des  metaphysischen  u.  psychologischen  Standpunktes 
ausgleichen  lasse,  bedarf  wohl  keines  weiteren  Beweises  u.  so  sehr  mich  auch  die 
liebe-  u.  lichtvolle  Auseinandersetzung  dieser  Verschiedenheit  der  Standpunkte  in 
dem  mir  gütigst  mitgetheilten  Aufsatze  Ihres  jungen  Freundes1)  erfreut  hat,  Be- 
lehrung konnte  sie  mir  nicht  gewähren,  u.  die  angebliche  Verwechselung  beider 
Standpunkte  in  meiner  Recension  kann  ich  nur  für  eine  scheinbare  halten.  Die 
Verschiedenheiten  auseinander  zu  setzen,  fand  ich  mich  in  einer  Anzeige,  die  sich 
auf  einige  Hauptpunkte  beschränken  mußte,  auch  nicht  veranlaßt;  aber  daß  ich  sie 
richtig  aufgefaßt  hatte,  davon  überzeugt  mich  die  Vergleichung  meiner  Auffassung 
(die  ich  freilich  nicht  schwarz  auf  weiß  nachweisen  kann)  mit  Herrn  Strümpells 
Darstellung.  —  Doch  ich  soll  die  erst  in  der  Späte  durch  Reflexion  erzeugten  Vor- 
stellungen von  Subject  u.  s.  w.  auf  die  ihnen  vorangegangenen  Empfindungen  u. 
einfachen  Vorstellungen  übertragen  haben.  Das  wollte  ich  einräumen,  wenn  ich 
mich  auf  die  Behauptung  beschränkte:  in  unsern  gegenwärtig  ausgebildeten  Em- 
pfindungen u.  Vorstellungen  findet  sich  schon  das  Bewußtsein  von  Subject;  aber 
ich  gehe  weiter  und  behaupte,  Empfindungen  u.  Vorstellungen  ohne  an  oder  in  einem 
sie  auffassenden  Subjecte  sind  nicht  nur  nicht  in  unserm  ausgebildeten  Bewußtsein 
nicht  nachzuweisen,  sondern  undenkbar,  insofern  zur  Denkbarkeit  Bewußtsein  von 
Merkmalen  gehört,  wodurch  Empfindung  von  empfindungslosen  Zuständen  sich  unter- 
scheiden. Ich  benaupte  ferner,  schlechthin  bewußtlose  Empfindung  auch  zugegeben, 
so  setzt  der  Versuch,  aus  ihnen  das  Bewußtsein  abzuleiten,  dieses  schon  voraus. 
Doch  ich  gerathe  in  Gefahr,  mich  zu  wiederholen.  Nur  das  bemerke  ich  noch,  daß 
aus  diesem  Punkt  der  Differenz  sich  ergiebt,  wie  auch  die  angebliche  Verwechse- 
lung des  Ich  mit  der  Seele  nur  eine  scheinbare  ist.  Wie  sich  nämlich  das  eine 
vom  andern  unterscheide,  ist  mir  keineswegs  entgangen,  aber  ich  kann  den  Unter- 
schied nur  für  relativ  halten,  und  nur  ||  zugeben,  daß  in  der  Seele  das  Subject  u.  Ich, 
obgleich  zugleich  mit  ihr  vorhanden,  erst  nach  u.  nach  zur  Bestimmtheit  des  Be- 
wußtseins gelange.  Auf  ähnliche  Weise  verhält  es  sich  mit  meiner  Frage:  wie  aus 
der  einfachen  Wesenheit  das  Ich  werden  solle?,  daß  das  Werden  beseitigt  werden 
soll,  ist  mir  keineswegs  verborgen  geblieben,  u.  kann  ich  mich  nicht  überzeugen, 
daß  es  wirklich  beseitigt  ist. 

Doch  das  zuletzt  Berührte  führt  uns  zu  einer  andern,  sehr  schwierigen  Unter- 
suchung, worüber  mich  auszusprechen,  wie  es  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes 
und  meinem  Wunsche  angemessen  wäre,  für  jetzt  Zeit  und  Papier  nicht  hinreichen 
wird.  Ich  soll  nämlich  Ihren  Realismus  in  Anspruch  nehmen  und  verkennen,  daß 
sich  Ihrer  Lehre  zufolge  Verbindung  unter  den  Empfindungen,  analog  den  Ver- 
bindungen unter  den  Dingen  bilden  müsse.  Das  aber  verkenne  ich  in  der  That 
nicht  und  bin  vorzüglich  durch  die  dem  Realismus  von  Ihnen  gewordene,  neue  Be- 
gründung vor  mehr  als  15  Jahren  zu  ernsterer  Beschäftigung  mit  Ihren  Schriften 
bestimmt  worden.  Nur  das  begreife  ich  noch  immer  nicht,  wie  ohne2)  der  Wechsel 
in  der  unendlichen  Anzahl  der  Fälle  jeden  Augenblick  wirklich  stattfinden  soll,  ohne 

*)  Strümpell,  s.  0. 

2)  Hier  fehlt  ]  Wort,  etwa  „Kraft"  oder  „Prinzip1*. 


28o        183^ 

daß  sie  genöthigt  würden,  zu  ihren  einfachen,  unveränderlichen  Wesenheiten  noch 
ein  Princip,  den  Wechsel  hinzuzudenken.  In  Bezug  auf  Bewegung  von  Ihnen  auf 
den  Standpunkt  des  Leukippos  hingewiesen  zu  werden,  war  mir  keineswegs  un- 
erwartet, wie  wenig  es  mir  auch  je  in  den  Sinn  gekommen  ist,  Ihre  einfachen 
Wesenheiten  mit  seinen  Atomen  zu  verwechseln.  Aber  so  wenig  ich  den  Atomikern 
ihre  Annahme  über  Bewegung  zuzugeben  vermag;  ebensowenig  Ihnen  die  Ihrige, 
oder  genauer  genommen,  noch  weniger,  da  jene  im  voraus  Ausdehnung,  ja  Solidität 
und  den  Raum  postulieren,  Sie  beides  erst  entstehen  lassen  müssen  (an  dem  ent- 
stehen lassen  müssen,  bitte  ich  für  jetzt  keinen  Anstoß  zu  nehmen)  auch  wenn 
Ihnen  der  intelligible  Raum  ist,  was  den  Astronomen  der  wirkliche.  Doch  um  jetzt 
Erörterungen  über  Ihre  Synechologie  zu  vermeiden,  angenommen,  Ihre  einfachen 
Wesen  wären  im  Räume,  ohne  ein  Gesetz  der  gegenseitigen  Ruhe,  daher  in  ur- 
sprünglicher ||  Bewegung  vorhanden,  so  verändert  sich  meine  Frage  nach  dem 
Gruude  der  Bewegung  in  die  nach  dem  Grunde  der  Ruhe,  woher  der  Wechsel  von 
Ruhe  und  Bewegung?  Nie  sehe  ich  nur  in  der  Ferne  einen  Punkt  der  Vereinigung, 
oder  vielmehr  eines  Vergleichs,  worüber  Sie  mich  am  Ende  auslachen  werden. 
Wie  wäre  es  nämlich,  wenn  Sie  Ihren  einen,  unbegreiflichen,  Grund  auf  den  [Sie] 
die  Anordnung  der  Weltkörper  zurückführen,  schon  bei  ihrer  Bildung  sich  wirksam 
beweisen  ließen,  kurz,  wenn  Sie  (daß  ich  mir  ein  Herz  fasse,  es  geradezu  aus- 
zusprechen) die  göttliche  Vorsehung  als  Prinzip  des  Wechsels  gelten  ließen?  Für 
Sie  müßte  ich  dann  freilich  auch  den  Begriff  schlechthin niger  Selbstbestimmung  in 
Anspruch  nehmen  und  als  Folge  dieses  ersten  Zugeständnisses  einige  andere  mir 
noch  erbitten;  genaue  Appuntuation  mir  aber  vorbehalten  und  es  fast  bereuen,  so 
wichtige  Punkte  so  leichthin  berührt  zu  haben. 


1832. 


W. :  Zwei  Worte  über  Naturphilosophie  (S.  Bd.  VIII.  S.  438 — 440).  —  Briefe  über  die 
Anwendung  der  Psychologie  auf  die  Pädagogik  (S.  Bd.  IX.  S.  339 — 462).  —  Rez.  von 
Wörleins  System  der  Pädagogik  (S.  Bd.  XIII.  S.  216—218),  Schwarzs  Erziehungslehre 
(S.  Bd.  XIII.  S.  218  —  242),  Drobischs  Philologie  und  Mathematik  (S.  Bd.  XIII. 
S.   242—250),  Weisses  System  der  Aesthetik  (S.  Bd.  XIII.     S.  250—268). 

387.  Jäsche  an  H.1)  Dorpat  den  6t.  Januar  1832. 

Verehrungswerthester  Herr  Professor!  Als  ich  neulichst  in  der  Preußs.  Staats- 
zeitung die  Anzeige  von  dem  Ableben  Hegels's  las,  war  der  erste  Gedanke,  welcher  als 
lebhafter  Wunsch  in  mir  aufstieg:  möchte  doch  ein,  dem  ernsten  und  besonnenen, 
und  fürs  Leben  fruchtbringenden  philosophischen  Studium  holder  Genius,  Ihrer  Re- 
gierung den  Entschluß  eingeben,  den,  durch  jenen  Abgang  erledigten  ersten  philos. 
Lehrstuhl  einem  Manne  anzuvertrauen,  der  im  Stande  seyn  würde,  den  philosophischen 
Studien  auf  jener  vielbesuchten  Hochschule  durch  die  Klarheit  und  Energie  seines 
philosophischen  Geistes  eine  veränderte,  den  höchsten  Zwecken  der  Wissenschaft 
angemessene  Richtung  zu  geben.  Möchte  an  Sie  also  doch,  Verehrtester!  dieser 
Ruf  ergehen,  und  möchten  Sie  selbst  auch  diesem  Rufe  folgen  wollen,  indem  Sie 
in  der  Aussicht,  durch  Ihre  Persönlichkeit  und  Ihre  nächste  Beruf sthätigkeit  mit 
Nachdruck  und  Erfolg  wirken  zu  können,  ein  hinreichendes  Motiv  zur  Vertauschung 
Ihres  jetzigen  akademischen  Wirkungskreises  mit  einem  andern  erweiterten  finden 
könnten.  —  Was  mich  glauben  läßt,  daß  Ihre  Regierung  wohl  nicht  geneigt  seyn 
werde,  mit  einem  Subjecte  aus  der  neuesten  Philosophen-Schule,  die  Ihren  Hauptsitz 
in  Berlin  aufgeschlagen  hatte,  die  durch  den  Tod  des  berühmt  gewordenen  Meisters 
dieser  Schule  entstandene  Vacanz  wieder  zu  besetzen,  gründet  sich  auf  eine,  von 
einem  meiner  Collegen,  welcher  in  diesen  Sommerferien  in  Berlin  gewesen  war,  mir 
mitgetheilte  Versicherung,  daß  die  Hegeische  Philosophie  gar  nicht  mehr,  wie  sonst 
zuvor,  der  Gunst  und  Unterstützung  von  Seiten  der  Regierung  sich  zu  erfreuen 
habe,  indem  der  G.  R.  Schulze,  dessen  Urtheile  in  Sachen  der  Wissenschaft  und 
der  Philosophie  insbesondere,  der  Minister  des  öffentlichen  Unterrichts  vertraut, 
nicht  mehr  eine  so  entschieden  vortheilhafte  Meinung  von  dem  Werthe  und  der 
praktischen  Bedeutsamkeit  und  Fruchtbarkeit  des  so  hoch  gepriesenen  unvergäng- 
lichen philos.  Systems  hege.  Und  was  sind  doch  das  auch,  beym  Lichte  ächter 
speculativer  Kritik  besehen,  für  Leute,  diese  Apostel  der  neuesten,  allein  selig- 
machenden Allwissenheitslehre,  welche  die  xvqkxi  dn£ai  ihres  Meisters  so  gläubig 
und  wortgetreu  nachbeten,  und  mit  ihrem  An  sich,  für  sich  und  An  und  für  sich 
alles  zurecht-  und  zurückweisen  wollen,  was  zu  diesen  classischen  Kernsprüchen 
ihrer  Schule  nicht  passen  mag.  Eine  erbauliche  Probe  dieser  Art  hat  noch  neuer- 
lichst  erst  der  Hegeische  Hinrichs    mit    seiner   Recension   des   2ten  Bandes    Ihrer 

*)  4  S.    4°.    H.  Wien. 


282  Januar   1832. 

Metaphysik  gegeben,  die  fast  noch  einen  widrigem  Eindruck  auf  mich  gemacht,  als 
die  des  ersten  Bandes  von  dem  nämlichen  scholastischen  Kritiker.  Wohl  dürfen 
Sie,  mit  Fug  und  Recht  eine  solche  Beurtheilung  als  höhnischen  Unsinn  brand- 
marken, und  mit  Unwillen  sich  von  ihr  wegwenden.  Um  so  mehr,  da  Sie  eine  so 
eclatante  Satisfaction  durch  die  in  dem  Geist  Ihrer  metaphysischen  originellen 
Forschungen  mit  einer  musterhaften  Klarheit,  Schärfe  und  Bestimmtheit  eingezogene 
Beurtheilung  von  dem  so  gründlichen  ||  und  einsichtsvollen  Mathematiker  und  Phy- 
siker, Prof.  Drobisch,  erhalten  haben.  —  Daß  die  Recension  des  2ten  Bandes  Ihrer  Meta- 
physik in  der  Hallischen  L.Z.  von  demselben  Vf.  sey,  den  Sie  selbst  mir  als  den  Recen- 
senten  des  ersten  Bandes  genannt  hatten,  habe  ich  gleich  vermuthet.  Diese  Recension 
habe  ich,  wie  Sie  wohl  denken  können,  mit  aller  ihr  gebührenden  Aufmerksamkeit  und 
mit  großem  Interesse  gelesen ;  auch  trage  ich  nicht  das  mindeste  Bedenken,  dem  beyzu- 
pflichten,  was  der  Verfasser  am  Schluße  seiner  Kritik  zur  Empfehlung  und  Geltend- 
machung des  hohen  Werthes,  und  der  vorzüglichen  Bedeutsamkeit  und  Fruchtbarkeit 
Ihrer  Forschungen  im  Gebiete  der  Metaphysik,  so  wie  im  gesammten  Gebiete  der 
Philosophie  überhaupt,  so  wahr  und  treffend  gesagt  hat.  —  Sollte  aber  wohl,  wie  Sie 
meinen,  der  scharfsinnige  Prüfer  Ihrer  psychologischen  Theorie  die  Substanz,  der 
Seele  wirklich  in  ein  Fichtesches  Ich  verwandelt  haben,  und  sollten  auf  dieser  Ver- 
wandlung nur,  alle  seine,  Ihrer  psychologischen  Theorie  entgegengestellten  Forde- 
rungen und  Behauptungen  beruhen?  —  Wenn  Brandis  die  Fragen  Ihnen  vorlegt: 
Wie  ein  Mannigfaltiges  von  Objecten  in  ein  Vorstellen  zusammengefaßt  werden 
solle,  so  lange  noch  kein  Zusammenfaßendes  Subject,  oder  kein  Vorstellender,  vor- 
handen ist;  indem  die  schlechthin  einfache  Wesenheit,  woraus  das  Ich  wird,  für  ein 
zusammenfassendes  Ich  nicht  gelten  könne?  —  so  hat  er  damit,  wie  es  mir  scheint, 
doch  wohl  nur  das  Kantische  Ich  denke  im  Sinn  gehabt,  und  so  nach  die  reine  und 
ursprüngliche  Apperception  geltend  machen  wollen,  welche  Kant  als  dasjenige  Selbst- 
bewußtseyn  beschreibt,  das,  indem  es  die  Vorstellung:  Ich  denke  hervorbringt,  die 
alle  andern  muß  begleiten  können,  und  in  allem  Bewußtseyn  ein  und  dasselbe  ist, 
von  keiner  weiter  begleitet  werden  kann.  In  diesem  wirksamen  Grunde,  und  ge- 
meinsamen Träger  der  verschiedenen  appercipirenden  Vorstellungsmasseu  hätte  also 
Ihr  Recensent  doch  mehr  als  einen  bloßen  gemachten  Mittelpunct  anerkennen  zu 
müssen  geglaubt.  Freilich  wohl  ist,  wie  Sie  bemerken,  dieser  Mittelpunct  im  Laufe 
des  ganzen  Lebens,  selbst  bey  gesunden  Menschen,  ein  veränderlicher;  aber  diese 
Veränderlichkeit  bezieht  sich,  denke  ich,  doch  immer  nur  auf  die,  nach  Qualität  und 
Quantität  einem  steten  Wechsel  und  Wandel  unterworfene  Vorsteliungssphäre,  die 
bey  geistig  gesunden  Menschen  denselben  unverrückt  bleibenden  Mittelpunct  um- 
giebt.  —  Von  der  Anhänglichkeit  an  dieses  Kantische  Ich  in  der  Dignität  seiner 
Einheit  und  Identität,  kann  auch  ich  mich  nicht  losmacheu,  und  bekenne  darum  mit 
Kant:  daß  der  Mensch  in  seiner  Vorstellung  das  Ich  haben  kann,  erhebt  ihn  un- 
endlich über  alle  andern  auf  Erden  lebenden  Wesen.  Dadurch  ist  er  eine  Person, 
und,  vermöge  der  Einheit  des  Bewußtseyns,  ein  und  dieselbe  Person.  Übrigens 
gibt  es  für  den  kritischen  Idealismus  doch  auch  ein  Wir\  ja  selbst  der  subjective 
Idealismus  der  Fichte'schen  Lehre  muß  nolens,  volens  auch  das  Wir  anerkennen. 
Will  auch  eines  der  jüngsten  und  sinnreichsten  Spottgedichte  von  A.  W.  Schlegel, 
dem  Fichteschen  Ich  nachsagen:  daß  es  das  Du  und  Er  kaum  neben  sich  gelitten: 
so  mußte  es  doch  nothgedrungen  das  Wir  neben  sich  dulden.  Gesteht  ja  doch  der 
Ichheitslehrer  selber  ganz  offen  und  unumwunden  es  ein:  daß  der  theoretische  Theil 
seiner  Wissenschaftslehre  wirklich  der  systematische  Spinozismus  sey,  nur  mit  dem 
Unterschiede,  daß  eines  jeden  Ich  selber  die  einzige  höchste  Substanz  sey.  Wie 
wäre  auch  wohl  überall  ohne  die  Voraussetzung  und  ||  Anerkennung  einer  Welt  der 


Januar   T832.  283 

Intelligenzen,  und  einer  Gemeinschaft  unter  den  einzelnen  Gliedern  derselben,  noch 
irgend  ein  Eingang  in  die  idealistische  Wissenschaftslehre  möglich?  —  Was  nun 
ferner  noch,  als  einen  Punct  von  erheblicher  Wichtigkeit,  Ihr  Recensent  vorge- 
bracht hat,  betrifft  den  Widerspruch,  den  er  zwischen  Ihrer  psycholog.  Theorie 
und  dem  praktischen  Postulate  der  freien  Selbstbestimmung,  und  der  davon  ab- 
hängenden moralischen  Zurechnung  entdeckt  zu  haben  glaubt.  Zur  Rechtfertigung 
dieser  freyen  Selbstbestimmung  ruft  er  sogar  einen  Hauptsatz  aus  Ihrer  eignen 
Theorie  auf,  indem  er  das  bewußte  Muß,  ausgesprochen  in  der  Behauptung:  daß 
unter  den  mehreren  Vorstellungsmassen  irgend  eine  die  letzte  seyn  müsse,  welche 
darum  auch  als  die  höchste  appercipirende,  nicht  wieder  appercipirt  werde,  Ihren 
Angriffen  gegen  die  Annahme  freyer  Selbstbestimmung  entgegenhalten  will.  —  In 
dieser  Behauptung  liegt,  wie  es  auch  mir  scheint,  ein  unwidersprechlich.es  Zeugniß 
für  die  freye  Selbstbestimmung,  mit  welcher  sodann  auch  eo  ipso,  Ihrer  eigenen 
Theorie  zu  Folge,  die  moralische  Zurechnung  ihre  vollkommene  Rechtfertigung  findet. 
Diese  Zurechnung  kann  aber  doch  immer  nur,  wie  mich  dünkt,  den  freyen  Willens- 
bestimmungen der  eignen  Person  gelten.  Oder  sollte  es  auch  eine  Zurechnung 
geJben,  die,  wie  Sie  behaupten,  gar  nicht  an  der  einzelnen  Person  klebt,  und  sollte 
eine  solche  in  eigentlicher  und  strenger  Bedeutung  eine  moralische  heißen  können? 
Also  sollte  darum  Jemand  auch  das  Verdienst  oder  die  Schuld  eines  Andern  zum 
eignen  Verdienst  oder  zur  eigenen  Schuld  sich  mehr  oder  weniger  anrechnen 
dürfen?  —  Sey  denn  auch  die  Person  des  Andern,  wie  z.  B.  die  Person  des  Sohnes 
dem  Vater,  oder  das  einzelne  Mitglied  einer  Nation  den  übrigen  Mitgliedern  derselben 
nicht  fremd;  immer  sind  und  bleiben  doch  die  Handlungen  dieser,  durch  irgend 
ein  geselliges  Band  mit  mir  vereinigten  Personen  mir  fremd  wofern  ich  nur  überall 
mir  bewußt  seyn  darf,  durch  meine  selbsteigne  freye  Causalität  keinen  aliquoten  Antheil 
auf  irgend  eine,  positive  oder  negative,  directe  oder  indirecte  Weise,  an  den  Thaten 
der  mir  nicht  fremden  Personen  gehabt  zu  haben.  Mag  denn  immerhin,  auch  noch 
unter  dieser  Bedingung,  ein  Vater  dessen  sich  schämen,  was  der  Sohn  thut;  oder 
eine  Nation  dessen  sich  schämen  oder  rühmen,  was  ihre  einzelnen  Mitglieder  thun, 
diese  Gefühle  sind  ja  doch,  meine  ich,  nicht  gleichartig  mit  den  eigentlichen  mo- 
ralischen Gefühlen  der  Reue  und  der  Vorwürfe  des  strafenden  Gewissens,  oder  im 
entgegengesetzten  Fall,  mit  den  moralischen  Gefühlen  der  Selbstbilligung  und  Selbst- 
zufriedenheit, und  des  edlen  moralischen  Stolzes  wegen  des  größeren  oder  geringeren 
Antheils,  den  die  selbsteigne  Person  an  den  Handlungen  der  fremden  sich  zu- 
schreiben darf.  Jene,  nur  uneigentlioh  so  genannten  moralischen  Gefühle  ent- 
springen, denke  ich,  doch  immer  aus  irgend  einer  pathologischen  Quelle.  —   — 

Die  Ihnen,  mein  Verehrtester!  hier  in  der  Kürze  auch  meinerseits  mit  Frey- 
müthigkeit  und  Offenheit  dargelegten  Zweifel  und  Bedenklichkeiten,  welche  auch 
meiner,  wie  Ihres  Recens.  Überzeugung  zufolge,  Ihrer  psychologischen  Theorie  im 
Wege  stehen,  können  und  dürfen  mich  doch,  wie  schon  gesagt,  so  wenig  wie  Ihren 
liberal  denkenden  Recens.  abhalten,  in  das  wohlgegründete  und  gerechte  Lob  ein- 
zustimmen, welches  derselbe  am  Schluße  seiner  Kritik  Ihren  verdienstlichen 
Bemühungen  ertheilt  hat.  An  der  Aufrichtigkeit  dieses  meines,  Ihnen  selbst  hier- 
mit wiederholentlich  abzulegenden  Bekenntnißes  nicht  zweifelnd,  werden  Sie,  Ver- 
ehrungswerthester!  nun  auch  überzeugt  seyn  können,  wie  höchst  mißfällig  mir  eine 
Darstellung  und  Würdigung  Ihres  philosphischen  Systems  seyn  müsse«  in  welcher 
Ihre  Absichten  verkannt,  Ihre  hauptsächlichsten  und  wichtigsten  Lehrsätze  auf  eine, 
oft  recht  grobe,  Weise  entstellt  und  gemißdeutet  weiden,  und  die  gesammte,  von 
Ihrem  Standpuncte  aus  sich  darbietende  Weltansicht  in  ein  falsches  Licht  ||  gestellt 
wird.     Eia    solche  verkehrte    und    ungerechte   Auffassungs-    und   Behandlungsweise 


284  Januar  1832. 

Ihres  Systems  kam  mir  vor  wenigen  Tagen  zu  Gesichte,  als  ich  die,  dem  Morgenblatt 
einverleibten,  von  W.  Menzel  herausgegebenen  Literaturblätter  durchging,  und  unter 
ihnen  in  den  Nummern  86  bis  94  (Aug.  u.  Sept.  1831)  die  von  Fichte  gegebene 
Übersicht  der  neuesten  phisosoph.  Literatur  erblickte.  Daß  der  speculative  Revident 
bey  seiner  Revision  die  Origiualwerke  Ihres  philos.  Geistes  nicht  übersehen  und 
übergehen  konnte  u.  durfte,  versteht  sich  wohl  von  selbst:  aber  wie  schief  und  ver- 
kehrt hat  er  die  wichtigsten  und  bedeutendsten  Lehrstücke  Ihres  Systems  aufgefaßt; 
und  was  hat  er  aus  ihnen  gemacht!  Und  doch  will  er  seine  Darstellung  für  den 
ersten  Versuch  angesehen  wissen,  Sie,  als  Philosophen,  der  allgemeinen  Denkweise 
etwas  näher  zu  bringen.  Seltsam  u.  wunderlich  müßte  man  schon  die  Zusammen- 
stellung zwischen  Ihrer  Philosophie  und  der  mystisch  speculativen  Transscendenz  der 
Troxler'schen  Anthroposophie  finden,  wenn  man  nicht  bald  u.  leicht  die  Absicht  da- 
bei erriethe.  Opposita  juxta  se  posita  pp.  —  Das  System  eines  unverholen  und 
aufrichtig  dargelegten  Irrthums,  wofür  der  ungetreue  Referent  das  Ihrige  ansieht 
und  ausgibt,  sollte  ohne  Zweifel  einem  System  der  Wahrheit  zur  Folie  dienen.  Denn 
in  dem  Spiegel  der  Troxler'schen  Anthropo-  u.  Theosophie  erblickt  ja  der  Revident 
die  Wahrheit;  zwar  noch  nicht  die  ganze  u.  volle;  aber  doch  schon  als  Vorbereitung 
u.  Einleitung.  Denn  die  Wahrheit  als  vollendetes  u.  beschlossenes  System,  wird  erst 
künftig  doch  bey  ihm  selber,  in  einer  vollendeten  Selbstorientierung  des  Menschen- 
geistes in  sich,  zu  heben  seyn.  Man  kann  nun  schon  voraussehn,  wohin  dieses  führen 
wird.  Der  Sohn  wandelt  auf  dem  Wege  der  Mystik  raschen  Schrittes  fort,  welchen 
Weg  der  Vater  in  den  letzten  Zeiten  seiner  Speculation,  betreten  hatte.  Wie  selbst- 
genügsam sieht  nun  der  eingebildete  Inhaber  der  allein  wahren  Philosophie  auf  die 
Ihrige  als  ein  System  des  Irrthums  herab!  Durch  die  Brille  seiner  transscendenten 
mystisch  speculativen  Theologie  erblickt  er  in  Ihrem  System  eine  Ansicht,  in  welcher 
Gott  das  überflüßigste  und  unverständlichste  Wesen  sey,  was  es  gibt,  mehr  noch 
Lückenbüßer  und  Widerspruch  als  in  der  Kantischen  Lehre,  weil  die  Urelemente 
und  ihre  Trennung  in  Verbindung  hinreichten,  Alles  zu  erklären.  Ja  noch  mehr, 
und  noch  ärgere  Verblendung  in  der  Auffassung  und  Deutung  Ihrer  wichtigsten 
Lehrsätze!  Statt  der  Voraussetzung  eines  Gottes,  als  des  harmonisirenden  Princips 
zwischen  dem  Seelischen  u.  Leiblichen  im  Menschen,  soll  der  scharfsinnige  Philo- 
soph in  Ihrer  Person  so  gar  den  bloßen  Zufall  zu  jenem  Princip  gemacht  haben. 
Überhaupt  sey  die  Begründung  des  religiösen  Glaubens  durch  die  teleologische  Be- 
trachtung der  Natur  nur  ein  Widerspruch  mehr  in  Ihrem  System,  da  diese  teleologischen 
Betrachtungen  nur  die  Einbildungen  der  in  sich  verschloßenen  Seele  seyen,  die  sie 
irrig  auf  die  Außenwelt  übertrage.  —  Wie  hat  der  Verblendete  in  diesem  Puncte, 
worüber  Sie  sich  so  deutlich  und  mit  so  bestimmter  Überzeugung  erklärt,  so  gröb- 
lich Sie  mißdeuten  können!  Was  Sie  am  Idealismus  und  mithin  auch  selbst 
an  Kant  tadeln,  daß  der  idealistische  Zug  in  seiner  Lehre  allein  Schuld  an  seiner 
schädlichen  Geringschätzung  der  Teleologie  sey,  das  wird  Ihnen  hier,  als  Ihre  selbst- 
eigene Ansicht,  untergeschoben.  Ich  citire  namentlich  diese  Stelle  aus  Ihrer  Ency- 
klopädie,  die  ich  nur  noch  erst  ganz  flüchtig  durchgehen  konnte,  weil  ich  sie  so- 
eben erst  aus  unserm  Buchladen  erhalten  habe.  Der  erste  Überblick  ihres  klaren 
und  gehaltvollen  Inhalts  hat  mir  indessen  schon  zu  meiner  Freude  unsre  Ueberein- 
stimmung  in  Ansehung  unserer  feindseligen  Stellung  u.  unsers  entschiedenen  Wider- 
willens gegen  alle  und  jede  theologische  Scholastik  und  Mystik  bestätigen  können. 
Möge  dieses  Ihr  neues  fürs  praktische  Leben  berechnetes  Werk  nicht  ohne  den  be- 
absichtigten Erfolg  bleiben!     Mit  diesem  Wunsche 

Ihr  aufrichtiger  Verehrer    Jäsche. 
N.  S.     Mein  ältester  verehrter  Freund  u.  College,  Prof.  Morgenstern,  trägt  mir 
auf,  sich  Ihrem  fortdauernden  freundschaftl.  Andenken  bestens  zu  empfehlen. 


Januar   1832.  285 

388.     An    Brandis.1)  Königsberg  15  Januar  32. 

Ihr  letzter,  gestriger  Brief,  mein  verehrtester  Freund!  ist  mir  ein 
theurer  Beweis  des  Ernstes,  den  Sie  in  unsre  gemeinsame  Betrachtung 
legen.  Heute  kann  ich  nur  wie  in  der  Parenthese  darauf  antworten. 
Könnten  wir  nur  einmal  wieder  mündlich  conferiren!  Aber  —  was  Sie 
jetzt  wahrscheinlich  schon  von  Berlin  aus  wissen,  —  dorthin  zieht  man  — 
Gablern.2)  Ein  achtungswerther  Reisender,  der  über  Berlin  kam,  hat  es 
mir  bestätigt.  Als  ich  von  Gablers  Schriften  etwas  Näheres  zu  hören 
wünschte  (denn  ich  weiß  nur  kaum  daß  Gabler  eine  theoretische  Philo- 
sophie geschrieben  hat,)  vernahm  ich,  Gabler  habe  sich  besonders  empfohlen 
durch  —  eine  Recension  über  —  Krugs  Fundamental -Philosophie.  — 
Hier  in  Königsberg  giebt  es  noch  jetzt  Ungläubige;  zu  denen  ich  jedoch 
nicht  gehöre. 

Nun  eine  andere  Nachricht.  In  dem  Intelligenzblatt  der  Hallischen 
Literatur  Zeitung  werden  Sie  —  zwar  nicht  eine  Antikritik,  aber  „zwey 
Worte  über  Naturphilosophie" 3)  von  mir  finden.  H.  Gruber  bot  mir  durch 
•den  Buchhändler  Schwetschke,  den  Platz  zu  einem  kurzen  wissenschaft- 
lichen Aufsatze  an.  Daß  sowohl  Sie  als  Drobisch  meine  Naturphilosophie 
unberührt  gelassen  haben,  konnte  mich  zu  einer  Art  von  Selbstanzeige 
veranlassen;  den  Anknüpfungspunct  aber  habe  ich  von  etwas  fremdem 
hergenommen;  von  einer  Stelle  in  einem  französischen,  medicinischen 
Journal,  worin  mein  Satz,  daß  die  Reizbarkeit  der  Vorstellungsreihen  den 
Grund  der  geistigen  Thätigkeit  enthält,  auf  eine  Reihe  von  —  Gehirnganglien 
hinübergezerrt  war.  Mein  Aufsatz  bezeichnet  nun  nach  Erwähnung  jener 
schätzbaren  Recensionen  sich  selbst  als  Ergänzung  der  einen  oder  Gegen- 
bemerkung zur  andren,  ohne  daß  eine  nähere  Nachweisung  nöthig  sey. 
Der  Hauptsatz  des  Aufsatzes  aber  ist  dieser:  ohne  innere  Zustände  ist 
keine  Materie  begreiflich.  || 

Dieser  Satz  wird  zwar  bey  den  Naturlehrern  eben  so  wenig  Glück 
machen,  als  bey  Ihnen  der  andre:  aus  innern  Zuständen,  welche  selbst 
Empfindungen  sind,  ist  das   Bewußtseyn   begreiflich. 

Aber  um  zunächst  das  Nächste  zu  überlegen:  es  kommt  nun  darauf 
an,  ob  Sie  für  gut  finden,  meine  Encyklop[ädie]  jetzt  schon  zu  recensiren, 
oder  erst  später.  Jedenfalls  haben  Sie  keine  weitere,  öffentliche  Gegen- 
Äußerung,  weder  von  mir,  noch  von  sonst  Jemandem  zu  erwarten;  nämlich 
soweit  man  bis  jetzt  absehen  und  beschließen  kann.  Eher  wäre  möglich, 
daß  Sie  privatim  das  erführen,  was  Drobisch  bey  Ihrer  Recension  der 
Met.  gedacht,  und,  wie  er  schreibt,  sich  aufgezeichnet  hat.  Denn  da  Ihr 
Brief  lange  vergebens  erwartet  wurde,  habe  ich  einen  sehr  freundlichen 
Brief  des  Herrn  Gruber  dahin  beantwortet,  es  sey  wünschenswerth,  daß 
man  sich  privatim  verständige,  daß  ein  so  Unbefangener  wie  Drobisch,  bey 
Ihnen  Gehör  finde,  —  und  daß  alsdann  es  Ihnen  überlassen  bleibe,  in 
Ihrer  neuen  Recension  die  vorige  entweder  zu  modificiren  oder  zu  ver- 
stärken. Vielleicht  wird  nun  Hr.  Gruber  zwischen  Ihnen  und  Drobisch 
eine  Mittheilung  veranlassen,   —   vielleicht  auch   nicht.   — 

')  4  S.    4U.  —  Vgl.  Nr.  386. 

2)  G.  A.  Gabler,    1786  — 1853,   Hegelianer,  damals  Prof.  in  Halle. 

3)  S.  Bd.  VIH,  S.  438  ff. 


2  86  Januar   1832. 

Wollen  Sie  meinen  Wunsch  wissen:  so  muß  ich  sagen,  daß  dieser 
sich  nicht  mit  einem   Worte  aussprechen  läßt. 

Der  Augenblick  ist  wichtig,  und  selbst  dringend.  Die  Hegeische 
Parthey  sucht  sich  zu  behaupten;  es  folgt  beynahe  nothwendig  daraus, 
daß  sie  über  mich  herfallen  muß.  Auch  Andre  werden  sich  stark  regen, 
und  für  sich  den  Moment  benutzen  wollen.  In  so  fern  wäre  es  mir  lieb, 
wenn  Ihre  Recens.  der  Encyklop.  bald  erschiene,  damit  doch  eine  wahr- 
hafte und  wohlmeinende  Nachricht  davon  an  das  Publicum  gelange.  — 
Aber  die  Sache  hat  zwey  Seiten.  ||  Was  ich  scheue,  das  sind  nicht  An- 
griffe, sondern  unverständige  Angriffe.  Was  ich  wünsche,  das  sind  solche 
Berichte  über  meine  Arbeiten,  wodurch  die  wahren  Fragepuncte  ins  Licht 
treten.  Nun  zeigt  mir  Ihr  letzter  Brief,  daß  wir  allerdings,  —  zwar 
noch  lange  nicht  einverstanden,  —  doch  in  gegenseitiger  Erklärung  vor- 
rücken. Und  insofern  wäre  ein  längerer  Briefwechsel,  folglich  eine  spätere 
Recension,  wünschenswerth.  Natürlich  aber  hängt  das  gänzlich  von  Ihrem 
Willen   ab. 

Auf  einen  Umstand  will  ich  noch  aufmerksam  machen.  Meine  Kräfte 
schwinden.  Junge  Männer,  wie  Strümpel,  müssen  bald  in  meine  Stelle 
treten.  Solchen  sind  Ihre  Recensionen  höchst  wichtig;  denn  gerade  deren 
innerer  Werth  macht,  daß  man  es  der  Mühe  werth  findet,  mich  gegen 
diese  zu  vertheidigen,  während  anderes  Geschwätz  ignorirt  wird.  Das  geht 
so  weit,  daß,  während  Strümpel  in  einem  Aufsatze,  der  nun  ungedruckt 
bleiben  wird,  Ihre  und  die  Leipziger  Rec.  der  Metaphysik  zugleich  in 
Betracht  gezogen  hatte,  mein  College  Sachs  sich  aufs  stärkste  dagegen 
erklärte,  und  fast  ereiferte.  Die  Leipziger  Rec,  sagte  er,  ist  soviel  werth 
wie  ein  Haufen  Visitenkarten;  wer  es  wagt,  gegen  Brandis  hervorzutreten, 
darf  auf  jene  nicht  einmal  einen  Blick  werfen. 

Nun  doch  noch  ein  paar  wissenschaftliche  Worte.  Als  ich  zuerst  Ihre 
jetzige  Frage  las:  wie  werden  innere  Zustände  empfunden?  war  mir  im  ersten 
Augenblick  zu  Muthe,  als  würde  ich  gefragt,  wie  kann  A  =  A  seyn?  — 
Allein  der  Fragepunct  liegt  in  der  bewußtlosen  Empfindung;  —  und  in  dem, 
was  Sie  den  Übergang  von  o  zu  1  nennen.  Während  ich  nun  das  Gewicht 
der  Frage  wohl  empfinde  (gerade  so  wird  mich  ein  Naturlehrer  fragen:  wie 
kann  Null,  —  ein  unräumliches  Einfaches,  jemals  1,  —  den  ausgedehnten 
Körper  ergeben?)  suche  ich  den  Grund  auf,  weshalb  Sie  die  Empfindung 
für  etwas  Mehr  halten,  als  für  das,  was  sie  unläugbar  ist,  nämlich  innerer 
Zustand.  Das  Mehr  nun  will  ||  ich  suchen,  mir  durch  ein  Beyspiel  deutlich 
zu  machen.  Man  hat  nicht  begreifen  können,  wie  ich  den  Begriff  der 
Pflicht  auf  ästhetische  Urtheile  zurückführen  könne,  da  doch  in  dem 
Sollen  ein  Befehl  liegt,  der  im  ästh.  Urth[eil]  nicht  enthalten  ist.  Hier  nun 
ist  die  Antwort  leicht.  Sehet  auf  die  Kinder!  Sie  fällen  ihr  ästhetisches 
Urtheil  über  den  Werth  der  Personen  oft  genug  dergestalt,  daß  sie  dabey 
entweder  an  gar  kein  Sollen,  sondern  bloß  an  den  Werth  der  Gesinnung 
und  Handlung  denken,  —  oder  so,  daß  sie  sich  als  befehlend  jenen  Per- 
sonen denken;  —  aber  es  fällt  ihnen  nicht  ein,  daß  der  Befehl  auf  sie  selbst 
zurückfallen  wird;  —  mit  einem  Worte,  das  Urtheil  zeigt  sich  hier  ohne  die 
Selbstgesetzgebung,  die  das  eigentlich  moralische  Gebiet  eröffnet.  —  Könnte 
ich  nun  eben  so  die  bewußtlose  Empfindung  in  der  Erfahrung  nachweisen, 


Januar   1832.  287 

so  möchte  ich  bald  gewonnen  haben.  Aber  es  ist  ein  schlimmer  Umstand 
für  mich,  daß  wenn  Sie  oder  ich  empfinden,  wir  allemal  sogleich  die 
Empfindung  appercipiren.  Denn  die  Empfindung  wirkt  sogleich  und 
unfehlbar  auf  unsre  schon  gebildeten  Vorstellungen.  Daher  kommts,  daß 
Ihnen  das  Wort  etwas  anderes  bedeutet,  als  mir.  Sie  legen  schon  in  das 
Empfinden  dasjenige  hinein,  was  in  der  That  das  Wort  ankündigt,  nämlich 
das  In-sich- finden;  während  ich  dies  Finden  nicht  eher  haben  kann,  als 
bis  Vorstellungen  in  aller  Form  und  Wirksamkeit  vorhanden  sind,  sogleich 
eingreifend  und  aneignend.  —  Und  wahrlich  nicht  unvermerkt,  wie  Sie 
sagen,  sondern  mit  klarer  Überzeugung  behaupte  ich,  daß  —  zwar  nicht 
die  Pflanze  als  Ganzes,  —  sondern  jedes  Element  der  Pflanze  empfindet. 
Und  nicht  bloß  der  Pflanze,  sondern  auch  des  Steins.  Desgleichen,  daß 
jedes  Element  meines  Leibes  empfindet;  —  und  daß  ohne  dies  Empfinden 
gar  keine  Materie  möglich  ist.  Erschrecken  Sie  nur  davor  nicht.  Dies 
Empfinden  ist  kein  Appercipiren;  nicht  einmal  ein  Vorstellen;  am  wenigsten 
eine  Spontaneität  des  Vorstellens.  Also  noch  lange  nicht,  was  Leibnitz 
seinen  Monaden  beylegte.  Es  ist  auch  kein  Empfinden  von  Roth  und 
Blau,  süß  und  sauer,  —  denn  das  sind  gerade  nur  Empfindungen  der 
Menschenseele  mittelst  des  menschlichen  Leibes.  —  Papier  und  Zeit  sind 
am  Ende.  —  Möchten  Sie!  mein  theurer  Freund,  endlich  vor  Schlägen 
des  Schicksals  Ruhe  haben!   —  Herzlich  der  Ihrige.      H. 

Sie  gedenken  am  Ende  Ihres  Briefes  noch  eines  theologischen  Puncts. 
Mein  theurer  Freund!  Hüten  Sie  Sich!  Die  transcendente  Theologie  ist 
entsetzlich  unvorsichtig;  sie  stürzt  sich  und  die  Religion  in  Gefahren,  die 
sie  nicht  kennt;  während  die  Naturlehrer,  unbekümmert  um  jene,  für  sich 
fortarbeiten,  und  —  um  an  kleine  Proben  zu  erinnern,  —  Psychologie 
ganz  ernstlich  für  einen  Appendix  der  Physiologie  erklären.  Da  sind 
andre  Gefahren  als  bey  mir,    —   dem  Kantianer!     [Am   Rande.] 

389.     An   Brandis.  *)  Königsberg  Jan  32. 

Mein  hochverehrter  Freund!  Diesen  Brief  bitte  ich  bey  Seite  zu  legen, 
bis  Sie  Sich  einmal  Muße  gönnen  wollen;  und  finden  Sie  etwas  Wider- 
wärtiges darin,  so  betrachten  Sie  es  als  ungeschrieben.  Meine  Pflicht  aber, 
gegen  Sie,  gegen  mich,  und  am  Ende  gegen  die  Wahrheit  selbst,  erfordert, 
daß  ich  Ihnen  nach  Überlegung  Ihres  letzten  Briefes  die  Antwort  darauf 
wenigstens  anbiete. 

Billig  knüpfe  ich  da  an,  wo  noch  am  ersten  ein  Vereinigungspunct 
zu  hoffen  scheint.  Den  unbegreiflichen  Grund,  auf  den  ich  die  Anordnung 
der  Weltkörper  zurückführe,  soll  ich  schon  bey  ihrer  Bildung  sich  wirk- 
sam erweisen  lassen.  Wollen  Sie  hiebey  stehen  bleiben:  so  habe  ich 
nichts  dagegen.  —  Wie  und  wo  die  göttliche  Vorsehung  eingreift  oder 
eingegriffen  hat,  ist  mir  unergründlich;  daß  es  geschehen  seyn  muß,  ist 
klar  aus  der  Thatsache.  Unser  menschliches,  zweckmäßiges  Wirken  ist 
bedingt  durch  unsren  schon  zweckmäßig  gebildeten  Leib;  von  hier  also 
reicht  keine  brauchbare  Analogie  hinauf  bis  zum  ersten  Ursprünge  des 
Zweckmäßigen.   —   Dennoch   rathe  ich  nicht  dazu,   die   Bildung  der  Welt- 

l)  4  S.    4°. 


288  Januar   1832. 

körper  aus  ihren  Elementen  zum  Anfangspunct  einer  Lehre  zu  machen. 
Von  andern  Weltkörpern  wissen  wir  nichts;  die  Sonne,  die  uns  das 
Wichtigste  wäre,  ist  uns  so  sehr  Geheimniß,  daß  wir  nicht  einmal  wissen, 
ob  sie  glühet,  oder  ob  sie  bewohnt  ist.  Die  Sonnenflecken  scheinen  eine 
sehr  turbulente  Oberfläche  anzudeuten;  das  Licht  aber,  welches  fast  kalt 
auf  unsre  Alpen  fällt,  möchte  sich  ohne  Gluth  sogar  leichter  erklären 
lassen.  Von  der  Erde  berichten  uns  die  Geologen  solche  Dinge  und  Ver- 
muthungen,  die  weit  mehr  auf  einen  sich  selbst  überlassenen  rohen 
Mechanismus  hindeuten,  als  auf  absichtliche  Kunst.  Anders  verhält  sichs 
mit  Lage  und  Bewegung  des  Planetensystems.  Laplace  wettet  zwey 
Billionen  gegen  Eins,  diese  sey  nicht  das  WTerk  des  Zufalls.  Das  hat 
Gewicht.  Newtons  erster  Stoß  für  die  Weltkörper  war  aber  nicht  nöthig. 
Und  eben  so  unnöthig  ist,  was  Sie  an  das  Vorige  knüpfen,  die  Vorsehung 
als  Prinzip  des  Wechsels  gelten  zu  lassen.  Die  Bewegungen  waren  da; 
sie  brauchten  nur  gemäßigt  zu  werden,  um  in  die  Gränzen  des  Zweck- 
mäßigen eingeschlossen  zu  werden. 

Sie  verlangen  nun  einen  Grund  der  Ruhe;  und  gleich  darauf:  woher 
der  Wechsel  von  Ruhe  und  Bewegung?  —  Hier  frage  ich:  wo  ist  Ruhe? 
Sie  ist  nirgends  vorhanden.  Daß  die  Fixsterne  sich  bewegen,  zeigt  theils 
die  sorgfältigere  Beobachtung,  theils  geht  von  hier  aus  die  wohl  begründete 
Vermuthung  der  Astronomen,  sie  seyen  alle  in  gegenseitiger  Bewegung. 
Nur  —  diese  Bewegung  ist  über  Erwarten  gering,  sie  müßte  sonst  schon 
dem  bloßen  Auge  merklich  werden,  wenigstens  zum  Theil.  Auch  hier 
also  ist  ein  Anknüpfungspunct  für  teleologische  Betrachtung.  Einen 
Wechsel  aber  giebt  es  bey  den  Planeten  nur  zwischen  ||  geschwinderer  und 
etwas  Weniges  verzögerter  Bewegung.  Dieser  Wechsel  ist  vollkommen 
erklärt  durch  die  Attractionsgesetze,  und  befremdet  Niemanden.  An 
Ruhe  ist  gar  nicht  zu  denken.  Die  relative  Ruhe  eines  Körpers  auf  der 
Erde  ist  keine  wahre  Ruhe;  und  wo  sie  scheinbar  vorkommt,  da  liegen 
die  Gründe  derselben,  —  durch  Widerstand  irgend  welcher  Art,  klar  am 
Tage.      Hier  fehlt  also   das   Factum,  worauf  sich  Ihre  Frage  richtet. 

Aber  Sie  wollen  den  Atomisten  —  und  auch  mir  —  die  Annahme 
der  ursprünglichen  Bewegung  nicht  zugeben.  Warum  denn  nicht  einmal 
jenen?  —  Denn  meine  Synechologie  mag  fürs  erste  aus  dem  Spiele 
bleiben.  —  Welches  Vorrecht  hat  in  Ihren  Augen  die  Ruhe  vor  der  Be- 
wegung? —  Etwa  dieses,  daß  Ruhe  keinen  Widerspruch  enthält?  —  Das 
wäre  gut,  wenn  die  Dinge  in  Ruhe  blieben.  Aber  gesetzt,  sie  hätten 
jemals  geruhet:  so  sind  sie,  wie  die  Erfahrung  zeigt,  in  Bewegung  ge- 
kommen, —  das  heißt,  sie  sind  in  den  Widerspruch  gekommen.  Das 
wäre  unerträglich  und  unmöglich,  wenn  —  Bewegung  etwas  in  den  be- 
wegten Dingen  wäre.  Sie  ist  aber  in  denselben  rein  nichts.  Es  ist  nur 
der  Ort  der  Dinge,  der  sich  verändert;  und  dieser  Ort  —  ist  ein  Be- 
griff des  zusammenfassenden  Denkens.  —  Und  dieses  zusammenfassende 
Denken  hatten  die  Atomisten  in  sich  entstehen  lassen,  ohne  davon 
Rechenschaft  zu  geben;  meine  Synechologie  liefert  nachträglich  dazu  die 
Rechenschaft. 

Aber  nun  —  kommt,  indem  ich  in  Ihrem  Briefe  rückwärts  gehe,  der 
schwierige  Punct,  —  nämlich  der  objective  Schein.    Auch  ohne  Zuschauer 


Januar   1832.  280. 

—  nämlich  ohne  wirklichen  Zuschauer  —  finden  die  Bewegungen  jeden 
Augenblick  wirklich  statt!  Gesetzt,  ich  könnte  diesen  Punct  nicht  genügend 
erledigen:  so  mögen  Sie  in  meinem  Namen  die  Geschichte  der  Philo- 
sophie fragen,  ob  irgend  ein  Denker  dabey  etwas  andres  gethan  hat,  — 
als,  —  den  Fragepunct  verhüllen  und  ignoriren,  den  ich  hervorgehoben  habe  ? 
Idealisten  und  Pantheisten  mögen  sagen  was  sie  wollen:  der  Astronom, 
der  ein  paar  Stunden  geschlafen  hat,  findet  den  Stern  nach  Verhältniß 
der  Zeit  vorgerückt,  wann  er  ihn  aufs  neue  beobachtet;  und  das  Vor- 
rücken geschieht  auch  wenn  es  gar  keine  Astronomen  giebt.  Aber  die 
Bewegung  konnte  beobachtet  werden;  darum  muß  an  die  Stelle  des  whk- 
lichen  Zuschauers  der  bleibende  ideale  Zuschauer  gesetzt  werden.  Für 
diesen  ist  die  Annäherung  des  Mondes  an  den  Fixstern  selbst  da  vor- 
handen (und  geschieht  ganz  regelmäßig)  wo  Mond  und  Fixstern  einander 
durchaus  nichts  thun\  das  heißt,  für  einander  nicht  vorhanden  sind.  Die 
Annäherung  aber  würde  für  einen  jeden  beliebigen  Standpunct  außerhalb 
der  Erde  sich  berechnen  lassen,  sobald  Sie  dorthin  das  Wesentliche  des 
ganzen  Ereignisses,  —  nämlich  einen  idealen,  —  oder  meinethalben  einen 
wirklichen  Zuschauer  versetzen  wollen,  dessen  Wirklichkeit  jedoch  voll- 
kommen überflüssig  ist.  Denn  es  kommt  bloß  auf  die  geometrische  Re- 
lation zweyer  Puncte  gegen  einen  dritten  an;  während  die  beyden  außer 
aller  inneren  Relation  unter  einander  und  gegen  den  dritten  sind.  Ruhe 
für  natürlicher  ||  halten  als  Bewegung,  heißt,  den  Raum,  worin  die  Ruhe 
sowohl  als  die  Bewegung  stattfinden  muß,  für  etwas  anders  nehmen  als 
für  eine  dem  möglichen  Zuschauer  vorgeschriebene,  unvermeidliche  Form 
der  Zusammenfassung.  Ist  hier  ein  Räthsel:  so  trifft  es  die  Ruhe  gerade 
so  hart  als  die  Bewegung.  Denn  Ruhe  ist  ein  räumliches  Prädicat;  der 
Raum  aber  beruht  auf  dem  Hier  und  Dort;  die  Ruhe  bezeichnet  mithin 
eine  Gegenseitigkeit;  und  doch  soll  ein  Ding  an  sich  ruhen  können,  als  ob 
dazu  keine  Gegenseitigkeit  nöthig  wäre!  —  Daß  jedes  Ding  in  seinem 
eignen  Räume  ruhet,  habe  ich  weitläuftig  entwickelt;  aber  dieser  eigne 
Raum  ist  ein  System  von  Beziehungen,  welche  sämmtlich  von  diesem 
Dinge  ausgehn;  sollen  nun  zwey  Dinge  räumlich  gesetzt  werden,  so 
kommen  sogleich  zwey  solche  Systeme  zum  Vorschein;  keins  derselben 
kann  das  andre  überwältigen;  das  heißt,  das  eine  Ding  kann  dem  andern 
bloß  durch  eine  leere  Raumconstruction  nicht  gebieten.  Daher  ist  gegen- 
seitige Ruhe  unendlich  unwahrscheinlich.  Bewegung  ist  zu  erwarten.  Der 
Begriff  aber  von  beyden  hat  die  gleiche  Schwierigkeit,  da  man  ihn  weder 
an  die  Dinge  selbst,  noch  an  den  wirklichen  Zuschauer  (nach  idealistischer 
Manier)  knüpfen  darf.  Zur  Ruhe  im  Räume  gehört  übrigens  Dauer  in 
der  Zeit.  Möchten  Sie  wohl  diese  Bestimmung  der  Zeit  (des  Gewebes 
aus  den  Negationen  Noch-nicht  und  Nicht-Mehr)  auf  ein  Ding  an  sich 
übertragen?  Und  muß  man  erst  Idealist  seyn,  um  die  Ungereimtheit 
hievon  einzusehen?  Oder  sind  die  ersten  Grundbegriffe  der  Ontologie  dazu 
hinreichend? 

Es  sollte  nun  wohl  klar  seyn,  daß  ich  ein  Prinzip  des  Wechsels,  noch 
außer  der  ursprünglichen  Bewegung  durchaus  ablehnen  muß,  wo  nicht 
Zweckmäßigkeit  hervortritt.    An  Gründen  des  Wechsels  zeigt  meine  Natur- 

Herbarts  Werke.     XVII.  19 


2QO  Januar  1832. 

Philosophie  einen  solchen  Reichthum  —  bloß  und  lediglich  aus  den  ver- 
schiedenen möglichen,  zu  erwartenden,  und  in  der  physikalischen  Er- 
fahrung sich  spiegelnden,  Verhältnissen  des  Gegensatzes  der  Elemente  ge- 
schöpft, —  daß  jedes  andre  Princip  des  Wechsels  nicht  bloß  eine  völlig 
überflüssige,  sondern  eine  höchst  lästige  Hypothese  wäre,  die  mir  ganz 
gegen  alle  Erfahrung  einen  Spuk  treiben  würde,  den  Niemand  erfahrungs- 
mäßig nachweisen  kann.  Gerade  die  Angemessenheit  meiner  Theorie  zur 
Erfahrung,  —  daß  sie,  verglichen  mit  dieser,  weder  zuviel  noch  zu  wenig 
enthält,  ist  hier  die  Hauptsache.  Das  Zuviel  wäre  hier  ebenso  schlimm 
als  das  Zuwenig.  Aber  möchten  Sie  nur  einmal  einen  Blick  in  die  Natur- 
philosophie werfen!  —  Dabey  sind  natürlich  die  gewöhnlichen  physi- 
kalischen Lehren  vorausgesetzt.  Es  versteht  sich  z.  B.  von  selbst,  daß, 
wenn  Elemente  aus  den  angegebenen  Gründen  sich  zu  einem  Weltkörper 
formten,  dieser  ohne  Weiteres  nicht  bloß  in  fortrückender,  sondern  auch 
in  der  Umdrehungs- Bewegung  um  eine  Axe  war.  Nur  ein  Wunder  hätte 
das  vermeiden  können;  denn  ||  aus  sämmtlichen  Bewegungen  der  zusammen- 
treffenden Elemente  setzt  sich  zuvörderst  eine  mittlere  des  Schwerpuncts 
nach  bekannten  mechanischen  Gesetzen  zusammen;  unter  den  Hebeln 
aber,  die  man  durch  den  Schwerpunct  legen  kann,  giebt  es  einen,  auf 
welchen  sich  die  Abweichung  vom  Gleichgewicht  an  allen  reduciren  läßt; 
dieser  bestimmt  eine  Umdrehungs-Ebene,  auf  welcher  die  Axe  senkrecht 
ist.  Ein  Wunder  wäre  es,  wenn  keine  Umdrehung  nöthig,  das  heißt, 
wenn  alle  Puncte  des  Körpers  mit  dem  Schwerpunct  genau  die  gleiche 
fortrückende  Bewegung  bekommen  hätten.  Ferner  versteht  sich  aus  meinen 
Grundsätzen  von  selbst,  daß  die,  starrer  Materienbildung  fähigen  Elemente 
schon  mit  strahlenden  Stoffen  behaftet  zusammenkamen,  so  daß  aus  allen  ein 
strahlender  Körper  entstehen  mußte,  wie  die  Sonne  es  ist,  und  nach  den 
neuern  Untersuchungen  die  Erde  es  höchstwahrscheinlich  gewesen  ist,  des- 
gleichen die  Fixsterne  offenbar  und  die  Planeten  wahrscheinlich.  —  Da- 
gegen scheint  mir  die  teleologische  Betrachtung  auf  die  Umdrehungszeiten 
zu  passen;  denn  diese  sind  auffallend  lang  in  Vergleich  gegen  die  Ge- 
schwindigkeit der  fortrückenden  Bewegung;  und  wo  wir  sie  kennen,  nicht 
sehr  von  einander  abweichend,  (10  Stunden,  —  24  Stunden  ungefähr). 
Sie  konnten  ohne  Vergleich  mannigfaltiger  erwartet  werden ;  aber  es  leuchtet 
ein,  daß,  wenn  wenigstens  auf  unsrer  Erde  die  übrigen  Bedingungen  des 
Lebens  gleich  blieben,  uns  ein  bedeutend  größerer  oder  kleinerer  Termin 
des  Tageswechsels  nicht  würde  gefrommt  haben.  Doch  reducirt  sich  auch 
hier  das,  was  zur  Herbeyführung  des  Zweckmäßigen  nöthig  war,  auf  eine 
Mäßigung  der  Bewegung;  entweder  verzögernd  oder  (was  minder  wahr- 
scheinlich) beschleunigend.  —  Endlich  habe  ich  die  höchst  einfachen, 
allgemeinen  Bedingungen  des  Lebens  so  deutlich  nachgewiesen,  daß  auch 
hier  gar  kein  neues  Princip  für  Belebung,  wohl  aber  ein  solches  für  zweck- 
mäßige Belebung,  nöthig  ist;  und  man  möchte  sagen,  daß  die  Vermeidung 
eines  sich  kläglich  hinschleppenden  Lebens  (welches  an  sich  allerdings 
möglich  war),  mehr  Wunderbares  habe,  als  die  Darstellung  des  gesunden 
und  kräftigen;  so  wie  Schiller  den  Dichter  mehr  erkennen  wollte  in  dem 
was  er  verschweigt  als  in  dem  was  er  sagt.  Und  so  ist  auch  eine  Teleo- 
logie,    die   sich    mit    dem   Wenigem  begnügt,    wozu    sie    guten   Grund  hat,. 


Januar   1832.  2QI 

weit  haltbarer,  als  eine  überfüllte,  die  etwa  bis  zur  Ichthyotheologie  fort- 
schreitet.    Die  vorkantische  Teleologie  starb  an   Hypertrophie. 

Sie  wollen  in   der  Seele  des  Subjects  —  Ich,  wiewohl  zugleich  mit  ihr 
vorhanden,  erst  nach  und  nach  zur  Bestimmtheit  des  Bewußtseyns  gelangen 
lassen.   Hier  stehen  Ihnen  meine  Untersuchungen  noch  auf  andre  Weise  ent- 
gegen, als  bloß  in  Hinsicht  auf  Beseitigung  des  Werdens.    Leider  begegnet 
uns  beyden,  was  so  oft  den  Metaphysikern,  daß  Jeder  die  Lehre  des  Andren 
verneint;  daher  ein  dritter  über  beyde  triumphirt.      Indessen  will  ich  den 
ersten    Abschnitt    des    ersten    Bandes    meiner    Psychol.    wenigstens    nicht 
brieflich  wiederhohlen.      Nur  das  Eine  noch:    Sie  sagen,    meine   neue  Be- 
gründung   des  Realismus   habe  Sie  zuerst   auf   meine  Schriften    hingeführt. 
Und  welches    ist  diese  Begründung?   —   Sie   ist  so  beschaffen,    daß  wenn 
ich    ein    absolutes   Ich,    ein  ursprüngliches  Princip  des  Werdens,    u.  d.  gl. 
denkbar  gefunden  hätte,  ich  leicht  und  glücklich  mit  Schelling,  Hegel,  u.  s.  w. 
im  Strom  der  Zeit  hätte  schwimmen  können.     Was  hinderte  mich  daran? 
Bloße  Neuerungssucht  damals  nicht,  als  ich  begann,  bloßer  Eigensinn  jetzt 
nicht,    da    ich    ende.     Was    aber    trennt    Sie    vom    Idealismus,    und    vom 
Spinozismus?    In  der  That,  wenn  Jemand  mich  danach  fragte,  ich  würde 
nicht  wagen  in  Ihrem  Namen  zu  antworten;  so  sehr  bin  ich  irre  geworden. 
Früher  verließ    ich  mich  auf  Ihre  scharfe  Auffassung   der   metaphysischen 
Grundprobleme;    und    demgemäß    hätte    ich    hoffen    können,    daß,     wenn 
Ihnen  meine  Vermeidung  der  Widersprüche  im  Realen,  meine  Abscheidung 
und   Beseitigung  der  Widersprüche  im   Formalen,  noch  nicht  genügte,    Sie 
eher  suchen   würden,   mein  Geschafft  zu  fördern,  durch  Nachhülfe,  als  mir 
zumuthen,  mich  irgendwie  von  neuem  in  diese  Widersprüche  zu  ergeben, 
oder  gar  vor  ihnen  das  Auge  zu  verschließen,  wie  die  Meisten  es  machen. 
Jetzt  aber  räume  ich    dem  Aristoteles    den   Platz;    und    rechne    zwar  nicht 
mehr    auf   Ihre    Zustimmung,    doch    auf  Ihre    freundschaftliche    Gesinnung. 
Das  Weitere  mag  nun1)   die  Recension  meiner  Encyklop.,  die  Sie  gütig  zu 
übernehmen  versprochen  haben,  mir  kund  thun.     In  dem  Augenblick,  wo 
eine  solche  Recension  bevorsteht,  schickt  sichs  ohnehin  nicht,  daß  ich  vor 
Ihnen  meine  Sache    führe.      Wenn    Ihr  Aristoteles   fertig   ist,    dann    haben 
Sie  vielleicht    bessere   Muße;    —    ich    aber    —    habe    dann    vielleicht   auf- 
gehört, die  Feder  zu  führen. 

Mit  aufrichtigster  Hochachtung  der  Ihrige  Herbart. 

Der  Ausdruck:  bewußtlose  Empfindung,  ist  nicht  genau.  Jede  Emp- 
findung ist  Bestandtheil  des  Bewußtseyns.  Gewöhnlich  aber  —  anstatt 
daß  wir  an  den  Gegensatz  des  Bewußten  und  des  Unbewußten,  d.  h.  des 
Ungehemmten  und  des  Gehemmten,  denken  sollten,  —  denken  wir  bey 
dem  Worte  Bewußtsfeyn]  an  unsre  geistige  Regsamkeit,  die  aus  der  Spannung, 
also  aus  der  Hemmung  und  dem  Gegenstreben,  erst  entsteht.  So  kehrt 
sich  das  Hinterste  nach  Vorn.  Und  dann  beruft  man  sich  auf  sogenannte 
Thatsachen  des  Bewußtseyns,  als  ob  davon  keine  Erklärung  nöthig  wäre. 
Die  Sprache  hat  sich  für  den  Standpunct  der  Reflexion  gebildet.  Daher 
hat  man  kaum  verständliche  Worte.  Bewußtlose  Zustände  sind  Hemmungen 
und    deren    Folgen.      Bewußtlose    Empfindung    sollte    heißen:    Empfindung 

2)  Das  Folgende  steht  an  den  Rändern  des  Briefes. 

19* 


2Q2  Januar    1832. 

ohne  Apperception.  Letztere  ist  jeder  einzelnen  Empfindung  zufällig;  und 
bey  Verschiedenen  verschieden. 

Die  Zweyheit  des  Empfundenen  und  des  Empfindenden  soll  in  der 
Empfindung  liegen?  —  Oder  wie  irgend  zur  Empfindung  gehören?  — 
Darüber  hat  doch  wohl  die  Empfindung  selbst  die  erste  Stimme.  Was 
für  eine  Zweyheit  liegt  denn  in  der  Empfindung  Roth?  oder  Blau?  oder 
Sauer?  oder  Warm?  oder  eis?  —  Ja  selbst  in  der  Empfindung  irgend  eines 
Schmerzes  oder  Wohlgeschmacks,  —  im  Gefühl  —  möchte  ich  nur  gar 
zu  gern  die  Wahrheit  mir  nachgewiesen  sehn,  weil  ich  von  den  Gefühlen 
überzeugt  bin,  daß  eine  Mehrheit  drin  liegt,  die  wir  nur  nicht  sondern 
können.  Aber  das  ist  auch  hier  nicht  die  Mehrheit  von  Object  und 
Subject,  welche  man  auf  dem  Standpunct  der  Reflexion  hineindenkt. 

Nach  Ihnen  müßten  Roth  und  Sauer  und  Warm  und  eis  etwas  Ge- 
meinsames enthalten  oder  anzeigen,  nämlich  —  das  Subject.  Wollen  Sie 
Sich  etwan  hier  auf  das  Kantische:  Ich  denke,  berufen?  —  Hätte  Kant 
eine  bessere,  stärkere,  ursprünglich  synthetische  Einheit  der  Apperception 
finden  können:  sie  wäre  ihm  ohne  Zweifel  sehr  willkommen  gewesen.  Hat 
einer  der  folgenden  etwas  Besseres  an  dieser  Stelle  gewußt?  Wissen  Sie 
etwas  Besseres?  Mit  dem  Satze:  das  Ich  denke  muß  alle  meine  Vorst. 
begleiten  können,  ist  weiter  nichts  gesagt  als  die  Möglichkeit  des  Hinzu- 
denkens auf  dem  Standpunct  der  Reflexion.  Und  nochmals  bitte  ich: 
Hüten  Sie  Sich  vor  Reinhold!   Sie  sind  ihm  zu  nahe. 

In  Hinsicht  der  Freyheitslehre  habe  ich  von  jeher  weit  mehr  Schonung 
geübt,  als  sich  irgend  Jemand  vorstellen  mag.  Denn  ich  bin  bey  weitem 
nicht  bloß  von  der  theoretischen  Seite  dagegen,  sondern  auch  in  jeder 
Hinsicht  von  der  praktischen.  Diese  Lehre  des  Übermuths  und  der  Un- 
verbesserlichkeit, auf  Gott  übertragen,  giebt  ihm  zuerst  das  Ansehen,  als 
hätte  Er  den  Unterschied  des  Guten  und  Bösen  nach  Belieben  gemacht, 
und  den  menschlichen  Gemüthern  eingepflanzt,  —  während  ihm  auch  das 
Gegentheil  frey  gestanden  hätte;  und  dann  regt  sie  die  Frage  auf:  konnte 
der  Heilige  sich  für  irgend  einen,  gleichviel  welchen  Zweck,  solcher  Mittel 
bedienen,  die,  wenn  auch  nur  als  Mittelglieder  und  Mittelstufen,  doch  an 
sich  betrachtet  das  Schlechte  und  das  Böse  voraussehn  ließen?  —  — 
Demüthig  zu  schweigen,  ist  hier  am  besten;  aber  Schweigen  ist  nicht  die 
Sache  der  Dogmatik! 

Mit  den  neuern  Theologen  bekannt  zu  seyn,  darf  ich  mich  nicht 
rühmen;  aber  was  ich  davon  zufällig  sehe,  macht  mich  nicht  neugierig. 
Daß  Religion  wesentlich  auf  dem  Gefühle  beruht,  versteht  sich  von  selbst; 
das  lag  aber  schon  in  Kants  Lehre,  nach  welcher  das  Bewußtseyn  des 
sittlichen  Bedürfnisses  als  Grund  der  Religion  anerkannt  war.  Daß  meine 
Erneuerung  der  Teleologie  nichts  bedeuten  würde,  wenn  sie  nicht  dies 
Bedürfniß  und  das  Gefühl  und  das  Wissen  desselben  als  sich  von  selbst 
verstehend  voraussetzte,  habe  ich  deutlich  gesagt.  Aber  Ihre  schlecht- 
hinnige  Selbstbestimmung?  —  Hätte  ich  dagegen  keine  metaphysischen 
Gründe,  so  müßte  ich  aus  sehr  starken  praktischen  Gründen  davor  er- 
schrecken. Ich  sage  erschrecken ;  —  überlasse  Ihnen  jedoch,  mir  Ihre  Begriffe 
von  Theodicee,  mit  welcher  ich  unter  Voraussetzung  strenger  absoluter  Selbst- 
bestimmung nicht    fertig  werden   kann,  —  einmal  genauer   zu   entwickeln. 


Januar   1832. 


2Q3 


In  Zeitschriften  lese  ich  vom  Fichteschen,  Schellingschen,  Hegeischen 
Gott!  —  Das  ist  in  meinen  Augen  die  miserabelste  Seite  der  neueren 
deutschen  Philosophie.  Theils  erinnert  es  an  den  Spruch  Voltaires:  Si 
Dieu  n'existoit  pas,  il  faudroit  l'inventer.  Theils  fragt  sich  noch,  was  half 
denn  das  Erfinden  wider  alle  Kantische  Warnung?  Als  die  Philosophen 
eine  dogmatische  Theologie  erfunden  hatten,  da  wurden  schnell  die  Theo- 
logen wieder  Supranaturalisten,  und  man  zankte  aufs  neue  über  Wunder, 
die,  man  mag  sie  behaupten  oder  leugnen,  immer  neben  dem  großen 
Wunder  der  Menschenschöpfung  verschwinden.  Und  die  Supranaturalisten 
sind  Zeloten  geworden.  Ein  ganz  natürlicher  Klimax;  den  Fichte  sogar 
schon  damals  hätte  vorhersehen  sollen,  da  er  mit  idealistischem,  aber 
keineswegs  theologischem  Übermuthe  die  Kirche  zur  Klage  über  Atheismus 
reizte.     Alles  Folgende  war  Reaction. 


390.    An  Griepenkerl.1) 


232 


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Königsberg,   27.  Januar   1832. 


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*)   1  S.  40  u.  Notenbeilage    H.  Wien.     Bereits    gedruckt   bei    Zimmermann,    Un- 
gedruckte Briefe  pp.  S.  64  ff.     Die  Noten  sind  dort  faksimiliert. 


2Q4 


Januar   1832. 


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Voraussetzend,  mein  alter  Freund,  daß  an  unserm  ästhetischen  Ein- 
verständniß  etwas  gelegen  sey,  disputire  ich  mit  Ihnen  in  Tönen,  da  ich 
mein  Lebenlang  über  Musik  nicht  habe  viel  reden  mögen.  Dies  wird 
wenigstens  helfen,  daß  Sie  mein  tempo  besser  treffen.  Denn  schwerlich 
hätten  Sie  in  jener  Fuge  aus  Es-dur  Gesichter  gesehen,  wäre  sie  Ihnen 
nicht  durch  zu  langsames  tempo  auseinander  gefallen.  Die  Fuge  hat  nur 
Ein  Gesicht:  aber  ein  skeptisches;  und  die  Skepsis  liegt  im  Thema; 
welches  durch  Veränderung  einer  einzigen  Note  (B)  aus  Es-dur  in  C-moll 
übergehn  würde,  und  welches  wirklich  so  lange  schwankt,  bis  dies  B  er- 
tönt, und  H  aufhebt.  Ein  kleines  Räthsel  mag  in  dem  Ursprung  dieser 
Skepsis  liegen;  es  läßt  sich  lösen  durch  den  Anblick  meines  Manuscripts. 
Eine  größere  Arbeit,  von  der  ich  Ihnen  geschrieben,  füllte  das  Notenblatt 
nicht  ganz.  Der  Lückenbüßer,  den  ich  Ihnen  abschrieb,  ist  —  Reflexion 
über  das  Vorige.  Nach  einem  sehr  entschiedenen  Schlüsse  in  Es-dur, 
nach  Besiegung  aller  Nebentonarten,  nach  einer  sehr  schnellen  Bewegung  — 
sieht  die  Reflexion  sich  um,  betrachtet  sich  nochmals  das  Feld,  —  hält 
die  Bewegung  um  ein  weniges  zurück,  —  wird  aber  beynahe  wiederum 
von  ihr  fortgerissen.  Der  stets  bewegte,  eine  noch  größere  Geschwindig- 
keit kaum  zurückhaltende  Vortrag,  ist  das  vollkommene  Gegenstück  zu 
jener  Gt's-moä-Fuge  —  aber  warum  nennen  Sie  diese  überhaupt?  —  Bey 
mir  ist  sie  längst    mit    dem  bonus  dormitat   Homerus  bezeichnet,    mit  ein 

paar  durchgehenden  Noten  ohne  alle 
Rhythmik  verbrämt,  und  durch  eine 
endlose  Paraphrase  in  die  Länge  gezogen, 
ohne  von  der  Stelle  zu  kommen,  —  ist  darin  der  Meister  zu  erkennen? 
Dazu  kann  ich  mich  nicht  bequemen.  —  Von  der  Kleinigkeit,  die  Sie 
hier  finden,  habe  ich  keine  Abschrift  behalten  und  sie  kaum  ein  paarmal 
durchgespielt;  sollte  Ihr  nächster  Brief  mir  etwas  darüber  sagen,  so  wird 
mein  Gedächtniß  wohl  bis  dahin  vorhalten.  Die  vorige  Fuge  schickte  ich 
Ihnen  eigentlich  in  der  Meinung,  Sie  würden  darin  den  Bau  der  musi- 
kalischen Periode  bemerken;  aber  davon  kann  nicht  die  Rede  seyn,  bevor 


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Januar   1832. 


das  Tempo  getroffen  ist.    Mag  die  Gis-moll  Fuge  dazu  gebraucht  werden. 
Die  meinige  ist  nur  eine  einzige  Periode,  im   Alla-breve  Tact. 

In  diesem  Tempo  bitte  ich  meine  Fuge  erst  zu  lesen,  um  sie  dann 
etwas  langsamer  zu  spielen;  so  wird  der  Ausdruck  zurückgehaltener  Be- 
wegung    herauskommen.       Und     nun     der     langen     Rede     kurzer     Sinn: 


S: 


z 


3=T£ 


-& 


g*- 


3=3=3 


-&- 


=J=q=tf 


1-\ 


— +-' — 1 1-^ 


ich   bitte:    Reflexion  und  Periodenbau,  zwey  sehr  wesentliche  Elemente  der 
Musik,   nicht  über  die  Stimmungen  zu  vergessen. 

Übrigens  heißts  jetzt,  man  habe  sich  in  B [erlin]  den  jungen 
Fichte  ausgesucht.  Das  war  meine  erste  Vermuthung.  Haben  Sie  die 
Ankündigung  der  Hegeischen  Werke  gelesen?  Man  soll  auf  sechzehn 
Bände  subscribiren !  Wer  sich  so  erdrücken  läßt,  ist  selbst  Schuld. 
Hätte  man  3  Bde.  als  Versuch  angekündigt,  es  wäre  schon  zu  viel  ge- 
wesen. Auch  wird  der  Erfolg  —  nach  allem  was  ich  beobachten  konnte,  — 
sehr  schlecht  seyn.  Aber  wir  sehn,  was  man  wagt,  und  durchzusetzen 
hofft!  —  Ich  schreibe  eben  an  einer  Rec.  über  Weisse  Syst.  der  Ästhetik,1) 
für  die  Jenaische  A.  L.  Z.  Strümpeln  suche  ich  in  meine  Correspondenz 
einzuführen;  jetzt  mit  dem  alten  trefflichen  Jäsche  in  Dorpat.  Leider! 
der  sucht  auch  noch  einen  Verleger  für  den  dritten  Band  seines 
Pantheismus,  worin  gerade  die  Kritik  der  heutigen  Systeme  erfolgen  sollte. 
Lassen  Sie  drucken,  wo  irgend  Sie  ohne  Verlust  können.  Die  Zeit  ist 
kostbarer  als  Alles.  Lassen  Sie  drauf  regnen  in  vollem  Gusse;  das  macht 
fruchtbar. 

An  Brandis  hab  ich  geschrieben:  es  werde,  so  viel  sich  für  jetzt 
absehn  und  beschließen  lasse,  gegen  seine  Rec.  weiter  nichts  gedruckt 
werden  als  ein  kurzer,  entfernt  andeutender  Aufsatz  von  mir  im  Hallisch. 
Int.  Bl.  unter  Aufschrift:  ,,zwey  Worte  über  Naturphilosophie".  Er  hatte 
nämlich  von  Halle  den  Auftrag  meine  Encyklop.  zu  recensiren  angenommen; 
aber  gesagt,  er  wolle  erst  erwarten,  was  ich  gegen  ihn  zu  sagen  habe. 
Wenn  nun  Sie  oder  Roer  jetzt  etwas  gegen  seine  Rec.  der  Metaph. 
drucken  lassen,  so  werde  ich  den  Schein  des  Vorwissens  zu  fürchten 
haben;  wortbrüchig  darf  ich  weder  seyn  noch  scheinen;  und  bitte  daher 
besonders  Roer  hievon  in  Kenntniß  zu  setzen.  Übrigens  ist  nur  Auf- 
schub nöthig.  Ich  habe  dem  Br[andis]  ausdrücklich  bemerkt:  meinen 
nähern  Bekannten  würde  das  Gewicht  seiner  Recension  vor  allen  andern 
der  Antrieb  seyn,  sich  in  der  Folge  besonders  über  diese  zu  äußein. 
Roer  wird  hoffentlich  für  jetzt  das  weglassen  können,  was  Br[andis]  betrifft. 

Übrigens  aber  —  abgesehen  von  Brandis,  —  hat  Roer  alle  Ursach 
zu  eilen!    Denn   daß    die  Sache  in   B [erlin]    schief    geht,    davon    halte    ich 


l)  S.  Bd.  XIII,  S.  250  ff. 


I 


Februar  1832.  297 

mich  völlig  überzeugt;  und  man  will  dort,  man  ist  thätig  wie  man  nur 
kann.  Eichstädt  schrieb  aus  Jena:  Reinhold  stifte  eine  neue  Schule. 
Etwa  ein  Journal?  Ganz  der  Ihrige      H. 

391.  An    Brockhaus.  Königsberg  6  Febr.  32. 

Ew  Wohlgeboren  haben  unterm  10  v.  M.  einen  gedruckten  Brief 
auch  an  mich  gelangen  lassen,  der  in  biographischer  Hinsicht  eine 
dankenswerthe  Vorsicht  zu  erkennen  giebt.  Beyliegende  Notizen  aus 
meiner  sehr  einförmigen  Lebensgeschichte  stehen  Ihnen  zu  Dienste.  *)  Daß 
ich  unter  den  ältesten  Mitarbeitern  Ihres  Hermes  war,  wissen  Sie  vielleicht 
nicht.  Seitdem  die  Polemik  des  Herrn  pp  Bachmann  gegen  mich,  darin 
Platz  fand,  ließ  ich  eine  Verbindung  fahren,  die  ich  sonst  vielleicht  auf- 
gesucht hätte,  um  in  jener  an  sich  zweckmäßigen  und  anständigen  Zeit- 
schrift  einige  philosophische   Arbeiten  bekannt  zu   machen. 

Mit  aller  Hochachtung      Herbart. 

392.  An    BrandiS.2)  Königsberg  7  Febr.   1832. 

So  eben,  mein  sehr .  verehrter  Freund!  empfange  ich  Ihren  gütigen 
Brief,  und  mache  mir  das  Vergnügen,  ihn  auf  der  Stelle  mit  Wenigem  zu 
verdanken.  Was  Sie  schreiben,  das  konnte  kaum  damals,  als  Sie  schrieben, 
Ihr  Ernst  seyn;  der  bloße  Gedanke  an  erbetene  Stellung  eines  philo- 
sophischen Lehrers  in  der  Nähe  des  Hofes  —  reicht  hin,  selbst  für  ganz 
andre  Verhältnisse  als  die,  welche  vom  Minister  und  seinem  Rathe  ab- 
hängen. Hätte  ich  Schritte  thun  wollen,  so  hätte  ich  mich  an  Ancillon3) 
gewendet.  Aber  ich  war  vom  ersten  Augenblick  an  völlig  entschlossen 
mich  dem  bewußten  Platze  durch  gar  keinen  von  mir  ausgehenden  Schritt 
zu  nähern.  Das  habe  ich  gehalten,  ohne  Wanken  und  ohne  Reue.  Das 
Übelste  aber  ist,  daß  ich  auch  so  schwerlich  Ruhe  haben  kann.  Man 
wird  mich  drücken  wollen,  —  und  das  Publicum  wird  sich  auf  ein  Schauspiel 
freuen.  Über  Hegels  in  16  Bänden  angekündigte  Schriften  wird  muth- 
maaßlich  von  hie  oder  dorther  meine  Aussage  verlangt  werden;  und  es  ist 
die  Frage,  ob  ich  schweigen  könne.  Sehr  Vieles  hängt  —  freylich  nicht 
bloß  für  mich,  denn  meine  Person  ist  hier  unbedeutend  —  von  der  Frage 
ab,  wie  und  welche  Stimmen  im  Publicum  die  geschehene  Ernennung  auf- 
regen wird?  —  Meine  Erwartung  ist:  daß  man  durchgehends  wohl  zufrieden 
seyn  wird.  Denn  längst  habe  ich  die  Nachgiebigkeit  des  literarischen 
Publicums  gegen  das,  was  man  ihm  aufdringt  (ce  qu'on  veut  fortement 
pour  lui)  bewundert,  —  und  wundere  mich  nun  nicht  weiter.  Selbst  der 
Nachfolger  wird  zahm  genug  seyn,  um  es  hinzunehmen,  daß  man  den 
Platz  verdarb,  indem  man  den  Vorgänger  für  unersetzlich  erklärte.  — 
Möchten  Sie  Sich  endlich  einmal  einer  dauerden  Gesundheit  Ihres  Hauses 
erfreuen  können!  Ihre  versprochene  Rec.  wird  mir  noch  in  einem  halben 
Jahre  nicht  zu  Gesicht  kommen;  denn  die  Hallische  Redaction  zögert 
meist  sehr  lange  mit  dem  Abdruck.  Davon  mache  ich  jetzt  wieder  selbst 
eine  Erfahrung.  Ganz  der  Ihrige     Herbart. 

*)  Für    den   Art.    „Herban"     in    Brockhaus'    Konvetsations-Lexikon.       Vgl.    Brief 
Herbarts  an  Sachs  v.   26.  März    1833   im  folgenden  Bande. 
a)  1  S.    4°. 
3)  S.  o.  S.  261  Anm.  1. 


2g8  Februar  1832. 

Während  Hegel  noch  lebte,  verhielt  die  Sache  sich  ganz  anders. 
Damals  konnte  ich  deutlich  genug,  und  ohne  Verlegenheit,  zu  verstehen 
geben,  daß  ich  wünschte,  ihm  gegenübe?'  zu  treten.  Und  das  ist  geschehn. 
Jetzt  aber  in  seine  Stelle  —  in  seine  Vortheile,  falls  das  überhaupt 
möglich  wäre,  —  in  sein  Principat,  was  eine  Usurpation  war,  —  in  seine 
Collegial Verhältnisse,  die  sich  ihm  geschmeidig  gefügt  hatten,  weil  —  — 
doch  nichts  weiter!  Sie  sehen,  das  geht  nicht.  —  Selbst  meine  Ency- 
klopädie  habe  ich  in  Berlin  an  keinen  Andren  geschickt,  als  an  meinen 
alten  Freund  und  ehemaligen  Zuhörer,  den  Reg.  R[at]  Reichhelm.  So  ge- 
wiß es  meine  Sache  war,  das  Feld  der  Speculation  von  neuem  umzu- 
arbeiten: so  gewiß  ist  es  nicht  meine  Sache,  den  Erfolg  zu  bestimmen. 
Und  vollends:  wenn  ich  nicht  einmal  mit  Ihnen  zum  Einverständniß  ge- 
langen kann. 

393.     An    Brandis.1)  Königsberg.    13   Febr.  32. 

Ihren  letzten  Brief  vom  29  Januar,  Verehrtester!  habe  ich  zwar  der 
Hauptsache  nach  schon  beantwortet.  Allein  Ihre  gütige  Nachfrage  nach 
meinem  Sendschreiben,  —  das  in  der  That  eine  kurze  Abhandlung  über 
Fichtes  pädagogische  Ansichten  nicht  bloß  heißt  sondern  ist,  und  Ihnen  sehr 
wenig  sagen  würde,  —  bestimmt  mich,  Ihnen  eine  schon  vor  4  Wochen 
beynahe  niedergeschriebene  Antwort  auf  Ihren  vorletzten  Brief  jetzt 
noch  zu  übersenden,  da  ich  von  neuem  Hoffnung  fasse,  daß  Sie  mein 
Geschriebenes  vielleicht  ernstlich  in  Überlegung  nehmen  werden.  Könnte 
ich  es  erlangen,  daß  Sie  die  Einfachheit  der  Empfindung  erwögen,  ohne 
etwas  hineinzulegen,  das  nicht  darin  liegt,  —  oder  wenigstens  daß  Sie 
es  aufgäben,  die  Religionslehre  mit  Speculationen  zu  beschenken,  wogegen 
die  Religion  nach  mehr  als  tausendjähriger  Erfahrung  das  timeo  dona 
ferentes  auszusprechen  berechtigt  ist:  —  könnte  ich  dies  erlangen,  so 
würde  ich  mich  vielleicht  glücklicher  schätzen,  als  wenn  mir  —  die  Bel- 
gische Krone  angeboten  würde. 

Auf  diesen  Vergleich  bin  ich  neulich  gekommen,  da  mir  die  Berliner 
Einladung  zur  Subscription  auf  H[egel]s  16  Bändeil  —  welche  der  dortige 
Prorector  dem  hiesigen  zugesendet  hat,  officiell  vorgelegt  wurde.  —  Ists 
denkbar?  —  Was  Hegeln  in  meinen  Augen  noch  zur  Ehre  gereichte, 
war,  daß  er  nicht  viel  geschrieben,  sich  sua  sponte  dem  Publicum  nicht 
übermäßig  aufgedrungen  hat.  Und  diesen  Mann,  der  es  vermuthlich  fühlte, 
daß  er  nicht  schreiben  konnte,  will  man  in  puris  naturalibus  der  Kritik 
Preis  geben!  ohne  zu  begreifen,  daß,  wie  sehr  auch  der  Pantheismus  ein- 
gewurzelt ist,  er  doch  stets  neue  Formen  annimmt,  und  sich  von  einem 
Todten  nicht  gebieten  läßt;  —  ohne  zu  ahnden,  wie  man  sich  compro- 
mittiren  kann,  wenn  die  16  Bände  wenig  Liebhaber  ||  finden,  —  ohne  zu 
bedenken ,  daß  man  den  Nachfolger  des  „Unersetzlichen"  ohnehin  schon 
tief  genug  erniedrigt  hat,  noch  ehe  er  ernannt  ist;  und  daß  er  unter 
solchen  Umständen  nicht  einmal  in  Stand  gesetzt  wird,  die  Ehre  des 
Platzes  zu  behaupten,  —  wo  nicht  durch  eine  Selbstständigkeit,  die  alle 
Berechnung  vereitelt.   —   Ist  ein   solcher  Platz    für  mich  wünschenswerth? 

x)  2.  S.    8°. 


März    1832.  299 

Ein  Platz,  wo  Steffens  und  Schelling  lieber  gesehen  wären?  —  Aber  frey- 
lich:  Berlin  ist  groß;  und  ein  Mittelpunct  der  mannigfaltigsten  Gelegenheit. 
Überlegen  Sie  nun  wie  Sie  wollen.  Gegen  Nicolovius  und  Ancillon  hätte 
ich  einige  Ursache  mich  auszusprechen,  wenigstens  meine  Encyklopädie 
einzusenden,  die  ich  absichtlich  noch  Niemandem  in  B.  außer  meinem 
Freunde  Reichhelm  zugeschickt  habe.  Neulich  war  ich  nahe  daran,  zu 
einem  Schreiben  an  Nicolovius  mit  bloßer  Anzeige:  daß  mir  von  sehr 
achtungswerther  Hand  solche  Äußerungen  (wie  die  Ihrigen)  zugekommen 
seyen,  —  mich  zu  entschließen.  Allein  ich  überlegte,  daß,  wenn  Sie  das 
gewollt  hätten,  Sie  leicht  zu  N.  andre  Wege  finden  könnten;  und  so  ists 
unterblieben.  Einen  Namen  durfte  ich  ja  nicht  nennen;  und  so  wäre  ein 
Anschein  von  Furchtsamkeit  nicht  zu  vermeiden  gewesen.  Vielleicht  auch 
ists  am  besten,  wir  lassen  alles  unberufene  Warnen.  Mögen  die  Herrn 
sich  Erfahrungen  bereiten!  Das  kann  schwerlich  ausbleiben,  wenn  sie  so 
fortfahren  wie  jetzt!  Mir  liegt  wesentlich  und  unvermeidlich  nur  an  Einem 
Puncte:  daß  meine  Schriften  in  Umlauf  kommen.  Das  größere  Publicum 
weiß  davon  noch  soviel  wie  gar  Nichts.  Kennt  man  mich:  dann  mag 
Jeder  nach  seiner   Weise  urtheilen. 

Nun  bitte  ich  nicht  bloß  Sie  sondern  Ihren  guten  Stern,  der  sich 
gar  häufig  hinter  Wolken  zu  verhüllen  scheint,  —  um  gute  Nachrichten 
von  Ihnen  und  Ihrem  Hause!  —  Desgleichen  um  viele  Empfehlungen 
an  Ihre  Frau  Gemahlin  und  an  Hrn.  geh.  R.  Nasse.  Erhalten  Sie  mir 
Ihre  Freundschaft!  H. 

•394.    An  Griepenkerl. Y)  Königsberg  27  März  32. 

Hätte  ich  Zeit,  so  schriebe  ich  heute  überlegter  und  ausführlicher  als 
sonst.  Die  Gesinnungen,  mein  theurer  Freund,  die  Sie  mir  äußern,  sind 
vortrefflich,  und  ich  kann  sie  schwerlich  genug  verdanken.  An  Ihrer 
Kraft,  so  fern  dieselbe  in  Einer  Person  liegen  kann ,  zweifle  ich  auch 
nicht,  und  so  habe  ich  endlich  Hoffnung,  dasjenige  nicht  mehr  als  meine 
individuelle  Angelegenheit  betrachten  zu  müssen,  was  meines  Erachtens 
längst  schon  allgemeine  Angelegenheit  hätte  seyn,  und  in  diesen  sorgen- 
vollen Zeiten  zehnfach  ämsiger  als  sonst  betrieben  werden  sollen.  Aber 
in  Einem  Puncte  habe  ich  Ihren  letzten  Brief  mit  Verwunderung  angesehn; 
ja  ihn  mit  Schrecken  gelesen.  Doch  —  Sie  überlegen  ja  schon  Selbst 
das  Nöthige;  und  ich  brauche  nur  zu  bitten,  daß  Sie  es  noch  genauer 
betrachten,  damit  Sie  Sich  ganz  darin  finden  mögen,  daß  in  diesem 
Augenblicke  wirklich  Alles  auf  Sie  ankommt! 

Ob  Sie  Schacht,  Dissen,  Langwerth,  zur  Mitwirkung  auffordern  sollen? 
Das  mußten  Sie  nicht  mehr  fragen.  Es  mußte  geschehen  seyn;  noch  ehe 
Sie  Ihren   Aufsatz  an   Brockhaus  abschickten. 

Sie  haben  eine  Erklärung  öffentlich  hingestellt,  —  die  Ihnen  nun 
freylich  keine  Märtyrerkrone  einbringen  wird.  Aber  bis  dahin  giebts  gar 
vielerley  Beschwerliches  und  Verdriesliches,  was  zu  vermeiden,  soviel 
möglich,   Ihnen  die   Vorsicht  gebietet. 


x)  3  S.    40.     H.  Wien.     Bei  Zimmermann  a.  a.  O.  S.  66  ft. 


300  März   1832. 

Sie  werden  Ihre  Briefe  drucken  lassen.  *)  Aber  die  Briefe  dürfen 
nicht  liegen  bleiben,  sie  müssen  in  Bewegung  kommen.  Das  geht  nicht 
von   selbst. 

Sie  weiden  Recensionen  schreiben.  Aber  die  Journale  werden 
heutigs  Tages  höchst  flüchtig  gelesen;  und  ereignet  sich  etwas,  das  Auf- 
sehen erregt,  so  steht  die  große  Mehrzahl  gaffend  da,  und  begiebt  sich 
entweder  des  Urtheils,  oder  schwatzt  das  erste  Beste,  —  denn:  man  hatte 
den  Anfang,  die  Anlässe,  nicht  beachtet;  man  weiß  nicht  eigentlich  wovon 
die  Rede  ist.  Das  wird  Ihnen  sogar  bey  Freunden  begegnen,  wenn  Sie 
nicht  vorbauen.  [ 

Darüber  spreche  ich  aus  Erfahrung.  Und  Sie  Selbst  mögen  das 
Beyspiel  seyn.  Wissen  Sie  denn  von  meinen  sorgfältigen  und  ausführlichen 
Recensionen  über  Fries  (deren  sind  vier),  Bouterwek,  Eschenmayer, 
Rückert,  (den  Theologen)  Jäsche?  —  ich  fürchte,  Sie  wissen  nichts  davon; 
kaum  werden  Ihnen  die  von  mir  unterzeichneten  Rec.  über  Troxler  und 
Heinroth  bekannt  seyn.2) 

Alle  diese  Arbeit  war  so  gut  als  verloren;  warum?  —  —  weil  ich 
mich  Niemandem  aufdringen  konnte,  —  von  Niemanden  Aufmerksamkeit 
zu  fordern  hatte. 

Fragen  Sie  nun  Sich  Selbst,  ob  Sie  Lust  haben,  in  denselben  Fall 
zu  gerathen?  Und:  fragen  Sie  Sich  alsdann  weiter,  ob  Sie  es  nöthig  haben :  — 
ob  bey  Ihnen  die  nämlichen  Gründe  statt  finden,  derentwegen  ich  es 
leiden   mußte? 

Wenn  Sie  ein  eignes  System   verkünden   wollen:   —   dann  unfehlbar! 

Aber  wofern  Sie  die  Sache  eines  Andern  zu  der  Ihrigen  machen:  — 
dann  sind   Sie  in  einer  ganz  andern   Lage. 

Sie  können  ohne  Verlegenheit  Hülfe  ansprechen.  Sie  müssen,  wenn 
Sie  etwas  ausrichten  wollen,  Mitarbeiter  suchen;  denn  es  hilft  Ihnen  nichts, 
allein  zu  stehen. 

Schacht  ist  nach  Strümpells  Versicherung  Ihr  naher  Freund.  Mir 
waren  seine  Gesinnungen  gänzlich  unbekannt,  ich  wußte  kaum  daß  er  in 
Mainz  lebt;  sonst  hätte  ich  ihn  vor  zwey  Jahren  dort  unfehlbar  besucht, 
und  seinetwegen   auch  einen  Tag  aufgehalten. 

Dissen  war  in  Göttingen  gegen  mich  sehr  freundschaftlich;  aber  seitdem 
habe  ich  von  ihm  keine  Zeile,  obgleich  er  hoffentlich  meinen  Brief  aus 
Coblenz  bekommen  hat.  Will  er  nicht  von  selbst  in  meine  Interessen 
eingehn,  die  klar  genug  gerade  ihm  vor  Augen  liegen:  —  so  mag  ich 
nicht  einmal  Göttingen  als  einen  Punct  bezeichnen,  der  mich  noch  näher 
angehn  könnte.   —  | 

Langwerth  hat  meiner  Psychologie  nachgerechnet.  Das  wäre,  falls 
er  es  laut  sagte,  unendlich  wichtiger,  als  seine  Bedenklichkeiten  im  Ein- 
zelnen, —  die  ich,  beyläufig  gesagt,  diesen  Sommer  dem  Haedenkamp 
vorgelegt  habe,    mit  dem  Strümpell   zusammen  wohnt;    allein    ohne    solchen 


*)  „Briefe  an  einen  jüngeren  gelehrten  Freund  über  Philosophie  und  besonders  über 
Herbarts  Lehren^  von  Dr.  F.  K.  Griepenkerl,  Prof.",  Braunschweig  1832.  Die  5  praki- 
schen  Ideen  Herbarts  sind  dort  in  Form  von  Epigrammen  dargestellt.  Man  vgl.  den 
Wiederabdruck  derselben  durch  Th.  Fritzsch  in  der  Zeitschr.  f.  Phil.  u.  Päd.   1908. 

2)  Sie  finden  sich  in  dieser  Ausg.  im   12.  u.   13.  Bde. 


Mai   1832.  301 

Erfolg,  der  mich  zu  Abänderungen  hätte  vermögen  können.  Möchte  aber 
Langwerth  darüber  öffentlich  sprechen;  möchte  er  sogar  nicht  die  an- 
genehmsten Rücksichten  gegen  mich  beobachten!  Das  würde  Ihnen,  in 
Ihrem  Thun,  nicht  schaden!  Sie  könnten  es  leicht  mäßigen.  Windstille 
allein,  fürchtet  der  geschickte  Steuermann;  mit  Gegenwind  weiß  er  zu 
segeln. 

Warum  nennen  Sie  Ungewitter  nicht?  —  Er  schrieb  vor  einiger  Zeit 
an  mich;  —  ich  kam  nicht  zum  Antworten;  wollen  Sie  ihn  in  meinem 
Namen  grüßen? 

In  Röer  haben  Sie,  wie  es  scheint,  ein  Haar  gefunden.  Ich  kann 
nicht  widersprechen.1)  Aber  ich  kann  ihm  auch  nicht  in  den  Weg  treten. 
Will  er  mir  nicht  folgen:   er  ist  frey ! 

Auf  Strümpelln  können  Sie  weit  mehr  bauen.  Aber  —  seine  Jugend 
verleugnet  sich  nicht!  Das  ist  kein  Vorwurf,  nicht  einmal  ein  Zweifel. 
Aber  wir  dürfen  nicht  das   Unmögliche  erwarten. 

Länger  kann  ich  nicht.  Mein  unmaaßgeblicher  Rath,  Sich  nach  Mög- 
lichkeit in  die  gehörigen  Verbindungen  zu  setzen,  bedarf  keines  Commentars 
weiter.  Möge  nur  nicht  etwas  Unvorhergesehenes  den  Commentar  dazu 
liefern!  Ganz  Ihr     H. 

22.  Apr.:  Rede  am  Geburtstage  Kants.     S.  Bd.  X.     S.   21  —  28. 

395.  An  Griepenkerl. 2)  Königsberg  18  May  1832. 

Heute,  mein  Theurer!  nur  wenige  Worte  wegen  des  Aufsatzes  von 
Strümpell,  den  Sie  ihrem  Verlangen  gemäß,  heute  oder  nächsten  Posttag 
bekommen. 

Die  Frage  ist  bloß:   wo  wollen  Sie  den   Aufsatz   drucken  lassen? 

In   der  Isis?   Da  kostet  es  meines  Wissens  kein   Geld. 

In  dem  Intellig.  Blatt  der  Hallischen  L.  Z.?  Die  dortige  Redaction 
hat  mir  neulich  freyen  Abdruck  bewilligt.  Möglich  wäre  die  Anfrage,  ob 
man  dies  Privilegium  auf  einen  in  meiner  Angelegenheit  geschriebenen 
Aufsatz  ausdehnen   wolle? 

Jedenfalls  hat  sich  im  Erfolge  schon  gezeigt,  was  ich  fürchtete. 
Nämlich : 

Strümpells  Aufsatz  ist  zugleich  zu  kurz  und  zu  lang.  Zu  kurz  — 
denn  das  Material  ist  vielleicht  für  einen  drey-  oder  vierfach  so  langen 
Aufsatz  geeignet.  Und:  wenn  es  Ihnen  jetzt  schon  um  einen  bedeutenden 
Belag  zu  Ihrer  Schrift  zu  thun  ist:  so  müssen  Sie  wünschen,  daß  dieser 
Belag  vollständig  werde.  Zweifeln  Sie  nicht  an  Strümpells  Fähigkeit, 
Ihnen  einen  solchen  zu  liefern! 


x)  Der  öfter  im  Briefwechsel  vorkommende  H.  H.  Ed.  Röer  (1805  — 1866)  ist 
der  spätere  berühmte  Sanskritphilologe ,  der  besonders  durch  seine  Tätigkeit  an  der 
Bibliotheca  indica  bekannt  geworden  ist.  Vgl.  Allg.  D.  Biogr.  29,  42  ff.  Zwar  ist  er 
für  Herbarts  Lehre  nur  bis  T838  tätig  gewesen  (als  Privatdozent  in  Berlin  von  1833 
an)  u.  in  einer  einzigen  Schrift  („Über  Herbart's  Methode  der  Beziehungen'1,  Braun- 
schweig 1833)  hat  er  die  Lehren  des  Meisters  verbreiten  helfen,  aber  doch  sind  seine 
philosophischen  Studien,  die  er  unter  Herbarts  Leitung  in  Königsberg  gemacht  hat,  nicht 
vergeblich  gewesen,  da  sie  seinen  späteren  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  indischen 
Philosophie  zu  Gute  kamen. 

2)  2  S.    4°.     H.  Wien.     Bei  Zimmermann  a.  a.  O.  S.  69  ff. 


302  Juni   1832. 

Zu  lang  —  denn:  welche  Kosten  würde  es  verursachen,  wenn  Sie 
auch  nur  das  was  er  schon  niedergeschrieben  hat,  drucken  lassen  wollten, 
falls  Ihnen  nicht  Kostenfreyheit  gesichert  ist.  Die  Isis  ist  nicht  einmal 
so    recht    anständig,   —   doch    habe    ich  nichts  dagegen  wenn  Sie  meinen. 

Was  aber  auch  Ihr  Entschluß  seyn  mag:  ich  will  keine  genaue 
Durchsicht  des  Strümpellschen  Aufsatzes  übernehmen.  Statt  dessen  aber 
—  können  Sie  füglich  Folgendes  drucken  lassen :  ||  Der  Aufsatz  sey  von 
Hrn.  Strümpell,  gegenwärtig  Studiosus  philosophiae  in  Königsberg,  früher 
von  Ihnen  vorgebildet.  Mir  sey  die  Revision  des  Aufsatzes  angeboten, 
allein  von  mir  abgelehnt  worden,  mit  der  Äußerung:  Hr.  Strümpell  sey 
mir  hinreichend  bekannt,  und  Hr.  Professor  Hinrichs  habe  die  Arbeit  so 
leicht  gemacht,  daß  auch  ein  weit  schwächerer  als  Strümpell  damit  würde 
fertig  werden  können. 

Das  ist  die  Wahrheit.  Strümpell  wird  wahrscheinlich  klagen,  ich  sey 
zu  faul  gewesen,  um   seinen  Aufsatz  ordentlich  zu  lesen. 

Dagegen  habe  ich  dem  Strümpell  etwas  davon  merken  lassen,  daß 
er  seine  Arbeit,  an  deren  gutem  Kern  gar  nicht  zu  zweifeln  ist,  auch 
äußerlich  hätte  druckfertig  liefern  sollen. 

Bey  näherer  Überlegung  finde  ich  in  der  That,  daß  Ihre  Schrift  in 
Berlin  schwerlich  etwas  wirken  wird,  wenn  man  das  Hinterthürchen  offen 
findet:  Hinrichs  habe  keine  Antwort  auf  seine  ohne  alle  Zweifel  höchst 
gründliche  Recension  bekommen.  Die  Menschen  sind  darnach,  sich  mit 
solchem   Unsinn  zu  täuschen. 

—  —  Genug  davon!  Ihr  Plan  einer  Zeitschrift  geht  mir  im  Kopf 
herum.  Ich  fürchte  fast:  es  ist  zu  früh;  andrerseits  —  ists  höchst  nöthig! 
und  zwar  eben  Jetzt!  Dann  müssen  Sie  aber  Ihren  Plan,  den  Hinrichs 
durch  Strümpelln  zugleich  zu  widerlegen  und  zu  beschämen,  vollständig 
durchführen!  In  höchster  Eile     Der  Ihrige  H. 

396.  An  Griepenkeri. *)  Königsberg  4  Juni  1832. 

Mein  theurer  Freund!  Ihrer  übergütigen  Briefe,2)  die  meines  Lobes 
ebensowenig  bedürfen,  als  ich  sie  loben  darf,  —  bin  ich  nur  wenige 
Stunden  ungetrübt  froh  geworden.  Denn  gestern  Morgen  kamen  sie  er- 
brochen (Ihr  beyliegendes  geschriebenes  Blatt  wahrscheinlich  gelesen,  wenn 
auch  schwerlich  verstanden,)  vom  öffentlichen  Packhofe,  dem  Licent,  wo- 
hin sie  als  auswärtige  Waare  gebracht  waren,  —  —  und  gestern  Abend, 
bey  Tische,  in  Strümpells  Gegenwart,  erzählt  man  mir  als  eine  gleich- 
gültige Sache  des  Gerüchts   —  das  Ärgste  was  geschehn  kann. 

Sie  kennen  Marheineke;  —  den  Grabredner  des  Christus- Hegels. 
Sie  kennen  aber  nicht  die  Stellung  eines  hiesigen  General-Superintendenten, 
der  die  Aussicht  hat,  Bischof  und  Erzbischof  zu  werden,  gleich  dem  alten 
Borowsky,  welchem  der  König  persönlich  aus  den  Leidensjahren  1807 
bis  1809  zugethan  war,  so  daß  die  Stelle  zuverlässig  nicht  leichthin  wieder 
vergeben  wird.  Nun  wohl:  das  Gerücht  ernennt  —  M[arheineke]  zum 
Generalsuperintendenten  hier  in   Königsberg]. 

x)  3  S.    40.     H.  Wien.     Bei  Zimmermann  a.  a.   O.  S.   71  ff. 
2)  Vgl.  o.  S.  300,  Anm.  1. 


Juni   1832.  303 

Geschieht  das,  so  muß  man  auf  Alles  gefaßt  seyn;  auf  systematisches 
Durchführen  dessen  was  bisher  als  arge  Übereilung  von  Partheyen  be- 
trachtet wurde.  Dann  kann  wahr  werden,  was  mein  hochberühmter 
College,  Hr.  geheimer  Rath  Bessel  unlängst  weissagte :  mit  der  Philosophie 
werde  es  in  10  Jahren  vorbey  seyn.  Glauben  Sie  ja  nicht,  man  werde 
dann  Hegeln  noch  mit  dem  allgemeinen  Namen  Philosoph  benennen! 
Er  bekommt  dann  entweder  einen  andern  Namen,  oder  —  er  wird  über- 
flüssig, nachdem  eine  theologische  Secte  auf  seinen  Stufen  emporsteigend 
die  Herrschaft  erlangt  hat.  Von  dem  allmähligen  Verderben  der 
Preußischen  Staats-  und  Regierungs-Maximen,  wenn  solche  Dinge  durch- 
gehn,  mag  ich  kaum  reden.  Aber  wo  wäre  dagegen  ein  Damm?  Die 
Volks- Opposition  —  etwa  das  Berliner  Stadtgeschwätz,  —  vermag  nichts 
gegen  eine  Regierung  die  einmal  Autorität  hat,  und  die  in  der  7 hat  so 
mächtig  ist  wie  die  Preußische.  Und  das  philosophische  Publicum  ist 
vernichtet;  ja  die  Hegeley,  wie  sie  jetzt  betrieben  wird,  wenn  man  sie 
nicht  nöthigi  sich  zusammenzunehmen,  vernichtet  auf  lange  selbst  die 
Möglichkeit,  daß  es  sich  wieder  bilden  könne. 

In  dem  Augenblick  beynahe,  da  ich  jenes  Gerücht  zuerst  vernahm,, 
fiel  mir  wieder  ein,  was  ich  vor  einem  halben  Jahre  noch  als  ganz  un- 
passend betrachtete,  —  eine  Stelle  bey  Ihnen  in  B[raunschweig].  Denn 
unter  solchen  Umständen  wird  Preußen  für  mich  ein  Gefängniß;  und 
zwar  jeder  Art  im  ganzen   Lande. 

Hievon  nun  bitte  ich  ja  nichts  fallen  zu  lassen;  durchaus  gegen 
Niemanden. 

Auch  das  Gerücht  über  Marh[eineke]  wird  noch  so  lange  geheim 
bleiben  müssen,  bis  Sie  es  von  andrer  Seite  vernehmen.  Seyn  Sie  ja 
vorsichtig;  auch  in  Hinsicht  Ihres  Sohnes  in  B[erlin]. 

Hiemit  zusammenhaltend,  was  Ihre  Schrift  hoffen  läßt,  werden  Sie 
die  Resultate  leicht  ziehn  können.  Ihre  Schrift  ist  unendlich  viel  werth, 
da  sie  einen  Sprung  von  beynahe  nichts  zum  Etwas  enthält.  Aber  sie 
ist  zu  gut,  zu  fein,  wo  die  Umstände  Derbheit  fordern;  und  sie  stellt 
mich  viel  höher  als  selbst  die  scheinbar  unbefangenen  mich  werden  leiden 
wollen.  Und  darnach  richten  sich  die  Redactionen.  Eine  besondere,  wie- 
wohl unbedeutende  Verlegenheit  lassen  mich  die  beyden  Exemplare  zum 
Vertheilen  empfinden;  ich  finde  kaum  Jemanden,  dem  ich,  als  der  Gegen- 
stand einer  solchen  Schrift,  sie  überreichen  darf.  Wärs  eine  vierschrötige 
Defensionsschrift:  die  könnte  ich  anbringen. 

Si  vis  pacem,  para  bellum!  Dies  Sprichwort  konnte  mir  nie  un- 
gelegener seyn  als  jetzt,  da  ich  vor  Mattigkeit  kaum  auf  den  Füßen  stehen 
kann.  Dennoch  ists  nur  zu  gewiß.  Ihr  Vorschlag,  durch  Strümpelln  die 
Hinrichsschen  Sünden  zusammenstellen  und  sie  dann  drucken  zu  lassen, 
ist  unstreitig  das  beste ;  nur  muß  Kostenfreyheit  wo  möglich  erreicht 
werden.  Und  ich  schrieb  Ihnen  schon,  daß  meines  Wissens  die  Isis 
alles  kostenfrey  aufnimmt.  Die  Hallische  Redaction  wird  bey  Antikritik 
darauf  wohl  schwerlich  eingehn;  auch  ist  am  Ende  doch  die  Isis  gut  ge- 
nug; da  es  nur  darauf  ankommt,  daß  man  mit  wenigen  Zeilen  darauf, 
als    auf    etwas    Gedruckt- Nachgewiesenes,    sich    beziehn    könne.    —    Ihre 


304  Juni  l832- 

Schrift    überzeugt    mich  vollends,    daß  dazu  nun  durchaus   Beläge  müssen 
geliefert  werden. 

Wenn  Ihnen  mein  Zettelchen  an  Schacht  nicht  misfiel,  so  werden  Sie 
es  wohl  abgesendet  haben.  Hoffentlich  erlaubt  Schacht,  daß  man  auf 
ihn  zähle.  Und  möge  er  nur  ja  einsehn,  daß  Bedenkzeit  jetzt  das  Übel 
wachsen  macht.  Dissens  Krankheit  erschreckt  mich.  So  schlimm  sah  es 
nicht  aus,  als  ich  ihn  besuchte.  —  —  Bruschius  ist  ohne  Zweifel  mein  alter 
Göttingischer,  damals  sehr  ausgezeichneter  Zuhörer.  Wollen  Sie  neben 
und  nach  so  vielen  Briefen  noch  einen  an  ihn  schreiben:  so  wird  sich 
freylich  erst  finden,  wer  er  jetzt  ist,  und  ob  er  die  Dringlichkeit  begreift. 
Wenn  Sie  ihn  mit  Schacht  in  Verbindung  setzen  könnten!  Frankfurt 
und   Mainz  sind  ja  Nachbarn. 

Zunächst  das  Wichtigste  ist  durchaus  die  Vertheilung  Ihrer  Schrift. 
Könnte  Ihr  Zürcher  Correspondent  wohl  so  gefällig  seyn,  sein  Exemplar 
dem  Theologen  Schultheiss  in  Zürich  zur  Ansicht  zu  leihen?  Könnte 
er  Ihnen  die  Addresse  zur  Redaction  der  Bibliotheque  universelle,  die  in 
Genf  erscheint,  verschaffen?  Könnten  Sie  Dänemark  erreichen,  —  viel- 
leicht durch  meinen  alten  Freund  (den  langen  Recensenten  der  Psych ol. 
in  der  Hallischen  ALZ.)  Etatsrath  v.  Berger  in  Kiel?  Je  weiter  von  der 
streitbaren  Mitte  Deutschlands  entfernt:  desto  unbefangener  sind  die 
Menschen,   —   und   wohl  desto  neugieriger. 

Wenn  Röer  eilt:  wird  er  meinen  Dank  wohl  erwerben;  ich  habe 
nun  etwas  genauer  bey  Strümpeln  dem  nachgefragt  was  jener  über  die 
Meth[ode]  der  Beziehungen]  *)  brieflich  geäußert;  es  ist  wenn  auch  un- 
zweckmäßig' doch  nicht  verderblich;  daß  ich  nicht  früher  nachfragte  lag 
bloß  daran,  weil  ich  nicht  scheinen  will  gegen  die  Freyheit  der  Individuen 
böse  Ansprüche  zu  machen.  Was  Strümpelln  anlangt:  so  möchte  ich  aus 
gewissen  Äußerungen  fast  zu  errathen  glauben,  man  habe  ihm  zu  Hause 
die  nöthigen  Gelder  zur  Promotion  nicht  gleich  bewilligen  wollen.  Sollte 
ichs  getroffen  haben?  Das  wäre  doch  übel.  Student  darf  er  nicht  mehr 
bleiben.  Wer  weiß  —  ob  er  nicht  am  Ende  gar  noch  ein  wenig  Student 
werden  würde?  —  Er  hat  ein  keckes  Selbstgefühl  —  und  braucht  Welt- 
verhältnisse die  ihn   abschleifen.      Das  ganz  unter  uns! 

Vor  allem  sorgen  Sie,  daß  die  Philosophie  einen  Mittelpunct  außer- 
halb Preußen  gewinne!  In  Preußen  ist  Alles  am  Ende  von  der  Regierung 
abhängig.  Sie  kann  was  sie  will.  Ob  sie  aber  in  diesem  Puncte  das 
Gute  will  ?  ?  —  —  Der,  den  Sie  in  Ihrem  letzten  Briefe  den  eigentlichen 
Feind  nennen,  ist  es  wirklich.  Und  doch  bin  ich  nach  bestimmter  Be- 
obachtung der  Meinung,  daß  er  ein  Partheyhaupt  ist  wie  mancher  König, 
der  im  Grunde  thut  was  die  Parthey  will,  weil  —  er  sich  verstrickt 
findet,  und  fortfahren  muß  wie  er  anfing.  Übrigens  kann  ich  Ihnen  nun 
ganz  offen  sagen:  man  horcht.  Kämen  sechs  Schriften  wie  die  Ihrige,  so 
würde  man  —  überzeugt  seyn.  Ich  müßte  mich  ganz  in  den  Menschen 
irren,  wenn  sie  nicht  —  die  Stimmen  zählen,  um  zu  ermitteln,  was  das 
Klügste  sey. 

Möglich  wäre  etwas,  das  ich  wenigstens  anzeigen  will.  Sie  müssen 
Ihrem    literarischen   Namen    Gewicht    geben.     Dazu    können  Sie    zunächst 

*)  S.   o.  S.  301,  Anm.  1. 


Juni  1832.  305 

die  Ästhetik  von  Weiße  (eben  heute  werde  ich  meine  Rec.  darüber  nach 
Jena  schicken)  dergestalt  gebrauchen,  daß  Sie  das  Buch  als  ein  frappantes 
Beyspiel  der  Hegeley  kritisiren.  Das  Buch  ist  nämlich  sehr  wohl  lesbar; 
es  läßt  sich  besser  behandeln  als  andere  Hegeleyen;  es  versetzt  ferner 
sich  selbst  schon  in  Streit  mit  Hegeln,  —  und  meine  Rec.  selbst  könnte 
Ihnen  vielleicht  einen  bessern  Anknüpfungspunct  darbieten.  Mir  ist  auch 
eingefallen,  daß  ich  in  Form  eines  Sendschreibens  an  Sie  den  Gegenstand 
vornehmen  könnte  wenn  —  meine  Gesundheit  stärker,  meine  pädagogische 
Arbeit  weniger  dringend,  und  meine  Einstimmung  mit  Ihnen  in  der 
Ästhetik  gesichert  wäre.  Haben  Sie  Muße:  so  möchte  ich  bey  weitem 
das  Erstere  vorziehen.  Sie  würden  es  sehr  leicht  finden,  vom  Gebiete 
der  Ästhetik  aus  die  Hegeley  anzugreifen. 

So  eben  langt  Ihr  letzter  Brief  an,  nach  dem  Postzeichen  vom  28. 
Das  klarste  nehme  ich  zuerst  heraus.  In  Ihren  trefflichen  —  gedruckten 
Briefen  finde  ich  nichts  was  mich  zum  Kritiker  machen  könnte.  Ein  Ur- 
theil  kann  ich  bey  der  Befangenheit,  in  die  Sie  mich  versetzen  unmöglich 
haben.  An  einigen  Stellen  scheint  mir  das  bas-relief  nicht  genug  hervor- 
gearbeitet, aber  ein  bas-relief  müßte  es  nothwendig  bleiben,  wenn  Sie  die 
Reihe  meiner  Bücher  durchlaufen  wollten,  ohne  die  Gränzen  einer  Flug- 
schrift zu  überschreiten.  Daß  ich  die  Gewandtheit  des  ganzen  Wurfs, 
und  die  Feinheit  der  Darstellung  im  Einzelnen,  empfunden  habe,  werden 
Sie  mir  vielleicht  zutraun.  Ihre  Äußerung  S.  33  führt  uns  näher  zusammen; 
es  wird  wohl  darauf  hinauskommen,  daß  ich  bekennen  muß:  Schickliches 
sey  auch  ästhetisch  im  weiteren  Sinne.1)  Die  Sache  kommt  auf  den 
§.  150  meines  Lehrbuchs  der  Psychol.  hinaus;  und  es  findet  sich,  daß 
der  Gesammtname  ästhetisch  und  schön  sehr  verschiedene  species  unter 
sich  faßt,  die  an  ihren  Gränzen  von  den  Lustgefühlen  nicht  mehr  so 
scharf  zu  scheiden  sind,  als  meine  Worte  es  fordern.  Und  doch  — 
wenn  man  das,  was  ich  geschieden  habe,  unbestimmt  durch  einander  mengt, 
so  wird  man  vollends  nicht  aus  der  Verwirrung  kommen.  Davon  ein 
andermal  mehr.  Was  nun  zweytens  das  Pädagogische,  was  wir  noch  vor- 
nehmen wollen,  anlangt:  so  sage  ich  Ihnen  zuvörderst  meinen  herzlichen 
Dank  dafür,  daß  Ihre  gedruckten  Briefe  mir  es  möglich  machten,  schon 
heute  —  zu  pädagogischen  Briefen  —  an  Sie,  die  Feder  ansetzen  zu 
können.  Diese  Form  >^st  mir  eine  unendliche  Erleichterung  für  eine  Arbeit, 
an  die  ich  sonst  bey  meiner  Kränklichkeit  vielleicht  nie  mehr  denken 
dürfte.     Wenn  Sie  nun   wollen,  und  es  Ihnen  sonst  paßt :  so  schreiben  Sie 

—  was   Sie  irgend  wollen,  —  über  den  heutigen  Zustand  der  Pädagogik, 

—  kann  es  seyn,  so  entnehmen  Sie  meinen  Wunsch  etwa  aus  meiner 
Ihnen  bekannten  Recension  über  Schwarz,  die  Sie  in  der  Hallischen  ALZ. 
gelesen  haben.  Kommt  eine  solche  Schrift  von  Ihnen  zu  mir,  während 
ich  meine  Briefe  an  Sie  schreibe,  so  nutze  ich  den  Stoff,  um  die  Brief- 
form durch  Beziehung  auf  eine  wirkliche  Correspondenz  zu  beleben.  Ist 
Ihnen    eine    solche  Arbeit    unbequem:    so    opfern  Sie   ja    nicht  Zeit    und 

x)  In  Griepenkerls  „Briefen  pp.u  findet  sich  auf  S.  33  f.  eine  Einwendung  gegen 
das,  was  Herbart  mit  dem  Namen  des  Schicklichen  in  der  Kunst  bezeichnet.  In  der 
Oper  handle  es  sich  nicht  nur  um  eine  „schickliche'"  Vereinigung  mehrerer  Künste, 
sondern  um  eine  „wahrhaft  ästhetische". 

Herbarts  Werke.     XVII.  20 


306 Juni   1832. 

Laune.  Denn  ich  kann  auch  meine  Arbeit  zuerst  fertig  machen.  Nur 
erwarten  Sie  dieselbe  nicht  schnell.  Schwerlich  werde  ich  vor  anderthalb 
fahren  damit  fertig.  Und  jedenfalls  enthält  sie  eine  Aufforderung  an  Sie, 
meine  Fragmente  nicht  bloß  zu  sichten,  sondern  besonders  über  Ihr 
eigenes  pädagogisches  Denken  und  Wirken  Sich  öffentlich  mitzutheilen.  — 
Nun  das  nächste  Nöthige.  Da  ist  schwer  zu  rathen.  Das  Eine  möchte 
ich  Sie  bitten  zu  bemerken:  daß  wir  mit  Ihrer  Zartheit,  gegen  Hinrichs 
nicht  durchkommen.  Strümpells  Keckheit  wird  in  solchen  Verhältnissen 
wohl  nöthig  seyn;  und  in  dieser  Beziehung  fürchte  ich  mich,  seine  Derb- 
heit zu  vermindern.  Er  braucht  sie  —  nicht  bloß  für  uns,  sondern  auch 
für  sein  eigenes  Auftreten.  Wie  unsäglich  habe  ich  mir  geschadet  durch 
ängstliche  Beachtung  des  Schicklichen!  Betrachten  Sie  einmal  Heeren, 
den  jetzt  70jährigen!  Hat  er  nicht  jetzt  noch  literarische  Händel,  weil 
er  früher  zuviel  von  ruhiger  Würde  stillschweigend  behaupten  wollte? 
Und  das  liegt  außer  dem  philosophischen  Kreise!  Ich  glaube,  —  wenn 
Sie  mir  erlauben,  ein  ganz  unmaaßgebendes  Glauben  auszusprechen  — 
das  Beste  wäre:  Sie  ließen  Strümpells  Aufsatz  möglichst  unverändert,  und 
stießen  nur  soviel  ab,  als  Sie  ganz  entschieden  misbilligen.  Ein  Wort- 
gefecht giebt  es  doch  einmal  unvermeidlich.  Und  hiezu  scheinen  Sie  ja 
schon  entschlossen.  Nur  keine  Zeit  verlieren!  Ungewittern  —  hatte  ich 
gerade  so  erwartet.  Und  so  ist  das  heutige  Volk  durchgehends.  Mit 
solchen  Leuten  bin  ich  hier  umgeben.  Zuhörer  genug  habe  ich  gehabt, 
die  meinen  Vortrag  verstehen,  aber  Philosophie  ist  nicht  Theologie.  Die 
Erfahrungen,  welche  der  vielgetadelten  Aufklärung  zu  Grunde  lagen,  sind 
zu  fern;  und  des  Denkens  ist  man  entwöhnt.  —  Es  ist  mir  sehr  lieb,  ja 
eine  wahre  Beruhigung,  daß  Sie  mit  meinem  Blättchen  an  Schacht  nicht 
unzufrieden  scheinen.  Die  Sache  lag  mir  in  Gedanken.  Möge  er  sich 
Ihnen  nicht  entziehn,  wenn  er  auch  von  mir  nicht  hören  will.  Denn  Sie 
werden  wahrlich  zu  leiden  haben.  Philosophie  ist  einmal  Convenienz- 
Sache  geworden.  —  Reichhelm,  Richthofen,  Bobrik,  Drobisch,  Brandis, 
die  Hrn.  N.  u.  A.1)  an  die  ich  schrieb  (dem  ersten  bey  Uebersendung 
meiner  Encyklfopädie]  —  dem  andern  um  Bobrik  zu  empfehlen  — 
keinem  bittend)  —  Alle  schweigen.  Dies  Schweigen  ist  ein  übles  Zeichen. 
Man  hat  mir  nichts  Erfreuliches  zu  berichten.  —  Wenigstens  sehen  Sie 
nun,  wenn  noch  eine  Bestätigung  nöthig  wäre,  daß  vor  einem  halben 
Jahre  meine  Besorgnisse  nur  zuviel  Grund  hatten.  Dank  sey  Ihnen,  daß 
Sie  dem  Glauben:  ich  hätte  keinen  Freund,  muthig  entgegentraten. 
Das  that  Noth!  Ihr  H. 

397.    An   Drobisch.1)  Königsberg  18  Juni  1832. 

Wo  soll  ich  anfangen  mich  zu  entschuldigen,  mein  verehrtester  Freund  \ 
Am  besten  bey  den  Thatsachen.  In  der  Mitte  Februars  wurde  ich  ernst- 
lich krank.  Noch  im  Bette  bekam  ich  von  Halle  Antwort,  man  wolle 
meine  Rec.  Ihrer  Schrift  annehmen.  Im  März,  als  ich  aufstand,  war  es 
meine  erste  Pflicht  die  ich  außer  dem  Bette  zu  erfüllen  hatte,  die  Recension 

')  Nicolovius  und  Ancillon? 
2)  4  S.    4°. 


Juni   1832. 307 

zu  schreiben.  Aber  sie  gerieth  schlecht;  ich  war  noch  zu  schwach.  Das 
Papier  blieb  ein  Weilchen  liegen,  —  endlich  besserte  ich  daran,  und 
legte  mir  recht  deutlich  das  Bekenntniß  ab,  daß  hier  ungemein  wenig  für 
mich  zu  thun  sey,  da  Sie  in  klarer  Sache  noch  überdies  mit  Ihrer  eigenen 
Klarheit  gesprochen  haben.  Was  ich  nun,  immer  noch  schlecht  genug, 
abgesendet  habe,  das  hätte  freylich  längst  in  Ihren  Händen  gedruckt  seyn 
können,  wenn  die  Hallesche  Redaction  nicht  so  gar  lange  auf  den  Ab- 
druck der  eingegangenen  Recension  warten  ließe;  —  sie  scheint  mit 
Material  zu  gut  versorgt.  —  Im  April  wurde  ich  von  neuem  so  unpaß, 
daß  ich  nur  so  eben  auf  den  Beinen  blieb.  Dennoch  schrieb  ich  an  Sie 
einen  langen  Brief,  —  den  ich  wieder  zerriß.  Denn  was  konnten  Sie 
mit  meiner  zu  lang  gerathenen  Erzählung  von  Bobrick,  den  man  (Sie  er- 
rathen  doch?)  früher  als  Professor  zu  versetzen  hochgeneigtest  be- 
absichtigte, —  der  nun  wirklich  von  Bonn  nach  Königsberg  und  zurück 
im  April  in  April  geschickt  war,  um  hier  zu  vernehmen,  daß  an  hiesigem 
Gymnasium  nicht  füglich  eine  Stelle  für  Professoren  der  Universität  (so 
klug  war  der  Plan  wegen  des  Gehalts  angelegt)  eröffnet  werden  kann: 
—  was  konnten  Sie  mit  ähnlichen  fast  kläglichen  Erzählungen  anfangen? 
Daß  ich  in  Ungnade  bin,  sehen  Sie  ohnehin.  Daß  die  Ungnade  sich 
noch  ertragen  läßt,  versteht  sich  von  selbst.  Daß  ich  sie  aber  sogar  mit 
fröhlichem  Muthe  ertragen  kann,  sehe  ich  theils  aus  Griepenkerls  Schrift, 
theils  nun  erst  vollständig  aus  Ihrem  mir  in  jeder  Hinsicht  sehr  theuren 
Briefe.  Philosophie  von  Ihnen  in  Leipzig  vorgetragen  —  hoc  erat  in 
votis.  Das  Geschwätz  des  Hrn.  Hinrichs  habe  ich  kaum  angesehn,  — 
man  brachte  mir  von  zwey  Seiten  das  erste  Blatt,  —  an  den  ersten 
Zeilen  die  mir  ins  Auge  fielen  hatte  ich  genug.  || 

Jetzt  aber  muß  ich  Etwas,  das  sich  von  selbst  versteht,  dennoch 
aussprechen.  Entfernen  Sie,  darum  bitte  ich,  jeden  Gedanken  an  die 
Frage,  ob  diejenigen  philosophischen  Lehren,  die  Sie  mündlich  verbreiten 
und  schriftlich  ohne  Zweifel  noch  verbreiten  werden,  die  meinigen  seyen 
oder  nicht.  Mein  Recht  werden  Sie  mir  widerfahren  lassen;  es  kann 
nicht  in  bessern  Händen  seyn,  als  in  den  Ihrigen.  Mein  Anrecht,  wenn 
und  wo  Ihr  Scharfsinn  es  entdecken  mag,  sprechen  Sie  offen  aus,  und 
fürchten  Sie  meinerseits  keine  Empfindlichkeit.  Es  braucht  nicht,  daß  eine 
Schule  nach  mir  benannt  werde.  Nur  das  wünsche  ich,  unter  den  Ersten 
zu  seyn,  die  es  erfahren,  was  Sie  tadeln  werden. 

Griepenkerl  hat  mich  zu  hoch  gestellt.1)  Er  wird  Reactionen  er- 
fahren, über  alles  Maaß  der  Billigkeit  und  des  Schicklichen  hinaus.  Wir 
kennen  ja  das  Völkchen  was  sich  gegenüber  auf  alle  Weise  verschanzt. 
Darum  habe  ich  die  zweyte  Bitte:  sorgen  Sie  für  ihn,  wo  es  thunlich  ist. 
Unbefangene  Leser  werden  ihm  seine  Freundschaft  für  mich  zu  gute 
halten;  darum  lassen  Sie  die  Gelegenheiten,  die  sich  Ihnen  darbieten 
möchten,  seine  Schrift  zu  verbreiten,  nicht  vorübergehen;  es  kommt  darauf 
an,  daß  man  ihn,  der  als  Schriftsteller  wenig  bekannt  ist,  nicht  nach  mis- 
günstigen   Recensionen    sondern   durch  das  eigne  Lesen   seiner  Schrift  be- 


x)  In  den  genannten  ,, Briefen." 

20: 


308  Juni  1832. 

urtheile;  es  kommt  darauf  an,  zu  erinnern,  daß  die  Person  Achtung  ver- 
dient, die  sich  innerhalb  der  Gränzen  des  Anständigen  und  Verständigen 
einer  Lehre  annimmt,  welche  zu  vertheidigen  nicht  Sache  des  Ehrgeizes 
sondern  nur  Werk  der  reinen  Ueberzeugung  seyn  kann.  Griepenkerl  ist 
Familien- Vater;  er  war  sehr  kränklich;  wer  steht  mir  dafür,  daß  er  sich 
nicht  einmal  in  schwachen  Stunden  die  bevorstehenden  Kränkungen  zu 
Gemüthe  zieht?  Er  ist  beynahe  so  alt  wie  ich;  und  hat  keine  Jugend- 
kräfte zuzusetzen.  Sein  Interesse  an  meiner  Sache  ist  übrigens  zugleich 
das  für  eignes  Werk;  denn  Röer  und  Strümpel  sind  seine  Schüler,  die 
er  mir  vorbereitete  und  zusandte.  Frey  lieh  mußte  er  jetzt  meine  Lehre 
gegen  ||  die  leicht  vorherzusehenden  Angriffe  der  Gegenparteyen  schützen, 
wenn  nicht  seine  Schüler,  sobald  sie  auftreten,  verwüstetes  Feld  antreffen 
sollten,  das  in  einem  Jahrzehend  nicht  wieder  hätte  urbar  gemacht  werden 
können  wenn  in  diesem  Augenblicke  meine  Arbeit  zerstört  zu  seyn  schien. 
Wer  konnte  hoffen,  daß  Sie  fortfahren  würden,  zu  wirken,  wo  Sie  wenig 
Erfolg  sahen?  Hätte  Griepenkerl  das  vorausgesehen:  —  so  hätte  ich 
keinen  so  klaren  Beweis  seiner  Freundschaft  empfangen,  als  jetzt,  wo  er 
in  der  Meinung  allein  zu  stehn,  öffentlich  zeigte,  es  fehle  mir  nicht  an 
Freunden;  —  jetzt  aber  wünsche  ich  ihm  Glück;  denn  an  Ihnen  hat  er 
die  vollkommen  zulängliche  Stütze;  und  jeden  Gedanken  des  Allein-Stehens 
wird  er  fahren  lassen.  Zweifeln  Sie  übrigens  nicht  an  der  Kraft  der 
Recensionen  die  Sie  geschrieben  haben.  Von  ganz  unbefangenen  Per- 
sonen, von  tüchtigen  Gelehrten  habe  ich  die  klarsten  Proben,  daß  man 
das  Gewicht  Ihrer  Worte  zu  schätzen  wußte.  Ihnen  ist  der  Erfolg  jetzt 
gewiß,  da  Sie  es  der  Mühe  werth  achten,  ihn  zu  sichern. 

Griepenkerl  hat  mir  einige  Zeilen  hingeworfen,  welche  verrathen,  er 
denke  an  eine  Zeitschrift  für  Philosophie.  Wenn  Sie  das  für  gut  fänden, 
und  begünstigen  wollten! 

Meinerseits  habe  ich  die  Feder  so  eben  angesetzt  zu  pädagogischen 
Briefen  an  Griepenkerl;  nicht  bloß  als  an  meinen  Freund,  sondern  weil 
er  selbst  (schon  durch  seine  frühere  Leitung  des  Fellenbergischen  Instituts) 
ausgezeichnete  pädagogische  Erfahrung  besitzt.  Pädagogische  Briefe  sind 
übrigens  ein  weiter  Sack;  und  ich  weiß  noch  nicht,  was  Alles  hinein- 
kommen wird.1) 

Ihr  College  Weisse  —  zugleich  Anhänger  und  Gegner  der  Hegeley, 

—  der,  wenn  ich  nicht  irre,  wohl  etwas  Besseres  seyn  könnte,  —  wird 
nächstens  in  der  Jenaischen  L.  Z.  eine  Recension  seiner  Aesthetik  von 
mir  finden;  sie  wird  ihn  nicht  erfreuen. 2)  Sollten  Sie  mit  ihm  in  näheren 
Verhältnissen  stehn,  so  mag  er  wissen,  daß  ich  es  eher  der  Mühe  werth 
gehalten    habe    mit    ihm     zu     disputiren     als     mit    anderen     Hegelianern 

x)  Demnach  steht  unzweifelhaft  fest,  daß  Herbart  die  Briefe  erst  Mitte  des 
Jahres  1832  niederzuschreiben  begonnen  hat  und  daß  sie  an  Griepenkerl  gerichtet  waren. 
Auch  über  den  Titel  kann  nunmehr  kein  Zweifel  mehr  herrschen.  Dahin  ist  Harten- 
stein und  auch  Kehrbach,  diese  Ausg.  Bd.  IX,  S.  X  f.  zu  berichtigen,  bezw.  zu 
ergänzen. 

2)  Diese  Rezension  findet  sich  Jen.  L.  Ztg.    183 1,   121  ff.;  diese  Ausgabe  Bd.  13. 

—  Christian  Herrn.  Weisse,  Enkel  des  Dichters  Christ.  Felix  W.,  war  seit  1828 
a.  o.  Prof.  d.  Phil,  in  Leipzig.  1837  zog  er  sich  auf  mehrere  Jahre  von  der  aka- 
demischen Thätigkeit  zurück,  nachdem  er  sich  nachdrücklich  um  eine  ordentliche  Professur 


Juni  1832. 309 

Uebrigens  schreibe  ich  bekanntlich  nur  aufgetragene  Recensionen.  Eine 
andere  über  Hrn.  Eduard  Schmidt  in  Rastadt  wird  wohl  bald  in  Ihrer 
L.  L.  Z.  erscheinen;  sie  liegt  beynahe  fertig;  was  der  Hr.  Expedient  der 
L.  L.   Z.  wenn  Sie  ihn  zufällig  sehen,  vielleicht  gern  hört.  || 

Indem  ich  Ihren  Brief  nochmals  durchlaufe:  finde  ich  ihn  so  acht 
freundschaftlich,  daß  ich  mich  nicht  länger  bedenke,  mich  Ihnen  ganz 
auszusprechen;  wobey  ich  Sie  freylich  nur  in  meine  Privat- Verhältnisse 
einführen  werde;  allein  wenn  ich  überlege,  was  für  Bemühungen  zu  über- 
nehmen Ihre  Güte  schon  groß  genug  war,  so  ist  das,  was  ich  noch  zu 
wünschen  habe,  durch  Sie  entweder  gar  nicht,  oder  so  leicht  möglich,  daß 
die  Mühe,  die  es  Ihnen  noch  machen  kann,  neben  der  frühern  ver- 
schwindet. Ihr  geneigtes  Gehör  voraussetzend,  sage  ich  folgendes:  Die 
stärkste  Triebfeder  meines  Wunsches  nach  einem  andern  Aufenthalte  ist 
durch  die  Eröffnung  Ihrer  Vorlesungen,  deren  Erfolg  nicht  zweifelhaft  seyn 
kann,  meist  abgespannt.  Dagegen  spannt  sich  eine  andre.  Eine  Gesund- 
heits-Reise ist  mir  höchst  nöthig;  allein  mein  Vermögen  ist  gering,  und 
muß  meiner  Frau  bleiben.  Andrerseits  treibt  meine  Frau,  die  keinen 
Egoismus  kennt,  mich  selbst,  die  für  mich  gefährlichen  Frühlingsmonate 
künftiges  Jahr  in  einer  wärmern  Gegend  zuzubringen.  Das  könnte  ich, 
wenn  eine  bedeutende  Summe,  die  ich  als  ein  ausstehendes  Capital  be- 
trachte, sich  jetzt  einziehen  ließe;  —  ich  meine,  wenn  ich  meine  Psycho- 
logie und  Metaphysik,  die,  wie  Sie  wissen,  mein  Eigenthum  sind,  jetzt 
einem  reichen  Buchhändler  für  ein  angemessenes  Honorar  zu  verkaufen 
Gelegenheit  fände.  Wegen  der  Psychologie  muß  ich  daran  eben  darum 
schon  denken,  weil,  sobald  Sie  die  Psychologie  literarisch  bearbeiten, 
mein  Buch  seinen  Werth  verlieren  wird.  Bis  es  dahin  kommt,  kann  es 
Ihnen,  umgekehrt,  willkommen  seyn,  wenn  meine  Arbeit,  als  nächste  Vor- 
arbeit für  Sie,  sich  mehr  verbreitet.  Ihr  Wirken  wird  sehr  bald  allgemeine 
Aufmerksamkeit  erregen;  namentlich  in  Leipzig,  dem  Sitze  des  Buch- 
handels. Mein  Commissionär  Unzer  ist  nicht  sonderlich  reich,  am 
wenigsten  freygebig.  Aber  wenn  Brockhaus,  oder  Breitkopf,  oder  ein 
anderer  Leipziger  Matador  darauf  böte,  —  theils  die  vorräthigen  Exem- 
plare anzukaufen,  theils  das  Recht  der  zweyten  Auflage  zu  erwerben:  — 
wieviel  könnte  er  bieten?  Rechnen  wir  das  Exemplar  zu  acht  Thalern,  — 
soviel  nimmt,  glaube  ich,  Unzer  dafür,  —  so  wäre  eine  Auflage  von  1000 
bis  1200  Exemplaren  8000  Thl.  oder  darüber  werth.  Die  Hälfte  wäre 
das  höchste,  wohin  meine  Gedanken  für  mich  gehen;  aber  auch  für 
3000  Thl.  würde  ich  mit  Freuden  die  Psychologie  hergeben.  Die  Meta- 
physik ist  länger  haltbar,  und  mag  einstweilen  mein  Eigenthum  bleiben. 
Käme  es  durch  Ihre  gütige  Verwendung  dahin,  daß  mir  eine  irgend  an- 
nehmliche Summe  geboten  würde,  so  wäre  ich  frey  von  Sorgen,  die  mich, 
die  Wahrheit  zu  sagen,  täglich  und  fortwährend  drücken,  und  zwar  der- 
gestalt drücken,  daß  jede  Empfindung  von  Kränklichkeit  —  und  daran 
fehlt  es  keinen  Tag,  —  mir  die  Perspective  eines  kurzen  und  kümmer- 
lichen Lebens  zeigt,    während  ich    andrerseits  überzeugt  bin,    daß  ich  sehr 

beworben  hatte,  mit  entschiedenem  Hinweis  darauf,  „daß  nicht  nur  die  Herbartsche 
Philosophie  an  der  Leipziger  Universität  offiziell  vertreten  sein  dürfte"  (Heinze). 
1845  wurde  er  ordentlicher  Professor  der  Philosophie,  starb   1866  an  der  Cholera. 


3IO  Juni   1832. 

leicht  noch  zu  heilen,  und  auf  lange  Zeit  wiederherzustellen  bin,  wenn 
gegen  nächstes  Frühjahr  die  Hülfe  kommt.  Was  sagen  Sie  dazu?  Auch 
meine  pädagogischen  Briefe,  die  ich  so  eben  begonnen  habe,  wären  ein 
möglicher  Gegenstand  der  Frage  an  einen  reichen  Buchhändler.  Die 
Sache  ist  übrigens  nicht  eilig;  und  damit  sie  nicht  eilig  werde,  ists  am 
besten,  ich  bitte  Sie  schon  jetzt  um  gütige  Rücksicht  darauf,  falls  sich 
Ihnen  Gelegenheit  darbietet,  Einleitungen  zu  treffen  die  mich  dem  Ziele 
dieses  sehr  nothwendigen  Wunsches  nähern.  Kommt  der  Verkauf  zu 
Stande:  so  bin  ich  sorgenfrey;  denn  dies  ist  der  Punct  der  mich  noch 
drückt,  nachdem  Sie  in  Leipzig  thun  was  ich  in  Berlin  thun  wollte. 

[Randbemerkungen:]  Erinnern  Sie  Sich  wohl,  daß  ich  Ihnen  schon 
in  Berlin,  in  den  ersten  Tagen  persönlicher  Bekanntschaft  sagte:  Die 
Philos.  sey  ganz  in  Ihrer  Macht?  Jetzt  wird  vielleicht  schon  der  Erfolg 
Ihnen  bestätigt  haben,  daß  dies  keine  Hyperbel  war.  Sie  treten  nur  die 
Verwaltung  Ihres  natürlichen  Eigenthums  an,  indem  Sie  Sich  der  Philos. 
widmen.  Der  an  sich  fruchtbare  Boden  kann  Ihnen  die  reichsten  Früchte 
tragen:  und  Ihr  Verdienst  wird  unermeßlich  seyn,  wenn  Sie  gerade  jetzt 
Ordnung  in  die  bessern  Köpfe  bringen,  während  der  politische  Unfug  die 
Gedanken  noch  mehr  als  die  Verhältnisse  in  Verwirrung  setzt.  —  Winke 
meinerseits,  die  Sie  mit  zuviel  Güte  erwarten,  könnten  nur  Anmaaßungen 
seyn;  aber  eine  einzige  Nachricht  will  ich  Ihnen  geben;  ich  lese  jetzt 
Psychologie  nach  meinem  kleinen  Lehrbuche  in  folgender  Ordnung  der 
§§:  erstlich  §.  1  —  9.  dann  §.  124 — 151;  darauf  nach  ganz  kurzen  Er- 
wähnungen der  §  10 — 24  folgt  nun  das  Übrige  in  der  Ordnung  wie  es 
steht.  Der  Grund  dieses  nach  vielen  Versuchen  probat  erfundenen  Ver- 
fahrens liegt  in  der  durch  nichts  zu  hebenden  Langweiligkeit  der  empiri- 
schen Psychologie,  solange  die  Zuhörer  nicht  bey  Gelegenheit  der  Er- 
fahrungen schon  hinter  den  Vorhang  zu  schauen  fähig  sind. 

Erlauben  Sie  mir  noch  einen  wissenschaftlichen  Wunsch  in  Beziehung 
auf  Ihre  Vorlesungen:  so  ist  es  der,  daß  Sie  Sich  bey  Zeiten  im 
sogenannten  Naturrechte  scharf  umsehn.  Meine  Lehre  von  den  praktischen 
Ideen  halte  ich  für  exact;  aber  die  Erläuterung  der  Ideen  von  Recht 
und  Billigkeit  will  sehr  genau  durchgeführt  seyn.  Verschmähen  Sie  nicht 
Hugos  des  Göttingers,  sogenanntes  Naturrecht  oder  Philos.  des  positiven 
Rechts.  Das  paradoxe  Ding  hat  mir  viel  Gedanken  zugeführt,  im  Gegen- 
satze gegen  solche  Naturrechte  wie  das  Hufelandsche,  oder  Kantische, 
oder  gar  Fichtische.  In  meiner  praktischen  Philosophie  ist  aber  der  zweyte 
Theil  nicht  so  exact  wie  der  erste.  Der  Schade  dürfte  zwar  nicht  groß 
seyn;  dennoch  ist  hier  manches  theils  lückenhaft,  theils  ungleichmäßig  ge- 
arbeitet. Hingegen  die  Einleitung,  —  nämlich  die  in  meiner  praktischen 
Philos.  —  ist  an  sich  richtig;  nur  die  Schreibart  ist  ungelenk;  und  käme 
eine  neue  Auflage,  so  würde  in  der  Einleitung  das  ganze  Wortwesen  neu 
zu  schreiben  sein,  ohne  Veränderung  der  Gedanken  und  der  Anordnung. 
Mit  Hegels  Rechtslehre  ist  soviel  ich  mich  erinnere  gar  nichts  anzufangen. 
Ueberhaupt  halte  ich  Hegeln  für  gar  keinen  Gedankenquell,  obgleich  für 
eine  wichtige  historische  Erscheinung  in  metaphysicis.    Doch  das  wissen  Sie. 

Wenn  Sie  Ihr  Werk  fortsetzen  —  mündlich  und  schriftlich,  welches 
letztere  die  nothwendige  Folge  des  erstem  ist,   —  so  bin  ich  völlig  über- 


Juni  1832.  31 1 

zeugt,  daß  die  Gegenpartheyen  lediglich  ihre  eigne  Schwäche  zur  Schau 
stellen  werden;  so  sehr,  daß  es  für  uns  gar  nicht  lohnen  kann,  uns  noch 
irgend  um  sie  zu  bekümmern.  Viel  schwerer  wird  es  seyn,  das  verlorne 
Vertrauen  zur  Philos.  im  Publicum  wieder  zu  wecken.  Daß  Griepenkerl 
ganz  populär  schrieb,  war  mein  Antrieb.  Das  jetzige  philos.  Publicum 
ist  völlig  verdorben;  um  ein  neues  zu  gewinnen,  muß  man  die  Breite  mehr 
als  die  Tiefe  suchen.  Gleichwohl  —  die  Tiefe  ist  Ihre  Sache.  Möchten 
Sie  schon  deshalb  Ihre  Güte  auf  Griepenkerln  als  Ihren  Gehülfen  aus- 
dehnen! —  Und  lassen  Sie  Ihren  Kopfschmerz  nicht  überhand  nehmen. 
Sie  haben  viel  zu  thun.  Ihr     Herbart. 

22.  Juni:  Jahresbericht  über  das  pädagogische  Seminar  in  Königsberg.     XV,  S.  75 — 82. 

398.     An   DroblSCh.1)  Königsberg  28  Juni   1832. 

Sie  bekommen  zwey  Briefe  für  einen  von  mir,  mein  verehrtester 
Freund!  denn  Ihr  einer  war  reichlich  zwey  werth.  Doch  nicht  bloß  darum 
allein ;  sondern  —  hören  Sie ! 

Gestern  bekomme  ich  Nachricht,  Gabler  sey  in  B.  nun  wirklich  an- 
gestellt. Wenn  das  wahr  ist,  (und  die  Nachricht,  zwar  nur  mündlich, 
scheint  aus  guter  Quelle,)  so  contrastirt  es  auffallend  mit  dem,  was  mein 
Ihnen  wohlbekannter  schlesischer  Freund,2)  der  unlängst  in  B.  war,  dort 
hörte,  nämlich:  Gablern  fehle  es  an  hinlänglichem  Namen,  und  es  werde 
darauf  ankommen,  ob  er  sich  diesen  bald  zu  erwerben  wisse.  Das  Bald 
mag  nun  so  klein  gedacht  werden,  als  man  will,  —  Bücher  müssen  doch 
erst  geschrieben,  dann  gelesen,  und  dann  beurteilt  werden,  wenn  sie  einen 
Namen  hervorbringen  sollen!  Also  —  man  hat  den  vermißten  Namen 
entbehrlich  gefunden.     Wie  kann  das  zugehn? 

Erlauben  Sie  eine  Hypothese.  Eine  Ergänzung  muß  hinzugekommen 
seyn;  und  zwar  eine  so  starke,  daß  selbst  der  Namenlose  dadurch  Ge- 
wicht bekommt.  Diese  dürfte  sich  errathen  lassen.  Schelling  ist  kürz- 
lich in  die  Berliner  Akademie  der  Wissenschaften  aufgenommen  worden. 
Es  ist  überdies  längst  schon  davon  die  Rede  gewesen,  Schelling  wolle 
noch  einmal  auftreten,  um  neue  Lorbeeren  zu  den  alten  zu  fügen.  Die 
jetzigen  Berliner  Umstände  müssen  ihn  dazu  besonders  auflodern.  Aber 
—  noch  mehr!  Richth.  schreibt  mir,  die  Zahl  meiner  Freunde  in  B.  sey 
nicht  gering;  er  bestätigt,  daß  der  Ministerialrath  Keller,  ehedem  Regierungs- 
rath  hier  in  Königsberg,  lebhaft  für  mich  gesprochen  habe;  so  habe  ich 
eigentlich  drey  Stimmen  im  Ministerio  gehabt,  und  man  konnte  sich  als- 
dann wohl  veranlaßt  finden,  unter  der  Hand  die  Hülfe  Schellings  anzu- 
rufen, um  nicht  nachgeben  zu  müssen.  Man  hat  in  diesem  Falle  mir 
wahrscheinlich  einen  Angriff  bereitet,  den  man  im  Voraus  einem  Siege 
gleich  achten  mag.  Das  wäre  wenigstens  die  kürzeste  Manier  wie  man 
mich  paralysiren  könnte   —   nicht  wahr?  — 

Mir  hat  es  nun  seit  sehr  vielen  Jahren  im  Sinn  gelegen,  ich  würde 
wohl  schwerlich   die  Feder   niederlegen,    ohne   ein   literarisches  Duell    mit 

x)  2  S.    40. 

2)  Der  Baron  von  Richthofen. 


312  Juni  1832. 

dem  eigentlichen  Verderber  der  Philosophie  gehabt  zu  haben.  Den  scherz- 
haften Ausdruck  können  Sie  immerhin  gönnen  —  übrigens  kennen  Sie 
meine  Art.  || 

Wundern  Sie  Sich  nicht,  wenn  ich  mich  bey  Zeiten  nach  Secundanten 
umsehe.  Schelling  hat  natürlich  Gablern  und  Hinrichs,  —  und  ich  — 
wen  habe  ich? 

Diese  Frage  Ihnen  und  Griepenkerln  anheim  stellend  —  will  ich 
eine  minder  hypothetische  Bitte  hinzuthun.  Sie  erfahren  das  Neue  des 
Büchermarktes  dort  zuerst;  —  sobald  Sie  hören,  Schelling  habe  irgend 
Etwas  gegen  mich  losgelassen,  so  bitte  ich  um  Nachricht.  Und  besonders 
lieb  wäre  mir,  wenn  Sie  alsdann  sogleich  aussprächen  —  es  könne  gar 
wohl  sich  ereignen,  daß  ich  dabey  nicht  müßig  bleiben  würde,  —  ja  selbst 
mit  einem  Buchhändler  wäre  eventuell  zu  reden,  oder  Sie  schrieben  mir, 
an  welchen  Buchhändler  ich  mit  guter  Aussicht  mich  wenden  könne. 
Denn  —  was  man  auf  diesen  Fall  vorrüsten  kann,  das  muß  geschehn. 
Leicht  möchten  Sie  eine  fast  stolze  Rede  von  mir  zu  lesen  bekommen, 
um  den  absoluten  Uebermuth  zu  beugen  —  aber  dann  muß  es  mir  am 
Aeußern  nicht  fehlen;  sondern   Hülfe  muß  parat  seyn.    Sonst  gehts  nicht. 

Glauben  Sie  übrigens  ja  nicht,  daß  ich  mich  auf  endlosen  Streit  ein- 
lassen werde.  Das  wäre  in  der  That  unter  meiner  Würde.  Der  Unsinn, 
den  langsamen  Gang  der  Wissenschaft  durch  einen  Partheykampf  kurz 
abmachen  zu  wollen,  ist  gerade  das  was  ich  perhorresciren  werde.  Und 
übrigens  sehen  Sie  leicht,  worin  meine  Ueberlegenheit  besteht:  die 
Gegner  kennen  mich  weniger  als  ich  sie.  Jene  Aristokraten  vertheidigen 
ihr  Veraltetes;  mein  Naturrecht  soll  erst  ins  Licht  treten;  und  ich  werde 
jenen  gar  nicht  einräumen,  daß  sie  darüber  ein  Urtheil  hätten.  Das  Ende 
wird  seyn,  daß  man  dem  Publicum  das  Urtheil  anheim  stellt,  unterdessen 
aber  erfährt  das  Publicum,  wovon  die  Frage  sey;  und  das  ist,  denke  ich, 
sicherer  Gewinn  für  mich.  Aber  auch  wegen  späterer  Fortsetzung  der 
Angriffe  können  wir  ruhig  seyn.  Kommt  Strümpel  (Griepenlkerls  und 
mein  Schüler)  erst  zum  Schlagen,  so  wird  er  sich  wohl  rüstig  genug  zeigen; 
und  recht  eigentlich  dafür  leben.  Bobrik,  (obgleich  etwas  zweydeutig!) 
wird  sich  auch  irgendwie  rühren  müssen. 

Sie  bekommen  doch  nur  ein  Fragment  dieses  Briefes;  das  Hintere 
mußte  ich  abschneiden  weil  ich  nach  dem  Siegeln  die  Durchsichtigkeit 
des  Papiers  bemerkte.  Es  ist  nichts  daran  verloren.  Griepenkerls  Schrift 
ist  von  Ancillon  gut  aufgenommen;  doch  darauf  baue  ich  nicht  viel. 
Richthofens  Brief  deutet  eine  sehr  große  Spannung  an.  Man  kann  sich 
compromitiren  ohne  zu  wissen  wie.  Ihre  Bemerkung,  daß  ich  in  Deutsch- 
land sehr  verloren  haben  würde  wenn  ich  in  B.  gewonnen  hätte,  ist 
höchst  treffend.  Seyn  wir  still,  aber  auf  unsrer  Hut;  man  kann  uns  plötz- 
lich überfallen.  Eintracht  unter  uns  ist  hoch  nötig;  ich  bitte  sehr  um 
Ihre  baldige  —  wenn  auch  bedingte  —  Erklärung.  Leben  Sie  herzlich 
wohl.  Ihr     H. 

[Randbemerkung:]  Diesen  Brief  schicke  ich  so,  wie  ich  ihn  beym 
ersten  Eindruck  hinwarf.  Hinterher  habe  ich  mich  besonnen,  daß  ich 
eigentlich    nur    nöthig    habe,    Schelling    mit   zwey  Worten    auf   den   ersten 


Juli  1832. 3£3 

Band  meiner  Methaph.  zu  verweisen;  ihm  zu  sagen,  daß  ich  dort  an  ihm 
vorübergegangen  bin,  auf  eine  Weise,  die  jede  Rückkehr  überflüssig  macht. 
—  Möglich  wäre,  aber  höchst  unwahrscheinlich,  daß  Schelling  sich  ein 
besseres  Recht  auf  meine  Achtung  erwürbe;  dann  fiele  natürlich  alles 
Obige  weg.  —  Jedenfalls  ists  gut,  wenn  wir  Rücksprache  nehmen  für 
mögliche  Fälle.  Darum  bitte  ich  um  Ihre  offenste  Antwort,  und  gut- 
achtliche Meinung. 

399.  An  Drobisch.1)  Kgb  14  jul  1832 

Mein  letzter  eiliger  Brief,  verehrtester  Freund!  scheint  Sie  mehr  als 
nöthig  befremdet  zu  haben;  ich  kann  ihn  nicht  genau  erläutern,  denn  ich 
erinnere  mich  nur  noch,  Ihnen  wahrscheinliche  Machinationen  bemerklich 
gemacht  zu  haben,  die,  falls  Schelling  hereingezogen  würde,  weder  Ihnen 
noch  mir  gleichgültig  seyn  könnten.  Daß  Sie  meinen  körperlichen  Zu- 
stand auf  den  geistigen  beziehen,  ist  zwar  natürlich  aber  irrig.  Der  Arzt 
warnt  gegen  Gicht  und  Brustbräune;  mindestens  gegen  Hämorrhoidal- 
Übel.  In  Ansehung  meiner  literarischen  Angelegenheiten  dagegen,  die  ,von 
mehr  als  einer  Seite  vorrücken  können,  bin  ich  von  Muthlosigkeit  sehr 
weit  entfernt;  soweit,  daß  ich  selbst  für  den  Verkauf  meiner  Psychologie, 
ungeachtet  Ihrer  mir  gar  nicht  unerwarteten  Nachrichten,  günstigere  Zeit 
und  bessere  Umstände  vermuthe,  welche  vielleicht  nicht  so  fern  sind  als 
sie  scheinen  mögen.  Jedenfalls  hoffe  und  bitte  ich,  daß  Sie  diesen  für 
mich  sehr  wichtigen  Punct,  dem  Sie  einmal  eine  gütige  Aufmerksamkeit 
zugewendet  haben,  im  Auge  behalten  mögen. 

Nun  zu  Ihrem,  weit  über  meine  Erwartung  hinausgehenden  An- 
erbieten, Griepenkerls  Schrift  auzuzeigen.  Daß  es  mit  beyden  Händen 
würde  ergriffen  werden,  sahen  Sie  ohne  Zweifel  voraus;  und  gewiß,  so 
geschieht  es  von  meiner  Seite;  eben  so  wird  es  von  Griepenkerln  ge- 
schehen. Lassen  Sie  Sich  darin  ja  nicht  irre  machen  durch  das,  was  ich 
sogleich  hinzusetze. 

Sie  sind,  wie  Sie  sagen,  im  feindlichen  Lager.  Daß  Sie  unversehrt 
herauskommen  werden,  darüber  hege  ich  keinen  Zweifel.  Aber  wie  lange 
Sie  darin  verweilen,  das  sehe  ich  nicht  voraus:  vielmehr  bin  ich  darauf 
gefaßt:  Sie  werden  Sich  länger  aufgehalten  finden,  als  Sie  dachten.  Ob 
Sie  nun  gerade  während  der  Zeit,  da  Sie  dort  beschäfftigt  sind,  aufgelegt 
seyn  können,  Griepenkerls  Schrift  anzuzeigen?  —  Eingeräumt  habe  ich,  | 
daß  Griepenkerl  mich  zu  hoch  gestellt  hat.  Aber  es  ist  einmal  geschehen! 
Und  wenn  Sie  davon  in  keiner  andern  Hinsicht  Notiz  zu  nehmen 
brauchen,  so  giebt  es  doch  Einen  Punct,  worin  ein  Anspruch  liegt,  den 
Griepenkerl,  nachdem  er  ihn  einmal  verlautbarte,  nicht  mehr  zurücknehmen 
kann.  Sie  finden  ihn  S.  78  der  Schrift.  Und  allerdings  mache  ich 
selbst  den  Anspruch  an  die  Hegeische  Schule,  daß  eben  sie,  ihre  eigen- 
thümliche  Verkehrtheit  einsehend,  und  dadurch  getrieben,  sich  zu  mir 
wenden  soll.  Darin  liegt  der  Sinn  der  Methode  der  Beziehungen,  daß 
man  auf  dem  Hegeischen  Standpuncte,  dort  einmal  angelangt,  nicht  stehen 
bleiben  kann. 

x)  3  S.    4». 


314  Juli  l832- 

Wird  das  Ihnen  so  schnell  einleuchten?  —  Die  Frage  ist  nahe  ver- 
wandt mit  der  andern:  werden  Sie  Griepenkerls  Schrift  bald  anzeigen? 
—  Hiemit  ist  nun  gar  nicht  gesagt,  daß  es  bald  geschehen  müßte;  im 
Gegentheil,  eine  spätere  Anzeige  kann  als  Correctur  früheren  Geschwätzes 
höchst  willkommen  seyn. 

Hierin  liegt  auch  gar  kein  andrer  Wunsch,  als  nur  der  einzige:  Sie 
mögen  die  Sache  überlegen.  Denn  ob  eine  kurze,  überhin  gleitende  An- 
zeige, die  Sie  freylich  jeden  Augenblick  schreiben  könnten,  Griepenkerln 
angenehm  seyn  würde,  ist  noch  die  Frage;  —  ich  will  so  wenig  hierüber 
auch  nur  eine  Stimme  abgeben,  daß  ich  nicht  einmal  die  frey  gestellte 
Wahl  zwischen  der  Jenaisch.  L.  Z.  und  den  Brockhausischen  Unter- 
haltungsblättern berühre,  außer  um  Sie  zu  benachrichtigen,  daß  Griepen- 
kerl  an  der  Jen.  L.  Z.  mitarbeitet,  und  daher  wohl  nicht  gerade  von  dort 
her  eine  besonders  ungünstige  Anzeige  zu  fürchten  hat.  Möglich  ist,  daß 
Griepenkerl  Sie  gleichwohl  bitten  wird,  so  bald  als  möglich  in  der  Jen. 
L.  Z.  die  Anzeige  zu  machen;  ich  weiß  darüber  nichts  vorher;  nur  kann 
ich  nicht  dazu  mitwirken;  schon  deshalb  nicht,  weil  aus  einer  Corre- 
spondenz  mit  Eichstädt  gewiß  eine  Verzögerung  entstehen  würde,  an  der 
ich  auf  den  Fall,  daß  Griepenkerl  Eile  wünscht,  nicht  Schuld  seyn  will. 
Es  ist  seine  Sache,  über  die  ich  nicht  disponiren  darf.  Sie  hingegen 
ganz  allein  haben  Ihr  Geschenk  einzurichten  wie  Sie  wollen.  ||  Soviel  kann 
ich  verbürgen:  Griepenkerl  sowohl  als  ich  wird  jede  Anzeige,  die  aus 
Ihrer  Feder  kommt,  sehr  dankbar  annehmen. 

Ueber  Ihren  Scherz,  ich  solle  eine  constit.  Staatsform  construiren  — 
ich  in  Pr.!  —  will  ich  nicht  tiefsinnig  brüten.  Selbst  was  Sie  von  einer 
Religionslehre  sagen,  würde  ich  nicht  ernstlich  berühren,  wenn  nicht  eine 
Kleinigkeit  —  wohl  nur  in  den  Worten  zu  berichtigen  wäre.  Der  Kantische 
moralische  Glaubensgrund  (nicht  Beweis,  wie  er  oft  genug,  aber  eben  so 
unrichtig  genannt  wird,)  fällt  bey  mir  keineswegs  weg.  Vielmehr  ist  er 
das  Erste;  die  theologische  Bestätigung  aber  das  zweyte.  Kant  hat  nur 
in  dem  Puncte  der  Glücks- Würdigkeit,  auf  die  er  sich  stützte,  einen  Mis- 
griff  gethan;  den  schon  Fichte,  in  seiner  guten  Zeit,  verbesserte.  Sitt- 
liches Handeln  erfordert  die  Voraussetzung  (das  praktische  Postulat  nach 
Kant)  daß  es  in  die  Weltordnung  passend  eingreife;  sonst  würde  es  zur 
Thorheit.  Setzen  Sie  dies  an  die  Stelle  jener  unbestimmbaren  Glücks- 
Würdigkeit:  so  ist  der  Kantische  Gedanke  im  Wesentlichen  richtig.  — 
Vom  Welt- Baumeister  möchte  ich  nicht  reden.  Würden  Sie  wohl  im 
Ernste  vom  Weltgebäude  reden?  Die  Stabilität  des  Sonnensystems  ist, 
denke  ich,  etwas  ganz  Anderes;  eben  so  die  Kunsttriebe  der  Thiere; 
und  vollends  der  menschliche  Organismus. 

Doch  die  Post  eilt!  Leben  Sie  herzlich  wohl!  Möge  die  Cholera 
Sie  nur  nicht  ängstigen,  nicht  verstimmen!  —  Jeder  Brief  von  Ihnen  ist 
für  mich  eine  Erheiterung,  und  wenn  Sie  glauben,  ich  sey  gereizt,  —  so 
mögen  Sie  nur  desto  öfter  an  mich  schreiben!  Ihr  H. 


Juli  1832.  315 

400.    Bobrik  an  H.1)  Bonn  den  28.  July  1832. 

Verehrtester  Herr  Professor!  Ihre  gütige  Verzeihung  für  mein  bisheriges 
Schweigen  darf  ich  mir  nur  aus  dem  Inhalt  dieses  Briefes  versprechen,  und  bitte  in 
diesen  Anfangszeilen  nur  um  geneigte  Entschuldigung,  daß  ich  mit  einem  so  langen 
Schreiben  Ihre  Aufmerksamkeit  in  Anspruch  nehme.  — 

Mit  der  innigsten  Dankbarkeit  habe  ich  Ihr  wohlwollendes  Anerbieten  wegen 
der  Psychologie  ergriffen,  und  es  zum  Gegenstande  meiner  Gedanken  und  Be- 
mühungen so  sehr  gemacht ,  daß  ich  auf  der  Eeise  selbst  die  unangenehmen  Ein- 
drücke meiner  zweiten  Anwesenheit  in  Berlin  (wovon  Sie  nachher  das  Nähere  er- 
lauben wollen)  damit  milderte,  und  meine  hiesigen  mir  spärlich  zugetheilten  Frei- 
stunden damit  anfüllte.  Was  nun  zunächst  das  Äußere  anbetrifft,  so  hat  sich  ein 
hiesiger  Buchhändler  (mit  keinem  Berliner  ließ  sich  darüber  zur  Zufriedenheit 
sprechen,  und  von  Perthes  Sohne,  den  ich  in  Berlin  sprach,  hörte  ich,  daß  er  sich 
mit  dem  philosophischen  Zweige  des  Buchhandels  nicht  befasse)  nicht  abgeneigt  ge- 
funden, die  Auflage  zu  übernehmen.  Da  ich  jedoch  die  Bedingungen  nicht  weiß, 
welche  etwa  Unzer  stellt,  so  gab  ich  einem  hier  durchreisenden  Königsberger  ein 
Paar  Zeilen  an  Dr.  Taute  mit,  worin  ich  ihn  bat,  sich  bei  Ihnen  darnach  zu  er- 
kundigen. Leider  finde  ich  in  Ihrem  freundlichgütigen  Briefe  keine  Berührung 
dieses  Hauptpunktes,  und  erbitte  mir  daher,  im  Fall  nicht  schon  andre  Dispositionen 
eingetreten  sind,  eine  geneigte  genaue  Angabe  sämmtlicher  Bedingungen,  nach  deren 
Empfang  ich  mit  umgehender  Post  das  Resultat  der  hiesigen  Verhandlung  berichten 
werde. 

"Was  das  Innere  des  mir  wohlwollend  erlaubten  Antheils  anbetrifft,  so  glaube 
ich  persönlich  um  die  Erlaubniß  gebeten  zu  haben,  noch  einmal  bei  dem,  in  diesen 
Semester  von  mir  gehaltenen  Vortrage  der  Psychologie,  den  Empirischen  Theil  in 
die  letzte  Sichtung  und  Prüfung  zu  nehmen.  Vorgestern  bin  ich  mit  dem  Vortrage 
desselben  zu  Ende  gekommen,  fange  morgen  den  rationalen  Theil  an,  und  über- 
gebe noch  heute  mein  Heft  an  einen  hiesigen  Abschreiber  zur  Reinschrift,  der  es 
mir  im  Laufe  j|  der  nächsten  vierzehn  Tage  zuzustellen  verspricht,  von  wo  ab  ich 
es  alsdann  zu  Ihrer  geneigten  Ansicht  einschicken  kann.  Ich  habe  in  diesem 
Semester  auch  ein  Collegium  über  Hume's  enquiry  conc.  hum.  und.,  in  Englischer 
Sprache,  zu  Stande  gebracht,  und  somit  Veranlaßung  und  Gelegenheit  gehabt  aus 
Hume  sowohl  als  aus  Locke  noch  manches  in  den  Empirischen  Theil  Hingehörige 
zu  erkennen. 

Wenn  ich  nun  aber  mit  bester  Aufrichtigkeit  meine  Arbeit  überdenke,  und 
gegenüber  das  Meisterwerk  Ihres  unschätzbaren  Lehrbuchs,  so  fühle  ich  im  Inner- 
sten, daß  bei  Ihrem  gütigen  Anerbieten  das  Wohlwollen  die  angemeßene  Schätzung 
meiner  möglichen  Leistung  überwogen  haben  muß,  und  daß  ich  es  Ihrer  Güte  gegen 
mich,  und  Ihrem  Namen  schuldig  zu  sein  glaube  auf  die  angebotne  Theilnahme  zu 
verzichten,  jedoch  nichts  desto  weniger,  wenn  etwa  der  Druck  hier  geschehen  sollte, 
mit  aller  Bereitwilligkeit  und  Genauigkeit  die  Correctur  übernehmen  werde. 

Zu  diesem  rein  innern  Grunde  tritt  noch  der  äußere  hinzu,  daß  leicht  ein  dis- 
proportionirtes  Verhältniß  zwischen  dem  unverändert  bleibendem  rationalen  und  dem 
erweiterten  empirischen  sich  herausstellen  möchte,  dem  ich  bei  den  hier  einmal  vor- 
herrschenden Vorurtheil  unmöglich  durch  eine  Abkürzung  abzuhelfen  im  Stande  bin. 

Sie  werden  die  Güte  haben,  hierüber  Ihren  Entschluß  zu  fassen  und  mir  geneigtest 
mitzutheilen ,  und  überzeugt  zu  sein,  daß  ich  von  dem  Werthe  des  gütigen  Aner- 
bietens völlig  durchdrungen,  dennoch  gerne  einige  Zeit  abwarten  will,  um  mit  einem 


*)  574  S.   4°.  —  H.  B.  Wien. 


3i6 Juli  1823. ^ 

empirischen  Theile  zum  Vorschein  zu  kommen,  der  sich  nicht  allein  dem  rationalen 
des  Lehrbuchs,  sondern  selbst  der  größern  Pychologie  anschließt  Dies  letztere 
Vorhaben  ist  namentlich  durch  ein  besonderes  Ereigniß  motivirt.  Ihnen  ist  vielleicht 
erinnerlich,  daß,  bis  zu  seinem  im  vorigen  Jahre  erfolgten  Tode,  hier  der  katho- 
lische Theolog  Hermes  gelehrt  hat.  Derselbe  behandelte  in  völliger  Mittelalterweise 
die  Philosophie  als  Dienerin  der  Theologie.  Seine  hiesigen  Schüler  suchen  nun  die 
zu  diesem  besondern  Zweck  zugeschnitzten  Fragmente  von  Kant  und  Fichte,  welche 
sie  das  „Hermesische  System"  nennen,  als  die  alleinseeligmachende  Philosophie  nach 
seinem  Tode  auf  alle  Weise  aufrecht  zu  erhalten.  So  haben  sie  erstlich  eine  eigene 
Zeitschrift  in  Cöln  etablirt,  an  welcher  seine  hiesigen  und  Breslauer  Schüler  Theil 
nehmen  ||  und  welche  alle  sogenannten  „hermetischen"  Köpfe  abnehmen;  zweitens 
hat  ein  Trierischer  katholischer  Schullehrer  eine  dickleibige  Empirische  Psychologie 
zu  diesem  selben  Zwecke  herausgegeben,  und  drittens  hat  endlich  ein  hiesiger, 
juristischer  Prof.  Ordinarius,  v.  Droste,  ein  früherer  katholischer  Geistlicher  und  In- 
timus des  seeligen  Hermes  in  diesem  Semester  Vorlesungen  über  Psychologie  ge- 
halten, und  mir  sämmtliche  katholische  Zuhörer  entzogen,  so  daß  ich  nur  zwanzig 
hatte,  unter  denen  zu  meiner  Entschädigung  jedoch  selbst  der  Sohn  unsrer  dies- 
jährigen Magnificenz  sich  befindet,  und  so  daß  ich  diese  Anzahl  neben  drei  Ordi- 
narien habe,  weil  diesmal  vier  Psychologien  gelesen  werden.  Jene  Drostische  Psycho- 
logie nach  hermesischen  Heften  ist  übrigens  sonderbar  genug  mit  folgenden  drei 
Determinationen  begabt,  1.  blos  empirische,  2.  für  katholische  Theologen,  3.  ist  er 
schon  vorige  Woche  damit  so  zu  Ende  gekommen,  daß  er  nach  alleinigem  Vor- 
stellungsvermögen, Gefühl  und  Willen  im  Stich  läßt,  um  ins  Bad  zu  reisen.  Je- 
doch dieser  ganzen  schiefen  Richtung,  muß  ich  eine  weitläuftigere  Empirische  Dar- 
stellung in  Ihrem  Geiste  entgegenstellen. 

Wollen  Sie,  da  ich  es  einmal  habe  berühren  müßen,  mir  erlauben  meine  dies- 
maligen Coilegia  anzuführen:  1.  Einleitung  in  d.  Ph.  publice  mit  42  Zuhörern; 
2.  De  ideis  innatis.  lateinisch  vorgetragen,  mit  9  Zuhörern,  nach  meinem  Büchel- 
chen,1) dessen  Recension,  seltsam  genug,  so  günstig  ausgefallen  ist,  ohne  daß  ich  den 
Eecensenten  kenne,  nach  welchem  Sie  die  Güte  haben,  zu  fragen-  3.  Logik,  mit 
37  Zuhörern,  4.  Psychologie  (neben  Calka,  Droste,  Windischmann)  mit  20  Zuhörern; 
5.  Hume  mit  6  Zuhörern.  Außerdem  habe  ich  noch  viele  Privatissima,  namentlich 
im  Englischen  und  Italienischen;  besonders  aber  hat  sich  der  Vater  des  jungen 
Engländers,  welcher  nun  schon  seit  einem  Jahre  bei  mir  wohnt,  an  mich  gewendet, 
denselben  noch  genauer  als  bisher  unter  meine  Directum  zu  nehmen.  Dies  nimmt 
mir  freilich  manche  Tagesstunde  fort,  giebt  mir  aber  schon  die  Möglichkeit  in  London 
die  andern  Kinder  des  Mr.  Browne  zu  unterrichten,  so  daß  wenigstens  der  not- 
dürftigste Standpunkt  gesichert  ist.  Jedoch  dies  Alles  eben  aufgezählte  zwingt  mich 
täglich  neun  und  Mittwoch  und  Sonnabend  zehn  Stunden  zu  sprechen,  wozu  die 
Arbeitsstunden  gefügt  kaum  Zeit  zu  Mittage  bleibt. 

Dieser  etwas  mühsame  Zustand  ist  nun  mit  zweifelhaften  Entschlüßen  und 
dunkeln  Aussichten  für  jeden  derselben  umlagert.  In  Berlin  war  Schulze  zu  un- 
verschämt über  ||  Sie  und  gegen  mich,  als  daß  ich  hätte  in  den  Schranken  der 
Mäßigung  bleiben  können,  so  daß  ich  bei  diesem  Stande  der  Dinge  von  dorther  weder 
Etwas  zu  hoffen,  noch  aber  ebendaher  Etwas  zu  fürchten  habe.  Auf  meine,  von 
hier  aus  gerichtete  Anfrage,  und  auf  H.  v.  Rehfues,  wie  er  sagt,  ich  nicht  glaube, 
günstigen  Antrag,  ist,  obgleich  beides  im  Anfange  des  May  geschah,  weder  Nein  noch 
Ja,  noch  überhaupt  irgend  eine  Antwort  erschienen.     Herr  v.  Ancillon  hat  mich  mit 

*)  De  ideis  innatis  sive  puris  pro  principiis  habitis,  Regiomonti  1829. 


Juli   1832. 3!7 

vieler  Güte  empfangen,  und  sich  mit  schmeichelhafter  Theilnahme  und  selbst  wissen- 
schaftlicher Vertiefung  nach  Ihnen  erkundigt,  mir  den  wohlwollendsten  Gruß  an 
Sie  aufgetragen,  und  mir  versprochen,  sobald  ich  an  ihn  schreiben  würde,  die  besten 
Empfehlungen  an  die  Preußische  Gesandtschaft  in  London  zuzuschicken.  Auf  den 
nächsten  Freitag,  als  dem  freien  Tag  dieser  Woche,  werde  ich  in  dieser  Absicht  an 
ihn  schreiben,  und  bitte  Sie  ergebenst,  im  Fall  sich  die  Gelegenheit  darbietet, 
meinen  Brief  in  gleicher  Absicht  bei  Herrn  v.  Schön  anzumelden,  an  den  ich  heute 
über  acht  Tage  schreiben  will.  Von  dort  aus  werde  ich  außerdem  noch  von  Herrn 
v.  Bohlen  die  Empfehlung  erhalten,  von  hier  aus  von  Herrn  v.  Schlegel,  und  aus 
Berlin  noch  von  Nicolovius.  Gegen  Ende  September  hoffe  ich,  wenn  Alles  bei  dem- 
selben bleibt,  mich  hier  auf  das  Dampfschiff  zu  begeben,  um  mein  Heil  dort  zu  ver- 
suchen. — 

Eine  Zeitlang  hatte  ich  noch  immer  meine  Hoffnung  auf  Giessen  gestellt,  je- 
doch hat  man  von  Darmstädtischer  Seite  die  vorgehabte  Erweiterung  der  Uni- 
versität auf  die  Errichtung  einer  katholisch  -  theologischen  Facultät  beschränkt.  Eine 
andre  Aussicht  liegt  für  meinen  jetzigen,  gedrückten  Zustand  zu  ferne  und  ich  er- 
wähne ihrer  nur,  um  Sie  mit  freundlicheren  Nachrichten  als  meinen  persönlichen 
unterhalten  zu  können.  In  voriger  Woche  besuchte  mich  ein  junger  Schweitzer, 
Namens  Tappolet,  ein  Candidat  der  Theologie  aus  Zürich,  (der  sich  dieses  Semester 
hier  aufhält),  um  Ihre  Pädagogik  von  mir  zu  leihen,  und  sich  nach  der  praktischen 
Anwendung  im  dortigen  Seminar  zu  erkundigen.  Es  sei  zu  erwarten,  daß  eine  neue 
Universität  zu  Zürich  errichtet  werde,  und  man  namentlich  Ihre  in  der  Schweitz 
sehr  geachteten  Principien  der  Pädagogik  durch  ein  damit  zu  verbindendes  Seminar 
in  Ausübung  bringen  wolle.  Ihr  alter  Schüler  Keller,  habe  sich  noch  stets  enthu- 
siastisch Ihrer  erinnert,  und  namentlich  beide  Theile  der  Methaphysik  sehr  gerühmt; 
ein  gewisser  Nägeli,  Schulrath  daselbst,  habe  Sie  gegen  den  Stock-Philologen  Orelli 
vertheidigt.  Sollten  Sie  nun  den  durch  diese  Schweizer  mir  an  Sie  bestellten  Gruß 
von  Keller  beachten  und  an  ihn  schreiben  wollen,  so  dürften  ||  vielleicht  einige  Zeilen 
hinreichen,  jene  Herren  in  dem  Falle  einer  zu  errichtenden  Universität,  oder  eines 
Seminars,  auf  mich  aufmerksam  zu  machen,  selbst  schon  in  London  angekommen, 
würde  ich  darauf  gerne  eingehn.1)  Der  junge  Schweizer  will  noch  nach  Berlin  gehen, 
und  glaubt  es  möglich  zu  machen,  selbst  von  da  nach  Königsberg  zu  kommen,  und 
Sie  zu  besuchen.  Zugleich  muß  ich  Ihnen  einen  Doctoranden  ankündigen,  Namens 
Wahn,  aus  hiesiger  Gegend,  welcher  seit  fünf  Semestern  mein  Zuhörer,  selbst  zwei- 
mal die  mathematische  Psychologie  gehört  hat.  Er  arbeitet  jetzt  hier  an  seiner 
Dissertation,  die  er  gerne  fertig  mitnehmen  möchte,  um  dann  dort  nach  der  Promo- 
tion noch  ein  halb  Jahr  Ihre  und  Besseis  Vorträge  zu  hören.  Er  hofft  anfangs 
October  da  zu  sein.  Der  junge  Schweizer  ist  außer  den  schon  zu  Hause  emp- 
fangenen günstigen  Nachrichten  über  Sie,  noch  glücklicher  Weise  in  Brandis  diesmalige 
Religions  Philosophie  gegangen,  welche  nach  der  Aussage  mehrerer  meiner  Zuhörer 
der  im  vorigen  Semester  vorgetragenen  Metaphysik,  zum  dritten  Theil  aus  höchst 
schmeichelhafter  Auseinandersetzung  Ihrer  Principien  besteht,  zwar  in  friedlicher 
Eintracht  mit  dem  unmittelbaren  Bewußtsein  und  Schleiermacherscher  Theologie, 
aber  nichtsdestoweniger  mit  stündlicher,  bewundernder  Erwähnung.  Ihren  Gruß 
hat  er  freundlich  empfangen,  und  vielleicht  schon  erwiedert,  oder  seinem  Versprechen 
gemäß  in  einem  baldigen  Briefe  noch  zu  erwiedern. 

*)  Bobrik  kam  dann  auch  als  Prof.  der  Phil,  nach  Zürich.  Vgl.  Georg  v.  Wyß, 
Die  Hochschule  Zürich  in  den  Jahren  1833  —  1883,  Festschrift  zur  50.  Jahresfeier 
ihrer  Stiftung,  S.  18,  32.  Keller  ist  der  Obergerichtspräsident  F.  L.  Keller,  nach- 
mals Professor  in  Berlin.     (Fr.  Mitteilung   des  Heirn  Prof.  Dr.  R.  Steck  in  Bern.) 


318  Juli,  August   1832. 


Nehme  ich  das  eben  Berührte  mit  Ihrer  guten  Nachricht  von  Drobisch  zu- 
sammen ,  so  fasse  ich  freudigen  Muth,  daß,  wenn  mich  auch  mein  Schicksal  am 
Eingänge  meiner  Hoffnungen  niederdrückt,  auch  ohne  meine  redlich  gewidmeten 
Kräfte,  Ihr  System  bald,  recht  bald  die  würdige  allgemeine  Anerkennung  finden  wird; 
freilich  desto  betrübter  für  mich,  wenn  mich  fortwährend  der  äußere  Mangel,  und 
die  dagegen  bis  zur  Ueberspannung  gerichtete  tägliche  Erwerbsarbeit,  um  die  kräftig 
theilnehmende  Entwicklung  meiner,  wie  ich  aufrichtig  fühle,  reifen  Gedanken  be- 
trügt. Glücklicher  steht  Griepenkerl  da;  seine  Schrift  habe  ich  empfangen,  mit 
einem  Briefe,  der  die  Preußische  Staats-Philosophie  eben  so  wenig  als  Drobisch 
vergessen  hat.  Gleich  am  Schluß  der  Vorlesungen  werde  ich  an  ihn  schreiben,  und 
zugleich  eine  Recension  an  die  Jenaer  Litteraturzeitung  einschicken,  da  Eichstädt 
an  Augusti  geschrieben  hat,  mich  zur  Theilnahme  aufzufordern,  welche  von  London 
aus  noch  wichtiger  werden  kann. 

Mit  Beschämung  sehe  ich,  wie  lange  ich  mich  dem  Vergnügen  hingegeben  habe, 
und  ich  eile  mich  zum  Schluße  nach  Ihrer  und  der  Frau  Professorin  Gesundheit  zu 
erkundigen.  Hoffentlich  ||  wird  Königsberg  von  einer  Wiederkehr  der  bösen  Krank- 
heit verschont  bleiben,  welche  in  diesem  Jahre  so  vielerwärts  sich  von  Neuem  zeigt, 
und  aus  Holland  und  Frankreich  ihre  Kreise  näher  um  diese  Gegenden  zieht. 

Mit  der  ergebendsten  Bitte  mich  der  Frau  Gemahlin  zu  empfehlen,  verbinde 
ich  einen  gütigst  zu  bestellenden  Gruß  an  Dr.  Taute  und  Herrn  Strümpel,  und 
zeichne  mich  mit  innigster  Hochachtung  und  Liebe 

Ihr  Ergebenster  Bobrik. 

401.    Grolp  an  H.1)  Marienwerder,  den  16ten  August  1832. 

Hochverehrter  Herr  und  Freund!  Die  Julchen  Hollinger  hatte  uns  schriftlich 
u.  mündlich  die  angenehme  Aussicht  eröffnet,  Sie  und  Ihre  liebe  Frau  im  Laufe 
dieses  Sommers  in  Marienwerder,  nach  langer  Trennung,  wieder  zu  begrüßen;  die 
ungünstige  Witterung  im  Juli  hatte  sie  wahrscheinlich  abgehalten,  die  beschloßene 
.Reise  nach  Zoppot  und  Marienwerder  auszuführen;  die  Tage  sind  schöner  geworden, 
und  ich  bin  seit  dem  Anfange  dieses  Monats  nach  einer  längeren  Geschäftsreise, 
wieder  heimisch;  —  aber  vergeblich  haben  wir  bisher  an  jedem  Posttage  der  Nach- 
richt entgegengesehen,  daß  Sie  uns  bald  mit  Ihrem  Besuche  erfreuen  würden.  Ist  es 
Ihnen  möglich,  noch  im  Laufe  dieses  Monats  oder  in  den  ersten  Tagen  des  künftigen 
uns  Ihre  Gegenwart  zu  schenken,  so  geben  Sie  doch  für  diesen  Sommer  den  Ent- 
schluß nicht  auf!    Ich  bitte  für  mich  und  im  Namen  meiner  Frau  herzlich  darum! 

Bei  Gelegenheit  meiner  Geschäftsreise,  die  mich  am  Ende  des  Monats  Juni 
nach  Jenkau  bei  Danzig  führte,  hielten  wir  uns  einige  Tage  in  Zoppot  auf.  Wir 
wohnten  beim  Kommercienrath  Schepp  (Schwager  des  Breslauers  Professor)  in  dem 
Franziusschen  Gartenhause,  worin  vor  etwa  zehn  Jahren  Frau  v.  d.  Osten  den 
Sommer  verlebte ;  —  welch'  eine  paradiesische  Gegend,  welche  weite  ||  reizende  Aus- 
sicht! Es  war  uns  alles  wie  neu,  obgleich  wir  hundert  Mal  dort  gewesen.  Mit 
Frau  v.  d.  Osten  war  Skrczecka  (?)  in  Zoppot,  der  jetzt  Prediger  in  Culm  ist,  welchem 
es  sehr  wohl  geht.  Ich  war  vor  kurzem  bei  ihm,  wir  erinnerten  uns  dankbar 
unseres   gemeinschaftlichen   Lehrers,2)    u.  er  bat  mich,    ihn    von    Ihrer  Ankunft  in 

*)  3  S.  4°.  H.  Wien.  —  Über  den  Regierungs-  und  Schulrat  Grolp  vgl.  Brief 
Herbarts  an  Drobisch  vom  7.  Jan.  1835  im  folgenden  Bande. 

2)  Grolp  studierte  1812  ff.  unter  Herbart  in  Königsberg  mit  dem  schon  er- 
wähnten Reichhelm,  s.  Bd.  XIV,  S.  37  u.  ö.  Ein  Skrczecka  war  1828  Herbarts 
Schüler,  s.  Bd.  XV,  S.  8.  Da  aber  der  Brief  kaum  zu  entziffern  ist,  ist  auch  eine 
andere  Lesart  nicht  ausgeschlossen. 


August  1832.  ^jg 

Marienwerder  in  Kenntniß  zu  setzen,  weil  er  alsdann  ebenfalls  herzukommen 
wünschte.  Bis  jetzt  haben  Sie  mir  nicht  die  Freude  gemacht,  ihm  die  angenehme 
Botschaft  hinüber  zu  senden. 

Von  den  Absichten  des  Königl.  Ministerii  wegen  Besetzung  der  Königs- 
berger Schulrathstelle  wissen  Sie.  wie  ich  vermuthe,  daß  H.  Jachmann  im  Stillen 
für  H.  Schaub  in  Danzig  zu  wirken  bemüht  gewesen,  mit  dem  er  noch  befreundet 
zu  sein  scheint.  An  Jachmann,  mit  dem  ich  so  häufig  zusammen  zu  sein  Gelegen- 
heit gehabt  u.  der  sich  äußerlich  überaus  freundlich  gegen  mich  zeigt,  ist  doch  bei 
allem  so  vornehm  —  zurückhaltend,  daß  es  schwer  ist,  hinter  sein  geheimes  d.  h. 
wahres  Wollen  zu  kommen.  Weder  der  H.  v.  Schön,  noch  der  Graf  v.  Dohna 
noch  der  Ob.  R.  Rath  Ewald,  noch  der  Kanzler  ||  v.  [unleserlich]  haben  mir  auf  meine 
Briefe  eine  Zeile  geantwortet.  Eine  bittere,  aber  heilende  Medizin !  Ihr  Rezept  (?)  ist  darin, 
sich  künftighin  nicht  wieder  zu  solchen  Stellen  zu  melden.  Mein  Stolz  fühlt  sich 
mehr  gekränkt,  daß  ich  Weiteres  getan  als  dß.  ich  ohne  [unleserlich]  geblieben  bin. 
Ich  wollte  anfangs  bloß  an  den  Minister  v.  Altenstein  schreiben,  oder  was  einerlei,  an 
den  Geh.  Ob.  R.-Rath  Schalpe  —  wäre  ich  doch  meinem  Entschluße  treu  geblieben! 

Wie  ich  höre,  sollen  im  December  d.  J.  die  Schulräthe  der  Provinz  Preußen 
zur  Berathung  über  die  Preußische  Schulordnung  zusammentreten;  der  Präsident 
v.  Nowenschiht  sagte  mir  heute  in  der  Session  davon,  noch  habe  ich  das  diesfällige 
Schreiben  des  H.  Oberpräsidenten  nicht  gesehen.  Es  ist  heute  in  unserem  Hause 
viel  die  Rede  von  einer  Reise  nach  Königsberg  gewesen,  wohin  meine  Frau  u. 
meine  älteste  Schwester  —  wenn  es  möglich  zu  machen  ist  —  mich  begleiten  sollen. 
Man  reist  u.  genießt  so  doppelt! 

Meine  Frau  empfiehlt  sich  mit  mir  Ihrer  Frau  Gemahlin,  und  indem  ich  um 
die  Fortdauer  Ihres  Wohlwolleos  gegen  mich  angelegentlichst  bitte,  erlaube  ich  mir 
die  Versicherung  auszusprechen,  daß  ich  nie  aufhören  werde  zu  sein 

Ihr  dankbar  ergebenster     Grolp. 

402.    Jäsche  an  H.1)  Dorpat  den  30.  August  1832. 

Verehrungswerthester  Herr  Professor.  Mit  Verlangen  hatte  ich  in  diesen  Tagen 
der  Rückkunft  zweyer  Personen  aus  Königsberg  in  ihre  hiesige  Heimath  entgegen 
gesehen,  in  der  Hoffnung,  daß  sie  mir  willkommne  Nachrichten  von  Ihnen,  mein 
Verehrtester!  und  zugleich  einen  freundlichen  Gruß  verbunden  mit  der  aus  Ihrem 
Munde  vernommenen  mir  so  werthen  Versicherung  von  der  Fortdauer  Ihres  An- 
denkens an  mich,  und  Ihrer  wohlwollenden  Gesinnungen  gegen  mich  mitbringen 
würden.  Aber  leider!  ist  diese  meine  Hoffnung  unerfüllt  geblieben,  da  weder  mein 
College,  Hr.  Professor  Kleinert,  einer  Ihrer  ehemaligen  Schüler,  noch  der  Andere, 
welcher  in  dessen  Gesellschaft  Sie  hat  besuchen  wollen,  Hr.  Carlblom,  ein  Ober- 
lehrer an  unserm  hiesigen  Gymnasium,  das  Glück  gehabt  hat,  Sie  zu  Hause  anzutreffen. — 
So  möge  demnach  diese  Zuschrift  dazu  dienen,  mein  Andenken  bey  Ihnen  zu  er- 
neuern, und  mir  zugleich  die  angenehme  Aussicht  eröffnen,  auch  von  Ihnen  wieder- 
um in  Kurzem  erfreuliche  Nachrichten  von  Ihrem  Wohlbefinden  zu  erhalten.  So- 
gleich muß  ich  aber  auch  einer  alten  Schuld  gedenken,  die  ich  theils  Ihnen  selbst, 
theils  Ihrem  würdigen  Schüler,  Herrn  Strümpel,  noch  zu  entrichten  habe,  durch 
Bezeigung  meines  verbindlichsten  Dankes  für  den  gehaltvollen  philosophischen  Auf- 
satz, welchen  der  Letztere  durch  Sie,  und  mit  einigen  Zeilen  von  Ihnen  begleitet, 
mir  mitgetheilt  hat.  Mit  aller  Aufmerksamkeit  und  besonderm  Intereße  habe  ich  die, 
in  dem  gedachten  Aufsatze  in  gedrängter  Kürze  enthaltenen  Erörterungen  und  Auf- 
klärungen über  einen  und  den  andern  höchst  wichtigen  und  schwierigen  Hauptpunct 

')  4  S.    4°.   H.-B.  Wien. 


320  August  1832. 

der  praktischen  Philosophie  gelesen.  Sie  haben  an  Herrn  Strümpell  einen  würdigen 
Schüler  sich  gebildet,  von  welchem  sich,  schon  nach  der  einzigen  mir  gütigst  mit 
getheilten  Probe  von  Philosophischem  Talent  und  einer  lichtvollen  und  wohlgeordneten 
Darstellung  der  Gedanken,  gewiß  erwarten  läßt,  daß  er  das  Vertrauen  recht- 
fertigen werde,  welches  Sie  in  ihn  setzen,  indem  Sie  ihm  bald,  wie  Sie  mir  schreiben, 
einen  großen  Theil  Ihrer  litterarischen  Angelegenheiten  zu  übergeben  gedenken. 
Aber  doch  müssen  Sie  deswegen  selbst  noch  nicht  Ihre  schriftstellerische  Feder 
niederlegen.  Ein  niederschlagendes  Gefühl  ergriff  mich  in  der  That,  als  ich  die 
Worte  las :  „„Von  mir  ist  nichts  mehr  zu  erwarten,  wenn""  usw.  Kränkend  muß 
es  freilich  für  Sie  seyn,  daß  Ihre  redlichen,  eben  so  verdienstlichen  als  eifrigen  || 
Bemühungen,  die  theoretischen  und  praktischen  Zwecke  der  Wissenschaft  zu  be- 
fördern, nicht  genug  erkannt  und  gewürdigt  werden.  Aber  das  eigne  wohlgegründete 
Selbstgefühl  darf  und  muß  doch  auch  die  erhebende  Ueberzeugung  Ihnen  gewähren, 
daß  Sie  auf  Kant's  Lehrstuhle  während  einer  22  jährigen  Dienstzeit  nicht  ohne  Er- 
folg Lehren  der  Wissenschaft  und  der  Lebensweisheit  vorgetragen  und  verbreitet 
haben.  —  Als  ich  neuerdings  hieselbst  mit  dem  Astronomen  zu  Helsingfors  in  Finn- 
land, Herrn  Agelander,  einem  geb.  Preußen  und  ehemaligen  Zuhörer  von  Ihnen,  in 
Gesellschaft  bey  unserm  hiesigen  Astronomen  Struve  war,  erzählte  mir  gedachter 
Hr.  Agelander,  Sie,  Verehrtester!  hätten  sich  gelegentlich  in  einem  gesellschaft- 
lichen Zirkel  dahin  geäußert,  daß  es  Ihnen  weit  mehr  zur  Ehre  gereiche,  des  ehr- 
würdigen und  unvergeßlichen  Weisen  Kants,  als  des  Neo-Scholastikers  Hegels  Lehr- 
stuhl inne  zu  haben.  Wie  sehr  diese  Ihre  ausgesprochene  Ansicht  mir  gefallen, 
können  Sie  leicht  denken;  und  wenn  ich  nun  noch  überdies  erwäge,  wie  Ihre  philo- 
sophischen Antagonisten  in  B.  u.  H.  alle  ihre  Kunstgriffe  aufbieten  würden,  um 
Ihnen  Ihr  Leben  und  Wirken,  in  ihrer  Mitte  zu  verkümmern,  und  zu  verbittern: 
so  muß  es  mir  um  der  Wissenschaft  und  um  Ihre  selbsteignen  persönlichen  Ruhe 
und  Zufriedenheit  willen  lieb  seyn,  daß  man  Ihnen  die  bewußte  Stelle  nicht  an- 
getragen hat.  Man  erfährt  aber  doch  auch  bis  jetzt  nichts  Zuverläßiges  darüber, 
ob  der  vacante  philos.  Lehrstuhl  dem  Hegelianer  Gabler  wirklich  bestimmt  sey.  In 
seiner  Recension  der  Hegeischen  Encyklop.  pp.  glaube  ich  indessen  schon  eine  ge- 
wiße  captatio  benevolentiae  und  eine  gleichsam  zum  voraus  gegebene  Bürgschafts- 
leistung gefunden  zu  haben,  daß  er  als  ein  treuer,  ächter  Jünger  seines  Meisters 
sich  auf  dem  Lehrstuhl  desselben  geriren  werde.  Lächeln  muß  man  wohl  über 
Aussprüche  wie  der  (in  der  gedachten  Recension)  ist:  „daß  das  deutsche  Volk  nun- 
mehr eine  Metaphysik  habe  durch  Hegel."  Wie  lange  möchte  aber  wohl  noch 
dem  kleinen  deutschen  Volkshänflein  von  Hegelianern  der  Besitz  ihrer  scholastischen 
Metaphysik  gesichert  seyn?  —  Sie,  mein  Verehrtester!  werden  sicherlich  noch  früh- 
zeitig genug  das  Lebens-  und  Regierungsende  der  neuesten  Dynastie  in  unsern 
deutschen  Philosophen-Schulen  erleben.  Und  vielleicht  ich  selber  noch,  obschon  ein 
Greis,  der  bereits  im  Anfange  des  letztverfloßenen  Monathes  Juli  seinen  70.  Geburts- 
tag gefeiert  hat;  wenn  anders  die  Vorsehung  mir  noch  einige  wenige  Lebensjahre, 
über  diese  bereits  zurückgelegten  70  hinaus,  vergönnen  sollte.  Ihre  ernsten,  gründ- 
lichen und  besonnenen  Forschungen  im  Gebiete  der  gesamten  Philosophie  und  die 
in  Ihren  bereits  erschienenen  Werken  enthaltenen  Resultate  eines  vieljährigen  tief 
eindringenden  philosophischen  Nachdenkens,  werden  hoffentlich  über  kurz  ||  oder 
lang  das  ihrige  dazu  beytragen,  den  Verfall  und  Untergang  unsrer  neuesten 
scholastischen,  dogmatisch  idealistischen  Schulen  herbeyzuführen,  indem  sie  als  eine 
kräftige  Reaction  gegen  die  excentrischen  Tendenzen  aller  Modephilosophien  des 
Absoluten  wirken  werden.  Mögen  denn  auch  immerhin  solche  Neoscholastische 
Metaphysiker,  wie  die  Hinrichs  und  Consorten,  deren  Verstand  ganz  und  gar  an  ihrer 


August   1832.  321 

Schule  klebt,  durch  ihre  jämmerlichen  Kritiken  den  gediegenen  Werth  solcher  Er- 
zeugniße  des  philosophischen  Geistes  und  Geschmacks,  wie  auch  die  neueste  Frucht 
Ihrer  philosophischen  Thätigkeit,  die  Encyklopädie  der  Philos. ,  herab  zu  setzen 
suchen.  Unser  vorurtheilsfreyes,  gebildetes  Publicum  wird  sich  aber  dadurch  ge- 
wiß nicht  irre  machen  lassen,  sondern  der  Stimme  anderer  Referenten  und  Kritiker 
glauben  und  folgen;  einer  Stimme  die  ganz  anders  lautet  und  für  den  Werth  und 
die  "Wichtigkeit  Ihrer  philosophischen  Forschungen  zeugt;  wie  ich  so  eben  eine 
solche  Stimme  nur  noch  vor  kurzem  erst  (in  der  allg.  litt.  Ztg.  u.  den  Blättern 
für  literarische  Unterhaltung)  vernommen  habe.  —  Eine  nicht  unwirksame  und  un- 
bedeutende Reaction  gegen  unsre  modernen  scholastischen  Metaphysiker  wird,  denke 
ich,  auch  Beneke's  Jubeldenkschrift  auf  die  Kritik  der  reinen  Vernunft  bewirken. 
Ich  habe  mich  über  diese  Erscheinung  wohl  recht  sehr  gefreut;  und  gewiß  werden 
auch  Sie  dieser  Schrift  wenigstens  von  Seiten  ihrer  polemischen  Tendenz  als  Oppo- 
sitionsschrift verfaßt  zu  Darlegung  und  Rechtfertigung  der  Grundtendenz  der  Kan- 
tischen Philosophie  im  Gegensatze  mit  unsern  neuern  scholastisch-  metaphysischen 
Dogmatikern,  Ihren  Beyfall  nicht  versagen  wollen.  Nach  solchen  kräftigen  Reagen- 
tien  komme  auch  ich  nun  noch  bald  hinterher  mit  meinem  Versuche  von  Polemik 
gerichtet  gegen  unsre  modernen  "Wissenslehrer  der  Allheit  und  Absolutheit.  —  Der 
Inhalt  des  3.  und  letzten  Bandes  meiner  Schrift1),  wovon  Sie  die  Ankündigung  be- 
reits im  Leipz.  diesjäbr.  Ostermeßcataloge  werden  gelesen  haben,  und  von  welchem 
mein  Verleger  Ihnen  sogleich  ein  Exemplar  zuschicken  soll,  nachdem  die  neuer- 
lichst von  mir  eingesandte  Druckfehleranzeige  dem  Buche  wird  beygefügt  worden 
seyn,  wird  Ihnen,  mein  Verehrtester!  eine  genügende  Antwort  auf  Ihre  scherzhafter 
"Weise  an  mich  gerichtete  Frage  geben :  ob  ich  mich  etwa  zum  Pantheismus  bekehrt 
haben  sollte  ?  —  "Wenn  es  mir  geglückt  seyn  sollte ,  den  Spinozismus  redivivus  in 
den  mancherley  modernen  zum  Theil  bunt  geschmückten  Gewändern,  welche  die 
Pantheisten  unsrer  Zeit  ihm  angelegt,  |j  auf  eine  unverkennbare  "Weise  dem  un- 
getrübten Blicke  vorurtheilsfreyer  Beurtheiler  vorgeführt  und  in  seiner  Blöße  hin- 
gestellt zu  haben:  so  wäre  meine  Absicht  nicht  ganz  verfehlt,  trotz  der  mancherley 
Mängel  und  Unvollkommenheiten,  welche  der  Scharfblick  sachkundiger  Kritiker  am 
Ganzen  und  an  einzelnen  Parthien  bald  genug  entdecken  wird,  und  die  zum  Theil 
mir  selber  schon  bey  nunmehriger  schärferer  Uebersicht  des  Ganzen  nicht  mehr 
verborgen  bleiben  können.  Sollte  nun  aber  doch  ohngeachtet  alles  auszustellenden 
Tadelnswerthen,  welches  Ihrem  geübten  hellen  und  scharfen  Kennerblicke  bey 
Durchsicht  des  Buches  gewiß  am  wenigsten  entgehen  wird,  auch  dieser  letzte  Theil 
des  "Werkes,  gleich  den  beyden  erstem,  einer  öffentlichen  Anzeige  und  Beurtheilung 
von  Ihnen  gewürdigt  werden:  so  würde  mir  diese,  Ihre,  auch  nach  dem  Schluße 
des  Ganzen  erzeigte  Gunst  zu  einem  erfreulichen  Beweise  dienen,  daß  auch  die 
letzte,  unser  philosophisches  Zeitalter  zunächst  angehende  und  wohl  am  meisten 
intereßirende  Parthie  des  "Werkes  auf  eine,  wenigstens  der  Hauptsache  nach,  nicht 
unzweckmäßige  Weise  von  mir  müße  bearbeitet  worden  seyn.  Denn  welch'  ein 
Gewicht  ich  auf  Ihr  Urtheil  über  den  "Werth  meiner  schriftstellerischen  Versuche 
lege,  davon  hat  Sie  die  Art,  wie  ich  Ihre  lobenden  und  tadelnden  Bemerkungen  bis 
jetzt  aufgenommen,  mit  Sorgfalt  beachtet  und  berücksichtiget  habe,  überzeugen 
können.  Ich  habe  mich,  wie  Sie  finden  werden,  mehrmals  auf  Sie  als  meinem  Ge- 
währsmann berufen ,  um  meinen  Behauptungen  durch  Ihre  Aussprüche  noch  mehr 
Nachdruck  und  Gewicht  zu  geben.  Auch  zu  diesem  Zwecke  ist  mir  das  Studium, 
vornehmlich  Ihrer  Methaphysik,  so  wie  des  jüngsten  Ihrer  Werke,  der  schon  er- 

*)  Der  Phantheismus  nach  seinen  verschiedenen  Hauptformen.  3.  Bd.  Berlin  1832. 

Herbarts  Werke.     XVII.  2 1 


~\2  2  August,  November   1832. 


wähnten  vortrefflichen  aus  praktischen  Gesichtspuncten  entworfenen  Encyklopädie 
der  Philosophie,  recht  sehr  zu  statten  gekommen.  Wie  viel  ich  überhaupt  schon 
meiner  mit  Ihrem  philosophischem  System  bis  jetzt  gemachten  Bekanntschaft  ver- 
danke, das  wird  mir  immer  klarer  und  einleuchtender,  je  mehr  ich  über  den  Ent- 
wicklungsgang unsrer  modernen  Spinozisten,  und  die  Veranlassungen  und  Ursachen 
ihrer  mannichf altigen  Verirrungen  auf  dem  Wege  der  Speculation  nachdenke; 
indem  ich  gegenwärtig  in  einer  öffentlichen  Vorlesung,  wöchentlich  eine  Stunde, 
meinen  Zuhörern  die  practische  Entwicklungsgeschichte  der  modernen  dogmatisch 
idealistischen  Systeme  seit  der  Kantischen  Epoche  darzustellen  versuche.  —  Leben 
Sie  denn  nun  wohl,  mein  Verehrtester!  Unter  Wiederholung  meiner  lebhaftesten 
Wünsche  für  Ihr  Wohlseyn  und  der  angelegentlichen  Bitte  um  die  Fortdauer  Ihres 
wohlwollenden  Andenkens 

Ihr  aufrichtiger  Verehrer    Jäsche. 

403.    Bobrik  an  H.1)  Bonn  d.  13ten  Novbr.  1832. 

Verehrtester  Herr  Professor!  Wie  sehr  ich  es  auch  gewünscht  habe  früher 
and  anderwärtsher  den  ergebensten  Dank  für  die  geneigten  Briefe  zu  sagen,  es 
hat  mir  bei  allen  Bemühungen  nicht  gelingen  wollen.  Neben  London  hat  sich 
Darmstadt  und  Zürich  gestellt,  um  mir  einen  künftigen  Aufenthalt  so  möglich  als 
wünschenswerth  zu  machen. 

Der  hiesige  Ober  Consistorial  Path  Augusti,  hat  nämlich  von  Darmstadt  aus  die 
Aufforderung  erhalten,  dorthin  als  Evangelischer  Prälat  zu  kommen,  um  die  Ein- 
richtung und  oberste  Leitung  des  gesammten  Kirchenwesens  zu  übernehmen.  Für 
den  Fall  seiner  Zusage  hat  mir  das  Darmstädtische  Ministerium  eine  mathematische 
Lehrerstelle  am  dortigen  Gymnasium  mit  dem  Titel  eines  Professors  und  500  Thlr. 
Prß.  zugesagt,  mit  der  Aussicht,  wenn,  was  im  Werke  sei,  Gießen  nach  Darm- 
stadt verlegt  wird,  eine  Philosophische  Profeßur  an  der  Universität  zu  erhalten.  Gegen 
das  Berliner  Ministerium  hat  Augusti  neben  andern  Bedingungen  seines  Bleibens 
die  gestellt,  daß  ich  zum  Professor  extod.  an  hiesiger  Universität  mit  einem  aus- 
kömmlichen Gehalte  gemacht  würde.  Auf  diese  im  Anfange  Septbr.  gemachte  Ein- 
gabe ist  bis  jetzt  nicht  eine  Spur  von  Antwort  gekommen,  u.  Augusti,  welcher  in 
Breslau  in  einiger  Nähe  des  Königs  gestanden,  u.  auch  späterhin  manche  Beweise 
des  Zutrauens  von  Sr.  Maj.  erhalten  hat,  will,  wenn  das  Schweigen  länger  dauert, 
sich  im  Decbr.  an  den  König  selbst  wenden.  Bis  dahin  bin  ich  daher  hier  festge- 
bannt u.  habe  demgemäß  meine  Collegien  mit  einem  so  zahlreichen  u.  ergiebigen 
Besuche  angefangen,  wie  ich  mich  noch  nicht  zu  erfreuen  gehabt  habe  z.  B.  Logik 
trägt  allein  50  Fr.  d'or  u.  Psychologie  beinahe  30  fr.  d'or. 

Nach  Zürich  hatte  ich  an  Keller,  Präsidenten,  und  an  Nägeli  Mitglied  des  Erziehungs- 
rathes  geschrieben,  u.  mir  erlaubt  dieselben  an  Sie  zu  verweisen,  im  Fall  sie  nähere  Aus- 
kunft über  mich  haben  wollten.  Von  Nägeli  bekam  ich  einen  freundlichen  Brief,  u.  den 
Plan  der  einzurichtenden  Universität  zugeschickt  ||  nebst  dem  Versprechen  meine  Mel- 
dung um  eine  Philos.  Professur  nach  Kräften  zu  unterstützen.  Ich  habe  demnach  eine 
officielle  Eingabe  an  den  Erziehungsrath  abgeschickt  u.  hoffe  im  Januar  eine  be- 
stimmte zusagende  oder  abschlägige  Antwort  zu  erhalten.  Beide  Aussichten  gegen 
die  jetzige  politische  Aufregung  Londons  gehalten,  laßen  es  mich  noch  nicht  be- 
reuen ein  neues  Semester  hierzubleiben,  doch  werde  ich  mit  meinem  jungen  Eng- 
länder, den  der  Vater  aus  Besorgniß  des  ausbrechenden  Krieges  nach  Hause  ruft, 
die  Verbindungen  und  Erkundigungen  fortsetzen,  welche  ich  anzuknüpfen  Gelegen- 
heit hatte. 

x)  2  S.  4Ü.     H.  Wien. 


November,  Dezember  T832.  ^2\ 


Daß  Brandis  diesen  Winter  in  Berlin  bleibt,  wird  Ihnen  bekannt  sein,  er  sagt. 
um  seine  Ausgabe  des  Aristoteles  zu  beendigen,  wir  meinen  hier  sämmtlich,  u. 
Berliner  erzählen  es,  um  sich  Hegels  Stelle  durch  Schleiermachers  Einfluß  zu  ver- 
schaffen, dessen  pedisequus  er  hier  in  der  letzten  Zeit  zu  ängstlich  machte. 

In  hiesiger  Gegend  taucht  trotzdem  von  Neuem  das  verstärkte  Gerücht  hervor, 
Sie  kämen  nach  Berlin.  Wollen  Sie,  verehrter  Herr  Professor  mir  im  Falle  der 
Wahrheit  einige  Winke  zukommen  lassen,  so  könnte  ich  sie  für  meine  hiesige  An- 
gelegenheit dankbar  benutzen. 

Herr  Wahn  ist  heute  nach  Königsberg  abgereist  u.  ich  habe  mir  die  Freiheit 
genommen,  ihm  einen  besondern  Empfehlungsbrief  an  Sie  mitzugeben.  Seine 
äußeren  Umstände  sind  völlig  sorgenfrei,  so  daß,  wenn  er  nach  der  Promotion  in 
seine  hiesige  Heimath  zurückkehrt,  er  leicht  zum  Guten  Ihrer  Lehre  beitragen 
wird.  Er  spricht  wenig  aber  sicher,  und  denkt  scharf  u.  tief  u.  hat  Ihre  Werke 
im  eigenen  Besitze  sämmtlich  durchstudirt. 

Cholera  und  Krieg  sind  an  unserer  Schwelle,  die  Regimenter  hiesiger  Gegend 
sind  in  voller  Bewegung,  u.  viele  Studirende  zum  Dienste  eingezogen,  doch  getrost 
erwarten  wir  noch  immer  eine  glückliche  Lösung  der  verwickelten  Zukunft. 

Mit  ergebenster  Bitte  um  gütige  Empfehlung  an  Ihre  Frau  Gemahlin  zeichne 
ich  mit  kindlicher  Ehrfurcht 

Ihr  Ergebenster  Dr.  Bobrik. 

404.     An   Drobisch.1)  Königsberg  20  Dec  1832 

Herzlichen  Dank,  mein  verehrtester  Freund,  für  Ihren  trefflichen 
Aufsatz  sowohl  als  für  Ihre  gütigen  Mittheilungen!  Aber,  aufrichtig  ge- 
sagt, ich  wage  kaum,  noch  viel  hinzuzufügen;  denn  was  ich  auch  sagen 
möchte,  es  kann  zu  leicht  den  Schein  der  Zudringlichkeit  annehmen,  so 
lange  Sie  noch  im  mindesten  in  ihrer  Beurtheilung  meiner  Untersuchungen 
schwanken.  Ihr  Urtheil  über  Griepenkerls  Briefe  ist  nachtheiliger  aus- 
gefallen als  ich  dachte;  ich  kann  nicht  unternehmen  Sie  zu  widerlegen, 
aber  es  war  mein  Wunsch,  Sie  möchten  seinen  redlichen  Willen,  der 
einen  mir  wichtigen  Zeitpunct  rasch  benutzte,  höher  anschlagen,  und  des- 
halb auch  für  ihn  ehrenvoller  gesprochen  haben.  Soll  aber  mir  im 
Publicum  eine  bessere  Stellung  bereitet  werden,  so  dürfte  dazu  vor  allem 
nötig  seyn,  das  Publicum  zu  nehmen  wie  es  ist,  also  nicht  länger  wie 
vor  einem  idealen  Publicum  zu  reden,  das  da  kommen  und  urtheilen 
solle,  wo  Sie  Selbst  nicht  bestimmt  sprechen  mögen.  Wer  ist  denn 
urtheilsfähiger  als  Sie?  Die  übrigen  sind  entweder  Phartheymänner,  oder 
sie  kleben  an  Vorurtheilen,  oder  sie  wissen  wenigstens  nicht  recht  wovon 
die  Rede  ist.  Wenn  Sie  einmal  im  deutlichen,  ganz  einfachen  Indicativ 
reden  werden,  dann  wird  eine  große  Menge  Ihnen  glauben;  aber  ich 
habe  keine  Mittel,  diese  Zeit  näher  zu  führen.  Sie  sind  ein  selbständiger 
Denker,  und  ein  solcher  nimmt  sich  soviel  Zeit  als  er  braucht.  Darin 
liegt  der  ganze  Grund  meines  längeren  Schweigens,  —  wenn  Sie  nicht 
auch  das  für  einen  halben  Grund  rechnen  wollen,  daß  mir  jede  Zeile 
unangenehm  fühlbar  wird,  die  mich  an  das  Schwankende  meiner  Stellung 
erinnert.  Doch  muß  ich  Ihnen  ||  darüber  ein  paar  Worte  zur  Nachricht  sagen. 
Brandis    ist    seit   ein    paar  Monaten  in  Berlin,  angeblich  seines  Aristoteles 

x)  3  S.    40. 

21* 


324  Dezember  1832. 

wegen;  die  Bonner  meinen,  der  vacanten  Stelle  wegen;  er  selbst  hat  dies 
in  einem  Briefe  an  mich  verneint;  ich  aber  vermuthe  daß  Andere  etwas 
Anderes  mit  ihm  wollen,  als  er  selbst  geglaubt  und  gewollt  hat.  Er  schreibt 
nun  mir  in  dem  Sinne,  als  stünde  ich  noch  auf  der  Candidaten-Liste ; 
damit  trifft  ein  Besuch  vom  Minister  Beyme  zusammen;  und  die  Nach- 
richten, die  Sachs  von  der  Reise  mitbrachte.  Das  Ministerium  hat  ganz 
kürzlich  von  mir  ein  Gutachten  in  einer  unbedeutenden  Sache  verlangt; 
es  scheint,  man  wolle  mir  für  mögliche  Fälle  Rede  angewinnen.  Das 
Alles  stört  mich,  nachdem  ich  vor  einigen  Monaten  eine  vortheilhafte 
Gelegenheit,  mein  Haus  zu  verkaufen,  zurückgewiesen  habe.  Es  stört 
mich  in  Arbeiten,  durch  die  ich  gerade  die  störenden  Gedanken  zu  ver- 
gessen hoffte. 

Überlegen  Sie  nun  in  meinem  Namen!  Was  kann  ich  Ihnen  jetzt 
versprechen?  Freylich  sollte  ich  bei  Ihrem  jetzigen  Unternehmen  Ihr 
ämsigster  Mitarbeiter  seyn;  statt  dessen  muß  ich  mich  einigermaaßen  auf 
mögliche  Fälle  gefaßt  halten;  auf  die  Gefahr,  dadurch  unnützer  Weise 
Gelegenheit  und  Zeit  zu  verlieren. 

Daß  die  Leipziger  Redaction  nicht  lange  mehr  bestehen  könne, 
hatte  mir  geahndet.  Denn  die  active  Kraft  liegt  dort  zu  sehr  in  der 
Verlagshandlung,  als  daß  so  schönes  Papier  und  so  sauberer  Druck  nicht 
besser  solle  benutzt  werden.  Aber  —  können  Sie  Sich  bloß  auf  ein  Jahr 
einlassen?  Etwas  länger,  dächte  ich,  —  oder  gar  nicht!  Übrigens  hat 
freylich  die  Sache  zwey  Seiten.  Sie  gewinnen  auf  der  einen,  Sie  ver- 
lieren auf  der  andern!  Doch  denke  ich,  das  Nöthigste  wäre  Ihnen  — 
eine  recht  zuverlässige  Haushälterin.  |]  Denn  wenn  Sie  Sich  zu  Nacht- 
wachen bei  Frau  und  Kindern  häufig  gezwungen  sehn,  so  ists  rein  un- 
möglich, daß  Sie  bey  großer  literarischer  Geschäfftigkeit  noch  die  Freyheit 
des  Geistes  behaupten,  die  vielleicht  niemand  im  gelehrten  Deutschlande 
sich  so  sorgfältig  erhalten  sollte,  als  eben  Sie! 

Vor  Weiße  möchte  ich  fast  warnen.  Doch  bitte  ich  das  nicht  un- 
recht zu  verstehen;  es  ist  wahrlich  nicht,  als  ob  ich  Bedingungen  an  seine 
Ausschließung  knüpfen  möchte.  Nur  besorge  ich,  Sie  werden  ihn,  wenn 
er  einmal  zugelassen  ist,  nicht  mehr  los,  er  will  mit  Gewalt  berühmt 
werden;  und  seine  massive  Feder  ist  nicht  bloß  rascher  als  die  Ihrige, 
sondern  auch  gerade  recht  um  der  Masse  zu  imponiren.  Er  kann  Schaden 
[genug  anrichten,]  und  zu  belehren  ist  seine  Verschrobenheit  schwerlich. 
Lassen  Sie  Sich  doch  nur  Etwas  von  [seinen]  Schriften  geben ;  Sie  werden 
dann  Selbst  sehen !  Denen,  die  den  Wahnsinn  der  Hegelianer  [nicht] 
aus  eigner  Ansicht  kennen,  erscheint  er,  nach  allen  meinen  Erfahrungen, 
viel  kleiner  als  er  ist. 

Die  angenehmste  Ihrer  Nachrichten  für  mich  war  die,  daß  Sie 
Psychologie  lesen,  ja  noch  überdies  nach  meinem  Lehrbuch.  Gern  möchte 
ich  Ihnen  sagen,  wie  ich  das  Lehrbuch  gebrauche,  die  Anordnung  stark 
verändernd;  doch  auch  das  bleibt  Ihrer  eigenen  Überlegung  und  Ent- 
scheidung anheim  gestellt. 

Vielleicht  schreibe  ich  etwas  ausführlicher,  wenn  ich  mit  meiner 
jetzigen  Arbeit  etwas  mehr  werde  vorgerückt  seyn.  Bis  dahin  —  glauben 
Sie  nur  nicht,  daß  ich  mich  in  thörichten  Hoffnungen   wiege.     In  meinem 


Dezember  1832.  3  2^ 


Alter  giebts  eigentlich  keine  rechte  Hoffnung  mehr,  und  ruhen  ist  klüger 
als  sich  noch  viel  rühren.  Benutzen  Sie  Ihre  Jahre!  Dazu  möge  das 
neue  Jahr  Ihnen  neue  Gelegenheiten  bringen. 

Ganz  und  immer  der  Ihrige  Herbart. 

405.     An   Brandis.  x)  Königsberg  20  December  1832. 

Mit  vielem  Danke,  mein  hochverehrter  Freund!  hatte  ich  Ihre 
Recension  meiner  Encyklopädie  gelesen,  und  wollte  Ihnen  diesen  Dank 
für  die  sehr  gütige  Aufmerksamkeit,  womit  Sie  das  auf  Ihren  Wink  ent- 
standene Buch  behandelt  haben,  nach  Bonn  hinsenden,  als  ich  überrascht 
wurde  durch  Ihren  Brief  aus  Berlin,  der  mir  noch  eine  zartere  Auf- 
merksamkeit beweiset.  Es  war  jedoch  nicht  ganz  leicht  darauf  zu  ant- 
worten, besonders  da  ich,  falls  Sie  etwa  gefragt  würden :  Was  sagt  H  ? 
Ihnen  nicht  gern  die  bequeme  Erwiederung  verderben  wollte:  er  sagt 
Nichts.  Jetzt  aber  mag  ich  nicht  verfehlen,  Sie  von  einer  Kleinigkeit  zu 
benachrichtigen,  die  Sie  einigermaaßen  berühren  könnte.  Ihr  Schüler,  Herr 
Fischer,  hat  eine  Abhandlung  geschrieben,  de  logica  aristotelica,  diese  ist 
von  hoher  Hand  an  mich  gelangt,  mit  dem  Auftrage  mich  darüber  zu 
äußern.  Mein  Bericht  durfte  nun  weder  kurz  noch  lang,  weder  scharf 
noch  stumpf  ausfallen;  indessen  habe  ich,  da  Sprache,  Darstellung,  Kennt- 
niß  neuerer  Philos.  pp.  mir  kein  Lob  abgewinnen  konnten,  mich  auf  den 
Aristot.  gestemmt,  und  bemerkt:  es  werde  schwerlich  Jemand  außer  Ihnen, 
beurtheilen  können,  wiefern  Herr  Fischer  Ihren  Unterricht  sich  an- 
geeignet haben  möge;  —  indirect  habe  ich  am  Ende  auf  eine  Unter- 
stützung von  etwa  300  Thl.   angetragen. 

Andre  Neuigkeiten,  z.  B.  die  von  der  veränderten  Redaction  der 
Leipz.  Lit.  Zeitung  werden  Sie  eher  erfahren  als  ich.  Sie  haben  wohl 
gethan,  Sich  dem  Kriegs-  und  Cholera-Schauplatz  so  gut  als  möglich  zu 
entziehen  —  wenn  nur  nicht  die  Kugeln,  die  vor  Antwerpen  gewechselt 
werden,  am  Ende  auch  uns  bedrohen!  In  ruhiger  Zeit,  —  und  wenn 
Sie  mehr  Muße  haben,  werden  wir  ja  wohl  einmal  wieder  eine  wissen- 
schaftliche Unterhaltung  beginnen.  Für  jetzt  wünsche  ich  für  uns  beyde, 
der  Winter  möge  gnädig  mit  uns  umgehen!  Ganz  und  mit  größter  Hoch- 
achtung Ihr  Herbart. 

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Druck  von  Hermann  Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann)  in  Langensalza. 


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