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in 2010 with funding from
University of Toronto
http://www.archive.org/details/smtlichewerkei16v17herb
Joh. Fr. Herbart.
JOH. FR1EDR. HERBART'S
SÄMTLICHE WERKE.
JOH. FR. HERBARTS
SÄMTLICHE WERKE
IN CHRONOLOGISCHER REIHENFOLGE
HERAUSGEGEBEN
tKARL KEHRBACH und OTTO FLÜGEL.
SECHZEHNTER BAND.
BEARBEITET
VON
THEODOR FRITZSCH.
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LANGENSALZA
HERMANN BEYER & SÖHNE
(BEYER & MANN)
Herzogl. Sachs. Hofbuchhändlhr
1912
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BRIEFE VON UND AN
J. F. HERBART.
URKUNDEN UND REGESTEN ZU SEINEM LEBEN
UND SEINEN WERKEN.
MIT VIER BILDERN.
1. BAND.
(VON 1776— 1807.)
MIT EINEM BILDE HERBARTS.
VON
THEODOR FRITZSCH.
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LANGENSALZA
HERMANN BEYER & SÖHNE
(BEYER & MANN)
Herzogl. Sachs. Hofbuchhändler
1912
Alle Rechte vorbehalten.
Sr. Königlichen Hoheit
dem Großherzog Friedrich August von Oldenburg
in tiefster Ehrfurcht
gewidmet.
VORREDE
ZU BAND I— IV (BAND XVI-XIX DER GESAMT-
AUSGABE).
/\ls ich vor Jahren die Briefe Herbarts an Drobisch der
Öffentlichkeit übergab, schrieb ich in den „Erläuterungen zum
Jahrbuch des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik" (1905, S. 63):
„Nunmehr wäre es an der Zeit, alle vorhandenen Briefe Herbarts
in chronologischer Reihenfolge erscheinen zu lassen, ähnlich wie
es die preußische Akademie der Wissenschaften mit den Briefen
Kants getan hat. Eine solche Ausgabe könnte einen vorläufigen
Ersatz bilden für eine große Herbartbiographie, die uns noch
fehlt; sie würde auch allen denen unschätzbare Dienste leisten,
die sich mit Herbart beschäftigen. Die Kehrbach sehe Herbart-
Ausgabe könnte keinen besseren Abschluß finden als mit den
Herbart -Briefen, und die Beyer -Mann sehe Verlagsbuchhandlung
in Langensalza würde sich mit der Verwirklichung dieses Planes
außerordentlich um die Wissenschaft verdient machen."
Obwohl eine solche chronologische Veröffentlichung sämtlicher
Briefe Herbarts nicht im ursprünglichen Plane Kehrbachs lag
und die vorliegende Herbart-Ausgabe dadurch wesentlich umfang-
reicher wird, als beabsichtigt war, haben die Inhaber der Ver-
lagsbuchhandlung Hermann Beyer & Söhne (Beyer & Mann) in
Langensalza diesem Vorschlag in dankenswerter Weise zugestimmt
und die größten Opfer nicht gescheut, um die Bände zustande zu
bringen.
Nach langen mühsamen Vorarbeiten, die zum Teil ins vorige
Jahrhundert zurückreichen, können die Briefbände nunmehr der
Öffentlichkeit übergeben werden. Sie bedeuten auch für den
Herbartkenner eine Überraschung. Denn während Robert Zimmer-
mann noch 1876 von den „bei Herbarts Unlust zum Schreiben
nicht allzu zahlreichen Briefen" redet und in seiner mit Unter-
stützung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien
zustande gekommenen Briefausgabe1) nur 120 Herbartbriefe kennt,
x) Wien 1877, W. Braumüller.
X Vorrede zu Band 16 — 19.
sind wir heute in der glücklichen Lage, vier stattliche Bände mit
ungefähr 1000 Nummern — darunter über 300 von Herbart selbst —
mitteilen zu können.
Schon früher (1871) hatte TuiSKON Ziller eine Sammlung
alles dessen versucht was an „Herbartischen Reliquien" vorhanden
war.1) Jedoch ergab die Nachprüfung dieses Materials, daß
vieles davon nicht diplomatisch genau wiedergegeben, manches
sogar überarbeitet worden war. Im Jahre 1877 erschien Zimmer-
manns eben erwähntes Buch. 1898 veröffentlichte dann KARL
Georg Brandis2) eine Anzahl ungedruckter Briefe von Herbart,
1902 folgte der Herausgeber dieser Bände mit 84 Herbartbriefen3)
und 1909 A. Spitzner mit den Briefen Herbarts an Strümpell.4)
Dazu kommt noch eine Reihe von kleineren Veröffentlichungen,
die hier nicht aufgezählt werden, aber in den Fußnoten dieser
Bände erwähnt sind.
In allen diesen Briefsammlungen vermißte man die Antworten
der Adressaten. So mußte von vornherein vieles unverständlich
bleiben, auch ging der Hauptreiz einer Briefausgabe, der im
Meinungsaustausch liegt, verloren. Viele der Schreiben an Herbart
sind in meiner Sammlung mit abgedruckt. Manches ist nicht mit
aufgenommen worden. Auch von Herbart ist nicht alles und
jedes veröffentlicht, obwohl Herbart zu den führenden Geistern
gehört, die, wie Lessing von Leibniz sagt, „keine Zeile umsonst
sollten geschrieben haben". Manchem erscheint vielleicht das
eine oder andre von dem Dargebotenen überflüssig. Solchen
Kritikern möchte ich zu bedenken geben, daß im Zusammenhange
oft das unbedeutendste Detail wichtig ist, und daß der Brief-
wechsel das Material für eine Herbartbiographie bringen will.
Infolgedessen sind auch Urteile über Herbart, Erinnerungen an
ihn u. a. aus Büchern, Briefen und Aufsätzen mitgeteilt worden.
*) Leipzig, G. Gräbner, I. Ausg. 1871, 2. Ausg. 1884.
2) Karl Georg Brandis, Ungedruckte Briefe von Joh. Friedr. Herbart (Bei-
träge zur Lehrerbildung und Lehrerfortbildung, herausgegeben von K. Muthesius,
6. Heft, Gotha, E. F. Thienemann, 1898, Sonderabdruck aus den Pädagogischen
Blättern für Lehrerbildung und Lehrerbildungsanstalten).
3) Theodor Fritzsch, 84 Briefe Herbarts an Drobisch (Jahrbuch des Vereins
für wissenschaftliche Pädagogik, herausgegeben von Th. Vogt, Dresden, Bleyl & Kämmerer,
I902ff. XXXIV. Jahrg., S. 227 — 278; XXXV. Jahrg., S. 129—193; XXXVII. Jahrg.,
S. 154 — 206.
4) In der Einleitung zur „Psychologischen Pädagogik von L. Strümpell". 2. Aufl.
von Alfred Spitzner. Leipzig, E. Ungleich, o. T.
Vorrede zu Band 16 — 19. XI
Streichungen innerhalb der Texte, die früher in Rücksicht
auf Lebende notwendig waren, konnten jetzt unterbleiben, wie-
wohl sich, wie jeder aus Erfahrung weiß, in vertraulichen Briefen
manches findet, was keinen bleibenden Wert hat, vielleicht auch
manches scharfe und freimütige Wort, das einer augenblicklichen
Mißstimmung gegen Personen oder Zustände entsprang. Man
darf billig erwarten, daß solche Worte nicht „auf die Goldwage"
gelegt werden, wie es in einzelnen Fällen Herbart gegenüber
geschehen ist, sondern daß der richtige Maßstab der Beurteilung-
angelegt wird.
Unter den mitgeteilten Briefen an Herbart findet sich viel-
leicht mancher unbedeutend scheinende, der aber doch das ganze
Bild des Lebenskreises Herbarts irgendwie vervollständigt oder
sein Wesen in der Anteilnahme und Mitteilungslust anderer wieder-
spiegelt; und ich habe auch in solchen Fällen meist lieber ganze,
als verstümmelte und dadurch entstellte Briefbilder gegeben.
Außerordentlich schwer war die Beschaffung des in alle Welt
zerstreuten Materials. Aus wievielen Orten die Schriftstücke zu-
sammengeholt worden sind, ersehe man aus den Fußnoten. Erst
nach langem Suchen konnte ich die Hauptkorrespondenz Herbarts
in der Handschriftensammlung der K. K. Hofbibliothek in Wien
entdecken. Da trotz hoher Befürwortung dieses Material nicht
nach Leipzig ausgeliefert wurde, habe ich es in Wien abschreiben
lassen müssen und zwar unter der sachkundigen Leitung der
leider allzufrüh verstorbenen Frau Nelly Wolff, geb. von Ge-
schmeidiger.
Die Kollationierung der Wiener Briefe lag in den Händen der
Herren Dr. phil. O. Hein und P. Bey. Ihnen wie den Herren
Bibliotheksdirektor Hofrat Dr. Ritter VON Karabacek, Kustos
Dr. R. Beer und Reg. -Rat F. Mencik bin ich zu großem Dank
verpflichtet. —
Schon waren drei Bände der Sammlung fast ausgedruckt, da
gelang es Herrn Dr. K. Freye noch eine Reihe von Briefen auf-
zufinden. Durch die außerordentliche Liebenswürdigkeit der Frau
Geh. Reg.-Rat M. Knack in Charlottenburg, der treuen Hüterin
dieser Reste des Herbartischen Nachlasses, wurde es in letzter
Stunde noch möglich, zahlreiche Nachträge zur Korrespondenz,
wichtige Urkunden zu Herbarts Leben u. a. zu bringen. Herr
Dr. K. Freye hat die Briefe vor mir zu seiner Abhandlung
„Boehlendorff, der Freund Herbarts und Hölderlins" (Langensalza,
XII Vorrede zu Band 16 — 19.
Beyer & Söhne) verwertet und mich bei der Drucklegung in
der vorliegenden Sammlung in freundlichster Weise unterstützt.
Die betr. Schriftstücke sind mit N. (== Nachlaß) bezeichnet.
Infolge des neuen Brieffundes mußte die chronologische An-
ordnung innerhalb der Bände durchbrochen werden. Jedoch
empfiehlt es sich, die Briefe und Urkunden so zu lesen, wie sie
zeitlich aufeinanderfolgen. Dazu bediene man sich des Inhalts-
verzeichnisses am Anfange der Bände (I [XVI], S. XV)J, in dem
das Material chronologisch geordnet ist. Daneben werden die
darauf folgenden Register, die die Briefe von und die an Herbart
nach den Namen ihrer Empfänger und Schreiber aufzählen, gute
Dienste leisten. Alle im Briefwechsel vorkommenden Personen
sind in einem alphabetisch geordneten Namen-Register am Ende
der Briefe zusammengestellt.
Daß ich mir bei der Herausgabe überall die größtmögliche
Genauigkeit zur Pflicht machte, braucht nicht besonders hervor-
gehoben zu werden. Wo das Original schadhaft oder ein Wort
ausgelassen war, habe ich es zu ergänzen versucht und das
Fehlende in eckige Klammern eingeschlossen. Trotz großer An-
strengungen war es in mehreren Fällen nicht möglich, die
Originale zu erlangen. Dann ist die Quelle angegeben, nach der
gedruckt wurde. Offenbare Versehen der ersten Pierausgeber
sind verbessert worden.
Bei der Masse der in Frage kommenden Handschriften ist
es selbstverständlich, daß einzelne Schriftzüge oft verschiedene
Deutungen zuließen, namentlich bei Namen. Ich habe mich be-
müht, mit Hilfe der einschlägigen Literatur und durch Befragung
von Fachgelehrten die zweifelhaften Stellen zu entziffern. Meist
habe ich nur das schließliche Ergebnis den Lesern vorgelegt,
ohne die Gründe anzugeben, die mich zu dieser oder jener Lesart
bewogen haben. Dasselbe gilt von der Datierung undatierter
Briefe, die oft nur gemutmaßt werden konnte, und von den
Empfängern und Schreibern der Briefe, soweit sie nicht unzweifelhaft
feststanden. Nur in einem Falle bin ich nachträglich zu der
Überzeugung gelangt, daß eine kleine Änderung meiner Angaben
sich nötig macht: Nr. 99 (Bd. I [XVI], S. 115) gehört wohl nach
Nr. 101 und ist jedenfalls an Smidt gerichtet.
Die mitgeteilten Schriftstücke umfassen etwa einen Zeitraum
von dreiviertel Jahrhundert, sie fallen in das letzte Viertel des 18.
und in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wir finden darunter
Vorrede zu Band ib — 19. XIII
Briefe von Gelehrten aller Fakultäten und von Laien und er-
kennen daraus, welche Begeisterung Herbart zu wecken verstand,
welche Verehrung er genoß, und daß sein Einfluß viel weiter
reichte, als man bisher annahm. Aber abgesehen von dem, was
aus den Bänden für Herbarts Leben und Wirken selbst heraus-
springt, wird in der Geistesgeschichte, in der Geschichte unserer
Universitäten, ja in der Gelehrtengeschichte überhaupt vieles in
neues Licht gerückt oder durch neue Urkunden belegt. Auf
den Inhalt an dieser Stelle weiter einzugehen, verbietet der be-
schränkte Raum. Hervorgehoben sei nur, daß aus dem hier ge-
botenen Material schon vor dem Erscheinen mehrere Arbeiten
— darunter auch Dissertationen — hervorgegangen sind.
Es ist mir nicht möglich, hier im Vorwort alle Bibliotheken
und Herren anzuführen, die mich mit Rat und Tat unterstützt
haben. Es ging über die Kräfte eines einzelnen, das riesen-
hafte Material zu bewältigen. Außer den genannten Herren muß
ich aber besonders danken Herrn Universitäts-Prof. Dr. R. Steck
in Bern, einem Enkel des intimsten Freundes Herbarts. Er hat
von Anfang bis zum Ende die Korrekturen mit gelesen, manche
bessere Lesart vorgeschlagen und viele Auskünfte aus dem Schatz
seiner reichen Kenntnis jener Zeit bereitwilligst erteilt. Erwähnen
muß ich ferner Herrn Richter a. D. Dr. J. Smidt in Bremen, den
Enkel eines andern Jugendfreundes Herbarts (s. Bd. XIV), und
Herrn Oberlehrer Fr. Franke in Leipzig, die mir beide wesent-
liche Hilfe geleistet haben.
Ehrerbietigsten Dank schulde ich endlich der Königlich
Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, die mir eine finanzielle
Beihilfe zu meinen nicht unbeträchtlichen Unkosten gütigst ge-
währte.
Leipzig, im Nov. 1912.
Dr. Th. Fritzsch.
Bemerkungen zu den Bildern.
i) Das im i. Bande befindliche Bild ist ein Jugendbild Herbarts. Es war bisher
wie die anderen Porträts, die wir bringen — völlig unbekannt. Herr Richter a. D.
Dr. Smidt in Bremen hat es gütigst zur Verfügung gestellt. W. v. Grote schreibt am
17. Okt. 1833 an Herbart: „Vor Ihrem ähnlichen in Smidts Stube befindlichem Bilde
sitzend, haben wir recht lange und viel von Ihnen und Ihrer künftigen Wirksamkeit
in Göttingen gesprochen,1' (Bd. III, S. 39). Danach gehen wir wohl nicht fehl, wenn
wir das Entstehen des Bildes in die erste Göttinger Zeit Herbarts setzen. Dazu vgl.
man folgende Stelle aus einem Briefe Griepenkerls an Herbart (vom 20. Apr. 1827,
s. Bd. II, S. 153): „Ich sehne mich schon seit langen Jahren ein ähnliches Bild von
Ihnen zu besitzen, wär's auch nur eine Bleistift- oder Schwarzkreidezeichnung. Doch
es müßte das ganze erhabene Haupt darauf sichtbar sein, was sich nur erreichen läßt,
wenn die Ansicht halb en face genommen wird. Sie wurden schon in Göttingen ge-
zwungen der Gesundheit wegen fremdes Haar zu tragen. — Dieses sähe ich nicht
gerne auf dem Bilde, weil es die schönsten Teile des Hauptes verdeckt. Die ver-
schollenen Lehren des Dr. Gall sind mir lächerlich und waren es ehe ich Ihre Psycho-
logie las ; aber die Erfahrung zeigt zu oft eine gewisse Harmonie zwischen den äußeren
Formen und den inneren, was auch der Grund davon sein möge ..." Ob dieses Bild
noch vorhanden ist? Ich sah im Jahre 1899 bei Prof. Lazarus in Meran eine Daguerreo-
typie: Griepenkerl sitzend, neben ihm Lazarus, das Bild Herbarts in der Hand haltend.
Darnach muß ein Heibartbild in Griepenkerls Besitz gewesen sein. (S. auch Lazarus
Lebenserinnerungen, 1906, S. 473). Der Hartensteinschen und der Willmannschen
Herbart Ausgabe (1. u. 2. Aufl.) ist ein Bildnis Herbarts von C. H. Steffens, in Stahl
gestochen von C. Geyer, beigegeben. Eine Kreideporträt Herbarts, das sich im Besitz
einer Angestellten des Hauses befand, soll erst vor einigen Jahren nach Amerika ver-
kauft worden sein.
2) Dem 2. Band voran steht das Bild Karl von Steigers, es ist gemalt von
Sonnenschein im Jahre 1801 (s. Bd. I, S. 233 f.) und befindet sich, wie das folgende
Bild der Frau Herbart und ein Bild O. Stiemers, im Besitz der Frau Geheimrat
M. A. Albrecht, geb. Stiemer, in Potsdam. Auch an dieser Stelle sei ihr für die
Bereitwilligkeit, mit der sie die Bilder zur Reproduktion zur Verfügung stellte, ergebenst
gedankt. Das Original ist ein lebensgroßes Ölbild, stark rissig und nachgedunkelt (die
Photographie ist retouchiert) ; es stammt aus dem Nachlaß der Frau Herbart, resp.
O. Stiemers und wurde erst jetzt rekognosziert.
3) Das Bild des 3. Bandes ist ein Porträt von Herbarts Frau. Das Original
ist eine halblebensgroße Kreidezeichnung, und stellt Frau Herbart wohl in mittleren
Jahren dar.
4) Das Oldenbitrger Herbartdenkmal im 4. Bande ist nach einer Büste H. Heideis
(18 10 — 1865), die sich jetzt im Besitze der Universität Göttingen befindet, von Marger
hergestellt und wurde zum 100. Geburtstage Herbarts eingeweiht. Über den Anteil des
Großherzogs Peter von Oldenburg, der in Leipzig unter Drobisch und Hartenstein
Philosophie studiert hatte und 1876 eine Herbartstiftung, einen Stipendienfonds für
unbemittelte Schüler, ins Leben rief, und über die Geschichte des Denkmals überhaupt
vgl. man Lazarus Lebenserinnerungen, S. 459 f.
Inhaltsverzeichnis
von Band I— IV (XVI— XIX der Gesamtausgabe),
chronologisch geordnet.
Die erste (römische) Ziffer bezeichnet den Band, die zweite, wenn nicht anders
bemerkt, die Nummer.
Herbarts Stammbaum I, S. 3. Fleißzettel für H. 1786 IV, 701. W. Ültzen
an H. IV, 702. Ein Aufsatz Herbarts, Sommer 1789 IV, 703. W. Ültzen an H.
1789 IV, 704. Studienplan f. Herbart von Ültzen 1789 IV, 705. Der übrige
Bildungsgang I, S. 4 f.
1795: J. G. Rist über H. I, 1. Breuning an H. 7. 7. IV, 706. Meen an H
16. 7. IV, 707. Eintrag ins Stammbuch Rumpfs 21. 8. I, 2. Langreuter an H. 24. 8
IV. 708. An v. Halem 28. 8. I, 3. Antwort an Fichte 1. 10. IV, 709. Nachtrag
zu Nr. 1 IV, 710. Breuning an H. 29. 10. IV, 7 II. Woltmann über H., Okt., I, 4
Ricklefs an H. 1. 11. IV, 715. An Gries. Ohne Dat. IV. 716. Fritz Hörn an H
20. 12. IV, 712.
1796: An Smidt 23. 1. I, 5. An Smidt 29. 1. I, 6. Groninger an H. 4. 2
IV, 717. J. P. E. Greverus an H. IV. 718. F. Fromm an H. 15. 2. IV, 719
Herbarts Mutter an Smidt 20. 2. I, 7. E. Berger an Smidt 26. 2. I, 8. Smidt
an H. 28. 2. IV, 713. Herbarts Mutter an Smidt 16. 3. I, 9. Herbarts Mutter an
Smidt 30. 3. I, 10. Lantsch an Smidt 1. 4. I, Tl. Smidt an seine Schwester 6. 4.
I, 12. Herbarts Vater an Smidt 19. 4. I, 13. E. Berger an Smidt 28. 4. I, 14.
Rist an H. 4. 5. IV, 714. Herbarts Mutter an Smidt 8. 5. I, 15. An Smidt 16.5.
I, 16. Herbarts Mutter an Smidt 20. 5. I, T7. Herbarts Mutter an Smidt, Montag
um Mitternacht I, 18. Rist an H. 1. 6. IV, 720. Lantsch an Smidt 14. — 20. 6.
I, 19. An Smidt 27. 6. I, 20. Joh. Rud. Steck an seine Mutter 8. 7. I, 21.
An Smidt 29. 7. I, 22. An Smidt 30. 7. I, 23. An Langreuter, Aus Jena, I, 24.
Herbarts Mutter an Smidt 1. 8. 1, 25. Steck an Zehender 1. 8. I, 26. Reimers
an H. 5. 8. IV, 721. Smidt an H. 10. 8. IV, 722. C. Breuning an H. 20. 8.
IV, 723. An Rist, Sept., I, 27. Herbarts Mutter an Smidt I, 28. Steck an seine
Mutter 17. 10. I, 29. Steck an seine Mutter 24. 10. I, 30. J. G. Lange an Smidt
u. Thulesius 28. 10. I, 31. Rist an H., Oktober, IV, 724. Steck an seine Mutter
7. 11. 1, 32. Lange an Smidt 1. 12. I, 33. An Smidt, Anfang Dez., I, 34. An
Smidt, Anfang Dez., I, 35. Steck an seine Mutter 19. 12. I, 36.
1797: An v. Halem I, 37. Steck an seine Mutter 11. 2. I, 38. E. v. Berger
und Hülsen an H. n. 1. IV, 725. Smidt an H. 16. 2. IV, 726. An Smidt, Febr.,
I, 41. C. Fr. von Steiger an H. 18. 2. I, 40. An den Landvogt v. Steiger 18. 2.
I, 39. G. A. v. Halem an H. 14. 3. IV, 727. Zu Herbarts Aufenthalt in
der Schweiz IV, 728. Böhlendorff an Smidt 2. 3. I, 42. Steck an seine Mutter
13. 3. I, 43. Herbarts Vater an Smidt 19. 3. I, 44. Steck an seine Mutter
20. 3 I, 46. Aus dem Stammbuche von Gries 21. 3. I, 45. Steck an seine
Mutter 28. 3. I, 47. An Rist 28. 3. I, 48. C. Otth an Steck 29. 3. I, 49. Steck
an seine Mutter 7. 4. I, 50. H. an seine Mutter in Oldenburg, Ostern, I, 51.
Herbarts Vater an Smidt 15. 4. I, 52. Johanna Fichte an Smidt 17. 4. I, 53.
Steck an Fischer 29. 4. I, 54. Rist an H. 5. 5. I, 55. Steck an seine Mutter 10. 5.
I, 56. An Rist 12. 6. I, 57. Aus Smidts Reisetagebuche 14. 6. I, 58. Eschen
XVI Inhaltsverzeichnis von Band 16 — 19.
an H. 30. 6. I, 59. E. v. Berger an H. 20. 7. IV, 729. E. v. Berger an H. Ohne
Dat. IV, 730. Muhrbeck an II. 28. 7. I, 60. An Steck 5. 8. I, 61. Bonus an H.
28. 8. IV, 731. Herbarts Mutter an Langreuter 9. 9. I, 62. Gries an H. 16. 9.
IV. 732. E. v. Berger an H. 17. 9. IV, 733. E. v. Berger an H. 6. 10. I, 63.
Steck an Fischer, Oktober, I, 64. Böhlendorf an H. u. Fischer 22. 10. IV, 734.
C. Otth an Steck 27. 10. I, 65. Fr. Muhrbeck an H. 3. 11. IV, 737. Rist an H.
6. 11. IV, 735. Steck an Fischer 14. 11. I, 66. Böhlendorf an H., Nov., IV, 736.
Böhlendorf an H. 4. 12. IV, 738. Gräfin Kameke an H. 28. 12. IV, 739. Böhlen-
dorff an Steck 30. 12. I, 67.
1798: J. G. Fichte an H. 1. 1. I, 68. Gries an Steck 8. 1. IV, 740 An
v. Halem 28. 1. I, 69. An Langreuter 28. I. I, 70. Ludwig Steiger an H. 8. 2.
IV, 741. Hörn an Smidt 15. 2. I, 71. Eschen an H. 19. 2. IV, 742. Manuskript
von Böhlendorf IV, 743. An Smidt, Ende Februar, I, 72 Aus Herbarts Tagebuch,
März, IV, 979. Fischer an Steck u. Zehender 28. 3. I, 73. Herbarts Mutter an
Smidt 3. 4. I, 74. Herbarts Mutter an Smidt 3. 6. I, 75. Herbarts Mutter (Ohne
Datum) I, 76. An meine Eltern 30. 6. I, "]J. Fischer an Steck u. Zehender 26. 7.
I, 78. An v. Halem 26. 9. I, 79. An Smidt 26 9. I, 80. Fr. Muhrbeck an H.,
Sept., IV, 744. Fr. Muhrbeck an H., Sept., IV, 745 Hörn an Smidt 7. 10. I, 81.
Gries an Steck 26. 10. I, 82. Steck an Fischer 28. 10. I, 83. An Muhrbeck 28. 10.
I, 84. Böhlendorff an Rist 10. 11. I, 85. Fischer an Steck und Zehender, Nov. od.
Dez., I, 88. An Rist I, 86. Steck an Fischer 9. 12. I, 87. Steck an Zehender,
Dez., I, 89. Fr. Muhrbeck an H., Dez., IV, 746.
1799: Aufsatz v. C. Steiger IV, 747. Muhrbeck an H. IV, 748. G. A v. Halem
an H., Jan., IV, 749. Steck an Fischer 19. 1. I, 90. Rist an H. 19. 1. IV, 750.
An Fichte 24. 3. I, 91. Hörn an Smidt, 31. 3. I, 92. Gries an H. 2. 6. I, 94.
An Böhlendorff, Anfang Juni, I, 93. L. Otth an H. 10. 6. IV, 751. An Eschen
20. 7. I, 95. Jenner an H. 27. 7. IV, 752. Böhlendorf an H. 30. 7. IV, 753.
Koppen an Smidt 15. 8. I, 96. Böhlendorf an Steck 15. 8. I, 97. Gries an H.
23. 8. I, 98 An ? 4. 9. I, 99. Fischer an Smidt 4. 9. I, 100. An Smidt 4. 9.
I, 101. An Böhlendorff 28. 9. I, 102. Eschen an Steck 24. 10. I, 103. Steck an
Eschen 2. 11. I. 104. Gries an H. 21. 11. I, 105. An Smidt 10. 12. I, 106.
Muhrbeck an H. 11. 12. IV, 754. Reisepaß für H. IV. 755. Fischer an Zehender
12. 12. I, 107. Steck an Zehender, Dez, I, 108. Eschen an H. I, 109,
1800: An Carl v. Steiger 17. 1. I, 110. Ziemssen an H. 30. 1. I, in.
Ziemssen an H. 4. 2. I, 112. An Carl Steiger 1. 3. I, 113. Herbarts Besuch bei
Gries in Göttingen I, 114. Eschen an H. 20. 3. I, 115. Ziemssen an H. 26. 3. I, 116.
An Carl Steiger 12. 4. I, 117. An Segelken 15. 4. I, 118. An Eschen 20. 4, I, 119.
Böhlendorf an H. 20. 4. IV, 757. Gries an Steck 9. 5. I, 120. Gries an Steck
q. 5. IV, 756. Ziemssen an H. 3. 6. I, 122. Ziemssen an H. 9. 6. I, 123. Eschen
an H. 12. 6. IV, 758. Herr v. Steiger u. Carl an H. 16. 6. I, 124. Smidt an seine
Schwester, Juni, I, 121. Steck an Zehender, Juli, I, 125. An die Gebrüder v. Steiger
10. 7. I, 126. Ziemssen an H. 23. 8. I, 128. Th. Ziemssen an H. 29. 8. IV, 759.
Steck an Zehender, August, I, 127. Segelken an H., Anfang Sept., I, 129. Böhlen-
dorf an H. 10. 9. IV, 760. Fritz Hörn und Ziemssen an H. 17. ? IV. 761. An
Segelken, Mitte Sept., I, 130. L. v. Steiger an H. 23. 9. I, 131. Holz an H.
7. 11. IV, 762. Walte über H. IV, 763. Ziemssen an H. 16. 10. I, S. 174.
An Carl Steiger 10. 11. I, 133. J. Rist an H. 14. II. I, 134. An Segelken, um
Weihnachten, I, 135.
1801: Frau Senator Schmidt an Julie Jahn 14. 1. I, 136. Smidt an Justizräthin
Herbart, Jan., I, 137. Segelken an H. 4. 2. I, 138. An Carl Steiger 8. 2. I, 140.
An v. Halem 8. 2. I, 139. Böhlendorff an Heinrich Noltenius 14. 2. I, 141.
Böhlendorff an Noltenius I, 142. Ziemssen an H. 16. 2. I, 143. An Steck 1. 3. I, 144.
Aus einem Briefe von Halem an ? 13. 3. I, 145. Steck an Zehender 7. 4. I, 146.
An Steck 19. 4. I, 147. An v. Halem, Anfang Mai, I, 148. Smidt an seine Frau.
21. 7. I, 149. Smidt an seine Frau 23. 7. I, 150. Ziemssen an H. 30. 7. I, 151«
Ziemssen an H. 11. 8. I, 152. Zehender an H. 18. 8. I, 153. Ziemssen an H.
Aug., I, 154. Ziemssen an H , Sept., I, 155. An Carl v. Steiger 8. 9. I. 156. Steck
an Zehender 10. 9. I, 157. Ziemssen an H.. Oktober, I, 158. Böhlendorff an Steck,
Nov., I, 159. An Carl Steiger, Mitte Nov., I, 160. J. Fuesli an H. 21. II, IV, 764.
Ziemssen an H., Dez., I, 161. An Carl v. Steiger, Dez., I, 162. An v. Halem 24. 12. I, 163.
Inhaltsverzeichnis von Band 16 — 19. XVII
1802: An Carl v. Steiger, Ende Jan., I, 164. Weineke an H. 5. 3. I, 165.
Zehender an H. 6. 3. IV, 765. Ziemssen an H. 14. 3. IV, 766. An v. Grote, März,
IV, 767. An Carl v. Steiger I. 4 I, 166. An v. Halem, Ende April, I, 167. An
Carl v Steiger 6. 5. I, 168. An Smidt 24. 5. I, 169. Smidt an H., Ohne Datum,
IV, 768. Gries an H. 2. 7. IV, 709. Ziemssen an H. 19. 7. IV, 770. An Gries,
Ende Juli, I, 170. Ziemssen an H , Sept., IV, 771. N. Kulenkamp an H. 18. 9. IV, 772.
von Grote an H. 27. 9. IV, 773. Gries an H. 1. 10. IV, 774. Bonus an H. 7. 10.
IV, 775. Immatrikulation 7. 10. IV, 776. An v. Halem 28. 10. I, 171. An Frau
Doct. C. Castendyk, Mad. Noltenius u. Smidt, Herbst, IV, 777. Ziemssen an H., Nov.,
IV, 778. An Carl v. Sreiger 16. II. I, 172. An Smidt, Göttingen, Montags, I, 173.
Ziemssen an H., Dez., IV, 779. Gries an H. 22. 12. IV, 780. Steck an Zehender,
Ende 1802 I, 174.
1803: An v. Halem, Jan., I, 175. Ziemssen an H. 20. 1. IV, 78c Böhlendorf
an Smidt 8. 2. IV, 782. Böhlendorff an H. Noltenius, Febr., I, 176. Ziemssen,
April, IV, 783. Zehender an H. 11. 8. IV, 784. An Steck, Ende Aug., I, 177.
Hoene an H. 7. 10. IV, 785. Zehender an H. 30. 12. IV, 786.
1804: An Smidt 13. 2. I, 178. An Smidt 1804? I, 179. An Eltermann u.
Kulenkamp 18. 4. IV, 787. Smidt an seine Frau 20. 7. 1, 180. Smidt an seine
Schwester. 20. 7. I, 181. Smidt an seine Frau 21. 7. I, 182. An Herrn v. Steiger,
Ohne Datum, I, 183. An Herrn v. Steiger 7. 9. I, 184. An Gries 21. 12. I, 185.
1805: Heise an H. 9. 1. I, 186. An Prof. Heise 18. I. I, 187. Heise an H.
23. 1. I, 188. Freiherr v. Edelsheim an H. 1. 2. 1, 189. Minister Grote an H.
3. 2. I, 190. An v. Edelsheim 11. 2. I, 191. Rahden an H. I. 6 I, 192. An
Smidt 10. 6. I, 193. An Smidt 4. 7. I, 194. An Paul Anselm v. Feuerbach, Juli od.
Aug., I, 195. F. A. Carus an H. 1. 9. I, 19b. J. P. A. Feuerbach an H. 4. 9. IV, 788.
1806: F. A. Carus an H. 18. 1. IV, 790. Graf George Sievers an H. 25. 1.
IV, 789. An Smidt 2. 2. I, 197. F. A. Carus an H. 8. 2. I, 198. An Smidt 13. 2.
I, 199. Casimir Plater an H. 5. 3. IV, 791. A. H. Niemeyer an H. 6. 3. I, 200.
W. G. Tennemann an H. 16. 4. I, 201. An F. A. Caius 2. 6. I, 202. F. A. Carus
an H. 10. 7. I, 203. An Smidt, Mitte Juli, I, 204. An F. A. Carus 25. 7. I, 205.
An Carl v. Steiger 23. 8. I, 206. An F. A. Carus 29. 8. I, 207. An Carl v. Steiger
8. 9. I, 208. An Smidt 11. 9. I, 209. An Gries 22. 9. I, 210. Koppen an H.
30. 11. I, 211.
1807: Vertrag zwischen Herbart und Danckwerts 16. 6. I, 212. Gries an H.
21. 9. 1, 213. An Carl v. Steiger 22. 11. I, 214. An Carl v. Steiger 7. 12. I, 215.
1808: An Smidt 17. 1. II, 216. Smidt an H. 27. 1. IV, 792. An Smidt 15. 2.
II, 217. An Carl v. Steiger 11. 4. II, 218. Griepenkerl an H. 4. 6. II, 219. An
v. Halem 11. 7. II, 220. An Gries 16. 7. II, 221. Beilage zu Nr. 221 16 7. II, 222.
An Smidt 8. 8. II, 224. Sonate II, 223. C. L. Reinhold an H. I. 9. II, 225.
An v. Richthofen, Sept., IV, 793. An Chr. D. Beck 10. 10. II, 226. C. L. Reinhold
an H. 1. 11. II, 227. An C. L. Reinhold Nov., II, 228 Griepenkerl an H. 14. II.
II, 229. Gries an H. 16. 11. II, 230. An Carl v. Steiger 21. II. II, 231. Auers-
wald an H. 28. n. IV, 794. An Smidt, Dez., II, 232. An Carl v. Steiger 16. 12.
II, 233. An v. Halem 20. 12. II, 234. An v. Halem, Ohne Datum, II, 235.
1809: An Carl v. Steiger 10. 1. II, 236. Auerswald an H. 19. I. IV, 795.
J. D. Gries an H 23. 1. II, 237. An A. Kühnel 30. 1. IV, 796. Unterholzner an
v. Richthofen über H. IV, 797. An Carl v. Steiger 10. 2. II, 238. Gries an H.
17. 2. IV, 798. Griepenkerl an H. 25. 2. II, 239. Unterholzner an H. 2. 3. II, 240.
Frau Minister v. Grote an H. 13. 4. II, 241. Richthofen an H. 30. 4. II, 242.
Richthofen an H. 5. 6. IV, 799. Dissen an H. 24. 6. II, 243. W. v. Grote an H.
5. 7. IV, 800. C. W. Pape an H. 21. 8. IV, 802. Carl v. Steiger an H. 14. 9.
II, 244. Catharina Castendyk an H. 22. 9. IV, 803. F. Kohlrausch an H. 8. 10.
IV, 801. Dissen an H., Mitte Oktober. II, 245. Therese Grote an H. 3. II. II, 246.
Wardenburg an H. 4. 11. IV, 804. Richthofen an H. 5. II. II, 247. Unterholzner
an H. 6. 11. IV, 805. Griepenkerl an H. 16. II. II, 248. Wardenburg an H.
1. 12. IV, 806.
1810: Dissen an H. 7. 1. II, 250. Dorn an H. 13. 1. IV, 807. Hasse an H.
3. 2. IV, 808. Griepenkerl an H. 12. 2. II, 251. Richthofen an H. 19. 2. II, 252.
An Karl v. Steiger 27. 2. II, 253. An Ludolf Dissen 27. 2. II, 249. Nicolovius
Hbrbarts Werke. XVI. II
XVI II Inhaltsverzeichnis von Band 16 — 19.
an H. 29. 3. II, 254. Graf Sievers an H. 2. 4. II, 255. Casimir Plater an H. 2. 4.
IV, 809. Dissen an H. 15. 4. II, 256. G.PanH. 4. 5. IV, 810. Griepenkerl an H.
IV, 811. H. wird Mitglied der Königl. Deutschen Gesellschaft 11. 7. IV, 812.
A. H L. Heeren an H. 23. 7. IV. 813. Griepenkerl an H. 28. 8. II. 257. Griepen-
kerl an H. 1. 10 II, 258. Nicolovius an H. 6. 10. IV, 814. Griepenkerl an H.
19. 10. II, 259. Halem an H. 17. II. IV, 815. A. Luber an H. 28. 12. IV, 816.
1811: Graffan H. 4. 1. IV, 817. Aufgebot H. 7. 1. IV, 818. Griepenkerl
an H. 15. 3. II, 260. Kohlrausch an H. 12. 4. II, 261. Richthofen an H. 24. 4.
II, 262. Anerbieten H. an Richthofen, Mai, IV, 819. J. A. Gotthold an H. 4. 5.
IV, 820. Richthofen an H. 12. 5. IV, 821. Griepenkerl an H. 14. 6. II, 263.
Witt an H. 15. 6. IV, 822. Delbrück an H 16. 6. II, 264. Richthofen an H.
20. 6. IV, 823. An v. Richthofen, Juli, IV, 824. Carl Steiger an H., August,
IV, 825. Graff an H. IV, 826.
1812: Richthofen an H. 6. 1. II, 265. Richthofen an H. 12 3. IV, 827.
Friedr. Thiersch an H 2. 4. II, 266. Richthofen an H., Ohne Datum, II, 267.
An v. Richthofen 20. 5. IV, 828. Richthofen an H. 2. 6. IV, 829. Karoline
v. Grote an v. Richthofen über H. IV, 830. v. Richthofen an K. v. Grote über H.
2. 6. IV, 831. An v. Richthofen 15. 6. IV, 832. Richtofen an H., Juni, IV, 833.
Richthofen an H. 23. 6. II, 268. K. v. Grote an v. Richthofen IV, 834. Carl
v. Steiger an H. 10. 7. IV, 835. Toelken an H. 20. 7. IV, 836. An L. Dissen
29. 7. II, 269. An Carl v. Steiger 29. 7. II, 270. Tölken an H. 9. 9. II, 271.
Clemens an H. 9. 11. IV, 837. Richthofen an H. 28. 12. IV, 838.
1813: A. Luber an H. 19. 3. IV, 840. Frau Herbart an H. IV, 839.
Richthofen an H. 5. 4. IV, 841. Richthofen an H. 15. 8. IV, 842. Richthofen
an H. 3. 12. IV, 843. A. H. Niemeyer an H. 11. 12. IV, 844.
1814: F. Rahden an H. 2. 7. IV, 845. Richthofen an H. 17. 7. IV, 846.
George Sievers an H. 2 8. IV, 847. Grote an H. 21. 10. IV, 848.
1815: Griepenkerl an H. 3. 1. IV, 849. Richthofen an H. 26. 2. IV, 850.
George Sievers an H. 8/20. 4. II, 272. Dissen an H. 26. 8. II, 273. Remer an H.
11. 11. IV, 851.
1816: Süvern an H. 12. 3. IV, 852. Schläger an H. 9. 6. IV, 854. George
Sievers an H. 13. 6. IV, 853. Richthofen an H. 17. 6. IV, 855. Süvern an H.
7. 7. IV, 856. Reichhelm an H. 13. 7. IV, 857. Nicolovius an H. 24. 9. II. 274.
Reichhelm an H. 21. 11. IV, 858.
1817: Nicolovius an H. 5 I. II, 275. Reichhelm an H. 16. 1. IV, 859.
George Sievers an H. 24. 1. IV, 860. C. Steiger an H., März, IV, 861. Fr. Thiersch
an H. 12. 4. IV, 862. Sievers an H. 25. \. IV. 863. An Thiersch 15. 7. IV, 864.
An Carl v. Steiger 15. 7. II, 276.
1818: Richthofen an II 25. 3 IV, 965. Bürgerbrief 23 6. IV, 866. An
Brockhaus 13. 7. II, 277. An Krug 26. 8. II, 278. Richthofen an H. 28. 11. IV, 867.
1819: Brockhaus an H. 5. 4. II, 279. Richthofen an H. 25. 4. IV, 868.
Brockhaus an H 10. 5. II, 280. Richthofen an H. q. 7. IV, 869. Brockhaus an H.
14. 7. II, 281. Krause an H. 18. 8. II, 282. An Oberlehrer Heydenreich 25. 8.
II, 283. An Brockhaus 7. 10. II, 284. Brockhaus an H. 25. 10. II, 285. An
Brockhaus 4. II. II, 286. Richthofen an H. 20. 12. IV, 870. Brockhaus an H.
24. 12. II, 287.
1820: An Brockhaus 6. I. II, 288. Griepenkerl an H., Ohne Datum II, 289.
Patent H. 17. 3. IV, 871. G. Bielenstein an H. 16. 7. IV, 872. Vertrag H. mit
der Societaet der Unternehmer... 21. 7. IV, 873. Reichhelm an H. 1. 10. IV, 874.
Richthofen an H. 28. 12. IV, 875.
1821: Brockhaus an H. 6. 2. II, 290. Richthofen an H. 24. 6. IV, 876.
Minister v. Altenstein an H. und Bessel 22. 7. II, 291. Richthofen an H. 26. 12.
IV, 877.
1823: Richthofen an H. IV, 878. Hesse an H. 19. 8. II, 292. Richthofen
an H. 21. 12. II, 293.
1824: J. Osten an H. 1. 4. IV, 879. Studenroth an H. 13. 5. II, 294. Fr.
Ed. Beneke an H. 22. 5. II, 295. Richthofen an H. 19. 6. IV, 881. Füessli an H.
18. 11. II, 296.
1825: An Eichstädt 3. 2. II, 297. Süvern an H. 3. 2. IV, 882. Boehlendorf
an H. 2. 4. IV. 880. An Eichstädt 14. 4. II, 298. G. E. Schulze an H. I. 6.
Inhaltsverzeichnis von Band 16 — 19. XIX
IV, 883. Reichhelm an H. 11. 7. II, 299. L. Sachs an H. 10. 10. II, 300.
Griepenkerl an H. 1. 11. II, 301. Richthofen an H. 23. 12. IV, 884.
1826: An den Vorstand der Schuldeputation zu Königsberg 31. 1. II, 302.
Dissen an H. 30. 4. II, 303. Richthofen an H. 24. 6. IV, 885. Richthofen an H.
2. 8. II, 304. An v. Richthofen 9. 9. IV, 886. Wrangel an H. 25. 10. IV, 887.
Richthofen an H. 17. 12. II, 305. Konflikt mit K. Lehrs IV, 888.
1827: F. Nasse an H. 18. 3. IV, 889. An v. Richthofen 30. 3. IV, 890.
Griepenkerl an H. 20. 4. II, 306. An v. Richthofen 29. 4 IV, 891. Frau v. Wrangel
an Frau Herbart 4. 5. IV, 892. Richthofen an H. 9. 6. II, 307. An v. Richthofen
9. 7. IV, 893. F. Rahden an H. 21. 8. IV, 894. Beilage zu Nr. 894 IV, 894b.
An v. Richthofen 9. 9. IV, 895. An Professor Griepenkerl 24. 9. II, 308. Brandis
an H. 2b. 9. II, 309. Richthofen an H. 4. 10. II, 310. Griepenkerl an H. 19. 10.
II, 311. Richthofen an H. 6. 11. IV, 896. An Drobisch 22. 11. II, 312. Drobisch
an H. 23. 12. II, 313. I. G. Ungewitter an H. II, 314.
1828: An Drobisch 6. 2. II, 315. Drobisch an H. 13. 2. II, 316. Griepenkerl
an H. 20. 2. II, 317. Jäsche an H. 3 5. II, 318. An Drobisch 24. 7. II, 319.
Studenroth an H. 5. 8. II, 320. Drobisch an H. 9. 9. II, 321. An Drobisch 20. 9.
II, 322. v. Wrangel an H. 5. 11. IV, 897. Jäsche an H. 22. 11. II, 323. An
Drobisch 26. 11. II, 324. Eichstädt an H. 8. 12. IV, 898. Wrangel an H. 8. 12.
IV, 899. Richthofen an H. 11. 12. IV, 900. An v. Richthofen 19. 12. IV, 901.
An die Redaktion der Hallischen Literaturzeitung 21. 12. II, 325.
1829: Gruber an H. 17. 1. IV, 902. Richthofen an H. 21. 1. II, 326. Brandis
an H. 12. 2. II, 327. An Brandis 27. 2. II, 328. Richthofen an H. 9. 3. II, 329.
Graf Buquoy an H. 12. 3. IV, 903. Taute an H. 31. 3. IV, 904. An Drobisch 8. 4.
II, 330. Drobisch an H. 10. 4. II, 331. Süvern an H. 11. 4. IV, 905. Kamptz
an H. IV, 906. An Drobisch 18. 4. II, 332. Drobisch an H. 20. 4. II, 333.
Richthofen an H. 28. 4. IV, 907. Brandis an H. 2. 5. II, 334. Jäsche an H.
10. 5. II, 335. Richthofen an H. 20. 6. IV, 908. An Brandis 1. 7. II, 336. An
v. Richthofen 9. 7. IV, 909 Brandis an H. 17. 7. II, 337. Bräuer an H. 2. 8.
IV, 910. Patent H. 9. 8. IV, 911. Bobrik an H. 26. 9. IV, 912. I. D. Gries
an H. 6. 10. II, 338. Bobrik an H. 31. 10. II, 339. Bobrik an H. 17. 11. IV, 913.
E. Erdmann an H. 24. 11. IV, 914. An Brandis 26. II. II, 340. An Gries 2. 12.
11. 341. An Eichstädt 12. 12. II, 342. F. Osten an H. 17. 12. IV, 915. Richt-
hofen an H. 22. 12. IV, 916.
1830: An Drobisch 17. 1. II, 343. Drobisch an H. 24. 1. II, 344. An
Drobisch 31. I. II, 345. An v. Richthofen 31. 1. IV, 917. Hüümann an H. 6. 2.
IV, 919. An Eichstädt 7. 2. II, 346. Eichstädt an H. 17. 2. IV, 920. An Drobisch
I. 3. II, 347. Drobisch an H. 2. 3. IV, 921. An Drobisch 9. 3. IT, 348. Jäsche
an H. 20. 3. IV, 922. C. H. Froelich an H. 2*2. 3. IV, 923. An Dissen 15. 5.
II, 349. An Drobisch 15. 5. II, 350. An Brandis 7. 6. II, 351. An Drobisch 8. 6.
II, 352. An ? 8, 6. IV, 924. An Brandis 30. 8. II, 353. An Eichstädt 30. 8.
II, 354. An Drobisch 30. 8. II, 355. I. L. Ideler an H. 3. 9. IV, 925. An
Drobisch 6. 10. II, 356. Schwatlo an H. 10. 10. IV, 918. Hendewerk an H.
13. 10. IV, 926. An Brandis 17. 10. II, 357. An Hendewerk 20. 10. II, 358.
Hendewerk an H. 6. 11. IV, 927. An Drobisch 14. 11. II, 359. An Schubert. Ohne
Datum, II, 360. An Schubert II, 361. An Schubert II, 362. An Schubert II, 363.
1831: Gerlach an H. 7. 1. IV, 928. Drobisch an H. II. 2. II, 364. Hende-
werk an H. 13. 2. IV, 929. An Drobisch 20. 2. II, 365. An Brandis 10. 3. II, 366.
Jäsche an H. 29. 3. II, 367. Richthofen an H. 21. 6. IV, 930. Drobisch an H.
17- 6. II, 368. Herbarts Teilnahme an der 1. ostpreußischen Direktoren - Konferenz
30. Juni bis 2. Juli II, 369. An Drobisch 15. 7. II, 370. An Drobisch 16. 7.
II, 371. Drobisch an H. 29 7. II, 372. Hendewerk an H. 7. 8. IV, 931. Jäsche
an H. 10/22. 8. II, 373. Behnisch an H. 20. 8. IV, 932. An Drobisch 26. 8.
II, 374. An Brandis 29. 8. II, 375. Gerlach an H. 7. 10. IV, 033. An Naße
24. 10. II, 376. Reichhelm an H. 16. II. II, 377. An Brandis 21. 11. II, 378.
Brandis an H. II, 379. An Brandis 25. 11. II, 380 An Brandis 28. II. II, 381.
Drobisch an H. 30. 11. II, 382. An Drobisch 8. 12. II. 383. I. G. Gruber an H.,
Dez., II, 384. Drobisch an H. 27. 12. II, 385. Brandis an H., Ohne Datum, II, 386.
1832: Jäsche an H. 6. 1. II. 387. An Brandis 15. 1. II, 388. An Brandis,
Jan., II, 389. Hendewerk an H. 16. 1. IV, 934. An Griepenkerl 27. 1. II. 390.
11*
XX Inhaltsverzeichnis von Band 16 — 19.
An Brockhaus 6. 2. II. 391. An Brandis 7. 2. II, 392. An Brandis 13. 2. II, 393.
Ad Griepenkerl 27. 3. II, 394. An Griepenkerl 18. 5. II, 395. An Griepenkerl 4. 6.
II, 396. An Drobisch 18. 6. II, 397. An Drobisch 28. 6. II, 398. An Drobisch
14. 7. II, 399. Reichhelm an H. 18. 7. IV, 935. Bobrik an H. 28. 7. II, 400.
Grolp an H. 16. 8. II, 401. v. Sanden an H. 28. 8. IV, 936. Jäsche an H. 30. 8.
II, 402. An Brandis 3. II. IV, 937. Bobrik an H. 13. 11. II, 403. Hendewerk
an H. 2. 12. IV, 938. An Drobisch 20. 12. II, 404. An Brandis 20. 12. II, 405.
1833: Dissen an H. 11. 1. III, 406. Jäsche an H. 18. 1. IV, 939. Ordens-
verleihung 24. 1. IV, 940. Dissen an H. 29. 1. III, 407. Bobrik an H. 30. 1.
III, 408. An Dissen 7. 2. III, 409. An Griepenkerl 1. 3. III, 410. Hendewerk
an H. 2. 3. IV, 941. Dissen an H. 4. 3. III, 411. An Dissen 15. 3. III, 412.
An Dissen 17. 3. III, 413. An Prof. Sachs 26. 3. III, 414. Reichhelm an H. 2b 3.
III, 415. An Dissen 2. 4. III, 416. An Griepenkerl 2. 4. III, 417. Dissen an H.
II. 4. III, 418. An Dissen 16. 4. III, 419 An Dissen 22. 4. III, 420. Hoppen-
stedt an H. 28. 4. IV, 942. Dissen an H 29. 4. III, 421. Voigt an H. 4. 5.
III, 422. Beilage zu Brief 424. 7. 5. An Griepenkerl 8. 5. III, 423. An Drobisch
10. 5. III, 424 Grolp an H. 20. 5. III, 425. An Strümpell 2J . 5. III, 426.
Hoppenstedt an H. 5. 6. III, 427. Drobisch an H. 9. 6. III, 428. Brandis an H.
17. 6. III, 429. Richthofen an H. 18. 6. IV, 943. An Dissen 4. 7. III, 430.
Gerlach an H. 4. 7, IV, 944. Dissen an H. 16. 7. III, 431. Wendt an H. 28. 7.
III, 432. Ernennung zum Hofrat 1. 8. IV, 945. Hugo an H. 3. 8. III, 433.
Stammbuchblatt III, 434. Hoppenstedt an H. 19. 8. IV, 946. Abschiedsgabe an
Frau H. 25. 8. IV, 948. 2 Briefe an Griepenkerl 6. 9. IV, 947. Über Otto Stiemer
13. 9. IV, 949. Hendewerk an H. 29. 9. IV, 950. Hoppenstedt an H. 11. 10.
IV, 951. An Griepenkerl 14. 10 III, 435. W. v. Grote an H. 17. 10. III, 436.
An Drobisch 3. 11. III, 437. Hoppenstedt an H. 12. 11. III, 438. Drobisch an H.
24. 11. III, 439. An Drobisch 28. ii. III, 440. Nieuwenhius an H. 1. 12. III, 441.
An Griepenkerl 5. 12. III, 442. Dissen an H. 7. 12. IV, 952. Taute an H. 11. 12.
lvi 953 An Ürobisch 12. 12. III, 443. An Prof. Schubert 15. 12. III, 444.
Drobisch an H. 19. 12. III, 445. Richthofen an H. 23. 12. III, 446. Strümpell
an H. 20 12. IV, 954.
1834: Schubert an H. 10. 1. IV, 955. Richthofen an H. 16. 1. IV, 956.
Ungewitter an H. 21. 1. IV, 957. An Griepenkerl 9. 2. III, 447. An Griepenkerl
21. 2. III, 448. An Drobisch 23. 2. III, 449. Drobisch an H. 28. 2. III, 450.
Taute an H. 5. 3. IV, 958. An Drobisch 9. 3. III, 451. Drobisch an H. 19. 3.
III, 452. Marotzky an H. 31. 3. III, 453. Dissen an Welcker 4. 4. III, 454.
Gregor an H. 4. 5. III, 456. Drobisch an H. 4. 5. III, 455. Schubert an H. 4. 5.
IV, 959. An Drobisch 9. 5. III, 457. Drobisch an H. 14. 5. III, 458. An Strümpell
15. 5 III, 459. Drobisch an H. 17. 5. III, 460. An Droöisch 19. 5. III, 461. An
Drobisch 23. 5. III, 462. Drobisch an H. 28. 5. III, 463. Briefentwurf an Drobisch
1. 6 III, 464. An Drobisch 2. 6. III, 465. An Strümpell 9. 6. III, 466. An
Griepenkerl 10. 6. III, 467. An Strümpell 16. 6. III, 468. Drobisch an H. 20 6.
III, 469. An Griepenkerl 20. 6. III, 470. An Drobisch 29. 6. III, 471. Strümpell
an H. 1. 7. IV, 960. An Strümpell 3. 7. III, 472. An Strümpell 7. 7. III, 473
An Drobisch 7. 7. III, 474. An Strümpell 13. 7. III, 475. Drobisch an H. 14. 7
ni, 476. Keber an H. 26. 7. IV, 961. An Drobisch III, 477. Drobisch an H
31. 7. III, 478. An Drobisch 10. 8. III, 479. An Schubert 10. 8. III, 480
Strümpell an H. 14. 8. IV, 962. Dissen an H. IV, 963. Drobisch an H. 18. 8
III, 481. An Drobisch 24. 8. III, 482. Drobisch an H. 26. 8. III, 483. Strümpell
an H. 10. 9. IV, 964. Drobisch an H. II. 9. III, 484. Hendewerk an H. 14. 9.
IV, 965. An Drobisch 22. 9. III, 485. An Strümpell, Ohne Dat., III, 486. Bobrik
an H. 5. 10. III, 487. Schubert an H. 15. 10. III, 488. Drobisch an H., Ohne Dat.,
III, 489. An Drobisch 22. 10. III, 490. Hendewerk an H. 29. 10. IV, 966.
Verlagsvertrag zwischen Herbart u. Dieterich 30. 10. III, 491. An Griepenkerl 31. 10.
III, 492. Drobisch an H. 6. 11. III, 493. An Strümpell 7. 11. III, 494. An
Drobisch 30. 11. III, 495. Drobisch an H. 3. 12. III, 496. An Drobisch 7. 12.
III, 497. Drobisch an H. 13. 12. III, 498. Grolp an H. 21. 12. III, 499. Richt-
hofen an H. 24. 12. III, 500.
1835: An Drobisch 7. 1. III, 501. Drobisch an H. 10. 1. III, 502. An
Drobisch, Ohne Dat., III, 503. Carl Reichhelm an H. 30. 1. IV, 967. An Taute
Inhaltsverzeichnis von Band 16 — 19. XXI
IV, 968 An Hendewerk 31 1. III, 504. Taute an H. 1. 2. IV, 969. Drobisch
an H 1.2. III, 505. An K. Reichhelm 8. 2. III, 506. Hendewerk an H. 9. 2.
III, 507. An Dtobisch 9. 2. III, 508. Drobisch an H., Ohne Dat., III, 509.
Hoppenstedt an H. 15 2. III, 510. An Griepenkerl 20. 2. III, 511. An Griepenkerl,
Ohne Datum, III. 512. An Griepenkeil, Ohne Datum, III, 513. Hartenstein an H.
16 3. III. 514. Drobisch an H. 5. 4. III, 515. Gauß an H. 8. 4. III, 516. An
Drobisch, Postst. 10. 4., III, 517. Thomas an H. 14 4. IV, 970. An Drobisch 16. 4.
III. 518. Drobisch an H 24. 4. III, 519. Langwerth an H. 28. 4. III, 520.
Hartenstein an H. 6. 5. III, 521. Romang an H. 20. 5. III, 522. An Drobisch
III, 523 Hartenstein an H. 9. 6. III, 524. Richthofen an H. 23. 6. III, 525. An
Drobisch, Ohne Dat., III, 526. An Strümpell 10. 7. III, 527. Drobisch an H. 12. 7.
III, 528. An Drobisch, Ohne Dat., III, 529. An Strümpell 13. 8. III, 530.
Drobisch an H. 14 8. III, 531. An Taute 20. 8. IV, 971. An Drobisch 26. 8.
III, 532. Dissen an H III, 533. Drobisch an H. 9. 9. III, 534. An Drobisch,
Ohne Dat., III, S35 Drobisch an H. 29. 9. III, 536. An Strümpell, Ohne Dat.,
III, 537. An Diobisch 9. 11. III, 538. Drobisch an H. 20. 11. III, 539. Harten-
stein an H. 6. 12. III, 540.
1836: Lobeck an H. 12 1. III, 541. Hartenstein an H. 17. 1. III, 542.
Dissen an H. III, 543. Geheimrat Dieterici an Freiherrn v. Richthofen 2. 2. III, 544.
An Drobisch 7. 2 III, 545. Drobisch an H. 20. 2. III, 546. An Taute 21. 2.
III. 588. An Taute 22. 2. III, 589. An Drobisch 26. 2. III, 547. An Taute 26. 6.
III, 5mo. Dissen an H., Febr., IV. 972. Drobisch an H. 2. 3. III, 548. Herbart
an H. 3 3. IV, 9-3 Hartenstein an H. 3. 3 III, 549. An Drobisch 8. 3. III, 550.
Hartenstein an H 4. 4. III, 551. Drobisch an H. 5. 4. III, 552. Verlagsvertrag
zwischen Herhart u Dieterich 15. 4. III, 553. Dissen an H. III, 554. Ungewitter
an H. 25. 4. IV, 974 Schubert an H. 27. 4. IV, 975. Gregor an H 4. 5. IV, 976.
An Dissen, Ohne Dat., III, 555 Drobisch an H 20. 5 III, 556. Hartenstein an H.
27. 5. III, 557 Sieffert an H. 1. 6. III, 558. An Drobisch III, 559. Fries
an Drobisch 14 6. III, 560. Drobisch an H. 15. 6. III. 561. An Drobisch 17. 6.
III, 562. Richttofen an H. 24. 6. IV, 977. An Fr. D. Sanio 26. 6. III, 563.
Hartenstein an H 3. 7. III, 564. An Drobisch, Ohne Dat., III, 565. Drobisch an H.
17. 7. III, 566. An Drobisch, Ohne Dat., III, 567. An Prof Schubert 29. 7-
III. 568. An Taute 29. 7. III, 591. An Drobisch, Postst. 6. 8., III, 569. Lang-
werth an H. II. 8. III, 570. Drobisch an H. 12. 8. III, 571. An Drobisch, Ohne
Dat , III. 572. Bobnk an H. 31. 8. III, 573. Drobisch an H. 31. 8. III, 574.
An Drobisch. Ohne Dat., III, 575. An Drobisch, Ohne Dat., III, 576. Drobisch
an H 15. 9. III, 577. Brzoska an H., Ohne Dat., III, 578. Drobisch an H. 19. 9.
III. 579. Drobisch an H. 28. 9. III, 580. An Drobisch, Ohne Dat., HI, 581.
Hartenstein an H. 10. 10. III, 582. Drobisch an H. 27. II. III. 583. Dissen an H.
28. 11. III, 584. Schubert an H. n. 12. III, 585. Gregor an H. 18. 12. III, 586.
An Drobisch 27 12. III, 587.
1837: Drobisch an H. 25. 1. III, 592. Dissen an H., Ohne Dat., 111. 593.
An Drobisch, Ohne Dat., III, 594. Dtobisch an H. 13. 2. III, 595, Hartenstein
an H. 18 2. III, 596. H. G. Waitz an H. 28. 3. III. 597. Drobisch an H. 10. 4.
III, 598. Hattenstetn an H. 25. 4. III. 599. An Herbart 4. 5. III, 600. Drobisch
an H. 30. 5. III, 601. An Drobisch 1. 6. III, 602. Drobisch an H. 8. 6. III, 603.
Hartenstein an H. II, 6. III. 604. An Drobisch 18. 6. III, 605. Brzoska an H,
Ohne Dat., III, 006 Brzoska an H. i. 8. III. 607. Hattenstein an H. 17. 8.
III, 608. An Drobisch 18. 8. III, 609. Drobisch an H. 23. 8. III, 610. An
Drobisch, Ohne Dat., III, 611. Brzoska an H. I. 9. III, 612. Auerswald an H.
4. 9. III, 613. Brzoska an H. 22 9. III, 614. An K. H. Gr. v. Meusebach 25. 9.
III, 615 Bonitz an H 27. 9. III, 616. Drobisch an H. 2. 10. III, 617. Wunderlich
an H. 18. 10. III, 618 Voigdt an H. 17. II. 111, 619. Allihn an H. 20. II.
III, 620 Drobisch an H. 22. 12. 111, 621. Hartenstein an H. 22. 12. 111, 622.
An Drobisch 23. 12. 111, 623. An Drobisch 26. 12. III, 624. Drobisch an H.
28. 12 III, 625.
1838: Hartenstein an H. 17. I. III, 626 Bobrik an H. 31. I. III, 027.
Schubeit an H. 12. 2. III, 628. An Drobisch ib. 3. 111, 629. Drobisch an H. 22. 3.
III, 630. Jäsche an O. v. Mirbach 6. 4. III, 631. K. D. Hüllmann an H. 9. 4.
III, 632. Gregor an H. 9. 6. 111, 633. An Dr. Reiche 8. 6. IV, 978. Richthofen
XXII Inhaltsverzeichnis von Band 16 — 19.
an H. 13. 6. III, 634. Reiche an H. 13. 6. III, 635. W. Herbart an H. 19. 7.
III, 636. Drobisch an H 11. 10. III, 637. An Drobisch 31. 10. III, 638. Drobisch
an H. 19. 11. III, 639. An Schubert 24. 12. III, 640.
1839: W. Herbart an H. 16. 2. IV, 641. F. Ranke an H. 17. 3. IV, 642.
W. Herbart an H. 23 3. IV, 643. An Drobisch 7. 4. IV, 644. An Taute 8. 4. IV, 645.
Hartenstein an H. 13. 4 IV, 646. Drobisch an H. 20. 4. IV, 647. An Drobisch,
Ohne Dat., IV, 648. An Drobisch 26. 4. IV, 649. Gregor an H. 4. 5. IV, 650.
Verfügung an H. 15. 7. IV, 651. Kahle an H. 16. 7. IV, 652. Ungewitter an H.
12. 8. IV, 653. Thomas an H. 29. 8. IV, 654. Drobisch an H. 14. 9. IV, 655.
Sachs an H. 15. 9. IV, 656. An Drobisch 6. 10. IV, 657. Drobisch an H. 15. 10.
IV, 658. An Drobisch 20. 10. IV, 659. An Griepenkerl 20. 10. IV, 660. Drobisch
an H. 23. 10. IV, 661. Richthofen an H 25. 10. IV, 663. An Drobisch 28. 10.
IV, 662. Teilkampf an H. 30. 11. IV, 664. An Taute 1. 12. IV, 665.
1840: An Taute 3. 2. IV. 666. Brief Kahles an H. 10. 2. IV, 667. An
Taute 8. 3. IV, 668. An Taute 20. 4. IV, 669. Dieterici an H. 24. 4. IV, 670.
An Taute 28. 4. IV, 671. Drobisch an H. 12. 9. IV, 672. H. Bobrik an H. 16. 9.
IV, 673 Schubert an H. 16. 9. IV, 674. Bobrik an H. 19. 9. IV, 675. Vertrag
zwischen H. u. Dieterich 20. 10. IV, 676. Reiche an H. 20. 11. IV, 677. An Taute
27. 11. IV, 678. An Taute 29. 11. IV, 679. An Schubert 29. 11. IV, 680. An
Smidt 29. 11. IV, 681. An Drobisch 29. 11. IV, 682. Hartenstein an H. 7. 12.
IV, 683. An Griepenkerl 16. 12. IV, 684.
1841: An Schwetscbke u. Sohn 10. I. IV, 685. W. Herbart an H. 21. I.
IV, 686. An Taute 31. 1. IV, 687. Schubert an H. 8. 2. IV, 688. Schulmann
an H. 9, 4. IV, 689. An Drobisch 7. 5. IV, 690. Drobisch an H. IV, 691.
Hartenstein an H. 23. 5. IV, 692. L. Rembold an H, 26. 7. IV, 693. Braunschweig
an H., Juli, IV, 694. Herbarts Tod IV, 695. Auszug aus dem Sterbe- und Begräbnis-
buch IV, 696. Grabinschrift IV, 697. Herbarts Testament IV, 698.
1842: Rist an Smidt 24. 4. IV, 699. Herbarts Frau an Smidt 18. 8. IV, 700.*)
*) Um das Inhaltsverzeichnis nicht zu sehr anschwellen zu lassen, wurden die
unnummerierten kleinen Mitteilungen, die Verweise auf Herbarts Werke u. a. nicht
mit aufgeführt.
Verzeichnis der Briefe Herbarts,
nach den Empfängern geordnet.
Die römische Ziffer bezeichnet den Band der Briefe, die arabische die Nummer.
(Band I— IV der Briefbände = Band XVI— XIX der sämtlichen Werke.)
Briefe Herbarts an
Chr. D. Beck 10. 10. 1808 II, 226.
Böhlendorff, Anfang Juni 1799 I, 93.
„ 28. 9. 1799 I, 102.
Brandis 27. 2. 1829 II, 328.
1. 7. 1829 II, 336.
„ 26. 11. 1829 II, 340.
„ 7. 6. 1830 II, 351.
„ 30. 8. 1830 II, 353.
„ 17. 10. 1830 II, 357.
., 10. 3. 1831 II, 366.
„ 29. 8. 1831 II, 375-
., 21. 11. 1831 II. 378.
,. 25. 11. 1831 II, 380.
., 28. 11. 1831 II, 381.
;, i5. 1. 1832 11, 388.
„ Jan. 1832 II, 389.
„ 7. 2. 1832 II, 392.
„ 13. 2. 1832 II, 393.
„ 3. 11. 1832 IV, 937.
„ 20. 12. 1832 II, 405.
Brockhaus 13. 7. 18 18 II, 277.
„ 7. 10. 1819 II, 284.
„ 4. 11. 18 19 II, 286.
„ 6. 1. 1820 II, 288.
,, 6. 2. 1832 II 391.
Frau C. Castendyk, Mad. Noltenius u. Smidt,
Herbst 1802 IV, 777.
F. A. Carus 2. 6. 1806 I, 202.
25. 7. 1806 I, 205.
29. 8. 1806 I, 207.
Dissen 27. 2. 18 10 II, 249.
, 29. 7. 1812 II, 269.
15. 5. 1830 II, 349.
7. 2. 183 5 III, 409.
15. 3. 1833 III, 412.
17- 3- ^33 HI, 413-
2. 4. 1833 III, 416.
16. 4. 1833 III, 419.
22. 4. 1833 III, 420.
4. 7. 1833 IJIi 43°-
Ohne Dat. 1836 III, 555.
Drobisch 22. 11. 1827 II, 312.
Ludolf
Drobisch 6. 2. 1828 II, 315.
24. 7. 1828 II, 319.
„ 20. 9. 1828 II, 322.
„ 26. 11. 1828 II, 324.
8. 4. 1829 II, 330.
18. 4. 1829 II, 332.
17. 1. 1830 II, 343.
31. 1. 1830 II, 345.
1. 3. 1830 II, 347.
9. 3. 1830 II, 348.
15. 5. 1830 II, 350.
8. 6. 1830 II, 352.
„ 30 8. 1830 II, 355.
6 10 1830 II, 356.
„ 14. 11. 1830 II, 359.
,, 20. 2. 1831 II, 365.
15. 7. 1831 II, 370.
16. 7. 1831 II, 371.
26. 8. 1831 II, 374.
8. 12. 1831 II, 383.
18. 6. 1832 II, 397.
,, 28. 6. 1832 II, 398.
14. 7. 1832 II, 399.
,. 20. 12. 1832 II, 404.
,, 10. 5. 1833 III, 424.
3. 11. 1833 III, 437.
,, 28. 11. 1833 III, 440.
12. 12. 1833 III, 443.
23. 2. 1834 III, 449.
9. 3. 1834 III, 451.
9. 5- 1834 III, 457.
„ 19. 5. 1834 III, 461.
„ 23. 5. 1834 III. 462.
Briefentwurf an Drobisch I. 6. 1834 III, 464.
Drobisch 2. 6. 1834 m, 4^5-
,. 29. 6. 1834 III, 471.
7. 7 1834 III, 474.
1834 III, 477.
10. 8. 1834 III, 479.
24. 8. 1834 III, 482.
22. 9. 1834 III, 485.
„ 22. 10. 1834 III, 490.
XXIV
Verzeichnis der Briefe Herbarts.
Drobisch 30. II. 1834 III, 495.
7. 12. 1834 l'1» 497-
7 1. 1835 HI, 501.
Ohne Dat. 1835 III, 503.
1. 2. 1835 III, 508.
10. 4. 1835 III, 517.
16. 4. 1835 III, 518.
1835 in, 523.
Ohne Dat. 1835 III, 526.
Ohne Dat. 1835 III, 529.
„ 26. 8. 1835 IM, 532.
Ohne Dat. 1835 III, 535.
9. 11. 1835 HI, 538.
7. 2. 1836 III, 545.
26. 2. 1836 III, 547.
8. 3. 183h III, 550.
1836 III, 559.
17. 6. 1836 III, 562.
„ Ohne Dat. 1836 III, 565.
„ Ohne Dat. 1836 III, 567.
6. 8. 1836 III, 569.
Ohne Dat. 1836 III, 572.
„ Ohne Dat. 1836 III, 575.
Ohne Dat. 1836 III, 576.
Ohne Dat. 1836 III, 581.
„ 27. 12. 1836 III, 587.
„ Ohne Dat. 1837 III, 594.
,, 1. 6. 1837 III, 602.
18. 6. 1837 III, 605.
18. 8. 1837 III, 609.
Ohne Dat 1837 III, 611.
23. 12. 1837 III, 623.
26. 12. 1837 III, 624.
16 3. 1838 III, 629.
31. 10. 1838 III, 638.
7. 4. 1839 IV, 644.
Ohne Da:. 1839 IV, 648.
,, 26. 4. 1839 IV, 649.
6. 10. 1839 IV, 657.
„ 20. 10. 1839 IV, 659.
„ 28 10. 1839 IV, 662.
„ 29. 11. 1840 IV, 682.
7. 5. 1841 IV, 690.
v. Edelsheim 11. 2. 1805 I, 191.
Eichstädt 3. 2. 1825 II, 297.
„ 14. 4. 1825 II. 298.
,, 12. 12. 1829 II, 342.
„ 7. 2. 1830 II, 346.
30. 8. 1830 II, 354.
Meine Eltern 30. 6. 1798 1, "jj.
Eltermann u. Kulenkamp 18. 4. 1804 IV, 787.
Eschen 20. 7. 1799 I, 95.
„ 20. 4. 1800 1, 1 19.
P. A. v. Feuerbach, Aug. 1805 I, 195.
Fichte 1. 10. 1795 IV. 709.
24. 3. 1799 I, 91.
Griepenkerl 24. 9. 1827, II, 308.
27. 1. 1832 Jl, 390.
27. 3. 1832 II, 394.
18. 5. 1832 II, 395.
Griepenkerl 4. 6. 1832 II, 396.
1. 3. 1833 III, 410.
2. 4. 1833 III, 417.
8. 5. 1833 III, 423.
2 Briefe an Griepenkerl 6. 9. 1833 IV, 947
Griepenkerl 14. 10. 1833 III. 435.
„ 5. 12. 1833 III, 442.
9. 2. 1834 111, 447.
„ 21. 2. 1834 III, 448.
10. 6. 1834 III, 467.
„ 20. 6. 1834 III, 470.
„ 31. 10. 1834 Uli 492.
20. 2. 1835 III, 511.
1835 III, 512-
1835 III, 513.
,, 20 10. 1839 IV, 660.
., 16. 12. 1840 IV, 684.
Gries, Ohne Dat. IV, 716.
,, Ende Juli 1802 I, 170.
., 21. 12. 1804 I, 185.
,, 22 9. 1806 I, 210.
,, 2. 12. 1829 II, 341.
v. Grote, März 1802 IV, 767.
v. Halem 28 8. 1795 I, 3
1797 I, 37-
,, 28. 1. 1798 I, 69.
2\ 9 1798 I, 79.
,, 8. 2 1801 I, 139.
,, Anfang Mai 1801 I, 148.
„ 24. 12. 1801 I, 163.
,, Ende April 1802 I, 167.
,, 28. 10. 1802 I, 171.
Jan. 1X03 I, 175-
„ 20. 12. 1808 II, 234.
,, Ohne Datum II, 235.
,, 117 1808 II, 220.
Heise 18. 1. 1805 I, 187.
Hendewerk 20. 10 1830 II, 358.
„ 31. 1. 1835 III, 504.
Herbart 4. 5. 1837 III, 600.
Heydenreich 25 8. 18 19 II, 283.
Krug 26. 8. 1818 II, 278.
A. Kühnel 30. 1. 1809 IV, 796.
Langreuter, I, 24.
28 1. 1798 I, 70.
K. H. G. v. Meusebach 25. 9. 1837 III, 651.
Seine Mutter in Oldenburg, Ostern 1797 I, 51.
Muhrbeck 28. 10. 1798 I, 84.
Naße 24. 10. 1831 II, 376.
Reiche 8. 6. 1838 IV, 978
Reichhelm 26. 3 1833 III, 415.
,, 8. 2. 1835 Uli 5°6-
C. L. Re:nhold, Nov. 1808 II, 228.
v. Richthofen, Sept. 1808 IV, 793.
Mai 181 1 IV, 819.
„ Juni iü 11 IV, 824.
20 5. 1812 IV, 828.
15. 6. 1812 IV, 832.
9. 9. 1826 IV, 886.
30. 3. 1827 IV, 890.
Verzeichnis der Briefe Herbarts.
XXV
v. Richthofen 29. 4. 1827 IV, 891.
9. 7. 1827 IV, 893.
9. 9- 1827 IV, 895.
19. 12. 1828 IV, 901.
„ 9. 7- 1829 IV, 909.
31. 1. 1830 IV, 917.
Rist, Sept. 17Q6 I, 2J.
„ 28. 3. 1797 I, 48.
., 12. 6. 1797 I, 57.
„ I, 86.
Sachs 26. 3. 1833 III, 414.
Fr. D. Sanio 26 6. 1836 III, 563.
Schubert 183 1 II, 360.
1831 II, 361.
1831 IL 362.
1831 II. 363.
15. 12. 1833 III, 444.
„ 10. 8. 1834 III, 480.
„ 29 7. 1836 III, 568.
,, 24 12. 1838 III, 640.
29. 11. 1840 IV, 680.
Schwetschke u. Sohn 10. 1. 1841 IV, 685.
Segelken 15. 4 1800 I, 118.
,. Mitte Sepi. 1800 I, 130.
„ um Weihnachten 1800 I, 135.
Smidt 23. 1. 1796 I, 5.
„ 29 1. 1790 I, b.
,, 16. 5. 1796 I, 16.
„ 2j 6. 1796 I, 20.
., 29. 7. 1796 I, 22. >
,, 30. 7. 1796 I, 23.
Anfang Dez. 1796 I, 34.
„ Anfang Dez. 1796 I, 35.
„ Februar 1797 I, 41.
Ende Februar 1798 I, J2.
,, 26. 9. 1798 I, 80.
„ 4. 9. 1799 I, IOI.
,, 10. 12. 1799 I, 106.
„ 24 5 1802 I. 169.
„ Montag I, 173.
13. 2. 1804 I, 178.
„ 1804? I, 179
10. 6. 1805 I, 193.
„ 4. 7. 1805 I, 194
., 2. 2. 1806 I, 197.
., 13. 2. 1806 I, 199.
„ Mitte Juli 1806 I, 204.
,, 11. 9. 1800 I, 209.
17. 1. 1808 II, 216.
15 2 1808 II, 217.
„ 8. 8. 1808 II, 224.
,, Dez. 1808 II. 232.
„ 29. 11. 1840 IV, 681.
Steck 5. 8. 1797 I, 61.
., 1. 3. 1801 I. 144.
„ 19. 4. 1801 I, 147.
„ Ende Aug. 1803 I, 177.
Landvogt v. Steiger, vor 18. 2. 1797 I, 39.
Carl v. Steiger 17. 1. 1800 I, 110.
1 3. 1800 I, 113.
„ 12. 4. 1800 I, 117.
Gebrüder v. Steiger 10. 7. 1800 I, 126.
Carl v. Steiger 10. 11. 1800 I, 133.
,, 18. 2. 1801 I, 140.
„ 8. 9. 1801 I, 156.
„ Mitte Nov. 1801 I, 160.
,, Dez. 1801 I, 162.
„ Ende Jan. 1802 I, 164.
,, 1. 4. 1802 I, 166.
„ 6. 5. 1802 I,' 168.
„ 16. 11. 1802 I, 172.
,, Ohne Datum I, 183.
„ 17. 9. 1804 I, 184.
23. 8. 1806 I, 206.
,, 8. 9. 1806 I, 208.
„ 22. 11. 1807 I, 214.
7. 12. 1807 I' 2I5-
„ 11. 4. 1808 II, 218.
„ 21. 11. 1808 II, 231.
„ 16. 12. 1808 II, 233.
„ 10. 1. 1809 II, 236.
10. 2. 1809 IL 238.
2J. 2. l8lO II, 253.
29. 7. l8l2 II, 270.
„ 15. 7- 1817 IL 276.
Über Otto Stiemer 13. 9. 1833 IV, 949.
Strümpell 2j. 5. 1833 III, 426.
„ 15. 5. 1834 HI, 459-
,, 9. 6. 1834 HI, 4DO-
„ 16. 6. 1834 HI, 468.
3. 7. 1834 III, 472.
7- 7- 1834 HI, 473-
13. 7. 1834 HI, 475-
Ohne Dat. III, 486.
7. 11. 1834 HI, 494-
10. 7. 1835 HI, 527-
13. 8. 1835 III, 530.
„ Ohne Dat. III, 537.
Taute IV, 968.
„ 20. 8. 1835 IV, 971.
„ 21. 2. 1836 III, 588.
,. 22. 2. 1836 III, 589.
„ 26. 6. 1836 III, 590.
„ 29. 7. 1836 III, 591.
„ 8. 4. 1839 IV, 645.
„ 1. 12. 1839 IV, 665.
„ 3. 2. 1840 IV, 666.
„ 8. 3. 1840 IV, 668.
20. 4. 1840 IV, 669.
,, 28. 4. 1840 IV, 671.
„ 2J. 11. 1840 IV, 678.
,, 29. 11. 1840 IV, 679.
„ 31. 1. 1841 IV, 687.
Thiersch 15. 7. 18 17 IV, 864.
? 4. 9. 1799 1, 99.
? 8. 6. 1830 IV, 924.
Verzeichnis der Briefe an Herbart.
Die römische Ziffer bezeichnet den Band der Briefe, die arabische die Nummer.
(Band I— IV der Briefbände = Band XVI— XIX der sämtlichen Werke.)
Briefe an Herbart von:
Allihn 20. ii. 1837 III, 620.
Minister v. Altenstein 22. 7. 1821 II, 291.
Auerswald 28. 11. 1808 IV, 794.
„ 19. 1. 1809 IV, 795.
Auerswaldt 4. 9. 1837 III, 613.
Behnisch 20. 8. 183 1 IV, 932.
Fr. Ed. Beneke 22. 5. 1824 II, 295.
E. v. Berger u. Hülsen 11. 1. 1797 IV, 725.
„ 6. 10. 1797 I, 63.
„ 20. 7. 1797 IV, 729.
,, Ohne Dat. IV, 730.
17. 9. 1797 IV, 733.
G. Bielenstein 16. 7. 1820 IV, 872.
Bobrik 26. 9. 1829 IV, 912.
,. 31. 10. 1829 II, 339.
17. 11. 1829 IV, 913.
„ 28. 7. 1832 II, 400.
„ 13. 11. 1832 II, 403.
„ 30. 1. 1833 M, 408.
„ 5. 10. 1834 III, 487.
„ 31. 8. 1836 III, 573.
„ 31. 1. 1838 III, 627.
„ 16. 9. 1840 IV, 673.
„ 16. 9. 1840 IV, 675.
Bonitz 27. 9. 1837 III, 616.
Bonus 28. 8. 1797 IV, 731.
„ 7. 10. 1802 IV, 775.
Böhlendorf u. Fischer 22. 10. 1797 IV, 734.
Nov. 1797 IV, 736.
4. 12. 1797 IV, 738.
30. 7. 1799 IV, 753.
,, 20. 4. 1800 IV, 757.
,, 10. 9. 1800 IV, 760.
„ 2. 4. 1825 IV, 880.
Brandis 26. 9. 1827 II, 309.
,, 12. 2. 1829 II, 327.
2. 5. 1829 II, 334.
„ 17. 7. 1829 II, 337.
n, 379.
„ IL 386.
„ 17. 6. 1833 III, 429.
Braunschweig, Juli 1841 IV, 694.
Bräuer 2. 8. 1829 IV, 910.
Breuning 7. 7. 1795 IV, 706.
29. 10. 1795 IV, 711.
„ 20. 8. 1796 IV, 723.
Brockhaus 5. 4. 18 19 II, 279.
„ 10. 5. 1819 II, 280.
„ 14. 7. 1819 II, 281.
„ 25. 10. 1819 II, 285.
., 24. 12. 1819 II, 287.
„ 6. 2. 1821 II, 290.
Brzoska, Ohne Dat. III, 578.
„ Ohne Dat. III, 606.
1. 8. 1837 III, 607.
„ 1. 9. i837 in, 612.
„ 22. 9. 1837 III, 614.
Graf Buquoy 12. 3. 1829 IV, 903.
F. A. Carus 1. 9. 1805 I, 196.
., 18. 1. 1806 IV, 790.
„ 8. 2. 1806 I, 198.
,, 10. 7. 1806 I, 203.
Catharina Castendyk 22. 9. 1809 IV, 803.
Clemens 9. 12. 1812 IV, 837.
Delbrück 16. 6. 181 1 II, 264.
Dieterici 24. 4. 1840 IV, 670.
Dissen 24. 6. 1809 II, 243.
„ Mitte Oktober 1809 II, 245.
., 7. 1. 1810 II, 250.
15. 4. 1810 II, 256.
1815 II, 273.
1826 II, 303.
1833 III, 406.
1833 III, 407.
1833 III, 411.
1833 III, 418.
1833 III, 421.
1833 III, 431.
1833 IV, 952.
„ 1834 IV, 963.
v 1835 HI, 533-
„ Febr. 1836 IV, 972.
„ 1836 III, 543-
1836 III, 554.
„ 28. 11. 1836? III, 584.
„ Ohne Dat. 1837 III, 593.
26
30. 4
11. 1
29. 1
4- 3-
11. 4
29. 4
16. 7
7. 12
Verzeichnis der Briefe an Herbart.
XXVII
Dorn 13. 1. 1810 IV, 807.
Drobisch 23. 12. 1827 II, 313.
„ 13. 2. 1828 II, 316.
„ 9. 9. 1828 II, 321.
„ 10. 4. 1829 II. 331.
20. 4. 1829 II, 333.
„ 24. 1. 1830 II, 344.
,, 2. 3. 1830 IV, 921.
„ 11. 2. 1831 II, 364.
„ 17. 2. 1831 II, 368.
„ 29. 7. 1831 II, 372.
„ 2J. 12. 183I II, 385.
„ 30. II. 183I II, 382.
9. 6. 1833 III, 428.
„ 24. 11. 1833 HI, 439.
„ 19. 12. 1833 III, 445.
„ 28. 2. 1834 III, 450
„ 19. 3. 1834 III, 452
4. 5. 1834 HI, 455-
14. 5. 1834 III, 458
17. 5. 1834 III, 460
28. 5. 1834 III, 463
„ 20. 6. 1834 III, 469
„ 14. 7. 1834 III, 476
31. 7. 1834 III, 478
,, 18. 8. 1834 III, 481
„ 26. 8. 1834 III, 483
11. 9. 1834 III, 484
„ Ohne Dat. III, 489.
6. 11. 1834 III, 493
,, 3. 12. 1834 III, 496
13. 12. 1834 III, 498.
10. 1. 1835 HI» 502.
1. 2. 1835 HI» 505.
,, Ohne Dat. III, 509.
5. 4. 1835 III. 515.
24. 4. 1835 III, 519.
12. 7. 1835 III, 528.
14. 8. 1835 III, 531.
9. 9. 1835 III. 534.
29. 9. 1835 III, 536.
20. 11. 1835 III, 539.
„ 20. 2. 1836 III, 546.
2. 3. 1836 III, 548.
5. 4. 1836 III. 552.
20. 5. 1836 III, 556
15. 6. 1836 III, 561
17. 7. 1876 III, 566
12. 8. 1836 III, 571
31. 8. 1836 III, 574
15. 9. 1836 III, 577
,, 19. 9. 1836 III, 579
28. 9. 1836 III, 580
27. 11. 1836 III, 583
25. 1. 1837 III, 592
13. 2. 1837 III, 595
10. 4. 1837 III, 598
,, 30. 5. 1837 III, 601
8. 6. 1837 HI, 603.
„ 23. 8. 1837 III, 610
Drobisch 2. 10. 1837 III. 617.
,, 22. 12. 1837 III, 621.
„ 28. 12. 1837 III, 625.
„ 22. 3. 1838 III, 630.
11. 10. 1838 III, 637.
19. 11. 1838 III, 639.
„ 20. 4. 1839 IV, 647.
14. 9. 1839 IV, 655.
15. 10. 1839 iv, 658.
„ 23. 10. 1839 IV, 661.
„ 12. 9. 184O IV, 672.
,, 1841 IV, 691.
Freiherr v. Edelsheim 1. 2. 1805 I, 189.
Eichstädt 8. 12. 1828 IV, 898.
„ 17. 2. 1830 IV, 920.
E. Erdmann 24. 11. 1829 IV, 914.
Eschen 30. 6. 1797 I, 59.
„ 19. 2. 1798 IV, 742.
1799 I, 109.
„ 20. 3. 1800 I, 115.
„ 12. 6. 1800 IV, 758.
J. G. Fichte 1. 1. 1798 I, 68.
J. P. A. Feuerbach 4. 9. 1805 IV, 788.
C. H. Froelich 22. 3. 1830 IV, 923.
F. Fromm 15. 2. 1796 IV, 719.
J. Füessli 21. 11. 1800 IV, 764.
Füessli 18. 11. 1824 II, 296
G.? 4. 5. 1810 IV, 810.
Gauß 8. 4. 1835 III, 516.
Gerlach 7. 1. 1831 IV, 928.
„ 7. 10. 1831 IV, 933.
„ 4. 7- 1833 IV, 944-
J. A. Gotthold 4. 5. 181 1 IV, 820.
Graff 4. 1. 181 1 IV, 817.
„ 1812 IV, 826.
Gregor 4. 5. 1834 HI, 456-
„ 4. 5. 1836 IV, 976.
„ 18. 12. 1836 III, 586.
„ 4. 5. 1839 IV, 650.
„ 9. 6. 1838 III, 633.
J. P. E. Greverus IV, 718.
Griepenkerl 4. 6. 1808, II, 219.
„ 14. 11. 1808 II, 229.
25. 2. 1809 II, 239.
,, 16. 11. 1809 II, 248.
„ 12. 2. 1810 II, 251.
„ 28. 8. 1810 II, 257.
., 1. 10. 1810 II, 258.
,, 19. 10. 1810 II, 259.
„ 1810 IV, 811.
15. 3. 181 1 II, 260.
14. 6. 181 1 II. 263.
„ Ohne Datum II, 289.
3. 1. 1815 IV, 849.
„ 1. 11. 1825 II, 301.
20. 4. 1827 II, 306.
,, 19. 10. 1827 II, 311.
„ 20. 2. 1828 II, 317.
Gries 16. 9. 1797 IV. 732.
„ 2. 6. 1799 I, 94.
XXVIII
Verzeichnis der Briefe an Herbart.
Gries 23. 8. 1709 I. 98.
„ 21. II. 1799 *i I05-
2. 7. 1S02 IV, ;(><).
22. 12. ! 802 IV. 780.
1. 10. [802 IV, 744.
21. 9. 1807 I, 213.
., l(>. 7. 1808 II, 221.
Beilage zu No. 221 16. 7. 1808 II, 222.
Gries 16. 11. 1808 II, 230.
., 23. 1. 1809 II, 237.
„ 17. 2. 1809 IV, 798.
„ 6. 10. 1829 II, 338.
Grolp 16. 8. 1832 II, 401.
.. 20. 5. 1833 III, 425.
„ 21. 12. 1834 III, 499.
Gronninger 4. 2. 1796 IV, 717.
von Grote 27. 9. 1802 IV, 773.
3. 2. 1805 I, 190.
Frau Minister von Grote 13. 4. 1809
II, 241.
W. v. Grote 5. 7. 1809 IV, 800.
Therese Grote 3. 11. 1809 II, 246.
Grote 21. 10. 18 14 IV, 848.
„ 17. 10. 1833 III, 436.
J. G. Gruber 17. 1. 1829 IV, 902.
„ Dez. 183 1 II, 384.
G. A. v. Halem 14. 3. 1797 IV. 727.
Jan. 1799 IV, 749.
,. 17. 11. 1810 IV, 815.
Hartenstein 16. 3. 1835 III, 514.
b. 5. 1835 III, 521.
9. 6. 1835 HI, 524.
6. 12. 1835 III, 540.
,, 17. 1. 1836 III, 542.
3. 3. 1836 III, 549.
4. 4. 1836 III, 551.
27. 5. 1836 III, 557.
3. 7- 1836 III, 504.
,, 10. 10. 1836 III, 582.
18. 2. 1837 III, 596.
„ 25. 4. 1837 III, 599.
,, 11. b. 1837 III, b04.
17. 8. 1837 III. bo8.
„ 22. 12. 1837 III, 622.
„ 17. 1. 1838 III, 626,
13. 4. 1839 D, 64b.
., 7. 12. 1840 IV, b83.
„ 23. 5. 1841 IV, b92.
Hasse 3. 2. 1810 IV, 808.
A. H. L. Heeren 23 7. 1810 IV, 813.
Heise 9. 1. 1805 I, 18b.
„ 23. 1. 1805 I, 188.
Hendewerk 13. 10. 1830 IV, 92b.
b. 1 1. 1830 IV, 927.
13. 2. 1831 IV, 929.
7- 8. 1831 IV, 931.
16. 1. 1832 IV, 934.
2. 12. 1832 IV. 938.
2- 3- l833 IV, 941.
29. 9. 1833 IV, 950.
Hendewerk 14. 9. 1834 IV, 9b5.
,, 29. 10. 1834 IV, 96b.
9. 2. 1835 H1' 5°7-
Frau Herbart 18 13 IV. 839.
W. Herbart 3. 3. 183b IV, 973.
19. 7- 1838 III, 6^6.
„ ib. 2. 1839 IV, 641.
23, 3. 1839 IV, b43.
„ 21. 1. 1841 IV, b8b.
Hesse 19. 8. 1823 II, 292.
Hoene 7. 10. 1803 IV, 785.
Holz 7. 11. 1800 IV, 762.
Hoppenstedt 28. 4. 1833 IV, 942.
5. 6. 1833 III, 427.
19. 8. 1833 IV, 946.
11. 10. 1833 IV, 951.
„ 12. 11. 1833 III, 438.
„ 15. 2. 1835 III. 510.
Fritz Hörn 20. 12. 1795 IV, 712.
,, u. Ziemssen 17. ? 1800 IV, 761.
Hugo 3. 8. 1833 III, 433.
Hüllmann b. 2. 1830 IV, 919.
9. 4. 1838 III. b32.
J. L. Ideler 3. 9. 1830 IV, 925.
Jäsche 3. 5. 1828 II, 318.
„ 22. 1 1. 1828 II, 323.
10. 5. 1829 II, 335.
„ 20. 3. 1830 IV, 922.
29. 3. 1831 II, 367.
„ 10/22. 8. 1831 II, 373.
„ b. 1. 1832 II, 387.
„ 30. 8. 1832 II, 402.
18. 1. 1833 IV, 939.
Jenner 27 . 7. 1799 IV, 752.
Kahle ib. 7. 1839 IV, b52.
„ 10. 2. 1840 IV, 6by.
Gräfin Kameke 28. 12. 1797 IV, 73Q.
Kamptz 1829 IV, 90b.
Keber 2b. 7. 1834 IV, 961.
F. Kohlrausch 8. 10. 1809 IV, 801.
„ 12. 4. 18 1 1 II, 271.
Koppen 30. 11. 1806 I, 211.
Kiause 18. 8. 1819 II, 282.
N. Kulenkamp 18. 9. 1802 IV, 772.
Langreuter 24. 8. 1795 IV, 708.
Langwerth 28. 4. 1835 III, 520.
11. 8. 183b III, 570.
Lobeck 12. 1. 183b III, 541.
A. Luber 28. 12. 1810 IV, 81b.
„ 19. 3. 1813 IV, 840.
Marotzky 31 3 1834 HI, 453.
Meen ib. 7. 1795 ^Vi 7°7-
Fr. Muhrbeck 28. 7. 1797 1, bo.
3 11. 1797 IV, 737.
Sept. 1798 IV, 744.
Sept. 1798 IV, 745.
Dez. 1798 IV, 74b.
1799 IV, 748.
11 12. 1799 IV, 754.
F. Nasse 18. 3. 1827 IV, 889.
Verzeichnis der Briefe an Herbart.
XXIX
Nicolovius 2g. 3. 18 10 II, 254.
„ 6. 10. 1810 IV, 814.
,, 24. 9. 1816 II, 274.
5. 1. 1817 n, 275.
A. H. Niemeyer 6. 3. 1806, I, 200.
„ 11. 12. 1813 IV, 844.
Nieuwenhius 1. 12. 1833 III, 441.
J. Osten 1. 4. 1824 IV. 879.
F. Osten 17. 12. 1829 IV, 915.
L. Otth 10. 6. 1799 IV, 751.
C. W. Pape 21. 8. 1809 IV, 802.
Casimir Plater 5. 3. 1806 IV, 791.
„ 2. 4. 1810 IV, 809.
Rahden 1. 6 1805 I, 192.
„ 2. 7. 1814 IV. 845.
„ 21. 8. 1827 IV, 894.
F. Ranke 17. 3. 1839 IV, 642.
Reiche 13 6. 1838 III, 635.
„ 20 11. 1840 IV, 677.
Reichhelm 13. 7. 1816 IV, 857.
21. 11. 1816 IV, 858.
16. 1. 1817 IV, 859.
I. 10. 1820 IV, 874.
II. 7. 1825 II, 299.
16. 11. 1831 II, 377.
18. 7- 1832 IV, 935.
30. 1. 1835 IVi 967-
Reimers 5. 8. 1796 IV, 721
C. L. Reinhold 1. 9. 1808 II, 225.
,, 1. 11. 1808 II, 227.
L. Rembold 26. 7. 1841 IV, 693.
Remer 11. 11. 1815 IV, 851.
Richthofen 30. 4. 1809 II, 242.
5. 6. 1809 IV, 799.
5. 11. 1809 II, 247.
,,
19. 2. l8lO II, 252.
24 4. l8ll II, 262.
.,
12. 5. l8ll IV, 821.
.,
20. 6. 1811 IV, 823.
0
6. 1. 1812 II, 265.
„
Ohne Datum II, 267.
ll
12. 3. 1812 IV, 827.
1«
2. 6. 1812 IV, 829.
V
23. 6. 1812 II, 268.
>1
Juni 1812 IV, 833.
11
28. 12. 1812 IV, 838.
11
5. 4. 1813 IV. 841.
11
15. 8. 1813 IV, 842.
•1
3. 12. 1813 IV, 843.
11
17. 7. 1814, IV, 846.
11
26. 2. 1815 IV, 850.
V
17. 6. 1816 IV, 855.
>1
25. 3. 1818 IV, 865.
11
28. 11. 1818 IV. 867.
11
25. 4. 1819 IV, 868.
11
9. 7. 1819 IV, 869.
11
20. 12. 1819 IV, 870.
11
28. 12. 1820 IV, 875.
)1
24. 6. 1821 IV, 876.
11
26. 12. 1821 IV, 877.
Richthofen 21. 12. 1823 II, 293.
1823 IV, 878.
19. 6. 1824 IV. 881.
23. 12. 1825 IV, 884.
24. 6. 1826 IV, 885.
2. 8. 1826 II, 304.
17. 12. 1826 II, 305.
9. 6. 1827 II, 307.
4. 10. 1827 II, 310.
6. 11. 1827 IV, 896.
11. 12. 1828 IV, 900.
21. 1. 1829 IL 326.
9. 3. 1829 II, 329.
28. 4. 1829 IV, 907.
20. 6. 1829 IV, 908.
22. 12. 1829 IV, 916.
21. 6. 1831 IV, 930.
18. 6. 1833 IV, 943.
23. 12. 1833 III, 446.
16. 1. 1834 IV, 956.
24. 12. 1834 III, 500.
23. 6. 1835 III, 525.
24. 6. 1836 IV, 977.
13. 6. 1838 III, 634.
25. 10. 1839 IV, 663.
Ricklefs 1. 11. 1795 IVi 7:5-
Rist 4. 5. 1796 IV, 714.
„ 1. 6. 1796 IV, 720.
., Oktober 1796 IV, 724.
„ 5- 5- 1797 I, 55-
„ 6. 11. 1797 IV, 735-
., 19. 1. 1799 IV, 750.
„ 14. 11. 1800 I, 134.
Romang 20. 5. 1835 III, 522.
L. Sachs 10. 10. 1825 II, 300.
15. 9. 1839 IV, 656.
v. Sanden 28. 8. 1832 IV, 936.
Schläger 9- 6. 18 16. IV, 854.
Schubert 10. 1. 1834 IV, 955.
4. 5. 1834 rv, 959-
15. 10. 1834 III, 488.
27. 4. 1836 IV, 975.
11. 12. 1836 III. 585.
12. 2. 1838 III, 628.
16. 9. 1840 IV, 674.
,, 8. 2. 1841 IV, 688.
Schulmann 9. 4. 1841 IV, 689.
G. E. Schulze 1. 6. 1825 IV, 883.
Schwatlo 10. 10. 1829 IV, 918.
Segelken, Anfang Sept. 1800 I, 129.
„ 4. 2. 1801 I, 138.
Sieffert 1. 6. 1836 III, 558.
Graf George Sievers 25. 1. 1806 IV, 789.
2. 4. 1810 II, 255.
2. 8. 1814 IV, 847.
8. 20. 4. 1815 II, 272.
13. 6. 1816 IV, 853.
„ 24. 1. 181 7 IV, 860.
25. 4. 1817 IV, 863.
Smidt 28. 2. 1796 IV, 713.
XXX
Verzeichnis der Briefe an Herbart.
Smidt 10. 8. 1796 IV, 722.
16. 2. [797 IV, 726.
,. Ohne Dat. IV, 768.
„ 27. 1. 1808 IV, 792.
C. Fr. von Steiger 18. 2. 1797 I, 40.
Ludwig Steiger 8. 2. 1798 IV, 741.
Herr v. Steiger u. Carl 16. 6. 1800 I, 124.
L. v. Steiger 23. 9. 1800 I, 131.
Carl v. Steiger 14. 7. 1809 II. 244.
August 181 1 IV, 825.
10. 7. 1812 IV, 835.
„ März 1817 IV, 861.
Strümpell 29. 12. 1833 IV, 954.
1. 7. 1834 IV, 960.
14. 8. 1834 IV, 962.
„ 10. 9. 1834 IV, 964.
Studenroth 13. 5. 1824 II, 294.
5. 8. 1828 II, 320.
Süvern 12. 3. 1816 IV, 852.
7. 7. 1816 IV, 856.
3. 2. 1825 IV, 882.
„ 11. 4. 1829 IV, 905.
Taute 31. 3. 1829 IV, 904.
„ 11. 12. 1833 IV, 953.
., 5. 3. 1834 IV, 958.
„ 1. 2. 1835 IV, 969.
Teilkampf 30. 11. 1839 IV, 664.
G. W. Tennemann 16. 4. 1806 I, 201.
Friedr. Thiersch 2. 4. 181 2 II, 266.
„ 12. 4. 1817 IV, 862.
Thomas 14. 4. 1835 IV, 970.
,, 29. 8. 1839 IV, 654.
Toelken 20. 7. 181 2 IV, 836.
„ 9. 9. 1812 II, 271.
J. G. Ungewitter II, 314.
21. 1. 1834 IV, 957.
25. 4. 1836 IV, 974.
12. 8. 1839 IV, 653.
Unterholzner 2. 3. 1809 II, 240.
„ 6. 11. 1809 IV, 805.
W. Ültzen IV, 702.
„ 1798 IV, 704.
Voigt 4. 5. 1833, III, 422.
Voigdt 17. 11. 1837 III, 619.
H. G. Waitz 28. 3. 1837 III, 597.
Wardenburg 4. 11. 1809 IV, 804.
,, 1. 12. 1809 IV, 806.
Weineke 5. 3. 1802 I, 165.
Wendt 28. 7. 1833 III, 432.
Witt 15. 6. 181 1 IV, 822.
v. Wrangel 25. 10. 1826 IV, 887.
„ 5. 11. 1828 IV, 897.
„ 8. 12. 1828 IV, 899.
Wunderlich 18. 10. 1837 III, 618.
Zehender 18. 8. 1801 I, 153.
6. 3. 1802 IV. 765.
11. 8. 1803 IV, 784.
30. 12. 1803 IV, 786.
Ziemssen 30. 1. 1800 I, in.
„ 4. 2. 1800 I, 112.
„ 26. 3. 1800 I, 116.
„ 3. 6. 1800 I, 122.
„ 9. 6. 1800 I, 123.
„ 23. 8. 1800 I, 128.
„ 29. 8. 1800 IV, 759.
,, 16. 10. 1800 I, S. 174.
„ 16. 2. 1801 I. 143.
„ 30. 7. 1801 I, 151.
Aug. 1801 I, 154.
., 11. 8. 1801 I, 152.
„ Sept. 1801 I, 155.
„ Oktober 1801 I, 158.
„ Dez. 1801 I, 161.
., 14. 3. 1802 IV, 766.
,, 19. 7. 1802 IV, 770.
„ Sept. 1802 IV, 771.
„ Nov. 1802 IV, 778.
„ Dez. 1802 IV, 779.
„ 20. 1. 1803 IV, 781.
April 1803 IV, 783.
Übersicht des Inhalts der vier Briefbände.
Band I: Seite
Jugendbild Herbarts.
Widmung V
Vorrede zu Band I— IV VII
Bemerkungen zu den Bildern XIV
Inhaltsverzeichnis, chronologisch geordnet XV
Verzeichnis der Briefe Herbarts, nach den Empfängern geordnet .... XXIII
Verzeichnis der Briefe an Herbart XXVI
Übersicht des Inhalts der Briefbände XXXI
Abkürzungen XXXII
Briefe von und an Herbart, Urkunden usw. Nr. i — 215 3 — 308
Band II:
Bild Carl von Steigers.
Briefe von und an Herbart, Urkunden usw. Nr. 216 — 405 3 — 325
Band III:
Bild von Herbarts Frau.
Briefe von und an Herbart, Urkunden usw. Nr. 406 — 640 3 — 318
Band IV:
Bild des Herbartdenkmals.
Briefe von und an Herbart, Urkunden usw. Nr. 641 — 700 3 — 55
Nachträge, Ergänzungen und Berichtigungen Nr. 701 — 980 56 — 281
Namenregister 283
Abkürzungen.
H. Wien = Hofbibliothek zu Wien.
N. = Nachlaß, s. Vorrede.
W. = Werke (= J. Fr. Herbarts Sämtliche Werke , herausgegeben von
K. Kehrbach.)
Briefe von und an
J. F. Herbart.
Urkunden und Regesten zu seinem Leben und seinen Werken.
Von
Theodor Fritzsch.
I.
Herbarts Werke. XVI.
„Von bedeutenden Männern nachgelassene
Briefe haben immer einen großen Reiz für
die Nachwelt, sie sind gleichsam die einzelnen
Belege der großen Lebensrechnung, wovon
Taten und Schriften die vollen Hauptsummen
vorstellen.'' Goethe.
Herbarts Stammbaum.1)
Andreas Herbart. geb. 1615 im Städtchen Ostheim vor der Rhön (Tauftag 19. Okt.).
Georg Herbart, geb. I.Jan. 1644,
Leineweber.
11 1 " ■ .1.1. ^m 1
Johann Jakob Herbart, geb. 24. Febr. 1673,
Leineweber.
Nikolaus Herbart,
geb. 14. März 1647, Leineweber.
[Nachkommen noch in Ostheim und
Rappershausen in Bayern
vorhanden]
Johann Michael Herbart, geb. 30. Aug. 1703,
getauft am Geburtstage. Pate war Johann Michael
Urban, Bürger und Hutmacher in Ostheim. Ge-
storben am 2. Aug. 1768 als Konsistorial- Assessor
und Rektor des Gymnasiums in Oldenburg.2)
Thomas Gerhard Herbart,
Justiz- u. Regierungsrat, geb.
27. Aug. 1739,
gest. 20. Aug. 1809. Am
26. Mai 1775 vermählt mit Lucia
Marg. Schütte, geb. 10. Apr. 1755
als Tochter des weil. Cornelius
Schütte Medicinae Doct. u. der
Frau Elisabeth Adelheid geb.
Boden, gest. 4. Dez. [803 in Paris.
Johann Friedrich
Herbart,
Obergerichts-
advokat.
Johann Friedrich Herbart,
geb. 4. Mai 1776 in Oldenburg, getauft am 8. Mai.
Paten waren: Frau Bürgermeistr. Regina Ilsabe
Gerdes, Hr. Oberger.-Adv. Joh. Friedrich Herbart,
der Vater selber für den Großvater weil. H.
Konsist -Ass. u, Rector Joh. Mich. H.
Vermählt mit Mary Jane Drake, geb. 18. Dez. 1791,
gest. 2. Dez. 1876 in Königsberg i. Pr. 8)
Johann Just Herbart,
geb. 17. Febr. 17 15, Weber,
gest. 27. P'ebr. 1764.
Georg Gotthard
Herbart,
geb.
27. Nov. 1744,
verschwindet
seitdem aus den
Kirchenbüchern
in Ostheim.
Johann Kaspar
Herbart,
geb. 3. März 1759,
wurde
am 16. Mai 1797
in Schmalkalden
mit Katharina
Elisabetha Strauch
getraut u. hat sich
dann in Meiningen
niedergelassen.
1) Nach Hollen BACH, Familie Herbart in Ostheim, Zeitschr. für Philos. u. Päd.,
hersg. v. Flügel, Just u. Rein, Langensalza, Hermann Beyer & Söhne (Beyer & Mann),
8. Jahrg. S. 253. Ergänzt nach einem Auszug aus dem Kirchenbuche der evang.-luth.
Kirchengemeinde Oldenburg, Jahrg. 1776, pag. 105, No. 13 und anderen Urkunden.
2) Über Herbarts Großvater vgl. Bartelmann, Joh. Mich. Herbarts Programme,
Progr. des Gymnasiums zu Oldenburg 1855. Joh. Mich. Herbart besuchte das Gymnasium
zu Schleusingen, von Herbst 1722 an die Universität Wittenberg, wurde 1729 Kon-
rektor zu Delmenhorst u. 1734 m Oldenburg. — Über Herbarts Vater s. Notiz unterm
20. A.ug. 1809.
8) Genauere Daten über Herbarts Frau waren trotz vielfacher Bemühungen nicht
zu erlangen. Die obigen verdanke ich Hrn. Prof. Dr. G. Krause in Königsberg, der
sie aus dem Sterberegister der Altroßgärterkirche in Königsberg mitgeteilt hat, und Hrn.
Friedhof sinsp. Pohl, der mir die Grabinschrift freundlichst übermittelte. S. auch
G. Hartenstein, Herbarts kleinere phil. Schriften (Leipzig 1842) 1. Bd., S. LXXII1.
1776-1794.
1776 — 1789. Erster Unterricht durch Privatstunden des Predigers Uelzen, damals
Lehrer im Hause des Conferenzrates u. Canzleidirektors von Berger, dann Besuch der
Privat-Anstalt des Subconrektors Kruse.*) Unterricht in Musik (Violine, Violoncell,
Harfe, Ciavier) . A *) Als ii jähriger Knabe tritt er in Privatkonzerten mit großem Beifall
auf. Composition kleiner Singspiele.1) Michaelis 1788 Aufnahme in die zweite Classe
der lateinischen Schule zu Oldenburg, die 1792 in ein Gymnasium2) verwandelt wurde.
Herbst 1789 Versetzung in die erste Klasse.3)
1790. Aufsatz: „Etwas über die Lehre von der menschlichen Freiheit."
S. Bd. I. S. LXXI u. 359.
1793. 11. März. H. erwidertauf die Abschiedsreden der Abiturienten des Gym-
nasiums. („Ihnen wird J. Fr. Herbart aus Oldenburg antworten, zu ihrem Vorhaben Glück
wünschen, und dabey die allgemeinen Ursachen aus einander setzen, welche in Staaten
das Wachsthum und den Verfall der Moralität bewirken."4) Erste von H. in Druck ge-
gebene Schrift. S. Bd. I. S. LXXI u. 351—358.
*) „Gelernt habe ich die Logik als Knabe von 11 Jahren." Brief v. 23. Aug. 1806
an C. Steiger.
**) ,, Tanzen war bis in mein 14. Jahr mein höchstes Leben." Brief an Muhr-
beck v. 28. Okt. 1798.
x) S. Brief seines Musiklehrers Weineke v. 5. III. 1802.
2) Über diese Umwandelung, sowie über die Einrichtung, den Lekionsplan, die
Lehrbücher pp. der Schule gibt das Programm des Oldenburger Gymnasiums von Joh.
Siegm. Manso, Oldenburg 1792, Auskunft. (Freundlichst durch Hrn. Gym.-Dir. Stem-
vorth zur Verfügung gestellt.)
:!) Nach dem Nekrolog Herbarts in den Oldenburgischen Blättern. 26. Jahrg.,
Oldenburg 1842, N. 41 — 48. Vgl. über die Jugendzeit Herbarts auch Zillers Herbar-
tische Reliquien S. 1 ff.
4) Vgl. Ankündigung einiger Abschiedsreden pp. durch Joh. Siegm. Manso.
Oldenburg 1793 (Bibliothek des Oldenburger Gymnasiums) u. Bd. I, S. LXX.
1776— 1794- 5
1794- 4- April. „Joh. Friedr. Herbart, aus Oldenburg, vergleicht in einer lateinischen
Rede [beim Abgang vom Gymnasium in Oldenburg] Ciceros u. Kants Gedanken über
das höchste Gut u. den Grundsatz der praktischen Philosophie mit einander.'11) Der
erste Professor am Gymnasium Manso bemerkt dazu: „Da ich weder an der Wahl der
Materien noch an der Ausführung einigen Antheil habe, so kommt, was davon gut u.
nicht gut seyn mag, ganz auf Rechnung des jungen Redners. Unter den Abgehenden
hat sich, wie überhaupt unter allen seinen Mitschülern, stets Herbart durch Ordnung,
gute Aufführung, Eifer im Studieren u. Beharrlichkeit ausgezeichnet und seyne guten
natürlichen Anlagen durch unermüdeten Fleiß zu entwickeln und auszubilden getrachtet.''
Mit Herbart gleichzeitig verließen das Gymnasium: Joh. Hohn, Heinr. Siegm. von
Halem, Joh. Herrn. Hartmann. Auf ihre Abschiedsreden erwiderte Anton Friedr. Rumpf,
der später mit Herbart in Jena studierte. 2)
Aufsatz: „Bemerkungen zu Fichtes Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre.*1
S. Bd. I S. 34.
20. Okt.: Immatrikulation unter dem Prorektor Prof. theol. Johann Wilhelm
Schmid. Der Eintrag in der Jenenser Universitäts-Matrikel lautet: „Herbart, Johan.
Friedr., Oldenburgensis 1794. Okt. 20".3)
*) Ankündigung einiger Abschiedsreden pp. durch Joh. Siegm. Manso. Olden-
burg 1794. Oldenburger Gymnasial-Bibl.
2) S. das Stammbuchsblatt Herbarts auf S. 9 vorl. Ausg.
3) Außer Familienname, Vornamen, Heimatsort, Immatrikul., Jahr u. Datum
finden sich keine weiteren Angaben. Freundliche Mitteilung des Hrn. Prof. Dr. Brandis,
Dir. der Univ.-Bibl. Jena.
1795.
I. Johann Georg Rist über Herbart und über die Gesellschaft der freien Männer. *)
„Böhlendorf äußerte den Wunsch, mich zum Mitglied einer schon seit mehren
Jahren bestehenden, meist literarischen Verbindung zu haben, die den Namen der
Gesellschaft der freien Männer trug, und von der ich, im Getümmel des Sommers,
nur eben genug gehört hatte, um mir eine hohe Achtung mehr als die Hoffnung
ihr anzugehören, zu erregen. Es war nichts Geheimes dabei im Spiel, als eben, daß
sich die stilie, der gegenseitigen Ausbildung gewidmete, wenig zahlreiche Verbindung
schon durch diesen Charakter der öffentlichen Aufmerksamkeit entzog. Unter den
Studenten galt es doch als ein Ehrentitel, zu den freien Männern zu gehören, und
die sechs bis acht Mitglieder zeichneten sich als die vorzüglichsten Talente aus.
Spiegel Fromm, Hörn, Herbakt, Floret, Böhlendorf, Berger2) — Namen, die der
Bursch mit großer Achtung nannte — waren übrig, nachdem der Verein kürzlich
mehre bedeutende Mitglieder, unter anderen Koppen aus Lübeck,3) Smidt aus Bremen,
verloren hatte ; es kam darauf an, sich wieder zu verstärken, und ich war unter den
Candidaten, ohne es zu wissen; denn ich dachte damals wahrlich zu gering von mir,
um mich an sie zu drängen. Die Sache war aber bald gemacht ; auf einem Spazier-
gang nach der Baraschkenmühle, an einem sehr schönen Herbsttage, machte Böhlen-
dorf mir die ersten Anträge. Ich ward vorgeschlagen, aufgenommen und gehörte
von diesem Augenblick den Einzelnen auch als innig verbundener Freund an. Alle
vierzehn Tage versammelte man sich; es wurden nach der Reihe eigene Aufsätze
l) Aus Joh. Georg Rists Lebenserinnerungen, herausgeg. v. G. Poel. Gotha
1880, 1. Th.,.. S. 561, 62—65, 72. Rist studierte Ostern 1795 bis Ostern 1796
in Jena. — Über die Gesellschaft der freien Männer vgl. auch „Johann Smidt. Ein
Gedenkbuch zur Säcularfeier seines Geburtstages, herausgegeben von der Historischen
Gesellschaft des Künstlervereins zu Bremen.-' Bremen 1873. Ferner Hartenstein,
Herbarts kleinere phil. Schriften, Lpzg. 1842, Bd. I, S. XIX Anm. — Über Herbarts
Universitätszeit s. Brief von Rist an Smidt v. 24. Apr. 1842.
2) Über ihn vgl. Johann Erich von Bergers Leben (1772—1833) von Prof.
II. Ratjen. Mit Andeutungen u. Erinnerungen von J. R[ist]. Altena 1835.
:ij „Ein von der Natur glücklich begabter Mensch, an schönen Kunstfertigkeiten
reich und durch ein glückliches Gleichgewicht der Kräfte zu ihrem ruhigen Genuß und
heitrer Mitteilung aufgelegt1'. J. G. Rists Lebenserinnerungen, Gotha 1880, S. 53.
— Über das rohe studentische Treiben jener Zeit, vgl. Rists Lebenserinnerungen,
Gotha 1880, S. 51 ff. — Dem Jenenser Freundeskreis stand Sophie Mereau nahe.
„Damals von allem, was Sinn u. Geschmack besaß, hoch gefeiert". S. Rists Lebens-
erinnerungen, 8. 67 f. S. auch diesen Bd. Nr. 24 auf S. 32.
1795- 7
und Beurtheilungen geliefert, dann etwa eins und das andere Neue vorgelesen, und
der Abend mit einem frugalen, aber heitern Mahl beschlossen. Nach 25 Jahren
brachte einmal Gries, der letzte der freien Männer, das Protocoll mit nach Hamburg,
wo wir mit großer Erbauung nach den literarischen Uebungen, mehrentheils auch
des herzerfreuenden Punsches, womit die Versammlung beschlossen worden, erwähnt
fanden.1) Mit besonderer Zuneigung schloß sich mir Herbart an, den ich bis dahin
nur aus dem Ruf als Fichte's ersten Schüler und einen abstrusen Metaphysiker ge-
kannt hatte. Er wohnte im Sommer in Dorndorf, und dort hatte ich ihn an einem
Tage, wo ich mit Hüffel nach Dorndorf geritten war, nur im Vorbeigehen gesehen.
Mit seinem ledernen Käppchen schlenderte er unbefangen auf dem Vorsaal des
Wirthshauses umher; seine Züge waren wohl ernst, aber jugendlich und fromm;
ich hatte ihn mir so nicht gedacht; nun fühlte ich keine Scheu mehr, und von dem
Augenblick, da ich zur Gesellschaft gehörte, und sein, wenngleich eckiges, doch
mildes Wesen erkannte, nahte ich mich ihm mit unbedingtem Vertrauen ....
,,An einem schönen Nachmittag, um die Zeit meiner Aufnahme in die Gesell-
schaft der freien Männer, machte ich mit Gries einen Spaziergang nach dem Janzig^
und da gab es gesprächsweise Anlaß, ihm mein sogenanntes philosophisches System
zu entwickeln, das etwa darauf hinauslief : Alle Speculation sei Tand, und der Mensch
zu schwach und unbedeutend, um sich mit Ergründung des Unendlichen befassen
zu dürfen ; er müsse fleißig nach den Gesetzen forschen, welche das Weltall regierten
und bewegten und sich diesen in aller Demuth fügen. Fortschreiten der Menschheit
sei Thorheit, Alles ein ewiger Wechsel und Kreislauf; liege doch auch in der Er-
gebung etwas Großes, und weiter bringe es kein Mensch. — Mein guter Gries hatte
eben nicht den Zeug, um mich zurechtzuweisen; er hatte in der Speculation auch
nicht viel gethan, und protestirte nur ganz richtig im Namen der Moral, für die er
einen guten Platz angewiesen haben wollte, die aber, meinte ich. wenn sie wirklich
hineingehörte, sich schon an der rechten Stelle einfinden würde. So kam ich ganz
stolz auf meine Accommodationsphilosophie nach Hause. Bald "cdarauf erschien
Herbart, der sich durch den lebhaften Kopf und den reinen guten Willen, die er
bei mir fand, zu mir hingezogen fühlte und sich gern mit mir unterhielt. Da wir
allein waren, währte es nicht lange bevor wir in ein ernstes Gespräch über die
Bestimmungsgründe, unseres Willens, die «letzten Gründe unserer Erkenntniß ver-
flochten waren. Da kam ich nun, meiner Meinung nach, wohlgerüstet mit meinem
System herangezogen, indem ich ihm das Gespräch des Nachmittags mittheilte.
Herbart lächelte, und mit der ihm eignen Klarheit und Bündigkeit hob er nun
an, von den einfachsten Wahrnehmungen der sinnlichen und geistigen Erfahrung-
ausgehend, mein schönes Gebäude einzureißen und mir begreiflich zu machen, daß
nur in meinem Kopfe jene Gesetze des Weltalls, das Weltall selbst, die ganze leib-
liche und übersinnliche Natur sammt allen ihren Erscheinungen existire, daß ich
mich nur in Allem sehe, und folglich auch nichts habe außer [mir, alles Andere
Schatten von mir, ein Traum der Seele sei, in ihren Tiefen geträumt. — Mir ward
allmälig eiskalt, wie ich so um mich her Alles verschwinden sah, die befreundete
Welt mit ihren heiteren Farben, die Luft der Sinne und was das Herz liebte in der
Natur, deren rechtes leibliches Kind ich mich wohl nennen durfte.
An deren Stelle trat nun ein düsteres, formloses Chaos, ein Unding, Nicht-Ich,
ohne Gestalt, Klang und Farbe; in diesem Ungeheuern bodenlosen Abgrund ich
selbst, allein mit mir, der nun nicht mehr an den Strahlen der Sonne sog, sondern
mich selbst erleuchten, mir in meiner Einsamkeit genügen sollte. — Einwenden
*) Nachforschungen nach diesem Protokoll waren bisher vergeblich. D. H.
8 1795-
konnte ich nichts gegen die logische Wahrheit, die strenge Consequenz von Herbarts
Deduction; denn unter allen Systemen ist der reine Idealismus das einzige durchaus
in sich gerundete und folgerechte wenn gleich auf einer willkührlichen Voraus-
setzung gegründet. Ich mußte ihm stillhalten und langsam den Becher der Ver-
nichtung trinken. Es war eine furchtbare Stunde. Es war Nacht geworden während
wir sprachen, und die Welt schwand wirklich vor meinen Sinnen. ,, Verlaß mich
nicht*1, rief ich. „du grausamer Freund, der du mir Alles genommen !" Er aber
faßte meine Hand und tröstete mich mit sanften Worten: Das Verlorene werde
sich schöner und sicherer wiederfinden; er verhieß erhabene freie Aussicht, herz-
erquickende Wonne und mächtiges Gefühl meiner selbst.
Er hielt sein Versprechen. Schon den folgenden Tag fing er an, mich in die
Tiefen der Fichteschen Philosophie einzuführen. Wir lasen die Wissenschaftslehre
täglich von 5 — 6 Uhr; er gab mir über die schwersten Abschnitte derselben deut-
liche Uebersichten, andere, die er selbst noch nicht ganz verstand, durchdachten
wir zusammen. Bald nachher widmeten wir der Kritik der reinen Vernunft die
Stunde von 4 — 5 Uhr Nachmittags. Mir fehlte es nicht an Abstractionsvermögen,
wenn gleich damals noch an der Fähigkeit, lange Reihen von Thesen und Antithesen
in verschiedener Potenz mit völliger Klarheit eine geraume Zeit hindurch festzu-
halten. Mich sprach also Anfangs Inhalt und Methode der Kritik mehr an, als die
Wissenschaftslehre. Aber dieß änderte sich bald, und ich fand in dieser nachgerade
ein herrliches gerundetes Ganzes, in ihrem practischen Theile lauter Leben, lauter
Beziehung aufs Leben, den ganzen kräftigen Menschen in seiner höchsten Bestimmung.
So kam aus dem Tode die Auferstehung, und aus dem Streit entwickelte sich der
Friede; ich dankte meinem Freunde für das Leid, das er mir angethan. Der Geist
fühlte sich frei und sicher; er glaubte, den innern Kampf, zu dem wir geboren sind,
nun zu verstehen, und hatte tief im Innern eine Heimat und Zuflucht gefunden,
die gegen alle Stürme von Freude und Schmerz ihn schützen sollte.
Was ich der Zeit noch verdanke und stets verdanken werde, ist das tief ein-
geprägte Gefühl von der geistigen Würde des Menschen, die Gewohnheit eines
höheren Maaßstabes für die irdischen Dinge und die feste Ueberzeugung von einer
über alle weltliche Verhältnisse erhabene Bestimmung, die mich als ein rechter Hort
durch die mannigfaltigsten Wecnsel des Lebens, gute und böse Tage, begleitet haben.
Wohl ist mir seitdem klar geworden, daß es noch ein höheres giebt als die geistige
Herrlichkeit des Menschen, und daß, was Bestand haben soll, an Gott angeknüpft
werden, von ihm ausgehen und zu ihm zurückführen muß. Aber auch das Beste
mußte sich erst langsam aus dem Besseren entwickeln, und in dem schönen Trotz
der Jugend, welche aus sich jedes Große zu entwickeln und durch sich es zu er-
reichen sich vermaß, lagen die Keime zu jener Demut h, die nur aus dem Rückblick
auf den durchlaufenen Kreis menschlicher Bestrebungen und Richtungen hervor-
gehen kann. — —
Berger, der unschuldige und fromme, der überall kein Uebel in der Welt
anerkennen wollte, es nur als mißverstandenes Streben zum Guten gelten ließ, ver-
stattete keinen Zweifel an dem guten Willen der Menschen ; Hülsen, der erfahrenere,
doch kindliche Mann, dem jener seine tiefere Bildung verdankte, löste in wenige
allgemeine Sätze von der Harmonie des Universums jegliches Widerstreben auf.
Beide glaubten an die allgewaltige Kraft der Wahrheit, um Völker zu regeneriren
und Regenten zu bekehren. Herbarts Sinn war auf die Bildung der Jugend aus-
schließend gerichtet, und nicht mit Unrecht fand er in ihr den Hebel zu einer
Umänderung von Innen heraus.
August 1795. 9
2. Eintragung ins Stammbuch des Jenenser Studenten Rumpf.1)
Breve et irreparabile tempus || Omnibus una ruit: sed famam
extendere factis, || Hoc virtutis opus. Virg. || Jenae d. XXI. Aug. 1795. In
sui memoriam scripsit J. F. Herbart.
3. An V. Halem.2) Jena am 28 sten August 1795.
Sie wissen es, höchstgeschätzter Herr Canzleyrath, was diesen Brief
so lange zurückhielt. Könnten Sie geglaubt haben, dass ich das Glück,
ihn schreiben zu dürfen, nicht in seinem ganzem Umfange fühlte, — um
meiner Ruhe willen, darf ich das nicht für möglich halten. —
Aus einer Art von Ohnmacht des Körpers und Geistes glaube ich
nachgerade zu erwachen. Da ich hieher kam, änderten sich meine Be-
schäftigungen so sehr wie alle meine andern Verhältnisse. Die Wissen-
schaftslehre machte, um für ihr unendliches Ich Platz zu gewinnen, eine
unendliche Leere in meinem Kopfe. In ein Labyrinth von Zweifeln ver-
wickelt werden, das kann vielleicht zu desto angestrengterer Thätigkeit
spornen; aber unter mir wich aller Grund und Boden, betäubt lag ich
da; ohne selbst mir helfen zu können, musste ich mich der Hand über-
lassen, die mich nur langsam wieder aufrichten konnte und wollte. Dies
traf zwar nur das wovon ich theoretisch überzeugt zu seyn glaubte, aber
damit verlor ich den Stoff zum eignen Denken, das, was mich, es mochte
noch so unbedeutend oder falsch sein, doch wenigstens am interessantesten
beschäftigt, worin ich gleichsam gelebt und gewebt hatte. — Manche
Menschen fiössten mir Achtung ein, aber ihr Ton, ihre Sitten waren mir
fremd, ich wusste nicht mit ihnen umzugehn; daher glaubte ich mich wo
möglich noch tiefer unter ihnen wie ich wirklich war. — Regelmässiges
Arbeiten würde mich gewiss bald aus diesem Zustande herausgehoben,
mir mit meiner Thätigkeit auch frohe Laune wiedergegeben haben,
häufigere körperliche Bewegung hätte manche Unpässlichkeit verhüten
können, die sich dazu gesellte: das Eine verboten meine Augen, das
andre mein Backengeschwür. Ich schämte mich vor mir selbst, und
mochte mich kaum meinen Eltern in meinen Briefen zeigen. — Erst seit
kurzem schimmert mir der Geist der Wissenschaftslehre hell genug durch
ihren anscheinend paradoxen Buchstaben, um mich die Stunden ausfüllen
zu lehren, die ich vorher im Unmuth über mich und meine Augen zu
verlieren pflegte. —
Dass Fichte der Verfasser des Beytrags zur Berichtig, d. Urth. ü. d.
fr.[anzösische] R, [evolution] ist, haben Sie wol schon lange mit Gewissheit
erfahren. Der Herzog von Weimar scheint ihn dennoch sehr zu schätzen,
da er ihn, ungeachtet seiner Theorie von den Verträgen, als einen gleich
1) Im Besitze des Herausgebers. Bereits gedruckt in Ztschr. f. Phil. u. Päd. XV,
3. S. 139. Langensalza 1907.
2) Die Briefe an Kanzleirat von Halem in Oldenburg befinden sich in der Großh
öff. Bibliothek in Oldenburg. Herr Oberbibliothekar Prof. A. Kühn hatte die Güte,
die Briefe, die schon bei Ziller (Herbartische Reliquien) gedruckt sind, mit den Originalen
zu vergleichen und die vielen oft sinnstörenden Fehler bei Ziller zu berichtigen. —
Gerhard Anton von Halem (1752 — 1819) war ein Schüler von Herbarts Großvater
und ein Freund der Familie. Über ihn vgl. Allg. D. Biographie Bd. 10, S. 407.
IO 1795-
zuverlässigen, und geraden, offnen Mann kennt. Uebrigens dachte F. sich
damals, als er jenes Buch schrieb, noch nicht die Principien, die er jetzt
der ganzen Philosophie zum Grunde legt; daher dürfte in dem Naturrecht,
welches er jetzt ausarbeitet, manches anders modificirt werden. Zudem
scheint er wenig an dem, was er einmal geschrieben, zu hängen; selbst
in Ansehung der Wissenschaftslehre, deren erste Bogen kaum ein Jahr
alt sind, warnt er mich, nicht an den Buchstaben des Einzelnen zu
kleben, sondern alles aus dem Gesichtspuncte des Ganzen anzusehn. Die
Totalität seines Geistes die sich auch in seinem System so sehr zeigt,
ist das, was ich am meisten an ihm bewundern muss. „Die Wissen-
schaftslehre" — sagt er am Ende des 5 §. der Grundlage, wo er über-
haupt sein System so trefflich characterisirt, — soll den ganzen Men-
schen erschöpfen; sie lässt sich daher nur mit der Totalität seines ganzen
Vermögens auffassen. Sie kann nicht allgemeingeltende Philosophie
werden, so lange in so vielen Menschen die Bildung eine Gemüthskraft
zum Vortheil der andern, die Einbildungskraft zum Vortheil des Ver-
standes, den Verstand zum Vortheil der Einbildungskraft, — u. s. w. —
tödtet. Mangel an Einbildungskraft legt er den meisten jetzigen Philo-
sophen zur Last; von den Dichtern hingegen erwartet er sehr viel für
seine Philosophie. Unter allen Menschen glaubt er bis jetzt von Schillern
und Göthe'n sich am besten verstanden, die sich sehr mit seinem System
beschäftigen. — Seit meinem Umgange mit Fichte'n habe ich es recht
gefühlt, wie wesentlich die Cultur des ästhetischen Vermögens zur Aus-
bildung des ganzen Menschen gehört. Könnte ich jetzt jene kostbaren
Stunden zurückrufen, wo Sie mit so vieler Güte mich auf diesen Weg
leiten wollten! Wie noch viel dankbarer, wie viel eifriger sollten Sie mich
jetzt finden, als damals! —
Hr. Prof. Woltmann1) ist noch immer mit literarischen Arbeiten
äusserst beschäftigt. Seine letzte Schrift, Plan zu historischen Vorlesungen,
haben Sie wahrscheinlich gelesen. Jetzt wendet er seyne müssigen Stunden
zu einem Trauerspiele an, wo die Scene in Bremen ist, und das in die
Zeit der schönsten Blüte des Hansebundes fällt. Manche kleine Gedichte
von ihm finden Sie in den Hören.
Werden wir nicht bald auf einen neuen Band Ihrer Poesie und
Prose hoffen dürfen? Wie würde ich mich freuen, ein Gegenstück zum
*) Über C. L. Woltmann vgl. Allgem. D. Biogr. Bd. 10, S. 408. „In der
ersten Zeit seines Aufenthaltes in Jena zog Fichte mehrere Studierende an den ge-
meinschaftlichen Mittagstisch, den er mit Woltmann und Niethammer verabredet
hatte. An dieser Mittagstafel erwähnte Woltmann Herbarts als eines vielver-
sprechenden jungen Mannes und empfahl ihn zur Aufnahme bei dem Mittagstische . . .
Herbarts Verkehr mit Fichte wurde im J. 1795 dadurch unterbrochen, daß dieser von
Jena nach Osmannstädt zog. [Fichtes Bemühungen, die Studentenorden auszurotten, hatten
lebhafte Spaltungen und Tumulte hervorgerufen und ihn veranlaßt, sich nach Osmann-
städt zurückzuziehen. S. Rists Lebenserinnerungen t88o, S. 51.] ... Auch mit Schiller
kam Herbart durch seine Mutter in nähere Berührung u. begleitete diesen einmal auf
einer Reise nach Leipzig. Hartenstein, Herbarts kleinere phil. Schriften, Leipzig 1842,
Bd. I, S. XV, Anm. — Über Fichte und Frau sagt Rist a. a. O. S. 70: „Ein wunder-
licheres Paar, als er u. seine von allen Grazien verlassene kleine Frau, ist nie um den
Graben von Jena geschritten. "
September, Oktober 1795. II
Conradin oder der Adelheid darin zu finden! Recht vielen Dank habe
ich hier schon eingeärndtet, wenn ich jene beyden Gedichte vorlas.
Von unserm vortrefflichen Schütz möchte ich Ihnen so gern ange-
nehmere Nachrichten bringen können! Er ist den ganzen Sommer hin-
durch gefährlich krank gewesen; die Ärzte hatten ihn aufgegeben und
sollen auch jetzt schwache Hoffnung haben, ihn je ganz wieder herstellen
zu können. Welcher Verlust würde es für Jena seyn, wenn er, wenn
Paulus, der auch kränkelt, stürben! Schnaubert soll auch mit dem Hofe
seit einiger Zeit so gespannt seyn, dass man fürchtet, er werde bey der
ersten Gelegenheit von hier gehn. — Um so mehr muss ich wol diesen
Winter sein jus publicum hören.1) Im Grunde möchte ich sehr gern die
Jurisprudenz noch so lange liegen lassen, bis ich mit der Philosophie, den
schönen Wissenschaften, selbst mit der Mathematik weiter vorgerückt
wäre. Hiedurch mehr gebildet, müsste ich, dünkt mich, alles historische
und positive von einem umfassenderen Gesichtspuncte ansehn können, es
leichter und interessanter finden; meine Augen gewönnen unterdess Zeit
zu einer radicalen Besserung, da sie durch jene Studien ungleich weniger
als durch diese angestrengt würden. — Dürfte ich darüber um Ihren
gütigen Rath bitten? Überhaupt kann mein langes Geplauder von mir
selber nur durch die Hoffnung und den innigsten Wunsch vielleicht ver-
zeihlich werden, dass Sie dadurch vielleicht zu einigen Bemerkungen über
mich veranlasst werden und mir dieselben mittheilen würden. —
Was macht Mademoiselle Sophie? Ist ihr die Harfe wol noch ein
wenig lieb? Ich würde mich sehr freuen wenn sie sich meiner zuweilen
erinnerte. —
Mit der grössten Hochachtung habe ich die Ehre zu seyn
Ihr gehorsamer F. Herbart.
Sept.: Reise mit Smidt, Hörn u. Spiegel nach Carlsbad, Teplitz, Dresden.
(S. Bd. I, S. XXIX.)
4. Woltmann über H. in einem Briefe an Smidt i. Okt. 1795:
„Herbart ist ein philosophischer Kopf, überhaupt ein trefflicher Jüngling, aber
er scheint zu früh an der einen Seite gereift, die Genialität der Jugend fehlt ihm.
Die Erziehung hätte bei ihm um so mehr darauf hinwirken sollen, je weniger ihm
die Natur von jenem äolischen Harfenspiel der Einbildungskraft u. der Empfindung
verliehen, wodurch der Mensch in ewiger Jugend zauberisch erhalten wird/'2)
*) Über Herbart's juristisches Studium cf. Hartenstein, Herbarts kleinere phil.
Schriften, Leipzig I842, Bd. I, S. XIV, Zeitschrift für exacte Philosophie I, S. 57 und
JÖRDENS, Nienburger Progymnasialprogramm 1860, S. II.
2) S. Bd. I. S. XXXXV.
1796.
W. : „Einige Bemerkungen über den Begriff des Ideals, in Rücksicht auf Rists Aufsatz über
moralische und ästhetische' Ideale." S. Bd. I. S. 5 — 8. — „Spinoza und Schelling,
eine Skizze." S. Bd. I. S. 9 — 11. — „Versuch einer Beurteilung von Schellings
Schrift: Über die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt." S. Bd. I.
S. 12 — 16. — „Über Schellings Schrift: Vom Ich, oder dem Unbedingten im mensch-
lichen Wissen." S. Bd. I. S. 17—33.
5. An Smidt.1) Jena am 23 sten Jan. 96.
Bester Smidt. Du erhältst diesmal für Deinen lieben langen Brief
nur einen bloßen Dank, und überdies eine Bitte, die Einlagen zu be-
sorgen. Hoffentlich trifft Dich dieser Brief noch vor Deiner Tour nach
Oldenburg. In diesem Falle wirst Du so gut seyn den Brief an meine
Mutter selbst mitzunehmen. Ich bitte Dich dringend, ihn ihr selbst, wenn
sie ganz allein ist, einzuhändigen;*) ich bitte Dich durchaus gegen niemand
eine Sylbe davon zu erwähnen. Solltest Du schon in Oldenb. gewesen
seyn, so mußt Du ihn lieber liegen lassen,**) u. mir gelegen tl. zurück-
schicken, auf jeden Fall bitte ich Dich mich davon baldigst zu benach-
richtigen. Du wirst alle Sorgfalt anwenden, mir diesen Gefallen ganz zu
thun. — Fichte grüßt Dich nebst seiner Frau. Er glaubt der Aufsatz
werde sich nicht ganz für die Hören schicken; auch würde Schiller wol
nicht selbst darüber an den Verfasser schreiben. Übrigens entschuldigt
sich F. der jetzt bis Mitternacht arbeitet, daß er nicht selbst schreiben
kann. — Von Meen erhalte ich so eben einen Brief. Grüß ihn. Sag ihm
vielen Dank von mir für [2] das richtig angekommene Paquet. Sobald
als möglich ich hoffe nächsten Posttag erhaltet Ihr beide mehr von mir.
Dein Herbart.
*) Durchstrichen: „dafür zu sorgen, daß sie und sonst niemand ihn, wo möglich
aus deinen eignen Händen bekomme."
**) Durchstrichen: ,,ob sich eine Gelegenheit findet, durch die er ganz sicher und
ohne alles Aufsehen zu ihr selbst kommen kann. Ist dies geschehen, oder kann es
nicht gleich geschehen so" bitte . . .
1 ) 1 S. 4Ü. — Die 26 Briefe Herbarts an Joh. Smidt (über ihn vgl. W. I., S. XXI)
sowie die Briefe von Herbarts Eltern sind im Archiv der Smidt-Stiftung, das im Archiv
der freien Hansestadt Bremen aufbewahrt wird. Sie wurden mir — besonders durch
die Fürsprache des Hrn. Richter Dr. J. Smidt — freundlichst zur Verfügung gestellt.
Herrn Richter Dr. Smidt verdanke ich auch die zahlreichen Notizen aus Briefen an
Smidt mit Nachrichten über Herbart.
Januar 1796. 1^
Eiligst. Am 24sten. Gestern kam mein Brief nicht weg, heute
nimmt ihn die fahrende Post mit. Was für ein Misverstand Dich zu
Deiner, mir übrigens sehr willkommenen Predigt über die Verzweitlung an
sich selbst veranlaßt hat, davon nächstens noch ein Wort.
6. An Smidt.1) Jena am 29sten Jan. 1796.
Hoffentlich, bester Smidt, hast Du mein letztes großes Paquet vom
Sonnabend richtig erhalten, und wirst mir so bald Du irgend kannst,
davon gewisse Nachricht geben. Zu gleicher Zeit wirst Du mir den Brief
an meine M[utter] zurückschicken, oder mir sagen, daß Du ihn ihr selbst
unter vier Augen eingehändigt, oder daß Du noch gar nicht in Oldenb.
gewesen bist. Äußerst begierig bin ich, — solltest Du es glauben? —
auf das was Du von dem jetzigen Urtheile meiner Eltern über mich
sagen wirst. Doch ich muß Dich erst mit meinem Unglück bekannt
machen. Drey lange Briefe, die ich im Okt. und Nov. an meine Eltern
schrieb, mit Nachricht von unserem Aufenthalt in Dresden, von der An-
kunft meines Klaviers, und über manche andere Sachen, die sie dringend
zu wissen verlangte, sind durch die Dieberey meiner damaligen Aufwärterin
untergeschlagen, um das Postgeld zu stehlen ! ! ! Daß meine Eltern nun
gar nicht wußten was sie von mir denken sollten, oder vielmehr, daß sie
sehr bestimmt mich für einen — ich weiß kein Wort — daß sie mich
für schrecklich tief gesunken ansahen, läßt sich begreifen. Aber wirklich
sind die Vorwürfe meiner Mutter so hart und schneidend, daß ich's
dennoch kaum begreife! So gar kein Gedanke, daß irgend eine versteckte
Ursache mich werde entschuldigen können! Du kannst Dir nicht denken,
was ich darüber gelitten habe. — Und nun vollends — heute vor 1 4 Tage
schrieb ich alles umständlich; — heute hätte ich von ihnen lesen können,
daß sie befriedigt wären; aber kein Brief ist gekommen! — Es kann
seyn, daß das was ich außer meiner weitläuftigen Erzählung wie ich end-
lich jene Dieberey entdeckt habe, noch von anderen Dingen hinzufügte,
und worauf sie eben begierig seyn mochten, für sie viel zu kurz und
trocken gewesen ist, daß sie wol nun noch erwarteten, ich sollte noch
einmal von Dresden erzählen. Aber wie konnte ich nach einer solchen
Geschichte, noch von gleichgültigem Dingen viel reden! Wie kann man
Neuigkeiten erzählen, angenehme Stunden schildern, wenn ein solcher
Zweifel über die Gesinnung der Eltern Kopf und Herz drückt! [2]
Auf Dich habe ich mich berufen, bester Smidt. Auf Deine Freund-
schaft für mich. Das konnte ich so viel eher, da Dein letzter Brief mir
so sehr wie irgend einer von allen den herzlichen Stunden die wir zu-
sammen verlebten, es ganz sagt, was ich an Dir habe! — Auf etwas
mußte ich mich doch berufen. Konnten sie sich so frech vernachläßigt
glauben, fiel es ihnen nicht von selbst ein, daß sich das anders aufklären
müsse, so konnten sie nun auch alles für erlogene Entschuldigungen
halten! — Wo ist die Zeit hin, da mein Ja und Nein für vollen Beweis
galt! — Du fordre jetzt auf dein ehrlich Gesicht den Glauben, daß
x) 4 S. 4°.
ja Januar 1796.
Deine Freundschaft für keinen solchen Lügner sei. — Sorge übrigens
selbst, daß man Dich nicht für einen liederlichen Fant hält, — denn wie
sollte ich jetzt jemanden entschuldigen, was mag man mir selbst nicht
alles zutrauen!
Du begreifst jetzt wol, was meine Mutter drückte, da sie von mir
sprach. Du siehst nun daß es mit meiner gefürchteten Krankheit und
Selbstverzweiflung nicht so ganz Ernst war. Aber konntest Du glauben
daß sich ein fremdes Frauenzimmer Dir auf den ersten Blick gleich
öffnen werde? Glaube mir, Bester! bey meiner Mutter spricht — zwar
der Verstand nie ohne das Herz — aber auch das Herz nie ohne den
Verstand. Ihr tiefes Gefühl untergräbt schrecklich ihre Gesundheit; leicht
kann es ihr das Leben rauben, aber nie den Kopf. Schreib mir mit
allen kleinsten Umständen, wie Du sie fandest. Wie niedergeschlagen
oder wie heiter. Ob herzlich, oder mit angenommener Munterkeit. In
jenem Falle hat sie sich Dir einiger maßen geöffnet, im letzteren schwer-
lich. Durch ihre Munterkeit glaubt sie eine Pflicht der Geselligkeit zu
erfüllen, das ist alles. — —
Das hat mich den letzten Monat oft traurig gemacht. Sonst bin ich
guter Dinge; frey streife viel auf dem Klavier umher, und wenns mir ein-
fällt auch auf dem Felde. Erst neulich lief ich einmal Nachmittags von
hier weg mit den Hören und einigen Schreibereyen in der Tasche schlief
in Lobeda, ging den andern [3] morgen nach manchem Kreuz und Querzug
über Berg und Thal nach Roda, schlief des Abends, schrieb des Nachts,
legte mich gegen Morgen wieder nieder, und spazirte dann, nach
dem ich recht ausgeschlafen, wieder hieher. Daß die Collegien mich nicht
binden — weniger als sie sollten — weißt Du. Von meiner Un-
zufriedenheit mit mir selbst — die von der Verzweiflung an mir selbst
gewaltig entfernt ist — mag ich gar nicht reden. Wol regt sich das
radicale Böse alle Stunde u. Augenblick in mir, ich thue so selten was
ich will, wenigstens währt es eine halbe Stunde ehe die Ordre meines
Ich befolgt wird — von meiner Reflexionsfreyheit wollen wir also nicht
rühmen — aber man sollte das gar nicht sagen, nicht einmal sich selbst
sollte man es gestehn, denn was hindert mich, diesen Augenblick gleich
frey zu seyn da ich nur daran denke, was hindert mich den alten Men-
schen eben jetzt gleich von mir zu werfen und dann gar nicht mehr der-
selbe zu seyn? das sage ich mir alle Tage; und das ist wol nicht die
Denkart dessen der an sich selbst verzweifelt; sondern dessen der seine
Besserung nur der wahren Kraft seines Geistes, und nicht jener beliebten
Rene — wahrlich kann es keine zusammenschnürendere Beschränkung für
das Ich geben — verdanken will. — Aber doch drückt es auch nicht
wenig daß ich so arm an allen geselligen Tugenden bin. Recht auf-
fallend wird es mir jetzt im Sonntagsklub — Du mußt wissen daß ich
jetzt die Welt suche — es liegt wahrlich nicht am Wollen und Wünschen,
daß ich so gar nicht an die Damen kommen kann — zwar thut es mir
nicht leid daß sie mein Herz noch immer in seiner stolzen Ruhe lassen,
und daß ich die Zahl ihrer ernstlichen Verehrer nicht mehren kann ; aber
stielen möchte ich gar gern mit ihnen können, weil es doch nun einmal
auch so mit dazu gehört — Du guter Freund denkst wol jetzt so zu-
Februar 1796. 15
weilen an eine Synthesis zwischen Spiel und Ernst — in Deiner Lage,
in Deiner Stimmung preise ich Dich glücklich vorausgesetzt, daß Du,
wenn Du von der Freyheit des Geistes predigst, auch selbst Dein an-
dächtiger Zuhörer bist. [4]
Schick uns doch die Predigt um Ostern herüber, wenn Du nicht
etwa noch etwas Besseres zum Besten geben willst, ein schöneres Thema
findest Du wenigstens wol schwerlich. Wir rechnen auf jeden Fall ganz
vorzüglich auf Dich — Du merkst doch, daß ich mich auf die Einlage
beziehe? — Außerdem vorzüglich auf Hörn, Koppen und Cramer. Wir
hoffen auch auf Breuning, Meister und Krüger. (In Parenthese — hast
Du von Breuning eben so wenig Nachricht wie Floret und ich? Wir
wissen seit fast einem 4teljahr nicht einmal seine Adresse.) Von Bärn-
hoff, der jetzt nach Petersburg als Informator geht, ist wol nichts zu er-
warten. Du hast doch endlich Briefe von ihm? — Hörn hat mir neulich
geschrieben, und eben darin den ersten Vorschlag gethan, der unsern
Plan veranlaßte. Was ihm davon angehört findest Du in der Einlage be-
merkt. Der Aufsatz selbst ist, bis auf wenige Worte, von mir; weil ich
Horns Brief hätte, sagte man, so könnte ich das am besten concipiren.
Das Ding hat uns allen in diesen Tagen viel Freude gemacht. — Es
sind 3 neue Mitglieder aufgenommen; der Liefländer Thiel, und die
beyden Hamburger Rist und Gries. Den ersteren kenne ich wenig die
beyden letzeren sind ein paar Menschen von trefflichem Kopf und
Charakter, und jetzt mein liebster Umgang. Schade daß Rist schon Ostern
fortgeht. — Du sagst mir daß Floret ein Herz hat. Wol hat er es, aber
er trägts tief im Busen, und ich habe es gar zu gern, wenn es manchmal
auf die Zunge kommt. Mit einem Worte, er ist nicht gesellig. Ich esse
Mittags bei ihm; mit Velthusen, Bekedorf und Bigeleben; aber es giebt
nie ein ordentliches Tischgespräch; der eine liest, der andere spricht vom
Fechten und ledernen Hosen, dann kommt Lindner herauf und fängt an
zu witzeln, das alles ist nicht für mich. Sonst schätze ich Floret sehr,
habe auch wol so beyläufig eine interessante Stunde mit ihm gehabt. —
Fichte'n sehe ich selten, er arbeitet jetzt bis Mitternacht am Naturrecht.
Das Collegium ist äußert interessant, die Paradoxien der Bey träge lösen
sich trefflich auf. Lossius arbeitet hoffentl. an Deinem Heft. — Papa L.
quält seine L. mit seinen Grillen, und studiert seine Pandekten sehr
fleißig, das ist alles was ich von ihm weiß.
Schreib mir bald lieber Smidt, und sag mir Dein Urtheil über die
Einlage. Empfiehl mich auch an Meen, nächsten Posttag schreib ich ihm.
Es wäre heute geschehen, hätte ich nicht gestern für die Gesellschaft zu
schreiben gehabt. Dein Herbart.
Schreib mir doch Meisters Adresse oder besorge die Einlage an ihn.
7. Herbarts Mutter an Smidt.1) Oldenburg am 20ten Febr. 1796.
Mein theuerster Freund, So lassen Sie mich immer sagen: denn wenn auch
Sie nichts als Mitleid für eine Mutter empfinden können, die Ihnen mit ihren
8chwächen zu wiederhohlten malen so lästig war, so habe doch ich in den beyden
x) 4 S. 4°.
j5 Februar 1796.
ängstlichen Vorfallen meines Lebens Ihnen allein die "Wiederkehr meiner Ruhe zu
danken. Daß ich es ganz empfinde was Sie für mich und mehr noch was Sie für
meinen Sohn gethan haben, darf ich Ihnen nicht erst sagen — nur einige Nach-
sicht und Unterstützung noch schenken Sie derjenigen die es 19 ganzer Jahre ge-
wohnt war ihren Zögling auf jeden seiner Schritte zu begleiten oder doch zu be-
obachten, und ihn, mit dessen geistigen und physischen Kräften sie hier nicht ganz
bekannt werden konnte, noch nicht ohne alle Furcht auf einem schlüpfrigen, ihr
ganz unbekanntem Wege allein gehen sehen kann. "Wahr ist es, ich glaube nun
an das aus Erfahrung, was ich bey seinem Abschiede mit Zuversicht hoffte: Mein
Sohn werde sich von aussen her nicht verführen lassen. Ob er aber sich selbst
nicht leicht irre führen könne? Das ist was anders. Vors erste bin ich zufrieden
daß er noch ganz der Alte ist. Daß er es nicht versäumt hat an Sie zu schreiben,
daß auch ein Brief an mich zur bestimmten Zeit mit bündigen Beweisen von seinen
unveränderten Gesinnungen da war, das ist mir genug, und dies bewieß mir auch,
daß Sie die Güte gehabt hatten Ihr Versprechen zu erfüllen. "Wenn denn nur mein
Sohn sich Ihre Freundschaft zu erhalten weiß, so wird er mit Hülfe derselben und
bey mehrerer Erfahrung, als ein vernünftiger und brauchbarer Mensch alle meine
Wünsche erfüllen. Ich verlange weder ein Genie noch einen Engel zum Sohn zu
haben, und daher kann mir das, was Sie die Güte gehabt haben von ihm abzu-
schreiben, nicht ganz gefallen. Es sind seine, und waren auch weiland meine alten
Lieblingsträume, nur in einer neuen Sprache aufgetragen. Ich sagte vordem : Kein
Mensch ist edel und frey der den Begierden gehorchet, und in solchen Augenblicken
des Selbstgefühls, ergriff die Leidenschaft den Zügel und führte mich wohin sie
wollte. Wenn dann Körperliche Schwächen und Widerwärtigkeiten von aussen
hinzukommen, sollte man da nicht um so eher die Geduld mit sich selbst, und
allen Glauben an das theure Ich verlieren?
Doch zu etwas Andern. Durch eine Nachlässigkeit der Post erhielt, ich Ihre
gütigen Zeilen erst nach 10 Uhr gestern Morgen, so schnell ich also auch ein Packet
mit Eßwaaren expedirt hatte, so mußte es doch zurück bleiben, weil die fahrende
Post genau um 11 Uhr abgegangen war. Meine Bothenfrau kann indeß zu Zeiten
dem Fuhrmann Haushalter nachfragen, da ich nun durch Ihre Güte seine Adresse
habe.
Es bleibt doch dabey daß ich auf Ostern das Vergnügen habe Sie zu sehen?
Pr. Woltmann wird schon 8 Tage früher hier seyn, könnten Sie dann nicht schon
auch abkommen? Sie sagen mir nichts von dem Befinden Ihres Hn. Vaters, ich
nehme das für ein gutes Zeichen; wenn Sie nur für dessen Gesundheit nicht be-
sorgt seyn dürften, so glaube ich, würden Sie Sich hier schon ganz leidlich unterhalten,
wenn Sie in der Gesellschaft des Pr[ol] W[oltmann] hieher kämen. Ich invitire Sie
dann zwar in ein lediges verstörtes Haus worin alle Meubies durcheinander geworfen
sind, weil sie in der vollen "Woche nach Ostern verkauft werden sollen; aber um
desto mehr Platz haben wir darin recht froh zu seyn, denn "Wardenburg und Gether,
der Liebling unserer Herren und alter und junger Mädgen, sind nun auch hier
und werden Sie mit offenen Armen empfangen. Also richten Sie Sich ja so ein
daß wir alle Sie recht geniessen können, d. i. so lange als möglich.
Dürfte ich Sie noch bitten, mich Ihrem Hn. Vater und der Fr. Mutter zu emp-
fehlen, und es bey ihnen zu entschuldigen wenn ich neulich zudringlicher gewesen
bin, als nöthig war.
Auch um Ihre fernere Freundschaft bittet Sie
Ihre ergebene Herbart.
Februar 1796. I 7
Nachschrift. Aus Besorgnis, daß Mad Stock mir Ihre Adresse woi eben so
unrichtig als andere Nachrichten gegeben haben könne — trage ich dem Vetter die
Besorgung dieses Briefes auf, daher erhalten Sie denselben einen Tag später. Eben
erhält mein Mann einen Brief aus Jena, nicht von, sondern über seinen Sohn. Drang
des Herzens ist es, der Hn. Fr. Woltmann die Feder ergreifen läßt, um jetzt schon
— oder soll ich sagen jetzt erst (es ist eine Antwort auf einen vor anderthalb
Jahren an ihn abgelassenen Brief) den Vater auf eine Menge Wunderdinge von
demselben zu regalieren; unter andern soll das Söhnchen nach der allgemeinen
Stimme der größte Klavierspieler — in Jena seyn. Er erzählt von einer neuen
Akademie in Braunschweig und einer andern den Jenensern weit gefährlichem in
Mietau, und von seinem einzigen Umgange mit Hufeland und Schiller. — Von dem
ersten schreibt m[ein] S[ohn] daß er eine liebenswürdige Frau u. diese ein voi treff-
liches Fortepiano und schöne Doppelsonaten habe. — Von Fichte ist jetzt gar nicht
die Rede. — H. W. schließt sehr sentimentalisch und was die Hauptsache ist er
meldet: daß er J4 Tage vor Ostern abreisen und volle 4 "Wochen hier seyn werde.
Mes demoiselles Runge aus Bremen sind dann zum Besuch bey meinen Mädgen
d. i. in unserm oder Schröders Hause. Sie sehen also, an Nahrung des Geistes
kann es Ihnen dann hier nicht fehlen, und darnach dependirts von Ihnen, ob Sie
Sich bey den Hn. durch Rauchen und trinken, oder bey uns durch lachen und tän-
deln hervor thun wollten. Was rechts müssen Sie schon leisten, wenn Sies mit
Gether aufnehmen mögen. Dies zur Nachricht. Noch haben die Herren hier einen
so famosen Club, daß Woltmann schreibt: Der Hannoversche Feldprediger Giese
habe davon mit Entzücken gesprochen. Wie der Mensch dahin kommen mag! ich
schicke einen Brief an ihn nach Hannover und dort meint man er sey bey uns im
Hause. Leben Sie recht wol, bis wir uns sehen.
Adresse: Dem Herrn Smidt in Bremen.
frey Abzugeben im Hause des Hrn. Doktor Smidt bey St. Steffani Kirche.
8. E. Berger an Smidt. Jena 26. Febr. 96.
Bald erscheint auch ein Grundriß des Naturrechts von Fichte. Es wird darin
auch ein Staat abgezeichnet, der hier doch nicht so recht gefallen will. Her-
bart mit dem ich besser bekannt geworden bin und der Zuhörer im N. R. ist und
der Dich grüßt — hat keine Lust in diesem Staat zu leben und andre meinen das-
selbe. Ich denke mir ihn als sehr strenge, diesen Staat. Bald kömmt er ja ans
Licht — dann sehe ein jeder zu!
9. Herbarts Mutter an Smidt.1) Oldenburg am 16ton März 1796.
Nur ein paar Worte zur Nachricht. Hr. Professor Woltmann der schon am
Sonntage erscheinen wollte, kommt gar nicht. Mein Mann und ich, wir haben nun
einmal allen möglichen Weihrauch über unsern Sohn empfangen, und brauchen dafür
dem Herrn Professor weder naß noch trockenes zu reichen; aber Sie, mein armer
Freund, Sie dauern mich doch, Sie werden am meisten entbehren!
Damit Sie nun aber nicht etwa eine Predigt oder so etwas vorwenden, um
von Ihrem Versprechen auch los zu kommen und mich dadurch zu compromittiren
(denn ich habe geradezu behauptet, Hr. Smidt würde mit mir allein schon ein paar
Tage ohne zu gähnen hinbringen) so melde ich Ihnen diese Hiobspost früh genug,
und füge noch hinzu: daß mein Hausherr unsere Betten, Tische und Stühle erst am
Uten Apr. verkaufen lassen wird, wenn Sie etwa die Oldenburger Messe mit denen
x) 2 S. 4°.
Herbarts Werke. XVI. -
jg März 1796.
in Leipzig, Braunschweig und Bremen zu vergleichen Vergnügen finden sollten.
Also dependirt's von Ihnen wann und wie Sie diese kleine Reise machen wollen.
Die Br. Schröders nebst Anhang werden am Tage vor Ostern hier eintreffen, ist
Ihnen diese Gesellschaft lieb? oder könnte Freund Meene doch vielleicht noch ab-
kommen wenigstens bis Falkenburg könnte er Sie wol begleiten, da kämen wir Ihnen
dann entgegen und ich sähe den guten Meene einmal mit leichterm Herzen [2]
wie in den letzten Zeiten. Wäre sonst noch jemand den Sie zur Gesellschaft haben
mögten, so versteht sich's von selbst daß jeder, den Sie mitbringen uns allen höchst
willkommen seyn wird.
Sie bestimmen also selbst wie es Ihnen am angenehmsten ist, und geben mir
dann einen Wink. Wir sind zu allem bereit; auch sogar Sie zu entführen, wenn
Sie dazu einige Lust bezeigen sollten. Sonst aber werden Sie hoffentlich nicht viel
erwarten, z. E. Nahrung des Geistes finden Sie nur im Club; wohin mein Mann
aber auch Sie oft genug führen wird. Im Hause wo wir Frauenzimmer uns ge-
wöhnlich der Conversation bemächtigen dürften Sie leicht vor geendigten Feiertagen
kein gescheutes Wort hören, dafür lassen wir aber auch jedem das Seine, und be-
gehren so gar nicht einmal das gute Herz des Hrn. Herbart in Bremen, dem Sie
selbst alle Gerechtigkeit wiederfahren lassen würden, hätte er Sie, wie mich heute
per Post an den bekannten Spruch erinnert:
Hat man als Dummkopf Dich erprobt
So wird Dein [gutes Herz gelobt].
Nach Ostern wird's erträglicher bey uns werden. Am letzten Tage predigt
hier der Cand. Bonus, den Sie vielleicht dem Namen nach kennen. Wo nicht, so
präsentire ich denselben als Ihren Antecessor bey meinem Sohn. Vor den Universi-
täts Jahren war dieser ihm Mentor und Ideal — doch, was schmiere ich da alles
zusammen! ich wollte ja nur ein paar Worte sagen. Verzeihen Sie die Geschwätzig-
keit. Ihrer Freundin Herbart.
Eine Empfel. von meinem Mann darf ich nicht vergessen er freuet sich sehr
auf das Vergnügen Sie kennen zu lernen und hofft Sie werdens recht lange bey
uns aushalten können.
Adresse: An den Herrn Smidt in Bremen.
frey Abzugeben im Hause d. Hrn. Doktor Smidt bey Steffani Kirche.
10. Herbarts Mutter an Smidt.1) Mittwoch am 30ten März [1796J.
Übermorgen, am Freytage sehn wir Sie, lieber Freund, wenn ich entscheiden
soll. Höchst willkommen wären Sie uns auch heute gewesen, und nur das unfreund-
liche Wetter, das uns alle, und mich sogar mit verhülltem Kopfe gefangen hält —
kann mich darüber trösten, daß Sie diesen guten Vorsatz nicht ausgeführt haben.
Ein schlimmes Zeichen ists immer daß Sie es nicht mit einander reimen konnten,
heute und die kommende Woche in Oldenbg. zu seyn. Zum Unglück erinnere ich
mich der Thorheiten nicht mehr die ich neulich Ihnen oder unserm Freunde gesagt
haben kann; damit wir uns aber nicht wieder mißverstehen, so sage ich Ihnen heute
im völligen Ernste — Ich weiß aus Erfahrung, wie lästig die Gesellschaft selbst
guter Menschen, wie peinigend ihre zu große Höflichkeit manchmal werden kann
— ich werde das auch bey Ihnen nicht vergessen; wenn indeß Sie selbst fänden,
Sie könnten bey uns ziemlich wie zu Hause seyn; kleine Touren aufs Land oder
Besuche bey unsern Bekannten (Canzleyrat Halem z. E.) wären Ihnen angenehm;
mich und vielweniger noch meinen Mann genirten Sie in keinem Stücke; wol aber
') 2 S. 4°.
April 1796. jg
wäre jeder Tag den Sie mir schenkten neue Wohlthat für mich — dann dürfte ich
doch wünschen daß Ihre Geschäfte Sie in den ersten 14 Tagen nicht nach Bremen
zurück riefen? Vors erste wünsche ich nur besseres Wetter und daß Sie der ganzen
Reise nicht schon übersatt seyn mögen. Könnte mein Mann sich ein Stück Amts-
arbeit und ich mir einen geschwollenen Kopf für den Freytag vom Halse schaffen,
so kommen wir Ihnen bis Falkenburg entgegen, sonst muß ich mich dabey be-
ruhigen daß Sie an dem Jüngern Woltmann wenigstens gute Gesellschaft auf der
Post haben werden, wenn es anders wahr ist daß' er mit Hedden von Jena am
Freytage hier seyn soll.
Vetter Meiners der mit seinen Cousinen hier jetzt allein hauset, und mein
Mann empfehlen sich. Meen sehn Sie wohl nicht mehr, sonst bäte ich ihm zu sagen :
daß die Nachricht von seiner Zufriedenheit uns allen wahre Freude gemacht habe;
er verdient daß es ihm wol gehe. Da ist Meiners, also nur noch meinen Dank für
die Erlaubnis welche Sie mir gegeben haben, noch heute mit Ihnen zu schwatzen,
denn im Ernste bedurfte es doch keiner Versicherung daß Sie seit Weihnachten
nicht mehr ungelegen kommen konnten Ihrer ergebenen Herbart.
Adresse: An den Herrn Smidt in Bremen.
frey Abzugeben im Hause d. Hrn. Doktor Smidt bey Steffani Kirche.
11. Lantsch an Smidt. Jena 1. April 1796.
Hedden wollte auch das Nat. Rt. hören konnte aber nicht pränum.
[zahlen]. Herbart sagt es Fichte, u. bittet daß er Hedden Zeit ließ bis er Geld
erhielt, natürl. willigt F. gleich ein. — —
12. Smidt an seine Schwester. Oldenburg d. 6. Apr. 96.
Und die Nacht vom Montag auf den Dienstag habe ich — ja was
meynst du wohl? — ganz und gar durchtanzt — Der schönen Annette Geburtstag
wurde hier im Hause durch einen Ball gefeyert wo die Blüthe der Oldenburgischen
Jungfrauen u. Junggesellen etwa 30 — 40 an der Zahl gegenwärtig war. — Ich wollte
nicht tanzen, aber die Justizräthin bat auch so dringend mit ihr doch wenigstens
den ersten Tanz zu versuchen, daß ichs nicht abschlagen konnte. Ich tanzte zwar
nicht schön aber — so bleibe ich bis Anfang künftiger Woche. Die Herbart
will mich dann Montag od. Dienstag bis Falkenburg, den helften Weg hinbringen
— — — diesen Mittag mache ich wahrscheinlich mit Msll. Schröder einen Spazier-
gang aufs Land. — —
13. Herbarts Vater an Smidt.1) Oldenburg d. 19. Apr. 1796.
Liebster Freund! Gönnen Sie mir immer das Vergnügen, Sie so nennen zu
dürfen. Ein so würdiger Freund meines Sohns muß auch der meinige seyn. —
Unsere besten Wünsche hatten Sie am Tage Ihrer Abreise bis in Ihre Heimat
begleitet, und desto angenehmer war uns die Nachricht von Ihrer glücklichen Ueber-
kunft. Gerade auf 9 Uhr hatten wir diese berechnet.
Aber jeden Dank müßen wir zurückgeben. Das wenige Gute so Sie etwa bey
uns genoßen, hebt sich gegen das Vergnügen welches Ihr Besuch uns gewährte.
Daß dieser gerade in eine Zeit fallen mußte, da uns die Ihnen bekannten Unruhen
bevorstanden, dies war uns unangenehm; insbesondere habe ich es bedauert, daß
meine Geschäfte mich oft nöthigten, mich von Ihnen zu entfernen. Unter andern
x) 2 S. 40.
2 0 April 1796.
Umständen hätten wir nie zugegeben, daß Sie Ihren Besuch so bald abgebrochen
hätten. Kommen wir einst wieder zur Ruhe und zu einer ordentlichen häuslichen
Einrichtung, so werden wir zu erfahren suchen, ob es mit der Versicherung, daß
Ihnen Oldenburg etwas lieb sey, wirklich Ernst gewesen, und Sie dieselbe durch die
That zu bestätigen geneigt seyn werden. Meine Frau trägt mir viel Grüße auf.
Der H. E. R. v. Halem empfiehlt sich mit mir Ihrem freundschaftlichen Andenken.
Herbart.
14. E. Berger an Stilidt. Rudolstadt 28. April 1796.
"Wir sind also unterwegs in die Schweitz, ich und Hegekorn, und haben hier
einen halben Tag lang in dicke Regenwolken und Regengüsse mit traurigen Gesichtern
hineingesehen. Herbart, Floret und Gries aus Hamburg den du auch durch unsere
Freunde kennen wirst — sind mit uns; alle haben wir aber einigermaßen die schwarze
Farbe der Luft angenommen, nur Herbart nicht, der Hegekorn einen Fehdebrief so
eben aufgesetzt hat über den ersten Grundsatz — Eben fällt aber ein Sonnenstrahl
durch die Wolken — — Noch heute Nachmittag gehts nach Schwarzburg, wo in
der Erinnerung geiveihtem Heim viele Stunden wir schivelgen, — Dir und mir und
so vielen der Unsrigen. [Anspielung auf ein Liebesverhältnis von ßärnhoff.]
15. Herbarts Mutter an Smidt.1) Sonntag Abend am 8ten May 96.
Mein lieber unartiger Freund, Billig sollte ich Ihnen gar nicht antworten, da
Ihnen ein paar Zeilen so gar keine Mühe machen und Sie mich doch einen ganzen
langen Monat vergessen konnten. Auch war es ernstlicher mit Annette reichlich
überlegter Entschluß, wir wollten bis zu unserer Ankunft in Bremen darüber
schmollen: daß Sie, ohne Sich um uns zu bekümmern, es an den [andern Enden
der Stadt, beym Stannthore an Gethern und beym Dammthore an meinen Mann
hatten wissen lassen, Sie wären wohl, und von Ihrer kleinen Reise nicht übel zu-
frieden. Im ersten Ingrimme thaten wir sogar das Gelübde auch nicht weiter von
Ihnen zu reden; das war denn freylich zu stark, es ward schon am ersten Abend
und nachher tagtäglich gebrochen; wir begnügten uns also damit Ihnen zu zeigen
daß wir doch stockstille schweigen könnten bis ich heute leider! an mir selbst eine
traurige Erfahrung machte.
Mein ungezogener Sohn (mit dem Sie beyläufig gesagt nicht soviel Nachsicht
und Geduld haben sollten) hat mir kürzlich vielmal hinter einander das Zeugnis ge-
geben, daß -- ich gar keinen Willen habe, und mir also nichts vornehmen sollte.
Ich wundere mich über die Impertinenz, glaube wie natürlich, kein Wort davon,
und erschrack nicht wenig als heute beym ersten Anblick Ihres Siegels meine ernsten
Entschließungen wider Sie, wie Butter vor der Sonne da standen. Was mich noch
etwas tröstet, ist, daß mein Schooskind doch wenigstens nicht gescheuter war. Sie,
in deren Kopfe seit Ihrem Frag- u. Antwortspiel eine seltsame Revolution vorge-
gegangen ist — schrie Ihren Namen auf die uns bekannte Art zur Gossenthüre
heraus und griff in Gegenwart eines fremden Hn. nach Ihrem Briefe, um sich schnell
zu überzeugen, daß Sie doch endlich auch ihrer Sich erinnert hätten. [2J
Wäre ich nicht diesen Mittag bey meinem Mann oder vielmehr bey seiner
Hauswirthin zu Gaste gewesen, so hätten Sie es schon mit der heutigen Post er-
fahren, wie viel Sie von meiner einstmaligen Ungnade zu fürchten haben könnten.
Nim müssen Sie ein paar Seiten mehr lesen, denn die Post geht erst Mittwochen
und so kann ich mich unmöglich kurz fassen.
') 5 S. 1".
Mai 1796. 2 1
"Wenig Stunden nach Ihrer Abreise kam der Dr. Gr. um Sie und uns zu be-
suchen. Eben nahm ich mich so gut es gehen wollte, zusammen, um vor einer sehr
unangenehmen Gesellschaft gehörig erscheinen zu können, er hatte auch zu thun,
daher kam er dasmal damit loß, daß er den Abend par force mit uns essen müßte,
weil er 24 Stunden früher wegen seiner Reisekleidung etc. etc. nicht hatte er-
scheinen ivollen. Meine Mädgen, Melle Cochet sogar, ermangelten nicht sich unge-
beten auch einzustellen; man zweifelte nicht ein junger Herr den Hn. Smidt seines
nähern Umgangs werth gefunden, müsse etwas scharmantes seyn, aber — man war
verwöhnt man gähnte, schlief bald gar ein und sagte mir leise ins Ohr: den, .tonne
ich nur für mich allein behalten.
An den folgenden 2 Tagen hatte ich mit Besuchen und der neuen Einrichtung
meines Mannes zu viel zu thun, als daß ich den leisen Wunsch nach Ihrer Gesell-
schaft noch hätte aufkommen lassen dürfen. Gleich beym Anfange der Auktion
verließ mich mein Mann. Er konnte dies um so eher, da H[erren], Damen und
der Pöbel in mir, ein mir selbst wenigstens bisher ganz unbekanntes Talent zu ent-
decken glaubten, daß nämlich: ich ganz zur Kaufmannsche geboren sey. Vielleicht
kam es daher weil ich den "Werth aller Dinge die mein Mann mir überließ, ziem-
lich genau in meinem Kopfe bestimmt und mein Herz ganz davon los gemacht hatte,
daß alles rasch und ordentlich fort ging und — oft doppelt bezahlt wurde da Andre
vor uns und die Dr Dugend (?) nach uns von ihrem Verkaufen so sehr übel zu-
frieden waren. [3]
Als am Ende das Bette meiner Magd auch fort war mußte diese wiewol mit
großem Geheul hinten nach marschieren. Aach der Gesehen sagte ich ein treu-
herziges Lebewol, allein diese declarirte rund heraus: sie würde nicht weggehen, so
lange ich noch da sey, sie verlange nichts mehr von mir und wolle sehr gern allein
im Stroh schlafen. Erst gestern da weder Brod noch Butter noch Kartoffeln im
Hause waren, ist mirs gelungen sie fortzutreiben ; und seitdem ist nun meine Vorder-
hausthüre geschloßen.
Mittwoch am 11 ten.
Hier mußte ich am Sonntage abbrechen, um zur Gesellschaft zurück zu
kehren. Abend wollte die Kammerräthin Schloifer etwas für mich besorgen, und
hatte dabey das Unglück eine geliehene Tasse zu zerbrechen. Ich erzählte im
Hause, wie untröstlich sie darüber gewesen, wie gern ich diese Schuldenlast von
ihrem Herzen abwälzen möchte. Annette nahm das ins Ohr, und ohne von einer
kleinen tief verborgenen Nebenabsicht etwas zu erwähnen sprang sie die Nacht froh
an meinem Bette herum: Mutter wir fahren nun über Bremen. H. Smidt versteht
sich ja so gut aufs Tassen aussuchen; er ist so gefällig; wenn ich ihn nur sprechen
könnte — sie wissen wol, hingehen darf ich nicht usw. Ob sie ihren Zweck er-
reicht, und dadurch alles was ich geschrieben überflüßig gemacht hat? oder ob sie
über Vegesak nach Hamburg gefahren sind — das wissen wir hier noch nicht, es
sollte erst in Iprump bestimmt werden. So viel ist gewiß, daß die Tasse der Mam-
sell nicht eben am Herzen lag, denn sie hat solche vor Schloifers Hause nicht ge-
fordert, vielleicht auch nicht gebraucht, weil das Wetter gestern auf einmal gut und
das Fuhrwerk in Scharmbeck bestellt war, ich fahre also fort.
„Nichts ist unerträglicher als so ein alter Kram von Besitzthum. Wie läßt
sich bey einem todten Kapital nur irgend eine Freude denken!'1 sagt Werner in
W. Meisters Lehrjahren. Wie leicht, wie froh war ich, [4] als nun gar keine über-
flüßigen Sachen mehr mir Zeit und Freude raubten! Mein Kopf und Magen be-
durften so sehr der Nahrung als meine Füße der Ruhe. Mit 3 Bänden von
Meisters Lehrjahren, Voßens Louise, dem Blüthenalter der Empfindung von der
22 Mai 1796.
Pr[ofessor] Mereau und nicht wenig Mundvorrath, sprang ick beym hellen Tage
ins Bett, streckte mich nach Elerzenslust aus, kam auch nicht eher wieder ordent-
lich auf die Beine und zur menschlichen Gesellschaft zurück, bis alles mit wahrem
Heißhunger verschlungen war.
Nun trat mein H. Sohn auf, und zwar wie ichs Ihnen vorher sagte, sobald
er gewiß war mich allein zu finden. Er meldete, daß Schmedes Ihre und meine
Geschenke richtig abgeliefert und ihn sehr damit erfreuet habe. Aber nach dem
Sprichworte Gut macht Muth usw. wollte er sich nun auch sogleich mit dem Pr.
Fichte u. Frau in den Wagen setzen, um in Leipzig und beym Capellmeister
Reichard in Giebichenstein, von meinen übersandten 100 Rtlr. Gebrauch zu machen;
und ich sollte für meine Güte das Vergnügen haben Ihnen seine allerbesten Dank-
sagungen vorläufig zu hinterbringen. Hierauf folgen eine Menge geheimer Nach-
richten, welche man sich über meine Wenigkeit nach Jena zu schreiben bemüht
hatte. Ich verschone feie mit den schönen Sachen und bemerke nur, daß die am
richtigsten berechneten an den Pr. Woltmann, von diesen an seinen Bruder und so
an meinen Sohn gekommen waren, daß überdem d. H. Buchmacher Woltmann die
Discretion gehabt haben wollte, nicht weiter davon zu erzählen. Darnach folgen
einige nicht übel zusammen gestellte Vorsichtsregeln. Die Bemerkung daß es in
Jena sey wie hier, daß es z. E. nicht ratsam sey, einem Kutscher etwas sehen zu
lassen was nicht in derselben Woche die ganze Stadt wissen dürfe usw.
Ich soll 2 Suppliken abgehen lassen um einen hanöverschen Deserteur der
hier ein Weib genommen hat, und nun krumm geschlossen ist von seinen Chefs
loszubetteln. Was für ein Einfall ! und noch dazu von obrigkeitlichen Persohnen !
ich soll durch glatte Worte und List mehr ausrichten als sie, und unser Herzog
selbst vermochten! Indeß die Dinger waren schon gestern Abend fertig, aber das
ewige hin u. wieder schicken — [5] Da kommt der C. Rath Zedelius mit der ange-
genehmen Nachricht daß der Kerl klüger gewesen ist als die Herrn und Damen und
es diesen Morgen in gewissen Augenblicken gewagt hat der Wache zu entspringen
Ich bin also wieder in Ruhe und könnte Ihnen noch das notwendigste sagen.
Mein Sohn der beiläufig gesagt besser gethan hätte seine guten Lehren von
dem vorhin gesagten zu trennen weil der Vater seit einem Vierteljahre keine Zeile
von ihm gesehen hat — fährt fort: Vor wenig Stunden am 25sten Aprill komme
ich von unserer sehr interessanten Reise zurück. Dir gehört jetzt der erste freye
Augenblick ich muß Dir wenigstens sagen, daß es gleich ist wann ich von hier
abreise, wenn ich mich nur nicht zu lange entfernen muß. Daß Du den Tag be-
stimmen kannst wann ich zu Fuß von hier gehe und in einer benachbarten Stadt
einen bequemen Wagen zu miethen suchen soll, daß ich Dich aber lieber in Wolfen-
büttel als Braunschweig träfe weil ich im letzten Orte zu viel Bekanntschaften habe.
Eine Wohnung für Dich habe ich noch nicht bestimmt. Nahe bey Jena müßte sie
wenigstens seyn, denn Verdacht ist doch auf jeden Fall nicht zu vermeiden. Wer
uns kennt wird eben so gut als Madam Beindorf (der Mann dieser Frau, die uns
6 Jahre beobachtete hatte unsern ganzen Plan dem Pr. W. richtig vorher gesagt)
leicht und sicher berechnen wohin das gegenseitige Gefühl eine gewisse Reise ge-
leiten werde. Indeß bestimmt den Platz aufzufinden das kann verhütet werden usw.
Darnach erzählt er von seinen vielen und großen Verbindlichkeiten gegen Fichte
und dessen Frau, und wie gern er dieselben etwas verkleinern möchte. Sein Freund
Smidt würde vielleicht dazu helfen wenn ich darum bäte (!) Ein Fäßgen recht feinen
Weins mit Haushaiter würde nicht übel seyn usw. Hierauf habe ich geantw ortet,
daß ich mich mit allen seinen Aufträgen nicht befassen würde, daß H. Smidt eben
so wo] als er, nicht die Zeit haben könnte an seine ehemaligen Freunde zu denken usw.
Mai 1796. 23
Endlich schreibt er: Ein paar abgehende Freunde die er nach Schwarzbg. zu
begleiten versprochen habe hindern ihm mehr zu sagen als daß er mich am 24 sten
Mai in Wolfenbüttel erwarten würde, wenn ichs so wollte. Eine niedrige Bauern-
stube ohne Schlafkammer etwas harte Betten würden mich nicht hindern glücklich
zu seyn. denn sehr freundliche Gesichter alles sehr reinlich u. dienstfertig die Gegend
schön das Dorf klein u. abgelegen und nur eine Meile von ihm entfernt sey das
glücklichste was er für uns habe finden können.
Hat man je so was gehört? Bin ich denn wirklich so schwach? ist meine
völlige Dependenz von einem vielleicht noch unbärtigen Knaben denn so bekannt so
ausgemacht gewiß? Sagen Sie mir doch lieber Freund, was soll ich thun, um den
Kopf wieder oben zu kriegen? Thun Sie Ihrer Feder keine Gewalt an, denn ich lese
alles bei verschlossenen Thüren, denn ich bin allein im großen wüsten Hause. Mein
Mann grüßt, er besucht mich tägl. deshalben, hindert mich doch nun Ihnen mehr
zu sagen als daß ich gern fortfahre, so bald Sie es verlangen daß es mir aber lieb
wäre wenn Sie Sichs abgewöhnen könnten mir mein Alter und meine Geburt vorzu-
werfen. So fein und zierlich dies auch das letztemal war, so wissen Sie doch nicht
besser als ich selbst, ob ich wohl oder übel geboren bin, wohl aber sind Sie jetzt
schon überführt daß (etwas Corinthenartiges ausgenommen) nichts verehrungs würdiges
zu finden ist an Ihrer Freundin Herbart.
16. An Smidt.1) Am l6ten May (1796).
Du erhältst hier 2 Briefe lieber Smidt, aber keinen von mir. Ver-
zeih mir das; am nächsten Posttage schreibe ich Dir. Sey so gut den
einliegenden an meine Mutter mit der nächsten Post, die den Brief an
einem Donnerstage oder an einem Montage in Oldenburg bringt, abzusenden
vorher aber selbst noch ein neues Couvert herumzuschlagen. Du thust mir
den größten Gefallen wenn Du dies pünctlich ausrichtest. Daß der andere
Brief von Berger an Dich selbst ist, siehst Du leicht. Für Deine lieben
Briefe u. Geschenke den freundschaftlichsten Dank
von Deinem Herbart.
17. Herbarts Mutter an Smidt.2) Oldenburg d. 20sten Mai 1796.
Lieber Freund. Sie machen es mit mir, wie d. H. Dr. Olbers mit unsern
weiland E. R. Widersprecher. Als dieser voll Vertrauen auf seine Hülfe eine sehr
kostbare und noch beschwerlichere Reise im letzten Monate seines Lebens unter-
nommen und sich nun dem H. Docktor gezeigt hatte; lächelte dieser, wünschte uns
Glück daß wir an Ort und Stelle wären, und ohne noch weiter etwas von uns wissen
zu wollen, schickte er uns mit einem Schächtelchen voll Milchzucker wieder Heim.
Sie — in der Voraussetzung daß alle Kraft zum widerstreben in mir ver-
loschen sey, verlangen das gar nicht zu wissen was ich Ihnen neulich in der Eile
nicht sagen konnte, da mir nicht einmal ein Augenblick zur Beantwortimg Ihres mir
sehr lieben Briefes übrig war. Ihre Höflichkeit und Dienstfertigkeit die sich sogar
noch für einen äußerst undankbaren Menschen verwenden will, erbietet sich nicht
mir eine Tasse von Hn. Stolle zu schicken, weil — ich am 2 4 sten in "W., also in
diesen Tagen in Brem, zu seyn Ordre habe, also den erbetenen guten Rath nicht
mehr benutzen, wol aber eine Tasse selbst kaufen kann. Sie verweisen mich mit
einem mir freylich sehr angenehmen Titel zur Ruhe.
x) Vi Quartblatt. — 2) 2 S. 4°.
24 Juni J796.
Sie sehen, ich thue nicht nach der Vorschrift Ihres Lehrers. Ich zanke mich
nie mit Menschen die mich nicht interessiren, da aber doch die Liebe gezankt seyn
will, so ist das am besten mit der Feder in der Hand. Man hat dann schwarz auf
weiß und wenn man so glücklich ist beysammen zu seyn so ist die Zeit zu gut, zum
schmollen und zum deuteln.
Um meine künftige Wirthin zu beruhigen habe ich der Fr. von Liedelof eine
Tasse gestohlen und der S. dieselbe mit einer gewaltigen Rechnung zugestellt, da
mm mein gewissen nicht sehr enge ist, so könnte das corpus delicti allenfalls eine
Zeitlang in Vergessenheit gerathen.
Warum ich Ihnen dem ohngeachtet das Ding schicke? um Ihnen zu sagen daß
Annette morgen als Sonnabend Abend in S. Hause bei Bremen seyn wird, wenn Sie
etwa Lust haben sollten dieselbe zu sehen. Das arme Ding hat viel Ungemach und
wenig Freude unterwegens empfunden. Schon am Sonntage jammerte sie von
Hamburg her darüber daß sie auch nicht für Geld einen Menschen in Bremen habe
auftreiben können, der meinen Zettel zu Ihnen gebracht hätte. Sie würde Ihnen
mündlich von unserer Reise nach Hamburg und so der Himmel will nach Ratzeburg
Nachricht gegeben haben.
Ich schließe mit dem Wunsche daß ich einst auch ohne es erst deutlich sagen
zu müssen, wirklich seyn möge Ihre Freundin Herbart.
Mein Monsieur hat im entsetzlichsten Wetter so viel ungeheure Berge erklettert
daß er den letzten Brief im heftigsten Fieber fabricirt hat, und noch wahrscheinlich
einen derben Husten u. Schnupfen zum Andenken haben wird. Er wünscht ich
möchte einen Gruß wenigstens an Sie abschicken wollen.
Adr.: Dem Herrn Smidt in Bremen auf Steffanikirchhofe.
frey. hiebey ein Paket in weißen Leinen gem. H. S.
18. Herbarts Mutter an Smidt.1) Montag um Mitternacht.
Eher als in diesem Augenblicke könnt ichs Ihnen nicht sagen mein lieber
Freund, daß ich Sie nicht wieder sehe. Morgen früh um 3 Uhr reiset Schröder
allein nach Bremen. Wir werden über Scharmbeck gerades Weges nach Stade
geschickt, wo wir eingeschifft werden sollen. Am nächsten Freytage bringt uns
mein Mann bis Vegesack, wohin wir auch vor zwey Jahren meinen Sohn geleiteten.
Wenn wir dann dort mit sieben Mädgen zu Mittag essen, so schicke ich Ihnen einen
Seufzer und wünsche daß Sie Ihres fernem Andenkens würdig gefunden haben
möchten Ihre Herbart.
Empfehlen Sie mich doch gelegentl. im Meenschen Hause, recht sehr gern
hätte ich meinen Freund und seine Mutter noch gesprochen.
Adr.: Dem Herrn Smidt in Bremen.
Durch gütige Besorgung abzugeben bey Hrn Docktor Smidt.
W.: ,,Ein Augenblick meines Lebens." S. Bd. I. S. 34 — 35. „Am 4. Juni 1796."
S. Bd. I. S. 36.
19. Lantsch an Smidt. Jena 14.— 20. Juni 1796.
— — Herbart war mit Fichte nach Giebichenstein wo sich Reichard aus
Berlin jetzt ein Gut gekauft hat u. patriarchalisch lebt.
l) 1 S. 4°.
Juni 1796. ^ 25
20. An Smidt.1) Jena am 27 ten Juni 1796.
Endlich, lieber Smidt! — Mich grüßen ein paar freundliche Stunden,
ich will mit ihnen zu Dir kommen. — Doch ich vergeße, daß ich eigent-
lich in armen Sünders Gestalt vor Dir erscheinen sollte, demüthigst bit-
tend, Du mögest den Kopfputz mit dem Du mich neulich begabt hast,
wieder von mir nehmen, und die langen Ohren — nach Belieben ent-
weder für irgend einen andern verwahren, oder sie in die Weser werfen,
wo sie am tiefsten ist. —
Zu jeder andern Zeit hätte ich ein hingeworfenes Wort — für ein
hingeworfenes Wort gehalten; allein es giebt Lagen im menschlichen
Leben, wo man unwillkührlich alles deutet; so sagt mir eine traurige Er-
fahrung. Führt mich doch jetzt der König Lear und Vossens Luise und
Wielands Danischmend und jeder Spaziergang auf denselben Punct hin!
Und hier liegt die Deutung gar nicht so fern. Täuscht mich meine
Vermuthung nicht, so kommen Deine Vorwürfe mehr von meiner Mutter
als von Dir. Sie hat Zutrauen zu Dir gewonnen; sie hat Dir von ihrer
Reise gesagt, das weiß ich aus ihren Briefen. Möchte sie sich so viel
weniger allein in der Welt fühlen, da es einen guten Menschen mehr
giebt, von dem sie es weiß, daß er Theil an ihr nimmt. Ich wünsche
es, ich hoffe es, ich glaube es, sie hat Dir sich ganz anvertraut Dir alles
ausgeschüttet, was sie gegen mich auf dem Herzen hat. Auch ich suche
Erleichterung, meine Bürde drückt mich tief, ich bedarf Rath und War-
nung des Freundes. Wüßte ich, daß das was ich Dir sagen möchte Dir
kein Geheimniß mehr wäre, wie viel hätte ich Dir zu sagen! So darf ich
nicht. Aber wenn Du mir alles was Du weißt erzählen willst, so werde
ich dann wahrscheinlich finden, daß ich darf. Thu das Lieber Freund!
[2] Jetzt nur Eine Frage, die leider aus den finstern Höhlen der
Casuistik ans Tageslicht hervorgekrochen ist. Wenn Dir Freundschaft
angetragen ward, aus der tiefsten Tiefe der Empfindung und mit aller
Förmlichkeit des Buchstabens, wenn Du sie in Dein innerstes Herz auf-
genommen hast, wenn nun plötzlich eines Misverständnisses wegen sich
die Freundschaft in kalten Spott, in Vorwürfe verwandelt die weder
Deinem Character noch Deiner Überlegung noch Deinem Gefühl ein
gutes Haar lassen, wenn Du so zum dritten male ungehört und ungefragt
verdammt wirst nachdem Du in 2 ähnlichen Fällen schon vorher Dir
volles Zutraun wieder erworben hattest — sag mir, darfst Du da, in einem
entscheidenden Augenblicke, der künftige Verhältnisse bestimmen soll, wo
man strenge Aufrichtigkeit fordert, wenn schon sonst aufrichtiger Ernst
glücklich wirkte, darfst Du da die Empfindungen Deines Herzens ver-
hehlen? Ist es nicht Pflicht, Überzeugungen mit Wärme zu äußern von
denen allein Du ein besseres Verhältniß auf die Dauer hoffen kannst?
Darfst Du in die Falten des Gehorsams Dich schmiegen wo es Erhaltung
der Freundschaft gilt? darfst Du dich aller Ansprüche auf einen gewissen
Grad von Achtung entäußern, welche die Freundschaft so nothwendig
fordert? Mußt Du nicht laut Zutrauen verlangen, nicht alle Zeugnisse die
J) 8 S. 40.
2 6 J"ni J796-
für Dich reden geltend zu machen suchen? — Und gesetzt, Du irrtest
hier, wirst Du für die Bitte um Verzeihung wofern Du irrtest, für die
Versicherung daß Du Dich jeder Belehrung offen und empfänglich er-
haltest, daß Du deine Gesinnungen, Dein Zutrauen, Deine Hochachtung
nicht sinken lassest, Dir nicht eine günstige Aufnahme versprechen? —
Wenn Du hier anders denkst; — Lieber Smidt, so beklage die Verir-
rungen Deines Freundes. Beklage Dich selbst, denn Deine Hände waren
das Werkzeug, welches das erste unglückliche Blatt übergab. Aber wie
Du auch denkst, beklage mich, denn meine Mutter scheint anders zu
denken; sonst hätte sie gewiß schon geantwortet. [3] Laß mich auf eine
frohere Aussicht hinblicken.
Du hast neulich einen Brief von Berger von mir erhalten. Du fragst,
was für eine Veränderung mit ihm vorgegangen sey? — Sagt dies der
Brief nicht? Weisst Du nicht zu deuten, nicht zu ahnden? Die Hülle des
Jakobinismus ist gefallen; er hat gefunden, wie er sagte, „dass die Mensch-
heit noch Zeit habe", die Freundschaft mit Möller ist seit Michaelis völlig
vorbey; dagegen schloss er sich damals an Hülsen an, einen edeln treff-
lichen Menschen, Bergers ganz würdig, und nichts weniger als das pfaffen-
mässige Wesen, wofür wir ihn anfangs beynahe hielten. Eine Reise nach
Weimar, wo wir uns trafen — Berger, Hülsen, Rist, Gries, und ich, -—
wo Hamlet über aller Erwartung gut gespielt ward, wo wir beym Cham-
pagner die Würde der Frauen lasen, machte uns einander bekannt. Seit-
dem sind wir 5 oft von 1 Uhr Nachmittags bis 12 Uhr Nachts ununter-
brochen zusammen gewesen; haben zusammen gelesen, geschwärmt, ge-
sungen, philosophirt, disputirt, und sind besonders nie müde geworden,
über die Namen Smidt, Bärnhof, Breuning, zu commentiren, der alten
Zeiten zu gedenken, und eine noch schönere Zukunft zu träumen. Un-
endlich viel war mir das Vierteljahr! Gleicher Enthusiasmus für Philo-
sophie und schöne Künste fesselte uns, alle äussern Verhältnisse be-
günstigten unsern Umgang. Besonders an Bergers hellloderndem Feuer
habe ich mich gewärmt, an seinem Scharfsinn und seinem nie ablassenden
Forschungsgeiste mich geübt, aber über alles an seiner kindlichen Unschuld
— anders weiss ich seine Charaktergüte nicht zu nennen — mich gefreut,
und mehrmals mich beschämt gefühlt. — Du kennst ihn nur halb, lieber
Smidt. Er und ich und Floret wünschen so sehr, Du möchtest ihn
kennen! — Gries und Rist kennst Du gar nicht. Den letztern macht
[4] mir seine Lebhaftigkeit, seine leichte Phantasie, sein feines zartes Ge-
fühl, sein schnell eindringender Geist, der sich mit mir an der Wissensch.
L[ehre] u. der Critik d. V.[ernunft] übte, sehr schätzbar. Hättest Du
seine Reisebeschreibung — denn leider musste er nach Kiel fortreisen —
hättest Du die lebendigen geistvollen Schilderungen gelesen, die seine
sonst ganz alltägliche Reise uns so äusserst interessant machten, hättest
Du vollends die 6 Bogen gelesen, in denen Berger uns neulich seine
Wanderung beschrieb ! Nun, Du wirst schon beyde hoffentlich noch einmal
selbst im Geiste und in der Wahrheit erkennen und von ihnen im Geiste
und in der Wahrheit erkannt werden. — Gries ist der einzige den ich
noch hier habe. Hamburgische Geschliffenheit wohnt bey einem sehr
gefühlvollen Herzen, ausserordentliche Belesenheit in der schönen Lite-
Juni 1796. 2 J
ratur, und das ihm allgemein zugestandene treffende Urtheil über das
Schöne in der Poesie und Musik, blendet sein Urtheil über sich selbst
so wenig, dass er sich oft selbst über das was ihm noch fehlt unrecht
thut — u. fehlen muss ihm denn freylich wol manches, da er bis in sein
20stes Jahr sich mit der Handlung beschäftigte. Nachmittags bringe ich
gewöhnlich eine Stunde mit philosophischen Studien gemeinschaftlich mit
ihm zu — Fichte's Collegien hatten ihn sehr bald angezogen; nur wünschte
ich, dass er erst mit mehr Selbstthätigkeit und dauerndem Eifer die Philo-
sophie ergriffe. —
Wie man so herumgeführt werden kann von der unwillkürlichen
Gedankenfolge! Mein Blatt ist voll, und noch habe ich Dir nicht gedankt,
lieber Smidt, für Deine lieben Briefe und Deine Geschenke. Mein Dank
kommt spät zu Dir, — wie ich Dir so manches im Gedanken erzähle
und mit Dir überlege und fühle, was meine Feder und meine Augen —
das ist das radicale Böse — Dir spät oder nie mittheilen. Aber es ist
der Dank eines freundschaftlichen Herzens. [5]
Das Herz musst Du kennen, mein Theuerer, musst es besser kennen
wie meine Mutter. Du weisst ja leider überdies, wie äusserst selten bey
kranken Augen sich eine freye Stunde mit einer günstigen Stimmung —
und mit der Willigkeit und Brauchbarkeit des Organs zusammen findet,
zudem wenn man wie ich, an so viele Freunde und Bekannte Schulden
hat, und dann durch das Gedränge speculativer Zweifel so selten frey
genug hindurch gehen kann, um einen Platz zu finden, wo es gelingt sich
selbst in seinem Schwanken und Weben zu fixiren und sich schriftlich
einem Andern darzustellen. —
Aus Deiner schönen Tasse geniesse ich täglich mein Morgenbrod;
Du weisst wie viel besser es mir schmecken muss, wenn Du Dich noch
erinnerst, wie sehr ich an solchen kleinen Niedlichkeiten hänge, besonders
wenn sie von Freunden kommen. — Vorzüglich haben mich die poetischen
Zeilen gefreut, welche sie begleiteten. Wenn alle Kinder Deiner Laune
so artig sind, warum willst Du sie nicht von mir und Floret und Gries
und Böhlendorf und Reimers streicheln und liebkosen lassen? Von allen
4 letztern, würdest Du manche artige Sachen dafür wieder erhalten können.
Vielleicht sogar von mir. Nur mag ich mir hier nicht gern durch irgend
einen bestimmten Vorsatz Zwang anthun. —
Willst Du ein paar Zeilen haben, die ich neulich hinwarf, da ich
allein von Weimar zurückging? Ich will sie abschreiben und beylegen. *)
Sie machen nicht die geringsten Ansprüche und sollen Dir weiter nichts
bedeuten, als dass ich mich wohl gern zur schönen Kunst erheben möchte,
wenn ich nur könnte, und dass ich mich wenigstens des Reichthums meines
Freundes werde freuen können. —
Am isten Juli. — Es wird Dir einerley seyn. Lieber, ob Du das
vorige Blatt noch Einen Posttag früher oder später erhältst; ich habe es
also bis heute liegen lassen, weil ich doch manches noch hinzufügen
möchte. [6]
*) Abgedruckt Bd. I dieser Ausgabe S. 36 unter der Überschrift: „Am 4ten Juni."
28 Juli 1796.
Vor allen Dingen die Frage: Womit beschäftigst Du Dich jetzt? Wie
lebst Du? Studirst Du, oder predigst, oder philosophirst, oder dichtest,
oder kosest Du mit Frauenzimmern, und siehst mit Wohlgefallen der
Liebe zu, wie sie Dich eben ganz heimlich beschleichen will? — Wenn
Du doch davon ein recht langes und breites erzählen wolltest! Es ist
nichts unangenehmer, als wenn man sich in die Lage des Freundes gar
nicht hineindenken kann. Mit fühlen und mit denken, in alle Situationen
einander begleiten, auf die mannichfaltigen, wunderbar verschlungenen
Pfade des Lebens einander aufmerksam machen, das ist es ja doch, was
der Freundschaft ihren Werth giebt. Was Du in dieser Hinsicht für mich
gethan hast, danke ich Dir sehr; und hoffe, dass Du die grossen Lücken,
die Du noch übrig gelassen, bald ausfüllen wirst. Zu dem Ende, —
damit Dir Deine Augen nicht denselben Querstrich machen, den sie mir
nun schon so tief eingegraben haben, dass er sich schwerlich wieder aus-
wischen lassen wird, — wirst Du es dienlich finden, die Augen täglich
mehreremale ganze 10 Minuten lang in einem weiten Glase mit Wasser
zu baden, und sie sorgfältig vorher, ehe Du sie wieder öffnest, im Tuche
zu trocknen, damit keine hängen gebliebenen Tropfen hineinlaufen, und
den Staub von den Wimpern mit hineinführen. Mir hilft dies noch
immer am meisten. Auf die kleinen Handgriffe kommt aber alles an. —
Bewährt sich Dir mein Rath, so erwarte ich zum Beweise einen langen
Brief von Dir. Du kannst unmöglich mit mir gleiche Rechnung halten
wollen. Ich werde genug zu thun haben, und noch viel, viel lesen und
schreiben müssen, wenn ich mir irgend ein mir leidliches Verhältniss in
der Welt sichern will. Besonders bin ich für diesen Sommer stark be-
schäftigt, endlich mit der Wissenschaftslehre aufs reine zu kommen, d. h.
— im Vertrauen gesagt — mir selbst eine zu machen, denn, ob ich
gleich ohne Fichte zu gar nichts gekommen seyn würde, so kann ich doch
von seinem Buche, so wie es bis jetzt da ist, eigentlich nicht eine einzige
Seite als reinen Gewinn für die Wahrheit ansehn. Dass ich das einem
Freunde wol ohne Unbescheidenheit [7] ins Ohr sagen darf, davon ist wol
der beste Beweis der, dass F. selbst längst laut gesagt hat, er wolle
nächsten Winter — denn diesen Sommer ist das Collegium nicht zu Stande
gekommen — die Wssl. nach einem neuen Manuscripte lesen. Um so
mehr will ich jetst erst selbst mein Heil versuchen. —
,,Da sieht mans recht, wie der Mensch sich mit Gewalt in seiner
Einseitigkeit bevestigen will. Immer und ewig die Wssl! Diese Aristo-
kratie wird nie ein freyeres Spiel der Phantasie, nie die Gefühle der
vollen, ganzen, wahren menschlichen Natur neben sich dulden."
Ob Du wol wirklich jetzt so denkst, lieber Smidt. Ich sollt' es fast
glauben. Denn das böse 40 ste Jahr und meine Inhumanitäten gegen A. S.
veranlassen Dich zu gewaltig furchtbaren Prophezeihungen. Du fragst
sogar, ob ich Schillers Würde der Frauen kenne und schätze. Aber, mein
Bester, 40 ist eine runde Zahl, — A. S. ist mir wirklich als ein äusserst
gutes und lebhaftes Mädchen, und als die Gespielin meiner Jugend sehr
lieb, sie hatte aber gerade in der Zeit da ich sie zuletzt kannte die fatale
Periode des Übergangs vom Kinde zur Mamsell, affectirte nun bald das
eine bald das andre, dadurch konnte sie mich nun eben nicht anziehn,
Juli 1796. 29
zudem da ich viel mehr von ihr erwartet hatte, — meine Mutter schrieb
mir, dass sich ihr Äusseres jetzt mehr gebildet habe — warum ich ihr
nicht geantwortet habe? — ja da weiss ich mir freylich nicht wol zu
helfen; nächstens sollst Du mein Fürsprecher werden. — Die Würde der
Frauen ist mir gerade das liebste im ganzen trefflichen Allmanach. Ich
habe sie neu componirt, denn die Melodie von Reichardt gefällt mir gar
nicht. Die meinige steht Dir zu Dienste, wenn Du eine hübsche Kehle
und 10 zarte Finger weisst um sie zu spielen und zu singen. — Übrigens
lasse ich meine Natur schalten und walten, ich werde [8] ihr keine
Empfindung verargen, aber sie auch zu keiner zu reizen suchen — —
Da schlägts 10 Uhr, nun muss ich schliessen. Also nur noch
schnell: Die Fichten wird bald niederkommen — — unsre Gesellschaft
erwartet mit Sehnsucht Deinen Aufsatz — sie hat 4 neue Mitglieder auf-
genommen, unter denen besonders 2 Schweizer viel versprechen — die
letzteren hoffen, Bärnhof noch eine Stelle in d. Schweiz verschaffen zu
können u. haben heute Abend darum geschrieben. Es sind sehr gefällige
Leute; sie werden alles thun was sie können. Breuning ist von Wien
nach Bonn gereist. Ich habe noch so manches zu sagen, aber ich muss
siegeln. Ganz der Deinige Herbart.
21. Joh. Rud. Steck an seine Mutter in Bern.1) Jena, 8. Juli 1796.
Bericht über seine und Fischers Aufnahme in die Gesellschaft „der freien
Männer". (Gestern Abend zum 1. Mal beigewohnt.)
22. An Smidt2) Am 29 sten Juli. 3)
Lieber Smidt. Heute nur ein paar eilige Worte in der Hoffnung
daß Du neulich meine lange Epistel erhalten hast. Haushalter wird noch
dort seyn; solltest Du ihm nicht ein paar Fässer Wein eins für mich und
ein andres das ich Fichten schicken möchte, mitgeben können? Den letz-
teren Wein wirst Du selbst am besten wählen können. Du weißt besser
wie ich was er gern hat. Für 2 oder 3 Louisd'or dächte ich wäre genug.
Für mich besorgst Du nur eine mäßige Portion guten nicht eben vorzüg-
lichen Franzwein. Das Geld wird Dir Schröder etwa in 14 Tagen
wieder bezahlen. Wenn Du es jetzt auslegen könntest und wolltest, u.
überhaupt die Besorgung übernehmen willst, so sage ich Dir dafür im
voraus meinen besten Dank. Verzeih nur meine Eile und behalte lieb
Deinen Herbart.
x) Diese Notizen der Schweizer Freunde Herbarts und die Briefe Herbarts an
R. Steck in Bern hat mir Herr Prof. Dr. R. Steck in Bern gütigst zur Verfügung
gestellt. Über die Schweizer Steck, Fischer, Zehender vgl.: „Der Philosoph Herbart
in Bern." Von Prof. R. Steck. (Neues Berner Taschenbuch auf das Jahr 1900.
Bern 1899, S. 1—52; vgl. auch dass. aufs Jahr 1898, S. 3—5); Johann Rudolf
Fischer von Bern u. seine Beziehungen zu Pestalozzi von Prof. Dr. R. Steck (Bern
1907, Heft 2 des Archivs für Schweizerische Schulgeschichte, hersg. von Schneider);
111g. Deutsche Biographie 35. Bd. S. 540 f., Art. „Steck" von R. Steck.
2) 1 S. 40.
3) Ohne Jahr. Da Fichtes Sohn am 18. Juli 1796 geboren ist, ist der Brief
1796 geschrieben.
30 Juli 1796.
NS. Fichte ist Vater geworden, er hat einen Sohn und ist sehr
froh darüber.
Adresse: An Herrn Smidt Cand. der Theologie in Bremen.
frey. Abzugeben bey Hrn. Pastor Smidt an St. Stephanikirche.
23. An Smidt.1) Sonnabend Mittag beym Essen. Jena am 30 sten Juli 1796.
Lieber Smidt! Über meine gestrige Eile habe ich nun doch die
Hälfte vergessen; heute will ich mir etwas mehr Zeit nehmen, und da
kann ich denn noch etwas mehr als das allernothwendigste sagen. Zuerst
also — die Klagen, welche die ersten beyden Seiten meines neulichen
Briefes füllten, sind verhallt; der Himmel ist wieder heiter — Sie ist
hier\ — Ich hatte zu viel aus ihrem Stillschweigen geschlossen, meine
Furcht war der Hauptsache nach völlig unbegründet. Urtheile von meiner
Freude, da zwey Briefe, von denen der eine wer weiß wo herumgelaufen
seyn mochte, auf einmal ankamen und mir durch die angenehmste Über-
raschung das Räthsel lösten; da ich nun vollends den Tag darauf
m.[eine] M.[utter] selbst in die Arme schließen konnte! — — Nun weißt
Du mein Geheimniß. Es ist aber ein Geheimniß und Du wirst uns den
Gefallen thun; es ganz völlig so zu behandeln, da es unter keiner Be-
dingung nöthig seyn kann, daß irgend jemand etwas davon erfahre. —
Nun aber schnell die Hauptsache. M.[eine] M.[utter] hatte gestern
das einliegende Billet einschließen wollen, und mich zu dem Ende hier
/: ist zu sagen auf dem schwarzen Bären No. 4:/ erwartet; statt dessen
hatte ich mein Blatt von Hause auf die Post geschickt; das ist die Ver-
anlassung, daß ich es heute darauf wage, Deine Gefälligkeit noch durch 2
kleine Bitten in Anspruch zu nehmen, erstlich den einliegenden Brief zur Post
zu besorgen, und dann, einen Sack, der mit Dir und M.[einer] M.[utter]
nach Bremen gereist seyn soll [2] gelegentlich in des Kaufmann Kirch-
hofs Hause, grade dem Stockischen Wirthshause gegenüber, bey meinem
Vetter nachzufragen, der dort in Condition ist; denn dieser hat den Sack
in Verwahrung genommen. Ich wünschte sehr daß Haushalter denselben
noch mit bringen könnte. Sollten meine Bitten Dir aber beschwerlich
seyn, so wasche ich meine Hände in Unschuld, denn sie kommen alle
von einer Dame, und die Damen, weißt Du wohl, sind denn manchmal
etwas unbescheiden. — *)
Noch ein Wort von unsrer Gesellschaft. Rist und Koppen haben
schon Aufsätze geschickt, Spiegel und Hörn versprechen nächstens das
*) Auf der andern Seite finden sich, unzweifelhaft von Herbarts Mutter, die fol-
genden Zeilen: (Der Brief ist sehr verblichen und sehr unleserlich geschrieben.)
— — ja hier ists hohe Zeit daß ich dem jungen Herrn die Feder wegnehme —
hat man je so etwas gesehn! Der Mensch von dem sonst keine Zeile zu bekommen
war, steht jetzt von der Suppe auf, schreibt mir mein Papier voll, um Sie von meiner
Unbescheidenheit zu unterhalten. — Was für ganz andere Universitäts Nachrichten hätte
ich Ihnen dagegen mittheilen können! z. E. daß wir hier täglich die franz[osen] erwarten,
(und daß ich fast Lust habe mit Ihnen nach Böhmen zu gehen) — daß die Hrn.
Studenten sich wieder häufig duelliren, dem ungeachtet aber nicht ermangeln mir jeden Abend
ein recht artiges Ständchen zu br[ingenj. Gestern Abend hörte ich: ,.et sequam bonum
x) 4 S. 40. Ziller teilt aus diesem Briefe nur einige Sätze mit.
Juli 1790. 3!
gleiche zu thun, sollen wir nicht bald auch etwas von Dir haben? Du
weißt wohl, daß unsre Expeditionen, die doch bald geschehn müssen,
keine kleine Arbeit sind, und daß wir dazu eigentlich erst alles was wir
erwarten dürfen, zusammen haben müssen. —
Unter unsern neusten Mitgliedern sind für mich Steck, Fischer und
Meyer, /: jene beyde aus der Schweiz, dieser aus Hollstein :/ die inter-
essantesten. Diese 3 sind im Grunde außer mir wohl auch die einzigen
die mit Eifer Philosophie studieren. Floret, Gries und Böhlendorf hören
zwar bey Fichten, ich zweifle aber, ob sie hier so glücklich sind, wie im
Gebiete des Schönen. Meine Philosophie, oder vielmehr mein Philosophiren
geht mehr und mehr einen eignen Gang; besonders sind mir gegen Fichte's
Lehre von der Freyheit sehr große Zweifel aufgestiegen. Ob Du noch
philosophirst, oder ob Du ein so arges Weltkind geworden bist dass Du
daran nicht mehr denkst, das möchte ich gern wissen. Ich möchte Dir
wohl gern dies u. jenes, was ich nächstens ausarbeiten werde zur Prüfung
zuschicken, wenn ich eine Prüfung hoffen könnte. — Auch möchte ich
besonders gern ein ausführlicheres Urtheil über Schelling [3] den Du aus
seinen Briefen in Niethammers Journal noch bestimmter kennen lernen
wirst, und über Hülsens Prüfung der Preisfrage d. Berl. Ak. über die
Progressen der Metaph. s.[eit] L.[eibniz] u. W.[olf] worin der Schellingia-
und der Wächter accom[pag]nirte „daß uns hinfort nicht schade, des bösen Feindes
List" Mein H. Bruder / wie er in diesen Gegenden heißt / kennt alle die schönen
Sachen nicht so wie ich. Neulich sang der Wächter „Ein Tag ist wieder hin, von
meinem Leben ab. Ich bin nun einen Schritt, schon näher an das Grab. Dazu die
Studenten „bis man die Finger darnach leckt, so hats uns allen recht wohlgeschmeckt.u
Nun stellen Sie Sich vor — er wußte den Anfang nicht von dem was er hörte. Als
heut vor 8 Tagen die Westphälinger hier im Hause ihr Kränzchen hatten und wir
beyden gerade über sie, ganz traulich auf dem Sopha beym Mondschein saßen, da schlug
er bey ihrem Gesänge die Hände über den Kopf zusammen und rief: H. Jesus wie ist
es möglich. Ich für mein Theil konnte so etwas schon seit 20 Jahren mitmachen, und
wenn ich hier des Abends im blauem Mantel u. rundem Hut in der Stadt herum gehe,
so bin ich ein Student so gut als einer. Nie hätte ich geglaubt daß man hier in J. so
lange ä son aise dabey so incognito leben könnte. Noch glaubt man mich in Ratze-
burg und daher bitte ich Sie die Einlage auf die Post zu geben, und das Geld für den
Wein von G. Schröders Hause hohlen zu lassen. Hätte L — der [Loder] nur etwas an
der fatalen Backengeschichte gebessert, wäre auch nur Hoffnung dazu — (könnte der
alte Hufeland mir an meiner ziemlich abgenuzten Maschine noch so viel repariren daß
ich sie ein paar Jahre ungeflickt lassen könnte — so wüßte ich nicht wer seines Lebens
mehr froh werden könnte, als ich hier mitten unter den Burschen). Als eine anonyme
Bekanntin von Ihnen habe ich von Hn. Hfufeland] einige Besuche erhalten. Er will
uns beyde auf Reisen schicken, ich soll nach dem Carlsbade, und Sie — nicht nach der
Schweitz. Er grüßt Sie, Gethern u. Gröninger als seine lieben Freunde. Sie sehen
wol wem ichs zu danken habe daß er gegen mich so sehr artig ist. Da er von mir
gar nichts weiß als daß ich einen sehr gebrechlichen und vernachlässigten Körper habe.
Ferner ists Ihr Werk daß gestern Abend von hier aus, eine Zeichnung der Burg Löbeda
mit der umliegenden Gegend u. einem Baume worin gewisser Mädgen Namen geschnitten,
nebst einigen Verschen — ferner eine Composition zu Schillers Würde der Frauen und
ein einst ganz verunglücktes Brieflein dabey, an 2 Schwestern wirklich abgesandt worden.
Sehn Sie, was Sie alles vermögen ! Wären Sie nur hier bey uns, so führte ich Sie noch
diesen Abend zu Ihrer schönen Linde in Uhlstädt an der Saale, wo ich mir einen
steinernen Sitz gemacht, und oft an Sie gedacht habe. Ein recht hübscher bequemer
Wagen den ich mir wohleingedenk unserer Delmenhorster Geschichte, in Hamburg
kaufte, steht angespannt und wird sogleich dahin bringen Ihre beyden Ihnen ganz er-
gebenen H — rts.
? 2 August 1796.
nismus ebenfalls sein Wesen treibt, von Dir hören. — Den Schluß muss
ich einer andern Hand überlassen, die Dir lieber seyn wird als die Deines
unveränderlichen Freundes F. Herbart.
Adr.: An Herrn Candidat Smidt in Bremen,
frey.
24. An Langreuter in Eutin. (Bruchstück.) *) Aus Jena.
— Meine Mutter ist sehr oft des Morgens bei dem freidenkendsten
Professor (Fichte) und Nachmittags bei der Gräfin Kameken geb. Lynar,
der eifrigsten Aristokratin und künftigen Herrnhuterin. Eine von unsern
Professorinnen, die Hofr. G., fegt selbst die Strasse; eine andere die Mad.
Mereau, macht Gedichte für den Schiller'schen Musenalmanach und studirt
Kant und Fichte. Während sich der letztere in seinem angefüllten Audi-
torium in den tiefsinnigsten Speculationen der Wissenschaftslehre verliert,
singt Ulrich, um durch die plattesten Spässe wenigstens noch eine Classe
von Zuhörern für sich zu gewinnen, im Collegium der Aesthetik auf dem
Katheder den alten andächtigen Weibern nach und lehrt für einige selecta
ingenia philosophiam Kantianam alienis pannis non deturpatam — die
selecta ingenia sind dann einige Ungarn, die nicht deutsch genug ver-
stehen, um deutsch gelesene Collegia gehörig zu benutzen. Eine besondere
Scheidung ist hier zwischen den alten und jungen Professoren. Die letz-
teren haben ein besonderes Kränzchen und überhaupt sehr wenig Umgang
mit jenen, auch sind sie fast die einzigen, die Zuhörer finden. Die eigent-
lichen Facultätswissenschaften sind hier alle trefflich besetzt, dagegen
fehlt es in allen Nebenfächern sehr. Unsern grossen Lehrer der Philo-
logie, Schütz, haben wir so gut wie verloren; seine Kränklichkeit lässt
wenig Hoffnung, dass er je wieder lesen werde. Schiller lies't schon lange
nicht mehr und verlässt äusserst selten das Zimmer. Göthe ist dagegen
oft hier in Gesellschaft bei Hufeland, Loder2) u. a. m. Wieland und
Herder kommen fast nie hierher und haben hier sehr wenige Bekannte.
Ich habe die letzte Seite mit grosser Anstrengung der Augen ge-
schrieben. Sie erlauben jetzt nichts mehr; ich muss geradezu abbrechen.
Leben Sie wohl, bester Freund, und sein Sie mir ferner, was Sie ehemals
waren. Ihr Herbart.
25. Herbarts Mutter an Smidt..3) Uhlstädt am lsten Aug. [1796?].
Um Verzeihung lieber Freund, daß ich. den Briefen meines Sohns ein aber-
mahliges Postscriptum hintenanhänge. Es ist mir um so unangenehmer den letzten
vom Freytage nicht gesehen zu haben, weil ich hier noch 3 volle Tage allein bin,
und also einer bloßen Vermuthung wegen Ihnen noch einmal beschwerlich fallen
muß. Da m[ein] S[ohn] den Sack mit dem geräucherten jetzt wahrscheinlich ge-
dornten Fleische, der eigentlich als die Hauptsache war die fortgeschafft werden
mußte — vergessen hat; so wird er sich den Wein für F. mit dieser Gelegenheit
*) Nach Ziller, Herb. Reliquien S. 23.
'-') Ztschr. f. exakte Philos. I. S. 61. Bei Loder hörte H. Anthropologie, vgl.
Bd. XII, S. 192.
■'') 1 S. 4°.
August, September 1796. -2?
erbeten haben. Vielleicht haben Sie geglaubt daß dieser noch bey der Kindtaufe
seines Sohnes oder sonst sehr schnell hier seyn müßte und ihn wirklich abgeschickt.
Wäre dies nicht so wünschte ich wol daß es noch nicht geschähe, da wahrscheinlich
F. noch durch Ihre Güte vor Mangel gesichert ist. Da die Frau welche nicht nur
bey der Entbindung sondern auch nachher mit dem Kinde, welches sie selbst hat
säugen wollen, sehr gelitten hat — und sich nun um so weniger mit Haushaltungs
Sachen befassen kan; und besonders weil ich fürchte der Wein werde eine solche
Reise bey dieser Hitze schwerlich vertragen, zudem da es sehr wohl seyn könnte,
daß wir bey dessen Ankunft im Bade wären. Im vollen Vertrauen auf Ihre Dienst-
fertigkeit von der m[ein] S[ohn] mir täglich erzählt, werfe ich dies eilig hin, und
bitte Sie noch oben drein uns bald recht viel von Sich zu erzählen. Möchten Sie
doch nur halb so oft an uns denken, als wir in den letzten 4 Wochen hier, in Jena,
im romantischen freyen Orla u. wo wir sonst hauseten, uns Ihrer erinnerten —
nein, von Ihnen geschwazt haben. Ihre ergebene Freundin H.
Adr.: Dem Herrn Candidat Smidt in Bremen,
frey. auf Steffanikirchhofe.
26. Steck an Zehender in Bern. Jena, 1. Aug. 1796.
Bericht über die Gesellschaft, nähere Schilderung derselben.
27. An Rist.1) Jena im Sept. 1796.
Nein, mein theuerster Rist, nicht wie vor dem beschämenden Geiste
eines entschlafenen Freundes der Schuldige zurückweicht, nicht so war
mir zu Muthe da ich vor 8 Tagen Deine Handschrift erblickte. — Nicht
so würde Dir seyn, wenn Du ich wärest. — Du würdest anders urtheilen,
wenn Du wüsstest dass ich lange keine solche Freude hatte, — wenigstens
nicht durch mein Verhältniss hier in Jena — als da ich die Worte
Deines Zornes vernahm.
Unsere Vergangenheit, unsere Zukunft lebt in meinem Herzen, aber
die Gegenwart — unsere Gegenwart darf ich sie hoffentlich nicht nennen
— ist ein armes kränkelndes Wesen, das ich in einem Augenblicke nicht
sorgfältig genug zu pflegen weiss, und dem ich im andern mit beflügelter
Eile entfliehen möchte.
Ich weiss nicht wo ich anfangen soll, Dir zu sagen, was ich sagen
will. Ich habe Dir in Gedanken schon alles gesagt; um so mehr sperrt
sich die Feder es hinzuschreiben. Ja wenn Dir ein günstiger Wind das
alles hätte zuführen können, was ich auf meinen einsamen Spaziergängen
mit Dir plauderte — denn bey weitem auf den meisten warst Du, waren
Berger u. H[ülsen] u. andere gute Entfernte meine einzige Geseilschaft.
Ach Freund, ich habe den Wechsel der Gefühle erfahren. — Und
Du weisst ja, wie leicht man mich zusammendrücken kann. —
Doch ich fühle es selbst in diesem Augenblicke, wie ich nach meiner
Gewohnheit meine Kraft dem Unmuthe hingebe, wie die verweilende Be-
J) Über Rist s.Johann Georg Rists Lebenserinnerungen, herausg. v. G. Poel. Gotha
1880. 2 Bde. Nach fr. Mitteilung des Hrn. Geh. Reg .-Rats Poel in Wulmenau hat
der Herausgeber der Ristschen Lebenserinnerungen das handschriftliche Material Rists
vernichten müssen, so daß die Briefe Herbarts an Rist nicht mehr vorhanden sind. Der
obige ist im Besitze des Hrn. Richter Dr. Smidt in Bremen, der ihn gütigst zur Ver-
fügung stellte.
Herbarts Werke. XVI. 3
•54 September 1796.
trachtung alles schlimmer macht als es ist. — Ich verliess eben unsern
Böhlendorf, wir machten einen kleinen Gang vors Thor, unser Gespräch
begann mit Klagen über Gries, wie es das schon öfter that, dann ärgerten
wir uns über unsere Gesellschaften. B. wollte die Form gebessert wissen,
ich sagte ihm nach meiner Dir bekannten Weise stark und lebhaft, was
ich dabey zu erinnern hatte — er wurde stumm, unser Gespräch schlich
einsylbig weiter, wir trennten uns, und ich ging, lebhaft an alles unange-
nehme erinnert, ans Pult, — um mich aufs neue von meiner Unfähigkeit
zu überzeugen, mich schriftlich zu erleichtern; denn das ist mir gar nicht
gegeben. — Ich muss schon erleichtert seyn, ehe ich eins nach dem
andern so ordentlich hinschreiben kann, dass jemand daraus klug werden kann.
Nachmittags.
Du siehst, Bester, dass ich diesen Morgen nicht schreiben konnte.
Eben habe ich neue englische Tänzö bekommen, sie sind recht hübsch
— u. so will ich Dir denn schreiben. —
Zuerst also muss ich wol die Räthsel lösen, die ich Dir aufgegeben,
denn wie solltest Du Dir träumen lassen können, dass ich, im Schoosse
des besten Cirkels und der angenehmsten Verbindungen in Jena, nicht
froh sey? Hör denn wie mir's ging. Im Anfange des Sommers, — un-
mittelbar nachdem Berger u. Hülsen uns verliessen, bekam ich einen Brief
von Haus, der mich ein entsetzliches Misverständniss*) als gewiss fürchten
iiess. Es waren Umstände dabey, die, wenn die Verschwiegenheit mir
nicht schlechterdings verböte, dem Papiere etwas davon anzuvertrauen,
Dir zeigen würden, dass ich wohl auf ein ganzes Vierteljahr recht sehr
davon verstimmt werden konnte. Ich war genöthigt mancherley zu be-
sorgen, was mich von den geselligen Zusammenkünften auf Gries's Stube
entfernte, und meine übele Laune verkümmerte mir auch die Stunden,
die ich mit unseren Freunden zubrachte. Erst nach Johannis erhielt ich
wieder einen Brief, der mich von der Seite auf einmal unaussprechlich
glücklich machte, und mir zeigte, dass jenes fürchterliche Blatt nur in
einer unglücklichen Viertelstunde hingeworfen, also gar nichts weniger als
so bedeutend war, wie ich es anfangs glauben musste. Allein während
der Zeit waren in unsrer Gesellschaft allerley Dinge vorgegangen, die wir
vor Ostern nicht für möglich hielten. Bohlend, hatte sich an Bekedorf
gehangen, und wollte ihn durchaus in unsre Gesellschaft haben. Du
kennst Beked. und hast es uns gesagt, wie Du über jene plötzliche
Freundschaft urtheilst. Allein es waren auch einige Gründe für Bek.
Besonders bewog mich am Ende ein Aufsatz den Bohlend, mir von ihm
vorlas, u. der in einer Schilderung eines leichtsinnigen Jünglings zugleich
ein Bekenntniss u. eine Entschuldigung enthielt, wie ich sie ihm nicht
zugetraut hatte, ihm meine Stimme zu geben. Gries tat das Gleiche,
allein Reimers und die seinigen Hessen ihn durchfallen. Die Spannung
die dies, verbunden mit den Klagen über Bohlend, abgebrochenen Um-
gang mit den Braunschweigern, zwischen B. und Reimers hervorbrachte,
*) Von diesem Misverständniss bitte ich Dich Langreutern nichts zu sagen. Noch
darf ich fürs erste niemandem Gelegenheit geben, es zu errathen.
September 1796. ^r
dauert gewissermassen noch. Ferner war während meiner unglücklichen
Periode Gries's Bruder angekommen. Vielleicht muß ich es seiner da-
maligen Kränklichkeit zuschreiben, dass er mir, und anfangs auch Floret u.
Bohlend, als ein ennüyanter und verschrobener Mensch erschien. Gänzlich
in meinen hochgespannten Erwartungen von ihm getäuscht, konnte ich in
meiner damaligen Stimmung nicht umhin die beyden unzertrennlichen
Brüder zu meiden, oder doch sehr selten mich in die Gesellschaft zu
mischen, welche sie jetzt mit Möllern, einem alten Bekannten vom altern
Gries, Bekedorf, dem jetzigen genauem Bekannten von unserm Gries,
Lindnern, der alle 4 Wochen von Ronneburg hereinkam, und Floret, der
recht herzlich über die witzigen Spässe dieser Hn. zu lachen pflegt,
manchmal Sonnabends und Sonntags zu halten anfingen. Das weitere
siehst Du nun schon voraus. Ich bin weit entfernt, mein individuelles
Gefühl, meinen Gedankenkreis, meine Beschäftigungen, deren Einseitigkeit
ich kenne, für die Norm eines guten geselligen Tons zu halten, allein
der Sprung von da zu der für mich unübersichtlichen Welt literarischer
Neuigkeiten, und dem für mich im hohen Grade unwegsamen Gebiete
des Witzes, /: oder der Witzeley, oder einer absprechenden Kritik über die
Werke der schönen Kunst:/ ist, als Sprung, u. so lange mir nicht die
Freundschaft liebevoll die Hand reicht und mich die unbekannten Steige
führt, für meine Kräfte zu gross und meiner Art des Fortschreitens grade
entgegengesetzt. — Es würde sehr ungerecht seyn, daraus, dass Gries sich
mit Möller, Lindnern, Beke(dorf) angenehm zu unterhalten weiss, zu
schliessen dass er ihnen — oder der Idee die wir uns von ihnen machten,
— auch nur im geringsten weiter angehöre; aber soviel ist mir täglich
weniger zweifelhaft, dass ich den Freund, in dessen Besitze ich mich so
glücklich fühlte, der mir den Abschied von Euch andern 3 so sehr er-
leichtern sollte — auf einige Zeit auch für abwesend ansehn muss. Mit
ihm sympathisiren kann ich, jetzt wenigstens, schlechthin nicht, mich ihm
verständlich zu machen, ist eben so unmöglich, er scheint beleidigt über
Dinge, bey denen mir nichts arges einfällt, er redet im Gegentheil von
ununterbrochener Freundschaft, wo ich ihn zu erinnern suche, dass es vor
einem halben Jahre nicht so war. Selbst in unserer Gesellschaft können
wir nicht mit einander reden; er spricht von ausgemachten Sachen, wo
mir die Principien noch zweifelhaft sind. Wie weh es thut, von einander
in jedem Augenblicke, den man mit einander zubringt, im Geiste Abschied
zu nehmen, sich zurückgestossen zu finden, indem man sich zu nähern
meinte, durch äussere Verhältnisse, durch die schönsten, die heiligsten
Erinnerungen, und in den Herzen gemeinschaftlicher Freunde sich ver-
einigt zu wissen, und dennoch sich getrennt zu fühlen1) — doch nichts
*) In: „Aus dem Leben von Gries" heisst es S. 8: „Nach Berger's Weggang verfolgte
er die philosophischen Beschäftigungen unter Herbart's Leitung, bis er endlich durch
die Art, wie dieser Lehrmeister mit ihm verfuhr, inne ward, dass dieser selbst wohl
nicht sonderlich an die Fortschritte seines Schülers glauben möge, und so kam er zu der
Ueberzeugung, dass es ihm durchaus am eigentlichen philosophischen Genius mangle.'"
Und S. 4: „Die Musik, welche Gries leidenschaftlich liebte, brachte zuerst eine An-
näherung zwischen ihm u. Herbart zu Wege, in welchem er in dieser Hinsicht mehr als
den Ebenbürtigen kennen lernte — ... Es ward eine Freundschaft geschlossen, die auch
über die Zeit der Studienjahre hinausreichte. u
•a 6 September 1796.
mehr davon! — Mit Böhlendorf kann ich ganz wohl sympathisiren, aber
gar nicht mich mit ihm verstehen. Wir sind gern zusammen und suchen
einander manchmal, aber wenn wir etv/as überlegen wollen, so ist unsere
Freude meistens dahin. Mit Floret kann ich wohl frohe Augenblicke
theilen, aber es ist zufälliges Glück, wenn wir mit einander froh werden.
Ich schätze ihn, er ist meinem Herzen gar nicht fremd, er ist sehr viel
mittheilender geworden aber es fehlt ihm für mich ein ich weiss nicht
was, — Gewissenhaftigkeit möcht ichs nennen. Diese letztere macht mir
Meyern aus Holstein, der Dir als Mitglied unserer Gesellschaft genannt
seyn wird, und ein recht lieber guter Mensch ist, vorzüglich werth; aber
unsere Gedanken wollen nicht recht in einander eingreifen. Mit den Schweizern
hoffe ich noch einmal recht glücklich werden zu können. Sie vereinigen
erstaunlich viel Geist mit grossen Kenntnissen und dem vortrefflichsten
Character, sie sehen mich gern, ich esse Abends bey ihnen, wahrscheinlich
wird auch Böhlendorf, wie er schon angefangen, unsere Gesellschaft ver-
mehren. Mir fehlt nichts, wenn ich mit ihnen bin, — als Du, lieber
Rist. Wenn Deine immer gleiche Lebhaftigkeit dem Gespräche nur einen
beständigen raschen Gang sichern könnte, gewiss, wir alle, und Du mit
uns, wir könnten ausserordentlich glücklich seyn.
— Wie viele wenn und aber! — Wir beyde, lieber Rist, konnten
mit einander schwatzen und philosophiren und traulich thun; wo wir auch
waren, da waren wir zusammen, und selbst wenn unsere Meinungen einmal
nicht zusammen zu seyn schienen, so fand sich sogleich die Spur, auf
der wir uns wieder finden konnten. Bey Deinem freundlichen Bück be-
stand keine üble Laune; viel öftrer als Du es selbst weisst hast Du mich
mir und meiner Arbeit und unsern Freunden wiedergegeben. Und ich
glaube, ich darf mich auch rühmen, Dich besser verstanden zu haben,
wie irgend einer von denen, die Du hier zurückgelassen. Vielleicht be-
weisst Dir das ein kleines Blatt1), das ich, wenn ich noch Zeit zum Ab-
schreiben finde, als Auszug aus einem Aufsatze für die Gesellschaft bey-
legen will; welches ich vorlas, nachdem Gries eine gewaltige Kritik über
Deine Ideale hatte ergehen lassen. Ich habe mit Dir nur einen Wort-
streit, indessen wünschte ich der Idee über die Production der Ideale,
und über die Notwendigkeit die Wissenschi, durch die Deduction der-
selben zu schliessen, Deine Aufmerksamkeit und Prüfung; denn für die
Methode der W . seh . 1. und für die Uebersicht derselben scheint sie
mir wichtig. Durch das kleine Blatt über Schelling2) wünschte ich Deine
Aufmerksamkeit auf ihn lenken zu können, wenigstens will ich so den
Fehler wieder gut machen, den ich beging, da ich Dir bloss das was er
nicht leiste, und sein Missverstehen der W . seh . 1. darzustellen suchte.
Du erhältst hier, was ich den Sommer über in der Gesellschaft vorgelesen,
nur einige Bemerkungen über die Pflicht des Staats, auf die Erziehung
der Kinder Rücksicht zu nehmen, ausgenommen, welche Bergers Aufsatz
im Genius der Zeit veranlasste. Der Hauptgedanke ist dieser: Der Staat
setzt nothwendig einen gewissen Grad von Cultur (und, soll er vollkommen
!) S. Bd. I, S. 5 — 8 und Kehrbachs Bemerkungen dazu Bd. I, S. IL f.
-) S. Bd. I. S. 9: ,, Spinoza und Schelling; eine Skizze.u
September 1796. 37
seyn, die volle Cultur) voraus, denn seine Bürger müssen die Gesetze
kennen, ihre innere Nothwendigkeit und verbindende Kraft überzeugend
einsehn, und sich in jedem Moment, wo es auf Befolgung oder Ueber-
tretung derselben ankommt, jene Kenntniss und Ueberzeugung, zugleich
mit der Erinnerung an die angehängten Drohungen, vergegenwärtigen;
sonst kann der Staat zwar Verbrechen strafen, aber keine verhüten. Diese
Cultur muss er daher allenthalben hervorzubringen suchen, u. darnach be-
stimmt sich der Einfluss, oder wenigstens die Aufsicht des Staats auf die
Erziehung. Sapienti sat. —
Aeusserst begierig bin ich auf das, was Du mir von Deinen Fort-
schritten sagen wirst. Es ist der Tod der Freundschaft, wenn man ein-
ander nicht recht in seine Beschäftigungen einführt, wenn man sich nicht
sagt, wofür man sich hauptsächlich interessire, welche Richtung, welchen
Plan man verfolge, welche Grundsätze, welche Methode man im Denken
und im Handeln hat herrschend werden lassen. Darüber wirst Du mir
genug sagen können, lieber Rist. Ich leiste Dir hierin was ich für jetzt
vermag; meine Aufsätze hast Du; meine Art zu leben und meine Ge-
dankenreihe kennst Du noch so ziemlich. Was die erste betrifft, so muss
ich Dir nur zuerst sagen, dass ich Dir jetzt in einer neuen langen ledernen
Hose schreibe, und mit ein paar kleinen allerliebsten silbernen Spörnchen
angethan bin, sintemal ich jetzt der edlen Reitkunst wöchentlich 4 Stunden
widme, vom Hrn. Stallmeister Seidler für einen hoffnungsvollen Schüler
erklärt bin, und mich sehr daran amüsire, den Leuten zu zeigen, dass
ich in weniger als einem Monat schon bis zu den Sporen avancirt bin.
Auch Hr. Roux sorgt dafür meine Muskeln fleissig vom Fechten schwellen
zu lassen; u. so wird mein armseliges Organ ja wol endlich etwas brauch-
barer u. stärker, wie bisher. — In meinen philosophischen Ueberzeugungen
sind keine Veränderungen vorgegangen; des neuen, das ich hinzugethan,
ist nicht so viel, wie ich von diesem Sommer erwartet hatte; das wichtigste
ist vielleicht der Versuch einer neuen Theorie des Raums, die ich nächstens
zu vollenden hoffe, u. die Du dann wahrscheinlich leicht durch unsern
Langreuter vom Hofr. Hellwag wirst erhalten können. Die von Fichte
in der W. 1. befriedigt mich gar nicht, sie scheint mich auf einem viel
zu hohen Reflexionspuncte, also viel zu spät, vorzukommen, obgleich das
Raisonnement selbst wol unter gewissen Einschränkungen richtig ist. —
Jetzt bin ich beschäftigt, Schelling und Hülsen, die ich noch immer für
Eine Parthey halte, sorgfältig zu prüfen. Der letzte, glaube ich, kann nur
durch das Studium des erstem ganz verständlich werden. Zum Studium
der Kantischen Critiken finde ich Mellins Marginalien sehr nützlich, die
neben einer guten Uebersicht einen sehr wichtigen Vortheil durch das
Register gewähren, welches die Kantischen Schriften gleich einen Lexicon
zu gebrauchen möglich macht, nach welchem man Kants eigene Ent-
wicklung jedes schwierigen philosophischen Begriffs nachschlagen kann.
— Auch die äusserst interessanten philosophischen Schriften Jacobi's habe
ich zu studiren angefangen u. mich sehr belohnt gefunden. — Fichte's
Moral habe ich mir nicht zueignen können, am wenigsten die Lehre von
der Freyheit, doch kann es seyn, dass ich ihn unrecht fasste. Sein sehr
sonderbares Eherecht erhältst Du erst nach Neujahr, denn eher kommt
38 Oktober 1796.
sein angewandtes Naturrecht nicht heraus. — Zu Hufeland bin ich kürz-
lich mehrmals eingeladen worden. Die Politik war zum Theil sehr inter-
essant. — — Solltest Du Langreutern eher schreiben als ich so danke
ihm in meinem Namen recht sehr für die Bekanntschaft mit Eschen die
er mir verschafft — Meine Augen, meine Backe sind erträglich.
Ich habe meinen Brief, so spät er kommt, dennoch sehr schnell
schreiben müssen, u. kann also leicht manches vergessen haben, was ich
nothwendig sagen sollte; was ich aber auch schrieb oder nicht schrieb
— vertraue der vesten Freundschaft Deines Herbart.
28. Herbarts Mutter an Smidt.1) 1796.
Einige Augenblicke nur unterbreche ich Sie, mein lieber Freund, da wir uns
bald wieder sehen. Mein jüngster Sohn ist etwas unbeugsamer als der älteste, sein
Zimmer ist gar nicht geöffnet worden, obgleich wir einen gewaltigen Lärm davor
angerichtet und sogar den Nachbar Böhlendorf zu Hülfe gerufen haben. Ich nehme
also die Feder und bitte selbst um das was er hätte bestellen können. Erstlich, wir
wünschen sehr, nicht nur Sie, sonder auch seine d. i. Fr. Langens Mutter mit Ihnen
in Göttingen zu sehen. Ich liefere sie in einem bequemen und bedeckten Wagen
wieder zu den ihrigen zurück. Zweytens. Bitte ich Sie durch Meene, (wenn Sie
selbst nicht Zeit haben) den Fuhrmann Haushalter eiligst aufsuchen zu lassen, der
hoffentlich bey der Ankunft dieses noch nicht aus Bremen abgereiset seyn wird.
Er hat wahrscheinlich allerley Sachen für mich aufgepackt, die er 2 mal dort ver-
gessen hat, die mir vor Weihnachten sehr angenehm, jetzt aber sehr lästig seyu
würden. Statt dieser, die ich in Bremen finden muß, sähe ich gern, wenn er für
Fichte einen Anker Wein mitbringen könnte, weil der arme Mann nichts zu trinken
hat, als das was ich übrig habe. Der Anker kostet 8 Rtlr. Es muß ihm ja dabey
gesagt werden, daß es derselbe und von demselben Kaufmann seyn müsse, der den
meinigen geliefert hat, sonst bringt er von dem theuren alten Weine, den ich für
Fichte kommen lassen, und mein armer Freund würde beym Ueberflusse Durst leiden.
Und nun zur Hauptsache. Schieben Sie nichts von dem auf die Rechnung unsers
Freundes, und ärgern Sie Sich nicht über das, was Sie von seiner chere moitie etwa
unsinniges zu lesen bekommen. Ich habe heute 3 Stunden für Sie gekämpft aber
doch fürchte ich, ist der Stoß nicht ganz abgewendet. Schreiben Sie ihr von Ihrer
Fr. Mutter so wenig als möglich weder böses noch gutes. Es wird alles gedeutelt.
Mündlich mehr. Noch eine Bitte, lesen Sie das Blatt für meinen Mann, schreiben
Sie ein Wörtgen darunter, und schicken es fort. Da ist die Fichten. Adieu die Ihrige
Herbart.
Anfang Okt. Herbarts Reise nach Leipzig und Rückreise mit seiner Mutter.
29. Steck an seine Mutter. Jena 17. Okt. 1796.
Über die Gesellschaft, Lob der Mitglieder derselben. — Dann: „Ich habe diesen
Nachmittag sehr angenehm zugebracht bei einem Freunde aus Oldenburg, den seine
Mutter hier im Durchreisen besucht: auf unserer Hinreise nach Leipzig [Ausflug
von Fischer u. Steck dahin vom 8. Okt. an] begegneten wir einer eleganten Chaise,
die auch mit Extrapost von dorther kam; wie es zu geschehen pflegt, wurden unsere
Pferde angespannt und an den anderen Wagen gebracht, der uns dafür die seinigen
' 'in wechselte. Zufällig öffnete sich das verschlossene Fenster der Chaise, wir er-
») 1 S. 4°.
Oktober, November 1796. 30
blickten unsern Herbart und eine Dame, die wir an der Aehnlichkeit der Züge für
seine Mutter erkannten, und nun wußten wir, wer die Verwandte gewesen war. mit der
er so geheimnisvoll diesen Sommer einige Eeisen gemacht hatte. Sie ist eine sehr
geistvolle Frau und doch im Umgang so traulich, so offen, so wenig imposant:
denken Sie sich, welche schöne Tage sie hier miteinander erleben, wie ich den
Glücklichen beneide, so einen Besuch zu haben!"
30. Steck an seine Mutter. Jena 24. Okt. 1796.
,, Fischer und ich speisten gestern bey der Gräfin Kameke geb. Lynar: sie
wollte die Hofräthin Herbart, die Mutter unseres Freundes, einmal zu Gaste haben,
und bat uds daher mit ihnen, weil sie unsere genaue Verbindung mit ihm kannte:
außer diesen fanden wir unsere Madam Szykler [Kirchenräthin, bei der Steck u.
Fischer wohnten] einen dänischen Kanzleyrath und seine Gemahlin. Nach Tische
wurde Musik gemacht, die Gräfin sang, Herbart accompagnirte auf dem Klavier, das
ich noch, Steibelt1) und Muralt ausgenommen, von Niemand so in der Vollkommenheit
spielen hörte. Die Gräfin wird nicht mehr lange hier bleiben, sie hat vor einigen
Wochen ihren Bruder, den älteren Graf Lynar verlohren, das einzige Band, was sie
an Jena gehalten hat."
31. J. G. Lange an Smidt und Heinrich (Thulesius). Jena 28. Okt. 1796.
— — Herbart gefällt mir sehr, u. ich und ein Schweitzer, Namens Fischer,
und noch einer, wir kommen schon seit einigen Tagen alle Mittage von 4—6 zu-
sammen, u. sprechen über den Schelling, (worüber du auch in kurzem einen Auf-
satz von Herbart erhalten wirst) weil wir 3 die Wissenschaftlehre hören wollen.
Ich brauche hiervon jetzt weiter nichts zu sagen, weil Du den Schelling kennst.
32. Steck an seine Mutter. Jena 7. November 1796.
„Die Mutter unseres Herbart bleibt zu unserem unaussprechlichen Vergnügen
den ganzen Winter hier: wir kennen ihre Lage nun näher, sie hängt so sehr an
ihrem Sohne, daß sie sich entschloßen hat, ihren Mann (Justiz- und Regierungsrath
in Oldenburg,) dem sie nichts mehr seyn konnte als Haushälterin, zu verlaßen und
bei ihrem Sohn zu bleiben, der mit dem Vater nicht die gemeine Bahn einherwandelt.
Sie erzählte uns das mit allen Nebenumständen so unbefangen treu und offen, daß
nur Blinden die schönen Züge ihres reinen Charakters entgehen könnten. Es muß
auch so eine Seele sein, um jenen Schritt thun zu können, der sich sonst mit der
Zartheit ihres Geschlechts schwerlich vertragen würde. Wir besuchen sie öfter, ich
hoffe, ihr Umgang soll mir ebensoviel werden, als der ihres Sohnes. Dieser, der
nun in die Jahre des Mannes getreten ist, lebt mit ihr im Verhältniß des Bruders
zur Schwester, giebt ihr gleichsam in einer zweyten Erziehung die reichsten Früchte
des Keimes zurück, die sie in seinen Busen senkte und so treulich gepflegt hat. So
eine seltene Übereinstimmung zwischen Mutter und Sohn ist mir noch nirgends vor-
gekommen. Er ist Sie und Sie ist Er, wie gut schickt sich zu dieser Innigkeit die
Sprache des Du, die sie gegenseitig beybehalten haben."
33. Lange an Smidt Jena 1. December 96.
— — Was wir in diesen Stunden [siehe Brief v. 28./10.] zusammen haben,
wirst Du am besten aus dem Aufsatze sehen können, den Herbart Dir heute zu-
schicken wird, wie er mir versprochen. Schelling zu verstehen und zu widerlegen
ist bisher der Hauptgegenstand dieser Stunden gewesen. Da Du mit diesem Zettel.
• x) Daniel Steibelt (1765—1823) gefeierter Klaviervirtuose.
^O Dezember 1796.
zugleich einen Brief an Herbart erhältst, so sage ich jetzt weiter nichts davon, zumal
da ich meinen Augen wegen ganz mißfidel bin.
Daß Herbart nicht ins Conversatorium gehen kann, wirst Du vielleicht schon
aus diesem Aufsatz sehen. Wenigstens konnte ich es mir wohl erklären, ohne ihn.
darum zu fragen, warum er nicht hineinginge, wie ich erst sah, wie er von .Fichte
seiner Meinung abweicht. Und da Du Herbart kennst, so wird des Dir nicht wundern,
wenn ich Dir sage, daß er sich über Fichte glaubt ; thut nichts zur Sache ob er es
ist, darüber mag ich nicht entscheiden, genug wenn er sich über ihn glaubt, so kann
ich mir wohl erklären, warum er nicht so öffentlich mit ihm sprechen mag.
34. An Smidt. -1) Jena im Anfang Decembers 1796.
Bester Smidt! Vom letzten zuerst! Ich freue mich daß die Weser
point d'honneur hat, und daß sie die ihr angethane Schmach nicht bloß
zu empfinden sondern auch zu ahnden weiß. Auch ich habe mich in
ihrer Person beleidigt gefühlt, urtheile also ob es mich freut, einen Rächer,
und einen solchen Rächer auftreten zu sehn. Denn wahrlich, lieber
Smidt, ich wenigstens hätte ihn nicht leicht besser gewünscht. Nur mögt
ich Dich fragen, ob nicht grade hier, wo Du zu strenger Auswahl er-
muntern willst, strenge Auswahl Dir selbst so viel mehr Pflicht sey? Ob
Du nicht auch von einer kleinen Anzahl mehr Eindruck erwarten wirst,
die aber Schlag auf Schlag trifft; als wenn der Gegner der ohnehin
Blößen sucht, Zwischenzeiten zur Erhohlung behält? — Der Anonymus,
(: der, im Vertrauen gesagt, gern an seiner Hand erkannt seyn möchte,
denn er hat an Dich geschrieben, um eine kurze persönliche Bekanntschaft
zu erneuern, und er hofft noch auf Antwort) hat Dir in äußerster Eile,
die Du in der Situation entschuldigen wirst, so ziemlich dasjenige gesagt,
was ich sonst geschrieben hätte; er und Lange und ich sagen Dir vielen
schönen Dank; und versichern Dich unsrer Verschwiegenh[eit]t. Übrigens
möchte ich Dir rathen, Deine Blätter, nicht bloß an Schillern zu ad-
dressiren, denn er ist, wie mir Woltmann vor einiger Zeit sagte, schon
gewohnt, alles, was unbekannte Hände ihm senden, fast ungelesen zur
Seite zu werfen. Göthe lacht, glaubte ich, lieber und unbefangener wie
er, und wäre also vielleicht eher Dein Mann. Ihm werden, denk ich,
Progne und Philomele, die Requisitionen, die Sansculoterie der Musen,
mit dem was dazu gehört, das griechische Mütterchen, der Insecten
Kreuzzug pp. und ganz besonders die 5 letzten Epigramme, wo nicht
]) 3 S. 40. — Smidt hatte gegen die Xenien im Musenalmanach für das Jahr 1797
insbesondere gegen die Mißachtung seiner lieben Weser eine Anzahl Antixenien aufs
Papier geworfen und an Herbart gesandt. Später wurden sie ohne Smidts Wissen u.
Willen gedruckt unter dem Titel: „An die Xeniophoren. Ein kleines Meßpräsent'1
1797. Darin waren von seinen 42 Epigrammen 11 fortgelassen, dagegen von Hörn 15
hinzugefügt. Vgl. Johann Smidt. Ein Gedenkbuch pp. Bremen 1873. S. 60 ff. Dem
Xenion Schillers:
,,Kurz ist mein Lauf u. begrüßt der Fürsten, der Völker so viele,
Aber die Fürsten sind gut, aber die Völker sind frei,"
hatte Smidt, „der die freien Völker der Saale aus eigner Anschauung kannte, sein „Saal-
freiheit1' betiteltes Antixenion entgegengestellt:
Lange zerbrach mir den Kopf das freie Völklein der Saale,
Fabri nennt es uns nicht. Xeniophoren, ihr wißt's!u
(Fabri = Handbuch der Geographie 1784.)
Dezember 1796. 41
Buße (: ich fürchte er sey ein verhärteter Sünder [2] wider den heil.
Geist:) so doch Glaube — an die Weser abnöthigen. — Deine frühern
Gedichte haben nicht so ganz den Beyfall meiner Freunde gehabt; in dem
Abschiede der 3 Schwestern schien ihnen und auch mir: das Sylbenmaaß
nicht glücklich gewählt. So viele Dactylen dürften, der zärtlichen Muse
einen zu raschen Gang, statt eines leichten Fluges, ansinnen. Eigentlich
sollte wol die eigene Gestalt der Muse ganz verschwinden, denn es ist
die Gruppe der Schwestern, die wir anschaun, in deren Anschaun wir uns
verlieren sollen. Werden aber die Schwestern so weltbürgerlich allgemein
phantasiren, werden sie Kindheit und wachsendes Alter überhaupt in so
bestimmten, fleißig gearbeiteten Zügen darstellen; oder werden nicht viel-
mehr einzelne, zufällig bedeutende Scenen ihrer Kindheit schnell in Menge,
flüchtig, vor ihrem Blicke hinschweben? Den Dichter hören wir recht
schön hinter den Coulissen reden, allein die Figuren auf dem Theater
sind stumm, und zeigen keine eigene Persönlichkeit. Ein bescheidners
Lied in einem abwechselnden jambischen Metrum hätte vielleicht der
Situation besser entsprochen; wenn nicht der Dichter in seinem eigenen
Namen zu den Schwestern reden wollte. — Der malende Amor ist viel-
leicht bey einer sehr individuellen Veranlassung entstanden, die nicht
genau angegeben ist. Wenigstens konnten wir die Hauptidee des Ge-
dichtes nicht deutlich auffassen. — Bin ich nicht ein tapferer Recensent?
und zwar recht nach der Mode, der nichts besser machen kann? Nun
wohl, räche Dich durch eine Antikritik und gieb Dir recht oft Gelegen-
heit zu recht vielen Antikritiken.
Unsern Lange habe ich ganz so gefunden wie Du ihn schildertest,
und, ich hoffe, auch ungefähr so aufgenommen wie Du wünschtest. Wir
sehn uns täglich, und arbeiten mit einander. [3] Seinen Character liebe
ich, und seinen Geist schätze ich im voraus, denn was er noch nicht ist,
scheint er zu können und zu wollen, wenn nur seine Gesundheit günstig
mit wirkt. Hoffentlich hat er Dir von dem Cirkel in dem ich jetzt lebe,
und in den ich ihn einzuführen so sehr als möglich eilte, schon ge-
schrieben. Er ist darin sehr willkommen gewesen. Auch mit Fichten
hab ich ihn bekannt gemacht. Diesen sehe ich jedoch selbst jetzt seltner.
Meine Mutter ist desto mehr da, und hilft treulich mit, wenn die Frau
Hülfe bedarf. Jetzt hat der Kleine die Blattein durch Inoculation. Sie
sollen sehr gutartig seyn. —
Lange hat Dir einen Aufsatz von mir versprochen. Die Schuld daß
Du ihn heute nicht erhältst liegt lediglich an meinem Abschreiber, der
ihn schon am vorigen Posttag fertig liefern sollte. Ich würde Dir darüber
mancherley zu sagen gehabt haben. Vielleicht ists gut daß ich heute
ohnehin nicht mehr Zeit zu schreiben habe; wer weiß ob nicht daran
sich mancherley anknüpfen würde, was ich heute nicht recht hervor-
zubringen weiß. — Was das heißen solle? Nichts weiter, lieber Smidt,
als daß ich ein grillenhafter Mensch bin.
Liebe mich und verzeihe mir. Dein Herbart.
Deine Epigramme habe ich Fichten nicht gezeigt. Ich zweifle, ob
er Sinn genug dafür hat.
Adresse: Herrn Candidat Smidt in Bremen.
Frey bis Braunschweig. Zu erfragen beym H. Pastor Stolze.
A2 December 1796.
35. An Smidt. 1) Jena im Anfange Decembers 1796.
Endlich, bester Smidt, kann ich Dir den versprochenen Aufsatz
senden.2) Mein Abschreiber war ein Paar Tage krank, und konnte also
nicht so schnell arbeiten, wie er versprochen hatte. — Dieser Aufsatz ist
das beste und ausgeführteste was ich Dir von meinen philosophischen
Versuchen mitzutheilen habe. Manches andre erwartet mehr Fleiss und
ruhigere Muße, um alsdann auch Deiner Prüfung unterworfen zu werden.
Dass ich über das Princip der Philosophie, über die vollständige Ansicht
und den Gebrauch desselben, über die Methode des Fortschritts im
Folgern, und über einige naheliegende und wichtige Lehrsätze, mit mir
einig geworden sey, werden Dir die einliegenden Blätter zeigen; und
ziemlich bestimmt angeben, was Du von meiner Art zu philosophiren
möchtest erwarten können. Nur muss ich Dich um eine etwas anhaltende
Aufmerksamkeit und um das günstige Vorurtheil bitten, dass jede einzelne
abgebrochene Aeusserung im Ganzen Sinn und Bedeutung haben werde,
wenn sie auch für sich allein wenig verspricht. Du wirst viel hinzudenken
müssen; denn ich habe mich so kurz als möglich gefasst. — Warum ich
an Sch[elling]s Schrift so viel Zeit gewandt? die Veranlassung war Hülsens
Schrift, welche ganz in seinem Geiste geschrieben ist, ohne ihn so voll-
ständig und deutlich erscheinen zu lassen; überdies halte ich Sch[elling]s
System, einige Kleinigkeiten abgerechnet, für die möglichst consequente
Darstellung des Idealismus. — Angehängt findest Du Fichte's Noten, die
Dich überzeugen mögen, wie wenig Aufmerksamkeit man sich von ihm
versprechen dürfe. Ich ward förmlich des Dogmatismus beschuldigt und
nach einer mündlichen Unterredung ebenso förmlich losgesprochen; aber
ob meine Abweichungen von F.'s eignen Darstellungen bedeutend oder
unbedeutend seyen, darüber kein erhebliches Wort! Gerade darüber be-
durfte ich der Belehrung am meisten, denn ich halte sie für bedeutend
und Fichte's jetzige sehr veränderte Darstellung der W.-l. so gut, wie die
[2] erste für unmethodisch und undeutlich; und seine darauf sich gründenden
Ableitungen im Naturrecht und der Moral, so viele glückliche Gedanken
auch einzeln ausgestreut seyn mögen, in den Hauptsachen, wie z. B. in
der Theorie von der Anerkennung eines vernünftigen Wesens als eines
solchen, und in der Freiheitslehre für falsch. Ueber nichts wirst Du Dich
mehr wundern als über seine Theorie des Eherechts, die das Naturrecht
schliesst. Hier sind die Principien : Bey dem Hauptgeschäfte der Ehe
verhält sich der Mann thätig, die Frau leide?id. Thätigkeit ist der Character
des Vernunfts- Wesens, Leiden ist ihm entgegengesetzt. Der Trieb des
Mannes ist daher von der Vernunft autorisirt, die Frau aber erniedrigt
sich unter die Vernunft, indem sie sich ihren Trieb auch nur gesteht. Das
besagte Geschäft würde daher unterbleiben, oder doch moralisch verboten
seyn, wenn nicht bey der Frau noch ein ganz eigner Trieb einträte, der
sie, die ursprünglich eine Stufe niedriger steht, als der Mann, ihm wieder
gleich setzte, und das ist die Liebe. — Der Mann liebt eigentlich nicht,
das der weiblichen Liebe in der Ehe bei ihm correspondirende Gefühl ist
x) 4 S. 40. Zum Teil gedruckt in Bd. I, S. LI.
2) S. Bd. I. S. 12 ff. und Kehrbachs Bemerkungen dazu Bd. I. S. Lff.
Dezember 1796. 43
— Grossmuth. — F. hat manchmal mit meiner Mutter über diese
Theorie disputirt, Du kannst denken, ob sie nach ihrem Sinne war. Die
Dispute müssen lustig anzuhören gewesen seyn, ich habe zum Unglück
bey keinem gegenwärtig seyn können. Meine Mutter ist fast täglich dort,
und ziemlich wie zu Hause; beyde, Mann und Frau interessiren sie, und
wie sollte es nicht interessant seyn, eine so neue Theorie im Gedränge
des wirklichen Lebens zu beobachten? Zu sehen, wie die Frau sich ge-
geberdet, wenn sie dem Manne ihre Persönlichkeit, und mit diesem ihrem
kostbarsten Schatze alles was sie ist und hat, hingeben soll — und wie der
Mann es macht, für die Frau Vernunft zu haben, und das ihm anver-
traute heilige Depot pflichtmässig zu verwalten — denn so will Fi. —
— F. und seine Frau erwarten schon lange eine Antwort von Dir
auf den Brief, worin sie Dir die Pathenschaft über den kleinen Immanuel
Hartmann aufgetragen. x) Wenn ich nicht irre so erwartet man zugleich
eine sorgfältige Entschuldigung, dass Du nicht eher geschrieben, deren Du
Dich ohne Zweifel je eher, je lieber wirst entledigen wollen. — Ich
wünschte, Du erwähntest nicht, dass ich Dir dies geschrieben habe. [3]
Ich danke Dir herzlich, dass Du mir Lange's Bekanntschaft ver-
schafftest. Dein Brief hiess mich ihm gleich mit aller Offenheit entgegen
gehen; er erwiederte mein Zutrauen, und sowie er mir damals und schon
in Deinem Briefe erschien, so finde ich ihn noch. Seine Gutmüthigkeit
und sein guter Wille sind eine so vorzügliche Seite an ihm, dass man
sehr gern mit ihm in der Hoffnung dessen lebt, was sein Geist künftig
seyn wird. Seines schwächlichen Körpers wegen bedaure ich ihn sehr;
und von daher könnte vielleicht auch für seinen Geist etwas zu fürchten
seyn. Er wird sich wohl noch Anstrengungen geben müssen, die ihm bis
jetzt gänzlich unbekannt scheinen, um die Vernachlässigung seiner frühern
Ausbildung zu ersetzen und den grossen Klumpen Materie, den er an sich
trägt, zu organisiren und zu beleben. Jetzt entschuldigt ihn seine Körper-
schwäche, gerade jetzt in dem Zeitpuncte, wo die Menge von Menschen,
die er über sich erkennt, und von Wissenschaften, die seine Kräfte auf-
fordern, ihn durch den Reiz der Neuheit am kräftigsten spornen könnten.
Ich möchte gern, so viel ich kann, nachhelfen; und Du thust mir einen
grossen Gefallen, wenn Du mir umständlich darüber schreibst, was er be-
dürfe, was ich ihm geben könne, und von welcher Seite Du mir Vorsicht
zu empfehlen nöthig findest. Wenn ich nicht irre, so ist er gerade für
soviel Leitung empfänglich als einem Menschen zu nehmen und zu geben
anständig ist. — Von unsern Unterhaltungen über Schellings System wird
er Dir geschrieben haben. Ich finde aber, dass sie an ihn noch zu
viele Ansprüche machen. Ich werde versuchen ob einige Stunden, wo
ich mich mit ihm ganz allein beschäftige, ihm nützlich seyn können. Das
Schlimmste ist, dass er eigentlich weder für die Philosophie noch für
irgend sonstetwas ein entschiedenes und dringendes Bedürfniss fühlt und
dass er dagegen eine gewisse Fidelität gewöhnlicher Menschen liebt, die
1) Am 11. Okt. 1796 ersuchten Fichte u. seine Frau Smidt als ihren „wahren
Freund" die Patenwürde bei der Taufe ihres Sohnes anzunehmen. S. Johann Smidt.
Ein Gedenkbuch pp. Bremen 1873. S. 46. Dort auch über das Verhältnis zwischen
Fichte u. Smidt.
aa Dezember 1796.
so wenig giebt als sie kostet. Er weiss zwar wohl, was er nicht will,
nämlich keine einzelne Brodwissenschaft; allein fragt man nach dem, was
er eigentlich wolle, so will er „manches berichtigen, was bei ihm noch
unberichtio-t sey.u Ueber diesen unbestimmten allgemeinen Ausdruck er-
hebt er sich nicht. — Du wirst mir zutrauen, dass ich ihm nicht alle
seine Gebrechen so vorgezählt habe, wie ich sie Dir [4] mit absichtlicher
Strenge ins Gedächtniss zurückrufe, um Dich aufzufordern, mir manches
darüber zu sagen. Ich wenigstens bin sehr bescheiden in meinen Zu-
muthungen an die Freyheit des Menschen, und indem ich diese der
Schellingschen Philosophie, allenfalls auch Fichten überlasse, suche ich
lieber einen Menschen nach seinen Vernunft- und Naturgesetzen zu
determiniren, und ihm zu geben, was ihn in den Stand setzen kann, sich
selbst zu etwas zu machen. Du siehst wohl, dass ich ein arger Ketzer
bin, vielleicht reden wir einmal mit einander darüber weiter.
Unsere Gesellschaft ist tief von ihrer Höhe heruntergesunken. Der
Mitglieder sind so wenige, und der einzige der Zeit Lust und Kraft, für
sich etwas zu thun, in sich vereint, ist Böhlendorf. Dass sie mir jetzt
unendlich weniger, als Anfangs Bedürfniss sey, wirst Du Dir wohl er-
klären können. Ihr Schatten existirt indessen noch, und es ist möglich,
dass er wieder belebt werde. Jetzt kömmt die Gesellschaft nur zusammen,
wenn sie berufen wird; diese Einrichtung veranlasst besonders die äusserst
flüchtig hingeworfenen Aufsätze mit denen sich die welche die Reihe traf
vorigen Sommer gewöhnlich ihrer Pflicht zu entledigen suchten.
Doch haben wir neulich noch eine Aufnahme gehabt, und der Auf-
genommene ist ein trefflicher Mensch, Namens Dr. Muhrbeck. —
Schreib mir doch von Deinen Reisen nach Hamburg, besonders vom
ältesten Gries, der kürzlich (im Sommer) hier war. Mir ist bey einer
freylich sehr oberflächlichen Bekanntschaft nicht nur er selbst unerträglich
gewesen, sondern er hat auch bey seinem hiesigen Bruder eine Stimmung
zurückgelassen, oder vielleicht eine ältere erneuert, die meine Freundschaft
mit diesem in eine gewöhnliche gute Bekanntschaft verwandelt hat. Ich
kann es nicht beschreiben, wie viel mich das Anfangs gekostet hat.
Dein Herbart.
36. Steck an seine Mutter. Jena 19. Dezember 1796.
„Wir besuchen oft Herbarts Mutter; man weiß nicht, ob sie oder ihr Sohn
mehr Ausnahme vom Gemeinen machen. Sie verträgt sich nun sehr gut mit der
Gräfin Kameke; eine sonderbare Verbindung; jene über alle Vorurth eile hinweg, diese
im Begriff, ganz in die Mährische Brüdergemeinde zu treten."
1797.
37. An v. Halem.1) 1797.2)
Höchstgeschätzter Herr Canzleyrath! Schüchtern und beschämt nahe
ich mich Ihnen wieder, um, wie spät es auch seyn mag, meinen ver-
bindlichsten Dank für Ihren gütigen Brief doch noch zu überbringen.
Ich hoffte ihn mit einem Versuche über den Aufsatz des HEn. Hofrath
Hellwag begleiten zu können — wie weit eilen oft die Hoffnungen den
Kräften zuvor! — Da HE. Pr. Fichte sich wenig oder gar nicht auf jene
Einwürfe einüess, deren umständliche Erörterung zu weit von seinen bis-
herigen Untersuchungen entfernt lag, so verwickelte ich mich selbst in
die so äusserst interessanten Fragen, und schrieb einen Haufen Papiers
nach und nach darüber voll. Es ist manches darin, was ich dem
Urtheile des HEn. Hofr.s noch vorzulegen gedenke; allein das letzte
Resultat entschlüpfte mir noch jedesmal, so oft ich es auch mit aller An-
strengung zu fassen suchte. Ueber das fruchtlose Suchen und Hoffen ist
nun eine Pflicht versäumt worden, die das unschätzbare Unterpfand Ihrer
Gewogenheit war. Lässt es sich noch wieder gewinnen? Darf ich thun,
als ob ich es noch besässe? —
Sie haben mich mit den angenehmsten Geschenken überhäuft. Ihre
Zuschrift äusserte die liebreichste Teilnahme an meinem Wohl und meinem
Übel. Ihr so sehr getroffener Schattenriss hilft meiner Einbildungskraft
alle die Züge lebhaft hervorbringen, deren wirkliches Anschauen ich nun
schon so lange entbehren musste. Ihre Elegie3) versöhnte mich mit der
wehmüthigen Erinnerung an den Mann, an den ich seit meinen Kinder-
jahren mit Liebe und Hochachtung hing, den ich nun nie wieder sehn
soll, — von dessen vielen Leiden mir meine Mutter so traurige Be-
schreibungen gegeben hat — dem so wenig Lohn für seine angestrengte
Thätigkeit wurde. Ihre Freundschaft war sein Lohn; Ihre Worte erheben
die Trauer zum nacheifernden Streben. Nur zu gütig haben Sie diese
Worte auch an mich gewandt; und mit freudigem Danke nehme ich die
Ermunterung an: ob sie ganz so wie Sie sie gaben, mein werden könne,
x) Zeitschr. f. ex. Phil. I. S. 324 u. Ziller, Reliquien.
2) Der Brief hat keine Datierung. Mit Bleistift steht von nicht festzustellender
Hand an der üblichen Datierungsstelle am Anfang: Jena 7. Juli 97. Diese Angabe ist
ebenso falsch wie die Datierung Zillers („Juli 1796"). Der Brief gehört ungefähr an
den Anfang des Jahres 1797.
3) Auf den Tod von K. A. Widersprecher, mit dem G. A. von Halem die Olden-
burger literarische Gesellschaft gegründet hatte.
46 '797-
— das liegt noch so fern! — Wie wenig ich bis jetzt nach Wahl und
Plan zu arbeiten im Stande bin, wie wenig ich vorher vestsetzen kann,
was ich in einer bestimmten Zeit leisten will, das sehn Sie schon aus
dem ganz wider meine Erwartung so lange unvollendeten Versuche über
die krumme Linie. Die Geduld mit der Sie meine ersten Klagen über
mich selbst anhörten, erlaubt mir, Ihnen zu sagen, dass mein philosophisches
Studium, welches mich immer vorzüglich beschäftigt, erträglich schnell,
und mit soviel sicherern Schritten fortrückt, je unabhängiger ich mich von
den verbis magistri mache; dass alles übrige noch sehr wider meinen
Willen zurück bleibt, und dass dies auch die Jurisprudenz noch immer
trifft. Doch habe ich mir, ihrem Rathe gemäss, eine encyclopädische
Übersicht derselben, vielleicht noch etwas mehr, verschafft; und suche
jetzt vom Staatsrechte aus tiefer in ihr Inneres einzudringen. Das letztre
höre ich jetzt zum zweytenmal mit neuem Interesse. Die Kenntniss der
jetzigen Lage der Dinge, sie sey welche sie wolle, ist doch immer äusserst
wichtig; und es scheint mir überdies fast unmöglich, das Detail des natür-
lichen Staatsrechts und der allgemeinen Politik hell durchzuschauen, wenn
nicht die Einbildungskraft durch ein bestimmtes Beyspiel unterstützt wird.
— Ihre Idee: wie, wenn unser D.[eutschland] ein Italien würde? hat sich
mir oft wieder aufgedrungen. Dass in unsern Staaten, deren Existenz so
sehr auf ihrer gegenseitigen Eifersucht beruht, sehr viel darauf ankomme,
diese Eifersucht durch ein in der Natur der Sache gegründetes, und eben
deshalb immer klares und unzweifelhaftes Verhältniss zu bestimmen, davon
glaube ich mich überzeugt zu haben; nur haben Sie das Beyspiel Italiens
wohl schwerlich strenge genommen, da hier die Regel des Gleichgewichts
nicht zutreffen möchte. — Sehr begierig bin ich, Ihr Urtheil über Fichte's
Ephoren (Sie werden sein Naturrecht gelesen haben) zu vernehmen; die
Idee hatte für mich eine vielversprechende Miene, ob ich gleich die
Strenge der Beweise hie und da zu vermissen glaubte. Seit einigen
Tagen ist Kants Naturrecht zu uns gekommen, und schon triumphiren
unsre Philosophen über die grosse Uebereinstimmung, die, so sehr sie
unter einander abweichen, doch jeder zwischen sich und Kant bemerken
will. Freyer als hier kann man übrigens diese Untersuchungen wohl nirgends
anstellen; das erkennen selbst die eifrigsten Verfechter der Freyheit mit
Dank; und sogar die Xeniendichter legten diesen Dank der Saale in den
Mund. Wie Sie über die Freiheit, die sich Schiller und Göthe, (sonst
hat niemand Theil daran) hier nahmen, geurtheilt haben, darauf darf ich
wohl nicht lange rathen. Mich freute, neben der Weser, von der nichts
zu sagen war, die Hunte nur lieber ganz vergessen zu sehn; selbst ihr
Lob würde sie hier vielleicht nicht gern gelesen haben. In der A. L. Z.
wird sie hoffentlich nicht lange mehr vergessen; wenigstens schrieb sich
neulich Hufeland, da ich Gelegenheit fand, ihn an Ihre Poesie und Prose
zu erinnern, eine Mahnung für den schon 2 mal erinnerten Recensenten
ins Taschenbuch. Sie haben wohl gleiches Schicksal mit einem gewissen
Neubeck, von dem man nur neulich erzählte, er habe vor 12 Jahren ein
Gedicht von hohem Werthe in Hexametern, die den Vossischen gleich
wären, herausgegeben, und erst jetzt sey Schlegel darauf aufmerksam ge-
worden, dieser wolle nun aber auch recht laut in die Posaune stossen.
Februar 1797. 47
Die beyden Schlegel sind jetzt wol die thätigsten Recensenten für
die A. L. Z. im ästhetischen Fache. Beyde halten sich jetzt hier auf;
soviel ich weiss, sind sie hauptsächlich mit jenen Arbeiten beschäftigt.
Von dem altern S. ist die Recension des Vossischen Homers. Wie un-
zufrieden Voss mit derselben sey, wissen Sie wahrscheinlich von ihm
selbst. Irre ich nicht, so waren Sie ehemals ziemlich der Meinung des
Rec. Es würde mich ungemein interessiren, wenn ich jetzt so glücklich
wäre, das bestimmtere von Ihnen darüber zu hören, besonders da ich
jetzt durch meinen täglichen Umgang mit einem sehr vorzüglichen Schüler
von Voss, und durch sein Gespräch, mir alles deutlicher würde machen
können. Dieser ist der junge Eschen, dessen Bekanntschaft ich meinem
Freunde Langreuter verdanke; der meine philosophischen Ideen mit mir
theilt, und nächstens den Sophokles mit mir zu lesen verspricht. — Wollten
Sie mir über jenen Gegenstand einige Winke geben, so dürfte ich mir
freylich wol noch eher die Freyheit nehmen, einige Gedanken, die die
musikalischen Rücksichten in Homers Gedichten betreffen, Ihrer Prüfung
zu unterwerfen.
Der arme Schütz ist von seinem Übel wieder so heftig befallen,
dass die Literaturgeschichte, die ich bey ihm höre, schon lange ausgesetzt
ist. Von dem Manuscript über den Äschylus fehlen nur noch 3 bis
4 Bogen ; aber schon lange hat er vergebens versucht, auch nur diese
Arbeit noch zu vollenden. Von Göthe wird bald ein neues Gedicht in
Hexametern, ungefähr im Geschmack von Vossens Louise, erscheinen,
die Zeit fällt in die letzten Tage des vorigen Augusts. Hufeland und
Woltmann haben meine Erwartung davon ausserordentlich gespannt. —
Sie werden mir Glück wünschen zu der so äusserst seltenen Freude,
mit den Annehmlichkeiten des academischen Lebens das bessere, das
unschätzbare Verhältniss des Sohnes nun so enge vereinigen zu können.
Meine gute Mutter lebt hier zufrieden, und es freut mich, dass das
Studentenverhältniss ihr nicht zuwider ist. Sie will sich Ihnen selbst
empfehlen; ich setze also nur noch die Versicherung der vollkommensten
Hochachtung und den lebhaftesten Wunsch hin, in Ihrem Andenken noch
wie ehemals fortzuleben. Ihr gehorsamster
F. Herbart.
38. Steck an seine Mutter. Jena 11. Februar 1797.
„Wir haben heute einen schönen Morgen verbracht, der helle unbewölkte
Himmel und so viele Vorboten des Fiühlings lockten uns ins Freye, wir verließen
frühe mit unseren Freunden das dumpfe Zimmer, bestiegen den nahegelegenen Berg.
Angekommen auf dem Gipfel hob Böhlendorf mit einigen Gedichten die er uns vorlas
noch mehr unsere Stimmung, es war so rein in uns und außer uns, jeder fühlte
sein Herz im Busen des anderen. Von da gings hinunter, wir kamen durch ein
Hölzchen, das man das Schlägerhölzchen nennt, weil es sich unsere stets rüstigen
Duellanten zum "Wahlplatz erkiesen haben, es schlagen sich oft zu gleicher Zeit
mehrere Partheyen. "Wir fanden auch der Plätze mehrere, die mit Sand bestreut
ganz besonders dazu zugerichtet sind. Nach der Stadt zurück führte uns Herbart
ans Klavier, sang uns Gedichte von Schiller und einigen Freunden, und ließ uns so
noch einmahl gestärkt und gehoben frohe nach Hause zurückkehren. — Herbart hat
4g Februar 1797.
die Stelle bey Herrn von Steiger von Interlaken für welche Fischer Bestellung
hatte, angenommen: er reist mit Fischer; ihnen folgen noch zwey unserer besten
Freunde, so daß wir sagen können; wir bringen unser Jena, den Cirkel von
Freunden, der uns so sehr an diesen Ort feßelt, mit nach dem Vaterlande. Herbart
hatte sich plötzlich entschlossen, wir flogen gleich hin zu seiner Mutter, sie zu
Zeugen unseres Entzückens, unserer Freude zu machen, ihr Erwiderung war so ver-
bindlich, daß wir ganz beschämt sie verließen. Sie begleitet uns mit nach Göttingen.
Nun heute über 6. "Wochen ist der Tag unserer Abreise; ich werde fast alles was
ich bey mir habe zurückschicken.''
39. An den Landvogt v. Steiger in Bern.1) Vor l8- Febr- l797-
Die Nachricht dass Ew. — geneigt seyen, Ihre Söhne einem deutschen
Lehrer anzuvertrauen, ist mir durch meinen Freund, Hrn. Fischer, mit-
getheilt worden. Er glaubt, dass ich Ihren Forderungen würde entsprechen
können. Da meine jetzige Lage mir erlaubt, meinem ehemals geäusserten
Wunsche einer ähnlichen Lehrstelle in der Schweiz, Gehör zu geben: so
nehme ich mir die Freyheit, einige Bemerkungen über die Bedingungen
welche Ew. — Hrn. Fischer schriftlich angezeigt haben, Ihrer gefälligen
Überlegung zu unterwerfen.
Dass ich ungefähr würde leisten können, was Ew. — unter wirklich
absolvirten humanioribus verstehen glaube ich dem Worte meines Freundes
Fischer; ich selbst würde es nicht wagen, irgend jemals von mir zu sagen,
dass ich in irgend einer Wissenschaft im strengen Sinne absolvirt habe.
Was indess der Fassungskraft eines Zöglings von 14 Jahren und von
fähigem Kopf angemessen seyn wird, hoffe ich ihm von der Geographie,
Geschichte, Physik, Mathematik, vom deutschen Styl, von der Lateinischen
und Griechischen Sprache beybringen zu können. Mit grossem Vergnügen
würde ich einigen musikalischen Unterricht hinzufügen, da ich mich seit
früher Jugend mit dem Ciavier, der Geige, und dem Generalbass sehr
beschäftigt habe.
Um die Gesellschaft der Discipel auch ausser den Lehrstunden würde
ich selbst sehr bitten, wofern dies nur nicht zu strenge verstanden wird.
Es sollte meine höchste Freude seyn, ihnen noch etwas mehr als blosser
Lehrer werden zu können. Durch 4 bis höchstens 6 eigentliche Lehr-
stunden, verbunden mit einiger Anleitung und Nachhülfe bey den eignen
Übungen, welche die Zwischenstunden ausfüllen werden, hoffe ich sie für
den ganzen Tag, die Erhohlungsstunden abgerechnet, beschäftigen zu können.
Auch die letztern würde ich gern manchmal mit ihnen theilen, um mehr
ihr Freund als ihr Aufseher zu seyn. Nur möchte ich sie nicht gern so
sehr an meine Gegenwart binden, dass sie sich dadurch gedrückt fühlten,
an einer freyen Äusserung ihrer Kräfte und Neigungen gehindert, oder
gar verleitet würden, Schleichwege zu suchen, um sich der Aufmerksamkeit
ihres Wächters zu entziehen; wovon mir so manche traurige Beyspiele
aus eigner Erfahrung bekannt sind. — Schon ehemals nahm ich an dem
Unterrichte einiger Kinder Theil, und hatte die Freude, einen unerwartet
glücklichen Einfluss davon auf ihr ganzes Betragen zu bemerken. Ich
l) 3 S, 40. Nach Herbarts Konzept in der H. Wien. Bereits gedruckt bei
Zimmermann, Briefe pp.
Februar 1797. 4g
konnte dies keiner andern Ursache zuschreiben, als dass ich ihnen an-
fangs bloss meinen Unterricht angenehm zu machen suchte, auf jede Art
von Herrschaft über sie Verzicht zu thun schien, und ihnen nur für vor-
züglichen Fleiss gleichsam als Belohnung einen Wink über ihr übriges
Verhalten hinwarf; dies reizte sie so, dass sie mich immer selbst auf-
forderten, ihnen alle ihre Fehler und meine ganze Meinung von ihnen
aufrichtig zu sagen. — Übrigens würde es auch sowohl für mein eigenes
Fortstudiren, als für eine pflichtmässige und gründliche Vorbereitung auf
den Unterricht erforderlich seyn, dass einige Stunden des Tages meiner
völlig freyen Disposition überlassen blieben; und um hier ganz ungestört
zu seyn, würde ich vor allen Dingen um ein eigenes, wo möglich aber
dem der Zöglinge naheliegendes Zimmer bitten müssen.
Ew. — wünschen auch Verpflichtung auf mehrere Jahre. Für 2 Jahre
wäre ich bereit, und, sollte ich so glücklich seyn Ihre Zufriedenheit zu
erlangen, so würde ich höchstwahrscheinlich auch ein drittes dort zubringen
können.
Eine Verbindlichkeit auf längere Zeit, würden Ew. — selbst schwer-
lich wünschen, da ich noch nicht die Ehre habe, Ihnen persönlich bekannt
zu seyn. Sollte mir dieselbe aber künftig zu Theil werden, so würde ich
alles thun, um mich Ihrer Gewogenheit und Ihres Beyfalls werth zu
zeigen. Ihr etc. etc.
40. C. F. v. Steiger an H.1) 18. Febr. 1797.
Insonders zu verehrender Herr! Die Zuschrift, mit welcher mich Dieselben
zu beehren beliebt haben, verdient wohl von meiner Seiten Antwort durch rück-
gehende Post und die Versicherung der innigen Freude die mir derselben Inhalt
gewährt. Ich darf es sagen: er entspricht bey dieser meinem Herzen so nahe
gehenden Angelegenheit allen meinen Wünschen, den einzigen Punkt ausgenohmen,
daß ich Sie nach 2. — 3. Jahren schon wieder verlieren soll. Doch mag indessen
die Erziehung meines ältesten Sohnes um vieles fortrücken, und für die beyden
folgenden wird sich, unter dero und anderer Freunde gütigen Mitwirkung, verhof ent-
lich wohl auch fernere Außicht und ein erwünschter Lehrer finden laßen. Der-
malen habe ich meine Knaben der Leitung eines Herrn Zeenders von Bern anver-
trauet, der wirklich als || Lehrer beym hiesigen politischen Institut angestellt ist, ein
junger Mann von vielen Kenntnissen, deßen Bekanntschaft Ihnen- Vergnügen machen
dürfte. Seine Unterweisung sollte bis Ende künftigen Aprills oder Anfang May-
Monaths fortdauern, da ich aufs Land zu gehn gedenke. Auf diese Zeit also, aber
etwas früher, würde mir Dero Ankunft am angenehmsten seyn, wobey jedoch Ihre
eigene Convenientz billig vorbehalten bleibt.
Das Honorarium betreffend, finde ich meine Gedanken ebenfalls in Ihres und,
wie ich hoffe, bald auch meines Freundes Hrrn. Fischers Brief an meine Schwester
enthalten, wenn es Ihnen so anstehn mag. Über eint- und anders kann indeßen
das nähere noch schriftlich verabredet werden. Mit einem eignen Zimmer soll es
seine Eichtigkeit haben.
Mein Landsitz liegt blos eine Stunde von Bern und beynahe an der Straße
auf Hünigen und Höchstetten. Im November rufen mich dann meine Amtspflichten
jeweilen wieder uach der Stadt zurück. So sollen und dürfen wir uns zum voraus
l) 3 S. kl. 4°.
Herbarts Werke. XVI. 4
cq Februar 1797.
glückliche Tage versprechen! So seye Ihnen, mein Herr, als künftiger Freund des
Hauses, von nun an, was mir auf Erden am liebsten ist, meine Familie, ihre Bil-
dung, ihr künftiges "Wohl, mit vollem Zutrauen zur Leitung übergeben!
In diesen Gesinnungen habe ich die Ehre, mit der reinesten Freundschaft und
Ergebenheit zu seyn,
Insonders zu verehrender Herr Dero Sie hochschätzender Diener
Bern, am 18. Februar 1797. Carl Fried: Steiger, gewesener Landvogt v: Interlaken.
A Monsieur Herbart d'Oldenburg, ä Jena par incluse.
41. An Smidt.1) Jena [Febr. 1797].
Ich schreibe Dir schon wieder, bester Smidt, ohne Deine Antwoit
auf meine beyden Briefe zu erwarten. Möchte nur meine Furcht unge-
gründet seyn, dass Deine Augenkrankheit sie verzögere! — In was für
einer Welt von Hoffnungen, Wünschen, Besorgnissen, Plänen, ich jetzt
lebe, hat Dich Böhlendorf schon einen Posttag früher begreifen lassen.
Ob ich den Anblick des Fuchsthurms mit dem der x\lpen vertauschen
wolle, das kostete keine lange Überlegung; ich lasse hier jetzt meine
Lehrer und meine Freyheit zurück, um sie nach einigen Jahren, fähiger
sie zu benutzen, vielleicht auch mit tieferem Gefühle ihres Werths, am
selbigen Platze wiederzufinden; und folge einer Reihe von innigen
Freunden, mit denen ich Genuss und Arbeit zu theilen. und an die ich
mich in trüben oder schwachen Stunden anzulehnen gewohnt bin. — Ob
man von anderen Seiten meinem Wunsche entgegenkommen werde,
fragt sich noch, doch ist es wahrscheinlich. Noch bitte ich Dich indessen,
das Ganze als ein strenges Geheimniss zu behandeln; und insbesondere
nicht etwa in einem Briefe an Fichte vorauszusetzen, dass er davon be-
nachrichtigt sey; denn das wird gerade zu allerletzt geschehen.
Und Du, lieber Smidt, willst von uns allen fast allein in Deutschland
zurückbleiben? Wäre es Dir nicht möglich, unsern Zug zu verlängern?
Unser Muhrbeck sucht am Genfersee in Vevay oder Morges seine Ge-
sundheit herzustellen, er ist ungefähr in Deinem Falle, denn wenn gleich
sein Uebel ungleich heftiger ist, so glaube ich wenigstens den Schluss
machen zu dürfen, dass Hufelands Besorgniss, eine Reise in die Schweiz
[2] möchte Dir schaden, sich bloß auf das Besteigen der Gebirge und die
Feinheit der öbern Luft bezieht, denn die niedrigen Gegenden des pays
de Vaud hält er für Muhrbeck sogar, der ernstliche Brustkrankheiten hat,
für zuträglich. Jenes möchtest Du also vielleicht vermeiden müssen, und
könntest es soviel eher, da Berger und Muhrbeck mit Dir im pays de
Vaud zusammenleben; dabey behieltest Du Dir etwa noch eine künftige
Schweizerreise vor, oder entschlössest Dich, was ich freylich kaum zu
wünschen wage, anderthalb Jahre dort zu bleiben, um erst mit völlig her-
gestellter Gesundheit im Sommer von 1798 die Gebirge zu besuchen. —
Dein Uebel hat sich jetzt auf die Augen geworfen, verlässt es auch diese,
so wird es dennoch vielleicht immer gleich drückend bleiben. Möchte
Dir einer der dortigen geschickten Ärzte doch den Rath geben, es auf
einmal ganz fortzuwerfen. — Angenehmer als in der Gesellschaft die sich
*) 7 S. 40.
Februar 1797.
51
jetzt anbietet, könntest Du kaum reisen. Denn obgleich unsre Caravane
gross genug werden könnte, um in den schlechtem Wirthshäusern sich ein
wenig ineinander gepresst zu finden, so würden doch die Menschen, aus
denen sie besteht, Dich leicht schadlos halten. Es sind Böhlendorf,
Koppen, Raison, Muhrbeck, Fischer und ich; höchstwahrscheinlich auch
Lange.
Die letztre Nachricht wird Dich überraschen. So innig ich Lange'n
den übergrossen Beweis seines Zutrauens danke, dass er sich durch meine
Abreise bestimmt findet, nicht länger hier in Jena zu bleiben, sondern
der Reihe von Freunden die er sich hier erworben hat, zu folgen; so
hoffe ich doch nicht durch Eigenliebe geblendet, sondern durch Gründe
geleitet, ihn noch mehr aufgemuntert zu haben, mit uns zu gehn. Ich
wüsste niemand, dem er sich, wenn er hier bliebe, so recht und ganz
anschliessen könnte. Zwar würde sein Gefühl [3] unter den vielen, die
seine Natürlichkeit und offene Freundlichkeit zu ihm hinziehen würden,
bald die bessern von den schlechtem zu sondern wissen; und er hätte
gewiss bald einen grossen Kreis von Menschen, mit denen er froh sein
könnte. Aber ich habe ihm selbst gestanden, — und bitte Dich, der Du
ihn länger kanntest, um Deine Meinung hierüber, — dass ich ein ge-
wisses Hin und Herschwanken zwischen den guten Menschen, die sich
finden würden, ein gewisses Obenabschöpfen des Angenehmen in ihren
Unterhaltungen fürchten würde. Um selbst den vortrefflichsten Umgang
sich wirklich nützlich zu machen, dazu gehört eine Energie des eignen
Geistes, die sich über die fremden Charactere erhebt, sie von oben
herunter betrachtet, vergleicht, das Detail ihrer Erscheinungen durchmustert,
und von da auf das innere Princip zurückschliesst; die dann aus den ge-
selligen Cirkeln sich loszureissen vermag, um in der Einsamkeit zu ver-
arbeiten, was dort gewonnen wurde; die nicht ängstlich in die Spur der
Individualität des Freundes tritt, aber so viel eifriger dem Rufe seiner
reinem Menschheit nachstrebt; die mit ihm empfindet, aber auch mit ihm
denkt und handelt; die seine Freundlichkeit liebt, aber auch seinen Ernst
schätzt und achtet; die seine Bitte um gemeinschaftlichen Genuss muthig
abschlägt, so lange noch die Kraft zur gemeinschaftlichen Arbeit sich regt.
— Du verstehst mich. Lass mich Dir jetzt sagen, was wir Lange in der
Schweiz anbieten zu können glauben.
Vor allen Dingen, erstlich, den schönsten Platz, der Einsamkeit und
Eingezogenheit angenehm machen kann, und zweytens, das Beispiel unseres
eignen angestrengten Arbeitens in Kreisen, die unsre Kräfte kaum werden
ausfüllen können, und die uns also zur äussersten Thätigkeit auffordern.
Dies gilt wenigstens von Fischer, Böhlendorf und mir, und wir 3 hoffen,
Langen unter jenen allen die nächsten zu seyn. Im Winter sind wir
wahrscheinlich alle in Bern, im Sommer bleibt wenigstens Fischer da; B.
und ich sind dann auf Landhäusern, die eine Stunde [4] von der Stadt
liegen. An grössere Reisen werden wenigstens Fischer und ich nicht viel
denken können, auch wird mir diese Resignation so viel weniger kosten,
da Hr. Steiger von Interlaken zur Hauptbedingung macht, dass man sich
auf mehrere Jahre verpflichte, und ich also, wenn er mich zum Haus-
lehrer haben will, wenigstens 2 Sommer dort zubringe. Eine Reise in die
4*
^2 Februar 1797.
Schweiz habe ich immer für mich noch viel zu früh geglaubt, diese bleibt
reiferen Jahren aufbehalten; nur um in reinerer Luft, im Anschauen der
unerschütterlichen, unergründlichen, Himmel und Erde verbindenden Alpen
das Bild der Wahrheit vester ins Auge zu fassen, die Phantasie zu be-
flügeln, das Gefühl zu beleben, das Organ selbst zu stärken, darum
wünschte ich mich in das Land, von wo Bergers Ruf zu uns so laut er-
schallte. Heiliger, inniger wollte ich werden; — nun bietet mirs überdas
die Welt der Menschen an, mich klüger und vester zu machen, — die
Freundschaft breitet dort ihre Arme aus, mich zu empfangen, — die
Musen versprechen, mich nicht zu verlassen, — und über alles andre,
meine Mutter fragt selbst zuerst, warum folgst Du dem Winke nicht? Nun
folge ich, folge gern und freudig; aber mit dem vesten Vorsatze, erst das
Glück zu verdienen, was sich mir darbietet. So sehe ich meine, so sehe
ich Lange's Reise in die Schweiz an. Auch die Letztre kann ich
schlechterdings nur allein aus diesem Gesichtspuncte, zu diesem Zwecke
und in Hoffnung auf den vesten Willen der ihn ausführen soll, vernünftig
finden. Sonst würde ich es in jeder Rücksicht thöricht und tadelnswürdig
halten, ein eben angefangenes Studium wieder zu verlassen, eben ange-
knüpfte Bekanntschaften wieder dahin zu geben, den Tadel verehrter, für
die Zukunft unentbehrlicher Lehrer auf sich zu laden, und der Mühe des
Orientirens in der Laufbahn des academischen Studirens, so wenig Früchte
abzufordern. Das nun [5] ist ein grosses Thema für Dich, mein Bester,
um mir und Lange ganz und stark darüber Deine Gedanken zu sagen;
denn Deine Freundschaft für uns fordert Dich auf, mitzuwirken, dass wir
uns richtig und zweckmässig selbst erziehen lernen.
Über das, was die Schweiz selbst darbietet, verspricht nun auch mein
trefflicher Fischer, der wahrscheinlich sehr bald ein öffentliches Amt in
Bern bekommen wird, und dem dann mancherley Hülfsquellen ergiebiger
fliessen werden, alles was er kann für uns zu thun; und gewiss, was er
verspricht, darauf darf man sicher rechnen. Er will Lange'n recht oft
sehen, ihm vielleicht eine Wohnung in seinem Hause schaffen, für zweck-
mässigen Unterricht sorgen, und den Letztern zum Theil gemeinschaftlich
mit ihm nehmen. Lange würde, glaube ich, dort sein Studium viel zweck-
mässiger als hier in Jena, anfangen können. Wozu soll jetzt schon die
Theologie, oder was immer für eine Brodwissenschaft, so lange noch
jeder Schritt im Felde der Literatur und Geschichte wankt? Wozu Philo-
sophie, so lange noch kein reines speculatives Interesse erwacht ist? Dort
würden unzusammenhängende Dogmen, gleichviel ob neue oder alte, hier
würde eine ärmliche Übung in logischen Kunststücken der einzige Gewinn
seyn, wofern nicht der Ueberdruss an solchen geist verdrehen den Beschäfti-
gungen ins Mittel träte, und allem Studiren ein Ende machte. — Lange
ist von Ahndungen beunruhigt, zu denen ich ihm Glück wünsche, wofern
es ihm gelingt, sie in deutliche Begriffe umzuschaffen. Erst lege er sich
bestimmte Rechenschaft ab über die Fragen, die er zu thun hat, ehe er
von Philosophie und Theologie Antworten erwartet. Da es mir scheint,
dass das Studium der alten Literatur und der Naturkunde ihm am besten
den Stoff geben könnte, woran es ihm noch so sehr fehlt, und dass
Mathematik einzig geschickt sey, [6] ihn auf die erste Idee zu leiten, wie
März 1797. 53
man überhaupt einen Stoff bearbeiten könne, so habe ich mit Fischern
darüber gesprochen und dieser versichert mich fürs Griechische und
Lateinische einen äusserst geschickten Privatlehrer dort zu kennen; und
der Unterricht in der Mathematik und Physik ist es, den er gemeinschaft-
lich mit ihm beym Professor Tralles zu nehmen sich erbot. Uebrigens
soll eine bessere öffentliche Bibliothek in Bern seyn wie in Jena, wir
nehmen überdas auch viele Bücher mit, und so kann es daran gar nicht
fehlen.
Nun müssten die Eltern disponirt werden, ihn auf ein Paar Jahre
wenigstens, dort zu lassen, sonst würde alles nicht der Reise und der
Einrichtung werth seyn; und dann müssten sie etwa 700 Thlr. jährlich
nicht scheuen. Du, lieber Smidt, bist nun von Lange und mir inständigst
gebeten, gleich nach Empfang dieses Briefes zu ihnen zu gehen, und,
soviel Du es selbst gut findest, mit allen Kräften beyzutragen, nicht bloss
ihre Einwilligung, sondern auch ihre Billigung zu erhalten. Dazu könnte
dienen, wenn Du ihnen erstlich begreiflich machtest, dass ihr Sohn mit
dem grössten Recht klagt, er finde sich, da er doch unmöglich mit
halben Kenntnissen zufrieden seyn könne und wolle, noch äusserst unvor-
bereitet zu seinem Studium, und die Mangelhaftigkeit seines ehemaligen
Unterrichts in Bremen müsse ihnen selbst einleuchten; auch gebe es in
Jena zwar Lehrer die für Geld ihre nothgedrungene Schuldigkeit thäten,
in Bern hingegen würden Freunde und [7] deren Bekannte viel besser
und schneller unterrichten. Zweytens hatte meine Mutter mich zu der
Idee veranlasst, — wofür Du ihr mit mir und Lange danken wirst — Du
könnest ihr Urtheil als Gewährleistung für diejenigen Freunde anführen,
welche Lange begleitet; denn wirklich ist die ausserordentliche Achtung,
welche ihr Fischer und Steck abgewonnen haben, die Hauptursache,
warum sie mich zuerst aufmunterte, die Gelegenheit nicht fahren zu
lassen, wodurch ich mit jenen länger zusammenleben könnte. —
Dass endlich alles sehr leicht in den statum quo zurückkehren
könne, wenn ich nicht zum Hauslehrer angenommen werden sollte, ist ja
wohl von selbst klar. — Geht es aber, wie ich wünsche, so reise ich erst
mit Fischer, Böhlendorf, meiner Mutter u. s. w. nach Göttingen, um von
da unsre andern Freunde abzuholen und m[eine] M[utter] soweit zurück
zu begleiten; und dort hoffe ich dann auch meinen Vater einige Tage zu
sehen, und mit ihm bitte ich dann auch Dich herüberzureisen. Meine
Mutter hat mir ausdrücklich aufgetragen, Dir den letzten Vorschlag auch
in ihrem Namen zu machen; Du habest siezwar lange umsonst auf einen
Brief warten lassen, und so dürfe sie auch Deinen Augen nicht anmuthen,
einen von ihr zu lesen; sie grüsst Dich aber doch freundlichst, und wird
sehr froh seyn, Dich in Göttingen zu sprechen. Wir werden Dir dann
erzählen, wie froh wir den Winter zusammen verlebt haben.
Dein Herbart.
42. Böhlendorff an Smidt. Jena 2. März 1797.
Endlich ist es auch völlig entschieden, daß unser lieber Herbart mit uns
reist (nach der Schweiz) und der bestimmte Tag unserer Abreise ist der 26. März.
Wir gehen über Göttingen. Die Eeisegesellschaft von hier ist Fischer, Steck, Herbart,
54 März 1797.
Muhrbeck, Lange und ich, außerdem noch einige Freunde, die bis Göttingen und
weiter uns begleiten wollen. — — Madame Herbart bittet auch (daß Smidt sich
anschließe) denn sie gönnt uns ihre Gesellschaft auch bis Göttingen und möchte, daß
ihr Gemal und eine gewisse Annette Schröder (die mir gefällt) mit Dir dahin käme,
indem sie von da nach Oldenburg zurückzukehren denkt. — —
43. Steck an seine Mutter. Jena 13. März 97.
„Herr Steiger hat nun Herbart angenommen, ich bin so glücklich ihn und
Böhlendorf noch drey Jahre zu besitzen, 0 es sind treffliche Menschen, ich schätze
und liebe sie so innig."
44. Herbarts Vater an Smidt1) 19. März 1797.
Hochedelgebohrener Hochzuehrender Herr! Mit Ew. Hochedelgebohren bin ich
in gleichem Fall. So gern ich den Wunsch meiner Frau, daß ich sie von Göttingen
abholen möge, erfüllte, so wenig verstatten dies meine Geschäfte, die gerade in dieser
Zeit sehr dringend sind. Ich habe dies bey voriger Post meiner Frau gemeldet. Daß
Sie nicht in Göttingen bey der Reisegesellschaft eintreffen können, wird dieselbe, und
besonders meine Frau und mein Sohn sehr bedauern, desto größer wird aber des
Letztern Freude seyn, Sie in Bern wieder zu sehen. — Bis Bremen hoffe ich meiner
Frau entgegen gehen zu können, da ich mir dann das Verguügen nicht versagen
werde, meine Zeit so kurz sie auch seyn wird, vorzüglich im Fall es Ihnen so gelegen
seyn sollte, in Ihrem Umgange zuzubringen. Im letzten Freyrnarkt war ich einige
Tage in Bremen. Mir ward gesagt, ich weiß nicht mehr von wem, daß Sie verreist
wären. Daher kam es, daß ich die Gelegenheit Sie zu sehn verfehlte. Nach meiner
Zuhausekunft erfuhr ich von den Dem. Schröder zu meinem Leidwesen, daß ich
falsch berichtet worden. Die beyden Mädchen empfehlen sich und habe die Ehre
mit vorzüglicher Hochachtung zu seyn Ew. Hochedelgebohren ergebenster Diener
Oldenb. d. 19. März 1797. Herbart.
Adr. Herrn Candidat Smidt Hochedelgebohren
frey. zu Bremen.
45. Aus dem Stammbuche von Gries.*) Jena am 2isten März 1797.
Sey Dein Leben ein tönendes Lied! Im Päan der Sphären
Schmelz es, ein reiner Ackord, sanft und melodisch dahin!
Dein Herbart.
46. Steck an seine Mutter. Jena (20.?) März 1797.
„Für den Abschiedsabend hat uns Fichte gebeten, mit unseren Freunden,
Herbart, Böhlendorf und anderen, die mit Fischer nach der Schweiz reisen, es wird
eine festliche Nacht seyn! . . . Gott, einen solchen Abschied von Jena nehmen zu
können, das war mehr als ich wünschen durfte."
47. Steck an seine Mutter. Göttingen 28. März 1797.
Über den Abschied von Jena. „Dienstag [23. März] Abends hatte uns unsere
Pflegemutter zu Gaste [Frau Kirchenrätin Scykler], sie hatte die Gräfin [Kameke],
*) Aus der Campe'schen Autographen-Sammlung in der Hamburger Stadt-Bibliothek.
Rückseite: „Gierig Ostern 97 nach der Schweiz. Im März 1800 sahen wir uns, auf
seiner Rückreise nach Oldenburg, in Göttingen. Ward 1805 Professor der Philosophie
in Göttingen. ;t
*) 2 S. 4°.
März 1797. 55
Madame Herbart und ihren Sohn, Mlle Schubert und noch einige Freunde gebeten,
wir waren sehr frohe, blieben über Mitternacht bey einander. Den folgenden Abend
[24. März] brachten wir bey unserem Freunde von Firks zu; ein Gegenstück zur
Nacht von 22ten: um Mitternacht giengen wir zu Fichte, der uns beym Punsch er-
wartete, wir erwarteten viel, aber es ward uns sehr wenig. "Wir waren in einer
sehr hohen Stimmung und glaubten ihn herzlich und offen zu finden, aber er war
höflich, seine Frau blieb zugegen, und so hatten wir eine unbedeutende Unterhaltung,
wo doch Zeit, Umstände, Anlaß, alles auf seltene fruchtbare Stunden Anspruch gaben.
Um 4 Uhr verließen wir ihn, bey unserem Abschied war er doch bewegt, aber was
war das gegen das vorhergehende! ich gieng nun nach Hause, packte meine Sachen
zusammen, und reiste um 5 Uhr mit den übrigen ab." [25. März]. Bericht über
die Reise, Aufenthalt in Gotha, Besuche bei Schlichtegroll, Eeichardt, Jacobs. „Wir
hatten uns vorgenommen, Schnepfenthal (die Erziehungsanstalt von Salzmann) zu
besuchen, unglücklicher Weise hatte man mit unseren Fuhrleuten keine bestimmte
Abrede genommen, sie weigerten sich, den Umweg zu nehmen. Fischer fuhr mit
Madame Hebbart und ihrem Sohn dahin, ich wollte mich von den Uebrigen nicht
trennen." — [27. März] „Erst späte ist Madame Herbart mit ihrem Sohne und Fischer
hier angekommen. Sie bleibt nun noch 10 Tage hier, bis sie Profeßor Woltmann
aus Jena hier abholt um sie nach Oldenburg zurückzugeleiten. Morgen reisen wir
nun nach Cassel, dießmal fahre ich mit der Herbart und komme Sonnabend mit ihr
nach Göttingen zurück."1)
48. An Rist.2) Göttingen, den 28. März 97.
(Ich fand Dich nicht — hier wo wir uns zuletzt sahen und hörten
— ich fand viel Liebes und Gutes, aber ich fand Dich nicht. — Es ist
gut, dass ich Dich nicht fand; in diesen Augenblicken, wo ich so viel und
so wenig bin, bin ich eigentlich gar nichts. — Göttingen ist für mich
nicht ganz Göttingen und es sind doch Menschen hier für mich und
Freunde. Fischer, Steck und Herbart sind mit mir. Gries, der meine
geleitet uns bis Cassel. —
Morgen früh von hier — und so immer und immer fort — weiter
— Lieber, lebe wohl, lebe! — Dein Böhlendorf.)
Näher bin ich Dir, lieber Rist, aber ich soll Dich nicht sehen.
Wärst Du doch hierher gekommen. Doch nein, nicht hierher hatte ich
Dich gewünscht; ich weiss nicht, ist es Vorurtheil oder augenblickliche
Stimmung, ich finde es hier so unheimisch, dass ich mich kaum als
Freund und Sohn bei meiner Mutter und meinen Freunden fühlen kann. 3)
— Komm in die Schweiz! Freundschaft und schöne Hoffnung führen
*) Vgl. hierzu die Schilderung v. Elise Campe in „Aus dem Leben von Joh.
Died. Gries", 1855, S. 10 f.: „In Jena versammelte sich die literarische Gesellschaft
am 22. März zum letzten male, wo Herbart gewissermaßen ein Vermächtniß vortrug,
einen Plan zu einem, auch künftig bestehenden, rechtlichen Verhältniß der Gesell-
schaft enthaltend .... Wunderlich genug hatte Fichte sie alle die letzte Nacht bei
sich vereinigen wollen, sie brachten die Stunden von 12—4 bei ihm zu, bei sauerm
Punsch und saurer Unterhaltung, wobei Fichte geflissentlich jedes tiefere interessante
Gespräch zu vermeiden schien. Unbefriedigt kehrten sie heim . . . ."
-) Text nach Ziller, Reliquien S. 47 ff.
3) Ueber die Versammlung der anwesenden Mitglieder der literarischen Gesell-
schaft bei Koppen und die Anregung Herbart's zur Discussion der Frage: darf ich er-
ziehen? s. Gries's Leben S. 11. (Zeitschrift f. ex. Phil. I, S. 61, Anm.)
56 März 1797.
mich dahin. Folge mir, folge Steck und Fischer. Ich lasse Dir Zeit,
denn wahrscheinlich bleibe ich etwa 3 Jahre dort. Täuscht mich meine
Hoffnung, so würde ich höchst unglücklich sein. Auf 2 Jahre bin ich
gebunden, ich weiss nicht wie ich es tragen werde! Schwere Pflicht
fordert mich zur äussersten Anstrengung auf. Wenn ich froh und heiter
sein werde, so schreibe ich Dir oft. Aus trüben Wolken kann ich Dir
nicht erscheinen. Ich kann es nicht, denn ich bin nicht ich; und ein
Bild, was ich nicht für das meinige erkenne, kann ich nicht an einen
Freund absenden. Gilt Dir diese Entschuldigung, so danke ich Dir und
drücke Deine Hand im tiefen Gefühl unserer Freundschaft. Was mein
Stillschweigen bedeutet, weisst Du, etwas Anderes bedeutet es nie. Willst
Du dennoch zu mir kommen, wie am Abend, da ich von Pastor Giese
kam, so erneuerst Du mir jene unvergesslichen Stunden. — Was ich Dir
sein würde, das weiss ich nicht. Ein Jahr, wo man sich nicht sieht, ver-
ändert vieles. Was ich Berger, was ich Hülsen sein werde, weiss ich
nicht. Sie haben sich sehr verändert; und wenn gleich mein Charakter
noch derselbe ist, so haben sich doch seine Grundzüge tiefer eingegraben.
Es sei! Von dem Punkte, wo wir zusammentrafen, werden wir in diver-
girenden Linien fortgehen, das ist nicht anders. Wir wollen es gestehen,
und nur des gemeinschaftlichen Bodens, auf dem wir wandeln, nie ver-
gessen. Eine schöne Stunde mit Gries hat mich und ihn an diesen er-
innert. Eine heitere Sonne vertrieb einen heftigen Sturm, und jetzt er-
tragen wir die Wölkchen geduldig.1) Ich glaube, Du wirst das auch thun.
— Ich bin sehr ernsthaft geworden; und ich suche umsonst nach einer
Aussicht, wohin ich meinen Blick zuversichtlich wenden könnte. Ich bin
mir selbst zuvor geeilt; thue das nicht. Du thust es wirklich nicht, und
darum bist Du froh und heiter. Bleib' es, und bleibe mein Freund.
Dein Herbart.
Was soll ich Dir noch schreiben, Rist, nach diesem hier? Ich gehe
noch mit nach Cassel;2) es ist nur ein Augenblick mehr, aber ein Augen-
blick, der eine Ewigkeit aufschiebt, ist — o wie viel werth!
Gries.
49. C. Otth an Steck (damals in Göttingen). Jena, 29. März 1797.
,. Gestern überbrachte man mir ein Paquet von Herbart, welches wir, auf das
was er Eschen geschrieben, eröfnet; da wir dann nach unserer Erwartung nichts
fanden, als die Musik, welche wieder zurückerwartet war /:von Leipzig:/. In der
Ungewißheit, ob dieser Brief ihn noch in Göttingen finden würde, wenn ich ihm
den meinigen beylegte, haben wir für gut gefunden die große Kiste aufbrechen zu
laßen u. ihn oben darein zu legen, auf diese Weise wird, nebst dem daß das Porto
erspart wird, die Sache weniger leicht verlohren gehen können.1'
50. Steck an seine Mutter. Göttiugen, 7. April 1797.
„Ich füge Ihnen hier einen Brief an Ziehender] an, in dem Sie etwas von meiner
Reise nach Caßel finden werden; ich kam mit Madame Herbakt, ihrem Sohn und
1) Uebereinstimmend mit Gries's Leben S. 14.
2) Gries's Leben S. 14.
April 1797. 57
Fischer am 30ten [März] dort an, die übrigen unserer Reisegesellschaft folgten in
zwey Wägen; am 1. Aprill trennten wir uns, wir reisten zu gleicher Zeit ab.u
51. An Seine Mutter in Oldenburg. x) [Schaffhausen] Am Ostertage [1797].
Wir haben es gestern gesehn, das grosse Schauspiel. Zwar blieb es
gewissermassen weit unter meiner Erwartung, denn meine Phantasie hatte
aus Beschreibungen ein colossalisches Bild zusammengesetzt, dem sich die
Wirklichkeit nicht anpassen konnte. Ich glaubte, der grosse Strom werde
von einem Berge herabstürzen, da doch, was mir vorher unbekannt war,
die ganze senkrechte Höhe nur 80 Fuss beträgt. Aber dennoch — wie
weit bleibt auch die überspannte Phantasie hinter dem Eindruck der An-
schauung zurück! Wie gewaltig fasst die Natur hier Ohr und Auge zu-
gleich! 4 Stunden verschwanden wie eine, im Verweilen auf allen den
verschiedenen Gesichtspuncten, die man hier nehmen kann, und deren
jeder ein eignes Interesse und eigene Schönheiten hat. Der Rhein beugt
sich gleich nach dem Falle rechts herum; und so sieht man den letztern
sowohl von vorne als von der Seite. Auch fuhren wir über den Fluss,
nach der entgegenstehenden Seite, wo auf dem hohen Felsen das Dorf
Laufen mit einem Schlosse des gleichen Namens liegt. Eine kleine Brücke
unten am Berge führt von einem Felsstücke, von welchem man nicht
ohne Gefahr bis dicht an den Strom würde hinabsteigen können, unmittel-
bar an den Fall hinan. Man sieht hier gerade in den grössten von den
3 Armen hinab, in welche der Strom durch 2 hohe Felsstücken getheilt
ist, die aus dem Fall gerade in der Mitte hervorragen. Das Wasser
wird Schaum und Staub; beim Sonnenschein soll man die schönsten
Regenbogen färben darin erblicken. Auch von einem Häuschen oben auf
dem Berge kann man den Fall sehen. Aber ich mag auf keine Grösse
von oben herabblicken; man fühlt sich so unwürdig dabey. So ward mir
ehemals oft, wenn ich Fichte'n, der kleiner ist, wie ich, auf die
Scheitel sah.
— — — — — — — [Das Auge, so weit der Blick] 2) reicht, bis
an die entfernten, mit Wald und Schnee bedeckten Gebirge, erblickt fast
keinen Baum; trauernd und fürchtend zugleich, liegt die Gegend da in
dumpfer Stille. „Geseegnet sey der Rhein!" wünschten wir. Möchten
wir es hoffen dürfen! — Wäre es mehr als blosses Gerücht, was man
uns gestern sagte, Buonaparte sey gefangen genommen, so muss Mainz
vielleicht ein noch traurigeres Schicksal fürchten, denn wie weit ist dann
noch die Aussicht auf den Frieden!
Zwischen Ruinen, verarmten Städtchen und Dörfern, und Feldern,
die der Fleiss der Landleute troz der ungewissen Erndte doch bearbeitet
hatte, kamen wir weiter nach Worms. Im Fluge liefen wir beym Ab-
reisen von da noch in die offene Kirche, und sahen daneben einen
Pallast in Trümmern. Dann gings weiter nach Mannheim; der Stadt in
gereimter Prosa, wie Baggesen sie nennt. Wirklich, die Strassen reimen
sich; es sind lauter Parallellinien, die von anderen Parallelen rechtwink-
1) 2 S. 40. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe pp.
2) Ein Stück des Briefes ist abgeschnitten.
5S April 1797.
licht durchschnitten werden; aber diese Regelmässigkeit lässt die kleinen
schlechten Häuser nur so viel mehr auffallen. — An den Vestungswerken
wurde hier stark gearbeitet; auch waren Mannheim und Mainz die einzigen
Orte, wo wir unsre Pässe vorzeigen mussten. — Wir freuten uns hier
einer Fahrt auf dem Rhein, und des Schauspiels. Die Forderungen,
welche man an die Bühne, welche Inland ehemals belebte, machen kann,
schienen uns befriedigt zu seyn, und unser Genuss war hier soviel reiner,
da wir keine geistlose Nachahmung von der Manier jenes grossen Künst-
lers bemerkten. Leider gab man nur eine Posse von Kotzebue. Wäre
es doch blosser Zufall, dass ich in Mannheim und in Frankfurt und
bevdemale in Leipzig gerade immer nur Kotzebue's Stücke sehn musste;
möchte das kein Zeichen von Vernachlässigung der bessern dramatischen
[Kunst sein] — — — — — — — — — —
52. Herbarts Vater an Smidt. l) Oldenburg den 15. Apr. 1797.
Ew. Hochedelgeboren verzeihen, daß ich mir die Freyheit nehme, Ihnen den
anliegenden Brief mit der Bitte zuzustellen, daß sie denselben an meine Frau, so
bald Sie ihre Ankunft in Bremen, erfahren werden, abliefern zu laßen geneigen
wollen. Ich weiß nicht, in welchem Gasthof meine Frau zu finden seyn wird, sonst
würde ich den Brief gerade dahin adressiren.
Ich empfehle mich und bin stets Euer ergebenster Diener
53. Johanna Fichte an Smidt. Jena d. 17. Aprill 97.
— — Daß mir die Abreise der Lieben Justizräthin [Herbart] weh thut, ist
gewis: Sie ist die erste weibliche Seele, mit der ich seit meiner Abreise aus der
Schweitz recht reden konnte, denn die ewigen Alttagsgespräche hier, haben mich
immer angeekelt, auch kann, und will ich mich nicht an sie gewöhnen. Sagen Sie
der Guten, warum sie mir noch nicht geschrieben; ich hätte es schon gethan, wenn
ich gewußt, wo sie wäre.
Freund Achelis besuchen Sie doch, nicht wahr? Ich grüße ihn auch herzlich,
sein itziger Zustand geht mir nahe. Er war in Zürich wegen seinem guten edlen
Hertzen allgemein geliebt, und bey diesen hertzlosen verkehrten Göttingern kann er
nicht — — —
54. Steck an Fischer.2) Hamburg, 29. April 1797.
. . . Meine Eeise mit Madam Herbart, und dieser Besuch [bei Jacobi], das sind
Schätze, die ich mitnehme, die mein ganzes Leben hindurch mir wuchern sollen . . .
Wie sich Herbart, Böhlendorf, Muhrbeck, Lange in unsere Welt finden mögen;
jetzt erst in der Entfernung weiß ich, wie sehr ich sie schätze und liebe.
Es ist anmaßend, Menschen verschiedener Bildung an einen Maßstab zu halten,
aber ich konnte mich doch nicht erwehren, nachdem ich nun Koppen, Smidt und
Bist kenne, Herbart und Böhlendorf noch höher zu schätzen.
55. Rist an Herbart ) den 5ten Mai [1797].
„Also weiter, und noch einmal so weit als sonst sind wir nun getrennt? —
Soweit, daß selbst unsere Stürme verwehen, und die Wolken die sie tragen vergehen,
x) 1 S. 4°.
2) Aus dem Aufsatze R. Stecks: „Ein Besuch bei Jacobi" im Archiv für Ge-
schichte der Philosophie XII. Bd. 1899, S. 498 f.
:i) 4 S. 8°. Hofbibl. zu Wien. Zuerst mitgeteilt von R. Zimmermann in der
Zeitschrift für exakte Philosophie. Bd. XIII. S. 205 — 210. Langensalza, Verlag
von Hermann Beyer & Söhne (Beyer & Mann), 1884.
Mai 1797. 59
ehe sie Dich erreichen ! — Nur der liebende Menschengeist, schneller als Stürme und
Wolken, dringt in die unabsehbare Ferne ; und tritt mit freundlicher Geberde vor den
verwandten Geist. — 0 Herbart, mögen drei oder vier große Ströme und weite
Länder zwischen uns liegen, — ich bin dennoch nicht weiter von Dir entfernt,
vielleicht Dir noch näher, als da uns nur ein Paar enge Gäßchen und der Leutrabach
trennten. Zwar ich kann nicht mehr täglich zu Dir kommen — Dir meine Unruh
und meine Wünsche anvertrauen; nicht mehr liebevoll mit Dir von den Freuden
des Lebens sprechen, und Dich zu ihrem Genuß ermuntern, — wir stehen nicht
mehr vor Deiner Diana, vor Deiner Niobe still, — und keine Sonate von Klementi
schallt mir mehr von Deinem Klavier; — aber das alles könnten wir doch noch. —
Viel kann ein Jahr verändern; aber nicht die Treue; die bleibt; die bleibt auch uns.
— Treue ist's, dieser feste, edle, kräftige Sinn, auf den ich die Welt gebaut hätte,
die Anhänglichkeit und Stetigkeit an Deinen Neigungen und Abneigungen, — das
war's, was mich an Dich fesselte; das ist's, was der Mensch in dem Gefühl der
Wandelbarkeit am liebsten findet im Menschen, am innigsten festhält. — Was ist
alle Herrlichkeit des Geistes und alle Liebe ohne Treue? Nur zu oft dem Freunde
eine Quelle des Schmerzes. Aber was ist edler unter der Sonne, als einander [2]
verstehn — und treu seyn! — Wir verstanden einander ja, und liebten, uns aus-
zugleichen über unsere Verschiedenheit; ich durfte Dir ja dreist ins Auge sehn,
und in meinem Aug Dir mein Herz hingeben. Und das darf ich noch. — Treue hat
mein Sinn vor allen Schätzen bewahrt; — und die bring ich Dir wieder wo und
wann ich Dir auch begegnen werde. Drum frage nicht: was werde ich Dir seyn?
Bist Du derselbe — haben sich die Grundzüge Deines Charakters nur tiefer ein-
gegraben — wohl, so bist Du mir nur mehr, was Du warst.
Diese Stunde, in der ich Dir schreibe« würde nicht so schön sein, mein Herz
nicht mit so frohen, wehmütigen Gefühlen erweichen, wenn ich nicht mir bewußt
wäre, ich könne Dir noch sein was ich war, dürfe noch mit stolzer Stirn, und offnem
Herzen auftreten gegen einen Pastor Giese. — Ich sehe Dich wieder — ich hoffe
oald, nächsten Sommer vielleicht, — und dann sollen die Wolken verschwinden;
wir werden in dem erneuerten Bunde glücklich seyn. —
Ach Herbart, als Du mir aus Göttingen die letzten Worte schriebst1) warst Du
nicht froh — nicht glücklich; — auch die Zukunft bot Dir keinen Ruhepunkt für
den rastlosen unbefriedigten Geist. — Ich begreife Dich — — ich beklage Dich.
0, hast Du noch nicht gelernt Dich zu vergessen im Lebensgenuß, Dich für Augen-
blicke hinzugeben, um gestärkter den Kampf zu bestehen. Können die Sinne den
übermächtigen Geist noch nicht binden an das Leben, an die Erde, daß er nicht vor
Sehnsucht und innerem unbefriedigtem Drang und Kampf sich selbst zerstöre? —
Nein, Du [3] kannst nicht zurück, er siegt und so muß es seyn; sonst wärst Du
nicht Du selbst. —
Ich hoffe alles von der Schweiz für Deinen Körper, die Gesundheit wird Dich
dem Leben wiedergeben. Wie könntest Du Dich schon mit seinen Freuden abge-
funden haben! Ich wollte — ich wäre bei Dir. — sie würden uns schon begegnen.
— Ich bitte Dich nicht, mir zu schreiben; Du versprichst es, wenn Dir wohl seyn
wird; was Deine Briefe mir sind, brauch ich Dir nicht zu sagen.
Gries ist hier — . . ich wünschte, und ich fürchtete die Zusammenkunft mit
ihm. Die streitenden Bestandteile unsrer Wesen waren schriftlich in eine so laute
Disharmonie ausgebrochen, daß nur die Voraussetzung, wir haben uns beide misver-
standen, uns wieder vereinigen konnte; mehr that freilich das Bedürfnis, wieder
Freunde an einander zu finden. - Sehr schöne, und merkwürdige Stunden habe ich
l\ Siehe unter 28. März 1797.
60 Mai 1797.
mit ihm gelebt; aber immer befriedigt er mich nicht — immer dieses Gefühl, dieser
Geschmack, dieses Wollen und Treiben ohne Kraft und Selbsttätigkeit ; — dieser be-
schränkte Blick, diese Geschlossenheit der Grundsätze und der Ausbildung von innen
heraus; immer dies Behandeln der wichtigsten Gegenstände, die ich mit Ernst und
Liebe betreibe, mit jener Art von LiNDNER'schem Weltton, jener Art von — liberaler
Spaßhaftigkeit und Selbstgenügsamkeit, die mir widriger ist als der Tod, bei solchen
Gegenständen; immer noch — — aber Du weißt's ja — .
Was anders als dies könnte sonst die Ursache der traurigen Verhältnisse und
der schrecklichen Szenen [4] zwischen Euch und ihm gewesen seyn, die ihn sehr
unglücklich machten — und in denen ich nie mit Euch gestanden habe7i mögte! Er
theilte mir das wichtigste davon mit. — So etwas läßt sich nicht gut schriftlich be-
handeln. — Darum schweige ich. Und laß uns diesen Gegenstand für eine Unter-
redung aufsparen, die nicht anders als wichtig und lehrreich sein kann. —
Die letzten herrlichen Abende, der eine besonders, der Euch alle vereinigte,
preßten mir Thränen der Erinnerung ins Auge. —
Es ist vorüber! — Die Zeiten, die uns so mild und ernst in Umständen, in
einer Lage vereinigt die — nicht wiederkehren kann, sind auf immer dahin, — was
auch kommen mag — so wirds nicht wieder. Laß denn jeden 'von uns hingehen
und das beste davon machen, was er kann; — laß uns streben, jedem Schicksal, der
Zeit und dem Raum zum Trotz, uns unter einander festzuhalten, nie die Hand des
Freundes fahren zu lassen, so finden wir uns denn vielleicht unter einem günstigen
Gestirn einmal wieder zusammen.
Lebe Du denn wohl, und möge Dein Schicksal Dich mehr als Du hofftest finden
lassen. — Ich gehe auch zurück, wohin mich meine Bestimmung ruft, um dort in
friedlicher Stille meine Ausbildung zu befördern. Ich hoffe, wenigstens ebensoviel
frohe als trübe Stunden zu haben; — und so mag es denn darum seyn! — Denke an
mich. Ich schreibe Dir vielleicht bald von Kiel aus weitläuftiger.
Dein Rist.
56. Steck an seine Mutter. Bei Neuschanz auf der Post-Trekschuiten, 10. Mai 1797.
[Reise von Hamburg hieher].
.,So haben Sie nun endlich Eischern gesehen, wie freue ich mich deßen, und
sogar auch Herbart, 0 ich wüßte nichts, beste Mutter, wofür ich Ihnen herzlicher
danken könnte, als für diese Aufnahme von Freunden, die mir alles sind. Herbart
hat Ansprüche auf mich, denen ich nie werde ganz entsprechen können, und was
ich erst seiner Mutter schuldig bin! Sie können denken beste Mutter, wie begierig
ich nun bin, zu erfahren wie Sie Herbart gefunden haben, und wie sich das über-
haupt gefügt hat.u
57. An Rist.1) Bern am I2ftenjuni 1797.
Lieber Rist! Eben habe ich Deinen lieben Brief Fischern und Muhr-
beck vorgelesen, und nun will ich auf des letztern Zimmer gleich darauf
antworten, denn ich bin heute in Märchligen beurlaubt, und darf den
Sonntag mit meinen Freunden leben.
Wie Du mit Deiner freundlichen, heitern Stirn zu mir gekommen
bist, mir wohlzuthun, so will ich mit meiner trübern Dich besuchen, mich
Dir zu zeigen wie ich bin; Du magst sehn, was Du mit mir anfangen
kannst.
') Nach dem Originale, von Hrn. Richter Dr. Smidt fr. zur Verfügung gestellt.
Juni 1797. 6l
Nach dem Eingange erwartest Du wol wieder solche Zeilen, wie die
aus Göttingen. Aber freue Dich, was damals in ängstlichen Nebel ver-
hüllt in der Ferne vor mir lag, war nur furchtbar durch den Nebel; nun
ich da bin, finde ich ein Pläzchen, gerade so schön, als es seyn darf, um
nicht zu vergessen, dass es die wirkliche Welt ist, in der wir leben.
Märchligen1) ist der schönste Ort, den ich bis jetzt in der Schweiz ge-
sehn habe. Das Stück Land, das man mir zu bearbeiten gegeben hat —
Ludwig Steiger mag mir diese Vergleichung vergeben, denn bis jetzt ge-
hört er wirklich mehr ins Reich der Dinge als der Geister — ist von der
Natur nicht vernachlässigt, aber es hat schrecklich lange brach gelegen,
ist hart und vest geworden und man muss erst mit allen Kräften graben,
ehe man etwas darauf säen kann. Dagegen sind alle Werkzeuge, die ich
gebrauchen kann, im Ueberflusse da, und der Ruheplätzchen auch genug
und zum Theil sehr schön, wo ich froh werden oder über das was ferner
zu thun ist, nachsinnen kann. Freundliche Gesichter und hülfreiche
Hände, sofern Hülfe möglich ist, und Achtung und Gefälligkeit, und vor
allen Dingen völlige Freyheit in der Anordnung der Arbeit, verbunden
mit dem grössten Interesse an ihrem Erfolg, — das war es, was ich
nöthig hatte, und das habe ich im Hause des Landvogts Steiger gefunden.
Ueberdes eine Familie, und den Rang eines Gliedes der Familie,
einen Rang, den ich gewiss nicht hingäbe, böte mir auch Steiger den
weissen Steinbock den er im Wappen führt, dafür an. — Der Mann ist
Mann, und die Frau ist Frau, und die 7 Kinder sind Kinder. Sie alle
sind wirklich, was sie sind, und befriedigen so wenigstens die Forde-
rungen der Wahrheit, wenn auch nicht die Bitten der Schönheit. Das
letztere kann ich auch noch nicht, ich bin mit jenem noch nicht fertig
und muss allen Ernst den ich nur habe, aufbieten, um ein wirklicher
Hauslehrer zu werden und zu bleiben. Da übrigens ein Hauslehrer ein
so wunderlich geartetes Wesen ist, dass bey ihm die Bitten der Schönheit
Forderungen werden, sintemal er ihnen bey seinen Zöglingen ein williges
Ohr verschaffen soll, — so ist es mein grosses Glück, dass Ludwig in
seinem 14. Jahre noch zu ungebildet, und Carl und Rudolf im 8ten u.
ioten noch zu jung sind, um mir in der Rücksicht nicht wenigstens Zeit
zu lassen.
Der Arbeit bedurfte ich mehr als alles andern; und zwar einer Arbeit,
die mein ganzes Wollen umfasste, es zugleich in Portionen theilte, und
diese an die Zahl der Klockenschläge bestimmt und vest anheftete.2}
x) Landgut der Steiger' sehen Familie, 1 Stunde von Bern.
2) Dass Herbart auch mehreren seiner Freunde, die schwärmerischen Plänen für
ihre Wirksamkeit nachhingen, anrieth, Hauslehrerstellen zu übernehmen, s. v. Berger's
Leben S. 23. Ueber alles seiiaen Schweizeuiufenhalt Betreffende s. Jahrbuch des Vereins
für wissenschaftliche Pädagogik, hersg. von T. Ziller, 2. Jahrgang, Leipzig 1870, S. 229
bis 294: Abhandig. von Dix „über Herbarts Mitteilungen an Herrn von Steiger," (s.
auch Bd. 3, S. 342 f.); vor allem aber die oben S. 29 Anm. 1 genannten Abhandlungen
von R. Steck; ferner: ,, Herbart in Bern" von R. Steck in L. Steins Archiv für Ge-
schichte der Philosophie Bd. XIII. Neue Folge. VI. Bd. (Berlin 1900) S. 179—199;
endlich E. von Sallwürk, Streifzüge zur Jugendgeschicbte Joh. Fr. Herbarts (Langen-
salza, Hermann Beyer & Söhne [Beyer & Mann] 1903; 199. Heft des Päd. Magazin,
hersg. v. Fr. Mann).
02 Juni *797-
In Jena war ich in der letzten Zeit zu träge, oder zu dumm, meine
Wissenschaftslehre förmlich und ordentlich fortzuführen, zu stolz, um
andere Beschäftigungen an ihre Stelle zu setzen, zu arm an Mannigfaltig-
keit der äusseren Verhältnisse, um im Leben das Bedürfniss eines sichern,
ganz geprüften, aller Wege kundigen Führers — so etwas soll doch wol
ein phil. System seyn, — tief genug zu fühlen. Auch wurde mir die
letzte Zeit die Physionomie der Universität, und das Leben im Burschen-
quartier gar zu widerlich. Die wirkliche Welt ist zwar wol allenthalben
nur eine Werkstatt, aber auch unter den Werkstätten ist doch ein unge-
heurer Unterschied, die eine ist denn doch sauberer und geräumiger als
die andre. — Eine reichere Umgebung, mehr Fülle von Naturgrösse und
Natur-Schönheit und Niedlichkeit, mehr Anstrengung und Thätigkeit der
Menschen, mehr gerades Fortgehen auf dem Wege, den sie nun einmal
gewählt haben, findest Du wol nicht leicht, als hier in Bern. Diese
Aristocratie ist mir sehr achtungswürdig, und selbst wenn sie Fischern und
Zeendern beyde von der philosophischen Lehrstelle ausschliessen, um eine
Frau zur Fr. Professorin zu machen, — wie sie neulich wirklich gethan
haben, — so weiss ich dass das gerade die schlimmste Seite der Aristo-
cratie ist, tröste mich damit, dass sie sich dessen innerlich schämen ■ —
das thun sie auch wirklich und haben es gezeigt — und freue mich,
dass sie auch einmal einen Landvogt absetzen, wenn er gleich aus der
Mitte ihrer „grossen" Familien ist, weil er das öffentl. Korn aus Unvorsichtig-
keit einem schlechten Unterbedienten überliess, der es über den gesetz-
mässigen Preis verkaufte. Die grosse, schöne, stolze Stadt Bern mit ihren
regelmässigen, äusserst wol gebauten, doch nicht prächtigen Häusern und
Strassen und Arkaden ist von einem wohlhabenden, zufriedenen Lande
umgeben, indess das krumme, schiefe, finstere, eckige Zürch mit seinen
lächerlichen 3 fachen Thoren und bedeckten Wegen u. Schanzen, — die
alle einem nahen Hügel von wo die ganze Stadt in den Grund geschossen
werden kann, die Knie beugen müssen — sich gegen seine beynahe em-
pörten Bauern in Sicherheit setzen muss, und aus Furcht, sie möchten zu
klug werden, ihnen und den Unterthanen der Eidgenossenschaft die öffent-
lichen Schulen verschliesst! Das sind Tatsachen.
Doch ich muss Dir noch etwas von Hrn. und Fr. Steiger erzählen.
Er ist die Pünktlichkeit und Gewissenhaftigkeit selbst, dabey aber ist er
kein Pedant, ist beynahe ohne Vorurtheile, ist äusserst empfänglich für
alles was man ihm mit Gründen darzustellen weiss, und kann zu Zeiten
auch froh seyn und scherzen. Unter seiner Regierung lebt das Haus in
stiller Gleichförmigkeit fort, die Frau in ihrer immer dauernden Sanftheit,
Güte und Milde, die Kinder in ihrer Fröhlichkeit. Das Haus ist kein
Tempel des Genies; aber die Wohnung des gesunden Menschenverstandes;
der, wie Du weisst, gar gern auch die Musen und Grazien bewirthet,
wenn sie etwa zu bewegen seyn sollten, bey ihnen einzukehren.
Die Freunde rufen, — ich gehöre heute ihnen, — von Märchligen
aus schreibe ich Dir wieder sobald ich einen Augenblick finde der dazu
geeignet ist, und den meine auch in der Schweiz schwachen Augen mir
nicht verkümmern. Was mir Deine Briefe sind — das sollst Du auch
wissen. — Leb wohl. Dein Herbart.
Juni 1797. 63
58. Aus Smidt's Reisetagebuch. 14. Juni 97.
— — Nach Tisch packten wir (Smidt, Raison und Koppen) unsere Sachen zu-
sammen (in Bern) gingen dann zu Berger — tranken da — u. gingen um 5 Uhr mit
Muhrbeck u. Lange nach Merglingen zu Herbart. Herbart war sehr erfreut. —
Noch immer der Alte. — Er hat 4 Knaben u. 3 Mädchen zu erziehen — spricht
viel mit ihnen der 2 te war nicht fleißig gewesen u. mußte deswegen jetzt in dei
Freystunde zur Strafe aus Allarius eine Seite lernen. — Wir wunderten uns darüber
H. schien es nicht zu bemerken. — Er stellte uns der Landvogtin Steiger vor — ein
sanftes Gesicht humanes Wesen — mag vorzeiten schön gewesen seyn. — H. hatte
eben mit ihr im Florian gelesen. — Wir machten einen kleinen Spatziergang längs
der Aar — schöne Aussicht — ich muß mit Herbart allein seyn um erst recht
wieder mit ihm ins Gespräch zu kommen — noch ein wenig 'bey der Frau Steiger
im Zimmer. — Haustiere. — Auf Herbarts Zimmer. — Herbarts launige Anmerkungen
über die andern. Berner = Jenenser. — Stiefel Discurs. H. begleitete uns etwas.
H. fragte ob ich Muhrbeck kennen gelernt — ja sagte ich nie wurde ich mit einem
Menschen so schnell vertraut. — Das habe ich wohl gedacht erwiederte er — ihr
seyd gebohrene Freunde. — Noch manches von alten Zeiten gesprochen, dann kehrt
Herbart um. — Wir kamen nach Bern — und spatzierte mit Muhrb. noch etwas auf
der Plattform — ich sprach mit ihm üb. das was H. von seiner Mutter hat. —
19. Juni. — Um 12 kam H. zu uns — er speiste bey Berger. — Nach Tisch
ging ich zu Berger. — H. las einen Brief v. sich an Fichte u. einen von seiner
Mutter an Berger vor. — — In Bergers Logis traf ich Hbart. und ging mit ihm
auf der Plattform spatzieren wo wir viel von Lange sprachen — dann gingen wir in
der Enge auf u. nieder u. kehrten endlich in das Haus wo ich neulich mit Muhrbeck
so vergnügt war setzten uns oben auf ein Zimmer u. tranken Thee. — Herbart be-
mühte sich mich zu bereden eine Hofmeisterstelle in Bern anzunehmen u. schilderte
mir diese Aussicht so reizend wie es ihm möglich war. — Wir sprachen v. Erziehung
— die Art wie man einen Knaben irgend eine Wissenschaft ansehen lehrt, sagte H.
macht einen großen Thl. seiner Erziehung aus. — Der Vater könne wenn er wie
H. Steiger 7 Kinder u. dabey sein Geschäft habe sehr wenig zur Erziehung derselben
thun — er bedürfe eines Hofmeisters — der sey am freysten meinte H. der sich
nie dem Zufall überließe — sondern die nächste Lage seines Lebens immer gehörig
prämeditirt hat, durch Veränderungen der äußeren Lage müsse man sich regieren —
der bloße Wille könne es nicht. — Gegen frühes Heyrathen hatte er seine alten
Bedenklich keiten — er meynte dann müsse man wirken und thäte für seine eigne
Cultur nichts mehr — steigere sein Ideal nicht — die Sorge der Nahrung etc.
komme dazu — er wisse nicht wie jemand so im Rausche heyrathen könne ohne
sorgfältig alle die Pflichten die aus diesem neuen Verhältnisse herfließen untersucht
— sich die verschiedenen Lagen die hier vorfallen könnten vergegenwärtigt u. die
Art seines Benehmens dabey vorher bestimmt zu haben. — Man müsse sich nie im
Augenblick des Handelns entschließen, da sey man nicht so frey mehr. — Nach
Deiner Ansicht sagte ich ihm, würde ich keinen Schritt aus der Stelle thun können
— auch d. geringste Handlung ist in ihren möglichen Folgen so unendlich vielseitig
anzusehn daß man darüber niemals aus d. Reflexionspkt. kommen dürfte — das
wahre Leben lernt sich nur im Leben. — Der Mensch soll sich nicht aufdrehen
durch seine Grundsätze wie ein Uhrwerk u. dann ablaufen. — In jedem Augenblick
soll er sich selbst bestimmen können — es sich fühlen lassen daß die gesetzgebende
u. executive Gewalt nicht getrennt in ihm sey. — Ich glaube es H. gern daß er
wenig frohe Stunden in seinem Leben hat — er kann nicht in der Gegenwart leben
— nicht spielen — sich nicht dem Augenblick hingeben, sich nicht über das Objekt
64 Juni T"97-
vergessen. — H. muß mit der Erhaltung seiner Moralität entschieden mehr zu thun
haben wie andere — da jene Ansicht der Dinge so leicht zum Egoismus führt —
er hat sich indeß noch sehr rein davon erhalten u. das macht ihm Ehre, aber besser
wärs doch er hätte seine Askese nicht nöthig. Es ist auch ganz begreiflich wenn
11. klagt, daß ihm die Musen nicht hold seyen. — Uebrigens habe ich selten soviel
Ehrlichkeit u. Aufrichtigkeit gegen sich selbst gesehen als wie in H's. Charakter liegt.
— Berger u. Hülsen meynte H. paßten durchaus nicht zusammen. — Steck ist sein
Ideal. — H. tadelte unsere Art zu Reisen — sie sey zu eilig — er hat recht —
hätten wir nur mehr Zeit und Geld — den Winter sollte ich wenigstens in Bern
bleiben. — Ich versprach mich darauf zu besinnen — wandte meine Mutter u.
Schwester noch ein etc. — Elterlichen "Willen respektirt er als ein naturrechtliches
Verhältniß — aber sagte ich warum denn nicht ebenso gut die Bande der Liebe
die den ganzen Menschen hinnehmen u. jenes doch nur einen Theil desselben?
Wie wir zu Hause gingen strichen wir unter den Arkaden noch viel herum u. er
erzählte mir von seinem Verhältniß zu seiner Mutter. — Dann gingen wir zu Berger
u. aßen da mit den übrigen. — H. schlief bey mir u. wir setzten das Gespräch im
Bette fort — er wurde nun herzlicher wie zuvor. — Er erzählte mir was ihm
seine Mutter in Ansehung d. Liebe gesagt.
20. Juni. Herbart ging sobald er aufgestanden war nach Merglingen zurück.
22. Juni (auf dem Rückwege vom Gurnigel nach Bern). Herbart begegnete uns
mit d. jungen Steiger — sie wollten nach Gurnigel.
28. Juni (auf dem Wege von Bern nach Vevey) . . Unterwegs viel mit Muhr-
beck über philosophica gesprochen — z. B. über die Freyheit des Willens. M. erzählte
mir, was er mit Herbart darüber gesprochen. Herbarts Grundsatz ist, der Mensch
muß alles wissen wras er thut — die Reflexion soll beständig neben den Handlungen
herlaufen ganz recht aber er scheint alles zu übertreiben. — M. hatte ihm gesagt
— wenn du mit dem Fuß auf d. Erde trittst, so willst du jedes Sandkorn wissen,
worauf du getreten hast u. so kommt man nicht aus der Stelle. —
59. Eschen an Herbart.1) Jena den 30sten jUn. 97.
Bester Herbait, Lange schon sehnte ich mich nach einem Besuche von Dir,
und Du kannst nicht: wohl! ich komme zu Dir, ergreife Deine Hand und drücke
sie heftig an mein Herz. 0 wie vieles möchte ich Dich jetzo fragen: wie ist Dir?
wo bist Du? wo wandelst Du? Führt Dich die Natur? oder führst Du sie? Aber
genug, ich w7eiß Du bist glücklich und mußt glücklich seyn; Du hast die wunder-
barste Natur, Du hast Freunde, und hast — Dich selbst: und wer sich selbst hat,
der hat alles, und ergreift alles mit Macht und zieht es an sich. Bester Herbart,
auch ich suche mich, nur ist es nicht mehr so, wie in den ersten Augenblicken da
ich das Bedürfnis fühlte, mich selbst zu suchen, und da ich mit verstörtem Gesichte
mich nicht finden konnte, und nur einen Schatten sah, der jedem Ergreifen auswich.
Der Schatten wird allmählich dichter und er wird allmählich, wenn auch durch Nebel,
in eine festere Gestalt übergehen. Was dann diese Gestalt mit der Welt oder die
Welt mit ihr anfangen wird, weiß ich noch nicht, und diese Ungewisheit stört mich
nicht im mindesten. Dann bin ich da, wo ich seyn will, so faße ich die Welt, wo
ich es am besten glaube, und diese Macht mir zu verschaffen und zu erhalten ist
jetzt alles woran ich denke. Kann ich diese Macht nicht haben, so will ich nichts
haben; habe ich sie nicht, so habe ich euch auch nicht und ihr könnt den Todten zu
Grabe bringen, und, wenn ihr || wollt ihm einige eurer Blumen in die ferne AVeit
mitgeben.
l) 51/, S. 40. H. Wien.
Juni 1797. 65
Dann geb' ich euren Bundesbrief euch allen zurück, denn was wolltet ihr mit
einem zerrißenen Herzen, mit einem Herzen, das euch nicht faßen kann, weil es
sich selbst nicht faßen kann. — Aber dank dem Himmel, der Jüngling ist Jüngling
und kein lahmer, abgelebter Greis, der durch das Leben hinkt. Er ist Jüngling und
er faßt Dich, Herbart, Dich ßölendorf, Fischer, euch alle mit jugendlichem, liebenden
Herzen, und harrt sehnsuchtsvoll eurer Umarmung entgegen. Will es das Schicksal
so bin ich Ostern bey euch und ihr bey mir. Du wirst es vor Bölendorf und Fischer
wissen. Bölendorf oder Fischer gaben Dir doch das Gedicht, der Morgen? Du hast
so großen Antheil daran! und hättest Du Lust, so möchte ich es so gerne von Dir
componirt sehen! Hier hast Du ein anderes Gedicht:
Das Gewitter.
In dunklen Schleier hüllet die Sonne sich,
Ihr Glanz verschwindet hinter die "Wolken-Nacht,
Und an des Bergs dunstvollem Gipfel
Hängt das Gewölk von Regen schwanger.
Nur leise weht das Laub auf der Höben noch
Und tiefe Stille herrscht in dem niedern Thal.
Und durch des Bergthals dunkle Gründe
Hallet das dumpfe Getön des Donners.
Doch plötzlich steigt ein wirbelnder Wind empor,
Und treibt die dichten Wolken am Himmel hin
Mit schwarzer Schwing', und seinem Sturme
Beugt sich die Saat und des Berges Tanne.
Die Blitze zucken schnell durch das Dunkel hin,
Es schwillt der Donner und vor dem lauten Ton
Erbebt der Grund: dreimal erwiedernd
Ruft aus der Ferne die Oreade.
Die schwangern Wolken strömen vom Himmel nun
Mit lautem Rauschen segnend zur Erd hinab;
Es gießt der Waldstrom seine Wogen
Brausender durch die Gebirg und Thal er.
Doch schon verblaßt der zuckenden Blitze Schein,
Und dumpfer hallt es nur aus der Ferne noch,
Die Wolken ziehen langsam vorüber
Und aus der Bläue nun strahlt die Sonne. [|
So stiegst du Göttin einst aus der dunklen Flut,
Die Locke perlte dir vor dem Morgenthau,
Und Freude sah dein blaues Auge,
Göttin der Lieb', Anadyomene!
Ja eine Wundergöttin, lieber Herbart, ist diese Anadyomene; die Pflegerin alles
guten und edlen in uns, die uns lehrt, alles mit Liebe zu umfassen und allem unsere
Liebe mitzuteilen.
Alle meine Freunde grüßen Dich, May, Otth, Gries, Schildener, Hofmeister.
Hofmeister ward gestern in unsere Gesellschaft aufgenommen, und Du kannst
Herbarts Werke. XVI. 5
66 Juli 1797-
denken, daß wir uns freuten, als sein Aufsatz ihn von einer Seite uns zeigte, die
wir au ihm nicht kannten: es war ein langes Gedicht, der lydische Herkules, voll
Kraft und Muth und Schönheit. Gries las am ersten Tage unserer Versammlung
einen Aufsatz vor, worin er Schildner und May bewülkommte ; dann habe ich einen
Aufsatz vorgelesen, Thymophilos oder über die Vereinung des Gefühls und des Ver-
standes im Menschen: und nachher las Schildener einen Aufsatz vor, der uns um
desto mehr befriedigte, je unbefriedigender sein Probe-Fragment war. Erichson wird
wahrscheinlich auch in unsere Gesellschaft aufgenommen werden. Ich habe ihn
einigemal gesprochen und er hat mir sehr gefallen. Unsere Gesellschaft || besteht
aus Freunden in der höchsten Bedeutung des Wortes. Fichte hat mir und Gries
mehrere vorgeschlagen, die er der Gesellschaft würdig:glaubte, aber wir fanden noch
keine davon, wovon wir es glaubten. Fichte läßt Dich grüßen. Ich höre das Natur-
recht bey ihm: und diese Stunde ist für mich sehr wichtig, theils dessen wegen,
was er sagt, als der Ideen wegen, die er in mir veranlaßt und in denen ich nicht
mit ihm übereinstimmen kann, wie z. B. über die Trennung des Naturrechts und der
Moral, und über ein Princip, woraus beide sich möchten herleiten lassen. Doch
hierüber kann ich Dir nicht mehr sagen, da ich bis jetzt noch so wenig zu solchen
Untersuchungen habe kommen können; aber daß Du mir von Deinen Ideen und viele
mittheilst, darum bitte ich Dich sehr. Schellings Ideen %u einer Philosophie der
Natur, wovon der erste Band herausgekommen ist, mußt Du, wenn Du es noch nicht
gelesen hast, nothwendig lesen. Schelling betritt immer eine höhere Stufe und dies
mit einer Kraft und Schnelle, die Erstaunen erregt. —
In Deinem nächsten Briefe, den ich bald, sehr bald erwarte schicke mir doch
Deine mir versprochenen Compositionen von Florets und Bölendorfs Gedichten, und
wenn es irgend möglich ist, Deine Recension von Schelling. —
Wenn ich jezo manchmal allein gehe, entweder auf solchen Gängen, wo ich mit
Dir und euch anderen zugleich war, oder wenn ich auf dem Stein sitze, wo Du und
Fischer und ich zulezt noch saßen, oder wenn ich die Dornen bürg besteige und mich
wieder mit Rosen kränze, mit jenen Rosen, die mir das erste Leben zudufteten:
o dann tobt es in meiner Brust und mein Herz will hinaus, über die Berge und ich
habe Dich, bester Herbart, an meinem Busen: und wenn ich Dich nicht ganz, wenn
Du mich nicht ganz hattest, wir werden und müßen uns so haben. Glaube mir,
dieser Gedanke kann meine trübsten Stunden aufhellen, er ist ein Genius, der Ver-
zweiflung oft zur Seligkeit umwandelt, und ein Band um uns schlingt, das ewig ist.
Bester, bester Herbart, lebe wohl! Nimm dies Lebe wohl ganz wie ich es Dir gebe,
mit einem Herzen voll von Sehnsucht und Liebe zu Dir. Dein Eschen.
60. Muhrbeck an Herbart.1) Abgesandt Laufen d. 28. Juli 97.
Lieber Herbart, Nun — ich finde hier ein Blatt, darauf schon vorstehendes
Wörtlein geschrieben. Ich wußte ihm so gleich keine Bedeutung zu geben, sonst
hätte ich es um des Papiers willen zierlich zum Anfang meines Briefes auserkohren,
angeflickt hätt es doch den Schein eines realen gehabt. Über den dinamischen Zu-
sammenhang der Sache in uns mag der richten, der Schein von der Sache so zu
sondern weiß, daß das kleinste Härchen das dazwischen liegen kann auch rein weg-
genommen werde. — Ich gieng heute spatzieren und mir fiel mit einemmale ein
was Du über Jakobi im Gurnigel sagtest. Ich hatte gestern Abend meinem Herrn Pfarrer
') 4 S. 4°. H. Wien. Der Brief ist sehr vergilbt und z. T. in Abbreviaturen
geschrieben. Muhrbeck war später in Höchstetten im Fischer'schen Pfarrhause. (Fr.
Mitteilung des Hrn. Prof. Dr. Steck in Bern.) — Über Stecks Besuch bei Jacobi s.
o. S. 58 Anm. 2.
Juli 1797. 67
die Worte Lavaters mit denen Jakobi sein Werk schließt, vorgelesen, und mehreres
von dem Vorhergehenden durchgesehen. Es war . . . . so aus meiner Seele ge-
sprochen, es tönte noch so laut in mir, daß ich Deine Vorwürfe nicht anhören konnte
ohne Dir eine Vertheidigung so gleich entgegen zu stellen. Die Spekulation, sagst Du,
mußte ihn bewegen, sich der Freiheit zu entsagen, da sie ihm einmal dies Resuldadt
gegeben hatte. Die Spekulation kann nur das, was unser Gefühl sagt, verdeutlichen,
verstärken, und die lebendige Stimme, spricht immer kräftiger als der todte Satz,
beides soll eins seyn, aber wo sich der Streit meldet, wem den Vorzug geben? Im
Gefühl spricht die ganze Menschheit, in der Spekulation nur der Gedanke. Sie
konnte nicht richtig, wenigstens nicht erschöpfend seyn, war sie nicht mit jedem
leisem Zuge der Menschheit eins, oder wüßte sie nicht den Irrthum, das Vorurtheil
aufzudecken, die sich durch das Blendwerk der Phantasie hinter das Gefühl ver-
steckt halten. Der besondere Mensch wird sich hier besonders aus dem Streit
ziehen, der Schwächling, oder bei dem ein gewißes Gleichmaß der Kraft im Urtheile
und Gefühle stattfindet wird Zweifler, letzterer schlichtet endlich ohne Machtspruch,
ohne Zwang, durch Einsicht. Jakobi hielt seine Spekulation für wahr, bei ihm
sprach das Gefühl überwiegend, er mußte hier den Verstand vom Gefühle trennen,
und alles was man ihm vorwerfen kann ist, seine Spekulation hat noch nicht den
höchsten Punct ihres Aufsteigens erreicht. Wohl ihm, daß er so trennte, wenn die
Wahrheit vor ihm ihr Licht auslöschte. Daß ich so lang alle . . . Spekulat. im Leben
vergessen könnte, bis alles wieder eins ist. Eitler Wunsch. Nur durch den Anstoß
wirst Du den Irrthum erblicken, aber die Gewalt wünschte ich mir, über die Zeit
Herr zu seyn, und aus ihr, wenn ich wollte, den Satz, das Resultat im Leben ver-
bannen zu können. Es gelingt, und jeder warme Wunsch, der aus dem real. Be-
dürfniß entspringt, wird erfüllt. Im wahren Leben ist Wille und Wunsch eins, und
der Wille greift nicht nach dem Unmöglichen, denn er geht dem Wirklichen nicht
voraus. Im Bedürfniß ist er getrennt, je weiter sich dieses vom Leben, von der
Realität entfernt desto weniger kann es auf die Befriedigung Anspruch machen. Da
tritt dann die Philosophie ein beleuchtet u. prüft, und giebt Zusammenhang und
Einheit dem Ganzen.
Schon vor einiger Zeit hatte ich dies für Dich niedergeschrieben, oft habe
ich seitdem an Dich gedacht, aber das Papier sagt überhaupt wenig und für Dich
nichts. Ich trage mich mit vielen Gedanken herum, vielleicht mit zu vielen und
schütte nicht genug aus, mir fehlt die Zeit. Da wunderst Du dich gewiß, wenn ich
noch vom Mangel an Zeit rede. Meine ganze Lage Dir zu schildern, würde wieder
zu viel Zeit erfordern, und die Stunde der Post rückt heran. Dies nur, daß meine
Gesundheit, mit der es gar nicht fort will, die kühle Zeit des Tages zur Bewegung
verlangt, und die Hitze hier fast unerträglich wird. — Ich habe Bergers Brief ge-
lesen, er hat mir sehr gefallen, nur an einigen Stellen kann ich nicht ganz mit ein-
stimmen. Wir haben hierüber gesprochen, gestritten, und sind eins geworden, daß
er mit dem Wissen über das Wissen aufs reine sei kann er allein sagen, und ent-
scheiden, daß man aber etwas besseres thun könne ist auch wahr, indem jedes Gute
ein Besseres zuläßt, und um seinem Sinne näher zu treten, da die Fülle unsrer
Kraft nicht in harmonischer Thätigkeit bei allem abstrakten, bei jedem, wo die
Phantasie den Meister spielt, gehalten wird. Aber deswegen diese Beschäftigung zu
verwerfen hieße so viel als nicht essen wollen, weil man während dieser Zeit pflanzen
konnte. Das Bedürfniß muß jeden vollendeten Menschen einst zu den höchsten
Untersuchungen geführt haben, durch sie gewinnt er nur die Aussicht auf seine
fernere Bahn, er muß sie festhalten, sie müßen mit ihm leben, sich wandeln mit
ihm, und mit ihm ihr stetes Bleiben haben.
5*
68 August 1797.
"Wir sind in dieser Ansicht gewiß eins und nur unsere Verschiedenheit in der
Individualität theilt auch diesem || den Schein der Verschiedenheit mit. Doch wir
wollten ja über diese Materie nicht weiter sprechen. War nicht so unsre Abrede?
Nur eins: ich lerne immer mehr, was ich mir auch vorher schon sagte, wie wir in
jedem Urtheil des Menschen Wahrheit finden können ohne uns von ihnen ein-
schläfern zu lassen, wenn wir nur stille — und wills sich schicken, besser laut zu
suppliren, die Einseitigkeit aufzuheben wissen. Ich weiß, daß Du und Fichte und
Hülsen nicht einer Meinung seid, wo ihr es seyn konntet, das weiß ich aber, daß
Hülsens Ausdruck, dem Dinge Sinn und Bedeutung geben, eben das sagt, was
Deine dünamische Verbindung, was Fichtens Deductionen sagen wollen. Ließen wir
uns nur nicht so sehr durch den Ausdruck durch die Erscheinung schrecken, es
würde mehr Einigkeit unter uns seyn; und doch sollen wir alles von uns entfernen,
was disharmonisch zuspricht, es soll Ausdruck und Sache, Erscheinung und Ding
eins seyn, wir müßen verabscheuen können um lieben zu können, medium tenuere
beati ist gewiß ein weiser alter Spruch, aber die Mitte zu zeigen, das wäre erst
Weisheit, wer vermag das, sie wird nicht gezeigt, nicht gesehn, und doch kann sie
und soll sie gefunden werden.
Gern schriebe ich mehr, aber die Zeit ist verfloßen. Grüße die Deinen.
Fichte hat mir geschrieben, er läßt grüßen. Dein H. Muhrbeck
31. Juli bis zum 7. August 1797 (nicht 1798 wie Bd. I steht). Bergtour mit den
beiden ältesten Zöglingen. (Bericht über die Reise in die Alpen; S. Bd. I. S. 75 — 8^. )x)
61. An Steck.2) [Meiringen] Am 5 ten August 1797.
Aus dem Hasli,3) lieber Steck, erhältst du diesen Brief. Ich komme
eben vom Reichenbach, und will bey dir ausruhen. — Der Landvogt
St.[eiger] bekam vor kurzem von Mgnhrn. [meinen gnädigen Herren] den
Auftrag einer Besichtigung im Oberlande, und da fiel ihm ein, er könne
mir und seinen beyden ältesten Söhnen die Freude machen uns bis
Interlaken mitzunehmen, und uns dann durch die berühmten 3 Thäler
Lauterbrunn [en], Grindelwald und Hasli wandern zu laßen. Da bin ich denn
nun im Hasli, froher wahrscheinlich als du in Paris; wenigstens möchtest
du im Gewühl der großen Stadt nicht so angenehm träumen als ich beym
Rauschen dieser Bäche. Dir möchte ich die Träume erzählen, mit dir
habe ich an den Waßerfällen geplaudert; mit dir habe ich meine meisten
schönen Augenblicke in der Schweiz verlebt. Ich wollte du könntest
hören, was ich dir sage ohne zu sprechen noch zu schreiben, du hättest
dann oft gehört, wie ich dem Schicksal danke, und es beynahe anstaune,
das mich nach Märchligen geführt hat, wo im Schooße des sanftesten
Thals, im zwiefachen Scheine des Abendroths über dem Jura und von
den Schneegipfeln her, eine Familie wohnt, mit der ich im schönsten
Wechsel der Achtung und Freundschaft stehe, und die sehr glücklich
seyn kann, wenn ich meine Schuldigkeit thue. Ein Mann und eine Frau,
1) Dies hat R. Steck nachgewiesen an den in der folgenden Anm. angegebenen
Orten.
2) 2 Quartbogen, wovon 6 Seiten beschrieben, die 2 letzten leer. Bereits ver-
öffentlicht durch R. Steck im Neuen Berner Taschenbuch auf das Jahr 1900, S. 16 ff.
u. im Archiv f. Gesch. der Philos. 1900, S. 184 ff.
3) S. Bd. I. S. 83 letzter Absatz.
August 1797. 69
der eine mein Muster, die andre meine Erhohlung, danken mir für das
was ich noch thun will, lohnen mir wenn ich noch an meiner Kraft [2]
zweifle, und überraschen mich schon wieder mit neuer Freude, wenn ich
eben anfangen will zu fürchten, das alles sey zu schön für eine dauernde
Wirklichkeit. Allmählig aber höre ich auf zu fürchten: es ist endlich Zeit
zu glauben, und hier darf ich es oder nirgends, denn beyde sind sich
immer gleich. Mir muß gewiß ein seltenes Loos gefallen seyn; je weiter
ich in der Schweiz reise, desto vorzüglicher finde ich die Gegend von
Märchligen; je mehr Familien ich in Bern — nur von Hörensagen —
kennen lerne, und je mehr andre Hauslehrer ich spreche; desto ängst-
licher frage ich mich selbst, wie mir wohl gewesen seyn würde, wenn ich
von meinem Luftsprunge von Jena aus an irgend einem andern Puncte
auf die Erde niedergefallen wäre? — Der Landvogt ist einer von den
Characteren, vor denen ich Stunden und immer neue Stunden lang hin-
treten kann, zu prüfen, zu vergleichen, zu bewundern, zu bedauern. Er
hat Aehnlichkeit mit dir, lieber Steck. Du kennst vielleicht nur seine
Pünctlichkeit, und hältst sie für Beschränkung. Aber so sehr seine Conse-
quenz ihn in einiger Rücksicht bis ins kleinste Detail ausgearbeitet hat,
so ist er darum im Ganzen doch nicht minder groß. Mit welcher Ge-
walt er sich auf das wirft, wozu die Umstände ihn auffordern, schließe
ich, außer dem, was das allgemeine Gerücht sagt, aus der Sorgfalt womit
er das ganze Hauswesen in Ordnung hält, und aus dem Einfluße in die
Geschäfte des Oberlandes, den ihm Bauern und Obrigkeit noch jetzt so
gern einräumen, ob er gleich schon über 2 Jahre seine dortige Stelle ver-
laßen hat. Aber welche Blicke er über diese Sphäre hinaus zu werfen ver-
mag, wie wenig er sie [3] mit Vorurtheilen umzäunt hat, mit welcher be-
scheidenen Resignation er da sein Urtheil zurückhält, wo er kein reifes
Urtheil haben würde: — das kann vielleicht niemand beßer wißen als
ich. Schon manches habe ich ihm mit halber Furcht gesagt, und je mehr
ich gewagt zu haben meinte, desto beßere, dankbarere, freundlichere Auf-
nahme fand ich. Es kann mich innigst rühren, wenn ich die einzelnen
Fälle dieser Art zusammen nehme; bis ins Innerste kann es mich be-
schämen; nie tönen die Vorschriften der strengsten Pflicht lauter in
meinen Ohren, als in solchen Augenblicken, wenn ich mich ihm gegenüber
stelle. Es geht mir mit ihm, wie mit allen Menschen, die ich sehr hoch-
achte; seine Gegenwart ist mir nur dann nicht lästig und drückend, wenn
ich meine Pflicht völlig erfüllt zu haben gaube. — Die Frau ist das
sanfteste Weib, das ich bis jetzt in der Nähe gesehn habe. Auch ihr
haben die Umstände unendlich weniger, als die Natur, gegeben; aber das
vollkommene Ebenmaaß, die Rundung, Feinheit, Geradheit, Anspruch-
losigkeit; die Gleichförmigkeit einer immer regen, nie eilenden Thätigkeit,
die Verbindung von Achtung gegen ihren Mann und Zärtlichkeit gegen
ihre Kinder, die Freude an der Natur, und an sanfter Poesie, — wir
lesen den Florian zusammen — ohne alle Kritik; das unterhaltende, nie
glänzende, nie ermüdende Gespräch, — und — damit ich die Partei-
lichkeit meines Urtheils bekenne — die unabgebrochene Reihe von kleinen
feinen, oft sehr schmeichelhaften Aufmerksamkeiten für mich: — das alles
hat mich so eingenommen, daß ich zuweilen in Versuchung komme,
yo August 1797.
meine Begriffe von der Bestimmung des weiblichen Geschlechts sehr zu
modificiren. (Diese waren ehemals meistens erweiterte Abstractionen aus
[4] dem Character meiner Mutter. Du kennst sie jetzt, Bester; und es
kostet mich wahrlich Mühe, bis zu deiner Zurückkunft geduldig auf das
was du mir über sie sagen wirst, zu warten. Vielleicht theile ich dir
dann auch einiges von dem mit, was ich dir vor einigen Wochen in
Menge auf einsamen Spaziergängen vorgeplaudert habe. Ich war damals
ein wenig gelbsüchtig; und sah weniger die männlichen Tugenden als die
männlichen Fehler in ihrem Character, und besonders ihr eignes Wohl-
behagen über diese Männlichheit. Die gute Mutter sandte mir aber
Arzney gegen die Krankheit die sie selbst durch ihren ersten Brief nach
der Schweiz, veranlaßt hatte. Sie weiß nichts von dem allem; sie hatte
unabsichtlich wehe und wohl gethan; und ich habe mir nichts merken
laßen.)
Interlaken am 6 ten Aug.
Das Haslithal liegt hinter mir, — soll ich dir noch von meinen
Träumen am Reichenbach erzählen? Es ist eigentlich etwas lächerlich,
Träume zu erzählen; wenn aber eine große Naturscene zu großen Ge-
danken aufgefordert hat, — und wenn dann hinterher ein regnichter
Nachmittag, wie dieser, einen in eine fremde Wirthsstube einschließt, so
mag denn ein Freund immerhin erfahren, was der andere Freund wol
möchte, wenn er könnte und das Schicksal wollte. Zudem ist es denn
auch, bey Lichte besehen, wahr, daß ich ein freyer Mensch bin, — wahr,
daß sich nach 3 oder 4 Jahren ein Absatz in meiner Arbeit zu Märch-
ligen machen ließe, — möglich, daß die Kraft, die anfing, auch fort-
bestehen und vollenden könnte, — und sehr wahrscheinlich, daß, wenn
sie jemals etwas zu vollenden haben sollte, im Haslithal wol mehr als [5]
Ein helfender Geist sie umschweben würde. Weil nun aus Wahrheit,
Möglichkeit, und Wahrscheinlichkeit alle Hoffnung in der Welt zusammen-
gesetzt ist — warum sollte der Dämon, der jene Felsen spaltete, um dem
geduldigen Strome den Weg in diese lachenden Fluren zu öffnen, der da
und dort die schrecklichsten Steinmassen häufte und sie dann mit dem
lieblichsten Grün bekleidete, der endlich, um das Meisterwerk zu vollenden,
dem tobenden, schäumenden Flußgotte die himmlische Iris vermählte, —
warum sollte er nur Felsen, Fluthen, Wiesen und Wäldern gebieten?
Warum sollte das Geisterreich sich seinem milden Zepter entziehen? Sieh
nur, wie in seinem Gebiete auch die Menschheit so herrlich gedeiht! Sieh
nur, wie Gesundheit und Wohlseyn in jeder Miene lebt! — Wer hat je
diesem Dämon Altäre errichtet? Wer hat mit gebeugtem Knie und mit
inniger Andacht die fülle seiner Gaben herabgefleht? Flüchtige Dank-
sagungen sind keine Loblieder, und die Nachricht, man habe sich da
wohl befunden, verhallt im Winde, und ist für irdische, nicht für himm-
lische Ohren. Wer aber die schönere Hälfte eines ganzen Jahres dem
Gotte weihte, wer die Früchte vieler Mühe und vieler frühern Jahre mit-
brächte, wer nur nach sorgfältiger Reinigung, in aufrichtiger Demuth, mit
hoffnungsvollem Glauben ihm nahte, wer, flehend um Eine Offenbarung,
dennoch alle Sinnen seiner Eingebung öffnete, welcher Lohn, glaubst du,
würde dem werden?
September 1797. 71
Hier, wo Schönheit und Größe nur Einen Körper haben, hier,
meinst du, wären sie noch verschiedene Geister? Wenn die Wahrheit für
einen Sterblichen hier eine Gestalt annähme, meinst du, hier würde sie
in ihrer Nacktheit nicht himmlisch reizend seyn? —
Ich sah mich schon öfter im Geiste auf einem einsamen Felsen
stehen, näher dem ewigen Schnee, als dem Schatten der Wälder,
schwitzend in dieser kalten Zone von der äußersten Anstrengung, er-
zwingend von völliger Abgeschiedenheit, was im Schooße der Behaglich-
keit nicht hatte gelingen wollen. Göthe hat in einem Schlünde auf der
[6] Furka an Vollbringung angefangener Werke gedacht, und der Ge-
danke hatte mich gefaßt. Aber seit gestern und vorgestern denke ich
nicht mehr an eine Ärndte über der Gränze der Vegetation, und von
dem ewigen Schnee verlange ich nur die weiße Spitze, die über dem
Reichenbach hervorblickt, im Rosenlichte der untergehenden Sonne zu
sehn.
Abends.
Ludwig und Carl schlafen schon neben mir. Der Himmel sende
auch ihnen angenehme Träume. — Ludwig erlegt dann gewiß in diesem
Augenblicke ein großes schönes Stück Wild; Carl ißt vielleicht Erdbeeren
mit Wein, oder kann schwimmen, wie sein Bruder, oder bekömmt ein
paar neue Thaler geschenkt.
Wenn du, lieber Steck, meine Lieblingsgedanken deiner frommen
Wünsche werth hältst, so seyen dir zuerst diese Kinder empfohlen, die
jetzt meiner Führung anvertraut sind. Es wäre so schön wenn sie etwas
würden; sie haben Talente, und die Familie, aus der sie entsproßen sind,
wäre so ein herrlicher Boden für einen guten Keim.
[Ohne Unterschrift.]
62. Herbart's Mutter an Langreuter in Eutin.1) Oldenburg am 9. Sept. 1797.
Lieber Freund ! Soeben bringt Ihre kleine Niece mir einen Brief für meinen Sohn,
der, wie sie mir sagt, schon eine Reise nach Jena gemacht hat. Da die Reise von hier
nach Märchligen mehr als noch einmal soweit und der Hr. Sohn eben kein rüstiger
Correspondent ist, so haben Sie wohl nichts dabei zu erinnern, wenn ich, als sein
gewesener Secretär, Ihnen fürs erste seinen Dank und seine bisherigen Schicksale
hinterbringe.
Kurz nach Abgang seines letzten Briefes an Sie kam er eines Abends, um mil-
den Besuch unseres gewöhnlichen freundschaftlichen Cirkels anzumelden. Nun
sollte auf meinem Zimmer ausgemacht werden, wem von unserer Bekanntschaft man
die Erziehung des wahrscheinlich künftigen Regenten von Bern antragen wolle. Einer
unserer Schweizer Freunde [Fischer] hatte unbeschränkte Vollmacht zu dieser Wahl
erhalten. Er selbst, der jetzt vielleicht schon Prediger in Bern ist, hatte oft ge-
wünscht, meinen Sohn bei sich behalten zu können; mehrmalen hatte er es ihm
angetragen, ob er nicht einige Jahre ganz umsonst bei ihm in seinem Hause in Bern
zubringen möchte.
Ich wünschte dies mehr noch als mein Sohn, der den ganzen Morgen nur für
das jus und einen grossen Theil vom Nachmittage nur für philosophische Specu-
lationen Sinn und Gefühl hatte.
*) Nach Ziller, Reliquien S. 53 ff.
7 2 September 1797.
Warum nimmst Du die Stelle nicht selbst, sagte ich. — Mein Gott, Mutter
wie könnte ich daran denken! — Warum nicht? — Ich bin hier ja lange noch
nicht fertig und dann muss ich doch wenigstens ein halbes Jahr die Gott. Bibliothek
benutzen. — Was machst Du denn hier? Collegia hörst Du nicht, Du studirst alles
allein und gehst dann hin und sprichst mit den Professoren darüber; das kann alles
nach einigen Jahren auch noch geschehen; die Gesellschaft, der Umgang mit unsern
Freunden ist Dir weit mehr werth, als das alles. Geh' zu ihnen und sag: ich
schlüge Dich vor. und ich stünde für alles. — Er war wie angedonnert — Noch
einmal, ich stehe für alles, auch für die Erlaubniss von Deinem Vater. Damit Hess
ich ihn fort, und nach einer halben Stunde kamen die Schweizer mit ihm, und ihr
Dank für das Zutrauen, das ich zu ihnen gehabt hatte, ging so ganz von Herzen,
ihre Freude, meinen Sohn mitzubekommen, war so lebhaft, dass ich diesen seligsten
Augenblick meines Lebens nie vergessen werde.
Dieser Entschluss hatte bald noch weitere Folgen. Ich bleibe, wo Herbart bleibt,
sagte ein Bremer [Lange], der an meinen Sohn empfohlen war. Mutter, machen Sie
auch mich von meinen Eltern los. Dies gelang mir bald und nächst diesem wollten
nun auch ein Doctor d. Philos. aus Greifswalde [Muhrbeck] und ein Cmiänder —
Böhlenclorf, den Sie vielleicht durch Rist kennen — mitgehen. Gern hätten diese
7 Freunde mich auch mitgenommen, der eine wenigstens [Steck] wollte mich nicht
eher als hier in Oldenb. verlassen.
Nur die Gesellschaft dieser schätzbaren Menschen machte es mir möglich, das
mir so theure Jena so schnell zu verlassen. Ohne sie — wie hätte ich es ertragen
können, dessen Bewohner, die mich mit Freundschaft überhäuft hatten, besonders
Fichte, der ganz wie Ihr verewigter Bruder mein Freund war, in dessen Hause, auf
dessen Studirstube ich mich wie zu Hause fühlte — auf immer zu verlassen. —
In 4 Kutschen eingepackt, reiseten wir schon am 25. März mit Fichte zugleich
ab. Er wollte, die ersten Wochen wenigstens, auch abwesend sein, und nachdem
er mich aus seinem Hause in den Wagen geführt hatte, stieg er mit Frau und Kind
zugleich ein, nahm einen andern Weg und wir sahen uns nicht wieder. Mit
11 Personen machte ich also die Reise bis Göttingen, und in noch grösserer Gesell-
schaft bis Cassel, wo wir uns endlich trennen mussten. Ausser meinem Freunde [Steck],
der erster Reg.-Secretär in Bern ist und noch 5 Monate in Paris zubringen und mit
mir über Oldenburg und darnach über Holland dahin gehen wollte, blieb mir noch
ein Hr. v. Fircks und ein Hamburger [Gries], der seinem Vetter, einem Rathsherrn da-
selbst, die Visite machen sollte. Die Andern alle gingen mit meinem Sohne, der nach
unserer Abrede zuerst Widersprecher's Friderike bei Frankfurt und dann Ihren Hrn.
Bruder in Stuttgart besuchen wollte, welches aber wegen der Eile seiner Freunde
(die am Ostertage in Schaffhausen sein mussten) — nicht möglich gewesen. Er
schreibt: ,,In Stuttgart war es mir nur erlaubt, das Schloss Hohenheim zu sehen
und darin die trefflichsten, mannigfaltigen Verzierungen zu bewundern. — In
Tübingen kamen wir um Mitternacht an und fuhren am frühen Morgen weiter
u. s. w.u Ueberhaupt war die ganze Reise zu schnell, zu früh — alle hatten Kopf
und Herz zu voll, als dass einer davon grossen Nutzen hätte haben können. Mein
Sohn schreibt aus Bern: ,,Die Notizen, die mein Gedächtniss mir davon darbietet,
sind sehr dürftig, da mir hier jeder Tag interessanter ist, als die ganze träge Flucht
von Cassel bis Schaffhausen. Hier ist mir die Lust zum Reisen beinahe vergangen.
Märchligen besonders liegt so schön, dass ich es immer ungern verlasse; ich habe
zwar in Böhmen und in der Schweiz sehr interessante Plätze, aber keinen gesehen,
den ich geradezu mit meiner Wohnung vertauschen möchte. Am Abhänge, neben
der Aar, sehe ich rechts über Bern den Jura, links die Jungfrau, das Schreckhorn,
Wetterhorn u. s. w. Ueberhaupt zweifle ich, dass mein Schicksal mich je wieder
Oktober 1797. 73
in eine so angenehme äussere Lage versetzen könne, als die jetzige ist u. s. w." So
klingen noch immer alle Briefe, und in allen bekomme ich einen Dank von allen
Seiten her, dass ich diese Menschen miteinander vereiniget habe. An Rist habe ich
neulich einen Brief von unserm Böhlendorf geschickt; ob er wohl denselben er-
halten hat? Ich wusste seine Adresse nicht recht, sonst hätte ich ihm dabei ge-
schrieben, dass Böhlendorf jetzt in Italien ist; dass er in Bern eine Hauslehrerstelle
angenommen hat, und dass im November alle Freunde, auch Steck aus Paris, dort
beisammen sein werden. Durch diesen Steck und Böhlendorf gehört Rist schon
lange zu meinen besten Freunden. Ich wollte, er wüsste das, so wie Sie, mein
theurer Freund, längst von dieser meiner Gesinnung gegen Sie überzeugt sind.
Ganz und immer die Ihrige Herbart.
03. E. v. Berger an Herbart.1) 6 Oct. 1797.
Lieber Herbart, ich bin in Jena, wo wir zusammen waren. Beim Anblick
dieser Berge dachte ich der Stunden, da wir und viele Freunde Arm in Arm mit
einander giengen, und durch freies und trauliches Gespräch unsere Geister erhellten,
dass die ewige Natur reiner und mehr sie selbst in ihnen wäre. Denn das ist das
Wort des Freundes zum Freunde: ein reiner und ewig lebender Gesang, aus dem
die Schöpfung heller und immer heller emporsteigt vor unseren Blikken.
Schon in Saalfeld begegneten uns wandernde Musensöhne, meine Landsleute
von den Ufern der Nordsee und Ostsee. Mir klopfte das Herz, und ich gieng lange
um sie herum und meine Seele fragte sie im Stillen, ob man immer an den Ufern
der Saale noch die Musen und Grazien verehre. Dann erkundigte ich mich nach
Schildner. Er sei in Schwarzburg, hiess es, und ich gieng nun mit Ihnen dorthin.
Erinnerst Du dich noch, Herbart, unsers Abschiedes in Schwarzburg und Saalfeld
und denkst Du Dir meine Freude, hier wieder durch lebendige Wesen an jene Zeit
erinnert zu werden ? — Schildner kam mir entgegen als ein kraftvoller treuer Jüngling.
Wir blieben Anderthalb Tage mit einander, und erkannten uns gerne und voll Ver-
trauen in Muhrbecks mildem hellem Geiste. Hülsen, der nach Jena vorangegangen
war, fand ich hier wieder — aber so eben verlässt er mich und geht mit Fichte
nach Leipzig um Schelling kennen zu lernen, um die Messe zu sehen und einen
Elephanten, der nicht blos Elephant sondern noch dazu ein grosser seyn soll. Ich
folge ihnen in wenig Tagen und erwarte unterdessen Geies, der nach Dessau ist.
Es verlautet, im Schillerschen Dichterchor werde für das Jahr 1798 auch seine
Stimme zu hören seyn. — Bis Gries ankömmt werde ich meist mit Möller seyn, der
jetzt mehr Geistesruhe zu besitzen scheint und an den ich durch ein gewisses
mystisches Band geknüpft bin. Man soll sich nie scheuen mit Menschen zu seyn,
und wenn sie uns auch noch so sehr beunruhigen. Jeder muss sich sagen: ich bin
mit jedem verknüpft, und ich soll stark genug seyn dies zu wissen und so viel ich
kann diese Verbindung mit jedem Tage fester zu schliessen.
Hier, lieber Herbart, übergebe ich Dir einen Brief für meine Freundin in Bern,
den ich Dich selbst wenigstens ins Haus zu bringen bitte. Da Du den Winter in
der Stadt bist, werde ich Dich bitten öfter unser Vermittler zu seyn. Ich weis Du
wirst das gerne noch auf andre und bessere Art seyn wollen. — Wenn ich nicht
meinem Vater versprochen hätte, bald zurückzukehren, würde ich vielleicht hier in
Jena bleiben und mit Hufeland über die Lebenskraft philosophiren. So aber gehe
ich weiter; aber fleissig will ich seyn, darauf verlasse Dich — auf irgend eine Art.
l) 4 S. 4°. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe pp.
•ja Oktober, November 1797.
Hülsen Lojiimt vielleicht im Winter wieder hieher. Fichte bittet ihn sehr darum,
und fragt uns beide nach Manuscripten. Seine Deduktion der Ehe ist doch so ganz
schlimm nicht dünkt mich, wenn man das unwesentliche absondert, und er sprach
gestern von der künftigen Erziehung seines Immanuel Hermanns1), wie ich es
kaum erwartet hätte.
Eschen ist auch abwesend. Ott werde ich heute aufsuchen.
Schellings Ideen zu einer Philos. der Natur werden von Fichte sehr gerühmt.
Er macht es von Jahre zu Jahre besser, sagt er, nur in die eigentliche Synthetik
sey er nicht sehr tief eingedrungen. — Was Synthetik nun ist, bekenne ich nicht recht
zu wissen. — Ich erwarte für die Bedürfnisse meines einfältigen Geistes von den
Deutschen Philosophen wenig, so lange sie noch Griechisch sprechen. Ein griechischer
Philosoph — der konnte freilich Griechisch sprechen.
Nicht wahr, lieber Herbart, Du schreibst mir diesen "Winter lange Briefe über
Mathematik und Naturlehre. Ich will Dir wenigstens schreiben, wie ich es mache,
um hineinzukommen.
Von Zürich aus sind wir sehr schnell gereist und haben wenig anders gesehen
als die Figuren im Innern des Postwagens. Aber dieser wandernde und abwechselnde
Mikrokosmus wrar auch seines Beobachtens werth, und ich habe von Zürich bis Saal-
feld folgende bürgerliche Schauspiele verfertiget: Die Savoyarderin — Die Metzgers-
tochter aus Rheinfelden — D. Schwäbische Bandeisdiener — Die beiden Kellner
(Marqueurs) ; — Die Amazonin. Die Scene ist d. Postkutschen. Mache doch Boehlen-
dorff im voraus auf diese neuen dramatischen Produkte aufmerksam. Bei Hülsen
werde ich Müsse finden, an Boehlendorf, Muhrbeck und an die Freunde Steck und
Fischer zu schreiben. Daß keiner unter Euch mich vergesse ! Lebe wohl. Dein treuer
E. Berger.
64. Steck an Fischer in Thaiheim. Bern. (Antwort auf einen Brief desselben
vom 15. Oktober 1797.)
„Wie Du es verlangst, mein Theurer, nur ein Wort des Empfangs, aber auch
des Dankes für Deinen langen trefflichen Brief: wir haben ihn gestern zusammen
gelesen, Z[ehender], Herbart und ich, freuen uns in der Hauptsache eines Sinnes
mit Dir zu seyn.u
65. C. Otth an Steck. Jena, 27. Okt. 1797.
„Seit gestern ist Eschen von Giebichenstein zurück, wo er die Ferien bei
Reichardt zugebracht hat; ich übergab ihm alsobald den Brief von Herbart, welcher
den Antrag einer Lehrerstelle bei Hrn. von Wattenwyl von Montbenay enthält . . .
Am nächsten Posttage wird er an Herbart schreiben . . ."■
W.: 4. Nov. 1797. Erster Bericht an Herrn von Steiger. S. Bd. I. S. 40 — 51.
66. Steck an Fischer. Bern, 14. Nov. 1797.
„Ich habe Herbart einige Mahle gesehen, Lange nur einmal, Cantzleygeschäfte
u. Besuche nahmen meiue ganze Muße . . .*'
W.:; Nov. 1797. Gebete für die Steigerschen Knaben. S. Bd. I. S. 71 — 74.
l) Fichte der Sohn, geb. 18. Juli 1796.
Dezember 1797. 75
67. Böhlendorff an Steck. Bern, 30. Dez. 1797.
„Darauf gingen wir [Fischer u. Böhlendorff] zu Herbart, wo wir vielerlei an-
knüpften, besonders über Berger . . . Herbart fand ich neukräftig u. wie ich ihn
wünschte, u. mehr als ich hoffte fand ich noch als wir heute Morgen etliche Stunden
allein in traulichen Wechselgespräch Seel in Seele ergoßen. Du nun noch bey uns, riefen
wir miteinander! Die Stunden flohen unendlich schnell. Wir waren glücklich u. —
schieden. Fischer u. Muhrbeck sind den Morgen nach Höchstetten gegangen." —
. . . „Dies ist mein erster Tag in Bern. Wir haben, Herbart u. ich, viel gesprochen
von dem thätigen Leben, das wir mit u. durcheinander führen wollen, u. der Ent-
wurf desselben beschäftigt mich noch iezt."
1798.
W.: ,,Über philosophisches Wissen u. philosophisches Studium." S. Bd. I. S. 84 — 95.
(1798 u. 1799 hat H. bereits die Grundgedanken seiner Metaphysik festgestellt.
S. Bd. I. S. LVIII.)
68. J G- Fichte an H.1) Jena, 1. Januar 1798.
Da Sie, mein würdiger Freund, mit meiner Lage näher bekannt sind, so er-
warte ich um desto eher Ihre Verzeihung wegen der so lange verzögerten Beant-
wortung Ihres Briefes. Es wird mir immer unmöglicher, aus den Ferien eine Zeile
an meine Freunde zu schreiben.
Mit innigstem Vergnügen habe ich durch Ihre Frau Mutter, und durch Ihre
Freunde, die Fortdauer Ihrer vollkommensten Zufriedenheit mit Ihrer Lage, und die
Schilderung Ihres geistigen Zustandes erhalten. (Das Letztere besonders durch die
Letzteren.)
Ich glaube, dass die Lage, in die Sie versetzt worden, die zweckmässigste für
die Ausbildung Ihres, der vollständigsten Ausdildung so würdigen Ganzen war; und
freue mich, dass || alles sich vereinigen musste, um Sie in dieselbe zu bringen.
Dass Reinhold ganz zu meinem System übergetreten, wie es die Kantianer
nennen, wird Ihnen wohl bekannt seyn. Er hat eine Recension meiner Schriften
an die L. Z. eingesandt, die ohne Zweifel in diesen Tagen wird ausgegeben werden.
— Seine Briefe an mich sind sehr verständig, und ich erwarte von ihm allerdings
viel; wenigstens vor's erste. Ob er nicht späterhin wieder auf eine Missdeutung
geräth, wie viele, die ihn genau kennen wollen, befürchten, muss man von der Zeit
erwarten.
Meine Sittenlehre wird soeben abgedruckt. Ich lege die Subscriptions-Ankündi-
gung bei, wenn etwa unter Ihren Bekannten welche wären, die zu subscribieren
gedächten. ||
Künftigen Sommer werde ich nicht lesen, sondern ihn auf dem Lande zu-
bringen, und ein populäres Buch über die gesammte Philosophie ausarbeiten. Es
scheint mir, dass so etwas dem Zeitalter höchst nöthig ist.
Sie erhalten ohne Zweifel Briefe von Jena; ich schreibe Ihnen daher keine
Neuigkeiten.
Meine Frau ist wohl und grüsst Sie herzlich. Der Kleine lebt und gedeiht.
Erhalten Sie mir Ihr Andenken. Der Ihrige Fichte.
Meine herzlichsten Grüsse an Steck und Fischer. Ich bin so frei, einen Brief
an Muhrbeck beizulegen. Man hat mir seine Adresse gegeben, aber es würde mir
Zeit nehmen, sie erst zu suchen. Berger lebt in Jena, imd studirt Chemie, Ana-
tomie, Mathematik. Von Hülsen, der in der Mark ist hören wir nichts.
*) 3 S. 8°. H. AVien. Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe pp.
Januar 1798. yy
W.: Januar. Zweiter Bericht an Herrn von Steiger. S. Bd. I. S. 51 — 57.
69. All V. Halem. Bern am 28sten Jänner 1798.
So gut es gehn will, suche ich mich aus der allgemeinen Unruhe,
die mich umgiebt und ergreift, zu sammeln; um dem Briefe an meine
Eltern die Versicherung beyzulegen, dass ich mit immer gleicher Ver-
ehrung, Dankbarkeit und Liebe Ihr Andenken bewahre. Ueber mein
seltnes Schreiben hoffe ich von Ihnen auch diesmal ein mildes Urtheil;
ich zeige mich selten, weil ich noch so sehr wenig zu zeigen habe; doch
schmeichle ich mir, dass meine stille Arbeit an dem Grunde des Baues,
den ich in mir aufführen möchte, mich einst der Güte würdiger machen
wird, mit welcher Sie mir zuvorkamen.
Weder vor der grossen Natur, noch vor der Arbeit die ich hier ge-
funden habe, kann in mir das Bedürfniss derjenigen Philosophie verstum-
men, die ich suchte, und zu der ich den Eingang gefunden zu haben
glaube. So oft ich staunend zurückkehre von dem Anblick, wie hier die
Natur die äussersten Enden des Schönen und Erhabenen in Ein Unnenn-
bares verwebt hat — so oft die Pflicht von mir heischt, ich solle mit
Lehre und Empfindung in die Tiefe menschlicher Herzen eindringen:
fühle ich mich gewaltiger hingerissen gegen die unbekannte Einheit ausser
mir, die alles das zusammenhält und belebt, und die unbekannte Kraft in
mir und andern, die es im Bilde zusammenfasst, und dem Bilde selbst
Sinn und Bedeutung giebt. Es dünkt mich ein gutes Zeichen für meine
Idee der Wissenschaftslehre, dass sie sich allenthalben wieder aufdringt.
Von Fichte's bisherigen Ausführungen gestehe ich, dass sie mir oft nur
durch den Contrast das Ideal zu erheben scheinen. In seinem Natur-
rechte kann ich nicht über die ersten Seiten hinweg, denn schon hier
glaube ich sehr wichtige Untersuchungen übersehen. Was Sie mir über
die Ephoren sagen, leuchtet mir sehr ein; aber aus diesen und andern
Gründen, möchte ich vermuthen, dass das Natur- und Staatsrecht nie
eine abgesonderte, in sich vollendete Wissenschaft werden, und dass unter
einem Volke nie das Recht ohne die Sitte fortschreiten könne. Betrachte
ich dann das langsame Fortschreiten der Sitte bey meinen Knaben, und
die grosse Sorgfalt der Erziehung, deren es bedarf, um dem Schritte nur
einige Sicherheit [zu] geben, so kann ich von grossen Staatsreformen oder
Revolutionen, durch die man den Zustand des Rechts plötzlich herbey-
zuführen hofft, nur sehr wenig erwarten. Ich sehe hier immer nur das
Schicksal; und wirklich fürchte ich nur zu sehr, es in wenigen Tagen mit
meinen leiblichen Augen in seiner ganzen schrecklichen Gestalt hier zu
sehen. Das pays de Vaud hat sich losgerissen; die Regierung lässt
Volksrepräsentanten wählen. In diesem Augenblick höre ich Trommeln
und Kriegsmusik hier durch die Strassen ziehn, an die ich schon lange
so gewöhnt bin, dass ich nicht mehr darum aufstehe. Meine Sachen habe
ich einpacken müssen, damit wir — die Frau und ich mit den Jüngern
Kindern, bey dem täglich befürchteten Einfalle der Franzosen, gleich nach
dem Oberlande hin aufbrechen können. Es wäre wol gewiss nicht dahin
gekommen, wenn es nicht im Rathe an Einigkeit gefehlt hätte. Aber
eine Parthie widersetzte sich schnellen politischen Veränderungen, die andre
7 8 Januar 1798.
strengen Maassregeln. Die letztern soll das Volk im Deutschen Theil des
Cantons eifrig gewünscht haben, und durch die Lässigkeit der Regierung
nun auch aufgebracht seyn. Soweit ich den Geist der letztern bisher
kennen lernte, musste ich sie hochschätzen, wobey mich vielleicht die
Hochachtung für den einen trefflichen Mann, in dessen Hause ich wohne,
nicht ganz unbefangen urtheilen Hess. Hier hoffte ich mehr als irgendwo
sonst, auf langsame Verbesserung; jetzt sehe ich mit tiefem Schmerz dem
Umsturz einer Verfassung entgegen, die selbst durch eine viel bessere
schwerlich ersetzt werden möchte, wenn nicht auch der Geist der Ver-
waltung auf diese überginge. — Was bleibt dem fremden Zuschauer
übrig, als sich auf den Gesichtspunct zu erheben, aus welchem wir die
Staatsumwälzungen voriger Jahrhunderte betrachten? Wie sehr wünschte ich
jetzt, die Muse der Geschichte hätte mir längst die Augen geöffnet, um
das ganze grosse Schauspiel in allen seinen Beziehungen mit der Vorwelt
betrachten zu können. Wie ganz anders würden Sie an meinem Platze
beobachten !
Von der Schweiz habe ich noch wenig gesehn. In Zürich habe ich
weder Lavatern noch Hirzeln gesehn. Mit dem ehrwürdigen Pestalozzi
führte mich ein Zufall zusammen. Ich scheue mich, Gelehrte zu be-
lästigen, die ich noch nicht genug aus ihren Schriften schätzen lernte, und
denen ich nicht unmittelbar Belehrungen abfragen kann. — Auf der
Brücke am Rheinfall freute ich mich, dass Sie auch da gestanden und
gestaunt hatten. Am Reichenbach führte mich ein gutmüthiger Bauer
denselben Weg herab, den HE. Schütz Sie herauf klimmen hiess.
Künftigen Sommer hoffe ich die Grimsel oder den Gotthard zu sehn —
wenn HE. Landvogt Steiger dann noch daran denken kann, mich und
seinen Sohn reisen zu lassen.
Wie glücklich wäre ich, wenn Sie mir selbst sagen wollten, dass Sie
dies flüchtige Blatt verziehen haben Ihrem gehorsamen
Herbart.
70. An Langreuter. (Bruchstück.)1) Am 28. Jänner (1798?).
— — Meine Kleinen freuen sich gar sehr in diesem Augenblicke,
zu hören, dass ich ins Vossische Haus schreibe2) und mein Freund
Eschen lehrte mich ihn (d. i. Voss) in aller Rücksicht einstimmig mit
Ihnen schätzen. Künftigen Winter habe ich Hoffnung, durch Eschen auch
einen kleinen Antheil an dem Reichthum seiner Gelehrsamkeit zu be-
kommen; denn ich bin so glücklich, diesen meinen Freund hierher führen
zu können. Ein Freund des Hrn. Landv. Steiger Hess sich bei mir er-
kundigen, ob einer meiner Bekannten Lust zu einer Hauslehrerstelle hätte;
und da war die Befriedigung von Eschen's Wunsch gefunden.
Der Brief an meine Eltern, dem ich diesen beifüge, ward durch
mancherlei Umstände aufgehalten — um ihn nicht länger hinzulegen,
1) Text nach Ziller, Reliquien, hier aber auf fr. Rat des Hrn. Prof. Dr. Steck
in Bern statt ins Jahr 1799 ins Jahr 1798 verlegt. Das Postscript von Heibarts
Mutter gehört nach derselben Quelle in den März 1798.
2) Hier (bei Voss in Eutin) hielt sich Langreuter auf.
Februar 1798. yn
schliesse ich lieber gleich, mit der Bitte um fernere unveränderliche
Freundschaft für Ihren Herbart.
(Postscript der Mutter Herbart's.)
— — Sie, mein lieber Freund, wissen es schon, dass mein Sohn als ein echter
Deutscher da Monate braucht, wo uns Tage ausreichen. Nehmen Sie so vorlieb. —
— Wissen Sie nicht, wann und wie Eschen nach Bern geht? Ob ich ihm wohl ein
Päckchen mitgeben könnte? — Mein Sohn ist jetzt in Interlaken mit den Kleinen
und der Frau v. Steiger. Sein ältester Zögling dient als ein stattlicher Held gegen
die Franzosen, hoffentlich nicht lange. Der Vater, ein Mann wie G — J) ist
jetzt wahrscheinlich abgesetzt und mein Freund Steck dazu. Gut, dass die Herren
Vermögen haben.
71. Hörn an Srnidt Baden in der Schweitz den 15. Februar 98.
(Fortgesetzt Rastadt den 4. März.)
— — Am 12. reiste ich über Aarberg nach Bern, wo ich allenthalben Berner
Truppen fand. Mit vieler Mühe fand ich denselben Abend noch Herbarts Quartier
aus. Er saß noch am Tisch, ich ließ mich aber gleich auf seine Stube bringen u.
legte mich auf das Sopha. Er kam ganz verlegen in die Stube, bis er mich endlich
erkannte. "Wir gingen gleich noch zu Muhrbeck den ich gern kennen lernen wollte.
Herbart mußte vor 10 Uhr im Hause sein, ich blieb aber bis gegen 12 Uhr noch
bei Muhrbeck. Das Gespräch über unsere gemeinschaftliche Freunde vereinigte ans
bald und seine Bekanntschaft ist mir der liebste Gewinn meiner Reise. Am andern
Morgen tranken Herbart, Muhrbeck und Böhlendorf bey mir, u. wir waren fast den
ganzen Tag u. sehr vergnügt beysammen. Ich lernte auch Böhlendorf genauer
kennen, u. gestehe in meinem Urtheil über ihn voreilig gewesen zu seyn. Lange
sprach ich nur kurz, weil er sich auch zur Abreise nach Jena anschickte, er konnte
sich nur eines halben Tages willen nicht entschließen, mit mir bis Schaffhausen zu
reisen. — — Herbart hat mir recht wohl gefallen, wenn wir uns schon in der
kurzen Zeit ziemlich herumdisputirt haben. Der Weg, den er geht, mag vielleicht
nicht ganz der richtige seyn, aber er läuft doch wenigstens in einer kleinen Ent-
fernung von ihm parallel, u. in Muhrbecks u, Böhlendorfs Gesellschaft wird [er] sich
nicht weiter davon entfernen, sondern vielleicht noch unmerklich näher gezogen
werden. Über Berger urtheilt er gewiß zu hart — Du weißt vielleicht noch nicht,
daß dem Anschein nach Bergers Verhältnisse abgebrochen sind; — wenigstens ist
in Bern ein Brief von ihm, der von einem deutlicheren von Hülsen begleitet warT
so ausgelegt. Der Anblick eines solchen Schwankens von solchen Menschen könnte
einen der Herbartschen Consequenz geneigter machen. — —
72. An meinen theuren Smidt.2) Bern- Ende Februars 1798.
Die schönste Stunde rief mich heraus, aus Mauern und Thor; die
Stunde, wann am scheidenden Sonnenstrahl das Licht der Nacht erglimmt.
Du sahst das Schauspiel, Bester. Heute sandte Helios so rein, wie
jemals, den himmlischen Purpur, womit er dann das Diadem des Ersten
unter den Staaten der Schweiz zu schmücken pflegt. Der Geist der
Kraft ist wieder erwacht in diesem Lande; die Natur freute sich mit mir
1) Ausgerissen.
2) 4 S. 4°. Smidt hatte sich am I. Jan. 1798 mit Wilhelmine Rohde verheiratet.
S. Johann Smidt. Ein Gedenkbuch pp. Bremen 1873. S. 5. Über seine Reise in
die Schweiz, ebenda S. 66 ff.
So Februar 1798.
darüber. Meine frommen Wünsche erhoben sich zu der blauen Höhe,
und mein Dank, dass ich mit leiden oder mit triumphiren darf. Ich
fühlte mich sehr glücklich hier auf diesem Boden.
Du lächelst, und neidest mich nicht; — denn Du ruhst im Arm der
Liebe. — Schalk! Ich bin vor dem Hause vorübergegangen, wo ich Dir
eine lange Rede hielt; ich wollte Dich halten; ich griff in die Luft, denn
Amor hatte Dich ganz; und Du liessest nichts merken und lachtest
innerlich.
Deine Hand, Theurer! Ich freue mich mit Dir. Alles Schöne und
Herrliche, was mir dies fremde Land giebt und verheisst, und Mehr als
das, gebe Dir die Vaterstadt und die Liebe. Glaubst Du einen Augen-
blick, der Glückwunsch eines Profanen sey kalt, so erinnere Dich, dass
er von einem Freunde kommt. Ich träume mich hin an den Strand der
Weser; zwar in den Zauberkreis Deiner Seligkeit wird mein Gefühl nicht
eingelassen, aber ich sehe Dich doch, Deine Miene [2] so mild, so heiter,
fast scherzend, und doch so tief bewegt, und voll befriedigter Ahndung —
die Gefährtin Deines Lebens ruht in Deinem Arm; sie heisst mich sitzen,
und Du dankst ihr, dass sie Deinem Freunde gefällig ist, — ich sitze
vor Euch; betrachtend, bescheiden und still. — Auch unter Deine Zu-
hörer setze ich mich gern, — doch ich weiss nicht recht was ich da
höre, wir haben uns zu lange nichts mitgetheilt, als dass ich Deine Worte
noch im Traume vernehmen könnte. Es kömmt ja wohl eine Zeit wo
Du sie mir sagst; und was Du arbeitest, das ist auch für mich gethan.
Willst Du mich sehn, so siehst Du mich in meiner Werkstätte. Be-
stäubt, schwitzend; vielleicht keuchend, ermüdet, — doch wieder an-
setzend, und Etwas fördernd. Zuweilen lege ich die Arbeit aus der
Hand, sehe gen Himmel, und es ist mir unbeschreiblich wohl.
Auch hängt manchmal ein Freund an meinem Halse, Sinn und Seele
und Herz sind Eins. Danke, danke Böhlendorf und Muhrbeck, sie haupt-
sächlich vertreten mir die Stelle vieler Entfernten. Fischer und Steck
sind jetzt zu sehr Bürger, und nicht ganz so wie ich ihr Mitbürger seyn
möchte. Darum wankt die Freundschaft nicht, auch das Maass des Ge-
nusses wird sie wieder zu füllen wissen.
Ich studire jetzt Mathematik. Immer näher komme ich den wunder-
vollen Linien, welche den Gang der Sterne bedeuten. Freylich bis dahin
muss mir noch manches geheimen Zeichens Sinn [3] offenbar werden. —
Habe ich einmal in meiner Werkstätte etwas fertig gemacht, das ich ein
Abbild meines bessern Selbst nennen darf, dann mache ich mich frey,
steige auf die Häupter der Erde, schaue ins Unermessliche, mein Auge
zeichnet am Himmel die bekannten Bahnen; ohne zu schwanken, ohne
zu sagen, schwinge ich auf und fort in den wirbelnden Tanz der hal-
lenden Sphären.
Flectere si — queo superos, Acheronta movebo.
Oeffneten sich die Wege des Himmels, so springen wohl auch die
Pforten des Orcus. Ich raube vom Feuer der Sonnen, und es soll
tagen in der grausenden Nacht der Geisterwelt. Nicht nur in ihre
Schaaren will ich mich mischen; die scheinbar nichtigen Schatten
sollen ihr Wesen enthüllen; die Gabe des Prometheus muss sich da
März 1798. 8l
wiederfinden. — Am Styx war ich schon; aber Charons unwillige Blicke
trafen mich; er will Entkörperung !
Also vor allen Dingen Arbeit! — Ich habe in den letzten Wochen
gearbeitet, dass ich mir zuweilen einbildete, den Kopf zu verlieren. Thor-
heit! Es schadet nichts; ich bin wieder heiter und wohl. Drum nur
wieder hinunter getaucht in den gleichen Strom. Die kälteste Fluth stärkt
am meisten. Zwar schauderts einem beym Eintritt, und besonders, wenns
ans Herz geht; aber nur hinein mit Herz und Kopf zugleich! Erstickt
Dich drunten ein böser Dämon — wol; es kömmt wol noch ein andrer,
der glücklicher ist als Du. Erstehst Du aber, dann schnellt Dich die
Feder des Lebens zu den Gestirnen empor. [4]
Indess ich mir da so artige Sachen sage über das kalte Bad, — es
ist hier auf meinem Zimmer ganz ordentlich warm, — hinter mir hängen
die alten Schweizerschlachten in schönen goldnen Rahmen, und drunter
steht mein Sopha; — erträgt mein Ludwig wirklich die Kälte des Winters
und der Nacht. Er ist im Felde, auf dem äussersten Vorposten; er
sieht den Tod und zeigt ihn. Er duldet so munter, und so oft für andere
die Beschwerden des Dienstes, dass man ihn schon einer Reihe unmuthiger
Officiere zum Muster aufgestellt hat. Er ist ein Kerl, und, wollen die
Franzosen, vielleicht bald ein Held; möchte er auch ein Mensch werden!
Dafür will ich beten und arbeiten.
Sonst sehe ich hier in Bern nicht viel mehr als die schöne Stadt,
(über deren Anblick ich mich jedesmal freue, und deren sichtbar gleich
vertheilter Wohlstand mich immer eine Lobrede auf die bisherige Regie-
rung dünkt,) dann die Alpen, und die Leute im Hause. Für Gesell-
schaften habe ich weder Lust noch Zeit. — Frau Landvögtin war diesen
Winter gar nicht so liebenswürdig, wie Du sie in Märchligen sähest.
Weiblichkeit und schweizerischer Patriotismus waren bey ihr in Krieg ge-
rathen, worin bey des sich gegenseitig zu Boden warf. Doch sie erhebt
sich wieder an ihrem trefflichen Manne, der die Stärke des Hauses und
vieler andern Häuser und des Staates ist. Doch wenn ich von ihm an-
fange, so bin ich in Gefahr, kein Ende zu finden: Drum breche ich ab.
Den guten Lange scheint die blosse Grille eines Polizeybeamten ver-
trieben zu haben, wenigstens wussten dessen Collegen, da Lange's Freunde
sie darüber befragten, ihm nichts bestimmtes zur Last zu legen. Böhld.,
Muhrb. u. ich haben ihn in der letzten Zeit wenig gesehn. Man konnte
nicht recht an ihn kommen, weil er immer seine Blosse versteckte. Zu-
letzt hat er unsern gutgemeinten Rath freundschaftlichst aufgenommen. —
Hörn hat uns auf einen Tag von Rastatt aus besucht. Ich freute mich
sehr ihn wieder zu sehn; freyl. war die Zeit zu kurz, um auszusprechen.
— Bleibe der Freund Deines Freundes Herbart.
W.: Frühling 1798. Dritter Bericht an Herrn von Steiger. S. Bd. I. S. 57 — 61.
73. Fischer an Steck u Zehender. Höchstetten, 28 März 1798.
Z[ehender], ich habe den Schreiber Bühlmann ersucht, bei Dir nach Papieren
für mich zu fragen; ich meynte damit den Brief an Herbarts Mutter, den ich un-
möglich missen kann. Unser Freund Muhrbeck wird denselben schon zur Stelle
schaffen.
Herbarts Werke. XVI. 6
82 April. Juni 1798.
74. Herbarts Mutter an Smidt. Oldenburg d. Bten Apr. 1798.
Verzeihen Sie, höchstgeschätzter Herr Professor, die verzögerte Antwort auf
Ihre Fragen. Unsere Nachrichten aus Bern gehn nur bis zum ersten März, als dem
Anfang .des unglücklichen Krieges. Mein Sohn schrieb damals: ich eile zur Post,
welche wol so bald nicht wieder gehen dürfte, und dann begleite ich die Fr. Ldvgtin
u. die Kinder nach Interlaken. Der Brief war damals über Nürnberg gegangen,
enthielt keine veränderte Adresse, wol aber eine dringende Aufforderung für mich,
zum schreiben; ich denke also die bisherige: bey HEn. Steiger von Interlaken in
Bern, werde auch noch die sicherste seyn.
Eben kömmt ein Brief von Böhlendorf. Der Arme! er muß fort vielleicht
kömmt er uns näher. Ein schrecklicher Verlust für meinen Sohu! Dieser ist wieder
in Bern, er wird Ihren Brief sicher erhalten.
— — Mein kranker Mann empfiehlt sich mit Ihrer ergebenen
Herbart.
75. Herbarts Mutter an Smidt. Oldenburg d. 3. Juni 1798.
— — — Mein Sohn fährt fort, seinen L[an]dv[o]gt zu bedauern u. zu ver-
göttern. Alle seine Briete sind voll von dem Glück mit ihm leiden zu können.
,. Steigers Präzeptor ist ein Titel der mir allenthalben mehr war als eine Sauve garde"
schreibt er. In Unterseen hat er mit den Berner Damen gewohnt, ist darnach mit
St.'s Schätzen über den Brienzer See geschickt gewesen, hat einen Spaziergang nach
Meyringen gemacht, seinen Todten wieder auferweckt, u. zurück nach Bern gebracht,
wo tägl. 15 Menschen mehr, die arme hochschwangere Frau geniren. — —
76. Herbarts Mutter. (Ohne Datum.)
— — Auch Sie mein Freund werden noch eine Zeitl. warten müssen, der eine
Ihrer Correspondenten [Böhlendorf] ist so halb u. halb mit dem Kopfe, der andere
mit dem ganzen Körper über den Sternen engagirt. Ganz verloren ist indeß der
letzte (der trefft. Muhrbeck) doch noch nicht, er hat aber einen starken Blutsturz
bekommen u. ist noch sehr kiank. Überhaupt lauten die letzten Briefe sehr traurig;
Außer Einquartirung, Contribution, viel Unruhe Sturm u. Weh eitragen die Berner
auch schwere Blattern. Ihre H.
77. An meine Eltern.1) Bem den letzten Juni 1798.
Mehr als ich es Ihnen sagen kann, hat mich Ihr letzter theurer Brief
das Glück fühlen lassen, meinen Vater über die wichtigste Angelegenheit
meines Lebens wie einen Freund und Rathgeber reden zu hören, und
zu ihm wieder so sprechen zu dürfen. Ich habe bisher wenig Ihren
Wünschen entsprochen; das schmerzte mich immer, aber ich glaubte es
noch weniger zu thun, wenn ich auch meinen Gedanken und Neigungen
eine andere, gezwungene Richtung ohne Ueberzeugung hätte aufdringen
wollen. Hiervon war mir jeder Ihrer Briefe eine neue Versicherung; mit
dankbarer Rührung empfing ich die Beweise Ihrer Schonung, aber mir
*) Eine Abschrift des Briefes ist durch H. selbst an einen seiner Schüler, den
Hrn. von Rahden aus Curland, und durch diesen an Rektor L. Jördens in Nienburg
(Weser) gekommen, der sie im , Jahresbericht des Progymnasiums zu Nienburg'1 vom
Jahre 1860 veröffentlichte. S. daselbst S. 12 — 27: „Ein Brief von J. Fr. H.u Während
ihm aber „die Pietät gegen H. verbot," irgend etwas zu ändern, finden sich bei Ziller
(Reliquien) erhebliche Abweichungen. Da die Nachforschungen nach dem Originale
vergeblich waren, wurde der von Jördens mitgeteilte Text gedruckt.
Juni 1798. 83
blieb eine geheime Besorgniss, mit dieser Schonung möchten Sie mich
von Ihrem Herzen entfernen. Haben Sie Dank, innigen, warmen Dank,
bester Vater, dass in dem Augenblick, wo Sie mich nun ganz an die Pflicht,
selbst zu überlegen, erinnern, Sie zugleich mich an Ihrer unveränderlichen
väterlichen Theilnahme und Sorgfalt für mein Wohl nicht im mindesten
zweifeln lassen. Ich sehe es, der entscheidende Moment ist in der That
da; Ihr Brief war mir die Aufforderung zur ernsthaftesten Ueberlegung,
die mir möglich ist; damit bin ich die ganze Zeit über beschäftigt ge-
wesen ; und Sie werden mir wohl verzeihen, dass ich stille blieb, so lange
ich mit mir selbst nicht über die Antwort einig war, so lange noch meine
eignen Gedanken von einem Tage zum andern hin und her schwankten.
Jetzt will ich versuchen, ob ich mich Ihnen ganz hinstellen kann, wie ich
denke und empfinde; aber ich nehme Sie beym Worte, ich hoffe, Sie
werden mir auch nichts vorenthalten wollen, Sie werden, indem ich mich
freimüthig ausrede, mich würdigen, auch die Stimme Ihrer Erfahrung,
Ihrer Klugheit und Ihres Herzens ganz deutlich zu vernehmen. Das
Nämliche bitte ich auch von Dir, meine geliebte Mutter. Deine ehemaligen
Aeusserungen darüber können mir nicht mehr sagen, wie Du die Sache
jetzt ansehest; ich kann mir nicht denken, dass Du aus irgend einer
Ursache mich Deines Rathes könntest berauben wollen. Ich bedarf der
Hülfe meiner beyden Eltern; ich stehe am Scheidewege; welche Richtung
ich auch nehmen soll, unmöglich kann ich rasch und frohen Muthes fort-
schreiten, wenn einer von Ihnen den Blick traurend abwendet, wenn nicht
die Hoffnungen von Vater und Mutter und meine eigenen sich in Eine
verschmelzen, wenn Sie nicht beyde mir aus Einem Munde, in Einem
Nachruf, Glück und Segen verheissen.
Ich gestehe es Ihnen gleich, bester Vater, Ihr Vorschlag1) dünkt
mich sehr reizend, aber ich habe einen andern im Sinn, der, obgleich auf
den ersten Anblick weniger einladend, mir doch meiner Natur mehr an-
passend und besonders sicherer erscheint.
Es ist eine schöne Aussicht, die in die weite Welt der Länder und
Nationen. Besonders mir, dem sich Arbeit und Schule kenntlich ein-
gedrückt haben, sollte eine solche Abspannung erfreulich seyn. Die grösste
Bedenklichkeit, die sich mir ehemals bei dem Gedanken hieran immer
aufdrang, haben Sie gehoben, denn die Verantwortung, sagen Sie, könne
nicht gross seyn. Hätte ein anderer die Aufsicht, so wäre ich stiller Be-
gleiter, sähe für mich, sammelte mir die Kenntniss der Menschen, mit
denen und zu denen ich käme, und sorgte wenig, was Andere beachteten
und trieben, — oder böte sich ein glücklicher Augenblick dar, so würde
ein Gedanke, der in meiner Seele wenig Werth hätte, verpflanzt in die
eines Andern, vielleicht das Wohl vieler Menschen befördern. Bände
man mich mehr, so lernte ich mich geniren, — auch kein kleiner Ge-
winn! Doch was rede ich von dem Nutzen? Sie sehen ihn so viel besser
als ich!
l) H. sollte einen Oldenburger Prinzen, wohl den spätem Großherzog Paul
Friedrich August (1783 — 1853), auf einer längeren Reise begleiten und dann eine Ver-
sorgung erhalten. Vgl. L. Jördens, a. a. O. S. 10.
6*
84 Juni J798.
Um allen diesen Nutzen wirklich zu ziehen, wäre es nöthig, von
Stund an mir und meinen Arbeiten eine ganz andere Richtung zu geben.
Länder- und Völkerkunde, neuere Sprachen, genaue Bekanntschaft mit
der neuesten politischen, und besonders mit der unterhaltenden witzigen
Literatur, Wegtilgen aller Spuren der Speculation aus meinem Betragen,
Uebung in der Kunst, viel zu reden, und doch die grössere Hälfte meiner
Gedanken zu verschweigen, — das sind wenige Worte, die aber ein für
mich unbeschreiblich schweres Studium andeuten. In alle dem bin ich
ein Stümper. Wenig Jahre nur könnten mir noch dazu übrig seyn; mir
graut nicht vor der Arbeit, aber vor der Eile, mit der ich das Neue
sammeln und darüber unfehlbar das Alte wieder einbüssen müsste. Mein
jetziger Reichthum besteht in einigen Ueberzeugungen, die den Keim
vieler folgenden zu enthalten scheinen. Sie sind gewonnen in drittehalb
Jahren einer Müsse, wie ich sie in meinem Leben nicht wieder erwarten
darf, wo die Empfänglichkeit und Lebhaftigkeit des jugendlichen Geistes
sich mit Umständen, mit einer Umgebung von Lehrern und Freunden
vereinigte, die mir Muth und Zutrauen zu dem geben, was damals in mir
erwachte. Aber Gedanken erzeugen entweder immer neue oder veralten
und verschwinden. Jetzt erhebt mich eine innere Gewissheit über die
Systeme unserer Zeit, das Fichtische so wenig, als das Kantische aus-
genommen; sollte ich auch irren, so halte ich es doch für ein grosses
Glück, ohne Führer und ohne Furcht ein eignes Feld durchwandern zu
können, das sich bey jedem Schritte zu erweitern scheint. Bliebe mir
künftig einmal nur die Erinnerung, dass es einst so gewesen sey — dass
ich jetzt mit Mühe fremden Spuren nachzukriechen verurtheilt sey, ich
glaube kaum, dass mich etwas dafür würde trösten können. Aber, was
ich nicht kenne, darüber habe ich kein Urtheil. Wie weiss ich denn,
ob mir jener Verlust nicht tausendfach ersetzt werden würde? — Nehmen
wir dies an; aber wie nun, wenn ich das Opfer gebracht hätte, und der
Lohn ausbliebe? Was ich auf meinem Zimmer aus Büchern Neues gelernt
hätte, würde mich, wenn nun nicht wirklich der Anblick der Welt hinzu-
käme, nimmermehr entschädigen. Die Kenntnisse jener Art sind überdies
nicht einmal Brodwissenschaften. — Oder, wenn die Reise wirklich vor
sich ginge, aber bey dem Merkwürdigen vorbeieilte, nur Sehnsucht erregte,
um ihr Zaudern bey langweiligen Cermonienbesuchen unerträglich zu machen ?
Da, fürchte ich, würde ich mir umsonst Geduld predigen. Ohnehin bin
ich genug durch Städte und Dörfer gefahren, um den blossen Gedanken
des Reisens nicht mehr reizend zu finden. Nie habe ich mich elender,
gepeinigter gefühlt, als an einigen langweiligen Reisetagen; sie haben in
mir einen Ekel zurückgelassen, den ich mit nichts zu vergleichen wüsste.
— Und wenn ich mich, so gut ich's vermöchte, vorbereitete; hätte aber
dann nicht das Glück, Gnade vor dem Herrn zu finden? Oder irgend
einmal nachher das Unglück, sie zu verlieren? Oder in mir selbst er-
wachte ein böser Genius und wollte sich mit der Versorgung, die mir
nachher zu Theil würde, nicht befriedigen? Die Mittel, die innere Kraft,
der Muth aber wäre nicht mehr da, mir selbst irgend wo eine andere
Hütte zu bauen!
Verzeihen Sie, beste Eltern, dass meine Furcht lebhaft wird; ich
Juni 1798. 85
wollte Ihnen ja sagen, wie mir ist. Sie tadeln mich dann, so stark Sie
es nöthig finden.
Ist endlich wohl der friedliche Winkel an der Nordsee so sicher,
wie bisher? Oldenburg gränzt an Ostfriesland, und Ostfriesland? — Und
wäre ein Geist, der sich für den dortigen Hof geprägt hätte, wohl jetzt
die allgemeine gangbare Münze? Würde der — hinausgestossen in die Welt
— so leicht seinen Platz wieder finden?
Die letztere Besorgniss dünkt mich bei meinem Plane, der durch's
ganze Leben geht, eine der wichtigsten, am wenigsten zweifelhaften —
um so mehr, da ich ihr, sofern es immer möglich ist, ganz entgehen zu
können glaube.
Wenn es mir erlaubt ist, noch eine Weile nur von mir und von der
Zeit fortzusprechen: — würde wohl ein Mensch, dessen Begriffe nach allen
Seiten hin sich zu entwickeln streben, — der aber, im Gefühl seiner Un-
fähigkeit, und durch warnende Beyspiele geschreckt, hiebey nichts so sehr
scheut, als Uebereilung, dessen Ahndungen sich also nur sehr langsam zu
Ueberzeugungen läutern, der sich hingegen durch Alles was schnell, plötz-
lich gehen soll, unvermeidlich in ohnmächtige Zerstreuung gestürzt fühlt,
würde er sich irgend etwas mehr wünschen können, als eine lange Reihe von
Jahren hindurch Müsse genug und beständige äussere Veranlassung zu
haben, die ihn aus sich schöpfen hiesse, was er nur könnte, und ihn in
einer vorsichtigen Anwendung zugleich Bewährung, Berichtigung oder
Widerlegung finden Hesse? Wenn er so im Geleite der Erfahrung, der
Literatur alter und neuer Völker und des eignen Denkens nach und nach
in zusammenhängender Folge die fruchtbarsten und schönsten Felder der
gemeinnützigen Wissenschaften durchwandert wäre, allenthalben das
Bleibendste, Unentbehrlichste, Nützliche, Wahre und Gute aufgesucht,
vielleicht manches Neue gefunden hätte, und damit die Uebung verbände,
es klar und einleuchtend wieder mitzutheilen : — würde er nicht, auch nach
dem wunderbarsten Wechsel der Zeiten, manche Plätze finden, wo man
ihn brauchen könnte; oder würde er sich nach solcher Vorbereitung nicht
mit Leichtigkeit in mancherley Lagen, Umstände, Geschäfte zu fügen, oder
endlich mannigfaltige Beschwerden ruhig zu ertragen und noch mehrere
Glücksgüter harmlos zu entbehren wissen? Wenn ihm überdas, um ihn
vor einseitiger Verschlossenheit zu schützen, und um ihn für sein stilles
Thun gegen das Ungewitter da draussen ein Dach, das doch die Aus-
sicht nicht sperrt, zu geben, eine Familie einen Platz in ihrer Mitte
anböte — , eine Familie, in der er sein Herz und seine Achtung schon
tief gewurzelt fühlte, — in der ihm alles an seinem Platze, alles möglichst
wohlgeordnet erschiene, — deren Grundton Eintracht, gegenseitiges Wohl-
wollen und Zufriedenheit wäre, — die ihm den Menschen, der sein
wichtigstes Studium ausmacht, beynahe in allen Altern und Geschlechtern
darstellt, und in ihrem Haupte ihm ein allgemein anerkanntes Muster der
geprüftesten sittlichen Grösse vorhielte: — wenn dann noch genauere
Freunde mit ihm und neben ihm die gleiche Arbeit mit gleichem Interesse
und ungefähr gleichen Kräften trieben, ihn zum Wetteifer belebten, und
zugleich durch Rath und Beispiel unterstützten; wenn andere Freunde
vor seinen Augen in der Welt handelten, und ihn von ihrem Thun und
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ihren Beobachtungen unterrichteten; wenn der Wohnplatz selbst einer der
schönsten der Erde, in unruhigen Zeiten ein Schauplatz der grossen Be-
gebenheiten, in ruhigen der Sammelplatz der ganzen reisenden Welt wäre:
— wenn endlich durchaus keine unauflösliche Verbindlichkeit von sehr
veränderten Umständen oder Gesinnungen drückende Fesseln befürchten
Hesse? —
Mein Vorschlag liegt vor Ihnen, geliebte Eltern — ein etwa 8- bis
10 jähriger Aufenthalt in Hrn. St.'s Hause.
Ohne noch von der grössten, auffallendsten Bedenklichkeit hiebey zu
reden, lassen Sie mich Ihnen erzählen.
Schon im vorigen Sommer — da nach den ersten Monaten der
Zweifel, ob es nicht ein Traum sey, dass ein wunderbares Schicksal mich
wie durch die Luft an den erwünschtesten Ort gebracht habe, sich all-
mählich in einen angenehmen Glauben auflöste, schon damals fing ich an,
mir dieses Haus als meine Werkstätte zu denken, in der es mir vergönnt
seyn möchte, ganz unbestimmt so lange an mir und an Andern zu arbeiten,
bis ich mich und sie fertig hielte, in die Welt zu treten. Die Hoffnung
auf jene Versorgung in meinem Vaterlande war damals noch so schwach
und zweydeutig! Aber als nun Ihr Brief kam, stellte sich mir Ihr Vorschlag
in allem seinen Glänze dar. Ich fühlte die Lust, weit, weit umherzusehen
und zu fahren, ich fühlte im Voraus die Freude, künftig einmal nicht als
Grübler, sondern als einer, der Welt und Menschen gesehen hat, ein Wort
reden zu dürfen.
Auf der andern Seite zweifelte ich an den Anlagen meiner Zöglinge,
fand als Hauslehrer meine Zeit manchmal zu beschränkt, fürchtete die
Furcht des Herrn St. über seine Zukunft.
Bey näherer Ueberlegung verschwand indessen jene Lust vor den
Besorgnissen, die ich vorhin äusserte. Unter meinen Zöglingen hatte ich
weniger auf L[udwig] zu sehen: er ist zu den Forstwissenschaften bestimmt,
ganz seinen Neigungen und Anlagen gemäss, — bleibt also wohl nicht
lange unter meiner Aufsicht. Garin und R., die ich bisher seinetwegen
vernachlässigt hatte, müsste ich genauer kennen zu lernen suchen. Ich
prüfte sie einige Wochen lang, und fand — zwar keine Genies, die alle
Erziehung unnöthig machen oder abstossen; keine solche Reizbarkeit, die
jeden Eindruck durch und durch fühlt und sich so einprägt, dass man
einmal gemachte Erziehungsfehler nicht wieder zu bessern hoffen kann —
aber doch gesunde, sehr bildsame Anlagen ; und besonders bei Carln viel
mehr Kopf und mehr Anhänglichkeit an mir, als ich erwartet hatte,
und einen Grad von gutem Willen, der allein für ein sehr grosses Talent
gelten kann. Seine Erziehung kann beynahe nicht wesentlich verunglücken;
er ist von aussen nicht leicht in Bewegung zu setzen, fasst langsam und
ist zuweilen sehr eigensinnig; aber innerlich hegt er ein tiefes Gefühl für
das Rechte und Gute, und eine ruhige aber immer strebende Wissbegierde.
Sein Kopf reicht mir gerade hin, um mit ihm Griechisch und Buchstaben-
rechnung mit recht gutem Erfolg zu treiben. In seinem Beispiele glaube
ich die Bürgschaft zu finden, sein kleiner 8 jähriger Bruder, der Alles
nachahmt, werde mir auch nicht missrathen; er ist fast ganz das Gegen-
theil von jenem, äusserst lebhaft, aber eben so unbeständig, jeder Lust
Juni 1798. 87
und jedem Schmerz hingegeben, zu kleinen Unwahrheiten geneigt, reizbar,
aber ohne Tiefe, leicht fassend, aber zum Lernen zu bequem. Doch habe
ich ihn schon gewöhnt, dass er stundenlang nicht bloß sitzen, sondern
wirklich thätig sein kann ; und ungeachtet der damit verbundenen An-
strengung freut er sich doch am Ciavier, am Homer, an der Kenntniss
der Blumen und am Vorlesen aus Kinderschriften.
Die Proben mit Carln hatten in jeder Hinsicht einen so ganz erwünschten
Ausgang, machten mir ihn, und, wie ich deutlich sah, ihm mich so lieb,
deuteten so sehr auf die Möglichkeit eines künftigen sehr schönen Ver-
hältnisses unter uns hin — welches ich erst jetzt mir zu bereiten anfangen
kann, da Ludwig mir mehr Zeit lässt, — dass von der Seite mir kein
Zweifel übrig blieb. Ob aber nicht dennoch mein Wunsch ein Traum
sey — so sehr ein blosser Traum, dass ich Ihnen, geliebte Eltern, auch
nicht einmal davon reden dürfte, — ob Herr St. und seine Frau mir
Hoffnung machen würden, mich auf lange Jahre gern als ihren Haus-
genossen dulden zu wollen, und dulden zu können — ob sie mir Zeit
genug zum eigenen Arbeiten zugestehen würden, — das waren für mich
grosse Fragen. Das verbindliche Betragen der Eltern gegen mich, ihr
bisheriger Beyfall konnte doch neben manchen geheimen Beschwerden
bestehen, die sie verhindern würden, mich so gleichsam in ihre Familie
zu verpflanzen. Die Erziehung der beyden Knaben ganz vollenden zu
können, musste ich als den wesentlichen Theil meines Wunsches ansehen,
ich musste den ganzen Kreis eines planmässigen Unterrichts mit ihnen
durchlaufen können, um am Ende desselben mir selbst eine gewisse Voll-
endung versprechen zu können, die als umfassende Vorbereitung auf meine
beyden noch zuletzt nachfolgenden Universitätsjahre mir ein ferneres Fort-
kommen nach meinem Wunsche so sehr als möglich sicherte. Herr St.
musste einen encyklopädischen und gründlichen, nicht einen oberflächlichen
oder auf irgend einen besonderen Stand seiner Söhne abzweckenden
Unterricht von mir wollen. — Ob er geneigt seyn würde, mir das Alles
schon jetzt zu versprechen? Ich legte ihm meinen Fall vor, nannte ihm
Ihre Wünsche und Hoffnungen, fragte ihn, ob, im Fall Sie Ihre Zu-
stimmung gern und ganz geben würden, er es wohl mit mir wagen wolle,
mir jetzt die Erwartung zu geben, dass ich auf die angegebene Weise
meine angefangene Arbeit ganz würde zu Ende bringen können? Ob ich
mich wohl der speciellern Aufsicht entziehen, und meine eigentliche Ver-
pflichtung darauf beschränken dürfe, regelmässig 6 Stunden täglich mit
seinen Söhnen zuzubringen? Ob er mir wohl jährlich ungefähr 6 ganz
freye Wochen zu eigner Arbeit erlauben wolle? Ob die Hoffnung nicht
leiden würde, etwa in ein Paar Jahren meine Eltern zu besuchen? Wenn
ich in späteren Jahren seine Söhne dahin gebracht haben sollte, dass sie
ohne ihren Schaden auf ein halbes Jahr etwa, sich durch eigne Arbeit
einen Lehrer ganz entbehrlich machen könnten, — ob es mir dann frey-
stehn würde, mich für diesen Zeitraum aus dem Hause zu entfernen?
Ob ich wohl dies alles nur als unsere jetzige gemeinschaftliche Erwartung
ansehen dürfe, die sich bey einem Jeden nur mit Rücksicht auf den Vor-
theil der Uebrigen ändern werde? „Verbindlichkeit", fügte ich hinzu,
„möchte von jeder Seite drückend seyn, da wir nicht wissen können, wie
88 Juni 1798.
vielleicht Lage, Meynung und Ueberzeugung bey uns sich wenden möchten.
So viel Wahrscheinlichkeit wünschte ich, dass dieselbe mein jetziges Thun
vor meinen Eltern und vor mir rechtfertigen könne.u — Wir sprachen
über das Einzelne, besonders über den Nutzen, Schaden, und möglichen
Ersatz der Aufsicht; — dann bejahte Herr St. meine Fragen, so schnell,
so heiter und unbedenklich, dass ich frohen Muth zur Arbeit mitbringen
kann. Endlich fragte ich ihn noch, ob er nicht etwa das, was ich jetzt
thäte, überhaupt für Thorheit halte? Ob es nicht unklug sey, in diesem
Zeitpunkte auf viele Jahre voraus zu rechnen, und ein so langes, stilles,
friedliches Werk anzufangen? Er fand das nicht so; mit ausgezeichneter
Güte ging er in meine Verhältnisse ein; und von den seinigen sagte er
mir, es sey zwar jetzt alles unsicher, aber wenn man nicht geradezu die
Einzelnen aussauge, werde er es länger aushalten können, als mancher
Andere. Ueberhaupt hat Herr St. bey allem Interesse für sein Vaterland
eine Ruhe in eignen Geschäften, die selbst durch die Revolution nur sehr
wenig gestört worden ist. In der, ohnehin einfachen Lebensart dieses
Hauses zeigt sich einige Einschränkung, aber ein ziemlich beträchtlicher
Bau zu Märchligen, um der anwachsenden Familie mehr Platz zu schaffen,
geht immer ungehindert fort. So in allen Dingen. Solche Fassung,
Mässigung, unabgespannte Energie ist gewiss nur durch die vollkommenste
Gewissensruhe und Einigkeit mit sich selbst möglich. Dahin jemals zu
kommen — wäre mehr als alles Wissen und Denken.
Sie werden nun bestimmt wissen wollen, welche Aussicht ich mir
auf diesem Wege eröffnet glaube. Eine Versorgung, die mir nach einer
solchen Vorbereitung nicht fehlen kann, glaube ich in einer philosophischen
Professur zu finden. Fichte's wiederhohlte Zeugnisse, und wohl mehr noch
die Proben, die ich mir selbst abgelegt habe, scheinen mich zu versichern,
dass, wenn mir irgend etwas gelingen könne, es die Speculation sey. Be-
friedigen mit dem, was unsere berühmten Männer geleistet haben, kann
ich mich unmöglich; selbst die Richtungen die sie nehmen, entfernen sich
weit von dem Wege, der, ziemlich bestimmt vorgezeichnet, als derjenige
vor mir daliegt, auf dem man sich zunächst versuchen sollte. Eben so
wenig Zutrauen kann ich ihrer Art, zu arbeiten, abgewinnen. Vorlesungen
und Schriften ankündigen über das, was man zum Theil noch erst erfinden
will — dann unaufhörlich polemisiren gegen die, welche halbe Wahrheiten
völlig misverstanden, und unglücklich angriffen, — endlich sich öffent-
lich für einig erklären mit denen, welche für ganz abweichende Meinungen
übereinstimmende Worte gebrauchen : — das sind traurige Beweise, wie
selten glückliche Ideen und eine günstige Lage zu ihrer Entwicklung und
Reife sich beysammen finden. Betrachte ich ferner, wie wenig sich unsre
Philosophen um die Bekanntschaft mit den Wissenschaften, die sie durch
Philosophie beleuchten und begründen — mit den Verhältnissen des
Lebens, die sie dadurch bessern wollen, zu bekümmern pflegen, — wie
sehr ihre Zuhörer unter den Lehrern nach dem Vortrage zu wählen
pflegen, und wie die Lehrer so ganz den Vortrag über die Sache zu
vergessen scheinen; so dünkt mich der philosophische Standpunkt unsers
Zeitalters nicht so hoch, dass er mich abschrecken könnte, nach zehn-
jährigem treuen Fleisse und möglichster Vermeidung jener Abwege eine
Juni T798. 89
philosophische oder mathematische Lehrstelle als meine sichere Aussicht
anzusehen. Denn die Mathematik wird mir, schon wegen ihrer nahen
Verbindung mit der Philosophie, fast ebenso wichtig seyn, wie diese selbst.
Zu diesem Zwecke würde ich mich einige Jahre vorher mit Vorsicht beym
deutschen Publicum um das Bürgerrecht in der literarischen Republik
bewerben. — Vielleicht aber würden sich gegen die Zeit noch andre
frohere Pfade durchs Leben darbieten; vielleicht würde ich zugleich fähig
geworden seyn, in eine politische Sphäre einzutreten, vielleicht würde ich dann,
nachdem meine Ueberzeugungen sich bevestigt, meine Blicke auf die Welt
ihre Richtung erhalten hätten, wünschen, was ich jetzt fürchte; gute Ge-
legenheiten mancherley Art würde ich dann hoffentlich zu benutzen, so
wie zu entbehren wissen. Das Universitätsleben halte ich wenigstens gar
nicht für ein so einziges Glück, dass sich nicht tausend fromme Wünsche
so gut bey diesem als bey jedem andern Stande aufdringen müssten.
Mehr oder weniger werde ich mich den Staatswissenschaften, schon meiner
Zöglinge wegen, in den letzten Jahren ihrer Erziehung nähern müssen;
denn obgleich ihr Vater ihnen die Wahl ihrer Bestimmung grösstentheils
selbst zu überlassen entschlossen ist, so vermuthe ich doch, dass wenigstens
Carl sich irgend einmal in die Nähe eines Staatsruders sehnen, und eben
dadurch auch die Wünsche seines Vaters am besten befriedigen wird.
Interesse für Politik und Jurisprudenz, sowohl für die Theorie als für die
Anwendung, fehlt mir auch sicherlich nicht. Meine Philosophie — lassen
Sie mich das Wort übersetzen, damit es nicht hart klinge — mein Streben
nach Wahrheit — will sich nicht bloß unter Idealen herumtreiben, es
möchte vor allen Dingen begreifen — also auch sehn, aber nicht bloß
sehn — was der Mensch ist, wie er es ward, und wie er mehr werden
kann: — es ist dabey viel zu schüchtern im dunkeln Reiche der Ab-
stractionen, als dass es nicht gern allenthalben bey der Erfahrung und Ge-
schichte Bewährung und Bestätigung suchen sollte. Und was könnte
hiezu wichtiger seyn, als die Kenntnis der Staatsverfassungen und Gesetz-
gebungen in den Gesetzbüchern selbst zu suchen? Gewiss, es wäre ein
schlechtes Zeichen für mich, wenn nicht irgend einmal in meinem Leben
die corpora juris meine Hauptlectüre würden. Aber ein solches Studium,
welche Vorarbeiten mag es fordern! Aus den Rechtslehren aller der ver-
schiedenen Zeitalter Stücken mitten herausreissen, um die sonderbare Zu-
sammensetzung des heutigen deutschen Gerichtsbrauchs auswendig zu
lernen — dann sich in eine Praxis vertiefen, die, so belehrend sie sonst
seyn könnte, doch wenn sie zu früh eintritt, die Nachforschungen hemmen
und den Geist mehr betäuben als aufklären dürfte — — Sie sehen,
bester Vater, was mich, bey immer steigender Verehrung für die Juris-
prudenz, doch das eifrige, wahre Studium derselben immer länger auf-
schieben machte; Sie begreifen meine Furcht, dass ich zu einer baldigen
juristischen Praxis — {bald wenn ich vor meinem mich einigermassen be-
friedigenden Studium der Philosophie und verwandter Wissenschaften) —
schwerlich, schwerlich einem ruhigen, unzerstreuten Sinn, einen ämsigen,
pflichtmässigen Amtsfleiss, mitbringen möchte.
Hier finde ich mich bey dem, was ich vorher überging, um Ihnen
zuerst die Möglichkeiten darzulegen, unter denen wir zu wählen haben.
90 Juni J798.
Zwischen Bern und Oldenburg streckt Deutschland sich aus in seiner
ganzen Länge. — Das würde meiner Ueberzeugung eine andere Wendung
gegeben haben, sähe ich eine Art und Weise, wie wir zusammenleben
könnten, ohne uns den Genuß davon zu verbittern. Es würde mir sehr,
sehr wehe thun, meine theueren Eltern, wenn Ihnen das ein Beweis wäre,
dass ich Ihnen misrathen sey. Sie haben gesehen, wie ich das geworden
bin, was ich nun bin; Sie haben mit aller Güte meiner Neigung ihren
Lauf gelassen ; weder Sie noch ich konnten berechnen, wohin, wie weit das
führen werde. — Ich hoffe nicht, dass man irgend wann oder irgend wo in
mir gefunden hat, was man einen unruhigen Kopf nennt; aber ich weiss
nicht, ob ich es nicht werden würde, wenn ich plötzlich in die Bahn der
heimischen Beförderung eintreten sollte. Ob ich nicht immer nachsinnen
würde, was ich wohl anderwärts, unter anderen Umständen, gedacht und
gethan hätte! — Sagen Sie mir, geliebter Vater, geliebte Mutter, ist es
Ihnen traurig, scheint es Ihnen gefährlich, dass der Weg, den ich bisher
so langsam für mich fortgegangen bin, nun noch immer länger sich fort-
zieht, dass ich mich nie entschliessen kann, umzukehren? — Kaum kann ich
mir das vorstellen, denn Sie selbst wollen mich in die weite Welt hinaus-
treiben. Bey jener Reise wäre die Wahrscheinlichkeit unsers Zusammen-
lebens nicht viel grösser. Vorher — nachdem mein noch übriges Jahr
hier verflossen wäre, — müsste ich ohne Zweifel meine Zeit auf Universitäten,
in der Nähe von Gelehrten und grossen Bibliotheken zubringen, um mich
theils auf die Reise, theils auf das künftige Amt vorzubereiten, — denn
lange könnte die Reise doch wol nicht mehr aufgeschoben bleiben.
Nachher — bey dem dunkeln Nachher fällt mir unwillkürlich der Sturm
aus Westen ein, der uns wol plötzlich ostwärts verschlagen möchte, da
wir dann etwa in Petersburg hängen bleiben würden, — das Traurigste,
was ich mir denken könnte, — und doch, wenn ich nicht irre, so sehr
denkbar! Ein Exil, wo ich keinem Menschen mittheilen, aus keinem neuen
Buche lernen könnte — denn der Kaiser verspricht ja der wohlgebornen
Jugend eine eigne Universität, auf dass sie nicht in Deutschland angesteckt
werde. Herausgerissen aus meinem eignen Gedanken, fremder Hülfe be-
raubt — halten Sie meiner Einbildungskraft ihre Ausschweifung zu Gute!
Ein Besuch zu Ihnen bliebe mir auch von hier aus gewiss. Herr
und Frau St., die beyde die angelegensten Besorgnisse äusserten, Sie möchten
ungern einwilligen, kamen mehrmals auf diesen Besuch zurück; Reise-
gesellschaft, um die Kosten zu theilen, fände sich von der Schweiz aus
gewiss leicht, wenn irgend die Ruhe hergestellt wäre. Mehrere jenaische
Professoren haben Reisen hieher im Sinne. Wie viele Andre werden
nur auf einen bessern Zeitpunkt warten! Ludwig geht wahrscheinlich in
einem oder ein Paar Jahren nach Deutschland, um eine öffentliche Anstalt
zu besuchen. —
Gehörte ich Niemanden an, so wäre ich so viel mehr hier gebunden.
Der mannigfaltigen Güte, deren ich hier genossen habe, und deren ich so
viel mehr wirklich gemessen konnte, weil ich es ihr ansah und anfühlte,
dass sie von Herzen und aus dem Wohlwollen herfloss, welches den Ton
des Hauses überhaupt angiebt und womit Herr und Frau St. beyde
Heiterkeit, Rath und Hülfe allenthalben, so viel sie können, freundlich
Juli I798. 91
verbreiten — dieser Güte ist der wirkliche Vortheil, den meine Zöglinge
von mir gehabt haben, nicht angemessen. Manches, das eben im Werden
begriffen war, zerstörten die Umstände, manches Andre würde wenig
Werth haben, wenn es nicht Mittel zu weiteren Fortschritten wäre. Von
einem Nachfolger wäre nicht leicht zu erwarten, dass er in meinen Plan
einträte, vielleicht würde er sich nicht einmal darin finden können. —
Eine Erziehung, die dem Anschein nach glücklich genug angefangen ist,
gegen deren Fortsetzung kein Hinderniss Misstrauen erregt, freywillig ab-
zubrechen, wäre ohne vorgängige gewissenhafte Erwägung der Umstände,
gewiss unverzeihlicher Leichtsinn. — Sind die allgemeinen Klagen über
gehemmte Bemühung, Gutes zu wirken, nur ein Wenig gegründet, so muss
eine Gelegenheit, wie die meinige, aus allen Kräften zu arbeiten — mit
vollen Segeln, wie Böhlendorf sich ausdrückt, zu schiffen — und dabey
die Sorge für sich und die für Andre in Einer Arbeit zu umfassen, in
allen Ständen und Lagen des Lebens ein ausserordentlich seltnes Glück
seyn. — Ginge ich übers Jahr von hier, nähme ich das Bewusst-
seyn auf mich, vielleicht erregte Erwartung getäuscht, sehr wahrscheinlich
viel Zeit und Anstrengung für nichts aufgewandt zu haben — was würde
ich dann weiter zu thun haben?
Eine ungewisse Hoffnung würde mich an jene Reisestudien, —
meine Neigung, aber ohne den Muth, in der kurzen übrigen Zeit etwas
Bedeutendes zu leisten, an die Philosophie — die Sorge für die Zukunft
an die Jurisprudenz — ein gleichfalls jetzt unzuverlässiger Erwerb —
hintreiben wollen. Welcher entscheidende Grund könnte mich dann so
bestimmen, dass nicht Unbefriedigung, Zweifel, Besorgniss mich verfolgte,
wohin ich mich auch wendete?
Von meinen Freunden höre ich nur einstimmige Billigung und Glück-
wünsche; Muhrbeck, der im Herbst zu einer philosophischen Professur
nach seinem Vaterlande zurückkehrt, nennt mich beneidenswerth.
Meine Betrachtungen habe ich Ihnen, meine theuren Eltern, jetzt
dargelegt; ich setze nichts weiter hinzu, als die wiederhohlte Bitte, dass
Sie Sich in mich, aber auch mich in Sie hineinversetzen mögen.
78. Fischer an Steck u. Zehender. Höchstetten, 26. Juli 1798:
,,M[uhrbeck] sagt mir, daß auch Böhlendorf u. Herbart am Sonntag [29. Juli]
einen Besuch, ihm u. mir zugedacht hätten, d. h. wir sollten uns in Enggistein Ren-
dez-vous geben; allein da ihr diesen Tag vorziehet, so wünschen wir jetzt, daß jene
beyden Freunde lieber den Samstag wählen möchten. — Melde es mir, wenn es
seyn kann, Einer von Euch durch die heutige Böttin, ob ihr in der That noch auf
den Sonntag mich zu besuchen gesinnt seyt, mein Vater will mich mit der Chaise
Euch bis Worb entgegenschicken u. am Abend dahin fahren lassen.11
4. Aug. 1798: „Ich habe diese ganze Woche über geschwiegen, u. doch hat
der Nachklang Eueres freundschaftlichen Besuchs immer in mir getönt.'1
8. (?) Aug. 1798: „Meine Theuern! Ich ward vorgestern durch Herbarts An-
kunft gehindert an Euch zu schreiben, u. gestern feyerten wir mit dem nämlichen
u. mit Böhlendorf einen frohen u. schönen Tag, Euerem Andenken ward auch ge-
opfert . . . Muhrbeck hat sich um meine Schwestern ein großes Verdienst erworben,
indem er sie soweit im Clavierspiel unterrichtet hat, daß sie jetzt in kurzem sich
selbst werden forthelfen können. Jetzt bedürfen sie eines Instruments . . . Wir
Q2 September 1798.
haben eine kleine Summe zusammengebracht u. Herbart will dann den allfälligen
Kauf besorgen."
W.: Ende Aug. (Engisstein). , .Erster problematischer Entwurf der Wissenschaf tslehre.u
S. Bd. I. S. 96—110.
79. All V. Halem. ^ Märchligen am 26sten Sept. 1798.
Wollen Sie unter den vielen Glückwünschen, die Sie kürzlich emp-
fangen haben werden, auch den meinigen gütig aufnehmen? Sie haben
wieder eine Gefährtin im Leben, Ihre Tochter hat eine Mutter; Bande
der Familie und der Freundschaft hat die Liebe enger geknüpft. — Ich
suche mir Ihr Glück zu beschreiben, und wenn ich es gleich nicht ganz
empfinden kann, weil ich es nicht kenne, so liegt doch meine ganze Theil-
nehmung in dem Gedanken, dass Sie glücklich sind. Ich bitte Sie, das
auch Ihrer Fr. Gemahlin zu sagen, der vielleicht von ehedem noch einige
Züge von mir vorschweben.
Sie haben Blüthen aus Trümmern2) hervorspriessen lassen — eine
Fortsetzung der Poesie und Prose, sagt mein Vater. Da ist also, was ich
so lange wünschte und hoffte. Hätte ich sie nur schon! Leider werden
es für mich wohl Frühlingsblumen seyn; der Langsamkeit der hiesigen
Buchhändler ist das nicht zu viel zugetraut.
An politischen Neuigkeiten bin ich diesmal ganz arm, und bin herz-
lich froh darüber. Das Ungewitter ruht doch wenigstens auf einen Augen-
blick, und erlaubt uns, mit den unglücklichen Überbleibseln der halb aus-
gerotteten Unterwaldner Mitleid zu fühlen. Diese Empfindung herrscht
auch jetzt in aller Herzen, in Bern ist die Collecte äusserst ergiebig ge-
wesen; eine grosse Familie hat aus ihrem Gemeingut an 600 Carolin's
für jene Feinde des neuen Vaterlandes gezahlt; französische Soldaten
selbst sollen verwais'te Kinder adoptirt haben. Die Unterwaldner leiden
demüthig die geglaubte Strafe der Gottheit, dafür, dass sie vor der Re-
volution den Bernern nicht thätig genug Hülfe geleistet haben. Daran
soll indessen hauptsächlich Luzerns Beyspiel Ursache seyn, dem die
kleineren catholischen Cantone zu folgen gewohnt waren. —
Wir leben jetzt endlich wieder auf dem Lande, freylich nicht wie
vorigen Sommer. Damit ja die grossen und kleinen Neuigkeiten des
Tages das beständige Gespräch seyn mögen, dafür sorgt gewöhnlich ein
HE. v. Goumoens. Goumoens, der mit seiner Frau, einer Schwester
der Fr. Steiger, hier bey uns wohnt, — ein Mann der seinen Tag
zwischen der Jagd und der Histoire des Voyages theilt. Bey Tische
führt er das Wort; HE. Steiger antwortet nur selten, wie aus einem
Hinterhalt, und ich bin stumm ; meine Seele schüttelt den Kopf, weil mein
Körper nicht darf, meist so sehr über das was, als über das wie der Ge-
spräche. — Übrigens ist es mir ganz wohl, ich ziehe meinen Pflug täg-
lich weiter. Die Franzosen hatten auch mir allerley revolutionirt, was mir
die Stirne lange in pädagogische Runzeln faltete; was ich wieder ins Gleis
') Außer bei Ziller z. T. gedruckt in den Oldenburgischen Blättern 1842,.
S. 364 Anm.
2) Titel einer Schrift von Halem's.
September 1798. 03
habe bringen können, geniesse ich jetzt doppelt als zwiefach erworbnen
Besitz; übrigens verschanze ich mich, halb ernst, halb scherzend hinter
allerley Resignationen, und unter ihrem Schutze denke, träume, rechne,
lache und seufze ich, wie die Laune will. — Kaum darf ein junger
Mensch, der Ihre Güte bisher mehr hochschätzte als nutzte, Ihnen mehr
von sich sagen. Es wird einmal besser werden, so hoffe ich; und hoffe
zugleich dass Ihre Gewogenheit alsdann noch nicht ganz verloren seyn
werde für Ihren gehorsamen Diener F. Herbart.
80. An Smidt ill Bremen.1) Märchligen [bei Bern], am 26sten Sept. 1798.
Es hat lange gewährt, mein Bester, ehe ich Dich um die Auszah-
lung des Geldes gebeten, das für mich in Deinen Händen ist. Eigentlich
bat ich meine Mutter im vorigen Winter aus Furcht vor dem Schicksale
der Schweiz darum. Nachher hoffte ich von Tage zu Tage die Herstel-
lung der Ruhe, und wartete auf den Augenblick, wo ich Dich würde er-
suchen können, es meinen Eltern zurückzugeben. Denn wer wollte über-
flüssiges Geld liegen haben, und wer möchte es jetzt hier belegen? Auch
jetzt ist es vielleicht eine überflüssige Vorsicht, wenn ich es nun noch
hieher wünsche; da indessen die Unruhen im Innern, rund um mich her,
ungeachtet aller harten Ahndung nicht schweigen, da die Spannung der
Gemüther offenbar wächst, und die Gerüchte vom äussern Kriege sich
auch nicht zerstreuen wollen: so bitte ich, die 100 Rthlr. an Hrn. Poppe
[2] et comp, zu Hamburg, gelegentlich zu senden, da dann ein Herr Zeer-
leder es mir hier zahlen wird. Eine directe Correspondenz zwischen hier
und Bremen habe ich nicht auffinden können.
Dass sich mein Leben noch ungefähr so fortzieht, wie ehemals, siehst
Du schon aus der neuen langen Pause unsers Briefwechsels. Wie viel ich
dadurch verliere, wie viel ich bey Freunden wieder gut zu machen habe,
das hat mir nichts so auffallend gezeigt, als einige Worte von Dir in
einem Briefe meiner Mutter. „Ihr Sohn scheint aus meinen Händen nichts
verlangen zu wollen". Ist es möglich, dass Freundschaft bis zu einem
solchen Verdachte abnehme?
Ich sollte nicht so fragen; und frage auch nicht im Ernste so, denn
ich begreife es nur zu wohl. Glaube ja nicht, mein Bester, dass ich Dir
einen Vorwurf oder eine Schuld zuwälzen wolle, die ich ganz allein selbst
trage. Aber ich gestehe Dir auch, [3] dass ich mich für diese Schuld, der
mich noch manche Andre zeihen, durch so mancherley gestörte Verhält-
nisse mehr als gestraft halte. Freylich wird es niemand begreifen, und
ich erscheine in jeder Rücksicht als der allerungereimteste Mensch, wenn
ich sage, dass die Arbeit, und die Art zu arbeiten, die ich einmal aus
vester Überzeugung gewählt habe, mich nothwendig so verstimmen, so un-
mittheilend machen musste. Oder glaubst Du vielleicht, dass ich mich
nur Dir nicht mittheile? — Lies hier den Anfang eines Briefes von einem
meiner nächsten Universitätsfreunde, vom Jun. 98:
„Nenne mich zudringlich, lästig, anmaassend, wie Du willst, — aber
,,lass mich noch einen Versuch wagen, ob keine Macht der Freundschaft
') 4 S. 8°. H. Wien.
94
Oktober 1798.
„mehr etwas über Dich vermöge. 0 Herbart, sind das meine Hoffnungen,
das Deine Schwüre?1'
So scheine ich also auch da den Schwur der Freundschaft gebrochen
zu haben, weil ich nicht schreibe. [4]
Fühlte ich nicht, was ich entbehre, wären die innern Empfindungen
auch so verstummt wie die Worte, so hättet Ihr alle Recht. — Lass mich
Dir nun danken, dass Du, bis auf den Augenblick jenes Verdachts, Ge-
duld mit mir hattest; lass mich Dich bitten, so viel von Deinen ehe-
maligen Gesinnungen gegen mich in Deinem Herzen aufzubewahren, als
nöthig ist, um mir nicht etwas geradezu niedriges, schlechtes zuzutrauen.
Bleibt auch nur ein schwacher Funken, so lässt sich doch dereinst viel-
leicht noch wieder eine wärmende Flamme daraus hervorblasen. —
Kürzlich hatte ich einen angenehmen, sehr unerwarteten Besuch —
mit mündlicher Nachricht von Dir. Es war Lamberts. Er hatte mich
mit Mühe erfragt, und glücklich gefunden. Er schien sehr wohl, und war
auf seiner viermonatlichen Reise, am Rhein herauf, vergnügt gewesen. Du
wirst wissen, dass er nach Livorno geht, um sich vielleicht dort aufs neue
in einer Handlung zu engagiren. Vorläufig ist er wieder mehr nordwärts,
nach Wien ge reibst, und sein Weg soll dann über Triest und Venedig gehn.
W. : Herbst 1798. Vierter Bericht an Herrn von Steiger. S. Bd. I. S. 61 — 67.
81. Hörn an Smidt. Rastadt den 7. Oct. 98.
— — Herbart will noch 10 Jahre so in der Schweitz bleiben! Ich achte seine
edlen Motive, aber ich fürchte — ! wenn er 10 Jahr hindurch in seinen itzigen ein-
fachen Verhältnissen an sich gebildet hat, u. er tritt dann hinaus in verwickeitere,
dann wird er manche Lücke bemerken, die ihm seine itzige Lage nicht aufdecken
konnte, u. die dann vielleicht nicht mehr ausgefüllt werden kann. — —
82. Gries an Steck. Jena, 26. Okt. 1798.
„Ich lebe hier einsam unter den Menschen, fast mehr in meiner verlohrenen
Welt, als in der wirklichen. Nur Eines Umgang thut mir wohl, Schellings, mit
dem ich 6 Wochen in Dresden lebte u. den ich hieher begleitet habe. Er ist ein
herrlicher, freier Mensch; ich schätze ihn, er nimmt Antheil an mir, durch ihn
ward größtenteils mein Entschluß bestimmt, nach Jena zurückzukehren. Sein
Geist erscheint mir wie ein leuchtender Stern in der Nacht, die mich umgiebt." . .
83. Steck an Fischer. Bern 28. Oktober 1798.
„Herbart habe ich seit neun Wochen heute wieder zum ersten Mahle ge-
sehen, dieß die Ursache, warum mein Brief nun erst Mittwoch abgehen kann. Er
ist äußerst fleißig, hat die ganze Analysis des Endlichen in Kästner durchgemacht,
und beginnt nun die des Unendlichen. Es ist unter uns verabredet zwey Abende
in der Woche philosophischen Arbeiten zu widmen, er will mir seinen Grundriß der
Wissenschaftslehre vortragen, und nebenbey werden wir Eichte's Moral u. Naturrecht
critisch durchgehen."
84. An Muhrbeck in Paris1) Märchligen, am 28ten October 1798.
Ich bin allein, liebster Muhrbeck, — oder vielmehr, wir Beyden sind zusammen
allein, zu einer traulichen Unterredung. Ich habe es in diesen Tagen oft recht
l) 7 8. 4°. H. Wien. — Ist versehentlich in Petit gesetzt.
Oktober 1798. 95
angenehm gefühlt, dass ich einsam und stille bin. Wie gern möchte ich Dich zu
mir einladen, dass Du Dich bei mir sammeltest, wenn das Getümmel der Reise und
der grossen Städte Dich ermüdet hat. Vielleicht schiebst Du irgend einmal, wenn
Du auf Dein Zimmer zurückkehrst, recht mit Wohlgefallen den Eiegel hinter Dir zu;
Deine Gedanken finden den Freund, und zwey Worte sagen es ihm. Nur zwey
Worte, Lieber, sie sind auch etwas werth. Zu einem langen Briefe — wenn es Dich,
nicht drängt, raube Dir nicht die kostbaren Stunden. Der zurückgebliebene hat mehr
Weile, mehr Bedürfniss, seine Gedanken können eher in den sinnigen Zug der Feder
hereinfliessen, — darum warte ich nicht auf einen ersten Brief von Dir.
Seit Deiner Abwesenheit hat mich Kästner beschäftigt, nicht Fichte, sein Feen-
pallast ist für mich nicht wohnbar, und solltest Du allenfals noch daran denken,
seine Moral nach Paris zu wünschen, rathen wenigstens möchte ich es Dir nicht.
Unsre Stunden sind gezählt, bey mir wenigstens wird das Verlangen nach dem
Sichern und Vesten jeden Tag ungestümer; zu wissen, dass dieser und der sich irrt,
wie wenig ist das? — Was Deine Augen sehn, was meine Rechnungen lehren, das
ist doch etwas worüber man nachdenken kann, || — und worüber man nachdenken
muss. — Kästner wurde mir Anfangs sehr schwer, nach und nach leichter. Da ich
mich bey der Differentialrechnung in gutem Gange fand, forderten meine Augen
eine Pause, und ich gönnte sie ihnen gern, denn die Mathematik füllte mich nicht.
Nur dunkle Bilder blieben mir, wenn ich vom Buche aufstand; Erinnerungen aus
mancherley Zeiten fanden Platz; mancherley Töne klangen durch einander; manche
gute Stunden haben sich über grössre Zwischenräume hinweg die Hand gereicht; in
allerley Gestalten habe ich mich selbst wiedererkannt. — Es ist mir aufgefallen,
lieber Muhrbeck, dass ich in der ganzen Zeit, wo Du mich kanntest, mir selbst
unähnlich gewesen bin. Vielleicht kann es Dir selbst aufgefallen seyn, dass das
Wesen, was Du vor Dir so hastig hin und her laufen, schreyen, ächzen, und mit-
unter einschlafen sähest, unmöglich in einem solchen Zustande sich die Aufgaben
gegeben haben konnte, derentwegen es so unstät und so wenig geniessend arbeitete,
dass das Gefühl der Mühe diese Bestrebungen in ihrem Entstehn der Natur der
Dinge nach hätte aufheben müssen. Ich sage nicht, dass ich sonst besser gewesen
sey; ich kann andrer Perioden wegen nicht eben mehr als wegen der letzten mit
mir zufrieden seyn, eins wie das andre erscheint mir als eine Reihe nothwendiger,
oder aus den Umständen ganz erklärlicher Durchgänge. Aber eine unruhige Seele
erzeugt gewiss kein reines Ideal. Nur wenn sie stille ist, wie ein spiegelnder See,
freut sie sich des unbewölkten Himmels über ihr, und möchte von dem Sternen-
lichte, || das ihr vergönnt, ist, jedes helle Pünctchen in sich abbilden. Das ist Wiss-
begierde, das ist der Reiz des Denkens. Ich gestehe Dir, dass ich in den letzten
beyden Jahren diese Empfindung oft gesucht und vermisst habe ; ich erinnerte mich
ihrer aus meiner frühern Jugend; ich wusste, dass das, was mich damals trieb,
jenes Sinnen und Horchen, und die Freude, die darin lag, etwas ganz andres war,
als alle die Antworten, die ich auf die Frage nach dem Zweck der Wissenschaften
jetzt wol in Bereitschaft hatte. — Ganz anders, wusste ich, hatte ich ehemals meine
Musik vorgetragen, viel leiser und behutsamer mit dem Finger die Taste, und den
Ton, und den Grad seiner Stärke gesucht, es hatte dann geklungen, nicht gelermt.
Ein paar hübsche leichte Sonaten, die ich den Rudi lehren sollte, — der leichte
Anschlag meines neuen Fortepiano's, — und wer wreiss was sonst, hat mir ein paar
heitre Tage geschafft — wenn ich genug gespielt hatte, bin ich herum gelaufen,
ohne mir über etwas den Kopf zu zerbrechen, und bin zufälliger Weise in die
Spuren meiner Jugendzeit ge rathen.
Wenn die Begierden gestillt oder gezähmt sind, — wenn der Geist von Natur
wach ist, — wenn er, an Thätigkeit gewöhnt, und hiehin und dorthin gelenkt und
o6 Oktober 1798.
ein wenig gedehnt, nun frey wird vod bestimmten Gegenständen, wenn dann der
erwachende Gedanke Zeit und Ruhe hat, zum klaren Bewusstseyn zu gelangen, und
keine widrige Nebenidee ihn zurückscheucht, so fangen wir mit einfachem Kinder-
sinn an zu fragen, an dem ersten besten Knoten zu ziehen und zu nagen, sind
überglücklich, wenn [| er sich ein wenig lüftet; haben auch für Jahre lang keine
Langeweile, wenn er sich nur hin und her wenden lässt, — und wissen wahrlich
recht gut, was wir wollen, und worüber wir uns freuen. Werden der Fragen viele,
verschlingen sie sich von manchen Seiten her in einander, so möchten wir das Werk
klüger, methodischer angreifen und drängen uns in die Hörsaale der Philosophen.
Begrübe man uns doch nun nicht unter Worte, täuschte man uns nicht mit leeren
Versprechungen, lockte man uns doch, unsern eignen Weg fort zu suchen und zu
spüren, anstatt uns zum Hören zu verdammen. Da ermattet das innere Treiben,
es entstehn die unseligen Fragen: Warum? Wozu? und was wir vorhin unmittelbar
wollten, mag sich nun noch so trefflich als Mittel rechtfertigen, damit bekommt die
Feder ihre Elasticität nicht wieder. An den Nutzen des Denkens zu denken, stört
das Denken. Hätte ich vor sechs Jahren gewusst, was ich jetzt weiss, in ein paar
Monaten stünde ein philosophisches System da, — wenigstens zur Probe. Jetzt suche
ich nach Rüstzeugen umher, die schweren Steine zu heben, Analysis des Unendlichen],
Combinationslehre, philos. Literatur, Erfahrung an Menschen und Kindern — wer
weiss was alles. Könnte ich mich wieder verjüngen, das wäre besser als alles.
Und kann ich es je, so kann ich es in meiner jetzigen Lage. Wenn sie nur nicht
immer mit unerwarteten Stürmen drohte! — Sonst — die Einförmigkeit der Lebens-
weise, die die Begierden so von weitem umzäunt, — die immer wiederkehrenden
Stunden, die immer binden und wieder frey lassen — die Kinder, die || immer er-
innern, ohne zu plagen, mein Verzichtleisten auf das Greifen nach allem was man
in meinem Alter gewöhnlich sucht; — könnte ich mich nur recht überzeugen, dass
unsre Reise nach Paris und alles was damit zusammenhängt, von mir noch soweit
entfernt ist, als von einem 10 jährigen Knaben sein zwanzigstes, so würde ich wol
noch einmal zum Knaben, Hesse Seele und Leib gehn, springen, laufen, fühlte
Herzenslust darin, quälte mich unbesorgt Tagelang um Kleinigkeiten, und hätte Ersatz
für den Zeitverlust durch das schnellere Verfolgen einer glücklich gefundenen Spur,
gewönne wieder Neuheit, Klarheit, Einfachheit —
Du kennst mich noch nicht, bester Muhrbeck. Tief in meiner Seele ist eine
Quelle der Freude, die sich vor Zeiten in Strömen ergoss, — die jetzt verschüttet,
aber wol noch nicht vertrocknet ist. Jauchzen, springen, tanzen, — tanzen war bis
in mein vierzehntes Jahr mein höchstes Leben. Könnt ich davor, dass nachher die
Mädchen mich nicht mehr von der Strasse hohlen konnten, um von mir ihre Reihen
ordnen zu lassen? Mehr als eine jetzige Dame in 01denb[urg] könnte ich an so
etwas erinnern. — Und wie mich die Freundschaft glücklich machen könne, lieber,
lieber Muhrbeck, Du bist so ganz mein Freund, und weisst das so gar nicht! Ist
das nicht traurig? — Denn was wir zusammen genossen haben, verschwindet wie
nichts gegen die köstlichen Augenblicke, die mir wie Juwelen durch die Vergangen-
heit glänzen, und jede || meiner frühern Freundschaften bezeichnen. Geprüft haben
wir einander; auf manche Probe habe ich — wahrlich ohne meinen Willen — Deine
Freundschaft gesetzt, und Du hast sie bestanden; — hast mich erquickt und erfrischt,
wenn ich ganz welk war. Komm, komm in die Schweiz zurück; heissen Dank
klopft mein Herz Dir entgegen; und herrliche Stunden sollen Dich feyerlich ein-
weihen in den Kreis der Meinen.
Doch stille — Du merkst mein Brausen, das kennst Du und liebst es nicht.
Nicht den Leichtsinn, nur die Lauterkeit des Knaben will ich zurückwünschen. Eine
November 1798. gy
stille, weisere Innigkeit soll uns, in ihr wollen wir uns einander durchdringen.
Über unser Handeln wollen wir wieder rathschlagen, wir wollen es richten, uns
unterwerfen, und darauf herabsehn lernen, es soll uns so sicher und genau und
nothwendig, aber uns selbst so zufällig nachfolgen, wie dem Leibe sein Schatten.
Unsre Gedanken wollen wir in Fluss bringen; jeden chaotischen Klumpen wollen
wir anhalten, dass die Liebe ihn erwärme und zerschmelze, und in einer reinen
Sprache zwischen Dir und mir hin und her leite. Ganz sagen zu können, was man
meint, es in seiner wahren Bestimmtheit zu sagen, ohne Mangel, ohne Zusatz, —
in der Folge, in der Verknüpfung, wie es die Natur des Gedankens will, welche
schwere, welche nothwendige Kunst! Aber dann müssten unsre Gedanken selbst aus
unsrer Seele, unverstümmelt, ganz gegliedert, ohne Schminke, in natürlicher Schöne,
wie aus Amphitritens Schoosse Venus Urania, hervorspringen. ||
Ich erinnere mich unsrer letzten Gespräche. Es ist eine Erinnerung, deren ich
zu wenig gedacht hatte, um jetzt etwas daran auszuführen. Was ich Dir mittheilen
wollte, kommt mir jetzt so wenig, so nur halb geboren vor. Sage mir wann Du
es wünschest; gelingt mir eine glückliche Wiedergeburt, so sollst Du es haben. In
der reinen Mathematik habe ich noch nichts weiter davon zu brauchen gewusst, das
neu gelernte ist mir noch zu neu, das Alte zu unvollständig, um meine Kraft recht
daran zu versuchen. — Du bist auch in Paris. Ich wünsche Dir Glück zu dem
Entschlüsse, bei Deinem Vater auf einen längern Aufenthalt zu dringen. Sieh, höre,
geniesse wenn Du kannst, sammle was nicht für den Genuss ist, — bewahre die
Freundschaft und Dich selbst.
85. Böhlendorff an Rist.1) Bern, 10. Nov. 98.
Dass ich Dir auf Deinen herrlichen Brief vor anderthalb Jahren eine lange
Antwort geschrieben, sie Herbart abgegeben, damit er auch sein Wort hinzufügen
möge; dass dieser Brief ein Vierteljahr bei dem Freunde lag, ohne dass er zum
Supplementiren hätte kommen können, dass ich ihn dann als zu alt nicht absenden
wollte, dass ich sowohl als Herbart nach diesem hundertmal geschrieben — ge-
schrieben — geschrieben — nur nicht bis zur Feder gekommen bin , das sage ich
Dir nur im Vorbeigehen, nicht als Entschuldigung (wo es unmöglich ist, zu ent-
schuldigen) sondern nur, damit Du bei Betrachtung unserer Schulden das Herz in
Anschlag bringst, welches, je mehr es zu sagen haben möchte, desto weniger zum
Worte kommen kann. — — Herbart hat sein System gefunden. Lache nur nicht;
es ist sehr ernstlich gemeint. Ich bin zwar selbst noch keinem philosophischen
System zugethan, aber dennoch könnte es leicht sein, dass ich und Steck, die wir
beide eine Stunde wöchentlich Herbart philosophiren hören, von dem neuen Propheten
besiegt würden. Dass es kein System, wie von Reinhold, Kant, Fichte, Schelling
— sondern eine ganz andere Art von Systemen sei, kann Dich schon seine Ent-
stehung lehren. Fichte hat die Wissenschaftslehre zuerst im Traume gesehen;
Herbart hingegen, nachdem er sich durch Fichte's und Schelling's, Kant's Systeme
durchgearbeitet, Chemie, Mathematik als schwere Steine langsam vor sich hergewälzt,
und mit einer gewissen selbstbewusscen Macht in der Welt um sich her gesehen,
a
*) Wie Steck im Berner Taschenb. aufs Jahr 1900, S. 41 nachweist, ist der
Brief am 10. Nov. (statt Dezember) geschrieben. „Ziller hat zwar den Irrtum be-
merkt, aber nicht sicher ,'zu heben vermocht.'1 Dieser Brief und der folgende ge-
hören zusammen; der erste Brief wird nach Ziller (Reliquien) mitgeteilt, der zweite
nach dem im Besitze von Dr. Smidt befindlichen Originale. — S. auch Bd. I, S. 40 f.
Herbarts Werke. XVI. 7
qS November 1798.
dann in sein eignes Herz zurückgesehen, entstand das seinige l) in dem anmuthigen
Wäldchen von Engisstein, unweit Höchstetten, wo er drei Wochen eremitisirte ; und
ein solches System, in der freien Natur entstanden, verschmäht die Anhänglichkeit
freier Naturen nicht. Wir selbst sind selbstredend jetzt nur noch im Vorhofe2) be-
griffen; wenn wir ins innere Heiligtum gelangen, so soll Dir das Deinige nicht vor-
enthalten werden. Für jetzt will ich Dich nur zur Taufe eines Kindes eingeladen
haben, das den Genius des Gedankens zum Erzeuger, die Natur zur Mutter, die
Freundschaft zur Säugamme gehabt hat. Eine neue Republik wird des Kindes
Wärterin sein, die, wenn sie gleich das Kind bisweilen fallen lässt, doch desto eher
es zum Gehen und freien Selbstbewegen fähig macht. — Herbart ist bis auf einige
Unannehmlichkeiten, welche das Leben des Freiesten oft am stärksten anfechten,
weil es nichts von sich werfen, sondern alles ordnen und erhalten will, gesund und
wohl — wie ehemals ist Klarheit der Gedanken, Treue im pflichtmässigen und
männlichen Lieben seiner Freunde ihm eigen, und — wie ehemals, thut er nichts
ohne Zweck; welche Zweckmässigkeit seiner Faulheit im Brief seh reiben sehr zu Statten
kömmt. — — Herbart grüsst Dich zärtlich. Dein Böhlendorf.
86. An Rist.
Grüssen will ich Dich selbst, mein geliebter Rist, — entschuldigt hat
mich Böhlendorf so meisterhaft, dass höchstens Deine Freundschaft noch
etwas hinzufügen könnte. Wie willkührlich er in seinen Gemälden mit
Licht und Schatten umgeht, siehst Du ohne mein Erinnern; und erkennst
den Künstler, der, da er einmal den Pinsel in seiner Hand fühlte, nicht
Lust hatte, nur Portraits zu malen. Aber gleich Anfangs hatte Dein Bild
ihn zu einer Begeisterung fortgerissen, und wen sollte das nicht erheben,
unter vielen Freunden, die mehr oder weniger gedrückt sind, nun den
einzigen zu erblicken, der mit heller, klarer Stimme spricht: ich bin heiter
und froh; und von dem wir alle begreifen, wie er es durch sich selbst
ward, und wie er es durch sich selbst bleiben wird. Auch ich sehe noch
die freundliche Gestalt, die mir oft nur begegnen durfte, um mich von
Laune und Schwäche zu erlösen; höre noch die Rede, und kenne noch
die Empfindung, die sanft und schnell und stark zugleich bewegt und
bewegend, Dir eigen ist, und allem was Dir naht, Wohlthat wird. Strebe
denn geniessend weiter, und trage aus Deinem Umkreise mit Dir fort,
was Du erreichen kannst. Mich triffst Du wol auf Deinem Lebenswege
so bald nicht wieder. Ach es ist schon von so lange, dass ich mich
Deiner erinnere! Von dem glücklichsten Vierteljahre, das ich bisher erlebte.
Damals sah ich alles Gute und Schöne so nahe; die Langsamkeit des
Erringens hat es mir so weit aus einander gerückt.
Wie Du lebst, davon sage mir doch etwas. Ich mag mir gerne
meine Freunde vorstellen können, wie sie von Morgen bis Abend ihre
Zeit zubringen, und wohin gerichtet ihre Elasticität sich vorzugsweise aus-
dehnt. Dein geschäftiges Leben bestimmt ohne Zweifel der Graf Schimmel-
') Vgl. Bd. I, S. 96ff. u. II, S. 515, ferner Hartenstein a. a. 0. I, S. XLII
und Zeitschrift f. ex. Phil. I, S. 62.
2) Vgl. Bd. I, S. 84 : „Reicht mir die Hände, ihr Freunde ! So als Freunde ge-
sellt, wollen wir dem Vorhofe einer heiligen Stätte entgegengehen!"
Dezember 1798. gg
mann1), und welche Hoffnungen zeigt er Dir weiter? Ich muss eilen, wenn
ich Dir noch von den Knaben erzählen will, die nun bald kommen werden,
den Homer in der Hand, mich abbrechen zu heissen. Es sind zwey
gute Jungen, aus denen etwas werden kann, wenn aus mir etwas wird,
und das Zutrauen der Eltern mir bleibt. An ihrem altern Bruder habe
ich viel Kraft und Zeit umsonst verwendet; seine Empfindung war so
ganz unaufgeregt, da ich ihn fand und wurde während meines Hierseyns so
nachtheilig gereizt durch die Revolution, dass sein schöner Körper und
sein im Ganzen schuldloser Sinn wol denen wird genügen müssen, die
ihm auch Geist und Herz wünschten. Ich unterrichte ihn, aber mein
Eifer wendet sich von ihm, mehr auf seine Brüder, vorläufig am meisten
auf mich selbst; nach einiger Zeit wird dies beydes hoffentlich dasselbe
werden können. Ich wünsche noch lange hier zu bleiben; die Eltern
haben mir auch gesagt, dass sie es wünschen, nur zuweilen muss ich
zweifeln, ob sie ihren Wunsch so gut überlegt haben wie ich den meinigen.
Hr. St. ist unter Allen die ich kannte, der Mann, dessen Charaktergrösse
ich am meisten bewundere; ich habe ihn bey vielen und mannigfaltigen
Gelegenheiten verehren gelernt; aber die Revolution, die er so trefflich
ertrug, so lange er darunter litt, scheint jetzt, da er nicht leidet, eine
Leidenschaftlichkeit in ihm zurückgelassen zu haben, von der ich nicht
weiss, ob ich mich immer damit vertragen werde. — Was ich gearbeitet,
hat Dir B[öhlendorf] richtig angegeben, wenn Du statt eines Systems
einige erste Puncte davon denkst, deren Unrichtigkeit ich beyrn weitern
Auszeichnen noch nicht gefunden habe. Mir wäre das an Dich noch
nicht der Rede werth gewesen; und Du wirst es hoffentlich keiner weiteren
Rede werth halten. Kaum kann es bis jetzt die Freunde interessiren,
deren mündliches Urtheil mich berichtigen kann.
Leb wohl mein Theurer, erzähle mir wieder von Dir. Unsere Herzen
sind auf immer vereint. Dein Herbart.
W.: Spätherbst 1798. Fünfter Bericht an Herrn von Steiger. S. Bd. I. S. 67 — 70.
87. Steck an Fischer. 9. Dezember 1798.
„Wahrscheinlich weißt Du nicht, daß Herbarts Mutter wieder in Jena ist.
Warum? wie? ... ich weiß nicht, aber Manches ist vorgegangen, deß ich schon
lange mich versah, und das unserem trefflichen Freunde tiefen Kummer macht.1'
88. Fischer an Steck u. Zehender. Luzern, Nov. 0. Dez. 1798.
Urteil über Zschokke. 2) „Es wird mir daher nie recht wohl bey ihm, u. ich habe
meinem Herzen Gewalt angethan, um den Verstand zu befriedigen. Vielleicht wird es
besser, aber auf jeden Fall mangelt es ihm an Biegsamkeit u. Empfänglichkeit, welche
die Kriterien der Wahrheitsliebe u. der sanften Humanität sind. Himmel, welch ein
Unterschied, wenn er oder Muhrbeck auf dem Klavier spielt, u. doch ist jener stärker,
— oder wenn Böhlendorff oder Herbart über Kunst und Philosophie sprechen,
*) Dänischer Minister, bei dem Rist Privatsecretär war, bevor er dänischer Ge-
schäftsträger an mehreren auswärtigen Höfen und zuletzt Conferenzrath in Schleswig
wurde.
2) S. Steck, Fischer, S. 34.
-7*
jqq Dezember 1798.
anstatt Zschokke. — Hier wird mir das Wort abgeschnitten, dort spinnt sich das
Gespräch weiter, weil sich das Herz dabey erwärmt."
89. Steck an Zehen der. (Ohne Datum. Dez. 1798?)
„Mein Theurer. Ich bedaure recht sehr, Dir doppelt Mühe zu machen: ich
fragte Herbart ob er ohne Entbehrung mir die Hälfte meines Vorschußes von
100 Kronen ersetzen könnte, nun sendet er mir statt 50 kr. — 80. Heute bat ich
ihn, den Ueberschuß über jene Hälfte wieder zurückzunehmen: darf ich Dich wohl
ersuchen, mein Bester, ihm 30 kr. zuzustellen und Dich bei Notar Meyer gegen
beyliegende Assignation bezahlt zu machen; ich füge zugleich einen Empfangsschein
für Herbart bey, wenn Du ihm allenfalls keinen in meinem Namen schon aus-
gestellt hast.'1
1799.
90. Steck an Fischer. 19. Januar 1799. [Projekt der Bildung der literarischen
Gesellschaft in Bern.1)]
„Da es nun einmahl so ist, daß wir hier mitmachen müssen, so halte ich
die Ausführung auf folgende Weise die zweckmäßigste. Es ist unter uns verabredet,
vor der Hand in einem kleineren Zirkel uns zu berathen. "Wir gedenken "Wagner,
Grüner, "Wyttenbach (Pfarrer), womöglich Wyttenbach gewesener Unterschreiber,
Böhlendorf, Herbart, Zehender, Schiferli zu versammeln und mit ihnen einen Ent-
schluß zu nehmen. Ich berechne den Erfolg vorzüglich darauf, eine Aussöhnung
und Näherung der verschiedenen Denkarten dadurch zu bezwecken, zu diesem Ende
vormahls angesehene Männer hereinzuziehen, gemäßigte Männer aus der Exregenten
Claße. Ich. mache mir auch Hoffnung auf den Präsident der Verwaltungskammer
Bay und auch Zeerleder, der letztere besonders ist eine sehr wichtige Person. Der
Erfolg ist schlechthin bedingt durch den Beytritt von Männern dieser Art, wie ge-
sagt, ich lechne bloß auf die Wirkung auf unser Stadt-Publikum und diese läßt
sich nur durch jenes sichern.11
91. An Fichte in Jena.2) Bern 24 März 1799.
Hier, mein verehrtester Lehrer, eine Probe; Ihrem Befehl gemäss
möglichst klein und kurz.
Der Anfang Ihres Briefes hat mich sehr geschmerzt. So unwerth
bin ich Ihnen geworden, dass Sie an Erklärungsgründe meines Handelns
nicht einmal mehr denken mögen! Ich würde nach der Ursache fragen,
wenn ich nicht zu vergessen scheinen könnte, dass Ihre bisherige Theil-
nahme an mir bloss freye Güte war.
Meine Ueberzeugungen sind mir klar, und ich halte sie für wichtig.
Darum schrieb ich an Sie. Nicht, wie Sie zu vermuthen scheinen, um
mich zu einer liter. Fehde an Ihnen zu versuchen. (Für Ihre Erlaubniss
einer schriftlichen Mittheilung aber meinen verbindlichsten Dank; Prüfung
und Antwort von Ihnen wird mir ein kostbares Geschenk seyn, und mir
zugleich andeuten, ob ich jene Erlaubniss noch weiter ausdehnen dürfe.)3)
Mit unveränderlicher Hochachtung Ihr gehorsamer H. ||
1) S. R. Steck, Fischer, Bern 1907, S. 33 f.
2) 2 S. 8°. H. Wien. Zuerst veröffentlicht von R. Zimmermann in „Perioden
in Herbarts philosophischem Geistesgangu (Sitzungsbericht der phil.-hist. Klasse der
Kaiserl. Akademie der Wissensch. LXXXIII. Bd. S. 232, Wien, Mai 1876).
3) Das Eingeklammerte ist im Original Fußnote.
102 März 1799-
Syst. der Sittenl. pag. 9.
,Der Begriff des Ich wird gedacht, wenn das Denkende und das Ge-
dachte im Denken als dasselbe genommen wird'. Dies ist unser gemein-
schaftlicher Anfangspunkt.
pag. 14.
,Der Charakter des Ich ist der, dass ein Handelndes und eins, worauf
gehandelt wird, Eins sey und eben dasselbe'.
Dies ist ein höherer All gern ein begrpff] als der obige. Aber jener, in
seiner ganzen Bestimmtheit, und kein anderer, ist der Begriff des Ich.
Das Denken ist also nie aus dem Spiele zu lassen.
Nur insofern findet das Ich Sich — Sein Ich — inwiefern es das
Denkende als das Gedachte findet. Dieser Begriff, in seiner Strenge bey-
behalten, giebt freylich einen endlosen Cirkel, in welchem immer das letzte
Object fehlt. Ein solches letztes Object wird also durch den Begriff des
Ich zwar gefordert, aber keineswegs gegeben. Es wird immer etwas
Anderes als das Ich — ein N.-I. seyn. — Aber es soll zugleich das Ich
selbst seyn. — Das Problem muss gelöst werden, ohne eine von den
schon veststehenden Bestimmungen zu verlieren.
Da, wo die ideale in sich zurückgehende Thätigkeit selbst gefunden
werden sollte, eine reale einschieben, ist eine unstatthafte Verwechslung
der Begriffe, also die Deduction des Wollens unrichtig.
92. Hörn an Srnidt ßastadt 31. März 99.
B[öhleudorff] hat mir einen Brief von Herbart, den er an Mfuhrbeck] mit
nimmt, vorgelesen, der mich sehr interessirt und meine Idee von H. noch, erhöhet
hat. Er trauert sehr über das üble Verhältniß seiner Eltern und die Krankheit
seiner Mutter, die in Jena am Blutauswurf leidet. Er hat kürzlich an Fichte über
seine Appellation geschrieben, daß er Manches von ihm selbst widerlegt zu sehen
wünsche, und er ihm bald etwas über seine Philosophie zu schicken und seiner
strengsten Prüfung unterwerfen wolle. Fichte hat ihm nach Bohlendorfs Angabe,
mit Empfindlichkeit u. so geantwortet, wie man seinen Schüler zurechtweisen will.
93. An Böhlendorff. x) Anfang Juni 1799.
Dein Geist ereilte die Heimath schnell, — die Freundschaft schwebt
ihm nach — grüsst ihn mit freudigem Glückwunsch — aus voller Seele.
Du dachtest unsrer Vergangenheit, — der Bitten auch, die, zu be-
gleiten Dich in neue Kreise — mit Dir zu schauen in andern Menschen
andre Formen des Einen Geistes — mit Dir zu lieben jegliches Schöne,
mit dem das Gute bekränzt auf Deinem Pfade Dir entgegentritt, — sich
sehnend an Dich schmiegten, und Dich nicht lassen wollten.
Mich dünkt, ich sehe sie, die beyden Freunde; — doch, lass zwischen
mir und ihnen mehr die Ferne noch verschwinden.
Ich danke Dir, — schon schätzte ich sie, — doch um sie zu
kennen, fragt ganz einfach die Neugier — so ungefähr:
Tig; nodtv tiq olvÖquw, nodi toi noliq rjd'e roxrjsg; onnoirjg d' im vtjoq
u(fixto ; '-) —
1) H. Wien. — S. Zimmermann, Briefe pp.
2) Homer Od. XIV, 187.
__ Juni I799- 103
Soll ichs übersetzen?
Welcher Hafen entliess, — durch welche Klippen bedrohet, welchem
Leitstern folgend, entkamen glücklich an Euer Ufer, die Schiffenden?
Ein paar freye Federzüge noch, Du lieber, zu ihres Wegs Bezeich-
nung, erfüllen meinen Wunsch und füllen meinen Dank. —
Unter gleichem Clima wandeln wir — doch Du versteckt in heiligen
Hainen, getrieben vom Geiste des Landes, leihst ihm Deine Stimme —
mich reisst die schlaue Bosheit alter Politik, die Wuth der Eifersucht
nachbarlicher Städte, aus dem süssen Traume von der goldnen Heroen-
zeit, aus dem Staunen über Lykurgs und Solons Weisheit, von den Tro-
phäen des höchsten siegenden Muthes — hinweg in den Schutt über-
einanderstürzender Grösse, auf die Schlachtfelder, wo der Ehrgeiz sich
selbst ermordet, in die Schwüle ermüdender Wiederhohlung immer gleichen
Verrathes, nimmer satter Grausamkeit, immer gestraften, nimmer gebän-
digten Volksunsinnes, mit dem Senatoren-Arglist und Despotenwuth wett-
eifern, ohne ihn zu übertreffen; — ganz ermattet von den Gräueln des
peloponnesischen Krieges rafft mich Demosthenes noch einmal auf — und
mit seiner Redekunst sinke ich hin nach dem Unglückstage bey Chäronea.
— Gillies, Mably, Barthelemy, — jeder malt mit andern Pinseln, aber
der Farbentopf ist der gleiche, das Original die gleiche Carricatur. —
Führe mich in Deine Schatten, — lass mich etwas von dem Trauer-
schleyer sehen, den Du über Schreckensscenen hängst.
Auch Du selbst, Du Lieber, bereite Dich auf eine Trauerbotschaft.
— Die Mutter Deines Fritz — sie hatte die Masern nicht gehabt — die
Krankheit kam ins Haus — die übrigen waren glücklich — aber die
Stütze des Hauses ist umgestossen. — Ich schätze Ziemssen, er ist sehr
thätig — wir denken über vieles gleich; wird er jetzt auch bleiben
wollen? Er zweifelt. — Ich zweifle auch. Doch davon mehr an Muhrbeck.
Meine Mutter schrieb mit Ziemssen, am 7 ten April, — mir erfreu-
lich — ihrer Rechnung nach ist sie jetzt in Oldenburg. Dahin folgen
ihr oft auch meine Gedanken. —
Des Lebens Strom wie stürzt er fort!
Durchs Bett der unendlichen Zeit!
Jeder Moment ein neuer Quell!
Doch wirft er mit jedem auch Leichen aus.
Ihr trinkt der Sonne Glanz,
Und würd ihn leeren,
Gäben nicht Stürme zurück,
Was jener nahm. Der Deine.
94. Gries an Herbart.1) Göttingen, d. 2ten jan. 99.
Ich hätte Dir schon längst von hier aus schreiben sollen, auch gewollt habe
ich es lange — aber vergieb, Lieber, ich hab' es nicht gekonnt. Der sonderbare,
fast abentheuerliche Widerspruch, in welchem mein innres 11. äußeres Leben sich
befindet, hat mich lange Zeit zu allem, was sonst meine liebste Beschäfftigung war,
x) 20S. 8°. H. Wien.
104 Juni :799-
durchaus unfähig gemacht. Aufgelöst ist er noch lange nicht; ich muß ihn ver-
geßen, wenn ich einmal einen beßern Moment aus diesem seltsamen Gemisch heraus-
heben möchte ; u. es ist ein Fluch unsrer Natur, eben dann am wenigsten vergeßen
zu können, wenn wir Alles, ja unser Daseyn selbst, darum geben möchten. Aber
wir bleiben, bleiben in dieser Welt, und ach! diese Welt in uns.
Wie oft bin ich mit deinem Briefe in der Hand auf u. abgegangen, habe
mich hingesetzt, bin wieder aufgestanden, u. habe nirgends gefunden, was ich suchte:
Begriff und Ausdruck für das tiefe, verborgene Gefühl meiner Seele. So begegnet
uns, im Traum, manchmal eine sonderbare Erscheinung: wir möchten fliehen, u.
unser Fuß ist im Boden gewurzelt; wir möchten laut rufen, u. die Zunge versagt
ihren Dienst. ||
Aber wenigstens das will ich Dir sagen, was ich Dir sagen kann, daß neralich
der innere Zweifel meiner Seele durch Deinen Brief keineswegs gehoben ist. Oder
vielmehr um Dir auf einmal alles zu sagen — ich fühle eine Ueberzeugung in mir,
wie die Ueberzeugung von der Wirklichkeit meines Daseyns. daß auf dem Wege,
den Du wählst, den Du vertheidigst, mit Gründen, gegen die ich keine Gründe auf-
bringen kann, daß auf dem Wege der Zweck des menschlichen Daseyns überhaupt
nie völlig zu erreichen ist. Du lächelst? Ich muß es leiden. Aber weiter! Wenn
ich hier von dem Zweck des menschlichen Daseyns rede, so verstehe ich darunter
natürlich nicht jenes Ideal der Vollkommenheit, welches, als solches, unerreichbar
ist; sondern die möglichste Annäherung zu demselben, eines Jeden nach seinen
Kräften.
Die Gaben der Natur sind mancherlei, u. sie hängen nicht von uns ab, sondern
wir von ihnen. Etwas anders ärndten wollen, als wozu die Natur den Keim in uns
gelegt hat, ist thörichte u. verlohrne Arbeit, u. wir haben deß keinen Gewinn. Ein
Zweig aus hesperischen Gärten auf den Stamm einer nordischen Eiche gepfropft,
was würde er hervorbringen, wenn er auch nicht gleich verdorrte? || Der Baum soll
Blätter, Blüthen und Früchte tragen; die Natur besorgt das für ihn, er hat
nichts dabei zu thun. Gegen den Menschen ist sie weniger gütig — oder gütiger
gewesen; sie legt nur den Keim, ob Blüthen u. Früchte kommen sollen, u. welche,
das ist seine Sache. Der Baum erfüllt seinen Zweck, willenlos, durch Natur-
notwendigkeit. Des Menschen Zweck ist eben so nothwendig, aber die Art der
Erreichung ist ihm frei gelassen. Der Zweck des Baums liegt außer ihm; er beut
andern Wesen die Kühlung seines Schattens, den Duft seiner Blüthen, die Labung
seiner Früchte. Der Zweck des Menschen liegt in ihm, er ist es, er selbst, er allein. —
Es wird uns von Jugend auf angerathen, eingepredigt, jawohl gar eingezwungen,
wir sollen unsern Willen brechen, unsre Neigungen unterdrücken — uns selbst
besiegen. Wer ist denn das Ich* das ich bekämpfen, unterdrücken soll? Ist es
weniger ich, als das Uebrige, aus schlechterm Stoff geformt, weniger f reigebohren ?
Und wer giebt mir das Recht, dies andere Ich zu unterjochen ? Die reine Demokratie
meines Wesens in eine Aristokratie, wohl gar in eine Despotie zu verwandeln?
Einen Theil meines Wesens zu fesseln, zu vernichten, um dem andern einen Thron
zu erbauen, auf dem es herrsche mit unumschränkter Gewalt? |j
Und wer bist Du, mächtiges Wesen, dem ich meine Knie beugen soll, nicht
wie einem Könige, sondern wie einem Gott? Laß mich den Purpur heben, der Dich
meinen Blicken verbirgt. — Himmel! ein Todtengerippe das aus leeren Augenhöhlen
mich anstarrt! ringsumher Tod, so weit sein Szepter reicht; vertilgt jede Spur des
Lebendigen; ausgelöscht die Glut der Empfindung, erstarrt die Wärme des Herzens,
zu Eis geworden das Blut in den Adern, verschloßen der Sinn für jede schuldlose
Freude des Lebens, vertilgt die Begeisterung für alles Große u. Schöne — Tod, u.
nichts als Tod!
Juni 1799. ID5
Ich fliehe hinweg u. werfe mich bebend in die Arme der allgütigen Mutter,
die ja nicht will daß Herrschaft sey u. Unterjochung, sondern Freiheit und Gleich-
maaß ; die ja diesen mächtigen Trieb zum Leben, "Wirken u. Genießen nicht ver-
liehen hat zur Sklaverei u. Ertödtung, sondern zu immer höherm, völligem, mensch-
lichem! Leben, Wirken u. Genuß. 0 Lieber, könnte ich dies Gefühl Dir einhauchen,
daß es Dein Innerstes durchdränge, in dem so herrliche Kraft und Fülle wohnt, die
Du, ach! nur immer nicht erkennen willst; Kratt u. Fülle nicht für eine blinde
Zukunft nur, nein! für die Zeit, die ist, den Augenblick gegenwärtigen Lebens. Ich
kenne kein anderes. ||
Einem andern, als dem Freunde, der mich so kennt, als ich von Dir gekannt
zu seyn glaube, würde ich so etwas nicht sagen; wenigstens nicht ohne den ganzen
Zusammenhang, meines "Wissens nicht so wohl, als meines Wesens, zugleich mit
darzulegen. Du weißt längst, daß ich nicht zu denen gehöre, denen der Augenblick
ihr Gott ist; weißt, daß ich ein unendliches Fortschreiten zum Höhern, Bessern u.
Vollkommern glaube, ein Fortschreiten durch eigne innere Thätigkeit, nicht durch
einen Stoß von außen her; weißt, daß ich, zwar nur in dem Moment, doch nicht
bloß für den Moment zu leben mich treulich bestrebe. Auch ich kann, so wenig
wie Du, „meinen Gedanken u. Neigungen eine gezwungene Richtung geben.1' Auch
ich halte es, wie Du, ,,für ein großes Glück, ohne Führer u. ohne Furcht ein eigenes
Feld zu durchwandern, das sich bei jedem Schritt zu erweitern scheint.11 Aber
nicht bloß scheint, sondern wirklich erweitert. Wäre die Bahn, die ich zu durch-
messen hoffe, etwa bloß der ewige Zirkel, den das Pferd in der Mühle mit ver-
bundenen Augen täglich beginnt u. täglich durchläuft; wäre dieser Zirkel nur mög-
lich — 0 bei Gott! dann keinen Schritt weiter, sondern hier die Last abgeworfen u.
lieber unter den Schlägen des Treibers ein Daseyn aufgegeben, das keinen andern
Zweck hat, als — sein Korn zu mahlen. ||
So ist es mit mir; und selbst in diesen Augenblicken, wo die Wendung meines
Schicksals für meine liebsten Plane und Hoffnungen die allerungünstigste zu seyn
scheint, wo ich alles fürchten u. wenig hoffen darf, wo der traurige Rückfall, mit
dem am Ende eines so glänzenden Jahrhunderts unser Geschlecht bedroht wird,
mehr wie alles andere mich in das vernichtende Gefühl der jammervollsten Schwäche
versenkt, — selbst da noch hebt in beßern Momenten mein Auge sich voll Zuver-
sicht empor u. ein neuer Muth strömt durch meine Seele. Nein! sie können uns
nicht wieder entrißen werden, jene Pfänder des Unvergänglichen, die einmal die
beglückte Hand ergriff —
Es sind nicht Schatten, die der Wahn erzeugte,
Ich weiß es, sie sind ewig, denn sie sind !
Ich kehre zu Dir zurück. Wüßtest Du nur, Lieber, wie sehr ich mich daran
gewöhnt hatte, eben in dem festen, sichern Gange, den Du auf Deinem Wege giengst.
die beste Zuversicht für den meinigen zu finden; wie ich eben darum so gewiß
hoffte auf einen festen, sichern Punkt, in welchen irgendeinmal unsre Bahnen zu-
sammenlaufen müßten; Du würdest mir eher verzeihen, daß ich mich nicht daran
gewöhnen kann, Dich jetzt von einem ,, offnen Grabe1', vom „Tollhauseu u. von der
,,Schulmeisterwürdeu, als den möglichen, ja sogar wahrscheinlichen Zielen Deiner
Bahn reden zu hören. Ich glaube es, |j daß diese Resignation etwas gekostet haben
mag, ehe sie Dir geläufig geworden ist. Aber ungeachtet dieses Ungeheuern Kauf-
preises — der mir nicht weniger als die Würde u. der Zweck der Menschheit zu
seyn scheint, — kann ich dennoch zu diesem Erwerbe Dir kein Glück wünschen.
Vielmehr, wenn noch immer das Gelingen so unwahrscheinlich, so unglaublich ist,
wie Du selbst gestehst: so wünsche ich Dir jenen vollkommen verunglückten, für
IOÖ Juli 1799-
immer abschreckenden Versuch, zu welchem Du aufs wenigste durchdringen willst
— ich wünsche ihn Dir bald, bald, ehe auch Du Herz u. Kopf für jene Eroberung
aufgeopfert hast, Du, der wahrlich zu etwas beßerm gebohren ist, als den Graben
ausfüllen zu helfen, damit andere über Deine Leiche hinweg zu jenem unersteiglichen
Walle emporklimmen mögen. —
Leonidas gierig hin mit seiner kleinen Scnaar in die Enge von Thermopylae
und starb den edeln Tod für's Vaterland, starb — weil das Gesetz es befahl. Griechen-
lands Errettung war der Preis seines Todes, u. freie Enkel segneten seine Asche.
Aber welches Gesetz gebietet, das unendlich. Höhere als das Leben, welches Leonidas
aufopferte, den freien Geist des Menschen aufzugeben, seine Würde u. seinen Zweck?
Und welches wäre der Lohn einer solchen Aufopferung? Ich mag ihn nicht aus-
sprechen. — ||
Nenne mir nicht Newton, oder irgend einen andern Erfinder mathematischer
Theoreme; ihr Beispiel steht hier unmöglich am rechten Ort. Jeder Satz, den sie
herausbrachten, war eine nothwendige Folge aus nothwendigen Praemissen, ist u.
bleibt wahr, an u. für sich, abgesehen von jeder möglichen Anwendung. Jeder
geometrische Satz ist weder eine errungene noch eine eroberte Wahrheit, sondern
eine natürliche Ableitung. Euklid, der anfieng diese Wildniß urbar zu machen,
hat noch selbst ihren Anbau vollendet; seit ihm hat die Mathematik nur in der
Form, wenig im Gehalt sich, verändert " Wo die geometrische Gewißheit aufhört,
nimmt die Ungewißheit aller Art ihren Anfang; Newtons, des großen Newtons
Farbentheorie, die so lange gläubig angebetet ward, ist sie nicht jetzt ihrem gänz-
lichen Umsturz nahe? —
Es wird mir nicht gelungen seyn, Dich zu überzeugen, u. ich habe auch keine
Ansprüche darauf gemacht. Ueberzeugung ist Zwang, u. zwingen darf man nur
sich selbst. Wir werden wohl jeder so seinen Weg fortgehen, u. das ist am Ende
auch wohl das beste. Zu jenem „logischen Enthusiasmus'', wie Jakobi1) das so
treffend nennt, habe ich mich nie erheben können, aus Unfähigkeit. Deine Ueber-
xeugung verbietet Dir, meinen Weg einzuschlagen. Aber doch dürfen wir uns trau-
lich die Hand hinüber reichen; u. hier die meinige! Bleibe mir Freund. — —
D. 7ten Julius.
Bis heute, Lieber, habe ich meinen Brief liegen lassen, weil man behauptete,
die Kommunikation mit der Schweiz sey seit den letzten Kriegsbegebenheiten ganz
abgebrochen Jetzt, da sich mir eine sichere Gelegenheit zeigt, Dir Nachricht von
mir zukommen zu lassen, fahre ich in meiner Schreiberei fort, u. hoffe, Du wirst
mich eine Zögerung nicht entgelten lassen wovon die Ursache 10 Meilen von mir
entfernt liegt.
Ich habe auf der vorigen Seite einen Namen genannt, den ich nie ohne Ehr-
furcht nenne, und der, da ich ihn hinschrieb, mir wie ein schützender Genius zu
Hilfe gekommen ist. um statt meiner, kräftiger u. eindringender, das Wort zu führen.
Ich weiß nicht, ob Du schon etwas von einem Briefe gehört hast, den Jakobi an
Fichte, als Beantwortung seines Aufrufs in der Appellation, geschrieben hat. Von
diesem wahrhaft kanonischen Briefe hat Fichte mir, auf meine Bitte, vor kurzem
eine Abschrift zukommen lassen, u. ich eile um so lieber Dir das Wichtigste daraus
mit zu theilen, da ich ihn als das Heiligthum betrachte, in welchem Jakobi mehr
wie jemals den geheimnißvollen Schleier gehoben hat, mit dem er sonst sein innerstes
Wesen zu umhüllen pflegte. [|
*) Fr. Heinr. Jacobi, der Glaubensphilosoph — in der Korrespondenz meist
,Jakobi" geschrieben.
Juli I799- 107
Jakobi erklärt sich, zuvörderst, in Sachen der spekulativen Vernunft, durchaus
für Fichte: „Ich sage es bei jeder Gelegenheit, u. bin bereit es öffentlich zu be-
kennen, daß ich Sie (Fichte) für den wahren Messias der spekulativen Vernunft, den
ächten Sohn der Verheißung einer . durchaus reinen, in u. durch sich selbst be-
stehenden Philosophie halte." — „Ich rufe zuerst, eifriger u. lauter, Sie noch einmal
unter den Juden der spekulativen Vernunft für ihren König aus; drohe den Hals-
starrigen es an, Sie dafür zu erkennen, den Königsberger Täufer aber nur als Ihren
Vorläufer anzunehmen. Das Zeichen, welches Sie gegeben haben, ist die Vereinigung
des Materialismus u. Idealismus zu Einem untheilbaren Wesen — ein Zeichen, nicht
ganz unähnlich jenem des Propheten Jonas."' — „Wie vor 1800 Jahren die Juden
in Palaestina den Messias, nach welchem sie so lange sich gesehnt, bei seiner wirk-
lichen Erscheinung verwarfen, weil er nicht mit sich brachte, woran sie ihn erkennen
wollten; weil er lehrte: es gelte weder Beschneidung noch Vorhaut, sondern eine
neue Kreatur: so haben auch Sie ein Stein des Anstoßes u. ein Fels des Aerger-
nisses denen werden müssen, die ich Juden der spekulativen Vernunft heiße. Nur
Einer bekannte sich öffentlich u. aufrichtig zu Ihnen, ein Israelite in dem kein
Falsch ist, Nathanael Reinhold. Wäre ich sein Freund nicht schon gewesen, ich
wäre es damals geworden. Auch ist seitdem noch eine ganz andere Freundschaft,
als bis dahin war, zwischen uns entstanden." ||
— „Ich bin ein Nathanael nur unter den Heiden. Wie ich nicht zum alten
Bunde gehörte, sondern in der Vorhaut blieb, so enthalte ich mich auch des neuen,
aus derselben Unfähigkeit oder Verstockung." —
— „Nur im Geiste lebend, u. redliche Forscher auf jede Gefahr, sind wir
über den Begriff der Wissenschaft, denke ich, beide Ems: daß sie nemlich bestehe
in dem Hervorbringen ihres Gegenstandes, u. nichts anders sey, als dieses in Ge-
danken Hervorbringen selbst; daß also der Inhalt jeder Wissenschaft, als solcher,
nur ein Handeln, u. die nothwendige Art u. Weise dieses in sich freien Handelns
ihr ganzer Gehalt sey — ein Objekt- Subjekt, nach dem Urbilde des Ich, welches
allein Wissenschaft an sich, u. dadurch Prinzip u. Auflösungsmittel aller Erkenntniß-
gegenstände, das Vermögen ihrer Destruktion u. Konstruktion, in bloß wissenschaft-
licher Absicht, ist. — Der menschliche Geist sucht auf diese Weise aus Allem nur
sich selbst hervor; strebend u. widerstrebend; unaufhörlich sich losreißend vom
augenblicklichen bedingten Daseyn, das ihn gleichsam verschlingen will, um sein
Selbst-und-in-sich-seyn zu retten, es allemthätig u. mit Freiheit fortzusetzen. Diese
Thätigkeit der Intelligenz ist in ihr eine nothwendige Thätigkeit: sie ist nicht, wo
diese Thätigkeit nicht ist. — Es wäre also die größte Thorheit, bei dieser Einsicht
die Begierde nach Wissenschaft in sich oder andern hemmen zu wollen; die größte
Thorheit, zu glauben, man könne das Philosophiren auch wohl übertreiben: das
Philosophiren übertreiben, hieße — die Besinnung übertreiben." — „Beide wollen
wir also mit ähnlichem Ernst u. Eifer, daß die Wissenschaft des Wissens — welche
in allen Wissenschaften das Eine, die Welt- Seele in der Erkenntniß-Welt ist — voll-
kommen weide: nur mit || dem Unterschiede: daß Sie es wollen, damit sich der
Grund aller Wahrheit, als in der Wissenschaft des Wissens liegend, zeige; ich,
damit offenbar werde, dieser Grund: das Wahre selbst, sey nothwendig außer ihr
vorhanden. Meine Absicht ist der Ihrigen auf keine Art im Wege, so wie Ihre
nicht der meinen; weil ich zwischen Wahrheit u. dem Wahren unterscheide. Sie
nehmen von dem, was ich mit dem Wahren meine, keine Notiz, u. dürfen, als
Wissenschaftslehrer, keine daran nehmen — auch nach meinem Urtheil." —
— „Das Geheimniß der Identität u. Verschiedenheit zwischen Fichte u. mir,
unsrer philosophischen Sympathie u. Antipathie, müßte, däucht mir, jedem offenbar
108 Juli X79Q.
werden, der nur die einzige Epistel an Erhard 0. hinter Allw[ills] Briefsamml[ung]
recht zu lesen, u. sie durchaus zu verstehen sich bemühen wollte." —
— „Eine reine, d. i. durchaus immanente Philosophie; eine Philosophie aus
Einem Stück; ein wahrhaftes Vernunft- System ist auf die Fichtische Weise allein
möglich. Offenbar muß alles in u. durch Vernunft, im Ich als Ich, in der Ichheit
allein gegeben u. in ihr schon enthalten seyn, wenn reine Vernunft allein, aus sich
allein, soll alles herleiten können." —
— „Der menschliche Geist, da sein philosophischer Verstand schlechterdings
nicht über sein eigenes Hervorbringen hinausreicht, muß, um in das Reich der
Wesen einzudringen, es mit dem Gedanken erobern, Vi elt- Schöpfer, und sein eigener
Schöpfer werden; u. nur in dem Maaße, wie ihm das letztere gelingt, wird er in
dem erstem Fortgang spüren. Aber auch sein eigener Schöpfer kann er nur unter
der angegebenen allgemeinen Bedingung seyn: er muß sich dem Wesen nach ver-
nichten, um allein im Begriffe zu entstehen, sich zu haben: in dem Begriffe eines
reinen absoluten Eingehen u. Ausgehen, ursprünglich — aus Nichts, %u Nichts,
für Nichts, in Nichts; oder dem Begriffe einer Pendelbewegung, || die, als solche,
weil sie Pendelbetvegung ist, sich nothwendig selbst Schranken setzt im Allgemeinen;
aber bestimmte Schranken nur hat, als eine besondere, durch eine unbegreifliche
Einschränkung." —
Dann erzählt Jakobi, wie er in einem muthwilJigen Augenblicke das Resultat
des Fichtischen ' Idealismus in das Gleichniß eines Strickstrumpfs gebracht habe.
Man sehe deutlich, wie ein solches Individuum durch ein bloßes Hin- u. her Bewegen
des Fadens, d. i. durch ein unaufhörliches Einschränken seiner Bewegung, u. Ver-
hindern; daß er seinem Streben in's Unendliche hinaus folgte — ohne empirischen
Einschlag, zur Wirklichkeit gelangte. Diesem Strumpfe könne man nun Streifen,
Blumen, alle mögliche Figuren geben, u. erkenne dann : wie alles dieses nichts sey,
als ein Produkt, der, zwischen dem Ich des Fadens u. dem Nicht-Ich der Drähte
schwebenden produktiven Einbildungskraft der Finger; u. wie alle diese Figuren
mit dem Strumpfwesen zusammen, aus dem Standpunkt der Wahrheit betrachtet,
nur der alleinige nakte Faden seyn. Er allein u. rein sey jenes Alles, u. in jenem
Allen sey nichts außer ihm. — Du hast recht — würde die neue Philosophie
hierauf erwiedern — „aber was sind alle Strümpfe im Himmel u. auf Erden gegen
die Einsicht in ihre Entstehung; gegen die Betrachtung des Mechanismus, durch
welchen sie überhaupt hervorgebracht werden; gegen das Nacherfinden im Allge-
meinen u. immer Allgemeinern ihrer Kunst: ein Nacherfinden, wodurch die Kunst
selbst, als eigentliche Kunst, zuerst erschaffen wird. — Spotte so viel Du willst
über diese reine Lust am reinen Wissen allein des reinen Wissens, diesen logischen
Enthusiasmus: wir läugnen nicht, daß wir in ihm selig sind; nichts mehr fragen
nach Himmel u. Erde, u. wenn uns auch Leib u. Seele verschmachtet, es nicht
achten aus jener hohen Liebe des Erkenntnißes — bloß des Erkennens usw. denn
allem Entstehen u. Seyn, unten vom niedrigsten Thiere an, bis hinauf zum höchsten
Heiligen u. beinah = Gott, liegt nothwendig zum Grunde — ein bloß logischer
Enthusiasmus, d. i. ein nur sich selbst vorhabendes u. betrachtendes Handeln, bloß
des Handelns u. Betrachtens wegen ohne anderes Subjekt oder Objekt, ohne in, aus,
für oder zu.u — j|
„Ich antworte hierauf — fährt Jakobi wieder in eigener Person fort — indem
ich bloß meinen Strumpf wieder vorzeige, u. frage : Was es denn damit wäre, ohne
die Beziehung auf ein menschliches Bein, wodurch allein Verstand in sein Wesen
kommt? Was es sey, unten vom Thiere an bis zum Heiligen hinauf, mit einem
bloßen Weben eines Webers? — Ich sage aus, daß meine Vernunft, mein ganzes
Juli 1799- 109
Wesen, auffährt, schaudert, sich entsetzt vor dieser Vorstellung; daß ich mich ab-
wende von ihr, als von dem Gräßlichsten unter allen Gräßlichkeiten, Vernichtung
anflehe, wie eiue Gottheit, wider eine solche Danaiden- u. Ixions-Seligkeit." —
„Unsere Wissenschafter, bloß als solche, sind Spiele, welche der menschliche
Geist, zeitvertreibend, sich ersinnt. Diese Spiele ersinnend, organisirt er nur seine
Unwissenheit, ohne einer Erkenntniß des Wahren auch nur um ein Haarbreit, näher
zu kommen, in einem gewissen Sinne entfernt er sich dadurch vielmehr von ihr,
indem er sich bei diesem Geschafft über seine Unwissenheit zerstreut, ihren Druck
nicht mehr fühlt, sogar sie lieb gewinnt, weil — sie unendlich ist; weil das Spiel,
das sie mit ihm treibt, immer mannigfaltiger, ergötzender, größer, berauschender
wird. Wäre das Spiel mit unsrer Unwissenheit nicht unendlich, u. so beschaffen,
daß aus jeder seiner Wendungen ein neues Spiel entstände: so würde es uns mit
der Wissenschaft wie mit dem Nürnberger sogenannten Grillenspiel ergehen, das
uns aneckelt, sobald uns alle seine Gänge u. mögliche Wendungen bekannt u. ge-
läufig sind. Das Spiel ist uns dadurch verdorben, daß wir es ganz verstehen, daß
wir es wissen."
,,Und nun begreife ich nicht, wie man an wissenschaftlicher Erkenntniß genug
haben, auf alle Wahrheit, außer der wissenschaftlichen Verzicht thun, u. der Ein-
sicht, daß es keine andre gebe, sich erfreuen kann — wenn man dieser Wahrheit,
dem wissenschaftlichen Wissen, so wie Fichte, auf den Grund gekommen ist, u. es
wenigstens eben so klar, wie ich, vor Augen hat, daß wir im rein wissenschaftlichen
Wesen nur ein Spiel treiben mit leeren Zahlen — mit Zahl-Zahlen neue Sätze
ausrechnen, immer nur zum weiter Rechnen, u. es für abgeschmackt, lächerlich
— erbärmlich halten müssen, nach einer Zahlen-Bedeutung , einem Zahlen-Inhalt
nur zu fragen. — Noch einmal, ich begreife ihn nicht, den Jubel über die Ent-
deckung, daß es nur Wahrheiten, aber nichts Wahres gebe; begreife nicht jene
allerreinste Wahrheits-L^efo, die des Wahren selbst nicht mehr bedarf — göttlich
selbstgenugsam dadurch, daß sie aus dem Betrüge des Wahren in die reine wesent-
liche Wahrheit des Betruges übergegangen ist. — Sie hat den Gutt in'sgeheim vor-
sichtig beleuchtet — Er verschwand nicht, sondern er war nicht. Psyche weiß nun :
Alles außer ihr ist Nichts, u. sie selbst — nur ein Gespenst. Ein Gespenst, nicht
einmal von Etwas; sondern ein Gespenst an sich: ein reales Nichts; ein Nichts
der Realität." —
„Alle Wissenschaften sind zuerst als Mittel zu andern Zwecken entstanden,
u. Philosophie im eigentlichen Verstände, Metaphysik, ist davon nicht ausgenommen.
Alle Philosophen giengen darauf aus, hinter die Gestalt der Sache, d. i. zur Sache
selbst; hinter die Wahrheit, d. i. zum Wahren zu kommen: sie wollten das Wahre
wissen — unwissend, daß, wenn das Wahre menschlich gewußt werden könnte, es
aufhören müßte, das Wahre zu seyn, um ein bloßes Geschöpf menschlicher Er-
findung, eines Ein- u. Ausbildens wesentlicher Einbildungen zu seyn."
„Von dieser Unwissenheit u. Anmaaßung haben uns die zwei großen Männer,
Kant u. Fichte, befreit; von Grund aus erst der letztere. Dieser hat die höhere
Mechanik des menschlichen Geistes entdeckt; hat ein Intellektual-System, die Theorie
der Bewegungen in widerstehenden Mitteln vollständig dargelegt, u. mehr in seiner
Sphäre geleistet, als Huygens u. selbst Newton in der ihrigen. Durch die Ent-
deckung seiner Wissenschaft ist einer unnützen u. verderblichen Verschwendimg
der menschlichen Kraft auf immer Einhalt geschehen, Ein Weg zu irren ganz ab-
geschnitten worden. Niemand kann von nun an mehr mit der Vernunft, ver-
zeihlich schivärmen; Niemand mehr hoffen, wohl endlich doch noch die || — wahre
Cabbala zu finden, und, mit Buchstaben u. Ziffern, Wesen u. lebendige Kräfte hervor-
I IO Juli 1799.
zubringen. — Wahrlich eine große Wohltat für unser Geschlecht; wenn es nicht,
in die Wissenschaft seiner Unwissenheit jetzt sich vergaffen, selig seyn will, darin
allein — daß es mit beiden Augen emsig nur nach der Spitze seiner Nase sieht." —
Doch genug, mein Freund; u. zu viel vielleicht schon für Deine Augen, denen
ich hier wahrhaftig eine tüchtige Aufgabe gegeben habe. Wollte ich Dir alles
Merkwürdige dieses merkwürdigen Sendschreibens auszeichnen, so müßte ich Dir
den ganzen, 9 Bogen starken Brief abschreiben. Und doch kann ich mich nicht
enthalten, Dir noch einige Stellen daraus mit zu theilen, welche die eigentliche Ver-
anlassung desselben betreffen, obgleich sie zu dem Zwecke meines Briefes weniger
gehören :
„So gewiß ich Vernunft besitze, so gewiß habe ich mit dieser meiner mensch-
lichen Vernunft nicht die Vollkommenheit des Lebens. — Ja, so wahr ich lebe, auch
die Losung meiner Vernunft ist nicht: Ich; sondern: Mehr als Ich! Besser als Ich!
— ein ganz Anderer !u
„Ich bin nicht, u. ich mag nicht seyn, wenn Er nicht ist! — Ich selbst kann
mein höchstes Wresen mir nicht seyn. So lehrt mich meine Vernunft instinkt-
niäßig: Gott. Mit unwiderstehlicher Gewalt weiset das Höchste in mir auf ein Aller-
höchstes über und außer mir; es zwingt mich, das Unbegreifliche — ja, das Un-
mögliche zu glauben, in mir u. außer mir, aus Liebe, durch Liebe."
„Gott ist, sagt erhaben Timaeus, was überall das Beßere hervorbringt" —
„der Ursprung u. die Gewalt des Outen'1 „Aber das Gute — Was ist es? — Ich
habe keine Antwort, wenn kein Gott ist." ||
— „Ich gestehe, daß ich das an sich Gute nicht kenne, sondern auch von
ihm nur eine leise Ahnung habe; erkläre, daß es mich empört, wenn man mir den
Willen, der Nichts will, diese hohle Nuß der Selbstständigkeit u. Freiheit im absolut
Unbestimmten, dafür aufdringen will, u. mich — verweigere ich ihn dafür zu er-
kennen — des Atheismus, der wahren u. eigentlichen Gottlosigkeit beschuldige. Ja
ich bin der Atheist u. Gottlose, der, dem Willen der Nichts will zuwider, — lügen
will, wie Desdemona sterbend log, lügen u. betrügen will, wie der für Orest sich
ausgebende Pylades, morden will wie Timoleon, Gesetz u. Eid brechen wie Epami-
nondas. Ich bin es, u. spotte der Philosophie, die mich deswegen gottlos nennt,
spotte ihrer u. ihres höchsten Wesens: denn mit der heiligsten Gewißheit, die ich
in mir habe, weiß ich — daß das Privilegium aggratiandi wegen solcher Verbrechen
wider den reinen Buchstaben des absolut allgemeinen Vernunftgesetzes, das eigent-
liche Majestätsrecht des Menschen, das Siegel seiner Würde, seiner göttlichen
Natur ist." —
„Daneben weiß ich auch, u. so gut als Kant u. Fichte selbst es wissen mögen,
daß einem allgemein gültigen, wissenschaftlichen System der Moial nothwendig der
Wille der Nichts will, eine unpersönliche Persönlichkeit, die bloße Ichheit des Ichs
ohne Selbst — lauter Un Wesenheiten zum Grunde gelegt werden müssen. Der
unverläßlichen strengen Allgemeinheit wegen, als erster Gesetzes Bedingung, muß
das Gewissen dem bloßen Mechanismus der Vernünftigkeit unterworfen u. blind
gesetzlich gemacht, seine lebendige Wurzel aber, die das Herz des Menschen ist,
von ihm abgeschnitten werden, damit es nur durchaus gewiß tcisse u. weise — auf
dem Lehrstuhl!"
„Will ich darum, daß Vernunft keine allgemeine, streng erwiesene Pflichten-
lehre aufstellte, weiches nur in u. über einem reinen Vernunftsystem geschehen
kann? Läugne ich, also bedingt, den Werth, die Wahrheit, den Einfluß eines solchen
Systems; die Erhabenheit seines Grundsatzes? — Keineswegs! Das Moralprinzip der
Vernunft: Einstimmigkeit des Menschen mit sich selbst; stete Einheit — || ist das
Juli 1799- III
Höchste im Begriffe; denn es ist diese Einheit die absolute, unveränderliche Be-
dingung des vernünftigen Daseyns überhaupt; folglich auch alles vernünftigen u.
freien Handelns: in u. mit ihr allein hat der Mensch Wahrheit u. höheres Leben.
Aber diese Einheit selbst ist nicht das Wesen, nicht das Wahre. Sie selbst, in sich
allein, ist öde, wüst u. leer. So kann ihr Gesetz auch nie das Herz des Menschen
werden, u. ihn wahrhaft über sich selbst erheben; denn wahrhaft über sich selbst
erhebt den Menschen nur sein Herz, welches das eigentliche Vermögen der Ideen —
der nicht leeren, ist. Dieses Herz soll transscendentale Philosophie mir nicht aus
der Brust reißen, u. einen reinen Trieb allein der Ichheit an die Stelle setzen.
Ich lasse mich nicht befreien von der Abhängigkeit der Liebe, um allein durch
Hochmuth selig zu werden. — Ist das Höchste, worauf ich mich besinnen, was ich
anschauen kann, meiu leer u. reines, nackt u. bloßes Ich, mit seiner Selbstständig-
keit u. Freiheit: so ist besonnene Selbstanschauung, so ist Vernünftigkeit mir ein
Fluch — ich verwünsche mein Daseyn."
Um in diesen Aeußerungen über Moralität nicht mißverstanden zu werden,,
bittet J. folgende Stellen in seinen Schriften nachzulesen, die ich also ebenfalls
beizufügen mich verbunden glaube. Nemlich 1) die Aphorismen ü. Nichtfreiheit in
der Vorr. der Br[iefeJ üfberj Spin[ozaJ, 2) die Anmerk. S. XVII— XIX in der Vorr.
z. Allw[illj u. S. 295-300 ibid., 3) Woldemar Th. 2, S. 232—237 u. vor allen
Dingen Wold. Th. 1, S. 138—141.
Hier hast Du nun, lieber Herbart, was ich für das Wichtigste dieses wichtigen
Dokuments der Jakobischen Phil, halte. So oft ich diesen Brief auch schon gelesen
u. wieder gelesen habe, so hat er doch jetzt, da ich für Dich ihn von neuem durch-
gieng, einen neuen, tiefen Eindruck auf mich gemacht. Als ich vor fünf Wochen
diese Blätter an Dich anfieng, hatte ich ihn noch nicht gelesen, hatte ich nur von
ihm gehört. Was ich damals vergebens suchte: Begriff u. Ausdruck für das innerste
Gefühl meiner Seele — dieser Seher hat es gefunden, hat es herausgelesen aus
meinem tiefsten Herzen. || Wie Menelaos den wandelbaren Gott, hat er die unbestimmte,
schweigende Empfindung gefesselt u. zum Weissagen genöthigt. Ich brauche Dir es
nicht zu sagen, wie ganz ich mit ihm übereinstimme in dem, was das Wesen u. Un-
Wesen der Spekulation angeht; welch ein Grauen auch mich anwandelt bei der Vor-
stellung: ein ganzes Leben zu verbringen mit einem — Hin- u. Her-rücken leerer,
inhaltloser Zahlen. Mag doch Psyche immerhin mit neugieriger Lampe, so hell sie
sie nur aufzulockern vermag, den schlummernden Gott betrachten; ist doch Neugier
einmal ihr Erbtheil, von der Mutter her! Aber sie lösche sie selbst, freiwillig,
wieder aus, ehe der Gott verschwindet, u. freue sich seiner geheimen, unbegreiflichen
Umarmung. —
Halte mich indessen nicht für so thöricht oder verstockt, daß ich durch diese
Worte Dich eigentlich widerlegt u. durch Vernunftgrimde zur entgegenstehenden
Ueberzeugung genöthigt zu haben glaubte. Ich weiß wohl: von Dir zu mir, u.
umgekehrt, giebt es keine syllogistische Brücke. Ich sehe Dich an jenem Ufer ein
unendliches Würfelspiel treiben; Du mich vielleicht an diesem mit Chimaeren u.
Phantomen friedlich beisammen wohnen. Das Rufen hinüber u. herüber weckt
keinen aus seinem Traum, u. der Sjjrung ist gefährlich — unmöglich vielleicht.
Jakobi selbst nennt ihn einen salto mortale, u. will nicht böse werden, wenn man
seine Philosophie des Nicht-Wissens Chimaerismus nennt; wogegen er sich vor-
behalten will, jene Philosophie des Wissens Nihilismus zu heißen. Und so beruht
die Sache, pro- u. reprotestando, auf ihrer alten Stelle. Nur ein Wunder vermag
sie zum endlichen Final-Ende zu bringen — Rinaldo's entzaubernder Schild, oder
ein göttliches Werde! das aus Nichts Etwas hervorruft. — — — ||
112 Juli 1799-
Gern fügte ich noch etwas über Jakobi's ethische u. theognostische Sätze hinzu,
wenn nicht Zeit u. Kaum es verböten. Nur dies, um Dich eicht ganz in einer
Ungewißheit zu lassen, die mir vielleicht Unrecht thun könnte: daß es kein Gutes
ohne Gott gebe, kann ich nur dem Sinn, nicht dem Wort verstände nach annehmen.
Auch ich habe von dem Guten an sich nur eine leise Ahnung; aber eine noch viel
leisere von einem Gott an sich. Ich glaube überhaupt nicht so wohl einen Gott,
als ein Göttliches; doch möchte ich dies eben nicht Weltordnung nennen, von der
ich gar wenig weiß. Das Beßere, Erhabnere, Schönere, ist mir überall das Göttliche.
Gott ist mir Poesie. — Das priv. aggrat. wegen der Verbrechen wider den Willen
der Nichts will, ist auch mir das Majestätsrecht des Menschen; alles hierüber Gesagte
unterschreibe ich völlig u. unbedingt. —
Welche Freude Du mir machen würdest, durch eine Antwort im eigentlichen
Sinne, besonders der Jakobischen Sätze, den ich als meinen Sachwalter ansehe,
brauche ich Dir nicht zu sagen. Darum aber bitte ich Dich inständig, mir wenigstens
von dem Empfange dieses Briefes bald möglicht Nachricht zu geben. Ich würde
ihn höchst ungern verlohren glauben. Willst Du ihn Steck u. Eschen mittheilen,
so thu' es. Sage meinem theuern Steck, daß ich in diesen Zeilen oft u. lange seiner
gedacht habe. Daß er mir jetzt schreibe, kann ich nicht verlangen, so sehr ich mich
auch nach Nachricht von ihm sehne. Unser Glaube wird doch nicht zu Schanden
werden; darauf traue ich fest, auch jetzt noch. Sage Eschen, er solle nicht zürnen;
was meinen Brief an Dich so lange verzögerte, hat mich, ihm zu schreiben, auch
abgehalten. Seine Aufträge sind besorgt; mit der nächsten sichern Gelegenheit
schreib' ich ihm selbst.
Böhlendorff u. Muhrbeck sind jetzt in^Jena u. gehen von da nach Dresden; in
4 Wochen hoffe ich sie hier zu umarmen. Schildener ist auch hier, der Einzige
mit dem ich noch lebe. Werdet Ihr es nicht fühlen, wenn wir, nun bald vereint,
die seligen Stunden unsers schönsten Lebens beschwören? Leb wohl. Schreibe bald.
Dein Gries.
95. An Eschen.1) 20. Juli 1799.
Welche Seele wäre so kanglos, o mein Freund,
In der auch Freundestöne nicht wiederhalleten?
Aber aus Deinem Saitenspiele rauscht
Hervor auf Deiner Hände Zauberschlag
Ein volles Conzert mit allen Stimmen in allen Rhythmen
In Maaß und Ordnung, wie es die Kunst erheischt;
Wenn mir ein ungefähres Lüftchen die Äolsharfe streift,
Hie und da
Ich weiß nicht wie
Und frag' es auch nicht. —
Diese liebliche Abendstille
Feyerst Du mit dem neuen Liede,
Welches die Muse, traulich kosend,
Jetzt, wie immer, Dir hold, Dich lehret.
Warum hör ich es nicht?
Warum lausch ich vergebens?
*) 2 S. 4°. H. Wien. Vgl. auch S. 128: Nr. 109. Eschen an H.
August 1799. I 13
Ach! ich lausche schon lang auf den Schlag des Geniusflügels;
Jenes, den ich nicht kenn', u. der durch Ahnden mich tröstet,
Wenn die Geduld mir reißt, wenn mich ein Unmuth verjagt,
Auf vom Sitz, u. fort vom Buch, ins offene Freye.
Komm, o Geist! u. fördere mich, u. schwinge mich weiter!
Schwingend trage mich über der Bahn des geregelten Fleißes.
Gehen mag ich sie nicht; fliegend vollend' ich sie gern.
Komm o Geist; und schwinge mich hoch, und zeige dem Blicke
Dort in Alpenpracht die Erde den Himmel ersteigen,
Wo der öde Fels schrecket den kriechenden Fleiß.
96. Koppen an Smidt. Lübeck 15. Aug. 99.
— — Ueber Herbart gab er (Berger) mir eine Nachricht die Dich frappiren
wird, er ist nemlich verliebt! Dies hörte er von einem oldenburgischen Frauenzimmer
in Kiel die den Brief selbst las worin lierbart diese Verwandlung schrieb. So be-
siegt doch die Liebe am Ende das starre menschliche Herz u. ebnet die Steine u.
Verhaue mit denen es umdämmt ist! Mir hat es herzliche Freude gemacht da ich
nichts anders als gute Folgen für ihn davon erwarte. Berger nannte mir auch den
Namen des Frauenzimmers die aber er so wenig als ich kannte. — —
97. Böhlendorff an Steck. Jena, 15. Aug. 1799.
„Es ist schändlich, wie unserm guten Herbakt mitgespielt wird, ich muß
glauben, daß er auf alle Fälle von seinem Vater betrogen ist, der trotz jener merk-
würdigen Briefe ein gräßlicher Heuchler seyn u. wenig Achtung verdienen muß.
Die Briefe, die er hieher, an die Mutter geschrieben, sind der absoluteste Contrast
von jenem, u. kein Wort ist wahr von der zarten Behandlung, die er gegen sie
beobachtet haben will. Bey ihrer Rückkehr, die sie um ihres Sohnes willen unter-
nahm, hat er sie wie eine Magd empfangen in ein naßes, luftiges Stübchen sie
gesperrt u. sie an allem Mangel leiden laßen. Harbauer, der die Wahrheit sagt u.
den ich schätze, ist jetzt dort u. sieht mit eignen Augen. — Jetzt ist Herbarts Vater
sechs Wochen in Pyrmont gewesen, u. seit der Zeit hat sich die Kranke wieder er-
hoh.lt, sie schreibt mir sehr oft u. denkt mit unaussprechlicher Wärme Deiner —
bittet Dich, sie nicht zu vergeßen, darum ich Dich auch bitte — ihre letzte Krank-
heit verklärt in jedem Fall ihr ganzes vergangenes Leben."
98. Gries an Herbart.1) Göttingen d. 23sten Aug. 99.
Die Einlage an Eschen blieb zufällig einen Posttag liegen; überdies hielt ich
es für sicherer sie über Bern an ihn zu senden. Daher noch an Dich heute
dieses Blatt.
Die kurzen Worte Deines letzten Briefes haben mich in eine sonderbare Stim-
mung versetzt. Muß so wundersam sich unser Schicksal kreisen, daß wir heute
unsre Rollen vertauscht zu haben scheinen, u. Du jetzt gegen mich ein Mittel er-
greifst, das ich vor 3 Jahren, oft bereut u. beweint, gegen Dich gebrauchte? Her-
bart, die Rache wäre grausam, wenn es Rache wäre. Aber Du selbst erklärst ja
diese Verse für ein Spiel. Freilich ein Spiel, denn — die Freier leben ja noch, u.
der Platz zum Ringen fehlt auch nicht. Dennoch kann ich den Bogen nicht er-
greifen, auch nicht zum Spiel nur. Die Sache ist zu ernsthaft, und ich mag nicht
von neuem mein Liebstes und Theuerstes auf ein so ungewißes Spiel setzen.
*) 4 S. 8°. H. Wien.
Herbarts Werke. XVI. 8
114 August 1799.
Also nur dies, u. im Ernst:
Du weißt, durch welche Veranlaßung unser Briefwechsel, den ich als gänzlich
abgebrochen ansehen mußte, im vorigen Winter wieder angeknüpft ward. Deine
Mutter verlangte damals von mir einen Rath in Angelegenheiten, die für Dich von
der größten Wichtigkeit waren. „Ihren Einsichten — schrieb sie mir, || als sie
Deine Briefe mir mittheilte — bleibt alles überlaßen; ich, für meine Person, werde
gar nichts weiter darein reden.1' So schätzbar dies Zutrauen mir war, so wenig
würde ich dennoch in eine Sache mich gemischt haben, wo weder Du, noch ich
selbst als kompetenten Rathgeber mich ansehen konnte. Dennoch wagte ich es,
Deiner Mutter meine geprüfteste Ueberzeugung von der Zweckmäßigkeit Deines
Planes vorzulegen, u. zwar aus dem Grunde, weil sie diesem Plan sehr abgeneigt
zu seyn schien, u. ich es als die heiligste Freundespflicht ansah, alles, so viel an
mir war, zur Realisierung Deines Wunsches beizutragen. Für eben so pflichtmäßig
hielt ich es aber auch, ihr die Besorgnisse zu eröffnen, die ich, im Einzelnen, dabei
nicht ganz zurückweisen konnte. Ich hatte die Freude, von der würdigen Frau die
Versicherung zu empfangen, daß meine Vorstellung sie über das Ganze Deines
Planes vollkommen beruhigt. ,,Ja — setzte sie hinzu — ich werde ruhiger jetzt die
Welt verlaßen, seit Sie meine Zweifel über den Entschluß meines Sohnes gehoben
haben.1' Zugleich aber verlangte Sie von mir, ich solle auch Dir alles, was ich über
diese Sache auf dem Herzen habe, unverhohlen mittheilen. Ich that es, obgleich
ich schon damals fürchtete, von Dir falsch beurtheilt zu werden; eine Furcht, die
der Erfolg nur zu sehr bestätigt hat.
Doch so sehr von Dir verdammt zu werden, als Dein letzter Brief mir zeigt
— in der That, das konnte ich nicht befürchten. Erkläre immerhin jene Verse für
ein Spiel des Augenblicks; sie sagen mir genug, obgleich ich ihre Deutung nicht
ganz faße, um einzusehen, daß in;ihnen Deine Empfindung — unwillkükiiich viel-
leicht — wahrer ausgedrückt ist, || als Du selbst es mich wolltest wißen laßen.
Doch sey es, wie Du willst; Sagst Du nicht hernach noch, ich solle Dir den Muth
nur brechen, so bald ich könne? Also traust Du mir doch die Absicht zu, Dir den
Muth zu brechen?
Dann, in der That, würde ich ihn brechen wollen, wenn ich glaubte, daß er
gebrochen werden könne. Gottlob, daß ich über diese schrecklichste aller Möglich-
keiten vollkommen ruhig seyn darf! Wer zu der innern Gewißheit gekommen ist,
deren Du Dich rühmst, unter allen Beschäftigungen die notwendigste gewählt zu
haben; wer es für seine Pflicht erkennt, dieser Beschäftigung alles aufzuopfern;
wer dabei jene eiserne Resignation sich erworben hat, die ich an Dir — bewundere,
wenn ich gleich sie nicht billigen kann, nach meiner Ueberzeugung — wie könnten
dessen Muth meine armen Einwendungen brechen, die überdies niemals das
Materiale Deines Plans weder angreifen sollten, noch angegriffen haben? Nur
dies wollte ich Dir sagen, u. habe ich gesagt: daß ich allerdings das Leben für
höher achte, als die Philosophie; daß ich diese beziehe auf jenes, wie Mittel zum
Zweck; daß ich es mit der Würde des Menschen nicht vereinbaren kann, sich selbst
als Mittel zu gebrauchen für fremde Zwecke. Dagegen bekenne ich. daß ich das
Philosophiren dem geistigen Leben so nothwendig halte, wie das Athemholen dem
leiblichen; wer würde aber deswegen sagen: athemholen sey leben? — Andere
sehen die Sache anders; u. auch ich habe nie verlangt, „daß allen Bäumen Eine
Rinde wachse."
Noch jetzt, in diesem Augenblicke, bin ich von der Wichtigkeit u. Vortreff-
lichkeit des Plans, den Du Deinen Eltern vorlegtest, so fest überzeugt, daß ich alles
daran wenden würde, Dich bei ihm zu erhalten, wenn ich fürchten müßte, daß Du
September 1799. n;
ihn verlaßen wollest. || In der That, Dein Zettel an Muhrbeck hat mich beunruhigt.
Du willst die Schweiz verlaßen? Warum? Weswegen? Ich kann es nicht errathen.
Darf ich es wißen, so wirst Du Dir ein großes Verdienst erwerben, wenn Du mir
über diesen höchst unerwarteten Entschluß einige Nachricht geben willst. Wo
Muhrbeck jetzt ist, weiß ich nicht mit Gewißheit. (S. die Einlage.) Sobald er kommt
werde ich ihm Deinen Zettel geben.
Deine Apostrophe an Jakobi hat mich in einiges Erstaunen gesetzt. Zwar, wie
Du sie schreiben konntest, begreife ich allenfalls; weil jeder Ausdruck darin den
äußersten Affekt verräth. Daß^sie ihm aber durchaus nicht mitgetheik werden könne,
wirst Du jetzt leicht einsehen. Sie würde es schon deswegen nicht können, weil
meine Abschrift seines Briefes die einzige ist, die existiert, u. weil ich diese nicht
von Jakobi, sondern von Fichte erhalten habe. Ich kann mich also schlechterdings
nicht dem Verdacht einer Indiskretion aussetzen, die, bei den jetzigen Umständen,
größer seyn würde, als Du es vielleicht ahnen konntest.
Ueber die Apostrophe selbst wage ich es nicht eher Dir meine Meinung zu
sagen, als bis ich die sehnlich erwartete Beantwortung meines letzten Briefes er-
halten habe. Indeßen gestehe ich Dir offenherzig, daß einige Beschuldigungen der-
selben mich empört haben, besonders die, daß J. die Wahrheit empört habe gegen
das Wahre; */. heißt denn auch das das Schöne empören gegen die Schönheit, wenn man
beides unterscheidet^ wie es doch zum Behuf der Wißenschaft nothwendig geschehen
muß? •/• ferner, daß er den Menschen ohne Denkkraft wolle erstehen laßen; end-
lich, daß seine Ueberzeugung für Fichte verbunden mit seinen Gesinnungen, wenn
sie allgemein würde, die Menschen neben Prometheus hinschmieden müßte zu ähn-
licher Verdammniß ! ! — — —
Vor einigen Wochen reiste Harbatjr hier durch nach Oldenb. zu Deiner Mutter.
Seit dem habe ich weder von ihr noch von ihm Nachricht; doch glaube ich, daß
Du jetzt ruhiger seyn kannst.
Lebe wohl, u. laß mich nicht zu lange auf Antwort harren.
Dein Gries.
99. *) An ?. (Bern, um den 4- Sept. 1799.)
Und jetzt habe ich im Sinn, in diesen Plan ein so grosses Loch zu
machen, — meinen guten Carl, der hier neben mir seinen Virgil repe-
tirt, zu verlassen ? In der That, in diesem Augenblick hat das keinen
rechten Sinn, die Ursachen werden sich ein andermal wiederfinden, jetzt
ist es Zeit, diesem schönen Abend ein Gedächtniss zu stiften, lass mich
Dich einladen, mein Theurer, komm, hilf mir, mein kleines Fest ganz
frugal mit feyern; eine simple Erzählung ist genug.*)
Sokrates war eben daran, seinen überweisen Euthyphron (den Plato
ein wenig zu pinselhaft schildert) das Resultat ziehen zu lassen. Das
hatten sie nun herausgebracht: das oaiov (fromme,**) religiöse) sey nicht
deshalb fromm, weil es von den Göttern geliebt werde, sondern es werde
*) „und Du leih mir Aug und ein wenig Teilnahme'1 — durchstrichen.
**) „heilige, es giebt kein gutes deutsches Wort — das religiöse, wenn Du willst1,1
— durchstrichen.
*) 4 S. 8°. H. Wien. Hier zum ersten Male vollständig veröffentlicht. Zimmer-
mann nennt als Empfänger des Briefes „Böhlendorf (?)u, das ist aber nach dem
Briefe Herbarts an Böhlendorff vom 28. Sept. 1799 nicht möglich.
8*
jj6 September 1799.
von ihnen geliebt, weil es fromm sey. Ferner, es sey || eine Art vom
Rechten (im weitesten Sinne) das sich aber auf den Dienst der Götter
beziehe, — auf einen hülfreichen Dienst, der aber nicht dem Geholfenen
nützlich seyn solle. „Welches ist denn dannu, fragt jetzt Socrates „das
über alles herrliche Werk, zu welchem die Götter sich unsrer Hülfe be-
dienen?1' Der alberne Euthyphron fällt noch einmal vom Gipfel der For-
schung, und läuft dann ungeduldig fort, seinen Vater wegen eines unab-
sichtlichen Mordes zu verklagen, — davon hatte ihn Socrates abhalten
wollen — wir sehn ihm nach, — und sinnen über das Räthsel, was Piato
nicht weiter auflös't. „Die Schöpfung — kann es nicht seyn, sagte Carl,
dazu brauchte Gott nicht die Hülfe der Menschen. — Ist denn das das
herrlichste Werk Gottes?, fragte ich, — sinne nach. Wozu diese Erde?
— Seine Augen wurden heller, glänzender, — die Menschen — Bildung
der Menschen — dazu sollen wir helfen! Wir fanden es zusammen. Er war
ganz verklärt. || So strahlte es ihm nun auf einmal in die Seele, wovon
ich ihm dann und wann nur dunkel geweissagt hatte; — dies Resultat seiner
ziemlich mühsamen Arbeit, denn noch wird ihm Plato nicht leicht, ich
brauche von einem noch nicht 12 jährigen Knaben wol kaum zu sagen,
dass dieser Dialog sein erster war. — Jetzt kam er meiner Entwicklung,
meiner Anwendung, meiner Annäherung an ihn, entgegen, ich umarmte
ihn, dann hing er sich an mich, wir liefen zum Thor hinaus, liefen drey-
mal schneller als sonst, — die Sonne ging unter — strahlte von den
Schneeberecn zurück — er sah, — jetzt vielleicht zum erstenmale mit
ganz offenen Augen; — wir sprachen von Gott, — von den Sonnanbetern
— scherzten, lachten, — sahen die Schneeberge sterben, dachten der
Auferstehung — ich dachte des Augenblicks, wo ihn dieser Gedanke, von
dem ich jetzt wieder nur weissagte, || entzücken wird — ach es läutet zum
zweytenmal, ich muss zum Essen herunter.
Ich bin fertig. Nun die Ursachen, warum ich ans Weggehen denke.
Darum, weil ich nicht mehr zur Hausgesellschaft gehöre, weil die Politik alles
verschlingt, weil F[rau] Landvögtin so platt und pöbelhaft als möglich, Hr.
Landv[ogt] mitten in einem Gespräch voll liebenswürdiger Besonnenheit so
aristocratisirt, dass man sich Meilen weit geschleudert glaubt, — weil man mir
das Versprochene nicht hält, weil ich es nicht auf die Möglichkeit wieder
ankommen lassen darf, dass man mir noch einen Sommer meine mir un-
schätzbaren Ferien raube; weil ich eigentlich nur 2 Knaben erziehen
wollte, und statt dessen 3 habe, die mir zwar alle lieb sind, aber für die
ich auf die Länge nicht Zeit habe; weil ich bald den 4ten haben würde;
— hauptsächlich, weil ich bey meinem veränderten Plane für Carln
wenigstens das wesentliche thun könnte, und nachher noch für meine
Eltern wäre. — Gegenwärtig, da meine Mutter vom neuen leidet, erwarte
ich ihren Wunsch — ruft sie, so gehe ich sobald als möglich.
100. Fischer an Smidt. Höchstetten b. Bern 4. Sept. 1799.
Herbart und Eschen drohen Helvetien zu verlassen. Wie soll ich mich
dabey trösten V indem ich mich auf ihren Gesichtspunkt stelle, ihnen ablerne, wie
man der Stimme der Pflicht u. dem Wink eines bewährten guten Genius folgt, und
so lange als es mir noch vergönnt ist, ihres Umgangs genieße, und, wo möglich mit
September 1799. 117
ihnen einige Bäume pfJantze, in deren Schatten ich mich künftig erhohlen kann.
Herbart würde, wenn er lange genug bliebe, mir einige Mitbürger bilden die früher
od. späther meine Freunde werden müßten. — Doch — ich bin zu aller Resignation
gefaßt. — An Freundin Herbart, an Böhlendorf, Muhrbeck u. a. werde ich bald
schreiben — ich lebe jetzt mehr* mit ihnen als nie.
101. An Smidt1) Bern am 4ten September 1799.
Lange habe ich nicht so gern und so innig froh gedankt, als jetzt
Dir, mein theurer Smidt! Nicht Fischer, ich bin Dein Schuldner. Mir hast
Du eine Bitte erfüllt, so schnell, so ganz; eine Bitte die nicht einmal an
Dich gerichtet war. Ich sah meinen Freund angegriffen durch jede Art
von Leiden, seit 2 Jahren gehemmt, oft schmerzlich zurückgestossen, in
seinen schönsten Bemühungen — das prägte sich ihm auf, — und die
Spuren verwischen sich vielleicht nie. In Deutschland hätte das vielleicht
geschehen können, — und er äusserte einmal einen Wunsch dahin. Der
Treffliche! was hätte ihn besser erheitert als Du und Dein froher Kreis,
und Freunde von Dir, die Deinen Lebenssinn haben! Aber dass Du dazu
sogleich Rath schaffen würdest, wie konnte ich es hoffen, — ich konnte
Fischern auch nicht im Voraus Aussichten zeigen, musste ihn sorgen
lassen, wo er etwa [2] selbst etwas fände; er sagt mir freylich jetzt auch,
dass er auf jeden Fall durch sein Verhältniss zu seinem — (wunderlich
unmännlichen) Vater, dem er Stütze seyn müsse, hier gebunden sey.
Jetzt kommen die eingegangenen Verbindlichkeiten dazu, — ich kann nur
für ihn wünschen, und mich freuen, dass er doch in den letzten Wochen
schon wieder beträchtlich lebendiger geworden ist; Dir, Bester, reiche ich
noch einmal über Berge und Flüsse die Hand, dankend, und bittend, Du
wollest mir nicht unhold seyn, dass ich Dich, und vielleicht noch andere
umsonst in Bewegung gesetzt habe.
Und so sey denn auch, von meiner Seite wenigstens, unser lange ab-
gebrochener Briefwechsel wieder angeknüpft. Es geschehe mit ganzer
Aufrichtigkeit; ich will es Dir freymüthig sagen, warum ich ihn abbrach.
Nicht zögernd, zaudernd, es war Vorsatz. Deine Antwort auf meinen
letzten Brief war mir keine Antwort. Es war [3] eine Wiederhohlung —
vielleicht weil mein Brief auch nur eine Wiederhohlung gewesen war. Ich
brauchte in jenem dunkeln Winter viel Kraft, um nur auf meinem Platze
zu bleiben; ich musste mich mit Anstrengung zu mir selbst erheben; und
der Nachmittag, da ich Dir schrieb, glänzt mir noch wie ein einzig heller
Stern aus der weiten öden Finsterniss jener Zeit, — hat mir lange, wie
ein zweytes besseres Ich, wie ein Freund gedient, an dem man hält in
Gefahr. Das konntest Du nicht wissen, — ich will gern die Schuld über-
nehmen, dass in Deiner Antwort mir eine Beschränktheit Deines Interesse
erschien, deren Erweiterung ich wohl erst erwarten müsse, damit meiner
Seele wieder in der Deinigen Platz werde, — und, alles wohl überlegt,
habe ich vielleicht ganz recht gethan, Dich mit dem Anblick einer ent-
gegengesetzten Beschränktheit zu verschonen, die vielleicht erst dann auf-
hören wird, wenn ich mich wohl überzeugt habe, dass das Gleichgewicht,
x) 6 S. 8°.
I I 8 September 1799.
womit ich mir schon jetzt zuweilen schmeichle, kein Traum ist. Es
braucht Zeit, dass man seiner selbst erst wohl inne geworden sey, um
frey ausser sich umhergehn zu können in Sonnenschein u. Kühlung. [4]
— Glaube mir indessen, theurer Freund, ich war nie der Theilnahme un-
fähig an dem Glücke, das ein Haus, ein Kind, eine Gattin, — ein Zu-
sammenklang von Charakteren vieler nähern und entfernteren Lieben Dir
geben. Lieber Gatte, lieber Vater, durchfühle die Seelen Deines Weibes
und Kindes, vervielfältige Dich in ihnen, — und wenn Du einen armen
Schatzgräber bedauerst, so bedenke, dass es den Weinbergen doch auf
allen Fall wohlthut, wenn sie umgeackert werden, — und übrigens be-
dauere mich nur, das schmerzt mich gar nicht, ich danke Euch vielmehr
dafür. Doch jetzt hast Du in der Rücksicht noch wenig Ursache, mich
zu bedauern; ich rühre den Spaten höchst selten — viel öfter pflege ich
der Liebe — einer Liebe, die, besonders seit einem halben Jahre, zu-
weilen ihr Gefäss etwas zu voll füllt, zuweilen mit dem ernsten Verhält-
nisse des Lehrers sonderbar contrastirt. Mein Carl ist ein so verständiger
— schöner, — guter, — inniger Junge, dass mein Arm nun schon un-
willkürlich sich um ihn schlingt, [5] dass ich ihn nicht gut anders als an
meiner Brust liegend, neben mir sitzen lassen kann, dass die rixae aman-
tium sich meistens mit Küssen endigen, dass ich manchmal nicht nur pro
forma mit ihm zum Knaben werde, — dagegen muss er denn auch mit
mir Mann seyn, den Homer nicht nur sondern den Sophokles und Plato
mit mir theilen — und da beginnt dann erst mein Fest, wenn ich sehe,
dass ihm die Sprachen nicht gar schwer, aber der Sinn noch viel leichter
wird — wenn ich ihn den Dichter zuweilen auf einmal anstaunen — die
Wendungen der Untersuchung vorher rathen, — das Resultat in seinen
Augen glänzen sehe. Freilich haben wir vom Sophokles u. Plato nur erst
von jedem ein Stück gelesen — von der Odyssee lasen wir in der ersten
Stunde auch nur 3 Verse, in der letzten flog er durch 145 Verse in
3/4 Stunden. — Verzeih, ich fange an zu schwatzen, solch süsses Gespräch
wird meistens am Ende Geschwätz. Wahr ist es aber, dass ich eine
grünende Pflanzung [6] um mich sehe — von der ich mich sehr ungern
trenne und sie einem, in mancher Rücksicht ungewissen Schicksale über-
lasse. Verlassen muss ich sie zwar einmal, die äussern Umstände sind
nicht mehr für lange meinen Wünschen, — meinem eignen Beruf ange-
messen doch könnte ich noch meinen Garten mit einem ziemlich derben
Zaune, meine ich, umringen — wenn nicht etwa die Wünsche meiner kranken
Mutter mich schon jetzt abrufen. Ich habe sie wenigstens gebeten, mir diese
nicht zu verhehlen — und dann wünsche Du mir Ersatz in dem Ge-
lingen des Versuchs, ihr Leiden zu erleichtern. Die Gute — meine un-
endliche Wohlthäterin ! — sie hat auch von mir manches unbeabsichtigte,
manches vielleicht unvermeidliche, leiden müssen, — ich möchte es gern
gut machen wenn ich es etwa könnte. Meinen Kindern werde ein andrer
Schutzgeist, der sie mir einmal wieder zuführe. Ich habe meine Freunde
Muhrb[eck] und Böhlfendorf] gebeten, sich auf der Reise nach einem
Nachfolger umzusehen. Wüsstest Du mir vielleicht einen Geprüften zu
nennen? Bestimmte Anträge kann ich freylich nicht machen, ich habe
dem Hrn. St. noch nichts gesagt; doch hoffe ich, dass er einen Freund
September 1799. 11g
meiner Freunde gern in seinem Hause sehen würde. Wenn wir uns nun
vielleicht bald umarmten? — Vorläufig wünsche ich meinem Briefe glück-
liche Reise, und hoffe für ihn einen freundlichen Willkommen von Dir.
Bitte Deine liebe Frau, dass sie mir ein wenig gut sey. Grüsse Langen.
Leb wohl. Dein Herbart.
102. An Böhlendorff. J) [Bern, am 28. September 1799.]
Erst seit gestern Abend, am 27 sten Sept., habe ich den Zeugen
Deines Andenkens, mein Theurer, nach welchem ich lange ausgesehn
hatte; jenen vom 3 Osten Jul.
Bilde ich mir's ein, oder ist wirklich Dein Ton wie der eines
Freundes, dem eine Warnung auf der Zunge schwebt? — Nur das,
Bester! mein letzter Brief ward in einer zufälligen, ganz ungesuchten Stim-
mung geschrieben; ich habe den letzten Frühling wie noch keinen, in
allen Adern, Gliedern, Sinnen gespürt. Ein wunderbares Wohlseyn brach
durch alle Wolken meiner äussern Lage. Ich hörte unwillkürlich die
Worte, die ich schrieb; das scheint Dir, und Gries, und meiner Mutter
misfallen zu haben.
Der letztern würde ich vielleicht schon entgegenrollen, wenn unsre
Briefe nicht wieder aufgehalten seyn müssten. Von ihr habe ich aus
01denb[urg] einen einzigen Brief gehabt; — das nasse Dachstübchen aber
erst gestern Abend aus Deinem, begriffen. Es thut weh — dasmal || hatte
ich etwas ganz anders erwartet; doch macht es Ihn nicht zweydeutiger.
Ich fürchtete überhaupt längst, dass das Wort: Repressalien, den Schlüssel
enthalte, und dies hier ist mir Bestätigung. Es ruft mich aber! — Bey-
nahe vor 2 Monaten, gleich nach Empfange des Briefes von meiner
M[utter] legte ich Kommen und Bleiben in ihre Hand; bis jetzt habe ich
umsonst ihre Antwort erwartet. Haben sich nur nicht dasmal wieder
Misverständnisse eingeschlichen! — Nicht wahr, Lieber, Du erfüllst mir
gern eine Bitte? So hilf Misverständnisse verhüten. Die Hauptfrage für
mich ist: ob ich meiner Mutter angenehm seyn werde? Du kennst im
Ganzen meine Gesinnungen, — kannst daraus beurtheilen, wie ich Facta,
die ich etwa sehn würde, betrachten möchte. Ich werde wahr und ohne
Verstellung seyn wollen — darf mir nicht schmeicheln, dass mir jede
Delicatesse, die ich mir wünsche, gelingen werde, — muss fürchten, dass
meine Mutter sehr [| leicht gekränkt werden könne, — finde in ihrem letzten
Briefe noch, mehrere Äusserungen ihrer Grundsätze, die mich anstossen,
und fühle, dass wenn sie so etwas mündlich sagte, sie die Misbilligung in
meiner Miene lesen würde. Überdas, weiss ich, ob Harbaurs edles Werk
nur einige Dauer hat? Käme ich vielleicht nur, eine traurige letzte Pflicht
zu erfüllen, so würde ich dann sehr bedauern, meine grossen Hoffnungen
von meinem innig geliebten Karl, zernichtet zu haben, um mich vielleicht
dem Oldenburgischen Landgericht auszuliefern — denn wäre ich einmal
dort, so wären die Ansprüche meines Vaters wieder zehnfach grösser.
Aus diesen Gründen konnte und wollte ich meine Mutter nicht nur bloss
*) 8 S. 8°. H. Wien. Auch in diesem Brief wurden wie oben S. 116 die von
Zimmermann ausgelassenen Namen ergänzt.
120 September 1799.
um Erlaubniss bitten, zu ihr zu reisen. Ich bat sie, mir zu sagen, ob
sie mich wünschte — so würde ich ohne alle Bedenklichkeiten zu ihr
kommen. Ich bat sie, meine Person dabey aus den || Augen zu setzen;
sagte ihr aber, dass ich meinen Knaben keinen Ersatz wüsste. Das sagte
ich ihr auf die Gefahr aller Deutungen hin, die dem angehangen werden
können. So war es, nachdem ein Anstoss eines raschen scheinbaren
Pflichtgefühls vorüber gegangen war, meine Überzeugung, dass ich handeln
müsste, und sie ist es bis jetzt geblieben. Anstalten zur Abreise habe
ich gemacht, meinen Unterricht so gestellt, dass er das Letzte nothwendigste
noch leistete, — jetzt hätte er leicht abgebrochen werden können; da
aber keine Antwort von meiner Mutter gekommen ist, habe ich freylich
neue — doch nicht unzerreissbare Fäden wieder anknüpfen müssen. Nun
bitte ich Dich, mein Theurer, mir zu sagen, ob Ihr jene frühere Bitte,
mir einen Nachfolger auszusehn, habt erfüllen können? Habt Ihr einen
gefunden den Ihr mit Zutrauen an meinen Platz stellen möchtet, so
scheide ich mit leichtem Herzen von hier. || Hauptsächlich aber ersuche
ich Dich, die Gesinnungen meiner Mutter mündlich oder schriftlich zu
lenken, so dass sie bey meiner Frage nach ihrem Wunsche, nicht etwas
denke, was gar nicht in meiner Seele ist, — auch nur nicht etwa eine
Umstimmung meiner Denkungsart, von mir erwarte; und was sie dann
wünscht, das lass mich ganz erfahren; — sage Du es mir, wenn sie viel-
leicht irgend einer Delicatesse wegen es nicht ganz sagen würde. Füge
Deinen Rath bey; Deine Ansichten, und Nachrichten. Erinnere Dich dass
mir hier dies alles mangelt, dass dadurch nicht nur mein inneres Wesen,
sondern alles was ich thue, und alle meine Verhältnisse in Unordnung
sind. Du wirst es mir dann verzeihen, wenn ich Dir Beschwerde mache.
Du wirst vielleicht gern auf ein paar verschiedenen Weg;en mir Nachricht
zukommen zu lassen versuchen wollen. — Sehr unangenehm wäre es mir,
wenn meine Mutter mich meinetwegen zurückriefe, und Pläne für mich
machte, ohne mir das genau zu sagen. || So etwas würde alles verderben;
ich verzeihe keinem der mich im Blinden führen will. Doch ich besorge
das kaum, und sage Dir nur auf eine unwahrscheinliche Möglichkeit hin,
dass, wenn Du ja kommen müsstest, um eine Spur davon zu löschen, Du
mein Wohlthäter dadurch werden würdest. Übrigens, wenn ich komme,
ist meine Mutter mir Hauptsache, ihr bringe ich meine Kraft, und so darf
ich vielleicht hoffen, ihr etwas seyn zu können, ohne sie fühlen zu lassen,
was ich ihr opfere. Auch werde ich, wo ich mich überzeugen kann, dass
es für sie nöthig, und billig ist, mich wahrlich nicht scheuen, mich zu
rühren und Kopf und Zunge und Hände zu brauchen. Der Dach-
stübchen wollte ich, meine ich, bald Herr werden, wenigstens den Versuch
daran wagen.
Aller Wahrscheinlichkeit nach bleibe ich jetzt so lange hier, bis ich
Antwort auf diesen meinen Brief von Dir habe. Käme auch unerwartet
in diesen Tagen etwas von meiner Mutter, so kann ich mich doch jetzt
nicht so schnell losreissen, dass die 4 — 6 Wochen, die höchstens der
Weg zwischen Dir und mir fordert, nicht darüber hingingen.
Diesen Brief nimmt ein Hr. Fries mit, ein junger Mann, der noch
mit uns in Jena war. Er ist interessant, hat viel gelernt, Mathematik,
Oktober, November 1799. 12 I
Physik, Philosophie; geht jetzt zu Scherern als dessen Gehülfe; bey che-
mischen schriftstellerischen Arbeiten. Gegen Fichte hat || er eine Fehde im
Sinn. — Ich freue mich der Achtung, die Dir Fichte aufs neue eingefiösst
hat. Es thut wohl, von demjenigen Gutes zu hören, gegen den man nur
Hochachtung und Dankbarkeit empfinden möchte. Könntest Du mir doch
bald auch Glückliches von ihm sagen! Unterlass es dann doch ja nicht;
man erfährt hier nichts. — Jacobi und mich in einer Antwort zu treffen,
dürfte schwer seyn. Einer grossen Gefälligkeit von Gries verdanke ich
einen Auszug von Jac[obi's] Briefe. Ich habe darin Jacobi den Trefflichen
und Starken, aber, ich verhehle es nicht, auch Jacobi den Schwachen er-
kannt. Ein Blättchen, durch Muhrbeck an Jac[obi] abzugeben, wenn es
sich gut in ihr Gespräch einfiechten Hesse, sandte ich an Gries, und es
hat ihn — empört. — Dass es wenigstens nicht auf jeden so wirkt, haben
mir Eschen und Ziemssen gesagt, die mir nicht nur riethen, es auf allen
Fall abzusenden, sondern auch meinten, Muhrbeck werde es wohl ab-
geben. — Ich wünsche Dir Glück zu Deinem Nachfolger Ziemssen; willst
Du nicht einmal an ihn schreiben? — Ich fürchte, Dein Fritz verdient das
minder. || Ziemssen klagt über seine Trägheit, Geist- und Herzlosigkeit;
doch nicht ohne manchmal auch bessere Spuren zu bemerken. Er lies't
viel, das ist sein Bestes. Z. macht sich viel mit den Kleinen zu thun,
kömmt mit Ludwig zu recht und ist ganz voll von Ferdinand. — Mir ist
mein Karl diesen Sommer — oft — viel, sehr viel gewesen. Der Hr.
S [teiger] sollte schon im Frühjahr als Geissei fortgeführt werden, er war
aber nicht da und ist erst kürzlich wiedergekommen. Ich habe den treff-
lichen Mann ganz — mehr als ich dachte wieder erkannt; und würde
jetzt vielleicht alle Gedanken an Weggehn vergessen, wenn meine Mutter
es nicht wäre. — Denn auch mit Ludwig, Rudi und Henriette komme
ich im Ganzen recht wohl fort, und Du begreifst, dass es dann sehr
leicht ist, neben der Fr[au] Landvögtin vorbeyzugehn.
Vielen, vielen Dank an Stahl dass er meiner denkt; Deine Nach-
richten freuen mich sehr. Eine innige Umarmung meinem Muhrbeck!
Und Du selbst, Th eurer Freund, behältst mich doch lieb?
Dein Herbart.
Ich habe kürzlich an Smidt Briefe von Fischer und mir, gesandt, ob
die wol angekommen sind? Es muss Smidt daran gelegen seyn. Der
Hauptinhalt war, dass Fischer die angebotene Stelle nicht annimmt —
aber von uns beyden die allerherzlichsten Danksagungen. [Randbem.]
103. Eschen an Steck. Montelier [bei Hurten], 24. Okt. 1799.
„Ich habe kürzlich einige frohe Tage mit unserm Herbart gelebt. Ich war
nach Bern gegangen, um mit meinen Freunden über die Veränderung meiner jetzigen
Lage zu reden, weshalb ich Dir auch heute schreibe.'*
104. Steck an Eschen (Hauslehrer in Bern). 2. Nov. 1799.
„Herbart hatte mir Hoffnung gemacht, einen Theil seiner gefreyten Zeit bei
mir [in Seedorf b. Bern] zuzubringen! leider hatten wir fort und fort Besuche und
ich konnte es ihm nicht zumuthen, seine Muße in Gefahr zu setzen. *;
122 November 1799.
105. Gries an H.1) Göttingen, d. 21sten Novbr. 99.
Deinen letzton Brief, lieber Herbart, fand icli vor, als ich von einer Reise
nach Jena zurückkam, wo ich die Michaelisferien zugebracht hatte. Du weißt, daß
ich den ganzen Sommer hindurch auf Böhlendorffs und Muhrbecks so lange ver-
sprochenen Besuch wartete. Am Anfang des Septembers kam endlich ein Brief von
B. der diese ganze Freude auf einmal zerstörte. Muhrbeck war wieder krank ge-
wesen; diese Krankheit u. ökonomische Hinderniße hatten die Reise so lange hin-
geschleppt, daß nun zu dem versprochenen Besuch keine Zeit mehr war. Ich mußte
also Verzicht darauf thnn, die Freunde zu umarmen, oder — nach Jena kommen.
Du kannst denken, daß ich nicht lange wankte. Schildener, mit dem ich in diesem
traurigen Sommer unter vielen erbarm liehen Stunden einige beßere durchlebt hatte,
entschloß sich schnell, mit zu reisen; und wir flogen nach Jena. Ich sage Dir nichts
von dem Wiedersehen des theuern Landes der Freundschaft, nichts von dem
schönern "Wiedersehen der Freunde; Du fühlst das alles, oder Du hast mich nie ge-
kannt. Nur so viel sage ich Dir, daß diese vier Wochen mir wie ein himmlischer
Traum dahin schwanden, u. daß beim Erwachen nur dieses Traumes Erinnerung
mein einsames Leben versüßt.
Ja, nöthiger als jemals ist nur jetzt der lindernde Balsam der Freundschaft,
denn einsamer und verlaßner war ich noch nie. Auch Schildener ist nun in Jena
geblieben; ich bin allein an einem Orte, wohin nie mein Geist sich gewöhnen kann,
unter Menschen, die mich anekeln, unter Beschäftigungen, die mich niederdrücken
u. meinen Geist töten. Lange wird das Leben hier wohl nicht dauern; aber womit
werd' ich es vertauschen? — die Scylla mit der Charybdis!
Doch genug davon! Ich rede ja mit dem Freunde, um mich selbst zu ver-
geßen.
Dir ist also wohl, Herbart? Wahrlich, Du sagst es mehr, als daß ich es sehe;
u. ich gestehe Dir, daß mir bei Deiner Lustigkeit nicht wohl ist. Nicht als ob sie
mich ärgerte, wie den Armen in seiner Hütte der Jubel im Palaste des Nachbars;
sondern weil es mir vorkommt, als täuschtest Du Dich selbst damit, als wolltest Du
unter diesem Anschein des Frohsinns irgend eine innere Unlust Dir verhehlen. Du
siehst, daß ich offenherzig bin; u. warum sollte ich es nicht seyn? Wir sind uns
wohl nah genug, um ohne Sprachrohr mit einander zu reden.
Verbrennen werd' ich jenes Blatt nun nicht; Es gehört mit zur Geschichte
unsrer Freundschaft, u. jedes Dokument derselben ist mir wichtig. Ich glaub' es
Dir auf Dein Wort, daß Du mich nicht damit kränken wolltest, und so hast Du
mich auch nicht gekränkt. Auch waren es nicht die Verse, die mein Herz ver-
wundeten — denn Poesie muß immer poetisch verstanden werden — sondern die
schlichte Prosa: „Brich mir den Muth immerhin, sobald Du kannst." Jetzt habe
ich längst eingesehen, daß, wenn Du mehr den Worten meines Briefes vom 8ten
Julius, als dem ganzen Zusammenhang meines Seyns u. Denkens nachgiengst, jener
Verdacht allerdings in Dir aufsteigen konnte, als wollte ich Dir den Bißen aus dem
Munde reißen, da ich doch nur — wie Jakobi unserm Berger sagte — warnen
wollte, daß man nicht das Messer statt des Bissens verschlucke.
Jetzt ist jener Brief Jakobi's an Fichte in Druck erschienen,2) und also res com-
munis geworden. Ich habe den Druck noch nicht gesehen, u. weiß also nicht, ob
er ganz treu ist. Dem sey aber wie ihm wolle: es scheint mir, die öffentliche Be-
kanntmachung dieses Briefes könnte der guten Sache schaden, wenn man nicht bei
Zeiten dem möglichen Mißbrauch vorbaut, wenn man nicht den Leuten die so wenig
*) 12 S. 8°. H. Wien.
2) Sendschreiben an Fichte, Hamburg 1799.
November 1799. 122
Fichte als Jakobi verstehen, oder beide nur halb, die Augen öffnet, u. zeigt, in wie
weit Jakobi den erstem gefaßt habe, wie weit beide eins sind, u. wo die ungeheure
Kluft beginnt, welche beide unvereinbar trennt. Soll ich Dir gestehn, mein Freund,
daß ich diese Arbeit, die eben so angenehm als belehrend seyn müßte, da es nicht
darauf ankommt, den Schiedsrichter zwischen zwei ergrimmten Kämpfern zu machen,
sondern dem staunenden Volk die Bahn nachzuweisen, welche zwei verwandte
Genien durchlaufen, die beide ihren Pflug der himmlischen Beimat zuwenden.
Diese Bahn müßte sich so sicher berechnen laßen, wie die irgend eines Planeten,
mit allen ihren Perturbationen, Approximationen u. Deklinationen. Nur dürfte dies
freilich nicht in Apostrophen geschehen; man dürfte nicht bloß fragen: Warum hast
Du diesen oder diesen Schritt nicht noch gethan? sondern man müßte zeigen, wes-
halb er nicht gethan werden konnte, müßte vor allen Dingen demonstriren, daß ein
solcher noch zu thun übrig war, um zu dem Punkte zu gelangen, wo beide Bahnen
in eins laufen müßen. Ich glaube, diese Arbeit wäre Deiner wohl würdig, u. es ist
kein leeres Kompliment, wenn ich dazu aufmuntern möchte. Etwas Eigennutz mag
freilich wohl mit im Spiele seyn, denn ich gestehe Dir, daß ich allerdings wünschte,
endlich einmal etwas von Deinen Ansichten zu erkennen, worauf Deine letzten
Aeußerungen mich so begierig machen, u. wovon ich durch Muhrbecks zerstreute
"Winke nur eine dunkle u. entfernte Ahnung habe.
Du hast wohl Recht, daß sich die Frucht der Wahrheit nicht verfrühen läßt,
u. daß sie, wie jedes gute Ding, ihre Weile haben will. Aber gefährlich ist es doch,
den Nachbar so fortschlendern zu laßen, wenn wir sehen, daß sein Weg ihn an den
Rand eines Abgrunds führen wird, in den er leicht unbesorgten Muthes hinabstürzen
könnte. Laß uns daher sobald wie möglich anfangen, uns gegenseitig zuzurufen,
u. wenigstens den guten Willen des Andern ehren, wenn wir auch eben ihn als den
Irrenden erkennen sollten. Ich habe es für meine Pflicht gehalten, diesen Anfang
zu machen, als ich zu erkennen glaubte, Dein Weg könne Dich irgendeinmal auf
Abwege führen. Ich habe vielleicht zu laut gerufen; es kann seyn, u. Du wirst
mir das vergeben. Mag auch mein Ruf durch irgend ein Gaukelbild der Phantasie,
ein Etwas das Nichts ist, veranlaßt worden seyn ; es war wenigstens ein gutmüthiger
Irrthum, u. wir verzeihen ja wohl dem guten Freunde, der uns sagt, unser Haus
brenne, wenn es auch am Ende nur der Schornstein war, der rauchte. Jetzt aber
ist es an Dir, zu rufen; u. es ist nicht genug, daß Du mir im Allgemeinen sagst,
Du habest Besorgniße über den Gang meiner Gedanken; denn ich kann ihm zwar
wohl eine andere Richtung geben, aber hemmen doch nicht. Warum bist Du gegen
mich nicht so offen, als Du es gegen andere über mich bist? In Jena zeigte Böhlen-
dorff mir unter andern einen Brief, den Du ihm im Herbst 97 mochtest geschrieben
haben. Er enthielt eine ziemlich scharfe Kritik meines Phaethon, x) die mir damals
u. immer sehr lieb gewesen seyn würde. Das ist gerade der liebste Lohn, den ich
von meinen Arbeiten zu erhalten wünsche: der Freunde strenges, unverdächtiges
Urtheil. Wie selten ist man selbst ein kompetenter Richter seiuer Arbeiten! Noch
inkompetenter ist meistens die Stimme des Publicums u. seiner anmaaßlichen
Sprecher. Der Freund allein vermag den Freund richtig u. unpartheiisch zu be-
urtheilen, u. ich habe es allen meinen Freunden zur Pflicht gemacht, mir ihr Urtheil
über meine Arbeiten nicht zu verhehlen. Wahrlich, ich müßte sehr schwach seyn,
wenn ich Freundes Tadel oder Billigung nicht zu ertragen wüßte, u. ich lege Dir
jene Bitte ausdrücklich ans Herz.
3) Phaethon, das erste größere Gedicht von J. D. Gries, hatte Schiller in die
Hören aufgenommen.
124 November 1799.
Es ist aber erlaubt, zuweilen auch gegen das Urtheil des Freundes zu appel-
lieren; u. so laß mich Dir gestehen, worin ich in Sachen des Phaethon nicht Deiner
Meinung bin. obgleich es mir jetzt, da er mir ziemlich fremd geworden ist, schwerer
aejD wird, seine Sache zu führen, als vor zwei Jahren. Ueber keinen meiner poeti-
schen Versuche sind mir so ganz verschiedene, zum Theil kontradiktorisch entgegen-
gesetzte Urtheile, selbst von den Freunden, zugekommen, als über diesen Phaethon.
Darin waren jedoch fast alle gleichlautend, daß an dem technischen Theile des Ge-
dichts nicht gar viel auszusetzen sey. Du übergehst diesen Punkt mit Stillschweigen,
u. ich brauche also auch nicht davon zu reden. Aber die Hauptsache! Die Idee,
die dem Ganzen zum Grunde liegt; die Verknüpfung derselben mit dem römischen
Mythos; die poetische Bearbeitung des Stoffs — das sind die eigentlichen Steine
des Anstoßes! Was die Gattung betrifft, zu welcher das Gedicht gehört, so erfor-
derte es eine sehr weitläufige Untersuchung, um auszumachen, ob sie überhaupt zu
statuiren sey. Du sagst, nein! Ich weiß zwar Deine Gründe dieser Verneinung
nicht; aber die, welche mir von andern angeführt worden sind, haben mich noch
nicht überzeugt. Wir müßen also vor der Hand die Sache auf sich beruhen laßen ;
in possessorio ist wenigstens nichts dawider einzuwenden. Schillers beste Gedichte,
die Götter Griechenlands, die Künstler, das Reich der Schatten, gehören offenbar in
diese Kategorie, u. wenn man auch die Gattung annihiliren sollte, so möchte ich
mir diese doch nicht rauben laßen.
Es regt sich in der Seele des Jünglings, der seinen höhern Ruf vernommen
hat, ein unbekanntes Gefühl, ein Sehnen nach dem Unendlichen, das sich haupt-
sächlich durch die Geringschätzung des Beschränkten ankündigt, der Wirklichkeit,
die ihn von allen Seiten umgiebt u. einengt. Es weiß es nicht, daß eben diese
Schranken es sind, an denen er seine Thätigkeit üben soll, daß sie so gewiß sich er-
weitern laßen, als diese Erweiterung der Zweck seines Daseyns ist. Er kennt die
Kraft nicht, die noch verborgen in ihm schlummert; die Schranken erscheinen ihm
wie ein Kerker, den man nicht zu einer Welt erweitern kann, sondern dessen
Mauern man durchbrechen muß, um eine Welt zu haben. Die Menschen umher
sind ihm zuwider; er betrachtet sie entweder als Mitgefangene, die in dumpfer
Apathie das Gefühl ihrer ursprünglichen Freiheit verloren haben, oder als Kerker-
meister, die durch ihre bloße Erscheinung das Gefühl seiner Gefangenschaft quälend
erhöhen. Die ganze Natur scheint sich gegen ihn zu verschwören; sie ist ihm nicht
eine liebende Freundinn, nicht eine thätige Gehilfinn, sondern das ruhende, ewig
verschlingende, ewig widerkauende Ungeheuer. Aus diesem Streit des Strebens mit
der Beschränktheit ist für ihn keine Rettung. Jeder Versuch, die Schranken zu
vernichten, muß nothwendig mißlingen. Er erliegt in diesem Ungeheuern Kampfe,
den kein endliches Wesen bestehen kann. Er fällt, ein Opfer seines Irrthums; aber
dieser Irrthum ist nicht unedel. Das erhabenste, würdigste Streben liegt ihm zum
Grunde. Erst da er ohne Rettung verloren ist, erkennt er seinen Fehler. Dennoch
ist dieser Fehler edler, als der ordentliche Gang derer, die zu einem solchen Fehler
keine Kraft besitzen. Noch indem er untergeht, will er lieber im Kampfe mit dem
Schicksale erliegen, als leben wie ein feiger Sklave des Geschicks. Selbst sein Fall
ist ein Triumph.
Diese Idee ist es, welche dem Gedichte zum Grunde liegt. Die Form sollte
mir der bekannte Mythos des Phaethon geben. Ich gestehe, daß ich Anfangs diesen
Fund für sehr glücklich hielt; erst bei der Ausführung offenbarten sich mir fast
unübersteigliche Hinderniße. Die Lenkung des Sonnenwagens schien mir kein un-
paßendes Bild, um das Ideal des Menschengeistes zu versinnlichen; u. Du solltest
bedenken, daß hier nicht bloß von einem ledernen Zügel u. von einer hänfenen
November 1799. 125
Peitsche die Rede ist. Aber das Ueble bei der Sache war, daß man nur einmal
der Vikarras des Sonnengottes, nicht der Gott selbst werden konnte. Und hierin
liegt, ich gestehe es, ein Fehler, den ich bis jetzt noch nicht zu verbeßern weiß.
Du nennst diesen Phaethon „ein eigensinniges Kind von cholerischem Temperament,
voll hochadlichen Dünkels, das nichts Vernünftiges will*'. Das cholerische Tempera-
ment mag wohl im Ganzen ziemlich das beste seyn, u. bedenke doch nur, daß in
seinen Adern, wenigstens von väterlicher Seite, ein göttliches Blut fließt, das uns
Erdbewohnern freilich wohl ziemlich cholerisch vorkommen mag. Auf dieses Götter-
blut ist er ein wenig stolz; aber wenn Stolz erlaubt ist, so ist er es doch dem
Göttersohne, so ist er es doch wohl gegen die, die ihn in ihr gemeines Weben und
Treiben hinabziehen wollen, u. seiner spotten, weil sie ihn nicht verstehen, weil er
anders ist, als sie! ||
Daß mein Phaethon eigentlich nichts Vernünftiges will, habe ich gleich An-
fangs zugegeben. Denn vernünftig ist es allerdings nicht, etwas zu wollen, was man
nicht kann. Das Ideal ist überhaupt nichts Vernünftiges, seiner Natur nach; aber
wirst Du darum das Streben nach ihm unvernünftig nennen, wenn es auch nicht
gerade nach reinen Vernunftprinzipien geregelt ist? "Wäre es dies, so würde es
vielleicht ein guter Stoff zu einer philosophischen Abhandlung seyn, aber nimmer-
mehr zu einem Gedicht. Man konnte in gewißem Sinne behaupten, daß alle Poesie
ein wenig unvernünftig seyn müße, u. es freut mich, daß der Phaethon in diesem
Stücke, auch nach deinem Urtheile, poetisch genug ist.
Doch genug, u. schon viel zu viel über eine Arbeit, die ich selbst fast auf-
gegeben habe, u. die ich mehr ex officio, als aus einem Rest von Vaterhebe zu
vertheidigen mir einfallen ließ. Fahre fort, Lieber, meine Versuche so streng zu
beurtheilen; aber laß in Zukunft auch mich Dein Urtheil wißen; ich werde Dir
gewiß immer dafür dankbar seyn. —
Auch Du willst also die schöne Schweiz verlaßen ? Wahrlich, es thut mir leid,
Lieber; u. obwohl meine Vernunft Deine Gründe nicht mißbilligen kann, so empört
sich doch mein Gefühl dagegen. Mit wie süßer Sehnsucht habe ich immer all mein
Sinnen u. Denken südwärts gerichtet nach den heiligen Alpen, dem geweihten Lande
der Freiheit u. Freundschaft. Um mit Euch || dort zu leben, hätte ich gerne jedes
Geschafft übernommen, das mir diese Möglichkeit erleichterte; u. es war immer eine
geheime Stimme in mir, die diesem Wunsche schmeichelte, so unwahrscheinlich die
Erfüllung auch schien. Mit unserm Steck dort zu arbeiten an dem großen Werk,
das immer mehr seiner Vollendung sich nähern muß, im ununterbrochenen Umgange mit
den Freunden, unter einem Volke, das einzig noch der Freiheit werth ist, im An-
gesicht der ewigen Alpen, in der Nähe Italiens — das sind die Wünsche, die seit
langer Zeit meine liebsten waren, u. die ich selbst jetzt noch nicht ganz aufgeben
kann, ohne einen Theil meines Selbsts zu zerstören. Vielleicht bringt eine glück-
lichere Zukunft mich der Erfüllung näher; vielleicht — 0 es muß sich bald ent-
scheiden, ob ich zu neuem Leben erwachen, oder mich auf ewig begraben laßensoll. —
Vor 14 Tagen kam Harbaur1) auf seiner Rückreise von Oldenburg nach Jena
hier durch. Ich weiß, Lieber, was Dich in Deiner Vaterstadt erwartet. Ich kann
Dir nicht abrathen, hin zu gehen, wenn die Pflicht Dich ruft. Aber verhehle es
!) Über ihn s. Bd. I, S. XXXVUIff. In E. Müllers Schiller-Regesten (Leipzig
1900) steht unter dem 8. Nov. 1799: „Besuch von Dr. Harbaur (junger Hausfreund
Schillers)". Vergl. ferner „Schillers Calender. Nach dem i. J. 1865 erschienenen
Text ergänzt u. bearb. v. E. Müller" (Stuttg. 1893) S. 249 und „Euphorion" 12. Bd.
(1905) S. 334 u. S. 763 ff. — Übrigens ist in der Schiller-Literatur von Beziehungen
der Familie Herbart (s. 0. S. 10, Anm.) zu Schiller nichts zu finden. (Fr. Mitteilung
des Hrn. Prof. Dr. E. Müller in Stuttgart.)
I2Ö November 1799.
Dir nicht, mein Freund, daß Deine Gegenwart dort nichts helfen kann, wenn Du
nicht mit fast übermenschlicher Kraft gerüstet bist zu dem schwersten aller Kämpfe,
zu dem Kampfe zwischen dem natürlichsten u. menschlichsten Gefühle u. dem
eisernen Gebote des Rechts u. der Pflicht. Deine Mutter bedarf des Sohnes, aber
nur des festen, unerschütterlich standhaften. ||
Kannst Du der nicht seyn, so — geh nicht. Vergieb mir, Lieber, daß ich so
zarte Verhältniße vielleicht zu unsanft berühre. Aber es ist Pflicht des Freundes,
zu reden, wo er oft lieber schweigen möchte.
Es ist mir eine Gelegenheit entstanden, Deiner guten Mutter zu dienen, die ich
mit Freuden ergriffen habe. Ein Freund von mir, Dr. Runde, ein biederer, ver-
ständiger u. geschickter junger Mann, geht in diesen Tagen von hier nach Oldenburg
als Archivar. Harbaur wünschte Deiner Mutter einen Mann, der ihr mit seinem
Rathe beistehen könnte, wenn ihre Sache vielleicht einem ungeschickten oder un-
redlichen Advokaten in die Hände fallen sollte. Da ich nach meinem besten Ge-
wißen überzeugt war. daß mein Freund R. alle Erforderniße besitze, so machte ich
ihn mit H. bekannt, u. dieser legte ihm die Sache vor, so weit er sie zu wißen
brauchte. R. erklärte sich gleich willfährig, sich der Sache anzunehmen. Ich habe
ihn Deiner Mutter empfohlen, u. hoffe, daß er ihr Freund seyn wird.
Sage mir doch etwas von den Freunden; von Steck, mit dem ich so gern
über Vieles reden möchte, u. von dem ich schon über ein Jahr keine Zeile gesehn
habe; von Eschen -/-dem Du doch meinen letzten Brief, den ich Dir einschloß, wohl
gegeben hast?-/- Der mir ebenfalls seit dem März nicht geschrieben; von Fischer,
May u. Otth. Ich vermiße jetzt Böhlendorff sehr in der Schweiz, u. da er nun
einmal nicht bei mir seyn kann, so wollte ich, er wäre noch dort. Er war bei
weitem mein fleißigster Korrespondent, u. durch ihn hörte ich doch auch manches
von den andern. ||
Mit den nordischen Freunden stehe ich in fleißiger Wechselwirkung durch
Schreiben, u. habe noch diese Woche einen Brief von Berger, u. in der vorigen
einen von Rist erhalten. Berger ist den Sommer durch immer herumgereist, u. hat
auch Deine Mutter in Ü[ldenbg.] u. Smidt in Bremen besucht. Jetzt ist er in Flotbeck,
einem Dorfe 2 Stunden von Hamburg, wo er auch den Winter über bleiben wird,
um Landwirthschaft zu lernen. Das ist auch am Ende wohl das Beste, was man
treiben kann, obgleich ich mir noch nicht vorzustellen weiß, daß Stall fütterung u.
Dünger viel intereßanter seyn sollten, als Klagen u. Einreden. Rist ist wieder in
Kopenhagen u. immer der alte.
Oft, wenn ich mich an 's Klavier setze, denke ich an Dich, mein Freund, u.
sehne mich danach, einmal wieder Deine Harmonieen zu vernehmen. Ich habe
keine so gute Zeit für die Musik wieder gehabt, seit unsrer Trennung; auch werde
ich wohl eben keine Fortschritte in der Kunst gemacht haben. Du weißt, daß es
mir leider an Geduld fehlt, mich allein zu üben, u. an Akkompagnement fehlt es
mir seit langer Zeit gänzlich. Ich spiele jetzt sehr viel von Clementi, fast mehr wie
von Mozart, u. wünsche daß diese Veränderung ein richtiges Symbol unsrer geistigen
Annäherung seyn möge.
Ich lege Dir hier einige kleine Lieder bei, die ich der Freundschaft u. der
Erinnerung gesungen habe. Mögen sie Dir mit ihren leisen Tönen das Bild des
fernen Freundes zurückrufen! Theile sie den Freunden mit, wenn Du willst, u. bringe
ihnen meinen brüderlichen Gruß. Einige andere Kleinigkeiten findest Du in Schillers
M[usen] A[lmanach]1) u. in Baders Taschenbuch, wenn diese bis jenseits der Alpen
kommen. Leb wohl, u. bleibe mir Freund. Dein Gries.
*) In Schillers Musen-Almanach für d. J. 1799 finden sich 4 Gedichte, in dem
für d. J. 1800 ein Gedicht von Gries.
Dezember 1799. 127
106. An Smidt.1) Bern am ioten Dec. 1799.
Mein theurer Smidt! Ich bin in Noth, oder wenigstens in Gefahr,
und wende mich an einen Freund um Hülfe. Ich komme zu Dir mit
allem Zutrauen der Freundschaft, und lasse es mich nicht irren, dass wir
uns in der letzten Zeit seltener vernahmen. Höre mich!
In kurzem, — in 4 Wochen vielleicht, umarmen wir uns. Ich lasse
ein Verhältniss zurück, das mir ewig theuer seyn wird, ich komme zu
meinen Eltern, von ihnen gedrungen, obgleich nicht gerufen. Schwerlich
hat eine so stattliche Neuigkeit, wie die letzte Geschichte meiner Eltern,
ermangelt, von Old. nach Bremen zu reisen; und Du weisst sie wahr-
scheinlich auf diesem [2] Wege, wenn auf keinem andern. Meine Freunde
sagen mir, das Leben meiner Mutter hänge von meiner Ankunft ab. Ich
führe die Feder nicht, um Dir meinen Vater zu schildern, wie jene ihn
zu kennen behaupten; aber haben sie Recht, so kann das Betragen was
ich gegen ihn annehmen muss, mich und meine Mutter fürs erste jedes
Hülfsmittels berauben. —
Mir kann die Sorge für ihren und meinen Unterhalt obliegen. So
kann es kommen, wenn, — und wenn; es ist möglich, obgleich noch
nicht wahrscheinlich.
Kann ich auf meinen Freunden fest stehn?
Kann ich, im Vertrauen auf sie, erst [3] muthig hintreten, und sehn,
und thun, was die Pflicht fordert, — kann ich dann, wofern die Folgen
mich forttreiben sollten, Anfangs von der Unterstützung meiner Freunde
leben, bis es mir möglich geworden seyn wird, selbst eine Arbeit zu
finden, die mich und meine Mutter trägt?
Unter meinen Freunden kann ich mich nur an Dich u. Muhrbeck
wenden. Ich wende mich an Euch beyde.
Die Capitalien, die einst mein werden müssen, wenn nicht unbegreif-
liche Vorfälle erfolgen, sollen gegen 10,000 Rthlr. betragen. Weiter kann
ich Euch nichts sagen, kein Versprechen von irgend einer Zeit hinzu-
fügen, wo ich zahlen würde. [4] Eben so wenig kann ich sagen, wie viel
ich brauche; Du begreifst das sogleich, da ich nicht einmal weiss, ob ich
überall etwas brauche.
Es wird mir nicht schwer, Dich mein Freund zu bitten, mich
Dir verpflichten; aber das wird mir schwer, ich gestehe es, auf einen
ungewissen Fall Hülfe zu rufen. Verzeihe es mir, Bester, dass ich
Dich bitte nicht ungeduldig zu werden, wenn ich Dich jetzt, und,
wer weiss? noch einmal künftig, vergeblich beunruhige. Wir werden uns
sprechen, und ich hoffe Dir dann zu zeigen, dass mir alles an einem
letzten sichern Rückhalt liegen muss, dass mir nichts gefährlicher seyn
kann, als die Furcht, in einem denkbaren, obgleich unwahrscheinlichen
Falle, alles zu verderben, — und dann freylich nicht nur einzig für mich
zu verderben. Muth brauche ich vor allem, und dass man keine Ver-
legenheit an mir spüre.
Fürs erste bitte ich Dich um 100 Thir. uDd darum, dass Du mir
einen Brief so schnell als möglich, am besten doppelte Briefe nach Jena
1) 4 S. 8°. Teilweise gedruckt bei Ziller, Reliquien, S. 93.
128 Dezember 1799.
an Otth und Bohlend [orf] adressirst, mit der Nachricht, ob ich diese
100 Thlr. in Bremen von Dir werde empfangen können. In Jena schon
muss ich mich darnach richten. — Von Verschwiegenheit würde ich nichts
sagen, wenn mir nicht mehr als Du denken kannst daran liegen müsste,
dass meine ganze Bitte an Dich, das tiefste Geheimniss sey und bleibe,
fürs erste nämlich. Denke, mit den Deinigen, Deines Herbart.
Du hast doch Fischers Brief mit dem meinigen, und unsere innige
Danksagungen und Fischers Ablehnung neulich bekommen?
107. Fischer an Zehender. Burgdorf, 12. Dez. 1799.
„Herbarts nahe Abreise beschäftigt mich beständig. Laß ihn ja wissen, was
für Entwürfe ich zunächst ausführen muß, damit wir uns nicht etwa verfehlen
wenn er eine Zusammenkunft mit mir projektirt. Die Meinigen in Hochstätten
thun nicht gern auf das schmerzhafte Vergnügen Verzicht ihn noch einmal zu seilen,
u. ich verwende mich um so viel eher für sie, weil ich weiß, wie vieles er ihnen
in einigen Stunden zurücklaßen kann, welches die bisherigen fruchtbaren Verhält-
niße gleichsam sigelt oder neue Keime zu zukünftiger Entwicklung senkt. In Burg-
dorf hat auch der edle Pestalozzi Ansprüche auf ihn, mit unverkennbarem lebhaften
Bedauern erfuhr er, daß der Gute uns verlaße .... N. S. Übermorgen werde ich
durch den Bothen an Herbart Fichte's Apologie u. den Brief von Gries schicken."
108. Steck an Zehender. Dez. 1799.
„Melde mir doch mit einer Zeile durch Überbringer dieses wenn Herbart ab-
reist .... Vielleicht stellt Dir Herbart zu meinen Händen Geld zu, laße ihm aber
nichts davon merken.''
109. Eschen an H.1)
Dich grüßt, 0 Herbart, innigen Gruß Dein Freund,
Und seine Leier tönet ihm williger,
Für Dich gerührt; daß un verwirrend
Strömen die Klänge dem Wiederhalle.
Oft gönnt sies also, wann sich der Abend neigt,
Wann in der Sonne scheidendem Glanz das Blatt
Des Baums erzittert: Dein gedenkend
Schweben die Tön' in des Hains Umschattung.
Es horcht der Hain mir schweigender: Echo mir
Ruft in der Bergkluft scherzend die Worte nach
Daß froh getäuscht ich oft den Herklang
Sinnend mir deute der Felsenjungfrau.
So rief sie nach: 0 traget ihr spielender
Des Frühlings Lüfte, traget ein Freundschaftslied
Zum Ohr des Freundes, daß er staun und
Froher sein Herz in der Brust ihm schlage!
Daß schnell er ahnde, was aus der Leier ihm
Die Freude schlug. Dann kehret ihr schnelles Flugs
Zum Spiel zurück, und streift die blaue
Fläche des Sees, daß er sanft sich kräusle! Dein Eschen.
x) 2 S. 8°. H. Wien. Einlage eines späteren Briefes, wird aber hier ein-
geschoben, da als Datum „19. Jul. 99" angegeben ist.
1800.
W- : Herbarts Selbstkritik über seinen Aufsatz : Etwas über die Lehre von der mensch-
lichen Freiheit. S. Bd. I. S. 359 — 361. — In Vegesak: Über den Unterschied von
Kantschem u. Fichteschem Idealismus. S. Bd. I. S. 115. — Über das Bedürfnis der
Sittenlehre u. Religion in ihrem Verhältnis zur Philosophie. (Vorlesungen im Museum
zu Bremen.) S. Bd. I. S. 116 — 126.
110. All Carl V. Steiger.1) Frankfurt am i;ten Jan. 1800.
Ich habe mich darauf gefreut, mein lieber Carl, Dir meinen ersten
Brief zu schreiben; nun will ich es denn wirklich thun, und damit an-
fangen, woran Du am wenigsten gezweifelt haben wirst, — damit, dass
ich an Bern und an Dich unterwegs oft und viel gedacht, und mir so,
manche Stunde vertrieben habe, die mich [!] sonst herzlich lang gedauert
haben würde. Denn langweiliger kann man kaum reisen, als wenn man
in 1 1 Tagen über 50 Meilen (100 Stunden) wegrollt, durch Nachtreisen
den Körper und den Geist ermüdet, sich nirgends länger als nöthig ist
aufhält, und folglich wenig sieht und hört; — wenn dann vollends Aus-
sicht, Jahreszeit, Weg und Wetter so trüb und ungünstig als mög-
lich sind.
Was sich von einer solchen Reise etwa noch erzählen lässt, davon
findest Du den Anfang in meinem Briefe an Ludwig; bist Du nachher
noch auf die Fortsetzung neugierig, so schlag um. ||
Wir sind also in Colmar, und fahren von da weiter das Elsass
hinab, das, soviel ich in dem beständigen, noch heute nicht aufgehellten,
Nebel erkennen konnte, eine noch viel einförmigere Ansicht giebt, als selbst
mein Vaterland. Kein Baum am Wege, selten ein Gebüsch auf dem
Felde, selten ein Dorf, lauter flaches gepflügtes Land, das übrigens reich
und fruchtbar sein soll. Alle 2 Stunden sprachen mein Reisegefährte und
ich ungefähr ei?ie Viertelstunde lang mit einander, die übrige Zeit sassen
wir jeder in unserer Ecke stumm und trag, als ob wir einander nicht
mehr angingen, wie 2 Kasten, die der Postknecht neben einander auf-
gepackt hat.
*) 6 S. 8°. Die Briefe an Carl von Steiger, die bereits in den Zillerschen Reli-
quien, allerdings mehrfach gekürzt und durch Fehler entstellt, veröffentlicht sind, wurden
mir von dem Enkel Carl von Steigers, Herrn Hauptmann von Steiger in Straßburg,
gütigst zur Verfügung gestellt. Sie gelangen hier zum ersten Mal diplomatisch genau
zum Abdruck.
Herbarts Werke. XVI. 9
j iq Januar 1800.
o
So fuhr ich von Morgens um 5, bis Abends um 5, — da war ich
in Strasburg. Ich eilte ins Schauspiel, das eben anfing. Welcher ange-
nehme Wechsel! Auf einmal finde ich mich in einem prächtigen Gebäude;
hell erleuchtet || von 2 Kronleuchtern — mehr brauchte es nicht; denn
auf den Kronleuchtern waren nicht Lichter, sondern treffliche Argand'sche
Lampen, die fast so hell brennen wie der Phosphor in Lebensluft. Bald
fing eine Musik an, wie ich in dritthalb Jahren keine gehört hatte, —
bald standen Figuren auf dem Theater, die ich hätte sogleich mögen
nachzeichnen können. Wirklich traf ich es den Abend sehr glücklich;
man gab 3 kleine Stücke nach einander, die alle schön waren — eins
von Moliere — die andern waren Operetten -- ein paar Schauspieler so
ausgezeichnet an Gestalt und Gesichtsbildung, dass ich zuweilen glaubte
Gruppen eines Bildhauers vor mir leben zu sehen; auch bin ich über-
zeugt, Hr. Sonnenschein hätte hier Ideen zu neuen Kunstwerken gefasst.
Den folgenden Tag, nachdem ich viel meines Passes wegen herumgelaufen
war, die Strassen der || grossen, aber nicht überall schönen Stadt durch-
strichen, und am Münster gesehen hatte, was der Thurm zu Bern hat
werden sollen: — wollte ich am Abend das gestrige Vergnügen noch
einmal haben, und zugleich eine berühmte Composition von Gretry kennen
lernen. Ich fand sie aber unter ihrem Ruf — die Schauspieler waren
nicht die nämlichen — es ging mir, wie gewöhnlich, wenn man eine Lust
zum zweyten Male aufsucht. Am dritten Tage fuhr ich weiter, und reiste
nun ununterbrochen 2 Tage und 2 Nächte, durch Hagenau, Weissenburg,
Landau, Ogersheim, Worms, Oppenheim und andere kleine Oerter nach
Mainz. Da schrieb der Platzcommandant auf meinen Pass: vue bon pour
aller ä Bingen et Coblence; Mayence en etat de siege; — da sagte man
mir ferner, zu Bingen dürfe man zwar passiren, aber man werde nicht
können, weil der || Rhein nicht mehr fest gefroren, und doch für die Schiff-
fahrt noch nicht offen sey. — Ich ging, um Rath zu holen, zu einem
Herrn Jung, den schon Ziemssen hier gesprochen hatte. Dieser meinte,
es sey am besten, in Bingen zu warten, bis das Eis Platz machen würde;
es könne einige Tage währen. ,,In einigen Tagen kann ich noch einige
Integrationen aus meinem Kästner lernen," sagte ich mir selbst; ergab
mich darein und miethete einen Wagen nach Bingen, weil dahin keine
Diligence geht.
Bei Hrn. Jung habe ich übrigens ein Exemplar von Dir gesehn —
ich will sagen, einen 12 jährigen Carl, der ganz artig zeichnet. Nur darin
ist das Exemplar — überlege Du, ob besser oder schlechter gerathen als
Du: — dass der Carl zu Mainz niemals zeichnen gelernt hat und des-
halb auch nicht malen kann und nicht einmal schattirt, aber statt dessen
seine eignen Ideen hingezeichnet — grosse || verwickelte Gruppen von 5
bis 6 Pferden und Menschen. ,,Er betrachtet die Natur sehr aufmerk-
sam," sagte sein Vater. — Erinnerst Du Dich wol, dass ich Dich oft
darum bat? — Von jeher hat diese Regel als Hauptregel für alle schönen
Künste gegolten.
Deinen Betrachtungen darüber will ich Dich nun überlassen. Des-
gleichen kannst Du auch darauf rathen, wenn Du willst, wie es zu-
gegangen sey, dass ich in Bingen meinen Kästner nicht aus der Tasche
Januar 1 800. jm
zog, sondern noch am nämlichen Tage am jenseitigen Ufer des halb ge-
frornen Flusses war. Ich will es dem Rudi erzählen.
Du lebe nun wol, mein Bester. Sei immer mein guter Carl — der-
selbe den ich liebe und an dem ich so manche Freude gehabt habe.
Den andern, den langsamen, schwer beweglichen, besonders aber den
launigen und mürrischen Carl lass nun allmählig verschwinden. Ich hoffe
in Deinen Briefen viel Angenehmes von Ziemssen und Eschen1) und in
ihnen viel Angenehmes von Dir zu lesen. Adieu, Bester.
Dein Herbart.
111. Ziemssen an H.2) Bern d. 30. Jan. 1800.
Lieber, Vortrefflicher, unaufhörlich schwebst Du mir vor und umgiebst mich,
ob Du gleich ferne bist. Mein ganzes Wesen hat sich innigst mit dem Deiuigen
verwebt. Wohl mir denn, daß allem Schicksale zum Trotze ein ewiges heiliges
Band uns verbindet. — Wohl selten können zwey zu einander geschaffene Menschen
sich auf einer schönern Art finden, als wir uns hier fanden. Nicht ein bacchana-
lisches Fest oder gleiches Streben nach blendendem Ruhme führten uns einander
zu; sondern ein stilleres, kräftigeres Würken im ähnlichen Kreise, und ein ernst-
licheres, reineres Eingen nach hellerem Licht und höherer Wahrheit; — Und dieses
würde uns sicher noch bis in die kleinste Individualität vor einander enthüllt, und
fest mit einander verknüpft haben, wenn das Schicksal nicht einen breiten Fluß
zwischen uns befestigt hätte, über welchen wir uns zwar einzelne Worte zurufen,
aber fürs erste noch nicht zu einander kommen können. Doch wird deshalb unser
Bund unerschütterlich stehen, wenn ich Deiner Freundschaft würdig bleiben, und
würdiger werden werde. Denn es ist nichts vergängliches, was mich an Dich
fesselt, sondern Dein höchstes, wahrhaftes Seyn, Dein reinstes Wesen. || Schon früher,
schon seit jenen Jahren, wo ein klareres Bewußtseyn meiner selbst in mir erwachte,
weinte ich am Quell und schwärmte im Haine und am Meeresgestade einen wahren
Freund am Busen mir erträumend und ersehnend. Manchem streckte ich aus
vollem Herzen die offene Hand entgegen, die einen schlugen ein, aber immer fand
sich, daß jenes hohes Dritte, das die Menschen allein fest mit einander verbindet,
nicht in unsrer Mitte war, und beyde zogen wir nach und nach wieder zurück, der
lästigen Fesseln uns zu entladen: die andern, und leider waren die vielleicht die bessern,
wichen meinem Anerbiethen wissend, oder unwissend aus. Enger und enger zog
ich mich deshalb in mich selbst zurück, und reichte selbst Dir noch furchtsam und
schon halb wieder zurücknehmend meine Hand entgegen. Aber Du ergriffst sie mit
Kraft und Wärme, nachdem Du mir forschend ins Auge gesehen hattest, und schlugst
ein zu einem Bunde an dessen Möglichkeit für mich ich schon verzweifelte, ja zu
einem Bunde schöner und höher, als meine Wünsche ihn nur je gemacht hatten.
Mächtig und schön hast Du, hat Deine Freundschaft, das Leben mit Dir über mein
ganzes Wesen gewürkt, manchen bessern Funken in mir zur Flamme angeblasen,
manchen edlern Keim aus dem Schutte hervorgezogen, manche gefärbte || Brille mir
zerschlagen; und mir meinen Glauben an höhere Menschheit gereinigt und fester ge-
macht. So daß, wenn je etwas edleres und besseres aus mir oder durch mich hervor-
geht, ein großer Theil davon Dir sein Entstehen verdankt. — Und doch fing ich
kaum erst an mit Dir zu leben, kaum zeigte sich erst von der Ferne eine Zeit, wo
ich mich inniger mit Dir zu vereinigen hoffen konnte! Aber da fällt nun der schwere
1) Beide haben den vorläufig fehlenden Hauslehrer ersetzt.
2^ 4 S. 8°. H. Wien.
j -i 2 Februar 1800.
Arm eines harten Schicksals, uns zu trennen, zwischen uns nieder, und entreißt mir
das, was einzig ich erfleht haben würde. Mein Auge weint, und mein Herz fühlt
es tief; aber es soll ja dennoch seyn. Sey es denn nun, damit ich versuche eines
solcheu Freundes, — dessen Möglichkeit nicht nur sondern dessen wahre Wirklich-
keit ich jetzt auf kurzen Momenten sähe und empfand, von denen mich aber meine
eigne Schwäche immer noch manchen Schritt entfernt hielte, — erst durch eigne
Vervollkommnung und Reinigung würdiger zu werden: oder sey es, daß die Göttin
meinem eignen Streben einen edlen Freund zur Hülfe sandte, mir auf den rechten
Weg zu helfen; den sie mir dann aber wieder entführte, damit ich im Empor-
klimmen nun meine eignen Kräfte desto ernstlicher anstrengen möchte, um meinen
Freund mit meinem Ziele aber gleich wiederzufinden: sey es dieses oder jenes oder
was es auch sey; so kann ich Dein Andenken nicht würdiger )| ehren, und mir
selbst keinen süßern Trost verschaffen, als wenn ich mit allen Kräften Dir nach-
strebe. Aber Du, ewig theurer, sprich zuweilen auch mit der Ferne ein herzliches,
kräftiges Wort mir zu; laß mich Theil nehmen an Deinem höhern Leben, und laß
Dir mein strebendes Treiben nicht ganz fremde oder gleichgültig werden. — Solltest
Du mich aber je verirren, ermüden oder sogar, was ich doch selbst kaum fürchten
kann, meinen höhern Gelübden, mir selbst und der edlern Menschheit geschworen
uneingedenk und ungetreu werden, in den Koth der niedrigen verthierten Mensch-
heit herabsinken sehen, so bitte und beschwöre ich Dich feststehenden, starken jetzt,
bey der heiligsten Freundschaftspflicht und bey unserm Glauben an eine höhere
Menschheit, ja bey dem höchsten Deines eignen Wesens, ergreif mich, erwecke
mich, schüttle mich, straf mich und hülf nur wieder empor; denn einen verstockten,
und sogar gegen die Worte des innigsten, edelsten Freundes verstockten Sünder,
hoffe ich, wirst Du nie finden; aber irren, irre geleitet zu werden, oder etwas in
meinem Eifer zu erkalten, dafür darf ich wohl weniger ganz sicher seyn.
Ewig ganz der Deine Theodor.
112. Ziemssen an H.1) Bern d. 4. Febr. 1800.
Du erhältst also heute, mein Lieber, meinem Versprechen gemäß den zweyten
Theil meines. Briefes, indem ich voraussetzte, daß der erste mit den 4 Briefen von
Steigers Dir richtig in die Hände geliefert seyn wird. Ich will mich bemühen
heute desto mehr blos historisch zu seyn, je weniger ich es in dem vorigen
Blatte war.
Welche herzliche Freude es uns allen machen mußte, von Dir die Nachricht
zu erhalten, daß Du den ersten Theil Deiner Reise so glücklich und ohne wichtige
Hindernisse zurückgelegt hättest, kannst Du Dir leicht vorstellen. Mit Sehnsucht
sähe ich täglich einem Briefe von Dir entgegen. In Stjeigers] Hause hatten alle vom
ältesten bis zum jüngsten, die Fr. Ldvtin2) nicht ausgenommen, mich unzählige male
nach Briefen von Dir gefragt und berechnet, wie bald wir wohl welche erwarten
dürften. Ebenso Deine Freunde. — Endlich langten Deine Briefe (sowohl an mich
und Eschen, als an Deine 3 Zöglinge) am Sonntage (d. 26. Jan.) Abends an. Am
folgenden Morgen ging ich frühe zu Steigers, wo ich alles in thätiger Freude fand,
und wo der eine mir seinen Brief noch eher zeigen wollte als der andere. Den
andern Brief mit dem Einschluß an den Hn. Ldv. erhielte ich 3 Tage später; und
übergab || ihm denselben eigenhändig. — Aus Basel habe ich nichts erhalten; das
Felleisen habe ich aber ohnedem gleich nach Deiner Abreise bezahlt. — — Daß
Di cli die Reise etwas abspannen würde, war bey Erwägung der Umstände wohl zu
>) 6 S. 8°. H. Wien.
2) Ldvtin =s Landvögtin, Ldv. = Landvogt.
Februar 1800. 133
erwarten; aber ich hoffe auch, daß sich Dein ganzes Wesen nachher nur zu einer
desto harmonischem Stärke vereinigen wird. Möchte doch dann die Verwendung
dieser schönen Kraft Dich mit einem erwünschten Erfolg lohnen!
Eschen kam gleich am Tage nach Deiner Abreise nach Bern, und half mir,
den Truebsinn, den die Trennung von Dir, Theuerster, mit dem ich einzig ganz
verbunden seyn möchte, mit so schwerer Hand über mein ganzes Wesen ausgegossen
hatte, etwas zertheilen, obgleich ihn gewiß selbst die Allmacht der Zeit nie ganz
verscheuchen wird, bis die Hören mich wieder in Deine Arme führen. Eschen und
ich sind viel zusammen; ich schätze ihn desto höher, je mehr ich ihn kennen lerne,
und hoffe wir werden vertrautere Freunde werden; aber meinen Herbart finde ich
doch in keinem andern wieder. — Eschen trat seine Beschäftigungen mit Steigers
auch sogleich an, und betreibt sie mit größeren Ernst, und selbst nicht ohne die
nöthige Strenge. Unter uns beyden bist Du und Deine Zöglinge immer ein Haupt-
gegenstand || der Unterhaltung; und in Beziehung auf letztere suchen wir uns so
viel als möglich in die Hände zu arbeiten. Eschen betreibt das Griechische mit
Karl und Rudi sehr ernstlich und strenge, und sucht sie dadurch für eigne Arbeiten
in dieser Art vorzubereiten, wozu D[er] H[err] Ldv. auch das griech. Lexicon von
Schneider, das vortrefflich seyn soll, kommen läßt. Mit Karl geht es ihm und mir gut. Er
wird den Kriton in kurzem mit ihm endigen. Er klagt selten über ihn und ist mit
einigen Arbeiten von ihm sehr zufrieden gewesen. Ich habe ihn auch täglich bey
mir, und überlege mancherley mit ihm. Oft lasse ich ihn des Sonntags ein paar
Stunden zu mir kommen, und aus seiner Übersetzung aus dem Sallust vorlesen, um
daran sowohl über den Sallust selbst, als über den Geist womit er ihn ließt, und
über andere ihm nahe liegende Dinge anknüpfen zu können. Seine Übersetzungen
sind gut und wohl besser als sie Ludwig mir daraus geliefert hat; meine Unterhal-
tungen mit ihm machen mir wahre Freude, und sein ganzes Betragen ist so gut,
als ich es nur wünschen kann. Deine letzten Unterhaltungen und unsere Fort-
setzungen derselben scheinen ihn in eine äußerst wohlthätige Spannung gesetzt zu
haben. Beym Wünsch \\ bin ich auch einige male und hauptsächlich wohl wegen
Karls Gewissenhaftigkeit zu Rath gezogen; und habe Karl noch versprochen einen
ganzen Abschnitt, den er zwar verstanden zu haben glaubt, worüber er aber gerne
noch dieses und jenes hören möchte, mit ihm zusammen durchzulesen. Seine Rech-
nungen werden wir auch einmal wieder aufrütteln, und in Bewegung setzen. Lud-
wig bezeugt mir in unsrer mathematischen Stunde viele Aufmerksamkeit, und guten
Willen; aber in Rücksicht der Repetition muß ich ihn sehr strenge nehmen, wenn
etwas ordentliches daraus werden soll ; doch habe ich es so weit darin gebracht, daß
er schon manchmal mehr thut, als ich erwartete. Er hat mir durch den Mund des
Herrn Ldv.s sowohl, als der Fr. Ldvtin das Kompliment gemacht, daß ich ihm ganz
besonders faßlich und deutlich würde, und H. Ldv. sagte mir auch einmal, es
scheine, als wenn Ludwig viel Interesse und Vergnügen an meinen Unterricht
fände; — leider ist oft hinter dem blanken Schein nicht viel dahinter, hauptsäch-
lich wenn er gar zu grell ist! Doch wir wollen das Beste hoffen; und so gehe ich
denn wirklich auch oft mit vielem Vergnügen zu dem von Dir ererbten Lehrstuhl,
da ich leider zu Dir selbst nicht mehr gehen kann. — Ludwigs Auszüge || aus dem
Millot sehe ich so sorgfältig als möglich durch, und habe ihm, da der erste nicht
ganz glücklich gerathen war, an demselben Abschnitt selbst, so gut ich konnte, ein
Muster eines gedrängten bestimmten Auszugs gegeben, worüber er sehr erfreut
schien. Außerdem führe ich die Aufsicht über seine Leetüre des Sallust; laße ihn
aber von 8—9 wieder unter Eschens Direction den Livius lesen und bearbeiten.
Überhaupt aber habe ich es so eingerichtet, daß ich, wenn ich will, fast von jeder
1^4 März 1800.
Stunde übersehen kann, was er darin gethan hat; und wie mir es scheint, ist dies
für ihn nothwendig und wohlthätig. — Über sein Betragen wüßte ich keine Klagen
zu führen.
Am mehrsten macht uns Rudi zu schaffen, der natürlich am schwersten im
Geleise zu erhalten ist. Eschen läßt sich aber die Sache sehr angelegen seyn; und
Karl behandelt ihn nach seinem eignen Zeugnisse zweckmäßiger als je; auch be-
zeugt Karl, daß er, (nachdem wir beyde ihn sowohl, als Karl selbst in dieser Rück-
sicht ernstlich und herzlich ermahnt haben) in vieler Hinsicht besser mit ihm zu-
frieden sey, als sonst; aber Ordnung und regelmäßiger Fleiß will noch nicht immer
erscheinen; doch hoffe ich daß auch unsre gutgemeinten Bemühungen nicht ganz
fehlschlagen werden. || Die Frau Ldvtin. hat mich mit vieler Artigkeit und Aus-
zeichnung aufgenommen, und ihre ganze Unterhaltung war so, wie ich sie von einer
Mutter sehr gerne gehört hätte, wenn ich nicht vorher durch Dich eines andern
belehrt gewesen wäre. Indessen scheint unser Verhältniß gegen einander, so
weit es nöthig ist, in sehr guter Ordnung zu seyn ; und anstatt zu klagen, sagte sie
mir schmeichelhafte Sachen. DHr. Ldv. selbst körnt bisweilen in unsre Stunden,
auch habe ich mit Eschen ihn besucht, um manches mit ihm genauer zu verab-
reden; so wie wir gleich am Montage nach Deiner Abreise, alle 3 gemeinschaftlich
Rath hielten, und die neue Ordnung dekretierten, die ich zur Beruhigung frommer
Seelen zu Papier brachte. Er scheint ebenfalls ziemlich wohl zufrieden. — Auch selbst
für den schlimmsten Punkt, wenn sie nemlich aufs Land gehen werden, habe ich schon
mit Eschen einen Plan gemacht, den ich Steiger nächstens mittheilen will, wodurch
wir die Abwesenheit eines eignen Lehrers, so gut als immer möglich, zu ersetzen
hoffen. Mich selbst hat den vorigen Monat hindurch ein doppelter Eifer in allen
meinen Arbeiten belebt, wovon ich an meinen Zöglingen glückliche Spuhren sehe.
— Eschen hat noch immer mit seinem Horaz zu thun; und es körnt ihm etwas
schwer an, mit seinem Knaben so ganz von vorne anzufangen, doch hat er gute
Hofnungen, liebt seinen Rudi, und ist in dem Hause sehr wohl aufgehoben. Er
kann jetzt noch nicht schreiben, grüßt Dir aber herzlich durch mich. Unsere
Arbeiten mit Deinen Zöglingen sind uns die angenehmsten Erinnerungen an Dich.
Dein Theodor Z.
Ende Febr. ist H. in Halle, um einen Nachfolger für die Schweizer Stelle zu suchen.
Den folgenden Brief.
113. An Carl Steiger.1) Jena am istenMärz 1800.
Mein guter Karl! Ich lese Deinen Brief noch einmal mit eben der
Freude wie zum erstenmale; und angenehmer kann Dir mein Brief nicht
gewesen sein als mir der Deine. Du hättest längst Antwort und eine
längere, als diese werden kann, wenn ich nicht jetzt mit Dingen beschäftigt
wäre, die minder leicht und minder erfreulich sind, als es mir war, an
Deiner Erziehung zu arbeiten. Dass ich Dich liebe, dass ich Dir Glück
wünsche zu der Zufriedenheit Deiner gütigen Lehrer, ist jetzt ungefähr
das Einzige was ich Dir sagen kann.
Von einem neuen Lehrer für Euch, — einem Hrn. Brohm aus Berlin,
den ich in Halle für Euch aufgesucht habe und der fast gewiss versprach,
zu Euch zu kommen, — habe ich neulich Deinem Hrn. Vater geschrieben.
Dass Du Dich mit Rudolph noch nicht recht zu verhalten weisst, —
') 2 S. gr. 8°.
März 1800.
135
es ist gut, Lieber, wenn Du das selbst fühlst. Ziemssen ist auch darin
zufriedener mit Dir; und Du darfst nur 2 Dinge beobachten; den Muth
nicht sinken lassen, — und immer mit aller Strenge gegen Dich selbst
die Fehler bemerken, die Du machst, — so wird Dir es schon gelingen.
Glaube nur, gerade an Dein Betragen gegen Rudi habe ich am öftersten
gedacht, am meisten gewünscht, dass Du auch daran denken möchtest.
Du hast auch Deine Striche nicht vergessen; das ist recht. Ich habe
eine Bitte an Dich; wenn die Striche immer fortgehn, wird es Dir schwer
seyn, die Bitte zu erfüllen. Ich wünschte nämlich, Du möchtest jeden
Abend auch darüber nachdenken, ob Du an dem verflossenen Tage nicht
irgend etwas vorzüglich interessantes gehört, gelernt, gedacht habest?
Möchtest ferner am Sonnabend oder Sonntag zurückdenken, was in der
vergangenen Woche Dir am interessantesten gewesen ist? Und wenn Du
wirklich etwas findest, das Du selbst der Mühe werth hältst, — es für
mich kurz niederzuschreiben — auf dünnem Papier versteht sich, damit
es in Deinen Brief an mich eingelegt werden könne.
Liebe mich wie bisher, mein Karl; und wenn ich vielleicht Dich
jetzt etwas lange auf einen Brief warten lasse, so glaube Dich darum
nicht vergessen.
114. Anfang März besucht H. seinen Freund Gries in Göttingen. In „Aus
dem Leben von Gries" findet sich darüber folgender Bericht (S. 33 f.): ,,In den
ersten Tagen des Märzmonats machte sein alter Freund Herbart, aus der Schweiz
nach Oldenburg zurückkehrend, einen Besuch bei Gries , nachdem er sich einige
Tage in Jena aufgehalten hatte. Die zwei Tage seines Aufenthaltes in Göttingen
kam ihm Gries nicht von der Seite; seine Freude über dieses Wiedersehen war gross,
er fand den Freund in seiner äussern Gestalt, wie in seiner Art zu sein völlig unver-
ändert, auch im Innern erschien er ihm so, dieselbe Festigkeit und Beharrlichkeit, der-
selbe männliche und tief dringende Geist; an Weltkenn tniss schien er gewonnen und sich
dem praktischen Leben mehr genähert zu haben, da er sonst fast nur der Speculation
gelebt. Nach dem ersten Austausch ihrer beiderseitigen Erlebnisse nahm die Unter-
haltung eine durchaus poetisch -philosophische Richtung, wozu Herbart's Idee, die
Philosophie poetisch darzustellen, Veranlassung gab. Auch Herbart's eigene Lebens-
verhältnisse wurden berührt, und Gries musste den Freund bewundern, der schwere
Kämpfe grossherzig überwand, deren Besiegung er weder hoffen noch wollen durfte.
Gries war bis vor kurzem vielfach in der Gesellschaft von Herbart's Mutter gewesen,
welche auch diesen Winter in Jena zubrachte und den Freund ihres Sohnes wie den
eigenen behandelte und ihn oft in den verschiedensten Angelegenheiten zu Rathe zog.u
115. Eschen an H.1) Bern, d. 20ten März 1800.
Theurer Herbart, die Sonne blickt fröhlich in mein Zimmer und verkündet
mir den Frühling mit seinen vollen Schlägen — ich fühle lebendiger, daß ich bin
und lebendiger auch, daß ich der Deine bin und Du der meinige. Nimm meine
Hand, bester, und sieh die Freudenthränen in meinem Auge, und sage mir, daß
auch Dir die Natur aufersteht, und der Himmel blauer und leuchtender ist. Laß
die Zeit und ihre Zufälle uns von einander stürmen, laß uns durch manche Thräne,
durch manche unerfüllte Sehnsucht ihre Macht bezeugen : doch wollen wir nie ver-
gessen, daß eine Stimme in uns lebt, die wilde Stürme beschwören kann und daß
diese Stimme den Guten gerne ertönt. Ich weiß, daß Du jetzt zu kämpfen hast,
aber auch das weiß ich, daß Du ein Leben ohne Kampf lieber den schwächeren
J) 8 S. 8°. H. Wien.
1^6 März 1800.
gönnst, die niemals siegen — die niemals sich beweisen können, ob innere Frei-
heit ein Nebeltraum ist oder Wahrheit. ||
Auch ich werde heiterer aus der Schweiz gehen, als ich es jetzt konnte, wenn
ich erst wie Du, es weiß daß ich etwas dort ließ, was ich gepflanzt habe und so
gepflanzt habe, daß es fortwächst und immer höher in die Lüfte strebt; wenn ich
erst, wie Du, etwas habe, woran meine Gedanken so lange und so froh verweilen
können. Daß mir dies Glück werden wird, darf ich jetzt erwarten. Mein Rudy
giebt mir die schönsten Hoffnungen dazu, mit Geist und Herz. Du freust Dich mit
mir, wenn ich Dir sage, daß alles, was ich bis jetzt an ihm gefunden, so ist, daß
meine Wünsche nicht weiter gehen: eine Unschuld und Reinheit des Herzens, wie
ich sie bey einem Knaben seines Alters nie sah, und die meine Liebe zu ihm täg-
lich inniger macht; solche Anlage des Geistes, daß mir selbst das Anfangen mit
allem bey ihm viele Freude machte, und daß er gestern ohne die geringste Hülfe
von mir fünfzehn Verse aus der lliade, wozu ich ihm die Wörter gegeben, allein
für sich ohne Fehler herausbringen konnte.
Dabey trotz des vorigen Lehrers so wenig Abneigung gegen Lernen, daß die
Vermehrung seiner Stunden ihm nichts weniger als schwer ward, und daß er mit
seinem eigenen Willen des Sonntags Morgens eine griechische Stunde hat, Seine
Anhänglichkeit an mir ist so groß, daß die Strenge, die ich bey dem kleinsten Ver-
gehen ihm zeige, diese durchaus nicht verändern kann. — Daß die Zukunft meine
jezigen Freuden an meinem Knaben trüben sollte, glaube ich nicht, wenn dabey die
Gesinnung der Eltern so bleibt, wie sie jezt ist. Bis jezt finde ich von ihrer Seite
nicht blos Ruhe für meine Arbeiten mit meinem Rudy, sondern auch Unterstüzung.
Ein Aufsatz, worin ich mit Nachdruck und so bescheiden wie möglich die
Notwendigkeit einer solchen Unterstützung vorzüglich auch von Seiten der Mutter
darstellte und diese besonders um ihre Hülfe aufforderte, hat die herrlichste Wir-
kung gehabt, und das Gespräch, welches I| ich bey Gelegenheit dieses Aufsatzes mit
Hr. Frisching hatte, hat mir diesen sehr werth gemacht und mir viele Hochachtung
gegen ihn eingeflößt. Mein Verhältniß zu den Damen des Hauses ist, obgleich ich
schon die Festigkeit meiner Eutschlüße zu zeigen Gelegenheit hatte, so gut als ich
es nur wünschen kann.
Auch die Arbeiten mit Rudy, Karl und Ludwig Steiger haben den gewünschten
Erfolg und belohnen mich mit Freude. Du kannst es Dir denken, wann es so geht,
die Pflanzung eines Freundes zu warten und dadurch die Freunde des Freundes
auch zu den seinigen zu machen, ist ein herrliches Geschäft und erzeugt viele der
schöneren Stunden. Bei Plato's Kriton habe ich zuerst Deinen Karl recht herzlich
liebgewonnen und das stüle Wetterleuchten seines Geistes beobachtet. Er hat dies
Gespräch ganz schriftlich übersetzt und nachdem wir es geendet, darüber viel ge-
sprochen, || und in diesem Gespräche das ganze Buch kurz zusammengefaßt hatten,
einen Auszug daraus gemacht.
Anfangs war dieser ihm sehr schwer; aber das lezte schon um vieles leichter.
Zur Vergieichung schrieb ich selbst ihm neben dem seinigen einen Auszug von mir
bey. Um nicht den Phädon unterbrechen zu müssen durch die Vertauschung der
Stadt mit dem Lande, haben wir diesen uns für unsere Spaziergänge und Zusammen-
künfte im Sommer aufbewahrt. Dagegen habe ich mit Karl den Romulus aus
Plutarch gelesen, damit er den Styl Plutarchs kennen lerne und bis zu Brohms An-
kunft und auch nachher ihn für sich allein lesen könne. Er wird den Plutarch auf
dem Lande mit Xenophons Feldzug des Cyrus abwechseln, woraus wir einiges ge-
lesen und gleich gefunden haben, daß er diesen ohne Schwierigkeit wird lesen
können. Schwerer wird ihm natürlich Plutarch, und deshalb, nachdem Karl mit
Xenophons Ton bekamit genug war, haben wir vor kurzen den Theseus des Plutarch
März 1800.
137
angefangen, den er auf dem Lande für sich endigen wird. Daß ich ihn noch nicht
zu den größeren, wichtigeren Lebensbeschreibungen führen will, denkst Du leicht.
In acht Tagen geht Steiger mit den Seinigen nach Riggisberg. Frisching wird auch
nicht viel länger sich in die Stadtmauern einschließen, da der Frühling schon
draußen leuchtet und jauchzt. Auch mit Rudy, glaube ich, wird bis zu Brohms
Ankunft, die Arbeit auf dem Lande gut gehen. Im Griechischen ist er jezt weit
genug, um den Homer für sich ohne viele Schwierigkeit zu lesen. Seit acht Tagen
machen wir jede Stunde nicht unter 120 Versen, wovon er 60, auf die er statt
schriftlicher Übersezung sich zu Hause vorbereitet, ohne meine Hülfe mit großer
Raschheit macht.
Anfangs ging es langsam und er benuzte die weniger strenge Aufsicht im
Hause zu manchem — aber jezo thun mir die schwereren Stunden, die er mir dadurch
machte, nicht leid, und ich freue mich sehr, daß auch die Eltern jezt zufriedener
mit ihm in seinem häuslichen Betragen sind. Steiger hat meine Strenge, die ich.
anwenden mußte, unterstüzt, indem Rudy jezt auch ihm jeden Tag auf einem Zettel,
durch eine Zahl darauf, die Stufe seines Verdienstes bringt. Noch vor einigen
Tagen war Steiger bey mir und freute sich, daß Rudy einen besseren Gang nähme.
— Daß es auch mit Ludewig nicht stockt, weißt Du schon durch unsern Ziemsen.
Auch seine Übersezungen im Lateinischen, welche ich zweymal die "Woche durch-
sehe, werden immer besser und seinen Livius wird er ohne Hülfe, außer meiner
Durchsicht, auf dem Lande fortlesen können. — Daß Ziemsen mir, auch durch
unsere Arbeiten, näher geworden ist, weißt Du ohne meine Versicherung: Dieser
Sommer, auf welchen wir schon manche Pläne berechnet haben, wird uns noch
enger verbinden. Auf einem unsrer lezten Spaziergänge sprachen wir von der ge-
meinschaftlichen Arbeit, deren wir in Gümminen gedachten. Wir sagten uns beyde,
daß nicht das Publikum uns zu solchen Untersuchungen treibe, daß vom Publikum
dann erst die Rede seyn würde, nachdem eine für so viele Jahre bestimmte und
fortgesezte Arbeit uns gegenseitige Urtheile der Freunde nicht beredet, sondern
überzeugt hätten, daß die Wahrheit hier nicht individuelle Ansicht wäre, und daß
die Welt uns bey friedlicher fester Hervortretung danken dürfte. Vielleicht auch,,
daß ich und Du nach Versuchen finden würden, daß mein, daß vielleicht auch
Ziemsens Geist solchen Untersuchungen nicht gewachsen sey, und deshalb durch
uns nur etwas von und xu nichts herauskommen würde. Aber auch dies eher zu
finden, wird die Freundschaft uns gerne helfen und dadurch uns zeigen, daß sie
über thörigte Eitelkeit uns erhaben und redlich und der Wahrheit treu glaubt.
Nicht was man weiß, sondern wie man es weiß, bestimmt ja den Werth unseres
inneren Schazes — und durch das Erfahren dieses Gesezes an uns soll auch unsere
Freundschaft ja immer sich fester knüpfen. Dein Eschen.
116. Ziemssen an Herbart.1) Bern d. 26ten März 1800.
Theuerster Herbart, nur ein paar Worte, nur den Umschlag zu Eschens Brief
erhältst Du heute von mir; obgleich ich Dir so vieles, vieles sagen möchte, Dir,
um den sich alle meine Gedanken und Empfindungen, wie um einen Mittelpunkt
sammeln. Aber außer den wirklich vielen mich drängenden Geschäften, womit ich
mich ungerne entschuldigen möchte, umschwebt grade jetzt seit ein paar Tagen ein
etwas trübes Gewölk mein Wesen, und außerdem, daß dis meine Gedanken etwas
in Stockung versetzt, fürchte ich mich dieselben unwillkührlich mit diesem Trauer-
schleyer beym Schreiben zu überziehen. Das Gewölk wird sich wieder verziehen,
und dann, wenn es sich wieder bey mir aufklärt, schreibe ich Dir vielleicht bald
mehreres. Heute nur ein paar Worte von den Deinigen, die Du selbst entkleiden
x) 6 S. 8°. H. W.
1^8 März 1 800.
maust mit Hülfe von Eschens Briefe, wenn auch sie unter meinen Händen vielleicht
mit einem zu dunklen Gewände umhüllt werden. — Doch wie wäre es möglich diese
glänzenden Punkte zu verdunkeln! ||
Ja freue Dich nur, Du Edler, Vortreflicher, Deine in der Schweiz verlebten
Tage sind nicht verloren; Du hast Saamen ausgestreut, der große Früchte zu
erzeugen verspricht. — Deine Freunde segnen die Stunden, die Du mit ihnen
verlebtest, und feyern Dein stilles Andenken in ihrem innern Heiligthume, das Du
ihnen erbauen halfst. — Und Dein treflicher Karl wird hoffendlich durch ein ganzes
schönes Leben zeigen, welchen Geist Du ihm einhauchtest. —
Von dem guten Fortgange seiner Arbeiten wird Eschen Dir wohl ausführlich
schreiben, was ich davon übersehen kann, befriedigt meine Erwartungen.
Aber erinnerst Du Dich noch wohl mit welcher Gleichgültigkeit und Kälte
Fritz1) Böhlendorfs herliche Briefe empfing? — Bey dem Empfang Deiner letzten
Briefe aus Jena ließ ich Karl zu mir hohlen. Mit Vorsatz gab ich ihm zuerst den
an ihn allein, und räumte einen Augenblick unter meinen übrigen Briefen (ich
hatte an demselben Tage viele auf einmal empfangen), er konnte sich nicht halten,
sondern laß vor mir stehend seinen Brief durch, wozu ich ihm dadurch, daß ich
selbst mich beschäftigte, Zeit ließ. ||
Eine sanfte Verklärung lag auf seinem Gesichte. — Nach einer kleinen Pause
sagte ich nur noch: Du freutest Dich auch in dem Briefe an mich über den guten
Fortgang Deines angefangenen Werks. — Du wünschtest, daß Deine Hofnungen an
ihm und seinen Brüdern nie verloren gehen möchten. — Er möge Dich stets bey
allem Edlern und Höhern als Leitstern und Schutzengel in Gedanken und im Herzen
tragen! — Hier strömte sein Herz in Thränen über, und sein ausdruckvolles
Schweigen sagte mir mehr, als wenn er geredet hätte. — Ich sagte ihm nur noch
drey herzliche Worte, und überließ ihn seinen eignen tiefern Empfindungen, die ich
mehr zu stören, als erhöhen zu können fürchten mußte. — Gerne sehe ich ihn
öfter, und beneide es Eschen beynahe, daß er ihn täglich hat, und ihm täglich
weiter helfen kann. — Es ist eine große Freude einem edlen Jüngling bey seiner
Bildung, bey seinem Emporstreben zuzusehen. Aber unendlich schöner und größer
muß es seyn, das Bewußtseyn zu haben, der Schöpfer alles Höherm in ihm ja dieses
Stiebens selbst zu seyn! — Wäre ich doch tauglich gewesen, und hätte das Schicksal
mich doch dazu bestimmt gemacht, ihm bey Deiuem Scheiden meine j| hülfreiche
Hand zu reichen, um ihn weiter hinauf zu führen! Dann hätte auch uns noch ein
Band mehr umschlungen!
Ludwig bedarf freylich einer etwas mehr treibenden Führung, und gelangt
auch wohl schwerlich mit Karl zu gleicher Höhe ; aber dennoch trägt er die Spuren
Deiner wohlthätigen Hand an sich, und macht mir, wenn er einen erziehenden
strengern Freund wiederfindet, gute Hofnungen. Wir sind in der Stereometrie bey-
nahe bis ans Ende fortgerückt und werden sie vielleicht in ein paar Tagen ganz enden.
Ich glaube es ziemlich in ihm befestigt zu haben; daß ich sein ganzes übriges
mathematisches Feld zugleich mit wieder zu durchwandern suchte, versteht sich von
selbst. — Es war eine kurze Zeit, wo er mir wieder etwas herabsank, vielleicht
durch äußere Zerstreuung oder körperliche Krankheit, mit Hülfe seines Vaters, der
mein Bitten darum sehr freundschaftl. aufnahm, gelang es mir ihn durch einige
kräftige aber freundschaftl. Vorstellungen wieder empor zu helfen. Jetzt sind wir
wieder im raschen || Fortschreiten. — Seine Auszüge obgleich nicht durchaus meister-
haft, übertreffen meine Erwartungen nach dem ersten Vergleich bei weiten; er
weiß den Kern zu findeu und zu verbinden.
l) Böhlendorffs früherer Zögling Fritz von Sinner.
Aprii 1800. 13Q
Steiger wird ungefähr in 8 Tagen aufs Land gehen. Ich hoffe Ludwig dort
hinlänglich beschäftigen zu können, und werde bis zu Brohms Ankunft alle 8 Tage
heraus zu kommen suchen, da ich ja wegen Eschens Nähe zwey Fliegen mit einer
Klappe schlagen kann. — Karl werde ich, wenn es sich zeigen sollte, daß Brohme
fürs erste noch nicht käme, den Euklid in die Hände geben und ihm dort, wo er
stockt, helfen. Auch die Arithmetik werde ich ohnehin ins Andenken zurückrufen.
Beyde Eltern scheinen mit uns zufrieden, u. Madam ist immer, wenn ich sie sehe,
ungemein artig. — Steiger wünscht Brohm möge, ohne einen Brief von ihm zu
erwarten, kommen. Wir sprachen, da er neulich bey mir war, über ihn und St.
sagte: ein Herb, wird er nun freylich nicht seyn, das ist nun keine Frage, aber er
wird || doch gut seyn, da er von ihm gewählt ist. Auch für die Meinigen hoffe ich
nicht vergebens zu arbeiten. Fritz macht mir schönere und gegründetere Hofnung
als je; ich habe ihn ergriffen, und wie ich glaube, getroffen. Wenn ich den noch
einmal würdiger Böhlendorfs Armen zuführen könnte!
Aber, lieber Theurer, ich kann kein Ende finden Dir zu erzählen ! Vergiß aber
ja nicht daß dis nur ein Couvert ist; sonst müßte mehr OrduuDg und Inhalt dariu
seyn. Deine Freunde, die sich genau nach jeder Nachricht von Dir erkundigen,
.grüßen herzl. ; auch Sonnenscheins. — Der gute Zehender! —
Ich sehne mich von dem Gelingen Deines schweren Unternehmens zu hören.
Dein Th. Z.
117. An Carl Steiger.1) Bremen am 12 ten April 1800.
In Smidt's Zimmer.
Ich bin hier allein; ich sollte ihm und seiner Gesellschaft auf sein Landgut nach-
gehn — der Regen wird ihm sagen, warum ich nicht komme.
Sehr mismuthig ging ich diesen Morgen zum Thor von Bremen
hinaus gegen Oldenburg hin. Meine Mutter hatte gestern hier eintreffen
wollen ; die Pferde waren schon bestellt, um sie auf einer kleinen Besuchs-
reise von hier aus, gleich weiter zu führen. Sie war ausgeblieben; was
konnte sie abgehalten haben, als ein plötzlicher Rückfall in ihre Krankheit?
Hin- und hergetrieben zu werden, bin ich jetzt nur zu sehr gewohnt.
Ich machte mich also auf, und wollte nach Oldenburg, zu sehn, was es
wäre. Die erste Stunde Wegs lag hinter mir, da riefen ein Paar Stimmen
von einem Wagen: wir haben Briefe an Sie! Ich erbrach, es waren be-
ruhigende Nachrichten von meiner Mutter; — und obendrein eine Ein-
lage mit dem langersehnten Z gesiegelt.
Die Herren Ueberbringer müssen mich sehr undankbar gefunden
haben. In dem nahen Wirthshause zum Wartthurm, wohin ich zurückging,
und wo sie anhielten, wäre es meine Schuldigkeit gewesen, weiter mit
x) 12 S. 8°. Über Herbarts Aufenthalt in Bremen (1800 — 1802) vgl. Bd. I,
S. XXXIIIff. u. Zeitschr. f. exakte Philosophie I, S. 62 u. Hartenstein a. a. O. I.
S. LVf. Die Nachwirkung seiner Tätigkeit schildert Gerd Eilers in „Meine Wande-
rung durchs Leben"- (Lpzg. 1856)1. S. 367 ff. : „Die Bremer Frauen studierten förmlich
Pädagogik . . u. sprachen darüber . . mit einer Einsicht u. Zuversicht, wie ich es nirgends
sonst gefunden habe. Immer beriefen sie sich auf einen Lehrmeister, dessen Autorität
bei ihnen entscheidend war: Herbart . . . Dieser Herbart hatte sich als junger Mann längere
Zeit in Bremen aufgehalten u. den wißbegierigen bremer Frauen Vorlesungen gehalten ....
Ihre Ideen von der Erziehung des Menschengeschlechts zum edlen Leben hingen durch
Herbarts Vermittlung mit „Lienhard u. Gertrud"1 eng zusammen .... In Bremen er-
regte die neue Hauptschule allgemeine Teilnahme, besonders aber die Aufmerksamkeit
der Mütter u. der von Herbart geschulten Frauen" . . . u. s. f.
140 April 1800.
ihnen zu sprechen, und zu fragen, ob ich ihnen in Bremen gefällig seyn
könne; das war auch meine Absicht, nur eine Minute wollte ich erst mit
meinen Briefen allein seyn, und lief deswegen in ein eignes Zimmer. Ich
meinte recht eilig zu lesen, meinte der Freude mit Euch nur einen Augen-
blick gegönnt zu haben; aber den Herren hatte es zu lange gewährt, und
sie waren nun auch schon lange fort. || Gut, dass sie fort waren! Ich
hätte Mühe gehabt, sie zu unterhalten. Der Wechsel der Gemüths-
bewegungen war zu stark und zu plötzlich; — die Freude war zu un-
gestüm, ihr Stoss musste in meinem, jetzt nicht starken, Körper nach-
dröhnen. Das merkte ich vollends, da ich wieder in die Stadt kam; bis
dahin war ich mit etwas mehr als verdoppelten Schritten gegangen —
Du weisst noch, wie ich zu gehen pflege, wenn ich eben mit Dir eine
Freude gehabt habe; — in der Stadt ging ich aber nun langsam, und
freute mich, dass man sich zwischen der Alt- und Neustadt von Bremen
über die Weser setzen lassen, und bey der Gelegenheit im Schiffe aus-
ruhen kann.
Wären doch alle Stösse so leicht zu überstehn, wie die Stösse der
Freude ! Denn wenn Du es etwa bedauern solltest, dass Dein Brief mit
unter denen war, die mich so übermässig freuten, so sage ich Dir zum
Trost, dass ich mich diesen Abend wieder vollkommen wohl befinde.
Vielleicht strafe ich Dich indessen mit einem übermässig langen Briefe,
— willst Du Dich der Strafe entziehen, so wirf ihn ungesehen ins Feuer! —
Ich weiss, lieber Carl, Du wirst so böse nicht sein; und in der
Hoffnung schreibe ich weiter.
Könnte dieser rechte Arm Dich erreichen, könnte er Dich, wie sonst,
an mich ziehn, und an meine Brust drücken: ich gäbe Dir den ersten
Kuss dafür, dass Du mich unter Ziemssen's Siegel nach Deiner Hand
nicht vergebens hast suchen lassen. Sage Deinen Brüdern: ich hätte zwar
in Ziemssens und Eschens Briefen recht viel sehr angenehme \ Sachen
von ihnen gelesen, könnte mir auch allerley Ursachen denken, wodurch
sie dasmal vielleicht am Schreiben verhindert wären; entbehrte aber doch
ungern das Vergnügen, was mir auch schon ein Paar Zeilen von ihnen
gemacht haben würden. Ueber das schnelle Gelingen Deiner Arbeiten
preise ich Dich glücklich. So bald hatte ich es nicht erwartet, dass Du
einer Erklärung des Plutarch rasch würdest folgen und den Xenophon
mit Leichtigkeit für Dich lesen können. Mit dem letztern wirst Du nun
wol beschäftigt seyn, da ihr auf dem Lande allein seyd.
Du fängst also jetzt an, zu einem freyern Gebrauche der reichen
Schätze fähig zu werden, die Dir die Griechische Sprache darbietet. Wenn
Du mit gleicher Kraft noch eine Zeitlang vorwärts dringst, so muss es
Dir bald möglich seyn, Deine griechische Leetüre grossentheils selbst zu
wählen, nach Belieben nachzusehn, zu vergleichen, die Bücher hinten oder
vorn aufzuschlagen, — und die Sprache über dem Inhalt zu vergessen.
— Wie wirst Du nun diese Deine Kenntniss benutzen?
Deine guten Lehrer und ich, haben darüber manches gedacht und
gesprochen; und werden es ferner thun. Aber Du thätest sehr übel, wenn
Du Dich auf uns allein verlassen wolltest.
Ich weiss, es wird Dir schwer, für Deine Gedanken und Empfindungen
April 1800. 141
den Ausdruck zu finden. Doch die Sprache || Deiner Empfindungen kenne
ich wohl, und wünsche Dir nichts weniger als eine frühe Fertigkeit, sie
in schöne Worte einzuhüllen. Aber dass auch Deine Gedanken sich nicht
genug aussprechen, ist theils ein Beweis, dass Du noch nicht deutlich
genug denkst, theils zwingt es Deine Lehrer, immer noch halb im Dunkeln
zu gehn, zu rathen und zu versuchen, worin und wie sie Dich unterrichten
sollen. — Du hast ohne Zweifel beym Krito, beym Leben des Romulus
und des Theseus, mancherley gedacht; wie gern hätte ich etwas davon
in Deinem Briefe gelesen! Hoffentlich erhalte ich bald etwas von der Art;
denn Du versprichst, mir, was Dich vorzüglich interessirt, kurz nieder-
zuschreiben. Das wird Dir schwer werden, sagst Du. Ich glaube es,
denn man lernt nicht ohne Mühe die Kunst: leere Worte zu vermeiden,
und in wenig Worten viel zu sagen: — und in dieser Kunst wird meine
Bitte Dich üben. Die genaue Erfüllung derselben ist mir aber vorzüglich
in der Rücksicht unumgänglich noth wendig, weil ich Dir, je älter Du wirst,
und je weiter Du kommst, desto weniger einen verständigen Rath geben
kann, wenn nicht der Gang Deines Geistes und Deines Interesses mir
vor Augen liegt.
Ich bleibe nicht in Oldenburg, sondern gehe in wenigen Wochen
nach Göttingen; und dort werde ich manche Arbeiten mit Dir zugleich
treiben. Wie nützlich für Dich, — wie || angenehm für mich, das wird
grossentheils davon abhängen, wie deutlich Du Dich mir darzustellen weisst.
Du wirst im Sommer den Phädon lesen? Dein Hr. Vater ist es also zu-
frieden? — Bey diesem Buche ist besonders viel zu denken; sage mir
Deine Meinung, und frage mich, so kann ich Dir forthelfen. Besonders
sage mir, welcher von den 3 Schriftstellern Xenophon, Plutarch, oder
Plato, Dir am meisten Vergnügen macht? Und welcher Dir am meisten
zu denken giebt? Verwechsle diese Fragen nicht und beantworte jede
einzeln.
Was Du mir schicken willst, das schreibe nicht gleich ins Reine.
Schreibe überhaupt nicht gleich, sondern denke erst über Deine Gedanken
wieder nach; prüfe sie, überlege, was falsch, was unter gewissen Ein-
schränkungen wahr, was noch allgemeiner wahr seyn möge, als es Dir
zuerst erschien; — bemerke, wie stark, wie wohlthätig oder nachtheilig
diese Gedanken auf Dein Gefühl wirken, ob sie stark genug sind, oder
noch kräftiger, deutlicher, mehr zur Gewohnheit werden müssten, um Dich
im Handeln, in Versuchungen, in Gefahren, nicht zu verlassen, Dich rasch
und sicher genug zu führen; — wenn Dir die Gedanken entfliehen,
scheue die Mühe nicht, sie immer wieder zu sammeln, ganze Tage damit
zuzubringen, und tröste Dich mit mir, der ich oft 3 Tage lang, bloss
nachdenke, und erst am vierten eine Feder ansetze1) || — gehe dem, was
Dir dunkel ist, nach, kehre es, wende es hin und her, denke es in allerley
Verbindungen, in Bildern und Beyspielen, — denke es gehend und stehend,
sitzend und liegend, im Zimmer und im Freyen; — bleibt Dir aber die
Sache dunkel, so muss sie sich wenigstens in eine deutliche und bestimmte
Frage fassen lassen, und wem Du dann diese Frage vorlegst, der wird an
x) Vgl. Zeitschr. f. ex. Phil. I, 60.
142 April 1800.
der Art, wie Du Dich ihm darüber äusserst, und seine Winke auffassest,
sehn können, wie viel oder wenig, wie scharf- oder stumpfsinnig Du
darüber schon gesonnen habest, — und wie fähig oder unfähig, werth
oder un werth Du der Belohnung seyst. — Bist Du dann mit Dir einig,
was Du schreiben willst, so suche es zu ordnen, zurecht zu stellen, in
Anfang, Mittel und Ende zu scheiden. Die Veranlassung Deines Nach-
denkens wird gewöhnlich den Anfang machen können; dann wird die
Anzeige des Hauptgegenstandes ihren Platz finden; Erklärungen, Beweise,
Zweifel, Antworten, Entscheidung, Bestätigungen — das wird in einer
längern oder kürzern Reihe folgen können. — Was Du mir überschicken
willst, soll und kann freylich nur kurz seyn, weil es vielerley sein muss,
(einige Briefblätter, recht eng vollgeschrieben, kannst Du indess immerhin
zur Zeit schicken), aber gerade das Kurze bedarf — damit es von Inhalt
gehörig vollgedrängt sey, — vorzüglich der Ordnung, und eines jj vor-
gegangenen reifen Nachdenkens. Wenn Du Dich zum Schreiben setzest,
so künstle nicht lange über den Anfang, und schreibe überhaupt etwas
rasch alles nieder; aber wenn es im Entwurf vor Dir liegt, dann sieh es
sorgfältig durch, dränge zusammen, schneide das Ueberflüssige weg, ergänze
was fehlt, berichtige die Sachen, schleife den Ausdruck; — arbeite es
ganz um wenn es Noth thut, zwey, drey, viermal, beharrlich und unver-
drossen, bis es Dir recht ist. Dann zeige es Deinen Lehrern. — Wenn
sie es Dir rathen, schreibe es ab, und schicke es mir. — Ich verlange
zwar nicht, dass alles was ich von Dir erhalte, bis auf diesen äussersten
Grad Deine Kraft angespannt habe; jedoch je besser Du Dich selbst aus-
arbeitest, desto bessere Hülfe kann ich Dir leisten; und schon Deiner
Uebung wegen dürfte es rathsam sein, dass Du alle Monat einmal, 3 bis
4 Tage nach der Reihe Deine übrigen Arbeiten ganz aussetztest, um die
den Monat hindurch gesammelten Materialien auf diese Weise zu ver-
arbeiten. Ersuche Deine Eltern und Lehrer um Erlaubniss dazu, in mei?zem
Namen. Es kann Deine übrigen Arbeiten gar nicht bedeutend stören,
wohl aber ihnen eine vortreffliche Beförderung geben. — Selbst von
Deinen Briefen an mich, die übrigens immer noch so kunstlos als möglich
bleiben mögen, wünschte ich doch, dass Du sie, wenn sie nun hinge-
schrieben sind, noch einmal aufmerksam durchläsest, um die Fehler gegen
die Orthographie, Grammatik || und Regeln des Stils, darin zu verbessern;
sie auch allenfalls, wenn Du gerade Zeit hast, noch einmal abzuschreiben.
Fehlt aber die Zeit, dann ist mir das eiligste das liebste; ich mag keinen
Brief einbüssen, damit Du für mich ein Exercitium machen könnest. Dies
letztere bemerke besonders, wenn Du mich lieb hast; es sey Dir mehr
empfohlen, als alle die andern schönen Regeln. Sclavisch binden sollten
Dich überhaupt diese Regeln, die mehr hingeworfene Weisungen sind,
gar nicht. Jeder Gegenstand fordert seine eigne Art zu arbeiten; und
manches wirst Du am besten ohne alle Umstände so schreiben, wie es
Dir zuerst einfällt. Was von der Art sey? — das erfinde selbst!
Ueber allen den Anstrengungen für Deine Bildung — über aller der
Aufmerksamkeit auf Dich selbst: — wirst Du darüber auch nicht ver-
gessen, dass es Pflichten giebt, die mit Deiner Bildung nicht zusammen-
hängen, die ihr sogar entgegen seyn können; — und die Du gleichwohl
April 1800. 14 ?
um anderer Menschen willen erfüllen sollst? — Bis jetzt noch verschont
Dich Dein Schicksal mit den schweren Pflichten dieser Art, — und wenn
Du nur Acht giebst, dass Deine Schwester Henriette Dich nicht rauh
und ungefällig finde, — dass Du nicht Rudolphs wegen mit Dir unzu-
frieden seyn müssest — so werden die klein ern Aufmerksamkeiten, die
Du Deiner Umgebung schuldig bist, Dir hoffentlich auch || mehr und
mehr von selbst ins Auge fallen. Zu einer kleinen Uebung Deines
Urtheils über Dich selbst in dieser Rücksicht kann es dienen, wenn ich
Dir eine Stelle Deines letzten Briefes an mich, die Du ohne Zweifel in
der besten Meinung von der Welt hingeschrieben hast, noch einmal vor-
lege. „Zwar weis (weiss) ich, dass es mir etwas schwer seyn wird, das
Interesante, (Interessante), was mir den Tag über auffallen mag, zu
finden; aber doch, weil sie (Sie) es mir rathen und weil (,) was sie mir
rathen (,) zu meinem Nuzen (Nutzen) ist, will ich es gerne thun.u
(Verliere nicht über die, in Klammern angemerkten, orthographischen
Fehler die gute Laune; ich habe sie auch nicht darüber verloren.) Wie
nun, wenn ich Dir nicht gerathen, sondern darum gebeten hätte, — und
zwar nicht um Deines Nutzens willen, sondern zu meinem Nutzen oder zu
meiner Freude? Hättest Du mir es dann abschlagen sollen? — Es ver-
steht sich, dass Du voraussetzest, ich werde nicht eines thörichten Einfalls
wegen etwas von Dir verlangen, das Dir viel Zeit und Mühe kostet;
sondern es werde ohne Zweifel für mich zum wenigsten so viel Werth
haben, als Dir Deine Mühe werth seyn kann. Wie aber, wenn mein
Zweck zum Beispiel bloss der gewesen wäre, dass ich die Erziehung, die
ich Dir gegeben habe, aus dem Erfolge hätte beurtheilen wollen, den sie
bey Dir zurücklässt? || Hättest Du dann die Mühe für mich nicht über-
nehmen mögen? Hättest Du die Zeit lieber angewandt, um selbst zu
lernen? Ich erwarte Deine Antwort in Deinem nächsten Briefe.
Ueber Dein Betragen gegen Rudolph schweigt Ihr diesmal alle zu-
sammen. Eschen und Ziemssen sind aber mit R. zufriedener; darf ich
nun wol daraus schliessen, dass Du es ihm vielleicht auch leichter machst,
gut zu seyn? — An den kleinen Franz möchte ich Dich wol auch er-
innern. Ganz vergessen werden darf es wenigstens nicht; denn wenn sich
Gelegenheit findet, seinen Fassungskräften früh etwas in die Hände zu
spielen, so ist für die Zukunft viel gewonnen. Doch wir wollen das zuerst
mit Herrn Segelken überlegen.
Segelken statt Brohm — davon wird Dir Dein Vater schon erzählt
haben. Brohm, Boimelburg, Stolz, Segelken — Dir sind das alles jetzt
nur blosse Namen; denn Du kennst keinen davon, — weisst nicht, welcher
von ihnen zu Dir, und zu Eurem ganzen Hause am besten gepasst haben
würde, — weisst nicht, wie die Leitung eines jeden Dich anders verändert
haben möchte, — ich weiss es auch nicht, ob ich gleich zu jedem von
ihnen im Ganzen genommen Zutrauen hatte — sie selbst können es nicht
wissen; — können eben so wenig wissen, ob der Aufenthalt bey Euch
ihnen zuträglicher gewesen seyn würde, oder ob ihnen so besser ist. —
Brohm scheint sehr zu zweifeln, ob die Herren, die ihn in Berlin zurück-
halten, ihm einen Dienst leisten, — Hr. Boimelburg wäre lieber in der
Schweiz als in Pohlen gewesen, ob er gleich dort eine ausserordentliche
144 April 1800.
Einnahme hat. — || Ich selbst kam zu Euch, und musste wieder gehn,
ohne viel zu wissen, wohin ich kam und ging. So würfelt das Schicksal
um uns!
Dass es doch mehr als ein blosses Würfelspiel sey — meinst Du, es sey
wichtig, das einzusehn, und glauben zu können? Wollen wir das im
Sommer versuchen? — —
Hr. Segelken schlägt eine sehr vortheilhafte Stelle aus, die ihm (wenn
Otth sich nicht irrt) hier in Bremen angeboten wurde — und verlässt
also sein Vaterland, woran die Bremer, so viel ihrer mir bekannt sind,
sonst sehr zu hängen pflegen, — um zu Euch zu kommen. Vielleicht
hat meine gute Meinung von Dir etwas dazu beygetragen, die er durch
meine Jenaischen Freunde erfahren haben kann; denn ich selbst habe
ihn dort nur bloss gesehn, weil mich damals jene Freunde, die ihn noch
nicht genau genug kannten, auf ihn auch nicht aufmerksam machen konnten.
Was man mir aber jetzt von ihm schreibt, und was ich hier in Bremen
allgemein von ihm höre, das lässt mich sehr bedauern, nicht durch münd-
liche Unterhaltung diejenige Freundschaft mit ihm angefangen zu haben,
der er jetzt von meiner Seite dadurch gewiss ist, dass er sich um Eure
Bildung Verdienste erwirbt. Dich || bitte ich vor allen Dingen, ihm mit
Gefälligkeiten jeder Art, wo Du kannst, entgegenzukommen; und ich hoffe
es von Deinem wachsenden Verstände, dass Du es mehr und mehr aus-
finden wirst, wie Du dem guten Willen Deines Lehrers — ohne ihm
vorzugreifen — die Wege bahnen könnest. Merke auf, ob er sich über
etwas mit Dir zu unterreden wünscht, verfolge dann das Gespräch dahin,
wohin er es lenkt, sage bescheiden Deine Meinung, wo Du eine hast, —
am besten fragweise; hüte Dich, entscheidend zu urtheilen, das würde das
Gespräch leicht zerreissen; — denke nachher über die Unterredung nach,
und suche sie zu gelegener Zeit fortzusetzen. Schreibe mir, ob Du ihn
leicht verstehst und worüber Du mit ihm am liebsten sprichst. —
Du siehst, mein geliebter Karl, — meine Wünsche sind um Dich;
und mein Geist möchte auch bey Dir seyn, und sich mit dem Deinigen
vereinen. Mein Zutrauen zu Dir siehst Du auch; — denn könnte ich
es sonst erwarten, dass Du Dir diese Papierblätter nützlich machen würdest?
Bleibe Du der meine, so wie ich der Deine Herbart.
Magst Du diesen Brief dem Hrn. Segelken zeigen? Es wird ihm
vielleicht lieb seyn, wie wir mit einander sprechen. — Es soll ganz in
Deinem Willen stehen.
118. An Segelken.1) Zur Dunge [bei Bremen] am I5ten April 1800.
Mit welcher Freude habe ich es in Otths Briefe gelesen, dass Sie
meinem verlassnen Platze einen entschiednen Vorzug geben, vor einer
weit einträglichem Stelle die Ihnen zugleich angeboten wurde! So darf
ich denn hoffen, dass auch das, was andre abschrecken könnte, — die
schon bestehenden Verhältnisse zwischen 3 Zöglingen und 3 Lehrern,
denn Ziemssen und Eschen muss ich mitzählen: — Ihnen vielmehr an-
v) 8 S. 40. Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe pp.
April 1800. 145
genehm sey; dass Sie Ihre neuen Verhältnisse daran werden anknüpfen
wollen. Ich setze voraus dass Sie es durch Böhlendorf hinlänglich
wissen: Sie treten in die Mitte einer engen Verbindung; die nach Dauer
wenigstens strebt. —
So ist es also kein blosses Wort, wenn ich Sie, auch ohne Sie zu
kennen, mit Zutrauen willkommen heisse in dieser Mitte.
Erlauben Sie mir als einen Beweis dieses Zutrauens, dass ich gleich
den ersten Schritt thue, damit wir einander gegenseitig orientiren mögen.
Es muss mir wichtig seyn, zu wissen, welche Hülfsmittel || der Er-
ziehung Sie vorzugsweise in Ihren bisherigen Studien und Beschäftigungen
finden; und in welche wissenschaftliche Richtung Sie ungefähr für Sich
selbst fortzugehn denken — da die eignen Arbeiten auf die Beschäfti-
gungen mit den Zöglingen einen fast unvermeidlichen Einfluss haben. —
Um sogleich meine Fragen, meine Bitten an Sie darnach bestimmen zu
können, bat ich den Hrn. Prof. Rump, der Sie kennt, um die gewünschten
Nachrichten; er wusste mir keine genaue Auskunft zu geben, „aber," sagte
er, „ich glaube Sie werden nicht irre gehn, wenn Sie Sich deshalb an
„Hrn. Segelken selbst wenden; ich kann es von seinem Character er-
„warten, dass er Ihnen alle Aufschlüsse darüber, die Sie wünschen
„können, gerne selbst geben wird." Ein solcher Rath war mir die an-
genehmste Nachricht, und ich folge hier seiner Weisung.
Sie empfangen Ihre Zöglinge aus den Händen meiner Freunde
Ziemssen und Eschen; und werden von denen auch die letzten Nach-
richten über jene sich vorlegen lassen können. Mich werden Sie im
hohen Grade verbinden, wenn Sie mit diesen Freunden, die meinen Plan
genau kennen, Ihre Ueberlegungen || über Ihre Erziehungs- Angelegenheiten
theilen wollen. Hier ist einiges, wovon ich wünsche, dass es in die ge-
meinschaftlichen Ueberlegungen eingehe.
Wollen Sie mir verzeihen, dass ich mit einer Eintheilung anfange?
— Wenn ich richtig bemerke, so sind es dreyerley Arten von Interessen,
die in den Jugendjahren von einander nicht abhängen; also auch nicht
leicht, wenn sie ihre gehörige Stärke und ihr richtiges Verhältniss zu
einander bekommen sollen, — durch einander hervorgebracht werden
können; die folglich jedes besonders begründet werden müssen: ich meine,
das Interesse am Menschen, — das an der Natur, — und das an
körperlichen Uebungen.
Dagegen glaube ich, dass jedes unter diesen drey Arten des Interesse,
seine ganze Sphäre richtig durchlaufen könne, dergestalt, dass immer alles
Vorhergehende dem Folgenden wie Mittel zum Zweck diene, folglich an-
statt davon verdrängt zu werden, sich vielmehr in ihm erneuere und be-
vestige; — dass also auch alle die besondern, einzelnen Interessen, die zu
Einer von jenen 3 Arten gehören, sich duich einander hervorbringen
lassen: — wenn nur der Anfangspunct und jeder Schritt der Fortleitung
vom Erzieher richtig gewählt und in die richtige Folge gestellt werden.
Weitläufige Auseinandersetzungen sind nicht für diesen Brief. Ich
wende mich zu meinen Zöglingen, um einige, zunächst bedeutende Be-
merkungen, darzulegen.
»
Herbarts Werke. XVI. IO
Ij.6 April 1800.
Das Interesse am Menschen schien bey meinem Karl sehr glücklich
in eine fortlaufende Thätigkeit gesetzt zu werden, da ich ihn durch den
Homer in die Griechische Literatur einführte. Unter Griechischen Men-
schen und Thaten und Dichtungen, wird er vielleicht noch ein paar
Jahre zweckmässig verweilen können; er mag vergleichende Blicke in die
Römische Welt hinüber thun — aber über diesen Kreis würde ich ihn
fürs erste noch, ungern in die spätere Geschichte hinaus gehn sehn;
stimmen wir hier nicht überein, so bitte ich, dass wir zuerst unsre Gründe
auswechseln.*) Während seiner Leetüre platonischer Schriften hoffe ich
selbst ihm den Schleyer des Übersinnlichen — merkwürdig zu machen,
und dann bis auf einen gewissen Punct zu heben. Ueber die bestimmtere
Anordnung seiner Griechischen Leetüre wünsche ich bald mehr mit Ihnen
zu briefwechseln, vorläufig wird es wahrscheinlich bey Eschens Einrichtung
bleiben können; und um meine Meinung zu sagen, erwarte ich erst eigene
freyere Müsse, und Briefe von Carln selbst. |]
Ueber die Leitung körperlicher Uebungen kann ich nichts sagen; sie
pflegt sich in Bern so ziemlich von selbst zu finden.
Das Interesse an der Natur zu wecken, und hier bey der kindlichen
Beschäftigung des Blumen -Sammeins und Vergleichens anzufangen, dazu
war es bey Carln, als ich hinkam, fast schon zu spät — mich beschäftigte
Ludwig zu sehr, — und ich brachte nicht gehörige Kenntnisse mit. Zur
Physik konnte ich ihn führen; aber bey jedem Versuch musste ich doch
bedauern, dass ihm die gegenseitige Einwirkung der Stoße nicht wichtig
genug war, weil er die Stoffe selbst nicht genug kannte oder bemerkte
— sich nie um sie bekümmert hatte. Gelegentlich hat er einige chemische
Kenntnisse erworben, die aber der Erneuerung bedürfen werden. — Um
die hier entstandene Lücke so gut als möglich zu füllen — würde es ein
besseres Mittel geben, als ihn wieder in den Weg eines Kindes zu
leiten? Ungefähr so wie wir mit unsern Zöglingen manches nachhohlen — ?
Mit seinem kleinen Bruder Franz wünschte ich ihn ohnehin beschäftigt;
theils damit er nicht alles nur für sich selbst thue, theils weil die beyden
Knaben gut für einander passen, und der eine dem andern späterhin oft
die Stelle des Lehrers vertreten kann, da es so wichtig ist, dass diesem
letztern seine so sehr beschränkte Zeit gespart werde. ||
Wenn Sie Botanik verstehn, oder im entgegengesetzten Fall, wenn
Eschen Zeit hätte, auf Spaziergängen zuweilen mit den beyden Knaben
zu botanisiren, so würden Sie leicht dadurch mancherley Beschäftigungen
mit dem Kleinen für Carln anweisen und in Gang helfen können, wobey
dieser das Fehlende nachhohlte.
Mehr als Carln und als die andern alle, muss ich Ihrer Aufmerk-
samkeit den Rudolph empfehlen. Er ist in dem Alter, wo die Kindheit
kein flüssiges, und die Jugend noch kein vestes und hartes Wesen ist;
*) Durchstrichen ist (vom Gedankenstrich ab) folgende Stelle : ,,Die in die mittlere
und neue Welt würde ich nicht begünstigen — daher auch einen Abriß der Universal-
geschichte höchstens auf sein dringendes Bitten, und dann nur sehr kurz geben, bloß
um die Neugier nicht zu sehr zu reizen.1' l)
x) Fehlt bei Zimmermann.
April 1800. 147
— ich habe ihn nicht wie ich wünschte, fassen können, weil ich den
altern noch nöthiger war; — er hat Anlagen, und bringt Ihnen einige
Kenntnisse, aber noch wenig Spuren von sichrem Character mit. Das aller-
wichtigste für ihn ist in meinen Augen, dass er offen werde, denn er hat
einen Hang zur Verstecktheit. Sein Lehrer wird ihn im Ganzen nicht
streng behandeln dürfen; und doch der Strenge nicht entbehren können,
wenn er nicht viel um und bey ihm ist. Ich freue mich, dass Sie Carln
wahrscheinlich ziemlich viel werden allein arbeiten lassen können; und
bitte Sie dem Rudolph ihre Stunden zuzuwenden. Für eine Zeitlang
wenigstens; ein halbes Jahr kann vielleicht schon viel thun. ||
Uebrigens wage ich es, wenigstens jetzt, nicht über den Plan seines
Unterrichts etwas vorzuschlagen; ich bemerke nur dass mein Plan bey
Carln, nicht nur für diesen berechnet, sondern auf allgemeine Ansichten
gestützt war. — Ueberhaupt ist vollkommene Regelmässigkeit dieses Planes
bey Rudolph vielleicht nicht ganz so nothwendig und so wohlthätig als
bey Carln. Mannigfaltigkeit der Beschäftigungen wird er dagegen bey
weitem mehr bedürfen. Denn jedes Interesse läßt ihn bald wieder los,
und muss daher durch ein neues ersetzt werden.
Sehr wünschte ich es ihm, dass er Ihr Herz so möchte gewinnen
können, wie Carl das meine gewann. Carl und ich haben erfahren, wie
das hilft. —
Bey Ludwig wird es vielleicht nöthig seyn, dass Ziemssen Sie ge-
wissermaassen einführt. — Unterricht wird er vor allem in der Geschichte
und im Französischen bedürfen, und zu dringend bedürfen, als dass nicht
vorläufig alles übrige Nebensache werden müsste. Ich setze voraus, dass
Ziemssen mit der Mathematik auf einen Punct gekommen sey, wo sie
sich füglich abbrechen lasse. Sonst wird derselbe am besten weiter dafür
sorgen. In der Chemie und Mineralogie hat er ehemals manches gethan ;
es wäre gut wenn das wieder angefrischt würde. || Das wird genug sein,
um von meiner Seite den Faden unserer schriftlichen Unterhaltungen an-
geknüpft zu haben. Ist es Ihnen gefällig, ihn bald aufzunehmen, so wollen
wir fieissig daran fortspinnen, und dabey froh seyn, und uns noch frohere
Zeiten bereiten.
Sey es Ihnen etwas werth, dass Sie an der Quelle meiner Freuden
wohnen! Geniessen Sie die Natur! Bedauern Sie das Land des Unglücks!
Theilen — zertheilen Sie die Schmerzen der Tiefgekränkten, die mehr als
eigne Wunden fühlen! Ihr Herbart.
119. An Eschen.1) Bremen am 20. April 1800.
Dir lacht der Frühling, Du Theurer, und Du kannst ihm wieder
lächeln! Wohl Dir! — Auch hier knospen die Bäume, und die frohe
Menge drängt sich am Abend auf den Spaziergängen. — Mein Auge hat
sichs bald abgewöhnt, an dem hiesigen Horizonte Alpen zu suchen, aber
nun sieht es gewöhnlich gar nichts; ausser wenn ich hier in der Neustadt
unter der Allee spaziere, wo der wirklich schöne Anblick der Altstadt mit
ihren hohen und schlanken Thürmen an der Weser, den Platz einer
l) 6 S. 8 °. H. Wien.
10*
148 April 1800.
schönen Landschaft vertritt. Sonst — bin ich zuweilen auf der Platte-
forme unter den dichten Kastanien, oder in Märchligen, oder in Rüm-
lingen, oder im Dorfe zu Riggisberg, wo ich das hohe Schloss von ferne
anschaue, — hinauf kann ich nicht kommen, denn ich war nie droben.
Doch diese dunkeln Schatten würden mir den dunkeln Frühling nicht
hellen, thäten es nicht Freunde! —
Es sind unsrer doch mehrere, die sich ohne Abrede einem gleichen
Puncte anzunähern scheinen. Wie geht es sonst zu, dass wir einander
noch immer nahe sind, noch immer näher kommen?
Es muss doch wol ein Vestes, Dauerndes geben, zu welchem der
gute Wille eines jeden von selbst hinsteuert, — es muss doch wol gemein
seyn, einerley || Herz in einerley Vernunft, das in jedem, unabhängig von
den Andern, die Richtung hieher — sucht, und nur nicht immer zu
finden weiss.
Werde nicht unwillig über dem: scheinen; und: es muss wol. Du
weisst es ja, dass von jeher meine ganze Thätigkeit in der Voraussetzung
gestrebt hat und gehandelt, dass ein solches Vestes sich müsse finden
lassen, wo die Individualitäten sich zu vereinigen suchen würden — so
dass weiterer Fortgang nicht mehr trennen könnte. Aber dass unser und
der Unsern Fortgang uns noch trennen kann, davon haben wir Bey spiele ;
— und ich, jetzt, in der Unthätigkeit in der ich ein Dritttheil eines Jahres
zubringen musste, und nun Gottlob nur noch wenige Wochen! — jetzt
hätte ich zur Skepsis Zeit gehabt — Zeit und Laune gehabt zu zweifeln
an der Zukunft, und noch mehr an der Gegenwart; an der Möglichkeit
und noch mehr an der Wirklichkeit.
Und, Dank sey's den Unsern, jetzt eben strafen sie die ungläubigen
Gedanken durch den Augenschein.
Zwar ist der Augenschein nur Schein der Dauer und des Allgemeinen.
Aber die Erfahrung kann ja auch nur einzeln das allgemeine bewähren,
— kann in wenigen Jahren nur wenige Glieder der Reihe aufstellen, von
der das ganze Leben nur eine Probe ist. ||
Mein Eschen! Es war eine Zeit, da wir uns fanden und hatten, —
eine andre da wir uns suchten und nicht hatten — und jetzt haben wir
uns wieder. Gepriesen seyen die Augenblicke, da ein ganz reiner Aus-
druck gelingt von dem, worauf die Freundschaft ruht! So ruhe ich jetzt
auf Deinem letzten Briefe.
Jetzt haben wir uns wieder. Aber die Freundschaft ruht auf dem
Wesen, und unser Wesen soll noch nicht ruhen. Wir sollen beyde noch
wandeln, und nach mancher Verwandlung — kommt da eine Zeit wo wir
bleiben ?
6 ßioq, naQodoQ.
,,Es ist ein Bleibendes im Wandel." Aber kannst Du es nennen,
angeben, aufzählen, bestimmen: das was bleiben wird und bleiben muss,
— was wir im Weiterkommen ferner von einander verlangen werden, um
einander als Freunde aus der Menge herauszuscheiden? Wissen wir
schon, was erhöhte Bildung, verfeinertes, oder gestärktes Gefühl, einmal
strenger fordern werde — und ob dieses Geforderte nicht bey den Ver-
schiednen ein Verschiednes seyn werde — der einseitigen Bildung wegen ?
April 1800. 140
Wissen wir etwa schon, wie sehr es uns gelingen wird, die letztre zu
vermeiden? jj
Die Freundschaft, glaube ich, wird bescheidner in ihrer Zuversicht,
so wie der Mensch bescheidner wird.
„Ist denn Treue nur die Anmaassung des Jünglings?" Doch was soll
diese Frage hier? Du thust sie nicht, und ich auch nicht. Wir wissen
es ja, unser Leben ist ein Versuch, und die Freundschaft das köstlichste,
was wir im Leben versuchen. — Und gefährliche Consequenzen machen,
ist ja unser Beyder Sache nicht.
Nur lass uns der Freundschaft Freyheit ehren ! Wir sollen nicht nach
ihr greifen; aber wenn wir nach dem Rechten greifen, will sie von selber
kommen. Sie ist kein Besitz, sondern in jedem Augenblick neuer Erwerb.
Darum wird sie auch nicht gleichgültig, wie der Besitz, sondern ist immer
erneuter Genuss.
Ich habe mich verirrt. Ich habe Sentenzen geschrieben, da ich vom
Augenschein erzählen wollte. Ueberlege die einen, und freue Dich mit
mir über den andern.
Smidt ist mein ältester Jenaischer Freund. Aber er liebte, während
ich grübelte, und da meinte ich wären wir wol eine ziemliche Strecke
auseinander. Und ich finde, dass wir einander recht nahe sind; und dass
seine Frau mit dazu gehört. Wir haben noch viel gleiches Interesse und
Leichtigkeit |] der Mittheilung. Einander in unserm Wesen, und in unsern
Beschäftigungen zu ergänzen, — die schöne Möglichkeit liegt — ich möchte
fast glauben, klärer noch als damals vor uns, da wir uns zuerst näherten.
Damals auch waren Smidt's Freunde ihm näher, als sie mir werden
mochten und konnten; — jetzt sprechen Thulesius und ich, die wir,
obgleich Landsleute, einander so gut wie gar nicht kannten, in gutem
Vertrauen auf unsern gemeinschaftlichen Freund, uns so, als ob wir schon
eine Vergangenheit hinter uns hätten. — Wenn Du meinen Brief aus
Weimar bekommen hast, so weisst Du schon, wie Böhlendorfs letzte
Arbeit mich innig freute, wie gerne ich Schildenern sah, wie hohes Interesse
mir die wenigen Stunden gaben, die ich in Unterhaltung mit Schwarz zu-
brachte.
Diese Erfahrungen sind Gewichte, mit denen ich wiege, wie viel
Sicherheit, das Herz, der Freundschaft ungefähr geben könne, wenn die
Köpfe noch ungewiss schweben. Vielleicht also ist auch Berger — der
edle — unstäte — mir nur eine Zeitlang abwesend, — denn freylich,
so freundlich er mir neulich noch geschrieben, — ich denke doch mit
einer Art von Scheu daran, dass ich ihn vielleicht bald hier sehe. — Ist
nicht auch Gries mir grossentheils wiedergekehrt? Es war mir wohl bey
ihm in Göttingen, recht wohl! || Und mein Karl? Wäre es wohl nun noch
möglich, dass wir einander fremd würden? O es ist ein herrlicher Beweis
von dem Bleiben, dass Ihr mit ihm und seinen Brüdern so fortrückt. —
Lass mich hier abbrechen, sonst finde ich kein Ende.
Ich habe noch das Bild im Sinne von dem wunderschönen Knaben,
den ich beym Durchgehn zu Rümlingen sah, — und von dem Du mir
schreibst, dass er Dir Freude macht; denn es ist doch hoffentlich der-
selbe. — O Eschen, wie sehr wünsche ich Dir, auch solche Erinnerungen
I cq Mai, Juni 1800.
aus der Schweiz mitzunehmen, die mit dem Fröhlichen froh sind, und
den Traurigen halten und heben. Lieben Freunde, — denn es gilt Euch
Beyden, — seyd muthig, bis Ihr es errungen habt!
Seyd muthig auch, wenn Ihr die schweren Gänge des Geistes gehen
wollt. Herrlich, dass Ihr es wollt. Es ist recht, was Du darüber
schreibst, und dass Ihr unter einander und zu mir so spracht. Solche
Herzensreinigungen müssen vorhergehn, und das ßekenntniss nicht scheuen
— dann kann etwas werden.
Smidt und Thulesius nehmen Antheil. Sie haben mich, glaube ich,
verstanden, und haben Prüfung versprochen.
Es ist noch von andern gemeinschaftlichen Unternehmungen der
Freunde unter uns die Rede gewesen. Von einem Erziehungswesen im
Grossen. Es ist auch von 3 Örtern die Rede gewesen, von der Schweiz,
— von Bremen, — von der Insel Rügen. Es ist auch mit den Frauen *)
davon geredet worden. Wohl zu merken, geredet. Von einer Zeit ist
noch nicht geredet. Wohl aber von allerley sehr nöthigen wissenschaft-
lichen Vorbereitungen; auch von Grund und Boden, und vom Nerven der
weltlichen Dinge. Das hat uns eben nicht geschreckt.
— — Möchtet Ihr? — —
Wisst Ihr nun, warum ich gerade jetzt überlege, ob, und was, und
wie, man auf die Freundschaft bauen könne? — Euer Herbart.
120. Gries an Steck. Göttingen, 9. Mai 1800.
,,Herbaet war vor einigen Monaten bei mir. In den zwei Tagen unseres
Beisammenseyns hat er mir viel erzählt, viel von Dir. Warnm, 0 mein Theurer!
konnte er mir nicht das erzählen, was, seit ich Dich kannte, der ganze Wunsch
meiner Seele war? [Gemeint ist wahrscheinlich, daß Steck ganz nach Deutschland
ziehen und sich der Wissenschaft widmen sollte.] Vergieb, wenn ich dies Gefühl
so zur Unzeit laut werden laße. Aber bei Gott! ich begreife Dich; ich ehre Deine
That, u. schweige."
W.: Lilienthal, Ende Mai: „Zur Kritik der Ichvorstellung." Bd. I. S. 113— 114.
121. Smidt an seine Schwester Frau Doctorin Castendyk in Bremen.2)
Juni 1800.
— Wir arbeiten alle sehr fleißig — Herbart oben ich unten u. im Garten —
sind nur beym Trinken u. bey Tisch zusammen dann aber auch sehr froh. — Am
Donnerstag kommt unsere literarische Gesellschaft mit der Oldenburgischen eine
Stunde diesseit Elsfleth zusammen. Herbart geht heute hinein u. kommt morgen
früh wieder heraus — er wird diesen Abend bei Eichter Oelrichs seyn — aber in
unserem Hause schlafen. — Solltest Du nicht Lust haben Morgen mit ihm heraus
zu gehen?
122. Ziemssen an H.3) Bern, d. 3. Junius 1800.
Segelken ist angekommen, und hat seine Stelle angetreten, weshalb ich eile
Dir etwas specielleres darüber mitzutheilen. — Aber wenn ich Dir alles das schreiben
könnte, was ich vor und hauptsächlich nach dem Empfange Deiner letzten — in
1) S. o. S. 139 Arnn.
2) S. Bd. I, S. XXXIV.
:i) 14 S. 8°. H. W.
Juni 1800. ki
Bremen geschriebenen — Briefe gleichsam für und an Dich gedacht habe, so
würdest Du lange zu lesen haben, denn der größte Theil meiner besten Gedanken
kreißt noch immer nur um Dich. Da ich aber bis jetzt noch keinen geschickten
Nachschreiber für solche Gedankenflüge habe ausfindig machen können, so werde
ich auch heute wohl, wie es uns ja so oft geht, mit dem schlechtesten nachkommen.
— Dem ungeachtet bist Du doch noch nicht außer Gefahr dismal einen %u langen
Brief von mir zu erhalten. Du magst ihn Dir selber in mehrere kleinere zertheilen.
— Doch zur Sache. Eschen und ich bemüheten uns, — wie ich es Dir in meinem
letzten Brief e versprach, — als Steigers nachEiggisberg'gingen, ihre Selbstbeschäftigungen
so gut, als möglich, zu organisieren. Eschen ging gleich darauf auch aufs Land und
ließ die Knaben von Zeit zu Zeit zu sich kommen, oder ging zu ihnen, und ich
suchte ebenfalls alle 8 oder 14 || Tage bey ihnen zu seyn, um ihre Arbeiten durch-
zusehen und zu lenken, und sie, wenn es nöthig war, fortzuhelfen. Dis gelang
uns so wohl, daß wir sie die mehrste Zeit in gutem Zuge hatten, und daß weder
Hr. Steiger noch seine Frau jemals klagten, und daß sie beyde alle Mühe anwandten,
uns die Arbeit zu erleichtern, und unsern Aufenthalt bey ihnen angenehm zu
machen; und ich muß gestehen, daß es mir oft recht sehr wohl bey ihnen war.
Ehe nun Dein und Segelkens Brief an Steiger ankam, wodurch St — von S — s
gewissem Kommen benachrichtigt wurde, schrieb Otth mir aus Jena, daß weder
Brohme, noch der Gothaner, noch Stolze usw., sondern daß Segelken aus Bremen
kommen werde, (den Du und Böhlendorf gewählt hättest,) wenn Hr. St. seine Ein-
stimmung erst gegeben habe; denn obgleich Du unbeschränkte Vollmacht von ihm
hättest, so müßten sie doch seine Einwilligung erst erwarten. Du selbst würdest
das genauere über Segelken schreiben, wenn Du erst von ihm die gewisse Nachricht
erhalten hättest, daß er kommen werde. Er (Otth) aber glaube nicht, daß St —
Deinen Brief erwarten, sondern daß er S — ohnedem gleich kommen lassen würde.
So äußerst unbestimmt war der ganze Brief, der mehr als dieses nicht enthielt. — |
Ich ging mit demselben zu Eschen, wir überlegten hin und her, (denn Steiger war
schon in Eiggisberg), was wir St— dabey rathen könnten. Mir fiel besonders auf,
daß Du noch erst genauere Nachrichten geben wolltest, anstatt ihn gleich bestimmt
zu engagiren; und daß Otth doch kein Wort davon schrieb, was Segelken prästiren
könne und wolle. Also, dachte ich, wird er den Platz vielleicht nur bis auf einen
gewissen Punkt ausfüllen können, worüber Du erst mit St — correspondiren wolltest;
— und wie konnten wir oder Steiger denn, ohne im mindesten von Segelken zu
wissen, darüber entscheiden? — Warum war an S — nicht gleich gedacht, warum
erst nach Stolze, den weder Eschen noch ich dazu im geringsten fähig glaubten? —
Vielleicht, dachte ich, nimmt man ihn im Fall der Noth, weil das Licht auf die
Finger brennt. Aber dafür (sagte Eschen sowohl, als ich, und würde St., wenn wir
ihm alles so lebhaft geschildert hatten, als wir es selbst voraussahen. — auch ge-
sagt haben,) mag es lieber noch bleiben, als es ist. Dazu kam noch, daß ich in
Jena einen S — aus Bremen entfernt gekannt hatte, den ich aber für einen schwachen
und unbedeutenden Menschen halte. — Unbedingt durften wir St. also wenigstens
nicht zurathen. — Wir gingen nach Eiggisberg lasen den Brief vor, und H. St.
wußte eben so wenig Eath, als wir. || Indem wir hier so miteinander überlegten,
fiel mir ein Mittelweg ein, der allgemein angenommen wurde. Hienach schrieb ich
Otth, wenn Du Segelken selbst gewählt hättest, und Du und Deine Freunde ihn hiezu
vollkommen tüchtig fänden, so möge er Segelken in Steigers Namen bitten so bald
als mögi. zu kommen. Sollte S — aber die Foderungen dieser Stelle nur bis auf
einen geiuissen Punkt erfüllen können — weshalb Du noch mit Steiger sprechen
wolltest, — und solltest Du ihn also nur im Nothfall zu nehmen entschlossen seyn;
jo Juni 1800.
so müßte H. St. seine Entscheidung bis zu dem Empfang Deines Briefes verschieben.
Um aber den Sinn dieses Entschlusses desto klarer zu machen, unsre Jenaischen Freunde
selbst in den Stand zu setzen über Segelkens Geschicklichkeit für diese Stelle zu
urtheilen, und ihnen die Sache etwas angelegener und wichtiger zu machen, als sie sie
zu behaudeln schienen, fügte ich noch eine kurze Schilderung der hauptsächlichsten
Erfoderniße für Deinen künftigen Nachfolger hinzu. Als das erste und unumgäng-
lich notwendigste gab ich eine nicht geringe Fertigkeit in der griechischen und
lateinischen Sprache an, weil dis die Hauptlectionen für Karl u. Rudolph seyn
würden. Diesem suchte ich die richtige Bedeutung durch die Angabe dessen, \\
was sie hierin gethan und wie weit sie es gebracht hätten, zu geben. — Wenn S —
in der Mathematik, fügte ich hinzu, seine Stelle ganz ausfüllen, und den Unterricht
darin gleich übernehmen wolle, so dürfe er auch schon nicht ganz schwach seyn,
weil Du Ludwig darin ebenfalls ziemlich weit gebracht hättest; wobey ich wieder
angab, auf welchem Punkte er ungefähr stehe. — Wenn Segelken aber nur im
Griechischen u. Lateinischen ganz Genüge leisten könne, so ließen sich in Hinsicht
auf die Mathematik wohl solche Einrichtungen treffen, daß er den Unterricht darin
wenigstens nicht gleich übernehmen dürfe; und ich sey desto mehr versichert H. St.
werde sich hierüber leicht beruhigen, weil ihm Brohme, der auch nicht fertig in
der Mathematik sey, sehr willkommen gewesen seyn würde; — und das noch desto
eher, je mehr andre Vollkommenheiten und Kenntnisse Segelken mitbringen werde.
— Der übrige Theil werde sich eher nach S — s Kentnissen modificiren lassen. —
Hiezu fügte ich dann noch einige Nachrichten über die Vollkommenheiten u. Eigen-
schaften die für S. — als Mensch, für diese Stelle unentbehrlich seyn würden; —
und bat Otth von allem diesen einen weisen Gebrauch zu machen.
Kurz nachdem ich diesen Brief abgesandt hatte, kam Dein und Segelkens Brief
an Steiger an, wonach ich vermuthen mußte daß Segelken eher abreisen werde, als
Otth meinen Brief erhalten könne, der nun ohnehin überflüssig schien. — Eschen
und ich lachten herzlich darüber, daß Otth sich, nun an diesen schönen Dingen
allein amüsiren könne. Aber zum Unglück oder Glück — was es von beyden war
— kam mein Brief in Jena am Tage vor Segelkens Abreise an; und Otth scheint
ihn so wenig dem wahren Sinn desselben gemäß zu gebrauchen gewußt zu haben,
daß er wieder seinen Willen Segelken dadurch zu den Entschluß brachte, die Stelle
aufzugeben, weil er in der Mathematik fast nichts leisten könne. Sey dis allein der
Grund gewesen, oder sey es, daß mein Brief ihm (Segelken) die Sache überhaupt
etwas ernsthafter und wichtiger, als Böhlendorf — der es nach Otth wiederhohlten
Äußerungen, sehr oberflächlich und leicht darstellte, — geschildert, und ihm deshalb
etwas Herzpochen gemacht habe; — Genug S — schlug die Stelle jetzt wirklich aus,
und Otth brachte ihn nur nach mehreren Tagen mit vieler Mühe dahin, bey seinem
vorigen Entschluß zu bleiben und abzureisen; weshalb ich Steiger von der ganzen
Sache nichts gesagt habe, um ihm nicht ein ungünstiges Vorurtheil gegen S— bey-
zubringen. — Mir schreibt Otth nun aber Briefe, die beynahe das Ansehen haben,
als wenn ich in der Sache zu viel gethan hätte, und Deinem Nachfolger unbilliger
Weise Schwierigkeiten in den Weg legen wollte; worin er mir übrigens die Moral
ließt, und mich um eine günstige Aufnahme für S — bittet. ||
Endlich ist Segelken selbst am Sonntage vor 8 Tagen Abends spät hier angelangt,
und zwar zu erst — wie ich es mir ausgebeten hatte — zu mir gekommen. — Du
kannst Dir wohl denken mit welchen wohlwollenden Wünschen und mit welchem
innigen Verlangen, ihn in seine ganze neue Lage hineinzuversetzen, und für den
erwartenden Kreis vorzubereiten, ich ihm entgegen kam, und wie sehr ich mich
deshalb bemühte, ihn so gefällig und aufrichtig als möglich zu empfangen. — Er
Juni 1800. 1 r 3
war wirklich der Segelken den ich in Jena gesehen hatte; aber selbst sein Äußeres
hatte sich so verändert, daß ich schon bey dem ersten Anblicke fast nicht mehr an
den Jenaischen Segelken dachte, und ihm als einen neuen Menschen von dem ich.
nichts als gutes gehört hatte entgegenging. Dem ungeachtet machten unsre ersten
Zusammenkünfte einen sehr unangenehmen Eindruck auf mich, wovon ich Dir noch
einiges erzählen muß, um Dir ein neues Beyspiel zu geben, wie unglücklich es aus-
fällt, wenn man nicht seiner Natur getreu bleiben will, und glaubt etwas scheinen
zu müssen was man nicht ist, und deshalb eine bloße, und noch dazu unnatürliche
Bolle spielt. — Fasse aber deshalb kein Vorurtheil gegen ihn, weil ich ja nicht
davon rede, wie ich glaube, daß er ist, sondern wie er mir diesmal erschien.
Ich beredete ihn den Montag hier in Bern noch auszurasten, um wenigstens
einen Tag allein und ungestört mit ihm hinzubringen. |]
0 Du theurer, edler Freund, den ich meinen einzigen Bruder nennen möchte,
jeder Moment, den ich mit Dir verlebte, ist mir ewig theuer, aber oft denke ich.
mit dem frühesten und dankbarsten Herzen gegen Dich daran, was Du mir hier in
der ersten Zeit meines Hierseyns warst, wie ich so nach und nach alles in Dir
fand, was ich schon kaum noch zu finden hofte, und wie Dein reiner, schon ge-
prüfter Enthusiasmus mich belebte und begeisterte, und meinen wilden Eifer für
meinen neuen Kreis, womit ich hieher kam, läuterte und auf den rechten Punkt
hinlenken half. Vergib es mir deshalb noch jetzt, wenn Du es damals vielleicht
nicht ganz konntest, daß ich mich so an Dich drängte; es war nicht freyer Entschluß
bey mir, sondern es war die aus Dir athmende Kraft der Wahrheit und Hoheit,
die mich zu Dir hinxog. — Die reinste, innigste Freundschaft, womit ich je einen
Menschen zu umfassen fähig bin, macht Dir in meinem Herzen wohl keiner auf
dieser Erde je mehr streitig! Ohne Dich wäre ich nicht, was ich bin, und werde.
Dir selbst konnte ich wohl sehr wenig seyn, aber wenn ich je andern Menschen
etwas zu werden vermag, so nimm das als die aufrichtigsten Gaben meiner innigsten
Dankbarkeit gegen Dich an — deshalb wünschte ich aus doppeltem Grunde einen
kleinen Theil von dem, was Du so überschwänglich über mich ausgoßt, unserm
neuen Freunde mittheilen gekonnt zu haben. — Doch vergib ich wollte Dir nur
erzählen, und bin zu weit vom Wege abgeirrt, aber wovon das Herz voll ist geht
uns der Mund über, u. wovon könnte das meine voller seyn, als von Dir. — ||
Hier mußte ich gestern abbrechen, ich war zu voll und zu bewegt, als daß
ich ruhig den historischen Faden hätte fortspinnen können; deshalb versuche ich
heute Dir das Weitere von Segelken zu erzählen.
Um ihn freyer und ofner, und unsre Unterhaltungen leichter und fließender
zu machen, führte ich ihn am Montag Morgen gleich zum Thore hinaus. Er bat
mich um die versprochenen Nachrichten, und mit Vergnügen suchte ich, das Ge-
spräch um diese Gegenstände, um seine künftigen Zöglinge, Deine Plane für sie,
seine ganze künftige Lage, und die Erziehung überhaupt herumzulenken. Er ließ
sich zwar auf manches ein, aber ohne ein großes Interesse daran zu zeigen. Aus
seinem ganzen Benehmen leuchtete eine zurückstoßende Kälte, und ihm unnatürlich
scheinende Festigkeit oder vielmehr Unbiegsamkeit hervor, wobey er von Rücksicht
nehmen auf andrer Ansichten, und nothwendigem Bequemen nach Convenienzen
nichts wissen zu wollen schien, obgleich er nicht offenbar den Anschein davon
haben wollte. Du kannst leicht denken, daß meine Forderungen in dieser Hinsicht
nicht leicht zu weit gehen werden, denn Du weißt, wie wenig ich von Convenienz-
menschen halte; aber eben so wenig kann ich es billigen, wenn ein Mensch ohne
alle Klugheit mit seinem eigensinnigen Kopfe hineinrennen will in einen solchen
Kreis. — So z. B. fand S — nachdem ich ihm den Hn. St— selbst sowohl, als auch
ICa Juni 1800.
den Ludwig geschildert und wir lange über sie geredet hatten, es dennoch kleinlich
(u. Gott weis was || noch mehr) daß es nicht rathsam seyn würde Rousseau oder
Voltaire mit Ludwig zu lesen. - Ferner, als wir von Hr. St — sprachen, und ich
ihm sagte, der Mann wäre zwar durchaus Herr im Hause, und auch in der Er-
ziehung, aber es würde dennoch nicht übel seyn, wenn es wenigstens den Schein
nicht hätte, als wenn man sich um Sie durchaus nicht bekümmerte; so hielt er
sich über ein solches Schein haben auf eine so empfindliche Art auf, daß ich Mühe
hatte, die Sprache wieder zu gewinnen. Dergleichen kam alle Augenblicke vor, und
Du kannst denken, wie mir dabey zu Muthe ward. — Alles nahm er als Kleinig-
keiten auf u. eilte mit einer stolzen Seichtigkeit und unerträglichen Kälte darüber
weg, wodurch sein Umgang äußerst peinlich ward. — Wäre er mir ein ganz fremder
Mensch und nicht Dein Nachfolger gewesen, so hätte ich ohne Zweifel an dem ersten
Versuch genug gehabt, und mich nicht viel mehr um ihn bekümmert. Aber jetzt
suchte ich mich nicht aus der Fassung bringen zu lassen, und bemühete mich ihn
so liebreich, als irgend möglich zu behandeln, und ihm immer klarer zu zeigen,
wie rein meine Absicht sey. Wenn es mir hiedurch auch nicht gelungen seyn sollte
seine Zuneigung zu gewinnen, so hoffe ich wenigstens meinen eigentlichen Zweck,
ihn für seine neue Lage vorzubereiten, und in dieselbe hineinzuversetzen, nicht
ganz verfehlt zu haben. Da ich im Gegentheil fürchte, daß, wenn er so als er hier
in Bern bey mir ankam, bey St.— angekommen wäre, er vielleicht || Eindrücke ge-
macht und Dinge gethan haben würde, deren ungünstige Folgen ihm vielleicht lange
im Wege gestanden hätten. Sehr lieb sollte es mir seyn, wenn ihm meine Unter-
haltungen die Sache auch etwas wichtiger gemacht und näher ans Herz gelegt hätten.
— Ist er denn wirklich der, den wir suchten, so wird er mir in der Zukunft eher
dafür danken, als zürnen; und ist er der nicht, was liegt mir dann an seinem
Wohlwollen? —
Am Dienstag Morgen fuhr ich mit ihm zu Eschen, bey dem wir den Morgen
hinbrachten, der sich auch bemühte ihm die nöthigen Nachrichten mitzutheilen, auf
den er aber fast eben den Eindruck machte, den er auf mich gemacht hatte. Gegen
Mittag fuhren wir zu Steigers, wo alle so recht waren, daß es einem wohl bey
ihnen werden mußte. Hr. Steiger war äußerst natürlich und wohlwollend und
empfing Segelken so schön, als man je einen Menschen empfangen kann; aber S —
blieb kalt und steif, wodurch er manchmal wirklich grob schien; so daß ich mich
alle Augenblicke seinethalben in Verlegenheit fühlte, und mir immer zu Muthe war
als wenn ich ihm nachhelfen und für ihn reden sollte. Ich weiß es sehr wohl, und
fühle es oft am besten an mir selbst, wie wenig es allen Menschen gegeben ist,
gleich gefällig und zuvorkommend zu sein ; aber ich glaube doch, daß man es einem
Menschen wohl bald ansehen kann, wenn ein wahres Bestreben danach in ihm ist,
obgleich es ihm an der Kunst, es geschickt an den Tag zu legen fehlen mag; —
und hie von zeigten sich in ihm wenig Spuren; obgleich || er es wahrscheinlich nur
mit Gewalt vorsätzlich zurückdrängte. — Steiger bemerkte alles dieses weniger als
Eschen und ich, weil er mit sich selbst beschäftigt war, und schien es für bloße
Blödigkeit und Ungewohntheit der neuen Lage zu nehmen; aber Eschen und mir
ward herzlich bange. — Und Dir, lieber Herbart, wird während dem Lesen vielleicht
ebenso bange geworden seyn. Aber sey deshalb nur ruhig, es ziehen sich ja manche
dunkle Wolken zusammen, ohne daß das gefürchtete Ungewitter folgt, und desto
mehr erfreuen wir uns dann der wiederkehrenden Sonne; so freue Du Dich auch
jetzt mit uns der bessern Aussichten, die sich uns eröfnen. — Denn wahrscheinlich
war es größtentheils nur eine falsche Vorstellung von seiner hiesigen Lage, und
von der Art, wie er hier auftreten müßte, was ihn in jener unangenehmen ver-
Juni 1800. 155
drehten Gestalt erschienen machte, und seine natürliche Kälte und Steifheit ver-
mehrte, wodurch er sich dagegen schützen zu wollen schien, daß er sich ja nichts
vergeben möchte; welcher Gedanke überhaupt sehr in ihm zu herrschen scheint.
— Denn, als er 8 Tage in Riggisberg gewesen war, kam er wieder zu mir, und
war gar nicht mehr der vorige. Er setzte sich nicht so gewaltig mehr in Positur,
seine Kälte und angenommene Festigkeit war nicht mehr so drückend, und er war
in seinem ganzen Wesen wieder natürlicher, freyer und ofner und deshalb auch
angenehmer und unterhaltender. Eben das hatte auch Eschen bemerkt. — Steiger
ist sehr zufrieden und unterhält die besten Hofnungen in ihm seinen rechten Mann
gefunden || zu haben. — Die Kinder freuten sich sehr auf S — s Ankunft und kamen
ihm mit gutem Vertrauen entgegen, so daß S — seinen Kreis gewiß so schön als
möglich vorbereitet findet. In Hinsicht des Unterrichts und der ganzen Erziehung
haben wir es zu bewürken gesucht, daß Segelken sich so viel möglich, wenigstens
fürs erste an die bestehenden Einrichtungen und Deinen ganzen Plan anschließt,
wovon die Kinder dir selbst wohl mehreres geschrieben haben werden und wovon
ich Dir, so bald ich mich selbst davon genauer unterrichtet habe, auch genauer zu
schreiben gedenke. In der griechischen und lateinischen Sprache ist S — nach
seiner Aussage sehr fertig, aber in der Mathematik weiß er nichts, welches den
Hn. Ldv. Ludwigs wegen sehr zu beunruhigen schien; weshalb ich mich bemühte
ihnen zu zeigen, wie man nicht alles von einem Menschen erwarten könne, und daß
Ludwig auch in andern Wissenschaften als Geschichte usw. fortgeholfen werden
müßte, und nicht immerfort Mathematik zur Hauptsache machen könnte, um ihn
aber noch mehr zu beruhigen, habe ich es mit S[inner]s Einwilligung übernommen,
Ludwigs Selbstbeschäftigungen in der Mathematik noch den Sommer über zu lenken
und mir Rechenschaft darüber geben zu lassen, da ich doch oft zu Eschen gehe
und dann nahe bey Riggisberg bin; bis zum Winter denkt S — sich selbst hinein-
zustudiren.
Über Deinen Brief an Segelken sagte er mir, daß er ihm sehr angenehm
gewesen sey, und daß er ihn schon in einem in Deutschland noch an Dich ge-
schriebenen Brief größtentheils gleichsam im voraus beantwortet habe; ich bot ihm an
einen Brief an Dich || zu besorgen, aber er hat keinen geschickt. — Dasjenige in
Deinem Briefe an ihn, worüber ich ihn zum Nachfragen bringen sollte, weiß ich
in nichts anders zu finden als in der Anspielung auf unsere Verbindung; aber grade
das fürchte ich, wird ihm das anstößigste in Deinem ganzen Briefe gewesen seyn.
Sein ganzes Betragen gegen mich und Eschen zeigt deutlich genug darauf hin, daß
er wünscht wir möchten die Hände aus dem Spiele lassen. Anstatt uns anzuhören
und recht freundschaftlich mit uns zu überlegen, wozu wir ihm denn doch wenigtens
Kentnisse der Umstände und mancherley Erfahrungen entgegenbrachten, scheint ihm
nichts lieber zu sein, als wenn wir uns nun fernerhin gar nicht um seinen Kreis
bekümmern wollten, damit er sich ja nichts gegen uns vergebe, und es ja nicht den
Anschein habe als wenn er unsrer Hülfe und Lenkung bedürfe. Ich will mich
freuen, wenn wir uns geirrt haben, denn hätte ich recht gesehen, wäre dis wirklich
der Behelf des kleinlichen, eigensüchtigen Menschen bey ihm, so wäre an eine
engere Freundschaft mit ihm nicht zu denken. — Oder glaubst Du vielleicht, daß
wir es nur dumm mit ihm angefangen hätten, und die Schuld also nur an
uns liege? —
Karl sagte mir, er verstehe Deinen Brief nicht ganz, weshalb ich einiges davon,
nachdem ich ihn selbst vorher darüber hatte nachdenken lassen, mit ihm zusammenlaß
und durchsprach. Doch glaube ich nicht, daß Du eben in einer andern Sprache
an ihn schreiben darfst; er wird Dich so gewiß sehr gut verstehen können; aber
156 Juni i8°°-
Du weißt wie er manchmal vor Kleinigkeiten stehen bleibt, hauptsächlich wenn sie
ihm neu sind ; dagegen wird er, Deine Briefe zu verstehen, auch gewiß alle mögliche
Mühe aufbiethen.
P. S. Hier mußte ich schließen, weil die Post abgehen will, obgleich ich meinen
Brief kaum halb geendigt habe. Ich hatte Steigers versprochen heute zu schreiben,
und muß deshalb wenigstens ihre Briefe absenden; ich war ungewiß ob ich meinen
halben Brief beylegen sollte oder nicht, nim ihn hin, in ein paar Tagen hast Du die
andere Hälfte, die von Steigers und Eschen handelt. In Eschen (?) habe ich mich
nicht geirrt, u. || freue mich auf die Stunden die ich noch mit ihm verleben werde.
Mit Steigers geht es ziemlich gut, d. h. Ldv. u. d. Fr. Ldvtin geben uns Beweise
ihrer Zufriedenstg. Hpts. geht es mit Karl u. Ludwig gut.
Ich habe nicht Zeit meinen Brief durchzulaufen ; Du mußt vielleicht an einigen
Stellen Dich aufs rathen legen, denn er ist schnell geschrieben. Dein Th. Z.
123. Ziemssen an H.1) (Fortsetzung.)
Auf meinem Gartenzimmer bey Bern, d. 9. Juny 1800.
Mit welchem innigen Interesse ich an der Natur hänge, wie unzertrennlich
ich mich mit ihr verkettet fühle, und wie ich so ganz in ihr, ihrer Schönheit und
Größe lebe, — wird Dir, mein Geliebtester, in den Tagen unsers Umgangs vielleicht
weniger bemerkbar geworden seyn, weil der Mensch, der reine, edle Mensch und
hauptsächlich der Freund mir doch ohne Vergleichung über alles nahe und theuer
ist, so daß ich an Deiner Seite im Leben mit Dir, selbst die Natur hätte vergessen
können. Aber jetzt da der einzige mit dem ich hier jetzt eigentlich zusammenlebe,
unser Eschen Stundenweit von mir entfernt ist, würde ich es nicht aushalten, be-
ständig zwischen den hohen Steinmassen, — die mich wie eine botanische Presse die
junge Pflanze zu zerdrücken drohen, — eingeschlossen zu seyn ; während mein Busen
ahndet, welche Herrlichkeit draußen lebt. — Deshalb habe ich mir hier etwas über
die Enge hinaus auf dem Wege nach Reichenbach eine halbe Stunde von Bern,
vielleicht in der reitzensten Gegend, die ganz Bern umgibt, ein kleines Zimmer für
den Sommer gemiethet. 2) Hier bin ich nach beyden Seiten hin von der sich hier
äußerst schön schlängelnden Aar umgeben, welches mir auf den vielen herlichen
Spatziergängen und den romantischen Plätzchen, die ich hier nach allen Seiten hin
finde, die Aussicht auf die Schneeberge, den Jura und die andern nähern oder
fernem Gebürge, Thäler und Gefilde unendlich verschönert. — Hier bringe ich fast
alle schönern Abende, und bisweilen auch Nächte, Morgen und ganze Tage || im
stillern, schönern Leben hin. Hier finde ich mich selbst aus dem Gewirr meiner
Arbeiten wieder, und hier suche ich meinen Geist zu einem höhern Kreise zu er-
heben. —
Gestern Abend kam ich von Burgdorf zurück, wo ich einige Tage mit Pestalozzi
ganz allein zugebracht habe, um seinen Plan ganz zu durchdringen und mich mit
ihm darüber so viel als möglich zu verständigen. Aber darüber ist Dein Brief bis
jetzt liegen geblieben, und ich fürchte vor der Vollendung noch einige male so
unterbrochen zu werden; Du magst ihn dafür eben so stückweise lesen, als ich
ihn schrieb.
Pestalozzis Ideen zur Verbesserung der Erziehung glaube ich jetzt so ziemlich
in ihrem ganzen Umfange und Zusammenhange gefaßt zu haben; so weit er nemlich
selbst schon ist, und so weit es ihm möglich war einem andern verständlich zu
werden, wozu weder er, noch ich die Mühe gespart haben; und jetzt glaube ich das
») 6 S. 8° mit 12 S. 8° Einlage und 6 S. 8° Nachtrag = 24 S. 8°. H. Wien.
2) Jetzt Pension Jolimont.
Juni 1800. 1 cy
herliche Gebäude wenigstens in der Idee ziemlich, zur Einheit vollendet vor mir zu
sehen, wovon ich mit Dir zusammen zuerst einige schöne Stücke im Chaos herum-
liegen sah. Aber ob wir hoffen dürfen, daß Pestalozzi sich nicht unter der Arbeit
notwendiger Weise vor der Vollendung wird aufreiben müssen, oder wenn das
nicht ist, ob ihm nicht der gänzliche Mangel an Kenntnissen diese Vollendung un-
möglich machen wird, und ob es ihm überdem nicht an Vermögen sich dem Publi-
kum verständlich zu machen fehlen wird, weiß ich wahrlich nicht. Vielleicht finde
ich bald einmal Gelegenheit Dir einiges genaueres von ihm mitzutheilen, u. viel-
leicht gibt er selbst bald etwas darüber heraus, wovon ich ihn bis jetzt abhielt, weil
es noch nicht gereift genug war. ||
Deine Idee einer Verbindung von Freunden zu jenem herlichen Würken,
der Erziehung unsrer Jüngern Brüder, worüber Du mich und Eschen befragst, hat
uns beyde ergriffen, und volle Zustimmung in uns gefunden. *) Lieber, theurer Her-
bart, wir haben uns gefunden und erkannt, unser Ziel ist dasselbe, und unser Eifer
harmonisch; sollten wir nicht mit Recht wünschen, unsre Kräfte auf einem Punkte
zu vereinigen, um so in Verbindung und Übereinstimmung vielleicht etwas wichtiges,
entscheidendes zu würken ; anstatt sie wir sonst vielleicht zerstreut halb im Kampfe
mit einer schlechten Umgebung und wiederstrebenden Einfassung und halb an —
für Einen allein — unausführbaren Versuchen verlieren könnten? Und wie könnten
wir sonst die herlichen Früchte der Freundschaft so erndten, als wenn uns unser
Beruf selbst schon Arm in Arm verschlungen fortführte? Ich wenigstens wüßte
mir kaum ein schöneres Ideal für mein künftiges Leben zu schaffen, als an Deiner
und unsrer Freunde Seite fortzudenken und kräftig zu würken füi unmittelbare
Bildung und Veredlung der Menschheit. Welche Wahrheit und sinvolle Bedeutung
müßten hier unsre höhern Arbeiten nicht erhalten, wozu uns dann eine Verbindung
von selbst entgegenkäme, und wozu äußere Freyheit und ein schöneres Leben uns
aufmuntern und begeistern würden? —
Ich habe so oft und viel an diese Ideen, an ihre Eealisirbarkeit und die
Besiegung der Hindernisse gedacht, daß mir beynahe || zu Muthe ist, als wäre unser
Bund dafür schon geschlossen; und daß ich Dir unmöglich jetzt schon davon
schweigen kann.
Ich denke, Du hast die Idee in ihrer ganzen Größe und in ihrem umfassendsten
Umfange im Auge gehabt, als Du sie uns mittheiltest. Du hast Dir also wahr-
scheinlich auch, wie ich gedacht, daß unser Institut, zwar nicht gleich im Entstehen,
aber doch nach einiger Zeit, wenn es in seiner vollen Größe dastände, sich nicht
bloß auf gewisse Jahre der Erziehung, sondern auf die ganze Erziehung von der
zartesten Kindheit an bis zur vollen Beendigung derselben erstrecken, und also
Schule, Gymnasium und Universität zugleich in sich schließen würde. — Welchen
Würkungskreis könnten wir uns dadurch verschaffen! und was könnte auf dieser
AVeise nicht aus der Erziehung werden! — Wir, die wir uns engei für diesen
Zweck verbänden, würden zuerst selbst im kleinen anfangen; wir würden einige
wenige Knaben selbst gemeinschaftlich unterrichten und erziehen, wozu unsre jetzigen
Zöglinge vielleicht am besten den Grund legen könnten; nach und nach würden wir
mehrere hinzunehmen, sie in verschiedene Abtheilungen bringen, und uns Gehülfen
x) Über Th. Ziemssen (1777—1843) vgl. All. D. Biogr. Bd. 45, S. 201 ff. Nur
ist dort zu berichtigen, daß H. nicht sechs Jahre als Hauslehrer in der Schweiz
gelebt hat. Auch stimmt die Darstellung über die Errichtung eines pädagogischen
Instituts mit dem hier Mitgeteilten nicht überein.
158 Juni I8°°-
suchen, die mit und unter uns arbeiteten, und das mehr mechanische besorgten,
ohne daß sie deswegen eben genauer an uns gebunden seyn dürften; wir würden
uns selbst solche Gehülfen bilden, und auch, wo möglich, den Kreis || unsrer eng-
verbundenen Freunde zu vergrößern suchen; und mit der Zeit würden wir uns von
den mehr mechanisch fortgehenden Arbeiten zur unmittelbaren Besorgung der
höheren Klassen zurückziehen ; obgleich die unteren Klassen auch immer nach unsern
Ideen und gleichsam durch unsre Hände, aber nur mittelbar besorgt würden.
Die hiezu enger verbundenen Freunde müßten aber auch alle wahre innige
Freunde unter einander, und alle voll reinem Enthusiasmus und Kraft für diesen
Zweck seyn. Es könnte niemand in das Bündniß aufgenommen werden, der sich
nicht selbst für alle Mitglieder und für den nicht wiederum jedes einzelne Mitglied
sich innerlich eine auf wahre Überzeugung gegründete feste Garantie leisten könnte;
damit keinem diese Verbindung zu lästig würde, damit keiner sie- je bereuen, oder
die Welt mit Recht über getäuschte Hofnungen schreien dürfte. — Alle müßten
für diesen Zweck in Wahrheit nur Eine Seele seyn; alles müßte gemeinschaftlich
geprüft werden , und nur das höchste aus dem Geiste aller dürfte entscheiden. —
Wer zu einer solchen Verbindung zu engherzig wäre, wer nur eignen Ideen folgen,
oder gar nur eignen Ruhm erringen wollte, taugte für uns nicht. Wir wären alle
zusammen nur Eins, und unser Verdienst wäre nur gemeinschaftlich. —
Du, theurer Herbart, wärst der Edle und Kraftvolle, dem ich zu einer solchen
Verbindung zuerst meine Hand entgegenstrecken || möchte, und gerne würden wir
gewiß beyde unsern Eschen, den ich täglich mehr liebe und achte, in unsrer Mitte
haben. — Andern, die sich unserm Kreise nähern möchten, würde ich mit ofner
Unbefangenheit entgegentreten; aber mit ihnen verbinden würde ich mich erst
nach genauerer Bekanntschaft und Prüfung: und so, hoffe ich, denkt ein jeder von
uns. — Smidt und Thulesius wären, nach Deinem Briefe zu urtheilen, wahrschein-
lich sehr für uns geeignet. Aber gesezt wir drey müßten auch zu erst allein die
Grundsteine legen, würdest Du selbst dazu nicht einschlagen ? Denn Du weißt ja,
je größer man anfängt, desto eher scheitert man. Freylich müßte unser Kreis
nachher größer werden, aber dazu hoffe ich fänden wir dann unter unsern Freunden
auch wohl Rath. — Doch jetzt endlich wünschte ich, daß wir diese Idee nicht un-
nöthiger Weise sehr weit bekannt machten, weil uns das theils Hindernisse bereiten,
theils allerhand Erwartungen erwecken könnte. —
Auf diese Weise könnten wir dann vielleicht vereint in dem Felde etwas
entscheidendes würken, wo die Hülfe am notwendigsten ist; und in demselben ein
Licht verbreiten, das den Pfuschern ihr Handwerk legen und manchen Edlern zum
thätigen und segensvollern Handeln erwecken würde. Denn alle meine Erfahrungen
und hauptsächlich jetzt noch Pestalozzis herliches Würken bestätigen mir es, wie
unendlich viel man durch Erziehung thun kann, und, || und wie unendlich weit man
grade hierin zurück ist. Und ich fühle das lebendigste Treiben in mir, diesen
drückenden Mangel heben zu helfen. — Durch Pestalozzi ist übrigens gewiß ein
entscheidender Schritt für die erste Erziehung gethan; aber er beschränkt sich auf
die niedern Klassen und ich weiß nicht, ob es ihm gelingen wird, seine Ideen ganz
zu realisiren und richtig darzustellen. Sollte er unsre Verbindung noch erleben, so
schloße er sich gewiß gerne auf der einen oder andern Art an uns an, und könnte
uns durch seine tiefen psychologischen Kenntnisse unendlich wichtig werden.
Du siehst aus allem diesen, mein Theurer, daß mich diese Idee nicht blos auf
den ersten Anblick bezauberte, sondern daß es mir wahrer Ernst damit ist, daß ich
sie schon von mancherley Seiten durchdachte, und im Ganzen sehr reitzend und
meinen Wünschen und Zwecken äußerst angemessen fand, die wenigen individuellen
Juni 1800. 15g
Hindernisse, die mir besonders bey der Ausführung im Wege stehen würden, hofte
ich auch wohl zu besiegen. — Liegt Dir diese Sache denn ebenso sehr am Herzen,
als mir, und stimmen Deine Ansichten davon mit den meinigen überein; so laß uns
diese Idee noch etwas länger festhalten, und ernstlicher und umfassender betrachten;
daß uns unsre Gedanken über dieselbe und die Art ihrer Realisirung einander mit-
theilen, und uns vorläufig für dieselbe zu organisiren versuchen, und, so lange wir
sie noch nicht wieder aufgegeben haben, um die nöthigen || Kenntnisse und Hülfs-
mittel dafür so bemühen, als wenn wir gleichsam schon beschlossen hätten, sie aus-
zuführen. —
Die Natur würde unsre Verbindung wohl nirgends so sehr begünstigen, als
eben in der Schweiz, obgleich sonst vielleicht auch andre Gründe für Deutschland
seyn würden. Doch müßte es nach meiner Ansicht immer ein schönes, stilles
Plätzchen, und ja keine große Stadt seyn, also etwa Rügen, der Harz, das Erz-
gebirge usw. —
So sitze ich hier in meiner Gartenlaube der vom dicken, vollen Grün so un-
aussprechlich schön begrenzten, und in romantischen Krümmungen fortrausch enden
Aar gegenüber, und träume mir wenigstens ein herliches Leben und Würken ; und
Du, mein Theurer, nimmst stets die erste Stelle in diesen Bildern ein; 0 möchte
das Schicksal mich doch bald wieder in Deine Arme führen, um an Deiner Seite
edler und frober leben zu können! Freilich erlaubt mir die Gegenwart, — obgleich
sie an trüben und schweren Tagen auch nicht fehlen läßt, — doch auch schon
manches heiliche Blümchen zum Kranze eines schönern Lebens, in der ebenso er-
habenen, als reitzenden Natur, in meinen Arbeiten mit meinen Knaben so wohl,
als für mich allein, und an der Seite meines Eschen — zu pflücken; aber deine
Gegenwart würde mir selbst das Schöne noch zum Schönsten erheben!
Jetzt endlich auch noch ein paar Worte über Pestalozzi zufolge Deiner be-
stimmten Aufforderung, denen ich ein eignes Blatt widmen will, um mich weder in
dem Faden meines andern Briefes unterbrechen, noch warten zu dürfen, bis darin
die Reihe daran kommen kann.
Zuvörderst muß ich Dir aber sagen, daß ich seit meinem Aufenthalte in Rüm-
ligen natürlicher Weise weit weniger um Pestalozzis Thun und Treiben wissen kann,
als ich es sonst in Bern konnte, theils weil ich ihn fast nie sehe und zu entfernt
bin, um ihn in Burgdorf besuchen zu können, theils weil ich hier zu sehr meinen
eignen Beschäftigungen und Angelegenheiten nachhing, um ihm unter jenen Hinder-
nissen immer mit gleich lebhaftem Interesse nachfolgen zu können, was ich mir bis
künftigen Winter aufsparte, wo dann schon mehrere Theile des Gebäudes dastehen
müßen, die man sich jetzt noch mit vieler Mühe aus dem immer noch nicht ganz
bestimmt abgezeichneten Plane — in der Idee aufführen muß. Doch will ich ver-
suchen Dir vorläufig einiges mitzutheilen, wovon sich vielleicht in der Anivendung
Gebrauch machen ließ; wenn ich Dir erst einiges im aDgemeinen auf die Äuße-
rungen Deines letzten Briefes geantwortet habe, um darüber wieder Antwort von
Dir zu erhalten.
Pestalozzis Ankündigung in der allgem. Zeitung habe ich nicht gelesen; aber
daß Du Dich verwundern kannst, daß P. |j Dir danach etwas einseitig vorkömt, be-
greife ich nicht. —
Lieber Freund, hast Du diese Überzeugung nicht schon von unserm ersten
Besuch bey ihm, und aus Fischers Brief mitgenommen V Wie wäre es auch mög-
lich, daß ein Mensch wie P. bey aller seiner Größe unter den Umständen, worin
160 Juni l8o°-
er lebte, und bey der gänzlichen Unbekan tschaft mit allem, was vor ihm in dieser
Hinsicht haupts. in neuern Zeiten in Deutschland gedacht und würklich geleistet
ist, nicht einseitig in mancher Hinsicht seyn sollte ; obgleich er groß und umfassend
in seiner Einseitigkeit ist. — Diese Einseitigkeit ist es eben, wogegen ich so lange
bey ihm ankämpfte, (welches er freylich mit Dauk annahm und oft benutzte,) aber
deren Besiegung ich doch endlich bey ihm unmöglich sah, weil sie eben sein Wesen
bildet. Auch fehlt es ihm und seinen Gehülfen würklich mannigfaltig am Hinter-
grunde der nöthigen Kenntniße, weshalb Du selbst von dem, was würklich geleistet
werden wird, keine Vollendung erwarten darfst. — Endlich hat er gewiß mehr den
Unterricht, als das Ganze der Erziehung im Auge, und geht hauptsächlich auf Be-
friedigung der Bedürfniße des Unterrichts für die Jüngern Kinder und die niedre
Volksklasse aus.
Theurer Herbart, das alles fällt also würklich weg, Du betrogst Dich also in
der That in Deinen Erwartungen von dem, was P. leisten würde, und ich theile
Deine Trauer darüber, obgleich ich mich in der Nähe weniger täuschen konnte.
Aber dafür freue Du Dich dann auch wieder mit mir, || denn es bleibt doch in
der That noch immer vieles.
Pestalozzi ist ein Mensch, der eben durchs Leben selbst der Natur manches
ihrer Geheimniße entlockte, weil er seinem Wesen nach bey der reinsten, innigsten
Menschenliebe und bey dem unermüdeten Streben für das Wohl seiner Brüder zu
würken fast in beständigen Kampfe mit allen Menschen und ihren Einrichtungen
lag. Seine Größe ist also eigentlich (natürlich außer der Anlage dazu), wenn ich
so sagen darf, erlebt, und selbst seine Principien sind nicht auf philosophischem
Wege, sondern fast blos durch das Leben selbst in ihm erweckt; weshalb er eigent-
lich auch nur einen A\eg zu ihnen hinauf, aber keinen von ihnen hinab kennt. —
Er sagte mir noch diesen Winter: „Freund, die Sache führt auf eine Höhe und zu
Resultaten, wovon ich nichts geahndet habe; ich wollte im Anfange nichts weiter,
als etwas besser im Lesen, Schreiben und Rechnen schulmeistern." —
Dazu fehlt es ihm ganz an dem Vermögen etwas zu überschauen, und zu einer
umfassenden Vollendung durchzuführen. Deshalb könnte man wohl mit Recht von
ihm sagen, was man von den Franzosen gesagt hat: sie taugen gut eine Revolution
anzufangen, aber damit müßten sie dann sich begnügend das Werk in andre Hände
zum Fortwachsen und reifen übergeben.
Aber auch selbst in diesen engen Grenzen bleibt dieser edle Kämpfer und
sein erkämpftes Gebiet uns gewiß noch sehr wichtig. ||
Was sind doch unsre Anfangspunkte des Unterrichts? Auf der einen Seite
sinlose, herkömliche Pedanterie, die ihre Nase nicht über den Schulstaub hinaus-
steckt, und auf der andern Seite das Produkt unsers schlaffen Zeitalters alberne
Spielerey ohne Consequenz und festes Ziel.
Pestalozzi war doch der erste, der mit Ernst und Umfassung sinnvoll die Idee
auch für den allgemeinern Unterricht, und selbst für die niedern Stände auszuführen
suchte; wirklich vom Anfange anzufangen und von daraus unsrer Natur gemäß
allmählich, aber mit stetem harmonischen Ineinandergreifen aller Theile hinaufzu-
steigen. — Er drängt den Anfang des Unterricht (so wie es mit der ganzen Er-
ziehung geschehen muß,) gleichsam bis zum ersten Erblicken des Tageslichtes zurück.
Aber dabey soll nicht blos auf gut Glück hin ausgestreut werden, (wie es unsre
tändelnden Herrn Pädagogen doch eigentlich nur im Sinne haben), sondern alles
soll übereinstimmend zusammenwürken , um das große Gebäude um den Zentral-
punkt in uns aufzuführen, der eben hiedurch zugleich zur intensiven Kraft und
Größe gelangen soll. — Dabey fängt der Unterricht nach ihm nicht mit abstrakten
Juni 1800. l6l
Begriffen an, sondern geht wirklich von der Anschauung (worin alle Anfangspunkte
fest und unvergeßlich begründet werden sollen) aus, und steigt erst von daraus zu
Begriffen hinauf. Unsere neuern Pädagogen fühlten dasselbe Bedürfnis, das P.
hierauf leitete, aber sie wußten nicht denselben Weg, ihm abzuhelfen, aufzufinden.
Sie sahen das ungereimte in der Methode ein, Kinder Dinge zu lehren, wovon sie
gar || nichts eigentlich verstehen konnten, weshalb viele auf die kluge Idee fielen,
Kinder nichts zu lehren, was nicht vorher bis auf den kleinsten Punkt hin erklärt wäre,
goßen so den Kindern die sonst kräftige Arzeney so sehr mit Wasser verdünnt ein,
daß sie alle Consistenz und mithin alle Kraft verlor, und den Magen so sehr über-
schwemmte, daß sie nichts, als Ekel zurückließ. — Wenn der Unterricht nach
Pestalozzis Methode in allen seinen Anfangspunkten von der Anschauung ausgeht,
wozu haupts. das Buch für die Mütter, oder für die erste Kindheit dienen soll, so
gebraucht es hier gar keines weitläuftigen Erklärens, sondern an dem, was ihnen
vor Äugen liegt wird ihnen blos alles, was sie würklich sehen, benant, (z. B. Zahl,
Form, Lage, Verhältniß, Farbe u. s. w.) und durch öfteres wiederhohlen und selbst
nachsagen unvergeßlich eingeprägt. Die Abstraktion des Allgemeinen hieraus und
die Anfangspunkte für alles Weitere knüpfen sich hieran gleichsam von selbst, und
die Methode selbst reißt gleichsam schon von einer Stufe zur andern fort. Es wird
deu Kindern von allem erst das Einzelne gegeben, und unvergeßlich gemacht;
leicht knüpft sich dann an dem tief eingeprägten immer ein neuer Zuwuchs nach
dem andern. Hiedurch wird dann zugleich alles so genannte Sokratisiren verbannt,
womit man aus Kindern Ideen hervorzulocken suchte, ohne daß dieselben in ihnen
liegen konnten, und oft durch gleiche Freude überrascht wurde, wie die Alchemisten,
wenn ihre Composition ihnen das Gold in ihrem Tiegel ausschied, was sie selbst
hineingelegt hatten. Und welches Heil wäre auf diesem Wege je für Volkserziehung
zu hoffen gewesen? — Das Wachsen unsrer wirklichen Kentniße und unsrer Bil-
dung durch dieselben geht nach P. || größtentheils einen dem Wachsthum der phy-
sischen Natur ähnlichen mechanischen Gang, und wenn wir diesem durch Benutzung
der vorhandenen Kunstmittel und durch Ordnung unsers ganzen Unterrichts zu Hülfe
kommen, so kommen wir wahrhaft der bildenden Natur zu Hülfe. Kann man
diesen Mechanismus dem Lehrer als Mechanismus in die Hände legen, wie P. es zu
thun hofft, so kann fast jeder Esel unterrichten, wenn er nur will; und kann nicht
nur nicht schaden, sondern muß nützen. So hängt denn der Zögling nicht mehr
von der Schiefheit und Einseitigkeit des Lehrers ab, und ist nicht auf dessen Be-
schränktheit, sondern höchstens nur auf dessen guten Willen beschränkt. Daß P.
hiemit bestimmt nur (unmittelbar) auf die Bildung der niedern Volksklassen hin-
arbeiten wolle, hörten wir ja schon bey unsrer ersten Zusammenkunft mit ihm aus
seinem eignen Munde. Popularisirung der Wissenschaften, Einführung einer Unter-
richtsmethode, wonach fast der aller Unwissenste bey etwas gutem Willen unter-
richten könne, und haupts. Rückgabe dieser Anfangspunkte dieses Geschäfts in die
Hände der Mütter und derer die ihre Stelle vertreten oder ausfüllen helfen# mit
der Möglichkeit sie nach der vorgeschriebenen Methode und gelieferten oder zu-
liefernden Hülfsmittel ohne große Mühe verwalten zu können, — sahen wir ja damals
selbst als die Hauptzwecke von P.s Bemühungen an; (mit der Hofnung hierin auch,
außer dem allgemeinen Interesse, das dieses für uns haben mußte, auch manche
Belehrung für unsre besondern Plane zu finden, und vielleicht manches Pflänzchen
von hieraus auch auf unsern höhern || Boden zu versetzen und einbürgern zu können ;
oder wenigstens durch das Forschen dieses Naturmenschen auf manche Punkte auf-
merksamer gemacht zu werden).
Herbarts Werke. XVI. ll
1(5 2 Jun* 1800.
Du redest in Deinem Briefe von der ■weltbürgerlichen Notwendigkeit einer
verbesserten Erziehung, welche, wie Du sehr richtig hinzusetzt, weit mehr die obern
Stände und die reifern Alter angeht. Diese ist es eben für deren Befriedigung das
Herz mir im Busen am feurigsten schlägt, wozu mein ganzes Interesse nach dem
eignen Standpunkt sich hinneigt, und welche ich stets als den Gegenstand unsrer
Pläne und Ideen im Auge hatte. — Aber eben darum ist mir jede harmonische Be-
mühung eines andern für die Befriedigung der Bedürfniße des Volksunterrichtes von
doppeltem Werthe. — Die rohen Naturkörper wiederstreben in ihrem Umtriebe eben
am empfindlichsten und unbesiegbarsten dem bildenden Geiste. Das Volk ist noch
ein roher Naturkörper, und ehe es nicht nur bezwungen, sondern über diesen Stand
erhoben ist, sind wir nicht gesichert, daß unser Gebäude nicht mehr oder weniger
auf einen verdächtigen Boden gestellt werde, dessen tobende Umwälzungen es
wieder zerstören und verschlingen könnten. — Tiefere Einsicht leitet, wenn sie
natürlich und wahr ist, zu höherem Sinn* und umfassend'rer Überblick gibt weiteres
Interesse* mit beyden geübte können emporheben zu welthürgerlicher Thätig-
keit. — Kann P. den Gang einleiten, die dieses dem Volke verrammelnden Schranken
einzustürzen, und die eingefallenen Wege wieder aufzuräumen und die neuen anzu-
bahnen; welch ein Gewinn || für die Menschheit! Welche Hülfe jedem, der etwas
für höhere Erziehung leistet, die gesegneten Folgen davon zuzusichern !
Die Zahl dieser Wege vollzählig zu machen, und ihren Bau zu vollenden,
bleibt das Werk der Zeit, wenn nur ihre ursprüngliche Kichtung nicht gleich falsch
ist; und davon kann ich mich bey P. nicht überzeugen. Ein mehreres hierüber,
wenn P.s Bücher in Deinen Händen liegen; und dann selbst durch Einwürfe oder
Nachfrage hirzu veranlaßen willst.
Daß namentlich das dreyfache ABC. nicht nur Vervollkommnungen und viel-
leicht gänzliche Umarbeitungen wird erleiden müßen, sondern auch nicht so all-
umfassend und allbefriedigend ist, darüber bin ich vollkommen mit Dir einverstanden;
aber dennoch wirst Du hoffentlich bey genauerer Bekanntschaft und Überlegung
finden, daß es nicht blos so ganz kleine Bedürfniße im Fundamentalunterricht
ängstlich befriedigt, und daß die Idee derselben doch wirklich weiter im ersten
Unterricht bringt, und deshalb noch ernstlicher in Verbindung mit dem ganzen Felde
erwogen und benutzt zu werden verdient. — (Daß zum Schall noch die musikalischen
Töne gehörn davon habe ich P. schon lange geredet und überzeugt, weshalb auch
hierüber wahrscheinlich etwas von ihm und seinen Gehülfen ausgehen wird.) End-
lich zweifelst Du, daß der Unterricht nach P. nicht in das gehörige Verhältniß zur
Erziehung treten werde. — Ich denke Erziehung hier besonders für Bildung des
Charakters nehmen zu müßen, und stimme vollkommen mit Dir überein zu ver-
langen, daß Unterricht || und Erziehung fast identisch iverde. Aber wir reden hier
von der frühen Kindheit, und da möchte ich denn doch wohl lieber sagen, der
Unterricht müße sich gleichsam unmerklich in den (natürlich zugleich erziehenden)
Umgang einmischen, als jede Lehrstunde müße zugleich erziehen, welches für spätere
Jahre ganz richtig seyn kann.
Das allerwürksamste für Charakterbildung der Jugend ist gewiß ein mit sich
fortreißender Enthusiasmus derjenigen, in deren Hände diese Bildung ruht. Strenge
und Consequenz in allem was auf die zu bildenden Kinder Einfluß hat und haupts.
in allem, was von ihnen verlangt wird, giebt ihnen ebenfalls für diese Eigenschaften
Sinn und übt sie ihnen an; aber fehlt dem Erzieher dabey das Herz, so bildet er
doch nur Krüppel; er hat ihnen die Kräfte gegeben, aber ohne Kenntniß ihres
Zwecks und ohne Sinn für ihren Gebrauch. Ein Herz nur bildet ein Herz; das
Herz erwärmt, begeistert und bildet in Vereinigung mit jenen angeübten Kräften
Juni 1800. j6?
den Zögling zum Tugendhaften, zum Menschen. Die ersten Jahre der Kindheit sind
hiefür gewiß wichtiger, als man noch immer glauben will; daher die Wahrheit des
Sprichworts: Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Die Tendenz der ganzen Familie
bildet auch die Tendenz des Kindes. Somit lassen sich hierin mit keiner neuen
Methode Riesenschritte thun; aber dennoch ließe sich durch sie vielleicht manches
für das Festpflanzen des positiven Guten thun, (welches doch schon immer ein
wichtiger Schritt wäre), theils durch || Verbindung zu jener Strenge und Consequenz,
theils durch manche eigends dafür erdachte Mittel (deren Aufsuchen unsre neuern
Pädagogen beschäftigt), die um ihrer Benutzung gewißer zu seyn, dem Unterricht
eingewebt oder zur Sache des Unterrichts gemacht werden müßten. Doch sehe ich
dieses für die frühern Jahre nur als einen Notbehelf ad interim an, bis man von
bessern Eltern bessere Erziehung im allgemeinen erwarten dürfte, wo dann alles
mehr blos dem Umgange eingewebt werden müßte; für spätere Jahre aber würde
ich es z. B. in den Schulen als etwanige Ausfüllung der in der vorhergehenden Er-
ziehungsperiode gelassenen Studien u. Verbesserung der dadurch entstandenen Übel;
oder, wenn dieser Mangel nicht Statt gefunden, als wirkliches Fortschreiten auf dem
angebahnten Wege und trete es dann ein, daß jede Lehrstunde in allen Fällen, wo
es möglich wäre, im allereigentlichsten Sinne erziehend seyn müßte. Aber wie?
Diese Aufgabe wirfst Du mir hin gleichsam als Prüfstein, was Du von mir erwarten
dürftest. Theurer Freund, diese Aufgabe praktisch zu lösen ist das Hauptziel unsrer
pädagogischen Bemühungen gewesen, und eben der Punkt, wodurch unsre Weise
sich von der gemeinen schied (und wie wir hoffen über sie erhob) lag hierin; und
demnach stelle ich mich jetzt in meiner ganzen Blöße vor Dir, und gestehe, daß
ich Dich nicht verstehe; || aber nicht engherzig daherstolzirend, sondern um Dich
weiter zu hören, Dir nach zulauschen und dadurch meine Ansicht zu erweitern oder
wenigstens zu berichtigen. Oft liegt etwas in einem, und ringt um die Geburt, das
dann beym leisen Druck von Freundeshand hervorspringt; vielleicht geht es mir
jetzt ebenso. Ich sehe nemlich nicht, wie man hier etwas objektives, wie sonst beym
Unterricht festsetzen könnte, welches Du doch zu fordern scheinst. Es ist hier
nicht nur von bloßer Form die Rede (oder meinst Du auch die eigentlichste
Materie?), wovon eben derjenige Theil, der durchaus in dem Vermögen und Willen
des lehrenden Subjekts begründet seyn muß, hier würken soll, wovon sich also wohl
Ideale als Aufmunterg, aufstellen laßen, wofür man aber nie einen bestimmten Weg
vorzeichnen kann; — sondern es körnt bey der Bildung des Charakters, wie ich
glaube, noch vielmehr auf die Individualität des zu bildenden Subjekts an, als bey
der Bildung des Geistes und beym eigentlichen Unterricht, der Geist schlägt sich
gewiß viel eher selbstthätig durch, als der Charakter; obgleich man auch für jenen
haupts. in späteren Jahren mehr auf Individualität sehen sollte, als man zu thun
gewohnt ist. Hilf mir ein, lieber Herbart, wenn Du weiter siehst. Du versprichst
mir ohnehin mir vielleicht etwas eignes Pädagogisches zu senden; sey überzeugt,
daß ich es mit dem herzlichsten Dank empfangen, und nicht schweigen werde, wenn
ich etwas || darüber zu sagen vermag.
Was Pestalozzi betriff, so laß uns das Geschenk dieses Greises, der vielleicht
einer der edelsten und uneigennützigsten ist, den die Erde trägt, und in dem ich
einen kindlich reinen Enthusiasmus sehe, wie wohl nur selten einen unsrer größten
Menschen beseite, nicht verachten, weil man noch ein größeres hätte geben können.
Hätte jedes Land in jedem Fall nur einen solchen Menschen, unsre Enkel fänden
vielleicht den Himmel auf Erden.
Seine Briefe an Geßner werden Dich vielleicht nicht befriedigen, aber Dir
doch gewiß manchen schönen Augenblick machen, und auch in Dir vielleicht
n*
164 Juni i8°°-
manches tiefere Nachdenken über diesen oder jenen Punkt veranlaßen. Möchtest
Du mir doch recht bald Deine Gedanken darüber mittheilen! Sobald wir wieder in
Bern, versuche ich mich wieder genauer mit allem durch einen Besuch bey ihm
in B. zu unterrichten.
Genug endlich einmal; nimm hier nun bis auf bessere Belehrung durch seine
eignen Schriften eine kurze Anzeige dessen, was ich für die Kinder Deiner Freun-
dinnen (denen ich mich gerne bey dieser Gelegenheit empfehlen möchte) etwa
brauchbar glaube. ||
Daß Pestalozzis ABC der Anschauung, das eigentlich nur seiner Idee nach
von P., seiner Ausführung nach aber von Büß herrührt, mich nicht befriedigt hast
Du schon aus meinem letzten Briefe gesehen, desto begieriger bin ich, das Deinige
kennen zu lernen. Wenn Du mir deshalb das Deinige sogleich schickst, ehe das
Pestalozzische, wie es jetzt ist, pubiicirt wird, und wenn ich mich, wie ich nach Deiner
Äußerung hoffe, sogleich ganz hineinfinden kann, so zweifle ich kaum daß P. sowohl
als Büß es einer unpartheyischen Prüfung unterwerfen, und wenn es nach ihrem
Urtheil das ihre übertrifft, es an der Stelle desselben aufnehmen werden. — Es
freuet mich, daß ich meinem eignen Verlangen danach so dringende Gründe unter-
schieben kann; aber ich hoffe, Du wirst jetzt nicht säumen. Ich wünschte Dir auf
eine ähnliche Art Deine andern beyden Aufsätze sogleich entlocken zu können,
worauf ich nicht minder begierig bin. Deine Einleitung zu P.s Buch wird mir auch
deshalb noch wichtiger, weil ich schon seit einiger Zeit eine ähnliche Idee im Kopfe
hatte, an deren Ausführung mich meine Krankheit noch verhindert. Doch wollte
ich eigentlich eher eine Anweisung, als eine Einleitung geben. Wenige Menschen
haupts. Finnen werden sich so aus P.s Buch herauszufinden wissen, daß sie recht
etwas danach unternehmen könnten, j| da demselben wirklich auch manches in dieser
Hiusicht an einer vollkommnen Darstellung der P. sehen Ideen fehlt. Ich dachte
deshalb an eine eigentliche Anleitung für Mütter nach P.s Methode zu unterrichten,
wodurch dieser Methode auch vielleicht bey manchen Männern von gewissem Schlage
eher Eingang verschaft würde. Ich würde dieses freylich ganz nach eigner Ansicht
derselben entwerfen, es aber vor der Bekanntmachg. P. zur Beurtheilung vorlegen.
Vielleicht könnten überhaupt dem Publikum P.s Ideen dadurch mehr aufgehellt,
wenigstens bekanter gemacht werden.
Noch wichtiger aber würde mir Dein Aufsatz für die Grundideen der höhern
Erziehung, nach dem was Du mich davon hoffen machst, seyn. — Ich fühlte schon
vor Absendung meines letzten Briefs, daß ich mich über den Punkt der Charakter-
bildung darin nicht eigentlich meinem Endurtheile gemäß richtig ausgedrückt hatte,
ich wollte ihn umschreiben, aber meine Krankheit machte mir es nicht gut möglich.
Es freut mich jetzt Dich dadurch zur Sprache, wenigstens für mich erst zur Sprache
gebracht zu haben. Ich sehe aus Deinem Briefe, daß wir doch eigentlich, haupts.
meinem letzten Nachforschen nach, auf gleichem Wege || sind, nur daß Du wie
immer einen großen Vorsprung hast, den ich Dir vielleicht nie, ohne daß Du mir
Deine Hand reichst, nachspringen würde. Ich wollte mehr und bestimmter hierüber
reden, aber ich will lieber schweigen bis Du geredet hast, da ich ohnehin meinen
Brief sonst noch einen Posttag länger aufhalten müßte.
Eben das gegenwärtige unmittelbare Bedürfniß (haupts. für meinen Rudi)
macht es mir jetzt doppelt zur Pflicht diesen Gegstd. mit allem Ernst zu erwägen.
Ich weiß nicht, ob ich Dich hiedurch bewegen werde, etwas mehr mit Deinen Ideen
herauszurücken. —
In der Hofnung, daß Du diese Zeilen, aller ihrer Verworrenheit ungeachtet,
nicht unbeantwortet bey Seite legen werdest, werde ich Dir so bald mögleh. weiter
Juni 1800. 165
schreiben, haupts. über mein projektirtes Institut. Die Haupteinwendung meines
Vaters ist, daß ein solches Unternehmen ohne Unterstützung des Staats sehr wag-
lich sey. Aber demungeachtet ist er eigentlich nicht dagegen. Nächstens bestimmter
und ausführlicher über diesen ganzen Gegenstand, wobey ich Deine Frage nach dem
muthmaaßlich. Anfang beantworten werde. ||
Auch über Homer und vorhomerische Mythologie verschiebe ich meine Ant-
wort, da ich auch über einige verwandte Gegenstände mit Dir reden möchte. Mit
meiner Krankheit ist es noch fast beym alten, mein Kopf ein wenig leichter, aber
desto empfindlicher sind die Rückenschmerzen. Ich kann noch immer wenig vor-
nehmen. Segelken hat mir diese Zeit einen sehr wichtigen Dienst mit der Ver-
sorgung meines Rudis geleistet. Er hat vielen Fleiß und viele Kenntniße, und in
dieser Hinsicht sind Steigers gewiß sehr wohl durch ihn versorgt. Auch hat sein
"Wesen sich sehr verändert, da es vorher gewiß aus mancherley Gründen mehr ge-
macht als natürlich war.
Erfreue Deinen kranken Freund durch baldige Beantwortung.
Ganz Dein Th. Z. ||
124. Herr von Steiger und Carl an H.1) Riggisberg, am 16*- Junius 1800.
Insonders zu verehrender Herr! Erst sollte H. Segelken ankommen, ehe ich
dero mir äußerst schätzbare Nachrichten beantworten wollte. Er traf am 27 t- May
bey uns ein. Darauf schien mir zweckmäßig noch einige Zeit abzuwarten, damit
ich Ihnen zugleich etwas näheres über unsern neuen Freund melden könnte. Diese
zwey Betrachtungen allein waren vermögend, meinen innigen Dank für dero fort-
gesetzte Theilnahme an dem Glück meines Hauses gegen Sie auszudrücken. So viel
ich bis itzt urtheilen kann, entspricht H. Segelken recht gut unseren Hoffnungen
und Erwartungen. Sein Umgang scheint offen, der Humor heiter, und die Sittlich-
keit, wie Sie wißen, mein Bester, das Wesentlichste für mich, ohne Fleck zu seyn.
In Sprachen, Geschichte u. Geogrph. ist er fest; nur eines vermiße ich bey
Ihme, die Mathematik für Ludwig; doch hierin will Freund Zimmsen uns ferner bey-
stehen, und für Carl hat S. noch Zeit vor sich, um sich bis dahin noch beßer hinein
zu studiren. So ist mir endlich ums Herz leichter geworden, nachdem eine lange
Ungewißheit Centn erschwer darauf gelegen hatte und nun — erscheinen wir groß
u. klein gerührt vor Ihnen mit der Versicherung, daß wir, für die Zukunft wie fürs
vergangene, Ihnen, theuerster || Freund, das, was wir unser größtes, unser einiges
Glück nennen, zurechnen wollen. Ich weiß es, Sie nehmen diese aus dem Grund
des Herzens quillende Erklärung statt alles Dankes an. Ich- weiß ebenfalls, daß Sie
uns auch itzt noch Ihre vortreffl. Anweisungen nicht entziehn, sondern vermittels
selbiger Ihr gutes "Werk an mir in so weit vollenden werden, als die unselige
Trennung es gestattet.
Nun noch ein "Wort von Ihnen selbst. Wie befinden Sie sich in jeder Rück-
sicht! Sind Sie gesund? Sind Sie glücklich. Hier zu R. sind wir wohl, recht wohl;
ich komme selbst mit den erklärtesten Patrioten gut fort.
Meine Familie hat sich noch um eine kleine Frederike vermehrt. Alte und
junge vereinigen sich mit mir, um uns von Ihnen die Fortsetzung Ihrer Freund-
schaft auszubitten. Sie kennen längst die Gesinnungen der reinesten Hochschätzung
Ihres dankbaren C. F. Steiger. ||
(Dasselbe Brief blatt.) Riggisberg am 13t. Junius 1800.
Lieber Herr Herbart! Endlich ist H. Segelken angekommen, nachdem wir uns
lange nach ihm sehnten. Er gefällt uns allen ausnehmend wohl, so viel wir bisher
2) 4 S. 8° ohne Schluß. H. Wien. Der 2. Brief zweifellos von Carl.
166 Juli 1800.
gesehn haben und ich kann recht gut in den Arbeiten mit Ihm fortkommen, auch
verstehe ich ihn sehr leicht, als wenn ich Ihn schon lange gekannt hätte. Ich
wurde Ihnen, lieber Herr Herbart, schon vorher Ihren Brief beantwortet haben, der
mich sehr freute, aber ich wollte die Ankunft von Herr Segelken erwarten.
Meine Arbeiten sind den vorigen beinahe gleich. Vorher übersetzte ich allein
schriftlich im Xenophon, Virgil und Sallust; auch trieb ich für mich Geometrie im
Euklid; und im Wünsch haben wir den zweiten Theil angefangen. Den Xenophon
übersetze ich noch immer für mich, und ich bin wirklich im siebten Kapitel, auch
den Jugurtliinischen Krieg. Bey Hern Segelken aber lese ich in Plutarch den
Theseus, und im Salust den Catilinarischen Krieg, dessen Anfang mich äußerst
interessirt, wegen der Kürze der Worte und der Stärke die darin liegt. Wir treiben
auch Geographie, und ich fange das Französische an. Die Mathematik bleibt etwas
aus, wie leider auch Plato. Plato scheint mir aber viel nützlicher zu seyn, als
Xenophon und Plutarch, aber doch interessiren sie mich auch sehr; und Xenophons
Schreibart scheint mir viel Ähnliches mit der des Plato zu haben, der Einfachheit
wegen; so wie mir Plutarch viel gekünstelter scheint.
Alle Abend das Interessante aufzuschreiben, was mir den Tag über auffällt,
habe ich noch nicht gethan, weil ich noch nicht recht wußte, wie ich es anfangen
sollte. Jetzt aber will ich ein förmliches Tagebuch halten.
Auch fragte ich Herrn Segelken um Erlaubniß meine Arbeiten, auf die Weise,
die Sie mir angegeben haben, zu bearbeiten und Ihnen dann das, was mir das
Interessanteste schiene, zu überschicken: Herr Segelken erlaubt es ... .
125. Steck an Zehender. Juli ? 1800.
,,Ich bin Dein Schuldner für den Brief von Herbaet; ich theile ihn Dir mit.
Smidt's Brief hat May; Du versprachst mir den Deinigen von Herbart. Gestern
habe ich an beyde geantwortet."
126. An die Gebrüder von Steiger.1) Bremen am iotenjuii 1800.
Vielmal, meine lieben jungen Freunde, bin ich in diesen Wochen
ungeduldig darüber geworden, dass ich von Euch keine Briefe habe. Ich
hätte schöne Gelegenheit gehabt, Euch durch Hrn. Stolz eine weitläuftige
Antwort sicher zu übersenden. Ich schiebe gern die Schuld auf die
Posten. Denn Ihr habt in der langen Zeit doch gewiss etwas für mich
geschrieben. Dass ich für mich nichts Künstliches von Euch begehre,
habe ich Euch noch in meinem langen Briefe vom April, den Ihr doch
hoffentlich erhalten habt? — wiederhohlt, nachdem Ihr es ohnedies längst
überzeugt seyn konntet.
Jetzt kann ich Euch nur kurz schreiben, dass meine Liebe und mein
Andenken Euch immer bleibt — dass kein Tag hingeht, wo ich nicht
versuche, mir Eure Gestalt und Euer Wesen vorzustellen, wo ich nicht
für Euch wünsche und hoffe: — Nicht wahr, meine Theuern, das ist die
Hauptsache, die meine Briefe Euch sagen sollen? Ich schliesse es wenigstens
daraus, weil es mir selbst so geht, weil ich es jedesmal wissen möchte,
wenn Ihr an mich denkt; weil ich jetzt, da ein anderer die Aufsicht über
Euch übernommen hat, nicht mehr nöthig finde, viel an Eure Fehler zu
denken, sondern lieber bei dem Guten verweile; || — bey dem Guten das
x) 2 S. 8°.
August 1800. 167
Ihr jetzt schon habt, und das Ihr künftig noch erwerben, und selbst seyn
und mir irgend einmal entgegenbringen werdet. So empfinde ich jetzt
das Vergnügen, an Euch zu denken, wenn nicht lebhafter, doch noch
reiner, als da ich noch bey Euch war. — Wie habt Ihr es die lange
Zeit hindurch gemacht, da Ihr auf dem Lande allein wäret? Ziemßen
versprach mir, er würde so ziemlich sorgen können. Das neue Landgut
hat Euch auch wahrscheinlich viel zu thun gemacht. Besonders Sie, lieber
Ludwig, haben, wenn ich glücklich rathe, dort eine Menge von Geschäften
für Sich gefunden? — Carl wird mir erzählen, dass er viel im Plato und
Xenophon gelesen und Rudolph, dass er schon weit über die Hälfte der
Jliade hinaus ist. Ungefähr dasselbe kann ich Euch von mir erzählen,
und vielleicht werde ich Euch in meinem langen Briefe, an dem ich
schon manches geschrieben habe, davon noch umständlicher erzählen.
Ich lebe, wie Ihr an der Aufschrift seht, noch in Bremen. Meine Adresse
ist also: an H — abzugeben beym Hrn. Professor Smidt, auf dem Abbenthors-
walle, in Bremen. Ihr könnt die Briefe nur gerade hieher schicken, denn
ich bleibe fürs Erste hier.
Meine gehorsamsten Empfehlungen dem Hrn. Landvogt und der
Fr. Landvögtin. — Grüsst auch vielmals Henriette, Sophie, Justine, und
küsst statt meiner den Franz und die kleine Josephine.
127. Steck an Zehender. August 1800?
„Herbakt! wie sehr ich für ihn traure. Sein Brief sagt mir alles."
128. Ziemssen an Herbart.1) Bern d. 23. Aug. 1800.
Theuerster, innigstgeliebter Herbart. Wenn uns der tiefste Kummer, der uns
eben treffen kann, trift, so eilen wir zutrauensvoll hin in die Arme unseres innigsten
Freundes; aber wenn auch ihm eben dieser Kummer werden muß, und wir es so
gar selbst sind, die die schreckliche Verbindlichkeit haben, denselben in seinen
Busen auszugießen, so nahen wir uns ihm mit bangem Herzen und doppeltem
Schmerze; und so muß ich Dir leider jetzt nahen, und Dir, dem ohnehin jetzt das
bessere Schicksal seit einiger Zeit stets den Kücken wandte, neuen tiefen Kummer
verkünden; denn unserm guten Fischer ist der, den wir so herzlich liebten, mit
dem das Beste in uns in einem so hohen Einklänge stand, und mit dem unser
ganzes Leben und Treiben so innig verwebt war, — unser edler, theurer Eschen
in jenes höhere Leben hinüber gefolgt. — Ich sehe Schrecken und ßetrübniß auf
Deinem Gesichte, und sehe eine heiße Thräne auf den verewigten Freund über
Deine "Wangen herabrollen, und dennoch vermagst Du meinen Kummer, || und das,
was ich hiebey gelitten habe, nicht zu fassen. Ich schrieb Dir mit Vorsatz nicht
gleich in dem ersten Affekte, um eine ruhigere Stimmung zu gewinnen, aber doch
zittert mir noch die Feder in der Hand, und kaum vermag ich Dir mit drey Worten
das traurige Schicksal zu erzählen. — Mit dem höchsten Entzücken, das vielleicht
x) 3 S. 8». H. Wien. — Joh. Rtjd. Fischer starb am 4. Mai 1800. (S. R. Steck,
Fischer von Bern u. s. Beziehungen zu Pestalozzi, Bern 1907, S. 60.) — Friedr.
Aug. Eschen, geb. 1776 in Eutin, ein Schüler von Voß, Mitarbeiter an Schillers
Musenalm. f. d. J. 1799, verunglückte am 7. Aug. 1800 auf dem Gletscher des Mont
Buet (Chamonix). (Vgl. Schiller an Goethe 5. Sept. 1800 u. 8. Mai 1798; ferner
Archiv f. Literaturgeschichte Bd. 11 u. Bd. 15, Euphorion 12. Bd. u. Schillers
Calender v. E. Müller.)
l68 September 1800.
unsere Seele zu fassen vermochte, lagen wir — auf unsrer Reise, wozu wir uns
schon bey der Trennung von Dir freuten — an den Ufern des Genfersees, wanderten
wir in das Chammounythal und erklätterten einen hohen berühmten Berg dem
Montblanc gegenüber. In einer Höhe, wo weder Baum, noch Strauch mehr war,
übernachteten wir in einer armseligen Alphütte auf einem Heuhaufen; mit Sonnen-
aufgang wanderten wir am andern Morgen der noch ungefähr 4 Stunden entfernten
Spitze unsers Berges zu; schon hatten wir sie bis auf eine halbe Stunde erreicht,
als Eschen auf einer Schneefläche, wo weder wir, noch unser Führer, (der sonst
bis jetzt so sorgfältig alles von uns abgewandt hatte) Gefahr befürchteten, in eine
mit einer dünnen Schnee- und Eiskruste überdeckte, über 100 Fuß tiefe, enge Eis-
spalte stürzte, wo er, wie sich beym Herausziehen des Körpers bestätigte, durch
eine Zerquetschung der Brust das Leben sogleich verlor, und ich konnte auch keine
Spur mehr von ihm sehen und keinen Ton mehr hören. || 0! ich vermag es nicht
Dir diese fürchterliche Scene jetzt noch weiter auszumahlen, denn es wirbelt mir
noch der Kopf und drohet "Wahnsinn, wenn ich nur daran denke; aber auch ohne-
dem wirst Du ahnden können, in welchem Zustande ich mich hiebey in dieser
schrecklich öden "Wildniß, und während der fünf fürchterlichen Tagereisen, die ich
machen mußte, ehe ich hier wieder zu Menschen kam, die meinen Schmerz ver-
standen, und theilten, befunden haben, und welche Eindrücke und welches Nach-
hallen davon unauslöschbar meiner Seele eingegraben seyn muß. Sanft ruhen jetzt
die Gebeine unsers verewigten Bruders bey Servoz, einem Dorfe im Thal, unter
einem Grabhügel, auf dem wir ihm ein kleines Denkmal errichten zu lassen ge-
denken. — Rein und edel eilte gewiß sein höheres "Wesen jenen lichten Höhen
entgegen, von denen er vielleicht hofnungsvoll und mit aufmuuterndem Blicke auf
unser Streben, ihn dort einmal wieder als würdige Brüder umarmen zu dürfen,
herabsieht. — Eine Thräne steht mir im Auge, und die Feder entfällt mir der
Hand! — Ich sinke hin an Deinen Busen, mein einziger! —
129. Segelken an H.1) Riggisberg, Anf. Septemb. 1800.
Lieber Herr Herbart, daß ich Ihnen während der ganzen Zeit meines Hier-
seyns noch nichts geschrieben habe, darüber bedurfte es allerdings einer Ent-
schuldigung von meiner Seite, wenn ich diese nicht in der Notwendigkeit mich
vorläufig mit dem Wirkungskreise; in den ich trat, seinen wichtigsten Theilen
nach bekannt zu machen, ehe ich Ihnen meine Gedanken darüber mittheilte, zu
finden glaubte, und bey Ihnen aus dieser Rücksicht gleichfalls hoffen könnte. Ich
fühle es, wie weit mehr es erfordert, eine Arbeit im Geiste des andern, der sie
anfing, und zugleich nach eignen Einsichten zweckmäßig fortzuführen, — als selbst
für sich allein etwas aufzubauen. Hier kann ich nur nach eigner Erkenntniß und
Ueberzeugung handeln, und mir Schritt vor Schritt meinen Weg eröfnen, dort muß
ich den Anfang des andern mit vor Augen haben, und manchmal auf ihn zurück-
blicken, damit nichts Haltbares niedergerissen, nichts verunstaltet werde, damit
Uebereinstimmung herrsche, und Anfang, Fortgang und Ende ohne Lücke u. Fehler
bestehe. In dem einen Falle bin ich nur mir und denen, in deren Verbindung ich
handle, Rechenschaft schuldig, im andern auch dem, der mir vorarbeitete. —
"Was die wesentlichsten Gegenstände der Erziehung betrifft, so hoffe ich, daß
wir in dem allgemein anerkannten, was die Sache selbst giebt, nicht sehr abweichen;
wenn wir es uns auch uns auf verschiedene Art und mit andern "Worten sagen
sollten, so will ich dennoch ein paar "Worte darüber hersetzen. — Cultur der
a) 4 S. 4°. H. "Wien.
September 1800. 160
Humanität, oder Bildung des Menschen zum Menschen, alles Einzelnen, Dunklen in
ihm zu einem hellen Ganzen, Bildung seiner gesammten Kräfte für innere Stärke,
Klarheit, Eeinheit und Gewißheit seines ganzen Wesens und alles dessen was ihn
umgiebt; — ist, wie ich glaube, der Zweck der Erziehung. — Diesen wird der
Erzieher aber immer mit Rücksicht auf den Menschen den er vor sich hat, nach
dessen Empfänglichkeit, nach seinen individuellen Anlagen und Neigungen realisiren
müssen — bey den verschiedenen Menschen auch in verschiedenen oft entgegen-
gesetzten Puncten ankämpfen, und bey dem einen auf dem directen Wege dahin
kommen können, wo bey dem andern oft ein größerer Umweg zu wählen noth-
w endig ist. —
Von den mannigfaltigen Mitteln, die er im Gebiete der Erkenntnisse dazu
findet, scheint mir das Lesen der Alten, und zwar indem man den Anfang von
den Griechen macht, eines der vorzüglichsten und fruchtbarsten zu seyn. Ich
wüßte nichts, das mächtiger auf das Jugendalter des Menschen wirken könnte, als
jene jugendlichen Ideale der Griechischen Welt, als jener kräftige, erhabene Geist,
der dort herrschend ist, und der so mannigfach gelenkt werden kann, um Kräfte
der Seele und des Lebens im Menschen zu wecken — um wiederum Geist zu be-
leben. Die Römer, in vielen Stücken [| meistens glückliche Nachahmer jener voll
Ernst und Würde können dann bald nachher vortheilhaft mit ihnen verbunden
werden. — Der große Schauplatz der Geschichte der Menschheit und einzelnen
Menschen wird ferner eine lehrreiche und bildende Schule für das eigentliche
Handeln des Menschen, für Herz, Character und Grundsätze, und daher glaube ich,
ist sie in ihrem ganzen Umfange, oder ältere und neuere Geschichte zusammen-
genommen, nicht für den Knaben, sondern vielmehr für den Jüngling, dessen bis-
herige Bildung durch die alte Geschichte, und etwa durch einzelne große Begeben-
heiten der neuern bestimmt darauf hingeleitet ist, um nachher den ganzen Geist
dieser in Verbindung mit jener kennen zu lernen. — Physik und Naturgeschichte
halte ich für wesentliche Mittel der Bildung; jene als die erste Führerin zur ge-
nauem Kenntniß der Natur durch Aufschlüsse über die Naturgesetze, durch Er-
fahrungen von Ursachen u. Wirkungen, die auch in der Einsicht den Verstand viel-
fach beschäftigt und übt; diese ihre Schwester in so fern durch sie die richtige
Kenntniß der Naturgegenstände, der Gesetze ihrer Bildung, ihre Beziehungen auf
einander, der Vergleichung des Aehnlichen, und Unähnlichen, und der Aufsuchung
dessen was allgemein zum Grunde liegt, — zur nähern Verfolgung des erhabenen
Ganges der Natur führt. Nie aber darf jenes bloß historische Oberfläche bleiben,
noch dieses in leerem Wortkram bestehen; vielmehr unterbleibe es ganz, wenn es
nicht, wie alles in der Bildung des Menschen, zu etwas Reellem führt, nicht seinem
ganzen Wesen etwas giebt, wenn es ihn nur einseitig beschäftigt. Der Sinn und
das Interesse dafür muß besonders geweckt, und vereint mit allen übrigen fort-
geführt werden. — Mathematik ist ohne Zweifel das kräftigste Mittel zur Schärfung
des Verstandes, — zur Deutlichkeit und Bestimmtheit der Begriffe zu gelangen,
und muß von da auch wieder mehr Festigkeit und Gewißheit in den ganzen
Menschen bringen, jedoch kann ich über diesen Theil der Bildung nicht aus Er-
fahrung sprechen, weil ich selbst zu wenig davon verstehe, aber dennoch völlig
von ihrem Nutzen überzeugt bin. — Mit neuern Sprachen glaube ich dann nur erst
den Anfang machen zu dürfen, wenn schon ein guter Grund in der altern gelegt
ist, und alsdann solche Schriftsteller zu lesen, deren Werke man als Gegenstücke
der Alten ansehen kann, und die ihnen in ihrer ganzen Tendenz am nächsten ge-
kommen sind. — Bestimmter Unterricht für Moral und Religion ist nicht für die
früheren Jahre. — Dies mag genug seyn hievon, — und ich wiederhole es noch-
iyo September 1800.
mals, daß dies zwar einzeln begründet werden, aber dennoch nicht einzeln und
getrennt fortgeführt werden kann, — sondern daß alles sich schön und harmonisch
die Hand reichen, — daß eins dem andern forthelfen, und Mittel und Beförderung,
und Unterstützung werden muß zu Einem großen Ganzen — zur Ausbildung der
Humanität. ||
Jetzt noch ein paar Worte über unsre gemeinschaftlichen jungen Freunde.
— Ludwig hat viel guten Willen und Kopf, und ist brav wie alle andern, doch
fehlt es ihm für sein Alter, wie ich glaube, noch an Stärke und Festigkeit des
Characters, — mehr Bestimmtheit seines ganzen Wesens — handeln nach Grund-
sätzen muß in ihn kommen. . . Was ich hier kann werde ich für ihn thun. — Sein
Fehler ist oft Sorglosigkeit u. Gleichgültigkeit, die ihn in dem thätigen Eifer, der
bey allen Geschäften nothwendig ist, sehr hindert. — In der Mathematik und im
Lateinischen ist er ziemlich fortgerückt. Ueber seine mathematischen Arbeiten kann
ich keine Aufsicht haben, weil ich selbst nicht so weit darin bin, und mich vor
einigen Jahren nur wenig mit Geometrie beschäftigt habe. Um zur sphärischen Trigono-
metrie vorzurücken, dazu ist mir jetzt noch keine Zeit übrig. — Ueberdem wußte
ich nicht das geringste davon, daß ich hier einen angefangenen Unterricht in der
Mathematik fortzusetzen hätte, und ich muß gestehen, ich wurde etwas frappirt,
wie ich von einem Zögling hörte der schon beträchtliche Fortschritte darin gemacht
hätte. — Ziemssen hat die Güte, seine Arbeiten von Zeit zu Zeit nachzusehen und
dieser versichert, daß er recht gut fertig wird. — Im Lateinischen ist Tacitus seine
vorzüglichste Leetüre, dessen kurze Fülle ihm aber noch einige Mühe machte. In
der Geschichte und in neuern Sprachen wird er sich jetzt hauptsächlich hervor-
arbeiten müssen. Die Griechische Geschichte ist durchgemacht und jetzt beschäftigt
er sich mit der Eömischen, — um dann zur neuern Geschichte überzugehen. —
Die Englische Sprache haben wir ebenfalls angefangen. Carl hat viel Vortreffliches,
und es bedarf oft nur einer leisen Berührung, um es zum deutlichen Lichte zu
wecken; er ist nachdenkend wenn ihm Stoff gegeben wird, hat lebhaftes Interesse
für alles, — viel Sinn fürs Edle und Erhabene. Eben so leicht aber glaube ich
könnte ein ganz gewöhnlicher Mensch aus ihm werden, wenn man jene Keime nicht
sorgfältig und anhaltend nährte, denn noch ist nicht Kraft genug da, um durch sich
selbst aufzublühen. Mein Hauptaugenmerk ist jetzt, ihn zum eigentlichen thätigen,
innern Leben hinzuleiten, um ihn selbst handelnd, schaffend, bildend zu machen.
— Möchte es mir gelingen, alles in ihm zur schönen Reife zu bringen. — Seine
Leetüre im Griechischen ist Xenophon, Plutarch und Plato. Mit dem erstem wird
er allein ziemlich fertig, und der andre wird ihm auch schon leichter. Der letztere
wirkt am meisten auf ihn, und hebt seinen Geist empor. Er liest den Phädon jetzt
mit vielem Vergnügen. Bey diesen Dreyen möchte ich es für einige Zeit bewenden
lassen, und dann späterhin wenn er die Sprache etwas mehr in seiner Gewalt hat
einen Dichter hinzufügen; etwa einen Tragiker. — Mathematik werde ich nächstens
wieder mit ihm fortsetzen.
Der veränderliche, flüchtige Rudolf liebt Abwechselung der Beschäftigungen,
und eben so schnell und lebhaft, wie ihn irgend ein neues Interesse ergreift und
fesselt, ebenso schnell verläßt es ihn auch wieder. So fing ich bey meiner Ankunft
Cyrus Feldzug mit ihm an, weil der Homer, den er während der letzten Zeit an-
haltend gelesen hatte, ihn nicht lebendig genug beschäftigte; wie nun nach einiger
Zeit die Vorliebe || für Xenophon etwas nachließ, verband ich die Ilias wieder damit,
und nun liest er beyde mit Lust. Sallusts Catilina hat er mit anhaltendem Interesse
geendigt, aber Cäsar ist ihm bey weitem das nicht, ich werde also hier wol einmal,
vielleicht mit Nepos, wechseln müssen. — Jedoch möchte ich ihn nicht an diesen
September 1800. 171
Wechsel der Beschäftigungen gewöhnen, damit er nicht zu sehr distrahirt, und in
mancherley Gegenstände getheilt wird, sondern ihn nach und nach, auch durch Ver-
einfachung der Arbeiten, mehr zur Stetigkeit überhaupt hinleiten.
Was die Richtung meiner eignen wissenschaftlichen Beschäftigungen betrifft,
die sie zu wissen wünschen, so werde ich die kurze Zeit die mir übrig bleibt zum
Studium der Alten, der Naturwissenschaft, und vorzüglich der Mathematik anwenden,
damit ich denen, für welche ich jetzt lebe, um so mehr seyn kann. — Ich fühle
mich froh und glücklich in dem Cirkel unsrer Lieben — ich finde Befriedigung — ich
hoffe — möge uns für die Zukunft Freude entgegen blühen. —
Leben Sie wohl! Schenken Sie mir wieder einige Zeilen.
Ihr Segelken.
130. An Segelken.1) Bremen, Mitte Sept. 1800.
Mit Ihrem Briefe, lieber Segelken, ist viel Freude zu uns kommen;
nicht nur zu Ihrem Hrn. Vater, sondern zu allen die mich hier unter
sich leben lassen, und vor allen zu mir, denn wer konnte die Nachricht
über Ihre glückliche Uebereinstimmung mit Ihren Verhältnissen in St[eiger']s
Hause, froher empfinden als ich? Meine Freunde sowohl als ich selbst
haben es mir stark gesagt, dass ich mir zu dem Briefe den Ihr Hr. Vater
die Güte hatte uns mitzutheilen, Glück wünschen darf. Sie haben mit
wenigen scharfen Zügen die Menschen dort gezeichnet, ich erkenne die
ganze Richtigkeit dieser Zeichnungen; Ludwig und Rudi erscheinen mir
selbst verschönert, und doch getroffen; so, wie ich bey meiner Abreise
hoffen konnte, dass sie werden würden. Carl wird Ihnen vielleicht noch
lieber werden; und mit dem Landvogt können Sie schwerlich lange zu-
sammenleben, ohne ihn — besonders wenn er sich Ihnen, wie mir, in
vielfachen schwierigen Lagen zeigen sollte — mit immer steigender Hoch-
achtung zu betrachten, die nahe an Verehrung und Enthusiasmus gränzen
wird. — Ich || beneide Sie um die Thätigkeit, mit der Sie Ihr Werk treiben;
ich könnte sie Ihnen hier in dem trüben Klima von Bremen und bey
meiner gegenwärtigen Stimmung nicht nachthun. Oder vielmehr, wenn
ich etwas beneiden könnte, so wäre es Ihr ganzes Dortseyn, an dem
Platze, den ich, von aussen her gedrängt, verlassen musste, und an dem
ich sonst wohl sicher mein vorgesetztes Jahrzehnt durchlebt hätte. Wer
mit diesem Platze nicht zufrieden wäre — von dem wüsste ich nicht was
ich denken sollte; dass Sie sich dort so recht wohl fühlen, ist mir ein
glückliches Zeichen von Uebereinstimmung unter uns. — Wie willkommen
Sie im Steiger'schen Hause waren, habe ich bald nach Ihrer Ankunft schon
in 4 Briefen von St[eiger']s seinen 3 Söhnen gelesen ; ich erhielt recht
vergnügte, und recht zierliche Danksagungen, die ich meines wenigen
Verdienstes eingedenk, im Geiste an Böhlendorf überliefert habe; dem
ich noch dankbarer seyn würde, wenn er mich eher, und persönlich mit
Ihnen bekannt gemacht hätte. Dann wäre meine Freude wahrscheinlich
jetzt ganz rein, statt dass nun doch noch ein || kleiner Stachel darin ver-
borgen liegt, den ich eben so stark empfinde, als ich ihn klein sehe, und
den ich Ihnen vielleicht nur zu zeigen brauche, damit Sie ihn heraus-
*) 8 S. 8°. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann Briefe pp. Der Schluß
des Briefes fehlt.
\12 September 1800.
ziehn. Nachdem ich jetzt so gute Nachrichten von beiden Seiten habe,
eile ich , Sie darum zu bitten. — Meinem Gefühle entspricht hier aber
nur völlige Freimüthigkeit; wenn diese Ihnen anstössig wird, so habe ich
zwar viel zu verlieren; aber alsdann muss ich es verlieren — und je
eher je lieber!
Zwischen Ziemssen und Ihnen ist nicht das Verhältniss, was, so weit
ich Sie kenne, und so gewiss ich Ziemssen kenne, zwischen Ihnen seyn
würde, wenn Sie einander kennten.
Sie scheinen mit empfindlicher Reizbarkeit besorgt zu haben, dass
Ziemssens und meine Theilnahme an Ihrem Geschäft Ihnen lästig, störend,
seyn werde, dass ein ungerechtes Vorurtheil gegen Sie in St[eiger']s Hause
durch uns entstanden sey oder entstehen werde.
Vielleicht spreche ich von Dingen, die nie so schlimm waren, oder
die doch jetzt nicht mehr existiren. Sie haben || hoffentlich deutlich genug
gesehn, wie Sie aufgenommen sind. Und ich konnte Sie wohl nicht ohne
die grösste Ungereimtheit so dringend auffordern, auf meine Gefahr ab-
zureisen, wenn ich nicht durch Briefe und Nachrichten hinlänglich mich
berechtigt geglaubt hätte, den mir anvertrauten Auftrag so entschieden
auszuführen. Wie sehr aber Ziemssen und ich in dieser Rücksicht fast
Eine Person sind — das, so wie einige andere Umstände, hat Bohlen -
dorf vielleicht vergessen, Ihnen in das nöthige Licht zu stellen.
Sie und Z[iemssen] hatten, glaube ich, in Jena einer gegen den andern
ein ungünstiges Vorurtheil gefasst.
So sehr ich Z[iemssen']s Freund bin, ist es mir doch gar nicht un-
begreiflich, dass das Ihrige gegen ihn, natürlich gewesen seyn kann.
Ziemssen ist zuweilen abstossend. In Jena besonders muß er sich noth-
wendig manchmal unangenehm geäussert haben, sonst hätten seine Be-
kannte, die ich in Jena sprach, gewiss eine viel herzlichere Anhänglichkeit
an ihn geäussert. — Wie leicht ändert sich die Erscheinung, die Manier
eines Menschen unter veränderten Umständen, während der Fond
derselbe bleibt! ||
Mir ist er fast wider meinen Willen Freund geworden. Ich bildete
mir schon ein, die Zeit, wo man leicht und glücklich neue Herzens-
verhältnisse knüpft, sey für mich wol schon verflossen, die glücklichen
Weihestunden werdender Freundschaftsbündnisse, deren ich schon manche
genossen hatte, würden wol nicht mehr widerkehren; auf Z[iemssen']s Ober-
fläche sah ich auch zuerst nicht viel mehr als etwas gesunden Verstand ;
— aber er fing an sich einzuarbeiten in die wahrlich nicht erfreulichen
Aufgaben die sein dunkles Haus ihm anmuthete; er fing an, in unsre
gleichgültigen Gespräche die Offenheit und lautere Reinheit seiner Seele
auszugiessen ; er Hess mich ganz ohne Hehl in sein Geschäft und in seine
Art es zu treiben, hineinsehn, — und wir gehörten bald einander an.
Die traurige Zeit kam, wo ich vor meinem Abschiede Ordnung machen
musste; er und mein verewigter Eschen nahmen mir die schwerste Sorge
mit einer Bereitwilligkeit ab, die ich selbst an Freunden so sehr bewundern
als ihnen danken musste. Mit völligem Eingehn in meine Wünsche opferten
sie ihre ohnehin so beschränkte Müsse, || um die Meinigen unversehrt und
selbst weiter gebracht — meinem Nachfolger zu übergeben. Dadurch
September 1800. ij-i
haben sie sich, glaube ich, sehr gerechte Ansprüche auch an den Dank
dieses Nachfolgers erworben.
Ueberdas kann auch das Herz unsrer Zöglinge schwerlich ungerührt
geblieben seyn von dem thätigen Bemühn, und selbst schon von dem
zuvorkommenden Wohlwollen, mit dem meine Freunde noch da ich in
Bern war, sich stets zu ihnen hinneigten.
Es musste also diesen meinen Freunden wol hart und befremdend
vorkommen, wenn es schien als ob Sie sie zu umgehn oder abzuweisen
wünschten.
Dass das gleiche noch in weit höherm Grade bey mir selbst statt
findet, werden Sie mir nicht verargen.
Da ich nach Bern kam, hörte ich Ludwig von allen Seiten tadeln,
und von manchen bittern Argwohn auf ihn werfen. Die Mutter selbst
erzählte mir dass Hr. Steiger nicht mehr hätte über ihn sprechen mögen.
Nirgends fand ich einen Punct, wo er zu fassen war. — Langsame Fort-
schritte machten einige Hoffnung — zweymal hat ihn dann der Gang
der Revolution in Wildheit zurückgeworfen. Erst in den 2 letzten Monaten
meines dortigen |] Aufenthalts fing er an, die Schilderung zu verdienen, die
Sie in Ihrem ersten Briefe von ihm machen.
Carln hatte man eingebildet, er sey dumm und tauge nicht zum
lernen. Ich habe ihn lange für eingeschränkt und eigensinnig gehalten,
— so lange nämlich gerade, als ich mit Ludwig zu sehr beschäftigt war,
um ihn mit gehöriger Aufmerksamkeit zu behandeln.
Von Rudolph will ich nicht sprechen; da ich kam, war er nichts,
und ich habe auch nicht viel aus ihm gemacht. Es sollte eben angehn
da ich weg musste.
Sie fühlen sich wohl in Ihrer Lage. Wenn Sie das alles, was Sie
jetzt im — zwar gewiss mühevollen — aber doch freudigen Zuge fort-
führen, unter Ihren Händen hätten werden sehn, wenn Sie es, grade da
es eben ganz im Gange war, hätten verlassen müssen, — würde Ihr Herz
dann ablassen können? — Aber bey mir finden noch andre Umstände
statt, mir sind Pflichten geblieben die ich auf keinen, selbst auf den ge-
schätztesten Nachfolger nicht ganz übertragen kann. Ich hatte es Hrn.
St|_eiger] so gut als versprochen^ 8 bis 10 Jahr dort zu bleiben. Auch Carln
hatte ich durch ein ähnliches Versprechen seine Anhänglichkeit an mich
gelohnt. Ich habe mich losmachen müssen; ich bin ohne Vorwurf, mit
allen Beweisen || des Wohlwollens entlassen, aber man hat mir das Zu-
trauen mitgegeben, dessen ich dort genoss, — ein Schatz den ich nicht
müssig liegen lassen darf, und mit dessen Hülfe ich nachbezahlen muss,
was ich schuldig geblieben bin, so fern es irgend geschehn kann. Noch
die letzten Briefe die ich erhielt, fordern mich dazu auf.
Ich bitte Sie sich jetzt in meine Stelle zu versetzen, und sich das
humane Verhältniss des Zusammenwirkens nach gemeinschaftlicher Berathung
nun selbst auszumahlen, was Sie einzig wünschenswerth finden würden
zwischen sich und Ihrem Nachfolger.
Wollen Sie ganz in meine Empfindung eingehn, so bedenken Sie
dass mir — wie Sie wohl wissen werden — mein Vaterland und meine
eignen Familienverhältnisse gänzlich verleidet sind. Bern und in Bern
j - , Sepiember, Oktober 1800.
das Haus worin Sie diesen Winter wohnen werden, — das Zimmer, die
Meublen, die Geschäfte, die Personen, — diese sind es allein, wohin ich
bisher einen ganz rein frohen Blick werfen konnte. Dass auch dort jetzt
Missverständnisse wohnen sollten — dort, wo ich zu helfen und mir helfen
zu lassen wünsche, meine Hand als eine unwillkommene Einmengerin
weggestossen werden könnte, — wollen Sie es seyn, der mir — — —
131. L. v. Steiger an H.1) Riggisberg d. 23t. Septbr. 1800.
Theuerster Herr Herbart! Freylich mein bester Herr Herbart, hätten Sie
Ursache ungeduldig zu werden, über das lange Außbleiben unserer Briefe, ich
fürchte nur, es möchten welche völlig verloren gegangen seyn. Ich hoffe Sie aber
durch diesen Brief zu überzeugen, daß ich ihr Andenken immer noch so theuer
in meinem Herzen aufbewahre, welches ihm ihre vortief fliehen Lehren, ihre freund-
schaftlichen Ermahnungen und ihre so unumschränkte Liebe, so tief eingeprägt
haben. Worte sind wahrlich zu schwach, um Ihnen für alle diese Wohlthaten zu
danken, mögen Sie, mein Bester, den aufrichtigen Antheil, || den ich an ihrem
traurigen Verlust ihres Freundes Eschen, erlitten haben, als einen Beweiß meiner
unveränderlichen Liebe und Freundschaft annehmen. Sie haben gewiß ein unschätz-
bares Gut, auf welches Deutschland und die Schweitz mit hoffnungsvollen Blicken,
als ein einst reiche Früchte tragendes Gut, sah und wir einen werthen Bekannten
der uns vielleicht auch bald seine Freundschaft geschenkt hätte, verloren. In der
Blüthe der Jahren fand der wackere Eschen sein Grab in den fürchterlichen
Schlünden eines Gletschers, im Angesicht seines treuen Freundes Ziemsen. Der
Gedanke, mein theurer H. Herbart, daß ihr Freund nun eine herrlichere Laufbahn
angetreten habe, möge Ihnen einigen Trost verschaffen. Um aber || von diesem
unangenehmen Gegenstand abzulenken, so will ich Ihnen jetzt einen kurzen Abriß
meiner gegenwärtigen Beschäftigungen geben. Die sphärische Trigonometrie, Cap. 2 ;
mündliche Übersetzung des Tacitus lib. 3, schriftliche des zweyten punischen
Krieges; mündliche und schriftliche Übersetzung des Feldzuges des Cyrus; von
Xenophon, Cap. 5; Goldsmiths Geschichte der Römer Tom: I. Anacharsis Geschichte
der Griechen Tom. I. pag. 336. Geographie, englisch lesen und übersetzen, Wünsche
Cosmologie und noch verschiedene Übungen im Französischen, sind die Be-
schäftigungen, die mich in den verschiedenen Tagen der Woche theils mit Hülfe
des H. Segelken, theils alleine unterhalten. Im Ciavier übe ich mich in meinen
Freystunden. — Unser Freund Ziemsen war vor 8 Tagen hier, und wird in den
ersten j| Tagen wiederkommen; er hält sich gegenwärtig im Gurnigel bei H. Zehen-
der auf. Wir befinden uns insgesamt sehr wohl und sind in Erwartung der Dinge
die da kommen sollen, in Rücksicht auf Krieg und Frieden.
Sie werden, mein Bester, mit diesem Briefe auch welche von meinen Brüdern
bekommen. Behalten Sie doch mein lieber H. Herbart die Liebe und Freundschaft,
gegen mich und gegen uns alle, mit welcher ich bin und ewig bleiben werde
Ihr Sie aufs wärmste liebende Ludw. Steiger.
129. Ziemssen an Herbart.2) Bern d. 16. Octob. 1800.
Endlich, mein Theuerster, hoffe ich mich wieder etwas loswinden zu können
aus dem Strudel von den heterogensten Geschäften und Zerstreuungen, die seit
einigen Wochen im buntesten Gewirre auf mich einstürmten und mich kreuselnd
y) 41/, S. 4°. II. Wien.
2) 16 'S. 8°. H. Wien.
Oktober 1800.
175
mit sieh fortrissen, so daß ich. oft mein eignes Ich nur an der tiefen Trauer, die
bey alle dein unablässig mein eigentliches Wesen umhüllte, — als das ineinige
wiederzuerkennen vermochte. Vor allem andern also Dir, mein Herbart, zuerst
meinen Dank, meinen wärmsten, innigsten Dank, für den Balsam, womit Du in
Deinen Briefen den Schmerz meiner gefährlichen Wunde zu lindern suchst, und
vorzüglich dafür, daß Du mir noch ganz bleibst, und unveränderlich und ewig mit
mir durch unsre zu erringende Würde verbunden seyn, und mich bewahren willst,
das schon erkämpfte Fleckchen Land nicht wieder zu verlieren und nicht zu der
schlaffen, faden Alltagswelt hinabzusinken. 0 wohl bedarf ich jetzt hier einer
solchen Kraftstimme von der Höhe aus der Ferne her, da ich hier nunmehr selten
etwas anders höre, als das Jauchzen oder Wehklagen der Gewürme, die auf der
Erde kriechen, und es nicht begreifen, warum ein andrer nicht zufrieden ist, mit
ihnen zu essen, zu trinken und zu jubeln. Zweymal war ich hier im || fernen
Lande schon wenigstens bis in den Vorhof des Himmels auf Erden im Tempel der
höhern, ernstern Freundschaft vorgedrungen, aber beyde male ward ich durch äußere
Gewalt wieder herausgerissen aus dem Heiligthume, und das letztemal auf eine so
fürchterliche, alle Organe meines Wesens fast bis zur Vernichtung erschütternde
Art, daß ich erst nach und nach mit meiner eignen Genesung meinen unendlichen
Verlust so recht Stück für Stück bis auf den kleinsten Punkt durchzufühlen be-
komme. 0 wir haben die Wonnen der Freundschaft mit einander genossen, wir
haben zusammen gelebt und hatten uns so in einander verlebt., daß jene süße Har-
monie der Seelen, worin man sich über den wichtigsten, höchsten Gegenständen
oft durch Bücke und Wink, oder durch einzelne Worte versteht, uns so an einander
kettete, daß es mir oft schien, als sey es uns nur mit unsern Unterhaltungen, und
Äußerungen Ernst, wenn ich bey ihm, und er bey mir war; wenigstens sprach nur
zu ihm meine volle Seele, denn nur er verstand mich ganz; die Arbeit und das
Interesse des einen war auch das des andern, und alles, was in unsern Kreis kam
ergriffen wir gemeinschaftlich mit Wärme, Kraft und Leben. — Ach die schönen
Tage sind dahin, entschwunden auf der schrecklichsten Art, und haben nur schmerz-
lichen Kummer und tiefe, tiefe Trauer hinterlassen, womit ich nun mit meinem
eigentlichen Ich wieder so allein und verlassen da stehe, als ein armer Bettler, ||
der nun zwar vor mancher Thür anklopft, aber selten einen Almosen mit sich trägt.
— Aber Du, mein Theurer, einzig mit mir verbundener, bleib mir nahe, wenn Du
gleich ferne bist, und laß mich Dir bisweilen wenigstens durch den hinkenden, oft
stotternden oder gar nur pantomimisch redenden Boten der Feder zurufen, wie sehr
ich im Geiste stets mit Dir lebe. 0 hätte ich Dich hier doch wieder umarmen
können, und Arm in Arm dem höhern Leben und Würken entgegenstreben! —
Aber ich fürchte beynahe mir hiebey selbst einen Streich gespielt zu haben, denn
vielleicht hättest Du die Stelle bey Fr[isching] angenommen, wenn ich ni^ht zu voreilig
mit meinem Vorhaben, im Falle Du sie nicht nehmst, herausgeplatzt wäre. Frey-
lich glaubte ich wohl, daß Du Dich leicht zu einer Aufopferung, wie die war meine
Stelle anstatt der bey Fr. zu nehmen, entschließen würdest; weil ich selbst
im gleichen Falle kein Bedenken dabey getragen haben würde. Aber auf der
andern Seite hofte ich auch von Deiner Gradheit, daß du meine grade und offene
Bitte, diese Aufopferung nicht zu machen, als Freund verstehen und achten würdest.
— Habe ich mich geirrt? — Von Deinen und meinen Planen, sowie von unserm
gemeinschaftlichem Plane, schreibe ich Dir heute nichts weiter, obgleich ich noch
manche Idee hierüber mit Dir auswechseln möchte. Denn theils fühle ich mich
wirklich heute nicht ganz dazu aufgelegt, mit Ordnung und Gründlichkeit darüber
zu reden, und doch darf ich Steigers Briefe Dir nicht länger vorenthalten; theils
wollte ich Dir heute || hauptsächlich! nur den Ausgang meiner Unterhandlungen mit
jy5 Oktober 1800.
Frischirjg und Sinner mittheilen. Aber halte Wort; laß uns diesen Winter recht
viel miteinander wenigstens durch Briefe zusammen conversiren, denn ich habe
noch so manches auf dem Herzen, was ich doch keinem andern als Dir werde
mittheilen können; und der Lauf unsrer Geschäfte wird uns hoffentlich auch Stoff
genug darbiethen. Über Pestalozzi schreibe ich Dir sobald, als möglich ausführlich,
und theile Dir alles mit, was von ihm ich mittheilen kann. — Den Bremensern,
(der H. Sengsten hatte noch einen Dr. Pavenstedt aus Bremen und einen Dr. Cols-
mann aus Kopenhagen bey sich) habe ich nicht recht viel aufladen mögen;
warum nicht davon ein ander mal, so wie auch davon, wie sie mir gefielen, usw.
Bey Zehender habe ich herrliche 14 Tage auf dem Gurnigel mit seiner ganzen
Familie zugebracht, in deren genauem Bekanntschaft, ich einen wahren Schatz ge-
funden zu haben glaube. Ich verspreche mir diesen Winter noch schöne Abende
in diesem Kreise, worin ich jezt ganz zu Hause bin, und als wahrer Hausfreund
mit Offenheit und Ungezwungenheit behandelt werde; weshalb ich Dich gewiß oft
davon unterhalten werde, und das um so mehr da ich in der That vielmehr in dem-
selben finde, als ich hofte. In der folgenden Woche kehrt die ganze Familie vom
Gurnigel heim, worauf ich mich deshalb sehr freue. ||
Der Hauptgrund, warum ich Dir noch nicht eher geschrieben habe, ist, weil
ich gerne erst den Ausgang der bewußten Sache mit Frisching und Sinner abwarten
wollte. Jetzt endlich ist alles ins Reine. Frisching überraschte mein Antrag, wie
es mir schien und wie er mir auch bezeugte, aufs angenehmste, weil er, wie er
mir sagte, den Wunsch und die Hofnung hiezu nur gar nicht hätte in sich auf-
kommen lassen mögen, da ich immer nur davon geredet hatte, ihm einen andern
jungen Mann aus Deutschland zu verschaffen; und er antwortete mir gleich: es
sey nur gar nicht möglich, daß irgend jemand gefunden werden könne, dem er lieber
-die Erziehung seines Sohnes anvertrauen würde, als mir; und seiner Frau wolle er
nur gar nicht davon reden, er wisse ohnehin wiesehr sie hierin mit ihm überein-
stimme; und überhaupt hoffe er, mir dieses gar nicht erst sagen zu dürfen, da die
Bekanntschaft von beyden Seiten so ganz gemacht sey: — es sey also wohl weiter
nichts übrig, als Hn. S[inner] auf die rechte Art zu behandeln, damit er ja keinen
falschen Verdacht fasse, als wenn er (Hr. Fr,) mich auf eine hinterlistige Weise
hiezu veranlaßt, oder gar überredet habe. Worauf ich Hn. S. denn bey meiner
Zurückkunft einen schon vorher verfertigten Aufsatz übergab, worin ich ihm mit
aller möglichen Wahrheit und Offenheit meine Beweggründe zu diesem Schritte
mittheilte, und um meine Entlassung bat. Welchen Aufsatz ich auch dann Hn. Fr.
communicirt hatte, um auch ihn mit den wahren Gründen bekannt zu machen, und
zu zeigen, daß kein eigentliches Mißverhältnis mich aus 1| diesem Hause treibe. —
In einer Nachschrift fügte ich noch hinzu, daß dieser Entschluß durchaus von mir
selbst ausgehe, und daß H. Fr. mich weder dazu veranlaßt, noch ihn habe ahnden
können; und daß ich, im Falle H. S. den geringsten Verdacht hierüber habe,
ohne weiters auf beyde Stellen zugleich Verzicht leiste. — Hiebey hat H. S. sich
nun nicht blos sehr human, sondern wirklich edel bezeigt. — Er sagte mir ein
paar Stunden nach Empfang dieses Aufsatzes in einer Unterhaltung hierüber: es
thue ihm sehr leid, daß ich zu diesem Schritt entschlossen sey, er habe meine
Gründe erwogen, und sehe leider, daß sie durchaus triftig wären; ja so sehr, daß,
so unangenehm und schmerzlich ihm mein Verlust auch sey, er mir dennoch, wenn
ich ihn selbst um Rath gefragt, als ehrliche]- Mann hätte zuraten müssen. Überdies
versicherte er mir, daß er nicht nur nicht den geringsten bösen Verdacht auf Hn.
Fr. habe, und daß er alles mögliche thun werde, ihn selbst auch davon zu über-
zeugen, sondern daß er Hrn. Fr. Glück wünschen und nur darum bitten werde, alles
Oktober 1800. 177
mögliche aufzubieten, mich noch lange nicht wiederzuverlieren, oder, wo möglich,
gar bis zur Vollendung der Erziehung seines Sohnes zu behalten. Übrigens wünsche
er auch mir von Herzen Glück, da das Früschingsche Haus gewiß eins der besten,
und wie er glaube in aller Hinsicht das allerbeste sey. — Hiemit ging ich denn
sobald es das AVetter und andre Umstände erlaubten wieder nach Rümligen, wo
ich die Freude hatte, recht deutlich zu sehen, wie wenig ich mich in der Hofnung,
daß man mich gerne in diesem Hause || aufnehmen werde, getäuscht habe. Alles
war in voller Erwartung über den Ausgang meiner Unterredung mit Hn. S., und
in dem ganzen häuslichen Kreise erwachte eine so wahre, herzliche Fröhlichkeit
darüber, daß nun alle Hindernisse beseitigt schienen, daß ich selbst aufs angenehmste
grührt werden mußte. Wenn nicht durchaus alle Zeichen trügen, so gehe ich hier
dem herlichsten Wirkungskreise entgegen, den ich mir je in dieser Art wünschen
könnte; wenn das Andenken unsers Verewigten, das mich hier fast auf jedem Tritt
umgibt, meine schmerzliche Trauer hier nir-ht zu lebendig erhalten wird. In mehr
als einer Rücksicht darf ich dieses ganze Verhältniß, worin ich jetzt trete, wohl als
ein Vermächtniß meines theuren Eschen an mich ansehen; denn ihm verdanke ich
die ganze Bekanntschaft dieses Hauses, und seiner Liebe die Liebe und. Achtung
dieser ganzen Familie || in deren Kreise ihn das liebe- und ehrenvollste Andenken
überlebte, und gewiß noch lange überleben wird. Und wenn ich die ganze Art
bedenke, wie Eschen hier stets in diesem Hause behandelt wurde, wie man sich
von ihm belehren ließ, und wie man jeden seiner "Wünsche zu befriedigen strebte,
und endlich wie Hr. Fr. jetzt noch jeden Saamen, den Eschen ausstreute, nach
seinem Tode mit Achtung für den Verewigten zu bewahren, zu pflegen und groß
zu ziehen sucht, so darf ich mir hier, wenn nicht von außenher unerwartete un-
günstige Umstände einfallen, wohl keinen unfruchtbaren Wirkungskreis bey dem
liebevollen Zutrauen versprechen, womit man mir || entgegen körnt, und bey den
Talenten, die, soviel ich bis jetzt sehen kann, aus Rudi sowohl, als aus Sophie
hervorleuchten. — So laß mich denn versuchen, ob ich hier nicht ein paar junge
Pflanzen seiner würdig groß zu ziehen vermag, deren ersten Keimen er selbst mit
so liebevoller Sorgfalt hegte u. pflegte!
Daß ich Dir die genauere Schilderung dieses neuen Wirkungskreises, so bald
ich mich selbst ganz hineinversetzt habe, und den steten Fortgang und Erfolg meiner
Bemühungen mittheilen werde, versteht sich von selbst. Jetzt nur noch ein paar
Worte von denen, die ich verlasse. Sehr rührend war mir der wahre und heftige
Eindruck, den dieses auf meinen Fritz machte, und seyn ganzes Benehmen hiebey
hat mir es noch gewisser verbürgt, daß eine wahre Anhänglichkeit an mich in ihm
ist, und daß meine Bemühungen für ihn nie ganz verloren gehen werden. Das
einzige, wodurch ich ihn zu beruhigen vermochte, war die Vorstellung, daß ich
diesen Schritt, so nahe er meinem Herzen auch in mancher Hinsicht ginge, dennoch
für meine Pflicht hielte, und daß er ihn nicht als eine Trennung von ihm, sondern
nur als eine Veränderung unsrer äußern Lage ansehen müsste, die uns vielleicht
auch näher verbinden würde, als es bey unserm sonstigen Verhältniße möglich ge-
wesen sey. — Ja sollte ich auch in diesen anderthalb Jahren sonst nichts gewürkt
haben, das Bestand hätte, so habe ich wenigstens hier wohl || ziemlich entscheidend
und bleibend gewürkt; und hoff endlich soll auch jetzt der Faden noch nicht zer-
rissen, sondern mein Werk nur im freyern und deshalb schönern Geiste fortgesetzt
werden. -- Doch von allen diesem, von Fritz, was er ist, und was er werden kann,
— so wie auch davon daß ich dennoch diesen Kreis verlassen mußte (wogegen
doch noch wohl wenigstens ein ganz leiser Zweifel in Deinem Briefe zu finden
Herbarts Werke. XVI. * 2
17S Oktober 1800.
seyn möchte, den ich noch einmal näher mit Dir beleuchten muß) — ein andermal
ausführlicher; jetzt nur von de, was hier unmittelbar zum Sache gehört.
Böhlendorf hatte neulich an Zehender geschrieben, und ihn ersucht ihm die
Stelle bey Frisching zu verschaffen, ohne daß er sich grade dazu anbiethen dürfte.
— NB. Dis bitte ich Dich aber als Geheimniß für Dich zu behalten, wenn Böhlen-
dorf es Dir nicht selbst erzählt. — Dis theilte Zehender mir mit, weil er wußte,
theils daß Frisching mir die ganze Sache übertragen habe, theils daß im Fall Du
nicht kommen werdest, ich selbst mich um die Stelle zu bewerben gesonnen sey.
— Ich war im ersten Augenblick wirklich halb und halb zweifelhaft, ob ich daraufhin
nicht mit meinen Ansprüchen zurücktreten solle; aber Zehender meinte gleich nein,
und daiin mußte ich ihm nach reiflicher Überlegung beystimmen. Denn eine große
Aufopferung wäre es von meiner Seite immer gewesen, denn in S[inner]s Hause konnte
und wollte ich nun einmal nicht bleiben, wenn ich dadurch nicht Deine Rückkehr
zu uns erlangen konnte, und in mein Vaterland heimzukehren, dagegen waren
tausend || Gründe für einen; und nun war ich Hn. B. in der That mit meinem Ent-
schluße zuvorkommen, und wenn mich nicht durchaus alles trog, so durfte ich den-
selben nur äußern, um wegen der einmal gemachten Bekanntschaft mit dem ganzen
Hause, und wegen der Anhänglichkeit der Kinder einem andern vorgezogen zu
werden; theils hatte ich bey einer andern Veranlassung dem Hr. Fr[isching] (der ein
naher Verwandter von Wattenwyl ist, bey dem B. zu erst war,) schon sehr deutlich
abgemerkt, daß er mehr gegen, als für B. eingenommen sey, und da ich selbst B.
nicht genug kenne, daß ich ihn Frisch, hätte so empfehlen und schildern können,
daß ich einmal schon vorhandene Vorurtheile dadurch mit einem Schlage zu Boden
hätte schlagen können, so wäre ein solcher Antrag noch dazu sehr mißlich gewesen.
Hiezu kamen noch eine Menge andrer Gründe, deren Auseindersetzung mich zu
weit führen würde. Und am Ende aufrichtig gestanden sehe ich mich durch nichts
zu einer solchen Aufopferung verpflichtet. Leuchtet Dir dieses alles noch nicht
genug ein, und bleibst Du noch zweifelhaft, so sage es mir aufrichtig; so werde
ich versuchen Dir die Sache ganz mit den noch übrigen nicht unwichtigen Fakten
und Gründen vorzulegen, und Dich dann entscheiden lassen; — aber um alles in
der Welt laß uns ohne hinlängliche Prüfung an einander nicht irre werden! — Mit
Einstimmung von Zehender, Steck und May blieb ich also dabey, die Stelle bey
Frisching selbst anzunehmen, und Böhlendorf etwa zu fragen, ob er die Stelle bey
S. auch vielleicht selbst wieder nehmen möge. ||
Außerdem hatte nun auch schon Dein Freund Hörn aus Braunschwreig an
mich geschrieben, und mir vorläufig seinen Bruder geschildert, der nächstens aus
Leipzig zu ihnen kommen u. dann selbst an mich schreiben, und mir sagen wrerde,
ob er Lust zu dieser Stelle habe, oder nicht: welches Schreiben ich aber bis jetzt
noch nicht erhalten habe. — Wenn gegen Hörn auch nichts einzuwenden gewesen
wäre, so hätte B. doch hier wohl das Vorrecht, sein angefangenes "Werk fortzusetzen,
wenn er selbst in die Verhältniße zurücktreten möclite, wozu er nach seinem letzten
Briefe jetzt wohl tüchtiger, als je seyn würde; u. ich mußte nach der Achtung, worin
er bey Hr. S[inner] steht, erwarten, daß dieser ihn lieber, als irgend einen andern
nehmen werde. — Ich sagte deshalb Hn. S., ohne B.s letzter Äußerung zu erwähnen,
ob er nicht versuchen wolle, B. zu bewegen zu ihm zurückzukehren? Im Falle B.
sich hiezu nicht entschließen werde, erwähnte ich Horns. — Hierauf antwortete S.
mir, B. sey ihm sehr theuer, und um Fritzens willen wünsche er seine Rückkehr
allerdings, aber für Ludw.s und Ferd.s Erziehung halte er ihn nicht ganz passend,
und ohnehin würde B. sich wohl nicht auf lange Zeit engagiren, wenn man ihn
auch bewegen würde zurückzukommen; kurz ich sehe aus allem, er wünsche B.
Oktober 1800. j^q
nicht; worauf ich natürlicher "Weise noch dazu ohne B. Auftrag nicht weiter [in ihn]
dringen durfte. Und überhaupt hatte Hr. S. den Entschluß gefaßt, worüber er mich
jedoch um Rath fragte, Fritz unter meiner Direction Privatunterricht geben und seinem
eignen Fleiße zu überlassen; worauf er sich unter meiner Einwirkung ziemlich, und
hoffendlich nicht ohne Grund, verlassen zu dürfen glaubte ; und Ludw. und Ferdinand
in ein Institut zu geben, das mit dem künftigen Monate seinen Anfang nimmt, und
von Trechsel, Prof. Zeender und Niehans für 25 Knaben, die sie in 2 Klassen
theilen, errichtet wird. Seine Gründe hiefür waren; daß es schwer fallen werde
jemand zu finden, der alle JBedürfniße seiner Kinder befriedigen könne und wolie,
daß, wenn er einen solchen auch wirklich fände, er dennoch alle Augenblicke ge-
wärtig seyn müsse, daß ihm diese wirklich schwere Last zu drückend werde und
er wieder im bloßen stände, daß der ewige Wechsel und gar die zu fürchtenden
Intervalle großen Schaden verursachten, und daß er nicht mehr in dem Vermögens-
zustande sey, daß er die Bedingungen immer von Zeit zu Zeit so sehr erhöhen,
könne, daß er mit ziemliche]' Sicherheit hoffen könne, es werde jemand, so lange
er es nur wünsche, bey ihm bleiben ; — und wie diese Gründe weiter heißen
mochten; wozu noch kinzukam, daß er Fr[itz] im künftigen Sommer nach Genf zu
schicken gedenkt, wozu ich vielleicht aus mehreren Gründen einstimmen werde. —
Beynahe 8 Tage hindurch ist fast nichts anders als diese Sache in meinem Kopfe
herumgegangen, denn in ein paar Tagen mußte der Entschluß gefaßt werden, weil
man nicht länger mit der Besetzung der noch übrigen Plätze im Institut warten
wollte. Mein Hauptgrund für diese Einrichtung war, daß ich nach recht genauer
Überlegung, es fast für unmöglich hielte, daß ein Mensch die Stelle in diesem Hause
ganz ausfüllen, und dabey freudig und standhaft bleiben könne; da jetzt sogar noch |
der vierte bald mit hinzugezogen werden muß. In einem Hause wie Steigers war
dis eher möglich, weil dort von außen durch einen treflichen, und verständigen
Vater und durch das Leben in einem ganzen Familienkreis kräftig mitgewürkt, und
im Ganzen alles mit Ordnung und Consequenz durchgeführt wird. Aber hier muß
der Lehrer alles selbst seyn und thun. — Dazu kömmt nun noch außer einer ganzen
Menge andrer Gründe, daß es für Fr. sehr gefährlich seyn würde, wenn er einen
andern Führer erhalten sollte, der ihn nicht sogleich ganz übersehen könnte, und
seinem Charakter gemäß zu lenken und zu behandeln wüßte. — Dagegen standen
mir auf der andern Seite die Gefahren und die Nachtheile eines solchen Instituts
auch gar zu deutlich wieder vor Augen, wobey es doch eigentlich immer fast nur
auf gut Glück ankörnt ob aus dem Knaben etwas wird, oder nicht; weil dis doch
immer nur Fabrikswaare werden kann. Da mir die Zeit jetzt zu kurz ist, Dir den
ganzen Gang der Sache zu detailliren, und Du vielleicht auch wenig Unterhaltung
daran finden würdest; so theile ich Dir nur den Final-Entschluß mit, wozu ich es
endlich gebracht habe, und wohin alle, denen ich die Sache vorlegen konnte, mit
mir übereinstimmten; doch muß ich Dir meine Gründe noch schuldig bleiben.
Ludwig u. Ferd. gehen vorläufig in das Institut bis zu Ende des Winters, und er-
halten im Griechischen noch besonderen Unterricht; Fritz arbeitet unter meiner
Anleitung || und Aufsicht für sich und erhält nach meinem Gutdünken andre
Lectionen. Übrigens habe ich den Auftrag, im Fall diese Einrichtung nicht über alle
Erwartung befriedigend ausfällt, Hn. S[innerj für künftigen Sommer einen Hauslehrer,
sey es Hörn, oder ein andrer, zu verschaffen, dessen Hauptaugenmerk nur auf Ludw.
u. Ferd. gerichtet seyn soll; der aber Hofnung machen kann, einige Jahre hier zu
bleiben. — Aber warum denn nicht gleich nach einem solchen suchen, warum nicht
gleich mit Hörn in Unterhandlung treten'? Höre ich Dich fragen. — Das lange Suchen
nach Segelken hat uns hier etwas furchtsam gemacht; nimmt H|err] S[inner] nicht
12*
180 November 1800.
sogleich ein paar Stellen im Institut, so erhält er gar keine, weil sie über 25 nicht
hinausgehen und diese Anzahl gleich voll haben ; nehme nun Hörn diese Stelle nicht
an, worüber ich durchaus keine Gewißheit habe, indem sein Bruder mir schreibt;
er wisse nicht, ob dieses Engagement mit den Neigungen u. Planen seines Bruders
übereinstimme oder nicht: so wäre zu fürchten daß Hr. S. den ganzen Winter
hindurch im bloßen stände, wobey nicht nur er, sondern auch H. Fr. und ich aufs
ärgste geprellt wären. Überdem erhalten wir hiedurch Zeit uns über Hörn näher
zu unterrichten, einige Bedenklichkeiten, die sie finden möchten näher zu beleuchten,
und mit ihm die nöthigen Bedingungen gehörig zu verabreden, wenn er anders Lust
hat diese Stelle anzunehmen. Wiedrigenfalls suchen wir dann einen andern auf.
Auch kann B. währenddessen benachrichtigt werden. |j Übrigens dürfte dieses viel-
leicht auf Ludw. u. Ferd., worauf ich noch immer ein wachsames Auge haben
werde, nicht ganz ungünstig würken. — Doch endlich genug hievon, sage Du mir
auch, was Du vorläufig auf den ersten Anblick hievon denkst; doch bitte ich Dich
hierüber noch nicht a priori ganz bey Dir zu entscheiden, sondern in der Folge
etwa noch die übrigen Umstände anzuhören. — Beygehend erhältst Du ein ganzes
Pack Briefe von Steigers die ich gerne noch durch einen Commentar vermehren
möchte, wenn ich Zeit und Laune dazu hätte; aber er soll Dir nicht entgehen.
Segelken ist freylich kein Herbart u. kein Eschen, aber dennoch thut er mehr, als
ich erwartete, wenn der Schein nicht trügt, denn er arbeitet ungeheuer für die
Kinder, denen er täglich 4 Stunden Unterricht gibt, und es scheint ihm an Kennt-
nissen nicht zu fehlen, obgleich doch ein gewisser Kleinlichkeitsgeist sich nicht ganz
verbergen kann. Aber ich glaube, daß für ihn selbst dieser Wirkungskreis äußerst
wohlthätig ist, denn wahrlich er ist jetzt schon ein andrer, als er kam. Lieben
werde ich ihn wegen seiner Kälte und Trockenheit wahrscheinlich nie können, aber
achten werde ich ihn müssen, wenn er die Probe aushält; denn diesen Winter
hoffe ich Zeit und Gelegenheit zu finden, alles näher zu beleuchten. Er ist übrigens
sehr froh und zufrieden in diesem Kreise, und auch Steigers sind zufrieden; und |
unsre Pflicht ist es wohl, Steigern zu überzeugen, daß er ihm auch nicht unrecht
thue, und nicht zu viel verlangen müsse. Von allen diesem im Winter mehr. —
Schreibe mir recht bald und laß uns nicht immer erst die Antwort von einander
abwarten; sondern uns nach Lust u. Trieb einander mittheilen.
Ganz der Deine Th. Ziemssen.
In großer Eile u. mit verfrornen Händen u. Füßen. An Hörn schreibe ich
mit nächster Post.
3. Nov.: Aus den Protokollen des Vorstands der Gesellschaft Museum in Bremen: „1800
Nov 3 las ein Fremder, H. Herbart aus Oldenburg, über die Frage, ob die neuen Zeiten
besser, als ältere gewesen." 1)
133. An Carl Steiger.2) Bremen am ioten Nov. [800.
Unser Briefwechsel geht langsam, theurer Carl; wir haben beyde viel
gegen einander aufzurechnen. Ich hatte meine leidigen Ursachen, Dirs
nicht zu sagen, wie sehnend ich fast täglich Deiner dachte, — körper-
liche Schwäche, die noch jetzt nicht ganz aufhört, war nicht die kleinste
dieser Ursachen; sie machte meine guten Stunden so selten, dass ich sie
ängstlich zusammenhalten musste, — und böse Launen wollte ich Dir
J) Fr. Mitteilung des Herrn Richter a. D. Dr. Smidt in Bremen.
2) 16 S. 8°.
November 1 800. 181
nicht schicken. Du hast dann auch ohne Zweifel Deine Ursachen gehabt,
Dir kleine Veranlassungen zum Zögern wichtig zu machen. Schriebst Du
leichter, — fiele es Dir ein, wie vieles täglich um Dich vorgeht, das ich
zu wissen wünschte, — und vor allem könntest Du begreifen, wie viel
Freude Du mir zu geben im Stande bist, und wie viel mir fehlt, da ich
Dich nicht um mich habe, — dann sicherlich hättest Du weder auf Hrn.
Segelkens Ankunft, noch selbst auf meine Briefe gewartet; Du würdest
vielmehr die letzteren herausgefordert haben.
Du erinnerst Dich wol nicht mehr eines Nachmittages, — es ist
jetzt über ein Jahr, — da ich mich ankleidete um in eine Gesellschaft
beym Dr. Herrmann zu gehn, während Du mit einer mühsamen Repe-
tition aus dem Eutyphron glücklich zu Stande kämest. — Die Gesellschaft
verlangte mich zum Ciavier; und es gelang || mir an jenem Abend, wie
vielleicht niemals vorher. Das machte das angenehme Gefühl, was ich
von Dir mitgenommen hatte, und was im Geräusche der Fremden mir
immer blieb.
Auf eine ähnliche Art hat mir Dein letzter Brief arbeiten helfen.
Ich war schon im Begriff, Dich kräftig zu mahnen; nur ein Paar Tage
noch musste ich warten, um erst eine Vorlesung für das hiesige Museum
zu schreiben x) noch eben zu rechter Zeit kam der Brief, um sich einen
Antheil zu gewinnen, an der günstigen Aufnahme, welche die Vorlesung
gefunden hat, — wofür ich, wie sich's gebührt, mich Dir hiermit dank-
barlich verpflichtet erkenne.
Noch einen schönern Dank aber würde ich Dir sagen, wenn Du
mich manchmal so unterstützen wolltest bey der weitläuftigen und schweren
Arbeit, die ich für Dich versuche, — einer Beylage zu Plato's Phädon,
zu der ich schon im Sommer manches vorbereitet habe, die wahrschein-
lich schon fertig wäre, hätte ich diesen Sommer so froh zugebracht als
den vorigen, die aber, ich weiss nicht, wann und wie, zu Stande kommen
wird, wofern mir nicht der heitre Geist zu Hülfe kommt, der allein das
Verständig-Erfreuliche zu schaffen vermag. ||
Es ist mir sehr lieb, dass Plato wieder in Deiner Hand ist; — noch
lieber, dass Du darin viel Veranlassung findest, über Dich selbst nach-
zudenken. In der That schon von dem ersten Worte an, das Sokrates
dort spricht, sind die Stellen dicht gesäet, die Dich zum Nachsinnen
bringen mussten, wenn sie für Dich nicht verloren seyn sollten. Sehr
geistreich — eine Lehre für das ganze Leben, und ein Räthsel, wenn
man nach der Ursache fragt, — ist schon die erste Bemerkung, die
Sokrates aus seinem Bein heraus fühlt, dass Schmerz und Freude immer
so nahe beyeinander zu seyn pflegen; auch was Sokrates Musik nennt,
und warum er wohl so mancherley verschiedene Dinge in diesem sonder-
baren Worte zusammenfasse, verdient Überlegung, — auch wie er so feyer-
lich scherzend dem Euenos räth, ihm bald zu folgen, — und der Spruch,
den er anführt: dass wir auf einem Posten seyen und nicht nach Be-
lieben davon laufen dürften, — ist, wie er hier selbst sagt, nicht leicht
durchzusehen; — und sein bestimmtes; Yocog loivvv TavTr{ ovy. akoyov —
1) Die Vorträge im Bremer Museum s. Bd. I, S. 116 ff.
j82 November t8oo.
scheint mehr den Leser denken zu machen, als ihm die Sache ganz er-
klären zu wollen; — Besonders aber etwas weiter hin, die lange Stelle
von da, wo er den Kriton und den Gefangenwärter abgewiesen hat,
xtrdvvevovGt yu-Q-, oooi Tvyyävovaiv cQd'Cug anTOjuavoi u. s. w. || bis ganz
dahin, wo Cebes ihn auf den eigentlichen Gegenstand der Schrift führt,
— diese muss Dir nothwendig äusserst merkwürdig seyn. Mich dünkt,
von dem allen müsste sich mancherley aufschreiben lassen, will es nicht
gleich gehen, so dürftest Du es nur auf allerley Art und zu verschiedenen
Zeiten versuchen, bald diesen, bald jenen kurzen Satz auf ein Papier hin-
zuwerfen, — es braucht ja nicht gleich Zusammenhang zu haben, —
nach und nach kommen der Einfälle mehrere, und endlich rundet sich
ein Ganzes.
Dein Aufsatz über den Cyrus ist im ganzen recht gut; die Worte
sind voll Sinnes, und, sofern ich aus der Erinnerung sprechen darf, die
wesentlichen Züge mit richtigem Urtheile herausgehoben. Finde ich in
diesen Tagen noch Zeit, das Buch zu vergleichen, so schreibe ich Dir
noch mehr darüber. — Wäre diese erste Arbeit Dir misrathen, so müsstest
Du streben, bald eine bessere an die Stelle zu setzen; jetzt darf der ge-
lungene Versuch Dir Muth und Hoffnung machen; heitrer darfst Du
nachdenken, und ungezwungener allerley Wendungen versuchen, und Dich
nicht viel darum bekümmern, wie ich es etwa gemeint haben möchte.
Denn was Du selbst klar gedacht und lebhaft empfunden ,hast, — und
was Dir dann, || wann Du es geschrieben wieder durchliesest, gerade sagt
was Du hast sagen wollen — darüber wirst Du meine Meinung immer
nachher noch früh genug erfahren.
Am 20 sten Nov.
Xenophons Geschichte seines Feldzugs liegt vor mir; ich habe nun
mancherley mit Dir darüber zu reden. Obgleich dieser Brief dadurch
noch einige Tage länger aufgehalten ist, so freut es mich doch, dass ich
ihn nicht fortgesandt habe, ohne vorher jene mir so willkommene Probe
Deiner Arbeiten, mit dem Original zu vergleichen. — Glaube nicht, dass
ich nun zurücknehmen wolle, was ich vorhin gutes von Deinem Aufsatze
sagte; der Fehler, dessen ich Dich zeihen muss, ist eigentlich nur eine
gewisse Leichtgläubigkeit, — die Dich aber wahrlich besser kleidet, als
wenn Du auf der entgegengesetzten Seite, mit selbstgefälliger Unbescheiden-
heit den Sittenrichter des Cyrus, — und was unvermeidlich gewesen wäre,
— zugleich Xenophons selbst, — hättest machen wollen. Nur ist eine
solche Leichtgläubigkeit ein wenig gefährlich für Dich, — und immer hätte
ich es gern gesehn, wenn sich in Deinem Aufsatze ein zweifelndes Mis-
irauen gegen beide blicken liesse.
Doch — vergiss dies Alles; und schlage unbefangen noch einmal
das Buch mit mir auf. Natürlich nehmen wir zuerst das neunte Capitel
vor uns, wo Xenophon den Cyrus am besten kennen musste, uns selbst
die Schilderung seines Charakters giebt. Nachher vergleichen wir dann I
die vorhergehende Geschichte. — ßamXixd 'tut oq\ das ist das Ankündi-
gungswort des Xenophon; und dieses in der That bewährt sich vortreff-
lich. — Nun führt er uns in des Cyrus Knabenalter zurück, — Xeno-
November 1800.
183
phon fühlte es stark, dass schon in dem Knaben der künftige Mann sich
bilde und zeige; man findet diesen Zug auch in seinen andern Schriften.
— Aber hier stösst mir eine Stelle auf, die den Zweifel schon erregt
ndvTeg yaQ 01 tmv uqiotmv üegacoy u. s. w. So nahe ihren Vätern, so
unter den Augen derselben, konnten sich die persischen Prinzen freylich
vortrefflich bilden — wenn die Väter selbst vortreffliche Männer waren.
Aber fragen wir nun die Geschichte! Wie ist denn die Reihe der persi-
schen Könige beschaffen? Sieht sie nicht eher einem vererbten Laster,
als einer vererbten Tugend ähnlich? Und gleichwohl schreibt Xenophon
so trocken, so ohne Einschränkung und Bestimmung: aia/Qou d'o'idtv olrt
dxotoai olrt Idetp tonl So müssen wir doch wol auf seine eigene Art zu
denken aufmerksam werden, auf die Stellung seiner Urtheile, auf sein
Benehmen, wo er dem Cyrus die Lobrede hält, Ob vielleicht jenes
(xio/qov etwa nicht so, wie es Plato gemeint haben würde, vom Unsitt-
lichen, — sondern nur vom Unschicklichen, Unanständigen zu verstehen
sey? Ob vielleicht das: (.lav&dvovoiv a.Q/eiv re xal aQyta&ai, in Xenophons
eigenen Augen die Hauptsache gewesen sey? Ein solcher blosser Ordmmgs-
geisi mochte denn freylich vielleicht in den ßaoikkoq ftzyaig gelehrt werden,
ohne dass sie darum etwas besseres zu seyn brauchten, als — eine
Despotenschule. Und selbst in dieser Rücksicht machen die persischen
Regenten ihrer Jugendbildung wenig Ehre; es sind unter ihnen gar viele
plumpe Unholde. || Lesen wir weiter! Cyrus ist sehr gelehrig, folgsam, —
muthig, in körperlichen Übungen gewandt! — Jetzt kommt ein höchst
ehrwürdiger Zug: „er lügt nie, hält jedes Versprechen genau; daher ver-
lässt sich auch alles auf ihn." Aber wie? Wie fuhr denn seyn Bruder
dabey, dass er sich auf ihn verliess, dass er auf die Aufrichtigkeit ihrer
Aussöhnung baute? Gerade hier wäre der Ort gewesen, uns zu zeigen,
wess Geistes seine Zuverlässigkeit gegen die anderen war, ob er gut
handeln, — oder ob er nur sichere Freunde erwerben wollte für seine
grosse Unternehmung? — Es würde indessen eine geistlose Beurtheilung
verrathen, wenn man annähme, dass nur eins von beyden seine wahre
Gesinnung habe seyn können; sie war vermuthlich beydes zugleich; —
und gewiss beydes noch nicht allein. Das zeigt das Gebet, was ihm
nachgesagt wurde, tooovtov yQovov fijj/, wäre x. t. X. In dieser wahrhaft
königlichen Gesinnung, durchaus unübertroffen seyn zu wollen, zeigt sich
der natürlich starke, klare hohe Geist, der, für jede Neigung sowohl der
Welt als der Tugend, empfindlich, gleichwohl zu gross war, um in den
blossen Eigennutz hinabzusinken, — und zu unruhig und zu stolz, um über
die reine Idee der Pflicht und des Rechts nicht weit hinauszufliesen. Er
musste schenken und liebkosen, oder brennen und verstümmeln; der
Thron oder der Tod musste ihm werden. Viele schöne und glänzende
Thaten erwarte ich von einem solchen Charakter; || nur für eine Eigen-
schaft, die Du an ihm lobst, — Strenge gegen sich selbst, — weiß ich in
einer Seele, wie diese, kaum einen Platz, und finde in seiner Geschichte
noch weniger ein Beyspiel, worin ich sie erkennen könnte.
Ein solcher Mensch lässt sich denn freilich „nicht auslachen" —
aber die abgeschnittenen Füsse und Hände, die man „häufig auf den
Landstrassen sah!" waren doch selbst unter den Barbaren ein etwas bar-
IÖ4. November 1800.
barisches Mittel, um gute Polizey, — odetig noQeteo&ui — zu schaffen.
Aus dem Bisherigen wirst Du auch errathen, was ich von seiner gerühmten
Gerechtigkeit denke. Der Auslheiler des verdienten Lohns zu seyn bei
Guten und Bösen, ist ein für den Ehrgeiz sehr schmeichelhaftes Amt; er
wird es gern an sich reissen, gern mit Wohlthat und Strafe in des Rechts
Namen um sich werfen. Und es ist nicht zu leugnen, dass, wenn von
solchem Ehrgeiz die Politik sich leiten lässt, sie ein etwas menschlicheres
Ansehen annehmen wird, als sie gewöhnlich zu zeigen pflegt. Aber eigent-
liche Gerechtigkeit — besteht doch wol nicht mit dem „Versuche, ver-
borgen gehaltene Güter an sich zu bringen." Es war vernünftig, dass er
ein solches Verbergen nicht gern sah, es war treffliche Politik und, für
einen Perser, ein wahrhaft edles Benehmen, offenen Erwerb lieber durch
Belohnungen zu vermehren, als selbst darauf Jagd zu machen; aber wenn
jemand dessen ungeachtet die Grille hatte, lieber heimlich zu thun mit
seinem Vermögen (angenommen auch, dass niemand Grund dazu haben
konnte in des Cyrus Ländern) — gab ihm das ein Recht auf solche
Güter? Uebrigens ist Xenophon hier nicht deutlich; aber gelindere Er-
klärungen der Stelle, die sich etwa denken Hessen, würden sich kaum mit
dem Ganzen reimen. ||
Denke nur einige Züge seiner Geschichte hinzu. Gleich Anfangs —
was ist es, das ihn zu seinem Hauptplane treibt? Ist es etwa Notwehr?
Oder zeigt sich auch nur in der Ferne Gefahr für ihn ? — Sein Bruder
lässt ihn nach Belieben mit seinem Neben-Statthalter Krieg führen; erlaubt
ihm, die diesem weggenommenen, Städte zu behalten, — (freylich eine
musterhafte Ordnung in der persischen Monarchie!) Aber er selbst hat
den Groll mitgenommen, aus der frühern Zeit, da Tissaphernes ihm
durch seine Verläumdungen Gefangenschaft und Todesgefahr zuzog: und,
was Tissaphernes sündigte, das lässt er seinem Bruder entgelten, — seinem
Bruder, seinem König, der ihn mit sich versöhnt glaubte! Du hast das
gefühlt; Du sprichst von etwas Rache und Herrschsucht, — und brauchtest
in der That schon dazu etwas Kühnheit gegen Deinen Meister Xenophon,
der das, — obgleich Verehrer des Socrates, — gar nicht zu merken
scheint. — Ich wüsste nichts, was sich hier sonst noch irgend zeigte,
ausser Rache und Herrschsucht. Gesetzt, er wäre dennoch in Gefahr
gewesen, — konnte die nämliche Macht, mit der er gegen seinen Bruder
zu Felde ziehen durfte, ihn nicht in seiner eigenen Provinz schützen,
wenn er angegriffen wurde? Ich will nicht erwähnen, dass er eigentlich
nur Statthalter war, der sich als solcher keine gewaffnete Vertheidigung
gegen seinen König einfallen lassen soll, — dies war hier anders, die
Satrapen im Persischen Reiche wurden vom Könige selbst als blos tribu-
täre, sonst aber selbstherrschende Fürsten häufig behandelt, und mochten
sich dann allenfalls so ansehn, || selbst der öffentlichen Ordnung wegen.
— Du meinst, das Zeitalter könne ihn etwas entschuldigen, „da damals
nahe Verwandten sich nicht viel daraus machten, einander zu bekriegen?"
— Aber die Geschichte würde Mühe haben, Dir irgend ein Zeitalter zu
nennen, wo Kriege zwischen nahen Verwandten, die mit irgend einer
Hoffnung einander einen Thron streitig machen konnten, so etwas besonders
November 1800. i£>c
ungewöhnliches gewesen wären. Und Cyrus kannte ja die Griechen so
gut; musste er denn eben der Perser bleiben, der er geboren war?
Er kannte die Griechen so gut, — dass er, da Xenias und Pasion
davon gegangen waren, die schöne Gelegenheit, zu thun, als ob er gross-
müthig jedem seine Freyheit lasse, ganz so trefflich zu ergreifen wusste —
als es für ihn hohe Zeit war, sich die entfremdeten Gemüther wieder zu
gewinnen.
Er kannte den Freyheitsdünkel der Griechen so gut, dass er es
wagte, ihnen kurz vor der Schlacht das ungereimte Compliment zu machen :
Wisst, Ich selbst möchte die Freyheit wählen, statt aller meiner Güter!
So spricht Prinz Cyrus — von sich; nicht etwa von seinen Barbaren, von
denen er an einem andern Ort selbst sagt, dass sie einzig aus bitterer
Furcht vor den Griechen, ihm in den Kampf folgten, — und von denen die
Geschichte auch sonst recht deutlich sagt, dass sie, die Unterthanen, wol
ein wenig mehr Freyheit hätten haben mögen und sollen. || Dagegen
nahm er denn auch Schmeicheleyen von den Griechen wieder an. Meinst
du, sagt Clearch, dein Bruder werde es überall nur wagen mit Dir zu
fechten. Sicher, antwortet Cyrus, wenn er irgend mit mir aus einem
Blute entsprossen ist! — Vielleicht verstehst Du diese Stelle in meiner
Uebersetzung etwas leichter als im Griechischen, wo der Schmeichler
nicht ganz so deutlich spricht.
Noch eine Geschichte will ich Dir ins Gedächtniss rufen, wo er mir
außerordentlich misfällt. Es ist die vom Orontas. Des Cyrus Rede an
den versammelten Staatsrath athmet die lauterste, behutsamste, gewissen-
hafteste Gerechtigkeit. Man stimmt zum Tode — und nun wird der
Verbrecher nicht etwa öffentlich, oder vor Zeugen hingerichtet, sondern
Cyrus lässt ihn verschwinden, niemand weiss sein Grab, — niemand er-
fährt, welche stumme Grausamkeiten an ihm verübt sein mögen.
Schon vorher schlägt er ein Paar von seinen Grossen todt, weil er
sie beschuldigt, (aiTiaou/Litvog), dass sie ihm nachstellen. Kein Verhör!
Keine Ueberweisung. Er hatte doch, obgleich nur ein Perser, gar wohl
einen Begriff davon, wie die Geschichte mit Orontas zeigt.
Was auch der unschuldige Thiergarten ihm gethan haben mochte,
den er im Vorbeigehen umhaut, und den Palast verbrennt! —
Habe ich denn gar nichts diesem Allem entgegenzustellen, wobey ich
mich wieder an ihm freuen könnte? Ich weiss eigentlich nur einen ein-
zigen Zug, der mir so recht wohlgefällt, das ist seine Herzlichkeit gegen
seine Freunde, von der ich gern glaube, dass sie aufrichtig war. Er sorgt
so für jeden, wie || jeder selbst es sich wünscht; — eine Weisheit, die nicht
alle Freunde besitzen. — Er thut es mit Sorgfalt, mit ämsigem Streben;
tw 7iQ0&v(.ieio\rcu yaQi£,£G&ou. Sehr schön in der That ist das rovroig
rjG&rj KiQog ßovlerui oiv, xai ae tovtcou yetoao&cu. —
Wir sehn also in ihm viel natürliche Gutmüthigkeit und noch mehr
Klugheit, und eine Fülle von angeborner Kraft aller Art; wir sehn, was
ein Sokrates, wenn das Glück sie zusammengeführt hätte, aus ihm viel-
leicht gemacht haben würde. Selbst unter den älteren Römern wäre sein
Character gewiss reiner gebildet; schnell würde er jedes Beyspiel ihrer
Tugenden ergriffen, und vielleicht zum Muster erhoben haben. So —
1 86 November 1800.
blieb er ein Perser. — Die Natur hat durch ihn sich gerechtfertigt; sie
hat gezeigt, dass sie an jedem Orte grosse Anlagen erschafft, — aber
auch angezeigt, wie sehr sie die Entwickelung derselben der menschlichen
Gesellschaft überlässt, die so selten das Ihrige thut, und so oft den Keim
verderbt, der ihr selbst die schönsten Früchte hätte tragen sollen. Du
hast Recht zu glauben, dass es für Persien von grösserm Nutzen gewesen
wäre, wenn Cyrus den Thron bestiegen hätte. Aber ich hatte noch eine
andere Idee, deren Ausführung dem Cyrus nicht den Vorwurf des ver-
suchten Königs- und Brudermords gebracht hätte, und doch vielleicht
noch weit glücklicher in den Gang der Weltgeschichte eingegriffen haben
würde. Cyrus stand in Kleinasien zwischen Griechen und Persern in
der Mitte; hätte sein Geist sich ein wenig mehr zu ruhiger Weisheit aus-
gebildet, so || bot sich ihm von selbst der Gedanke dar, Griechen und
Perser in seinem Staate durch einander zu mischen; nach den besten
Mustern beyder Nationen seine Staatseinrichtung zu bilden; — so hätte
der männliche Griechische Mut den persischen Gehorsam gelernt, und
der Sclavensinn der Barbaren hätte sich ermuntert zur Industrie, zu
Künsten und Wissenschaften. So Hess sich ein mächtiger Staat gründen,
der durch sein politisches Verhältniss zu Persien und Griechenland beyde
im Zaum gehalten, und beyde gegen einander geschützt hätte. Die
Griechische Geschichte kann Dir mannigfaltige Gelegenheit darbieten, dar-
über nachzudenken, wie alsdann alles anders gegangen seyn würde. Nur
diese wenigen Bemerkungen: alsdann war Persien der natürliche Bundes-
genosse Griechenlands, weil jener Mittelstaat beyden Gefahr drohte; der
letztere konnte nicht leicht zu weit um sich greifen, weil er Persisches
Gold und Griechische Tapferkeit und wegen seiner Neuheit selbst innere
Schwäche zugleich gegen sich hatte; die Griechischen Staaten wurden durch
die beständige nahe Gefahr aufmerksam erhalten, und entzweyten sich nicht
so leicht untereinander; — Alexander endlich konnte die Welt nicht zer-
rütten; Griechischer Geist hätte ihm in Kleinasien die Spitze geboten;
Kleinasien hätte ihm selbst die Eroberung Griechenlands gewehrt, — und
seine Talente hätten, in Macedonien eingeschlossen, auch hier ein glück-
liches Reich geschaffen.
Aber wozu zerbreche ich mir den Kopf über den Cyrus, was er
war, was er hätte werden und thun können! — Nicht bloß, um Dir
Deinen kleinen Aufsatz so weitläufig zu erwiedern; sondern um Dich auf
den Schriftsteller, den Du liesest, aufmerksam zu machen. Xenophons
Werke pflegen allgemein als sehr || moralisch gepriesen zu werden. Es
ist auch in der That viel treffliches darin. Aber so viel leichter verbirgt
sich eine gewisse Schiefheit seines sittlichen Urtheils, — und ich wüsste
in der That kaum ein feineres Gift für Dein Herz, als wenn Du so ohne
genaue Unterscheidung Dich von ihm überreden lassen wolltest. — Kindern
verbietet man Messer und Scheeren ; — Dir brauche ich Dein Buch, das
unter den historischen Werken aller Zeiten eine der ersten Stellen ein-
nimmt, nicht aus den Händen zu winden. Aber da Du es allein liesest,
— was auch immer so fort gehn kann, — wird eine Warnung Dir
heilsam, und gerade so viel nöthiger seyn, je aufmerksamer Du liesest.
Du musst selbst urtheilcn lernen\ aber Du wirst wohl thun, Deine Urtheile
November 1800. 187
einem Lehrer oder Freunde mitzutheilen, und das seinige zu ver-
gleichen.
Lies also nun noch einmal das Ganze genau, und halte es sorgfältig
mit dem zusammen, was ich Dir geschrieben habe. Es giebt dann noch
manche Züge zu bemerken, die ich nicht angeführt habe. Z. B. dass
Xenophon allenthalben, wo er vom Cyrus etwas Gutes sagte, gleich hin-
zusetzt, wie das ihm, dem Cyrus, so nützlich gewesen sey, wie es ihm
so viel Freunde verschafft habe, u. s. w. Darin läge an sich nichts übles;
aber so häufig wiederhohlt muss es endlich anstössig werden. Lies allen-
falls auch einmal die Platonischen Werke, die Apologie und den Kriton
wieder; so muss Dir leicht auffallen, welch Geist hier herrscht; wie viel
zutrauensvoller Du Dein Herz den darin herrschenden Empfindungen
öffnen darfst. Xenophon freylich war ein Mann der die Welt kannte,
— Plato kannte sie viel weniger. Jener hätte sich nicht, wie dieser, am
Syracusanischen Hofe den Spöttern Preis gegeben. Aber, wenn es eine
schwere Kunst ist, Weltkenntniss mit einem reinen Herzen vereinigt zu
erwerben, — so soll ich doch Dir wol nicht eine Ermahnung schreiben,
was Dir das erste, und was Dir das zweyte seyn solle! — Ich habe Dir
ehemals oft geäussert, dass ich Geschichte in gewisser Rücksicht für ein
gefährliches Studium halte. Das Buch von Xenophon ist nun eine Ge-
schichte — als solche musst Du es lesen, als solche es vorsichtig anfassen^
und es als ein Beyspiel betrachten, wie Du jede Geschichte zu lesen habest.
— Ich habe dies Buch noch nicht weiter gelesen; ich werde aber jetzt
darin fortfahren, und vielleicht noch nächstens auch die andern Xeno-
phontischen Werke wieder durchsehn; dann können wir weiter darüber
reden. —
Ich sehe eben in Deinen Brief wieder hinein; da stehn denn freylich
allerley Geschichten bunt durcheinander! Theseus, Romulus — Catilina,
— und Florians Numa! Zwischen Livius, Plutarch, Sallust, Virgil, und
Florian, giebt es der feineren und gröberen Vergleichungen genug zu
machen; ich wünsche dass Du sie alle machst, um die Masse in Deinem
Kopfe gehörig zu ordnen, — dann kann es eine treffliche Uebung geben.
Aber vor -allen Dingen wünsche ich, dass Du Dich nicht vergessest, sie
alle zusammen und jeden einzeln mit Deinem Herzen sorgfältig zu ver-
gleichen. — Ohne Zweifel sorgt Hr. Segelken schon dafür; doch weisst
Du noch von ehemals her, wie oft ich Dir sagte, dass der Lehrer nur
in dem Verhältniss etwas vermag, wie ihm der Zögling entgegenkommt,
Veranlassung bietet; das wirst Du auch jetzt nicht vergessen dürfen. ||
23sten Nov.
Wenn Du in diesem Briefe nach Nachrichten von mir suchst, Lieber,
so erwarte nicht viel. Ich habe wenig Zeit und habe auch nur wenig
zu erzählen. Ich lebe hier in Bremen hauptsächlich mit meinem Freunde
Smidt, der sich an die gütige Aufnahme Deiner Fr. Mutter zu Märchligen,
dankbar erinnert, und mir so eben an Dich einen Gruss aufgetragen hat.
Auch in einigen andern Häusern geniesse ich hier eines freundschaftlichen
Umgangs. Meine Zeit gebrauche ich hier nicht viel anders als ehemals
bey Euch. Einige Stunden täglich kömmt ein junger Mensch, von Ludwigs
jgg November 1800.
Alter, zu mir, der sich von mir zur Universität vorbereiten lassen will.
Er heisst Walte, ist ein guter, stiller fleissiger Jüngling, aber etwas ver-
nachlässigt in früherer Zeit. — Meine meisten Stunden sind eignen Arbeiten
gewidmet. Vorläufig, — das heisst, wahrscheinlich für ein paar Jahre, —
bleibe ich hier in Bremen, Du kannst gerade an mich Deine Briefe
adressiren; ich logire im Baumannischen Hause in der Jakobi- Strasse. —
Böhlendorf ist jetzt auch hier und grüsst Dich und seinen Fritz. Bestelle
meine Grüsse unter Deinen Brüdern und Schwestern im Hause! Lass
mich nicht lange auf Deinen nächsten Brief warten. Leb wohl, Lieber!
Dein Herbart.
134. J- Rist an H.1) Kopenhagen d. 14. Nov. IgOO.
Eigentlich ist es auf Bergers Veranlaßung, daß ich, die für Dich, Theurer
Herbart, so lange schon schweigende Stimme wieder belebe, und wie ein Wesen
aus einer andern Welt plötzlich vor Dich trete. Ich gestehe, mich drückte dis
Schweigen schon lange, weil es unnatürlich und also eigentlich auch unbegreiflich
war, doch hätte ich es vielleicht noch eine Weile aus denselben Gründen beobachtet,
die es Dich beobachten ließen, wenn nicht unser Berger, den ich nach so mancher
Trennung nun abermal auf eine Zeitlang besitze, des vergeblichen das heißt un-
beantworteten Schreibens an Dich müde, darauf dränge, daß nun ich den Versuch
machen solle, Dir ein Zeichen des Daseyns, und des Daseyns für uns, abzugewinnen.
Hoffentlich ist Dir bei der Todtenstille doch auch nachgerade etwas unheimlich
zu Mute geworden und der Apfel braucht nur noch eines Hauches um vom Stamme
zu fallen. Dieser Hauch ist denn vielleicht mein Brief. — Aber selbst auf die Gefahr,
auch diesmal keine Antwort zu erhalten, hin, treibt es mich doch, Dir langentbehrter
Freund, einmal wieder ein verti auliches Wort zu sagen. Ich weiß, Du hörst es
gerne; und wenn Du es nicht erwiederst, so ist das Nicht- Ich schuld daran;
wie || wir in Jena zu sagen pflegten. Aber, sprechen wir gleich izt nicht mehr in
Hieroglyphen, so wissen wir doch was es heißt, zu wollen und nicht zu können,
und geben der rohen Gewalt nach, bis wir den Augenblick ersehen sie zu bezwingen.
Wie ich mir Dich in diesem Augenblicke denken soll, und wo, weiß ich nicht
recht; und was ich von deinem Treiben und Streben gehört, ist auch so frag-
mentarisch, daß es mir keine Befriedigung geben kann. Ich muß mich also fürs
erste an den Herbart halten, den ich in der Leutra Gasse zu besuchen pflegte, und
bei dem ich ziemlich zu Hause war, weil er mir gern sein Inneres öffnete. Diesen
Herbart mögt ich um Alles nicht verlieren; ich ahnte in seinem Wesen zu vieles
und Herrliches für die Zukunft, als daß ich es nicht entfaltet sehen mögte ; er griff
zu tief und mächtig in meine Gedankenkreise, als daß sein Geist mir je fremd werden
konnte, er sprach zu manches damals unverstandene Wort, das mich später die all-
mächtige Zeit, die auch mich zum Manne geschmiedet, deuten lehrte, als daß ich
nicht wieder vor ihn treten sollte und sprechen: Kennst Du mich noch? bist Du
noch jener Herbart, wenn gleich durch des Lebens Wanderung seitdem geprüft, so
sage es mir, und laß sich uusre weitgetrennten Bahnen wieder begegnen. Es ist
ein Theil der alten Zeit mir wieder aufgegangen, seit ich Bergern wieder || täglich
sehe, und mit ihm die wunderbaren Erscheinungen des Lebens, bisweilen zürnend,
öfters aber lachend, und bisweilen still erfreut, betrachte. Uns wohnt noch der alte
Mut im Herzen und die alte Lust, obgleich uns schon manche harte Lehre gepredigt
ward, und unsre Stirn sich verstecken mußte gegen manches freie Gefühl. — Berger
x) 4 S. 4°. H. Wien.
Dezember 1800.
18g
eilt im Frühjahr wieder dem theuren Deutschland zu, in die Arme seiner Anna, und
— freue Dich mit mir — 0 Herbart — auch ich werde im dritten Monat des
nächsten Jahrs die eisbelegten Belte hinter mir lassen; und endlich nicht mehr
allein zurückbleiben wie Filoktet am verlassenen Strande, wenn alle Helden nach
fernen Gegenden gezogen sind.
Wäre es möglich, daß Du in der Mitte oder gegen das Ende des März nach
Hamburg kommen könntest, so mögten wir uns dort umarmen; und ich würde dann
noch muthiger und fröhlicher in die neuen Lebenskreise mich werfen. Kannst Du
aber dis nicht — was doch eigentlich nicht schwer seyn sollte, so werden wir uns
so bald nicht sehen. — Ich werde nämlich dann eine Reise von wenigstens l1/2 Jahren
antreten, die die Schweitz, Frankreich und Italien umfassen soll. —
Kurz und trocken stehen die Worte da, aber ihr Sinn ist unendlich, und ich
gehe den mancherlei herrlichen Erscheinungen, die meiner harren, || mit freude-
klopfendem Herzen entgegen. Rosencrantz den Du kennst, wird mein Reisegefährte
seyen. —
Als Freunde, als Weltbürger, und nicht im Dienst und auf Kosten des Staates
werden wir reisen, unabhängig von allem, nur nicht von der Liebe und der Freund-
schaft. Ich hoffe um vieles vollendeter oder vollständiger von dieser Reise zurück-
zukommen, wenn ich davon zurückkomme. Selbst meine bisherige Lage ist mir
schon auf mancherley Weise eine treffliche Vorbereitung zu dieser Wanderung ge-
wesen, weil ich die Welt und ihre Verhältnisse in jedem Maasstabe, und manches
von ihrer Einrichtung und von der Organisation des Menschlichen Lebens, und des
politischen Lebens kennen gelernt habe, was mir vorher ein Räthsel war. Und wer
wollte in seinen grünen Jahren nicht die Welt in ihrer itzigen wunderbaren Epoche
rund um sich her, und in den Feuerherden ihrer Werkstätte betrachten!
Beschließe gutes, theurer Herbart.
Laß uns einander wiedersehn. — Ich mögte mit Dir rechten, daß Du nicht
einmal hierher gekommen bist; ich glaube, daß manches Dich hier würde interessiert
haben — aber es ist zu spät. So lebe denn Wohl. Ich grüße Dich brüderlich.
J. Rist.
135. An Segelken.1) Bremen um Weihnachten 1800.
Ich trage schon seit einer Reihe von Monaten einen Stein auf dem
Herzen, und Sie, lieber Herr Segelken, ahnden wol nicht, dass Sie es
sind, der ihn darauf gelegt hat. Ich sinne umsonst, wie ich mich ohne
eine Offenheit, zu der ich mich durch Ihren Brief berechtigt wünschte
und nicht berechtigt finde, davon losmachen könne; also verzeihen Sie
und hören Sie mich an.
Zuvörderst glauben Sie nicht, dass ich Ihnen in meinem Herzen die
Achtung versage oder ungern zugestehe, welche Ihre ausserordentliche
Thätigkeit, und — doch ich mag Ihnen Ihre eignen Verdienste nicht
vorzählen — welche noch insbesondre die Rücksichten von mir erheischen,
mit welchen Sie in meine angefangne Arbeit einzugreifen gefällig genug
gewesen sind. Es ist vielmehr der stärkste Beweis dieser Achtung, den
ich in meiner Macht habe, dass ich Ihnen, obgleich der Schein mich
warnt, zum zweytenmal mit gleicher Freymüthigkeit entgegentrete, in der
Hoffnung, das Übel dadurch nicht zu verschlimmern, sondern zu heben.
*) 6 S. 8°. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe pp.
190
Dezember 1800.
Es ist das Verhältnis, in das Sie Sich zu mir und meinen Freunden
setzen, was mich drückt.
Es wäre ohne Zweifel sehr unbescheiden, wenn ich für diese letzten,
oder für mich selbst, einer Zuneigung von Ihnen entgegensähe, die nur
Ihren nahen Bekannten gehört. Ich habe indessen gehofft, Ihnen || soweit
bekannt zu seyn, dass Sie mich, und die mir nahe angehören, des Ver-
suchs eines nähern Zusammentreten würdigen würden. Alsdann kam es
auf uns an, uns von Ihrer Güte zu verdienen, was wir freylich kein Recht
hatten zu verlangen. Jenes aber mussie ich von Ihnen hoffen, der Ver-
hältnisse wegen, die uns gemein sind.
So wie ich, solange nicht bestimmt war wer mein Nachfolger seyn
würde, fürchten musste, derselbe würde meine müh volle und noch leicht-
verletzliche Arbeit zerstören; so muss ich auch jetzt noch, wenn dieser
Nachfolger mich nicht manchmal seine Fortschritte ivissen lässt — (erlauben
Sie mir bey dieser Gelegenheit das Wort Rechenschaft in Ihrem Briefe
durchzustreichen) — wenn er mich besorgt macht meine Bitten um Er-
läuterungen über seine Massregeln könnten ihm ungelegen seyn; — das
umgekehrte von dem erstem fürchten, nämlich dass ich ihm entgegen
arbeiten werde, wenn ich fortfahre mich schriftlich um die Fortbildung
meiner Zöglinge zu bemühen.
Das letztre fordert gleichwohl meine Pflicht wie mein Herz. Meine
Pflicht so viel mehr, weil ich, ganz einer frühern Abrede mit Hrn. Steiger
entgegen, ihn dringender Umstände wegen um viele Jahre zu früh um
Entlassung gebeten habe, und es als eine sehr grosse Gefälligkeit von
ihm ansehn muss, dass ich sie ohne Schwierigkeit erhielt. Selbst Karin
hatte ich mich auf längere Zeit versprochen, und alle diese Versprechungen
konnte ich nur mit dem neuen Versprechen lösen, dass ich nie || aufhören
würde, nach meinen Kräften auch aus der Ferne mich ihnen als Lehrer
und Freund thätig zu zeigen.
Ebenfalls ist Hr. Steiger, — der Mann, den ich unter allen Menschen
die ich bis jetzt kenne, bey weitem am höchsten achte, — berechtigt,
von mir vollkommne Freymüthigkeit über alles was die Seinen betrifft,
zu fordern; auch hat er von jeher selbst in den Fällen, wo gefährliche
Folgen davon zu besorgen waren, dieselbe bey mir gefunden, und dann
jedesmal durch sein höchst edles Betragen mich noch doppelt und dreyfach
dazu verpflichtet. Soll der Gegenstand dieser Freymüthigkeit ein Miss-
Verhältniss zwischen denjenigen werden, von denen er die Bildung seiner
Kinder erwartet?
Für Ihre Person mag Ihnen hieran sehr wenig liegen; Sie sind ohne
Zweifel der Mann, der sich da wo er steht, bey zuverlässigen Menschen
ein vestes Zutrauen zu gründen weiss. Aber sollte ich Sie wol daran er-
innern müssen, wieviel Ihnen für Hrn. Steiger und für ihre Zöglinge
daran liegen könne? Diese Familie müsste aus gewaltigen Lügnern be-
stehn, oder ich besitze dort auch noch ein Zutrauen, das, wenn es mit
dem zu Ihnen, in Collision käme, sehr schmerzhafte Empfindungen er-
regen müsste.
Sie wissen, dass mein Briefwechsel mit dem || St [eiger] sehen Hause lange
gestockt hat; wenigstens wünschte ich nicht, dass dergleichen Ihnen ein
Dezember 1800. igj
Geheimniss wäre. Die Hauptursache davon ist die Verlegenheit, die ich,
sowohl vor, als nach Ihrem Briefe fühlte.
Auch nach Ihrem Briefe — ich wäre sehr froh, wenn Sie mir darüber
einen Vorwurf machten. Wirklich glaube ich fast einen zu verdienen,
dafür dass ich der Übeln Stimmung (die bey mir aus vielen Ursachen
lange angehalten hat und auch jetzt noch mit Rückfällen droht,) gestattet
habe, sich in die Auslegung desselben zu mischen. Ich hatte mich näm-
lich gesehnt nach einem Briefe, an dem nichts auszulegen wäre, der mir
entweder den ersten Händedruck des Willkommens in unserm Kreise,
fühlbar zurückgäbe, — oder aber auch deutlich sagte: ,,ich kenne Euch
noch nicht genug, und heisse Euch, nicht über Eure Gränzen hinaus in
meine Sphäre zu kommen". Auf beyde Fälle hätten wir einander schnell
verstanden, auf beyde Fälle würde ich so wenig über Sie, als Sie hoffent-
lich über mich zu klagen gefunden haben.
Jenen Ihren Brief in jener meiner Stimmung habe ich aber nun
2 Monate lang für nichts als eine höfliche Abfertigung gehalten; und ich
bekenne Ihnen, dass ich schon angefangen hatte, Hrn. Steiger dieses mein
Unglück zu klagen. Auch jetzt muss ich Hrn. Steiger etwas hievon er-
wähnen — aber auf eine Weise, von der ich mich überzeugt halte, dass
Sie damit nicht unzufrieden seyn können, und ihn zu bitten, dass er, der
Sie besser als ich kennt, uns befreunden möchte: als ich endlich, — weil
die Feder, die sich so lange gesperrt hatte, auch jetzt durchaus nicht
weiter schreiben wollte, — Ihren vielgelesenen Brief noch einmal zur
Hand nahm, || und mich schämte, über das was ich so vorschnell im Be-
griff gewesen war zu thun. Denn Ihr Brief verschluss mir doch nicht
offenbar den Weg, den ich jetzt betrete; er scheint mir auch jetzt, es
wenigstens zufrieden zu seyn, dass ich mich mit meinen Anliegen gerade
an Sie wende.
Und wahrscheinlich hätte ich ihn nie anders gelesen, ohne das Mis-
verständniss, was Ziemssen und Sie auseinander zu halten scheint. Wenn
ich mich nicht täusche, könnten Sie leicht mit einander aufrechnen; Sie
haben, glaube ich, noch in Jena bey einer entfernten Bekanntschaft beyde
ein etwas ungerechtes, vielleicht in der Folge noch mehr ungerecht ge-
wordenes Vorurtheil gegen einander gefasst; — und sind Sich jetzt nahe
genug, um einander für Ihre eifrige Thätigkeit, Ihre Geschicklichkeiten,
Ihren Character, schätzen zu lernen. Ich glaube dafür bürgen zu können,
dass, wenn Sie Ziemssen genug kennen lernen zvo//en, Sie ihm Ihre
Achtung, vielleicht Ihre Freundschaft, nicht werden entziehen können.
Wenn Sie Sich ihm so weit nähern wollten, würden Sie Sich einen grossen
Anspruch auf meine Dankbarkeit erwerben, denn uns beyde kann schwerlich
etwas leichter und schöner verbinden, als ein gemeinschaftlicher Freund.
Glücklich, wenn ich vielleicht hier von schon vergangenen, von schon
geschehenen Dingen rede. Es ist lange, dass ich von Ziemssen keine
Briefe habe; und im Sommer werden Sie einander wenig gesehen haben. ||
Es thut mir leid, dass mir diesmal die Zeit fehlt, mich umständlich
in die Unterhaltungen einzulassen, zu denen mich Ihr Brief veranlassen
würde. Ist unsern schriftlichen Gesprächen erst die fröhliche Freyheit
gegeben, deren sie zum Gedeihen bedürfen, so wird sich die Zeit leichter
192
Dezember 1800.
finden. — Die allgemeinen pädagogischen Ideen, wodurch Sie die meinigen
erwiedern, sowie auch Ihre Stundenordnung, haben mir die Hoffnung
gegeben, dass unsre Maximen nicht sehr weit auseinander gehn können;
dass sie viel näher zusammenliegen, als ich im Voraus mit Recht hätte
erwarten dürfen. — Die kurzen Worte, welche ich Ihrer Prüfung hin-
gegeben hatte, waren freylich zu kurz, als dass die genauere Bestimmtheit
derselben Ihnen nicht vielleicht blosse Grille, blosser Einfall scheinen
müsste. Dass Ihre Antwort darauf keine Rücksicht nimmt, darf ich Ihnen
vielleicht als eine leise Zurechtweisung danken; und behalte es mir
übrigens vor, die Gründe, warum ich das Interesse an der Natur und das
am Menschen, das Durcheinander und Nicht- durcheinander- Begründen, so
weit von einander trennte, — nachzuliefern. — Über Ihre Methode, die
Geschichte pädagogisch !zu nutzen, freue ich mich vorzüglich; ausser-
ordentlich zweckmässig scheint es mir, dass Sie bey Ludwig den Tacitus
die Hauptlectüre seyn lassen. Gerade die Anstrengung, durch die er
sich diese Schriftsteller aneignen muss, wird ihm sehr wohl thun. Wegen
der, mit ihm wieder angefangenen Griechischen Sprache, habe ich einige
Zweifel.
Wird er in seinem künftigen Leben sich durch die Schwierigkeiten
herdurchringen wollen, die er überwinden muss, um sich durch den Nutzen
belohnt zu finden? Haben Sie soviel Zutrauen zu ihm, so ist dies ihm
äusserst rühmlich, und alsdann hat auch diese seine Beschäftigung meinen
vollkommensten Beyfall. — Ihre Ideen über den Plan, der bei den
Naturwissenschaften zu befolgen ist, hätte ich sehr gewünscht noch be-
stimmter auf eine Grundidee zurückgeführt zu sehn. Dies wäre mir be-
lehrend gewesen, und hätte mir etwas gegeben, das ich ohnehin suche.
— Vortrefflich, dass Sie beym Anfange in neueren Sprachen sich an die
alten anschliessen wollen. Aber ich begreife nicht recht, wie Florians
Numa — zwar ein Gegenstück, — aber als solches gar grell — Ihre
Forderungen befriedigen könne. Überhaupt vermisse ich in Karls gegen-
wärtigen Beschäftigungen ein wenig die Einheit des Plans. Die Eindrücke
aus den vielen Autoren die er liest, widerstreiten einander, fürchte ich,
zu sehr. Mein Bestreben ist immer, Ein Gewicht zur Zeit ganz auf die
Seele fallen zu lassen; — und wo Abwechselung seyn muss, suche ich sie
bey recht heterogenen Beschäftigungen , deren Wirkungsstrahlen recht weit
voneinander vorüber schiessen.
Ich bitte Sie, aus diesem Briefe nur die Sache heraus zu nehmen,
enog d'tintQ tl ßeßaxTcu duvov, acpaQ to (fegoiev avuQ7ia£,a.(jai x^veXhail1)
Ihr Herbart.
J) Homer, Od. VIII, 409.
1801.
W. : Jan.: Ideen zu einem pädagogischen Lehrplan für höhere Studien. S. Bd. I.
129 — 135-
136. Frau Senator Smidt an Julie Jahn. Bremen 1801, 14. Januar.
— — Recht viel Julie könnte ich Dir von hier erzählen, was mich sehr nahe
angeht und sehr glücklich macht. Unter anderm, ich muß nur mit der lebenden
Welt anfangen. Es sind jetzt zwei Menschen hier. Heebart aus Oldenburg und
Böhlendorf aus Curland, beide frühere Freunde meines Mannes, und jetzt unsers
ganzen Zirkels, dem sie durch sich unendlich viel geben. Herbart hat den gantzen
Sommer fast bey uns auf dem Lande zugebracht, es ist ein ernster strenger Denker,
dessen Nähe nicht immer anzieht, der aber wenn er einmal in sein Inneres schauen
läßt, unbeschreiblich liebenswürdig ist. Er ist hier allgemein geachtet.1)
137. Smidt an Justizräthin Herbart. Jan. 1801.
Auf Ihren letzten Brief an Böhlendorf, meine werthe Freundin, haben Sie gewiß
schon früher als heute Antwort erwartet, und das mit Recht. — Hören Sie indeß
die Ursache der Verzögerung. Böhlendorf erhielt den Brief durch den Postbodten
am Sonnabend Abend erst nach Abgang der reitenden (?) Post nach Oldenburg. — Ehe
er den Einschluß an H. gab wollte er mit mir erst Rücksprache deswegen nehmen,
weil die Verabredung unter uns gilt — H. keine Oldenburgischen Nachrichten ohne
Rücksicht auf seine jedesmalige körpl. Disposition zukommen zu lassen. — Sonntag-
Morgen war ich nicht zu Hause Nachmittags fuhr Bohlend, mit mir nach d. Dunge
— und hier konnte er erst über diese Angelegenheit mit mir reden. — Es war
bereits zu spät wegen der fahrenden Montagspost noch etwas zu verfügen. — Die
Sache mußte also bis auf Donnerstag anstehen.
Aber warum ich Ihnen das grade schreibe — Thls. — weil ich es ungern bis
jetzt verschieben mußte Sie mal ein Wörtchen wieder von mir hören zu lassen —
um mir auf eins von Ihnen gegenseitige Hoffnung machen zu dürfen theils weil
1j Aus den Protokollen der Direktion der physikalischen Gesellschaft im Museum zu
Bremen: 1801 21./1. — — H. Senator Smidt zu dieser oder jener Vorlesung den
H. Herbart der (fehlen mehrere Worte) mit großem Beifall gelesen hat, zu substituieren
(1 unleserliches Wort), so wurde bestimmt, daß derselbe ohne jedesmalige Anfrage vor-
lesen könne.
1801 ii./i. (?) ward angezeigt, wie H. (fehlt I Wort) Herbart und H. Pastor
Bekenn gegen die Verbindlichkeit, Vorlesungen zu halten, früher aufgenommen zu
werden wünschen.
1801 13. Mai/ 1 801 Juni 13. wird beschlossen, Herbart gegen die Verpflichtung
„auf 3 Jahre Vorlesungen11 zu halten, aufzunehmen.
Fr. Mitteilung des Herrn Richter a. D. Smidt in Bremen.
Herbarts Werke. XVI. 13
IQ^ Januar 1801.
meinem Freunde H. ein freundschaftlicher Rath in Hinsicht seines gegenwärtigen
Benehmens nicht ganz gleichgültig scheint — und ich es mir deswegen zur Pflicht
mache Ihnen die Ansichten mitzutheilen die meinen Rath in diesen Angelegenheiten
gerade so und nicht anders ausfallen lassen.
Die Gesundheit meines Freundes scheint nicht mehr so fest zu seyn, wie sie
vormals war. Was sie erschüttert hat wissen Sie so gut wie ich — aber daß jede
auch die leiseste Berührung dieser Saiten auf sein geschwächtes Nervensystem einen
so verderblichen Einfluß hat, daß die Folgen davon nicht Tage sondern Wochen
lang sichtbar bleiben, wissen Sie vielleicht nicht — Seine Eltern scheinen auf alle
Liebe für ihren Sohn Verzicht thun zu wollen, wenn er sich in ihre Mißhelligkeiten
nicht auf eine Art und Weise mische, die seinem Charakter nicht anständig ist —
er hat während seiner Anwesenheit in Oldenburg gethan, was er den Umständen
nach thun konnte und durfte — er hat erklärt daß seiner Ueberzeugung nach die
gerechte Sache die seiner Mutter sey — er hat um nicht der Gegenstand des elter-
lichen Zwistes zu seyn — erklärt, daß man auf ihn keine weitere Rücksicht nehmen
möge, daß er auf alle Vortheile, die für ihn aus diesem Streite erwachsen könnten,
resignire, und wie er sah, daß dessen ungeachtet seine Gegenwart in Oldenburg
immer neuen Stoff zur Flamme darbot, seinen dortigen Aufenthalt vermieden. — Er-
lebt hier als Erzieher eines jungen Mannes in einem Kreise wo er vielfache Ge-
legenheit hat nützlich und thätig zu seyn, und unter Menschen die seinen Werth
zu schätzen wissen, deren Achtung und Liebe er sich erworben hat und noch tägl.
mehr erwirbt.
Seiner übernommenen Arbeit muß er vorstehen außerdem ist er seinen Freunden
jetzt der Nächste und sie sind es ihm — ihre Pflicht ist es dafür zu sorgen daß
seine wahrlich nicht geringen Kräfte der Wrelt nicht entzogen und ein Opfer un-
seliger Verhältnisse werden, in die ihn nur ein ungünstiges Schicksal zu verflechten
im Stande war — dies würde aber sicher der Fall seyn. wenn er in dieser Hinsicht
Ihren oder seines Vaters Wünschen Gehör gebe.
Er wird demnach seine Ansprüche an den Vater — die bewußten jährlich
300 Rthl. betreffend nicht geltend zu machen suchen — und sollte er auch, wie
Ihr Brief anzudeuten scheint, darüber Gefahr laufen alle elterl. Unterstützung dar-
über entbehren zu müssen. — So hart das auch gewisserseits seyn mag, so sehr
sein uneigennütziges Benehmen in dieser ganzen Sache auch das Gegentheil zu
Billigkeit machen würde so halte ich es auch wenn seine Grundsätze es ihm nicht
schon zur Pflicht machten — hierin dem in Oldenburg geäußerten Entschlüsse con-
sequent zu verfahren, doch schon für ratsam, lieber alle Aussichten dieser Art
fahren zu lassen als im Besitz derselben zugleich der Gefahr eines siechen und kraft-
losen Lebens täglich näher zu rücken. — Was hilft ihm das Geld ohne Gesundheit
und heitern Sinn — es wird ihn vom beschleunigten Tode nicht erretten. So lange
es ihm an Kräften nicht fehlt wird er arbeiten können und seine Arbeiten werden
ihm Brod verschaffen. — Sollte er je in Umstände gerathen die ihm das unmöglich
machten, so fehlt es ihm hier nicht an Freunden, die sichs zur Freude machen
werden ihm behülflich zu seyn, wo sie es können.
Daß er seinen Eltern nicht schreibt, kann sie bey so bewandten Umständen
im Grund nicht wundern. — Der letzte Brief seines Vaters enthielt Aufforderungen,
deren er sich vor jedem rechtlichen Menschen schämen muß — über Ihr Verhältniß
mit ihm habe ich Ihnen ein andermal weitläufig geschrieben — und meine Ansicht
desselben hat sich durch die Aeußerungen und den Ton dessen Sie sich in jedem
Urtheil über Ihren Sohn bedienen so wenig wie die Seinige verändern können. —
Der verlangte Schein folgt indeß hierbey wie ich hoffe auf eine Ihnen genügende
Januar 1801. ige
Weise. H. sagt mir daß er das seit 96 Empfangene unmöglich speeificirt angehen
könne, da er nicht genau darüber Buch gehalten, und auch gar keinen Grund gehabt
hätte das zu thun. — Gesetzt auch sein Gedächtniß wäre ihm bey der Herzählung
dieser Summe ziemlich getreu, so wäre es doch möglich daß er in irgend einer
Kleinigkeit irren könne — die die Advokaten seines Vaters dann mit beyden Händen
ergreifen würden — um Sie dadurch in neue Weitläufigkeiten zu verwickein. —
Einliegende Generalquittung beugt dem allen indeß vollkommen vor — daß der
Vater und sein Anhang es gar gern sehen würden Sie mit seinem Sohn zu entzweyen
— um seine Sache dadurch in ein besseres Licht zu setzen — läßt sich denken,
es wird ihnen aber sicher nicht gelingen. — Sie haben Ihren Verpflichtungen für
Ihren Sohn dadurch ein Genüge geleistet, daß Sie seine Ansprüche insofern der
Justizrath sich Ihnen deswegen verpflichtet halte, geltend zu machen suchten — will
der Sohn sie nun von seiner Seite freywillig aufgeben, um dadurch zugleich einen
Stein des Anstoßes der auch die Entscheidung Ihrer Sache noch verzögern könnte,
aus d. Wege zu räumen — so wird man daraus sehen — daß er um die Ruhe
seiner Eltern zu beschleunigen die Aufopferung des eignen Interesses nicht scheut.
(Zweites Blatt)
Was Sie in dem Briefe an B. von der Seichtigkeit der Gründe Ihrer Gegner
erwähnen leuchtet mir nach dem dabey übersandten Probestück1) zu urtheilen, voll-
l) In der von dem Advocaten von Römer am 23ten Dec. eingereichten Schrift
steht folgendes:
Was aber das Gesuch um Unterhalt für den Sohn betrifft, so ist dies vollends
grundlos und unbeykommlich.
Ersteres, weil der in wenig Monaten großjährige Sohn „sich selbst sein Aus-
kommen verschaffen muß".
Letzteres, weil, wenn er auch noch einiger Unterstützung bedürfen sollte, dies
eine Sache ist, weshalb Supplicantin kein Klagrecht hat. Der Sohn melde sich mit kind-
licher Ehrfurcht beym Vater und ergreife einen Stand, so wird es ihm an Unterstützung
nicht fehlen obgleich sein letztes Betragen nicht ganz so war, als es hätte seyn sollen.
Im Gegentheil ist Supplicantin dem Supplicaten von denjenigen Geldern Rechen-
schaft zu geben schuldig, die Supplicat ihr eingehändigt hat, um sie an den Sohn
wie dieser sich in der Schweiz aufhielt zu schicken. Diese Gelder betragen 375 Rthlr.,
wozu Supplicantin der Abrede gemäß 125 Rthlr. legen mußte. Der Sohn hat diese
500 Rthb. bey weitem nicht erhalten.
Damals wollte Supplicat mit der angebotenen Summe von 400 Rthlr.
dem Sohn zugleich eine Unterstützung aussetzen, deren jetzige Bestimmung nach
dem letzten Betragen desselben, von nicht vorauszusehenden Umständen abhängt. Jetzt
ist die Sache einmal im Gange, jetzt hat sich der Sohn vom Supplicaten gleichsam
abgesagt und Parthei gegen ihn genommen, jetzt findet Supplicat es nicht rathsam,
die künftige Bestimmung des Sohnes und den demselben auszusetzenden Zuschuß,
der Willkühr der Supplicantin zu überlassen, jetzt ist nur, um aus der Sache zu
kommen von einem Zuschüsse für die Supplicantin allein die Rede.
— , da der Sohn noch Zuschuß bedarf „und die herrschaftlichen
Diener nach höchsten Landesherrlichen Verordnungen gar keinen Abzug leiden
dürfen. || Dies würde zum offenbaren Nachtheil des Dienstes gereichen. Daher denn
auch Sr. H. Durch!. Sich nur vorbehalten haben, höchst dero Einwilligung zur Ver-
abfolgung eines Theils des Gehalts zu ertheilen, wenn die Bediente dies wünschen.
Ich habe diese Schrift gestern Abend erhalteu, und wünsche am nächsten
Sonntage zu erfahren, ob und welche Worte über das Gemeldete, in meiner Gegen-
erklärung bemerkt werden sollen? [Frau] Herbart
13*
196 Januar 1801.
kommen ein — die Anwenduug der landesherrlichen Verordnung wegen des Gehalts
der herrschaftlichen Diener — auf eine Unterstützung die der Vater d. Sohn zu-
kommen läßt ist so schief wie irgend etwas seyn kann, desgleichen die lächerliche
Behauptung, daß die künftige Bestimmung des Sohnes durch Auszahlung der 400 Rthl.
auf d. contractmäßige Weise der Willkühr d. Supplikantin überlassen werden würde. —
Was die Aeußerung betrifft, daß das letzte Betragen des Sohnes nicht ganz so
gewesen sey als es hätte seyn sollen so würde sich darauf falls es nöthig wäre wohl
ein Wort erwidern lassen, das nicht so leicht zu beantworten seyn dürfte als jenes
hingeschrieben ist — allein ich sehe die Notwendigkeit einer solchen Erwiderung
noch gar nicht ein. Die zu Grunde liegende Absicht ist offenbar keine andere als
das Geld zu behalten — dies wird dem Vater jetzt ja frey willig und unaufgefordert
zugestanden — und so wird er künftig gern darüber stillschweigen — ja wenn es
verlangt würde um einen solchen Preis wahrscheinlich noch obendrein gern Ehren-
erklärung in d. Kauf geben, allein wir finden es gar nicht einmal nöthig darauf zu
drängen. Der Sohn hat übrigens ja in Oldenburg öffentlich erklärt weswegen er
nicht auf des Vaters Seite seyn könne — und daß dieser deswegen nicht sonderlich
auf ihn halten kann wird jedermann ganz erklärlich finden — daß man den Sohn
hie und da in Oldenburg für ein Kind u. Tollhäusler hält — ist Tollhäuslerurtheil,
das sich wohl belachen läßt, dem man aber offenbar zu viel Ehre anthut wenn man
irgend eine ernstliche Notiz davon nehmen wollte. Sie haben diese Maxime in
Ihren eigenen Angelegenheiten ja selbst mit dem besten Erfolg erprobt. Sollten
übrigens Männer deren Achtung ihm werth ist durch dies Urtheil vornehmen od.
geringen Pöbels — sich soweit verleiten lassen daß sie auf eine seinen Charakter
compromittirende Weise irre an ihm würden — so wird es, wenn sich erhebliche
Spuren davon zeigen noch immer Zeit genug seyn einem dadurch veranlaßten üblen
Einfluß — auf seinen Credit und guten Namen vorzubeugen und ich erbiete mich
in diesem Falle gern mit Männern ein männliches Wort über das ganze Verhältniß
zu wechseln — aber jede Voreiligkeit dieser Art zeigt Feigheit und macht schon
deshalb verdächtig.
Daß wir uns übrigens über das nahe Ende Ihres Prozesses und so viele damit
verbundene Sorgen und kränkenden Ansichten der Menschheit, die bey einer solchen
Behandlung von selbst sich aufdrängen müssen herzlich freuen, können Sie leicht
denken. Von ihren Gesundheitsumständen erwähnen Sie zwar nichts aber aus dem
ganzen Tone Ihres Briefes glaube ich zu meiner Freude schließen zu müssen, daß
sie nicht nachtheilig sind. — Möge der Abend Ihres Lebens so heiter werden, daß
Sie den schwülen Mittag darüber zu vergessen im Stande sind. Auch das Verhältniß
mit Ihrem Sohne wird dann, ich ahnde es, ein anderes werden wie es jetzt ist.
Wenn seine Grundsätze es ihm nicht erlaubten während der letzten Jahre einen
Weg mit Ihnen zu gehen, so dürfen Sie daraus noch nicht auf eine gänzliche
Trennung schließen. Sie werden sich wieder begegnen und in ruhigen lebensfrohen
Stunden wird es Ihnen künftig gewiß nicht an mancher schönen Veranlassung fehlen
sich eines Sohnes zu freuen auf den jede Mutter stolz seyn könnte.
Gelegentlich bitte ich um eine Empfehlung an H. v. Halem. Wissen Sie nicht
ob er in diesem Frühling auch einen Besuch von Woltmann in Oldenburg erwartet? —
Leben Sie herzlich wohl und erfreuen Sie bald mit ein paar Zeilen
Ihren Smidt.
(auf der letzten Seite)
Gries hat den Tasso, wie ich aus seinem Briefe damals selbst gelesen habe
nicht Ihnen sondern Ihrem Sohne geschenkt und ihm bloß eine Mittheilung desselben
an Sie aufgetragen Herbart hatte Böhlendorf aufgetragen es mitzunehmen der es
Februar 1801.
197
aber vergessen hat. — Er besitzt außer dem von Gries erhaltenen noch ein Exemplar
des Tasso das er Ihnen nächstens schicken wird — die Uebersetzung ist vor-
trefflich — sie wird Ihnen Freude machen.
138. Segelken an H.1) Bern den 4. Febr. 1801.
Herr Herbart. Ich hoffte Sie würden mir Ihre Gedanken, wie sie auch immer
hätten seyn mögen, über meinen Brief mittheilen. Ich rechnete dabey noch auf
manche Winke und Bemerkungen fürs Einzelne, die ich von Ihnen am besten er-
warten konnte; und ich wurde unruhig, da ich, als wirklich Briefe von Ihnen kamen,
keinen erhielt. Sie schrieben an Ludwig, an Karl, — und manches, z. B. über die
Arbeiten im Griechischen, im Englischen, in der Geschichte so, daß es auch mich
anging, aber dennoch kein bestimmtes "Wort, keine Frage, keine Aeußerung unmittel-
bar an mich. Es war mir unerklärbar, warum Sie mir nicht selbst direct Ihre
Meinung sagten. Ich wollte schon an Sie schreiben, aber da Sie in einem der Briefe
sagten, Sie würden nächstens mehrere schicken, so vertröstete ich mich noch, und
hoffte von neuem. Nun kam ein Brief an den Herrn Landvogt, und da ich noch
in dem nemlichen Zustande war, so dachte ich, dieser würde mir Aufklärung geben;
— der Herr Landvogt hatte die Güte ihn mir mitzütheilen, und so war mir das
Rätsel gelöset. Jetzt war ich froh, denn ich sah nun, daß es nur auf mich ankam,
mich mit Ihnen zu verständigen, und dies soll hoffentlich nicht schwer halten. —
So will ich denn ein paar herzliche Worte mit Ihnen reden, so gut der kleine Baum
eines Briefes sie faßt, und wenn diese uns nicht näher vereinigen, so wird nie etwas
uns nahe bringen. Nehmen Sie ja nichts als Vorwurf, oder als Entschuldigung von
meiner Seite, denn das eine so wenig wie das andre kann unter uns stattfinden.
Manche Aeußerung von Ihnen erscheint mir ganz natürlich. Nur das Wirkliche,
was ich beym Lesen Ihres Briefes in mir fand, muß ich Ihnen sagen. — Sie mögen
dann selbst urtheilen. ||
Es nimmt mich im geringsten nicht Wunder, daß Sie sich nicht recht in mich
haben finden können. Wir selbst werden uns fremd. Wie sollte ich an Sie
schreiben, nach dem Verhältnisse worin wir zu einander standen? Als Freunde? —
Das konnte ich nicht, so gerne ich es auch getban hätte. Unbescheidenheit, Zu-
dringlichkeit ist mir zuwider am meisten in diesem Puncte! Ich mag mich nicht
anbieten, nicht sogleich damit hervortreten, und warte lieber, bis man mich erst
etwas kennt, und mir vielleicht entgegen kömmt. Daher unterscheide ich dann frey-
lich manchmal nicht genug die Gränze, wo die Zurückgezogenheit aufhören, und ein
freier Anschluß stattfinden sollte, — warte länger als es wol nöthig wäre. Im
mündlichen Gespräche giebt sich dies weit eher und so wenige Menschen, die sich
auch das erste mal sehen, können sich bald einander nähern, — aber wie ganz
anders ist dies bey einem Briefe, wo so mancherley Rücksichten in Betracht kommen,
bey Menschen die nicht Vertraute sind. Versteht man doch oft im täglichen Um-
gange die Sprache, die jedem besondern Menschen eigen ist, unrichtig und schief,
um wie viel eher ist dies bey einem Briefe zu befürchten. Der meinige ist für
uns beyde ein unangenehmer Beweis dafür, und mit Verstummen sah ich, wie un-
begreiflich falsch er genommen war. — Sie legten da etwas in mich hinein, was
nie in mir gewesen ist -- von Abfertigung kann gar nicht die Rede sein. Aber
auch weder Höflichkeit, noch vorsichtiges Zurückhalten mit meiner Freundschaft,
war es, was ich gegen Sie äußerte; und ich sehe in Beziehung auf das erstere, daß
ich das bey Ihnen veranlaßt habe, was ich gerade nicht wollte. Ich hätte Ihnen
l) 12 S. 8°. H, Wien.
iq8
Februar 1801.
manches gern sagen mögen, was mich freute, da ich Ihren Brief las, da ich hier von
Ihnen sah und hörte, || was ich aber dennoch nicht gut sagen konnte, aus Besorgniß,
daß es blos Höflichkeit oder Worte scheinen möchte, nach dem Verhäitniß, worin
wir zu einander standen; — was ich Ihnen aber, wenn wir schon vertrauter ge-
wesen wären, geradezu hätte sagen können, und so wurde mein Brief vielleicht zu
kalt und trocken; und hatte daher für Sie die Miene der Abfertigung. Vorsichtige
Zurückhaltung meiner Freundschaft kam mir nie in den Sinn. Warum hätte ich
sie doch zurückhalten sollen? Ich wünschte herzlich ein engeres Verhäitniß mit
Ihnen, wozu meine Stelle mich schon auffordern mußte; aber ich konnte nicht
wissen wie weit Sie gegen mich gehen würden. Halb und aufs Gerathewohl hin
mag ich nichts haben und geben, — und so wollte ich das lieber der Zeit überlassen,
womit ich mich nicht schnell und voreilig zeigen mochte. — Es hat mich tief ge-
schmerzt, daß Sie mir ein verächtliches Ueberblicken Ihrer mir geäußerten Neigungen
auf eine Zeitlang beylegen konnten. So etwas ist mir durchaus fremd, — ich hasse
es am meisten, und es entfernt mich am ersten von einem Menschen, in dem es
sich wirklich findet. Ich hätte mit stolzer Verachtung Ihre Meynung übersehen
können, die in dem Augenblick wo ich sie las das frohe Gefühl der einleuchtenden
Klarheit in mir erregte, und die obgleich ich es mir nie mit diesen Worten dachte
und es nie unter dieser Form ausgedrückt sah, so gewiß war, daß ich nicht den
geringsten Zweifel darüber hatte? Nein, so war es nicht, so etwas konnte nie in
meinen Sinn kommen, nie bey jedem andern Menschen, geschweige denn bey Ihnen.
Als ich es näher ansah, glaubte ich das, was ich bisher darüber gedacht hatte, und
was keineswegs nun, aber dennoch, wie ich glaube, wahr ist, seinen wesentlichsten
Theilen nach wiederzufinden, und freute mich natürlich um so mehr. So setzte ich
dies her, damit Sie sähen, daß wir hierin zusammenstimmten. ||
Sie bewiesen Zutrauen gegen mich, da Sie mich werth hielten, an Ihrer Stelle
fortzuarbeiten. Dies glaubte ich nun dadurch am besten schätzen zu können, wenn
ich mich bemühte, es auf eine Ihnen ähnliche Art zu thun. Ich wußte, wie viel
Sie den Ihrigen waren; und ich strebte dahin, ihnen nach meinen Kräften das zu
seyn, was ich Ihnen seyn konnte. Mit diesem Vorsatz kam ich her. — Ich nehme gern
jeden Menschen so wie er ist, ohne etwas in ihn hineinzudenken, ohne etwas bey ihm voraus-
zusetzen, — versteht sich, davon abgesehen, was man bey jedem der irgend einen be-
stimmten Schritt thut, wie etwa der meinige ist, mit vollem Rechte voraussetzen kann,
— kurz, jeden in seiner Art, und so wünsche ich daß andre auch mich nehmen. Unter
solchen Menschen bin ich am liebsten, und mit diesen hoffe ich dann leicht auszu-
kommen. Denkt ein andrer aber so unbescheiden, daß ich gerade alles das seyn
soll, was er wünscht und voraussetzt, so muß ich gestehen, daß ich dazu keine Lust
habe, denn so könnte es endlich dahin kommen, daß ich weder für ihn, noch für
mich selbst etwas mehr wäre. — So kam ich hierher, zuerst abgesehen von allem
andern; weil ich mir sagen konnte: Ich habe den reinen Willen etwas Gutes, etwas
Bleibendes zu bewirken, ich glaube Kraft und Ausdauer dazu in meiner Macht zu
haben, und habe mir einige Mittel und Kenntnisse dafür zu erwerben gesucht. Dies
kann ich mit frohem Muthe noch jetzt sagen. — Wer sich mit mir zu irgend etwas
Edlem und Bleibendem vereinigen will, der kann auf meine ganze Thätigkeit, so viel
in meinen Kräften steht, fest und sicher rechnen. Selbstsucht, Anmaßung, Eigen-
dünkel sind meinem Herzen immer fremd gewesen. Nichts mag ich im Lehen zur
Schau tragen, weil man leer und eitel dabey wird, und es besser ist, den Gang
seines || Wirkens im Stillen zu verfolgen. Gern will ich mich selbst unterordnen,
wenn das Beßere dadurch befördert wird, aber nie leide ichs von andern. Mey-
nungen sind mir Meynungen, und Wahrheit ist mir Wahrheit. Meine Meynung
tausche ich bereitwillig aus gegen die des andern, sobald sie mir einleuchtender ist,
Februar 1801.
IQ9
aber fest beharre ich bey der meinigen, wenn ich nicht Ueberzeugung fühle. Nur
ewige Wahrheiten, die das "Wesen des Menschen ausmachen, die tief in ihm walten
über alles, die den Einzelnen an Einen, wie an Alle knüpfen, und ohne die ich ein
Nichts bin, — die laße ich nicht um Alles, die sind mir zu theuer, als daß ich sie
durch ein nichtiges Bemühen des Verstandes antasten sollte. Ich bin ein abgesagter
Feind von aller Einseitigkeit des Denkens und des Handelns, die jedes Beßere noth-
w endig erstickt. Ich fordere Toleranz der Meynungen und Handlungen gegen mich,
nach meinen Vorstellungen, Neigungen und Empfindungen in so fern ich dieser und
kein andrer bin, im weitesten Sinne, so wie ich sie gegen jeden andern ausübe, er
mag denken und handeln wie er will; — nur da, wo Wahrheit unwiderstehlich
leuchtet, wo irgend etwas, was dem Menschen heilig und theuer ist, angegriffen
wird, da gebe ich keine, und da will ich auch keine gegen mich. Jeder gilt mir
nur in dem Maaße etwas, als er edel gesinnt ist, als er wirkt und nützt, als seine
Gesinnungen uneigennützig und lauter im Leben sich zeigen, und er kein getheiltes
Unwesen ist, — und nur dann wenn sein Herz einfach, natürlich und wahr zu dem
meinigen spricht, so bin ich der seinige auf immer, denn dis ist mein untrügliches
Alles.
So fordere ich Sie denn hiermit auf, mein theurer Herbart, bitte Sie innig,
mir keinen Ihrer Wünsche zurückzuhalten. 0 ich sehe diese Liebe, diese Sorg-
falt für die Ihrigen, so wie sie seyn muß, mit einiger Freude, sie ist mir heilig.
— Theilen Sie mir Ihre Gedanken mit, schreiben Sie nur Alles, was Sie wünschen,
was Sie denken, über jedes Einzelne; ich will dann sehen, was sich thun läßt, und
mir soll es eine || herzliche Freude seyn, Ihren Wünschen entgegen zu kommen,
Ihre Vorschläge auszuführen. Ich bin der Ihrige in Allem, was die Kinder betrifft,
an denen mein Herz hängt, und wollen Sie hier der meinige seyn, so kann es nicht
fehlen, daß wir etwas Bleibendes zustande bringen. Gern will ich mit Ihnen ge-
meinschaftlich arbeiten — denn mit wem könnte es mir lieber seyn, — und sobald
ich nur bestimmt weiß, was Sie in jedem Einzelnen beabsichtigen, so stehe ich
Ihnen dafür, daß es meiner Seits nicht unausgeführt bleiben soll; denn ich will
jedes Gute.
Noch eins muß ich hier erinnern. Denken Sie ja nicht, — wie ich wol aus
Ihrem Briefe schließen könnte — als ob ich es aur Hauptsache machte, meine Zög-
linge mit einer Masse von Kenntnissen vollzupfropfen. Nein, ich weiß wirkliches
Seyn, von bloßem Wissen zu unterscheiden. So wie ich jeden Mensch nur nach
dem, was er kann, messe, so ists mir auch das erste, den Menschen zur eignen
höchsten Selbstständigkeit seines Daseyns zu erheben, damit er einst sich und andern
etwas werde, und nicht einen halbgelehrten Halbmenschen aus ihm zu machen; —
und wenn das, was wir eigentlich lernen, nicht unser eigenes Wesen veredelt, nicht
andern wahrhaft nützlich wird, kurz nicht in jedem Sinne practisch ist, — so ist
mir alles unendliche Wissen keinen Heller werth. Ich halte sehr viel darauf,
jungen Leuten einen Umfang von mannigfaltigen Kenntnißen aller Art gründlich
und zweckmäßig mitzutheiien, aber nur in Beziehung und in Verbindung mit dem
Hauptzweck aller Bildung. Aber das erstere hervorzubringen, ist bey weitem das
schwerere, und durch die letztere kann man dazu gelangen. — Doch nur allmählig.
— Für || Ludwig kann ich hier nichts zuverlässig sagen, weil von ihm selbst das
meiste abhängt, obgleich ich jetzt mehr Muth habe, wie jemals. Für die andern
beyden ist meine Hoffnung aufs beste gegründet, und wenn ich nicht zuversichtlich
sähe, daß mit diesen einmal alles nach Wunsch gehen wird, so würde ich mir lieber
gleich jeden andern Wirkungskreis wählen.
2QO Februar 1801.
Den 23. Febr.
So eben zeigt mir Karl einen Brief von Ihnen nnd wir lassen alles andre seyn,
damit Sie nicht länger in Ungewißheit bleiben. Tief gerührt sehe ich Ihre Sehn-
sucht; — aber es ist mir bisher nicht möglich gewesen, diesen Brief zu endigen,
weil unvorhergesehene Umstände meine Zeit weggenommen haben.
Ich wollte Ihnen noch etwas über die unsrigen sagen. Ludwig ist jetzt in
Genf. Die Ursachen seines Dortseyns wird Ihnen der Herr Landvogt mittheilen.
Ich erwarte seinen Briefen zufolge jetzt manches mehr von ihm, als vorher. Er
findet dort gute Aufmunterung an einem Freund, der in aller Hinsicht ein treff-
liche]' junger Mann und mit ihm im nemlichen Hause ist. Seine Arbeiten gehen
in derselben Richtung fort, wie vorher. — Ich freue mich daß Sie in Hinsicht
seiner Beschäftigungen mit mir einig sind. In Beziehung auf eine Stelle Ihres
Briefes, wo es heißt, — daß Sie nicht zweifeln, ich werde noch manches mehr für
ihn thun, daß Ihre Meynungen über dieses Mehr aber manche besondere Bestim-
mungen hätten, die Sie bey mir nicht voraussetzen dürften, und die sich schwer
aus einer Seele in die andre übertragen ließen, — wiederhole ich dringend meine
| obige Bitte. Deuten Sie es mir nur, so viel es sich in einem Briefe thun läßt,
in der Kürze an, geben Sie nur Winke, wenn Sie nicht ausführlicher darüber
seyn können, ich will mich bemühen, darin einzugehen, so viel es mir mög-
lich ist. Schieben Sie nichts auf, besorgen Sie im geringsten nicht Verwirrungen
anzurichten; — darüber können Sie ganz ruhig seyn, — und daß noch keine Zeit
verlohren ist, dafür stehe ich Ihnen. Sie sind zweifelhaft, wegen des Griechischen
mit Ludwig; darüber muß ich also noch etwas sagen. Der H. Landvogt äußerte
mir den Wunsch, daß Ludwig hierin noch etwas thun möchte; und er selbst zeigt
viel Lust dazu. Folgendes bewog mich, einen Versuch zu machen: Ich glaubte, da
ich ihm diese neue Arbeit gab, mehr seinem Leichtsinn, seiner Unthätigkeit ent-
gegen wirken zu können, indem ich ihm zeigte, wie viel dazu gehörte, um auf den
Vorzug eines gebildeten Menschen Anspruch zu machen; um wie viel Fleiß und
Ausdauer also seiner Seits nöthig wäre. Ich glaubte von einer andern Seite dadurch
etwas in ihm hervorbringen zu können, was ich von ihm vermißte, — ein lebhaftes,
theilnehmendes Interesse für den Menschen überhaupt, für das was er war, was
er ist, od. seyn soll, indem ich in die bildende Welt der Griechen mit ihm zurück-
ging, durch deren Umgang der Geist emporgehoben wird. Dazu kam noch, daß er
in der einen Sprache des Alterthums etwas gethan hatte; sollte ihm nun die andre
durchaus verschlossen bleiben, da es noch Zeit war, manche gute Fortschritte drin
zu machen, sobald er nur ernstlich wollte? — Ich behielt mir vor, nur erst einen
Versuch zu machen, allein da er Lust bezeigte, und sich Mühe || gab, so bewog mich
dies um so mehr fortzufahren. Er ließt jetzt den Herodot für sich. — Neuere Ge-
schichte macht eine Hauptbeschäftigung für ihn aus — er arbeitet vorzüglich nach
Condillac. — Ich habe ihm Anleitung gegeben, die sechs ersten Bücher von Tacitus
Annalen, die wir gelesen hatten, nach seiner Ansicht mit eignem Urtheil jezt zu
bearbeiten, sowol einzelnen Theilen, als dem Ganzen nach, da sie einen bestimmten
Zeitraum umfassen, wo er vielfach bildende Materie genug findet. — Dann hört er
eine Vorlesung über Experimental-Physik, und hat Unterricht in der Algebra. —
Die Arbeiten, die Sie von ihm zu sehen wünschen, wird er liefern, ich habe ihn
in meinem letzten Briefe noch daran erinnert.
Mit Karl geht alles gut, und wenn gleich etwas langsam und ängstlich, doch
sicher. — Ueberhaupt kann man sich auf ihn schon ziemlich verlassen. — Ich weiß
nicht, wie Sie über seine Beschäftigungen denken. Wir lesen Plutarch und Plato
— Livius und Virgil, — im Französischen Anacharsis; — Cyrus Feldzug und die
Februar 1801. 20 1
Ilias ließt er allein. Mit Mathematik beschäftige ich ihn ebenfalls. — Ich bin sehr
für eine gewisse Abwechslung der Beschäftigungen bey jungen Leuten, wobey dennoch
aber nur Eins bezweckt werden muß, ohne daß es Wechsel oder Zertheilung wird.
— Theils weil sie durch eine zu große Vereinfachung leicht würden, theils weil es
hier Gelegenheit giebt von vielen Seiten her etwas anzuknüpfen, was sich sonst
nicht so leicht thun läßt; — am Ende vereinigt sich doch alles. Man muß alles
zusammen in gleicher Reihe fortführen, ohne es durch etwas anders wieder zu unter-
brechen. —
So viel ich aus Ihrem Brief an Karl schließen kann, so scheinen Sie, wenigstens
für ihn, nicht viel auf Bildung durch Geschichte zu halten. Ich muß gestehen, ich
wüßte vor der Hand noch nichts, was mir zweckmäßiger für ihn schiene, als dies.
Es muß durchs Sinnliche, wie jede Geschichte ist, zum Uebersinnlichen || vorbereitet
werden. Plato ist der einzige, den man unter gewißen Umständen mit Knaben
lesen kann, aber nur diesen ihn lesen zu lassen, würde zu einförmig seyn und zu
langweilig werden — der Einseitigkeit der Bildung nicht einmal zu gedenken. Man
kann also etwas damit verbinden, was das Interesse unmittelbar regt, und wodurch
von einer andern Seite dasselbe bewirkt wird. — Für Karl glaube ich nicht pas-
sendere Schriftsteller als Plutarch und Livius finden zu können. Dem vielfach
bildenden Nutzen der Biographien des erstem, wüßte ich nicht leicht ein Buch an
die Seite zu setzen ; und die Menge der historischen Gegenstände des andern giebt
Stoff — zu vielen Bemerkungen. — Auch hier möchte ich nun Ihre Meynung
wissen, wie wir mit einander stehen. — Phädon wird bald beendigt weiden, —
welche von den Platonischen Schriften glauben Sie könnten wir am besten folgen
lassen? — Sie wünschen etwas Eignes von Karl über Phädon zu sehen, — aber es
will noch nicht so ausfallen, als daß ichs Ihnen schicken könnte. Er muß es
schuldig bleiben. — Von andern Arbeiten, die Sie vorgeschlagen hatten, weiß ich
nichts weiter. Was Sie aber wünschen, dürfen Sie nur sagen, und ich werde dafür
sorgen, daß nichts unterbleibt. — Für die Beantwortung von Karls letztem Auf-
satze, danke ich Ihnen aufs wärmste.
Rudolf habe ich lange nicht so fassen können, wie ich wünschte; das flüchtige
Wesen ist mir immer wieder entschlüpft. Fast glaube ich ihn aber auf einem
sichern Wege zu haben; — er ist offen, u. sagt mir jede Unbesonnenheit die er
macht, freymüthig, wodurch schon sehr viel gewonnen ist. Auf Unwahrheiten
wobey er ein paarmal ertappt ist, habo ich das wachsamste Auge, und bin auch
hier so ziemlich gewiß. — Mit seinen Arbeiten bin ich recht wol zufrieden, nur ist
sein Thun noch immer so ungleich. — Doch kann man bey ihm auch noch keine
anhaltende Beständigkeit verlangen!
Und nun wünsche ich, daß unser Briefwechsel endlich einmal einen glück-
lichen Fortgang gewinnen möge. Meiner Seits soll es von jetzt an nicht felüen. —
Uebrigens nehmen Sie das Gesagte im besten Sinne, denn so meyne ichs.
Schreiben Sie mir Alles. Ich bin der Ihrige Segelken.
Grüßen Sie doch Böhlendorf herzlich von mir, ich werde ihm nächstens
schreiben.
N.-S. Ich habe vergessen Ihnen vom kleinen Franz etwas zu sagen. Wah-
rend Ludwigs Abwesenheit habe ich mich bestimmter mit ihm beschäftigen können.
Ich suche durch Leseübungen, durch Naturgeschichte, durch Geographie, überhpt.
so viel als möglich, durch Anschauung seine Vorstellungen nach u. nach zu bilden.
Ich glaube, man muß Kindern für den ersten Anfang eine Menge von Begriffen
mittheilen, und nur dafür sorgen, daß sie alles deutlich denken, ohne es noch auf
2Q2 Februar 1801,
irgend eine Art weiter zu verbinden; — 11. alles anschaulich. Diesen Sommer will
ich ihn viel mit Botanik beschäftigen. — Ich wünschte, ilm so früh als es nur gehn
will, ins Griechische einzufühlen; allein noch ist er nicht so weit, als daß man das
Interesse am Menschen in ihm lebhaft genug wecken, u. fortgehend erhalten könnte.
Doch lasse ich ihn doch schon ein wenig hinarbeiten durch Lernen der Sprach-
elemente, woran er Freude hat. S.
139. An VOn Halem. x) Bremen am 8ten Febr. 1801.
Werden Sie verzeihen, dass ich durch ein Anliegen bey Ihnen die
unangenehme Erinnerung aufrege, die leider schon mit meinem Namen
verknüpft ist? Es soll mit so wenig Worten als möglich geschehn.
Ich bitte Sie, von der Einlage denjenigen Gebrauch zu machen, den
Sie selbst gut finden werden.
Ich wünschte dadurch zur Abkürzung der traurigen Geschichte bey-
tragen zu können. — Ich weiss auch nicht, wie meine Vaterstadt gegen-
wärtig von mir denkt. Vielleicht ist der Verdacht, den sie auf mich ge-
worfen hat, so schwer, dass er durch solche Verzichtleistungen erleichtert
werden kann. Ich mag nicht sagen, wie mich der Gedanke trifft, dass
auch Ihre Gewogenheit gegen mich, verletzt seyn könnte. — Ich hoffe,
dass mir die Zeit Gelegenheit zuführen werde, das Verlorne herzu-
stellen. — —
Kann es Ihnen angenehm seyn, wenn ich noch ein paar Worte von
meiner hiesigen Lage anhänge?
Meine Laune — das muss ich mir oft bekennen, ist hier in der
That undankbar gegen mein Glück. Ich habe hier einen Freund wieder-
gefunden, den ich in dem Grade nicht mehr zu besitzen hoffte ; und durch
ihn bin ich in eine Zahl von Familien eingeführt worden, deren inneres
Leben vielleicht an einigen Orten fast idealisch scheinen könnte. Wenig-
stens fühlt sich jedermann wohl unter den übrigen; und eine Reihe stiller
Familienfreuden dreht sich in einem Kreise, der niemanden ermüdet.
Die Noltenius machen den Fond dieses Familienzusammenhangs aus;
unser Landsmann Thulesius hat sich hineingeheyrathet; Smidt und der
Rathsherr Kastendyk gehören mit dazu. — Auch beym Eltermann Kulen-
kamp geniesse ich viele, sehr angenehme Stunden. — Alle diese sind in
diesem Winter in eine grössere Gesellschaft mit Ewalds, Richter Ölrichs
u. a. m. zusammengetreten, von der Sie vielleicht gehört haben. Wenigstens
hat dieser neue literarische Cirkel hier in Br. auch ausser seiner Mitte
ziemlich viel zu reden gemacht. In der That sehn selbst seine Mitglieder
ihn zum Theil nur noch als einen Versuch an; — und bis jetzt scheinen
sich noch nicht alle Kräfte, die er besitzt, geregt zu haben. — Mir ist
es auch schon jetzt eine Freude, dass man mir den Zutritt erlaubt hat.
Man kömmt um 6 Uhr zusammen, vor Tisch wird vorgelesen, kalt ge-
gessen, und nach Tisch Musik gemacht. Ölrichs — in Knigge's ehe-
maliger Wohnung — geben beständig den Saal dazu her. Freylich lässt
sich der Geist des ehemaligen Bewohners eben nicht spüren; der Ton
ist ernst und traulich. — Auch zu der, Ihnen wohlbekannten literarischen
l) Außer bei Ziller z. T. gedruckt in den Oldenburgischen Blättern 1842, S. 372
Anmerk.
Februar 1801.
203
Männer-Geseilschaft bin ich ein paar mal gezogen worden. Aber ich habe
gefühlt, dass es mir nicht recht glücken wollte, mir die Gesellschaft auf-
zuschliessen. —
Übrigens liegen auf meinem Schreibtische an der einen Seite Griechische,
an der andern mathematische Bücher; stundenweise sitzt auch ein junger
Mensch daran, der zur Akademie vorbereitet seyn will, und in dieser Mitte
werde ich wol fürs erste bleiben.
Wann werde ich einmal das Vergnügen haben, Ihnen hier mündlich
für Ihre Irene1) zu danken — und Sie zugleich aufs neue der Hochachtung
zu versichern, mit welcher ich unveränderlich bin
Ihr gehorsamer
J. F. Herbart.
(Randschrift.)
Noch habe ich eine Empfehlung von Smidt zu bestellen. Zugleich
soll ich Ihnen melden, er habe wegen der bewussten Berliner Angelegen-
heit dem He. Domherrn Meyer in Hamburg geschrieben ; — man sey
aber schon sonst engagirt.
(Einlage.)
Da ich befürchten muss, dass mein Interesse noch fortdauernd als
ein Grund bey einem Processe mitwirkt, in dessen Veranlassungen ich
zu meinem höchsten Schmerze unwillkührlich mit verflochten bin: so er-
kläre ich hiemit, dass ich keinen Vortheil, der aus diesem Processe für
mich entstehn könnte, annehmen werde.
Bremen am 8ten Febr. 1801. Joh. Frdr. Herbart.
140. All Carl Steiger.2) Bremen am 8tenFebr. 1801.
Ich habe etwas Neues ausgedacht, lieber Carl; ein Mittel nämlich,
wie ich Dich zu mir kommen lassen will. Da es nicht wohl angeht, dass
ich Dich bitte, zu mir her zu gehn: so bitte ich Dich gerade um das
Gegen theil, nämlich, dass Du Dich für einige Stunden recht still und steif
hinsetzest; dann will ich Dich schon bekommen. — Um das weitere frage
Hrn. Sonnenschein. 3)
Übrigens staune ich in der That die unendliche Sorgfalt an, mit der
Du einen Monat nach dem andern brauchst, um heraus zu studiren,
was Du mir wol schreiben könnest! — In diesem studiren will ich
Dich gar nicht stören; es freut mich vielmehr schon ehe ich die Früchte
davon gesehn habe; — aber wenn du mir einen Gefallen thun willst —
denn ich wünsche auch ausserdem etwas zu bekommen — so setze
Dich || gleich in der ersten gelegenen Stunde, nachdem Du dieses
Blatt erhalten haben wirst, mit einem Blatt und einer Feder hin; und
schreibe an mich, was Dir einfällt, so schnell die Feder gehn kann.
Alle Entschuldigungen, die etwa dabey zu machen seyn möchten, will ich
mir wol selbst dabey sagen. Das Paar Briefe, was ich längst an Dich
und Ludwig, und der, welchen ich bald nachher an Deinen Hrn. Vater
gesandt habe, ist doch übergekommen? In dem erstem war eine weit-
x) Die Zeitschrift, die von Halem herausgab.
2) 2 S. 8°.
8) Maler u. Bildhauer in Bern. S. S. 234.
2Q4 Februar i8oi.
läufige Erwiederung Deiner Bemerkungen über den Cyrus, die ich nicht
gern zum zweytenmal schreiben möchte. Damit Du nicht verlegen seyest,
wovon Du schreiben sollest, sage ich Dir: Soviel Personen in Eurem
Hause sind — (Dienstboten abgerechnet) — von eben so vielen möchte
ich gern umständlich wissen, wie sie sich befinden, und was sie machen.
Auch von der Familie Deines Hrn. Grossvaters, von Onkel und Tante
May, von Hrn. und Frau Meisner, und deren Institut, Hrn. und Fr. v.
Goumoens; — — vom Hauptmann Michel, und von der Frau Platter,
— — ja sogar von dem Grund und Boden zu Riggisberg, von den
Tauben und Ziegen, die ihr dort gehalten habt etc. etc. — verlangt mich
zu hören. — Viele Grüsse und Empfehlungen im Hause.
Dein Herbart.
141. Böhlendorff an Heinrich Noltenius. Bremen, 14. Febr. 1801.
— — Ich war anfangs Willens Dir Anchens täglichen Wetter Calender zu
schicken, allein ich finde, daß ich heute "bin, wie nasses Stroh und den Wetter
Calender nicht machen kann. So viel kann ich sagen, daß Wolken und entfernte
Gewitter, die aber niemals zum Einschlagen kommen an der Spitze jedes Tages
stehen müssen — übrigens setzt Herbart des Abends ihre Finger zum Spielen zurecht,
so daß Du künftig recht viel Musik haben wirst, und ich sitz indeß in der Ecke
des lieben Sophas und klimpere auf dem verdorbenen Instrument meiner Laune
142. Böhlendorff an Noltenius. 1801 (?)
Denn nicht von gewöhnlichen Sachen
Will ich dir Die Erzählung machen — — — —
Nicht von dem göttlichen Volk der Christen
Welche Tasso nach Jerusalem
Führte — sondern von göttlichen Schlamm
Des Senator Smidt, das ihn alle Tage
Nolens volens den Olymp hinauf trage — — —
Von Friederikens l) klopfenden Busen,
Von Mettas2) Liebe zu den Musen,
Von dem Magister Matheseos,3)
Der Anchen4) und Trinchen5) einen gewaltigen Stoß
In der Erziehungsmethode giebet
Von der Musik, die die Erste liebet,
Drauf Herbart ihre Finger übet —
Von des Herbart philosophischer Art —
Er trägt iezt einen sittlichen Bart,
Von Eberhards6) herkulischen Schwänken —
113. Ziemssen an H.7j Bern d. 16. Febr. 1801.
Ein Sonnenstrahl freundlich, wie die Menschen, die mich umgeben, erhellt
mein Zimmer, indem ich in Gedanken sehnsuchtsvoll meine Arme nach Dir, mein
*) und 2) Kohde, Smidts Schwägerinnen.
3) Herbart, der in Bremen Mathematikstunden gab, s. Anm. auf S. 244.
4) Noltenius geb. Rohde 6) Catharine Castendyk geb. Smidt.
6) Noltenius.
7) 24 S. 8°. IL Wien.
Februar 1801,
205
theurer, theurer Herbart, ausstrecke; — aber nur vom gegenüberstehenden Fenster
zurückgeworfen vermag er ebensowenig meinen Körper, als der größte Theil dieser
Menschen mein Herz zu erwärmen. Mit heiterm, freundlichen Gesichte wandle ich
unter ihnen herum, und mische mich in ihren Taumel, als wäre ich ganz der Ihrigen
einer. Aber den Kummer, die Sehnsucht und das Streben und Kämpfen in meinem
Innern sehen sie nicht, und können es nicht sehen, weil sie keine Augen dafür
haben, und sollen es auch nicht sehen, weil sie kein Herz dafür haben. Aber Du
kannst es, (wenn es überhaupt wahr ist, daß wir uns je einmal erkannt haben.) ob-
gleich Du es nicht siehst. Selig, himlisch ist das Leben in den Armen eines Freundes,
wie Du mir es warst, wie unser Verewigter uns es war; und selten wird mir nach dem
Genuße desselben je wieder etwas so genügen! Aber doch ist es nicht || das einzige
Glück der Freundschaft. Der Freund glaubt auch ohne zu wißen, und weiß selbst
ohne zu sehen und hören; aus der weitesten Entfernung weht ihn noch der warme
Athem des Freundes an, belebt ihn im Streben, lohnt ihm beym Vollbringen, und
flößt ihm wieder Leben und Vertrauen ein, wo sonst Schmerz und Verzweiflung
ihm das Herz zu erdrücken drohen.
0, mein Herbart, eine Thräne steht mir im Auge, könnte ich Sie an Deiner
Seite, in Deinen Armen verwehren, so würde Sie Dir sagen, was mein beklommenes
Herz Dir nicht durch Worte zu sagen vermöchte.
An jedem Tage, an dem sich der höhere, heiligere Geist in mir regt, steht Dein
lebendiges Bild mir zur Seite, und erhöhet mein Leben und Vertrauen. So warst
Du mir auch hauptsächlich am ersten Tage des neuen Jahrhunderts näher, als sonst.
Die ganze Natur schien an diesem Tage die Geburt des neuen Seculums mit
heitrem Blick feyern zu wollen. Am letzten December verstimmte ein finsteres,
trauriges Wetter und der in düstern Strömen vom Himmel gießende Regen fast alle
Gemüther. Doch glich dies gleichsam nur dem letzten Wegwaschen alles Schmutzes
des endenden Jahrhunderts, || denn am folgenden Tage durchfuhr Phöbus das neue
Jahr beginnend wieder am hellen, heitern Himmel seine Bahn, und goß durch seine
freudigen Strahlen wieder Frohsin und neues Leben in alle Herzen; weshalb auch
ich hinaus wanderte, mich im Freyen in seinem erwärmenden Glänze zu baden.
0! dachte ich, daß doch dieser herrliche Tag der Menschheit ein bildliches
Unterpfand eines ihm ähnlichen Jahrhunderts seyn möchte!
Aber mancherley Gedanken und Empfindungen durchkreutzten an diesem Tage
mein Inneres. Mit tiefer, kummervoller Trauer blickte ich ihm nach, unserm ver-
ewigten, innigstgeliebten Freund; und fühle dabey wieder, wie immer, seinen Ver-
lust so schmerzvoll für mich. Ein sehnsuchtsvoller Blick gen Himmel, und der feste
Vorsatz mit männlichem Ernste zu streben, Seiner würdig zu bleiben, war das
einzige Todtenopfer, daß ich Ihm heute zu weyhen vermochte. »Ihm, an dessen
Seite ich die Götterarme der Freundschaft und des höhern Lebens fühlte, und dessen
Herz dem meinigen so gleich schlug! die eine Hand streckte ich Ihm zu den Sternen
hinauf, während ich Dir, mein Herbart, mein Einziger unter den Sterblichen, die
andre aus weiter Ferne hinüber reichte; und drückte die üeinige dagegen || mit
innigster Wärme an mein sonst so verlassenes Herz.
Ich gedachte Deiner, wie Du vor einem Jahre von uns schiedest, und die
Tage der Trennung uns noch Tage der innigsten Vereinigung wurden ; und wie
wir noch selbst am vorigen Neujahrstage Arm in Arm zusammen nach Deinem
geliebten Märchligen hinaus wanderten. Es war ein Tag, wie dieser, und die Er-
innerung trieb mich auch heute auf demselben Weg hinaus; doch leider ohne meine
beyden Freunde, die ich in diesen Gefilden gefunden hatte. — Die majestätischen
Alpen standen auch wieder da in ihrer vollen Pracht, wie an jenem Tage; aber ach!
2o6 Februar 1801.
mit welchen veränderten Empfindungen schaue ich jetzt zu ihneu hinauf seit sie
uns unsern theuren Dritten so mörderisch verschlangen. In ihrer unerschütterlichen
Größe stehen sie da, und werden noch manchen Sterblichen entzücken und begeistern ;
aber mein Auge wendete sich bald mit tiefer Wehmuth von ihnen weg, — und
nur — Du standest im Geiste noch vor mir, wie Du vor einem Jahre an meinem
Arme hingst. Ja Du, mein Einziger, Du bist es, den mein ganzes höheres Seyn
glaubend und liebend umschlingt, und auf den ich auf Erden noch vertraue; und
könntest Du je diesen Glauben zu Schanden machen, 0! so || möchtest Du mich zu-
gleich dem Lichte der Sonne auf immer entziehen, denn wenn ich an Dir irre würde,
was wäre dann noch mein Glaube an die Menschheit und an mich selbst! — Aber
nein, das kann nimmer seyn! und auch Du, — ich weiß es gewiß, — schlugst
an diesem Tage wieder mit neuem Muthe und neuem Kraftgefühl zum höhern
Leben ein!
In diesem Glauben zu Dir lebe ich hier, und weise Anfechtungen, die mich
an andern Menschen zweifeln machen könnten, bey Dir nur mit Verachtung zurück,
und werde sie stets so zurückweisen, bis Du mir selbst sagst, ich bin nicht mehr
Herbart.
Du hast mir auf meinen letzten langen Brief auch keine Sylbe geantwortet,
oder antworten lassen. Täglich fast habe ich mit Sehnsucht ein paar liebevolle
Zeilen von Dir erwartet; Du hast mehrere male an Steigers geschrieben; aber ich
hofte vergebens, und erhielt nicht einmal einen freundlichen Gruß von Dir. Dennoch
denke ich nur tausend andre Gründe, als daß Du an mir irre geworden seyst;
denn dazu drücktest Du mich einmal zu innig an Dein Herz, als daß Du mich jetzt
davon wegstoßen solltest, ohne mich einmal würdig zu achten, warum, und ohne
von mir selbst zu hören, ob ich es wirklich nicht besser verdiene. — ||
Wohl schon hundertmal wollte ich Dir wiederschreiben, aber außer den seligen
Stunden, die ich größtenteils allein mit mir selbst verlebte, und in denen man
nicht auch schon deshalb, weil sie nur seltene Geschenke des Himmels sind, nicht
immer ganz zum Schreiben geschickt und aufgelegt ist, — riß ein Wirwar von
Beschäftigungen und buntschäckigen Zerstreuungen mich von einem Tage zum andern
fort, und machte mich nicht selten zu matt und schlaff, als daß ich so vor Dir hätte
hintreten dürfen, obgleich ich Dich stets gleich lebendig und wohlthätig für mich im
Herzen trug.
Bern d. 25. Febr.
So weit war ich grade mit meinem Briefe an Dich, als ich den Deinigen zu
erhalten, die unverhofte Freude habe; und da Steigers und Segelken heute Mittag
ihre Briefe an Dich abschicken, so möchte ich den meinigen auch nicht gerne länger
aufhalten, weshalb ich mit fliegender Feder nur noch einige Worte hinzufügen kann.
Mit welcher Theilnahme ich die Nachrichten von Deinem kränklichen Zustande ge-
lesen habe, und mit welcher Sehnsucht ich Deiner völligen Genesung entgegensehe,
darf ich Dir wohl nicht erst sagen. Aber der herannahende, alles neu belebende
Frühling, Deine glücklichen Verhältnisse in Bremen, wo Du gewiß der wohlthätigen
Pflege aus Freundes Händen nicht entbehren wirst, und Deine eigne innere un-
zerstörbare Kraft machen mir j| die gegründeteste Hofnung, daß Du bald wieder
im Genuße Deiner ganzen Lebensfülle seyn und handeln werdest.
Auch mich haben, wie es mir scheint, die Umstände, die Menschen, die mich
umgeben, und meine ganze jetztige Lebensart wenigstens im Äußern etwas erschlaft;
denn wie der Baum begierig seine Wurzel in die Erde hineindrängt, um Saft und
Nahrung aufzusaugen, so drängte auch ich mich in meiner Armuth und Trauer
wieder in die Haufen der Menschen, schmachtend wieder ein menschliches Herz zu
Februar 1801. 207
finden, woran ich leben, lieben und emporstreben könnte. Sie stießen mich nicht
alle zurück, ja viele zogen mich sogar mit Theilnahme näher zu sich heran, und ich
verlebte wieder meine Tage mehr als gewöhnlich mit ihnen; aber doch fand ich
weder meinen Herbart, noch meinen Eschen, noch irgend einen genügenden Ersatz
für Euren Verlust in ihrem Kreise; und verlor dagegen bey diesem Hingeben viel-
leicht ein wenig zu viel von meinem Ernst und meiner Strenge gegen mich selbst.
Aber doch sehe ich es noch, was mir fehlt, und fühle noch mein altes Leben und
meine alte Kraft rege und ungeschwächt in mir, womit ich mich an der Seite eines
höher mit mir vereinten Freundes, | dessen Entbehren und Suchen mich allein in
dieses losere Leben verlieren machte, | von demselben wieder frey machen könnte,
und || womit ich mich im Genuße der von neuem wieder auflebenden Natur, die ich
wie einen meiner innigsten Freunde umfaße und liebe, wieder loszureißen, und
ganz der alte zu werden, suchen werde; weshalb ich mit dem größten Verlangen der
Zeit entgegensehne, wo wir aufs Land gehen. Denn eher komme ich yon diesem
Gewirre, worin ich mich hier verwickelt sehe, doch nicht wieder ganz los, da es
mir an einem eigentlichen Freund fehlt, der durch seine Theilnahme mir so sehr
alles ersetzte, daß ich auf einmal allem andern entsagen könnte. Aber jetzt da ich
den Honig zur Labung meines Herzens nicht schon in Einem Herzen versammelt
finde, wie ich es bey Dir und unserm Eschen fand, sondern ihn erst wie die Biene
aus mancher Blume zusammentragen muß, — kann es natürlicher Weise nicht
fehlen, daß ich nicht oft mit langwierigem Herumflattern und an mancher sonst
faden Pflanze meine Zeit sollte verlieren müssen, um nur für dieses oder jenes
Bedürfniß einen Tropfen Nahrung zu finden.
Aber auf der andern Seite darf ich denn doch auch nicht undankbar seyn
für das Gute, was so manche Menschen mir die Zeit über zu beweisen, sich be-
müht haben, und für den mannigfaltigen Gewinn, den ich aus dieser etwas un-
gebundneren Lebensart gezogen zu haben hoffe. Ich verlebte nach langem Ent-
behren wieder so manche frohe Stunde im eigentlich häuslichen Kreise, haupts. ||
bey Zehenders und Gessners und selbst mit Frischings, pflückte manches Blümchen
am Altar der Freundschaft, erwärmte mein Herz oft wieder bey Menschen, in denen
ich noch bessere Menschheit fand, bewunderte, liebte und achtete; lernte aber auch
dem engherzigen, schwachen thierischen Krüppel oder Bösewicht etwas mehr unter
die Maske gucken. — Ich habe Gelegenheit gefunden, mich in den Freuden des
großen Haufens wieder grade genug herum zu taumeln, auf der einen Seite nicht
zum Mich- verlieren in ihnen herabzusinken, und auf der andern Seite das, durch
meine ziemlich mächtige Sinnlichkeit wieder in mir erwachende, Verlangen nach
ihnen befriedigt, und mich im Gefühle ihrer Leerheit und Nichtbefriedigung von
neuem desto eifriger und bestimmter angefeuert zu sehen, einem ganz andern,
höhern unermüdet nachzustreben. — Ich habe die Berner etwas genauer in ihrem
eigentlichen Bernercharakter, in dem Kreise, worin sie verhärtet sind, und über
welchen sie keine Revolution (ja selbst ihr eigenes gutes Herz die Beßern) nicht
hat emporheben können.
Aber, mein lieber Freund, ich bin da in eine Aufzählung von Resultaten und
Abstractionen hineingerathen , die Dir ohne Kentniß des Details, worauf sie sich
beziehen, vielleicht ebenso wenig ganz verständlich als interessant sind. Laß mich
Dir lieber noch, da ich doch || einmal so viel von mir zu schwätzen angefangen
habe, — einiges Einzelne von meiner jetzigen Lage und Lebensart erzählen.
Frisching ist ein braver, edler Berner, dem es wahrer Ernst mit der guten
Sache zu seyn scheint, und der Gründe annimmt, und sich mit Gründen belehren
läßt. Der aber demungeachtet noch immer, obgleich weniger als die mehrsten
2q8 Februar 1801.
andern und wohl selbst als Steiger, — Berner ist d. h. über einen gewissen Kreis
schwer, und fast unmöglich hinaus kann. Ich liebe und schätze ihn, aber wenn er
mit seiner Humanität und Consequenz noch etwas mehr Liberalität und Wärme
verbände, so würde ich ihn ganz außerordentlich hochachten. — Gegen mich ist
sein und des ganzen Hauses Betragen durchaus so, wie ich es mir im voraus ver-
sprach und Übertrift zum Theil noch meine Erwartungen. Als ich ihm das erste
mal über meine Einrichtungen mit seinen Kindern sprach, sagte er mir: „ich werde
Ihnen jedesmal Dank wissen, wenn Sie mich von Ihren Einrichtungen und Ver-
fügungen mit meinen Kindern benachrichtigen wollen, und werde Ihnen auch so
weit ich es verstehe, meine Meinung darüber sagen; aber übrigens sind wir in der
Hauptsache genugsam einverstanden und das Vertrauen, das wir alle in Sie setzen
ist so groß, daß Sie überzeugt seyn dürfen, daß wir alles, was Sie über unsere
Kinder verfügen, für gut und zweckmäßig halten || werden; und Sie da, wo wir
ihnen keine offenen Einwendungen machen, auch sicher auf unsre Übereinstimmung,
und unser Mitwirken rechnen dürfen.
Und sollte dieses Zutrauen, was ich nie glaube, je aufhören, so seyn Sie ver-
sichert, daß ich selbst gewiß der erste seyn werde, der zu Ihnen kommen, und es
Ihnen frey und offenherzig gestehen wird." — So spricht doch kein ganz gewöhnlicher
Mensch, und Er handelt, wie er spricht. — Dabey ist das Benehmen des ganzen
Hauses gegen mich durchaus von einer auf Achtung und Wohlwollen gegründeten
Delikatesse und Auszeichnung beselt. Er sagte mir untern andern an demselben
Morgen | um Dir ein Beyspiel zu geben | : »Bedienen sie sich in allem durchaus
aller möglichen Bequemlichkeit in meinem Hause, und wenn Ihnen etwas nicht recht
ist oder etwas fehlt, so bitte ich Sie, es nur zu sagen. Meine Frau und Schwieger-
mutter haben mir beyde aufgetragen, ihnen zu sagen, daß wenn jemand von ihnen
beyden zu Hause sey, bey ihnen allemal Thee zu Abend getrunken werde, wo jeder-
mann sich freuen werde Sie zu sehen; wenn Sie aber vorziehen, Ihren Thee auf Ihrem
Zimmer zu nehmen, so dürfen sie nur sagen, wenn man Ihnen denselben bringen
soll; und Sie werden jedesmal von den Bedienten erfahren, welche Gesellschaft da
ist, und danach urtheilen können, || ob sie ihnen anstehe oder nicht; kurz machen
Sie es ganz, wie ich es selbst mache; und sehen Sie sich nicht anders an, als ein
Freund des Hauses etz." Auf eben der Art, und wo möglich noch höflicher und zuvor-
kommender werde ich von den Frauen behandelt. — Du wirst Dir leicht vorstellen,
wie dies nicht blos meine ganze Lage angenehm macht, sondern mir auch alle meine
Arbeiten erleichtert und mich mit doppeltem Enthusiasmus für meinen Wirkungs-
kreis beselt.
Freylich geht aber demungeachtet doch nicht alles so ganz von selbst, und ich
finde auch hier manche trübe Stunde und selbst schlaflose Nächte; worüber ich
eben gar nicht unzufrieden bin, da ich hoffe, daß es auch nicht ohne Würkung
bleiben wird. Mein schöner Knabe hat nemlich von jeher das Glück gehabt, und
hat es noch, der Liebling seiner schönen Mutter zu seyn, die selbst noch sehr jung
ist, und stets an ein vornehmes Leben und an Überfluß aller Art gewöhnt, dennoch
ohne besondere Geistesgaben die Güte ihres Herzens durchaus nicht verloren zu
haben scheint. Sie liebte Rudi, und hegte und pflegte ihn deshalb aufs sorgfältigste,
aber, wie es sich von selbst versteht, nicht immer mit gehörigem Verstände; und
Frischings Ernst und Strenge verhinderte es wohl nur, daß sie ihn nicht noch mehr
verdarb, als es würklich geschah. Aber dennoch muß ich ihr auch die Gerechtigkeit
wiederfahren lassen zu sagen, daß sie doch vernünftig genug ist, || hierüber gerne
Belehrung anzunehmen und besserm Rath zu folgen; welches mir schon unser selige
Freund versicherte, und welches ich selbst fast täglich zu sehen Gelegenheit
Februar 1801,
209
habe, wobey noch Frischings Ernst und ihre Achtung für ihn sehr zu Hülfe komt.
Dabey versteht sich aber freylich wieder von selbst, daß es nicht möglich ist, mit
einem male alles entgegenrückende und mit meinen Grundsätzen nicht ganz
harmonirende zu entfernen und aufzuheben; obgleich es in den Hauptsachen freylich
sogleich geschehen mußte, und größtentheiis schon durch Eschen bewürkt wurde.
Aber die Kleinigkeiten, die dennoch so mächtig würken, sind so oft so verborgen,
daß man schon Mühe hat sie nur erst zu erforschen, und oft so delikat, daß man
nur durch Umwege ihnen entgegenwürken, und sie zernichten darf, wenn man nicht
Mißtrauen gegen sich erwecken will. . —
Auf meinen Rudi mußte jene Behandlung seiner Mutter aber nothwendig einen
nicht ganz vortheilhaften Einfluss haben, dessen Folgen ich jetzt- sehr schwer fühle,
und denen ich mit großer Mühe entgegenarbeiten muß. Er verlor im Mutterschoße
Trieb und Sinn für ernsthaftere, männlichere Beschäftigung und für ein unermüdetes,
auf eignen innern Antrieb und eigne innere Kraft gegründetes Ausdauern bis zur
Vollendung. Er scheut die Arbeit nicht, aber er ist, sowie fast bey allem, auch
hiebey nicht mit ganzer hierauf concentrirter Seele und Kraft. Er ist so locker,
weich und unmänlich [| , daß seine Lebhaftigkeit, die sonst noch seine Retterin zu
seyn scheint, selbst noch von seiner weibischen Energielosigkeit und Trägheit be-
herrscht wird, und daß er mehr einem Hängen an kleinlichen Vergnügungen und
Bequemlichkeiten, woran er sich durch eine verweichlichende Behandlung gewöhnt,
als den durch lebhafte Eindrücke erregten Begierden, oder dem leidenschaftlichen
Treiben auf einzelne Punkte hin unterliegt. — Gewiß ist es, daß er in dem Zwischen-
räume von Eschens Tod bis er in meine Hände kam, wo er sich und seiner Mutter
so sehr überlassen war, um vieles, vieles wieder herabgesunken ist; wozu noch
komt, daß es in Bern war, und nicht auf dem Lande, wo ich ihn zu erst unter
meine Aufsicht bekam. — Aber da sein Herz noch rein, sein Verstand hell, und
sein Wille gut ist, und da ich glaube, wenn ich es vernünftig anfange, in dieser
Hinsicht auch in dem Äußern, was auf ihn Einfluß hat, in diesem Hause vieles
bewürken zu können, da ich ihn liebe, und es mir heiliger Ernst mit seiner Bildung
ist, und wir bald wieder aufs Land gehen; so hoffe ich ihn dieser Schlaffheit und
Kleinlichkeit noch wieder zu entreißen, und nicht blos Kentnisse in ihm zu sammeln,
sondern auch noch einen tüchtigen Menschen in ihm heranwachsen zu sehen. — ||
Meine kleine Sophie ist gewiß eins der liebenswürdigsten Kinder, die ich je
gesehen habe. Schön wie eine kleine Grazie; von einer fast mehr als weiblichen
Lebhaftigkeit und dabey doch voll der feinsten und zartesten Empfindungen, und
eines reinen, klaren Verstandes, wie man es in diesem Alter sonst selten findet; so
daß ihr ganzes Wesen nur der Ausdruck der reinsten Güte und Schönheit zu seyn
scheint. Sie hat Trieb zu jeder Art von Vervollkommnung und deshalb auch zur
Beschäftigung, und mehr Ausdauern und Sinn dabey, als Rudi. Sie hängt mit
kindlicher Herzlichkeit an mir, weshalb ich mit einem liebevollen Worte alles über
sie vermag. Von der Art wie, und womit ich sie beschäftige, werde ich Dir ein
andermal vielleicht reden.
Überhaupt ist es natürlich, daß bey meinen anhaltenden Nachforschungen und
meinen mannigfaltig gemachten Erfahrungen meine Kunst sowohl im eigentlichen
Erziehen, als im Unterrichten sich vielfältig verändert, und wie ich hoffe vervoll-
kommnet haben muß. Wobey die ununterbrochene Wechselwirkung, worin ich mit
Pestalozzi gestanden habe, mir manches in mir selbst zum deutlichem und be-
stimmtem Bewußtseyn biachte, da ich in vielem mit ihm auf gleichem Wege zu
seyn schien, aber vielleicht in noch mehreren! von ihm ganz neue obgleich nur
mittelbare Winke erhielt die ich für || mich zu benutzen suchte. Hienach glaube ich
Herbarts Werke. XVI. 14
2io Februar 1801.
in manchem jetzt etwas natürlicher und eben deshalb auch sicherer hauptsächlich
im Unterrichtsfachs zu Werke zu gehen.
Pestalozzi dringt mit einer — theils auf seinen sehr bey spiellosen Enthusiasmus
für seinen Zweck, theils auf die Wahrheit und Wichtigkeit der Sache — gegründeten,
alle Hinderniße (die fast unbesiegbar schienen, und die ihn nur darum nicht ab-
schreckten und zu Boden schlugen, weil er sie theils nicht sah, theils im festen
Glauben an seine Sache lebte,) überwältigenden Gewalt zum Ziele. — Je mehr ich
ihn kennen gelernt habe, desto inniger Hebe und achte ich ihn, und schätze mich
außerordentlich glücklich, ganz sein Freund zu seyn. Der Grund, warum ich Dir
nicht ausführlicher von ihm und seinem Unternehmen geschrieben habe, und schreibe,
ist, daß er an einem Werke arbeitet, das in Briefen an Geßner, an dem er mit
ganzer Seele hängt, eine Darstellung von allem enthalten und bis zur Ostermeße
vollendet werden wird. — Was Dir außerdem noch Aufschlüße geben, oder interessant
seyn könnte, werde ich Dir alsdann auch mitzutheilen suchen, da fast alles durch
meine Hände gegangen ist. — Er ist so glücklich, drey Menschen gefunden zu
haben, — wovon er auch in jenen Briefen selbst ausführlicher redet, — || in die
ganz sein Enthusiasmus für diese Sache übergeflossen zu seyn scheint, in deren
Händen jetzt nicht bloß das eigentliche Schulhalten liegt, sondern die ihm auch die
Lehrbücher ausarbeiten helfen, wozu sie freylich nicht große positive Kentnisse,
aber eine gesunde Naturkraft u. den besten Willen mitbrachten, welches ihnen
hiezu natürlicher Weise unentbehrlicher war. Sie spähen hiemit allenthalben nach
Hülfe und Belehrung umher, und sind durch ihre eigne Unwissenheit eben und
den damit verbundenen redlichen Ernst für die Sache genöthigt, desto genauer bis
auf die ersten Anfangspunkte zurückzugehen, und im Stande, desto unbefangener
über die schon sonst eingeführten Methoden zu urtheilen, in so weit sie Notiz davon
bekommen. — Von den Lehrbüchern sind einige schon ganz, andre beynahe fertig.
— Wenn Du es wünschst, so will ich Dir zur Ostermesse mit den Kaufleuten alles
überschicken; auch selbst das, was erst zum Theil fertig ist, als Holzstiche etz.
Die angenehmste und interessanteste Bekanntschaft, die ich hier seit Deiner
Abreise machte, ist gewiß die des biedern, herzlichen Gessners, (der ungeachtet
seiner mannigfaltigen Bildung und aller seiner Reisen seine reine Natürlichkeit und
offene Wahrheit erhalten,) und dessen liebenswürdigen, verständigen Weibes,
(Wielands Tochter), die Frau und Mutter nach ächter deutscher Weise ist. — ||
Selten verstreicht ein Tag, an dem ich nicht wenigstens bey ihnen eingucken
sollte, da ich nicht anders, als ihr leiblicher Bruder von ihnen behandelt werde;
und ungerne sehe ich mich jetzt durch die kürze der Zeit, die mir noch bis Abgang
der Post übrig ist, genöthigt, Dir für diesmal nicht umständlicher von ihnen reden
zu dürfen. Aber das muß ich Dir doch noch sagen, daß sie 3 allerliebste Jungens
haben; von denen der älteste von 4 Jahren schon mit einem sinnvollen Geist und
zartfühlenden Herzen, welches ganz auf seinem schönen Gesichte sich abdruckt,
alles um sich her aufgreift, und von seiner herlichen Mutter auf meinen Antrieb,
und unter meiner Anweisung und Hülfe fast ganz nach Pestalozzis Methode unter-
richtet wird.
Auch mit Zeiienders ganzer Familie stehe ich in einem gleichfreundschaftlichen,
und fast gleich freyen Verhältnisse. Ich habe ihnen den Winter bisweilen chemische
u. physische Vorlesungen gehalten u. Experimente gemacht, und Frau Z.— fängt
jetzt an ihren Rudi, eben so, wie Fr. G. ihren Salomon nach Pestalozzis Methode
zu unterrichten.
Stecks sehe ich öfter, und hänge mit jedem male, das ich sie sehe, herzlicher
an sie. Wenn es mir zu enge wird, so gehe ich zu Steck und bringe von ihm
Februar 1801. 2\\
meinen alten Sinn nnd meine alte Kraft wieder mit. Sein häusliches || Verhältniß
scheint sich immer schöner zu entwickeln. Seine Frau muß bey ihm natürlich
immer an Realität gewinnen, weshalb ich sie auch jedesmal liebenswürdiger, und
mehr Frau und Mutter finde.
Von dem Jüngern Otth ein andermal. Frau Otth hat sich hier so zu benehmen
gewußt, daß man anfängt sie (ob mehr um ihretwillen, oder ihres schönen Mannes
wegen, weiß ich nicht ganz genau,) sehr zu fetiren. Mir gefällt sie nicht ganz, und
das noch weniger, wenn ich sie so im Geiste mit Geßners Frau, und selbst mit
Zehenders Familie vergleiche; doch kenne ich sie auch erst sehr wenig, weshalb ich
mein Urtheil gerne verschiebe, und Dir dies nur unter vier Augen gesagt haben
will. Mit ihrem Manne scheint sie übrigens sehr glücklich und zufiieden zu
leben. Auch May und der jüngere Otth wissen sich sehr wohl mit mir zu
finden. —
Jetzt nur noch ein paar Worte von Steigers. Seitdem sie in der Stadt sind,
scheinen sie sich durchaus nicht mehr um mich zu bekümmern. Schon vorher hat
H. Fr. mir oft seine Verwunderung bezeugt, daß nach Segelk. Ankunft bis zu unserer
Unglücks. Reise, niemals jemand von Steigers Knaben zu Efschen] gekommen sey,
ihm zu danken, und zu besuchen, wie man es sonst doch zu thun pflegte. Grade
so macht man es jetzt auch mit mir; sobald man meiner nicht mehr bedurfte und
mich abgelehnt hatte, bekümmerte man sich auch || nicht mehr um mich; und wenn
ich jemand von den Knaben sehen will, so muß ich entweder zu ihnen gehen, oder
sie besonders einladen lassen. "Wie H. St — Ludwig nach Genf schicken wollte,
bat er mich zu sich, mich um Rath zu fragen, NB. da er schon alles beschloßen hatte;
doch verabredete er mit mir u. S[egelken] Ludwigs Arbeiten in Genf, zu welchem
Behufe ich ihm noch eine schriftliche Nachricht von Ludw. mathem. Studien auf-
setzen mußte; aber Ludw. ist nicht einmal gekommen, mir zu danken u. lebewohl
zu sagen; welches ich indessen doch mehr ihm, als dem Vater anrechne. Und
überhaupt mag ich mich auch wohl nicht genug bey ihnen eingedrängt haben. —
Segelken hat mir Deinen Brief an Steiger, der ihn ihm gegeben hatte (was aber unter
uns bleibt, da ich etwas Indelikatesse von Steigers Seite darin finde) gezeigt; und
mir sehr geklagt, daß er von Dir so verkannt werde, und dabey doch gestehen
müssen, daß er selbst Veranlassung dazu gegeben habe; welches er aber sehr be-
dauerte, und vollkommen wieder durch einen weitläuftigen, offenen, und herzlichen
Brief an Dich gut zu machen wünschte. Er sprach hiebey wirklich mit viel mehr
Herzlichkeit und Wärme, als sonst; und zeigte dadurch, daß es ihm Ernst sey; —
weshalb ich mir würklich etwas von seinem an Dich geschriebenen Briefe verspreche.
Er arbeitet mit ungeheurem Fleiße und Ausdauern, was ihm natürlich Steigers
Zufriedenheit erwirbt. || Aber gegen mich ist er wenig offener und herzlicher ge-
worden, und unser ganze Umgang ist noch nichts weiter, als eine gewöhnliche Be-
kanntschaft, wobey ich von seinem eigentlichen Thun und Treiben Dur selten einzelne
abgebrochene Worte höre. Stolze, der sich seit einiger Zeit hier aufhält, versichert
mir aber, daß dies so ganz seiner Natui gemäß sey, und daß er ihn noch nie mit
einem Menschen eigentlich vertraut u. herzlich habe umgehen sehen, mit dem er
nicht von Jugend auf gelebt habe. Doch hoffe ich, daß das Landleben, wo wir so
zu sagen ganz auf einander eingeschränkt sind, uns vielleicht etwas näher verbinden
werde. Ich bin begierig etwas von Dir über seinen letzten Brief an Dich zu hören,
den er mir zwar nicht gezeigt, aber von dessen Absendung er mir gesagt hat. —
Du siehst endlich aus allem diesem, daß ich sehr wenig von dem, was bey Steigers
vorgeht, unterrichtet bin, und auch wohl schwerlich, solange wir in Bern sind, Ge-
legenheit finden werde, mich genauer davon zu unterrichten. Aber dem ungeachtet
14*
2i2 Februar 1801.
scheint Karl sich noch mit dankbarer Liebe und Achtung unsers vorigen Ver-
hältnisses zu erinnern, und beträgt sich, wenn er einmal bey mir ist, auch ganz
diesem gemäß, weshalb ich hoffe, auch ihm mich auf dem Lande mehr nähern zu
können; welches mir dann auch wohl mehr Bedürfniß werden dürfte; und was daun
unter uns vorgeht, wird Dir natürlich nicht unbekannt bleiben. || Jetzt kann ich
Dir nur soviel von ihm sagen, daß er mit Sinn und Interesse von seinen Arbeiten
zu reden scheint, wovon Du in seinem Briefe vielleicht noch bessere Beweise
haben kannst, als ich zu finden Gelegenheit hatte; daß er immer schöner wird,
sich ausgezeichnet, wohl beträgt, und deshalb allgemein beliebt ist. Ludwigs
Aufenthalt in Genf sehe ich als einen Versuch an, auf dessen Gelingen ich begierig
bin. S[egelken] schien ihm nicht ganz gewachsen, indem er selbst zu wenig herz-
lich ist, um ihn beym Herzen fassen zu können, von woraus wohl bey ihm noch
allein die Umschaffung ausgehen konnte; und St. selbst schien mir ihn ebenso
wenig zu behandeln zu verstehen, da er theils zu strenge, theils zu nachlässig mit
ihm umging, und ihn überhaupt nicht anders als ein 10 jähriges Kind zu behandeln
schien, dem über sich selbst noch wenig Competenz zu körnt. Er achtete Ludwigs
Willen durchaus nicht, sondern wollte nur mit väterlicher Autorität mit dem seinigen
über ihn disponiren, dem Ludw. sich deshalb, wo er mußte, anscheinend unterwarf,
und bey jeder Gelegenheit heimlich zu entschlüpfen suchte. So schien es mir denn
an dem ersten Erforderniß für eine glückliche Erziehung an Zutrauen und Liebe
xtcisehen Vater und Sohn zu fehlen. — Verzeihe mir, wenn ich irre, oder wenn
Dir sonst diese Äußerung etwas anstößig seyn sollte. || Genug in dieser Lage schien
er haupts. in Bern, und da S — in der That schon ohnedem alle Hände voll hat,
nicht bleiben zu können; und wenn St— ihn irgendwo hin schicken wollte, so war
Genf noch wohl am glücklichsten gewählt, wo ein sehr schöner Ton herrscht, wo
man Gelegenheit für jede Art von Unteiricht und Umgang findet, und wo über-
haupt vielmehr Realität und Sinn für Wissenschaften sowohl, als für jede Art von
Vervollkommnung und Industrie herrscht, als in der ganzen übrigen Schweiz. Von
der Art und Weise," wie Ludwig dort lebt oder leben soll, wird man Dich wahr-
scheinlich näher unterrichtet haben, als ich selbst davon unterrichtet bin.
Deinen Auftrag an Sonnenschein habe ich besorgt, wie Du es wünschtest, und
Sonnenschein läßt Dir versichern, daß er sich eine Freude daraus machen werde,
demselben Genüge zu leisten. Er will Karl in Oel auf Leinwand mahlen und
nächstens damit anfangen.
Jetzt endlich, was soll aus Deinen hier zurückgebliebenen Büchern werden?
Sie nach Bremen zu schicken, wäre jetzt wohl sehr leicht, aber fürchtest Du die
großen Kosten nicht, die Dir dies verursachen würde? und solltest Du nicht besser
thuu, wenigstens einen Theil davon hier zu verkaufen? — Hast Du kein Ver-
zeichnis davon? Es wäre mir bequemer hierüber, so lange wir noch in Bern sind,
etwas Deinem Wunsche gemäß zu verfügen; doch eilt auch dasselbe nicht, weil der
Platz ihnen nicht fehlt. — || Deine Freunde, namentlich Otths und Zehenders grüßen
Dich herzlich; und werden Dir bald schreiben.
Von Sinners rede ich Dir heute nicht, in Hofnung Dir ein andermal ausführ-
lich darüber, so wie über so manches andere auch zu schreiben. Aber Du, mein
theurer Freund, vergilt mir denn auch wieder Gleiches mit gleichen; und laß mich
nicht wieder so lange vergebens ein paar freundliche Zeilen von Dir erwarten,
haupts. jetzt da ich noch Deines Wohlseyns wegen besorgt seyn muß. Gieb allen,
die Dir theuer sind, und einen Gruß von mir annehmen mögen, meinen herz-
lichsten Gruß. Ganz Dein T. Z.
Abgesandt im Anfang des März 1801.
M. Adr. — bleibt, auch wenn wir auf dem Lande sind: b. Hn. Fr. v. R. in Bern.
März 1801.
213
144. An Steck.1) Bremen I März 1801.
Dem Gebrauch nach, theurer Steck, war ich Dir längst einen Brief
schuldig; der Sache nach — scheine ich mir beynahe noch jetzt etwas
überflüßiges zu thun, indem ich schreibe. Andenken, Freundschaft,
und Hochachtung Dir zu versichern, — es ist eine angenehme Berührung
des Gefühls; aber fast natürlicher wäre es mir, ganz schweigend das Zu-
trauen zu ehren, mit dem Du Dir selbst sagen kannst, Du hast Dir jenes
alles unverlierbar bevestigt.
Da ich Dich nicht nahe sehe, nicht unmittelbar in Deine Thätigkeit
meine Versuche mengen kann : so treibt es mich in die Ferne, um hinzu-
springen bis zu den größten Verkettungen, welche an die wahren und
eigentlichen Gegenstände Deines Intereße hinanreichen. Und vielleicht
ist es nicht so gar lange mehr hin, daß ich so den Weg zu Deinem
Selbst hin suchen kann; — in Deinen Vorhöfen würde ich nicht gern
verweilen.
Du heißest mich vielleicht Umwege meiden, — bescheiden seyn —
das nächste Feld bauen, und deßen Früchte zum freundschaftlichen Tausch
Dir bieten. Wie gern, wenn nicht hinter mir, und noch dicht zur Seite,
Wüsten lägen, die meiner Kräfte spotten! —
Ich hätte Dich längst zum Glückwunsch, zur Mitfreude aufgefordert,
könnte ich Dir rühmen, daß ich meinen Eltern — auch nur einem von
beyden, Hülfe und Freude [2] gebracht hätte. Der Prozeß ist nicht ver-
mieden, er dauert noch — und wer weiß wie lange! Meine Mutter hat,
nach ihren letzten Briefen, den Schein der Gesundheit; nicht die Gesund-
heit selbst. Sie schreibt dies einem hiesigen Freunde, nicht mir. Unser
Briefwechsel ist abgebrochen, kein Wort ist mehr sicher, unversehrt zum
Herzen seinen Weg zu finden. — Ich gedenke der traurigen Pflicht gegen
mich selbst, meinen eignen Frieden zu bewahren. Die Ueberzeugung
habe ich davongetragen, daß weder sie noch er, mit mir übereinstimmen
können. — Das kleine Blatt, das Du meiner Bitte gewährtest, war unrecht
gebeten; meine Mutter sieht es nicht gern, daß man sie um Zutrauen zu
ihrem Sohne bittet. — Ich wünsche von Dir zu erfahren, ob Du von
meinem Benehmen Nachrichten erhalten hast, die Deiner guten Meinung
von mir nachtheilig seyn können; wenn das ist, so bedarf es, daß ich
Dir über die Thatsachen schreibe; sonst überhebe ich mich des traurigen
Geschäfts. Ich habe so viel möglich unter Smidts Augen gehandelt, und
er ist mit mir nicht unzufrieden. Zuweilen suche ich die Idee eines
Genie's zu faßen, das in meinem Falle gekonnt hätte, was es sollte;
aber ich bringe es nicht über ein dunkles Luftbild der Phantasie. — —
Ich höre Du bist Mitglied der Verwaltungskammer,2) laß mich wißen
daß es Dich freut, so freue ich mich mit Dir. Was Deine Gattin, Deine
Kinder, Deine Mutter machen, davon besorge mir bald umständliche
Nachricht. Empfiehl mich den Deinen. — Ich endige hier; — und
*) Ein Oktavblättchen, beide Seiten beschrieben.
2) Verwechslung mit einem Verwandten, Samuel Rudolf Steck, der seit März 1 800
Mitglied der Verwaltungskammer von Bern, einer helvetischen Behörde, war. [Fr. Mit-
teilung von Hrn. Prof. R. Steck in Bern, dem ich auch die Briefe Herbarts an Steck
verdanke.]
2 14 April 1801.
bitte dich nur noch, zuweilen den alten Erinnerungen an unsre guten
Stunden in Jena — einen freundlichen Blick zu gönnen. —
Dein Herbart.
Böhlendorf grüßt herzlich.
145. Aus einem Briefe von Halems an? 13. März 1801.
Ich habe in der Einlage einen Gruß an Sie zu bestellen gebeten. Besser,
denke ich jetzt, den Brief *an Sie einzulegen damit er desto sicherer an seine
Addresse komme. Die fatale Sache, die des treflichen Jünglings Tage so unangenehm
verdüstert, ist, soweit es nach der Lage der Umstände möglich war, verglichen,
das heißt durch der Eltern bestimmte Trennung geendet. Möchte dies auch Einfluß
auf des Sohnes Zufriedenheit haben.
146. Steck an Zehender 7. Apr. 1801.
„Habe tausend Dank für Deine letzten Briefe u. die Sendung der Beylage
von Herbart, ein "Wort der Erinnerung von ihm, dem Unvergeßlichen, der Krone
unserer deutschen Freunde, hat mich hoch erfreut."
147. An Steck.1) Bremen am igten Apr. 1801.
Ich freue mich, bester Steck, daß ich es bin, der die Einlage2) be-
sorgen soll; bin ich gleich der bloße Uebersender, so ist es mir doch ein
innig theures Gefühl, in der Mitte zu stehen zwischen zwey Menschen,
die so einer des andern werth sind, wie Du und Smidt. Dieser Freund,
deßen unabläßiges Bemühn für das Wohlsein andrer, ich selbst so sehr
erfahren habe, ist seit einigen Monaten an dem Platze, der ihn berechtigt,
die Sorge für seine Stadt zu der seinigen zu machen. Er hatte sich auf
den Bürgerconventen ein Zutrauen erworben, das, ungeachtet des starken
Vorurtheils gegen ordinirte Geistliche, und obgleich er noch nicht einmal
30 Jahre alt ist, ihn in den Rath erheben konnte. Unter 2 kurz auf
einander gefolgten Rathsherrnwahlen, fiel die erste auf ihn. Wie er jetzt
jede Kraft, jede Zeit, ja seine Gesundheit daran setzt, wie er jeden Um-
stand nützt, wie ihm jeder Wunsch der Mühe werth ist, um seiner Stelle
alles mögliche abzugewinnen was sie leisten kann, — davon hast du hier
eine kleine Probe. So wenig ich weiß, in wiefern Du seinen Wunsch
gewähren kannst, so angenehm ist es mir, eine Berührung Eurer Personen
zu sehn, an der Euer innerstes Intereße Theil hat. — Daß auch diese
gute Stadt eines guten Dienstes werth ist, beweist sie wohl am besten
durch die guten Patrioten, die sie zeugt; und wirklich ist hier ein, für
Deutschland gewiß ausgezeichneter, Bürgersinn allgemein merkbar.
Ziemßen hat mich erfreut durch die Nachricht, daß [2] er in Eurem
Hause umgeht. Ich danke Euch für die guten Stunden, die ihr einander
gebt; gedenket zuweilen meiner darin!
*) Ein Oktavblättchen, auf beiden Seiten beschrieben.
2) Ein Brief, in dem Bürgermeister Smidt um Stecks Vermittlung bittet zur Ein-
leitung einer Bekanntschaft zwischen dem Gesandten Bremen's in Paris, Senator Gröning,
und dem helvetischen Gesandten Glayre. Dieser sollte Grönings Bemühungen zur Er-
haltung der Unabhängigkeit Bremens bei der französischen Regierung und besonders bei
dem ersten Consul unterstützen.
Mai 1801,
215
Diesen Sommer werde ich mit Böhlendorf eng zusammen wohnen.
Möchte mich der Unmuth genug verlaßen, um das recht zu genießen!
Der Oldenburger Prozeß soll beinahe zu Ende seyn, oder ist es schon.
M[ein] V[ater] scheint sehr nachgegeben zu haben. Halem soll von der
dazu niedergesetzten Commißion gewesen seyn. Dies letztere weiß ich
nicht durch ihn selbst, das erste aber hat er mir in einem sehr freund-
lichen Briefe berichtet. Ich hätte die Nachricht auf irgend eine Weise
aus der rechten Quelle gehofft, — aber daher kommt für mich Nichts
Gutes. — —
Sey glücklich in Deinem Hause, und mache es glücklich!
Lebe wohl. Immer Dein Herbart.
148. An V. Halem. Bremen Anfang May 1801.
So sehr ich Ursache hatte, mich über den Inhalt Ihres letzten gütigen
Briefes zu freuen, so bin ich doch jetzt von neuem unruhig. Ich habe
noch immer keine Nachricht von der wirklich erfolgten Sanction der
Trennung meiner Eptern] durch das Consistorium, welche Sie damals
voraussetzten. Haben vielleicht neue Schwierigkeiten dieselbe aufgehalten?
Wie gern hätte ich, Ihrem Rathe gemäss, die Gelegenheit ergriffen,
um zu versuchen, ob ich beytragen könne, die unangenehmen Erinnerungen
meines Vaters auszulöschen. Aber, meinem Gefühle nach, geht es jetzt
nicht! Ich habe lange gezweifelt, und das ist auch die Ursache, die diesen
Brief so lange verzögerte. — Der Vergleich macht es mir nicht nur un-
möglich, meinen V[ater] um Unterstützung anzusprechen, sondern selbst dar-
gebotne Geschenke würde ich, wie die Sachen jetzt stehn, von meinen
beyden Eltern kaum annehmen können. Ich kann Ihnen das nicht aus-
einandersetzen; aber ich bitte Sie, es nicht schlimm zu deuten. — In
diesem Augenblick würde jeder Brief eine versteckte Bitte zu enthalten
scheinen, daher warte ich noch einige Zeit.
Es ist mir unangenehm, dass ich mir den Schein gegeben habe, als
ob die Wahl meines Standes noch unentschieden wäre. Der veste
Entschluss ist zwar sehr langsam, aber doch schon vor Jahren zwischen
meinen Eltern und mir verabredet. Nur als ich Bern verliess, als ich
wider den Willen meines Vaters nach Oldenb. kam, da glaubte ich zweyen
Pflichten auch zwey Opfer darbieten zu müssen; — ich erwartete, dass es
meinem Vater vielleicht noch angenehm seyn könne, wenn ich zu seinem
ursprünglichen Wunsche in Ansehung meiner, zurückkehrte; ich fragte ihn
darum, und er verwiess mich von neuem an meine eigne Neigung1). Diese
war sich gleich geblieben.
Sollte ich jetzt eine Wissenschaft verlassen, in der ich seit 5 Jahren
fast ohne Rückschritt gearbeitet habe? — Doch vielleicht ist es eine
scheinbare Planlosigkeit in meinen gegenwärtigen hiesigen Beschäftigungen,
weshalb Sie nöthig finden, mich von meinem Wege, und in mein Vater-
land zurückzurufen — dem ich mich doch wol nur nach veränderten
*) Ziller hat „Wahl" statt „Neigung". Das Wort (am Ende der Zeile am inneren
Rande) läßt sich, ohne die Heftfäden aufzutrennen, nicht feststellen. Jedenfalls muß ein
Wort mit N beginnend gelesen werden.
2i6 Juli 1801.
Studien anbieten dürfte — ? — Ich lehre hier meistens dasjenige, was ich
ohnehin, aber mühsamer für mich allein, meinem Gedächtnisse würde
einprägen müssen: Combinationslehre, Analysis, vertrautere Bekanntschaft
mit den Griechen — diese Hülfswissenschaften sind mir unentbehrlich
und so wenig ich das Gewicht unsrer neuen Philosophen fühle, so bin
ich doch in der höhern Mathematik und in der Kenntniss der Alten
viel zu lange vernachlässigt, als dass ich darin nicht immer nur noch
Anfänger sein könnte. Überdies habe ich hier wie in Bern das Glück,
dass die Zufriedenheit der Zöglinge, Eltern und Verwandten mir entgegen-
kömmt.
Sie möchten wol einen Versuch von mir darauf ansehn, ob er in
die Irene passt? Das Thema: Geist der pestalozzischen Erziehung, reizt
mich sehr, und mit Hülfe der Nachrichten meines Freundes Ziemssen
gelänge es mir vielleicht, — wenn es anders, nach dem von P. selbst,
jetzt herauskommenden Werke, einem Andern noch erlaubt sein kann
seinen Geist darstellen zu wollen. Auch weiss ich kaum, ob ich noch
etwas angreifen darf; ich arbeite ohnehin an einer Einleitung in die Be-
trachtung des Übersinnlichen, zum Theil auf dem Wege der Griechen, die
für meinen Karl in Bern, dringende Eile hat. — Auf jeden Fall, wenn
ich einmal so dreist bin, Ihnen etwas zu senden, so unterwerfe ich es mit
vollkommner Resignation Ihrem Urtheil. —
Wie sehr ich es gefühlt habe, dass Sie mich immer von neuem ver-
pflichten durch Ihre fortdauernde Theilnahme an mir, — daran zweifeln
Sie hoffentlich nicht. Sie sehn das Zutrauen, mit dem ich es noch immer
wage, Sie von meinen Angelegenheiten zu unterhalten.
Ihr gehorsamer Herbart.
N. S. Ülzen ist hier; — ich weiss aber nicht, ob er nach Old.
kommen wird.
149. Smidt an seine Frau. D. 21. Juli [1801?]
Herbart [ist] auf 8 Tage nach Lilieuthal [bei Bremen] gezogen, um das Bad
zu gebrauchen, [hat] gestern keine Stunde gehalten u. [wird] am Freytag auch
keine halten.
150. Smidt an seine Frau. 23. Juli [1801].
— — — — Herbart hält sich noch zu Lilienthal auf.
151. Ziemssen an H.1) Rümligen 30. Jul. 1801.
Theurer Vortreflicher, endlich sitze ich denn da mit dem festen Vorsatz, auch
keinen einzigen Posttag wieder vorüber gehen zu lassen, ohne wenigstens einige
Zeilen, und sollte es auch nur als Vorläufer eines ausführlichem Briefes seyn, an
Dich abzusenden, damit wenigstens der Anfang einmal gemacht ist, denn es war
nicht Mangel, sondern überfließende Menge, was mich bis jetzt immer von der
Kealisirung dieses meines liebsten Wunsches, Dir einmal wieder zu sagen, wo ich
bleibe, was ich mache, und wohin ich strebe, abhielte. Hätte ich Dir gleich gefolgt,
und mich in der ersten freyen Stunde niedergesetzt, Dir mit fliegender Feder zu
schreiben, und der Stimmung nicht geachtet, vertrauend der Freund werde den
l) 6 S. 8°. ii. Wien.
Juli 1801. 217
Freund auch selbst im Kittel leicht wieder zu finden wissen, oder vielmehr — hätte
ich nie aufgehört, so zu thun, so hätte sich die Masse nicht so gehäuft, Du hättest
aus dem Einzelnen schon das Bild des Ganzen herauszufinden gewußt, und ich wäre
Dir mit meinem Thun und Treiben nicht fremd geworden. — Aber dahin soll es
jetzt, so lange Du in mir den Freund noch liebst und achtest, gewiß nicht wieder-
kommen. || Ich fühle es täglich, wie Deine freundschaftliche Theilnahme mir grade
jetzt das dringendste Bedürfniß ist. Übrigens von der liebevollsten, herzlichsten
Freundschaft und Güte von allen Seiten umgeben, stehe ich doch mit meinem
eigentlichsten Treiben und Vorhaben hier durchaus allein und abgesondert. Die
Gefährlichkeit dieser Lage sowohl, als das so oft Beklemmende derselben begreift
wohl niemand, wie Du es begreifen wirst. Du, der mir mit seiner meine leisesten
und tiefsten Gedanken treffenden Welt-Bürgersin zurief, wie mir niemand zurufen
wird, und niemand zurufen könnte. Hier liegt der festeste Knoten unsrer unauflös^
lichsten Freundschaft, so wie der tiefste und geheimste Grund unsrer Unzufrieden-
heit und Disharmonie mit der uns umgebenden Menge. — Nimm, mein theuerster
Freund, meinen wärmsten, innigsten Dank, daß Du hier auf der einen Seite nicht
aufhörtest auf mich zu vertrauen, und auch auf der andern mich so ganz als
wahrster Freund darauf aufmerksam machtest, daß ich Dir wenigstens, in dieser
Hinsicht in Unthätigkeit versunken zu seyn schien. — Es ist leider wahr genug,
ich bin den Gefahren der Lage, worin ich mich seit jenem fürchterlichen Tage be-
finden mußte, nicht ganz entgangen, und welcher Sterbliche, der ein Herz im Busen
trägt, hätte das können! Aber mit Zuversicht darf ich Dir auch versichern, ich
?mferliege ihnen nicht; sie haben den Halm gebogen, || aber noch nicht zerknickt.
Und doch glaube ich auch bey alledem nicht so ganz unthätig gewesen zu seyn,
selbst auch für unsre Verbindung, für unsre höhern Zwecke nicht, (ich könnte zu
keinem Menschen so das unser hier sagen, ich möchte mit keinem hier so gemein
haben und theilen, als mit Dir, Einzigen!). Ob ich mich hierin irre, darüber erbitte
ich dringend Dein Urtheil, so bald ich Dich davon unterrichtet habe. Aber es ist
dessen, was ich Dir alles sagen möchte so viel (oder scheint wenigstens in der Un-
ordnung, worin es, wie die Papiere im Studierzimmer, in meinem Kopfe noch
herumliegt, so viel,) daß ich Dich ermüden müßte, wenn ich es der Keine nach her
schwätzen würde, und deshalb selbst noch nicht weiß, womit anzufangen, und wo
Maaß und Ziel zu setzen sey.
Ich habe grade einen Brief an meinen Vater geendigt, den ich Dir mit der
Bitte, iha, wenn es Deine Geschäfte Dir erlauben, recht bald zu lesen und weiter
xu senden, einlege. Er wird Dir vielleicht einiges sagen, was Du wissen mußt;
nur bitte ich Dich, dabey nicht zu vergessen, daß er nicht für Dich, sondern für
meinen Vater geschrieben ward, weshalb in ihm manches mehr hervorgehoben
werden mußte, als es wirklich in mir (wenn ich mich ganz betrachte) steht, und
dagegen andres nur leise berührt werden durfte, was sonst obenan gehörte. Ich
lege also in Beziehung auf Dich keinen || gar besondern Werth auf diesen Brief,
weil er davon, wovon ich eigentlich mit Dir reden wollte, wenig sagt. Aber dem-
ungeachtet wäre mir doch auch hierüber Dein Urtheil sehr wichtig. Wie dankbar
würde ich Dir seyn, wenn Du mir nach Durchlesung desselben sogleich eine Stunde
schenken und darin Dein Urtheil mittheilen könntest und möchtest. (Du kannst,
wenn es Dich nicht ermüdet, diesen Brief ganz lesen, außer dem Absatz, der unter
der Mitte der zweyten Seite anfängt und ebenda auf der dritten endigt, welcher
sich blos auf Privatangelegenheiten bezieht und Dir deshalb unverständlich und un-
interessant seyn müßte; obgleich er sonst auch nichts Geheimes für Dich enthält.)
31. Jul. — Ich hatte gestern den Abend zur Fortsetzung meines Briefes be-
stimmt, da aber Steigers kamen und andre Beschäftigungen mich nachher zerstreuten
2 i 8 August 1801
und abhielten, und heute Nachmittag mein Brief abgesandt werden muß, wenn ich
bey meinem Vorsatz bleiben will, so darf ich für diesmal nicht viel mehr hinzu-
fügen zu können hoffen, wenn ich meine Kinder nicht versäumen will. Du magst
also für heute haben, was Du aus meinem Briefe an meinen Vater herausnehmen
magst; dem ich in einigen Tagen einen Brief an Dich folgen lassen zu können hoffe.
Doch bitte ich Dich deshalb Deine Antwort nicht zu verschieben, wenn Du um-
sonst eine geben möchtest. || Ich füge jetzt noch in aller Eile einige historische
Nachrichten von hier hinzu. Von Steigers und Segelken schreibe ich heute nicht,
weil mich dies zu weit führen würde. — Nur das im Allgemeinen; wir sehen uns
ziemlich oft; Segelken nimmt zu, und verändert sich, doch kann er nicht aus seinem
"Wesen heraustreten; — die Kinder zeigen Anhänglichkeit an ihn, aber nicht wie an
Herb. Die Kinder scheinen zuzunehmen, wie viel kann ich noch immer nicht genau
sehen, doch hoffe ich Dir auch hierüber vielleicht in kurzem bestimmter schreiben
zu können; Karl ist außerordentlich beliebt bey jedermann; Rudi scheint mir auch
in seinem ganzen Wesen zu gewinnen; Ludwig ist noch in Genf; Franzi verspricht
viel. H. Steiger und die ganze Familie ist wieder ganz wie ehemals gegen mich.
Sie scheinen aber beynahe empfindlich, keine Briefe von Dir zu haben; H. Steiger
erkundigte sich noch neulich sehr angelegen, ob ich Briefe habe u. s. w.
Zehender liebt und achtet Dich, wie immer. Er wollte einen Brief einlegen,
Du erhältst ihn gewiß mit meinem nächsten Briefe. Er ist mir jedes mal sehr dank-
bar gewesen, wenn ich ihm und den Seinigen aus Deinen Briefen an mich einiges
mitgetheilt habe. Deinen Schein über das zurückgesandte Geld (durch Stolze) will
er in meiner Gegenwart zernichten. || Stecks Frau ist, obgleich sie wieder schwanger
ist, mit ihrem ältesten Kinde ins Wallisbad gegangen. Sie übersetzt einen nach-
gelassenen Briefwechsel von S. Geßner mit einem seiner Söhne über Gegenstände
der Mahlerey, die auch deutsch herausgegeben werden.
Frau Otth erwartet täglich ihre Niederkunft. Sie findet sich wie es scheint
sehr mit den Bernerinnen zurecht, und wird ziemlich von ihnen aufgesucht.1)
Mein Fritz ist jetzt auch in Genf, und ich glaube noch immer an ihn, und möchte
einmal recht ernstlich mit Dir und Böhlendorf zu Rath gehen, was aus ihm zu
machen sey, worüber er selbst Anleitung wünscht. Ein ander mal mehr davon.
Ludwig zeichnet sich in seinem Institut aus, und macht sich beliebt. Ferdinand
hat seiner Wildheit und der Schiefheit dieser Menschen wegen, zu einem andern
Privatlehrer seine Zuflucht fürs erst nehmen müssen.
Mit der innigsten Freundschaft Ganz Dein Th. Ziemssen.
Ich weiß Deine Adresse nicht, deshalb sende ich Deinem Freunde Smidt
Deinen Brief zu. Die meinige bleibt als wenn ich in Bern wäre.
152. Ziemssen an H.2) Rümligen, 11. Aug. 1801. Abends.
Angehaucht von milde kühlenden Sommerlüften saß ich mit meiner lieben
kleinen Sophie in einem heimlichen Läubchen unter den Schatten hoher Kastanien
in Voßens Homer vertieft, als mein Rudi mit ein paar Briefen angesprungen kam,
worunter ich mit herzlicher Freude einen von dem weit entfernten, einzigen
Freunde erblickte, und zuerst erbrach. Theurer Herbart, obgleich Du Dich diesmal
doch wirklich in Deiner Vermuthung über die Ursache meines Schweigens ganz
irrtest, wie Du wohl schon aus jenem Blatte, das ich dem Dir zugesandten Briefe
an meinen Vater beylegte, ersehen haben wirst; — so mußte mir doch dieser neue
*) Die Gattin von Carl Otth war eine geborne Wiedemann, Schwester der Frau
Professorin Hufeland in Jena. [Gütige Mitteilung des Hrn. Prof. Dr. Steck in Bern.]
2) 14 S. 8°. H. Wien.
August 1801. 2 IQ
Beweis, den ich kiedurch heute von Deiner wahren und innigen Freundschaft emp-
fange, unendlich theuer seyn.
0 daß Du hier wärst, daß ich Dir die Hand drücken und sagen könnte, wie
ich Dir hiefür dankbar bin, und wie ich mit meinem ganzen höhern Wesen fast
einzig an Dir hänge, und da wo die oft so magere Würklichkeit mich sonst so in
mich selbst zurückgedrängt verläßt mit |j allen meinen liebsten Ahndungen | Hof nungen
und Bestrebungen einzig zu Dir mich hinüber versetze.
Wenn ich doch zu den Dir schon in meinem vorigen Briefe aDgegebenen
Gründen meines Zögerns, noch einen bey Dir selbst oder vielmehr in Deinen
Briefen aufsuchen sollte, so wäre es wohl eher der, daß Du in Deinem freundschaft-
lichen Hindeuten auf eine gewiße Stockung in mir, in mancher Hinsicht nur zu sehr
recht hattest, und mich deshalb ein wenig schüchtern machtest, vor Dir zu er-
scheinen; als daß dieser Freundschaftsdienst, wozu ich Dich schon vor langen so
dringend im voraus aufgefordert hatte, den geringsten Unmuth gegen Dich in mir
hätte erzeugen können.
Nein, mein theurer Freund, das ist nur eine der werthesten Gaben einer
Freundschaft, wie mich mit Dir und sonst Keinem verbindet, daß kerne Seite sich
vor ihr verkriechen, oder ihrer, wenns Noth thut, auch züchtigenden Hand entziehen
darf; und wer die liebevoll strafende oder wenigstens zu Recht weisende Hand
einer solchen Freundschaft nicht mit dankbarer Verehrung ergreift und drückt, ist
ihrer nicht werth. ||
Am 13. Aug. Abends.
Ich hätte gestern Abend auch wohl an diesem Blatte weiter geschrieben, wenn
nicht unser Zehender als wir hier am Thee saßen erschienen wäre, der auf einer
Rückreise vom Gurnigel bey mir ansprechen wollte, wozu er dringend durch
Frisching, der ihn sehr schätzt, eingeladen war. Er war aber zu Pferde, und mußte
denselben Abend noch wieder in Bern seyn, sonst hätten wir ihn wohl länger hier
gehabt. Ich ließ mir ein Pferd satteln, (Frisching hat neulich zwey sehr schöne
Reitpferde gekauft, wovon eins immer für mich bereit steht, weil ich sehr gerne
reite,) und begleitete Zehender bis halb nach Bern, wobey ich den schönen Abend
sehr angenehm hinbrachte. — Zehender ist immer derselbe; ganz der edle, biedere,
durch und durch rechtschaffene und im Grunde wirklich herzliche Hausvater und
Freund, dessen Sphäre freylich durch seine Lage, worin er sich als Berner (der nie
von Hause war) von Jugend auf befand, und durch die Fesseln für das Wohl
seiner Familie zu sorgen (die er sich so früh anlegte) in mancher Hinsicht sehr
beschränkt ist; der aber dafür auch in seinem eigentlichen Kreise mit einer außer-
ordentlichen Sicherheit und Festigkeit fortwandelt, und mit reiner Freude auch an
allem Höhern, das er nur irgend zu ahnden vermag, Antheil nimmt. —
Solcher Menschen bedürfen wir so zu Freunden, wie Z. es uns ist. — Er
liebt und achtet Dich außerordentlich, und nimmt den innigsten Antheil an allem,
was Dir angeht. — Er war deshalb herzlich mit mir über Dein gutes Verhältniss
mit Deiner Mutter erfreut, und theilnehmend für Deine Herstellung besorgt. — |
Aus jenem durch Deine Hände gegangenen Briefe an meinen Vater wirst Du
wenigstens im Allgemeinen schon gesehen haben, daß ich so weit entfernt bin, unsre
alten Ideen und Pläne wieder fahren zu lassen und aufzugeben, daß ich vielmehr
jetzt eben dahin arbeite, mein Hauptaugenmerk fast einzig auf die Verfolgung, Ver-
vollkommnung und Ausführung derselben richten zu können. —
Du hast mir schon vorigen Herbst über unsre Idee eines pädagogischen Unter-
nehmens manche trefliche und größten theils so ganz mit meinem eignen Gesichts-
punkte übereinstimmende Gedanken mitgetheilt, daß ich mir vor mir selbst darüber
2 20 August 1801.
schäme, Dicht nur nicht weiter eingetreten zu seyn, sondern das Ganze bis jetzt
durchaus mit Stillschweigen in mir aufgenommen zu haben, ohne einmal meinem
theuren Freunde dafür zu danken. Noch mehr aber muß es Dir aufgefallen seyn,
in jenem genannten Briefe manches Deinen Äußerungen beynahe ganz entgegen-
stehende gefunden zu haben, ohne daß ich Dir die Gründe davon mitgetheilt hätte.
Weshalb ich eile dieses vor allem aus nachzuhohlen, weil mir unendlich viel daran
gelegen ist, keinen irgend bedeutenden Schritt hierin vorwärts zu thun ohne Deine
Gründe dafür oder dawieder mit erwogen zu haben, so weit Du mir dieselben irgend
mittheilen magst. Aber, lieber Herbart, ich sehe es vor, wie mancherley ich von
hier und daher zusammenschleppen muß, um Dir das zu sagen, was ich Dir durch
meinen ganzen Brief sagen möchte; und wie sehr ich dadurch (da ich noch dazu
nicht viel Sorgfalt auf das Zusammenhohlen und Verbinden verwenden || kann,
wenn ich mich nicht aussetzen will, wieder ins Zögern zu gerathen) — Gefahr
laufe, Dich durch meine Weitläufigkeit zu ermüden, wenn ich auch nicht fürchte,
daß Du nach dem Einzelnen urtheilen und darüber den Gesichtspunkt des Ganzen
verlieren wirst. Aber da ich es nun einmal so weit habe kommen lassen, Dir bis
auf den Punkt unbekannt zu werden; so muß ich es selbst unter dieser Gefahr
wagen, mich Dir wieder zu nähern: Und das thue ich desto leichter, da ich Deine
liebevolle Nachsicht in dieser Hinsicht kenne. Dies ganze Unternehmen würde auch
für mich seinen schönsten Reitz verlieren, wenn ich dabei nicht etwas weiter als
auf die nächste (immer doch im voraus nur zweifelhafte) Würkung rechnen und
nicht auf die Begründung etwas allgemeiner gültigen und bleibenderen damit
wenigstens hinarbeiten wollte. Dies bleibt auch mir, so wie Dir immer letztes
Ziel, obgleich es mir auch nicht weniger Ernst mit dem "Wege dazu selbst ist.
Ich stimme demnach vollkommen mit Dir überein, wenn Du sagst: „was ich
glaube, für Erziehung thun zu können, möchte ich nicht nur für mein Institut
thun.a Aber wenn Du dann hinzufügst: „den mislichen Versuch zu dem Institut,
das ich mir freylich als den Gipfel denke, — und zu einem solchen, wie ich es
verlange, hinzugelangen, — diesen Versuch möchte ich nicht auf einem einzigen
"SVege, sondern auf möglichst vielen wagen ;" — so muß ich darüber doch folgendes
anmerken. — Du wirst gewiß eben so wenig, als ich glauben können, daß sich die
Grundsätze und Regeln für die Erziehung blos erphilosophiren lassen, ohne den |
Stoff worauf sie gehen sollen, mehr oder weniger unter Augen zu haben, um mit
ihm die nöthigen Experimente zur Bestätigung, Berichtigung und genauem Be-
stimmung anstellen zu können; ja um in diesen Experimenten selbst erst auf manches
hingeleitet zu werden. Pestalozzi sagt: ich habe mein ganzes Leben über Erziehung
nachgedacht, und doch habe ich nicht den zehnten Theil von dem geahndet, was
jetzt, indem ich die Kinder vor mir habe, unter meinen Händen entsteht. — Dieses
unmittelbar oder mittelbar durch Privaterziehung herauszubringen, oder daran zu
prüfen und zu bestimmen, würde theils zu weitläufig seyn, denn in wie manchen
Häusern und unter wie manchen Umständen müßten wir dazu experimentiren
können? Theils würde es aber doch auch zu wenig bestimmtes ausgeben, oder
wenigstens dürfen wir nicht mit Sicherheit darauf rechnen; weil dabey eine Menge
von Umständen und Verhältnißen miteinwürkeu, die ganz zu entfernen, nie in
unserm Vermögen stehen kann.
Aber laß uns einmal den Mittelpunkt dieser ganzen Idee etwas genauer ins
Auge fassen, so wird sich dadurch schon vieles von selbst erhellen. Nur erlaube
mir, hiebey für einige Augenblicke alle unsre andern Pläne und Ideen aus dem
Gesichte zu lassen, die uns hie oder dort anders bestimmen und die Art der Aus-
führung anders modificiren könnten; und die deshalb nachher freylich auch mit in
August 1 80 1 . 2 2 1
Erwägung gezogen werden müßten. || Hier eben in dem Mittelpunkte des ganzen
Entwurfs scheinen wir so sehr von einander abzuweichen, daß wir ganz Entgegen-
gesetztes im Auge haben.
Du scheinst Dir das projektirte Institut mehr als ein auf einmal im vollen
Glänze auftretendes, und dann in seiner größten möglichen Vollkommenheit und
Vollendung (gleichsam als ein unsern Ideen, den Resultaten unsrer Nachforschungen
gegebener Körper) dastehendes Ganze, das seine "Würkungen seinem Zwecke gemäß
nach aller Regel um sich her verbreitet.
Meine Idee hingegen wäre, zuerst mit einer nicht gar großen Anzahl von
Knaben (über deren Alter wir noch erst Verabredungen treffen müßten), und mit
nicht mehr Geräusch, als hiezu eben nöthig wäre, anzufangen. Hieran zu erst die
Ausführung unsrer Ideen gleichsam zu versuchen, und sie selbst genauer zu be-
stimmen; dabey aber eben so ununterbrochen, als an die Vollenduug dieses Kreises,
an die Erweiterung desselben zu arbeiten. Immer mehr Zöglinge aufzunehmen,
Abtheilungen zu machen, Lehrer anzustellen, und dabey unserm Zweck gemäß zu
bilden; (da wir wohl lieber junge Pädagogen hinzu ziehen, als uns mit andern, die
schon eigne (gemeiniglich eigennützige) Pläne mitbringen, einlassen würden.) Uns
selbst dadurch nach und nach freyer zu machen für Bearbeitung und 1) Darstellung
der Theorie sowohl, als der anderweitigen Anwendung derselben (für Privatunterricht) ;
und für Ausarbeitung und Herbeyschaffung der Hülfsmittei, die hauptsächlich auch
außerhalb unserm Institute benutzt werden könnten, und wozu wir mancherley
Verbindungen aufsuchen und eingehen müßten. — Während dessen könnten uns
noch immer einige Zeit für andre (philosophische) Studien und Arbeiten bleiben —
(man behielte Stunden oder Tage frey, zöge sich bisweilen einen Monat in die
Einsamkeit zurück usw.); je mehr wir mit der Zeit beym Gelingen die eigentliche
tägliche Arbeit in die Händen der von uns gebildeten Gehülfen niederlegen könnten,
desto mehr Zeit erhielten wir auch für solche Lieblingsarbeiten; und zuletzt bedürfte
es, wenn wir uns noch zu irgend einem andern Werk berufen fühlten, vielleicht
nur noch unsrer allgemeinen Aufsicht, oder wir fänden so gar unter der Arbeit
Freunde, die sich an uns anschlößen und das Werk aus unsern Händen in die
ihrigen aufnähmen wenn wir es nicht mehr gemeinschaftlich mit ihnen tragen
wollten.
Halt! — 0 mein theurer Herbart, ich finde hier kein Ende in den seligen
Aussichten, denen hiebey meine Phanthasie den Schleyer aufhebt! Aber weil die
Phanthasie es ist, und weil es nur Aussichten sind, die wie Schaum zerschmelzen,
wenn die ersten Schritte nicht fest und sicher gethan werden, so halte ich mich
mit Gewalt an, um mich nicht für diese ersten, wichtigsten Schritte abzustumpfen
und unnützer Weise zu ermatten. ||
Zu erst dürften wir uns selbst nicht einmal an einen Ort binden; doch
müßten wir vielleicht in oder bey einer Stadt anfangen, weil wir zu erst mehr
fremder Hülfe bedürfen, was bey der Erweiterung wegfallen würde, wo wir dann
wohl schwerlich den Stadttaumel den Reitzen und Vortheilen des Landlebens vor-
ziehen würden; da ohne hin unser Institut doch in gewißer Hinsicht immer eine
fremde Welt bleiben müßte. — Vielleicht suchten wir zu allererst unser Unter-
nehmen an irgend eine Familie eines unsrer besten Freunde anzuschließen, ohne
daß derselbe eben an der Hauptsache Theil nehmen dürfte. (Ich werfe dies nicht
blos so hin, sondern habe schon mehr daran gedacht, und wüßte es vielleicht wahr
zu machen.) Wir wären dann mancher Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten
überhoben.
Hienach würde dieses Unternehmen dabey, womit Du es anzufangen gedenkst,
nach meinem Plane gleichsam für uns endigen. Und ich wäre dann eher geneigt
2 22 August 1801.
ein ausgebreiteres Würken für PWmterziehung darauf folgen, als vorangehen zu
lassen. Denn dazu gebraucht es wohl noch mehr Achtung, Zutrauen, Hülfsmittel
(die von unserm Institute aus besorgt worden wären), und Beyspiel gelungener Ver-
suche, als zur Errichtung eines Instituts; und dann glaubte ich den rechten Zeit-
punkt zum Aussäen der bewährten Ideen unsrer Methode. Denn man wird eher
den Versuch uns Kinder anzuvertrauen, als selbstthätig Versuch nach unsern Ideen
anstellen. ||
Was Du übrigens davon sagst, was wir für die ersten und für die letzten
Jahre der Erziehung thun könnten, stimmt vollkommen mit meinen eignen Ideen
überein. Ich möchte weder die Kinder aus dem Schooße der Familie reißen, ehe
er ihnen zu enge ist, noch dem Jünglinge den letzten, wohlthätigen, freyen Übungs-
platz mit einer einengenden Mauer umgeben. — Überhaupt glaube ich müßte nach
meinem Plan der Anfang etwas mehr gegen die Mitte (etwa ums lOte Jahr herum)
zu gemacht werden; erst wenn wir hier einige feste Punkte hätten, dürften wir
auch die beyden damit zu verbinden denken ; wozu Pestalozzis Ideen uns von der
größten "Wichtigkeit seyn würden; die überhpt. dann noch von uns eine philo-
sophische Prüfung und Bestimmung erwarteten.
Meine weitern Gedanken über das Speciellere und über die Art der Ausführung
behalte ich mir vor, Dir mittheilen zu dürfen, so bald wir über jene Hauptpunkte
im Plane einig sind. — Aber jetzt nur noch einen Rückblick auf das Ganze mit
Hinsicht auf die übrigen Plane für unser Leben, die damit in Verbindung gebracht
werden müßen.
Wenn wir uns auch entschließen wollten, dieses als den Hauptpunkt unsrer
praktischen Thätigkeit zu betrachten, so verbinden wir damit doch noch immer
andre Plane; ja Du hast Dir sogar schon einen bestimmten Weg im spekulativen ||
Felde vorgezeichnet, worauf Du auch mit Deinem Leben fortzurücken wünschst
und hoffst; und deshalb sagst Du, mögest Du noch ein Decennium ein akademisches
Lehramt bekleiden. Ich sehe Deine Gründe ein, ebenso wie ich einsehe, daß hier-
über nicht nur niemand für Dich entscheiden darf, sondern daß Du hierüber ge-
wißer Maßen nicht einmal einen vernünftigen Rath von einem andern erwarten
darfst; da nur Du es aus Dir selbst ahnden kannst, wie Du hierin am ehesten zum
Ziele gelangen wirst, das nicht blos erklettert werden will, sondern wozu es auch
oft eines kühnen Schwunges bedarf. — Nur in Beziehung auf jenes Unternehmen
muß ich Dir hiebey einige Bedenklichkeiten mittheilen, die Du selbst würdigen
magst.
Wenn Du Dich noch 10 Jahre fast ausschließlich mit philosophischen Specu-
lationen beschäftigst und sogar als akademischer Lehrer und Schriftsteller darin auf-
tritst, so fürchte ich, daß Du hiebey nicht nur die Lust, sondern selbst auch den
Sinn für jenes Unternehmen verlieren mußt, so sehr es Dir mit der Achtung für
den Werth derselben auch noch immer Ernst bleiben wird. Ein Unternehmen, das
selbstständig nach neuen eignen Ideen ausgeführt werden soll, dabey einen so deli-
katen und wichtigen Gegenstand betrift, wobey man nicht eigennützige Absichten
zu befriedigen, sondern höhere Zwecke zu realisiren sucht, und das deshalb mit so
vielen und mannigfaltigen Schwierigkeiten zu kämpfen haben wird, — fordert gewiß
die ganze Leichtigkeit und Gewandheit, und den ganzen über Dornen fortschwebenden
Enthusiasmus der Jugendjahre. Ich halte dies schon ich möchte beynahe sagen |
für in physischer Hinsicht wahr; und Du wirst mich verstehen, wenn Du Dich
selbst nur um zehn Jahre älter denkst. Oder glaubst Du anders? —
Der Übergang vom akademischen Lehrer zum Schulmeister kömmt mir demnach
immer etwas mißlich vor, — es ist beynahe der Schritt, den der emporgehobene
August 1801. 22\
Bettler nicht vom Throne zurück thun könnte, obgleich er sich in das Glück seines
Bettlerlebens zurückwünschte; — der umgekehrte vom Schultisch (in unserm Sinn)
zum Katheder deucht mir viel natürlicher.
Doch ist auch dies wieder nicht der eigentliche Fragepunkt, denn wenn Du
jene Spekulationen nur auf diesem Wege zu beendigen zu können hoffst, und dieses
immer noch als die Hauptsache ansiehst, mit der Du jenes Unternehmen, wo mög-
lich verbinden willst, so fallen alle meine Gründe weg; und es bleibt nur die
Frage übrig: ob ich mit Dir diesen Weg einschlagen möchte; oder ob ich allein
einen andern Weg wagen, und dazu wenigsten Deinen Rath erbitten, und in der
Folge einmal Dein Eingreifen erwarten will, wenn ich würklich glaube, meine
Zwecke auf dieser Art am besten mit einander verbinden und ihnen gemeinschaft-
lich auf diesem Weg nachstreben zu können; — und dies würde alsdann den
Gegenstand unsrer nächsten Berathung ausmachen müßen. Doch will ich hiefür
erste Deine Antwort auf das Berührte erwarten. —
Das wären einige Worte zur Erwiederung auf einen jährigen Brief von Dir.
Jetzt wollte ich auch noch an die Beantwortung der nachfolgenden gehen, und Dir
noch über tausend andre Dinge reden ; aber um den einligenden Brief von Zehender 1 1
nicht aufzuhalten, und desto eher einige Äußerungen von Dir über diesen uns so
wichtigen Gegenstand sowohl, als über Zehenders Anerbiethen zu hören; muß ich
Dir noch einmal ein unbeendigtes Fragment statt eines Briefes zuschicken.
Was Zehenders Antrag selbst betriff, so habe ich darüber weiter gar keine
Notiz, als eben durch seinen Brief an Dich, den Frau Z. mir in Abwesenheit Ihres
Mannes mit der Bitte, ihn zu lesen, und was mir dünkt hinzuzufügen, — über-
sendet. Gewiß kann wohl schwerlich bey einem Menschen ein solcher Antrag mehr
aus herzlichem Wohlwollen fließen als von Z. gegen Dich; und wenn Du irgend
Lust hast ihn sonst anzunehmen, so könnte ich Dir hierüber, nach dem wie ich Z.
seit der Zeit haben kennen gelernt, die vollste Garantie leisten. — Wie sehr
meine Wünsche dadurch befriedigt seyn würden, Dich wieder bey mir zu haben,
durch Deinen Umgang begeistert und veredelt zu werden, und mit Dir gemein-
schaftlich dem Ziele meines Lebens entgegenstreben zu können; wenn Du nicht
wüßtest, daß dies allen Worten übersteigt, so müßtest Du mich, meine Achtung
für Dich, und meine Liebe zu Dir nie gekannt haben. — Willst Du deshalb irgend
genauere Nachweisungen in dieser Hinsicht von hier aus, so deute mir nur die
Richtung an, und sey versichert, daß ich es zu meiner angenehmsten Beschäftigung
machen werde, Dir dieselben nach besten Kräften zu geben. —
0 mein einziger, theurer Herbart mir schwindelt beynahe bey der Wonne des
Gedankens an die Möglichkeit, wieder an Deiner Seite, — des edelsten, reinsten und
erhabensten Menschen, der sich mir bis jetzt auf meiner Erdenwanderung zeigte,
— dem Höhern und Bessern nachstreben zu können.
Sage mir hierüber recht bald Deine Gedanken, und halte Dich stets meiner
innigsten Freundschaft versichert, womit ich unveränderlich der Deine bin.
Theodor Z.
Nächstens mehr von mir, von Segelken und Steigers, die alle um Dein Wohl.
seyn herzlich besorgt sind. Sonnenschein will nachfragen. Ich schreibe Smid
„Prof.u — weil ich nicht weiß, ob man den Rathsherren Titel dort gebraucht und
hoffe, daß ihn unter diesem noch jedermann kennen wird.
224 August 1801.
153. Zehender an H.1) 18. Aug. 1801.
Wie soll ich Dich nach einem 19 monatlichen Stillschweigen wieder anreden,
mein theurer, mir uuvergesslicher Herbart? Soll ich Dir Entschuldigung darbringen
über ein nicht zu entschuldigendes Verhalten? — nein — es wäre unfreundschaft-
licher als das Schweigen selbst. Kein "Wort steht hier besser — keines fließt so
sehr aus meinem Herzen, als das des Dankes, des innigsten Dankes für die Beweise
Deiner steten Erinnerung an mich, für Deine mittelbaren und unmittelbaren Zu-
schriften an Deinen stummen Freund. Ohne diese wäre er wahrscheinlich stumm
geblieben, so theur ihm auch das Andenken an Dich war und so wehe es ihm that,
allen directen Umgang mit Dir abzubrechen. Denn das fühlst Du vielleicht, daß
fortdauerndes Schweigen leichter gewesen wäre als das Aussprechen des ersten
Wortes nach einem so fürchterlich langen Stummseyn. Wozu hat mich falsche
Schaam schon verleitet? Nur die Rührung konnte sie überwinden, welche jede Nach-
frage, jedes Wort von Dir, in steigendem Grad bei mir erweckte. Unwerth Deiner
Güte, Deiner Freundschaft, wäre ich gewesen, wenn ich diesen Äußerungen der-
selben länger hätte wiederstehen können. Mit meinem herzlichsten || Dank dafür,
und mit der Versicherung, daß es mich innig schmerzte, Dir so manchen Gedanken,
manche Empfindung nicht mitzutheilen, wie ich es gethan hätte, wenn Du hier ge-
wesen wärest, — empfange jetzt, mein theurer Herbart, zum erstenmale unmittel-
bare Nachrichten von mir und den meinigen, und mit denselben das heilige Ver-
sprechen, daß ich von nun an solche ohne lange Unterbrechung immer fortsetzen
werde.
Mehreremale erhielt ich Verweise von meiner Frau, daß ich Dir nicht schriebe,
und oft wünschten wir Dich in unseren häuslichen Kreis zurück, der, dank sey es
der Vorsehung, nicht nur keine traurige Lücke erlitten hat, sondern noch durch
unsern kleinen Bernhard einen interessanten Zuwachs erhalten hat. Ich sage interessant,
denn der Knabe neben dem, daß er so viel Verstandes Anlagen als A[lbertine] zeigt,
verspricht hingegen unterhaltender, aufgeweckter und theilnehmender zu werden als
sie. Er ist ein gutmüthiger, fröhlicher, großer und starker Junge, mit einer ange-
nehmen Gesichtsbildung, in deßen Bewegungen schon viel Sinn liegt, der gerade
jetzt allein gehen lernt, || und bey Mutter, Großmutter und Tanten ihr Augapfel ist,
und von ihnen auch verhätschelt würde, wenn er nicht %u gut dazu wäre. Bis
dahin gebe ich mich noch sehr wenig mit ihm ab, allein für die Zukunft verspreche
ich mir viel von dem Knaben; in dem Unterricht wird er mit dem älteren ohn-
gefehr gleichen Schritt gehen können. Dieser faßt langsam, hat keinen Scharfsinn,
und ist so viel als gantz ohne Imagination und Witz; — dabey ist er sehr emp-
findlich und jähzornig und -- doch hängt mein gantzes Herz an dem Knaben, weit
mehr als an den beyden andern. Er ist so außerordentlich gut, gerade und bieder,
daß wer ihn genau kennt, bald mit seinen Fehlern ausgesöhnt ist. Meine besondere
Anhänglichkeit an ihn, schreibe ich dann noch dem Umstand zu, daß er in Tempe-
rament und Gemüthsfehlern und Eigenschaften viel Ähnliches mit mir hat und ich
mich in Ihm gleichsam wiederfinde. Drückend wird es mir jetzt, daß der Junge
noch gar keinen Unterricht genießt; Eingedenk Deiner und anderer meiner Freunden
Grundsätze und Unterredungen darüber, wollte ich ihn, um sein Hertz und Charakter
rein zu erhalten in keine der gewöhnlichen zahlreichen und gemischten Schulen
schicken und harrte immer auf eine Gelegenheit, wo sich mit einigen anderen ge-
bildeten Knaben eine eigene kleine Schule bilden || ließe; inzwischen hatte zu Hause
niemand Zeit und Geschick sich mit R[udolf] abzugeben, und so ist nicht nur an der
Entwicklung seines Verstandes nicht gearbeitet worden, sondern er kennt nicht ein-
l) 8 S. 8 °. H. Wien.
August 1801. 2 2^
mal das gantze Alphabet obschon er 4V2 Jahr alt ist. Jetzt böte sich freylich die
Gelegenheit dar, aus Pestalozzis Schule einen jungen angehenden Schulmeister her-
kommen zu lassen; allein dabey trift wieder die Schwierigkeit ein, daß man hier
gegen diese Methode, wenigstens für die praktische Benutzung, noch eingenommen
ist, und sich bloß für ein paar Kinder zu einem solchen Werk aßocieren könnte,
was denn für ein solches Alter ziemlich kostbar seyn würde. Bey diesem Verhalt
weis ich wirklich nicht, was ich mit R. künftigen Winter vornehmen werde. Ich
denke jetzt schon daran, den Jungen bald, versteht sich doch erst in einigen Jahren,
einen Hauslehrer zu halten und verlaße mich, was dessen Wahl betrift, schon im
voraus gantz auf Dich. Doch davon ein andermal mehr, da mir die Sache sehr
wichtig und es mir damit völlig Ernst ist. Indessen giebst Du mir einen guten
Rath, was mittlerweile mit dem Knaben anzufangen seye. Möchte diß, mein
Theurer, künftigen Winter mündlich geschehen können, indem Du Dich entschlößest,
wieder zu uns j| in die Schweitz zurückzukehren. Wie ich von Ziemsen höre, bist
Du körperlich krank und leidest auch am Gemüth; ich schließe daraus. Du seyest
mit Deiner jetzigen Lage nicht gantz zufrieden. Auch hier zwar würdest Du kaum
eine Dich gantz befriedigende Thätigkeit finden; allein die Natur und das Küma,
Deine Anhänglichkeit an unser Vaterland, würde wahrscheinlich Lücken ausfüllen,
die in Bremen und vielleicht an manchem andern Orte Deutschlands, unausgefüllt
blieben. Deine Verhältnisse gegen Deine Mutter fesseln Dich auch nicht mehr; Du
kannst wohl in dieser Rücksicht Deinen Aufenthalt frey wählen. Behalten wir
Frieden, so wird gewiß iu kurzem für öffentlichen Unterricht vom Staat oder Privat-
Gesellschaften allmählig mehr gethan werden können. Ein pädagog. Unternehmen
sollte auch hier, nicht bloß in Deutschland, ausgeführt werden können. Dergleichen
Anstalten haben immer bey uns Beyfall erhalten und sind bloß durch ihre Mängel
gesunken; — und warum sollten die Schriftsteller- Arbeiten mit denen Du Dich all-
mählig mehr beschäftigen wirst, nicht auch in der Schweitz gedeihen. Fändest Du
denn nach einigen Jahren keine Dir angemeßne höhere Anstellung, so würden Dich
Deine Schriften von hier aus so gut als aus Deutschland |j zu einer Universitäts-
Stelle führen. Doch — ich sollte mir nicht solche Raisonements erlauben, die bei
meiner Unkenntniß Deiner eigentl. Lage und Pläne, anmaßend scheinen möchten.
Sie fließen aber aus meinem Hertzen und so wird Deine Freundschaft mir solche
zu gut halten. Wer weis ob sie Dir nicht Anlaß zu Überlegungen und Prüfungen,
die Dich vielleicht auf das von mir gewünschte Resultat führen. Solchenfalls höre
meinen Vorschlag; oder vielmehr meine bestimmte Aufforderung an Dich. Du
körnst anfangs — im Laufe des Winters oder sobald es Dir gelegen ist, nach Bern;
— nimmst gleich als Hausfreund bey mir den Tisch; — bis 1. Februar beziehst
Du ein Zimmer so nahe als möglich, — von diesem Zeitpunkt an, erhältst Du eines
jn meinem Hause; — Du arbeitest und lebst gantz frey; — hast Du zuweilen Lust
und Muße, Dich mit meinen Kindern abzugeben, so seye es immer gantz ungebunden.
So bleibst Du bey mir so lange es Dir gefällt und Du nichts bessers vorziehest.
Findest Du || eine angemeßne Anstellung außer dem Hause, so laße ich Dich jeden
Augenblick ausziehen. Findst Du eine Sphäre für Deine Thätigkeit sey es mit
Schriftsteller Beschäftigung oder sonst, wobey Du bey mir bleiben kannst, so ist
allen meinen Wünschen entsprochen, einmal für so lange, als ich nicht eines Haus-
lehrers bedarf, den ich vor 3 Jahren nie anzustellen gedachte. Hast Du den Ge.
danken jemals wieder in die Schweitz zurückzukehren, nicht gantz aufgegeben, so
schmeichle ich mir, daß der Gedanke, ohne weitere Nachfrage und Umstände so-
gleich in ein bekanntes Haus einziehen zu können, von deßen Gesinnungen gegen
Dich Du vollkommen überzeugt bist — auch etwas dazu beytragen werde, diesen
Herbarts Werke. XVI. 15
2 2 6 August 1801.
Vorschlag eher und besser zu realisiren. Mir würdest Du durch Annahme dieses
Anerbietens eine unzuberechnende "Wohlthat erweisen und meine Frau würde die
Freude, Deinen täglichen Umgang zu genießen, gantz mit mir theilen, so wie sie
über meine Aufforderung an Dich, gantz mit mir einverstanden ist. Mit Ungeduld
harre ich, mein theurer Herbart || auf Deine Antwort, ob schon es eigentlich gar
nicht nöthig ist, daß sie gleich entscheidend seyn müßte. Ich sehe nicht vor, daß
sobald in meiner Lage eine Veränderung vorgehen könne, wo mir in einem Jahr
Deine Ankunft nicht eben so angenehm als jetzt seyn würde.
Die baldige Absendung v. Ziemßens Brief und eine Entfernung von einig.
Tagen aus der Stadt zwingt mich über so manchen Gegenstand worüber ich noch
mit Dir zu sprechen hätte, für dißmal zu schweigen. Nimm unsern hertzlichen Gruß
an; richte ihn an Böhlendorf aus und empfiehl mich in das Andenken v. Smidt.
Jezt nur noch das — ; Du weißt daß die Worte meinen Gedanken und Gefühlen
schlecht zu Geboten stehen; Du mißest also, oder beurtheilst diese nicht nach jenen
— und somit weist Du genug um gantz zu verstehen Ewig Deinen
Bern, den 18. Aug. 1801. Zehender.
154. Ziemssen an H.1) Rümligen, Aug. 1801.
Theurer Herbart. Mit unbeschreiblichem Zauber bekleiden die ersten Tage des
alles füllenden Herbstes diese reitzenden Gefilde; aber für mich liegt ein schwarzer
Trauerflor über sie ausgegossen; und die alte "Wunde blutet uud schmerzt wieder
heftiger in den Tagen, die sie mir schlugen.
Fürchterlich stürmt das Entsetzen dieses Schlages und der wilde Schmerz
des Verlustes in jenen Tagen mit Zerstörung drohenden Händen auf mich ein;
entkräftet erlag ich endlich der Gewalt, und lebte mit meiner tiefen Wunde in
fast bewußtloser Mattigkeit dahin, auf festem Boden die Tritte messend, weil die
emporschwingenden Flügel der Jugendkraft gelähmt waren.
Aber wie ich allmählich wieder erwachte, und die alten Kräfte nach und nach
anfingen wiederzurückkehren und sich an die lange geruhten Tagewerke mit
Schüchternheit zu wagen, wie die Schaafe vom wilden Wolf zerstreuet sich ihren
Hürden furchtsam nach einander wieder nahen, — o da fühlte ich den Schmerz
meines unendlichen Verlustes mit jedem Tage anders und mannigfaltiger. Und wie
könnte ich Dir nennen oder beschreiben, was ich hier empfunden habe; hier, wo
ich die reinste, irdische Götterwonne an seiner Seite genoß; wo wir unsre || Ge-
danken und Ahndungen gemeinschaftlich verwebten, wo wir unsre Kräfte prüften,
ihnen ihr Tagewerk vorlegten, und jedes Erstrebte durch Mittheilung mit doppelten
Sinn beschauten und beurtheilten ! — Aber warum sollte ich Dir es auch erst be-
schreiben ; Dir, der Du diesen Verlust mit mir theilst, wie Keiner, und dem ebenso
wie mir in diesen hohen, Vortreflichen, Unvergeßlichen gleichsam ein Theil des
eignen bessern Wesens abstarb.
Eine ähnliche fürchterliche Begebenheit hat in diesen Tagen auch den ersten
schrecklichen Schlag dieses Schmerzes in mir erneuert. Ein junger Herr von Erlach
auf Spiez, ehemaliger Besitzer von Riggisberg, (von dem Frisching mir schon sonst,
als von dem liebenswürdigsten Menschen, den er kenne geredet hatte,) spatziert
am Abend mit seiner Frau, seinen Kindern und mehreren Verwandten, die zum
Besuch bey ihnen sind; man versucht mit einer Stange reife Birnen abzuschlagen,
weil die Stange aber zu kurz ist, geht der Unglückliche in die Scheuer, um von
oben eine Leiter zu hohlen; er steigt hinauf, und fällt an einer Stelle, wo ein Brett
*) 14 S. 8°. H. Wien.
August 1801. 22 7
weggenommen war, durch den Boden zwey Stock hoch auf die Tenne herab. Die
Gesellschaft beunruhigt über sein Wegbleiben geht zur Scheuer, und trift mit Ent-
setzen einen Knecht, der ihn in seinem Blute schwimmend gefunden hat, und jetzt
herauszutragen beschäftigt ist; und nach einem zweystündigen blos noch physischen
Lebeu ohne alle Zeichen des Bewußtseyn schwinden endlich die letzten Spuren des
Lebens ganz. ||
Er war Frischings innigster Freund und naher Verwandter, mit dem er von
Jugend auf gelebt hatte, und die ganze Familie hing, wie jeder, der ihn etwas näher
kannte, mit Innigkeit an ihm; weshalb der Schlag sie tief verwundete und in die
schmerzlichste Trauer versetzte; und oft mußten wir uns, wenn wir so einander in
Kreise gegenüber saßen mit Thränen in den Augen einer nach dem andern wegkehren,
wie in jenen Tagen meines unendlichen Verlustes; wo eben diese Thränen, die bey
ihnen nur der hervorkämpfende Ausbruch der innigsten Empfindung sind, mein Herz
so in diese guten Menschen knüpfte.
Nachmittags.
Lege immerhin, mein theurer Freund, für einige Stunden dies Blatt bey der
Seite, wenn auch Dir Theilnahme und traurige Gefühle eine Thräne auspreßten;
weihe dem Andenken des Unglücklichen und noch mehr der Trauer und dem
Schmerze der betrübten Zurückgelassenen einen sinnigen Augenblick, und kehre
dann durch Deine Geschäfte wieder erheitert zu Deinem Dich herzlich liebenden
Freunde zurück, wie auch ich heute morgen die Feder verlassen mußte, um wieder
von neuem Luft zu schöpfen.
Die Gegend, worin das liebe Rümligen hegt, das ich mit diesen guten Leuten
bewohne, ist eine der schönsten, die ich kenne. Den weiten freyen Horizont begrenzt
nur die hohe Alpenkette, worin die Jungfrau mit ihren Gefährten prangt, auf der
einen, und der blaue Jura auf der andern Seite. || Gegen uns über erhebt sich an
dem durch seine gleichmäßige Ebene romantisch contrastirenden Thale (dessen An-
fang gleich hinter Kehrsatz ich noch an Deiner Seite überschauet zu haben mich
erinnere, und worauf sich das Auge hier auf der einen Seite in der Ansicht von
Belp und auf der andern im Thuner See verliert) — links der schöne Belpberg mit
seiner mahlerischten Seite, und rechts eine Menge immer eines über den andern
hervorragenden Gebirges, die vom schönsten Grün sich zuletzt mit dem Pilatus in
graue Nebelgestalten verlieren. — Das Schloß selbst liegt, wie Du Dich vielleicht er-
innern magst auf dem Abhänge eines Berges, ganz wie eine alte romantische Ritterburg;
die umgebende reiche und fruchtbare Natur hat eine nachlässige Hand der Kunst nur
grade so viel nachgeholfen, als zum sinvollern Genuß nothwendig wor, ohne das "Wesen
der Natur zu verdrängen. Allenthalben findet man ein schönes einladendes Plätzchen,
und hauptsächlich schön ist der erhabene Platz, auf dessen Mitte das Schloß liegt, die
sogenante Schloßterrasse, wo fast für jede Stunde des Tages möchte ich sagen, ein andres
Plätzchen eigenthümliche Reitze darbiethet; weshalb wir auch bey irgend schönem
"Wetter fast den ganzen Tag unter freyem Himmel leben; und es geht uns in
Wahrheit, wie Muhrbeck, der theure, sinvolle, mit dem edlen warmen Herzen, —
mir in einem durchaus freundschaftlichen Briefe, (womit er || meine Grüße, die ich
ihm durch meine Eltern zukommen ließ, liebevoll erwiederte,) sagt: „es ist einem
„doch immer so, als lebten die Menschen in der Schweiz nicht in Zimmern; Euch
„Menschen sehe ich immer unter Blumen in der herlichen Landschaft, und die
„Alpen erheben Eure Blicke." Dennoch fehlt es aber meinem Zimmer (das viel-
leicht das schönste im ganzen Schloße ist) nicht an den Reitzen der ländlichen
Wohnung. Die aufgehende Sonne weckt mich mit ihren ersten Strahlen, die sie auf
15*
9 -j 8 August 1801.
mein Lager wirft, und am Abend kann ich ihren letzten Goldglanz wiederscheinend
an den ewigen, ungeheuren Schneemaßen aus meinem Fenster verbleichen sehen;
und am Tage ruht mein Auge auf dem schönen Thale, dem Belpberg und den
übrigen Gebürgen oder dem Thunersee auf der einen Seite, während hohe Bäume
mich in dem andern Fenster mit ihrem dicken Laub anwehen. —
Abends.
Indem ich diese letzten Zeilen niederschrieb, deuchte mir, ich sehe Dich mit
diesem Blatte in der Hand vor mir, etwas ungeduldig über das ewige Mahlen fragend :
nun und was thust Du denn, worin rückst Du vonvärts bey dem angenehmen
Leben in diesen schönen Gefilden, — und stand mit dem Vorsatze auf (weil ich
zum Thee hinaus mußte), Dir jetzt sogleich auch das, was sich hievon sagen läßt,
(so wenig es auch seyn mag), mitzutheilen. Aber eine andre Gedankenreihe operirt
grade jetzt wieder zu lebhaft in mir, als || daß ich sie noch einmal zurückdrängen
möchte, um sie zu einer andern Zeit zu reproduciren. Der Punkt, woran diese
Gedanken sich knüpfen, oder vielmehr, woran Du sie Dir knüpfen magst, ist Deine
Idee einer Vorhomerischen Mythologie für die erwachende Kindheit.
Solltest Du mein Schweigen hierüber wohl als einen Beweis haben ansehen
können, daß ich leicht, ohne besondere Aufmerksamkeit und Würdigung darüber
weggeflogen wäre? Theurer Herbart, dann hast auch Du Dich wieder einmal an
Deinem Freunde geirrt, wie so mancher sich in ihm irrt. Im Gegentheil ich
schweige über manche Dinge, weil sie mir zu wichtig oder heilig sind, um darüber
in den Tag hineinzuschwätzen, wenn Zeit oder Umstände mir nicht erlauben darüber
zu reden, wie ich einzig darüber reden möchte.
Ich habe eine äußerst lebhafte Freude über jenen glücklichen Gedanken von
Dir, der so sehr in meine Ideen eingereiht, daß ich beynahe nicht begreife, warum
er in mir nicht schon vorher entstand, und daß ich glaube, daß mir wenigstens ein
ähnlicher auch ohne Deine Mittheilung mit der Zeit gekommen wäre. — Ich habe
mit unserm lieben Vater Homer nemlich in meiner jetzigen Lage noch einen neuen Ver-
such gemacht. — Da ich nur den Rudi allein habe, war es natürlich, daß ich neben
ihm auch auf die Bildung der kleinen liebenswürdigen Sophie Rücksicht nahm,
wodurch ich eben so sehr || meinen eignen, als Frischings Wunsch befriedigte, da
jede edlere Gemeinschaft mit den zarten, und gemeiniglich viel sinnvollem weib-
lichen Seelen von jeher etwas außerordentlich anziehendes für mich gehabt hat;
und gewiß wird bey mehreren Weibern, als Männern der Sinn des Lebens rein
bewahrt und durchgeführt; obgleich es natürlich ist, daß es in unserm Geschlecht
mehr einzelne große, starke und umfassende Menschen geben muß. Doch ich irre
liier auf ein altes Lieblingsthema ab, wozu ich Dir nächstens einige interessante
Handzeichnungen liefern würde, wenn das Abbilden mir so leicht von Hände ginge,
als da Auffassen nur seltner, hoher Genuß ist. Es machte mir also herzliche
Freude, endlich auch einmal an der Erziehung eines Mädchens, und noch dazu
eines so talentvollen, und liebenswürdigen Mädchens mit Hand anzulegen. — Dies
war hier gewißer Maßen nur Nebensache, weil ich eigentlich für den Rudi da war,
aber doch griff es so tief in meinen Hauptplan, daß ich es wohl mehr, als einen
nicht unwichtigen Theil der Hauptsache ansehen durfte. Denn es wäre wohl Zeit,
daß man einmal ernstlicher daran dächte, den Unbill, der in dieser Hinsicht auf
dem andern Geschlechte lastet, von demselben abzuwälzen. Vielleicht erinnerst Du
Dich noch, daß ich Dir schon in Bern mit lebhaftem Interesse hierüber redete,
wozu unter andern wohl die Ungezogenheiten einer gewissen Dame Veranlassung
gaben; von der Du einmal redend, sagtest: wenn || die Weiber über die Jahre weg
August l8oi. 22Q
sind, worin sie sich durch eine geiviße Schaamhaftigkeit gefesselt fühlen, so liegt
es in den Händen des Zufalls, ob ehrwürdige Matronen oder alte Katzen aus ihnen
werden." — Sollten wir Männer, die wir uns doch einmal als ihre Vormünder an-
sehen, nicht eben darum dafür sorgen, daß ihnen auch durch ihre Erziehung noch
über diese Jahre hinaus eine gewiße ehrenvolle, und sie selbst befriedigende, innere
Selbstständigkeit durch tieferes, und mannigfaltigeres Interesse, das nicht mit der
schönen Larve und den Schmeicheleien der Männer ins Grab sänke, sondern im
Gegentheil bey dem Hinscheiden dieser erst mit doppeltem Feuer erwachte, ver-
schafft würde. — Du hast gewiß auch vielfältig schon hierüber nachgedacht,
möchtest Du mir einmal hierüber einige Gedanken mittheilen! Nimm indeß das
wenige, was ich jetzt von meiner Sophie sagen werde, heute von mir, und mache
mir durch eine Beantwortung desselben Muth, mich in der Folgen mit mehreren
an Dich zu wenden.
Obgleich Sophie während unsers winterlichen Aufenthaltens in Bern den Unter-
richt einer der verständigsten und gebildesten jungen Bernerinnen genoß, so hatte
ich mich doch auch damals schon mannigfaltig mit dem kleinen Wesen beschäftigt,
das sich liebevoll an mir hängte. Aber alles dieses zielte doch (außer dem eigent-
lichen Umgang und einiger nicht regelmäßiger Unterhaltungen beym Vorlesen von
kleinren Geschichten und dergleichen || was sie sehr liebte,) — eigentlich mehr nur
auf Bildung des Verstandes und Erwerbung gewisser Kentniße und Fertigkeiten, als
auf Bildung des Herzens und Erhebung des ganzen innern Wesens ab, d. h. dies
letztere konnte nicht nächster Hauptzweck dabey seyn, denn daß es nicht aus-
geschlossen war, versteht sich von selbst.
Mit dem Leben auf dem Lande trat auch sie mir, wie die ganze Familie, (wie
es nicht anders seyn konnte) nicht nur einen Schritt näher, sondern sie fiel nun
auch noch ganz besonders meiner Sorgfalt anheim. Ich dachte also sehr ernstlich
auch über die Befriedigung jener Bedürfniße schon im Winter für diese Zeit nach;
fiel auf dieses und jenes, und blieb endlich beym Homer stehen. Warum sollte
nicht auch derselbe Weg, den wir unsre Knaben mit solchem Interesse führen,
wenn nur etwas anders gepflastert für die Bildung des Mädchens zu benutzen seyn?
dachte ich. Wenn ich so hiedurch einen Anfang machen, und nachher immer
stufenweise weiter fortschreiten kann, dies kleine sinnvolle Wesen in die sinnvolle
Welt der Griechen einzuführen, und einheimisch zu machen; so behalte ich dadurch
einen nie abbrechenden Faden in den Händen, woran die höhere Bildung derselben
ungezwungen und unmerklich, (ohne die geringste Anmaßung von meiner Seite) und
ohne die geringsten Einwendungen von Seiten derer, die sonst etwa Einspruch zu
thun Lust bekommen könnten,) gleichsam von selbst fortlaufen wird. Das Interesse
an dieser hohen (obgleich kindlichen) Welt, das sie wirklich schon ergriffen hat,
wird sie am ehesten über den erbärmlichen Kreis der Gewöhnlichkeit erheben,
einen idealischern Sinn in ihr wecken, und ihr einen hohen Geschmack anbilden. |
Zugleich aber erhält sie hiedurch auch hinreichenden Stoff, (oder wenigstens den
Zugang dazu,) für manche schöne Stunde auch in den spätem Jahren, und haupts.
in den sonst oft so gefährlichen Jahren, die dem Kindesalter folgen.
Bald war ich über den Werth dieser Idee mit mir im Reinen, nur war noch
die Frage nach der Art der Ausführung derselben. Eine Hauptschwierigkeit war,
daß ich Homer nicht anders als Deutsch nach Voßens Übersetzung mit ihr lesen
konnte. Hier fehlte also das Retardationsmittel, was bey unsern Knaben die
griechische Sprache lieferte, um durch gehöriges Verweilen sie nicht nur in den
wahren Verstand und Zusammenhang, so wie überhaupt in diese ganze Welt einzu-
führen, sondern auch um dadurch Zeit und Gelegenheit zu gewinnen, zugleich unsre
230 August 1801.
andern damit verbundenen Zwecke zu erreichen. Doch sah ich bald, daß die Un-
gewöhnlichkeit und Eigentümlichkeit der Sprache selbst in der Übersetzung uns noch
genug zurückhalten könnte, wenn ich Sophie nur hindurch helfen könnte ohne sie
zu ermüden. Wollte ich sie selbst lesen lassen, so mußte ich fürchten, daß sie
bey der Anstrengung, womit Kinder in ihrem Alter doch noch nur lesen können,
die Aufmerksamkeit auf den Inhalt verlöhre; wollte ich hingegen vorlesen, so
konnte ich wieder nicht überzeugt seyn, daß sie bey der Unbekanntschaft mit der
Sache nicht über manches hinhörte ohne es zu verstehen, und mir selbst ward es
dann schwerer alle Augenblicke einzuhalten, und zu erklären, welches ihr dann auch
unnatürlicher vorkommen, und sie deshalb eher ermüden mußte. Doch bat sie
immer, ich möge lesen. Ich ließ sie deshalb laut lesen und laß zugleich laut mit;
so brachte ich sie || nicht nur zur gehörigen Aufmerksamkeit ohne sie mit dem
bloßen Mechanismus zu sehr zu ermüden, sondern auch in kurzem zum rüstigeren,
bestimmtem und leichtern Lesen, und erreichte zugleich alle andern Yortheile, die
jede der beyden andern Methoden einzeln gewährten. — Durch die Lebhaftigkeit,
womit ich das Ganze trieb, und die erforderlichen Erzählungen einmischte erweckte
ich bald ein großes Interesse daran in ihr, und setzte sie in kurzer Zeit hinein,
indem ich so oft als möglich durch unvermerkte Wiederhohlung des gehabten alles
feste einprägte; und jemehr sie erst Bescheid wußte, desto mehr stieg ihr Interesse.
Doch könnte mir dieser Versuch unmöglich so durchaus gelungen seyn, wenn
mir nicht ihr eignes vorzügliches Talent so außerordentlich zuhülfe gekommen
wäre. Sie ist ungemein reich an Fragen, verweilt gerne und gleichsam noth-
gedrungen beym Einzelnen, weil sie über nichts mit Gleichgültigkeit eilt, obgleich
sie beständig nur fliegt, ohne dadurch Sinn und Interesse fürs Ganze und für das
Fortrücken darin zu verlieren; und dabey fehlt es ihr weder an Kopf, noch, an
achtem Gefühl vollem Herzen, welches mir über alles theuer ist.
Aus allem diesem siehst Du aber, daß ich die Idee die Jugend durch die Alten
zu bilden nicht nur nicht aufgegeben, sondern noch weiter ausgedehnt habe. Wie
willkommen mußte mir also Deine Idee einer hiezu vorbereitenden Mythologie seyn ;
die hienach auch ein Geschenk für Mädchen seyn würde, und vielleicht das beste
Mittel wäre, unsrer Idee Eingang und allgemeinere Anwendung zu verschaffen. Doch
wir sind über den Werth einverstanden, ich rede deshalb nur von der Ausführung. ||
Der Styl eines solches Buches müßte obgleich dem Kindersinn und ihrer Faßungs-
kraft angemessen, doch mehr wirklich poetisch, als tändelnd, oder trocken erzählend
seyn. — Das Ganze müßte obgleich in besondere Abschnitte getrennt, doch im
etwanigen Zusammenhange fortschreiten, und wirklich poetische Anfangspunkte der
Geschichte liefern, und zwar so daß Homer auch hierin gleichsam die Fortsetzung
desselben wäre. — Aber ob es dabey nicht besser gethan seyn würde, die, wie Du
sagst, patriotische Benutzung dem historischen gleichsam unmerklich einzuweben,
und sonach nur zwey Fächer das patriotisch - historische und das eigentlich blos
mythologische in einander zu schieben; darüber habe ich noch nicht unter den
Gründen pro et contra wählen mögen. Denn ich fürchte, daß bey einer Trennung
der beyden erstem nicht nur, das Ganze doch etwas zu buntscheckig und dadurch
uoch für unser Zeitalter zurückschreckend und für die Kinder selbst verwirrend seyn
möchte; sondern, daß auch der patriotische Theil bey dieser Einrichtung in den
mehrsten Fällen unbenutzt bleiben möchte; was überhaupt mit solchen Anwendungen
haupts. für das Kindesalter der Fall ist, wenn man sie ihnen nicht gleichsam ein-
gibt, wie man ihnen die Arzeney unters Essen mischt; — auch bringt die Sache
es mit sich, daß wir nicht gar zu hoch damit hinauswollen müssen, wenn es nicht
eben zu diesem Zweck den Grund seiner Tüchtigkeit dadurch verlieren soll, da wir
September 1801. 23 1
auf das vorhomerische Gebiet beschränkt sind, und doch eigentlich nur zum Homer
vorbereiten und den Sinn erwecken sollen. — Aber || für seinen Zweck müßte es
klassisch werden, (ohne dem lohnte es sich der Mühe kaum), und selbst den Kindern
müßte es für die bestimmte Periode klassisch und ein wahres vademecum werden,
was sie lieb gewinnen, lesen und wieder lesen könnten. — Daß Kinder sich wirklich
solche Bücher so zu eigen machen, dafür fehlt es mir nicht an Beyspielen. —
Kupfer, und zwar ausgemahlte, würden ihm bey denselben viel Eingang verschaffen,
und könnten demselben gleichsam als ein neuer Theil für die aller unterste Stufe
anhängen; — wenn man nicht befürchten müßte, daß sie auf der andern Seite mehr
verderben würden, — sie hemmen die Phanthasie, hindern das allmähliche Aufleben
des rechten Bildes, das hier oft doch immer mehr oder weniger im hell -dunkel
schweben bleiben müßte, hauptsächlich bey den Göttern. — Doch verdiente es noch
wohl Erwägung, ob man sich doch dieses Mittels nicht vielleicht hie und da bedienen
könnte, wo es weniger schaden, und nicht minder anziehen und fesseln würde, z. B.
wo bloße Menschen die Sonne betreten, und dieselben noch dazu vielleicht nur dies
einmal vorkommen etz., worüber sich erst bey der Ausführung entscheiden läßt.
Auf jeden Fall aber müßten diese Zeichnungen sehr gut seyn.
Ob ich Lust hätte an der Ausführung eines solchen Planes Theil zu nehmen,
wirst Du hienach nun wohl nicht mehr fragen. Aber ob ich auch Kräfte dazu be-
säße, dürfte wohl eher einer Frage unterworfen seyn. — Ich gestehe es Dir offen^
daß ich noch immer nicht genug in der griechischen Welt zu Hause bin, um diese
Frage zutrauensvoll mit einem Ja zu beantworten. — Aber wenn Du mit der Hülfe
die meine Kräfte zu geben vermögen zufrieden || seyn willst, so will ich diese gerne
dazu noch mehr anstrengen. Ich will selbst noch mehr für diesen Zweck lesen
u. s. w. Am meisten könnte ich aber vielleicht in der Bearbeitung und Prüfung
des Stoffes helfen, wenn Du mir denselben nachweisen möchtest. Für alle Dingen
möchte ich gerne die versprochene Probearbeit von Dir sehen; willst Du mir dann
etwa eine Aufgabe für mich nachweisen, so will auch ich dagegen auf meiner
Seite einen Versuch machen. Wenn man nur erst einmal Hand angelegt hast, so
behält man sein Ziel desto beständiger vor Augen und bringt leicht manche
Materialien selbst von Ohngefähr dafür zusammen. Da der Vorschlag aber von Dir
komt, so geht auch billig der Anfangspunkt von Dir aus; da sich ohnehin jetzt so
manche Plane in meinem Kopfe herum treiben, wofür ich die ersten Punkte
anknüpfe.
Auch könnten wir nachher wohl einiges für das Lesen unsers Homers selbst
leisten, um andern weniger geschickten die Kunst ihn zweckmäßig zu benutzen in
die Hände zu spielen, und so unsern Ideen Eingang zu verschaffen. — Vielleicht
gebe es eine Anleitung zum ersten Unterricht im Griechischen und zum Lesen
des Homer, — ferner eine Art von Gommentar zu unserm Zweck etz. — Vor
allem auch denke ich auf eine verbesserte griechische Grammatik, haupts. in Hinsicht
auf die Conjugationen, wozu ich schon einige Versuche gemacht habe, worüber ich
auch gerne einmal mit Dir eintreten möchte, wenn Du Lust dazu hast.
[Ohne Unterschrift!]
155. Ziemssen an H. Rümligen, Sept. 1801.
Lieber theurer Herbart. So eben kam ich von Bern zurück, wo ich einige
schöne Tage mit lieben, edlen Menschen verlebte, deren Umgang mir desto wohl-
thätiger war, da eine unangenehme Kränklichkeit, mich ein paar Wochen fast ganz
auf die 4 Mauern beschränkt, und darin mir noch dazu alles mit einem melancho-
lischen Schleyer überzogen hatte, wobey ich wenig arbeiten konnte, welches mich
2*12 September 1801.
am raehrsten quälte; so daß ich mich beynahe zerdrückt gefühlt hätte, wenn nicht
meine lieben, guten Kinder, und die theilnehmende Güte der ganzen Familie mich
umgeben hätte, und der Gedanke an meine so innig geliebten Freunde, nahe und
ferne, und meine Hofnungen wie lebendig durchdringende Blitze mein Inneres von
Zeit zu Zeit erhellt hätten. — Theurer Freund, alle Leiden vermögen wenig über
uns, wenn wir sie in dem muthvollen Gefühl ertragen : „Du stehst doch über das
alles, und wirst es alles besiegen." Aber wenn dieser Muth sinkt, dann fängt das
wahre Leiden an; und ich muß es gestehen: ich konnte diesen Muth diesmal wirk-
lich verlieren. "Wiederfährt uns dies nicht oft eben im muthigsten Streben? Aber
ich hoffe ich habe ihn wiedergefunden. Diesen Muth, und mit ihm auch meinen
heitern Sinn; in Bern, in Seedorf, in Deinem Briefe und in den Armen meiner |
lieben Kinder. — Aber ich wollte Dir jetzt eben schreiben, was Du mir in dieser
Stunde für eine Wohlthat erzeigt hättest; darum setzte ich mich zum Pult; meine
Kinder unterbrachen mich.
Ich langte hier an, es war halb 4 Uhr, und. traf keine Seele, als die Dienst-
boten, deren gefälliges und gleichsam frohes Wesen über meine Zurückkunft mir
schon wohlthat. Die ganze Familie war einige Stunden von hier zu Mittag gewesen
und noch nicht zurück. Ich war sehr erhitzt, deshalb durfte ich nicht in die
Abendluft und fühlte mich herzlich allein bey meinem Thee; oder vielmehr mancherley
Sehnsucht beunruhigte meinen Busen. Ich hatte Deinen Brief kurz vor meiner
Abreise erhalten, und sogleich die Worte an mich gelesen, und wie froh war ich
jetzt die andern noch nicht gelesen zu haben, doch ahndete ich noch nicht, welche
Freuden sie mir gewähren würden. — Wie ich Deinen Brief an Zehender gelesen
hatte, liefen mir die Worte über die Zunge, obgleich sie niemand hörte, als wieder
ich selbst: ,,der gute, edle Herbart"; und. als ich den Karls gelesen hatte, lag ich im
Geiste an Deinem Busen, nachdem ich jeden Ort mit Dir und dem Bilde Deines
Karl besucht hatte, wohin Du es führtest, und so mich gleichsam auch physisch in
Deiner Nähe fühlte. — Kaum hatte ich angefangen, Dir wenigstens zu schreiben,
als meine lieben beyden Kleinen mit frohem Jubel zu mir hinauf gesprungen kamen,
voller Freude über meine Rückkunft auf mich zu eilten. Die reinste Heiterkeit
kehrte mir zurück, und eine Thräne stand mir im Auge.
Aber das muß ich Dir doch noch sagen, warum ich nicht gleich alles las, was
Dein Couvert einschloß. Du schriebst mir bald nach Deiner Abreise von hier ein
paar mal, wenn Du mir offne Briefe einlegtest, ich möge sie lesen ; dadurch gewöhnte
ich mich daran zu glauben, offne Briefe von Dir in einem Couvert an mich dürfe
ich lesen; Du wiederholtest Deine Auffordeiung bey einem Briefe an Segeken,
und ich dachte nicht daran, daß Du es nicht immer so meinen solltest und laß alle
offne Brief von Dir ohne Bedenken; bis ich Steck einmal antraf, der mir sagte er
habe einen Brief von Dir mit einem Einschluß an Zehender (der auf dem Gurnigel
war) gehabt, mir aus seinem Briefe erzählte, und als ich nach dem Inhalt des Briefes
an Z. fragte, antwortete, er habe ihn nicht gelesen; als ich weiter fragte, ob er
nicht offen gewesen sey?, sagte er, ja, aber nicht an mich adressirt. Ich schwieg
und machte mir im Geheimen Vorwürfe, und laß das nächste mal den Brief an Z.
und an Steck nicht eher, als Z. mir seinen zu lesen gab (Steck sah ich nicht).
Aber mir deucht, es war unnatürlich da es von Dir kam, und mir gleichsam be-
stimmt zum lesen vorgelegt wurde; ich kehrte wieder zu meinem alten Glauben
zurück, und las. — Sage Du mir deshalb || jetzt, mein Theurer, wann hatte ich von
beyden malen recht: Oder vielmehr erzeig mir die Gefälligkeit mir von Briefen, die
ich nicht grade lesen sollte, es dabey zu sagen; oder umgekehrt; oder schließe mir
solche Briefe noch in ein eignes Couvert; wenn ich in ähnliche Fälle kommen
könnte, würde ich Dir dasgleiche versprechen. — [Ohne Unterschrift!]
September 1801. 2\\
156. An Carl Steiger.1) Bremen am 8ten Sept. [1801].
Ich komme eben aus dem Bade; — und nun, mit frischen Kräften,
setze ich mich hin, um Dich, mein guter Carl, alles Ernstes zu strafen
für Deinen letzten, übergelehrten Brief, — worin der 14jährige Knabe
über den alten Lykurg so wider allen Respect gesprochen hatte, —
ferner, um Dich zu strafen, dass Du auch nachher in der Ewigkeit von
5 oder 6 Monaten keinen bessern Brief geschrieben hast — was sage
ich keinen bessern? — gar nichts hast Du mir geschrieben! — Nun
habe ich mich vor Dir hingesetzt, — oder vielmehr Dich vor mir hin-
gestellt; ich halte Dich in der Hand; und wie eigensinnig Du immer den
Blick abwenden, und in eine Stelle sehn magst, es hilft Dir nichts; Du
wirst es endlich doch lesen müssen, was diese meine züchtigende Hand
und diese meine scheltende Feder Dir bereiten! Die Strafe — bewundre
meine Milde! — soll darin bestehn, dass ich Dir diesmal kein kluges
Wort schreiben will, geschweige denn ein gelehrtes! Nichts anders will
ich schreiben, als die abentheuerlich-komisch - rührend - erbauliche Historia
von der Ankunft Deines Porträts. ||
Ich räuspre mich, — und mein Epos beginnt; — versteht sich, nach
der Melodie : Iv&aWoi ptv navxhq. . .
Schon waren alle die andern — Briefe und Malereyen, so viele
ihrer — von den gefährlichen Alpen her durch so viele Stürme der un-
sichern Zeiten und Wege, hier in Bremen erwartet wurden, — richtig an-
gekommen und wohlbestellt. Jenen allein, — den — bey meiner Haus-
wirthin, vielerfragten, viereckigten, glatten Kasten, schien irgend ein böser
Zauber, oder ein anderer Liebhaber, — oder wenn Du willst, eine zweite
Calypso selber, — zurückgehalten, — wie sehr er, der besagte Kasten,
oder wenigstens das Köpfchen das er enthielt, sich auch ohne Zweifel zu
mir hersehnte, mir, seinem rechtmässigen Herrn; mir, seinem treuen
Freunde! — Schon sank mir die Hoffnung, schon hatte ich Hrn. Sonnen-
schein mit der Bitte beschwert, dem Ausbleibenden die gehörigen Er-
kundigungen nachzusenden, wozu ihm Pallas denn nun freylich umsonst
mit ihrem soliden Rathe beygestanden haben wird, was mir recht sehr
leid thut. ||
Da kam gestern Morgen Kastendyks Mädchen auf meine Stube, —
ganz früh; ich hatte eben den Kopf voll von Wurzeln und Kegelschnitten,
denn meine jungen Herren die schon vor 7 Uhr zu mir kommen, hatten
mich eben verlassen; — da kam also Kastendyks Mädchen, und hielt
mir ein Stück vom Bremer Wochenblatt her, worin eine Knopfnadel
steckte; sie sprach: N' Empfehlung van Fro Doctrin, und of s' nich so
goht sihn wullen, un lesen dat mal. Ich las, und folgendes stand da ge-
druckt: Herr Herbart wird freundlich ersucht, mir sein Logis anzuzeigen,
oder wenn er nicht mehr hier seyn sollte, sind seine Bekannten darum
gebeten, da mir aus Basel etwas für ihn zugesandt ist.
v. Schmit, wohnhaft auf der Faulenstrasse.
Die unerwartete Ehre, im Bremer Wochenblatt zu paradieren, und
zwar als ein Mensch der hier seyn soll und nicht zu finden ist, hätte
J) 8 S. 8°.
2\a September 1801.
mich verdrieslich machen können, — wenn ich das Etwas aus Basel nicht
sogleich errathen hätte. Ich warf mich also in die Kleider, eilte hin, und
musste nun einige Klagen des Hrn. von Schmit anhören; das Bild sey
schon vor mehr als 4 Wochen in vielen Häusern herumgeschickt worden,
| sey unter andern beim Hrn. Senator Smidt (meinem Freunde, an den
die Briefe für mich am sichersten adressirt werden) nicht angenommen
worden, (weil Name und Titel falsch geschrieben,) endlich habe er, Hr.
von Schmit, es auch bekommen, und behalten und eröfnet, weil er so
eben von Paris her, also auch über Frankfurt, ein Gemälde erwarte.
Natürlich war er verdrieslich geworden, nur Dich zu finden. Nun war
er so gefällig — zu meinem Verdruss, denn ich hätte Dich gern zuerst
unter 4 Augen gehabt — mir den wiederverschlossenen Kasten auf-
zubrechen, damit ich gleich sehen könne wie ich zufrieden sey. Ich
machte mich indess davon sobald ich konnte, nahm Dich unterm Arm,
schleppte Dich gerades Wegs zum Thor hinaus nach Kulenkamps Garten,
der mir nahe war und wo ich meine Freude mittheilen konnte. Da
wurdest Du denn also der Frau Eltermannin zum Morgengruss entgegen-
gehalten und von ihr mit vielen lieblichen Worten bewillkommt, die ich
für Dich in Empfang genommen habe und nicht heraus zu geben
denke. — ||
Ferner machtest Du im Vorbeygehen die Visite beym Hrn. und der
Frau Senatorin Smidt, die alles anwandte, um es wieder gut zu machen,
dass sie, die Dich schon vor so viel Wochen sammt Deinem Gefängniss
in Händen gehalten, Dich nicht hatte erlösen und mir zusenden wollen;
Darauf hieltest Du nun Deinen Einzug in mein Haus, wo unterdess grosser
Lerm gewesen war; eiti guter Freund über den andern hatte hergeschickt
mit Wochenblättern und Abschriften daraus, um die wichtige Anzeige ja
an mich — der ich sonst um das Bremer Wochenblatt mich so wenig
bekümmere, als um das Berner — sogleich gelangen zu lassen. Die
ganze Erwartung meiner alten Wirthin war dadurch gespannt; überdas,
sagte sie, ich liefe zwar immer, aber so hätte sie mich noch nie laufen
sehn, wie diesen Morgen. Diese Erwartung wurde durch Dich schlecht
befriedigt. — Nun konntest Du vor Böhlendorfs Stube (er wohnt hier
unter mir) doch unmöglich vorbeygetragen werden, ohne auch da erst
guten Morgen zu sagen. Du wurdest denn auch sogleich erkannt, — und
nicht nur erkannt! Nein! Besungen! Besungen in zwey zierlichen Sonetten
gleich nacheinander, wurde die grosse Kunst des Hrn. Sonnenschein, und
also, bey der Gelegenheit, auch Du! — | der Schluss des einen von den
Sonetten schwebt mir soeben dunkel wieder vor. Auf diesen Lippen,
sagte er ungefähr, die jetzt nach Freude lauschen, wird einst die Wahr-
heit siegen.
Das zweyte wollen wir wünschen, — über das erste bin ich nicht
seiner Meinung. Mir sieht dies Gesicht aus, als hätte es etwas andres zu
bedenken, als auf Lust zu sinnen; und darum eben liebe ich es. Könnte
mich jemand überreden, es überlege wirklich, wie es sich amüsiren wolle,
— wer weiss, ob ich nicht die Scheere nähme, und Lippen, Backen,
Augen, kreuz und quer durchschnitte! — Wenigstens möchte so wol
nicht viel aus der schönen Verheissung werden, mit der das Gedicht
schliesst.
September, Oktober 1801. 235
Über allem dem habe ich Dir nun noch gar nicht gesagt, wie ich
selbst Dich aufgenommen habe, und das willst Du doch vielleicht auch
wissen. — Ja, davon lässt sich nicht viel reden. Einige kleine Thor-
heiten habe ich getrieben — versteht sich, wie ich ganz allein war, —
über die wol niemand gelacht hätte, wenn Du es nur selbst gewesen
wärst. Die Leinwand benahm sich herzig dumm dabey. —
Gleich darauf trat mein massiver Herr Walte wieder herein. Sein
trockenes: das Bild ist || recht hübsch, — machte mich gleich vollkommen
verständig und ernsthaft, — so ernsthaft, dass ich gar, bald darauf anfing
zu predigen, über einen Text, den ich noch in Bern geschrieben hatte
und der mir gerade zur Hand lag. Diese Gelegenheitspredigt gelang;
auch scheint Hr. Walte das Bild seitdem etwas minder gleichgültig an-
zusehn.
Des Abends fügte es sich, dass ich meinen grossen Kasten noch
einige Strassen auf und ab trug. Drey Frauen, denen ich zuweilen vor-
zulesen pflegte, hatten mich auch diesmal herbeschieden; die eine hatte
ein krankes Kind, und war zu etwas ernsthafterm nicht aufgelegt; ich
höhlte also das Neueste was ich hatte, und erzählte dabey ein Paar kleine
Geschichten von dem kleinen Karl, die der jetzige grosse Karl vielleicht
längst vergessen hat, — vielleicht um grössere und schönere Geschichten
an deren Stelle zu setzen, und das wäre dann recht gut. Ich aber, der
ich leider die schöneren Geschichten bis jetzt nicht weiss und nicht er-
fahre, behalte so lange die alten kleinen im Gedächtniss. — Für so zarte
sanfte gefühlvolle Frauen, besonders für Mütter, und für so gute || Mütter,
als diese schon sind, und noch mehr zu werden vest entschlossen sind,
— für diese bedarf es nur wenig; sie sind leicht gerührt; und so standen
denn auch bey meinen geringen Erzählungen ihre Augen bald in hellen
Thränen; und sie versprachen, Dich, wenn Du einmal nach Bremen
käme-t, recht mütterlich zu lieben.
Ich wurde eingeladen, zum Nachtessen zu bleiben, musste aber zu
Hause und früh zu Bett gehn, denn der Tag hatte mich erschöpft. Ich
hätte selbst nicht geglaubt, dass meine Gesundheit noch so sehr schwankte,
um von einem Bilde zu leiden. Aber es ist so! Doch bin ich diesen
Morgen wohl wieder aufgestanden. Und wärst Du selbst hier, so würdest
Du den Schaden, den Dein Bild mir gethan hat, bald und leicht wieder
gut machen. Ich würde lachen über alle Bäder und Brunnen; und ge-
sund seyn, das bin ich überzeugt!
Lebe wol mein theurer Karl; ich muss abbrechen, damit ich nicht
uoch mehr unnütze Worte schreibe. Dein Herbart.
157. Steck an Zehender. 10. Sept. 1801.
„Ziemssen und Gesner haben mich vorgestern besucht, mit dem Ersteren habe
ich viel von Dir gesprochen, er besucht Dich nächstens. Von ihm erfuhr ich einen
Zug Deines edlen Herzens, Deinen Ruf an Herbart. "
158. Ziemssen an H.1) Rümligen, Octobr. 1801.
Mein theurer Herbart. Ich hätte Dir wohl lange nicht mit so gehemmten
Kräften und in einer so dumpfen und mißmüthigen Stimmung schreiben können,
x) 4 S. 8°. H. Wien.
2x6 Oktober 1801,
als ich jetzt die Feder ergreife und schon seit mehreren Wochen herumschwebe.
Zuerst glaubte ich mich ungefähr vor 6 Wochen in Gefahr, die hier jetzt epidemische
rothe Ruhr zu bekommen; als ich hievon befreyet schien, begab ich mich auf einige
Tage nach Bern und Seedorf, und glaubt auch meinen Trübsinn dadurch ziemlich
wieder verscheucht zu haben. Doch kaum war ich wieder ein paar Tage in R., als
ich wieder von neuem krank ward und haupts. heftige rheumatische Schmerzen an
mehren Theilen des Körpers, und vorzüglich im Rücken spürte; und. dies unter
manche Gestalten erscheinende und mit manchen andern begleitenden Beschwerden
vermischte Übel ist es, was mich noch jetzt auch im Kopfe so empfindlich plagt,
daß an Arbeiten fast nicht zu denken ist, und ich die Tage beynahe nur so hin-
schleppen muß, um sie zu Ende zu bringen. Auch H. Frisching hat es ein paar
Tage auf eine fürchterliche Art im Kopfe gehabt. Bey mir ists nicht so fürchter-
lich, aber desto anhaltender und dadurch drückender. ||
Du kannst Dich vorstellen, in welcher unglückseligen Lage ich mich dadurch
versetzt fühle, da meinem mit Ungeduld weiterstrebenden Geist nichts schrecklicher
seyn kann, als sich in einem solchen Kerker eingeschlossen zu fühlen, der ihn in
aller Thätigkeit hemmt.
So sehe ich mich durchaus in die Unmöglichkeit versetzt, Deine Briefe wie
ich wollte, zu beantworten, indem ich jetzt schon bey diesen wenigen Zeilen das
Blut auf eine empfindliche Art in den Kopf steigen fühle. Zum Beweise aber, daß
ich wirklich daran war Dir zu schreiben, mögen Dir beygehende Anfänge von
Briefen dienen, die ich ungern so absende. — Den Aufs, über Pestalozzi für Deine
Freundinnen habe ich wirklich schon vor mehreren Wochen angefangen, aber ich
kann ihn jetzt leider nicht fortsetzen. Indessen ist P.s Schrift wirklich selbst er-
schienen und schon in Leipzig zu haben, unter dem freylich nicht gar passenden
Titel : Wie Gertrud ihre Kinder lehrt von H. Pestalozzi. Ich habe eine Anzeige
davon in die A. L. Z. gegeben, wie sie mir die Umstände zu erfordern schienen. —
Ich hoffe Du wirst diese Schrift bald lesen und mir dann darüber schreiben; —
ich habe noch immer im Sinn Dir so bald ich etwas besser bin einige Worte darüber
für Deine Freundinnen zum unmittelbaren Gebrauch zu senden, welche diese Schrift
vielleicht nicht ganz unnöthig macht. ||
Anfang Novembers.
Wir sind jetzt alle in Bern, aber ich bin leider noch immer gleich übel dran
mit meiner Kränklichkeit, wobey ich noch grade alle Geduld verliere, denn wirklich
schreibe ich Dir jetzt unter den empfindlichsten Schmerzen und in einer Art von
Betäubung. Ich bin jetzt in den Händen eines, wie man sagt, geschickten Arztes,
der mir immer versichert, es werde besser gehen, wovon ich aber wenig spüre.
Ich bin um seinetwillen schon vor 14 Tagen hieher gekommen, und wollte damals
einen Brief an Dich abschicken, aber da ich mich sogleich am rechten Arm zur
Ader lassen mußte, schob ich es ein paar Tage auf, und ehe ich wieder zum
Schreiben gelangen konnte, ereignete sich hier eine revolutionäre Regierungs-
veränderung', weshalb ich in den ersten Tagen keine Briefe absenden mochte, weil
damals wahrscheinlich alle erbrochen wurden. — Obgleich Frisching (den ich immer
mehr schätzen lerne) jetzt mit an der Spitze steht, so verspreche ich mir doch nicht
viel von der jetzigen Lage der Dinge, und eigentlich verspricht sich wohl niemand
eben viel davon. — Nur mit traurigem, zerrissenen Herzen können die Redlichen
aller Partheien auf ihr unglückliches Vaterland sehen. Die öffentlichen Blätter
werden Dir wohl mehreres sagen, aber doch sind ihre Berichte oft sehr schief. |
Stecks Familie hat sich um ein Mädchen vermehrt, worüber sie sehr erfreut sind;
Otth hat ebenfalls eine Tochter. Aber unserm guten Zehender ist leider sein
November 1801. 237
fleißigster Sohn an der rothen Ruhr gestorben, worüber sein gefühlvolles Weibchen
haupts. sehr betrübt ist.
Der zweite Otth hat sich vor ein paar Tagen mit einer Bernerin verheyrathet,
worüber ich Dir in der Folge einmal bestimmter schreibe.
Karls Brief ist noch nicht gar lange in meinen Händen, weshalb Du den späten
Empfang desselben nicht allein auf meine Rechnung schreiben wirst. So bald ich
irgend etwas hergestellt bin, werde ich Dir schreiben. Ganz Dein Th. Z.
159. Böhlendorff an Steck. Bremen, Nov. 1801.
„Dein Gruß ist durch Heebart an mich gelangt1' . . . [Übersendung des „Fer-
nando'', Muhrbeck gewidmet, u. Ankündigung des „Ugolino Gherardesea", den er Steck
zueignen will.]
160. An Carl Steiger.1) Bremen Mitte Nov. 1801.
Mein theurer Karl! Erst heute erhalte ich Deinen Brief, und setze
mich sogleich, Dir wenigstens eine flüchtige Antwort aufs Papier zu werfen,
damit unser Briefwechsel, den ich jetzt auf alle Weise zu beschleunigen
wünsche, nicht durch mich aufgehalten werde. Fast möchte ich, indem
ich Dir danke, dass Du mich nicht noch länger hast warten lassen, so-
gleich auch mit Dir hadern, dass Du einen Brief, der am 16. August an-
gefangen wurde, so zögernd besorgtest. Warum nicht gleich mit der
ersten Post das Geschriebene fortgesandt? Warum es darauf ankommen
lassen, wann Ziemßens Brief abgehen würde? Wie lange hättest Du schon
meine Antwort gehabt — wie viel vergebliches Verlangen hättest Du mir
erspart, wie viel früher die Ungewissheit abgekürzt, mit der ich nun schon
lange an Euch alle dachte! Und hättest Du noch länger gewartet, so
hättest Du — zwar auch in diesen Tagen einen Brief von mir bekommen,
— und nicht einen unfreundlichen, — nichts von Schelten oder Zürnen,
— aber doch hätte Dich mein Ton wahrscheinlich etwas bestürzt ge-
macht. — [|
Ich war in der That ziemlich überzeugt, Du müsstest in der Kunst,
mich zu vergessen, rasche Fortschritte gemacht haben. Ich war ent-
schlossen zu einem Versuch, Dich wieder etwas lebhafter an mich zu
erinnern; die Ueberwindung, die es mich kosten musste, meinen Schmerz
ruhig zu ertragen, würdest Du gespürt haben.
Es freut mich sehr, dass Du, wie Du sagst, eiliger an mich ge-
schrieben hast, da Du erfuhrst, dass ich in des Arztes Händen sey. Es
würde mich noch mehr freuen, wenn Du deutlicher begriffest, was ich
Dir mehrmals gesagt habe, dass es in Deiner Macht ist, nachtheilig oder
vortheilhaft auf meine Gesundheit zu wirken.
Du konntest zu meiner Herstellung helfen. Das ist nun versäumt;
meine Kräfte kehren, wiewohl langsam und immer noch etwas zweifel-
haft, von selbst wieder. Jetzt kannst Du mir für Dich arbeiten helfen;
es wird uns beyden wohlthun, wenn Du das nicht auch versäumst. Hier
gleich eine Frage: Warum ist Deine Vergleichung || des Numa und Lykurg
nicht mitgekommen? Vielleicht finde ich darin etwas besseres, als in den
*) 6 S. 8°.
238
November 1801,
wenigen flüchtigen, und verkehrten Bemerkungen, die ich vor langer Zeit
einmal von Dir über den Lykurg bekam; und die ich zum Theil des-
wegen so lange unbeantwortet Hess, weil ich nicht sah wo ich anfangen
sollte zu bessern.
Ferner: Warum ist der versprochene Aufsatz über den Phädon nicht
angekommen?
Diese beyden Gegenstände sind ihrer Natur nach für Dich so
wichtig, dass ich noch immer mit Dir über beydes zu correspondiren
denke.
Geht es mit meiner Gesundheit nicht wieder rückwärts: so habe ich
im Sinn, Dir diesen Winter regelmässig alle 4 oder höchstens 6 Wochen
— vielleicht öfter — etwas Unterrichtendes zu senden, ohne mich weiter
an das Kommen und Ausbleiben Deiner Briefe zu kehren. So ist es
nöthig, wenn mein Schreiben an Dich im Zusammenhang bleiben soll.
Willst Du meinen Wunsch erfüllen, so fasse Du den gleichen Entschluss,
von Deiner Seite eben so regelmässig und beharrlich an mich zu
schreiben, || ohne Dich nach meinen Briefen irgend aufzuhalten.
Ich habe Dich als kaum 12 jährigen Knaben verlassen. In der Er-
innerung, die ich von Dir mitnahm, lag der lebhafte Wunsch, dass das
sehr ungleiche Verhältniss zwischen Dir und mir, sich mit den Jahren
veredeln möge. Dieser Wunsch wird gleich lebhaft bleiben, so lange ich
nicht bestimmt erfahre, dass sich in Dir eine nachtheilige Verwandlung zu-
trägt. — Auch Du hegtest den Wunsch, mit mir in Verbindung zu
bleiben; — aber so ist der Unterschied zwischen den Empfindungen
eines Knaben und eines Erwachsenen, dass dieser Dein Wunsch, — gleich-
viel ob mit oder ohne Dein Wollen und Wissen — allmählig verschwinden
wird, wenn Du unterlassest, ihn zu pflegen, zu warten, gleichsam zu er-
ziehen und, gerade so wie alle Deine übrigen Kenntnisse und Ideen und
Gefühle und Entschlüsse, mit dem Wachsthum Deines Körpers und
Geistes auch ihn der männlichen Stärke und Würde stufenweise anzu-
nähern.
Willst Du nun einmal überlegen, wie viel Du wohl gethan hast, um
nach Verhältniss Deiner in 2 Jahren gewiss beträchtlich erweiterten und
erhöheten Fähigkeiten mir näher zu kommen? — ||
Ich bemerke mit Vergnügen in Deinem letzten Briefe, dass die Roh-
heit Deines schriftlichen Ausdruckes sich abschleift, dass Dein Stil an-
fängt sich zu bilden. So habe ich die Nachrichten von Deiner Reise,
die mich ohnehin erfreut haben würden, doppelt gern gelesen. Sehr an-
genehm hast Du mich erinnert an die — freylich sehr verschiedenen —
beyden Reisen, die wir zusammen nach Interlaken u. s. w. gemacht
haben. Und so leicht ich mich der Naturgegenstände erinnere, so klar
sehe ich Dich noch vor Augen, wie Du mit Deiner Fülle von Frohsinn
neben mir herumsprangest, klettertest und mir klettern halfest. Ich habe
Dir es noch nicht vergessen, mit welcher Gutmüthigkeit Du mich vom
Gletscher von Grindelwald herabführtest. — Dass Du von Deiner letzten
Reise ganz vergnügt zurück gekommen bist, ist mir nun freylich etwas
neues; — ehemals pflegtest Du die ersten Tage zu Hause mit Thränen
in den Augen, deren Bedeutung man errathen musste, mismuthig und
Dezember 1801. 2^0
übellaunig herumzuschleichen. Ich wünsche Dir Glück, dass Du so viel
männlicher geworden bist. || Und noch mehr wünsche ich dem Rudolph
Glück, dass er nun auch einer Fussreise mächtig geworden ist.
Du erzählst nichts von Ludwig? Er ist also noch in Genf!
Ich hätte viel zu fragen — aber die Post ruft mich ab.
Grüsse das ganze Haus von mir, und erzähle mir vom ganzen
Hause, — und bald. Mit aller Liebe Dein Herbart.
Siehst Du Ziemssen, ehe er meinen Brief erhält; so sage ihm, dass
ich seiner Krankheit wegen sehr in Unruhe bin, und bessere Nachricht
so bald als möglich zu haben wünsche.
161. Ziemssen an H.1) Bern Decemb. 1801.
Gestern endlich, mein theurer Herbart, habe ich seit mehr, als drey Wochen
zum erstenmal wieder ausgehen dürfen; aber noch ist mir eigentlich alle Kopfarbeit
verboten; so daß ich selbst mit dem Schreiben dieses Briefes eigentlich nur Contre-
bande treibe; aber weil ich Dir einliegendes herzliches Briefchen von meinem guten
Vater, das ich Sontag erhielt, nicht länger vorenthalten wollte, und weil hauptsäch-
lich auch in dieser Zeit, (wo ich von aller Beschäftigung mit Gewalt fortgerissen
ganz der Thätigkeit meiner Phantasie hingegeben war,) alle meine Gedankea zu Dir
hinüber standen ; so kann ich unmöglich umhin, es zu versuchen, Dir wenigstens
einige Zeilen zu schreiben, obgleich sie erbärmlich wenig von dem enthalten werden,
worüber ich diese Zeit her im Geiste mit Dir Unterhaltungen gepflogen habe. —
Du siehst hieraus, daß meine Krankheit ernsthafter geworden ist, als ich es
bey Absendung meines letzten Briefes glaubte, obgleich sie auch damals schon für
mich unangenehm genug war. Der Rheumatismus zog sich so in den Kopf, daß
ich unter den fürchterlichsten Schmerzen, wovon ich nur gar keine Ahndung gehabt
hatte, rasend zu werden glaubte. Die strengen Maaßregel, die mein Arzt deshalb
zu nehmen sich || genötigt sah, die Spanische Fliege (oder das Zugpflaster) von
Riesengröße, die unaufhörlichen Purganzen etc., und haupts. das starke Fieber dabey
griffen mich so sehr an, daß ich nicht mehr ohne Führer vom Bett bis zum Ruhe-
bett gehen konnte, und bey der geringsten Bewegung Schwindel und Ohnmacht mir
zuzog.
Jetzt gelange ich nach und nach durch China und dergl. wieder etwas zu
Kräften, obgleich Lenden und Waaden noch etwas Rotkantiges haben; aber dem-
ungeachtet leider noch nicht wieder zur nöthigen Gesundheit, indem meine rheu-
matischen Schmerzen nicht blos empfindlich im Rücken und den Gliedern umher-
ziehen, sondern mein Kopf auch noch so schwach ist, daß ich eigentlich nichts
damit anzunehmen wagen darf, wenn ich mich nicht der Gefahr aussetzen will,
ganz wieder auf den übelsten Punkt zurückzukommen; weshalb ich auch hier für
jetzt enden muß, indem es mir schon wieder gewaltig im Kopfe umherfährt. Diese
Krankheit ist hier jetzt sehr allgemein, wozu die üble Witterung und die ewige
Nässe dieses Jahres sehr viel beyträgt, und die Ärzte behaupten, es sey kein Ort
so übel dafür, als Bern. —
Donnerstag Abend.
Ehe ich heute wieder zum Schreiben gelangen konnte, erhielt ich heute Mittag
Deinen freundschaftlichen Brief, worin Du so herzlich an meiner Krankheit Theil
nimmst. Obgleich mein Übel dem Deinigen wohl sehr verwandt zu seyn scheint,
6 S. 8° u. 1 Beilage (2 S.). IL Wien.
2AO Dezember 1801.
so ist es doch nicht ganz demselben gleich, wie Du aus vorstehender treuen Erzäh-
lung sehen wirst, indem das meinige ein wirkliches rheumatisches Fieber ist, und
also seinen Hauptsitz in den Nerven || zu haben scheint, denen am übelsten beyzu-
tommen und mit denen nicht zu spassen ist. Durch viele China bin ich wieder zu
Kräften gelaugt, und muß jetzt Kampfer und Spießglanzmittel gebrauchen. Ich habe
schon in Rümligen das Baden versucht, aber eher nachtheilige als wohlthätige Wür-
kung davon verspürt ; was der hiesige Arzt daherleitet, weil damals das Fieber
noch zu stark dafür gewesen sey; auch habe ich seit der Zeit zur Ader gelassen.
Jetzt hat er würklich wieder von warmen Bädern geredet, wenn das Fieber mich
erst ganz verlassen haben werde; aber die Jahrszeit macht es sehr beschwerlich
und gefährlich; doch werde ich es vielleicht versuchen. — Tausend Dank indessen
für Deine liebevolle Theilnahme und Aufmerksamkeit. —
Doch mehr als meine Gesundheit geht mir der übrige Theil Deines Briefes im
Kopf herum, obgleich ich dabey erst recht die unangenehmen Fesseln der Un-
päßlichkeit fühle.
Aber mit Vorsatz enthalte ich mich, Dir jetzt gleich drauf zu antworten, weil
es mich zu sehr anspannen würde, und mein Kopf schon wieder zu protestiren
anfängt. Ich rede Dir indeß noch von einem Gegenstande, worüber ich schnell Dein
TJrtheil hören möchte. — Die Papiere unsers Verewigten [Eschen] sind noch in meinen
Händen, doch werde ich sie jetzt abgeben müßen. Du erinnerst Dich der hier so
beliebten Idyllen die Unter waldner. Eschen ging damit um, eine kleine Sammlung
von Idyllen herauszugeben, wovon wirklich 11 fertig da sind, obgleich er wenigstens
den mehrsten noch erst die letzte Feile zu geben gedachte, die Unterwaldner zählte
er selbst nicht unter den besten. || Die Lehre der Bescheidenheit in Schillers M. A.
verwarf er ganz. — Diese Idyllen dächte ich nun, fast so wie sie da sind, aus-
genommen kleiner nothwendigtr Verbesserungen (von denen ich hoffe, daß sie
selten seyn werden), mit einer Skizze seines Lebens und haupts. mit einer genauen
Erzählung von seinem plötzlichen, mir so fürchterlichen Tode, die ich einmal aus-
führlich öffentlich zu geben, für meine Pflicht halte, obgleich sie mich selbst viel-
leicht in eine wehmüthige, schmerzliche Stimmung versetzen wird. Da es schon
der bloße Gedanke daran thut. — Es ist gewiß, daß Eschen beym Ausfeilen diese
Idyllen noch wohl verbessert haben würde; aber dennoch glaube ich es sey besser,
sie nicht der freyen Umschmelzung eines andern Dichters Preis zu geben, wodurch
sie Gefahr liefen theils an ihrem eigenthümlichen Charakter, theils an ihrem Inter-
esse zu verlieren. Voß wäre ohnehin vielleicht der einzige, der diese Aufgabe
übernehmen könnte, aber Voß war zuletzt nicht ganz Eschens Freund, war eifer-
süchtig u. s. w. — Ich wünschte sie deshalb blos eine nothwendige Correktur
passiren zu lassen, wozu man auch vielleicht Voß bewegen könnte, und wozu ich
haupts. auch Dich verpflichten würde. — Der Verleger seiner Übersetzung des Horaz,
hat mir einen Akkord, den er mit E. schon abgeschlossen hatte, zu halten angeboten,
wonach das Format dem des Horaz gleich, nur das Papier noch besser würde, und
nur 20 Zeilen, (also 10 Hexameter, da sie gebrochen werden müssen) auf jeder
Seite kämen; wobey er für den Bogen 4 Laubthaler oder 1 neuen französ. Louisdor
bezahlen will. Es fehlt mir also nur noch Dein Urtheil, und die Einwilligung des
Vaters, dem ich noch gar nichts davon geschrieben habe; ersteres erwarte
ich sogleich nach Empfang dieses Briefes von Dir. Wegen der biographischen
Skizze würde ich haupts. von Dir, Gries und der Familie wohl Beyträge erbitten
müssen, die ich mir aber vorbehielte nach eignem Willen in ein Gemähide ver-
schmelzen zu dürfen. Was sagt man von E[schen] Horaz? ||
[Ohne Unterschrift!]
Dezember 1801.
241
162. An Carl VOn Steiger.1) Bremen Anfang Dec. 1801.
Lieber Karl! Hier sind zwey Blätter, denen Du bald ansiehst was
sie wollen. Das eine will ein wenig zusehen, wie viel Du wohl seit zwei
Jahren vergessen hast; das andere will da fortfahren wo wir damals
endigten. Beyde wollen Dir beym Rechnen helfen; — Du weisst wohl
wie viel ich auf das Rechnen halte, und wie lieb es mir also sein musste
zu hören, dass Du es wieder angefangen hast.
Ich wage es kaum, Deinem Verstände andere Dinge, in denen man
leichter verirrt, anzumuthen, bis ich sehe, dass unsere ehemaligen mathe-
matischen Übungen einige Frucht zurückgelassen haben. Ungemein an-
genehm würde es mir seyn, wenn ich Dir zu leichte Sachen angemuthet
hätte.
Auf meinem einen Blatte stehen die Formeln für die Regel detri,
Regel Quinque, Kettenregel, Gesellschaftsrechnung (oder Vertheilungsregel),
und Alligationsregel. In allen diesen Dingen hatte ich Dich viel geübt;
Du wirst mir also angeben, welche von den numerirten Formeln zu welcher
Regel gehöre? Denn dass ich die Formeln nicht nach der Ordnung ge-
schrieben, wie ich hier die Regeln genannt habe, wirst Du sogleich
sehn? ||
Das andere Blatt enthält die Auseinandersetzung der wichtigsten
Grundbegriffe der mathematischen Analysis. Ich wünsche, dass Du die
gegebene Darstellung ganz vollkommen fassen, und Dir ganz geläufig
machen möchtest. Denn aus dieser Darstellung lässt sich alles folgende
mit der grössten Leichtigkeit ableiten. Verstehst Du etwas nicht: so ist
in Rücksicht auf dieses Blatt, das Fragen an Dir; und ich erwarte Deine
Fragen in Deinem nächsten Briefe.
Es versteht sich dass Du beyde Blätter an Herrn Segelken zeigst,
erstlich weil es ihm angenehm seyn kann zu wissen, wie ich diese Dinge
ehemals vorgetragen habe, und zweytens, weil er dadurch veranlasst werden
wird. Dir die Vergleichung dieser und anderer Darstellungen, denen er
vielleicht gefolgt ist, deutlich zu machen. Solche Vergleichungen sind
äusserst nützlich, weil sie die Begriffe geläufig machen. Indessen wird
ohne Zweifel H[err] S[egelken] die Güte für mich haben, mit dieser
Vergleichung so lange zu warten, bis Du mir erst geantwortet hast, und
darauf wird er ja hoffentlich nicht lange warten müssen.
Ludwig hat eine Abschrift von einem kurzen mathematischen Auf-
satz von mir, den ich vor meiner Abreise von Bern für ihn schrieb. Ich
wünsche, dass auch dieser in H[errn] S[egelken]s Hände komme.
Rechnet Rudolph noch nicht? Ich wünschte auch für ihn geschrieben
zu haben. Grüsse ihn vielmals; auch Ludwig. Antwortest Du nicht
bald, so antworte ich mir selber. Ich warte — höchstens etwa 6 Wochen,
von heute bis zum Empfang der Antwort gerechnet. Leb wohl lieber.
Ich bin sehr eilig. Viele herzliche Empfehlungen in Deinem Hause.
Schreibe mir doch vor Allem, wo Deine Eltern Sich befinden? ||
x) 9 S. 8°.
Hbrbarts Werke. XVI. 16
242 Dezember 1801,
Blatt l.
Die gemeinen Rechnungsarten sind Addiren, Subtrahiren, Multipliciren,
und Dividiren. Im gemeinen Leben, und in der gemeinen Rechenkunst
beziehen sich dieselben auf Dinge. In der Mathematik aber giebt es
auch eine Addition, Subtrfaction], Multpplication] und Division von Zahlen;
das heisst, von Mnltiplicationen, denn Zahlen sind eigentlich nichts anderes
als Multiplicationen.
Wenn man im gemeinen Leben das Wort: Drey, ausspricht, so denkt
man sich sogleich drey Dinge. Eigentlich ist die Zahl 3 aber nichts für
sich allein; nichts wirkliches; sie bedeutet nur Ver drey fachung.
Drey Dinge und zwey Dinge machen fünf Dinge; darum schreibt
man 3 -\- 2 = 5. Aber wenn die eigentlichen Zahlen 3 und 2 zusammen-
kommen, d. h. zur Verdreyfachung noch die Verdoppelung kommt, —
wenn man einerley Gegenstände zugleich verdreyfacht und verdoppelt: so
giebt das, Versechsfachung. Dies dient zur Erläuterung der Begriffe, ob-
gleich man niemals schreibt 3:2 = 6, sondern 3.2 = 6. Daraus aber
sieht man, dass, wenn man so schreibt: 3. 2. 3. 5. 9. 10. a. b diese
Zahlen eigentlich nicht mit einander multiplicirt werden, sondern nur bey
einerley Gegenstand zusammentreffen, also im Grunde nur zu einander
hinzugethan, d. h. addirt werden. Die Multiplication der Zahlen, oder
die Multiplication der Multiplication, ist etwas ganz anderes.
Soll die 3, viermal multipliciren: so bekommen wir den Gegenstand
81 mal. Da multiplicirt die 3 den Gegenstand, aber die 4 multiplicirt
die 3, nämlich die Verdreyfachung. Diese Vervierfachung der Ver-
dreyfachung nun, ist eine eigentliche Multiplication der Zahlen; und diese
wird durch den ganzen positiven Exponenten bezeichnet: 34=8i.||Der
Exponent ist selbst eine Zahl; er zählt wie oft man mit einerley Zahl
multiplicire. Er könnte aber auch so gut zählen, wie oft man einerley
Multiplication wegnimmt, oder wie oft man mit einerley Zahl dividirt.
Nun schreibt man jeder Zahl, welche zählt, wie oft etwas weggenommen
wird, das negative Zeichen, ( — ) vor; sollte also mit 3 viermal dividirt,
oder sollen 4 Multiplicationen mit 3, weggenommen iverdeti, so schreibe
man 3— 4, welches gleich ist — . Dies ist also eine Multiplication — nicht,
der Multiplication, sondern eine Multiplication der Division und diese wird
angezeigt durch den ganzen negativen Exponenten.
Etwas anders ist: Division der Multiplication. Das ist: Theilung einer
Multiplication in gleiche Theile. Die Multiplication mit 81, besteht aus
4 gleichen Theilen, nämlich aus 4 Multiplicationen mit 3. Folglich ist
die Multiplication mit 3, ein Viertel von der mit 81, oder es ist 81 * =3.
Hier multipliciert also der Exponent nicht, sondern er dividirt; nur das
was er dividirt, ist nicht etwa ein Ding, sondern eine Multiplication. Weil
er dividirt, erscheint er in Gestalt eines Bruches, wie alle Divisoren; weil
das was er dividirt, eine wirkliche Multiplication ist, hat er das positive
Zeichen. Er ist also ein geb?vche?ier positiver Exponent.
Aber es könnte auch wohl die Wegnahme einer Multiplication seyn,
was er dividirte; oder es könnte auch eine Division sein, die er in gleiche
Dezember 1801,
243
Theile theilte. Dann muss er das negative Zeichen bekommen. — Sowie
die Multiplication mit 81 aus 4 gleichen Multiplicationen mit 3, so be-
steht auch die Division mit 81 aus 4 gleichen Divisionen mit 3 oder
die Division mit 3 ist ein Viertel von der mit 81. Aber das Viertel ist
jetzt nicht ein Viertel von etwas wirklichem, sondern von etwas wegzu-
nehmendem; denn die Division ist eine wegzunehmende Multiplication.
Also 81 4~=y3. Der negative gebrochene Exponent bedeutet also eine
Division der Division.
Multiplication der Zahlen ist also Potenz- Erhebung, Division der
Zahlen, Wurzelausziehung. Addition der Zahlen wäre eigentlich, was im
gemeinen Leben Multiplication heisst, z. B. 3.4=12, und was im ge-
meinen Leben Division heisst, könnte man Subtraction der Zahlen nennen.
— Es wäre Thorheit, den gemeinen Sprachgebrauch meistern zu wollen;
die gemachten Bemerkungen können aber zur Aufklärung der Begriffe
dienen. ||
Blatt 2.
Ich wollte Dir neulich kein leeres Couvert schicken, darüber blieb
Alles liegen — und darüber bekömmst Du nun zwey Briefe in einem
Couvert. Auch hätte ich beynahe Lust, gar noch einmal von vorn an
alle die guten Eigenschaften Deines letzten Briefes, jede insbesondere und
alle insgemein, nach Würden zu rühmen und zu preisen. Damit würde
ich aber wol mehr mir, als Dir, Vergnügen machen. So viel sage ich
Dir indess; mein Zutrauen zu Deiner Denkkraft ist gewachsen durch Deine
Versicherung, auf die ich mich verlasse, dass Du mein letztes mathe-
matisches Blatt wirklich verstanden hast. Hier nun wieder zwei Fragen,
auf die ich eine gescheute Antwort wünsche.
Es ist klar, dass, wenn Wurzeln gleichförmig wachsen, die Quadrate,
die Würfel, und überhaupt alle Potenzen, mit immer grösseren Schritten zu
nehmen, oder immer weiter aus einander liegen müssen. Z. B. die Zahlen
1, 2, 3, 4 ... wachsen gleichförmig, denn ihr Unterschied ist immer 1 ;
die Quadrate aber, 1, 4, 9, 16 . . . wachsen immer schneller, denn ihre
Unterschiede werden immer grösser. Nun fragt es sich: wenn die Quadrate,
oder überhaupt, wenn die Potenzen, gleichförmig wachsen sollen, z. B. wenn
man nicht bloss von 1, 4, 9, 16, . . . sondern von allen Zahlen nach der
Reihe 1, 2, 3, 4, 5, 6, . . . die Quadratwurzeln wissen will: wie müssen
diese Wurzeln liegen ? Ferner : Es ist klar, dass, wenn die Exponenten
gleichförmig wachsen, auch alsdann die Potenzen mit immer grösseren
Schritten zunehmen, immer weiter auseinander liegen. Z. B. 2°, 21, 22,
23, 24. ..giebt, 1, 2, 4, 8, 16 . . .; hier bleibt der Unterschied der Exponenten
immer = 1, aber die Unterschiede der Potenzen werden immer grösser.
Nun fragt sich: wenn die Potenzen gleichförmig wachsen sollen, z. B. wenn
man nicht bloss wissen || will, dass 4 die zweyte, 8 die dritte Potenz
von 2, — sondern, wenn auch 3, 5, 6, 7, 9, 10, 11 u. s. w. als Potenzen
von 2 angesehen werden sollen, und man anzugeben hat, die wievielste
Potenz von 2, eine jede dieser Zahlen sey: wie iverden alsdann die
Exponenten liegen ?
16*
244 Dezember 1801.
Vergleiche mit diesen Fragen folgende Ausdrücke, wo x aber nicht
eine unbekannte, sondern eine ve?'änderliche, d. i. eine im gleichförmigen
Wachsen oder Abnehmen begriffene gleichförmig fortfliessende Grösse, hin-
gegen a eine beständige Grösse bedeutet: xa und ax
Mein neuliches Blatt hast Du eher begreiflich gefunden, als die
sämmtlichen H[erren] Primaner auf der hiesigen Domschule, denen ich
die Ehre gehabt habe, die nämlichen Sachen 10 mal und 10 mal deutlicher
als Dir vorzutragen; wobey jedoch billigerweise bemerkt werden muss,
dass diese sämmtlichen H[erren] auch in der Mathematik früherhin gänz-
lich vernachlässigt waren. 1) — Wer begreift nun das heutige am schnellsten
und am vollkommensten, der Berner oder die Bremer? Die letzteren
werde ich zwar nicht bloss fragen. —
Bist Du der Gleichungen vom ersten, und zweyten Grade, mächtig?
Wenn nicht: so muss das das erste seyn, was Du im Häseler nachsehn,
und bis zur vollkommenen Geläufigkeit studiren und üben musst. Die
Hauptsache beruht auf folgendem: Bey allen Gleichungen, welche die
Algebra auflöst, wird die unbekannte Grösse durch bekannte zwar be-
stimmt, aber nicht unmittelbar. Wäre das letztere: so müsste x auf einer
Seite der Gleichungen allein || stehn; damit man lesen könnte: x ist gleich
den bekannten Grössen auf der andern Seite. So muss auch wirklich
am Ende der Rechnung die Gleichung aussehn. In der aufgegebenen
Gleichung aber sieht man x verhüllt in allerley Verbindungen mit be-
kannten Grössen. Diese Verbindungen müssen also aufgetrennt werden;
indem jede Art von Verbindung durch ihr Gegentheil aufgehoben wird,
z. B. die addirten Grössen durch Subtraction weggeschafft, die multiplicirten
durch Division aufgehoben werden, und rückwärts. Indem nun, um die
Gleichung nicht zu zerstören, allemal auch auf der anderen Seite der
Gleichung vorgenommen wird, was auf der ersten geschehen musste: so
erscheint von jeder mit x verbundenen Grösse, auf der andern Seite der
Gleichung das Gegentheil, indem sie selbst auf der ersten verschwindet.
Dies stellt folgende Rechnung dar:
ax 1 A
-j- c — d = m
b
(m — c + d) . b
x =
a
Dies, nebst einigen kleinen Kunstgriffen, welche die Anwendung er-
fordert, reicht hin bei Gleichungen vom ersten Grade. Die nämliche
l) Mathematik war in Prima nur mit 2 Stunden wöchentlich bedacht. Vergl.
Noltenius, Prof. Sanders und seine Zeit, 1902, S. 24.) — Über Herbarts Lehrertätigkeit
in Bremen wurden (durch gütige Vermittelung des Hrn. Schulrat Sander in Bremen) in den
Archiven Nachforschungen angestellt, jedoch ohne Eifolg. Von maßgebender Seite wird
sie sogar als unwahrscheinlich hingestellt. Ganz abgesehen aber von der obigen Brief-
stelle, die einen urkundlichen Beleg für Herbarts Lehrtätigkeit an der Domschule in
Bremen bildet, wird auch durch den Bürgermeister Dr. Smidt bezeugt, »daß Herbart
während seines Aufenthaltes in Bremen von 1800 — 1802 auch eine Zeitlang an der
Domschule wöchentlich einige Stunden mathematischen Unterricht erteilt hat«. (Diese
Notiz verdanke ich Hrn. Richter Dr. Smidt in Bremen, der auch die Archivakten über
die Domschule vergeblich nach Spuren von Herbart durchsucht hat.)
Dezember 1801,
245
Rechnung giebt, bey reinen Gleichungen vom zweyten Grade, am Ende x2
auf der einen Seite; da dann nur noch die Quadratwurzel auf beyden
Seiten auszuziehen ist. Die unreinen quadratischen Gleichungen sind die-
jenigen, welche man nach den bisherigen Regeln nicht weiter bringen
kann, als auf folgende Form: x2-|-ax = b. Hier ist klar, dass die
Quadratwurzel von x2 -f- ax grösser seyn muss, als x, denn dies wäre die
Wurzel von x2 allein, ohne ax. Versucht man nun, sich zu x noch ein
Stück, das y heissen soll, hinzuzudenken, so dass x -f- y zusammen =
]/(x2-f ax), so sieht man bey einiger Ueberlegung, dass so etwas sich gar
nicht denken lässt, man mag y so gross oder so klein annehmen, wie
man will. Denn (x -J- y) 2 = x2 -f- 2 xy-|-y2, das heisst, | wenn x -f- y
die Wurzel seyn sollte, so müsste das Quadrat von dieser Wurzel noch
ein drittes Glied haben, worin der Factor x gar nicht vorkäme, sondern
welches, wie y2, blos das Quadrat des zweyten Theils der Wurzel wäre.
Bei x2 -f- ax aber, findet sich kein solches Glied. — Gleichwohl muss,
um die Gleichung auflösen zu können, eine Quadratwurzel ausgezogen
werden; denn wir wollen x wissen, — wir haben aber in der Gleichung
x2, wir müssen also von der zweyten zur ersten Potenz herabsteigen.
Um dies zu verrichten vergleichen wir noch einmal Glied für Glied
x2 -j- 2 xy -f- y2 mit x2 -|- ax. Hier ist x2 = x2; sollte ferner 2xy = ax
seyn: so wäre 2 y == a, und y = -J-a, also y2 = -^a2. Gerade dieses ^a2
fehlt also an x2 -f- ax, damit es ein vollkommenes Quadrat, nämlich das
Quadrat von x -J- -|-a sey. Wir dürfen also nur auf beyden Seiten -J-a2
addiren, um die Wurzel ausziehn zu können. Die Rechnung hat also
folgende allgemeine Form:
-\- ax
x2 -\- ax -f- ^a2 = b -f- ^a2
x + ja = + y(b + ja2~r
x = ±]/(b + i.a2) — }a
Das Zeichen + (P^us oder Minus) vor dem Wurzelzeichen ver-
ursacht zwei Werthe von x; sein Grund aber liegt darin, dass jede
Quadratwurzel dasselbe positive Quadrat giebt, sie selbst sey negativ oder
positiv; z. B. 2 . 2 ist 4; aber — 2. — 2 ist auch=-|~4j wn"d also die
Wurzel von 4 gefordert, so lässt sich nicht entscheiden, ob diese Wurzel
-f- 2 oder — 2 sey.
Vergleichst Du dies mit dem, was Häseler von den Gleichungen
sagt, so zweifle ich nicht, dass eins Dir das andre vollkommen deutlich
machen werde.
Endlich empfehle ich Dir noch folgendes Buch, das gleich nach Emp-
fang dieses Briefes verschrieben werden muss, wenn es Dein Vater er-
laubt: Stahls Grundriss der Combinationslehre nebst Anwendung derselben
auf die Analysis. 1800. Über dies sehr wichtige Studium werde ich Dir
nähere Anleitung geben, so bald das Buch in Deinen Händen ist. —
Diesmal schliesse ich, um nicht noch einen Posttag zu verlieren, und
überlasse es Dir, diesen mathematischen Brief — wenigstens nicht für
einen Brief zu achten. II
246
Dezember 1801,
Blatt 3.
I.)
am
bn
cp
dq
■ = h: hmnpq
II.) ax -\- b (1 — x) =3 c = ax -f- b — bx
(a — b) x = c — b
c — b
a — b
III.) a: am = b :bm
IV.) (a + b + c):g =
a:
ag
c:
a + b + c
bg
a + b + c
cg
a + b + c
V.) a : b = c : x
d : x= e : y
f :y = g:z
Folglich gleich Anfangs
163. An v. Halem.
adf : bxy = gec :xyz
bxyceg
adf
xyz
bgec
xy
adf
c
:b = e
= z.
Bremen 24 sten December 1801.
In Eile sende ich Ihnen, mein hochgeschätzter Gönner und Freund,
einen Aufsatz, der in aller Langsamkeit endlich so weit gekommen ist,
Ihnen für die Irene, oder doch zu Ihrer nachsichtsvollen Durchsicht, vor-
gelegt werden zu können. Die Schuld dieser Langsamkeit liegt nicht an
mir. Mein Freund Ziemssen in Bern hat mich von Ostern an auf nähere
Nachricht von Pestalozzi hoffen, — und warten lassen, und ist endlich,
darüber krank geworden; Pestalozzi's Schrift, wie Gertr. ihre K. /., erwartete
ich ebenfalls weit früher; als sie erschien habe ich sie sogleich durch-
Dezember 1801. 247
gearbeitet, unmittelbar darauf den einliegenden Aufsatz geschrieben, und
ihn die Kritik der Frauen, denen er gewidmet ist, passiren lassen. Darauf
aber bin ich wochenlang von denselben Frauen, die sich Abschriften
davon nehmen lassen wollten, — so wie diese von ihren Copisten, hin-
gehalten; endlich vor einer Stunde kommt mein Exemplar wieder zu
meinen Händen; und nun schreibe ich Ihnen diesen Brief, in Gegenwart
des HEn. Walte der neben mir rechnet.
Es wird mich freuen, wenn Sie meinem Versuche die Aufnahme
nicht versagen wollen. Die Pestalozzische Unternehmung scheint mir
für Deutsche gar sehr einer eigentlich Deutschen Darstellung zu bedürfen;
und vielleicht muss sie sich noch mannigfaltige Correcturen gefallen lassen,
ehe sie, sowohl durch präcis dargestellte Gründe so nothivendig, als auch
durch vollständige Organisation so ausführbar erscheinen kann, dass sie
der Aufmerksamkeit unserer deutschen Erzieher sich würdig zeige. Zwar
nicht dieses kann mein kleiner Aufsatz als seine Aufgabe ansehn, hier
war es nur darum zu thun, den Leserinnen der, den Müttern etwas un-
behutsam gewidmeten Pestalozzischen Schrift die richtige Ansicht derselben
zu erleichtern.
Um diese Ansicht vollständig zu erreichen, bedürfte es eigentlich
noch eines zweyten Aufsatzes, wodurch der Blick über die nothwendigen
Grenzen der Pestalozzischen Ansicht erweitert würde. Dieses Gegenstück
zu dem vorigen, würde die ästhetische Wahrnehmung als den Haupt-Nerven
der Erziehung darstellen. Ein Wörtchen davon habe ich in der Einlage
fallen lassen. Ob mein Wunsch, zu einer etwas ausgeführten Darstellung
meiner Idee in der Irene künftigeinmal Raum zu finden, — Gewährung
hoffen könne, das werden Sie mir die Güte haben zu sagen, wenn Sie
zuvor Ihre Erwartung von meinen Arbeiten nach der mitkommenden
Probe bestimmt haben.
So eben verlässt mich Walte; — hätte ich, weniger zerstreut, wol
solange von andern Dingen schwatzen können, da sich die angenehmen
Erinnerungen an Sie, und an meinen Freund Langreuter, mir jetzt so
froh verbinden? Ihre Sophie will ihm sein Dedesdorf reizend machen;
Sie wollen das Glück Ihrer einzigen Tochter zu seinem Glück machen!
Ob ich mich freue, meinen Freund nun so eng an Sie angeschlossen zu
sehn, das ist Ihnen gewiss keine Frage. Nehmen Sie meine Wünsche
gütig an; erinnern Sie auch Ihre Tochter dass noch einer mehr ist, der
ihre Hoffnungen und Aussichten mit frohem Herzen theilt.
Langreuter lässt mich hoffen, dass ich das Brautpaar bald hier sehn
werde. Kommen Sie nicht einmal mit herüber? Giebt es unter so vielen
Geschäften des Besehens, Wählens, Kaufens, nicht eins, wozu das Auge
des Vaters gehört, und wozu, für die Mannigfaltigkeit der Wahl, das
reiche Bremen der bequemste Ort ist? — Man hat mich seit einiger
Zeit mit allerley Nachrichten, als sey Ihnen nicht wohl, geschreckt; Lang-
reuter versichert mich, dass dies ohne Grund ist; aber doch möchte ich
mich gar zu gern mit eignen Augen überzeugen, dass Ihre Heiterkeit
durch keine Unpässlichkeit gestört wird. —
Sehn Sie die eilige Schreiberey mit Nachsicht an; und zweifeln nie an
meiner unveränderlichen Hochachtung Ihr gehorsamer Herbart.
1802.
Pestalozzis Idee eines ABC der Anschauung. S. Bd. I. S. 151 — 274. — Über Pesta-
lozzis neueste Schrift: Wie Gertrud ihre Kinder lehrt. S. Bd. I. S. 139 — 150. —
Rez. über Iths Bericht (s. Bd. XII, S. 3 — 4), Pestalozzis Wie Gertrud ihre Kinder lehrt
(s. Bd. XII. S. 5—8).
164. An Carl V. Steiger.1) Bremen Ende Jan. 1802.
Ich habe zwar nur noch einen Augenblick, mein theurer Karl, um
an Dich zu schreiben; doch wenn ich auch alles andere aufschieben
muss, will ich Dir wenigstens danken für das Vergnügen, was Dein Brief,
Dein Aufsatz, Deine glücklich getroffene Auflösung der mathematischen
Aufgaben, — und noch ganz besonders die Schnelligkeit mir gemacht
hat, mit der Du diesmal meinen Brief beantwortet hast. So muss es
fortgehen zwischen uns; kein Brief darf eine Reihe von Wochen hindurch
liegen bleiben, keine Antwort so lange verschoben werden, bis der
Schreiber und der Leser das Interesse daran verlieren.
Deine Aufsätze über den Phädon werden weitläuftig werden, und
eine lange Reihe ausmachen, wenn sie so fortgehen sollen; doch das thut
Nichts. Fahre nur so fort; sehe ich, dass Du Dich kürzer fassen kannst,
so will ich es Dir schon sagen. Du bist schwerlich im Stande, das was
ich zu lesen verlange, in so wenig Worte zu fassen, wie es freylich
eigentlich seyn sollte. Ich habe das, was ich an Dir liebe, auch in
Deinem Aufsatze gefunden, und darum besonders ist er mir werth.
Übrigens ist auch der Stil ziemlich gut; dies habe ich am meisten be-
merkt, da ich ihn in Kulenkamps Hause vorlas, und mich nur an wenigen
Stellen in Verlegenheit fühlte, in die man beym Vorlesen zu gerathen
pflegt, wenn etwas schlechtgeschriebenes vorkommt. Nur mit Deinem
Schreibmeister möchte ich ein wenig schelten, wenn Du gewöhnlich keine
bessere Hand schreibst; — ausdrücklich aber verbitte ich mir, dass Du
um dieser || Erinnerung willen, Deine Briefe an mich nicht etwa langsamer
pinselst; mir ist es einerley, mit welcher Feder Du an mich schreibst. —
Ob Du übrigens zu einer solchen Fortsetzung Deiner Aufsätze, wie die zu-
nehmende Schwierigkeit der Sache es Dir anmuthet, fähig seyn wirst,
wenn Du bloß Sonntags ein paar abgerissene Stunden dazu anwendest,
— daran zweifle ich sehr. Ich habe Dir längst einen Vorschlag an-
gegeben, den ich ungern vergessen sehe; diesen nämlich, von Zeit zu Zeit
x) 2 S. 8°.
März 1802.
249
ein paar Tage, — so lange Du es aushalten kannst, — ganz für Dich
zu arbeiten, alle Lehrstunden auszusetzen, um gewisse Gegenstände, die
eines ganz zusammenhängenden Nachdenkens durchaus bedürfen, ungestört
zu verfolgen. Hast Du darüber wohl je mit H[errnJ Segelken und mit
Deinem H[errn] Vater gesprochen? Den Versuch zu machen, hätten sie
Dir schwerlich abgeschlagen. — Von den, alles überwiegenden, und durch
Nichts Anderes zu ersetzenden Vortheilen eines solchen Studirens habe
ich Dir schon mündlich gesprochen. Ich sehe vorher, dass Du ohne dies
Mittel der längern, tieferen, vollkommneren Besinnung und Durchschauung
des Ganzen, — welche die platonischen Schriften, und namentlich der
Phädon, nothwendig erfordern, fast unmöglich mächtig werden kannst. —
Dass ich Dir heute nichts eigenes schicke, liegt zum Theil an ge-
häufter Arbeit, zum Theil daran, dass ich während der Zeit, wo die
Zeitungen häufig von erbrochenen Briefen sprechen, nichts für Dich arbeiten
mochte, ehe ich erfuhr, ob mein Aufsatz an Hrn. S[egelken] und ein
anderer an Ziemssen richtig angekommen wären.
Entschuldige mich bey Hrn. S[egelken], dass ich auf seinen, sehr
verbindlichen Brief heute nicht antworten kann. Es geschieht bald. —
Sage doch Ziemssen, dass ich sehr bitte um Nachricht wegen seiner Ge-
sundheit. Dich und alle Deine Geschwister grüsst herzlich
Eiligst. Dein Herbart.
165. Weineke an H.1) Oldenburg, d. 5 Mertz 1802.
Mit inniger Freude über Ew. Hochedelgeboren gütiges Andenken an mich,
habe Ihren lieben Brief mehreremale gelesen, und bin über Ihr unverdientes Lob
und Zutrauen ganz beschämt. Das Sie* mein lieber in der edlen Musica so große
Fortschritte gemacht haben, ist nicht bloß mein Verdienst, ein Talent wie das Ihre
gedeihet auch ohne einen großen Lehrer, und überträffe ihm vielleicht, wenn dies
bloß das einzige Fach wäre, welchem es sich widmen wollte, solche Genie werden
nur alle Hundert Jahre gebohren.
Nun zum jungen Lange, in Hamburg werden doch große Organisten seyn, (in
Bremen Rauschelbach ist sehr geschickt, aber vielleicht nicht zum informiren gebohren)
und ist doch viel gutes zu hören, welches hier im Sommer nicht der Fall ist. Gerne
möchte ich wißen wie alt der junge Lange ist, und ob er schon Orgel gespielt, mit
Chorälen bekannt ist, ich halte es für schwerer, einen guten Choral zu spielen, als
ein ziemlich schweres Concert, auch wäre es gut, wenn er etwas Yiolin oder Violincell
spielte, es bildet eine gute Melodie.
Nun noch das Wichtigste über unsern jungen Lange, nemlich seinen Vorsatz
nach Schmalkalden zu reisen. Wißen Sie auch, das der dortige Organist Vierling
ein Schüler vom seeligen Kirnberger ist, der sich durch verschiedene Orgel Sachen
bekannt gemacht hat, man kann doch wohl mit recht schließen, das er ein vor-
trefflicher Organist seyn muß, und da wäre es wohl zu überlegen, ob der junge
Lange seinen ersten Plan folgte, oder ob er sich mir anvertrauen mögte, so viel ist
von Ihren mir sonstigen unverdienten Complimenten richtig, was ich weiß, thoile
ich gerne mit aller Sorgfalt mit, aber ob ich Vierling an Kenntnißen gleich komme,
das bezweifle ich. Überlegen Sie dieses mit Ihren Freunden und melden mir Ihre
Stimmung, sehr gerne bin ich mit Ihrer Wahl zufrieden, da Sie aus wahrer Liebe
zur Kunst das Beste wählen werden.
x) 3 S. kl. 4°. H. Wien.
2ZQ April 1802.
Mein Sohn, welcher sich ehestens mit der Demois. Ritscher Nanchen verehlicht,
läßt sich Ihnen bestens empfehlen, und da er als Kammermusikus mit nach Eutin
vius, so wird er nicht verfehlen Ihnen bey seiner Durchreise seine Aufwartung zu
machen.
Mit vollkommenster Hochachtung gehorsamster Diener
in Eile Carl Weineke.
166. An Carl v. Steiger.1) Bremen 1 April 1802.
Mit umgehender Post sende ich Dir, mein Geliebter, noch ein paar
Zeilen zur Antwort, — wahrscheinlich die letzten die ich Dir von hier
aus schreibe. Denn meine Abreise nach Göttingen kann nicht mehr
4 volle Wochen entfernt seyn.
Dein Brief hat mich erschreckt, — beynahe, als ob Du noch krank
wärest. Aber Dein ländlicher Aufenthalt hat Dich hoffentlich schon
wieder gestärkt, und ich hüte mich, Dir und mir durch unnütze Klagen
trübe Augenblicke zu machen. — Sorge nur für Dich, mein Theurer,
und lass keine Kränklichkeit zurückbleiben. Die abwechselnde Witterung
des Frühjahrs ist noch angreifend, und das Klima von Bern ist etwas
rauh. Lass alle Quadratwurzeln und Gleichungen, bis Du sie mit voll-
kommener Leichtigkeit durchdenkst. — Aber was hat Dir denn Galle
machen können? Ich sinne umsonst, was Du für Verdruss gehabt haben
kannst. Die Galle lass noch auf lange Zeit den Männern. —
Du schreibst zu meiner Freude von Franz, aber warum nicht von
Ludwig? Warum nicht von || Rudolph? Dass ich von den beyden in so
langer Zeit nichts erhalten habe, darüber darf ich nun freylich nichts
sagen. Wüssten sie aber, wie oft ich vom Schreiben Kopfschmerz und
Schwindel bekomme, wie sehr ich jede Zeile scheue, — sie würden mit
mir nicht rechnen. — Und wie befindet sich Deine Frau Mutter? — Sie,
und alle die Deinigen, haben während Deiner Krankheit villeicht mehr
gelitten als Du selber, — so wie es für mich eine wahre Wohlthat ist,
dass ich nichts davon gewusst habe.
Willst Du mir noch hierher schreiben, — und ich hätte sehr gern
wenigstens in ein paar Zeilen noch Nachricht von Deiner Gesundheit, —
so muss es wohl mit umgehender Post seyn. Verspäten sich indess
Briefe, so kommen sie durch Smidt ganz sicher, nur etwas später, in
meine Hände. Vorläufig ist auch hier eine Adresse, unter der Ihr mir
nach Göttingen schreiben könnt: An H. — Abzugeben an Hrn. Walte,
D. R. B. im Wagemannischen Hause in Göttingen.
Thue, was Du kannst, lieber Karl um wieder recht wohl zu werden.
Empfiehl mich den Deinigen.
Eilig. Dein Herbart.
167. An V. Halem. Bremen Ende Aprills 1802.
Ich nutze noch einige der letzten Augenblicke meines Hierseyns, um
Ihnen, mein verehrter Freund, wenigstens den Dank darzubringen, zu dem
Sie mich wieder so mannigfaltig verpflichtet haben. Obgleich ich ein
x) 2 S. 8°.
April 1802. 251
wenig erschrak, da ich eine Stelle aus dem in höchster Eile und während
eines mathematischen Unterrichts geschriebenen Briefe, vor meinem Auf-
satze abgedruckt sah, so bin ich dennoch froh, durch Ihre begleitende
gütige Note ein wenig mehr nach geselliger Sitte dem Publicum vorgestellt
zu seyn; — und um eines so schönen Geleites willen mochte denn auch
das Begleitete hier Platz finden. Sonst sehn Sie nur zu wohl, wie sehr
ich Ursache habe mich vor allem zu hüten, was einer Verkündigung
ähnlich sieht. Habe ich es doch nicht dahin bringen können, dasjenige
populär für die Irene darzustellen, was schon seit einigen Monaten in
einem zu Druck bestimmten Aufsatze als philosophische Untersuchung
vor mir liegt. Es waltet ein mürrischer Genius über mir, den ich nicht
soweit bringen kann, dass er mir vorher sage, wozu ich im nächsten
Vierteljahr taugen soll. Bäder und China, freye Luft und — gesellige
Heiterkeit, — diese scheinen etwas über ihn zu vermögen ; rechne ich
dazu noch Ihre und so mancher Guten und Theuern, fromme Wünsche,
so denke ich doch, er soll noch irgend einmal beschworen werden.
Nun muss ich mich wieder aus Ihrer Nähe entfernen, ohne Sie, ohne
Ihre Tochter als Braut am Arme meines Freundes gesehn zu haben!
Ich hatte so sehr darauf gehofft! — Wie lange es währen wird, ehe ich
mich wieder gegen die vaterländische Gegend hin wende, kann ich nicht
wissen. Meine Pläne gehn nicht über ein Jahr hinaus, das ich in Gott,
zubringe. Die Folge muss sich finden; — soviel Hoffnungen habe ich,
dass ich eben keine Verlegenheit fürchte. — Was ich in G. mache, davon
sage ich Ihnen von dort aus mehr. Ich hoffe nämlich und bitte Sie
darum, dass ich es noch ferner wie eine Schuldigkeit betrachten dürfe,
Ihnen von meinem Leben Rechenschaft zu geben. Zwar weiss ich nicht
anzugeben, wodurch ich es verdient habe, dass Sie Sich schon so lange
mit ununterbrochener Güte für mich interessiren; aber ich bin nun einmal
in der süssen Gewohnheit. Werden Sie mich herausreissen wollen?
Dass Sie das nie thun, — darum bittet Sie mit unveränderlicher
Hochachtung
Ihr gehorsamer F. Herbart.
Von meiner Mutter habe ich Ihnen aus einem neulichen Briefe
vielen Dank für Ihr, durch Oelsners Hände gesandtes Schreiben, und
folgende Nachricht zu überbringen, die ich wörtlich abschreibe:
Daß sie von Ö[lsner]s Anerbieten keinen Gebrauch habe machen mögen, weil sie
schon damals und jetzt täglich mehr überzeugt werde, daß dieser ausgezeichnete Mensch
mit starken Schritten dem Grabe zueile. Es sey zwar nicht möglich ihm das begreiflich
zu machen, er denke und spreche von nichts als von sinnlich. Genüsse, sey auch noch
nicht den ganzen Tag bettlägerig; er wolle sogar wie weil. Wid[ersprecher] — nach
Frankfurt, — eine Reise nach England machen; aber er werde zusehends abgemagerter,
sey fast ganz ohne Schlaf, und wenn sein Freund, Dr. Ebell, nicht Wunder thun könne,
so halte man ihn für verloren.
Es ist noch eine andre Stelle, die ich nicht verstehe, in dem Briefe. Meine M.
spricht von einem Pergament, welches die Stadt Frankfurt einem HEn. Basse für er-
hebliche, derselben geleistete Dienste geschenkt ; sie spricht ferner ablehnend, von Ihrem
Antrage, sie zur Schriftstellerin zu machen; — und endigt so: „Will HE. v. Halem
Bassens Pergament abdrucken lassen? Das freylich wäre ein andres. " — Ich gebe Ihnen,
was ich habe; und bitte um Verzeihung wegen der eiligen Schreiberey. Ihr H.
2^2 Msri 1802.
168. An Carl v. Steiger.1) Göttingen 6. May 1802.
Theurer Karl. Alles hat mich hier wohl empfangen, — und ich habe
keine Briefe von Dir vorgefunden, wie ich doch so sicher hoffte, da auch
nach Bremen in den letzten Tagen keine kamen. Wie das zugeht? Das
mag ich nicht überlegen. Säume nicht länger!
Was ich hier mache? davon nächstens mehr. Dass ich mich an ein
paar Ministers Söhnen versuche, — kann vielleicht für sie und für mich
seine guten Folgen haben, — kann auch bald vorbey sein; auf jeden
Fall wirst Du gewiss nicht darüber vergessen. Der eine ist ein schon
ziemlich stark verdorbener schwacher Mensch, ein Graf Hollmer aus
Oldenburg, der andere ist ein sehr* feiner, gewandter Kopf, und bisher
unschuldig, aber sehr verführbar, ein Hr. v. Groote aus Hannover; der
mich zwar in der That sehr interessirt, aber auch, || wenn ich nicht bald
von ihm getrennt seyn soll, der grossen Versuchung zu widerstehen hat,
hier eine der ersten Rollen unter den Studenten zu spielen, was sein
Stand ihm gewissermassen anmuthet, denn sein Vater ist einer von den
wirklichen Regenten von Hannover. (Der König von England unterschreibt
nur zu Zeiten seinen Namen.)
Diese Verbindungen sind sehr lose; vester die mit Walte; aber unsre,
mein guter Karl, ist die vesteste! Warum sind wir so weit von einander,
— warum können wir uns so wenig erreichen ?
Ein andermal mehr. Du adressirst an Madame Funke, gegenüber
Hrn. Superintendenten Wagemann. Dein Herbart
169. An Smidt.2) Göttingen, am 24. Mai 1802.
Nicht länger, mein theurer, hochgeschätzter Freund, will ich es Dich
blos voraussetzen lassen, dass ich Deiner und der Deinigen viel und oft
gedenke. Und mit vorzüglicher Freude sage ich Dir heute, an dem
ersten Tage, da ich mich hier von körperlichem Unbehagen völlig frei
fühle — dass ich es mehr und mehr gewahr werde, ich habe bei Dir
und durch Dich neue Wurzeln geschlagen für eine heitere Existenz, zu
der mir die Hoffnung beinahe verloren schien. Mitten unter Bremischen
Sachen, Bremischen Menschen und Verhältnissen, empfinde ich, daß
Göttingen mir leisten kann, was ich hier suchte, und sehe ich mich jetzt
auf dem geraden Wege zu meinem Ziele.
Und nun verlangt mich zu wissen, was Ihr macht; mich verlangt
nach den Briefen, die ich mir hätte verdienen sollen und schon verdient
haben würde, wenn es nicht so sonderbar in meinem Kopfe umginge,
was ich für die drei heterogenen Menschen, Walte, Grote und Holmer,
und die drei heterogenen Collegien, Pandecten, Pindar und höhere Me-
chanik, und für allerlei noch mehr contrastirende Briefschreibereien u. s. w.
zu thun habe. Glücklicherweise ist in diesem Wirrwarr ein lichter Punkt,
den Du wohl nicht errathen würdest. Oder kannst Du treffen, was mich
erfrischt, wenn ich von der Jurisprudenz — die trotz aller Vorzüge von
Hugo's Vortrag und Methode doch immer noch die langweilige Alte ist
x) 2 S. 8°.
2) Nach Zillers Reliquien, Original ist nicht mehr vorhanden.
Juli 1802. 2^
— eingeschläfert und geärgert weggehe und mich selbst wiedersuche?
Und wirst Du mich nicht auslachen, wenn ich Dir sage, aus welcher
Quelle ich begierig die Art von Verjüngung trinke, deren ich mich be-
dürftig fühle? Es ist dies der ci-devant unbändige Grote, an dem jetzt
nicht nur die Zierlichkeit und feine Sitte constant zu werden scheint,
sondern der auch sein ganzes Betragen so reinlich hält, so gleichförmig
besonnen und gutwillig seine Dinge thut, so ernstlich hört und sich fügt
und anschliesst, und wieder so freimüthig seinen Platz behauptet: dass
ich die Stunden unter die guten und schönen Stunden meines Lebens
zähle, da wir das Versprechen einer herzlichen Offenheit unter einander
gewechselt haben. — Er ist von Natur gescheit und lebendig; Alles steht
unverdorben aufrecht.
Wenn ich Dir noch erzähle, dass ich Dir zu Deinem Landsmann
Gildemeister gar sehr Glück wünschen zu können glaube, dass auch Walte
seine Arbeiten und sein Leben recht gut begonnen hat, dass Hülle, den
ich noch wenig kenne, wenigstens für unsere neue literarische Gesellschaft,
die wir unserer sechs nächstens einzurichten denken, tauglich gehalten
wird, so habe ich Dir die besten Nachrichten, die ich hatte, nun alle
gegeben.
Grüsse die Guten alle — ich will sie nicht herrechnen, die ich,
näher und entfernter, um mich sehn, und mit freundlichen Worten möchte
erreichen können.
Der Kulenkampen danke ich herzlich für ihren Brief * — bald danke
ich selber; aber dazu muss ich mir einen freieren, lieblicheren Platz
unter den Geschäften des Tages heraussuchen. — Erzähle mir doch auch
von unserm Böhlendorf.
Ganz Dein Herbart.
W. : Meldeschreiben zur Promotion u. Habilitation. S. Bd. I. S. 366.
170. All Gries. *) Göttingen Ende Jul. 1802.
Dein Brief, mein theurer Gries ! und Dein schönes Geschenk2), das
ich schon unter seiner Hülle im Dunkeln erkannte, hat mir eine heitere
Stunde noch heiterer gemacht. Ich sass eben mit meinem neuesten
Lieblinge — (Freunde kann ich nicht wohl sagen), — dem jungen Grote,
einem Jünglinge von 17 Jahren, — als Du mich zurückriefst in jene gute
alte Zeit; und so konnte ich das Neue mit dem Geiste des Alten ver-
edeln. —
Lassen wir die Zwischenzeiten! Ich übe mich und strenge mich an,
die schweren Träume der letzten drittehalb Jahre in meinem Gedächtnisse
zu vernichten. Hast Du auch zu vergessen, so wünsche ich Dir, wie mir
selber, dass es gelingen möge.
Doch Du hast diese letzten Jahre ein Gedächtniss gestiftet , das
bleiben wird! Sey gewiss, Du hast nicht umsonst gewünscht, Deinen
*) Die Briefe an Gries wurden mir von der Stadtbibliothek zu Hamburg freund-
lichst zur Verfügung gestellt. Vgl. auch [Elise Campe] „Aus dem Leben von Joh.
Diedrich Gries", 1855, S. 71 ff.
2) Die Uebersetzung von Tasso's befreitem Jerusalem. 4. Teil.
254 Juli l8°2-
Freunden viel heitern Genuss zu bereiten. Ich lese Deinen Tasso, lese
ihn wieder, und mag ihn noch oft lesen. Gehe ich über den Genuss
hinaus: so ist es nicht zur Kritik; dazu fühle ich mich so wenig gereizt
als berufen, sondern zum Gebrauch nach meiner Art. Er ist mir ein
späterer Homer für die spätere Jugend. So habe ich ihn mehrmals in
kleinen Versuchen gebraucht und bewährt gefunden, und denke seinen
Beystand noch weiter so zu benutzen. Des wird er nicht zürnen und Du
eben so wenig.
Was ich hier in Göttingen suche ? In Ermanglung meiner verlorenen
— noch oft zurückgewünschten Hauslehrerstelle in Bern — suche ich hier
ein Katheder. Nicht für eine neue Philosophie — sondern für einen —
wo möglich bessern, und bildendem Gebrauch der alten. — Aliter : ich
suche einen Platz, der mir Erwerb gebe, denn der ist meine Pflicht
wie mein Bedürfniss, — und zugleich eine weitere Mittheilung dessen
was mir am Herzen liegt, und was ich nicht länger darin zu verschliessen
nöthig finde.
Meine philosophische Muse wird sich zwar wol an der Leine eben
so wenig gefallen wie an der Saale und Weser; sie scheint an den kleinen
Bach zu Engistein, wo ich ihr im Grunde zuerst begegnete, gebannt zu
seyn. Dort werde ich vielleicht irgend einmal, — wer weiss wann ? —
sie wieder aufsuchen müssen. Aber sie ist auch nicht fürs Volk! Hier
in Göttingen wird sich aus dem pädagogischen Gesichtspunkt mancher
Versuch machen lassen, — und Pädagogik denke ich auch künftigen
Winter zuerst zu lesen.
Meine Schriftstellerey wirst Du um Michaelis ganz von unten auf dienen
sehn; sie fängt vom ABC an. Nämlich von Pestalozzis Idee eines ABC
der Anschauung, die ich durch, und für Mathematik ausgeführt wünsche.
Vielleicht hast Du im Januarstück der Irene einen Aufsatz von mir be-
merkt, der meinen bremischen Freundinen zugeschrieben ist, und der
jenes ABC gewissermassen ankündigt. Findest Du Gelegenheit, in Jena
die Rede hier und da auf die Pestalozzi'sche Angelegenheit zu leiten, so
würdest Du mich verbinden.
Gegenwärtig gehöre ich hier in G. dreyen jungen Leuten x) an, —
dem einen, den ich Dir vorhin nannte, aus gegenseitiger Wahl ; den andern
beyden bin ich bestellt. Walte aus Bremen war dort mein Lehrling; kann
ich mich ihm weniger als ich wünschte anschliessen, so gehört dagegen
seinem Onkel Kulenkamp in Br. mein ganzes Herz. Graf Holmer
aus Oldenburg studirte hier schon seit beynahe 2 Jahren, braucht aber
eine Art von Kassenführer; und für dies undankbare Geschafft belohnen
mich die vortrefflichen Briefe seines im hohen Grade verehrungswürdigen
Vaters. Endlich der junge Grote, Sohn des Ministers in Hannover, ist
meine tägliche Gesellschaft; er ist mir selbst und ich bin ihm, wie es
J) In Ihrem Kreise findet ihn Gries (s. dessen Leben S. 51) auch noch im Herbst,
als er schon Privatdocent war, ,, heiter und thätig, sein Werk mit Ernst und Eifer
treibend". Auch gegen Gries, wird dort hinzugefügt, ,,war er in freundschaftlichen
Gesinnungen noch derselbe; es waren nur wenige, aber schöne Stunden, die Gries mit
ihm verlebte '* 1807 schreibt Gries an Berger: „ Herbart ist auf seinem Platze sehr
thätig, aber er äussert sich mehr in gedruckten als geschriebenen Worten."
Oktober 1802. 2^^
scheint, dieses häufigen und durchaus traulichen Umgangs werth. Giebt
es ein lieblicheres Schauspiel, als die Entwicklung einer gesunden,
frischen, feinen, glücklichen Natur? —
Hier hast Du, Lieber, was Du von mir zu wissen wünschtest. Was
giebst Du mir dafür zurück? — Wie Dich Jena noch immer halte, —
ob es Dich noch lange halten wolle? — Könntest Du dort wirklich froh
werden, so würde wol niemand etwas einwenden, wenn Du, wie bisher,
immer fortführest, uns der goldenen Äpfel aus den Hesperischen Gärten
einen nach dem andern herzulangen. Aber noch sah ich niemanden von
der Fülle des Lebens wahrhaft befriedigt, der ausser unmittelbarer Thätig-
keit für und unter bestiiiimten Menschen lebte. Und so wünsche ich mit
Dir, Du möchtest den Weg — dorthin! — endlich einmal vor Augen
sehn. Nimm diesen Wunsch ganz nach Deinem eignen Sinn; so ist er
der meinige.
Dein Herbart.
Am Rande: „Wer hat wol mein Ciavier? Ich möchte es hier haben,
wenn es sicher gepackt und geschickt werden könnte. Gieb mir doch
einige Nachricht davon.'1
W: Nach Juli: Thesen zur Promotion u. Habilitation. S. Bd. I. S. 277 — 278.
22. u. 23. Okt.: Anschlag der Thesen zur Erlangung der Dr.-Würde u. der venia
legendi. — Wintersemester 1802/3: Zwei Vorlesungen über Pädagogik. S. Bd. 1.
S. 281 — 290.
171. An V. Halem. Göttingen 28sten Oct. 1802.
Wem anders als Ihnen, mein sehr verehrter Freund, konnte ich
meine Erstlinge darbringen ? *) Ich habe nicht vor dem Publicum mit
Ihnen schwatzen wollen; aber nichts desto weniger steht die ganze Reihe
der Jahre vor mir, worin ich die Zeichen Ihrer Aufmerksamkeit, die Er-
munterungen Ihrer Güte, nach einander empfing. Sie haben mich zwey-
mal dem Publicum vorgeführt: Sie sind der erste, den ich bey meinem
Hervortreten hochachtungsvoll zu begrüssen habe.
Meine Schritte werden noch immer langsam seyn. Nur darstellen will
ich mich und meine Gedanken der Prüfung. In diesem Geiste werden
Sie mein Buch geschrieben, und würden Sie meine hiesigen Verhältnisse,
wenn Sie hier wären, eingeleitet sehn. Meine Gewalt wende ich gegen
mich selbst. Ich hätte Stoff im Überfluss, mich ungestüm laut zu machen;
der Philosophie könnte ich: „rückwärts," der Pädagogik: „vorwärts", und
vielleicht so gar der Mathematik: „grad aufwärts", ins Ohr schreyen;
und zugeben müssten sie wohl, dass der Ruf Grund hätte. Aber was
würde es helfen? Niemand würde mich verstehn, ja ich selbst liefe von
dem Augenblick an Gefahr, mich selbst nicht mehr zu verstehn. — Da-
gegen mache ich mich auch mit niemandem gemein, der mir nicht an-
gehören kann. Odi profanum vulgus, et arceo ! Lächeln — den Kopf
x) Pestalozzis Idee eines ABC der Anschauung pp. mit der Widmung: „Dem
Hrn. Canzleyrath von Halem zu Oldenburg ein kleines Zeichen inniger Ergebenheit und
Achtung", s. Bd. I. S. 151 ff.
256
November 1802.
schütteln werden Sie vielleicht bey diesen Expectorationen. Sey es! Sie
mögen es wohl wissen, dass ich gerade so viel Muth und Selbstvertrauen
habe, als eben nöthig ist, um, nicht ohne Besonnenheit und Gewissen-
haftigkeit, auf ein philosophisches Katheder treten zu können.
Mein Buch möchte ich gern Ihrer Fürsorge empfehlen. Gern auch
hätte ich dadurch die HEn. Ricklefs und König wieder an mich erinnert.
Aber unglücklicherweise hat der Buchhändler, von dem ich in allen
Dingen so schlecht als möglich bedacht worden bin, mir nur 12 Exem-
plare auf Schreibpapier gesandt, und, wie er sagt, dergleichen überall
nicht mehr gedruckt. Sollte ich die Unschicklichkeit begehn, jenen HEn.
ein paar Exemplare auf Druckpapier zu senden, so müsste ich vorher
wissen, dass durch Ihre Güte dies im Voraus entschuldigt wäre.
Im hohen Grade würde ich es meiner Vaterstadt verdanken, wenn
sie sich das Verdienst um mich erwürbe, die ersten, genauen und sorg-
fältigen, Versuche mit meinem Vorschlage anzustellen. — Auf jeden Fall
aber darf ich annehmen, dass sie Männer besitzt, die Geist und Inter-
esse genug vereinigen, um sich der grossen Pestalozzischen Idee, ele-
mentarische Anschauungen zum Hauptfundament des Unterrichts zu
machen, völlig zu bemächtigen. Und so darf ich erwarten, von dort aus
wenigstens durch Urtheile belehrt zu werden, ob ich jene Idee der Aus-
führung näher gebracht oder sie verfehlt habe. —
Ihrer Tochter, und Ihrem Sohne bitte ich mich zu empfehlen. Gern
hätte ich meinem Freunde angenehme Nachrichten von seinem Eleven
geschrieben. Gern hätte ich mich wenigstens gerühmt, wie thätig ich sey,
um seinen Wünschen zu entsprechen. Statt dessen habe ich ein paar Er-
fahrungen gemacht, wie empfindlich junge Leute auf der Academie gegen
Alles sind, was wie Aufsicht aussieht.
Die angenehmsten Nachrichten von meinem Freunde würde ich ge-
wiss erhalten haben, wenn er mir geschrieben hätte. Im Geiste war ich
oft bey ihm, und suchte mir sein Glück zu denken. Aber er ist weiter
wie ich — und ich muss bescheiden warten.
Zweifeln Sie nie, dass Ihre Gewogenheit unter die Güter meines
Lebens gehört! Darum bittet
gehorsamst Ihr Herbart.
172. An Carl V. Steiger.1) Göttingen 16 Nov. 1802.
Mein lieber Karl! Diesen Mittag hat uns Ludwig2) Deinen Brief
vorgelesen. So lieb mir Dein letzter im vorigen Sommer war, sammt
seinen Beylagen über den Phädon, so treibt mich dieser doch schneller
zum antworten, obgleich er nicht mir gehört. — In jenem war etwas
Plato's Geist; dieser aber ist fast mit Xenophontischem Verstände ge-
schrieben.
Wacker genug hielt ich Dich, um mit den Andern Dich gern auf-
zumachen. Und reif genug an Charakter und Verstand, um nicht einem
') 4 S. 8°. Aufschrift von Steigers (?) Hand: „Nach Rückkehr aus dem Feldzug
Nov. 1802. "
2) Zu Besuch in Göttingen.
November 1802.
257
Knaben-Ungestüm, sondern der Sache zu dienen. Aber noch nicht alt
genug, um zu Hause die gute Besinnung bald wieder zu finden.
Darum freut mich Dein Brief.
Er nimmt einen Theil der Besorgnisse hinweg, die, wie Du künftig
wol noch mehr begreifen wirst, Deine Erzieher für Dich empfinden mussten,
da || Du durch die Umstände scheinbar zum Manne wurdest, längst vorher,
ehe Deine Bildung geendet war.
So denke ich wahrscheinlich ähnlich wie Hr. Segelken. Uebrigens,
wäre ich dort gewesen, so hätte ich Dir folgen mögen. Du hättest mich
eilig den Gebrauch des Gewehres gelehrt, ich hätte bald begriffen, und
wir wären zusammen gegangen. — Oder wenigstens würde es mich sehr
tief geschmerzt haben, dazu nicht zu passen. —
Jetzt, was habe ich denn wirklich zu thun? Dich zu ermahnen,
mein lieber Karl, dass Du nun sinnig und bescheiden zurücktrittst, in die
Schule, aus der Du noch keineswegs entlassen sein kannst.
Im Gegentheil, Du mußt Deine Alten, Deinen Herodot, Xenophon,
Plutarch, jetzt besser, tiefer, || gründlicher fassen, musst sie mehr mit Liebe,
mehr mit Geschmack lesen. Ist alles in Dir wie es soll: so bist Du
ihnen jetzt näher, nicht fremder; sie heissen Dich willkommen, — hoffen,
Du seyst würdig von ihnen zu lernen. Fühlst Du, wie sehr ich Dich ehre,
indem ich annehme, jene Alten möchten Dich als einen Jüngling aus
ihrer Mitte gelten lassen können? —
Ich habe zu thun: nur noch eine Bitte, die ich längst im Sinne
trug, und zu der jetzt, da Du zu militärischen Würden aufgestiegen bist,
vollends Zeit ist. Heiss mich nicht Herr, sondern nenne mich Du, und
bey meinem Namen. Gefällt Dir der Vorschlag, so ist es gut; wo nicht,
so wisse, daß ich ohne Dein ausdrückliches || Verlangen Dich nicht anders
wie bisher zu tituliren gedenke. — Und einer von uns beyden müsste
doch wohl nachgeben. —
Adieu, Lieber! Vergiss nicht, wer Dir geholfen hat, zu werden, was
Du bist. Die Wissenschaften sind es. Ihr Geist weht in dem Deinen.
Aber ihr Werk an Dir ist noch lange nicht fertig. Sie möchten erst
recht beginnen. — Vergiss das nicht!
Wann sieht Dich Dein Herbart?
173. An Smidt.1) Göttingen — Montags.
Mein theurer Smidt! Seit meiner Abreise und möglichst be-
schleunigten Hierkunft habe ich still, aber mis vergnügt und unpass, dem
trüben Wetter hier in Göttingen zugesehn; der nassen Atmosphäre durfte
ich mich nicht länger aussetzen; zur Arbeit unaufgelegt warte ich auf einen
Brief von Karin von dem ich nicht die mindeste Nachricht habe; und
lasse mir allerlei schlimmes ahnden. — Dein Brief macht mich nicht
heiterer. Mein Brief an Pestalozzi, Deinem Auftrage gemäss, liegt ge-
schrieben vor mir, und geht heute ab;2) aber es ist hoffentlich Deiner Ab-
sicht nicht zuwider, dass ich die Anfrage an P. seh bedingt gestellt habe,
x) 2 S. 4°.
2) Über den Briefwechsel Herbarts mit Pestalozzi war nichts zu ermitteln.
Herbarts Werke. XVI. i;
258
November 1802.
da ich kaum etwas davon erwarten kann. Der gute Blendermann geht
mir nahe, er wird sehr schwer zu ersetzen seyn. So stark bewegten
Menschen wie Pestalozzi] traue ich in keinem Geschafft, keiner Wahl,
wobey Critik nöthig ist. Der Methode traue ich nicht so viel Festigkeit
der For?n zu, dass ein Fremder, ohne andern innern Fond, (über diesen
wird Pestalozzi] nie richtig urtheilen) nicht sehr leicht als ein unnützer
Mensch bei Euch da stehen könnte, sobald sich das Publicum über die
nothwendigen Verbesserungen verständigt haben wird. Ich rechnete viel
auf Blendermanns eignes Fortgehen, Fort-Versuchen und Erfinden, Emp-
fangen und Benutzen. Pestalozzi möchte leicht den Einseitigsten, am
meisten mit der Manier Getränkten für den Vorzüglichsten halten. Er
wird keinen Pedanten und keinen Schwächling, — aber er könnte einen
starren Kopf empfehlen wollen. — Hätte Dein Auftrag unbestimmter ge-
lautet, so hätte ich vielleicht diesen Bedenklichkeiten so weit nachgegeben,
gar nicht zu schreiben; jetzt habe ich gethan, was Du verlangtest,
und das Materielle Deiner Forderungen genau aus Deinem Briefe ge-
nommen. Empfiehlt Pestalozzi] jemanden ganz unbedenklich und mit
Nachdruck, so werde ich Zutrauen fassen; sonst schiene es mir besser,
es vorläufig mit einem Menschen aus Bremen oder Hannover, den man
im Fall des Mislingens eher zurückschicken könnte, und der das wesentliche
der Manier jetzt von Euch muss lernen können, — zu versuchen; und
unterdess wo möglich einen geborenen und gewählten Bremer wieder nach
Burgdorf zu schicken.
Mit Hülle könnte es unmöglich gehen. Er wohnt viel zu tief in
sich selber. Auch würde ihm der Mechanismus viel zu lästig fallen.
An Kulenkamps bitte ich Dich die herzlichsten Grüsse und meine
vielfachen Danksagungen zu bestellen. Wäre ich minder verstimmt, so
würde es mein erstes Vergnügen gewesen seyn, gleich nach meiner An-
kunft schriftlich zur Unterhaltung und Erheiterung unseres theuern,
kränkelnden Freundes etwas beyzutragen. Aber ich konnte nicht. —
Die Arbeiten des Winters liegen mir in verworrener Masse schwer im
Kopfe; und das ist soviel schlimmer, weil sich einige Zuhörer gemeldet
haben, denen nichts Halbes genügen kann. Ich kenne dergleichen Zu-
stände, und weiss, dass sie aufhören; aber ich kenne auch die An-
strengung, die dagegen gesetzt werden muss. —
Vergesst mich demnach auf einige Wochen, meine Freunde; ich will
Euch dann wieder an mich erinnern. Habt indess Dank für die mir bey
meinem letzten Aufenthalte zu Br. bewiesene Treue und Liebe!
Dein Herbart.
(Randbemerkung.)
Sehr, sehr gern, mein Bester, hätte ich 2 Dinge, oder auch nur
eins von beyden: Einige Bogen von meiner Hand, philosophischen] In-
halts, — und die Kupferstiche, die aus der Schweiz an Dich gesandt
wurden, ohne bestellt zu seyn, und die ein Geschenk von Zehender an
mich sind. Ich bitte nicht etwa auf Gelegenheit zu warten, sondern mit
der Post die Sachen zu senden.
Dezember 1802.
259
174. Steck an Zehender. Ende (?) 1802.
„Herbart ist nun endlich da. wohin er sich schon seit so langem her gesehnt hatte ;
er wird sich Bahn brechen, wenn er nur nicht zu sehr in höhere Speculation hin-
geräth. Es scheint, seine Schrift betreffe einen pädagogischen Gegenstand. — Es
scheint die Sendungen von Böhlendorff u. Herbart seyen beyde gleich unglücklich.
Wahrscheinlich sind sie wie anderes an Gesner [Buchhändler in Bern] unter-
schlagen worden."
4. Dez. Herbarts Mutter stirbt in Paris. Antoinette Herbart, die als Pflege-
tochter mit Herbart erzogen war u. damals bei ihrer Pflegemutter in Paris lebte,
schreibt darüber: „O! hätten Sie sie sterben sehen können, wie schön, wie göttlich
schön sie starb! Dieser Augenblick wirä für mich ewig unvergeßlich sein; nicht eine
Miene hat sie verzogen, so ruhig, so gelassen, so zufrieden mit den Fügungen Gottes
kann nur ein wirklich tugendhafter Mensch sterben. Hätte sie Gewissensbisse gehabt,
so hätte der Tod ihr nicht so willkommen sein können. Der Gedanke daran war ihr
in ihrer langen schrecklichen Krankheit von 10 Wochen immer eine Beruhigung und
Aufheiterung.*' *)
*) Nach Strackerjan, Das Leben J. Fr. Herbarts, Oldenburger Realschulprogr.
1875. S. 30. Doch verlegt Strackerjan den Tod der Mutter Herbarts ins Jahr i8o3.
Ihm schließt sich Kehrbach (in vorl. Ausg. Bd. I, S. XXXVIII) an. Auch ich folgte
diesen Angaben im Stammbaum (dieser Bd. S. 3). Da aber ein Irrtum in der Datierung des
folgenden Briefes völlig ausgeschlossen ist, steht es außer Zweifel, daß Herbarts Mutter
1802 gestorben ist. Danach sind die früheren Angaben zu berichtigen.
17
1803.
175. All V. Halem. Göttingen Jan. 1803.
Ein tiefer Schmerz hat die Bezeugung meines Danks für Ihren so
sehr gütigen Brief, zurückgehalten. Sie wissen es wahrscheinlich schon,
dass ich seit mehrern Wochen den Verlust meiner Mutter betraure. Ich
ward sehr langsam vorbereitet; und meine Gesundheit bedurfte dessen.
Lassen Sie mich von meinem Schmerz nur das sagen, was ihn er-
leichtert, ja ich möchte sagen versüsst. — Die letzten Wochen ihres
Lebens brachte die Verewigte in der vollkommensten Heiterkeit des
Geistes zu. Ihre Freunde haben sie bewundert. Sie selbst hat von mir,
mit sterbender Hand, Abschied genommen, — einen Abschied voll der
reinsten Liebe, und zugleich der reinsten Besinnung. Ihr Rückblick auf
ihr Leben war völlig ruhig. „Ich that stets,u schreibt sie, „was die Ver-
nunft mir sagte." Ihr Leben war grösstentheils mir geopfert. Dieses
Leben, diesen mir anvertrauten Schatz der Welt würdig zu überliefern,
dachte ich mir längst als meinen Stolz! —
An die nächsten Geschäfte, in Angelegenheiten ihres Nachlasses, die
nun meiner warten, denke ich mit einiger Furcht. Ich bin wenig unter-
richtet, — mochte mich, wie Sie leicht denken können, wenig unterrichten.
Wahrscheinlich hat meine Mutter selbst in Oldenburg gerichtliche Dispo-
sitionen zurückgelassen. Diese werden Ihnen am ersten bekannt seyn.
Erlauben Sie mir die Bitte, mich davon baldigst zu benachrichtigen. Er-
lauben Sie mir, Ihnen, mein gütiger und verehrter Freund, jetzt über-
haupt das, was mein Wohl betrifft zu empfehlen. Ich bitte Sie um alle
Rathschläge, die Sie dienlich halten möchten. Ich bitte Sie, dabey auf
meine Discretion zu rechnen. Insbesondre möchte ich wissen, ob Sie
nöthig finden, dass ich persönlich nach Oldenburg komme? Mein Col-
legium bindet mich hier bis zu den Ferien zu sehr, als dass ich ohne
grosse Notwendigkeit verreisen dürfte. Auch nachher könnte es Schwierig-
keit haben.
Dass diese meine Erkundigungen bey Ihnen ganz im Vertrauen ge-
schehn, darf ich kaum bemerken. Sie sehn selbst, wie sehr leicht solche
in verkehrtem Lichte erscheinen könnten; — wenn gleich nichts natür-
licher ist, als dass ich meinem Vater so wenig als möglich unangenehme
Erinnerungen aufzuregen wünsche.
Mit der Hoffnung baldiger gütigen Antwort empfiehlt sich Ihnen
Ihr gehorsamer
Herbart.
Februar, August 1803. 26 1
W. : Curriculum vitae. S. Bd. I. S. 366 — 367.
176. Böhlendorff an Heinrich Noltenius. Berlin Febr. 1803.
will — mich. — von Herzen an Eurem bremischen Thun und Leben er-
freuen. Deine Nachrichten haben mich dahin zurückversetzt, und mit innigem
"Wohlbehagen sehe ich in Eure Theegesellschaften, Klubbs, in Euer Bostonspielen,
Pestalozzisiren und Paaren, in den lerm des kleinen frohen Gesindels, und höre
mich in die Musik der holden Frauen hinein. Ob für Deinen Hanns die Pesta-
lozzische Methode wohl taugen möchte? Ich glaube sie ist nicht gleich gut an-
wendbar auf alle Naturen, zum wenigsten die bisherigen Umrisse, die ich davon
kenne — doch verlasse ich mich darauf, daß sie von Frau Anna nicht so gar buch-
stäblich wird getrieben werden.
177. ' An Steck.1) Göttingen Ende Aug. 1803.
Einige Augenblicke mit Dir, mein theurer Steck, — welche Wohlthat
meinem Herzen! Aber es soll nicht seyn; die Trennung dauert; Ver-
hältnisse und Pflichten haben uns Plätze bestimmt.
Mir taugt der meinige für meine Pflichten; das ist Viel, — ist aber
auch Alles. Ich lebe unter Jünglingen. Mein Zögling ist unter bittern
Schmerzen wieder auf den Weg gebracht, und mir jetzt zwiefach kostbar.
Andre, hauptsächlich von Osten, aus Polen, Lief- und Curland, tüchtig,
vielleicht Personen von Bedeutung und Wirkung, sind dicht um mich und
gehören meinem Herzen wie meinen Hoffnungen. Darüber vergesse ich
so ziemlich die Recensenten, 2) und den seichten Prediger Niederer, der
mir fast — den geistreichen Pestalozzi verleidet hat. —
Hier hast Du, Theurer, was ich mit Wucher || auszutauschen
wünsche gegen Nachrichten von Dir, und den Deinigen. Halte mich
nicht unwerth, von Dir zu hören. Du kennst Dich selbst, und weisst, dass
die tiefe Hochachtung für Dich nicht unter neuen Empfindungen be-
graben werden kann.
Was uns Verschiedenes in der Seele liegt, das wird vielleicht mehr
Sprache finden, wenn ich Dir erst meine praktische Philosophie, — die
mich vorzugsweise beschäftigt, — und, ich darf es sagen, befriedigt hat,
werde vorlegen können. Es ist mir eine aufmunternde Erinnerung, dass
ehemals eine leichte Spur dieser Arbeit von Dir mit günstigem Blick an-
gesehen wurde.
Noch einmal, mein Theurer, ich bitte um wenige Zeilen, um einen
Umriss deines jetzigen Seyns. Ich werde mit vollem Herzen verdanken,
wenn mein junger Freund mir etwas von Dir wieder bringt.
Ganz und auf immer Dein Herbart.
*) Ein Oktavblättchen, auf beiden Seiten beschrieben.
2) Über die Rezensenten klagt H. auch im Briefe an Gries v. 21. Dez. 1804.
S. S. 266. Jedoch wurden Herbarts „Erstlinge" glänzend besprochen von dem scharf-
sinnigen Systematiker der Philanthropisten, E. Chr. Trapp. Vgl. darüber Th. Fritrsch,
E. Chr. Trapp. 1900, S. 93 fr. — Auch Ernst Tillich hatte Herbarts Schrift: „Pesta-
lozzis Idee eines ABC der Anschauung pp" günstig angezeigt in den von ihm in
Gemeinschaft mit Prof. Chr. Weiß herausgegebenen „Beiträgen zur Erziehungskunst
zur Vervollkommnung sowohl ihrer Grundsätze als ihrer Methode. '* Leipzig, 1803,
1. Bd. 2. Heft S. 297 — 309.
1804.
W.: Zweite Ausgabe der Schrift: Pestalozzis Idee eines ABC der Anschauung. S. Bd. I.
S. 151 — 274. — Kurze Darstellung eines Planes zu philosophischen Vorlesungen. S.
Bd. I. S. 293 — 299. — Über den Standpunkt der Beurteilung der Pestalozzischen
Unterrichtsmethode. (Gastvorlesung im Museum zu Bremen.) S. Bd. I. S. 303 — 309.
— Rez. über Pestalozzis Elementarbücher. S. Bd. XII. S. 8 — 14.
178. An Smidt in Bremen.1) Göttingen i3tenFebr. 1804.
Mein theurer Smidt! Die Einlage an Deine gute Schwester bitte
ich Dich zu lesen und zu besorgen. Ihre Bedenklichkeiten thun mir
leid; die Gelegenheit, die sie jetzt scheint aus den Händen lassen zu
wollen, ist besser als sie sie wünschen durfte, und wird schwerlich wieder-
kehren, — gewiß nicht zur rechten Zeit.
Doch weshalb ich mich an Dich wende, das ist etwas anderes ; ich
bedarf Deines freundschaftlichen Rathes in einer sonderbaren Verlegenheit.
Ich weiß nämlich nicht, wie ich es anfangen soll, in wenigen Wochen
vor Dir und meinen übrigen Bremer Freunden mit gutem Gewissen zu
erscheinen. Nicht sowohl meiner eignen Person halber, als wegen der
Lauine, mit der ich kommen werde. Davon würde ich Dir mit keinem
besseren Gewissen zuerstreden, als den Übrigen, wenn ich nicht hoffte,
daß in Dir noch einiges Andenken an unsere ehemalige Jenaische Welt lebe,
und daß Dir demnach wenigstens ein Anblick angenehm sagen könne,
der Dir eine Art von Reminiscenz zurückgeben wird.
Es hat sich nämlich unter den jungen Leuten die mit || mir leben,
seit diesem Winter eine etwas mehr als gemeine Göttingische Geselligkeit
gebildet, und ich denke aus diesen Knospen noch schöne Blüthen her-
vorgehn zu sehn. Nicht nur unsre literarische Gesellschaft hat neues
Leben gewonnen, sondern auch Abends sammelt sich wöchentl. 3 bis
4 mal ein Kreis zur Leetüre Göthe's und Schillers. Der Kreis ist soviel
interessanter, weil er zwey warme Freundschaften umfaßt, die eine zwischen
Prinz Sulkowsky und meinem Steiger, die andre zwischen Grote und dem
älteren Rahden, — einem von zwey Zwillingen, die um Michaelis von
Kurland, und aus den Händen des besten dortigen Lehrers gekommen
sind. Diesen Lehrer ehren sie so sehr, und machen ihm soviel Ehre,
daß ich neidisch seyn würde, wenn ich nicht auch in Karin u. in Grote
ein paar gute Geister um mich hätte, die ich durch idealische Wünsche
*) 4 S. 8 °.
Februar 1804. 263
bey mir selbst herabzusetzen für unrecht halte. — Meine Bekanntschaft
mit Sulkowsky ist die Folge seiner außerordentlichen Delicatesse ; da er
erfuhr daß ich Karin vom Churprinzen zurückhielt, kam er von selbst,
mich aufzusuchen, und sich mir darzustellen; seitdem hat er mit mir
immer genaue Rücksprache genommen über Steigern; wir haben zusammen
manchen guten Augenblick genosser, || und ich könnte mit ihm vertraulich
seyn, wenn ich nicht selbst für die Aufrechthaltung einer gewissen Gränze
sorgte. Seine Besuche empfange ich übrigens ohne mich im mindesten
zu geniren.
Nun trifft es sich so wunderbar, daß Sulkowsky nach Hamburg pp.
reisen will, daß die Rahden gerade die nämliche Idee haben, daß Grote
seinen Bruder von Bremen nach Hannover abhohlen will, und daß ich
mit Karin die schon um Michaelis projectirte Heimreise zu machen
denke. Was ist natürlicher als daß man unter einander davon spricht,
und es endlich bequem findet, gemeine Sache zu machen ? So werde ich
denn also diesmal mit 1 Prinzen und 4 Baronen zu der gefeyerten Re-
publik wallfahrten, an die wir hier ungefähr wie an das gelobte Land
denken, denn meine Leute haben alle so etwas von republicanischem
Geiste, wenn auch nicht ganz in orthodoxer Form.
Was ich nun wünsche, erräthst Du leicht, wenn ich Dir sage, daß
die ganze Gesellschaft sich etwa 3 bis 4 Tage in Bremen aufzuhalten
denkt; (ich werde länger bleiben, wenn ich mit Steigern, ohne lästig zu
werden, irgendwo hausen kann.) Bey Dir möchte ich meinen Cirkel || zu
einem Thee anmelden ; desgleichen bey Hörn. Wüßte ich, daß unser
trefflicher Kulenkamp alsdann wohl wäre, so bäte ich ihn, uns sämmtlich
ins Museum zu geleiten. Die Rahden sind mir für jede kleine Gefälligkeit
so äußerst erkenntlich, daß ich es für sie vielleicht noch wage, einige meiner
Freundinnen um Erlaubniß zu bitten, ob ich sie vorstellen darf. Wäre
die Ölrichssche Gesellschaft, oder sonst ein geistreicher Cirkel, so würden
die jungen Männer sich dort sehr am Platz finden.
Kotzebue's Schwester wird man natürlich auch aufsuchen*), desgleichen
den Entdecker der Pallas;1) — und so hoffe ich, daß sich meine Lauine
doch nicht gar zu ungeschickt auf dem guten Boden niederlassen wird.
Ein Schwätzer hängt ihr an, der gegen keinerley Bremische Münze aus-
getauscht werden kann, — der Gouverneur des Prinzen, H. Prof. Schmidt.
Er versteht, glaube ich, Jurisprudenz und Geschichte; und es wird auch
in seinem Munde alles zur Geschichte. —
Ich bin eilig. Lebe wohl u. liebe mich.
Ganz Dein Herbart.
179. An Smidt in Bremen.2) Göttingen. Montags. [1804?]
Dein Brief, Theurer, erfüllte mir mehr als einen angelegentlichen
Wunsch; habe tausend Dank! Am 22 oder 2 3sten, werden wir vielleicht
*) Randbemerkung: Daß man ihr das aber ja nicht vorher sage! denn es ist
nur so mein Gedanke; es hat noch niemand davon gesprochen.
x) Der Astronom Willi. Olbers (1758 — 1840), der als Arzt in Bremen lebte,
hatte 1802 die Pallas, den 2. Planetoiden, entdeckt.
a) 1 S. 80.
2 64 Juli l8o4-
schon reisen; einen Tag bleibe ich in Hannover, und dann eilen wir
zu Euch ! Du wirst mich nicht bereden wollen, die Einladung von Kulen-
kamps abzulehnen; meinen guten Steiger sollst Du hoffentlich nicht lästig
finden. — Günther habe ich für die Schule auf den Fall, daß Du es
verlangen würdest engagirt u. ihm zugleich verboten davon zu sprechen.
Er war sehr bereit; wie billig, da er sich für Erziehung soviel vollständiger
bilden kann. Mündlich erlaubst Du mir übrigens wol noch einige Be-
merkungen. Die Einlage wird vielleicht verrathen, was ich am meisten an
ihm vermisse, — Sprache! Doch dieser Mangel ist nur relativ; er hat
mehr als er sagt. Ich möchte ihn gewissermaaßen zwischen Dir und Rump
in die Mitte stellen, nur hat er weniger Laune als beyde, — und ersetzt dies
vielleicht wieder durch seinen umfassenden Sinn für Speculation. Aber
ich darf mich in keine Beschreibungen verlieren; meine Zeit ist kurz ge-
messen. Den Theuern Kulenkamps bitte ich Dich meinen herzlichsten
Dank zu bringen — bis ich ihn selbst bringe. Deine treffliche Schwester
entschuldigt hoffentlich auch für diesmal mein Schweigen.
Ganz Dein Herbart.*)
180. Smidt an seine Frau. Pyrmont 20 Juli 1804.
— — ,, Herbarts Vater und den Etatsrath Georg sprach ich auch, häufig in
der Allee. Ersterer sagte mir gestern morgen, er habe seinem Sohn in Göttingen
geschrieben, er möchte mich doch wenn es irgend möglich wäre, auf einige Tage
in Pyrmont besuchen er glaube indeß nicht daß seine Geschäfte es verstatten
würden — ich glaubte das auch nicht eher als bis Herbart gestern um 1 Uhr mit
dem ältesten Kahden in unser Zimmer trat — Du kannst Dir unsere Freude
denken — Morgen reiset er indeß schon wieder nach Göttingen ab. Sulkowsky u.
der Baierp rinz werden heute noch wohl eintreffen." — — —
181. Smidt an seine Schwester Castendyk. 20. Juli.
,.Daß Du an unserer Tour nicht Theil nehmen kannst verdrießt uns täglich,
liebe Schwester, und jetzt um so mehr da wir hier gestern unerwartet mit Herbart
zusammengetroffen sind, der um seinen Vater, welcher hier die Cur braucht zu be-
suchen auf ein paar Tage von Göttingen herüber gekommen ist. — Er rühmt von
Günther aufs neue außerordentl. viel u. hofft er würde Deinen Erwartungen völlig
entsprechen."
182. Smidt an seine Frau. 21. Juli 1804.
— — „Die Einlage schickt Dir Herbart — und den Brief an Franciscus
schicke doch gleich an ihn. — Die anderen grüße herzl. — Hörn reist morgen
früh nach Braunschweig u. Herbart nach Göttingen.''
183. An Herrn von Steiger. ohne Datum.
Sie wissen ohne Zweifel, daß der junge Prinz Sulkowsky sich sehr
lebhaft von Ihrem Sohn angezogen fühlt; und ihm eine entschiedene
Freundschaft widmet. Diese Freundschaft ist eine wahre Sorgfalt für sein.
Bestes ; der Prinz, der die Welt früh kennen gelernt hat, der selbst durch
*) Randbemerkung: Die kleine Schrift, die ich beylege, wünsche ich, so lange
bis ich komme, nicht außer dem Kreise der Freunde bekannt; ich möchte sie mehreren
Personen als neu bringen.
September, Dezember 1804. 265
eine geistreiche Mutter erzogen und rein erhalten worden ist sieht die
Schwächen Ihres Sohnes und die Gefahren denen auszuweichen er noch
lernen muß.
Ich komme auf den angenehmsten Teil meines Schreibens. Die
letzten Wochen sind voll von Beweisen, daß es Ihrem Sohn ernst ist, den
Wünschen die sein Bestes — seinen persönlichen Wert — betreffen, ent-
gegenzukommen. Es ist jetzt Aufmerksamkeit in seinem Benehmen, und
Kraft in seiner Anstrengung und heiteres Selbstgefühl nach durchgesetzter
Arbeit giebt ihm seine Liebenswürdigkeit zurück. In einer literarischen
Gesellschaft von gewählten jungen Männern wobei der Hauptzweck Übung
in schriftlichen Aufsätzen ist zeichnet er sich vortheilhaft aus; und hat
mich neulich sehr angenehm mit einem Entwurf überrascht dessen Gegen-
stand das Einheitssystem in Rücksicht auf die Verfassung der Schweiz
ist. —
184. An Herrn von Steiger. Göttingen 7ten Sept. 1804.
Ew. Hochwohlgeboren bitte ich zuvörderst um Verzeihung, daß die
Einlage, welche mir letzten Sonntag, in der Meinung, es sey Posttag, zur
Besorgung übergeben wurde, am wirklichen nächsten Posttage über einige
Störungen vergessen worden ist; daher sie jetzt um ein paar Tage zu
spät bei Ihnen eintrifft. — Ich habe den Brief verschlossen erhalten ;
kann also bloß wünschen, daß derselbe geeignet sein möge, einem Miß-
verständnis Erleichterung zu geben, dessen gründliche Heilung vielleicht
nur von der Zeit erwartet werden kann. — Wozu müßige Worte?
Ich fühle meine Ohnmacht; und muß schweigen! —
Von Karin muß ich wohl diesmal ebenfalls schweigen. Ich habe
ihn diese Tage her bloß gelegentlich gesehen. Er war in Gesellschaft —
der Prinzen; Mittag und abends. Morgen verläßt uns der Churprinz.
Mit vollkommenster Hochachtung
Ew. Hochwohlgeboren gehorsamster H.
185. An GrieS. 1) Göttingen 2isten Dec 1804.
Mein alter, theurer Freund! Unter dem Beding, daß es lauterer
Ernst sey mit dem neulich verkündigten Ablaß, erhältst Du hier Alles
auf einmal, was man von einem lang abwesenden Gefährten früherer Jahre
wünschen kann; — nicht nur die Handschrift, nebst Proben seiner jetzigen
Bemühungen, sondern auch die Copie eines Kunstwerks, in dessen
Schätzung wir uns begegnen, und, was das beste ist, Du erhältst den
nächsten Zeugen meines jetzigen Lebens, mit dem ich nicht bloß Dach
und Tisch, sondern meine besten und meine schlimmsten Stunden theile,
sammt meinen Gedanken, Wünschen und Launen. —
Es ist der Baron Rahden aus Curland, der Dir dies Paquet über-
bringt. Er kennt Dich, wie Viele; und wünscht und verdient, Dich näher
kennen zu lernen; und ich bitte darum. Er wird Dir jede Gefälligkeit
aufrichtig danken. An Schiller, Göthe, u. Voß wird er vielleicht durch
l) Randbemerkung von Gries: „Beantwortet d. 25. Jan. 1805, wieder ge-
schrieben d. 3. Nov. 1805."
2 66 Dezember 1804.
Dich noch kräftiger adressirt werden können, als er es durch Sartorius
u. Thiebaut schon ist. Ihn selbst brauche ich Dir nicht weiter zu emp-
fehlen. Sprich ihn eine halbe Stunde; und Du wirst den seltnen Zög-
ling seltner Gelegenheiten erkennen, an dem wenig fehlen würde, wenn
er recht gesund wäre! — *)
Mit ihm zurück hoffe ich eine Menge von Nachrichten zu erhalten,
zuerst von Dir, dann von Jena und Weimar. — Um Eine Gabe soll ich
bitten, wie es scheint; — es sey geschehn; die Bitte wird hoffentlich Er-
hörung finden. —
Zwey Briefe, die ich in diesem Jahre von Dir erhalten habe, liegen
vor mir. Mit Freuden wünsche ich Dir Glück zu der warmen Erinnerung
an jene über alles genußreiche — kurze Periode unsres gemeinsamen
Lebens, — die Dir immer gleich gegenwärtig geblieben ist. Dir mehr
als irgend einem der andern! Dein Leben war das ruhigste. Mir sind
seit jener Zeit Jahre voll Arbeit und Schmerz verflossen; und durch die
bitteren Erinnerungen, denen ich mich nicht hingeben darf, ist mir sogar
der Platz verleidet, der die Scene hergab zu den Umtrieben unsres
jugendlichen Muthes. Auf alle mögliche Weise angespannt, und beynahe
bis zur Vernichtung hin und her gerissen war ich bis zu der Zeit, da Du
mich hier in G. zuletzt besuchtest. Seitdem hat mich wenig oder nichts an-
gefochten ; eben so wenig ermuntert, in einer dumpfen Gleichförmigkeit, dem
einzigen, wofür ich in der Erschöpfung, an der ich noch leide, empfänglich
war, bin ich fortgegangen; — ohne recht zu wissen, wie es stehe
um meine höchsten Wünsche, und voll Widerwillens gegen den Lauf der
öffentlichen Welt, bin ich den Umständen und meiner Consequenz gefolgt.
Die lange Übung hat mir ausgeholfen; und ich habe erfahren, daß ich
für Andre noch brauchbar bin, wenn mir selbst mein Daseyn eine Last
ist. Wie aus den Trümmern einer zerrütteten Vorwelt, ist mir aus alten,
entstellten Reminiscenzen nach und nach ein neues Gedankenreich empor-
gestiegen. In diesem lebe ich, und baue; und die langsam wachsende
Gesundheit giebt der Hoffnung Raum, daß mir eine künftige Periode
eines rüstigem Eifers vorbehalten sey. — Was der Meßcatalog von mir
weiß, ist sehr unbedeutend. Weil ich den letzten Winter, den ich in
Bremen zubrachte, gar oft nichts besseres vermochte, als Logarithmen
addiren u. subtrahiren, bequemte ich mich die Tabellen zu berechnen,
zu denen mein ABC d. Ansch. eigentlich nur die Zugabe ist. Der
Grundgedanke dieses Buchs war das Werk einer einzigen heitern Stunde;
von der ich meinen Hrn. Recensenten einige Minuten gewünscht hätte,
aber umsonst! — Eine Nachschrift zur zweyten Aufl. die mehr werth ist
als das ganze Buch, sende ich Dir hiebey. Wenn Du den einfachen
Worten dieser wenigen Blätter eine gehaltene Aufmerksamkeit gönnen
willst, so werden sie Dich so ziemlich in den Mittelpunct meines jetzigen
Denkens versetzen können.
*) Randbemerkung: „Mir fällt ein, daß ich den guten Rahden vielleicht
gegen einige Th — tsche Spöttereyen in Schutz zu nehmen haben könnte. Darüber in
der Kürze nur soviel: der hiesige Th — ist ein kranker, der von Gesundheit spricht;
ein Mislauniger, der ewig die „Gemüthlichkeit" preißt.
Dezember 1804. 267
Die andre kleine Schrift, die Ankündigung meines phil. Cursus, kann
Dir die 4 abgetrennten Gedankenkreise näher bezeichnen, in welchen ich
mich seit ein paar Jahren wechselsweise bewegt habe, — jedes mal bey-
nahe versunken in dem, für welchen eben jetzt meine Vorlesungen die
meiste Anstrengung erforderten. Ich hätte es nicht ertragen, Werke der
Noth aus meinen Vorlesungen werden zu lassen. Wollte ich das nicht,
so mußte ich mich ganz darin erschöpfen. Kaum blieb noch einige Be-
sonnenheit übrig für die Sorge, die ich den jungen Männern schuldig war,
die in meinen Kreis traten. Unter diesen ist mein Carl seit einem Jahre.
Es ist ein seltner junger Mann, wie er ein seltner Knabe war; — aber
es ist viel schwerer, daß ein junger Mann, als daß ein Knabe sich
seinem altern Freunde recht dicht anschließe. Rahden mag Dir mehr
erzählen.
Du fragst nach andern Freunden. Ich weiß wenig. Bohlend [orff]
ist der unglücklichste von allen. In Berlin war er von wilden Phantasien
zerrüttet; das ist leider buchstäblich wahr. Damals ist ihm Woltmann
eine Stütze gewesen, aber natürlich nicht auf lange. Dann ist er in sein
Vaterland zurückgekehrt, u. das letzte was ich weiß, ist daß er dort eine
Hofmeisterstelle habe. Wie u. wo? weiß ich nicht. Möchte er nur ganz
hingegeben leiden ; so würde die Zeit ihn wohl heilen. Eine Erkundigung,
die ich seinetwegen anstellte, war bisher ohne Folgen. Und, die Wahrheit
zu sagen, ich scheue mich, jetzt auf ihn aufmerksam zu machen. — Ich
sehe einer reinem Muße vor Ablauf von höchstens einem Jahre entgegen.
Wieder-Anknüpfung der alten Freundes-Verhältnisse liegt alsdann wesent-
lich in dem Plane für mein inneres Leben. Ich wünsche alsdann meine
Freunde nicht ungeduldig zu finden ; ich hoffe auf entgegenkommende
Wünsche. Dich bitte ich im Voraus, mir dann nicht zu fehlen. Bis
dahin — zürne nicht! Dein Herbart.
1805.
W: De Platonici systematis fundamento commentatio. S. Bd. I. S. 311 — 332.
186. Heise an Herbart.1) Heidelberg den 9ten Januar 1805.
Wohlgeborner, Hochgeehrter Herr Doctor. Aeußerst angenehm ist es mir, in
einem erhaltenen Auftrage eine Gelegenheit zur Erneuerung meiner Bekanntschaft
mit Ihnen zu finden, die schon zweymal gemacht, und wieder abgebrochen ist, und
welche ich nun vielleicht auf längere Zeit zu erneuern hoffen kann.
Unter den vielen Fächern, die bey der neuen Organisation der hiesigen Uni-
versität, wenn gleich noch ältere Lehrer dafür vorhanden sind, doch durchaus neu
besetzt werden müssen, steht das Fach der speculativen Philosophie beynahe oben
an, und der Geheime Referendar Hofer in Carlsruhe, der das Eeferat in allen Uni-
versitäts-Angelegenheiten führt, hat mir daher den Auftrag gegeben, mich bey Ihnen
im Vertrauen zu erkundigen, ob, und unter welchen Bedingungen || Sie etwa ge-
neigt seyn mögten, eine Professur der Philosophie auf der hiesigen Akademie an-
zunehmen. Ich bitte Sie daher, mir nächstens, und wo möglich mit umgehender
Post Ihre Gesinnungen hierüber zu eröffnen, und mir freundschaftlich anzuzeigen
was Ihre Forderungen in dieser Beziehung seyn. Es wird dabei ganz von Ihnen
abhängen, ob Sie sich darüber allenfalls in einem ostensiblen Briefe erklären, oder,
wenn Ihnen dies bequemer ist, mir das Ein belichten Ihrer Antwort überlassen
wollen.
Da ich bey dieser Anfrage voraussetzen zu können glaube, daß eine nähere
Nachricht über den hiesigen Zustand der Dinge Ihnen angenehm seyn werde, so
erlaube ich mir, noch einige Notizen darüber hinzuzufügen, so wie ich sie der
Wahrheit schuldig bin. Die gegenwärtige Beschaffenheit der Universität ist freylich
noch äußerst mangelhaft. Unter den älteren Professoren ist außer dem vortreflichen
Daub fast kein einziger, der sich durch höheres wissenschaftliches Streben aus-
zeichnete: und die Zahl der Studenten || ist gleichfalls sehr geringe, höchstens
zweyhundert. Indessen glaube ich nicht, daß man sich dadurch abschrecken lassen
dürfe, da die neue Einrichtung noch erst im Werden ist, und wenn sie gleich lang-
sam fortrückt, doch vielleicht einen desto sicheren Fuß gewinnt, zumal da Heidel-
berg durch seine Lage, vortrefliche Gegend und manche andere Local-Umstände, so
vieles vor andern Universitäten zum Voraus hat. An neu berufenen Lehrern finden
Sie hier schon den herrlichen Philologen, Creuzer, den Theologen Schwarz, der
Ihnen aus seinen pädagogischen Schriften bekannt seyn wird, und den Professor Pätz
aus Kiel. Mehrere neue Vocationen an bedeutende Männer sind noch im Werke,
und werden hoffentlich nächstens erfolgen. Die Zahl der Studierenden wird sich
sicher bedeutend vergrößern, indem bis itzt noch nicht einmal das Verbot an die
*) 6S. 4°. H. Wien.
Januar 1805. 260
Landeskinder, auf ausländischen Universitäten zu studieren, in Kraft gesetzt ist, und
der bisherige Zustand der Dinge wirklich so schlecht war, daß man sich wundern
muß, noch so viele Studenten hier zu finden. Unter diesen || wenigen herrscht
im Ganzen ein ausgezeichneter Fleiß und Eifer, auch besonders für Philosophie, so
schlecht sie auch bisher gelehrt worden ist. Die wissenschaftlichen Anstalten, be-
sonders die Bibliothek, sind, das Kameral-Fach ausgenommen, äußerst schlecht: doch
wird auch dafür hoffentlich gesorgt werden, wie man denn gerade jetzt eifrig be-
schäftigt ist, eine bedeutende Buchhandlung hierher zu ziehen.
"Was das oeconomische betrift, so ist es hier zwar wohlfeiler als in Göttingen,
aber durchaus nicht so wohlfeil, wie man gewöhnlich sagt: Die Bedürfnisse eines
einzelnen Mannes, der anständig leben will, würde ich etwa auf 1000 fl. Reichsgeld
anschlagen. Die Einnahme von Collegiengeldern ist gegenwärtig noch sehr geringe,
zumal da so viele Arme unter den Studierenden sind, und man höchstens rechnen
kann, daß zwey Drittel der Zuhörer zahlen. Doch muß ich. auch bitten den Belauf
des Honorariums nicht nach dem neueten Organisations-Edict zu bemessen: die dort
angesetzte geringe Taxe wird noch nicht beobachtet, || und höchstwahrscheinlich
nächstens abgeändert. Hat ein Professor zehn Jahre gedient, so erhält seine Wittwe
200 fl, hat er zwanzig Jahre gedient, 400 fl jährlicher Pension. Yon Abgaben sind
die Professoren gänzlich frey.
Dies sind ohngefähr die hauptsächlichsten Notizen, welche Ihnen von Wichtig-
keit seyn dürften, so weit meine Zeit solche jetzt zu geben erlaubt. Wie sehr
wünschte ich, daß sie im Stande wären, Sie zu einem der hiesigen Akademie gün-
stigen Entschluß zu bestimmen, der auch mir persönlich so äußerst erfreulich seyn
würde, und ich ersuche Sie nochmals sich darüber bald und bestimmt zu erklären.
Uebrigens muß ich endlich noch die Bitte anhängen, diese Anfrage bloß für
eine vorläufige Erkundigung, und für keinen officiellen Antrag zu nehmen. Sie ge-
schieht zwar auf den Auftrag des Herrn Referendar Hofer, allein bloß in dem be-
merkten Sinne, und ich darf Ihnen im Vertrauen sagen, daß be || reits an einen
zweyten geachteten Philosophischen Schriftsteller eine ähnliche Erkundigung er-
gangen ist.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung verharre ich Ew. Wohlgeboren auf-
richtigst ergebener Arnold Heise.
Adr.: Sr. Wohlgeboren Herrn Doctor Herbart Göttingen.
187. An Prof. Heise in Heidelberg.1) Göttingen, 1 8. Januar 1805.
Wohlgeborener, Hochgeehrter Herr Professor! Ihre schätzbare Mit-
theilung wird mir noch um Vieles schätzbarer dadurch, daß Sie an die
Aussicht eines erneuerten Aufenthaltes in Ihrer Nähe, die Hoffnung einer
näheren persönlichen Verbindung mit Ihnen, anknüpfen. Ihre Güte für
mich hat schon angefangen, — mit vieler Erkenntlichkeit bemerke ich die
Mitgabe an Nachrichten über den dortigen Zustand der Dinge, womit Ihre
vorläufige Anfrage ausgestattet ist.
Von Heidelberg hat mir diese Veranlassung das reizende Bild leb-
haft vergegenwärtigt, was mir noch von mehr als einem halben Dutzend
x) Nach „Deutsche Blätter f. erz. Unterricht" (1888, No. 10 [XV. Jahrg.],
herausg. von Fr. Mann, Langensalza, Hennann Beyer & Söhne [Beyer & Mann]):
„Herbarts Berufung nach Heidelberg'1. Mitgeteilt von Dr. E. von Sallwürk. Diesem
Auf satze wurde auch der Brief Herbarts an v. Edelsheim v. n. Febr. 1805 ent-
nommen.
2y0 Januar 1805.
Jahren her, da ich durchreiste, vorschwebt. Zugleich gedenke ich der
Schweiz, und meiner Berner Freunde, — die Abkürzung der Reise dorthin,
wäre mir nichts kleines.
Sie werden leicht verzeihen, daß ich von Nebendingen anfange; der
Zugang zur Hauptsache liegt mir in der That nicht offen. Ohne Zweifel
erwartet man jetzt in Karlsruhe den Ausgang der zuerst angeknüpften
Unterhandlung; und es ziemt auch mir, zu erwarten, welche Auskunft Sie
mir zur rechten Zeit darüber geben werden.
Sollte man weiterhin noch meiner gedenken: so darf ]| ich wohl
hoffen, daß Ihre Regierung mit bestimmten Anträgen entgegenkommen,
nicht aber mich in die unangenehme Verlegenheit einklemmen wird, die
Gefahr, entweder der Unbescheidenheit, oder der Selbst- Vernachlässigung,
zu laufen.
Dies Wenige ist das Einzige Wesentliche, was ich, nebst der Dank-
Bezeugung für die mir erwiesene Ehre, bis jetzt zu erwiedern wüßte. In
Ihrem Briefe aber spricht zuviel Güte, als daß ich mich scheuen sollte,
Ihnen zu äußern, was ich übrigens von der Sache denke.
Zuvörderst setze ich voraus (wiewohl Sie es nicht ausdrücklich er-
wähnen), es sey von einer ordentlichen Professur die Rede. Denn außer-
dem würden Sie mir nicht rathen können, Göttingen für Heidelberg zu
vertauschen. — Unter gehörigen Umständen wäre es nun gewiß ein
schöner Beruf, mitzuwirken zum Aufstreben einer Anstalt, die in diesem
Augenblick einen neuen Schwung nimmt — gewiß reizend, dort Spielraum
zu finden, für Kräfte, die nach mehr als 10 jähriger stiller Übung sich
eben jetzt zum öffentlichen Hervortreten bereiten. Die nächste Frage
für mich ist nun diese: trifft der Wirkungskreis, den man mir zeigt, zu-
sammen mit dem, welchen ich gewählt habe? Sie nennen mir speculative
Philosophie. Mit dieser ist Moral und philosophische Rechtslehre (welche
mein Vortrag in ein einziges Collegium zusammenfaßt) so eng verbunden,
daß das Ganze Einen Arbeiter durchaus fordert. Ich lese noch außer-
dem Pädagogik. Und || ich wüßte von meinen 4 bisher in Gang gesetzten
Collegien, die sich zwischen speculativer und practischer Philosophie gleich-
theilen, (es sind nämlich allgemeine Einleitung in die Philosophie, nebst
Logik, philosophische Rechts- und Sittenlehre, Metaphysik und Päda-
gogik) keines wegzunehmen, ohne den Cursus mit seinen mannigfaltigen
Rücksichten auf die allgemeinen und besonderen Bedürfnisse der Zuhörer,
ganz zu verderben. Nun würde es mir zwar ohne Zweifel frey stehen,
auch über jene genannten Fächer der practischen Philosophie zu lesen;
aber es könnten sich doch unangenehme Collisionen ereignen, wenn andere
Männer neben mir stünden, welche dieselben als ihr Gebiet anzusehen
autorisirt wären. Über die Pädagogik würde ich mich hoffentlich mit
Herrn Schwarz verstehen können, da ich ihn für einen Mann halte, der
die Wissenschaften mehr liebt, als persönliche Rücksichten. In Göttingen
ist meine Sphäre wenig oder gar nicht beschränkt. Die Collisionen, welche
möglich waren, sind so gut als verschwunden.
Ferner lege ich einen großen Werth auf eine academische Polizey,
wie die hiesige , welche den gröberen Unordnungen , besonders der
Studenten -Orden, zuvorkommt, und dem Lehrer die Freude sichert, auf
Januar 1805. 27 I
eine gesittete Jugend zu wirken. — Und fast unentbehrlich scheint es mir
für den Erfolg der philosophischen Vorträge, daß ein ausgezeichneter
Lehrer der Mathematik vorhanden sey. Ein solcher ist selten; die
Wissenschaft selbst ist zum Theil daran Schuld. Würde ich unseren
Thibaut dort ersetzt || finden? Fände ich einen Historiker wie Heeren?
Wäre ich sicher, nicht die ungestümen, und am Ende immer nach-
theiligen Wirkungen hervorzubringen, welche die Philosophie da, wo sie
einmal faßt, so leicht veranlaßt, wofern ihr die nöthigen Vorübungen und
Gegengewichte fehlen? —
Sie wundem Sich vielleicht über eine solche Sprache. Aber ich ge-
stehe Ihnen: könnte ich glauben, Ihre Regierung wolle ein neues Würz-
burg pflanzen: dies würde mich auf der Stelle abschrecken. — Vielleicht
giebt es kein Lehrfach, in welchem es so wenig gleichgültig wäre, wie zu
dem Geiste der Regierung der Sinn des Lehrers passe, als gerade das
philosophische. Wo es willkommen wäre, wenn ein rüstiger Schreyer die
Menge herbeyzieht, seine Thätigkeit in wilden Fehden durch jeden Meß-
catalog verkündigt, Systeme wie Kartenhäuser baut und ändert, sich in
ein Meer von Unsinn taucht, um seiner Dreistigkeit und seinem neu-er-
richteten Lehrstuhle Ehre zu machen: — wo so etwas gewünscht würde,
da fände man in mir ein mehr als untaugliches — ein widerspenstiges
Werkzeug.
Meine Beschäftigung mit der Philosophie, die vor meinem I2ten Jahre
anfing, sich während der Ausbreitung der Kantischen Lehre erhob, von
Fichtens persönlicher Güte in Jena, in den ersten Jahren seiner dortigen
Blüthe unterstützt wurde, — und jetzt seit bald 10 Jahren ihren Weg
allein || macht, langsam aber ohne umzukehren: — hat längst eine zu
vest bestimmte Richtung und Schrittmäßigkeit angenommen, als daß sie
sich irgend eine ungestüme Beschleunigung ihres gewohnten ruhigen
Ganges gefallen lassen könnte. Überdies finde ich mich mit aller Philo-
sophie des Tages so völlig entzweyt, besonders gegen die neueste Secte
so durchaus verstimmt, daß ich auf gelehrte Fehden, eben darum weil
sie endlos seyn würden, mich wenig werde einlassen können. Ich liebe
das stille Wirken, in der Nähe, durch persönlichen Umgang, und ohne
unnütze Neuerungen. Meine Afe/^rphilosophie trägt den veralteten Namen
Metaphysik, wie wenig sie auch dem ähnlich ist, was man vor Kant so
nannte. Meine literarischen Arbeiten, die nächstens mit Ernst beginnen
müssen, wird die Regel leiten, geprüfte Überzeugungen, kurz, klar, ohne
viel Schulsprache, und besonders in solcher Verbindung, daß Eines das
Andere halte und trage, — nacheinander hinzustellen, ohne mich um
Anfechtungen viel zu kümmern. Die practische Philosophie, die ich nach
dem Entwürfe jetzt zum drittenmale lese, beieitet sich zuerst zum Druck.
Ich denke eben auf einen Verleger, und Sie sprachen von einer bedeu-
tenden Buchhandlung, die man dorthin ziehe, — dürfte ich das etwa
combiniren? Möchten Sie Sich des Verlags wegen bemühen? — j Ver-
zeihen Sie die vielleicht unbescheidene Bitte. Es ist Zeit, daß ich sorge,
Ihre Geduld nicht zu ermüden. — Habe ich bedenklich geschienen: so
ist es nicht, weil ich die mir gezeigte Aussicht wenig schätze, sondern
weil ich für viele negative Wohlthaten, die Göttingen mir erwiesen hat,
272 Januar 1805.
sehr dankbar bin, und weil ich Hoffnung habe, die bisherige Duldung
bald in Unterstützung verwandelt zu sehen. Am wenigsten, bitte ich Sie,
einen Hang zu ungebührlichen Forderungen versteckt zu glauben. Sollte
aus der Sache etwas werden, so erwarte ich von Ihrer Seite die Angabe
der Bedingungen; und alsdann werde ich überlegen, ob darin das Aequi-
valent liegt für das, was ich hier verliere. Meine Einnahme an Honorar
für Collegien, wiewohl noch wenig unterstützt von schriftstellerischem Ruf,
beträgt schon in diesem Jahre über 120 Louisd'or. Ihre Kenntniß von
Göttingen überhebt mich, zu erörtern, wie allein diese Art von Einnahmen,
abgesehen von anderen Erwartungen, sich hier, immer fortschreitend, ins
Unbestimmte erhöhen kann, ein wesentlicher Vortheil, der dort, wo auf
das Honorar so wenig zu rechnen ist, fast ganz wegfallen dürfte.
Was die Art der Mittheilung mit Antwort an Herrn Geh. Referendar
Hofer betrifft, so überlasse ich das ganz Ihrem gütigen Ermessen. Zwar
habe ich eigentlich nur an Sie geschrieben. Ich wünsche indeß überall
zu erscheinen wie ich bin, und fürchte nicht leicht, anzustoßen.
Mit verbindlichstem Dank und mit großer Hochachtung Ew. Wohl-
geboren gehorsamer Diener J. Fr. Herbart.
188. Heise an Herbart.1) Heidelberg d. 23. Januar 1805.
Wohlgeborner Hochgeehrter Herr Doctor, Ihre gütige Antwort vom 18ten
dieses habe ich gestern erhalten, und gleich heute nach Carlsruhe eingeschickt, da
sie, wenn gleich nur für mich geschrieben, doch durchaus so gefaßt ist, um dort
den vortheilhaftesten Eindruck machen zu müssen. Bis ich von daher weitere An-
weisungen erhalte, bin ich so frey Ihnen wenigstens für mich privatim einige
nähere Nachrichten und Aufklärungen mitzutheilen.
Sie scheinen meine vorigen Aeußerungen beynahe so verstanden zu haben,
als ob man eigentlich mit einem Andern in Unterhandlung begriffen sey, und nur
auf den Fall, daß diese etwa fehlschlagen sollte, sich vorläufig bei Ihnen habe er-
kundigen wollen. Dies scheint Sie wie mich freylich nicht wundert, beleidigt zu
haben. Allein das ist zuverlässig nicht der || Fall. Es ist hier ganz gewöhnlich,
wenn man dem Kurfürsten eine neue Yocation antragen will, wo möglich zwey
Personen vorzuschlagen, bey denen man sich vorläufig nach ihren Bedingungen und
ihrer Bereitwilligkeit erkundiget hat. Deshalb war neben Ihnen noch an einen
andern bekannten Philosophen geschrieben, obgleich, wie ich Ihnen itzt zuverlässig
sagen kann, der Wunsch des Curatoriums ganz vorzüglich auf Sie gerichtet ist.
Höchstwahrscheinlich werde ich daher in einigen Tagen bestimmte Anweisungen zu
Anträgen an Sie erhalten, oder das Curatorium wird sich unmittelbar an Sie
wenden. Erfolgt dieser Antrag, wie ich durchaus nicht zweifele, so wird er auf eine
ordentliche Professur der Philosophie mit 1000 bis 1100 fl Reichsgeld jährlichen
Gehaltes, und einem Aversional-Quantum für Transport- und Reise-Kosten gerichtet
seyn. Spätestens in acht Tagen werde ich Ihnen officielle Nachricht darüber er-
theilen können, und da der Antrag sobald er erfolgt zuverlässig auf die angegebenen
Bedingungen gerichtet sein wird, so bitte ich Sie inständigst indesseu zu über-
legen, || ob Sie selbige für annehmlich halten, damit Sie alsdann mit umgehender
Post Ihre Antwort einsenden können; denn da das Ende des halben Jahres heranrückt,
so werden Sie leicht einsehen, daß uns an einer schleunigen Nachricht außerordent-
lich viel gelegen ist.
l) 4 8. 4°. H. Wien.
Februar 1805. 273
Soviel übrigens Ihre weiteren Anfragen betrift, kann ich Ihnen zu meiner
großen Freude dieselben fast ganz befriedigend beantworten. Sie können nicht nur
Ihren ganzen philosophischen Cursus hier unbedenklich lesen, sondern das Curatorium
wünscht dringend daß Sie es thun mögen, und wird Ihnen denselben sogar, mit
Ausnahme der Pädagogik als Ihr eigentliches Lehrfach anweisen. Die Pädagogik
aber liest Schwarz, ein herrlicher Mann, der sich freuen wird, mit Ihnen darinn
abwechseln zu können. Auch Ihr ganzer philosophischer Geist paßt vollkommen zu
den Wünschen des Curatoriums, und ich bin überzeugt, daß die Aeußerungen, die
Sie in Ihrem Briefe darüber gethan haben, den Wunsch Sie hierher zu ziehen, noch
außerordentlich vermehren werden. Man ist in Carlsruhe der neuesten Philosophie
und besonders ihrer || polemischen Seite fast ein wenig mehr abhold als recht
ist, und würde es höchst ungern sehen, wenn Sie durch Paradoxen, Zank und
Lärmen Aufsehen zu erregen suchten. — Zwey Männer wie Thibaut und Heeren
finden Sie freylich noch nicht zu Ihrer Seite. Indessen ist Professor Voßmann
hier, schon ein sehr geschickter Mathematiker, und ein zweyter ausgezeichneter
Mann wird zuverlässig sobald als möglich berufen. An einen bedeutenden Histo-
riker, freylich kein Heeren, ist gerade itzt eine Vocation erlassen, und an Creuzern
(der dem Rufe nach Landshut, wovon Sie vielleicht schon gehört haben, nicht
folgen wird) für die alte, und Pätz für die neuere Geschichte finden Sie schon ein
paar wackere Männer. Die Buchhandlung welche wir hierher zu ziehen hoffen,
wird sich, (wenn ich anders diese Ihre Aeußerung richtig verstanden habe) dem
Verlage Ihrer Arbeiten mit großer Bereitwilligkeit unterziehen. — Überhaupt hoffe
ich, wird es Ihnen, interessant seyn, an der Wiederaufnahme einer so höchst ver-
fallenen Universität, deren itziger schlechter Zustand eben den Kräften eines geist-
vollen und thätigen Mannes so viel Gelegenheit zum nützlichen Wirken darbietet,
arbeiten zu können, und an Eifer im Mitarbeiten wollen wir es wenigstens nicht
fehlen lassen. — Mit der ausgezeichnetsten Achtung Arnold Heise.
Randbem. : Noch muß ich in Ans. der Honorarien bemerken, daß diese künftig,
wenn auch nicht wie in Gott, doch sicher nicht unbedeutend bleiben werden. Mein
Coli. Pätz hat schon diesen Winter 400 fl eingenommen.
189. Freih. v. Edelsheim an Herbart. *) 1. Febr. 1805.
Wohlgebohrner Insonders Hochgeehrter Herr Professor! Vermöge der von
Hrn. Professor Heise in Heidelberg eingekommenen Nachricht sind Euer Wohl-
geborn geneigt, die Stelle eines ordentlichen Lehrers der theoretischen und prac-
tische(n) Philosophie allda zu übernehmen.
Es gereicht mir zum Vergnügen, Ihnen die Eröfnung zu machen, daß Sr. Kur-
fürst!. Durchlaucht auf erstatteten Curatel-amtlichen Vortrag gnädigst geruht haben,
Ihnen gedachte Stelle mit einem jährlichen Gehalte von
Ein-Tausend Gulden an Geld Rheinl.
Neun Malter Spelz2) und
Sechs Malter Korn
zu übertragen. Da Euer Wohlgebohrn die weitere Bedingnisse wegen Vergütung
der Reisekosten, wie auch wegen dem Gehalt der || Witwen der Hrn. Professoren
in Heidelberg und übrige Verhältnisse der dortigen Universitäts- Verfassung durch
Ihren Freund den Hrn. Prof. Heise schon bekannt seyn werden, so habe ich nur
noch den Wunsch bey zufügen, daß Sie so ferne Ihnen wie ich hoffe, obige Be-
*) 3 S. 40. H. Wien.
2) Weizen. — Herbart schätzte die Einkünfte auf 11C0 Gulden. S. Brief an
Feuerbach S. 281.
Herbarts Werke. XVI. l8
274 Februar 1805.
dingnisse annehmbar sind, mir unverzüglich Ihre bestimmte Erklärung darüber zu-
kommen lassen und zugleich an den akademischen Senat ein Verzeichnis Ihrer auf
das künftige Semester vorhabenden Vorlesungen, von welchen wöchentlich 3 Stunden
nach der Verfassung publice oder unentgeldlich gehalten werden müssen, zur Ein-
verleibung in den Collegien-Catalog einsenden mögen.
Da die — Ihnen bestimmte Lehrstelle vorzüglich dasjenige in sich begreift,
was man sonst unter Logik und Metaphysik auch Natur Recht und Philosophischer
Moral zu verstehen pflegt, der ganze Umfang dieser Wissenschaften aber in einem
Halbjährigen Semester nicht wohl gelehrt werden kann, so hält man es für zweck-
mäßig, daß Sie den Entwurf Ihrer Vorlesungen in zwey Semester eintheilen möchten,
welche Eintheilung aber Ihrem || Gutfinden überlassen wird.
Ich schmeichle mir, daß Sie Vergnügen daran finden werden, Ihre erprobte
Kenntnisse und Talente zu der Emporbringung der wieder neu aufblühenden Uni-
versität Heidelberg zu verwenden; und es wird mir angenehm seyn, nach Ihrem
erfolgten Eintritt daselbst, der zeitlich auf Ostern gewünscht wird, die Bestätigung
derjenigen Hochachtung wiederholen zu können, in der ich die Ehre habe zu seyn
Euer Wohlgebohren gehorsamst ergebener Diener
Karlsruhe den lten Febr. 1805. (gez-) Frhr. v. Edelsheim.
190. Minister Grote an Herbart.1) Hannover d. 3ten Febr. 1805.
Es macht mir ein unbeschreiblich großes Vergnügen Ew. Wohlgeboren die
Nachricht geben zu können, daß Sie mit der Erwiederung auf die von Ihnen ge-
machten Bedingungen gewiß zufrieden seyn, und Sie also Göttingen itzt nicht ver-
lassen werden, wesfalls mein ganzes Haus mit mir in diesen Tagen sehr besorgt
war. Die Ausmittelung einer Besoldung von 300 Rthlr. zu der außerordentlichen
Professur hat zwar, eben in diesem Augenblick, mehr Bedenken gehabt, als Ew.
Wolgeb. sich vorstellen können; unterdeß wird Rath dazu geschaft, und in Ansehung
der beyden Nebenbedingungen erwarten Ew. Wolgeb. ohne Zweifel selbst keine be-
stimmte Zusicherung. Die Gesinnungen des hiesigen Curatorii u. aller derer, welche
bey solchen Gelegenheiten Einfluß haben, giebt Ihnen ohnehin vollkommen hin-
reichende Sicherheit, daß solche Abwesenheiten, wie Sie beabsichtigen, Ihnen niemals
werden verwehrt werden, die Zusicherung einer obrigkeitlichen Unterstützung bey
praktischen Übungen Ihrer Zuhörer in der Pädagogik kann aber nicht füglich er-
folgen, da man, worin diese Übung und die Unterstützung bestehen würde und
müßte, nicht vorher weiß; aus || langjähriger Beobachtung glaube ich aber mit
Zuversicht hinzufügen zu können, daß jede unbezweifelt gute Einrichtung in unserm
Lande Beförderung findet, wenn sie nur nicht Ausgaben veranlaßet, wozu man nicht
im Stande zu seyn glaubt. Solchem allen nach rechne ich darauf, daß Ew. Wolgeb.
unserer Landes-Universität werden erhalten, und meine Söhne ferner das Glück
Ihres näheren Umgangs genießen werden. Es ist noch immer sehr zweifelhaft, ob
der älteste länger als Ostern in Göttingen wird bleiben können; ich bitte beyden,
die bisherige Freundschaft zu erhalten, welcher wir es vorzüglich zuschreiben, daß
sie uns bisher fast nur Freude machten. Meine ganze Hausgesellschaft empfiehlt
sich mit mir Ew. Wolgeb. gütigem Andenken auf das verbindlichste und gehorsamst
Grote.
191. Herbart an v. Edelsheim. u. Febr. 1805.
Hochgeborener Reichsfreyherr und Staatsminister, Gnädiger Herr!
Ew. Hochfreyherrlichen Excellenz kann ich nicht ohne einige Verlegenheit
*) 2 S. 4°. H. Wien.
Juni 1805. 275
melden, daß ich den, mir heute zugekommenen, so schmeichelhaften An-
trag einer Lehrstelle in Heidelberg abzulehnen mich bestimmt finde.
Nicht, daß ich im mindesten unempfindlich seyn sollte gegen das hohe
Glück auf eine so ehrenhafte Weise Unterthan einer durch ganz Deutsch-
land allgemein verehrten Regierung zu werden; nicht, daß ich irgend an
größere Vortheile denken könnte, als diejenigen sind, welche durch Ihre
gnädige Zuschrift meinen öffentlich noch wenig geprüften Fähigkeiten so
reichlich dargeboten werden. Im Gegentheil, ich glaubte schon, hier sey
kaum noch zu wählen: als die gütigen Aeußerungen bedeutender Männer
aus dem Kreise von Göttingen mich fühlen ließen, es seyen schon hier
Verhältnisse des Zutrauens angeknüpft, die eine zartere Rücksicht als
Berechnung der Einnahmen erforderen. Bey halben Vortheilen also bleibe
ich hier, um nicht in einem Augenblicke, wo man einigen Werth auf
meine Gegenwart zu legen scheint, dieser Academie zu fehlen. Und
durch solche Bewahrung älterer Verhältnisse möchte ich einigermaßen das
günstige Vorurtheil zu verdienen suchen, welches von Seiten Ew. Hoch-
freyherrlichen Excellenz und der dortigen hohen Regierung mir gnädigst
gegönnt war. — Es kommt hinzu, daß ich von einem alten Vater, dessen
Leben nicht mehr lange Dauer verspricht, mich nicht gerne gar zu weit
entfernen möchte.
In meinem Herzen bleibt auf lange Zeit ein Gefühl des lebhaftesten
Dankes zurück, für die mir gewordene Aufmunterung; — und des
Schmerzes, daß ein, sonst vielfach erfreulicher Wink, für mich verloren
seyn mußte.
Möchte Ew. Excellenz geruhen, neben diesen Gesinnungen die des
tiefsten Respekts gnädig aufzunehmen, womit ich die Ehre habe mich zu
nennen Ew. Hochfreyherrlicher Excellenz unterthäniger Diener
J. Fr. Herbart.
14. Febr. 1805: H. wird nach. Ablehnung der Berufung nach Heidelberg1) Professor
Phiiosophiae extraordinarius mit einem jährlichen Gehalt von 300 Rthlr. S.§Bd. XV,
S. 269. Die offizielle Ernennung erfolgte am 28. März 1805. 2)
192. Rahden an H.3) Leipzig, den 1. Junius 1805.
Jetzt, da mannigfaltige Gegenstände uns seit den Tagen unserer Trennung be-
schäftigten, will ich Ihnen, was mich anzog, kurz mittheilen. Nichts Neues konnte
ich Ihnen sagen, mit denen ich Gott, verließ, mit denen ich mich Ihres Umgangs,
Unterichtes erinnerte, und zuletzt das, was Ihnen in mir gehört, und auch eben so
gut mein Eignes ist, zu pflegen, zu bewahren mich entschloß. Es forderte auch
einen guten Pinsel und vielleicht können todte Zeichen, auf das Papier gemalt, sie
nie richtig bezeichnen. Über Trennung tröstete mich die Gemeinschaft mit
Ihnen, nicht allein einzelner Ideen, nein, des Handelns für einen Zweck ohne Ab-
rede: ich will sie so nennen, wie Sie sie selbst nannten „die Gemeinschaft des
Guten."
Körperliche Schwächen wurden durch die Anstrengungen der Reise fühlbarer,
Ruhe wußte sie zu verscheuchen. Den zweiten Tag erreichte ich Weimar. Schillers
*) Die Heidelberger Professur erhielt Fries.
2) S. Oldenburger Blätter 1842, S. 382.
») 3 S. 4°. H. Wien.
276 Juni 1805, ^
Tod hatte es verstimmt. Man suchte Schillers Andenken durch das wiederholte
Darstellen seiner Stücke den Anwesenden noch lebhafter einzuprägen. Man gab die
Schillersche Übersetzung der Phedra von Racine und diese treue fast wörtliche
Übersetzung schien bei der besten Darstellung nicht für die deutsche Bühne ge-
macht zu seyn. Göthe hat sich, durch Schillers Tod an den seinigen gemahnt,
zurückgezogen. Die Stimmung des dasigen Publicums kennen sie, sie ist dieselbe:
feine Genußleber. (?) Ich fuhr nach Jena und sprach dort Gries ; der lebhaft mich mit
Fragen bestürmte, warum Sie nicht nach Heidelberg gegangen. Voß der Homer
geht hin und Gries will auch bald dahin gehen; daß Gries, der dort schon alles in
Blüthen sieht, und Göttingen für den unfruchtbarsten Boden für philosophische
Cultur hält, nicht richtig urtheilt, werden Sie vorher wissen. Er versichert Sie
hätten es ietzt mit ihm verdorben;1) es waren seine schönsten Träume dort Jugend-
zeiten mit Ihnen zu erneuern. Da er seine Arbeiten nicht vollendet, so geht er nicht
nach Dresden, ihn tröstet, wie er sagt, sein schönes Schomzisches Fortepiano.
Der Weg nach Leipzig führte durch schöne Gegenden und wir erreichten es
an einem Tage. Schon unter Weges wurde der große Brod-Mangel sichtbar der in
Chur Sachsen herrscht. Er hat Revolten veranlaßt sagt man und ich suchte wo
ich Gelegenheit fand, daiüber Belehrungen einzuziehen. — Das Finanz Collegium,
das hier praedominirt soll iezt in schlechten Händen seyn. Mau hat keine Magazine
errichtet, weil man die Fonds dazu nicht hatte vorstrecken wollen. Das Land ist
arm, der Fürst reich. Er hat einen Privat Schatz von 40 Millionen baarem Gelde in
Gewölbe gesperrt und giebt nichts her. Eine schlechte Erndte hat den Mangel er-
zeugt. Unsere Wucherer benutzen die Noth und geben ihre Vorräthe nicht heraus,
um noch größere Gewinnste zu machen. Der Scheffel kostet 13 Thaler und oft ist
gar kein Brod zu haben. Der Pöbel in Dresden hat Gewalt gebraucht, mit Gewalt
die Vorrathskammern geöffnet und geraubt. Vorgestern geschab hier etwas ähnliches.
Die Polizei hat unglaubliche Nachläßigkeiten sich zu Schulden kommen lassen, sie
entschuldigt sich damit, man habe aus dem Finanz -Collegium nichts geben wollen.
Der Fürst darf, beschränkt durch die Stände, keine Auflagen machen(,) Abgaben
erheben(.)
Sie werden sich erinnern, daß wir von Sachsens Gerechtigkeit sprachen. Ge-
wiß ist, daß sie den Ursprung in des Fürsten Privat Tugend hat. Die Gesetzbücher
sind schlecht, die Formen unvollkommen, die Wahlen unbesonnen. Weit entfernt
für Individuen Formen zu bilden müssen alle sich in dieselbe schmiegen.
Man wird nach dem Alter befördert und nie wird der gemeine Gang gestört
man muß alle Stufen durchlaufen, alle müßen eine Bahn gehen, da helfen weder
Talent noch Kenntniß aber auch nicht Geburt u. Verbindung.
Das neuere Gesetzbuch soll, wie hiesige Lehrer glauben schlechter als das
Preußische Landrecht seyn. — Wenn man den Blick nach Baaden wirft man findet
nichts erfreuliches, und wie lange wird es währen bis man Ihre Ideen realisirt
wiederfinden wird. Mit wahrem Mißvergnügen sehe ich auch, daß Deutschland noch
nicht in der drohenden Gefahr einen Vereinigungspunct gefunden. Sachsen kümmert
sich um Deutschland als solches nicht. Es fürchtet für sich vielleicht, denn in
Königstein häuft man Magazine, um diesen festen Punkt zu schützen, allein Han-
novers Drangsale, die Eingriffe in Deutschlands Rechte, Schilderungen der Art
*) Zur Ergänzung sei eine Stelle aus Gries' Leben (1855) S. 66 hinzugefügt:
„Er begreife nicht, daß Herbart, den er (Gries) durch einen besonderen Zufall so
glücklich gewesen zur philosophischen Professur vorschlagen xu können, nicht
darauf habe eingehen wollen, und zwar, um in dem abscheulichen Gottingen zu
bleiben*'.
Juni 1805. 277
(ich habe es versucht) schlagen umsonst an fühllose Ohren. Sie glauben bei Ver-
einigungen zu verlieren, weil sie noch heiler Haut geblieben. — Wenn ich die Leute
recht lebhaft angriff, so sprach man von Signalen die Österreich und Preußen
geben müße, aber so als wenn man hoffe sie blieben aus. Aus Dresden mehr
hierüber, da habe ich mehr Gelegenheit zu beobachten. Hier wird alles durch den
Kaufmannsgeist besiegt, es fragt sich immer was gewinne ich wohl dabei. — Ich
Kenne hier mehrere Lehrer. Carus sah ich öfterer. Ich bin mit ihm Stundenlang
allein gewesen. Sie waren der Gegenstand unserer Gespräche und so Ihr Fach [ein
Wort unleserlich] acadernische Wirksamkeit. Er läßt sie als Freund grüßen, hat
lebhaft gewünscht, Vereinigungspunkte zu finden, die die wechselseitige Annäherung
befördern konnte. Jetzt sey mir erlaubt eine Schilderung des Mannes zu entwerfen;
es versteht sich, ich kann nur von dem sprechen, wie er mir erschien.
Theoretische Philosophie scheint er nicht zu lieben. — Solchen Gesprächen
wich er aus und seine Fragen trafen (er wünschte Ihre Meinungen zu erfahren)
immer zusammen; — sie waren theils empirische psychologische, theils aus der
praktisch. Philosophie. — Selbst da wußte er auszuweichen, wenn auf Freiheit oder
etwas ähnlichem das Gespräch sich wand. Er ist sonst Kantianer, ohne die Kant.
Ph. für die einzig wahre Lehre zu halten. Er ist mir scheints da mit sich nicht
einig. Die neueren Systeme wollen ihm nicht genügen und — — ein eigenes zu
erfinden hatte er nicht genug Kraft. || Mehr schien Paedagogic ihn zu reizen (er
ist Redacteur der Leipz. All. Zeitg. hatte aber nicht die Recension gemacht) da for-
derte er Erklärung über Vielseitigkeit der Interessen, frug ob Sie den Bgf. der An-
lagen entwickelt und fand, daß Sie gleicher Meinung waren. Dies machte viel Freude.
Liebenswürdig war er, als er von collegialisch. Verhältniß, academischer Wirksam-
keit sprach. Viel mußte ich von den Conversationen u. litterarisch Zirkel erzählen
und er sprach von ähnlichen Bemühungen, die er hier gemacht. Besonders gefiel
ihm der Paedagogische Gedanke, der ihrer Einleitung das Daseyn gab und der Gang
den Sie wählten. — Mir war es aber besonders zu thun Sie von der speculativen
Seite dem aufmerksamen Beobachter zu zeigen, da man Sie sonst so kennt wie ich
es wünsche und erzählte von Ihrer Darstellung des platonischen Systems. Er
wünschte es zu lesen, ich versprach es und er mir, daß es nächstens in der Litt,
Zeitg. angezeigt und beurtheilt werden würde. So angenehm es mir war, so ließ
ich es bleiben zu danken, weil, wenn er es gelesen, es von selbst geschehen.
Sonst ist er gelehrt, spricht gut, deutlich, ist sehr sanft und liebt Unter-
haltungen der Art, denn er ist mir zuvorgekommen. Was werden Sie aber sagen,
wenn ich Ihnen schreibe, daß ich hier wieder einen Cursus mache, — den Gallischen
nemlich. Er ist in 8 Vorlesungen vollendet. Jede währt einige Stunden hinter-
einander. Ueber Gall, den hiesigen Schulen, dem Buchhandel mit nächster Post
oder aus Dresden mehreres. —
Professor Klein, den ich hier getroffen und mit dem ich oft zusammen komme
läßt sich wie Schlaberndorff, ganz gehorsamst Ihnen empfehlen. Mein Bruder bittet
um Ihre Gewogenheit und empfiehlt sich mit mir den Sievers, Grote und Steigern,
an den ich von H. von Mecheln einen Gruß zu bestellen habe.
Was meine Gesundheit betriff, so geht es ziemlich gut mit der körperlichen,
die geistige soll mit ihr gedeihen. Ich sehe mit Sehnsucht, leider aber umsonst
mich um, Sie finde ich nirgends und fühle es, Sie werde ich nicht finden, fühle es
und weiß, daß ohne (Sie) ich nie ganz geistig genesen werde. Ferd. Rahden.
Menschen sind in mein Zimmer, ich eile daher, ich bin zerstreut.
N.B. Der Recensent ist einer Ihrer Freunde, der Sie in der Schweiz gekannt,
den Namen wollte er nicht nennen, sagte aber der Recensent habe an Sie schreiben
wollen.
278 Juni 1805.
193. An Smidt. l) Göttingen iotenjun. 1805.
Mein bester Smidt. Daß ich noch der Alte bin, davon brauchst
Du hoffentlich kein Zeichen. Du hast mein Zutrauen als Freund, also
auch den wesentlichsten Theil desselben, den nämlich, daß ich Dein
Zutrauen ein für allemal besitze.
Drey oder 4 Briefe von Dir weiss ich nicht erhalten zu haben; hat
mir der Zufall etwas von Dir geraubt? — Deine Fragen über Dr — konnte
ich nicht wohl beantworten, zwar Dir wohl, aber nicht zum bestimmten
Gebrauch, der mich in die unangenehmste Collision geführt hätte. Jetzt
ist die Gefahr, in der der junge Mensch mehr oder weniger geschwebt
haben mag, vorüber; denn man hat sich von der andern Seite nicht halten
können und hat sich das Spiel verdorben.
Aber zur Hauptsache! Ich schlage Dir statt Deines Kaisers einen
König vor, denselben den Du kennst, der ehemals in Old. war, jetzt in
Eutin ist. Vorausgesetzt die Rede sey vom Rectorat an der Domschule.
Ich sprach darüber mit Heyne, der beyde kennt, Kaisern mäßig lobt, ihm
aber weniger „philosoph. Geist1' zuschreibt als König, und vollends meinen
Grund anerkennt, den nämlich, daß || König nicht bloß trefflicher Philolog,
sondern beynahe ebenso trefflicher Mathematiker ist; u. ich will [nicht] hoffen
daß das in Bremen nicht geachtet wird! Dazu ist König mir der Mensch,
den ich für diesen Platz gemacht glaube. Ich kannte ihn als sein ver-
trauter Schüler; ich kenne ihn besser als die Oldenburger alle,, unter
denen sich keiner die Mühe gab, die Misverhältnisse zu heben, von
welchen er sich gedrückt fühlte. Er ist nicht gemacht regiert zu werden,
denn er hat eine gewisse starre Männlichkeit, die sich sonderbar verbiegt,
wenn er versucht sich höflich unterzuordnen, aber sich sehr liebenswürdig
und anschließend herablassen kann sobald ihm übrigens erträglich wohl
ist. Diesen Mann wünsche ich an diesen Platz wo er oben ansteht. Ob
er selbst zu regieren versteht, nämlich untergeordnete Collegen, weiß ich
nicht: es wird aber schwerlich nöthig seyn, da Du ja, wenn ich nicht
irre, selbst Herr u. Meister bist, dem die Collegen ziemlich in gleicher
Linie untergeordnet sind. Du wirst ihn nun herzlicher nehmen wie die
Oldenburger, wirst seine Rathschläge nach Möglichkeit benutzen, u. so wird
es, sollte ich glauben sehr gut gehen. Auch mit Bredenkamp, wenn der
vielleicht noch Einfluß behält, wird er denk ich zurechtkommen.
Zum Conrector — auf den ziueyien Platz — taugt König gar nicht,
wird es auch nicht annehmen, da er Rector in Eutin || ist, und es sich
überall noch fragt, was Ihr anzubieten habt, u. in welchem Verhältniß zu
Euren hohen Preisen?
Für die übrigen Stellen weiß ich niemand. Ich danke Dir, daß Du
an mich denkst, — nachdem ich aber die herrliche Gegend von Heidel-
berg, mit 600 Rthlr. Gehalt u. der ordentl. Professur ausgeschlagen habe,
erräthst Du leicht daß ich mich hier am rechten Platze fühle. —
Deine Schwester mit der M[etta] R[ohde] 2) u. Günthern sah ich
zu kurz — aber zu großer Freude. Sie hat sich sehr erhohlt, mit
l) 4 S. 8U.
*) Smidts Schwägerin.
Juli 1805. 279
Günthern geht es so gut es nur kann, und wird wol noch besser werden.
Günthern selbst fand ich gehoben, im Äußern: u. im Innern, — sich
gleich !
Die Doctorin Noltenius zürnt mir, wie ich höre? Was ist zu thun?
— Zu schreiben, sagst Du? — Ja wenn es damit gethan wäre! Eine
junge, schöne zürnende Dame, — woher nimmt man den Muth der noch
zu schreiben! Ich ersuche Deine liebe Frau angelegentlichst, ein schwester-
liches Wort vorher für mich einzulegen, damit ich nicht gar zu ungütig
aufgenommen werde, wenn ich mich nun sehen lasse. —
Bald werde ich mich Dir etwas breiter und gelehrter vernehmen
lassen. — Bis dahin leb wohl. Bring den theueren Kulenkamps meine
herzlichsten Grüße; und sage Ihnen, || daß ich zuerst auf ihre Güte
baue, um bey ihnen einen Fürsprecher bemühen zu wollen.
Behalte mich lieb alter Freund! Dein H.
194. An Smidt.1) Göttingen 4ten Jul. L1805].
Du erhältst hier, lieber Freund, mein Antrittsprogramm,2) dem ich,
wie Du aus der Beylage sehn wirst, einen etwas ausgedehnteren Wirkungs-
kreis und mehr Werth zu geben gesucht habe, als dergleichen Schriften
zuweilen sonst haben mögen. Als das erste deutliche Zeichen, wie ich
meine hiesige Aufgabe gefaßt habe,, wird es vielleicht Dir, — und als eine
Summe von Äußerungen über alte u. neue Philosophen dem Bremischen
Gelehrten vielleicht eine Neuigkeit von einigem Interesse seyn, zudem da
die philosophische Thätigkeit von Göttingen sich jetzt so ziemlich in
meinem Auditorium concentrirt zu haben scheint.
Der Einlage an Mad. Noltenius bitte ich gutes Geleite zu geben.
Da ich nicht weiß ob Herr Aldfeldts Name eine hinreichende Adresse ist,
so muß ich sie jetzt noch mit dem Gelde bemühen; das ebenfalls hiebey
kömmt.
Von Kulenkamps habe ich die besten Nachrichten; hoffe deren Be-
stätigung, mit baldiger Nachricht, ob König Dir ansteht? — Empfiehl
mich in Deinem Cirkel! Dein Herbart.
Die Nachricht von den Bildern hat mich sehr gefreut.
195. An Paul Anselm v. Feuerbach in München.
Göttingen Juli o. August 1805. 3)
Die gütige Zuschrift, welche von Ihnen zu empfangen mir gegönnt
war, ist an sich ein köstliches und ganz unerwartetes Geschenk. Weder
von Ihnen, noch von dem ehrwürdigen Jacobi, noch von der Baierschen
Regierung durfte ich mich bemerkt glauben, und am wenigsten an Aus-
zeichnungen von dorther denken.
Zweifeln Sie nicht, ich bitte sehr darum, an meiner Empfänglichkeit
für die grossen Gedanken, welche dem kühnen und mannigfaltigen Streben
*) 1 S. 8°.
2) De Platonici etc. S. Bd. I. S. 3 1 1 ff.
3) Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe pp. Doch ist der Brief dort falsch
datiert. Nach dem Inhalt ist er 1/2 Jahr nach der Berufung nach Heidelberg geschrieben.
Text nach dem Konzept auf der H. Wien.
280 Juli 1805.
in jenem Lande zu Grunde liegen. Sie wissen in welcher philosophischen
Schule ich die Jahre der grössten Erregbarkeit zubrachte, — eine Zeitlang
ist Fichte'n vielleicht keiner seiner Schüler näher gewesen als ich.
Aber ich gestehe Ihnen auch, dass ich in den neueren Ereignissen
am philosophischen Horizont mit Verdruss zugesehen habe, — der viel-
leicht desto tiefer ging, weil er still blieb. — Hätte ich ein Vorurtheil
gegen Baiern, so bestünde es darin, dass ich die neuesten dort ver-
breiteten Lehren keineswegs als Vorarbeit für mich ansehen kann.
Indessen, ich bin gewohnt, in allerley Feldern zu ackern, und mir
selber vorzuarbeiten. Denjenigen, welche bey mir fertig sind, rathe ich
überdass, sich alsdann auch bey andern zu versuchen. Und ich liebe es,
mir selbst die Sorge für gute Nachbarschaft anzumuthen mit denen, welche
neben mir wohnen.
Kann mich also etwas abhalten, Ihre Vorschläge mit der Schnellig-
keit und Wärme zu umfassen, die Sie vielleicht der Sache angemessen
finden: so liegt dasselbe bloss in meinen hiesigen Verhältnissen. Da ich
vor einem halben Jahre einen Ruf nach Heidelberg erhielt: zeigten mir
achtungswürdige Männer hier und in Hannover ein Zutrauen, dem ich
glaubte entsprechen zu müssen, und ich blieb, wiewohl bey halben Vor-
theilen. Ich habe seitdem nicht Ursache gefunden, meine Gesinnungen
zu verändern. Eine kleine Vermehrung der äusseren Bequemlichkeit ist
mir kein Grund, Verhältnisse zu wechseln. Dabey ist der Wirkungskreis
von Göttingen immer noch einer der allervorzüglichsten. Ich habe hier
Schweizer, Schweden, Engländer, Holländer, Russen, Polen, Ungarn, als
Zuhörer vor mir gesehn; ich habe das Glück, vielen sehr ausgezeichneten
Männern als ihr Mitarbeiter zur Seite zu stehn; namentlich einem Historiker
wie Heeren und einem Mathematiker wie Thibaut! Vor allen unangenehmen
Collegial- Verhältnissen sichert mich das feine Gefühl des Hrn. Bouterweck.
— Wie sollte ich dem Minister Grote, einem der trefflichsten Männer
die Hannover besitzt, und mit dessen Söhnen ich in der genauesten Be-
kanntschaft stehe, wie sollte ich es ihm vortragen: dass ich jetzt jene
so oft anerkannten Vorzüge von Göttingen auf einmal minder schätze? —
Bis jetzt habe ich Ihre Vorschläge noch gegen Niemand von hier, er-
wähnen mögen! —
Was die Sache verändern könnte, das darf ich von Ihrer Regierung
nicht erwarten; und die Schuld (wenn es eine Schuld ist) liegt, zunächst
wenigstens, in meinem langen Verschliessen meiner Arbeiten. — Es ist
allerdings Zeit für mich, nicht bloss mir als einzelnem Menschen ein Aus-
kommen zu sichern, sondern auch an die Bedürfnisse einer Familie zu
denken. Darin ist hier für mich nicht gesorgt; und es kann auch für
jetzt schwerlich geschehen. Würden mir anderswo Aussichten zu einem
bequemen Familienleben versichert: dann freylich hätte ich einen Grund,
Göttingen zu verlassen. Sie fordern mich auf, Ihnen meine Bedingungen
zu melden. Aber auf welche öffentlichen Verdienste gestützt, dürfte ich
Summen ansprechen, wie es Männern von entschiedenem Rufe zusteht?
— Eben jetzt bin ich daran, meine Arbeiten dem Publicum in Einem
Buche vorzulegen. Was mir nach zwey Jahren, vielleicht nach Einem
Jahre gestattet gewesen wäre, ist jetzt noch nicht an der Zeit. Ist
September 1805. 281
die Gelegenheit flüchtig: so muss ich sie aus den Händen lassen.
Man versprach in Heidelberg 1100 Gulden. Dergleichen Bedingungen
können mich von hier nicht entfernen; andre zu nennen, wäre in meinem
Falle eine grosse Indiscretion. Verzeihen Sie also dass ich schweige. —
Das Glück, mich Ihnen mittheilen zu dürfen, ist mir indessen ge-
geben; und so erlaube ich mir, Ihnen einige Andeutungen aus meinem
Gedankenkreise darzubringen. Sie finden ein paar kleine Schriften und
ein Bruchstück aus einer grössern hier beygelegt; wahrscheinlich hat nichts
davon in Ihre Hände kommen können. Der Plan zu einer Vorlesung
enthält die Antwort auf Ihre Frage, ob ich Naturrecht lese. Die Gegen-
stände des Naturrechts werden in meiner practischen Philosophie als un-
abtrennbares Glied derselben abgehandelt; die vorgebliche Wissenschaft
selbst würde ich nur polemisch verfolgen können. Wie erweckend und
belehrend müsste es seyn, mit Ihnen über diese Dinge zu sprechen!
Wir sind zwar nicht ganz einig; aber die grosse Hochachtung für die
Denkkraft, von welcher die „Revision des peinlichen Rechts" der Ausfluss
ist, habe ich mit meinen Zeitgenossen gemein.
Unserm Plato habe ich meine Abhandlung über den Plato schon
auf einem anderen Wege zuzusenden die Freyheit genommen. Mag er
die andern Kleinigkeiten ansehn, so bitte ich Sie, ihm dieselben gelegent-
lich mitzutheilen. — Wüsste es der Mann, wie ich ihn schätze! Aber ich
kann es ihm jetzt nicht sagen. Zu Jacobi soll man mit gesammeltem
Sinn sprechen; und mein Kopf ist jetzt durch die ganzen Weiten der
Pädagogik zerstreut, die eben halb geschrieben vor mir liegt, und zu
Neujahr herauskommen und der practischen Philosophie vorangehen soll.
Wenn von dieser Zerstreuung auch das gegenwärtige Blatt Spuren
an sich trägt: so bitte ich Sie, höchstgeschätzter Hr. Hofrath daraus
wenigstens nicht auch nur auf den kleinsten Mangel an derjenigen voll-
kommensten Hochachtung und Ergebenheit zu schliessen, mit welcher ich
die Ehre habe etc. etc.
196. F. A. Carus an H.1) Leipzig am 1. Sept. 1805.
Für das reine Vergnügen, welches mir die Durchlesung Ihrer mit platonischem
Geiste und doch auch mit freier Selbständigkeit geschriebenen Schrift gewährte,
empfangen Sie, verehrtester Herr Professor, meinen innigsten Dank. Eine Anzeige
derselben ist so eben in unser hiesigen Lit. Zeitung abgedruckt. Gern hätte ich dort
noch Mehr von ihr gesagt, wenn ich bei dem vergönnten Räume mich ganz hätte
aussprechen dürfen. Ich sehne mich, bald ähnliche Früchte Ihres historisch-philo-
sophischen Studiums zu lesen. Ich bin iezt doppelt Ihr Vertrauter, da ich Ihre
Ansichten nicht blos verstanden zu haben glaube, sondern mich auch gedrungen
fühle, Ihnen zuzustimmen. Nur über das, was Sie hier blos anivinhen wollten,
müßte ich erst Ihre näheren Erklärungen abwarten. ||
Wäre es nicht möglich, daß wir uns einmal sehen und sprechen könnten?
Sollte Leipzig gar nichts Anziehendes für Sie haben? Nur wünschte ich nicht, daß
Sie in der Michael-Messe hieher kämen, in welcher ich in mein Vaterland, die
x) 3 S. 8°. H. Wien. — Fr. Aug. Carus (1770—1807), seit 1805 0. Prof. der
Philos. in Leipzig, Verfasser der „Ideen zur Philosophie der Geschichte" und einer
Psychologie. S. S. 284, Anm. und Allg. D. Biogr.
282 September 1805.
Lausiz, reise. Da Sie uns die Freude gemacht haben, uns Ihre Mitwirkung zu un-
befangener Würdigung der philos. Zeitprodukte zuzusichern, so übersendet Ihnen
anbei die Kedaction den Contract, von welchem Sie das eine Exemplar gefälligst
unterschrieben an mich zurücksenden werden.
Sie sind in Hinsicht auf den Eaum der Reo. nicht so wie andre gebunden.
Zugleich empfangen Sie die erste Sendung von Büchern, deren combinirte Recension
wir uns von Ihnen erbitten. Sie betreffen sämtlich, was Sie sehen, die philos.
Moral. Wie viel läßt sich seit Schleiermacher und schon früherhin nicht für sie
erwarten und mitwirken! Die Stellung dieser Schriften in der Collectiv-Recension
ist Ihnen ebenso freigestellt als ob Sie dieser Reo. eine kurze Einleitung, welche den
iezzigen Standpunkt der Moral feststellt, voransetzen wollen. Auch sollen Sie
keineswegs mit vielen Rec. überhäuft werden, sondern ganz con amore arbeiten, so
oft Sie wollen. Je weniger Sie ein Rec. vom gewöhnlichen Schlage seyn mögen,
wie Sie sagen, desto willkommener, desto erwünschter sind uns Ihre Recensionen.
Erfreuen Sie mich bald wieder mit einem geistigen Besuche, wenn Sie es noch
mit keinem persönlichen können, und erhalten Sie mir Ihre Freundschaft. Der
Meinigen bleiben Sie gewiß. Hochachtungsvoll der Ihrige Carus.
1806.
W. : Allgemeine Pädagogik. S. Bd. II. S. I — 139. — Selbstanzeige derselben.
S. Bd. II. S. 143 — 145. — Selbstanzeige der Abhandlung: „De Platonici syste-
matis pp.u S. Bd. I. S. 333 — 334. — Hauptpunkte der Metaphysik u. Hauptpunkte
der Logik. (Erste, nicht für den Buchhandel bestimmte Ausgabe.) S. Bd. II. S. 175
bis 226. — Rez. von Callisens Abriß der Rechts- und Sittenlehre, Snells Hauptlehren
der Moralphilosophie, Tieftrunks Philosophischen Untersuchungen. S. Bd. XIII. S. 326
bis 334.
197. An Smidt1) Göttingen 2 Febr. 1806.
Mein theurer Smidt! Du siehst Dich hier als Pathen zu einem spät-
gebornen Kinde, das Du schon vor Jahren als Embryo gesehen hast;
und das wohl noch nicht zur Welt gekommen wäre, wenn nicht der
Wunsch, den Grafen Sievers und Plater, meinen eifrigen Schülern, noch
diesen Rest ihrer Studien in ihre Heimath mitzugeben, mich vorwärts ge-
trieben hätte. Eben diese Beschleunigung nöthigt mir jetzt die Bitte ab,
Du mögest über den Mangel der letzten Feile hinwegsehen und vorlieb
nehmen mit einer leidlichen Darstellung der Hauptbegriffe. Etwas vollendet
hinstellen zu wollen, darf weder der Ehrgeiz meiner Jahre seyn, noch
verträgt es sich mit der Rücksicht auf die Bedürfnisse meiner jetzigen
Wirksamkeit, und auf die Menge und Vielartigkeit der Arbeiten, welche
vor mir liegen und gewissermassen von mir gefordert werden.
Dich vor dem Publicum feyerlich anzureden, |] wollte mir nicht in
den Kopf; unter vier Augen mag ich Dich wol bitten, Dir es gefallen
zu lassen, dass ich nach hergebrachter Schriftsteller-Sitte meine unver-
ändert freundschaftlichen und dankbaren Gesinnungen gegen Dich, an eine
meiner liebsten Gedankenparthien öffentlich anhefte, als ob dadurch diese
ein passendes Symbol würde, von jenen!
Dir, dem Scholarchen, gebührt es sich übrigens, eine Pädagogik zu
widmen. Nur freylich wird der Scholarch nicht viel von dem, was er zu-
nächst sucht, darin finden ! Darin schicke ich mich. — Gebe der Himmel,
dass Du immerfort als Senator der freyen Reichsstadt Br[emen] viel zu
sehr mit öffentlichen Geschäften überhäuft sein mögest, als dass Du je-
mals mit mir in guter Müsse grübeln könntest über die tiefere Philosophie
der Pädagogik, oder Theil nehmen an der Ausarbeitung der Mono-
graphien, aufweichen die specielle Ausführung meines Planes beruhen würde!
Den Wissenschaften wird hoffentlich immer irgend eine Freistatt bleiben,
x) 4 S. 8°.
234
Februar 1806.
wo sie ihr Geschafft fortführen können. Und einige jüngere Gehülfen sehe
ich schon || jetzt neben mir, welche meine Hoffnung wol nicht ganz täuschen
werden. Die Experimente des ABC d. A. und des Homers werden hier
jetzt an einigen Knaben, unter andern an einem nachgelassenen Sohne
von Lichtenberg gemacht, der ein naives Bübchen ist und von sehr
fähigem Kopfe.
Was macht wol Deine gute Schwester? Ist sie noch in Dresden?
Davon hätte ich gern bald ein paar Worte der Nachricht. Auch ob sie
mit G[ünther] fortdauernd zufrieden ist? —
Von den gebundenen Exemplaren wirst Du die Güte haben Eins
mit dem beykommenden Briefe an Kulenkamps zu senden. Ich lege
noch einige andere Exemplare bey, worüber unsere Freunde, wie es ihnen
bequem ist, schalten werden. Vor allem gehört eines unserm Koppen.
Dieser würde mich sehr verbinden, wenn er seine literarisch so wol ge-
übte Feder diesmal zu einer Mittheilung seines Urtheils, oder auch dessen
— was Ihr in pleno über mich beschliessen werdet — anwenden wollte.
Vor allem soll er dann die witzigen Einfälle nicht weglassen! || Das
Urtheil der Lacher ist auch etwas werth! Und auf allen Fall werde ich
mitlachen dürfen, und an den heilsamen Erschütterungen des Zwerchfells
leide ich hier gar grossen Mangel!
Sonst geht es mir leidlich, wiewohl meine Gesundheit noch immer
ein recht launisches Kind ist.
Leb Wohl mein Theurer! Grüsse alle die Unsrigen recht herzlich!
Dein Herbart.
198. F. A. Carus an H.1) Leipzig, den 8. Febr. 1806.
Ich würde Ihnen, verehrter Herr Professor, wohl eingedenk Ihres ursprüng-
lichen Wunsches, der den Umfang Ihrer Thätigkeit für die hiesige Zeitung be-
bestimmte — , die beiden Rechenbücher nicht zugesendet haben, wenn nicht eben
Ihr trefflicher Schüler und Freund G. Sievers, mir dazu Muth gemacht, wenn er
nicht mit mir zugleich Ihr eingreifendes Urtheil über die neue, schon in der großen,
hiesigen Bürgerschule durchherrschende Rechenmethode oder Manier gewünscht
hätte. Hier haben Sie meine offene Entschuldigung wegen meiner Zumuthung, eine
Entschuldigung, die ich vielleicht bei Ihnen mehr bedarf, als Sie dieselbe von mir
bedurften. Wie wir von keinem unsrer Mitarbeiter je mehr forderten, als er selbst
aus freier Lust und Liebe beitragen wollte, so möchte ich noch weniger Ihre freie
Thätigkeit hemmen, je inniger ich Ihre Freiheit und Sie selbst achte. Nur bedauern
darf u. muß ich, daß Hrn. Tillich2) Ihre pädagogische Zurechtweisung — und so
vielen diese Methode schon iezt befolgenden Lehrern nicht Ihr warnendes Wort zu
seiner Zeit — werden sollte. Gerade aus Ihrem Munde würde der als Mensch sehr
achtungswerthe Tillich auch den stärksten Tadel nicht blos ertragen und gehört,
sondern auch redlich befolgt haben. || Desto mehr habe ich von Ihrer Eiiaubniß
Gebrauch gemacht und ihm lhien Wink bereits gestern geschrieben. Auch dieser,
J) 4S. 8". H. AVien.
2) Über E. Tillich und sein Verhältnis zu Carus und Herbart vgl. Th. Fritzsoh,
E. Tillich (Langensalza, Hermann Beyer & Söhne [Beyer & Mann] 1908). Nach
dem hier mitgeteilten Material, das mir bei Abfassung der Abhandlung über Tillich
noch unbekannt war, ist zu berichtigen, daß Tillich die Lehre Herbarts vom er-
ziehenden Unterricht gekannt hat.
Februar t8o6. 285
ich weiß es, wird ihn schon aufmerksamer machen, und schon dies ist mir lieb, da
ich in seiner Erziehungsanstalt selbst einen Sohn habe. Schon Ihren Sievers machte
ich auf manche schwache Seite jener Anstalt namentlich auch in der dort durch
ihre Resultate oft "Wunder scheinende, wenigstens Verwunderung erregende Rechen-
Manier aufmerksam und beschwor ihn, dem dafür empfänglichen Tillich jeden Tadel
rein heraus zu sagen und sich sogar auf diesen meinen ihm gegebenen Auftrag zu
berufen. Gewiß hat er es gethan — denn Tillich ist voll seines und — Ihres
Lobes in seinem letzten Briefe. Leider! hat Tillich es indessen mit einem noch
weit größeren Enthusiasten zu thun, als er selber ist, und dies ist Olivier, der über
seine Elemente nie hinausstreben kann.
Sie wünschen dem Hrn. Tillich einen geistreichen Mathematiker zum Leiter.
0 hätten Sie mir einen solchen genannt oder nennten Sie mir ihn noch, welcher
durch unsre Zeitung zu dem jungen Manne sprechen mogte — Sie würden sich zu-
gleich unser Institut verpflichten. Unser Hindenburg und von Presse sind zum
Recensiren gar nicht geeignet. |j Ihr pädagogisch. Werk soll nun, Ihrem Wunsche
gemäß, weder T. noch S. recensiren. Indem ich Ihnen, mein verehrungswürdiger
Ereund — denn in meinem geheimen Innern gelten Sie mir längst als solcher und
warum soll ich meine Gesinnung nicht aussprechen? — die Wahl ließ, wünschte
ich Ihrem Werke zugleich eine frühere Rec. zu gewinnen, da ich bei meinem
durchaus bis Ostern festgesetzten Arbeiten vor dieser Zeit nicht an eine Rec.
kommen kann. Desto mehr freue ich mich auf Ihr gediegenes Wort über den
großen Gegenstand der neuern Tendenz der Moralsysteme, die Sie unsern Blättern
zugesagt haben. Mit innigem Vergnügen übertrage ich Ihnen, Ihrem Wunsche ge-
mäß, Spinozas Ethik dazu, damit auch dadurch Ihre Darstellung und Entwicklung
ein in sich vollständiges Ganze werde.
Gewiß wäre es überhaupt kein unzweckmäßiges Unternehmen, auch noch ältere
Systeme zuweilen, und grade in solchen mehr als Bücher gelesenen Zeitschriften,
nicht blos in Erinnerung sondern auch unter dem Gesichtspunct des weiterstrebenden
Zeitalters zu bringen, vollends, wenn es so tonangebende Systeme waren, wie in der
Moral das Spinozistische. Ob Sie dabei auf die neueste || Ausgabe von Paulus oder
auch eine vielleicht noch neuere Uebersetzung der Ethik — bei etwa nöthigen,
literär. Nachweisungen und Citaten Rücksicht nehmen wollen, sey Ihnen gänzlich
überlassen. Und nun meinen nochmaligen Dank für Ihre nun wirklich erhaltene
Pädagogik, von welcher ich die beiden übrigen Exemplare noch Ihren beiden Schülern
am letzten Tage Ihres Aufenthaltes übergeben konnte. Sein Studium verspricht
mir einen geistvollen Genuß, wie mich denn schon seine nicht compendiarische,
von der gewöhnl. trocknen Manier sich entfernt haltende Form nicht wenig anzieht.
Sie haben auch durch die Phantasie, obschon mit voller Besonnenheit Ihres Thuns
gesprochen, und das kann dem praktischen Erziehungswerke nicht anders als
günstig sein.
Nur eine Nachricht Ihres letzten Briefes hat mich wahrhaft bekümmert, die
von dem Schwanken Ihrer Gesundheit. Geben Sie mir bald frohere Nachrichten
darüber, und, wenn Sie mich mit Ihrem Besuche in Leipzig erfreuen, so kommen
Sie nur nicht während der unruhigen Oster- und Mich. Messen, wo wir Aka-
demiker die Handelsstadt gewöhnlich fliehen. Leben Sie recht wohl und bleiben Sie
meiner wohlwollend eingedenk wie Ihrer Der Ihrige Carus.
199. All Smidt1) Göttingen I3ten Febr. 1806.
Mein Theurer! Das Versehen der nicht beygelegten Exemplare rührt
daher dass ich nicht selbst gepackt hatte. Es scheint aber dass ich zu
l) 3 S. 8».
286 März 1806.
kurz kommen werde mit der Anzahl, daher wage ich es für jetzt nur
noch eins, an Koppen, nachzusenden.
Vielen Dank für Deine freundschaftliche Aufnahme! Verlernen wir
es nie, einander im Wechsel des traulichen und herzlichen Geben und
Nehmen entgegenzukommen! Aber wahrlich, wir sind auch längst zu alt,
um es noch zu verlernen! —
Meinen herzlichsten Glückwunsch Dir und Deiner lieben Frau zu der
schönen Gabe die sie Dir und sich selbst gebracht hat! — Aber Kinder
wollen erzogen seyn, und ein blosses Buch kann nicht erziehen! Ich
dachte, so gewiss, Günther solle den Buchstaben lebendig in Eure Mitte
stellen! Indessen, mein Theurer, || ich sehe in allem bis jetzt nur ein
verschobenes Verhältnisse den Menschen kann ich nicht anders als früher
hier, beurtheilen. Noch jetzt kenne ich Niemanden, den ich mit mehr
Zutrauen hätte empfehlen können, und er selbst hat sich mir noch in
diesen Tagen durch einen geistreichen Brief empfohlen, den er, eilig u.
flüchtig, und gar nicht in Erwartung der Mittheilung an mich, neulich
hieher schrieb. — Aber — es muss Stahl auf den Stein treffen damit er
Funken gebe. — Günther weiss besser, worauf es beym Erziehen eigent-
lich ankommt, als tausende, die den Anfang bey weitem besser treffen
würden. Damit er es auch sage und zeige und zum rechten Anfangen
komme, — wäre es vielleicht sehr zu wünschen, Du thätest einmal irgend
einen männlichen Schritt gegen ihn, und erwartetest seine Erwiderung.
Unter Frauen fühlt er sich ohne Zweifel verlegen; und ich fürchte, Deine
Schwester hat gerade das von ihm erwartet, was sie als Mutter ihm ent-
gegen bringen musste. ||
Heute habe ich einem Unterricht beygewohnt, der mein ABC der
Ansch. ganz trefflich ausführt. Ich wünschte sehnlichst, Dein Blender-
mann könnte auf kurze Zeit hierher kommen, um die Sache zu lernen.
Antworte mir doch, ob dies ganz unmöglich sey. Die Gründe will ich
Dir ein andermal entwickeln.
Dringend bitte ich um baldige Nachricht von der theueren Kulen-
kampen !
Höchst Eilig Dein Herbart.
200. A. H. Niemeyer an H.1) Halle, den 6. Märtz 1806.
Wohlgebohrner, Höchstgeehrter Herr Professor. Ich werde kaum dem Schein
entgehen können, als ob mir nur der Eigennutz die Feder in die Hand geben
könnte, Ihnen meine Achtung und Ergebenheit auszudrücken. Ich will es aber doch
darauf wagen!
Unbekannt sind Sie hoffe ich, nicht mit meinen Gesinnungen gegen Sie, wenn
mir Freund Bernoulli2), wenn mir Hr. v. Platen, wenn mir so manche Eeisende
anders Wort gehalten, und meine mündlichen Aufträge an Sie nicht vergessen haben.
Ich bin viel mit Ihnen umgegangen, indem ich Sie fleissig gelesen habe. Ich habe
Sie auch hie und da zu erkennen geglaubt, wo Sie Ihr Name nicht verrieth. Uns
verbindet ein grosses Interesse, das Wohl der aufwachsenden Generation, und Ihrem
*) 4 S. 4°. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe pp. S. 113 f.
2) Christoph Bernoulli (1782—1863) war 1802—1804 Lehrer am Pädagogium
in Halle.
April 1806. 287
strengen Geiste darf sich, auch || der ältere Mann zutraulicher nähern, weil Sie noch
kein abgeschlossenes System spröde gegen alles gemacht hat, was nicht zur Schule
gehört.
Sie haben eine Pädagogik geschrieben. Ich habe sie nur einen Tag bei Hrn.
v. Platen blättern können und sie hat mich sehr angezogen. Nun ist sie aber mit
ihm auf Reisen, und hier und in Leipzig bemühe ich mich vergebens sie zu be-
kommen. Ich hätte sie sehr gewünscht näher zu kennen, ehe ich meinen 3ten Theil
geschlossen hätte, was nächstens geschieht. Er wird als später Dank für Ihr ABC
der Anschauung, nach Ostern in Ihren Händen seyn.
Ueber die neuesten Methoden werde ich offen meine Meinung sagen. Ich
sehe vorher, dass ich vielen missfallen werde. Ich will ja aber nichts als eine
Stimme geben. Wie es mir erscheint will ich frey sagen; wie es sich verhält zu
meinem praktischen Wissen. Mehr nicht! Nun mögen auch dies wieder andre
prüfen. So stark wie H. Ewald (?) kann ich nicht mehr ergriffen werden. || Ich
mag zu alt oder zu kalt seyn. Das erste ist man wohl, wenn die 50 zurück sind;
aber ich fühle mich noch ziemlich jung und kalt bin ich doch wohl eigentlich auch
nicht.
Ich ehre den Geist der P(estalozzi'schen) Methode. Aber in der Form finde
ich noch vielen Anstoss, und ich zweifle, dass sie bestehen kann. Sie werden lesen
und urtheilen und berichtigen.
Vielleicht glauben Sie, mein Geehrtester, dass der Eigennutz von dem ich im
Anfang meines Briefes sprach, nur der sey, mir das Vergnügen einer Unterhaltung
mit Ihnen zu verschaffen. Aber er ist noch ein andrer. Ich komme zu einer Bitte.
Ich bin in diesem Augenblick sehr verlegen um einen Lehrer an unserem
Pädagogium wo Bernoulli stand. Vielleicht kennen Sie durch ihn das Angenehme
und das Lästige der Lage besonders des von Ihnen so getadelten, hier noch unver-
meidlichen Zusammenwohnens mit jungen Leuten. Ausser freyer Station ist auf
200 Rthlr. zu rechnen. Kenntnisse, Geschmack, Sitten, Charakterfestigkeit, Geduld,
Gewandtheit — das sind die Erfordernisse. Es war || überflüssig, dass ich Ihnen
diess sagte. Auch wissen Sie wie viel lebendiger Vortrag werth ist.
Kennen Sie in Göttingen oder in irgend einer andern Lage einen solchen
Mann, der auch geneigt wäre einige Jahre hier zu leben — so bitte ich Sie dringend,
ihn mir zu nennen; denn schon Ostern tritt die Vacanz ein. Wie willkommen
würde mir ein Mitarbeiter seyn, welchen Sie geeignet fanden, in einem solchen
Kreise zu wirken, der noch manches nothwendig macht, was dem Privatlehrer allen-
falls fehlen darf.
Mit wahrer Hochachtung Ihnen ergeben. D. Niemeyer.
201. W. G. Tennemann an H.1) Marburg, den 16. April 1806.
Wohlgeborener, Hochgelahrter Hochgeehrtester Herr! Erst vor Kurzem habe
ich Ihre kleine Schrift: de fundamento philosophiae Platonicae, die mir zufälliger-
weise bisher unbekannt geblieben war, gelesen. Ich danke Ihnen für den geistigen
Genuss, welchen Sie auch mir in derselben bereitet haben. Sie zog mich um so
mehr an, da mich diese Untersuchungen ehedem sehr interessirt und beschäftiget
haben. Als ich die Grundlage der Platonischen Philosophie, mit allem, was der
geistreiche Mann darauf erbauet, und daran geknüpft hatte, zu erforschen strebte,
wäre es mir erwünscht gewesen, wenn ich einen sichern Führer, eine schon ge-
brochene Bahn hätte finden können; da mir aber dieses Glück nicht wurde, so war
x) 4 S. 4°. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe pp. S. 115 ff.
W. G. Tennemann (1761 — 1819), der bekannte Geschichtschreiber der Philosophie.
288 April 1806.
ich genöthiget, meinen eignen Weg zu gehen, und mir einen sichern Eingang in das
verschlossene Heiligthum der Platonischen Philosophie zu suchen. Sie haben zum
Theil denselben Weg gewählet, wiewohl ziemlich abweichende Resultate auf dem-
selben gewonnen. Es kann Ihnen und mir nicht anders als angenehm seyn, das
eine und das andere Verfahren mit einander zu vergleichen. Auch wird diese Mühe
selbst wie ich mir schmeichle, nicht ganz ohne Belohnung bleiben, sollte ich auch,
wie Sie an einem Orte zu verstehen geben, so unglücklich gewesen seyn, das Ziel
ganz verfehlt zu haben, wovon ich mich aber nicht überzeugen kann. Ich für meinen
Theil habe die Prüfung Ihrer Darstellung von dem Fundamente der Platonischen
Philosophie in Vergleichung mit der meinigen angestellt, und bin dadurch nicht be-
stimmt worden, meine älteren Ueberzeugungen aufzugeben; ich wünschte, dass Sie
dasselbe auch in Ansehung der meinigen thun möchten, weil dieses der einzige Weg
ist, um eine feste Ueberzeugung zu gewinnen, man habe Piatos Philosophie aus
dem richtigen Gesichtspunkte angesehen.
Erlauben Sie, dass ich zu dem Ende Ihnen mit wenigen Worten darlege, worin
ich mit Ihnen einverstanden bin und worin ich mit Ihnen nicht übereinstimmen kann, j |
Den Hauptcharakter der Platonischen Philosophie suchen Sie, meines Ermessens,
ganz richtig in den Ideen, welche das oy, die uoia im Gegensatze der yevsoiQ zum
Gegenstande haben. Wenn man daher eine vollständig deutliche Ansicht von dem
ov als Object und den Ideen als Inhalte der Philosophie erworben hätte, würde man
auch das Fundament der Platonischen Philosophie gefunden haben. Wie wird man
sich aber diese Ansicht verschaffen? dass uns Plato selbst dazu verhelfen muss,
versteht sich von selbst. Wir müssen ihn selbst befragen und er muss uns selbst
die Antwort auf unsere Fragen geben. Es kommt nur auf die Methode an, durch
welche man ihm die Erklärung seiner selbst gleichsam abnöthigt. Es giebt dazu
einen kürzern und einen längern Weg. Sie haben den ersten gewählt, ich ziehe
den zweiten vor. Wir müssen, glaube ich, den Plato vollständig verhören, alle
Stellen, worin er sich über das Fundament seiner Philosophie geäussert hat, unter-
suchen, und die Hauptbegriffe daraus abziehen, sie untereinander vergleichen, um
uns der Merkmale derselben in ihrer Vollständigkeit zu versichern, alle Verhältnisse,
Beziehungen und Rücksichten uns klar zu machen; kurz der Weg der vollständigen
Induction. Sie glauben eine unvollständige Induction werde uns leichter zum Ziele
führen. Man dürfe nur einige wenige Stellen, in denen Plato sich bestimmt aus-
gesprochen habe, in Betrachtung ziehen, um die Hauptidee seiner Philosophie rein
aufzufassen. Die Möglichkeit davon zugegeben, so fehlet doch die gewisse Ueber-
zeugung, dass man jene in allen ihren Beziehungen sich klar gemacht habe, und
man steht in Gefahr, durch rasche Folgerungen aus den auf diese Art gefundenen
Begriffen sich vom Geiste der wahren Philosophie zu entfernen, so lange man nicht
eine vollständige Induction zum Probemittel macht. Eben dieses ist es, wie ich
glaube, was Sie auf Abwege geführet hat.
Das Feld der Sinne wird aus dem Gebiete der Philosophie ausgeschlossen, weil
auf demselben kein philosophisches Wissen, sondern nur ein Meinen möglich ist.
Wenn Sie aber hinzusetzen, Plato habe allen andern Objecten die objective Realität
abgesprochen, sie als Schein und Sinnentäuschung betrachtet, so gehen Sie nach
meinem Dafürhalten zu weit, und machen Ihre eigne Folgerung zu einer Behaup-
tung des Plato, die sich nicht behaupten lässt. „Der Begriff eines veränderlichen
Dinges ist ja eben ein Widerspruch." Widerspruch? Davon finde ich in Plato nicht
das Geringste. Es ist wie mir scheint, eine Amphibolie der Reflexion, dass man
einen Sinnengegenstand als ein blosses Verstandesobject betrachtet. Denn da hier-
von der Zeitbedingung abstrahirt wird, so können mit einem Objecte ohne Wider-
April 1806. 2 8ü
Spruch nicht mehrere entgegengesetzte Bestimmungen oder Merkmale verbunden
werden. Aber in dem Kreise der Sinnlichkeit, wo die Accidenzen auf einander
folgen, nicht zugleich gesetzt werden, da ist es etwas anders. Plato konnte also
allerdings den Begriff eines veränderlichen Dinges ohne Widerspruch denken, und
musste denselben, wenn er || aus blossen Begriffen in die wirkliche Welt übergehen
wollte, wirklich nicht entbehren, wie die Exposition des Begriffs der Materie klar
genug zeigt, und er hat es nicht an Warnungen fehlen lassen, sich jener Ämphi-
bolie nicht schuldig zu machen, wie sein Phädo, Parmenides p. 136, Protagoras
p. 157. 158 beweiset. — „Die Ideen sind das einzige objective Wesen; sie sind aber
was sie sind, für sich, sie sind in keinem Objecte. Es giebt auch ausser den Ideen
nichts. Wie könnte es noch Sinnenobjecte geben.*1 Sie wollen, wie es scheint, den
Plato zu einen blossen Logiker machen, dem es genügt habe, in den logischen Be-
griffen von dem Guten, Schönen, Sittlichen u. s. w. den letzten Grund alles philo-
sophischen Wissens zu finden, und der nie über diese Begriffe mit seinen
Forschungen hinausgegangen sey. Ich zweifle, dass Sie einen unbefangenen Denker,
der den Plato studiert hat, auf Ihrer Seite haben werden. Wäre es so, so könnte ich
dem Plato kein philosophisches Genie beilegen, doch Consequenzen können und sollen
hier kein deus ex machina seyn. Wir wollen den Plato selbst hören. Dass sein
forschender Geist einen höhern Elug nahm als die Begriffe bloss logisch zu ent-
wickeln, zeigt schon seine Republik, welche bei Ihnen vorzüglich Gewicht haben
muss, unwidersprechlich. Ein Realprincip suchte er, welches zugleich das Ideal-
princip alles Wissens wäre. Die Ideen, als getrennte Einheiten, führten ihn auf ein
Wesen, welches das absoluteste, die absolute Einheit ist. Die Notwendigkeit der
Ideen zur Erfahrung auf eine unbedingte Ursache des Seyns und Denkens und der
Uebereinstimmung zwischen beiden. Durch das Denken glaubte er das Unbedingte in
dem Seyn zu finden. Daher war ihm die Logik die Wissenschaft des formalen
und materialen Denkens zugleich und die Dialektik auch zugleich Metaphysik. Das
Problem, welches er der Philosophie am Ende des 6. B. der Republik gab: durch
Ideen das Unbedingte als letzte Bedingung alles Bedingten zu erkennen, und die
Behauptung in dem 10. B.: dass Gott die Ideen gemacht habe von welchen die
Dinge der Erfahrungswelt blosse Nachbildungen seyen, ist ein so stringenter Beweis
dafür, dass ich nicht sehe, was sich dagegen einwenden lasse. — Und wie folgt
denn zweitens daraus, dass die Ideen für sich sind, was sie sind, dass es ausser
den Ideen nichts giebt? Oder womit lässt sich diese Behauptung aus dem Plato be-
weisen? Ich sehe keinen Grund für, aber mehrere dagegen. Davon nur einige.
Erstens wie könnte Plato in dem Sophisten den Idealismus eben so sehr als den
Materialismus bestreiten, da er ja diesem nach der ärgste Idealist wäre. Zweitens.
Auf eben die Art, wie er die Realität der Vernunftserkenntniss und der Ideen be-
weiset, auf eben die Art beweiset er auch die Realität der Sinnenerkenntniss und
der Sinnengegenstände. Er gründet beide auf den Unterschied des niedern und
obern Erkenntnissvermögens als eines Factums des menschlichen Geistes. Timaeus,
S. 347. Bätte er die Realität der Sinnengegenstände verworfen, so hätte er eben
daduich auch die Realität der Ideen als grundlos erklären müssen. Drittens. Plato
spricht nicht allein von einer reinen Vernunftserkenntniss, sondern auch von einer
sinnlichen oder empirischen Erkenntniss. De republica VII. S. 152. 153. Phile-
bos S. 311. ||
Mit einem Worte, Plato wollte nur den Materialismus bestreiten der nur in
dem, was sich betasten lässt, Realität erkennt, um der Philosophie einen festen
Grund zu verschaffen; Sie machen ihn zn einem Idealisten. Er sagt, die Philo-
sophie hat nicht das Einzelne und Individuelle, welches der gemeinen Erkenntniss
Herbarts Werke. XYI. 19
2 00 Juni l8°6-
angehört, zum Gegenstande, sondern das Allgemeine; Sie lassen den Plato behaupten,
es gibt gar keine gemeine Erkenntniss, die Objecte ausser uns, sind nicht einmal
Erscheinung, sondern Schein. Die Ideen sind keine Substanzen; Sie folgern daraus,
es gibt keine Substanzen. Zu allem diesem fehlt der Beweis aus Plato; es sind
Folgerungen, die Sie aus dem Fundamente seiner Philosophie abgeleitet haben, —
Folgerungen, denen Plato's Folgerungen selbst widersprechen.
Ihrem Scharfsinn würde, davon bin ich fest überzeugt, dieses nicht entgangen
seyn, wenn Sie nicht einige Maximen aufgestellt hätten, welche bei dem Studium
der Geschichte der Philosophie und insbesondere der Platonischen nothwendig auf
Abwege führen müssen. ,,Man müsse es nicht zu Herzen nehmen, wenn ein
Philosoph etwas Ungereimtes behaupte.'1 Diese Maxime ohne alle Einschränkung
hingestellt, giebt die Ehre eines Philosophen der Willkür preis, und thut selbst dem
höchsten Gesetze der historischen Forschung der Wahrheit Abbruch. ,,Nullus omnino
substantiae notioni locus est in systemate Platonico.'1 Wie? Sollte Piatos Geist eine
ganz abweichende Form gehabt haben, ganz anderen Gesetzen unterworfen gewesen
seyn, als jeder andere Verstand? Das müsste man doch annehmen, wenn der Be-
griff der Substanz gar keine Stelle in seinem Systeme finden sollte. Wie könnte
aber dann Piatos Philosophie für uns noch verständlich seyn? Nein dieser Begriff
findet allerdings, wenn man weiter forscht, auch bei dem Plato seine Anwendung.
Dass Sie endlich einen sehr beschränkten Kanon für die Platonischen Dialogen fest-
setzen, aus denen die Kenntniss seines philosophischen Systems gewonnen werden
kann, dies scheint mir mit der Beschaffenheit seiner Schriften und ihrem Verhältniss
zu seiner Philosophie nicht zusammen zu stimmen. Da er mit der freien Aeusserung
seiner Ideen kargte und sie nicht anders als mit vielen zufälligen Nebenvorstellungen,
gleichsam Arabesken verschmolzen vortragen wollte, so müssen wir wünschen, noch
einmal so viele Schriften des Plato benützen zu können, als wir wirklich besitzen,
in der Ueberzeugung, dass in jeder sein Geist sich von einer andern Seite gezeigt, und
etwas Neues von seinen Ansichten geoffenbart habe. Und wir wollten uns durch
eine Classification, die auf keinen festen Grundsätzen beruhet, den Gebrauch der
vorhandenen erschweren, beschränken, verkümmern?
Dies ist nur etwas Weniges von meinen abweichenden Ansichten, ich halte
es aber für hinreichend, Sie zu einer Revision Ihrer Ideen zu veranlassen. Da es
mir übrigens nur um Wahrheit zu thun ist, so würde mich eine Widerlegung der
meinigen nicht betrüben, sondern erfreuen. Ich bin überzeugt, dass Sie von der-
selben Wahrheitsliebe beseelt sind. Auf diese Ueberzeugung gründet sich die Frei-
müthigkeit, mit welcher ich gesprochen habe, und die Hochachtung, mit welcher ich
verharre Ew. Wohlgeboren ergebenster Tennemann.
202. An Fr. A. Carus in Leipzig.1) Göttingen, 2. Juni 1806.
Ihren letzten, mehr als gütigen Brief, mein innig hochgeschätzter
Herr Professor, so lange mit Schweigen zu erwiedern, hätte unmöglich
seyn sollen; auch blicke ich mit Unwillen auf die beygeschlossenen
Blätter, ohne welche ich mich schämte noch einmal vor Ihnen zu er-
scheinen, und welche zu liefern mich eine anhaltende, körperliche und
geistige Verstimmung verhindert hat. Den Beleg hierzu konnten Ihnen
die Göttinger Anzeigen geben, welche erst am 12. May die unbedeutende
x) Da die Originale der Briefe Herbarts an Carus nicht mehr aufzufinden waren,
wurden sie gedruckt nach W. Wundt, 3 Briefe von J. Fr. Herbart. (Philosophische
Studien, herausg. v. W. Wundt, Leipzig 1889, 5. Bd. S. 321 — 326.)
Juni t8o6. 2QI
Pflicht erfüllt haben, meine Schriften mit meinen eigenen Worten dem
Publicum darzubieten.1) Und auch das Wenige, was ich dort gesagt habe,
ist mir schlecht genug gerathen. Das erste vielleicht erträgliche, was ich
seit 6 Monaten habe schreiben können, und wozu mir recht eigentlich
der schöne Frühling verholfen hat, sind die Recensionen, 2) die ich jetzt so
frey bin, an Sie zu adressiren, da ich dieselben Ihrer Zeitung nicht mehr
unmittelbar anzubieten wage. Können sie nicht mehr angenommen
werden: so ist gleichwohl die Mühe reichlich belohnt, wenn Sie diese
kleine Arbeit Ihres Lesens würdigen , und sie als ein Zeichen meines
Wunsches ansehen mögen, mich Ihnen in wissenschaftlicher Rücksicht
klärer vor Augen zu stellen. Kann die Probe Ihren Beyfall erhalten, so
wünsche ich mir ferner Aufträge, die mir Gelegenheit geben, öfter den
gleichen Ton in Ihrem Blatt vernehmen zu lassen. Es hat mit bey-
getragen zur Verzögerung meiner Arbeit, daß ich bey näherer Überlegung
einsah, ein ganz seltenes und abgerissenes Recensiren in einem, dem
Publicum unbekannten Geiste, sey verlorene Mühe; ich habe mich daher
im Allgemeinen darauf eingerichtet, fortfahren zu können, nachdem ich
einmal angefangen habe.
Zu spät vielleicht ist mir eingefallen, Sie könnten das, ganz ohne
Absicht hingeworfene Wort von einer Recension über Spinoza's Ethik,
ernsthaft nehmen, und Ernst daraus machen. Daß dies geschehen konnte,
vermehrt, ich wage es zu sagen, meine Achtung für Ihr kritisches Institut,
welches kein Novitäten - Blatt seyn und nicht die allgemeine Zerstreuung
vermehren, sondern Sammlung bewirken will, wozu ohne Zweifel Rück-
weisung auf recht bedeutende ältere Werke ein treffliches Mittel wäre.
Erlauben Sie mir, zunächst nur mir die Erlaubniß zuzueignen, Ihnen ge-
legentlich einige kurze Bemerkungen über jenes Werk privatim mitzutheilen,
um darüber Ihren Rath einzuziehen. Eine solche Recension hat gewiß
Zeit; aber sie muß auch gewiß gut seyn oder ganz wegbleiben.
Zunächst wünschte ich die Erlaubniß, die drey neuen FiCHTE'schen
Schriften zu recensiren. Ich glaube mich befugt, als Einer von Fichte's
ältesten und sorgfältigsten Schülern ein Wort zu sprechen über die Wen-
dung, welche der ausgezeichnete Mann jetzt nimmt. Zwei Worte der
baldigen Nachricht hierüber wären mir so viel erwünschter, da ich sonst
versuchen möchte, entweder in den Gott. Anzeigen oder in einer eigenen
Schrift mich darüber auszusprechen.
Mehrere Mittheilungen schätzbarer Männer haben mich seit einiger
Zeit erfreut. Herr Tillich hat an mich geschrieben, wie Sie vielleicht
schon wissen. Es ist viel, so viel Herrschaft zu besitzen über eine natür-
liche Empfindlichkeit. Ich fürchte nur, wie er für mich ein wenig zu —
rasch, so werde ich ihm zu — langsam und zu — kalt seyn. Wir werden Zeit
brauchen, um zusammen zu kommen. — Auch Herr Niemeyer hat an
mich geschrieben, mit sehr zu verdankender Güte. Wen ich aber Ihnen
zuerst hätte nennen sollen — Herrn Tennemann. Mit aller Würde der
Wahrheitsliebe, und mit völlig befriedigender Voraussetzung derselben von
*) Die Selbstanzeige der Allg. Päd.
2) Die auf S. 283 unter W. angegebenen Recensionen.
19
2g2 Juli 1806.
meiner Seite, hat er mir doch geradeheraus gesagt: es werde schwerlich
irgend ein Kenner des Plato mit mir übereinstimmen. Sehn Sie nun,
weswegen ich das Ihnen erzähle? Sie, mein geehrter Herr, haben mich
so dreist gemacht, daß ich, in der Einbildung, meine Sache lasse sich
hören, ein paar recht beherzte Worte der Anzeige in unser Göttingisches
Blatt gesetzt habe. Mein Unstern hat es gefügt, daß gerade den Tag
nach Absendung der Handschrift dieser demüthigende Brief von Tenne-
mann eintrifft! Nehmen Sie nun nicht übel, wenn ich Sie zu Hülfe
rufe! — oder wenigstens, wenn ich bitte, mich unter Ihren Augen ver-
theidigen zu dürfen. Aber, ganz im Ernst, es ist mir sehr viel Freude,
zu sehn, daß es noch wissenschaftliche Privat- Mittheilungen giebt, und
nicht bloß literarische Fehden. — Die Wahrheit zu gestehen, so recht
tiefen Eindruck will es nicht auf mich machen, wenn T. von meiner , un-
vollständigen Induction1' aus Plato's Schriften, und von einer Amphibolie
der Reflexionsbegriffe spricht, deren Aufdeckung den Widerspruch des
veränderlichen Dinges hinwegräume, — von welchem Widerspruch Plato
gar nicht wisse (wol auch in der Stelle nicht: tan /luv yu.Q ovötnor ovdtv,
du de yiyvtxv.1 u. a. m.). Dann soll ich PI. zum bloßen Logiker machen,
— und, auf dem folgenden Blatt des Briefes, zum Idealisten. Habe ich
das gethan? — — Abei diese Vorwürfe könnten noch viel schwächer
seyn, und ich würde doch den Mann hochschätzen, der diesen Weg der
Verständigung wählte, und dem reiferen Mann danken, der mir, dem
Jüngeren, so entgegenkommt.
Doch ich komme ins Plaudern, und muß nothwendig gleich schließen.
— Von den mir zugeschickten Büchern habe ich 3 recensirt; das vierte,
Pfrogner über Selbstbeurtheilung, paßte nicht in denselben Zusammenhang;
der Meßkatalog zeigt überdas eine neue Auflage davon an; ich erwarte
also deshalb erst Nachricht, werde aber alsdann diese Kleinigkeit sogleich
in Richtigkeit bringen, — denn die Schrift hat auf umständliche Anzeige
keinen Anspruch — wenn meine Rec. noch angenommen werden kann.
Auch warte ich auf Ihr Urtheil über meine Probe, mich der Redaktion
zu verpflichten.
Ihre Verzeihung wegen der Säumniß wird sehr erfreuen
Ihren hochachtungsvoll ergebenen Herbart.
203. F. A. Carus an H.1) Leipzig, am 10. Jul. 1806.
Hätte der innere Drang, Ihnen zu schreiben, mein hochgeschätzter und ge-
liebter Herr Profeßor keine äußeren Hindernisse gefunden, so hätten Sie längst
schon von mir wenigstens einige Zeilen gelesen, und namentlich auch meinen
innigsten Dank für Ihre willkommenen, ersten, vielversprechenden Recensionen.
Ich muß mich begnügen, Ihnen durch einen schnellen Abdruck derselben zu danken,
den Sie gefunden haben werden. Ja wohl ist es sehr passend, in Einem Geiste zu-
sammengehörige Schriften fortzurecensiren und mit Vergnügen biete ich Ihnen dazu
die Hand.
Grade Ihr Wunsch nun, die neuen Fichteschen Schriften zu recensiren, hielt
meine Antwort auf. Jetzt ist sie mir eher möglich, doch, ich fühle es, auch mir
dem edlen Freunde. Fichte, mit dem ich. auch als unmittelbarer Landsmann (Ober-
») 4 S. 8°. II. Wien.
Juli 1806. 2 Q3
lausitzer) längst in Bekanntschaft stehe, wünschte, daß er — versteht sich mit Be-
willigung der Recensenten, — die Namen der Recensenten seiner drei || Bücher er-
führe, mögten übrigens die Recensionen ausfallen, wie sie wollen, da er es gewohnt
sey, misverstanden zu werden. Nun war die Schrift: über das Wesen des Gel.,
längst vor Ihrem Briefe einem andern Rec. übergehen; eben so hatte die über das
selige Leben früher schon in dieser Hinsicht die Aufmerksamkeit Jacobis (es sey
Ihnen vertraut) auf sich gezogen, ob er gleich nur bedingungsweise (nach genauer
Durchprüfimg des Buchs) mir eine Rec. ankündigte. Nun bleibt keines übrig als
das über die Qrundzüge des gegenwärt. Zeitalters. Mit Vergnügen sey Ihnen die
Rec. dieses Buches überlassen, wofern Sie anders kein Bedenken tragen, daß Fichte
Ihren Namen erfahre, den ihm gewiß vorher längst theuern Verf. der Recension
dieser Grundzüge des Zeitalters. Es würde mich doppelt freuen, wenn Sie mir in
einer Zeile diese Rec. trotz dieser Bedingung zusichern, und — darf ich wünschen?
— zu einer baldigen Überlieferung zusichern könnten. Unstreitig || haben Sie
schon Schellings starke Rec. der Schrift über das Grundwesen des Gelehrten in der
Jenaischen A. L. Z. gelesen. Es bleibt Ihnen ganz überlassen, über Fichte's jezzige
Wendung (mit oder ohne Bezug auf Schellings nun öffentl. Kriegserklärung) dabei
sich so lang sie wollen, zu erklären. Auch versteht es sich, daß, falls Sie auf Ver-
schweigung Ihres Namens gegen Fichte bestehen, Fichte denselben nie erfährt. —
Tillich sagte mir in diesen Tagen, wo er hier war, von seinem Berichte an
Sie. Er achtet sie aufrichtig hoch, auch Ihre seelenvolle Pädagogik. Gern läse ich
einmal in einem Ihrer Briefe Ihre Idee von einer Psychologie a priori — die Sie
dort andeuten — etwas näher entwickelt, so fern Sie etwas andres ist als die An-
wendung reinmetaphysischer Grundsätze auf die Veränderungen unsers Subiects.
Des braven Tennemanns Uneinigkeit mit Ihrer Ansicht des Piaton kommt mir nicht
unerwartet. Gewiß lasen Sie, wie er sich iezt (denn er ists unverkennbar) in der
Hallischen A. L. Z. 1806 Jul. N. 160 über || das Verhältniß Piatons zum Plotin u.
den neusten Idealisten erklärt.
Noch immer bleibt Ihnen eine Wiedererweckung (und wenn Sie meinen —
Befreiung) des Geistes des Spinoza in unserer Zeitung mit wahrem Vergnügen frei-
gestellt. Nur an Eine Bedingung haben uns frühe Gesetze gebunden — an Ver-
bindung einer solchen Abh. mit einem venvandten Buche. Höchst willkommen ist
grade iezt eine Uebersetzung von Spinoza erschienen, die hier eben so wie die
2te Auflage von Pfrogner (den Sie ja kurz anzeigen mögen) mit folgt. Kurz, nach
einer Probe wie Sie unsrer Zeitung gesendet, lasse ich Sie nicht so bald von mir
und unserem einzig für unbefangene Wahrheitsforschung arbeitenden Institut sich
beurlauben. Vergelten Sie nur nicht Böses mit Bösen — oder vielmehr nur mit
einem Uebel — und schreiben Sie mir recht bald wieder; ich werde dann Ihnen
bald wieder begegnen. Mit herzvoller Hochachtung
Ihr ergebenster Carus,
204. An Smidt.1) Göttingen Mitte Jul. 1806.
Mein theurer Freund! In der Hoffnung, daß Du geneigt seyest, einiges
Interesse für meine Bemühungen auch auf die Personen zu übertragen, welchen
denselben förderlich gewesen sind: adressire ich Hrn. Muhlert an Dich, der
mein ABC d. A. mit der ausgezeichnetsten Geschicklichkeit in Ausübung
gesetzt hat, und jetzt zum Veranlasser seines Versuchs, zum Graf Sievers
in Liefland, hinübergeht, um dort eine Anstellung als Lehrer der Mathematik
x) 2 S. 8U.
294 Juli l8°6-
zu suchen. Ich wünschte, daß er Dir von der Sache die nähere Nach-
richt gäbe; daß er Blendermann spräche, von ihm lernte und auch ihm
berichtete. Er ist gebildet genug, für die || Umstände unter denen er
sich bilden konnte, (sein Vater ist hier in G. Lehrer im Schreiben und
Rechnen, dabey ein würdiger alter Mann) und wird Dir persönlich nicht
misfallen.
Zugleich bitte ich recht sehr um einige Nachrichten aus Bremen.
Ganz besonders von der Kulenkampen, an die ich jeden Tag mit Sorge
denke, — außerdem von Dir, und den befreundeten Familien.
Mein Leben geht seinen Gang, — d. h. meine Untersuchungen rücken
vor; u. nähern sich der Bekanntmachung. Meine Gesundheit ist leidlich.
Aber ich bin sehr allein seit Steiger in Paris ist, von wo ich ihn auf den
Winter zurück erwarte. — Ich bedarf der äußern Erfolge meiner langen
Arbeit, wenn ich Kraft behalten soll zum fortarbeiten. Ich hoffe mir zu
schaffen was ich bedarf. Ganz Dein Herbart.
205. An Fr. A. CarUS. Göttingen, 25. Juli 1806.
Mit vielem Dank für Ihr schätzbares Schreiben, und für die gütige
Aufnahme meiner Recension, melde ich zugleich, daß ich die mir auf-
getragene Arbeit mit Vergnügen übernehme. Zunächst werde ich natür-
lich Fichte über die Grundzüge des Zeitalters vornehmen; (auch Pfrogner
nicht vergessen); Spinoza aber muß noch einige Monate warten. Ich
habe viel eigene literarische Arbeiten. — Es ist mir gar nicht zuwider,
daß Fichte meinen Namen erfahre, wiewohl ich mich über eine solche
Erkundigung, nach seinen Erklärungen von seiner Seite, einigermaßen
wundere. Helfen würde mir die Anonymität nichts, wenn ichs auch
wünschte; ich müßte denn anders sprechen, als mirs ums Herz ist; —
einer meiner Zuhörer hat mich neulich auf der Stelle erkannt.
Herrn Tillich bitte ich mich gelegentlich zu empfehlen. Hoffent-
lich hat er meine Antwort auf seinen Brief, nebst der verlangten Nach-
richt, erhalten. Beynahe wäre ich neulich die Veranlassung geworden,
daß ein Herr Muhlert, x) der hier das ABC der Ansch. sehr geschickt
und glücklich ausgeführt hat, sich mit einem Aufsatze, worin davon Nach-
richt gegeben wird, an Herrn T. mit der Anfrage gewendet hätte, ob der-
selbe in seinen Beyträgen zur Erziehungskunst Aufnahme finden könne?
Indessen der Aufsatz wurde nicht ganz fertig, Herr M. reiste von hier,
und vielleicht wird auch Herr T. sich lieber erst eigne Erfahrung hierüber
schaffen wollen.
Sie verbinden mich sehr durch Ihre Erkundigung nach meiner
Psychologie. Vor 10 Jahren hat die Untersuchung des Begriffes des Ich
auf die Anfänge geführt. Das Bedürfniß der Mathematik wurde dabey
fühlbar, und ich lernte — zu spät — so viel ich konnte, von dieser
Wissenschaft, bestimmt für diesen Gegenstand. Seitdem hat es sehr an
Zeit dafür gefehlt. Jedoch sind einige psychologische Gesetze berechnet.
Und noch ganz vor kurzem habe ich Resultate daraus über die ästhetischen
Gründe der specifischen Wirkung der einfachen musicalischen Intervalle,
x) In den Phil. Studien steht „Mühlert" statt Muhlert.
August 180b. 295
— und so viel andere Spuren gewonnen, daß ich vielleicht früher, als ich
noch vor einiger Zeit dachte, die ersten Elemente werde bekannt machen
können. — Ich habe diese Anfänge bisher als Geheimnisse verwahrt,
damit nicht die, sehr schwer zu entwickelnden Keime durch voreilige
Urtheile geknickt würden. Ihnen aber mag ich wohl sagen, was ich im
Auge habe, wiewohl es noch ungewiß ist, wenn ich lauter zu sprechen
mich getrauen werde.
Verzeihen Sie meine Eile; ungern trenne ich mich von Ihnen; aber
ich muß aufs Katheder.
Mit Hochachtung und inniger Ergebenheit Herbart.
206. An Carl V. Steiger.1) Göttingen am 23 sten August 1806.
Mit wahrem Genuss, mein theurer, vielgeliebter Karl, kann ich, nach
langem Schweigen, an diesem ruhigen Sonntag-Nachmittag, ein paar Stunden
mit Dir plaudern. Schon dass ich Dir nach Riggisberg schreiben soll,
erhöht mir das Vergnügen. Dir, und den Deinigen, wünsche ich Glück
zu dem Wiedersehen, das ihr Euch gegenseitig bereitet habt. Warum bin
ich nicht in Eurer Mitte! — Heiterer würde ich jetzt kommen, als Du
mich seit langem gesehen hast. Erlöst von Arbeiten, für die ich die
Zeit, wann sie fertig seyn würden, noch vor einem Vierteljahr nicht glaubte
absehen zu können. Arbeiten, an welchen gleichwohl ein großer Theil
der Ruhe meines Lebens hing.
Du empfängst meine Metaphysik. Kurz zwar, aber doch zusammen-
gestellt.
Du verdienst nicht wenig Dank, mein Theurer, dass Du mir zum
zweitenmal geschrieben, und ohne Vorwurf geschrieben, und vorausgesetzt
hast, ich sey beschäfftigt. Diesen Dank haben nicht alle verdienen wollen,
welche mir theuer sind; oft am wenigsten dann, wann es am nöthigsten
war. Wie viel vergeblichen Schmerz hätten sie mir ersparen können! ||
Jetzt kann ich Dir mit frohem Herzen erzählen, dass Du der erste
Abwesende bist, zu dem ich spreche, seitdem das Nothwendige beseitigt
ist. Nur heute Mittag erst ist meine Logik in die Druckerey gegangen.
Lachen wirst Du, wenn ich Dir sage, dass sie erst gestern Mittag an-
gefangen wurde, und in weniger als 24 Stunden ganz und gar geschrieben
ist. Versteht sich, nach vorgängiger 8 tägiger Meditation; und, wie Du
weisst, vieljähriger Übung, — denn gelernt habe ich die Logik als Knabe
von 1 1 Jahren. — Übrigens ist das, was ich vorhin meine Logik nannte,
freylich nur eine ganz kurze Angabe dessen, was ich in der bisherigen
Logik zu verbessern nöthig finde, — was denn so ziemlich alle und jede
bedeutende Puncte der Wissenschaft trifft.
Sollte ich Dir erzählen, was ich den Sommer über, während Du in
Paris die grosse Welt gesehn hast, gedacht, empfunden, gethan und ge-
trieben habe: — es würde sich so ziemlich auf die Metaphysik con-
centriren. Für diese habe ich am Morgen Gedanken, und am Mittag
]) 6 S. 8 ('. Adr. : Dem Herrn Baron K. Steiger von Riggisberg zu Bern. —
Bemerkung des Empfängers: „Während meines kurzen Aufenthaltes in Riggisberg nach
der Rückkunft von Paris."
2q6 August 1806.
Zuhörer und verständige Freunde zu gewinnen gesucht. Beydes ist gelungen.
Zwar der jüngere Gr[af] S[iever]s, und Saalf[eld] | haben es mit Über-
windung bis in die Mitte, und nicht weiter, bringen können; — natürlich,
da sie von Anfang an lässig waren, und im Grunde die Sache nur kosten
wollten, ob sie ihnen behagen würde. Vielleicht hängt es ein wenig
damit zusammen, dass S — s auszieht. Denn natürlich fühlt er sich von
dem Verkehr der Gedanken und Worte ein wenig ausgeschlossen, welcher
zwischen mir, und Bruschius, Ungewitter, Tölken, — diese sind jetzt
meine Tischgenossen — immer lebendiger geworden ist. Du wunderst
Dich, indem ich Toelken nenne? Er hat sich sehr zu seinem Vortheil
geändert. Du wirst es finden; und Dich nun mit mir an der grossen
Geisteskraft freuen, welche er durch Kenntniss, Gesundheit, und viel
Sorgfalt, um sich zu massigen und beherrschen, trefflich unterstützt. Ich
begreife wohl seinen bisherigen Übermuth. Theils war es jugendlicher
Trotz, und die Meinung, damit durchdringen zu können, und Unkenntniss
des höhern Ziels seiner Arbeiten, — theils musste er die Gewalt der
Speculation fühlen, alles andre war ihm zu leicht. — Den drey letzt-
genannten vorzugsweise, bin ich es schuldig (ungefähr wie ich Dir, mein
Guter, meine Pädagogik verdanke,) nicht zwar, dass ich überall eine
Metaphysik zu Stande bringen konnte, aber wohl, dass ich diesen So?nmer
schon Kraft und Munterkeit |] genug fühlte, sie soweit zur Reife zu bringen.
Jetzt sende ich sie Dir nicht ohne Absicht, und nicht ohne allen Anspruch
auf Deine Zeit. Ich werde nämlich diesen Winter wieder darüber lesen,
und wünsche Dich zum Zuhörer. Damit Dir aber alles leicht gehe, und
Du nicht nöthig habest, andere Studien darum zu vernachlässigen, bitte
ich Dich, in einzelnen, einsamen Morgenstunden, an denen es wol nicht
fehlen wird, diese wenigen Blätter durchzulesen, und dabey einige ältere
Erinnerungen wieder aufzufrischen, die Dir ebenfalls nicht fehlen werden.
Kein Punct kann Dir ganz fremd seyn. Du magst, wenn Du willst, gleich
hinten hineinblicken, und aus den Aeusserungen über Religion abnehmen,
wie das Nachdenken darüber mit allem und jedem zusammenhängt, und
mit allem und jedem hin und her bewegt werden muss, was man über
Raum, Zeit, Bewegung, Kraft — über das Ich u. s. w. so oder anders
möchte bestimmen wollen. Da sich das nicht ändern lässt, — da es
dem muthigen Manne ziemt, der Gefahr gerade entgegenzugehen, um sie
zu vernichten, und Sicherheit an ihre Stelle zu setzen, — da es am
wenigsten dem Staatsmanne ziemt, unbekannt zu seyn mit den Quellen
der Meinungen, die in Umlauf kommen: — doch, wir haben darüber
oft gesprochen! Angenehm aber kann es Dir seyn, zu vernehmen, dass
sich meine aufmerksamen Zuhörer jetzt gänzlich im || Reinen, und von
grosser innerer Unsicherheit befreyt fühlen. Auch vertraue ich, dass jeder
Leser, Dich selbst vor allen Dingen mitgerechnet, fühlen werde, wie das
Räsonnement mit vestem Schritt auf gebahntem Wege gradeaus geht. In
der That habe ich das Ganze ohne Absatz noch Anstoss in kaum
3 Wochen von Einem Ende bis zum andern hinschreiben können. Das
giebt Selbstvertrauen; und ich bin so dreist, es Dir offen zu zeigen.
Du magst mir dasselbe so viel eher zu Gute halten, da es mit eben
so grossem Vertrauen zu Dir verbunden ist. Du fühlst wohl an diesem
August 1806. 207
Briefe, und konntest es selbst in meinem Schweigen fühlen, dass ich
Deinetwegen in gar keiner Art von pädagogischer Sorge mehr schwebe.
Ich erwarte Dich als kräftigen jungen Mann zurück, — ich verlange nicht
erst zu beobachten, ob Du unverdorben seyest, — ich werde sogar die-
selbe rüstige Arbeitsamkeit, die Du während Deines ganzen hiesigen
Aufenthaltes trefflich bewiesen hast, voraussetzen, als könnte Dich Paris
nicht zerstreut, — nur mehr ausgebildet haben. Mich wirst Du zwar
beschäfftigt, aber nicht wieder gedrückt finden. Was ich jetzt noch zu
leisten oder || zu tragen haben mag, dessen fühle ich mich mächtig.
Wenigstens werde ich mich hüten, das Ausserordentliche und Nicht-zu-
erwartende im Voraus zu fürchten. Meine Gesundheit habe ich, trotz
aller Arbeit, sorgfältig gepflegt, und glücklich gehoben. Auch lagen ihre
eigentlichen Feinde von je her in der Tiefe des Gemüths. Und von da
ist nun nicht viel mehr zu fürchten. Ich wüsste nicht, wer mir grossen
Verdruss, oder was mir noch grosse Unruhe machen könnte.
Ohne Zweifel also, mein Theurer, 'werden wir uns gegenseitig ein-
ander den Winter erheitern können! — Eine kleine literarische Gesell-
schaft, die recht gut angefangen hat, wirst Du wieder finden. Du wirst
Ihr viel leisten, — wenn Du willst, viel erzählen können. Deine Feder
will ohnehin noch Übung haben. —
Sey nur recht froh unter den Deinigen; und gieb ihnen viel Freude,
— wie Du gewiss thun wirst! Alsdann erwarte ich Dich mit einem Schatz
von Wohlseyn und Kenntniss zurück; um auch selbst — noch einmal —
Deiner froh zu werden. Ich hoffe mit warmer Theilnahme auf gute
Nachrichten von Deinen vortrefflichen Eltern, deren Gesundheit vor einigen
Monaten sehr scheint angegriffen gewesen zu seyn. —
Ganz der Deinige Herbart.
Randbem.: Die Einlagen bitte ich in Bern zu lassen, — wo möglich
bey jemandem dem sie willkommen seyn werden! Ich werde Dir hier
neue Exemplare geben.
207. An Fr. A. Carus. Göttingen, 29. Aug. 1806.
Mein verehrter und theurer Herr Professor! Mit dem ganzen Zu-
trauen, welches Sie mir eingeflößt haben, besuche ich Sie jetzt durch
einen der Besten, denen ich mich bisher mündlich mittheilen konnte, —
durch seine Hand bringe ich Ihnen mein Bestes. — Eine kleine Gabe!
Recht klein — aber doch so, daß ich kaum wünsche, sie möchte größer
seyn.1) Mit Vergnügen nehme ich wahr, daß sich Resultate so langer
Bemühung mit so wenigem Aufwand von Zeichen ausdrücken lassen. —
Ich schmeichle mir, daß Sie irgend einmal, die Zeit finden werden,
auf meine Überlegungen einzutreten; und dann auch mich wissen zu lassen,
wie Sie davon denken. Ich habe noch eine Bitte. Es ist mir sehr viel
daran gelegen, daß meine Metaphysik, die ich der öffentlichen Verbreitung
noch entziehe, gleich Anfangs in die besten Hände komme. Dürfte ich
dafür wol auf Ihre gütige Hülfe hoffen? — Verzeihen Sie meine Zu-
dringlichkeit; schon sind mehrere Exemplare, welche Ihnen werden ein-
x) Hauptpunkte der Metaphysik.
2q8 September 1806.
gehändigt werden, mit Ihrem Namen zum Behuf weiterer Mittheilung be-
zeichnet. An Tennemann, Reinhold, Jacobi, Koppen, Feies besorge
ich meine Arbeit selbst, oder auf anderen Wegen.
Meinem Lehrer Fichte wünschte ich mich diesmal durch Ihre Hand
vorgestellt. Es ist gar zu unangenehm, und fast unschicklich, dem wahr-
haft geachteten Lehrer, dem ich noch besonderen Dank schuldig bin —
unmittelbar entgegenzutreten mit Behauptungen, welche ihm sein Theuerstes
geradezu leugnen ! Ich will nicht scheinen Theil zu haben an der Dreistig-
keit dieser Zeit, welche das trotzige Wesen für das Wesen der Über-
zeugung hält. Ich will ebensowenig das Selbstgefühl der Überzeugung
verleugnen. —
Noch eine Bitte! Mein hiesiger Buchhändler schmält, daß sich um
meiner Pädagogik „Existenz niemand bekümmere." — Ich habe noch mehr
Ursache über ihn zu schmälen, — und, ihn zu verlassen. Ich muß sehr
wünschen, in eine recht solide und passende Connexion mit einem
anderen, auswärtigen Buchhändler zu kommen. Eben jetzt liegt eine
Schrift, deren baldigste Erscheinung für mein hiesiges Wirken wesentlich
ist — „über philosophisches Studium" — beynahe fertig. Herr Bruschius
sucht mir einen Verleger dafür. Möchten Sie wol durch einige Weisungen
— und mir allenfalls durch Ihre gütige Empfehlung zu Hülfe kommen?
Es ist schon zu viel, viel zu viel, des Geplauders von meinen An-
gelegenheiten. Ich kann nur noch um Verzeihung bitten, um meinem
abreisenden Freunde diesen Brief auf der Stelle einzuhändigen.
Hochachtungsvoll Ihr Herbart.
Mögen Sie Herrn Bruschius über meine philos. Ansichten ins Ge-
spräch bringen : so kann ich ihm bezeugen, daß er mich verstanden, und
zveit tiefer verstanden hat, als die, welche Sie schon kennen, nämlich in
theoretischer Hinsicht. In practischer kommt er jedoch auch den Übrigen
gleich.
208. An Carl v. Steiger.1) Göttingen 8 Sept. 1806.
Mein theurer Karl! Die Regeln des guten Tons und der Welt-
klugheit haben mir viel Vorwürfe darüber gemacht, dass ich Dir, der eben
von Paris kam, neulich einen so ganz metaphysischen Brief schrieb, um
Dich damit in Riggisberg zu bewillkommen. Aber das Glück will mir
wohl; es setzt mich in den Stand, alles reichlich wieder gut zu machen.
Oder ist etwa ein langer Bnef von Rudolph2) — aus Irland — nicht
im Stande, meine Metaphysik aufzuwiegen? und bey Dir und den Deinigen
die üblen Eindrücke, die sie gemacht haben kann, auszulöschen? — Dem
sey, wie ihm wolle: ich theile Dir hier den Schatz mit unter der Be-
dingung, || dass Du mir ihn — und Dich selbst in 6 oder 7 Wochen
wohlbehalten zurückbringst!
Hat übrigens, wie ich fürchten muß, meine neuliche Sendung Dich
viel Porto gekostet: so ist das nicht meine Schuld. Hätte ich gewusst,
dass man mein: Franco Basel, nicht annehmen würde, so hätte die Post
meinen Brief gar nicht bekommen.
*) 3 S. 8°.
2) Rudolph Steiger.
September 1806. 2QQ
Erkundige Dich ja nicht nach Neuigkeiten! Saalfeld selbst weiss
nichts, als was die Zeitungen sagen. Oder willst Du das für eine Neuig-
keit nehmen, dass vor wenigen Tagen, nachdem ich mich Vormittags über
die lauten Stimmen der Herren gewundert hatte, die mir gegenüber im
Concilienhause so heftig disputirten, dass ich es in meinem gelben Zimmer
hören konnte, — mir Mittags die [| Nachricht gebracht wurde : Wunder-
lich habe pro facultate legendi disputirt, Dissen ihm opponirt, das Thema
sey die frühe Leetüre des Homer gewesen, und beyde Herrn haben sich
am Ende, anstatt, wie gewöhnlich, sich zu vereinigen u. zu complimentiren,
vielmehr einander das Wort gegeben : hierüber einander, so lange sie lebten,
zu widerstreiten! Eichhorn und Heyne sind dabey gewesen. — Dissen
kämpft jetzt für seinen eigenen Heerd, denn er ist für den Homer in
voller Arbeit, und mit vielem Glück.
Komm nur bald, uns zu helfen! Dein Herbart!
Den Deinigen meine angelegentlichsten Empfehlungen. — Ist gar
keine Hoffnung zu einem Bildniss von Deinem Vater? Wäre es auch
nur eine Silhouette!
209. An Smidt.1) Göttingen uten Septbr 1806.
Mein theurer Smidt! Lange hatte ich vergebens gewünscht, unter
Deinen jungen Landsleuten einige zu finden, die mir Gelegenheit geben
könnten, Deiner guten Stadt etwas von dem Dank abzutragen, den ich
ihr schuldig bin. Nicht ohne Theilnahme für mich, und vielleicht nicht
ohne eignes Vergnügen wirst Du vernehmen, dass es mir diesen Sommer
gelungen ist, einen ganzen und einen halben Landsmann von Dir, ganz
so kennen zu lernen wie ich es begehrte. Der halbe Landsmann, — der
gewiss einmal ein ganzer Mann werden wird, — bringt Dir diesen Brief.
Es ist Ungewitter, den Du vielleicht schon einigermaassen kennst. Nach
dem andern hast Du Dich wol sonst erkundigst, — Toelken. Was ich
unvortheilhaftes von ihm geäußert habe, kann ich jetzt zurücknehmen. Die
Wildheit bändigt sich; Geschmack und Verstand kommen zum Vorschein.
Übrigens kennst Du seine sehr ausgezeichneten Anlagen und Kenntnisse. ||
Beyde habe ich mir gewinnen müssen durch die eigentliche Specu-
lation. Und durch das Vergnügen, einige recht fähige Köpfe dahin zu
leiten, bin ich genug erheitert worden, um, mir selbst unerwartet, schon
jetzt das Ganze kurz zusammenzustellen. Den Abriss bringt Dir Un-
gewitter mit. Manche dunkle Stellen der Pädagogik können Licht daraus
erhalten, — wenn jemand die Dunkelheit der Kürze überwinden mag.
Koppen wird sich vielleicht daran machen. Auf allen Fall schicke ich
Dir und ihm u. Thulesius ein Exemplar.
Giebt es in Bremen einige ausgezeichnete pädagogische Erscheinungen
zu beobachten, so wirst Du, wie ich hoffe, Ungewittern die Thüre öffnen.
Er hat sich auch von dieser Seite sehr in meine Theorie hineingeübt;
und meine Praxis wird er, denke ich, bald übertreffen, wenn anders die
Gelegenheit, die ihm Plater dazu dargeboten hat, günstig ist, wie ichs von
Platern erwarte. ||
]) 4 S. 80.
?00 September 1806.
Ich kann nicht sagen, wie sehr Du mich verbinden würdest, wenn
Du einige Nachrichten von Bremen für mich aufs Papier werfen möchtest.
Besonders verlangt mich von Deiner Schwester und von Kulenkamps zu
hören. Über die letzteren wird sich Ungewitter bey Dir Nachricht aus-
bitten, ob sie sich darnach befinden, daß er gerade zu ihnen gehn
könne, um sie sich in meinem Namen von ihnen zu erbitten, die er mir
alsdann schreiben wird. Dass ich ihm keinen Brief an K.s mitgebe, liegt
einzig an der schmerzlichen Ungewißheit, wie dieser Brief geschrieben
seyn müsste, um zu ihrer, vielleicht nicht heitern Stimmung zu passen.
Aus solcher Unwissenheit habe ich schon einmal einen grossen Missgriff
gemacht, — und es sehr empfinden müssen, — daß jene heitern Stunden,
die ich ehemals im K.schen Hause genoss, mit ihrem eignen ehemaligen
Wohlseyn in naher Verbindung standen. — Soviel ich weiss, ist Olbers
jetzt nicht in Bremen.1) Welchen Arzt mögen sie nun haben? Auch das
vermehrt meine Unruhe. |
Was Deine Schwester betrifft, so wünschte ich sehr zu wissen, wie
ihr die Reise bekommen ist? Wie lange Johann im T. — sehen Institut
gewesen ist, und was sich daraus ergeben hat? Wie sie nun mit Günthern
zurechtkommt? — Aber die Fragen verstehn sich von selbst, — und es
wäre deren noch ein ganzes Heer, wenn ich nach Deinem Hause, nach
Hörn u. Koppen u. Thulesius mich nur einigermaassen erkundigen wollte.
Ich muss von Deiner Güte erwarten, welche u. wieviele Fragen Du mir
beantworten magst; einiges wird Ungewitter für mich niederschreiben
können. Dieser mag Dir dann auch von meiner Lage erzählen, — wenn
etwas davon zu erzählen wäre, u. sich nicht für das nächste Jahr noch
alles auf die Schriften reduciren müsste, die ich herauszugeben habe,
wofern der Körper nicht den Geist dran hindert. —
Ganz der Deinige Herbart.
210. An GrieS. Göttingen 22stenSept. 1806.
Mein theurer Freund! Durch einen schätzbaren jungen Mann, den
Dr. Planck aus Göttingen, habe ich, dankbar für Deine Italienischen Ge-
sänge, neulich eine Sonate und eine Fuge an Dich geschickt. Du kannst,
wenn Du willst, mich darin vernehmen; und wenn Du findest, daß ich
noch den nämlichen Klang von mir gebe, wie vor Zeiten: so bin ich
zufrieden. Denn das wird die Beste aller Entschuldigungen seyn, die ich
Dir machen könnte.
Übrigens habe ich noch nicht Lust genug gewonnen, um mich für
die freundschaftliche Mittheilung frey zu fühlen bis zu der Behaglichkeit,
die der heitere Geist der Mittheilung giebt. Die Zeit thut was sie nur
kann, um mir mein Werk zu erschweren. Unmöglich kann sie es nicht
mehr machen; dafür ist jetzt, seit diesem Sommer, — gesorgt. Das
wichtigste, was ich menschlichen Gemüthern, und dem Papier anzuvertrauen
hatte, ist in Sicherheit; wiewohl es Anderen scheinen mag als hätte ich
noch nicht angefangen. Übrigens liegt noch viel Arbeit auf mir; aber
*) Über Olbers s. o. S. 263 Anm.
November 1806. iqi
der Entwickelung derselben, so wie der äußeren Begebenheiten, werde ich,
in meiner tiefsten Seele ruhig, zuschauen können.
Ob dies für Dich, mein Freund, auch einen Sinn hat? Für Dich,
der das Leben stets in seinen reichsten und ausgebildetsten Erscheinungen
unmittelbar zu fassen suchte? — Wir danken Dir den lieblichen Tasso,
den üppigen Ariost. Sey nur überzeugt, daß ich wahrlich! mit zu den
Dankenden gehöre, wiewohl freylich nicht mit gleichem Danke für den
Ariost wie für den Tasso. Ich höre jenen gern erzählen, plaudern, auf-
schneiden, — nur nicht gern räsonniren. Zuweilen möchte ich wohl, daß
er noch ein wenig besser, glatter, erzählte, und mit dem Crescendo
säuberlicher umginge, — wenn Du willst, die Pauken nicht so oft an-
brächte, — endlich in der eigentlichen Harmonie nicht so gar unwissend
wäre. Lieber in der That ist mir Tasso, bey dem ich sicher bin, immer
auf irgend eine Art erheitert zu werden.
Du hast Dir einen schönen Arbeitsplatz gewählt; und beynahe! hätte
ich ihn mit Dir getheilt. Es war dicht daran, — ein paar herzliche
Worte von Heeren gaben mir eine andre Richtung. Du, mein Theurer,
hattest mich Nichts wissen lassen von der Aussicht auf erneuten Umgang.
— Der Vollendung meiner Anlagen war damals die alte, berühmte Aca-
demie, die meiner nicht bedarf, und mein schwaches Licht verdunkelt,
günstiger, als die neue, welche gewissermaßen auf mich hätte mitrechnen
müssen. Das hat sich freylich schnell geändert; und in dem neuen
Glänze könnte ich mich wohl jetzt vollends so bequem verbergen, als
hier in dem alten. Endlich ist das Verbergen jetzt nicht mehr nöthig.
Vielmehr sorgen die Herren Zeloten dieser Zeit nur gar zu gütig dafür,
daß in dem Geräusch ihres Streits meine Stimme nicht zu laut ver-
nommen werden könne.
Der Umgang ist uns nicht geworden; — besuchen aber könnte ich
Dich wohl einmal. Und — um Dir etwas ins Ohr zu sagen — am
liebsten möchte ich Dich in Deinem Hause besuchen. Du bist älter als
ich, und könntest mir wohl mit gutem Beyspiele voran gehn, — damit
man doch auch sähe, Du habest von den Dichtern gelernt! — Waffnen
wir uns mit fröhlichen Bildern gegen ein trauriges, dessen Mittheilung,
so wie ich es in diesen Tagen aus guter Hand empfing, die Freundschaft
mir gebeut. Unser Freund Böhlendorf, nur halb geheilt, irrt umher in
dem gastfreundschafilichen Curland, — geschäfFtslos, — und wol meist ge-
dankenlos. Grote kommt eben von dort zurück, er und Rahden haben
ihn da gesehen und gesprochen. Er träumt wie es scheint, viel von der
Vergangenheit, — eine Zukunft hat der Arme nicht mehr. Daß es ihm
äußerlich fehlen möge, ist wol nicht zu besorgen. Unter andern scheint
Firks sich seiner anzunehmen. Nachrichten von Deinem Wohlseyn —
innen und außen — würden recht herzlich freun
Deinen Herbart.
211. Koppen (?) an H.1) Bremen, 30. Nov. 1800.
Erfreulich war mir Dein letzthin mir gewordenes Schreiben, lieber Herbart,
nebst dem zugleich übersandten Buche. Ich habe es mit Vergnügen gelesen u. mit
') 2 S. 4°- H. Wien.
*,Q2 November 1806.
so viel Aufmerksamkeit, als mir die Unruhe der Zeit verstattet. Wenn in dieser
nicht alle Philosophie ausgienge, würde ich die Philosophie mehr lieben samt der
Zeit. Auch Dich habe ich auf Deiner philosophischen Bahn begleitet, gestehe aber,
noch nicht mit mir selbst darüber in Reine zu seyn, was Dein System gebe, wovon
es ausgehe, welches sein Vollbringen sey. Die Beylage zur zweiten Ausgabe Deines
ABC der Anschauung hat mich nicht aus der Irre gebracht, auch das jüngst
übersandte Buch Deiner Logik u. Metaphysik gestehe ich noch nicht gelesen zu
haben, weil ich es mit Muße u. Aufmerksamkeit wollte. Worüber ich mit Dir zu
reden wünschte, wäre z. B. S. 81. der Schrift über philosophisches Studium. Haupt-
punkte meiner philosophischen Ueberzeugung kannst Du in der Recension des
Fichtischen Buches über das Zeitalter (Hall. Litzeit. Oct. 1806) sehen, weil sie von
mir herrührt. — Verbinden würdest Du mich, wenn Du mir gelegentlich Deine
akademische Abhandlung über den Plato senden wolltest. || Smidt hat sie von Dir,
wollte sie mir geben, aber konnte sie nicht finden.
Den mir eingesandten Brief habe ich nach Lübeck an meinen Bruder geschickt,
obgleich das damalige Unglück dieser Stadt es wohl unmöglich machen wird, ihn zu
Wasser zu befördern. Landkommunikation ist so viel ich weiß, noch nicht wieder
offen. Wenn ich von der Absendung des Briefes Nachricht erhalte, schreibe
ich Dir.
Wir leben hier jetzt in Erwartung der Dinge, die da kommen sollen. Die
Truppendurchzüge machen es ziemlich unruhig. Die Musen lieben Ruhe, u. die
Philosophie Besinnung. Deutschland war anders, als wir uns in Jena sahen. Das
Buchmacherwesen wie die Staatsverfassungen sind in sich selbst mürbe geworden.
Es fragt sich, ob eine neugepflanzte Litteratur auf dem Schutt so gut gedeiht, als
der Pfirsichbaum. — Uebrigens lebe ich hier gesund u. wohl, seit diesem Sommer
verheyrathet. — Wenn Du andre so brave junge Männer mir adreßirst, als den
jungen Ungewitter, so können sie im Voraus eines freundschaftlichen Empfanges
gewiß seyn.
Lebe wohl, u. laß mich bald wieder von Dir hören. Ganz der Deinige
Koppen. x)
Die Aeltermannin Kulenk., welche Du kennst, ist sehr krank, die Aeizte geben
alle Hoffnung auf.
*) Die Unterschrift ist nicht zu entziffern, nach dem Inhalte und Zusammen-
hange ist aber zweifellos Koppen der Schreiber des Briefes.
1807.
W.: Über philosophisches Studium. S. Bd. II. S. 227 — 296. — Entwurf zu Vor-
lesungen über die Einleitung in die Philosophie. S. Bd. IL S. 297 — 307. — Rez. von
Fichtes Grundzüge des Zeitalters. S. Bd. XIII. S. 334 — 340. — Schemata zu Vor-
lesungen über Pädagogik in Göttingen 1807 — 1809. S. Bd. XV. S. 201 — 220.
212. Vertrag zwischen Herbart u. Danckwerts.1) 16. Juni 1807.
Zwischen dem Herrn Professor Herbart und dem Buchhändler Danckwerts ist
folgender Contract geschlossen worden.
Der Herr Professor Herbart übergiebt dem Buchhändler Danckwerts sein
Manuscript der allgemeinen praktischen Philosophie unter folgender Bedingung
in Verlag.
1. Die Auflage wird 1500 Exemplare gr. 8. mit lateinischen Lettern, 25 Zeilen
auf einer Seite.
2. Der Herr Verfasser erhält für jeden gedruckten Bogen 3 Frdr.d'or in
folgenden Terminen.
a) Die Hälfte des Honorars für's ganze Werk gleich nach Beendigung des
Drucks.
b) Die andere Hälfte wird als Capital angesehen, welches der Verleger so
lange mit 4 pr. Ct. verzinst, bis 750 Exemplare verkauft sind, dann aber werden
keine Interessen mehr bezahlt, sondern der Verleger zahlt von dem Capitale die
Hälfte baar aus, u. die andere Hälfte desselben, oder den vierten Theil des ganzen
Honorar's alsdann, wenn wieder 250 Exemplare, also im Ganzen 1000 Exemplare
verkauft sind, zu welchem Ende der Herr Verfasser das Recht hat, Sich jeden
Augenblick die noch übrigen Exemplare vorzählen zu lassen.
3. Der Herr Verfasser erhält ferner 20 Exemplaare auf Schreibpapier u. 10
auf Druckpapier gratis, u. alle Exemplare, die er mehr gebrauchen sollte, mit
7a pr. Ct. Rabatt. ||
4. Der Herr Verfasser u. der Verleger machen sich beyde verbindlich, der
Beendigung des Druckes bis zur nächsten Leipziger Michaels Messe kein Hinderniß
in den Weg zu legen.
5. Dieser Contract ist nur für die erste Auflage gültig u. bey einer zweyten
Auflage, die aber ohne beyderseitige Bewilligung nicht vor dem gänzlichen Verkaufe
der ersten gemacht werden darf, stehen beyde Contrahenten in gar keiner Verbind-
lichkeit mit einander.
6. Dieser Contract soll für immer, auch nach dem etwanigen Absterben des!Einen
oder Andren der Contrahenten seine Gültigkeit haben, u. durch nichts gebrochen
*) 2 S. 4°. FT. Wien.
?04 September 1807.
werden können, zu welchem Ende er doppelt ausgefeitiget, von beyden Contra-
heuten unterschrieben u. untersiegelt worden ist.
Göttingen d. I6ten Juny 1807.
gez. Justus Friedrich Danckwerts Universitäts-Buchhändler.
Herbarts Unterschrift fehlt.
213. Gries an H.1) Heidelberg, d. 21 sten Septbr. 1807.
Mein th eurer alter Freund. Fast ein rundes Jahr ist verfloßen, seit ich Deinen
letzten freundlichen Zuruf erhielt, und jetzt erst antworte ich Dir. Du bist es
nicht von mir gewohnt, daß ich des Freundes Wort so spät erwiedere ; doch bin ich
überzeugt, daß Du deshalb nicht an der Fortdauer meiner Freundschaft gezweifelt
hast, so wenig als ich, bei manchen früheren Pausen von Deiner Seite, an Deinen
immer herzlichen Gesinnungen für mich gezweifelt habe. Als ich Jena verließ, war
ich an Leib und Seele so ermattet, daß Aufheiterung und Zerstreuung im eigent-
lichsten Sinne des Wortes mein größtes Bedürfniß war. Beides fand ich in dem
ersten Sommer meines hiesigen Aufenthalts in vollem Maaße, und vielleicht gab ich
mich dem so lange entbehrten fröhlichen Genuße damals mit etwas zu großer Nach-
giebigkeit hin. Wenigstens erhielt ich dadurch meine Gesundheit wieder, die durch
die fortwährend sitzende Lebensart in Jena sehr geschwächt worden war. Ich
fühle mich jetzt stärker u. gesünder als jemals, uni habe, mein altes Gehörübel
ausgenommen, über meinen Körper nicht zu klagen. — Im vorigen Winter, und
besonders in diesem letzten Sommer, bin ich nun wieder sehr fleißig gewesen,
wovon Dich der dritte Theil des Ariost, der in der Michaelismeße erscheint, voll-
kommen überzeugen wird. Ich hoffe, das Buch wird vor Ende des nächsten Monats
in Deinen Händen seyn, und empfehle es im voraus Deiner freundlichen Aufnahme.
Ich habe Dir noch zu danken für die beiden Bücher, die Du mir durch
Dr. Plank übersandt hast, und mehr' noch für die später erschienene Schrift ,,über
philosophisches Studium". In dieser letztern Schrift besonders habe ich Dich ganz
wiedergefunden, wie Du leibst und lebst, auch liegt sie meinem Faßungskreise näher,
als jene früheren. Du weißt von alten Zeiten, daß der Zugang zu den tiefsten
Tiefen der Speculation mir leider nicht vergönnt ist, und Du wirst Dich nicht
wundern, wenn ich Dir offenherzig gestehe, daß mir die „Hauptpunkte der Meta-
physik" größtenteils unzugänglich geblieben sind. Was nun die Pädagogik anbetrifft,
so denke ich darüber wie unser Freund Rist: ich mag keine andren Kinder erziehen,
als meine eigenen; und wenn sich dazu Gelegenheit findet, so werden gewiß Deine
pädagogischen Schriften mein erstes Studium seyn.
Leider ist aber dazu noch keine Außicht, und wird sich wohl vor der Hand
noch keine eröffnen. Wenn Du mich also nicht anders besuchen willst, als in
meinem Hause u. am eignen Herd, so werde ich wohl noch lange auf Deinen Be-
such Verzicht thun müßen. Ueberhaupt müßtest Du sehr eilen, wenn Du mich
noch in Heidelberg besuchen wolltest; denn schwerlich wird meines Bleibens hier
lange seyn. Wenn ich das Werk vollendet habe, auf dem meine Seele ruht, so
werde ich alsbald meinen Stab weiter setzen. Ich hoffe, diesen Winter den letzten
Theil des Ariost zu endigen und mit dem neuen Frühling Heidelberg verlaßen zu
können. Meine schönen Hoffnungen von diesem Orte sind sehr getäuscht worden.
Ich dachte, hier ein neues, ein schöneres Jena aufblühen zu sehen, und es ist nicht
einmal ein Göttingen daraus geworden. Man scheint keinen andern Zweck zu haben,
als aus Heidelberg eine tüchtige Juristenschule zu machen, und wird auch diesen
x) H. Wien.
November 1807. 3 CK
nicht einmal vollkommen erreichen. Der einzige Vorzug Heidelbergs besteht in
seiner herrlichen Lage, in seinen reizenden Umgebungen. Dies ist zwar immer viel,
aber doch nicht genug für einen Menschen, dem Geselligkeit eins der ersten Be-
dürfniße ist, und leider findet dieses hier gar schlechte Befriedigung. Es giebt hier
äußerst wenig Leute, deren Umgang mir Freude machen könnte, und diese wenigen
haben für nichts Sinn, als für ihr Corpus juris. Für keine Kunst, für keine Wißen-
schaft, außer der Jurisprudenz, giebr es hier irgend ein Intereße. Themis ist die
allein seligmachende Göttinn, und leider ist sie nicht die meinige.
Solltest Du es glauben, daß ich sogar auf den Gedanken gerathen bin, diesen
Winter in Göttingen zuzubringen? Mein Instrument, das ich weder im Stiche laßen,
noch ohne große Beschwerde transportiren konnte, hat mich hauptsächlich davon
zurückgehalten; dann aber auch der Umstand, daß ich auf keinen Fall einen Sommer
in Göttingen aushalten könnte, also im Frühling doch wieder einen andern Aufenthalt
suchen müßte. Nun bleibe ich den Winter hier und denke gewaltig fleißig zu seyn.
Gelingt mein Plan, so gehe ich im Frühling nach der Schweiz und bringe dort
vielleicht den ganzen Sommer zu. Von unsern alten gemeinschaftlichen Freunden
habe ich lange keine Nachricht. Was Du mir von Böhlendorf schriebst, hat mich
sehr betrübt. Soll denn dies die ganze Existenz eines Menschen seyn, dem die
Natur so herrliche Anlagen verliehen hatte ? Auch über Berger ist mir vor kurzem
ein Gerücht zu Ohren gekommen, das mich sehr beunruhigt. Solltest Du von diesen
Beiden etwas Näheres wißen, so erwarte ich mit Zuversicht, daß Du es mir mit-
theilen wirst. Mit Eist ist seit der Blokade Englands aller Verkehr unterbrochen.
Vielleicht führt ihn der Krieg mit Dänemark jetzt aufs feste Land zurück. Sein
trefflicher Vater ist zu Anfang dieses Jahres gestorben.
Ueber den Vorzug, den Du dem Taßo vor dem Ariost giebst, möchte ich Dir
fast den Krieg erklären, wenn ich nicht so unglaublich tolerant wäre. Aber Du
wirst es auch mir nicht übel nehmen, wenn ich Dir gestehe, daß Ariost, als Dichter,
mir sehr viel mehr ist, als Taßo, u. daß ich in diesem letztern eigentlich nur einen
ziemlich nüchternen Nachahmer andrer Dichter erblicken kann. Sein Gedicht ist das
pure Werk des kalten Verstandes u. läßt mich auch vollkommen kalt. Im Ariost
hingegen welche Fülle der Phantasie, welcher Reichthum an Erfindung, welche
Wärme, welch üppiges Leben! Je tiefer ich mich in sein ungeheures Werk hinein-
arbeite, desto mehr muß ich ihn bewundern und lieben. Man kann wohl kühnlich
behaupten, daß es außer den homerischen Gesängen nichts auf der Erde giebt, was
diesem nur von fern verglichen werden könnte.
Möchtest Du mich bald durch Nachrichten von Dir erfreuen! Oder noch beßer
wäre es, Du kämest in den Michaelisferien zum Besuch hieher. Was meinst Du
zu diesem Vorschlage? Dein J. D. Gries.
214. An Carl v. Steiger.1) Göttingen 22 Nov 1807.
Diese Woche her, mein Theurer, bin ich mit der Psychologie be-
schäfftigt gewesen, dies hat meine Briefe, sowohl an Andere, als an Dich,
verzögert. Du bist noch der Erste, den ich schriftlich begrüsse.
Kurz nach Deiner Abreise machte ich einen Ritt nach Kassel; zur
Probe für eine weitere Tour, und um meine nächsten Arbeiten zu
mustern. Ich blieb frey von Ermüdung und Erkältung, trotz zweyer im
Regen zurückgelegter Meilen; aber mein Pferd hielt nicht gut aus, und
so konnte ich schon erwarten, dass ich während der Ferien nicht dazu
*) 4 S. 8°.
Hbrbarts Werke. XVI. 20
o06 Movember 1007.
kommen würde, mich weiter von Göttingen zu entfernen. Vollends a!
ich zurückkam : vernahm ich Klagen über die Zeiten, || die nie so schlimr.
gewesen seyen wie jetzt, ,,die Universität selbst sey — in einer Krise'
u. s. w. Wirklich waren in Hannover harte Dinge vorgefallen; di
Landstände aufgelöst; ein paar angesehene Männer nach Hameln gefühn
hier im G[öttingen] sehen eine neue Commission niedergesetzt, und furcht
bare Steuern sjreng gefordert. Da ich nun bey dem Allen nichts thui
konnte, sonst aber genug zu thun habe, j| was, wie es scheint, ausser mi
Niemand thun wird, so entschloss ich mich sehr leicht, die ängstlicher
Gesichter zu meiden und wieder zu dem Werk meiner Einsamkeit zi
greifen. Dies Werk braucht ruhige Tage; ein starker Grund, es nicht bis
auf unruhige zu verschieben.
Und so dienen mir denn zur Unterlage dieses Blattes, — psycho-
logische Rechnungen ; — von denen auf dies Blatt wohl nicht schicklicher-
weise etwas kommen darf.
Möchte unser Freund G[rote] in H[annover], nicht alle seine Aus-
sichten versperrt sehn! Dies ist eine Folge der vorgegangenen Ver-
änderung. Seine Stimmung ist mit Recht sehr trübe. Er hat indess im
Sinn, Dir zu schreiben.
Br[ande]s in Hfannover], dem ich mein Buch geschickt hatte, drückt
sich in der Antwort so aus : er werde demselben seine ganze Aufmerksam-
keit widmen, wozu ihn ohnehin seine jetzige Lage hinneige, da ein der
Freyheit Beraubter in der pract[ischen] Philosophie] 1) natürlich genug
seine bessere Freyheit wieder finde. — Es war übrigens nur eine Art
von Stadt-Arrest.
Zu etwas Anderem! — Ich habe von einer häuslichen Veränderung
zu berichten. Nämlich, wozu Du mir gewiss von Herzen Glück wünschest
— statt der alten Peinemann zieht eine andere Hausfrau herein. Die
Sache hängt so zusammen: das Haus ist endlich verkauft; an einen
Weissbinder, dessen Frau eine Garküche hat; diese nun soll hier unten
angelegt werden; Miethhofs also müssen ausziehen, Bergmann aber und
ich bleiben wahrscheinlich wohnen. Georg mit uns; und die alte russige
Feuerbeherrscherinn brauchen wir dann gar nicht mehr. Wie aber der
Weissbinder sich in diesem Pallaste ausnehmen wird, vollends die Gar-
küche, — das wird sich zeigen. Ich hofTe, der Duft der untern Regionen
wird die obern verschonen. —
Die pädagogischen Angelegenheiten gehen gut. Ungewitter ist sehr
zufrieden; Petri in Bremen desgleichen. Günther ist mit von Rahden
nach Curland gereist, zum Hrn. von (Sacken?). Für jetzt ist G. hier,
und treibt seine Arbeiten recht zu meinem Wohlgefallen. In wenig
Wochen hat er, um sich für den Moriz Sacken vorzubereiten, Herodot
u. Thucydides und Piatons Republik und wer weiss wie viel Stücke des
Euripides durchgelesen und ist nun bey der Mathematik. Sein wahr-
haft || reiner Eifer macht ihm Ehre; wiewohl er an Geist eine kleine
Stufe höher stehn sollte. Sein Denken ist Zweifeln, aber sein Gefühl ist
richtig. — Auch nach Bern soll ich einen Hauslehrer schicken. Mad[ame]
l) Also schon jetzt erschienen, s. auch den folgenden Brief.
Dezember 1807. 307
EI über, Heyne's Tochter, hat an mich geschrieben; ich solle an — Fellen-
:>erg Antwort geben, dort wird ihr Sohn erzogen. Fürchte Dich nur nicht
/or Commissionen. Es kann aber seyn dass Du Dissen oder Griepenkerl
Dald dort siehst. — Mad. Huber sagt, mein Rath lehre Männer bilden.
Das ist viel gesagt; ich bin indess von Dir überzeugt, dass Du Deine
Landsleute in diesem guten Glauben nicht irre machen wirst.
Hufeland aus Landshut hat an mich geschrieben, und Jacobi mir mit
iinem Grusse einen jungen Mann Namens Unterholzner, in meine Vor-
esungen geschickt, der künftig Docent der Rechte in Landshut seyn
vird. — Die Metaphysik ist eben gedruckt, mit manchen Zusätzen. Die
Vtichaelismesse hat fürs Philosophische wenig geliefert; es scheint,
ch habe am meisten Ruhe gehabt zu arbeiten. Und ich denke diese
^uhe zu behalten. Träume dürfen keine Arbeit stören; und was man
ür Göttingen fürchtet, sind jetzt nur noch Träume. Es ist mir übrigens
ieb den Augenblick glücklich getroffen zu haben wo Andere schweigen;
ch habe das schätzen gelernt seitdem die arme Pädagogik nicht zu
Aborte kommen konnte.
Genug! mein Guter, damit Du sehest, dass noch Alles beym Alten
st. Du hättest ohne Zweifel viel mehr, und viel Neues zu erzählen —
;ofern Du Dir Zeit dazu nehmen kannst. Erfreue bald durch dies Zeichen
deiner Freundschaft Deinen Herbart.
Deinem Hrn. Vater meine Empfehlung nebst meinem Dank für die
chätzbaren Zeilen am Ende Deines Briefes. Wegen der Schuld des
Kaufmanns in Köthen wird Grote an Dich geschrieben haben. Durch
Detri's Vergessenheit, der übernommen hatte, Deine Aufträge von mir noch
:u Ende zu bringen, ist die Sache verzögert, Grote braucht eine Vollmacht
ron Dir.
V.dr. : Dem Herrn Baron Karl Steiger von Riggisberg Bern.
515. An Carl v. Steiger.1) Göttingen 7 Dec. 1807.
Montag 6 Uhr Abends.
Dein lieber Brief vom 2 5sten November hat mich so herzlich erfreut,
nein theurer Karl, dass ich, so spät es ist, nach geendigter Arbeit, noch
;in halbes Stündchen zu nützen suche, um Dir meinen Dank ganz frisch
;u übersenden. Glücklicherweise bin ich durch meinen ersten Brief, der
mn in Deinen Händen seyn muss, dem Vorwurfe zuvorgekommen, mich
)itten zu lassen um das, was ich schuldig war.
Deine Nachrichten erfreuen mich alle; die einzige, die mich minder
reut, nämlich dass Dir Bern noch nicht ganz zu gefallen scheint, be-
mruhigt mich nicht, denn das wird sich gewiß geben. Nur allzufrüh
verden anziehende Geschaffte und Verbindungen aller Art, Dich so sehr
essein können, dass die letzte persönliche Ausbildung, die Du Dir noch
schuldig bist, darunter leiden mag. Um die verlorne Jagdlust ist wahrlich
licht Schade. Der Militairposten scheint mir ein sehr schöner Ersatz
iafür zu seyn. Ja, mein || Guter, es ist mein Ernst! Dir, dünkt mich,
st diese bedeutungsvolle Gymnastik in so vieler Hinsicht angemessen, dass
') 3 S. 4°-
20 *
ßo8 Dezember 1807.
4 Wochen, die ihr in der schönen Jahreszeit geopfert seyn wollen, viel-
leicht nicht besser angewandt werden könnten. Wäre es auch nur die
Berührung mit so vielen Landsleuten; diese Berührung wird dem heran-
gewachsenen Manne eben so schätzbar seyn, als sie für einen unreifen
Knaben gefährlich werden kann.
Von Deinen Brüdern hätte ich gern mehr gelesen. Sind sie während
der Belagerung von Kopenhagen in E[ngland] geblieben?
Von Groten habe ich Dir schon geschrieben; vor allem, dass August
Gr[ote] eine Vollmacht wegen des ihm aufgetragenen GeschäfTts von Dir
braucht. Er wollte Dir selbst schreiben. Auch Willhelm Gr[ote] hat
mir eine Einlage an Dich angekündigt. Es freut mich wenn Du ihrer
gern gedenkst. Wenigstens sind sie Dir herzlich gut. Das bist Du ver-
wöhnter Mensch aber nur allzusehr gewohnt! — ||
Keller, den ich während der letzten Tage vor meiner Abreise häufig
und gern sah, soll Dir meine pr. Phil, überbracht haben. Knös hat recht
kräftig, recht gut, recht „freundschaftlich geschrieben, so dass mirs lieb war
für ihn und für mich. — Toelken ist in Berlin. Wahrscheinlich bey
Fichte und Schleiermacher. Er lässt noch nichts von sich hören. Ver-
muthlich hat er mehr Gewicht fühlen müssen, als der junge Mann sich
vorstellte. Mit Schleiermacher habe ich Schüler getauscht; einer der
seinigen, — der Sohn des Ministers von Vo — *) hört jetzt bey mir pr. Phil.;
ich habe keine sehr grosse Erwartung von Erfolg, der junge Mann lässt
ein wenig den Cavalier und zugleich den Ästhetiker nach neuestem
Schnitt blicken, und darum pflegt die Philosophie sich nicht viel zu
kümmern.
Nun eilig zum Schluss! Sonst geht die Post. Viele Empfehlungen
an die Deinigen, — Leb herzlich wohl! Dein Herbart.
x) Vo — wegen des Siegels nicht lesbar. Von Voß?
Druck von Hermann Beyer & Söhne (Beyer & Mann) in Langensalza.
Carl von Steiger.
JOH. FRIEDR. HERBART'S
SÄMTLICHE WERKE.
JOH. FR. HERBART'S
SÄMTLICHE WERKE.
IN CHRONOLOGISCHER REIHENFOLGE
HERAUSGEGEBEN
tKARL KEHRBACH und OTTO FLÜGEL
SIEBZEHNTER BAND.
BEARBEITET
THEODOR FRITZSCH.
LANGENSALZA
HERMANN BEYER & SÖHNE
(BEYER & MANN)
Herzogl. Sachs. Hofbuchhändlbr
1912
BRIEFE VON UND AN
J. F. HERBART.
URKUNDEN UND REGESTEN ZU SEINEM LEBEN
UND SEINEN WERKEN.
MIT VIER BILDERN.
2. BAND.
(VON 1808 — 1832.)
MIT EINEM BILDE CARL VON STEIGERS.
VON
THEODOR FRITZSCH.
*\C
otttSw«^ ..r'tS
\
o^
-r£..--il
-.----<""
LANGENSALZA
HERMANN BEYER & SÖHNE
(BEYER & MANN)
Herzogl. Sachs. Hofbuchhändler
1912
Alle Rechte vorbehalten.
Briefe von und an
J. F. Herbart.
Urkunden und Regesten zu seinem Leben und seinen Werken.
Von
Theodor Fritzsch.
II.
Herbarts Werke. XVII.
„Briefe gehören unter die wichtigsten
Denkmäler, die der Mensch hinterlassen kann . . .
Was uns freut oder schmerzt, drückt oder be-
schäftigt, löst sich von dem Herzen los, und
als dauernde Spuren eines Daseins, eines Zu-
standes sind solche Blätter für die Nachwelt
immer wichtiger, je mehr dem Schreibenden
nur der Augenblick vorschwebte, je weniger
ihm eine Folgezeit in den Sinn kam.*'
Goethe.
1808.
Hauptpunkte der Metaphysik und Hauptpunkte der Logik. (Zweite, für den Buch-
handel bestimmte Ausgabe.) S. Bd. II. S. 175 — 226. — Allgemeine praktische Philo-
sophie. S. Bd. II. S. 329 — 458. — Replik Herbarts auf Böckhs Rezension.
S. Bd. I. S. 342—348.
216. An Smidt1) Göttingen i7ten Jan. 1808.
Mein theurer Freund! Seit langem freute ich mich auf die guten
Stunden einer reinen Muße, die ich mit Dir verplaudern wollte, indem
ich Dich durch die Uebersendung meiner jetzt fertig gewordenen philo-
sophischen Arbeiten an unsere alten gemeinsamen Studien erinnern würde.
Die Muße ist da; die reine heitere Stimmung, die man dem Freunde
gern mitzutheilen sucht, gleichfalls, trotz der allgemeinen Calamität, an der
ich mit den Übrigen leide. Aber zu meinem Bedauern sehe ich mich
genöthigt, Dich mit einer Bitte zu belästigen, die von eben dieser Calamität
herrührt.
Zu der fast allen Begriff übersteigenden Contribution , welche vor-
gestern angesagt ward, und am 1 sten, loten und 2osten Februar ab-
getragen werden soll, bin ich mit 1500, sage tausend fünfhundert Franken
angesetzt. — Dass hier, in diesem Augenblicke, selbst gegen die höchsten
Zinsen kein Geld zu haben ist, versteht sich; wie selten die baare Münze
in meinem Vaterlande ist, habe ich nur vor kurzem durch sehr verzögerte
Zahlungen erfahren. Ueberdem ist der Administrator meiner Capitalien,
der Assessor Wardenburg zu Neuenburg, [2] den seine Amtsgeschäfte
fast erdrücken, eben jetzt im ersten Genuß der ehelichen Freuden. Ich
wende mich also an Dich mit der Bitte, mir die genannte Summe in
Bremen zu schaffen. Ich muss sie auf allen Fall zu erhalten wünschen,
selbst wenn hohe Zinsen gefordert würden. Wahrscheinlich, aber nicht
gewiss, kann ich morgen einen Brief vom hiesigen Kaufmann Backhaus
an Dich senden, in welchem er ein dortiges Handelshaus zu bewegen
suchen wird, die Summe herzuleihen, im Fall es Dir zu lästig seyn sollte,
sie auf andere Weise zu besorgen. Die Rückzahlung kann dann allmählig
durch Wardenburg geschehen.
— Die an sich traurige Ueberzeugung, dass viele hiesige Familien
durch diesen Schlag noch ungleich härter getroffen werden müssen als
*) 6 S. 4*.
a Januar 1808.
ich, der ich für den Augenblick wenigstens nur für mich zu sorgen habe
— bringt mich dahin dass ich mich über die unangenehme Empfindung
leicht hinwegsetze die von einem Vermögens -Verlust bey so sehr ver-
schlimmerten Aussichten aller Art, freylich nicht ganz zu trennen ist. — —
Im Ganzen kann ich sagen, dass ich mich jetzt manchmal mit einem
Ueberfluss von Heiterkeit versehen fühle, seitdem die notwendigsten
Arbeiten geendigt vor mir liegen. Ich habe Sorgen getragen die der Zeit
unmittelbar nicht angehörten, und bin von Aufgaben gedrückt gewesen,
die für die wandelbaren Stimmungen einer nicht robusten Gesundheit zu
gross schienen. Jetzt [3] fehlt mir unter allen Dingen am meisten der
gleichgestimmte Freund, dem ich mein Inneres mittheilen könnte. Die
Einsamkeit, die ich liebte, wird mir jetzt oft zur Plage, seit sie weniger
unentbehrlich ist. Wie viel gäbe ich darum, jetzt die müssigen Augen-
blicke eines alten Freundes für mich gewinnen zu können! Mit Dir, mein
Theurer, würde ich gewiss manchen öffentlichen und eignen Schmerz auf
solche Weise theilen können, dass das Widrige selbst sich in den Stoff
eines erfreuenden und stärkenden Gesprächs verwandeln müsste. Gönne
Du, darum bitte ich, zuweilen einen ruhigen Augenblick meinen Büchern,
da ich ihn für mich nicht gewinnen kann. Du findest mich darin. Und
ich finde Dich, wenn einmal das Wiedersehen uns beschieden ist, desto
mehr als den Vertrauten, dem ich von meiner Seite mich desto eher und
leichter wieder anfügen kann. Magst Du mir schreiben, so kann ich auch
jetzt den schriftlichen Gruss eher erwiedern, und brauche nicht mehr als
ein Undankbarer zu erscheinen.
Diese Zeit, die so manchen Glauben zerstörte, hat mir weder den
Glauben an edle Herzen, noch an die Wissenschaft geraubt. Vielmehr,
ich bin gerade fortgeschritten und schreite noch fort in wissenschaftlicher
Klarheit. Kein Rückschritt ist nöthig gewesen. Die practische Philosophie,
auf Göttingenschem Boden gewachsen, keimte in Bremen; die Rechnungen,
mit denen ich im Jahre 1800 als Dein Schützling beschäftigt war, sind
jetzt mit denselben Formeln in meiner [4] Metaphysik gedruckt, nachdem
sie sich durch eine Anwendung auf die theoretische Musik auffallend be-
währt haben. Freylich die Ausarbeitung der Psychologie steht noch bevor;
und der Winter entzieht mir immer eine gewisse Gunst von aussen, deren
ich zu feinern Untersuchungen bedarf. Aber dennoch springen die Funken
so oft ich an den Felsen schlage; und ich weiss aus Erfahrung was dies
Phänomen bedeutet. — Einzelne haben sich meiner Grundsätze bemächtigt,
und sie mitgenommen nach Polen und Schweden — und hoffentlich darf
ich auch Deutschland noch nennen, — unser armes Vaterland das freilich
nicht weiss wie lange ihm die Musen noch hold seyn werden.
Ich hoffe das Angefangene noch zu enden. Meine Gesundheit ist
stärker geworden, besonders seit ich häufig reite.
Ich habe Dir von mir erzählt, weil ich glaube dass es Dich freut,
und weil ich mit dieser Freude Dir gern etwas von dem Dank bringen
möchte, der für Dich, und für unsern trefflichen Kulenkamp, in meiner
Seele auf immer lebendig ist.
Vielleicht soll ich noch etwas von meinem äussern Leben hinzusetzen.
Das beschränkt sich nun freylich meist auf meine 3 Collegien, unter
Februar 1808.
denen wenigstens die philosophische Einleitung ordentlich genug besetzt
ist. Ohne literarischen Namen in der philosophischen] Welt durfte ich
bisher nicht mehr erwarten. [5] Manchmal gehe ich doch auch aus, um
Heeren, Heyne, Blumenbach, Plank, Bouterweck, Stäudlin, zu besuchen.
Bouterweck hat sich seit einiger Zeit sehr gefällig gegen mich gezeigt.
Nur Schade, der Mann hört so schwer, dass er sein, freylich angenehmes
und unterrichtendes, Gespräch fast allein führen muss. Ueberhaupt lässt
man es an einer gewissen guten Aufnahme gegen mich nicht fehlen, und
dass manches Verhältniss nicht enger geknüpft ist, daran bin ich allein
selbst Schuld, durch die Zurückgezogenheit die ich mir auflegte, und zu
Gunsten meiner Psychologie noch eine Zeitlang behaupten werde. Am
liebsten sehe ich die treffliche Familie [v. Grote] in Jühnde, die es diesen
Winter beweist, dass sie die Einsamkeit zu ertragen weiss. — Neulich über-
raschte mich Niemeyer auf seiner Durchreise, und zwar als Hospitant in
meiner Pädagogik. Wir sind uns so nahe gekommen, dass ich, wenn die
Gelegenheit es herbeiführte, mich mit Zutrauen an ihn wenden würde. —
Wie viel hätte ich nun noch zu fragen! Zuerst, was leider am
wenigsten in eine kurze Antwort sich einpressen will, wie Du lebst, emp-
findest, denkst. Dass Du viel, sehr viel handelst, weiss ich; — dass Du
auch bauest, und unter anderm schönes Obst bauest, davon hast Du mich
neulich durch ein liebes kleines Geschenk selbst benachrichtigt. Schwer-
lich gönnst Du aber dem freundschaftlichen Umgange viel Zeit, [6] oder
wird noch häufig zwischen Dir und Hörn jene Masse von muntern Ein-
fällen hin und hergespielt, woran Ihr vormals so reich wart? Koppen
wenigstens muss nach dem was ich höre, an dieser Gesellschaftlichkeit
wenig Antheil gehabt haben. Thulesius soll sehr still und ernst geworden
seyn. — Deine Hanne ist nun ohne Zweifel schon ziemlich mädchenhaft,
und wird allmählig die Vorboten der Jungfräulichkeit hervorblicken lassen,
— wenn sie schon zur Jungfrau selbst noch lange Zeit hat. Und Deine
liebe Frau? Die ist gewiss immer thätig, und recht eigentlich häuslich.
Und Deine Schwester? Vieles von dem alien wüsste ich, wenn Günther
tiefer in Euer ganzes Leben hätte eingeweiht werden können. Es schmerzt
mich so oft ich daran denke, dass er seinen Platz nicht vollkommen aus-
gefüllt hat. Hier studirt er wacker, was sein nächstes Ziel erheischt. Wie
geht's mit Petri? — Doch ich muss aufhören zu fragen; es wird Zeit an
die Post zu denken. Also allen den Genannten und den Nolteniern
(vorzüglich aber der An Noltenius) und wer sich sonst meiner erinnert,
meine herzlichsten Grüsse und die sehr angelegentliche und ernstliche
Bitte, dass man mich nicht vergessen wolle. Wie unser trefflicher Kulen-
kamp lebt, und ob er wohl noch mit alter Zuneigung an mich denkt: —
das möchte ich besonders gern wissen.
Auf immer Dein H.
217. All Smidt.1) Göttingen 15. Febr. 1808.
Mein theuerster Freund ! Eine Reihe der unangenehmsten Beschaff ti-
gungen und Stimmungen ist aufs angenehmste unterbrochen worden durch
]) 3 S. 4°. — Adr.: Dem Herrn Senator Smidt zu Bremen.
6 April 1808.
Deine beyden trefflichen, herzlichen und so ganz freundschaftlichen Briefe!
Möchtest Du es wissen können, wie wohl eine solche schnelle Fürsorge,
und solche Einladungen einem Herzen thun, das zuweilen sich in Gefahr
glaubt, zu veröden! Nimm meinen aufrichtigsten Dank. Du bist im Besitz
dessen, mein Wohlthäter zu seyn.
Ich hoffe dass nach 3 Monaten wenigstens ein beträchtlicher Theil
der Summe füglich wird abgetragen werden können. Und sollte es nöthig
seyn, so muss auch das Ganze geschafft werden können. Darüber haben
wir ferner zu sprechen. [2]
Wie gern ich nach Bremen käme! Aber mein Bester, ist es nach
so außerordentlichen Ausgaben Zeit zu reisen?
Alles ist jetzt so dunkel — dass ich recht oft daran ernstlich denke,
ganz von diesem Orte wegzureisen. Ich habe jetzt Schüler in entlegenen
Gegenden, im ganzen Norden und Osten von Europa. Nicht viele zwar,
aber brauche ich ihrer noch mehrere? Dennoch, könnte Göttingen seinen
alten, wahren und tiefgegründeten Werth als Lehranstalt für Europa be-
haupten, so duldete ich wohl ferner einen untergeordneten äussern Rang,
eine schlechte Einnahme; und suchte mir den harten Boden durch Arbeit
vollends weich zu machen. — —
Ich werfe das nur hin, um Dir zu zeigen, dass, entschlösse ich mich
in diesem Augenblick zu reisen, ich darin zugleich eine Rückkehr be-
schliessen müsste, die mir [3] widrig werden könnte. Wem zu Hause
nicht wohl ist, dem wird noch übler, wenn er heim kommt von einer
Zerstreuung.
Mehreres, dessen zu erwähnen ich jetzt nicht Zeit habe, muss sich
erst aufklären, ehe ich etwas beschliessen kann.
Willst Du wol gelegentlich an Petri meinen herzlichsten Dank für
seinen Brief bestellen lassen? Es fehlt mir jetzt an Müsse ihm zu ant-
worten auf das was er mich gefragt hat, oder eigentlich noch fragen will.
Erwünscht wäre es mir, wenn er mir den Gegenstand worüber ich meine
Meinung sagen soll, schriftlich etwas mehr entwickelte.
Meine freundlichsten und dankbarsten Grüsse an Alles was zu Dir
gehört und an mich denken mag. Ganz der Deine H.
218. An Carl v. Steiger. Göttingen n. April 1808.
Dein Brief aus Nürnberg, mein Guter, traf hier ein zu einer Zeit,
wo eine sehr böse Laune in Göttingen epidemisch war, und Du musst
nicht zürnen dass ich mich gehütet habe, Dich damit anzustecken. Eine
gezwungene Anleihe sollte in sehr kurzer Zeit herbeigeschafft werden, von
der Du den Massstab haben wirst, wenn ich Dir sage, dass ich allein
1500 Franken dazu beytrage. Es ist zwar die Rede von künftiger
Repartition auf das ganze Land, denn bis jetzt sind nur die Wohlhabenden
angesetzt gewesen. Aber das ist weit aussehend; wir haben nur Quitungen,
nicht Schuldscheine empfangen. — Bald nachdem der erste Schmerz
hierüber verwunden war, traten Studentenunruhen ein; die Herren hatten
sich auf eine sehr gewöhnliche Weise entzweyt und, sonderbar genug! ihr
*) 4 S. 4Ü. — Adr. : An Hrn. Baron Karl Steiger von Riggisberg zu Bern.
April 1808. y
gewöhnliches Mittel, alle Knoten zu zerhauen, verschmäht, indem sich
zwey Partheyen gegenseitig für Satisfactionsunfähig erklärten; es kam also
zu Stockschlägen auf den Strassen; darüber geriethen unsere neuen Obrig-
keiten in Bewegung; 24 Stunden lang waren die Thore gesperrt. Herr
v. Müller, Dein Landsmann und Deines Vaterlands berühmter Geschicht-
schreiber, jetziger Staatsrath und Curator aller Universitäten1), || ward nach
Göttingen bemüht; aber zu der Zeit wurden die Partheyen des Streits
müde, und verglichen sich; — jetzt sind wir ruhig. — Aber das Pein-
lichste, eine grosse Ungewissheit in Ansehung unserer künftigen Einrichtungen,
dauert noch fort. Dies, verbunden mit der gezwungenen Anleihe, macht,
dass ich fürs erste den Gedanken, zu reisen, bey Seite gelegt habe.
Uebrigens ist immer noch zu vermuthen, dass die Academie im Gange
bleiben wird wie sie war.
Unterdess ist ein Brief von Grote an Dich in meinem Pulte alt ge-
worden, welches ich zu verzeihen bitte. Dieser Brief wird noch heiter
genug geschrieben seyn; möchte unser Freund nur jetzt noch in der näm-
lichen Stimmung schreiben können! Aber ihn und seine Familie drückt
die tiefste Trauer, eine Trauer, die wir beyde, mein Guter, nur allzu
schmerzlich theilen werden! Die schönste Zierde und die beste Stütze
dieses Hauses ist dahin. — Noch vor ungefähr drey Wochen war der
Minister hier auf meinem Zimmer, er verweilte lange, sprach sehr offen,
sehr freundlich, rühmte seine Gesundheit, prieß sich glücklich als Vater
von 6 Kindern die alle, alle ohne Ausnahme ihm Freude machten. Es
wehte ein heftiger, sehr kalter Wind; ich bat ihn, nicht hinauszureiten.
Er verweilte bis zum folgenden Tage in Göttingen; kam gesund an in
Jühnde; exponirte sich aber || am folgenden Tage in seinem Garten, wo
er die Arbeiter anwies. Die Folge war eine Lungenentzündung; heftiges
Fieber, Erneuerung alter Übel des Unterleibes. Willhelm musste von
Hannover herübereilen. Und in dessen Armen schloss er nach wenigen
Tagen das Auge.
Wie es mich schmerzt, diesen Winter nicht öfter in Jühnde gewesen
zu seyn! Nur ein einzigesmal, zu Neujahr, war ich dort; damals sah ich
den Mann zum letztenmale unter den Seinen. Jetzt vor einigen Tagen
— sah ich die Seinen ohne ihn. Eins kam nach dem Andern, mich zu be-
grüssen mit einem Strom von Thränen. Die Grossmutter erzählte: noch
vor 14 Tagen habe er seiner Gattin versichert, er liebe sie heute wie am
Tage ihrer Verbindung. Und diese nun so trostlose Gattin hatte von
ihm gesagt: „er war die Seele meiner Seele1'. Und wir alle kannten ihn
ja als die Seele des Hauses. — Auf die Söhne lasten jetzt sehr drückende
Geschaffte. — Der jüngere, der in Cassel sehr hervorgezogen worden
war, ist jetzt Präfectur - Rath geworden, eine Stelle, die einiges Ansehen
giebt, aber nur 300 Thlr. Gehalt. Auch so gut ist es dem altern noch
nicht geworden.
Unter diesen Umständen wirst Du schwerlich fragen ob Deine Voll-
macht von Erfolg gewesen ist. Aug. Grote hat an derselben auszusetzen,
J) Kohlrausch, Erinnerungen aus meinem Leben, Hannov. 1863, S. 112.
Hartenstein, Herbart's Kl. Sehr., Lpzg. 1842, I, S. LXVII.
8 April 1808.
dass sie nicht vor einem Notar gemacht ist; er hat übrigens Nachricht
dass Dein Schuldner in sehr üblen Umständen, und schwerlich etwas bey
ihm zu haben ist.
Dass bey der ehemaligen fr[eien] Reichsstadt Nürnberg auch nicht
viel zu haben ist, || dies ist weltbekannt; und so konnte ich nicht in Ge-
fahr gerathen mich an Deiner Mission übermäßig zu freuen, als wäre es
eine sichere Gelegenheit für Dich, recht grossen Dank bey Deinen Lands-
leuten zu ärndten. Gleichwohl wünsche ich Dir herzlich Glück zu dem
Vertrauen das Du gewonnen, und ohne Zweifel selbst durch den unvoll-
ständigen Erfolg zu bevestigen gewusst hast. Möge nur Deinem Hrn.
Vater der Zweck seiner Reise vollständig gelingen, und er bald wieder
in voller Gesundheit zu Dir und zu seinem Hause zurückkehren.
Von München hätte ich wohl einige Nachrichten durch Dich zu er-
halten hoffen können, wovon in Deinem Briefe nichts steht. Vielleicht
ersetzt das Sievers, der kürzlich abgereist ist, um über Wien nach Hause
zu gehen und dem ich einen Brief an Jakobi mitgegeben habe. Im
Moment seiner Abreise machte er durch Rückkehr des alten herzlichen
Vertrauens aufs vollständigste wieder gut, was früher gefehlt war. Auch
hat er mir schon geschrieben, von Heilbronn aus. Der Brief ist sehr ge-
scheut, voll von interessanten Nachrichten für mich. Unter anderem dass
Fries in Heidelberg mich angegriffen hat. Von der Seite hatte ich es
eben nicht erwartet. Noch ist mir nichts zu Gesichte gekommen. Der
Schlag wird nicht allzu schwer niederfallen; vielleicht ist es nur eine gute
Gelegenheit, einmal öffentlich wieder einen bessern Ton anzustimmen, als
der jetzt gewöhnliche.
Mich beschäfftigt fortwährend die Psychologie. Meine Gesundheit ist
gut. Im Winter ist die Musik mit Gewalt über mich gekommen, und
ich habe ein paar Sonaten — schreiben müssen, von denen eine wahr-
scheinlich gestochen wird. Unterholzner aus München und Baron Richt-
hofen aus Schlesien sind gute Zuhörer, Toelken hat noch gar nicht an
mich geschrieben. — Findest Du Muße für die pract[ische] Philosophie],
so soll es mir lieb seyn davon mehr zu vernehmen. Griepenkerl kommt
wahrscheinlich zu Fellerberg. Aber — nicht wie ich wünschte, nicht, wie
es ihm recht gewesen wäre. Konnte ich auch nicht erwarten dass er
dort eine Lage finden werde, wie sie mir einst durch Deinen edeln Vater
gegönnt ward, so hoffte ich doch ein Familienleben für ihn. Das ver-
sprach der Brief der Mad[ame] Huber; etwas ganz anderes, — ein In-
stitut, wo es einen Haufen von Kindern, wo es Collegen giebt, wo fürerst
Pestalozzische Methode studirt werden soll! — kündigt der nun endlich
erfolgte Brief des Hrn. Fellenberg an. Wie die Sache vor mir liegt ist
es eine saubere Inconsequenz; ich habe genug daran.
Und auch Du mein Guter wirst genug haben an diesem langen
Briefe. Also leb wohl und empfiehl mich den Deinigen. Dasmal ins-
besondere dem Franz; ich freue mich, dass Du ihn rühmst.
Dein H.
Juni t8o8. q
219. Griepenkerl an H.1) Hofwyl, 4. Juni 1808.
Was werden Sie von mir denken, Herr Professor, daß ich nach Hofwyl ge-
reist bin, ohne mich Ihnen noch ein Mal zu empfehlen, wie ich versprochen hatte?
— ich habe mich selbst durch diese unverzeihliche Versäumniß beraubt; aber
auch einen recht trüben Augenblick habe ich mir erspart. Braunschweig hatte mich
zu lange gefesselt, ich stahl mich dort endlich weg und kam bei Nacht mit der
Post nach Göttingen. Mit reuigem Herzen bin ich an Ihrer Wohnung vorüber ge-
gangen und habe lange zu dem Zimmer hinauf gesehen, wo ich die schönsten
Stunden meines Lebens zubrachte. Daß sie mir ewig unvergeßlich bleiben werden
ist wahrlich nicht mein Verdienst. Wäre hier nur der Schatten von dem, was ich
in Göttingen verließ, ich würde zufrieden sein, aber so ganz ohne alles, ohne jenen
Geistesgenuß ohne die herrlichen Freunde, ohne alle herzliche Mittheilung — — Es
ist ein wahres Glück, daß ich nicht Hypochonder bin und daß Herr Fellenberg eine
Bibliothek besitzt.
Von Hofwyl möchte ich Ihnen gern viel erzählen, wenn ich nur schon viel
davon wüßte. Hier ist ein ökonomisches Institut, was aus lauter erwachsenen Zög-
lingen besteht. |j Die eigentliche Erziehungsanstalt ist noch so sehr im Werden,
daß sie bis jetzt nur aus Felienbergs Kindern und dem kleinen Huber besteht. In
weniger als 6 Wochen, spricht man, sollen mehrere kommen. Bis dahin werde ich
in Yverdun Pestalozzis Lehrmethode studiren und zwar so, daß ich mich mit unter
die Kinder setze und Zögling mit bin. Der Gedanke macht mir viel Scherz, wenn
nur auch die Sache, ich glaube an keinen Nachtheil, den dieser Versuch für mich
haben könnte, und dann ist höchstens die Zeit verloren — nicht einmal verloren,
gewiß nicht.
Wenn ich die vielen Geschäfte des Herrn Fellenberg sehe, wie er von seinem
ökonomischen Institute beständig ganz gefangen genommen ist: so schmeichle ich mir,
daß das künftige Institut vielleicht etwas nach meinem Kopfe geheu mag. Auch
versichert mich Herr Fellenberg oft, daß er bereitwillig jede bessere Ansicht auf-
nehmen werde. Sollte ich nicht, um mir dadurch mehr Vertrauen uud freiere Ein-
wirkung zu verschaffen, Pestalozzis Orakel willig hören? Wollte nur der Himmel,
ich wäre stark genug, Ihre Pädagogik mit eben der Energie und Umfassungskraft
anzuwenden, || als sie von Ihnen gedacht ist! Wäre ein Kräftigerer hier in meiner
Stelle, ich glaube, es könnte viel geschehen. Mein einziges Verdienst mag sein, daß
ich jenen Feichthum bei mir sehr sorgfältig unter Schloß und Riegel halte. Je
genauer ich aufmerke auf meine Umgebung, desto fester wird bei mir der Gedanke,
daß ich nur im Trüben fischen darf, daß ich nicht vorher sagen darf, daß, und wie,
und woher.
Pestalozzis Institut soll sehr fortgerückt sein in den letztverflossenen zwei
drei Jahren; besonders nennt man mir die Übungen der Anschauung. Nach allem,
was ich darüber habe erhorchen können, scheint es mir, als habe man dort Ihr
A. b. c. der Anschauung sehr sorgfältig studirt. Nun, ich werde ja sehen. Aber
freuen sollte es mich außerordentlich, Sie dort wiederzufinden, wenn auch mit Ver-
schweigung des Meisters — : es fehlt auf so manchem vortrefflichen Gemälde der
Name des vortrefflichen Künstlers.
Es sind mir in dieser Zeit viele Werke über und aus Pestalozzis Anstalt in
die Hände gegeben. Alle ereifern sich sehr, daß Pestalozzis Gegner die Grundidee
seiner Methode nicht gefasst hätten, alle bemühen sieh sehr, diese Idee ans Licht
zu stellen, ich habe wirklich || mein eigenes Licht noch mit hinzugestellt und nichts
*) 4 S. 4°. H. Wien.
IO
Juli 1808.
gefunden, als Stücke, die kein ganzes geben wollen, am wenigsten eine Grundidee,
ich mag sie drehen und wenden wie ich will.
Viel "Wesens macht man aus einer neuerfundenen Art, die Musik zu lehren,
ich hoffte Wunderdinge zu sehen und Aufschlüsse zu finden, die meiner schwachen
Seite sehr willkommen gewesen wären — : es waren Armseligkeiten, durch die man
den Takt lehrt, und das Kombiniren von fünf Tönen, und ohne weiteres die Tonarten,
obendrein die Moltonart falsch.
Noch muß ich Ihnen erzählen, daß H. Zeller ein Schüler Pestalozzis, hier in
Hofwyl auf Befehl der Regierung 50 Schulmeister in der Pestalozzischen Lehr-
methode unterrichtet. Man muß gestehen, mit vielem Erfolg. Dieser Mann ist
sehr stolz, begegnet jedem verächtlich und fühlt sich einen Gott im Besitze fremden
Eigentums. Das, sagt mir Herr Eellenberg selbst, sei die üble Angewohnheit aller
Schüler Pestalozzis. Wie wird es mir Armen ergehen! Ein wenig Muth und ein
wenig Geduld, hoffe ich, sollen mir glücklich hindurch helfen. Es bleibt mir jetzt
nichts mehr übrig, als mich Ihnen mit dankbarem Herzen und mit der innigsten
Hochachtung gehorsamst za empfehlen J. Griepenkerl.
220. An v. Halem. Göttingen n.juii 1808.
Die in der Eile geschriebenen Zeilen, wozu mich jüngsthin der treff-
liche Grote bewog, werden Sie, mein Verehrtester! erhalten, und nach-
sichtig gelesen haben. — Ihr gütiger Brief hatte mir einen Schmerz mit-
getheilt, der mich arm fand an Trost; ja, mich nur ärmer machte, während
ich ohnehin schon das Leiden der Grote'schen Familie mit ansah. Mit-
gefühl habe ich; und, wenn Sie wollen, auch die Erfahrung, dass diese
Leiden noch immer nicht die bittersten sind. — Endlich, dass der Ver-
lust des Lebens in diesen Zeiten weniger zu bedauern ist als sonst, darin
sind wir wohl alle einig. Das Leben mit Anstand zu tragen, es nicht
durch eigne Schuld zu verderben, kostet ja gegenwärtig schon so viel
Mühe. Unsre Aussichten sind dunkel; unsre alten, erfahrenen Männer
sind beschäftigt wie die Rettenden bei einer Feuersbrunst (so in der That
unser würdiger H[eyn]ne); die jüngeren wissen nicht, wo sie einen nur leid-
lich gangbaren Fusssteig suchen sollen. Umsonst belebt man in Einzelnen,
die wohl ursprünglich Sinn dafür haben, höhere Ideen; — wenigstens
scheint es manchmal umsonst zu seyn, denn die Jugend will hoffen, und
was ist jetzt zu hoffen? Da ich studirte, war es anders. —
Aber wir müssen herdurch; wir haben zu thun. Auch ich muss
herdurch; durch den Schellingianismus und Mysticismus auf der einen
Seite, durch die Angst vor aller Philosophie, ja vor allem lauteren
Sprechen, auf der andern ; endlich herdurch muss ich durch die alte platte
Indifferenz derer, die den grossen Haufen ausmachen, und deren von
jeher die grösste Anzahl gewesen ist. Ich kenne aus innerer Erfahrung
eine Kraft, die, allem Widerwärtigsten zum Trotz, dieselbe bleibt; aber
aufgehalten kann sie werden, und wenn sie von aussen gar zu sehr ge-
hemmt wird, wirft sie sich aufs Innere und zerstört die Gesundheit, und
jede Spur vom Wohlgefühl des Lebens.
Sie Hessen mich hoffen, die Oldenburgische Regierung werde mich
nicht in Verlegenheit setzen. Ich habe gezögert; auf eine Gunst der Um-
stände zu warten; sie ist ausgeblieben. Desto noth wendiger wird jetzt
Juli 1808. II
mein Gesuch. Ich muss freye Hände haben. Sie werden mir erlauben,
mich in Hinsicht der Sache auf meinen vorigen Brief zu beziehen; und
hier nur noch einmal um Ihre gütige Unterstützung und Beschleunigung
aufs dringendste zu bitten.
Sollten Sie den beyliegenden Aufsatz nicht zweckmässig abgefasst —
vielleicht zu kurz — finden: alsdann freylich muss ich um Rücksendung,
und zugleich um einige Winke bitten, wie ich ihn füglicher einrichten
könne. — In demselben Falle müsste ich mir auch den Brief an Herrn
Justizrath Scholz zurück erbitten. Ausserdem werden Sie ihn diesem
gütigst zustellen lassen. Ich hielt es für nöthig an HEn Scholz zu
schreiben, weil eben Er mich an die gerichtliche Bestellung des
Administrators gemahnt hatte, und wahrscheinlich ihm nach der Einrich-
tung das Regierungs-Collegii die Besorgung meiner Angelegenheiten zufällt.
Sollte ich darin irren, so möchte ich gern darüber berichtet seyn. —
Findet sich ein wenig Müsse mit freundlicher Erinnerung an mich,
zusammen: so erzählen Sie mir doch ein wenig mehr von Ihren Kindern.
Ich höre gar zu gern von Ihrem Paradiese, — so wie überhaupt von den
irdischen Paradiesen.
Wenn Halems Werke ankommen: sende ich vielleicht, um den Dank
ein wenig zu verkörpern, ein Schriftch-en zurück, wozu Niethammers Streit
des Philanthropinismus und Humanismus mich nur allzusehr auffordert. Das
Buch ist so voll leerer übler Laune, und wahrer Undankbarkeit gegen
eine ganze Reihe von Vorgängern, so voll übel angebrachter Philosophie,
um trivialen Dingen einen Schein der Neuheit zu geben; vertheidigt eine
gute Sache so schlecht, verrückt so viele Gesichtspuncte — und lies't sich
gleich wohl so gut, ist so bequem zum Nachsprechen eingerichtet, — dass
ich wohl meine Feder in Bewegung setzen werde, um, wo möglich, das
Verschobene wieder zurecht zu rücken. — In Oldenburg steht es, wie
es scheint, um das Pädagogische immer gleich schlecht. HE. Ahlwardt
kämpft mit Buchhändlern, — HE. v. Türk zieht von dannen! Mit Er-
staunen habe ich vernommen, dass letzterer (dessen Schriften doch keine
besondere Kraft zu verrathen scheinen;) es Ihnen hat nachthun wollen,
neben seinen Regierungsgeschäften noch eine andere Wirksamkeit, die
sonst ihren Mann ganz fordert, zu betreiben. Ich hatte mir vest ein-
gebildet, er sey zum Pestalozzischen Versuch gerufen, und das Amt sey
nur des Titels wegen. — Mit den hiesigen jungen Oldenburgern komme
ich jetzt besser zusammen, wie sonst. Starklof, Lovzow, Römer, scheinen
sich Auszeichnung zu erwerben. Doch recht in der Nähe sehe ich sie
noch nicht.
Was sagen Sie zu Hallers, des Berner Professors, Handbuch der
Staatenkunde? Auf den Recensenten in den hiesigen Blättern rathe ich
umsonst. Sollte es wohl HE. Runde in Old. seyn? — —
Jede Bemühung, und jede Zeile von Ihnen wird herzlich verdanken
Ihr gehorsamer H.
Unsern Langreuter bitte ich zu grüssen. Möchte es ein heiterer
Gruss seyn können! — Ich wünsche ihm Freude an seinen Kindern. Er
wolle meiner gedenken. Wie glücklich wäre ich, lebte jemand hier neben
mir, dem ich mich so anschliessen könnte, wie ihm in meiner Jugendzeit!
12 Juli 1808.
Noch eins! Die Frau Ministerin Grote wartet posttäglich auf Briefe
von HEn v. Hammerstein, dem sie schon dreymal geschrieben hat. Woher
mag die Zögerung rühren?
221. An GrieS.1) Göttingen, ib. Juli 1808.2)
Mein theurer Freund! Oefters hatte ich darauf gedacht, wie auf so
vielen herrlichen Gaben, die mir von Dir geworden waren, ein leidlich
passendes Gegengeschenk könne gefunden werden — passend, zwar nicht
der Grösse, doch der Art nach. In die Speculation Dich hereinziehn zu
wollen, das, begriff ich wohl, gehe nicht so gut, als mich aus der Specu-
lation in Deine poetische Sphäre herüberziehen zu lassen.
Am Ende des letzten Winters kam die Musik über mich. Und es
gab Umstände genug (unter denen ich nur die gezwungene Anleihe nenne),
die es zehnfach erwünscht machten, wenn gerade jetzt eine Muse den
Spleen vertreiben wollte. So entstand die beyliegende Sonate; seit meinem
hiesigen Aufenthalt die erste Composition, die ich versuchte. Sie fing an
und rückte vor und wurde fertig zu meiner eigenen Verwunderung; ich
hatte längst den Glauben aufgegeben etwas machen zu können. Da sie
gerathen schien, blieb ich nicht einen Augenblick zweifelhaft, wem sie an-
gehören solle. Nur die Correspondenz mit dem hiesigen Musikalhändler
und Hrn. Kühnel, hat die Herausgabe, und damit zugleich meinen Dank
für den 3 ten Band des Ariost, den mir Frommann zugeschickt, verzögert.
Ob aber jetzt dieser Brief Dich in Heydelberg treffen wird? Oder ob Du
verreist bist? (welches gewiss für Dein Wohlseyn das erwünschteste wäre):
darüber wünsche ich um so weniger in Ungewissheit zu bleiben, weil ich
von Deiner Gefälligkeit eine kleine Besorgung hoffe, über deren Erfolg
ich so bald als möglich berichtet seyn muss. Ich lege nämlich ein Blatt
hiebey, das ich, je nachdem Du es gerathener findest, entweder an die Hrn.
Mohr und Zimmer, oder an Frommann, mit dem Du ohne Zweifel
correspondirst, zu senden bitte. An Frommann auf allen Fall, wenn
Mohr und Z. nicht eintreten wollen. Ich rechne genug auf Deine Güte,
um in diesem Geschafft ein paar Zeilen der Nachricht, mit umgehender
oder doch nächst folgender Post zu erwarten, — nur damit ich, falls Du
abwesend seyn solltest, andre Maassregeln nehmen könne. Und nun füge
ich noch eine neue Bitte hinzu, — oder vielmehr keine neue, sondern
eine ganz alte: mir auch bald wiederum von Dir zu erzählen, was Du
machst und wie Dir zu Muthe ist? Den grosse?z Schicksalen dieser Zeit
haben wir so ziemlich beyde unangefochten zuschauen können; hätte nur
nicht Jeder auch sein inneres Schicksal — ihm gleich gross wie Andern
das Aeussere. Die Hauptsache ist, denke ich, immer Etwas im Auge zu
haben, das dem Geiste die Richtung und die Spannung erhalte. Mir
fehlt es daran nicht, und wenn mir der Unmuth kommt, so geht er auch
wieder. Meine Gesundheit ist gut; viel besser als seit Jahren. Mein
*) Nach dem Original, das von der Stadtbibliothek zu Hamburg freundl. zur Ver-
fügung gestellt wurde.
2) Elise Campe („Aus dem Leben J. D. Gries'", S. 76 f.) verlegt den Brief ins
Jahr 1807, Zimmermann ins Jahr 1806.
August 1808. jo
System ist noch in so manchen Theilen erst im Werden, — ich habe
also zu thun.
Leb wohl, mein Theurer, bist Du in H., so erfahre ichs bald, und
wir plaudern bald wieder. Dein Herbart.
222. Die Beilage zu vorstehendem Brief lautet:
Göttingen 16 Jul 1808.
An Ew. Wohlgeboren wende ich mich mit der Frage: ob Sie geneigt
seyn möchten, eine kleine Schrift von etwa 6 Bogen von mir in Verlag
zu nehmen, unter dem Titel :
Imiige Verbindung des Philanthropinismus mit dem Humanismus; ein
Hauptproblem des erziehenden Unterrichts. Auf Veranlassu?ig des Werks von
Hrn. Niethammer über den Streit des Philanthropinismus und Humanismus.
Die Niethammersche Schrift wird ohne Zweifel bey Manchen Eingang
finden, und Eindruck machen; sie ist gleichwohl so beschaffen, dass ihr
Vieles entgegengesetzt werden kann, ja dass ihr Etwas entgegengesetzt
werden muss. Räsonnement wird sich mit Thatsachen und mit Autori-
täten verbinden lassen, um die ungemessenen Behauptungen des Hrn. N.
in ihre wahren Gränzen zurückzuführen. — Ist Ihnen mein Anerbieten
willkommen: so ersuche ich Sie, mir annehmliche Bedingungen baldigst
vorzulegen. Ergebenst Herbart.
223. Sonate pour le Pianoforte dediee ä Messieurs J. D. Gries et Fr. Koppen
composee par J. Fr. Herbart. Op. 1. Pr. 16 Gr. A Leipzig chez
A. Kühnel. (Bureau de Musique.) — Als Festgabe zur Herbart- Feier
am 4. Mai 1876 kam sie neu heraus unter dem Titel: ..Friedrich Herbart,
Sonate Opus 1. Genauer Abdruck des im Jahre 1808 erschienenen
Originals.'1 x)
224. An Smidt2) Göttingen 8 Aug. 1808.
Du bist allzugütig, theurer Freund! mich an meine Schuld noch
immer nicht zu erinnern. Vergessen ist sie nicht; aber ich habe Gründe
zu wünschen dass Du die Zahlung noch nicht fordern möchtest. Viel-
leicht ists in ein paar Wochen anders, da ich dann sogleich Nachricht
geben werde.
Indessen halte ich mich verpflichtet, Dir wenigstens anheim zu stellen,
ob Du die Zahlung jetzt gleich verlangen willst. Deshalb lege ich hiebey
einen Zettel, den Du wirst an den Assessor Wardenburg zu Neuen bürg
senden können, und auf welchen hin die Zahlung hoffentlich bald erfolgen
würde, wenn Du davon Gebrauch machtest. —
Du wirst kürzlich von Hamburg zurückgekommen seyn; nach dem
lieben Bremen, das ich so gern wiedersähe! Und um so lieber, da ich
noch neulich die freundlichste Einladung [2] Deiner trefflichen Schwester
erhalten habe. Aber — es ist nicht Zeit zu reisen! Und, wollte ich reisen,
so gäbe es Gründe genug, um mit literarischen Zwecken mich an Orten,
1) Ein Neudruck der Sonate wird mit dieser Ausgabe im gleichen Verlage er-
scheinen. Vgl. auch Bagier, Herbart und die Musik. Langensalza, Hermann Beyer
& Söhne (Beyer & Mann), 191 1.
2) 2 S. 40.
14 September 1808.
die mir noch unbekannt sind, umzusehen. — Meine Arbeit wird bis jetzt
so wenig belohnt, wie es voraus nie zu vermulhen war. Das Publikum
liest höchstens Recensionen; und was Recensionen sind, das muss man
erfahren-, eher weiss man es nicht und glaubt es nicht.
Ich habe mich an das musikalische Publikum gewandt; und wiewohl
das Dich selbst nicht interessiren kann, so passt es sich doch vielleicht,
wenn ich durch Deine Hand der jetzigen oder nächstkünftigen Frau
Pastorin Bekenn ein kleines Hochzeitsgeschenk anbiete, das ich mit dem
schönsten Glückwunsch und mit meinen besten Empfehlungen an Ihn und
Sie zu begleiten bitte. Du findest es hiebey; oder es kommt nach, mit
der fahrenden Post.
Deiner Schwester bitte ich zu danken für ihren gütigen Brief; ich
werde antworten, sobald ich Gelegenheit gefunden haben werde, den
Johann im Groteschen Hause ein wenig zu beobachten. Vorläufig kann
ich mit Vergnügen melden, dass er der Ministerin und ihrer Familie
recht wohl behagt. Ganz und immer Dein Herbart.
225. C. L. Reinhold an H. [Kiel], 1. September 1808.
In demselben Vertrauen, mit welchem ich neulich mit meiner libelx) vor Ihnen
auftrat, erscheine ich nun schon wieder mit dem anliegenden kleinen Aufsatz, der
den Hauptgedanken von jener vorläufig aufstellt, und das gemeinschaftliche Un-
wesen des im Vereinigen des Mannigfaltigen im Bewusstseyn bestehenden.
logischen — und des in dem Identißciren der Einheit und des Gegensatzes be-
stehenden — speculativen — Indifferencirens, in der Verwirrung der Einheit mit
dem Zusammenhang und der Verschiedenheit mit dem Unterschiede — aufweiset,
Durch die Enthüllung, oder was dasselbe heisst, Aufhebung dieser Verwirrung tritt
der nun durch dieselbe unsichtbar werdende logische Unterschied in seiner nun
unverkennbaren Eigentümlichkeit, im Bewusstseyn hervor, und das Indifferenciren
zeigt sich als das, was es ist, nämlich als das bewusstlose Versteckenspielen mit
dem Widerspruche; — und mit diesem eigentlichen tiqwtov yevdos fällt alles dog-
matische und skeptische Identificiren und Diversificiren des Unwandelbaren und
des Wandelbaren und des Seyns und der Erscheinung, und des Objektiven und
Subjektiven — und die Verschiedenheit der logischen und der metaphysischen
Wahrheit — und des Idealen und des Realen und wie die aus dem Ignoriren und
Negiren des logischen Unterschiedes hervorgehenden Sophismen alle heissen mögen
— von selbst dabin.
Freylich wird durch die alte, tief eingewurzelte und weit verbreitete Gewohn-
heit — Verwöhnung — den Unterschied der Einheit, des Zusammenhangs, der Ver-
schiedenheit || und des Unterschiedes nicht xu sehen — auch das nun endlich zur
Sprache gebrachte Sehen desselben — eine Zeitlang erschwert, geläugnet, bezweifelt,
verspottet, verschrien und durch dieselbe Verworrenheit die durch dasselbe auf-
gehoben werden soll — aber allen logischen und speculativen formein anhängt —
und einmal im Besitz ist — widerlegt werden. Aber jener unläugbare, unwider-
sprechlich nothwendige, aller Bestimmtheit zum Grunde liegende — in der Entwirrung
aller Verwirrung bestehende Unterschied kann nicht wieder völlig unsichtbar werden,
wenn er erst einmal sichtbar geworden. Auch ist es wohl unmöglich absichtlich
nicht zu sehen, was nur unabsichtlich nicht gesehen werden konnte. Was ich sehr
*) Anfangsperiode der Erkenntnis der Wahrheit in einer Fibel, Kiel 1808.
September 1808. k
bedauere ist, dass mit der Enthüllung dieses Unterschiedes — mit welchem und
durch welchen in der Philosophie eine neue Ordnung der Dinge von Grund aus sich
einfinden muss — nicht ein Anderer hervortritt, der im Philosophischen Publicum
einen unbescholtenen Namen hat, und nicht wie es bey mir der Fall ist — schon
durch seinen Namen gegen die gute Sache einnimmt. Dieselbe Einfachheit, die
das Gepräge der Wahrheit, und der sich in der reinen Anaiysis vollständig ent-
hüllenden logischen Unterscheidung ist — wird anfangs die an Vieldeutigkeit und
Doppelsinn — (des zu Tndifferencirenden) gewohnten Vorstellungsarten empören;
— aber in der Folge desto unvermeidlicher und schneller ein Einverständnis herbey-
fuhren — wie es nur durch den unwandelbaren nicht trennenden Unterschied und
nicht mischenden Zusammenhang || der Einheit als solcher mit der Verschiedenheit
als solcher möglich aber auch nothwendig ist. Man wird erstaunen, wie man Ver-
schiedenheit mit Unterschied, Einheit mit Zusammenhang, trennenden Unterschied
mit nicht trennendem, mischenden Zusammenhang mit nicht mischendem verwechseln,
wie man die Einheit der Verschiedenheit gleichsetzend entgegensetzen — wie man
die Unwandelbarkeit der Einheit und die Wandelbarkeit der Verschiedenheit — die
nur insoferne unwandelbar ist als sie nicht in die Einheit verwandelt werden kann
— so lang und so viel verkennen konnte, — und dass es um endlich zu einer nicht
mehr mit der Mode wechselnden Philosophie zu gelangen nichts weiter bedurfte,
als auf die — endlich handgreiflich gewordene — Verwirrung der Einheit mit dem
Zusammenhang und der Verschiedenheit mit dem Unterschied aufmerksam zu werden.
Nahe genug wird uns (sollten wir glauben) — das Unterscheiden — durch das
moderne Indifferenciren gelegt, durch das glänzende Elend der Fichteschen und
Schellingschen Anschauungsphilosophie, durch die ihre eigene Gehaltlosigkeit — in
der leeren Formalität — aussprechende moderne Logik — und doch wohl auch
durch deu populären Indifferentismus gegen den Unterschied des Uebersinnlichen
mit dem Sinnlichen, und durch den Politischen gegen den Unterschied des Rechts
mit der Gewalt — welche Logik doch wohl mit dem Logischen und dem Specu-
lativen gegen den Unterschied des Objektiven und Subjektiven — des Unwandel-
baren und des Wandelbaren — des Seyns und der Erscheinung mehr als den Namen
Indifferenz — gemein haben dürften. — Nein! mein || verehrter Freund und Bruder
in der Liebe zur Wahrheit! — das Nichtsehen des logischen Unterschiedes ist wirk-
lich ein logischer grauer Staar der im Geiste unsres Zeitalters endlich zu seiner
völligen Reife gelangt ist; und diese Reife in der Logik dadurch ankündigt, dass
sie sich ihre Gehaltlosigkeit, ihre Gleichgiltigkeit gegen Wandelbares und Unwandel-
bares, ihre Indifferenz gegen Seyn und Erscheinung und Nichtseyn anerkennend,
selber nur ein nichtssehendes Denken beylegt — und in der Speculation dadurch,
dass diese des Nichtssehenden Denkens überdrüssig, über alles Denken hinaus, zu
einem nichtdenkenden Anschauen ihre Zuflucht nimmt. — Ich war lange genug mit
diesem Staar behaftet, um nicht zu wissen, dass ich vor einigen Jahren — dem der
mir davon gesagt hätte, nicht ins Gesicht hätte lachen müssen — — und um nicht
die Folgen desselben in meinem gegenwärtigen Philosophiren bey jeder Gelegenheit
— peinlich zu fühlen.
Insbesondere muss erst das Verhältniss des Denken zum Sprechen — des
Gedankens zum Worte — enthüllt werden. Dieses ist in der Hauptsache, in einem
neuen Versuch über das menschliche Erkenntnissvermögen geschehen, der in meinem
Pulte liegt.1) Aber ich bin zu mittellos, um auch diesen auf meine Kosten drucken
lassen zu können.
>) Er erschien 1816.
j6 October 1808.
Das zweyte Exemplar des beyliegenden Aufsatzes bitte ich dem Herrn Hofrath
Bouterweck nebst meiner besten Empfehlung zu geben.
Mit Verehrung und Liebe der Ihrige Reinhold.
22(>. An Chr. D. Beck.1) Göttingen 10. Oct 1808.
VVohlgeborner, Höchstgeehrter Herr Hofrath! Vor allem andern
werden Ew. Wohlgeboren meine Entschuldigung erwarten, dass ich seit
so langer Zeit versäumt habe, Ihre gütige Zuschrift zu erwiedern, worin
Sie mir den Tod des uns leider zu früh entrissenen Carus meldeten.
Ich kann deshalb nur um Verzerhung bitten; es war ins Aufschieben ge-
rathen, weil ich von Zeit zu Zeit hoffte, mich bald freyer von Arbeiten
zu finden, um auch über die mir gestattete Theilnahme an Ihrer Literatur-
zeitung etwas zu bestimmen. Jetzt ist die nächste Veranlassung meines
Schreibens eine Bitte, welche die Einlage betrifft. Sie finden nämlich
hiebey einen wissenschaftlichen Aufsatz, 2) der zwar durch eine Recension
in der J. A. L. Z. veranlasst ist, der aber gleichwohl nicht Antikritik,
sondern vielmehr Auskunft über vorgelegte Fragen enthält, und dem ich
nur etwas mehr Wortfülle hätte geben dürfen, um eine für sich bestehende
Abhandlung daraus zu machen. Bey aller Gedrängtheit ist er auch so
noch etwas lang gerathen; und die Insertions- Gebühren, wenn er als
Antikritik ins Intelligenzblatt aufgenommen würde, möchten nicht
unbedeutend seyn. Ich wünschte ihn ohne diesen Titel, und kostenfrey
darin abgedruckt zu sehn. Ich mache mir um so eher Hoffnung zur Ge-
währung dieses Wunsches, da ich für ein paar gelieferte Recensionen das
Honorar noch nicht erhalten habe, wovon ich jedoch die Schuld ganz
allein mir selbst und meinem Stillschweigen zuschreibe. Die beyden
Recensionen betrafen, eine, mehrere moralphilosophische Schriften, von
Callisen, Snell und Tieftrunk, die andre, Fichte's Grundzüge des Zeit-
alters.
Zugleich bitte ich, nicht zu glauben, ich hätte auf die Ehre, Mit-
arbeiter an Ihrer Literaturzeitung zu seyn, Verzicht geleistet. Ich habe
zwar nichts Bestimmtes, keine regelmässigen Leistungen versprechen
können; der Aufbau eines philosophischen Systems beschäftigt und fesselt
das Gemüth zu sehr, als dass bedeutende literarische Nebenarbeiten damit
bestünden. Und besonders fürchtete ich, meinen Recensionen nicht Werth
genug geben zu können, so lange meine philosophischen Grundsätze, die
doch immer wenigstens einigen Einfluss auf die Kritik bey mir haben
würden, dem Publicum nicht einmal bekannt waren. Nach einiger Zeit
aber werde ich von neuem um die Erlaubniss bitten, für Ihr Institut thätig
seyn zu dürfen.
Dem, mir unbekannten, Herrn Recensenten meiner pract. Philos. in
Ihrem Blatt, bitte ich mich gelegentlich zu empfehlen. Durch seine wohl-
wollenden Aeusserungen, und durch den frühzeitig gelieferten Umriss
meines Buchs hat er sich um mich verdient gemacht. Eine eigentliche
J) Aus der Zeitschrift f. päd. Psych, u. Path. 1900, Heft 3: „Drei ungedruckte
Briefe von J Fr. Herbart. Mitgeteilt von Hans Zimmer11. — Chr. D. Beck (1757
bis 18321, Herausgeber der Leipz Lit.-Ztg.
-) S. Bd. I dieser Ausg. S. 342 — 348: „Replik Herbarts usw.u
November 1808. 17
Kritik war ohne Zuziehung meiner Metaphysik (die beynahe seit einem
Jahre im Buchhandel ist) nicht wohl möglich. Sollte derselbe, oder auch
ein anderer Mann von Geist und Billigkeit, auch die Recension der Meta-
physik übernehmen wollen, — die sehr gedrängt geschrieben ist und
wegen ihrer Kürze Schwierigkeit machen wird, — so wäre es mir am
willkommensten, wenn die Recension mir eine Reihe von Fragen vorlegte,
und wenn Sie mir alsdann gestatten wollten, Ihnen die Antworten für Ihr
Intelligenzblatt zuzuschicken, nur dass ich frey von Druckkosten bliebe.
Ich würde eine humane Recension so beantworten, dass dem Recensenten
nicht das mindeste Unangenehme widerführe; dass nicht der geringste
widrige Streit durch meine Schuld entstünde; dies würde ich um so ge-
wisser verhüten können, wenn der Recensent sich bloss an meine eignen
Schriften hielte, und weder fremde Schriften citirte, noch Begriffe und
Lehrsätze andrer Schulen einmischte. So könnte ein wissenschaftliches
Gespräch vor dem Publikum geführt werden, das zugleich angenehm und
nützlich, und der Philosophie würdig wäre.
Auf jeden Fall, auch wenn ich dafür zahlen müsste, bitte ich die
beykommende Einlage baldigst zum Druck zu befördern, und allenfalls dem
Corrector einen kleinen Wink zu geben, dass er doch Druckfehler sorg-
fältig vermeiden möge.
Mit der vollkommensten Ehrerbietung unterzeichnet sich Ew. Wohl-
geboren gehorsamster Herbart.
24. Okt.: H. nimmt den Ruf nach Königsberg an. S. Bd. XIV, S. 7 — 10.
227. C. L. Reinhold an H.1) Kiel, 1. November 1808.
"Wenn mir auch unser Hensler mit Ihrem freundlichen Grusse nicht den er-
wünschlichsten Aufschluss über Ihr Stillschweigen auf meine wiederholten Zu-
muthungen an Ihre kostbare Zeit gebracht hätte: so würde ich denselben in ihrer
geistvollen Schrift über das Studium der Philosophie2) gefunden haben, mit der ich
(seitdem ich eine Recension über Kiesewetters Logik, die im 13. September-Stück
der jenaischen L. Z. abgedruckt ist, und eine Andere über Friesens neue Critik der
Vernunft, die auf dem Wege nach Jena ist, verfertigt habe,) — fast abschliessend
beschäftigt bin. Mit unbeschreiblichen Interesse studiere ich dieses durch Inhalt
und Darstellung gleich merkwürdige Werk; und fast auf jedem Blatte kömmt mir
die Versicherung entgegen: der Verfasser desselben sey unter allen meinen mir be-
kanntgewordenen Zeitgenossen der Einzige, von dem ich eine belehrende Prüfung
meiner Fibel zu erwarten habe. Ich habe mir schon eine Menge Stellen aus-
gezeichnet, wo wir uns einstimmig, — und Nicht wenige, wo wir uns widerstreitend,
begeynen; und ich darf hoffen, dass ich Sie, wie schwerlich ein anderer Ihrer Leser,
verstehen lernen werde. Die Unvollkommenheiten der Einkleidung der Gedanken
meiner Fibel die wenigstens zum Theil auch eine Folge der Neuheit derselben ist,
und der Contrast derselben mit unsren allgemein geltenden und geivohnten Ansichten,
— erschweren mdess die Prüfung der Fibel seibst einem Manne vou Ihrem Tiefsinne;
und ich bitte mir die Erlaubniss aus, Ihnen das Geschäft zu erleichtern, wenigstens
durch Zeitkürzung bey demselben. Für diesesmal wähle ich unter den angestrichenen
*) 6 S. 8°. — H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann usw. S. 124.
2) S. Bd. II, S. 227 ff.
Herbarts Werke. XVII. 2
jg November 1808.
Stellen Ihrer Schrift folgende: S. 114 und 115, weil dieselbe den Hauptpunkt berührt,
von dem unser Symphilosophiren allein ausgehen kann.
„Die unüberwundenen Schwierigkeiten der Metaphysik, welche allen Künsten
des associirenden Nachsinnens, allen Versuchen des glücklichen Errathens der Auf-
lösung seit Jahrtausenden trotz biethen, wo anders können sie ihren Sitz haben, als
in Begriffen, die auf Verbindung Anspruch machen, eben indem Sie einander
icidcrsprechen. — Dass nun, so lange die Widersprüche nicht aufgedeckt, wohl gar
nicht aufgesucht sind, die Lösung auch nicht angefangen haben könne, ist wohl von
selbst klar. Wie aber die gefundenen Widersprüche zu behandeln sind, auch das
sollte man nicht lange fragen. Sie müssen gerade verneint werden. u — Vorher
stellten Sie als das Problem der Probleme auf „Wie ein Begriff verbunden seyn
möge mit dem Andern ?" — In der Folge S. 118 nennen Sie den Stolz der Speku-
lation „Die Nachweisung eines" (des) ,,nothwendigen Zusammenhangs unter Be-
griffen" — — und dann rechnen Sie auch zur Spekulation „Die Bemühung zwischen
den Begriffen die gehörigen Übergänge zu bahnen.1'
Sollte nicht die zu lösende Aufgabe im Aufsuchen derjenigen Verbindung be-
stehen, durch welche der Widerspruch, der ihr im Wege stand, entdeckt und auf-
gehoben wird? Bevor die besagte Verbindung deutlich in das Bewusstseyn eintritt,
kündigt dieselbe und der ihr entgegenstehende Widerspruch sich dadurch an, dass
die Nothwendigkeit und die Unmöglichkeit der Verbindung gefühlt, undeutlich
wahrgenommen wird.
Man hat sich auf die Verbindung, oder wie ichs hier lieber nennen will auf
die Vereinigung, welche den Widerspruch enthüllt und vernichtet, noch nicht ver-
stehen gelernt; weil man nur noch erst eine undeutliche Kenntniss vom Unter-
scheiden und Vereinigen hat, und weil man vorher um das Vereinigen als um das
Unterscheiden besorgt war; die Vereinigung dem Unterschiede vorhergehen liess; den
Unterschied aber in vorgefundenen Trennungen, als gegeben annahm, und nun die
Vereinigung erst — machen, hervorbringen, zu müssen glaubte ; den nicht trennenden
Unterschied nicht kannte.
Von jeher wurde in der Vereinigung der Einheit mit der Verschiedenheit
undeutlich ein Widerspruch wahrgenommen — gefühlt. Noch auffallender fühlte
man denselben in der Vereinigung des Absoluten und Eelativen (Unendlichen und.
Endlichen) und der Vernunft und der Sinnlichkeit. Aber es ist im Grunde nur Ein
und derselbe Widerspruch, der bey diesem Allen gefühlt wurde; und dessen deutliche
WahrnehmuDg, oder was dasselbe heisst, Aufhebung nur durch Auflösung der Auf-
gabe mit der Einheit und Verschiedenheit möglich ist.
Man strebt bis itzt die Einheit und Verschiedenheit zu j| vereinigen — durch
eine Vereinigung (Zusammenhang) die mit der Einheit nicht unterschieden sondern
vemvorren wird. Man will die Einheit und die Verschiedenheit Eines seyn oder
werden lassen, Es soll Einheit seyn der Einheit mit der Verschiedenheit. Die Einheit
geht sonach in die Verschiedenheit und diese in die Einheit über, und man fühlt:
dass man die Einheit und die Verschiedenheit dadurch eingebüsst hat, in einem
Dritten, das Keins von beyden ist. Man strebt hierauf beyde wieder herzustellen;
— aber durch ein Unterscheiden, welches den Unterschied mit der Verschiedenheit
nicht unterscheidet sondern verwirrt, — Verschiedenheit und Unterschied für
einerley annimmt und geltend macht. Indem man nun durch diesen mit der Ver-
schiedenheit gleichgeltenden, Unterschied die Einheit von der Verschiedenheit unter-
scheiden will, macht man die Einheit selber zu einem Verschiedenen von der Ver-
schiedenheit; sie wird selber die Verschiedenheit von — der Verschiedenheit —
nimmt Verschiedenheit an. (Und so giebt es gar mancherley Einheiten ohne dass-
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man irgend einen ivahren Unterschied der Einheit kennt.) Da aber Verschiedenes
mit Verschiedenem, allerdings sowohl trennbar als mischbar ist: — so wird denn
auch die auf die beschriebene Weise unterschiedene (diversificirte) Einheit mit der
Verschiedenheit mischbar und trennbar.
In diesem mischenden Trennen und trennenden Mischen besteht unser bis-
heriges Denken — unser Unterscheiden und Vereinigen der Einheit und Verschieden-
heit; wobey wir den dabey gefühlten Widerspruch dadurch aufheben, dass sich das
trennende Mischen hinter das mischende Trennen, und dieses hinter jenes, ab-
wechselnd verbirgt, wir also den Widerspruch wohl verwahrt aufheben, mit ihm
verstecken spielen.
Der versteckte Widerspruch xars^oxv^-, der Widerspruch aller Widersprüche,
das Geheimniss der Quelle der Täuschung — besteht in der bewusstlosen Verwirrung
(Nichtunterscheidung, Nichtsehen des Unterschiedes) der Einheit mit dem Zusammen-
hang und der Verschiedenheit mit dem Unterschiede; und das aus dieser Verwirrung
hervorgehende Mischen und Trennen unter dem Scheine des Vereinigens nnd Unter-
scheidens ist das scheinbare Denken, und ist keine blosse Verirrung der Einbildungs-
kraft, kein sinnlicher, thierischer, Irrthum der nur ein Sinnenfälliges mit dem Andern,
eine Erscheinung mit einer Andern vermengt, sondern Missbrauch des Denkens, der
intellektuelle Irrthum, der das Sinnliche mit dem Übersinnlichen, die Erscheinung
mit || dem Seyn, das Wandelbare mit dem Unwandelbaren verwechselt.
Die Aufgabe aller Aufgaben der Philosophie als des Bestrebens nach der Er-
kenntniss der Wahrheit ist also das Denken als Denken im Bewusstseyn, die Ver-
deutlichung des Verhältnisses der Einheit als solcher zur Verschiedenheit als solcher,
das Unterscheiden der Einheit in ihrem nichttrennenden Unterschied und in ihrem
nichtmischenden Zusammenhang mit der unter ihr stehenden und durch sie be-
stehenden Verschiedenheit in dem derselben eigenthümlichen trennenden Unterschied
und mischenden Zusammenhang.
Solange dieses Unterscheiden noch nicht in unser Bewusstseyn eingetreten ist,
so lange die entgegenstehende Verwirrung in unserm Bewusstseyn unbemerkt bleibt
und eben darum herrscht: so lange ist unser Begriff von der Wahrheit nicht nur
undeutlich, — (undeutlich muss er seyn, wenn wir durch das klare Gefühl der Wahrheit
und die wahrgenommene Undeutlichkeit des Begrifes auch nur das Bedürfniss haben
sollen nach Verdeutlichung desselben, nach dem über das Glauben hinaus gehenden
Wissen was die Wahrheit ist zu streben) — sondern er ist mehr als undeutlich er
ist mit der Verwirrung aaib^oxrjv behaftet, er ist verworren, und unser Spekuliren
kann so lange nur in einem Methodisiren der bewusstlosen Verwirrung im Be-
wusstseyn unter dem Schein der Erforschung der Wahrheit bestehen; wobey es
dann nur auf die grössere oder geringere Lauterkeit Lebendigkeit Klarheit des ur-
sprünglichen Gefühls der Wahrheit im Glauben des Gewissens ankörnt, ob der ge-
sunde Glauben, oder Aberglauben oder Unglauben von dem Spekulirenden methodisirt
werde.
Ihre Scheidung, mein verehrter Freund und geliebter Bruder im Streben nach
Wahrheit ! — des theoretischen und des praktischen Forschens den Principien nach,
Ihr Dafürhalten dass diese Scheidung schlechterdings jedes Vereinigungs-Pmz^p
ausschlägt — ist eine sehr natürliche Folge Ihres reinen und kräftigen Gefühls der
Wahrheit als solcher, welches durch jeden bisherigen Begriff der Wahrheit — welcher
nicht nur in seiner Undeutlichkeit unvollständig, sondern auch in seiner Verworren-
heit mit der Verwechslung des Gedankens und des Gefühles behaftet ist — un-
befriedigt bleibt, und von der Philosophie mit Kecht die Unterscheidung des nadtifia
von dem paör/fta voi/osojs fordert. Allein durch die durchgeführte Analysis, durch
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die vollständige Verdeutlichung des undeutlichen und in so ferne unvollständigen,
aber nicht mehr verworrenen, Begriffes der Wahrheit, durch die wirklich durch-
dachte Wahrheit ohne Beynamen werden Sie für jedes Ihrer vom Mysticismus
wirklich so ganz unangesteckten übersinnlichen Gefühle auch den demselben ent-
sprechenden, und dasselbe bisher unbewusst begründenden, Gedanken finden, und
nicht mehr zweifeln können dass von jedem wahren Genüsse der Wahrheit auch
eine wahre Erkenniniss statt finde. Sie werden das Sollen für Nichts von dem
Seyn der Möglichkeit und der Wirklichkeit wie dasselbe der Wahrheit nach bey Gott
und durch Gott, und unabhängig von unsrer bios individuellen und sinnlichen
Ansicht ist — Verschiedenes — sondern die Forderung der reinen Erkenntniss an
unsre Willenshandlungen sey die Triebfeder und Richtschnur derselben zu werden,
gleich wie dieselbe reine Erkenntniss in dem ihr entsprechenden ewigen Seyn die
Regel des Weltalls, die wir durch unsre reine Erkenntniss wissenschaftlich erkennen,
und in Kraft dieser Erkenntniss auch dort, wo uns nur empirische Erkenntniss
möglich ist — in allem was unsren Erdball und unser individuelles Leben auf dem-
selben als Erdbewohner betrifft — zu glauben fortfahren müssen, wie sie schon
vor der reinen Erkenntniss, mit mehr oder weniger Lauterkeit und Gewissheit durchs
Gewissen geglaubt wurde. Das Sollen alles Sollens ist: du sollst bey allem deinem
Thun und Lassen die ergründete Wahrheit, d. h. die Offenbarung des denkenden
Urwesens am Wesen der Dinge vor Augen haben, sollst lebendiger Zeuge des Ur-
wahren durch das Wahre in deinem Erkennen, und durch dein Erkennen in deinem
demselben angemessenen Thun und Lassen seyn. So lange aber noch das Schein-
denken die Stelle des Denkens als solchen in unsrem Bewusstseyn einnimmt; muss
einen Mann von lebendigem Gefühle der Wahrheit — jede angebliche Erkenntniss
der Wahrheit durch ihren Contrast mit seinem Gefühle nöthigen neben der Ansicht
des Wahren auch noch eine davon verschiedene Ansicht des Guten anzunehmen.
Eine reine Moralphilosophie ist so wenig möglich als eine reine Physik; unser
sittliches Handeln ist unser individuelles und in so ferne immer empirisches Wollen
unter dem dasselbe veredelnden Sollen, folglich unter der Nothwendigkeit der reinen
Erkenntniss die in Beziehung auf den Willen die moralische Nothwendigkeit ist.
Die reine Philosophie verhält sich wie schon Leibnitz bemerkt hat zur Moral wie
die Mathematik zur Physik.
Gäbe es eine besondere Theorie der Praxis, so müsste diese ja selbst nur ein
Theil der Theorie überhaupt seyn. Mir scheint eine Erkenntniss nicht darum weil
sie ein Handeln zum Gegenstand hat, sondern nur dann wenn sie beim Handeln in
der Praxis erworben wird, praktisch heissen zu müssen, und diese kann darum
immer nur zu dem Empirischen gehören. Auch taugen die praktischen Kenntnisse
nicht viel wenn ihnen nicht richtige theoretische zum Grunde liegen. Praktische
Philosophie ist mir kein Theil der Philosophie als Wissenschaft, und überhaupt nicht
Wissenschaft, sondern die Anwendung der Wissenschaft im Leben, die Praxis der
Philosophie im Thun und Lassen.
So viel für heute; und nun nur noch den innigsten Dank für die vielen und
herrlichen Aufschlüsse die mir durch Ihr Studium der Philosophie auch für das
Meinige geworden sind und noch werden müssen. Seitdem ich mich mit meinen
Briefen über die Kantische Philosophie in meinem 28sten Jahre ins Publikum wagte,
habe ich immer sehr viel der Correspondenz mit meinen Lehrern zu verdanken
gehabt, zuerst mit Kant, dann mit Fichte, dann mit Bardili, und nun so Gott will;
auch mit Herbart. — Die letztere ist mir um so mehr Bedürfniss — da ich durch
mein Systemwechseln, und durch die Un Verständlichkeit meiner späteren Luku-
brationen — endlich um alle Leser und Theilnehmer an meinem Forschen ge-
November 1808. 21
kommen bin — ganz vereinzelt bin — und Niemanden habe außer ein paar jungen
Leuten zu denen mein ältester Sohn1) gehört an dem ich die Verständlichkeit meiner
Darstellung prüfen könnte. Die Fibel — sowie der Versuch einer Critik der Logik,
den ich weil ihn die Wenigen denen ich ihn mittheilte, nicht verständlich fanden
— in der ganzen Auflage auf meinem Boden hingelegt habe — ist auf meine Kosten
gedruckt, und da ich von meiner Besoldung mit meiner Familie leben muss, so darf
ich diesen Weg zu versuchen ob ich nicht endlich im Publikum jemand finde, der
sich mit mir einlässt — nicht weiter einschlagen.
Mit Verehrung und Liebe Der Ihrige.
228. An C. L. Reinhold in Kiel.2) Nov. 1808.
.... Nachdem ich von dem Princip gesprochen, sollte ich auf die
Methode kommen. Aber statt der philosophischen Methode, vermöge
welcher neue Begriffe sollen erzeugt werden, sehe ich nichts als eine nette,
reinliche Anordnung längst bekannter Gegenstände. — Nachdem in den
ersten 4 Paragraphen das Princip exponiert war, was nöthigt Sie nun fort-
zufahren? Warum endigen Sie nicht sogleich? Vollends, wie kommen Sie
im § 5 auf den Wandel? Was führt Ihnen die Zeit herbey? In dem bloßen
Begriff der Verschiedenheit liegt nichts davon. Aber freylich, wir erfahren
hier wie Sie die Verschiedenheit gleich Anfangs gedacht hatten. Und so
berichtet uns die fernere Exposition, was von Anfang an gemeint gewesen
sey. Wollten Sie nichts anders als uns eine Ansicht der Welt von einem
bequemen Standpunct, der in der Mitte liegt, allmählig eröffnen, so daß
wir nicht nöthig hätten, selbst Gedanken zu erzeugen, sondern nur Ihrem
Denken gleichsam zuzusehn: ich räume Ihnen alsdann gerne ein, daß Ihre
Ansicht wohl so gut ist wie die ScHELLiNG'sche; nur meinem Philosophiren
ist mit allen dergleichen Ansichten gar nichts geholfen, so lange noch die
Widersprüche in den Begriffen fortdauern.
Hier finde ich mich zugleich bey dem Anfange Ihres Briefes, und
bei der Untersuchung, ob denn die Grundbegriffe Ihrer Ansicht auch
denkbar sind? — Sie sprechen von einer Verbindung, durch welche der
Widerspruch, der ihr i?n Wege stand, entdeckt u?id aufgehoben wird. Zuerst
müßte ich fragen: Welchen Widerspruch meinen Sie? Giebt es etwa nur
einen? In den §§ 3 , 4 und 11 meiner Metaphysik finden Sie deren
mehrere, die gleich ursprünglich vorliegen, aber eine sehr verschiedene
Behandlung erfordern. — Aber zur Hauptsache: Ist Ihnen wirklich ent-
decken und aufheben eines Widerspruchs einerley? Dann bedürfen Sie
freylich keiner Methode, um den entdeckten aufzuheben. Wissen Sie
etwas von einer Verbindung, wodurch ein Widerspruch gehoben werde?
Ich weiß, daß Fichte sich zu solchen heillosen Synthesen verirrt hat;
xj Ernst Reinhold (1793—1855).
2) Aus der Zeitschr. f. exakte Philosophie, herausg. von O. Flügel. Bd. XVIII,
S. 77 ff. Langensalza, Hermann Beyer & Söhne (Beyer & Mann), 1891. Nach S. 240
desselben Bandes ist dieser Brief die Antwort Herbarts auf die im Briefe Reinholds auf-
geworfene Frage: „Sollte nicht die zu lösende Aufgabe im Aufsuchen derjenigen Ver-
bindung bestehen, durch welche der Widerspruch, der ihr im Wege stand, entdeckt
und aufgehoben wird?" S. o. S. 18.) — Der Brief, der sich im Goethe-Schiller- Archiv
zu Weimar befindet, wurde vor der Drucklegung durch gütige Vermittelung des Herrn
Geh. Hofrats Prof. Dr. B. Suphan mit dem Original verglichen und berichtigt.
22 November 1808.
aber ich weiß auch, daß zum Widersprechen zweyerley gehört, welches
eins des Andern Gegentheil ausspricht, und zwar so, daß dies Zweyerley
behauptet, Einerley zu seyn; woraus denn folgt, daß man die Wider-
sprechenden trennen muß (nicht aber verbinden), will man sich überall
nur Rechenschaft geben, was denn in dem, an sich undenkbaren, Wider-
spruch, das Denkbare ausmache. Das weitere giebt meine Methode der
Beziehungen.
Ob die Grundbegriffe Ihrer Ansicht denkbar seyen? Ob also diese
Ansicht wenigstens für eine mögliche Ansicht gelten könne? Diese Frage
ist noch übrig. — Ich darf als bekannt voraussetzen, daß die Philosophie
von jeher zu kämpfen hatte mit Fragen wie diese: wie kann eine Kraft
außer sich, wie in die Ferne wirken? Also seyn wo sie nicht ist? Wie
kann das Ich, das, als Ich, nur Sich setzen sollte, ein Nicht-Ich setzen?
Wie können (in der Platonischen Lehre) die Ideen aus sich heraus gehn,
und sich, in irgend einem Sinne, der Materie mittheilen? Wie kann (in
der Hypothese vom infl. phys.) die Seele den fremden Eindruck in sich
nehmen, und ihr Begehren aus sich heraus in den Körper treten lassen?
— Alle diese Fragen stehen unter der Formel: wie kann A, das, durch
seinen Inhalt gedacht, nur A ist, noch jenseits seiner selbst, in B, als mit
demselben zusammenhängend, (gleichviel ob passiv oder aktiv) angetroffen
werden? Was ist A außer A? Ein Widerspruch ohne Zweifel, denn es
setzt voraus, daß etwas zu A gehöre, das doch zu A, als A, nicht gehört.
Wer nun die Schwierigkeiten der Philosophie durch Dreistigkeit der Be-
hauptungen glaubt decken zu können, für den ist ohne Zweifel das kürzeste,
den Zusammenhang, vermöge dessen irgend ein A sich in B, einem Andern
als A, betreffen läßt, absolut zu setzen! Das ist die treffliche Methode, die
Probleme dadurch unsichtbar zu machen, daß man Fragepuncte in Be-
hauptungen verwandelt, die Schwierigkeiten, die Undenkbarkeiten selbst,
triumphierend als veststehende Principien hinstellt! Daran kennen wir
Schelling; davon ist Fichte nicht mehr frey, und, ich muß es sagen, auf
diesem Wege finde ich jetzt auch Reinhold! Denn, was ist dieser Zu-
sammenhang der Einheit mit der Verschiedenheit? — Soll es nur ein
leerer Begriff' seyn, der der Untersuchung ob er real sey, noch entgegen-
geht, dann hat man nur die Klarheit der Exposition zu loben; dann ist
alles vortrefflich, was von der Unmischbarkeit und Untrennbarkeit vor-
kommt. Aber so tritt dieser Begriff nicht auf. Das klarste Bekenntniß
enthält § 9. Dort ist das Seyn nicht etwa das Unwandelbare selbst,
sondern sein Verhalten zum Wandelbaren. Wie, das Seyn ist ein Ver-
halten? Die Sprache muß den reinsten Ausdruck der Absolutheit hergeben
zu einer Relation? Freylich muß sie; denn die Einheit ist ja gleich An-
fangs aufgestellt als zusammenhängend mit ihrem trtQOv. Woraus denn
folgt, daß weder die Einheit noch die Verschiedenheit das Seyn besitzt,
sondern nur der Zusammenhang ein reelles Verhalten zweyer nicht realen
Glieder! — Sonst denken wir uns ein Verhältniß als möglich, wenn die
Glieder dazu schon wirklich vorhanden sind. Aber Fichte, Schelling
und nun auch Reinhold, setzen mit Winterl das Band absolut. — Von
dem Tage an, wo Sie alle, meine Herrn, dieses Band ins Feuer werfen,
und bey Ihrer philosophischen Muse geloben werden, dieses sinnlosen
November 1808.
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Bandes niemals wieder zu gedenken: von einem solchen dreymal glücklich
zu nennenden Tage an darf Deutschland hoffen, daß Sie ihm Ihre Ver-
sprechungen halten, daß Sie, unter sich selbst einig, den Weg der ächten
Forschung wandeln werden. — Denn von diesem Tage an werden Sie
Sich gedrungen finden, den Zusammenhang, der uns freylich überall, in
der Natur und im Bewußtseyn, gegeben ist, als einen Wegweiser zu ge-
brauchen, der uns eben dadurch führt, daß er uns nöthigt, seine Undenk-
barkeit methodisch aufzuheben, indem wir uns überall an dem geraden
Gegentheil des Undenkbaren, als an dem Einzig-Übrigen vesthalten.
Sie wollten, daß ich spräche. Ich hätte mit halber Stimme sprechen
können; das habe ich Ihrer und meiner unwürdig geglaubt; auch hätte
es nur Täuschungen unterhalten, als wären wir einander näher wie wir
sind. Meine große, und längst entschiedene, Verehrung, nicht bloß für
Ihre Wahrheitsliebe, nicht bloß für die erweckende Kraft Ihrer Sprache,
sondern auch für die Bestimmtheit des Denkens und für das anhaltende
Fortschreiten unter scharfen Begriffen, wodurch Ihre spätem wie Ihre
früheren Schriften charakterisirt sind, — diese Verehrung darf nicht einen
Augenblick zweifelhaft scheinen. Ich leide am meisten dabey, indem ich
nicht einstimmen kann mit den ersten Denkern der Nation. Mich trösten
nicht die jungen Leute, die meine Lehre annehmen, weil sie nichts anderes
kennen. Ich erinnere mich wohl, daß ich keinen Freybrief habe gegen
den Irrtum. Aber ich habe von meinen Knabenjahren an gedacht, ich
habe die höchsten Anstrengungen und Entsagungen nicht gescheut; ich
bin endlich zu Überzeugungen gelangt. Ich darf also sprechen; und zwar
mit mehr Nachdruck in einem Briefe, als ich es vor dem Publikum thun
würde, denn diesem ist es schädlich, die Uneinigkeit der Philosophen
zum Schauspiel zu haben. —
Ich bitte mir nicht zu zürnen, und mich dem Herrn Professor Hensler
zu empfehlen, von dessen Gesundheit bessere Nachrichten zu erhalten
mich sehr erfreuen würde. Mit der vollkommensten Hochachtung
Ihr gehorsamer Herbart.
229. Oriepenkerl an H.1) Hofwyl, 14. Nov. 1808.
Gestern ist mir von Ihnen, Herr Professor ein freundschaftlicher Gruß ge-
bracht durch H. Krule, worüber ich eine große Freude hatte, ich wurde zugleich
dadurch erinnert, daß ich sehr Unrecht habe, Ihnen in vier Monaten nichts von
meinem jetzigen Geschäft und von meiner Freude daran mitgetheilt zu haben. Ver-
zeihen Sie mir die Nachlässigkeit; sie hat keinen schlechten Grund; ich kann Sie
und Göttingen niemals vergessen.
"Wie werden Sie sich wundern, wenn ich Ihnen schreibe, daß ich hier in
Hofwyl in jeder Rücksicht befriedigt bin, daß alle meine Interessen in lebhafter An-
regung sind! — Fellenberg ist ein Mann, aus dem noch alles zu machen ist. Er
war in früherer Zeit ein arger Schwärmer, das zog ihm den Narren zu. Jetzt hat
sich der Schaum gesetzt und es ist ein reicher, gediegener, guter Wille mit uner-
schöpflicher Thatkraft übrig geblieben. Er kann weder der Kraft des Gedankens,
noch der Kraft der Begeisterung widerstehen. So habe ich ihn vom Anfange meiner
näheren Bekanntschaft mit ihm richtig herausgefunden und behandelt; und er ist
J) 3 S. kl. 4«. — H. Wien.
2a November 1808.
ebenso sehr mein Freund, als ich der seinige bin. Daß ich das zum Vortheil der
guten Sache nach meinen Kräften benutze versteht sich; und so habe ich die
Freude, einen nicht unbedeutenden Theil Ihrer Pädagogik hier schon jetzt in
lebendiger Ausführung zu sehen; und zu der Ergänzung des noch fehlenden trägt
jeder Tag das Seinige bei. || Wir haben jetzt in unserer Erziehungsanstalt, die von
dem ökonomischen Institute ganz getrennt ist, 11 Zöglinge und für sie 4 Lehrer. Diese
Zöglinge sind und die künftigen werden nur unter der Bedingung angenommen, daß
sie ihre ganze Elementarbildung, d. h. bis zum 18ten Jahre bei uns vollenden. Für
diese ganze Elementarbildung habe ich neulich einen Plan entworfen, der Fellen-
bergen befriedigte und nach welchem das Ganze wie das Einzelne jetzt kräftig und
thätig organisirt wird. Bei der Bearbeitung dieses Planes ist es mir aufgefallen, wie
sich auch mir die ganze Pädagogik unter einem anderen Gesichtspunkte gezeigt hat.
Oft glaubte ich etwas Neues zu haben und dann war es doch immer das wohl-
bekannte Alte, was in Ihrer allgemeinen Pädagogik vor mir lag. Ich werde Ihnen
bald meine Ansicht der Sache, denn weiter ist sie durchaus nichts, als eine Hülfe,
mittheilen und um Ihr Urtheil bitten.
Die Menge von herrlichen Arbeiten, die ich auf diese Weise vor mir sehe
wird mich gewiß bald zu dem Entschlüsse bringen, mein ganzes Leben der Päda-
dagogik zu widmen und wo möglich in Hofwyl zu bleiben, da mir dieser Platz die
Befriedigung aller meiner Bedürfnisse wenn auch nicht schon gewährt, doch ver-
spricht. Auf Ihren freundschaftlichen Eath rechne ich dabei mit aller Zuversicht;
denn ich sehe mein ganzes Treiben in dem Fache nur als einen Zweig Ihres päda-
gogischen Gedankenkreises || an, der ohne den Stamm sehr bald verdorren würde.
Darum müssen Sie mir auch gleich eine Bitte verzeihen, die sich darauf bezieht.
ich möchte gern den Homer ganz in Ihrem Plane mit meinen Zöglingen lesen, und
da habe ich den rechten Punct noch nicht getroffen. Widmen Sie mir darüber
doch recht bald eine Seite, ich bitte dies im Namen meiner Zöglinge, denen die Er-
füllung dieser Bitte zu Gute kommen wird. Hat vielleicht Dissen schon etwas
Brauchbares darüber gearbeitet? — —
Zwei Monate war ich vergangenen Sommer bei Pestalozzi. Das Theoretische
seiner Ansicht ist sehr in Unordnung. Die praktische Ausführung, ob sie gleich der
Theorie voraus ist, wird noch lange zu ringen haben, bis man sie lückenlos nennen
kann. Übrigens sind sie dort so im Fortschreiten begriffen, daß ein Urtheil über
sie nie viel länger als 6 Monate gültig bleibt. Schmid und .... Niederer sind die
besten von Pestalozzis Mitarbeitern. Schmid ist ein wahrhaft philosophischer Kopf;
aber sehr einseitig gebildet. Niederer ist es nicht minder; nur verdirbt ihm ein
blind hineingreifendes, fast berauschtes Gefühl alle ruhige Besinnung und alles ruhige
Denken. Kennen Sie vielleicht die Wochenschrift von Pestalozzi und seinen Freunden?
Was Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation über Pestalozzi und über-
haupt von Pädagogik sagt, hat meine Achtung für den großen Mann von der einen
Seite sehr verringert und von der anderen gehoben. Die Inconsequenz steht dem
ächten Deutschen, der so spricht, gar schlecht. Wird er mit seinem Idealismus nicht
bald zum Plato — soll ich sagen gestiegen oder gesunken — sein? Ist denn eine
Philosophie etwa nur || ein Staatskleid, das man mit dem Alltagskleide nun alle Fest-
tage wechselt; oder ist sie nicht vielmehr das Nervensystem des Gedankenkreises?
Mit großer Sehnsucht sehe ich einigen Zeilen von Ihnen entgegen und bin
ewig mit ganzem Herzen der Ihrige F. Griepenkerl.
November 1808. 25
230. Gries an H.1) Jena, den 16ten Novbr. 1808.
Wenn Du, mein alter, theurer Freund, von meinem Leben und Treiben in den
letzten fünf Monaten nicht zufällig etwas vernommen hast, so wird die Ueberschrift
dieses Blatts dich nicht wenig in Erstaunen setzen. Ja, ich bin wieder in Jena, auf
dem alten Schauplatz unsrer Jugend-Freuden und Leiden, an dem Orte, der uns
beiden durch tausend Erinnerungen so werth ist. "Wie ich hierher gekommen bin,
das laß Dir erzählen.
So sehr es mir Anfangs in Heidelberg gefallen hatte, so wenig wollte es mir
auf die Länge dort behagen. Heidelberg ist ein Paradies; aber die Menschen darin
sind dieses Paradieses so wenig werth, als unsre ersten Eltern jenes alten. Im
Sommer läßt sich das allenfalls ertragen; aber wie im Winter? Kurz, es ward mir
immer deutlicher, daß, unter den gegenwärtigen Umständen der dortige Aufenthalt
für mich nicht zweckmäßig sey, und die Auswanderung ward beschloßen. Nur den
Ariost wollte ich dort noch vollenden. Kaum aber hatte ich den letzten Strich an
meiner Arbeit gethan, so ergriff ich den Stab und wanderte in die Schweiz.
Drei Monate lang zog ich in dem herrlichen Lande umher und schwelgte im
Genuß dieser unbeschreiblich schönen Natur fast bis zum Uebermaaße. Den größten
Theil der deutschen, französischen und italiänischen Schweiz habe ich durchwandert;
ja, bis über die Gränzen Italiens bin ich vorgedrungen und habe vom Thurme des
Doms zu Mailand die blauen Apenninen wenigstens — liegen sehen. Ich weiß doch
nun, was für ein Weg nach Rom führt, und ich hoffe ihn zu seiner Zeit schon zu
finden. Daß ich auch in Bern gewesen bin, versteht sich von selbst. Ich fand
unsre alten Freunde Otth und May recht veignügt im Kreise ihrer Familien (denn
auch May ist nun Gatte und Vater.) Unsern edeln Steck fand ich leider nicht mehr.
Uebermäßige Anstrengungen haben ihn schon vor zwei Jahren zu dem guten Fischer
in's Grab gebracht; Anstrengungen für ein Vaterland, das ihn im Grunde nicht
einmal zu schätzen wußte.
Wie gern hätte ich mich von Dir in dieser reizenden Gegend herumführen
laßen! Wie oft gedachte ich der Zeit, als Du, Berger, Hülsen, Eschen, Böhlendorff
und Muhrbeck dort noch weilten ! Ich fühlte mich oft, umgeben von allem, was die
Natur Herrliches und Anmuthiges darbietet, sehr einsam und verlaßen. Meine
Rückreise nahm ich durch Baiern und Franken, und so kam ich, am Ende des
vorigen Monats, wieder nach Jena zurück, wo ich nun vor der Hand zu bleiben
denke.
Warum ich Jena wieder zum Aufenthalt wählte? Lieber Freund, da man, so
lange man noch in der Zeit ist, doch auch irgendwo im Räume seyn muß, so ist
mir Jena noch immer eben so lieb, als mancher andre Ort, und in einiger Rücksicht
lieber. || Gut ist es jetzt nirgend; und hier wußte ich doch wenigstens was ich finden
würde, und kam gewiß nicht mit überspannten Erwartungen hieher, wie ich nach
Heidelberg kam. Es sind noch immer einige Familien hier, mit denen ich gern um-
gehe. Das Uebrige ignorire ich; und so hoffe ich hier, eine Zeit lang, wenn nicht
ausnehmend vergnügt, doch leidlich zufrieden zu leben und in ungestörter Ruhe an
der zweiten Auflage meines Taßo zu arbeiten. Und wer weiß, ob mir die Musen
hier nicht noch einmal einen eigenen Gaul satteln, da ich mich bis jetzt immer nur
mit gemietheten beholfen habe?
Und du, lieber Herbart, wie lebst, was treibst Du? Ich habe so lange nichts
von Dir vernommen, daß ich wohl mit Recht diese Frage thun kann. Doch ja,
etwas habe ich von Dir vernommen, und zwar etwas sehr Erfreuliches. In Nürn-
x) H. Wien.
2 6 November 1808.
berg fiel mir zufällig der Meßkatalog in die Hände und belehrte mich, zu meiner
großen Freude, daß Du dich entschloßen hast, etwas von Deinen musikalischen
Arbeiten bekannt zu machen. Du weißt, wie lange ich Dich schon darum gebeten
habe. Ist diese Sonate schon wirklich erschienen? Ich freue mich unendlich darauf.
Mir ist die Musik noch immer, was sie mir von jeher war, die liebste und
anziehendste Beschäfftigung. Ich weihe ihr täglich mehrere Stunden, und obwohl
ich es nie zu einem Grade von Virtuosität gebracht habe, so würde ich doch sehr
unglücklich seyn, j| wenn mir dieser Trost einmal geraubt würde. Die Musik war die
erste Yeranlaßung zu unsrer Bekanntschaft und sie versiegelte unsern Bund. Er-
innerst Du Dich noch daran, wie wir Mozarts herrliche Doppelsonate im Concerte
spielten?
Ich habe, seit meiner Rückkehr, schon oft mit sehnsüchtiger Wehmut jener
Zeiten gedacht. Sie liegen nun freilich weit hinter uns; aber — die Hand auf's
Herz — haben wir beßere gesehen seitdem? Ich wenigstens nicht. Und was mir
das Leben auch hernach noch Gutes und Erfreuliches gewährt hat, ich habe es
meistens jener Zeit zu danken.
Von Berger, Hülsen, Rist und Böhlendorff weiß ich leider wenig oder nichts.
Ach, daß die Zeit ein Band lösen konnte, das sie immer fester hätte zusammen
ziehen sollen! Von Böhlendorff sagte mir der Pfarrer Wyttenbach in Bern, er sey
plötzlich aus Curland weg und nach Petersburg gegangen, um dort, den Wißen-
schaften gänzlich absagend, das Buchbinderhandwerk zu erlernen. Womit wird der
Unglückliche noch enden? Der Tod des guten Peter Firks ist mir um seinetwillen
doppelt schmerzhaft. Ich weiß, mein Freund, daß Du mir bleibst, auch schweigend.
Aber doch sehne ich mich manchmal nach einem sichtbaren Zeichen deines An-
denkens. Du wirst es mir nicht versagen. Ich bin genügsam geworden; wenige
Zeilen werden mir viel Freude geben.
Leb wohl. Dein J. D. Gries.
Den letzten Theil des Ariost hast Du doch erhalten?
231. An Carl V. Steiger.1) Göttingen 2isten Nov. 1808.
Dein heutiger Brief, mein Theurer, macht es mir zur Pflicht, sogleich
die Feder zum Dank, für eine so lebhafte Erinnerung an mich, anzusetzen;
die mich sehr erfreut, wenn schon es mir leid thut, die Besorgnisse erregt
zu haben. Früher habe ich von Dir ein paar recht schätzbare Briefe er-
halten, und noch ehe ich wusste dass Dich mein Buch beschäftigt habe,
würde von mir ein Brief und ein Aufsatz zu Dir gekommen seyn, den
ich den Zuhörern meiner prakt. Phil, und also, vor allen Andern, Dir,
schuldig zu seyn glaubte ; hätte nicht mein Georg die Abschrift so gänzlich
durch Schreibfehler verunstaltet, dass ich mich selbst zum copiren ent-
schliessen musste, dazu aber fehlte es an Zeit. An den Nachrichten, die
ich Dir von mir im Laufe des Sommers hätte geben können, hast Du
nichts verloren, ich habe auf meiner alten Stelle mein altes Geschäft fort-
geführt, mit etwas mehr Anstrengung als mir gut war, doch jetzt bin ich
durch anhaltendes Reiten völlig hergestellt. Vielleicht bald werde ich
Dir eine Nachricht von mir melden können, die eine starke und sehr
angenehme Veränderung meiner Lage und meines Aufenthaltes betrifft.
Jetzt ist es noch ein Geheimniss und ich fürchte, es könnte etwas da-
') 3 S. 4°.
November 1808. 27
zwischen kommen; indessen sage ich Dir im Vertrauen so viel, dass Du
vielleicht richtig rathen wirst; — es ist eine Vocation an mich || gelangt,
weit her, die mich vielleicht in den Besitz des ehrenhaftesten aller phil.
Katheder setzen wird. Kannst Du gut rathen?
Ehe Du von Grote Nachrichten erhalten kannst, muss ich Dir wol
sagen, wo er zu finden ist. Er hat im Sommer eine Reise nach Eutin
zum Herzog von Oldenburg gemacht, dort sehr gefallen, und jetzt einen
Platz in der Oldenburgischen Regierungscanzley erhalten. Der Treffliche
verdient, dass es ihm wohl gehe, und auch meinem Vaterlande wünsche
ich Glück dazu. Die ganze Familie ist auf den Winter hier in Göttingen.
Die älteste Tochter, Charlotte, ist jetzt Gräfin von Palmedo. Sie hat
eine plötzliche Heyrath geschlossen, über der noch jetzt eine Art von
Geheimniss schwebt. Der Graf soll indess reich, und ein achtungswerther
Mann seyn. Die gute Mutter sammelt sich mit Mühe, um wenigstens
zuweilen einmal heiter zu seyn, eigentlich aber vergisst sie ihren Verlust
nicht einen Augenblick. Unbeschreiblich rührend ist die sanfte Trauer
bei einer Frau, welcher die tiefsten und so sehr gehäuften Leiden auch
nicht die mindeste Bitterkeit geben konnten.
So schnell, mein Guter, bin ich fertig geworden, die nothwendigen
Nachrichten für Dich nachzuhohlen ; nicht aber so schnell || würde ich Dir
in jenes wissenschaftliche Feld folgen können, in das Du mich gerufen
hast. Das wird mir Gelegenheit zu einem künftigen Briefe geben, für
jetzt, denke ich, ist das eiligste das beste. Aus Deinem Briefe hoffe ich
schliessen zu dürfen dass es Dir wohl geht, dass auch unter den Deinigen
nichts Unangenehmes begegnet ist, hoffentlich hat sich auch Dein Herr
Vater wieder erhohlt, den ich mir während des Sommers gern auf einer
Reise nach Pyrmont begriffen träumte, folglich auch auf einer Durchreise
nach Göttingen. Kommt er künftigen Sommer, so ist es für mich wahr-
scheinlich zu spät. Besser wenn er dessen gar nicht mehr bedarf.
Willst Du noch etwas von mir hören: so ist es dies, dass mir seit
einem Jahre hier in Göttingen manche kleine Höflichkeiten öfter als sonst
erwiesen sind, die mir einige Jahre früher sehr angenehm hätten seyn können;
— dass meine pract. Phil, in der Leipz. Ztg. wohlwollend aber mittel-
mässig, meine Abhandlung über Piaton in der Jenaischen und Hallischen1)
scharf, aber recht gescheut recensirt sind, dass ich über letztere mich er-
klärt; — dass Reinhold in Kiel mich zum philosophfischen] Briefwechsel
wiederhohlt und sehr freundschaftlich aufgefordert hat u. dgl. m. Alle
diese Dinge machen immer weniger Eindruck auf mich. Sehr angenehm
aber ists mir, den Fortschritten zuzusehen, die Dissen und Thiersch als
Docenten der Philologie machen. Toelken ist in Rom mit Stackeiberg2);
ich habe nichts als mündliche Grüsse von ihm so lange er weg ist. —
Diese eiligen Zeilen, Lieber, sind nur bestimmt, meine Schuld gegen
Dich vorläufig um etwas zu vermindern. In Deinen Gesinnungen gegen
mich hast Du die Bürgschaft für die meinigen; niemals kann es mir an
x) S. Bd. I. S. 334 ff.
2) Otto Magnus von Stackeiberg. Vgl. Hartenstein, Herbarts KI. phil. Schriften.
Lpzg. 1842, I, S. LXVII.
28 Dezember 1808.
Interesse fehlen für Das was Du machst und was Dir begegnet. Lass
uns bald von beyden Seiten recht angenehme Nachrichten gegen einander
auswechseln. Ganz Dein H.
Deinem Herrn Vater bitte ich die Versicherung meiner unwandel-
baren Verehrung angelegentlich zu wiederhohlen.
232. An Smidt.1) Göttingen Dec. 1808.
Mein theuerster Freund!
Mein jetziger Brief hat eine angenehmere Veranlassung, denn die
letzten, die ich an Dich schrieb; es ist von keiner Anleihe, zu der ich
jetzt noch fürchten müsste gezwungen zu werden die Rede. Ich soll
noch einmal preussischer Unterthan werden. Du erinnerst Dich ohne
Zweifel dass wir Göttinger es schon einmal waren; damals wahrlich sehr
wider Willen! Aber jetzt hat Krug in Königsberg die Ehre, nach Leipzig
berufen zu werden, wo man eine Totalreform der Universität vornehmen
will; (vielleicht zum Theil mit Rücksicht darauf, dass er ein geborener
Sachse ist): und mir wird bey dieser Gelegenheit das unverhoffte Glück,
jenen Platz zu erlangen, nach welchem ich mich als Jüngling so oft in
ehrfurchtsvollen Träumen hinsehnte, wenn ich die Werke des Königs-
bergischen Greises studirte! Freilich damals stand es um die Kantische
Philosophie und um die Preussische Monarchie anders als jetzt; aber in
beyden ist noch heute etwas, das mich mächtig anzieht, sobald es mich
so mit allem Fug und Recht anlockt, wie jetzt. Und gewiss mit höchstem
Fug kann man in Königsberg erwarten dass ich meine hiesige extraordinäre
Professur gegen den, in einem andern Sinne nicht -ordinären Lehrstuhl
Kant's, meine hiesigen 300 Thlr. gegen die dortigen 1200, und das halbe
Zutrauen der Herrn Heyne [2] und J. v. Müller gegen die Versicherung
des vollen Zutrauens womit H. v. Auerswald, Curator der K — gschen Uni-
versität mir entgegenkommt, bereitwillig umtausche. Sehr gern werde ich
es als Pflicht der Stelle ansehn, das Andenken Kants erhalten zu helfen,
und manches milder auszudrücken, was vielleicht sonst härter wäre gesagt
worden. Endlich sehr gern diene ich dem Könige, der so vieles über-
standen und noch den Muth behauptet hat, auf so grosse Veränderungen
im Innern sich einzulassen. Ich werde, wenn ich von hier gehe, nicht
glauben Deutschland zu verlassen, sondern eher, nach Deutschland zu
reisen. —
Schon zu der Veränderung als solcher dürftest Du mir Glück
wünschen. Ich bedarf eines neuen Reizes von Aussen. Hier in Göttingen
lässt man mich in Ruhe. Das ist das Verdienst was Göttingen um mich
hat: mir war Zeit, Müsse, Stille gegönnt, dass ich mich, während sich
Niemand um mich bekümmerte, ganz allein um die Wissenschaft und um
einige Zuhörer bekümmern konnte. Seit die nöthigsten Arbeiten geendigt
waren, verlangte mich darnach, dass Jemand etwas von mir verlange.
Gewiss haben es Manche, vielleicht auch Du, nicht begriffen, wie ich hier
so lange aushalten konnte. Ich fürchte, bliebe ich noch lange, so würde
ich es am Ende selbst nicht begreifen können. Denn auch nur die
x) 4 S. 4°.
Dezember 1808. 29
Studienweise in Göttingen (die grossetitheils auf Nachschreiben gegründet
ist) [3] so weit umzuschaffen, als es nöthig war um einen weitern Wirkungs-
kreis zu erlangen, dies liess sich jetzt nicht leicht hoffen, da der Druck
und die Ungewissheit des Künftigen so sehr zu den Brotstudien, die all-
gemeine Abspannung in der philosophischen Welt so sehr von meiner
Wissenschaft hinwegtreibt, und da endlich der Berührungspuncte zwischen
mir und dieser heutigen philosophischen] Welt so sehr wenige bis jetzt
zu seyn scheinen. — Aus allen diesen Ursachen ist es mir wirklich in
der letzten Zeit zuweilen vorgekommen, als hätte ich Mühe, nicht ein
wenig einzuschlafen. Zum Trost dienen mir einige psychologische Arbeiten
des letzten Sommers. Auch hätte mich vielleicht Reinhold wach erhalten;
der mit mir eine Correspondenz so tapfer angefangen hat, dass er drey
Briefe schrieb, ohne meine Antworten abzuwarten. Jetzt neulich habe ich
eine lange, wissenschaftliche Antwort mit einer Freimüthigkeit, fast derb
zu nennen, darauf erwiedert. Es soll mich verlangen welche Aufnahme
sie finden wird. An Versicherungen er wolle mich verstehen lernen wie
er ehemals Kant, dann Fichte, dann Bardili studirt habe — daran hat
es nicht gefehlt. Aber ich fürchte, meine Censur seiner neuesten Schrift
wird einen sehr entgegengesetzten Eindruck machen. Merkwürdig ist, dass
der Mann noch immer, nicht nur die alte rühmliche Wahrheitsliebe,
sondern auch die alte Zuversicht zu seinem jedesmaligen neuesten Fund
vollkommen beybehalten hat. — Ich weiss nicht ob Du [4] einen kleinen
Kampf um den Piaton bemerkt hast zwischen meinem Rec. in der J. A.
L. Z.1) und mir in der N. L. L. Z. Der Recensent ist ein junger Prof.
Böckh in Heidelberg, er hat sich mir neulich in einem Briefe genannt,
der seinem Charakter Ehre macht, sowie die Rec. seinem Geiste. In der
That, von allen Recensionen, die bisher über meine Schriften erschienen
sind, verdiente diese allein den Namen einer Recension, so sehr sie auch
mir widerstritt und mich misdeutete, woran grossentheil die Kürze meiner
Schrift schuld war. — Was sagt Ihr Bremer — Scholarch, Schullehrer
und Pädagogen aller Classen — von Niethammers Streit des Philanth.
und H.? Nur nichts Gutes, ich bitte; sonst müsste ich gar zu arg mit
Euch streiten. Ich habe lange nichts Schlechteres bey so viel Prätension
und selbst gutem Willen, gesehen. Ungleich besser sind Fichte's Reden
an d. d. N., wiewohl man auch hier zu oft gewahr wird, dass der wahr-
haft grosse Mann sich herablässt von Dingen zu reden die er nicht
versteht.
Die Rückzahlung der mir freundschaftlich vorgestreckten Summe hast
Du hoffentlich richtig und gleich nach der Einforderung von Wardenburg
erhalten. Die Ursache meiner Zögerung lag darin, dass ich erst mit Hülfe
der Regierung mir in Hinsicht des Gebrauchs meines mütterlichen Ver-
mögens Luft machen musste, indem ich an das Testament, wovon ich
Dir, glaube ich, gesagt habe, erinnert wurde. Dem Himmel sei Dank!
Der Ruf von Königsberg scheint auch über Verdrieslichkeiten dieser Art
mich ein für allemal hinwegzurufen. Dir noch einmal meinen herzlichsten
Dank für jene wahrlich große Gefälligkeit! Es verstand sich dass Dir die
x) S. Band I, S. 334 ff. u. 342 ff.
->q Dezember 1808.
Rückzahlung nie geweigert werden konnte nur meine Sache wollte ich
damals nicht gern erschweren.
(Randbemerkung.)
Wann sehen wir uns wieder, mein theurer Freund? Entweder sehr
bald, oder noch lange nicht. Leider das letzte ist bey weitem das Wahr-
scheinlichste, denn es ist mit Nachdruck verlangt, ich solle beym Anfang
der Collegien in K. seyn, und hier kann ich vor Mitte März nicht füglich
schliessen. Ich sehe daher durchaus nicht ab, woher die Zeit zur Reise
kommen soll. Hätte ich den Ruf, der mir eine so gute Einnahme sichert,
6 Wochen früher gehabt (er kam am Ende der Ferien) so würde ich das
Geld nicht gescheut haben, sondern Dich und Euch alle um Michaelis
besucht haben. Denn allein die fatale Geld-Angelegenheit, die eben da-
mals in 01d[enburg] entschieden werden musste, war Schuld, dass ich
nicht kam. — Bestelle wenigstens meine herzlichsten Grüsse an Deine
liebe Frau und an alle Freunde. Ganz Dein Herbart.
2. Dez. 1808. H. bittet Hrn. von Müller um seine Entlassung in Göttingen.
233. An Carl v. Steiger.1) Göttingen 16. Dec. 1808.
Was ich neulich nur als ein halbes Räthsel andeuten konnte, mein
Bester, das ist jetzt so gut als gewiss, und wird bald bekannt werden.
Es ist Kants Lehrstuhl in Königsberg, den mir der dortige Curator, Hr.
von Auerswald mit beynahe 1200 Thlr. Gehalt angeboten hat. Damit
ist die Pflicht verbunden, zwey publica zu lesen. Es wird Hoffnung
gemacht zur Errichtung eines pädagogischen Seminars nach meiner Angabe.
Die beyden Briefe, welche ich erhalten habe, drücken ein so gutes Zu-
trauen aus und geben so gutes Vertrauen, dass ich schon deshalb ver-
sucht seyn würde, lieber dort als hier zu leben, wo ich, nachdem das
Mistrauen der Hrn. Heyne und Brandes gegen alle Philosophie etwas
milder geworden zu seyn scheint, mit Hrn. von Müller (Deinem Lands-
mann) wieder von vorn anfangen müsste. || Dieser war in Berlin durch
Fichte'n böse gemacht, und es ist kein Zweifel, dass ich das in Göttingen
hätte entgelten müssen. Meinen hiesigen Nachfolger, wenigstens in Hin-
sicht der Vorlesungen, habe ich mir schon bestellt, ich meine Dissen, den
ich an Heyne empfohlen habe, und mit so gutem Erfolg, dass ich auf
dessen Aufforderung ihn jetzt auch an Hrn. von Müller empfehlen werde,
welchem ich morgen zu schreiben denke um die Sache abzumachen.
Wenn ich nicht geradezu meinen Abschied suche so ist es nur um das-
selbe in eine weichere Form zu fassen. Der König von Preussen hat
wegen der Bestätigung der Vocation eine förmliche Cabinetsordre ge-
geben, die ohne Zweifel auf Veranlassung einer Stelle in meinem ersten
Briefe nach Königsberg, gesucht worden ist. Werde ich einem Souverain
eine abschlägige Antwort geben? Schon um nicht inconsequent zu scheinen,
möchte ich es nicht gern, denn es scheint dass man meinen ersten Brief
fast als eine Zusage angesehen hat. Und es ist gut so. ||
l) 6 S. 8Ü. — Bei Ziller falsch datiert.
Dezember 1808. 31
Dies zweyte Blatt1) gehört vor Allem Deinen philosophischen Be-
merkungen worauf ich noch die Erwiderung schuldig bin. Du wirst seit-
dem in der Entwickelung Deiner naturrechtlichen Tdeen vorgeschritten
seyn, auch in meinem Buche sehr bald gesehen haben dass wir nicht so
verschiedener Meinung sind wie Du glaubtest. Du erinnerst mich an
S. 171 meiner Schrift. Dort beginnt die Untersuchung; es werden noch
keine Lehrsätze aufgestellt. S. 1 J$ findet sich das Naturbedürfniss, von
dem Du sehr richtig sagst, dass es dem Naturrecht zu Statten zu kommen
scheine, denn indem dieses die Grade der Werthe für mögliche Rechts-
verhältnisse bestimmt, bringt es sie zuweilen so tief herab, und der Null
so nahe, dass minder wissenschaftliche Köpfe das Sehr- Kleine von der
Null nicht mehr unterscheiden und sich einbilden, ein Recht von sehr
geringem, von unendlich kleinem Werthe sey gar kein Recht, vielmehr,
ein solches nur zu denken, sey von Natur Unrecht. Erinnern wir uns
der Irrational -Grössen. ]/ 5 kann streng genommen nicht gefunden werden,
eine Grösse die in der zweiten Potenz 5 gäbe ist ganz undenkbar. Aber
an deren Stelle etwas zu setzen, das unendlich nahe kommt, das ist
möglich und geschieht wirklich. Für die Praxis nun ist dies unendlich
nahe Kommende gleich geltend mit j/ 5 ; für die Wissenschaft hingegen
muss || das Rationale vom Irrationalen streng geschieden werden, sonst
gerathen alle Begriffe in Verwirrung. — Ich verwerfe nicht die Nothwehr.
Aber ich verwerfe die Theorie welche das dingliche Recht auf den eignen
Leib, gleich einer rationalen Grösse mit mathematischer Schärfe glaubt
hinstellen zu dürfen. Ein Recht, das ich dem Angreifer auf meinen eignen
Leib geben würde, könnte nur unendlich wenig Werth haben, denn mit
vollem kräftigen Wollen könnte ich nicht überlassen, die Ueberlassung
würde wenig mehr seyn als ein leeres Wort. Der Streit misfällt aber.
Da es nun beynahe keinen Sinn hat dass ich ihn meide, so folgt, der
Andere müsse ihn meiden. Im gemeinen Leben achtet man nicht auf
dies beynahe, das braucht man auch nicht, denn für die Praxis hat das
keine Folgen; hingegen in der Wissenschaft — nimm ein dingliches Ur-
recht2) an; alsbald wirst Du Dich überschwemmt sehn von allen denen die
je unter dem Namen der Freyheit und Gleichheit empfohlen wurden. Es
ist allerdings auch da noch etwas wahres, wo die Naturrechte vom Recht
auf Geistescultur u. s. w. sprechen. Nämlich zu einer Zeit, wo Geistes-
bedürfnisse auf einige lebhafte Köpfe wie mit einer Natur-Gewalt wirken,
vermöge deren sie ihre geistige Existenz ebenso vertheidigen wie jeder
zu jeder Zeit seine physische Existenz; da können vorhandene Rechts-
verhältnisse, wodurch diese Menschen von den Mitteln und Gelegenheiten
der Ausbildung möchten ausgeschlossen werden, in Beziehung auf diese
Individuen nur sehr wenig || Werth haben. Diejenigen, welche auch daraus
ein Ur-Recht machen, würden für die Praxis beynahe das Wahre treffen,
wenn wirklich der Drang nach Geistescultur so allgemein und so dringend
gefühlt würde wie die Liebe zum Leben. — Noch ein paar Bemerkungen
über einzelne Stellen Deines Briefes. Du nennst die Menschen gleich
geboren. Gleich, das heisst, ohne alle Rechte. Hüte Dich, diese Null
x) Des Briefes.
2) Bei Ziller steht hier und weiter unten: „Unrecht" statt „Urrecht".
-?2 Dezember 1808.
als eine wirkliche Größe in Rechnung zu bringen. Du sagst, der An-
greifer bekenne, auch auf sein Leben kein Recht zu haben. Das würde
richtiger heissen, er bekenne die Billigkeil einer ähnlichen Behandlung.
Denn ein Recht, das man wirklich hat, verliert man nicht wenn man
schon Unrecht thut; es müsste denn das Recht bey seiner Stiftung mir
unter solcher Bedingung zugestanden seyn. Du fürchtest bey der Notwehr
Gefahr für die Idee des Wohlwollens. Die Gefahr ist gar nicht vorhanden.
Denn die Idee des Wohlwollens wird nur realisirt durch wirkliches Wohl-
wollen; ein solches aber ist unmöglich gegen den Angreifer. Ueberdies
fängt das Misfallen erst an beym Übelwollen; man braucht aber nicht
schadenfroh zu seyn um den Angreifer abzuwehren. — Du scheinst endlich
gar auf eine Subordination der Ideen anzutragen. Unmöglich, mein Guter!
Die Gesetze der Wissenschaft müssen in absoluter Strenge aufrecht er-
halten werden, oder es wird da bald noch viel bunter hergehn, || als am
Hofe, wo man die Gesetze den Günstlingen zu Gefallen aus den Augen
setzt, oder im Hause, wenn der Hausvater schwach ist gegen seine Kinder.
Sey nur behutsam in der Anwendung der Ideen, in der Auffassung der
Umstände, welche auf die vorausgesetzten Grundverhältnisse einfliessen.
So war es z. B. leicht zu bemerken dass bey der ersten Aufstellung der
Rechtsidee auf beyden Seiten alles gleich gesetzt war, daher die practische
Weisung, den Streit zu meiden, auch für beyde Theile gleich lauten
musste. Nimm die Gleichheit in der Voraussetzung weg, so wird ganz
von selbst die Gleichheit im Resultat wegfallen. —
Diese Bemerkungen mögen jetzt vielleicht viel zu spät kommen,
nachdem Du Dir dies alles schon selbst gesagt hast. Desto besser! Jetzt
ohne Zweifel ist die Zeit, wo Deine Ueberzeugungen Dich von allen
Seiten vest bestimmen werden. Ich wünsche Dir Glück zu dem Interesse,
womit Du Dir dies zum Geschafft gemacht hast. Ich darf glauben, dass
ein solches Interesse nicht erkalten werde. Höchstens könnte es über-
wogen werden von den stärkern Interessen die zum thätigen Leben treiben,
und auf die Erwerbung öffentlicher Verdienste hinausgehen. Mich ver-
langt auch in dieser Hinsicht nach dem was mir Deine fernem Briefe
sagen werden. Bis zum März treffen mich dieselben wahrscheinlich noch
in Göttingen. Nachher haben sie ein wenig weiter zu reisen.
Ganz Dein H.
Meine angelegentlichsten Empfehlungen in Deinem Hause. — Was
machen Deine Brüder? — Hörst Du wol etwas von Griepenkerl?
234. An V. Halem. Göttingen 20sten Dec. 1808.
Mein verehrtester Freund!
Viel und vielerley liegt mir im Kopf und vor der Feder, seit mir
von Königsberg ein Ruf zu Theil geworden ist, welchem nicht zu folgen
schwerlich vernünftig seyn könnte. Der Stimme des Zutrauens folgt man
gern; der Vortheil eines Gehalts von 1200 Thlrn. ist nicht gering, die
Aussicht auf einen weiten pädagogischen Wirkungskreis, die sich hier un-
gesucht darbietet, war längst unter meinen Wünschen.
Entschuldigen Sie mich also, wenn ich später als ich sollte, danke
für Ihr köstliches Geschenk und für Ihre gütige Bemühung in meinen
December t8o8. 33
Angelegenheiten. Mit grösster Freude habe ich in Ihren Werken so vieles
gefunden das ich noch nicht kannte, und das doch so ganz Sie darstellte;
das neueste mit eben der Kraft wie das älteste, die jüngste Muse so ganz
ähnlich ihren früher gebornen Schwestern! Besonders haben mich manche
Oden angezogen, und darin so manches tief gefühlte, das man im Olden-
burgischen Lande wenigstens Freyheit hat zu sagen und zu klagen! —
Es giebt Stellen wo mir Begriffe einfallen die mit den Ihrigen nicht ganz
zusammenzutreffen scheinen, aber diese Begriffe gehören nicht dahin, die
Empfindungen sind einstimmig, und selbst die Erörterungen würden uns
vereinigen können. Rousseau ist nicht mein Mann, aber der Rousseau
in Ihrem Gemüth ist ein besserer, ist ein edler Geist: der wirkliche hätte
so seyn sollen. —
Nothgedrungen komme ich jetzt wieder auf den traurigen Gegenstand,
der Ihnen nun schon öfter beschwerlich werden musste. Die Forderung
der Regierung anzuzeigen, „worinn der Nachlass meiner Mutter zur Zeit
ihres Ablebens bestanden", setzt mich in Verlegenheit. Die nächste Ant-
wort wäre, ich kann es nicht wissen, denn dieser Nachlass ist niemals
ganz mein gewesen, namentlich nichts von dem, was nach Paris herüber-
gezogen war. Fragt man nun ferner nach dem, was den Namen des
Meinigen getragen hat, so sind alle Papiere aus denen dies sich ergeben
muss, in Oldenburg; die dürftigen Notizen, die ich mir bey meinem
dortigen Aufenthalt zum eignen Gebrauch aufzeichnete, habe ich, als
werthlos, nicht aufbewahrt, da das zur Geschäftsführung Wesentliche dort
beysammen war und bleiben musste. Es belief sich aber das was dem
Namen nach mein war, ungefähr auf 14000 Thlr. Nur — der erste Blick
auf dies Vermögen musste mir sagen, dass der wahre Werth desselben
für mich nicht 13000 seyn könne. Denn erstlich war ich selbst meinen
Freunden in Bremen verschuldet. Nur Ihnen kann ich es vertrauen, dass,
zu der Zeit als meine Eltern sich die Sorge bestritten mir das künftige
meine zu erhalten, ich es für Pflicht hielt, von meinen damaligen Be-
dürfnissen keine Erwähnung laut werden zu lassen; ich hatte Freunde, die
aus persönlichem Zutrauen zu mir, nicht zu meinem Erbtheil, mich aus-
rüsteten, so dass ich in Bremen leidlich leben, von dort nach Göttingen
gehn, hier mich versuchen konnte. Meine Freunde sind es, die meine
hiesigen Promotionskosten bezahlt haben. — Es verstand sich, dass diese
Auslagen, die sonst wol zu den Alimenten möchten gerechnet werden, wozu
aber freylich meine Eltern nichts hergeben konnten, weil sie nichts von meinen
Bedürfnissen vernahmen, — erstattet werden mussten, sobald Geld in meine
Hände kam. 600 Thlr. waren das wenigste, was meinen Freunden aus-
gezahlt werden musste; mein Vater hat von meinem mütterlichen Erbtheil
diese Summe an den Senator Smidt nach Bremen geschickt. — Eine
andre Schuld, die über 400 Thlr. in Allem betrug fand ich vor ; sie war
von der Art, dass sie schlechterdings sogleich von mir übernommen werden
musste. Auch diese ist bezahlt. — Die grösste aller Schulden aber hatte
ich bey meiner Gesundheit gemacht. Diese war so zerrüttet, dass ich in
jedem Winter mich eine Reihe von Jahren hindurch am Ende meines
Lebens glaubte, dass ich täglich ein Nervenfieber erwartete, was ich nicht
würde überstehen können. Noch vor 3 Jahren habe ich, wie ein Kranker,
Hbrbarts Werke. XVII. 3
34
December 1808.
häufig allein kleine Spazierfahrten gemacht, weil dies die einzige mir zu-
trägliche Bewegung war. Zweymal bin ich in Pyrmont gewesen. Und
was hatte meine Gesundheit zerrüttet? — Auf der Universität war mir
im Ganzen wohl gewesen; in der Schweiz war ich der gesundeste, robusteste
Mensch von der Welt. Aber ein ganzes Jahr und länger an den heftigsten
Gemüthsbewegungen zu leiden, unmittelbar nach einer langen Reise im
Winter; ohne Aussichten, in der Mitte der grössten geistigen Anstrengungen,
die, eben weil sie unter diesen Umständen nicht gelingen konnten, auf
den höchsten Grad getrieben wurden, — dann, sobald es ein wenig besser
wurde, sogleich jede Spur der wiederkehrenden Kräfte verbrauchen zu
müssen, um nicht etwa bloss versäumte Zeit nachzuhohlen, sondern eine
Gedankenschöpfung hervorzurufen, an der nichts Kränkliches zu spüren
seyn durfte, — sehn Sie da die Ursachen, die, nachdem sie meinen
Körper genug geschadet hatten, mich bestimmten, und mich noch be-
stimmen, diejenigen Ausgaben nicht zu scheuen, die da helfen konnten,
mir ein leidliches Wohlseyn des Leibes und der Seele zu erhalten. —
Nach allen diesen überlasse ich es Ihnen, den Werlh des ererbten mütter-
lichen Vermögens zu bestimmen, das meinen Freunden, das mir selbst so
grosse Schulden abzutragen hatte.
Ich habe die Regierung gebeten, mit ihrer Autorität der Autorität
meiner Mutter gegenüber zu treten. Wenn Hr. Wardenburg gefragt wurde,
konnte er freylich als Privatmann nur ein solches Gutachten geben, das
er mit juristischen Gründen glaubte motiviren zu können. Und auch die
Regierung will vielleicht ihre Autorität nicht gebrauchen, um desto besser
das Ansehn der Testamente aufrecht zu halten. Nur, ich will denn auch
von meiner Seite nicht länger scheinen als ob ich wohl gar selbst jene
beschränkenden Verfügungen für zweckmässig hielte, und mich deshalb
geduldig darein ergäbe. Der Platz, an den man mich jetzo stellt, erträgt
eine solche Selbst -Erniedrigung am wenigsten. Meine Bitte lautet noch
immer, so lange nicht die Regierung mich zum Schweigen verurtheilt, dahin :
dass es mir völlig freystehn soll, die Gelder kommen zu lassen, deren ich
werde zu bedürfen glauben. Dabey stütze ich mich auf die Zuversicht,
meine Mutter würde jene Dispositionen nie gemacht haben, hätte sie sich
nicht schrecken lassen durch den Gedanken, den sie so oft, wiewohl zu
spät, äusserte: „Philosophie giebt kein Brod.kl Die Veränderung, die mir
jetzt bevorsteht, ist die vollständigste Widerlegung der Besorgniss, aus
welcher das Testament geflossen ist. Dass die Regierung im Namen
meiner Mutter diese Widerlegung anerkenne, dies ists, was ich bitte.
Will man aber dennoch vom Testamente, als von der einmal vor-
handenen Basis ausgehn, so könnte ich daran erinnern, dass dieses nur
eine Summe von 12000 Thlrn. zur öffentlichen Notiz bringt, und dass,
was darüber war, wohl kaum in Folge dieses Testaments zum Gegenstand
einer öffentlichen Frage gemacht ist. Verzeihlich wird man es in dieser
Hinsicht wenigstens finden, wenn ich nicht darauf gefasst bin, von hier
aus auf die öffentliche Frage eine öffentliche Antwort zu geben.
Ihnen, mein Verehrtester, habe ich nach bestem Vermögen ge-
antwortet; Ihnen die Verlegenheit aufgedeckt, in welche mich theils der
Mangel der nöthigen Papiere, theils so viele Umstände setzen, die auf
December 1808. 35
den vermuthlichen Sinn der Frage Einfluss haben, die aber nicht laut
heraus gesagt werden können, wenigstens nicht von mir. Ihnen gebe ich
mich in die Hände; in der Hoffnung dass Sie dem Collegium dem Sie,
vorstehn in meinem Namen antworten werden, soviel nöthig ist. Und
dann muss ich die baldigste Entscheidung gar sehr wünschen, da ich viel-
leicht schon im Anfang des März von hier gehn werde.
Man verlangt mich mit Anfang der Collegien in Königsberg. Das
ist das leidigste bey dieser sonst so angenehmen Sache. Es wird un-
möglich seyn, Bremen und Oldenburg noch zu besuchen ; unmöglich münd-
lich von Ihnen Abschied zu nehmen. Aber wozu auch ein Abschied?
Freyheit der Meere! dann komme ich zu Schiffe, dann ist der Weg nicht
gar weit. Möchten nur die Mören ein Gebet anhören, damit nicht nur
meine Theuern, sondern auch deren Theure im vollen, blühenden Leben
seyen wann ich komme! Sie wenigstens, mein innigst Verehrter, fachen
Sie in Sich selbst auf alle Weise den Lebensfunken an. Die Muse wird
Ihnen helfen; sie wird Ihnen zureden, auch das Ihrige dafür zu thun,
unabgeschreckt durch Trauerbilder, die einem schwächeren Manne den
Werth dieses zeitlichen Lebens zweifelhaft machen könnten. Lassen Sie
mich nichts mehr hinzusetzen, als nur die Versicherung meiner wärmsten
Ergebenheit und meiner vollkommensten Hochachtung. Gehorsamst
Herbart.
1809.
Replik gegen die Rezension der Allg. prakt. Philosophie. S. Bd. II, S. 513 — 515.
— Dissens Anleitung für Erzieher, die Odyssee mit Knaben zu lesen. (Herausgegeben
und mit einer Vorrede begleitet.) S. Bd. III, S. 1 — 18.
235. An v. Halem. ohne Datum.
Eine anhaltende Unpässlichkeit und tausend Zerstreuungen haben es
dahin gebracht, mein Verehrtester! dass ich erst jetzt dazu komme Ihnen
mit meinem Danke für Ihren letzten gütigen Brief die geforderte Angabe
zu übersenden. Da Sie gestatteten, den Werth des Nachlasses auf 12000
Thlr. zu setzen, so hat mir das Einfachste das Beste geschienen, ich habe
der Angabe keine neue Bitte hinzugefügt, sondern erwarte jetzt die An-
ordnung welche von der Regierung wird gutgefunden werden.
Nur wenige Worte kann ich heute noch schreiben. Dass Sie die
Freyheit der Meere so weit hinaussetzen, diese traurige politische Prophe-
zeihung nimmt mir wenigstens nicht die Hoffnung des Wiedersehens; ich
komme wol zu Lande wenn es zu Wasser nicht seyn kann, und Sie
stehn unter dem Schutze der Musen, der belebenden und erhaltenden;
so dass ich nicht nur Sie zu sehn, sondern Sie heiter und kräftig zu
sehn hoffe.
Dass Sie mit Groten zufrieden sind freut mich sehr. Ich fürchte für
Naturen seiner Art nichts, als dass irgend ein vorgefundenes Mistrauen
sie in sich scheuche und den Menschen entfremde. Nur so glaube ich
wäre es möglich dass jemals die natürliche Güte des jungen Mannes
leiden könnte.
Einem genialischen Sohne des Oldenburgischen Bodens soll ich noch
das Wort reden; ich meine den Doctor Focke, der sich hier aufhält und
Privatstunden in der Mathematik schon seit mehrern Jahren mit Erfolg
und Beyfall giebt. Dieser möchte so gern einen Platz als Lehrer der
Mathematik an einer Schule bekommen können! Braucht man in Olden-
burg nichts von der Art? — Focke war Friseur; die Wissenschaft hat
ihn dem Handwerk entrissen; sie hat ihm freylich nicht alle Vortheile
der entbehrten liberalen Erziehung nachbringen können; doch glaube ich
dass die Aufmunterung einer bessern Lage noch vieles an ihm abschleifen
würde; und dass er für den mathematischen Unterricht schon jetzt eine
nicht gemeine Gabe besitzt.
Mit Verehrung und Freundschaft auf immer Der Ihrige
Herbart.
Januar 1809. 37
236. An Carl v. Steiger.1) Göttingen 10 Jan. 1809.
Mein Theurer! Ich lese heute mit Schrecken in der Zeitung von den
Unfällen, die Dein geliebtes Oberland betroffen haben.2) Du wirst nicht
wenig davon angegriffen seyn. Weil ich nun, seitdem mir eine in tausend
Rücksichten willkommene Veränderung bevorsteht, Ueberfluss an guter
Laune habe, und überdies mich ein kleiner Kitzel sticht, Dir auch einmal
3 Briefe nach einander zu schreiben: so plaudere ich ein Stündchen mit
Dir, um Dich auf einen Augenblick zu zerstreuen.
Mein Weggehen von hier ist völlig entschieden. Herr von Müller
schrieb mir einen höflichen Brief zum Abschied; ich nahm mir darauf
gleich vor, ihn in Kassel zu besuchen, theils um ihn persönlich kennen
zu lernen, theils besonders um Dissen zu empfehlen, und über meinen
Unterrichtsplan und über Dissens dahin gehörige Arbeiten mit M[üller]n
zu sprechen. Ich habe eine sehr angenehme Stunde mit ihm zugebracht,
und die vielleicht nicht ohne Folgen seyn wird. Niemals || ist jemand
augenblicklich so vollkommen auf meine Ideen eingegangen als M. So-
wohl der Sinn als die Wichtigkeit der Sache war ihm ganz so einleuchtend
wie mir, und er gab Hoffnung nicht nur für die Ausführung zu wirken,
(was ihm, so fern es nicht Geld kostet, ganz frey steht, da er General-
director der Studien im Königreich] Westphalen ist) sondern auch selbst
gewissermaassen mitzuarbeiten. Er ist, wie Du weist, der tiefste Kenner
der gesammten Geschichte und Literatur, und würde also als Rathgeber
im höchsten Grade willkommen seyn, wäre er auch blos Privatmann. Er
hat versprochen mit Dissen Rücksprache zu nehmen. — Ausserdem fand
ich mich überrascht, zu sehen, dass ich, wofern ich hier bliebe, in sehr
viel angenehmem Verhältnissen mit ihm stehen würde als ich geglaubt
hatte. Ich darf glauben, dass mir unter gewissen Umständen der Rückweg
hierher frei stehen würde. Doch dies bleibt ganz unter uns!
Ich empfehle jetzt Dissen überall; und das scheint sehr guten Ein-
gang zu finden. Das wird noch besser werden durch eine kleine Schrift
über den Gebrauch des Homer, die ich dem Dissen endlich || abgedrungen
habe. Sie ist schon fertig zum Druck, und wird mit einer Vorrede von
mir herauskommen.3) Dissen hat sehr hübsch geschrieben; er übertrifft überall
meine Erwartung. Durch ihn hoffe ich trotz meiner Abreise gewisser-
maassen in Göttingen zu bleiben. Veranlassung zu der Schrift hat Griepen-
kerl gegeben. Dieser bat mich neulich in einem recht willkommenen
Briefe um etwas der Art. Hörst Du wohl etwas von Griepenkerl? Seine
Lage bei Fellenberg ist ihm lieb geworden.
In einem öffentlichen Blatte lese ich neulich, dass Graf Sievers aus
Petersburg bey Pestalozzi gewesen sey. Ob das wohl unser Sievers war?
1) 4 S. 8°.
2) Den 12. Dez. 1808 wurden im Gadmenthal 23 Personen durch Lauinen ver-
schüttet. Fr. Mitteilung des Herrn Prof. Dr. R. Steck in Bern nach Durheim, Berner
Chronik S. 181 und nach einer Notiz im Berner Staatsarchiv vom 2. Januar 1809:
„Armencommission. Zur Untersuchung und Rapport über das Schreiben von Frutigen
und Anzeige von verschiedenen durch Schneelauinen verursachten Unglücken."
3) S. Bd. III, S. 1 — 18.
?g Januar 1809.
Das wäre ein Trost, wegen einer andern sehr traurigen Nachricht die ich
neulich durch Heeren von ihm bekam: er sey gefährlich krank; der Tod
seiner Gattin habe seine Gesundheit untergraben. — Solche Dinge er-
innern mich immer an meine alte Frage: wie ists möglich, dass ich selbst
noch lebe? Aber meine Gesundheit hat sich sehr bevestigt.
Sehr angenehm wurde ich gestern überrascht durch einen Brief eines
alten Universitätsbekannten (Freundes kann ich eigentlich nicht sagen) der
in Königsberg mein College werden wird. Es ist Professor Remer, Pro-
fessor der Medicin in Helmstädt, der auch einen Ruf dorthin hat und
höchst wahrscheinlich gehen wird. Treuherziger kann man nicht schreiben, ||
als er mir schreibt um noch an die alte Zeit zu erinnern, und mir gute
Freundschaft für unsere dortige Zusammenkunft anzubieten. Ich hätte
ihm dafür gut werden müssen, wäre ichs auch nie gewesen. Er ist überall
ein herzensguter Mensch, und sein Anerbieten ist wahrlich für den künf-
tigen Aufenthalt in einer wildfremden Stadt und Gegend sehr annehmlich.
Noch muss ich Dir jemanden nennen, der Dich kennen zu lernen
wünscht, — und einen andern, der, wenn Du es so aufnehmen willst,
Dir zuvorzukommen im Begriö ist. Genannt habe ich sie Dir ohne Zweifel
schon beyde; es sind meine besten Zuhörer während dieser Zeit gewesen.
Bar[on] Richthofen aus Schlesien der eine. Ein äusserst feiner Kopf, der
Dich an Plater und Rahden erinnern kann. Vorigen Sommer hörte er
auf einmal Metaphysik, pract. Philosophie, Analysis des Endlichen und des
Unendlichen; alles das ohne besondere Beschwerde. Dieser spricht von
einer Reise in die Schweiz, — wann ? das ist freylich noch sehr unbestimmt,
er wird aber ohne Zweifel dazu kommen, denn er ist reich. Dann will
er Dich besuchen; und es wird Dich nicht gereuen, Dich besuchen zu
lassen. Der Andere ist Unterholzener aus Baiern, künftiger Professor der
Rechte in Landshut; dieser schreibt jetzt über Criminalrecht gegen Feuer-
bach;1) bist Du etwa auch damit beschäfftigt, so eile, willst Du anders
der erste seyn. — — Meine besten Wünsche für Dich und die Deinen.
Ganz Dein Herbart.
237. J. D. Gries an Herbart.2) Jena, den 23. Januar 1809.
Du hast mir, bester Herbart, durch Deinen Brief und Deine Sonate eine
doppelte Freude gemacht. Dass Du der letztern meinen Namen mit vorgesetzt hast,
*) Carl Aug. Dominik Unterholzner war im Herbst 1807 nach Göttingen
gekommen, um Hugo und Herbart zu hören. Vgl. Allg. D. Biogr. 39, 320. Die
„Juristischen Abhandlungen", mit einer Vorrede von P. J. Anselm Feuerbach, erschienen
18 10 (München) und sind „Carl Freiherrn von Richthofen" gewidmet. In der Widmung
heißt es: „Sehr vieles aus den Abhandlungen machte einen Gegenstand unserer Unter-
haltungen aus; die letzte derselben verdankt ihren Ursprung vorzüglich den unvergeß-
lichen Vorträgen Herbarts, die wir zusammen mit so viel Enthusiasmus besuchten}''
Ausdrücklich hebt er hervor, wieviel er Herbart verdankt, und in der letzten Abhand-
lung („Entwicklung der philosophischen Grundsätze eines Straf-Systems") sagt er (S. 207):
„Ich verweise auf eines der philosophischen Meisterwerke des vortrefflichen Herbart.
seine praktische Philosophie, wo mit echt philosophischem Geiste die Idee der Billigkeit
wissenschaftlich begründet ist, und zuerst begründet ist." — Man vgl. auch den Brief
Nr. 240.
2) 4 S. 8°. H. Wien. Bei Zimmermann S. 131.
Januar 1809. 3 g
dafür muss ich Dir noch besonders danken, obwohl es mehr ist, als ich verdiene.
Die Leute werden mich für einen gewaltigen Clavierspieler halten, wenn sie glauben,
dass ich eine so schwere Sonate zu spielen verstehe. Bis jetzt wenigstens ahne ich
ihre Wirkung mehr, als ich sie mir darstellen kann. So viel sehe ich wohl, dass
sie sehr schön ist, und dass sie, von Dir selbst vorgetragen, eine treffliche und
durchaus ganxe Wirkung hervorbringen muss. Aber meine ungelehrigen Finger
wollen Dir noch immer nicht recht gehorchen; besonders nicht in dem letzten Satz,
der, wie ich denke, sehr rasch vorgetragen werden muss. Indessen gebe ich mir
alle mögliche Mühe, und hoffe sie mit der Zeit wenigstens leidlich herauszubringen.
Am besten wär's freilich, wenn ich die Sonate unter Deiner eigenen Leitung ein-
st adiren könnte, oder wenn ich sie nur einmal von Dir vortragen hören dürfte.
Dazu scheint nun aber wenig Hoffnung zu seyn, wenn es anders wahr ist,
was litterärische und politische Zeitungen als gewiss behaupten, und was eine Stelle
Deines letzten Briefes mir wenigstens wahrscheinlich macht, dass Du nemlich einen
Ruf nach Königsberg angenommen hast. Ich sollte mich darüber freuen; denn gewiss
ist dieser Ruf sehr ehrenvoll und wird vermuthlich auch in andrer Rücksicht vor-
theilhaft seyn. || Dennoch, ich läugne es nicht, kann ich Dich nur mit Schmerz aus
Deutschland abscheiden sehen. Ich sage mir alles, was es Dir zur Pflicht macht,
diesen Ruf anzunehmen; aber ich sage mir auch, dass wir nun weiter als jemals
von einander entfernt seyn werden, und dass die Hoffnung des Wiedersehens fast
gänzlich verschwinden muss.
Das Schicksal hat mir meinen liebsten Wunsch nicht gewähren wollen, den,
in der Nähe meiner Freunde die übrigen Tage zu verleben. Manche schon sind
vor mir dahin gegangen, woher Keiner zurückkehrt, und die Uebrigen leben zerstreut
auf der Erde, und nur seltne Zeichen des Daseyns verkünden mir, dass sie noch leben.
Ich sitze hier, wie Ossian, allein, umgeben von den Erinnerungen einer schöneren
Vorzeit, und denke mit sinnender Wehmuth der Tage, die nicht mehr sind. Ach ! und
oft hallen seine Worte in meiner Seele wieder: „Wie verändert seyd ihr, meine Freunde,
seit den festlichen Tagen auf Selma, da wir buhlten um die Ehre des Gesangs, wie
Frühlingslüfte den Hügel hin wechselnd beugen das schwach lispelnde Gras!'1
Wie hätte ich vor allem mein Schicksal segnen wollen, wenn es mir vergönnt
hätte, mit Dir an Einem Orte zu leben! Es war ein schöner Augenblick, wo ich es
hoffen durfte. Vergieb, wenn ich es noch einmal bedaure, dass Du jenen Ruf nach
Heidelberg ausschlugst. Die freundlichen Ufer des weinumkränzten Neckars wären
auch Dir vielleicht heilbringender gewesen, als die rauhen Gestade der Ostsee. Ich.
denke noch immer mit Freuden an diese liebliche Gegend, und es ist mir sehr
wahrscheinlich, dass ich über kurz oder lang || wieder dahin ziehen werde. Welche
Freude, wenn ich Dich dort finden könnte! Doch das sind nun vergebliche Wünsche.
Hier will es mir nun gar nicht mehr behagen. Es war ein unglücklicher
Gedanke, an einen Ort zurückzukehren, wo ich gewiss seyn konnte, in jeder Hinsicht
nichts als Ruinen zu finden. Ich könnte mich zwar damit entschuldigen, dass ich
so ruinirt es mir doch nicht dachte; aber auch die Hälfte wäre schon zu viel. Ich
muss wieder fort, das fühle ich, wenn ich nicht mit zur Ruine werden will. Das
Schlimmste ist nur, dass meine Translocation sich jetzt nicht so leicht ausführen
lässt, als vor drei Jahren. Aber wenn ich auch noch einige Zeit hier aushalten
muss, lange wird es gewiss nicht geschehen.
Von unserm Rist habe ich vor einiger Zeit einen freundlichen Brief erhalten.
Es geht ihm wohl, und er scheint zufrieden. Ob er auf dem schlüpfrigen Wege,
den er gewählt hat, ganz der alte an Art und Kraft geblieben ist, darüber erlaube
ich mir kein Uitheil; aber es wäre fast ein Wunder.
aq Februar i8oq.
Berger hat mir sein Buch1) gesandt. Ich gestehe Dir offenherzig, däss ich
mich in einiger Verlegenheit damit befinde. Es hat mir unbeschreibliche Mühe
gemacht, mich hindurch zu arbeiten, und am Ende war mir zu Muthe wie dem
Schüler in Faust:
Mir ward von allem dem so dumm,
Als gieng mir ein Mühlrad im Kopfe herum.
Ich bin weit entfernt, mir über den Gehalt des Buchs ein Urtheil anzumaassen;
dazu werden Kenntnisse und Vorübungen erfordert, woran es mir ganz und gar ge-
bricht. Aber was die Form betrifft, so darf ich wohl sagen, dass || sie einen durch-
aus unangenehmen Eindruck auf mich gemacht hat. Das ganze Buch ist nemlich
in jener unseligen Zwittersprache, in jener poetischen Prosa geschrieben, die über-
haupt nicht zu gestatten, aber gewiss zu ernsten philosophischen Untersuchungen
am allerunschicklichsten ist. Du weisst, wie ich über die noth wendige Trennung
der Philosophie und Poesie denke; dennoch scheint mir ein poetischer Philosoph
noch weit mehr ein Unding, als ein philosophischer Dichter. Ich kann es Dir nicht
verdenken, dass Du keine Lust hast, das Buch zu recensiren; dies müsste für eiuen
Freund eine sehr peinliche Arbeit seyn. Der hiesige Professor Oken, ein junger
Mann von Kraft und Talent, hat es in den Heidelb. Jahrbüchern recensirt. Sein
Urtheil ist nicht schonend ausgefallen, doch kann man wohl schwerlich sagen, dass
es ungerecht sey. Ich erfuhr es erst von ihm, nachdem die Recension schon lange
abgeschickt war. Nach dem, was ich ihm von dem Verfasser sagte, wünschte er
selbst, sie möge nicht abgedruckt werden; aber es war zu spät. Es thut mir Leid
um unsern Freund, den diese Kritik gewiss sehr kränken wird.
Ich nehme noch nicht Abschied von Dir, lieber Herbart, denn ich weiss gewiss,
Du wirst mir noch einmal schreiben, ehe Du vom Vaterlande scheidest. Wäre es
doch möglich zu machen, dass wir uns vorher noch einmal sähen! Aber wenigstens
solltest Du uns, als ein Abschiedsgeschenk, die vier Sonaten zurücklassen, von denen
Du schreibst. Ich fordere Dich im Namen aller Musikfreunde dazu auf. In Deiner
neuen Lage wirst Du schwerlich zu Productionen dieser Art Müsse haben; um so
mehr haben wir ein Eecht, das einmal Producirte in Anspruch zu nehmen.
Dass Du Sieveking2) kennst, freut mich sehr. Ich halte sehr viel von ihm;
er ist mir von Seiten des Kopfes und Herzens gleich aohtungswerth. Grüss' ihn
herzlich, wenn Du ihn siehst, und schreibe nur bald. Dein
J. D. Gries.
238. An Carl v. Steiger.3) Göttingen 10 Febr. 1809.
Für heute mein Theurer kann ich nur in wenig Worten meinen
Dank für Deinen letzten lieben Brief, und die Nachricht übersenden, dass
die Gräfin Palmedo in wenig Wochen in Bern seyn wird, und Dich dort
zu finden wünscht. Ich werde höchstens noch 4 Wochen hier bleiben;
in der noch rauhen Jahreszeit muss ich die rauhere Gegend aufsuchen;
der Sommer wird mich lehren ob auch dort die Sonne scheint.
Der Deinige
Herbart.
*) Erich v. Berger: „Philosophische Darstellung der Harmonieen des Weltalls"
(Altona 1808).
2) Karl Sieveking, der Hamburger Staatsmann (1787 — 1847), damals Student,
seit 1812 Privatdozent zu Göttingen.
8) 1 S. 4°.
Februar, März 1809. 41
239. Griepenkerl an H.1) Hofwyl d. 25 ten Februar 1809.
Ihren langersehnten Brief habe ich mit rechter Freude gelesen. Tausend Dank
für ihn und für die Blätter von Dissen und Tiersch; sie sollen für meine braven
Knaben von alle dem Nutzen sein, den ich ihnen zu geben vermag.
Sie gehen also nach Königsberg? ich wünschte unser Institut zöge Ihnen nach!
ich kann mir in Königsberg kein rechtes, freudiges Würken denken. Fichtes Reden
haben dort den Sinn für Pädagogik aufgeregt; wie kann es mehr als Irrlicht sein?
Sie schreiben mir von diesen Reden nichts, habe ich unrecht über sie geurtheilt?
,,Das Unheil" — schreibt er — „sei außen in der Würklichkeit noch nicht ver-
schwunden, wenn man es im Gedanken vertilgt habe."
Vor einigen Monaten erhielt ein gewisser Zeller nach Königsberg einen Ruf,
den er ausschlug a) Hätte dieser Mensch nur von Ferne Ihre pädagogische Sphäre
dort berührt, sie müßte Ihnen dadurch verleidet sein.
Über Pestalozzi und seine jetzige Weise will ich Ihnen nach Königsberg einen
langen Brief schreiben; ich glaube das ganze Wesen zu durchschauen. Bei dem
Rufe und dem Zutrauen, das diese Anstalt jetzt genießt, müßte dort erstaunlich viel
zu würken sein. || Von großer Wichtigkeit ist mir jene Anstalt, denn sie hat zuerst
Empfänglichkeit für das Bessere bereitet, hat das Lehren zuerst dem Bilden unter-
geordnet. Daran läßt sich mit Leichtigkeit gar vieles knüpfen. Werden Sie mich
tadeln, wenn ich unsere Anstalt zwischen Pestalozzis Praktik und Ihre Wissen-
schaft der Pädagogik mitten hinein stelle? Ein solches Ansehn wird mein Plan ge-
winnen, mit dem ich mich vor jedes andere Auge kühn hinstelle, nur vor das Ihrige
mit einiger Furcht. — So bald die Arbeit den Druck verlassen hat, werde ich sie
Ihnen übersenden und um strenges Urtheil bitten.
Versteht H. v. Müller in Cassel seinen Würkungskreis, so kann es von großem
Segen für das Land sein. Nur furcht' ich, der Historiker ist gar zu sehr gewohnt
den Menschen zu nehmen wie er ist, um mit den Sorgen des Erziehers sich zu
verständigen.
Wären Sie nur nicht so fern von hier! Ihr theurer Brief, die Beweise Ihrer
Theilnahme an meinem Geschäft und mir, hat mir einen unruhigen Tag gemacht,
ich möchte um alles in der Welt ein Mal wieder einen || Abend bei Ihnen sein. Wie
werde ich je nach Königsberg kommen und Sie je zu uns! Das ist das unbehag-
lichste an der Menschennatur, daß sie einen Körper braucht, der sich so unerträg-
lich langsam von einem Ort zum anderen bewegt, ich stehe hier zwar unter lauter
Freunden an denen ich mit ganzer Seele hänge und die mir von Herzen gut sind,
doch wünsche ich mir die alten Freunde alle noch dazu; denn mit dem Vergessen
will es mir nicht so recht gelingen. Die alten Freunde werden mir durch die Liebe
[der neuen] nur noch theurer.
Leben Sie recht wohl; und [wenn] Sie mich künftig noch zu den Ihr[igen]
zählen, so wird das sehr glücklich [machen] Ihren
F. Griepenkerl.
240. Unterholzner an H.3) Heidelberg, den 2. März 1S09.
Hochverehrter Herr Professor!
Sie werden nicht zweifeln, daß ich an Ihrer vortheilhaften Vocation den herz-
lichsten Antheil nehme. Es ist zu vermuthen, daß Sie in Königsberg mehr philo-
1) 3 8. 4°. H. Wien.
2) Später ging er doch noch hin, hat aber kläglich Fiasko gemacht. Vgl. den
Art. „Süvern" von W. Dilthey in der Allg. D. Biogr. — Pestalozzis Urteil über ihn
stimmt mit dem Griepenkerls (s. 0. S. 10) überein.
■) 27, S. 8°. H. Wien. Adr.: Monsieur le Professeur Herbart a Goettingen.
42 März 1809.
sophischen Geist finden werden, als in Göttingen und — Heidelberg, da die schönen
Zeiten höheren wissenschaftlichen Lebens unter Kant und Fichte noch nicht aus
dem Andenken werden verschwunden sein. Daß es auch würklich so sei, haben
einige Studenten, die aus Königsberg hierher gekommen sind, versichert. Ich glaube
also allerdings Ursache zu haben, Ihnen Glück zu wünschen. Wena ich freilich
zugleich auch meinem Vaterlande und mir selbst über Ihre Vocation nach Landshut
hätte Glück wünschen können, würde» alle meine Wünsche erfüllt gewesen sein.
Diese Hoffnung ist aber jetzt so ziemlich verschwunden.
Ueber Ihren Recensenten in der Allg. L. Z. habe ich mich gewaltig geärgert.
Er glaubt, die sittliche Natur des Menschen — ein schlechthin psychologischer
Gegenstand — müßte in der praktischen Philosophie erklärt werden. Kein Wunder,
daß er Ihre practische Philosophie seicht findet, da er ihre Aufgabe gar nicht richtig
gefaßt hat. Mir scheint es, wenn man von der practischen Philosophie fordert, daß
sie die sittliche Natur erkläre, so ist es eben so viel, als wenn der positive Jurist
als solcher die practische Gültigkeit seines positiven Rechts nachweisen soll. Die
neuen Ansichten über die Idee der Billigkeit scheinen dem Recensenten gar nicht
aufgefallen zu sein. |[ Was mich betrifft, so wird Ihnen Richthofen schon gesagt
haben, daß ich nicht so ganz zufrieden bin. Noch immer bin ich nicht so glücklich
gewesen, einen Freund zu finden. Auch unter den Professoren glaube ich keinem
so ganz trauen zu dürfen. Sie sind ungemein höflich und gefällig; aber, da sie es
alle im gleichen Maaße sind, so läßt sich daraus nichts schließen. Ich sehne mich recht
zurück nach meinem Yaterlande, wo ich doch wieder einige wenige finde, von denen
ich weiß, daß sie's redlich mit mir meinen. Freilich werde ich auch verkappte
Freunde genug finden, und an offenbaren Feinden wird es vermuthlich ebenso-
wenig fehlen.
Höheres wissenschaftliches Streben ist hier noch viel weniger als in Göttingen
zu Hause, sofern man nicht das dafür ansehen will, daß vorzüglich die Mediciner
von Görres (der jedoch jetzt wieder nach Colin zurückgegangen ist) mit einem Hange
zu philosophischen Träumereien angesteckt worden sind. Mathematik und Geschichte
werden wenig betrieben. Auch die Philologie verliert jetzt viel durch den Abgang
Creuzers nach Leyden. Böckh war nach Königsberg vocirt, wird aber hier bleiben.
Eine Vocation Creuzers nach Landshut, die schon eingeleitet war, hatte sich zer-
schlagen. In Leyden hat er 4000 fl. Gehalt. ||
[Meine Abhandlungen] fangen an mich zu drängen. Einige [sind] bereits
vollendet.1) Der Hauptaufsatz: Ueber die philosophischen Grundsätze des Strafrechts
ist aber noch großenteils unvollendet. Ich hoffe, daß Sie mit der Art, wie ich
Ihre Ansicht weiter durchgeführt habe, zufrieden sein werden. Die Begriffe von
dolus und culpa sind ganz neu bestimmt; denn ich habe gefunden, daß die von
Ihnen aufgestellten Begriffe mit dem Unterschiede, den die positiven Juristen da-
durch bezeichnen wollen, nichts gemein haben.
Sodann sollen die Grundsätze über die Grade der objectiven und subjectiven
Strafbarkeit entwickelt werden. Ich hätte sehr gewünscht, mich über manches weit-
läufiger mit Ihnen unterhalten zu können.
Reisen Sie recht glücklich und vergessen Sie auch an den Ufern der
Ostsee nicht
Ihres warmen Verehrers
Unterholzner.
x) S. 0. S. 38, Anm. 1.
April 1809. 43
241. Frau Minister von Grote an H.1) Jühnde, d. 13t. April 1809.
Noch kein "Wörtchen von Ihnen, theurer Freund — ich suche Sie auf im
großen unbekannten Königsberg, und bitte, einmüthig mit alle denen Sie hier gut
sind — sagen Sie uns wie es Ihnen geht, wie Sie Ihre Reise vollendeten. Nicht
ganz ohne Sorge dachte ich manchmal an Sie, seitdem mir Wilhelm schrieb daß
bei allem Vorschub den er und seine Reisegefährten hatten, dennoch ihr Übergang
über die "Weichsel beym Frost sehr gefährlich war. — "Wie ist es Ihnen wohl dabei
ergangen? Daß Ihre neue Laufbahn, die wichtigen G-esichtspuncte die Ihnen vor-
schweben, die vielen neuen und interessanten Gegenstände, wohlthätig auf Sie wirken
werden, glaube ich gewiß und möchte dies so wohl wie die Ansicht Ihrer jezigen
Lage von Ihnen selbst erfahren. — "Wer wird treuer theilnehmen an jedes Ihrer
Schicksale als ich der Sie so viel Freundschaft und Zutrauen bewiesen? Jahre lang
theilten Sie was uns gutes und trauriges begegnete, schätzten und liebten nach Ver-
dienst denjenigen welchen ich bis zum letzten Augenblick meines irdischen Lebens
beweinen werde — schon darum müßte ich Sie vor tausend andern Menschen meiner
innigsten Freundschaft und Hochachtung werth halten, weun nicht ohnedem Ihr
ausgezeichneter Werth, und so viel was Sie uns waren Sie dazu berechtigten. —
Nie werde ich es, nie das liebe Paar es vergeßen, daß ihr Glück ohne Sie nicht
existirte.2) — Nachdem Gott mir das allerbeste [genommen] konnte er mir nichts beßeres
mehr geben als diesen sanften zartfühlenden innigen Schwiegersohn — seine Theil-
nahme bei meinem hier so aufgeregten Schmerz beschreiben keine Worte, ich freue
mich ihn die ersten Wochen unseres hiesigen Aufenthalts zu besitzen um so mehr,
da mein redlicher guter August eine nothwendige Reise nach Han. macht. Mit Sehn-
sucht erwarte ich Briefe von Wilhelm; die letzte Nachricht war aus Ihrem jezigen
Wohnort — dort werden Sie ihn zuerst wiedersehen und — ich hoffe es zu Gott
— von ihm selbst erfahren daß er ganz glückl. ist — eine andere Wendung seines
Schicksals kann — und mag ich mir nicht denken. Von Lotte bekam ich den letzten
Brief aus München, wie es weiter mit ihrer Reise unter den jezigen Zeitumständen
gehen wird, weiß ich nicht — wohl aber daß ihre ganze Lage in einigen Rück-
sichten sehr beunruhigend für eine Mutter ist — einst werde ich Ihnen meine
Überzeugung des persönl. Werthes ihres Mannes mittheilen können, — und dies
muß mich über die Hauptsache — ihre steigende moralische Ausbildung sehr be-
ruhigen, wenn auch andere Dinge bis jezt nicht so sind wie ich es wünschte,
ndeß von diesen hängt die Ruhe und Zufriedenheit ihrer Seele nicht ab, und ich
darf auf ihre wahre Geistesstärke rechnen. Carl ist seit 14 Tagen hier, liebens-
würdig und gut so sehr ichs nur wünschen kann. Sie sehen wie ich darauf rechne
daß Sie für uns alle sich intereßiren, da ich von allen Ihnen schrieb. Geben Sie
mir eben so umständliche Nachricht von sich und gedenken Sie oft Ihrer Freundin
Grote.
242. Richthofen an H.3) Göttingen, d. 30sten April 1809.
Wenn auch eine ziemliche Zeit verstrich, ohne daß ich Ihnen schrieb, mein
theurer Herbart, so darf ich dennoch hoffen, daß Sie darum an meiner Liebe nicht
zweifeln werden. So etwas Freundliches auch die Unterhaltung mit geschätzten
Freunden ist, so giebt es doch kaum etwas widrigeres als Brief schreiben, man fühlt
1) IS. 4°. H. Wien.
2) Therese von Grote hatte sich mit Herbarts Schüler, Baron von Richthofen,
verlobt. Vgl. die folgenden Briefe.
3) 4 S. 40. H. Wien.
44 April 1809.
den Verlust um so schwerer, aber um so lieber ist uns auch die Aussicht auch von
ihnen Kunde zu erhalten; möchten Sie doch nicht zu lange darauf harren lassen.
Wahrscheinlich beginnen Sie in diesen Tagen Ihre Vorlesung, haben bereits die Ver-
hältnisse und die Männer kennen gelernt, von denen wenigstens Ihr augenblick-
liches Wohlseyn, und die Erfüllung so mancher Ihrer Pläne zum Besten der Wissen-
schaft und unsrer Mitbürger abhängt, — haben die Zeit der Reise zum Durch-
denken manches interessanten Gegenstandes benutzt; 0 wie viele sind nicht der
Fragen, die ich Ihnen, theurer Freund, vorlegen möchte, und die uns manche freund-
liche Stunde ausfüllen würden, wären Sie nicht so weit von mir gerissen!
Wie erschütterte mich nicht die Nachricht als ich sie Michaelis vernahm, und
0 wie weh that mir nicht der Abschied von Ihnen! Und wie geht es Ihnen, theurer
Freund? sind Sie wirklich ruhiger, als Sie es vor wenig Monden waren? haben
veränderte Umgebungen ein freundlichen oder traurigen Einfluß auf Sie gehabt?
Herzlich sind meine Wünsche für Sie, aber trübe sind oft meine Ahndungen! Daß
ich doch bei Ihnen seyn könnte, daß es mir doch möglich wäre Ihnen stets alles
zu seyn, was Sie von mir gehofft! Mein Herz ist es in reichlichem Maaße. || Doch
auch ich will Ihnen schreiben, und da treibt es mich denn Ihnen das nochmals mit-
zutheilen, was mein Schicksal so freundlich entschieden, wiewohl Sie es bereits durch
Theresen und ihre Mutter erfuhren. Sie glauben nicht wie freundlich meine guten
Eltern das herrliche Mädchen aufgenommen haben, gleich als kennten sie sie bereits,
und weit inniger als ich es je erwarten durfte. Wenn die trüben Ereignisse der
jetzigen Zeit manche Thräne auspreßten, so haben sie auf der andern Seite das un-
läugbare Gute bewirkt, so manche stolzen Pläne herabzustimmen, und aufmerksam
zu machen auf das was wahres Glück gewährt. Schwerlich hätte ich 3 Jahre früher
auf eine so freundliche Aufnahme Theresens hoffen dürfen; jetzt war sie so, daß
ich kein Bedenken trug Mutter und Tochter die Briefe mitzutheilen, die Therese
(wie sonderbar) an dem Jahrestage des Todes des ihrigen einen neuen Vater er-
theilten. Uebrigens billigten meine Eltern meinen Plan in einem Jahre zurück-
zukehren und mich dann, falls mein Vater es nicht früher in meinem Nahmen thut,
anzukaufen, ganz, und so gehe ich denn besten Schritts dem Glücke entgegen, das
mich an meiner heißgeliebten Therese Seite erwartet. Sie fühlen selbst wie mir
Therese je mehr ich sie kenne, in einem immer liebenswürdigeren Lichte erscheinen,
wie meine Liebe zu ihr, und meine Zuversicht durch sie glücklich zu werden täglich
wachsen muß; und alles das verdanke ich Ihnen, geliebter Freund ! ich möchte auf-
springen vor Freuden, und könnte I) zugleich wahnsinnig werden vor Schmerz! —
Erst gestern war ich in Jühnde und habe dort viele Grüße an Sie erhalten. Die
Ministerin ist besorgt ob Sie ihren und Theresens Brief erhalten haben werden, da
sie nicht wußte, daß auch ein Königsberg in Brandenburg liegt, weshalb sie vielleicht
mit den Noten gemeinschaftlich irre gegangen sind. Wilhelm Grote ist gegenwärtig
in Petersburg, und sehr vergnügt, vorzüglich über einen sehr freundlichen Brief —
von Ferdinand Raden; er hat den jüngsten Sievers unterwegs getroffen, Ihren
Freund den ältesten aber in Petersburg besucht, und ihn noch sehr trübe gefunden
über den Verlust seiner Frau. Ich freue mich mit Ihnen, daß Ihre Besorgnisse um
das Leben des trefflichen Mannes zum wenigsten ungegründet scheinen.
Bei Diessen war ich am Tage nach Ihrer Abreise und hatte damahls ein sehr
interessantes Gespräch mit ihm. Von unszer gemeinschaftlichen Reise zu Johannes
Müller erwähnte er jedoch nichts, so wenig damahls als später, und Sie werden
leicht einsehen daß ich mich nicht aufdringen mochte. Auch ist er selbst, wie mir
Kohlrausch sagt, nicht in Kassel gewesen, sondern wollte Müllern seine Schrift über-
geben, als er vor einigen Tagen hier war, ich war just in Jühnde. — Alle Ihre
Juni 1809. 4<^
mir bei Ihrer Abreise gegebenen Aufträge sind besorgt. Unser Müller, mit dem ich
gemeinschaftlich bei Ihnen Pädagogik hörte, geht wahrscheinlich zu Fellenberg in
die Schweiz als Lehrer der Chemie; ein Posten, den ich ihm beneiden könnte, wäre
ich nicht an Theresen verlobt, wie lieb || muß es Ihnen nicht seyn, daß sich dort
mehrere Ihrer Schüler versammeln, und daß Ihre Pädagogik die Pestalozzische
Methode wahrscheinlich dort bald verdrängen wird. Mein Interesse für die Wissen-
schaft wächst täglich, und wills Gott und erlauben es meine Verhältnisse, so denke
ich mit der Zeit selbst noch in meinem Vaterlande ein Erziehungsinstitut zu er-
richten. Ich möchte so gern nützlich seyn, und aller Ihrer Ermahnungen ungeachtet,
kehrt mir die Ueberzeugung immer wieder zurück, daß zu höhern Forschungen
meine Kräfte nicht hinreichen würden, und Sie wissen wohl Pindarem quisquis studet
aemulari etc. Auch die Errichtung eines pädagogischen Instituts ist freilich noch
nichts als ein flüchtiger Gedanke, dessen Verwirklichung noch durch so manches
verhindert werden kann, denn auch meines Vaters Vorurtheile müssen mir heilig
seyn, da er sich so liebevoll gegen mich und Theresen bewiesen.
Fries habe ich vor einigen Tagen in Jühnde kennen gelernt; freilich schien
er mir nicht Philosoph, (er sagte manches unphilosophisches) aber ein sehr guter
und gelehrter Mann. So besitzt er eine sehr gründliche Kenntniß der Mathematik.
Eine Recension von ihm über Ihre praktische Philosophie muß in den Heidelberger
Jahrbüchern stehen; leider hatte ich sie noch nicht gesehen, vielleicht hätte ich sonst
so manches darin widerlegen können.1) Der Redakteur hat sie über ein Jahr liegen
lassen, ehe er sie einrückte; so hat Sievers doch recht gehabt. — Guttentag läßt
Sie grüßen!
Vier Seiten habe ich voll geschrieben, alles bunt durcheinander wie es mir
einfiel; (ob Sie es werden lesen können ist eine andere Frage;) aber noch nichts
von meiner zeitherigen Beschäftigung erwähnt. An Philosophie habe ich wenig ge-
dacht, um so mehr an Geschichte; es hat mir diese Abwechslung viel Freude
gemacht, aber merken Sie wohl, nur als Abwechslung und zur Erholung: doch es
ist Zeit daß ich schließe.
Leben Sie wohl und lieben Sie stets Ihren Freund Richthofen.
243. Dissen an H.2) Göttingen d. 24. Juni.
Hochzuverehrender Herr Professor!
Gewiß würd' ich schon viel früher Ihnen geschrieben haben, wenn nicht ich
gern alles das zugleich Ihnen hätte sagen wollen, was Sie wünschten. Und nun
kann ich leider doch nicht wie ich wollte. Daß Müller todt ist, wissen Sie. 8) Da
ich gleich nach Ihrer Abreise krank wurde, so war es mir unmöglich nach Cassel
zu gehen; ich schickte also alles vorläufig hinüber. Nach Ostern verlautete es,
Müller werde kommen, und das geschah auch endlich im Mai. Er war so höflich
selbst mich zu besuchen, ehe ich noch selbst bei ihm gewesen war. Leider war ich
nicht zu Hause; und mußte ihn deswegen || hernach im Wirthshause aufsuchen. Hier
war er sehr freundlich, sprach viel von Ihnen, und seinen sonstigen guten Plänen.
Als aber ich ihn bat um die Beantwortung jener Fragen, so entschuldigte er sich
mit den Zerstreuungen in Göttingen, und bat mich in Cassel ihn bald zu besuchen.
Das hat nun nicht geschehen können, weil er gestorben ist. Mitscherlich hat ein
schlechtes Gedicht auf seinen Tod gemacht; Heyne in der Academie der Wissen-
1) S. 0. S. 8.
2) 4 S. 8°. H. Wien. — Ohne Jahr.
3) Joh. von Müller starb am 29. Mai 1809 in Kassel. Über sein Verhältnis
zu Herbart s. 0. Nr. 236.
46 Juni, August, September 1809.
Schäften eine kräftige Rede vorgelesen. Leider scheint man ihn, in Cassel wenigstens,
schon vergessen zu haben. Seine Sachen bleiben dem Jüngern Bruder in der Schweitz.
Heeren und Heyne waren untröstlich. — Doch warum fang ich meinen Brief gleich
mit Klagen au — also von etwas anderem. Seit Ostern lese ich nun die Einleitung.
Ich habe 18 Zuhörer; aber alle kommen so ämsig, und sind so zufrieden, daß ich
nicht nur gebeten bin, von Ihren andern Collegiis einige zu lesen, im nächsten
Winter, sondern || daß auch schon zu diesem Collegio viele im Voraus sich gemeldet
haben, wenn ich es im Winter wieder lesen wollte. Vor der Hand werd' ich mich
wohl an die practische Philosophie wagen. Mit Buterwecks philosophischen Collegien
ist man so unzufrieden, daß es scheint, ich werde darin ihm wohl bald den Rang
ablaufen. Er ist auch etwas unwillig auf mich, welches sich auch neulich äußerte,
als man mir ein Vivat brachte und ihm nicht. Außerdem les' ich noch Pindar,
auch mit Beifall. Ich hätte also in der Hinsicht Ursache zufrieden zu sein; aber
ich muß nur zuviel Privatstunden geben, und kann nicht viel für mich arbeiten.
So ist es doch immer etwas ziemlich Hoffnungsloses mit meiner Lage, da Müller
todt ist; denn dieser hatte schon als er hier war mir von selbst versprochen, mich
nächstens anzustellen. Diesen Sommer hab' ich 6 Privatstunden und 2 Collegia
täglich, und halte es doch aus. — Sie stehn hier allgemein in großer || Achtung, und
viele betrauern Ihren Verlust. Unter den letzten werden Sie mich gewiß oben an-
stellen; wie oft hätt' ich Sie fragen mögen um dies und jenes, wie gern bisweilen
von mir etwas gezeigt! Zu denen welche Ihren Abgang von hier sehr bedauern,
gehört auch ein Herr Berg, ein Däne, oder Holsteiner, der Sie, wie er sagt, gut
kennt. Er hat großen Ärger daran genommen, daß ich der Bewegung Wiedersprüche
aufgebürdet, die er für das göttlichste hält, und wiil sich deshalb noch einmanl
ernstlich mit mir verständigen. Auch Heeren hat sich oft nach Ihnen erkundigt;
ch mußte dann immer beschämt bekennen, daß ich noch nicht wiße, wie Sie da
zufrieden sind, wie Sie da leben. Doch auch bin ich wieder stolz darauf, daß man
sich oft an mich wendet, wenn von Ihnen geredet wird, und vor allem daß ich
für den Depositeur Ihrer Weisheit hier gelte. Nach Ihrer Abreise erhielt ich einige
Briefe, welche hierbei folgen, durch Herrn Petz, den ich Ihnen gehorsamst emp-
fehle. Mit steter Hochachtung der Ihrige
Dissen.
Ihre Bücher werden eben verkauft.
(Am Rande der 2. Seite): Mit der kleinen Schrift war Müller sehr zufrieden.
(Am Rande der 4. Seite): Einer der Briefe folgt hierbei; der zweite, ein
größeres Packet, nächstens durch andere Gelegenheit. — Hers Kästchen ist nicht an-
gekommen.
Juni: Entwurf zur Anlage eines pädagogischen Seminars. XIV. S. 24 — 29.
20. Aug. stirbt Herbarts Vater, Justiz- und Regierungsrat Thomas Gerhard Herbart,
Mitglied der Regierungs-Canzlei. l)
244. Carl v. Steiger an H.2) Riggisberg d. 14t. 7ber 1809.
Mich scheint, theuerster Herbart, leider ein ähnliches Loos treffen zu wollen,
wie Zehender und andere mehr Deiner Freunde, die Du, wenn auch nicht zu ver-
gessen, doch etwas zu vernachlässigen scheinst. Mein sehnlicher Wunsch, von Deiner
jetzigen Lage und Deinen neuen Verhältnissen etwas zu erfahren ist noch bis heute
1) S. Oldenburgische Blätter, 1842. N. 41.
2) 3 S. kl. 4°. H. Wien.
Oktober 1809. aj
unerfüllt geblieben — und doch sind Monate verstrichen, wie viele — mag ich gar
Dicht mehr zählen. Wie sehr mich das schmerzt kann ich Dir nicht genug sagen!
— Können Deine Gesinnungen gegen mich sich so plötzlich oder vielmehr so all-
mälig diese Zeit über verändert haben? Sollte die größere Entfernung oder gar der
kalte Norden daran Schuld haben? — Doch nein, alles dieses und noch viel anderes
unangenehmes kann und will ich nicht glauben, sondern bis auf weiteres vielmehr
hoffen : Du gefallest Dir in Deinem Königsberg so sehr und befindest Dich so wohl,
daß Du darüber auf einige Zeit Deinen Carl vergessen hast. — Was mich betrifft
mein Beßter, so sey nicht ähnliches || zu erfahren erwarten, wie ich meinerseits von
Dir. Meine Verhältniße sind noch immer dieselben und werden wahrscheinlich noch
eine Zeit lang dieselben bleiben; denn unter den jetzigen Umständen mag ich noch
immer nicht an eine Anstellung denken. Indeßen ist aber doch auf der andern
Seite nicht minder wahr, daß ein gewißer Trieb nach Thätigkeit und äußerem Handeln
sich zuweilen in mir regt, dem das eigne Studium nicht mehr ganz genügt, sondern
der vielmehr hervortreten und außer jenem auch etwas Äußeres zu seinem Gegen-
stand haben möchte um sich selbst zu eigen gemachte Ideen darauf angewandt und
realisirt zu sehn. Wäre dieser Gegenstand zuletzt auch von geringem Umfang, daß
er nur ein beschränktes Handeln zuließe — es wäre fürs erste genug um den Geist
wach zu erhalten und zu verhindern daß er nicht allmählig erschlaffe und versinke
in ein interesseloses Wesen und gäntzliche Gleichgültigkeit über alles was außer ihm
und um ihn sonst vorgeht. Aus diesen und andern Gründen habe ich mich ent-
schloßen, mich || mit etwas zu beschäftigen, was mir hier am nächsten lag und sich
außerdem am besten mit meinem übrigen Treiben verträgt, nemlich mit der Land-
wirtschaft, die auch von Jugend auf immer viel Anziehendes für mich hatte. Zu
dem Ende hat mir mein Vater seine hiesigen Güter zur freyen Disposition über-
geben, wo ich nun nach Gefallen schalten und walten kann — ein kleiner Spielraum
zwar, jedoch groß genug wie ich ihn unter der jetzigen Lage der Dinge wünschte.
Vor einigen Monaten hatte ich Hoffnung zu einem ungleich größeren und inter-
essantem von ganz anderer Art, die nun fürs erste verschwunden aber doch nicht
ganz dahin ist! — Von meinen Brüdern sind wir ohne directe Nachrichten seit langer
Zeit schon und wissen daher in diesem Augenblick nicht, wo sie sich befinden.
Ludwig, der immer zurückkommen soll und nie kommt hat von der Wintercampagne
in Spanien sehr viel gelitten. —
Von Rahden und dem älteren Grote wünschte ich gerne bald zu erfahren.
Die Meinigen grüßen Dich vielmals, auch Zehender der Dir im Frühjahr noch nach
Göttingen geschrieben hat. Er wartet wie ich sehnlichst auf Nachrichten von Dir.
Auf immer der Deinige Steiger.
245. Dissen an H.1) Göttingen in der Mitte des Octobers.
Hochzuverehrender Herr Professor!
Da ich meine Briefe gewöhnlich durch Gelegenheit Ihnen überschicke, so
könnten Sie leicht auf die Vermuthung kommen, daß alles Schreiben nur gewesen
sei, um solcher Gelegenheiten willen. Indeßen ist dies gewiß nicht Ursache, wenn
schon es einigemahl Veranlaßung war; jetzt aber hätt' ich Ihnen doch geschrieben,
wenn auch Herr v. Blankenburg und Hr. Thun nicht abgegangen wären. Beide
denken bei Ihnen Weisheit zu hören, und verlaßen die Universität auch wegen
anderer Unfälle. Es ist nämlich diesen Sommer Streit gewesen mit der gens d'armerie
und den Studenten, wo offenbar die Studenten Recht hatten. Daher auch alle Be-
x) 8 S. 8°.
48 October 1809.
hörden sich für diese verwendeten, selbst der General. Aber die Genugthuung
von Cassel schien ihnen nicht hinreichend, zumahl vielen durch einzelne Unruh-
stifter aufgewigelten, und so || haben die Meisten sich durch Unterschrift verpflichtet
wegzugehn. Man vermuthet daher diesen Winter nicht viel. Auch für mich ist
dies ein Schlag; denn ich komme nicht recht in den Zug. Wahrscheinlich hätt' ich
sonst ein sehr starkes Auditorium diesen Winter gehabt; denn viele hatten sich
bereits gemeldet, und auch öffentlich hatte man mir mehreremahl Beweise des
Beifalls gegeben. Indessen hab' ich mich doch vorbereitet auf die practische Philo-
sophie. Die Einleitung derselben, welche mir jetzt ganz klar ist, werd' ich recht
ausführlich abhandeln, und mit Beispielen deutlich machen aus andern Systemen,
wie überhaupt durch Vergleichung fremder Systeme vieles noch würde deutlicher
den Anfängern werden müssen. So denk' ich von dem alten Naturrecht an seinem
Orte eine Idee zu geben, wenn von dem Recht die Rede ist. Ich habe auch Schleier-
macher gelesen ; anfangs schien er mir schwer, aber jetzt ist mir das meiste ver-
ständlich; es ist wunderbar, daß er nicht gemerkt hat, daß auch die Dreigestalt der
ethischen Ideen, wenn sie nämlich nach Gütern, nach Tugenden und Pflichten ab-
gehandelt wurde, nichts gesundes ergeben müßte. || Doch ist mir sehr vieles inter-
essant gewesen, und ich habe viel daraus gelernt, auch zur Kenntniß des Systems,
abgesehen von der Beurtheilung. — Viel hab' ich mich umher geworfen mit dem
was von der Tugend im zweiten Buche Sie sagen. Real im strengsten Sinn kann
freilich die Tugend nie seyn, weder als Verhältniß, noch, wie man sie sonst oft
dachte, als eine Kraft; aber auch das bloße Eintreten des ganzen Verhältnißes kann
Ihnen nicht für Tugend gelten, wenn es vorübergehend, und also mehr zufällig
wäre. Vielmehr die sittlichen Vorstellungen müßten eine solche Kraft durch viel-
fache Verstärkung im Gemüth erlangt haben, daß dadurch die Sicherhett der Tugend
und die Dauer des Verhältnisses begründet wird. Also die Kraft nicht der Seele,
sondern der Ideen und die Übung ihnen zu folgen muß machen, daß das Vernunft-
wesen in jedem Augenblicke, bei jeder Veranlaßung darstelle das Verhältnis der
innern Freiheit. — Ein Anstoß ist mir in der Idee der Vollkommenheit, die
unaufhörliche Collision, da man nach erlangter innerer Vollkommenheit sie wieder
aufgeben würde nach Vergleichung mit vollendeteren Vernunftwesen; denn um die
Strebungen gleich zu bilden stärkeren Strebungen anderer, muß man die eigene
Vollkommenheit, wenn sie erlangt war, nothwendig aufopfern, || da ja unmöglich alle
in einer Zeit verhältnismäßig fortgebildet werden können. Man will also die Idee
in einer Rücksicht realisiren, indem man in anderer geflissentlich sie aufopfert;
wie wenn man um hier Recht zu thun, es dort überträte. Noch denk' ich Sie zu
fragen um einige Kleinigkeiten in der Metaphysik, zumahl auch, da diesen Winter
wieder einige privatissima sie hören wollen. Was heißt das p. 62 oben in der
Lehre von der Bewegung: Wäre die Unterscheidung des ersten, zweiten dritten
untersagt, so würde Ruhe gedacht in einer irrationalen Distanz von einem Andern.
Was heißt es p. 66: Es sitzt gleichsam jede Störung den einander störenden Wesen
unmittelbar auf. Überhaupt ist mir hier noch einiges nicht ganz klar. Endlich noch
vom Ich p. 11. Das Ich wird durch den Schein zum Dinye, inwiefern in der letzten
Setzung, wenn sie erreicht würde, es sich setzen würde nicht als sich, sondern als
vorstellend, tragend den Schein, und also in der letzten Setzung nicht wäre Object
und Subject vereinigt. Nicht so? Die Auflöung des Ich wird angeknüpft an das
was p. 75 steht; Woraus folgt, daß Subject und Object nicht gleich erscheinen im
Ich, wie doch der Begriff des Ich aussagt. Das Erste pag. 75 versteh' ich so: Man
kann das Eine nicht nachweisen, worin die Setzungen verbunden wären; || denn das
Eine, nämlich der Verbindungspunct, das wahre Ichsubject wird nicht identisch mit
October 1809. 49
der jedesmaligen Setzung, d. h. dem Objecte, inwiefern der höchste Act des Setzens
nicht selbst mit gesetzt ist, indem er setzt, und also das Subject stets mehr enthält
als das Object. Möchten Sie sich doch hierüber noch einmahl erklären, und auch
über die gleich nachfolgende Parenthese. Vielleicht würden Sie mir auch noch
etwas hinzufügen über die Aufhebung des Objects im Ich. Endlich pag. 39 *) In-
wiefern würde zu einer Tendenz, Kraft zu werden, gehören eine in sich zurück
gehende Thätigkeit? Weil wenn es die Tendenz hätte sich selbst zur Kraft zu
machen, allerdings es das Thuende wäre und das Gethane, also eine Seins-Thätigkeit.
Nicht so? — [Vgl. Bd. II, S. 202, 204, 207, 194 f. und diesen Band S. 55 f.]
Sonst unterschieden Sie hier mehrere Fälle. Ich glaube leicht, daß Sie viel-
leicht mehrere mahl lächeln werden, indem Sie dieses alles lesen ; allein das will ich
gern ertragen, wenn Sie nur Ihre Belehrung nicht mir versagen wollen. Je sicherer
ich bin in allen diesen Dingen, desto eher werd' ichs anwenden. Wenn Sie dem-
nach nicht zu viel Geschäfte haben, so erfreuen Sie mich recht bald mit einem
Briefe; ich harre mit Sehnsucht. — Heeren grüßt herzlich sammt seiner Frau; aber
•er läßt Sie dringend erinnern || an das Versprechen, auch ihm zu schreiben; er war
fast ein wenig ungehalten, daß Sie mir geschrieben und nicht auch ihm. — Herrn
Böckh hab' ich jetzt kennen gelernt. Er ist seit 14 Tagen hier, und hat vor einigen
Tagen Hochzeit gefeiert. Er ist in seinem Wesen keineswegs der Entschlossene
Mann, wie er im Schreiben erscheint; vielmehr sein Äußeres verspricht wenig. Er
erkundigt sich nach Ihnen mit großer Behutsamkeit, und scheint das tiefeingehende
Gespräch darüber zu vermeiden; wie wohl er anfangs sagte, er habe noch viel mit
mir zu sprechen. — Da ich wahrscheinlich diesen Winter wenig lese, so will ich
desto fleißiger studiren, erst die alten, dann die neueren Philosophen; denn eher
kann man gegen diese Leute nicht auftreten. Aber dann hoff ich auch meinen
Mann zu stellen. Bis dahin will ich mich philosophisch ruhig halten, und nur einiges
philologische bekannt machen, wie z. B. meine Ideen über Grammatik, woran ich
doch später nicht kommen würde, dann Homerisches und dgl. — Aussichten sind
für mich bis jetzt wenig; freylich kennt man mich auch || nicht. Aber es werden
nun bald einige Universitäten eingehen, und die übrigen sind besetzt. Auf allen
Fall kann ich dann immer noch Schulmann werden. Wenn ich nur nicht so viel
Stunden zu geben brauchte, dann würde ich Zeit haben zu mehrern Arbeiten. Aber
alles zusammen geht nicht. — Herrn Leist kenn' ich nicht. Sie wißen daß Heyne
sich genöthigt gesehen seinen Posten fast ganz niederzulegen. Leist verlangte, er
solle die Programme u. dgl. academische Schriften censiren lassen; als Vorstellungen
nichts halfen, nahm er seine Dimission. Letzthin erhielt er einen Beweis aus-
gezeichneter Achtung. Es war sein achzigster Geburtstag. Um zehn Uhr des
Morgens wartet der Praefect auf und der Generalsecretair ; dann der Bürgermeister
mit seinem Bureau; darauf die Deputirten der drei Facultäten; um 11 Uhr die
philosophische Facultät in corpore, und überreicht ein Gedicht; des Nachmittags
schickt man Gedichte, Blumen, Kränze (wie z. B. die beiden Töchter v. Eychsen (?)
mit einem dreifachen Kranz ihn bekränzt haben) am Abend bringt die Bürgerschaft
ein Vivat, nachdem auch die Studenten dasselbe gethan. Der alte Mann war sehr
froh. — Übrigens ist hier alles beim Alten. In Ihrem Hause || wohnt jetzt der Praefect;
vor einiger Zeit war ein großer Chor, es erregte eigene Empfindungen in mir, wenn
ich das Geräusch des Gewühls verglich mit der philosophischen Stille. Von Tölken
weiß ich, daß er noch 2 Jahre in Italien bleiben, dann in Göttingen lesen will. Er
selbst hat nicht geschrieben, aber ein vor kurzem daher kommender hat ihn gekannt.
*) Dissen zitiert nach der 2. Ausg. der Hauptp. d. Metaph. (1808j.
Herbarts Werke. XVII. 4
cq November 1809.
— Doch ich sehe, daß der Brief schon zu groß geworden, also — verbum non
amplius addam. Ihr ergebener Schüler Dissen.
246. Therese v. Grote an H.1) Göttingen d. 3 Nov. 1809.
Längst hätte ich II inen, bester Herr Professor gern für die große innige Freude
gedankt, die ich empfand, als mir Mutter die freundlichen Zeilen von Ihrer Hand
brachte; nur die Furcht unbescheiden in Ihren Augen zu erscheinen, hieß mich
lange schweigen. Jedes Ihrer Worte war mir ein Beweis Ihres mir so theuren An-
denkens, und dies mir zu erhalten, möchte ich Sie gern recht oft au Ihre entfernten
Freunde erinnern. Umgeben von so vielen neuen Gegenständen Ihrer Beschäftigung
und von so manchen interessanten Menschen, könnte die Erinnerung an ein Mädchen,
das Ihnen so viel verdankt, und ja auf ihr "Wohlwollen weiter keine Ansprüche zu
machen hat, als die sie durch ihre Bitte und ihre Anhänglichkeit erlangt, leicht ver-
schwinden, 0 lassen Sie [| diese Furcht nie in Erfüllung gehen. Von dem ver-
flossenen schönen Sommer möchte ich Ihnen gern viel sagen, aber ich überlasse Ihrem
Herzen zu beurtheilen, wie glücklich wir waren, da wir jede kleine und große
Freude doppelt genossen und selbst die wehmüthigen Augenblicke mir durch meines
Richthofens Mitgefühl lieb wurden. Wie froh ich bin den heißen Wunsch Richt-
hof en immer wohler und heiterer zu wissen, ganz erfüllt zu sehen, können Sie,
lieber Herr Professor, wohl denken; der finstern und trüben Augenblicke sind für
ihn immer weniger, aber glauben Sie deshalb nicht, daß er den schönen Zweck,
den Sie ihm zuerst zeigten, aus den Augen verlöhre; wenn er es könnte, so würde
ich ihn erinnern an den heiligen Eifer, den Sie ihm einflößten; aber mit allen
schönen Aussichten der Zukunft verknüpft er immer die Erfüllung aller Pläne, die
er mit || Ihnen entwarf. — Mein Vertrauen, meine Liebe zu ihm werden mit jedem
Tage inniger und fester, und auch der Wunsch immer größer ihm in jeder Hinsicht
ganz genügen zu können. Mancher schöne Tag wurde diesen Sommer durch mein
vieles Krankseyn getrübt; ich finde es sehr leicht, die Schmerzen einer Krankheit
geduldig zu ertragen, aber sehr schwer, so oft denen die man auf Erden am innigsten
liebt, Kummer und Sorgen machen zu müssen. Nur die letzte schöne Herbstzeit
habe ich ganz ungestöhrt genossen, meilenweit ist mein Richthofen mit mir in der
herrlichen Gegend umher gewandert, aber nach jeder kleinen Ausflucht so froh, in
die Arme meiner süßen Mutter und Grosmutter zurückzukehren, war ein Glück
was leider nicht immer so seyn wird. — Ungern verließen wir Jühnde, und stiegen
von unseren sonnigen Höhen in dies neblichte Thal herab, selbst unser Unterricht
kann mich noch nicht wieder ganz mit diesem [| Auffenthalt aussöhnen, doch bin ich
recht fleißig bei Herrn Forkel 2) und versäume über den Bach auch den Clementi nicht.
Könnten Sie nur einen Abend wieder mit uns seyn, wie viel möchte ich Ihnen er-
zählen und auch eine chromatische Phantasie von Seb. Bach würde ich Ihnen vor-
spielen, die gewiß Ihren Beifall erhielte. — Wenn unsre Bitten Sie einst vermögen
könnten eine Reise nach Schlesien zu unternehmen, dann würden alle die freund-
lichen Bilder meiner Einbildungskraft in Wirklichkeit übergehen, und Sie ahnen gewiß,
mit welcher Dankbarkeit und anhänglicher Freude wir Sie unter uns sehen würden.
Richthofen liest mit mir bei Beneke einen Theil des Schakespeare, der schon
diesen Sommer uns oft beschäftigte; auch hören wir bei Fiorelli sehr interessante
Vorlesungen über die Kunst und fingen gestern einen Unterricht in der spanischen
Sprache an der uns manchen dichterischen Genuß || gewähren wird. Das sind meine
') 6 S. 8°- H. Wien.
2) Vgl. Fr. Kohlrauschs Erinnerungen (1863), S. 108.
November 1809. cj
hinzugekommenen Beschäftigungen, und ich rechnete auf Ihre Güte, wenn ich der
lieben Gewohnheit Ihnen alles was mich interessiert, mitzutheilen, ganz folgte.
Meine süße Mutter ist im Ganzen weit heiterer als im vorigen Jahre, aber
selbst das Glück ihrer Kinder vermag ihre düstern schwarzen Ansichten des Lebens
nicht zu ändern, und es thut uns so unaussprechlich weh, wenn sie, die zu unserm
Glücke so nothwendig ist, sich so oft von uns hinwegsehnt; für sie sind freilich die
schönsten Blumen im Kranze des Lebens verwelkt ! Sie blickt ihm immer mit Thränen
nach, dessen Andenken unaufhörlich in unserm Herzen wohnt, und uns Kinder seiner
würdig, zum Wiedersehen heiligen mag.
Von unserm "Wilhelm bekommen wir selten Briefe, und verzeihen ihm gern;
das schöne Wiedersehen im Frühling, wenn er uns seine herrliche Julie || bringt,
muß uns für Alles entschädigen. Den herzlichsten Empfehlungen von Mutter und
Grosmutter füge ich die Bitte hinzu um die Fortdauer Ihres Wohlwollenden An-
denkens für Therese.
247. Richthofen an H.1) Göttingen, d. 5ten Nov. 1809.
Ich habe Ihnen lange nicht geschrieben, mein inniggeliebter Lehrer und Freund,
aber glauben Sie darum nicht, daß minder heiß sey in meiner Brust die Liebe zu
Ihnen und meine Begier immer weiter fortzuschreiten in dem Suchen des Wissens.
Wie wäre es mir doch möglich den zu vergessen, dem ich so alles verdanke, der
meinem Leben, meinem ganzen Treiben und Thun erst ein Ziel, und eine feste
Stütze gab; ewig wird Ihnen mein Dank dafür glühen.
Gern hätte ich schon längst einen Brief an Sie abgesandt, aber ich scheue
mich vor Sie zu treten, noch immer ohne Ihnen etwas von mir selbst biethen, oder
doch zum wenigsten von meinen eignen Fortschreiten in der Philosophie schreiben
zu können; endlich zog ich es vor Ihnen zum mindesten einige Worte der Liebe
zu sagen. Nicht von der Wissenschaft, sondern von mir selbst soll mein heutiger
Brief handeln, vielleicht aber kommt auch für mich dereinst die Zeit, wo auch ich
mich meines Wirkens rühmen kann.
Gewiß ich bin nicht ein Abtrünniger von der göttlichsten aller Wissenschaften,
die allem andern erst Werth giebt, und Ihrer Lehren, aber indem ich sie hoch über
alle andern erhebe, erkenne ich auch die Kraft, die sie verlangt, fühle ich auch daß
Sie, mein trefflicher Herbart, mich oft zu liebevoll beurtheilten. Aber es giebt
niedere Kreise in der Philosophie, und vermag ich es auch nicht mich in den höhern
je frei zu bewegen mit selbstständiger Kraft, so hoffe ich doch in jenen Nutzen zu
stiften, und will ihnen gern mein Leben weihn. Schelten Sie mich nicht des Klein-
muths, theurer Freund, ich rede aus tiefer Ueberzeugung, und ist es nicht auch so
schön als Erzieher zu wirken? ist nicht meine dereinstige Lage vor allen andern
dazu geschickt? und es hängt ja so vieles in der Welt von äußern Umständen ab.
Immer mehr entscheide ich mich für Pädagogik, und unerschütterlich fest steht
mein Entschluß, sind die Umgebungen mir nicht gar zu feindlich, für sie kein Opfer
zu scheuen. Freilich wird, ehe ich dereinst als prakt. Erzieher aufzutreten wagen
darf, noch manches Jahr vorübergehen ; aber es ist ein so heiliges Geschäft, daß
ich unmöglich, ehe ich meine Kraft dazu gereift und ausgebildet fühle, die Be-
stimmung des Glücks und alles dessen wodurch wir uns und andern ehrwürdig
werden, so vieler jungen Leute auf mich nehmen kann. Auch Sie klagten sonst,
oft wie wenig man durch Schriften wirken könne in unserm so papier- und ge-
schreireichen Deutschland, und Ihre Stimme tönt von einem Lehrstuhl herab, auf
*) 2 S. 4°. H. Wien.
4*
C2 November 1809.
den die Augen aller gerichtet sind, die meine würde man kaum unter dem gräu-
lichen Toben und Lärmen unheiliger Jünger der göttlichen Philosophie vernehmen
können; schon deshalb ist es gut, daß ich Erziehung zu meinem Gegenstande
wähle, wären auch meine Kräfte größer als sie sind. Nur in demjenigen Theile der
Philosophie der sich auf den Staat bezieht, mag ich außerdem nicht das Selbst-
arbeiten aufgeben, und so sehen Sie denn vor sich die Kreise, in denen ich das
Wort erfüllen will, das ich einst auf einem Spaziergang Ihnen gab, ein eifriger
Jünger Ihrer Wissenschaft zu seyn. || Freilich bin ich seither eben nicht näher ge-
kommen meinem Ziele, aber eben durch meine Liebe muß ich ihm näher kommen.
Therese hebt mich gewaltsam empor, auch lerne ich sie inniger verehren, und in
mir fühle ich eine so himmlische Ruhe, daß ich sie Ihnen nur mittheilen zu können
wünschte.
Ihr Brief, den ich durch Wilhelm Grote erhielt, hat mich herzlich gefreut,
lange hatte ich auf ihn mit Sehnsucht geharrt. Hoffentlich hat sich jetzt manches
noch mehr seiner Vollendung genaht, vorzüglich Ihre Psychologie. Es war mir
lieb später zu hören, daß Sie Ihren Wunsch in Hinsicht eines pädagog. Seminars er-
reicht. Leider konnte Papa nicht zu Ihnen kommen, wiewohl in meinen Augen
völlig entschuldigt. Man muß kennen das harte Drängen der Außenwelt um manches
gelinder zu beurtheilen, und es thut mir weh, daß ich es eben bei Papa oft zu
wenig that; zum mindesten ist sein Eifer herrlich und lobenswerth. — Auch Dissen
gefällt mir jetzt ausnehmend, durch griechische Stunden, die er mir giebt, komme
ich ihm etwas näher. Sein Kollegium über prakt. Philosophie hat er zu Stande
gebracht. — An Kohlrausch hat Niemeyer in Halle eine Aufforderung wegen des Buchs
über das alte Testament ergehen lassen, um es fürs Waisenhaus zu gebrauchen.
Auch wünschte er einen Schüler von Ihnen dorthin als Lehrer zu bekommen. —
Unterholzners Abhandlungen sind wahrscheinlich bereits gedruckt; ich bin sehr be-
gierig zu sehen, ob wir uns auch nicht in ihm täuschten. Aber könnte ich doch
auch von Ihnen bald wieder etwas erblicken, es sey geschrieben oder gedruckt, auf
gleiche Weise wirds mein Herz erfreuen, weil ich Sie eben so innig als Freund
liebe, als als Denker achte. 0 daß doch recht bald in Erfüllung ginge mein sehnlicher
Wunsch, daß Sie recht wirken mögen auf Deutschland sowohl als insbesondere auf
mein Vaterland, und auch sich selbst so glücklich fühlen, wie Sie es vor allen andern
verdienen. Hiemit und mit der Bitte um die Fortdauer Ihrer Liebe schließt sich
mein Brief. Ihr Freund A. Fhr. v. Richthof en.
248. Griepenkerl an H.1) Hofwyl d. 16ten 9ber 1809.
ich bitte um Verzeihung, Herr Professor, daß ich Ihren ersten und letzten
Brief aus Göttingen so lange unbeantwortet gelassen habe.
Zuerst schmerzte mich Ihr Abgang von Göttingen, ich gönnte dem Orte Ihre
Gegenwart und mir die Hoffnung, Sie einst dort wieder zu sehen.
Doch wenn Sie Selbst jetzt dort in Preußen in dem pädagogischen Getriebe
der Werkmeister sind, so will ich nichts gewünscht haben, weder für Göttingen
noch für mich. Doch das sind Sie wahrscheinlich nicht, sonst müßte alles anders
gehen. Mich ekelt das Werk aus der Ferne an. Zeller ! Und nun gar die
hier hergesandten Männer, um bei Pestalozzi zu lernen. —
Würden Sie diese Menschen kennen wie ich, Sie prophezeihten dem Werke
das Ende noch vor dem Anfang. Können Sie nicht eingreifen? Ist es nicht möglich,
den schönen Willen eines Königes mit gediegener Kraft, mit Ernst und Weisheit
*) 4 S. 40. H. Wien.
November 1809. 53
zu bewaffnen? Zeller1) ist ein armer Gaukler, wie Shakespeare sagt, der seine Zeit
sich auf der Bühne abarbeitet und dann nicht mehr gesehn wird. Um die Männer,
die bei Pestalozzi lernen sollen, ist nun gar ein elend Wesen. Sie kennen das halb-
studirte Volk, dem der Kopf durch collegium logicum erst noch recht verschroben
ist — ohne Kraft und That, ohne Erhebung weder des Herzens noch des Geistes.
Ein solche soll dem künftigen Geschlechte der Preußen sein, was Fichte sagte. Es
ist die ärgste Satire auf Fichtes Reden, die ein Witzling hätte auffinden können. Zehn
Jahre später und ich drängte mich hinein — jetzt muß ich meiner Sache leben. ||
— Wie es um Pestalozzis Weise steht? 0 warum hat der Mann nicht gelernt,
methodisch zu denken? Es fehlt wenig, so wird die ganze Sache ein Raub eigen-
williger, einseitiger Gehülfen. Wären sie dort nur mit sich selbst im Klaren — ;
aber dahin wirds nicht kommen, es kann nicht, so lange sie sich freuen, daß ihr
Gedanke an alle philosophischen Systeme geknüpft werden kann. Niederer hat ein
Herz wie wenige Menschen; aber eben dieses Herz und eine zügellos irrende
Phantasie zerreißt sein Denken und macht es blos zur interessanten Schwärmerei.
Schmid hat philosophischen Geist; aber eine ungeheuere Einseitigkeit. Was dieser
ist können Sie aus seinen Werken lesen: Formenlehre von Schmid, Zeichnenlehre von
Schmid. ich muß sein Werk tadeln, indeß ich vor dem selbstständigen Kopfe alle
Achtung habe. Regierung, Zucht, Charakterbildung und das ganze weite Reich der
Theilnahme ist, was Sie in Iferten nicht suchen dürfen. Die Theilnahme der Er-
zieher selbst ist ungeheuer beschränkt; sie selbst, bedürfte der Zucht und der Regierung.
Rechnen und jene Formenlehre ist es fast allein, womit die armen Kinder aus-
gerüstet werden. Arbeitete ich dort, ich würde mir vor Herzensangst um die armen
Kinder nicht zu helfen wissen. Die Musik wird jetzt von Nägeli nach Pestalozzis
Grundsätzen bearbeitet, und daraus wird nichts, das getraue ich mir zu beweisen,
will es auch mit meiner eigenen Arbeit belegen. Schelling ist dabei im Spiele und
allerlei wunderbares Wesen ohne Klarheit und Bestimmtheit, ohne Ernst — nur
Schaum und Schein. ||
Was könnte nicht von Iferten ausgehen? Aber bei der glänzendsten Auf-
forderung von Außen stehen sie sich selbst im Wege. Und was dem Inneren
am meisten schadet ist ein übel verstandener Idealismus. Die produktive Phantasie
spukt dort allenthalben in tausend Widersprüchen von der gemeinsten Art. Diese
aufzulösen bedarf es der Methode der Beziehungen nicht.
Bei dem Allen aber verdient das ganze Getriebe dort Achtung und Aufmerksam-
keit. Wäre es auch nur darum, jene Hülsen, die jetzt im Preise stehen, mit Kern
auszufüllen. Das könnten Sie in Preußen; 0 thun Sie es!
Über unsere pädagogische Werkstatt in Hofwyl fälle ich kein Urtheil; aber
das gestehe ich Ihnen : mein ganzes Herz hängt an ihr. Es leben vor mir die Erfolge
von unserem Fleiße, von unserer Sorgfalt. Sie müßten kommen und es sehen. Unter
15 Knaben vier, wie ich keine sah. Zu Leibnitzen sind sie organisirt — und viel-
leicht nur einer von den übrigen mislingt; ich habe aber auch Mitarbeiter, die
brav sind. — Und alle diese Freuden danke ich Ihnen. — Auch wir kommen vielleicht
einst an die Reihe in der pädagogischen Welt, wenn unsere stille Werkstatt einst
sich öffnet und dann wollen wir gerüstet sein. Bedürfen Sie dann unserer zur
That, so führen Sie uns an, doch keinem anderen folge ich als Ihnen und mir selbst.
Was mag es wohl auf sich haben, daß neulich der Preußische Gesandte in
Bern sich im Namen seiner Regierung nach unserer pädagogischen Weise erkundigte?
Der Mann ist seicht, und ich habe fast im Sinne, ihn auf Sie zu verweisen. Wir
x) Über K. A. Zeller (1774—1844) s. 0. S. 41, Anm. 2 und Hunziker, Gesch.
d. Schweizer Volksschule (1881), II, S. 228 ff.
ca November 1809.
können in Preußen nicht helfen, wir haben hier zu thun — und der bloßen Neugier
habe ich keine Zeit zu verschwenden. Der Mann ist hier ein Mal in einen Graben
gefallen und hat seine sauberen Beinkleider beschmutzt, darum haßt er uns und
fragt vielleicht im Dienst der Bern er — denn unser pädagogisches Treiben ist noch
nicht bis nach Königsberg erschollen. Und wäre es, so sind Sie der Mann, der
dort gefragt werden muß. —
Zwei junge Königsberger, die neulich hier durchreisten und nichts als Land-
wirthschaft sahen, werden Ihnen im Monat Januar von mir einen Brief überreichen,
worin ich Ihnen melde, daß ich seit dem 16 t. Julius mit der Schwester des Staats-
rates Ribbentrop in Königsberg sehr glücklich verheirathet bin. Sie war meine
Herzensfreundin seit 10 Jahren. Sie sehen, daß ich mich mit allen "Wurzeln im Hof-
wyler Boden fest sauge, und daß ich mich nicht werde herausreißen lassen, bis ich
meine Früchte getragen habe. Tiersch ist Professor in München, er wird bald eine
Homerische Grammatik herausgeben, die mir sehr willkommen ist. ich stehe mit
ihm in Briefwechsel. Düssen antwortet mir nicht. Von Tölken weis ich nichts.
Schacht geht nach Berlin, v. Langwerth lebt bei seinem Bruder. *)
Erfreuen Sie mich bald mit einem Briefe, ich bin ewig und unveränderlich
der Ihrige F. Griepenkerl
Lehrer am Institut zu Hofwyl.
x) Griepenkerls Studienfreunde aus dem Göttinger Kreise, ,,dessen Mittelpunkt
und Seele Herbart war". Vgl. Hartenstein, Herbarts kl. phil. Schriften, Bd. I,
S. LXV ff. und den Brief von Thiersch an H. v. 2. Apr. 1812.
1810.
249. An Ludolf Dissen in Göttingen.1)
(Königsberg Januar 1810.) Abgegangen 27. Febr. 18 10.
Es seyen in einander, nämlich unvollkommen in einander, geschwunden,
die Puncte a und b\ von b sey c in einer beliebigen rationalen Distanz,
übrigens liege c in der Richtung ab] so ist die Distanz ac eine Summe
ab -f- bc. Diese Summe ist irrational wenn ab irrational ist. Nun kann zwar
ab, dieses unvollkommene In-einander, allerdings noch rational seyn. Denken
Sie Sich, um diesen Begriff durch ein vorzüglich passendes Beyspiel zu
erläutern, zwey Radien eines Kreises, so zusammenfallend, daß die End-
puncte in der Peripherie an einander sind; auch sollen die Radien starre
Linien seyn. Verfolgen Sie nun die Radien von der Peripherie gegen das
Centrum. Je zwey Puncte beyder Radien werden in einander schwinden.
Je weiter gegen das Centrum hin, desto mehr in einander. Im Centrum
selbst vollkommen in einander. Aber alle diese verschiedenen In-einander
sind rational, sowohl unter sich als gegen das Aneinander, folglich gegen
jede starre Linie. Denn nach der Geometrie verhalten sie sich alle wie
die Abstände vom Centrum, und diese müssen auf den Radien, als starren
Linien, rational seyn. — Verschieden hievon, aber auch erläuternd, ist
Folgendes: Oeffnen Sie den Kreis, so weit, daß ein Cosinus entstehe, der
eine starre Linie, folglich gegen den starren Radius rational sey; der
Winkel werde durch den Sinus geschlossen. Nun verlassen Sie die Be-
griffe vom Kreise; in dem rechtwinklichten Dreyeck wachse x und y, so
sind wegen der Proportion y : x =
dx : dy auch dx und dy rational.
Aber diese dx und dy dürfen nicht
für gleichartig mit jenen rationalen In-
einander des obigen Beyspiels gehalten
werden. Denn die Proportion y : x == dx : dy fordert, daß der Winkel,
um welchen nach der Zeichnung die Hypotenuse fortrücken sollte, = 0 sey.
Hingegen im obigen Beyspiel war der Winkel nicht = 0, sondern groß
genug damit auf der Peripherie ein Aneinander, und folglich für verlängerte
Radien gar ein endlicher Kreisbogen entstehen mußte. — —
Ende Febr. 1810. Sie sehn aus dem vorstehenden, daß ich einen
ordentlichen Brief zu schreiben gewünscht habe. Diese Hoffnung ver-
schwindet. Ich bin die letzten 4 — 5 Wochen krank gewesen, und noch
1) 3 S. 4°. H. Wien. Vgl. Zimmermann, Briefe pp.
x dx
er6 Januar 1810.
nicht völlig hergestellt. Die Brust leidet; zugleich der Kopf; „ich wage es
indeß auf die Gefahr einer schlaflosen Nacht, diesen Abend soviel zu
schreiben als nöthig ist, um diese Blätter siegeln zu können. Zuerst einige
Zeilen des Nachtrags zum vorigen.
Das Element des Weges ist ein unvollkommenes Ineirj ander. Um
die Richtung der Bewegung zu bestimmen, muß angegeben werden ob
das Bewegte aus a in b (welche Puncte unvollkommen in einander seyn
mögen) oder aus b in a trete. Untersagt man diese Bestimmung: so wird
dadurch Ruhe gesetzt. Ruhe in einer irrationalen Distanz von x, welches
entweder von beyden Puncten a und b, oder mindestens von einem der
beyden irrational entfernt ist; während den Bewegten a und b, als ob diese
zum Jheil Ein Ort wären, zu seinem Ruheplatze angewiesen ist. — p. 66 der
[Hauptpuncte der] Metfaphysik]. Es sitzt gleichsam jede Störung dem Wesen
unmittelbar auf, heißt nichts anderes als: suchet die Störung nicht außer
den Wesen, noch außer ihrem Zusammen; denn sie ist in ihnen und nur
sofern sie zusammen sind. Die Bewegungen aber welche das Band der
Causalreihe machen, und worin das Zeitliche dieser Reihe allein liegt;,
diese Bewegungen sind bloße Gedanken des Zuschauers, und also ist
auch nur im Kopfe des Zuschauers eine Reihe vorhanden. — Über das
Ich sage ich gar nichts; die Entwickelung der Widersprüche im Begriff
des Ich ist so leicht daß Sie sie nicht verfehlen werden; die Auflösung
bleibt der Psychologie. Doch noch dieses einzige Wort wegen der Auf-
lösung: Der Begriff des Ich ist nach der Seite des Objects hin bodenlos;
wenn ich aber Mich setze, muß ich auf allen Fall irgend Etwas setzen;
Etwas das nicht-Ich ist; nach der Meth[ode] d[er] Beziehungen ein Mannig-
faltiges nicht-Ich; dieses Mannigfaltige darf seine eigenen Objectivitäten
nicht ins Ich bringen; die Objectivitäten müssen also eben in so fern auf-
gehoben seyn; — von diesem Satze ist eine Kluft bis zu dem zweyten:
die Objectivitäten müssen als Bilder gedacht werden, — von da wieder
eine Kluft bis zum dritten: den Bildern muß das Seyn zugeschrieben
werden; von da noch eine Kluft bis zum vierten: diesem Seyn, oder dem
Träger der Bilder muß auch sein eigenes Bild zugeschrieben werden. Die
Metaphysik soll hier nicht vorgreifen, sondern die Ausfüllung dieser Klüfte
der Psychologie überlassen; nur die Forderung solcher Ausfüllung hat die
Metaphysik auszusprechen. ||
Nun zu andern Dingen. Ich bin Mitglied einer wissenschaftlichen
Deputation geworden, deren Wirksamkeit sich hauptsächlich auf Schulen
erstreckt. Eben jetzt sollen die hiesigen Gymnasien reformirt werden.
Zum Vorsteher eines derselben ist der Director Gottholdt ernannt. Dieser
geht nebst meinem Collegen, Prof. Vater aus Halle, genau in meine
pädagogischen Grundsätze ein. In Gottholdts Gymnasium kann viel Gutes
werden. G[ottholdt] hat Ihre Schrift über die Odyssee gelesen. Er hat
selbst den Gedanken, ein Hülfsbuch dafür zu schreiben. Damit keine
Collision entstehe, trägt er mir auf, Sie zu fragen, ob Ihr größeres Buch
über die Odyssee bald zu erwarten sey? Ich sagte ihm, Sie würden viel-
leicht jetzt mit philos. Arbeiten mehr beschäfftigt seyn. In diesem Falle
würden Sie ihm vielleicht den Gegenstand überlassen. — Hierüber nun hüte
ich mich, Ihnen, mein Theurer! einen Wunsch zu äußern. Ich weiß
Januar 1810. 57
nicht einmal was ich wünschen soll; und bitte Sie also bloß, Sich zu er-
klären. Auf allen Fall kann, wenn Sie wollen, eine Mittheilung der Pläne,
vielleicht der Materialien unter Ihnen beyden Statt finden. Gottholdt ist
ein heiterer Mann, von meinen Jahren; lebhaften Geistes und wies scheint
voll Kenntnisse. — Was Ihre Collision mit Schulz anlangt, so wünsche
und bitte ich, daß Sie Sich dadurch gar nicht stören lassen. Schulz wird
etwas vor Ihnen, Sie werden etwas vor Seh. voraus haben; geht alles gut,
so muß dadurch endlich einmal! in Göttingen das philos. Studium belebt
werden. Wenn Sie der Speculation und namentlich der Metaphysik treu
bleiben wollen, so hoffe ich Sie noch mit psychologischem Material ganz
neuer Art zu versorgen. Sie müssen aber schreiben. Unterholzner hat
eine gute Bahn gebrochen. Ehe ich hier Schriftsteller ziehe — das wird
lange währen! Es giebt indeß gute Köpfe hier. Leben Sie wohl mein
Th eurer; behalten Sie mich lieb; setzen Sie die Reihe Ihrer Briefe fort,.
Empfehlungen an Richthofen, Grote'sche Familie, Heeren, Heyne, u. s. w.
(Auch nach einigen Wochen ein Gruß an Herrn Rüben Meyer, damit
er die schuldigen 40 Thaler zahlt.)
XaiQe. Herbart.
250. Dissen an H.1) Göttingen d. 7ten Jan. 1810.
Hochgeehrter Herr Professor!
Die Gelegenheit welche sich darbietet durch Grote einige Zeilen Ihnen zu
übersenden, kann ich unmöglich vorbei gehn lassen; zwar war ich lange auch in
der Hoffnung von Ihnen etwas zu lesen, indessen hat es Ihnen nicht gefallen, meine
Bitten zu erfüllen. Ebenso auch fragen Groten's und Heeren oft nach Briefen, aber
keine Kunde senden Sie herüber zu denen, welche so lebhaft sich für Sie interessiren.
Aber wie geht es doch eigentlich dort? Sind Sie noch immer zufrieden mit
Ihren Zuhörern? AVerden Sie uns bald wieder mit einer Schrift beschenken? —
Hier in Göttingen geht alles wie zuvor. Ostern, sagt man ganz gewiß, werde
Schulz || herkommen, weil Helmstädt aufgehoben worden. Indessen hoff ich mir
die Einleitung und die practische Philosophie nicht nehmen zu lassen, und auch nicht
die Paedagogik zu versuchen wenigstens. Auch hör ich daß der skeptische Schulz
am meisten mit Ihnen zufrieden ist. Uebrigens lese ich jetzt die practische Philo-
sophie, und meine Zuhörer sind ziemlich fleißig. Sie bestürmen mich häufig mit
Fragen, jedoch so, daß ich noch nie in Verlegenheit gewesen bin; daher ich auch
bereits eine Unterhaltung sstunde gehabt habe. Zu meinem Lobe muß ich berichten,
daß ich die practische Philosophie noch sehr studiert habe; ich pflege deshalb auch
in schwierigen Fällen noch Dictate zu geben, wie z. E. die Einleitung in die pract.
Philosophie wo ich z. E. auch das "Wesen eines Gutes und Pflichtenlehre u. s. w.
genauer erklärt und durch Beispiele aus d. Gesch. d. Ph. erläutert habe. Die Meta-
physik treiben einige privatissime. Ferner habe ich Feuerbach's Criminalrecht, einige
Naturrechte usw. gelesen, und spreche auch mit Goede2) || über manches. Dieser
will unter andern den Satz, daß alles Recht auf Verträgen beruhe deswegen nicht
statuiren, weil keins der Art seine eigne Garantie enthalte; um dessen Übertretung
zu strafen wäre ein neuer Vertrag nöthig, der abermals der Garantie eines neuen
1) 4 S. 8°.
2) Wahrscheinlich Chr. Aug. Gottl. Göde (1774—1812), Rechtsgelehrter, seit
1807 in Göttingen.
58
Februar 1810.
bedürfe. Ich habe ihm schon manches darüber gesagt; was würden Sie noch hin-
zusetzen ?
Jetzt ist übrigens eine Abhandl. über das Criminalrecht edirt von einem Ihrer
Schüler; morgen erhalt' ich sie von Richthof en. l) Richthofen sehe ich jetzt öfterer,
da wir den Sophocles zusammen lesen, und er auch mich in das Grotesche Haus
eingeführt hat. Recht oft spreche ich da mit der Ministerin oder Therese von Ihnen.
— Vor einiger Zeit erhielt ich Briefe von Niemeyer wegen eines Lehrers an das
Paedagogium; hierbei muß ich Ihnen herzlich danken für die gütige Empfehlung,
wodurch Sie mich bei Ihm bekannt gemacht haben; nächstens wo er nach Cassel
geht, wird er mich besuchen. In seinem Briefe sprach er mit viel Freundschaft
von Ihnen. — Zufällig erhielt ich ein Heft von Schleiermachers Ethik, abgehandelt
nach allen drei Beziehungen zugleich als Gutes- Tugend- und Pflichten-lehre; ohne
daß geahndet worden, wird für alle nicht taugen zum Anfang (?). Darin ist ein
großer Mangel || an scharfbestimmten Begriffen. Alles soll ausgehn von der An-
schauung: „Die Anschauung des Menschen möglichst vollkommen stehe an der
Spitze. Die Ethik ist Wissenschaft der Geschichte; und das sittliche Handeln ein
Anknüpfen an dieselbe. Das höchste Gut ist das ganze Resultat der Beseelung der
menschlichen Natur durch die Freiheit. Wer individuell gebildet die Idee der Ge-
schichte begreift wird in ihrer Notwendigkeit seine höchste Freiheit finden; und
klagen über die Schlechtigkeit des Zeitalters heißt ins leere hinausstreben über die
Geschichte; u. s. w." — Ungefähr wie Sie in dem kleinen Buche alles prostogniren.
Hütet euch vor der Consequenz: Alles soll sein was ist — u. s. w.
Wie hat doch Schleiermacher Sie aufgenommen? Haben Sie über wichtige
Punute mit ihm gesprochen? — Hier ist gesagt, Sie hätten den König gesprochen.
Ist dem so? Toelken lebt noch immer in Rom; neulich war Nachricht da; er studirt
das Alterthum. — Thiersch kämpft, in München mit den Baiern sich. Diesen Winter
hab ich wieder mehrere Stunden nehmen müssen, obwohl nicht so viel als vorigen
Sommer; weil nemlich die Collegia überall jezt nicht gut besetzt sind. Doch sind
in einer Vorlesung über grammatische Dinge über 50. So viel jezt; ich habe lange
geplaudert. Darf ich nun auch auf einige Zeilen rechnen, Sie werden doch die
Idee der Billigkeit nicht ganz hier vergessen; wenn auch ich gern dulde, daß viele
Briefe von mir durch wenige Zeilen Ihrer Hand vergolten werden. Ganz der Ihrige
Dissen.
251. Griepenkerl an H.2) Hofwyl, d. 12ten Febr. 1810.
Schon seit mehreren Wochen erwartete ich von Ihnen, Herr Professor, sehn-
suchtsvoll eine Antwort auf zwei Briefe, die ich vor Monaten an Sie abschickte.
Höchst interessant ist mir jede Zeile von Ihnen. Sie haben mir von Dingen zu
schreiben, die mir sehr nahe am Herzen liegen. Sind die Preußen empfänglich für
die Philosophie? Ist mehr Ernst und Würde in den Studien zu Königsberg als zu
Göttingen? Findet sich dort ein Verein von jungen Männern, von denen das Zeit-
alter Thaten erwarten darf? Bin ich würdig, von ihren neuesten Forschungen etwas
zu erfahren? Was richtet Zeller in Ihrer Nähe an? Wie könnten Sie
mich erfreuen durch die Beantwortung dieser Fragen!
Mit neidischen Augen sehe ich auf Zeiler. In dem Erziehungswesen eines
ganzen Königreichs zu herrschen — welch ein Würkungskreis ! Welche Thaten
ließen sich da thun, besonders wenn es so höchst nöthig ist, daß etwas Rechtes
>) S. o. S. 38, Anm. 1.
*) 3 S. 4°. H. Wien.
Februar t8io. §g
geschehe! Tadeln Sie mich, wenn ich mir nach Jahren bei gereifter Kraft und
Fertigkeit ein solches wünsche ? — Fühlen Sie Sich noch nicht berufen, Ihre Freunde
um sich zu sammeln und mit ihnen ein großes Werk zu vollenden? Ist der günstige
Zeitpunkt, ist die Noth noch nicht gekommen?
Es wird mir bange, wenn ich daran denke, wie weit die Deutschen mit dem
Gedanken vor der That voraus sind. Welch einen Reichthum von Ideen hat Deutsch-
land gehäuft! Wie wenige sind davon in That übergegangen! Soll die Zeit des
Handelns nie kommen?
Ein — König und empfängliche Eäthe, wie dort bei Ihnen, finden sich selten
so wieder. Geht diese Zeit ungenutzt vorüber, so ist es auf lange Zeit verloren,
ich hatte schon oft im Sinn, dem Könige eine Schrift zuzuwerfen, die unter ihm
einen Vulkan entzünden sollte. Ein freier Mensch aus dieser Ferne dürfte so
etwas wagen. Großer Freund, und ständen dann im entscheidenden Augenblicke
alle die Ihrigen um sie her treu verbunden Hand in Hand — was könnten Sie
würken! — Schwärme ich, so ist es nur, weil ich die Lage der Dinge nicht genau
kenne. Mit diesen würde sie sich bald verwandeln. || Es wird Ihnen jetzt scheinen,
als sehne ich mich hier weg, als genüge mir mein Werk hier nicht mehr, als suche
ich das Weite. Dem ist nicht so. Kein König kann mir geben, was ich hier
besitze, ich kann nicht wieder dienen, da ich ein Mal frei gewesen, kann keinen
anderen Herrn erkennen, als die Idee. Wie könnte ich mich von einem Werke
wegsehnen, das kaum angefangen ist, dem ich selbst noch nicht ein Mal gewachsen
bin. Nein, hier vollende ich erst und dann.
Viel thun wir nicht, aber wir thun etwas. Unsere lieben Knaben empfangen das
Beste. Jährlich bilden wir ein Duzend Schulmeister, machen Pläne für Gymnasien
u. s. w. So geschieht für das Volk auch etwas.
Hätten wir nur Zöglinge genug, um mehrere Lehrer besolden zu können; und
wäre dieses, fänden wir dann nur immer die rechten Männer. Gewöhnliche Hofmeister
können wir nun gar nicht mehr gebrauchen. Andere können wir nicht bezahlen.
Kennen Sie denn gar keinen Menschen, der um der guten Sache willen etwas opfert
und mit 30 Carolins jährlich zufrieden ist? Naturforscher müste er sein und Philosoph
und Pädagog. Für jetzt ist es uns noch unmöglich, ihn aufzunehmen, aber kennen
müssen wir solche Männer, um sie gleich mit uns vereinigen zu können, wenn wir
irgend so viel erübrigen. Sie sagten mir in Ihrem einzigen Briefe, daß Sie Theil
an unserer Sache nähmen ; erzeigen Sie uns jetzt die Wohlthat und suchen Sie uns
einen Mann, der uns mit treuem Herzen unsere Zwecke erreichen hilft. Ist er mit
wenigem zufrieden, so findet er hier ein Leben und ein Würken, das jeden Menschen,
der etwas Gutes will in dieser Welt erfreuen muß. Doch eine Bedingung ist noch
übrig: er muß seinen Aufenthalt bei uns nicht als Zwischenzeit betrachten, er muß
Neigung in sich fühlen, lange bei uns zu bleiben. Ich wünsche von Herzen, daß
wir bald im Stande sein mögen, jährlich 30 Carolins zu erübrigen, um den Mann,
-den Sie wählen werden, zu besitzen. || Mit meinen literarischen Arbeiten zieht es
sich sehr in die Länge. Kein Wunder bei abwechselnd täglich 9 und 5 Unterrichts-
stunden. Zudem bin ich der einzige, gesunde Mensch hier, die anderen sind alle
Augenblicke krank und da muß man für sie mitarbeiten. Doch wird zur Ostermesse
höchst wahrscheinlich bei Cotta ein Plan unserer Erziehungsweise erscheinen. Ihm
sollen dann in einzelnen Blättern unsere Erfahrungen und bearbeitete Unterrichtsfächer
folgen. So kommt von einer Seite wenigstens doch nach und nach ein pädagogisches
Ganzes konsequent zu Stande. Die Musik als erstes ästhetisches Bildungsmittel wird
dann wohl zuerst erscheinen, ich bin schon ziemlich damit fertig und in lebhafter
Ausübung begriffen. Es soll mich wundern, wie Sie von meinen Gedanken über die
6o Februar 1810.
Lehrart der Naturkunde und über die der Geschichte und der Sprache urtheilen.
Die Odyssee wird von sechs herrlichen Knaben jetzt verschlungen. Der Tischbein1)
thut dabei die besten Dienste.
Könnten Sie etwa in zwei Jahren ein Mal zu uns reisen, Sie würden eine
kleine Freude haben und welch eine große Freude würden Sie uns allen und be-
sonders dadurch mir bereiten!
Bin ich Ihnen noch ein wenig lieb und war ich es jemals, so schreiben Sie
an mich. Es erhöht meine Kraft und meine Lust, wenn ich mich mit Ihnen ver-
bunden fühle: Sie müssen mir diese Wohlthat erzeigen.
Leben Sie wohl und vergessen Sie den nicht, der durch das Beste, was
Menschen besitzen an Sie gefesselt ist und Sie nie vergessen, nie entbehren kann.
F. Griepenkerl
Lehrer am Institut zu Hofwryl.
252. Richthofen an H.2) Göttingen, d. 19ten Febr. 1810.
Ein freundlicher Gruß, den ich von Ihnen, theurer Freund, jüngst erhielt,
begleitet von dem Versprechen mir Ihre Psychologie zu senden, ward die besondere
Veranlassung dieses Briefes, der Sie um Beschleunigung Ihres löblichen Vorhabens
bitten soll. Aeußerst begierig bin ich zu sehen, wie weit Sie die neue Schöpfung
seit unserer Trennung förderten, und mich mit Ihnen so viel nur immer möglich
wieder auf denselben Standpunkt zu versetzen. Gewiß ich verspreche mir bei dem
Durchdenken derselben einen hohen Genuß, wenn es mir auch leider nicht mehr
vergönnt ist es mit Ihnen gemeinsam zu thun, und auf dem lebendigeren Wege des
Gesprächs Ihre Lehren von Ihnen selbst zu empfangen. Aber noch in anderer
Hinsicht war mir die Nachricht lieb; Sie sind so fleißig gewesen, daß ich glaube
mit Recht auf Ihre Gesundheit, und wenigstens leidliche Heiterkeit schließen zu
dürfen. Ich kenne ja Ihre Eeizbarkeit, und so mag mir dießmahl zum Trost dienen,
was mich so oft schon bekümmerte. 0 daß ich Ihnen doch zeigen könnte, wie ich
so innig an Ihnen hänge, so gern alles hingeben möchte für Ihr Glück! Ihnen ver-
danke ich alles, daß ich meine geliebte Therese erhielt und sie verdiene; ja vielleicht
wirken Ihre Lehren noch auf niemand so, wie auf mich. Allein auch Sie vergessen
uns doch wohl nicht ganz, bester Herbart? ich möchte Sie so ungern mit Bitten
bestürmen.
Was mein eigenes Selbst anbetrifft, so stehe ich noch so ziemlich auf dem-
selben Punkt, als den ich Ihnen das letzte Mahl schrieb, nur wird mein Entschluß
in Hinsicht einer Erziehungsanstalt mit jedem Tage fester, und meine Liebe zur
Philosophie immer inniger; auch mein Muth hebt sich allmählig und ich denke wohl
jetzt zuweilen im Ernst an manches zu unternehmende Werk, wozu ich nur auf
Muße warte. Jetzt treibe ich das Studium verschiedener Systeme, Astronomie und
mancherlei Sprachen, um mich durch ihre vorzüglichsten Gedichte immer vielseitiger
auszubilden; so ist z. B. das Spanische und Altdeutsche auch nicht unwichtig wegen
der leidigen Naturphilosophen und ihrer Anhänger in Poesie und Pädagogik. ||
Jenes obengenannte Vorhaben aber habe ich bereits meinen Eltern mitgetheilt
und natürlich eine abrathende Antwort erhalten; dennoch war es mir unmöglich
was mir so nahe am Herzen liegt ihnen länger zu verbergen. Schon diesen Sommer
wollte ich ferner mit Therese nach der Schweiz reisen und dann mit einer Schrift
*) Joh. Heinr. Willi. Tischbein (1751—1829), Homer nach Antiken gezeichnet,
mit Erläuterungen von Chr. G. Heyne. Göttingen 1801.
2) 3 S. 4°. H. Wien.
Februar 1810. 5j
über den gegenwärtigen Zustand deutscher Erziehungskunst in ihren verschiedenen
Nuancen meine schriftstellerische Laufbahn eröffnen, wobei ich die Absicht hatte
durch Auf Weisung der Mängel auf Ihre Pädagogik hinzuführen, was wie ich glaube
Noth thut. Die allgemeine Aufmerksamkeit ist das wichtigste was Sie bedürfen,
und es würde mich freuen könnte ich dazu mit der Zeit sey es nun auf welche
Art es wolle einiges beitragen. Außerdem aber wollte ich auch mir dadurch den
Weg bahnen zur Errichtung meines Instituts, das, tritt es ohne weiteres hervor,
wohl bald wieder verschwinden dürfte, und doch verspreche ich mir so viel davon.
Jetzt ist die Reise noch auf zwei Jahre verschoben, denn ich hänge in diesem
Augenblicke zu sehr von meinen Eltern ab, um etwas zu thun, was sie gar nicht
begreifen können, da alle meine Vorfahren fein säuberlich nach dem sie sich eine
Frau zugelegt auf ihrer Hufe blieben. Ueberhaupt ist noch vieles wegen mir sehr
unbestimmt; noch weiß ich nicht den Ort, wo ich mit meiner Geliebten das Leben
genießen werde, sondern ahnde ihn höchstens; aufs Frühjahr reise ich noch allein
nach Hause, um alles anzuordnen; dann folgt unsere Verbindung hoffentlich bald
nach. Wäre nur Therese diesen Winter nicht kränklicher denn je! auch ihre Mutter
war seither mehrmahls bettlägerig, alle aber sehnen sich nach Briefen von Ihnen ; Heeren
und Dissen mit eingeschlossen. Ich habe diese beiden in unserer Familie bekannt
gemacht, allein wer vermöchte uns wohl unseren lieben Professor vom vorigen
Jahr zu ersetzen? || Dissen vereinigt seine Bitten wegen der versprochenen Mit-
theilung Ihres Buches mit den meinigen; kommt es zeitig genug an, so lesen wir
es vielleicht gemeinschaftlich, da zwei mehr sehen denn einer, ich ihm auch viel-
leicht mit der Mathematik aushelfen kann. — Die Schrift von Unterholzner werden
Sie wahrscheinlich erhalten haben; er hat sie mir zugeeignet, aber deshalb kann
ich ihm doch nicht überall Recht geben. Die Begriffe von dolus und culpa hat er
erst recht verworren, und überhaupt zu flüchtig gearbeitet. Ich habe ihm sehr
umständlich darüber geschrieben. Hoffentlich [wird] man wenigstens dieß nicht von
mir sagen wenn ich dereinst auftrete!
Ihr Freund Richthof en.
Wenn Sie Thune den Dänen [über ihn s. Bd. III, S. XI] sehen so sagen Sie
doch ihm daß seine Freunde sehr um ihn besorgt sind.
Für ihren freundlichen Gruß muß ich Ihnen, lieber Herr Professor recht
innig danken, und Sie versichern, daß jedes Zeichen Ihres Andenkens uns immer
herzlich erfreut. Therese.
253. An Carl V. Steiger.1) Königsberg 27Sten Febr. 1810.
Eben bin ich in der Genesung begriffen, Lieber, von einer ziemlich
anhaltenden Brustkrankheit, durch die ich dem hiesigen Klima meinen
Zoll habe entrichten müssen. Die Brustübel waren diesen Winter all-
gemein, und der Arzt meint, es habe mit mir weiter nichts zu sagen. Es
ist am besten, ich überlasse es Dir selbst, die Ursachen der Verzögerung
dieses Briefes herauszufinden, und mich so gut Du kannst zu entschuldigen.
Den Sommer über war ich erst durch Besuche und Einladungen,
— dann ganz auf meine alte Weise mit der Speculation beschäfftigt, nur
ernstlicher, wo möglich, als seit Jahren; weil viel daran lag, in der Psycho-
logie endlich durchzugreifen. Etwas mußte schon darum geschehen, um
mich an diesem neuen Platze gehörig zu bevestigen. Der Chef des
preußpschen] Studien wesens , der geh. Staatsrath v. Humboldt, kannte
x) 8 S. 8°.
6 2 Februar 1810.
mich bis dahin gar nicht, wußte nicht einmal von meiner Berufung hierher,
denn diese war erfolgt, noch ehe er seinen Posten antrat. Während des
Sommers hielt er sich hier auf; ich traf ihn oft in Gesellschaften, lernte
ihn || ziemlich nahe kennen; er ist ein feiner, sehr humaner, sehr gelehrter
Mann; in der Philosophie nicht ungeübt, so daß ich stundenlang mit ihm
metaphysische Gespräche geführt habe; fürs Schulwesen ist er thätig, und
hier berührten wir uns noch öfter. Als Zeichen des gewonnenen Ver-
trauens darf ich es ansehen, daß er mich zum Mitgliede der hier er-
richteten wissenschaftlichen Deputation, mit einer Gehaltserhöhung, ernannt
hat. — Neben ihm stehen die Staatsräthe Nicolovius und Süvern; diese,
besonders der erste, sind es eigentlich, die mich hierher riefen. Nicolovius
ist ein kluger und braver, charaktervoller, dabey religiöser Mann; der-
jenige, auf den eigentlich mein Zutrauen gerichtet ist. Diese Männer
haben mir aufgetragen, ein pädagogisches Seminarium zu errichten, leider
hat dafür noch nichts gethan werden können, weil Pape, mein alter treuer
Göttingischer Zuhörer, eine andere Versorgung angenommen hat, und
meine Anträge deshalb ablehnte.
Im Anfange des Winters wurde ich genau bekannt mit Delbrück,
dem Erzieher des Kronprinzen. x) Schon gleich nach unserer Ankunft waren
Remer (mein || College, der mit mir zugleich hierher gerufen ward), und
ich zum Kronprinzen eingeladen; dies wiederhohlte sich öfter, mit der,
für uns etwas drückenden Auszeichnung, daß immer nur wir, und Hüll-
mann (Prof. der Geschichte, kurz vor uns hergerufen), niemals aber die
älteren Professoren zu den Versammlungen beym Prinzen gezogen wurden.
Während des Sommers wurden wir dort auch dem König und der Königin
x) Zur Ergänzung der Mitteilungen Herbarts sei einiges aus den Tagebuchblättern
Fr. Delbrücks (über ihn s. u. Brief v. 16. Juni 181 1), die durch Georg Schuster in
den Monum. Germ. paed. (Bd. XXXVI, XXXVII, XL: Die Jugend Königs Friedrich
Wilhelm IV. von Preußen und des Kaisers und Königs Wilhelm I., Berlin 1907) ver-
öffentlicht worden sind, angeführt: 22. April 1809: ,,Ich verfügte mich in das deutsche
Haus, wo die ehemaligen Tischfreunde Kants zu seinem Gedächtniße . . ein Mittagsmahl
angeordnet hatten. Zwischen Scheffner und Herbart ... 25. Apr. Theegesellschaft
bey uns. Humboldt, Hüllmann, Herbart, Remer und Aueiswald . . ." (14. Aug.:
Schilderung einer Hofgesellschaft, bei der Herbart dem Könige vorgestellt wurde.)
27. Sept.: „Herbarts Spiel auf dem Ciavier sehr gut. Bey Tafel führte Haack und
Herbart am meisten das Wort. Letztrer gedachte rühmlichst des Pestalozzianismus.
Meinem Bruder sah ich an den Augen an, daß ihm dieß nicht recht war." 16. Okt.:
„Im Conferenzzimmer vertraute ich dem Herbart den Bericht, d. d. 17. Okt. 08.
Er beruhigte mich über die Ansicht, die ich von der Sonnabendsfeyer aufgefaßt hatte,
durch die seinige u. s. w." 18. Okt.: „Herbart rieth an, Piatons Republik mit dem
Kronprinzen zu lesen um daran eine Übersicht der Verfassung von Großbrittannien zu
knüpfen." 20. Okt. 1809: „Herbarts Besuch erst für mich allein. Seine mathe-
mathische Instrumente. Philosophische Untersuchungen. U. a. behauptet er, die Sprache
sey zum Denken entbehrlich. Er billigte meine Methode beym Unterricht des Lateinischen.
Dem Kronprinzen erklärte er seine Instrumente, spielte Ciavier, speiste bey uns und
erhielt auf den Weg 5 — 6 Aufsätze des Kronprinzen, die er voll Begierde mitnahm . . ."
2 1 . Okt. : „Erst las ich Herbart das heimlich weggenommene Manuskript des Kron-
prinzen, worauf er „Fingal, ein Trauerspiel'1 angefangen hat. Wie bewunderten beyde
die unverkennbare Genialität. Er bezeugte mir sein Wohlgefallen an den Aufsätzen . .
und fragte, ob er nicht Eins UDd das Andere auch seinen Freunden in Deutschland
mittheilen dürfte. Wir schieden um 9 Uhr als wahre Freunde aus einander." 23. Okt.:
„Herbart nahm thätigen Theil zu Unser Aller Erbauung" u. s. w. (S. Bd. XL, S. 197,
259, 275, 282, 285, 286, 288.)
Februar 1810. 63
vorgestellt; sonst interessirten mich diese Gesellschaften wenig; der Kron-
prinz schien mir ein Knabe wie alle andern Knaben, etwas wild, glück-
licherweise ohne alle Ziererey und Hofmanier. In den letzten Monaten
seines Hierseyns aber lernte ich ihn näher kennen. Delbrück zog uns zu
den wöchentlichen Sonnabends-Übungen, die der Prinz, mit einigen andern
jungen Leuten, im Reden, im Stil u. s. w. anzustellen hatte. Bald führte
mich Delbrücks Vertrauen auch ganz allein zum Prinzen ; so daß wir mehrmals
unsrer drey an einem kleinen runden Tisch zu Abend gegessen haben.
Ich hatte also volle Gelegenheit, mich an manchem Talent, mancher wenig
bekannten, schönen Seite des rüstigen, vierzehnjährigen Knaben zu freuen.
Unglaublich ist sein Genie fürs Zeichnen. *) Er wirft jeden || Augenblick,
wenn er frey ist, und sich sitzend beschaff tigen will, Zeichnungen aufs
Papier; Entwürfe zu großen historischen Stücken, welche beweisen, wie
lebhaft in seiner Phantasie die Bilder sind von Troja, Athen, und Rom;
von Personen und Sachen, die er auf Reisen gesehn hat; von mythischen
und allegorischen Gegenständen. Er mahlt selbst Himmel und Hölle; und
oft an kirchlichen Festtagen besonders, biblische Dinge. Ich habe von
ihm die Sündfluth erhascht, die in meiner Gegenwart in Zeit von nicht
vollends anderthalb Stunden angefangen und vollendet wurde. Darauf
sind über 20 lebende Figuren in den mannigfaltigsten Stellungen; er
zeichnete (versteht sich aus dem Kopfe) während ich vorlas und mit ihm
und Delbrück lebhaft sprach. — Nie aber ist er mir interessanter gewesen,
als in den letzten 14 Tagen seines Hierseyns. Eines Abends waren wir
recht heiter gewesen in seinen Zimmern, der Fürst Radzivil sang aus
voller Brust, während ich am Piano saß; Delbrück und der Kronprinz
hatten beyde trefflich geredet; eine Menge herrlicher || Kupferstiche lagen
ausgebreitet, an denen wir herumgingen und sie besprachen, — so heitei
schloß der Abend; und am folgenden Tage kommt plötzlich, ganz un-
vorbereitet, sowie unerwartet, eine Cabinetsordre des Königs, des Inhalts:
Delbrück sey zum geheimen Rath ernannt, mit 1800 Thaler Gehalt, und
sey bestimmt, in Königsberg zu bleiben, — während der Hof, während
der Prinz nach Berlin zu gehen sich anschicken. Dieser Donnerschlag
machte den Prinzen auf der Stelle krank. Mehrere Tage vergingen; er
blieb krank. Ich weiß manches, was er gesagt, was er gethan hat; es
war der reinste, und zugleich der stärkste Ausdruck seiner Anhänglichkeit
an Delbrück; das stärkste und nachdrücklichste, was ihm möglich war und
was ihm ziemte. Ich wurde, indem ich ihn und Delbrück leiden sah,
lebhaft erinnert an eine frühere Zeit, die auch Dir, mein Guter, vielleicht
noch einfällt. — Nach 8 Tagen kam die Königin, ihren kranken Sohn
zu besuchen. Es muß ihr unmöglich gewesen seyn, das reine Gefühl für
Trotz zu halten. Tags darauf, — gerade während ich mit einem Auftrage
von Seiten der Universität dort war — kommt der König. Nachmittags
erfuhren wir, daß Delbrück mit nach Berlin reisen werde. — Sie sind
gereist. Sie || sehen sich täglich.2) Mir aber ist ein anderer Delbrück
*) Man vgl. dazu G. Schusters interessante Ausführungen in der Einleitung der
zitierten Tagebuchblätter, I. Teil, XLIV.
2) Vgl. G. Schuster, ebenda S. XIV, dort auch das Handschreiben der Königin
Luise an Delbrück.
64 Februar 18 10.
zurück geblieben; ein Bruder von jenem, der unaufhörlich in Schul-
angelegenheiten gegen mich disputiert, und dem ich eben so sehr, als er
mir, im Wege bin, indem ich meine Gedanken gelten zu machen suche.
Wir treffen uns nämlich in der wissenschaftlichen Deputation, wo wir, in
jedem Sinn, gerade gleichviel Stimmen haben.1) An einigen meiner andern
Collegen habe ich indeß meine Freude. Da ist der alte Caspari, —
derselbe aus dem wir ehemals zusammen Geographie gelernt haben; dieser,
hoffe ich, soll mir jetzt helfen, das ABC der Anschauung auf Geographie
zu übertragen. Wenigstens hat er es aufs erste Wort, was er davon hörte,
für „sehr nützlich" erklärt. Auch sonst pflegt er mir beyzustimmen. Da
ist ferner mein guter College, der Professor Vater aus Halle; dieser hat
neulich, als meine Brust mir nicht erlaubte zu sprechen, mir seine Lunge
und Zunge geliehen, indem er meine Gedanken, zugleich als die seinigen,
vortrug. Da ist ein Director Gottholdt, ein lebhafter Mann ungefähr in
meinen Jahren, dieser vertheidigt den Homer und den Herodot so stand-
haft wie ich, und das ist um so besser, da er || als Director eines Gym-
nasiums hierher berufen ist. Uebrigens läßt schon seit längerer Zeit der
Staatsrath Nicolovius seinen Sohn durch einen meiner Zuhörer im Griechi-
schen unterrichten; auch das ABC der Anschauung ist im Gange und
scheint gut zu gehen.
Mit der Universität wird es hier ungefähr gehen wie in Heidelberg.
Sie hatte außer Kant noch ein paar treffliche Männer, die ungefähr zu-
gleich mit jenem gestorben sind. Einen davon, Krause, will ich Dir
doch nennen; seine sehr geschätzte Slaatswirthschaftslehre giebt jetzt nach
seinem Tode sein treuer Freund, der geh. Staatsrath v. Auerswald (jetzt
hier in K. eine der höchsten Personen, zugleich Curator der Universität)
im Druck heraus. — Jetzt, da so viele auswärtige Professoren zugleich
hierher gerufen sind und noch gerufen werden, hört man hier schon von
alten und neuen Professoren reden, und ich fürchte sehr, diese Spalte
wird sich nicht ausfüllen. Die alten suchen sich zu helfen durch starren
Eigensinn, und das ist wahrlich die schlechteste Stütze für solche, denen
die Zeit nicht günstig ist, und die sich nicht mit Nachdruck auf alte
Verdienste berufen können. Was urtheilst || Du, der Du Göttingen kennst,
von Professoren, die, nachdem sie mit schlechter Besoldung vorlieb ge-
nommen haben, nun ihr Brod durch Neben-Ämter suchen; so daß Einer
neben einer theologischen und philosophischen Professur noch Prediger
und noch Director eines großen Gymnasiums ist? ein Anderer neben einer
juristischen Professur noch Mitglied eines Justiz - Tribunals ist? u. dergl.
Von den Schriften dieser Männer hört und liest man nun freylich desto
weniger. — So sieht es mit manchem in Königsberg aus. Die Studenten
müssen erst lernen fleißig seyn, die Handwerker müssen allesammt wenigstens
30 versäumte Jahre nachhohlen, so weit sind sie zurück, und die alten
Weiber in dieser großen Stadt müssen sich das Klatschen abgewöhnen.
Ich aber fühle mich hier wenigstens auf deutschem Boden. —
Neulich reisten hier die Brüder Grote durch; der älteste höhlt seine
Braut, Fräulein Rahden. Im Frühling hoffe ich das Paar, und auch
Ferdinand R. hier zu sehen.
x) Über Ferdinand Delbrück (1772 — 1848) vgl. G. Schuster, ebenda S. X u. ö.
März, April 1810. 65
Dir, mein Guter, mögen Deine Felder gute Früchte tragen. Soll
ich Dir mehr Gutes wünschen, so muß ich erst mehr hören von dem,
was Du treibst und willst. Nachrichten davon möchte ich gern durch
diesen meinen Brief verdient haben. Giebt es Gelegenheit, so grüße
Deine Brüder herzlich von mir. Was macht der Franz? Was will er
werden? Ganz Dein H.
254. Nicolovius an H.1) Berlin, d. 29. März 1810.
H. v. Grote, der mir Ihr gütiges Schreiben überbrachte und sich hier zwey
Tage aufgehalten hat, giebt mir Anlaß, Ihnen so geschwind meinen Dank für Ihren
Brief abzustatten, da er mir von einem aus Curland nach Königsberg gekommenen
Manne, Namens Preuß, erzählt hat, dessen Schicksal ihm am Herzen liegt und auch
Sie interessiren soll. Er wünschte eine Schulstelle für ihn in Königsberg. Ich habe
Hr. v. Gr. versprochen, Ihnen darüber zu schreiben. Sie wissen als Mitglied der
wissenschaftl. Deputation, daß für die Besetzung der dortigen Schulstellen mehr in
Königsberg als von hier aus geschehen kann. Glauben Sie, daß Hr. Pr. für eine Stelle
an einer dortigen Schule paße, so wäre gewiß das Beste, Sie veranlaßten ihn sich
zur Prüfung zu stellen, und dadurch der Regierung und wissenschaftl. Deputation
Grund an die Hand zu geben, ihn bey der Section in Vorschlag zu bringen. Daß auf
diesen Vorschlag geachtet werden soll, könnten Sie versichert seyn. Von hier aus
etwas gerade für Hr. Pr. zu thun, scheint mir nicht wohl möglich. —
Haben Sie Dank für alles, was Sie mir melden, und leben Sie im Glauben an
eine immer bessere Zukunft, auch in Ihrem Professor-Amt. "Was Hr. v. Grote mir
von Ihrer Anerkennung der Bemühungen des Staats um Unterricht und Erziehung
erzählt hat, ist mir Labsal gewesen. Wollten Sie sich bey Heeren nach Dr. Mayer
erkundigen, so würde ich es Ihnen herzlich danken. Ihre Grüße sind bestellt.
Wandeln Sie freudig Ihre Bahn in der Zuversicht, daß sie immer leuchtender werde.
Meine Theilnahme und meine Hochachtung begleiten Sie.
Nicolovius.
255. Graf Sievers an H.2) St. Petersburg d. 2. April 1810.
In der Überzeugung, innigstgeliebter Lehrer und Freund, aller Entfernung
ohngeachtet, noch in Ihrem Andenken zu stehen, gehe ich mit dem größten Ver-
gnügen daran Ihnen einige Nachrichten von uns mitzutheilen. Von der Fortdauer
unserer Gesinnungen gegen Sie bedarf es keiner Versicherungen, keiner Betheuerungen :
Männer, wie Sie, die im Jahre langen vertrauten Umgange mit dem größten Wohl-
wollen empfänglichen Herzen ihr Innerstes auf schloßen, können sicher überzeugt
seyn hier fortdauernd zu leben.
Zwar beschäftigen uns nicht mehr, wie sonst, die einzelnen Sätze, ich möchte
beinahe sagen die einzelnen Buchstaben Ihrer herrlichen Ideen, allein das Ganze
derselben hat sich mit unserm Gemüthe so innig verwebt, daß der Charakter || hier
für jede Handlung, ihren Grund, der Geist für jede Überlegung hier ihren Richtweg
findet. Bei Gelegenheit meines Examens wurde ich indeß doch im vorigen Sommer
zu einer lebhaften Rückerinnerung an Ihre praktische Philosophie geführt; indem
man mir nämlich die Wahl des Gegenstandes zu meiner Dissertation frei gestellt
hatte, konnte ich wohl nicht anders, als wie auf die Auseinandersetzung der 5 Ideen
zu nächst fallen. Auf meinen einsamen Spaziergängen versetzte ich mich daher
') IS. 4U. H. Wien.
2) 11 S. 8°. H. Wien. — Über Nicolovius s. u. S. 101 Anm.
Hbrbarts Werke. XVII. 5
55 April 1810.
nicht nur wieder in die schöne Verkettung dieser für den Menschen wichtigsten
Begriffe, sondern auch jener freundschaftliche, philosophische Kreis, dessen Mittel-
punkt Sie waren, trat um so lebhafter, je mehr ich ihn jetzt entbehrte, vor meine
Seele, und wenn jene Rückerinnerung meine ganze Denkkraft spannte, so gab hin-
gegen || diese meiner Stimmung eine solche Innigkeit und Wärme, daß ich wohl glaube
der wahre Kenner werde es meinem Aufsatze ansehen, wie sehr er recht eigentlich
aus dem Herzen geschrieben ist. — Die weise Facultät, — der Philosophie in
Dorpat, — fand indeß für nothwendig nach reiferer Überlegung, ohngeachtet meine
Arbeit fast vollendet war, nicht eine philosophische sondern eine historische Disser-
tation von mir zu verlangen und damit auch diese ihrer Weisheit theilhaftig würde,
mußte der berühmte Professor Pöschmann nicht nur sein Latein, sondern auch seinen
Senf und seine gelehrten Citate, (die unter uns gesagt, wenn sie richtig sind, aus
dem Gognetius [?] genommen wurden) hergeben. || Was ich bei der Verstümmelung
meiner Ideen gelitten hahe läßt sich gar nicht beschreiben; allein, um doch endlich
zu Ende zu kommen und mich doch endlich, nach 6 Monat, von der Folter zu be-
freien, mußte ich den Bastard adoptiren; jedoch meiner Ehre glaubte ich es schuldig
zu seyn nur 100 Exemplare von dieser Dissertation drucken zu lassen und im
Gespräche mit einzelnen, wie öffentlich durch meine Disputation zu zeigen, daß
nicht alle falschen Ideen, die sie enthält, aus meinem Kopfe entsprungen sind. Pour
la rarite du fait schicke ich sie Ihnen. Sie werden sie vielleicht mit einiger Auf-
merksamkeit durchlesen und, nachdem Sie erfahren, wie sie entstanden ist, gewiß
mit der gehörigen Schonung beurtheilen. Allein mit welch einem andern Gefühle ||
hätte ich Ihnen meine erste Dissertation überschickt und mir Ihre Meinung über
sie erbeten. Jetzt liegt sie unnütz da, — doch nicht ganz unnütz für mich! Als
ich sie schrieb war ich Ihrem Geiste näher gerückt; seine wärmenden Strahlen
haben in mir ein beseeligendes Wonnegefühl erzeugt, das mir auf der trockenen
Geschäftsbahn, nachdem ich eigentlich philosophischen Speculationen auf lange Zeit
habe Lebewohl sagen müssen, wohlthätig begleiten und sich gewiß jedesmal bei
Empfang eines Briefs von Ihnen aufs angenehmste erneuern wird. Hierin, glaube
ich, liegt die dringendste Bitte uns von Zeit zu Zeit durch einige Zeilen zu erfreuen. ||
Ich sage Ihnen weiter nichts über meinen Aufenthalt in Dorpat. Diese Er-
innerung ist für mich nicht angenehm und die süßen Stunden der Unterhaltung mit
Ihnen, mag ich nicht verbittern. Sie haben auch vielleicht schon von dem würdigen
H. Professor Gaspari, dem ich meine ganze Hochachtung zu versichern bitte, aus-
führlich über mein Examen Nachricht erhalten.
In Petersburg habe ich meinen Bruder Georg wieder gefunden. Wie sehr der
Umgang mit ihm zu meinem Glücke mit beiträgt, stellen Sie sich leicht vor. Doch
muß ich noch um Sie ganz in dieß Verhältniß einzuführen, hinzusetzen, daß seine
Gesundheitsumstände sich außerordentlich verbessert haben und er dadurch immer
empfänglicher für Frohsinn wird, was ihm meinem Alter, meinem Charakter immer
näher bringt; von Seiten des Verstandes l| trägt die, durch den Umgang mit Menschen,
in uns zunehmende Überzeugung, von der großen Verschiedenartigkeit der Meinungen
in der Welt, sehr dazu bei die Notwendigkeit der Toleranz einzusehen und das
angenehme Gefühl, das im Gegentheil die Harmonie derselben in uns erzeugt, zu
erhöhen. Unter Menschen schleifen sich die Ecken, die die Geselligkeit hindern,
bald ab; die Menschen in der Gesellschaft sind sich mehr gleich, und passen mit
ihren abgeglätteten Flächen mehr für einander.
Meine praktische Laufbahn habe ich bereits angetreten, zwar habe ich mir
wegen der Weitläuftigkeit des hiesigen Geschäftsganges noch nicht den Collegien-
assessortitel erschwingen können, allein durch die Bekanntschaft mit dem Reichs-
April 1810. 67
Schatzmeister Baron von Campenhausen habe ich die Stelle als Secretair bei1) || erhalten
und bin zugleich beim Finanzdepartement in der Buchhalterei angestellt worden.
Die Finanzen, der wichtigste Zweig der Staatsadministration, hat jetzt die ganze Auf-
merksamkeit der Regierung auf sich gezogen, zwar nicht, weil das Glück des Volkes
davon abhängt, sondern weil der Beutel von Gelde leer und die Banken zwar mit
Zettel gefüllt, allein die Fabrication derselben, da sie auf der Börse immer mehr
sinken, hat eingestellt weiden müssen. Jetzt ist ein silb. Eubl., der in den ersten
Jahren von Alexanders Regierung zu 1 Rubl. 25 Kop. stand, 3 Rubl. 13 K.
Man denkt jetzt ernstlich daran, die Finanzen zu verbessern, d. h. (aus dem
russischen übersetzt) sich Geld zu verschaffen. Man wählt aber dazu Mittel
durch welche, wenn auch j| dieser Zweck erreicht wird, die Finanzen, im eigentlichen
Sinne, verschlimmert werden, denn das Volk wird ruinirt und seine Industrie völlig
gelähmt. — Alle die Gelehrten, die man als große theoretische Staatswirthe consultirt,
kennen Rußland nicht, wollen einführen, was in ihren (gewöhnlich einseitigen)
Theorien ziemlich richtig seyn mag, aber bei uns gar nicht anwendbar und höchst
verderblich ist; endlich gehen sie, — ohne allen Patriotismus, der nur einzig einen
Staat aus seiner critischen Lagen retten kann — dem Braten nach! (Bezieht sich
auf ein bestimmtes Faktum in einer Gesellschaft.) —
Die große Veränderung durch welche ein höchstes Reichs Conseil formirt
worden, war, wie die Folge deutlich zeigt, nur eine Hofs || Intrigue, durch welche
die alten Minister gestürtzt worden sind, um Einen Mann, den Reichssekretair
Speransky zum allmächtigen Minister zu machen. Er thut jetzt alles und die hohen
Reichsräthe nichts. Unsere Lage ist höchst bedenklich : im Innern alles in Zer-
rüttung, die stärksten Bande fangen an sich zu lösen, und von außen werden wir
von einem verheerenden Gewitter bedroht.
Meine praktischen Arbeiten sind durch meine mangelhafte Kenntniß der
russischen Sprache sehr beschränkt; ich muß mich gegenwärtig ganz mit ihr be-
schäftigen und zugleich mit dem interessanten Studio des hiesigen Geschäftsganges.
Erst, wenn ich das etwas hinter mir habe, gehe ich mit allem Ernste ans Studium
des Finanz Wesens und vorzüglich an die politische Arithmetik. || Einer von den
3 Männern, Herbart, Heeren oder Thibaut muß mich daher immer Wechselsweise
beschäftigen. Mögte ich doch bald von Taxen und Rechnungen zur goldenen Philo-
sophie zurückkehren. Leben Sie unterdeß stets heiter und in einer Wirksamkeit,
die Ihrem Geiste, Ihrem Eifer fürs Gute sich immer mehr erweitern möge. Schenken
Sie die Fortdauer Ihres Andenkens Ihrem
Alex. Sievers.
Mein Bruder ist vor einigen Tagen nach Lievland gereist. —
Casimir C. legt einen Brief an Sie mit bei, und ich bitte um die baldige und
sichere Besorgung des Briefes an Heeren wodurch Sie mich außerordentlich ver-
binden.
256. Dissen an H.2) Göttingen am löten Apr. 1810.
Hochgeehrter Herr Professor!
Zuvörderst meinen herzlichen Dank für Ihre doppelte Zuschrift, die beidemahl
mit so viel Belehrungen beschwert war. Einiges von dem, weshalb ich in dem
früheren Briefe gefragt hatte, war mir selbst nachher klar geworden, wie über die
Tugend, über das Ich, was nun Ihre Antworten bestätigen. Die Psychologie les'
1) Der Name fehlt im Original.
2) 3 S. 8°. H. Wien.
58 April 1810.
ich jetzt mit Richthofen durch ; es ist aber in dem Gedruckten Exemplar von p. 93
an für mich noch Dunkelheit; auch Richthofen konnte mir keinen vollkommenen
Aufschluß geben. Unter den modificirten Vorstellungen denk' ich mir z. B. das
Zusammenklingen zweier Töne, während jeder für sich der reine wäre. Es ist nun
die Frage, wann wird man sie als zwei verschiedene unterscheiden? Natürlich wenn
im Zusammenklingen sie nicht in einander laufen, sondern als verschiedene hörbar
sind. Nicht so ? Nun wird auf sie, die sich selber halten können im Bewußtsein, die
Formel angewendet, welche dem gilt, was unter der Schwelle ist. "Wie das? Im
übrigen versteh' ich alle Rechnung sehr wohl. — Eine zweite Bitte ist, daß Sie
mir doch gütigst einiges über die Fichtesche |l und Kantsche transcen dentale Freiheit
sagen möchten; ich erinnere mich, daß Sie einmahl im Collegio von einem Unter-
schiede in den Vorstellungsarten beider sprachen. Die Kantsche denk ich umfaßt
zweierlei, absolutes Produciren der moralischen Einsicht (Selbstgesetzgebung) und
absolutes Produciren des "Willens (Selbstbestimmung), also die Kraft, das Princip,
worin Einsicht und Folgsamkeit eins sind. Wie nun Fichte? Es thut mir leid, daß
ich nicht schon als Sie hier waren darnach gefragt. Aber so geht es; man achtet die
Kostbarkeit des Diamants nie mehr, als wenn man ihn verliehrt. Es steht aber
fest bei mir, daß ich Sie einmahl besuche. Von Tölken sind Nachrichten aus Rom ;
er studirt mit ungeheurem Fleis Kunst und Alterthum. Auch Bruschius hat ge-
schrieben. Sein Erziehungsgeschäft geht so gut, daß er erst kürzlich eine annehm-
liche Stelle in seinem Vaterlande ausgeschlagen hat. — Sie schreiben mir von einem
Plan des Herrn Gottholdt in Rücksicht der Odyssee. Die Wahrheit zu sagen finde
ich es höchst indiscret, daß derselbe sich in etwas eindrängen will, was längst unter
uns abgemacht war, und was öffentlich schon angezeigt worden. Zwar das Interesse,
das Sie an der Sache nehmen, und dieses, daß Sie schwanken, wen Sie als Be-
arbeiter wünschen sollen, ist für mich kein günstiges Urtheil. Nichts destoweniger
kann ich, wenn anders Sie mich nicht ganz untüchtig glauben, von meinem Recht
nicht abstehn, || und ich hoffe nicht, daß Herr Gotth. wiid den Streit erheben wollen.
Himmel das Feld der Paedagogik ist ja so groß, daß er Raum genug finden wird;
warum nimmt er nicht den Herodot? Weil ich aber so bestimmt gezwungen bin,
mich zu erklären, so erklär ich daß diesen Sommer ich das Buch nicht schreiben
kann, weil ich eine Homerische Grammatik vorhabe, und ich zunächst durch Philo-
logie mir eine Existenz verschaffen muß. Dieses fesselt mich aber an das Studium
des Homer, daher weid' ich dann erstlich für den Paedagogischen Unterricht eine
Gr. schreiben können, zweitens, weil ich mehrere Collegien jetzt ausgearbeitet habe,
die paedagogische Arbeit selbst bequemer vornehmen können, was denn auch sofort
geschehn wird. Wollen Sie indeß, daß es anders sei, so fürchten Sie nichts, Sie
wissen, daß ich nie mich her vorgedrängt habe; am allerwenigsten werde ich gegen
Ihren Willen etwas unternehmen. — Über alles dieses hab' ich auch mit Richthofen
gesprochen. — Diesen Sommer les' ich wieder alte Philosophie und Logik; ich bin
neugierig, wie weit Hr. Schulze mich erdrücken wird. Butterwek hat Naturphilosophie
angekündigt.
Mit inniger Hochachung und Dankbarkeit Der Ihrige
Dissen.
Herr Mayer hat versprochen, nächstens zu zahlen; dann werd' ich Ihnen auch
das Geld für die Bücher übersenden.
August — Oktober 1810. 6g
22. Apr. Rede an Kants Geburtstag. S. Bd. III. S. 50 — 71.
7. Aug. : Gesuch wegen der Auctorisirung eines didaktischen Instituts zu Königsberg.
S. Bd. XIV. S. 29—32.
257. Griepenkerl an H.1) Hofwyl, d. 28ten August 1810.
Einem langen Briefe schicke ich dieses Blättchen nach, damit Sie, wenn etwa
jener Brief verloren ginge, doch wenigstens erfahren, daß ich schrieb. Die Ge-
schichte mit Dyssen und dem kleinen Werke hat mich besorgt gemacht.
Damit doch aber dieses Blättchen nicht ganz umsonst die weite Reise macht,
so will ich Ihnen melden, daß ich gestern von einem verständigen Manne erfuhr,
die meisten der von der Preußischen Regierung nach Iferten geschickten, jungen
Männer seien wacker. Werden Sie auf diese Männer zählen? Soll ich sie näher
kennen zu lernen suchen? Können Sie mir zu ihrer Vorbereitung Aufträge geben?
— Soviel versichere ich, daß der Aufenthalt in Iferten einem gesunden Kopfe nicht
nachtheilig, sondern höchst zuträglich ist. Der dort herrschende Geist feuert un-
gemein an und macht berufsfähig.
Sollte man nicht an den analytischen Unterricht für Volksschulen vor allen
Dingen denken ? Er ist das einzige Mittel, die Kinder den schädlichen Einflüssen
der häuslichen Erziehung zu entwinden. Kann man der Schule nicht eine über-
wiegende Kraft gegen die Mängel der häuslichen Erziehung geben, so wird man
immer noch nicht viel ausrichten. — Wie weit ist die Psychologie? Sie wissen, wie
diese mich interessierte. — Was fangen Sie mit der Naturphilosophie an? Sagen Sie
mir nur ein paar Worte darüber. — Die Idee der Vollkommenheit macht mir viel
zu schaffen, weil sie mir in den Künsten das meiste zu erklären scheint und mich
mit dem Gedanken immer plagt. Symmetrie und die sogenannte [Einheit] stören
mich auch immer. Ewig der Ihrige
F. Griepenkerl.
(Nachschrift an den Briefrändern, auch der Adreßseite.)
Sind Sie nicht dafür, daß vor allem ein Central-Seminarium angelegt werden muß,
wo Sie selbst mit einigen Gehilfen die Leute bilden, welche nachher andere Seminarien
dirigiren sollen? — Schweins' System der Geometrie kann ich Ihnen nicht genug
rühmen, ich bin ungemein verblendet, aber das Buch ist ganz aus achtem mathe-
matischem Geiste hervorgegangen. Schmids Einfall, die Algebra nach Pestalozzis
Grundsätzen zu bearbeiten ist so toll nicht, wenn man nur weiß, daß die alten
Grundsätze Pestalozzis dort untergeschlagen sind. Synthesis ist Pestalozzis Methode
und synthetisch kann die Algebra allerdings bearbeitet werden. Schweins hat im
Großen so etwas vor: er will nämlich die ganze Größenlehre mit allen ihren Zweigen
als eine Wissenschaft bearbeiten, der die bloße Zahlenreihe zu Grunde liegt. 2) Es
scheint mir begreiflich und möglich, ich möchte Ihr Urtheil darüber hören.
In Ihrer Pädagogik S. 17 steht unten : aus Gedanken werden Empfindungen etc.
wie geht das zu? Es scheint mir, als würden aus Empfindungen Gedanken. Er-
klären Sie mir doch das gelegentlich. Vielleicht verstehen wir das Wort Empfindung
auf verschiedene Weise. Auf einer der letzten Seiten Ihrer Metaphysik steht:
Denken sei eine Empfindung — , so verstehe ich es.
258. Griepenkerl an H.3) Hofwyl d. lten Oktober 1810.
Sie schreiben mir in Ihrem letzten Briefe, daß Sie jetzt Sich mit Natur-
philosophie beschäftigen. Dies ist mir völlig unverständlich. Ihr System ist realistisch
*) 2 S. 4°. H. Wien.
2) Franz Ferd. Schweins (1780—1856), vgl. Allg. D. Biogr. Bd. 33, S. 364-
3) 4 S. 4°. H. Wien.
7o
Oktober 1810.
und razional. Giebt es außer dem Realismus noch sonst eine Naturphilosophie?
Mir scheint, als dürften Sie zwar in Ihre Metaphysik noch so viele Probleme auf-
nehmen, als sich geben; aber außer der Metaphysik und der praktischen Philo-
sophie muß Ihnen ein Drittes neues völlig fremd sein. Was diese Ihre beiden
Systeme nicht umfassen, das — so scheint es mir — könne füglich dem Meinen,
Glauben oder Hoffen überlassen bleiben. Eine Lehre aber, wie man. Meinen,
Glauben oder Hoffen dürfe, scheint mir eine misliche Sache, wenigstens möchte
ich nicht, daß sich ein Philosoph daran machte; denn der soll das Wissen lieben.
Ärmlich und klein muß stets jede Metaphysik dastehen; aber ich für mein Theil
bin gern mit diesem Wenigen zufrieden, weil ich nicht gern die Gesundheit und
Gediegenheit des Denkens um einen größeren Besitz, der doch nur Täuschung sein
könnte, aufgeben möchte. Es bleibt der Phantasie noch so unendlich viel, zwar
Täuschung, doch ein erfreulicher Besitz, den das Unsichere, ist es erkannt, wenig
verkümmert. Mir wenigstens würde ihn nie eine menschliche Metaphysik rauben
können, sei sie auch die menschlich vollkommenste. Zu dem Meisten in der Natur
giebt die Erfahrung nicht die hinreichenden Vordersätze, woher sollen die Schlüsse
kommen? Konnte auch Gaus gegen alle hergebrachte Regel eine Methode erfinden,
nach welcher der Standpunkt eines Himmelskörpers berechnet werden konnte, ohne
daß man alles gegebene, wie man es sonst zu solchen Rechnungen bedurfte, bei-
sammen hatte — : so wird doch der Metaphysik in ihrem Reiche dergleichen nie
gelingen. — Sie sehen jetzt deutlich, wo ich stehe und ich bitte Sie nun, mich
darüber aufzuklären. Daß ich irre, glaube ich; aber ich möchte es gern wissen
und zwar durch Sie, weil ich nicht selbst Zeit habe es klar zu denken.
Noch einige Einfälle will ich hersetzen, woraus Sie sehen werden, in welchem
Verhältniß ich jetzt zu der Metaphysik stehe. || z. B. a) Wäre ich Ihr Gegner, so
würde ich Sie bei den zufälligen Ansichten angreifen. Ihre angeführten Beispiele
würde ich alle gelten lassen, würde mich anheischig machen, noch eine ungezählte
Menge anderer hinzuzufinden ; würde aber diese Art der Werdung und Verwand-
lung des gleichen Gedankens aus anders und anders zusammengesetzten Vorstellungen
völlig von der Metaphysik, als ein außer wesentliches, von außen angepasstes Glied,
zu trennen suchen und in Ihr Gebäude dadurch eine Lücke reißen, in welche
manches andere Benachbarte dann auch hineinstürzen müßte, ich sage, dies würde
ich thun, wenn ioh Ihr Gegner wirklich wäre oder es aus Laune gerade sein wollte.
b) Die Methode der Beziehungen lasse ich unangerührt; aber was würden Sie
zu einem Menschen sagen, der den anscheinend unsinnigen Einfall hätte, die
Abstrakzion der höchsten Begriffe also vorzunehmen, daß er während des Ab-
strahirens alle Beziehungen mit dächte, und also die Methode überflüssig machte?
— Wie? wenn eine Pädagogik im Reich der Erkenntniß sich solche Zwecke vor-
setzte? Ob das möglich wäre? Nachdem die Beziehungen ein Mal gefunden sind, ist
es sicher möglich. — — ich muß gestehen, daß, wenn jemand sich etwa so über
Ihre Metaphysik äußerte, ich nicht im Stande wäre, ihm mit völligem Bewusstsein
zu antworten ; es würde ein für mich mißlicher Streit. — — Hat sich der Skeptiker-
Schulz noch nicht gegen Sie gestellt? Eine Recension Ihrer Systeme, die mir zu
Gesicht kam, war höchst elend. Eine andere Recension Ihrer Pädagogik — Pictet
hatte sie im Julius -Hefte seiner Bibl. Britann. aus einem Londoner Blatte ins
Französische übersetzt — war nicht minder ohne alle Besinnung. Es hieß darin,
daß Sie zwei Haupttheile der Pädagogik, nämlich : die Bildung des Gedächtnisses und
der Phantasie völlig übersehen hätten. Ferner meinte er, man könne die Pädagogik
nicht tiefer hinuntersetzen, als wenn man ihr die Zwecke des künftigen Mannes im ||
Kinde vorsetzte, die Erziehung vermöge etwas mehr als das — und was dergleichen
Oktober 1810. 71
sinnloses Geschwätz mehr war. Zuletzt sagt er, man würde finden, daß er trop
comun über den Gegenstand gesprochen habe, dieser aber wäre encore plus
comun. — — —
Erwarten Sie noch etwas Rechtes von dem Verstände Ihrer Zeitgenossen in
Europa? — ich muß gestehen, daß ich bei weitem mehr von der Willenlosigkeit
derselben erwarte, und von der Noth, die nach und nach gräslich hereindringt. Wer
da Willen hat für alle, wer da helfen kann, der ist willkommen, der kann würken;
denn in seiner Hand hat er den ganzen Haufen mit seinen angebor nen Führern.
Meine Achtung für Fichte war immer noch sehr groß, bis ich neulich erfuhr,
daß er ein Buch geschrieben hat, in welchem er sein System aus der Bibel ableitet.
Aber so ist es von jeher in der Welt gewesen, daß der Mensch es mit der Narrheit
versucht, wenn er mit der Vernunft nicht mehr durchkommt. — Diese ungeheuer
egoistische Philosophie bestätigt sich nun ganz in ihrem Charakter.
Wolf ist ja nun aus Berlin vertrieben und Sie haben einen Gegner weniger.
Der Grund übrigens, welcher in der allgemeinen Zeitung dafür angeführt wurde, ist
ein leidiger Grund und wird gewiß alle rechtlichen Männer abhalten, nach Berlin
zu gehen. Auf die Weise müsten Sie jetzt auch verbannt werden, weil Sie mir
schreiben, daß an der Universität in Königsberg nichts sei.
So richtet man das Bischen gute Meinung, welches noch übrig war, auch zu
Grunde und macht, daß die warm© Theilnahme, mit welcher so viele erfüllt sind,
scheu zurückbebt. Aber vielleicht bindet Wolf selbst den armen lesenden Menschen
dergleichen Possen auf. — — Tölken war vor ein Paar Tagen bei mir. Er hat
durch seinen zweijährigen Aufenthalt in Rom gewonnen und verloren. Gewonnen
an mancherlei Kenntniß, verloren an philosophischem Ernst — er ist noch nicht
Mann, weniger als ers vorhin war. [| Vielleicht werden wir ihn als Lehrer der neueren
Geschichte, der neueren Litteratur und der neueren Sprachen bei uns anstellen,
wenn er vorher sich noch eine Weile in Paris aufgehalten hat. Jetzt reiset er für's
erste nach Bremen. Langwerth soll sehr in Noth sein — wissen Sie etwas von
ihm? Können Sie ihm nicht etwa helfen? Ich weis durchaus nichts von ihm. Be-
komme ich noch den Tölken, so habe ich dann schon drei Menschen in meiner
Nähe, mit denen ein Mal etwas Außerordentliches anzufangen und auszuführen ist.
Machen Sie, daß wir Ihnen nicht zuvorkommen. — — — Untersuchen Sie doch,
was ich Ihnen neulich von der Anwendung der Gesetze des Geschmacksurtheile auf
die Vorstellung der krummen Linie schrieb. Die ästhetik der Formen gewönne da-
durch ihren ersten Satz.
S. 85 der Metaphysik, wo gefragt wird, in welchem Verhältniß sich die Thätig-
keiten hemmen werden, kann ich nicht begreifen, woher die unten angegebenen
Veihältnißzahlen kommen — ; sagen Sie mir doch das gelegentlich. Sie wissen, ich
verstand damals nichts davon, weil ich keine Mathematik wüste — jetzt werde ichs
verstehen. Lesen Sie doch das Buch: Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen
Physikers, herausgegeben von J. W. Ritter Heidelberg bei Mohr und Zimmer 1810.
8. 2 B. Viel Halbes und viel Herrliches ist darin. Herders Tochter habe ich diesen
Sommer kennen gelernt. Sie ist die liebenswürdige Frau eines achtungswerthen
Mannes und gleicht sehr der Herderschen Poesie. — — —
Kürzlich ist einer von den nach Pestalozzi gesandten Preußen, ein gewisser
Braun, schleunig nach Berlin zurückgerufen worden. Noch ist er nicht abgereist,
ich habe ihn einladen lassen, mich vorher zu besuchen. Ist er der Mensch danach,
so werde ich ihm manches sagen, ist er nicht, wie er sein muß, so laße ich ihn
ziehen.
Dies ist der fünfte Brief, den ich Ihnen schicke — ich hoffe, Sie werden
y 2 Oktober 1810.
meine Beharrlichkeit nun nicht wieder so lange erproben wollen, es möchte mich
sonst bös machen und meiner Beharrlichkeit eine andere Richtung geben.
Von ganzem Herzen grüßt Sie Ihr treuer
F. Gpkl.
259. Griepenkerl an H.1) Hofwyl, 19 ten Oktober 1810.
Ihre Freimüthigkeit kann ich wohl ertragen, ich bin selbst gern freimüthig
und muß wünschen, daß jeder, der mit mir in ein näheres Verhältniß tritt, sie auch
von mir ertragen könne. Nehmen Sie meinen wärmsten Dank für Ihren Brief und
möge Sie niemals irgend etwas abhalten, freimüthig mir zuzureden, ich werde es
als einen Beweis der Achtung von Ihnen aufnehmen. Kein Verhältniß ist rein,
nach meiner innigsten Überzeugung, in welchem nicht von beiden Seiten die heiterste
und freiste Offenheit herrscht, ich war schon in mancherlei Verhältnissen, deren
Innigkeit stets daran scheiterte, daß die andere Parthei die streitigen Punkte um-
ging, aus Furcht, die äußere gute Form des Umgangs zu verletzen. Mir liegt nichts
mehr an der äußeren guten Gestalt, wenn die innere Harmonie in Gefahr ist; diese
zu retten, ist mein erster Gedanke, und da bedarfs der Freimüthigkeit und Offenheit.
Wollen wir es so miteinander halten? Sie werden diese Wohlthat mir nicht weigern,
so wahr Sie ein ächter deutscher Mann sind. Sie sagen in Ihrem Briefe: „Über-
einstimmung zwischen uns beiden müsse bleiben" — jene Freimüthigkeit von beiden
Seiten wird die Hauptbedingung ihrer Befestigung und Erhaltung. Wir würden
bald selbst in bedeutenderen Dingen nicht mehr übereinstimmen, wenn wir einander
den Mangel daran in unbedeutenderen Angelegenheiten verbergen wollten. Mis-
verständnisse unaufgeklärt auf sich beruhen zu lassen, wäre mir nun gar ein un-
erträglicher Gedanke, deshalb müssen Sie mir es verzeihen, wenn ich sogleich mit
der Aufhellung von einigen anfange.
Die pädagogische Zeitschrift unseres Institutes war dem Publicum schon einige
Monate früher verheißeu, als ich von Ihnen erfuhr, daß Sie auch dergleichen unter-
nehmen wollten. Sie hat zum Zweck, nach und nach die einzelnen großen Parthien
der Erziehung und des Unterrichts nach einem Plane ausgearbeitet zu liefern. Die
Zwischenräume von einem Heft zum andern können leicht Jahre groß sein. || Es
wäre unverzeihliche Vernachlässigung, wenn wir nicht einen Verein von Kräften,
wie er hier statt findet und noch geschaffen werden soll, zu solchen Arbeiten be-
nutzen wollten. Übernimmt jeder von uns hier ein einzelnes Fach, so sind wir
entweder sehr faul und untauglich zu dergleichen Arbeiten, oder wir sind in */4 Jahr-
hundert damit fertig. Indeß aber werden sich Erfahrungen genug bei uns sammeln,
welche gerade nicht geeignet sind, mit jenen großen Arbeiten vereinigt zu werden,
es wird das Interesse der Erziehungsanstalt, der Schullehrerbildungsanstalt und
der Armenschule es erheischen, daß wir diese nicht auf dem weitesten Wege dem
Publicum bekannt machen — : und dazu haben wir gewisse Zwischenblätter bestimmt,
welche den Raum von einem großen Hefte zum andern in unbestimmter Zeit füllen
sollen. Wir sind von keinem Staate begünstigt, unsere ganze Würksamkeit hängt
an dem Zutrauen des Publikums, dieses uns zu erhalten und es noch fester zu be-
gründen, müssen wir manche Schritte thun, welche wir sonst wohl ungethan lassen
würden.
An diesen Vorsätzen kann ich nun gar für mich allein nichts mehr ändern. Die
Vorschläge dazu, die Gedanken dazu u. s. w. rühren allerdings von mir her; jetzt
aber sind sie gemeinschaftlicher Beschluß des Institutes; als solcher sind sie dem
a) 8S. kl. 4°. H. Wien.
Oktober 1810. 73
Publikum schon vor einigen Monaten vorläufig verheißen, ich also kann Ihnen nicht
weichen, so sehr ich mich auch von Achtung für Ihre Absichten und für Ihre Person
dazu gedrungen fühle. Dem Verdachte der Vielschreiberei aber hoffte ich mich
nicht auszusetzen, als ich Ihrer Aufforderung, an Ihrem Journal mitzuarbeiten, zu
folgen versprach; denn damit war nicht gesagt, daß ich nun alle Monate mit einem
weitläufigen Aufsatze hervortreten wolle. Jene pädagogischen Miscellen werden mich
nicht viel Mühe und nicht viel Zeit kosten, indem ich blos die Redakzion |j über-
nommen habe und zu nichts weiterem verpflichtet bin, als zu einem Aufsatze
höchstens alle halbe Jahr. Ihnen würde ich auch halbjährlich einen solchen ge-
liefert haben, würde mich vielleicht verbindlich gemacht haben, meine Erfahrungen
über ein einzelnes Unterrichtsfach in einem fortlaufenden Zusammenhang halb-
jährlich zu liefern. Unserem pädagogischen Blatte hätte ich das ohne Umstände
entziehen können. Da Sie aber mit Recht vermuthen, daß zwei pädagogische Zeit-
schriften, die ohne das viel Ähnliches haben müßten, nicht neben einander bestehen
können; und wir aus den oben angeführten Gründen, unsere Zeitschrift mit ihrem
doppelten Zwecke nicht aufgeben können : so scheint mir Ihr Vorschlag sehr annehmlich
und alles Dankes werth. Nur weiß ich nicht, ob noch Zeit genug zu der Prüfung übrig
ist, welche Sie vorschlagen. Die Stimme des Publicum s, wie Sie aus eigner Erfahrung
wissen, entscheidet wohl für den Erfolg: aber für den Werth der Sache sehr wenig;
und wie spät entscheidet sie? Der Beifall Ihrer Freunde ist, wie ich Ihnen aufs
"Wort glaube, entscheidend. Stellten Sie hingegen den Beifall derselben in Ihrem
sehr geschätzten Briefe nicht als entscheidend auf, so würde ich nicht umhin
können, mich an einem Aufsatz von Bissen über Geschichte zu erinnern, an die Rolle,
welche Thiersch in unserer Privatsocietät x) und in Ihrer Metaphysik spielte, auch
daran, daß Sie mir einst bestimmt sagten, Kohlrausch sei ein Fichteaner. Was
sagen Sie zu folgendem Vorschlage? Sie Selbst verantworten, was Sie einsenden,
ich verantworte (oder vielmehr das hiesige Institut) was ich einrücken lasse, ich
werde alle Kräfte aufbieten, um solche Arbeiten zu liefern, in deren Gesellschaft
aufzutreten weder die Ihrigen noch die Ihrer Freunde, sich zu schämen Ursache
haben sollen, wenn sie auch hinter den Ihrigen weit zurückstehen. ||
Darüber bitte ich Sie dringend, mir gleich zu schreiben. Werden wir einig,
so übergebe ich dann dem Publikum eine vollständige Ankündigung worin auch von
Ihren Beiträgen und von denen des didaktischen Institutes die Rede sein wird. Eine
Abschrift davon übersende ich dann Ihnen mit der Bitte, es in die bei Ihnen ge-
lesenen Blätter zu befördern. — Sauerländer in Aarau hat sich endlich entschlossen,
den Verlag zu besorgen, sich aber vor der Hand auf kein Honorar eingelassen, also
kann auch ich vor der Hand noch keins versprechen, sobald aber dergleichen sich
bietet, werde ichs gewissenhaft vertheilen. Die würdigen Lehrer an Ihrem didak-
tischen Institut bitte ich von mir herzlich zu grüßen, sie meiner Theilnahme an
ihrem Geschäfte zu versichern, und daß ich mit nicht geringer Erwartung ihren Arbeiten
entgegen sehe. Ich freue mich außerordentlich auf die Verbindung, der wir ent-
gegensehen und verspreche mir die herrlichsten Erfolge davon. Noch ein Mis-
verständniß habe ich aufzuhellen. Stets bildete ich mir ein, Sie wünschten in ganz
Preußen ein pädagogisches Oanxes zu schaffen, bis Sie mir den Wahn durch Ihren
letzten Brief nahmen. In meiner Phantasie sah ich Sie dahin streben und fragte
J) Eine ,, Unterhaltungsstunde" , die Herbart mit seinen Vorlesungen über
Pädagogik zu verbinden pflegte. Vgl. Zillers Reliquien usw., S. 162, Anm. 1;
Dissens Kl. Schriften, S. 73, Kohlrauschs Erinnerungen, S. 109 und 0. \Villma.nn,
Herbarts päd. Schriften (Leipzig 1880) I. Bd., S. 567 ff. S. ferner den Brief Thierschs
an H. v. 2. Apr. 1812, S. 88.
74
Oktober 1810.
sorglich: Ei, ei, sind denn zu solch, einer Unternehmung die Menschen hei der
Hand? Sind die nöthigen Unterrichtsfächer ausgearbeitet? — Tragen die Worte
in meinem Briefe den Charakter nicht bestimmt in sich, so habe ich in der Dar-
stellung gefehlt, in meinem Sinne war nichts von der Frage, wie Sie sie verstanden.
Doch, ich muß mich auch darin rechtfertigen, daß ich Ihnen ein solches Streben
unterschieben konnte, wogegen Sie Sich so streng erklären, ich muß bestimmt sagen,
wie ich mirs dachte. || Es scheint mir nämlich eines Philosophen vollkommen würdig,
sich unter den Zeitgenossen eine Stelle zu wünschen, wie ich sie jetzt beschreiben
will. Nichts von, einem Centrum, aus welchem Befehle, Normen des Unterrichts,
welche aufgedrungen werden, hervorgehen; sondern eine freie Gesellschaft und Sie
an der Spitze derselben mit völliger Freiheit, eine Pädagogik in Ausübung zu bringeu,
welche von Ihnen vorgetragen und von jener Gesellschaft gebilligt würde. Sie
würden dann ein Seminarium errichten, in welchem Männer gebildet werden sollten,
die künftig den einzelnen Seminarien in den verschiedenen Kreisen des Königreiches
vorzustehen bestimmt wären. Aus diesen Seminarien endlich würden nach und nach
die erledigten Schullehrerstellen besetzt werden. So würde das Ganze nach einem
Geiste nach und nach, vielleicht erst in 30 Jahren organisirt sein, und nicht auf
Befehlen und aufgedrungenen Normen, sondern auf geistiger Übereinstimmung be-
juhen. Jene Gesellschaft, deren beständige Fortdauer der Staat sichert, würde ge-
halten sein, über das Bestehen des Ganzen zu wachen. Die Grundgedanken müßten
unwandelbar fest stehen, die Maniren der Ausübung möchten sich ändern.
Erinnern Sie Sich, daß ich in einem meiner letzten Briefe darauf hindeutete?
Verwerfen Sie die Ausführung dieses Traumes auch? — Ob ich dadurch, daß ich
diesen Traum liebe, zu den seichten Reformatoren gehöre? — Ob ich wohl über
dem pädagogischen Würken die Pädagogik vergaß? — — — — Vom analytischen
Unterrichte könnte ich manches sagen, es ist aber für einen Brief zu wTeitläuftig, in
meinem Buche ist etwas davon vorhanden. Sehr schwer ist die Ausführung; jeder
ungeübte muß vor den Kindern sehr häufig in Verlegenheit kommen, wenn er nicht
|| schwatzen will. Der Erfolg ist augenscheinlich groß. Gerade durch den analytischen
Unterricht kann man bewürken, was Sie vielleicht leugnen, daß das Kind in seinem
geistigen Heranwachsen, beständig geistig gesund bleibe. Der synthetische Unterricht
bleibt dessen ungeachtet in seinen Ehren. — Dem analytischen Unterrichte ver-
danken wir allein die Heilung unserer Zöglinge, die wir alle verzogen und ver-
schroben erhielten. Lange wollte die Synthesis nicht wurzeln, natürlich, denn die
Phantasie war verwildert und an unstätes, unklares Schwärmen über der Um-
gebung gewöhnt. Der Analysis gelang es, den Blick zu fesseln, nach und nach den
trüben Vorstellungskreis zu erhellen und gewisse Bedürfnisse zu erregen, welche
die Synthesis zu befriedigen versprach. So war Interesse für sie gewonnen, denn
auch das Abstrakte, womit sie jedes Mal anfängt, war vorher durch Analyse gefunden.
In Sachen der Theilnahme lieferte uns die kindliche Gesellschaft für die Analysis
den ersten Stoff reichlich. Über diese ließe sich vieles sagen — ich verstehe ohne
sie nicht zu erziehen. Ein ander Mal schreibe ich mehr darüber.
Nun noch etwas von meinen Versuchen mit den krummen Linien für Form-
ästhetik. Die Symmetrie bei Seit, denn die Gesetze derselben scheinen mir klar zu
sein, wie es der Rhytmus in Musik und Poesie ist. Bald nachdem ich Ihnen zum
letzten Male von der Ellipse schrieb, wurde ich gezwungen, meine Versuche mit
ihr aufzugeben, weil ich eben nichts fand. Endlich fiel mir ein, daß jede krumme
Linie ein solches Kurtinum [?] von Vorstellungen sei, worin der Gegensatz allmälig
wächst (wenn auch nicht gleichmäß) ich dachte also darauf, ob man nicht in ihr die
Punkte nach demselben Gesetze finden könne, welches Sie in Ihrer || Metaphysik ent-
Oktober 1810.
75
wickeln und nach welchem die Punkte auf der Tonlinie hervortreten. Der Kürze
wegen nahm ich die schon vorhandenen Zahlen der Tonverhältnisse, machte sie zu
Ordinaten und suchte zu ihnen die Abscissen, und dann die gesuchten Punkte in
der krummen Linie zu finden. Von der längsten Ordinate im Kreise fing ich an,
setzte den Durchmesser = a = 2 also die längste Ordinate = y = 1. Nachher setzte
ich die Verhältnißzahlen der Sekunde, Terz u. s. w. für y und löste danach folgende
Aufgaben.
Die Gleichung für den Kreis ist: y2 — x (a — x)
Für die Sekunde
l|)2 = x (2 - x)
x = 1,458122 . .
Für die kleine Terz
m? = x(2-x)
x = 1,536736 . .
Für die große Terz
(| )2 = x (2 - x)
x = 1,6
Für die Quarte
(|-)2 = x (2 - x)
x = 1,661437 . .
lür die Quinte
(f)2 = x (2 - x)
x = 1,745357 . .
Für die Sexte
(in)2 =x(2-x)
x = 1,802764 .
Für die Septime
(A)» = x (2 - x)
x = 1,845905 . .
Für die Oktave
(-i)2 = x (2 - x)
x = 1,866025 . .
Da ich nun einmal im Rechnen war, so suchte ich in der Ellipse die gleichen
Größen, indem ich die große Axe = a = 4 setzte, die kleine Axe = c = 2, den
c' 22
Parameter = b = — = -j-= 1, die längste Ordinate = y = 1. Da nun die
Gleichung für die Ellipse ist: y2 = bx — — x2, so entstehen daraus, wenn ich
für y nacheinander die Verhältnißzahlen der Intervalle setze, folgende Aufgaben:
Sekunde
(t)2 = *-T
x = 2,916244 .
Kleine Terz
x2
X~T
3,073473
Große Terz
mv
X
x = 3,2
Quarte
(i)2 = *~T
x = 3,322498
Quinte
(»* = * -
x
(1 6 1\2 — r
\ 2" 7 0 / — X
4
x = 3,490713
Sexte
T
x = 3,605529
Septime
(tV)2=^-|>
x = 3,691810
Oktav
(i)2 = * -
x
x = 3,732050 = 2 + V3
Darauf zeichnete ich mir einen Kreis und eine Ellipse mit den gefundenen
Abscissen und Ordinaten, verband dann nach der musikalischen Harmonie zuerst im
Kreise, dann in der Ellipse die Punkte in der Curve, welche mir die Ordinaten zeigten
und fand — lauter gefallende Verhältnisse. Die Schönheitslinie, welche Hogarth
76
Oktober 1810.
•wahrscheinlich ohne tiefere Besinnung gemacht hat, läßt sich auf gar verschiedene
Weise daraus darstellen u. s. w. Auch die gradlinichten Figuren, welche im Kreise
und in der Ellipse liegen mögen zeichnete ich, und fand die in der Baukunst an-
gegebenen Säulen Verhältnisse, die aber auf tausend verschiedene Weise noch anders
möglich sind, richtig. Leicht läßt sichs nach Anleitung der musikalischen Harmonie
noch weiter fortsetzen, schwer aber sind die Gründe dafür anzugeben.
Warnen Sie mich nicht bestimmt davor, so theile ich diesen Versuch als
solchen, der sich noch zu keiner Anwendung und Ausführung schickt, dem Publicum
mit. Nun darf ich Sie nur noch bitten, mir über alles dieses sogleich zu schreiben
der Druck meiner Schrift beginnt in den nächsten Wochen. Die Ankündigung darf
also nicht länger aufgeschoben werden, als ein Brief nach Königsberg gehen und
wieder zurückkommen kann.
Thun Sie es gern und ist es in der Kürze möglich, so theilen Sie mir über
Ihre Entdeckungen in Naturphilosophie und Psychologie etwas mit.
Wie steht es jetzt mit Zeller?
Vor dem unanständigen Parteiwesen sind Sie von meiner Seite sicher.
Stets der Ihrige F. Griepenkerl.
W.: 5. Dez. Über Erziehung unter öffentlicher Mitwirkung. Vorgelesen in der K. D.
Gesellschaft zu Königsberg. S. Bd. III. S. 73— 82.
1811.
W.: Psychologische Bemerkungen zur Tonlehre. S. Bd. III. S. 07 — 118. — Berichte
über die Sitzungen der "Wissenschaftlichen Deputation. S. Bd. XV. S. 242 — 247.
18. Jan. Über die Philosophie des Cicero. — (Vorgelesen in der k. d. Gesellschaft
zu Königsberg am Krönungstage.) S. Bd. III. S. 83 — 95.
260. Griepenkerl an H.1) Hofwyl am löten März 1811.
ich hatte im Sinne, mein verehrter Freund, Ihnen einen langen Brief voll
Metaphysik zu schreiben und wurde stets durch meine Geschäfte daran verhindert,
ich kann es auch jetzt noch nicht; aber die Pflicht, Ihnen für Thr ehrenvolles An-
erbieten zu danken, darf ich nicht länger verschieben, ich wünsche nur, daß unsere
Zeitschrift Ihrer Beiträge stets würdig sein möge. Leider verzögert sich die Heraus-
gabe meiner Schrift noch ein wenig, weil ich hin und wieder Schwierigkeiten finde,
die ich nicht leicht und schnell zu besiegen vermag. Doch sehe ich das Ziel schon
sehr nahe. Sobald das "Werk abgeschlossen ist, werde ich eine weitläuftige An-
kündigung machen und Sie, nach Ihrer gütigen Erlaubniß als Mitarbeiter nennen,
ich danke Ihnen herzlich für Ihre "Warnung in Beziehung auf meine Versuche
mit den Formen. Sie sind mir seither auch noch verdächtig geworden, indem ich
andere Wendungen wagte, die aber vom endlichen Resultate und der Gewißlieit
desselben noch weiter entfernten. Unter anderen stellte ich Ordinaten nach den
Tonverhältnissen in gleichen Entfernungen, so daß also die Abscissen gleichmäßig
wuchsen, rechtwinklicht auf eine gerade Linie und zog eine Curve durch die End-
punkte der Ordinaten. Um die Eigenheiten derselben zu finden setzte ich dasselbe
Verfahren durch mehrere Oktaven fort, und so entstand dann unverkennbar die
transcendentale Curve, welche Euler die logarithmische oder Exponen- || tial- Curve
nennt. Anfangs glaubte ich wirklich einen großen Fund gethan zu haben; denn
diese Curve mit ihren wunderbaren Eigenschaften war mir bis dahin noch nicht
bekannt. Euler mäßigte diese voreilige Freude. Auch zeigte es sich zuletzt, daß
an der ganzen Beugung nichts Schönes war, so kühn sie auch von ihrer einen Seite
ins Unendliche hinausschweifte.
Von den Linien des dritten Grades scheint keine so sehr zu gefallen als die
fünfte nach Eulers Eintheilung, welche drei Diameter hat und durch folgende
Gleichung bestimmt ist:
xz — 3 xy2 = ax2 -{- ay2 -\- b3.
Sie entspricht dem gleichseitigen Dreiecke und kann in allen Verhältnissen richtig
gezeichnet werden, wenn man in die drei Winkelpunkte desselben Nadeln schlägt,
einen Faden herumlegt, denselben mit einem Bleistifte anspannt und nun rund herum
x) 4 S. kl. 40. H. Wien.
78 März 1811.
mit ihm die Curve beschreibt. Doch in diesen Verhältnissen hat sie nicht viel
Reizendes, ich ging darum einen Schritt weiter und bildete sie nach dem gleich-
schenklichten Dreiecke, wo sich dann in gewissen Verhältnissen die schönsten Figuren
zeigten. Könnte ich diese Verhältnisse schon bestimmt in Größen begriffen angeben,
vielleicht daß sich etwas Brauchbares fände; aber dergleichen geht bei meinen ge-
ringen Kenntnissen von der höheren Mathematik sehr langsam. — —
Die Idee der Vollkommenheit finde ich wieder in dem Rhytmus, in dem f.
und p. in dem crescendo und decrescendo in der Musik — in den Verhältnissen |j
des Helleren zu dem Dunkleren bei den Farben u. s. w. Ist es nicht so? Praktische
Philosophie S. 90 l) steht: „daß nun diese Vergleichung (die ästhetische Vergleichung
des Stärkeren mit dem Schwächeren nämlich) eine sehr viel weitere Sphäre hat,
als die Betrachtung der Willen ihr darbietet" u. s. w. — Es ist wahr, sie erklärt
in den Künsten weiter nichts, herrscht aber in den roheren Verhältnissen derselben,
so wie sie die erste Idee ist, welche in dem roheren Menschen ihre Würksamkeit
zeigt. Das wachsende Anstreben der Kraft gegen die Kraft wird das erste Ideal
roher Naturen. Ists nicht bei den Kindern das Gleiche ? In allen diesen Beziehungen
ist mir die Idee der Vollkommenheit von großer "Wichtigkeit. — — —
Von den zufälligen Ansichten, vom intelligiblen Räume, vom allgemeinen
Räume, von der Bewegung hätte ich Ihnen gern eine Reihe von Gedanken zur
Prüfung vorgelegt; aber ich habe in der That jetzt nicht Muße, sie wieder zu
sammeln. Meinen Einwurf gegen die zufälligen Ansichten haben Sie etwas zu rasch
beiseit geschoben, wie ich ihn ohne Weiteres aufstellte. Es ist eben schlimm, daß
die Erfahrung kommen muß, um sie wieder hineinzuführen, wenn sie etwa, als
nicht streng aus dem Probleme sich ergebend, beiseit geschoben wären, ich kann
nicht umhin, mich dabei an alle die Sätze zu erinnern, welche durch ein Hinaus-
treten aus dem angefangenen, strengen Gedankengang bei Rückblicken auf die doch
eben verlassene Natur und Erfahrung nebenher noch mit aufgenommen wurden;
z. B. Heraklit wenn er das Vorstellen erklären || will, Leukipp an derselben Klippe,
Platon wenn er ein wahrscheinliches Meinen annimmt, und später, wenn er die
Idee des Guten sich Beschauer schaffen lässt u. s. w. Sollten nicht die zufälligen
Ansichten, da sie doch an der Eigenheit der Wesen (sie haben ja keine andere, als
die, daß sie sind) nichts ändern, sondern nur eine Art des Vorstellens sind, sich um-
gehen lassen durch die Annahme verschiedenartiger Wesen? Sie lächeln. Doch, wie
der Begriff des Sein die Vielheit zuläßt, so gestattet er auch, die Verschieden-
artigkeit. Daß ein Wesen nicht ist was das andere ist, bringt in die einfache Be-
ziehung des Begriffes keinen Gegensatz; denn das eine wird nicht dem anderen ent-
gegengesetzt, indem es schlechthin gesetzt wild — und somit jedem. Das eine Setzen
hat mit dem andern Setzen gar nichts gemein, beide sind unabhängig von einander,
sei das Gesetzte auch verschiedenartig. — Bringen Sie mich nur recht in Verlegen-
heit mit meiner Verschiedenartigkeit der Wesen. — —
Mathematik und Philosophie werden fleißig getrieben. Unser Lehrer der
Mathematik am landwirtschaftlichen Institute, Heße aus Darmstadt, ein Verwandter
von Herder ist durch mich ein geistreicher Anhänger Ihres Systems geworden. Wir
treiben Mathematik und Philosophie miteinander. 2)
Schreiben Sie mir doch von Ihrem didaktischen Institute und von Ihren Ge-
hülfen. Sagen Sie mir auch, wie es jetzt mit der pädagogischen Unternehmung
in Preußen steht.
') Bd. II, S 359.
2) Vgl. den Brief Heßes an Herbart v. 14. Aug. 1823 und die Fußnote dazu,
ferner Brief Griepenkerls an H. v. 14. Juni 1811.
April 1 8 1 1 . y q,
Tölken sollte Pfarrer werden, hat sich aber bedankt und ist darauf in der
letzteren Angelegenheit der Hanse-Städte Gesandter seiner Vaterstadt in Hamburg ge-
worden. Schacht ist jetzt ein leidenschaftlicher Lehrer. Pestalozzi schreibt jetzt
ein Buch über seine eigene Methode im Gegensatze gegen die der Pestalozzianer.
ich empfehle mich Ihnen bestens und bitte um eine baldige Antwort.
Unveränderlich der Ihrige F. Griepenkerl.
261. Kohlrausch an H.1) Barmen im Großherzogthum Berg. April 12. 1811.
Viel später, als ich beabsichtigte und wünschte, Hochzuverehrender Herr
Professor, kann ich Ihnen die Arbeit überreichen, deren Grundidee in der Mittheilung
mit Ihnen und durch das Studium Ihrer allgemeinen Pädagogik, entstand.2) Sie ist
ausgedehnter geworden, als unser gemeinsamer Plan war. Ich wollte damahls nur
die ersten historischen Bücher des A. Testaments bearbeiten, welche, als älteste
Denkmahle der Menschengeschichte und als anschauliche Darstellung des ersten Cultur-
zustandes, den historischen Unterricht, noch vor dem Homer, beginnen möchten;
also ein Unterrichtsmittel für das Bedürfniß höherer Schulen und Stände. Ich fand
für meine Arbeit keinen Verleger; die Waisenhausbuchhandlung in Halle erbot sich,
durch Niemeyer, es unter der Bedingung zu übernehmen, daß ich das Werk über
die ganze Bibel, und für alle Arten der Schulen, ausdehne. Bei genauerer Er-
wägung schien mir dieses meinem ersten Zwrecke nicht nur vereinbar, sondern sogar
förderlich zu seyn; denn wenn auch die späteren biblischen Historien, nicht mehr
unmittelbar in die Reihe der Bildung für Theilnahme am Menschen und an der
Gesellschaft eingreifen, wenn sie schon durch den Homer verdrängt sind, so können
sie doch immer noch in der religiösen Reihe gebraucht werden. Ich übernahm es
daher, das Lesebuch für Kinder durch die ganze Bibel zu führen, und, um ihm die
ausgedehnteste Brauchbarkeit zu geben, zwei Commentare dazu zu liefern ; einen für
Volksschullehrer, welche die biblischen Geschichten vorzüglich nur zur moralisch-
religiösen Bildung benutzen können; einen zweiten für Lehrer höherer Stände, in
welchem auf alle Zweige der Bildung Rücksicht genommen ist, welche nur durch
unsern Gegenstand berührt werden mögen. In der Einleitung dieses letzten Hand-
buches habe ich alle diese Rücksichten, den Staudpunkt der ganzen Arbeit, und ||
manche weitere Ausführung des, unter Ihrer Leitung entworfenen Planes historischer
Bildung, dargelegt. Die Vereinigung der mannigfachen Zwecke bei dieser Arbeit ist
mir, glaube ich, in so weit gelungen, daß die höheren Classen mit dem Lesebuche
und dem Handbuche ein hinreichendes Hülfsmittel in Händen haben möchten, so
wie die mittleren Classen der Volksschule an dem Lesebuch mit der Anleitung. Ob
es für die niedrigsten Classen populär genug sey, kann ich nicht entscheiden, doch
ist das Lesebuch wenigstens immer um etwas verständlicher, als die Bibel selbst.
— Sollten Sie, hochgeehrter Herr Professor, zur größeren Verbreitung des Buches
Gelegenheit haben, wie ich nicht zweifle, so darf ich von Ihrer Güte hoffen, daß
Sie sie benutzen werden. Zu dem Ende melde ich Ihnen die Bedingungen, zu
welchen ich die Buchhandlung verpflichtet habe: das Lesebuch kostet im Laden
16 g. Gr., aber, wenn ein Schulmann, oder anderer, eine größere Anzahl Exemplare
*) 3 S. 4°. H. Wien.
2) Fr. Kohlrausch (1780 — 1865), Die Geschichten und Lehren der heiligen
Schrift Alten und Neuen Testaments zum Gebrauch der Schulen und des Privat-
unterrichts. Mit einer Vorrede von A. H. Niemeyer (30. Aufl. 1885) und einer
,, Anleitung für Volksschullehrer" (4. Aufl. 1837). Über die Entstehung dieser Bücher
und Herbarts Anteil daran vgl. Fr. Kohlrausch, Erinnerungen aus meinem Leben
(Hannover 1863), S. 109 ff. und 0. Willmann, Herbarts päd! Schriften (1880), Bd. I,
S. 567 ff., s. auch diese Ausg. Bd. III.
80 April 1811.
nimmt, und baar bezahlt, so bekömmt er den gewöhnlichen Buchhändler-Rabbat,
also das Buch für 10 g. Gr. 8 ^; derselbe Fall ist mit der Anleitung.
Ich habe mich vor einem Jahr, wie Sie vielleicht durch die Grotesche Familie
erfahren haben, hierher gewendet, um praktisch pädagogische Zwecke zu verfolgen.
Die Gegend ist wohlhabend, an guten Anstalten dürftig, und es scheint, als werde
mir eine gedeihliche Würksamkeit gelingen; ich habe einige Zöglinge im Hause,
und dazu eine beträchtliche Anzahl Schüler aus dem Orte. Das äußere Leben wäre
ziemlich gesichert, das innere muß sich aus sich selbst entwickeln. Aller Anfang
ist Stückwerk; was ich jetzt leisten kann, reicht bei weitem nicht an das, was ich
im Sinne trage; ob ich es hier, ob ich es je erreiche, hängt viel von Begünstigung
des Schicksals ab. ||
An literarischen Arbeiten möchte ich wohl, wenn mir irgend die Muße zu
Theil würde, eine theils berichtigende, theils bestätigende Antwort auf Jos. Schmid's
Ansichten und Erfahrungen über Erziehung u. s. w. unternehmen. Das Buch macht
zum Theil unverdientes Aufsehen, doch verdient es wohl, daß gezeigt werde, wie
das Wahre, das darin ist, von einem viel höheren Standpunkte aus begründet werden
müsse, als es hier erscheint. Der Mann scheint größtentheils nicht zu kennen, was
auf dem großen Gebiete Ruhe und Sicherheit geben mag; unter andern hat er Ihre
Pädagogik gewiß nicht gesehen. Vielleicht gewährt mir der Sommer einige ruhige
Morgenstunden zu dieser Arbeit.
Von Ihnen, hochzuverehrender Herr Professor, weiß ich nichts, als die all-
gemeine Nachricht, daß es Ihnen, wenigstens noch vor einigen Monaten, wohl ging,
und daß Sie im Begriff waren, Sich zu verheirathen. x) Nach den wenigen Blicken,
die ich in Ihr individuelles Leben thun durfte, erscheint mir dieses als ein großes
Glück für Sie; und ich wünsche von ganzem Herzen, daß es so sey. Mit der
innigsten Hochachtung, und, Sie verwerfen es nicht, wenn ich so sage, mit wahrer
Liebe, gedenke ich Ihrer, und der kurzen Zeit, da ich Ihres näheren Umganges genoß ;
es wäre mir sehr wichtig gewesen, wenn ich ihn länger genossen hätte. Ich würde
es für ein großes Glück halten, wieder in Ihrer Nähe leben zu können. Wäre es
Ihnen möglich, mir, auch nur einige, Nachricht über Ihre Lage und Zufriedenheit
zu geben ; es würde mir, in meiner jetzigen Abgeschiedenheit von meinen Freunden,
eine große Freude seya. Aber ich darf eine solche Güte um so weniger fordern,
da Sie Ihren näheren Freunden nicht häufig schreiben.
Wenigstens bitte ich auf das angelegentlichste um die Fortdauer Ihrer wohl-
wollenden Gesinnung gegen mich.
F. Kohlrausch Dr.
262. Richthof en an H,2)
Dammsdorf bei Jauer in Schlesien, den 24ten April 1811.
Es ist ein großes Glück, daß die Überzeugung unwandelbarer Freundschaft
auch ohne schriftliche Versicherung der alten Liebe bestehen mag; darum ist es mir
auch nicht im mindesten eingefallen zu murren, wenn wir auch seit geraumer Zeit
a) Als Tag der Trauung Herbarts mit M. Drake gibt Hartenstein (a. a. 0.,
S. LXXIII) den 13. Jan. 1811 an. Urkundliche Belege dafür waren trotz vieler
Nachforschungen in den Kirchenbüchern Königsbergs, die u. a. auch durch gütige Ver-
mittelung der Superintendentur angestellt wurden, nicht zu erlangen. Da Herbarts
Frau eine Ausländerin war, ist es möglich, daß die Trauung auf einem Konsulat statt-
gefunden hat. Über Herbarts Frau vgl. man die Mitteilungen, die der Philosoph an
C. von Steiger in den Briefen vom 29. Juli 1812, Abs. 2 und vom 15. Juli 1817
macht, und die zum Teil hier zum ersten Male veröffentlicht werden.
2) 4 S. 4°. H. Wien.
April 1811. 8l
nichts von Ihnen gehört. Sie waren früherhin so gütig in uns beiden manche
Aehnlichkeit zu finden; so mag sie mir denn jetzt zu gleicher Entschuldigung gereichen,
wie ich sie Ihnen aus vollem Herzen immer gewährt, wenn andere über Ihr Still-
schweigen geklagt. Wenn ich Ihnen aber auch nicht schrieb, so seyn Sie doch
darum nicht minder von meiner innigsten Theilnahme an allem was Ihnen begegnet
überzeugt; es hat sich wohl niemand so wie Therese und ich über die neuen Bande
gefreut, die Sie indeß geknüpft ! Es ist meine feste Hoffnung daß Sie dadurch ganz
glücklich werden mußten, daß Sie eine gute Wahl thaten; nur meine Wünsche für
Ihr Wohl, für Ihr zeitliches und ewiges Glück sind noch lebendiger. Grüßen Sie
Ihre Freundin von mir aufs herzlichste; ich kann nicht daran zweifeln und doch ist
es mein Wunsch, daß ihr Ihr Wohl so theuer sey als mir. |j Es geht kein Tag, keine
Stunde vorbei daß ich nicht fühlte, daß ich Ihnen alles verdanke, und es ist nicht
leicht für ein solches Glück zu danken, wie mir zu Theil geworden. Wer kann
Theresen immer näher kennen lernen, ohne sie immer inniger zu achten und zu
lieben? Leider ward sie nur diesen Winter durch viel körperliche Leiden häufig im
eigenen Genuß gestört. Bisher ist es ihr, seitdem Sie uns verließen, immer übler
gegangen, aber vielleicht ändert es sich jetzt, da wir in wenig Wochen ihre Ent-
bindung erwarten. Sie werden leicht glauben wie sehr ich dabei fürchte, aber die
Erfahrenen machen mir die besten Hoffnungen und ihnen muß man ja wohl glauben.
Wenn es ein Knabe ist, so erlauben Sie wohl, theurer Freund, daß durch Beilegung
Ihres Nahmens, ich ihm zugleich sein Ziel stecke?
Gewiß haben Sie mit uns über den Tod unsrer iniggeliebten Tante Mina ge-
trauert; es giebt wenig solche Wesen auf der Welt, um so bittrer ist's von ihnen
getrennt zu werden; es war mir als wäre meine zweite Mutter gestorben. Auch
Ihre Freundin war sie. Es war überhaupt ihre Weise tief zu fühlen, und wenig zu
reden. Sehen sollten Sie wie dabei sich || die herrliche Großmutter benommen; ich
bin gewiß Ihre Meinung über sie, würde sich in die innigste Verehrung umwandeln ;
nie sah ich ein so hohes Muster der schönsten Religiosität. Sie und Mutter sind
gegenwärtig bei uns.
Eine meiner Hauptbeschäftigungen diesen Winter war Pädagogik. Mein Bruder
hatte durch eine glücklicherweise etwas verspätete Kindheit 11 Jahre unverdorben
unter der Leitung der verdorbensten Menschen zugebracht, als ich ihn vergangenen
Herbst zu mir nahm, und gegenwärtig wächst er zu meiner Freude heran; wie lieb
habe ich nicht durch ihn den Homer gewonnen; die erste Hälfte der Odyssee ist
glücklich beendigt. Von Ihrer Pädagogik verspreche ich mir nachdem die Erfahrung
angefangen hinzuzutreten, fast noch mehr als vorher. Weniger glückt es mir bei
einer Schwester, die schon etwas zu alt war.
Über meinen dereinstigen Wirkungskreis bin ich nunmehr völlig entschieden;
für mich Philosophie, für die Mitwelt ihre Früchte, in einer möglichst vollendeten
Erziehungsweise; und erzieht man sich nicht selbst zu gleicher Zeit? ||
In pädagogischer Hinsicht habe ich auch dießmahl eine ganz eigenthümliche
Frage und Bitte an Sie. Ein Klostergut mit unermeßlichen Gebäuden, ganz zu meinen
einstigen Plänen geeignet, wird d. 14ten Mai an den Meistbiethenden versteigert,
und da dieß fast der einzige Ort ist der in der hiesigen Gegend meinen Zwecken
entgegenkömmt, so wünschte ich ihn zu kaufen. Da aber mein eigen Vermögen
nicht hinreicht, und in diesem Augenblicke wegen des Moratoriums, das alle alten
Zahlungen verschoben, kein Geld zu haben ist, so habe ich beschlossen, mich an
meine Freunde zu wenden, und zufällig höre ich daß Sie gesonnen waren Ihr Vermögen
aus Oldenburg zu ziehen. Wenn dieß angegangen, so würde ich Sie also es sey
nun so viel oder so wenig als es wolle, mir es zu leihen bitten, indem ich nicht
Herbarts Werke. XVII. 6
82 Juni 1811.
glauben kann, daß Sie mir mißtrauen dürften. Dabei wäre es aber nöthig, daß
Sie mir sogleich mit umgehender Post schrieben, weil sonst der Brief zu spät
kommen dürfte, und ich nicht mehr darauf rechnen könnte; auch würde ich Sie
bitten zu bemerken wie viel es sey, und wann das Geld zahlbar ist. Sie würden
mich dadurch aufs Neue sehr verbinden. Eine Gefahr dabei giebt es nicht, und
sobald Sie Geld wünschen, sollen Sie es immer zurückhaben. Doch dießmahl nicht
weiter; über alle Nebendinge werden wir uns leicht verständigen.
Ihr Freund A. Frh. v. Richthof en.
263. Griepenkerl an H.1) Hofwyl, am Uten Juni 1811
Neulich, mein verehrter Freund, schrieb ich Ihnen über die zufälligen An-
sichten unhaltbare Dinge. Die Metaphysik gestattet. Wesen verschiedener Art jedes
einzeln zu setzen; aber mit diesen ist Kraft nicht zu erklären. Woher soll die
Verneinung kommen in dem Zusammen der Wesen, ohne welche Kraft nicht gedacht
werden kann und die unfehlbar die zufälligen Ansichten herbei ruft. Begründet
sind sie durch den Begriff Bild hinlänglich : also fällt auch mein Einwurf weg, daß
sie von außen angepaßt seien. Soll von ihnen aus die Metaphysik angegriffen
werden, so muß man den Faden weit tiefer aufnehmen, als ich es that. Daß ich
gern alles aus dem Wesen hätte erklärt gesehen ohne das Bild zu Hülfe zu rufen,
dies mag meine Übereilung entschuldigen, die ich Sie bitte dem Feuer zu übergeben.
Mein Studium der Metaphysik mit Heße, wovon ich Ihnen schrieb, geht herr-
lich, ich wünsche jedem Ihrer Schüler wieder einen solchen Schüler
Daß die zufälligen Ansichten nicht von den Wesen, nicht ein Mal von den
einfachen Empfindungen, wirklich aufzustellen sind, stört uns oft. Geben Sie mir,
zu denen die ich schon habe, einige bedeutende Gründe. Zugleich bitte ich Sie,
mir ein Beispiel zu geben für die Form der Kombinazionen, welche in Ihrer Logik
in der Anmerkung zu den Begriffen mitgetheilt ist.
Dissens Buch erhielt ich vor einigen Wochen durch die Buchhandlung. Es ist
sogar zu spät, mich dafür zu bedanken. —
Manches habe ich im gleichen Sinne angestellt, manches habe ich übersehen,
manches kann ich noch jetzt vortrefflich nutzen. Aus der Ilias theilte ich zu viel
mit, auch die Geographie habe ich zu ängstlich und zu genau behandelt, doch nur
mit den größeren Knaben. Die Kleineren, die, für welche der Homer gerade paßt,
sind von diesen Fehlgriffen verschont geblieben, ich begreife nicht, wie Dissen es
angefangen hat, in vier Wochen seinen 8jährigen Knaben das Lesen, das Paradigma,
das Historische, das geograjihische u. s. w. einzuüben. Vier Monate waren mir fast
zu wenig dazu. — Mit Kohlrausch bin ich nicht einverstanden, wenn er darauf be-
steht, das alte Testament vor dem Homer zu gebrauchen. Bei unseren älteren
Knaben veranlaßte ein Misverständniß eines Lehrers das Umgekehrte : das alte Testa-
ment wurde ihnen nach dem Homer zur Vorbereitung auf die christliche Religion
gegeben — und beides mengte sich in ihren Köpfen untereinander. Wenn erst der
ganze griechische Geist in dem 13 bis 15jährigen Knaben herrscht und in der Ge-
schichte die christliche Epoche kommt, dann kann und muß alles das nachgeholt
werden. Für das Volk aber, das zur Theilnahme nichts hat als seine Geschichte
und seine Religion, hat Kohlrausch vortrefflich gearbeitet. — Schacht wird sich wohl
entschließen, den Deutschen ihre Geschichte zu diesem Zwecke zu bearbeiten. Er
thut viel bei Pestalozzi, und es wird erkannt, ohne daß man ahndet, wie bald da-
durch eine Revoluzion in jener Methode bewürkt werden muß. || Es führt zur be-
') 4 S. kl. 4°. 11. Wien.
Juni 1811. 83
schränktesten Einseitigkeit, wenn man Mathematik zum Hauptgegenstande des Unter-
richts macht. In Ifferten geschieht das und einige andere Unterrichtsfächer gehen
nur so beiher. Diese Verwirrung entstand noch vor drei Jahren aus der Meinung:
man bilde zur Sittlichkeit wenn man den Geist zur Forschung nach Wahrheit bilde.
Später siegte wieder Pestalozzis frühere Meinung : in der Bildung zur Liebe liege die
Bildung zur Sittlichkeit. Und diese Erziehung wurde einzig von der Mutter und
der Religion erwartet. Da nun die Mütter meistens schlechte Erzieherinnen sind
und Eeligion leer ist ohne das Gefühl der Schranken unseres "Wissens und Könnens,
ohne Theilnahme an der Menschheit und ohne Klarheit der sittlichen Ideen in ihrer
unerreichbaren Höhe: so mußte wohl das ganze Projekt bis auf einen gewissen Grad
mislingen. Jenes Gefühl der Schranken unseres Wissens und Könnens ist in doppelter
Beziehung höchst wichtig, ein Mal in der genannten, und zum anderen, indem es
zum beständigen Weiterforschen anreizt. Durch Mathematik kann es nicht gewonnen
werden, überhaupt durch nichts Formales. Eine Naturkunde hingegen, die nach einer
eigenen Einrichtung Naturgeschichte, Anatomie, Chemie und Physik in ein^r richtigen
Folge eng verbände und den Unterricht wie das Leben des Kindes, des Knaben, des
Jünglings stets voll Würde und Ernst begleitete, — möchte wohl am sichersten und
gesundesten dazu führen, möchte wohl die beste Vorbereitung zur Spekulazion sein.
Bei Pestalozzi findet sich davon keine Spur; auch hat die Geschichte erst seit einem
Jahre durch Schacht einiges Leben erhalten. Vorher plagte man sich mit Methoden,
Namen und Jahreszahlen zu behalten.
ich schrieb Ihnen ein Mal, daß ich für ästhetische Bildung von der Musik am
meisten erwarte; aber von meiner Ansicht der Behandlung derselben theilte ich
Ihnen nichts mit; auch kann das in einem Briefe nicht füglich geschehen. Nur
einen Hauptpunkt, in dem ich von allen bisherigen musikalischen Ästhetikern ab-
zuweichen gezwungen war: die gefallenden Grundverhältnisse aller Melodie sind
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Sie finden sich in jeder Durtonleiter nahe beisammen , und es wundert mich, daß
sie noch niemand entdeckte.
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Durch sie sind sowohl die neuen als die alten Tonarten erklärt. Zugleich ent-
halten sie die Hauptaffekte aller musikalischen Darstellung.
Zur Ästhetik der Formen ist noch kein Schritt weiter geschehen.
Daß wir wahrscheinlich Tölken als Lehrer der neueren Geschichte und der
neueren Sprachen hier anstellen werden, meldete ich Ihnen noch nicht. Er selbst
bot sich mir mündlich dazu an, als er hier war und unsere Art sah. Seit dem
mislang ihm ein bedeutendes Geschäft in Hamburg (er war Gesandter von Bremen
in der letzten Angelegenheit beider Städte); und dies befestigte seinen Entschluß,
Erzieher zu werden. Hätten Sie das vernmthet? Mit ihm wären dann hier drei von
Ihren Schülern (ich zähle Heße mit) und Sie dürften Hofwyl dann mit einiger
Sicherheit als Ihre Kolonie ansehen.
Der Buchhandel ist jetzt in einem so elenden Zustande, daß ich noch nicht
weis, wann unsere Zeitschrift in den Gang kommen wird. Kaum wagt es ein Buch-
händler, sie in Kommission zu nehmen. Diese Verzögerung ist mir sehr leid, weil
ich dadurch verhindert werde, Ihnen mein Wort zu halten. Denn ich versprach,
die Sache zu beschleunigen.
84 Junyj8ii.
Neulich vernahm ich auf weitem Umwege, Sie hätten Sich mit Miss Drake
vermählt. Ist dies Gerücht gegründet, so empfangen Sie hiermit meinen herzlichsten
Glückwunsch.
Schreiben Sie mir doch recht bald. Suchen Sie die zufälligen Ansichten bei
mir wieder zu befestigen. Heße merkt noch nichts von meiner Unruhe darüber
Nächsten Winter werden wir beiden die praktische Philosophie und die Pädagogik
studiren.
Mit der größten Hochachtung und Freundschaft der Ihrige
F. Griepenkerl.
264. Delbrück an H.1) Magdeburg, d. 16. Juny 1811.
Früher als irgend Jemand in Königsberg erhalten Sie, Theurer, Hochgeehrter
Freund, einliegendes Buch.2) Sie werden es mit Aufmerksamkeit lesen, mit Strenge
richten. Beydes wünsche und bitte ich in gleichem Grade; und am liebsten ver-
nähme ich Ihr Wort aus Ihres Freundes Heeren Munde oder empfange die Zeilen,
die Sie mir schreiben werden, aus seiner Hand. Dieß aber wird unmöglich seyn;
denn schon heute über 14 Tage, wenn Sie dieß kaum erhalten haben werden, ge-
denke ich in Göttingen zu seyn. Richten Sie aber immer ihre Antwort an Heeren,
dem ich hinterlassen will, wo Ihr theures Geschenk mich erreichen könne.
Bey manchem der Aufsätze, besonders S. 53—65 werden Sie sich unserer
Zusammenkünfte in Königsberg erinnern, mit Wehmuth und Freude. Oh sagen Sie
mir viel Lehrreiches über den Plan, den ich dem Buche einverleibt habe. Es ist
wirklich nur Ankündigung. Ich könnte sechs Bände geben, wie dieser; aber ich
will erst der sachkundigen Stimme hören und die Erfahrungen, die sich darbieten
werden, benutzen.
Wie viel liegt zwischen dem 12 t. December 1809, wo wir uns zum letzten
Male sahen und heute dem 16t. Juny 1811, wo meine Sehnsucht vergebens, ver-
gebens Sie zu mir herzaubern möchte, Sie, theurer Freund, dessen ernstes und
heiteres Gemüth, worinn die unzertrennliche Liebe der unzertrennlichen Natur und
Kunst auch so enge wirkt, mich gleich vom Anfang so angezogen hat. Mein bis-
heriges Stillschweigen könnte damit in Widerspruch zu stehen scheinen. Aber was
soll man || den Gemüthsverwandten denen man alle Tage Etwas mitzutheilen hätte,
an einzelnen Tagen eröffnen ? wenn man nicht Muße hat Bogen [?J voll zu schreiben ?
Jedoch um einen großen Genuß bringt man sich; und Sie sollen während meiner
Reise von Zeit zu Zeit Nachricht erhalten, die erste aus Göttingen, aus Ihres Freundes
Hause. Möge ich ihn nur finden! —
An unsere Abreise aus Königsberg kann ich immer noch nicht denken, ohne
mir Vorwürfe darüber zu machen, daß ich von Ihnen nicht Abschied genommen.
Seltsame und meistens verdrießliche Umstände hielten mich bis nach 12 Uhr von
Hause entfernt. Und ich kam so verstimmt zurück, so verstimmt! Jeder der acht-
zehn Monate, welche seitdem verflossen, hat eine eigenthümliche Denkwürdigkeit.
Wann, wann werden wir dieselben mündlich durchgehen können ? Wann und wo? —
Mir ahndet, hienieden nicht. — Während der letzten sechs Monate habe ich in den
heitersten Stunden und wo die Seele am unbefangensten war, für mein Buch gelebt,
1) 4 S. 4°. H. Wien. — S. o. S. 62. Friedrich Delbrück (1768-1830), der
von 1800 — 1809 die Erziehung Friedrich Wilhelms IV. und Wilhelms I. (übrigens
nach philanthropistischen Grundsätzen) leitete. Auf die Bedeutung dieses mit Unrecht
in Vergessenheit geratenen Pädagogen hat G. Schuster in der Einleitung zu den oben
zitierten Tagebuchblättern (Monum. Germ, paed., Bd. 36) hingewiesen.
2) Ansichten der Gemütswelt, Magdeburg 1811.
Tuny 1 8 1 1 . 85
das mich aber manche Wochen fast um allen Schlaf gebracht hat, weil ich über
die Auswahl nicht leicht mit mir einig wurde. Manche Aufsätze habe ich zwei drei
Mal umgearbeitet. Keiner ist so gelungen wie ich gewünscht: aber auf keiner Seite
steht ein Wort, das nicht im Innern stände. Die Erholungsstunden brachte ich im
Umgang mit meiner Mutter und meinen Geschwistern und Freunden zu. Ab und
zu war ich auf dem Lande, im Kreise trefflicher Familien, denen ich Theile der
Handschrift vor dem Druck vorlas, || und dafür Bemerkungen hörte, die mich be-
stimmten, vieles umzuarbeiten.
Den 26 t. December 10. schrieb ich die ersten, den 6t. Juny die letzten Worte.
Als ich den ersten Bogen zur Correctur vor mir hatte, bekam ich einen Ober- Vor-
mundlichen Brief von Scheffner1) worin er mich mehr als dringend ermahnte, mein
Heil zu bedenken, und mein Buch nicht drukken zu lassen, welches seiner Natur
nach erst nach der Reise erscheinen müßte. Er muß eine eigene Erwartung gehegt
haben, denn wie es auch sey, vor der Reise, denk' ich, konnte es wohl erscheinen.
Ich ließ mich daher durch sein Wort, so wenig aufmunternd es war, auch durchaus
nicht irre machen; habe ihm auch noch nicht geantwortet; das Buch selbst mag die
Antwort seyn. Er wird es mit Vorurtheil in die Hand nehmen und viel daran zu
tadeln finden, wie denn überhaupt viele ein Buch schon deshalb verwerfen, weil
sie selbst es gar nicht, oder anders geschrieben haben würden. Jeder folge sich;
ich habe keinen Begriff davon und keinen Sinn dafür, wie man, wenn man einmal
schreibt, nur noch an etwas anderes denken kann, als an die Sache; sich ängstlich
befragen kann, was Hinz und Kunz bey dieser und jener Stelle sagen möchten; und
daß man die günstige Meinung, die Andre von unserm Verstände und unserm Ge-
schmacke haben, zerstören könne. Alle günstigen Vorurtheile, die ich nicht ver-
diene, möchte ich immer viel lieber zerstören, als die ungünstigen, die ich auch
nicht verdiene; und mir scheint es ganz einerley, für besser und für schlechter
gehalten || zu werden, als man ist.
Aus wahrem Trotz gegen Scheffner bin ich standhafter bei der Arbeit geblieben,
als ich vielleicht sonst gewesen wäre. — Doch schon zu lange halte ich Sie auf. —
Leben sie wohl theurer Freund; und lassen Sie mich so bald als möglich in den
bekannten Zügen Ihrer Hand die Züge ihres Geistes, Ihrer Sinnesart, Ihrer Freund-
schaft wiedersehen. Aus Göttingen mehr.
Friedrich Delbrück.
M. d. 17 t. Juny c.
Bei näherem Ermessen halte ich für rathsam, die Bücher, welche außer dem
Ihnen bestimmten nacn Königberg sollen, durch Ihre Hände gehen zu lassen. Haben
Sie die Güte, dieselben zu vertheilen. Vielleicht erfahre ich schon durch Sie, was
mancher der andern Empfänger geurtheilt habe.
Meinem Bruder herzliche Grüße; auch allen andern Freunden. Ich bin im
Begriffe, das Pferd zu besteigen, um drey Tage auf dem Lande zuzubringen, theuren
Freunden Lebewohl zu sagen.
Ein fürchterliches Gewitter tobt um mich her! —
*) J. G. Scheffner, Kriegs- und Steuerrat in Königsberg. Vgl. Allg. D. Biogr.
und G. Schuster a. a. 0., S. XXXVI u. ö. Dort auch Näheres über die zweideutige
Haltung Scheffners bei der Entlassung Delbrücks, die Scheffner bei der Königin
Luise in Anregung gebracht hatte.
1812/13.
1812. W.: Psychologische Untersuchungen über die Stärke einer gegebenen Vorstellung als
Funktion ihrer Dauer betrachtet. S. Bd. III. S. 119— 145. — Über die dunkle Seite der
Pädagogik. S. Bd. III. S. 147 — 154. — Theoriae de attractione elementorum principia
methaphysica. S. Bd. III. S. 154 — 200. — Philosophische Aphorismen. S. Bd. III.
S. 201 — 214. — Über den Unterschied zwischen idealischer und wahrer Geistesgröße.
S. Bd. III. S. 215 — 222. — Bemerkungen über die Ursachen, welche das Einverständnis
über die ersten Gründe der praktischen Philosophie erschweren. S. Bd. III. S. 223
bis 246. — Über die allgemeine Form einer Lehranstalt. S. Bd. III. S. 299 — 304.
265. Richthof en an H.1) Jühnde, d. 6ten Jännei 1812.
Sie haben recht geweissagt, mein verehrter Freund; kaum war ich von dem
Kreise der mir noch übrigen Lieben entfernt, so fühlte ich meinen Schmerz nur
noch heftiger. Nirgends ist der betrübte leicht einsamer als auf Reisen, denn er
vermag nicht sich mit gewohnter Leichtigkeit anzuschließen, und das Gefühl der
Verlassenheit, das den Traurigen so sehr drückt, muß nothwendig wachsen. An
Orten, die ich mich früher zu sehen gesehnt, habe ich oft den ersten Tag nicht ein-
mahl das Zimmer verlassen ; man findet außer wenigen Edlen und den Werken der
Kunst ohngefähr überall dasselbe wieder, deshalb bin ich bei Annäherung der Winter-
kälte, die mich von den Alpen trieb, nicht auf Rom sondern aufs erste nach Jühnde
gegangen, wo zwar nicht mehr Therese nur für mich lebt, wo mich nicht mehr der
liebende Arm des herrlichen Weibes wie in glücklichen Zeiten umfängt, wo mir aber
doch ihr Kind lacht, das holder ist denn ich je eins sah, und wo mir ihre trefflichen
Verwandten Freundlichkeit und Liebe zeigen. 2)
Arbeiten kann ich zwar wenig; ich pflege meine unheilbaren Wunden mit
Liebe. Aber wie? genießen nicht auch Sie Theurer vielleicht bereits der Vater-
freuden? Ich wünsche es Ihnen als ein unschätzbares Gut!
Sie wünschten in Ihrem letzten, Nachrichten von mir über Hofwyl und Ifferten.
Was soll ich Ihnen schreiben über das letztere? Sie kennen Pestalozzi zwar || wenig,
aber doch genug um selbst zu wissen, daß wohl wenig Menschen mit einem solchen
Talent begabt sind als er; Sie wissen selbst und haben selbst geäußert wie viel
herrliches aus ihm bei gehöriger Bildung hätte werden können. Herumschwirrend
und nach einer Art von System vergeblich haschend, hat er überall in seinen Schriften
die herrlichsten Gedanken an den Tag gelegt, und wenn ich an seine Methode auch
nicht glaube, wenn ich auch mehr verlange, als den Befehl mich von der Natur
forttreiben zu lassen, so enthielt sie in Hinsicht trefflicher einzelner Blicke doch
gewiß (wenn Sie nicht wissenschaftlich streng seyn wollen) eine treffliche Propä-
x) 4 S. 4°. H. Wien.
2) Therese v. ß. starb im ersten Wochenbett. (Vgl. Kohlrauschs Erinnerungen
[1863], S. 122 f.) Der Sohn ist der spätere Germanist und Kechtshistoriker Karl
von Richthof en, geb. 30. Mai 1811, gest. 6. März 1888. (S. Allg. d. Biogr., Nach-
träge. 53, 346 ff.).
Januar T812. 87
deutik zu jedem andern System. Er hat so vieles einzeln durchdacht, so vieles
versucht, und dort erhält manches einen andern Schein. Jene drei Worte hört man
bekanntlich schon längst nicht mehr; die Formenlehre ist der Scheidtschen Linien-
zusammensetzung gewichen, und soll nun wieder hervortreten. Interessanter denn
alles ist Pestalozzis Lebendigkeit. Es wurde auf eine ziemlich unpädagogische Weise die
griechische Sprache eben begonnen; da saß er bei den Leseübungen 4 Stunden den
Tag, wachte darüber und schlief damit ein. Von dem Gedanken Ihrer Psychologie
war er so sehr entzückt, daß ich ihm versprechen müssen ihm deshalb zu schreiben,
und er Sie auf das herzlichste grüßen läßt. Sonst hielt er Sie für einen Bücher-
philosophen. || Schade daß er nicht mit einem Ihrer Schüler zusammengetroffen;
Niederer verwirrt und verphantasirt alles, aber er steht so fern vom Institut, daß
er der Sache weniger in der Wirklichkeit schadet. Der Mann erkennt alles was er
nicht versteht willig für einen Gott; es darf nur dunkel seyn, so ist es heilig
und schön.
Pestalozzi erklärte häufig daß er Niederer bis auf seine letzte Streitschrift (die
zweite Ausgabe ist besser) nie habe verstehen können. Traurig sieht es aus mit
den andern Lehrern; sonderbar, eben die Schule die so laut gegen den Pedantismus
ankämpft, hat meist nur Pedanten zu Lehrern gebildet; einige andere stehen fremd
da und geben nur Unterricht. Am ausgezeichnetsten sind etliche junge Preußen
von denen sich viel erwarten läßt. Um so mehr ist zu bewundern, daß der Geist
unter den Zöglingen so gut ist; das kommt daher weil man sie auszufüllen weiß,
wie man es noch sonst nirgends gethan. Mögen die Knaben dafür immer etwas
roh bleiben. Vor einem Pestalozzianer aber möge mich Gott bewahren.
Bei Fellenberg fühlt man sich in eine ganz andere Sphäre versetzt. Wenn
ich das daßige Institut loben wollte würde ich Sie loben; ich will daher nur be-
merken was mir weniger gut scheint. Griepenkerl ist der ßaGiXtvg, und paßt
sich gut dazu; seine Verehrung gegen Sie ist unbegrenzt; aber weshalb || ist er gegen
Pestalozzi erbittert? Fellenberg, zwar etwas steif aber ein vortrefflicher Mann, der
Ihre Achtung verdient, spricht zum wenigsten in Ihren Worten, und erwirbt sich
gegenwärtig durch eine vortreffliche Armenschule neue Verdienste. Schade daß
Griepenkerl von den Kindern so weit entfernt steht, er ist mehr Direktor als Er-
zieher; Schade daß man Kinder von verschiedenem Alter genommen, und nunmehr
wegen der Zeit alles in Verwirrung geräth. Bedeutender scheint mir aber daß man
vielleicht auch jetzt noch nicht die Kinder hinlänglich beschäftigt. Es wird dieß un-
umgänglich erfordert; allein wie ist es da möglich wo so viel Klassen als Lehrer sind?
Nun noch eine Geld Angelegenheit. Vor einigen Tagen schreibt mir mein
Vater plötzlich, daß er für mich ein Gut um 116000 Thlr. gekauft; so wenig mir
auch jetzt daran liegt, ist der Gewinn doch so bedeutend, daß ich ihn nicht aus den
Augen setzen darf. Haben Sie, verehrter Freund, daher noch zufällig Geld zu ver-
leihen oder macht es Ihnen nicht zuviel Mühe, so würden Sie mich sehr verbinden.
Es treibt mich dieses Geschäft gegenwärtig von hier. Ihre Briefe finden mich unter
der Aufschrift B. v. R. auf Brecheishof zu Barzdorf bei Strigau in Schlesien. x) Bitte
schicken Sie mir so viel Sie können und so bald als irgend möglich, es liegt mir
daran, und Sie haben nichts zu fürchten.
Leben Sie wohl, und grüßen Sie Ihre Gattin von Ihrem herzlichen Freunde
C. v. Richthofen.
In der Familie spricht man wie immer nur Gutes von Ihnen, liebt Sie und
grüßt. Sie!
J) Auf diesem Gute hatte Blücher sein Hauptquartier am Tage vor der Schlacht
an der Katzbach. Vgl. Kohlrauschs Erinnerungen, S. 122, Anm.
88 April 1812.
266. Friedrich Thiersch an H.1) München d. 2. April 1812.
Wohlgeborner Herr, Hochzuverehrender Herr Professor!
Die Erinnerungen an die Stunden, welche ich zu Göttingen in Ihrem be-
lehrenden und vielfach erregenden Umgange hingebracht habe, gehören zu den er-
freulichsten meiner Vergangenheit. Manches, was wir und Dissen, Griepenkerl,
Kohl rausch etc. gemeinsam besprachen zur Förderung und Verbreitung richtiger pädagog.
Ansichten, ist in dieser Zeit, obwohl sie dem Neuen gleichgültig und dem Großen und
Würdigen feindselig entgegengeht, mehr durch "Wort und Beyspiel, als durch Schrift
und Gepränge, aber eben deshalb um so gedeihlicher und bleibender gepflanzt und
verbreitet worden. Kohlrausch steht rühmlich einer nach seinen und Ihren An-
sichten neugeschaffenen Lehranstalt vor, so auch Griepenkerl in Hofwyl, dessen
Knaben mit großer Leichtigkeit und Freude den Homer lesen, und der gerade dort,
an dem Zusammenflusse der vielen Fremden, wo sich soviele Ansichten brechen und
ausgleichen, zur Verbreitung der richtigen sehr vieles beytragen kann. Dissen lehrte
(künftig in Marburg), mit großem Beyfall in Ihrem Geiste und ich, dem die Ver-
einfachung des griechischen Sprachunterrichtes als einer keines "Wegs unbedeutenden
Provinz zugefallen ist, habe mich fortdauernd bemüht, die Sache weiter und in
Ordnung zu bringen. Was ich bis jetzt zu Stande gebracht habe, lege ich Ihnen
*n der Grammatik des gemeinen und homerischen Dialects2) vor und bitte Sie, es
einer genauen Durchsicht zu unterwerfen und mir besonders über die Syntax Ihre
Ansichten und Bemerkungen mitzutheilen, da es mir in derselben hauptsächlich um
philosophische Begründung des Verhältnisses zwischen Begriffen und Sätzen, also
um Aufstellung eines Systems in dem Chaos der Sprachregeln zu thun war. —
Daß die Verbreitung eines wissenschaftlichen Unterrichts, besonders im Gebiet
der Philologie, hier || in Baiern großen Schwierigkeiten unterworfen war, daß ich, be-
sonders nach Jacobs Abgange mancherley Kämpfe zu bestehen und am Ende die
Dolche von Meuchelmördern auszustehen gehabt habe,3) wird Ihnen wahrscheinlich
durch das Gerücht seyn gemeldet worden, auch daß ich mich nicht habe einschüchtern
oder von meinem Posten vertreiben lassen. Ich finde keinen Grund, keinen
wesentlichen zum wenigsten meinen Entschluß zu bleiben jetzt zu bereuen, zumal
da wir nach der Zeit in eine glückliche Ruhe gekommen sind und von Befehedungen
unserer Gegner wenig mehr vernommen wird, während der Unterricht in den Sprachen
des Alterthums und den damit verbundenen Kenntnissen immer mehr um sich greift
und erfreuliche Früchte zu versprechen scheint.
Jetzt ist der Streit in die Philosophie gefahren und nach der neuesten Schrift
von Schilling] gegen J[acobi]4) ist es kaum mehr zweifelhaft, daß man künftig nicht
mehr als Muster literarischer Grobheit Philologen als Bergler, Paw5) u.a., sondern Natur-
philosophen aufführen wird. Diese unselige Geschichte hat auch auf die Akademie ihren
nachtheiligen Einfluß, indem nun Jacobi, um die Gemeinschaft mit Schelling zu ver-
meiden, sich von der philologisch-philosophischen Classe ganz zurückzieht und diese
nun ein erstorbenes Glied an einem ohnehin lebenarmen Körper noch mehr ge-
worden ist, als sie schon zuvor war. — Der Aufsatz von Herrn Dr. Krause in dem
Königsberger Archiv über die Schellingsche Lehre von Gott kam gerade mit der
*) 2 S. 4°. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe usw., S. 136 ff.
2) Griechische Grammatik, des gemeinen ü. homerischen Dialekts, Leipzig 1812.
3) Bezieht sich auf den Mordanfall auf Thiersch am 28. Febr. 1811.
4) Denkmal der Schrift von den göttlichen Dingen usw., 1812.
5) Die unleserlichen Namen fehlen bei Zimmermann. Doch dürfte Thiersch
den durch Rohheit und Cynismus berüchtigten Hellenisten St. Bergler (1680 — ?),
s. Allg. d Biogr. II, 391) und den holländischen Philologen K. von Pauw (f 1799T
s. Engelmann, Bibl. Script, class. vol. I. 566) meinen.
i8i2. 89
Scheliingschen Schrift zu gleicher Zeit an und dem Hrn. Präsident Jacobi sehr er-
wünscht. "Weiller, 1) der ein sehr besonnener und billiger Mann ist, war der Meinung,
man müsse ihn ohne weiteres als Widerlegung der Scheliingschen Schrift abdrucken
und verbreiten lassen. —
Ich habe noch Grüße des Präsidenten [Jacobi] Ihnen beyzufügen. Die Heraus-
gabe seiner Schriften hält den übrigens kränklichen Mann noch in Leben und Thätgkeit,
hat auch gemacht, daß er die Schelling'schen Invectiven leichter genommen und
ohne dauernde Unterbrechung seiner Ruhe an sich vorüber gelassen hat.
Mit vorzüglichster Verehrung verharre ich Ew. Wohlgeboren gehors. Diener
Friedrich Thiersch.
267. Richthofen an H.2) Ohne Datum.
. . . würden hinreichen einige Stunden für meinen bei mir lebenden kleinen
Bruder zu erübrigen, denn unser Plan scheint mir nur dann möglich, wenn alle
Knaben fast gleichen Alters sind.
Was die Zeit anbetrifft, so ist diesen Sommer wohl kaum mehr daran zu
denken eine hinlängliche Zahl zusammenzubringen; ich möchte aber nicht rathen
ein Knabeninstitut mit dem Winter zu beginnen; wenn der kömmt, muß schon für
manches andere als das Umherlaufen Interesse in ihnen geweckt seyn. Ueberdieß
ist mein Vater, beständig von Vertheilung der Arbeit redend, gegen meinen Plan;
sein Unwille wird sich zwar geben, aber ich bedarf Weyhnachten seiner Hülfe zu
nöthig, um auf diese Brücke zu treten. Ein nothwendig vorzunehmender Bau er-
fordert auch Zeit, darum würde unser Beginnen vor dem Frühjahr nicht wohl
thunlich seyn, wenn auch Sie jeder Zeit bei mir freundliche Aufnahme finden
würden.
Von unserer Regierung ist wahrscheinlich nur insofern Hülfe zu erwarten,
wenn nicht nur das wissenschaftliche Interesse sondern auch Liebe zum Vaterlande
hervortritt; um gute Soldaten zu haben, schickte der König junge Leute zu Pestalozzi.
Ueberdieß hat die Schilderung Ihrer Frau eine alte Idee in mir wieder erweckt.
Lassen Sie uns einen allgemeinern Standpunkt fassen, lassen Sie uns einen || Versuch
machen die möglichst vollkommene Erziehung bei beiden Geschlechtern bei Armen
und Reichen darzustellen ! Theresen beobachtend habe ich mich viel und gern mit
weiblicher Erziehung eine Zeit lang beschäftigt; wenn unser hauptsächlichstes Werk
im Gange wäre, bäten wir Ihre Frau etwas Ähnliches zu versuchen, und stehn ihr
mit unserm Rath und Kenntnissen bei ; eine Armenschule findet sich von selbst.
Von der Regierung würde ich nichts weiter wünschen, als ein hinlängliches Gehalt
für Sie, und so unabhängig zu seyn, als ich es bin. Für die übrigen Lehrer etwas
zu erlangen würde schwerer seyn, vielleicht aber eine Unterstützung der Armen-
schule. Dinge die dem Staate nichts kosteten, wären eine Aufforderung an Vor-
münder uns ihre Mündel zu vertrauen, und Befreiung von der damit nicht wohl
verträglichen Personalein quartierung. Mein Hof liegt einzeln, so daß ich Herr bin
über alle Umgebungen; Platz habe ich fürs erste hinlänglich; einige kleine Gebäude
lassen sich zurecht bauen; noch größere würden sich gliedern, sobald wir ihrer be-
dürften. Die Lage ist nicht wild, aber freundlich; kleine Hügel; Bäume und Wiesen
in Menge; in der Ferne das Gebirge. Gewinnen will ich nichts; wenn Sie Gehalt
erlangen, so geben wir beide unser Theil zum gemeinschaftlichen Haushalt. || Ist
Ihnen geliebtester Freund dieß alles recht (über Kleinigkeiten verständigen wir uns
später) glauben Sie dabei mit wenigen glücklich leben zu können, und daß dies für
') Der kath. Theolog Cajetan von Weiller, 1761—1826, s. Allg. d. Biogr. 41, 494.
2)4S. 4°. H.Wien. Ohne Überschrift, Datum und Anfang.
go Juni 1812.
Sie ein genügendes Geschäft sey, um hinlängliche Zeit dabei zu bleiben und wirklich
Erfahrungen zu machen (mit jedem Jahr steigt fast die Schwierigkeit) so lassen Sie
uns voll freudiger Hoffnung hiezu einen Bund schließen; Freunde bleiben wir auf
jeden Fall. Voraus sage ich Ihnen, daß ich noch zu unbekannt bin, um auf Knaben
in Schlesien große Rechnung zu machen; aber vielleicht daß Ihre Bekanntschaft in
Bremen, Königsberg, Ihre Freunde in Curland, die Männer die in Berlin an der Spitze
stehen, ja vielleicht selbst die Schweiz, wo [man Fellenberg und Pestalozzi haßt,
uns eine hinlängliche Zahl 6 bis höchstens 9 jähriger Knaben verschaffen; Sie würden
gut thun deshalb Erkundigungen vorläufig einzuziehen, und einstweilen an eine
Schrift zu denken, die gemeinsam überlegt die Aufmerksamkeit Deutschlands, sobald
ich frei bin, auf uns zöge!1)
Ihre privat. Mißfälle dauern mich; ich wollte ich wäre bey Ihnen, um die
Sache für Sie durchzuarbeiten; machen Sie doch so schnell als möglich von dieser
Vormundschaft sich los. Schreiben Sie mir doch ob Sie Johannis Ihre Interessen haben
wollen, oder ob weil das Kapital eine so ungleiche Summe (3900) beträgt, ich sie
dazufügen soll, so daß || es dann 4000 betrüge; es hängt dieß jedoch ganz von Ihnen
ab und Ihren Bedürfnissen. Dann schicke ich Ihnen sogleich die Obligation.
Leben Sie wohl, theurer Freund! grüßen Sie Ihre brave Frau, es möge Ihnen
mein Brief den lOten Theil.der Freude gewähren, die mir der Ihrige. Sollte ein
Wort Ihnen darin unangenehm seyn, so glauben Sie, es sey nicht geschrieben, denn
wahrlich ich meine es gut!
Es kömmt alles auf Sie an. Ihr Freund Richthofen.
Recht herzliche Bitte um baldige Erwiederung.
268. Richthofen an H.2) Brecheishof d. 23sten Juni 1812.
Vor wenig Augenblicken erhielt ich Ihren meine schönsten Hoffnungen zer-
schmetternden Brief, verehrtester Freund, und ich vermag nicht Ihnen meine Be-
trübniß darüber auszudrücken, wenn ich auch vielleicht Unrecht habe, wenn auch
Ihr Bestes mich alles andere vergessen machen sollte. Eine pädagogische mit Ihnen
gemeinsam begonnene Unternehmung schien mir für die verlohrenen Freuden häus-
lichen Glücks, die nie so wiederkehren können, die schönste mögliche Entschädigung,
und verzeihen Sie es der im Menschen nie ganz zu unterdrückenden Sehnsucht
nach eigenem Glück, wenn leichten Sinnes ich über alle andern Schwierigkeiten
sprang. Aber wahrlich ich will Sie darum nicht zu etwas bereden, was Ihnen Ihr
Genius widerräth, wogegen ich selbst manchen Grund aufstellen mußte ; wenn ich
auch noch nicht ganz die Hoffnungen aufgeben mag, von denen ich die letzten
Wochen gelebt. Das ist die Hauptsache ob ein dergestalt veränderter Wirkungskreis
Ihren Wünschen und Ihrer Zufriedenheit entsprechen würde oder nicht; die
pekuniairen Schwierigkeiten würden sich geben. Es ist mir unausstehlich widrig von
dergleichen Dingen mit Ihnen |j zu reden, allein ich muß dessen erwähnen. Die
Summe von der ich Ihnen neulich schrieb ist keine um etwas größeres damit zu unter-
nehmen; meine Aussichten auf Reichthümer (ich kann wenigstens auf 200000 Thlr.
rechnen) sind wie ichs als Sohn und ehrlicher Mann hoffen muß fern, aber dennoch
bin ich vielleicht wohlhabender als ich scheine. Benachbarte Güter mit Brecheishof
*) Schon in Göttingen hatte Richthofen mit Kohlrausch den Plan gefaßt, auf
seinen Gütern eine Mustererziehungsanstalt nach Herbartschen Ideen anzulegen. Der
Plan kam nicht zur Ausführung. Aber ein Sohn des Freiherrn gründete spätor eine
Anstalt für verwahrloste Kinder, die heute noch — sehr vergrößert — blüht. Nach
Kohlrauschs Erinnerungen und nach brieflichen Mitteilungen des Hrn. Karl Frh.
von Richthofen-Damsdorf.
') 4 S. 4°. H. Wien.
Juli 1812. QI
von gleicher Größe, galten vor dem Kriege 60000 Thlr. mehr als ich jetzt dafür
gegeben, im letzten halben Jahre habe ich vielleicht an dem Sinken der preußischen
Papiere allein 10000 gewonnen, und gewinne vielleicht noch mehr. Bis "Weyh-
nachten kann ich zwar durchaus nichts über mein Vermögen bestimmen, weil es bis
dahin mit dem Wohl des preuß. Staats im umgekehrten Verhältniß steht; (eine
sonderbare Lage für den der sein Vaterlaod hebt;) mit jedem Jahre kommt aber
überdieß noch mein Gut in bessere Ordnung, nähern sich nachtheilige Kontrakte
ihrem Ende; ist dieß alles nicht etwas? Aber um so größer sind jetzt die Ausgaben. ||
Dem gemäß liebster Freund sehe ich mich nach reiflicher Ueberlegung wahr-
scheinlich bald in der Lage für mein, könnte ich sagen für unser Institut keine
Opfer zu scheuen ; könnten wir nur auf einige Zeit auf Unterstützung der Regierung
bauen, so könnten wir sie dann vielleicht entbehren; auch das ist nicht außer Acht
zu lassen, daß auf dem Lande manches weniger kostspielig ist. Ueberlegen Sie
alles nochmahls, und lassen Sie sich einen abermahligen Brief nicht reuen.
Für mich will ich nichts, einzig das Gute, und das Bewußtseyn pro virili parte
es befördert zu haben. Sehr glücklich würde es mich machen in belehrendem Um-
gang mit Ihnen in gemeinsamer Thätigkeit zu leben; ich hoffe Sie sollten über mich
keine Klage haben.
Ihre finanziellen Besorgnisse waren, wie ich Ihnen schon jüngst schrieb, wohl
etwas vorschnell, aber Heimat [?], literarische Muße, pädagogische Erfahrungen, größere
Wirksamkeit rufen Sie noch eben so mächtig. [| In die Direktion würden wir uns
leicht theilen, ich würde dem eigenen Lehrer, dem älteren Freunde, wo verschiedene
Meinungen (doch wohl nur in Kleinigkeiten) sich nicht vereinigen ließen, gern nach-
geben. Ja ich kann nicht läugnen daß der Gedanke alle diese schönen Hoffnungen
seyen nur ein aus geldlichen Rücksichten entsprungener Traum gewesen, mich mit
Wehmuth erfüllt!
In Breslau hat sich das Ansehen Steffens, das vorigen Winter so groß schien,
sehr gemindert; man sucht einen Lehrer der Philosophie, und war sogar auf Koppen
gefallen. Thil aus Frankfurth dürfte niemand den Rang streitig machen. Wollen
Sie hin so läßt es sich gewiß machen, aber wird sich auch Ihr didaktisches Institut
versetzen lassen? Mit Recht klagen Sie über Ihre Freunde, vielleicht auch über
mich, aber ach mir ist meine Kraft gebrochen, ich lebe nur noch in Träumen!
Grüßen Sie Ihre Frau, seyn Sie glücklich, und lieben Sie mich.
Ihr Fr. Richthofen.
Ueber Ihren Vorschlag wegen eines Erziehers für meinen Bruder, folgendes:
daß mein Vater sich nur dadurch bewegen ließ mir meinen Bruder zu geben, meine
pädagog. Absichten gleichsam selbst zu befördern, daß er niemand sonst wußte, dem
er seinen Sohn anvertrauen gewagt hätte; nähme er einen Lehrer an, so würde er
ihn bei sich haben wollen, und wir leben 3 Meilen weit auseinander.
W.i Juli: Jahresbericht über das didaktische Institut. S. Bd. XIV. S. 35 — 38.
269. An L. Dissen.1) Königsberg 29. Jul 1812.
Während Sie vielleicht beschäfftigt sind, mein Theurer, mich gegen
Hrn. Jachmanns Zorn 2) zu retten, mache ich mich an das fröhliche Ge-
schafft, Ihnen zu Ihrer Professur Glück zu wünschen. Marburg liegt
hübsch; möge es Ihnen auch angenehm seyn; und Ihre Bemühungen
!) 4 S. 8°. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe usw., S. 45 ff.
Die Randbemerkungen wurden hier in ( ) gesetzt.
2) Jachmanns Rezension der Allg. Päd. betr. S. Bd. II, S. IX ff. und den
folgenden Brief.
92 Juli 1812.
lohnen. Eben heute bekomme ich einen Brief von Steigern aus Holland
(wo er verheyrathet ist), mit der Erzählung, Sie seyen in Göttingen der
geschätzteste unter den philosophischen Docenten. Da Sie das in Göttingen
nun nicht mehr sind, so hoffe ich dagegen, Sie werden es in M[arburg]
abermals werden, und sich nicht ganz aufs Griechische beschränken.
Wie stehn Sie mit Tennemann?
Meinen Dank für Ihr schnelles Eingreifen bei dem Jachmannschen
Lärm werden Sie wohl im Königsberger Archiv (im ßten Stück) in der
Note erkannt haben, worin ich dem J [achmann] das Nöthige gesagt habe.
Mehr halte ich eigentlich nicht nöthig || und Sie werden ohne Zweifel sorgen,
daß Ihre Schrift die nicht ausbleiben darf, nachdem sie einmal angekündigt
ist, einen selbstständigen, nicht bloß polemischen Werth erhalte. Übrigens
wissen Sie hoffentlich, was hier in Königsberg] ganz bekannt ist, und was
Hr. J [achmann] selbst im Intelligenzbl. d. B. Z. deutlich genu gerzählt hat,
da er sich lossagte von der Redaction von Krausens philosoph. Nachlaß,
— dieser Nachlaß nämlich war über ein Jahr früher durch Hrn. v. Auers-
wald mir übergeben worden, zu des Hrn. Jachmann großer Empfindlich-
keit; wovon seine Briefe an Auersw[ald] die offenbaren Bekenntnisse liefern.
Eben weil dies hier jeder weiß, hat der Schlag gar nichts in meiner Nähe
bewirkt, außer daß in meine Pädagogik, die eben vorigen Winter recht
gut besucht war, noch zwei Zuhörer mehr hineinkamen.
Wer aber ist E. H. T.? Ich habe die ganze Zeit auf Tölken ge-
rathen; Steiger schreibt heute Thiersch, der aber Friedrich heißt.
Possirlich genug daß ich meinen Beschützer nicht einmal kenne! (Hr. Jach-
mann ist übrigens in Königsberg persönlich sehr bekannt, aber nicht ge-
liebt. Wo ich hinhörte, beschrieb man mir einen, von außen glänzenden,
aber anspruchvollen, und innerlich hohlen Menschen. Wie lange wird
seine Freundschaft mit Passow bestehn? der auch ein Virtuos in der
Keckheit ist, und dabei offenbar mehr geistiges Vermögen hat als Jener.)
Es ist übrigens nicht Pädagogik, was mich jetzt beschäftigt. Die Thätig-
keit der wissensch. Deputation, und mein Antheil daran, der einst so
lebhaft war, ist jetzt ganz ohne Bedeutung. Die Hrn. in Berlin ließen
immer Pläne machen, und führten nichts aus. Ein paar Starrköpfe hier
in Königsberg machten die Discussionen ganz und gar widrig. Jetzt habe
ich mich in dieser Hinsicht völlig zurückgezogen, und ich kann Ihnen
nicht bergen, daß Ihre Hülfe, die mir noch vor einem Jahre höchst
wünschenswerth war, jetzt in dieser Hinsicht zu spät kommen wird.
Vor kurzem endlich! habe ich pro receptione und pro loco disputirt. *)
Die Dissertation mag den Aufschub rechtfertigen. Sie enthält die Aus-
führung des naturphilos. Thema wovon ich Ihnen einst schrieb. Vielleicht
kann ich Ihnen dieselbe durch Buchhändler -Gelegenheit senden. Sie
werden darin so ziemlich den ganzen Stoff durchgearbeitet, und selbst
weiter verarbeitet finden, mit welchem Kant sich in seinen metaph[ysischen]
Anfangsgründen] d. Naturwissenschaft beschäftigte. — Wollen Sie mein
Buch in den Götting. Anz. recensirn? Ich habe im Sinn. Heeren diesen
Vorschlag zu machen, aber aus Gründen und unter andern Vorschlägen.
') Am 19. Juni 1812, s. Bd. III, S. 156 ff.
Juli 1812. 93
(Ich will nämlich nicht den Schein haben, als bäte ich um eine Recension,
die vielleicht als für mich partheyisch angesehn würde. Wollen Sie so
schreiben Sie doch an Heeren ein paar Worte. Wo nicht: so werde ich
ein paar Misverständnisse mehr oder weniger nicht achten. || )
Ich bin dem Entschluß nahe, bald zu einer „Grundlegung zur specu-
lativen Psychologie" die Feder anzusetzen. Beynahe habe ich im Königs-
berger Archive schon zu viel gesagt um nicht bald mit der gehörigen
Begründung, und mit etwas vollständigerem hervortreten zu müssen.
Daß ich nun mit gespannter Erwartung dem entgegensehe, wodurch
Sie Sich zeigen werden brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Nur nicht zu-
viel Pädagogik! (Ich halte mich überzeugt, daß Pädagogik, eben weil sie
eine abgeleitete Wissenschaft ist, sich immer in Jedem Kopfe nach eigen-
thümlichen philosoph. Ansichten formen wird. Niemand mag Pädagogik
lernen; alle wollen sie lehren. Was hilft es uns denn, darüber zu schreiben?
Die philosoph. Grundlage müssen wir bessern, dann bessert sich jeder
selbst seine Pädagogik.) Sie haben viel mehr Beruf, sich mit Metaphysik
zu beschäfftigen. Sind Sie wohl in Göttingen dazu gekommen, Metaphysik
zu lesen? Wenn nicht, so ist daran wohl nur die Unempfänglichkeit der
Göttinger Schuld.
Wenn Sie mir antworten, was hoffentlich bald geschieht, so bitte ich
besonders um Nachrichten von Tölken. Aus diesem Kopfe muß doch
etwas Tüchtiges geworden sein; wie kann er sich so lange zurückhalten?
Ganz Ihr Herbart.
270. An Carl v. Steiger.1) Königsberg 29. jul. 1812.
Ich müßte wohl sehr undankbar seyn, mein Guter, wenn ich nicht
jetzt wenigstens augenblicklich nach Empfang Deines lieben Briefes die
Feder ergriffe, um Dir zu antworten. Auch hast Du Recht zu vermuthen,
daß mein Brief eher den Weg in die Schweiz als nach Holland finden
wird, denn nachdem einmal Dein letzter, gedrängter Geschaffte halber,
eine Zeit lang unbeantwortet geblieben war, wohin sollte die Antwort
gehen? Ueberdies irrst Du Dich nicht, wenn Du ahndest, daß ein alter
Lehrer, ehe er seinen alten Schüler an sich erinnert, sich zuvor gern recht
vest überzeugt, die Erinnerung werde willkommen seyn.
Die Nachrichten von Dir und den Deinigen sind mir äußerst an-
genehm. Wenn Complimente am Platze wären, so müßte ich mich ent-
schuldigen, daß ich mich verheyrathet habe, und zwar vor mehr als
einem Jahre, ohne Dir davon Nachricht zu geben. Meine jetzige Frau
war eine || meiner ersten Bekanntschaften in Königsberg. Sie war in
Pension in dem Hause wo ich zuerst wohnte. Sie gefiel mir in den
ersten sechs Wochen, und es verrieth sich bald, ohne Absicht, oder viel-
mehr wider Willen, daß ich ihre Neigung besaß. Dies letztere, nachdem
ichs beynahe ein Jahr lang beobachtet hatte, bestimmte mich endlich,
einem jungen Mädchen von damals 1 8 Jahren meine Hand zu bieten. —
Ich schweige von den Zögerungen durch den Vormund in Memel, und
den Vater in England (Mr. James Lawrence Drake, ehemals erster Kauf-
*) 4 S. 40. — Bei Ziller falsch datiert.
04 Juli 1812.
mann in Memel, durch den vorigen Krieg ruinirt, und nach England zu-
rückgekehrt), und sage Dir nur, daß ich mit meiner Frau glücklich lebe,
obgleich ein mäßiges für sie zurückgebliebenes Vermögen, was jetzt schlecht
verwaltet wird, mich schon genöthigt hat, bey zwei Gerichten zu klagen.
— Dies wird sich wohl endlich einmal einrichten; ich wünsche nur daß
die Gesundheit meiner guten Marie sich vollends bevestige; wofür in ihrer
Jugend nicht gehörig gesorgt war. Sie ist nämlich aus einer Pension in
die andere gekommen, weil sie eine Mutter und Stiefmutter frühzeitig
verlor. Die Stärke ihrer guten Natur und ihres richtigen Gefühls bewährt
sich durch das was sie ist trotz allen diesen Pensionen, worin ein Andere
hätte verderben müssen. |
Daß man Dir auch von meinen Gegnern, im pluralis, erzählt hat, ist
viel Ehre für Hrn. Dr. Jachmann, Director einer Schule bey Danzig, der
wohl allein gemeint seyn kann; und der bös darüber ist, daß die hinter-
lassenen Schriften des ehemaligen hiesigen Professor Kraus, deren Heraus-
gabe ihm schon übertragen war, ihm durch unsern Curator, Hrn. v. Auers-
wald, gewissermaaßen aus den Händen gewunden und mir übergeben
wurden. Eine Recension, von solcher Leidenschaftlichkeit eingegeben, ist
von der gemeinsten Art; ich habe sie kurz abgefertigt, und will nicht
hoffen daß sich Dissen und Thiersch noch große Mühe damit geben
werden. Lachen würdest Du, wenn Du wüßtest, wie viel Redens und
Disputirens hier in K. über den Homer entstanden ist, (den übrigens die
Königsberger Knaben mit eben so viel Vergnügen lesen als ehemals die
Berner) ich bin des Redens längst müde, und beschäßtige mich mit Psy-
chologie und Naturphilosophie; natürlich nicht auf Schellingische, sondern
auf mathematische Weise. —
Du weißt noch nichts von allem, wie es scheint, was mit der Grote-
schen Familie seit dem Tode des trefflichen Vaters vorgegangen? Nicht
weniger als vier Heyrathen und zwey traurige Sterbefälle. || Das älteste
Fräulein hat längstens einen geheimnißvollen Grafen von Palmedo ge-
heyrathet und ist mit ihm nach Italien gereist. Wilhelm ist Rahdens
Schwager geworden, wie Du schon in Göttingen vermuthen konntest; die
Familie reiste hier durch. August hat eine Freundin von Theresen aus
Hannover, die Du gesehen hast, zur Frau genommen. Die gute Therese
— war Frau von Richthofen, — und ist jetzt todt. Sie starb im Wochen-
bette, und hinterließ ein Kind. Richthofen habe ich Dir sonst schon
genannt: er ist Gutsbesitzer in Schlesien, und ich zähle ihn zu meinen
Freunden. Willst Du einen Brief nach Jühnde schreiben, an Wilhelm,
oder nach Göttingen an den Präfectur-Rath Aug. Grote, so wirst Du
ohne Zweifel nähere Nachricht erhalten. Die jüngste der Tanten ist auch
gestorben, und unendlich fürchtet man, wie mir Richthofen schreibt, für
die Großmutter.
Von Tölken weiß ich nichts, und wundre mich wie Du. — Meine
hiesigen Verhältnisse sind vollständig die eines Professors, der im Senat,
in der Facultät, in der wissenschaftlichen Deputation u. s. w. seinen Platz
und seine Geschaffte hat. Die Direction der letztern war mir im vorigen
Jahre übergeben, und ward Schuld am gänzlichen Stocken meines Brief-
wechsels.
September 1812. gc
Werde ich Dich noch einmal wieder sehn? sammt dem ganzen
großen Kreise der Deinen? Ich weiß es nicht! Die jetzigen Zeiten drücken
dergestalt auf den Beutel, daß man keine Reisepläne machen darf. Em-
pfiehl mich den Deinigen, und behalte mich lieb !
Dein Herbart.
Eben vor dem Siegeln erhalte ich einen Brief von Tölken aus
Göttingen; seit 5 Jahren den ersten. Er hat dort angefangen, über
Archäologie zu lesen und denkt mit praktischer Philosophie fortzufahren.
An Rahden denke ich oft in diesen Zeiten und mit nicht wenig Besorg-
nissen. Vor ein paar Jahren war er hier, gesund und stark, aber der
Proceß, mit welchem er und sein Vater von dem altern Bruder gedrückt
werden, und der für unsern Rahden zwischen Armuth und Reichthum ent-
scheiden muß, war noch nicht zu Ende, obgleich er sich günstig für
unsern Freund zu wenden schien.
Dissen ist jetzt Professor der Griechischen Sprache in Marburg. Ein
anderer von meinen Zuhörern, Unterholzner, den ich sehr schätze, und
der über das Criminalrecht nach meinen Grundsätzen geschrieben hat,
verläßt in diesem Augenblick seine juristische Professur in Landshut, weil
er an die neue Universität nach Breslau gerufen ist.
271. Tölken an H.1) Göttingen d. 9. Septbr. 1812.
Herzlich geliebter Lehrer.
Erst vor zwei Tagen habe ich einen Brief an Sie auf die Post gegeben; allein
unerwartet bietet sich mir jetzt eine so schöne Gelegenheit, Ihnen noch einmal zu
schreiben, daß ich in der That sie nicht unbenutzt lassen darf. An Materie fehlt
es ja nicht, und jenen Brief werden Sie schon vergessen haben, wenn Sie diesen
erhalten. Der Herr v. Heiden aus Königsberg, früher Ihr Zuhörer und vielleicht
bald Ihr College, ist der Überbringer. Ein recht lieber Freund von mir, dessen
Abschied mir sehr leid thut. Von seinem lebhaften Sinn und Eifer für historische
Studien erwarte ich die schönsten Früchte.
Gewiß wird es Ihnen lieb seyn, einmal wieder etwas zu hören von dem Leben
der Familie eines Ihnen sehr theuren Freundes, des Herrn von Grote ; dessen in
meinem letzten Briefe zu erwähnen, ich nicht mehr Zeit hatte. Jühnde bietet noch
immer das Bild der glücklichsten Familie; fast in idealischen Verhältnissen. Der
Minister freilich ist nicht mehr; jenes edle Beispiel männlicher Milde, das so oft
ich Jühnde besuche mir wieder lebendig wird. Auch die ehrwürdige Matrone, die
alte Grosmutter, ist diesen Frühling gestorben. Aber zum Ersatz macht eine ganze
Schaar || munterer Kinder jetzt Haus und Hof lebendig. T)er eigentliche Hausherr
ist August, der zweite Bruder, dem, so wie seiner höchst sanften Frau, nichts zu
wünschen wäre als bessere Gesundheit. Sie haben ein feistes, tüchtiges Söhnlein
einen wahren Kraftmenschen, das nicht müde wird zu rennen und Getöse zu treiben.
Er ist etwas über ein Jahr. Wilhelm ist noch alles, warum Sie einst ihn so sehr
schätzten, nur vollendeter, männlicher und milder. Der Genius oder die Vesta des
ganzen Haushaltes ist aber seine Frau, von deren Liebenswürdigkeit, Bildung und
edlem Sinn, ich Ihnen ein langes Lob senden mögte. Ueber alles glücklich sind sie
durch zwei Töchterchen, von denen die älteste, von l3/4 Jahren etwa, schon höchst
manierlich, zierlich und klug ist. Das zarteste Kind, das ich je gesehen. Als vierter
l) 3 S. 4°. H. Wien.
q5 September 1812 — 18 13.
Spielgeselle wächst mit ihnen der junge Richthoven auf, dessen Anblick, als Waise
von kaum einem Jahr, manche bittere Erinnerungen aufregt. Der Knabe ist höchst
scheu und blöde, aber seinem Körperbau nach ein wahrer Riese, der im Wachsen
und Zunehmen alle überwindet. Das noch unverheiratete Fräulein weiß sich aufs
artigste mit den Kindern zu beschäftigen; und der dritte Bruder, Carl, studirt jetzt
hier. Ein vortrefflicher junger Mensch; er ist kleiner und zarter gebaut als sein
Bruder, aber weit ernster und gesetzter, jj als jene in demselben Alter waren. Die
Frau Ministerin sorgt als unübertreffliche Mutter für alle, Kinder und Enkel. Ich
habe sie stets schwarz gekleidet gefunden, und man sagt, daß der Schmerz über
den Verlust ihrer Tochter, sie zu diesem Entschluß gebracht hat. Ich kann Ihnen
nicht sagen, wie ehrwürdig und rührend mir, seit ich dieses weiß, diese schwarzen
Kleider sind. — Haus und Garten sind bei weitem schöner, als ich früher sie ge-
kannt habe.
Jetzt wünsche ich nur, daß diese Schilderung Ihnen so viel Freude machen
möge zu lesen, als mir, sie zu schreiben. Billigerweise hätte ich freilich nicht einen
ganzen Brief damit anfüllen sollen. Ich gestehe Ihnen, daß oft, wenn mir finster
und trübe zu Sinne ist, ich nur das friedliche Bild von Jühnde in mir zu erwecken
brauche, und gleich beruhigt bin. —
In meinem letzten Briefe schrieb ich Ihnen, in welcher Absicht ich hier Mythologie
und Archäologie zu lesen denke. Jetzt will der Herr von Heyden so gefällig seyn,
Ihnen ein Exemplar von einer Ankündigung meines Curses über die Mythologie
mitzutheilen. Es ist mir in so fern angenehm, weil ich hoffe, daß Sie daraus sehen
werden, wie ich auch diese Studien aus einem philosophischen, rein menschlichen
Gesichtspunkt zu nehmen suche, wodurch sie nicht unwürdige Theile eines größern
Gedankenkreises werden.
Ich empfehle mich Ihrem Andenken und Ihrer Freundschaft und bin mit
herzlicher Verehrung Ihr ergebenster
E. H. Toelken.
W.: 26. Sept. Prüfungsbericht. S. Bd. XV. S. 247—248.
1813. W.: Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie. (1. Aufl.) S. Bd. IV. S. 1 bis
275. — Über die Unangreifbarkeit der Schellingschen Lehre. S. Bd. III. S. 247 — 258.
Berichte der Wissenschaftlichen Deputation. S. Bd. XV. S. 248 — 252.
18. Okt.: Bericht über das didaktische Institut. S. Bd. XIV. S. 63—67.
Nov. : Bericht über die öffentliche Prüfung im Königsberger Waisenhaus. S. Bd. XIV.
S. 69—76.
1814/15.
1814. W.: Politische Briefe. S. Bd. III. S. 269—287. — Über meinen Streit mit der
Modephilosophie dieser Zeit. S. Bd. III. S. 317 — 351. — Rez. über Bachmanns Philo-
sophie und Kunst, s. Bd. XII. S. 14 — 18, Ehrenbergs Seelengemälde, s. Bd. XII.
S. 19, Müller, Vermischte Schriften, s. Bd. XII. S. 19 — 23.
18. Jan.: Über den freiwilligen Gehorsam als Grundzug des echten Bürgersinnes in
Monarchien. (Rede am Krönungstage in der Universität.) S. Bd. III. S. 259 — 268.
Febr.: Vortrag in der Wissenschaftlichen Deputation zu Königsberg. S. Bd. XV.
S. 169 — 172.
Juni: Über Herrn Prediger Zippeis Aufsatz, der vorgelesen wurde in der pädagogischen
Societät. S. Bd. III. S. 289— 298. x)
3. Aug.: Über Fichtes Ansicnt der Weltgeschichte. (Rede in der Deutschen Gesell-
schaft am Geburtstage des Königs.) S. Bd. III. S. 305 — 316.
25. Nov.: Bericht über den Fortgang des didaktischen Instituts. S. Bd. XIV. S. 76 — 78.
1815. Herbarts Entgegnung auf eine Rezension seines Buches : „Theoriae de attractione — "
S. Bd. III. S. 355 — 356. — Rez. von Kaysslers Grundsätzen. S. Bd. XII. S. 24 — 35.
— Eintritt Herbarts in die Prüfungs-Commission des Stadt-Gymnasiums. S. Bd. XV.
S. 263 ff.
212. George Sievers an H.2) Warschau, d. 8/20. April XV.
Ich schreibe Ihnen, theurer verehrter Freund, in dem Augenblick meiner Abreise
— mit zerissenem Herzen. Statt von hier aus, wie ich mit Ungeduld erwartete,
in mein Vaterland zurückzukehren um dort mich ganz, meiner Neigung und Ueber-
zeugung gemäß, einer wohlthätigen und in ihren Folgen unendlich segensreichen
Wirksamkeit zu widmen, muß ich aufs neue einem blutigen, verheerenden und viel-
leicht sehr langwierigen Kriege, allen damit verknüpften Greueln und Gefahren, —
entgegengehn. „Was sind Hoffnungen, was sind Entwürfe, die der Mensch, der
vergängliche, baut." In Ihre Hände lege ich aber das heilige Versprechen, wenn
mich die Vorsehung aus diesem neuen Krieg wieder gesund in mein Vaterland zu-
rückführt, ich den vorgefaßten Zweck nicht aus den Augen lassen, sondern mit
ganzer Energie ihn verfolgen und mein Leben demselben widmen werde. Bewahre
mich nur der Himmel, daß diese Rückkehr eher statt finde, als bis der wieder
hervorgetretene Genius des Bösen völlig bekämpft ist. Mit Bonaparte darf kein
Friede geschlossen werden. Mehr als jemals ist es nöthig alles aufzubiethen um ||
mit vereinten Kräften die Werkstatt der Hölle, aus welcher endloses Verderben
*) Ein Brief Zippeis an Herbart (datiert „Fort Friedrichsburg d. 8. Juli 1814",
2 Bl. 2°), der sich auf Herbarts Bemerkungen über Zippeis Aufsatz bezieht, befindet
sich auf der Königsberger Universitäts-Bibliothek.
2) 3 S. 4°. H. Wien. — Schreiber des Briefes ist jedenfalls der oben (S. 66)
erwähnte Bruder Georg des Grafen A. Sievers.
Herbarts Werke. XVII.
98 August 1815.
über Europa auszuströmen droht, Bonapartes Kopf, zu vernichten. Es gilt in diesem
Kampfe, nicht minder als in dem eben erst beendigten, die Erhaltung des Heiligsten
für den Menschen, die Religion, Moralität und vernünftige politische Freiheit. Siegt
Bonaparte so thront die abscheulichste Irreligiosität, moralische Verderbtheit und
militairischer Despotismus, gepaart mit dem zügellosesten Jacobinismus, und unsre
Cultur geht verlohren. Doch dahin wird es die Vorsehung nicht kommen lassen.
Nach den zuverläßigsten Nachrichten scheint die in Frankreich vorgegangene Um-
wälzung bloß eine Wirkung der Unzufriedenheit, des im Rauben und Morden be-
hinderten Militairs einerseits, so wie der Ueberraschung, Bestürzung und der daher
entstandenen Lähmung, zu seyn. Die französische Nation scheint keinen Theil daran
zu haben. Ist das, so versäume man doch ja nicht diesem Umstand zu benutzen,
und recht bestimmt zu erklären, daß man nur Bonaparte und seinen Leuten, nicht
der Nation den Krieg zu machen willens ist. Man muß vorbeugen || daß es dem
Unholde nicht gelinge, die Franzosen zu einem National Krieg zu entflammen, der
Furcht vor der gegenwärtigen Gefahr einer feindlichen Invasion, über die, viel ärgere,
eines endlosen Krieges und der Soldatenherrschaft, die Oberhand, in dem Gemüthe
der Franzosen zu verschaffen. Beugt man dem vor, hält man fest zusammen und
geht mit imponierender und Vertrauen erweckender Energie zu Werke, so scheint
mir der Erfolg nicht zweifelhaft.
Geben Sie mir doch zuweilen Nachricht von Sich, Ihrer würdigen Gattin und
Ihren Freunden, deren Andenken ich mich bestens zu empfehlen bitte. Um sicherer
zu gehen, adreßiren Sie gefälligst Ihre Briefe an den Buchhändler Kummer nach
Leipzig. Ein von Hagenauer erhaltenes Werk von St. Jullien über Pestalozzi und
seine Methode in 2 Bänden1) habe ich einem Kaufmann aus Riga, Wolmerange, der
von hier über Bromberg nach Koenigsberg geht, wo er mit mehreren, unter andern
vorzüglich mit Deetz, sehr gut bekannt ist, zur Bestellung mitgegeben. Leben Sie
wohl. Der Himmel schenke uns ein freudiges Wiedersehen. Erhalten Sie mich in
Ihrem Herzen; dem meinigen ist das Andenken an Sie wohlthätiger Nahrungsstoff.
Meine schönsten Gefühle stehen mit diesem in inniger Verbindung. Ihr mit ganzer
Seele ergebener Freund George Sievers.
273. Dissen an H.2) Göttingen 26ten August 1815.
Vielgeehrter Herr Professor!
Wenn Sie von meiner Nachläßigkeit im Schreiben auf meine Gesinnung
schloßen, so müßte ich Ihnen freylich als der undankbarste Mensch erscheinen;
denn ich betrachte mit Schrecken, daß ich vielleicht 4 Jahre geschwiegen habe. Auch
will ich offen gestehen, daß gerade diese Furcht, Ihren Zorn wirklich auf mich geladen
zu haben, mich in der letzten Zeit stark darnieder drückte, so daß ich nicht wußte,
wie ich mich Ihnen wieder nähern sollte. Sehr groß war daher meine Freude, als
ich vor 14 Tagen Ihre letzte kleine Schrift erhielt und so zu der Gewißheit kamT
daß Sie in Ihrer Langmuth dem Sünder noch immer Ihre Güte erhalten haben. Ich
hörte Ihre mahnende Stimme und eine tiefe Wehmuth kam über mich mit allen
Bildern der Vergangenheit. Und so nehmen || Sie denn meinen vollen herzlichen
Dank für Ihre sanfte Ermahnung und die reuige Abbitte meiner Schuld.
Ich darf Ihnen nun wieder sagen, daß meine Gesinnung durch alle Jahre der
Trennung von Ihnen und des Leidens unverändert dieselbe geblieben ist und bleiben
wird bis in den Tod; daß ich noch immer glaube, daß [ich] glaube an Ihre Wahrheit,
x) Vgl. Israel, Pestalozzi - Biographie (Monum. Germ, paed., Bd. 31), II. Bd.,
S. 91 ff.
2) 6S. 8°. H. Wien.
August 1815. 99
und daß das einzige was ich weiß dasjenige ist was ich durch Sie weiß. Nach
[hrem Abgänge von hier übernahm ich wie Sie wissen die praktische Philosophie
zu lesen, und es gelang mir auch; allein die öffentliche Noth wurde immer größer,
und die Liebe zu lehren und zu lernen wurde in gleichem Grade verringert. Nur
die Nothdurft schrieb Gesetze vor, ich mußte mich also ganz auf die alten Sprachen
zuriickziehn, erwartend wie lange auch sie noch bestehen würden. Um diese Zeit wurde
ich nach dem armseligen Marburg versetzt die alten Sprachen zu lehren, wo ich
anderthalb Jahr mit wenigen litterarischen und oekonomischen Hülfsmitteln gelebt
habe. Endlich hier her zurück versetzt trat bald darauf neue Ungewißheit ein für
mich, ob wir von der vorigen Eegierung eingesetzten auch würden bestätigt werden
oder nicht, und wie ich dann meine Lage sichern sollte. Daß || durch alles dieses
meine innern und äußern Angelegenheiten sehr gelitten, werden Sie glauben, und
erst nachdem alles in Ordnung gekommen, fange ich an freier zu athmen. Mein
Wirkungskreis ist hier zunächst auf Philologie beschränkt und der Plan mit dem
Professor Wunderlich gemeinschaftlich alle Hauptzweige der alterthümlichen Wissen-
schaft vorzutragen in einem dreijährigen Cursus hat mich in mannigfaltige Studien
hineingezogen und bisher wenig Zeit zu andern Dingen mir gestattet. Philosophisches
lehre ich also nichts als die Geschichte der griechischen Philosophie, denn so habe
ich nun den Plan ausdehnen müssen; es ist also nun auch die Logik weggeblieben
und alles hat einen mehr philologischen Anstrich erhalten, ohne daß jedoch die
Grundideen weggefallen wären die Sie mich gelehrt haben. Was den Piaton anlangt
den ich auch in meinen Vorlesungen erkläre, so habe ich mich überzeugt, daß Sie
sein Moral-System einzig richtig aufgestellt haben wie es auch zu erwarten war von
dem, der in dieser Hinsicht selbst so platonisch denkt, aber wegen des theoretischen
Systems bin ich doch anderer Meinung; er gebraucht das Wort tivai tö oV, r« ovza
von den Ideen als den unwandelbaren Muster || bildern weil ihm das Werdende eben
nicht das Wahrhaft-Seiende ist, wie Sie auch so bestimmt gesehen haben, aber er
faßt den Begriff des Seins noch nicht so scharf wie Sie. Daher seine Ideen nicht
besondere Wesen sind, sondern nur in der Gottheit. Unwandelbarkeit dergestalt
daß kein Übergehen stattfinde in das Entgegengesetzte, und Ewigkeit d. h. vorwelt-
liches Vorhandensein — dieses ist der platonische Begriff des Seins; Sie haben den
Begriff des Seins schärfer entwickelt als je ein Philosoph, darum ist Ihnen das
Sein nothwendig das eines Wesens. — In der Folge denk' ich einmahl über die
platonische Dialectik zu schreiben, wo sich hoffentlich zeigen wird in welchem Um-
fange Piaton diese Kunst ausübte, und wie äußerst bildend seine reiche Methodik
sei, ein Punct auf den Sie mich zuerst recht aufmerksam gemacht haben. So ziehe
ich also noch immer von Ihrem unvergeßlichen Unterrichte vielfachen Nutzen, ohne
auf der andern Seite die practische Philosophie und die Metaphysik vergessen zu
haben. Nahmentlich hab' ich in der ersten mehr den zehn in Privat-Gesprächen
unterwiesen, seitdem ich sie nicht mehr öffentlich lehren kann, und alle sind mit
Liebe gegen den Meister durchdrungen worden. Unmittelbarer kann || ich in diesem
Augenblick nicht in dieser Hinsicht wirken, da die Menge der philologischen Ge-
schäfte mich zu sehr occupirt, ich auch zweitens nicht mich den beiden andern
hiesigen Lehrern der Philosphie entgegenstellen mag; denn Gemeinschaft der Über-
zeugung kann ich nun doch nicht mit ihnen haben. An den wunderlichen Anzeigen
Ihrer Bücher, wie noch die letzte war über Ihre Einleitung, habe ich also keinen
Antheil, kann sie aber auch nicht verhindern, da mir keine Stimme deshalb erstattet
ist. Wie es zugeht, daß die Leute auch ganz und gar nichts von Ihren Sätzen
begreifen, ist mir ein Räthsel; aber natürlich finde ich ihre Keckheit, denn das ist
allen Dummen eigen. Was hier in dem berühmten Göttingen für ungewaschenes
7*
jOO August — Dezember 1815.
Zeug von den philosophischen Cathedern gesagt wird, davon haben Sie keinen Be-
griff. Mannigmahl werde ich von Studenten um Rath gefragt, ;bei welchem der
beiden Herrn sie hören sollen, und ich bin jedesmahl in Verlegenheit; eben so
wenn sie meine Meinung wissen wollen über dieses oder jenes in den Hörsäälen
derselben vorgekommenes. Denn wie diese Herrn in ihrem eigenen Wesen ver-
worren sind, so haben sie auch keine Kenntnis des Geschichtlichen. So z. B. hat
H. Schulz vorigen Winter ganz ernsthaft vorgetragen, Heraclit und Piaton hätten
das Werden gelehrt. — Von Tölken kann ich Ihnen || wenig sagen, außer daß er
jetzt in Berlin als Privatdocent sich befindet; da er hier durch mancherlei Verstöße
die Studirenden von sich abgewendet hatte, auch zu unruhig auf einer baldigen
Anstellung bestand, so mußte er sich endlich nach fehlgeschlagenen Hoffnungen
weg begeben. Seine Unruhe hindert ihn noch immer eine feste Überzeugung sich
zu bilden; und sein zu großes Selbst- Vertrauen wird ihm noch mannigmahl schaden.
Doch ich halte Sie zu lange mit meinen Reden fest; leben Sie herzlich recht herz-
lich wohl. Stets der Ihrige
G. L. Dissen.
Nach Michaelis: Jahresbericht über das didaktische Institut. S. Bd. XIV. S. 83—86.
4. Dez.: Vorschlag zu einem pädagogischen Institut. S. Bd. XIV. S. 79 — 83.
1816.
W. : Lehrbuch zur Psychologie. S. Bd. IV. S. 295 — 436. Rez. von Sinclairs Versuch
(S. Bd. XII. S. 35-43).
März, April, Juni, Aug., Okt. : Monatsberichte der Wissenschaftlichen Deputation zu
Königsberg. S. Bd. XV. S. 177—179, 185, 186, 188.
274. Nicolovius an H.1) Berlin, d. 24. September 1816.
Wohlgeborner Herr! Hochgeehrter Herr Professor!
Ew. Wohlgeboren kann ich auf Ihr gefälliges Schreiben die gute Nachricht
mittheilen, daß bey Gelegenheit des neuesten Etats des didactischen Instituts alle
von Ihnen gewünschten Zuschüße ganz in der von Ihnen vorgeschlagenen Aus-
dehnung bewilligt sind. Darunter ist namentlich Hausmiethe und das Gehalt des
ersten Aufsehers. Wahrscheinlich ist, oder wird in kurzem, Ihnen vom Curatorio
Alles bekannt gemacht, und Sie können darnach wegen Hauskaufs pp Ihre Ent-
schlüße faßen.
Ich kann und darf es uns hier nicht zu einem Verdienst anrechnen, daß
Ew. Wohlgeboren solche Beweise von Vertrauen empfangen, da Sie solches so sehr
verdienen. Das aber || sey mir, der ich an Ihrer Verpflanzung nach Preußen nicht
ganz unschuldig bin, erlaubt zu sagen, daß es mich sehr freut, Sie in Ihrem ganzen
Seyn und Wirken hier so ganz nach Verdienst erkannt zu sehen.
Möge Gesundheit und Muth nicht von Ihnen weichen, Ihr Vertrauen zu uns
fest stehen, und wir desselben immer werth bleiben!
Mit herzlicher Hochachtung Ew. Wohlgeboren ganz ergebenster Diener
Nicolovius.
!) 2 S. 4°. H. Wien. — G. H. L. Nicolovius (1767—1839), erst Kurator der
Universität Königsberg, dann Staatsrat in Berlin. S. G. Schuster a. a. 0. (Monum.
Germ, paed., Bd. 37), S. 34 Anm. und Bd. 15 dieser Ausgabe.
1817.
W. : Gespräche über das Böse. S. Bd. IV. S. 449 — 510. Rez. von Apels Grund-
sätzen der Metrik. S. Bd. XII. S. 43—56.
275. Nicolovius an H.1) Berlin d. 5. Jan. 1817.
Ew. Wohlgeboren kennen die Achtung und das Vertrauen, womit ich auch
schon vor der persönlichen Bekanntschaft Ihnen ergeben war, und werden daher
auch diese Mittheilung mit Güte und Theilnahme ansehen. —
Der traurige Zustand des Studiums der Philosophie auf unsern hohen Schulen
muß wohl jeden, der mit Ernst über den Gang der Bildung der vaterländischen
Jugend und dessen Folgen für die Zukunft nachdenkt, beunruhigen, insonderheit
wenn er Amtshalber einer Theilnahme an der Leitung deßelben sich nicht entziehen
kann, mehr noch, wenn er selbst Vater ist, und wackere Söhne in die höheren
Bildungsschulen eintreten lassen soll. Alles dieses ist mein Fall, und wenn ich mit
Besorgniß und Schmerz auf unsere und die benachbarten Universitäten sehe, so kann
mein Blick nur gern und erheitert bey Ihrem Hörsaale verweilen. Es kann hier
nicht von diesem oder jenem Systeme die Rede seyn, sondern von dem Ernst, || wo-
mit die Wissenschaft vorgetragen, von der Kraft und Kunst, womit junge Köpfe
geweckt, für die Wissenschaft gewonnen, zum Verständniß der größesten Geister
unseres Geschlechts erhoben, zu einem hohen Streben begeistert, und, wo die Natur
Neigung und Talent für die Speculation versagt hat, doch mit Achtung und Ehrfurcht
für die Wissenschaft erfüllt, und so doch mit einigem Salz gegen unwürdiges,
schales Treiben der für Aemter vorbereitenden Studien ausgerüstet werden. Welche
Kraft des Gedankens, welche Gabe der Sprache, welche hohe pädagogische Kunst
Ihnen verliehen ist, davon zeugen außer Ihren Schriften die dankbaren Schüler, die
durch Sie eines höheren, geistigen Lebens Theilhaftig geworden sind. Schon meinen
ältesten Sohn wollte ich im vorigen Jahre sein akademisches Studium in Kbg. an-
fangen lassen ; die Umstände nöthigten aber ihn hier zu bleiben. ||
Um desto mehr wünsche ich den zweyten, der auf Ostern die Schule verläßt,
ein Jahr und bis zu Anfang seines juristischen Studiums auf Ihrer Universität
studiren zu laßen. Ein Bedenken steht mir noch im Wege. Sie fangen Ihren
Cursus mit dem Winter- Semester an. Wie kann der Ankömmling Sie von Ostern
bis Michaelis benutzen?
Hierauf erbitte ich mir Ihre gütige belehrende Antwort. Nicht darf ich hoffen,
Ihnen einen würdigen Schüler zu senden; nur einen, so wie die Gymnasien solches
leisten, klassisch vorbereiteten, an Fleiß gewöhnten, und körperlich und geistig wacker
geübten Jüngling, der wohl nicht für die Wissenschaft, hoffentlich aber doch für
ein durch Ernst, Nachdenken und höhere Richtung ausgezeichnetes Geschäftsleben
*) 3 S. 4°. H. Wien.
Juli 1817. 103
von der Natur bestimmt ist, und der, ich mag es nicht anders glauben, Ihnen immer
Dank schuldig zu seyn und Dank zu wissen fähig seyn wird.
Möge Ihre Güte diese Zeilen entschuldigen, und nicht die innige Achtung ver-
kennen, die mich zu Ihnen treibt!
Ew. Wohlgeboren ganz ergebenster Diener
Nicolovius.
W.:/a«. Bericht über das didaktische Institut. S. Bd. XIV. S. 89—93.
75. März. Schreiben an Hrn. von Auerswald. S. Bd. XIV. S. 98 — 100.
276. An Carl v. Steiger.1) Königsberg 15 jul. 1817.
Ein sehr angenehmes Geschenk, mein Theurer! hast Du mir vor
ein paar Monaten mit Deinem Briefe gemacht; und mit so vielen er-
wünschten Nachrichten von Dir und den Deinigen. Während des Laufs
der letzten Jahre habe ich öfter an Dich schreiben, und Dir zu der un-
verhofft schnellen Umkehrung des Bonapartismus Glück wünschen wollen;
allein ich sah aus den öffentlichen Nachrichten nichts Deutliches über die
Schweiz, und fürchtete Dein Gefühl irgendwie zu verletzen, das, wie ich
wohl weiß, gar sehr am Politischen hängt.
Jetzt eben geht ein junger Mann, der sich auf unserer Universität
gebildet hat, und auch nicht ohne Verbindung mit mir geblieben ist, zum
Herrn v. Fellenberg. Bey dieser Gelegenheit läßt sich ein Brief im Noth-
falle durch mündliche Nachrichten ergänzen; und so paßt es sich recht
gut, eine seit Jahren unterbrochene Correspondenz wieder anzuknüpfen.
Mag also Herr Lottermoser (so heißt der Ueberbringer dieses Blattes)
Dir Königsberg beschreiben; mit dem was ich von mir zu erzählen habe,
werde ich bald fertig werden; es läuft alles darauf hinaus, daß ich ganz
ruhig in meiner Lage fortlebe, die man weder als unglücklich beklagen,
noch besonders glücklich preisen kann. — Das Zeitalter, welches wir
durchleben mußten, hat auf Alle gedrückt, die nicht gerade Gelegenheit
hatten, sich militärisch oder politisch || hervorzuthun. Dein Bruder Rudolph
ist vermuthlich thätiger gewesen, als wir beyde, der Wellingtonsche Dienst
wird genug dazu aufgefordert haben. Hier in Königsberg beugte man
sich unter dem Sturm, so lange nöthig war; nach dem Rückzuge der
Franzosen erhob sich hier zuerst die Thatkraft; jedoch meine Verhältnisse
beschränkten mich auf das geduldige Mit-Tragen einiger öffentlichen Lasten.
Unsere Universität wurde vollends leer; die kleine Zahl unserer Studiren-
den eilte zu den Waffen. Bey ihrer Rückkehr bewährte sich von neuem,
was ich in der Schweiz zuerst erfahren habe; daß ein ernstlicher Kriegs-
dienst, für die Sache des Vaterlandes, die jungen Leute eher veredelt als
verwildern macht. In der That ist seitdem ein besserer Ton unter diesem
Häuflein, an dessen Bildung mitzuarbeiten, nun einmal das Hauptgeschäfft
meines Lebens ausmacht. Und da auch unsere neuerlich verbesserten
Schulen uns jetzt viele wohl unterrichtete Jünglinge zur Universität ent-
lassen; so liegt in der Tüchtigkeit derselben einiger Ersatz für ihre geringe
Anzahl. Freylich erräthst Du leicht, daß mich wohl eine Sehnsucht
1) 4 S. 40. — Wie schon im vorhergehenden Band bemerkt wurde, gelangen die Briefe
Herbarts an Steiger zum ersten Male ungekürzt und diplomatisch genau zum Abdruck.
104 Juli l8l7-
nach Göttingen anwandeln kann, wenn Du den Unterschied bemerkst,
daß dort jetzt 1300, hier 200 Studirende gezählt werden. Das König-
reich Westphalen hat mich vertrieben; sonst wäre ich noch dort.
Einige Vortheile hat meine hiesige Lage theils || darin, daß ich mich hier
mehr unter meines Gleichen befinde, ich meine unter Jüngern Collegen,
und nicht neben so vielen alten Senatoren, die sich als die Stützen des
Ruhms von Göttingen betrachten. Hier bin ich selbst seit einer Reihe
von Jahren Senator; ich führte vor einem Jahre das Prorectorat, und
selten vergeht ein Halbjahr, wo nicht entweder das Decanat der philos.
Facultät, oder die Direction der wissenschaftlichen Prüfungscommission,
mich an die Spitze eines kleinen Collegiums stellt. Allein diese kleinen
Ehrenposten machen sich auch wieder lästig durch allerley kleine Ge-
schaffte, welche die Zeit nicht werth sind, die sie kosten. Bedeutender
ist die Annehmlichkeit, mit dem Preußischen Ministerium des Innern im
Verhältniß, und zuweilen Geschäffts-halber im Briefwechsel zu stehen.
Man darf wohl sagen, daß schwerlich anderwärts eine hohe Behörde mag
gefunden werden, die mit so viel Humanität, und mit so entschieden
gutem Willen, es ihren Untergebenen angenehm macht, an sie zu schreiben.
Der hannoversche Stolz würde sich nie so weit herablassen. — Für jetzt
bin ich indessen doch auf unser Ministerium ein wenig verdrießlich. Ich
dirigire seit Jahren ein pädagogisches Seminar; jetzt soll es erweitert
werden; dazu bin ich erbötig, ein Haus zu [| kaufen, falls gewisse Be-
dingungen erfüllt werden; nun hält mich das Ministerium schon seit Jahren
hin, indem es weder rund abschlägt, noch bestimmt bewilligt was ich ver-
lange, sondern allerley in die Quere mit hereinzieht, wodurch meine öko-
nomischen Einrichtungen in einen Zustand von peinlicher Ungewißheit ver-
setzt sind. Besonders leidet meine Frau darunter, die für ihr Leben gern
ein wohnliches Haus mit einem Garten hätte, — was auch geschehen
könnte, wenn nicht auf den möglichen Fall, daß ich einmal Königsberg
verlassen könnte, für einige Erleichterungen des alsdann zu fürchtenden
Verlustes gesorgt werden müßte. Uebrigens hängt meine Frau selbst sehr
an Königsberg, obgleich sie hier gar keine Verwandte hat. Ich habe Dir
früher geschrieben, daß sie in Memel geboren ist, und zwar von englischen
Eltern, die sie in England erziehen ließen. Ihr Vater, ein wunderlicher
Mann, der durch allerley seltsame Speculationen wieder eben so reich
werden möchte, als er gewesen ist, und der gerne dazu das kleine mütter-
liche Erbtheil meiner Frau verbrauchen würde, wenn wir es gestatteten,
lebt in Memel, und ist so böse auf uns, daß er uns nicht incommodirt.
Meine Frau empfindet das tief; aber sie hat Charakter genug, und gehört
mir so ganz, daß sie sich wenigstens mit Ruhe in das, durch uns nicht
verschuldete Misverhältniß, zu schicken weiß. ||
Soll ich nun noch erzählen, daß in meinem Pulte eine weitläufige
psychologische Arbeit1) auf bessere Zeiten des Buchhandels wartet? daß
ich mich eben jetzt mit Naturphilosophie (freylich nicht mit Schellingischer)
beschäfTtige ? So etwas, denke ich, versteht sich von selbst. — Also nur
noch die besten Wünsche für Dich, für Dein Haus, für Deine politische
x) S. u. Brief an Brockhaus v. 7. Okt. 18 19.
Juli — September 1817. 105
Laufbahn, für Deine Brüder, und für ein langes Leben Deines trefflichen
Vaters. Auch Deinem Vaterland wünsche ich alles Heil. Wäre es nur
nicht eine so misliche Sache um jeden Staatenbund! —
Ganz Dein Herbart.
Vielleicht ist es Dir angenehm, noch zu erfahren, daß der älteste
Grote, jetzt Regierungsrath in Oldenburgischen Diensten, kürzlich mit
seiner Frau, einer Schwester von Rahden, hier durch nach Curland gereist
ist. Auch den ältesten Grafen Sievers habe ich während der Kriegs-
periode mehrmals hier gesprochen. Er ist General, und Chef der Ingenieurs;
als solcher lebt er in Petersburg. Sein Bruder Alexander ist vor mehrern
Jahren gestorben. — Grote sowohl als Sievers haben an Heiterkeit etwas
verloren, sonst sind sie noch die Alten.
W. : 3. Aug. Über den Hang des Menschen zum Wunderbaren. (Königs Geburtstags-
rede.) S. Bd. IV. S. 437—447.
16. Aug. u. 2g. Sept.: Schreiben über die Beschaffung eines Lokals für das Institut.
S. Bd. XIV. S. 103 — 109.
1818.
W: Über das Verhältnis der Schule zum Leben. S. Bd. IV. S. 511 — 518. Päda-
gogisches Gutachten über Schulklassen. S. Bd. IV. S. 519 — 556. Rez, über Graffs
Umwandlung der Schulen. S. Bd. XII. S. 56.
Jan. : Jahresbericht über das pädagogische Seminar. S. Bd. XIV. S. 117 — 123.
277. An Brockhaus in Leipzig.1) Königsberg 13 jui. 1818.
Ew. Wohlgeboren gütige Einladung zur Theilnahme an Ihrem Hermes
ganz ergebenst verdankend, übernehme ich die Anzeige der mir unterm
24. Jun. nahmhaft gemachten drey Bücher; jedoch in der Voraussetzung,
daß, falls ich etwa eins oder das andere darunter zu geringfügig für Ihre,
auf dauernden Werth hinarbeitende, Zeitschrift, zu finden glauben sollte,
eine bloße Privat- An zeige an Sie hinreichen werde.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung Ew. Wohlgeboren er-
gebenster Herbart.
278. An Krug in Leipzig.2) Königsberg 26 Aug. 18.
Ew. Wohlgeboren muß ich mit Bedauern melden, daß von den drey
zur Anzeige im Hermes mir zugesandten Schriften auch nicht Eine be-
deutend ist. Meine kurze Relation darüber an Sie, ist folgende:
1. Die Schrift: Pestalozzis neue Methode alte Sprachen zu lehren,
enthält nicht volle 6 Octavseiten die zur Sache gehören, und auf diesen
Seiten treiben sich ein paar bekannte Gedanken herum, die von offenbarer
Unkunde der eigentlichen Schwierigkeiten zeugen.
2. Herr Kniewel ist Schellingianer und Pestalozzianer vom derbsten
Schlage; und mit allen bekannten Fehlern dieser Art von Menschen.
Merkt man auf ihn, so wird er noch lauter schreyen. Es ist besser ihn
zu ignoriren. Dennoch hatte ich eine Recension angefangen, allein ich
*) Dieses Schreiben wurde mir von der Handschriften - Abteilung der Königl.
Bibliothek zu Berlin gütigst zum Abdruck überlassen.
2) Wilh. Traug. Krug (1770 — 1842), Nachfolger Kants und Vorgänger Herbarts
in Königsberg, damals Professor in Leipzig und Redakteur des „Hermes", einer kritisch-
literarischen Viertelsjahrsschrift, die F. A. Brockhaus 18 18 gegründet hatte (vgl. H. E.
Brockhaus, F. A. Brockhaus' Leben, Leipzig 1872 ff.). — Die folgenden Briefe ver-
danke ich der Firma F. A. Brockhaus in Leipzig, die die Freundlichkeit hatte, mich
nicht nur ihre Kopierbücher einsehen zu lassen, sondern mir auch mehrere Briefe Herbarts
zur Verfügung zu stellen.
August 1818. I07
legte die Feder weg, da ich sah, daß hier nur Derbheit mit Derbheit zu
erwiedern sey; das [| Publicum aber dabey nichts lernen, auch nichts An-
genehmes über Pestalozzi hören werde. Fänden Sie übrigens, daß Hrn.
Kniewels Ansicht von der „electrischen und magnetischen Seite der —
Geschichte", im Hermes erwähnt werden müsse, — so würde ich bitten,
einem andern Mitarbeiter deshalb ihre Aufträge zu ertheilen.
3. Hr. Pustkuchen ist vollends eine schwache Person, obgleich hie
und da ein Gedanke, und durchweg die Fertigkeit, sich in Worten auf-
zublähen, zu verspüren ist. Aber keine Ahndung von Gründlichkeit;
nicht die mindeste Überlegung der Bedingungen, unter denen die Unter-
suchung hätte anfangen und fortgehen können! — Wozu soll man der-
gleichen recensiren?
Diese drey Schriften werde ich, um Ihnen nicht unnütze Kosten zu
verursachen, an Hrn. Unger abgeben, der hoffentlich so gefällig seyn wird,
weitere Vorschrift des Hrn. Brockhaus zu erwarten und die Besorgung
zu übernehmen.
Da Sie mich aber auffordern, selbst Vorschläge zu machen, so frage
ich an, ob Sie für Eschenmayers Religions - Philos. || schon den Recens.
bestimmt haben? Oder ob Sie desselben Psychologie noch nicht zu alt
finden, um im Hermes recensirt zu werden? — Der Recensent der
Religions-philosophie wird ein bedeutendes Geschafft haben, besonders
weil E. selbst die Fehler Schellings — die freylich uns Andern kein
Geheimniß waren, — nun auch den Schellingianern selbst, zum Theil
enthüllt, wiewohl er selbst noch größtentheils darin befangen ist.
Ein interessantes pädagogisches Schriftchen ist das von Regier. R.
Graft : „Die für die Einführung eines erziehenden [Unterrichts] nothwendige
Umwandlung der Schulen; bey Steinacker. 1818. Nur kann ich mich
nicht zum Recens. anbieten, weil ich selbst dabey interessirt bin.1) Aber
nennen darf ich es Ihnen, zu beliebigem Auftrage an einen andern Mit-
arbeiter.
Meiner Eile wegen sehr um Entschuldigung bittend verharre ich mit
der vorzüglichsten Hochachtung als Ew. Wohlgeboren ganz ergebenster
Herbart.
x) Vgl. Bd. IV, S. XI ff. und O. Willmann, Herbarts päd. Schriften (1880), 2. Bd.,
S. 69 ff.
1819.
W.: Rez. über Eschenmayers Religionsphilosophie (S. Bd. XII. S. 297 — 307), Guts
Muth's Abriß der Gymnastik, Kayßlers Würdigung der Turnkunst, Steffens Turnziel,
Passows Turnziel, Passows Turnleben (S. Bd. XIII. S. 340 — 351).
Jan.: Jahresbericht über das pädagogische Seminar. S. Bd. XIV. S. 129 — 141.
279. Brockhaus an H.1) Leipzig 5. April 1819.
Die Rez. über das Turnwesen konnte noch ins 2te Heft des Hermes; die über
Eschenmayers Werk ins 3te Heft. Schlagen Sie uns vor, was Ihnen in dieser Hin-
sicht weiter zu beurtheilen zweckmäßig dünkt. An dem Ton finden wir nichts aus-
zusetzen.
Im Verlag des Verlegers vom Hermes ist vor einigen Monaten ein philoso-
phisches Werk von D. Arthur Schopenhauer, 2) (einem Sohne der Reisebeschreiberin)
jetzt in Rom, erschienen, über welche eine ausgearbeitete Rezension uns sehr am
Herzen liegt. Wir rechnen dabey auf Ew. W. und hoffen, Sie werden solche über-
nehmen und uns solche baldigst einsenden. Der Umstand, daß Schreiber dieses
solche verlegt hat, muß Ew. Wohlgeb. nicht im geringsten stören, sie der strengsten
Prüfung und Analyse zu unterwerfen.
Inliegend erfolgt zugleich eine Anweis, auf dies Werk, um dasselbe von den
Hrn. Gebr. Bornträger dort beziehen zu können.
280. Brockhaus an H. Leipzig 10. Mai (19).
Ew. W. ersehen aus inliegender Anzeige, daß Ihre kleine Schrift gegen Steffens
die Presse bereits verlassen und ausgegeben worden ist.
Die bedungenen 20 Ex. fein Papier, sind heute an Hrn. Unzer zur baldigen
Besorgung an Sie abgegeben worden und wahrscheinlich in kurzer Zeit in Ihren
Händen. Ich hoffe, daß Ew. W. mit dem äußeren Gewände dieses Schriftchens
werden zufrieden seyn.
W.: Mai: Über die gute Sache. Gegen Prof. Steffens. S. Bd. IV. S. 557 — 570.
Sommer: Erste Vorlesung über praktische Philosophie. S. Bd. V. S. I — 10.
281. Brockhaus an H. Leipzig 14. July (1819).
Ew. W. haben für die zum 2ten Hefte des Hermes gelieferten Recensionen
betragend 1 Bogen, 9 S. in 3 Carolin oder 18 Thler pr Bogen, Rth 28. 3 gr. von
x) Nr. 279-281, 285, 290 aus den Kopierbüchern der Firma F. A. Brockhaus
in Leipzig.
2) Man vgl. zu dem Folgenden Th. Feitzsch, „Herbart und Schopenhauer1' in
der Zeitschr. f. Phil. u. Päd. (Langensalza, Hermann Beyer k Söhne [Beyer & Mann]).
18. Jahrg., S. 257—265.
August 1819. 10q
mir zu erhalten, welche beigehend in einer Anweisung auf Herrn A. W. Unzer
erfolgen und womit ich diesen Gegenstand auszugleichen bitte.
In Erwiederung Ew. W. Schreiben vom 30. May habe ich die beiden kleineren
Schriften des Dr. S[chopenhaue]r Ueber die 4 fache "Wurzel pp und Ueber das
Sehen, sofort verschrieben und vor etwa 8 Tagen durch die Herren Gebr. Born-
träger dort an dieselben abgesandt.
Ich sehe nun recht bald der gütigst zugedachten umständlichen Beurtheilung
entgegen, und wollen Ew. "W. dieselbe direct an mich addreßiren, mir auch gefälligst
melden, welche Beurtheilung dann folgen soll. — Unser Wunsch wäre, daß Ew. W.
sich so einrichteten um in jedem Stück des Hermes jedesmal eine Abhandlung
zu liefern.
Es wird künftig noch mehr als seithero die strengste Wahl sowohl in der
Bestimmung der zu beurtheilenden Schriften, als auch der Mitarbeiter selbst statt
finden. — Übrigens ist nie zu vergeßen, wie es in der Idee des Hermes liegt, daß
über die Punkte, die einmahl zur Betrachtung ausgewählt sind, so genau und voll-
ständig als die Kräfte gestatten, Auskunft gegeben werde, und gewöhnliche bloße
Recensionen hier gar nicht genügen.
Was Ew. W. für dies Institut einsenden, wollen Sie unmittelbar an mich
addreßiren.
282. Krause an H.1) Weimar den 18ten Aug. 1819.
Endlich kann ich den längst tief gefühlten Wunsch meines Herzens erfüllen,
und Ihnen, Hochverehrter, theuerster Freund von hier aus schriftlich meine Hoch-
achtung und Ergebenheit versichern. Sie werden schon gehört haben, daß ich lange
an dem Rande des Grabes stand; und inwiefern ich mich jetzt gerettet zu sehen
glaube, werden Sie in meinem Brief an den Herrn Archidiaconus Werner lesen, der
Ihnen denselben gern mittheilen wird. Ich will also meine Krankheits und Ge-
nesungsgeschichte nicht wiederholen. Jetzt scheint mein Körper ganz gereinigt zu
seyn, und es wird mir die Hoffnung gemacht, daß ich künftig auf eine festere Ge-
sundheit rechnen könne, als früher. Auch an Arbeit fehlt es mir hier nicht.
Außer meinen || gewöhnlichen Geschäften habe ich in dieser Woche ein Colloquium
gehalten, einen jungen Prediger ordinirt und einen Abiturienten geprüft (denn hier
mache ich die ganze Prüfungscommission aus, welches freilich etwas zu viel ist).
Es würde mir indessen sehr angenehm seyn, wenn Sie mir von der Ihrigen
etwas Näheres mittheilen wollten. Aber vor allem bitte ich mit meiner Frau um
Nachricht von Ihrem und Ihrer Frau Gemahlin Befinden. Wir sehnen uns darnach, von
Ihnen selbst etwas zu hören. Meine Frau wünscht auch zu wissen, wie es mit ihrem
Garten steht, ob Sie mit dem Ertrag bis ietzt zufrieden sind, welche Früchte vor-
züglich in diesem Sommer geraten sind ct. Seitdem sie nicht mehr auf der Kranken-
stube seyn darf, ist sie fast täglich (so weit || es die vielen Besuche erlauben) mit
unserem Garten beschäftigt, und treibt sogar mit dessen Erzeugnissen einen
Handel. Vermuthlich rechnet sie darauf, daß ich in Sachsen Magister geworden bin,
wo den Magistris das Handels-Recht gebührt. Ihre Aufträge habe ich bis ietzt nur
zum Theil besorgen können. Die Schrift über die gute Sache etc. nahm sogleich Herr
x) 4 S. 8°. H. Wien. — Die Unterschrift konnte trotz fr. Mithilfe kundiger
Herren aus Weimar nicht entziffert werden. Es unterliegt aber nach dem Inhalte
keinem Zweifel, daß der Schreiber des Briefes der Generalsuperintendeut J. F. Krause,
(1770—1820) ist. Ihm hat Herbart sein Lehrbuch pp. gewidmetes. Bd. IV, S. 2).
Er war um die Osterzeit 1819 nach Weimar übergesiedelt. Über Krause vgl.
Scheffner, Nachlieferungen z. m. Leben, Lpzg. 1884.
j IO August 1819.
Professor Krug an sich, und ohne Zweifel ist sie schon längst gedruckt. Über die
Psychologie sprach ich mit Fleischer, er aber meinte, für gründliche und tiefe philo-
sophische Werke, wie Sie zu liefern pflegten, gäbe es ietzt wenig Käufer, und darum
wagte er es nicht, solche zum Verlag zu übernehmen. Mehrere Buchhändler konnte
ich in Leipzig nicht sprechen, weil ich schon dort sehr krank war. In Jena bin
ich nur zwei Tage gewesen, || und zwar nur im Anfang meiner Genesung, wo ich
noch nicht ausgehen konnte, aber ich werde nächstens in Amtsgeschäften dahin
reisen, wo ich mehr thun werde. Denn dort habe ich Hoffnung. Es liegt mir
selbst daran, daß der "Welt eine Schrift nicht vorenthalten wird, die gewiß für die
Wissenschaft von hoher Bedeutung ist. Auch Professor Fries sprach von Ihnen mit
Hochachtung nicht nur, sondern ich darf hinzusetzen, mit wahrer Liebe. Ich. bin
wenigstens überzeugt, daß er es aufrichtig meinte. In H. Kahler haben Sie einen
recht philosophisch gebildeten Mann erhalten, und den Damens soll er auch sehr
wohl gefallen. Geht Ihre Frau Gemahlin noch fleißig in die Löbenichtische Kirche.
Empfehlen Sie Ihr mich und meine Frau recht herzlich, wir verehren sie beyde
mit ganzer Seele und ich werde nie aufhören, mit der achtungsvollsten Freund-
schaft zu seyn ganz der Ihrige Krause.
283. An Oberlehrer Heydenreich in Tilsit1)
Königsberg 25. Aug. 18 19.
Sie haben mir ein angenehmes Geschenk mit Ihrer kleinen Schrift
gemacht, die mir einen Blick in Ihre geistigen Beschäftigungen erlaubt,
und es mir bestätigt; daß Sie Ihr Werk fortwährend mit Wärme und
Liebe treiben. Hrn. Glöckner habe ich nicht gesprochen; er hat keine
Nachricht von sich gegeben. Der Gedanke eines pädagogischen Journals
würde wohl etwas gewagt seyn, wenn Sie nicht, wie ich bey Ihrer Vor-
sicht voraussetze, Sich nach tüchtigen und zahlreichen Mitarbeitern um-
gesehen hätten. In der That dürfte es nöthig seyn, allen bedeutenden
Schulmännern unserer ganzen Umgegend Ihr Unternehmen im Voraus
zu empfehlen. An Stiemern und Diekmann, an Clemens, Mundt (in
Elbing), Buchner (ebendaselbst), an Reichhelm, der jetzt Regier ungsrath
in ßromberg ist, an Grolp, jetzt Director in Danzig, werden Sie wohl
schon gedacht haben; aber auch mit Gotthold und St . . . (Struwe?) hier
in Königsberg möchten Sie wohl Ursache haben eine Verbindung an-
zuknüpfen.
Daß Sie mit Ihrem dortigen Hrn. Director und Ihren Collegen im
Einverständniß sind, setze ich voraus; Hr. Director Körber wird Ihnen
vielleicht zu manchen Verhältnissen behülflich seyn, die bey einem solchen
Unternehmen nicht gering geschätzt werden dürfen. — Eine Vierteljahres-
schrift möchte übrigens sicherer seyn als eine Monatsschrift; denn bey
den letztern ist strenge Auswahl ganz unmöglich. Sie selbst, als Unter-
nehmer, werden viele Aufsätze im Voraus fertig machen müssen. Ich
werde mir das Vergnügen nicht versagen zuweilen einen Beytrag ein-
zusenden, wenn es auch nicht oft kommt, welches ich nicht versprechen
kann. Aber vor dem Anfang des Journals wünschte ich wohl eine nähere
l) Veröffentlicht von H. Wendt in Justs Praxis der Erziehungsschule, Altenburg
1891, 5. Bd. S. uif. Wendt erhielt den Brief durch den Sohn des Empfängers,
Oberlehrers am Realgymnasium in Elberfeld.
Oktober 1819. III
Nachricht von den Gegenständen, welche die ersten Hefte behandeln
sollen. — Herzlich dankbar für Ihre fortdauernde Zuneigung unter-
zeichnet Herbart.
284. An BrockhaUS.1) Königsberg 7. Oct. 1819.
Ew. Wohlgeboren empfangen hiemit die bewußte Recension, 2) von
der ich wünsche, daß Sie dieselbe nicht zu lang finden mögen; wenigstens
kann ich versichern, daß sie im Verhältniß zum Gegenstande, und zu der
Noth wendigkeit, im Hermes so ausführlich zu schreiben als die Deutlich-
keit es erfordert, — möglichst kurz gefaßt ist. Sollte die etwas scharfe
Beurteilung, zu welcher die nicht geringe Meinung des Verfassers von
sich selbst, Anlaß gab, Anstoß erregen; und sollte Jemand deshalb ernstlich
nach meinem Namen fragen, so braucht derselbe kein Geheimniß zu
bleiben, vielmehr ersuche ich Sie auf diesen Fall, mich zu nennen. Außer-
dem aber ist es mir lieber, nur von denen errathen zu werden, die meine
Schriften kennen. —
Jetzt habe ich noch eine andere Angelegenheit, für die ich mir auf
einige Augenblicke die Aufmerksamkeit Ew. Wohlgeboren erbitte; und
nötigenfalls Ihren guten Rath!
Ein Manuscript, welches das Werk eines Vierteljahrhunderts und
meiner besten Kräfte ist, liegt seit 5 Jahren druckfertig. || Dieselben Ur-
sachen, welche die Arbeit mühevoll machten, erschweren die Herausgabe.
Schon der Titel: „Grundlegung zur speculativen Psychologie", sagt aus,
daß von Speculation die Rede ist; überdies setzt ein Theil des Buchs
höhere Mathematik und Mechanik voraus; endlich verursachen 150 Bogen
Handschrift, die wohl zwischen 50 und 60 Druckbogen geben können,
— vielleicht selbst etwas mehr — schon bedeutende Druckkosten, und
an Honorar habe ich bisher von den Buchhändlern, denen davon Nach-
richt gegeben wurde, 2 Friedr. dor für den gedruckten Bogen verlangt. —
Daß man in den Jahren 1 8 1 4 und 1 5 auf einen solchen Vorschlag nicht
einging, war schon der Zeitumstände wegen natürlich; und ich habe recht
gern bis jetzt gewartet, weil mir nichts mit dem bloßen Honorar gedient
ist, sondern ich dem Buche, welches der Wissenschaft zu Liebe aus-
gearbeitet wurde, jetzt auch Leser wünsche.
Nun aber' scheinen sich die Zeiten geändert zu haben. Daß in
Ihrem Verlage das weitläuftige Buch von Schopenhauer erscheinen konnte,
— welches übrigens allem Anschein nach nicht den zehnten Theil der
Arbeit gekostet hat wie das meinige, — dies dünkt mich ein Zeichen,
es sey nicht mehr ganz unmöglich, von Speculation mit dem Publicum
ausführlich zu reden. — Hiezu kommt, daß die ganz vorzüglichen Ver-
bindungen, welche Ew. Wohlgeboren Sich verschafft haben, Ihnen möglich
machen können, was Andern unmöglich ist. Daher wende ich mich jetzt
x) 3 S. 4°. — Der Brief ist aus dem Besitz des Herausgebers in den der
Herren Verleger dieser Bände, Herren Hermann Beyer & Söhne (Beyer & Mann), in
Langensalza, übergegangen.
2) Über Schopenhauers „Welt als Wille" usw., s. Hermes oder kritisches Jahr-
buch der Literatur. Drittes Stück für das Jahr 1820. Nr. VII der ganzen Folge.
Amsterdam 1820, S. 131 — 149. — Vgl. Bd. XH dieser Ausg. S. 56 ff.
I[2 Oktober, November 1819.
an Sie; nicht bloß, um Ihnen || das Manuscript zum Verlage anzubieten,
sondern mit dem Wunsche, in jedem Falle von Ihnen eine besondere
Antwort zu erhalten, was nach den jetzigen Verhältnissen, und nach wahr-
scheinlichen Aussichten in die Zukunft, für mich thunlich und räthlich
seyn möge? — Meine Lage versetzt mich eben so wenig in die Zahl
der hungrigen Scribenten, die ihre Manuscripte um jeden Preis verschleudern
um zu leben; als unter die Reichen, die das, was ihnen gebührt, ver-
schenken können, ohne einen Mangel zu empfinden. — Allein in kurzem
wird die zweyte Auflage meiner Einleitung in die Philosophie gedruckt;
überdies haben Ew. Wohlgeboren mich zu regelmäßiger Mitarbeit am
Hermes aufgefordert; — alle diese meine kleine literarischen Arbeiten,
sind ewigen Misverständnissen ausgesetzt, wenn ich nicht ein größeres,
ausführliches Werk bekannt mache. Dies ist ein Hauptgrund, weshalb
ich mit der Herausgabe jenes Buchs, — nachdem ich es diesen Sommer
sorgfältig revidirt habe, — nicht gern länger zögern möchte.
Sollten Ew. Wohlgeb. sich auf eine Mittheilung einlassen wollen, und
vielleicht noch nähere Nachricht wünschen: so bitte ich mir dieses zu
melden.
Ihnen und Herrn Professor Krug empfiehlt sich hochachtungsvoll
Her bar t.
285. Brockhaus an H. Leipzig 25. Okt. (19).
Ich. erlaube mir Ew. W. freundlich, zu bitten mir mit ein paar Worten zu
sagen, bis wann ich. die versprochene Recension über Schopenhauers "Welt erhalten
dürfte und es würde mir zugleich angenehm seyn wenn Sie mir dabei sagen wollten,
womit Sie sich nach Ablieferung derselben für den Hermes zu beschäftigen gedenken,
indem ich mir schmeichle Ew. W. als einen festen Mitarbeiter an dem Institut
betrachten zu dürfen, da eine Fortsetzung desselben keinen Zweifel unterliegt, das
4te Stück wird in etwa 14 Tagen und das 5te ebenfalls noch in diesem Jahre
erscheinen.
Mit der vollkommensten Ergebenheit etc.
286. All Brockhaus. Königsberg 4. Nov. 18 19.
Ew. Wohlgeboren habe ich in Beziehung auf Ihr jüngstes Schreiben
vom 25. Oct. die Ehre zu melden: daß ich schon vor -etwa 3 oder 4
Wochen meine Recension über Schopenhauers Werk fertig gemacht, und,
um Ihnen das Postgeld zu ersparen, an Herrn Unzer gesendet habe, der
gütig versprach, dieselbe bald an Sie zu besorgen. Wahrscheinlich kommt
sie eher zu Ihnen als dieser Brief.
Da ich nicht im Mittelpunkte der Literatur wohne, so erwarte ich
am liebsten Ihre Aufträge in Ansehung der von mir zu beurtheilenden
Schriften; unter der Voraussetzung, daß ich hiebey nicht Gefahr laufe mit
unbedeutenden Schriften behelligt zu werden.
Was ist aber aus meiner schon längst eingesandten Recension von
Eschenmayers Religionsphilosophie geworden? Ich besinne mich nicht, die-
selbe abgedruckt gesehen zu haben; es würde mir angenehm seyn zu
wissen in welchem Stück des Hermes sie Platz finden soll. — Der gute
Fortgang dieser Zeitschrift ist mir erfreulich, und ich finde mich ge-
Dezember 1819. j j ->
schmeichelt dadurch, daß Ew. Wohlgeboren auf mich als auf einen vesten
Mitarbeiter rechnen. Allein ob meine Recensionen verstanden werden?
ob sie zu etwas nutzen ? daran zu zweifeln bin ich fast genöthigt, solange
meine größeren Arbeiten nicht genug gekannt sind. Dies erinnert mich
an die Angelegenheit, wovon ich Ew. Wohlgeboren in dem Briefe Nach-
richt gab, der meiner Recension über Schopenhauer beyliegt. Diese An-
gelegenheit bin ich so frey Ihnen nochmals bestens zu empfehlen. Ver-
zeihen Sie meine Eile!
Herbart.
287. Brockhaus an H.1) Leipzig d. 24. Dec. 1819.
Ew. "Wohlgeboren geehrte Schreiben vom 7 t. Octr. und 4 t. Nov. sind mir
richtig zugekommen, ersteres, mit der Recension von Schopenhauer übrigens ganz
späte, so daß die Recension nicht mehr ins 5te Stück des Hermes aufgenommen
werden konnte, weshalb ich Ew. Wohlgebohren wiederholt ersuche mir Nichts mehr
durch Einschluß sondern bloß directe, einzusenden.
Die Recension von Eschenmayers Religionsphilosophie befindet sich im 4ten
Stücke des Hermes. Das Honorar dafür pr 13 Seiten, d. Bogen 3 Carolin, Rthl. 14.
15 gr., übermache in beiliegender Anweisung auf Hrn. Unzer.
Ew. Wohlgebohren gütigen Antrag zum Verlage Ihrer „Grundlage zur Psycho-
logie1' betreffend, so bedaure ich sehr denselben ablehnen zu müssen, da ich einer-
seits bereits hinreichend mit Verlags-Unternehmungen beschäftigt bin, und anderseits
es mir scheint, daß Schriften wie die gedachte in gegenwärtiger Zeit kein großes
Interesse erregen, ihrem absolutem Werthe unbeschadet. "Was Schopenhauers Werk
betrifft, so habe ich dafür gar kein Honorar bezahlt, 2) und muß dennoch bedauern es
gedruckt zu haben, da die Auflage höchst wahrscheinlich Maculatur wird.3) Ich
möchte Ew. Wohlgeboren rathen bey Ihrem Werke lieber auf Honorar zu ver-
zichten und es etwa Buchhandlungen die Ihnen naheliegen anzubieten, da es mir
wie gesagt leid thut es nicht übernehmen zu können.
Ich werde so frey seyn Ew. Wohlgebohren Aufträge für den Hermes zu er-
theilen, doch wird es mir angenehm seyn von Ihnen selbst auch aufmerksam ge-
macht zu werden, auf Werke die aus Ihrem Fache für das Institut passen und von
Ihnen zu recensiren wären. Wichtiges und Bedeutendes was in Ew. Wohlgebohren
Fache erscheint wird Ihnen wie ich vermuthe doch nicht entgehen.
Genehmigen Sie indessen meine vollkommene Hochachtung Ew. Wohlgebohren
ergebenster
gez.: F. A. Brockhaus.
x) Zuerst gedruckt in: Altpreußische Monatsschrift. Herausgegeb. v. R. Reicke
u. Ernst Wiehert. 20. Bd. Königsberg 1883. S. 662—63.
2) Diese Angabe stimmt nicht. Schopenhauer hat für die erste Auflage seines
Werkes „Die Welt als Wille'- usw. 40 Dukaten Honorar erhalten. Vgl. F. A. Brockhaus,
Sein Leben und Wirken, von seinem Enkel H. Ed. Brockhaus, Leipzig 1876, II. Bd.
u. W. von Gwinner, Schopenhauers Leben, 1910, S. 128.
3) Vgl. Bd. IV, S. 13. Dort zitiert Herbart diesen Satz und fügt hinzu: »Hier
ist die Rede von einem gelehrten, geistreichen, vortrefflich geschriebenen, und mit
den herrschenden Meinungen nicht gerade im Widerspruche stehenden Werke.«
Herbarts Werke. XVII.
1820.
W.: Rez. über Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung (S. Bd. XII, S. 56
bis 75) u. über Sigwarts Handbuch der Philosophie. (S. Bd. XII. S. 75 — 82.)
288» An BroCkhaUS. Königsberg 6. Jan. 1820.
[Poststempel Königsberg Pr. 7. Jan.}
Ew. Wohlgeboren haben mir in Ihrem letzten Briefe sehr deutlich
gezeigt, daß für meine langjährige Arbeit der Augenblick der Herausgabe
noch nicht gekommen ist. Wenn Sie nur im mindesten besorgen können,
daß Schopenhauers Werk Makulatur werden möchte, so muß der Zustand
des heutigen philos. Publicums in einem kaum denkbaren Grade erbärm-
lich seyn! Daher sende ich hier ein paar Zeilen, die ich meiner Rezension
von Schopenhauers Werk am Ende beyzufügen bitte, wenn es früh
genug ist.
Sie würden mich sehr verbinden, wenn Sie mir nach einiger Zeit
melden möchten, ob das erwähnte Werk guten Absatz gefunden hat, oder
nicht. Es ist mir sehr daran gelegen, eine Art von Thermometer für die
Wärme oder Kälte im philos. Publicum zu haben. Denn leider! ist es
meine Pflicht, noch einiges herauszugeben. Hochachtungsvoll
Herbart.
289. Griepenkerl an H.1) Ohne Datum.
Der Gedanke, eine lebendige Darstellung von den Geschichten derjenigen VölkerT
welche sich in Wissenschaft und Kunst und Bildung des geselligen Lebens aus-
gezeichnet haben, mit dem Studium ihrer Sprachen zu verbinden und eins an dem
andern fortzuleiten, ist vortrefflich: nur möchte die Ausführung im Einzelnen manche
Schwierigkeit darbieten.
Die Griechische, Lateinische und Deutsche Sprache gehören sämmtlich zu dem-
selben Stamme, dessen Wurzel neuerdings in der Sanskritanischen wiedergefunden ist.
Alle neulateinischen Sprachen: das Italienische, Spanische, Portugiesische und
Französische in den Unterricht mit aufzunehmen, ist vielleicht nicht so schwer, als
es auf den ersten Blick scheinen dürfte. Denn eigentlich sind diese Sprachen nur
verschiedene Mundarten einer und derselben Sprache, und die Kenntniß einer jeden
von ihnen muß die der übrigen erleichtern und fördern helfen.
*) 5 S. kl. 4°. JB. Wien.
I820.
"5
Der Stoff in diesen Sprachen ist lateinisch, die Form deutsch. Versteht sich,
im Ganzen; denn allerdings sind manche Eigenheiten der lateinischen Grammatik in
sie übergegangen, und jede enthält einige tausend deutsche Wörter.
Für die gründlichste d. h. die genetische Erklärung dieser Sprachen ist noch
wenig geschehen. Dies Unternehmen bleibt dem Fleiße deutscher Gelehrten vor-
behalten. Es kommt darauf an die Ummodelung der lateinischen Wörter in einer
jeden auf Grundsätze zurück zu fuhren, und dann die Art zu zeigen, wie die deutsche
Grammatik einer jeden angepasst worden.
Da diese Sprachen sämmtlich in dem Zeitraum der Völkerwanderung bis zum
12ten Jahrhundert entstanden sind, so dienen hauptsächlich zwei Sprachen zur Ein-
leitung und Vorbereitung: das Lateinische der späteren und das Deutsche der
früheren Zeit.
Im Latein des Mittelalters ist weniges für die Jugend erfreuliche und ersprieß-
liche geschrieben. Wollte der Lehrer es dennoch nicht ganz übergehen, so würde
ich rathen , Bruchstücke aus den Lateinisch abgefassten Gesetzen der Burgunder,
Allemannen, Langobarden und Franken zu erklären. Das bisher ganz vernachlässigte
Altdeutsche ist hingegen für die Erkenntniß der deutschen Bildung in ihren Quellen
wie auch für die Gründung wahrhaft vaterländischer Gesinnungen unendlich wichtig. ||
Gäbe es ein Buch, welches in der Dichtung die ursprüngliche Sinnesart der
deutschen Völker ausdrückte, zugleich aber unverfälschte Sagen aus jener Vorzeit
enthielte, wo sie zuerst auf den Schauplatz der Weltgeschichte traten, so würde
es die angemessenste Grundlage beim Unterrichte über das gesammte Mittelalter
abgeben können.
Ein solches Buch ist vorhanden: es ist das Lied der Nibelungen. In einer
historischen Untersuchung darüber, woran ich arbeite, schlage ich vor, es in allen,
nicht auf das Notdürftige beschränkten Schulen zu lesen und zu erklären. Die
Lehrer, welche hierin mit ihrem Beispiel vorgehen, werden sich gewiß ein großes
Verdienst erwerben.
Dies Gedicht maß bei der Jugend wenigstens eben so lebhafte Theilnahme
erwecken, als Homer. Es athmet den biedersten Heldengeist. Die Sprache ist im
Verhältniß zu dem großen Abstände der Zeiten (sechs Jahrhunderte) sehr leicht und
wird es noch mehr werden, wenn erst alles nöthige zur Reinigung des Textes und
zur Wort- und Sacherklärung geschehen sein wird. Doch ist die neueste Ausgabe
des Hr. von der Hagen schon ziemlich brauchbar.
In diesem Gedichte wird Attila und sein Verhältniß zu den Deutschen wahr-
hafter geschildert, als von den Römischen Geschichtschreibern. Gothen, Burgunden,
Sachsen und Dänen treten auf den Schauplatz, der ganze Unterricht über die Völker-
wanderung und die Gründung der deutschen Reiche nach Umsturz des Römischen,
bis auf Carl den Großen kann sich daran knüpfen. Selbst die Anachronismen des
Gedichts z. B. die Erwähnung der Markgrafschaft Österreich, können zu historischer
Belehrung benutzt werden. Man sieht hier die ursprüngliche Verfassung der
Deutschen, das Verhältniß der Fürsten, Ritter und Freien, den Ursprung des Lehns-
rechts und des Ritterthums, die Kriegsmanier, den Einfluß des Christenthums, mit
einem Wort: alle Elemente der deutschen Geschichte.
Die Hauptmomente der mittleren und neueren Geschichte sind: die Völker-
wanderung, Carl der Große, die Kreuzzüge und die damit verbundene höchste Aus-
büdung des Ritterthums, die Erfindung des Schießpulvers und der Buchdruckerei,
die Wiederbelebung der klassischen Literatur, die Entdeckung von Indien und Amerika,
endlich die Reformazion. Die letzten Begebenheiten ausgenommen, welche den
Uebergang zur neueren Zeit machen, können die Dichtungen jedes Zeitalters (welche
8*
ij6 l82^
insofern Wahrheit enthalten, als sie dessen Geist in sich abspiegeln) dazu benutzt
werden, der Geschichte einen poetischen Hintergrund zu geben, und die Begeben-
heiten in der Einbildungskraft der Zöglinge auf das anschaulichste zu beleben. ||
Um dies durch ein Beispiel deutlich zu machen, so ließe sich der historische
Unterricht über die Kreuzzüge an die Lesung von Tassos befreitem Jerusalem an-
knüpfen. Der eigentliche Mangel dieses Gedichts ist zwar eben, nicht welthistorisch
genug zu sein, dies kann aber der Lehrer ergänzen, indem er eine Darstellung von
der Entstehung des Mohamedanismus, von den Eroberungen der Araber und den
früheren Kriegen mit ihnen, dann von den ferneren Kreuzzügen und ihren Folgen
in und außer Europa hinzufügte. Kenntnisse, welche sämmtlich von dem Dichter
schon vorausgesetzt werden. Vielleicht ließe sich damit Joinvilles Schilderung eines
späteren Kreuzzuges verbinden: an diesem Buche würden die Schüler zugleich die
ältere Form der französischen Sprache kennen lernen.
Ich komme auf die neulateinischen Sprachen zurück. Allen ist ein chaotischer
Zustand vorhergegangen, ehe sich die deutschen Elemente und das verderbte Latein
ins Gleichgewicht gesetzt und aus ihrer Verschmelzung sich eine neue Harmonie
entfaltet hatte. Nur für den Sprachforscher kann es wichtig sein, auf die schrift-
lichen Denkmale dieser Epoche zurück zu sehen : die Schüler haben genug zu thun,
sie nur in ihrer gebildeten Gestalt kennen zu lernen.
Sie sind in folgender Ordnung zur höchsten Blüte und Reife gelangt.
Das Provenzalische, Italienische. Spanische, Portugiesische und endlich das
Französische.
Das Provenzalische ist bis jetzt unzugänglich. Die Poesien der Provenzalischen
Troubadours liegen in den Bibliotheken vergraben, sie sind nicht einmal gedruckt,
geschweige denn kritisch und philologisch bearbeitet. Auch dürfte es nicht rathsam
sein, sich so weit zu versteigen, da uns die deutschen Dichter desselben Zeitraums
näher stehen.
Im Italienischen würde ich mit den Geschichten des Giovanni Villani anfangen.
Es ist die leichteste, älteste und reinste Prosa, zugleich hat seine Erzählungsweise
viel von der Herodotischen Manier an sich. Auf diese könnte dann Machiavellis
Florentinische Geschichte folgen. Da uns Italien besonders von Seiten der schönen
Künste bedeutend ist, so könnten einige Lebensbeschreibungen der großen Künstler
von Vasari zu empfehlen sein. Aber es gehört schon viel Kunstanschauung dazu,
um sie gehörig zu verstehen.
In der Italienischen Poesie ist Dantes göttliche Komödie das originellste und
umfassendste Werk. Es ist eine vollständige Encyklopädie alles damaligen Wissens
und kann den besten Text zu Vorlesungen über die theologischen, philosophischen,
physischen, astronomischen, politischen Ideen des Mittelalters mehr oder weniger
auch über dessen Geschichte abgeben. Allein es gehörig zu verstehen und zu
würdigen erfordert schon eine große Reife des Geistes. Ich würde daher in der
italienischen Poesie lieber mit dem Tasso anfangen und dabei auf den oben an-
gedeuteten || Zweck hinarbeiten.
Das phantastische Gedicht des Ariost ist nur Stellenweise zu empfehlen, wo
er mit wahrer Tiefe von dem Geiste des Ritterthums, den Sarazenenkriegen, oder
auch den Begebenheiten seiner Zeit redet. Ich meine z. B. solche Stellen, wie die
herrliche im Uten Gesänge über den Verfall des Ritterthums durch die Erfindung
des Schießpulvers und die veränderte Kriegsmanier. Petrarca ist für die Jugend
zu contemplativ, ich würde mich bei ihm auf einige politische und religiöse Gedichte
beschränken.
IÖ20. 117
Warum ich den Boccaz ausschließe, leuchtet von selbst ein: doch dürfte man
einige ernsthafte und unanstößige Geschichten aus seinem Decamerone als Beitrag
zur Sittengeschichte auswählen.
Mit diesen wenigen Büchern, recht gründlich verstanden, wäre nun schon der
wesentliche Begriff der Italienischen Literatur erschöpft.
Im Spanischen würde ich mit den alten, historischen Romanzen, z. B. denen
vom Cid, anfangen, worin sich der Nazionalcharakter vortrefflich ausspricht. Die
halb romanhafte Geschichte vom Untergänge des Königreichs Granada, mit Romanzen
untermischt, hat denselben Vorzug und ist ein sehr leichtes Buch. Don Quixote
stellt ein lebendiges Sittengemälde des sechszehnten Jahrhunderts auf und. ist zu-
gleich für die Prosa und Erzählungskunst musterhaft. Ich kenne kein Spanisches
Werk, welches die gesammte Spanische Geschichte auf eine befriedigende Art be-
handelte. Mariana ist geistlos und trocken. Dagegen giebt es eine Menge vor-
trefflicher Werke über einzelne Gegenstände, nur sind sie im Auslande selten zu
finden.
Am häufigsten kommt noch des Bon Antonio da Solis Geschichte der Er-
oberung von Mexico vor: in jeder Hinsicht ein historisches Meisterwerk, dergleichen
die neuere Zeit wenige aufzuweisen hat. Die beiden Hauptbegebenheiten der
Spanischen Geschichte bleiben immer die Mohrenkriege in Spanien und Africa, und
dann die Entdeckung und Eroberung der neuen Welt. Sie sprechen die Einbildungs-
kraft lebhaft an und gleichen dem anziehendsten Roman.
Als leichte Poesie ist die Araucana besonders zu empfehlen. Dieses kriegerische
Heldengedicht schildert die Sitten der südamerikanischen Wilden und die Kämpfe
der Spanier mit ihnen sehr anschaulich.
Die glänzendste Seite der Spanischen Literatur ist das Theater. In Hinsicht
auf den vorgelegten Plan wäre es dann wohl das zweckmäßigste, aus den unzählige,
Schauspielen der Spanier einige heroische auszuwählen, worin einheimische Ge-
schichte behandelt wird. So umfaßt z. B. Calderons Aurora in Capacavana die
ganze Eroberung von Peru, ein anderes Stück schildert die Empörung der Mohren
in den Alpujarras, der standhafte Prinz, Kriege der Portugiesen in Africa u. s. w.
Diese Werke wären für den Beschluß aufzubewahren. ||
Denn sie sind der Gipfel der Spanischen Poesie, aber auch sehr schwer.
In der Portugiesischen Literatur giebt es nur ein einziges Hauptbuch für unseren
Zweck: Dieses Buchs willen allein verlohnt es sich aber der Mühe, die Portu-
giesische Sprache zu erlernen, die wenig Schwierigkeiten macht, wenn man von der
Spanischen hinzu kommt. Dies Werk ist die Lusiade von Camoens. Es besitzt
gerade alle Vorzüge, die dem befreiten Jerusalem mangeln. Es verspricht nur von
der Entdeckung Indiens zu reden, besingt aber in Wahrheit die sämmtlichen Thaten
und den Ruhm der Portugiesischen Nazion von ihrem Ursprünge an bis auf den
König Sebastian, mit dessen Fall sie vom Schauplatz abtritt. Alles, was Portugal
welthistorisch wichtig macht, läßt sich an diesem Gedicht von nur zehn Gesängen
entwickeln. Es ist wohl nicht rathsam, die Englische Sprache vor der Französischen
vorzunehmen, weil diese auf jene ein großes Licht wirft.
Ich würde beim Studium der Englischen Literatur nach Lesung eines leichten
Geschichtsbuches sogleich zum Shakespeare fortgehen, und an dessen historische
Dramen den Unterricht über die gesammte Englische Geschichte anknüpfen.
Bei der neueren Französischen Literatur wird es schwer halten, den vor-
gezeichneten Plan zu befolgen, es finden sich keine originalen Geschichtsschreiber,
sondern blos Memoirs: ein unübersehliches Fach, aus welchem die Jugend blos die
kleinliche Verderbniß der neueren Zeit würde kennen lernen.
1 1 8 l82°-
Auch haben sie keine wahrhaft nazionalen Heldengedichte: die schönsten Stoffe
dazu, den heiligen Ludwig, die Jungfrau von Orleans, haben sie entweder ganz ver-
wahrlost oder verkehrt behandelt. Wer wird z. B. aus Voltairs Henriade die Ge-
schichte der damaligen Zeit verstehen, wenn er sie nicht schon zuvor weis?
Wenn die Schüler von der südeuropäischen Poesie zu den klassischen Dichtern
der Frauzosen kommen, so werden sie schon vor ungebührlicher Vorliebe gesichert
sein und von selbst fühlen wo es ihnen fehlt. Dagegen können sie an den großen
Prosaikern, einem Bossuet, Montesquieu, Buffon und Rousseau, die Vorzüge studiren,
welche den deutschen Schriftstellern nur zu oft abgehen.
W.: //. März: Bericht über das pädagogische Seminar. XIV. S. 159 — 174.
30. D*>».: Jahresbericht über das pädagogische Seminar. XIV. S. 179 — 186.
1821.
W.: Zweite Ausgabe des Lehrbuchs zur Einleitung in die Philosophie. S. Bd. IV.
S. i — 275. — Über einige Beziehungen zwischen Psychologie und Staatswissenschaft.
S. Bd. V. S. 25 — 40. — Rez. über Wagners Religion, Wissenschaft (s. Bd. Xu,
S. 82 — 90), Lindners Ansichten (s. Bd. XII, S. 90 — 92), Maiers Versuch (s. Bd. Xu,
S. 92 — 94), Bachmanns Philosophie (s. Bd. XII, S. 94 — 103).
290. Brockhaus an H. 6. Febr. 1821.
[Anbei die] Berechnung, welche er untersuchen, mir das richtig befunden
melden, worauf ich den Betrag sogleich anweisen würde.
7. März: Schreiben an den Minister, Überreichung der Einleitung in die Philosophie.
S. Bd. XIV. S. 188—190.
291. Minister von Altenstein an H. u. Bessel.1) Berlin d. 22sten Juli 1821.
Der Herr Ober-Präsident von Vincke in Münster hat mir in dem nebst Anlagen
abschriftlich anliegenden Berichte vom 14ten Januar c. von den Forschungen des
Kreis-Einnehmers Thilo zu Wiedenbrück, der früher zur gelehrten Laufbahn be-
stimmt, während der westphälischen Regierung im praktischen Staatsdienst angestellt
wurde, — im Gebiete der höheren Astronomie und Natur-Lehre, Kenntniß gegeben.
Der Herr Professor Hegel hat über den Versuch des p. Thilo unterm 9ten Februar c.
das gleichfalls in Abschrift anliegende Gutachten erstattet. - — Auf den Grund dieses
Gutachtens habe ich den Herrn Ober-Präsidenten von Vincke veranlaßt, dahin zu
wirken, daß der p. Thilo in seinen Amtsverhältnissen die nöthige Muße erhalte,
seine Forschungen fortzusetzen. Der p. Thilo hat hierauf nach dem abschriftlich
beifolgendem Schreiben des Herrn Ober-Präsidenten von Vincke vom Uten vor.
Mts. das anliegende Manuscript unter dem Titel:
„Entwickelung der ursprünglichen Anordnung, späteren Umformung und end-
lichen Vollendung und Ausbildung der Planeten und Trabanten-Systeme aus
der jetzt bestehenden Einrichtung derselben. u
überreicht.
Ich fordere Sie auf, diese Schrift einer genauen Prüfung zu unterwerfen und
Ihr Gutachten darüber mittelst gemeinschaftlichen Berichts mir einzureichen.2)
Der Minister der Geistlichen, Unterrichts und Medizinal-Angelegenheiten
Altenstein.
3. Aug.: Königsgeburtsrede in der deutschen Gesellschaft zu Königsberg: ,,Über Menschen-
kenntnisse in ihrem Verhältnis zu den politischen Meinungen." S. Bd. V. S. 11 — 24.
!) 1 S. 2°. H. Wien.
2) Ob das Gutachten Herbarts noch vorhanden ist, war nicht festzustellen.
1822/23.
1822. W. : De attentionis mensura causisque primariis. S. Bd. V. S. 41 — 89. —
Rez. über Fries Handbuch (s. Bd. XII, S. 103— 116), Calkers Urgesetzlehre (s. Bd. XII,
S. 116— 127). Krugs Handbuch (s. Bd. XII, S. 127 — 138), Hegels Naturrecht (s.
Bd. XII, S. 140 — 154), Benekes Erfahrungsseelenlehre (s. Bd. XII, S. 154—157),
Becks Lehrbuch (s. Bd. XII, S. 157—160), Hildebrands Grundriß (s. Bd. XII, S. 160
bis 168), Sigwarts Antwort (s. Bd. XII, S. 169— 171), Benekes Grundlegung (s. Bd. XII,
S. 171 — 189).
18. April: Vortrag in der K. Deutschen Gesellschaft zu Königsberg: „Über die Mög-
lichkeit und Notwendigkeit, Mathematik auf Psychologie anzuwenden. S. Bd. V.
S. 91 — 122.
1823. Rez. über Steffens Anthropologie (s. Bd. XII, S. 189 — 211), Schmids Denken
(s. Bd. XII, S. 212—215), Benekes Schutzschrift (s. Bd. XII, S. 215—222).
22. Apr.: Rede am Geburtstage Kants, gehalten in der Königsberger Kant-Gesellschaft.
S. Bd. V. S. 123 — 126.
24. Apr.: Vorlesung in der K. Deutschen Gesellschaft zu Königsberg: ,,Über die ver-
schiedenen Hauptansichten der Naturphilosophie.'' S. Bd. V. S. 127 — 140.
ig. Mai: Bericht über das pädagogische Seminar. S. Bd. XIV. S. 198 — 216.
22. Nov.: Bericht über das Seminar. S. Bd. XIV. S. 220 — 222.
292. Hesse an H.1) Mainz d. I9ten August 1823.
Verehrtester Herr Professor!
Durch meinen Freund Griepenkerl zu Hofwyl vor 12 Jahren in Ihr System
der Philosophie eingeführt, widmete ich diesem während meines Aufenthalts in der
Schweiz mein ernstes Studium. Im Jahr 1815 kehrte ich in meine Geburtsstadt
Darmstadt zurück. Ein thätiges Geschäftsleben und das von mir früher versäumte
Studium der Geschichte zwangen mich bis dahin Philosophie und Mathematik bei
Seite liegen zu lassen. Doch war Ihre praktische Philosophie stets die Grundlage
für meine sittliche Weltansicht, sie hat mir einen klaren Blick in verwirrenden
Verhältnissen eröffnet; ihr danke ich in schweren Entsagungen der liebsten Wünsche
mich aufrecht erhalten zu haben.
Als Mitglied der hiesigen Regierung ist mir seit 1816 die Leitung des im
tiefsten Verfall befindlichen Schulwesens von Rheinhessen anvertraut. Obgleich ich
l) 4 S. 4°. — Vgl. dazu Hans Zimmermanns interessanten Aufsatz: ,, Der Ein-
fluß Herbarts auf die Gestaltung des Hessischen Volksschulwesens im Anfange des
19. Jahrh.u (Zeitschr. f. Phil. u. Päd., Langensalza, Hermann Beyer & Söhne
(Beyer & Mann), 17. Jahrg. S. 449—461) und die Briefe Griepenkerls an H. vom
15. März u. vom 14. Juni 1811.
August 1823. 12 1
bei dem Versuch eine Änderung desselben herbeizuführen, oft an unübersteiglichen
Hindernissen scheiterte und in manchen Stunden beinah muthlos wurde, so hielt mich
doch eine höhere Ansicht meiner Bestimmung und die treue Mitwirkung eines edlen
Freundes, des Eegierungspräsidenten Freiherrn von Lichtenberg, aufrecht. Ich darf
es behaupten, Viel ist bis dahin gelungen, und die Hoffnung in der Folge noch Mehr
zu erreichen, liegt mir nicht fern.
Die Errichtung der Schullehrerschule zu Friedberg gab mir zu dem Versuch
die Veranlassung, Ihre wissenschaftliche Begründung der Erziehung für die Volks-
schulen anzuwenden. ||
Meine Collegen, welche ich für diese Ansichten zu gewinnen das Glück hatte,
gestatteten mir freien Spielraum, und der treffliche Direktor der Anstalt, Hr. Roth,
obgleich mit Ihrem System unbekannt, und in entgegengesetzten Ansichten zum
Theil befangen, war vorurtheilsfrei genug, seine Überzeugung einer besseren zu
unterwerfen.
So wurde mir die reine Freude, eine wichtige Erziehungsanstalt nach Ihrer
Lehre zu gründen; mit froher Hoffnung gab ich mich dem Gedanken hin, wenn
dieß Institut einst sichere Resultate liefern würde, Sie verehrtester Herr Professor da-
von in Kenntniß zu setzen, und Ihnen durch die That für die Richtung, welche
Ihre Schriften meiner Bildung gegeben haben, dann zu danken.
Diesen Zeitpunkt setzte ich um mehrere Jahre noch weiter hinaus. Allein
da das Seminar von vielen Geistlichen des Landes unverdienter Weise angefochten
wurde, so mußte ich bei dem bevorstehenden Landtag mit dessen Darstellung gegen
Willen öffentlich auftreten, und ich erlaube mir, Ihnen hier ein Exemplar dieser
Beschreibung zu überreichen. *) Sie werden es nicht tadeln, daß ich bei dem Zweck
für die Menge zu schreiben, mich von den scharf bestimmten Begriffen und der
dafür geeigneten reinen Sprache oft entfernen mußte. Ich hätte sonst manchen
Misverständnißen nicht vorbeugen können.
Die zweite Abhandlung mußte aus den oben angegebenen Gründen sich an
die erste anschließen, um den angeblichen Dienern des Herrn zu zeigen, daß man
sie nicht fürchte, und ihnen offen entgegen zu treten sich nicht scheue. —
In diesem Augenblick lese ich Ihre neuste Schrift über die Nothwendigkeit die
Mathematik auf Psychologie anzuwenden. Sie ist in allen || Beziehungen höchst be-
lehrend für mich. Die Andeutungen über die flache erbärmliche Richtung unserer
sogenannten Philosophen, die keine sind, sprechen meine innigste Überzeugung über
die Gefahr drohende Richtung dieser Wissenschaft aus. Fichtes Wissenschaftslehre
hat zum letzten mal zum ernsten Studium aufgefordert. Von da hat man den be-
quemeren Weg der Träumerei eingeschlagen und sich in einen unsinnigen Wort-
schwall eingehüllt, um die Schwäche damit zuzudecken. Man meidet Ihre tiefen
Forschungen, weil man um sie zu begreifen, denken soll und Mathematik verstehen
muß, wenn man Ihren psychologischen Untersuchungen folgen will.
Hätten die Mathematiker mehr philosophisches Interesse, so würden sie bei
dem von Ihnen vorgezeichneten Weg sich der Philosophie leicht bemächtigen, und
dann unsre Herren Philosophen bald zu Schanden machen können. Allein erstere
unterliegen dem seit 30 Jahren angehäuften ungeheuren Stoff, besonders in der An-
wendung der Mathematik auf Naturwissenschaft. Dann sehen sie aus ihrer festen
Burg auf das philosophische Forschen mit Bedauern und Vornehmigkeit herab, ohne
den Waizen von der Spreu zu unterscheiden.
x) ,,Die Großherzogl. Schullehrerbildungsanstalt zu Friedberg nach ihrer Ent-
stehung und Entwicklung dargestellt, mit einem Anhang über das Verhältniß des
Geistlichen zu dem Schullehrer.u Von W. Heße, Großh. Hess. Regierungsrath.
Mainz 1823. (Großh. Hofbibl. zu Darmstadt.)
122 December 1823.
Ein rein wissenschaftliches Streben in der Mathematik, wie zu Leibnitz und
Eulers Zeiten ist heut zu Tage beinahe allen Mathematikern fremd.
Doch hoffe ich mit Zuversicht, daß Ihre Entdeckungen, welche nach meiner
Überzeugung einen nicht minder wichtigen, vielleicht noch || bedeutenderen Abschnitt
in der Wissenschaft, als die Erfindung der Rechnung des Unendlichen bezeichnen
werden, wenn auch nicht jetzt, doch in der Folge von tüchtigen Männern aufgefaßt
und weiter geführt, unseren deutschen Vaterland zur Ehre gereichen werden.
Es dürfte aber nöthig seyn, so streng geistige Untersuchungen, welche der
Phantasie die Thüre verschließen, bei der vorherrschenden Geistesschwächlichkeit
und Bequemlichkeit in ein weniger ernstes Gewand als die früheren Schriften ein-
zukleiden. Die neuste Abhandlung wird in dieser Hinsicht mehr anziehen, als die
Hauptpunkte der Metaphysik, die bei der kurzen gedrängten Darstellung äußerst
schwer zu studiren sind.
Mit Vergnügen sehe ich dem kommenden Winter entgegen, weil er mir
hoffentlich freie Zeit geben wird, dem Stadium Ihrer Werke ohne Störung von
Neuem mich zu widmen.
Genehmigen Sie, Verehrtester Herr Professor die Versicherung der reinsten
Verehrung, und entschuldigen Sie meine Dreistigkeit durch einen so langen Brief
Ihre kostbare Zeit Ihnen geraubt zu haben. Ihr ergebenster Diener
Hesse.
293. Richthofen an H.1) Brecheishof, d. 21sten Dec. 1823.
Beigehend erhalten Sie, mein verehrter Freund, die fälligen Weihnachtszinsen
mit 100 Thlr. Gold; wie Sie denn auch die Johanniszinsen vermuthlich richtig emp-
fangen haben werden, wenn dieselben auch dießmahl Ihnen keine Veranlassung
gaben, Ihren alten Freund mit einigen Zeilen zu erfreuen.
In eiligem Fluge habe ich diesen Sommer und Herbst einen bedeutenden
Theil Deutschlands, der Schweiz, Frankreichs und Hollands durchstrichen; noch fühle
ich mich fast etwas fremd zu hause. Dissen trug mir als ich ihn in Göttingen
besuchte viel Herzliches für Sie auf; er fürchtete Sie seyen ihm böse, daß er nicht
mehr über Philosophie lese, er aber versicherte es unmöglich zu können; doch
nehme er aus Ihrer Pädagogik möglichst viel in seine Encyklopädie der Philologie
auf; leider war er sehr krank. Mein Schwager Wilhelm befindet sich in einer
gemüthlichen Lage und ist mit seinem Herzog zufrieden, und vermuthlich dieser
mit ihm. August leidet sehr an der Brust und ist diesen Winter in Rom. Auch
Kohlrausch sah ich und freute mich des trefflichen Wirkungskreises, der ihm in
Münster geworden;2) der Mann scheint für die Praxis gemacht, und der Himmel hat
ihn mit einem Präsidenten wie Vincke*) beglückt. Kaum glaube ich daß der Posten
eines Schulraths in irgend einem Departement glücklicher besetzt ist, und dieß
mitten in dem katholischen Münster, dem verrufenen Brennpunkt der Finsterniß;
finden Sie das Gleichnis vielleicht kühn, so glaube ich es doch mit || manchen Er-
scheinungen unserer Zeit vertheidigen zu können.
Wie traurig daß Ihr Königsberg so entfernt vom übrigen Deutschland liegt,
mit Ausnahme der Universitäten an der Ostsee und in Baiern habe ich dieß Jahr
alle deutschen Akademien berührt, aber mein unglückliches Gestirn mußte meinen
unvergeßlichen Lehrer und Freund just an den entferntesten Punkt führen. Haben
») 2 S. 4°. H. Wien.
2) Vgl. Kohlrauschs Erinnerungen (1863) S. 184 ff.
8) Über den Oberpräsidenten v. Vincke ebenda S. 201 ff.
Dezember 1823. 123
Sie denn nicht einmahl die Absicht wenigstens besuchsweise Deutschland wiederzu-
sehen, es Ihrer Frau zu zeigen, die Deutsche und Engländerin vielleicht weder
Deutschland noch England kennt?
Wie lebhaft habe ich nicht Ihrer und unseres Zusammenseyns in Göttingen
gedacht, und wie war mir dort jetzt alles so fremd und kalt; — ich bin zufrieden
und glücklich, habe einen lieben Kreis eine gute Familie um mich, aber die Blüthen
jener Zeit sind durch manche Stürme abgestreift und kehren nicht wieder. Aber
auch die Erinnerung ist von großem "Werth, und das Bewußtseyn und der Besitz
Ihrer Freundschaft eines meinerj köstlichsten Güter! Leben Sie wohl und lieben
Sie ferner den Ihrigen. Richthofen.
1824.
W.: Zwei Promotionsreden. S. Bd. V. S. 170 — 176. — Psychologie als Wissenschaft
neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik und Mathematik. Erster Teil. S. Bd. V.
S. 177—434.
23. Jan.: Vorlesung in der physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg: Ver-
suche und Betrachtungen über den Gegensatz der beiden Elektricitäten. (Zeit und Ort
der andern Vorlesung „über den Gegensatz der beiden Elektricitäten1-' ist nicht bestimmt.)
S. Bd. V. S. 147— 161.
7. März 1824: Jahresbericht über das pädagogische Seminar. S. Bd. XIV. S. 223—228.
294. Studenroth an H.1) Berlin, am 13. Mai 1824.
Wohlgeborner Herr Hochverehrtester Herr Professor.
Bisher habe ich nicht die Ehre gehabt, Ihnen, hochverehrtester Herr, bekannt
zu seyn, wiewohl meine wissenschaftliche Richtung, die mit der Ihrigen mehr als
mit irgend einer andern übereinstimmt, mich dieses schon lange wünschen ließ : die
Herausgabe des ersten Theils der Psychologie, den ich gütigst von mir anzunehmen
bitte, bietet mir endlich die Gelegenheit dar, mich Ihnen zu nähern. Ihr Urtheil
über dieses Buch würde mir unter allen das wichtigste seyn, und wenn es nicht
etwa ein unbilliger Anspruch an Ihre Zeit wäre, so möchte ich Sie bitten, mich aufs
ausführlichste damit bekannt zu machen. Auf welche Weise kann ich auch wohl
anders auf Erwiderung hoffen, als durch Privatmittheilungen; denn die öffentlichen
Urtheile, welche die Literaturzeitungen ausspenden, können der Regel nach einem
Verfasser nur insofern wichtig seyn, als Unerfahrene die nach Bildung streben, da-
durch entweder zu einem Buch hingezogen, oder von ihm abgeschreckt werden. Mir
sind, mit wenigen Ausnahmen, alle philosophischen Recensionen, die ich gelesen habe,
ärgerlich gewesen.
Die Art zu philosophiren, der ich ergeben bin — und vielleicht hat mein
Vaterland, Hannover, welches von absurden Richtungen freier geblieben ist, als
andere Länder, keinen unvortheilhaften Einfluß darauf gehabt — ist im Allgemeinen
jetzt nichts weniger als aufmunternd; vielmehr, wer die Wahrheit weniger liebt,
als den äußeren Vortheil, der mag aus allen Kräften versuchen sich in entgegen-
gesetzte Richtungen zu schieben. Namentlich ist hier beinahe || kein Heil ohne
Hegels Philosophie. Der Minister, ein eben so schwacher als beschränkter Mann,
ist vom Anfang her für sie eingenommen gewesen und hat sich deshalb der ferneren
Beschwatzung durch ihren Urheber, der vor Schulwuth gar keine wahre Größe und
Würde mehr kennt, bereitwillig hingegeben. — Ein Rath, der in Weimar als Gymnasial-
lehrer allgemein für einen Narren gehalten ist, so daß man sich dort einander an-
lacht, wenn man hört, daß er hier von Einfluß sey, hat sich, um seine Wichtigkeit
l) 4 8. 4°. H. Wien.
Mai 1824. 125
zu mehren, zu dem Vorurtheil des Ministers hingefunden, ist Hegels Schüler und
leidenschaftlicher Partheigänger geworden. Diese drey leiten jetzt die philosophischen
Angelegenheiten ausschlüßlich, und wenn sie nicht etwa einmal gezwungen werden,
oder sich vor größeren Uebeln fürchten, driDgt nichts andres durch. Ja auch die
Schulen suchen sie schon zu Verbreitungsanstalten für Hegeische Philosophie zu machen,
und Hegels Schüler empfehlen sich vor andern. Das Marheinecke'sche1) Lehrbuch
zielt eben dahin. Die Directoren, welche diese Einseitigkeiten beklagen, werden als
Männer angesehn, die von der Philosophie nichts verstehn. Süvern hat mir selbst
gesagt: Der Minister will einmal nichts anderes, als Hegeische Philosophie; alles
was dagegen gesagt werden kann, ist ohne Erfolg gesagt. Ich erwiderte darauf:
selbst dann, wenn er die Hegeische Philosophie für die wahre halte, möchte er doch
gerade bey einer solchen, nur dogmatisch in sich anspinnenden und so vornehm ver-
achtenden Philosophie, Gegensätze dulden, damit Ueberzeugung möglich sey, und
nicht blinde Nachbetung werde, die von Kant an alles Unheil hervorgebracht habe,
weil man, ohne die ganze Philosophie zu prüfen, sich nur aus ihr selbst fortgewickelt
habe. Er rieth mir, diese Ansicht dem Minister mitzutheilen ; eine Mittheilung, die
nur den Erfolg hatte, daß mir am folgenden Tage gerathen wurde, das Philosophiren
zu lassen, und etwas anderes zu thun, und dieses, nachdem ich 1822 für die hiesige
Universität vorgeschlagen, und 1822 beinahe schon zum Professor zu Breslau be-
stimmt war — wohin jedoch durch die Hegeische Cabale ein Hegelianer aus Heidel-
berg gesetzt wurde, der sich bald lächerlich machte. Unter solchen Umständen
kann mir mein hiesiges Leben || nicht anders als lästig seyn, und ich sehne mich nach
dem Augenblicke, der mich in Freiheit setzt. Die Verderblichkeit des ministeriellen
Verstehens kann sich hier noch eine gute Weile erhalten, und von dem Haufen
auch gebilligt werden. Deutschland ist das Land der wissenschaftlichen Marktschreier.
Die völlig unberathene, aller Vorbildung entbehrende Jugend ist enthusiastisch und er-
greift das Abentheuerlichste am liebsten, um damit zu prunken. Das spätere Alter aber
ist bey uns, vielleicht eben jener frühen Hitze wegen, phlegmatisch und sieht ganz
ruhig zu, oder nimmt keine Notiz, statt daß es die absurden Wahrheits- und Ge-
schmacksverderber von den Büchern wegzischen sollte. Hier in Berlin, wohin so
viele Augen wie auf den wahren Sitz aller Cultur sehen, ist der eigentliche Heerd
aller Einseitigkeit und Verbohrtheit, und nur die Eitelkeit und Aufgeblasenheit,
mit der sie der Weisheit angepriesen und dem übrigen Deutschland vorgehalten
wird, steigt zu ihm hinan. Es scheint, daß nur ein ernstes, von Wahrheit und
großen Ideen beseeltes, öffentliches Leben, wie in England, den Sinn für einfache
Wahrheit überhaupt erklärt und daß die Literaturen aller Nationen, die sich nicht
eines solchen Haltungspunktes erfreuen, notbwendig in Absurdität ausarten. Denn,
um nur neu zu seyn, und zu glänzen, strebt jeder den anderen zu überbieten, und
da das Ueberbieten im Wahren und Schönen so leicht nicht ist, so kommt bald der
splendide Irrthum, der Gegensatz gegen alles für wahr Gehaltene, oder die bloße
bunte Verzierung und der Kling -Klang an die Eeihe. In Deutschland ist zwar
literarisches Leben, aber man kann sich nicht verhehlen, daß nur dasjenige gefördert
ist, was von Ansichten nicht oder doch weniger leidet; was dagegen von diesen
leiden kann, das ist auch alles in tiefem Verfall. Diejenigen, die es leiten sollen
sind gewöhnlich die Beschränktesten, die der ganze Staat aufzuweisen hat, denn wer
für etwas anderes, worüber der Erfolg schneller spricht nicht taugt, der ist noch
immer gut genug, dem Cultus und dem öffentlichen Unterricht vorzustehn. Man
x) Jedenfalls ist gemeint: Marheinecke, Lehrbuch d. christl. Glaubens u. Lebens,
z. Gebrauch in den oberen Klassen an den Gymnasien. Berl. 1823.
I2Ö Mai 1824.
muß es in der That zuweilen wünschenswerte finden, von der "Welt völlig ab-
geschieden zu leben, um von dem ganzen Treiben nichts zu erfahren, und in Privat-
verhältnissen noch inniges reines || ungeteiltes Glück zu genießen. Doch muß man
freilich so lange stehn, als man die Hoffnung, zum Besten zu wirken, nicht völlig
aufgeben darf.
Verzeihen Sie, hochverehrtester Herr, diesen Erguß, der um so unwillkürlicher
war, je mehr ich in manchen Dingen Ihre Uebereinstimmung annehmen darf, und
je mehr ich hier alle diese Gedanken in mich selbst zurückdrängen muß. Es war
ehemals Sitte, daß die Gleichdenkenden sich aufsuchten, und die Annalen unserer
Literatur zeigen uns in dem vorletzten Decennium des verflossenen Jahrhunderts
einen herrlichen Kranz vereinter Talente. Auch Schwächere wurden von den
Stärkeren wohlwollend aufgenommen, wenn sie nur der bessern Richtung folgten,
und nach ihrer Kraft zum Ganzen hinarbeiteten. Indem ich mich mit diesen ver-
gleiche, darf ich hoffen, daß Sie, vereintester Herr, mit Güte und Nachsicht
empfangen werden Ihren gehorsamsten Freund und Diener
Dr. Ernst Studenroth.
295. Fr. Ed. Beneke an H.1) Göttingen, 22. Mai 1824.
Sie werden, hochzuverehrender Herr Professor, bei'm Empfange dieses Briefes
hoffentlich schon meiue „Beiträge zu einer reinseelen wissenschaftlichen Bearbeitung
der Seelenkrankheitkunde" erhalten haben, von denen ich dem Verleger aufgetragen
habe, Ihnen, durch die Unzersche Buchhandlung, in meinem Namen ein Exemplar zu
überschicken. Schon lange Zeit vor der Abfassung dieses Buches, und also noch
mehr vor der des diesem Buche vorangeschickten, an Sie gerichteten Briefes,2) fühlte
ich einen Drang, Ihnen zu schreiben, theils um Ihnen, wie ich schon öffentlich bei
den Anzeigen Ihrer Schriften gethan, so auch privatim die Versicherung meiner
innigsten Hochachtung zu geben, theils um über manche Differenzen unserer An-
sichten eine vielleicht auf diesem Wege leichtere Verständigung zu versuchen. Was
mich abhielt, waren theils mancherlei kleine Umstände, theils und besonders das
Verlangen, Ihnen das genannte Buch vollendet überschicken zu können, welches,
wie ich hoffete, nicht wenig zu dieser Verständigung beitragen sollte. Unmöglich
konnte ich voraussehn, daß sich die Vollendung des Drucks, nach der Uebergabe
des fertigen Manuskriptes, über ein Jahr hinziehn werde: in wenigen Monaten glaubte
ich ihn vollendet. Unter diesen Umständen hoffe ich daher Ihre Veizeihung wegen
der Verzögerung meines Entschlusses nicht vergebens in Anspruch zu nehmen. ||
Wie sehr ich, hochzuverehrender Herr Professor, Ihre Bemühungen für die
Aufklärung und Vervollkommnung der philosophischen Erkenntniß, und vor Allem
der Psychologie, hochschätze, finden Sie in mehreren Stellen des an Sie gerichteten
Schreibens, finden Sie in dem ganzen Charakter meiner eigenen wissenschaftlichen
Bestrebungen so deutlich ausgesprochen, daß ich hier nichts mehr hinzuzufügen
wüßte. Unabhängig von einander sind wir zu der Ueberzeugung gelangt, daß der
Psychologie, wenn sie die ihr vorliegende Aufgabe lösen solle, einer durchgreifenden
Reform bedürfe; und unsere Ansichten über dieselbe, wie verschieden sie auch in
manchen Punkten sein mögen, treffen doch in anderen, und, wie ich glaube, in den
wichtigsten, so zusammen, daß beide gewiß mit den Ansichten keines anderen philo-
x) 3 S. 4Ü. H. Wien. — Bereits gedruckt bei Zimmermann, Briefe pp.
S. 138 ff. — Fr. E. Beneke (1798—1854), der Philosoph.
2) Dieses Schreiben (vom März 1823) wird hier nicht mit abgedruckt. Es steht
S. V— L des Buches und beantwortet die Frage : „Soll die Psychologie metaphysisch
oder physisch begründet werden?"
November 1824. 127
sophischen Forschers in Deutschland in höherem Maße übereinstimmen. Lassen Sie
uns also, von jenen Verschiedenheiten, so weit es irgend ihre Natur erlaubt, ab-
sehend, mit vereinten Kräften zu unserem gemeinsamen großen Ziele hin-, und den
Verirrungen entgegenarbeiten, welche die Vervollkommnung jener so herrlichen
Wissenschaft in unserer Zeit hemmen, und noch, lange zu hemmen dröhn. Vieles,
sehr Vieles habe ich auf dem Herzen, Ihnen vorzutragen in Bezug auf die in Ihren
Beurtheilungen meiner Schriften aufgestellten Sätze; aber da ich wohl nicht mit
Unrecht hoffen kann, daß das erwähnte Buch Manches in Ihren Ansichten von
meiner Philosophie ändern wird, so scheint es mir zweckmäßiger, mit meinen weiteren
Mittheilungen zu warten, bis ich Ihr Urtheil darüber vernommen habe. Welchen
meiner Briefe Sie auch beantworten mögen, diesen Privatbrief, oder den Öffentlichen,
oder beide, und ob privatim, oder öffentlich: gewiß, davon bin ich überzeugt, wird
Ihre Antwort nicht ohne Früchte für meine Belehrung und für die Förderung der-
jenigen Wissenschaft sein, welcher wir beide den größten Theil unserer Geistes-
anspannung gewidmet haben. [|
Ihrem edlen Herzen wird die Nachricht wohlthun, daß nun endlich die mir
aus meiner Grundlegung zur Physik der Sitten hervorgegangenen Verfolgungen ihr
Ende erreicht zu haben scheinen. Im Januar dieses Jahres hier angelangt, bin ich
sowohl von der Fakultät, als von dem Regierungbevollmächtigten, Herrn Legations-
rath von Lassert, mit einer Theilnahme und einem Vertrauen aufgenommen worden,
welche mir nichts zu wünschen übrig lassen. In den letzten Monaten des vorigen
Halbjahres habe ich noch zwei öffentliche Vorlesungen „über die Principien der
Metaphysik" nach meinem Programme, und „über die Erhaltung der Seelengesund-
heit" gehalten; und seit einigen Tagen bin ich wieder in voller Thätigkeit, indem
ich öffentlich „über das akademische Studium", privatim über „die Logik als Kunst
zu denken", „die Psychologie" und „die Moral in Verbindung mit einer allgemeinen
Einleitung in die praktische Philosophie" lese. So ist denn endlich meine so lange
vergebens genährte Sehnsucht nach einer akademischen Thätigkeit befriedigt.
Mit der innigsten Hochachtung Ihr ergebenster
F. E. Beneke,
Doktor und Privatdocent der Philosophie an der Universität zu Göttingen.
(Neue Straße Nr. 164).
W.: Juni: Mathematischer Lehrplan für die Realschulen. S. Bd. V. S. 163 — 170.
22. Sept.: Herbarts Urteil über den Entwurf der Statuten des Collegiums Fridericianum.
S. Bd. XV. S. 165 — 166.
296. Füessli an H.1) Berlin, den 18ten Nov. 1824.
Theuerster Lehrer und Freund, Sie werden nun hoffentlich schon das Lebens-
zeichen von mir, das ich Ihnen vergangene Woche durch H. Profeßor Lachmann
überschickte, in Händen haben. Nun erfolgt, wie ich es versprochen habe, der
schriftliche Commentar dazu, durch die Post. Neunzehn Jahre lang bin ich in päda-
gogischen Geschäften in Paris hängen geblieben; beyliegender Auszug eines Briefes
x) 5 S. u. Beilage 4°. H. Wien. — „Füßli, Johann, Dr. phih, Dilettant, in
Zürich, geb. 1784. Er studierte Theologie daselbst und in Göttingen, ward Haus-
lehrer in Paris und verbrachte dort, nach kurzem Dienst (1812) als Pfarrer der
Gemeinde Wollishofen (bei Zürich), auch den übrigen Teil seines Lebens (gest. 1844).
Er hat zu wiederholten Malen in Zürich Zeichnungen ausgestellt und mehrere
Skizzenbücher, meist mit Pariser Straßenscenen, hinterlassen, wovon eines im Be-
sitze der Züricher Kunstgesellschaft." (Artikel des Schweizerischen Künstlerlexikons,
1905. I. 522, von F. 0. Pestalozzi.) Die Beilage des Briefs wurde nicht abgedruckt.
J28 November 1824.
an H. Henri Meister de Zürich, der mir die Stelle verschafft hatte, kann dazu
dienen, auch Ihnen, verehrtester Freund, von diesem meinem pädagogischen Wirken
Eechenschaft abzulegen. In dem langen Zeitraum gieng selten ein Tag hin, wo
nicht die immer fortwürkende Kraft der Grundsätze, die Sie in mich gelegt, Sie mir
in lieber Erinnerung erhalten hätte.
Überdieß liess ich mir, sobald sie in den Meßkatalogen angezeigt waren, Ihre
Pädagogik und praktische Philosophie nach Paris kommen. Wenn Jemand aus Ihrer
Gegend kam, wurde er nach Ihnen befragt; so schon vor langer Zeit Dr. Barbauer.
Mit den Rougemonts, die ein lieblich gelegenes Gut Löwenberg am Murtensee besitzen,
gieng ich häufig auf den Sommer dahin, bekam dann Carl Steiger zu sehen; Sie
können sich denken, wie oft dann Herbart in unserem Gespräche vorkam. Dann
brauchte ich nur von Löwenberg nach dem daran stoßenden Monthilier zu gehen,
um wieder an Herbart zu denken. Hier besuchte er seinen theuren Freund Eschen,
hier erfreute er sich mit ihm an der schönen Schweizernatur, und üeß sich mit
ihm in die tiefen || Untersuchungen über das Wahre und Schöne ein, in die ich
später auch von ihm eingeweiht wurde. So waren Sie mir immer gegenwärtig. Nun
mußte ich im April dieses Jahres meinen jüngsten Zögling, der sich als geborner
Neuchateier dem preußischen Dienst im diplomatischen Fach widmen will, nach
Göttingen begleiten. Ich fand da Dissen, er konnte mir am besten von Ihrem
dortigen Wirken als öffentlicher Lehrer Bericht abstatten, da er lange Ihr Schüler
gewesen, und bey Ihrem Abgange von Ihnen den ehrenvollen Auftrag erhalten, Ihre
Philosophie vorzutragen, was er auch mit glücklichem Erfolg, der ihm, als Nachhall
von Ihnen, zutheil wurde, that, bis seine damahligen Verhältnisse ihn nöthigten, eine
Stelle als Professor der Philologie in Marburg anzunehmen. Auch da verlangten
einmal einige Studenten von ihm ein privatissimum über Ihre praktische Philosophie.
Jetzt ist er wieder in Göttingen als Professor der Philologie, hat aber leider eine
schwächliche Gesundheit. Wie sehr bedauerten wir es miteinander, verehrtester
Freund, daß Sie sich nicht mehr im Mittelpunkte Deutschlands befinden, um da durch
Ihren mündlichen Vortrag Ihre tiefen, gediegenen Forschungen mitzutheilen. Freilich
auch da, wo Sie sind, machen Sie sich rastlos gemeinnützig; auch von der schönen
Anstalt, die Sie gegründet haben, ist mir erzählt worden. Jetzt eine Frage und eine
Bitte. Kaum hatte ich nach neunzehn Jahren den deutschen Boden wieder betreten,
merkte ich bald, daß ich ins Land der Titel gekommen sey. Man muß in gesell-
schaftlichen Verhältnißen durchaus seinem Nahmen etwas vorhängen, um Etwas zu
gelten. Diese Erfahrung hatten Sie selbst mir zu Ihrer Zeit mitgetheilt. Ao. 1811
hatte ich nach Beendigung der Erziehung meines ältesten Zöglings || das Haus Rgt.
auf einige Zeit verlassen, weil es mir zu mühsam schien, einen Knaben von 8
und einen von 5 Jahren zu übernehmen. Der Verlust eines hoffnungsvollen Zög-
lings von 12 Jahren hatte mir auch das Geschäft verleidet. Ein Mahler, der mir
damahls empfohlen war, Hr. Runike aus der Insel Rügen, jetzt Direktor eines schön
gedeihenden lithographischen Instituts in Wien, und mich immer über dem Zeichnen
und Mahlen sah, rief mir zu: Füßli, Sie müssen das Dilettantentreiben lassen und
die Kunst ernsthaft ergreifen, Sie haben Talent, Sie müssen sich der Historien-
mahlerei widmen ; ich folgte dieser Stimme, die mir vom Himmel zu kommen schien,
begab mich in die Schule von David und Gerard, strengte mich aber so ungeheuer an,
oft von vier Uhr des Morgens bis um Mitternacht, daß ich nach einem halben Jahr
erkrankte, muthlos alles im Stiche ließ, und auf die Einladung meines sei. Vaters
nach Zürich gieng, um da irgend eine Anstellung im Lehrerfach zu erhalten. Darin
war aber alles besetzt, und um nicht müßig zu seyn, ließ ich mich von meiner
Familie bereden, eine der Saiten meines Bogens, die ich noch nie angezogen, hervor-
November 1824. j2Q
zuhohlen und nahm eine erledigte Pfarrerstelle an. Aber der Hang nach. Paris
überwog; und ich folgte bald Oct. 1812 einem vortheilhaften Ruf des Vater Rouge-
nionts für die Erziehung seiner beyden jüngsten Söhne. Ao. 17 war ich im Fall
von meinen praktisch theologischen Kenntnissen einen gemeinnützigen Gebrauch zu
machen, wovon ich so frey war, Ihnen einen Meinen Beweis zu schicken.1) Immer
aber ist theologische "Wirksamkeit, so ehrwürdig sie auch seyn kann, nie mein Haupt-
zweig gewesen, sondern vorzüglich belletristische und artistische. Ich mag also
meinen Pfarrertitel, den ich unter meinen Schweizergarden zur |j Beglaubigung, daß
ich ein Recht habe, ein Wort zur Zeit an sie zu richten, brauchte, nicht in der
•deutschen "Welt produciren. Es ist ein falscher Titel für das Buch. Doctor phil.
ist der passendste, und zeigt sogleich an, was man von ihm zu verlangen hat. Nun
habe ich auch sogleich nach meiner Ankunft in Zürich von Göttingen aus Feb. 1805 für
die dortige Akademie eine Dissertation de ingenio carminum Pindari drucken lassen,
und nebst Thesen öffentlich vertheidigt sub praesidio ven. D. med. Rahn „Canonic. und
Comipalat." 2) und gewissermaßen dadurch das Recht erlangt, mich Doctor tituliren zu
lassen; ich reiste aber darauf sogleich nach Paris, wo man so etwas nicht braucht,
er starb darüber weg und so habe ich kein Dokument von ihm, wodurch ich mich
legitimiren kann. Nun geht meine Bitte an Sie, theuerster Lehrer, dahin, ob ich
aus Ihrer Hand eine solche Legitimation erhalten könnte; ich würde es für mein
ganzes übriges Leben als das theuerste Geschenk von Ihnen, und das schönste
Andenken an Sie, dem ich so Vieles verdanke, verehren und bewahren. Ich bleibe
noch den Winter über hier bey meinem Zögling, der nun unter S. E. dem Grafen
von Bernstorf seine Laufbahn antritt. Dann gehe ich über Dresden und Wien im
Frühjahr, wo ich meinen jungen Freund auf eignen Füßen stehend zurücklasse,
nach Italien, und da man doch suchen muß, seine Kräfte auf ein Hauptfach zu
concentriren, so soll Studium der Kunstgeschichte, die mich seit meiner Ankunft in
Paris und schon vorher immer beschäftigte, in ihrem ausgedehntesten Umfang mein
Hauptstudium seyn, und: wer weiß, da Deutschland mich jetzt wieder so anspricht
werde ich vielleicht nach geendigten Reisen suchen, als Lehrer derselben auf einer
seiner größern Universitäten angestellt zu werden. Die Umstände haben immer
sehr viel, vielleicht zu viel auf mein Schicksal gewürkt, seit der sei. Tomman mich
während der Stürme meines Vaterlands als einen 13jährigen Knaben meinem Vater
abnahm, und mich sogleich nach Varel an die Ufer || der Nordsee brachte. Ich
muthe Ihnen sehr viel zu, so Vieles zu lesen. Auch will ich jetzt enden. Bios
muß ich Ihnen noch sagen, wie ungemein es mich interessirte , als ich in einem
der ersten literarischen Blätter, das mir in Göttingen in die Hände fiel, (es war die
Jenaische Lit. Zeitung, wenn ich nicht irre) die Anzeige Ihrer Psychologie auf
Mathematik gegründet und der Vorlesung, die Sie früher darüber gehalten, las. So
bringt also dieser tiefe Forscher, sagte ich mir, diese Wissenschaft, der er seit bey-
nahe dreißig Jahren auf der Spur war, und die er nur unter dem Nahmen einer
Mechanik des menschlichen Geistes ankündigte, endlich vor die Augen des Publikums.
Wie oft hatte ich, wenn ich das Auf- und Abnehmen der Ideen im Bewußtseyn
an mir und andern wahrnahm, an Sie gedacht. Im September machte ich mit
meinem Zögling eine prächtige Rheinreise von Mainz bis Düsseldorf, kam dann nach
Bremen, wo ich mich mit unsern dortigen Freunden, Smidt, Rump, den Grote aus
x) Predigt vor den Schweizertruppen in Paris, die gedruckt wurde. Wiez,
Etat des Züricher Ministeriums 216.
2) „Comes palatinusu, Pfalzgraf, hatte das Recht zur Promotion. Die Notizen
zu diesem Briefe sowohl wie die Feststellung des Schreibers verdanke ich Hrn. Prof.
Dr. Steck in Bern.
Hbrbarts Werke. XVII. 9
I?q November 1824.
Delmenhorst u. s. w. zusammen fand. Schöne Tage des Wiedersehens, theurer
Erinnerungen! Sie bedauerten es alle, daß Sie auch gar nie mehr in jene Gegenden,
wo doch ihr Geburthsort ist, gekommenfseyen. "Wie sehr sollte es mich freuen, wenn
Ihre nächste Ferienreise Sie nach Berlin führte ! Mit der zärtlichsten Anhänglichkeit
hat Frau von Grote, die Schwester unseres theuern Ferdinand Rhaden, mit mir von
Ihnen gesprochen. August Grote, der an der Brust litt, ist voriges Jahr von seinen
Ärzten nach Rom geschickt worden, er kam im Mai recht ordentlich hergestellt zurück,
ich sah ihn in Jühnde, und verlebte einige schöne Tage mit ihm und seiner Familie.
Meine Zeit vertrieb ich mir in Göttingen außer Benutzung der Bibliothek mit Ver-
fertigung von Artikeln für die gelehrten Anzeigen; was sich auf Paris und die Kunst
bezog, wurde mir angewiesen, so bekam ich manches für die Bibliothek bestimmte
Buch noch brochirt zur Hand. Nun leben Sie wohl, verehrtester Lehrer, und geben
Sie gütigst bald Nachricht von Ihrem Befinden
Ihrem Sie hochverehrenden 3oh. Füessli.
Meine Adresse ist: Bey Herrn Adolf von Rougemont pr. adr. Hrn. Gebr. Benecke
in Berlin.
1825.
Psychologie als Wissenschaft. Zweiter Teil. S. Bd. VI. S. i — 338. — Rez. über
Calkers Propädeutik der Philosophie (S. Bd. XII. S. 223 — 232.) Fries' Schönheit
der Seele (S. Bd. XII. S. 233—246.) Fries' System der Metaphysik (S. Bd. XII.
S. 246 — 247.) Bouterwecks Religion der Vernunft (S. Bd. XII. S. 268 — 282.) Eschen-
mayers Religionsphilosophie (S. Bd. XII. S. 282 — 297.) Simons Einleitung (S. Bd. XII.
S. 307 — 310.) Fries' Naturphilosophie (S. Bd. XII. S. 310 — 325.)
297. An Eichstädt in Jena.1) Königsberg 3. Febr. 1825.
Ew. Wohlgeboren empfangen hiebey die längst rückständige Rec.
von Calkers Methodologie d. Phil.; und werden wohl aus dem Inhalte
ersehen, daß diesmal nicht viel Anziehendes in der Arbeit lag, wodurch
sie hätte können beschleunigt werden. ■ —
Was die mir zur Recension angetragenen Bücher anlangt: so kann ich
Eschenmayers Religionsphilos.
nicht annehmen ; weil ich den ersten Band davon längst anderwärts recensirt
habe, auch ohnehin mit den folgenden Bänden dieses schwärmerischen
Buchs mich nicht befassen möchte.
Calkers Methodologie ist durch Beyliegendes erledigt. — Siegwarts
Logik bitte ich einem andern Recensenten zuzutheilen. Es bleiben also:
Ehrhardts Einleitung; Ihre Num. 31Q88 v 1015
Kiesewetters Versuch pp . . .31580
Salat Handb. pp 32459
und Tennemanns Abriß der Gesch. d. Philos. v. Wendt, welches Sie nicht
numerirt haben.
Diese vier Bücher bitte ich mir durch H. Unzer baldigst zukommen
zu lassen, indem ich deren Beurtheilung übernehme. Die Rechnung wird
sich wohl finden.
Ihre Literat. Zeitung hat mir durch die gefällige und vollkommen
richtige Relation aus meiner kleinen Schrift über Anwendung der Mathe-
matik auf Psychologie, ein angenehmes Geschenk gemacht. Allein ich
hoffe weit mehr noch auf eine gründliche Beurtheilung meiner Abhand-
lung de attentionis mensura; an welche zu erinnern ich mir erlaube. Jetzt
ist mein größeres psychologisches Werk hinzu gekommen, dessen zweyter
Theil bald die Presse verlassen wird; ein Werk vieljähriger und für mich
x) Bereits gedruckt: Zt. f. päd. Psych, u. Path., 1900, Heft 3. Vgl. o. S. 16
Anm. 1. — Der Philolog H. K. A. Eichstädt (1772 — 1848), Begründer und Heraus-
geber der neuen Jenaischen Lit.-Ztg. S. Allg. d. Biogr. 5, 742 f.
j72 April 1825.
sehr mühsamer Arbeit; welches Ihrer Aufmerksamkeit angelegentlich zu
empfehlen ich hiemit die Freyheit nehme. Hochachtungsvoll
Herbart.
298. An Eichstädt1) Königsberg 14 April 1825.
Ew. Wohlgeboren haben mich mit einem gütigen, sehr zu ver-
dankenden Briefe erfreut, der jedoch erst vorgestern mit dem Paquet in
meine Hände gekommen ist; sonst würde ich denselben auf der Stelle
beantwortet haben.
Da Sie das von Ihnen gegebene Gesetz, nicht in zwey kritischen
Blättern einerley Buch von einerley Feder beurtheilen zu lassen, für den
Fall der Eschenmayerschen Relig. - Philos. Selbst suspendiren: so darf ich
hinzufügen, daß auch in meinen Augen diese sonst nöthige Regel wenig
Gewicht hat; denn nicht ich allein werde vergessen haben, was ich in
einem der ersten Hefte des Hermes, vor einer guten Reihe von Jahren,
über den ersten Theil jenes Werks gesagt habe. Es wird sehr leicht seyn,
und zu der Absicht des Werkes selbst recht gut passen, den Standpunct
der Beurtheilung des Ganzen jetzt in dem zweyten Theile aufzusuchen;
die Recension wird alsdann kaum den Buchstaben des Gesetzes verletzen,
daher bin ich bereit dieselbe zu übernehmen; wenn nicht Ihr Ausdruck
,,eine baldige wenn auch nicht weitläuftige Rec." den Wunsch einer kurzen
Recension bezeichnet. Kurz werde ich mich nicht fassen dürfen; ich
weiß aus Erfahrung, daß es schwer ist, einer philos. Recension Gewicht
genug zu geben, um gegen Antikritiken sicher zu seyn; indessen bitte ich
nur um so viel Raum in Ihren Blättern, als ich auch sonst gewöhnlich
bey bedeutendem Schriften zu gebrauchen pflege. Das Buch habe ich
schon in Händen. ||
Lebhaft verdanke ich die Ehre, welche die dortige hochlöbl. philos.
Facultät mir erwiesen hat; obgleich die Ausführung des Wunsches, für
Jena, welches mich bildete, zu wirken, doch auch von meiner Seite
Schwierigkeit möchte gefunden haben.2) Denn das pädagog. Seminar, welches
ich nicht bloß dem Namen nach dirigiren wollte (besonders hier, wo ein
Lobeck und ein Bessel an den Seminaristen mit bilden,) zwang mich schon
vor Jahren, praktischer Erzieher, und deshalb zugleich Eigenthümer von
Haus und Hof zu werden; so daß ich wirklich stärker, als mir lieb ist,
an die Scholle gebunden, und nicht leicht davon loszureißen bin.
Die Recension des Schriftchens de attentionis mensura ist von dreyen
Mitarbeitern abgelehnt worden? Und doch hatte ich die Abhandlung ganz
eigends darauf eingerichtet, zu den Mathematikern zu sprechen! Und so
lange Bedenkzeit nahmen sich die Herrn? Anfangs 1822 kam die Schrift
heraus! — Was soll ich denn für mein größeres psycholog. Werk er-
warten, welches eben so viel Mathematik und ohne Vergleich mehr
x) 4 S. gr. 40. — Original in der Großh. öff. Bibl. zu Eutin, gütigst zur Ver-
fügung gestellt durch Hrn. Prof. G. Eilers in Eutin.
2) Danach scheint von Jena aus eine Anfrage wegen Übernahme einer Professur
in Jena an Herbart ergangen zu sein. Doch findet sich darüber in den Akten der
philosophischen Fakultät nichts, wie mir vom derzeitigen Hrn. Dekan freundlichst mit-
geteilt wurde.
April J825. 133
philos. Übung bey dem Beurtheiler voraussetzt! Ew. Wohlgeboren kann |
ich um keine größere Güte bitten, als die Sie mir schon erweisen, indem
Sie mir erlauben, Ihnen Personen zu nennen, von denen ich glaube ver-
standen zu werden. Allein wie klein ist deren Zahl! Besonders da es
hier auf Mathematik mit ankommt. Fries hat sich, glaube ich, nie die
Mühe gegeben, mich verstehn zu wollen; sein Kantianismus genügt ihm.
Der Graf Buquoi scheint ganz Schellingianer zu seyn. Von diesen Herrn
muß ich ein Urtheil erwarten; aber keinen von beyden könnte ich darum
bitten! Mellin bildet sich ein, Mathematiker zu seyn, aber er macht sich
in dieser Hinsicht geradezu lächerlich. Von Wagnern, der zwar eine
„mathematische Philos." geschrieben hat, kann gar nicht die Rede seyn.
Andre bekannte Schriftsteller fallen mir nicht ein. — Daher muß ich
mir die Freyheit nehmen, Ihnen Personen zu nennen, die Sie wahr-
scheinlich nicht kennen. Zuerst und vorzüglich den Freyherrn von Richt-
hofen, auf Brecheishof bei Jauer in Schlesien. Dieser war noch in
Göttingen, vor 1809, mein Zuhörer; und ich weiß, daß er die Abhand-
lung de attent. mens, gelesen hat. Er ist einer der feinsten kritischen
Köpfe, die ich je kennen lernte, und würde ohne Zweifel ein berühmter
Gelehrter seyn, besäße er nicht Stand und Vermögen im vollen Maaße.
Vielleicht entschließt er sich aus Freundschaft für mich, die Feder an-
zusetzen; sicher bin ich in diesem Falle, daß ein solcher Kopf keine
leere Lobrede niederschreibt; sollte an dem üblichen Recensionsstyl etwas
fehlen, so würden Ew. Wohlgeboren vielleicht nachhelfen. — Außer ihm
kann ich Ihnen nur hiesige, jüngere Gelehrte nennen. Herr Oberlehrer
Stiemer1), hier am altstädtschen Gymnasium angestellt, ist Mathematiker
von Profession. Herr Director Diekmann, hier an der Kneiphöffschen
Schule, ist ebenfalls Mathematiker, obgleich mehr Pädagog. Herr Fröhlich
ein || noch nicht angestellter, aber sehr ausgezeichneter junger Gelehrter,
verdient ebenfalls, daß ich ihn nenne. Jeder von diesen dreyen kann
wenigstens einen verständigen Bericht über die Schrift abfassen, und mehr
braucht es ja eigentlich nicht. Die kritische Laune, welche zu kommen
pflegt, wenn man sie verlangt, wird bei diesen Herrn wenigstens nicht so
viel Übles stiften, als ich seit vollen zwanzig Jahren von Recensenten zu
erdulden hatte, die durchaus nicht wußten wovon sie sprachen. Keiner
der Genannten jedoch ist in allen seinen Verhältnissen so unabhängig als
der Freyherr von Richthofen, daher Ew. Wohlgeboren diesem, den ich
überdies seit 1809 nicht wieder gesprochen habe, wohl am ersten das
gute Vorurtheil der Unpartheilichkeit zuwenden werden.
Mit der vollkommensten Hochachtung empfiehlt sich Herbart.
Juni: Jahresbericht über das pädagogische Seminar. S. Bd. XIV. S. 232 — 242.
x) Randbemerkung Eichstädts: ,,Die unterstrichenen drey [Richthofen, Stiemer,
Diekmann] eingeladen 3. Mai 1825."
134 Juli l825-
299. Reichhelm an H.1) Bromberg den 11. Juli 1825.
Jetzt habe ich, mein hochverehrter Gönner und Freund! einen vierwöchent-
lichen Urlaub zu meiner beabsichtigten Reise nach Danzig, Königsberg und Tilsit
erhalten !
So wir gesund bleiben, wollen wir d. 22. d. nach Danzig abreisen und dort
bis zum 29. d. verweilen. Amalie freilich wünscht je eher, je lieber mit unsern
zwei Sprößlingen von Danzig aus Stolpe und die Aeltern heimsuchen zu können.
Allein wenn Sie und Ihre liebe Gattin an demselben Tage, wie wir von hier, von
Königsberg abreisen, und auch — wie Grolp mir schreibt — in Elbing und Marien-
burg etwas verweilen, so werden Sie doch spätestens d. 25. d. in Danzig eintreffen.
Wie freue ich mich im voraus, Sie wieder zu sehen; || Sie, dem ich das Meiste
dessen verdanke, was ich bin !
Die Hoffnung auf den Genuß des Zusammenseyns mit Ihnen ist die schönste
Aussicht, welche ich dieser Reise abgewinnen kann. Das Reisen an sich ist mir
nöthig, da ich der ungeheuren und so verschiedenartigen Masse von Arbeiten, die
man mir nach und nach unter allerlei schmeichlerischen Ausflüchten aufgebürdet
hat, fast erliege.
Die hämorrhoidalischen und rheumatischen Übel, die mich quälen, sind theil-
weise durch Dienst-Anstrengungen herbeigeführt. Den Urlaub hat man also nicht
füglich verweigern können. Allein es lag Anfangs in meinen "Wünschen, ähnlich
wie ich vor 2 Jahren Schlesien, einen Theil Böhmens und Berlin gesehen habe,
dieses Mal Dresden und Sachsen überhaupt zu besuchen. Da stemmten sich die
Wünsche meiner Schwieger || Aeltern, die Bitten meiner Frau, meiner Schwäger in
Danzig und Tilsit. Was thut man nicht um des lieben Friedens willen? Aus Halle,
Leipzig und Dresden wurden Danzig, Königsberg und Tilsit! Nun traten Sie, mein
lieber, würdiger Lehrer, als Vermittler mit der Entschädigung hervor. Als Grolps
Brief mich von Ihrem Wunsche unterrichtete, waren meine eigenen Wünsche zu-
friedengestellt.
So lassen Sie uns denn zusammen kommen. Wie viel ist verfloßen, was ich
Ihnen über Personen und Sachen mitzutheilen habe, seit ich Sie nicht gesprochen!
Brieflich konnte das nicht geschehen. Sie schreiben nicht gern; ich bin seit den
letzten Jahren mit Schreibereien dergestalt gedrückt, daß ich frei aufathme, wenn
ich eine Stunde dem Lesen widmen kann. Also mündlich! ||
Schließlich muß ich Ihnen mein Reise-Konto mittheilen, um zu hören, ob ich
Sie auf meiner Rückkehr in Königsberg wieder finde?
Den 30. Juli von Danzig nach Elbing; d. 1. u. 2. Aug. von Elbing nach
Koenigsberg. d. 6. u. 7. August von Königsberg nach Tilsit; d. 13. u. 14. von Tilsit
nach Königsberg; d. 17. bis 20. von Königsberg nach Bromberg: die zwischen
liegenden Tage sollen meine Feiertage seyn.
Meine Frau empfiehlt sich mit mir Ihnen und Ihrer Gattin auf das Herz-
lichste, und ich bitte in unserer beider Namen um die Fortdauer Ihres freund-
schaftlichen Wohlwollens Ganz Ihr Reichhelm.
Die Einlage schicken Sie wohl an Bertheau? Ct. Viehes aus Elbing bewirbt sich
bey mir um das Rectorat der hiesigen Stadtschule. Sagen Sie mir doch unverhüllt,
was an dem Manne ist.
4. Sept. 1825: Schreiben an den Minister, Überreichung der Psychologie. S. Bd. XIV.
S. 244.
*) 3 S. 8°. H. Wien. — Reichhelm, später Regierungsrat in Berlin, einst
Hörer bei Herbart. S. u. Brief Herbarts an K. Reichhelm v. 8. Febr. 1835.
Oktober 1825. 135
300. L- Sachs an H.1) Königsberg 10. October 25.
Sehr verehrter Herr Professor!
Zuvörderst danke ich Ihnen aufrichtig für die Bereitwilligkeit, mit welcher
Sie neulich meine Bitte aufgenommen und benuze die mir gegebene Erlaubniß,
Ihnen das in Rede gestellte Buch zur An- und Durchsicht zuzuschicken. Gestatten
Sie mir es nur noch, daß ich einige Worte hinzufüge, um Ihnen den Beweggrund
und Zweck meines Anliegens an Sie zur Prüfung vorzulegen, da nur diese mich bei
Ihnen rechtfertigen, wenigstens entschuldigen können.
Jede nur einigermaßen sittlich begründete Verbindung mit der "Wissenschaft
versezt uns in eine doppelte Sorge, in die um unser eigenes Verhalten zu ihr, und
in die um die Schicksale, die wir sie erfahren, oder von denen wir sie bedroht
sehen; jene setzt uns in Kampf und Wachsamkeit gegen uns selbst, läßt uns auf
der Hut sein gegen heimliche, verdeckte Irrthümer, gegen Voreiligkeit, Dogmatismus,
Trägheit, Sicherheit, und wie sonst noch die innern Feinde der Wahrheit heißen.
Die zweite kann uns zum Kampfe gegen Andere führen, ja wohl dazu nöthigen.
Kann man denn dem Gegenstande seiner innigsten und geheiligsten Liebe übel be-
gegnen laßen, ohne sich zur Vertheidigung zu regen? Die vornehm beruhigende
Rede: die Wahrheit werde schon selbst sich vertheidigen und vertreten, scheint mir
eine nur thörichte und indolente. Thäte dies die Wahrheit wirklich, so hätte ja
wohl niemals ein Irrthum in die Welt kommen, wenigstens sich nicht ausbreiten
und ganz bequem Wohnung nehmen können. Es bedarf aber in der That nur einer
sehr mäßigen || Vertrautheit mit der Entwickelungsgeschichte einer jeden Wissen-
schaft, um zu der Überzeugung zu gelangen, daß jede kleine Eroberung der Wahr-
heit erstritten und oft theuer erkauft werden muß. Niederschlagend wäre diese
Überzeugung, wenn sie nicht zugleich den edelsten menschlichen Beruf: lebendiges
Werkzeug der Wahrheit zu sein, verbürgte. Diese Überzeugung auch ist's, welche
allen leeren Streit, alle Mikrologie, alles uninteressirte Messen discreter Meinungen
völlig aufhebt, alle Autoritäten beseitigt und den Geist lediglich auf die Untersuchung
des Wahren rüstet. Und eben darum ist sie es auch, die den Menschen im tiefsten
Grunde des Gemüths demüthig und in seinem Thun selbstverleugnend macht. Er
will nichts für sich und liebt sich nur in der Wahrheit, darum führt er auch so
lange gegen sich selbst einen Vertilgungskrieg, bis er sich selbst in der Wahrheit
wieder gewonnen hat. — Ich darf so zu Ihnen reden, mein verehrtester Herr Professor,
weil ich Sie durch lange fortgesezte Beobachtung als einen solchen gefunden zu
haben glaube. Seit vielen Jahren schon begleite ich Sie mit stiller Beobachtung
in Ihrem Streit gegen alles, was in der Zeit als Philosophie sich hat geltend machen
wollen, und immer fand ich Ihre Waffen treffend und Ihre Kunst rein und ehrlich.
Nicht mit einer Philosophie traten Sie den Philosophen entgegen, sondern mit der
billigsten und lautersten Anmuthung zur Verständigung; zuvörderst wurde jeder
sich selbst zu verstehen eingeladen und dadurch dann seinen Irrthum inne zu werden.
Den Bestrittenen wurde nicht nur das Beste zugetraut — : das Bestreben nach
Wahrheit; sondern auch noch möglichst viel Gutes geliehen, manchen, sogar —
vielleicht Ihnen selbst unbewußt — geschenkt. Kurz, ich fand Sie überall mit solcher
Unbefangenheit und solcher Entfernung von allem Dogmatismus zu Werke gehen, daß
ich nicht nur von der aufrichtigsten und innigsten j| Hochachtung für Sie durchdrungen
wurde, sondern auch dahin gelangen konnte, den Philosophen von der Philosophie
trennen zu können. Und dies eben war für mich eine große Wohlthat und ein sehr
x) 16 S. 4°. H. Wien. — L. W. Sachs, Arzt u. Prof. d. Medizin in Königs-
berg (1787—1848). S. Allg. D. Biogr. 30, 128 f.
136 Oktober 1825.
fördernder Fund. Ich kann mich nemlich keineswegs rühmen Ihre Philosophie ver-
standen zu haben, ja, ich muß es auch bekennen nicht einmal die von Ihnen selbst
gestellten Bedingungen zu einem wahren Verständniß Ihrer Philosophie erfüllen zu
können. Völlig geschieden also hätte ich von einem Geiste bleiben müssen, zu dem ich
gleichwohl, und, wie ich mir selbst gestehen durfte, auf gerechte Weise, hingezogen
war. Nun aber hatte ich den Philosophen gefunden und hiemit einen unverwerflichen
Inductionsschluß auf die Philosophie selbst. Bei solchem Gewinn konnte mir die
Demüthigung zur Philosophie selbst untüchtig zu sein, nicht zu schwer werden; ja
es ergab sich mir selbst hieraus ein gutes Anspruchsrecht an den Philosophen.
Und dies eben, verehrtester Herr Professor, ist der Punkt, auf welchem meine
Bitte und mein Antrag beruht. Es ist keineswegs nemlich mein Wunsch Sie zur
Beurtheilung einer einzelnen Schrift, wie richtig sie auch im Ganzen sein möchte,
(was die in Eede stehende nicht einmal ist) zu bewegen, sondern bestimmen möchte
ich Sie eine Schuld an die Medizin, insofern diese von der Philosophie grundsäzlich
und methodisch für das Bewußtsein geordnet und geregelt werden muß, abzutragen.
Hiezu aber schien mir diese Schrift, ihrer Mängel nicht weniger als ihrer Vorzüge
wegen, eine geschikte Veranlassung zu geben.
Nicht anfangen entweder hätte ich dürfen zu Ihnen zu sprechen, oder ich muß
es zu Ende. Nun kann ich nicht zurük, auch möchte ich's nicht. Ich finde nicht, ||
daß ich etwas zu befürchten habe, da ich alles Ihrer freien Entscheidung unter-
werfen will und auch Ihre Abweisung mir belehrend sein wird, da Sie es nicht
ohne Grund thun würden. Meine Absicht aber können Sie nicht verkennen. Er-
lauben Sie mir also fortzufahren und helfen Sie selbst mir nach, wo ich, von Un-
klarheit gedrückt, im Ausdruck zu unterliegen Gefahr laufe. Üben Sie ganz getrost
an mir des Sokrates weise Hebammenkunst, das Kindlein wird Ihnen willig folgen.
Ich kann nun nicht weiter vorschreiten, ohne zuvor ein Bild von der heutigen
Medizin zu entwerfen. Zuvörderst weiß sie, insofern sie Wissenschaft sein soll oder
will, ihres Bleibens nicht zu finden. Vor Kant hatte sie eine ganz bequeme Lage.
Die Gewalttätigkeit die ihr, zum Theil wenigstens, Cartesius hat aufdringen wollen,
war verschmerzt, auch das Lob, welches C. F. Wolff in seinem trefflichen Werke
de generatione noch dem Cartesius ertheilt, daß er der einzige gewesen sei, der von
der Zeugung eine — falsche Erklärung gegeben, während alle übrigen nicht einmal
soviel gethan, auch dies, obwohl ganz ernst gemeinte dennoch bedenkliche Lob, war
vergeßen. Einige große Aerzte im Anfange des 18ten Jahrhunderts hatten ein ge-
deihliches empirisches Studium angeregt; davon zehrte man später; der geistvolle
Stahl blieb völlig unverstanden; Hallers Untersuchungen gingen nur bis an die
Grenze der eigentlichen Medizin. Angezogen von dem großen Erfolge der Linn eischen
Systematik wurden nun auch künstliche Systeme in der Medizin angefertigt und es
entstand die Überzeugung eines wißenschaftlichen Geborgenseins. Nun aber begannen
die Bemühungen die krit. Philosophie wirksam in die Medizin einzuführen. Was bei
dieser Gelegenheit geschah gibt völlig freie Wahl zur Betrübniß oder zum Lachen.
Was soll man dazu sagen, wenn man einen Arzt mit Aengstlichkeit an die Unter-
suchung z. E. der || Fieber gehen sieht, weil man sich, gegen das Verbot, von einem
Ding an sich zu sprechen fürchtet? Mit der Kategorientafel — dem damaligen
philosophischen Waffeleisen — war in der Medizin nicht viel auszurichten und so
entstand denn eigentlich nur eine Verlegenheit, wie man es denn anfangen solle,
um eine kantische Medizin zu Stande zu bringen. In der Physiologie nur wurde
es entschieden, daß man vom Leben selbst nichts wissen könne, weil das transcendent
sein hieße, und dies gab dann die Beruhigung, daß man gehörig transcendental sei.
Gewiß trägt Kant selbst nicht die Schuld dieses thörichten Beginnens; bekennen
Oktober 1825. 137
aber muß man auch, daß er nichts für die Medizin gethan hat. Sein Brief an
Hufeland (über Makrobiotik) scheint mir Ironie über die ganze "Wissenschaft zu ent-
halten, obwohl er mit großem Dank und tiefer Ehrfurcht aufgenommen wurde. Da
er überall der gesammten Naturwissenschaft nur soviel wissenschaftliche Evidenz
zuschrieb, als sie Mathematik enthält, so war es schon entschieden, daß die Medizin,
die in ihren lezten Gründen weder auf räumlichen noch zeitlichen Ausdehnungen,
überall nicht auf lediglich formellen und Verhältnisbegriffen beruhen kann, durch
ihn keine Palingenesie erfahren werde. Doch alles dies weiß Niemand besser und
gründlicher als Sie. Dem Andenken des erhabenen Mannes aber bin ich das Be-
kenntniß noch schuldig, daß er der Medizin wenigstens nicht geschadet habe. —
Die Verlegenheit der Aerzte in Beziehung auf den Kritizismus dauerte nicht lange ;
denn um dieselbe Zeit etwa geschah die Invasion des Brownianismus. Dies ist ein
so abentheuerliches Ding, daß man sichs kaum als möglich denken kann, wie nur
außer seinem Erfinder (denn von Entdeckung kann hiebei gar nicht die Rede
sein) noch irgend ein anderer Mensch sich davon sollte gefangen nehmen lassen.
Gleichwohl gewann aber dieser Brownianismus in kurzer Zeit fast allgemeine Herr-
schaft. Und sieht man etwas genauer hin, so erklärt sich das Phänomen sehr
wohl dadurch || daß diese Pseudolehre einer Cardinaltugend und einem Cardinallaster
des Menschen auf die gleiche Weise und gleichzeitig schmeichelt, dem Verlangen
nach Einsicht und der Trägheit. Alles was bis dahin in der Medizin gelehrt worden
war, bezog sich auf Qualitäten, selbst die Jatromathematici wollten mit der Mathe-
matik nicht eigentlich erklären, sondern nur die innere Ordnung des Gesetzes aus-
sprechen; die Corpusculartheorie brachte eben die corpuscula sammt ihrem Concursus
schon als Qualitäten mit, ebenso der influxus physicus u. s. w. Völlig also auf
qualitativem Grunde stand alles, was seit Hippokrates über Medizin vorgetragen
worden ist. Aber diese Qualitäten waren auch alle, mehr oder minder, qualitates
occultae, und als solche gewährten sie einerseits keine befriedigende Einsicht und
geboten andererseits tiefere, mühsame Untersuchung. Befreiung aus dieser doppelten
Noth versprach Brown. Nach Qualitäten solle man nicht fragen, dies sei eine Ein-
flüsterung „der Philosophie, der Schlange1-''; nur ein quantitatives Verhältniß gebe
es und selbst dies ist nur ein sehr einfaches; das Leben — keineswegs ein selbst-
ständiges, ursprüngliches Quäle — „sei ein bloß erzwungener Zustand;1' jenes quanti-
tativen Verhältnisses; alles also was in der Medizin zu erforschen und zu thun sei,
bestände in der Auffindung und Eeglung jenes Verhältnisses; niemals also kann es
etwas anders zu thun geben, als es entweder zu steigern, oder zu vermindern, da es
auch nur in diesen beiden Beziehungen alterirt (krankhaft) sein kann. Etwas betroffen
freilich stand man anfänglich da, sich gegenseitig gleichsam fragend: ob denn nun
dies alles, und alles dies wahr sei? Bald jedoch wurde der Beifalls-Lärm und der
Freudentaumel so groß, daß keinem Zweifel Raum blieb. Wenige nur konnten so
großer Bequemlichkeit und so wohlfeiler Einsicht widerstehen. Gern lasse ich hier
den ungeheuren Unfug, der nun mit bachantischer Wuth getrieben wurde, unerwähnt.
Eines andern, meinem damaligen Zwecke näher liegenden Punktes aber muß ich ge-
denken. Während nemlich diese neue Lehre aus Schottland (wo sie keinen Augenblick
Aufnahme gefunden || hat) über Italien nach Deutschland gekommen war und hier
auf epidemische Weise sich verbreitet hatte, war auch die Naturphilosophie ent-
standen und schnell zu großen Ehren gelangt. Es liegt aber in ihrer Art nichts
wahr sein zu lassen, als in sofern sie es deducirt hat. Bei diesem Geschäft jedoch
zeigt sie die Vorsicht: nicht vor- sondern nur nac/mideduciren. — Der Brownianismus
also wurde erwiesen als den höchsten Grundsäzen entsprechend, und Brown als ein
„Schöpfer in diesem Gebiet des Wissens" von der höchsten Instanz (Schelling, 1803)
1^8 Oktober 1825.
erklärt. Diese Deduction indessen kam fast zu spät; denn eben um diese Zeit be-
gann der Brownianismus, durch seine eigene Leerheit und Nichtigkeit mehr als
durch wissenschaftliche Widerlegung, in Verfall zu gerathen. Diesem Übelstande
begegnete nun die Naturphilosophie dadurch, daß sie tamquam re bene gesta, mit-
sprach, wie es sich eben ergab, und damit schloß, daß sie den Brownianismus als
— „den höchsten Unsinn" deducirte und mit einer unglaublichen Naivität sich die
Befreierin vom Brownischen Joche nannte! So dreist und so oft ist dies von Natur-
philosophen behauptet worden, daß es endlich gläubig auch von Nichtnaturphilosophen
nacherzählt wird.
Nun auch hielt es die Naturphilosophie für gerathen die Bearbeitung der
Medizin nur selbst zu übernehmen. Sie hat es gethan. Von der Anatomie an bis
zur Therapie hin ist alles naturphilosophisch geformt worden, und ohne große
Schwierigkeit. Alles, was sonst eine wissenschaftliche Bearbeitung Schwieriges und
Anstrengendes erfordern mochte, konnte man nun leicht entbehren ja, selbst der
Logik entzog man sich durch vornehme Verachtung, nicht fürchtend ihre unaus-
bleibliche Eache. Kenntniß des Gegenstandes selbst schien am wenigsten erforder-
lich; etwas Phantasie — deren wunderliche Gestaltungen man Ideen nannte —
leichtfertige Combinationen, willkührliche, aber desto zuversichtlichere Behauptungen, ||
kekes Meinen, un verlegenes Weiterreden bei entschiedenem Widerspruch durch That-
sachen, die glükliche Überzeugung, daß sich unter dem Eeden schon ein Wißen
davon und darüber einstellen werde — ; solche Elemente waren es, die die ernste
Sache in ein lustiges Spiel verwandlen mußten. Festgehalten durfte nur werden
die absolute Identität des Idealen und Realen; ferner, daß die erscheinende
Natur ihr allgemeines Leben von seiner idealen Seite als leicht, von seiner realen
Seite als Schwere offenbare; indem aber die ursprüngliche Einheit, das Absolute
sich entzweit, das Entzweite wiederum zur Einheit zurückstrebt, so offenbaren sich
die 3 Formen des dynamischen Prozeßes : Magnetismus, Elektrizität und Chemismus.
Dasselbe Leben waltet auch in der organischen Natur, aber zu einer höheren Stufe
erhoben und sich in dem Streben nach Indifferenziirung dem Urleben mehr an-
nähernd; es manifestirt sich in den Formen der Produktivität, Irritabilität und Sensi-
bilität. Blieben diese weitsichtigen naturphilosophischen Säze nur unveriezt, so
durfte man innerhalb derselben vornehmen, was man wollte. Jede Frage wurde
leichtlich beantwortet, wenn auch in der Antwort gar keine Beziehung zur Frage
lag: Die Zirbeldrüse z. E. wurde immer als ein rätselhaftes Gebilde betrachtet,
Cartesius meinte sie sei der Siz der Seele; diese Annahme kann man vielleicht mit
der Correspondenz des Rätselhaften der Bewohnerin und der Wohnung entschuldigen;
die Naturphilosophie erklärte aber die Zirbeldrüse als die — Nebenniere des Gehirns!
Man frage ja nicht: was denn das Gehirn, das nicht harnen darf, mit einer Neben-
niere soll? was überall für eine Aehnlichkeit zwischen Gehirn und Niere, zwischen
glandula pinealis und Nebenniere — wo das tertium comparationis zu finden sei?
Solche Gegenreden würdeu schon als das Schandmai des untergeordneten Stand-
punkts, des geistlosen, logischen Wesens betrachtet worden sein. Wir besitzen ein
vollständiges naturphilosophisches System der Medizin || (von Kilian), in welchem es
durchweg so zugeht und es deshalb auch am Abenteuerlichsten nicht fehlt; so
z. B. wird bona fide der schwarze Staar (eine Krankheit der optischen Nerven und
der Nezhaut) für eine Varietät des grauen Staars (eine Krankheit der Linse und
ihrer Kapsel) gehalten, und dem gemäß die Behandlung gelehrt. Solche Unbilden
wurden ungemein häufig verübt und zwar ohne durch irgend andere, die Wissen-
schaft und Wahrheit fördernde Leistungen versöhnt zu werden. Ich wenigstens
vermag auch nicht Ein günstiges Resultat naturphilosophischer Untersuchung auf
Oktober 1825. 13g
medizinischem Gebiet anzugeben, obwohl ich mit Verlangen danach gesucht habe.
Und was man noch irgend nennen könnte: Okens Theorie von den Wirbeln und
den Nabelbläschen — das ist einmal gar nicht aus naturphilosophischen Prinzipien,
sondern durch rein empirische Forschung gefunden; dann aber auf eine der "Wahrheit
selbst so widerwärtige und dieselbe entstellende Weise vorgetragen worden, daß es
einer neuen Untersuchung und einer andern, mehr Vertrauen einflößenden Mit-
theilung bedurfte, um dem Wahren jener Theorien Eingang zu verschaffen und von
seinen tollen Auswüchsen zu befreien. Überall aber ist's freilich wohl Oken, dem
unter allen Naturphilosopher noch die größte Tüchtigkeit in empirischer Beziehung
zukommt und der gewiß höchst Erfreuliches geleistet hätte, wenn er sich hätte ent-
schließen mögen schlichte Besonnenheit statt des naturphilosophischen Sansculottismus
zu erwählen. Was jedoch vermag das harmlose Wesen lauterer Naturforschung mehr
zu trüben und zu verbittern, als die Grimasse des Kraftgenies?
Nun, nachdem mehr als ein Jahrzend in solchen Verkehrtheiten vertaumelt
worden und der Unsinn in seiner traurigen Gestalt völlig am Tage lag, traten die-
jenigen lehrend und redend auf, denen es selbst beßer gewesen wäre zu schweigen
und die auch zum Reden ohne Versuchung geblieben wären, wenn nicht alle gute
Ordnung sich so völlig aufgelöst hätte. Ohne Zweifei gibt es auch unter denen,
die mit der Wissenschaft sich praktisch beschäftigen, sehr Viele, die, vermöge ihrer
geistigen Organisation eines vollständigen, selbstständigen Bewußtseins völlig unfähig
sind. Sie hängen in ihren Einsichten von bestimmten geistigen Auctoritäten wesentlich
ab, ohne selbst dieser Abhängigkeit sich frei bewußt zu werden und halten, eben
unter dem sie bedingenden Einfluß stehend, sich für durchaus frei. Fehlt es nun
an solchen Einflüßen nicht, sind diese selbst wohl geordnet, so bilden sich, mit
Notwendigkeit, viele belebte Werkzeuge, die, aller genetischen Erkenntniß ihrer
selbst sowohl als der sie beschäftigenden Gegenstände und Wirkungssphären er-
mangelnd, dennoch erkenntnißgemäß wirken. Sobald es aber an den Belebungen
oder Erregungen sammt dem durch diese eingeleiteten Gesez fehlt, so verwandelt
sich jene Unbewußtheit in Bewußtlosigkeit und bricht mit ihrer Eohheit durch. Die
unerfüllte Eeceptivität tritt wie Wirkungsvermögen auf und sezt lauter Leerheiten.
— Ein solcher Zustand ist in die Medizin dermalen eingetreten. Das Wort führen
eben jene bedingten Naturen, zu denen die belebenden und in die rechte Stelle und
geeignete Wirksamkeit einsezenden Bestimmungen nicht gelangt sind, weil sie nicht
da waren: auch vermißen sie diese, weil sie ihr wahres Bedürfniß erst in der teil-
weisen Befriedigung inne werden können, keinesweges. Dies nun macht sie vollends
zu reinen Negationen, die sie, projicirend, als Positionen sezen. Sie sind leer und
fordern deshalb mit natürlichem Ungestüm Leerheiten. In der heutigen Medizin
gestaltet sich dies so: weil der Brownianismus durch seine eigene Nichtigkeit in
sich selbst zusammengestürzt und dadurch die Frechheit, mit welcher er sich als
Theorie gebährden wollte, offenkundig geworden ist; weil die Naturphilosophie durch
ihre innere Unwahrheit sich auch äußerlich geächtet hat, so halten sie die Theorie
für die Quelle alles Übels, und weil sie, um ihrer Rezeptivität willen, es instinctartig
durchfühlen, daß alle Theorie in der Philosophie ruhe, so trägt ihnen diese || alle
Schuld und deshalb fordern sie, als Bedingung alles Heils, strenge Enthaltung von
aller Theorie, aller Philosophie. Offenbar aber ist dies eine pure Negation und an
sich etwas Leeres; um ihres Unvermögens jedoch dies zu erkennen und wegen der
psychologischen Täuschung, in welcher sie sich befinden, stellt sich ihnen die Negation
als etwas Positives dar, und so auch treten sie selbst damit hervor. Beobachtung
nemlich, und nur Beobachtung fordern sie, nicht wißend, noch ahnend wie viel und
wie Großes damit gefordert sei, daß hiemit die Theorie und Philosophie so wenig
jaq Oktober 1825.
ausgeschlossen werden, daß diese vielmehr in ihrer höchsten Vollendung nur Be-
obachtung sind. Sie stehen in der Voraussezung daß die Beobachtung in dem
zwischen Auge und Gegenstand befindlichen Räume liege oder wenigstens von selbst
sich da bilde und auch ganz von selbst übertrete. Sie haben keine Anforderungen
an die Beobachtung zu machen, kein Gesez in ihr zu suchen, nach keinem Gesez
sie zu prüfen; alle auch die sich widersprechenden, haben ein gleiches Recht für
wahr gehalten zu werden; das Beobachten selbst ist ein Geschäft das aus dem Stegereif
zu vollziehen ist. Welch ein Chaos von Irrthümern sich unter solchen Umständen
bilden muß, darf nicht erinnert werden; gleichwohl ist mit den Irrenden selbst
weder zu rechten, noch, wie es dermalen steht, zu sprechen; jenes nicht, weil sie
selbst fast schuldlos sind; dies nicht, weil sie völlig aus der Richtung Gründe zu
vernehmen gewichen sind. Unterdessen aber geschiehts, daß eben sie, deren Losungs-
wort und Feldgeschrei: Beobachtung ist, nicht nur nicht beobachten — was sich
freilich von selbst versteht — sondern auch daß sie etwas anderes thun, das sie
ganz auf den Kopf stellt. Sie nemlich theoretisiren, und in der übelsten Art. Ohne
es zu wollen, ja völlig gegen ihren Willen treibt sie der dem menschlichen Geiste
unablösliche Trieb: die Gründe der Dinge zu erkennen und den Causalnexus der
Erscheinungen zu erfaßen zu Annahmen über beide. Unbewacht wie || sie sind
und ungeschüzt durch den Act wahrer, stetig fortgesezter Beobachtung, welcher
vorzugsweise gegen voreilige Annahmen und unglückliche Verbindungen in jenen
Beziehungen zu bewahren vermag, stürzen sie aus Wahn in Wahn und wegstolpernd
über das Vorhandene, wissen sie auch die Gründe für das Nichtvorhandene. Wenn
es vielleicht als charakteristisches Merkmal der Seichtigkeit angesehen werden darf
schnell mit dem Causalitätsbegriff und praktischer Untüchtigkeit: schnell mit der
Erfaßung des Causalnexus fertig zu werden, so wäre schon hiedurch die wissen-
schaftliche Insolvenz und praktische Impotenz der Mehrzahl heutiger Aerzte ent-
schieden. Vielleicht verbreitet sich das Übel aber auch über die ganze Zeit,
wenigstens scheint es selbst mit dem allgemeinen Hang zur Superstition ursächlich
zusammenzuhängen.
Doch ich breche diese Schilderung ab, da mir kein aus der Familiarität
stammendes Recht: die Noth vorzuklagen, zustehet, sondern ich bloß die Befugnis
Unterstüzung zu fordern mir erwerben wollte; diese aber werden Sie, mein sehr
verehrter Herr Professor, nachdem ich Ihnen das Signum paupertatis vorgelegt habe,
wohl nicht versagen können. Da das Übel in den Prinzipien und in den ergriffenen
falschen Wegen liegt, so scheint mir die Appellation an den Philosophen ganz gerecht,.
und ich frage Sie deshalb: was ist unter solchen Umständen zu thun? Sie werden
mich mit jenem Zuruf: Arzt hilf Dir selbst! nicht abweisen wollen; denn theils ist
er hart und ungerecht, theils auch ist der kranke Arzt eben kein vollständiger Arzt
mehr, sondern ein vielleicht hülfloser — Kranker. Ich übrigens habe an meinem
Theil gethan, was ich vermocht, und werde auch damit fortfahren. Vor beinahe
4 Jahren schon habe ich den ersten Theil eines natürlichen Systems der Medizin
drucken lassen. Über die Annahme oder Verwerfung eines natürlichen Systems
kann es eigentlich kein Schwanken geben, denn insofern es natürlich ist, ist's noth-
wendig auch wahr und dann darf man sich ihm nicht entziehen ; ließe es sich aber
erweisen, daß es nicht natürlich sei, dann wäre es wenigstens kein System mehr j|
könnte auch von wesentlichen Irrthümern nicht frei sein und müßte dieses doppelten
Gebrechens wegen fallen. Von diesem ganz richtigen Dilemma aber hat unsere
Zeit nichts gemerkt und sie entweicht durch ihre Indolenz. Was darüber öffentlich
zur Sprache gekommen ist, zeigt auch nicht eine entfernte Spur des Verstehens;
der Tadel ist nichtig und das Lob? — „ach! ihr Beifall selbst macht dem Herzen
Oktober 1825. 141
bange!" Mir war in der That auch Muth und Freudigkeit sehr gesunken mein
Werk durch den Druck ferner bekannt zu machen, weil die Hoffnung auf ein ent-
schiedenes Durchwirken zur Besonnenheit — Ihrer schonenden Beurtheilung bekenne
ich willig solche Schwachheit! — so gescheitert war. Doch werde ich das Be-
gonnene fortsezen, nachdem erst ein anderes "Werk („Über Wissen und Gewissen,
Reden an Aerzte"), das jezt im Druck ist, hervorgetreten sein wird. In diesen
Reden suche ich, so gut ich kann, die Lage und die Noth der Sache genetisch vor
Augen zu legen und den Weg zur Hülfe zu bezeichnen. So gut ich kann thue ich
dies; aber ich bin auch innigst überzengt, daß ich es nicht vollständig vermag.
Alles, wie ich es immer mehr inne werde, kommt darauf an, daß die Leute
von dem Wahn befreit werden, der sie nicht sowohl in der Untersuchung berückt,
sondern die Untersuchung selbst ihnen wegrükt, ich meine den Wahn: als stünden
sie in der Beobachtung. Der Versicherung, daß sie nicht beobachten, würden und
können sie nicht glauben; führt man ihnen wahre Beobachtungen vor, so erkennen
sie sie nicht als solche und verwerfen sie als falsche, eben weil sie wahre ist. Nur
eine deutliche Erkenntniß, eine innere Geschichte von dem Wesen und organischen
Bau der Beobachtung könnte sie zur Besinnung bringen. Ist aber nicht jene
Erkenntniß zu fördern die Aufgabe des Philosophen? und diese Geschichte zugeben
die des wahren Psychologen ? Wohl ohne Zweifel ! Und dies eben, mein verehrtester
Herr Professor ist der Punkt, wo ich Sie faßen und nicht loslassen möchte, ja wo ich
mich auch nicht scheuen würde Ihnen wie || dem alten Proteus, wehe zu thun und auf
alle Weise zu nöthigen, bis Sie wahrgesagt und aushelfen, den Rath gegeben. Hier ist,
wie mir scheint, derjenige Knoten, durch dessen Lösung sowohl die Gefahren eines
einseitigen Idealismus als des hohlen Spiritualismus und nichtigen Materialismus auf-
gedeckt, aber auch gehoben werden, und dagegen andererseits ein Realismus — nicht
sowohl künstlich aufgebaut, oder vorausgesezt, oder erschlossen, als vielmehr thatsäch-
lich innerhalb seiner Gesezlichkeit erfaßt wird — : eine unmittelbare Evidenz, beruhend
darauf: quod factum infectum fieri nequeat! Es muß mit Einem Worte, eine Natur-
philosophie gefunden werden können, welche das Wie von dem in objectiver Be-
obachtung gefundenen Was in ein höheres Was des Bewußtseins selbst verwandelt,
womit dann allem gewöhnlichen Zerfallen entweder der Reflexion mit der Be-
obachtung, oder dem inhaltlosen, sich selbst vergeblich zusezenden Wissen, sowie
auch dem innern Widerspruch und der Wortbrüchigkeit der Verzichtung auf das
Wissen ein Ende gemacht wäre. Eine solche Naturphilosophie muß auf dem Wege
derjenigen Philosophie liegen, die die Psychologie nicht blos als ihren integrirenden
Theil erkennt, sondern auch aus derselben ihre Geburtsstätte frei nimmt, von der
Beobachtung also nicht blos ausgeht, sondern auch nie sich davon trennt und immer
inniger, scheinbar scheidend, darauf eingeht, und nicht jenseits des Objects ein Be-
wußtsein davon, sondern innerhalb desselben sucht. Sie thäten mir nicht das ge-
ringste Unrecht, wenn Sie das eben Gesagte dunkel, unbeholfen und mehr zum
Ausdruck sich drängend als dazu reif fänden; ich selbst weiß es sehr wohl, daß ich
hier nur lalle. Aber ich weiß auch, daß ich ein Ziel im Auge habe, und nicht ein
beliebig geseztes, sondern vorhandenes, nothwendig zu erreichendes. Soll ich es
nennen? mir heißt es: Orientiren in der Erfahrung und erfahrend sich orientiren
als Ein Act. Ich glaube sagen zu dürfen, daß ich für meine Person, für meine
Wrirkungs- und Forschungssphäre einige Fertigkeit in der Fixirung (Synthesis) sowohl
dieses Acts als in der Zerlegung desselben in seine Elemente mir erkämpft und er-
rungen habe. Aber ich weiß auch ferner, daß meine Erfahrungen noch gar nicht
bis in den Grund (in die Prinzipien) gedrungen sind, ja ich || finde überall in mir
hiezu nicht das schöpferische Vermögen, kurz, nur in den Prozeß der Erfahrung
142 November 1825.
einzugehen und denselben bewußt zu bestehen glaub ich zu vermögen, nicht aber
das die Erfahrung bedingende, reale Bildungsgesez zu erfaßen, noch weniger das-
selbe zu entwickeln und im Wort auszusprechen. Gleichwohl thut eben dies
letztere Noth, wenn der Irrtum in seiner Wurzel aufgehoben und der Wahrheit
Bahn gemacht werden soll. Es bedarf vor allem einer gründlichen Belehrung sich
%ur Erfahrung zu orientiren. In Ihren Schriften, soweit ich sie kenne, finde ich An-
deutungen zu einer Naturphilosophie; ich darf mir jedoch nicht zutrauen den tiefern
und vollkommenen Sinn dieser Andeutungen erfaßt zu haben; in jedem Falle aber
bedürfen sie der Ausführung und vor allem, der Anwendung. Dazu nun würde
Ihnen eine reiche Gelegenheit gegeben sein, wenn Sie die beikommende Schrift zu
prüfen und zu beurtheilen sich entschließen könnten. Hiebei würde es, wie mir
scheint, viel weniger auf Berichtigung, Zurechtstellung, Abweisung der vorgetragenen
Sachen, als auf die Beleuchtung der Art der Untersuchung und des dabei ein-
geschlagenen Weges ankommen, obwohl gewiß auch jene Belehrungen von Ihnen
zum Dank verpflichten würden. Ihnen nemlich würde die völlige Zerfallenheit der
Untersuchung in sich selbst und die trübselige, bewußtlose Umschleichung des
Prinzips auf's deutlichste vortreten und Sie, ich glaube: nur Sie, würden die leeren
Stellen sichtbar machen, die Dunkelheiten ans Licht bringen und die Bewußtlosigkeit
selbst ins Bewußtsein heben. Kurz, Sie würden bei der Schärfe Ihres Geistes, bei
der Präcision Ihres Denkens wie Ihrer Rede, sofort und unmittelbar in medias res
eintreten. Dies wäre aber hier um so mehr das Heilsame, als auch diese Schrift
eigentlich die medias res zum Gegenstande hat. Das Causalverhältniß zwischen
Seele und Leib soll hier zur Begründung einer Psychiatrie untersucht werden, nun
aber erweist sich der Verfaßer von der einen Seite als Materialist und von der
andern als supernaturalistischen || Ideologen und den hiatus nicht bemerkend, trachtet
er diesen selbst zum Kitt für die membra disjecta zu machen. Dabei ist die
Täuschung hier um so tiefer und verwikelter, als der Verfaßer offenbar ein Be-
streben zur Besonnenheit hat und sich dessen auch bewußt ist, aber in diesem Be-
wußtsein ausruhend in sein eigenes Widerspiel geräth und, ganz unbesonnen, die
gewollte Besonnenheit für die wirkliche und vollzogene hält. Darum schließt auch
seine Untersuchung, wo sie eben erst beginnen sollte, und seine Lösung ist das
Problem. Ebenso beurkundet er im Allgemeinen eine edle Gesinnung, in dieser aber
sich wiegend, hat er sie durch Treue der Untersuchung zu bewähren unterlaßen.
Doch ist es gewiß Zeit, daß ich diesen Brief schließe. Leben Sie wohl! ver-
geben Sie in jedem Fall meine Bitte und erfüllen Sie sie, wenn sie Ihnen gerecht
scheint.
Mit inniger und aufrichtiger Hochachtung
der Ihrige Lud. Sachs m. p.
301. Griepenkerl an H.1) 1. Nov. 25.
Wohlgeborener Hochgeehrter Herr Professor, zum Beweise, daß Sie noch immer
mein philosophischer König sind, überreiche ich Ihnen einliegend mein eben heraus-
gekommenes Lehrbuch der Ästhetik. Ihre Forderungen an eine Ästhetik erfüllt
mein Buch zwar nur in geringem Grade, obgleich viele von Ihren Gedanken mit
Ihrem Namen darin aufgenommen werden müßen; doch steht es nach meiner wohl-
begründeten Überzeugimg der Wahrheit näher, als alle übrigen Bearbeitungen dieser
Wissenschaft. Mag also diese mangelhafte Ästhetik einmal versuchen, wie viele
Freunde sie der künftigen besseren gewinnen kann, der ich einen Schritt näher
') kl. 4. 4 S. H. Wien.
November 1825. 143
treten werde, sobald diese erste Ausgabe vergriffen ist, wozu in einigen Jahren Rath
werden kann. Mein Verleger, der ein gewiegter Kaufmann ist, hat dazu guten
Glauben; denn er wagt drei verschiedene Ausgaben, eine auf gewöhnlichem, eine
zweite auf velin Druckpapier und eine 3te auf velin Schreibpapier. Die mittlere,
weil sie den geringsten Umfang hat, ist || für Sie eingelegt worden. Auch ich lasse
es an guten Mitteln zur Verbreitung nicht fehlen. Meine Vorlesungen verzehren
halbjährig eine nicht unbedeutende Anzahl von Exemplaren; an Göthe, Jean Paul,
Bouterweck, Tölken, Müllner und mehrere andere habe ich Frei-Exemplare geschickt
usw. Es müßte sonderbar zugehen, wenn meine Halbwahrheiten den halben Denkern
nicht von mehreren Seiten zusagten. Ich kann übrigens ein Mislingen in solchen
Angelegenheiten recht wohl ertragen.
Nur mit Ihnen möchte ich nicht gerne, daß es mir mislänge. Ich habe mir
nämlich fest in den Kopf gesetzt, Sie durch mein Buch wieder zu gewinnen und
die früheren Mishelligkeiten vergessen zu machen. „Vergieb uns unsere Schuld" etc.
ist ein gutes Gebet — darum reiche ich Ihnen jetzt meine Hand hin und spreche:
Vergieb uns! Ergreifen Sie die Hand, sie meint es ehrlich.
Der erste Beweis Ihres wiederkehrenden Wohlwollens würde mir sein, wenn
Sie mit Ihrer ganzen Strenge über mein Buch herfielen und mir alle seine
Mängel mit scharfen Linien bezeichneten. Was Sie nicht rügten, würde ich für
gelungen halten. Doch nicht öffentlich, sondern nur in einem Privat-Schreiben. Ich
stehe nicht an, Sie um diese || Wohlthat zu bitten, weil ich sie noch zu verdienen
glaube, doch zum Fordern habe ich keine Rechte. — Beide Theiie Ihrer Psychologie
als Wissenschaft etc. sind in meinen Händen und ein brauchbares neueres Werk zur
Wiederholung der Differenzial- und Integralrechnung ist angeschafft. Das gründ-
liehe Studium dieses größten philosophischen Werkes, so lange die Menschheit denkt,
hat schon einen Anfang genommen; bei meinen überhäuften Amtsgeschäften aber
möchten wohl ein Paar Jahre darüber hingehen, bis die schwere Arbeit würdig
vollendet ist. Wie man es wagen konnte, über dieses Werk schon jetzt öffent-
liche Urtheile zu fällen, ist mir vernünftiger Weise unbegreiflich. Nun, die Recen-
sionen sind auch darnach. Lieber will ich noch fünfzehn Jahre gescholten und ver-
schmäht sein, als dergleichen in die Welt fördern.
Mit der ganzen ehemaligen Verehrung, Liebe und Dankbarkeit der Ihrige
Griepenkerl.
|| NB. J. P. Fr. Richter in seiner kleinen Bücherschau, die kürzlich heraus-
gekommen ist, erwähnt Ihrer mit einem ehrenden Zusätze indem er von Mitleid
und Mitfreude spricht.1) Er hat Sie leider misverstanden, wie auch Ihr Name ver-
druckt ist; statt Herbart steht Herbert. Wenn ein Mann von allgemeinem lite-
rarischen Ansehen in Deutschland Sie verstehen lernen könnte, so wäre es J. Paul,
wollte er sich die Mühe darum geben, und wäre er nicht zu alt. Mein Lehrbuch
wird sein beginnendes Interesse noch etwas mehr beleben, wie ich hoffe.
Ein Grund, weshalb die sogenannte Naturphilosophie in Deutschland noch
immer mehr Freunde hat, als Ihre Lehre, ist dieser, daß Ihre Philosophie bei weitem
den meisten zu schwer ist. Nicht bloß Trägheit hält die Leute ab, sondern Un-
fähigkeit wegen gänzlichen Mangels an guter Vorbereitung auf den Gymnasien. Ich
*) In Jean Pauls kleiner Bücherschau (Breslau 1825) heißt es: »Rührung ist
nur Mitleiden bei einem fremden Schmerze. »Aber, sagt der scharfsinnige Herbert,
an sich ist ja das Mitleiden nichts als eine Verdoppelung der Leiden, indem die
fremden auch zu meinen werden.« Allein es gibt nur ein Mitleiden, hingegen viel-
artige Leiden; und in jenem kommt nicht der fremde Schmerz in Gestalt eines
eignen vor.«
jaa November 1825.
mache es zwar hier etwas besser und liefere manchen Zögling nach der Universität,
der sich auch in Ihrem Sinne sehen lassen kann; doch findet die Sache in der
ganzen Einrichtung unserer Lehranstalten zu viel Hindernisse. Der talentvollste,
den ich vorige Ostern nach der Universität entlassen habe, heißt Röer. In dem
ersten philosophischen Disputatorium, das Krause (er hat Sie manchmal recensirt)
in Göttingen hielt, trieb Röer diesen so in die Enge, daß um a/4 die Stunde ge-
schlossen war und alle Zuhörer davon gingen, um nie wieder zu kommen. Röer
wird in Jahresfrist nach Königsberg kommen, um Sie zu hören. Es fehlt ihm noch
sehr viel, aber er kann ein guter Schüler werden und vielleicht später ein guter
Lehrer. Gelegentlich mehr über ihn. t Griepenkerl.
[Randbemerkung.] Sie haben in Deutschland viel mehr Freunde, als Sie wissen;
aber keiner wagt es, öffentlich für Ihre Lehre aufzutreten, aus Furcht, der An-
gelegenheit nicht ganz gewachsen zu sein, oder aus Dünkel, nichts Neues hinzusetzen
zu können. Nach meiner Berechnung kann übrigens dieser Zustand nicht mehr
lange dauern, und Sie werden seine große Umwandlung noch mit Augen sehen.
1826.
W.: Rez. über Zöllichs Versuch (S. Bd. XII. S. 325 — 332), Baaders Bemerkungen
(S. Bd. XII. S. 332 — 334), Tennemanns Grundriß (S. Bd. XII. S. 335 — 339),
Seidels Beiträge (S. Bd. XII. S. 339—346), Fritzes Grundlegung (S. Bd. XII. S. 346
bis — 350), Der Adel und der Bürgerstand (S. Bd. XII. S. 351—353), Ohlerts Schule
(S. Bd. XIII. S. 15 — 16).
302. An den Vorstand der Schul- Deputation zu Königsberg.1)
Königsberg, 31. Januar 1826.
Ew. Hochwohlgeboren gütiges Vertrauen hat mir die Jahre, auf welche
ich zur hochlöbl. Stadtschuldeputation war gewählt worden, von einer Zeit
zur andern verlängert. Ohne mir zu schmeicheln, daß ich unter Umständen,
die meinen pädagogischen Ueberzeugungen nicht günstig waren, etwas be-
sonderes nützen könne, glaubte ich doch schon als Bürger dieser Stadt
meine Bereitwilligkeit zeigen zu müssen, dem an sich ehrenvollen Ver-
trauen meinerseits entgegen zu kommen. Dies war namentlich auch in
Ansehung des Ephorats über das Stadtgymnasium der Fall; Ew. Hoch-
wohlgeboren werden Sich noch erinnern, daß ich Ihnen meine Bedenk-
lichkeiten aufopferte. Als im Spätherbst des verflossenen Jahrs das Ephorat
seine Thätigkeit ohne die mindeste äußere Veranlassung erneuerte, glaubte
es nur eine Versäumniß, die ihm vielleicht zur Last gelegt werden konnte,
wieder gut zu machen. Es sollte ja, seiner Benennung gemäß, sehen,
was im Gymnasio vorgehe; es sollte der vorgeordneten Behörde auf
etwaige Fragen Antwort geben können. Wäre das Ephorat ungestört ge-
blieben, so würde es sich allmählig von der ganzen Lage des Gymnasii
in Kenntniß gesetzt, und darin erhalten haben. Dies war ohne Zweifel
das, was Ew. Hochwohlgeboren beabsichtigten; meinerseits verlangte ich,
um dazu mitwirken zu können, keine Spur von gebietender Auctorität,
wohl aber unbedingte Befugnis, nach Allem zu fragen, was im Gymnasio
vorgehe, und ein volhtä?idiges Recht der Prüfung in jeder Form, die meine
Herrn Collegen und ich für zweckmäßig erachten würden, um uns die
Kenntniß, die man von uns || forderte, zu verschaffen. Die Instruction,
*) 2 S. 2 °. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann pp. S. 62 f. — Ein
Brief ohne Datum und Adresse, in dem Herbart rät, die Schuldeputation zu einer Be-
ratung über einen »für das Wohl des Instituts (des Colleg. Friederic.) nicht ersprieß-
lichen Vorfall« einzuladen, befindet sich in der Stadtbibliothek zu Königsberg u. kommt
hier nicht mit zum Abdruck. — Man vgl. auch die im 15. Bde. S. 153 ff. mitgeteilten
Aktenstücke.
Herbarts Werke. XVII. IO
146 April 1826.
welche uns erst vor ein paar Monaten ertheilt wurde, schien zwar mit
jener unbedingten Befugnis nicht recht zusammen zu stimmen; indessen
enthielt sie wenigstens keine dringenden Gründe zu Gegen- Vorstellungen;
und Alles kam darauf an, zu erfahren, welche Auslegung sie erhalten solle.
Dies hat sich nunmehr gezeigt. — Durch die neuesten, das Ephorat
betreffenden, Verfügungen des hochwürdigen Consistorii an die hochlöbl.
Stadtschuldeputation, habe ich das Verhältniß dieser hochverordneten Be-
hörden auf eine Weise kennen gelernt, bey welcher ich es meinen Ver-
hältnissen als akademischer Lehrer, nicht länger angemessen erachte, in
einer solchen Stellung gegen das hochwürdige Consistorium zu bleiben.
Da hier auf mein Urtheil weiter Nichts ankommt, als in so fern es meinen
Willen bestimmt, so enthalte ich mich aller Auseinandersetzung. Es wird
genug seyn, daß ich meinen Entschluß erkläre, nicht länger, als rechtlich
von mir gefordert werden kann, Mitglied der hochlöbl. Stadtschuldeputation
bleiben zu wollen.
Von der Güte Ew. Hochwohlgeboren aber hoffe ich die Bewilligung,
mich gleich jetzt beurlauben zu dürfen. In dieser Voraussetzung empfehle
ich mich Ew. Hochwohlgeboren und den sämmtlichen Herrn Mitgliedern
des hochlöbl. Collegii zu geneigtem Andenken; und dankbar für das mir
geschenkte Vertrauen, unterzeiche ich ehrerbietig als
Ew. Hochwohlgeboren gehorsamer
Herbart.
303. Dissen an H.1) Göttingen den 30ten April 1826.
Wohlgeborner, Hochgeehrtester Herr Professor! Als ich im vergangenen Winter
Ihre Psychologie erhielt, von dem Buchhändler in Ihrem Namen zugeschickt, welche
ungemeine Freude war das für mich! Denn seitdem Sie von hier gegangen sind,
ewig unvergeßlicher Mann, ist die Liebe und Begeisterung für die "Wahrheiten der
Philosophie, welche Sie mich gelehrt, womöglich noch fester und gründlicher ge-
worden und Ihre Philosophie wird stets die Grundlage meiner Überzeugungen seyn;
ich gedenke mit inniger Dankbarkeit der vielen anregenden und belehrenden Ge-
spräche so mancher herrlichen Stunde die ich in Ihrer Nähe zugebracht, und meine
wärmste Anhänglichkeit und Bewunderung ist Ihnen durch alle diese Jahre gefolgt
obgleich ich solange keine Worte mit Ihnen gewechselt habe. Wie groß war daher
meine Freude, als Ihr Geschenk mir sagte, auch Sie hätten meiner noch || nicht ver-
gessen, obgleich ich so wenig Ihrer Hoffnungen würdig geworden bin. Durch die
Umstände bestimmt, warf ich mich zuerst mit allem Eifer auf die Philologie, um
eine Professur zu erhalten, und kaum zu einer festen Existenz gelangt, sah ich.
meine Gesundheit auffallend schwächer werden, die freylich nie sehr stark war,
ungeachtet großer Sorgfalt und mancher Badekur kam ich vor vier Jahren dem Tode
nahe, und nach einem halbjährigen Krankenlager endlich wieder aufgestanden, bin
ich seitdem zwar weniger unwohl als kurz vorher, aber doch immerfort vielen Zu-
fälligkeiten unterworfen, und nur durch große Regelmäßigkeit des Lebens im Stande,
meinen academischen Wirkungskreis zu erfüllen und hier und da etwas philo-
logisches zu schreiben, was Sie nicht interessieren kann. Dennoch habe ich während
der ganzen Zeit manchen Jünger im Stillen Ihren Lehren zugewandt, und manche
hohe Überzeugung durch Sie gegründet; in meinen Vorlesungen über die Geschichte-
') 4 S. 8°- H. Wien.
August 1826. 147
der alten Philosophie ist noch gar vieles Ihr Eigenthum, in meiner philosophischen
Encyklopädie steht das Kapitel der Pädagogik von den sechs Hauptinteressen der
Bildung, und anderes vieles wird herangezogen wenn ich über den Piaton lese;
kurz, was Sie mich gelehrt, ist so tief in meinen Gedankenkreis eingedrungen, hat
sich so mit allen meinen philologischen Gedan || ken assimilirt, daß ich wohl kaum
einen Vortrag halte, worin nicht ein Gedanke von Ihnen wäre, oder etwas das ich
durch Ihre Gedanken gefunden: denn auch meine hermeneutischen Grundsätze, die
Zerlegung der Gedanken, die scharfe Auffassung des Einzelnen, die Zusammenfassung
des Ganzen — ja fast die ganze Methodik der Behandlung, wie ich sie ausübe und
lehre, verdanke ich Ihren Lehrsätzen. Mein academischer Wirkungskreis ist nicht
gering, da ich unter meinen Collegen das größte Auditorium habe, und schon zähle
ich viele Schulmänner unter meinen Schülern, die mit Eifer und Geist, was sie bei
mir gelernt, anwenden und verbreiten und mir Ihre Zöglinge schicken; daß dies so
ist, kann ich auch nur Ihnen beimessen. Sie sehen, verehrtester Herr, und des-
wegen schreibe ich dieses, daß mir nichts verlohren gegangen von Ihren Lehren,
und daß sie wirklich hier durch mich auf mannigfache Weise fortleben und Früchte
tragen, daß ich das geliehene Pfund redlich gebrauche und in nichts abgefallen bin
von dem Meister. — Gewiß würde ich nun gleich diesen Winter Ihnen geschrieben
haben, aber nothwendig mußte ich doch mich erst etwas näher mit dem neuen
Werke bekannt machen, und leider bin ich abermahls einige Zeit krank gewesen,
so daß ich nun erst dazu komme zu schreiben. Durch die Psychologie setzen Sie
allen Ihren Forschungen die Krone auf; ich bin erstaunt über den Reichtum || tief-
sinniger Entwicklungen und neuer Aufschlüsse, die Sie mit der ganzen Schärfe Ihrer
beispiellosen Denkkraft vorlegen, und ich lese und lerne mit dem größten Entzücken.
Aber leider nur Wenige werden ganz verstehn, denn die meisten sind auf den Kopf
gefallen. Indessen haben Sie doch durch unermüdete Thätigkeit und nahm entlich
auch durch viele gediegene Recensionen bisher schon manchen aufgerüttelt und Ihren
Lehren mehr Eingang verschafft, selbst der alte Schulz1) findet ja manches in Ihrer
Psychologie tröstlich; daher bin ich fest überzeugt, daß die Wirkung nicht aus-
bleiben, vielmehr dereinst bedeutend seyn wird ; Möchten Sie nicht übeldeuten, wenn
ich meine, Sie sollten jetzt auch, wo es Ihnen ein Spiel ist, ein Buch schreiben
über die Geschichte der neuern Philosophie, über Kant, Fichte, Schelling und was
damit zusammenhängt; denn obgleich Sie in Ihren Schriften vielfach darauf Bezug
nehmen und so auch wieder in der Psychologie, so würde doch ein besonderes Buch,
was mit einem gewißen Detail den Zusammenhang und die Verirrungen dieser
Philosophien entwickelte — wenn auch Sie manches anderwärts gesagte dabei wieder-
hohlen müßten, sicher von großer Wirkung auf das gute Publicum seyn und der
guten Sache bedeutend helfen. — Der Überbringer dieses Briefs ist Herr Professor
Meyer, ein geschickter Botaniker und höchst braver Mann, der Ihnen manches von
Göttingen erzählen wird. Nehmen Sie ihn gut auf. Mit der innigsten Dankbarkeit
und Verehrung
Ihr treuester Schüler L. Dissen.
17. Mai; Jahresbericht über das pädagogische Seminar. S. Bd. XIV, S. 246 — 252.
304. Richthof en an H.2) Adelsbach, d. 2ten Aug. 26.
Sie sind mir, mein verehrter Freund, mit einem 2ten Briefe zuvorgekommen,
während ich im Begriff war, auf Ihren ersten zu antworten, und in der Seienschen
) G. E. Schulze, 1761—1833 (Anesidemus), dessen Nachfolger Herbart wurde.
) 4 S. 4°. H. Wien.
10*
148
August 1826.
Angelegenheit Irrthümer zu vermeiden. Als Sie mich vor einem Jahre dazu auf-
forderten, war ich gern zur Erfüllung Ihres Begehrens, so viel ich vermag, bereit,
erwartete aber vergeblich eine Aufforderung Eichstädts. Endlich kriegte ich im
Winter eine von der Redaktion unterzeichnete Anfrage, die von einem Briefe Eich-
städts sprach, der an mich mit Gelegenheit geschickt seyn sollte, den ich aber nie
erhalten hatte. x) Ich versprach zu thun, was ich könne, wenn ich einer Schrift, auf
die Sie sich in jenem Aufsatze beziehen (nähmlich das Königsberger Archiv, das
mir durch Verleihen verlohren gegangen war), wieder habhaft geworden wäre.
Unterdeß verstrich diejenige Zeit, die mir zu solchen Arbeiten Muße gestattet, aber
sobald ich nach Brechelsdorf zurückkomme, will ich Hand ans Werk legen, und
dieß werde ich Eichstädt vorläufig anzeigen. Diese Weitschweifigkeit mag Ihnen
lächerlich vorkommen, aber bedenken Sie, Lieber, daß ich nicht Schriftsteller bin,
und auch nicht täglich philosophire, sondern in der That ein Gewerbe treibe. Der
Gedanke, Ihnen an die Seite zu treten ist mir daher, so sehr dieses auch nur von
fern gelten mag, ein kecker und kühner. Endlich scheint mir Ihre Denkweise,
wenn auch nicht Ihr ganzes System, sich allmählig von selbst Weg zu bahnen.
Soll ich Sie an || die Odyssee, an das Klassen-System erinnern? Wird nicht in der
neuern Psychologie jene Vielheit der Seele wenigstens zu umgehen gesucht, und
gehen nicht allmählig die Kräfte von ihr auf die Vorstellungen über? Daß dabei
überall Mißverständnisse obwalten, ist leider wahr; erst jüngst hörte ich als Haupt-
eigenthümlichkeit des Klassensystems darstellen, daß jeder Lehrer eine Klasse leite,
aber lassen Sie uns dabei eingedenk seyn, daß die Vernichtung allgemein verbreiteter
irriger Ansichten, und die allmählige Verbreitung einzelner Wahrheiten, vielleicht
mehr geeignet seyn dürfte philosophischen Sinn, ein übereinstimmendes Bearbeiten
einer Wissenschaft zu erzeugen, als die Ausbreitung eines Systems. Senden Sie
doch selbst den Vorträgen über Ihre Philosophie ein Kollegium voran, Ihre Ein-
leitung, das ungefähr ähnliches bezweckt.
Uebrigens gestehe ich allerdings ein, alles gethan zu haben, um Ihre Geduld
in Ungeduld zu verwandeln; möge ich dieß nur nicht in noch höherem Grade ver-
schulden, wenn ich endlich zur Sache komme. Meine Freunde haben oft von mir
eine zu gute Meinung gehegt; noch vor einigen Jahren wollte mich Dissen zu einem
Docenten bekehren, und doch ist es kaum möglich, sich so viel mit andern Dingen
zu beschäftigen, als meine Verhältnisse mit sich gebracht, ohne daß der wissen-
schaftliche Sinn darunter leide. Gelingt es mir dennoch, Ihnen nur einigermaßen
zu genügen, so will ich dann wahrlich nicht den Spröden spielen. ||
Seit einigen Wochen halte ich mich hier auf, um theils meine hiesige Oeko-
nomie und Forsten nach meiner Weise zu ordnen, da ich diese Güter erst vor
einem Jahre von meinen noch lebenden Eltern übernommen habe, theils das nur
eine Viertel Meile entlegene Salzbrunn, eine jetzt sehr besuchte mineralische Quelle
zu gebrauchen. Während Sie also die Ost-See umflutet, lasse ich mir das Salz in
einzelnen Bechern aus der Quelle schöpfen; welches Bild unseres wechselseitigen
Seyns! Im September kehre ich wahrscheinlich wieder nach Brecheishof zurück;
Briefe treffen mich auch jetzt unter meiner gewöhnlichen Adresse am sichersten.
Sie fragen nach meinen Verwandten, und meinen hiesigen Freunden? Wilhelm
Grote ist noch in Delmhorst, wiewohl er von einem Verwandten Güter aus Braun-
schweig ererbt; er ist in einer sehr glücklichen Lage und tüchtiger Geschäftsmann ;
wahrscheinlich erhält er im Kurzen die Präsidenten-Stelle in Eutin, die einst Stoll-
berg bekleidete. August ist einer der bedeutendsten hannövrischen Beamten, jetzt
v) S. 0. S. 133.
I
August 1826. 14g
Direktor der Kriegskanzlei und der Zölle; aber häufig mit außerordentlichen Auf-
trägen versehen ; er scheint sich besonders durch eine große Leichtigkeit im Arbeiten
auszuzeichnen. Karl ist Oberbergrath ; ein ganz trefflicher Mensch, dem nur eine
tüchtige philosophische Bildung fehlt; er schafft sich daher selbst eine Art von
Lebensphilosophie, ist sehr religiös und macht sich über alles Gewissensbisse, wie-
wohl er nie irgend ein Unrecht gethan. Leider leidet er an einem kranken Fuß,
wird vermuthlich || nie heirathen, und widmet daher sein bedeutendes Vermögen und
seine Kräfte allerhand Industrie -Schulen, Ausfindung neuer Hilfsquellen für seine
Hürzner-Bergleute und dergleichen. Petri ist fortdauernd Konsul in Korsika, ein
genialischer Mensch, der aber durch falsche Wege wohl von seinem wahren Lebens-
pfad verlockt worden.
Unterholzner besucht mich wahrscheinlich noch heute; ich fürchte aber er
wird Schlesien verlassen, und nach München gehen, wenn nicht etwa Savigny diesen
Platz annimmt, der wie man sagt dorthin gerufen seyn soll. Auch dieß würde
mir sehr leid thun, aber allerdings steht mir Unterholzner ungleich näher als
Savigny. Guttentag ist ein sehr ausgezeichneter Arzt, aber leider etwas zu sehr
mit Praxis überhäuft, so daß man seiner ohne Krankheit kaum habhaft werden kann.
Wegen eines sehr leidenden gemeinsamen Freundes, Professor Förster, war jedoch
Guttentag in den letzten Wochen mehrmahls in Salzbrunn, und auch hier. Auch
Wachler war gestern auf der Durchreise nach Marienbad bei mir. Sie sehen Adels-
bach liegt noch diesseits des Oceans, nur Sie werden von Ihrem Freunde durch eine
weite Wüste getrennt. Ueberschreiten Sie diese denn nie? Dennoch denke ich
manchmal daran, sobald die Zeit der Reife da seyn wird, Ihnen meinen ältesten
Knaben auf Ihre nordische Universität, oder vielmehr in die Herbartische Akademie
zu bringen, wenn ich ihn nicht etwa selbst in Ihre Philosophie einführe. Diese
Aeußerung mag Ihnen beweisen, wie ich Ihre Lehren fortwährend als die beste
Schule der Weisheit betrachte!
Der Ihrige Richthofen.
Unterholzner grüßt, was ich über ihn gesagt bleibt unter uns. Wie hat Ihnen
Harnisch1) gefallen? ich habe mich mit ihm nie schicken können, so sehr ich ihn als
Lehrer und Vorsteher eines Seminars achte. Er ist überaus wirksam und thätig,
aber seine Arroganz ist ansteckend; dennoch ist er im thätigen Leben besser als
seine Bücher, z. B. jene nichtswürdige Lebensbeschreibung eines Hofmeisters.2) Diese
Halbphilosophen und ihre vornehm klingenden Lehren ven Natur-Gemäßheit et cetera
sind mir in den Tod zuwider. Möchten doch solche Männer recht Pestalozzis letztes
Buch beherzigen. Es hat uns freilich schwerlich Neues gelehrt; schon vor 15 Jahren
habe ich alles mit Augen gesehen ; aber so sehr ich seinen Schmerz mitfühle, so ist
es doch gut, daß er selbst gesagt, wie jene untergeschobenen Philosopheme nicht die
seinigen waren. [Randbemerkung:]
Aber kennen Sie wohl den Breslauer Philosophen Thilo und seine Eintheilung
der Logik in Sommer- und Winterlogik? Die erstere ist natürlich kürzer, und wohl-
feiler, und wer kann daher seinen Zuhörern den Wunsch verargen, daß er auch im
Winter die Sommerlogik lesen möge? Doch genug für heute. Vale.
*) Chr. W. Harnisch, 1787 — 1864, damals Seminardirektor in Weißenfels.
2) Harnisch, das Leben des 50 jähr. Hauslehrers Felix Kaskorbi oder die Er-
ziehung in Staaten, Ständen u. Lebensverhältnissen. 2 Bde. Breslau 1817.
150
Dezember 1826.
305. Richthof en an H.1) Brecheishof, d. 17ten Dec. 26.
Indem ich, mein verehrter Freund, Ihnen dießmal die schuldigen Zinsen sende,
füge ich die Nachricht hinzu, daß ich endlich meinem Worte wegen Ihrer kleinen
Schrift de attent. mensura Genüge geleistet habe. Es hat freilich lange gewährt
und jetzt schäme ich mich dessen. Ich hätte endlich gern mehr geleistet, wäre
gern tiefer in Ihre Psychologie eingegangen, hielt es aber zuletzt für zweckwidrig,
und so bleibt dieß denn, wenn Sie es wünschen sollten, für eine andere Zeit.
Möchten Ihnen einige Bemerkungen, die ich hin und wieder gemacht nicht mis-
fallen, aber Sie wünschten ja selbst, daß ich nicht alles lobe. Ueber Ihren pag. 25
angegebenen Grund weshalb x nicht gleich z bin ich verschiedener Meinung; viel-
leicht belehren Sie mich gelegentlich darüber. Wären nur 2 Vorstellungen im Be-
wußtseyn so würde die erlittene Reaktion und der ausgeübte Druck im Yerhältniß
stehen; aber nach Ihren Lehren tritt bei mehreren Vorstellungen ja die Schwelle
ein, wo also kleine Vorstellungen ganz unterdrückt werden. Ich habe es dadurch
zu erklären versucht, daß die Hemmung Zeit erfordere; tritt also vor vollendeter
Hemmung ein neues Element hinzu, so entsteht eine allmählige Zunahme. Hoffent-
lich habe ich übrigens Ihre Ansicht nicht verfehlt, wenn ich die || ohne meta-
physischen Beweis hier aufgestellten Lehrsätze als möglichst begründete Hypothesen
betrachtete, die erst durch die Erscheinungen bestätigt werden müßten. Ich habe
deshalb gegen die Berechnung der Hemmungssumme eine Erinnerung gemacht;
manches als möglich und wahrscheinlich zugegeben, aber auf die Noth wendigkeit
einer allgemeinen Beobachtung und Prüfung verwiesen; die Anzeige wird etwas
über eine Nummer füllen.
Noch muß ich Ihnen, mein verehrter Freund, meine besondere Achtung vor
Ihren ausgezeichneten mathematischen Kenntnissen und Talenten bezeugen.
Sollte Ihnen endlich meine Anzeige misfallen, so bitte seyn Sie eingedenk, daß
nur Ihre günstige Meinung von mir die Veranlaßung war, und Sie sich vor einigen
Jahren ja selbst wunderten, daß meine Land -Junkerschaft noch nicht in mir die
Fähigkeit ausgerottet, Ihr Integral auf eine einfachere Form zu reduciren. Einzel-
heiten abgerechnet geht es mir und den Meinigen leidlich; meine Kinder wachsen
zu meiner Freude heran. Karl ist schon einen Kopf größer als ich und für seine
15 Jahr recht verständig und ernst. Noch weiß ich nicht was ich später mit ihm
beginnen werde; gern möchte ich seine Erziehung so viel mir möglich in Ihrem
Sinne vollenden, und das schließt das Leben auf der Schule aus. Ich fürchte aber
doch bisweilen daß ein plötzlicher Uebergang || auf die Universität ihm schaden
könnte. Vielleicht ziehe ich aber später selbst in eine größere Stadt.
Einen bittern Verlust habe ich jüngst durch den Tod meines lieben Freundes
Professor Förster erlitten; meine Frau verlohr gleichzeitig an Wachlers Tochter
ihre vertraute Freundin, die sehr viel in unserm Hause lebte. — Könnte ich doch
Sie einmahl wiedersehen! Ich verlaße ungern meine Familie auf längere Zeit, sonst
käme ich einmahl auf kurze Zeit nach Königsberg, und wer weiß was geschieht. —
Wird Ihre Metaphysik noch nicht gedruckt?
Leben Sie wohl, Lieber, und bleiben Sie mein Freund!
Richthofen.
x) 3 S. 4». H. Wien.
1827.
W. : Rez. von Salats Handbuch (S. Bd. XIII. S. 3 — 14), von Ficks Vergleichender
Darstellung der philosophischen Systeme (S. Bd. XIII. S. 16 — 27), von Jäsches Sitten-
lehre u. Jäsches Pantheismus (S. Bd. XIII. S. 27 — 40), Kiesewetters Darstellung der
wichtigsten Wahrheiten der kritischen Philosophie (S. Bd. XIII. S. 40 — 42), Rük-
kerts Philosophie (S. Bd. XIII. S. 43—53), Reinholds Leben (S. Bd. XIII. S. 53-63).
306. Griepenkerl an H.1) Braunschweig, d. 20sten April 1827.
Mein hochverehrter Lehrer und Freund! Ihr freundl. Brief vom Februar des vorigen
Jahres hat mich wahrhaft erfreut und mich das Glück fühlen lassen, zu den Ihrigen
zu gehören. Haben Sie den herzlichsten Dank dafür, und lassen Sie uns nun niemals
den begonnenen Verkehr wieder unterbrechen. Mich mit Ihnen verbunden zu
wissen, gehört zu der Zufriedenheit meines Lebens. Meine hiesige Wirksamkeit ist
zu ausgedehnt und leider zu zerstreut, als daß ich durch That oder Schrift viel
leisten könnte. Nur meiner unverwüstlichen leiblichen und geistigen Gesundheit,
welche letztere ich Ihnen ganz allein verdanke, wird eine solche Lebensart möglich.
Am Kollegium Karolinum bin ich ordentlicher Professor und habe von jetzt an vier-
zehn Stunden wöchentlich zu lesen über Logik, Psychologie, Geschichte der Philo-
sophie, Ästhetik, Geschichte der deutschen schönen Literatur, deutschen Styl und
über Mythologie und Kunst des Alterthums; am hiesigen Katharinen-Gymnasium bin
ich, was man im Preußischen einen Oberlehrer nennt, und habe wöchentlich zwei
und zwanzig Stunden zu geben, in V*a und IV ta deutsche Sprache, in III a und II d»
Arithmetik und Geometrie, in Ima Arithmetik und deutsche Sprache und in Ober Ima
Logik, Psychologie, Literaturgeschichte, deutsche Sprache und Arithmetik. Von
meiner von Ihnen gelernten und in Hofwyl acht Jahre hindurch geübten päda-
gogischen Wissenschaft und Kunst kann ich nur sehr wenig in Anwendung bringen,
weil keiner meiner Kollegen Sinn dafür hat. Allen meinen Schülern, den größten
wie den kleinsten, bin ich der liebste Lehrer, und sie lernen etwas bei mir. Dies
weis die Regierung und ganz Braunschweig; aber || dennoch spiele ich hier in dem
eigentlich Pädagogischen eine sehr untergeordnete Rolle. Vorige Weihnachten faßte
man endlich den Gedanken, das ganze Schulwesen der Stadt zu ordnen. Es wurde
eine Deputazion niedergesetzt, um den Plan zu entwerfen; niemand dachte dabei an
mich, ja, ich bin nicht einmal um Rath gefragt, obgleich der Stadtdirektor mein
vertrauter Freund ist. Erst jetzt, nachdem alles fertig und der Regierung ein-
gesandt ist, soll ich erfahren, was man beschlossen hat. Sie werden denken, das
liegt an meiner widerwärtigen Persönlichkeit etc., aber nein, sie gehen alle wissen-
schaftlich und gesellschaftlich sehr gern mit mir um. Der einzige Grund liegt in
!) 7lU S. 4<\ H. Wien.
I52 April 1827.
der Unfähigkeit, einen Znsammenhang mehrerer Gedanken festzuhalten, Überzeugungen
daraus zu bilden und nach diesen Überzeugungen zu handeln. Noch mehr: der
Stadtdirektor bat mich vor einigen Wochen auf das Angelegentlichste, doch in
meinem ausgebreiteten Gesellschaftskreise nicht nachtheilig von der neuen Schul-
einrichtung zu sprechen, weil mein Urtheil zu viel Autorität habe. Was heißt das
und wie reimt sich das? — Daraus ersehen Sie nun, was man sich in pädagogischer
Hinsicht von mir noch zu versprechen habe. Komme ich aber ganz ans Karolinumy
dann schreibe ich ein Buch über Schulpläne, worin die preußischen, bayrischen und
braun schweigischen nicht übergangen werden sollen. Gott gebe, daß es etwas
fruchtet! —
Von der Wirkung meiner Ästhetik habe ich mir zu viel versprochen; es liest
sie niemand. Oder wer sie noch liest, der versteht sie falsch, die unverbildeten
Frauen meiner Bekanntschaft ausgenommen. Müllner hat sie im Mitternachtsblatt
recensirt. Er hat gelobt und getadelt; aber durchaus alles mis verstanden, so daß
er mich zum Lachen reizte. Klarer und deutlicher aber kann ich nicht schreiben^
als das || Buch geschrieben ist. Müllner meint, die Prinzipien seien unrichtig, man
müsse die Ästhetik nicht aus der Schönheit, sondern aus der Freiheit (!) herleiten.
Von Ihnen ist in der Recension gar die Rede nicht, und ich werde ein philosophischer
Kopf genannt, der ein kunstsinniges Gemüth habe. — Ich warte nur auf eine
Recension, die mich darum tadelt, daß ich mich Ihnen angeschlossen habe, um
sodann mein Herz einmal ausschütten zu können; Müllners Geschreibsel kann ich
nicht beachten. Es ist ein wahres Unglück, daß ich damals zu einfältig war, Ihren
Wunsch und die Lage der Dinge zu begreifen, wie Sie mir nach Hofwyl schrieben.
Erst später, erst hier, wie Sie richtig vermuthen, habe ich alles eingesehen. Aber
gesetzt auch, ich hätte Sie damals verstanden, so war ich dennoch viel zu schwachr
um von Hofwyl aus Hilfe zu leisten; ich hatte damals meine ganze Kraft nöthig,
um Fellenberg und die übrigen Lehrer für die Ausführung Ihrer Pädagogik zu ge-
winnen, was doch nur bis auf einen gewissen Punkt gelang. Fellenbergs päda-
gogischen Verstand beurtheilen Sie am richtigsten, wenn ich Ihnen sage, daß er für
Zeller, der einen Sommer in Hofwyl zubrachte, ehe er nach Preußen ging, ganz
begeistert war. Nun ermessen Sie die Kluft zwischen Zeilers Pädagogik und der
Ihrigen! Mein Geschäft war eine Brücke hinüber zu bauen und den dünkelhaften,
schwärmerischen, prahlerischen, mistrauischen, thatkräftigen Fellenberg, der bei zwei
Schritten vorwärts immer einen wieder zurück that, darauf weiter zu führen. Alles
was Sie in jener Zeit von mir gelesen und gehört haben, muß von dieser Seite be-
urtheilt werden; denn an sich taugt es nichts. Sie hielten mich auch wohl nach
meinen etwas begeisterten Briefen für stärker als ich war. Was nach meinem Ab-
gange von Hofwyl in öffentlichen Blättern über das Lesen des Homer stand, galt
nur den hofwylischen Philologen, nicht mir; ich hatte nicht ungebührlich lange Zeit
darauf verwandt, besonders || beim dritten Versuche, der am besten gelang, weil
er eigentlich kein Versuch mehr war. Mein Leben in Hofwyl war ein beständiger
Kampf gegen Prahlerei, Schwärmerei, Denkträgheit, vorgefaßte Meinungen u. s. w., so
daß zuweilen die Sonne bei unseren Kämpfen unter und wieder aufging. Das wird man
endlich müde, wenn wenig oder nichts dabei herauskommt und wenn auch die äußere
Lage immer drückender wird. Wie Fellenberg in Geldangelegenheiten gegen mich
gehandelt hat, das beweist folgende buchstäblich wahre Thatsache. Ich war ihm
Geld schuldig geworden, weil ich mehrere Jahre mit Frau und Kindern nur 30 Karolin
Gehalt bezog. Bei meinem Abgange erhielt ich darüber eine Berechnung des Kapital»
und der Zinsen von den Zinsen der Zinsen. Diese letzteren betrugen gerade
300 Schweizer Franken und wurden mir wegen meiner Verdienste ums Institut zum
April 1827. IJ53
Geschenk gemacht. Doch behalten Sie dies für sich; ich mag mit Wellenberg im
Unguten nichts mehr zu thun haben. —
Ihre Psychologie macht in den wenigen Freistunden, die ich erübrige, mein
Hauptstudium aus. So lange man über philosophische Gegenstände schreibt, ist kein
Buch geschrieben, wie dieses, und ich danke Gott, daß er mich in der Zeit leben
läßt, wo eine solche Arbeit hervortrat. Weiter schreibe ich jetzt nichts darüber;
aber wenn wir uns jenseits wiedersehen , dann sollen Sie fortfahren, mich zu be-
lehren.
Haben sich Tölken, Dyssen und v. Langwerth nicht wieder bei Ihnen ge-
meldet? dem Tölken schickte ich meine Ästhetik, er hat mir aber kaum geantwortet.
Schacht muß wohl gestorben sein. *) Der letzte Brief von ihm an mich ist anderthalb
Jahre alt, und damals war er schon sehr krank.
Mit Sehnsucht sehe ich Ihrer ausführlicheren Metaphysik entgegen; aber es
ist entsetzlich, daß Sie stets mit eigenen großen Kosten solche Werke herausgeben
müssen. || Habe ich doch mit meinem elenden Buche die Bücherrechnung beim Ver-
leger bezahlen können. Jetzt eben kommt wieder ein ganz kurzes Lehrbuch der
Logik von mir heraus, worin ich Ihnen ganz gefolgt bin, und nur in der äußeren
Form die besonderen Bedürfnisse des Gebrauchs bei meinen Vorlesungen berück-
sichtigt habe. Von der pädagogischen Seite wird es beurtheilt werden müssen. Ich
würde es Ihnen schicken, wenn es sich der Mühe lohnte; aber Sie würden auch
nicht einen einzigen neuen Gedanken finden.
Eschenburgs Platz2) habe ich allerdings, und noch dazu Buhle's, Seckendorf's
und Wolfs Platz, versteht sich ohne das wenige Philologische und Juristische und
Theologische; aber den Gehalt dieser Männer beziehe ich nicht, und die Eegierung
erspart an mir beinahe 3000 ßthlr. Neulich wäre ich beinahe Direktor des herzog-
lichen Museums geworden, weil man dann noch 250 Kthlr. gespart hätte; aber es
gab einen pensionirten Officier, an dem man 800 Rthlr. ersparte, darum wurde er
es. Das sind heiße Sachen, und ich wage etwas, indem ichs niederschreibe. Ist es
Vorsehung, daß unsere jungen deutschen Fürsten fast sämmtlich die erbärmlichsten
Erzieher gehabt haben, die nur zu finden waren? Unser Herzog wenigstens haßt
und verfolgt den seinigen wie einen Verbrecher. Er mag es einigermaßen ver-
dienen, aber Gott sei uns gnädig, wenn das schönste Verhältniß sich in das ab-
scheulichste verwandelt! Sie haben einmal Vorlesungen über Mathematik gehalten.
Es würde mich höchlich interessieren, Ihre Diktate oder auch nur das Heft eines
fleißigen Schülers zu besitzen. Wollten Sie mir wohl dazu verhelfen? Auch sehne
ich mich schon seit langen Jahren, ein ähnliches Bild von Ihnen zu besitzen, wär's
auch nur eine Bleistift- oder Schwarzkreide - Zeichnung. Doch, verzeihen Sie, es
müste das ganze, erhabene Haupt darauf sichtbar sein, was sich nur erreichen
läßt, wenn die Ansicht halb en face ]| genommen wird. Sie wurden schon in
Göttingen gezwungen der Gesundheit wegen fremdes Haar zu tragen — dieses sähe
ich nicht gern auf dem Bilde, weil es die schönsten Theile des Hauptes verdeckt.
Die verschollenen Lehren des Dr. Gall sind mir lächerlich, und waren es, ehe ich
Ihre Psychologie las; aber die Erfahrung zeigt zu oft eine gewisse Harmonie
zwischen den äußeren Formen und den inneren, was auch der Grund davon sein
möge, — als daß man sie ganz vernachlässigen dürfte. Ein solches Bild von Ihnen
*) Der Geogr. und Schulmann Schacht, Griepenkerls Freund, geb. 1786, starb
erst 1870. S. Allg. d. Biogr. 30, 774 f. u. W. Kohmeder, Th. Schacht, Pädagogium
von Dittes 1877, 419 ff.
2) Am Karolinum zu Braunschweig, an dem Gr. erst ao., dann seit 1825 0.
Prof. war.
154 Juni l827'
würde mir der liebste Besitz sein, und ich bitte Sie um Ihre freundliche Einwilligung,
wenn etwa einmal ein geschickter Zeichner oder Maler zu Ihnen kommt, um es für
mich zu entwerfen.
Sollten Sie denn nicht die Zeit finden, mir schon jetzt die Hauptfehler meines
Buches zu nennen? Nur mit kurzen "Worten — ich werde schon verstehen; denn ich
komme Ihnen auf halbem Wege entgegen. Nun der zerstreuten Bemerkungen genug!
Mein junger Freund Röer hat es jetzt möglich gemacht, zu Ihnen nach Königs-
berg zu kommen und er wird bald nach diesem Briefe bei Ihnen eintreffen. Seine
Hauptabsicht ist, unter Ihnen Philosophie zu studiren und kein Lobeck oder Bessel
wird ihn davon abhalten. Ich glaube richtig zu urtheilen, wenn ich in ihm Ihnen
einen jungen Mann ankündige, der alles dazu besitzt, um einst mit Ehren den philo-
sophischen Lehrstuhl auf einer Universität zu besteigen. Sogar die äußeren Um-
stände sind ihm günstig; denn er wird einmal ein ihn unabhängig machendes Ver-
mögen besitzen, und so lange der Vater lebt, wird der mit Vergnügen das Nöthige
hergeben. Mit seinem geistigen Kapitale bin ich noch nicht so ganz zufrieden; es
fehlt || ihm z. B. an Interesse für Mathematik und ich habe es ihm nicht zu geben
vermocht. Dies Verdienst können Sie Sich um ihn erwerben. Philologie hat er
nicht ohne Erfolg getrieben, und er mag so viel davon wissen, als dem Philosophen
nöthig ist. Für Naturwissenschaften wünschte ich ihm ein lebhafteres Interesse.
Poesie und Musik sind ihm nicht fremd; er ist selbst Dichter und hat die Odysee
in Hexametern übersetzt. Dies Werk sollte jetzt hier gedruckt werden, weil es
Werth hat; aber Vieweg machte Schwierigkeiten, und das war unserem Röer schon
recht. Für Ihre philosophischen Vorlesungen ist er besser vorbereitet, als Sie viel-
leicht jemals einen Zuhörer gehabt haben. Eben darum aber bitte ich für ihn um
persönlichen Umgang mit Ihnen. Sie haben dabei nichts zu besorgen, er ist ein
sittlich guter und gesitteter junger Mann, ich habe ihn immer als einen solchen ge-
funden und kenne ihn seit 10 Jahren, von seinem Knabenalter an. Der persönliche
Verkehr mit Ihnen wird ihm deshalb von unschätzbarem Nutzen sein, weil er zu
oft im philosophischen Disput den Sieg davongetragen hat, ohne gerade in ge-
diegener Dialektik sehr geübt zu sein. Es wird ihm wohlthun, Ihre schwere Hand
zu fühlen. Mir gab er immer zu schnell nach, oft ohne völlig überzeugt zu sein.
Der Grund davon war nicht Schwäche, sondern vielleicht das Gefühl eines lang-
jährigen Schülers, der mit seinem Meister nicht scharf kämpfen kann. — Gott gebe
seinen Segen zu dieser neuen Verbindung und mache sie Ihnen so angenehm, als
sie mir gewesen ist und bleiben wird; denn ich liebe diesen Röer, wie meinen Sohn.
Noch eins : er ist nicht verzogen und verträgt Freimüthigkeit und begründeten Tadel,
wie wohlwollende Zurechtweisung, viel besser, als ich sie in seinen Jahren vertrug.
Jetzt würde auch mit mir die Sache anders sein. Die äußere Welt hat diese größere
Empfänglichkeit in mir nicht hervorgebracht, sondern innere Bildung || deren Haupt-
nerv wieder mit Ihnen zusammenhängt.
Und somit empfehle ich mich Ihnen auf das Freundschaftlichste und Herz-
lichste und bin mit wahrer Dankbarkeit unveränderlich der Ihrige
Griepenkerl.
21. Mai: Jahresbericht über das pädagogische Seminar. XIV. S. 254 — 262.
307. Richthofen an H.1) Brecheishof, 9. Juni 27.
Mein verehrter Freund! Vor einigen Tagen erzählte mir mein Buchhändler,
daß ihm von Wagner in Erlangen ein philosophisches Werk zum Druck offerirt
!) 3 S. 4°. H. Wien.
September 1827. 15 c
worden, daß er aber abgelehnt, weil er ein zu hohes Honorar verlangt habe. Dieß
gab zur Frage Anlaß, ob er vielleicht Ihre fertig liegende Metaphysik drucken wolle,
wenn er Ihnen als Verleger recht sey, was ich aber nicht bezweifeln könne, da Sie
mein Freund seyn, und die Handlung Joh. Max et Comp, sich durch Thätigkeit und
besonders gutes Papier und Druck auszeichnet. Er war dazu bereit, uad will wenn
das Werk nicht zu stark ist, es bis Mich, oder doch bis Ostern fertig liefern, aber
er läßt Sie durch mich bitten, offen zu erklären (im Fall Sie ihm nämlich den Verlag
übertragen wollen), was Sie für einen Absatz erwarten, vorzüglich ob darnach ge-
lesen || wird, und wie stark das Buch werden würde. Wollen Sie darauf eingehen,
so bitte ich Sie überzeugt zu seyn, daß ich für Ihr Interesse möglichst sorgen
werde, aber noch mehr liegt mir daran, daß das Buch bald erscheine; denn es ist
ja doch der Grundpfeiler Ihres Systems, mit dem auch Ihre Psychologie begründet
wird. Wie ist die Art der Bearbeitung? vergleichen Sie es doch mit einem andern
Ihrer Bücher. Nach Ihrem Briefe zu urtheilen, so verlangen Sie vielleicht gar kein
Honorar, wenn für anständigen Druck gesorgt wird, und dann ist die Sache schnell
abgemacht. Leider haben Philosophika schlechten Absatz, und alle Buchhändler
sind darum ängstlich, aber vielleicht ließe sich ein Arrangement treffen, daß im Fall
irgend eines gewißen Absatzes, ein bestimmtes Honorar eintrete.
Kommt Ihre Metaphysik bald in Druck, so zeige ich sie sogleich an; und ist
•das schon bis Michaelis möglich, so könnte man vielleicht die Anzeigen Ihrer beiden
Werke verbinden. Ich danke Ihnen für das viele freundliche was Sie mir schrieben;
aber bei manchen Lobes-Erhebungen, ist es ein gar drückendes Gefühl, sie nicht zu
verdienen. Meine Freundschaft für Sie ist aber wenigstens wahrhaft. || Sie fragen
nach Grotens! Wilhelm wartet seit lange auf die ihm wahrscheinlich nicht ent-
gehende Präsidenten-Stelle in Eutin; er ist Günstling des Herzogs, aber der Herzog
zieht möglichst lange die erledigten Gehalte ein, ehe er sie wieder vergiebt. August
ist eben Geheimer Rath und Excellenz geworden; Karl ist Oberbergrath ; alle 3 sind
in einer glücklichen Lage, nur kann sich der letzte nicht entschließen zu heirathen.
Mein ältester Sohn ist jetzt in Lignitz Primaner; er ist mir so nahe, daß ich
ihn wöchentlich sehe. Ich habe gute Hoffnungen mit ihm und allen meinen Kindern.
Leben Sie wohl und bleiben Sie mein Freund! Richthofen.
Da Johannis herannaht, so schicke ich die Zinsen mit. Wollen Sie nicht
einmahl meinetwegen an Eichstädt schreiben, d. h. gelegentlich. Wie ich ihm Ihre
Recension schickte, both ich ihm die Anzeige von noch ein paar Schriften an, ohne
Antwort zu erhalten. Dieß macht natürlich wenig Lust, da er mir überhaupt nie
selbst geschrieben; einen Brief erhielt ich von der Redaktion, als ich Ihr Buch an-
zeigen sollte, und da hieß es, Eichstädt habe mir geschrieben ; ich hatte aber nichts
erhalten.
308. An Professor Griepenkerl in Braunschweig.1)
Königsberg, 24. Septbr. 1827.
Auf Ihren sehr gefälligen Brief vom 4. d. kann jetzt, mein geehrtester
Freund, noch keine ganz bestimmte Antwort erfolgen. In gewissem Sinne
ist Ihnen Herr Richthofen schon zuvor gekommen, der mir vor einigen
x) Gedruckt nach Ziller, Reliquien S. 209. — Die Briefe Herbarts an Griepenkerl
wurden nach einer Mitteilung, die Prof. Lazarus, Griepenkerls Schüler, im Jaüre 1902
dem Herausgeber der Briefbände in Meran machte, zum größten Teil vernichtet.
Lazarus war von Griepenkerl beauftragt worden, den Nachlaß zu sichten und nur wirk-
lich Wertvolles aufzubewahren. Vgl. auch Lazarus Lebenserinnerungen. Berl. 1906.
S. 476 f.
tc6 September 1827.
Monaten einen ähnlichen Antrag machte, und von dem ich in diesen
Tagen wieder einen Brief erwarte, ohne dessen Berücksichtigung ich nicht
füglich einen Entschluß wegen meines Manuscripts fassen kann. Sehr
möglich ist es jedoch, daß jene Unterhandlung sich zerschlägt, und auf
diesen Fall muß ich mit Ihnen nähere Rücksprache nehmen.
Meine Handschrift — allgemeine Metaphysik nebst den Elementen
der philosoph. Naturlehre betitelt — zerfällt in zwei verschiedene Theile,
wovon der erste unter dem besondern Titel: Ueber Metaphysik als
historische Thatsache, kann verkauft werden. Jeder Theil wird etwa
30 Druckbogen stark werden. Daß ich einen sehr säubern Druck ver-
lange, wird ihnen hoffentlich meine Psychologie gezeigt haben. Ihr An-
trag, die letzte Correctur zu übernehmen, ist mir allerdings höchst be-
deutend, und kann mich leicht entscheiden, die von Ihnen dargebotene
Gelegenheit zu benutzen; um so mehr, da ich hier gegen hundert Meilen
vom Druckorte in jedem Falle entfernt lebe. — Es ist mir aber nicht
anständig, mich ohne Honorar einem Buchhändler in die Hände zu geben.
Er mag eine Summe nennen, die schicklich sei; alsdann bin ich bereit,
mich gleich nach Ablieferung des Manuscripts mit der Hälfte des Honorars
zu begnügen, und die andere Hälfte erst bei Herausgabe des zweiten
Theils, falls der Buchhändler diesen überhaupt verlangt, zu beziehen; so
daß nur die erste Hälfte eigentlich die zu übernehmende Schuld des Ver-
legers würde. Solche Vorschläge habe ich Herrn v. Richthofen auch mit-
getheilt. Ohne alles Honorar das Manuscript wegzugeben, ist nachtheiliger,
wie ich glaube, als den Druck auf eigene Kosten zu wagen. Jedenfalls
müßte sich der Contract nur auf die erste Auflage beziehen, und die Zahl
der Exemplare bestimmt werden.
Dabei fragt sich noch, ob sich Herr H., den Sie mir nennen, Ihnen
als einen ganz zuverlässigen Mann bekannt gemacht hat? Da er in der
Buchhändlerwelt noch neu ist, und da ich meine Handschrift (welche von
neuem anzufertigen mir bei meinem jetzt wankenden Gesundheitszustande
unmöglich sein würde) nur einem durchaus sichern Mann anvertrauen
kann, so wird meine Frage Sie nicht wundern.
Auf den Fall, daß mein Manuscript in Breslau gedruckt würde, kann
ich Ihnen meinerseits einen andern Vorschlag mittheilen. Der Doctor
Gregor, Privatdozent an unserer Universität und Prediger in der Stadt,
hat im Sinne, die Meditationen des Des-Cartes mit Anmerkungen heraus-
zugeben, worin auf meine Einleitung in der Philosophie häufig hingewiesen
wird. Die Veranlassung liegt darin, daß ich vor Jahren mit einem meiner
Zöglinge den größern Theil dieser Meditationen las, um ihn zum Uni-
versitätsstudium der Philosophie vorzubereiten, und mich überzeugte, man
könne kaum hoffen, etwas Zweckmäßigeres für Anfänger zu finden.
Gregor faßte meine Aeußerungen darüber auf und hat sogar versucht,
akademische Vorlesungen über jenes Buch zu halten; woraus denn seine
schriftlichen Anmerkungen entstanden sind. Er verlangt kein Honorar,
und die ganze Schrift, wovon die Anmerkungen etwa die Hälfte betragen,
während der Name des Des-Cartes das Buch verkäuflich machen wird —
schätze ich auf etwa 12 Druckbogen. Dabei ist nicht viel zu wagen. Mir
wäre es aus mehreren Gründen selbst persönlich lieb, wenn das Büchlein
September 1827. 157
erschiene. Sie finden ein Blättchen von Gregor's Hand hierbei. Die
Vorrede habe ich gelesen, und sie scheint mir sehr gut geschrieben.
Roer hat den Sommer über bei mir fleißig gehört. Mit den Zeichen
seines Verstehens kann ich wohl zufrieden sein. — — — Auf meinen
Rath lieset er den Plato, Spinoza und Kant.
Die kritischen Blätter, an denen ich gelegentlich arbeite, soll ich Ihnen
nennen? Nun wohl, es sind die Leipziger Lit.-Ztg. und die Jenaische.
Aber die Nummern? Theils weiß ich sie nicht mehr, und Sie werden
nicht frühere Jahrgänge nachschlagen wollen, theils steht in der Jenaischen
Lit.-Ztg. gewöhnlich sogar mein J. F. H. deutlich darunter. In der Leip-
ziger Zeitung habe ich vor ein paar Jahren die bedeutenderen Werke von
Fries nach einander recensirt, namentlich den Evagoras, die Metaphysik
und die Naturphilosophie. Aber Recensionen sind Eintagsfliegen; wer
wird sie haschen, wenn sie vorüber sind?
Haben Sie ja die Güte, mir so bald als möglich zu antworten.
Dann werde ich auch bestimmter schreiben können.
Ganz Ihr Herbart.
309. Brandis an H.1) Bonn, 26. Sept. 1827.
Wohlgeboren Hochzu verehrender Herr Professor! Erlauben Sie mir Ihnen eine
Ankündigung der Fortsetzung des Rheinischen Museums als ergebenste Einladung
zu gütiger Theilnahme an dieser Zeitschrift zu übersenden. Ausführlichere Unter-
suchungen im Gebiete der Geschichte der griechischen Philosophie darf zwar kaum
von Ihnen zu erhalten wünschen, wer, wie ich, lebhaft davon durchdrungen ist, daß
nach allen Richtungen hin durchgeführte Darstellung Ihres eignen tiefsinnigen Systems
für die jetzige, wie für die folgende Zeit von höchster Wichtigkeit ist, aber da Sie
immer von neuem auf die Griechischen Philosophen zurückgehen, so werden sich
Ihnen ohne Zweifel von Zeit zu Zeit Bemerkungen und Ansichten ergeben, deren
Mittheilung Ihnen leicht und denen, die sich ernstlich mit dem Alterthume be-
schäftigen, wichtig werden würden. Sie haben hin und wieder Trübung alter Lehren
durch neue Ansichten gerügt, und solche Rüge thut noch immer Noth: sie hat auch,
wie ich dankbar anerkenne, eine Jugendarbeit von mir getroffen und würde bey
Umarbeitung derselben sorgfältig benutzt werden. Solche Bemerkungen und An-
sichten aber mir für das Rheinische Museum zu erbitten, ermuthigt mich Niebuhrs
Name, dem den Ihrigen beyzugesellen Sie gewiß nicht verschmähen werden.
Ich wage diese Bitte um so lieber, da sie mir eine Gelegenheit verschafft, Ihnen die
Gesinnungen der innigsten Verehrung und aufrichtigsten Dankbarkeit auszusprechen,
die das Studium Ihrer Schriften in mir hervorgerufen hat und fortwährend nährt.
Ohne mir Ihr Lehrgebäude als Überzeugung ganz aneignen zu können, verdanke ich
ihm größentheils den Grund und Boden der Untersuchung und Anleitung zu
Lösungsversuchen der wichtigsten || und schwierigsten philosophischen Probleme, wie
ich sie in keinem andern, neueren System gefunden habe. Möge der Himmel Ihnen
Gesundheit und Heiterkeit schenken, das so herrlich begonnene Werk zu vollenden!
— Sollten meine philosophischen Untersuchungen die Reife gewinnen, die ich fordere
um sie öffentlicher Bekanntmachung werth zu achten, so würde Ihre Billigung
x) lVa S. kl. 40. H. Wien. — Chr. Aug. Brandis, 1790—1867, Philolog und
Philosoph, Verfasser des »Handbuchs der Geschichte der griech.-römischen Philo-
sophie«. Vgl. Bd. VIII, S. VIII f.
158 Oktober 1827.
wenigstens der Methode und Ihre Anerkennung, daß ich nicht erfolglos mich mit
Ihren Schriften beschäftigt, zu verdienen, ein Ziel meines Strebens seyn.
Genehmigen Sie. verehrtester Herr Professor, den Ausdruck dieser meiner Emp-
findungen, mit denen ich die Ehre habe mich zu nennen
Ew. Wohlgeboren ergebenster
Ch. A. Brandis.
Das Honorar für Beyträge zum Rh. M. hat der Verleger vorläufig auf 10 Rthlr.
festgesetzt, hoffte es aber steigern zu können in der Folge.
310. Richthofen an H.1) Brecheishof, d. 4ten Oct. 1827.
Mein verehrter Freund ! Entschuldigen Sie, wenn dießmal meine Antwort länger
ausblieb als gewöhnlich; Herr Max ist schuld daran. Ich glaubte nähmlich, daß es
besser sey, ihn über jene Sache zu sprechen, als ihm zu schreiben, da Sie ohnehin
keine Beschleunigung zu wünschen schienen. Das erste Mahl, daß ich in Breslau
war, war aber derselbe verreist; und als ich später wieder hinkam, wünschte er
erst den 2ten Bd. Ihrer Psychologie einzusehen, auf den Sie sich beriefen, und den
ich ihm deshalb zusandte. Erst gestern erhielt ich endlich die beiliegende Antwort,
die leider meinen Hoffnungen nicht entspricht. Im Sommer hatte er Lust, aber
wohl möglich, daß er jemand, um Rath gefragt hat, dem Ihre Philosophie nicht die
rechte scheint, oder daß er sich in eine andere Unternehmung eingelassen hat, was
er freilich mir auch vor einigen "Wochen sagen konnte; vielleicht wollte er aber
noch Zeit gewinnen.
Auf jeden Fall sollen Sie Ihre Metaphysik baldigst drucken lassen; sie ist die
Basis aller Philosophien, und ich bin auf die jetzige Gestalt || derselben überaus be-
gierig. Keines Ihrer Werke, keine Ihrer Vorlesungen hat mir so zugesagt; durch
sie habe ich vorzüglich Denken gelernt.
Allerdings erregt noch jetzt einiges meine Skepsis, wie damahls in Göttingen
z. B. die Selbst-Erhaltung. Ich sehe zwar den nothw endigen Uebergang, aber mir
fehlt das philosophische Vertrauen, die Kluft zu überspringen. — Allein ich höre
Sie wiederhohlen, daß das meine Schuld sey, weil ich nicht genug philosophiere-
das mag seyn ; es mag durch die tägliche Beschäftigung der Glaube steigen, daß das
erwünschte Ziel nothwendig erreicht werden müsse, aber kann uns dies Gefühl nicht
irre leiten? Zum Glück sind dieser Punkte nur wenige; fast nur jenen einen, und
ich ehre Sie und Ihr Werk darum nicht minder.
Von Eichstädt habe ich noch immer nichts erhalten; es geht daher heute auch
ein Brief an ihn ab; will er meine Arbeiten nicht, so mag er es Ihnen selbst sagen;
außerdem weiß ich nur noch einen Ausweg, daß er jemand als Mittelsperson der
Uebersendung benutzt, der die Briefe regelmäßig liegen läßt. Noch habe ich keine
Antwort |j von ihm auf meine Beurtheilung de attent. mens., und doch both ich ihm
damahls zugleich 2 andere an.
Was den dritten Punkt anbetrifft, so sind Ihre Mittheilungen noch so unbestimmt,
daß ich für jetzt nur folgendes darauf antworten kann. Es liegt mir daran, daß
Sie, mein alter Freund, in keine Verlegenheit kommen, allein wiewohl ich Ihnen
früher kleine Summen außer der Zeit gezahlt, so kann ich doch nicht versprechen,
das bei einer größern immer zu können. In Schlesien sind fast nur 2 Zahlungs-
termine Johannis und Weihnachten üblich, und da allgemein halbjährige Kündigung
eingeführt ist, so werden alle Zahlungen ein halb Jahr im Voraus arrangiert, wie
dieß auch in Ihrem Schuldschein bemerkt ist. Auf Weihnachten habe ich mehrere
') 3 S. 4°. H. AVien.
Oktober 1827. 159
Zahlungen zu leisten und zu erhalten, und kann jetzt nicht noch mehreren ver-
sprechen. Sind wir Schlesier endlich auch nicht ganz so übel daran, als die Preuß.
Gutsbesitzer, so drücken die Zeit-Verhältniße doch auch uns, selbst denjenigen, der
eines guten Kredites genießt, was ich wohl von mir sagen kann. Aber es ist mir
schon wiederholt begegnet, daß mir, meiner Ordnung in den Zinsen wegen, Leute
Geld offerirten, mich baten es zu nehmen, und dann nicht Wort halten konnten,
weil Ihnen nicht Wort gehalten wurde. Deshalb wäre mir lieb, wenn sich, wie
Sie ja meinen, die Sache sonst arrangirte. Bedürfen Sie aber einen Theil Ihres
Kapitals, so werde ich es natürlich zahlen, bitte Sie aber es mich dann zu gehöriger
Zeit im Voraus wissen, zu lassen. —
Und somit Gott befohlen; Leben Sie wohl; und bleiben Sie mein Freund.
Kichthofen.
311. Griepenkerl an H.1) Braunschweig, d. I9ten 8br 1827.
Recht sehr bedaure ich, mein hochgeehrtester Freund, nicht der erste gewesen
zu sein, der Ihnen eine vortheilhaftere Gelegenheit zur Herausgabe Ihrer Metaphysik
darbieten konnte. Doch soll es mir einerlei sein, wenn sie nur und unter nicht zu
ungünstigen Bedingungen für Sie erscheint. Der junge Buchhändler Horneyer ist
ein durchaus zuverlässiger Mann, dem Sie ohne die mindeste Gefahr Ihr Manuscript
vertrauen können. Er hat alles auf das sorgfältigste berechnet und gefunden, daß
er Ihnen für die erste Auflage beider Theile nicht mehr als 40 L[ouisd'or] Honorar
anbieten kann. Sollten sich die Umstände dem Werke günstiger zeigen, als in
diesem Augenblicke zu vermuthen ist, so will er gern nachzahlen. Übrigens geht
er daneben alle Ihre Bedingungen ein. Er will Druck und Papier liefern, wie Ihre
Psychologie, die Hälfte des Honorars gleich nach Ablieferung des Manuscripts und
die andere Hälfte bei Herausgabe des zweiten Theils zahlen, denn er verlangt beide
Theile. Der Kontrakt soll sich nur auf die erste Auflage beziehen, die nur
750 Exemplare stark sein soll. Mein Versprechen, die letzte Korrektur zu über-
nehmen, wiederhole ich hiermit, und ich will sie mit der möglichsten Sorgfalt machen.
Doch soll Ihnen zu größerer Sicherheit ein Exemplar zugesandt werden, um die
etwa stehen gebliebenen Druckfehler besonders anzugeben. Der Druck würde
spätestens Ostern 1828 beginnen und zur Michaelis-Messe könnte zum wenigsten der
erste Theil versandt werden, wenn nicht beide. Zu größerer Sicherheit wünscht der
Verleger, daß Sie einen rohen, unplanirten Bogen des Papiers von Ihrer Psychologie
durch Buchhändlergelegenheit über Leipzig an mich senden möchten, wonach er
sich beim Ankauf des Papiers zur Metaphysik richten könne. Er bittet Sie endlich,
den Kontrakt aufzusetzen und ihn zur Unterschrift hieher zu senden; freilich in dem
Falle, daß Ihr Ms. nicht nach Breslau geht. ||
Alle Sendungen von Ihnen müssen deswegen noch unter meiner Adresse ge-
macht werden, weil Horneyer hier erst mit der Anlage seines Handelshauses be-
schäftigt ist und auf der hiesigen Post noch nicht gern für einen Verleger und
Buchhändler gelten möchte, der Sendungen von Manuscripten u. s. w. erhält.
Die Meditationen des Des-Cartes mit Anmerkungen von H. Dr. Gregor bittet
sich Horneyer ebenfalls zum Verlag aus. Sobald sie erschienen sind, werde ich hier
auf dem Kollegium darüber lesen, wodurch der Absatz der kleinen Schrift ohne
Zweifel befördert und bald eine zweite Auflage möglich gemacht wird, die dem
H. Verfasser der Anmerkungen ein Honorar zu Wege bringen soll. — Sie sagen
mir, daß Sie die Vorrede gelesen und sie gut gefunden hätten. Wie sind denn die
2) 3 S. 4°. H. Wien.
IÖo Oktober 1827.
Anmerkimgen? Auch über diese hörte ich gern Ihr Urtheil, ehe ich mich bestimmt
erklärte, darüber zu lesen. Horneyer nimmt das Werkchen hauptsächlich deswegen
in Verlag, weil ich ihm sagte, ich würde hier Vorlesungen darüber halten. Herr
Dr. Gregor, den ich übrigens unbekannter Weise Ihrer Empfehlung wegen sehr
hoch achte, braucht diese meine Sorglichkeit nicht zu erfahren.
Zur Antwort auf Ihre Einwürfe gegen die wissenschaftliche Grundlage meiner
Ästhetik bemerke ich jetzt nur folgendes. Die besondere Art des Verhältnisses
macht die ästhetische Wirkung, nicht der Stoff, woraus die Glieder eines solchen
Verhältnisses bestehen, dieser letztere ist also dem gefallenden Verhältnisse gleich-
giltig, und es ist ganz einerlei, von welcher Art er für sich ist, ob Willen, Töne,
Formen, Farben u. s. w. Man darf also die Abstrakzion so weit fortsetzen, als man
das Verhältniß nicht zerstört. Hat die Idee der Vollkommenheit eine weitere Sphäre,
als ihr die praktische Philosophie anweist, warum die übrigen Ideen nicht auch?
Sie kann ja die weitere Sphäre doch nur durch Abstrakzion von der Eigen thümlich-
keit || der Glieder des Verhältnisses, hier von den Willen, erhalten. Schönheit und
Einklang (oder Harmonie) sind ebenso wesentlich von einander verschieden, als
innere Freiheit und Wohlwollen. Überhaupt stimmen die moralischen Ideen mit
den ästhetischen überein, wie sie hier untereinander geschrieben sind:
Tnnnere Freiheit
Schönheit
Vollkommenheit Wohlwollen
Vollkommenheit Einklang
Recht Billigkeit
Dissonanz
Es ist auch ein großer Unterschied zwischen dem simultanen und successiven
Schönen in meiner Ästhetik; nur liefert die psychologische Untersuchung dasselbe
Resultat in ganz anderer Form, wie die ästhetische Erfahrung, wenn ich so sagen
darf. — Daß endlich die besondere Art des Stoffes der Glieder der Verhältnisse
noch zu besonderen Nebenauffassungen Veranlassung giebt, die bei der ästhetischen
Ausführung dieser eigenen Stoffe zu besonderen Determinazionen veranlassen, ist
nicht zu läugnen, wie ich es auch im Buche durchgeführt habe.
Dies sind die Gedanken, die mich bei der wissenschaftlichen Begründung der
Ästhetik geleitet haben, und um deren Widerlegung ich Sie dringend bitte. So
viel ich mich besinne, habe ich Ihnen auch bei der Übersendung des Buchs ge-
schrieben, daß ich mich nach einer zweiten Bearbeitung sehne; denn ich ahnete
damals schon, daß Manches ganz anders dargestellt und begründet werden müsse.
Ihre Einwendungen mußte ich natürlich vorher wissen, weil ich Ihre Überzeugungen
kannte; aber ich mußte es darauf wagen, oder jetzt keine Ästhetik schreiben. Eine
Wissenschaft, die zum ersten Male in höherem Geiste bearbeitet wird, darf auch
wohl das Schicksal menschlicher Werke theilen.
Unverändert der Ihrige Giiepenkerl.
[Am Rande.] Tölken ist diese Michaelis bei mir gewesen und ich bin sonderbar
von ihm berührt worden. Es kommt mir nämlich vor, als habe er seit der Universität
keine Fortschritte, sondern nur Rückschritte gemacht. Übrigens ist er noch der-
selbe, nur daß seine Frau die Hosen an hat und er den Rock. — In Göttingen ist
Röer zurückgekommen, darum sandte ich ihn nach Königsberg, bitte nehmen Sie
Sich seiner an.
November — December 1827. l6l
312. All Drobisch.1) Königsberg, 22 Nov. 1827.
Verehrtester! Ohne Ihr Incognito zu verletzen, welches Sie vielleicht
selbst aufzuheben die Güte haben werden, bringe ich Ihnen meinen
großen und aufrichtigen Dank für Ihren trefflichen Bericht2) über meinen
mathematisch psychologischen Versuch; und dies wäre längst geschehen,
wenn nicht zufällige Umstände mir das Vergnügen, das Stück der Leipz.
Zeit, vom 4. Jun. zu lesen, bis jetzt versagt hätten.
Nachdem Sie von Ihrer kostbaren Muße einmal so viel aufgewendet
haben, als nöthig war, um sich in die Anfänge jener Rechnungen hinein-
zudenken, ist es für Sie eine Kleinigkeit, die von mir gelieferten Grund-
linien der [Statik] u. Mech. des Geistes vollends mit Ihrem Urtheile zu
begleiten; [sofern] Ihr Interesse für den Gegenstand dazu hinreicht.3)
Wenn Sie meine Psychologie nicht schon haben, so erlauben Sie der
Expedition der Leipz. L. Zeitung, Ihnen das Buch in meinem Namen zu
überreichen.
Der Herr Wahnig, welcher nach Ihnen in der Zeitung aufgetreten
ist, wird Ihnen sehr anschaulich gezeigt haben, wie wenig Hoffnung ich
habe, irgend ein vernünftiges Wort über meine Arbeiten zu lesen.4) Urtheilen
Sie nun, wie sehr ich Ihnen für kritische Bemerkungen verbunden seyn
würde, falls Sie die Güte hätten, mir solche auf irgend einem Ihnen be-
liebigen Wege zukommen zu lassen. Sie dürfen mir soviel Wahrheitsliebe
zutrauen, als zur dankbaren Annahme wahrer Kritik nöthig ist.
Mit großer Hochachtung Herbart.
Adresse: An den Herrn Recensenten der Abhandlung de attentionis
mensura in der Leipziger Literaturzeitung.
313. Drobisch an H.5) Leipzig d. 23. December 1827.
Hochverehrter Herr Professor! Sie würden mir ohnstreitig Ziererei zum Vor-
wurfe machen können, wenn ich nach so freundlicher Veranlassung wie die Ihrer
1) Die Briefe Herbarts an den Leipziger Mathematiker und Philosophen Moritz
Wilhelm Drobisch (1802 — 1896) befinden sich in der Leipziger Universitäts-Bibliothek.
Sie wurden von dem Herausgeber dieser Bände zuerst veröffentlicht in den Jahrbüchern
des Vereins für wissenschaftliche Pädagogik, Dresden 1902, 1903 u. 1905 (Bd. 34 ff.
Vgl. auch die Erläuterungen zu diesen Jahrbüchern). Da es dem Herausgeber mög-
lich ist, in den vorliegenden Bänden auch die Briefe Drobischs mitzuteilen, so wird das
Verhältnis der beiden Gelehrten zueinander jetzt erst aufgehellt werden können. Man
vgl. die Biographie Drobischs von einem Enkel des Gelehrten, W. Neubert-Drobisch
(Leipzig 1902). Sie bringt zu dem hier veröffentlichten Briefwechsel eine Anzahl
interessanter Aufzeichnungen Drobischs über Herbart.
2) Diese wichtige Rezension der Abhandlung Herbarts De attentionis mensura
causisque primariis v. J. 1822 in der L. L. Ztg. No- 142 (4. Juni 1827) fehlt sowohl
in der von Allihn zusammengestellten Litteratur der Herbartschen Schule (Zeitschr. f.
exakte Phil., 1. Bd., S. 83), wie auch in Ueberwegs Grundriss und in Reins Hand-
buch III, 490.
3) Aehnlich äußert sich Herbart öffentlich in der L. L. Ztg. 1827, No. 335, ab-
gedruckt bei Hartenstein, Herbarts S. W. XIII, S. 48 f.
4) In den folgenden Nummern der L. L. Ztg. (1827, No. 143 — 146) befindet sich
eine anonyme Rezension von Herbarts Psychologie als Wissenschaft. Darin heißt es:
Das Werk beruht »seinen wesentlichen Inhalt und seine eigentümliche Tendenz an-
langend, auf einem Irrtum.«
5) 1 S. 4°. H. Wien.
Herbarts Werke. XVII. II
162 December 1827.
werthen Zuschrift vom 22. Novbr. (die ich aber erst vor ein paar Tagen erhielt)
Anstand Dähme, mich zu der Recension Ihrer so vorzüglichen Abhandlung de attent.
mens, zu bekennen. Nur bedauere ich, mir wenig mehr als das Zeugniß geben zu
können, daß ich bemüht war, in den Geist Ihrer Schrift, sowie Ihrer Psychologie
überhaupt, deren Grundidee mich gleich vom Anfange seit ich sie kennen lernte
sehr anzog, und eine von mir längst gewünschte Verbindung von Mathematik und
Philosophie verwirklichte, einzudringen. Ich kann mir daher eigentlich nicht
denken, daß meine etwanigen Bemerkungen über Ihre gesammte Psychologie Ihnen
von einigem Nutzen seyn könnten. Jahrelang mit Mathematik] u.Philos. gleich vertraut,,
haben Sie ein Gebäude aufgeführt, das schon jetzt Bewunderung verdient, an dem
aber nicht gleich jeder Vorübergehende kritteln sollte, wenn er nicht eine Zeitlang
darin gewohnt hat. Sie werden gegenwärtig nicht leicht einen competenten Richter
finden, denn die Mathematiker rechnen es sich jetzt, wie Ihnen bekannt, zur Ehre,
in Philosophie unwissend zu seyn, und unter den Philosophen wüßte ich keinen
Namhaften, der viel mehr als bloße Begriffe von Mathematik besäße, außer etwa
Fries, der aber wol zu sehr in seiner Philosophie befangen ist, als daß er hier Ge-
rechtigkeit wiederfahren lassen sollte. Was nun Ihre schmeichelhafte Aufforderung
an mich betrifft, so gestehe ich frei, daß ich nur ein Liebhaber der Philosophie binT
welcher aber doch schon einige Jahre diese Studien fast gänzlich bei Seite gelegt
hat, aber mit vielem Interesse Theil nimmt, wenn eine Erscheinung sich zeigt, die
Epoche zu machen verspricht. Meine bisherigen, schriftstellerischen Bestrebungen
waren nur mathematisch oder astronomisch, ein einziges in diesem Jahre ge-
schriebenes Programm de calculo logico *) ausgenommen, das Sie leicht für Spielerei
zu erklären geneigt seyn dürften. Die Hauptzüge Ihrer Philosophie sind mir be-
kannt und ich weiß es Ihnen großen Dank, mich von vielen Vorurtheilen der
Kant'schen Schule befreit zu haben; allein für einen Kenner der Philosophie alter
und neuer Zeit kann ich mich nicht ausgeben. Scheint es Ihnen daher nach, dieser
offenen Erklärung noch wünschenswerth, daß ich mich dem Studium Ihrer größeren
Psychologie unterziehe (interessant und belehrend wird es mir in jedem Falle seyn)
so werde ich es nur als Mathematiker thun können. Es könnte seyn, daß mir die
Lesung dieses Werkes (das ich allerdings seit einiger Zeit besitze, daher ich für
Ihr geneigtes Anerbieten verbindlichst danke) Veranlassung zu einer eigenen, kleinen
Schrift, einer Analyse desselben gäbe, wodurch ich dann vielleicht wenigstens die
Verbreitung der neuen Lehre unter den Mathemalikern fördern könnte. Sollte ich
aber bei näherer Betrachtung mich der Sache nicht gewachsen fühlen, so werde ich
mich Ihnen privatim mittheilen. Sobald als eine bereits übernommene literarische
Arbeit beseitigt seyn wird, gedenke ich, da mich jetzt eben keine weit aussehenden
Untersuchungen beschäftigen, einen Versuch zu machen, Ihrem Verlangen zu ent-
sprechen. Wie dieser auch ausfallen möge, so soll er doch hoffentlich von einem
Fehler mehrerer Ihrer Recensenten frei seyn, von dem nämlich, die Vorurtheile
einer Schule oder einer Individualität zum Maßstab bei der Werthbestimmung des zu.
beurtheilenden Werkes stempeln zu wollen.
Mit größter und aufrichtigster Hochachtung Ihr ergebenster
M. W. Drobisch
Professor der Mathem.
l) Vgl. Neubert-Drobisch a. a. 0. S. 24.
1828.
W.: Allgemeine Metaphysik nebst den Anfängen der philosophischen Naturlehre. Erster
Teil. S. Bd. VII. S. i — 346. — Rez. von Fichtes Vorschule der Theologie
(S. Bd. XIII. S. 64 — 67), Schlegels Ersten Vorlesungen u. Schlegels Philosophie des
Lebens (S. Bd. XIII. S. 67 — y/\ Krugs Handwörterbuch der philosophischen Wissen-
schaft (S. Bd. XHI. S. 77—83.)
314. J. G. Ungewitter an H.1)
Theuerster Herr Professor! Schon über 18 Jahre sind es, als ich auf meiner
Rückreise von Rußland nach Deutschland bei Ihnen vorsprach. So oft ich auch seit
der Zeit an Sie gedacht habe, so war ich doch wie durch eine Kluft von Ihnen
getrennt, bis seit einigen Tagen durch das Lesen Ihres neuesten Werkes eine neue
innige Gemeinschaft mit Ihnen eingetreten ist, die es mir zum Bedürfniß macht,
mich schriftlich an Sie zu wenden. Ich habe Ihren Namen immer mit Interesse im
Büchercatalog gelesen, Ihre frühere Psychologie und die Einleitung in die Philo-
sophie mir bekannt gemacht, darauf die größere Psychologie ruhen lassen, und zu-
letzt mit besonderem Verlangen den lten Theil Ihrer Metaphysik aufgesucht —
und mit einem ganz neuen Gefühl fast ohne Aufhören durchgelesen. Hier war mir
zum erstenmale zu Muthe, als ob ich Sie persönlich vor mir sähe und Ihre lebendigen
Worte vernähme. Dieses völlig losgebundene und doch so ruhige, innige und klare
Vortragen einer Sache mit dem sicheren Spiel des Meisters : es war mir, wie wenn
Ihr Vortrag ein breiter Strom wäre, der allen Widerstand überwunden hat und ruhig
dahinfließt. Immer ins Herz der Sache hinein, mit scheinbarer Unordnung, und
doch so wie es gerade am leichtesten sich darstellt. — Ich habe Sie früher oft be-
dauert mit Ihrem Alleinstehen || und Reden in die Wüste; und es ging mir nahe,
als ich in einer Recension über Ihre Psychologie die Worte von Ihnen beiläufig
angezogen fand, daß Sie das fortdauernde Verkennen Ihrer Lehre nicht hätten er-
tragen können, wenn Sie nicht durch die Mathematik und deren Bestätigung der-
selben gestärkt worden wären, wenn gleich diese Erklärung viel tröstliches enthielt.
Es kam mir mit Ihnen immer vor wie mit Kant, dessen Schriften anfangs auch
keine Beachtung fanden, bis das Zeitalter ihm nachgekommen war, oder mehr noch
*) 4 S. 4°. H. Wien. — Der unvollendete Brief trägt kein Datum und keine
Unterschrift. Durch Schriftenvergleichung wurde J. G. Ungewitter als Schreiber
ermittelt. Von ihm liegt noch ein Brief an Herbart (aus Scheessel d. 25. Febr. 1841
geschrieben) in Wien, der nicht mit abgedruckt wird. Wie mir Herr Richter
Dr. Smidt in Bremen mitteilt, ist J. G. Ungewitter 1785 geb. als Sohn von J. Heinr.
Chr. Ungewitter, der damals Rektor der Domschule in Bremen, später Pastor zu
Scheessel war. Er studierte in Göttingen Theologie und Philologie, hörte wohl, wie
aus den Briefen hervorgeht, auch bei Herbart. 1807 — 1810 war er Hauslehrer in
Livland, später wurde er Geistlicher in Scheessel. Die Datierung des Briefes dürfte
nach diesen Angaben richtig sein.
11*
164 i828-
wie mit dem großen Kepler (mit dem Sie so herrlich Ihr Buch geschlossen haben).1)
Doch wie wurde ich nun überrascht, als ich dieses letzte Werk las!
Sehr interessant war mir insbesondere das, was Sie darin von Leibnitz anführen.
Schon vor längerer Zeit fiel mir zufällig eine sehr gute Darstellung der Leibnitzischen
Monadenlehre in die Hände, und mit dem größten Interesse las ich diese mir bis
dahin so gut als unbekannt gebliebene Lehre. Ich erstaunte über die große Ver-
wandtschaft mit Ihrem System, wenn gleich das Starre der prästabilirten Harmonie
mir fremd war.
Ich fand in Ihnen einen Neubeieber dieser Monadenlehre, durch den sie zu
einer neuen Verklärung kommen würde. — Wie angenehm war es mir nun in Ihrem
Buche die Bestätigung dieser Vermuthung, und zugleich Aufhellung über manches,
was mir dabey dunkel geblieben war, zu finden. Ich bedauerte es, daß Sie uns
nicht schon in Göttingen auf diesen Mann aufmerksam gemacht hatten, der weit
besser als Leucipp auf Ihre || Lehre vorbereitet. —
Noch muß ich bemerken, daß Ihr Werk mir noch großes Licht über die Lehre
von den Beziehungen gegeben hat, und daß diese Lehre dadurch für mich eine eigene
Lebendigkeit und freie Anwendbarkeit bekommen hat, die ich ihr vorher nicht ab-
gewinnen konnte. Ich hätte Sie noch ausführlicher darüber reden hören mögen. Schade,
daß Sie nicht geneigt sind, über Ihre practische Philosophie sich noch ausführlicher
vernehmen zu lassen. Mir däucht, wenn auch sie in so lebendigem historischen
Zusammenhange dargestellt würde, wie es jetzt mit Ihrer Metaphysik geschehen ist,
es müßte ihre Zugänglichkeit um vieles vermehrt werden. Denn dem, was Sie in
diesem neuesten Buche darüber gesagt haben, merkt man zu sehr an, daß es nur
als Nebensache behandelt wird. Man wird nicht davon überwältigt, wie von dem
metaphysischen Theil. Doch vielleicht wird eine nachkommende, ausführliche
Aesthetik das noch Mangelnde ersetzen. — Auf jeden Fall haben diejenigen, die Sie
selbst gesehen und Ihre mündlichen Worte vernommen haben, ein Großes vor allen
bloßen Lesern voraus, die, wenn sie nicht selbst schon ein Vorgefühl Ihrer Lehren
haben, aus der jetzigen Zeit heraus nur mit Mühe sich in Ihr System hineinarbeiten
werden. Dieses Ineinandergewebte erfordert zu viel Eifer und zu viel Sinnigkeit
zu gleicher Zeit, als daß ein träger oder flüchtiger Geist damit fertig werden könnte.
Aber wird denn aus dem Winterschlafe, der auf das Aufbrausen gefolgt ist, nicht
der sinnige deutsche Geist wieder erwachen und mit heiterem Ernst || sich zurecht
finden lernen? Ich erinnere mich noch mit einem besonderen Wohlgefühl des
schönen Sommers in Göttingen, als Sie Ihre Einleitung in die Philosophie zuerst
vortrugen. Da empfand ich zum erstenmal (denn die durch Hüllmanns Wohlmeinen
mir vorausgenommene Pädagogik kostete mir zu viel Anstrengung, wiewohl sie mich
mit Ahnungen füllte und den Boden auflockerte) das süße Gefühl des sinnigen,
heiteren und ernsten Forschens. — Noch jetzt erkenne ich es dankbar an, daß ich
in Ihre Schule gekommen bin, und wie viele Menschen auch auf mich eingewirkt
haben, so ist doch keiner, von dem ich eigentlich sagen kann, er habe mich aus-
gebildet, wie ich es von Ihnen sagen muß. Außerdem kann ich nur sagen, ich
habe mich selbst ausgebildet mit Hülfe anderer Menschen und der Umstände.
Doch Sie werden allmählich fragen, wie es denn jetzt mit mir stehe, und in
welchem Felde meine Thätigkeit sich versuche. Beinahe möchte ich scherzhaft ant-
worten, daß die Methode der Beziehungen ihre große Gewalt, die sie über jeden
Unbefangenen früher oder später ausüben muß, auch an mir bewiesen habe, anfangs
unscheinbar, aber in immer verstärkterem Grade, und daß es jetzt mir eine Freude
J) S. Bd. VII. S. 346.
Februar T828. 165
ist, die Sammlung des Geistes fast vor meinen Augen sich immer mehr bilden zu
sehen, und damit den zunehmenden Genuß einer klaren Innigkeit zu haben.
Ich bin kein Philosoph, dazu ist die Tendenz zu practisch bey mir; aber ||
315. An Drobisch.1) Königsberg, 6 Febr 1828.
Wohlgeborner, hochgeehrter Herr Professor! Vor wenigen Stunden
empfing ich das Schreiben, durch welches Sie so gütig sind, mir Ihre Be-
kanntschaft zu gönnen. Diesmal verliere ich Nichts, indem ich einen
Irrthum aufgebe. Es war Brandes,2) dem ich Ihre Rec. zuschrieb; ich
wußte in der That nicht, daß ein Mathematiker, ihm ähnlich am Gefälligen
und Treffenden des Ausdrucks, sowie der Geschmeidigkeit der Gedanken,
ihm so nahe stehe. Wenn jemals ein Autor sich erlauben darf, seinen
Beurtheiler wieder zu beurtheilen, so muß es mir erlaubt seyn, zu sagen,
daß, nachdem ich seit fünf und zwanzig Jahren eine Masse von Recen-
senten- Unsinn verachten gelernt habe, die einen mäßigen Band füllen
könnte, ich die Genauigkeit und Sicherheit zu schätzen weiß, womit Sie
mehr als Eine schlüpfrige Stelle betreten haben, an welcher die Philo-
sophen, wie sie heute zu seyn pflegen, in die lächerlichsten Misverständnisse
würden verfallen seyn.
Die Hoffnung, welche Sie geben, daß meine Psychologie Sie noch
länger werde beschäftigen] können, ist mir daher eine höchst willkommne
Beruhigung wegen der Frage, ob meine Arbeit im Andenken bleiben
werde, oder der Vergessenheit entgegen gehe. Öffentlich, oder privatim,
wie Sie wollen! Die einzelnen Formen sind für mich kein Gegenstand des
literarischen Ehrgeizes. Jede Mittheilung von Ihnen werde ich verdanken;
nur müssen Sie wissen, daß ich meinerseits schwerlich je wieder zu an-
haltenden mathematischen Beschäftigungen zurückkehren werde. Der erste
Band meiner ausführlichen Metaphysik (nebst den Anfängen der Natur-
philosophie) soll nächste Ostern (wenn der Buchhändler Wort hält,) er-
scheinen. In der Vorrede wird Ihrer Recension gebührend gedacht
werden. 3) Wollen Sie mir einen Wunsch erfüllen, so sey es die Erlaubniß,
daß ich Sie in der Vorrede öffentlich nennen dürfe. Dazu bedarf es
nur weniger Zeilen von Ihnen, die in den ersten Tagen des nächsten
Monats noch früh genug eintreffen würden. — Bleiben Sie ja der Philo-
sophie hold! Vielleicht gelingt es mir, Sie zu überzeugen, daß anstatt der
eingebildeten Urkräfte der Materie (Attraction, Repulsion pp. die eben
solche fabelhafte Wesen sind wie die Seelenvermögen) es auch hier etwas
zu berechnen giebt, nämlich ursprüngliche Verhältnisse der Elemente, aus
denen erst die Moleculen entstehen, sammt allen Kräften, wovon Astro-
nomie, Chemie pp. zu reden haben.
Hochachtungsvoll Herbart.
*) 1 S. 2°. Adr.: Herrn Professor Drobisch Wohlgeboren zu Leipzig.
2) H. W. Brandes, 1777 — 1834, damals Prof. der Physik in Leipzig, gehörte zur
Redaktion der Leipz. Lit. Ztg.
3) S. Bd. VII S. 4 ff.
x66 Februar 1828.
316. Drobisch an H.1) Leipzig d. 13. Februar 1828.
Wohlgeborner, Hochverehrter Herr Prof essor ! Ihre gütige Zuschrift vom 6teu d.
war mir nicht blos überaus angenehm, sondern gewährte mir wirklich eine große
Beruhigung. Denn als mir wenige Tage nach Absendung meines Briefes Ihre An-
zeige in der Leipz. Litz. in die Hände fiel, sah ich freilich gleich, daß Sie Brandes
für Ihren Rec. gehalten hatten, und nun konnte ich mir Ihr Verlangen, die weitere
Analyse Ihres Hauptwerks von derselben Hand zu sehen, wohl erklären; und es
fing mich zu reuen an, mit der Antwort so vorschnell gewesen zu seyn. Mit Ver-
gnügen bemerke ich daher, daß die unerwartete Entdeckung eines weniger er-
wünschten Recens. doch keinen Übeln Eindruck auf Sie gemacht hat, und daß Sie
auch nach Beseitigung der vorgefaßten Meinung, von der Anzeige noch eben so
günstig urtheilen — was freilich von einem solchen Philosophen nicht anders zu er-
warten war. Wahrhaftig, ich wünschte es Ihrem trefflichen Unternehmen von
Herzen, daß Männer wie Brandes, oder noch lieber wie Bessel und Gauß lebhaften
Antheil daran nähmen; allein ich verzweifle daran. Die Kluft zwischen Mathematik
und Philosophie ist jetzt zu groß geworden; das Mißtrauen der Mathematiker zu
aller Philosophie ist fast unbegrenzt, und man läuft Gefahr, seinen Ruf als Mathe-
matiker in ein zweideutiges Licht zu stellen, wenn man sich zugleich mit Philosophie
beschäftigt. Diese feste Überzeugung und Ihre Aufmunterungen regen mich aber
eben an, da wenig Theilnehmer sich finden werden, nun meine Kräfte zu versuchen.
Ich muß Ihnen sagen, daß ich ehemals sehr zwischen Philosophie und Mathematik
schwankte und daß ich endlich beschloß, als eine recht würdige Vorbereitung zur
Philosophie, Mathematik in möglichst weitestem Umfange zu studiren. Hier hat
mich nua, nach meiner äußern Stellung, mein Geschick fest gehalten; indeß noch
heute ist mir Mathematik nur Philosophie der Größen und ich werde schwerlich je
aufhören, wenn auch nur stillen, fast möchte ich sagen verstohlnen, Antheil an dem
Schicksal der Philosophie zu nehmen. Höchst interessant wird mir daher Ihre Meta-
physik seyn; denn ich bekenne, daß mir die Hauptpuncte d. Met. öfter wenigstens
zu kurz waren. Nur mit Bedauern aber muß ich hören, daß Sie nicht leicht zu
anhaltenden mathematischen Arbeiten zurückzukehren gedenken.
"Wer wird die Brücke, die Sie so eben zwischen den beiden rationalen Wissen-
schaften geschlagen haben, im Stande erhalten, wenn Sie Ihre Hand abziehen? Es
ist nicht leicht, auf Ihre Schultern zu treten, und der Scrupel (wie z. B. bei der
Freiheitslehre) sind gar zu viele, die so manchen an erwünschten Erfolgen im Voraus
verzweifeln lassen! — Was nun Ihren wohlwollenden Antrag betrifft, mich in der
Vorrede zu Ihrer Met. zu nennen, so ist er mir zu schmeichelhaft, als daß ich ihn
im Ernste ablehnen möchte. Sie sitzen auf Kant's Lehrstuhl. Wäre aus mir ein
Philosoph geworden, wie gerne möchte ich Ihr Schultz, Ihr Reinhold seyn.
Mit größter Hochachtung Ihr ergebenster
M. W. Drobisch.
317. Griepenkerl an H.2) Braunschweig, d. 20. Febr. 1828.
Mein hochverehrter Freund, haben Sie die Güte, mir Des-Cartes Meditationen
mit Gregors Anmerkungen sogleich zu schicken das Buch soll so schnell wie mög-
lich gedruckt werden. — Daß Unzer Ihre Metaphysik erhielt, erfuhr ich durch
Röer, doch in ungewissen Ausdrücken, und ich war damit sehr wohl zufrieden, weil
Hörn ey er noch bis diesen Augenblick die Erlaubniß nicht hat, einen Buchhandel an-
*) 1 S. 4°. H. Wien.
2) 3 S. 4°. H. Wien.
Februar 1828. 167
zulegen, wodurch die Herausgabe des Buchs verspätet worden wäre, wenn er es
erhalten hätte. Was Sie mir von Ihrer gegenwärtigen Stimmung schreiben, finde
ich so natürlich, daß ich Ihnen göttliche Kräfte zutrauen müßte, wenn ich es anders
finden sollte, obgleich ich Ihnen schon übermenschliche zutraue. Hätte ich die
Musik nicht, mein Meines Licht, das noch dazu von Ihrem Öl sich nährt, wäre längst
erloschen ; doch diese Kunst und ein unverwüstliches Vertrauen zu der Menschheit,
was eigentlich ein Vertrauen ist zu dem Plane der Gottheit mit der Erziehung des
Menschengeschlechtes — giebt mir immer neuen Muth und Heiterkeit. Dazu kommt
die Liebe für drei bis vierhundert junge Leute, auf die ich Einfluß habe durch
meinen Unterricht, und die mich wieder lieben — und so gehts denn einigermaßen
in Gesellschaft des unverwüstlichen Körpers, den ich um habe, den einzigen Freitag
ausgenommen, wo ich nach sieben Vorlesungen und fünf Arbeitsstunden herzlich
müde bin. Montag und Donnerstag Nachmittag von 4 Uhr an tröste ich mich da-
gegen bei der Frau von Bülow, einer seit neun Jahren von mir selbst gezogenen,
trefflichen Sängerinn, die mein schwer zu befriedigendes Urtheil doch gar manchmal
übersteigt und mich mit der Wirklichkeit || idealer Kunstdarstellung täuscht. Diese
Frau von Bülow ist eine Schwägerin des Preußischen Geheimraths von Kamptz, den
ich vor ein Paar Jahren hier kennen gelernt habe. Zuweilen versuche ich selbst
eine Komposition bald in dieser, bald in jener Stylart bis sogar zum Liede herab. Die
letzte Komposition, die mir am gelungensten schien, war ein Miserere, womit wir
unseren Kapellmeister vollständig täuschten, der es für acht italische Arbeit aus
den früheren glänzenden Zeiten hielt. Wüste ich, daß Ihnen dergleichen Freude
machte, so würde ich irgend eine Buchhändlergelegenheit benutzen, um Ihnen eine
Abschrift zu senden.
Über dieser Kunst und über der Freude an meiner Familie; denn ich habe
eine treffliche Frau und gute, talentvolle Kinder — vergesse ich gar oft den 'Druck
der Zeiten und die unsägliche Verblendung, die fast allenthalben herrscht. Wann
wird sich das ändern? Hätten Sie, hätte ich das Bessere beschleunigen können? Ich
muß es bezweifeln. [Künftige Zeiten werden anerkennen, was die jetzigen ver-
schmähen, und daß wir dann nicht mehr sind, wird wohl nicht sehr viel zu be-
deuten haben.
Ich sehe größtentheils mit Ihren Augen in das wissenschaftliche Getreibe der
gegenwärtigen Welt und darnach können Sie beurtheilen, welchen Eindruck es auf
mich macht. Hat doch sogar der liebe, Ihnen wohlwollende Jean Paul in der
Seiina Sie ganz misverstanden.1) Können Sie eine tüchtige Recension meiner Ästhetik
veranlassen, so werde ich es dankbar erkennen. Ich wundere mich doch einiger-
maßen || darüber, daß das Buch jetzt schon vergessen scheint; es steht doch wahr-
lich nicht hoch genug dazu. Röer schreibt mir in seinem einzigen Briefe aus
Königsberg etwas ausführlicher Ihr Urtheil über mein Buch; aber trotz dem wünsche
ich Sie Selbst zu hören über meine letzten Einwürfe. Ich meinte nämlich, wenn
man sich gar keinen allgemeinen Begriff von einer Idee bilden dürfe, so müsten die
Verhältnißglieder Einzelvorst eilungen sein, und es gäbe als dann z. B. keine all-
gemeine Idee des reinen Dreiklangs, die in allen Tonhöhen giltig sei u. s. w. Erzeigen
Sie mir die Wohlthat, mich von dem Irrthume zu heilen, wenn einer darin ist. In
*) In „Seiina, oder über die Unsterblichkeit der Seele" von Jean Paul findet
sich folgende Stelle: „Herbart und andere lassen dem Ich keine Verschiedenheit der
Seelenvermögen zu; aber ist bei einem einfachen Wesen oder einer Kraft denn
Verschiedenheit der Zustände gedenklicher? Oder auch bei verschiedenen Wesen
Unterschiede ihrer Kräfte selber? Und wohnet nicht in der Einfachheit des höchsten
Wesens die ganze Unermeßlichkeit aller Kräfte und Zeiten, wogegen das All zur
Endlichkeit einschwindet ?"
i68 Mai l828-
meinem vorigen Briefe war ich darüber etwas weitläufiger. Daß Röer kränkelt, ist
mir sehr leid, weil er nun Sie und Ihre Vorträge nicht gehörig wird benutzen
können. Doch wird ihn sein Vater nun wohl noch länger als bis Ostern da lassen.
"Wenn Sie ihn sehen, so sagen Sie ihm ein freundliches Wort von mir. Zum
Schreiben habe ich heut keine Zeit mehr, aber nächstens soll er auch einen Brief
haben. Noch eins:
Röer schreibt mir unter anderem, daß Sie jetzt den J. S. Bach hoch halten ||
höher als sonst. Wäre ich bei Ihnen, ich dürfte hoffen, Ihnen zuweilen Freude zu
machen durch den Vortrag seiner Komposizionen für die Orgel auf diesem Instru-
mente selbst. Alle diese erhabenen Werke sind nie gedruckt und nur von sehr
wenigen gekannt.
Schreiben Sie mir recht bald wieder. Ein Brief von Ihnen macht den Tag,
an dem ich ihn erhalte, zum Festtage. Mit der größten Hochachtung und Dank-
barkeit Ihr Griepenkerl.
22. — 24. März: Bericht über das Seminar. S. Bd. XIV. S. 266 — 271.
20. April: Jahresbericht über das pädagogische Seminar. S. Bd. XIV. S. 273 — 279.
318. Jäsche an H.1) Dorpat den 3ten May 1828.
Hochzuverehrender Herr Professor!
Welche Freude die Leipziger Becension meiner beyden letztern Schriften mir
gemacht, und wie sehr ich mich für das viele darin gefundene Belehrende und Er-
munternde gegen den Verfaßer derselben zu dem achtungsvollsten und aufrichtigsten
Danke verpflichtet fühle, hatte ich Ihnen, Verehrtester Herr Profeßor, als dem von
mir sogleich erkannten Verfaßer, bald darauf, nachdem ich die gedachte Recension
zu Gesichte bekommen, mit aller ihr gebührenden Aufmerksamkeit gelesen, und nach
ihrem gediegenen Inhalte erwogen, durch den Herrn Schuldirector Struve bezeugen
lassen. Diese, privatim gegen Sie selbst geäußerten Gesinnungen habe ich nun auch
öffentlich in der Vorrede zu dem 2ten so eben erschienenen Bande vor dem
Publicum meiner Leser bekannt, wo Sie denn auch finden werden, daß ich die in
der Recension für mich enthaltenen Belehrungen, Winke und Fingerzeige zum Theil
jetzt schon beachtet und benutzt habe. 2) Zu noch sorgfältigerer und ausführlicherer
Berücksichtigung und Benutzung werde ich indeßen noch mehr Anlaß und Auf-
forderung im 3ten das Werk erst beschließenden Bande finden, welcher mit der Ge-
schichte unsrer modernen, idealistisch pantheistischen Speculationen beginnen, und
mit dem Versuche einer Würdigung ihres theoret. und praktischen Weithes endigen
wird.3) Nach meinem Anfangs gefaßten Vorsatze und vorläufig auch schon ent-
worfenen Plane sollte mit dem 2ten Bande das Ganze bereits geschloßen seyn. Aber
ich hatte diesen Vorsatz bald nach Erscheinung des ersten Bandes wieder aufgegeben.
In diesem veränderten Entschluße haben mich die bedeutenden, gar sehr zu be-
achtenden Belehrungen und Zurechtweisungen die Ihre Recension von so gediegenem
Inhalte für mich enthält, nicht wenig bestärken müßen. Auch möchte ich doch eine
x) 4 S. 4°. H. Wien. — G. B. Jäsche (1762—1842), Prof. der Philosophie' in
Doipat, vgl. Allg. d. Biogr. 13, S. 730. — Wegen der Briefe Herbarts an Jäsche
hatte ich mich an Hrn. Prof. Kvaöala in Dorpat gewandt. Er hatte die Güte, beim
noch lebenden Sohne des Staatsrats Jäsche Nachfrage zu halten, leider vergeblich,
so daß man annehmen muß, daß die Briefe Herbarts an Jäsche nicht mehr vor-
handen sind.
2) Der Pantheismus nach seinen verschiedenen Hauptformen, seinem Ursprünge
u. Fortgange, seinem speculativen u. praktischen Wert u. Gehalt von G. B. Jäsche,
2. Bd., Berlin 1828. S. VI u. ö.
8) Ebenda 3. Bd., Berlin 1832, S. XVIII u. ö.
Mai 1828. 169
Weile noch gern zusehen, wie sich die Modephilosophie unsrer Zeit in der Schule
der Hegel'schen logischen Metaphysik oder metaphys. Logik noch weiter gestalten, und
wohin ihre Herrschaft sich noch wird erstrecken wollen. Die phantastische Idee der
absoluten Identität scheint ihre Rolle nun wohl bald ausgespielt zu haben; wenigstens
sollte man denken: es könne das Spiel damit nicht noch weiter getrieben werden,
sondern die Hegeische objective Logik bilde bereits das letzte Glied in der neuen
goldenen Kette, welche wie sich Bouterwek in einem neuerlichen Schreiben an mich
so tröstend ausdrückte ,.die schwärmenden Sophisten, deren neuestes Oberhaupt von
Berlin aus glänzt, gleich den alexandrinischen Neuplatonikern, vorstellen wollen, in
welcher der Nachfolger nur die Vorgänger übertreffen und berichtigen will." Be-
sonders begierig bin ich indessen doch, welche Wendung nunmehr Schelling seinem
System noch geben werde. Daß er es im Wesentlichen, dem Inhalte und der Sache,
wie der Form nach, geändert, und daß er auch bald damit vor dem philosophischen
Publicum öffentlich auftreten wird, darüber habe ich soeben eine authentische Ver-
sicherung von ihm selbst erhalten, da Er mir durch meinen Freund und Collegen
Morgenstern, welcher bey seynem Aufenthalte in München ihn besuchte hat sagen
lassen: Er wünsche, ich möge mit der Herausgabe des 2ten Bandes so lange noch
warten, bis Er sein im Wesentlichen verändertes System bekannt gemacht habe.
Ich muß also doch wohl die angekündigte neue merkwürdige Erscheinung am Himmel
unserer deutschen speculativen Philosophie abwarten, um zu sehen, wo unser Natur-
philosoph jetzt seine neue bleibende Wohnung wird aufgeschlagen haben, nachdem
er selbst wohl irme geworden seyn muß, ,,daß er seine alte verlassene Wohnung —
wie Sie sich so wahr und tröstend ausdrücken — gerade in der Mitte des Labyrinths
aller Widersprüche, aus welchem die Metaphysik herausführen soll, aufgeschlagen
habe, da die mit Spinoza von ihm angenommene Universal -Substanz das Centrum
aller Widersprüche sey.u — Daß auch ich eine solche Universal- Substanz für das
Centrum aller Widersprüche halte, darüber habe ich meine Meinung bey Beurtheilung
der, von mir ihren wesentlichen Hauptstücken nach dargestellten, metaphysischen
Lehre des Spinoza deutlich und nachdrücklich genug, wie ich glaube, aus || gesprochen. —
Gilt es demnach nur einen zu bestehenden Kampf gegen die erwähnte, nur dem
äußern Anschein nach furchtbare Riesengestalt der Speculation: so stehe ich Ihnen
als Streitgenoße getreulich zur Seite, und mache mit Ihnen gemeinschaftliche Sache
gegen ein Philosophem, welches in directer Opposition auch gegen die Grundlehren
des kritischen Idealismus und die demselben eigene Methode des Philosophirens
steht, indem ich Ihnen aus voller Ueberzeugung das in Ihrer Recension meines
Buchs gefällte Urtheil nachspreche; „daß die Art von Totalität, welche die Philo-
sophie nur durch Pantheismus erreichen könnte, ein ganz falsches Ideal sey, weil hier
die Philosophie das an sich Ungleichartige, welches gesondert einander gegenüber
zu stellen, ihr obliegt, in eine chaotische Masse zusammenzwängt, wodurch alle
wahre Erkenntniß verloren geht." — Mit dem Ausspruche von der Verwerflich-
keit jeder auf Einheit und Ganzheit Anspiuch machenden Philosophie sollte daher
auch wirklich mehr nicht als nur meine kategorische Protestation gegen jede posi-
tive Wissenschaft und Theorie der AllEinheit oder absoluten Identitätslehre, erklärt
seyn, welche Erklärung in dieser bestimmten Bedeutung und Beziehung, dann auch
mit der, am Schluße des ersten Abschnittes vorläufig angedeuteten Absicht und
Tendenz meines Unternehmens in vollkommenem Einklang steht. Bey dieser
Protestation werde ich freilich , auch Ihrer dankenswerthen Warnungen eingedenk
und dieselben beachtend, mich wohl vorzusehen haben, durch unbehutsame Äusse-
rungen und Behauptungen den Gegnern nicht so weit mich hinzugeben, um ihnen
gewonnenes Spiel zugestehen zu müssen, denn ich sehe mit Ihnen gar wohl ein,
i7o
Mai 1828.
daß zu Ueberwältigung des Pantheismus, da derselbe sich keineswegs damit be-
gnügt, wie Sie so richtig bemerken, bloß eine Lücke des Wissens zu bezeichnen,
sondern in ihm vielmehr die Behauptung eines positiven Wissens liegt, Wissen gegen
Wissen auftreten muß; Dämlich ein, seine Lücken und Gränzen anerkennendes, der
Ergänzung seiner Mängel durch einen vernünftigen Glauben nothwendig bedürfendes
Wissen, gegen ein positives, unbeschränktes All wissen, das jede Ergänzung durch
einen vernünftigen Glauben verschmäht. Durch die erklärte Notwendigkeit der
Aufhebung eines solchen grundlosen und gehaltleeren Wissens soll nun aber, auch
nach Kants Absicht, dem unabläßigen Wahrheitsforscher keineswegs die Aussicht auf
die (wie Sie in Ihrem Lehr B. z. Einl. sich erklären) in der That unermeßlichen
Erweiterungen, welche dem speculativen Wissen noch bevorstehen, verschloßen werden,
weil ja durch das Fortschreiten in dem auf den Feldern der Psychologie und Natur-
philosophie erreichbaren Wissen der Gegensatz zwischen dem ins Unendliche hinaus
mehr und mehr Erklärbaren, und dem stets auf gleiche Weise Unerklärlichen, nicht
nur nicht aufgehoben, sondern vielmehr Ihrer in der angeführten Stelle aus-
gesprochenen Ueberzeugung zu Folge, in seiner Erhabenheit empfunden wird.
Darum kann und darf ich auch die grundlosen Besorgniße über Verminderung des
Glaubens durch Fortschreiten des Wissens mit dem vortrefflichen Jacobi nicht theilen ;
wiewohl derselbe Jacobi, welcher in Einstimmung mit Kant sich wieder zum Theis-
mus, der die Vernunft faul und verkehrt macht, und dagegen für den ächten, den
Platonischen Theismus erklärte, welcher mit nichten ein solcher Verführer ist,
sondern im Gegentheil im strengsten Verstände und ohne irgend einen Abbruch der
Wissenschaft gibt, was der Wissenschaft, und Gott oder dem Geiste, was Gottes
und des Geistes ist, durch dieses Bekenntuiß auf dasjenige Wissen hindeuten wollte,
gegen welches allein nur eine paradoxe misologische Behauptung von einem, dem
religiösen Glauben feindseligen Interesse der Wissenschaft gerichtet seyn solle.
Wie ich nun hiernach in Anerkennung der Unvertilgbarbeit des Gegensatzes
zwischen || Wissen und Glauben meine Ansichten und Ueberzeugungen mit den Ihrigen
übereinstimmend finde: so ist dieses auch der Fall in Anschauung der anzu-
erkennenden Nothwendigkeit den theoretischen Theil des Systems von seinem prak-
tischen scharf und bestimmt zu sondern. Ich hatte mich über diesen Punct bereits
in meiner Ethik in dem von Ihnen citirten § 58 auf eine Weise erklärt, die Ihren
Beyfall erhalten hat, da auch ich die, der praktischen Philosophie eigenthümlichen
Ideen von Werth und moralischem Zweck in ihrer Unabhängigkeit von jeder bloß
theoretischen Speculation, welcher diese Ideen gänzlich fremd sind, anerkenne, und,
gleich Ihnen, die Idee der Würde der Persönlichkeit, die Ihre Sprache den ächten
aesthetischen Begriff nennt, für den Grundgedanken und das höchste Axiom aller
ethischen Lehre von Seiten ihres Gehaltes erkläre: so würden wir uns, wie Sie
selbst auch voraussetzen, über die eigentlichen Werthbestimmungen, wohl ziemlich
leicht, wenigstens in gewissem Betracht, vereinigen. — Wegen der, durch allerley
Winkelzüge und Windungen hin und her, doch nicht zu verbergenden feindlichen
Stellung, welche der Pantheismus gegen eine Ethik nimmt, die sich nicht in eine
bloß speculative Lehre will umschaffen lassen, wird nun allerdings wohl mein ernst-
liches Bestreben darauf gerichtet seyn müssen, für den Zweck der Würdigung, auch
des praktischen Gehalts der verschiedenen pantheistischen Systeme, die nöthige Um-
sicht auf den verschiedenen Feldern der Systeme der praktischen Philosophie an den
Tag zu legen, und dergestalt Ihrem gerechten Wunsche auch in diesem Betracht
ein Genüge zu leisten. In wie weit ich nun aber überhaupt in meiner, vom
theoretischen und praktischen Standpuncte zu versuchenden Kritik des Pantheismus
Ihre Forderungen und Erwartungen theils nach dem Maaße meiner Kräfte und Ein-
Mai 1828. iyi
sichten, theils in Angemessenheit mit meinen eigenen philosophischen Ansichten und
Ueberzeugungen werde befriedigen können, muß ich nun Ihrem competenten Urtheile
darüber, auf dessen Billigkeit und Partheylosigkeit ich mit Zuversicht rechne, für
die Zukunft überlassen. Freilich werden Sie bey mir immer noch fortwährend ein
merkliches Uebergewicht der Kantischen Vorstellungsarten antreffen, die mich dem
Tadel der Befangenheit aussetzen, wo es darauf ankommt, andere Ansichten vor-
urtheilsfrey zu prüfen. Vielleicht hindern mich sogar jene mir angeeigneten und
mit meinem Gedankensystem innig verwebten Vorstellungsarten, wie ich besorge, an
der klaren und richtigen Auffassung so mancher neuern, von denselben in mehr
denn Einem wesentlichen Puncte abweichenden Ansichten. So muß ich dem, in
meinen Augen höchst achtungswerthen und verdienstvollen philosophischen Denker
und Schriftsteller, vor dessen Scharfsinne und Energie der Denkkraft ich mich beuge,
diesem philosophischen Originaldenker selbst, den ich in Ihrer Person, Hoch-
zuehrender Herr Professor verehre, muß ich das aufrichtige Geständniß ablegen,
daß ich Ihm auf dem, zu tieferer Begründung und fortschreitender Erweiterung des
Wissens in den Gebieten der Psychologie und Naturphilosophie betretenem "Wege
nicht folgen kann. Auf diesem Wege dem Führer nachzugehen, in so weit dieser
Weg unter Vermittelung einer mathematischen Behandlungsweise psychologischer
Begriffe zu einer Statik und Mechanik des menschlichen Geistes, als evidenter
Wissenschaft, führen soll, davon hält außer dem Gefühl des eigenen Unvermögens
zu dem dazu erforderlichem Scharf- und Tiefsinne, so wie des Mangels an tiefern
dazu nöthigen mathematischen Einsichten, auch noch eine gewisse Scheu und Furcht
mich zurück, von der Sie die hauptsächlichste Ursache bald errathen werden, wenn
Sie sich hier an die eine Ihrer im Lehrb. z. Einl. pp. gemachten Bemerkungen er-
innern: „„es schwebe die Freyheit in Kants Sinne so sehr || auf der Spitze des
ganzen Kantischen Systems, daß diejenigen sich sehr hüten mögen, sie nicht zu ver-
lieren, die auch nur im mindesten von Kant abweichen. || || Zwar soll ich von Kant
hier und da wirklich abgewichen seyn, und mich durch Jacobi zu einem Pseudo-
oder Halb-Kantianer haben umtaufen lassen, wie die gegen die sogenannten Halb-
Kantianer, und namentlich gegen mich, als den Vf. d. G. d. Panth. gerichtete Streit-
schrift des Prof. Ritter unserm philosoph. Publicum mich denuncirt. — Dem sey
indessen, wie ihm immer wolle; — diese Abweichung ist doch sicherlich nicht so
weit gegangen, daß ich die Freyheit in Kants Sinne darüber verloren hätte; so wenig
als ich dadurch mich genöthiget gesehen habe, den anthropologischen Standpunct zu
verlassen, welchen Kant für den nach kritischer Methode Philosophierenden ge-
nommen wissen will. In der bey mir immer noch unerschütterlich feststehenden
Ueberzeugung: es müsse die Philosophie die psychologische Richtung nicht wieder
verlassen, stimmt vielmehr unverändert mein philosophisches Credo immer noch in
den Chor meiner Schule ein; und es steht meine Stimme im Einklänge mit den
lauten Stimmen mehrerer achtungs weither Denker aus jener Schule, namentlich
und vornehmlich des verewigten L. L. E. Schmids, sowie Krugs, Fries, Bouter-
weks, von welchen die anthropologische Methode als das Jos fioi tiov axw für die
Kunst des Philosophirens gepriesen wird. — Diese meine fortdauernde Anhänglich-
keit an die gedachte Methode und die ihr gemäß zu nehmende Richtung des Philo-
sophirens kann und soll mich indessen doch nicht abhalten, bey meinem versuchten
Angriffe auf die Burg des Pantheismus (nach einem von Ihnen gebrauchten Bilde)
den Standort zu wählen, den Sie mir in der Recension als vortheilhaft empfehlen
und anweisen; auch in diesem Kampfe mit unserm gemeinschaftlichen Feinde
hauptsächlich der Waffen mich zu bedienen, deren Gebrauch Sie mir anrathen,
J) A. H. Ritter, Die Halbkantianer u. der Pantheismus 1827.
172 Juli 1828.
indem Sie mir die Rüstkammer zeigen, wo diese Waffen zu finden sind. Die Stärke
der von Ihnen bezeichneten Waffen, welche die Kantische Kritik der speculativen
Theologie zu Besiegung des Pantheismus mit ihrem richtigen Begriffe vom Seyn,
und einer wahren darauf sich gründenden Ontologie darbietet; einer Seynslehre, die
allerdings mit keinem Pantheismus sich verträgt, habe ich durch unsern Tiefdenker
Krause, sowie durch Ihre klare Darstellung und gründliche Beurtheilung der
Eleatischen Lehre vom Seyn nun erst recht kennen gelernt. So will ich denn auch
diese Waffen mit so viel Geschicklichkeit und Gewandtheit und so viel Aufwände
von Kraft zu handhaben suchen, als es mir in meinem, bereits über die Mitte
zwischen dem 6ten u. 7teu Jahrzehend hinausgehenden Lebensalter, nur immer
noch vergönnt sein wird.
Gern möchte ich noch eines und des anderen Punctes gedenken, den ich für
meinen auszuführenden Zweck von vorzüglicher Bedeutung und Wichtigkeit in Ihrer
Recension gefunden; besonders was Sie an einer Stelle von einem gewissen Vor-
zuge des Panth. in Beziehung auf das Räthsel vom Ursprünge des Bösen erwähnen;
worüber Sie selbst uns eine sehr beachten swerthe und intereßante Ansicht gegeben
haben. Abei ich will mir dies nebst allem dem Uebrigen, worüber ich Ihnen noch
Rechenschaft zu geben schuldig bin, lieber für den Schluß meines Werkes vor-
behalten. Sollte es Ihnen gefallen, wie ich nicht nur wünsche, sondern auch zu
hoffen geneigt bin, auch den 2ten Band meines Buchs vor Ihren Richterstuhl zu
ziehen durch eine öffentliche Anzeige und Beurtheilung: so werde ich gewiß alle
Ihre Bemerkungen, Erinnerungen und Zurechtweisungen, die ich darin für mich
finde, eben so dankbar wie die in der Reo. des ersten Bandes aufnehmen, und
Ihnen, Hochgeehrter Herr Professor! dadurch einen Beweis von den Gesinnungen
hoher und gerechter Achtung geben, mit welchen ich die Ehre und das Glück habe
mich zu unterzeichnen als Ihren aufrichtigen Verehrer
Jäsche.
319. An Drobisch.1) Königsberg 24 Juli 1828.
Wohlgeborner, hochgeehrter Herr Professor! So kurz und beschränkt
auch die Bekanntschaft ist, welche mit Ihnen zu machen Sie mir gönnten,
so darf ich doch nicht bloß, sondern ich muß Ihnen den ersten Band
meiner Metaphysik zuschicken, damit Sie nachsehen, ob das Dortige Sie
Betreffende Ihnen genehm ist. 2) Durch Hrn. Unzer werden Sie das Buch
bald erhalten. Sie werden es schwerlich durchlesen; zu viel nothwendiges
Uebel ist darin. Eher mag der zweyte Theil, den ich, so gut es [gehen]
wollte, von Polemik rein zu halten suchte, lesbar seyn. Wollen Sie [aber]
Sich auf die Kritik bisheriger Naturphilosophie, welche sich im ersten
[Buch be] findet, einlassen: so werden Sie mir bei genauerer Ansicht
vielleicht einräumen, daß dies das Minimum dessen war, was gegen die
Dreistigkeit so weit [greifender Irrthümer mußte gesagt werden.
Kämen Sie zum naturwissenschaftlichen Convent nach Berlin: so hätte
ich vielleicht bald die Freude Ihrer persönlichen Bekanntschaft; da es
nicht unmöglich ist, daß eine Gesundheitsreise mich ungefähr um die Zeit
jener Versammlung an denselben Ort hinführt. Mit größter Hochachtung
Ew. Wohlgeboren ergebenster Herbart.
5) 1 S. 2°.
2) S. Bd. VII, S. 4 ff.
August 1828. 173
3. Aug.: Königsgeburtstagsrede in der k. deutschen Gesellschaft zu Königsberg: „Über
die allgemeinsten Verhältnisse der Natur1'. S. Bd. VI. S. 341 — 35 r •
320. Studenroth an H.1) Greifswald am 5. Aug. 1828.
Wohlgeborner Herr hochzuehrender Herr Professor! Als ich vorgestern Abends
nach 10 Uhr von einer WasseTfarth zurückkehrte, fand ich den zweiten Theil Ihrer
Psychologie vor. Ich las noch die Vorrede. Bey Ihrer Herzählung der Psychologie
kam ich. auch auf die achte,2) die mich aber nur in sofern anstehen ließ, als ich
mich auf eine solche nicht besinnen konnte. Ich las weiter, und erst dann, als ich
nichts über mich fand, — denn Ihr Schweigen auf meinen Wunsch um Ihre Be-
merkungen über mein Buch haben mich ehrlicherweise auf die Vermuthung geführt,
daß Sie vielleicht im 2ten Theil etwas über sie sagen würden, und daß der ander-
weitige sonstige Inhalt meines Briefs Ihnen Besorgtheit und Antwort unmöglich ge-
macht hätte — kehrte ich zu jener Stelle zurück und fragte mich, ob sie viel-
leicht gegen mich gerichtet sey. Gerade der Umstand, daß ich kein Buch kannte,
auf welches sie auch nur mißbräulich gehn könnte, machte mir die Beziehung auf
mich wahrscheinlicher und ich nahm sie als eine solche an. Sie ließ mich indeß
ruhig, und ich wollte die ganze Sache ruhen lassen, obgleich in ihr zugleich ein
Vorwurf gegen die Gesinnung liegt, über dessen Gültigkeit Sie vor dem Nieder-
schreiben wohl einige nähere Erkundigung hätten einziehen können. Da ich indeß
von anderen die Sie in Ihrer Jugend gekannt haben, über Ihre eigne Gesinnung
und Strenge gegen sich selbst unterrichtet worden bin, so habe ich geglaubt, Ihnen
selbst einen Gefallen zu thun, wenn ich Sie über die Entstehung meines Buchs
unterrichtete. Sie werden alsdann über die Nachahmung, die Entstellung und die
Nichtanführung Ihres Lehrbuches entscheiden können.
Zu thun, als hätte ich Ihr Buch nicht gelesen, ist mir niemals in den Sinn
gekommen. Habe ich es nicht genannt, so ist es geschehen, weil ich, so viel ich
weiß und wollte, keine Lebenden genannt habe. Uebrigens ist schon in der Vor-
rede, da, wo von ausdrücklicher Anfechtung der Vermögenssysteme die Rede ist, auf
Ihre Verdienste um die Psychologie hingedeutet; denn auf wen konnte man dieses
beziehen, als auf Sie? Eben so findet sich im Buch selbst solcher Beziehungen und
ausdrücklicher Anführungen Ihrer Behauptungen die Menge. Ihr Buch existirte
seit 8 Jahren und jeder bemerkte selbst schon, ob es Einfluß auf mich gehabt hatte,
oder nicht. Hätte es aber auch noch größeren Einfluß auf mich gehabt, als es
wirklich gehabt hat, so haben Sie mir dennoch aus der Nichtanführung keinen Vor-
wurf || machen können, da es in der Philosophie gar nicht Sitte ist, zu sagen, ich
habe dieses von dem, und jenes von jenem, Dinge, die sich, wenn sie wirklich so
anzusehn sind, von selbst offenbaren. Jetzt aber zu jenem Einfluß selbst. Noch
auf der Universität war das Vermögensystem durch den Streit über Verstand und
Vernunft, in welchem ich groß gezogen war, mir verdächtig geworden, und ich war
bereits zu der Ansicht gelangt, daß man gewisse Richtungen mit ursprünglichem
Vermögen verwechsle, daher denn der eine diese, der andre jene Richtung mit der
wesentlichen Function eines Vermögens zu erheben oder mißzudeuten trachte, und
solches Vermögen selbst in seiner wesentlichen Bestimmtheit aber sich keineswegs
anstreben. [?] Als ich die Universität eben verlassen hatte, erschien Ihre Psychologie,
die ich noch im Sommer 1816 las. Daß mir die Kritik der Vermögen erwünscht
x) 3 S. 4°. H. Wien.
8) Die Stelle, durch die sich Studenroth durch Herbart verletzt fühlte, lautet:
.,Und ein achtes [Buch], worin mein Lehrbuch der Psychologie nachgeahmt und
entstellt, aber nicht angeführt wird.tv S. Bd. VI, S. 8.
174 August 1828.
war, und daß sie entscheidend auf mich wirkte, werden Sie nach dem eben Ge-
sagten leicht selbst erkennen. Ob aber das Positive gleicherweise auf mich gewirkt
hatte, ersehen Sie aus der 3 Jahre später erschienen sogenannten Theorie des
Wissens, in welcher S. 162—168 von der Psychologie die Eede ist. Was mir ge-
wiß war, war daß man von den Vermögen zu abstrahieren und die Erscheinungen selbst
nach Wesen und Ursache zu untersuchen habe. Wie dieses geschehn sollte, darüber
war ich, wie jenes Buch lehrt, gleichfalls noch nicht im Klaren. Im Sommer 1820
fing ich in Berlin Psychologie zu lesen an. Ueber die analytische Methode war ich
mit mir eins. Der Gang der Vorlesung aber war folgender: Im ersten Abschnitt
trug ich die Anschauung, sofern sie sich psychisch bildet vor. Dann fing ich sogleich
mit der Reproduction an, in der Ansicht, daß es bey einem continuirlichen Fluß der
Vorstellungen keine innere Bildung geben könne und daß daher die Reproduction,
als das Fundament aller innern Bildung zuerst analysirt werden müßte. Ich brauche
nicht zu sagen, daß dieses nichts geben konnte, und daß ich durch die Vorlesung
selbst aufmerksam werden mußte, daß ich mehr von vorn anzufangen hätte. Auch
alles Uebrige war, wie es sich von selbst versteht, unglaublich schwach, und es war
schwach, weil ich es nach meiner Methode zu meiner eignen Ueberzeugung selbst
leisten, nicht aber andern r achbilden wollte, deshalb blieb auch Ihre Psychologie
völlig liegen, wie ich überhaupt immer dann aufhörte, über etwas zu lesen, wenn
ich an die eigne Traduction ging. An eine neue Vorlesung über die Psychologie
kam ich erst im Sommer 1822, denn 21 war sie zwar angekündigt, aber bei meiner
Collision mit Schleiermacher nicht || zu Stande gekommen und in der Zwischenzeit
war ich mit der Ausbildung anderer Vorlesungen beschäftigt. Jetzt war mein Be-
mühn, die Mängel zu ergänzen, die mir früher aufgefallen waren. Indem ich zu
einfacheren Erscheinungen, zu dem was bey der Reproduction schon vorausgesetzt
wird, zurückging, fragte ich mich welche Erscheinung die einfachste und die Be-
dingung für alle andern sey. So kam ich auf das Bewußtseyn. Und die Unter-
suchung über dieses änderte im Wesentlichen alles und gewann auf die ganze An-
sicht den größten Einfluß. Die Bewußtlosigkeit, die sich in der Ohnmacht und in.
anderen Zuständen zeigt, führte mich zu der theilweisen Bewußtlosigkeit, die sich
im Fortschreiten des Vorstellens zeigt, also zu der Bewegung der Vorstellungen.
Auf die Verbindung und Spannung war ich durch die Reproduction und das Denken
aufmerksam geworden, daher schlössen sich diese Bestimmungen als nothwendig voraus zu
betrachtende an. Als ich diesen Abschnitt gemacht hatte, las ich die ersten Capitel in
Ihrem positiven Theil wieder, nicht um sie nachzuahmen, denn ich hatte meine Forschung
gemacht, sondern um zu sehen, ob ich auch alles einfachere beleuchtet hätte, wie es
meine Absicht war, oder ob etwas weggeblieben war. Weiter habe ich Ihre Psychologie
weder damals noch nachher angesehn, und selbst vom 1 sten Theil Ihrer neuen Psycho-
logie habe ich nur die Einleitung gelesen, um mir für den zweiten Theil nicht den freien
Blick und das eigne Sehen zu verderben. Indem ich also jene Capitel las, fand ich
theils einige Folgen, die auch aus dem meinigen hervorgingen, theils einiges, welches
ich noch nach meiner Ansicht zu erwägen hatte. So bildeten sich kleine Einschiebsel,
welche Sie als solche von dem lebendigen Gange des Uebrigen leicht unterscheiden
können. Von Reminiscenzen aus jener ersten Leetüre erinnere ich mich nur Ihrer
Ansicht von der durch die Seele dirigirten bestimmten Körperbewegung, die ich um
so leichter benutzt habe, ohne sie als ein fremdes anzuzeigen, als sie sich im Lauf
der Untersuchung auch hätte ergeben müssen. Aus dem critischen Theile aber ist einiges
auf die Zustände eingeflossen. Ob dieses alles nun hinreichte, meine Arbeit für eine
fremde zu erklären, ja ob überhaupt unsre Arbeiten mehr als scheinbare Zusammen-
stimmung haben, und vielmehr wesentlich verschieden sind, wie Sie daraus sehen
September 1828. 175
können, daß nach Ihnen die Seele nach dem Tode in Astra[?] geräth, nach mir aber
ohne neue Verkörperung gar nichts vorstellt, das überlasse ich Ihrem Ermessen, und.
eben so, ob der Vorwurf einer Nachahmung und Entstellung gerecht ist. Da ich
dieser Auseinandersetzung nichts weiter hinzuzufügen habe, so schließe ich als
Ew. Wohlgeboren gehorsamer Diener Prof. Dr. Studenroth.
321. Drobisch an H.1) Leipzig d. 9. Septbr. 1828.
Wohlgeborener Hochgeehrter Herr Professor! Die höchst ehrenvolle Erwähnung
meines Namens in der Vorrede zu Ihrer Metaphysik (welches schätzbare Geschenk
ich so eben erhalten habe) fordert mich auf das Stärkste auf, Ihnen entweder ver-
bindlichst zu danken — oder freundschaftliche Vorwürfe zu machen, daß Sie mich
mit einem so 'geringen Verdienst deu Augen der Welt biosstellen. In der Thatr
verehrter Herr Profeßor, weiß ich nicht, ob Sie diese Lobsprüche werden vertreten
können. Es bedurfte für Ihre Abhandlung weiter nichts als offner Augen und offnen
Sinns und allenfalls ein wenig Wohlwollens, um, wo man auf die erste Ansicht deu
Sinn nicht gleich recht durchschaute, zu überlegen, was der Verfasser wohl habe
sagen wollen. Es ist sehr traurig, wenn es in der Philosophie so weit gekommen
ist, daß die Recensenten nicht mehr fähig sind, sich den Autoren für die Zeit der
Leetüre hinzugeben, was dem Mathematiker gar nicht anders einfällt. Man kennt
die Schwächen des Feindes doch am besten, wenn man in seinen Reihen gedient
hat! Möchte ich mir nur größere Verdienste um Ihre Psychologie erwerben können! —
Unterdessen habe ich Ihre Abhandlung über die psychologische Theorie der Ton-
verhältnisse gelesen, und darüber einen Vortrag in unsrer naturforschenden Gesell-
schaft gehalten, der wieder mit der größten Aufmerksamkeit angehört wurde und
eine lebhafte Discussion veranlaßte, an der unter andern Brandes opponirend An-
theil nahm; ich habe aber nicht nöthig gehabt das Feld zu räumen. Jedoch erlauben
Sie mir ein paar Bemerkungen, wie sie mir eben einfallen, die sich mir beim Studium
des Aufsatzes, welcher mir wirklich recht viel Anstrengung gekostet hat (mehr als
irgend ein Theil Ihrer Psychologie), aufdrängten. || Das, was ich Ihrer Psychologie
gern wünschen möchte, wo nicht um ihrer selbst, doch um ihres Ansehens willen
namentlich bei den Mathematikern — physikalisch pünetliche Vergleichung mit der
Erfahrung, wird doch auch nicht durch diese sinnreiche Theorie der Tonverhältnisse
so ganz erzielt. Es ist wahr in dem grellen Streit zwischen der Einigungskraft und
dem Gegensatz erkennt man recht klar die falsche Quinte, so wie in der vollständigen
und doch nur eben zureichenden Überwindung dieses Streites die reine Quinte. Die
übrigen Ton Verhältnisse lassen sich aber weit schwerer erkennen, selbst die Octave
nicht ausgenommen. Denn wiewohl ich einsehe, daß zwei Töne, in denen der
Gegensatz der Gleichheit mehr als völlig unterliegt (ich weiß : es ist nicht ganz genau
gesprochen) kein effectvolles Intervall geben können, was mit dem Wesen der Octave
gut stimmt, so widerstrebt es mir doch auf der andern Seite zuzugeben, daß c und <>
im vollen Gegensatz stehen sollen, da sie doch so einstimmig sind. Doch vielleicht
schreckt mich nur das Wort. Denn da die Octave das am leichtesten unterscheid-
bare Intervall ist, so muß allerdings das Ungleiche in beiden Tönen das Maximum
erreichen. Dies eben bei Seite gesetzt, so stoße ich auch bei Ihrer Ableitung der
Secunde mittels der Modification durch Verstärkung an. Die Modificarion selbst
gebe ich zu, aber daß ihr Effect auf die Höhe des Tones auf seine Qualität Einfluß
haben soll, will mir nicht einleuchten. Endlich muß ich gestehen, überraschte mich
die ganze Anlage der Rechnung. Töne sind einfache Vorstellungen, das geben Sie
2) 4 S. 4°. H. Wien.
iy5 September 1828.
zu. Gleichwohl zerlegen Sie diese einfachen Vorstellungen noch einmal. Ich habe
gegen diese Operation gerade nichts einzuwenden, da Sie dieselbe nur für „eine zu-
fällige Ansicht'* ausgeben; allein ich kann sie nur mit zweierlei Arten von mathe-
matischen Verfahrungsweisen vergleichen; entweder mit der Zerlegung einer ge-
gebenen Kraft in andere nach beliebigen Richtungen: dann ist die Ansicht zwar
auch zufällig, aber die Kräfte sind doch angeblieh nach Stärke und Richtung, nach
Größe und Art: sie könnten beide wirklich seyn: || denn wirkliche Kräfte lassen sich
in der That zu Einer Kraft zusammensetzen. Die Kräfte der Gleichheit und des
Gegensatzes im einfachen Ton aber sind gar nicht wirklich: denn die Töne sind ja
schon einfach. Ich kann also diese Zerlegung nur mit der Zerfällung eines
algebraischen Ausdrucks in zwei unmögliche Factoren vergleichen und annehmen,
daß jene Theile als Denkhülfen, wie jene Factoren als Rechnungshülfen zu betrachten
sind. Dann aber wende ich ein: Ihre psychologische Theorie kennt nichts ein-
facheres als einfache Vorstellungen: wie kommt sie dazu unmögliche Kräfte zu be-
rechnen? — Finden Sie diese Bemerkungen nicht gar zu unbedeutend, so würde es
mir sehr belehrend seyn, wenn Sie mir Aufklärung darüber gäben. Meinten Sie
aber gar, daß sie eine Gelegenheit darböten, auch andere über das "Wesen Ihrer
Psychologie zu unterrichten, so bin ich gern bereit über Ihre Theorie der Töne
einen kleinen Aufsatz zu liefern, wenn Sie mir nur anders einen schicklichen Platz
vorschlagen können, wo die Sache Öif entlich zur Sprache gebracht werden kann;
wo sie dann natürlich Ihre Erläuterungen und Widerlegungen gleich beifügten.
Daß Sie meine Zweifel mit Nachsicht aufnehmen werden, glaube ich mit
Zuversicht, denn Sie forschen nur nach Wahrheit; meine Bemerkungen für richtig
zu halten bin ich. nicht eitel genug; aber das kann ich mir als möglich denken, daß
durch ein öffentlich verhandeltes pro u. contra, selbst wenn das letztere schwach,
ist, das Publicum für die Sache interessirt wird, und die Hauptansichten in besten
Umlauf kommen. Vielleicht entstünde so nach und nach ein Ganzes: ein commer-
cium epistolicum über mathem. Psychol. Erlauben Sie nur ooch, daß ich Ihnen
folgenden Gedanken vorlege: Wenn wir Töne anschlagen, Lichtblitze hervorbringen
u. dgl. m. so erzeugen wir nach Willkür Vorstellungen von bestimmter sogar be-
liebiger Stärke und wohlbekanntem Gegensatz (wenigstens bei den Tönen). Hören
wir dann einen schwachen Ton neben zwei starken nicht, so drängen, wie ich meine,
die letzteren jenen zur Schwelle. Sey die Stärke der Töne a, b, c\ sey a = b,
c = t Hemmungsgrad zwischen a u. b = p\ zwischen a u. e . . .==«; zwischen
b u. c . . . = m, so ist die Hemmungssumme — pb-\- ne; ferner in der Formel (A)
Psych. I. S. 192 *) o — p; t = n; e = p -\- n; rj = p -\- m\ & — ni -f- n daher
, 1 — n \_i f\ß — n)2 j_ 2 p -\-m-\-n
2 p 1/ 4 p* p(m-\-n)
Gehöre a dem Tone c, b dem Tone g, c dem Tone e, so ist ohngef ähr p = -^,
n = -^j-, m = y7-^, so folgt a = b = 4,15; also e u. g 4 mal so stark angeschlagen als c
müßte der letztere stets unhörbar werden. Es würde sich nun wol eine Vorrichtung
angeben lassen, wodurch man die Stärke der Töne so ziemlich in die Gewalt bekäme,
und so hätte man ja Gelegenheit, die psychologische Theorie gleichsam physikalisch
zu prüfen. Vielleicht ließe sich bei Lichtkerzen etwas ähnliches ausführen.
Mögen Sie nun veranlaßt seyn, meine Gedanken der Beachtung werth zu halten
oder zu belächeln, so viel werden Sie doch wahrnehmen, daß ich mich für den
Gegenstand aufrichtig interessiere. Vielleicht bekomme ich künftig noch mehr Muße
dazu als ich jetzt habe, wo ich, gleichsam meine hiesige Anstellung als Lehrer zu
j) S. Bd. V, S. 303.
September 1828. 177
rechtfertigen, im Begriff bin, ein Handbuch, der höheren Analysis auszuarbeiten, und
wo mir meine Vorlesungen, durch die ich nach Kräften das Studium der höhern
Mathematik zu erheben und zu beleben suche (es lag unter dem sonst höchst gründ-
lichen und gelehrten Mollweide1) fast ganz) nicht wenig Zeit wegnehmen. Doch gebe
ich es noch nicht auf, über mathematische Psychologie zu lesen. Ob ich ihr jemals
weide intensiv nützen können, wage ich nicht zu hoffen.
Entschuldigen Sie den langen Brief und erlauben Sie mir, mich mit aufrichtiger
Verehrung zu nennen
Ihren ergebensten M. "W*. Drobisch.
N. S. Noch an dem heutigen Tage habe ich von der Jen. Lt. Zeit, eine Ein-
ladung erhalten, für Philosophie theilzunehmen u. Ihre Psychologie zu recensiren.
Die Veranlassung haben Sie wohl gegeben. Ich bedaure, daß ich Ihr Werk nun
schon für die Leipz. L. Ztg. angezeigt habe, wo ich freilich den Raum sehr habe
schonen müssen. Jener Antrag enthielt aber in seiner Allgemeinheit zu viel Ehre:
ich habe ihn sehr beschränken und größtentheils auf Mathematik übertragen müssen.
Ich bin zu sehr Laie in der Philosophie. D.
322. An DrobiSCh.2) Königsberg 2oSept 1828.
Meinen besten Dank, hochveehrter Hr. Professor, für Ihre Briefe vom
30 Jul. u. vom 9 d.M.! Ihren Aufsatz3) erwarte ich mit Ungeduld, aber
wo steht er gedruckt? Hat die dortige Redaktion sich wirklich entschlossen,
ein schon recensirtes Buch nochmals vornehmen zu lassen? Die Hefte
der L. Z. vom Jul. u. Aug. liegen vor mir, einzelne Stücke vom Sept.
habe ich ebenfalls gesehen. Wenn der Abdruck Ihres Aufsatzes über
meine Psych, wirklich existirt, so bitte ich Sie mit erster Gelegenheit die
Expedition der L. L. Z. zu ersuchen, daß mir derselbe eben so wie sonst
meine eigenen Recensionen in so viel Blättern als er einnimmt zugeschickt
und berechnet werde. Hat aber der Abdruck dort Schwierigkeit gefunden,
so wäre, dünkt mich, der Ausweg nach Jena sehr gut; nicht bloß für
diesen, sondern auch noch für einen künftigen Fall. Uebrigens können
schwerlich bloß meine Mittheilungen an Eichstädt den ganzen Grund des
Ihnen gemachten Antrages enthalten, sondern der Ruf Ihrer in der Ver-
sammlung der Naturforscher gehaltenen Vorlesungen mag sich vielleicht
nach Jena verbreitet haben.
Indem Sie über den Begriff der zufälligen Ansichten Frage erheben,
versetzen Sie Sich meines Erachtens gerade in die gesammte Speculation
hinein; hier ist der wahre Angelpunct für Metaphysik- und Naturphilosophie.
Allein bevor Sie den zweyten Theil meiner Metaphysik in Händen haben,
kann es nicht helfen, daß ich viel darüber sage. Nur soviel für jetzt:
So wenig der Mathematiker die Zerlegung der Kräfte modelt nach einer
Vergleichung mit der Zerlegung in unmögliche Factoren; wie vielmehr
jeder dieser Gegenstände als für sich bestehend aus sich selbst will ver-
standen seyn: so ist es auch erstens mit der Zerlegung der einfachen
Empfindungen in der Psychologie, zweytens mit der Zerlegung der ein-
fachen Qualität jedes realen Elements in der Metaphysik; drittens mit
x) Drobischs Lehrer u. Vorgänger, vgl. "W. Neubert-Drobisch S. 24 u. ö.
2) 1 S. 2°.
3) S. Brief Herbarts an Drobisch v. 26. Nov. 1828.
Herbarts Werke. XVII. 12
178 September 1828.
der Zerlegung der Puncte, als ob sie theilbar wären, in der Naturphilo-
sophie. Die Vergleichung der unmöglichen Factoren, und die der Punctey
ist jedoch in so fern statthaft, als hier die Begriffe der Theile selbst in
sich widersprechend sind. Hingegen die Zerlegung der einfachen Töne,
Farben, u. s. w. ist bloß unausführbar. Die Theile lassen sich nicht an-
geben. Statt dessen läßt sich cos (p -f- sin cp ]/-i u. cos (f — sin (p |/-i
nicht bloß angeben, sondern auch ganz deutlich zusammensetzen; und
eben die klare Zusammensetzung ists, was der Rechnung den Ursprung
giebt. Bey Tönen, Farben u. s. w. ist die Zerlegung uns nicht möglich;
aber das ist etwas ganz anderes, als das vollkommen wohl mögliche,
dem Mathematiker sehr gut gelingende Zerlegen in Factoren, die, ah
Factoren (oder als Wurzeln einer Gleichung) genau das leisten was sie
sollen, während die Begriffe der einzelnen Factoren klare Widersprüche
enthalten. — Auch ist der Ursprung der Zerlegung der einfachen Emp-
findungen von ganz besonderer Art. Die Töne bilden ein Continuum!
Darum giebt es unendlich nahe Töne; das heißt, Töne, die unendlich
nahe gleich sind. Ihre unendlich kleine Differenz kann aber wachsen,
und zwar ohne Sprung; während die Gleichheit abnimmt; so geschiehts
beym Fortschreiten in der Tonlinie. Jeder Ton, weil er eine bestimmte
Stelle in der Tonlinie hat, ist (nicht an sich, sondern) in Hinsicht seiner
Relation zu anderen Tönen, in wie fern er von diesen um eine bestimmte
Distanz absteht, zerlegbar in Theile, die in der Empfindung gar nicht vor-
kommen können, und darin nicht einmal gesucht werden dürfen, weil die
Empfindujig keine Relation und keine Stelle ist. — Von der Sekunde wollen
Sie nicht zugeben, ,,daß der Effect der Modification auf die Höhe des Tonsr
auf seine Qualität Einfluß habe." Gewiß mit Recht! Aber das habe ich
gar nicht behauptet. Die Rede ist nur von reiner Unterscheidbarkeit des
d von c, während eis noch als erhöhtes c, des noch als erniedrigtes d
gehört wird; vermöge des Uebergewichts der Töne, so fern sie die Ver-
schmelzung erlitten haben, über eben dieselben Töne, so fern sie rein
gegeben werden. Das Experiment was Sie vorschlagen, wäre interessant;
aber es erfordert ganz andre Berechnung, und wird ein ganz anderes Resultat
geben, wenn die Empfindungen irgend eine Dauer haben, und zwar des-
halb weil die abnehmende Empfänglichkeit das Verhältniß der momentanen
Auffassungen jeden Augenblick verändert; nämlich zum Nachtheil der
stärkeren Empfindungen. Vergleichen Sie beliebig Psychologie II, S. 204. 1)
— Nehmen Sie für diesmal gütig vorlieb mit diesen wenigen Zeilen; es
wird mir bei mehr Muße das größte Vergnügen machen, einen ausführ-
lichen wissenschaftlichen Briefwechsel, ohne bestimmte weitere Absicht mit
Ihnen zu unterhalten. Sie werden mich vielleicht anspruchsloser finden
als ich in Schriften für eine leider höchst einfältige Menge erscheine.
Ihre gütige Theilnahme an meinen Arbeiten verdanke ich herzlich.
Hochachtungsvoll Herbart.
x) S. Bd. VI, S. 136 ff.
November 1827. jyg
323. Jäsche an H.1) Dorpat den 22. Novbr. 1828.
Hochwohlgeborner, Besonders Hochzuehrender Herr Professor ! Sie haben mich,
Verehrungswerthester ! durch Ihr mir überaus werthes und willkommenes Schreiben,
zu dessen Empfang mir bereits mein alter Freund und College Morgenstern Hof-
nung gemacht hatte, so sehr erfreut und geehrt, und zugleich auf's Neue wieder
unter Bezeigung Ihres besondern Zutrauens zu dem Werthe meines jüngsten
schriftstellerischen Versuchs und dessen fruchtbringendem Erfolg, so kräftig zur Be-
harrlichkeit in Ausführung des von mir begonnenen Bestrebens ermuntert, daß ich
mich schon dadurch wohl genug aufgefordert fühlen konnte, Ihnen für diese wieder-
holten Äußerungen eines besondern Wohlwollens und achtungsvollen Vertrauens zu
mir meinen verbindlichsten Dank sogleich schriftlich zu erwidern. Auch würde ich
gewiß der Aufforderung meines Herzens in unverzüglicher Beantwortung Ihrer
geehrten Zuschrift gefolgt seyn, hätte ich nicht zuvor erst noch den Empfang des
mir gütigst von Ihnen zugedachten, soeben erschienenen ersten Bandes Ihrer Meta-
physik abwarten wollen, um Ihnen sodann von meinem ernsten und eindringenden
Studium derselben Rechenschaft ablegen, und Ihnen eben damit zugleich einen Be-
weis geben zu können, daß ich mich keinesweges damit begnügen möge, etwa nur
Einzelnes aus den gehaltvollen Werken Ihres philosophischen Genius erfaßt und
beachtet zu haben, sondern gern in das Innerste Ihres Systems eindringen und
Ihrem philosophischen Genius, soweit nur immer die eigene Geisteskraft und Geistes-
gewandheit es wird verstatten mögen, folgen wolle, um das systematische Ganze, der
auf dem Wege Ihrer eigenen Methode gewonnenen Ansichten des philosophischen
Wissens und Glaubens sodann klarer und vollständiger überschauen zu können. Um
mir nun recht bald den Besitz des Werts als eines von der Güte seines würdigen
Autors selbst mir dargebotenen kostbaren Geschenks, zu verschaffen, hatte ich auf
der Stelle mit umgehender Post von Hn. Buchhändler Unzer durch unsre Hart-
mannsche Buchhandlung in Riga mir, das || Ihrer Veranstaltung zu folge, für mich
bereit liegende Exemplar ausgebeten. Daß ich es jedoch bis jetzt noch nicht er-
halten, davon muß ohne Zweifel der Grund in den Schwierigkeiten und Hindernissen
liegen, welche leider! immer noch der sichern und schnellen Passage ausländischer
litterar. Producte, wofern sie nicht an unsre Univ. Bibl. selbst addreßirt sind, an
unsrer Zollgränze gesetzt werden. Um so erwünschter muß es mir demnach seyn,
daß sich aber jetzt eine so vortheilhafte Gelegenheit mir darbietet, mein Verlangen
nach dem baldigen Besitz Ihrer Metaphysik zu befriedigen. Der bisherige Privat
Docent an Ihrer Universität, von der unsrigen so eben zu einer Professur berufen. Herr
Friedländer, tritt noch zu Ausgange dieses Jahres seine Reise von Königsberg zu
seiner neuen akademischen Bestimmung bey uns an; und ich ergreife daher begierig
die willkommene Gelegenheit mir durch ihn das Ex. bringen zu lassen, indem ich
die Dienstgefälligkeit eines künftigen Collegen dazu in Anspruch nehme, den ich da-
bey zugleich in einem Schreiben ersuche, Ihnen, mein Verehrtester! in Person
meinen Brief einzuhändigen, damit er mir gleich nach seiner Ankunft bey uns eine
authentische Kunde von Ihrem Wohlseyn, und auch, wie ich hoffe, von der Fort-
dauer Ihres mir höchst schätzbaren geneigten Andenkens an mich hinterbringen
könne.
Mit besonderem Intereße wird gleich beim ersten Studium Ihrer Metaphysik
mein Augenmerk auf die Puncte gerichtet seyn, auf welche Sie im voraus meine
Aufmerksamkeit hinlenken; ich meine auf Ihre Polemik gegen die Kantische Lehre
als System, deßgleichen auch auf Fries eigene Behandlungs- und Darstellungsweise
des Kriticismus. Was diese Hauptpuncte betrifft: so kann ich selbst Ihnen zum
*) 3 S. 4°. H. Wien.
12*
igo November 1828.
voraus das aufrichtige Bekenntniß ablegen, daß meine Absicht keineswegs dahin geht,
die Kantische Lehre als System aufrecht zu erhalten. Dann wohl glaube ich mit
Ihnen, daß wir wenigstens meinen Gegnern Triumphe zu bereiten und ihnen Blößen
zeigen, die sie nicht ermangeln würden, zu ihrem Vortheile zu benutzen. Sie
rathen mir, mich nicht auf Andre aus der Kantischen Schule, sondern doch lieber
auf mich selbst mich zu verlassen. Ich will diesem Rathe folgen, durch welchen
Sie ein Vertrauen zu meiner philosophischen Denkweise und Prüfungsgabe an den
Tag legen, welches mein Selbstgefühl steigern und das selbsteigene Zutrauen zu
meiner Beurtheilungskraft verstärken kann. "Wohl habe ich wenigstens durch die
auch von mir nicht übersehenen und von Ihnen hie und da schon gerügten Fehler,
die Feies u. Andre theils aus Unbedachtsamkeit und Uebereilung, theils aus Be-
fangenheit und blindem Vertrauen zur Unfehlbarkeit einmal sich angeeigneter
Ideen und Grundsätze begnügen, || leichter lernen können, bey meinen Unter-
suchungen auf denselben Feldern der Spekulation mit mehr Umsicht und Bedacht-
samkeit zu Werke zu gehen. Ueberdies scheint es mir nun auch, je länger ich
mein Nachdenken darauf gerichtet, um so klarer und gewißer zu werden, daß zu
Sicherstellung und Durchführung einer wissenschaftlichen, von der theoretischen
wie von der praktischen Seite ausgehenden Polemik gegen die eiteln Anmaßungen
der transcendenten Spekulationen, welche namentlich die Schellingsche und Hegeische
Schule bis jetzt ans Tageslicht gebracht, der Gebrauch der Waffen allein tauglich
und auch zureichend sey, welche die Kantische Lehre als bloße Kritik darbietet.
Ganz besonders bin ich in diesem Betracht mit Ihnen einverstanden in der, in Ihrer
Recension meiner Schrift ausgesprochenen Behauptung von der feindseligen Stellung
der Kant. Kritik der rationalen Theologie gegen alle und jede pantheistische Tendenz
der Speculation, womit sich auch, wie Sie ferner in der gedachten Rec. bemerken,
überall keine Ontologie verträgt, wie sie Kant selbst als Kritiker, der Consequenz
seiner kritischen Grundlehren gemäß, würde begründet und ausgebildet haben
müssen. Daß Sie vereintester Herr Professor! meinen Wunsch, auch den 2ten Band
meines Buches l) Ihrer öffentlichen Anzeige und Beurtheilung zu würdigen, bereits er-
füllt, macht mir ungemeine Freude; auch können Sie es gewiß meiner von Ihnen an-
erkannten und geschätzten Wahrheitsliebe zutrauen, daß ich ein gründliches, mit
Schärfe und Freymüthigkeit auch über diesen Theil des Ganzen gefälltes Urtheil,
wie ich es von Ihnen nicht anders erwarten kann, gleichfalls mit dem achtungs-
vollsten und verbindlichsten Danke aufnehmen werde. Lieb ist's mir auch, daß
Sie die Gegenschrift Ritters, welche, wie Sie erwähnen, sogleich einen widrigen,
mir leicht erklärbaren Eindruck auf Sie gemacht, zugleich mit berücksichtiget haben. 2)
Gewiß werden auch Sie, wie schon der verewigte Bouterwek in seiner Recension
gethan, den mißfälligen Ton rügen, in welchem die polemische Schrift abgefaßt ist.
Aber das scheint ja in unseren Tagen der herrschende Ton unsrer deutschen philo-
soph. Mode Welt mehr u. mehr zu werden. Seltsam genug jedoch, daß der Vor-
wurf einer ungerechten, wegwerfenden und schonungslosen Beurtheilung Anderer,
Männern gemacht, die in keinem Betracht ihn verdienen, nicht selten gerade aus
dem Munde Solcher vernommen wird, die einer Beurtheilung dieser Art sich
schuldig machen; wie dies unter anderen auch bey dem etwas gar zu sehr renommiren-
den Bachmann in Jena der Fall zu seyn scheint. — Ueber einen und den andern
für mich bedeutenden und intereßanten Punkt in Ihrem geehrten Schreiben behalte
ich mir vor, mich künftig noch zu äussern, wenn ich erst mit Ihrer Metaphysik
mich werde vertrauter gemacht haben. Indem ich Ihnen schließlich meine Freude
*) S. Bd. XIII, S. 113 ff.
2) Ebenda.
November, Dezember 1828. 18 T
über die für mich so intereßante Aussicht bezeige, die Sie mir mit den "Worten er-
öfnen: „„Wir werden hoffentlich noch lange gemeinsam wirken"" eine Aussicht,
die meinen Muth zu wirken nicht wenig zu beleben u. zu befestigen vermag, emp-
fehle auch ich mich zutrauungsvoll Ihrem fortdauernden geneigten Andenken.
N. S. Mein theurer Freund u. College Moier mit Ihnen von Göttingen als Ihr auf-
richtiger Verehrer her als akadem. Zeitgenoße befreundet, empfiehlt sich auch Ihrem
Andenken. Jäsche.
824. An Drobisch.1) Königsberg 26 November 1828.
Unmöglich kann ich diesen Posttag hingehen lassen, ohne Ihnen,
hochgeehrter Herr Professor! meinen unbegränzten Dank für Ihre ganz
vortreffliche Rec. meines Buches2) darzubringen, wenn auch nur mit den
flüchtigsten Federzügen. Zwar ist Alles gesagt, wenn man ausspricht:
Diese Recension steht jener Ihrer ersten vollkommen würdig zur Seite;
und dennoch wünschte ich mehr sagen zu können. Wohl habe ich selbst
manchmal mit Sorgfalt recensirt; aber, indem ich mein Gedächtniß an-
strenge, kann ich kaum ein Beyspiel finden, wo ich mit aller meiner
Eigenliebe mir selber im Stillen zu sagen getraute, ich hätte eine Recension
von so ausgesuchter Zweckmäßigkeit zu Stande gebracht. —
Man erkennt in der Ihrigen den Mathematiker, und seinen Tact,
gerade das Rechte zu treffen, aber man erkennt noch mehr. Man erkennt
einen Mann, den man durchaus wünschen muß persönlich kennen zu
lernen. —
Für jetzt leben Sie wohl! Möge es Sie niemals gereuen, mir eine
langentbehrte literarische Hülfe geleistet zu haben Herbart.
325. An die Redaktion der Hallischen Literatur-Zeitung.3)
Königsberg 21 Dezember 1828.
Ew. Wohlgeboren werden vor einigen Wochen einen Brief von mir
empfangen haben, worin ich Ihnen Troxlers Metaphysik vorschlug als
ein Buch, dessen Recension ich für Ihre A. L. Z. übernehmen möchte.
Ihr Stillschweigen habe ich für Zustimmung genommen, und sende Ihnen
die Recension hiebey. 4) Wenn es Ihre Einrichtungen erlauben, so würde
ich den baldigsten Abdruck, und von dem Stück der L. Z. worin derselbe
sich befindet, ein Exemplar für mich erbitten, das mir unter Kreuz- Couvert,
mit der Reitpost auf meine Kosten, wie ich es von der Leipziger Ex-
pedition gewohnt bin, könnte zugesendet werden. Wollen Sie aber die
Rec. nicht aufnehmen, so erbitte ich dieselbe sogleich zurück, damit ich
sie anderwärts abdrucken lasse.
Für die Folge wäre es mir angenehm, wegen der Bücher die zur
Recension bestimmt sind, Ihre Wünsche und Vorschläge zu vernehmen,
wie ich dies ebenfalls in Leipzig gewohnt bin. Hier in Königsberg kommt
uns nicht Alles was herausgegeben wird, zu Gesicht.
') 1 S. 40.
2) In No. 282 f. des Jahrg. 1828 der Leipz. Lit. Ztg. findet sich eine zweite
Anzeige von Herbarts Psychologie, die von Drobisch geschrieben und mit vollem Namen
unterzeichnet ist.
8) 2 S. 8°. Ohne Adresse. — Im Besitz des Herausgebers.
4) S. Bd. XIII. S. 83—97.
j82 December 1828.
Zugleich empfehle ich Ihrer Fürsorge meine eigenen Angelegenheiten.
Meine Abhandlung de attentionis mensura ist meines Wissens bey Ihnen
gar nicht recensiert; und meine Psychologie, deren erster Band durchaus
von einem Mathematiker beurtheilt werden müßte, ehe sich Jemand ein-
fallen lassen dürfte, den zweyten auch nur zu berühren, ist bey Ihnen,
wie anderwärts, in unrechte Hände gefallen. Die Leipziger L. Z. hat
den Fehler aufs schönste wieder gut gemacht, durch die höchst vortreff-
liche Recension vom 10 und 11 November dieses Jahrs. Ihnen könnte
die Abhandlung de attentionis mensura Gelegenheit geben, mir ähnlichen
Ersatz zu schaffen, wenn man sich nicht entschließen will, die Psychologie
von neuem recensieren zu lassen, wie es in Leipzig geschehen ist.
Besonders aber wünsche ich nun meiner Metaphysik mehr Sorgfalt.
Der zweyte Band derselben erfordert theils einen Mathematiker, theils
einen Mann, der meine früheren Schriften aufs genaueste kennen muß.
Der erste Band verlangt einen Kenner der Geschichte der Philosophie. —
Endlich nehme ich mir die Freyheit, Ihnen meines Freundes Griepenkerl,
Lehrbuch der Ästhetik zu empfehlen; ich selbst kann das Buch nicht re-
censieren, weil ich Parthey sein würde.
Hochachtungsvoll empfiehlt sich Ew. Wohlgeboren ganz ergebener
Herbart.
[Randbemerkung:] Wenn Ew. Wohlgeboren es genehmigen, so werde
ich Ihnen bald eine Recension über eine kleine, aber gelehrte und sehr
gut abgefaßte kleine Schrift unter dem Titel, „über philosophische Kunst,
von Mehring, erstes Heft Stuttgard bey Frankh" einsenden.1)
Dez.: Verhandlungen wegen einer Berufung Herbarts nach Göttingen. S. Bd. XV.
S. 271 — 272.
*) S. Bd. xin. S. 196 f.
1829.
"W.: Allgemeine Metaphysik nebst den Anfängen der philosophischen Naturlehre.
Zweiter Teil. S. Bd. VIII. S. 1—388. Rez. von Troxlers Naturlehre (S. Bd. XIII.
S. 83 — 97), Buquoys Anregungen für philosoph. -wissenschaftliche Forschung (S. Bd. XIII.
S. 97 — 103), Drozs Anwendung der Moral auf die Politik (S. Bd. XIII. S. 104 — 113),
Ritters Halbkantianer (S. Bd. XIII. S. 113 — 121), Jäsches Pantheismus. 2. Bd.
(S. Bd. XIII, ebenda).
326. Richthof en an H.1) Brecheishof, d. 21sten Jan. 29.
Mein verehrter Freund! In Folge Ihres letzten Schreibens habe ich sogleich
einen Brief an Eichstädt gesandt, und ihn gefragt, ob er eine Recension von mir
aufnehmen wolle, und bis wann sie fertig seyn müße, um Ihren Wünschen gemäß
im März zu erscheinen; zugleich aber gebeten, mich wissen zu lassen, an wen er
frühere Briefe an mich gesandt, und weil ich solche nicht erhalten, doch lieber den
"Weg der Post zu wählen. Da ich ihm immer franco geschrieben, ist diese Sparsam-
keit um so lächerlicher.
Über die Wirkung der Recensionen habe ich jedoch allerdings eine weniger
günstige Meinung; mir scheint als wäre die Zeit der Iitteratur-Zeitungen vorüber;
seitdem der Buchhandel einen raschern Gang genommen, als da er noch an Messen
nnd langsame Fracht gebunden war; seitdem das Band der einzelnen Wissen-
schaften immer loser geworden, und sich jeder, der etwas leisten will || , in den ab-
gelegenem Theiien seiner Wissenschaft abmüht, wie etwa niemand in der viel be-
tretenen Schweiz neue Thäler zu finden hofft; seitdem kommen die meisten Kritiken
entweder zu spät, oder finden doch nur wenig theilnehmende Leser. Und nun die
Menge der kritischen Blätter, das durcheinander schwirrende Scholien-Gezisch ;
wessen Stimme da noch gehört werden soll, müßte lauter schreien als 10000 Griechen,
während Nikolai, den ich als keuchenden und blödsichtigen Alten gekannt, durch ganz
Teutschland vernommen ward. Vor allem aber ist in der Philosophie, wo Kant einst
wie ein gewaltiger Strom alles mit sich fortriß, und selbst Steine schwimmen machte,
die Sage verbreitet, der Rhein habe sich im Sande verlohren, und nur wenige Leute
wissen, daß die Waal eben nichts anderes ist, als der Rhein, wiewohl er unter dem
neuen Nahmen Flotten trägt, und den Nahmen eines Stroms mehr als bei Schaff-
hausen verdient.
Also Sie beabsichtigen eine Reise nach Berlin! Geht es Ihnen auch wie mir,
kein Buch von Hegel lesen, geschweige verdauen zu können! oder wenn Sie ein
lesbares wissen, bitte so nennen Sie mir es. || Ein ipaar Mal habe ich vergeblich
.angesetzt, und fast schäme ich mich meiner Unkunde der weltberühmten Lehre.
Ich wollte Sie könnten mit ihm Königsberg gegen Berlin vertauschen, denn weil Bücher
*) 3 S. 4°. H. Wien.
184. Februar 1829.
und Recensionen wenig gelesen werden, so halte ich ein besuchtes Auditorium und
eine große Universität, für das einzige Mittel der Ausbreitung einer Lehre, durch
das zugleich Misverständnisse am besten vermieden werden, und für das die Ge-
schichte spricht. Endlich kriegte ich Sie dadurch näher.
Auch Bouterwek ist ja gestorben! Aber vielleicht sind kleine Universitäten
dem philosoph. Studien günstiger als große; vielleicht ist dessen Verbreitung nichts
schädlicher, als wenn der Student in seiner Brodtwissenschaft ein Sourrogat vor-
findet, und er die künstlich geschnitzte gebrannte und parfümierte Rübe für ächten
Mokka-Kaffee hielt.
Doch ich verliehre mich in ausgetretenen Gleichnissen und sehe Sie lächeln.
Also manum de tabula, und nur noch die Bemerkung daß sich unsere letzten Briefe
wahrscheinlich gekreuzt, und Sie hoffentlich mein letztes Schreiben und dessen
Beilage erhalten haben.
Bleiben Sie ferner mein Freund! Richthofen.
Soeben erhalte ich einen Brief von Eichstaedt, wiewohl noch keine Antwort auf
meine Frage, indem sich die Briefe gekreuzt haben. Ich werde also anfangen so-
bald einige drängende Geschäfte es erlauben; freilich wohl oft unterbrechen?
327. Brandis an H.ij Bonn, 12. Febr. 1829.
Hochzuverehrender Herr Professor. Erst bey verspäteter Rückkehr aus den
Böhmischen Bädern ward ich durch Ihre sehr gütigen Zeilen erfreut, denen dann
im November Ihr schönes Geschenk folgte.
Ihnen dafür meinen innigen Dank zu sagen, konnte ich mich nicht ent-
schließen, bevor ich nicht wenigstens angefangen mir es durch ernstliches Studium
zu eigen zu machen u. dazu fand ich erst Zeit nachdem mancherley Geschäfte u.
Arbeiten beseitigt, die sich während zweymonatlicher Abwesenheit sehr gehäuft hatten.
Auch jetzt muß ich mich noch begnügen, theilweise zu lesen u. zu durchdenken,
und werde wohl kaum vor den Osterferien mir den Genuß verstatten dürfen das
Ganze ununterbrochen u. als Ganzes zu studiren. Meiner innigsten Verehrung u.
Dankbarkeit kann ich aber nicht länger anstehen Sie zu versichern, u. daß ich nie
das Buch zur Hand nehme ohne aufs lebhafteste anzuerkennen den Geist der Tiefe,
der in der That auch nur befangenen oder gedankenlosen Lesern verborgen bleiben
kann. Wenn einem bey der philosophischen Tageslitteratur im ganzen wie in einem
sinn- u. leblosen Schattenreiche zu Muth wird, so fühlt man sich durch die Eigen-
tümlichkeit, Consequenz u. Lebendigkeit Ihrer Speculation wie neu gestärkt u. be-
greift kaum, wie neben ihr die auf einem grund- u. bodenlosen Mittelgebiet hin u.
herredende Dialektik der (ScoVtcs unsrer Tage, theils durch eine gewisse äußere
Fertigkeit theils durch ungemessene Verheißungen hier noch immer geltend zu
machen weiß.
Zwar ist die Kunst, Schein zu erregen, mit mehr oder weniger Glück in der
Philosophie von jeher geübt worden, aber ob jemahls auf so mannichfaltige und schein-
bar einander entgegengesetzte Weise ? ist einem von der einen Seite das Hegeische
Spiel mit leeren, willkührlichen Abstractionen höchst unerfreulich u. der Ton un-
berechtigter Anmaßung widerwärtig, in dem es die subjectiveste Willkühr für objective
Notwendigkeit ausgiebt, so kann man auf der andern Seite an den theils stumpfen
u. platten, theils mit einiger Gewandtheit aus ähnlichen intermundiis geschöpften
directen und indirecten Gegenreden ebenso wenig Gefallen haben. Wie ganz anders
wird einem zu Muth, wenn man mit Ihnen, hochverehrter Mann, zu den weder
*) 23/4 S. 4°. H. Wien.
Februar 1829. 185
bemäntelten, noch verkannten Schwierigkeiten der Probleme zurückkehrt und mit
Ihnen sich an einer Lösung versucht, die nach den Hauptrichtungen hin mit || gleichem
Ernst u. gleicher Gründlichkeit durchgeführt, so durchaus auf realem Grund u. Boden
ruht u. auf einem Grund u. Boden, der als das non plus ultra, als letzter möglicher
Grund-Boden nothwendig anerkannt werden muß. Ob ich auf ihm mich jemahls
mit Ihnen werde ansiedeln können, ob der zweyte Theil der Metaphysik mich über-
zeugen wird, daß die scharfsinnige Theorie der Selbsterhaltung einfacher Wesen
gegen Störungen, auch immanente Kraftthätigkeit abzuleiten im Stande sey, sie nicht
schon voraussetze; ob ich jemals einsehen werde, wie aus der Mannichfaltigkeit
einander qualitativ entgegengesetzter, einfacher Wesen eine Mannichfaltigkeit der Vor-
stellungen u. wenn so wie aus ihrem Zusammentreffen ein Zusammenfassen in Ein
"Vorstellen u. so ein Vorstellendes entstehe, wie ferner bey dem stetigen Zuströmen
neuer Vorstellungen irgend eine Vorstellungsmasse Festigkeit genug erlange um als
innere den äußeren entgegenzukommen u. auf die Weise alle Erscheinungen des
inneren Sinnes u. des Selbstbewußtseyns zu erzeugen, und wiederum wenn so, wie
nicht ins unendliche hin eine Vorstellungsmasse der andern sich überordne u. bey
solchem progressus in infinitum das appercipirende Subject gänzlich verschwinde, u.
endlich wie die Thatsachen der sittlichen Zurechnung sich mit Ihrer Theorie völlig
vereinigen lassen — darüber kann u. will ich noch nicht entscheiden; wohl aber
dafür einstehen, daß ich nie aufhören werde, Ihr System als eins der vorzüglichsten
Denkmäler der philosophirenden Intelligenz zu bewundern u. wenigstens dadurch
mir anzueignen, daß ich meine eignen Lösungsversuche der in ihm mit so
unvergleichlicher Schärfe u. Tiefe entwickelten Probleme immer von neuem an ihm
messen u. nach ihm rectificiren werde. Meine Versuche würde ich auch schon jetzt
in ihren Anfängen Ihrer Prüfung vorzulegen mich durch meine innige Verehrung
für Sie ermuthigt fühlen, wenn ich zugleich im einzelnen zu entwickeln Muße hätte,
wie und warum ich bey jener lebhaften Anerkennung mich von den Eesultaten Ihrer
Forschung zu entfernen genöthigt sehe. Vorläufig bitte ich nicht den Stab über mich
zu brechen, wenn ich bekenne, insofern auf Kant zurückzugehen, daß ich Grenzen
der Erkennbarkeit der Objecte anerkenne, indem ich das Vorstellbare vom Denkbaren
sondere u. in Bezug auf letzteres nothwendige und allgemeingültige Hülfsbegriffe
annehme, die der metaphysischen Entwicklung im Verhäitniß zu einander u. zu dem
durch sie aufgefaßten, fähig u. bedürftig, mir weder bestimmt, noch geeignet scheinen
uns Aufschluß über die letzten, einfachen Träger der Dinge zu gewähren. So wenig
ich mir auch schmeicheln dürfte, daß Sie den Resultaten meiner Untersuchung bey-
stimmen würden, die übrigens weder auf- bloß logischem, noch bloß psychologischem
Wege mir zu Stande gekommen, — davon dürfte ich vielleicht hoffen, Sie zu über-
zeugen, zumahl wenn mir's vergönnt wäre, mündlich mitzutheilen u. das mitgetheilte
zu vertreten, daß das Studium Ihrer Werke, wie wenig ich auch ihren || Resultaten
mich habe anschließen können — nicht ohne Frucht geblieben u. daß ich mit Ernst
bestrebt bin, nicht selber dem Schaukel- u. Scheindenken anheim zu fallen, das mir
in den meisten neueren Erscheinungen auf dem philosoph. Gebiet sehr zuwider ist.
Eine Anzeige Ihrer Metaphysik zu versuchen reizt mich mein Verlangen öffent-
lich zu bekennen daß u. warum ich in dieser wie in Ihren übrigen Schriften
Flüchte des wahren, philosophischen Genius hochhaltend anerkenne, wie sie uns im
letzten Decennium nicht weiter zu Theil geworden. Eine solche, vielleicht, durch
Vergleichung durchgeführte oder veranschaulichte Erklärung würde da wo ich
Zweifel gegen die Resultate Ihrer Untersuchungen zu äußern hätte, auch den Schein
anmaßlicher Polemik in Ihren wie in des Dritten Augen entfernen u. mich zu frey-
müthiger Äußerung derselben ermuthigen. Aber ob es geiathen sein möchte, den
I 86 Februar 1829.
ersten Theil der Metaphysik vorläufig anzuzeigen oder besser den zweyten zu er-
warten? Vorläufig werde ich einen Entwurf zur Anzeige des ersten Theils, wahr-
scheinlich für die Haller L. Z. in den nächsten Ferien ausarbeiten: inzwischen erfahre
ich vielleicht, ob wir hoffen dürfen, den zweyten in kurzem folgen zu sehn
oder nicht.
Vom Rheinisch. Mus. habe ich mir die Freyheit genommen, die beiden letzten
Hefte an Sie abzusenden. Zwar tragen wir noch Bedenken den Bereich desselben
auch auf Geschichte der neueren Philosophie auszudehnen — um nicht gegen eine
Flut unberufener Beyträge ankämpfen zu dürfen — aber für Beyträge von Ihnen,
welchem Gebiet der Gesch. der Philosophie sie auch angehören möchten — öffnen
sich unsere Schranken: möchten sie uns zu Theil werden! Woile der Himmel Ihnen
Gesundheit u. frohen Muth verleihen, das wünscht vom Grund seiner Seele
Ihr mit innigster Verehrung Ihnen ergebener Ch. A. Brandis.
328. An Brandis.1) Königsberg, 27 Febr. 1829.
Hochzuverehrender Herr Professor!
Nicht bloß für das gütig übersandte Rheinische Museum, für Ihren
äußerst schätzbaren Brief vom 12. d. M., und für das Versprechen einer
baldigen Recension meiner Arbeit, (deren zweyter Theil schon beynahe
vollständig gedruckt ist) habe ich meinen besten Dank darzubringen:
sondern ich finde auch ein Wörtchen in Ihrem Brief, das mich mehr,
als alles Andre treibt, sogleich zu antworten, ja sogar auf schnelle Er-
wiederung von Ihrer Seite mir einige Hoffnung zu erlauben. Sie sprechen
von mündlicher Mittheilung! Haben wir hier in Königsberg — Lobeck2)
an der Spitze, — etwan das seltne Glück eines Besuches vom Rheine
her zu erwarten? Das ist fast zu neu um ernstlich daran zu denken.
Allein ich bin von der Noth wendigkeit mündlicher Mittheilungen unter
wahrheitliebenden Männern, vollends bey dem jetzigen kläglichen Sinken
der Philosophie, so vest überzeugt, daß ich dennoch Ihre Äußerung, so
leicht hingeworfen sie auch seyn mag, aufgreife, um Ihnen die Frage vor-
zulegen, ob wir irgendwo zusammentreffen könnten? In wenigen Wochen
reise ich auf etwa 14 Tage nach Berlin, so, daß ich sehr wahrscheinlich
in der Mitte des April dort seyn werde. Aber gesetzt auch, daß ich
nicht Hoffnung habe, Sie alsdann dort zu finden, so ist es nicht ganz
unmöglich, daß ich in den Hundstagen oder im Herbst eine Reise nach
Leipzig mache, wozu ich jedoch schon bald die Vorbereitungen treffen
müßte. Hierzu würde ich mich leichter entschließen, wenn ich von Ihnen
entweder nach hier oder in Berlin die erwünschte Nachricht bekäme, daß
Sie dort anzutreffen seyn und einige Zeit für mich übrig haben würden.
Mögen diese wenigen Zeilen Ihnen bezeugen, wie sehr es mich er-
freuen würde, ein genaueres Einverständniß mit Ihnen zu erreichen!
Hochachtungsvoll empfiehlt sich Herbart.
*) Die Briefe an Chr. A. Brandis in Bonn wurden zuerst veröffentlicht von
K. G. Brandis in den Päd. Blättern für Lehrerbildung 1898 (auch als Sonderdruck
im 6. Hefte der Beiträge zur Lehrerbildung und Lehrerfortbildung, herausgegeben von
Muthesius, Gotha, E. F. Thienemann). Sie gelangen hier mit gütiger Erlaubnis des Be-
sitzers der Briefe, Herrn Dr. K. G. Brandis, Direktors der Universitäts-Bibliothek in
Jena, der auch die Originale zur Collationierung fr. zur Verfügung stellte, u. des Heraus-
gebers der Päd. Blätter. Herrn Schulrat K. Muthesius in Weimar, zum Abdruck.
2) Chr. Aug. Lobeck, 1781 — 1860,' der berühmte Philolog. S. Allg. d. Biogr.
März 1829. 187
329. Richthofen an H.1) Brecheishof, 9ten Maerz 29.
Mein verehrter Freund! Es ist die Bestimmung dieses Briefes Ihnen zu sagen daß
ich mich endlich meines Versprechens2) und jüngst die bewußte Anzeige an Hn. Eich-
städt gesandt habe, der sie hoffentlich meiner wiederhohlten Bitte gemäß noch in
•den Monath März aufnehmen wird. Ich kann den Einfluß unserer kritischen Blätter
unmöglich hoch anschlagen, und wer giebt sich gern vergebliche Mühe, besonders
in einer Sache der man sich nicht vollkommen gewachsen fühlt, aber ich hoffe
meine Anzeige soll Ihnen meine Achtung und meinen Eifer für Wahrheit beweisen.
Dabei gebe ich Ihnen vorweg zu, daß ich hin und wieder geirrt habe, und habe
keineswegs die Anmaßung die Sache besser durchdacht zu haben als Sie, im Gegen-
theil; aber Recensionen sollen nicht nur Auszüge seyn, sondern selbst aus dem Ge-
sichtspunkt der Relation betrachtet, womit der Referent übereinstimmt oder nicht,
bezeichnen und das ihm wichtig Scheinende hervorheben.
Völlige Uebereinstimmung ist endlich kaum denkbar, und erweckt daher den
Verdacht entweder der Unfähigkeit oder der Verabredung. Sie selbst haben es
übrigens zu verantworten, wenn ich mich in eine fremde Provinz gewagt. Irrthümer
können Sie ja gelegentlich widerlegen! || Mir schien vorzüglich wichtig, daß nicht
-der Lehrer um einzelner Meinungen wegen das Ganze aufgebe; darum habe ich
wiederhohlt erinnert, daß (außer daß nichts verkehrter seyn kann als deshalb die
Untersuchung bei den mehreren möglichen Wegen immer, von neuem zu beginnen;)
Ihre Psychologie nicht nur auf einer streng philosophischen Deduktion beruht.
Mir däuchte endlich zweckmäßig mathematische Formeln, die auch von dem Lesen
einer Recension abschrecken, zu vermeiden. Darum habe ich zwar vorzüglich die Ent-
wicklung des Ichs verfolgt, aber auch gezeigt, daß wenn die Selbsterhaltungen viel-
leicht noch Gegenstand fernerer Untersuchung scheinen dürften, darum diese ernstlich
doch nicht aufzugeben sey, die Erfahrung uns aber da entgegenkomme, wo vielleicht
die philos. Ansichten divergieren. Ich habe die Anzeige bis dahin fortgeführt, wo das
Selbstbewußtseyn entwickelt, die Abstraktion des Ichs nachgewiesen und der eigent-
liche Kreislauf der Untersuchung abgeschlossen ist. Die Anzeige wird wohl durch
•einige Nummern laufen. Mit Bewunderung haben mich vorzüglich einige analytische
Deduktionen z. B. die des innern Sinns erfüllt.3)
Reisen Sie noch nach Berlin? Dann besuchen Sie vielleicht auch mich; von
Frankfurth wo Sie wohlidurchkommen sind bis hierher auf guten Chausseen 28 Meileu ;
•die Schnellpost geht bis Lüben 5 Meilen entfernt! Der Weg von dort über Lignitz
unmittelbar nach Brecheishof. Sie könnten dann über || Breslau, wohin ich Sie be-
gleitete, zurückreisen. In Berlin bin ich eigentlich wenig bekannt; auch bedürfen
•Sie wohl keiner Empfehlungen. Kennen Sie den trefflichen Savigny? Nicolovius, der
Sie mir einmal rühmte, ist jetzt von den Geschäften wohl ziemlich entfernt.
Leben Sie wohl, und bedenken Sie daß ich kein Philosoph aber Ihr Freund
bin und zugleich ein Wahrheit liebender Mann.
Der Ihrige Richthofen.
3. April (Berlin): Schreiben an den Minister, die Zusammenkunft mit Brandis und
Drobisch betr. S. Bd. XIV. S. 282 — 285.
x) 3 S. 4°. H. Wien.
2) Hier fehlt im Original ein Wort, etwa „erinnerte" oder „entledigte''.
3) Die Recension befindet, sich in der Jen. Allg. Lit.-Zeitung, April 1829,
Nr. 68 — 71, sie ist unterzeichnet: R.
l88 April 1829.
330. An DrODisch.1) Berlin 8 April 182$.
Hochgeehrter Herr Professor! Nicht blos der Entfernung nach bin
ich Ihnen jetzt um beynahe 80 Meilen näher als sonst, sondern auch in
Gedanken fast stets bey Ihnen. Mein Wunsch, mit Ihnen persönlich
über mehrere wissenschaftliche Gegenstände Rücksprache zu nehmen, hat
sich beynahe schon in einen Plan verwandelt, und es ist nicht ganz un-
wahrscheinlich, daß dieser Plan sich sogar mit Begünstigung von Seiten
des preußischen Ministeriums der geistl. und Unterrichts-Angelegenheiten
wird ausführen lassen. Aber mancherley vorgängige Verabredungen würden
nöthig seyn, wenn alles gehörig zur Reife kommen sollte. — Ich habe
vom Hr. Prof. Brandis in Bonn kürzlich einen so verbindlichen Brief er-
halten, daß ich auch diesen zu sehen wünsche; — und zwar, wenn es-
seyn könnte, mit Ihnen zugleich! Denn die große Angelegenheit, Philo-
sophie und Mathematik wieder in gehörige Verbindung zu setzen — , er-
fordert durchaus, daß sich Mathematiker mit solchen Philosophen, welche
ihre Wissenschaft erstlich historisch sehr genau kennen, und zweytens von
der reinsten Wahrheitsliebe || beseelt sind, so genau als möglich zu ver-
einigen ; solche Vereinigung aber läßt sich ganz ohne persönliche Bekannt-
schaft nicht bewerkstelligen. Was Einer einmal als Schriftsteller gesagt
hat, das will er meistens hintennach behaupten und verfechten; darum
muß man erst mündlich anfangen sich zu verstehen.
Meine Vorfrage an Sie ist nun, ob Sie in den Hundstagen, also Ende
Juli oder Anfangs Augusts, in Leipzig seyn und Muße haben werden?
Oder ob Sie (was mir viel lieber wäre,) vielleicht Sich bewogen finden
könnten, hierher nach Berlin eine Reise zu machen, die sich Ihnen, falls
Sie Berlin noch nicht kennen, vielfach belohnen würde; wenigstens macht
Berlin auf mich einen ganz unerwartet großen und heiteren Eindruck.
Oder ob es vielleicht am Ende des Septembers eher möglich wäre, unsere
Zusammenkunft zu veranstalten?
Nach Ihrer Antwort müssen sich meine Vorschläge an Brandis in
Bonn richten. Sie werden aber die Güte haben, noch nicht laut hievon
in Leipzig zu reden, da noch manche Ungewißheit über der Sache schwebt.
Können Sie mir gleich antworten, so trifft mich Ihr Brief noch hier, und
das wäre sehr erwünscht; ich bleibe noch etwa 8 Tage hier: Adressiren
Sie : abzugeben an Hrn. Regierwigsrath Reichhelm^ Oranienburger Straße No. 17.
Hochachtungsvoll Herbart.
331. Drobisch an H.2) Leipzig, d. 10. April 1829.
Verehrtester Herr Professor! Durch Ihre gütige Zuschrift von Berlin haben
Sie mir eine neue Ehre erwiesen, die zu verdienen ich mir so wenig bewußt bin
wie die andern Lobsprüche, mit denen Sie nun schon bei einigen Gelegenheiten die
Augen derer, die sich für Philosophie interessiren, auf mich gerichtet haben, ohne
daß ich den Schauenden etwas Sehenswerthes darzubieten vermag; und auf welche
ich längst mit einem Dank- auch ein Bitt-Schreiben Ihnen hätte übergeben sollen.
Sich selbst und die andern Philosophen nicht über mich zu täuschen. Sie haben,
wie es scheint, eine überaus günstige Meinung von mir gefaßt, weil es mir, nach
1) 2 S. 2°.
2) 28/4' S. 4 °. H. Wien.
April 1829. 189
Ihrem eigenen Urtheil, gelungen ist Sie zu verstehen. Mehr läßt sich aber auch
nicht sagen. Ich bin Laie in der Philosophie, mein philosophisches Wissen ist
Stückwerk. Mathematik, Physik, Astronomie haben mich mit der Philosophie zugleich
•angezogen und leider keine mit überwiegender Stärke, bis denn nun meine äußere
Stellung wenigstens vor der Hand der ersten den Vorzug gegeben hat. Wüßten
Sie nun noch überdies, was Sie wol nicht gedacht haben, daß ich noch nicht einmal
so alt bin wie die Jahrzahl, so hoffe ich werden Sie Ihre günstige Meinung etwas
herabspannen und sich von mir, wenigstens jetzt nicht versprechen, daß ich so viel
zur Förderung eines großen Zwecks zu leisten vermag als Sie zu erwarten scheinen.1)
Der Belehrung werden Sie mich immer zugänglich finden, wo sie in mir Über-
zeugung hervorzubringen vermag: und die letztere wird immer mit durch ein im
Studium der Mathematik erworbenes Gefühl der vollen Befriedigung motivirt, das
Sie wohl als richtigen Tact rühmen mögen; aber eben in diesem Vorherrschen der
Empfänglichkeit und in dem großen Mangel an historischer Gelehrsamkeit in der
Philosophie, dem zu begegnen mir vor der Hand nicht erlaubt ist, liegt gewiß ein
vollgültiger Grund, mich zu erfolgreichem Mitwirken bei einem bedeutenden Zwecke
für untauglich zu halten. Nach dieser aufrichtigen Beichte, die mir schon seit
längerer Zeit auf dem Herzen gelegen hat, kann ich um so offener bekennen, daß es
mir höchst interessant seyn || würde, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen, und
daß ich Ihrem gütigen Vorschlage dazu, wenn Sie nun, nach meiner Darlegung, es noch
wünschenswerth finden, mit Vergnügen entgegen kommen werde. In den Hunds-
tagen bin ich allerdings hier in Leipzig und könnte mich wohl, so weit es die Vor-
lesungen und die Vorbereitungen erlauben, von andern Geschäften frei machen (die
Collegien für einige Tage auszusetzen ist bei der Kürze des diesjährigen Sommers
unerwünscht); ich würde aber doch die zweite Hälfte des Septembers vorziehen und.
wäre sehr geneigt, nach Berlin zu kommen, was ich ohnehin noch nicht sah —
wenn nicht Veränderungen in meiner Familie, die mir bis dahin bevorstehen und
deren Folgen ich jetzt noch nicht übersehen kann, gegen meinen Wunsch und
Willen mir Hindernisse in den Weg legen. Ihren Wunsch, vor der Hand von Ihrer
Einladung noch nicht laut zu sprechen, erfülle ich herzlich gern, denn ich spreche
lieber von Dingen, die geschehen sind, als von solchen, die geschehen sollen.
Sollten Sie nun wol gar beabsichtigen, eine kleine Gesellschaft von Philosophen und
Mathematikern zu einer Zusammenkunft einzuladen, so dürfte es meiner Meinung
nach, bei dem so sehr gesunkenen Ansehen der Philosophie, wohl gethan seyn, alles
Aufsehen zu vermeiden; singen doch jetzt selbst von der Zusammenkunft deutscher
Naturforscher schon manche Stimmen: parturiunt montes etc. Überhaupt möchte
ich wol im Voraus wissen, ob Sie Sich außer dem allgemeinen Nutzen des persön-
lichen Bekanntwerdens und des dadurch möglichen schnellen Idee?mmsatzes. noch
einen besonderen als erzielbar denken: ob sie eine mündliche Ausgleichung der
Meinungen oder eine Verabredung zur Förderung des Studiums oder irgend eine ge-
meinschaftliche Unternehmung beabsichtigen u. dgl. m. Daß Sie Philosophen fordern,
die ihre Wissenschaft genau historisch kennen, finde ich höchst treffend. Sollte es
noch einmal zu einem || Gemeingute in der Philosophie kommen, so kann ich mir
nur die historische und die mathematische Basis als die einzigen reellen Stützpunkte
denken, von denen man ausgehen müßte. Ohnstreitig ist aber unsre praktische Zeit
der philosophischen Speculation sehr ungünstig. Eher, so scheint es, will man in
den Wissenschaften überein kommen, gewisse Grundfragen unentschieden zu lassen,
als die Antwort einer schwankenden Metaphysik zu erwarten. Hierzu kommt noch
l) Drobisch, 1802 geb., war schon 1826 0. Prof. der Math, in Leipzig ge-
worden. S. W. Neubert-Drobisch, 1902, S. 24.
IQO April 1829.
dies, daß das gemeinste Interesse der Philosophie nicht, wie in Mathematik, Natur-
wissenschaften und zum Theil auch Geschichte an der Entdeckung neuer über-
raschender Thatsachen, sondern vielmehr an mehr oder wenig sicherer Entscheidung
uralter Fragen (Gott, Freiheit, Unsterblichkeit etc.) geknüpft ist, welche man nun,
nachdem die Speculation nur ermüdet hat ohne durchgreifend zu überzeugen, be-
quemer findet, jeder für sich, subjektiv nach "Wahrscheinlichkeitsgründen zu ent-
scheiden als von den Dogmen der Schulen abhängig zu machen.
Sie sehen, Yerehrtester, ich bin ein wenig Hypochonder in der Philosophie.
Über wie vieles würden Sie mich da des bessern belehren können! Aber wie Sie
dann noch Vortheil von mir zu ziehen hoffen? Dies, bitte ich, wollen Sie gefälligst
überlegen. Entschuldigen Sie gütigst meine Offenheit und Freimüthigkeit und erhalten
Sie mir auch für die Zukunft Ihr so schätzbares Wohlwollen. Der Ihrige Dr.
N. S. Sie haben doch wol am Ende Ihrer Eecens. von Buquoy gelesen, daß
die mathem. Psych, ein Ding ist, worüber keiner den andern versteht? Da haben
Sie's ja, daß ich vor Heinroth = 0 bin.1)
332. An Drobisch.2) Berlin 18 April 1829.
Veehrtester Herr Professor! Aus Ihrem gütigen Schreiben vom
10 d. M. nehme ich vor Allem die Versicherung heraus, daß Sie meinem
Vorschlage entgegen zu kommen geneigt sind. An dem Übrigen Ihres
Briefes darf ich nicht viel deuten und auslegen, sonst fände ich am Ende
wohl gar einen Sinn darin, welchen nicht zu finden jetzt doppelt für mich
Pflicht ist. Denn reisen muß ich nun schon, und zwar, um Sie und
Brandis aufzusuchen, wo und wie ich Sie auch finden möge. Vernehmen
Sie, um Sich davon zu überzeugen, folgende Worte aus einer Verfügung
des Herrn Ministers von Altenstein an mich, vom 7. d. M.
,, Damit Sie in den Stand gesetzt werden, in Bezug auf Ihre
„wissenschaftlichen Bestrebungen sich mit den Professoren Brandis
„in Bonn und Drobisch in Leipzig persönlich zu berathen, er-
„theilt Ihnen das Ministerium hiedurch nicht nur den erforder-
lichen Urlaub, sondern bewilligt Ihnen auch eine außerordent-
liche Remuneration von 300 Thalern."3}
Diese Summe ist mir sogar schon ausgezahlt, weil man aus Mis-
verstand glaubte, ich wünschte meine Reise gleich jetzt zu verlängern,
welches nicht möglich ist. Denn auf den Empfang so vieler Gunst, als ich
hier gefunden, mich vorzubereiten, konnte mir in Königsberg nicht einfallen.
Möchte es mir nun gelingen, die unangenehmen Eindrücke zu ent-
fernen, welche Sie gefaßt zu haben scheinen! Einverstanden bin ich mit
Ihnen darin, daß wir kein öffentliches Aufsehen machen müssen. Gleich-
wohl wird die mir erwiesene Gunst des Ministers ohne Zweifel bekannt
werden, — und am Ende der Reise muß ich ihm natürlich Bericht er-
statten; wie gering auch der Erfolg seyn möge. — Hingegen das
literarische Publicum braucht von unserm Zusammenkommen gar Nichts
x) Bd. XUi, S. 103 schreibt Herbart am Schlüsse der erwähnten Rezension,
math. Psych, sei „ein Gegenstand, worüber einer den andern versteht" (d. h. worüber
Herb, den Drobisch versteht). Die Red. der Lpz. Lit. Ztg. (Heinroth, s. Anm. 1 zur
folg. Seite) setzt zu „einer" die Fußnote: „soll wohl heißen: Keiner." Auf diese
Korrektur bezieht sich Drobischs Äußerung.
2) 2 S. 20. - 3) Vgl. Bd. XIV. S. 286 f.
April 1829. IQI
zu erfahren; oder erfährt es etwas durch irgend einen Dienstfertigen, so
kümmert uns das nicht, — so wenig als mich Hr. Heinroth1) kümmern
würde, wenn nicht die Redaction der Leipz. L. Z. für gut gefunden hätte,
quasi re bene gesta noch neue Recensionen von mir zu verlangen; dieser
Umstand wird mich am Ende wohl noch dahin bringen, ein Wörtchen
drein zu reden, wenn nicht Krug2) schon vorgebeugt hat. — Ihnen steht
leider! Heinroth näher! Deshalb wünschte ich von Ihnen zu erfahren,
was Ihnen lieber seyn wird, ob eine öffentliche Rüge meinerseits, oder
möglichste Vermeidung des ferneren Redens. Wenn Sie mir gleich ant-
worteten, könnte mich vielleicht Ihr Brief noch hier in Berlin finden.
Von hier aus schreibe ich noch an Brandis; dessen Entschluß ich
vor allen Dingen wissen muß, ehe ich meinen Reiseplan entwerfen kann.
Nachdem ich von ihm Antwort haben werde, erfahren Sie mehr von mir.
Bis dahin begnüge ich mich, um Ihr geneigtes Andenken zu bitten.
Hochachtungsvoll Herbart.
333. Drobisch an H.3) Leipzig, d. 20. April 1829.
Hochverehrter Herr Professor! Ich säume nicht, Ihnen auf Ihre, mir wieder
sehr angenehme Zuschrift, augenblicklich zu antworten. Um alle Zweideutigkeiten
zu entfernen, die etwa in meinem Briefe zu finden gewesen seyn könnten, nehmen
Sie die Versicherung, daß es an meinem guten Willen, einen großen Zweck nach
Kräften fördern zu helfen, nie fehlen soll, so bald ich nur über Mittel und Wege
die nöthigen Belehrungen von Ihnen erhalten haben werde; daß ich es aber für
Pflicht hielt, Sie auf das Maß meiner Kräfte u. s. w. aufmerksam zu machen.
Was die Freigebigkeit Ihres Ministeriums betrifft, so äußert sie sich zwar oft
und glänzend genug; daß man aber einem Philosophen, der kein Anhänger Hegels
ist, eine solche Unterstützung zu einem wirklich rein wissenschaftlichem Zwecke zu-
kommen läßt, kommt mir unerwartet und kann ich mir nur aus dem höchst vor-
theilhaften Eindruck erklären, den Ihre Persönlichkeit gemacht haben muß.
Im Bezug auf Heinroths Note hat Krug im Intelligenzblatt erklärt, daß er
nicht der Urheber ist und er sie dem Sinne des Hrn. Rec. für unangemessen finde;
unwilliger noch äußerte er sich hierüber mündlich gegen mich. Dies ist mir für
meinen Theil völlig genug. Aus Heinroths Urtheil, das hier gänzlich incompetent
ist, mache ich mir nicht das Geringste; daher bitte ich, meinetivegen die Sache nicht
weiter öffentlich zu berühren.
Übrigens steht mir gewissermaßen Heinroth nur scheinbar nahe: denn obgleich
Professoren an Einer Universität haben wir doch nie zwei Worte mit einander
gesprochen.
Die Anzeige in der Jen. Litz. von Ihrer Psychologie ist wol von Brandis?
Eben war ich im Begriffe, sie zu lesen und habe wenigstens gesehen, daß dieser
Rec. doch auch willig auf Ihre Ansichten eingeht.
Mit großem Verlangen sehe ich Ihrem nächsten Briefe entgegen, der mir Ihre
weitere Entschließungen, ja vielleicht sogar einige vorläufige Andeutungen über die
x) Heinroth, 1773 — 1843, suchte die Psychiatrie psychologisch zu begründen,
gehörte zur Redaktion der Leip^. Lit.-Ztg. und veröffentlichte Werke über Seelen-
störungen, über ,, psychisch gerichtliche Medicin" u. viele a. Herbart hatte über
Heinroths „Hypothese der Materie" eine sehr eingehende vernichtende Kritik ge-
schrieben. S. Bd. XIII, S. 171 ff.
2) Krug, Wilh. Traugott, 1770 — 1842, der Nachfolger Kants und Vorgänger
Herbarts in Königsberg, seit 1809 o. Prof. d. Philos. in Leipzig.
3) IS. 4°. H. Wien.
ig2 Mai 1829.
besonderen Pläne, bringen wird, deren Ausführung Sie etwa nach mündlicher Über-
einkunft hoffen.
Mit Hochachtung und Ergebenheit Drobisch.
334. Brandis an H.1) Bonn, 2. Mai 1829.
Hochverehrter Herr Professor! Ihnen meinen herzlichsten Dank für Ihren mir
höchst erfreulichen Brief vom 17ten v. M. früher zu sagen, bin ich durch eine
kleine Geschäftsreise verhindert worden. Inzwischen werden Sie aus meinen leider
nicht mehr vor Ihrer Abreise in Königsberg eingetroffenen Zeilen v. E. März vor-
läufig ersehen haben, mit welcher Freude ich Ihrem schönen Vorschlage entgegen-
komme, u. wie nur unabwendbare Verhältnisse mich bestimmen können auf einige
Modification dabey anzutragen. Im July oder August Ihnen bis Leipzig entgegen zu
kommen ist mir leider in diesem Jahre schlechthin ohnmöglich: vor dem 14t. d.
nämlich wird es hier schwerlich zu Vorlesungen kommen, u. mit Anfang September
muß ich schließen um eine Badereise zu unternehmen, zu der ich mich wohl ent-
schließen muß, will ich die Früchte der vorjährigen nicht gänzlich aufopfern u.
einen schlimmen Winter entgegensehen: so werde ich daher keinen Tag aussetzen
dürfen u. im August die Vorlesungen verdoppeln müssen, um einigermaßen mein
Ziel zu erreichen; wenn ich nicht etwa das Ministerium bitten will, mich für diesen
Sommer von Vorlesungen zu dispensiren, was in mehr als einer Rücksicht unthun-
lich ist. Es bleibt' mir daher nur übrig entweder Sie zu bitten mir im July oder
August die Freude Ihres Besuches zu gönnen, oder mich zu erbieten gegen den
6ten od. 9ten Oct. nach beendigter Badecur an einem Mittelorte mit Ihnen zu-
sammenzutreffen. Jenes würde ich unbedingt vorziehen, müßte ich nicht fürchten,
daß mir durch Verdopplung m. Vorlesungen u. die mir im August bevorstehenden,
sehr langwierigen Prüfungen bey der Wissenschaft. Pr. C, die vom Zusammenseyn
mit Ihnen gehofften Früchte in hohem ürade verkümmert wenn nicht gar geraubt
werden würden. Zu einer Zusammenkunft im October erlaube ich mir vorzugsweise
Frankfurt a/M. oder, sollte Ihnen die Entfernung zu weit seyn, Gotha od. Eisenach
vorzuschlagen: nicht Leipzig, weil ich es von Baden-Baden, wohin ich mich zur
Badecur wohl wenden werde, da Carlsbad für die mir knapp zugemessene Zeit zu
fern seyn möchte, nicht in kurzer Zeit u. ohne den Erfolg der Cur aufs Spiel zu
setzen erreichen könnte. Doch behalte ich mir vor bis Leipzig zu kommen, falls
mein Arzt mir den Gebrauch des Carlsbads verordnet. || Nur in letzterem, unwahr-
scheinlichem Falle würde ich das Vergnügen haben, Herrn Prof. Drobisch Bekannt-
schaft zu machen, die mir allerdings sehr erfreulich, aber für jetzt nicht so wichtig
wie dann wäre, wenn mir es gelungen seyn wird, frühere mathematische Studien
aufzufrischen u. durch neue zu ergänzen; woran ich zu meinem Kummer, solange
die Aristotelier mich in Anspruch nehmen, d. h. in den nächsten zwey bis drey
Jahren nicht denken darf. Ich muß daher auch bitten für Verständigung mit jenem
ausgezeichneten Manne auf mich nicht zu rechnen: soweit sie Mathematik betrifft,
könnte ich nur zu eigener Belehrung daran Theil nehmen, u. auch das für jetzt nur
sehr unvollkommen. Seit mehreren Jahren fühle ich ein dringendes Bedürfniß mich
von neuem mit der Mathematik zu befreunden, aber bis jetzt haben Arbeiten es
unmöglich gemacht, zu denen ich vor fast 10 Jahren mich verbindlich gemacht habe,
ohne die ungeheure Masse derselben zu überschlagen u. die ich nicht von mir ab-
wälzen kann, ohne Verbindlichkeiten zu verletzen u. bedeutende Vorarbeiten halb
im Stiche zu lassen. Erwägen Sie, hochverehrter Herr Professor, die aus dieser
x) 2V4 S. 4°. H. Wien.
Mai 1829. IQ3
Obliegenheit sich ergebende Gebundenheit, erwägen Sie ferner, daß ich seit 9 bis
10 Jahren leidend an Unordnung im Blutumlauf, die an die Stelle eines gefährlichen
Brustübels getreten, erst im vorigen Jahr mich zu ernstlicher Cur entschlossen u.
sie in diesem fortsetzen muß, um nicht Gefahr zu laufen das Übel zur Unheilbarkeit
heranwachsen zu sehn — so wird mein Wunsch Sie möchten zuerst mit Prof. Drobisch
verhandeln u. demnächst mit mir gegen den 6t. oder 7 t. October wo möglich in
Frankfurt zusammentreffen wollen, keiner weiteren Entschuldigung bedürfen. Noch
schöner freilich Sie entschlössen sich dann, mich bis Bonn zu begleiten u. noch
einige Zeit in meinem Rheinhäuschen zuzubringen: wie mancherley u. wie ungestört
ließe sich da zuerst auf der Reise u. demnächst in häuslicher Ruhe verhandeln u.
wäre ich auch im voraus versichert, Sie hier bey mir zu sehen, bis Frankfurt würde
ich Ihnen entgegenkommen, vorausgesetzt daß Sie im Octob. einträfen, um die Reise-
tage nicht zu verlieren. ||
Ich schreibe Ihnen, um längeren Verzug zu vermeiden, an heftiger Erkältung
leidend, daher kurz u. vielleicht etwas verwirrt.
Leben Sie wohl, hochverehrter Herr Professor u. erhalten Sie mir Ihre mich
beglückende Geneigtheit.
Mit inniger Verehrung Ihr Ch. A. Brandis.
335. Jäsche an H.1) Dorpat den lOten May 1829.
Hochwohlgeborner, Besonders Hochzuehrender Herr Professor ! Sie haben mich,
verehrtester Herr Professor! auf's Neue wieder zu dem achtungsvollsten und auf-
richtigsten Danke gegen Sie verpflichtet, theils durch das mit dem ersten Bande
Ihrer Metaphysik mir gemachte kostbare Geschenk, theils durch Ihre Recension des
2ten Bandes meiner Schrift über den Panth., welche ich soeben in den, vor wenigen
Tagen für unsre Univ. -Bibliothek angekommenen Blättern der Leipz. L. Z. erblickt,
mit aller, in jedem Betracht, wie von Seiten ihres gediegenen und belehrenden In-
halts, so auch von Seiten ihres liberalen und humanen Tons, ihr gebührenden Auf-
merksamkeit und Achtung gelesen, und so erwogen habe, daß die für mich darin
enthaltenen Belehrungen und Zurechtweisungen auch nicht unbeachtet von mir und
unbenutzt sollen gelassen weiden. Das kann auch wohl um so weniger der Fall
seyn, je mehr Anregung und Aufforderung zum ernsten und unbefangenen, auf eine
Revision meiner philosophischen Grundansichten und Ueberzeugungen gerichteten
Nachdenken ich schon jetzt bey dem ersten vorläufigen cursorischen Studium des
historisch -kritischen Theils Ihrer Metaphysik gefunden habe. Welche gesunde,
frische und kräftige Nahrung reichen Sie hier jedem nüchternen, besonnenen und
wahrheitsliebenden Denker dar! Und es ist gewiß auch als eine wahrhaft heilsame
und stärkende medicina mentis zum Gebrauch für die Alle insbesondre zu emp-
fehlen, welche sich an den phantastischen Speculationen unserer modernen meta-
physischen Mystiker und Schwärmer || berauscht, oder durch den Genuß der
unverdaulichen Speisen einer hyperscholastischen Dialektik, so wie in unsern Tagen
ganz besonders die Hegel'sche Schule dergleichen Un Verdaulichkeiten zuzubereiten
und aufzutischen pflegt, den geistigen Magen sich überladen und verdorben haben.
Darum glaube ich auch nicht ohne Grund hoffen zu dürfen, daß eine metaphysische
Kritik von dieser Schärfe und Strenge, dieser Gediegenheit und Gründlichkeit, als
eine wohlthätige Reaction nicht ohne den beabsichtigten heilsamen Erfolg bleiben,
sondern so manchen in dem labyrinthischen Gebiete metaphysischer Speculationen
Umherirrenden zu einem Ariadnischen Leitfaden dienen wird, der ihn sicher aus
]) 3 S. 4°. H. Wien.
Herbarts Werke. XVII. 13
ig4 ^a* T^29-
diesem Labyrinthe herausführen kann. Welchen Gewinn für die Befriedigung meines
eigenen metaphysischen Intereßes und Bedürfnißes, theils durch Läuterung und
Berichtigung, theils durch weitere Aufklärung und festere Begründung meines philo-
sophischen "Wissens und Glaubens, Ihre historisch -kritischen Nachforschungen auf
dem Felde der Metaphysik mir bereits eingebracht, und wie insbesondere auch der
scharfe und ernste, und in die Tiefe eindringende kritische Forschergeist, welcher
in dem gedachten Werke dem Aufmerksamen und Unbefangenen überall begegnet,
meinen eigenen Blick für unbefangene Beurtheilung der schwachen Seiten und
Parthien des Kriticismus, als Systems, nicht wenig geschärft, davon sollen Sie die
Früchte meiner schon gemachten und noch zu machenden genauem und voll-
ständigeren Bekanntschaft mit Ihren so verdienstlichen Arbeiten in der Art und
Weise meiner weiteren, gegen die transscendenten Speculationen unserer modernen
Lehrer des Pantheismus gerichteten Polemik erkennen. Wohl hätte überhaupt, wie
Sie mit Recht in Ihrer 2ten Recension gegen mich erinnern, meine Polemik nament-
lich in Beziehung auf Spinoza, noch sehr viel schärfer seyn sollen und können.
Ich sehe das nun auch selbst beßer ein; und Ihre kritische Darlegung und Aus-
stellung der vielen und groben Gebrechen und Verkehrtheiten des Spinozismus,
worüber mir Ihre Metaphysik noch mehr die Augen geöfnet, hat mich darum auch
deutlich genug davon || überführen müssen, daß ich mit dem alten Verführer der
Neuern immer noch viel zu säuberlich umgegangen bin. Bey einer im 3ten Bande
zu versuchenden Zusammenstellung und Vergleichung des Alten und Neuen aller
pantheistischen Speculation in Rücksicht auf Materie und Form, Vorstellungsart und
Ausdrucksweise, wird sich das von mir bis jetzt Versäumte, Ihren Erwartungen und
Forderungen gemäß, noch nachholen; das noch nicht genau genug Beachtete, deut-
licher und vollständiger auffassen, und das nicht scharf genug Geprüfte, nachdrucks-
voller noch rügen lassen. Wenn ich nun überhaupt Ihnen, Verehrtester Herr
Professor! dessen Werth und dessen Verdienste als philosophischen Denkers und
Schriftstellers um Beförderung und Verbreitung der Zwecke der Wahrheit und
Wissenschaft ich anerkenne und zu schätzen weiß, hiermit das Wort gebe, daß bey
dem noch vorhabenden Geschäfte der Vollendung dessen, was ich begonnen, und
auch schon weiter fortgeführt, mein eifriges Bestreben darauf gerichtet seyn soll, all
die bedeutungsvollen und wichtigen Winke und Fingerzeige und Andeutungen,
welche ich in Ihren beyden Recensionen, desgleichen in Ihrer Metaph. zu meiner
Belehrung und Zurechtweisung gefunden, mit Sorgfalt zu beachten und zu benutzen:
so glaube ich auch durch gewissenhafte Erfüllung dieser Zusage Ihnen auf die
würdigste und annehmlichste Weise den Dank darbringen und ausdrücken zu können,
auf welchen Sie sich durch Ihre öffentliche Beurtheilung meiner Schrift, die für
meine philosophischen Bestrebungen und deren Absichten so ehrenvoll und auf-
munternd ist; so wie zugleich durch die ernste und nachdrucksvolle Zurückweisung
eines Gegners, wie der Vf. der von Ihnen gerügten Streitschrift gegen mich auf-
getreten ist, die gerechtesten Ansprüche erworben haben.
Mit dieser aufrichtigen Versicherung, und unter Bezeigung meiner hohen
Achtung für ihren philosophischen und persönlichen Charakter empfehle ich mich
Ihrem fortdauernden mir überaus schätzenswerthen freundlichem und freundschaft-
lichem Andenken als
Ihr aufrichtiger Verehrer Jäsche.
15. Juni: Jahresbericht über das pädagogische Seminar. S. Bd. XV. S. 4 — 9»
Juli 1829. iq$
336. An Brandis. Königsberg, 1 Juli 1829.
Hochverehrter Herr Professor! Ihr Arzt, unter dessen Gebot Sie
leider stehen, wird wahrscheinlich jetzt entschieden haben, ob Sie die
Badekur im Karlsbade, oder, welches nach Ihrem letzten gütigen Schreiben
wahrscheinlich ist, in Badenbaden machen werden. Im letzten Falle muß
ich für diesen Herbst wohl Verzicht darauf thun, Sie persönlich zu begrüßen.
Meine Gesundheit würde eine Reise, von der ich erst im November
hierher zurückkäme, nicht ertragen. Eher noch ließe sich ein Zusammen-
treffen denken, wenn der erstere Fall einträte, und Sie alsdann geneigt
wären, über Leipzig Ihren Weg zu nehmen. Es ist unvermeidlich, daß
ich Sie mit der Bitte beschwere, mich jetzt baldigst über ihren Reiseplan
zu benachrichtigen; weil ich nur dadurch beym Herrn Minister von Alten-
stein entschuldigt seyn kann, wenn ich meiner Reise entweder eine andere
Richtung gebe, oder sie bis nächstes Frühjahr aufschiebe. Was würde
auch die Metaphysik für eine lästige Person werden, wenn sie sich Ihnen
unmittelbar nach einer angreifenden Badekur aufzudringen versuchte! Und
wie wenig Gewinn möchten wir dadurch erreichen!
Ein anderer Umstand verspricht mir eine Art von Surrogat; falls Ihre
Güte für mich groß genug ist, um sich auf einen jungen Mann ausdehnen
zu wollen, der lange mein Zuhörer war, und der jetzt, um als akademischer
Dozent aufzutreten, Bonn zum Schauplatze seiner ersten Versuche zu
wählen gedenkt. Der Doctör Bobrick, x) dessen Studien hier und in Berlin
(bey Hegeln, welchem er jedoch nicht anhängt) geendigt sind, und den wir
gestern promovirt haben, wünscht Ihnen durch mich empfohlen zu seyn.
Von seiner Darstellungsgabe läßt sich etwas Gutes hoffen, über seine Art
zu philosophiren würde ich nur ein partheyisches Urtheil haben; soviel
kann ich sagen, daß ich mit seinem Examen in Logik, praktischer Philo-
sophie, Psychologie und Metaphysik sehr wohl zufrieden war. Ueberdies
wird er Pädagogik vortragen können, worin er sich unter meiner An-
leitung praktisch geübt hat. — Er wünscht zu wissen, ob, wenn er gegen
Michael nach Bonn kommt, er sich dort habilitiren muß, oder ob er die
Erlaubniß, dort zu lesen, auch dadurch gewinnen kann, daß er hier den
Habilitations-Actus vollzieht; welches letztere ihm in mancher Hinsicht
bequemer wäre. Seine Dissertation de ideis innatis pro principiis habitis
(die mehr metaphysisch als psychologisch ist) wird er wohl gedruckt mit-
bringen, und sie wird, glaube ich, die Nachsicht verdienen, welche man
Anfängern nicht zu versagen pflegt. Er wird ein Mittelglied zwischen
Ihnen und mir abgeben können, wenn Sie es erlauben, wenigstens bis wir
uns selbst sprechen.
Um baldige Nachricht möchte ich wohl auch so dreist seyn noch
über einen dritten Punkt zu bitten. Wird Ihre Recension des ersten
Bandes meiner Metaphysik (der zweyte muß jetzt auch in Ihren Händen
seyn) bald erscheinen? Dies ist mir wichtig zu wissen, denn mir ist zu
Ohren gekommen, daß Jemand schon vor Erscheinung des zweyten Theils
so eilig gewesen seyn soll, eine Recension des ersten niederzuschreiben;
*) Eduard Bobrick, bis 1834 in Bonn, dann Prof. d. Phil, in Zürich, seit 1857
einer andern Lebensspbäre angehörend. Vgl. Allihn, Ztschr. f. ex. Phil. I, S. 84.
13'
iq6 Juli 1829.
und es kann sich fügen, daß eine solche Vorschnelligkeit mich zwingen
würde , mich etwas minder geduldig, als früherhin, zu zeigen, falls nicht
durch Sie baldige Abhülfe des zu erwartenden Übels nachkäme.
In Hoffnung erfreulicher Nachrichten, besonders über Ihre Gesund-
heit, empfiehlt sich Ihnen mit der größten Hochachtung
Herbart.
337. Brandts an H.1) Bonn, 17. July 1829.
Hochverehrter Herr Professor! Erst seit wenigen Tagen bin ich im Besitze Ihres
mir sehr theuren Briefes und eile, nachdem ich mit mehreren meiner Collegen Rück-
sprache genommen, Ihnen zu sagen, daß Herr Dr. Bobrick sich wohl wird ent-
schließen müßen, den Habilitations-Förmlichkeiten bey uns sich zu unterziehen. Sie
bestehen in einer Vorlesung vor der Facultät in Lateinischer Sprache, einer zweyten
Deutschen 0. Lateinischen im großen Hörsaal, u. in der Erlegung von fünf Friedrichsd'or,
die der Facultätskasse zur Bestreitung ihrer Ausgaben, wie copialia u. dgl. anheim
fallen. Der Regel nach soll erstere Vorlesung über einen von der Facultät auf-
gegebenen Gegenstand gehalten werden und ein colloquium sich daran knüpfen; doch
kann auch ausnahmsweise das Thema vom Candidaten in Vorschlag gebracht werden.
Ich möchte daher Herrn Dr. Bobrick vorschlagen sich baldigst an die hiesige Facultät
zu wenden, sie zu ersuchen, entweder einen Gegenstand, worüber er vorzugsweise
seinen Vortrag zu halten wünschte, zu genehmigen, oder zur Vermeidung des Zeit-
verlustes, ihm baldigst einen andern zu geben und zu verstatten, daß er unmittelbar
nach dem 18. Octob., dem Wiederanfang der akademischen Arbeiten, darüber seinen
Vortrag halte. Bey zulegen wären 1) Zeugnisse über sein akademisches Studium und
die gesetzliche Frist desselben 2) Doctordiplom , Dissertation (Inaugurale) nebst
curricul. vitae. Ich meines Theils würde eine in Königsberg stattgefundene Habili-
tation für völlig genügend halten, darf aber nach dem was ich mit Collegen darüber
verhandelt ihre Zustimmung mir nicht versprechen: und gesetzliche Bestimmung
würden einem solchen Wunsche leider nicht zu statt kommen. Anders vielleicht,
wenn Herr Dr. B. schon einige Zeit bey Ihnen in Königsberg docirt hätte. Im
übrigen darf er sich aller Freundlichkeit versehen und der nicht geringen Anzahl
philosophischer Docenten ohngeachtet, Theilnahme für seine Vorlesungen zu finden
hoffen. Daß er || Ihr Schüler und als solcher Ihren Beifall sich verdient, wird gewiß
nicht bloß bey mir ein günstiges Vorurtheil für den jungen Mann erregen. Recht
sehr freue ich mich auf seinen Umgang und auf die Gelegenheit über Ihr System
mit einem bewährten Anhänger desselben zu verhandeln.
Doch wünsche ich mir darum nicht weniger lebhaft Ihre persönliche Bekannt-
schaft und werde was irgend meine Verhältnisse mir erlauben, thun, sie mir zu
verschaffen. Da mir es ohnmöglich ist, vor dem 6ten od. 8ten Sept. Bonn zu ver-
lassen, daher auch das Carlsbad zu gebrauchen, so hat Herr v. Walther für dies
Jahr mich von dem Besuche eines Bades dispensirt, dringt dagegen auf eine Er-
holungsreise zu Fuß (Reisen zu Wagen sind mir sehr nachtheilig). Bis Göttingen
oder Gotha würde ich die nun wohl ausdehnen können, bis Leipzig schwerlich ohne
die Vortheile für Gesundheit aufs Spiel zu setzen; und leider muß ich ihnen große
Opfer zu bringen mich entschließen, will ich eines einigermaßen erträglichen Winters
mich zu getrösten haben: in dem letzten Monat hat mir wiederum mein schlimmer
Kopfschmerz hart zugesetzt. Wäre es Ihnen daher möglich zu Mitte September an
einem jener beiden oder irgend einem andren von Bonn nicht entfernteren Orte
l) 2l/9 S. 4°. H. Wien.
Oktober 1829. jqj
mit mir zusammenzutreffen, so würde ich mit Freuden mich einstellen. Wo nicht,
vom nächsten Frühling Erfüllung meines Wunsches erwarten müßen. Ich nenne
Göttingen, weiJ wir dort einen gemeinschaftlichen Freund, Dissen, treffen würden.
Ihrer gütigen Entscheidung sehe ich mit Sehnsucht entgegen, und wünsche mir schon
im voraus für die Zeit, die mir in diesem oder nächsten Jahre mit Ihnen zuzubringen
verstattet seyn möchte, ein Gefühl von Gesundheit, wie es mir leider nur hin und
wieder zu Theil wird.
Der zweyte Theil Ihrer Metaphysik ist erst seit einigen Tagen hier im Buch-
handel, das Exemplar, worauf eine gütige Äußerung in Ihrem Briefe mich hoffen
läßt, noch nicht angelangt. || Meine Anzeige des ersten Theils glaube ich der des
zweyten vorangehen lassen zu können, da sie wie der erste Theil selber, ganz wohl
als für sich bestehend betrachtet werden kann; ich glaubte mich in ihr größtentheils
auf Charakteristik beschränken zu müßen. Recht bald werde ich sie absenden und
wünschte lebhaft, daß sie Ihnen — eben als Charakteristik — nicht mißfallen möge.
Auch ein neues Heft des Rhein. Mus. das bald an Sie abgehen wird, empfehle ich,
in Bezug auf einen Aufsatz von mir, über die Reihenfolge der Ionischen Physiker
Ihrer gütigen Nachsicht.
Darf ich noch bitten auch im Fall ich nicht das Glück haben soll Sie auf die
in Vorschlag gebrachte Weise zu sehen, mir zu sagen, ob und wohin Sie in diesem
Herbste eine Reise unternehmen werden? Vielleicht daß dann doch meine Kräfte
weiter reichten, als ich mit Bestimmtheit zu hoffen wagen darf.
Leben Sie wohl, verehrtester Herr Professor, und erhalten Sie Ihr Wohlwollen
Ihrem aufrichtigen Verehrer Ch. A. Brandis.
23. Juli: Herbart wird Schulrat. S. Bd. VI, S. 10 f.
338. J D. Gries an H.1) Jena, 6. October 1829.
Mein alter, theurer Freund! Nach so langer, und nicht von meiner Seite ver-
anlaßter, Unterbrechung unsers Briefwechsels und aller äußeren Verbindung, würde
ich kaum wissen, ob ich Dich so noch nennen darf, wenn ich nicht durch eine An-
merkung in einem Deiner neuern Werke erfahren hätte, daß Du mich noch zu
Deinen alten Freunden rechnest. Vergieb denn, daß ich Dich nun auch als solchen
behandle und Dir diese Sammlung meiner Gedichte zusende, die großentheils nur für
meine Freunde ein Interesse haben können. Ich hoffe, Dein Herz wird Dir sagen,
daß Du zu den „Genossen meiner schönsten Stunden" gehörst. Nie kann ich jener
Blüthezeit meines Lebens gedenken, ohne mir Dein Bild zurückzurufen.
Wirst Du denn nicht einmal, wenn auch nur zum Besuch, nach Deutschland
zurückkehren ? Wie sehr würde ich mich freuen, den Freund meiner Jugend wieder
zu umarmen! Von Deinem äußeren Leben weiß ich fast nichts; nur daß Du ge-
heurathet hast, ist mir zur Kunde gekommen. Ich lebe noch immer, oder vielmehr
wieder, in unserm alten Jena, ziemlich einsam, doch in einer äußerlich nicht ganz
ungünstigen Lage. Mein größtes LTngemach ist der alte Gehörfehler, der freilich
mit den Jahren sich etwas verschlimmert hat. Im Sommer 1824 faßte ich den
Entschluß, nach Stuttgart zu ziehen, und verlebte drei Jahre in dieser freundlichen
Stadt. Aber die schwäbische Luft bekam mir schlecht. Meine bis dahin sehr feste
Gesundheit fing an zu wanken, und auf den Rath des Arztes mußte ich mich ent-
schließen, nach Jena zurückzukehren, das freilich nicht mehr das alte ist. Stat magni
nominis umbra!
*) 1 S. 4°. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann a. a. 0. S. 134 f.
jq3 Oktober 1829.
Daß ich Dein Urtheil über den Ariost und Calderon1) nicht unterschreibe,
wirst Du mir wohl nicht verargen. Ich müßte damit die Verdammung fast meines
ganzen Strebens uud Vollbringens aussprechen, und dies läßt sich billiger Weise
nicht verlangen. Dir sagen diese Dichter nicht zu, mir sind sie sehr werth. Eine
Meinungsverschiedenheit soll mich nie von meinen Freunden trennen.
Lebe wohl, mein alter, theurer Freund! Mögten diese Zeilen Dich veranlassen,
mir auch von Dir einmal Kunde zu geben.
Unveränderlich Dein J. D. Gries.
339. Bobrick an H.2) Bonn, den 31 October 1829.
Verehrtester Herr Professor! Zuerst habe ich meinen ergebensten und
innigsten Glückwunsch zu der neuerlich erhaltenen Standesauszeichnung3) zu sagen,
wie mich, so hat sie auch viele Ihrer hiesigen Verehrer mit der herzlichsten Freude
erfüllt. —
Daß ich noch nicht eher meinen schuldigen Bericht abstattete, lag daran, daß
ich mit meinen Angelegenheiton erst bis zu einem merklichen Abschnitte kommen
wollte, ehe ich darüber zu Ihnen spräche. Von meiner Herreise kann ich hinsicht-
lich meiner Besuche wenig Bedeutendes sagen. In Leipzig sprach ich Krug und
Drobisch. Der erstere machte, trotz allen vorher erfahrenen Gegenurtheilen, einen
sehr angenehmen Eindruck auf mich; nach einer etwa halbstündigen Unterredung,
meistens über und gegen Hegel, gab er mir eine Empfehlung an Hüllmann mit.
Drobisch war, wie es mir scheinen wollte, trotz aller Freundlichkeit und inniger
Verehrung gegen Sie, ein wenig von dem philosophischen Eifer, wieder in den rein
mathematischen Standpunkt und Arbeitskreis hineingetreten, verlangte eine Aus-
einandersetzung und Nutzennachweisung der Methode der Beziehungen, konnte sich
noch keinen Weg des Fortarbeitens in der Psychologie denken, und hatte die Synecho-
logie noch nicht, wie er sagte, tief genug aufgefaßt. Einige Hinneigung zu Fries
blieb unverkennbar. In Jena sprach ich Fries und Reinhold. Der letztere war
äußerst freundlich und offen, und empfiehlt sich durch mich aufs herzlichste, gab
mir auch an Brandis Grüße. Fries schien anfangs etwas wortarm, ward aber
allmählig gesprächig, und entschuldigte sich über sein Nichtwiederschreiben, trug
mir eine Empfehlung an Sie, und eine an den hiesigen Kalker auf. Drobisch lobte
er wegen seiner mathematischen Arbeiten, verdachte ihm aber die Einmischung in
die Philosophie, und tadelte sein Programm de calculo logico, von dem mir Drobisch
ein Exemplar verehrt hatte. In Halle traf ich Niemand anwesend, alles war, wie
auch Eichstädt in Jena, verreist. Bei letzterem habe ich mit meiner Visitenkarte
meine Dissertation eingereicht, auch Krug überreichte ich ein Exemplar.
Den 11. dies. Monats kam ich hier an, fing meine Besuche an, und habe von
Naße, Delbrück, Brandis, Kalker, und Einigen andern Gegenbesuche erhalten. Kalker
ist äußerst bieder und steht in allgemeiner Achtung seines Charakters wegen. Brandis
war äußerst gütig und zuvorkommend. Hüllmann läßt sich Ihnen herzlichst emp-
fehlen. (Sein Familienunglück — Trennung von der Frau — ist Ihnen vielleicht
bekannt.)
Den 21. dies. M. nachmittags vier Uhr hielt ich meine lateinische Probevorlesung
vor der Facultät. Man überließ mir das Thema dazu, wie zu der öffentlichen, selbst
zu wählen. Ich nehme mir die Freiheit die lateinische Probevorlesung im Originale
beizulegen, damit Sie eine Probe hätten, wie ich das mir anvertraute Gut zu verwalten
gedenke, oder gedachte. Man schien damit zufrieden, und machte mir Complimente. —
1) In der Psychologie, s. Bd. VI, S. 274. Vgl. Herbarts Antwort v. 2. Dez. 1829.
2) 3 S. 4°. H. Wien.
3) „Schulrat".
Oktober 1829. igg
Gegenwärtig waren: Brandis als Decan, Windischmann, Schlegel, Delbrück, v. Münchow
(Mathematiker und Physiker) Heinrich (Philologe) Welcker (Philologe) Strahl (neuere
Sprachen). Windischmann, der bei meinem Besuch sehr freundlich und gutmiithig
gewesen || sprach mich zuerst an, und zwar deutsch, und wollte, was ich ihm gern
zugestand, daß die Logik nicht hinreiche zur Metaphysischen Arbeit. Darauf kam
Delbrück mit zierlichem Latein und mit dem Baumgartenschen princ. rationis und
causae sufficientis. Wie leid es mir that, so war es mir doch eben so unvermeid-
lich als leicht, ihn drei bis viermal ad absurdum zu führen, so daß es zum spaß-
haften Unterhaltungsgespräch bei den nächsten Besuchen der Uebrigen war, die ihre
Freude daran zu haben schienen, daß Delbrück mit seiner altfränkischen Philosophie
nicht durchgekommen sei. Er selbst scheint durchaus nichts übel genommen zu
haben, sondern ist herzlich freundlich. Darauf kam Münchow deutsch, aber de
Omnibus rebus et quibusdam aliis, drehte sich über eine Stunde in den oberfläch-
lichsten Behauptungen umher, die ich mit den skeptischen Anfängen abwies, und er
endlich stets verlangte, ich sollte einmal von metaphysischer Betrachtungart ab-
strahiren, was ich weder durfte noch wollte. Ruhig stellte ich meine Sätze hin,
ließ das Wasser seiner Suade drüber hingehen und zeigte immer nachher daß sie
eben so fest noch ständen als zuvor. Fand es aber endlich gerathen meine ruhige
Hartnäckigkeit mit der Erklärung zu entschuldigen, daß ich ein liebevoll anvertrautes
Gut zu vertheidigen hätte, und nicht meine subjektive Meinung. Herr v. Münchow
ward endlich müde, und Brandis fand es zu spät noch selbst anzufangen, man gratu-
lirte mir schmeichelhaft und erlaubte mir sogleich folgenden Tag die Vorlesungen
anzuzeigen. Ich that es:
a. Einleitung in die Philosophie, nach Ihrem Lehrbuch, vier Stunden wöchent-
lich, des Abends von 6 — 7 (warum so spät, nachher) gratis.
b. Logik nach Twesten, vier Stunden, Morgens 8 — 9, privatim.
Zur. öffentlichen Vorlesung wählte ich das Trilemma der \ eränderung, hatte
ein ziemlich zahlreiches Auditorium. Der völlig freie Vortrag, ohne eine Spur
schriftlicher Hülfe, gelang mir nach Wunsch, und erwarb mir manche Elogen, denn
man scheint hier keinen Begriff zu haben, daß dergleichen möglich sei. Es war
den 28. d. M. Der Regierungs-Bevollm. Herr v. Rehfus ist theils durch eine Emp-
fehlung, die mir Herr v. Kamptz mitgab, und durch mein curriculum vitae für mich
gestimmt, was mir gar nicht unangenehm ist, doch wenig erheblich scheint.
Bis dahin, wo ich dies schreibe haben sich zur Einleitung gemeldet, fünf
Studenten und zwei Rittmeister; bis Mittwoch den 4, wo erst die mehrsten Collegia
angehen, hoffe ich noch mehr zu haben, und so wäre der eigentlichen Sache nach
die Hauptsache geschehen. Zur Logik, die auch Kalka und Brandis liest, ist noch
keiner da. In pecuniärer Hinsicht schlimm, in eigentlicher, weniger bedeutsam, ich
will schon in der Einleitung mir Namen und Zuhörer machen.
Naße, als er bei mir war, ließ sich Ihnen empfehlen; als ich ihm den Natur-
philosophischen Theil der Metaphysik empfahl, klagte er noch nichts darüber sagen
zu können, da er das Buch erst wenige Tage vor meiner Ankunft erhalten. || Er
wünscht und freut sich, daß nun seine Mediciner endlich eine ordentliche Metaphysik
und Psychologie werden zu hören bekommen, und verspricht alle Mediciner über
die er disponiren könne in meine Einleitung zu schicken, und hat schon mit dreien
Wort gehalten, vielleicht bekomme ich auf die Art die Einleitung zahlreich.
Für den Sommer habe ich vor zu lesen: Logik (welches hier als Goldacker
angesehen, wird) Psychologie, Metaphysik, u. Paedagogik. Zu den mittleren treibt mich
Naße und animirt mich Brandis, zur Pädagogik muntert mich Brandis sehr auf. —
Die Lebensbedürfniße sind hier entsetzlich theuer, die Leute sehen hier jeden
der zur Universität gehört, als einen vollkommen zu ihrem Erwerb gehörigen dis-
2oO November 1829.
poniblen Gegenstand an, so daß das Leben bei weitem theurer als in Berlin ist. —
So weit habe ich heute zu berichten, und hoffe um Weihnachten damit fortzufahren
oder eigentlich hoffte es, denn trostlos stehe ich in diesem Augenblicke innerlich und
äußerlich da. Das Innere habe ich zu bekämpfen gesucht, und während der Arbeit
fühle ich nichts davon. Gegen das Äußere kann ich nichts thun. Um kurz zu sein
in dem was ich gerne verschwiegen hätte, was ich aber Ihnen, dem ich mit meinem
Würken dankbar sein wollte, nicht verschweigen darf, damit ich mich gerechtfertigt
weiß, wenn ich dem Anschein nach unerwartete Schritte thue. —
Man hatte mir von Seiten der Verwandten dreihundert Thaler versprochen»
mit denen hätte ich mich ein Jahr gehalten; in Berlin erfuhr ich schon, ich würde
sie nicht erhalten. Für meine Schwester, die seit zehn Jahren vergebens gesucht
wird, liegen 150 Thaler bei dem Danziger Stadtgericht; ich kann sie erhalten, aber
dem Gerichtsgange gemäß erst innerhalb sechs bis sieben Monaten. — Die Reise,,
das Postgeld meines Koffers, die hiesigen Habilitationskosten, die allein 30 Thaler
betragen, haben mich in Verbindung mit dem theuren Leben völlig entblößt. Mit
meinen geringen Effecten, Uhr u. dergl. kann ich mich bis zum 1 Dcb. halten.
Was dann? — Ein Glück ists noch daß ich hier nicht zu disputiren brauche, welches
nach hiesigen Gesetzen nur vor der Promotion nöthig ist, aber die Exemplare, die
ich in Leipzig schon bezahlt, kann ich jetzt nicht herkommen lassen, wie ich es
wünschte. — Was ich zu thun hatte habe ich nun gethan, und werde in starrem
Schweigen bis zum 1 Dcbr. meinem innigsten Berufe getreu bleiben. Höre ich
dann auf, so kennen Sie den Grund und bedauern mich vielleicht mit väterlicher
Nachsicht. Bei Gott, mir thut es weh, den Brief so enden zu müßen.
Mit der innigsten Verehrung zeichne ich mich als Ihren
kindlich Ergebnen Bobrick.
Um gütige Besorguug des einliegenden Briefes bitte ich ergebenst. Dr. Sanio
wohnt an der Tränke in dem Schmiedehause eine Treppe hoch. — B.
340. An Brandis. Königsberg, 26 Nov. 1829.
Wohlgeborener, höchstgeehrter Herr Professor! Durch Ihre höchst
gütige Recension des ersten Bandes meiner Metaphysik in der Hallischen
Literaturzeitung haben Sie Sich ein so wesentliches Verdienst um mich
erworben, daß es mir das größte Vergnügen machen würde. Ihnen, ins
Einzelne gehend, meinen Dank dafür zu bezeugen, wenn nicht etwas
Anderes mir im Gemüthe läge, was ich so dreist seyn muß, Ihnen an-
zuvertrauen, wie sehr auch meine Zudringlichkeit mich selbst verwundet.
Als ich den Dr. Bobrick veranlaßte, sich lieber in Bonn als in Halle zu
habitiliren, — weil er sich doch einmal habilitiren wollte, und mit den
nöthigen Mitteln hinreichend schien versehen zu seyn, — fiel es mir
nicht ein, daß ich Ihnen damit eine wesentliche Beschwerde veranlaßen
könnte. Jetzt aber erhalte ich von Bobrick aus Bonn zwey Briefe nach
einander, die völlig ruhig und klar, und dennoch wie von einem ganz
Hülflosen geschrieben sind, der nothwendig verzweifeln muß, weil er sich
Niemandem entdecken will. Schon der erste dieser Briefe bewog mich,
an einen ehemaligen Collegen Hüllmann1) zu schreiben; mit der Bitte, dem
Bobrick Rath zu ertheilen, und zugleich ihm zu sagen, daß ich bereit bin
*) Carl Dietrich Hüllmann, 1765 — 1840, Professor der Geschichte, erst in Königs-
berg, seit 18 18 in Bonn.
Dezember 1829. 201
ihm dreyßig, und nöthigenfalls bis fünfzig Thaler sogleich zu schicken, oder
den Vorschuß zu ersetzen, wenn damit solange, bis er ein Unterkommen
findet, kann geholfen werden. Aber Hüllmann soll — nicht wohl seyn;
und könnte leicht irgendwie verhindert werden, sich um Bobrick zu be-
kümmern. Alle Umstände erwägend, achte ich mich durchaus verpflichtet,
Ihnen diese Lage des jungen Mannes, die höchst dringend scheint, eben-
falls vorzulegen, mit der Bitte, ihn sogleich rufen zu lassen, um ihn vor
übereilten Schritten zu warnen. Alles Übrige Ihrer Menschenliebe und
Beobachtung überlassend, bitte ich für den Fall, daß Hüllmann mir nicht
früher antwortet, um Erlaubniß, das Geld, was ich auf nähere Nachricht
gleich schicken werde, an Sie adressiren zu dürfen. Hochachtungsvoll
Herbart.
341. An GHes. r) Königsberg 2 Dec. 1829.
So herzlich und gütig von Dir, mein theurer Freund ! begrüßt und
beschenkt zu werden, hat mir wahrhaft wohlgethan. Die Jahre haben
uns über die Mitte des Lebens hin weggeführt, sie haben uns auch ge-
holfen auszuführen, was wir wollten ; endlich sollten wir denn wohl einmal
für einander, das heißt, für uns selbst, Zeit übrig haben. Aber auch
gute Laune? — Meine prosaische Natur hat Deine Gedichte vor Allem
darauf angesehen, ob sie bezeugen würden, Du habest glücklich gelebt.
Allein in dieser Hinsicht vermisse ich etwas darin. Auch Du, glaube ich,
hast die Last des Lebens gefühlt, und die Runzeln werden wohl nicht
ausgeblieben seyn. Meine gute Frau hat mit mir gelebt — das heißt,
wie wir Alle wissen, bald genossen bald gelitten, und ich kann hinzusetzen:
mit mir gearbeitet; wiewohl nicht in philosophicis, die ihr völlig fremd
sind, wie es seyn muß. Du hast, wie es scheint, die Ehe nicht gesucht.
Möge Dir, besonders jetzt, nicht zu viel fehlen, was die Dichter ebenso-
wenig als die Denker geben können. — Die magische Kraft, womit Jena
Dich, den Hamburger! anzieht, möchte der Wohnsitz der Hrn. Fries und
Bachmann bey mir nun wohl nicht ausüben können; in meinem hiesigen
Exil findet sich nicht so leicht Einer, der Lust hätte, mit mir zu dis-
putiren, — es wäre denn Burdach, oder Lehnerdt (ein junger, aber
achtungswerther Schüler Hegels.) Solltest Du mich bald öffentlich etwas
laut reden hören, so sey überzeugt, daß sich meine Brust dabey nicht
besonders anzustrengen nöthig hat. Mein Werk ist gethan; und was noch
darüber zu reden ist, wird mich — falls meine wankende Gesundheit
sich wieder bevestigt, wie der Arzt hofft, wenig Mühe kosten. — Siehst
Du Reinhold oder Eichstädt, so bitte ich meine Empfehlung zu bestellen;
an Eichstädt schreibe ich nächstens. Aber wer hat mir den zweydeutigen
Dienst geleistet, Dir meine Psychologie aufzublättern?2) Wozu verrieth
man Dir meine Geheimnisse? — Wie dem auch sey, ich wünsche mir
Glück, daß Du nicht böse geworden bist.
Unverändert Dein Herbart.
*) Stadt-Bibl. zu Hamburg. — Vgl. E. Campe, ,,Aus dem Leben von J. D. Gries'',
1855, S. 158 f. u. Zillers Reliquien.
2) Bezieht sich auf Herbart's Urtheil über Ariost u. Calderon. das Gries miß-
fallen hatte. S. o. S. iq8.
2Q2 Dezember 1829.
12. Dez.: Literarischer Wunsch u. Vorschlag zu einer Preisfrage. S. Bd. VII. S. 351 — 354.
342. An Eichstädt.1) Königsberg 12 Dec. 1829.
Ew. Wohlgeboren, empfangen hier einmal wieder eine der von mir
verlangten Recensionen. Meine Gesundheit scheint jetzt soweit hergestellt,
daß ich wieder zusammenhängend arbeiten kann.
Der zweyte Band von Benekes Skizzen ist mir in diesem Augen-
blicke nicht zur Hand; daher muß ich wohl bemerken, daß Jahreszahl
und Seitenzahl desselben nachzutragen seyn dürfte. Die Rec. des Buchs
über das Verhältniß zwischen Leib und Seele haben Sie nicht verlangt,
allein ich glaubte Sie Ihnen des Zusammenhangs wegen anbieten zu
dürfen.
Da Sie Ihre frühern Aufträge vielleicht schon als veraltet betrachten,
so bitte ich deshalb um erneuerte Bestimmung. An meine Metaphysik
nehme ich die Freyheit zu erinnern. Mit vollkommener Hochachtung
Euer Wohlgeboren ganz ergebener Herbart.
l) Im Besitze des Herausgebers. — Ohne Adresse, zweifellos aber an Eichstädt
gerichtet.
1830.
AV.: Rez. von Benekes Psychologischen Skizzen u. Benekes Seele u. Leib (S. Bd. XIII.
S. 121 — 132), Hillebrands Lehrbuch der Philosophie (S. Bd. XIII. S. 132 — 144),
Krauses Vorlesungen (S. Bd. XIII. S. 144 — 164), Schubarths u. Carganicos 3 Schriften
gegen Hegel (S. Bd. XIII. S. 164 — 176), Metzs Begriff der Naturphilosophie
(S. Bd. XIII. S. 170— 171), Heinroth Hypothese der Materie (S. Bd. XIII. S. 17 1
bis 195), Mehrings Philosophische Kunst (S. Bd. XIII. S. 196—197).
343. An Drobisch.1) Königsberg 17 Januar 1830.
Hochgeehrter Herr Professor! Sie haben mich im letzten Herbste
hoffentlich nicht vergebens erwartet, da statt meiner der Dr. Bobrick bey
Ihnen war. Seine briefliche Andeutung von Ihrer Unterredung mit ihm
ist zwar nicht geeignet, meine Hoffnung einer fernem wissenschaftlichen
Einstimmung mit Ihnen zu verstärken; überdies ist der Wunsch, Sie und
Brandis auf Einem Puncte beysammen zu sehn, unerfüllt geblieben; und
meine Gesundheits-Umstände erlauben mir nicht, an bedeutende Arbeiten
noch zu denken. Indessen macht mein Arzt mir Hoffnung, daß ich im
April werde reisen können. Nicht unmöglich scheint es auch, daß ich
irgendwo mit meinem alten Freunde, dem Baron von Richthofen (dessen
Recens. meiner Psychol. Sie in der Jenaischen L. Z. gelesen haben) zu-
sammentreffe. Nun möchte ich gern bald wissen, um welche Zeit ich
Ihnen in Leipzig gelegen wäre, da ich nicht erwarten darf Sie in Berlin
zu sehn falls Sie nicht gerade dorthin eine Reise vorhaben. Gesetzt
auch, daß ich von Ihnen in Ansehung meiner Arbeiten nur noch Einwürfe
zu hören habe: so sollen diese mir schätzbar seyn. Mein vorrückendes
Alter bringt mich vielleicht bald dahin, ein ruhiger Zuschauer dessen zu
seyn, was aus meinem Thun wird oder nicht wird. — Wollen Sie mich
mit ein paar Zeilen erfreuen, so können diese Einfluß auf die Anordnung
meiner Reise haben, die ich sobald als möglich treffen und veranstalten
muß. Wollen Sie mir zugleich sagen, ob Sie dem naturphilosophischem
Teile meiner Metaphysik einige Muße gegönnt haben, so werden Sie mich
desto mehr erfreuen. Mit einem längeren Briefe will ich Sie diesmal
nicht aufhalten.
Hochachtungsvoll Herbart.
*) 1 S. 2°.
204 Januar 1830.
344. Drobisch an H.1) Leipzig den 24. Januar 1830.
Hochverehrter Herr Professor! Zu meiner Beschämung kommt Ihr, mir sehr
weither, Brief meinem ernstlich gefaßten Vorsatze, Ihnen nächstens zu schreiben,
zuvor. Mit innigem Bedauern erfuhr ich daraus den gestörten Zustand Ihrer Ge-
sundheit, deren völlige Wiederherstellung ich daher von Herzen wünsche. Zugleich
glaube ich aber auch darin einen gewissen Mißmuth über den bisherigen Erfolg Ihrer
so angestrengten und scharfsinnigen Arbeiten zu bemerken, an dem ich selbst viel-
leicht Mitveranlassung zu seyn scheine. Zwar weiß ich in der That nicht, was in
der Unterredung mit H. Dr. Bobrick geeignet gewesen seyn sollte, ,,die Hoffnung
auf fernere wissenschaftliche Einstimmung" nicht zu verstärken. Ich habe vielleicht
manchen ungeschickten Einwurf gemacht, allein meine Vorliebe für Ihr System hat
sich nicht verändert, wenn gleich ich vielleicht jetzt nicht so thätig dafür seyn kann,
als Sie und ich wol wünschten, da nun einmal mein Amt ein mathematisches ist
und ich selbst noch Ursache genug habe, für einige Empfehlung meines Namens
bei Mathematikern durch eigentliche mathematische Arbeiten zu sorgen, bevor ich
es ferner wage, für Philosophie zu sprechen, die jene nur mit Mißtrauen anzusehen
gewohnt sind. Ich schreibe über alles dieses weiter kein Wort, da Sie so gewisse
Aussicht zu einer Zusammenkunft machen. Wo diese stattfinden soll, mache ich
ganz von Ihnen abhängig. Kommen Sie, wie Sie bis jetzt vorläufig bestimmt haben,
nach Leipzig und Sie wollen es Sich in meinen kleinen Stuben und bei meiner ein-
fachen häuslichen Einrichtung gefallen lassen, so wird es mir überaus erfreulich
seyn, und ich werde mich bemühen, Sie in den Stunden, die unser Hauptzweck
übrig lassen wird, mit dem bekannt zu machen, was einem Fremden in Leipzig etwa
interessant seyn kann. Ist es Ihnen aber lieber, wenn ich nach Berlin komme, so
bin ich auch dazu bereit. Was die Zeit betrifft, so kann ich die 5 Wochen nach
Ostern ganz frei über dieselbe verfügen. Es kommt nun also nur noch auf Ihren be-
stimmten Entschluß an, den Sie mir zu seiner Zeit gütigst zu wissen thun werden.
Was nun Ihre Metaphysik betrifft, so hat mich die Lesung dieses Werks
schon einige Zeit, wiewohl nur unterbrochen und nicht ohne Anstrengung be-
schäftigt. Ich lese nämlich || den zweiten Band, diesen aber ganz, obgleich Sie .mich
nur zur Synechologie und Naturphilosophie zu Gaste gebeten haben. Ich kann natür-
lich von weiter nichts als dem Eindruck sprechen, den das Werk bis jetzt auf mich
gemacht hat. Habe ich das Einzelne mit Aufmerksamkeit durchlesen, so werde ich
das Buch noch einmal durchlaufen, um wo möglich die Hauptsätze zusammenzufassen,
und dann erst werde ich entscheiden können, ob ich mir ein Miniaturgemälde davon
für eine Literaturzeitung zu geben getraue. Für jetzt erlaube ich mir nur folgende,
allgemeine Bemerkungen: Die Metaphysik ist ein Werk, das dem Laien mehr
Schwierigkeit macht als Ihre Psychologie, wenigstens wie mir es scheint eine viel
längere und vertrautere Bekanntschaft erfordert. Die Ps. spricht den Unbefangenen,
der einige, mathematische Vorschule hat, sogleich an; man darf sich da allenfalls
erlauben, das ganze Fundament für Hypothese zu nehmen, man findet eine Menge
Analogien und Gegensätze zu anderen Zweigen der Mathematik, man hat also Ge-
legenheit zu Vergleichungen und kann sich so auf diesem Felde leichter orientiren.
Ganz anders in der Metaphysik. Alles Hypothetische ist verboten, man will recht
eigentlich dem nervus rerum nachforschen. Erfahrung und Mathematik können nur
als entferntere und daher matter leuchtende Leitsterne betrachtet werden, obgleich
alle metaphysischen Resultate nach Ihnen am Ende wieder mit beiden zusammen-
stimmen müssen. Sie philosophiren überall höchst geistreich über Mathematik. Es
x) 3 S. 4°. H. Wien.
Januar 1830. 205
ist Ihnen z. B. nicht entgangen, was sie mit paradoxen oder gar widersprechenden
Begriffen anzufangen weiß. Sie fordern häufig theils in ähnlichem, theils in anderem
Sinne ein gleiches Zugeständniß für die Metaphysik. Ich gebe es Ihnen willig, denn
ich habe keinen Grund es zu verweigern; aber Sie werden dafür auch Ihrem Leser
erlauben müssen, daß er eine Zeitlang das, wenigstens scheinbar, oft kühn auf-
geführte, sinnige Gebäude, ich will nicht sagen, mit Mißtrauen, aber doch mit der
Behutsamkeit betrachte, zu der die Geschichte der Speculation so ernst auffordert.
Für die eigentlichen Philosophen ist gewiß die Metaphysik ein viel willkommenerer
Schmauß || als die Psychologie, denn sie hat ja keine Formeln! Wenn sie nur aber
auch genug Mathematik gelernt hätten, um Ihre feinen Bemerkungen von daher
völlig zu fassen. Die Anerkennung Ihrer Philosophie muß, glaub' ich, a posteriori
kommen, d. h. Ihre Psychologie und Naturphilosophie muß der eigentlichen Meta-
physik Bahn machen. Gewiß auch die Mathematik wäre nicht zu dem Ansehn und
Vertrauen gelangt, dessen sie genießt, wenn sie nicht theils in den vielseitigen
Controllen Ihrer Methoden, theils in der Übereinstimmung mit der Erfahrung so
zahlreiche und mächtige Stützpuncte gefunden hätte. Liegt doch eigentlich so viel
Philosophisches an der Mathematik noch immer im Streite, unbeschadet dem unauf-
haltsamen Fortgange der Wissenschaft selbst. Wäre also nicht auch denkbar, daß
man über angewandte Philosophie eher zu einer Vereinigung kommen könnte, als
über die eigentliche Metaphysik? — Doch ich muß mir vorbehalten, über diese
Gegenstände mit mehr Zusammenhang mich mit Ihnen zu unterhalten. Zur Psycho-
logie wünsche ich ernstlich einmal wieder zurückzukehren, um, wenn meine Kräfte
mehr erstarkt seyn werden, zu versuchen, ob ich fähig bin wenigstens ein Jota
zuzusetzen. Meine Analyse dieser Schrift haben Sie nur zu sehr gepriesen. Lesen
und Commentiren ist leicht genug, aber der kleinste Fortschritt dem Individuum oft
unendlich schwer. Doch glaube ich jetzt zuweilen, es komme vielleicht vor der
Hand noch mehr darauf an, Ihre Philosophie, wie sie eben ist, nur zu verbreiten,
aufzuklären, für wen es nöthig ist, und überhaupt gelten zu machen, kurz eine
Schule zu stiften, die sie erhalte und dann fortbilde. Längst wäre dies wahrschein-
lich geschehen, wenn theils Ihre Philosophie weniger Mathematik voraussetzte, theils
Sie selbst auf einer der größeren Universitäten in der Mitte Deutschlands wirkten.
Auch darüber können wir wol weiter mündlich berathschlagen.
— — Ich werde nun die Muße, die ich bis zu der mir so erfreulichen Zu-
sammenkunft noch auf das Allotrion der Philosophie wenden kann, dem weiteien
Studium Ihrer Metaphysik und der Vergegenwärtigung Ihrer andern Lehren widmen.
Vielleicht klärt sich mir da doch so manches auf. Bis dahin empfehle ich mich Ihrem
gütigen Wohlwollen.
Mit aufrichtiger Hochachtung M. W. Drobisch.
345. An DrobiSCh.1) Königsberg 3 1 Januar 1830.
Haben Sie den innigsten Dank, Veehrtester! für den Brief vom
24. d. M., der mir noch für einen halben Krankenbesuch gilt, und zwar
für den schätzbarsten der sich nur wünschen ließ. Daß ich in höchster
Eile sogleich ein paar Zeilen erwiedere, scheint mir der Abrede wegen
nöthig. Erlauben Sie daß ich Ihre gütige Bereitwilligkeit nach Berlin zu
kommen, dankbar annehme, da es manche Gründe giebt, derentwegen mir
dieser Ort zu unserer Besprechung gelegener scheint als Leipzig, — welches
ich mir gleich nach Ostern der Messe wegen als sehr geräuschvoll denke.
J) 1 S. 2°.
2o6 Februar 1830.
Sollten Sie freylich auf unerwartete Hindernisse stoßen, so müßte mich die
Schnellpost von Berlin nach Leipzig transportiren ; allein sonst, denke ich,
wird sich Ihnen Berlin wohl empfehlen; meine Frau, die mit mir reiset,
hat auch in Berlin eine nahe Freundin, welche auf die Verlängerung
meines Dortseyns Einfluß haben könnte. Meiner Rechnung nach müßte
ich um Ostern schon in Berlin seyn; und alsdann entweder 14 Tage
dort bleiben, oder weiter reisen, namentlich nach Bonn; das kann aber
leicht Hindernisse finden. Gleich die nächsten Tage nach Ostern sind
also diejenigen, wo ich Sie, wenn nichts dazwischen kommt, persönlich zu
begrüßen hoffe. Inzwischen schreibe ich heute, gleichfalls, in Folge Ihres
eben empfangenen Briefes an Hrn. v. Richthofen, um womöglich auch ihn
in Berlin zu sehn. — Eins, was sich von selbst versteht, lassen Sie Sich
nur immerhin gefallen, noch ausdrücklich zu lesen, nämlich daß ich große
Lust habe, Ihre Erwähnung einer Recension meiner Metaphysik als ein
vestes und schlechterdings nicht mehr zurückzunehmendes Versprechen
auszulegen. Mögen Sie nun immerhin auch mich der Deuteley beschul-
digen, die Sache selbst spricht deutlich, und wird mich schon entschuldigen^
sobald Sie bedenken, was wohl für Tinte diesen und jenen anderen
Federn entströmen wird. — Mit größter Hochachtung ganz der Ihrige
Herbart.
346. An Eichstädt in Jena.1) Königsberg 7 Febr. 1830.
Wohlgeborener höchstgeehrter Herr geheimer Hofrath! Inliegendes
Blättchen wird hoffentlich mit einer Antikritik so wenig Ähnlichkeit haben,
daß ich füglich um Abdruck desselben in Ihrem Intelligenzblatt2) bitten kann.
x) 1 S. 20. Im Besitz des Herausgebers.
2) Im Intelligenzblatt der Jen. Allg, Lit.-Zeitg. v. März 1830, S. 88, findet sich
folgende ^Erwiederung1-1* ■, die bisher noch nicht wieder veröffentlicht ist: „Erst jetzt auf-
merksam gemacht, daß mir das Juniheft der vorjährigen J. A. L. Z. entgangen war,
finde ich darin eine Anzeige des ersten Bandes meiner Metaphysik, die eher einem wohl-
gemeinten Sendschreiben, als einer Recension ähnlich sieht. Zum Antworten ist es zu
spät; allein aus wenigen kurzen Sätzen, wenn sie geneigtes Gehör finden, läßt sich die
Antwort errathen.
1) Wer von dem Vorurtheil der Seelenvermögen und der Kategorien- Tafel sich
losmacht, wolle nicht Wahres mit dem Falschen verwerfen. Seelenvermögen giebt es
nicht; allein der Annahme derselben liegt eine Classification der Thatsachen zum Grunde,
die wir in uns wahrnehmen, und diese Classification ist im Ganzen richtig, nur lehrt
sie von dem wahren Causal-Zusammenhange dessen, was in uns vorgeht, nicht das
Mindeste.
2) Wegen der Kategorien muß die Psychologie verglichen werden, ganz besonders
aber die Geschichte der Philosophie. Die letzte zeigt die wichtigsten Begriffe, welche
für Kategorien, und hiemit für starke Typen des Denkens gehalten werden, als unter-
worfen einer beständigen Bildung und Umbildung. Man verehre Kant, wie sich ge-
bührt; allein man vergesse nicht, daß es zu seiner Zeit noch keine brauchbare Geschichte
der Philosophie gab. Heutiges Tages darf man Jeden, der etwan ohne Bedenken spricht:
alle Veränderungen haben ihre Ursache , ersuchen , sich erst in den Vorschulen des
Heraklit und Parmenides einheimisch zu machen, damit er die Schwierigkeit des Gegen-
standes kennen und die Dreistigkeit der Kategorien scheuen lerne. Zu Kants Zeiten
dagegen behalf man sich mit Hume^ denn Heraklit und Parmenides waren verschollen.
3) Alle Formen der Erfahrung (Raum, Zeit, Kategorien) bedürfen einer doppelten
Untersuchung. Denn die psychologische Frage: wie kommen wir dazu? ist völlig ver-
schieden von der metaphysischen: was gelten sie im Gebrauche? Diese Fragen hat aber
März 1830. 207
— Wenn ich schnell genug erführe, ob Sie noch eine Recension von
Bachmanns Logik von mir wünschen, oder ob dieselbe schon einem
Andern übertragen ist: so würde ich im ersten Falle jetzt dazu bereit
seyn. Auch andre Aufträge wären mir je eher desto willkommner. —
Die Zahl Ihrer Mitarbeiter im philosoph. Fache scheint klein zu seyn.
Dies veranlaßt mich zu einer Bemerkung, welche natürlich nicht mehr gilt
als Sie [für] gut finden. Einer unserer hiesigen Privatdocenten, Dr. Taute,
gehört zu denjenigen, nicht mehr jungen Gelehrten, die wenig oder Nichts
von sich laut werden lassen, desto mehr aber für sich arbeiten. Taute
war vor etwa zwölf Jahren noch mein Zuhörer; er ist seitdem in meiner
Bahn geblieben. Wenn Sie ihm einmal eine Recension zur Probe über-
tragen wollten, so würden Sie vielleicht seine sehr ruhige, bescheidene,
aber dennoch treffende und von ausgebreiteten Kenntnissen unterstützte
Fähigkeit und Art zu urtheilen, Ihrer Zufriedenheit werth achten. *) — —
Meine Rec. über Benekes Skizzen pp. werden Sie längst erhalten haben.
Für mich giebts keinen bessern Recensenten als Drobisch, von dem ich
zu meiner großen Freude erfahre, daß er sich wirklich mit meiner Meta-
physik beschäfTtigt, und den ich wahrscheinlich in wenigen Monaten per-
sönlich kennen lernen werde. Ew. Wohlgeboren wollten ihm die Be-
urtheilung des zweyten Bandes meiner Metaphysik, das heißt eigentlich
des Haupttheils, übertragen, möge es dabey bleiben! Mir liegt viel daran.
Hochachtungsvoll empfiehlt sich Herbart.
Adresse: Herrn geheimen Hofrath Eichstädt Wohlgeboren in Jena in
Sachsen.
347. All Drobisch.2) Königsberg 1 März 1830.
Hochgeehrter Herr Professor! Heute muß ich gesund seyn; denn es
ist die höchste Zeit, daß ich, um unserer Zusammenkunft vorzuarbeiten,
und den Verlust meiner kostbaren Zeit zu verhüten, einen Brief schreibe,
den ein Kranker nicht schreiben kann. Bemerken Sie dennoch, daß mir die
Feder nicht zu Dienste steht, so entschuldigen Sie mich mit dem guten
Willen.
Ihr Brief vom 24 Januar setzte mich wieder in den Besitz meiner
frühern Hoffnung, daß Sie meine Metaphysik ernstlich lesen würden; dies
entschied sogleich meinen Entschluß, die längst beschlossene Reise, von
der ich mich sonst irgendwie hätte losmachen, oder den Plan verändern
können, sobald als möglich anzutreten. Immerhin mag es Ihnen sonderbar
vorkommen, daß ich auf Dinge, die für Sie Nebensachen sind, soviel Ge-
wicht lege. Wüßten Sie, mit was für Menschen ich zu thun habe, Sie
Kant zu wenig gesondert. Was man nicht gehörig sondert, kann man auch nicht ge-
hörig verbinden. Psychologie und Metaphysik müssen aufs genaueste und bestimmteste
verbunden werden; denn nur zusammen genommen können sie das Feld menschlicher
Erfahrung gehörig beleuchten.
Königsberg, d. 3 Febr. 1830. Herbart.'1
2) Gottfr. Fr. Taute, 1794 — 1862, seit 1825 Privatdozent, seit 1841 a. o. Prof.
in Königsberg. S. Nr. 353, Brief Herbarts an Eichstädt u. Reins Aufs, über Taute
in d. Allg. D. Biogr. 37, S. 474 ff.
2) 6 S. 2°.
2o8 März 1830.
würden Sich nicht wundern. Ihnen war es höchst leicht, natürlich, und
nichts besonderes, daß Sie über meine psychol. Schriften ein paar klare
Berichte schrieben; so sagen Sie denn auch Selbst in Ihrem letzten Briefe:
die Psychol. spreche den Unbefangenen sogleich an, mit dem Vorbehalt,
das Fundament als Hypothese zu betrachten. Aber schauen Sie umher:
Sie werden Niemande?i finden, den meine Psychol. anspricht! Selbst nicht
einmal Brandis, dessen Rec. des ersten Bandes der Metaphysik in der
Halleschen L. Z. deutlich zeigt, daß er mit mir über die Haupt- und
Grund- Probleme der Metaphysik trefflich zusammenstimmt, — selbst dieser
kann sich, wie ich aus seinen Briefen weiß, in die Psychologie nicht
finden, welches dennoch — ich wage es zu sagen, — für alles Weitere
in der gesammten Philosophie, die erste Bedingung ist. Der Berg von
Vorurtheilen, die Masse der durchaus falschen Gewöhnungen, ist zu groß,
so lange das Alles, was man längst an den Seelenvermögen als an durchaus
vesten Punkten aufgehängt hat, nicht mit ihnen selbst verschwindet. —
Nun denken Sie Sich eine Reihe zagender Jünger, wie ein akademischer
Lehrer sie unvermeidlich um sich versammelt. Diese Menschen haben
gehört, gelernt, selbst verstanden; aber nicht einmal sich selbst, viel weniger
der Welt, wagen sie zu sagen, daß sie etwas verstanden haben. || Solcher
Menschen ziehe ich alle Jahre einige; manche davon sind jetzt in allerley
Aemtern um mich her; — aber kaum Einer kann dem Strome der Zeit
widerstehn. In Preußen vollends geht Alles von der Regierung aus.
Der Minister ist für Hegeln, folglich darf Niemand laut sagen, daß er
wider ihn ist. Der lächerlichste Unglaube empfing mich im vorigen Jahr,
als ich von Berlin kommend, bemerklich machte, ich hätte auch einige
Gunst vom Minister empfangen; — und wie weit über die Preußische
Gränze hinaus gilt unser Ministerium als Auctorität!
Weshalb ich Ihnen dies schreibe? — Deshalb, damit Sie meine
Wünsche richtig auslegen mögen. Nichts Anderes wünsche ich ferner von
Ihnen, als etwas Solches, das Ihnen gerade so leicht und natürlich seyn
muß — ja vielleicht in Ihre?i Augen nicht viel verdienstlicher seyn wird,
als jenes, was Sie mir schon geleistet haben. Die Wirkung davon ist
sehr viel größer, als Sie, wenn Sie Sich nicht ganz in meine Lage ver-
setzen, irgend vermuthen können. Seit Ihren Recensionen fängt meine
Psychol. an, Glauben zu finden; und zwar gerade in dem Kreise derer,
unter deren beständigem Einfluß ich unvermeidlich stehe. Denn soviel
Unterscheidungskraft haben Viele, um das, was Sie schreiben, nicht mit
dem gemeinen Wüste der Recensionen zu verwechseln. Ohne Sie würden
meine Rechnungen noch heute für Alles in der Welt eher gelten, als für
mathematische Arbeiten; freylich hätte es nicht auf Sie ankommen sollen,
sondern Fries1) war es, der bezeugen mußte was Sie bezeugt haben; —
aber die Dinge in der Welt sind nun einmal wie sie sind.
l) Jakob Friedr. Fries, 1773 — 1843, war nicht nur Philosoph, sondern auch
Mathematiker und Physiker. Nach seiner Rehabilitierung im Jahre 1824 (er war 1819
auf Grund seiner Beziehungen zu den „Freunden von der Wartburg" aus Jena ver-
bannt worden) erhielt er in Jena die Protessur für Mathematik und Physik. Bis 1838
durfte er philosophische Vorträge nur auf seinem Zimmer vor einer beschränkten Zahl
von Zuhörern halten. Man vgl. den Brief von Fries an Drobisch über Herbart vom
14. Juni 1836 im 3. Bande dieser Briefe.
März 1830. 209
Was ohne Sie aus meiner Metaphysik werden wird, läßt sich voraus
sehn. Man wird sagen, ich hätte in der Rechnung meine Stütze gesucht;
aber die einfachste Geometrie stoße mich zurück. Hier liegt der Punct,
wo ich eines zweyten, öffentlichen Zeugnisses von Ihnen bedarf. Daß
Sie mich genug verstehen um es ablegen zu können, schließe ich aus
Ihrem Brief, worin Sie von den widersprechenden Begriffen reden, deren
Gebrauch ich für Metaphysik wie für Mathematik fordere. Stünde das
gedruckt, was Sie geschrieben haben, — nämlich daß Sie keinen Grund
finden, mir das verlangte Zugeständniß jenes Gebrauchs zu verweigern, —
so wäre ich an der gefährlichsten Stelle gedeckt. ||
Aber Ihr Brief geht viel weiter. Sie wollen zur Psychologie ernstlich
zurückkehren, um sie zu erweitern. Hier ist ein Gegenstand für weit-
aussehende Gespräche. Deshalb zeige ich Ihnen im Voraus meine Ge-
danken an. Die Stelle, wo fernere Untersuchung höchst notwendig ist
und von mir gar sehr vermißt wird, ist § 93 im ersten Bande der Ps.
Die zugleich steigenden Vorstellungen habe ich dort kaum berührt; es
kommt darauf an, hier die möglichen Fälle und deren Erfolge durch
Rechnung zu verfolgen und zu sondern. Denn hierauf muß hauptsächlich
die eigene, schaffende Thätigkeit des Geistes zurückgeführt werden. Die
Pädagogik mahnt mich dringend, aber umsonst; meine Kräfte reichen nicht
mehr soweit. Aber kämen Sie mir zu Hülfe, so würde der Weg zur
Unterscheidung der verschiedenen menschlichen Individualitäten gebahnt
seyn, indem man weiter die geistige Thätigkeit in Hinsicht aller der Arten
und der Puncte durchforschte, wie und wo sie unter physiologischen
Hindernissen, — gleichsam in widerstehenden Mitteln, — sich bewegen
mag. Sie sehen leicht, daß hier schon einige Uebersicht dessen, was zu
berechnen vorkommen könne, vom größten Nutzen seyn würde, um grobe
Vorurtheile zu beseitigen, die sich jetzt überall, in Pädagogik, in Philo-
sophie der Geschichte, in allem praktisch seyn sollenden Moralisiren, im
Criminal-Verfahren sogar (wo neulich Heinroth seine losen Einfälle an-
bringen wollte) gelten machen. — Begreiflich müssen die zugleich steigenden
Vorstellungen als Anfangspuncte ablaufender Vorstellungsreihen, — oder
auch als eingreifend in solche, angesehen werden. Aber um einem deut-
lichen Gemälde dessen, was der Gebildete in sich beobachtet, näher zu
kommen, ist nun vor allem ferner das Zusammenwirken mehrerer Vor-
stellungsmassen, wovon innerer Sinn und Reflexion, sammt allem Höheren,
abhängt, zu untersuchen; besonders auch mit Rücksicht auf möglichen
Widerstand. Die Aufgabe, dafür die einfachsten Formen der denkbaren
Voraussetzungen hervorzuheben, und sie der Rechnung zugänglich zu
machen, so daß für verwickeitere Formen wenigstens Analogien und
ungefähre Schätzungen möglich würden, — diese Aufgabe sollte mit dem
höchsten Preise verknüpft werden, der jemals ist ausgesetzt worden.
Glauben Sie nicht, daß in diesen Gegenden Theorie und || Erfahrung gar
zu lange getrennt zu gehn nötig hätten; ich lese seit einiger Zeit zuweilen
Criminal-Fälle, und sehe schon hier, daß eine psychologische Analyse
daran geheftet werden kann, worin sich zum Theil recht auffallend die
verschiedene Construction und Zusammenwirkung der Vorstellungsreihen
würde zeigen lassen. Die Monstra haben in sittlicher wie in andrer
Herbarts Werke. XVII. 14
2io März l83°-
Hinsicht den Vortheil, den der Name ankündigt, daß sie zum Vorzeigen
gute Dienste leisten. — Die meisten Zerrbilder aber, welche der Wahn-
sinn oder auch das Verbrechen darstellt, entstehen, indem die Zusammen-
wirkung der verschiedenen Vorstellungsmassen irgendwie gehindert ist.
Und hier ist gerade die empfindliche und schwache Seite aller geistigen
Thätigkeit. Die Musik, die mir manchen guten Dienst geleistet hat, ver-
sorgt mich auch hier mit einem Beyspiele. Es ist dem Anfänger schwerr
zwey Stimmen mit zwey Händen vorzutragen; die Schwierigkeit steigt
augenblicklich um sehr viel höher, wenn man einen regelmäßigen drey-
stimmigen Satz spielen will, und zwar gar nicht bloß durch Schwierigkeit
des Fingersatzes, sondern schon darum, weil hier drey musicalische Ge-
dankenreihen zugleich die Finger in Bewegung setzen sollen. Jede Fuge
läßt das fühlen, sey sie noch so leicht. Die Schwierigkeit ist hier um
desto größer, weil dabey keine der Vorstellungsreihen eigentlich herrschen
darf, indem die Stimmen gleiches Gewicht haben; dagegen ohne Vergleich
leichter faßt und spielt man solche Musik, die in Hauptstimmen und Be-
gleitung zerfällt. Ließe sich der Geist so üben wie die Muskeln des
Leibes: so müßten Musiker, die den strengen Satz sich geläufig gemacht
haben, die allergeschicktesten zu jeder verwickelten Geschäfftsführung seyn;
aber daran ist nicht zu denken, weil es keine Seelenvermögen giebt, die
man gleich Muskeln üben könnte, vielmehr jede Uebung auf diejenige
Vorstellungsreihen begränzt bleibt in denen sie ihren Sitz hat.
Soviel über Psychologie. Ihr Brief führt mich noch weiter. Sie
bemerken ganz meiner Meinung gemäß, daß man über angewandte Philo-
sophie leichter als über Metaphysik ins Reine kommen werde. Darum
gerade habe ich so lange gezögert, die Metaphysik ausführlich || bekannt zu
machen; erst mußte die Naturphilosophie dazu kommen, und diese hat
mich die besten Stunden vieler Jahre gekostet, ehe auch nur die Haupt-
gedanken Vestigkeit genug bekamen. Aber es ist mir eine angenehme
Ueberraschung, daß sowohl Sie als mein College Sachs, den ich nur auf
das Physiologische hinwies, die Metaphysik ganz, und von vorn an gelesen
haben. Meine Meinung war, Sie würden, wenn das Glück gut wäre, von
hinten an allmählich rückwärts lesen. Aber Sie haben hier Selbst die
hypothetische Auffassung verschmäht, und das ist mir ein sehr gutes
Zeichen. Doch möchte ich gern, daß Sie vor unserer Zusammenkunft
einmal versuchten, wie sich das Buch von hinten her ausnimmt. Die
Betrachtungen der Wärme, der Electricität, der chemischen Proportionen,
der Biologie scheinen mir nicht übel geeignet, auch rückwärts auf den
richtigen Standpunct von verschiedenen Seiten her zusammenzuführen;
und so muß es seyn, wenn die Hoffnung, die Sie Selbst äußern, man
werde aus den Anwendungen die Hauptsache verstehen (wie es den
höhern Rechnungsformen in der gelehrten Welt ja auch gegangen ist)
nicht täuschen soll. Leider muß hier der Boden, den Schelling verdorben
hat, wieder urbar gemacht werden. Von dem, was ich durch Ihre Feder
dem Publicum gesagt wünschte, kann hier gar noch nicht die Rede seyn.
Erst müssen wir wissenschaftlich übereinkommen, und ich bitte Sie ganz
ausdrücklich, vest vorauszusetzen, daß, so sehr auch die äußern Rück-
sichten mich wirklich drängen und fast bedrängen, dennoch die Sache
März 1830. 2 11
selbst nur für unsere Zusammenkunft durchaus die Hauptsache seyn wird.
In der Naturphilosophie werden Sie mich, falls es nöthig ist, sehr nach-
giebig finden; ich wünschte nur, hierin einen recht scharfen Kritiker zu
finden; es ist fast undenkbar, daß ich darin ohne bedeutende Mißgriffe
sollte durchgekommen seyn. Besonders gebe ich Ihnen alles Preis, was
ich von Schwere und Licht gewagt habe zu sagen, — jedoch möchte es
schwer seyn, das Bessere zu entdecken. Allein das ist für den Augen-
blick nicht das Nöthigste. Das Unentbehrliche liegt in der Synechologie.
| So weit hatte ich geschrieben; da kommt ein Brief von Eichstädt
aus Jena, worin es heißt: „Möge nur Hr. P. Drobisch wegen der Meta-
physik Wort halten.'' Ja wohl! Und so wenig mir einfallen darf, wegen
der zu wählenden Lit.-Zeitung einen Wunsch zu äußern, so möchte doch
einen Umstand zu erwähnen erlaubt seyn: diesen nämlich, daß Eichstädt
schwerlich irgend ein Maaß der Länge verschmähen wird, und daß also
von Beschränkung des Raumes dort wohl gar nicht die Rede seyn kann.
Ihre Leipziger Recensionen hatten aber offenbar einen sehr großen Fehler:
sie hätten über doppelt so lang seyn sollen. Wüßten Sie nur selbst, wie
sehr die Sauberkeit und das Treffende dessen was Sie schreiben, neben
den gewöhnlichen Sudeleyen absticht!
Jetzt noch einige externa! Der Baron v. Richthofen will nach Berlin
kommen, und nur kurze Zeit bleiben. Er gedenkt am Charfreitage dort
zu seyn, und bis Ende der Festwoche zu verweilen. Dies bestimmt nun
auch die Zeit meines Aufenthalts, um so mehr da ich, wenn Nichts da-
zwischen kommt, mich an mein vor einem Jahre empfangenes Ministeiial-
Rescript halten, und von Berlin nach Bonn zu Brandis reisen werde.
Noch ein Umstand, den ich Ihnen melden muß, ist dieser: ich muß in
der Nähe meines Freundes, des Regierungs- und Schulrath Reichhelm
wohnen; dazu war mir schon im vorigen Jahre der Gasthof zum Groß-
fürsten Alexander, in der Gegend der neuen Friedrichsstraße, wo diese an
die Spree geht und die Burgstraße schneidet, sehr passend: Der Gasthof
ist nicht gerade vorzüglich, doch auch nicht schlecht; und ich werde mit
meiner Frau wo möglich wieder dort wohnen. Sehr bequem wäre es,
wenn Sie dort, oder ganz nahe (etwa in dem König von Portugal, wenn
Sie schöner wohnen wollen) ebenfalls Quartier nähmen. Denn uns muß
glaube ich, an den Morgenstunden am meisten gelegen seyn, da eine
Menge von Besuchen nicht zu vermeiden ist. Halten wir uns nicht nahe
beysammen, so wird die große Stadt uns sehr zerstreuen. Wahrscheinlich
reise ich etwa den 4 April hier ab. Könnte ich vorher noch ein paar
Zeilen von Ihnen empfangen, so würde ich dieselben verdanken: besonders
wenn Ihre Muße erlauben würde, mir die wissenschaftlichen Puncte im
Voraus zu bezeichnen, über die ich nachdenken soll.
Hochachtungsvoll Herbart.
348. An Drobisch.1) Königsberg 9 März 30.
Sie haben schon viel Güte für mich gehabt, mein hochgeehrter Herr
Professor! und die größte vielleicht, indem Sie mir ausführlich die Gründe
l) 3 S. 20.
14*
212 März 1830.
angaben, derentwegen Sie meine Metaphysik nicht in die Welt einführen
wollen; entschuldigen Sie mich nun, wenn ich eben aus diesen Gründen,
die unstreitig vollkommen Ihrer würdig sind, die Hoffnung und die Er-
wartung schöpfe, daß Sie meinen Bitten, deren Motive Sie wohl nicht
verwerflich finden können, dennoch nachgeben werden. Gesetzt aber, Sie
beharren bei Ihrem Nichtwollen: so soll uns dies keinesweg hindern, die
bevorstehende Zusammenkunft in Berlin mit voller Heiterkeit zu nutzen.
Sie wissen, meine Metaphysik ist ein Gewächs langer Jahre; von
1798 bis 1828. Kann denn Jemand verlangen, darüber solle eine Recension
geschrieben werden, welche demselben in allen Theilen gleichmäßig ent-
spreche? Niemand denkt daran; Sie ganz allein machen eine Ausnahme.
Andre recensiren, wenn sie zehn bis zwanzig Seiten auf gut Glück heraus-
gelesen, und das Buch im eigentlichsten Wortverstande durchblätteit haben.
Dies könnte ich, eines nahe liegenden Beyspiels wegen, Ihnen sogleich
an der letzten Jenaischen Rec. x) des ersten Bandes meiner Metaph. nach-
weisen; der Hauptinhalt derselben bezieht sich auf meine Umstellung der
Kantischen Kategorien, die man ernsthaft genommen hat, während ich
bloß zeigen wollte, daß man mit diesen berühmten Kategorien eine Art
Würfelspiel treiben kann. Von den Forderungen, die Sie an eine
Recension machen, ist dort nicht Ein Gedanke, und, was mehr ist, die
Recension gehört noch lange nicht zu den schlechtesten. — Sie haben mir
einmal geschrieben, Sie seyen noch jung; das sieht man Ihrer Feder wahr-
lich nicht an; aber die Welt hat, glaube ich, Ihre Stirn noch nicht ge-
runzelt. Davon hoffe ich mich bald zu überzeugen.
Anstatt nun zu überlegen, ob Sie meine Metaphysik in allen Theilen
beleuchten || können, lassen Sie uns einmal fragen, ob in dem Buche irgend
etwas vorkomme, das in Ihr Fach schlägt, und worüber Sie ein Wort mit
Ueberzeugung sprechen können? Was das sey, liegt am Tage. Mir nun
ist es von der allergrößten Wichtigkeit, daß über mein Buch Etwas Ver-
nünftiges, von irgend einer Seite, sobald als möglich öffentlich gesagt
werde. Als Zugabe von großem Werthe werde ich es annehmen, wenn
nebenbey von den sämmtlichen übrigen Theilen eine Uebersicht gegeben
wird, die nicht ganz und gar, wie es bey den bessern und gewissenhaftem
Recensenten vorzukommen pflegt, nur ipsissima verba, und folglich ab-
gerissene Lappen ohne allen Sinn und Zusammenhang herbeybringt.
Solches ist mir auch begegnet; — der Recensent scheint alsdann mit
feiner Manier das Publicum zu fragen: versteht Ihr das? ich verstehe
es nicht!
Wollen Sie mir aber einen recht sehr großen Dienst leisten, so
sprechen Sie von dem, was Einer ungefähr gelernt haben müßte, um die
ganze Arbeit, höher stehend als der Verfasser, von oben herab entweder
loben oder tadeln zu können. Bemerken Sie dabey, daß diese Kenntnisse
allerdings in der heutigen Welt vorhanden sind, und daß eben deshalb
das Buch nur in dem einen, sehr möglichen Falle unbeurtheilt bleiben
wird, wenn es in Vergessenheit geräth.
l) Jenaische Allg. Lit.-Ztg. No. 112 (Juni 1829), G. unterzeichnet. Man vgl. die
oben auf S. 206 Anm. 2 mitgeteilte „Erwiederung" Herbarts.
Mai 1830. 213
Die Schwierigkeit, woran Sie stoßen, ist offenbar nur die, daß Sie
scheinen könnten, Sich außerhalb Ihrer Gränzen zu bewegen. Dieses er-
kenne ich vollkommen, und wünsche wahrlich nicht, daß Sie Sich leicht
darüber hinwegsetzen; noch weniger daß Sie Sich Verlegenheiten zuziehn.
Aber Sie brauchen lediglich die Sache zu zeigen wie sie ist. Schieben
Sie die Schuld auf mich; ich bin in Ihre Gränzen gekommen; ich habe
behauptet, daß Mathematik in Psychol. und Metaph. eingreifen müsse; noch
mehr, ich habe behauptet, Sie seyen derjenige, welcher in meinen Arbeiten
gerade || das verstehe, was Andern unbegreiflich vorkomme; Sie seyen aufs
dringendste aufgefordert, hierüber ein Zeugniß abzulegen; und es sey für
Sie kein hinreichender Grund vorhanden, dies zu verweigern. Uebrigens
verwahren Sie Sich mit allen möglichen Clausein, um jedem denkbaren
Vorwurf wegen Ueberschreitung Ihrer Befugnisse zuvorzukommen. Das
wird eine treffliche Lection für Andre werden, die von solchen Vorwürfen
keinen Begriff haben, und von Ihrer hochachtungswerthen Scheu nichts
wissen noch ahnen. — Eichstädt pflegt bekanntlich zuweilen mehrere
Recensionen über ein Buch zusammenzustellen. Sie könnten allenfalls,
um Sich jedes Bedenken zu erleichtern, ihm ein bloßes Bruchstück einer
Recension einsenden, und ihm überlassen, dies neben eine andre zu stellen.
Allein das wünsche ich nicht; und es ist auch gar nicht nöthig. Ihre
Rec. meiner Psychologie ist in Hinsicht des Buches nur ein Bruch [stück]
doch an sich ein Ganzes, das, lange noch, Niemand entbehrlich machen
wird. Und jetzt adieu bis zum Charfreitag in Berlin!
Hochachtungsvoll Herbart.
Apr.: Urlaub für Mitte Juni 1830 zu einer Reise nach Leipzig u. Bonn. XV. S. 17.
Jahresbericht über das pädagogische Seminar. XV. S. 18 — 21.
349. An Dissen.1) Coblenz 15. May 1830.
Dankbar wende ich mich nach Göttingen und zu Ihnen, mein
Theurer, der Sie für mich wieder jung und frisch geworden sind, möchten
Sie aber so frisch für Sich Selbst seyn! Brandis gedenkt Ihrer mit der
freundlichsten Theilnahme; er selbst ist ziemlich wohl, doch nicht stark.
Sie können alle Sorgen wegen der Uebereinstimmung zwischen ihm und
mir ganz fahren lassen; selbst in meinen Jüngern Jahren habe ich nicht
schneller Freundschaft geschlossen, als diesmal mit Brandis; denn anders
als Freundschaft kann ich dies Verhältniß nicht benennen. Ueber Plato
und Aristoteles mögen Sie mit ihm disputiren, oder vielmehr sich ver-
ständigen: ich bin ihm darin nicht gewachsen; und er tadelt auch nicht
meine Ansicht als falsch sondern nur als einseitig. Von Ihnen wünsche
ich zu erfahren wie weit er Recht hat. In allen Hauptsachen finde ich,
daß er mir eigentlich nichts bestimmt entgegen setzt, sondern nur noch
für jetzt in vielen Puncten seine Zustimmung zurück hält. Natürlich war
im Gespräch an kein Abschließen zu denken, sondern nur an Mittheilung,
zu künftiger leichterer Verständigung.
J) 1 S. 40. H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann pp. S. 48, dort aber
falsch datiert.
214 Juni l83°-
Meine beste Empfehlung an Wendt. Meine herzliche und hoch-
achtungsvollste Danksagung an Heeren, Schulz — und Hugo, der mich
bis Dransfeld begleitete! Leben Sie recht wohl, mein Theurer; sorgen Sie
für Ihre Gesundheit. Aus Königsberg Mehr! Herbart.
350. All Drobisch.1) Coblenz 15 May 1830.
Mit fliegender Feder sage ich Ihnen, daß ich in etwa acht Tagen, wo
nicht früher, in Leipzig zu seyn hoffe. Was Sie mir dort noch sagen,
vorlegen, einwenden werden, — Alles soll mit größtem Danke aufgenommen
werden ; und mit desto größerem Interesse, da mir meine eignen Arbeiten
durch die Aufmerksamkeit, welche Brandis darauf richtet, noch interessanter
geworden sind. Dieser große Gelehrte ist ein ebenso weltkundiger Mann;
viel gereiset, mit den bedeutendsten Zeitgenossen bekannt, — und für
mich höchst gefällig, ja wahrhaft freundschaftlich.
Entschuldigen Sie diese höchst eiligen Zeilen, und empfehlen Sie
mich Hrn. Prof. Krug im Voraus.
Hochachtungsvoll und von ganzem Herzen
der Ihrige Herbart.
351. An Brandis. Treuenbrietzen 7 Juni 30.
Noch bin ich nicht einmal in Berlin angelangt; allein die dankbarsten
Erinnerungen an Bonn, und der Wunsch, mich Ihnen, mein Hochverehrter!
mitzutheilen, drängen mich, den ruhigen Augenblick, den ich hier zubringen
muß, zu einem Briefe an Sie zu benutzen. Von den Briefen, die Sie
mir so gütig mitgaben, ist einer ungenutzt geblieben, wiewohl (wenn mein
Auftrag gehörig ausgerichtet worden) am bestimmten Orte abgegeben ;
Hr. Hofr. Hase2) nämlich war verreiset. Die beyden Herrn in Gotha
kamen mir gleich nach Empfang der Addressen mit ihren Besuchen zuvor;
mit Hrn. Hofpr. Hey3) brachte ich ein Stündchen im angenehmen Ge-
spräche zu; weit mittheilender aber, und im hohen Grade interessant,
habe ich den Buchh. Perthes4) gefunden. Dieser weltkundige Mann hielt
*) 1 S. 2°. Ein Faksimile dieses Briefes findet sich in Heft I der Sammlung
„Männer der Wissenschaf Lu : „Herbarf von O. Flügel. Leipzig, W. Weicher, 1905.
2) Heinr. Hase, 1789 — 1842, war seit 1820 in Dresden, zuletzt Oberinspektor
der dortigen Antikensammlung. S. Allg. D. Biogr. 10, 724.
3) Joh. Wilhelm Hey, 1767 — 1845, der bekannte Fabeldichter. S. Allg. D.
Biogr. 12, 344 f.
4) Über den Eindruck, den der Buchhändler Perthes von Herbart hatte, gibt ein
Brief Aufschluß, den Perthes an seinen Freund Rist schrieb: „Ihr alter Jugendfreund
Herbart aus Königsberg war im Mai bei mir, ich brachte einen sehr interessanten Tag
mit ihm zu. Er hatte sich im Kopf eine Art Gedankenzettel gemacht, um von mir
über Vieles, was er in Deutschland gefunden, Auskunft zu erhalten. Befremdet und
erstaunt war er, so wenig Interesse für Philosophie auf seiner Reise gefunden zu haben.
Nicht allein die nur allgemein gebildeten Männer, sondern auch Gelehrte, ja Philo-
sophen von Fach hätten Gleichgiltigkeit und Abneigung, über Philosophie zu reden,
gezeigt. Er hätte sehr oft das Gefühl gehabt, lästig zu werden, wenn er in das Wesen
philosophischer Fragen tiefer hätte eindringen wollen; wunderbar sei ihm dagegen das
Interesse aufgefallen, was überall für Religion, Kirche und religiöse Parteiungen hervor-
trete. Als ich ihm dagegen mein Erstaunen darüber aussprach, daß Königsberg dem
deutschen Leben so fern stehe, daß es seinen Gelehrten die jetzt in Deutschland
herrschenden Bewegungen verborgen halten könne, ward er sehr lebhaft und setzte sich
Juni 1830. 215
mich selbst am andern Morgen, weit über die Zeit, die zur Abreise vest-
gesetzt war, bey sich auf. Wenn ein Supernaturalist wie Er, und ein
Rationalist von meiner Sinnesart, länger bey einander verweilten, sie würden
sich, glaube ich, nicht bloß dulden, sondern bald auch in ihrer Meinung
näher zusammenrücken. Sie werden mir einen Gefallen erzeigen, wenn
Sie der zwischen ihm und mir gestifteten Bekanntschaft gelegentlich neue
Nahrung zuführen, und mich ihm ins Andenken zurückzurufen die Güte
haben wollen; vielleicht kommt auf diese Weise selbst in einige meiner
älteren Verbindungen neues Leben; und ich habe es nur zu schmerzlich
und zu lange empfunden, was das heißt, isolirt zu stehen. — Die an-
genehmsten Abende endlich hat uns Ihre Frau Gemahlin durch den Brief
in's Tieksche Haus geschafft.1) Höchst unerwartet bin ich vom Hofrath
Tiek äußerst freundlich aufgenommen; hier hatte mich noch überdies ein
Verstorbener — Jean Paul — im Voraus eingeführt. — Eben so offen,
eben so voll ruhigen Verstandes, als geistvoll, habe ich Tieks Gespräch
gefunden. Es scheint nicht, daß er an Schelling oder Hegeln hänge.
Dagegen fragte er gleich nach Herrn v. Schlegel, 2) welchen in Bonn nicht
besucht zu haben ich in der That bereue. Ganz vorzüglich empfahl er
mir Solgers^) Schriften. Vermuthlich sind Sie mit diesem bekannt; wie
schön wäre es, wenn Sie durch einige Winke mir es erleichtern wollten,
mich nach meiner, Ihnen bekannten, Art darin zu orientieren! Wunderbar
ist Tieks Talent zum Vorlesen! In Einem Zuge hat er mir und ein paar
Freunden Shakespeares Romeo und Julia, — an einem zweyten Abende
die Antigone nach Solgers Übersetzung vorgelesen ; mit solchem Feuer
und solcher Kunst, daß die Vorlesung den Werth einer selbst vortrefflichen
Aufführung überbieten konnte. — Die Bildergallerie selbst hat kaum
stärkeren Eindruck zurückgelassen. Auch habe ich Erlaubniß, an Tiek
zu schreiben. Möchte ich dieselbe für Ästhetik benutzen können!
auf das philosophische Pferd. Ich erklärte ihm alsbald, daß ich als Buchhändler keine
Verpflichtung habe, seine philosophische Sprache zu verstehen, und bat ihn mir dieselbe
in gut Deutsch zu übersetzen. Da kamen denn ganz wundersame Aussprüche zu Tage
und der Mann stand eine wahre Pein aus, in einer fremden Sprache reden zu müssen.
Herbart hat mich mit Achtung und Vertrauen erfüllt; er ist gewiß ein weicher Mensch,
so eisern auch der Harnisch ist, den er umgethan hat: versteift, wie man mir gesagt
hatte, ist er in keiner Weise, aber er scheint mir einer vergangenen Zeit anzugehören
und ist, da er auf dem entfernten Flügel des Vaterlandes nicht wie die anderen von
der Zeit gedrängt, gerieben, verarbeitet wird, in Befangenheit der Anschauung über Welt,
Leben und Wissenschaft geraten; mit seinen Zeitgenossen wird er sich schwerlich in
Einklang setzen können, besonders weil er verlangt, daß sie sich mit ihm in Einklang
setzen sollen. An Scharfsinn und formeller Durchbildung fehlt es ihm gewiß nicht, ob
er aber Tiefsinn genug besitzt, um in das Wesen der Dinge einzudringen, lasse ich
dahingestellt. Mangel an Phantasie oder wenigstens an Ausbildung derselben zum Ge-
brauch glaubte ich zu bemerken. Wir schieden sehr befriedigt von einander; gewiß,
wenn Sie mit dem alten Universitätsbruder philosophirten und ich als Naturalist zuweilen
einen S — hieb anbrächte, so würde das für uns alle ein belebter Abend werden." Vgl.
C. Th. Perthes, Fr. Perthes' Leben, Gotha 1855, III. Bd., S. 144 f.
1) J. L. Tieck, der seit 1825 als Dramaturg am Dresdner Hoftheater wirkte.
2) Aug. Wilh. Schlegel, 1767 — 1845, Prof. in Bonn, s. Allg. D. Biogr. 31, 354 ff.
a) C. W. F. Solger, 1780 — 18 iq. Seine kleinen Schriften gaben L. Tieck u.
Fr. Raumer heraus. (Anm. von K. G. Brandis.)
2l6 Juni 1830.
In Leipzig hat mir Drobisch einige bestimmte, im Voraus nieder-
geschriebene, wissenschaftliche Fragen vorgelegt; er schien mit meinen
Antworten zufrieden; an Streit war nicht zu denken. Seine Recension
meiner Metaphysik wird hoffentlich bald, und zwar in der Jenaischen L. Z.
erscheinen, sie wird sehr ausführlich seyn. x) Die Bekanntschaft mit Drobisch
ist mir lieber geworden als je zuvor; er ist ein äußerst lebhafter, sehr
schnell und scharf eindringender Mann; und ich kann kaum noch zweifeln,
daß er sich tief und tiefer in die Philosophie, selbst öffentlich, einlassen
wird. Eine sehr weitläufige Recension meiner Psychologie soll, wie ich
in Halle hörte, in der dortigen L. Z. bevorstehen, — von einem meiner
alten Freunde,2) den Sie vielleicht kennen. — Noch bitte ich Sie, auf
Reinhold3) in Jena eine fernere Aufmerksamkeit zu richten. Der Mann
ist mir persönlich werth geworden; ich habe ihn auf Sie hingewiesen, —
um so mehr, da ich unmittelbar seine Meinungen wohl nicht genau genug
berühren kann. Wenn doch die Menschen sich nicht länger absichtlich isoliren
möchten! Die Philosophie hat im Publicum schrecklich dadurch verloren;
das ist mir auf meiner Reise überall aufs neue ins Auge gesprungen. Und
auch wir Einzelnen, — verlieren Alle und Jeder dadurch. — Fries —
hat mich nicht sehen wollen.4) — Daß ich in Weimar Göthe5) und Röhr,6)
in Jena Martin7) (den Criminalisten und meinen ehemaligen Collegen/
und Gries, in Halle Wegscheidern8) und Grubern,9) in Leipzig Krug
und Brandes besucht, in Dresden den Baron Stackeiberg10) (den be-
rühmten Reisenden) angetroffen, kann ich nur ganz dürr hinzusetzen, denn
mein Reisebericht muß enden. Krug war freundlich aber nicht eingehend.
Wegscheider verlangte sua sponte eine Encyklopädie von mir, gleich Ihnen,
Drobisch billigt es; und so werde ich recht bald die Feder ansetzen;
wenn Sie, der erste Anreger, eine Seite eines Briefes, — so bald als
möglich — daran wenden wollen, mir recht deutlich die Puncte zu nennen,
die Sie verlangen. — Erwarten Sie keine weitläufigen Darlegungen des
hohen Werths, den ich, noch über die Erwartung, auf Ihre freundschaft-
1) Sie findet sich in der Jenaischen Allg. Lit. Ztg. 1830, Nr. 144 — 149, und ist
M. W. D. unterzeichnet.
2) Erich von Berger, vgl. S. 224, Anm. 2.
3) Ernst Christ. Gottl. Reinhold, 1793 — 1855, Professor der Philosophie in Jena,
der Sohn von Karl Leonhard Reinhold, von dem im vorhergehenden Bande unter
Nr. 225 u. 227 zwei Briefe mitgeteilt sind. S. Allg. D. Biogr. 28, 79.
4) Über die Gründe der Ablehnung s. Bd. 3 dieser Briefe: Brief von Fries an
Drobisch v. 14. Juni 1836.
5) Herr Geheimrat Suphan hatte die Güte, mir mitzuteilen, daß sich im Goethe-
Archiv über den Besuch Herbarts bei Goethe keinerlei Aufzeichnung befänden, und daß
das Tagebuch Goethes diesen Besuch nicht erwähne.
8) Joh. Friedr. RÖHR, Oberhofprediger in Weimar.
7) Ch. B. D. Martin, 1772 — 1857, Rat am Oberappellationsgericht in Jena. S.
Allg. D. Biogr. 20, 485 ff.
8) J. A. Ludw. Wegscheider, 1 771 — 1849, Prof. in Halle, Dogmatiker des
Rationalismus. S. Allg. D. Biogr. 4], 427 ff.
9) J. G. Gruber, 1774 — 1851, der Begründer der ..Allgemeinen Encyklopädie der
Wissenschaften u. der Künste". Vgl. Allg. D. Biogr. 10. 1 ff.
10) Der Kunstforscher und Maler Otto Magnus Freiherr von Stackelberg, 1787
bis 1837, Herbarts Schüler in Göttingen. Vgl. Hartenstein, Herbarts kl. Schriften I,
S. LXVI1 u. Allg. D. Biogr. 35, 340 ff.
Juni 1830. 217
liehen Gesinnungen zu legen gelernt habe! Ich hoffe, Sie kennen mich.
Mit innigster Hochachtung Ihr Herbart.
An Ihre Frau Gemahlin Dank und Gruß und Ehrerbietung von uns
Beyden! Meine Frau ist wohl.
352. An Drobisch. x) Potsdam 8 Juni 30.
Hochgeehrter Herr Professor! Noch bin ich nicht in Berlin. Dort
werde ich Sie vermissen; hier gönne ich der Freude Raum, daß unsre
x) 2 S. 20. — In W. Neubert -Drobisch heißt es a. o. O. S. 27: „Besonders
interessant aber ist Drobisch' erste persönliche Begegnung mit Herbart, den er im
Alter gern seinen geistigen Vater nannte, wie er auch Kant als seinen geistigen Groß-
vater bezeichnete. Er schreibt darüber: ,, Herbart endlich, ich konnte ihn in Berlin nicht
ganz fassen : wir waren beide zu zerstreut, hauptsächlich durch die Neuheit des Orts,
auch war ich noch nicht genug vorbereitet, denn ich hatte seine Metaphysik erst gelesen,
noch nicht mit der Feder studiert, sah sie doch eigentlich auch als etwas mir Fremdes,
Aufgenötigtes an, das ich mir noch keineswegs hatte aneignen können, dem ich aber
doch auch nichts Treffendes entgegenzusetzen wußte. Das Werk war mir ein harter
Edelstein, an dem keine meiner Feilen greifen wollte. Unsere Unterhaltungen waren
daher auch meist sehr allgemein und formal. Er suchte mich überhaupt für Philosophie
mehr zu gewinnen. Ich erklärte, wie mich diese Zweiheit des philosophischen und
mathematischen Studiums drücke und wie unbehaglich mir das sei, was er gern glaubte,
ohne jedoch abzugehen. Er sagte mir Dinge über mein philosophisches Talent, an die
ich nicht glauben konnte, er traute mir zu, Effekte hervorzubringen, zu denen ich mich
viel zu schwach fühlte. Er fand in der Vereinigung von philosophischem und mathe-
matischem Talent in mir etwas Seltenes und Eigentümliches, das ich zur Ausbildung
bringen müsse, indem es mir sicher großen Ruhm bereiten werde u. s. w. Er suchte
mich zu überzeugen, daß ihm schon meine beiden Recensionen von wesentlichem
Nutzen gewesen wären, indem viele sich dadurch zum Studium seiner Schriften veranlaßt
gesehen hätten, seitdem sich gezeigt habe, daß es wenigstens einem gelungen sei, in
ihren Sinn und Geist einzudringen. Wir kamen endlich überein, nach einigen Wochen
in Leipzig noch einmal eine philosophische Konferenz zu halten, wo ich hoffte, daß
dann in meinem Kopfe manches noch Unverbundene Zusammenhang gefunden haben
würde'1. Diese fand auch am 27. Mai in Leipzig statt, „durch ausgeschriebene Fragen
besser vorbereitet". . . Am 29. nach Herbarts Abreise resümiert Drobisch die gehabten
Eindrücke und Ergebnisse der Konferenz folgendermaßen: „Herbarts reges, gewaltiges
inneres Leben giebt ihm oft den Schein des Egoismus. Er kann nicht kindlich sein;
und doch ist er oft hingebend, und doch zu wenig mißtrauisch, zu sehr empfänglich
für bloß höfliche Freundlichkeit. — Diesmal hatte er mich in Schwung gesetzt. Es
wurde wirklich in mir die Überzeugung lebendig, als komme es nur darauf an, in der
Philosophie wieder genaue, gründliche Untersuchungen in Gang zu bringen, nur alles
recht scharf zu nehmen, und so aus sich etwas zu machen, um diese Wissenschaft und
ihre Priester bei den anderen und im Staate wieder zu Ansehen zu bringen. Er bat
mich dringend, mich nicht zu quälen und bloß Mathematiker sein zu wollen, da meine
Natur mich wenigstens gleichmäßig zur Philosophie rufe. Zunächst wünschte er, daß
ich bald ein philosophisches Kollegium lesen möge. Videamus ! Ich konnte mir ziemlich
klar die Möglichkeit denken, daß an die Stelle der populären Astronomie nach einigen
Jahren ein philosophisches Kollegium treten dürfe. Aber vorher gründliche Studien:
Kant, Spinoza pp., wohin wird das führen? Auf jeden P'all muß ich meine Natur zu
entwickeln suchen. Was angefangen muß ich enden: Herbarts gesamte Philosophie mit
der P'eder studieren, sonst ist die bisher ihr gewidmete Zeit verloren. Ich muß ohne
Zweifel die äußere Lage der Philosophie ganz vergessen und rein innerlich leben, werde
daraus was wolle"! Und nun vertieft sich Drobisch mit Feuereifer in Herbartsche
Schriften, zunächst in seine Metaphysik. Gelegentlich der Anwesenheit von Herbart
und seiner Frau in Leipzig, die übrigens am 28. V. bei Drobisch zum Mittagessen gewesen
waren, verleiht Drobisch seinem Unmut darüber Ausdruck, daß Herbart und Frau sich
gegen Leipzig so indifferent gehalten hätten; er, weil seine innere Welt fast die äußere
vernichte, sie, weil die Liebe zu Königsberg alles andere verschlinge. Für seine Vater-
stadt aber schlug Drobisch' Herz warm."
2 l8 August 1830.
persönliche Bekanntschaft nicht auf die ersten schwankenden Eindrücke
beschränkt geblieben, sondern in Leipzig so merklich fortgeschritten ist.
Empfangen Sie meinen vollen und innigen Dank für die gefällige Auf-
nahme, die mir dort bey Ihnen bereitet war! Und lassen Sie mir die
Hoffnung, daß bey Ihrer wissenschaftlichen Genauigkeit Schutz für die
sorgfältigsten Arbeiten, und für die verletzbarsten Theile meiner Unter-
suchungen dann zu finden sey, wann man nach allen Seiten mit unreifen
Versuchen daran zerren und ziehen wird. Daß mir eine mehr aufs
Praktische gerichtete Bemühung wird abgefordert werden, daran bin ich
noch neulich in Dresden erinnert worden, wo ich mit Tiek und dem
Baron Stackeiberg über Kunst zu reden hatte, und auf einige mir früher
mehr geläufige, jetzt fast entfremdete Gegenstände zurück gewiesen wurde.
Tieks Bekanntschaft ist höchst interessant, und seine Gefälligkeit für mich
überstieg alle Erwartung. Sie wohnen ihm so || nahe, daß Sie vielleicht
Gelegenheit finden werden, ihm meine lebhaften und wahrlich recht eigent-
lich schuldigen Danksagungen zu erneuern.
Ganz besonders verpflichtet aber sind wir beyde Ihrer Frau Gemahlin,
die, so fürchte ich, mit zu vieler Aufopferung dafür gesorgt hat uns an-
genehme Stunden zu schaffen. Der Ausdruck des Leidens in ihren Augen
ist mir im Gedächtnis geblieben als ob ich ihn sähe. Meine guten Wünsche
bedürfen nicht der Worte. Meine Frau hofft, nicht ganz vergessen zu
werden.
Sobald Sie Zeit haben, bitte ich um einige wenige Zeilen nach
Königsberg; dann schreibe ich von dort ausführlicher. Empfehlen Sie
mich aufs Beste den Herrn die ich bey Ihnen sah; auch bey Krug.
Und leben Sie recht, recht wohl, sammt Ihrer Frau und dem allzuzarten
Kinde! Herbart.
Berlin 14 Jun. Ihr persönliches Erscheinen hier in Berlin scheint
nicht ohne gute Früchte geblieben zu seyn. Eine lebhafte Anerkennung
Ihrer mathematischen Einsichten leuchtet aus Idelers 1) wiederhohlten Aeuße-
rungen hervor, obgleich er selbst, wenn ich recht verstand, Sie nicht ge-
sprochen hat, meinerseits habe ich hier noch Lichtenstein, Mitscherlich,
und Savigny kennen gelernt.
353. An Brandis. Königsberg, 30. Aug. 30.
Nach so heitern Tagen in Bonn zwey so traurige Nachrichten auf
einmal von Ihnen? — Die erste wage ich gar nicht zu berühren.2) Sie,
mein hochverehrter Herr! haben die Quelle der Beruhigung und die
Unterstützung von Außen in Sich und in Ihrem Hause. Die zweyte üble
Nachricht berührt leider mein Brief, indem er nach Carlsbad wandern
muß. Wozu das? Unsere Ärzte rühmen sehr das künstliche Carlsbad;
das konnten Sie, wenn nicht näher, doch gewiß in Dresden haben; und
wie Vieles hätte dort zu Ihrer Erheiterung, folglich auch zu Ihrer Ge-
*) K. W. Ideler, 17Q5- 1860, Irrenarzt, später Direktor der psychiatrischen Klinik
in Berlin. S. Allg. D. Biogr. 13, 746 f.
2) Die erste dieser Nachrichten betraf den Tod eines Kindes von Brandis. (Anm.
von K. G. Brandis.)
August 1830. 219
sundheit beygetragen. Jetzt bleibt mir noch die Hoffnung, daß Sie Sich
wenigstens eine angenehme Rückreise schaffen werden. Vielleicht sehen
Sie Tiek; dann bitte ich um die Versicherung meiner Hochachtung und
dankbarsten Erinnerung. Daß ich von der Erlaubniß, an Tiek schreiben
zu dürfen, noch nicht Gebrauch gemacht habe, daran sind Sie die
unwillkürliche Veranlassung. Meine Zeit ging nach Endigung meiner
Recension über Hegels Encyklopädie, die in Halle verlangt wurde, ganz
auf den Beginn der von Ihnen verlangten Encyklopädie, die freylich
keineswegs ein Gegenstück jener Hegeischen, sondern etwas ganz Disparates
werden wird. Denn der Gesammteindruck meiner Reise, nachdem ich alle
Wahrnehmungen zusammenfasse, ist dieser, daß ein populäres, aber mög-
lichst unterrichtendes und möglichst umfassendes Buch über die gesammte
Philosophie Noth thut. Sonst laufen wir Gefahr, in Zeit von zehn Jahren
kein philosophisches Publicum mehr zu haben. Fichte, Schelling, und
Hegel haben schon längst daran gearbeitet, das Publicum unserer Wissen-
schaft zu tödten; und der Erfolg liegt jetzt am Tage, wohin ich auch
komme und blicke. In meinem neuen Buche kehre ich mein System
rund um; das Hinterste vorn, das Oberste unten. Gegen das Ende erst
soll die Architektonik als nöthiges Correctiv dazu kommen, und dort
werde ich noch Gelegenheit zu einigen wissenschaftlichen Bemerkungen
finden. Drobisch schreibt, er habe seine Recension meiner Metaph. nach
Jena abgeschickt; diese Arbeit sev für eine Recension von ganz außer-
gewöhnlicher Länge. Der Fleiß, den er angewendet hat, übertrifft alle
meine Erwartung. Unmöglich aber kann der Mathematiker, selbst Drobisch
mit seinem trefflichen philosophischen Geiste, sich auf einmal ganz und
in alle Falten der faltigsten aller Wissenschaften hineingefunden haben.
Ihnen Vommt es zu, als Kenner zusprechen. Möchte das bald geschehen !
Mein Buch ist schon beynahe halb fertig; und wiewohl die zweyte Hälfte
langsamer geschrieben werden wird, so wünschte ich doch so bald als
möglich von Ihnen die mir nöthigen Winke durch die versprochene
Recension zu erhalten. Lobeck fragt mich nach Aufträgen, die Niebuhr
mir soll mitgegeben haben? Mein Gedächtnis muß in diesem Falle von
den Eindrücken und Interessen meiner Reise ganz überschüttet seyn;
denn ich weiß nichts davon, und ich muß mich bittend an Sie wenden,
meinen Fehler gütigst verbessern zu wollen. Es ist ja nur ein Fehler
mehr zu andern, die Sie finden werden! Thun Sie was Sie können, um
der Philosophie neues Leben zu schaffen, gleichviel wie und von welcher
Seite. Die Zeit drängt. Die Noth ist da. Neue Stürme von Westen
könnten dazu kommen. Der Himmel bewahre uns vor neuen Über-
schwemmungen, was hülfe denn unsere sorgfältigste Arbeit? Giebts Lärm,
so ist unser stilles Wirken vorbey. — In Gedanken drücke ich Ihnen
die Hand! Herbart.
354. An Eichstädt.1) Königsberg 30. Aug. 30.
Ew. Wohlgeboren bey meinem kurzen Besuch in Jena verfehlt, und
in der Hoffnung auf eine so höchst schätzbare persönliche Bekanntschaft
*) Zuerst veröffentlicht durch H. Zimmer in der Zeitschr. f. Päd. Psych, u. Path. 1900,
Heft 3.
2 20 August 1830.
mich getäuscht zu haben, dies ist mir ein Gegenstand des lebhaften Be-
dauerns. — Sie empfangen hier einige der verlangten Recensionen, die
freylich Hrn. Prof. Drobisch nicht in den Weg treten sollen; und [aus-
gestrichen] ich habe mich diesmal um desto notwendiger kurz fassen
müssen (obgleich die Hrn. Schubarth u. Carganico Stoff genug darboten),
weil Ihren Blättern auf meine Veranlassung noch eine andre Zumuthung
bevorsteht, reichlichen Platz zu vergönnen. Sie gestatten mir, Hrn. Dr. Taute
bey Ihnen einzuführen. Er hat nun recht sorgfältig eine Recension über
Bachmanns Logik niedergeschrieben; aber ich stehe nicht dafür, daß vier
Nummern der I. A. L. Z. Raum genug dafür haben werden.1) Zu ver-
kürzen, meint er, sey gerade bey einer Logik, die aus vielen Einzelnheiten
bestehe, nicht gut möglich. Und ich muß hinzufügen, daß ein Recensent
in philosophischen Fache sich gegen den Autor in desto größere Gefahr
setzt, je knapper er sich auf Aeußerungen des Tadels ohne hinlängliche
Belege und Beweise beschränkt. Taute ist noch unbekannt als Schrift-
steller; und würde desto mehr in Gefahr gerathen, wenn er verkürzen
sollte. Sein Ausdruck ist übrigens rein wissenschaftlich, und von Ausfällen
durchaus frey; so wie sein ganzes Wesen abgemessen pünctlich, und zwar
scharf aber niemals bitter ist. — Wenn ich keine baldige Nachricht von
Ihnen erhalte, so werde ich mir erlauben anzunehmen, daß Sie Tautes
Recension, lang wie sie ist, zu empfangen bereit sind; ich glaube in der
That, Sie werden damit nicht unzufrieden seyn.
Mit der vollkommensten Hochachtung empfiehlt sich
Ew. Wohlgeboren gehorsamer Herbart.
355. An Drobisch.2) Königsberg 30 Aug. 30..
Wochenlang und monatelang vielleicht werde ich noch Geduld haben
müssen, bis ich in den Besitz ihrer Recension komme. Darum, mein
theurer Herr und Freund! will ich den Dank für Ihren Brief nicht länger
aufschieben. Soviel Sorgfalt, Mühe, Aufopferung Ihrer Zeit, Störung in
Ihrer eignen Arbeit, wie dieser Brief mir ankündigt, hatte ich nicht er-
wartet. Besäßen Sie noch nicht meine Hochachtung, Sie hätten Sich
dieselbe nun erworben! Was Sie geschrieben haben, kann nicht viel mehr
hinzuthun. Ihren Geist kenne ich. Ihr Wirken wird dem meinigen
aufs schönste förderlich seyn, selbst wenn Sie in wesentlichen Dingen von
mir abweichen sollten. Meine Freymüthigkeit werden Sie in solchem
[Falle] ertragen, wie ich die Ihrige. Hätte ich Lohn gesucht, so hätte ich
auch ohnehin [mich] verrechnet, denn die beste Zeit meines Lebens ist
dahin, und was ich aufgeopfert habe, wird Niemand ersetzen können,
wenn man auch wollte. Nur die Wissenschaft muß vom drohenden
Untergange gerettet werden. Mit fortwährender Anstrengung habe ich an
meinem neuen Buche3) gearbeitet; es liegt halb niedergeschrieben vor mirr
und muß in wenigen Monaten geendigt seyn, um später noch als ein
fremdes angesehen und ausgefeilt zu werden. — Irgend einmal, wenn
x) S. Jen. Allg. Lit. Ztg. 1830. 4. Unterzeichnet F. T. K. [F. Taute, Königsberg?].
2) 1 S. 2°.
3) Kurze Encyklopädie der Philosophie, 1831. S. Bd. IX.
Oktober 1830. 22 1
auch nach Jahren, kommt Ihnen hoffentlich Lust und Zeit, Sich den
zweyten Theil meiner Psychologie ernstlich anzusehn. Die Philosophie
rechnet auf Sie. Das sage ich, wenn ich im Namen der Wissenschaft
irgend etwas sagen darf. Sie werden in späterer Zeit noch mehr leisten,
als jetzt möglich ist! Gedanken kommen allmählich.
Mit vollem Herzen grüße ich Sie und Ihr Haus!
H [erbart]
356. An DrotUSCh.1) Königsberg 6 Oct. 1830.
Mit mancher Besorgniß, mein hochgeehrter Herr und Freund, habe
ich bey den bösen Zeitungsnachrichten Ihrer und der Ihrigen gedacht.
Die kleine Feuerkugel ist doch unberührt geblieben?2)
Ihre Recension ist durch meinen Lesecirkel gegangen. So pünktlich,
wie Sie schreiben, konnte ich noch nicht lesen. Ihre Perlschrift — und
Ihre diplomatische Feinheit (als wollten Sie bald Minister werden!) habe
ich bewundert. Ihre Beurteilung meiner Naturphilosophie habe ich noch
zu Gute. Denn hoffentlich werden Sie mir wenigstens brieflich, und bey
guter Muße, nach Erledigung näher liegender Arbeiten, etwas darüber
sagen. Wer sonst, wenn nicht Sie? — Daß Sie der Philosophie ge-
wonnen sind, (doch ohne Schaden der Mathematik) setze ich nun schon
voraus; und in mancher trüben Stunde noch wird es mich trösten, daß
Sie Sich meiner Untersuchungen annehmen. Etwas problematisch sieht
Ihnen die Metaphysik noch aus. Was dabey zu thun ist, weiß ich wohl;
und verzeihen Sie meiner Dreistigkeit, daß ichs Ihnen kurz sage. Wenn
die Mathematik einige Pausen verträgt: dann — wenden Sie 14 Tage an
Des-Cartes meditationes in primam philosophiam ; in der zweyten Pause
14 Tage an die ersten zwey Bücher von Spinozas Ethik; in der dritten
Pause 14 Tage an Kant, besonders an die metaphysischen Anfangsgr. d.
Naturwissenschaft; in der vierten — 3 Wochen an Fichtes Bestimmung
des Mensch., dessen Sittenlehre, und Schellings Naturphilos. — und dann ?
Ja nun, wenn Sie soweit sind, dann kommt hoffentlich einmal wieder die
Reihe an mich. — Jetzt drängt mich der Wunsch, mein Manuscript bald
los zu werden. Kein anderes, als das von Brandis und Wegscheider
verlangte, die Encyklopädie ; sie liegt beynahe fertig vor mir; ich hatte
Muße und Laune, und habe unablässig daran gearbeitet. Hier schicke
ich Ihnen die Inhalts-Anzeige, in der Meinung, Sie werden mir bald etwas
darüber sagen, und auch darüber, ob ich einen Verleger in Leipzig
möchte finden können, und unter welchen wahrscheinlichen Bedingungen ?
Zwar kann ich mich auch nach Berlin wenden; aber Sie wohnen im Sitze
des Buchhandels; und ehe ich Forderungen an Vorschläge knüpfe, will
ich gern zuvor ein Wort des guten Rathes von Ihnen einhohlen. Machen
Sie Sich indessen ja keine Mühe mit schwierigen Erkundigungen; so gar
1) I S. 2°.
2) Bezieht sich auf den Leipziger Septemberaufstand. Das Volk hatte die Häuser
mißliebiger Beamten gestürmt, war aber auch in die Brockhaussche Buchdruckerei ein-
gedrungen, um die neuen Schnellpressen zu zerstören. Vergl. Kneschke, Leipzig seit
100 Jahren (1870) und Beier und Drobitzsch, 1000 Jahre deutscher Vergangenheit in
Quellen heimatlicher Geschichte. Leipzig, 191 1, Ernst Wiegandt, Bd. 2.
222 Oktober 1830.
eilig bin ich nicht; ein paar Zeilen von Ihnen werden mich unterrichten
ob sich gerade gute Gelegenheit darbietet, und was im Allgemeinen zu
erwarten ist. Entschuldigen Sie meine Eile; eben schicke ich die Rec.
über Hegeln fort. H.
357. An Brandis. Königsberg, 17 Octob. 1830.
Zu lange, mein hochverehrter Herr und Freund! habe ich nichts von
Ihnen vernommen. Weiß ich doch nicht einmal, ob Sie noch unterwegs
irgendwo, oder schon wieder zu Hause, ja vielleicht durch irgend welche
Besorgnisse wegen der Gränznachbarn früher als Sie wollten, nach Haus
zurückgerufen sind. Noch weniger weiß ich, ob der nasse Herbst dem
Carlsbad erlaubt hat, Ihrer Gesundheit zu Hülfe zu kommen. Zu Ihrem
Stillschweigen kann ich mir alle möglichen auch unangenehmsten Ursachen
hinzudenken. Die geringfügigste wäre, wenn Sie die wenigen Zeilen, die
ich Ihnen nach Carlsbad schrieb, etwa nicht bekommen hätten, sondern
vor deren Empfang zurückgereiset wären.1)
Wieviel hätten wir uns jetzt mündlich zu sagen! — Mir erscheint in
diesen Zeiten Alles an sich Wichtige noch weit wichtiger. Was jetzt sich
erzeugen, sich fixiren kann, das greift weiter und vielleicht selbst tiefer
als je zuvor. Aber wie manches wird schnell verschwinden, dem noch
eine lange Dauer schien beschieden zu seyn!
Um von dem zu sprechen was mir zunächst liegt — Sie haben mich
in Arbeit gesetzt bis jetzt, und jetzt bin ich, dem Anscheine nach, fertig.
Das Manuscript meiner „kurzen encyklopädischen Darstellung der Philo-
sophie aus praktischen Gesichtspunkten"2) giebt ein Buch von ungefähr
einem Alphabet bei gewöhnlichem Drucke. Es zerfällt in Elementarlehre
und Methodenlehre. Jene behandelt in 16 Capiteln 1.) das praktische
Bedürfniß der Philos. 2.) den Menschen in seiner Gebundenheit an Natur,
Staat, und Kirche; 3.) die Begriffe der Güter, Tugenden und Pflichten,
4.) das Bedürfniß der Religion, 5.) den Unterschied des moralischen und
ästhetischen Urtheils, 6 ) den Unterschied der ästhetischen und theoretischen
Ansicht, 7.) die Kunst und den Künstler, 8.) die nützliche Kunst, 9.) die
schöne Kunst, 10.) die gelehrte Kunst, 11.) die Staatskunst, 12.) die Er-
ziehungskunst, 13.) die geistige Regsamkeit, 14.) das Leben, 15.) die Materie,
16.) Seele und Ich. Die Methodenlehre umfaßt 8 Capitel 1.) von der
Logik, 2.) Vernunftkritik, 3.) Fundamentalphilosophie, 4.) System der Philos.
im Allgemeinen, 5.) Von der Metaphysik, 6.) Vom Verhältniß der Meta-
physik zu den übrigen philos. Wissenschaften, 7.) Von der Psychologie,
8.) von der praktischen Philosophie.3) — Sie erkennen hier den Plan eines
x) In der That bekam Brandis Herbarts Brief vom 30. August nicht in Karlsbad,
wie aus dem Postvermerk der Aufschrift hervorgeht. Br. hatte auf der Reise nach
Karlsbad die Nachricht von dem Tode seines Schwagers erhalten, der mit seinem er-
wachsenen Sohne bei dem Brande seiner Fabrik umgekommen war, und war sofort
nach Kiel zu seiner Schwester gereist. Hierauf bezieht sich Herbarts Nachschrift vom
27. Oktober. (Anm. von K. G. Brandis.) — Vgl. auch Nr. 359.
2) Im Druck lautet der Titel: Kurze Encyklopädie der Philosophie aus prak-
tischen Gesichtspunkten entworfen.
3) Weshalb Herbart ein neuntes Kapitel (,, Rückblicke und Bemerkungen über die
Form der Philosophie") hinzugefügt hat, ersehe man aus seinem Briefe an Drobisch v.
14. Nov. 30!
Oktober 1830. 223
„Berichts an Männer von gelehrter Bildung ohne weitern Unterschied, die
nur überhaupt von Philos. etwas hören mögen, und nach dem Standpuncte
derselben sich von Zeit zu Zeit umzusehen pflegen." Dieser Plan hat
mich nicht gehindert, manches Psychologische, das schwierig scheinen
kann, ins Licht zu setzen. So ist z. B. die Schwierigkeit, mehrere Vor-
stellungsmassen zusammen im Bewußtseyn wirken zu lassen, und dennoch
die Nothwendigkeit hiervon für jedes höhere geistige Erzeugniß, sehr be-
stimmt, wie ich glaube, in moralischer, religiöser, künstlerischer Hinsicht
ins Licht getreten. Nicht die allgemeine Theorie, aber ihre Anwendungen
sind vor Augen gestellt. Am meisten aber durchdringt die Auseinander-
setzung der fünf praktischen Ideen das ganze Buch. Am wenigsten tritt
die Metaphysik hervor. Die Synechologie und Eidolologie kommen fast
nur dem Namen nach vor. Folgende sehr compendiöse Darstellung der
Methode der Beziehungen schreibe ich ab:
Wenn aufgegeben ist, Eins zu setzen, das man ebenso wenig einfach
setzen als wegwerfen kann: so setzet es vielfach. Alsdann aber hütet
Euch, das Viele zu vereinzeln, denn dadurch würde die vorige Schwierig-
keit zurückkehren. Sondern begreifet, daß von dem Vielen, sofern es in
gegenseitiger Verbindung steht, möglicherweise etwas gelten kann, was von
dem Einzelnen ungereimt seyn würde.
Unmittelbar vorher ist die Thatsache der in den Erfahrungsformen
gegebenen Widersprüche, an Hegels Logik nachgewiesen, die außerdem
nicht hätte in die Geschichte der Philos. eintreten können. Bey Gelegen-
heit der Vernunftkritik dagegen ist am Beispiele des Begriffs der Substanz
die Nothwendigkeit der psychologischen Untersuchung, wie der Begriff ent-
standen und allmählig gebildet sey, — und des andern davon ganz ver-
schiedenen metaphysischen, wie der Begriff nun weiter zum Behuf der
Erkenntniß zu behandeln sey, nachgewiesen. Demnach ist immer noch
des speculativen Gehalts, wie es mir scheint, genug in dem Buche an-
zutreffen.
Was macht doch Bobrick? — Wunderliche Gerüchte, als wolle er
Bonn verlassen, haben mir weh gethan. Kann er sich denn auf keine
Weise dort den nöthigen Unterhalt schaffen? Oder sich immer noch nicht
dazu entschließen? Es wäre doch schade um seine Talente, wenn sie
untergingen! — Und wie trägt Hüllmann seinen Gram? — Hoffentlich
doch als ein Mann; und als ein geehrter, in allen Lebensverhältnissen
des Umgangs hoch willkommener Mann. Meine Empfehlungen an die,,
welche an mich erinnert seyn mögen. Hrn. Staatsrat] Npebuhr] macht
das Gerücht bey uns zum Minister in spe. Vielen Dank für Ihre Nach-
hülfe wegen seines Auftrags an Lobeck.
Am 27. October.
Die erste Erschütterung ist vorüber! Jetzt nehme ich die Feder, um
Ihnen, mein hochverehrter Freund! zu sagen, daß ich in meinem Leben
auch Leiden erfahren habe, von denen ich glaubte vernichtet zu werden.
Aber ich habe die heilende Kraft der Zeit auch, wie so Viele, in einem
fast unbegreiflichen Grade kennen gelernt. Die Blätter fallen; der alte
Baum schlägt wieder aus. So lange er gesund ist! Ihre Gesundheit —
das verhehle ich nicht! — macht mir Sorge. Ihre ganze Natur gehört
224 Oktober 1830.
zu den zarten und feinen. Thun Sie alles, was Sie irgend ersinnen
können, um in Ihrer Zeiteintheilung, Ihren Erhohlungen, Lebensgewohn-
heiten, Ihrer Diät, — Hülfe und Stärkung zu finden.
So war also doch meine Unglücks- Ahnung nicht ohne Grund! Bey-
nahe täglich habe ich meiner Frau geklagt, daß ich von Ihnen nichts
erfuhr. — Lassen wir das!
Möchten Sie nur Ihren Aristoteles aufschieben können! Wer wartet
denn so dringend? Wer es auch sey, er muß hören, daß Sie jetzt, bey
solchen Leiden, nicht viel arbeiten dürfen. — Meine Metaphysik hat Zeit.
Diese wenigstens darf Ihnen nicht im Wege liegen. — Aber viel Hülfe
braucht sie freilich noch; auch nach der meisterhaften Arbeit, die unter
den Recensionen wohl ihres Gleichen sucht, worin Drobisch seinen
Character, seine Klugheit, seinen Scharfsinn auf einmal an den Tag ge-
legt hat. Seinen Character! Denn diese Arbeit lag wahrlich nicht auf
der Bahn, wohin sein literarischer Ehrgeiz hätte führen können. Und
auf diesem Puncte verweile ich mit meiner Betrachtung am liebsten. —
Haben Sie denn aber auch die tolle Antikritik gegen mich im Hesperus
gelesen? — Lesen Sie doch! Es wird Sie einen Augenblick zerstreuen. —
Bergern1) haben Sie wohl in Kiel nicht gesprochen? Schade, wenn Sie
meinen alten Freund nicht kennen. In seiner Recension meiner Psych.2)
hat die alte Freundschaft ein Wunder, gethan; denn sie hütet ihn fort-
während, seinen Mißverständnissen nachzuhängen, und führt ihn auf das
Buch zurück. — Die Encyklopädie liegt zwar fertig, aber wie nöthig
wären Sie nun, wenn ich Ihnen nur daraus vorlesen könnte. Das Buch
ist immer nur halb mein Eigenthum; es ist ein sehr loses Gewebe, weil
der Gedanke nicht in meinem Kopfe entsprang. Doch muß es nun bald
in die Presse; wahrscheinlich in Halle, wo Schwetschke sich zum Verlag
erbietet. Ich kann im Winter nie etwas Tüchtiges arbeiten, und den
nächsten Sommer muß ich andern Dingen aufbehalten. Der Winter ist
meine Leidenszeit. Wollen wir nicht einander manchmal durch Briefe
trösten? — Ein Seufzer entfährt mir, indem ich Abschied nehme. Sagen
Sie Ihrer Frau Gemahlin, daß ich mit meiner Frau fast täglich in Ge-
danken aus Ihren Fenstern den Rhein sehe; wohl wissend, wem wir das
verdanken. Herbart.
358. An Hende Werk. 3) Königsberg, den 20. Octbr. 1830.
Ihr Brief vom 13. d. M., mein theurer Herr! macht mir eben so
große als unerwartete Freude. So hatte ich Sie nicht gekannt, wie Sie
sich in diesem Briefe zeigen.
L) Erich v. Berger, Herbarts Studienfreund in Jena, damals Professor in Kiel,
■j* 1835. Vgl- den vorhergehenden Band.
2) In E. Campe „Aus dem Leben von J. D. Griesu, 1855, S. 163, wird aus einem
Briefe v. Gries an Rist mitgeteilt: „Dann spricht er von Herbart, dessen , Psychologie'
von Berger in der ,Allg. Lit.-Ztg/ recensirt worden war, ohne daß Herbart gewußt, von
wem die Recension herrühre, daß sie aber die erste gewesen, mit welcher Herbart sich
einmal zufrieden erklärt habe. Warum sie aber nicht in den , Berliner Jahrbüchern' er-
schienen sei. Ob Hegel etwa nicht wolle, daß man in Berlin einen andern Philosophen
loben dürfe als nur den Einen ?"
8) Gedruckt bei K. H. Hendewerk, Herbart u. die Bibel („den Manen Herbarts
in reinster Liebe und Dankbarkeit gewidmet"). Königsberg 1858, S. 2 ff. und im
Oktober 1830. 225
Wohlan denn, frisch ans Werk! Principia ethica, a priori reperta, in
libris sacris V. et. N. T. obvia. — Das gerade ist's, was ich seit mehreren
Decennien schon von meinen Zuhörern vergebens erwartete. Denn so wie
meine praktische Philosophie schon im Jahre 1803, als ich sie zum ersten
Male in Göttingen las, dieselbe war, die sie heute ist, wenn auch nicht
ganz so ausgeführt, und noch weniger von allen Seiten durch Speculationen
gedeckt — so hoffte ich gleich damals, man werde bei gehöriger Prüfung
rinden, daß sie pünktlich mit den wesentlichen Religionslehren, mit den
erhabenen Aussprüchen der Bibel, zusammenstimme. Und wer es fände,
der, dachte ich, würde sich gedrungen finden, es so laut als möglich zu
verkündigen.
Wollen Sie der sein, der es verkündet? Sie werden nur eine alte
Schuld bezahlen, die Sie freilich nicht gemacht haben. Wenigstens habe
ich Ihren Brief so verstanden.
In diesem Glauben will ich mich Ihnen nun weiter eröffnen. Ein
Manuscript liegt fertig, unter dem Titel : Kurze encyklopädische Darstellung
der Philosophie aus praktischen Gesichtspunkten. Es ist das Werk dieses
Sommers; der Plan entstand auf der Reise, den Antrieb dazu gab Brandis
in Bonn und unabhängig von ihm ein paar Wochen später Wegscheider
in Halle. Während des Schreibens bemerkte ich mehr und mehr, daß
ich einige Ursache habe, mich über Religion deutlicher als bisher zu
äußern, wiewohl unter den gelehrten Theologen mein Platz nicht ist. Aber
es fiel mir auf, wie sehr die rationalistischen Theologen unwillkührlich von
der Flachheit der empirischen Psychologie gedrückt werden, welche, wie
Sie wissen, selbst dem Kantianismus zum Grunde liegt. Auf der andern
Seite erheben sich zwar die Supranaturalisten (welche zu unterstützen mir
eben so wenig zukommt, als ihnen zu widerstreiten); allein ihre ganze
Theologie betrifft eine göttliche Veranstaltung für das Menschengeschlecht
und hängt an historischen Thatsachen, die sich auf der Erde ereignet
haben. Jede philosophische Betrachtung der Religion überschreitet unfehl-
bar diesen Kreis der Verhältnisse zwischen Gott und den Erdenbürgern.
Und nun findet ein ähnlicher Unterschied, wie zwischen Rationalisten und
Supranaturalisten, sich in einer viel weiteren Sphäre. Fragt man mich
in dieser Sphäre, zu welcher Partei ich gehöre? so kann ich mitreden.
Meine Antwort aber kann nur so lauten: Ich zähle mich zu den Supra-
naturalisten, nämlich in folgendem doppeltem Sinne. Erstlich: meine Unter-
suchung läßt nicht den Menschen aus der Erde wachsen, als wäre er nur
eine Ergänzung der Erde. Sondern seine Existenz erfordert eine göttliche
That, denn er ist durchaus ein Fremdling auf der Erde. Zweitens: Meine
Psychologie erlaubt nicht, an eine eigentliche Erkenntniß Gottes aus reiner
Vernunft zu glauben. Sondern von Außen her muß das theoretische Ele-
ment des Glaubens, welches die bloße Idee von Gott übersteigt, gegeben
werden. Daß es in christlicher Offenbarung gegeben sei, kann ich mir
gefallen lassen, doch hier habe ich keine Stimme, daß es aber durch die
Zweckmäßigkeit der Natur gegeben wird, dies behaupte ich, wie Sie wissen,
Jahrbuch des Vereins für wissenschaftl. Päd., Bd. 14, S. 290 f., Langensalza, Hermann
Beyer & Söhne (Beyer & Mann), 1882.
Herbarts Werke. XVII. 15
2 26 November 1830.
aufs Bestimmteste. Jedenfalls also ist die eigentliche rationalistische Be-
hauptung, die Vernunft sei die Erkenntnißquelle der Religion, mir fremd.
Sie kennen meine Untersuchungen genug, um zu wissen, daß ich
Ihnen nicht etwa beliebige Ansichten schreibe, die ich nach Umständen
verändern könnte. Die Frage, wie deutlich ich mich aussprechen soll, ist
bei mir selbst noch nicht ganz entschieden. Wegscheider achte ich per-
sönlich sehr; und Sie werden ihn auch achten, sobald Sie ihn, wie ich
wünsche, kennen lernen. Mit ihm streiten möchte ich keineswegs, über-
haupt nicht Oel ins Feuer gießen. Sie wissen aus dem ersten Bande
meiner Metaphysik, daß meine Polemik sich nicht über das erste Beste
ergießt, sondern in der Sphäre der gleichgültigen theoretischen Dinge bleibt,
wovon die Folge ist, daß Manche mich für einen bloßen Theoretiker
halten, was ich in meinem Leben nie gewesen bin. — Sie mein geehrter
Herr! können, wenn Sie das angekündigte Buch mit gutem Glück zu
Stande bringen, vielleicht Einfluß auf die Art haben, wie ich in der Folge
mich äußern werde. Vielleicht aber wollen Sie meine Encyklopädie ab-
warten. Darin steht allerdings Manches, das wohl zur Sache gehören
möchte. — — Jedenfalls sehe ich einem neuen Briefe von Ihnen mit
Vergnügen entgegen, da Sie noch weitere Rücksprache mit mir nehmen
wollen. Ergebenst Herbart.
359. All Drobisch.1) Königsberg 14 Nov. 30.
Es darf nicht einen Augenblick zweifelhaft scheinen, mein hoch-
verehrter Freund! daß selbst, wenn Sie mir etwas nicht ganz Behagliches
sagen, — ja, wenn etwas Fremdes zwischen uns trit, meine Dankbarkeit
und Hochachtung für Sie völlig unverändert bleibt. Deshalb schreibe ich
Ihnen mit der nämlichen Feder, die Sie seit acht Tagen in Bewegung
gesetzt haben. Doch vor allem andern schreibe ich folgende Worte aus
einem Briefe von Brandis ab, die sicher nicht zur Mittheilung bestimmt
waren :
„D — s Anzeige Ihrer Metaph. erhalte ich eben heute, und freue
„mich zuerst der überaus klaren Uebersicht, die in ganz vorzüg-
lichem Grade geeignet seyn muß Mathematiker und Physiker
„für Ihre Speculation, — und damit für die Philosophie wieder
„zu gewinnen. Anschaulicher wenigstens läßt sichs nicht machen,
,,wie mathematische und physische Wissenschaft theils, mag sie
„wollen oder nicht, auf metaphysischem Gebiet sich vestsetzenr
„oder umherschweifen muß; theils Ihrem philos. Verfahren, wenn
„irgend einem, sich befreundet finden sollte. Einen solchen Mann
„für Ihre Untersuchungen gewonnen zu haben, dazu darf man
„Ihnen wohl Glück wünschen. In Bezug auf Analyse hat er
„mir manches vorweggenommen; und schwerlich werde ich im
„Stande seyn, in gleichem Maße wie er, Ihren Erwartungen zu
„entsprechen; besonders in meiner jetzigen Stimmung!"
Letzteres bezieht sich auf ein furchtbares Unglück, das den ohnehin
kränklichen und sehr zartfühlenden Mann tief erschüttern mußte. Es hat
J) 1 S. 2".
November 1830. 227
ein Brandschaden seine Schwester in Kiel betroffen; nicht bloß Güter,
sondern — Mann und Sohn sind in den Flammen umgekommen!
Wo meine letzten acht Tage geblieben sind, muß ich nun sagen. In
Folge Ihres Briefes, und des Tadels meiner Systematik, ist zu meinem
Manuscript ein Schlußcapitel hinzugekommen. Denen, die einen solchen
Tadel auszusprechen für gut fanden, wird es nicht sonderlich gefallen.
Was aber Sie anlangt, mein hochverehrter Freund, dessen Worte mir so-
viel gelten, so wünschte ich immer Ihr eignes Urtheil so kennen zu lernen,
daß ich es von fremden Einflüssen rein abscheiden könne. Mit welcher
Eleganz Sie schreiben würden, wenn Sie Sich einige Jahre mit Philosophie
beschäftigten, davon haben wir die glänzenden Proben; aber ich fürchte, —
sowie ich die Menschen leider! kenne, — jene Tadler würden die letzten
seyn, den Wert ihrer Eleganz richtig zu schätzen. Mir Nachgiebigkeit
gegen den Genius der Zeit anzumuthen — war das Ernst? Ich fürchte,
es war nur ein gemilderter Ausdruck.
Herzlichen Dank für Ihre gütige Verwendung wegen des Buchhändlers.
Noch kann ich das Anerbieten des Herrn Cnobloch nicht ganz ab-
lehnen; Gruber in Halle hat die dortige Buchhandlung des Hr. Schwetschke
aufmerksam gemacht, deren nähere Erklärung ich erwarte. — Viele, recht
herzliche Glückwünsche für Sie und und Ihre Frau Gemahlin, die sich
doch hoffentlich wohl befindet? — zu der Kleinen, die Ihre häuslichen
Freuden vermehrt hat. Möge sie nur nachts weniger schreien und nicht
schlaflose Nächte verursachen. Das habe ich der altern Schwester noch
nicht ganz vergeben. Desto artiger muß sie nun werden.
Mit der vollsten Hochachtung der Ihrige! Herbart.
15*
1831
W. : Kurze Encyklopädie der Philosophie. Erste Ausgabe (S. Bd. IX. S. 17 — 338).
— Über das Verhältnis des Idealismus zur Pädagogik (S. Bd. VIII. S. 420—438 u.
Bd. X. S. 1—20). — Rez. von Hegels Encyklopädie (S. Bd. XIII. S. 198—216).
— Bemerkungen und Abfertigung zu seiner Psychologie (S. Bd. VI. S. 339 — 340). —
18. Jan.: Rede am Krönungstage in der k. deutschen Gesellschaft zu Königsberg: Über
die Unmöglichkeit, persönliches Vertrauen im Staate durch künstliche Formen entbehrlich
zu machen (S. Bd. IX. S. 1 — 15).
360. An Schubert.1)
Herrn Professor Schubert Wohlgeboren hier. Verehrtester Herr
College! Gestern erwartete ich Sie bei Hrn. v. Meding zu finden, sonst
hätte ich wenigstens gestern früh auf Ihre mich zu sehr ehrende Aufforde-
rung geantwortet; — wohl wissend, daß es schon gestern zu spät war, sie
noch abzulehnen. Zwar weder Stimmung noch Gesundheit stehn bey mir
jetzt so, daß ich mir Hoffnung machen könnte, eine Festrede mit Erfolg
zu halten; dennoch muß ich nun schon mich dran machen, vorausgesetzt,
daß Sie nicht schon eine andre Wahl getroffen haben; wovon Sie mich
ohne Zweifel durch den Überbringer, der auf Ihre Antwort warten soll,
benachrichtigen werden.
Mit größter Hochachtung Herbart.
361. An Schubert.
Herrn Professor Schubert Wohlgeboren hier. Höchstgeehrter Herr
College! Nachdem wir beyde einmal öffentlich in der Zeitung sind auf-
gefordert worden, unsre Reden drucken zu lassen, wird es zur Ehren-
sache, es wirklich zu thun. 2) Und zwar muß der Weg des offenen Buch-
handels dazu benutzt werden; denn wollten wir uns mit einem Druck
hier in der Provinz begnügen, so könnten einzelne Exemplare dennoch
nach Berlin und weiterhin gelangen; dann aber würde es scheinen, als
hätten wir gescheut, uns den Kritiken der Literaturzeitungen darzubieten,
und bloß für den Effect des Augenblicks sprechen wollen. Dies wenigstens
meine Ansicht! ich hoffe, Sie werden mit mir darin übereinstimmen.
*) Die Briefe an Prof. Fr. W. Schubert in Königsberg, der die Biographie und
die Werke Kants herausgab, befinden sich in der Stadtbibliothek zu Königsberg. Sie
wurden Herrn O. Flügel zur Veröffentlichung überlassen. Er hatte die Güte, sie mir
für diese Briefbände zur Verfügung zu stellen.
2) Bezieht sich auf ein Bändchen: „Krönungsfest pp.u, das Herbart mit Schubert
herausgab. Vgl. diese Ausg. Bd. IX. S. VII f.
1831. 229
Das Schicklichste ist nun meines Erachtens, daß Sie, als Director
der Deutschen Gesellschaft, die Reden mit Ihrem Vorworte herausgeben;
und sie dem Herrn Protector, unserm trefflichen Hrn. v. Wegnern, förm-
lich dediciren.
Auch möchte ich vorschlagen, Hrn. Director Struve zu ersuchen, zur
Zierde des Büchleins ein paar von seinen Gedichten, (denn ohne Zweifel
ist er der Verfasser der an unsern Festtagen in unsrer Zeitung erschiene-
nen Gedichte) als Prolog und Epilog mit abdrucken zu lassen.
Wollen Sie mit Unzern sprechen, und ihn in meinem Namen er-
suchen, er möge für Papier, Druck, und (was die Hauptsache ist) für
Correctur eben so genaue Sorge tragen, wie beym Druck meiner Meta-
physik? Denn hier ist wirklich alles Wünschenswerthe geleistet. —
Natürlich aber muß das Format kleiner, und die Lettern müssen groß
seyn, damit das Ganze ein gehöriges Äußere bekomme. Festreden müssen
festlich gedruckt werden; und einige Exemplare müssen uns zu Gebote
stehn. Weiter mache ich meinerseits keine Ansprüche.
Ob Sie nun der nämlichen Meinung seyen, und ob Sie die Güte
haben wollen, die ganze Sache zu übernehmen (in welchem Falle mein
Manuscript Ihnen so bald es nöthig ist kann übersendet werden,) hierüber
bitte ich um gefällige Antwort.
Mit vollkommener Hochachtung Herbart.
362. An Schubert.
Herrn Professor Schubert Wohlgeboren hier. Da Sie, mein Ver-
ehrtester! in der Hauptsache mit mir einverstanden sind, warum wollen
Sie, als Herausgebet, und als derjenige, der zwey Drittel des Manu-
scripts liefern wird, nicht auch durch die Hrn. Bornträger den Verlag
bewirken? Mir liegt nichts daran, gerade durch Unzer den Druck be-
sorgen zu lassen. Vielleicht erhalten Sie sogar durch die Hrn. Born-
träger noch ein angemessenes Honorar, was ich von Unzern nicht ver-
sprechen kann. Meine Gedanken waren nur darauf gerichtet, daß nicht
etwa ein hiesiger Buchdrucker, der keinen Verkehr als Buchhändler hat,
die Sache in die Hände bekommen solle.
Um ein paar Zeilen der Antwort bittet ergebenst Herbart.
363. An Schubert.
Verehrtester Herr College! Mit vielem Danke für gütige Mittheilung
empfangen Sie hiebey
Titel, Dedication, Vorrede, und beyde Gedichte zurück;
desgleichen: mein Vorwort, und meinen Aufsatz,
für den Fall, daß Sie die Mühe anwenden mögen, letztern zu paginieren;
sonst erbitte ich mir Ihre letzte Seitenzahl.
Fragen möchte ich doch, ob nicht die Dedication gerichtet werden
müsse an den höchst verehrten Protector; desgleichen ob die Unterzeich-
nung nicht anstatt ergebe?ist vielmehr geho?samst verpflichtete erfordere?
Meine Zögerung entstand durch Umschreiben des Vorworts, nachdem
ich Ihre Vorrede gelesen hatte. Unzer wird nun schon lange warten;
— und die Censur wird noch länger aufhalten! Umsomehr hoffe ich,
2^o Februar 1831.
daß Sie nun nach Möglichkeit die jetzt ganz in Ihre Hände gegebene
Angelegenheit gefälligst befördern werden.
Hochachtungsvoll Herbart.
364. Drobisch an H.1) Leipzig d. 11 Februar 1831.
Hochverehrter Gönner und Freund! Wie ich mit Schrecken sehe, sind es
schon 3 Monate, daß ich Ihren letzten Brief erhielt. Kann ich für so späte Ant-
wort Entschuldigung finden, so mag sie Ihre Güte wenigstens theilweise in vielfach
zerstreuenden Dekanatsgeschäften und in mancherlei häuslicher Sorge u. Unruhe —
wozu ich besonders einen lebensgefährlichen Anfall von häutiger Bräune, der unsre
kleine Eugenie bedrohte, und, als er durch Blutegel abgewendet werden sollte, fast
die Verblutung des Kindes nach sich gezogen hätte, rechnen darf — finden. Jetzt
ist unser Gesundheitszustand ziemlich befriedigend, wie wol meine Frau, nach deren
Befinden Sie sich wohlwollend erkundigten, etwas angegriffen ist, was daher rühren
mag, daß sie das kleine Töchterchen selbst stillt. Doch hoffentlich wird uns der bald
herannahende Frühling über alle diese kleinen Erbärmlichkeiten unsrer irdischen Hülle
wieder einmal auf einige Monate erheben. Gebe nur der Himmel, daß wir dann
vor größeren äußern Drangsalen bewahrt bleiben. Doch wie Gott will! — Ich wende
mich zu Ihrem mir sehr werthen Briefe und spreche vor allen Dingen die zu-
versichtliche Hoffnung aus, daß seit der Absendung desselben Sie und Ihre werthe
Frau Gemahlin keine unangenehmen Veränderungen betroffen haben werden, und
ich erwarte, daß es sich in dieser Beziehung noch einmal wiederholen wird: dies
nämlich, daß ich Ihnen unangenehme Dinge, und Sie mir dafür angenehme schreiben.
Ja wahrhaftig Sie haben auf eine sehr edelmüthige Weise mir meine Übereilung ver-
golten, in der ich Ihnen ein paar Conversationsäußerungen mittheilte: Sie gaben mir
dafür die vortheilhaften Äußerungen eines gewiegten Mannes über mich anzuhören.
Ich sage Ihnen meinen herzlichsten Dank und gestehe Ihnen ganz offen, daß ich
auf diese Äußerung eines parteilosen Dritten viel Werth lege, in ihr viel Auf-
muntrung finde. Leider kann ich Ihnen nichts von philosophischen Studien melden,
die mich etwa beschäftigt hätten; ich bin dazu nicht gekommen, und ich muß mir
durchaus erst die Mathematik noch etwas mehr vom Halse schaffen. Geben Sie mir
noch Frist bis Ende des Jahres 1832. Im August desselben werde ich 30 Jahre.
Bis dahin soll mein Leben, Denken. Arbeiten nur Vorschule zur Philosophie ge-
wesen seyn. (Plato sagt ja, wie ich glaube, gar viel vortheilhaftes vom 30sten Jahre
und denen die nachkommen ; doch soll man, wenn ich nicht irre, nach ihm, dann
auch erst heirathen und da habe ich nun freilich schon einen derben Fehler ge-
macht.) Obgleich Philosophie gar nicht betreibend, denke ich doch fast täglich an
Philosophie; und ich werde doch noch einmal ganz zu ihr zurückkommen. Zieht
mich an der Mathematik die Sicherheit ihres Grundes und ihres Baues an; ist es
dankbar, für sie thätig zu seyn, weil die Beschäftigung mit ihr nie Zeitverlust ist,
und man, wenn nicht neue Methoden erfinden, doch mancherlei Probleme lösen,
manche Theorien entdecken kann, ja selbst schon gute Lehrbücher schreibend, auf
Dank Anspruch hat — so ist mir doch Philosophie ein innerliches Bedürfniß, ein
so innerliches, daß wenn ich wieder aus ihr ein Studium machen werde, es außer
Ihnen kein Mensch erfahren soll : denn fasse ich diesen Entschluß, so gehe ich nicht
des Ruhmes wegen daran, sondern um einmal nach Kräften in meinem Gedanken-
kreise aufzuräumen; und denke übrigens: gloria || sequi non oppeti debet. Sie sehen,
verehrtester Herr Consistorialrath, mich jetzt in Beziehung auf das Verhältniß des
')2S.4 °. H. Wien.
Februar 1831. 23 I
Philosophen zum Publicum beruhigter: ich bringe nämlich für die künftige, philo-
sophische Laufbahn so viel Resignation mit, daß ich kein Publicum verlange, und
das ist wol vor allen Dingen das rathsamste, besonders in dieser Zeit, wo nun leider
die Politik und am Ende der Krieg das speculative Interesse für lange Zeit ver-
schlingen werden. Hätte nicht, so kann man fragen, in 13 Friedensjahren die
Speculation mehr gedeihen sollen als sie gedieh? Doch wer weiß, vielleicht gehen
wir einer Periode entgegen, die wenn sie vorüber seyn wird, uns mit Sehnsucht
erfüllt, unsre Aufmerksamkeit einmal wieder beharrlich dem inneren Leben zuzu-
wenden.
Indessen habe ich zweierlei vergeblich erwartet: 1) eine Recension Ihrer
Metaphysik von dem, wahrlich hart geprüften Brandis, die mir wenigstens in den
Blättern, die ich lese oder durchblättere, nicht vorgekommen ist, und dann
2) Manuscript zu ihrer Encyklopädie, oder doch sonst eine zufällige Nachricht vom
Schicksal derselben. Ich vermuthe, daß es sich nun wohl unter einer Hallischen
Presse befinden wird, da Sie von Schwetschke schreiben. Ich bin sehr gespannt
auf dies "Werk. — Ihre Recension von Hegel habe ich mit vielem Vergnügen ge-
lesen. Sie lassen ihm als speculativen Denker Gerechtigkeit widerfahren und
greifen ihn im Herzen an und nicht wie Krag an seinem Kleide.
Vielleicht werden Sie in einigen Tagen auf dem Wege des Buchhandels eine
kleine, akademische Gelegenheitsschrift, die ich in diesen Tagen ausgebe, erhalten.
Sie handelt de horizontibus sphaeroidum, ist nichts als ein geometrisches
Exercice, enthält aber einige vielleicht nicht uninteressante, obwohl nur specielle
Sätze, von denen ich glaube, daß sie neu sind, obwohl man, bei der Masse von
schon zu Tage geförderten Details, mit Zuversicht dies fast nie aussprechen darf.
Diese wenigen Blätter haben mich mehr Zeit gekostet als man ihnen ansehen wird,
theils weil ich mancherlei Untersuchungen die zu nichts führten, anstellte, theils
weil ich das Schriftchen wegen der Form ein paar mal umarbeitete. Da es ohne
Zweifel nur in oblivionem geschrieben ist, so war der Zweck die Mühe nicht
werth, allein mich dünkt, wenn ich mich in Kleinigkeiten gehen lasse, komme ich
leicht in Gefahr bei wichtigen Untersuchungen nachlässig zu werden. Doch genug
und schon zu viel von mir und meinen Dingen. Empfehlen Sie Ihrer Frau Ge-
mahlin mich und meine Frau ganz ergebenst, mir aber erhalten Sie ferner Ihr mir
überaus schätzbares Wohlwollen.
Mit aufrichtigster Verehrung
Ihr ganz ergebener Drobisch
Adresse: Herrn Consistorialrath u. Professor Herbart.
365. All Drobisch.1) Königsberg 20 Febr. 1831.
So sehr gestern Ihr gütiger Brief, mein verehrtester Freund! mich
erheiterte, so muß ich Sie doch heute im Voraus um Geduld bitten
wegen der Spuren von Unpäßlichkeit und Verstimmung. Denn länger
säumen darf ich nicht, Ihnen, da Sie Sich meiner Encyklopädie so freund-
lich erinnern, anzuzeigen, (was schon vor ein paar Wochen hätte ge-
schehe, sollen) daß ich von der Ankunft meines Manuscripts in Halle bei
Schwetschke Nachricht erhalten habe. Die Unterhandlung wurde mit
aller Vorsicht des Buchhändlers geführt, bis sie zu Stande kam; daher
die Zögerung. In der That glaubte ich, Sie würden nicht mehr daran
*) 2 S. 2°.
232 Februar 1831.
denken; und noch jetzt zweifle ich, ob ein so leicht gearbeitetes Buch,
dessen nothwendiger Hauptzweck Annäherung der Philosophie an das
Publicum ist, Sie in Ihren mathematischen Arbeiten wird stören dürfen.
Aber im hohen Grade hat es mich erfreut zu lesen: daß Sie den
Gedanken, Sich künftighin ernstlich mit Philosophie zu beschäfftigen,
wieder ergriffen haben! Wahrlich es thut Noth, daß ein Mann wie Sie,
der gemißhandelten Wissenschaft nicht den Rücken zuwende. Und ge-
rade die Bedingung, die man erfüllen muß um jenen Vorsatz durchführen
zu können — Resignation — haben Sie ausgesprochen. So gewaffnet,
können Sie dereinst bessere Zeiten herbeyführen.
Die Rec. von Brandis, welche in der Halleschen Zeitung zu erwarten
ist, kann leicht noch ein Weilchen ausbleiben. Wahrscheinlich hat Brandis
einen neuen harten Stoß durch den Tod Niebuhrs erlitten. Ueberdies
besorge ich, die Metaphystik wird ihm. bey nicht heiterer Stimmung, eine
lästige Gesellschaft seyn; denn sicher wird er, bey seiner gewissenhaften
Sorgfalt, Manches hin und her überlegen, und früher angewohnte Vor-
stellungsarten nicht ganz leicht beseitigen. Dazu kommt die leidige Nähe
Belgiens! Sie Selbst reden vom Kriege, — was ich eigentlich nicht er-
wartete, denn uns scheint die Aussicht eher friedlich; vorausgesetzt, daß
in unsrer Nähe die Unruhe nicht lange dauern könne. — Vielleicht hat
jedoch Hr. Hinrichs1) mir noch einmal den Dienst geleistet, auf Brandis
anspornend zu wirken. — Daß meine Art, über Hegeln zu sprechen,
Ihren Beyfall hat, dient sehr, mich für mögliche Fälle zu beruhigen!
Ihre Horizonte der Sphäroiden werden über meinem Horizonte seyn;
dennoch wird es mich freuen, etwas Neues von Ihnen zu sehen. Könnte
man die mathematische Kenntniß und Uebung borgen, so würde ich bitten,
daß Sie in Ihrem Ueberfluß etwas auf kurze Frist zum Gebrauche leihen
möchten ; denn ich muß wieder an Psychologie, und deren Anwendung
auf Pädagogik. — Unsere hiesigen Mathematiker2) sehe ich fast nicht,
indessen wenn es Ihnen gelegen wäre, durch meine Hände etwas zu
Besseln oder Jakobi gehen zu lassen, so ist das immer thunlich; und ich
erwarte in dieser Hinsicht Ihre Ordre.
Sollte Ihnen zufällig der letzte Band von des Jüngern Reinholds Ge-
schichte der Philosophie in die Hände fallen, so würden Sie mich darin
dicht neben Hegein finden. Bis jetzt habe ich die dortige Relation nur
obenhin angesehen; sie scheint nicht übel. Wohl möchte ich von fremden
mündlichen Urteilen, die nicht gedruckt paradiren wollen, etwas darüber
hören. — Daß Sie mir von dem Tadel meiner Systematik schrieben,
lassen Sie Sich nicht leid seyn; es kam gerade zur rechten Zeit, um mich
aus der Abspannung nach langem Schreiben wieder in die nöthige Be-
wegung zu bringen. Auch glaube ich versichern zu dürfen, daß Niemand
in dem, was ich aus diesem Anlaß schrieb, auf sich gedeutet sehen
könne.
Ein junger Candidat der Theologie, Namens Hendewerk, der meine
Schriften sehr genau kennt, studirt jetzt im Seminar zu Wittenberg. Führt
*) H. F. W. Hinrichs, 1794 — 1861, o. Prof. d. Philosophie in Halle, Hegelianer.
2) BESSEL, der berühmte Astronom, Jacobi, der Mathematiker an der Königs-
berger Hochschule.
März 183 1. 233
ihn der Weg nach Leipzig, so wird er wohl nicht unterlassen, meinem
Jenaischen Recensenten sich vorzustellen. Trifft er glücklich einen Augen-
blick, wo Sie ihm eine belehrende Unterhaltung schenken können, so
wird das wohl nicht verloren seyn. Der junge Mann hat viel Eifer; und
will eben die Feder probiren.
Sehen Sie Krug: so können Sie ihn aufrichtig versichern, daß ich
für ihn eine Hochachtung hege, die von Systemen unabhängig ist. Gut
wäre es freylich, wenn die Kantianer schon vor zwanzig Jahren hätten
bemerken wollen, daß ich in sofern zu ihnen gehöre, als Kants eigent-
licher Hauptzweck, moralische Religion, ohne das Glatteis der speculativen
Theologie — gerade auch mein Zweck ist. Daher stehe ich mit dem
Staatsrath Jäsche zu Dorpat, einem unmittelbaren Schüler Kants, im freund-
schaftlichsten Briefwechsel. — Meine Encyklopädie wird über Religion
mehr sagen.
Daß ein so böser Feind wie die Bräune hat in Ihr Haus dringen
können, ist zu bedauern; besondes wegen des Schrecks, den er natürlich
wird zurückgelassen haben. Aber was für Bestien von Blutigeln sind denn
dazu gekommen? Diese wenigstens werden doch nicht noch einmal in
Ihrer Apotheke lauern. — Ihre Frau Gemahlin steht meiner Frau und
mir noch so lebhaft vor Augen, als sähen wir sie jetzt. Dürfen wir ein
so zartes Wesen um Vorsicht, um Schonung ihrer selbst bitten? Wenigstens
wollen wir um geneigtes Andenken bitten!
Ganz Ihr Herbart.
366. An Brandis. !) Königsberg 10 März 1831.
Mein hochverehrter Freund ! Haben Sie Dank für das mir soeben
zugekommene Zeichen Ihres Lebens und hoffentlich Ihrer Gesundheit!
Seit Niebuhrs Tod hier bekannt wurde, sah ich voraus, daß ich die
Nachricht, Sie seyen sehr angegriffen, würde erwarten müssen; und ich
besorgte, der Winter möchte nun eine schwache Seite an Ihrem Körper
finden, nachdem der Geist so Vieles zu tragen und zu verschmerzen be-
kommen hatte. Auch ich fühle die Folgen der rauhen Jahreszeit; meine
Frau desgleichen; und das Frühjahr verspricht uns keine solche Erhohlung,
wie jene, die mir Ihre persönliche Bekanntschaft gewährte. —
Über meiner Metaphysik, — und folglich über meiner ganzen ferneren
literarischen Thätigkeit — schwebt, wie ich sehe, eine Wolke. In der That
hatte ich erwartet, Hinrichs werde auch diesmal, wie das erstemal durch
Ihre Güte, eine Antwort bekommen. Statt dessen sagt mir Ihr Brief,
daß Sie Sich mir in dem Hauptpuncte nicht anschließen können. Begreif-
lich würde eine Differenz unter uns ein längeres gemeinschaftliches
Untersuchen erfordern; dazu wäre Briefwechsel, und vielleicht die Zusammen-
kunft in Berlin nöthig. Allein wie die Sache jetzt liegt, wird Ihre Re-
cension einen lang dauernden Einfluß auf das Publicum äußern; und
Sie werden wahrscheinlich mehr entscheiden als Sie wollen. Wie könnte
ich unter solchen Umständen daran denken, zu leisten was Sie von mir
wünschen, nämlich durchgreifende Kritik der Hegeischen Lehre? - — Wäre
a) i S. 20.
2 ja März 1831.
Ihnen eine heitere Stimmung seit unsrer Zusammenkunft zu Theil ge-
worden: dann hätten wir zusammenwirken können. Jetzt wird die Hegel-
sche Parthey sich eines Sieges rühmen. Denn meine Rec. der H[egel]-
schen Encyklopädie, (im Anfang des Januar- Heftes der Hallischen L. Z.)
wird wenig wirken; was vermag in diesem Verhältniß eine einzelne, noch
dazu absichtlich schonende Recersion? —
Der Zufall fügt es, daß ich eben heute der Verlags- Buchhandlung
in Halle schreiben muß, weil sie mir den ersten gedruckten Bogen meiner
Encyklopädie als Probe zugeschickt hat, und über das Typographische
mein Urtheil verlangt. Die Hallische Redaction (wahrscheinlich mit Ma-
terial stets reichlich versehen) pflegt Eingesandtes spät abdrucken zu
lassen; meine Rec[ension] lag ein paar Monate ungedruckt; vielleicht ist
auch die Ihrige noch nicht unter der Presse. Daher werde ich Ihre Äußerung,
daß Sie in Folge einer späteren Veranlassung Ihrer Rec. noch einen Zu-
satz zu geben gewünscht hätten, dorthin melden; und anheim stellen,
Ihnen das letzte Blatt Ihrer Rec. noch einmal zurückzusenden, falls die-
selbe noch nicht gedruckt wäre. Sie, mein hochverehrter Freund! werden
mir dies aber nicht als Zudringlichkeit ausdeuten; sondern geradezu ab-
schlagen, was Ihnen ungelegen ist; und vest voraussetzen, daß Sie
meinerseits keine Empfindlichkeit zu erwarten haben, auch wenn meine
unvermeidlichen Wünsche unerfüllt bleiben. Sie sehen ja, wie sehr ich
Ihnen vertraue! Und Sie begreifen gewiß, daß mein Alter keine litera-
rische Streitigkeit von unsicherem Erfolge mehr erträgt.
Unverändert Ihr H.
367. Jäsche an H.1) Doipat den 29. März 1831.
Hoch wohlgeborener Verehrtester Herr Professor! Nicht lange zuvor, ehe ich
abermals durch den Empfang eines gütigen Schreibens von Ihnen erfreut wurde,
hatte ich in dem Lese Institute unserer akademischen Müsse die ersten Blätter der
Hallischen allg. L. Z. von diesem Jahrg. mit dem lebhaftesten Gefühl der Theil-
nehmung erblickt, indem ich auf diesen Blättern zu meiner freudigen Ueberraschung
Ihre Recension der Hegel'schen Enc. d. Philos. fand; eine Kritik, von deren an
Ihnen schon gewohnten Klarheit und durchdringenden Schärfe mich sogleich die
erste flüchtige Uebersicht des Ganzen überzeugen konnte. Um nun aber diese ge-
haltvolle und gründliche Kritik mit aller ihr gebührenden Sorgfalt in Müsse un-
gestört und ununterbrochen studiren zu können, behielt ich es mir vor, die 4
Nummern, welche sie größtenteils ausfüllt, zu meinem Privatgebrauche mir nach
Hause geben zu lassen, nachdem sie die erste Zeit über zum öffentlichen Gebrauche
in unserem Lese Cabinette gelegen. Mittlerweile ward ich durch Ihre überaus lehr-
reiche und interessante Zuschrift vom 30ten Januar auf die angenehmste "Weise
überrascht, und war nun auch auf der Stelle entschloßen, Ihnen mein Verehrtester!
in einer Beantwortung dieses Schreibens den achtungsvollsten und verbindlichsten
Dank für meine Person nicht nur, sondern zugleich im Namen aller Freunde einer
gesunden Philosophie, Ihnen, dem kräftigen und scharfsichtigen wissenschaftlichen
Kenner und Vertheidiger derselben zu bezeugen. Ein heftiges katarrhalisches
Fieber, begleitet mit Affectionen der Brust, mit welchem ich vor einem Monathe
befallen worden, und das mich zu aller geistigen Thätigkeit eine Zeitlang unfähig
*) 8 S. 4°. H. Wien.
März 1831. 235
gemacht, hat die Ausführung meines Vorsatzes verzögert, so daß ich jetzt erst zur
Beantwortung Ihres gütigen Schreibens mich anschicken kann. Zu dieser erneuerten
schriftlichen Unterhaltung haben Sie mir dieses Mal einen recht reichhaltigen Stoff
dargeboten, theils mit dem Inhalte Ihres interessanten Schreibens selbst, theils mit
Ihrer Kritik der Hegel'schen Philosophie, womit ich mich nun auch durch eine sorg-
fältige Leetüre derselben genauer bekannt gemacht, um sie nach ihrem ganzen ge-
diegenen Gehalte schätzen zu können. Aber zuvor möchte ich Sie, mein Verehr-
tester, noch erst gern auf Ihrem philosophischen Durchfluge durch einige berühmte
Oerter unseres gelehrten Deutschlands begleiten zu den würdigen und verdienten
selbstdenkenden Gelehrten und Schriftstellern, mit denen Sie auf dieser Reise per-
sönliche Bekanntschaft gemacht. Sie erwähnen zuerst des Prof. Brandis in Bonn;
ich freue mich in der Person des Verfassers der gelehrten, mit vieler genauen
Kritik bearbeiteten Eleatischen Commentationen zugleich den scharfsinnigen und
liberalen Recensenten des ersten Bandes Ihrer Metaphysik kennen zu lernen. Die
Recension des 2ten Bandes Ihrer Met. von dem gründlichen, und in die tiefen
mathemat. und metaphys. Untersuchungen eindringenden Denker, mit welchem Sie
uns bereits in den Vorreden zu Ihrer Met. bekannt gemacht, habe ich zu seiner
Zeit bereits mit hohem Intereße gelesen, und war dem Recensenten || insbesondere
auch in seiner Prüfung der naturphilosoph. Parthien des beurtheilten Werkes ge-
folgt, so weit ich dem in's Einzelne so genau und tief eindringenden Kritiker zu folgen
vermochte. — Daß Krug in kein wissenschaftliches Gespräch mit Ihnen sich ein-
gelassen, befremdet mich nicht. Er hat seine speculative Philosophie mit seinem so-
genannten Synthetism ein für alle Mal abgeschloßen, und sich damit begnügt, die Grund-
gedanken des Kriticismus zur logischen Form eines Systems ausgebildet zu haben.
Dafür ist aber auch wiederum das Verdienst des wackern, mit scharfen und kräftigen
Waffen versehenen Streiters für religiöse und politische Denk- und Glaubensfrey-
heit nicht hoch genug zu schätzen; — wie redlich und mit unablässigem Eifer ist
■er bemüht, die lichtscheuen Nachtvögel aus den politischen und religiösen Gebieten,
wo sie ihr Unwesen treiben, zu verscheuchen. Den jüngsten Reinhold, dessen per-
sönliche Bekanntschaft Ihnen angenehm gewesen, habe auch ich bereits aus
mehreren seiner Schriften kennen gelernt, namentlich aus der lehrreichen und in-
teressanten Biographie, die er von seinem würdigen Vater gezeichnet; so dann aus
einem, in die Oppositions Sehr, für Theol. und Philos. eingerückten Aufsatze: die
Nichtigkeit der Hegel'schen Dialektik darlegend und mit scharfer Kritik beurtheilendt;
und ganz neuerdings aus seinem , in vielen Stücken , wohl recht schätzenswerthen
und verdienstlichen Versuch einer allg. Geschichte der Philosophie über deren Be-
handlungsweise in Beziehung auf manche Systeme alter und neuerer Philosophie,
namentlich der Pythagoreischen und Platonischen, Ihr über ihn gefälltes Urtheil mir
bestätigen konnte, daß er doch noch zu sehr der speculativen Theologie geneigt sey.
— Daß Fries das Anerbieten Ihres Besuchs nicht angenommen, thut mir leid; ich
hätte wohl gewünscht, Sie möchten sich einander persönlich kennen gelernt haben.
Denn vielleicht würde eine freundliche, von beyden Seiten durch gegenseitige Achtung,
wie durch gemeinschaftliches Intereße für Wahrheit und Wissenschaft geleitete
Unterhaltung eine Annäherung in manchen wesentlichen Puncten zwischen Ihrer
verschiedenen philosophischen Denkart und Methode herbeygeführt haben. In An-
erkennung der Hauptabsichten Kants: das speculative Wissen zu beschränken, um
dem moralisch nothwendigen Glauben Platz zu machen, würden Beyde ja doch un-
fehlbar zusammengetroffen seyn, und sich als erklärte Gegner aller antikritischen
absoluten Allwissens Lehrer freundlich einander die Hände geboten haben. Denn
daß auch der besonnene und gründliche mathemat. und philos. Denker Fries, dem
236 März 1831.
gleichfalls alle Schwärmerey höchst zuwidei ist, es eben darum auch für das "Wich-
tigste und Nöthigste hält, die höhere und reinere "Wahrheit des Glaubens gegen die
Vumaßungen eines leeren und eingebildeten Wissens geltend zu machen, das weiß
ich wenigstens auch aus der Art, wie er sich über diesen Punct in ein Paar an
mich erlassenen Schreiben ausgesprochen hat. Der Eigensinn, mit welchem der
sonst liberale Denker auf manchen ihm eigenen Ansichten und Vorstellungsarten
beharrt, möchte wohl großentheils von einem gewissen "Widerwillen herrühren, sich
noch fernerhin, wie er es sonst wohl gethan. in einem speculativen Streit einzu-
lassen; und dieser Widerwille selber scheint mir in ihm ganz natürlich erzeugt
und genährt worden zu seyn, durch die unverdienten und so unwürdigen Kränkungen,
die ihm seine liberale Denkungsart und sein Eifer für die gute Sache einer ver-
nunftgemäßen politischen und religiösen Ereyheit zugezogen hat. Wie konnte sich
doch der Hochmuth Hegels soweit gegen den achtungswerthen, durch Verdienste
um die Wissenschaft als Lehrer und Schriftsteller ausgezeichneten, gelehrten Denker
vergessen, daß er ihn für den Heerführer aller Seichtigkeit in der Philosophie, und
sein, in Ansehung so mancher Parthien gewiß recht schätzenswertes Handbuch der
Logik für eine bedeutungslose Erscheinung erklärt. Der durch solche Schmähungen
gekränkte und verunglimpfte Mann ist dadurch zu reizbar und mißmuthig gemacht
worden, und in dieser gereizten Stimmung, wozu noch körperliches Unwohlsein sich
gesellt, worüber er sich auch in einem Schreiben an mich im Herbst d. J. 1829
beklagte, mag jedes Zusammenstoßen mit entgegengesetzten Behauptungen zu emp-
findlich seyn. — Aber genug; er ist und bleibt doch immer mit uns verbündet
durch denselben Zweck und dasselbe Bestreben, um dessentwillen auch Sie selber
sich einen Kantianer nennen. Einen wackeren und in seinem hohen Alter immer
noch rüstigen Genossen haben wir an dem klaren, nüchternen und besonnenen
Denker Schulz in Göttingen, diesem erklärten Feinde alles Excentrischen, jeder Art
von Schwärmerey, sowie aller sterilen, scholastischen Dialektik. Auf die Ver-
änderung seiner philosophischen Denkart, indem er sich von seiner früheren skep-
tischen Methode des Philosophirens mehr ab- und einem gewissen Dogmatismus in
Anerkennung eines unmittelbaren real -rationalistischen Wissens oder vielmehr
Glaubens zugewandt, hat ohnstreitig eine mit Jacobis Philosophie gemachte ver-
trautere Bekanntschaft einen entschiedenen Einfluß geäussert, so wie auch auf
seinen verewigten Collegen Bouterwek, diesen philos. Denker und Schriftsteller von
Geist und Geschmack. — Für meine öffentlichen Vorträge über die Encyklop. der philo-
sophischen Wissenschaften, die ich von Zeit zu Zeit zu halten pflege, habe ich mich
bis jetzt des Schulzschen Lehrbuches als Leitfadens bedient, weil ich denn doch in
der hier gegebenen encyklop. Übersicht den philos. Hauptdisciplinen, so wie über-
haupt in den daselbst aufgestellten allg. Ansichten von der Philosophie, deien Zweck
u. s. w. meine eigenen im Ganzen genommen und in Beziehung auf die wesent-
lichsten Hauptpuncte wieder fand, so wenig ich auch, mit seinen über Kants specu-
lative und praktische Philosophie geäußerten Meinungen und Urtheilen durchgängig
übereinstimmen kann. Je mehr indessen in dieser encyklop. Darstellung doch immer
noch so Vieles von dem vermißt wird, was heutiges Tages der Philosophie Noth
thut und was zu gründlicher Hebung der Mißverständniße und zu Entwirrung der
Verirrungen in dem Gebiete der Speculation bey den verschiedenen Tendenzen der-
selben, beytragen könnte ; um so erwünschter und willkommener mußte mir die in
Ihrem Schreiben mir bereits angekündigte Encyklopädie der Philosophie seyn, die
Sie auf Aufforderung Ihrer philosoph. Freuude so eben bearbeitet haben. Mit großer
Erwartung und dem lebhaftesten Intereße sehe ich der baldigen öffentlichen Er-
scheinung dieses neuen Productes Ihres ernsten, besonnenen und in die Tiefen der
März 183 1. 237
speculativen Probleme und ihrer gründlichen Lösung eindringenden Philosophirens
entgegen, um das, was die Philosophie in ihrem jetzigen Zustande zu ihrem Heile
bedarf, in ein klares Licht zu setzen, und mit diesem Lichte die heillosen Fehltritte
und Gebrechen unserer transcendenten .Modephilosophien zu beleuchten. Daß
dieses Ihr neuestes Werk bereits unter der Preße ist, und daher hoffentlich
in kurzem den Freunden eines gründlichen und nüchternen philosoph. Studiums
zugänglich seyn wird, mußte mir insbesondere darum auch ungemein will-
kommen seyn', weil ich dasselbe noch werde benutzen können für meine, gegen
unsre Gegner, die Wissenschaftslehrer der Allheit und Absolutheit, gerichtete
Polemik im letzten Bande meiner Schrift, noch kurz vor Herausgabe desselben. Aus
dem, was Sie mir vorläufig schon von dem Plane des Buchs, und der dabey zum
Grunde liegenden praktischen Tendenz und Absicht mitzutheilen die Güte haben,
glaube ich schon mit Zuversicht voraussehen zu können, daß gerade dieses Werk
mir die Gelegenheit und Aufforderung darbieten wird, mich an Ihre Untersuchungen
anzuschließen, und meine Bemühungen mit den Ihrigen zu vereinigen. Denn da
Sie sich in dieser Schrift, wie Sie mir versichern, ausdrücklich für Kants Haupt-
absicht erklärt, aller speculativen Theologie ein Ende zu machen, und dagegen den
praktisch nothwendigen Glauben zu bevestigen; so liegt ja gerade hier der ent-
scheidende Punct, der, in vollkommenem Einverständniß mit unserm speculativen
Kritiker, unsre Stellung gegen alle antiken und modernen speculativen Theologen, auf
eine so entschiedene Weise bestimmt, daß an eine Ausgleichung so entgegengesetzter
Grundansichten und Überzeugungen ganz und gar nicht zu denken ist. Erklärt ja doch
auch selbst Fries an einer Stelle in seiner Metaphysik (S. 142) seine Verträglich-
keit mit allen anderen Metaphysikern, nur nicht mit denen, die auch Wir für unsre
unversöhnlichen Gegner ansehen müssen. Was nach Fries' Ausdruck von der
Schellingschen mystischen Abstraction gilt, das gilt auf die gleiche Weise von der
Hegel'schen scholastisch dialektischen Methode und Ausbildung, diesem bloßen Nach-
klange der Fichtisch-Schellingschen Philosopherei, wie es denn auch überhaupt von
Allen gilt, welche die Scheidewand zwischen Wissen und Glauben in der Phil,
niederreißen wollen. Sie, mein philos. Wissens- und Glaubens Genoße in Be-
ziehung auf die Grenzbestimmung beyder Gebiete, wehren Ihrer Seits mit Kraft
und Nachdruck diesem Niederreißen, indem Sie im Geiste unseres Kant, ganz ein-
verstanden mit seiner erklärten Absicht, den Primat der praktischen Vernunft vor
der theoretischen, und darum die Unabhängigkeit der Aussprüche und Forderungen
der sittlichen Gesetzgebung vou aller Speculation und aller speculativen Theologie
anerkennen und die religiösen Glaubensartikel einzig und allein aus jener praktischen
Quelle ableiten. In diesem so wichtigen und so viel bedeutenden Punct, erkenne
ich unsre gemeinschaftliche wesentliche Verwandtschaft mit Kant's acht sokratischem
praktischen Geiste, sowie nicht minder auch in einem andeien, ebenso wesentlichen
und bedeutungsvollen Hauptpuncte, ich meine den, in Ansehung dessen Sie selbst
sich in der Vorrede zürn lten Bande Ihrer Metaphysik mit aller Aufrichtigkeit zu
einem Kantianer bekennen. Und darum muß es mir denn auch an Ihrem, für die
encyklop. Darstellung der Philosophie gewähltem Plane ganz besonders gefallen, daß
Sie diese Darstellung aus practischen Gesichtspuncten unternommen, um Ihre prak-
tische Philosophie in ein noch helleres Licht als je zuvor zu setzen und Ihre Leser
noch deutlicher und bestimmter und gewisser bemerken zu lassen, daß auch bey
Ihrem philosophischen Streben und Forschen nach Wahrheit und Wissenschaft das
moralische Intereße die eigentliche Triebfeder zu den abgezogensten Speculationen
gewesen sey, denen ja eben auch nur jenes höhere moralische Intereße ein Maaß
und Ziel innerhalb der Grenzen unsers möglichen, und für unsre moralische Be-
238 März 1831.
Stimmung zugleich fruchtbringenden und zweckdienlichen Wissens setzen konnte. —
Ihrer entschiedensten Überzeugung nach kann also aus aller speculativen Theologie
nie etwas Gutes werden! Diese Ueberzeugung ist ganz und durchaus auch die meinige.
Wir sehen ja wohl was aus allen bisherigen Versuchen, solche überschwengliche,
die Schranken der menschlichen Vernunft überschreitende Gottes- und Weltlehren
zu begründen und auszubilden, herausgekommen ist. Wir dürfen uns nur die
neuesten idealistisch speculativen Theosophien Schellings , Fichtes und Hegels vor-
führen, um zu erfahren, von welcher Art und Beschaffenheit das Positive in einer
sogenannten Religionsphilosophie sey, wonach wie Schelling (in seinem Briefe an
Eschenmayer) || uns versichern will, die Menschheit unsrer Zeit verlangen soll,
und das ihr nur ein kräftiger, der wahren Ideen mächtiger Verstand wieder geben
könne. Da« reine moralisch religiöse Intereße wird sich, unterstützt von einer
nüchternen und besonnenen, ihrer Schranken sich bewusten Speculation wohl be-
danken für das Geschenk, welches ihr ein Verstand von der hochgepriesenen
Art mit einer Theologie machen will, die auf einen crassen und unbeschränkten
Anthropomorphismus, als eine durchgängige, und (den einzigen Punct des not-
wendigen Seyns ausgenommen) totale Vermenschlichung Gottes hinausläuft. Mit ge-
rechter Indignation eine solche Gabe verschmähend, werden wir uns wohl an der
sokratischen Weisheit unsers großen Kritikers genügen lassen, und an die goldene
Wahrheit halten, welche er in seiner Kritik aller speculativen Theologie in den
Worten niederschrieb: „Das höchste Wesen bleibt für den bloß speculativen Ge-
brauch unsrer Vernunft ein bloßes, aber doch fehlerfreyes Ideal, deßen gereinigter,
aus lauter transscendentalen Prädicaten bestehender Begriff, wie ihn jede Iheologie
so sehr nötig hat, nur aus der transscendentalen kann gezogen werden.1' In welch'
einem Contraste mit diesem hohen und reinen, fehlerfreyen Ideal steht das Idol,
welches uns in der Hegeischen logisch-speculativen Theologie hingestellt wird! Wie
der Pontifex maximus der allein rechtgläubigen und allein seligmachenden Kirche
für den sichtbaren Stellvertreter und Repräsentanten des göttlichen Hauptes der
Christenheit, so scheint der Herr und Meister der neuesten Philosophischen Schule
in Deutschland für den sichtbaren Repräsentanten und Inhaber der Gottheit selber
sich ausgeben zu wollen. Ist nämlich nach seinem Vorgeben (Phänomenol. S. 712 etc.)
Gott allein im reinen speculativen Wissen erreichbar, und ist nur in ihm, und nur
es selbst (dieses Wissen): so wohnt ja die leibhafte Fülle der Gottheit in allen
den Inhabern dieses Wissens , welche den Culminationspunct desselben bereits er-
reicht zu haben wähnen. An dieser, in Theosophie und Dämonologie ausgearteten
speculativen Theologie mit ihren natürlichen Begleiterinnen, der Idololatrie und eines
ganz eigenen logisch metaphysischen Fetissendienstes sehen wir also schon die heil-
losen Früchte, die die Tendenz des Philosophirens in denjenigen speculativen Köpfen
bereits getragen hat, an welche die Belehrungen und Warnungen unsers Kant ver-
geblich angebracht worden, da sie es sogar nicht bedacht und beherzigt haben, was
der weise Mann unter andern in seiner Kritik der Urtheilskraft (§ 89. S. 439 und
440) zu Würdigung des Werths und unverkennbaren Nutzens des moralischen Ar-
guments für das Daseyn Gottes so wahr gesprochen und mit Nachdruck eingeschärft
hat. — Bey solchen Extravaganzen und solch einer Transscendenz in der Phüo-
sophie in Ansehung ihrer höchsten und wichtigsten Gegenstände, muß es tröstlich
seyn zu hören, was Sie mir von der Unbedeutsamkeit und dem Nichtbeachten und
Nichtachten der Hegel'schen scholastisch dialektischen Muse ausserhalb eines ge-
wissen Bezirks schreiben; wiewohl ich es andrerseits doch auch nicht genug mit
Ihnen und allen Freunden einer gesunden Philosophie bedauern muß, daß gerade
die Tendenzen unserer deutschen Modephilosophen zu einer schwärmerischen, in
März 1831. 239
Mythen sich verlierenden Mystik, oder einer mikrologischen und corrupten scholast-
ischen Dialektik nach der Manier der Duns-Scotusse; oder auch endlich zu einem
rohen, unphilosophischen Empirismus die Philosophie in den Augen des gebildeten
Publicums je länger je mehr um den Credit bringen muß, so daß, auch dem Resul-
tate Ihrer Reisebeobachtungen zufolge, das Studium dieser Wissenschaft nun mehr
auf die bedenklichste Weise im Sinken begriffen, und dergestalt die, während der
Periode des neuerwachten, frischen und gesteigerten Lebens derselben, unter dem
Einfluße des Geistes der Kritik eingetretene schöne Blüthezeit ihres Studiums nur
zu bald wieder vorüber, gegangen ist. Philosophia jacet! — müssen auch wir also
in unserm unphilosophischen Zeitalter, wie einst Cicero in dem seinigen ausrufen;
wollen dabey aber doch dem Trostspruche unsers philosoph. Dichters vertrauen:
»Aber die Philosophie, hoff ich, soll ewig bestehn« Um Hegeln, diesen Philo-
sophen des Tages bekümmert man sich also wirklich fast gar nicht außerhalb
Preußen, in dessen Bezirk seine künstliche Existenz nur von einer höheren Aegide
erhalten und beschirmt wird. Daß sich, wie Sie mir versichern, anderwärts mehr
und mehr das Urtheil gegen den scholastischen Dialektiker (welcher nach einem
von Schelling über seinen ehemaligen Compagnon ausgesprochenen Spotte aus der
Philosophie eine Philigran - Arbeit macht) erkläre, haben mir auch wohl schon so
manche von mir an unserem philosoph. .Firmament beobachtete Zeichen angedeutet.
Denn gar viele Stimmen habe ich bereits von mehreren Seiten her vernehmen
können, die sich gegen den Dünkel einer angemaßten Allwissenheit erhoben haben.
So las ich noch neuerlich erst in einer Beylage zu den Blättern f. litt. Unter-
haltungen (von Januar 1830) ein strenges aber gerechtes V erwerf ungsurtheil über
die Hegel'sche absolute Allwissenheitslehre, von welcher unter anderen gesagt wurde,
daß uns, die wir nicht von einem göttl, sondern menschlichen Verstände im Menschen
etwas wissen, zugleich und sogleich die ungeheuere Anmaßung oder Verblendung, wo
nicht Beydes, entgegenträte, damit ein Schul- und Weltweiser, sich auf die Schultern
seiner Vorgänger stellend, das All und das Eine, (die Schöpfung und den Schöpfer)
nicht bloß klaren Blicks zu überschauen, sondern auch in sich selbst zu beherbergen
und aus sich heraus zu offenbaren wähne etc. etc. etc. — Wem es — wie im Tone so-
matischer Ironie noch hinzugefügt wird — unter den Wißbegierigen nach Allwissen-
heit gelüstet, weiß wo dieselbe zu holen ist. In einem andern Blatte derselben Zeit-
schrift wird darauf aufmerksam gemacht, daß der Hegeische Pantheismus eine Hülfs-
macht zur Vertheidigung der Ansichten des Mittelalters werden soll. Ja, in einem
Stücke der allg. Kirchenzeituug , dieser wackern, freysinnigen Antipodin der fälsch-
lich sich so nennenden evangelischen Kirchenzeitung, wird sogar die Hegeische
Philosophie als eine solche denuncirt, welche durch ihren dialektischen Sophismus,
zur wahren Schirmvoigtin des Katholicismus sich darbiete. Freilich kann es an der-
gleichen Nutzanwendungen und Appellationen an das Orakel einer Philosophie nicht
fehlen , deren Meister selbst seine feindselige Gesinnung gegen den theologischen
Rationalismus offen kund gethan hat. Um so nöthiger und verdienstlicher müssen
darum aber auch solche auf die Grundirrthümer dieser Pseudophilosophie gerichtete
Angriffe seyn, wie ich kurz zuvor, ehe mir Ihre scharf und tief eindringende Kritik
zu Gesichte kam, im Hermes (Bd. XXXIV H. 2) eine Kritik gedachter Philosophie
gelesen hatte , deren bis jetzt noch nicht sich genannter Vf. meinem Urtheile
nach das ganze Philosophem in seinen Hauptpuncten richtig aufgefaßt und seine
Blößen und Hauptgebrechen mit genügender Klarheit und Gründlichkeit aufgedeckt
hat. Was dieser Kritiker schon vorläufig zum Behuf einer allgemeinen Charakte-
ristik der Hegeischen Lehre bemerkt, ist ganz aus meiner Seele geschrieben, als
vollkommen übereinstimmend mit meiner eigenen Ansicht. — In Ihrer früheren
240 März 1831.
Eecension einiger über und gegen Hegel erschienenen Schriften hatten Sie , mein
Verehrtester! den modernen Scholastiker nur den Nachklang von Schelling genannt.
Und an Ihrer mit aller Schärfe und Strenge der Kritik angestellten und durch-
geführten ßeurtheilung der Hegeischen Encyklop. der philos. Wiss. wiesen Sie an
mehreren Stellen, namentlich S. 9. 11. 12 u. 15 die frappanten Aehnlichkeiten nach,
welche zwischen dem antiquirten subjectiven Idealismus Fichtes und Hegels neuestem
sich so nennenden absoluten Idealismus sich aufspüren lassen. So wäre denn Hegel
auch nach Ihrem Urtheile ein Nachklang zugleich von Fichte und Schelling. Und
so meine ichs auch, und mit uns der gedachte Recensent im Hermes, wenn er die
Hegeische Lehre geradezu für eine Composition oder Confusion der Fichteschen und
Schelli ngschen Philosophie erklärt. Dieser anerkannten genauen Verwandschaft ohn-
geachtet, bemerken Sie jedoch (S. 12) daß, so wichtig auch die Einwirkungen Fichtes
auf Hegeln seyen: so gäben sie uns doch nicht allein den zulänglichen Schlüßel zur
Lehre des Letztern. Das ist freilich wahr. Aber darum glaube ich auch diesen
zugänglichen Schlüßel in der künstlichen Composition und Complication der F. und
S. Philosophie zu finden, woraus eine wahre Confusion geworden ist durch Zu-
sammenmischen beyder in dem Schmelztigel einer metaphysischen Logik und
scholastischen Dialektik. Sie, mein Theuester! dringen jedoch in die Genesis der
H. Lehre noch tiefer ein zum Behuf eines richtigen, mit großen, nicht zu verkennen-
den Schwierigkeiten, die auch ich nur allzu deutlich gefühlt, verbundenen Ver-
stehens, in dem Sie das Verwickelte, was in jener bey Fichte sich findenden und
in der Hegeischen Lehre wiederkehrenden Trichotomie liegt, durch historische, noch
über Fichten hinausführende Bemerkungen aufzuklären versuchen. — "Was Sie da
S. 12. 13 und 14 in dieser Absicht anführen, verdient gewiß die sorgfältigste Be-
achtung. Wenn Sie jedoch das Fordern und Setzen Eines Princips, welches zu-
gleich Spinozas Substanz, ein Platonisches Allgemeines, und ein Kantischer, gemein-
samer Ursprung, der sowohl mechanischen als zweckmäßigen Technik der Natur
seyn sollte, zum Theil für die Folge des verführerischen Beyspiels ansehen, welches
Kant selbst mit seiner in der Kr. d. V. aufgestellten Idee eines intellectuell an-
schauenden Verstandes gegeben; so möchte ich doch hier die Frage an Sie thun,
was denn wohl Kant dafür konnte, daß mit jener Idee in der Folge ein solcher
Mißbrauch getrieben wurde durch Verwandlung der bloßen Negative in die Affir-
mative eines in seiner Positivität theoretisch gültigen Begriffs. Um ein fehlerfreies,
jeder Theologie so sehr nöthiges Ideal von allen Seiten gegen jede Verfälschung-
sicher zu stellen, bedurfte es freilich nicht des Gegensatzes mit unserm mensch-
lichen, als einem vermeintlich ganz besonders eingerichtetem Verstände. Genug, wenn
nur eine scharfe Grenzlinie gezogen wurde zwischen dem Verstände endlicher Wesen,
welche notwendig gebunden sind an die Bedingungen des zusammenfaßenden Denkens
nach Gesetzen des Raumes und der Zeit, und dem Verstände eines rein intelligiblen
Wesens, den wir uns aber auch um unsrer moralischen Zwecke willen als erhaben
über alle Prädicate und Bestimmungen endlicher Intelligenzen, also auch nicht etwa
bloß dem Grade, sondern der Art nach verschieden denken müssen. Was Sie üb-
rigens bey unvermeidlicher Vergleichung Hegels mit Spinoza von des ersten Un-
didationstheone , womit Sie das ganze dialektische Taschenspieler Kunststück der
Reflexion des Scheinens in sich und in Anderes bezeichnen, mit Grunde der Wahr-
heit bewirken, daß dieselbe viel bunter, verwickelter und schwerer zu fassen sey,
als Spinozas ruhig liegende Substanz u. s. w., dessen bin auch ich bey meinen be-
gonnenen und wiederholt fortgesetzten Studien dieser bunten und complicirten
Theorie nur zu oft und zu deutlich inne geworden. Möchte Hegel einem, ihm von
Ihnen gegebenen Winke folgend, künftig nur die allgemeine Sprache reden; es würde
Juni 1831. 241
daraus gewiß kein kleiner Gewinn für leichteres Verständniß des Systems, andrer-
seits aber auch wohl Verlust am Ruhm der Originalität, erwachsen. — Dieses Wenige,
meine Bemerkungen und Urtheile über Ihre Kritik betreffend, möge Ihnen mein
Verehrter die Sorgfalt und Aufmerksamkeit beweisen, womit ich diese Prüfung auf-
gefaßt und erwogen habe ; ich finde, daß Sie damit recht viel frisches und kräftiges
Wasser auf meine Mühb geleitet haben. Denn Sie sollen schon sehen, welche Vor-
theile ich aus der Benutzung Ihrer Kritik in Verbindung mit dem Studium Ihrer
Metaphysik und Ihrer bald zu erwartenden Encyclopädie, die ich mir sogleich nach
ihrer Erscheinung, durch eine hiesige Buchhandlung werde kommen lassen, für meine
eigene Beurtheilung des Hegeischen Philosophems und seiner matrix, der Fichtisch-
Schellingschen Speculation werde ziehen können. Der letzte Theü meiner Schrift,
den ich unserm philosoph. Publicum bis jetzt noch schuldig bin, soll sich dann auch
auf die Länge hin nicht verspäten, damit die Hofnung, welche Sie mir in Ansehung
des beabsichtigten Erfolges der Arbeit geben, nicht vereitelt werden möge. Da ich
mit der Bearbeitung schon weit genug fortgerückt bin, so denke ich wohl daß der
Druck in diesem Jahre noch beginnen und vielleicht auch schon bis zu Ausgange
desselben werde vollendet sein können, wofern anders die Sorge für eine reine und
correcte Abschrift, sowie das Versenden von hier an eine ausländische Verlagshand-
lung der Beschleunigung keine Hinderniße in den Weg stellt. Da ich die Absicht
habe, diesen Theü einer andern Veriagshandlung anzuvertrauen: so habe ich auch
deshalb eine Abänderung in Ansehung der äussern Form des Buches für nöthig er-
achtet. Es soll nämlich als ein , in gewissem Betracht neues Werk unter einem
neuen Titel erscheinen, neben welchem jedoch auch der alte Titel noch, wie ge-
bräuchlich in solchen Fällen , und auch nöthig und natürlich , beybehalten werden
soll. Zu dem neu zu wählenden Titel haben Sie selbst mir den Hauptgedanken
suppeditirt Allheit und Absolutheit; oder die alte Lehre des tv nai nav in ihren
modernsten idealistischen Hauptformen und Ausbildungsweisen. — Das soll das neue
Aushängeschild von meiner, gegen die Scholastik und Mystik unsers Zeitalters ge-
richteten Polemik werden.
Dürfte ich nun am Schluße dieses Schreibens noch eine Bitte an Sie, Ver-
ehrtester! thun, so wäre es die, mir gütigst ein Exemplar Ihrer am Krönungstage
gehaltenen und zum Druck beförderten Rede durch einen Buchhändler- oder auch
eine andre sich darbietende Gelegenheit zu übersenden, und mir mit diesem Besitze
eine Leetüre zu verschaffen , die für mich gewiß doppelt lehrreich und interessant
seyn wird, theils wegen des wichtigen und fruchtbaren Themas selbst, theils wegen
des Zusammenhangs seiner Ausführung mit den Grundlehren Ihrer praktischen Philo-
sophie. — Leben Sie wohl! und empfangen Sie auch meiner Seits die Versicherung
von der größten Verehrung, mit welcher ich mich unterzeichne als den Ihrigen.
Jäsche.
28. April u. /. Mai: Jahresbericht über das pädagogische Seminar. XV, S. 31 — 38.
368. Drobisch an H.]) Leipzig d. 17 Juni 1831.
Hochverehrter Herr Professor! Lange genug habe ich mir das Vergnügen
versagt, mit der Feder die 100 Meilen, die uns trennen, zu überspringen und mit
Ihnen wenigstens einseitig ein Gespräch anzuknüpfen. In der That es bot sich mir
des Erfreulichen zu wenig dar, und meine sonst immer heitere Stimmung ward zu
häufig niedergedrückt, als daß ich hätte so schonungslos seyn können, Ihnen diese
Hypochondrie mitzutheilen. Zum Glück waren die Ursachen der letzteren äußerer
x) 23/4 S. 4 °. H. Wien.
Herbarts Werke. XVII. l6
242 Juni l83!-
Natur. Krankheit hat unser Haus heimgesucht. Erst litt ich an einem sehr
schmerzhaften, gichtischen Kopfreißen, so daß ich 5 Tage und Nächte kein Auge
schließen konnte. Dann verletzte ich mir das linke Auge so gefährlich, daß ich.
bereits gänzlich des Sehvermögens beraubt war und eine lange Cur von problema-
tischem Erfolg zur Wiederherstellung nöthig schien. Nun kam ich zwar schon mit
14 Tagen der geisttödtendsten langen Weile davon, aber in dieser Zeit erkrankte
meine Frau, in Folge heftiger Alteration, so daß ich ein Nervenfieber befürchtete.
Es ward nun zwar blos ein katarrhalisches Fieber, die sogenannte Berliner Influenza
daraus, die nun auch mich anpackte. Das eine unserer Dienstmädchen war erst
kurz vorher vom Fieber hergestellt ; jetzt wurde das andre krank, und zwar so schwer
und chronisch, daß ich genöthigt war, sie meines Dienstes zu entlassen. Endlich
staib auch noch in diesen Tagen der einzige Knabe meiner Schwester, die in der
Nachbarschaft von Leipzig verheirathet ist. Bei so vielfach gestörter häuslicher Ruhe
werden Sie wol natürlich finden, daß das wissenschaftliche Geistesleben eine em-
pfindliche Unterbrechung leiden musste. Von Ihnen, verehrter Gönner und Freund,
und von Ihrer Frau Gemahlin hoffe ich tröstlichere Nachrichten zu vernehmen,
wenn gleich die Besorgniß vor der Cholera, die ja das benachbarte Danzig ergriffen
hat, und vor der dort mir schon bange zu werden anfängt und gegen die man
hier bereits die kräftigsten Gegenrüstungen vornimmt, eben nicht geeignet seyn
kann, zur Heiterkeit zu stimmen. Daß Sie sich vor kurzem noch wohl befunden
haben, hörte ich wenigstens mit Vergnügen von H. Kand. Hendewerk, Ihrem be-
geisterten Schüler, der mich an Pfingsten besuchte und mit dem ich ein paar in-
teressante Unterhaltungen hatte, obgleich meine Augenmaladie mich verhindert hat,
ihm die Aufmerksamkeit zu schenken, die ich ihm wohl schuldig gewesen wäre.
Da haben Sie ja wieder einen Jünger, der pro aris et focis zu kämpfen bereit ist
und Ihr Evangelium aller Welt zu verkünden wünscht. Auch der Dr. Brzoska,1}
der sich bei uns vor Kurzem habilitirt hat, Ihr mehrjähriger Hausgenosse, ist offen-
bar von warmer Liebe zu Ihrer Philosophie durchdrangen und weiß ihren Werth
selbst für seine mythologisch - philologischen Forschungen zu schätzen. Ich bin
überzeugt, wenn nicht Krieg, Seuche, Aufruhr etc. nach Niebuhrscher melancho-
lischer Ansicht uns einem zweiten Zeitalter der Barbarei und des Vandalismus
wieder zuführen, Ihre Philosophie wird nicht so wenig beachtet bleiben wie bisher.
Unverkennbar wird jetzt Ihr Name in Zeitschriften und in der gelehrten Con-
versation weit öfter genannt. Denken Sie nur, Ihre Metaphysik ist in einer hiesigen
Leihbibliothek zu erhalten, denn vor einigen Tagen forderte der Besitzer einen
Studenten M. . A . . s im Tageblatt öffentlich auf, das Buch, das er nun schon so
lange geliehen, ihm nächstens wieder zuzustellen. Freilich so schnell wie Walter
Scott und Clauren liest sich's nicht. — Eben habe ich den Prospectus einer neuen
encyklopädisch wissenschaftlichen Zeitschrift erhalten, worin unter dem Artikel
Philosophie Ihrer »zufälligen Ansichten« mit Auszeichnung gedacht wird. Sind das
nun gleich Kleinigkeiten und Äußerlichkeiten, so sind sie doch vielleicht Zeichen
einer bedeutenden innern Bewegung, die zu Gunsten philosophischer Forschung in
den Geistern vor sich geht. Lange schon liegt, wie ich höre, eine Eecens. Ihrer
Metaphysik von einem berühmten Gelehrten für die hiesige Literaturzeitung be-
stimmt, bereit; der Vfs. derselben, dem unbekannt seyn muß, daß ich der Jenaische
Eecensent bin, hat der Expedition unter der Hand geschrieben, er wünsche, daß vor
l) H. G. Brzoska, 1807—1839, hatte sich 1831 in Leipzig habilitiert mit der
Schrift: „De geographia mythica etc.", ging aber dann nach Jena. Vgl. Allg. D.
Biogr. 3, 458 f. u. W. Rein in der Vorrede zur Neuausg. von Brzoskas „Notwendig-
keit päd. Seminare" pp., Lpzg. 1887.
Juli 1831. 243
dem Abdruck derselben, ich. mich, erst über Ihr Werk aussprechen möge. Ich habe
hierauf meine Autorschaft an der Jen. Recension bekannt und den lebhaften Wunsch
ausgedrückt, daß der Abdruck jener Recension bald erfolgen möge. Ich denke,
es soll auch bald geschehen; denn da Sie sehr lange keinen Beitrag geliefert haben,
so hält man Sie von irgend einer Seite für verletzt, von welcher weiß man nicht.
Dieses »man« ist nun nicht etwa Krug, mit dem von Allerlei nur nicht von
Philosophie zu reden ist, noch auch sonst jemand von der Redaction, sondern der
Expedient der L. Z., der mehr zu vermögen scheint als die Redactoren. Ihre
Recens. Hegels, womit das neue Jahr bei der Hall. L. Z. gefeiert wurde, scheint
Aufsehen gemacht zu haben und ich habe sehr rühmende Urtheile darüber ver-
nommen. — Wenn sich das heillos schlechte Wetter, das uns schon seit einigen
Wochen plagt, aber doch Gott sey Dank fruchtbar seyn soll, bessert, gedenke ich
mit meiner Familie zu unser aller Restauration aufs || Land zu ziehen. Wiewohl
ich nun täglich zu meinen Vorlesungen in die Stadt wandern werde, so hoffe ich
doch wöchentlich 2 Tage in ländlicher Einsamkeit leben und einen Tbeil dieser
Muße dem lsten Band Ihrer Metaphysik u. dem 2ten der Psychologie widmen zu
können. Ich freue mich schon auf die genußreichen Stunden dieser heimlichen
Liebe. Indessen versäume ich. nicht, junge Leute von Kopf, die sich für Mathe-
matik und Philosophie zugleich interessieren, auf Ihre Schriften aufmerksam zu
machen. Erst heute hab ich. Einem Ihre Einleitung geliehen, als er sich, wie jetzt
häufig geschieht, über die Geistlosigkeit und Oberflächlichkeit Krugs beklagte.
Dennoch «ieht dieser Name manchen auf unsre Universität. Dieser eben erwähnte
und noch ein andrer unter den wenigen Studierenden, die ich kenne, sind, der eine
aus Düsseldorf, der andre aus Cöln, einzig wegen Krug zu uns gekommen, finden
sich aber beide in ihren Erwartungen betrogen.
Möge der Himmel bald den jetzigen Zustand der fürchterlichen Windstille im
Verkehr, der jeder wissenschaftlichen Unternehmung so verderblich wird, entfernen
und uns noch eine Reihe von Friedensjahren geben, in denen die reine Wissenschaft
zu neuem Leben erwachen kann. Vielleicht will aber die Vorsehung das Interesse
an dem Reinsten und Edelsten durch politische Stürme vorbereiten, vielleicht soll
der Überdruß an verkehrten Bestrebungen endlich wieder die Besseren zum stillen
Heiligthum der Wissenschaften zurückführen. Wir wollen es wenigstens hoffen.
Erlauben Sie mir noch schließlich mich und meine Frau Ihrem und Ihrer
Frau Gemahlin fernerem Wohlwollen angelegentlich zu empfehlen und seyn Sie
versichert, daß ich stets mit der innigsten Verehrung seyn werde Ihr erg. D.
369. Herbarts Teilnahme an der 1. ostpreußischen Direktoren-Kon-
ferenz. 30. Juni bis 2. Juli.
Herbart nimmt an der ersten ostpreußischen Direktorenkonferenz in Königs-
berg teil. Er hatte es dabei übernommen, über die Verbindung der philosophischen
Propädeutik mit dem deutschen Unterricht, in ausführlichem Vortrag zu sprechen.
Leider ist der Vortrag nur in kurzem Auszug im Protokoll mitgeteilt. , .Herbart
sieht die Hauptschwierigkeit dieses Unterrichts nicht in der Sache, sondern in den
Lehrern; denn die Philosophie sei 1. in einen Gegensatz mit den empirischen Kennt-
nissen getreten und daher könnten die Lehrer den Übergang nicht leicht finden, —
2. die Philosophie habe sich von dem praktischen Menschen entfernt; eine Ver-
bindung sei notwendig. Er macht darauf Mitteilung von seiner jetzt erscheinenden
Enzyklopädie der Philosophie, die dem Lehrer zur Überbrückung der Gegensätze in
die Hand gegeben werden könne. Der Vorsitzende dankt Herbart für seinen Vor-
trag, und die Konferenz behandelt offenbar ohne recht warmes Interesse die Ver-
16'
244 Juli l83x-
bindung von Philosophie mit Deutsch, besonders mit den deutschen Aufsätzen. Auch
in der Debatte scheint Herbart fast allein das "Wort geführt zu haben. Er verweist
vor allem auf Ciceros Offizien und hier besonders auf das I. Buch, in dem reicher
Stoff für Aufgaben geboten sei. Diese Schrift sei darum besonders wichtig, weil
hier die Elemente der praktischen Philosophie auf einfache Weise gefunden werden
könnten. Die Ausführungen Garves könnten dabei benutzt werden. Weiter meint
er, den Mittelpunkt der Propädeutik bilde die Psychologie und Logik, deren Umfang
sich sehr beschränken lasse, besonders der der Logik nach der in II gegebenen
Unterweisung in Rhetorik.
Die Behandlung der Geschichte der Philosophie dürfe nur die wichtigsten
Momente berühren, sie sei nach ihren 2 Hauptteilen zu behandeln, als Geschichte
der praktischen und theoretischen Philosophie. Der Gymnasialunterricht solle nur
eine Grundlage für die Darstellung auf der Universität bilden. Dem Lehier emp-
fiehlt Herbart das Studium der Meditationen Deseartes."1)
370. An Drobisch.2) Königsberg 15 Jul. 31.
Nun, mein hochgeehrter Herr und Freund! sehen Sie es doch vor
Augen, was herauskommt, wenn Sie, anstatt selbst über meine Naturphilos.
zu sprechen, es einem ,, berühmten Gelehrten'' überlassen; dem großen
Unbekannten, der mich schon früher um die Wette mit Ihnen recensirte!
In der That, ich möchte Ihre Mienen beobachtet haben, als Ihnen die
neue Leipz. Rec. 3) — wohlgezogen wie sie ist, — zu Gesicht kam. Sie
werden Sich doch ein wenig geärgert haben, daß nach der Jenaischen
Rec. noch so etwas in L. konnte gleichsam unter Ihren Augen gedruckt
werden. — Ich dagegen bin natürlich wohl zufrieden; die wichtige Frage, ob
ich ein Kantianer zu heißen verdiene oder nicht, wird mich und mein Buch
eher unter die Leute bringen — gleichviel wie sie mag entschieden werden,
— als Ihr feines Jenaisches Augenpulver, von dem mir selbst beym
ersten Lesen fast die Augen schmerzten. Sie aber haben nun Unterricht
bekommen, wie man recensiren muß; erstlich sorgend, daß der Verfasser
keine Antikritik schreiben könne; zweytens die schwarze und weiße Kreide
tüchtig handhabend — — u. s. w.
Diese wenigen Zeilen werfe ich eiligst hin, — eigentlich nur um
Ihnen zu sagen, daß wir die Cholera hier in K. noch nicht haben; dann
um Sie inständig zu bitten, daß Sie mir bald wieder Nachricht von Ihrem
und Ihrer lieben Frau Wohlseyn geben, denn Ihre letzten Nachrichten
haben mich wahrscheinlich mehr als nöthig erschreckt, da Augenübel und
gichtischer Kopfschmerz im Allgemeinen leicht zu den wiederkehrenden
Krankheiten gehören möchten. — Das sey ferne von Ihnen! Mit dem
lebhaftesten Wünschen für Ihr Wohlsein der Ihrige H.
Einen kleinen Glückwunsch von Ihnen kann ich mir in Gedanken
wohl dafür zueignen, daß diesen Sommer zum erstenmale meine psycho-
logischen Vorlesungen ein leidliches Auditorium haben. Es sind einige
*) Ph. Wegener, Zur Geschichte des deutschen Unterrichts. Beil. zum Jahres-
bericht des Gymn. u. der Realsch. zu Greifswald, 1906, (Progr. Nr. 173), S. 23 ff.
2) 1 S. 20.
3) Leipz. Lit.-Ztg. 1831, Nr. 150—156. Der ungenannte Verfasser gesteht zu,
weder Mathematiker noch Physiker zu sein und bekennt, . auch die erste Rec. der
Herbartschen Psychologie (s. o.) verfaßt zu haben.
Juli 183 1. 245
von Bessels tüchtigen Mathematikern drin. Ich selbst sitze in allen
Mußestunden an der Psychol. um aus meinen alten Formeln etwas Päda-
gogisches zu destilliren. Vielen Dank für Ihre Abhandlung von dem
Horizonte; sie ist mir leider! zu fremd. [Randbemerkung.]
371. An DrODisch.1) Königsberg 16 Jul. 1831.
Meine gestrige scherzhafte Laune, angeregt durch die naturphilo-
sophische Dummdreistigkeit, die mit Ihrer Vorsicht so wunderlich con-
trastirt, — ist mir schnell ausgetrieben worden. Gleich nach Absendung
des Briefes erhielt ich die bestimmte Nachricht, daß die. Cholera bereits
in Elbing ausgebrochen ist, und wahrscheinlich auch auf der nordöstlichen
Seite näher gegen uns anrückt.
Als die Cholera in Danzig auftrat, machte ich mein Testament.
Gestern fiel mir ein, jetzt noch ein zweytes Testament folgen zu lassen,
nämlich Ihnen meine philosophischen Angelegenheiten zu vermachen. Das
unterlasse ich jedoch; und zwar aus dem einzigen Grunde, weil es noch
zweifelhaft ist, ob die Erbschaft willkommen seyn würde, die gewiß mehr
abschreckend als einladend aussieht. Aber etwas Anderes soll geschehn.
Es ist Zeit Ihnen zu sagen, daß ich meinen Dank für Ihre Jenaische
Recension Ihnen nicht ausgeschüttet, sondern absichtlich bisher größten-
theils verhehlt habe, und zwar aus zwey Gründen.
Erstlich fürchtete ich Sie durch vieles Reden zu ermüden. Es lag
aber am Tage, daß eine so meisterhafte Arbeit schlechterdings eine öffent-
liche Danksagung bey der ersten sich darbietenden Gelegenheit erforderte.
Diese werden Sie in der Vorrede zu meiner Encyklopädie 2) finden, welche
Ihnen von Halle zu senden ich bereits Auftrag an die Buchhandlung des
Hrn. Schwetschke in H. gegeben habe. Mein lebhafter Wunsch ist, daß
Sie darin die gehörige Rücksicht auf Ihre öffentliche Stellung, so wie
Sie dieselbe zu wünschen schienen, beobachtet || und Alles, was einem
Dritten übertrieben scheinen könnte, vermieden finden mögen. Auch hier
also ist noch Zurückhaltung in den Worten, deren Sinn nicht, wie bey
Höflichkeiten, herabgesetzt, sondern vielfach verstärkt seyn will.
Zweytens besorgte ich, ein unangenehmer Nachklang würde Ihnen
desto auffallender werden, je mehr mein Dank, der sich von selbst ver-
stand, und an dem Ihnen nichts gelegen war, sich hervorstellte. Sie wollten
durch Ihre Recension auf die Leser wirken; und dies — so schien es
mir Anfangs, — konnte leicht ausbleiben. Denn die wundervolle Präcision
Ihrer Darstellung hat eine mikroskopische Feinheit; die philosophischen
Augen gewöhnlicher Leser sind aber durch das gewaltige Streben, sich
deutlich zu machen, was seit dreyßig Jahren in allen Büchern dieser Art
herrscht, an die allergröbste Schrift gewöhnt. Und während ich meine
Metaphysik um zehn Jahre zurückgehalten hatte, um sie in Begleitung der
Naturphilosophie, ohne welche ich ihr gar kein Interesse zutraute, er-
scheinen zu lassen: fehlte in Ihrer Recension gerade dieser Hebel des
Interesse; daher ich mich fragen konnte, ob Ihnen gelingen würde, was
ich für waglich gehalten hatte?
1) 3 S. 2".
2) S. Bd. IX. S. 20.
246 Juli 1831.
Diese Besorgnis ist wohl einigermaßen gehoben. In den langen Re-
censionen, die wir gelesen haben, ist Ihr Name genannt. Daß man die
Uebersicht meiner Metaphysik bei Ihnen suchen soll, habe ich in meiner
Vorrede zur Encykl. gesagt; und in diesem Puncte wird man mir nun
wohl folgen, sofern man überhaupt || von mir Notiz nimmt. Die Anregung
dazu wird durch meine Encykl. — die so leicht geschrieben ist, daß man
sie in ein paar Nachmittagen bequem durchlesen kann, — noch merklich
verstärkt werden. Selbst das schlechte Volk, was nämlich meinen trefflichen
sehr geistreichen Collegen Sachs mit mir entzweyen wollte — Sie werden
davon im Intell. blatt der Hall. Z. lesen, — trägt, ohne es zu wollen,
dazu bey, eine mir günstige Publicität zu bewirken. Unter solchen Um-
ständen wird hoffentlich Ihre Recension nicht verloren seyn; und dann
ist auch meine Metaphysik vor dem Vergessen geschützt, die, ginge sie
verloren, in den Hauptzügen aus jener Recension könnte wiederhergestellt
werden.
Vor der Cholera, die ohne Zweifel nach der Meinung hiesiger Aerzte,
sowohl Königsberg als Leipzig, und jeden andern Ort bis Lissabon er-
reichen wird — und die leider! in Polen ihre ganz[e] furchtbare Intensität,
wie in Ostindien, wieder erlangt zu haben schein[tj sind Sie hoffentlich
persönlich sicher, durch Jugend, Gesundheit und Leb[ensordnung]. Was
mich betrifft: so wohne ich hoch, und geräumig; und der hiesige Chef
der Gensd'armerie ist mein Miethsmann, so daß mein Haus den mög-
lichsten Schutz genießt. Aber meine Gesundheit zeigt sich diesen Sommer
auffallend schwächer als sonst; und es bedarf gar keines heftigen Stoßes,
mich umzuwerfen. Jedenfalls steht eine traurige Zeit bevor, wegen der
Sperrung und der großen Theurung. — Um darüber nicht tiefer als nötig,
in den Text zu gerathen, will ich mit etwas mehr Lustigem schließen; wovon
ich jedoch weiter Niemandem zu erzählen bitte. Vor ein paar Tagen
schickt mir einer meiner Collegen, der die Litteraturzeitungen zuerst empfängt,
mit der neuen Leipz. Rec. zugleich ein paar Berliner Blätter. Er selbst
hatte ein Blatt mit folgenden lakonischen Worten beigefügt: Gegenpulver
gegen Brandis „über Herb, recipe Hegel über Ordert.'* Dieser Ohlert ist
nämlich ehemals mein Zuhörer gewesen1), ist jetzt außer einem Schulamte
noch doctor legens, hat neben mir einen mäßigen applausus; hat kürzlich
ein Buch, betitelt Idealrealismus, im Wesentlichen gegen mich geschrieben.
Dies Buch findet nun Hegel für gut, selbst, und vielfach lobend, zu recen-
siren. Ich habe das Buch nicht gelesen; aber ein paar andre Docenten,
beyde ehedem auch meine Zuhörer, übrigens sehr ruhige Köpfe, versichern,
das Buch sey völlig gehaltlos; und könne nicht einmal für irgend be-
deutend selbst im Dienste Hegels, angesehen werden. Hat Hegel mich
wirklich auf diesem Wege treffen wollen, so ists ein Misgriff, was auch
weiter erfolgen möge. — Mich werden Sie, wenn ich leben bleibe, all-
mählich zur Pädagogik zurückkehren sehn. Da habe ich noch große Arbeit
zu verrichten, nämlich von der psychologischen Seite. Aber während ich
mich zum Arbeiten jetzt leidlich aufgelegt finde, fällt mir doch ein großes
]) Vgl. den Bericht Dinters: „das didaktische Institut bey Herrn Prof. Herbart
betr." 30. Jahrb. d. V. f. w. P. S. 190, in dieser Ausg. Bd. 15, S. 145.
Juli 1831. 2.1 7
Werk zu schwer; und nichts weiter als ein Fragment wird hei auskommen.
■ — Erfreuen Sie mich bald durch einen Brief; nichts Angenehmeres kann
mir überbracht werden. H.
[Randbemerkung:] Ein Geistlicher, der mich gestern besuchte, um,
wie er sagte, sichs gewiß zu nehmen, daß er mich noch einmal sähe, be-
vor ihn vielleicht sein Amt zu gefährlichen Tröstungen berufe: erzählte
mir, die Cholera sei in Riga, von wo sie nach Danzig kam, wochenlang
aus Gewinnsucht verheimlicht worden! — Man trägt sich aber mit einem
Gerücht, als hätte Oestreich, veranlaßt durch die Gefahr der Cholera, die
offenbar durch den polnischen Krieg immer furchtbarer wird, auf Ver-
mittelungen angetragen, die (so heißt es) insbesondre von unserm Könige
sollten unternommen, wenigstens ihm übertragen werden. Relata refero.
372. Drobisch an H.1) Leipzig d. 29. Juli 1831.
Hochverehrter Gönner und Freund! Zwei, Gott sey Dank, noch nicht durch-
stochene und durchräucherte Briefe Ihrer werthen Hand liegen vor mir, ein kurzer
heiterer und ein längerer mit. etwas Cholerageruch. In der That ich kann mir Ihre
gerechte Besorgniß wohl denken, fühlen doch wir in Leipzig sie schon, wenn auch
in minderem Grade. Posen ist schon nahe genug, Frankfurth, wo sie, nach gestrigen
Privatnachrichten, ausgebrochen seyn soll, Hegt noch näher; Prädisposition scheint
genug vor Händen zu seyn, denn vor 6 Tagen ist in Alt-Jaßnitz bei Düben, also
etwa 4 Meilen von hier, ein Schenkwirth unter Symptomen nach kurzem Erkranken
gestorben, die der asiatischen Cholera sehr ähnlich sind. Übrigens schleppen sie uns
unsre Messen früher oder später sicher zu : denn die Vorsichtsmaßregeln lassen
sich nicht aufs Einzelne ausdehnen. Leipzig ist dicht bevölkert, hat manche enge
Straßen und Gäßchen, kellerartige Höfe, in den Vorstädten zumal viel armes Volk;
die Lage ist etwas sumpfig, die Gefahr also nicht unbedeutend. Ich selbst wohne
zwar im 3ten Stocke, aber nicht im höchsten Stadttbeil, das Haus, das ich bewohne,
hat in seinen weitläufigen Hintergebäuden viel arme Familien ; in den Messen kehren
in unsrer Straße viel Juden ein, das sind bedenkliche Umstände. Der Unterleib ist
übrigens meine schwache Seite, ich habe schon mehrere Jahre Mineralwasser brauchen
müssen, ich leide an Leberbeschwerden und bin schon zu den Zufällen der europä-
ischen Cholera geneigt: ich bin also keineswegs vorderasiatischen sicher — und dann
Gott befohlen ! Indeß fürchte ich mich nicht und beängstige mich nicht durch un-
zeitige Phantasien. Ein mäßiges Leben, das ich stets geführt habe, soll ein gutes
Schutzmittel seyn. An Anstalten aller Art wird es hier nicht fehlen, nur vor dem
Sperren der Häuser fürchte ich mich, da ich tägliche Bewegung in freier Luft ge-
wohnt bin und leicht dadurch krank werden könnte. — Doch hinweg mit diesen
Möglichkeiten, lassen Sie, Verehrtester, uns alles ruhig abwarten, da einmal zu
handeln nicht vergönnt ist. Wo dies letztere statt findet, da müssen wir, dünkt mich,
unsre Schicksale der Vorsehung ganz anheim stellen.
Sie fürchten, die oberflächliche Recension in der Leipziger Lit. Zeit, müsste
mich verdrossen haben; ich habe sie belacht, oberflächlich, wie sie's verdiente, ge-
lesen, diese Papelei verachtet und auf die Seite geworfen. Dieses Reden von un-
bedeutenden Nebenumständen, diese Klatscherei, hat die Philosophie herunter und
in Mißcredit gebracht. Wer aber Ihre Schriften lesen kann, der weiß, daß es etwas
Besseres giebt. Mich soll dios nicht anfechten. Seit dem ich Ihre Metaphysik studirt
l) 2l/2 S. 4». H. Wien.
248 Juli 183 1.
habe, bin ich wieder gläubig, d. h. ich habe wieder lebendige Hoffnung, daß durch
Gründlichkeit in philosophischen Dingen auch Gewißheit zu erlangen ist, ich glaube
auch nun eher etwas an mich selbst, nämlich daß ich nicht unberufen bin, mich
mit diesen Forschungen zu beschäftigen. Nur meine äußere, auch von Ihnen er-
wähnte, Stellung veranlaßt mich, der Mathematik mehr Zeit und — leider oft frucht-
lose — Bemühung zuzuwenden, als ohne diese Umstände geschehen könnte. Ohne
mir es möglich denken || zu können, daß es Gottes Wille seyn sollte, in der heran-
nahenden Gefahr Sie von dieser Welt abzurufen , von dessen Stehen und Fallen
jetzt so viel abhängt; so gebe ich Ihnen doch hiermit mein treues, redliches Wort:
Sollte ich jemals Sie überleben und bis dahin kein Stärkerer als ich aufgetreten seyn,
der Ihre Forschungen zu erläutern, zu prüfen, fortzuführen Hoffnung machte, so
wird es mir heilige Gewissenssache seyn, mich Ihrer Angelegenheit mit aller Kraft
anzunehmen, Ihre Lehre schriftlich und mündlich zu fördern und weiter zu über-
liefern und das Geschmeiß zu verjagen, das Ihren Namen zu verunreinigen Lust be-
zeugen möchte. Ich schlage also ein auf die mir zugedachte Erbschaft; wolle Gott,
daß noch viele Jahre vergehen, bevor sie mir zufällt, wenn anders ich Sie über-
lebe. Daß, wenn nur einigermaßen die Umstände günstig sind, künftig Philosophie
meine Hauptbeschäftigung werden wird, daran glaube ich täglich mehr.
Was Sie mir dankend über die Jen. Recension sagen, ist mir zwar ein höchst
schätzbares Zeugniß Ihrer Zufriedenheit, doch waren die kurzen Äußerungen über
jenen Versuch in Ihren früheren Briefen mir schon völlig genügend, da ich daraus
erkannte, daß ich Sie einigermaßen zufrieden gestellt hatte. Sie thun mir aber Un-
recht, wenn Sie hinweisen, daß mir an Ihrem Danke oder öffentlichem Lobe meiner
Bestrebungen nichts gelegen sey, wie wenig müsste ich Sie dann schätzen. Doch
es bedarf kaum einer Entschuldigung von meiner Seite , da das Nachfolgende deut-
lich zeigt, daß ich von Ihnen nicht mißverstanden worden bin. Ich freue mich
daher auch um dieser Vorrede willen auf Ihre Encyklopädie.
Sie scheinen einer Recens. Brandis von Ihrer Metaphysik zu erwähnen. Wo
steht denn diese? Sollte ich sie übersehen haben? Über Philosophie rede ich frei-
lich fast mit Niemand, auch lese ich nicht alle literarische Blätter. — Ihre Paraden
in der Hall. Lit. Zeit, habe ich gelesen.
Mein und meiner Familie Befinden ist jetzt ganz erwünscht. Wir wohnen auf
dem Lande, 3/4 Stunden von der Stadt. Dies hat auf Frau und Kinder vorteil-
haften Einfluß. Auch mir bekommt die 4 malige starke Bewegung, die durch den
Weg nach der Stadt wöchentlich zu machen ich genöthigt bin, recht gut. Kommt
nun die Cholera, so kann" ich mir wenigstens sagen, für mich und die Meinigen zur
Stärkung der Gesundheit auch noch diese Vorkehrung getroffen zu haben. Eben
als ich im Begiiffe bin, diesen Brief zu schließen, erhalte ich die Nachricht, daß
der furchtbare, asiatische Gast nun auch bei Ihnen in Königsberg eingerückt ist.
Der || Himmel nehme Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin in seinen Schutz. Möge
mir bald ein Brief Ihr ferneres Wohlbefinden melden. Versichern Sie Ihrer Frau
Gemahlin meiner und meiner Frau aufrichtigste Hochachtung und erfreuen Sie ferner
mit Ihrem Vertrauen und Ihrer Freundschaft
Ihren wahren Verehrer Drobisch.
N. S. Die Abhandlung de horiz. sphaeroid. lag Ihnen zu weit, als daß Sie sich
näher damit hätten bekannt machen sollen, das sah ich wol voraus. Jetzt aber
schreibe ich eine kleine Flugschrift betitelt: Philologie und Mathematik als Gegen-
stände des Gymnasialunterrichts betrachtet, mit besonderer Beziehung auf Sachsens
Gymnasien und deren nothwendigen Reformen.
August 1831. 249
Davon werde ich mir eine Recension ergebenst ausbitten; es ist ein Schrei,
ein Notschuß. Wird jetzt, wo Lindenau an der Spitze unseres Ministeriums steht,
nichts für das ernste Studium gethan, so geschieht niemals etwas. Eine tiefsinnige
Denkschrift] werden sie nicht erwarten; es ist leichte Waare, berechnet bei Welt-
leuten Absatz zu finden, Staatsmänner und Stände für die Sache zu gewinnen.
Die Absicht findet gewiß Ihren Beifall, ich rechne auch auf Ihre öffentliche ge-
neigte Unterstützung derselben, sollten Sie auch im Einzelnen noch soviel zu tadeln
für nöthig finden. Dr.
373. Jäsche an H x) Dorpat den 10/22 1. August 1831.
Verehrungswerthester Herr Professor! Mit Vergnügen benutze ich eine sich
mir soeben darbietende Gelegenheit, da ein bisheriger Studiosus der Medicin, welcher
unsere Universität frequentiert, über Königsberg nach Berlin an die dortige Hoch-
schule sich begibt, um durch denselben Ihnen, mein Verehrtester! diese kurze Zu-
schrift zu überreichen, welche Ihnen zugleich meinen verbindlichsten, bis jetzt noch
immer schuldig gebliebenen Dank für die Belehrungen bezeigen soll, welche Sie mir
vorläufig in Ihrem letzten geneigten Schreiben über einige wichtige praktische
Hauptpuncte mitzutheilen die Güte gehabt haben. Noch bin ich nicht zum Besitze
Ihrer Encyklopädie gekommen, woran wohl die derzeitige Störung und Hemmung
des litterarischen Verkehrs durch die Buchhandlungen die Schuld tragen mag. In-
zwischen sind unsre akademischen Sommerferien zur Fortsetzung und zugleich zur
Revision meiner unter den Händen habenden schriftstellerischen Arbeit bestmöglichst
von mir benutzt worden, so daß ich damit nun bald zum Schlüsse gekommen seyn
werde. Nur treten jetzt leider! der öffentlichen baldigen Erscheinung des Buchs
Hinderniße in den Weg, die mich wider mein Vorherwissen und Wollen nöthigen,
das Mscr. so lange noch zurückzuhalten, bis es mir nach hoff entlichem Wieder-
eintreten günstigerer Zeitumstände gelingen wird, einen Verleger ausfindig zu
machen. Auf meine dieserhalb zuerst an Perthes in Hamburg, hierauf an einen und
den andern Breßlauer Buchhändler ergangene Anfiage, ist mir eine abschlägige
Antwort ertheilt worden, aus solchen von ihnen angeführten Gründen, die gerade
sich auf die dermaligen, für den litterarischen Handel und Verkehr so nachtheiligen
Zeitereigniße und Verhältniße beziehen ||. Hierzu kommt nun noch die zu Ver-
hütung weiterer Verbreitung der Cholera, jeder Sendung, auch von Mscr., an aus-
ländische Buchhandlungen, aus hiesigen Gegenden gemachte Schwierigkeit. — Sie
sehen hieraus, Verehrtester Herr Professor! daß es nicht an mir liegt, wenn durch
die Ungunst derzeitiger Umstände die Erscheinung einer Schrift verzögert wird, von
welcher ich recht sehr wünschen muß, daß sie nur nicht ganz hinter Ihrer im
Voraus davon gefaßten günstigen Meinung und Erwartung zurückstehen möge. An
meinem redlichen Bestreben habe ich es wohl freilich nicht fehlen laßen, um auch
meinerseits, so viel meine Kräfte und Einsichten es vermögen, zur Aufhellung und
Entkräftung des über Hand nehmenden speculativen Grundirrthums etwas beyzu-
tragen. Und zu diesem Zweck sind mir — ich kann es Ihnen nicht oft und dankbar
genug wiederholen — die Resultate Ihrer ernsten und sorgfältigen, mit so seltenem
Scharf- und Tiefsinne angestellten und mit aller Klarheit durchgeführten Unter-
suchungen ungemein nützlich und belehrend geworden, ganz besonders in Beziehung
auf diejenigen wichtigen Hauptpuncte, worüber wir gleich Anfangs mit einander ein-
verstanden waren. Was Sie mir, verehrtester Herr Professor, neuerdings in Ihrem
letzten geneigten Schreiben über einige Hauptgedanken aus dem Inhalte Ihrer Ency-
*) 3 S. 4°. H. Wien.
2 SO August 183 I.
klopädie mitgetheilt. hat mein ganzes Nachdenken in Anspruch genommen und mich
lebhaft angezogen; und ich warte nur Ihre Encyklopädie ab, um nach erlangter
näherer Bekanntschaft mit der darin enthaltenen weitern Ausführung jener wichtigen
praktischen Hauptsätze, meine, das Wesentliche betreffende beyfällige Ansicht und
Ueberzeugung zu Ihrer Beprüf ung, ob ich Sie auch überall und ganz richtig ver-
standen, darlegen zu können. So viel ist mir nun wohl bey dem öfter und mit er-
neuerter Schärfe gerichteteu Blicke auf die mancherley verkehrten speculativen
Tendenzen unsrer modernen Afterphilosophie nunmehr vollkommen klar und auf
entschiedene Weise gewiß geworden, daß eine jede sogenannte philosophische ||
Sitten- und Religionslehre, welche nicht die, von aller bloßen theoretischen Specu-
lation unabhängigen, wahrhaft praktischen Ideen und Urtheile über die Werth-
bestimmimgen zu ihrer festen Basis hat, und als ihre unbedingt gültige Norm an-
erkennt, von ihrem genommenen Standpuncte der Speculation als dem angeblich
höchsten und einzig gültigen, unvermeidlich in Mystik, oder bloße speculative Physik,
oder endlich in bloße speculative Logik sich verkehren und ausarten muß; wie wir
dieses ja auch an Fichte, Schelling und Hegel bereits erlebt haben. Diesen heil-
losen Verderbnißen des acht Sittlichen und Heiligen muß gesteuert werden, so wenig
sich auch für den Augenblick hoffen läßt, die verblendeten und verstockten Köpfe
alle von ihrem speculativen fixen Wahn heilen zu können.
Mit dem Vorbehalte einer nächstkünftigen ausführlichen schriftlichen Unter-
haltung mit Ihnen, wozu ich mir schon im Voraus die Erlaubniß ausbitte, schließe
ich für dieses Mal mit dem innigsten Wunsche meines Herzens, daß diese Zuschrift
Sie wiederum in dem Zustande einer vollkommen hergestellten Gesundheit, und der
wiedergekehrten und neuerstarkten Lebenskraft und Rüstigkeit antreffen; und daß die
Vorsehung Sie nun insbesondre auch vor den Angriffen des feindseligen Dämons der
Cholera glücklich bewahren möge, welche ja auch schon, wie wir aus den Zeitungen
und Privatbriefen vernommen, in Ihrem Königsberg erschienen ist. Bis jetzt sind
wir hier in unserm kleinen und offen liegenden Städtchen noch ganz von der Seuche
verschont geblieben, die in Riga und Petersburg eine Zeitlang nicht geringe Ver-
wüstungen angerichtet hat. Leben Sie also, Verehrtester! recht wohl und in
ungestörter Geistes- und Gemüthsheiterkeit, unterstützt durch das wohlthätige Ge-
fühl unverminderten physischen Wohlseyns, zum Heil und Segen für die Wissen-
schaft in Ihrem weitern und nähern Wirkungskreise.
Mit der vollkommensten Hochachtung Der Ihrige Jäsche.
374. An Drobisch. l) Königsberg 26 Aug 31.
Die Furie wüthet fortdauernd; in vier Wochen hat sie ein Hundert-
theil unserer Bevölkerung ins Grab gestürzt. Auf die geringste Vernach-
lässigung in der Lebensordnung steht Todesstrafe. Häufige kleine Un-
päßlichkeiten treffen auch den Vorsichtigsten; ich bemerke manchmal
Säure im Magen. Dagegen sogleich Grütze, Kaffee, Camillenthee, etwas
Pommeranzenextract mit Wein, Vermeidung der Abendluft, — das hat
bisher mich und meine Hausgenossen erhalten. Mein Miether, Oberst
Zielinski, hatte schon einen Anfall, doch nicht deutlich; und in wenig
Tagen durch die gewöhnliche Schwitzkur überstanden. — Ihre zahlreiche,
dicht gedrängte Bevölkerung in Leipz. macht mir Sorge. — Die ersten
l) 3 S. 4°. Mehrfach stark beschädigt. Als Vorsichtsmaßregel gegen Ansteckung
durch die Cholera wurden die Briefe durchstochen und geräuchert, vgl. Anfang des
Briefes Nr. 372.
August 183 1. 251
Tage sind die schlimmsten. Volksauflauf wegen der ungewohnten
Sperrungen pp. verbreiteten hier das Uebel. Wenig discret hatte man
verbreitet, die Krankheit treffe meist die niederen Klassen; das ist wahr,
aber was war natürlicher, als daß nun eben diese niedern Klassen sich
eine teuflische Erfindung dachten, die gegen sie gerichtet sey? —
Möge Ihr Wort zur rechten Zeit für die Mathematik auf Gymnasien *)
nur bald erscheinen, und möchten Sie besonders der Bürgerschulen er-
wähnen, deren Erhebung zu eigentlichen hohen Volksschule?! unsern Ober-
präsidenten sehr stark beschäfftigt, und mit ihm auch mich! Wo soll ich
das Buch recensiren? Wählen Sie; und verlangen Sie nur von derjenigen
Redaction, die Sie passend erachten, man solle das Buch sogleich mir zur
Rec. übertragen. Ich denke, Ihre Leipziger Zeitung wäre in Bezug auf
das Sächsische Ministerium die geeignetste. Sollte bey dieser oder einer
andern Gelegenheit die Rede davon seyn, wie ich die Leipziger Rec.
meiner Metaph. aufgenommen habe, so ersuche ich Sie, zwar Ihr und
mein Urtheil darüber nicht zu verhehlen, aber auch bemerklich zu machen,
daß ich darüber keineswegs empfindlich bin (ich bin es wirklich nicht,
sondern entschuldige das Zeitproduct mit der Zeit), vielmehr vollkommen
anerkenne, daß die Leipz. Redaction sich unpartheyisch zeigen muß, und
daß der Rec. immerhin es herzlich gut meinen kann. Gut wäre es viel-
leicht, wenn er sich mir freywillig und privatim nennte; ich würde einer
Annäherung der Gesinnungen, wenn auch nicht der Meinungen, gern ent-
gegenkommen. Die lang vestgehaltene Anonymität paßt nicht sonderlich
zur heutigen Sitte; und sie könnte mich bey einem Manne, der doch
ohne Zweifel ein Ehrenmann seyn wird, fast befremden. ||
Daß bey mir die Psychologie wieder an der Tagesordnung ist, wissen
Sie schon. Die Rechnung über die zugleich steigenden Vorstellungen
(§ 93 meiner Psych) ist mir, was das Elementarische anlangt, leicht ge-
lungen; zur Untersuchung der Reihen habe ich einige abgekürzte Aus-
drücke für besondere Fälle gefunden; doch ist meine Untersuchung jetzt
■eigentlich nicht mathematisch, denn selbst für logische Analyse der großen
Mannigfaltigkeit vorkommender Fälle ist in der Psych, noch sehr viel zu
thun, was nicht leicht auf der Oberfläche gesehen wird, wenn es auch
nicht gerade feine Methoden erfordert.
Ein junger Mathematiker, Haedenkamp,*) hat sich in Arbeit gesetzt,
die Untersuchung der Reihen, oder eigentlich der mittelbaren Reproduction,
wo ich nur das dritte Differential in Rechnung genommen hatte, bis auf
Zuziehung des vierten zu erweitern.2) Er und der Braunschweiger
Strümpel kommen mir vor wie der Blinde und der Lahme in der Fabel,
*>
*) Randbemerkung Herbarts: Haedenkamp — zu seyner Ehre sey es gesagt, —
hat von Ihrer Abhandlung mit großer Achtung gesprochen. Einen Lehrsatz, den Sie
über das Ellipsoid aufstellen, will er kürzlich gelegentlich auch gefunden haben, auf
Anlaß einer andern, ihm von unserm Prof. Jacobi gestellten Aufgabe.
*) Philologie und Mathematik, als Gegenstände des Gymnasial-Unterrichts betrachtet
— Leipzig 1832. Vgl. Herbarts Kritik i. d. Hall. L. Z. 1832, 150 f. In dieser Ausg.
Bd. 13, S. 242 ff.
2) Haedenkamp, Herrn., 1809 — 1860, machte sich später einen Namen als Mathe-
matiker und Physiker. Vgl. Allg. D. Biogr. 10, 310.
2K2 August 1831.
— doch hoffentlich sollen beyde sowohl sehend als gehend werden, —
bis jetzt aber treibt Strümpel, der ein philosophischer Kopf ist, den Häden-
kamp zum Rechnen, was Str. selbst nun erst lernen muß; und so ver-
bunden pflegen sie mich zu besuchen, und hören auch jetzt in der Cholera-
zeit meine psychol. Vorlesungen, die ich für 4 fortsetzte, obgleich die
Vorlesungen . eigentlich geschlossen sind. — Sie stehen dabey im Hinter-
grunde, als derjenige, an den man sich in Gedanken anlehnt. — Sehr
gut wäre es, wenn die Frage wegen der Oscillation (in meinem §. 92)
einmal ernstlich und ohne Zeitungsgeschwätz könnte vorgenommen werden.
Haedenkamp ist schwerlich orientirt genug, um sie jetzt schon anzu-
greifen; und ich, — in dieser verstimmten Zeit, — traue mir auch nicht so-
viel, und habe Nöthigeres zu thun. Fährt aber der Haedenkamp fort,
wie er anfing, so möchte er wohl das Zeug dazu bald haben; und in
mathematischer Hinsicht hat er es, glaube ich, schon jetzt. (Ihre Ab-
handlung über die Horizonte habe ich ihm gegeben.) Irgendeinmal würden
wir dann um Ihre Revision bitten. In pädagogischer Hinsicht geht mein
Zweck eigentlich dahin, die mancherley Hinderungen zu untersuchen,
welche der psychologische Mechanismus dergestalt erleiden kann, daß er
an seiner || zweckmäßigen Ausbildung so oder anders verliert; denn unter
Voraussetzung einer vollständig richtigen Erziehung bleibt jeder Zögling
irgendwie hinter den erwarteten Erfolgen zurück; und es kommt darauf
an, die natürliche Verschiedenheit der Köpfe hinreichend zu erkenneny
um sich darnach zu richten. Zu diesem Behuf muß die ganze Psycho-
logie, soweit sie bis jetzt da ist, von neuem durchsucht werden; um selbst
in mathematischer Hinsicht die wichtigsten Fragepuncte heraus zu finden.
Haben Sie meine Encyklop. bekommen? Mich läßt man von Halle
aus nicht blos auf die auszugebenden Exemplare des Buches warten (ob-
gleich die Aushängebogen nun bald ein paar Monate lang in meinen
Händen sind,) sondern auch die längst erwartete Rec. von Brandis bleibt
aus. — Ueber die Encyklopädie werde ich Sie zwar nicht mit der Bitte
um eine Recension plagen, (so lieb es mir auch wäre, wenn irgend
eine Redaction Sie dazu vermöchte) aber Ihr Privat -Urtheil wünsche
ich, ganz unumwunden, zu erfahren. Nicht die geringste Empfindlichkeit
ist hier bey mir zu schonen; das ganze Ding ist Oberfläche; und eine
Tonne für die Wallfische um damit zu spielen.
Was soll ich doch von der ^Pallas" denken, die in Leipz. erscheint?
Kennen Sie den Herausgeber [ — ] und den Verleger Klein? Jener hat
mich in Berlin besucht, und jetzt mit einem höflichen Briefe [beehrt, ich] mag
ihn aber weder aus dem Besuch noch aus dem Briefe beurtheilen; in-
dessen scheints, als ob man [ — ] auf mich rechne. Ich weiß nichts klügeres
zu thun, als beyliegendes Blättchen dergestalt zu Ihrer [Disposition zu]
stellen, daß Sie es geradezu zerreißen, falls Ihnen der Buchhändler Klein
mit seinem literarischen Comptoir als ein Schwindler bekannt wäre; ver-
dient aber der Mann einiges Zutrauen, und muß ich nicht fürchten, mich
durch die Einlage zu compromittiren: dann würde ich bitten, es entweder
gelegentlich so wie es ist, an den Buchhändler zu weiterer Besorgung
abzusenden, oder mir zuvor einen Wink zu geben, was zu thun
sey. — —
August 1831. 253
So eben empfange ich Brandis Rec. meiner Metaphysik.1) Sie ist un-
streitig seiner würdig; so wie ich ihn kenne; — und günstiger durfte ich
sie von ihm nicht erwarten. Nun — was urtheilen Sie über seine und
meine Arbeit? Wo bin ich mit stark scheinenden, — oder wenn Sie wollen,
mit starken Gründen getroffen? — Diese Frage ist nun ernsthaft, denn
eine solche Recension darf nicht gering geschätzt — sie muß irgendwie
berücksichtigt werden. Hier wäre es mir eine große Hülfe, von Ihnen
aufmerksam gemacht zu werden, um nicht viele Worte zu machen, wo
wenige hinreichen; oder umgekehrt, übermäßig kurz zu scheinen, wo man
ausführliche Entwickelungen verlangen kann. Es fragt sich auch noch, ob
ich wohlthue, bald zu antworten, oder ob es besser ist, Andere reden zu
lassen. Gäbe es nur Andere Solche wie Sie und Brandis! Dann möchte
immerhin über meine Arbeit abgestimmt werden ; die Wahrheit würde sich
Bahn machen. Aber in diesen Zeiten, und vor diesem Publicum!
Der übelste Umstand für mich liegt darin, daß mir [ ] Metaphysik
schon längst sehr langweilig ist, so daß ich, ohnehin der Ruhe bedürftig,
mit Metaphysik mich gerade am wenigsten gern beschäfftige. Selbst das
[ ] war mir langweilig. Ja, hätten die Herren meine Naturphilos.
angefaßt! Aber gerade die Besten ziehen sich hier, leider! zurück. —
Doch bis jetzt konnte ich [ — ] nur sehr flüchtig ansehen. Ungenauigkeit
und Misverständnisse scheinen auch nicht zu fehlen. Diese Striche
bedeuten einen ganzen langen Brief, den ich indessen an Brandis ge-
schrieben habe, unter anderem über das Fichtesche Ich, was bey ihm
nachspukt. Nun verdoppele ich meine Bitte um ihr Urtheil. Am Ende,
fürchte ich, wird es bey dem Resultate bleiben, daß nur die Mathematiker
helfen können; nämlich positiv. Aber um die negative Hegel'sche Seite
im Auge zu behalten, dazu bietet Brandis ein unschätzbares Mittelglied.
Und wenn Sie mir helfen, — [wer] weiß, ob der durchaus redliche
Brandis nicht noch andres Sinnes wird? — Mit den besten Wünschen
für Sie und Ihre Frau Gemahlin
Hochachtungsvoll Ihr Herbart.
375. An Brandis.2) Königsberg 29 Aug. 1831.
Endlich, mein hochverehrter Freund! ist die lang erwartete Recension
in meinen Händen; und mir fällt ein Stein vom Herzen. Denn ich darf
doch nun wiederum an Sie schreiben; und brauche nicht mehr den Schein
einer unerträglichen Zudringlichkeit zu fürchten und zu vermeiden. Wahr-
lich; wenn diese Recension viel weniger gütig, viel weniger gehaltvoll
wäre, als sie wirklich ist, so würde dennoch das Gefühl der Dankbarkeit
für Ihre mir gegönnte Aufnahme in Bonn, und die Erquickung meines
innersten Herzens , die mir damals durch Ihre persönliche Bekanntschaft
zu Theil wurde, zu mächtig seyn, als daß ich länger die Frage zurück-
halten könnte: wie gehts Ihnen? Wie tragen Sie das Leben? — Sie
haben gelitten; ich möchte kommen und sehen, ob Sie Sich erhohlt haben?
x) Hallische Lit. Ztg., Aug. 1831, N. 141 — 145, abgedruckt in dieser Ausgabe
Bd. 8, S. 394 ff. Nur muß es in der Ueberschrift immer heißen: Prof. B. „in Bonnu,
statt: in Breslau.
2) 4 S. 4°.
254 August 1831.
— Nur auf eine Stunde möchte ich in Ihrer noch reinen Atmosphäre
mich selbst erhohlen können von dieser Luft, die man beym schönsten
Wetter drückend fühlt, von diesen ewig wiederkehrenden kleinen Unpäß-
lichkeiten, die selbst dem Gesunden die Cholera anzukündigen scheinen;
von diesen Trauer-Nachrichten und Kranken- und Todtenlisten, die uns
den besten Theil des Sommers ungenießbar machen. Möchte nur die
Furie nicht unaufhaltsam westwärts wandern; sie droht auch Ihnen; und
dann , mein theurer Freund ! werden Sie ein ängstliches Leben führen,
wenn Sie für Sich und die Ihrigen jeden Morgen und jeden Abend gegen
die kleinsten Unordnungen der Verdauung, und gegen die geringsten Er-
kältungen Wache stehen müssen! Möchte dieser Kelch an Ihnen vorüber
gehen! — Meine vorjährige Reise verjüngte mich; meine jetzige Existenz
macht mich älter als ich bin. Mir und meiner Frau und Allen die uns
hier werth sind, hängt fortwährend das Schwerdt an einem seidnen Faden
über dem Haupte. Doch muß ich noch arbeiten, — so gut die sehr
verdorbene Laune es erlaubt, — arbeiten, als hätte ich noch lange zu
leben!
Arbeit scheint auch Ihre Recension von mir zu fordern. Schweige
ich, so scheine ich entweder schwach oder übermüthig. Das erste wäre
die geringere Gefahr, und vielleicht ist sie nicht zu vermeiden, Das
zweyte aber liegt ganz nahe, muß man auf so viele schlechte Recensionen
schweigen, so ist um so mehr das Publicum berechtigt, zu verlangen, daß
einer sichtbar starken und gewichtigen, || mit der gar manche andre
Stimmen sich vereinigen werden, die gebührende Aufmerksamkeit öffentlich
entgegen komme. — Noch kann ich keinen Entschluß hierüber fassen.
Ihre Recension ist erst seit wenigen Stunden in meinen Händen; ich
muß sie sogleich zurückschicken, denn nur der gefällige Vorsteher meines
Journal- Cirkels hat sie mir zum ersten Ansehen vor dem Umlaufe, zuge-
sendet. Das Erste was mir auffiel, war, daß Sie, wie Drobisch, die
Naturphilosophie zur Seite gelassen haben. Weit entfernt, Ihnen das
zu verdenken, finde ich gleichwohl darin einen Umstand, der mir sehr im
Wege ist. Über zehn Jahre lang hatte ich die ausführliche Bekanntmachung
meiner allgemeinen Metaphysik bloß deshalb verschoben, weil ich meine
Arbeit an der Naturlehre von allen Seiten erproben — und weil ich auch
öffentlich nicht wie über theses disputiren, sondern die Gesammt- Auf-
fassung unseres ganzen Erfahrungskreises in Anspruch nehmen wollte.
Hierzu kommt, daß ich eben jetzt, seit dem Frühjahr, mit der Psychologie
von neuem beschäfftigt bin, und zwar in Bezug auf Pädagogik, die, wie
Sie wissen, praktisch und theoretisch zu meinem Handwerk gehört. *) Daß
darin ein großer Reichthum an neuen Hülfsmitteln des Erprobens, Er-
weiterns und Darstellen? liegt — wenn meine geschwächten Kräfte jetzt
auch nur eine Summe von Einzelheiten erreichen, die sich aber von selbst
in das längst fertige Ganze einfügen, — brauche ich kaum zu sagen.
Es kommt hinzu, daß ich endlich einige tüchtige Zuhörer, insbesondere
einen jungen Mathematiker gefunden habe, der mir hilft.
2) Bezieht sich auf die ,, Briefe ü. d. Anwendung der Psychol. auf die Päd.",
Bd. IX, S. 339 ff.
August 1831. 255
Wundern Sie Sich unter diesen Umständen nicht, wenn ich vielleicht
noch längere Zeit unschlüssig vor der Kluft stehen werde, die uns trennt.
Was ist diese Kluft? Ist es etwas anderes, als ein zauberischer
Schatten? — Das Vorstellende und Empfindende, was Sie bey mir ver-
missen, ist es ein Anderes als ein Riesenschatten des idealistischen Ich,
mit seiner FiCHTEschen reinen und unreinen Thätigkeit und seinem gesetz-
losen Umhertanzen, unter hundert verschiedenen Reflexionspuncten ? —
Sie vermissen Übergänge, wo ich nicht das Geringste einschieben kann.
Wie ist es Ihnen möglich geworden, sovieles treffend darzustellen, ja so
Viel gelten zu lassen, wenn hier, wo meine ältesten , all ersorgfältigsten
Untersuchungen mit dem Detail, was mich jetzt ganz neuerdings beschäftigt,
genau zusammenpassen, bey Ihnen von einem Mittelpunct die Rede ist,,
der höchstens von der stärkeren Vorstellungsmasse könnte || überwältigt
werden. — Kann denn die Substanz von ihren Accidenzen überwältigt
werden? Ist hier irgend ein Verhältniß wie zwischen Gegnern denkbar?
Lassen wir doch die Vorstellungsmassen allein in ihrer Wechselwirkung.
Sie werden sich schon verbinden oder hemmen; aber setzen wir doch ja
nicht wieder das alte Fichtesche Ich, als ob sein Thun noch irgendwie
dazwischen kommen könnte, in die Stelle der Seele. Allerdings ist die
Seele thätig, und mannigfaltig thätig; aber diese Thätigkeit — ist ein viel-
deutiges Wort. Sondern wir doch zuvörderst, wenn auch nur versuchs-
weise, — erst einmal als Irrthum diejenige vermeinte Thätigkeit rein abr
welche aus dem Grunde der Seele etwa noch neben und außer den Vor-
stellungen hervorschießen soll ; denn so lange meiner Psychologie die Ehre
erwiesen wird, daß von Ihr die Rede ist, giebt es in ihr schlechterdings
nichts Thätiges in der Seele außer ihren Vorstellungen. Dann aber wird
die Thätigkeit der Seele in ihren Vorstellungen noch immer ein ver-
führerisches Wort bleiben, solange wir diesem Worte nur Einerley Sinn
geben, oder solange wir mit bloßem Coordiniren mehrerer Thätigkeiten
fertig zu werden glauben. Die Seele stellt vor; aber die Vorstellungen
sind nun da, sie sind einander in der einen Seele unmittelbar gegen-
wärtig, sie brauchen keinen Zwischenraum mehr zu durchlaufen, um ein-
ander zu erreichen. Sie greifen also schlechthin ohne weitere Vermittelung
in einander ein; — aber auf die mannigfaltigste Weise, weil ihre eigene
gegenseitige Hemmmung nur partielle Verbindungen zuläßt. Dadurch
kommen sehr verschiedenartige Producte zu Stande, deren Grund anzu-
geben uns das Wort Thätigkeit gerade so wenig hilft, als das vieldeutige
Wort Leben, welches hier einer Pflanze, dort einem Elephanten, dort
einem sittlichen Gefühl zugeschrieben wird, zum Zeichen, daß es nichts
ist als ein weiter Sack, der auch das verschiedenartigste in sich aufnimmt.
— Daß ich in dem eben Gesagten den Streitpunct treffe, bezeugen mir
Ihre Worte: — — ,, könnten wir uns gefallen lassen, wenn nur der
Träger der verschiedenen Massen mehr als ein bloßer Mittelpunct war."1)
Was soll ich nun bitten? was rathen? Erlauben Sie folgende Bitte: da
Ihnen der bloße Mittelpunct lästig ist, so schieben Sie diesen Punct ganz
aus der Mitte heraus. Machen Sie ihn zu einem Grunde, — meinet-
l) Vgl. Bd. VIII, S. 410.
2$b August 1831.
halben fürs erste zu einem bloßen Grund- und Boden. So wird doch
dieser Erdboden sich nicht selbst in die Mitte der Pflanzen stellen können,
die auf ihm wachsen sollen. Sie werden ihn also auch nicht mehr be-
schuldigen, daß er hier, wo er nicht ist, eine schlechte Rolle spiele.
Freylich würde er sie spielen, wenn er da wäre. Aber er leistet genug,
indem er die Pflanzen, die in ihm wurzeln, jede nach ihrer Art wachsen
läßt; mögen sie sich dann ineinander verschlingen, wie sie selbst, ihrer
Natur nach können. Daß sie sich verschlingen, wird nur möglich durch
den Boden worin sie stehen, denn ohne ihn würden sie welken; aber um die
Art des Verschlingens, Rankens, Stutzens, Erdrückens, kümmert der Boden
sich nicht weiter. || Hier sprach ich von der Seele, also der Substanz.
Hingegen vom Ich würde ich mit Ihnen sagen, es sey ein Mittelpunct,
der sich oft von Vorstellungen überwältigen lasse (in Vertiefungen des An-
schauens und Denkens); eben weil er selbst nichts weiter als Product aus
Vorstellungen ist. Darf ich noch etwas hinzusetzen, so ist es dies, daß ich
aus langer Erfahrung die Arbeit kenne, die es kostet, sich von dem alten
Vorurtheil des Seyenden als einer Kraft, welche unwillkührlich auf die
Seele übertragen, und durch alle mühsam gewonnenen, daher schwer zu
verlassenden, idealistischen Übungen verstärkt wird, dergestalt loszureißen,
daß man inne werde, wie frey man sich im Denken bewegen kann, wenn
man es erst losgeworden ist. Die Kraft würde ewig mit sich selbst im
Streit liegen; die verschiedenen Vorstellungsmassen streiten höchstens
unier einander', wie es der Erfahrung gemäß ist; und sie streiten mit
wechselnden Erfolgen, während jene Kraft stets sich selbst gleich, und
entweder eine ewige Harmonie mit sich selbst, oder ein ewiger Wider-
spruch seyn müßte. Aber wir leben weder im Himmel noch in der
Hölle, sondern auf der Erde; und da geht es bekanntlich bunt zu. Für
all dies Bunte muß in der Psychologie Platz seyn.
Sehr aufgefallen ist mir Ihr „fremder Vorgänger in der Amtsführung". *■)
Ey wie, wenn er nicht fremd ist? Ihr eignes Beyspiel könnte zurück-
schlagen: oder besser, es erläutert mehr als sie wollen. Haben Sie die
Güte, einmal bey guter Muße neben das Ich einen nahen Verwandten zu
stellen, nämlich das Wir. Sie werden da einen reichen Stoff zu Be-
trachtungen finden. Die Fichtesche Einseitigkeit kannte kein Wir. Aber
Patriotismus, Familienliebe, Freundschaft, kennen das Wir bis zum Ver-
gessen des Ich; und darin liegen sehr wichtige psychologische Thatsachen
verborgen, welche bezeugen, daß nicht um jedes Ich eine Rinde ge-
wachsen ist, — so wenig eine, als einerley. Lessing sagte mit Recht: ich
verlange nicht, daß allen Bäumen Eine Rinde wachse. Auch das Wir
ist vielförmig; und bildet sich nach den Lebensumständen.
Eben mußte ich das Journal fortschicken, und nun sind Sie sicher,
daß ich nicht fortplaudere, das erste beste was mir einfällt, wie bisher.
Die Hauptsache ist: Sie haben Sich um mich ein großes Verdienst er-
worben, indem Sie meine Arbeit mit einer höchst anständigen Opposition
ins Publicum geleiteten. Mehr kann eine Metaphysik heutiges Tages
nicht verlangen. Ja für die Publicität ist kaum mehr zu wünschen; denn
*) S. Bd. VIII, S. 411, ZI. 6. v. o.
Oktober 183 1. 257
ein beyfälligeres Urtheil würde den prüfenden Recensenten vermissen lassen.
Sie haben mir ein Geschenk von höchstbedeutendem Werthe gemacht, das
um desto mehr zu schätzen ist, je mehr Überwindung es kostet, über
eine Arbeit, die man im Grunde misbilligt, so ausführlich und doch so
gefällig zu sprechen. Sie haben das große Gewicht Ihrer historischen
Gelehrsamkeit gar nicht in die Wagschale geworfen; Sie haben jede Ab-
schweifung ins Praktische, rein vermieden; Sie haben dagegen die wesent-
liche Verbindung der Metaph. und Psychologie berücksichtigt; und Streit-
puncte hervorgehoben, die Jedermann als Hauptmomente anerkennen
muß. Nach vielen schlechten Beyspielen haben Sie ein Muster aufgestellt,
das nicht bloß für Andre schwer zu erreichen ist, sondern auch für mich!
Helfen Sie mir nun noch, die rechte Form der öffentlichen Erwiederung
zu finden. Darum bitte ich, aber ganz besonders um Nachrichten von
Ihnen Selbst und von Ihrer Frau Gemahlin.
Herbart.
Ihrer Frau Gemahlin bitte ich mich angelegentlichst zu empfehlen.
— Da begegnet mir noch einmal ein höchst ehrwürdiges Wir. Und
Ihren Kindern wünsche ich kein abgesondertes Ich; Sie Selbst werden
tagtäglich dagegen arbeiten; was auch die Theorie dazu sage. Meine
Frau würde ohne mich zwar fortleben; aber mit zerrissenem Gemüthe.
Ergreift mich die Cholera, so seyen meine Untersuchungen mit altem
Vertrauen Ihnen empfohlen, wenn sie auch für Sie nur eine historische
Existenz haben. [Am Rande.]
376. An Naße. x) Königsberg 24 Octob. 31.
Hochwohlgeborener Höchstgeehrter Herr geheimer Rath! Sie werden
zwar dies Blatt ohne Zweifel durchstochen finden, doch hoffentlich nichts
von giftigem Dunste darin fürchten. Denn als Arzt werden Sie hin-
reichend berichtet seyn, daß die Cholera, wenn ja zuweilen ansteckend
am Krankenbette, doch von pestartiger Ansteckung durch Papiere aus ge-
sunden Händen durchaus nichts weiß. —
Aus den beyden Nachbarhäusern am Rhein, wohin meine Erinnerung
so gern zurückkehrt, sind mir kurz nacheinander literarische Geschenke
zu Theil geworden, die ich beyde lebhaft und aufrichtig verdanke, jedoch
nicht ganz auf gleiche Weise. Denn der eine Dank ist rein, der andre
etwas getrübt. Und ich bin ganz nahe veranlaßt, beyder zugleich zu ge-
denken, da die Puncte, über welche zwischen Hr. Pr[ofessor] Brandis und
mir Mishelligkeit ist, fast ganz zusammentreffen mit dem, worüber Sie und
ich übereinstimmen.
Diese Übereinstimmung darf ich Ihnen, in Beziehung auf Ihren mir
gütigst zugesendeten Aufsatz, den Beyträgen pp. aus Henkes Zeitschrift,
x) 4 S. 40. Der Adressat dieses Briefes ist der auch im Brief v. 13. Febr. 32
genannte Professor der Medicin Fr. Naße in Bonn. Das geht unzweifelhaft aus dem
Folgenden hervor, wo H. sich auf den in Henkes Zeitschrift für Staatsarzneikunde
Bd. XXII, S. 1 abgedruckten Aufsatz von Naße bezieht. Derselbe ist betitelt: Bei-
träge zur gerichtsärztlichen Begutachtung zweifelhafter psychischer Zustände. Anm. von
K. G. Brandis.
Herbarts Werke. XVII. 17
258 Oktober 183 1.
um desto bestimmter bezeugen, da ich während der unfreiwilligen, langen
Sommerferien, welche die Cholera veranlaßte, meine Psychologie von neuem
revidirt, bestätigt und einigermaßen erweitert habe. Sie durften meines
Erachtens sogar noch vester auftreten. Nicht bloß die Affection des
Willens ist secundär, sondern der Wille selbst. Nicht bloß die Compli-
cation, in der wir unseres Ichs uns bewußt sind, ist wechselnd, sondern II
die ganze Ichheit ist eben nichts anderes als Complication und Product
aus Vorstellungen. Was den Willen anlangt, so können wir ihn der
Spannung eines ßogens vergleichen; folgender Parallelismus bietet sich dar:
Substanz der Seele Vorstellung Wille.
Kohlenstoff u. s. w. Holzfasern Spannung des Bogens.
Wenn nun die Spannung des Bogens leiden soll, so haben die Holzfasern
oder deren Construction gelitten; der Kohlenstoff u. s. w. woraus das
Holz besteht, ist aber die nämliche Substanz geblieben. Aber von einer
kranken Spannung des Bogens zu reden, die etwas für sich seyn sollte,
das nicht irgendwie in den Holzfasern läge, ist thöricht; und ebenso wenig
giebt es Krankheiten des Willens, oder Atonie des Willens, für sich allein,
als ob der Wille noch etwas anderes wäre, als eine Spannung in den
Vorstellungen. Leider aber können Manche, wie es scheint, gar nicht dar-
über hinaus, sich die Vorstellungen zu denken als Bilder. Sie vergessen
das Vorstellen, sie vergessen die Beharrlichkeit und Energie der Kennt-
nisse, Meinungen, Überzeugungen, die eben nichts andres sind als ver-
knüpfte und in der Verknüpfung von früher Jugend bis zum späten Alter
beharrende, anwachsende, wirkende Vorstellungen.
Sie, verehrtester Herr geheimer Rath, werden Sich das größte Ver-
dienst um die gesammte Philosophie erwerben, wenn Sie vermöge Ihres
reichen Schatzes von Erfahrungen die alte Psychologie berichtigen. Ihnen
hat der Wahnsinn gesagt, was mir die Speculation über den gesunden
Menschen. Sie bemerken ganz treffend, der Irre könne Schaam, Ehr-
furcht, Gewissen, Religion zeigen. Sie konnten hinzufügen, || daß der Irre,
wenn er Logik gelernt hat, selbst diese nicht vergißt, sondern Schlüsse in
optima forma vorträgt, um seinen Irrwahn zu vertheidigen.
Möchte Ihr trefflicher Aufsatz von Brandis gelesen werden, der mich
wirklich in Verlegenheit setzt. Seine Rec. meiner Metaphysik in der
Hallesch. L. Zeitung regt alle meine näheren Bekannten auf; eben weil
sie bey allen Kennzeichen einer höchst ausgezeichneten Recension doch
die offenbarsten Misverständnisse enthält. Einer kommt nach dem andern,
mir zu sagen: „Sie müssen antworten". Das Antworten ist leicht; aber
auch das Auftreten gegen den Mann, der mich persönlich mit größter
Güte in Bonn aufnahm? — Er selbst, als höchst geübter Historiker, wird ein-
sehen müssen, daß er in meine Metaphysik einen Idealismus hineingetragen
hat, der mir völlig fremd ist; und daß er die Vorstellungsmassen, von
denen ich rede, getrennt hat, als lägen dieselben in verschiedenen Seelen,,
oder als wäre die Seele ein Gebäude mit undurchdringlichen Zwischen-
wänden. Und das schlimmste ist, daß er eine Verständigung privatim
durch Briefe zu verschmähen scheint. Doch an diesem Scheine ist viel-
leicht die Cholera Schuld; er schreibt vielleicht nur darum nicht, um nicht
Antwort aus einer inficirten Stadt zu bekommen. Kein Wunder bey ihm,
Oktober 1831. 25Q
der nicht Arzt ist. Aber in diesem Augenblick ists ein übler Umstand.
Lange warten darf ich nicht; und eine Form der Antwort zu finden, die
einerseits der Sache, andrerseits den freundschaftlichen Rücksichten genüge,
ist schwer.
Möchten Sie beyde, die nächsten Nachbarn, Sich unter einander ver-
ständigen! Wäre Br. ein steifer Systematiker, so würde ich nichts hoffen;
aber er ist der redlichste und ein höchst gebildeter Mann; er wird nicht
taub seyn gegen die Stimme Ihrer Erfahrung, Mit Herrn Hitzig1) in
Berlin, durch dessen Hände, wenn ich nicht irre, Ihr Aufsatz gegangen
ist, || steht die Sache etwas schlimmer. Diesen Herrn besuchte ich in
Berlin, aber er schien es eben nicht der Mühe werth zu finden, auf mich
zu hören. In meiner Encyklopädie habe ich ein Heft seines Journals an-
geführt; er wird, wenn ihm das Buch in die Hände kommt, nicht sonder-
lich mit mir zufrieden seyn; allein ich fand hier auch keine besonderen
Rücksichten zu beachten. Meine Jahre erlauben mir nicht, jetzt noch viel
Umstände zu machen; was ich zu sagen habe, muß heraus gesagt werden,
solange es für mich noch Tag ist.
Ihnen meine Encyklopädie zu schicken, habe ich nicht gewagt; sie
ist für Sie zu populär, und kann eher den Theologen und Erzieher inter-
essiren, als den Physiologen. Vielleicht wird sie dennoch, um als Gegen-
geschenk meinen Dank zu bezeugen, um gütige Aufnahme bitten, wenn
sie sich auch etwas verspätet hat.
Wollen Sie diesen Brief einer Antwort würdigen, wodurch Sie mich
ungemein verbinden würden, so bitte ich zugleich um einige Nachricht
von Hüllmann und Delbrück,2) — auch von Bobrick, von dem ich fast
so lange, als ich von Bonn abreisete, gar keine Nachricht habe. Meiner-
seits mag ich nicht fragen, was mein ehemaliger Zuhörer jetzt treibt, da
ein solcher gewöhnlich seinen eigenen Weg gehen will, worin ich mich
nicht mengen darf.
Meine Frau und ich haben noch eine bittersüße Erinnerung an den
Abend, den wir bey Ihnen froh zubringen — sollten, und leider nicht
konnten. Denn das Unglück wollte, daß meine Frau krank war, und ich
an heftigen Augenschmerzen litt. Der Abend ist uns mehr als alles Andere
auf unserer Reise verunglückt; ohne irgend Jemandes Zuthun. Haben
wir undankbar geschienen, so waren wir es doch keinesweges; vielmehr
kann ich mit größter Aufrichtigkeit Sie und Ihre Frau Gemahlin bitten,
noch jetzt die Bezeugung unsres dankvollsten Andenkens gütig entgegen-
nehmen zu wollen. Mit vollkommenster Hochachtung der Ihrige.
Her bar t.
18. Nov.: Bericht über das Seminar. XV, S. 70 — 72.
*) Hitzig, Julius Eduard, geb. 1780, -j- 1849, berühmter Kriminalist und in
weitesten Kreisen bekannt als Freund von E. T. A. Hoffmann, Zacharias Werner und
Ad. v. Chamisso, deren Lebensbeschreibung man Hitzig verdankt. Die von Herb, an-
gezogene Stelle seiner Encyklopädie gegen einen Aufsatz in Hitzigs Zeitschrift für
preuß. Kriminalrechtspflege findet sich in Bd. IX, 159 als Zusatz zum § 122 der Ausg.
von 1831. Anm. von K. G. Brandis.
2) Die bereits erwähnten früheren Kollegen Herbarts, die von Königsberg nach
Bonn berufen worden waren.
17*
25o November 1831.
377. Reichhelm an H.1) Berlin den 16 Novbr. 1831.
Mein sehr verehrter Freund! Wenn Sie diese Zeilen erhalten, werden Sie aus
den Zeitungen bereits wissen, daß Hegel todt ist. Das unerwartete Ereigniß hat
selbst seine wissenschaftlichen Gegner schmerzlich berührt, da eine gewisse Seite
des Verdienstes allgemein anerkannt werden mußte, und der Verstorbene als Mensch
und im geselligen Umgang geliebt wurde. Die Bestürzung seiner Gönner, seiner
Freunde und seiner Schüler ist groß und begreiflich!
Am Sonnabend war der Hingeschiedene noch frisch und munter bey Stuerkes (?)
mit welchem er durch Schulze's Vermittlung neuerlichst in literarischen und dem
zufolge auch in häuslichen Verkehr getreten war.
Sonntag soll er sich geärgert, erkältet und unwohl gefühlt haben. Montag
Nachmittags 5 Uhr endete er. Ob an der eigentlichen asiatischen Cholera, oder
an gewöhnlicher Magen-Entzündung, darüber streiten unsere Ärzte — wie gewöhn-
lich, umsonst. Leicht sei ihm die Erde!
"Was werden der Minister und seine Räthe thun? Die Frage bewegt, bey der
Wichtigkeit der Stellung, alle denkenden Köpfe; sie beunruhigt die Parteien. Man
nennt Ihren Namen, und fragt mich. Die Wünsche meines Herzens einigen sich
mit dem, was ich für die Wissenschaft frommend, für die schuldigsten, persönlichen
Rücksichten nur sehr gebührend anerkennen muß. Auch darf ich muthmaßen, daß
Sie einen Ruf an Hegels Stelle nur wünschen können. Aber um so unumwundener, |j
und in altem herzlichen Vertrauen, muß ich armer Ihnen bekennen, daß ich,
wenigstens hiero für die Sache nicht einwirken kann, vielmehr begründete Ursache
habe, eine solche Einmischung meiner Seits, nach Lage der bestehenden Verhältnisse,
bedenklich, wohl gar nachtheilig zu erachten. Ohne Zaudern bringe ich bey dieser
wichtigen Veranlassung, der Dankbarkeit und der Freundschaft das Opfer eines Frei-
muths, der ohne solche Materie ungeschickt seyn würde. Vor zwei Jahren habe
ich Ihren Minister zuletzt gesprochen. Das Gespräch war, trotz seiner feinen Un-
bestimmtheit, für mich entscheidend. Ich konnte nicht verkennen, daß Gegner, in
der Nähe des Chefs, die Erfüllung früherer Versicherungen aufs neue wankend ge-
macht, und andere Abfindungs-Mittel in Vorschlag gebracht hatten. Meine Ehre
mußte die letzteren (mit der einzigen Ausnahme einer bald darauf mir zugegangenen
anerkennenden Cabinets - Ordre über den bisherigen Erfolg meiner hiesigen Wirk-
samkeit) ablehnen; ich zog mich von da ab in meine Stellung zurück, und ein Jahr
später wurde Hr. Geh. Rath Dr. Korthaus berufen.
Personen, welche höchst wahrscheinlich diese Berufung veranlaßt haben, ver-
wahren seitdem ihre äußerlichen Freundschaftsbezeigungen, und ich nehme das, wie
es gegeben wird.
Aber, wo es gilt, darf ich mich nicht zum zweiten Male täuschen. Und so
erschien mir diese vertrauliche Eröffnung eine Pflicht gegen Sie. Es leuchtet ein,
daß die im Ministerium herrschende Partei, wenn anders ein Mann dazu vorhanden
ist, einen Freund und Schüler Hegels wünschen muß. Allein es sind auch Rück-
sichten auf die Stimmung des Hofes, || sowie auf die öffentliche Meinung zu nehmen.
Wie und wo ich in dieser Sphäre mitwirken kann, werde ich es mit der Über-
zeugung und der Liebe thun, welche beide ich Ihnen widme. Überlegen Sie nur
Selbst, ob Sie gerathener finden, der Sache freien Lauf zu lassen, auf jede Gefahr
hin; oder ob Einleitungen Ihrer Seits Ihnen zweckentsprechend erscheinen? Ich
selbst bin darüber ganz zweifelhaft. Bei völligem Schweigen ist zwar jeder mög-
lichen Compression vorgebeugt, aber wie ich die Leute kenne, kann uns auch bald
x) 3 S. 4°. H. Wien.
November 1831. 26 1
die Ernennung eines Ritter überraschen. Äußern Sie "Wünsche, so ist freilich die
mögliche Nicht-Erfüllung zweifach schmerzlich. Entscheiden Sie Sich dessen un-
geachtet dafür, so müßte ich rathen, durch vertrauliche Briefe an die Herren
Nicolovius und Schulze Sich Herrn Minister zu nähern. Vielleicht möchte auch
[ein] Schreiben an Herrn Ancillon1) die Sache dem Inte[resse] des Kronprinzen näher
führen.
"Welchen Entschluß Sie faßen, darüber erbitte ich Ihre gefällige Äußerung.
Überhaupt muß ich, um vor Fehlgriffen gesichert zu bleiben, dringend wünschen,
wenn Sie die Angelegenheit an sich ziehen und Sie daran irgend wie Theil nehmen
sollten, von dem jedesmaligen Standpunkt durch Sie unterrichtet zu werden. Wir
sind gesund, und das ist fast das Beste, was ich rühmen kann. Die Seuche verzehrt
die letzten Geldmittel der Stadt, und ich muß schon jetzt, statt für den Fortgang,
um die Erhaltung des Geschaffenen zu kämpfen. Dazu kommen die pädagogischen
Streitfragen mit H. v. Baerensprung, der wahrscheinlich unser Ober-Bürgermeister
wird. Das Ministerium sieht das alles und lobt die Kraft, die ich unter solchen
Verhältnissen entwickle! Meine Kinder machen mir Freude, meine Brüder Schmerz.
Julius ist Hauslehrer und braucht alle Augenblick Geld und Bücher. Gustav sitzt
auf der Citadelle in Magdeburg, wegen Studenten- Unfugs.
Gott bessre es! Die treuesten Grüße von Amalie und mir an Ihre liebe Gattin.
Voll Verehrung der Ihrige
Reichhelm.
[Nachschrift an der Seite des Briefes:]
Den schönsten Dank für Ihre Encyklopädie. Kaum hatte ich selber gehofft,
daß diese Arbeit Ihnen so gelingen werde. Das Buch kömmt nicht von meinem
Tische. R.
378. An Brandis.2) Königsberg 21 Nov 31.
Nur eilig, mein theurer Freund, einen vorläufigen, aber warmen Dank
für Ihren schönen Brief. Solche Gesinnung wird uns einig erhalten, selbst
wenn wir streiten, und dem Publicum selbst ist nichts heilsamer als
Streiter zu sehen, die einig bleiben. Und noch mehr! ich sage Ihnen keck,
daß ich die Hoffnung, Sie für meine Lehre zu gewinnen, gar nicht auf-
gebe; das mag Ihnen nun so sonderbar klingen wie es will. Zuvörderst
rechne ich auf Ihren historischen Scharfblick; dieser kann nicht in Mis-
verständnissen stecken bleiben. Ein solches aber werden Sie wohl nicht
leugnen. Daß ich gleich die schlimmsten Stellen Ihrer Rec. angebe: —
Sie finden eine, und zwar die auffallendste S. 509 wo es heißt:3)
in erstem Falle müßte der Wechsel unter den einfachen Wesen
stattfinden, noch ehe ein Zuschauer vorhanden wäre, was gegen
die Voraussetzung ist.
Gegen ? — Gegen meine Voraussetzung? Wie sollte mir solcher Idealis-
mus in den Sinn kommen? Ohne alle Fragen findet der Wechsel wirklich
ohne Zuschauer in der unendlichen Mehrzahl der Fälle jeden Augenblick
*) J. P. Fr. Ancillon (1767—1837), Nachfolger Delbrücks in der Erziehung
des Kronprinzen, nachmaligen Königs Friedr. Wilh. IV., auf den er außerordentlich
großen Einfluß hatte. Herbart kannte ihn von seinem Aufenthalte in Königsberg
her. Vgl. Allg. D. Biogr. 1, 420 ff.
2) 3 S. 4°.
8) S. Bd. VIII, S. 409 oben.
2 62 November 183 1.
statt. Aber der Wechsel zwischen a u. b ist freylich keine Eigenschaft
des a oder des b; das versteht sich von selbst; und meine Erinnerungen
hieran mögen das Misverständniß veranlaßt haben.
Ferner S. 508. r1) an ihm, dem Ich als Zuschauer, bleibt der Wechsel
haften. — Bewahre der Himmel! So möchten Sie mit Fichten reden, aber
nicht mit mir. Und Sie werden mir meinen ehrlichen Realismus schon
lassen. Dafür bürgt mir ihr historisches Gewissen. ||
Ferner wird Ihre historische Kenntniß mir zu Hülfe kommen. Das
vorstellende Subject, wonach Sie suchen, ist ein Hirngespinst, das jedem
Denker eine Zeitlang vorschwebt. Sie aber wissen, daß, als Kant in seiner
Transscfendentalen] Logik u. Ästhetik Materie der Erfahrung (d. h. Em-
pfindung,) von der Form des Anschauens und Denkens schied, die Form
den Fragepunct ausmachte. Ich sage, den Fragepunct; denn so sollte es
seyn. Es wurde anders durch die Verkehrtheit der Nachfolger. Diese
nehmen die Frage: Woher die Form? für entschieden durch die Antwort:
aus Uns. Lassen Sie nun, zuvörderst nur als Historiker, einmal los von
den Verkehrtheiten Reinholds u. s. w. so bleibt der Ursprung der Form
einstweilen in Frage. Was behalten Sie nun als Gewisses! — Nicht
Vorstellungen, im gewöhnlichen Sinne, da es Vorstellungen von Objecten,
Bilder von Dingen seyn sollen, — sondern Empfindungen; des Blauen,
Weißen, Kalten, Warmen pp. Also haben Sie auch kein vorstellendes
Subject, sondern nur — eine empfindende Seele. Und die Empfindungen
der Seele nehme ich als deren Selbsterhaltungen in Anspruch. Vom Ur-
sprünge der Form reden wir ein andermal weiter. Nicht eher, als bis
wir zur Form kommen, kann von einem vorstellenden Subjecte die Rede
seyn. Unterdessen aber wird Ihnen das ursßrünglich-vorsteWende Subject,
— dessen Qualität im Vorstellen bestehen sollte, — unter den Händen
verschwunden seyn. Das Hirngespinst hätte gar nicht da seyn sollen; es
gaukelt aber uns Allen vor, weil wir an die formlosen Empfindungen nicht
denken, und immer den jetzigen Zustand unseres Bewußtseyns für den
primitiven halten. Das ist das alte Reinholdische Vorurtheil, welches nicht
begriff, daß die Vorstellungen als Bilder von Dingen nur neue Editionen
der Empfindungen sind; geformt durch ihr i?<?productionsgesetz. || [Alle
Elemente, Sauerstoff meinethalben oder Wasserstoff, oder was Sie wollen,
könnten vorstellende Wesen werden, wenn die Bedingungen der geordneten
Verbindung und hiervon abhängenden geordneten Reproduction, bey ihnen
zuträfen. Aber uns sind diese Bedingungen verliehen durch die Vor-
sehung, vermöge unserer beweglichen Sinnes-Organe. So springt etwas
Teleologisches in der Erklärung unserer Art von Vorstellungen ein. Das
Teleologische aber liegt über jeden Begriff hinaus. Nur die Möglichkeit
unserer Vorstellungen haben wir zu erklären. Möglich waren unsere Sinnes-
organe; nur wie sie wirklich wurden, begreifen wir nicht; und brauchen
es nicht zu begreifen, weder für Metaph. noch für Psychologie.] 2)
Diese Dinge, mein theurer Freund, schreibe ich Ihnen privatim. Viel-
leicht können wir dergleichen wenigstens zum Theil im Stillen abmachen;
!) S. Bd. VIII, S. 408, ZI. t6 v. o.
2) Das Eingeklammerte ist Randbemerkung.
November 1831. 263
dann läßt sich das öffentliche Verhältniß sehr schonen. Nächstens schreibe
ich Ihnen wieder, und wahrscheinlich lege ich alsdann den Aufsatz eines
jungen Mannes vor, den ich Ihnen, wenn auch als Ihren jugendlichen
Gegner, persönlich empfehlen möchte. x) Gesetzt, es müßte zum öffentlichen
Streit über eigentliche Metaphysik kommen, so mag der junge Herr fürs
erste die Feder führen. Das läßt Ihnen die freyeste Wahl, ob und wie-
viel ihm zu erwiedern, Sie ihm die Ehre erweisen wollen; wird er im Ge-
ringsten unbescheiden, gegen meine stets wiederhohlte Warnung, — so
strafen Sie ihn durch Schweigen. Und bevor er drucken läßt, mag er
sich Ihnen brieflich zeigen; dann können Sie ihn, wenn Sie wollen, ab-
schrecken, daß er sich nicht her vorwage. Aber ich habe auch etwas ge-
schrieben, und in der hiesigen deutschen Gesellschaft vorgelesen ; ein Send-
schreiben an Sie über — Fichtes pädagogische Ansichten. 2) Der Gegen-
stand soll, denke ich, weit genug abliegen, damit der Ton der freund-
schaftlichen Unterhaltung über ein Drittes, verhüte, daß nichts von ge-
meiner Polemik durchklinge. So, mein theurer Freund werden wir hoffent-
lich ohne allen Verdruß zurechtkommen. Finden Sie aber daran etwas
auszusetzen, so bitte ich um schleunige Antwort.
Meine hiesigen Freunde, voll reinster Hochachtung für die Gesinnung,
die sich in Ihrer Recension und vollends in Ihrem letzten Briefe ausspricht;
— welche Hochachtung ich alsdann aus persönlicher Bekanntschaft zu
bekräftigen die Freude habe, — sind mit mir der Meinung, daß Ihnen
meine Untersuchung einst besser gefallen werde. „Möchte nur Br. (sagte
jüngst Einer) sich einmal entschließen, den ganz verschiedenen Character
der Psychologie und der Metaphysik genau ins Auge zu fassen!*' Und das
ist auch mein Wunsch und meine Hoffnung.
Bedenken Sie dabey, theurer Freund! daß jetzt, nach Hegels Tode
{die Cholera scheint ihn zu ihrer Beute gemacht zu haben, denn Sonn-
abends war er froh in Gesellschaft, Sonntags ärgert er sich und erkältet
sich, Montags Abends ist er todt!) daß jetzt, sage ich, alle Verhältnisse
bedeutender werden. Man mag Hegeln zu ersetzen suchen wie man will,
so wird ein freundschaftlicher Streit zwischen uns beyden jedenfalls ein
Schauspiel für eine minder getheilte Aufmerksamkeit. Lassen Sie uns aber
alle factischen Misverständnisse in Stillen abthun. soweit das möglich ist.
Um Ihre Privat- Erklärungen bitte ich auch für den Fall, daß ich Sie mis-
versteheu sollte.
Die letzte Hälfte meiner Encyklopädie kann, wenn Sie eine gütige
Aufmerksamkeit daran wenden wollen, schon Vieles ins Reine bringen.
Ich bitte aber das Buch von hinten zu lesen. Sonst fällt Ihre Aufmerksam-
keit nicht auf das, was eigentlich für Sie geschrieben ist. Es ist eine
arge Nachlässigkeit in Halle begangen, daß man Ihnen das Buch nicht
längst geschickt hat. Möchten Sie es vor der Recension gelesen haben!
Das hätte uns Vieles jetzt Unvermeidliche erspart. Aber lassen Sie
1) Strümpell, s. Anfang des nächsten Briefes.
2) Ist der zuerst von Hartenstein herausgegebene und von ihm ,,Über das Ver-
hältnis des Idealismus zur Pädagogik" benannte Aufsatz; s. Bd. VIII, S. 420. Nach
unserer Brief stelle ist der Titel dieses Aufsatzes wohl künftig zu ändern. Anm. v.
K. G. Brandis.
264 l83J-
uns nur die gute Laune nicht verlieren. Wir müssen beym Streit beyde
gewinnen.
Mit aufrichtiger Freundschaft Ihr H.
379. Brandis an H.1)
Zuerst nun begreife ich. vollkommen, wie man frei im Denken aufathmen muß,
wenn mau die Annahme des Seyenden als einer Kraft ein für allemal beseitigt hat;
nur vermag ich sie nicht nur nicht selber zu beseitigen, sondern auch mich nicht
zu überzeugen, daß sie von Ihnen in der That beseitigt worden; meine vielmehr,
daß Sie sie nur weiter, ja soweit, wie irgend möglich zurückgeschoben u, daher
ihren Druck nicht mehr empfinden. Vorzüglich von 2 Punkten aus scheint sie sich
mir fortwährend wirksam zu erweisen : zuerst in der Lehre von der Bewegung u.
demnächst in der Voraussetzung, die Seele stelle vor. Lassen wir jenen ersten
Punkt vorerst bei Seite liegen u. wenden uns zu dem zweiten, in Bezug auf Ihren
Brief. „Die Seele stellt vor, sagen Sie, die Vorstellungen sind nun da; sie sind
einander in der einen Seele gegenwärtig, sie brauchen keinen Zwischenraum mehr
zu durchlaufen, um einander zu erreichen, greifen vielmehr schlechthin ohne weitere
Vermittlung in einander ein.« Aber ursprünglich u. an sich sind doch nur ein-
fache und qualitativ bestimmte Wesen vorhanden; wie werden Vorstellungen dar-
aus? Dadurch, daß diejenige einfache "Wesenheit, die sich zum Ich entwickeln soll,
eine vorstellende ist oder wird ? Mag ich das eine oder andere voraussetzen, immer
sehe ich mich genöthigt, die vorausgesetzte Einfachheit der vorstellenden Wesenheit
zu trüben, || soll sie kein bloßer lebloser Spiegel für andere Wesenheiten u. ihre
Beziehungen, sondern ein bewußtes, vor sich hinstellendes Subject seyn. Darüber
vermisse ich die Erklärung, wie es von einer bloßen Abspiegelung, (wiewohl genau
genommen ich die kaum einmahl zugeben dürfte) zur Apperzeption kommen könne,
ohne daß die appercipirende Wesenheit als solche kraftthätig gesetzt werde. Gesetzt
auch, es gebe in der Seele schlechterdings nichts Thätiges, außer ihren Vorstel-
lungen (wiewohl ich meines Theils den Vorstellungen immer noch Affektionen des
unmittelbaren Bewußtseins voraussetzen muß) wie entstehen oder bestehen Vor-
stellungen bevor noch ein Vorstellendes vorhanden? wie erweisen sie sich thätig?
wie kommt es vermittelst ihrer Thätigkeit zu einem verneinenden und trennenden
Bewußtsein der Seele? Damit die in der Seele unmittelbar gegenwärtigen Vorstel-
lungen schlechthin ohne weitere Vermittlung ia einander eingreifen, bedarf es
nicht nur eines Wechsels, den Sie aus gegenseitigen Hemmungen ableiten, die
wiederum eines Wechsels bedürfen, sondern die Seele muß die ihr unmittelbar
gegenwärtigen Vorstellungen und ihren Wechsel bewußtseyend, mindestens be-
gleiten, auch wenn wir ihr nicht das Vermögen beilegen, durch freie Selbst-
bestimmung denkend einzugreifen. || Das begleitende Bewußtsein aber setzt gleich-
falls eine, von einem zum andern übergehende Tätigkeit voraus, u. wie sollen wir das
anders bezeichnen, als durch den Ausdruck eines thätigen Princips, wie vieldeutig
der Ausdruck auch seyn mag? Ich soll den Träger des Bewußtseins aus der Mitte
!) 4 S. 4°. Unter den Papieren, die mir Hr. Bibl.-Dir. Dr. Brandis in Jena
gütigst zur Verfügung stellte, finden sich auch 2 Schriftstücke ohne Datum u. Unter-
schrift. Sie rühren von dem Vater des Hrn. Dr. Brandis her, von Chr. Wilh. Br.,
der 1830—32 Student in Bonn war. Offenbar sind es Rein- bez. Abschriften von
Briefen, die Chr. A. Brandis an Herbart gerichtet hat. Der obige Abdruck des
einen Briefes wird vor die Antwort Herbarts gesetzt, das andere Schriftstück steht
unter Nr. 386. Auch an dieser Stelle sei Hrn. Bibl.-Dir. Dr. Brandis, der die erst-
malige Veröffentlichung der beiden wichtigen Briefe gestattete, herzlichst gedankt.
November 1831. 265
herausschieben u. zu einem bloßen Grunde u. Boden machen; aber komme ich
damit weiter? wie wächst auf diesem Grund u. Boden, muß ich immer wiederum
frageD, ein Bewußtsein, das in allen seinen Modifikationen eine Zweiheit, Bewußtes
und Bewissendes voraussetzt, ebensowenig als bloßes Object, wie als bloße Agilität
gedacht werden kann. Sie bieten mir, wenn ich nach dem Bewissenden, dem Sub-
jecte frage, immer wiederum Objecte; wie aber aus dem Objecte das Subject ent-
stehe, darüber finde ich keine Aufschlüsse. Wie das Ich als Mittelpunkt sich oft
von Vorstellungen überwältigen lasse, begreife ich wohl (u. weiß es Ihnen nicht
genug zu danken, daß Sie auf diesen dunkeln u. übersehenen Punkt in Ihrer Psycho-
logie so helles Licht verbreitet haben), aber wie es darum nichts weiter, als Produkt
aus Vorstellungen seyn soll, begreife ich durchaus nicht u. noch weniger, wie über-
haupt. Vorstellungen vor einem Vorstellenden u. unabhängig von ihm denkbar sind.
So werde ich denn auf den Begriff einer mit sich selber streitenden Kraft zurück-
gewiesen, wie gerne ich ihn auch vermiede, u. muß schon bemüht seyn, jenen
innern Streit anderweitig zu vermitteln. Im Nothfall muß ich || mich entschließen,
ihn in seiner Sonderung vom Begriff des Seyens als Endpunkt des Denkens fest-
zuhalten, der sich nicht vorstellen läßt: nach einer Unterscheidung von Denken
u. Vorstellen, die ich nicht aufzugeben vermag, wiewohl sie vor Ihren Augen un-
möglich Gnade finden kann. Was nun schließlich das Wie betrifft, (denn leider bin
ich genöthigt, damit für heute zu schließen, um den Brief nicht noch länger hin-
zuhalten), so erkenne ich wiederum aufs freudigste u. dankbarste an, daß Sie durch
Ihre Erörterungen darüber eine schlimme Lücke in der Spekulation ausgefüllt haben,
nur will mirs scheinen, daß Sie über dem Wir das Ich halb vergessen u. nicht
hinlänglich anerkennen, daß, sowie ohne Du u. Wir kein Ich, so auch ohne Ich
kein Du u. Wir. Ich glaube einigermaßen vorherzusehen, was Sie mir erwiedern
werden — daß eben das eine wie das andere nicht Primäres sey, komme dann aber
auf die vorher berührten Fragen u. Bedenken über die Bildung eines Subj. oder
Vorstellenden zurück. —
380. An BrandiS.1) Königsberg 25 Nov 31.
Hier, mein verehrtester Freund! stelle ich Ihnen Herrn Strümpel2) aus
Braunschweig vor, der schon dort durch Griepenkerl (vor langen Jahren
mein Zuhörer in Göttingen) angeleitet, meine Metaphysik früher gelesen
als gehört, im vorigen Sommer aber bey mir die Psychologie fleißig be-
sucht und durchdacht hat. Möge er Ihnen nicht misfallen! Sein Schreiben
ist vielleicht zu schüchtern, und deshalb weniger deutlich; aber das mag
seyn, wenn er nur nicht bei Ihnen anstößt; und in der That, seinem
Wagstück, sich Ihnen als Gegner zu empfehlen, ist kaum ein reifer Mann
gewachsen, wieviel weniger ein Jüngling.
Wären nicht bey mir die Winter-Übel schon eingetreten, die mich
nun reichlich ein halbes Jahr lang zu feineren Arbeiten untüchtig machen
werden, so versuchte ich gern, Ihnen etwas von den neuern Untersuchungen
des letzten Sommers vorzulegen, welche besonders auch die Frage be-
treffen, wie in uns die Vorstellung des Subjects sich bilde. Denn dies,
wie so Manches in meiner Psychologie, ist noch so wenig ausgeführt, daß
die Unvollständigkeit meiner Arbeit gewiß einen großen Theil der Schuld trägt,
*) 4 S. 80.
2) Über die hier in Frage stehende Entgegnung Strümpells auf Brandis' Rezension
s. Bd. VIII, S. IX.
266 November 1831,
weshalb sie von unserm geistigen Innern kein hinreichend beleuchtetes
Bild gewährt. Wüßten Sie, unter welchen Schwierigkeiten ich gearbeitet
habe, — und welchen ich noch entgegensehe, — doch für jetzt Nichts
davon.
Der letzte Brief, den ich Ihnen vorigen Posttag schrieb, wird Ihnen
durch einen wunderlich rauhen Ton aufgefallen seyn, welchen selbst die
Eile nicht zu entschuldigen vermag. Am besten ists, ich zeige die Ver-
anlassung offen an; sie liegt im Zufall. Ein früher an Sie geschriebener
Brief sollte gesiegelt werden, und ist statt dessen zerrissen, und eilig er-
setzt worden, so gut es ging.1) Die Nachricht von Hegels Tode war
zwischen Schreiben und Siegeln mitten hinein gekommen; das Geschriebene
erschien nun || in einem falschen Lichte, und wurde deshalb verworfen;
aber mit Verdruß; und davon kamen die Spuren in den neu ergriffnen
Papierbogen hinein. Ist es Ihnen indessen nicht zuwider, den ange-
gebenen Kantischen Standpunct Sich auf einen Augenblick gefallen zu
lassen, so möchte wohl meine vorläufige Trennung der empfindenden Seele
von dem vorstellenden Subject — da bey jener noch keine Formen der
Erfahrung nöthig sind, — zur Verständigung behülflich seyn. Daß Em-
pfindungen nichts andres sind, als Selbsterhaltungen der Seele gegen das
von außen afficirte Gehirn und Nervensystem, — dies wird nicht leicht
ein Misverständniß erregen. Daß aber diese Empfindungen, Farben, Töne
Gerüche, Geschmäcke pp. noch nicht Bilder darbieten, durch welche wir
Dinge zu erkennen glauben möchten, ist klar. Andrerseits sind es aber
doch eben diese Empfindungen, welche den Bildern — oder Vorstellungen
im gewöhnlichen Sinne, zu Bestandtheilen dienen. Jetzt blicke ich in
Ihren Brief.
„immer sehe ich mich genöthigt (sagen Sie) die vorausgesetzte
Einfachheit der vorstellenden Wesenheit zu trüben.a
Ja, schon die empfindende Seele hat sich selbst erhalten gegen das, was
laut der Metaphysik Störwig werden würde, — und die Selbsterhaltungen
waren mannigfaltig gemäß den Störungen. Hierüber muß die Metaphysik
die Verantwortung übernehmen, die ich als bekannt voraussetze. Wollen
Sie dennoch den Ausdruck ttüben gebrauchen, so erinnere ich bloß, daß
man wohl schwerlich sagen würde, ein Begriff könne durch die Ver-
schiedenheit der Worte, die ihn in mehreren Sprachen bezeichnen, getrübt
werden; das Gleichniß wird klar seyn durch die Theorie der Selbst-
erhaltungen. Sie setzen Ihre Rede fort:
„ — der vorstellenden Wesenheit, soll sie kein bloßer lebloser
„Spiegel für andre Wesenheiten in ihren Beziehungen, sondern
„ein bewußtes vor sich hinstellendes Subject seyn.
Hier bitte ich um die Gunst, die bloß empfindende Seele noch nicht
vor sich hinstellend nennen zu dürfen. Das vor sich Hinstellen ist von
weit späterem Datum. Bedenken wir nur zuvörderst, daß die Seele gar ||
kein Spiegel, — also doch gewiß kein bloßer, und noch weniger ein leb-
loser Spiegel ist. Nicht in dem Sinne bin ich Realist, als ob die wahren
3) Es ist nicht ausgeschlossen, daß einer der „Entwürfe zu einem Sendschreiben
an Brandisu in Bd. VIII, S. 412 ff. dieser nicht abgesandte Brief Herbarts ist.
November 1831. 267
Qualitäten der Dinge in der Seele sich spiegeln könnten. [Erkennten wir
die Dinge an sich, so wäre Reinholds Satz des Bewußtseyns, worin Vor-
stellung auf Vorstellendes und Vorgestelltes bezogen wird, mehr als eine
gemeine Täuschung. Aber so gewiß Farben, Töne, Geschmäcke, keine
Eigenschaften der Dinge, sondern nur Empfindungen, innere Zustände
der Seele sind, eben so gewiß steht ^.uch den Dingen kein Spiegel gegen-
über, den wir das Subject nennen dürften. Die gemeine Täuschung
schafft Subject und Object zugleich.]1) Daß aber die Verbindung der
Empfindungen analog wird der Verbindung unter den Dingen, — war es
dies, was Sie ein lebloses Spiegeln nannten? Ja, dazu würde ich mich
bekennen, wenn diese Verbindungen nicht augenblicklich in diejenigen
Spannungen versetzt würden, die wir Gefühle und Begierden nennen.
Da ist eben der vereinigte Ursprung des Vorstellens, Fühlens und Be-
gehrens. Und was sonst ist das erste, rohe geistige Leben des noch
thierähnlichen Kindes?
„Wie es von einer bloßen Anspiegelung zur Apperception komme,
„ohne daß die appercipirende Wesenheit als solche kraftthätig
„gesetzt werde."
Sind wir nicht vielleicht hier einiger als wir scheinen? — Gegen
andre Psychologen, die einen innern Sinn, als bloßen Zuschauer an-
nehmen, habe ich nachgewiesen, daß dies Zuschauen fast immer ins Ein-
greifen übergeht. Warum? Weil die Apperception in den dazu geeig-
neten Vorstellungsmassen geschieht, deren eigenthümliches Leben das
Appercipirte nach sich formt. Ist das nicht die wahre Kraftthätigkeit ?
— Denken Sie doch hier an das Kind, welches aufjauchzt, wenn es
mitten unter den, ihm noch unverständlichen Worten des Erwachsnen auf
einmal etwas Verständliches auffängt. Da ist die Apperception, in aller
Kraft der kindlichen Seele — , aber sie liegt in den älteren gleichartigen
Vorstellungen. Diese springen von selbst, aus eigner Macht, hervor, und
wirken! Denn für sie verschwand die sonstige Hemmung; in dem Augen-
blicke, da das Gleichartige gehört wurde.
„Die Seele muß die ihr unmittelbar gegenwärtigen Vorstellungen
„bewußtseyend wenigstens begleiten. u
[Kant begnügte sich mit dem: Begleiten- Können /] 2) Warum denn das? —
Etwa damit der Wachende nicht dem Mondsüchtigen || gleiche? — Umge-
kehrt! Es liegt ein Vortheil darin, daß uns der Mondsüchtge, der Schlaf-
wandler, u. s. w. leichter begreiflich werden, denn diese kommen ja auch
in der Erfahrung vor; samt allen unsren Zuständen der Abspannung, die
wir nur zu gut kennen. Aber beym vollen Wachen sind immer viele
Vorstellungsmassen zugleich im Bewußtseyn. [Auf die höchst mannig-
faltigen Verschiedenheiten der Geschwindigkeit oder Stetigkeit in den ver-
schiedenen Vorstellungsmassen kommt Alles an. Einige wechseln oft und
schnell, andre langsam; einige kehren unverändert wieder; andre in neuer
Form; — diejenigen, worin das Ich liegt, (beym Ungebildeten die Vor-
J) Das in Klammern Gesetzte ist von Herbart auf den inneren Rand des Briefes
geschrieben — offenbar nach Abschluß desselben, beim Wiederdurchlesen — , aber durch
ein Zeichen mit ,, wahren Qualitäten" verbunden.
2) Das Eingeklammerte ist nachträglich von Herbart eingefügt.
2 68 November 1831.
Stellungen des Leibes und seines Bedürfens, beym Gebildeten die Haupt-
Maximen und Pläne, der Sitz des Wollens) verändern sich in ihren Grund-
bestimmungen am langsamsten. Und doch geschiehts. Man erkennt sich
kaum noch in dem, was man in den Studentenjahren gethan u. ge-
trieben hat.] *) Denken Sie doch nur an das, was Jeder in sich findet, der
im geselligen Umgange Rücksichten der Klugkeit, Schonung, Sitte, pp.
beym Sprechen und Schweigen beobachtet. Man kann, wenn man die
Gesellschaft verläßt, die verschiedenen Vorstellungsmassen fast einzeln
nachzählen, welche zusammenwirkten. Man kann, wo etwas verfehlt warr
diejenige Vorstellungsmasse beschuldigen, welche fehlte. Ihnen, Verehrtester!
ist das vermuthlich besser bekannt als mir; Sie brauchen nur darauf zu
achten. Eine besondere bewußtseyende Seele noch außer den Vor-
stellungen ist völlig entbehrlich; und Sie werden sie verwerfen, sobald es
Ihnen beliebt, ohne Verlust.
,,Ein Bewußtseyn, das in allen Modificationen eine Zweyheit,
„Bewußtes und Bewissendes voraussetzt."
Hineinsetzt, nicht aber voraussetzt! Hineinsetzt, durch nachfolgende un-
richtige Erklärung, die man Erschleichung nennen darf.
„Wie aus den Objecten das Subject entstehe, darüber fehlt die
„Erklärung." (Nämlich unsre Vorstellung vom Subjecte, als wäre
es ein Spiegel).
Ich habe eingestanden, daß diese, zwar in der Psychologie gelieferte
Erklärung noch lichtvoller seyn sollte. Aber die Stelle von den Kategorien
der innern Erfahrung bedarf nur weiterer Ausführung. Soviel heute! —
Nächstens, wenn ich kann, Mehr! Sollte ich mich wieder im Disputiren
erhitzen, so schelten Sie mich derb aus, und dann verzeihen Sie! Auf
immer der Ihrige!
H.
Von Ihrer gütigen Aufmerksamkeit für die von Ihnen veranlaßte
Encyklopädie, hoffe ich vor allem, daß Sie das, was ich von Anfang bis
zu Ende des Buchs über die verschiedenen Vorstellungsmassen gesagt —
und absichtlich umhergestreut habe, weil gewöhnliche Leser es nicht auf
einmal fassen können; — sammeln, vergleichen, beliebig ordnen, und mit
eigner Selbstbeobachtung, die hier sehr viel leisten kann, auf die Psycho-
logie beziehen mögen! Vieles wird sich Ihnen dann noch von selbst
darbieten. Die empirische Psychologie wird sich dann in sehr verändertem
Lichte zeigen, und zwar ohne große Mühe; und ohne besonderen Zeit-
aufwand. [Am Rande.]
381. An Brandis.2) Königsberg 28 Nov 31..
Verehrtester Freund!
Aristoteles mag zürnen, daß in einem Hause, worin er sich wohl be-
findet, ich öfter aus und einzugehn nicht unterlasse. Doch ich weiß ein-
mal, daß die Gesellschaft, die er mit sich führt, Ihnen nicht die an-
genehmste ist; und ich rechne etwas darauf, daß ein Brief, der sich zur
*) Randbemerkung.
2) 3 S. 4°.
November 1831. 269
Seite schieben läßt, nicht so schlimm ist, wie ein Besuch, den man nicht
fortschicken kann. Und Briefe an Sie zu schreiben, ist doch immer
sicherer, als Briefe gegen Sie drucken zu lassen. Störe ich: so warte ich.
Wie wäre es wenn wir heute einmal bis zu den Leukippischen
Atomen zurückgingen ? x) Meinerseits hätte ich, was den Streitpunct der
Bewegung anlangt, nichts dagegen, meine einfachen Wesen insofern mit
jenen verglichen zu sehn, wiefern sie im Raum vorhanden sind ohne ein
Gesetz der gegenseitigen Ruhe — folglich in ursprünglicher Bewegung.
Der Grund, weshalb ich dieser Sache erwähne, liegt in der Besorgniß,
durch die Benennung: intelligibler Raum, ein idealistisches Misverständniß
zu veranlassen. Aber ich bin so sehr Realist, daß es Sie nur gar nicht
wundern darf, wenn Sie mich etwa einmal von einem wirklichen Räume
sprechen hören. Denn was Andre den wirklichen Raum nennen, — etwa
die Astronomen, — grade das ist mir der intelligible Raum. Der Gegen-
satz liegt in dem sinnlichen Räume für das Gefärbte und als tastbar be-
trachtete, welchen die Kantianer für bloße Form der Anschauung, mithin
für nicht-wirklich, erklärten, und dessen Ursprung ich in der Psychologie
untersuchen mußte. Nun ist zwar auch der Fixstern-Himmel ein sinn-
licher Gegenstand. Aber die erhabene Ruhe desselben || (sey sie auch
nicht vollkommen), versetze ich aus dem sinnlichen in den intelligiblen
Raum, überzeugt, daß uns keine Ruhe erscheinen würde, wenn sie nicht
wirklich wäre. Und warum nun unterscheidet sich der Fixsternhimmel
von den alten Atomen? Zwey Gründe habe ich anzuführen; einen be-
greiflichen, einen andren unbegreiflichen, dessen ich mich durchaus nicht
schäme, da ich die Forderung des welt-umspannenden Wissens ausdrücklich
ablehne. — Der begreifliche Grund liegt in den Gesetzen der Attraction,
(die ich, wie Sie wissen, bis in deren Ursprung, — die innern Zustände,
wornach die äußere Lage sich richtet, — zu verfolgen suchte.) Daher
formten sich Weltkörper. Aber diese würden noch immer kreuz und quer
durch einander fahren, und nach den Attractions- Gesetzen die wunder-
lichsten Bogen um einander herum beschreiben, wenn nicht der unbegreif-
liche Grund hinzukäme, — die Vorsehung. Schreiben wir dieser die
hinreichende Ruhe des Himmels zu, so haben wir etwas Kosmisches, das
uns besser befriedigen kann, als wenn die Theologen ihre an irdische Zeit-
Begebenheiten weniger Jahrtausende geknüpfte Lehre allgemein zu machen
suchen, ohne nur an den Jupiter, geschweige an die Fixsterne zu denken.
Mögen diese Theologen vorläufig einmal durch Missionäre die Heiden im
Monde bekehren!
Das Vorstehende nun lautet nicht bloß, sondern es ist vollkommen
realistisch; und als solches meine wahre, definitive Meinung. Wer mich
*) Hierzu vergleiche den Brief in Band VIII, S. 418 u. X der Vorrede von
demselben Tage; beide Briefe, oft in einzelnen Wendungen übereinstimmend, weichen
doch im Ganzen sehr von einander ab. Mir scneint, daß der von Kehrbach u. a.
publizierte Brief nicht so sehr der Entwurf zu einem öffentlichen Sendschreiben, als
vielmehr ein aus irgend einem Grunde verworfener Privatbrief an Br. ist, an dessen
Stelle eben der hier veröffentlichte trat, worauf schon die Bezugnahme auf eine briefliche
Äußerung von Br. deutet. Hartenstein, der im XIII. (ErgänzungS-) Band seiner Herbart-
Ausgabe den Brief in der gleichen Fassung wie Kehrbach mitteilt, bezeichnet ihn fälsch-
lich als an Drobisch gerichtet. Anm. von K. G. Brandis.
270 November 1831.
zu verstehen wünscht, muß sich hieran tapfer vesthalten, was auch von
Untersuchungen, welche idealistisch klingen, in meinen Schriften vorkomme.
Selbst wenn Sie irgendwo lesen, der ganze Realism werde die unvermeid-
liche Beute des Idealism — so belieben Sie etwas weiter lesend zu be-
merken: „den Idealism machen seine innern Widersprüche platzen.'' Das
heißt, er muß die verschluckte Beute wieder herausgeben.
Alles dies, Verehrtester! würde ich an Sie nicht geschrieben, sondern
als bekannt || vorausgesetzt haben, wenn nicht selbst noch in Ihrem Briefe
die Frage stünde; „An sich sind nur einfache Wesen vorhanden; wie
werden Vorstellungen daraus ?u Die Frage scheint absichtlich sonderbar ge-
stellt; da ich aber die Absicht nicht errathe, so nehme ich die Frage buch-
stäblich; und antworte folgendes:
1) Aus einfachen Wesen wird gar Nichts, Sie bleiben lediglich was
sie sind.
2) Vorstellungen werden nicht aus Wesen, sondern aus Empfin-
dungen.
3) Die Empfindungen sind innere Zustände einfacher Wesen. Jedes
Wesen ist und bleibt in jeder seiner Empfindungen sich selbst gleich;
denn Empfinden ist nichts Anderes als sich selbst erhalten.
4) Jede einfache Empfindung ist so einfach, wie das Wesen, das sich
erhält.
5) Jede Empfindung, bliebe sie sich selbst allein überlassen, würde
als innerer Zustand ewig fortdauern; (und zwar ungehemmt. Denn jede
Hemmung ist ihr zufällig.) Daher braucht ihr Anlaß nicht fortzudauern.
6) Keine Empfindung ist an sich eine Vorstellung von irgend etwas;
am wenigsten Bild eines Dinges außer uns. Nur aus Mangel an Sprache
sind in der Psychologie die einfachen Empfindungen, sofern sie von selbst
fortdauern, auch Vorstellungen genannt worden. Denn die Sprache ge-
braucht das Wort Empfindung nur für die Zeit, während welcher das
Empfinden äußerlich veranlaßt wird; daher war dies Wort für die psycho-
logischen] Rechnungen nicht brauchbar in den Fällen, wo der Anlaß nicht
fortdauert.
7) Was aus mehrern Empfindungen Eines Wesens weiter werde, das
hängt von den Empfindungen nur in so fern ab, als es unter ihnen Ver-
hältnisse und Verbindungen giebt.
8) Gefühle und Begierden sind Producte der Empfindungen von ein-
facherer Art und von früherem Datum, als Vorstellungen im eigentlichen
Sinne, — Bilder von Dingen; Objecten.
9) Diese eigentlichen Vorstellungen kommen erst in so fern zum
Vorschein, als die Verbindung der Empfindungen bestimmte Formen ge-
winnt.
10) Damit von einem Subjecte die Rede sein könne, müssen nicht
bloß Objecte vorausgesetzt, sondern es muß auch das Vorstellen der Ob-
jecte, von ihnen selbst unterschieden, in irgend einen Punct hin eingesetzt
werden; als in den vorstellenden, Bilder enthaltenden Punct.
11) Indem wir also uns selbst als Subjecte betrachten, stellen wir
schon die Vorstellungen selbst vor. Die Frage, wie dies geschehe, ist
nichts weniger als elementarisch.
November 1831. 27 I
12) Die wirkliche Seele ist nicht unmittelbar Subject. Vorstellend
ist sie nur mittelbar, und nachdem die Empfindungen Form der Ver-
bindung gewonnen, hiernach sich reproducirt, und vermöge der Repro-
ductionsgesetze Bilder erzeugt haben. Aber vielfach wiederhohlte, stets neue
Ausbildung veranlassende Reproduction ist nöthig, ehe ein vorgestelltes Sub-
ject, und in Verbindung hiemit das Ich zu Stande kommt.
Zeit und Papier sind am Ende. Das Abbrechen wird Ihnen am
Ende eben so wenig gefallen wie das Anfangen. Was ist zu machen?
Jedenfalls habe ich nur einige Erklärungen in Ihre Hände niedergelegt,
die irgend einmal nützlich seyn können. — Um mit etwas Lustigem zu
schließen, erzähle ich Ihnen, daß hier in Königsb. Leute, die sich klug
dünken, entweder Sie oder mich nach Berlin schicken ! Warum nicht lieber
Sie und mich? — So wenig Glauben finden hier bis jetzt Hr. Hinrichs
und Consorten. — Mit den besten Wünschen für Ihr und der Ihrigen
Wohlseyn in vertrauensvoller Freundschaft Herbart.
P. S. Frage: giebt es etwa für Sie und mich ein ideales Berlin?
Und eine Zurechnung zum Wir?
382. Drobisch an H.1) Leipzig, d. 30. November 31.
Hochverehrter Gönner! Einer alten Briefscliuld war ich mir bewußt, daß sie
aber bis auf 3 Monate herangestiegen ist, bemerke ich mit Schrecken. Uns hat hier
einige Zeit die Cholerafurcht beschäftigt! Da wir aber von Berlin sehr beruhigende
Nachrichten erhielten, da sie in England ist und noch nicht bei uns, da die Messe
vorübergegangen ist ohne Spur einer Seuche, so sind wir wieder gutes Muthes und
denken wenigstens während des Winters von dem bösen Gaste verschont zu werden.
Leider haust sie in Königsberg immer noch. Hoffentlich ist aber Ihr ganzes Haus
von jedem, selbst flüchtigen Anfall verschont geblieben. Zu den merkwürdigsten
Opfern, die diese Seuche gefordert hat, gehört gewiß auch Hegel, und wenn sich
nicht bezweifeln läßt, daß dieser Todesfall für die Wissenschaften und für die Philo-
sophie insbesondere von höchst bedeutendem Einfluß ist, so gilt, wie mich dünkt,
dies namentlich für Ihren philosophischen Wirkungskreis. Ich gehöre nicht zu denen,
die Hegeln geradezu für einen Wahnsinnigen hielten, und nun laut oder im Kämmer-
lein ein Triumphlied anstimmen mögen, weil der Fürst der Finsterniß abberufen
worden. Zwar habe ich Hegeln kein Studium gewidmet, aber ich habe bemerkt,,
daß Sie ihn immer wie einen selbstständigen Denker behandelt, daß Sie ihn in der
Geschichte der Metaphysik immer so zu sagen als eine durchgehende Note geschätzt
haben, und daß, weil er doch Widersprüche anerkannte, er Ihnen in gewisser Hin-
sicht den Boden zum Bau vorbereitete. Da aber nun dieser so einflußreiche Mann
vom Schauplatz abgetreten ist, so hoffe ich wird nun im preußischen Staate für Sie
etwas mehr Platz werden, ja ich läugne nicht: ich hoffe Sie in Berlin zu sehen.
Wen sollen sie berufen? Einen Hegelianer doch wahrlich nicht; denn dies scheinen
sehr unbedeutende Menschen. Auf eine etwas pikante Philosophie scheint das
Ministerium zu halten ; an einen Kantianer oder Eklektiker ist also nicht zu denken.
Schelling, an den man vielleicht dächte, zumal er jetzt ein bischen mystisch werden
soll, scheint mir zu sehr an München gefesselt, wo ist denn nun noch außer Ihnen
ein selbstständiger, origineller Denker? Ihre Philosophie hat eben angefangen Be-
achtung zu finden; sie reibt sich an den bestehenden Systemen. Hat es damit
J) 3 S. 40. H. Wien.
272 November 1831,
guten Fortgang und hebt sich das Interesse für Ihre Lehren noch mehr, so kann
man kaum zweifeln, daß man Sie in das Centrum versetzt, da die Gelegenheit so
günstig ist.
Was Sie mir von Ihren fortgesetzten psychologischen Forschungen und von der
Unterstützung schreiben, die Sie wenigstens für die Folge von einigen Zuhörern zu
erwarten haben, ist mir im hohen Grade interessant und erfreulich. Leider fühle
ich das Lückenhafte meines psychologischen Wissens zu sehr als daß ich Ihren Zu-
hörern als „derjenige, an den man sich in Gedanken anlehnt, im Hintergrunde
stehen'1 könnte; aber was Sie mir von Ihren Forschungen künftig mittheilen wollen,
werde ich mich bemühen, mir anzueignen.
Einige Wochen nach Empfang Ihres Briefes erhielt ich nun auch Ihre Ency-
klopädie. Erlauben Sie mir vor allen Dingen, meinen recht aufrichtigen und innig
gefühlten Dank für das Lob abzustatten, das mir die Vorrede ertheilt. Ich gestehe
Ihnen offen, von den vielen Lobsprüchen, mit denen Ihre Güte mich bis jetzt über-
häuft hat, hat mich keines so erfreut, || als dieses; denn das zu leisten, was Sie viel-
leicht zu freigebig rühmen, strebte ich, und vielleicht sind auch andre geneigt.
Einiges davon anzuerkennen. Es stellt mich in das rechte Licht als dasjenige, was
ich bin, als philosophischen Dilettanten. Über den Inhalt des Buchs verlangen Sie
mein Privaturtheil und ganz unumwunden; von einem Urtheil kann nicht die Rede
seyn, denn ich habe das Buch nicht in succurn et sanguine verwandelt, sondern
nur von einer Privatmeinung. Daß es ein geistreiches Buch im besten Sinne des
Worts ist, versteht sich bei einer Schrift, deren Verf. Sie sind, von selbst. Gestehen
will ich, daß ich mir unter einer Encyklopädie etwas anderes gedacht hatte: ein
mageres Paragraphenwerk, das das Skelett der gesammten, philosophischen Wissen-
schaften darstellte, nicht gerade zu akademischen Vorlesungen bestimmt, denn bei
diesen könnte die Anordnung nach dem Übergang vom Leichteren zum Schwereren
berechnet seyn; sondern um als formaler Schlußstein des philosophischen Studiums
zu dienen, den Zusammenhang und Beziehungen der einzelnen Wissenschaften in
ein recht helles Licht zu setzen und einen architektonischen Schematismus derselben
aufzustellen. Doch auf diese Ansprüche antwortet das Schluß kapitel. Auch sagt
mir meine Mathematik deutlich genug, daß die steife Schnürbrust eines symmetri-
schen Systems ein Unding ist, daß die Wissenschaft in der unaufhörlich sich fort-
bewegenden Forschung besteht, die ohne viel zu fragen, wenn es ihr nützlich scheint,
das, was man bisher zum Grunde legte, zum Schlußstein macht und umgekehrt, und
daß es nur eine für bestimmte Zwecke mehr oder weniger vortheilhafte Anordnung
der Materialien giebt. Indeß leugne ich nicht, eine Anordnung und Vertheilung wie
sie S. 406 Nr. 226 beschrieben ist, wäre mir eben recht gewesen, und komme ich
noch einmal zu einem recht zusammenhängenden, durchgreifenden, umfassenden
Studium Ihrer Werke, so werde ich mir unfehlbar zu meinem Privatgebrauch einen
solchen Auszug ausarbeiten. —
Indeß die „praktischen Gesichtspunkte« sind nicht zu vergessen, die man überall
festgehalten findet, und die einerseits dem Buche ein besonders lebendiges Interesse
.geben, wie wohl auch die Aufgabe allemal da sehr erschweren, wo von Theoretischem
die Rede ist, und wo an die Stelle der wissenschaftlichen Erörterung zuweilen blose
Erzählung treten muß, was doch kaum befriedigen kann. Nun verweisen Sie zwar
auf ihre Werke und wollen diese durch die Encyklopädie keineswegs entbehrlich
machen. Dies versteht sich für Männer von Fach als ganz unbestreitbar von selbst,
aber würde auch bei jenen praktischen Männern, für welche Sie hauptsächlich
schreiben, auf ein weiteres Studium zu rechnen seyn und sollten diese nicht manch-
mal statt eines Citats lieber an Ort und Stelle noch einige Erläuterungen und Aus-
Dezember 1831. 273
führungen wünschen? Mit Vergnügen habe ich aber bemerkt, daß Sie Sich diesmal
über Religionslehre etwas ausführlicher erklärt haben, als es mir sonst vorgekommen
ist; indeß sucht doch vielleicht wenigstens mancher Theolog noch nach einer ||
„Kritik der Offenbarung"? Was ich über die Abhängigkeit des Menschen nicht blos
von der Natur, sondern auch vom Staat und der Kirche las, war mir um so interes-
santer als, wie es mir scheint, manche Philosophie dieses Gegebne als solches ganz
ignorirt, uns vielmehr häufig ä la Rousseau wieder in den Naturzustand zurück zu
versetzen sucht und uns beide, Kirche und Staat, gleichsam als große Verirrungen
der Civilisation darstellt. — Doch ich muß mich beschränken. Der Anregung und
des Genusses hat mir dies neue Werk schon genug geboten und mich von Neuem
das Bedürfniß einer genaueren Orientirung in der Philosophie, als mir bis jetzt
möglich wurde, fühlen lassen. Ich muß sehen wie ich Zwittergeschöpf, das immer
dazu bestimmt seyn wird in der Mathematik wie in der Philosophie, wenn das
Glück gut ist, in der zweiten Linie zu stehen, damit fertig werde. Ich fühle es
wohl, es ist nicht gut, zwei Göttern zu dienen, aber — dies Verhältniß ist gegeben
und so müssen wir die Widersprüche zu bearbeiten suchen.
Von der Pallas und ihrem Verleger denke ich nichts Gutes, wie sehr viele
Leute hier. Es ist ein Schwindler. Ich habe daher Ihr Billetchen, der gegebenen
Vollmacht gemäß, zurückbehalten. Leider kann ich Ihnen heute über Brandis Rec.
noch nichts schreiben. Ich muß sie ganz übersehen haben, oder sie ist, als ich
einige Tage verreist war, vorübergegangen. Da er nicht unterzeichnet haben mag,
so habe ich auch keine Auskunft erhalten können. Ich bitte sehr, geben Sie mir
das nächstemal, wenn Sie mich mit einem Brief che n beehren, an, wo sie zu finden
ist. Es muß wunderlich aussehen, eine solche Notiz 100 Meilen weit her zu er-
bitten, aber die Leipziger Philosophen poiitisiren oder poetisiren oder beten andre
Götter an als welche wir verehren, daher spreche ich mit keinem gern von Ihrer
Philosophie, denn wir reden fremde Sprachen für einander. Möglich ist es auch,
daß Brandis Rec. durch meine Hände gegangen ist, daß ich aber gleich von vorn
herein einige Mißverständnisse oder Mißgriffe bemerkt und sie dann bei Seite gelegt
habe. Von einer Rec. in der Hall. L. Z. erinnere ich mich in der That gegen einen
Freund geäußert zu haben, man sehe aus den ersten Zeilen, daß der Mann in seinem
Leben nicht die kleinste mathematische Untersuchung geführt habe. So ist es mir
auch neulich bei einem Bericht vom jungen Fichte über Ihre Philosophie im
Literaturblatte des Morgenblattes sehr übel geworden.
Meine kleine Schrift haben Sie vielleicht nun erhalten. Es ist leichte Waare
und in sofern Ihrer Aufmerksamkeit nicht würdig, aber sie ist ein Nothschuß hier
bei uns in Sachsen. Für die Leipz. Litz. hat Brandes, wie er mir sagt, schon
eine Anzeige besorgt, vielleicht erlaube ich mir aber Ihre Güte für die Jenaische
noch in Anspruch zu nehmen. Vergeben Sie mir meine Nachlässigkeit in der Be-
antwortung Ihres so interessanten Briefes, die da Sie mich unterdessen wieder mit
einem Geschenk Ihrer Feder erfreuten, ja als Undankbarkeit erscheint. Noch trägt
mir meine Frau auf, Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin sie ehrerbietigst zu empfehlen,
auch ich wünsche Ihrer verehrten Frau Gemahlin empfohlen zu seyn und bitte um
Ihr ferneres freundschaftliches Wohlwollen
ganz der Ihrige Drobisch.
383. An Drobisch.1) Kgb. 8 Dec 31.
Heute nur ein Wort, Verehrtester! Ihre Schrift habe ich noch
nicht; aber die Briefe gehn so schnell, daß ich füglich noch etwas fragen
*) 1 S. 40.
Hvrbarts Werke. XVII. 18
274 Dezember 1831.
kann. Sie wollen meine Rec. in der Jenaischen Z. sehen. Wäre die
Hallische nicht besser? oder haben Sie dort schon Ihren Mann? — In
Jena speit man Feuer gegen mich. Eichstädt könnte gegen mich ein-
genommen seyn. Der Redacteur könnte erwachen. Man könnte sagen:
wartet, bis wir Euch auffordern. — Oder wollen Sie ihm schreiben (falls
Sie Ihres dortigen Verhältnisses gewiss sind) — wollen Sie ihm sagen:
ich sey bereit; man möge mich nur auffordern. — ? Doch wie Sie
wünschen. Mir gilts völlig gleich. Nur bitte ich um baldigste Antwort.
Vielleicht wünscht auch Eichst, sich mir gelegentlich wieder anzunähern;
u. ich bins zufrieden.
Die Rec. von Brandis steht im August der Hallischen Zeitung.
Wahrscheinlich war sie schon in Ihren Händen. Aber Ihr Urtheil ist
hart — und dafür, daß Sie mich in einem so kritischen Augenblick so
lange rathen ließen, warum Sie, — meine beste Stütze — sich mir ent-
zogen, — könnte Ihnen wohl Jemand eine kleine Buße auferlegen.
Dieser Jemand ist kein andrer als Herr Professor Drobisch. Er wird
Ihnen etwa sagen, er habe ein schönes Werk für mich begonnen; und
Sie sollen es nun nicht sinken lassen. Die Buße aber möchte etwa
darin bestehen, daß Sie die schon beseitigte Rec. doch einmal — bey
guter Muße — wieder ansähen. Denn sie hat sehr viel Gewicht für
den literarischen Markt! Und mir liegt sehr an Ihrem Urtheil — nach-
dem Sie dieselbe werden gelesen haben.
Wenn die Königsberger mit ihrem Gerede mich wegblasen könnten,
so wäre ich schon in B. Wäre ich dort, so säße ich bei erster Muße
auf der Schnellpost, nach Leipzig. Für jetzt müssen diese Zeilen
genügen.
Doch noch eine Probe von einem hiesigen Mathematiker J[acob]i. In
meiner Psychol. sollte billig keine Quadratwurzel vorkommen. Denn —
die bey den Werthe passen ja alle bey de nicht in die Psychol. Solche
Dinge redet man zu unsern jungen Mathematikern; diese haben aber bey
mir etwas Logik gelernt u. wissen, daß nicht aus dem Gattungsbegriffe
eine Forderung aller species abzuleiten ist. Also — man lacht! Wie
immer der Ihrige H.
[Randbemerkung:] B[essel] machts etwas klüger, doch nicht besser.
Aber in diesem Augenblicke gelten Sie im Puncte der Psychol. ungleich
mehr als J. u. B., und diese Hrn. verlieren ihre Worte umsonst.
384. J- G» Gruber an H.1) Halle, am kürzesten Tage 1831.
Hochverehrter Herr Kollege ! Ich ergreife den Augenblick , wo zwei meiner
jüngeren Freunde, die Professoren Beßer, der Überbringer dieses Blattes, und Lorenz
von hier nach Petersburg abgehn, um Ihnen wenigstens einige Zeilen zu schreiben.
Vor allen Dingen meinen herzlichsten Dank für Ihre Encyklopädie , die ich mir zu
meinem köstlichsten Weihnachtsgenusse aufgespart habe, weil ich ungestört dabei
seyn wollte. An Brandis habe ich wegen der Recension geschrieben, und er ant-
wortete mir: »Unseres Herbarts Encyklopädie möchte ich allerdings sehr gern an-
zeigen, jedoch nicht bevor ich mich mit dem trefflichen Manne über einige Haupt-
') 1 S. 4°. H. Wien. - J. G. Gruber, 1774—1851, s. Allg. D. ßiogr. 10, 1 ff.
Dezember 183T. 275
punkte unsrer Differenzen brieflich werde verständigt haben, oder bis er sich über
meine Recension seiner Metaphysik öffentlich geäußert haben wird.u Sie haben dies
in einer besonderen kleinen Schrift thun wollen , über deren Verlag Schwetschke
bedenklich war, weil es eben eine kleine Schrift seyn sollte. Wenn Sie diese nun
nicht anderwärts herausgeben, wollen Sie dann nicht die A. L. Z. dazu benutzen?
Sie wissen, wie gern ich Ihnen die Schranken eröfne.
Meinen zweiten Dank bringe ich Ihnen für Ihre herrliche Eecension der Er-
ziehungslehre von Schwarz. Sie erscheint im Januar. Ist Ihnen nichts vorgekommen,
was Sie zu recensiren wünschten?
Hegel ist nun dahin, wo ihm ein neues Licht aufgegangen seyn wird. Mein
erster Gedanke bei der Nachricht von »seinem Tode war : Herbart in Berlin ! Wie
sehr wünsche ich dies, gewiß zuerst Ihrer wegen, dann aber doch ein wenig eigen-
nützig, weil uns dann keine so weite Entfernung mehr trennt. Vor der Hand danke
ich Gott, daß er Sie vor der Cholera bewahrt hat. Er schütze Sie und Ihre treff-
liche Gemahlin ferner ! Dies ist zum neuen Jahr der herzlichste Wunsch
Ihres Ihnen innigst ergebenen Gruber.
385. Drobisch an H.1) Leipzig, d. 27 December 1831.
Mein sehr verehrter Gönner und Freund! Ich bin Ihnen für Ihre so schnelle
Antwort doppelt und dreifach verbunden: denn 1. war ein so saumseliger Corres-
pondent wie ich eine solche nicht werth, 2. schrieben Sie obendrein zum Theil nur
in meinen Angelegenheiten, und 3. haben Sie mir damit eine höchst wohlthätige philo-
sophische Anregung gegeben. Ihrem Wunsche gemäß habe ich mich gestern an die
Hall. L. Z. gewendet. Es ist noch Zeit genug, denn die Schrift wird erst im neuen
Jahre versendet. Mit Jena bin eigentlich auch ich zerfallen. Er hat mir — Eich-
städt — mehrere Recensionen verstümmelt, unter andern auch die von Ihrer
Metaphysik, wo er die Einleitung zum Theil gestrichen hat. Das war ich endlich
müde und schrieb einen derben Brief, seitdem sind wir auseinander; das wird nun
bald ein Jahr seyn. — Mein innigster Wunsch ist jetzt, Sie in Berlin fixirt zu sehen;
dann kommen Ihre Anregungen öfter und ich habe einen Hebel mehr, von der ver-
botenen Frucht zu essen. Die Journale kannegießern schon frisch weg über die
Besetzung von Hegel's Stelle. Man versäumt nie, Sie unter den Candidaten mit auf-
zuzählen, man scheint aber von Ihren Äußerungen keine begriffen zu haben als dier
Sie seyen ein Kantianer, aber von 1830; ich will wünschen, daß im Ministerium
Leute sich befinden, die selbst urtheilen, damit man Sie nicht mit Krug und selbst
nicht mit Fries zusammenwerfe, die so wenig von der alten Stelle gekommen sind.
— — Über Ihren J[acob]i kann ich mich nicht genug wundern. Es ist ein wahr-
haft hämisches Urtheil. Die Malice der Kinder Israel (er ist ja wol aus diesem Stamme)
steckt doch noch in ihm! Ich muß ihn als mathematisches Genie höchlich respec-
tiren, aber es ist mir unbegreiflich, wie ein Mathematiker sich nicht freuen kann
über ernste und gründliche Bemühungen, seiner Wissenschaft ein neue Provinz
zu erobern. Ich zweifle nicht, daß wäre H. J. ein Zeitgenosse Gallilei's oder New-
ton's gewesen, er zu den hartneckigen Gegnern dieser großen Männer gehört haben
würde. Doch ist es vielleicht mehr Mangel an Wohlwollen denn an Einsicht, Mangel
an jenem Wohlwollen, das Leibnitz in so hohem Grade besaß, welches selbst aus
dem Unwahren und Verfehlten das Richtige herauszufinden sucht, und das nicht zu
vernichten, sondern zu ergänzen strebt. Den andern berühmten Mann,2) der sonst
x) 3 S. 4°. H. Wien.
2) Bessel.
2 76 Dezember 183 1.
höchst liebenswürdig seyn soll, halte ich aber für zu einseitig ausgebildet, als daß
ch mich wundern sollte, wenn er Ihnen durch seine Zweifel hinderlich ist. Er ge-
hört ganz zu der zahlreichen Classe derer, die alle Metaphysik fliehen, verachten,
weil sie darunter nur Träumereien verstehen, und in der That, sie haben Grund sich
zu scheuen; wären nicht Ihre Schriften mir in die Hände gekommen, ich hätte mich
im Leben nicht wieder um ein philosophisches Blatt bekümmert; und hätte ich von
Ihrer Metaphysik nicht eine Recension machen wollen, ich gestehe es Ihnen offen:
das Blättern darin || würde mich abgestoßen haben. Nun komme ich eben auf
den rechten Punct: die Reoens. v. Brandis. Nein diese, Verehrtester, ist mir noch
nicht vorgekommen; ich habe sie übersehen. Ich vermuthe, daß mein ., hartes*'
Urtheil sich auf v. Berger über die Psychologie bezog. Brandis Rec. erscheint mir
sehr schätzbar. Man sieht ihr Vfs. ist ein redlicher Mann, der reines Interesse an
der Wahrheit hat. Er läßt Ihnen im Allgemeinen viel Gerechtigkeit widerfahren.
Er sagt ehrlich, wo er im Einzelnen Sie nicht begreift, Ihre Lehren sich nicht an-
eignen kann. Aber die Resultate, die er am Ende zieht, können Ihnen und Ihrer
Philosophie nur vortheilhaft seyn. Ich habe diese Rec. nicht nur mehrmals gelesen,
ich habe sie excerpirt und mir vielerlei dabei niedergeschrieben. Ich habe da klar
das Bedürfniß gefühlt, mir einmal, wie ich es in meinem letzten Briefe andeutete,
einen vollständigen Auszug aus Ihren Hauptwerken anzufertigen: so in der Weise
der Jen. Recension; denn jetzt ist gar Vieles noch nicht verbunden. Leider ist auch
ein langer Brief ein zu euger Raum zu wissenschaftlichen Mittheilungen von einiger
Ausführlichkeit; daher nur einiges Wenige. Die Darstellung, die Reproduction Ihrer
Ansichten ist wol größtenteils richtig und für den, der Ihre Schriften schon kennt,
verständlich, jedoch nicht ohne Mißverständnisse, die denn natürlich auf die bei-
gefügten Bemerkungen Einfluß haben; vielleicht hielt B. aber die Ausführlichkeit
der Jen. Rec. in der Darlegung Ihrer Forschungen ab, mehr Raum darauf zu ver-
wenden; seine Recens. ist daher auch weit mehr Beurtheilung als die meinige, aber
ich glaube: manche Zweifel und Fragen hätte er sich selbst beseitigen können, wenn
es ihm anders möglich war, noch etwas mehr aus sich herauszutreten. Einiges
Einzelne, aber ohne Ordnung. B. giebt die hypothetischen und disjunctiven Urtheils-
formen nicht auf, verschweigt aber die Gründe, mit denen er sie noch stützt. Ich
habe selbst hier noch einige Zweifel. Ihre Behauptung, daß alle Urtheile hypo-
thetischer Natur, ist mir ganz einleuchtend. Nun kann man aber, wie es mir scheint,
hier drei Formen unterscheiden 1. Wenn A ist, so ist A = B; 2. Wenn A = C ist,
so ist A = B; 3. Wenn A = C ist, so ist B = D. Die beiden ersten sind kategorische
Urtheile : es bleibt bei dem Subject A entweder schlechthin oder determinirt durch
C, und dies ist enthalten unter B, im Umfang von B; im 3ten aber verläßt man
das Subject A und sagt etwas über das neue Subject B aus, das dem Subject A
ganz fremd seyn kann. Ich kann hier doch nicht alles auf blose Sprachform redu-
ciren. Daß das disjunctive Urtheil ein zusammengesetztes, ist mir sehr klar, also
kann es nicht mit dem kategorischen rangiren. — In der Theorie von Grund und
Folge hat B. auch noch eine Dunkelheit, vielleicht mehr wie ich. Ich glaube jedoch
heraus zu seyn und habe mir den Gegenstand nach meiner Weise geformt. B.
glaubt die Methode der Beziehungen aus der Mathematik gewonnen, das ist meine
Meinung nicht! Aber worauf beruht die Synthesis der Mathematik? möchte ich bei-
nahe auch fragen. Sie erklären die logischen Formen für die einfachste Substitution
für zu dürftig, aber gleichwohl kann doch die Meth. der Beziehungen nicht statt
finden. Mir scheint es doch, daß die math. Synthesis sich durch logische Formen
darstellen laßt. Sie Selbst unterscheiden Subsumtions- und Substitutionsschlüsse:
die letzteren, mein' ich, kommen in d. Mathem. || unzählig oft vor. Die allgemeine
1831. 277
Logik hat freilich keinen großen Reichthum an Formen, die sie substituiren kann,
vielleicht zum Theil weil sie keine Zeichensprache hat. Diese Zeichensprache kommt
nun in der Mathmk. zu Logik hinzu; aber logische Formen scheinen mir doch zum
Grunde zu liegen; die wahre mathematische Synthesis beruht, soviel ich einsehe,
auf der Ergänzung des Grundes oder auf der Bildung fruchtbarer, zufälliger An-
sichten. Der Hauptunterschied mit d. Metaphysik ist also vielleicht der, daß die
Bildung solcher Ansichten in d. Mathematik oft nur zufällig ist, in der Metaphysik
aber das Gegebene mit seinen Widersprüchen treibt; und doch finde ich in der
Geschichte der Mathem. auch solche treibende Kräfte! — Unter die Mißgriffe v. B.
gehört wol auch mit, daß er sagt: „das der Einheit der Substanz gleichgeltende
Mannigfaltige bilde eine zufällige Ansicht.1' Da müßten die widersprechenden Merk-
male doch zur Vereinigung! Ich glaube dies in meiner Anzeige richtig unterschieden
zu haben. Auch darin fehlt er, daß er die zuf. Ansicht für eine Hypothese nimmt.
— In der Synechoiogie kann sich B. nicht von dem Begriffe der Lage trennen,
wenn gleich noch weder Raum noch also Lage vorhanden ist. Überhaupt halte ich
es für einen Hauptfehler seiner Auffassung, daß er Metaphysik und Psychologie
nicht genug oder vielmehr gar nicht hinlänglich scheidet. Daher denkt er auch in
der Metaphysik gern wie man zu denken gewohnt ist, nicht wie man denken soll,
wie es die Probleme fordern, mag es leicht oder schwer werden. So ist woi auch
die Herbeiziehung der psychologischen Deduction des Räumlichen nicht am Platze:
es ist ja von der Construktion des intellectuellen Raumes, nicht von dem zeitlichen,
natürlichen Entstehen räum-]licher Formen die Rede. Die Einwürfe gegen die Con-
struction des Stetigen sind für . . . ohne Gewicht. Den Grund, warum Wesen im
unvollkommenen Zusammenseyn können .... ganz falsch aufgefasst; ebenso das
Mißlingen des räumlichen Zusammenstoßes zweier Wesen ganz gegen Ihre Meinung
dem Subject zugeschoben u. s. f. In der Eidolologie bin ich selbst noch nicht so
sattelfest, daß ich eine, wenn auch nur fragmentarische, Metakritik geben wollte.
Dies kommt daher, daß ich Ihre Psychologie anfangs nur hypothetisch auffasste und
vor der Erscheinung der Metaphysik die Methode der Beziehungen nicht verstehen
konnte. Diese Lücke muß also bald einmal ergänzt werden. Es wäre längst geschehen,
wenn ich nicht Philosophie immer als eine halbverbotene Frucht ansehen müsste.
Mit dem lebhaften Wunsche, Sie bald 78 Meilen näher zu wissen und den ehrer-
bietigsten Grüßen an Ihre Frau Gemahlin von mir und meiner Frau, mit inniger
Verehrung Ihr ganz ergebener Drobisch
N. S. Einen glücklichen , frohen Antritt des Neujahrs. Möge es für Ihre
Philosophie heilbringend seyn. Berlin die Losung!
Adr.: Herrn Consistorialrath und Professor Herbart Wohlgeboren in Königsberg
frei.
386. Brandis an H.1)
Ich soll Empfinden u. Vorstellen auseinanderhalten u. bin in der That durch
meine eignen Ueberzeugungen nicht veranlaßt, das eine dem andern unterzuschieben,
wenn ich nur durch solche, mir sehr geläufige Distinction das Ziel der Verständigung
zu erreichen vermöchte! Pressen Sie nicht etwas meine Worte, wenn Sie auf die
Frage: an sich sind einfache Wesen; wie werden Vorstellungen daraus? — er-
widern: aus einfachen Wesen wird gar nichts; Vorstellungen werden nicht aus
AVesen, sondern aus Empfindungen u. die Empfindungen sind immer Zustände ein-
facher Wesen? Sie scheinen mir nämlich theils das daraus, theils das Wort Vor-
x) 6 S. gr. 4°. S. 0. Anm. zu S. 264.
278 1831.
Stellung zu pressiren, welches ich nach ihrem Vorgange für Empfindung gebraucht
habe. Doch streiten wir nicht um Worte: ich setze sehr gern an die Stelle
obiger Frage eine andere: wie werden innere Zustände empfunden? wie ist das sich
selbsterhalten nicht ein bloßes sich verhalten, sondern ein Empfinden? Dies eben
ist einer der Punkte, an welchen die Scheidewand nicht fallen will. Sie lassen das
Bewußtsein aus der Empfindung allmählig sich entwickeln u. ich gebe ihnen zwar
allerdings zu, daß das Bewußtsein ein sich allmählig entwickelndes, zu größerer
Bestimmtheit fortschreitendes ist, bin Ihnen im hohen Grade dankbar für Ihre
schönen Untersuchungen über diese fortschreitende Entfaltung desselben u. sehe der
Fortsetzung Ihrer Untersuchungen mit Verlangen entgegen ; kann Ihnen aber weder
zugeben, daß schlechthin bewußtlose Empfindung || denkbar sey, noch, daß Sie den
Uebergang von bewußtlosen zu bewußten Zuständen, von 0 zu 1 nachgewiesen. In
ersterer Beziehung sehe ich nämlich durchaus nicht ein, wie schlechthin bewußtlose
Empfindung von andern bewußtlosen Zuständen (die doch gleichfalls auf Selbst-
erhaltung gegen mögliche Störungen zurückzuführen) zu unterscheiden; worin das
spezifische Merkmal bewußtloser Empfindungen zu setzen. Nähern Sie Sich durch
Voraussetzung solcher Empfindung nicht unvermerkt der Annahme älterer Natur-
philosophie des Telisio, Campanella usw., daß auch die Pflanze empfinde usw. ? —
In zweiter Rücksicht begreife ich sehr wohl, daß eine einzelne Empfindung an sich
nicht Vorstellung von irgend etwas, am wenigsten Bild eines Dinges seyn könne;
zur Bildung von Vorstellungen vielmehr erst die Verbindung von Empfindungen be-
stimmtere Form gewinnen müsse; aber keineswegs, wie durch Verbindung bewußt-
loser Elemente Bewußtsein entstehen solle. Vorstellen nämlich ist doch wohl mit
nichten dem Bewußtsein gleich zu setzen, vielmehr für eine einzelne Modification
desselben für Bewußtsein auf der ersten Stufe der Vermittlung zu halten. — Ebenso
gebe ich Ihnen zu, daß damit von einem Subjecte die Rede seyn könne, nicht bloß
Objecte vorausgesetzt, sondern auch das Vorstellen der Objecte von ihnen selbst
unterschieden werden müsse; daher vielfach wiederholt, stets eine Ausbildung ver-
anlassende Reproduction nöthig sey, ehe ein vorgestelltes Subject u. in Verbindung
hiemit das Ich zu Stande käme; aber bin zugleich überzeugt, daß dem Vorstellen
und Empfinden schon ein Subject zu Grunde liegen mußte, welches gleichwie der
Causalitätsbegriff sich längst wirksam || in uns erwiesen, bevor es durch Reflexion
zur Bestimmtheit des Bewußtseins gelangen konnte. Nun wollen allerdings auch
Sie aus einfachen Wesen gar nichts erst werden lassen; betrachten jedoch das Subject
als das posterius* Empfindung u. Vorstellung als das prius, an sich, nicht bloß
unserer Auffassung nach; wogegen ich behaupte, xad* r/fias seyen Empfindung u.
Vorstellung, das prius, ttard xt)v (pvoiv dagegen umgekehrt, Empfindung u. Vor-
stellung undenkbar, ohne an oder in einem Subject. Wie in uns die Vorstellung
des Subjects sich allmählig ausbilde, darüber verdanke ich ihnen schon manche Be-
lehrung u. werde ohne Zweifel Ihren ferneren Untersuchungen darin noch mehr
verdanken ; aber schwerlich je begreifen, wie das sich selbsterhalten gegen das, was
Störung seyn würde, schon an sich Empfindung u. diese ohne die Zweiheit des
Empfundenen u. Empfindenden (Object u. Subject) denkbar sey. Sie behaupten.
Die wirkliche Seele ist nicht unmittelbar Subject ; ich dagegen, sie ist Subject ebenso
unmittelbar, wie sie empfindend ist, nur bedarf es der Vermittlungen, auf daß sie
sich selber als Subject betrachte u. vorstelle. So kann ich denn die Annahme eines
ursprünglich (zwar nichtvorstellenden , wohl aber) empfindenden Subjects keines-
wegs als ein Hirngespinst, was uns bloß vorgaukele, fahren lassen u. zwar darum
nicht fahren lassen, weil auch die formlose Empfindung ohne Bewußtsein, gar nicht
festzuhalten, von Zuständen des Nichtempfindenden, Leblosen gar nicht zu unter-
1831. i»79
scheiden ist. Von Vorurteil werde ich dabei keineswegs geleitet u. erkenne völlig
an, daß er (?) nicht weit genug zurückgegangen ist. Ihre Behauptung, alle Elemente
könnten vorstellende "Wesen werden, wenn die Bedingungen der geordneten Ver-
bindung u. hiervon abhängenden || geordneten Eeproduction bei ihnen zuträfe, kann
ich selbst nur hypothetisch gelten lassen, wenn Sie mir verstatten, ihnen Empfindung
u. Bewußtsein, wenigstens der Möglichkeit nach, als Bedingung geordneter Repro-
duction, beizulegen. Daß die hier zwischen uns noch stattfindende Differenz sich
nicht durch gehörige Sonderung des metaphysischen u. psychologischen Standpunktes
ausgleichen lasse, bedarf wohl keines weiteren Beweises u. so sehr mich auch die
liebe- u. lichtvolle Auseinandersetzung dieser Verschiedenheit der Standpunkte in
dem mir gütigst mitgetheilten Aufsatze Ihres jungen Freundes1) erfreut hat, Be-
lehrung konnte sie mir nicht gewähren, u. die angebliche Verwechselung beider
Standpunkte in meiner Recension kann ich nur für eine scheinbare halten. Die
Verschiedenheiten auseinander zu setzen, fand ich mich in einer Anzeige, die sich
auf einige Hauptpunkte beschränken mußte, auch nicht veranlaßt; aber daß ich sie
richtig aufgefaßt hatte, davon überzeugt mich die Vergleichung meiner Auffassung
(die ich freilich nicht schwarz auf weiß nachweisen kann) mit Herrn Strümpells
Darstellung. — Doch ich soll die erst in der Späte durch Reflexion erzeugten Vor-
stellungen von Subject u. s. w. auf die ihnen vorangegangenen Empfindungen u.
einfachen Vorstellungen übertragen haben. Das wollte ich einräumen, wenn ich
mich auf die Behauptung beschränkte: in unsern gegenwärtig ausgebildeten Em-
pfindungen u. Vorstellungen findet sich schon das Bewußtsein von Subject; aber
ich gehe weiter und behaupte, Empfindungen u. Vorstellungen ohne an oder in einem
sie auffassenden Subjecte sind nicht nur nicht in unserm ausgebildeten Bewußtsein
nicht nachzuweisen, sondern undenkbar, insofern zur Denkbarkeit Bewußtsein von
Merkmalen gehört, wodurch Empfindung von empfindungslosen Zuständen sich unter-
scheiden. Ich benaupte ferner, schlechthin bewußtlose Empfindung auch zugegeben,
so setzt der Versuch, aus ihnen das Bewußtsein abzuleiten, dieses schon voraus.
Doch ich gerathe in Gefahr, mich zu wiederholen. Nur das bemerke ich noch, daß
aus diesem Punkt der Differenz sich ergiebt, wie auch die angebliche Verwechse-
lung des Ich mit der Seele nur eine scheinbare ist. Wie sich nämlich das eine
vom andern unterscheide, ist mir keineswegs entgangen, aber ich kann den Unter-
schied nur für relativ halten, und nur || zugeben, daß in der Seele das Subject u. Ich,
obgleich zugleich mit ihr vorhanden, erst nach u. nach zur Bestimmtheit des Be-
wußtseins gelange. Auf ähnliche Weise verhält es sich mit meiner Frage: wie aus
der einfachen Wesenheit das Ich werden solle?, daß das Werden beseitigt werden
soll, ist mir keineswegs verborgen geblieben, u. kann ich mich nicht überzeugen,
daß es wirklich beseitigt ist.
Doch das zuletzt Berührte führt uns zu einer andern, sehr schwierigen Unter-
suchung, worüber mich auszusprechen, wie es der Wichtigkeit des Gegenstandes
und meinem Wunsche angemessen wäre, für jetzt Zeit und Papier nicht hinreichen
wird. Ich soll nämlich Ihren Realismus in Anspruch nehmen und verkennen, daß
sich Ihrer Lehre zufolge Verbindung unter den Empfindungen, analog den Ver-
bindungen unter den Dingen bilden müsse. Das aber verkenne ich in der That
nicht und bin vorzüglich durch die dem Realismus von Ihnen gewordene, neue Be-
gründung vor mehr als 15 Jahren zu ernsterer Beschäftigung mit Ihren Schriften
bestimmt worden. Nur das begreife ich noch immer nicht, wie ohne2) der Wechsel
in der unendlichen Anzahl der Fälle jeden Augenblick wirklich stattfinden soll, ohne
*) Strümpell, s. 0.
2) Hier fehlt ] Wort, etwa „Kraft" oder „Prinzip1*.
28o 183^
daß sie genöthigt würden, zu ihren einfachen, unveränderlichen Wesenheiten noch
ein Princip, den Wechsel hinzuzudenken. In Bezug auf Bewegung von Ihnen auf
den Standpunkt des Leukippos hingewiesen zu werden, war mir keineswegs un-
erwartet, wie wenig es mir auch je in den Sinn gekommen ist, Ihre einfachen
Wesenheiten mit seinen Atomen zu verwechseln. Aber so wenig ich den Atomikern
ihre Annahme über Bewegung zuzugeben vermag; ebensowenig Ihnen die Ihrige,
oder genauer genommen, noch weniger, da jene im voraus Ausdehnung, ja Solidität
und den Raum postulieren, Sie beides erst entstehen lassen müssen (an dem ent-
stehen lassen müssen, bitte ich für jetzt keinen Anstoß zu nehmen) auch wenn
Ihnen der intelligible Raum ist, was den Astronomen der wirkliche. Doch um jetzt
Erörterungen über Ihre Synechologie zu vermeiden, angenommen, Ihre einfachen
Wesen wären im Räume, ohne ein Gesetz der gegenseitigen Ruhe, daher in ur-
sprünglicher || Bewegung vorhanden, so verändert sich meine Frage nach dem
Gruude der Bewegung in die nach dem Grunde der Ruhe, woher der Wechsel von
Ruhe und Bewegung? Nie sehe ich nur in der Ferne einen Punkt der Vereinigung,
oder vielmehr eines Vergleichs, worüber Sie mich am Ende auslachen werden.
Wie wäre es nämlich, wenn Sie Ihren einen, unbegreiflichen, Grund auf den [Sie]
die Anordnung der Weltkörper zurückführen, schon bei ihrer Bildung sich wirksam
beweisen ließen, kurz, wenn Sie (daß ich mir ein Herz fasse, es geradezu aus-
zusprechen) die göttliche Vorsehung als Prinzip des Wechsels gelten ließen? Für
Sie müßte ich dann freilich auch den Begriff schlechthin niger Selbstbestimmung in
Anspruch nehmen und als Folge dieses ersten Zugeständnisses einige andere mir
noch erbitten; genaue Appuntuation mir aber vorbehalten und es fast bereuen, so
wichtige Punkte so leichthin berührt zu haben.
1832.
W. : Zwei Worte über Naturphilosophie (S. Bd. VIII. S. 438 — 440). — Briefe über die
Anwendung der Psychologie auf die Pädagogik (S. Bd. IX. S. 339 — 462). — Rez. von
Wörleins System der Pädagogik (S. Bd. XIII. S. 216—218), Schwarzs Erziehungslehre
(S. Bd. XIII. S. 218 — 242), Drobischs Philologie und Mathematik (S. Bd. XIII.
S. 242—250), Weisses System der Aesthetik (S. Bd. XIII. S. 250—268).
387. Jäsche an H.1) Dorpat den 6t. Januar 1832.
Verehrungswerthester Herr Professor! Als ich neulichst in der Preußs. Staats-
zeitung die Anzeige von dem Ableben Hegels's las, war der erste Gedanke, welcher als
lebhafter Wunsch in mir aufstieg: möchte doch ein, dem ernsten und besonnenen,
und fürs Leben fruchtbringenden philosophischen Studium holder Genius, Ihrer Re-
gierung den Entschluß eingeben, den, durch jenen Abgang erledigten ersten philos.
Lehrstuhl einem Manne anzuvertrauen, der im Stande seyn würde, den philosophischen
Studien auf jener vielbesuchten Hochschule durch die Klarheit und Energie seines
philosophischen Geistes eine veränderte, den höchsten Zwecken der Wissenschaft
angemessene Richtung zu geben. Möchte an Sie also doch, Verehrtester! dieser
Ruf ergehen, und möchten Sie selbst auch diesem Rufe folgen wollen, indem Sie
in der Aussicht, durch Ihre Persönlichkeit und Ihre nächste Beruf sthätigkeit mit
Nachdruck und Erfolg wirken zu können, ein hinreichendes Motiv zur Vertauschung
Ihres jetzigen akademischen Wirkungskreises mit einem andern erweiterten finden
könnten. — Was mich glauben läßt, daß Ihre Regierung wohl nicht geneigt seyn
werde, mit einem Subjecte aus der neuesten Philosophen-Schule, die Ihren Hauptsitz
in Berlin aufgeschlagen hatte, die durch den Tod des berühmt gewordenen Meisters
dieser Schule entstandene Vacanz wieder zu besetzen, gründet sich auf eine, von
einem meiner Collegen, welcher in diesen Sommerferien in Berlin gewesen war, mir
mitgetheilte Versicherung, daß die Hegeische Philosophie gar nicht mehr, wie sonst
zuvor, der Gunst und Unterstützung von Seiten der Regierung sich zu erfreuen
habe, indem der G. R. Schulze, dessen Urtheile in Sachen der Wissenschaft und
der Philosophie insbesondere, der Minister des öffentlichen Unterrichts vertraut,
nicht mehr eine so entschieden vortheilhafte Meinung von dem Werthe und der
praktischen Bedeutsamkeit und Fruchtbarkeit des so hoch gepriesenen unvergäng-
lichen philos. Systems hege. Und was sind doch das auch, beym Lichte ächter
speculativer Kritik besehen, für Leute, diese Apostel der neuesten, allein selig-
machenden Allwissenheitslehre, welche die xvqkxi dn£ai ihres Meisters so gläubig
und wortgetreu nachbeten, und mit ihrem An sich, für sich und An und für sich
alles zurecht- und zurückweisen wollen, was zu diesen classischen Kernsprüchen
ihrer Schule nicht passen mag. Eine erbauliche Probe dieser Art hat noch neuer-
lichst erst der Hegeische Hinrichs mit seiner Recension des 2ten Bandes Ihrer
*) 4 S. 4°. H. Wien.
282 Januar 1832.
Metaphysik gegeben, die fast noch einen widrigem Eindruck auf mich gemacht, als
die des ersten Bandes von dem nämlichen scholastischen Kritiker. Wohl dürfen
Sie, mit Fug und Recht eine solche Beurtheilung als höhnischen Unsinn brand-
marken, und mit Unwillen sich von ihr wegwenden. Um so mehr, da Sie eine so
eclatante Satisfaction durch die in dem Geist Ihrer metaphysischen originellen
Forschungen mit einer musterhaften Klarheit, Schärfe und Bestimmtheit eingezogene
Beurtheilung von dem so gründlichen || und einsichtsvollen Mathematiker und Phy-
siker, Prof. Drobisch, erhalten haben. — Daß die Recension des 2ten Bandes Ihrer Meta-
physik in der Hallischen L.Z. von demselben Vf. sey, den Sie selbst mir als den Recen-
senten des ersten Bandes genannt hatten, habe ich gleich vermuthet. Diese Recension
habe ich, wie Sie wohl denken können, mit aller ihr gebührenden Aufmerksamkeit und
mit großem Interesse gelesen ; auch trage ich nicht das mindeste Bedenken, dem beyzu-
pflichten, was der Verfasser am Schluße seiner Kritik zur Empfehlung und Geltend-
machung des hohen Werthes, und der vorzüglichen Bedeutsamkeit und Fruchtbarkeit
Ihrer Forschungen im Gebiete der Metaphysik, so wie im gesammten Gebiete der
Philosophie überhaupt, so wahr und treffend gesagt hat. — Sollte aber wohl, wie Sie
meinen, der scharfsinnige Prüfer Ihrer psychologischen Theorie die Substanz, der
Seele wirklich in ein Fichtesches Ich verwandelt haben, und sollten auf dieser Ver-
wandlung nur, alle seine, Ihrer psychologischen Theorie entgegengestellten Forde-
rungen und Behauptungen beruhen? — Wenn Brandis die Fragen Ihnen vorlegt:
Wie ein Mannigfaltiges von Objecten in ein Vorstellen zusammengefaßt werden
solle, so lange noch kein Zusammenfaßendes Subject, oder kein Vorstellender, vor-
handen ist; indem die schlechthin einfache Wesenheit, woraus das Ich wird, für ein
zusammenfassendes Ich nicht gelten könne? — so hat er damit, wie es mir scheint,
doch wohl nur das Kantische Ich denke im Sinn gehabt, und so nach die reine und
ursprüngliche Apperception geltend machen wollen, welche Kant als dasjenige Selbst-
bewußtseyn beschreibt, das, indem es die Vorstellung: Ich denke hervorbringt, die
alle andern muß begleiten können, und in allem Bewußtseyn ein und dasselbe ist,
von keiner weiter begleitet werden kann. In diesem wirksamen Grunde, und ge-
meinsamen Träger der verschiedenen appercipirenden Vorstellungsmasseu hätte also
Ihr Recensent doch mehr als einen bloßen gemachten Mittelpunct anerkennen zu
müssen geglaubt. Freilich wohl ist, wie Sie bemerken, dieser Mittelpunct im Laufe
des ganzen Lebens, selbst bey gesunden Menschen, ein veränderlicher; aber diese
Veränderlichkeit bezieht sich, denke ich, doch immer nur auf die, nach Qualität und
Quantität einem steten Wechsel und Wandel unterworfene Vorsteliungssphäre, die
bey geistig gesunden Menschen denselben unverrückt bleibenden Mittelpunct um-
giebt. — Von der Anhänglichkeit an dieses Kantische Ich in der Dignität seiner
Einheit und Identität, kann auch ich mich nicht losmacheu, und bekenne darum mit
Kant: daß der Mensch in seiner Vorstellung das Ich haben kann, erhebt ihn un-
endlich über alle andern auf Erden lebenden Wesen. Dadurch ist er eine Person,
und, vermöge der Einheit des Bewußtseyns, ein und dieselbe Person. Übrigens
gibt es für den kritischen Idealismus doch auch ein Wir\ ja selbst der subjective
Idealismus der Fichte'schen Lehre muß nolens, volens auch das Wir anerkennen.
Will auch eines der jüngsten und sinnreichsten Spottgedichte von A. W. Schlegel,
dem Fichteschen Ich nachsagen: daß es das Du und Er kaum neben sich gelitten:
so mußte es doch nothgedrungen das Wir neben sich dulden. Gesteht ja doch der
Ichheitslehrer selber ganz offen und unumwunden es ein: daß der theoretische Theil
seiner Wissenschaftslehre wirklich der systematische Spinozismus sey, nur mit dem
Unterschiede, daß eines jeden Ich selber die einzige höchste Substanz sey. Wie
wäre auch wohl überall ohne die Voraussetzung und || Anerkennung einer Welt der
Januar T832. 283
Intelligenzen, und einer Gemeinschaft unter den einzelnen Gliedern derselben, noch
irgend ein Eingang in die idealistische Wissenschaftslehre möglich? — Was nun
ferner noch, als einen Punct von erheblicher Wichtigkeit, Ihr Recensent vorge-
bracht hat, betrifft den Widerspruch, den er zwischen Ihrer psycholog. Theorie
und dem praktischen Postulate der freien Selbstbestimmung, und der davon ab-
hängenden moralischen Zurechnung entdeckt zu haben glaubt. Zur Rechtfertigung
dieser freyen Selbstbestimmung ruft er sogar einen Hauptsatz aus Ihrer eignen
Theorie auf, indem er das bewußte Muß, ausgesprochen in der Behauptung: daß
unter den mehreren Vorstellungsmassen irgend eine die letzte seyn müsse, welche
darum auch als die höchste appercipirende, nicht wieder appercipirt werde, Ihren
Angriffen gegen die Annahme freyer Selbstbestimmung entgegenhalten will. — In
dieser Behauptung liegt, wie es auch mir scheint, ein unwidersprechlich.es Zeugniß
für die freye Selbstbestimmung, mit welcher sodann auch eo ipso, Ihrer eigenen
Theorie zu Folge, die moralische Zurechnung ihre vollkommene Rechtfertigung findet.
Diese Zurechnung kann aber doch immer nur, wie mich dünkt, den freyen Willens-
bestimmungen der eignen Person gelten. Oder sollte es auch eine Zurechnung
geJben, die, wie Sie behaupten, gar nicht an der einzelnen Person klebt, und sollte
eine solche in eigentlicher und strenger Bedeutung eine moralische heißen können?
Also sollte darum Jemand auch das Verdienst oder die Schuld eines Andern zum
eignen Verdienst oder zur eigenen Schuld sich mehr oder weniger anrechnen
dürfen? — Sey denn auch die Person des Andern, wie z. B. die Person des Sohnes
dem Vater, oder das einzelne Mitglied einer Nation den übrigen Mitgliedern derselben
nicht fremd; immer sind und bleiben doch die Handlungen dieser, durch irgend
ein geselliges Band mit mir vereinigten Personen mir fremd wofern ich nur überall
mir bewußt seyn darf, durch meine selbsteigne freye Causalität keinen aliquoten Antheil
auf irgend eine, positive oder negative, directe oder indirecte Weise, an den Thaten
der mir nicht fremden Personen gehabt zu haben. Mag denn immerhin, auch noch
unter dieser Bedingung, ein Vater dessen sich schämen, was der Sohn thut; oder
eine Nation dessen sich schämen oder rühmen, was ihre einzelnen Mitglieder thun,
diese Gefühle sind ja doch, meine ich, nicht gleichartig mit den eigentlichen mo-
ralischen Gefühlen der Reue und der Vorwürfe des strafenden Gewissens, oder im
entgegengesetzten Fall, mit den moralischen Gefühlen der Selbstbilligung und Selbst-
zufriedenheit, und des edlen moralischen Stolzes wegen des größeren oder geringeren
Antheils, den die selbsteigne Person an den Handlungen der fremden sich zu-
schreiben darf. Jene, nur uneigentlioh so genannten moralischen Gefühle ent-
springen, denke ich, doch immer aus irgend einer pathologischen Quelle. — —
Die Ihnen, mein Verehrtester! hier in der Kürze auch meinerseits mit Frey-
müthigkeit und Offenheit dargelegten Zweifel und Bedenklichkeiten, welche auch
meiner, wie Ihres Recens. Überzeugung zufolge, Ihrer psychologischen Theorie im
Wege stehen, können und dürfen mich doch, wie schon gesagt, so wenig wie Ihren
liberal denkenden Recens. abhalten, in das wohlgegründete und gerechte Lob ein-
zustimmen, welches derselbe am Schluße seiner Kritik Ihren verdienstlichen
Bemühungen ertheilt hat. An der Aufrichtigkeit dieses meines, Ihnen selbst hier-
mit wiederholentlich abzulegenden Bekenntnißes nicht zweifelnd, werden Sie, Ver-
ehrungswerthester! nun auch überzeugt seyn können, wie höchst mißfällig mir eine
Darstellung und Würdigung Ihres philosphischen Systems seyn müsse« in welcher
Ihre Absichten verkannt, Ihre hauptsächlichsten und wichtigsten Lehrsätze auf eine,
oft recht grobe, Weise entstellt und gemißdeutet weiden, und die gesammte, von
Ihrem Standpuncte aus sich darbietende Weltansicht in ein falsches Licht || gestellt
wird. Eia solche verkehrte und ungerechte Auffassungs- und Behandlungsweise
284 Januar 1832.
Ihres Systems kam mir vor wenigen Tagen zu Gesichte, als ich die, dem Morgenblatt
einverleibten, von W. Menzel herausgegebenen Literaturblätter durchging, und unter
ihnen in den Nummern 86 bis 94 (Aug. u. Sept. 1831) die von Fichte gegebene
Übersicht der neuesten phisosoph. Literatur erblickte. Daß der speculative Revident
bey seiner Revision die Origiualwerke Ihres philos. Geistes nicht übersehen und
übergehen konnte u. durfte, versteht sich wohl von selbst: aber wie schief und ver-
kehrt hat er die wichtigsten und bedeutendsten Lehrstücke Ihres Systems aufgefaßt;
und was hat er aus ihnen gemacht! Und doch will er seine Darstellung für den
ersten Versuch angesehen wissen, Sie, als Philosophen, der allgemeinen Denkweise
etwas näher zu bringen. Seltsam u. wunderlich müßte man schon die Zusammen-
stellung zwischen Ihrer Philosophie und der mystisch speculativen Transscendenz der
Troxler'schen Anthroposophie finden, wenn man nicht bald u. leicht die Absicht da-
bei erriethe. Opposita juxta se posita pp. — Das System eines unverholen und
aufrichtig dargelegten Irrthums, wofür der ungetreue Referent das Ihrige ansieht
und ausgibt, sollte ohne Zweifel einem System der Wahrheit zur Folie dienen. Denn
in dem Spiegel der Troxler'schen Anthropo- u. Theosophie erblickt ja der Revident
die Wahrheit; zwar noch nicht die ganze u. volle; aber doch schon als Vorbereitung
u. Einleitung. Denn die Wahrheit als vollendetes u. beschlossenes System, wird erst
künftig doch bey ihm selber, in einer vollendeten Selbstorientierung des Menschen-
geistes in sich, zu heben seyn. Man kann nun schon voraussehn, wohin dieses führen
wird. Der Sohn wandelt auf dem Wege der Mystik raschen Schrittes fort, welchen
Weg der Vater in den letzten Zeiten seiner Speculation, betreten hatte. Wie selbst-
genügsam sieht nun der eingebildete Inhaber der allein wahren Philosophie auf die
Ihrige als ein System des Irrthums herab! Durch die Brille seiner transscendenten
mystisch speculativen Theologie erblickt er in Ihrem System eine Ansicht, in welcher
Gott das überflüßigste und unverständlichste Wesen sey, was es gibt, mehr noch
Lückenbüßer und Widerspruch als in der Kantischen Lehre, weil die Urelemente
und ihre Trennung in Verbindung hinreichten, Alles zu erklären. Ja noch mehr,
und noch ärgere Verblendung in der Auffassung und Deutung Ihrer wichtigsten
Lehrsätze! Statt der Voraussetzung eines Gottes, als des harmonisirenden Princips
zwischen dem Seelischen u. Leiblichen im Menschen, soll der scharfsinnige Philo-
soph in Ihrer Person so gar den bloßen Zufall zu jenem Princip gemacht haben.
Überhaupt sey die Begründung des religiösen Glaubens durch die teleologische Be-
trachtung der Natur nur ein Widerspruch mehr in Ihrem System, da diese teleologischen
Betrachtungen nur die Einbildungen der in sich verschloßenen Seele seyen, die sie
irrig auf die Außenwelt übertrage. — Wie hat der Verblendete in diesem Puncte,
worüber Sie sich so deutlich und mit so bestimmter Überzeugung erklärt, so gröb-
lich Sie mißdeuten können! Was Sie am Idealismus und mithin auch selbst
an Kant tadeln, daß der idealistische Zug in seiner Lehre allein Schuld an seiner
schädlichen Geringschätzung der Teleologie sey, das wird Ihnen hier, als Ihre selbst-
eigene Ansicht, untergeschoben. Ich citire namentlich diese Stelle aus Ihrer Ency-
klopädie, die ich nur noch erst ganz flüchtig durchgehen konnte, weil ich sie so-
eben erst aus unserm Buchladen erhalten habe. Der erste Überblick ihres klaren
und gehaltvollen Inhalts hat mir indessen schon zu meiner Freude unsre Ueberein-
stimmung in Ansehung unserer feindseligen Stellung u. unsers entschiedenen Wider-
willens gegen alle und jede theologische Scholastik und Mystik bestätigen können.
Möge dieses Ihr neues fürs praktische Leben berechnetes Werk nicht ohne den be-
absichtigten Erfolg bleiben! Mit diesem Wunsche
Ihr aufrichtiger Verehrer Jäsche.
N. S. Mein ältester verehrter Freund u. College, Prof. Morgenstern, trägt mir
auf, sich Ihrem fortdauernden freundschaftl. Andenken bestens zu empfehlen.
Januar 1832. 285
388. An Brandis.1) Königsberg 15 Januar 32.
Ihr letzter, gestriger Brief, mein verehrtester Freund! ist mir ein
theurer Beweis des Ernstes, den Sie in unsre gemeinsame Betrachtung
legen. Heute kann ich nur wie in der Parenthese darauf antworten.
Könnten wir nur einmal wieder mündlich conferiren! Aber — was Sie
jetzt wahrscheinlich schon von Berlin aus wissen, — dorthin zieht man —
Gablern.2) Ein achtungswerther Reisender, der über Berlin kam, hat es
mir bestätigt. Als ich von Gablers Schriften etwas Näheres zu hören
wünschte (denn ich weiß nur kaum daß Gabler eine theoretische Philo-
sophie geschrieben hat,) vernahm ich, Gabler habe sich besonders empfohlen
durch — eine Recension über — Krugs Fundamental -Philosophie. —
Hier in Königsberg giebt es noch jetzt Ungläubige; zu denen ich jedoch
nicht gehöre.
Nun eine andere Nachricht. In dem Intelligenzblatt der Hallischen
Literatur Zeitung werden Sie — zwar nicht eine Antikritik, aber „zwey
Worte über Naturphilosophie" 3) von mir finden. H. Gruber bot mir durch
•den Buchhändler Schwetschke, den Platz zu einem kurzen wissenschaft-
lichen Aufsatze an. Daß sowohl Sie als Drobisch meine Naturphilosophie
unberührt gelassen haben, konnte mich zu einer Art von Selbstanzeige
veranlassen; den Anknüpfungspunct aber habe ich von etwas fremdem
hergenommen; von einer Stelle in einem französischen, medicinischen
Journal, worin mein Satz, daß die Reizbarkeit der Vorstellungsreihen den
Grund der geistigen Thätigkeit enthält, auf eine Reihe von — Gehirnganglien
hinübergezerrt war. Mein Aufsatz bezeichnet nun nach Erwähnung jener
schätzbaren Recensionen sich selbst als Ergänzung der einen oder Gegen-
bemerkung zur andren, ohne daß eine nähere Nachweisung nöthig sey.
Der Hauptsatz des Aufsatzes aber ist dieser: ohne innere Zustände ist
keine Materie begreiflich. ||
Dieser Satz wird zwar bey den Naturlehrern eben so wenig Glück
machen, als bey Ihnen der andre: aus innern Zuständen, welche selbst
Empfindungen sind, ist das Bewußtseyn begreiflich.
Aber um zunächst das Nächste zu überlegen: es kommt nun darauf
an, ob Sie für gut finden, meine Encyklop[ädie] jetzt schon zu recensiren,
oder erst später. Jedenfalls haben Sie keine weitere, öffentliche Gegen-
Äußerung, weder von mir, noch von sonst Jemandem zu erwarten; nämlich
soweit man bis jetzt absehen und beschließen kann. Eher wäre möglich,
daß Sie privatim das erführen, was Drobisch bey Ihrer Recension der
Met. gedacht, und, wie er schreibt, sich aufgezeichnet hat. Denn da Ihr
Brief lange vergebens erwartet wurde, habe ich einen sehr freundlichen
Brief des Herrn Gruber dahin beantwortet, es sey wünschenswerth, daß
man sich privatim verständige, daß ein so Unbefangener wie Drobisch, bey
Ihnen Gehör finde, — und daß alsdann es Ihnen überlassen bleibe, in
Ihrer neuen Recension die vorige entweder zu modificiren oder zu ver-
stärken. Vielleicht wird nun Hr. Gruber zwischen Ihnen und Drobisch
eine Mittheilung veranlassen, — vielleicht auch nicht. —
') 4 S. 4U. — Vgl. Nr. 386.
2) G. A. Gabler, 1786 — 1853, Hegelianer, damals Prof. in Halle.
3) S. Bd. VIH, S. 438 ff.
2 86 Januar 1832.
Wollen Sie meinen Wunsch wissen: so muß ich sagen, daß dieser
sich nicht mit einem Worte aussprechen läßt.
Der Augenblick ist wichtig, und selbst dringend. Die Hegeische
Parthey sucht sich zu behaupten; es folgt beynahe nothwendig daraus,
daß sie über mich herfallen muß. Auch Andre werden sich stark regen,
und für sich den Moment benutzen wollen. In so fern wäre es mir lieb,
wenn Ihre Recens. der Encyklop. bald erschiene, damit doch eine wahr-
hafte und wohlmeinende Nachricht davon an das Publicum gelange. —
Aber die Sache hat zwey Seiten. || Was ich scheue, das sind nicht An-
griffe, sondern unverständige Angriffe. Was ich wünsche, das sind solche
Berichte über meine Arbeiten, wodurch die wahren Fragepuncte ins Licht
treten. Nun zeigt mir Ihr letzter Brief, daß wir allerdings, — zwar
noch lange nicht einverstanden, — doch in gegenseitiger Erklärung vor-
rücken. Und insofern wäre ein längerer Briefwechsel, folglich eine spätere
Recension, wünschenswerth. Natürlich aber hängt das gänzlich von Ihrem
Willen ab.
Auf einen Umstand will ich noch aufmerksam machen. Meine Kräfte
schwinden. Junge Männer, wie Strümpel, müssen bald in meine Stelle
treten. Solchen sind Ihre Recensionen höchst wichtig; denn gerade deren
innerer Werth macht, daß man es der Mühe werth findet, mich gegen
diese zu vertheidigen, während anderes Geschwätz ignorirt wird. Das geht
so weit, daß, während Strümpel in einem Aufsatze, der nun ungedruckt
bleiben wird, Ihre und die Leipziger Rec. der Metaphysik zugleich in
Betracht gezogen hatte, mein College Sachs sich aufs stärkste dagegen
erklärte, und fast ereiferte. Die Leipziger Rec, sagte er, ist soviel werth
wie ein Haufen Visitenkarten; wer es wagt, gegen Brandis hervorzutreten,
darf auf jene nicht einmal einen Blick werfen.
Nun doch noch ein paar wissenschaftliche Worte. Als ich zuerst Ihre
jetzige Frage las: wie werden innere Zustände empfunden? war mir im ersten
Augenblick zu Muthe, als würde ich gefragt, wie kann A = A seyn? —
Allein der Fragepunct liegt in der bewußtlosen Empfindung; — und in dem,
was Sie den Übergang von o zu 1 nennen. Während ich nun das Gewicht
der Frage wohl empfinde (gerade so wird mich ein Naturlehrer fragen: wie
kann Null, — ein unräumliches Einfaches, jemals 1, — den ausgedehnten
Körper ergeben?) suche ich den Grund auf, weshalb Sie die Empfindung
für etwas Mehr halten, als für das, was sie unläugbar ist, nämlich innerer
Zustand. Das Mehr nun will || ich suchen, mir durch ein Beyspiel deutlich
zu machen. Man hat nicht begreifen können, wie ich den Begriff der
Pflicht auf ästhetische Urtheile zurückführen könne, da doch in dem
Sollen ein Befehl liegt, der im ästh. Urth[eil] nicht enthalten ist. Hier nun
ist die Antwort leicht. Sehet auf die Kinder! Sie fällen ihr ästhetisches
Urtheil über den Werth der Personen oft genug dergestalt, daß sie dabey
entweder an gar kein Sollen, sondern bloß an den Werth der Gesinnung
und Handlung denken, — oder so, daß sie sich als befehlend jenen Per-
sonen denken; — aber es fällt ihnen nicht ein, daß der Befehl auf sie selbst
zurückfallen wird; — mit einem Worte, das Urtheil zeigt sich hier ohne die
Selbstgesetzgebung, die das eigentlich moralische Gebiet eröffnet. — Könnte
ich nun eben so die bewußtlose Empfindung in der Erfahrung nachweisen,
Januar 1832. 287
so möchte ich bald gewonnen haben. Aber es ist ein schlimmer Umstand
für mich, daß wenn Sie oder ich empfinden, wir allemal sogleich die
Empfindung appercipiren. Denn die Empfindung wirkt sogleich und
unfehlbar auf unsre schon gebildeten Vorstellungen. Daher kommts, daß
Ihnen das Wort etwas anderes bedeutet, als mir. Sie legen schon in das
Empfinden dasjenige hinein, was in der That das Wort ankündigt, nämlich
das In-sich- finden; während ich dies Finden nicht eher haben kann, als
bis Vorstellungen in aller Form und Wirksamkeit vorhanden sind, sogleich
eingreifend und aneignend. — Und wahrlich nicht unvermerkt, wie Sie
sagen, sondern mit klarer Überzeugung behaupte ich, daß — zwar nicht
die Pflanze als Ganzes, — sondern jedes Element der Pflanze empfindet.
Und nicht bloß der Pflanze, sondern auch des Steins. Desgleichen, daß
jedes Element meines Leibes empfindet; — und daß ohne dies Empfinden
gar keine Materie möglich ist. Erschrecken Sie nur davor nicht. Dies
Empfinden ist kein Appercipiren; nicht einmal ein Vorstellen; am wenigsten
eine Spontaneität des Vorstellens. Also noch lange nicht, was Leibnitz
seinen Monaden beylegte. Es ist auch kein Empfinden von Roth und
Blau, süß und sauer, — denn das sind gerade nur Empfindungen der
Menschenseele mittelst des menschlichen Leibes. — Papier und Zeit sind
am Ende. — Möchten Sie! mein theurer Freund, endlich vor Schlägen
des Schicksals Ruhe haben! — Herzlich der Ihrige. H.
Sie gedenken am Ende Ihres Briefes noch eines theologischen Puncts.
Mein theurer Freund! Hüten Sie Sich! Die transcendente Theologie ist
entsetzlich unvorsichtig; sie stürzt sich und die Religion in Gefahren, die
sie nicht kennt; während die Naturlehrer, unbekümmert um jene, für sich
fortarbeiten, und — um an kleine Proben zu erinnern, — Psychologie
ganz ernstlich für einen Appendix der Physiologie erklären. Da sind
andre Gefahren als bey mir, — dem Kantianer! [Am Rande.]
389. An Brandis. *) Königsberg Jan 32.
Mein hochverehrter Freund! Diesen Brief bitte ich bey Seite zu legen,
bis Sie Sich einmal Muße gönnen wollen; und finden Sie etwas Wider-
wärtiges darin, so betrachten Sie es als ungeschrieben. Meine Pflicht aber,
gegen Sie, gegen mich, und am Ende gegen die Wahrheit selbst, erfordert,
daß ich Ihnen nach Überlegung Ihres letzten Briefes die Antwort darauf
wenigstens anbiete.
Billig knüpfe ich da an, wo noch am ersten ein Vereinigungspunct
zu hoffen scheint. Den unbegreiflichen Grund, auf den ich die Anordnung
der Weltkörper zurückführe, soll ich schon bey ihrer Bildung sich wirk-
sam erweisen lassen. Wollen Sie hiebey stehen bleiben: so habe ich
nichts dagegen. — Wie und wo die göttliche Vorsehung eingreift oder
eingegriffen hat, ist mir unergründlich; daß es geschehen seyn muß, ist
klar aus der Thatsache. Unser menschliches, zweckmäßiges Wirken ist
bedingt durch unsren schon zweckmäßig gebildeten Leib; von hier also
reicht keine brauchbare Analogie hinauf bis zum ersten Ursprünge des
Zweckmäßigen. — Dennoch rathe ich nicht dazu, die Bildung der Welt-
l) 4 S. 4°.
288 Januar 1832.
körper aus ihren Elementen zum Anfangspunct einer Lehre zu machen.
Von andern Weltkörpern wissen wir nichts; die Sonne, die uns das
Wichtigste wäre, ist uns so sehr Geheimniß, daß wir nicht einmal wissen,
ob sie glühet, oder ob sie bewohnt ist. Die Sonnenflecken scheinen eine
sehr turbulente Oberfläche anzudeuten; das Licht aber, welches fast kalt
auf unsre Alpen fällt, möchte sich ohne Gluth sogar leichter erklären
lassen. Von der Erde berichten uns die Geologen solche Dinge und Ver-
muthungen, die weit mehr auf einen sich selbst überlassenen rohen
Mechanismus hindeuten, als auf absichtliche Kunst. Anders verhält sichs
mit Lage und Bewegung des Planetensystems. Laplace wettet zwey
Billionen gegen Eins, diese sey nicht das WTerk des Zufalls. Das hat
Gewicht. Newtons erster Stoß für die Weltkörper war aber nicht nöthig.
Und eben so unnöthig ist, was Sie an das Vorige knüpfen, die Vorsehung
als Prinzip des Wechsels gelten zu lassen. Die Bewegungen waren da;
sie brauchten nur gemäßigt zu werden, um in die Gränzen des Zweck-
mäßigen eingeschlossen zu werden.
Sie verlangen nun einen Grund der Ruhe; und gleich darauf: woher
der Wechsel von Ruhe und Bewegung? — Hier frage ich: wo ist Ruhe?
Sie ist nirgends vorhanden. Daß die Fixsterne sich bewegen, zeigt theils
die sorgfältigere Beobachtung, theils geht von hier aus die wohl begründete
Vermuthung der Astronomen, sie seyen alle in gegenseitiger Bewegung.
Nur — diese Bewegung ist über Erwarten gering, sie müßte sonst schon
dem bloßen Auge merklich werden, wenigstens zum Theil. Auch hier
also ist ein Anknüpfungspunct für teleologische Betrachtung. Einen
Wechsel aber giebt es bey den Planeten nur zwischen || geschwinderer und
etwas Weniges verzögerter Bewegung. Dieser Wechsel ist vollkommen
erklärt durch die Attractionsgesetze, und befremdet Niemanden. An
Ruhe ist gar nicht zu denken. Die relative Ruhe eines Körpers auf der
Erde ist keine wahre Ruhe; und wo sie scheinbar vorkommt, da liegen
die Gründe derselben, — durch Widerstand irgend welcher Art, klar am
Tage. Hier fehlt also das Factum, worauf sich Ihre Frage richtet.
Aber Sie wollen den Atomisten — und auch mir — die Annahme
der ursprünglichen Bewegung nicht zugeben. Warum denn nicht einmal
jenen? — Denn meine Synechologie mag fürs erste aus dem Spiele
bleiben. — Welches Vorrecht hat in Ihren Augen die Ruhe vor der Be-
wegung? — Etwa dieses, daß Ruhe keinen Widerspruch enthält? — Das
wäre gut, wenn die Dinge in Ruhe blieben. Aber gesetzt, sie hätten
jemals geruhet: so sind sie, wie die Erfahrung zeigt, in Bewegung ge-
kommen, — das heißt, sie sind in den Widerspruch gekommen. Das
wäre unerträglich und unmöglich, wenn — Bewegung etwas in den be-
wegten Dingen wäre. Sie ist aber in denselben rein nichts. Es ist nur
der Ort der Dinge, der sich verändert; und dieser Ort — ist ein Be-
griff des zusammenfassenden Denkens. — Und dieses zusammenfassende
Denken hatten die Atomisten in sich entstehen lassen, ohne davon
Rechenschaft zu geben; meine Synechologie liefert nachträglich dazu die
Rechenschaft.
Aber nun — kommt, indem ich in Ihrem Briefe rückwärts gehe, der
schwierige Punct, — nämlich der objective Schein. Auch ohne Zuschauer
Januar 1832. 280.
— nämlich ohne wirklichen Zuschauer — finden die Bewegungen jeden
Augenblick wirklich statt! Gesetzt, ich könnte diesen Punct nicht genügend
erledigen: so mögen Sie in meinem Namen die Geschichte der Philo-
sophie fragen, ob irgend ein Denker dabey etwas andres gethan hat, —
als, — den Fragepunct verhüllen und ignoriren, den ich hervorgehoben habe ?
Idealisten und Pantheisten mögen sagen was sie wollen: der Astronom,
der ein paar Stunden geschlafen hat, findet den Stern nach Verhältniß
der Zeit vorgerückt, wann er ihn aufs neue beobachtet; und das Vor-
rücken geschieht auch wenn es gar keine Astronomen giebt. Aber die
Bewegung konnte beobachtet werden; darum muß an die Stelle des whk-
lichen Zuschauers der bleibende ideale Zuschauer gesetzt werden. Für
diesen ist die Annäherung des Mondes an den Fixstern selbst da vor-
handen (und geschieht ganz regelmäßig) wo Mond und Fixstern einander
durchaus nichts thun\ das heißt, für einander nicht vorhanden sind. Die
Annäherung aber würde für einen jeden beliebigen Standpunct außerhalb
der Erde sich berechnen lassen, sobald Sie dorthin das Wesentliche des
ganzen Ereignisses, — nämlich einen idealen, — oder meinethalben einen
wirklichen Zuschauer versetzen wollen, dessen Wirklichkeit jedoch voll-
kommen überflüssig ist. Denn es kommt bloß auf die geometrische Re-
lation zweyer Puncte gegen einen dritten an; während die beyden außer
aller inneren Relation unter einander und gegen den dritten sind. Ruhe
für natürlicher || halten als Bewegung, heißt, den Raum, worin die Ruhe
sowohl als die Bewegung stattfinden muß, für etwas anders nehmen als
für eine dem möglichen Zuschauer vorgeschriebene, unvermeidliche Form
der Zusammenfassung. Ist hier ein Räthsel: so trifft es die Ruhe gerade
so hart als die Bewegung. Denn Ruhe ist ein räumliches Prädicat; der
Raum aber beruht auf dem Hier und Dort; die Ruhe bezeichnet mithin
eine Gegenseitigkeit; und doch soll ein Ding an sich ruhen können, als ob
dazu keine Gegenseitigkeit nöthig wäre! — Daß jedes Ding in seinem
eignen Räume ruhet, habe ich weitläuftig entwickelt; aber dieser eigne
Raum ist ein System von Beziehungen, welche sämmtlich von diesem
Dinge ausgehn; sollen nun zwey Dinge räumlich gesetzt werden, so
kommen sogleich zwey solche Systeme zum Vorschein; keins derselben
kann das andre überwältigen; das heißt, das eine Ding kann dem andern
bloß durch eine leere Raumconstruction nicht gebieten. Daher ist gegen-
seitige Ruhe unendlich unwahrscheinlich. Bewegung ist zu erwarten. Der
Begriff aber von beyden hat die gleiche Schwierigkeit, da man ihn weder
an die Dinge selbst, noch an den wirklichen Zuschauer (nach idealistischer
Manier) knüpfen darf. Zur Ruhe im Räume gehört übrigens Dauer in
der Zeit. Möchten Sie wohl diese Bestimmung der Zeit (des Gewebes
aus den Negationen Noch-nicht und Nicht-Mehr) auf ein Ding an sich
übertragen? Und muß man erst Idealist seyn, um die Ungereimtheit
hievon einzusehen? Oder sind die ersten Grundbegriffe der Ontologie dazu
hinreichend?
Es sollte nun wohl klar seyn, daß ich ein Prinzip des Wechsels, noch
außer der ursprünglichen Bewegung durchaus ablehnen muß, wo nicht
Zweckmäßigkeit hervortritt. An Gründen des Wechsels zeigt meine Natur-
Herbarts Werke. XVII. 19
2QO Januar 1832.
Philosophie einen solchen Reichthum — bloß und lediglich aus den ver-
schiedenen möglichen, zu erwartenden, und in der physikalischen Er-
fahrung sich spiegelnden, Verhältnissen des Gegensatzes der Elemente ge-
schöpft, — daß jedes andre Princip des Wechsels nicht bloß eine völlig
überflüssige, sondern eine höchst lästige Hypothese wäre, die mir ganz
gegen alle Erfahrung einen Spuk treiben würde, den Niemand erfahrungs-
mäßig nachweisen kann. Gerade die Angemessenheit meiner Theorie zur
Erfahrung, — daß sie, verglichen mit dieser, weder zuviel noch zu wenig
enthält, ist hier die Hauptsache. Das Zuviel wäre hier ebenso schlimm
als das Zuwenig. Aber möchten Sie nur einmal einen Blick in die Natur-
philosophie werfen! — Dabey sind natürlich die gewöhnlichen physi-
kalischen Lehren vorausgesetzt. Es versteht sich z. B. von selbst, daß,
wenn Elemente aus den angegebenen Gründen sich zu einem Weltkörper
formten, dieser ohne Weiteres nicht bloß in fortrückender, sondern auch
in der Umdrehungs- Bewegung um eine Axe war. Nur ein Wunder hätte
das vermeiden können; denn || aus sämmtlichen Bewegungen der zusammen-
treffenden Elemente setzt sich zuvörderst eine mittlere des Schwerpuncts
nach bekannten mechanischen Gesetzen zusammen; unter den Hebeln
aber, die man durch den Schwerpunct legen kann, giebt es einen, auf
welchen sich die Abweichung vom Gleichgewicht an allen reduciren läßt;
dieser bestimmt eine Umdrehungs-Ebene, auf welcher die Axe senkrecht
ist. Ein Wunder wäre es, wenn keine Umdrehung nöthig, das heißt,
wenn alle Puncte des Körpers mit dem Schwerpunct genau die gleiche
fortrückende Bewegung bekommen hätten. Ferner versteht sich aus meinen
Grundsätzen von selbst, daß die, starrer Materienbildung fähigen Elemente
schon mit strahlenden Stoffen behaftet zusammenkamen, so daß aus allen ein
strahlender Körper entstehen mußte, wie die Sonne es ist, und nach den
neuern Untersuchungen die Erde es höchstwahrscheinlich gewesen ist, des-
gleichen die Fixsterne offenbar und die Planeten wahrscheinlich. — Da-
gegen scheint mir die teleologische Betrachtung auf die Umdrehungszeiten
zu passen; denn diese sind auffallend lang in Vergleich gegen die Ge-
schwindigkeit der fortrückenden Bewegung; und wo wir sie kennen, nicht
sehr von einander abweichend, (10 Stunden, — 24 Stunden ungefähr).
Sie konnten ohne Vergleich mannigfaltiger erwartet werden ; aber es leuchtet
ein, daß, wenn wenigstens auf unsrer Erde die übrigen Bedingungen des
Lebens gleich blieben, uns ein bedeutend größerer oder kleinerer Termin
des Tageswechsels nicht würde gefrommt haben. Doch reducirt sich auch
hier das, was zur Herbeyführung des Zweckmäßigen nöthig war, auf eine
Mäßigung der Bewegung; entweder verzögernd oder (was minder wahr-
scheinlich) beschleunigend. — Endlich habe ich die höchst einfachen,
allgemeinen Bedingungen des Lebens so deutlich nachgewiesen, daß auch
hier gar kein neues Princip für Belebung, wohl aber ein solches für zweck-
mäßige Belebung, nöthig ist; und man möchte sagen, daß die Vermeidung
eines sich kläglich hinschleppenden Lebens (welches an sich allerdings
möglich war), mehr Wunderbares habe, als die Darstellung des gesunden
und kräftigen; so wie Schiller den Dichter mehr erkennen wollte in dem
was er verschweigt als in dem was er sagt. Und so ist auch eine Teleo-
logie, die sich mit dem Wenigem begnügt, wozu sie guten Grund hat,.
Januar 1832. 2QI
weit haltbarer, als eine überfüllte, die etwa bis zur Ichthyotheologie fort-
schreitet. Die vorkantische Teleologie starb an Hypertrophie.
Sie wollen in der Seele des Subjects — Ich, wiewohl zugleich mit ihr
vorhanden, erst nach und nach zur Bestimmtheit des Bewußtseyns gelangen
lassen. Hier stehen Ihnen meine Untersuchungen noch auf andre Weise ent-
gegen, als bloß in Hinsicht auf Beseitigung des Werdens. Leider begegnet
uns beyden, was so oft den Metaphysikern, daß Jeder die Lehre des Andren
verneint; daher ein dritter über beyde triumphirt. Indessen will ich den
ersten Abschnitt des ersten Bandes meiner Psychol. wenigstens nicht
brieflich wiederhohlen. Nur das Eine noch: Sie sagen, meine neue Be-
gründung des Realismus habe Sie zuerst auf meine Schriften hingeführt.
Und welches ist diese Begründung? — Sie ist so beschaffen, daß wenn
ich ein absolutes Ich, ein ursprüngliches Princip des Werdens, u. d. gl.
denkbar gefunden hätte, ich leicht und glücklich mit Schelling, Hegel, u. s. w.
im Strom der Zeit hätte schwimmen können. Was hinderte mich daran?
Bloße Neuerungssucht damals nicht, als ich begann, bloßer Eigensinn jetzt
nicht, da ich ende. Was aber trennt Sie vom Idealismus, und vom
Spinozismus? In der That, wenn Jemand mich danach fragte, ich würde
nicht wagen in Ihrem Namen zu antworten; so sehr bin ich irre geworden.
Früher verließ ich mich auf Ihre scharfe Auffassung der metaphysischen
Grundprobleme; und demgemäß hätte ich hoffen können, daß, wenn
Ihnen meine Vermeidung der Widersprüche im Realen, meine Abscheidung
und Beseitigung der Widersprüche im Formalen, noch nicht genügte, Sie
eher suchen würden, mein Geschafft zu fördern, durch Nachhülfe, als mir
zumuthen, mich irgendwie von neuem in diese Widersprüche zu ergeben,
oder gar vor ihnen das Auge zu verschließen, wie die Meisten es machen.
Jetzt aber räume ich dem Aristoteles den Platz; und rechne zwar nicht
mehr auf Ihre Zustimmung, doch auf Ihre freundschaftliche Gesinnung.
Das Weitere mag nun1) die Recension meiner Encyklop., die Sie gütig zu
übernehmen versprochen haben, mir kund thun. In dem Augenblick, wo
eine solche Recension bevorsteht, schickt sichs ohnehin nicht, daß ich vor
Ihnen meine Sache führe. Wenn Ihr Aristoteles fertig ist, dann haben
Sie vielleicht bessere Muße; — ich aber — habe dann vielleicht auf-
gehört, die Feder zu führen.
Mit aufrichtigster Hochachtung der Ihrige Herbart.
Der Ausdruck: bewußtlose Empfindung, ist nicht genau. Jede Emp-
findung ist Bestandtheil des Bewußtseyns. Gewöhnlich aber — anstatt
daß wir an den Gegensatz des Bewußten und des Unbewußten, d. h. des
Ungehemmten und des Gehemmten, denken sollten, — denken wir bey
dem Worte Bewußtsfeyn] an unsre geistige Regsamkeit, die aus der Spannung,
also aus der Hemmung und dem Gegenstreben, erst entsteht. So kehrt
sich das Hinterste nach Vorn. Und dann beruft man sich auf sogenannte
Thatsachen des Bewußtseyns, als ob davon keine Erklärung nöthig wäre.
Die Sprache hat sich für den Standpunct der Reflexion gebildet. Daher
hat man kaum verständliche Worte. Bewußtlose Zustände sind Hemmungen
und deren Folgen. Bewußtlose Empfindung sollte heißen: Empfindung
2) Das Folgende steht an den Rändern des Briefes.
19*
2Q2 Januar 1832.
ohne Apperception. Letztere ist jeder einzelnen Empfindung zufällig; und
bey Verschiedenen verschieden.
Die Zweyheit des Empfundenen und des Empfindenden soll in der
Empfindung liegen? — Oder wie irgend zur Empfindung gehören? —
Darüber hat doch wohl die Empfindung selbst die erste Stimme. Was
für eine Zweyheit liegt denn in der Empfindung Roth? oder Blau? oder
Sauer? oder Warm? oder eis? — Ja selbst in der Empfindung irgend eines
Schmerzes oder Wohlgeschmacks, — im Gefühl — möchte ich nur gar
zu gern die Wahrheit mir nachgewiesen sehn, weil ich von den Gefühlen
überzeugt bin, daß eine Mehrheit drin liegt, die wir nur nicht sondern
können. Aber das ist auch hier nicht die Mehrheit von Object und
Subject, welche man auf dem Standpunct der Reflexion hineindenkt.
Nach Ihnen müßten Roth und Sauer und Warm und eis etwas Ge-
meinsames enthalten oder anzeigen, nämlich — das Subject. Wollen Sie
Sich etwan hier auf das Kantische: Ich denke, berufen? — Hätte Kant
eine bessere, stärkere, ursprünglich synthetische Einheit der Apperception
finden können: sie wäre ihm ohne Zweifel sehr willkommen gewesen. Hat
einer der folgenden etwas Besseres an dieser Stelle gewußt? Wissen Sie
etwas Besseres? Mit dem Satze: das Ich denke muß alle meine Vorst.
begleiten können, ist weiter nichts gesagt als die Möglichkeit des Hinzu-
denkens auf dem Standpunct der Reflexion. Und nochmals bitte ich:
Hüten Sie Sich vor Reinhold! Sie sind ihm zu nahe.
In Hinsicht der Freyheitslehre habe ich von jeher weit mehr Schonung
geübt, als sich irgend Jemand vorstellen mag. Denn ich bin bey weitem
nicht bloß von der theoretischen Seite dagegen, sondern auch in jeder
Hinsicht von der praktischen. Diese Lehre des Übermuths und der Un-
verbesserlichkeit, auf Gott übertragen, giebt ihm zuerst das Ansehen, als
hätte Er den Unterschied des Guten und Bösen nach Belieben gemacht,
und den menschlichen Gemüthern eingepflanzt, — während ihm auch das
Gegentheil frey gestanden hätte; und dann regt sie die Frage auf: konnte
der Heilige sich für irgend einen, gleichviel welchen Zweck, solcher Mittel
bedienen, die, wenn auch nur als Mittelglieder und Mittelstufen, doch an
sich betrachtet das Schlechte und das Böse voraussehn ließen? — —
Demüthig zu schweigen, ist hier am besten; aber Schweigen ist nicht die
Sache der Dogmatik!
Mit den neuern Theologen bekannt zu seyn, darf ich mich nicht
rühmen; aber was ich davon zufällig sehe, macht mich nicht neugierig.
Daß Religion wesentlich auf dem Gefühle beruht, versteht sich von selbst;
das lag aber schon in Kants Lehre, nach welcher das Bewußtseyn des
sittlichen Bedürfnisses als Grund der Religion anerkannt war. Daß meine
Erneuerung der Teleologie nichts bedeuten würde, wenn sie nicht dies
Bedürfniß und das Gefühl und das Wissen desselben als sich von selbst
verstehend voraussetzte, habe ich deutlich gesagt. Aber Ihre schlecht-
hinnige Selbstbestimmung? — Hätte ich dagegen keine metaphysischen
Gründe, so müßte ich aus sehr starken praktischen Gründen davor er-
schrecken. Ich sage erschrecken ; — überlasse Ihnen jedoch, mir Ihre Begriffe
von Theodicee, mit welcher ich unter Voraussetzung strenger absoluter Selbst-
bestimmung nicht fertig werden kann, — einmal genauer zu entwickeln.
Januar 1832.
2Q3
In Zeitschriften lese ich vom Fichteschen, Schellingschen, Hegeischen
Gott! — Das ist in meinen Augen die miserabelste Seite der neueren
deutschen Philosophie. Theils erinnert es an den Spruch Voltaires: Si
Dieu n'existoit pas, il faudroit l'inventer. Theils fragt sich noch, was half
denn das Erfinden wider alle Kantische Warnung? Als die Philosophen
eine dogmatische Theologie erfunden hatten, da wurden schnell die Theo-
logen wieder Supranaturalisten, und man zankte aufs neue über Wunder,
die, man mag sie behaupten oder leugnen, immer neben dem großen
Wunder der Menschenschöpfung verschwinden. Und die Supranaturalisten
sind Zeloten geworden. Ein ganz natürlicher Klimax; den Fichte sogar
schon damals hätte vorhersehen sollen, da er mit idealistischem, aber
keineswegs theologischem Übermuthe die Kirche zur Klage über Atheismus
reizte. Alles Folgende war Reaction.
390. An Griepenkerl.1)
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Königsberg, 27. Januar 1832.
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*) 1 S. 40 u. Notenbeilage H. Wien. Bereits gedruckt bei Zimmermann, Un-
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Januar 1832.
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Voraussetzend, mein alter Freund, daß an unserm ästhetischen Ein-
verständniß etwas gelegen sey, disputire ich mit Ihnen in Tönen, da ich
mein Lebenlang über Musik nicht habe viel reden mögen. Dies wird
wenigstens helfen, daß Sie mein tempo besser treffen. Denn schwerlich
hätten Sie in jener Fuge aus Es-dur Gesichter gesehen, wäre sie Ihnen
nicht durch zu langsames tempo auseinander gefallen. Die Fuge hat nur
Ein Gesicht: aber ein skeptisches; und die Skepsis liegt im Thema;
welches durch Veränderung einer einzigen Note (B) aus Es-dur in C-moll
übergehn würde, und welches wirklich so lange schwankt, bis dies B er-
tönt, und H aufhebt. Ein kleines Räthsel mag in dem Ursprung dieser
Skepsis liegen; es läßt sich lösen durch den Anblick meines Manuscripts.
Eine größere Arbeit, von der ich Ihnen geschrieben, füllte das Notenblatt
nicht ganz. Der Lückenbüßer, den ich Ihnen abschrieb, ist — Reflexion
über das Vorige. Nach einem sehr entschiedenen Schlüsse in Es-dur,
nach Besiegung aller Nebentonarten, nach einer sehr schnellen Bewegung —
sieht die Reflexion sich um, betrachtet sich nochmals das Feld, — hält
die Bewegung um ein weniges zurück, — wird aber beynahe wiederum
von ihr fortgerissen. Der stets bewegte, eine noch größere Geschwindig-
keit kaum zurückhaltende Vortrag, ist das vollkommene Gegenstück zu
jener Gt's-moä-Fuge — aber warum nennen Sie diese überhaupt? — Bey
mir ist sie längst mit dem bonus dormitat Homerus bezeichnet, mit ein
paar durchgehenden Noten ohne alle
Rhythmik verbrämt, und durch eine
endlose Paraphrase in die Länge gezogen,
ohne von der Stelle zu kommen, — ist darin der Meister zu erkennen?
Dazu kann ich mich nicht bequemen. — Von der Kleinigkeit, die Sie
hier finden, habe ich keine Abschrift behalten und sie kaum ein paarmal
durchgespielt; sollte Ihr nächster Brief mir etwas darüber sagen, so wird
mein Gedächtniß wohl bis dahin vorhalten. Die vorige Fuge schickte ich
Ihnen eigentlich in der Meinung, Sie würden darin den Bau der musi-
kalischen Periode bemerken; aber davon kann nicht die Rede seyn, bevor
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Januar 1832.
das Tempo getroffen ist. Mag die Gis-moll Fuge dazu gebraucht werden.
Die meinige ist nur eine einzige Periode, im Alla-breve Tact.
In diesem Tempo bitte ich meine Fuge erst zu lesen, um sie dann
etwas langsamer zu spielen; so wird der Ausdruck zurückgehaltener Be-
wegung herauskommen. Und nun der langen Rede kurzer Sinn:
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ich bitte: Reflexion und Periodenbau, zwey sehr wesentliche Elemente der
Musik, nicht über die Stimmungen zu vergessen.
Übrigens heißts jetzt, man habe sich in B [erlin] den jungen
Fichte ausgesucht. Das war meine erste Vermuthung. Haben Sie die
Ankündigung der Hegeischen Werke gelesen? Man soll auf sechzehn
Bände subscribiren ! Wer sich so erdrücken läßt, ist selbst Schuld.
Hätte man 3 Bde. als Versuch angekündigt, es wäre schon zu viel ge-
wesen. Auch wird der Erfolg — nach allem was ich beobachten konnte, —
sehr schlecht seyn. Aber wir sehn, was man wagt, und durchzusetzen
hofft! — Ich schreibe eben an einer Rec. über Weisse Syst. der Ästhetik,1)
für die Jenaische A. L. Z. Strümpeln suche ich in meine Correspondenz
einzuführen; jetzt mit dem alten trefflichen Jäsche in Dorpat. Leider!
der sucht auch noch einen Verleger für den dritten Band seines
Pantheismus, worin gerade die Kritik der heutigen Systeme erfolgen sollte.
Lassen Sie drucken, wo irgend Sie ohne Verlust können. Die Zeit ist
kostbarer als Alles. Lassen Sie drauf regnen in vollem Gusse; das macht
fruchtbar.
An Brandis hab ich geschrieben: es werde, so viel sich für jetzt
absehn und beschließen lasse, gegen seine Rec. weiter nichts gedruckt
werden als ein kurzer, entfernt andeutender Aufsatz von mir im Hallisch.
Int. Bl. unter Aufschrift: ,,zwey Worte über Naturphilosophie". Er hatte
nämlich von Halle den Auftrag meine Encyklop. zu recensiren angenommen;
aber gesagt, er wolle erst erwarten, was ich gegen ihn zu sagen habe.
Wenn nun Sie oder Roer jetzt etwas gegen seine Rec. der Metaph.
drucken lassen, so werde ich den Schein des Vorwissens zu fürchten
haben; wortbrüchig darf ich weder seyn noch scheinen; und bitte daher
besonders Roer hievon in Kenntniß zu setzen. Übrigens ist nur Auf-
schub nöthig. Ich habe dem Br[andis] ausdrücklich bemerkt: meinen
nähern Bekannten würde das Gewicht seiner Recension vor allen andern
der Antrieb seyn, sich in der Folge besonders über diese zu äußein.
Roer wird hoffentlich für jetzt das weglassen können, was Br[andis] betrifft.
Übrigens aber — abgesehen von Brandis, — hat Roer alle Ursach
zu eilen! Denn daß die Sache in B [erlin] schief geht, davon halte ich
l) S. Bd. XIII, S. 250 ff.
I
Februar 1832. 297
mich völlig überzeugt; und man will dort, man ist thätig wie man nur
kann. Eichstädt schrieb aus Jena: Reinhold stifte eine neue Schule.
Etwa ein Journal? Ganz der Ihrige H.
391. An Brockhaus. Königsberg 6 Febr. 32.
Ew Wohlgeboren haben unterm 10 v. M. einen gedruckten Brief
auch an mich gelangen lassen, der in biographischer Hinsicht eine
dankenswerthe Vorsicht zu erkennen giebt. Beyliegende Notizen aus
meiner sehr einförmigen Lebensgeschichte stehen Ihnen zu Dienste. *) Daß
ich unter den ältesten Mitarbeitern Ihres Hermes war, wissen Sie vielleicht
nicht. Seitdem die Polemik des Herrn pp Bachmann gegen mich, darin
Platz fand, ließ ich eine Verbindung fahren, die ich sonst vielleicht auf-
gesucht hätte, um in jener an sich zweckmäßigen und anständigen Zeit-
schrift einige philosophische Arbeiten bekannt zu machen.
Mit aller Hochachtung Herbart.
392. An BrandiS.2) Königsberg 7 Febr. 1832.
So eben, mein sehr . verehrter Freund! empfange ich Ihren gütigen
Brief, und mache mir das Vergnügen, ihn auf der Stelle mit Wenigem zu
verdanken. Was Sie schreiben, das konnte kaum damals, als Sie schrieben,
Ihr Ernst seyn; der bloße Gedanke an erbetene Stellung eines philo-
sophischen Lehrers in der Nähe des Hofes — reicht hin, selbst für ganz
andre Verhältnisse als die, welche vom Minister und seinem Rathe ab-
hängen. Hätte ich Schritte thun wollen, so hätte ich mich an Ancillon3)
gewendet. Aber ich war vom ersten Augenblick an völlig entschlossen
mich dem bewußten Platze durch gar keinen von mir ausgehenden Schritt
zu nähern. Das habe ich gehalten, ohne Wanken und ohne Reue. Das
Übelste aber ist, daß ich auch so schwerlich Ruhe haben kann. Man
wird mich drücken wollen, — und das Publicum wird sich auf ein Schauspiel
freuen. Über Hegels in 16 Bänden angekündigte Schriften wird muth-
maaßlich von hie oder dorther meine Aussage verlangt werden; und es ist
die Frage, ob ich schweigen könne. Sehr Vieles hängt — freylich nicht
bloß für mich, denn meine Person ist hier unbedeutend — von der Frage
ab, wie und welche Stimmen im Publicum die geschehene Ernennung auf-
regen wird? — Meine Erwartung ist: daß man durchgehends wohl zufrieden
seyn wird. Denn längst habe ich die Nachgiebigkeit des literarischen
Publicums gegen das, was man ihm aufdringt (ce qu'on veut fortement
pour lui) bewundert, — und wundere mich nun nicht weiter. Selbst der
Nachfolger wird zahm genug seyn, um es hinzunehmen, daß man den
Platz verdarb, indem man den Vorgänger für unersetzlich erklärte. —
Möchten Sie Sich endlich einmal einer dauerden Gesundheit Ihres Hauses
erfreuen können! Ihre versprochene Rec. wird mir noch in einem halben
Jahre nicht zu Gesicht kommen; denn die Hallische Redaction zögert
meist sehr lange mit dem Abdruck. Davon mache ich jetzt wieder selbst
eine Erfahrung. Ganz der Ihrige Herbart.
*) Für den Art. „Herban" in Brockhaus' Konvetsations-Lexikon. Vgl. Brief
Herbarts an Sachs v. 26. März 1833 im folgenden Bande.
a) 1 S. 4°.
3) S. o. S. 261 Anm. 1.
2g8 Februar 1832.
Während Hegel noch lebte, verhielt die Sache sich ganz anders.
Damals konnte ich deutlich genug, und ohne Verlegenheit, zu verstehen
geben, daß ich wünschte, ihm gegenübe?' zu treten. Und das ist geschehn.
Jetzt aber in seine Stelle — in seine Vortheile, falls das überhaupt
möglich wäre, — in sein Principat, was eine Usurpation war, — in seine
Collegial Verhältnisse, die sich ihm geschmeidig gefügt hatten, weil — —
doch nichts weiter! Sie sehen, das geht nicht. — Selbst meine Ency-
klopädie habe ich in Berlin an keinen Andren geschickt, als an meinen
alten Freund und ehemaligen Zuhörer, den Reg. R[at] Reichhelm. So ge-
wiß es meine Sache war, das Feld der Speculation von neuem umzu-
arbeiten: so gewiß ist es nicht meine Sache, den Erfolg zu bestimmen.
Und vollends: wenn ich nicht einmal mit Ihnen zum Einverständniß ge-
langen kann.
393. An Brandis.1) Königsberg. 13 Febr. 32.
Ihren letzten Brief vom 29 Januar, Verehrtester! habe ich zwar der
Hauptsache nach schon beantwortet. Allein Ihre gütige Nachfrage nach
meinem Sendschreiben, — das in der That eine kurze Abhandlung über
Fichtes pädagogische Ansichten nicht bloß heißt sondern ist, und Ihnen sehr
wenig sagen würde, — bestimmt mich, Ihnen eine schon vor 4 Wochen
beynahe niedergeschriebene Antwort auf Ihren vorletzten Brief jetzt
noch zu übersenden, da ich von neuem Hoffnung fasse, daß Sie mein
Geschriebenes vielleicht ernstlich in Überlegung nehmen werden. Könnte
ich es erlangen, daß Sie die Einfachheit der Empfindung erwögen, ohne
etwas hineinzulegen, das nicht darin liegt, — oder wenigstens daß Sie
es aufgäben, die Religionslehre mit Speculationen zu beschenken, wogegen
die Religion nach mehr als tausendjähriger Erfahrung das timeo dona
ferentes auszusprechen berechtigt ist: — könnte ich dies erlangen, so
würde ich mich vielleicht glücklicher schätzen, als wenn mir — die Bel-
gische Krone angeboten würde.
Auf diesen Vergleich bin ich neulich gekommen, da mir die Berliner
Einladung zur Subscription auf H[egel]s 16 Bändeil — welche der dortige
Prorector dem hiesigen zugesendet hat, officiell vorgelegt wurde. — Ists
denkbar? — Was Hegeln in meinen Augen noch zur Ehre gereichte,
war, daß er nicht viel geschrieben, sich sua sponte dem Publicum nicht
übermäßig aufgedrungen hat. Und diesen Mann, der es vermuthlich fühlte,
daß er nicht schreiben konnte, will man in puris naturalibus der Kritik
Preis geben! ohne zu begreifen, daß, wie sehr auch der Pantheismus ein-
gewurzelt ist, er doch stets neue Formen annimmt, und sich von einem
Todten nicht gebieten läßt; — ohne zu ahnden, wie man sich compro-
mittiren kann, wenn die 16 Bände wenig Liebhaber || finden, — ohne zu
bedenken , daß man den Nachfolger des „Unersetzlichen" ohnehin schon
tief genug erniedrigt hat, noch ehe er ernannt ist; und daß er unter
solchen Umständen nicht einmal in Stand gesetzt wird, die Ehre des
Platzes zu behaupten, — wo nicht durch eine Selbstständigkeit, die alle
Berechnung vereitelt. — Ist ein solcher Platz für mich wünschenswerth?
x) 2. S. 8°.
März 1832. 299
Ein Platz, wo Steffens und Schelling lieber gesehen wären? — Aber frey-
lich: Berlin ist groß; und ein Mittelpunct der mannigfaltigsten Gelegenheit.
Überlegen Sie nun wie Sie wollen. Gegen Nicolovius und Ancillon hätte
ich einige Ursache mich auszusprechen, wenigstens meine Encyklopädie
einzusenden, die ich absichtlich noch Niemandem in B. außer meinem
Freunde Reichhelm zugeschickt habe. Neulich war ich nahe daran, zu
einem Schreiben an Nicolovius mit bloßer Anzeige: daß mir von sehr
achtungswerther Hand solche Äußerungen (wie die Ihrigen) zugekommen
seyen, — mich zu entschließen. Allein ich überlegte, daß, wenn Sie das
gewollt hätten, Sie leicht zu N. andre Wege finden könnten; und so ists
unterblieben. Einen Namen durfte ich ja nicht nennen; und so wäre ein
Anschein von Furchtsamkeit nicht zu vermeiden gewesen. Vielleicht auch
ists am besten, wir lassen alles unberufene Warnen. Mögen die Herrn
sich Erfahrungen bereiten! Das kann schwerlich ausbleiben, wenn sie so
fortfahren wie jetzt! Mir liegt wesentlich und unvermeidlich nur an Einem
Puncte: daß meine Schriften in Umlauf kommen. Das größere Publicum
weiß davon noch soviel wie gar Nichts. Kennt man mich: dann mag
Jeder nach seiner Weise urtheilen.
Nun bitte ich nicht bloß Sie sondern Ihren guten Stern, der sich
gar häufig hinter Wolken zu verhüllen scheint, — um gute Nachrichten
von Ihnen und Ihrem Hause! — Desgleichen um viele Empfehlungen
an Ihre Frau Gemahlin und an Hrn. geh. R. Nasse. Erhalten Sie mir
Ihre Freundschaft! H.
•394. An Griepenkerl. Y) Königsberg 27 März 32.
Hätte ich Zeit, so schriebe ich heute überlegter und ausführlicher als
sonst. Die Gesinnungen, mein theurer Freund, die Sie mir äußern, sind
vortrefflich, und ich kann sie schwerlich genug verdanken. An Ihrer
Kraft, so fern dieselbe in Einer Person liegen kann , zweifle ich auch
nicht, und so habe ich endlich Hoffnung, dasjenige nicht mehr als meine
individuelle Angelegenheit betrachten zu müssen, was meines Erachtens
längst schon allgemeine Angelegenheit hätte seyn, und in diesen sorgen-
vollen Zeiten zehnfach ämsiger als sonst betrieben werden sollen. Aber
in Einem Puncte habe ich Ihren letzten Brief mit Verwunderung angesehn;
ja ihn mit Schrecken gelesen. Doch — Sie überlegen ja schon Selbst
das Nöthige; und ich brauche nur zu bitten, daß Sie es noch genauer
betrachten, damit Sie Sich ganz darin finden mögen, daß in diesem
Augenblicke wirklich Alles auf Sie ankommt!
Ob Sie Schacht, Dissen, Langwerth, zur Mitwirkung auffordern sollen?
Das mußten Sie nicht mehr fragen. Es mußte geschehen seyn; noch ehe
Sie Ihren Aufsatz an Brockhaus abschickten.
Sie haben eine Erklärung öffentlich hingestellt, — die Ihnen nun
freylich keine Märtyrerkrone einbringen wird. Aber bis dahin giebts gar
vielerley Beschwerliches und Verdriesliches, was zu vermeiden, soviel
möglich, Ihnen die Vorsicht gebietet.
x) 3 S. 40. H. Wien. Bei Zimmermann a. a. O. S. 66 ft.
300 März 1832.
Sie werden Ihre Briefe drucken lassen. *) Aber die Briefe dürfen
nicht liegen bleiben, sie müssen in Bewegung kommen. Das geht nicht
von selbst.
Sie weiden Recensionen schreiben. Aber die Journale werden
heutigs Tages höchst flüchtig gelesen; und ereignet sich etwas, das Auf-
sehen erregt, so steht die große Mehrzahl gaffend da, und begiebt sich
entweder des Urtheils, oder schwatzt das erste Beste, — denn: man hatte
den Anfang, die Anlässe, nicht beachtet; man weiß nicht eigentlich wovon
die Rede ist. Das wird Ihnen sogar bey Freunden begegnen, wenn Sie
nicht vorbauen. [
Darüber spreche ich aus Erfahrung. Und Sie Selbst mögen das
Beyspiel seyn. Wissen Sie denn von meinen sorgfältigen und ausführlichen
Recensionen über Fries (deren sind vier), Bouterwek, Eschenmayer,
Rückert, (den Theologen) Jäsche? — ich fürchte, Sie wissen nichts davon;
kaum werden Ihnen die von mir unterzeichneten Rec. über Troxler und
Heinroth bekannt seyn.2)
Alle diese Arbeit war so gut als verloren; warum? — — weil ich
mich Niemandem aufdringen konnte, — von Niemanden Aufmerksamkeit
zu fordern hatte.
Fragen Sie nun Sich Selbst, ob Sie Lust haben, in denselben Fall
zu gerathen? Und: fragen Sie Sich alsdann weiter, ob Sie es nöthig haben : —
ob bey Ihnen die nämlichen Gründe statt finden, derentwegen ich es
leiden mußte?
Wenn Sie ein eignes System verkünden wollen: — dann unfehlbar!
Aber wofern Sie die Sache eines Andern zu der Ihrigen machen: —
dann sind Sie in einer ganz andern Lage.
Sie können ohne Verlegenheit Hülfe ansprechen. Sie müssen, wenn
Sie etwas ausrichten wollen, Mitarbeiter suchen; denn es hilft Ihnen nichts,
allein zu stehen.
Schacht ist nach Strümpells Versicherung Ihr naher Freund. Mir
waren seine Gesinnungen gänzlich unbekannt, ich wußte kaum daß er in
Mainz lebt; sonst hätte ich ihn vor zwey Jahren dort unfehlbar besucht,
und seinetwegen auch einen Tag aufgehalten.
Dissen war in Göttingen gegen mich sehr freundschaftlich; aber seitdem
habe ich von ihm keine Zeile, obgleich er hoffentlich meinen Brief aus
Coblenz bekommen hat. Will er nicht von selbst in meine Interessen
eingehn, die klar genug gerade ihm vor Augen liegen: — so mag ich
nicht einmal Göttingen als einen Punct bezeichnen, der mich noch näher
angehn könnte. — |
Langwerth hat meiner Psychologie nachgerechnet. Das wäre, falls
er es laut sagte, unendlich wichtiger, als seine Bedenklichkeiten im Ein-
zelnen, — die ich, beyläufig gesagt, diesen Sommer dem Haedenkamp
vorgelegt habe, mit dem Strümpell zusammen wohnt; allein ohne solchen
*) „Briefe an einen jüngeren gelehrten Freund über Philosophie und besonders über
Herbarts Lehren^ von Dr. F. K. Griepenkerl, Prof.", Braunschweig 1832. Die 5 praki-
schen Ideen Herbarts sind dort in Form von Epigrammen dargestellt. Man vgl. den
Wiederabdruck derselben durch Th. Fritzsch in der Zeitschr. f. Phil. u. Päd. 1908.
2) Sie finden sich in dieser Ausg. im 12. u. 13. Bde.
Mai 1832. 301
Erfolg, der mich zu Abänderungen hätte vermögen können. Möchte aber
Langwerth darüber öffentlich sprechen; möchte er sogar nicht die an-
genehmsten Rücksichten gegen mich beobachten! Das würde Ihnen, in
Ihrem Thun, nicht schaden! Sie könnten es leicht mäßigen. Windstille
allein, fürchtet der geschickte Steuermann; mit Gegenwind weiß er zu
segeln.
Warum nennen Sie Ungewitter nicht? — Er schrieb vor einiger Zeit
an mich; — ich kam nicht zum Antworten; wollen Sie ihn in meinem
Namen grüßen?
In Röer haben Sie, wie es scheint, ein Haar gefunden. Ich kann
nicht widersprechen.1) Aber ich kann ihm auch nicht in den Weg treten.
Will er mir nicht folgen: er ist frey !
Auf Strümpelln können Sie weit mehr bauen. Aber — seine Jugend
verleugnet sich nicht! Das ist kein Vorwurf, nicht einmal ein Zweifel.
Aber wir dürfen nicht das Unmögliche erwarten.
Länger kann ich nicht. Mein unmaaßgeblicher Rath, Sich nach Mög-
lichkeit in die gehörigen Verbindungen zu setzen, bedarf keines Commentars
weiter. Möge nur nicht etwas Unvorhergesehenes den Commentar dazu
liefern! Ganz Ihr H.
22. Apr.: Rede am Geburtstage Kants. S. Bd. X. S. 21 — 28.
395. An Griepenkerl. 2) Königsberg 18 May 1832.
Heute, mein Theurer! nur wenige Worte wegen des Aufsatzes von
Strümpell, den Sie ihrem Verlangen gemäß, heute oder nächsten Posttag
bekommen.
Die Frage ist bloß: wo wollen Sie den Aufsatz drucken lassen?
In der Isis? Da kostet es meines Wissens kein Geld.
In dem Intellig. Blatt der Hallischen L. Z.? Die dortige Redaction
hat mir neulich freyen Abdruck bewilligt. Möglich wäre die Anfrage, ob
man dies Privilegium auf einen in meiner Angelegenheit geschriebenen
Aufsatz ausdehnen wolle?
Jedenfalls hat sich im Erfolge schon gezeigt, was ich fürchtete.
Nämlich :
Strümpells Aufsatz ist zugleich zu kurz und zu lang. Zu kurz —
denn das Material ist vielleicht für einen drey- oder vierfach so langen
Aufsatz geeignet. Und: wenn es Ihnen jetzt schon um einen bedeutenden
Belag zu Ihrer Schrift zu thun ist: so müssen Sie wünschen, daß dieser
Belag vollständig werde. Zweifeln Sie nicht an Strümpells Fähigkeit,
Ihnen einen solchen zu liefern!
x) Der öfter im Briefwechsel vorkommende H. H. Ed. Röer (1805 — 1866) ist
der spätere berühmte Sanskritphilologe , der besonders durch seine Tätigkeit an der
Bibliotheca indica bekannt geworden ist. Vgl. Allg. D. Biogr. 29, 42 ff. Zwar ist er
für Herbarts Lehre nur bis T838 tätig gewesen (als Privatdozent in Berlin von 1833
an) u. in einer einzigen Schrift („Über Herbart's Methode der Beziehungen'1, Braun-
schweig 1833) hat er die Lehren des Meisters verbreiten helfen, aber doch sind seine
philosophischen Studien, die er unter Herbarts Leitung in Königsberg gemacht hat, nicht
vergeblich gewesen, da sie seinen späteren Forschungen auf dem Gebiete der indischen
Philosophie zu Gute kamen.
2) 2 S. 4°. H. Wien. Bei Zimmermann a. a. O. S. 69 ff.
302 Juni 1832.
Zu lang — denn: welche Kosten würde es verursachen, wenn Sie
auch nur das was er schon niedergeschrieben hat, drucken lassen wollten,
falls Ihnen nicht Kostenfreyheit gesichert ist. Die Isis ist nicht einmal
so recht anständig, — doch habe ich nichts dagegen wenn Sie meinen.
Was aber auch Ihr Entschluß seyn mag: ich will keine genaue
Durchsicht des Strümpellschen Aufsatzes übernehmen. Statt dessen aber
— können Sie füglich Folgendes drucken lassen : || Der Aufsatz sey von
Hrn. Strümpell, gegenwärtig Studiosus philosophiae in Königsberg, früher
von Ihnen vorgebildet. Mir sey die Revision des Aufsatzes angeboten,
allein von mir abgelehnt worden, mit der Äußerung: Hr. Strümpell sey
mir hinreichend bekannt, und Hr. Professor Hinrichs habe die Arbeit so
leicht gemacht, daß auch ein weit schwächerer als Strümpell damit würde
fertig werden können.
Das ist die Wahrheit. Strümpell wird wahrscheinlich klagen, ich sey
zu faul gewesen, um seinen Aufsatz ordentlich zu lesen.
Dagegen habe ich dem Strümpell etwas davon merken lassen, daß
er seine Arbeit, an deren gutem Kern gar nicht zu zweifeln ist, auch
äußerlich hätte druckfertig liefern sollen.
Bey näherer Überlegung finde ich in der That, daß Ihre Schrift in
Berlin schwerlich etwas wirken wird, wenn man das Hinterthürchen offen
findet: Hinrichs habe keine Antwort auf seine ohne alle Zweifel höchst
gründliche Recension bekommen. Die Menschen sind darnach, sich mit
solchem Unsinn zu täuschen.
— — Genug davon! Ihr Plan einer Zeitschrift geht mir im Kopf
herum. Ich fürchte fast: es ist zu früh; andrerseits — ists höchst nöthig!
und zwar eben Jetzt! Dann müssen Sie aber Ihren Plan, den Hinrichs
durch Strümpelln zugleich zu widerlegen und zu beschämen, vollständig
durchführen! In höchster Eile Der Ihrige H.
396. An Griepenkeri. *) Königsberg 4 Juni 1832.
Mein theurer Freund! Ihrer übergütigen Briefe,2) die meines Lobes
ebensowenig bedürfen, als ich sie loben darf, — bin ich nur wenige
Stunden ungetrübt froh geworden. Denn gestern Morgen kamen sie er-
brochen (Ihr beyliegendes geschriebenes Blatt wahrscheinlich gelesen, wenn
auch schwerlich verstanden,) vom öffentlichen Packhofe, dem Licent, wo-
hin sie als auswärtige Waare gebracht waren, — — und gestern Abend,
bey Tische, in Strümpells Gegenwart, erzählt man mir als eine gleich-
gültige Sache des Gerüchts — das Ärgste was geschehn kann.
Sie kennen Marheineke; — den Grabredner des Christus- Hegels.
Sie kennen aber nicht die Stellung eines hiesigen General-Superintendenten,
der die Aussicht hat, Bischof und Erzbischof zu werden, gleich dem alten
Borowsky, welchem der König persönlich aus den Leidensjahren 1807
bis 1809 zugethan war, so daß die Stelle zuverlässig nicht leichthin wieder
vergeben wird. Nun wohl: das Gerücht ernennt — M[arheineke] zum
Generalsuperintendenten hier in Königsberg].
x) 3 S. 40. H. Wien. Bei Zimmermann a. a. O. S. 71 ff.
2) Vgl. o. S. 300, Anm. 1.
Juni 1832. 303
Geschieht das, so muß man auf Alles gefaßt seyn; auf systematisches
Durchführen dessen was bisher als arge Übereilung von Partheyen be-
trachtet wurde. Dann kann wahr werden, was mein hochberühmter
College, Hr. geheimer Rath Bessel unlängst weissagte : mit der Philosophie
werde es in 10 Jahren vorbey seyn. Glauben Sie ja nicht, man werde
dann Hegeln noch mit dem allgemeinen Namen Philosoph benennen!
Er bekommt dann entweder einen andern Namen, oder — er wird über-
flüssig, nachdem eine theologische Secte auf seinen Stufen emporsteigend
die Herrschaft erlangt hat. Von dem allmähligen Verderben der
Preußischen Staats- und Regierungs-Maximen, wenn solche Dinge durch-
gehn, mag ich kaum reden. Aber wo wäre dagegen ein Damm? Die
Volks- Opposition — etwa das Berliner Stadtgeschwätz, — vermag nichts
gegen eine Regierung die einmal Autorität hat, und die in der 7 hat so
mächtig ist wie die Preußische. Und das philosophische Publicum ist
vernichtet; ja die Hegeley, wie sie jetzt betrieben wird, wenn man sie
nicht nöthigi sich zusammenzunehmen, vernichtet auf lange selbst die
Möglichkeit, daß es sich wieder bilden könne.
In dem Augenblick beynahe, da ich jenes Gerücht zuerst vernahm,,
fiel mir wieder ein, was ich vor einem halben Jahre noch als ganz un-
passend betrachtete, — eine Stelle bey Ihnen in B[raunschweig]. Denn
unter solchen Umständen wird Preußen für mich ein Gefängniß; und
zwar jeder Art im ganzen Lande.
Hievon nun bitte ich ja nichts fallen zu lassen; durchaus gegen
Niemanden.
Auch das Gerücht über Marh[eineke] wird noch so lange geheim
bleiben müssen, bis Sie es von andrer Seite vernehmen. Seyn Sie ja
vorsichtig; auch in Hinsicht Ihres Sohnes in B[erlin].
Hiemit zusammenhaltend, was Ihre Schrift hoffen läßt, werden Sie
die Resultate leicht ziehn können. Ihre Schrift ist unendlich viel werth,
da sie einen Sprung von beynahe nichts zum Etwas enthält. Aber sie
ist zu gut, zu fein, wo die Umstände Derbheit fordern; und sie stellt
mich viel höher als selbst die scheinbar unbefangenen mich werden leiden
wollen. Und darnach richten sich die Redactionen. Eine besondere, wie-
wohl unbedeutende Verlegenheit lassen mich die beyden Exemplare zum
Vertheilen empfinden; ich finde kaum Jemanden, dem ich, als der Gegen-
stand einer solchen Schrift, sie überreichen darf. Wärs eine vierschrötige
Defensionsschrift: die könnte ich anbringen.
Si vis pacem, para bellum! Dies Sprichwort konnte mir nie un-
gelegener seyn als jetzt, da ich vor Mattigkeit kaum auf den Füßen stehen
kann. Dennoch ists nur zu gewiß. Ihr Vorschlag, durch Strümpelln die
Hinrichsschen Sünden zusammenstellen und sie dann drucken zu lassen,
ist unstreitig das beste ; nur muß Kostenfreyheit wo möglich erreicht
werden. Und ich schrieb Ihnen schon, daß meines Wissens die Isis
alles kostenfrey aufnimmt. Die Hallische Redaction wird bey Antikritik
darauf wohl schwerlich eingehn; auch ist am Ende doch die Isis gut ge-
nug; da es nur darauf ankommt, daß man mit wenigen Zeilen darauf,
als auf etwas Gedruckt- Nachgewiesenes, sich beziehn könne. — Ihre
304 Juni l832-
Schrift überzeugt mich vollends, daß dazu nun durchaus Beläge müssen
geliefert werden.
Wenn Ihnen mein Zettelchen an Schacht nicht misfiel, so werden Sie
es wohl abgesendet haben. Hoffentlich erlaubt Schacht, daß man auf
ihn zähle. Und möge er nur ja einsehn, daß Bedenkzeit jetzt das Übel
wachsen macht. Dissens Krankheit erschreckt mich. So schlimm sah es
nicht aus, als ich ihn besuchte. — — Bruschius ist ohne Zweifel mein alter
Göttingischer, damals sehr ausgezeichneter Zuhörer. Wollen Sie neben
und nach so vielen Briefen noch einen an ihn schreiben: so wird sich
freylich erst finden, wer er jetzt ist, und ob er die Dringlichkeit begreift.
Wenn Sie ihn mit Schacht in Verbindung setzen könnten! Frankfurt
und Mainz sind ja Nachbarn.
Zunächst das Wichtigste ist durchaus die Vertheilung Ihrer Schrift.
Könnte Ihr Zürcher Correspondent wohl so gefällig seyn, sein Exemplar
dem Theologen Schultheiss in Zürich zur Ansicht zu leihen? Könnte
er Ihnen die Addresse zur Redaction der Bibliotheque universelle, die in
Genf erscheint, verschaffen? Könnten Sie Dänemark erreichen, — viel-
leicht durch meinen alten Freund (den langen Recensenten der Psych ol.
in der Hallischen ALZ.) Etatsrath v. Berger in Kiel? Je weiter von der
streitbaren Mitte Deutschlands entfernt: desto unbefangener sind die
Menschen, — und wohl desto neugieriger.
Wenn Röer eilt: wird er meinen Dank wohl erwerben; ich habe
nun etwas genauer bey Strümpeln dem nachgefragt was jener über die
Meth[ode] der Beziehungen] *) brieflich geäußert; es ist wenn auch un-
zweckmäßig' doch nicht verderblich; daß ich nicht früher nachfragte lag
bloß daran, weil ich nicht scheinen will gegen die Freyheit der Individuen
böse Ansprüche zu machen. Was Strümpelln anlangt: so möchte ich aus
gewissen Äußerungen fast zu errathen glauben, man habe ihm zu Hause
die nöthigen Gelder zur Promotion nicht gleich bewilligen wollen. Sollte
ichs getroffen haben? Das wäre doch übel. Student darf er nicht mehr
bleiben. Wer weiß — ob er nicht am Ende gar noch ein wenig Student
werden würde? — Er hat ein keckes Selbstgefühl — und braucht Welt-
verhältnisse die ihn abschleifen. Das ganz unter uns!
Vor allem sorgen Sie, daß die Philosophie einen Mittelpunct außer-
halb Preußen gewinne! In Preußen ist Alles am Ende von der Regierung
abhängig. Sie kann was sie will. Ob sie aber in diesem Puncte das
Gute will ? ? — — Der, den Sie in Ihrem letzten Briefe den eigentlichen
Feind nennen, ist es wirklich. Und doch bin ich nach bestimmter Be-
obachtung der Meinung, daß er ein Partheyhaupt ist wie mancher König,
der im Grunde thut was die Parthey will, weil — er sich verstrickt
findet, und fortfahren muß wie er anfing. Übrigens kann ich Ihnen nun
ganz offen sagen: man horcht. Kämen sechs Schriften wie die Ihrige, so
würde man — überzeugt seyn. Ich müßte mich ganz in den Menschen
irren, wenn sie nicht — die Stimmen zählen, um zu ermitteln, was das
Klügste sey.
Möglich wäre etwas, das ich wenigstens anzeigen will. Sie müssen
Ihrem literarischen Namen Gewicht geben. Dazu können Sie zunächst
*) S. o. S. 301, Anm. 1.
Juni 1832. 305
die Ästhetik von Weiße (eben heute werde ich meine Rec. darüber nach
Jena schicken) dergestalt gebrauchen, daß Sie das Buch als ein frappantes
Beyspiel der Hegeley kritisiren. Das Buch ist nämlich sehr wohl lesbar;
es läßt sich besser behandeln als andere Hegeleyen; es versetzt ferner
sich selbst schon in Streit mit Hegeln, — und meine Rec. selbst könnte
Ihnen vielleicht einen bessern Anknüpfungspunct darbieten. Mir ist auch
eingefallen, daß ich in Form eines Sendschreibens an Sie den Gegenstand
vornehmen könnte wenn — meine Gesundheit stärker, meine pädagogische
Arbeit weniger dringend, und meine Einstimmung mit Ihnen in der
Ästhetik gesichert wäre. Haben Sie Muße: so möchte ich bey weitem
das Erstere vorziehen. Sie würden es sehr leicht finden, vom Gebiete
der Ästhetik aus die Hegeley anzugreifen.
So eben langt Ihr letzter Brief an, nach dem Postzeichen vom 28.
Das klarste nehme ich zuerst heraus. In Ihren trefflichen — gedruckten
Briefen finde ich nichts was mich zum Kritiker machen könnte. Ein Ur-
theil kann ich bey der Befangenheit, in die Sie mich versetzen unmöglich
haben. An einigen Stellen scheint mir das bas-relief nicht genug hervor-
gearbeitet, aber ein bas-relief müßte es nothwendig bleiben, wenn Sie die
Reihe meiner Bücher durchlaufen wollten, ohne die Gränzen einer Flug-
schrift zu überschreiten. Daß ich die Gewandtheit des ganzen Wurfs,
und die Feinheit der Darstellung im Einzelnen, empfunden habe, werden
Sie mir vielleicht zutraun. Ihre Äußerung S. 33 führt uns näher zusammen;
es wird wohl darauf hinauskommen, daß ich bekennen muß: Schickliches
sey auch ästhetisch im weiteren Sinne.1) Die Sache kommt auf den
§. 150 meines Lehrbuchs der Psychol. hinaus; und es findet sich, daß
der Gesammtname ästhetisch und schön sehr verschiedene species unter
sich faßt, die an ihren Gränzen von den Lustgefühlen nicht mehr so
scharf zu scheiden sind, als meine Worte es fordern. Und doch —
wenn man das, was ich geschieden habe, unbestimmt durch einander mengt,
so wird man vollends nicht aus der Verwirrung kommen. Davon ein
andermal mehr. Was nun zweytens das Pädagogische, was wir noch vor-
nehmen wollen, anlangt: so sage ich Ihnen zuvörderst meinen herzlichen
Dank dafür, daß Ihre gedruckten Briefe mir es möglich machten, schon
heute — zu pädagogischen Briefen — an Sie, die Feder ansetzen zu
können. Diese Form >^st mir eine unendliche Erleichterung für eine Arbeit,
an die ich sonst bey meiner Kränklichkeit vielleicht nie mehr denken
dürfte. Wenn Sie nun wollen, und es Ihnen sonst paßt : so schreiben Sie
— was Sie irgend wollen, — über den heutigen Zustand der Pädagogik,
— kann es seyn, so entnehmen Sie meinen Wunsch etwa aus meiner
Ihnen bekannten Recension über Schwarz, die Sie in der Hallischen ALZ.
gelesen haben. Kommt eine solche Schrift von Ihnen zu mir, während
ich meine Briefe an Sie schreibe, so nutze ich den Stoff, um die Brief-
form durch Beziehung auf eine wirkliche Correspondenz zu beleben. Ist
Ihnen eine solche Arbeit unbequem: so opfern Sie ja nicht Zeit und
x) In Griepenkerls „Briefen pp.u findet sich auf S. 33 f. eine Einwendung gegen
das, was Herbart mit dem Namen des Schicklichen in der Kunst bezeichnet. In der
Oper handle es sich nicht nur um eine „schickliche'" Vereinigung mehrerer Künste,
sondern um eine „wahrhaft ästhetische".
Herbarts Werke. XVII. 20
306 Juni 1832.
Laune. Denn ich kann auch meine Arbeit zuerst fertig machen. Nur
erwarten Sie dieselbe nicht schnell. Schwerlich werde ich vor anderthalb
fahren damit fertig. Und jedenfalls enthält sie eine Aufforderung an Sie,
meine Fragmente nicht bloß zu sichten, sondern besonders über Ihr
eigenes pädagogisches Denken und Wirken Sich öffentlich mitzutheilen. —
Nun das nächste Nöthige. Da ist schwer zu rathen. Das Eine möchte
ich Sie bitten zu bemerken: daß wir mit Ihrer Zartheit, gegen Hinrichs
nicht durchkommen. Strümpells Keckheit wird in solchen Verhältnissen
wohl nöthig seyn; und in dieser Beziehung fürchte ich mich, seine Derb-
heit zu vermindern. Er braucht sie — nicht bloß für uns, sondern auch
für sein eigenes Auftreten. Wie unsäglich habe ich mir geschadet durch
ängstliche Beachtung des Schicklichen! Betrachten Sie einmal Heeren,
den jetzt 70jährigen! Hat er nicht jetzt noch literarische Händel, weil
er früher zuviel von ruhiger Würde stillschweigend behaupten wollte?
Und das liegt außer dem philosophischen Kreise! Ich glaube, — wenn
Sie mir erlauben, ein ganz unmaaßgebendes Glauben auszusprechen —
das Beste wäre: Sie ließen Strümpells Aufsatz möglichst unverändert, und
stießen nur soviel ab, als Sie ganz entschieden misbilligen. Ein Wort-
gefecht giebt es doch einmal unvermeidlich. Und hiezu scheinen Sie ja
schon entschlossen. Nur keine Zeit verlieren! Ungewittern — hatte ich
gerade so erwartet. Und so ist das heutige Volk durchgehends. Mit
solchen Leuten bin ich hier umgeben. Zuhörer genug habe ich gehabt,
die meinen Vortrag verstehen, aber Philosophie ist nicht Theologie. Die
Erfahrungen, welche der vielgetadelten Aufklärung zu Grunde lagen, sind
zu fern; und des Denkens ist man entwöhnt. — Es ist mir sehr lieb, ja
eine wahre Beruhigung, daß Sie mit meinem Blättchen an Schacht nicht
unzufrieden scheinen. Die Sache lag mir in Gedanken. Möge er sich
Ihnen nicht entziehn, wenn er auch von mir nicht hören will. Denn Sie
werden wahrlich zu leiden haben. Philosophie ist einmal Convenienz-
Sache geworden. — Reichhelm, Richthofen, Bobrik, Drobisch, Brandis,
die Hrn. N. u. A.1) an die ich schrieb (dem ersten bey Uebersendung
meiner Encyklfopädie] — dem andern um Bobrik zu empfehlen —
keinem bittend) — Alle schweigen. Dies Schweigen ist ein übles Zeichen.
Man hat mir nichts Erfreuliches zu berichten. — Wenigstens sehen Sie
nun, wenn noch eine Bestätigung nöthig wäre, daß vor einem halben
Jahre meine Besorgnisse nur zuviel Grund hatten. Dank sey Ihnen, daß
Sie dem Glauben: ich hätte keinen Freund, muthig entgegentraten.
Das that Noth! Ihr H.
397. An Drobisch.1) Königsberg 18 Juni 1832.
Wo soll ich anfangen mich zu entschuldigen, mein verehrtester Freund \
Am besten bey den Thatsachen. In der Mitte Februars wurde ich ernst-
lich krank. Noch im Bette bekam ich von Halle Antwort, man wolle
meine Rec. Ihrer Schrift annehmen. Im März, als ich aufstand, war es
meine erste Pflicht die ich außer dem Bette zu erfüllen hatte, die Recension
') Nicolovius und Ancillon?
2) 4 S. 4°.
Juni 1832. 307
zu schreiben. Aber sie gerieth schlecht; ich war noch zu schwach. Das
Papier blieb ein Weilchen liegen, — endlich besserte ich daran, und
legte mir recht deutlich das Bekenntniß ab, daß hier ungemein wenig für
mich zu thun sey, da Sie in klarer Sache noch überdies mit Ihrer eigenen
Klarheit gesprochen haben. Was ich nun, immer noch schlecht genug,
abgesendet habe, das hätte freylich längst in Ihren Händen gedruckt seyn
können, wenn die Hallesche Redaction nicht so gar lange auf den Ab-
druck der eingegangenen Recension warten ließe; — sie scheint mit
Material zu gut versorgt. — Im April wurde ich von neuem so unpaß,
daß ich nur so eben auf den Beinen blieb. Dennoch schrieb ich an Sie
einen langen Brief, — den ich wieder zerriß. Denn was konnten Sie
mit meiner zu lang gerathenen Erzählung von Bobrick, den man (Sie er-
rathen doch?) früher als Professor zu versetzen hochgeneigtest be-
absichtigte, — der nun wirklich von Bonn nach Königsberg und zurück
im April in April geschickt war, um hier zu vernehmen, daß an hiesigem
Gymnasium nicht füglich eine Stelle für Professoren der Universität (so
klug war der Plan wegen des Gehalts angelegt) eröffnet werden kann:
— was konnten Sie mit ähnlichen fast kläglichen Erzählungen anfangen?
Daß ich in Ungnade bin, sehen Sie ohnehin. Daß die Ungnade sich
noch ertragen läßt, versteht sich von selbst. Daß ich sie aber sogar mit
fröhlichem Muthe ertragen kann, sehe ich theils aus Griepenkerls Schrift,
theils nun erst vollständig aus Ihrem mir in jeder Hinsicht sehr theuren
Briefe. Philosophie von Ihnen in Leipzig vorgetragen — hoc erat in
votis. Das Geschwätz des Hrn. Hinrichs habe ich kaum angesehn, —
man brachte mir von zwey Seiten das erste Blatt, — an den ersten
Zeilen die mir ins Auge fielen hatte ich genug. ||
Jetzt aber muß ich Etwas, das sich von selbst versteht, dennoch
aussprechen. Entfernen Sie, darum bitte ich, jeden Gedanken an die
Frage, ob diejenigen philosophischen Lehren, die Sie mündlich verbreiten
und schriftlich ohne Zweifel noch verbreiten werden, die meinigen seyen
oder nicht. Mein Recht werden Sie mir widerfahren lassen; es kann
nicht in bessern Händen seyn, als in den Ihrigen. Mein Anrecht, wenn
und wo Ihr Scharfsinn es entdecken mag, sprechen Sie offen aus, und
fürchten Sie meinerseits keine Empfindlichkeit. Es braucht nicht, daß eine
Schule nach mir benannt werde. Nur das wünsche ich, unter den Ersten
zu seyn, die es erfahren, was Sie tadeln werden.
Griepenkerl hat mich zu hoch gestellt.1) Er wird Reactionen er-
fahren, über alles Maaß der Billigkeit und des Schicklichen hinaus. Wir
kennen ja das Völkchen was sich gegenüber auf alle Weise verschanzt.
Darum habe ich die zweyte Bitte: sorgen Sie für ihn, wo es thunlich ist.
Unbefangene Leser werden ihm seine Freundschaft für mich zu gute
halten; darum lassen Sie die Gelegenheiten, die sich Ihnen darbieten
möchten, seine Schrift zu verbreiten, nicht vorübergehen; es kommt darauf
an, daß man ihn, der als Schriftsteller wenig bekannt ist, nicht nach mis-
günstigen Recensionen sondern durch das eigne Lesen seiner Schrift be-
x) In den genannten ,, Briefen."
20:
308 Juni 1832.
urtheile; es kommt darauf an, zu erinnern, daß die Person Achtung ver-
dient, die sich innerhalb der Gränzen des Anständigen und Verständigen
einer Lehre annimmt, welche zu vertheidigen nicht Sache des Ehrgeizes
sondern nur Werk der reinen Ueberzeugung seyn kann. Griepenkerl ist
Familien- Vater; er war sehr kränklich; wer steht mir dafür, daß er sich
nicht einmal in schwachen Stunden die bevorstehenden Kränkungen zu
Gemüthe zieht? Er ist beynahe so alt wie ich; und hat keine Jugend-
kräfte zuzusetzen. Sein Interesse an meiner Sache ist übrigens zugleich
das für eignes Werk; denn Röer und Strümpel sind seine Schüler, die
er mir vorbereitete und zusandte. Frey lieh mußte er jetzt meine Lehre
gegen || die leicht vorherzusehenden Angriffe der Gegenparteyen schützen,
wenn nicht seine Schüler, sobald sie auftreten, verwüstetes Feld antreffen
sollten, das in einem Jahrzehend nicht wieder hätte urbar gemacht werden
können wenn in diesem Augenblicke meine Arbeit zerstört zu seyn schien.
Wer konnte hoffen, daß Sie fortfahren würden, zu wirken, wo Sie wenig
Erfolg sahen? Hätte Griepenkerl das vorausgesehen: — so hätte ich
keinen so klaren Beweis seiner Freundschaft empfangen, als jetzt, wo er
in der Meinung allein zu stehn, öffentlich zeigte, es fehle mir nicht an
Freunden; — jetzt aber wünsche ich ihm Glück; denn an Ihnen hat er
die vollkommen zulängliche Stütze; und jeden Gedanken des Allein-Stehens
wird er fahren lassen. Zweifeln Sie übrigens nicht an der Kraft der
Recensionen die Sie geschrieben haben. Von ganz unbefangenen Per-
sonen, von tüchtigen Gelehrten habe ich die klarsten Proben, daß man
das Gewicht Ihrer Worte zu schätzen wußte. Ihnen ist der Erfolg jetzt
gewiß, da Sie es der Mühe werth achten, ihn zu sichern.
Griepenkerl hat mir einige Zeilen hingeworfen, welche verrathen, er
denke an eine Zeitschrift für Philosophie. Wenn Sie das für gut fänden,
und begünstigen wollten!
Meinerseits habe ich die Feder so eben angesetzt zu pädagogischen
Briefen an Griepenkerl; nicht bloß als an meinen Freund, sondern weil
er selbst (schon durch seine frühere Leitung des Fellenbergischen Instituts)
ausgezeichnete pädagogische Erfahrung besitzt. Pädagogische Briefe sind
übrigens ein weiter Sack; und ich weiß noch nicht, was Alles hinein-
kommen wird.1)
Ihr College Weisse — zugleich Anhänger und Gegner der Hegeley,
— der, wenn ich nicht irre, wohl etwas Besseres seyn könnte, — wird
nächstens in der Jenaischen L. Z. eine Recension seiner Aesthetik von
mir finden; sie wird ihn nicht erfreuen. 2) Sollten Sie mit ihm in näheren
Verhältnissen stehn, so mag er wissen, daß ich es eher der Mühe werth
gehalten habe mit ihm zu disputiren als mit anderen Hegelianern
x) Demnach steht unzweifelhaft fest, daß Herbart die Briefe erst Mitte des
Jahres 1832 niederzuschreiben begonnen hat und daß sie an Griepenkerl gerichtet waren.
Auch über den Titel kann nunmehr kein Zweifel mehr herrschen. Dahin ist Harten-
stein und auch Kehrbach, diese Ausg. Bd. IX, S. X f. zu berichtigen, bezw. zu
ergänzen.
2) Diese Rezension findet sich Jen. L. Ztg. 183 1, 121 ff.; diese Ausgabe Bd. 13.
— Christian Herrn. Weisse, Enkel des Dichters Christ. Felix W., war seit 1828
a. o. Prof. d. Phil, in Leipzig. 1837 zog er sich auf mehrere Jahre von der aka-
demischen Thätigkeit zurück, nachdem er sich nachdrücklich um eine ordentliche Professur
Juni 1832. 309
Uebrigens schreibe ich bekanntlich nur aufgetragene Recensionen. Eine
andere über Hrn. Eduard Schmidt in Rastadt wird wohl bald in Ihrer
L. L. Z. erscheinen; sie liegt beynahe fertig; was der Hr. Expedient der
L. L. Z. wenn Sie ihn zufällig sehen, vielleicht gern hört. ||
Indem ich Ihren Brief nochmals durchlaufe: finde ich ihn so acht
freundschaftlich, daß ich mich nicht länger bedenke, mich Ihnen ganz
auszusprechen; wobey ich Sie freylich nur in meine Privat- Verhältnisse
einführen werde; allein wenn ich überlege, was für Bemühungen zu über-
nehmen Ihre Güte schon groß genug war, so ist das, was ich noch zu
wünschen habe, durch Sie entweder gar nicht, oder so leicht möglich, daß
die Mühe, die es Ihnen noch machen kann, neben der frühern ver-
schwindet. Ihr geneigtes Gehör voraussetzend, sage ich folgendes: Die
stärkste Triebfeder meines Wunsches nach einem andern Aufenthalte ist
durch die Eröffnung Ihrer Vorlesungen, deren Erfolg nicht zweifelhaft seyn
kann, meist abgespannt. Dagegen spannt sich eine andre. Eine Gesund-
heits-Reise ist mir höchst nöthig; allein mein Vermögen ist gering, und
muß meiner Frau bleiben. Andrerseits treibt meine Frau, die keinen
Egoismus kennt, mich selbst, die für mich gefährlichen Frühlingsmonate
künftiges Jahr in einer wärmern Gegend zuzubringen. Das könnte ich,
wenn eine bedeutende Summe, die ich als ein ausstehendes Capital be-
trachte, sich jetzt einziehen ließe; — ich meine, wenn ich meine Psycho-
logie und Metaphysik, die, wie Sie wissen, mein Eigenthum sind, jetzt
einem reichen Buchhändler für ein angemessenes Honorar zu verkaufen
Gelegenheit fände. Wegen der Psychologie muß ich daran eben darum
schon denken, weil, sobald Sie die Psychologie literarisch bearbeiten,
mein Buch seinen Werth verlieren wird. Bis es dahin kommt, kann es
Ihnen, umgekehrt, willkommen seyn, wenn meine Arbeit, als nächste Vor-
arbeit für Sie, sich mehr verbreitet. Ihr Wirken wird sehr bald allgemeine
Aufmerksamkeit erregen; namentlich in Leipzig, dem Sitze des Buch-
handels. Mein Commissionär Unzer ist nicht sonderlich reich, am
wenigsten freygebig. Aber wenn Brockhaus, oder Breitkopf, oder ein
anderer Leipziger Matador darauf böte, — theils die vorräthigen Exem-
plare anzukaufen, theils das Recht der zweyten Auflage zu erwerben: —
wieviel könnte er bieten? Rechnen wir das Exemplar zu acht Thalern, —
soviel nimmt, glaube ich, Unzer dafür, — so wäre eine Auflage von 1000
bis 1200 Exemplaren 8000 Thl. oder darüber werth. Die Hälfte wäre
das höchste, wohin meine Gedanken für mich gehen; aber auch für
3000 Thl. würde ich mit Freuden die Psychologie hergeben. Die Meta-
physik ist länger haltbar, und mag einstweilen mein Eigenthum bleiben.
Käme es durch Ihre gütige Verwendung dahin, daß mir eine irgend an-
nehmliche Summe geboten würde, so wäre ich frey von Sorgen, die mich,
die Wahrheit zu sagen, täglich und fortwährend drücken, und zwar der-
gestalt drücken, daß jede Empfindung von Kränklichkeit — und daran
fehlt es keinen Tag, — mir die Perspective eines kurzen und kümmer-
lichen Lebens zeigt, während ich andrerseits überzeugt bin, daß ich sehr
beworben hatte, mit entschiedenem Hinweis darauf, „daß nicht nur die Herbartsche
Philosophie an der Leipziger Universität offiziell vertreten sein dürfte" (Heinze).
1845 wurde er ordentlicher Professor der Philosophie, starb 1866 an der Cholera.
3IO Juni 1832.
leicht noch zu heilen, und auf lange Zeit wiederherzustellen bin, wenn
gegen nächstes Frühjahr die Hülfe kommt. Was sagen Sie dazu? Auch
meine pädagogischen Briefe, die ich so eben begonnen habe, wären ein
möglicher Gegenstand der Frage an einen reichen Buchhändler. Die
Sache ist übrigens nicht eilig; und damit sie nicht eilig werde, ists am
besten, ich bitte Sie schon jetzt um gütige Rücksicht darauf, falls sich
Ihnen Gelegenheit darbietet, Einleitungen zu treffen die mich dem Ziele
dieses sehr nothwendigen Wunsches nähern. Kommt der Verkauf zu
Stande: so bin ich sorgenfrey; denn dies ist der Punct der mich noch
drückt, nachdem Sie in Leipzig thun was ich in Berlin thun wollte.
[Randbemerkungen:] Erinnern Sie Sich wohl, daß ich Ihnen schon
in Berlin, in den ersten Tagen persönlicher Bekanntschaft sagte: Die
Philos. sey ganz in Ihrer Macht? Jetzt wird vielleicht schon der Erfolg
Ihnen bestätigt haben, daß dies keine Hyperbel war. Sie treten nur die
Verwaltung Ihres natürlichen Eigenthums an, indem Sie Sich der Philos.
widmen. Der an sich fruchtbare Boden kann Ihnen die reichsten Früchte
tragen: und Ihr Verdienst wird unermeßlich seyn, wenn Sie gerade jetzt
Ordnung in die bessern Köpfe bringen, während der politische Unfug die
Gedanken noch mehr als die Verhältnisse in Verwirrung setzt. — Winke
meinerseits, die Sie mit zuviel Güte erwarten, könnten nur Anmaaßungen
seyn; aber eine einzige Nachricht will ich Ihnen geben; ich lese jetzt
Psychologie nach meinem kleinen Lehrbuche in folgender Ordnung der
§§: erstlich §. 1 — 9. dann §. 124 — 151; darauf nach ganz kurzen Er-
wähnungen der § 10 — 24 folgt nun das Übrige in der Ordnung wie es
steht. Der Grund dieses nach vielen Versuchen probat erfundenen Ver-
fahrens liegt in der durch nichts zu hebenden Langweiligkeit der empiri-
schen Psychologie, solange die Zuhörer nicht bey Gelegenheit der Er-
fahrungen schon hinter den Vorhang zu schauen fähig sind.
Erlauben Sie mir noch einen wissenschaftlichen Wunsch in Beziehung
auf Ihre Vorlesungen: so ist es der, daß Sie Sich bey Zeiten im
sogenannten Naturrechte scharf umsehn. Meine Lehre von den praktischen
Ideen halte ich für exact; aber die Erläuterung der Ideen von Recht
und Billigkeit will sehr genau durchgeführt seyn. Verschmähen Sie nicht
Hugos des Göttingers, sogenanntes Naturrecht oder Philos. des positiven
Rechts. Das paradoxe Ding hat mir viel Gedanken zugeführt, im Gegen-
satze gegen solche Naturrechte wie das Hufelandsche, oder Kantische,
oder gar Fichtische. In meiner praktischen Philosophie ist aber der zweyte
Theil nicht so exact wie der erste. Der Schade dürfte zwar nicht groß
seyn; dennoch ist hier manches theils lückenhaft, theils ungleichmäßig ge-
arbeitet. Hingegen die Einleitung, — nämlich die in meiner praktischen
Philos. — ist an sich richtig; nur die Schreibart ist ungelenk; und käme
eine neue Auflage, so würde in der Einleitung das ganze Wortwesen neu
zu schreiben sein, ohne Veränderung der Gedanken und der Anordnung.
Mit Hegels Rechtslehre ist soviel ich mich erinnere gar nichts anzufangen.
Ueberhaupt halte ich Hegeln für gar keinen Gedankenquell, obgleich für
eine wichtige historische Erscheinung in metaphysicis. Doch das wissen Sie.
Wenn Sie Ihr Werk fortsetzen — mündlich und schriftlich, welches
letztere die nothwendige Folge des erstem ist, — so bin ich völlig über-
Juni 1832. 31 1
zeugt, daß die Gegenpartheyen lediglich ihre eigne Schwäche zur Schau
stellen werden; so sehr, daß es für uns gar nicht lohnen kann, uns noch
irgend um sie zu bekümmern. Viel schwerer wird es seyn, das verlorne
Vertrauen zur Philos. im Publicum wieder zu wecken. Daß Griepenkerl
ganz populär schrieb, war mein Antrieb. Das jetzige philos. Publicum
ist völlig verdorben; um ein neues zu gewinnen, muß man die Breite mehr
als die Tiefe suchen. Gleichwohl — die Tiefe ist Ihre Sache. Möchten
Sie schon deshalb Ihre Güte auf Griepenkerln als Ihren Gehülfen aus-
dehnen! — Und lassen Sie Ihren Kopfschmerz nicht überhand nehmen.
Sie haben viel zu thun. Ihr Herbart.
22. Juni: Jahresbericht über das pädagogische Seminar in Königsberg. XV, S. 75 — 82.
398. An DroblSCh.1) Königsberg 28 Juni 1832.
Sie bekommen zwey Briefe für einen von mir, mein verehrtester
Freund! denn Ihr einer war reichlich zwey werth. Doch nicht bloß darum
allein ; sondern — hören Sie !
Gestern bekomme ich Nachricht, Gabler sey in B. nun wirklich an-
gestellt. Wenn das wahr ist, (und die Nachricht, zwar nur mündlich,
scheint aus guter Quelle,) so contrastirt es auffallend mit dem, was mein
Ihnen wohlbekannter schlesischer Freund,2) der unlängst in B. war, dort
hörte, nämlich: Gablern fehle es an hinlänglichem Namen, und es werde
darauf ankommen, ob er sich diesen bald zu erwerben wisse. Das Bald
mag nun so klein gedacht werden, als man will, — Bücher müssen doch
erst geschrieben, dann gelesen, und dann beurteilt werden, wenn sie einen
Namen hervorbringen sollen! Also — man hat den vermißten Namen
entbehrlich gefunden. Wie kann das zugehn?
Erlauben Sie eine Hypothese. Eine Ergänzung muß hinzugekommen
seyn; und zwar eine so starke, daß selbst der Namenlose dadurch Ge-
wicht bekommt. Diese dürfte sich errathen lassen. Schelling ist kürz-
lich in die Berliner Akademie der Wissenschaften aufgenommen worden.
Es ist überdies längst schon davon die Rede gewesen, Schelling wolle
noch einmal auftreten, um neue Lorbeeren zu den alten zu fügen. Die
jetzigen Berliner Umstände müssen ihn dazu besonders auflodern. Aber
— noch mehr! Richth. schreibt mir, die Zahl meiner Freunde in B. sey
nicht gering; er bestätigt, daß der Ministerialrath Keller, ehedem Regierungs-
rath hier in Königsberg, lebhaft für mich gesprochen habe; so habe ich
eigentlich drey Stimmen im Ministerio gehabt, und man konnte sich als-
dann wohl veranlaßt finden, unter der Hand die Hülfe Schellings anzu-
rufen, um nicht nachgeben zu müssen. Man hat in diesem Falle mir
wahrscheinlich einen Angriff bereitet, den man im Voraus einem Siege
gleich achten mag. Das wäre wenigstens die kürzeste Manier wie man
mich paralysiren könnte — nicht wahr? —
Mir hat es nun seit sehr vielen Jahren im Sinn gelegen, ich würde
wohl schwerlich die Feder niederlegen, ohne ein literarisches Duell mit
x) 2 S. 40.
2) Der Baron von Richthofen.
312 Juni 1832.
dem eigentlichen Verderber der Philosophie gehabt zu haben. Den scherz-
haften Ausdruck können Sie immerhin gönnen — übrigens kennen Sie
meine Art. ||
Wundern Sie Sich nicht, wenn ich mich bey Zeiten nach Secundanten
umsehe. Schelling hat natürlich Gablern und Hinrichs, — und ich —
wen habe ich?
Diese Frage Ihnen und Griepenkerln anheim stellend — will ich
eine minder hypothetische Bitte hinzuthun. Sie erfahren das Neue des
Büchermarktes dort zuerst; — sobald Sie hören, Schelling habe irgend
Etwas gegen mich losgelassen, so bitte ich um Nachricht. Und besonders
lieb wäre mir, wenn Sie alsdann sogleich aussprächen — es könne gar
wohl sich ereignen, daß ich dabey nicht müßig bleiben würde, — ja selbst
mit einem Buchhändler wäre eventuell zu reden, oder Sie schrieben mir,
an welchen Buchhändler ich mit guter Aussicht mich wenden könne.
Denn — was man auf diesen Fall vorrüsten kann, das muß geschehn.
Leicht möchten Sie eine fast stolze Rede von mir zu lesen bekommen,
um den absoluten Uebermuth zu beugen — aber dann muß es mir am
Aeußern nicht fehlen; sondern Hülfe muß parat seyn. Sonst gehts nicht.
Glauben Sie übrigens ja nicht, daß ich mich auf endlosen Streit ein-
lassen werde. Das wäre in der That unter meiner Würde. Der Unsinn,
den langsamen Gang der Wissenschaft durch einen Partheykampf kurz
abmachen zu wollen, ist gerade das was ich perhorresciren werde. Und
übrigens sehen Sie leicht, worin meine Ueberlegenheit besteht: die
Gegner kennen mich weniger als ich sie. Jene Aristokraten vertheidigen
ihr Veraltetes; mein Naturrecht soll erst ins Licht treten; und ich werde
jenen gar nicht einräumen, daß sie darüber ein Urtheil hätten. Das Ende
wird seyn, daß man dem Publicum das Urtheil anheim stellt, unterdessen
aber erfährt das Publicum, wovon die Frage sey; und das ist, denke ich,
sicherer Gewinn für mich. Aber auch wegen späterer Fortsetzung der
Angriffe können wir ruhig seyn. Kommt Strümpel (Griepenlkerls und
mein Schüler) erst zum Schlagen, so wird er sich wohl rüstig genug zeigen;
und recht eigentlich dafür leben. Bobrik, (obgleich etwas zweydeutig!)
wird sich auch irgendwie rühren müssen.
Sie bekommen doch nur ein Fragment dieses Briefes; das Hintere
mußte ich abschneiden weil ich nach dem Siegeln die Durchsichtigkeit
des Papiers bemerkte. Es ist nichts daran verloren. Griepenkerls Schrift
ist von Ancillon gut aufgenommen; doch darauf baue ich nicht viel.
Richthofens Brief deutet eine sehr große Spannung an. Man kann sich
compromitiren ohne zu wissen wie. Ihre Bemerkung, daß ich in Deutsch-
land sehr verloren haben würde wenn ich in B. gewonnen hätte, ist
höchst treffend. Seyn wir still, aber auf unsrer Hut; man kann uns plötz-
lich überfallen. Eintracht unter uns ist hoch nötig; ich bitte sehr um
Ihre baldige — wenn auch bedingte — Erklärung. Leben Sie herzlich
wohl. Ihr H.
[Randbemerkung:] Diesen Brief schicke ich so, wie ich ihn beym
ersten Eindruck hinwarf. Hinterher habe ich mich besonnen, daß ich
eigentlich nur nöthig habe, Schelling mit zwey Worten auf den ersten
Juli 1832. 3£3
Band meiner Methaph. zu verweisen; ihm zu sagen, daß ich dort an ihm
vorübergegangen bin, auf eine Weise, die jede Rückkehr überflüssig macht.
— Möglich wäre, aber höchst unwahrscheinlich, daß Schelling sich ein
besseres Recht auf meine Achtung erwürbe; dann fiele natürlich alles
Obige weg. — Jedenfalls ists gut, wenn wir Rücksprache nehmen für
mögliche Fälle. Darum bitte ich um Ihre offenste Antwort, und gut-
achtliche Meinung.
399. An Drobisch.1) Kgb 14 jul 1832
Mein letzter eiliger Brief, verehrtester Freund! scheint Sie mehr als
nöthig befremdet zu haben; ich kann ihn nicht genau erläutern, denn ich
erinnere mich nur noch, Ihnen wahrscheinliche Machinationen bemerklich
gemacht zu haben, die, falls Schelling hereingezogen würde, weder Ihnen
noch mir gleichgültig seyn könnten. Daß Sie meinen körperlichen Zu-
stand auf den geistigen beziehen, ist zwar natürlich aber irrig. Der Arzt
warnt gegen Gicht und Brustbräune; mindestens gegen Hämorrhoidal-
Übel. In Ansehung meiner literarischen Angelegenheiten dagegen, die ,von
mehr als einer Seite vorrücken können, bin ich von Muthlosigkeit sehr
weit entfernt; soweit, daß ich selbst für den Verkauf meiner Psychologie,
ungeachtet Ihrer mir gar nicht unerwarteten Nachrichten, günstigere Zeit
und bessere Umstände vermuthe, welche vielleicht nicht so fern sind als
sie scheinen mögen. Jedenfalls hoffe und bitte ich, daß Sie diesen für
mich sehr wichtigen Punct, dem Sie einmal eine gütige Aufmerksamkeit
zugewendet haben, im Auge behalten mögen.
Nun zu Ihrem, weit über meine Erwartung hinausgehenden An-
erbieten, Griepenkerls Schrift auzuzeigen. Daß es mit beyden Händen
würde ergriffen werden, sahen Sie ohne Zweifel voraus; und gewiß, so
geschieht es von meiner Seite; eben so wird es von Griepenkerln ge-
schehen. Lassen Sie Sich darin ja nicht irre machen durch das, was ich
sogleich hinzusetze.
Sie sind, wie Sie sagen, im feindlichen Lager. Daß Sie unversehrt
herauskommen werden, darüber hege ich keinen Zweifel. Aber wie lange
Sie darin verweilen, das sehe ich nicht voraus: vielmehr bin ich darauf
gefaßt: Sie werden Sich länger aufgehalten finden, als Sie dachten. Ob
Sie nun gerade während der Zeit, da Sie dort beschäfftigt sind, aufgelegt
seyn können, Griepenkerls Schrift anzuzeigen? — Eingeräumt habe ich, |
daß Griepenkerl mich zu hoch gestellt hat. Aber es ist einmal geschehen!
Und wenn Sie davon in keiner andern Hinsicht Notiz zu nehmen
brauchen, so giebt es doch Einen Punct, worin ein Anspruch liegt, den
Griepenkerl, nachdem er ihn einmal verlautbarte, nicht mehr zurücknehmen
kann. Sie finden ihn S. 78 der Schrift. Und allerdings mache ich
selbst den Anspruch an die Hegeische Schule, daß eben sie, ihre eigen-
thümliche Verkehrtheit einsehend, und dadurch getrieben, sich zu mir
wenden soll. Darin liegt der Sinn der Methode der Beziehungen, daß
man auf dem Hegeischen Standpuncte, dort einmal angelangt, nicht stehen
bleiben kann.
x) 3 S. 4».
314 Juli l832-
Wird das Ihnen so schnell einleuchten? — Die Frage ist nahe ver-
wandt mit der andern: werden Sie Griepenkerls Schrift bald anzeigen?
— Hiemit ist nun gar nicht gesagt, daß es bald geschehen müßte; im
Gegentheil, eine spätere Anzeige kann als Correctur früheren Geschwätzes
höchst willkommen seyn.
Hierin liegt auch gar kein andrer Wunsch, als nur der einzige: Sie
mögen die Sache überlegen. Denn ob eine kurze, überhin gleitende An-
zeige, die Sie freylich jeden Augenblick schreiben könnten, Griepenkerln
angenehm seyn würde, ist noch die Frage; — ich will so wenig hierüber
auch nur eine Stimme abgeben, daß ich nicht einmal die frey gestellte
Wahl zwischen der Jenaisch. L. Z. und den Brockhausischen Unter-
haltungsblättern berühre, außer um Sie zu benachrichtigen, daß Griepen-
kerl an der Jen. L. Z. mitarbeitet, und daher wohl nicht gerade von dort
her eine besonders ungünstige Anzeige zu fürchten hat. Möglich ist, daß
Griepenkerl Sie gleichwohl bitten wird, so bald als möglich in der Jen.
L. Z. die Anzeige zu machen; ich weiß darüber nichts vorher; nur kann
ich nicht dazu mitwirken; schon deshalb nicht, weil aus einer Corre-
spondenz mit Eichstädt gewiß eine Verzögerung entstehen würde, an der
ich auf den Fall, daß Griepenkerl Eile wünscht, nicht Schuld seyn will.
Es ist seine Sache, über die ich nicht disponiren darf. Sie hingegen
ganz allein haben Ihr Geschenk einzurichten wie Sie wollen. || Soviel kann
ich verbürgen: Griepenkerl sowohl als ich wird jede Anzeige, die aus
Ihrer Feder kommt, sehr dankbar annehmen.
Ueber Ihren Scherz, ich solle eine constit. Staatsform construiren —
ich in Pr.! — will ich nicht tiefsinnig brüten. Selbst was Sie von einer
Religionslehre sagen, würde ich nicht ernstlich berühren, wenn nicht eine
Kleinigkeit — wohl nur in den Worten zu berichtigen wäre. Der Kantische
moralische Glaubensgrund (nicht Beweis, wie er oft genug, aber eben so
unrichtig genannt wird,) fällt bey mir keineswegs weg. Vielmehr ist er
das Erste; die theologische Bestätigung aber das zweyte. Kant hat nur
in dem Puncte der Glücks- Würdigkeit, auf die er sich stützte, einen Mis-
griff gethan; den schon Fichte, in seiner guten Zeit, verbesserte. Sitt-
liches Handeln erfordert die Voraussetzung (das praktische Postulat nach
Kant) daß es in die Weltordnung passend eingreife; sonst würde es zur
Thorheit. Setzen Sie dies an die Stelle jener unbestimmbaren Glücks-
Würdigkeit: so ist der Kantische Gedanke im Wesentlichen richtig. —
Vom Welt- Baumeister möchte ich nicht reden. Würden Sie wohl im
Ernste vom Weltgebäude reden? Die Stabilität des Sonnensystems ist,
denke ich, etwas ganz Anderes; eben so die Kunsttriebe der Thiere;
und vollends der menschliche Organismus.
Doch die Post eilt! Leben Sie herzlich wohl! Möge die Cholera
Sie nur nicht ängstigen, nicht verstimmen! — Jeder Brief von Ihnen ist
für mich eine Erheiterung, und wenn Sie glauben, ich sey gereizt, — so
mögen Sie nur desto öfter an mich schreiben! Ihr H.
Juli 1832. 315
400. Bobrik an H.1) Bonn den 28. July 1832.
Verehrtester Herr Professor! Ihre gütige Verzeihung für mein bisheriges
Schweigen darf ich mir nur aus dem Inhalt dieses Briefes versprechen, und bitte in
diesen Anfangszeilen nur um geneigte Entschuldigung, daß ich mit einem so langen
Schreiben Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehme. —
Mit der innigsten Dankbarkeit habe ich Ihr wohlwollendes Anerbieten wegen
der Psychologie ergriffen, und es zum Gegenstande meiner Gedanken und Be-
mühungen so sehr gemacht , daß ich auf der Eeise selbst die unangenehmen Ein-
drücke meiner zweiten Anwesenheit in Berlin (wovon Sie nachher das Nähere er-
lauben wollen) damit milderte, und meine hiesigen mir spärlich zugetheilten Frei-
stunden damit anfüllte. Was nun zunächst das Äußere anbetrifft, so hat sich ein
hiesiger Buchhändler (mit keinem Berliner ließ sich darüber zur Zufriedenheit
sprechen, und von Perthes Sohne, den ich in Berlin sprach, hörte ich, daß er sich
mit dem philosophischen Zweige des Buchhandels nicht befasse) nicht abgeneigt ge-
funden, die Auflage zu übernehmen. Da ich jedoch die Bedingungen nicht weiß,
welche etwa Unzer stellt, so gab ich einem hier durchreisenden Königsberger ein
Paar Zeilen an Dr. Taute mit, worin ich ihn bat, sich bei Ihnen darnach zu er-
kundigen. Leider finde ich in Ihrem freundlichgütigen Briefe keine Berührung
dieses Hauptpunktes, und erbitte mir daher, im Fall nicht schon andre Dispositionen
eingetreten sind, eine geneigte genaue Angabe sämmtlicher Bedingungen, nach deren
Empfang ich mit umgehender Post das Resultat der hiesigen Verhandlung berichten
werde.
"Was das Innere des mir wohlwollend erlaubten Antheils anbetrifft, so glaube
ich persönlich um die Erlaubniß gebeten zu haben, noch einmal bei dem, in diesen
Semester von mir gehaltenen Vortrage der Psychologie, den Empirischen Theil in
die letzte Sichtung und Prüfung zu nehmen. Vorgestern bin ich mit dem Vortrage
desselben zu Ende gekommen, fange morgen den rationalen Theil an, und über-
gebe noch heute mein Heft an einen hiesigen Abschreiber zur Reinschrift, der es
mir im Laufe j| der nächsten vierzehn Tage zuzustellen verspricht, von wo ab ich
es alsdann zu Ihrer geneigten Ansicht einschicken kann. Ich habe in diesem
Semester auch ein Collegium über Hume's enquiry conc. hum. und., in Englischer
Sprache, zu Stande gebracht, und somit Veranlaßung und Gelegenheit gehabt aus
Hume sowohl als aus Locke noch manches in den Empirischen Theil Hingehörige
zu erkennen.
Wenn ich nun aber mit bester Aufrichtigkeit meine Arbeit überdenke, und
gegenüber das Meisterwerk Ihres unschätzbaren Lehrbuchs, so fühle ich im Inner-
sten, daß bei Ihrem gütigen Anerbieten das Wohlwollen die angemeßene Schätzung
meiner möglichen Leistung überwogen haben muß, und daß ich es Ihrer Güte gegen
mich, und Ihrem Namen schuldig zu sein glaube auf die angebotne Theilnahme zu
verzichten, jedoch nichts desto weniger, wenn etwa der Druck hier geschehen sollte,
mit aller Bereitwilligkeit und Genauigkeit die Correctur übernehmen werde.
Zu diesem rein innern Grunde tritt noch der äußere hinzu, daß leicht ein dis-
proportionirtes Verhältniß zwischen dem unverändert bleibendem rationalen und dem
erweiterten empirischen sich herausstellen möchte, dem ich bei den hier einmal vor-
herrschenden Vorurtheil unmöglich durch eine Abkürzung abzuhelfen im Stande bin.
Sie werden die Güte haben, hierüber Ihren Entschluß zu fassen und mir geneigtest
mitzutheilen , und überzeugt zu sein, daß ich von dem Werthe des gütigen Aner-
bietens völlig durchdrungen, dennoch gerne einige Zeit abwarten will, um mit einem
*) 574 S. 4°. — H. B. Wien.
3i6 Juli 1823. ^
empirischen Theile zum Vorschein zu kommen, der sich nicht allein dem rationalen
des Lehrbuchs, sondern selbst der größern Pychologie anschließt Dies letztere
Vorhaben ist namentlich durch ein besonderes Ereigniß motivirt. Ihnen ist vielleicht
erinnerlich, daß, bis zu seinem im vorigen Jahre erfolgten Tode, hier der katho-
lische Theolog Hermes gelehrt hat. Derselbe behandelte in völliger Mittelalterweise
die Philosophie als Dienerin der Theologie. Seine hiesigen Schüler suchen nun die
zu diesem besondern Zweck zugeschnitzten Fragmente von Kant und Fichte, welche
sie das „Hermesische System" nennen, als die alleinseeligmachende Philosophie nach
seinem Tode auf alle Weise aufrecht zu erhalten. So haben sie erstlich eine eigene
Zeitschrift in Cöln etablirt, an welcher seine hiesigen und Breslauer Schüler Theil
nehmen || und welche alle sogenannten „hermetischen" Köpfe abnehmen; zweitens
hat ein Trierischer katholischer Schullehrer eine dickleibige Empirische Psychologie
zu diesem selben Zwecke herausgegeben, und drittens hat endlich ein hiesiger,
juristischer Prof. Ordinarius, v. Droste, ein früherer katholischer Geistlicher und In-
timus des seeligen Hermes in diesem Semester Vorlesungen über Psychologie ge-
halten, und mir sämmtliche katholische Zuhörer entzogen, so daß ich nur zwanzig
hatte, unter denen zu meiner Entschädigung jedoch selbst der Sohn unsrer dies-
jährigen Magnificenz sich befindet, und so daß ich diese Anzahl neben drei Ordi-
narien habe, weil diesmal vier Psychologien gelesen werden. Jene Drostische Psycho-
logie nach hermesischen Heften ist übrigens sonderbar genug mit folgenden drei
Determinationen begabt, 1. blos empirische, 2. für katholische Theologen, 3. ist er
schon vorige Woche damit so zu Ende gekommen, daß er nach alleinigem Vor-
stellungsvermögen, Gefühl und Willen im Stich läßt, um ins Bad zu reisen. Je-
doch dieser ganzen schiefen Richtung, muß ich eine weitläuftigere Empirische Dar-
stellung in Ihrem Geiste entgegenstellen.
Wollen Sie, da ich es einmal habe berühren müßen, mir erlauben meine dies-
maligen Coilegia anzuführen: 1. Einleitung in d. Ph. publice mit 42 Zuhörern;
2. De ideis innatis. lateinisch vorgetragen, mit 9 Zuhörern, nach meinem Büchel-
chen,1) dessen Recension, seltsam genug, so günstig ausgefallen ist, ohne daß ich den
Eecensenten kenne, nach welchem Sie die Güte haben, zu fragen- 3. Logik, mit
37 Zuhörern, 4. Psychologie (neben Calka, Droste, Windischmann) mit 20 Zuhörern;
5. Hume mit 6 Zuhörern. Außerdem habe ich noch viele Privatissima, namentlich
im Englischen und Italienischen; besonders aber hat sich der Vater des jungen
Engländers, welcher nun schon seit einem Jahre bei mir wohnt, an mich gewendet,
denselben noch genauer als bisher unter meine Directum zu nehmen. Dies nimmt
mir freilich manche Tagesstunde fort, giebt mir aber schon die Möglichkeit in London
die andern Kinder des Mr. Browne zu unterrichten, so daß wenigstens der not-
dürftigste Standpunkt gesichert ist. Jedoch dies Alles eben aufgezählte zwingt mich
täglich neun und Mittwoch und Sonnabend zehn Stunden zu sprechen, wozu die
Arbeitsstunden gefügt kaum Zeit zu Mittage bleibt.
Dieser etwas mühsame Zustand ist nun mit zweifelhaften Entschlüßen und
dunkeln Aussichten für jeden derselben umlagert. In Berlin war Schulze zu un-
verschämt über || Sie und gegen mich, als daß ich hätte in den Schranken der
Mäßigung bleiben können, so daß ich bei diesem Stande der Dinge von dorther weder
Etwas zu hoffen, noch aber ebendaher Etwas zu fürchten habe. Auf meine, von
hier aus gerichtete Anfrage, und auf H. v. Rehfues, wie er sagt, ich nicht glaube,
günstigen Antrag, ist, obgleich beides im Anfange des May geschah, weder Nein noch
Ja, noch überhaupt irgend eine Antwort erschienen. Herr v. Ancillon hat mich mit
*) De ideis innatis sive puris pro principiis habitis, Regiomonti 1829.
Juli 1832. 3!7
vieler Güte empfangen, und sich mit schmeichelhafter Theilnahme und selbst wissen-
schaftlicher Vertiefung nach Ihnen erkundigt, mir den wohlwollendsten Gruß an
Sie aufgetragen, und mir versprochen, sobald ich an ihn schreiben würde, die besten
Empfehlungen an die Preußische Gesandtschaft in London zuzuschicken. Auf den
nächsten Freitag, als dem freien Tag dieser Woche, werde ich in dieser Absicht an
ihn schreiben, und bitte Sie ergebenst, im Fall sich die Gelegenheit darbietet,
meinen Brief in gleicher Absicht bei Herrn v. Schön anzumelden, an den ich heute
über acht Tage schreiben will. Von dort aus werde ich außerdem noch von Herrn
v. Bohlen die Empfehlung erhalten, von hier aus von Herrn v. Schlegel, und aus
Berlin noch von Nicolovius. Gegen Ende September hoffe ich, wenn Alles bei dem-
selben bleibt, mich hier auf das Dampfschiff zu begeben, um mein Heil dort zu ver-
suchen. —
Eine Zeitlang hatte ich noch immer meine Hoffnung auf Giessen gestellt, je-
doch hat man von Darmstädtischer Seite die vorgehabte Erweiterung der Uni-
versität auf die Errichtung einer katholisch - theologischen Facultät beschränkt. Eine
andre Aussicht liegt für meinen jetzigen, gedrückten Zustand zu ferne und ich er-
wähne ihrer nur, um Sie mit freundlicheren Nachrichten als meinen persönlichen
unterhalten zu können. In voriger Woche besuchte mich ein junger Schweitzer,
Namens Tappolet, ein Candidat der Theologie aus Zürich, (der sich dieses Semester
hier aufhält), um Ihre Pädagogik von mir zu leihen, und sich nach der praktischen
Anwendung im dortigen Seminar zu erkundigen. Es sei zu erwarten, daß eine neue
Universität zu Zürich errichtet werde, und man namentlich Ihre in der Schweitz
sehr geachteten Principien der Pädagogik durch ein damit zu verbindendes Seminar
in Ausübung bringen wolle. Ihr alter Schüler Keller, habe sich noch stets enthu-
siastisch Ihrer erinnert, und namentlich beide Theile der Methaphysik sehr gerühmt;
ein gewisser Nägeli, Schulrath daselbst, habe Sie gegen den Stock-Philologen Orelli
vertheidigt. Sollten Sie nun den durch diese Schweizer mir an Sie bestellten Gruß
von Keller beachten und an ihn schreiben wollen, so dürften || vielleicht einige Zeilen
hinreichen, jene Herren in dem Falle einer zu errichtenden Universität, oder eines
Seminars, auf mich aufmerksam zu machen, selbst schon in London angekommen,
würde ich darauf gerne eingehn.1) Der junge Schweizer will noch nach Berlin gehen,
und glaubt es möglich zu machen, selbst von da nach Königsberg zu kommen, und
Sie zu besuchen. Zugleich muß ich Ihnen einen Doctoranden ankündigen, Namens
Wahn, aus hiesiger Gegend, welcher seit fünf Semestern mein Zuhörer, selbst zwei-
mal die mathematische Psychologie gehört hat. Er arbeitet jetzt hier an seiner
Dissertation, die er gerne fertig mitnehmen möchte, um dann dort nach der Promo-
tion noch ein halb Jahr Ihre und Besseis Vorträge zu hören. Er hofft anfangs
October da zu sein. Der junge Schweizer ist außer den schon zu Hause emp-
fangenen günstigen Nachrichten über Sie, noch glücklicher Weise in Brandis diesmalige
Religions Philosophie gegangen, welche nach der Aussage mehrerer meiner Zuhörer
der im vorigen Semester vorgetragenen Metaphysik, zum dritten Theil aus höchst
schmeichelhafter Auseinandersetzung Ihrer Principien besteht, zwar in friedlicher
Eintracht mit dem unmittelbaren Bewußtsein und Schleiermacherscher Theologie,
aber nichtsdestoweniger mit stündlicher, bewundernder Erwähnung. Ihren Gruß
hat er freundlich empfangen, und vielleicht schon erwiedert, oder seinem Versprechen
gemäß in einem baldigen Briefe noch zu erwiedern.
*) Bobrik kam dann auch als Prof. der Phil, nach Zürich. Vgl. Georg v. Wyß,
Die Hochschule Zürich in den Jahren 1833 — 1883, Festschrift zur 50. Jahresfeier
ihrer Stiftung, S. 18, 32. Keller ist der Obergerichtspräsident F. L. Keller, nach-
mals Professor in Berlin. (Fr. Mitteilung des Heirn Prof. Dr. R. Steck in Bern.)
318 Juli, August 1832.
Nehme ich das eben Berührte mit Ihrer guten Nachricht von Drobisch zu-
sammen , so fasse ich freudigen Muth, daß, wenn mich auch mein Schicksal am
Eingänge meiner Hoffnungen niederdrückt, auch ohne meine redlich gewidmeten
Kräfte, Ihr System bald, recht bald die würdige allgemeine Anerkennung finden wird;
freilich desto betrübter für mich, wenn mich fortwährend der äußere Mangel, und
die dagegen bis zur Ueberspannung gerichtete tägliche Erwerbsarbeit, um die kräftig
theilnehmende Entwicklung meiner, wie ich aufrichtig fühle, reifen Gedanken be-
trügt. Glücklicher steht Griepenkerl da; seine Schrift habe ich empfangen, mit
einem Briefe, der die Preußische Staats-Philosophie eben so wenig als Drobisch
vergessen hat. Gleich am Schluß der Vorlesungen werde ich an ihn schreiben, und
zugleich eine Recension an die Jenaer Litteraturzeitung einschicken, da Eichstädt
an Augusti geschrieben hat, mich zur Theilnahme aufzufordern, welche von London
aus noch wichtiger werden kann.
Mit Beschämung sehe ich, wie lange ich mich dem Vergnügen hingegeben habe,
und ich eile mich zum Schluße nach Ihrer und der Frau Professorin Gesundheit zu
erkundigen. Hoffentlich || wird Königsberg von einer Wiederkehr der bösen Krank-
heit verschont bleiben, welche in diesem Jahre so vielerwärts sich von Neuem zeigt,
und aus Holland und Frankreich ihre Kreise näher um diese Gegenden zieht.
Mit der ergebendsten Bitte mich der Frau Gemahlin zu empfehlen, verbinde
ich einen gütigst zu bestellenden Gruß an Dr. Taute und Herrn Strümpel, und
zeichne mich mit innigster Hochachtung und Liebe
Ihr Ergebenster Bobrik.
401. Grolp an H.1) Marienwerder, den 16ten August 1832.
Hochverehrter Herr und Freund! Die Julchen Hollinger hatte uns schriftlich
u. mündlich die angenehme Aussicht eröffnet, Sie und Ihre liebe Frau im Laufe
dieses Sommers in Marienwerder, nach langer Trennung, wieder zu begrüßen; die
ungünstige Witterung im Juli hatte sie wahrscheinlich abgehalten, die beschloßene
.Reise nach Zoppot und Marienwerder auszuführen; die Tage sind schöner geworden,
und ich bin seit dem Anfange dieses Monats nach einer längeren Geschäftsreise,
wieder heimisch; — aber vergeblich haben wir bisher an jedem Posttage der Nach-
richt entgegengesehen, daß Sie uns bald mit Ihrem Besuche erfreuen würden. Ist es
Ihnen möglich, noch im Laufe dieses Monats oder in den ersten Tagen des künftigen
uns Ihre Gegenwart zu schenken, so geben Sie doch für diesen Sommer den Ent-
schluß nicht auf! Ich bitte für mich und im Namen meiner Frau herzlich darum!
Bei Gelegenheit meiner Geschäftsreise, die mich am Ende des Monats Juni
nach Jenkau bei Danzig führte, hielten wir uns einige Tage in Zoppot auf. Wir
wohnten beim Kommercienrath Schepp (Schwager des Breslauers Professor) in dem
Franziusschen Gartenhause, worin vor etwa zehn Jahren Frau v. d. Osten den
Sommer verlebte ; — welch' eine paradiesische Gegend, welche weite || reizende Aus-
sicht! Es war uns alles wie neu, obgleich wir hundert Mal dort gewesen. Mit
Frau v. d. Osten war Skrczecka (?) in Zoppot, der jetzt Prediger in Culm ist, welchem
es sehr wohl geht. Ich war vor kurzem bei ihm, wir erinnerten uns dankbar
unseres gemeinschaftlichen Lehrers,2) u. er bat mich, ihn von Ihrer Ankunft in
*) 3 S. 4°. H. Wien. — Über den Regierungs- und Schulrat Grolp vgl. Brief
Herbarts an Drobisch vom 7. Jan. 1835 im folgenden Bande.
2) Grolp studierte 1812 ff. unter Herbart in Königsberg mit dem schon er-
wähnten Reichhelm, s. Bd. XIV, S. 37 u. ö. Ein Skrczecka war 1828 Herbarts
Schüler, s. Bd. XV, S. 8. Da aber der Brief kaum zu entziffern ist, ist auch eine
andere Lesart nicht ausgeschlossen.
August 1832. ^jg
Marienwerder in Kenntniß zu setzen, weil er alsdann ebenfalls herzukommen
wünschte. Bis jetzt haben Sie mir nicht die Freude gemacht, ihm die angenehme
Botschaft hinüber zu senden.
Von den Absichten des Königl. Ministerii wegen Besetzung der Königs-
berger Schulrathstelle wissen Sie. wie ich vermuthe, daß H. Jachmann im Stillen
für H. Schaub in Danzig zu wirken bemüht gewesen, mit dem er noch befreundet
zu sein scheint. An Jachmann, mit dem ich so häufig zusammen zu sein Gelegen-
heit gehabt u. der sich äußerlich überaus freundlich gegen mich zeigt, ist doch bei
allem so vornehm — zurückhaltend, daß es schwer ist, hinter sein geheimes d. h.
wahres Wollen zu kommen. Weder der H. v. Schön, noch der Graf v. Dohna
noch der Ob. R. Rath Ewald, noch der Kanzler || v. [unleserlich] haben mir auf meine
Briefe eine Zeile geantwortet. Eine bittere, aber heilende Medizin ! Ihr Rezept (?) ist darin,
sich künftighin nicht wieder zu solchen Stellen zu melden. Mein Stolz fühlt sich
mehr gekränkt, daß ich Weiteres getan als dß. ich ohne [unleserlich] geblieben bin.
Ich wollte anfangs bloß an den Minister v. Altenstein schreiben, oder was einerlei, an
den Geh. Ob. R.-Rath Schalpe — wäre ich doch meinem Entschluße treu geblieben!
Wie ich höre, sollen im December d. J. die Schulräthe der Provinz Preußen
zur Berathung über die Preußische Schulordnung zusammentreten; der Präsident
v. Nowenschiht sagte mir heute in der Session davon, noch habe ich das diesfällige
Schreiben des H. Oberpräsidenten nicht gesehen. Es ist heute in unserem Hause
viel die Rede von einer Reise nach Königsberg gewesen, wohin meine Frau u.
meine älteste Schwester — wenn es möglich zu machen ist — mich begleiten sollen.
Man reist u. genießt so doppelt!
Meine Frau empfiehlt sich mit mir Ihrer Frau Gemahlin, und indem ich um
die Fortdauer Ihres Wohlwolleos gegen mich angelegentlichst bitte, erlaube ich mir
die Versicherung auszusprechen, daß ich nie aufhören werde zu sein
Ihr dankbar ergebenster Grolp.
402. Jäsche an H.1) Dorpat den 30. August 1832.
Verehrungswerthester Herr Professor. Mit Verlangen hatte ich in diesen Tagen
der Rückkunft zweyer Personen aus Königsberg in ihre hiesige Heimath entgegen
gesehen, in der Hoffnung, daß sie mir willkommne Nachrichten von Ihnen, mein
Verehrtester! und zugleich einen freundlichen Gruß verbunden mit der aus Ihrem
Munde vernommenen mir so werthen Versicherung von der Fortdauer Ihres An-
denkens an mich, und Ihrer wohlwollenden Gesinnungen gegen mich mitbringen
würden. Aber leider! ist diese meine Hoffnung unerfüllt geblieben, da weder mein
College, Hr. Professor Kleinert, einer Ihrer ehemaligen Schüler, noch der Andere,
welcher in dessen Gesellschaft Sie hat besuchen wollen, Hr. Carlblom, ein Ober-
lehrer an unserm hiesigen Gymnasium, das Glück gehabt hat, Sie zu Hause anzutreffen. —
So möge demnach diese Zuschrift dazu dienen, mein Andenken bey Ihnen zu er-
neuern, und mir zugleich die angenehme Aussicht eröffnen, auch von Ihnen wieder-
um in Kurzem erfreuliche Nachrichten von Ihrem Wohlbefinden zu erhalten. So-
gleich muß ich aber auch einer alten Schuld gedenken, die ich theils Ihnen selbst,
theils Ihrem würdigen Schüler, Herrn Strümpel, noch zu entrichten habe, durch
Bezeigung meines verbindlichsten Dankes für den gehaltvollen philosophischen Auf-
satz, welchen der Letztere durch Sie, und mit einigen Zeilen von Ihnen begleitet,
mir mitgetheilt hat. Mit aller Aufmerksamkeit und besonderm Intereße habe ich die,
in dem gedachten Aufsatze in gedrängter Kürze enthaltenen Erörterungen und Auf-
klärungen über einen und den andern höchst wichtigen und schwierigen Hauptpunct
') 4 S. 4°. H.-B. Wien.
320 August 1832.
der praktischen Philosophie gelesen. Sie haben an Herrn Strümpell einen würdigen
Schüler sich gebildet, von welchem sich, schon nach der einzigen mir gütigst mit
getheilten Probe von Philosophischem Talent und einer lichtvollen und wohlgeordneten
Darstellung der Gedanken, gewiß erwarten läßt, daß er das Vertrauen recht-
fertigen werde, welches Sie in ihn setzen, indem Sie ihm bald, wie Sie mir schreiben,
einen großen Theil Ihrer litterarischen Angelegenheiten zu übergeben gedenken.
Aber doch müssen Sie deswegen selbst noch nicht Ihre schriftstellerische Feder
niederlegen. Ein niederschlagendes Gefühl ergriff mich in der That, als ich die
Worte las : „„Von mir ist nichts mehr zu erwarten, wenn"" usw. Kränkend muß
es freilich für Sie seyn, daß Ihre redlichen, eben so verdienstlichen als eifrigen ||
Bemühungen, die theoretischen und praktischen Zwecke der Wissenschaft zu be-
fördern, nicht genug erkannt und gewürdigt werden. Aber das eigne wohlgegründete
Selbstgefühl darf und muß doch auch die erhebende Ueberzeugung Ihnen gewähren,
daß Sie auf Kant's Lehrstuhle während einer 22 jährigen Dienstzeit nicht ohne Er-
folg Lehren der Wissenschaft und der Lebensweisheit vorgetragen und verbreitet
haben. — Als ich neuerdings hieselbst mit dem Astronomen zu Helsingfors in Finn-
land, Herrn Agelander, einem geb. Preußen und ehemaligen Zuhörer von Ihnen, in
Gesellschaft bey unserm hiesigen Astronomen Struve war, erzählte mir gedachter
Hr. Agelander, Sie, Verehrtester! hätten sich gelegentlich in einem gesellschaft-
lichen Zirkel dahin geäußert, daß es Ihnen weit mehr zur Ehre gereiche, des ehr-
würdigen und unvergeßlichen Weisen Kants, als des Neo-Scholastikers Hegels Lehr-
stuhl inne zu haben. Wie sehr diese Ihre ausgesprochene Ansicht mir gefallen,
können Sie leicht denken; und wenn ich nun noch überdies erwäge, wie Ihre philo-
sophischen Antagonisten in B. u. H. alle ihre Kunstgriffe aufbieten würden, um
Ihnen Ihr Leben und Wirken, in ihrer Mitte zu verkümmern, und zu verbittern:
so muß es mir um der Wissenschaft und um Ihre selbsteignen persönlichen Ruhe
und Zufriedenheit willen lieb seyn, daß man Ihnen die bewußte Stelle nicht an-
getragen hat. Man erfährt aber doch auch bis jetzt nichts Zuverläßiges darüber,
ob der vacante philos. Lehrstuhl dem Hegelianer Gabler wirklich bestimmt sey. In
seiner Recension der Hegeischen Encyklop. pp. glaube ich indessen schon eine ge-
wiße captatio benevolentiae und eine gleichsam zum voraus gegebene Bürgschafts-
leistung gefunden zu haben, daß er als ein treuer, ächter Jünger seines Meisters
sich auf dem Lehrstuhl desselben geriren werde. Lächeln muß man wohl über
Aussprüche wie der (in der gedachten Recension) ist: „daß das deutsche Volk nun-
mehr eine Metaphysik habe durch Hegel." Wie lange möchte aber wohl noch
dem kleinen deutschen Volkshänflein von Hegelianern der Besitz ihrer scholastischen
Metaphysik gesichert seyn? — Sie, mein Verehrtester! werden sicherlich noch früh-
zeitig genug das Lebens- und Regierungsende der neuesten Dynastie in unsern
deutschen Philosophen-Schulen erleben. Und vielleicht ich selber noch, obschon ein
Greis, der bereits im Anfange des letztverfloßenen Monathes Juli seinen 70. Geburts-
tag gefeiert hat; wenn anders die Vorsehung mir noch einige wenige Lebensjahre,
über diese bereits zurückgelegten 70 hinaus, vergönnen sollte. Ihre ernsten, gründ-
lichen und besonnenen Forschungen im Gebiete der gesamten Philosophie und die
in Ihren bereits erschienenen Werken enthaltenen Resultate eines vieljährigen tief
eindringenden philosophischen Nachdenkens, werden hoffentlich über kurz || oder
lang das ihrige dazu beytragen, den Verfall und Untergang unsrer neuesten
scholastischen, dogmatisch idealistischen Schulen herbeyzuführen, indem sie als eine
kräftige Reaction gegen die excentrischen Tendenzen aller Modephilosophien des
Absoluten wirken werden. Mögen denn auch immerhin solche Neoscholastische
Metaphysiker, wie die Hinrichs und Consorten, deren Verstand ganz und gar an ihrer
August 1832. 321
Schule klebt, durch ihre jämmerlichen Kritiken den gediegenen Werth solcher Er-
zeugniße des philosophischen Geistes und Geschmacks, wie auch die neueste Frucht
Ihrer philosophischen Thätigkeit, die Encyklopädie der Philos. , herab zu setzen
suchen. Unser vorurtheilsfreyes, gebildetes Publicum wird sich aber dadurch ge-
wiß nicht irre machen lassen, sondern der Stimme anderer Referenten und Kritiker
glauben und folgen; einer Stimme die ganz anders lautet und für den Werth und
die "Wichtigkeit Ihrer philosophischen Forschungen zeugt; wie ich so eben eine
solche Stimme nur noch vor kurzem erst (in der allg. litt. Ztg. u. den Blättern
für literarische Unterhaltung) vernommen habe. — Eine nicht unwirksame und un-
bedeutende Reaction gegen unsre modernen scholastischen Metaphysiker wird, denke
ich, auch Beneke's Jubeldenkschrift auf die Kritik der reinen Vernunft bewirken.
Ich habe mich über diese Erscheinung wohl recht sehr gefreut; und gewiß werden
auch Sie dieser Schrift wenigstens von Seiten ihrer polemischen Tendenz als Oppo-
sitionsschrift verfaßt zu Darlegung und Rechtfertigung der Grundtendenz der Kan-
tischen Philosophie im Gegensatze mit unsern neuern scholastisch- metaphysischen
Dogmatikern, Ihren Beyfall nicht versagen wollen. Nach solchen kräftigen Reagen-
tien komme auch ich nun noch bald hinterher mit meinem Versuche von Polemik
gerichtet gegen unsre modernen "Wissenslehrer der Allheit und Absolutheit. — Der
Inhalt des 3. und letzten Bandes meiner Schrift1), wovon Sie die Ankündigung be-
reits im Leipz. diesjäbr. Ostermeßcataloge werden gelesen haben, und von welchem
mein Verleger Ihnen sogleich ein Exemplar zuschicken soll, nachdem die neuer-
lichst von mir eingesandte Druckfehleranzeige dem Buche wird beygefügt worden
seyn, wird Ihnen, mein Verehrtester! eine genügende Antwort auf Ihre scherzhafter
"Weise an mich gerichtete Frage geben : ob ich mich etwa zum Pantheismus bekehrt
haben sollte ? — "Wenn es mir geglückt seyn sollte , den Spinozismus redivivus in
den mancherley modernen zum Theil bunt geschmückten Gewändern, welche die
Pantheisten unsrer Zeit ihm angelegt, |j auf eine unverkennbare "Weise dem un-
getrübten Blicke vorurtheilsfreyer Beurtheiler vorgeführt und in seiner Blöße hin-
gestellt zu haben: so wäre meine Absicht nicht ganz verfehlt, trotz der mancherley
Mängel und Unvollkommenheiten, welche der Scharfblick sachkundiger Kritiker am
Ganzen und an einzelnen Parthien bald genug entdecken wird, und die zum Theil
mir selber schon bey nunmehriger schärferer Uebersicht des Ganzen nicht mehr
verborgen bleiben können. Sollte nun aber doch ohngeachtet alles auszustellenden
Tadelnswerthen, welches Ihrem geübten hellen und scharfen Kennerblicke bey
Durchsicht des Buches gewiß am wenigsten entgehen wird, auch dieser letzte Theil
des "Werkes, gleich den beyden erstem, einer öffentlichen Anzeige und Beurtheilung
von Ihnen gewürdigt werden: so würde mir diese, Ihre, auch nach dem Schluße
des Ganzen erzeigte Gunst zu einem erfreulichen Beweise dienen, daß auch die
letzte, unser philosophisches Zeitalter zunächst angehende und wohl am meisten
intereßirende Parthie des "Werkes auf eine, wenigstens der Hauptsache nach, nicht
unzweckmäßige Weise von mir müße bearbeitet worden seyn. Denn welch' ein
Gewicht ich auf Ihr Urtheil über den "Werth meiner schriftstellerischen Versuche
lege, davon hat Sie die Art, wie ich Ihre lobenden und tadelnden Bemerkungen bis
jetzt aufgenommen, mit Sorgfalt beachtet und berücksichtiget habe, überzeugen
können. Ich habe mich, wie Sie finden werden, mehrmals auf Sie als meinem Ge-
währsmann berufen , um meinen Behauptungen durch Ihre Aussprüche noch mehr
Nachdruck und Gewicht zu geben. Auch zu diesem Zwecke ist mir das Studium,
vornehmlich Ihrer Methaphysik, so wie des jüngsten Ihrer Werke, der schon er-
*) Der Phantheismus nach seinen verschiedenen Hauptformen. 3. Bd. Berlin 1832.
Herbarts Werke. XVII. 2 1
~\2 2 August, November 1832.
wähnten vortrefflichen aus praktischen Gesichtspuncten entworfenen Encyklopädie
der Philosophie, recht sehr zu statten gekommen. Wie viel ich überhaupt schon
meiner mit Ihrem philosophischem System bis jetzt gemachten Bekanntschaft ver-
danke, das wird mir immer klarer und einleuchtender, je mehr ich über den Ent-
wicklungsgang unsrer modernen Spinozisten, und die Veranlassungen und Ursachen
ihrer mannichf altigen Verirrungen auf dem Wege der Speculation nachdenke;
indem ich gegenwärtig in einer öffentlichen Vorlesung, wöchentlich eine Stunde,
meinen Zuhörern die practische Entwicklungsgeschichte der modernen dogmatisch
idealistischen Systeme seit der Kantischen Epoche darzustellen versuche. — Leben
Sie denn nun wohl, mein Verehrtester! Unter Wiederholung meiner lebhaftesten
Wünsche für Ihr Wohlseyn und der angelegentlichen Bitte um die Fortdauer Ihres
wohlwollenden Andenkens
Ihr aufrichtiger Verehrer Jäsche.
403. Bobrik an H.1) Bonn d. 13ten Novbr. 1832.
Verehrtester Herr Professor! Wie sehr ich es auch gewünscht habe früher
and anderwärtsher den ergebensten Dank für die geneigten Briefe zu sagen, es
hat mir bei allen Bemühungen nicht gelingen wollen. Neben London hat sich
Darmstadt und Zürich gestellt, um mir einen künftigen Aufenthalt so möglich als
wünschenswerth zu machen.
Der hiesige Ober Consistorial Path Augusti, hat nämlich von Darmstadt aus die
Aufforderung erhalten, dorthin als Evangelischer Prälat zu kommen, um die Ein-
richtung und oberste Leitung des gesammten Kirchenwesens zu übernehmen. Für
den Fall seiner Zusage hat mir das Darmstädtische Ministerium eine mathematische
Lehrerstelle am dortigen Gymnasium mit dem Titel eines Professors und 500 Thlr.
Prß. zugesagt, mit der Aussicht, wenn, was im Werke sei, Gießen nach Darm-
stadt verlegt wird, eine Philosophische Profeßur an der Universität zu erhalten. Gegen
das Berliner Ministerium hat Augusti neben andern Bedingungen seines Bleibens
die gestellt, daß ich zum Professor extod. an hiesiger Universität mit einem aus-
kömmlichen Gehalte gemacht würde. Auf diese im Anfange Septbr. gemachte Ein-
gabe ist bis jetzt nicht eine Spur von Antwort gekommen, u. Augusti, welcher in
Breslau in einiger Nähe des Königs gestanden, u. auch späterhin manche Beweise
des Zutrauens von Sr. Maj. erhalten hat, will, wenn das Schweigen länger dauert,
sich im Decbr. an den König selbst wenden. Bis dahin bin ich daher hier festge-
bannt u. habe demgemäß meine Collegien mit einem so zahlreichen u. ergiebigen
Besuche angefangen, wie ich mich noch nicht zu erfreuen gehabt habe z. B. Logik
trägt allein 50 Fr. d'or u. Psychologie beinahe 30 fr. d'or.
Nach Zürich hatte ich an Keller, Präsidenten, und an Nägeli Mitglied des Erziehungs-
rathes geschrieben, u. mir erlaubt dieselben an Sie zu verweisen, im Fall sie nähere Aus-
kunft über mich haben wollten. Von Nägeli bekam ich einen freundlichen Brief, u. den
Plan der einzurichtenden Universität zugeschickt || nebst dem Versprechen meine Mel-
dung um eine Philos. Professur nach Kräften zu unterstützen. Ich habe demnach eine
officielle Eingabe an den Erziehungsrath abgeschickt u. hoffe im Januar eine be-
stimmte zusagende oder abschlägige Antwort zu erhalten. Beide Aussichten gegen
die jetzige politische Aufregung Londons gehalten, laßen es mich noch nicht be-
reuen ein neues Semester hierzubleiben, doch werde ich mit meinem jungen Eng-
länder, den der Vater aus Besorgniß des ausbrechenden Krieges nach Hause ruft,
die Verbindungen und Erkundigungen fortsetzen, welche ich anzuknüpfen Gelegen-
heit hatte.
x) 2 S. 4Ü. H. Wien.
November, Dezember T832. ^2\
Daß Brandis diesen Winter in Berlin bleibt, wird Ihnen bekannt sein, er sagt.
um seine Ausgabe des Aristoteles zu beendigen, wir meinen hier sämmtlich, u.
Berliner erzählen es, um sich Hegels Stelle durch Schleiermachers Einfluß zu ver-
schaffen, dessen pedisequus er hier in der letzten Zeit zu ängstlich machte.
In hiesiger Gegend taucht trotzdem von Neuem das verstärkte Gerücht hervor,
Sie kämen nach Berlin. Wollen Sie, verehrter Herr Professor mir im Falle der
Wahrheit einige Winke zukommen lassen, so könnte ich sie für meine hiesige An-
gelegenheit dankbar benutzen.
Herr Wahn ist heute nach Königsberg abgereist u. ich habe mir die Freiheit
genommen, ihm einen besondern Empfehlungsbrief an Sie mitzugeben. Seine
äußeren Umstände sind völlig sorgenfrei, so daß, wenn er nach der Promotion in
seine hiesige Heimath zurückkehrt, er leicht zum Guten Ihrer Lehre beitragen
wird. Er spricht wenig aber sicher, und denkt scharf u. tief u. hat Ihre Werke
im eigenen Besitze sämmtlich durchstudirt.
Cholera und Krieg sind an unserer Schwelle, die Regimenter hiesiger Gegend
sind in voller Bewegung, u. viele Studirende zum Dienste eingezogen, doch getrost
erwarten wir noch immer eine glückliche Lösung der verwickelten Zukunft.
Mit ergebenster Bitte um gütige Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin zeichne
ich mit kindlicher Ehrfurcht
Ihr Ergebenster Dr. Bobrik.
404. An Drobisch.1) Königsberg 20 Dec 1832
Herzlichen Dank, mein verehrtester Freund, für Ihren trefflichen
Aufsatz sowohl als für Ihre gütigen Mittheilungen! Aber, aufrichtig ge-
sagt, ich wage kaum, noch viel hinzuzufügen; denn was ich auch sagen
möchte, es kann zu leicht den Schein der Zudringlichkeit annehmen, so
lange Sie noch im mindesten in ihrer Beurtheilung meiner Untersuchungen
schwanken. Ihr Urtheil über Griepenkerls Briefe ist nachtheiliger aus-
gefallen als ich dachte; ich kann nicht unternehmen Sie zu widerlegen,
aber es war mein Wunsch, Sie möchten seinen redlichen Willen, der
einen mir wichtigen Zeitpunct rasch benutzte, höher anschlagen, und des-
halb auch für ihn ehrenvoller gesprochen haben. Soll aber mir im
Publicum eine bessere Stellung bereitet werden, so dürfte dazu vor allem
nötig seyn, das Publicum zu nehmen wie es ist, also nicht länger wie
vor einem idealen Publicum zu reden, das da kommen und urtheilen
solle, wo Sie Selbst nicht bestimmt sprechen mögen. Wer ist denn
urtheilsfähiger als Sie? Die übrigen sind entweder Phartheymänner, oder
sie kleben an Vorurtheilen, oder sie wissen wenigstens nicht recht wovon
die Rede ist. Wenn Sie einmal im deutlichen, ganz einfachen Indicativ
reden werden, dann wird eine große Menge Ihnen glauben; aber ich
habe keine Mittel, diese Zeit näher zu führen. Sie sind ein selbständiger
Denker, und ein solcher nimmt sich soviel Zeit als er braucht. Darin
liegt der ganze Grund meines längeren Schweigens, — wenn Sie nicht
auch das für einen halben Grund rechnen wollen, daß mir jede Zeile
unangenehm fühlbar wird, die mich an das Schwankende meiner Stellung
erinnert. Doch muß ich Ihnen || darüber ein paar Worte zur Nachricht sagen.
Brandis ist seit ein paar Monaten in Berlin, angeblich seines Aristoteles
x) 3 S. 40.
21*
324 Dezember 1832.
wegen; die Bonner meinen, der vacanten Stelle wegen; er selbst hat dies
in einem Briefe an mich verneint; ich aber vermuthe daß Andere etwas
Anderes mit ihm wollen, als er selbst geglaubt und gewollt hat. Er schreibt
nun mir in dem Sinne, als stünde ich noch auf der Candidaten-Liste ;
damit trifft ein Besuch vom Minister Beyme zusammen; und die Nach-
richten, die Sachs von der Reise mitbrachte. Das Ministerium hat ganz
kürzlich von mir ein Gutachten in einer unbedeutenden Sache verlangt;
es scheint, man wolle mir für mögliche Fälle Rede angewinnen. Das
Alles stört mich, nachdem ich vor einigen Monaten eine vortheilhafte
Gelegenheit, mein Haus zu verkaufen, zurückgewiesen habe. Es stört
mich in Arbeiten, durch die ich gerade die störenden Gedanken zu ver-
gessen hoffte.
Überlegen Sie nun in meinem Namen! Was kann ich Ihnen jetzt
versprechen? Freylich sollte ich bei Ihrem jetzigen Unternehmen Ihr
ämsigster Mitarbeiter seyn; statt dessen muß ich mich einigermaaßen auf
mögliche Fälle gefaßt halten; auf die Gefahr, dadurch unnützer Weise
Gelegenheit und Zeit zu verlieren.
Daß die Leipziger Redaction nicht lange mehr bestehen könne,
hatte mir geahndet. Denn die active Kraft liegt dort zu sehr in der
Verlagshandlung, als daß so schönes Papier und so sauberer Druck nicht
besser solle benutzt werden. Aber — können Sie Sich bloß auf ein Jahr
einlassen? Etwas länger, dächte ich, — oder gar nicht! Übrigens hat
freylich die Sache zwey Seiten. Sie gewinnen auf der einen, Sie ver-
lieren auf der andern! Doch denke ich, das Nöthigste wäre Ihnen —
eine recht zuverlässige Haushälterin. |] Denn wenn Sie Sich zu Nacht-
wachen bei Frau und Kindern häufig gezwungen sehn, so ists rein un-
möglich, daß Sie bey großer literarischer Geschäfftigkeit noch die Freyheit
des Geistes behaupten, die vielleicht niemand im gelehrten Deutschlande
sich so sorgfältig erhalten sollte, als eben Sie!
Vor Weiße möchte ich fast warnen. Doch bitte ich das nicht un-
recht zu verstehen; es ist wahrlich nicht, als ob ich Bedingungen an seine
Ausschließung knüpfen möchte. Nur besorge ich, Sie werden ihn, wenn
er einmal zugelassen ist, nicht mehr los, er will mit Gewalt berühmt
werden; und seine massive Feder ist nicht bloß rascher als die Ihrige,
sondern auch gerade recht um der Masse zu imponiren. Er kann Schaden
[genug anrichten,] und zu belehren ist seine Verschrobenheit schwerlich.
Lassen Sie Sich doch nur Etwas von [seinen] Schriften geben ; Sie werden
dann Selbst sehen ! Denen, die den Wahnsinn der Hegelianer [nicht]
aus eigner Ansicht kennen, erscheint er, nach allen meinen Erfahrungen,
viel kleiner als er ist.
Die angenehmste Ihrer Nachrichten für mich war die, daß Sie
Psychologie lesen, ja noch überdies nach meinem Lehrbuch. Gern möchte
ich Ihnen sagen, wie ich das Lehrbuch gebrauche, die Anordnung stark
verändernd; doch auch das bleibt Ihrer eigenen Überlegung und Ent-
scheidung anheim gestellt.
Vielleicht schreibe ich etwas ausführlicher, wenn ich mit meiner
jetzigen Arbeit etwas mehr werde vorgerückt seyn. Bis dahin — glauben
Sie nur nicht, daß ich mich in thörichten Hoffnungen wiege. In meinem
Dezember 1832. 3 2^
Alter giebts eigentlich keine rechte Hoffnung mehr, und ruhen ist klüger
als sich noch viel rühren. Benutzen Sie Ihre Jahre! Dazu möge das
neue Jahr Ihnen neue Gelegenheiten bringen.
Ganz und immer der Ihrige Herbart.
405. An Brandis. x) Königsberg 20 December 1832.
Mit vielem Danke, mein hochverehrter Freund! hatte ich Ihre
Recension meiner Encyklopädie gelesen, und wollte Ihnen diesen Dank
für die sehr gütige Aufmerksamkeit, womit Sie das auf Ihren Wink ent-
standene Buch behandelt haben, nach Bonn hinsenden, als ich überrascht
wurde durch Ihren Brief aus Berlin, der mir noch eine zartere Auf-
merksamkeit beweiset. Es war jedoch nicht ganz leicht darauf zu ant-
worten, besonders da ich, falls Sie etwa gefragt würden : Was sagt H ?
Ihnen nicht gern die bequeme Erwiederung verderben wollte: er sagt
Nichts. Jetzt aber mag ich nicht verfehlen, Sie von einer Kleinigkeit zu
benachrichtigen, die Sie einigermaaßen berühren könnte. Ihr Schüler, Herr
Fischer, hat eine Abhandlung geschrieben, de logica aristotelica, diese ist
von hoher Hand an mich gelangt, mit dem Auftrage mich darüber zu
äußern. Mein Bericht durfte nun weder kurz noch lang, weder scharf
noch stumpf ausfallen; indessen habe ich, da Sprache, Darstellung, Kennt-
niß neuerer Philos. pp. mir kein Lob abgewinnen konnten, mich auf den
Aristot. gestemmt, und bemerkt: es werde schwerlich Jemand außer Ihnen,
beurtheilen können, wiefern Herr Fischer Ihren Unterricht sich an-
geeignet haben möge; — indirect habe ich am Ende auf eine Unter-
stützung von etwa 300 Thl. angetragen.
Andre Neuigkeiten, z. B. die von der veränderten Redaction der
Leipz. Lit. Zeitung werden Sie eher erfahren als ich. Sie haben wohl
gethan, Sich dem Kriegs- und Cholera-Schauplatz so gut als möglich zu
entziehen — wenn nur nicht die Kugeln, die vor Antwerpen gewechselt
werden, am Ende auch uns bedrohen! In ruhiger Zeit, — und wenn
Sie mehr Muße haben, werden wir ja wohl einmal wieder eine wissen-
schaftliche Unterhaltung beginnen. Für jetzt wünsche ich für uns beyde,
der Winter möge gnädig mit uns umgehen! Ganz und mit größter Hoch-
achtung Ihr Herbart.
l) 1 S. 4°.
Druck von Hermann Beyer & Söhne (Beyer & Mann) in Langensalza.
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